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1l1lÖE KatllYo P1l8de; a
Vorhaltungen gegen Seneca wie die der allgemein gehaltenen und nicht auf einen bestimmten Anlass zeitlich fixierten Worte des Cassius Dio sind konkret im Spätsommer 58 n. Chr. in Rom im Umfeld eines Gerichtsverfah rens
zu
finden, wie der zeitnähere Tacitus in ähnlicher Weise mit einem
Katalog derartiger Vorwürfe bezeugt: 12
1 . Senecas Abneigung gegen Claudius wegen der rechtmäßig verhängten Verbannung, Senecam increpafL' injefLvum amicis Claudii, .mb quo iustissimum exilium pertulisset. 2. seine unnützen Studien als schlechter Einfluss auf unerfahrene Jugend, simul studiis inertibus et iuuenum imperitiae suetum . . . 3 . sein Neid auf andere mit rhetorischen Erfolgen, /iuere iis, qui uiuidam et incorruptam eloquentiam tuendis ciuibus exercerent. . . . 4. sein sexuelles Fehlverhalten a l s wiederholter Ehebrecher im Kaiserhaus, se quaestorem Germanici, il/um domus eius adulterum flüsse. an grauius aestimandum sponte /itigatoris praemium honestae operae adsequi quam cornlmpere cubicula princi pum feminarum? . . . 5 . sein Reichtum, erworben i n nur vier Jahren königlicher Freundschaft, durch Jagd a u f Te stamente und Zinswucher bis in die Provinzen, qua sapientia, quibus philosophorum praeceptis intra quadriennium regiae amicitiae ter milies sestertium parauisset? Romae testamenta et orbos uelut indagine eius capi, [taliam et prouincias immenso jaenore hauriri. . . . 6. seine Stellung als bloßer Emporkömmling i m Vergleich z u anderen. at sibi labore quaesitam et modicam pecuniam esse. crimen, periculum, omnia potius toleraturum, quam ueterem agenda partam dignationem .mbitae fe/icitati submitteret.
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Tac.
ann .
1 3 ,42,2ff. Zu dieser Episode vgl . Seita ( 1 982) S. 3 1 2ff.
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Gegenstand einer offiziellen Anklage gegen Seneca, einer öffentlichen Untersuchung war das alles freilich nicht. Es war eine Retourkutsche des daraufhin unter einem Vorwand und wohl auf Senecas Veranlassung selbst Angeklagten, des offenbar professionellen Delators P. Suillius Rufus. Nach Tacitus hatte Seneca 54 n. Chr. und damit unmittelbar nach dem Macht wechsel dafür gesorgt, dass die bestehenden, z. T. aber nur sehr locker ge handhabten, missbrauchten Gesetze gegen Denunzianten und Delatoren ver schärft und auch tatsächlich wieder angewendet wurden.13 Das war Be standteil der ersten, von Seneca formulierten Reden Neros gewesen, gleich sam Teil seiner Regierungserklärung. Wenn sich Suillius mit seinen Aus fallen gegen Seneca wandte, so ist dies lediglich der verärgerte Protest eines Getroffenen gegen den, dem er seine veränderte Situation, seinen Anse hensverlust und schließlich seine sichere Verurteilung zu verdanken hatte. Und so ist klar, wie ernst die Vorwürfe des Suillius zu nehmen sind - es sind bösartige, verleumderische Anschuldigungen; Tacitus spricht einlei tend von gehässigen Anfeindungen, von inuidia.'4 Zumindest z. T. aber dürfte solches die allgemeine Stimmung gegen Seneca widergespiegelt ha ben; man spekuliert auch, die entmachtete Agrippina könnte als treibende Kraft beteiligt gewesen sein. Es ist ein Zeichen von Senecas allmählich schwindendem Einfluss, dass es möglich war, solches Ende der 50er Jahre dem doch eigentlich engsten Vertrauten des Kaisers, seinem praeceptor und amicus öffentlich vorzuwerfen. Ähnliches findet sich wenige Jahre später unmittelbar vor Senecas seces sus, als 62 n. Chr. Burrus gestorben (oder ermordet) war und Seneca einse hen musste, nunmehr alleine nicht mehr genügend positive Einflüsse auf Nero ausüben zu können. Nach Tacitus wurde Seneca erneut wegen seines riesigen, normale Verhältnisse längst übersteigenden Vermögens angegrif fen. Angegriffen wurde er zusätzlich wegen seines Strebens, seinen Kaiser entweder in jeder nur erdenklichen Weise übertreffen und ausstechen zu wollen, sowohl hinsichtlich der Gunst des Volkes, der materiellen Pracht seiner Besitzungen, der rhetorischen und poetischen Fähigkeiten. Oder aber er suche Neros Qualitäten als Wagenlenker und Sänger öffentlich herabzu13 14
Tac. anno 1 3 , 5, 1 , Suet. Nero lO,lf. Tac. anno 1 3,42 , 1 fT. haud tamen sine inuidia Senecae sowie die anschließende Verbrei t ung haec isdem uerh;" aut uersa in deterius, vgl. zudem seine Ein ruhrung des Suillius multarum adia meritus . . . terribilis ae uenalis sowie praeter feraciam animi extrema seneeta Iiber; zu dessen Abwertung als delatar und damit Entkräftung seiner Angri fTe Muiloz Valle ( 1 975) S. 257fT.
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setzen,IS Was Nero ohnehin in der Öffentlichkeit als unschicklich vorge worfen worden sein wird, wird so geschickt zur eigenen Schmeichelei ge nutzt, um Stimmung gegen Seneca zu machen; doch zugleich ist die Erwäh nung ein geschickter Zug im Referat des Tacitus, die Angreifer selbst zu entlarven: mors Burri infregit Senecae potentiam, quia nec bonis arfibus idem uirium erat, altero uelut duce amoto, et Nero ad deteriores inclinabat. hi uariis criminationibus Senecam adoriuntur, I.) tamquam ingentes et priuatum modum euectas opes adhuc augeret quodque studia ciuium in se uerteret, hortorum quoque amoenitate et uillarum magnificentia quasi principem su pergrederetur. 2.) obiciebant etiam eloquenfiae laudem uni sibi adsciscere 3.) et carmina erebrius factitare, postquam Neroni amor eorum uenisset. nam obleetamentis principis palam iniquum detrectare uim eius equos regentis, in ludere uoeem, quotiens eaneret. quem ad ftnem nihil in re publica clarum fore, quod non ab Wo reperiri credatur? eerte finitam Neronis pueritiam et robur iuuentae adesse: exueret magi strum, safis amplis doetoribus instructus maioribus suis.
Mit feiner Unterscheidung wird Seneca als bloßer magister gegenüber echten doctores abgewertet und Nero die Notwendigkeit zur Emanzipation gegenüber seinem einflussreichen Berater eingeredet. Und wiederum ist hier von Tacitus eindeutig gewertet: Es sind deteriores, minderwertige Elemente, denen der nunmehr 20 jährige, labile Nero in zunehmendem Ma ße verfiel. Mit seiner expliziten Bewertung, mit inuidia und deteriores, hat Tacitus unmissverständlich klar gemacht, wie wenig von solchen Vorwürfen zu halten ist. Er referiert sie gleichwohl, wie man es von einem seriösen Histo riker erwarten muss; er bezeugt so ihr damaliges Gewicht und eine öffentli che Diskussion über Seneca und er hat mit seinem Geschichtswerk unwil lentlich selbst dazu beigetragen, noch unser gegenwärtiges Bild von Seneca durch die antike Kritik zu trüben. 16 Vielfach sind es eben die durch Tacitus IS 16
Tac. anno 1 4,52, l fT. Schön der Kommentar von Koestermann ( 1 968) S. 1 25 ,,Die Unter stellungen, [ . . . ] ganz auf die Mentalität des eitlen Kaisers ausgerichtet [ . . . ], trafen diesen an seiner empfindlichsten Stelle". Vgl. Z. B . Abel ( 1 985) S. 672f. "WeIchen Sinn hatte es, die Anschuldigungen des SuiIlius in aller Auslührlichkeit wiederzugeben, wenn sie mehr oder weniger aus der Luft gegrif fen waren?" sowie weiter problematisiert S. 688 "Wie ist es zu verstehen, daß die Verur teilung des vielgehaßten delator in der Ö ffentlichkeit Seneca nicht als Verdienst ange rechnet wurde, sondern eher Mißgunst einbrachte? [ . . . ] Wieviel Wahrheit ist in den Be zichtigungen des Suillius enthalten?". Unverdient zu Ungunsten des Tacitus wertet Grif fin ( 1 974/2008) S. 2/24 "other historians produced more qualified portraits" mit Bezug
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und Cassius Dio belegten Angriffe, die modeme Seneca-Darstellungen zum Ausgangspunkt genommen haben. 17 Erst seit der Mitte des letzten Jahrhun derts ist eine positiv-apologetische Tendenz in den meisten Biographien UD verkennbar,ls während die Vorwürfe gegen Seneca schon wenige Genera-
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auf Dios Bericht von Senecas Beteiligung am Boudicca-Aufstand und seiner Forderung nach dem gleichzeitigen Tod seiner Frau. Flach ( 1 973) S. 275 Anm. 56 will zur Einord nung der Kritik an Seneca die bei beiden Historikern folgende, abwertende Darstellung der Neronischen "menage a trois" mit Otho und Poppaea Sabina beachtet wissen. Vgl. z. B . Pohlenz ( 1 94 1 ) S. 79 "Aber es kommt eben nicht auf den Buchstaben an, und es heißt wirklich nicht, ' den Maßstab einer kleinbürgerlichen hausbackenen Moral anle gen ' , wenn man feststellt, daß dieses Leben des reichen Weltmannes und vielgewandten Höflings dem Geiste der Stoa widersprach", Trillitzsch ( 1 97 1 ) S. 1 6f. "Sein Persönlich keitsbild erscheint dem modemen Betrachter nicht ohne Widersprüche: Seiner politischen Aktivität [ . . . ] die Neigung zum beschaulichen Leben [ . . . ]; seine asketisch angelegte Natur wurde von dem genußsüchtigen Treiben der höchsten römischen Kreise [ . . . ] verfUhrt", Flach (1 973) S. 274f. "Das Urteil, das sich die Standesgenossen [ . . . ] gebildet hatten, war offenbar zwiespältig [ . . . ]. Sie wußten ihm gewiß daftir Dank, daß er nach dem Tod des Claudius einen Kurswechsel eingeleitet hatte [ . . . ], daß er, [ . . . ], die Wiederkehr der ver haßten Günstlingswirtschaft wenigstens verzögert [ . . . ]. Anstoß erregte vor allem, daß sein Verhalten nicht immer mit den ethischen Zielsetzungen seiner Lehre in Einfluß zu brin gen war", Rozelaar ( 1 976) S. 5ff. "Von jeher ist Seneca sowohl als Persönlichkeit wie auch als Schriftsteller umstrilten gewesen. [ . . . ] alter Neid und Hofklatsch [ . . . ]. Es herrscht in bezug auf Seneca noch immer eine etwas unbehagliche Ambivalenz der GefUhle [ . . . ] der unleugbare innere Zwiespalt [ . . . ] ftir Ehrenrettung, Rechtfertigung oder Entschuldi gung Senecas dürfte die Zeit vorbei sein", Griffin ( 1 976) S . 12 "the question of sincerity (a quality hard to assume in a man frequently accused of hypocrisy)", Grimal (1 978) S. 9 "Auf den Spuren etlicher antiker Kritiker rücken die Modemen Seneca geme vor, einer der reichsten Männer [ .. .]", Maurach ( 1 989) S. 366f. "Das Bild Senecas ist heute [ . . . ] um stritten. Die Extreme sind leicht zu nennen: hier der asketische Philosoph, der sich am Ende aus der politischen Verstrickung löst und als Zeuge seiner eigenen Lehre aufrecht stirbt; dort der Wortkünstler, der Affären halte, der sich schamlos bereicherte, der seine Stilspiele trieb, ohne nach seinen Worten gelebt zu haben", ( 1 99 1 ) S. 7ff. "Vorurteile [ . . . ] aus trüber Quelle", Veyne (2003) S. 5f. ,,11 must be said in Seneca's defense that this par venu, this homo nouus, [ . . . ], did not make his career by the flattery, delation, or j udicial murder of his peers, as was the normal practice of his age." Vgl . auch den Anhang von Sörensen ( 1 9771 1 984) S. 290ff. zu Seneca als "Gegenstand einer grandiosen moralischen Entrüstung" vor allem im 1 9. Jahrhundert sowie S. 1 65 "Man hat es Seneca oft zur Last gelegt, daß er nicht so lebte, wie er dachte. Sicher war das auch schwieriger für ihn als rur seine Kritiker, die teils nicht so viel gedacht haben, teils nicht rur das Regieren von Rom verantwortlich waren". Die "zumindest [ . . . ] apologetische, wenn nicht positive Tendenz" der neueren Forschung bestätigt zuletzt Fuhrer (2000b) S. 1 26f. ; vgl. zuvor z. B. Trillitzsch ( 1 97 1 ) S. 1 8, 3 3 Anm. 1 2 7 "günstiges Gesamturteil", Motto/Clark ( 1 983/84) S . 70 , 11 is n o longer s o easy, [ . . . ] , to dismiss Seneca as a 'Silver' author, and therefore automatically second-rate. Nor is it any longer commonplace to censure his morals or to denigrate hirn for displaying im perfection. A great change has been taking place". Ausdrückliche Verteidigungen geben Andrews ( 1 930), Parisella ( 1 963), Molto ( 1 973), Griffin (1 974/2008); eine andere Ziel,
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tionen später im eigentlichen Medium der Antike für Spott und Kritik, Epi gramm und Satire, keinen Widerhall mehr gefunden haben. Letzteres gilt gleichermaßen bis in die Spätantike für die gerade auf Kritik an der Ver kommenheit der heidnischen Vorgänger bedachten christlichen Moralisie rer}9 Es ist traurig, dass antike Gehässigkeit und Verleumdung durch ein zelne, selbst zweifelhafte Gestalten das moderne Seneca-Bild nachhaltig ha ben prägen können. Zu Beginn der Neuzeit findet sich die eingängige For mulierung von der imago uitae durch den entsetzten Petrarca mit Bezug auf den engen Umgang mit Nero als einem jeglicher Moral entgleitenden Schü ler direkt in error uitae tuae korrigiert.20 Bis heute geblieben ist der Ein druck einer "umstrittenen Persönlichkeit" und "figura discussa, divaricata, contraddittoria",21 eines zwiespältigen Charakters und "immoral moralist",22 der "Wasser predigt und Wein trinkt".23 Es ist traurig und bezeichnend für
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setzung und "piu intima contraddizione" in Senecas Konzeption des sapiens verfolgt Cambiano (2001), das Zitat S. 49. Vgl. die Zusammenstellung von Trillitzsch (1971) mit lediglich Auson. Gratiarum actio Gratiano 7,31 diues Seneca nec tamen consul arguetur rectius quam praedicabitur non erudisse indolem Neronis, sed armasse saeuitiam. Petrarca, Familiarium rerum libri (\348) 24,5,5 errorem uite tue . . . mecum recognosce . . . i n omnium seculorum crudelissimum principem incidisti . . . eur autem illie hesisti, que.w te? an ut in tempestate aspera magisterium approbares? sed hoc nemo nisi amens eligit . . . , 1 0f. quid igitur tibi cum hi.• laribus tandiu, quid cum inhumano cruentoque discipulo, quid cum dissimillimo comitatu? respondebis: 'efJugere uolui, sed nequiui ' . . . putasne, silebo, quod indignatio ueritasque .
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die materielle Einstellung der Menschen überhaupt, dass man sich noch immer an Seneca praediues als "steinreichem [... ] Prediger der Armut", als Superreichem der Antike mit einer Vielzahl von Landgütern und Besitzun gen stört (u.a. ein suhurbanum , Alhanum. Nomentanum ; in Spanien, Rom, Ägypten). Noch immer begegnet bei Schülern und Studierenden das abfälli ge Vorurteil ,.Ach Seneca, der war ja reich". Und es ist erstaunlich, dass erst in jüngster Forschung verstärkt auf eine Art zeitgenössische Notwendigkeit zu Besitz als Statussymbol eines römischen Ritters wie Senators hingewie sen wird.24 Seit der Antike ist es in erster Linie Senecas Besitz, der ihn in Verruf gebracht hat. Die weiteren Angriffe wegen sexuellen Fehlverhaltens oder nutzloser, jugendschädlicher Studien sind topisch und brauchen kaum eine Verteidigung. Erstere Vorwürfe waren kaum mehr als übliche Polemik ge gen führende Politiker in Rom, wie sie allenthalben gegen höhergestellte, in der Öffentlichkeit auffällige Persönlichkeiten erhoben wurden. Zu verwei sen etwa ist auf den Spott über Caesar oder die umstrittene Invektive Sal-
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He was deficient in the manly virtues suitable to a Roman [... ]. He had many of the worst qualities [... ] while at the same time claiming the mantIe of the philosopher. He was not a bad man, but a weak and pretentious one who in the end participated in as much evil as any evil person while constantly proclaiming his virtue", Ferguson (1972) S. 5 "strong neurotic tendencies [... ] a certain instability of character [... ] a deep spiritual sadism", 9 "Iacked greatness of character", 12 "Seneca's greatest temptation was the pursuit of po wer through weaIth", 21 "not a strong man. [... ] real goodness was sapped by inescapable weakness". Das Zitat v. Albrecht (2004) S. 47 "Ein steinreicher Seneca als [... ]1". Vgl. besonders Levick (2003) S. 212fT. "the charges [...] were commonplace techniques for damaging a political or forensic opponent. [...] There was nothing reprehensible in Roman society about wealth and property-owning", Veyne (2003) S. 10fT. "The scandal of a philosopher whose Stoic heart was unaware of the purse he held in his right hand buzzes on today [... ] wealth was an object of prestige and its possession was, for a senator, a kind of duty", jüngst bestätigt von Ker (2006) S. 40f.; vgl. aber bereits Sörensen (1977/1984) S. 153 "Ein armer Höfling war bei Lichte besehen eine größere Unmöglichkeit als ein reicher Weiser." Vgl. andererseits die austührliche Diskussion bei Griffin (1976) S. 286fT. "In antiquity and ever since, Seneca has been known best, and hated most, for combining philosophy with weaIth. The most persistent charges of hypocrisy centred, then as now, on his fortune and its acquisition, for no one excelled this millionaire in singing the praise of poverty" mit ihrer Zusammenfassung S. 391 .Although the degree of conflict is often exaggerated, this investigation has only confirmed that the largely negative tone of Sene ca's teaching about wealth, outside De Vita Beata, cannot be reconciled with his conduct. The explanation, it has been suggested, is not to be found in the idea that Seneca tried to pose as something everyone knew he was not, but in the ambivalent attitude he shared with his readers in a period when the socially despised became rich and the socially di stinguished found their Iives endangered by their wealth"; (1974/2008) S. 31/55 "And yet, the discrepancy between words and deeds remains". •
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lusts gegen Cicero; zu verweisen ist auf Ciceros 'Sornnium Scipionis' mit dem Versprechen eines höheren Lohnes für den Staatsmann angesichts üb licher Anfeindung.25 Festzuhalten ist lediglich, dass dadurch belegt wird, wie eng bereits in den frühen Jahren von Senecas öffentlichem Wirken der Kontakt zum Palast gewesen sein muss. Letztere Vorhaltungen gegen Sene cas Philosophieren, das als studia inertia nur unerfahrene Jugendliche be einflussen würde, entspricht ebenfalls üblicher römischer Haltung, der zu viel Philosophie einfach suspekt war. Auch Cicero hatte seine philosophi sche Schriftstellerei in seinen Prooemien ausführlich zu rechtfertigen; eine negative Einstellung ist z. B. für den Vater Senecas wie den des Agricola oder für Neros Mutter überliefert.26 Eine uita priuata, zumal griechisch ge prägte Studien waren eben nicht das römische Ideal. Entsprechend gewichtet und ebenfalls primär materiell ausgerichtet ist Senecas eigene Verteidigung mit seinem Traktat 'De vita beata'. Dieser ist nicht notwendig in unmittelbarem zeitlichen Zus ammenhang mit den Aus fällen des Suillius gegen ihn entstanden. Es wird so gewesen sein, dass ihm Vorwürfe und Vorhaltungen seit Mitte der 50er Jahre als ständige, zuneh mende Stichelei zugesetzt haben, wie sie Tacitus bis zumindest 62 n. Chr. bezeugt. Seine Rechtfertigung dürfte jedoch deutlich vor seinen Rücktritts plänen bzw. dem tatsächlich erfolgten Rückzug geschrieben sein; sonst hätte er sich anders verteidigen können. In direkter Nähe zu Nero war er in einer Zwangslage, die er nicht selbst benennen durfte und die nur die philo sophische Form der Erklärung zuließ, wie sie 'De vita beata' präsentiert, wie sie aber die ohnehin seiner philosophischen Aufrichtigkeit misstrauen den Kritiker mit der erneut vorgetragenen, selben Philosophie kaum über zeugen konnte - stoische Güterlehre und Stufenlehre, die im Gegensatz zum kynischen Extrem lediglich innere Unbeteiligtheit verlangte und äußere Vorzüge für den sich schrittweise auf einen Idealzustand hin entwickelnden
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Vgl. z. B. Bickel (1959) S. 98, vgl. eie. rep. 6,25f. Etwa Rozelaar (1976) S. 81 glaubt tat sächlich an sexuelle Beziehungen zu weiblichen Mitgliedern des Kaiserhauses vor wie nach der Verbannung und zugleich homoerotische Verhältnisse Senecas, die er durch di al. 7,27,5 bestätigt sehen will; Griffin (1974/2008) S. 30/54 sieht Seneca durch seine ei gene Schrift 'Oe matrimonio' und seine Beziehung zu seiner Ehefrau Paulina (epist. 104, Tac. anno 15,63,1 ff.) geschützt. Sen. dial. 12,17,3, epist. 108,22; Tac. Agr. 4,3; Suet. Nero 52,1 a philosophia eum mater auertit monem� imperaturo contrariam esse.
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Anhänger zuließ.27 Dass Seneca nicht für sich den Anspruch erheben woll te, ein sapiens zu sein, hatte er längst erklärt.28 Wer sollte ihm nun seine neuerliche Beteuerung glauben, zumal in der vorgetragenen Art,29 zumal da Zweifel gerade an seiner Glaubwürdigkeit bestanden? Doch dadurch, dass Tacitus Seneca ebenso wie Nero in seinem bekann ten Redepaar anlässlich des sog. secessus ausführlich zu den erhobenen Vorwürfen und Senecas Wünschen Stellung nehmen lässt (at Seneca crimi nantium non ignarus), ist eine zeitnahe, von der realen Situation ausgehen de Rechtfertigung erhalten, die ihn, zumal durch die Reaktion Neros, indi rekt und nachvollziehbar in Schutz nimmt und allen Kritikern weitaus bes ser verdeutlicht, wie mit dem scheinbaren Widerspruch zwischen Senecas unermesslichem Reichtum und seiner Lehre umzugehen ist:3o [Seneca] .. . . . tantum honorum atque opum in me cumulasti. ut nihil felieitati meae de..it ni..i moderatio eiu... . . . at tu gratiam immen..am. innumeram pecuniam eircumdedi.. ti. adeo ut plerumque intra me ip..e uoluam: egone. eque •tri et prouineiali loco ortu... proceribu • eiui tati.. adnumeror? inter nobile.. et longa decora praeferente.. nouita.. mea enituit? ubi e•• t ani•
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Vg\. z. B. dia\. 7,17,3f. hoc re..pondeo tibi: non .. um ..apien.. et. ut maliuolentiam tuam pa..cam. nec ero. exige itaque a me. non ut optimi.. par .• im. ..ed ut mali.• melior; hoc mihi ..ati.. e.. t cotidie aliquid ex uitii.. mei.. demere et errore.' meo., obiurgare. non perueni ad sanitatem. ne perueniam quidem; delenimenta magi.. quam remedia podagrae meae com pono. contentu.• •i rariu.. accedit et si minus uerminatur. ue••tri.. quidem pedibu.. compa ratu.•• debile... cursor sumo 18, I f. de uirtute. non de me loquor et cum uitii.. conuieium fa eio. in primi.. mei.. faeio: cum potuero. uiuam quomodo oportet. . . . non quam ago. ..ed quam agendam ..eio. quo minu .. uirtutem adorem et ex interuallo ingenti reptabundu.. se quar, 20,2tT. ego diuitia.. et prae •enti.. et ab.•enti.. aeque contemnam nec •i aliubi iace bunt. tri.tior nec• ..i eirca me folgebunt. animo •• ior ..., 21,2tT. ait i.. ta debere contemni. non ne habeat. sed ne sollieitu.. habeat; non abigit iIIa a .. e. ..ed abeuntia securu.. pro.•e quitur. diuitia.. quidem ubi tutiu.. fortuna deponet quam ibi. unde •ine querella reddenti.. receptura e..t? . . . nec enim ••e ..apien.. indignum ulli.• muneribu.. fortuiti.. putat: non amat diuitia... ..ed mauult; non in animum illa... .. ed in domum reeipit nec re..puit po....e....a • •ed continet et maiorem uirtuti suae materiam •• ubmini.. trari uult, 22,4 qui.. porro ••apientium . . . negat etiam haec. quae indiUerentia uocamu ... habere aliquid in .• e pretii et alia alii.. e....e potiora ? quibu..dam ex ii • tribuitur aliquid honori... quibusdam multum; ne erre.. itaque. inter potiora diuitiae sunt. Eine Argumentation wie 24,5 diuitia.. nego bonum e.. ..e; nam ..i e....ent. bono.. facerent. nunc. quoniam. quod apud malos deprenditur. diei bo num non pote..t. hoc iIIi.. nomen nego dürfte flir die meisten schlicht unverständlich und Zeichen eines hilflosen Lavierens von Seneca gewesen sein. So z. B. in der Verbannung dial. 12,5,2 ..apientem e.... e me dico? minime. Siehe u. Anm. 100. Tac. anno 14,53,ltT. bzw. 55,ltT. Vgl. auch Koestermann (1968) S. 125 ..eine Rede [... ), die mehr über seine Persönlichkeit aussagt, als es eine breit angelegte eigene Stellung nahme vermocht hätte". Die Last des Reichtums ist von Seneca selbst z. B. dia\. 9,8,1, 10,2,4 betont (patrimonia. maximam humanarum aerumnarum materiam . . . . quae nobi.. mala pecunia no..tra exhibet; quam multi.. diuitiae graue....unt). •
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mu.v ille modicis content/Lv? taliv hortos exstruit et per haec suburbana incedit et tantis agrorum spatiis, tam lato faenore exuberat? una defensio occurrit, quod muneribus tuiv ob niti non debui. sed uterque mensuram impleuim/Lv, et tu, quantum princeps tribuere amico posset, et ego, quantum amicus a principe accipere. cetera inuidiam augent. . . . iube rem per procuratore.v tuos administrari, in tuam jortunam recipi. nec me in paupertatem ipse detru dam, .ved traditis, quorum folgore praestringor, quod temporis hortorum aut uillarum curae .veponitur, in animum reuocabo. . . . hoc quoque in tuam gloriam cedet, eos ad summa uexisse, qui et modica tolerarent. .. [Nero] . . . quae a me habe.v, horti et faenus et uillae, casibu.v obnoxia sunt. ac Iicet multa uideantur, plerique haudquaquam artibus tuis pare.v plura tenuerunt, nisi forte aut te Vitellio ter consuli aut me Claudio postponiv et, quantum Vol/Lvio longa parsimonia quaesiuit, tantum in te mea Iiberalitas explere non potest. pudet referre libertinos, qui ditiore.v spectantur. unde etiam rubori mihi e.vt, quod praecipuus caritate nondum omnes fortuna antecellis. . . . non tua moderatio, si reddideri.v pecuniam, nec quie.v, si reliqueris principem, sed mea auaritia, meae crudelitatis metus in ore omnium uersabitur. . . . .. ..
Entscheidend ist die Bewertung von Senecas heute übertrieben, unvor stellbar erscheinendem Reichtum als Ergebnis von Neros Geschenken, die Seneca nicht ablehnen konnte. Ein beträchtlicher Teil davon wird aus dem Vermögen des ermordeten Britannicus stammen, immerhin eines Kaiser sohnes und eigentlichen Thronnachfolgers. Es war eine Art Schweige- und Treueprämie für die engsten Vertrauten, moralisch inakzeptabel und zu gleich für den Beschenkten nicht ohne die Gefährdung des eigenen Lebens auszuschlagen. Seneca selbst schreibt an anderer Stelle über die Notwen digkeit, henejicia eines auch noch so grausamen Tyrannen zu akzeptieren eine mutige, bezeichnende Stellungnahme und ebenfalls indirekte, in der Ausführlichkeit seines mehrbändigen Traktats 'Oe beneficiis' fast ver steckte Selbstverteidigung.3 ' Der Tacitus-Text zeigt, dass man solches be reits in der Antike als plausible Erklärung akzeptieren konnte, und in der Tat: Wie hätte Seneca reagieren sollen, wenn ihn Nero mit Geschenken überhäufte, ihn an seiner eigenen Verschwendung und seinem eigenen Lu xus teilhaben ließ? Dem immer verrückteren Nero zu widersprechen, sich ihm direkt zu widersetzen muss gefährlich gewesen sein. Nur behutsam, concess;s uo!uptat;hus,3 2 war dieser zu lenken. Hätte Seneca das Risiko auf sich nehmen sollen, den sprunghaften Nero in seiner Großzügigkeit wieder holt vor den Kopf zu stoßen? Hätte er nur aus philosophischen Gründen jeglichen Besitz ablehnen und dadurch zugleich jeglichen positiven Einfluss auf Nero verlieren sollen, nur um in Armut zu leben? Hätte er sein Kapital 31 32
Benef. 2,18,6 dat tyrannus crudelis et iracundus, qui munw suum jastidire te iniuriam iudicaturus est: non accipiam ? eodem loco latronem pone, piratam, regem animum la tronis ac piratae habentem; quidjaciam ? parum dignu.v e.vt, cui debeam ? Siehe u . Anm. 56.
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verschenken oder ohne alle Erträge verkommen lassen sollen? Der auf Lu xus bedachte, von chronischem Geldmangel beherrschte Nero hätte solches wohl kaum verstanden und gewiss auch auf einen solchen Berater, einen unvernünftigen, nach dem allgemeinen Empfinden lebensuntüchtigen Philo sophen, nicht mehr gehört, wenn dieser nicht in der Lage gewesen wäre, das ihm anvertraute Kapital zu vermehren.33 Ein wirtschaftlich aktives, auf Ge winn bedachtes Leben war ein Gebot politischer wie persönlicher Klugheit in einer rein materialistisch, auf Besitz und Macht ausgerichteten Gesell schaft. Aus sicherer Distanz bzw. Rückschau Kritik zu üben ist leicht, aber für Seneca in nächster Nähe zu Nero und dessen Umgebung, Lebemänner etwa wie Petron, gab es keine Alternative. Wer sich heute verärgert über Senecas Reichtum wundert, muss stets seine besondere Stellung in Rom und sein Verhältnis zu Nero beachten, eine Position als Berater des prin ceps, als sein praeceptor und amicus, als engster Vertrauter und Vorbild, die auch für sich selbst ein geschicktes Umgehen mit Geld und nach außen ein standesgemäßes Auftreten erforderte. Der Besitz der 500 Tische, den ihm Cassius Dio so böse vorwirft, ist in seiner Stellung als engster Ver trauter Neros eine normale Notwendigkeit für Empfänge und die Erfüllung gesellschaftlicher Verpflichtungen in der römischen Oberschicht. 34 Senecas Funktion für den princeps zog notwendig eine entsprechende äußere Aus stattung nach sich. Wenn der staatspolitische Berater des Kaisers wie ein Bettelphilosoph aufgetreten wäre, wäre das auf den Kaiser und dessen An sehen und letztlich auch auf das Ansehen des römischen Reiches zurückge fallen, wenn dieses seine Spitzenleute nicht anständig ausstatten konnte. 33
Es ist sehr bezeichnend für die Interpreten, nicht jedoch für Seneca, wenn Griffin ( 1 974/2008) S. 2/24, Rudich ( 1 997) S. 89, Fuhrer (2000b) S. 123 nur die Version des Cassius Dio für die Auslösung des Boudicca-Aufstandes referieren (0. Anm. 11), nicht aber auch die für Seneca harmlose Variante des Tacitus; ebenso (2000a) S. 201 Anm. 4 zu Tac. anno 14,53 ohne die entscheidende Aussage quod munerihus tuis ohnin non dehui eine fast genussvolle Fixierung auf Negatives, wie es die heutige Boulevard-Presse bietet. Völlig übersehen dagegen ist solches von Andrews (1930) S. 6 1 9f. "We see his wealth thrust upon hirn by a person in authority and reluctantly accepted in order to avoid trouble. [... ] He simply bowed his head with Stoic submissiveness to the inevitable course of events". Vgl. ansonsten zu Senecas Reichtum Giancotti (1956), Molto/Clark (1992). Wie mit dem scheinbaren, durch Dio bezeugten Problem umzugehen ist, hat längst Z. B. Grimal ( 1 978) S. 108f. vorgeruhrt, wenn er betont, dass gleichzeitig auch staatliche Gel der aus Britannien abgezogen wurden. Wenn die Variante Dios stimmt, wird Seneca hier der offiziellen Politik Roms haben folgen müssen. Vgl. Z. B. Griffin (1976) S. 293; zur genauen Zahl, auch den 300 Millionen Sesterzen als topisch (nach Dio 75 Millionen Denaren) vgl. Z. B. ebenfalls Griffin ( 1 976) S. 29 1 Anm. 4, Fuhrer (2000a) S. 202 Anm. 6. -
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Der späte Seneca warnt gleich in einem seiner ersten Briefe selbst für ein rein privates Leben vor einem nach außen ausgelebten, verdächtigen Ideal philosophischer Bedürfnislosigkeit und entsprechender Vernachlässigung.3s Strengstens ist folglich zwischen den Erfordernissen seiner besonderen Stellung in Rom und Senecas eigenem, persönlichen Aufwand zu differen zieren. Und zugleich ist das Motiv für die antiken Vorwürfe gegen Seneca mitzubedenken, einen Aufsteiger und homo nouus, dem in den 50er Jahren alles zu gelingen schien, wie es Quintilian explizit betont (quod uoluit, effe cit) : 36 der Neid anderer auf die enge Nähe zum princeps, der Neid, selbst nichts Vergleichbares erreicht zu haben, und folglich der Wunsch, den Be neideten möglichst zu treffen; der typische, auch heute noch übliche Neid der Passiven auf den Aktiven und Leistungsträger, der Ungebildeten und Desinteressierten auf den Literaten und sogar Philosophen - ein leider ur menschliches Grundmotiv, das immer dann zu erleben ist, wenn sich einer mehr als die anderen in seiner Umgebung engagiert, und dies auch noch oh ne der allgemeinen Gier nach eigener machtpolitischer Profilierung zu fol gen.37 Wenn sich Derartiges in Rom seit dem Ende der 50er Jahre, speziell 3S
Epist. 5,lff. illud autem te admoneo, ne . . . Jacias aliqua, quae in habitu tuo aut genere uitae notabilia sinto . . . satis ipsum nomen philosophiae . . . inuidiosum est. . . . fron.. populo nostra eonueniat . . . ; epist. 87,4 gibt ein schönes Selbstzeugnis als Beleg für öffentlichen Druck und ein deshalb notwendiges Anpassen an gesellschaftliche Standards (uehieulum, in quod inpositus sum, ru..tieum est . . . durat adhue peruersa reeti uerecundia, et quotiens in aliquem eomitatum lautiorem incidimus, erubeseo . . . ). Vgl. ferner epist. 14,14 an sa pienti opera rei publieae danda sit . . . Stoicos . . . , qui a re publiea exclusi seeesserunt ad eolendam uitam et humano generi iura eondenda sine ulla potentioris ojJen..a. non eon turbabit sapien.. publieos mores nee populum in se uitae nouitate eonuertet, 18,2 utrum nihil ex eotidiana eon..uetudine mouendum an, ne di....idere uideremur cum publicis mori bus, et hilariu • eenandum . . . , 68,lf. abseonde te in otio, sed et ipsum otium abseonde . . . non est, quod inseriba.. tibi philosophiam a e quietem . . . , 73,1 ff. errare mihi uidentur, qui existimant philosophiae fideliter deditos eontumaees esse ae refraetarios, eontemptores magi.vtratuum aut regum eorumue, per quos publiea administrantur. ex eontrario . . . , 103,5 ipsam autem philosophiam non debebis iaetare . . . non abhorreat a publicis mori bus . . . , 113,32 nihil ad rem pertinere, quam multi aequitatem tuam nouerint. . . . saepe iu stus esse debebis eum infamia . . . Quint. inst. 10,1,131. Vgl. z . B. Flach (1973) S . 275 "verlor e r wohl nie den Makel, ein Emporkömmling zu sein, dem Agrippina zu Reichtum und Einfluß verholfen hatte", Le vick (2003) S. 213 "the newcomer's gifts and the success they brought were invidious, as Marius and Cicero found", Veyne (2003) S. 3 "a social climber" . Vgl. auch Tacitus, der am Anfang seines 'Agricola' unter der üblichen Gehässigkeit ge genüber wahrer uirtus leidet; vgl. die Sorge Sallusts Cat. 3 vor lobender Hervorhebung von Leistung. Ansonsten vgl. z. B. Griffin (1974/2008) S. 2/25 "Even if Seneca had not been a moralist, his great/high political standing [...] would still have attracted sharp cri ticism", Grimal (1978) S. 128 "Es war unausbleiblich, daß Seneca bei seiner an stoischen Grundsätzen ausgerichteten Politik - friedfertig an den Grenzen, freiheitlich im Inneren, .
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seit dem Suillius-Prozess mit öffentlichen Anklagen und Vorwürfen nach weisen lässt, wie sie oben zitiert sind, bezeugt dies in schönster Deutlichkeit nicht etwa Defizite des Gescholtenen, sondern vielmehr Einfluss und Lei stung des starken Mannes hinter dem römischen Kaiser, der sich statt An passung an einen Mächtigen und scheinbar obligatorischer Kriecherei eine eigenständige Persönlichkeit mit eigenen Interessen und eigener auch poeti scher Leistung bewahrt hat. Es ist nur natürlich, dass der Nero und damit zugleich die römische Politik bestimmende Seneca zu vielen, die gerne selbst den Kaiser bestimmt hätten, lästig war. Längst mussten üble Gestal ten, bedacht allein auf eigenen Vorteil, auf eigene Macht, auf eigenen Auf stieg und die Vergrößerung ihres privaten Vermögens, erkannt haben, was für einen schwachen und beeinflussbaren Charakter der römische Kaiser hatte. Leichtes, ganz leichtes Spiel zur Durchsetzung eigener Interessen hätte man haben können, wenn es nicht hinter Nero mit Seneca eine nicht korrumpierbare Persönlichkeit gegeben hätte, die über den Kaiser wachte und die genau dies, schlechte Einflüsse anderer, zumindest bis zum Ende der 50er Jahre abblocken konnte. So ist es klar, der starke Seneca war durch öffentlichen Druck zu diskreditieren, zu beseitigen, zumal ein Seneca, der sich angeblich aus dem Nichts machte, was sich andere von Nero erhofften. War nun überdies in seinen Werken zu lesen, wie sehr äußere Güter, d. h. Vermögen und Besitz geringzuschätzen seien, war eine Persönlichkeit wie die Senecas einfach zu gut, um real zu sein. Ein Seneca, der über alles ver fügte, was andere wünschten, dem das aber nichts zu bedeuten schien, der seine Stellung nicht für persönlichen Ruhm ausnutzte, musste einfach Un verständnis, Argwohn und Neid erwecken. Und was den privaten und restlichen Besitz des familiär ohnehin seit sei ner Geburt begüterten Seneca betrifft, ist ebenfalls keinerlei Widersprüch lichkeit zu der von ihm vertretenen Philosophie zu unterstellen. Wie bei fast allen erhaltenen Literaten, von römischen Dichtern und ihren Mäzenen ab gesehen, war eine Abst ammung aus der römischen Oberschicht, zumindest aus dem Ritterstand mit einem entsprechenden census, selbstverständlich. Ebenso selbstverständlich war ein Leben in feudalem Wohlstand ohne jede Notwendigkeit zur Arbeit für den eigenen Lebensunterhalt, wie es nahezu alle heutigen Rezipienten und Interpreten zu führen haben. Das Nutzen vor handener, nicht selbst erworbener Mittel war für Seneca eine angeborene Normalität. Die Mahnung etwa seiner 'Epistulae' zum Einüben von Armut hochherzig den einfachen Menschen gegenüber - von einem Teil der öffentlichen Mei nung angefeindet wurde".
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gilt folglich auch dem schicksalsbedingten Verlust und nicht einer von vornherein unbegüterten Lebensführung. Seneca ist kein Armutsprediger, der Armut als solche verlangt; er verlangt die Fähigkeit zu lernen, mit Ein schränkungen fertig zu werden,38 so wie er es selbst in seinem Leben mehr fach hat beweisen müssen, auf Korsika und schließlich ganz zuletzt. Es gibt keinerlei Beleg dafür, dass der späte wie bereits der frühe Seneca sein fa miliäres Vermögen in ungebührlicher, philosophisch unvereinbarer Weise als Selbstzweck und Lebensinhalt gesehen hätte. W arum soll Seneca seinen Besitz nicht tatsächlich im Sinne der stoischen Güterlehre benutzt, erweitert und durchaus auch genossen haben, und dies Zeit seines Lebens? Es gibt keinen Beleg dagegen, dass aller Reichtum für den zur Enthaltsamkeit mah nenden, anderen gegenüber großzügigen Seneca39 nicht tatsächlich ohne alle tiefere Bedeutung geblieben ist. Im Gegenteil, als Ergebnis der aufrich tigen Erkenntnis dessen, der allen Überfluss und Luxus erlebt und gerade dadurch begriffen hat, wie unnötig, wie belastend so etwas ist, gewinnen Senecas Worte erst recht an Gewicht. Nicht zu unterschätzen ist zudem der Einfluss der lebensbedrohlichen, chronischen Erkrankung schon in jungen Jahren, die seine Haltung zum Le ben maßgeblichst geprägt haben wird. Wirklich nachvollziehbar ist solches wahrscheinlich nur für den, der selbst in seiner Jugend unter schwerer ge sundheitlicher Belastung zu leiden hatte. Für den in seiner natürlichen Ent wicklung eingeschränkten, schwerkranken Seneca ist mit einer ganz ande ren Einstellung zum Leben und seinen äußeren Gütern und folglich mit an deren Wertvorstellungen zu rechnen. Längst und zu Recht ist in der For schung darauf hingewiesen, wie sehr Senecas Werke von medizinischer
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Zu recht hervorgehoben z. B. von Rosivach (1995) S. 91 "the fear of becoming poor, and [...] only the wealthy can become poor, unlike everybody else who is poor already"; kaum mehr als eine Stellensammlung bieten Motto/Clark (1992) S. 77ff. Vgl. z. B. in der Ver bannung dial. 12,11,5 animus est. qui diuite.. facit. . . . pecunia ad animum nihil pertinet . , vgl. andererseits epist. 5,3ff. non putemu.. frugalitati.. indicium auro argentoque ca rui.... e. . . . jrugalitatem exigit philo.vophia. non poenam, 14,1 non nego indulgendum . . . . seruiendum nego. Zu Seneca als großzügigem Mäzen ebenso wie finanzieller Stütze für den Wiederaufbau nach dem großen Brand vgl. z. B. Griffin (1976) S. 292f. mit Mart. 4,40, 12,36; luv. 5, 108ff., 8,211ff., 10,15ff. Maurach e1987) S. 8 spricht gar von "notorischer Freigebig keit". Seneca galt der Forschung lange Zeit als Gönner Martials, dagegen Sanchez Ven dramini (2007) S. 38ff. mit weiterer Literatur und Verweis auf Senecas Rückzug auch vor Klienten gemäß Tac. anno 14,56,3 prohibet coetu.. ..alutantium. uitat comitanti.•• raru.' per urbem, 15,45,3 cubiculum non egre.... us; für die Zeit davor sieht er in Senecas reichlich verteilten beneficia eine Ursache für den Neid anderer. ..
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Terminologie geprägt sind.40 Die Caligula-Anekdote mit seinem angeblich baldigen Tod und die Erwähnung der Krankheit noch in den 'Epistulae' der letzten Jahre zeigen, wie ernst und wie nachhaltig, wie prägend die frühen leidenden Jahre für Seneca gewesen sind.41 Vielen dürfte hier wegen ihrer anderen, persönlich normalen Biographie das notwendige Verständnis feh len. Ein durch und durch gesunder Zeitgenosse und nicht zuletzt auch ein heutiger mittelloser Interpret mögen den reichen Seneca aus einer ver meintlich überlegenen Perspektive gelebter Beschränkung bekritteln bzw. beneiden. Sie werden nicht verstehen, dass es für den realen Seneca We sentlicheres gegeben haben dürfte als ein Leben im ererbten Luxus - zu nächst und überhaupt sein Überleben, sodann ein aktiv erfülltes Leben. Das mehrfach, sowohl für 62 wie 64 n. Chr. belegte Angebot Senecas, zugleich mit seinem Rückzug aus seinem öffentlichen, im Dienst des Kai sers stehenden Leben auch sein Vermögen aufzugeben,42 beweist zumindest für den späten, gereiften Seneca eine wahrhaft seiner Philosophie entspre chende Einstellung zu äußeren Gütern. Als glücksirrelevant nutzte er diese, solange es nötig und möglich war gemäß seiner eigenen Verteidigung in 'Oe vita beata'. Doch ohne jedes Zögern, genauso wie es die stoische Gü terlehre fordert, war er bereit, den äußeren Schein mit allen ebenso benei deten wie lästigen Annehmlichkeiten aufzugeben. Die historisch bezeugte, gleichzeitige Verbindung von Rücktrittsgesuch und Verzichtsangebot be weist zudem, wie sehr Senecas äußerer Besitz seinem eigenen Selbstver ständnis nach Teil seiner Stellung am Kaiserhof war. War diese aufzugeben, war er wie selbstverständlich bereit, auch die damit verbundenen, angeblich so erstrebenswerten Äußerlichkeiten zu verlieren. Der vielgescholtene Se neca praediues war somit kein Superreicher, der im Widerspruch zur Philo sophie lebte. Ganz im Gegenteil, gerade in seinem Umgang mit Besitz und Reichtum hat sich schließlich der wahre Stoiker zu erkennen gegeben. Ta citus gibt ein schönes Zeugnis für Senecas tatsächlich einfaches Leben in seinen letzten Jahren - die Rückkehr zur asketischen Lebensweise seiner 40 41 42
Vgl. z. B. Rodriguez Fernandez (1973, 1976), GOUTl!vitch (1974). Vgl. z. B. Sen. epist. 54,1f., 75,12, 78, I ff. Vgl. zusätzlich Suet. Nero 35,5 saepe commeatum petenti bonisque cedenti; vgl. anderer seits die Bewertung von Griffin (1976) S. 293 "No doubt Ihis was prudence as much as generosity [00'). It was also realism", Rudich (1997) S. 97 "One may only speculate on Seneca's motives, possibly desire to disarm his calumnialors, 10 shame Nero, or perhaps even a genuine urge finaJly 10 act in accordance with his moral preaching. With his better knowledge of his fonner pupil's character, he may have also forseen that the emperor would refuse the offer [ 0 0 ' ]" ,
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Jugend,43 ein Leben persimplici uictu allein mit Obst und Wasser, wie es für einen Philosophen angemessen scheint, einfach und ohne all den Luxus, der ihm noch immer zur Verfugung gestanden hätte;44 ein durch die autobiogra phischen Skizzen seiner ' Epistulae' öffentlich vorgelebtes Philosophenleben im Einklang von Wort und Tat und zugleich natürlich eine geschickte Form der Selbstinszenierung dessen, der nichts mehr zu verlieren hatte,
III
Die vermeintlichen Probleme, die sich seit der Antike mit der biographi schen, d, h. in erster Linie materiellen Realität Senecas zu ergeben schei nen, sind demgegenüber eine Frage der Perspektive und der Bereitschaft, sich über einen oberflächlichen Blick hinaus wirklich in die besonderen Umstände von Senecas Biographie hineinzuversetzen - in die uita eines Mannes, der sein ganzes Leben unter äußeren Zwängen, unter dem Druck des Schicksals hat fuhren müssen, das ihn in drei großen Lebensabschnitten beinahe ununterbrochen durch Krankheit, Exil und die enge Bindung an den späteren Kaiser Nero bestimmt hat, aber trotz allen Druckes nicht zerbre chen konnte. Wenn zuletzt Fuhrer in einem entsprechend betitelten Aufsatz die "Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit" einfach als solche konstatiert und keine Auswirkungen auf Senecas Lehre, da in sich stimmig vorgetra gen, annimmt,45 ist dem deutlich zu widersprechen. Auch Sallusts Morali43 44
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Vgl. Seneca selbst epist. 53,3, 83,5f., 87,lff., 108,13ff., 123, l ff. Tac. anno 15,45,3 dum persimplici uictu et agrestibus pomis ae, si sitis admoneret, pro fluente aqua uitam tolerat, 63,3 pamo uietu tenuatum. Die Taciteische Todesszene zeigt ihn freilich auf seinem stadtnahen Landgut mit Sklaven und bezeugt nach wie vor einem Römer der Oberschicht mindestens angemessenen Privatbesitz; siehe auch O. Anm. 9 zu Senecas äußerer Erscheinung. Fuhrer (2 000b) S. 1 2 7 Diese Diskrepanz zwischen dem in den Quellen dokumentierten Leben und der in den Schriften vorgetragenen Lehre ist nun allerdings nicht entscheidend fUr das Verständnis von Senecas Werk [...]. Unser Wissen um die persönlichen Erfahrun gen des Autors mit Krankheit, Exil, Reichtum, Macht, Mord, Leidenschaft lässt sich zwar in dem Sinn fruchtbar machen, dass die konkreten Schilderungen von exemplarischen Begebenheiten und Situationen als realistisch gelten können. Doch ob Seneca nun in Britannien Wuchergeschäfte betrieben und Neros Mutterrnord mitzuverantworten hat oder nicht, spielt fUr seine Darlegung der stoischen Lehre letztlich keine Rolle. Seine Ausführungen können in ihren Grundzügen als orthodox altstoisch bezeichnet werden und weisen in seinem ganzen Werk eine fast durchgängige Einheitlichkeit und Folgerich tigkeit auf. Und gerade diese rigide Konsequenz ist es, die sowohl den Vorwurf der Dis..
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sieren, seine Kritik an luxuria und auaritia mit seinen ethischen Ansprü chen hat angesichts seiner eigenen Gier und zweifelhaften, in seinen Prooemien geschönten Vergangenheit der Wirkung seines Werkes erkenn bar geschadet. Der aus dem Senat geworfene Caesarianer Sallust, der sich mit diesem gegen die res publica stellte, ist gleichsam ein Catilinarier, wie er sie in seiner eigenen Schrift verurteilt. Gerade das gelebte Leben ist es, das nicht nur die Glaubwürdigkeit des gesprochenen Wortes ausmacht,46 sondern ebenso Anlass wie Intention zu erklären hilft. Biographische Einflüsse und der zeitgeschichtliche Hinter grund sind unverzichtbare Grundlage für das Verständnis von Senecas Werken und keinesfalls zu bagatellisieren. Wenn etwa in seinen späteren Schriften immer wieder der Rückzug auf sich selbst empfohlen wird, wenn es als das Beste angesehen wird, unauffcillig zu leben, wenn Seneca stets dazu mahnt, sich gegen alle Schicksalsschläge und auch den Tod zu wapp nen, ja sich sogar zum Selbstmord bereit zu machen, so ist dies nicht etwa nur auf sein fortgerücktes Alter zu schieben. In seinen Briefen dominiert als zentrales Thema die meditatio mortis, Einstellung und Vorbereitung auf den Tod. Liest man Senecas Briefe ohne Blick auf den verrückten Nero mit sei nem hemmungslosen Morden, scheint ihr Verfasser von einer geradezu morbiden Manie befallen. Mit Berücksichtigung des historischen Kontexts wird die scheinbar zu negative Ausrichtung der Briefe verständlich: Ständig haben in den 60er Jahren Seneca und seine Zeitgenossen aus dem Senato renstand erleben müssen, wie Freunde und Bekannte aus reiner Willkür sterben mussten, wenn wie bei Tacitus ein Zenturio ins Haus kam, um die
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krepanz von Leben und Lehre als auch die Versuche, diese Diskrepanz wegzuerklären, hinfällig werden lässt [... ]." Im Anschluss verwiesen ist auf die beiden Konzepte des blo ßen Fortschreitens gegenüber dem Weisen und der Güterlehre mit ihrer Glücksirrelevanz äußerlicher Erfolge wie Reichtum und Macht; vgL aber auch u. Anm. 103, 14 7 und z. B. Maurach (1989) S. 367 "Es geht [...] um die Lauterkeit nicht nur des Menschen Seneca, sondern um die Glaubwürdigkeit seines Menschenbildes, kurz : um seine Humanität. Ist sie echt? Ist sie gespielt?", Rudich (1997) S. 88 "Not only his Iife, but also his writings are notoriously inconsistent - especially from our modem viewpoint. Not only did his acta deviate from his ue,.ha, but there are in his oeuvre numerous inconsistencies between uerha and uerha". VgL z. B. Andrews (1930) S. 611 "In considering the practical value of any system of philosophy we focus our attention primarily upon the lives of its advocates, looking to the actual application of the exalted conceptions of the mind for proof', Knoche (1933) S. 25 ,,[... ], daß ein bis ans Ende vorgelebtes Leben überzeugender ist, als jeder Beweis"; als Motto vorangestellt von Maurach und abschließend bestätigt e 1987) S. 1, 24. Zu Senecas eigenen Forderungen - die des späten Seneca ! - siehe u. Anm. 146.
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ultima necessitas zu melden.47 Angst war die vorherrschende Stimmung, eine selbsterlebte und damit aufrichtige Angst, mit der sich Seneca ausein anderzusetzen versucht hat. 48 Sein reales Leben ist folglich in der Beurteilung seines Werkes keines falls als unerheblich auszublenden; vielmehr ist eben dies, seine Biographie und die Taciteische imago uitae suae als wesentliche Leistung gleichbe deutend neben seine Schriften zu setzen.
Antike wie neuzeitliche Kritik trifft dabei vor allem Bereiche, für die Seneca in der Tat nachdrücklich in Schutz zu nehmen ist. In den 50er Jah ren und in Senecas Umgang mit Nero sind mit moderner Forschung eher weniger Probleme auszumachen, die Seneca anzulasten wären. Bedenkliche Verfehlungen wie etwa im Falle Lucans, der die eigene Mutter denunzier te,49 sind nicht überliefert. Gewiss kann man Seneca den Vorwurf machen, er habe zu lange ausgeharrt, er hätte sich früher von Nero distanzieren bzw. zurückziehen müssen, was im Übrigen nach dem Zeugnis des Tacitus kei neswegs einfach gewesen wäre.5o Doch was wäre damit gewonnen? Seneca war in einer Zwangslage gebunden; Nero hatte sich an den tägli chen Umgang mit ihm gewöhnt, brauchte und missbrauchte ihn für seine Zwecke und seine Interessen. Es ist allzu gut verständlich, dass er Seneca nicht gehen lassen wollte bzw. solange nicht gehen lassen konnte, bis er dem Einfluss anderer erlegen war, die ihm zu Diensten und zu Willen wa ren. Nicht nur während seiner Relegation, erst recht seit seiner Rückkehr war Seneca kein freier Römer mehr, der über sich, seinen Aufenthalt und seine Tätigkeiten frei entscheiden konnte. Als vermögendes Mitglied der römischen Oberschicht, als Ritter und sogar Senator, war es Seneca ge wöhnt gewesen, persönliche Verpflichtungen aus eigenem Antrieb und für eigene Ziele zu übernehmen. Seit ca. 50 n. ehr. fand er sich dagegen in ei ner festen Stellung am römischen Palast, die nicht im Entferntesten mit den
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Vgl. so der Anfang von Senecas Ende, Tac. anno 15,61,4 intromisitque ud Senecam unum ex centurionibus, qui necessitatem ultimam denuntiaret. Vgl. das Kapitel 'Mors diu meditata' von Griffin (1976) S. 367ff., vgl. auch Maurach (1989) S. 373 zu Senecas Humanismus "das Fehlen der Freude. [ ... ] Es ist etwas gewalt sam Verengendes an Seneca", Rudich (1997) S. 76 "Seneca's pessimistic rhetoric may verge on misanthropy". Zu erklären ist dies eben durch seine Biographie als stets äußeren Zwängen ausgesetzte Persönlichkeit, die den Gang seines Lebens und seine Erfüllung nie selbst hat bestimmen können. Tac. anno 15,56,4. Tac. anno 14,55,1 ff., die Wiederholung des Rückzugsversuches 15,45,3.
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repräsentativen Aufgaben eines Patrons gegenüber seinen Klienten und de ren Aufwartung oder nur jahresweise ausgeübten Ämtern des cursus ho norum zu vergleichen ist. Seneca hatte nun selbst täglich zu erscheinen, hatte sein Leben in engster Nähe zum künftigen princeps zu verbringen, d. h. völlig auf das eines anderen abzustimmen. Gegen alle Vorwürfe ist zunächst einmal das positive, durch das überein stimmende Zeugnis der beiden Historiker Tacitus und Cassius Dio belegte Wirken Senecas in den 50er Jahren am römischen Kaiserhof aufzurechnen das Wirken eines Seneca, der seine Stellung als bloßer Erzieher Neros so weit hat ausbauen können, dass er als Regent im Hintergrund dem römi schen Reich mit dem sog. quinquennium eine seiner positivsten Phasen hat bescheren können.51 Und dabei kommt es nicht auf ein offizielles Amt, auf nachweisbare Auftritte im Senat an, oder dass Seneca für einzelne Maß nahmen verantwortlich zu machen wäre. Alles hatte im Namen Neros zu erfolgen, und sich nach außen zurückzuhalten, Nero insgeheim zu beein flussen, so dass als Senatsbeschluss oder Neros eigene Gesetzesinitiative erschien, was in Wirklichkeit eine kluge Idee Senecas war, dürfte die einzi ge Möglichkeit gewesen sein, den desinteressierten Kaiser nach Wunsch zu 51
Bereits für das Jahr 54 bezeugt Cassius Dio 61,3,lff., dass Seneca und Burrus, 'Ppo vlll6Yratol. tE alla Kat liuvatrota1:Ot 1:iÖv 1tEpt tüv Ntplll va c'xvlipiÖv ovtE<;, den Aus schluss Agrippinas von den Staatsgeschäften erreichten und die ganze Regierung in die eigene Hand nahmen, möglichst gut und gerecht und von alIen Seiten gleichennaBen ge lobt. Aus dem Mund des Seneca nun wahrlich nicht freundlich gesonnenen Dio ist dies ein erstaunlich positives Urteil. Nach Tac. anno 13,14,2, 55 n. Chr. unmittelbar vor der Ennordung des Britannicus, drohte Agrippina in die Prätorianerkaserne zu gehen, um ih ren wahren Einfluss zu testen: audiretur hinc Germanici filia, inde debili.• . . . Burrus et exul Seneca, trunea scilicet manu et professoris Iingua generi.. human i regimen expostu lantes ein schöner Vorwurf der bitter verletzten Agrippina, der ein weiteres Mal die wahren Machtverhältnisse in Rom bestätigt und zeigt, wie Agrippina alIes viel zu schnelI aus der Hand glitt, nachdem sie gerade erst ihr Ziel, ihren Sohn Nero zum Kaiser zu ma chen, erreicht hatte. Nicht wahrscheinlich dagegen ist es, wenn Dio 61,7,5 schon die Er mordung des Britannicus 55 n. Chr. als eine Zäsur ansieht, die Seneca und Burrus hat vorsichtiger werden lassen, so dass sie sich nicht mehr intensiv um die Regierungsge schäfte kümmerten und so durch Zurückhaltung ihr Leben retteten (oild9' . . . I:mll€A.EUXv ttva c'xKP1�fj tiÖv K01ViÖv l:1tolOiivto, c'x"A"A' ';YCl1tIll V d Kat flEtpl.lll<; 1t1ll<; IiU'xYOVtE<; ailtc'x 1tEPt(JIll(J9EtEV). Denn wer hätte an ihrer StelIe bis zum Ende der 50er Jahre Rom regiert? Wenn man für Neros Fehlverhalten Seneca verantwortlich machte (Tac. anno 14,11,3 Seneca aduerso 11Imore erat), wenn Seneca noch 65 n. Chr. und damit längst nach seinem fonnalen Rückzug den Zorn des Volkes wegen Neros Plünderung der Tempelschätze zu befürchten hatte, Anlass rur eine zweite Bitte um einen seee."ms auf ein entferntes Land gut (Tac. anno 15,45,3 quo inuidiam ,merilegii a semet auel1eret), ist dies Beleg genug dafür, wie sehr Seneca als die entscheidende Gestalt empfunden wurde. Vgl . auch Plin. nato 14,51 principe tum eruditorum ae potentia. -
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manipulieren. Gerade der Verzicht Senecas auf eine öffentliche Machtstel lung, auf ein Auftreten im eigenen Namen war das klügste Mittel, um auf Nero einwirken zu können. Wer in einer Institution etwas bewirken will, wer echte Macht hat, weiß, dass anstatt den persönlichen Ehrgeiz befriedi gender Pöstchen und Positionen die geschickte Steuerung im Hintergrund das Entscheidende ist. Nicht Seneca selbst musste Reformen namentlich und wortwörtlich durchführen. Es reichte, wenn er die geeigneten Männer auf die entsprechenden Posten setzte und dadurch die Anstöße gab. Interes sant ist, dass mehrere Inhaber einflussreicher Positionen in dieser Zeit mit Seneca verwandt oder befreundet waren52 - kaum ein Zufall und angesichts der wohl positiven Wirkung auch nicht unbedingt ein Zeichen von Günst lingswirtschaft, eher ein Beleg für eine geschickte Wahl vertrauenswürdiger Mitarbeiter. Entscheidend ist eben Senecas nicht näher defmierbares, aber ständig präsentes, schattenhaftes Dominieren. Schon wenn er so weit auf Nero eingewirkt hat, dass dieser die echte Politik Anderen, Vernünftigeren überließ, ist dies Bedeutung Senecas genug, und es war gewiss auch schwie rig genug. Wieder und wieder betont werden müssen Senecas Einfluss und Leistung, wie sie keiner der Kritiker für sein eigenes Lebenswerk geltend machen kann und wie sie in der Forschung zu Unrecht z. T. bis heute her untergespielt werden:53
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Zu Seneca als Neros 'Personalchef vgl . Gri ffin ( 1 976) S. 80fT. So ist z. B. unlängst rur Fuhrer (2000a) S. 20 1 Seneca lediglich ein amicus principis ("a member of the closest circle of advisers at Nero 's court"); eher einschränkend auch Grif fin ( 1 976) S. 1 0f., 67ff. mit dem Versuch einer genauen Bestimmung seiner Rolle, Rudich ( 1 993) S. l OfT. "The mere fact that the famous philosopher was running the state gave to the period an unprecedented glamor in the eyes of historians", ( 1 997) S. 44 "Modern scholarship has shown, [ .. . ], that much of the praise bestowed on the quinqllennium by our ancient authorities was the result of the retrospective Stoic myth purporting to excul pate Seneca from the charge of complicity with tyranny". Erfreulich entschieden zu Sene ca als "in Neros Umfeld [ .. . ] größte intellektuelle Potenz " und "de facto" princeps jedoch auch kürzlich das Urteil von Ehlers (2002) S. 23fT. "Unsere Quellen lassen keinen Zwei fel an der Nichteignung Neros für die verantwortungsvolle Ausübung der Herrschaft" (die Zitate S. 25, 27, 3 1 ). Vgl. ansonsten z. B. Abel ( 1 985) S. 694 "Daß Seneca als kaiserli cher Berater dem obersten Ziel stoischer Ethik, der salus gelleris humani, nach besten Kräften zu dienen bemüht gewesen ist, unterliegt keinem ernstlichen Zweifel".
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Seneca ist es zu verdanken, dass sich Nero und auch Agrippina wenig stens einige Jahre in Maßen zügeln ließen, dass die Eskalation erst später eingesetzt hat. Wenn etwa bei Sueton zu lesen ist, Nero habe keine Ge legenheit vorübergehen lassen, seine Milde und Umgänglichkeit zu be weisen,54 dann ist hinter dem erst maßvollen, zurückhaltenden Verhalten des Kaisers der positive Einfluss Senecas unverkennbar. Der späte, ver derblichen Einflüssen anderer ausgesetzte Nero rühmte sich dagegen, als erster der römischen principes wirklich erkannt zu haben, wieviel ihm erlaubt sei.55 Das durchaus nicht unproblematisch wirkende didaktische Prinzip Senecas, die Ablenkung auf harmlose Laster (uoluptatibus con cessis), mag tatsächlich das von ihm als einzig brauchbar erkannte Mittel gewesen sein, den ansonsten überhaupt nicht zu zähmenden princeps zu lenken.56 Sueton hat durch seine Schilderungen von Neros Vorfahren nachgewiesen, dass all seine Exzesse und negativen Eigenschaften, Grausamkeit, Spieltrieb, Luxus und Verschwendung, wie ererbt von vornherein im Kaiser angelegt sind, in der problematischen julisch-clau dischen Familie auch kaum überraschend. Neros Entartung ist schlimm, wird aber zwangsläufig erfolgt sein. Senecas Leistung immerhin ist es, diese zunächst kontrolliert zu haben. Wenn Seneca Kenntnis und Mit schuld an den Morden des Regimes vorzuwerfen sein mag, so ist umge kehrt hervorzuheben, dass er zus ammen mit Burrus sein Möglichstes ge tan zu haben scheint, um Einhalt zu gebieten. 57 2. Seneca hat sich nicht an zweifelhafte persönliche Loyalitäten gehalten und den bloßen Handlanger Agrippinas abgegeben, wie sie es wohl er wartet hatte. Sie hatte ihn schließlich aus dem Exil zurückrufen lassen, ihr hatte er Begnadigung, Berufung, Karriere und überhaupt hauptstädti sches Leben zu verdanken. Doch Seneca ließ sich keineswegs dadurch korrumpieren. Loyal zeigte er sich allein dem Wohl des römischen ReiI.
54 55 56
57
Suet. Nero 1 0 , 1 f. neque liberalitatis neque c1ementiae, ne comitatis quidem exhibendae ul/am occasionem omisit. . . . 'quam uellem " inquit. 'nescire litteras '. Suet. Nero 3 7,3 negauit quemquam principum scisse, quid sibi Iiceret. Tac. anno 1 3 ,2, 1 quo facilius lubricam principis aetatem, si uirtutem aspemaretur, uolu ptatibus concessis retinerent; betont z. B. von Ehlers (2002) S. 30f. "Alles scheint daf'tir zu sprechen, daß Seneca wie Burrus überzeugt waren, den einzig möglichen politischen Weg einzuschlagen. Sie nahmen Nero als notwendiges Übel in Kauf und lenkten ihn mit aller Kraft ab von der Politik. Vgl. auch Griffin ( 1 974/2008) S . 30/54 "pragmatic was his willingness 10 compromise with evil during his years of in fluence" . Vgl. Tac. anno 1 3,2, 1 f. ibaturque in caedes, nisi Afranius Burrlls et AnnaelL' Seneca ob uiam issent. . . . certamen utriqlle llnum erat contra ferociam Agrippinae.
lan-Wilhelm Beck, A liter loqueris. aliter UiUi.f
3.
58
ches, das für ihn über die Kontrolle des zunächst schwachen Nero zu er reichen war. 58 Seneca hat sich nicht zurückgehalten und als Philosoph auf sich selbst beschränkt, ein bloßer amicus im Umfeld des princeps oder ein bloß pas siver, selbstgefälliger Widerständler nach Art der sog. stoischen Opposi tion.59 Er hat - anstatt Krankheit oder Unfähigkeit zu simulieren60 - auf Kosten persönlicher Bequemlichkeit und verlorener Lebenszeit Verant wortung übernommen, Entscheidungen getroffen, das römische Reich regiert und dies, solange es irgend ging; er hat ausgeharrt, solange er Po sitives erreichen konnte.61
Für manche Interpreten ist selbst seine Abkehr von Agrippina zu Nero Anlass zur Kritik, als ob Seneca mit seinem Wechsel der Loyalität lediglich geschickt die für das eigene Fortkommen förderlichere Seite gewählt habe. Abzulehnen jedoch ist solche negative Bewertung wie etwa von Rudich ( 1 997) S. 7 1 "Agrippina 's patronage put Seneca 's inte grity to a severe test which he ultimately failed to pass: first by cooperating in her intri gue, and tben by intriguing against her, which could not but contradict his own stated views on tbe etbics of reciprocity and relations witb benefactors." Wenn Seneca sich ge gen Agrippina wendet, gilt dies der Forschung als Zeichen seines wankelmütigen Cha rakters. Wenn Seneca sich nicht genug gegen Nero wendet, wird dies ebenfalls kritisiert. Solche Inkonsequenz erweckt leider den Eindruck, dass es gewissen Interpreten in erster Linie um Kritik an Seneca geht. V gl. daneben mit Bezug auf epist. \ 08, 1 5 und 22 und die scheinbar zu bereitwillige Aufgabe vegetarischer Lebensweise aus politischer Vorsicht Rozelaar ( 1 976) S. 305 "Es scheint, dass er von lugend auf mit einer gewissen leichtig keit von seinen Prinzipien Abstand nehmen konnte. [ . . . ] diese Bereitschaft, seinen ur sprünglichen Standpunkt zu ändern und eventuell aufzugeben, wenn es die Umstände for derten - eine Bereitschaft, die ebensosehr moralisch anfechtbar, wie praktisch und poli tisch notwendig war [ ... ]", Griffin ( 1 974/2008) S. 1 3/36 "Seneca was adaptable", ( 1 976) S. 1 3 5 .He had never been a man of rigid principle", Rudich ( 1 993) S. 1 08 "Seneca 's en tire life, [ ... ], demonstrated his uncanny flexibility and capacity for adaption" (S. 260 "ve getarian surrender"), Habinek (2000) S. 286 ..Seneca shows extraordinary versatility in tbe range of roles he can adopt"; dagegen betont z. B. Andrews ( 1 930) S. 624f. ..tbe con sistency witb which he stuck to his principles in tbe face of monstrous obstacles". Vgl. etwa Tac. anno 1 4, 1 2, 1 zu Tbrasea und dessen nutzloser Opposition (. . . exiit tum .fe natu ae sihi eausam periculi fecit. eeteri.f lihertatis initium non praehuit); vgl. auch SÖ rensen ( 1 977/1 984) S . 1 33 "daß er im Gegensatz zu den meisten anderen Philosophen doch wenigstens etwas tat". Vgl. Tac. anno 1 5,45,3 fieta ualetudine. qua.fi aeger neruis als letzten Ausweg lur seinen zweiten, endgültigen seeeS.fUS 64 n. Chr., vgl. Seneca später epist. 68,3 non est. quod inseriha.f tihi philosophiam ae quietem: aliud proposito tuo nomen impone. ualetudinem et inhecillitatem uoeato et desidiam . . . Vgl. auch z . B. Rozelaar ( 1 976) S. 300f. Damit Seneca seine Arbeit für das Gemein wohl, [ . . . ], tagtäglich leisten konnte, hatte er große Opfer zu bringen: Opfer an Zeit, phi losophischem Studium zugedacht; an geselligem Umgang, in dem sein Witz aufblitzen konnte; aber vor allem an jener geistigen und moralischen Reinheit, die ihm nicht weni ger wichtig war, als das Ausüben einer fast unbeschränkten Macht." •
59
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61
33
..
34
Jan-Wilhelm Beck, Aliter [oquen.., aliter uiui..
4.
Seneca hat seine Rolle und Bedeutung für das römische Reich im wohl tuenden Gegensatz zur lästigen, peinlichen, entlarvenden Ruhmrederei eines Cicero nicht nach außen getragen - geradezu ein programmatischer Gegensatz zwischen realer Verpflichtung und literarisch-philosophi schem Bekenntnis.62 5. Seneca hat sich mit einer Rolle im Hintergrund als Staatsdiener zufrie dengegeben; er hat nicht als Staatsmann nach eigener Macht und eigener Herrschaft gestrebt. Es ging Seneca um Rom, nicht um eine formal do kumentierte Machtstellung und die Demonstration eigener Macht nach außen; es ging ihm offenbar nicht um die Befriedigung persönlicher Ei telkeiten und eines eigenen politischen Ehrgeizes. Seneca ging es um die Sache an sich und die bestmögliche Regierung, nicht um sich selbst.63 6. Seneca hat die Macht als wahrer Regent und graue Eminenz geteilt, so dass in einer Art Doppelspitze das alte republikanische Ideal der Kolle gialität wiederaufzuleben schien, wenn auch mit einem Kaiser als Reprä sentanten nach außen. Überaus aussagekräftig für Senecas Charakter, für seine persönliche Zurückhaltung und seine politische Klugheit ist, dass er nicht danach strebte, als Einziger und allein Nero und damit das impe rium Romanum zu dominieren. Es ist sehr bezeichnend, dass es in der zweiten Hälfte der 50er Jahre zwei einander ergänzende Persönlichkeiten waren, die Hand in Hand und offenbar ohne Rivalitäten an der Spitze des Staates und in Neros Schatten zusammenarbeiteten - nach dem Zeugnis des Tacitus rarum in societate potentiae. concordes -, Seneca und der erst zu Beginn der 50er Jahre neu in die wesentliche Position als Präfekt der Prätorianer berufene Burrus. Es ist sehr interessant, dass die Ernen nung des Burrus auf Veranlassung Agrippinas geschah. 64 Denn zu be denken ist, dass die Berufung Senecas durch Agrippina kurz zuvor mit dem ausdrücklichen Ziel ihrer Beratung, ihrer Unterstützung bei ihrem Griff nach der Macht erfolgt war (ut . . . et consiliis eiusdem ad spem do minationis uterentur).65 Es ist weniger wahrscheinlich, dass ausgerechnet die moralisch verkommene, machthungrige Agrippina von selbst und al-
62
63 64 65
Vgl. die Betonung bei Griffin ( 1 974/2008) S. 1 2/35 "He became a courtier [ . . . ]. From now on, the phi1osophical sentiments in his treatises 1aid hirn open to charges of hy pocrisy, while the extreme reticence he preserves in them about his activities and position makes it tempting to think that he kept his life and his literary work rigidly separate". Vgl. z. B. Maurach ( 1 989) S. 368 "er hielt an sich, trat nie hervor und tat all' das nicht, was er hätte sündigen können (man denke an Seian, an Tigellin [ . . . ])". Tac. anno 1 2,42, 1 . Tac. anno 1 2,8,2 utque Domitii pueritia ra/i magistl'O adole.\'ceret et consilii.< . . .
Jan Wilhelm Beck, A liter loqueris, aliter uiuis -
35
lein auf einen Ehrenmann wie Burrus gekommen sein soll, der sich in der Folgezeit ebenfalls nicht durch die von Agrippina erfahrene Protekti on hat korrum pieren lassen und der keine eigenen Machtansprüche ent wickeln wollte . Denkbar ist vielmehr, dass bereits damals, 5 1 n. Chr . , der von Tacitus ausdrücklich als Berater Agrippinas in M achtfragen be zeichnete Seneca bei der Entscheidung
für
Burrus beteiligt war, dass er
es war, der Agrippina Burrus als den geeignetsten Prätorianerpräfekten e inreden konnte. 66 So war es vielleicht nicht nur ein großer Glücksfall
für
Rom, dass es von 54 n. Chr.
an
ein mit Seneca und eben Burrus ein
ander perfekt ergänzendes, harmonierendes Team an der Staatsspitze gab . 67 Es mag gut sein, dass bereits das Zustandekommen einer solchen Konstellation das Verdienst des vorausschauend und zugunsten des rö mischen Reiches planenden Seneca war, der auch später die Personalpo l itik bestimmte und in Personalfragen offenbar mit glücklichem Ge schick die richtigen Entscheidungen treffen konnte .
IV Sieht man j edoch von der überaus bedeutsamen, posItiven politi schen Leistung Senecas in den 5 0er Jahren ab, gibt es weitere Punkte, die für sei ne Beurteilung stärker zu beachten s ind, als dies in der Forschung derzeit zu geschehen scheint. Zudem ist Senecas Biographie mit einem zentralen Ein schnitt um 50 n. Chr. und die Entwicklung seiner
imago uitae zuerst
ohne,
dann in untrennbarer Verbindung mit N ero differenzierter und in je zwei philosophisch unterschiedlich intensiv beeinflussten Phasen zu sehen, als dies gewöhnlich der Fall i st. Denn ein echtes und ernstes, aber vernachlässigtes Problem dürfte gleich Senecas erste erhaltene Prosaschrift, seine ' Consolatio ad Marc iam ' , dar stellen. Er hat sich mit ihr öffentlich erst drei Jahre nach dem Trauerfall und damit reichlich spät zu Wort gemeldet. Mag in neue ster Literatur auch diese Schrift als Trost e iner angeblichen Tante in e in familiäres Umfeld gerückt sein, tatsächlich war es wohl so, dass Seneca ohne alle familiäre B i ndung 66 Zumindest bezeugt ist, dass Seneca Neros Versuch, den von Agrippina eingestellten Bur rus abzusetzen, verhindern konnte (Tac. ann o 1 3 ,20,2f. ope Senecae dignati01lem Burro retentam, vgl. auch D io 6 1 , 1 0,6). 67 Vgl. Tac. 1 3 ,2, 1 rarum in societate potentiae, concordes, diuersa arte er aequo polle hant, Burrus militarihus curis et seueritate morum, Seneca praeceptis eloquentiae et co mitate honesta, iuuantes inuicem . . .
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Jan-Wilhelm Beck, Aliter loqueri.•• aliter uiui..
Marcia keineswegs nahe stand, ja dass er die über den Tod eines Sohnes trauernde Mutter vielleicht nicht einmal persönlich kannte.68 Wenn Seneca zu Beginn wünscht, die in
zu
langer Trauer verharrende Tochter des unter
Tiberius verurteilten Historikers Cremutius Cordus schon l ängst getröstet
zu
haben, wenn er seine spezielle, schonungslose Art des Tröstens eigens von der üblichen, fürsorgl ichen von Freunden und Verwandten absetzt, macht dies, zumal in einem zeitlichen Abstand von immerhin drei Jahren, nicht den Eindruck, als ob ihn eine enge persönliche Beziehung mit ihr verbun den hat; 69 es kann im Gegenteil beinahe so wirken, als ob Marcia mit ihrem privaten Schmerz ein bloßes M ittel
für
ein eigenes Anliegen Senecas dar
stellt. Wenn er wiederholt und j eweils an zentralen Stellen auf Cremutius Cordus eingeht, ja diesen sogar als mahnenden Redner vorführt und so zur dominanten Gestalt werden lässt, drängt sich zwangsläufig der Verdacht auf, dass es Seneca gar nicht um echten Trost gegangen ist. Was er verfass te, mag eine politisch intendierte Aussage gewesen sein, mit der er sich nach dem Regimewechsel von Tiberius
zu
dem zunächst von allen hoff
nungsvoll und freudig begrüßten Caligula bei Hof hat e inschmeicheln wol len.70 Dass die Familie Senecas zuvor von positiven Beziehungen zu Seian
68 Fuhrer (200ob) S . 1 24 "In der Trostschrift an seine Tante Marcia [ ... ] , die Gattin des [ ... ] Präfekten von Ä gypten"; ohne Beleg auch Grimal ( 1 978) S. 64 ..Freundschaftlich verbunden war ihm Marcia [ . . . ]". 69 Dial. 6, I ,51T. alii . . . . ego ... con..titui ... omnia in .yuperuacuum temptata ..unt: fatigatae adlocutione.. amicorum. auctoritate•• magnorum et adfinium tihi uirorum . . . cupi.... em itaque primi.. temporihus ad i.. tam curationem accedere . . . non po....um nunc . . Als unerheblich heruntergespielt ist Senecas späte Anteilnahme z. B. von Grimal ( 1 978) S. 1 89, doch ohne überzeugende Begründung ("Dieses Zuwarten ist einer der klassischen Kunst griffe paramythetischer Seelenbehandlung" - ein tatsächlich befreundeter, mitempfinden der Seneca konnte nicht wissen, dass er drei Jahre Zeit hatte, um derartige Kunstgriffe zu verwenden). Kaum treffend Trillitzsch ( 1 97 1 ) S. 38 ..eine liebenswürdige Trostschrift", besser z. B. Boal ( 1 973) S. 50 "as unsuccessful [ ... ] as [ . . . ] insensitive", Rudich (1 997) S. 23f. "the extent [ . . . ] in his glorification of Cremutius Cordus is remarkable. [ . . . ] the lengthy evocation of her father's suicide, perhaps the most terri fying moment in her life, [ ... ] , would hardly cheer the daughter. [ ... ] might even have found it offensive". 70 Zu politischen Motiven und gar einer Charakterisierung als ..a work of pre-eminent op portunism" vgl . z. B. Stewart ( 1 953) S. 70ff. mit dem Zitat S . 85, Trillitzsch ( 1 97 1 ) S . 38, Griffin ( 1 976) S. 22f. , ausdrücklich dagegen z. B. Abel ( 1 9 9 1 ) S. 97 "Man kann mehr oder minder geistreiche Vermutungen anstellen. Doch nichts führt letztlich an dem Ein geständnis vorbei, dass uns der klare Einblick in den Sachverhalt verwehrt ist"; reinen Trost sehen z. B. Abel ( 1 967), Manning ( 1 98 1 ). Rudich ( 1 997) S. 24, 26, 49 unterstellt wie für 'Oe dementia' ein "desire for emotional release, for self-excuse, both in his own eyes and in the eyes of his audience"; die Trostschrift als ..a kind of quest for a necessary psychological outlet", eine Art innerer Protest gegen die Erlebnisse am Hof Caligulas an.
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Jan-Wilhelm Beck, Aliter loqueris, aliter uiui..
profitiert hatte, i s t eine Tatsache ebenso w i e die, dass Marcia und ihre Fa milie unter demselben Seian das Schlimmste erleiden mussten . Durch den in der Trostschrift enthaltenen Preis des Märtyrers Cremutius Cordus und seiner nach dem Sturz des alten Kaisers wegen ihrer mutigen Neuedition der Bücher ihres Vaters ebenfalls gefeierten, als T iberius-Opfer einflussrei chen Tochter mag Seneca fo lglich Aufmerksamkeit nur auf sich selbst ha ben lenken wollen - die Trostschrift als Versuch, sich auf Marc ias Kosten öffentlich gegen das alte Regime, gegen Tiberius und Seian
zu
profilieren ;
ein fremder Trauerfall skrupellos ausgenutzt für eigene Interessen? Ohne j eden Zweifel ist Derartiges noch einmal
zu
beklagen, nun bereits
in der Verbannung und eindeutig mit rein persönl ichen Motiven. Senecas ' Consolatio ad Polybium ' ist nicht nur wegen der ihm evtl . von C assius Dio vorgeworfenen, opportunistischen Schmeichelei und würdelosen Selbster niedrigung problemati sch, die Seneca sogar selbst später peinl ich gewesen
sein sol]7 1 und die angesichts der für ihren Verfasser lebenswichtigen Ziel
setzung heute kaum als versteckte Ironie zu entschuldigen ist. Abstoßend ist in höchstem Maße, wie Seneca hier das Leid eines anderen, die Trauer des Polybius über den Tod seines Bruders, für sich und eine öffentliche Publi kation ausnutzt,
für
eine reine Zweckschrift also, die nicht wirklich dem
Trost des Adressaten, sondern allein egoistischen Motiven dient. 72 So ist
Seneca erneut dabei zu erleben, wie er ohne jede Pietät und ohne Skrupel unter dem Vorwand einer Trostschrift fremdes Leid
für
eigene Zwecke
nutzt. Das Abfassen einer B ittschrift i st nicht verwerflich, zumal in der Si tuation, in der Seneca sich damals befand. Entscheidend ist wieder der von
statt eines ganz frühen .. ece....u.. ("Seneca 's own guilty conscience at his own double in volvement - with both the tyrannical power and its victims"). 1 7 Dio 6 1 , 1 0,2. Dass Seneca das Corpus seiner 'Dialogi ' einschließlich dieser ' Consolatio' im Alter selbst herausgegeben hätte, ist völlig unwahrscheinlich. Auch unabhängig von ihrem problematischen Charakter dürfte ihr inhaltlicher wie literarischer Wert für Seneca später gering gewesen sein. Abzulehnen sind Urteile wie das von Abel ( 1 985) S. 669 "Es zeugt von bewundernswertem moralischen Mut, daß Seneca sich am Ende seines Lebens unumschränkt zu diesem Dokument, das seine Gestalt ins Zwielicht rückt, bekannt hat" . 72 Dieser für die Bewertung der ' Consolatio' entscheidende Aspekt wird zumeist übersehen; beschönigend z. B. Grimal ( 1 978) S. 67ff., Maurach e 1 987) S. 4/( 1 99 1 ) S. 32, zu einge schränkt z. B. Rudich ( 1 987) S. 1 06 "Whatever the extenuating circumstances, [ . . . ], one cannot deny that the extraordinary amount of adulatio [ . . . ] is embarra ssing". Vgl. immer hin Rozelaar ( 1 976) S. 2 1 1 "Dem Scheine nach um das Los des Polybius bekümmert, dauerte ihn in Wahrheit nur das seinige. Vielleicht darf man ihm das nicht zu sehr ver übeln [ . . . ]. Aber [ . . . ] kann ihm doch nicht der Vorwurf erspart bleiben, dass er die Trost spendung bewusst zum eigenen Nutzen ausgebeutet hat und dazu noch in einer Weise, die ihm nicht gerade Ehre macht".
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Jan-Wilhelm Beck, Aliter [oqueri.., aliter uiui..
ihm gewählte Weg - für Seneca scheinbar Methode -, mit geheuchelter Anteilnahme, mit unaufrichtigem Trost persönl iche Vorteile zu erzielen. Selbst seine Mutter nutzt er dafür aus, wenn er eine weitere Trostschrift, die 'Consolatio ad Helviam ' , an sie richtet. N ach dem Vorbild des Ovid, mit dessen Exilpoesie Seneca sehr gut vertraut war, will auch er M itleid mit sich und seinem Schicksal in der literarisch interessierten Ö ffentlichkeit er zeugen , 73 Persönlichen, aufrichtigen Trost hätte er seiner Mutter nicht un bedingt in einer allgemein publizierten Trostschrift spenden müssen . Seneca nutzt den vorgeblich privaten Trost, der das neue und zugleich viel altes Leid der Mutter öffentlich macht,74 in Wirklichkeit vor allem dazu, von sich selbst ein öffentliches B ild zu inszenieren - das Bild eines Mannes, der in Ruhe mit dem eigenen Schicksal leben kann, wie ein stoischer Weiser eben. J emand, der wie Seneca schreibt, so scheint es nach der Lektüre dieser Trostschrift, hat ein ruhiges Gewissen und ist ohne S chuld. U nd man wird Seneca bedauern, wenn er das Leben in Rom beschreibt und diesem das unwirtliche auf Korsika gegenüberstellt. Keinen Verbannungsort werde man finden, schreibt er, wo sich nicht wenigstens einer zum Vergnügen aufhiel te . Was aber gebe es, das so nackt, so rundherum abschüssig ist, wie der korsische Fels? Was gebe es, das bezüglich der lebensnotwendigen Güter nüchterner ist, was menschlich unzivilisierter, topographisch schauriger, klimatisch unmäßiger?75 Wer solches liest, muss M itleid empfmden; seine Worte sind zu deutl ich, seine Situation ersche int zu schlecht.
quid horridius, quid immansuetius, quid intemperantius
Quid ieiunius,
- solche Worte
bleiben im Gedächtnis auch dann, wenn man weiterliest, wenn Seneca als Trost aufzeigt, wie leicht er zurechtkommt. Aus dem Bedauern des Lesers wird Bewunderung für den philosophisch gefestigten Mann . Doch wenn Seneca mit allen W idrigkeiten so gut fertig wird, wie es seine 'Consolatio'
73 Vg\. den literarischen Stolz des Verfassers über seine erstmals praktizierte Form des Trostes durch den Leidenden selbst (dia\. 1 2, 1 ,2ff. cum omnia c1ari,...imorum ingeniorum monumenta . . . euoluerem, non inueniebam exemplum . . . quia po.... um instar efficaci.... imae consolationi.. e.... e ip..e consolator; entsprechend die eitel wirkende Betonung der Neuar tigkeit auch in der vorausgegangenen Trostschrift 6, I ,5ff, alU . . . , ego . . . ) . Solches passt nicht zu einem privaten, persönlich gemeinten Kondolenzschreiben. 74 Dia\. 1 2,2, Hf. 75 Dia\. 12,6,5 quid tam nudum inuenil'i pote.. t, quid tam abmptum undique quam hoc .
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suggeriert, w arum will er dann wieder weg? Leicht hätte er bereits hier den Rückzug auf sich selbst vollziehen können, wie er ihn in seinem Spätwerk vorführt - das berühmte
recede in te ipse. quantum potes;76
e in Leben in
echter Bescheidenheit mit nur dem Wenigen, was die N atur verlangt, ge nauso wie es Seneca in seinen ' Episteln' immer wieder fordert. Leicht hätte er in philosophischer Zurückgezogenheit zufrieden und ganz
dia
für
seine
stu
leben können - ein Seneca, wie ihn etwa die ' Octavia' auf der Bühne
zeigt. ?7 Zweifellos vorzuwerfen ist mangelnde Aufrichtigkeit. Vorzuwerfen ist, dass er sogar seine e igene Mutter als Adressat
für
eine Schrift miss
braucht, um sich öffentlich mit einem bemitleidenswerten Bild
zu
präsentie
ren. Vorzuwerfen ist, dass ihm offenbar j edes M ittel recht war, von der In sel wieder wegzukommen. Wenn ihm Cassius Dio peinl iche Schmeicheleien gegenüber Messalina vorhält, muss damit keineswegs die unvollständig erhaltene ' Consolatio ad Po lyb ium ' und deren verlorener Anfang gemeint sein. A nzun ehmen ist vielmehr, dass Seneca eine Fülle von Bittschriften aus dem Exi l nach Rom geschickt hat und mit aller Macht dabei war, seinen N amen dort präsent
zu
halten. Wenn Tacitus Senecas l iterarische Leistung an lässlich seiner Rück berufung mit dem Kompliment
ob claritudinem studiorum eius
würdigt,
kann dies nicht lediglich seine Auftritte in Rom vor immerhin fast zehn Jah-
76 Episl. 7,8f.
. . . non e.
Jan-Wilhelm Beck, Aliter loqueris, aliter uiuis
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ren oder für den nonnalen, philosophisch uninteressierten bzw. ablehnenden Römer der Oberschicht eher spezielle Traktate wie ' De ira ' meinen .18 Der reale Seneca der 40er J ahre hat folglich sein Exil gegen das selbst entworfene Bild der Trostschrift an seine Mutter keineswegs gelassen in stoischer Genügsamkeit ertragen. Er hat die Möglichkeiten zu Naturbetrachtung und philosophisch erfülltem
otium
studia
mit
nicht wirklich genutzt
oder gar ersehnt. Er hat solches mit seiner eigenen, wohl in zeitlicher Nähe zum
Exi l entstandenen Mahnschrift ' De brevitate vitae ' zur damaligen Zeit
lediglich anderen gegenüber gepriesen, zusammengeschrieben aus längst vorl iegender Literatur, 79 selbst aber nicht wirklich zu schätzen gewusst. Und so ist es Heuchele i, weil er bis zum Ende der 40er Jahre nicht bereit war, das von ihm propagierte, der Phi losophie ergebene Leben auch tat sächli ch zu führen; es i st Selbstinszenierung, Lippenbekenntnis und leicht fertige Heuchelei, die später leicht durch eine miss günstige Ö ffentlichkeit auszunutzen war und die ihm in der Tat in seiner philosophischen Lehre bis zum Ende der 50er J ahre vorzuhalten i st, auch wenn er
für seine
Lebensum
stände, seine Position und missliche äußere E inflüsse seit seiner Rückberu fung aus der Relegation nicht mehr selbst verantwortlich zu machen ist. Denn dass er Agripp inas Ruf gefolgt ist, dass er sich überhaupt mit ihr und N ero eingelassen hat, ist ihm 49 n. ehr. nicht vorzuwerfen. Seneca hat te mit S i cherheit keine andere Wahl , als der zu gehorchen, die ebenso gut wie seine Begnadigung auch sein Todesurteil hätte erwirken können.8o Kri tisch zu bedenken i st allerdings, dass Agrippina nach den Worten des Taci tus von seiner künftig dankbaren Loyalität überzeugt war.8 1 Mit ihrem intri78 Tac. ann o 1 2,8,2 ueniam exilii pro A nnaeo Seneca, simul praeturam impetrat, laetum in puhlicum rata oh . . . ; Senecas Beliebtheit scheint ungebrochen gewesen zu sein, vgl . f"ür die Zeit vor dem Exil Suet. Cal . 53,2 tum ma;rime placentem. 79 So z. B. Cic. Tusc. 5, I 05 quantis igitur molest;;s vacant, qui nihil omnino cum populo contrahlmt! quid est enim dulciu.. olio litterato? is dico litteri.I·, quihlL. injinitatem rerum atque naturae et in hoc ipso mundo caelum terras maria cognoscimus. Vgl. etwa die Ver urteilung einer politischen Karriere dial . 1 0,20, 1 per mille indignitates und einen celehre in foro nomen, 9,4,8 longe itaque optimum est miscere otium rehlL. (weitere Zitate U. Anm. 1 09); speziell zu diesem 'Dialog ' Abel ( 1 985) S. 720 "Das Problem der Aufrichtig keit stellt sich mit aller Schärfe [ . . . ]". 8 0 Vgl. z. B. mit Verweis auf Schol. Juv. 5 , 1 09 elsi magno desiderio A thenas i1ltenderet und Senecas düstere Ahnungen Ehlers (2002) S. 25 "vielleicht wider Willen [ . . . ] nur unter Zwang Neros Erzieher" ; vgl. daneben den Traum Suet. Nero 7,1 jerunt Senecam proxima nocte ui.mm sihi per quietem C. Caesari praecipere . . . 8 1 Tac. ann . 1 2 , 8,2 quia Senecafidus in Agrippinam memoria heneficii et infensus C1audio dolore iniuriae credehatur; vgl. auch Z. B. Griffin ( 1 976) S. 62 " she must have known
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Jan-Wilhelm Beck, A liter loqueris, aliter uiuis
ganten Wesen auf das eindeutige Ziel ihrer und ihres N eros Herrschaft ge richtet (so ebenfall s Tacitus mit Seneca
für
cuncta regno uiliora)82 , muss Agrippina
einen willigen, korrumpierbaren Handlanger gehalten, muss
durch ihren persönlichen Umgang und sein Auftreten entsprechende E in drücke gewonnen haben. S o ist schon
für die
Zeit vor der Verbannung, d . h.
einen Lebensabschnitt ohne alle äußeren Zwänge, mit einer Art Andienerei und Anbiederei bei Hof zu rechnen, wie es ihm in der antiken Kritik ca.
20
Jahre später auch ausdrücklich vorgeworfen wird . 83 Es scheint sogar, als ob Seneca es gewohnt war, über Einfluss und Beziehungen voranzukommen, wie er in der autobiographisch angelegten ' Consolatio' an seine Mutter oh ne j ede Scheu zugibt.IW Ohne anfangliche eigene Ambitionen wäre solches nicht nötig gewesen und passt kaum zur pol itischen "U nlust" und "Distan ziertheit", die die Forschung sowohl
für
die Zeit des Tiberius wie auch
für
die des Caligula gerne unterstellt,85 Doch mit zunehmender N ähe zum Kai serhaus, mit immer stärker werdender Kenntnis der maßgeblichen Gestalten und mit intimen Einblicken in die dortigen Vorgänge hätte ein Philosoph, angewidert und abgestoßen, von sich aus Distanz statt öffentl icher Karriere und einer unsinnigen, Heuchelei verlangenden N ähe zu e inem solchen, mo ralisch verkommenen Umfeld suchen müssen. Wenn Seneca später N eros
that Seneca was willing to repay her services", Rudich ( 1 997) S. 22 "everylhing we know of Caligula ' s temperament says that he would not lolerate near his sisters anyone whom he hirnself did not like. This suggests two of Seneca 's personal characteristics: his cha risma, which gained hirn an entrance [ . . . ] and his capacity to react to any circumstance quickly and in an acceptable way, [ . . . ] the need for the exercise of di •simulatio, thereby training hirn both in dissidence and in opportunity. Thus one here encounters, at the very beginning of Seneca's activilies, the same characterislic mixture of moralism and immo rality". In der Forschung erwogen wird, Seneca könnte Agrippina längst vorher ver pflichtet gewesen sein; man spekuliert gar, es sei Agrippina gewesen, die Claudius 41 n. Chr. dazu bewogen habe, die Todesstrafe für Seneca in eine bloß lebenslange Relegation abzumildern. 82 Tac. anno 1 2,7,3 nihil domi impudicum, nisi dominationi expediret, 1 3,2,2 cunctis malae dominationis cupidinihus flagrans sowie 1 2,65,2 mit obigem Zitat. 83 Dio 6 1 , 1 0, 1 ff., siehe O . Anm. 1 1 sowie 58 zu seinem angeblichen, mehrfach dokumen tierten Mangel an Prinzipien. Seneca äußert sich wiederholt gegen adulatio, so bei Tac . anno 1 5 ,6 1 , I nec sihi promptum in adulationes ingenium sowie selbst, dial . 4,2 I ,7f., ben ef. 6,30,3ff., dial. 9, 1 , 1 6, na!. 4 praef. 3 ff., epist. 59,l l ff. IW Dial. 1 2 , 1 9,2 illa pro qllaestU1'U mea gratiam suam extendit. 85 Vgl. Seneca selbst lediglich epist. 49,2 causas agere coepi, . . . desii uelle agere, . . . des;; posse, 1 08, 1 5 magno enim in omnia impetu lleneram, deinde ad ciuitatL. uitam reduch'.• ex hene coeptis pauca serllaui. Griffin ( 1 976) S. 7 sucht seine Philosophie als "substitute for foren.. is eloqllentia" zu deuten, vgl. auch S. 46 zu Senecas evtl. gesundheitlich be dingter .. disclination" oder mit obigen Zitaten Maurach ( 1 99 1 ) S. 28, 30; dagegen skep tisch Rudich (1 997) S. 264 Anm. 1 5 mit Sen. rhet. Contr. 2, praef. 4. .
Jan-Wilhelm Beck, Aliter loqueri • aliter uiui..
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. •
Untaten, Brutalität und sogar Morde zu verschleiern hilft, wenn er für Nero lügt und beschönigt,8 6 ist dies positive Schadensbegrenzung im Sinne des römischen Reiches und e iner somit übergeordneten Pflicht; hier ist gegen die Forschung weitaus stärker zu unterscheiden.87 Wenn Seneca aber schon lange zuvor von sich aus und ohne zu einer derartigen Lebensweise ge zwungen
zu
sein
um
Zugang
zum
Kaiserhof,
um
zweifelhafte Bekannt
schaften und Freundschaften bemüht war und sich auf das unwürdige Trei ben im Umfeld der Caligula-Schwestern eingelassen hat, i st dies zu verur-
8 6 Es war natürlich Seneca, der rur Nero die öffentlichen Auftritte plante, Vorwände erfand und die Reden verfasste, mit denen dieser dann vor Senat und Volk sein Handeln recht fertigen konnte (vgl. Tac. ann . I 3 ,4, l f. mit Neros Antrittsrede). Etwa wenn Seneca Nero in seinem üblicherweise auf Ende 55 bis Ende 56 n. ehr. datierten Traktat 'Oe clementia' als hoffuungsvollen, unbefleckten Herrscher preist, an dessen Händen im Gegensatz zu den Vorgängern noch kein Blut klebte ( 1 , 1 1 ,2f. nullam habere maculam. numquam ciui lem • anguinem fodi....e: . . . prae.. titi..ti. Cae..ar. ciuitatem incruentam. et hoc. quod magno animo gloria tu.. e.. nullam te toto orbe .. tillam cruori.. humani mi.. i....e), ist dies angesichts des Weges auf den Thron und nach der Ermordung des Britannicus Anfang 55 n. ehr. ei ne bewusste Lüge. Eine Rettung Senecas versuchen z. B. Sörensen ( 1 977/ 1 984) S. 1 44 "am wahrscheinlichsten ist, daß Seneca gutgläubig war, oder es sein wollte", Zwierlein ( 1 996) S. 14ff. mit einem zeitlich früheren Ansatz; richtig Griffin ( 1 974/2008) S. 22/45f. "Seneca would probably have practised dissimulation in any case, seeing that his own re tirement would certainly mean the domination of Agrippina and perhaps his own death". Für die Ermordung Agrippinas 59 n. ehr. ist durch Tac. anno 1 4,7, 3 f. sogar eine direkte Beteiligung Senecas belegt. Nach den missl ungenen, vielleicht zu dilettantischen Versu chen zuvor habe der in Panik geratene Nero Hilfe bei Seneca und Burrus gesucht. Und es sei Seneca gewesen, der schließlich die Initiative ergriffen habe. Nach den antiken Quel len scheint es hier das erste Mal zu sein, dass Seneca aktiv an einem Mord teilnahm bzw. vorher eingeweiht war und keinerlei Schritte zur Vereitelung des geplanten Verbrechens unternahm. Nach Dio 6 1 ,7,5 war Seneca an der Ermordung des Britannicus wohl nicht beteiligt; der Taciteische Seneca gibt in seinen letzten Momenten die Schuld allein Nero (ann. 1 5 ,62,2 po..t matrem fratremque interfecto..) . Nach Dio 6 1 , 1 2, I war es jedoch Sene ca, der Nero zum Mord an Agrippina regelrecht aufstachelte. Durch Tacitus ist belegt, dass es ebenfalls Seneca war, der Nero seine schriftlich an den Senat gesandte Rechtferti gung verfasste und damit aktiv bei der Vertuschung half. In der Forschung angenommen wird stillschweigende Mitwisserschaft schon bei Agrippinas Ermordung des Narcissus und Silanus, auch wenn diese ohne Kenntnis Neros geschah; Flach ( 1 973) S. 273 hält so gar "entsprechende Ratschläge" von Seneca wie Burrus für möglich, alles fiir Nero Ge fährliche zu beseitigen. 87 So z. B. gegen Zwierlein (1 996) S. 14f. ,,Man wird gerne einräumen, daß Seneca kein Mann starrer Prinzipien war; doch die Abkehr von vegetarischer Lebensweise, das Vor schützen von Krankheit, um dem Zorn des Gaius zu entgehen, das Verfassen adulatori scher Schriften, [ . . . ], scheinen harmlose, dem Zwang der Verhältnisse gehorchende menschliche Schwächen zu offenbaren im Vergleich zu der Ungeheuerlichkeit, daß der engste Berater des j ungen Nero bald nach der Ermordung des Britannicus [ . . . ] den Kaiser als Muster der Unbescholtenheit preist [ . . . ]". •
Jan-Wilhelm Beck, A liter loqueris, aliter uiuis
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teilen. 88 So sind in der Tat schwere Vorwürfe gegen Seneca und durchaus charakterliche Schwächen zu erheben, wie sie die drei Trostschriften mit ihrer geschickten Ausnutzung des Leides anderer
fiir eigene Ziele noch
heute erahnen lassen - eine von Seneca offenbar mehrfach praktizierte lite rarische Technik. Und nimmt man die unmittelbar nach der Ermordung des Claudius 54 n. Chr. entstandene 'Apocolocyntosis ' hinzu , von der For schung nur zu gerne übersehen oder verharmlost, sehe ich nicht, wie Seneca moralisch zu rechtfertigen wäre. Derselbe Seneca, der die offizielle, von Nero gehaltene Leichenrede auf den verstorbenen Vorgänger verfasst hatte, eine übertriebene laudatio auf dessen Ums icht und Weisheit, prouidentia sapientiaque, 8 9 ist im Anschluss als Verfasser einer Spottsatire auf den hin kenden, stotternden Claudius aufgetreten, um seinem Zorn in völlig unan gemessener Weise freien Lauf
zu
lassen. Der gerechte Zorn eines unschul
dig, ungerecht Verurteilten und zur Schmeichelei genötigten Verbannten ist verständlich und vielleicht verze ihlich, nicht aber die Art, wie Seneca das letzte Wort für sich beansprucht hat. Zur Verdeutlichung verwiesen sei nur auf die letzten Worte, die Seneca dem sterbenden Claudius in den Mund ge legt hat, und auf seinen Kommentar dazu
( 'uae me, puto, concacaui me. ');
in der zumeist zu beschönigenden Forschung findet sich solches interes santerweise nicht zitiert.90 Angeblich derbe römische Bräuche, Spott beim
88 Zu schwach Sörensen ( 1 977/1 984) S . 1 53 ,,Kompromittierend war jedoch vielleicht,
daß er überhaupt Höfling, und also auch ein reicher, war" (Fortsetzung des Zitats o. Anm. 24); nicht alles ist als "psychologisch dilettantisch" und bloße "Klischees" abzutun (S. 29 1 mit seinerseits zu rascher, unsachlicher Ablehnung früherer Kritiker). Vgl . auch Veyne (2003) S. 5f. "Seneca possessed a rich and multi farious personality. Being a philo sopher alone did not suffice. He eventually conducted a public career in which he gained a reputation for hypocrisy and duplicity that is the customary reward for multiplicity. He wished to act politically as a philosopher; this was, in his eyes, acting simply as a con ventionally honorable man". Vgl . dagegen Rudich ( 1 993) S. 1 0 fUr die Zeit Caligulas "he could weil have been regarded as an unscrupulous careerist"; S. 1 2 f. sieht er fUr die Zeit Neros Senecas di.l'simulatio als beherrschenden Zug, S. 262 verweist er auf Quint. inst. 1 0, 1 , 1 26 fUr "Seneca ' s desire to please everyone". 8 9 Tac. anno 1 3 ,3,1 . . . nemo risui temperare, quamquam oratio a Seneca composita multum cultus praeferret. 90 Apocol. 4,3 ultima uox eius . . . quod an fecent, nescio; omnia certe concacallit; zur Be deutung solcher Momente vgl. z. B. Gnilka ( 1 979) S. 5 "Die Antike besaß ein lebhaftes Interesse an dem Tod bedeutender Männer und Frauen. Man empfand, daß die Art des Sterbens dem Leben das letzte, gültige Siegel aufdrücke", einschlägige weitere Literatur bei Trillitzsch ( 1 97 1 ) S. 93 . Seinerseits unangebracht, den Interpreten selbst disqualifizie rend ist das Urteil von Grimal ( 1 978) S. 70 "Die unangebrachte, zu keinerlei Zugeständ nis bereite Sittenstrenge der Modemen mag darüber eine tugendhafte Entrüstung empfin den. Eine derartige Empörung beweist in erster Linie das Unvermögen, die wirklichen Bedingungen zu begreifen, unter denen die Darsteller im Drama der Weltgeschichte han-
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Jan-Wilhelm Beck, Aliter loqueris, aliter uiuis
Leichenzug mit Ventilfunktion, eine Publikation an den Saturnalien oder eine mögliche politische Zusatzfunktion zur Stärkung des neuen Regimes, N erolob mit gleichzeitigem N achwei s der N otwendigkeit der Aufgabe der bisherigen Genealogie nach dem Tod des vertrottelten Herrschers, sind kei ne annehmbare Entschuldigung. Persönlich betroffen und befangen, hätte Seneca als Philosoph mit wahrer Größe schweigen können, schweigen müs sen. Er hätte sich zumindest auf sachliche Kritik an Claudius' Amtsführung beschränken müssen und sich nicht zu einer persönlichen Verunglimpfung hinreißen l assen dürfen. Senecas Verhalten in Politik und Ö ffentlichkeit auf seinem ' Weg nach oben ' , in den 3 0ern, 40ern und bis in die 50er J ahre, j a überhaupt sein Stre ben ' nach oben ' ist in gewissen Punkten politisch vielleicht normal, men schlich aber enttäuschend und unentschuldbar, und dies erst recht für einen Philosophen, der moralische Ansprüche erhebt. Aber genau dies war der Seneca dieser J ahre nicht wirklich, er war kein Philosoph im eigentlichen und ausschließlichen S inne, so wie wir ihn sehen und schätzen wollen, kein "Philosopher in Politics ' , wie man ihn heute übl icherweise würdigt. 9 \
delten"; verharmlosend Griffin ( 1 974/2008) S . 1 9/42f. "this cruel satire [ . . . ] h as offended the taste of modem readers more than it ofTended or even interested his ancient or post cJassical L"Titics. [ . . . ] may not be morally edifying, but it is all too explicable", dagegen ausdrücklich als Zeichen mangelnder humanitas gewertet von Kröner ( 1 997) S. 4 1 . Im mer wieder wird von den Interpreten Selbstparodie bzw. Rücknahme der 'Consolatio ad Polybium' hervorgehoben, vgl. z. B. Griffin ( 1 974/2008), ( 1 976) oder Romano ( 1 986), Rudich ( 1 987, 1 997). Dass es zwischen positiver und negativer Zeichnung des Claudius beim selben Autor Berührungen geben muss, ist offensichtlich. Dass Seneca jedoch einen gezielten Widerruf seiner früheren Schmeichelei beabsichtigte, ist angesichts eines Ab standes von immerhin ca. 1 0 Jahren unwahrscheinlich. Verfasst fUr ein allgemeines Pu blikum und nicht fUr vergleichende, auf wenige überlieferte Texte fixierte Philologen, gelesen als Satire gegen Claudius und nicht Selbstdarstellung Senecas, werden Bezüge bzw. Korrekturen von Aussagen im aktuellen Text gegenüber dem früheren kaum aufge fallen oder wenig interessant gewesen sein . 9\ So der Titel von Griffins maßgeblichem Seneca-Buch, vgl . auch Grimal ( 1 953) S. 60fT., Kröner ( 1 997) S. 37fT. Bestätigung erfährt Seneca z. B. von Sörensen ( 1 977/ 1 984) S. 292 ..Die größte von Senecas Sünden bestand darin, daß er sich im Gegensatz zu fast allen anderen Philosophen nicht mit einer Interpretation der Welt begnügte, sondern den Ver such machte, sie zu verändern: Seine Tätigkeit als Staatsmann beeinfl ußte die AufTassung von ihm als Philosophen, nämlich als einem 'Amateurphilosophen''', Veyne (2003 ) p. IX .. [ . . . ] must be taken seriously as a philosopher. The time is pas! when he was regarded as a belletrist [ .. .]", S. 1 59 "Seneca paid the price for his multi form personality : from a phi losopher, a morality based on conviction was expected; but as a counselor to the prince, he applied a morality of responsibility" - beide Aussagen sind freilich auf den Seneca der 50er Jahre bezogen und nicht uneingeschränkt auf Seneca insgesamt zu übertragen. Ohne
Jan-Wilhelm Beck, A liter loqueris, aliter uiuü
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Der frühe S eneca hatte durch persönliches Leid und Verdruss, durch sei ne lebensbedrohliche Erkrankung in der stoischen Philosophie den für ihn lebensnotwendigen Halt gefunden - eine erste Phase philosophischer Prä gung, mit gewiss aufrichtig ausgelebter Philosophie als Ersatz. Der erstarkte Seneca der folgenden Zeit erwies sich j edoch eher als eine Art Publizist, der mit seiner geistigen Überlegenheit und einer Fülle von Schriften in einer Vielzahl von Gattungen an die Ö ffentlichkeit drängte, der die Ö ffentl ichkeit suchte und brauchte, der mit seiner Rhetorik dominieren wollte und tat sächlich dominierte; ein Schnell- und Vielschreiber, der sich zur stoischen Philosophie wie zu einem G lauben bekannte und diese für seine Publikatio nen benutzte, der der philosophischen Schriftstellerei zunächst aber keines wegs den Stellenwert einräumte, den sie aus der Rückschau erhalten hat eine zweite Phase philosophischer Entwicklung bzw. bloßer, erfolgsorien tierter Nutzung. Senecas erhaltene Dialoge mit ihrer z. T. schulmäßig wirkenden, einfa chen Anlage (vgl. ihre oftmalige Zweiteilung und deutlich markierte Glie derung als Gerüst für eine bloße Anreihung von Argumenten oder Exempla) sind rasch zusammengeschrieben; Quintilian beklagt mangelnde Sorgfalt.92 Sie sind vielfach nicht
um
ihrer selbst, einer philosophischen Aussage wil
len entstanden, sondern wirken auf ein Ziel und äußeren Anlass abge stimmt. S i e dienen
zum
einen als Selbsttherapie und Selbstbestätigung (die
' Apocolocyntosi s ' etwa beweist, wie wenig Seneca dem eigenen Zorn ge wachsen war, wie nötig er seine eigene Mahnschrift gegen
ira hatte),93 zum
anderen zur Erzeugung einer öffentlichen imago, indem sie ihren Verfasser in der Ro lle des moralisch Ü berlegenen zeigen, in den 40er Jahren ebenso wie in den 5 0em - so etwa die ' Consolatio ad Helviam ' mit dem unschuldig duldenden Philosophen, 'Oe constantia' mit der Überlegenheit des verletz ten Weisen;94 ' Oe beneficiis' mit dem nach außen dokumentierten Bewusst sein
für
das Gewähren und Empfangen von Vergünstigungen bezeichnen-
Beachtung der Biographie definiert Fuhrer (2000b) S. 1 3 8f. Philosophie gemäß Seneca epist. 89,4 als amor sapientiae et adfectatio, studium uirtutis und bestätigt seine Werke als "in allen Teilen [ . . . ] Dokwnentation dieser Haltung". 92 Quint. inst. 1 0, 1 , 1 28 ingenium facile et copiosum, plurimum .. tudU, multa rerum cognitio, in qua tamen aliquando ah iis, quihus inquirenda quaedam mandahat, deceptus est . . . . parum diligens. Zu schematisch eingehaltenen Kompositionsprinzipien nach aristoteli schem Modell und diesbezüglicher Suche bzw. Kritik vgl. z. B. Abel ( 1 967), ( 1 99 1 ) . 93 Abel ( 1 985) S . 674 spricht sogar von "Überreaktionen der Rachsucht". 94 Die Datierung ist unsicher, der Ansatz aber in die Zeit der Verbannung wahrscheinlich; der überlieferte Titel Ad Seren um nec iniuriam nec contumeliam accipere sapientem.
Jan-Wilhelm Beck, Aliter [oquen.., aliter uiui..
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derweise in einer Zeit, als Seneca wegen der eigenen Vergünstigungen an gegriffen wurde .95 Selbst ' De clementia' ist derart zu deuten und trotz der starken Adressa tenbezogenheit nur scheinbar ein Fürstenspiegel
für
N ero - ein weiterer
zweckgerichteter Traktat, der als publizierte S chrift anstelle einer nur per sönlichen U nterweisung dieselbe Technik benutzt wie die vorausgegange nen ' C onsolationes ' . Nach fünf Jahren gemeinsamen Umganges muss Sene ca N ero und seinen Charakter längst erkannt haben, muss er gewusst haben, dass sich der jugendliche Wagenlenker kaum durch einen philosophischen Traktat würde beeinflussen lassen. Genauso wie er in der Verbannung seine Mutter privat und ohne öffentl iche Publikation hätte trösten können, wird und muss er primär privat, unmittelbar und direkt, auf N eros Charakterbil dung E influss genommen haben. ' De clementia ' ist höchstens ein sekundä rer Beitrag dazu, eine Schrift für die Ö ffentl ichkeit verfasst, die mit ihrer Widmung an N ero und ihrer Publikation eben diese Ö ffentl ichkeit für einen zusätzlichen Einfluss auf N ero und zugleich eigene Motive auszunutzen sucht. Vordergründig geht es Seneca dabei
um
die öffentliche Verpflichtung
N eros auf ein bestimmtes Regierungsprogramm . N ero soll s ich in der ihm von Seneca auf den Leib geschriebenen Rolle des princeps
clemens gefallen
und um des öffentlichen Beifalls willen diese Rolle künftig auch spielen wollen . Für Seneca ist es eine geschickte, gezielte Form der Manipulation des zu diesem Zeitpunkt noch durch andere positiv beeinflussbaren, gänz l ich unerfahrenen und an tatsächlicher Regierungsarbeit auch nicht beson ders interessierten Kaisers,
um
mit Hilfe anderer, eben öffentlicher Zustim
mung, das zu erreichen, was Nero nicht aus sich heraus und nicht durch ein fache Unterweisung seines Lehrers leisten würde . E ine eigens verfasste philosophische Schrift wäre andernfalls nicht nötig, der tagtägliche vorbild hafte Umgang mit ebenso täglicher mündlicher Ermahnung zu einer maß vollen Form der Regierung hätte
für
N ero genug sein können, hätte bei ent
sprechender charakterlicher Anlage genug sein müssen . Vor allem aber i st es e ine Manipulation der Ö ffentlichkeit selbst, die zu einem kritischen Zeit punkt, unmittelbar nach dem zweiten Mord im Haus des Claudius, ein be95 Siehe auch u. Anm. 1 07 mit benef. 1 ,9,5, vielleicht in der Tat ein weiterer Beleg für Senecas aliter [oqueri.., aliler uiui.<: 'De beneficiis' als Selbstrechtfertigung des innerlich verzweifelten Seneca vor sich wie vor anderen, der aus Gründen der Staatsräson zu Handlungen gezwungen war, die er eigentlich nicht vertreten konnte, der durch die Nie derschrift seines Traktats als eine Art Bekenntnis vor sich selbst Entschuldigung zu fin den suchte. Vgl. überdies zu 'De tranquillitate animi' Maurach ( 1 99 1 ) S. 1 3 1 "Eine Schrift des Kompromisses um der Lebbarkeit des Ideals willen".
Jan-Wilhelm Beck, A liter loqueris, aliter uiuis
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stimmtes B i ld von Seneca erhält ' Oe clementia' ist Senecas eigene Regie rungserklärung, eine programmatische Schrift im eigenen N amen mit dem Grundsatz, ja Versprechen korrekter Ausübung von Macht und Einfluss, die nach einem allgemeinen Gefühl der Angst und schlimmen Erfahrungen durch Machtwillkür vorausgegangener Kaiser, wie sie Seneca am eigenen Leib hat erleben müssen und wie sie die seit Tiberius üblichen Maj e stäts prozesse dokumentieren, auf den einen wesentl ichen Punkt konzentriert ist, den korrekten, verantwortungsbewussten U mgang des Herrschers mit sei nen Untertanen. N ach der Ermordung des Britannicus ist die nach außen getragene
Demonstration der Erziehung N eros zur
clementia Senecas für alle er
Selbstverteidigung und öffentliche Oistanzierung dessen, der kennbar alles dafür tut, N ero auf den rechten Weg zu lenken.96 1m vollkommenen Gegensatz dazu s ind Senecas Tragödien
zu
sehen. Mit
ihrem im Vergleich zur übrigen antiken Tragik berüchtigten Hang zur
atrocitas sind sie kein didaktisches Instrument. Sie bedienen lediglich den entsprechenden Publikumsgeschmack seiner Zeit - eine weitere Form des Andienens und Anbiedems gegen die eigene philosophische Überzeugung. Hätte Seneca allein Affekte, Irrationalität und die verderbliche, unbeein flussbare Macht des Schicksal s anschaulich demonstrieren wollen, hätte er nicht die Regeln der Gattung übertreten müssen.
Ne pueros coram populo
...
hatte Horaz als Gattungsgesetz i n einem seiner Literaturbriefe vorgeschrie ben, der im ersten Jahrhundert n. ehr. gar in den Rang einer ' Ars poetica' erhoben wurde .97 Senecas Medea tötet ihre Kinder auf offener Bühne; ihr blutrünstiges, von Seneca bewusst als solches entworfenes Schauspiel passt bestens zur blutdurstigen Ö ffentlichkeit Aber es steht im schlimmsten Ge gensatz zu seiner eigenen philosophi schen Ablehnung öffentlich demon96 Vgl. Tac. anno 1 3, 1 1 ,2 zu Neros Antrittsrede (Seneea testifieando, quam honesta praeci peret uel, iaetandi ingenii uoee principis uulgahat); mit Verweis darauf auch Fuhrmann ( 1 997) S. 1 94 "Er muß doch seinen Schüler gut gekannt haben, besser als jeder andere: Hat er im Ernst geglaubt, ihn mit seiner Gerechtigkeitsphilosophie beeindrucken und zu einem verantwortungsbewußten Regenten erziehen zu können? Es mag sein, daß ein schier unverwüstlicher pädagogischer Eros ihn noch immer hoffen ließ [ . . . ]. Zugleich aber muß man sich fragen, ob sich Seneca nicht auch an die A ußenwelt gewandt hat: ob er mit der Schrift nicht bekunden wollte, was er aus dem Prinzen und jungen Herrscher nur allzu gern gemacht hätte, ob sie nicht den Erzieher rechtfertigen sollte [ . .. ]". Vgl. ferner Griffin ( 1 976) S . 21 "vigorous self-j ustification", entsprechend Maurach ( 1 99 1 ) S. 37; Rudich ( 1 997) S. 49 ,,[. . . ] may have also served as an experiment in self-persuasion", Ehlers (2002) S. 28 "ein fUr die Öffentlichkeit bestimmtes Propagandainstrurnent der neuen Re gierung". 97 HoT. ars 1 82ff. non tamen intus! digna geri prome..v in seaenam . / ne pueros coram po pulo Medea trueidet! aut humana palam eoquat exta nefarius Atreus! . . . ..
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strierter Bluttaten und seiner Warnung vor deren verrohender Wirkung98 ein Widerspruch zwi schen freiwillig gewählter literarischer Selbstbestäti gung und philosophischer Haltung, der weitaus abstoßender i st als der, der durch ererbten, geschenkten und angeblich alles anständige Maß überstei genden Reichtum entsteht. Dass S eneca es nötig hatte, mit Blut, Mord und Grausamkeit vor seinem Publikum
zu
brillieren, dass er mit seiner Spottsatire einen späten öffentli
chen Triumph über C 1 audius feiern musste, dass er trotz seiner Stellung, seiner Bedeutung
für
Nero und Rom mit ' Oe vita beata ' eine öffentliche
Rechtfertigung gegen die Vorwürfe eines Suillius und seiner anderen Geg ner versuchte, ebenso wie mit ' Oe otio'
für
seinen
secessus, erweist ihn als
wenig souveräne und keineswegs in sich ruhende Persönlichkeit. Statt nei dische, böswillige Kritik mit überlegener Haltung einfach dadurch
zu
zu
übergehen und
zeigen, wie sehr ein Seneca darüber steht,99 hat er mit seiner
Verteidigungs schrift den Vorwürfen erst recht literarische Unsterblichkeit und einen festen Platz in seiner Biographie gesichert. Und statt direkt und offen seine Position darzulegen, ist sein Eingehen auf seine Angreifer im zweiten Teil eines zunächst anders begonnenen Traktats über das glückseli ge Leben verborgen; es wirkt unausgewogen und überscharf in seinen For mulierungen wie bloße Polemik als Gegenangriff, l oo in seiner Argumentati98 Vg\. besonders epist. 7, l ff. ca..u in meridianum ..pectaculum incidi . . . mera homicidia, 95,33f. homo, ..acra re.. homini, iam per lu.. um ac iocum occiditur . . . in hac . . . morum per uer.. itate . . . ; vg\. zudem die ablehnende Ä ußerung dia\. 1 0, 1 3,6 . . . memorabile . . . ..pecta culi genu.. nouo more perdere homine.. . . . Natürlich ist auch dieser Widerspruch längst aufgefallen, wird aber kaum mehr beachtet; vg\. z. B. Sörensen ( 1 977/ 1 984) S. 268 "Viele haben sich darüber gewundert und viele haben gemeint, es tadeln zu müssen, daß Seneca, [ . . . ], in seinen blutrünstigen Tragödien in Grausamkeiten schwelgte", S. 257 "Die seltsame Tatsache, daß der humane Seneca in seinen Tragödien in Blut schwelgt [ ... ]". 99 Vg\. z. B. auch Abel ( 1 985) S. 688 "Die Ö ffentlichkeit [ ... ] durfte [ ... ] von dem Philoso phen Verleumdungen gegenüber eine philosophische, d. h. kühl-gelassene, Haltung er warten; durch seine Erregung leistete der Geschmähte dem Verdacht Vorschub, er fühle sich getroffen", Rudich (1 997) S. 90 "The critics are thoroughly vilified, which suggests a weakness since Seneca, a skilled rhetorician, should weil know the difference between the argumentum ad rem [ . . . ] ad hominem"; anders z. B. Sörensen (1 977/ 1 984) S. 1 53 "Nun verlangte die Stellung selbst eine Verteidigung". Zu Seneca als verstecktem Initia tor des Suilli us-Prozesses vg\. Dyson ( 1 970) S. 74 .. used his position of power to pursue private acts of vengeance", Rudich ( 1 993) S. 28 "Seneca succumbed to one of his many human weaknesses". 1 00 Dia\. 7,1 7 , 1 ex i •ti.•, qui philo..ophiam conlatrant, 1 8, l ff. maligni.... ima capita et optimo cuique inimici.... ima . . . malignita.. . . . i.. ta multo ueneno tineta . . . uiru.. quidem i..tud, quo alios ..pargiti.., quo uos necati.. . . . expectabo ..cilicet, ut quicquam maliuolentiae inuiolatum .. it . . . ? 1 9,2f. ad nomen magnorum ob aliquam eximiam laudem uirorum, ..icut . . . mi nuti cane.', latrati •; expedit enim uobi.. neminem uideri bonum . . . maledici, in alienam •
•
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on über andere aber ein wenig hilflos und schließlich weit überzogen mit der PersonifIkation des viel zu lange redenden Sokrates 1 0 I
-
ein deutlicher,
ausgerechnet in seiner Situation und bei seiner Intention unglücklicher Be leg dafür, wie sehr Seneca selbst sich als Philosoph sehen und als solcher verstanden werden wollte. 1 02 Zudem stört der Bruch in der Anlage des Gan zen; 1 03 es b leibt der negative Eindruck, als habe S eneca eine harmlose phi losophische Diskussion als versteckte Verteidigung begonnen (die stoische
uita beata mit dem ep ikureischen Gegenbild zur Verdeutli
Defmition der
chung, die stoische Güterlehre als innerer Weg zur Unabhängigkeit), dann j edoch die Contenance verloren .
v
Wenn Seneca andererseits in seiner ' Consolatio ad Helviam ' erklärt hat te, dass ihm ohne j eden Ehrgeiz äußere Ämter nicht als wahre Güter gel ten, I 04 gibt es trotz aller Vorbehalte wiederum keinen Anlass, dies nicht zu glauben. Dass er 50, 5 5 n . Chr. schließlich doch noch die Prätur und das
eontumeliam uenusti; vgl. ferner die starke, auffällige Adressatenbezogenheit durch stän dige Verwendung der zweiten Person Plural anstelle einer ruhigen, sachlichen Diskussi on. Abel ( 1 985) S. 688 spricht vom "geifernden Ton mancher Partien", Rudich ( 1 997) S. 89f. "although apology is undoubtedly present [ ... ], it is not explicit [ ... ] a bitter altercation, occasionally on the verge of verbal abuse [ . . . ] excessively violent language". 1 0 1 Dial. 7, 1 8 , l ff. Platon, Epikur, Zenon, Rutilius, Cato, Demetri us, Diodorus, 27,5 Platon, AristoteIes, Demokrit, Epikur; 25,4fT. Sokrates. 1 02 Vgl. z. B. Rudich (1 997) S. 96 "a sapientissimu.v could have hardly pronounced on him self with greater confidence" . 1 03 Fuhrer (2000a) S. 203 fT. versucht einen argumentativen Zusammenhang beider Teile des Traktats zu erweisen (der falschgeleitete Epikureer ohne "double standards", aber mit fal scher Moral; der auf dem richtigen Weg voranschreitende, aber dem Vorwurf der Dop pelmoral ausgesetzte Stoiker). Der auf solches nicht vorbereitete, anders eingestimmte Leser wei ß jedoch nicht, worauf Seneca mit und nach dem ersten Teil hinaus will; er wird eine derarti ge Argumentation kaum nachvollziehen können (vgl. die einleitende, doppelte Ankündigung 1 , 1 f. proponendum est itaque primum, quid sit, quod adpetamu..; tune eir eumspiciendum, qua eontendere illo eelerrime possimu.v . . . deeernatur itaque, et quo ten damus et qua . ; entsprechend bereits im ersten Satz, doch hier noch nicht als Gliederung deutlich . . ad pe11lidendum, quid sit . . . ; adeoque non estfacile eonsequi . . . ) Weitere Dis kussionen bieten z. B. Pohlenz ( 1 94 1 ), Chaumartin ( 1 989), Asmis ( 1 990), MutschIer (1 990). 1 04 Dial. 1 2,SAff. numquam ego fortunae credidi, etiam cum uideretur paeem agere; omnia illa, quae in me indulgentissime eonferebat, pecuniam honores gratiam, eo loeo posui, unde posset sine motu meo repetere. interuallum inter illa et me magnum habui . . . . ego in illis, quae omnes optant, existimaui semper nihil ueri boni inesse. ..
.
.
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Konsulat erreichte, reichlich spät für sein Lebensalter, war ein weiteres Ge schenk Agrippinas bzw. Neros, die Seneca so noch enger an sich b inden und natürlich für ihren N ero einen auch äußerl ich erkennbar erfolgreichen, wichtigen Mann als Erzieher haben wollte . Für Seneca selbst wirkt statt äu ßerlich dokumentierter Karriere ein Streben nach öffentlicher Akzeptanz aufgrund eigener Leistung charakteristisch, eben eine publizistisch-litera rische Ader mit einem Drang an die Ö ffentlichkeit, eine Art Hang sich ein zumischen und philosophisch begründeten Rat zu erteilen; ein für den Au ßenstehenden vielleicht oftmals als lästig empfundener Hang zu moralisie ren, doch für Seneca offenbar sein Verständnis, seine Auslegung einer im stoischen S inne
uita actiua.
Und genau diese zu führen scheint das entschei
dende Charakteristikum seines Lebens zu sein. Zweimal betont er in seinen Traktaten die Notwendigkeit zum möglichst politischen Engagement, wenn er in 'De tranquillitate animi ' und 'De oti o ' ein aktiv zugunsten anderer ge führtes und genutztes Leben fordert, auch wenn dieses schrittweise einzu schränken sein sollte (ut prosit hominibus, si jieri potest, multis, si minus, paucis, si minus, proximis, si minus, sibi) . IOS In Ü bereinstimmung damit hat er sich die letzte Möglichkeit dazu, das Einwirken im Privaten ( illos ad mitte, quos tu potes facere meliores), bis in sein eigenes otium bewahrt und 0 0 .
gemäß seiner Forderung von 'De otio' über den E inzelnen hinaus auf die N achwelt ausgedehnt
(
0 0 .
posterorum negotium ago). 1 06
So lässt s ich gegen das üblich gewordene und hier z. T. bestätigte
loqueris, aliter uiuis
seine echt sto ische Haltung bis hin zur Selbstaufgabe, nung sehen: das Durchhalten neben N ero bis die Notwendigkeit
aliter
in Senecas B iographie gerade ein weiterer Bewei s für
zur
zum
zur
Selbstverleug
letztmöglichen Moment,
Beschönigung seiner Morde um des Staates willen,
der Versuch so lange wie möglich mäßigend e inzuwirken, obwohl die Si tuation für ihn als philosophisch-human gebildeten Menschen längst uner träglich geworden sein muss . Anstelle leichthin verkündeter stoischer The sen, deren Aufrichtigkeit für den realen Seneca zuerst noch zu bezweifeln war, mag allmählich die ehrliche philosophische Aussage als ideeller Ersatz
105 Dia\. 8,3,5 hoc nempe ab homine exigitur, ut prosit hominibus . . . Vgl . auch dia\. 9,4,2-8 si praeualebit fortuna et praecidet agendi facultatem . . . parcius se inferat officiis et cum dilectu inueniat aliquid, in quo utilis ciuitati sit. . . . ojJicia ciui.• amisit, hominis exerceat. . . . numquam enim u..que eo interclu..a sunt omnia, ut nulli actioni locus honestae sit. 06 1 Epist. 7,8 cum hi.• uersare, qui te melioremfacturi sunt, . . . ; entsprechend dia\. 9,7, 1 homi num utique dilectus habendus est, an digni sint, quibu•• partem uitae nostrae impenda mu.•. Epist. 8, 1 gemäß dia\. 8,6,4 quo animo ad otium sapien.. secedit? ut sciat se tum quoque ea acturum, per quae posteri.. prosit.
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Jan-Wilhelm Beck, Aliter loqueris, aliter uiuis
und zumindest theoretische Bestätigung fü r ihn selbst getreten sein - eine dritte Phase in Senecas philosophischer Entwicklung mit dem geistigen Ausleben eines Ideals, das ihm in der Praxis erschwert, wenn nicht unmög lich gewesen wäre. Mit Schriften wie ' De clementia ' , öffentliche Selbst rechtfertigung und vielleicht zugleich Selbsttäuschung, und ebenso mit ' De beneficiis ' konnte er so wenigstens gedanklich vollziehen, was die Wirk lichkeit mit dem mordlüsternen, geldgierigen N ero nicht zuließ. Als realer Politiker im Dienst des römischen Staates hatte er seinen princeps mit Geld geschäften und scheinbarer Profitgier
zu
beeindrucken. Als innerlich über
zeugter Philosoph hatte er keine andere Wahl, als Zinswucher und dessen Folgen zumindest theoretisch abzulehnen und zu verurteilen, 1 07 bis hin zur Rechtfertigung des Tyrannenmordes. 1 08 Die von Seneca in dieser Zeit, seit Ende der 5 0er Jahre verkündeten philosophischen Ideale brauchen trotz al ler Widersprüche zu seinem Leben keine Heuchelei mehr zu sein; sie sind Ausdruck einer unerfüllbaren Sehnsucht, die er seinen öffentlichen Aufga ben und der Möglichkeit, auf N ero einzuwirken, unterzuordnen hatte. Schon ' De tranquillitate animi ' kann in Wirklichkeit den durch die imm er unange nehmer werdenden äußeren Umstände inzwischen haltlos treibenden Ver fasser mit meinen, 1 09 ein erster, vielleicht zweiter Schritt des inneren Rück1 07 Vgl. Grimal ( 1 978) S. 1 09 zur als problematisch empfundenen Aussage benef. 1 ,9,5 "Um dieselbe Zeit, [ . . . ], verurteilt Seneca ausdrücklich diejenigen, die zur Befriedigung ihrer Habsucht keinerlei Bedenken tragen, das Vermögen ihrer Mitmenschen unrechtmäßig an sich zu bringen und so den Frieden zu stören. Die Annahme, er hätte diesen Satz ge schrieben, wenn er selbst kurz vor 61 Geldeintreibungen vorgenommen hätte, [ . ], berei tet Schwierigkeiten. In einem solchen Falle müßte man bei ihm einen Zynismus oder eine Bewußtseinsenge vermuten, die sich schlecht mit dem vertragen, was man von ihm weiß, sowie mit dem, was er uns über sein ernstes Bemühen, seine Lebensführung an den Prin zipien der stoischen Ethik auszurichten, mit unbefangener Offenherzigkeit mitteilt." 1 08 Benef. 7,20,2f. si ex toto desperata eius sanitas fuerit, eadem manu beneficium omnibus dabo, illi reddam; vgl. auch schon elem. 1 ,26, I crudelitatem . . . tyrannorum gentes populi que . . . excindere adgressi sunt. aliquando sua praesidia in ipsos con.mrrexel1mt . . . 1 09 S o ist vielleicht ein Selbstbekenntnis dial. 9,2,9 ubi odio infelicitatis operosae a d otium peifugerunt, ad secreta studia, quae pati non potest animus ad ciuilia erectu., agendique cupidus et natura inquies, parum scilicet in se solaciorum habens; vgl. damit den späte ren Zwang zur Selbstrechtfertigung (u. S. 58f.). Aufrichtig und ein Zeichen von inzwi schen schwer durchlittenem Überdruss ist evtl. auch dial. 9,7, 1 hominum utique dilecfl's habendlL' est, an digni sint, quibus partem uitae nosn'ae impendamus, an ad illos tempo ri.• nostri iactura perueniat , eine Vorwegnahme von epist. 7,8 (0. Anm. 1 06, u. 1 3 8), wie auch 9,8, 1 patrimonia, maximam humana11lm aerumna11lm materiam . . , eine eigene Bestätigung der später von Tacitus formulierten Worte anno 1 4,53, l ff. (0. Anm. 30). Aus drücklich dagegen Griffin ( 1 976) S. 357 Anm. 2 "I have ignored the possibility that Seneca could simply be writing to convince or console himselr'. Die von ihr hervorgeho bene Stilisierung als publizierte Schri ft ist jedoch kein wirkliches Gegenargument. .
...
.
.
Jan-Wilhelm Beck, Aliter loqueri.., aliter uiui..
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zuges als Selbsttherapie. Denn einen ersten Schritt mag bereits ' D e brevitate
oti um . Dieser mag unmittelbar nach dem Entkommen aus dem überreichen, aber wenig geschätzten otium der Verbannung eigenen, neugewonnenen vitae ' ankündigen mit seinem Preis des von Verpflichtungen befreiten
Erkenntnissen entspringen, als sich Seneca zwar mitten im erstrebten Zen trum der Macht befand, doch nun erstmals in seinem Leben mit seiner Tä
tigkeit als Erzieher N eros durch eine Art festen Beruf gebunden war, ohne Herr über sich selbst und seine freie Zeiteinteilung zu sein. Sein für antike Verhältnisse besonderes, ihn als in besonderem Maße human erweisendes Verständnis für Sklaven mag dieser selbsterlebten Form der persönlichen Unfreiheit entsprungen sein. Senecas
uita ist als uita actiua durchaus gelebte Philosophie, und so wird
er, will er sie gewiss auch verstanden haben: Es ist das Leben eines von äu ßeren Umständen bedrängten, ihnen aber nicht erliegenden, möglichst akti ven und nach seinen eigenen philosophi schen Vorgaben lebenden Mannes, soweit sich diese j edenfalls mit den j eweiligen äußeren Zwängen und über geordneten Zielen vereinen l ießen. Es ist sehr bezeichnend, wie der späte Seneca brieflich zweimal von persönlicher Verpflichtung anderen gegen über spricht, die ihn, vom Leid erdrückt, von der scheinbar einfachen Flucht durch Selbstmord abgehalten hat. Wegen seines Vaters ist er nicht vor sei ner Krankheit geflohen, wegen seiner Ehefrau Paulina hat er auch zuletzt noch ausgehaIten. I I O So ist Seneca sein ganzes Leben über als Mensch zu begre ifen, der den ihm geschenkten Platz nach Kräften auszufüllen und zu behaupten sucht, der s ich wie Herkules, das mythische Vorbild der Stoa, trotz widrigster Umstände bewusst zum Weiterleben entschließt. Senecas Fehler freilich war es, nicht erkannt zu haben, dass politische, öffentl iche Tätigkeit in einer Monarchie bzw. tyrannisch dominierten Staats form nicht zu stoisch-moralischen Idealen passte . Pol itik war, ist und bleibt nun einmal ein schmutziges Geschäft, das ohne republikani sche Freiheit kaum Erfolg und Integrität zugleich zuläßt. Die Stoa ist in einer Zeit ent standen, als der Blick ohne Demokratie für alle auf das Streben des Einzel nen nach Eudaimonie und diesbezüglicher praktischer Lebenshilfe gerichtet
110
Epist. 78,2 saepe imperum cepi abrumpendae uitae: patris me indulgentissimi senech,.< retinuit. cogitaui enim non, quam fortiter ego mari possem, sed quam iIIe fortiter deside rare nOIl posset. itaque imperaui mihi, ut uiuerem, 1 04, 1 ff. interdum, etiam si premunt causae, spirihL< ill honorem suorum uel cum tormento reuocandus et in ipso are retinen dus est. . . . ingentis animi est aliena causa ad uitam reuerti . . .
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war. Die Sto iker der folgenden Generationen hatten mit der römischen Re publik e inen anderen Staat vor Augen, der aktives politisches Handeln und moralische Ideale zuließ, wie es die Gestalt des jüngeren Cato par excel lence zu verkörpern scheint. Seneca aber war in einer Zeit um politische, gesellschaftliche Aktivität bemüht, als ein gleichzeitiges stoisches Morali sieren unmöglich mit einem aktiven Leben im engsten Umfeld eines prin ceps vereinbar war. Am Versuch, seinen N ero zu e inem entsprechend philo sophisch-human geprägten Herrscher zu erziehen, die Verwirkl ichung des Platonischen Ideals vom Philosophenkönig, ist Seneca schließlich geschei tert. Selbst wenn Seneca im Innersten noch so sehr stoischer Ethik ver pflichtet und durch diese geprägt gewesen sein mag, als Mensch mit natür l ich menschlichen Fehlern und Schwächen wie Zorn, einer gewissen Eitel keit und Eingebi ldetheit und dem Bedürfnis zu öffentli cher, publizistischer Selbstbestätigung ist er, den Fehlern der großen Masse ausgesetzt, manchen Schwächen und äußeren Einflüssen zwangsläufig erlegen, so wie er es spä ter in seinen B riefen warnend für andere zum Ausdruck bringt. I I I Seneca hat sich vom Blutdurst der Menge anstecken lassen und damit seinen Tra gödien ihre spezielle Prägung gegeben, eine nur scheinbar anspruchsvollere l iterarische Form der Unterhaltung anstelle des öffentlichen Mordens in der Arena, ein unnötiges Bedienen niederer Instinkte. Seneca hat sich vor der Ö ffentlichkeit produzieren, hat allein literarisch dominieren, hat anderes neben sich nicht dulden wollen, wie es sogar mehrfach bezeugt scheint. So ist von Seneca als rhetorischem Lehrer N eros bekannt, dass er streng darauf geachtet haben soll, dass N ero nur förderliche Reden las; ein eigentlich löb liches didaktisches Ziel, das freilich bei Sueton anders motiviert wirkt. Da nach habe er N ero von der Lektüre der alten Redner abgehalten, um ihn länger in Bewunderung an sich selbst zu binden 1 1 2 e ine Notiz, die den -
1 1 1 Epist. 7 , 1 fT. ego ce'1e confitebor inbecillitatem meam: numquam mores, quos extuli, re fero. . . . auan'or redeo, ambitio.\'ior, luxuriosior? immo uero C1'udelior et inhumanior, quia inter hominesfui, 5f. age, ne hoc quidem intellegitis, mala exempla in eos redundare, qui faciunt? . . . nemo nostrum, . . . , ferre impetum uitiorum tam magno comitatu uenientium potest. Vgl. auch dial . 8, 1 ,3 pendemus enim toti e;r alieni., iudiciis, et id optimum nobis uidetur, quod petitores laudatoresque multo.\' habet . . . turba ue.\'tigiorum. 1 1 2 Suet. Nero 52, 1 . . aue,1it . . . ; a cognitione ueterum oratorum Seneca praeceptor, quo diu tius in admiratione sui detineret, entsprechend die Vorwürfe bei Tac. anno 1 4,52,3 obi ciebant etiam eloquentiae laudem uni sibi adsciscere sowie quem ad ftnern nihil in re pu bliea clarum fore, quod non ab illo reperiri credatur (vgl. auch Quint. inst. 1 0, 1 , 1 30 si non omnia .ma amasset); scharf angegrifTen wird Seneca hiertur auch von Petrarca (0. Anm. 20) 1 3 fT. prima hec miseriarum tuarum radix ab animi leuitate, ne dicam uanitate profecta. inanem studiorum gloriam, dure senex, nimi.. mollitel', ne 11Irsu.\' dicam puerili.
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praeceptor
Seneca als eitlen, von seinem eigenen Stil besessenen und damit
problematischen Lehrer zeigt, der nur das eigene Vorbild kennt, der auf eine umfassende , auch mit anderen vergleichende Unterweisung verzichtet und der es nötig hatte, seinen Schüler durch eine erzwungene Form von Bewun derung an sich zu fesseln, die nicht dadurch zustande kam, dass der Schüler die Leistung seines Lehrers durch Vergleich mit anderen selbständig als die Beste begreift, sondern allein dadurch, dass er so lange wie möglich nur die Rhetorik seines Lehrers kennt und diese als ihm folglich einzige bekannte auch als beste bewundern muss. Ebenso bezeichnend ist die Tatsache, dass Tacitus über Seneca als Verfasser von N eros Reden als Alternative
uel ia
ctandi ingenii hinzusetzt,
gleichsam eine Entsprechung zu den später durch ihn überlieferten Vorwürfen. 1 I 3 Angesichts einer derartigen, wohl tatsäch
lich zu vermutenden Eitelkeit ist es umso lobenswerter, dass Seneca diesel be alleinige Dominanz nicht auch als
amicus principis
in einer entsprechen
den Machtposition ausleben musste, dass er andere wie Burrus neben sich akzeptierte, dass er seit 50 n. ehr. zwar keine persönliche, wohl aber politi sche Zurückhaltung und Bescheidenheit üben konnte . Zu verstehen mögen Senecas spezielle Schwächen durch die vorausgegangenen Jahre der Krank heit sein, durch seinen schon ganz früh einmal erzwungenen Rückzug auf sich selbst an statt eines normalen Lebens mit einer normalen Karriere und normalen Erfolgen. Es mag durchaus sein, dass Seneca mit öffentlichen Er folgen und seiner aufgrund eigener geistiger bzw. rhetorischer, publizisti scher Leistung erreichten Beliebtheit die vorausgegangene erzwungene In aktivität hat kompensieren wollen. 1 14 Senecas entscheidender Fehler aber war es, bereits i n seinen frühen Phi losophica wie ein Lehrer und selbst ernannter Philosoph aufzutreten - eine gewiss leicht in der römischen, philosophisch unerfahrenen bzw. desinteres-
ter, concupi.
55
Jan-Wilhelm Beck, A liter loqueris, aliter uiuis sierten
Ö ffentlichkeit
einzunehmende Position, die ebenso leicht als die ei
nes selbstgefaJligen Tugendpredigers missverstanden werden konnte . 1 1 5 Und selbst wenn er immer wieder betont, j a sich ausdrücklich damit vertei digt, kein Weiser
zu
sein und auch niemals diesen Anspruch erhoben
zu
ha
ben - etwa für Griffm der entscheidende sympathische Zug, der allein die kritisierte Diskrepanz erträglich werden läßtl 1 6 -, bereits durch die Tatsache des Dozierens und das Einnehmen einer überlegenen Haltung, die Rat für andere zu erteilen weiß, musste zwangsläufig der Eindruck entsprechender moralischer Ü berlegenheit bzw. Ü berheblichkeit entstehen. 1 1 7 Senecas Fehler ist folglich ein zu großes Selbst- und Sendungsbewusstsein als Sit tenprediger, sein
zu
hoher Anspruch, als Philosoph zu gelten, was mit seiner
zuerst bis 5 0 n . Chr. gezielt gesuchten, dann seit 50 n . Chr. erzwungenen und ausgelebten öffentlichen Rolle einfach nicht vereinbar war. Zudem zeigen sein Leben und die heute noch erkennbaren vielfaltigen Interessen, dass Seneca die Philosophie zwar selbst als Halt gebraucht hat. Er hat sie j edoch bis
zum
Ende der 50er Jahre nicht ausschließlich und auch
nicht als Selbstzweck in den Mittelpunkt seines Lebens gestellt. So hat er auch nicht eine bestimmte Lehre über mehrere Werke verteilt entworfen. Widersprüche und unterschiedl iche Akzentsetzungen sind in der Forschung längst aufgefallen und durch unterschiedliche Anlässe, Aktualitäten und Adressaten erklärbar, so dass der einzelne Traktat zwar im Rahmen der Stoa zu sehen, doch aus der speziellen Situation für sich zu verstehen ist. 1 1 8 1 1 5 Vgl. z. B. die Beurteilung von Knoche ( 1 933) S. 1 3 "Die Berechtigung zur Kritik, zur Idealsetzung und Umwertung entnimmt Seneca seinem Beruf, dem Beruf des Philoso phen, wie er ihn auffaßte. Schon dies ist bemerkenswert, daß er, ein römischer Adliger, Philosophie überhaupt als einen Beruf proklamiert"; problematisch dann abschließend S. 25 "Die Haltung entnimmt Seneca seinem Beruf, indem er als römischer Philosoph die Ars vitae beispielhaft vorlebt [ . . . ]. Ebenso sucht er seine Lehre in erster Linie durch eige nes Beispiel zu vermitteln". 1 1 6 Griffin ( 1 974/2008) S. 33/57 "This frankness and modesty about his own moral achieve ments throughout his works is the only effective answer to the charges of hypocrisy and the only one Seneca himself ever offered". 1 1 7 Vgl. z. B. Cancik (1 967) S. 1 5 "Senecas erzieherische Absicht ist in allen seinen Schrif ten zu offenkundig, als daß man sie hätte übersehen können", Griffin ( 1 976) S. 3 "The role in which Seneca casts himself: a teacher of morals and a healer of minds", Maurach ( 1 99 1 ) S. 70 "Schon in der frühesten der erhaltenen Schriften ist Seneca [ . . . ] ein Beleh render", Veyne (2003) S. 1 25 "a well-hidden taste for authoritarianism, a delight in go verning the consciences of others". I 1 R Vgl. besonders Griffin ( 1 976) S. 12 "contradictions from work to work, [ . . . ], have 10 be explained as changes of opinion explicable by changes in his own situation". Wenn Grif fin etwa in seinen Aussagen über "political participation" keine klare Linie erkennt (S. 3 1 5 ff.), ist Senecas Philosophie eben nicht als unreflektierte Verkündung reiner Theorie
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Seneca hat, anders als Cicero, Zeit seines Lebens mit philosophischen Schriften als praktischer Philosoph gewirkt, doch bis zu seinem Rückzug in den Ruhestand ist seine philosophische Lehre für ihn nur Beiwerk, nie In halt und Zweck seines Lebens gewesen. Und so ist auch sein verzweifelt erscheinendes Streben begreitbar, der korsischen Verbannung trotz der
für
philosophische Studien idealen Zurückgezogenheit zu entkommen. Für ein Leben allein seinen
studia
wird sich der Seneca dieser Jahre noch zu j ung,
zu aktiv vorgekommen sein, " 9 zumal nach den vorausgegangenen Jahren eines gleichsam ägyptischen Exils. Es ist nicht e in unwirtliches Korsika selbst, sondern die erzwun gene Inaktivität ohne ein tätiges öffentliches Wirken, der Seneca zu entfliehen sucht. Seneca selbst spricht sich tadelnd gegen eine bloße Schullehre aus
(non uitae, sed scholae discimus); er lobt (non ex his cathedrariis
einen seiner Lehrer als praktischen Philosophen
philosophis, sed ex ueris). 1 20
Und genauso, als wahrer Philosoph mit echten
Aufgaben und Leistungen, mit echter Bewährung im Leben anstatt bloßer
studia inutilia
wird Seneca sich haben beweisen wollen.
Zu sehr geprägt durch die erhaltenen Werke, vor allem seine philosophi schen Schriften, ist somit unsere S ichtweise zu korrigieren. Trotz der kor rekten Forderung "Seeing S eneca Whole" - so der Titel eines jüngst er schienenen Sammelbandes l 2 l - scheint der Blick moderner Interpreten nur selten Seneca wirklich insgesamt zu gelten. U nser Zugang i st in der Regel zu einseitig, zu eingeschränkt und stellt zu sehr den schriftstellernden Philo-
zu verstehen, sondern als Ausdruck seiner jeweiligen und notwendigen Anpassung an unterschiedliche Lebenssituationen, aus denen er mit Hilfe seiner Philosophie als Halt jeweils das Beste zu machen suchte. Vg\. auch Grilli ( 1 998) S. 19 "due aspetti fonda menlali, fortemente contrastanti: un 'aspirazione contemplativa e un'ambizione politica", Dionigi (200 1 ) S. 8 ff. mit einer dreifachen Diskussion von ,,Actio e contemplalio", "Senno e vita", "Vita brevis, vita longa". 1 1 9 Vgl. die eigene Gegenüberstellung einer uita actiua und passiua in der Trostschrift an seine Mutter, dia\. 1 2 , 1 8,2f. alterius fili dignitate, alteriu.• quiete . . . ad tranquillam quie tamque uitam . . . potes alterius dignitate de/endi, alterius otio frui. 1 20 Epist. 1 06 , 1 2 , dial . 1 0, 1 0, 1 . 1 2 1 VolkIWiJliams (2006) mit einem entsprechend überschriebenen, aber enttäuschenden Aufsatz von Tarran!. Vg\ . jedoch die etwas zu weit gehende Zusammenfassung von Ker S. 40f. "Scholars have traditionally been reluctant to view Seneca holistically because of the presupposition that his moral philosophy sets a code of behavior which ftnds his other writings and activites wanting. [ . . . ] There is much 10 be said for a content-neutral ap proach to Seneca's studia, in which his accomplishmenls in the area of philosophy are viewed as simply coordinate to his other accomplishmenls in the writing of tragedies, in politics, in economics".
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sophen in den Mittelpunkt. Auch wenn dies Senecas Selbststilis ierung ent sprechen mag (vgl. vor allem ' D e vita beata' mit Sokrates als seinem Ver teidiger, vgl. den Todesplan mit Sokrates als Vorbild), tatsächlich ist es erst die rückblickende Rezeption zumindest seit den christlichen Schriftstellern des zweiten Jahrhunderts n. ehr. , die Seneca zum Philosophen schlechthin erhoben hat, wie es die ihn mit Sokrates vereinende Doppelhenne auch äu ßerlich symbol isiert. 1 22 Für die zeitgenössische Ö ffentl ichkeit des ersten Jahrhunderts war Seneca Philosoph dagegen nur im Privaten, nicht aber in seiner Funktion als
amicus principis.
Als philosophischer Lehrer und Bera
ter des Kaisers war er gerade nicht engagiert. 1 2 3 Für Quintil ian ist er ein uni verseller Literat. 1 24 Und diesbezüglich ist auch der durch Tacitus bewahrte Vorwurf des mit Nero konkurri erenden
carmina crebrius factitare carmina
Maße bezeichnend . 1 2 5 Denn wenn mit den kritisierten
in hohem die zeit
aufwendigeren Tragödien gemeint sind, doch auch im Falle anderer uns ver lorener Dichtung, ist damit eine allgemein literarisch- interessierte Ausrich tung Senecas dokumentiert, der seine kostbare Zeit bis zum Ende der 5 0er Jahre keineswegs für seine philosophischen Werke und die durch diese pro pagierte philosophi sche Arbeit an sich selbst aufgespart hat. Wenn man heute in den Tragödien allein den Philosophen Seneca mit philosophi schen Zielen sucht, wird dies ihrem vielseitigen, aktiven Autor kaum gerecht eine der zentralen Fragen der Forschung nach der Funktion der Tragödien als phi losophische Lehrstücke etwa für N ero oder als anschauliche Belege für die verderbliche Wirkung der Affekte. 1 26 Die Antwort auf Senecas Mo-
1 22 Boethius cons. 1 ,3 ,9f. nennt Seneca ganz selbstverständlich neben Sokrates als Märtyrer. 1 23 Vgl. Tac. anno 1 4 , 1 6,2 mit anderen ,mpientiae doetore.. , Suet. Nero 52,1 für Agrippinas und Neros skeptische Haltung zur Philosophie (auch O . Anm, 26). 1 24 Quint. inst. 1 0, 1 , 1 28ff. ; Habinek (2000) S. 291 beachtet die entsprechende Häufung: multae et magnae uir/utes, omnem materiam, multae clameque ..ententiae, nmlta morum gmtia, multa prohanda, multa admiranda.
1 2 5 Tac. anno 1 4,52,3 . . . po.. tquam Neroni amor eorum uem:""et, siehe 0, Anm. 1 5, 1 1 2, Zur Rechtfertigung Senecas als Teil seines didaktischen Konzepts vgl. z, B. Sörensen ( 1 977/ 1 984) S. 1 6 1 "Das braucht nicht zu bedeuten, daß er, [ . . . ], den Kaiser übertreffen wollte, sondern könnte eher ein Zeichen dafür sein, daß er ihn in seinen poetischen Neigungen bestätigte" . 1 26 Vgl. die bekannte, heute vielfach auf Senecas Dramatik übertragene Aussage epist. 6,5 longum ite/' est per praecepta, hreue et eJjicax per exempla. Dass die Tragödien erst in seinen letzten Lebensjahren entstanden sein könnten, scheint angesichts der im Folgenden vorgetragenen Gedanken ausgeschlossen. Vermutete aktuelle Bezüge gegen Claudius ebenso wie gegen Nero sind durch die Natur des Tyrannendramas bei jeder Form tyranni scher Alleinherrschaft vorgegeben und nicht notwendig Beleg für einen entsprechenden zeitlichen Ansatz.
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tivation hat indirekt bereits die antike Literaturkritik gegeben, wenn Quinti lian in seinem Ü berblick Seneca als Mann mit nicht nur vielseitigen, son dern allumfassenden Interessen an B ildung, Literatur und
studia
schlechthin
bestimmt, die sich auf eine aktive Teilnahme am öffentlichen, d. h. literari schen Leben in nahezu allen Bereichen erstrecken
fere studiorum materiam
(tractauit etiam omnem
"A Man of Many G enres", gemäß dem Titel ei nes neuen Aufsatzes von Ker) l 2 7. So hat Seneca seine Tragödien primär aus -
Interesse am Dichten, am Wirken vor Publikum geschrieben. Sie haben philosophische Prägung, weil ihr Verfasser von stoischer Philosophie ge prägt war, nicht weil er mit ihnen stoische Philosophie verbreiten wollte. Unlängst hat Levick provozierend, aber durchaus mit Recht die bekann te, bereits oben zitierte Titelformulierung Griffms ("A Philosopher in Poli tics") umgedreht und Seneca scheinbar als "a politic ian" abgewertet, "who happened also to be a philosopher" ; 1 28 hier ist ein wenig zu präzi sieren : Die Grundlage, die ihn und sein Handeln bestimmt, i st Senecas philosophische Prägung. Eben diese verlangt pol itische Aktivität. Seneca ist sehr wohl als bekennender Philosoph in der Politik; er ist Politiker, weil dies sein philo sophisches Selbstverständnis von ihm verlangt, wie die bereits herangezo genen Aussagen aus 'De tranquillitate animi ' und ' De otio ' belegen. Dass Seneca eine eigene Schrift über die Muße verfasste, ist ebenso wie das entsprechende Briefpaar, ein autobiographisches Bekenntn is als nach getragenes Prooem seines Epistelcorpus, 1 2 9 überaus bezeichnend und be zeugt, wie sehr er unter seinem
secessus
gelitten haben muss. Wenn er seine
künftige, ausschließlich literarische Tätigkeit mit der expliziten Betonung des posterorum negotium geglaubt hat rechtfertigen zu müssen, 1 30 sind dies 1 2 7 Siehe o. Anm. 1 24; Ker (2006) S. 1 9 "Seneca's may j ust be the most diverse corpus of writings that survives of any author in classical antiquity"; der Ansatz ist wichtig, die Folgerungen S. 3 5 ff. mit einer kaum zulässigen Parallelisierung von "economic langua ge" und "moral economy", wirtschaftlicher Konzentration zur Gewinnmaximierung auf seinen Gütern und entsprechender "restricted textual economy" sind allerdings zweifel haft und durch die eingangs betonte literarische und sprachliche copia Senecas widerlegt. 1 28 Levick (2003) S. 2 1 1 "Iess as a philosopher in politics than [ ... ]", unlängst bestätigt von Ker (2006) S. 4 1 . 1 2 9 Wie i n 'Oe vita beata' mit dem unerwartet autobiographischen zweiten Teil ist damit auch im ersten Epistelbuch die entscheidende Aussage im eigenen Namen nachgetragen und hinter zunächst anderer Thematik versteckt, bis der Leser 'eingefangen' ist. 1 30 Dial. 8 , 1 . 1 proderit tamen per se ipsum secedere: meliores erimus singuli, epist. 8 , 1 -6 in hoc me recOIldidi et fores clusi, ut prodesse pluribus possem. nullus mihi per otium dies exil . . . si haec mecum, si haec cum posteris loquor, non uideor tibi plus prodesse . . . , vgl. auch 2 1 ,5 hoc tibi promitto . . . : habebo apud posteros gratiam, possum mecum durotura
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weitere Zeugnisse für Senecas publizistisches Streben nach Ö ffentlichkeit, über die er, ohne genug innere Souveränität, Selbstbestätigung bzw. Selbst verteidigung zu finden suchte. N ach der erzwun genen Ruhe der frühen Krankheit, nach der erzwungenen Verbannung hatte sich ein letztes Mal ein
erzwun gener, nun altersbedingt ausreichend verständlicher 1 3 1 und nicht not
wendig öffentlich und sogar mit einem eigenen Traktat zu verteidigender Rückzug auf rein Privates und damit andere M aximen im Leben ergeben, die den überzeugten Stoiker in engste N ähe zur epikureischen Konkurrenz treten ließen. Die Beschränkung auf sich selbst und einen engen Freundes kreis, wie sie etwa der 7 . Brief verlangt
(recede in te ipse, quantum potes
. . . ) und der 8. mit seiner so bezeichnenden Kritik ausdrücklich unterstreicht
(ubi illa praecepta uestra, quae imperant in actu mori), 1 32
sind zentrale epi
kureische Gedanken, wie sie in seinem Spätwerk nun verstärkt zu finden sind. So hat der späte Seneca unter schmerzlichen Erfahrungen lernen müs sen, dass die Lehren Epikurs nicht einfach als die eines inaktiven G egners abzutun sind, sondern dass es die Lebensumstände sind, die selbst einen er klärten Stoiker zu einer epikureischen Lebensweise des
bene latere zwingen
können. Es muss für Seneca eine bittere Erkenntnis gewesen sein, wenn er unter dem großen äußeren Druck seiner eigenen Zeit hat begreifen müssen, wie sehr die Lehre des großen Konkurrenten Epikur in bestimmten, eben durch die äußeren Umstände vorgegebenen Lebenssituationen ihre B erech tigung hat. Das wiederholte Zitieren, ja sogar Bestätigen epikureischer Lehr sätze ist somit nicht nur auf seinen epikureisch geprägten Adressaten Luc i lius oder den Wunsch zurückzuführen, mögliche Leser nicht mit einer zu dogmatisch-stoi schen Ausrichtung zu verschrecken ; zugleich liegt ein ge steigertes eigenes Interesse zugrunde, sich mit Ep ikur auseinanderzusetzen. Zum rei n literarisch tätigen Philosophen und Schriftgelehrten, wie man ihn aufgrund seiner bedeutenden Werke heute in der Regel zu schätzen ge wohnt ist, wird Seneca erst in seinen letzten Lebensj ahren, d. h. vor allem
nomina educere, 79, 1 7 paucis natus est, qui populum aetati., suae cogitat. multa annorum milia, multa populorum superuenient: ad illa respice . . . 1 3 1 Vg!. Seneca bei Tacitus anno 1 4,54,2 f. i n hoc itinere uitae senex . . . pos.mm/L' seniores amid quietem reposcere. 1 32 Epist. 7,8, 8, 1 ; dia!. 8, 1 ,4 'quid ais, Seneca? deseris pm·tes? cerle Stoici uestri dicunt: '/L'que ad ultimum uitae finem in actu erimIL', 1I0n desillemlL. communi hono operam dare . . . '. Vg!. auch dia!. 9, 1 4 , 1 faciles etiam nos jacere dehemus, ne nimis destinatis I'ehus in dulgeamus transeam/L'que in ea, in quae nos casus deduxerit . . . , epist. 68, 1 2 multa enim, quae superuacua esse et inimica credituri fuimus rationi, nUllc experientiae credim/L', 7 1 , I consilia enim rehus aptalltur; res nostrae .!eruntur, immo uoluuntur sowie zuvor benef. 4,38,2 1I0n est tulpe cum re mutare consilium.
Jan-Wilhelm Beck, Aliter [oquen.., aliter uiui..
60 seit seinem
secessus
-
die vierte und letzte,
für
Senecas philosophisches
Wirken und Weiterleben entscheidende Phase. Waren seine philosophischen Schriften, so scheint es, zunächst zumeist an äußere Anlässe gebunden, 1 33 wird erst j etzt die philosophische Schriftstellerei
zum
eigentlichen Mittel
punkt seines Lebens. Erst j etzt, erst seit den 60em ist er
um
eine systemati
sche Aufarbeitung in philosophischen Großwerken bemüht, wie es die ' N a turales quaestiones' und die geplanten ' Moralis philosophiae libri ' bezeu gen; an die Stelle des rasch hingeworfenen Einzeltraktats tritt somit das langwieriger, konzentrierter erarbeitete, erschöpfende Ganze . Daneben sind die ' Epistulae morales' für ihn tägliche Begleitung und damit zugleich Pro treptik für andere wie auch ein philosophisches Tagebuch für ihn selbst, das ihm mit den einzelnen B riefen und deren sukzessiver, buchweiser Publika tion täglich die Bestätigung vollbrachter, philosophischer Leistung gegeben hat.
VI Als es schließlich so weit war, war Seneca vorbereitet. Er wollte einen großartigen Tod sterben, einen echten Philosophentod nach dem Vorbild des Sokrates - eine letzte Selbstinszenierung gemäß seinem Hang
zur
Theatralik. Seneca wusste längst, dass N ero inzwischen auch ihm nach dem Leben trachtete; Tacitus bezeugt vorausgegangene Mordversuche. 1 34 Es ist denkbar, dass Seneca auf ein offizielles, öffentliches Ende gehofft hatte, auf einen Scheinprozess mit der Ge legenheit zu einem letzten großen Auftritt und einer echten Verurteilung wie bei Sokrates, der am Ende seines Lebens zu seinen Prinzipien stand und furchtlos den Schierlingsbecher akzeptierte . Auf j eden Fall hatte Seneca das G ift des Sokrates bereits
zur
Hand; dies
(prouisum pri dem uenenum, quo damnati pub/ico A theniensium iudicio extingueren tur). 1 3 5 Und so hat man selbst hier, selbst im Moment seines Todes gescheint nach dem Bericht des Tacitus eine Tatsache zu sein
1 33 So betont etwa Lefevre ( 1 990) S. 1 49, dass "Seneca fast durchweg nicht nur eine geistig moralische, sondern auch eine gesellschaftlich-politische Wirkung beabsichtigte", ( 1 994) S . 1 1 3 "o ffenbar stets eines politischen Anlasses bedurfte, eine Philosophische Schri ft zu verfassen". Zur literarischen Entwicklung Senecas von dialogi zu epi..tulae vgl. Mut schIer ( 1 995) S. 85 ff. 1 34 Tac. anno 1 5,45,3 uenenum . . . paratum ius.• u Neroni.. ; die Sterbeszene anno 1 5,60,2 ff. sequitur caede.. A nnaei Seneca . , die des Sokrates Platon Phaidon 1 1 4D- 1 1 8 . 1 35 Tac. anno 1 5,64,3. . .
61
Jan-Wilhelm Beck, A liter loqueris, aliter uiuis glaubt, Seneca tadeln
zu
müssen; d i e Forschung hat nach wie vor Zweifel
an der Aufrichtigkeit der G lorifizierung, die die Darstellung des Tacitus bie tet. ' 3 6 Doch gerade hier i st Seneca in Schutz zu nehmen, e in letztes Mal in seinen letzten Momenten im Leben. Denn liest man genau, hatte Seneca den kritis ierten theatralischen Sokrates-Tod nur geplant, nicht aber im tatsächli chen Augenblick auch in die Realität umsetzen wollen und einen weniger dramatischen Tod versucht; in der Forschung wird dies in der Regel zu we nig beachtet. 1 37 N ach Tacitus ist es j edoch eindeutig. Seneca wollte einen normalen, einen römischen Tod durch Aderöffnung sterben, ein allmähli cher Tod im engen Kreis seiner Vertrauten, Freunde und Schüler, gemäß seiner eigenen Empfehlung vom Umgang mit allein wenigen ausgesuchten Freunden . 1 3R Dass es dabei auch
zu
letzten philosophischen Worten und ei
nem philosophischen Bekenntnis kommen sollte, ist nicht anders
zu
erwar
ten und darf keinerlei Anlass für Tadel bieten. Störend ist allein eine be wusste Imitation des Sokrates, und eben auf diese hatte Seneca trotz ur sprünglicher Planung verzichtet. Das vorbereitete Gift des Sokrates ist le digl ich unbeabsichtigt und als zusätzliche, notwendige Hilfe zur Anwen dung gekommen, als das Sterben durch Aderöffnung allein angesichts des geschwächten körperlichen Zustandes nicht zum Erfolg führte
(interim, du-
1 3 6 Vgl. o. Anm. 6, vgl. z. B. Rudich ( 1 993) S. 1 1 0 "he knew that he had arrived at his finest hour, where his teaching and his conduct could finally merge in hannony. Furthennore, he was aware that appropriate behaviour at such a moment would immortalize hirn in hi story, serving his memory perhaps even better than any of his writings", Schönegg ( 1 999) S . 20 "Tacitus kann sich rur Senecas Persönlichkeit, für seine Philosophie, für seinen Freitod nicht wirklich erwännen. Die Schilderung des Hergangs wirkt angestrengt, nicht das hellstrablende Licht einer heroischen Tat" - eben gemäß dem qualvollen Ablauf und damit ohne alle übertriebene, ironisierende Verherrlichung; vgl. auch S. 43 "Seneca hat sein Sterben nicht inszeniert, sondern künstlerisch gefonnt". 1 37 So etwa bei Griffin ( 1 976) S. 369ff. , Habinek (2000) S. 273ff.; nur teilweise korrekt auch Knoche ( 1 933) S. 25 ,,keine theatralische Pathetik [ . . ], sondern Verwandtschaft in der Überzeugung", Gnilka ( 1 979) S. 10 ,,Daß Seneca hier das Vorbild des von ihm selbst oft gefeierten Sokrates nachahmte, steht außer Zweifel", Fuhrmann ( 1 997) S. 3 1 7 "Man spürt die bewußte Haltung, das Eingeübte, Vorbereitete, man glaubt sogar etwas Theatralisches darin zu bemerken. Seneca weiß, wie sehr es j etzt auf sein Verhalten ankommt; er stellt seinen Tod zur Schau", Rudich ( 1 997) S . 1 06 "an apparent effort to imitate Socrates", Zimmennann (2005) S. 266 "Mit dem rür die Nachwelt inszenierten Tod stellt sich Sene ca ganz bewußt in die Nachfolge des Sokrates". Zu weit geht Mayer ( 1 99 1 12008) S. 1 42/300 mit der Annahme einer Überbietung des Sokrates ("Seneca aimed to outstrip Socrates in this particular: whereas Socrates sent his wife [ . . . ] away, Seneca not only al lowed Paulina to be present, he even consented to her earnest wish to die with hirn". Maurach ( 1 99 1 ) S . 46f. vennutet, die Todesart könnte befohlen sein. 1 3 8 Immer wieder zu verweisen ist auf epist. 7,8 cum his uer.mre, qui te meliorem facturi sunt; illos admitte, quos tll potes facere meliores. .
Jan-WiJhelm Beck, Aliter loqueris, aliter uiuis
62
rante tractu et lenitudine mortis).
Auch was nach dem Bericht des Tac itus
dann geschah, ist kaum als ein geplantes, theatralisches Sterben abzuwerten: Wegen der weiteren Schwächung durch den Blutverlust, konnte auch das Gift nicht richtig wirken
(. . . frustra . . . ).
Seneca wurde ins Bad getragen und
dort inmitten der heißen Dämpfe letztlich erstickt 1 3 9 - ein qualvolles, grau sames und keinesfalls koordiniert oder inszeniert ablaufendes Ende in drei Etappen. Mit dem Bespritzen von Sklaven und der Weihung an Jupiter Li berator mag ein weiteres Sokratisches Moment einbezogen sein, dessen Weihung eines Hahnes für Asklepios; eine wahrscheinlich rituelle, aber spontane, nicht geplante, nicht inszenierte und so keineswegs derart signifi kant Sokratische Handlung, wie es modeme Interpreten annehmen wol len. 1 4O Dass dieselbe Weihung von Thrasea Paetus vorgenommen bzw. auf genommen wurde - unabhängig oder vielleicht gar als absichtliche Imitati on Senecas -, ist e in eindeutiger Beleg dafür, dass in der Antike an Senecas Sterben nichts als anrüchig empfunden wurde . Auch heute ist folglich sein Tod nicht
zu
kritisieren.
1 3 9 Tac. anno 1 5, 64,4 postremo stagnum calidae aquae introiit, respergens proximo.• seruo rum, addita uoce, libare se Iiquorem illum loui Liberatori, exim balneo inlatu.. e/ uapore eius exanimatu.•. Korrekt gegen Kritik an angeblicher theatralischer Inszenierung auch Koestermann ( 1 968) S. 307 "Eine solche Auslegung einem Manne gegenüber, der bereits völlig ausgeblutet war und das Ende herbeisehnte, kann man nur als im höchsten Maße unbillig bezeichnen". 1 40 Vg!. im Gegenteil Williams ( 1 978) S. 1 44 zur rituellen Anrufung von Jupiter Liberator als "a very ancient concept". Mit der Wahl Jupiters hat Seneca folglich ein weiteres Mal auf eine direkte Sokrates-Imitation verzichtet. Zu vergleichen ist mit dem gelassenen Tod des Canus. dia!. 9, 1 4,7f. : ... tristes eran/ amici talem amissuri uirum. 'quid maesti ', in quit, 'es/is? uos quaeritis. an immortales animae sin/; ego iam sciam. ' nec desiit uerita /em in ipsofine scrutari et ex morle sua quaestionem habere ' "
63
Jan-Wilhelm Beck, Aliter loqueris, aliter uiuis
VII Wenn Tacitus einem solchen Mann wie Seneca den Verweis auf die
imago uitae suae
als bleibendes Vermächtnis in den Mund legt, darf dies
auf j eden Fall wie eine Formulierung wirken, die der echte Seneca seinem eigenen, speziellen Selbstverständnis nach
Leben hätte
verwenden können - eine
für sich und sein uita per uirtutem acta, wie Tacitus
selbst erläu
ternd hinzuzusetzen scheint und wie es Senecas Definition einer
uita beata
in seinem gleichnamigen Traktat mit eindringlicher Betonung der uirtus entspricht 1 4 1 Als Mann, der Zeit seines Lebens nach Aktivität strebte, e in rastloser Geist, der sich niemals auf seinen Reichtum und eine epikureische zurückgezogen hat, 1 42 der dem Druck des Schicksals in mehre
uita passiua
ren schwierigen Lebensphasen nicht nachgegeben, der nicht aufgegeben hat, der auf materielle Äußerlichkeiten verzichten konnte und seine Pflicht erfüllt hat, solange und so gut es ging, kann Seneca sein Leben als vorbild haft empfunden haben. Und in der Tat, diesbezüglich ist er zu loben und keineswegs neidisch, kleinlich, verächtlich zu kritisieren. Gerade die B io graphie Senecas mit seiner über ein bloßes Schrifttum hinausgehenden Le benslei stung in den 5 0er Jahren, mit Erfahrungen und Entbehrungen, ist es, die Respekt verlangt und die Bedeutung seiner späteren philosophi schen Aussagen steigert. 1 43 1 4 1 Vgl. z. B. als Ergebnis dial. 7, 1 6, 1 ff. ergo in uirtute posita est uerafelicitas . . . . 'uirtus ad beate uiuendum s�Uicit? ' perfecta illa et diuina quidni sufficiat, immo superfluat? und gegen Ende 26,7 suspicite uirtutem. 1 42 Senecas Diskussion der großen Stoiker in ' Oe otio' zeigt, was flir ihn im Leben entschei dend ist (dial. 8,6,4f. quaero, an ex praeceptis suis uixerint Cleanthes et Chrysippus et Zenon, bezogen auf ein prodesse hominibus und Forderungen wie 3 ,2 Zenon ait 'accedet ad rem publicam [sc. sapiens], nisi si quid impedierit '); vgl. sein eigenes Gegenbeispiel des reichen Vatia epist. 55,3 ille praetorius diues, nulla alia re quam otio notus . . . ille latere sciebat, non uiuere; multum autem interest, utrum uita tua otiosa sit an ignaua so wie gegen epikureische Muße dial. 1 0 , 1 2,2ff. . in uil/a aut in lecto suo, in media solitu dine, quamuis ab omnibus recesserint, sibi ipsi molest; .mnt; quorum non otiosa uita dicenda est, sed desidiosa occupatio . . . iners negotium. 1 43 Zu bestätigen ist somit die Bewertung von Rozelaar ( 1 976) S. 344 "Das Bild, das uns von Seneca als Staatsmann bleibt, ist das eines ausnehmend begabten und humanen Regenten, eines Mannes, der in stoischem Sinne seine Aufgabe bis zum Ende erfüllt, der allen Schwierigkeiten, aller Anfeindung und aller Enttäuschung zum Trotz standgehalten und seine gesamten Kräfte dem grossen Unterfangen dienstbar gemacht hat: der Menschheit zum Segen zu sein"; vgl. daneben z. B. Busch ( 1 96 1 ) S. 1 54 "Was er [ur sich selbst er rungen hatte, schrieb er zur Lehre [ur andere. [ . . . ] hier spricht die Lebenserfahrung eines Menschen, den die Philosophie gelehrt hatte, gegen die lebensbedrohende Willkür der . .
Jan-Wilhelm Beck, Aliter loqueri.., aliter uiui..
64
Fragt man nun, wie es Senecas
imago uitae
zu
einer derart eingängigen Formulierung mit
kommen konnte, so mag sie ein genialer Gedanke des
Tacitus oder seiner Vorlage gewesen sein. Sie kann aber genauso gut auf Senecas Selbststilisierung zurückgehen. Tacitus verzichtet auf eine wörtli che W iedergabe der tatsächlich letzten Worte Senecas als ohnehin gut ge läufig; er kann und muss Senecas Tod und dessen letzte Momente als all gemein bekannt voraussetzen. Das bedeutet zugleich, dass der Gestaltungs spielraum des nur ca.
60
J ahre später schreibenden Historikers einge
schränkt war. Dass er bei einer derart diskutierten, umstrittenen Persönlich keit wie Seneca gegen die vorgefundene
Ü berlieferung
selbst ein fulminan
tes Ende erfunden hat, i st nicht sehr wahrscheinlich . Er wird seine Darstel-
Machthaber und die Macht der Fortuna die Kraft seines Geistes einzusetzen", Trillitzsch ( 1 97 1 ) S. 1 8 "eine Persönlichkeit, die mannigfache innere Widersprüche und charakterli che Fehler und Schwächen mit bedeutenden Vorzügen und glänzenden Geistesgaben ver einte", Motto (1 973) S. 41 "we are meant to be left in no doubt but that this [ . . . ] is indeed the vast wealth of Socratic, Catonian, and Stoic tradition", Maurach ( 1 99 1 ) S. 8/1 8 l ff. "er schweigt über sein Leben und Erleben so gut wie ganz. Er hat offenbar seine Vita im Sin ne des bloß Biographischen geringgeachtet und fUr unwert befunden, viel von ihm in sein Werk eingehen zu lassen. Er nahm sich als Individuum nicht wichtig, und so muß jenes 'Bild des Lebens' etwas anderes meinen als die Biographie."/"Wie Seneca sich das Bild wünschte, [ ... ], das wissen wir nicht mehr; wohl aber können wir uns ein eigenes Bild dieses Lebens formen, ein Bild, dessen Sujet ganz römisch, dessen Kolorit dagegen in nicht wenigen Fällen von Griechischem heTÜbergenommen scheint. [ . . . ; gemeint ist die griechisch-philosophische Gedankenwelt] man kann es nur staunend betrachten, staunend über die Kraft, die Aufschwünge, die Eruptionen und den Kampf - alles sehr römischer Stil", Fuhrmann (1 997) S. 323 "Seneca war im Begri ff, die letzte Probe zu bestehen [ . . ] . Zum ' Bild seines Lebens', [ . . . ], gehörte auch diese Bewährung, und gerade s i e fügte z u dem Bild das entscheidende Merkmal hinzu. Seneca war Prinzenerzieher un d Regent des römischen Reichs gewesen, er hatte ein stattliches philosophisches und poetisches Oeuvre geschaffen und durch seinen Stil das Zeitalter geprägt: Er hat, als er Bilanz zog, weder sein politisches Wirken noch sein literarisches Werk einer Erwähnung gewürdigt; er hob einzig hervor, was die Philosophie ihm bedeutet, was sie aus ihm gemacht hatte", Schön egg ( 1 999) S. 30 "Mit seinem Tod begründet Seneca die Nobilität seines Geistes; [ . . . ] legt [ . . . ] den Grundstein seines unsterblichen Ruhmes. Senecas Werk ist Abdruck seines Le bens. In einem dialektischen Wechsel wird aus Senecas Totenmaske das Bildnis seines Lebens; seines Lebens Bildnis, das Werk, i st vom Tod ausgegangen", Habinek (2000) S . 3 0 0 "In h i s life ' s work, Seneca provided a model for resolving [ . . . ] social an d psycholo gical contradictions, preaching a manly but not military philosophy, acquiring power and wealth through cultural authority rather than force, managing an empire through clemen cy, staging power rather than performing on stage, dying in a dignified, memorable way", Zimmermann (2005) S. 267 "Tacitus zeigt in der Schilderung der letzten Stunden Sene cas, daß der Philosoph seine härteste probatio besteht und daß philosophische Theorie und praktische Lebensführung ganz, wie Seneca dies in den Epistulae immer wieder for dert, nicht zueinander in Widerspruch stehen, und widerlegt damit Seneca feindlich ge sinnte Autoren. Dazu paßt auch, daß Seneca selbst in den letzten Stunden seines Lebens nicht nachläßt, als Philosoph zu wirken [ ... ]". .
Jan-Wilhelm Beck, A liter loqueris, aliter uiuis
65
lung zwar bewusst und im Detail komponiert, aber ebenso bewusst in ihren markanten Grundzügen übernommen haben. Zu berücksichtigen i st überdies, dass Seneca seinen Tod ursprünglich sorgf!iltig geplant hatte; zu berücksichtigen ist, dass Seneca nachtragend war - die ' Apocolocyntosis' zeigt, wie nachtragend Seneca sein konnte, wenn er sich in seinem langgehegten Zorn nicht einmal hat beherrschen können, sich an einem Toten zu vergreifen; zu berücksichtigen ist auch sei
minuti canes, wie qui philosophiam conlatrant) , 1 44 So ist es Gedanke und provokante Formulierung der imago
ne überzogene Reaktion auf seine Kritiker, die er wie kleine Hunde kläffen lässt durchaus möglich, dass
(
. . .
uitae auf den zuvor G escholtenen selbst zurückgehen. 1 45 Tief getroffen von den Angriffen hat der späte Seneca die Ü bereinstimmung von Wort und Le ben in seinen ' Episteln' zum notwendigen Prinzip erhoben, und dies sogar mehrfach
(uerhis opera concordent, concordet sermo cum uita). I4<>
1 44 Siehe o. Anm. 1 00.
Ein sol-
1 45 Von vornherein vorausgesetzt ist dies von Maurach ( 1 99 1 ) S. 7fT. , wenn er den Taci teischen und den historischen Seneca gleichzusetzen scheint; ähnlich Andrews ( 1 930) S. 6 1 5 f. "the calm assurance in the virtue and consistency of his life that he evidenced at the treshold of death. It implies that he was aware o f no deviation !Tom principle during life", Fitch (2008) S. 3 "Seneca's use of the word imago implies an awareness of selfpresenta rion [ . . . ] c10se to theatre"; vgl . auch Koestermann ( 1 968) S. 3 0 1 "Daß Tacitus [ . . . ] Gedan ken Senecas aufgegrifTen hat, liegt auf der Hand. Wie eng er sich auch im Wortlaut an ihn angeschlossen hat, ist natürlich kaum zu klären", Griffin ( 1 974/2008) S. 2/24 "with some verisimilitude", Mayer ( 1 99 1 ) S. 1 69 "I trust the historian has picked up [ . . . ] !Tom the ac count of Seneca's death recorded by his secretaries". Zwei felnd dagegen Trillitzsch ( 1 97 1 ) S. 92 "mägen [ . . ] Tacitus weitgehend zuzuschreiben sein". Wenn Rozelaar ( 1 976) S . 344 im Anschluss an das o. Anm. 143 wiedergegebene Zitat auf die von ihm fälschlich Seneca zugewiesene 'Octavia' 472ff. verweist und hier eine Bestätigung für Senecas Le bensbild findet (puichrum eminere est inter illustres uiros,! consulere patriae, parcere afflictis, feral caede ahstinere, tempus atque irae dare,! orhi quietem, .meculo pacem suo), ist für 473fT. und den anschließenden Preis des einfachen Lebens auf Korsika viel leicht ebenfalls ein von Seneca selbst geprägter Nachruf als Grundlage anzunehmen. 1 4<> Epist. 1 6,2f. illud ante omnia uide, utrum in philosophia an in ipsa uita profeceris . . . non in uerhis, .<ed in rehus, 20, 1 f. uerha rehus proha . . . facere docet philosophia, non dicere, et hoc exigit, ut ud legem .
Jan-Wilhelm Beck, Aliter loqueri.•• aliter uiui..
66
ches ausdrückliches Betonen der
imago uitae
und die Inanspruchnahme
für
sich selbst kann eine Art Trotzreaktion, kann der Versuch sein, bewusst oder unbewusst eine tiefe Wunde in seinem Selbstbewusstsein auszumer zen. Der späte Seneca, durch äußere Umstände zum Rückzug auf sich, durch Kritik
für
zur
Reflexion über sich gezwungen, hat als Bestätigung und B eweis
die Aufrichtigkeit seiner Lehre ein anspruchsloses Philosophenleben
gewählt, trotz äußerer Zwänge geistig erfüllt und aktiv. Nur der späte Sene ca als gereifte Persönlichkeit ist folglich
an
seinen eigenen Worten der spä
ten Werke zu messen. '47 Und dieser Seneca hat direkt und bewusst an die nur theoretischen Ideale seiner frühen Schriften angeknüpft. '4 8 Was zu-
dum sit. nee umquam in eo. quodfogiendum dixerunt. deprehenduntur, 75,4 haee sit pro po..iti no..tri .yumma: quod ..entimu... loquamur. quod loquimur. ..entiamu..; eoneordet .•ermo eum uita, 98, 1 7 quidfaciendum .. it. a faciente di••eendum e..t, 1 08,3 5 ff. .• ie i••ta edi seamu ... ut. quae foerint uerha. ..int opera. nullos autem peiu.. mereri de omnihu.. morta lihu.. iudieo. quam qui philo..ophiam uelut aliquod artificium uenale didieerunt. qui aliter uiuunt. quam uiuendum e.... e praecipiunt . . . quomodo prohare po.... int . . . : faciant. quae di xerint; vgl. daneben auch 24, 1 9 turpe e..t aliud loqui. aliud •• entire, 40,2 in philo.mpho. cuiu•• pronuntiatio quoque. sieut uita. dehet e....e eomposita, 1 1 4, I f. tali•• hominihu.. foit oratio. quali•• uita. 1 47 Vgl. das Bekenntnis epist. 8,3 reetum iter. quod ..ero eognoui et Ia.•.•u.. errando. alii.. mon..tra; zur Bewertung Senecas vgl. etwa Grimal ( 1 978) S. 3 1 0 "einer der beachtlich sten Beiträge Senecas zur Philosophie des Abendlandes [ . . . ]: Er verfügt über die Gabe, die abstrakten Vemunftschlüsse der Schule in die Erfahrungswerte des gelebten Lebens umzusetzen, umzuwandeln". Ungeschickt Griffin ( 1 974/2008) S. 1 123, ( 1 976) S. 8, Maurach ( 1 99 1 ) S. 7 mit Formulie rungen wie die der vorausgehenden Anm. als Ausgangsforderung ihrer Darstellung, ent sprechend Ferguson ( 1 972) S. 8; zu allgemein Rudich ( 1 997) S. 88 "An important, almost obsessive, leitmotif of his work is the discrepancy between uerha and aeta". Korrekt da gegen Maurach e 1 987) S. 4 "ob man gut daran tut, den 45jährigen Politiker und Anwalt an dem Philosophierenden zu messen, der als 70jähriger sich über die Werte dieser Welt zu erheben sucht", Fuhrer (2000b) S. 1 37 mit der Unterscheidung verschiedener Le bensphasen für 'Oe vita beata ' und die 'Episteln', aber einem Widerspruch zu ihrer eige nen Ausgangsposition (zitiert o. Anm. 45). 1 4 8 So besonders dial. 1 0,7,4 tot maximi uiri relieti.. omnihu.. impedimenti.•• eum diuitii.. offi cii.. uoluptatihu.. renuntia....ent. hoe unum in extremam u..que aetatem egerunt. ut uiuere scirent . , 1 4, I ..oli omnium otio..i ••unt. qui ..apientiae uacant; soli uiuunt mit dem Schlussappell 1 8, I f. exeipe itaque te uolgo• . . . . et in tranquilliorem portum . . . tandem re eede . . . nee te ad ..egnem aut inertem quietem uoeo . . . inuenie•• maiora omnihu .. adhue .• trenue traetati.. operihu.. , 1 9, I reeipe te ad haee tranquilliora. tutiora. maiora; vgl. auch epist. I als direkte Aufnahme von dial. 1 0 , 1 8,3 uitae ..uae rationem. Die in der 'Con solatio ad Helviam ' propagierte Naturbetrachtung, dial . 1 2 ,8,4ff., ist mit der entsprechen den Forderung von 'Oe otio ' , dial . 8,5, l rr. , und seinen 'Naturales quaestiones' auf genommen. ..
Jan-Wilhelm Beck, A liter loqueris, aliter uiuis
67
nächst als bloße Heuchelei erscheinen mochte, etwa in der ' Consolatio ad Helviam ' oder in ' De brevitate vitae ' , was der tatsächlichen Lebensführung Senecas ner tigt.
zu
widersprechen schien, hat der späte Seneca
imago uitae
zur
Abrundung sei
in der Praxis durch ein entsprechend gelebtes Leben bestä
Anhang:
talis hominibus fuit oratio, quali,� uita Der späte Seneca hat in seinen Briefen nicht nur die Ü bereinstimmung von Wort und Tat gefordert. Er ist sogar so weit gegangen, dies nach einem alten Sprichwort auf die Ausdrucksweise anderer und ihren Stil zu übertra gen. ' 49 Etwa im Falle des Maecenas erkennt Seneca eine deutliche Überein stimmung von dessen verweichlichter Lebens- und Redeweise. Der wieder holt als urteilender Sti lkritiker und damit selbstbewusst auftretende Pro sastilist Seneca ist j edoch auch selbst
zum
Opfer scharfer stilistischer Vor
würfe geworden. Der Vollständigkeit halber sei auch solche Kritik an ihm und seiner Art
zu
formulieren einbezogen, wie sie sich schon seit den 40er
Jahren belegt fmdet und Seneca direkt als schädlichen Verführer erscheinen lässt, der die sprachlich-s ittlich noch ungefestigte Jugend verdirbt. Nach Sueton hatte Caligula Seneca das Verfassen bloßer Schaureden vorgeworfen
(commissiones meras componere) und seine Art zu sprechen (harenam esse sine calce) verglichen. ' 5 0 Quintil ian,
mit ' Sand ohne Kalk'
der Seneca noch persönlich als Vortragenden und vielleicht bei einer Dich terlesung öffentl ich über Stil fragen D iskutierenden erleben konnte, muss sich seinerseits gegen den vermeintlich fal schen Vorwurf wehren, er lehne Senecas Art des Redens ab ; er spricht sogar von ihm unterstellter Verurtei lung und H ass auf den damals beinahe allein von den Jüngeren gelesenen
1 49 Siehe o. Anm. 1 46, besonders epist. 1 1 4, l ff. quod audire uu/go soles, quod apud Graeeos in pmuerbium eessit: talis hominibus . . . quemadmodum autem unil�veuiusque aetio . . . , sie genus dieendi aliquando imitatur publicos mores, si diseiplina ciuitatis laborauit et se in delicias dedit. argumentum est luxuriae publieae orationis lasciuia, .vi modo non in uno aut in altem JUit, sed adprobata est et recepta. non potest alil�v eS.ve ingenio, alilLv animo color. si ilIe sanus est, si eompositus, grauis, temperans, ingenium quoque .viccum ac sob rium est; iIlo uitiato hoe quoque adflatur. non uides, si animus elanguit, trahi membra et pigre moueri pedes? si ille e.fJeminatus est, in ipso ineessu apparere mollitiam? si iIle aeer est et ferox, concita,.i gradum? .• i Jurit aut, quod JUmri simile est, imscitur, turba turn esse emporis motum nee ire, sed Je,.ri? quanta hoc magis aeeidere ingenio putas, quod totum animo permixtum est, . . ? quomodo Maeeenas uixerit . . . non oratio eil" aeque soluta est quam ipse discinctu.• ? . itaque ubieumque uideris oratioJ/em corruptam plaeere, ibi mores quoque a recto deseiuisse non erit dubium, 1 1 5 ,2 m'atio cu/tus animi est. si cireumtonsa est et fucata . . . ostendit illum quoque non esse sineerum et habere aliquid traeti. ' 1 5 0 Suet. Cal . 53,2. .
..
Ian-Wilhelrn Beck, Aliter loqueris. aliter UiUi.f
(solus hic fere in manibus adulescentium) neca (amabant, p/acebat) : 1 5 1
69
und als Vorbild geschätzten Se
Ex industria Senecam in omni genere eloquentiae distuli. propter uulgatam faLm de me opi nionem. qua damnare eum et inuisum quoque habere ,fum creditus. quod accidit mihi dum corruptum et omnibu.f uitiis fractum dicendi genus reuocare ad seueriora iudicia contendo: tum autem ,mlus hic fere in manibus adulescentium fuit. quem non equidem omnino conabar excutere. sed potioribu.f praeferri non sinebam. quos iIIe non destiterat incessere. cum diuer si sibi con,fcius generi.f placere se in dicendo posse. quibu,f illi placerent. difJideret. amabant autem eum magis quam imitabantur tantumque ab iIIo defluebant. quantum iIle ab antiqui.f de,fcenderat. foret enim optandum pare,f ac saltern proximos iIIi uiro fieri. sed placebat pro pter sola uitia. et ad ea se quisque dirigebat. e.fJingenda quae poterat; deinde. cum se iacta ret eodem modo dicere. Senecam infamabat. cuius et multae alioqui et magnae uirtutes fu erunt. ingenium facile et copiosum. plurimum studii. multa rerum cognitio. in qua tamen ali quando ab ii,f quibu.f inquirenda quaedam mandabat. deceptus e.ft. . . . in philosophia parum diligens. egregius tamen uitiorum insectator fuit. multae in eo c1araeque sententiae. multa etiam morum gratia legenda. sed in eloquendo corrupta pleraque. atque eo pemiciosissima quod abundabant dulcibu.f uitii.f. uelles eum .mo ingenio dixisse. alieno iudicio: nam si ali qua contempsisset. ,fi parum non concupisset. si non omnia sua ama.fset. si rerum pondera minutissimi.f sententiis non fregisset. con.fensu potius eruditorum quam puerorum amore comprobaretur. uerum sic quoque iam robu.ftis et seueriore genere satis firmatis legendus. uel ideo quod exercere pote.ft utrimque iudicium. multa enim. ut dixi. probanda in eo. multa etiam admiranda .mnt. eligere modo curae ,fit; quod utinam ipse feci.fset: digna enim fuit iIla natura. quae meliora uellet; quod uoluit effecit. Trotz aller von ihm vorgetragenen E inschränkungen - seine falschver standene Kritik an Senecas Verehrern, die in Ü bertreibung von dessen ne gativen Elementen zugleich das Vorbild beschädigten; der scheinbar ver söhnliche Schluss, der dann auf Seneca als bloßes N egativbeispiel hinaus läuft - sehr bezeichnend bleibt bereits die Tatsache, dass Quintilian Seneca i n seinem vorausgegangenen Ü berblick über die einzelnen Gattungen und ihre besonders geeigneten Vertreter ausgespart hat. Und wenn er Seneca
potioribus, gegenüberstellt und von seinen uitia, perniciosissima und seiner unglücklichen W irkung
ausdrücklich Wichtigeren, von
corrupta
und
spricht, ist dies sehr harte Kritik und bezeugt eine kaum verhohlene Abnei gung, die sich nur schwer hinter seinem scheinbaren Bemühen um ein aus gewogenes, obj ektives Urteil verbergen kann. Die angeblich falsche Mei nung über Quintilian,
fa/so de me opinionem,
wirkt aus seinem eigenen
Mund bestätigt.
1 5 1 Quint. inst. 1 0, 1 , 1 25-1 3 1 , vgl. auch 1 2 , 1 0, 1 1
zur copia Senecae sowie 8,3,3 1 memlnJ iuueni,f admodum inter Pomponium ac Senecam etiam praefationibu.f e.fse tractatum an . . . in tragoedia dici oportui,fset.
Jan-WiJhelm Beck, A!iter loqueris, aliter uiuis
70
Bei den Archaisten des folgenden Jahrhunderts, Fronto und Gellius, fm det sich noch heftigere, z. T. durch eigene deftige Sprache ins Unseriöse abgeglittene Kritik. So sei nach Fronto zwar manches bei Seneca kundig und mit Gewicht gesagt, doch Derartiges fände man auch in Kloaken . Als schlimmster Fehler,
uitium turpissimum,
ist angeprangert, dass bei Seneca
ständig derselbe Gedanke mit nur ganz leichter Variation in der Formulie rung wiederkehre - ein Vorwurf der Redundanz, der durchaus zu Recht
zu
bestehen scheint. Senecas besonderes Kennzeichen seien seine überreichen Sentenzen, die in zu großer Fülle, ohne Abwechslung und Auflockerung
aufeinander folgten : 1 52
... eloquentiam . . . neglegas tamen uero potius censeo quam praue excolas. confusam eam ego eloquentiam catachannae ritu . . . Senecae molliblL< et febriculosis prunu/eis insitam, subuer tendam censeo esse radicifIL<, immo uero . . . 'exradicitlL< '. neque ignom copiosum sententiis et redundantem hominem esse; uerum 'sententias eius tolutares uideo nusquam quadripedo concito cursu tenere, nusquam pugnare, nusquam maiestatem studere ' <et>, ut Laberius ait, 'dictabolaria ', immo dieteria potius eum quam dieta conjingere. itane existimas grauiore.< sententias . . . 'sed non modulatas aeque ' . . . 'neque ita eordaces ' . . . 'neque ita tinnu/as '. . . . 'atenim sunt quaedam i n /ibris eilL< seite dicta, grauiter quoque nonnulla. ' etiam lamminae interdum argentio/ae in cloacis inueniuntur; eane re cloacas purgandas redimemus? primum illud in isto genere dieiendi uitium turpissimum, quod eandem sententiam mil/iens alio atque a!io amietu imdutam reJerunt. . . . unam eandemque sententiam mu/timodisfaciunt . . . reJi-ieant eandem unam sententiam saepius quam puellae olfaetoria sucina. Ebenfalls im zweiten Jahrhundert bekennt sich Gellius, ein Schüler von Fronto, in seinem Sammelwerk zu seiner Ablehnung - ein Kapitel voll ver nichtender Kritik an Seneca als
nugator
und
ineptus,
als sprachlich wie ge
danklich nutzlosem, gewöhnlichem, oberflächlichem Schriftsteller, was er zunächst als offenbar weitverbreitete Meinung anderer ohne Stellungnahme referiert, sodann aber nach Vergleich mit Senecas überheblichen Urteilen über Ennius, C icero und Vergil zumindest in stilistischer Hinsicht bestä tigt: 1 53
De Annaeo Seneea partim existimant ut de scriptore minime utili, cuius !ibms adtingere nu/ lum pretium operae sit, quod oratio eius uu/garis uideatur et protrita, res atque sententiae aut inepto inanique impetu sint aut leui et causidicali argutia, eruditio autem uernacula et p/ebeia nihilque ex ueterum scriptis habens neque gratiae neque dignitatis. alii uem elegan tiae quidem in uerbis parum esse non injitias eunt, sed et " erum, quas dicat, scientiam doctrinamque ei non dee.<se dicunt et in uitiis morum obiurgandis seueritatem grallitatemqlle non. inuenu!itam. 1 52 1 53
Fronto p. 1 53,8-1 54,20 Gell. Art. 1 2,2, 1 - 1 4 .
v.
d. H. ( 2 1 988), vgl. auch 228,5ff.
Jan-Wilhelm Beck, Aliter loqueris. aliter uiui..
71
mihi de omni eius ingenio deque omni scripto iudicium cen.. uramque facere non nece..sum est; ..ed quod de M. Cicerone . . . in..ul..i.... ime . . . homo nugator . . . ..ed iam uerborum Senecae piget; haec tamen inepti et in.. ubidi homini.• ioca . . . dignu.. sane Seneca uideatur lectione ac ..tudio adule..centium. qui honorem coloremque ueteri.. orationi.• Soterici lecti.. compararit. qua ..i minimae .. cilicet gratiae et relictis iam contempti..que. audia.. tamen commemorari ac referri pauca quaedam. quae idem ip.. e Seneca bene dixerit . . . .. ane bene; ..ed adule.. centium indolem non tam iuuant. quae bene dicta ..unt. quam inficiunt. quae pe....ime. multoque tanto magi••• si et plura .. unt. quae deteriora ..unt. et quaedam in hi.. non pro tv9uJ.ul}1a't\ aliquo rei paruae ac ..implici... ..ed in re ancipiti pro con..ilio dicuntur. Bewertet man diese vernichtende Kritik ihrerseits, so ist sie schon durch die j eweils zugrunde liegende Motivation in Frage zu stellen. Bei Caligula ist es lediglich Neid auf Senecas rhetorischen Erfolg und damit indirekt ein positives Zeugnis. Bei den drei weiteren namentlich vorgetragenen U rteilen aus der Antike ist es der typische Gegensatz von Theorie und Praxis, der sich in der ablehnenden Haltung anders ausgerichteter Theoretiker mit ihren klassizistischen bzw. archaisierenden Idealen zeigt. Gegenüberzustellen ist der tatsächliche Erfolg Senecas, wie ihn Tacitus und Sueton mehrfach be
Senecam tum maxime placentem, Tacitus be ingenium amoenum et temporis eius auribus accomoda
zeugen . Sueton spricht von scheinigt ihm ein
tum
e ine höchst positive Einschätzung von Senecas Rhetorik, wie sie sich in den von Seneca verfassten Reden N eros zeigt. I S4 Plinius der Ä ltere be -
zeichnet Seneca als princeps
tum eruditorum, für Columella ist er ein Mann excellentis ingenii atque doctrinae. l ss Seneca ist damit unbestreitbar die er ste literarische Größe seiner Zeit, und es ist wiederum nur allzu gut ver ständlich, wenn dies bei anderen
zu
Argwohn, Skepsis bis hin zu unver
hohlen ausgedrücktem Neid geführt hat. Denn Seneca, angesichts seines vä terlichen Hintergrundes rhetorisch gewiss perfekt geschult und mit wachsa mem Gespür für Stilistik aufgewachsen, hat seine rhetorischen Erfolge
zum
einen durch eine eigenständige Art des Redens und nicht durch bloße N ach ahmung großer Vorgänger wie Cicero erreicht; dies ist ein sehr selbstbe wusstes Zeugnis stilistischen Freimutes gerade für einen Anfänger. Zum anderen hat er sich ebenso selbstbewusst auf eine ganz einfache und da durch in besonderem Maße eindringl iche, praktisch brauchbare und unmit telbar wirkende Rhetorik beschränkt, die mit wenigen markanten stilisti schen Mitteln auskam und im Gegensatz zur aufkommenden Mode auf zweifelhafte Exzesse in der Wortwahl, auf Ungewöhnliches und Ü bertrieI S4 Suet. Ca! . 53,2, Tac. anno 1 3 ,3 , 1 . . . oratio a Seneca compo.• ita multum cultu.. praelerret. utfoit illi uiro ingenium . . ; siehe auch O. Anm. 78 mit anno 1 2,8,2. I SS Plin. nato 1 4,5 1 , Co1 um. 3,3,3. .
72
Jan-Wilhelm Beck, Aliter loqueris, aliter uiuis
benes, auf Manierismen und Archaismen im Übermaß verzichten konnte ein deutlicher Gegensatz
zu
den späteren Archaisten, denen er mit seiner
harmlosen, aber überaus erfolgreichen Rhetorik im lockeren Gesprächston zwangsläufig suspekt sein musste. Selbst wenn Seneca gezielt auf das eige ne Vorbild hingearbeitet hat, muss dies nicht unbedingt verwerflich gewe sen sein, wenn er von seinem neuen moderaten Stil überzeugt war und die sen gegen zu manieristisch-altertümelnde Tendenzen durchsetzen wollte } 5 6 Wenn man Seneca über eine lange Zeit hinweg bis heute abschätzig ab qualifiziert, eben als sog. ' silbernen ' Autor, ist dies eine unverdiente Ab wertung, die auf der nur sekundären Rezeption schriftlicher Traktate beruht und seine tatsächliche, d. h. lebendige Wirkung als Redner außer Acht lässt. Von Quintilian noch als Teil seines Oeuvres benannt, 1 57 existieren heute nicht einmal mehr solche nachträglich edierten
orationes,
so dass der heuti
ge wie spätantike Stilkritiker durch völlig andere Rezeptionsbedingungen in seinem Urteilsvermögen e ingeschränkt ist. Eine Parallele mag hier die eben falls unterschiedliche Rezeption des auf der Bühne als größter römischer Komiker gefeierten Caecilius Statius neben den erst in ihrer schriftlichen Verbreitung die Ü berlieferung bestimmenden Komödien seines Konkur renten Plautus darstellen. Weitere Parallelen bieten Quintilians Urteil über den lasziven Ovid, der seinem Talent hätte gebieten und nicht nachgeben müssen, oder auch die antike Diskussion über den unepischen Lucan mit seinem Großwerk ohne Götterhandlung und abschweifenden Bombast. 1 5 8 Trotz aller antiken Literaturkritik waren und sind Ovid und Lucan bis heute beliebt und gelesen; sie zeigen exemplarisch, wie ernst antike Stilkritik über Seneca
zu
nehmen ist. Bei Quintilian ist es die Kritik eines Rhetorikwissen
schaftiers mit e inem bestimmten Stilideal, dem Andersartiges notwendig missfallen muss. Gerade von ihm als großem Bewunderer Ciceros ist eine deutl iche Ablehnung Senecas zu erwarten, dessen Stil dem C iceros ebenso deutlich entgegengesetzt ist. Ü ber Senecas tatsächliche Wirkung und echte
1 5 6 Siehe o. Anm. 1 1 2 mit Suel. Nero 52, 1 . auertit . . . ; a eognitione ueterum oratorum . . . ; vgl . auch epist. 40,4 quae ueritati operam dat oratio, incomposita esse debet et simplex, 1 00,5 eleeta uerba . . . , non eaptata, 1 1 4, 1 0 cum adsueuit animus jastidire . . . pro eultu ha betur audax translatio ae frequen .•. 1 57 Quint. inst. 1 O, I , 1 28 f. traetauit etiam omnem fere sh,di017,m materiam: nam et orationes eius et poemata et epish,lae et dialog; jeruntur. 1 5 8 Quint. inst. 1 0, 1 ,98 quantum ille uir praestare potuerit, si ingenio suo imperare quam indulgere maluisset; z. B. Petron 1 1 8, 1 ff. belli ciuilis ingens opus quisquis attigerit nisi plenus filteris, sub onere labetur . . , Mart. 1 4, 1 94 sunt quidam, qui me dieant non esse poetam . . . ..
.
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Jan-Wilhelm Beck, A liter loqueris, aliter uiuü
Beliebtheit bei seinem Publikum, die unbestreitbar war, sagt solche Kritik noch lange nichts aus ; sie zeigt im G egenteil sogar, wie gefährlich Senecas neuer Stil dem alten, zu verteidigenden Ideal geworden ist. Es ist sehr inter essant, dass es sowohl Klassizisten als auch Archaisten seit dem Ende des ersten Jahrhunderts n. Chr. waren, die gleichermaßen polemische Ausfälle gegen Seneca unternahmen - ein deutlicher Beleg dafür, welchen Einfluss die von Seneca vertretene Art der Stilisierung in Wirklichkeit erreicht hatte. Sein Stil war es, von dem sich nun andere abzusetzen hatten. Was im lebendigen, zeitlich beschränkten Vortrag besondere Wirkung erzielt haben mag, die einhämmernde, einprägsame Art der Wiederholung als wesentlichstes Charakteristikum
für
Senecas Formulierung, mag aller
dings in der Tat bei vergleichender Lektüre übertrieben und abstoßend wir ken. Doch j eder Stilkritiker sollte bedenken, dass Seneca seine Reden, Traktate und Briefe nicht
für
eine philologisch vergleichende und zu inten
sive, zu umfangreiche gleichzeitige Rezeption verfasst hat. Etwa
für
seine
epistulae
legt er selbst eine auf einen Brief pro Tag beschränkte Lektüre zu grunde. 1 59 Der Vorwurf der ausufernden Wiederholung ist somit zu relati vieren. Der wiederholende Stil Senecas mit seiner ständigen sprachlichen wie gedanklichen Wiederkehr ist positiv als Beleg Anteilnahme an den ausgesprochenen Inhalten Streben
zu
zu
für
die eigene innere
bewerten, al s begeistertes
überzeugen, wieder und wieder, möglichst eindringlich und gut.
Aber trotz allem stil istischen Selbstbewusstseins mag hier zugleich ein weiterer Beleg
für
eine mangelnde innere Souveränität vorl iegen, wie sie
Quinti lian ebenfalls erkennt: die stilistischen Angriffe Senecas auf andere, ältere und eingeführte Vorbilder; die Notwendigkeit sich wieder und wieder selbst
zu
überzeugen anstatt auf ein abstraktes Prinzip und einen G edanken
an sich zu vertrauen, unabhängig davon, wie oft und in welchem Wortlaut er ausgesprochen ist, als eine aus der eigenen Psyche gewonnene, auf ande re übertragene Erfahrung der Notwendigkeit der ständigen Ermahnung ge gen potentielle Schwächen. Seneca spricht nicht wie ein von seiner rechtl i chen Grundlage abgesicherter und überzeugter Juri st, der auf einen knappen Gesetzestext vertrauen kann und darüber keine weiteren Worte zu verlieren braucht. Der von endloser Wiederholung geprägte Stil Senecas ist das di rekte Abbild seiner philosophischen Forderung nach e inem nie endenden Kampf gegen das Schicksal mit dem steten Ringen
um
innere Unabhängig
keit, die jeden Tag aufs N eue nötig ist. 1 59 Epist. 2,4f. aliquid cotidie . . . unum excerpe, quod i/lo die ... hodiemum; zum program matischen Charakter vgL Beck (2007) S. 96fT.
74
Jan-Wilhelm Beck, Aliter loqueris, a/iter uiuis Statt antiker wie moderner Kritik an Senecas Art
zu
schreiben, ist seine
spezielle, eindringliche Prosa als eigenständige Bereicherung der latei ni schen Literatur zu schätzen. Ob eine qualitative Abwertung wirklich be rechtigt ist, ist wie die Beurteilung der sog. ' S ilbernen ' Latinität an sich ei ne müßige Frage. Einerseits ist sie zweifellos durch die nachfolgenden Jahrhunderte und die bis heute, bis in die universitären Examensklausuren hinein gültige Orientierung auf das ' goldene' Latein C iceros
zu
U ngunsten
der ' s ilbernen ' Autoren entschieden. Andererseits ist sie nur subj ektiv zu beantworten. Und so mag und muss jeder, vö llig unbeeinflusst durch das Argument der Überlieferung und durch die Präferenzen der nachfolgenden Jahrhunderte, selbst entscheiden, welche Stil richtung besser gefallt und für welche Inhalte besser geeignet erscheint. Vor einer Gleichsetzung von Se necas Stilisierung bzw. ' S ilberner' Latinität mit einfach schlechterem Latein sollte man sich hüten. Festzustellen ist lediglich, dass die Autoren der ' Sil bernen ' Latinität in einen verglichen mit denen der ' goldenen' anderen Stil, und zwar einem gezielt, gesucht anderen Stil geschrieben haben,
um
sich
von ihren bereits im ersten Jahrhundert n. Chr. als klassisch empfundenen Vorgängern abzusetzen. Auf ein Qualitätsurteil aber, ob der Stil des ' goldenen ' Livius oder des ' s ilbernen ' Tacitus, des ' goldenen' Cicero oder ' si lbernen ' Seneca besser oder schlechter ist, sollte man verzichten. Eine Bewertung als besser oder schlechter ist individuell vorzunehmen und ab hängig von den einzelnen Autoren und ihren Eigenarten wie auch von den j eweiligen Vorlieben der Rezipienten . Der Stil ist anders, ein solches Urteil reicht aus; und überdies ist damit der Stil der sog. ' S ilbernen ' Latinität schon bestens beschrieben . Welche Leistung Senecas war es, e inen eigenen, derart markanten Stil gegen herrschende Lehrmeinungen zu prägen !
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