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Weltgeschichte in spannenden Einzelheften Jedes Heft 64 Seiten
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Weltgeschichte in spannenden Einzelheften Jedes Heft 64 Seiten
Heftpreis Nr. 1—19: 75 Pfg., ab Nr. 20: 90 Pfg.
LUX HISTORISCHE REIHE bringt in fesselnder Darstellung, plastisch und farbig, Zeitbilder und Szenen aus dem großen Abenteuer der Menschheitsgeschichte. Menschen, Völker, historische Schauplätze und Landschaften aus allen Zeitaltern der Vergangenheit erstehen in bunter Folge vor dem Auge des Lesers. Geschichte wird hier zur lebendigen Gegenwart. Jedes Heft gibt ein abgerundetes und in sich abgeschlossenes Bild des dargestellten Zeitraumes. Titel der ersten Hefte: Sphinx am Strom Priester und Magier Götter und Helden Die Griechen Die Perserkriege Die Tempel Athens Alexanderzug Pyrrhus — der Abenteurer Hannibal 10. Untergang Karthagos
11. Marius und Sulla 12. Kaiser ohne Krone 13. Das Goldene Rom 14. Die ersten Christen 15. Hadrian und Marc Aurel 16. Das geteilte Weltreich 17. Germanenzüge 18. Hunnenschlacht 19. Die Mönche von Monte Cassino 20. Der Prophet Allahs
In Vorbereitung sind: Heiliges Römisches Reich Kaiser und Päpste Die Kreuzfahrer Friedrich Barbarossa Die Hohenstaufen Bürger und Bauern Die Humanisten Der Schwarze Tod Die Renaissance Neues Land im Westen Fahrendes Volk Ritter und Landsknechte Kaiser der Welt Der Große Krieg Der Sonnenkönig
Ruf übers Meer Der Preußenkönig Rokoko Im Schatten der Bastille General Bonaparte Kaiser Napoleon Kongreß in Wien Eiserne Straßen Der vierte Stand Verschwörer und Rebellen Sieg der Technik Bismarck Die rote Revolution Demokratie und Diktatur
und viele weitere Hefte. L U X H I S T O R I S C H E R E I H E - Jedes Heft mit farbigem Umschlag, Illustrationen, gescbichtskundlichen Landkarten, Anmerkungen und Zeittafel. VERLAG S E B A S T I A N LUX MURNAU - M Ü N C H E N - I N N S B R U C K - BASEL
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OTTO ZIERER
KARL DER GROSSE KAISER DES WESTENS
VERLAG SEBASTIAN LUX MURNAÜ • MÜNCHEN • INNSBRUCK • BASEL
EINFÜHRUNG Aus den vernichtenden Stürmen der Völkerwanderung, die die Pracht und die Herrlichkeit der Staaten rings um das Mittelmeer in Trümmer gelegt haben, erhebt sich mit der Vollendung des Frankenreiches eine erneuerte und verwandelte Welt. Die Hinwendung zur christlichen Lehre und Gesittung und die Wiederbesinnung auf die besten geistigen Werte des Altertums führen die Menschen aus dem Dunkel der Unwissenheit und der Barbarei in das belebende Licht der Kultur. Seit dem 5. Jahrhundert haben die Franken vom Niederrhein und der Maas her fast den ganzen Raum des heutigen Frankreichs erobert und besiedelt und sind dem katholischen Glauben gewonnen worden. Reichsteilungen haben das Ansehen der Könige aus dem Merowingerhause geschwächt und ihre Staatskanzler aus dem Geschlecht der Karolinger zur Königswürde machtvoll emporgeführt. Der Überlegenheit des Frankenreiches unterwerfen sich die mainländischen, thüringischen und schwäbischen Lande, und auch Bayern gerät in politische Abhängigkeit. Zur abendländischen Größe wächst das Reich der Franken auf, als die Bauernkrieger Karl Martells dem Vormarsch der Wüstenkrieger Mohammeds, die Westeuropa bedrängen, im Innern Frankreichs ein Ende setzen. Der Sohn des Siegers, König Pippin der Jüngere, vermehrt die Kraft des Reiches, als er die Schutzherrschaft über dieRomkirche übernimmt und die Frankenmacht auch auf Italien übergreifen läßt. In dieser Zeit besinnt sich das Abendland auf die Krone von Rom, das Symbol seiner Einigkeit und Stärke. Die Träger der römischen Tradition, die Päpste, reichen das Zeichen der Kaiserwürde dem mächtigsten unter den Frankenkönigen, König Pippins Sohn — Karl dem Großen, dessen Leben und Werk die folgenden Seiten gewidmet sind. 2
In dem harten Winter des Jahres 751, als im Frankenreich König Pippin der Jüngere alle Macht in Händen hält, überquert Papst Stefan II. mit einem kleinen Gefolge die Westalpen und betritt als Hilfesuchender fränkischen Reichsboden1. Es ist ein anderer Himmel als jener Italiens, der das Land im Norden der Gebirgskette überwölbt. Dort im Südland spannt sich der Bogen in unendlicher Weite und wie von göttlicher Heiterkeit erhellt über der blauen See, über weiß leuchtenden Felsenküsten und lichten, silbergrauen Olivenhainen. Hier im Norden sperren dunkelgrüne Baumkulissen und dichte Wälder, aus denen die hohen Kronen der Eichen, Buchen und Fichten ragen, den Blick in die Ferne. Als der päpstliche Zug durch die südlichen Frankengaue reitet — durch die Provence, das Rhonetal und Burgund —, sind noch deutliche Spuren der Römerherrschaft zu erkennen: gerodete Felder, befahrbare Straßen, zahlreiche Dörfer und freundliche Städte. Im Marnetal findet die erste denkwürdige Begegnung statt. Eine feierliche Gesandtschaft, angeführt von Karl, dem dreizehnjährigen Sohn des Frankenkönigs, erwartet hier die erlauchte Reisegesellschaft. Karl wird sich dieses Tages, an dem er zum erstenmal mit einem Vertreter des Papsttums zusammentraf, noch oft erinnern. König Pippin selbst empfängt den Papst in seiner Pfalz zu Ponthion in der Champagne. Er reitet ihm, begleitet von seiner Familie, umgeben von Bischöfen und Herzögen, einige tausend Schritt weit entgegen, steigt aus dem Sattel und begrüßt den hohen Gast mit tiefer Verneigung. Wortlos ergreift er das Pferd des Papstes am Zügel und führt es, einem Stallmeister gleich, eine Strecke Weges, während seine Begleitung unbedeckten Hauptes den beiden Großen des Abendlandes folgt. 3
Einen solchen Empfang hätte Papst Stefan kaum zu erhoffen gewagt. In bewegten Worten dankt er dem König und bittet ihn um Unterstützung gegen die Feinde der Kirche. „Rette Du, erstgeborener Sohn der Kirche, den Besitz Petri und das Gebiet des römischen Landes, das dem ersten Bischof der Christenheit anvertraut ist." 2 Feierlich gibt König Pippin sein Versprechen. *
Die Hilfeleistung, die Papst Stefan von dem mächtigen Herrn der Franken erfleht, ist gegen den Langobardenkönig Aistulf gerichtet. Seit zweihundert Jahren, seit die Völkerwanderung zum Stillstand gekommen ist, hält das aus Niederösterreich eingewanderte Germanenvolk der Langobarden Ober- und Süditalien fest in Händen. Alle Gebiete, die von den oströmischen Kaisern noch auf italischem Boden behauptet worden waren, sind nach und nach von den langobardischen Herzögen und Königen erobert worden. Vor kurzem ist König Aistulf dazu übergegangen, auch das päpstliche Gebiet in Mittelitalien, das die beiden langobardischen Beichshälften trennt, in Besitz zu nehmen. Truppen sind in die römischen Lande eingerückt, und Beamte des Königs haben begonnen, in kirchlichem Hoheitsbereich Steuern zu erheben. Da die Kaiser von Byzanz, die alte Schutzmacht Roms, ihre Hilfe versagt haben, ist nur ein letzter Rettungsanker für die bedrohte Papstkirche geblieben: die fränkische Großmacht. An sie hat Papst Stefan seine Hilferufe gerichtet; es ist ihm gelungen, aus der umlagerten Hauptstadt der Christenheit an den Hof der Frankenkönige zu entkommen. Bei der Zusammenkunft in Ponthion weist ihm Pippin die königliche Abtei Saint-Denis in Paris als Residenz und Asyl an, bis er ihn nach Italien zurückführen wird. *
König Pippin bereitet den Feldzug über die Alpen vor, und im Frühjahr des Jahres 754 unterbreitet er seine Pläne der fränkischen Reichsversammlung. Der Krieg gegen die Langobarden ist beschlossene Sache. In einer Urkunde 4
sichert der König dem Stuhl Petri die freie Verfügung über das römische Gebiet zu und vermehrt es um umfangreiche Besitzungen, die ehemals den byzantinischen Kaisern gehört haben. Daß neben dem Namenszug Pippins auch der seiner Söhne Karl und Karlmann steht, gibt der Gründungsurkunde des Kirchenstaates hohe Bedeutung auch für die Zukunft. Der Dank des Papstes bleibt nicht aus. Zu Saint-Denis wird die Königskrönung an Pippin und seinen beiden Söhnen wiederholt; der Papst salbt Pippin und erhebt ihn und seine Söhne zu Schutzherren Borns und der römischen Kirche3. Bald danach tritt der päpstlich-fränkische Bündnisvertrag erstmals in Kraft; der fränkische Heerbann bricht nach Süden auf. In langgestreckten Marschkolonnen rückt das Heer über die Alpenpässe. Die Verschanzungen der Langobarden an den Ausgängen der Täler werden überrannt, rasch erlahmt der Widerstand Aistulfs. In seiner Königsstadt Pavia eingeschlossen, bittet er um Frieden. Er wird ihm zugestanden gegen das Versprechen, alle ehemals byzantinischen Besitzungen an den Stuhl Petri zu übergeben und nie wieder seine Hand gegen die Kirche zu erheben. Papst Stefan, der Gebieter des Kirchenstaates, zieht unter dem Jubel der Kömer, geleitet von den fränkischen Großen, in den Lateranpalast ein. Als Aistulf sich erneut erhebt, trifft harte Strafe das Langobardenvolk. Ihre befestigten Burgen werden niedergezwungen. Fränkische Schiedsrichter bleiben mit Truppenabteilungen so lange im Lande, bis die Erweiterung des Kirchenstaates vollzogen und die Unabhängigkeit des Papsttums gesichert ist. Der „Staat Petri" reicht künftig, den Raum zwischen zwei Meeren umspannend, von der Po- bis zur Tibermündung. König Aistulf überlebt das Ende seiner Eroberungsträume nicht lange. Auf einer Jagd wirft ihn sein Boß gegen einen Baum, so daß er den Tod findet. * Jahrzehnte sind seit der Errichtung des Kirchenstaates vergangen. Pippin hat das Zeitliche gesegnet und das Frankenreich den Söhnen Karl und Karlmann vererbt. 5
Aber die Welt ist nicht friedlicher geworden seit den Tagen der Langobardenkämpfe. Kriege werden geführt, um Provinzen zu unterwerfen, Provinzen erheben sich, um frei zu werden, und neue Kriege sind notwendig, um die Errungenschaften zu verteidigen; ein endloses Hin und Her um Macht und Oberhoheit bewegt die Großen der Welt, das Leben der Kleinen aber wird langsam zwischen den harten Mühlsteinen der Zeit zerrieben. Lange halten die Langobarden Ruhe, doch als die fränkischen Besatzungstruppen wieder aus den Herzogtümern abrücken, rufen die alten Heerführer noch einmal die Mannschaft zu den Feldzeichen; bald steht das ganze Land in Aufruhr. Aber auch dieser Versuch, die alte Größe wiederzugewinnen, endet in einem Meer von Blut und Feuer, die übermächtigen Franken stürmen Pavia, König Karl begibt sich selbst zur,,Ewigen Stadt", um der Kirche das zurückeroberte Land von neuem zu Füßen zu legen, wie es sein Vater tat. Nach dem Gebrauch frommer Pilger steigt er schon vor den Toren Roms vom Pferde, wandert zu Fuß nach Sankt Peter, wirft sich dort nieder und küßt die Stufen der Treppe, bevor er sich erhebt und den Papst umarmt, der ihn inmitten seiner Bischöfe unter dem Portal erwartet. Während die Sieger an den Apostelgräbern beten und den Chorälen der römischen Sängerknaben lauschen, wandern auf den Landstraßen Italiens die endlosen Züge der gefangenen Empörer in Knechtschaft und Schmach, weit fort von Heimat und Familie, in fränkische Gefangenschaft. Unter den Männern, die dieses harte Kriegslos getroffen hat, ist auch der Langobarde Arechis, der eine Frau und vier unmündige Kinder zurücklassen mußte. Sein einziger Trost ist der Gedanke an seinen Bruder, Paulus Diakonus4, der als Gelehrter und Dichter in hohem Ansehen steht. Paulus hat das Versprechen gegeben, daß er sich der armen Verwandten annehmen werde. Der Gelehrte tritt als Mönch in das Benediktinerkloster Monte Cassino ein und schreibt rührende Bittbriefe an König Karl, er schildert die Not der Frau mit ihren vier Kindern, „wie sie mit zitternder Stimme um Brot betteln muß und kaum Lumpen genug hat, ihre Blöße zu bedecken; denn sogar der Hausrat ist den Familien der Aufruhrer fortgenommen . . ."6. 6
Weil allgemein gesagt wird, König Karl sei ein Liebhaber gelehrter und kunstvoller Rede, kleidet Paulus seine Bitten in Verse oder flicht ausgewählte griechische Zitate in seine Gesuche. Und Paulus Diakonus läßt nicht nach, bis den Ärmsten Hilfe zuteil wird. *
Nahe dem Gipfel des Casinusberges, hoch über einer zerklüfteten, waldbedeckten Landschaft, schmiegt sich das Kloster Monte Cassino8 an die Felsen. Der Blick des Paulus Diakonus geht durch das Fenster in die Welt, die wie Spielzeug tief unter ihm liegt, als habe sie die Hand Gottes in ihr rechtes Maß gerückt. Das Silberband des Volturnoflusses blitzt auf, im Tal breiten sich die Äcker und die Stufen der Weinberge; die Gespanne, von heimkehrenden Laienbrüdern geführt, kriechen langsam über die Kehren der Bergstraße herauf. Das Licht wird trübe, schwere Wolkenmassen bedecken die Sonne, fauchende Windstöße rütteln am Gebälk des Klosters, und langsam setzt rieselnder Regen ein. Paulus Diakonus teilt seine Studierstube mit zwei anderen Brüdern. Tag für Tag sitzen sie über die Schreibpulte gebeugt, die Rohrfedern gehen über das Pergament, manchmal murmelt einer vor sich hin, aber sonst ist es still. Nur selten kommt eine Unterhaltung in Fluß. Heute glühen schon am frühen Morgen die Holzkohlen in den bronzenen Wärmeschalen, der Regen schlägt prasselnd an die ölgetränkten Tierhäute, welche die winzigen Fenster verschließen. Einige Wachskerzen erhellen den Raum. Paulus hat eine Menge engbeschriebener Zettel neben seinem Pult angehäuft. Schon seit vielen Jahren hat er liebevoll die zahlreichen Sagen, Legenden, Geschichten und Berichte über Herkunft und Schicksale seines Langobardenvolkes gesammelt. Die Stille des Klosters gibt ihm Muße, daraus eine volkstümliche Geschichte der Langobarden zu formen. Mit dieser Arbeit ist er seit Wochen beschäftigt. Neben Paulus liegt eine alte Abschrift des Geschichtsbuches des griechischen Historikers Herodot, die Lieblingslektüre des fleißigen Chronisten. Man freut sich in dieser Zeit wieder an den großen altgriechischen und altrömi7
sehen Schriftwerken und bemüht sich, die Alten zu übertreffen, indem man ihre Gedankenwelt durch christliche Ideen überhöht. Lange blättert der Gelehrte in den Pergamentblättern, dann legt er das Buch beiseite. Unter dem Winddruck sind die Fellhäute der Fenster straff nach innen gebaucht wie prall gefüllte, kleine Segel. Heulend jagt der Sturm um das Haus, die Kerzen flackern und scheinen manchmal ganz zu erlöschen. Auch die beiden anderen Mönche — Adrian, der Almosengeber und Geldverwalter des Klosters, und Johannes, der Jurist und Sachverwalter — horchen auf das wilde Treiben da draußen. Es ist ein Wetter zum Sinnieren und Plaudern, zum Nachdenken über Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges. Als bald darauf der Bruder Küchenmeister die Zelle betritt, um den Verwalter um eine Auskunft zu bitten, findet er die Mönche in ein reges Gespräch vertieft. Nachdem sich die Tür wieder hinter ihm geschlossen hat, deutet Frater Adrian auf die Bechentafel mit den Kugeln, die vor ihm auf dem Pult liegt. „Immer", sagt er, „wenn ich die Haushaltspläne des Klosters durchrechne, die Preise kalkuliere und sie mit den alten Bechnungsbüchern vergleiche, wird es mir mit aller Deutlichkeit bewußt, daß wir eine Zeit wirtschaftlicher Umstellung durchleben." Er entzündet mit Stein und Zunder eine kleine Öllampe, die ihr rötliches Licht auf sein Pult ergießt, dann nimmt er ein Notizblatt und hebt es ins Licht. „Seht, würdige Väter, das habe ich in den alten Bechnungsbüchern gefunden: 1 Pfund Gold galt zu Zeiten des Kaisers Theodosius 6 Pfund Silber 1 Pfund Gold galt zu Zeiten des Kaisers Justinian 7 Pfund Silber 1 Pfund Gold galt zu Zeiten des Kaisers Tiberio 11 Pfund Silber 1 Pfund Gold galt zu Zeiten des Kaisers Konstantin 13 Pfund Silber. Wie ihr wißt, war bis vor dem Einmarsch der Franken in die römischen Provinzen Galliens die allgemeine Grundlage der Währung der Goldschilling mit dem Kaiserbildnis — fürwahr eine vollgültige Münze aus purem Golde, die ihre 40 Silberdenare wert war. Die Franken, die neuen 8
Herren des Westens und Italiens, besitzen aber kein Gold, um Münzen prägen zu können. Die Bergwerke in Spanien, in den Cevennen und in Aquitanien, aus denen die Kömer einst Schätze gruben, sind erschöpft, die Gruben im Lande Böhmen gehören wilden Slawenstämmen, bleibt ihnen also nur die wenig ertragreiche Goldwäscherei im Rhein und in anderen Alpenflüssen. Von den goldreichen Ländern des Ostens sind sie abgeschnitten. Dafür haben sie die Silbergruben bei Schemnitz und Kremnitz in Ungarn wiedereröffnet und verlangen von den Thüringern das Harzsilber als Zins. Darum haben die Franken die Goldwährung abgeschafft und den Silberschilling mit fränkischen Königsbildern eingeführt, dessen Metallwert nur zwölf Silberdenare beträgt. Da der fränkische zwangsmäßig dem alten Schilling gleichgesetzt wird, ist der Wert unseres Geldes tief gesunken." Frater Adrian bringt einen zweiten Zettel mit Notizen zum Vorschein. „Aus alten Rechnungen schrieb ich gleichfalls die damals gültigen Preise ab. Zu Zeiten Kaiser Justinians kosteten auf dem Markt zu Neapel 1 Ochse 40 Denare, 1 Scheffel Weizen 5 Denare, 1 Panzerrüstung 50 Denare. Unter den Frankenkönigen kosten 1 Ochse 24 Denare, 1 Scheffel Weizen 3 Denare und 1 Panzerrüstung 216 Denare. Ihr seht an dem Vergleich, daß nur die landwirtschaftlichen Erzeugnisse im Preis gefallen sind, alles aber, was Kunstfertigkeit und gute Werkstätten voraussetzt, ist unvergleichlich gestiegen. Ein Eisenpflug oder eine Axt bedeuten wieder Kostbarkeiten." „Und aus welchem Grunde erfolgte diese Preisumstellung?" fragt Frater Johannes. Der Klosterverwalter steht auf und richtet eine der Kerzen, die umgefallen ist, gerade. „Das alte Römerreich", sagt er dann nachdenklich, „mit seiner auf die großen Weltstädte und Industriezentren aufgebauten, auf dem Handelsverkehr zwischen den entferntesten Provinzen in Ost und West begründeten Ordnung ist abgelöst worden durch das einfache Wirtschaftssystem der Germanenvölker. Die Franken leben bedürfnislos in ihren Dörfern und Weilern; alles, was sie brauchen, schenken ihnen Äcker und Vieh. Geld benötigen und besitzen sie kaum. Die Politik wird der Umstellung der Wirtschaft folgen. In einer Welt, die Reichtum und Macht nach Viehherden, Weizen9
scheffeln und nach dem Besitz von Äckern rechnet, muß notwendig der Großgrundbesitzer den Ausschlag geben. Mag sein, daß sich bei uns in Italien durch die alte Stadtkultur ein Eest von Volksfreiheit erhält. Im Norden, wo heute das Schwergewicht der Entscheidungen liegt, werden die großen Grundherren — Herzöge, Grafen und Barone — die Schlüssel der Macht in Händen haben." Frater Adrian schweigt, in der Schreibzelle des Klosters hört man nur das Heulen und Toben des Sturmes, der knatternd die Regenschauer gegen die Fensterbespannung wirft. Paulus Diakonus ist aufgestanden und geht unruhig in dem einfachen Raum auf und ab. „Man braucht kein Prophet zu sein", sagt er wie im Selbstgespräch, „ran zu spüren, daß die Zeit große Entscheidungen heraufführt; unfaßbare Mächte weben am Teppich der Zukunft, ein Faden legt sich neben den andern, schon rundet sich das Bild, das einst Geschichte unserer Tage heißen wird. Ich habe kein Rechenbrett und kein Kontobuch, aus denen ich Beweise schöpfen könnte. Gottes Pläne sind nicht zu errechnen, unfaßbar ist das Schicksal, das die Völker durcheinanderwirbelt. Aber eines scheint sicher: Vergangenheit und Gegenwart haben Fäden angeschlagen, deren Verknüpfung wir ahnen können. Wir sehen, was geschehen ist, und deuten uns, was geschehen wird." „Nun, Paulus", unterbricht Frater Johannes den Langobarden, „so weise uns das kunstreiche Gewebe des historischen Teppichs, hat doch keiner Vergangenheit und Gegenwart schärfer und kritischer beobachtet als du .. .!" Der Gelehrte legt seine Notizzettel beiseite, dann setzt er sich wieder in den breiten Lehnstuhl, der ihm vom Abt des Klosters freundschaftlich bewilligt wurde. Gedankenvoll sieht er dem Spiel der Schatten zu, den die windbewegten Kerzen auf Wände und Decke werfen. „Viele Fäden", fährt er schließlich fort, „werden im Osten geknüpft, wo das Gesetz Mohammeds7 über den Häuptern der Völker steht. Es ist ein Menschenalter her, daß uns aus dem Orient die Kunde von blutigen Religionsund Bürgerkriegen innerhalb der islamitischen Welt erreichte. Ein Jahr, bevor Pippin König der Franken wurde, spaltete sich das Kalifat, das höchste Herrscheramt des Islam; die arabischen Herrscher in Damaskus und die in Spanien hatten sich tödlich verfeindet. 10
Manni Hesse
Digital unterschrieben von Manni Hesse DN: cn=Manni Hesse, c=DE Datum: 2007.02.17 09:48:42 +01'00'
Auf der Buche nach Bundesgenossen gegen den Rebellen wandte sich der Kalif in Damaskus an Pippin, weiland König der Franken, den Grenznachbarn und natürlichen Gegner der Sarazenen in Spanien. Pippin erkannte die Gunst der Stunde und warf in einem Blitzfeldzug seine Truppen über die Pyrenäen, um einem erneuten Angriff der Scharen des Islam auf das Abendland zuvorzukommen. Und der Sohn Pippins, König Karl, führte das Werk vor vier Jahren weiter: Spanien, die verlorengegangene Provinz des alten römischen Imperiums, wurde von den Franken im Namen Christi angegriffen und in seinem Nordteil zurückerobert. Kaum ein Krieg der vergangenen Jahrzehnte ist so populär gewesen wie dieser Kampf gegen die heidnischen Sarazenen. Überall singt das Volk vom Tode des Grafen Roland im Tale Ronceval 8 und von Karls Heldentaten. Mir scheint es von Bedeutung für die Zukunft zu sein, daß zu gleicher Zeit, da bei uns im Westen die fränkische Großmacht ihre Grenzen sprengt und zu übernationaler Bedeutung aufwächst, sich das Weltreich Mohammeds in zwei feindliche Lager gespaltet hat. Das Kalifat fällt ebenso wie einst das Reich der Cäsaren in ein Ost- und Westreich auseinander. Durch die innere Schwächung des Islam aber werden die Franken ermutigt, das Erbe des Römerimperiums anzutreten, die alten Provinzen in Spanien und vielleicht auch an der Donau heimzuholen. Das Frankenreich wird jedoch nicht mehr im Namen des Capitolinischen Jupiter, sondern im Zeichen des Kreuzes errichtet; wo die Franken marschieren, siegt das Christentum." Paulus Diakonus hat seine Wanderung durch die Arbeitszelle wieder aufgenommen. Eifrig und sich selbst an der Kühnheit seiner Gedanken entflammend, spricht er weiter. „Die Fäden verschlingen sich im großen Webstuhl der Zeit. Mitten im Herzen Italiens vollzieht sich der endgültige Bruch zwischen dem ohnmächtigen Kaiser des Ostens und dem Hüter und Bewahrer des Cäsarenpurpurs — dem Papsttum. Rom macht sich von Byzanz unabhängig. Das alte tausendjährige Rom, verkörpert durch den Nachfolger Petri, wendet sein Gesicht dem Westen zu. Fränkische Truppen halten Italien in Besitz, sichern den Kirchenstaat, ihre Könige werden vom Papst gesalbt und üben die Schutzherrschaft über Rom und Italien aus. 11
Pippin hat vor seinem Tode 9 das Reich unter seine beiden Söhne Karl und Karlmann geteilt; er ahnte nicht, da sich die beiden von Jugend auf hassen, daß niemals Ruhe werden wird, solange zwei Könige im Frankenreich regieren. Doch bevor alle Pläne, alles Hoffen und alle kühnen Zukunftsbilder im Feuer des Bruderzwistes zerstört werden, greift das Schicksal ein: Karlmann stirbt 10 , und Karl übernimmt unangefochten die Führung des Gesamtstaates. Ein Feldzug gegen die Langobarden in Italien beseitigt seine letzten gefährlichen Gegner. Karl ist König von Friesland bis Rom, von der spanischen Mark bis Thüringen. Nur die Bayern widerstehen ihm noch, aber ihre endgültige Unterwerfung dürfte nur eine Frage der Zeit sein." Der Gelehrte steht inmitten des vom Halbdunkel der niederbrennenden Kerzen erfüllten Raumes. Sein Gesicht glüht von innerem Feuer. „Ich sehe das Wachsen eines neuen Reiches im Westen", sagt er feierlich, „das Emporkommen einer abendländischrömischen Besinnung, das Wiedererwachen der Kaisertradition, die den Frankenkönigen als den Schöpfern einer jungen Macht zuträgt, was sich im Laufe der Jahrhunderte an Hoffnungen auf römische Wiedergeburt, an Gedanken über das Gottesreich und an nationalen und religiösen Empfindungen im Abendland gesammelt hat. Die Zeit ist reif für einen Kaiser des Westens!" Ein Windstoß weht einen der Rahmen aus dem Fenster, drunten klappern deutlich hörbar die Hufschläge eines Pferdes. Frater Adrian neigt sich über die Brüstung. Das Regengewölk hat sich verzogen, nur fern am östlichen Rande des Himmels grollt es noch dumpf; über Berg und Tal wölbt sich ein gestirnter Abendhimmel, der blasse Mond schwimmt zu Häupten der Berge. Im Hofe laufen Leute mit Fackeln; Waffen und Panzer blitzen auf. Fast gleichzeitig beginnt die kleine Glocke des Kirchleins zu bimmeln. Einer der Brüder erhebt in den Gängen den Gebetsruf, schlürfende Schritte tappen über den Flur. Da stehen auch die drei Mönche schweigend auf, ziehen die Kapuzen über die Köpfe, stecken die Hände in die weiten Ärmel und schreiten treppabwärts der Kirche zu. Im Hauptgang des Wohngebäudes tritt ein Mönch an Paulus Diakonus heran, überreicht ihm ein gesiegeltes 12
Schreiben und flüstert, er möge die Botschaft gleich lesen, der Kurier verlange sofort Antwort. Paulus reißt erstaunt das Wachssiegel auf, sieht die seltsam steifen Buchstaben einer fremden Hand und liest die knappe Einladung des Frankenherrschers Karl, der Mönch Paulus möge an den fränkischen Königshof kommen, der König suche gelehrte Männer und wolle ihm gebührende Ehre erweisen. * Wenige Wochen später reist Paulus nach Westen. Schweren Herzens nur und vom Gedanken an den gefangenen Bruder bestimmt, hat er den Frieden des Klosters mit dem Getriebe der Welt vertauscht. Nachdem er in Monte Cassino die Größe und Schönheit antiker und römisch-christlicher Bildung erfahren hat, erscheint ihm der Ruf an den Hof des Frankenkönigs wie eine Verbannung zu den Barbaren. * Als Paulus Diakonus nach mühsamer Reise ins Frankenland kommt und die Königspfalz Diedenhofen erreicht, erfährt er, daß König Karl wieder einmal einen Heerzug nach Norddeutschland, in den Sachsengau, unternommen habe. Nach kurzem Aufenthalt schließt er sich einem Reiterzug an, der sich nach Metz begibt, wo sich seit zwei Wochen die Kanzlei mit ihren Beamten aufhält. Der Gelehrte ist überrascht von der einfachen, patriarchalischen Lebensführung an den fränkischen Königshöfen. Die Pfalzen sind nichts weiter als große Landgüter; die Herrenhalle um den geschnitzten Mittelpfosten mit dem Hochsitz ist zugleich Festsaal und Konferenzgemach; in Abwesenheit des Königs verwaltet ein Pfalzgraf oder Truchseß den Hof, auf dem es wie auf anderen Großgütern zugeht: Vieh wird angetrieben, Getreide eingefahren, Hühner und Gänse bevölkern den Vorplatz, und das Gesinde steht schwatzend am Brunnen. Die fränkischen Edlen erklären dem Gast aus Italien, daß der König den abgelieferten Zehent in den Pfalzen aufstapeln läßt, um genügend Vorräte vorzufinden, wenn er mit großem Troß von einem Königshof zum andern durchs Land reist. So ist der Herrscher des mächtigen Frankenreiches meist unterwegs, um überall an Ort und Stelle sei13
nes königlichen Amtes zu walten; nur in den alten Römerplätzen, in Trier, Metz, Soissons, Paris und in der neuerdings ausgebauten Pfalz zu Aachen, sind größere Paläste, in denen König Karl für längere Zeit verweilt. In Metz trifft Paulus den angelsächsischen Gelehrten Alkuin, den der König aus Pavia, der alten Pflegestätte römischer Bildung, an den Königshof geholt hat. Alkuin schlägt vor, den Spuren Karls zu folgen und mit fränkischen Nachschubkolonnen nach Sachsen weiterzureisen. Zurückkehrende Verwundete melden, daß die Kämpfe beendet und Sachsen und Franken bei Lippspringe zu einem Reichstag zusammengekommen seien. Die beiden Mönche schließen sich einer berittenen Hundertschaft an, die moselabwärts zum Rhein strebt. In Trier steigen sie auf weitbauchige Schiffe um und fahren nun bequem durch das schöne, von Weinbergen gesäumte Tal nach Koblenz. In den langen Mußestunden berichtet Alkuin dem Gefährten von der Vorgeschichte des Sachsenfeldzuges, den Karl mit aller Energie geführt hat. * Das Land der Sachsen erstreckt sich von der Eibmündung bis zur holsteinischen Halbinsel, von der Wesermündung südwärts des Friesenlandes bis zum Niederrhein und ostwärts zur Saale. Von einem einheitlich geführten Sachsenvolk kann man kaum sprechen, da die vier Stämme der West- und Ostfalen, der Engern und Nordleute nur durch lose Bande miteinander verbunden sind; ihre Abgesandten treffen sich zwar einmal jährlich zu gemeinsamen Besprechungen an der Weser, aber im übrigen herrschen in den einzelnen Gauen Herzöge oder Häuptlinge, die wenig Beziehungen zueinander haben. Die Menschen leben dort meist vom Landbau, von Viehherden und Rossezucht; ihre großen, schilfgedeckten Höfe mit den gekreuzten Giebelbalken und den Pferdeschädeln darauf beherbergen Mensch, Tier und Ernte unter einem einzigen Dach. In den Sachsengauen herrscht das harte Gesetz der Urzeit; stolze, rücksichtslose Edelinge sitzen in den Großhöfen und nehmen Zins von den umliegenden Gemeinfreien, ihr grausamer Druck lastet schwer auf der Masse des Volkes. Da Reichtum gleichbedeutend mit der Zahl zinspfüchtiger Höfe ist, bringen die Häuptlinge durch Ge14
walt viele ehemals freie Bauern dazu, auf die Unabhängigkeit zu verzichten und sich in ein Schutz- und Zinsverhältnis zu begeben. Rechtlose Knechte und Mägde, die von jenseits der Gaugrenzen auf Raubzügen oder in Kriegen fortgeschlepptwurden, bestellen die Äcker, versorgen die Herden und werden selber wie Vieh auf den Sklavenmärkten verkauft. In diesem Stamme hat die Lehre des Christentums fast keinen Einfluß gewonnen; Wotan und Donar und die Kriegsgötter Thor und Sachsnot herrschen in der wilden Heide, im fruchtbaren Marschland und an der sturmumtobten Nordseeküste. Wie in Vorvätertagen forscht das Volk im Rauch, im Vogelflug, Rosseschnauben und Wolkenzug nach dem Willen der Götter. Im Engemgau liegt die Eresburg und in ihrer Nähe die Irminsul, ein mächtiger, geschmückter Baumstamm, der die Weltesche Yggdrasil darstellt, die das Himmelsgewölbe stützt. Es ist ein rauhes, von unerbittlichen Gesetzen regiertes Land, in dem ein Geschlecht von Kriegern sitzt, immer bereit zu Widerstand, Trotz und Raub. Dieses Volk wurde von Karl vor Jahren zum erstenmal angegriffen11. Ursache waren die fortgesetzten Einfälle der räuberischen Engern in die Grenzgebiete des Frankenreiches. Damals, als das Frühjahr die Wege passierbar machte, wälzten sich die Heersäulen der Franken ins Weserland. Die Eresburg wurde verbrannt, die Irminsul umgehauen, die alten Thingplätze zerstört und viele Sachsenkrieger unter die Taufe gebeugt. Die zerstreuten und uneinigen Stämme vermochten der Kriegskunst der Franken im offenen Felde nirgends zu widerstehen; der Widerstand beschränkte sich auf Überfälle kleiner Abteilungen, auf den Waldkampf und die Errichtung von Baumsperren. Wenn die fränkischen Kolonnen vorübergezogen waren, kamen die Sachsenkrieger wie die Wölfe aus Tälern und Dikkungen hervor, rotteten sich zu Haufen und drangen im Rücken des gegnerischen Heeres ins fränkische Land ein. Manches Kloster ging in Flammen auf, mancher Frankenhof sank in Asche, sogar die befestigten Rheinstädte sahen den Brandschein vor ihren Mauern. Über die Sachsendörfer aber brach unsägliches Elend herein. Frauen und Kinder verhungerten auf den Aschen 15
hügeln der Gehöfte — und doch ließen sich die Männer ihren Trotz nicht brechen. Nach jeder Niederlage nahmen sie von neuem die Waffen auf. Da war im Nordland ein großer Kriegshäuptling aufgestanden, er hieß Widukind12, und dem Klang seines ruhmvollen Namens ordneten sich die zerstreuten Rotten unter. Aber auch er unterlag der fränkischen Übermacht und mußte zu den Dänen fliehen. Sachsen schien endgültig besiegt, schon folgten den Truppen die Mönche, das Missionswerk zu beginnen. König Karl hatte im sächsischen Paderborn ein neues Bistum gegründet, welches das Licht des Christentums und der Kultur unter den Heiden verbreiten sollte. Nun riefen ihn die Kämpfe mit den Arabern nach den Provinzen jenseits der Pyrenäen; sein sagenumrankter Feldzug ins Ebrotal führte Franken, Alemannen und die in seinen Kriegsdienst gezwungenen Langobarden auf spanische Erde. Von Spanien wälzte sich der Heerzug des großen Königs nach Italien; Karl erneuerte vor dem Papst eidlich das Gelöbnis, Schutzherr Roms zu sein. Für Jahre war die Aufmerksamkeit des Frankenreichs nach Westen und Süden gerichtet. Da standen die unbeugsamen Sachsenkrieger abermals auf, ließen die Heerhörner dröhnen und brachen sengend und brennend in Hessen und Rheinfranken ein. Aber nun schlug Karl mit grimmigem Zorn zurück. Er drang an der Spitze seiner Heerscharen bis zur Unstrut und Saale "vor, eroberte Westfalen und den Engerngau und zwang den Unruhestifter Widukind abermals zur Flucht zu seinen dänischen Freunden. Über Sachsen flammte der Tag der Rache; wer Pferdeschädel auf den Giebelbalken duldete, verfiel dem Schwerte, und sein Schilf dach flammte auf; das Vieh wurde fortgetrieben, in vielen Dörfern standen nur noch die gemauerten Herde inmitten brandgeschwärzter Trümmer und verkohlter Balken. Raben kreisten über den Wäldern, in denen zu Hunderten die Körper der Erschlagenen lagen.
Bilder auf der gegenüberliegenden Seite. Oben : Papst und Priester; fränkische Trachten; M i t t e ; schreibende Mönche und Halle des Reichsklosters Lorsch; u n t e n : fränkische Kapelle und Bischof.
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Jetzt hat Herr Karl das besiegte Volk zum Eeichstag nach Lippspringe gerufen, um die neuen Ausnahmegesetze zu verkünden. * Alkuin und Paulus Diakonus gelangen ohne Zwischenfall an den Ort der Eeichsversammlung. Weithin ist das Feld von Wagenburgen und Zelten der Franken bedeckt, Viehherden grasen in den unbestellten Feldern, abseits von den fränkischen Scharen und ihrem Siegerübermut sind die Laubhütten der Sachsen in den Schatten gedrängt. Gleichzeitig mit dem Eeisezug der beiden Gelehrten trifft ein Eeitergefolge gepanzerter Aquitanier ein. Sie geleiten auf einem mit Purpurdecken und Seidenbändern geschmückten Pferd einen vierjährigen Knaben — Ludwig, den dritten Sohn des Königs und selber schon Unterkönig von Aquitanien, der liebenswürdigen Provinz in Südgallien. Die Krieger, die die Feststraße säumen, schlagen Schwerter und Schilde zusammen, den Knabenkönig zu grüßen, der einen winzigen Speer schwenkt und keck, im runden Mäntelchen, mit Bauschärmeln und Hosen, Sporenstiefeln und Eeiterkappe zum Pfalzhofe sprengt. Am nächsten Tage wird das Aufgebot zum Batsfeld unter die Königslmde bestellt. Zu Tausenden drängen die Sachsen in die Schranken, die aus geschälten Stangen errichtet sind, zum Zeichen dafür, daß innerhalb des weißen Holzes Friede für jedermann herrschen soll. Ein waffenstarrender Eing fränkischer Truppen umgibt das Feld, die Lanzen wogen wie ein windbewegtes Schilfmeer. König Karl sitzt auf einem fellbedeckten Hochsitz unter der alten Eatslinde, den Königsreif aus rotem Golde auf dem Haupte, die stattliche Gestalt in einen einfachen, hellblauen Leinenmantel gehüllt. Paulus Diakonus, der nahe bei ihm auf einer der rohgezimmerten Bänke sitzt, ist überrascht, als er zum ersten Male die ungewöhnlich hohe und fast fraulich zarte Stimme des Königs vernimmt. Zu beiden Seiten des Thrones haben sich auf erhöhten und mit Tüchern bedeckten Sesseln die fränkischen Bischöfe und Grafen gruppiert. Im Gegensatz zum König sind sie in prunkvolle, reich gestickte Gewänder gekleidet. Alkuin beugt sich zu Paulus Diakonus herüber und erzählt ihm flüsternd eine Anekdote, die bezeichnend für 18
Herrn Karl ist. In dem eben beendeten Feldzug soll der König einen seiner Edlen getroffen haben, der in seidenen Kleidern, mit goldenen und silbernen Armreifen und Ketten behangen, an der Spitze seiner Mannschaft in den Kampf ritt. ,,Er redete ihn also an: ,Ei, du doppelt Goldener, ei, du Silberner, du ganz Purpurner! Reicht es dir nicht, wenn dich die Sachsen totschlagen, müssen sie auch noch deine Schätze haben und an den Hals ihrer Götter hängen?'"13 Jetzt treten Herolde vor, sie heben die Lurenhörner und blasen den Königsruf. Zugleich tritt ein Beamter vor, der ein gesiegeltes Dokument in Händen hält. Als Stille auf dem weiten Feld eingetreten ist, beginnt er die neuen Gesetze und Bestimmungen zu verkünden. Zuerst heißt es, daß in den Sachsengauen die fränkische Grafschaftsverfassung eingeführt werden soll; das Gemurr der Versammlung ebbt sogleich wieder ab, da die benannten Grafen, meist aus alten Sachsengeschlechtern stammend, bekannte Namen tragen. „Wer in eine Kirche eindringt, mit Gewalt etwas raubt oder stiehlt oder die Kirche in Brand steckt... soll sterben!"14 ruft der Beamte mit harter Stimme. „Unsere Höfe haben auch gebrannt!" schreit ein baumlanger Sachse. „Meine Viehherden wurden von Franken gestohlen!" ruft ein anderer aus dem Hintergrund. Herr Karl hebt gebietend die Rechte, da wird es still, und der Schreiber kann weiterlesen. „Wer Leichen nach heidnischer Art verbrennt, soll sterben.. . Wer sich mit Heiden gegen Christus verbündet, soll sterben . . . Wer dem König die Treue bricht, soll sterben . . . Wer, vom Teufel irregeführt, glaubt, ein Mann oder eine Frauhabe denbösenBlick.sie deshalb verbrennt und ihr Fleisch ißt oder zum Essen verteilt, soll sterben . . . " Immer wiederholt sich das einförmige,,. .. soll sterben". Drückendes Schweigen lastet wie Grauen auf den gesenkten Häuptern der Sachsen, bis aus der Menge der Schrei eines jungen Kriegers hochfährt: „Genug! Jedermann soll sterben! Wer aber soll leben?" Ji)
Der Beamte schweigt einen Augenblick, dann entgegnet er mit ausdrucksloser Stimme: „Wer reuig mit seinen Sünden zu einem Priester gehet und beichtet, wer die Buße der Kirche auf sich nimmt, kann leben." Drakonisch hart sind die Gesetze und Vorschriften, die selbst das private Leben einengen. Nur ein einziger Ausweg wird denen gelassen, die straffällig werden: Wer in eine christliche Kirche flüchtet, findet Asyl und soll außer Verfolgung gesetzt sein. Immer unruhiger wird die Menge, endlos scheinen die königlichen Verordnungen, bis es endlich ganz still wird und die Tausende von Sachsen nur noch mit geballten Fäusten und zusammengebissenen Zähnen vor dem Hochsitz des Franken stehen. Karl aber blickt über ihre Köpfe hinweg in eine Zukunft, die nur er sieht, in ein großes, abendländisches Reich, in dem alle eines Glaubens und eines guten Willens sind.
* Der Reichstag von Lippspringe ist beendet, die neue harte Ordnung zieht in die Sachsengaue ein. Jeder Tag des veränderten Lebens spricht von Unterwerfung und Niederlage. Unerträglich scheint das Dasein vielen der halbwilden Kämpfer. Der Zehent für die Kirche wird von den adeligen Grundherren in voller Höhe auf die Masse der zinspflichtigen Bauern, auf die Inhaber der kleinen Höfe abgewälzt, von deren Arbeit die Oberschicht zu leben gewohnt ist. Im Frühling des folgenden Jahres rückt ein Frankenheer durch den Sachsengau zur Elbe vor, um jenseits des Stromes und der Reichsgrenze gegen die heidnischen Sorben zu streiten. Noch während die verhaßten Frankenscharen ostwärts marschieren, erhebt sich der sächsische Heerbann in ihrem Rücken. Wieder ist Widukind mit seinem Kriegsadel aus Nordland herbeigeeilt. Sein Wappen —• das schwarze Roß auf rotem Grunde — taucht in den Thingstätten auf, Schilde mit diesem Zeichen werden an den Wodanseichen aufgehängt, und Tausende von Sachsenbauern nehmen noch einmal die Waffen auf, um die Frankenherrschaft zu brechen. 20
Die fränkischen Heerführer kehren um, werfen ihre Reiterei nahe der Porta Westfalica, dem Weserdurchbruch ins norddeutsche Tiefland, gegen das versammelte Fußvolk der Aufrührer und erleiden eine blutige Niederlage. Darauf geht die Welle der Empörung über alle Sachsengaue hin, wieder flammen die Kirchen und Klöster auf, die Priester werden erschlagen, die Getauften wie Wild gehetzt und die Kreuze von den Firstbalken herabgerissen. Karl erhält die Botschaft vom Zusammenbruch seiner Pläne in Diedenhofen, wo soeben seine geliebte Gemahlin Hildegard verstorben ist. Von ihrer Bahre eilt er nach Sachsen — ein zürnender Richter und Rächer. Auf die Kunde von Karls übermächtigem Heer flieht Herzog Widukind mit seinen Getreuen ins unzugängliche Holstein und überläßt den sächsischen Heerbann seinem Schicksal. Als Karl die Auslieferung der Anstifter fordert, übergeben die sächsischen Edelinge einige Tausend der verachteten Heermannen, gemeinfreie Bauern und kleine Gefolgsleute, die den bitteren Trank bis zur Neige leeren sollen, der Rache des Siegers. Der Adel des Landes hat sich bei dem Aufstand vorsichtig zurückgehalten und entgeht nun dem Gericht. König Karl hält, was niemand erwartet hat, den Wortlaut seiner schrecklichen Androhungen vom Reichstag zu kippspringe ein; das schreckliche ,,. . . der soll sterben!" kommt nun über das Sachsenvolk. Am Ufer der Aller, nahe dem Orte Verden, fallen die Köpfe der Tausende an einem einzigen Tage15. Wilde Verzweiflung bemächtigt sich des Volkes, und kaum ziehen sich die Franken aus dem in Furcht erstarrten Lande zurück, als die Hörner zu Thing und Heerfahrt rufen. Widukind kehrt zurück und schickt seine Wappenschilde mit loderndem Racheschrei an die Gaue. Ein mörderisches Sengen und Brennen hebt an, diesmal messen sich Sachsen und Franken auch in offenen Feldschlachten, in denen zuletzt die Aufrührer unterliegen. Langsam wälzt sich der fränkische Vormarsch zur Elbe und stromab an die Grenzen Holsteins. Andere Kolonnen folgen dem Weserlauf und umfassen das heidnische Friesland. - In Friesland wirkt Bischof Liudger, an der Wesermündung gründet Willehad das Bistum Bremen, fränkische Mannschaft geleitet die Priester, zerstört die heidnischen Opferstätten und errichtet christliche Kapellen in den al21
ten Götterhainen. Liudger segelt zur Insel Helgoland hinüber, um auch auf dem Felseiland im Nordmeer das Kreuz aufzupflanzen. An der wilden Heidengrenze, wo das graue Meer gegen die Eichenwälder der Dänen- und Holstenküste anrennt, begegnen sich die feindlichen Welten. Vor mehr als sechs Jahrhunderten kreuzten hier oben in Nebel und Stürmen die Flotten der Römer, aus den Urwäldern Innergermaniens fluteten die Truppen eines Drusus und Germanicus geschlagen zurück, jetzt ist der Ruf fremder Krieger wieder laut über der Küste und regt die Völker auf. Aber die Scharen, die nun entlang den Strömen nach Norden dringen, sind Germanen, sind christlich gewordene Franken; nicht mehr das Imperium der römischen Cäsaren, sondern das Reich Christi trägt seine Feldzeichen ins Land der Nordleute. Die neue Eroberung greift nach den Seelen, sie verändert den geistigen Untergrund der Urwelt. Allerorts hört man die Worte der Missionare: „Hloset ir, chindo liupostun, rihtida thera galaupa, the ir in herzin kahuctlicho hapen sculut, ir den christanun namun intfangan eigut, thaz ist chundida iwerera christanheiti, fona demo truhtine innan gaplasan, fona sin selpes jungiron kasezzit, thera galaupa gawisso fohiu wort sint: uzan drato michilu garuni dar inne sint pivangan . . . " i. „Höret ihr, der Kinder liebste, die Richtschnur des Glaubens, die ihr im Herzen erwägen sollt, ihr alle, die ihr den christlichen Namen empfangen habet; es ist die Kunde eurer Christenheit, von dem Herrn verkündet, von seinen Jüngern gesetzet. Gewiß, nur wenige Worte des Glaubens sind es, aber sehr große Geheimnisse sind darin enthalten . . ." 16 Und zaghaft, zwischen neuem Glauben und gebrochenem Trotz, ertönt die Antwort der Unterworfenen: „Wir entsagen dem Teufelsspuk — wir glauben an Gott!" Am heidnischen Ufer der Elbe aber und höher hinauf zur Nordlandküste rauchen noch die Opferaltäre unter den Eichen, die Odinspriester singen uralte Lieder, Runenstäbe werden von kundiger Hand geworfen und künden für Dänen und Holsten die kommende Zeit. Das Gefühl der herannahenden Gefahr, die Ahnung vom Sturz der bisher bestehenden, alten Ordnung ergreift die 22
Küstenstämme. Freiheitsliebend, ungezügelt und kampfesfroh suchen viele der jungen Mannen ihr Glück bei den Waffen; im Faustrecht, im Eaub und in freier Seefahrt erhoffen sie Erlösung vom drohenden Joch des Frankenvolkes. Aus diesen Ländern zwischen Meer und Himmel sind vor zweieinhalb Jahrhunderten die Angeln und Sachsen nach Westen gesegelt und haben die britannische Insel erobert. Jetzt, da Karls Heerzug sich ihren Grenzen nähert, richten die Nordleute ihren Blick erneut auf die weite See, sie lassen die hochbugigen Schiffe zu Wasser, setzen sich an die langen Ruderbänke; Helme, Schilde und Speere liegen in der Höhlung des Schiffes. Dann flattert das gestreifte Segel am Mast, die langen Ruder strecken sich, und Schiff um Schiff gleitet aus den Buchten, eine umschäumte Kiellinie ausfahrender Wikinger. Sie werfen sich mit voller Brust dem Abenteuer entgegen, die weite Welt lockt zu Raub und Eroberung. Zuerst segeln die Schiffe auf der Spur der Vorfahren westwärts nach England. Ein paar hundert Raubgesellen landen an der Küste. Als der Vogt von Wessex sie um ihr Begehren fragt, schlagen sie ihn und seine Leute tot, plündern die verhaßten Christenkirchen, zünden die Klöster an und schleppen reiche Beute auf die Langboote. Ihr Beispiel macht Schule, überall an den Küsten mehren sich die Überfälle. Die Nordlandboote umrunden Schottland, greifen Irland an, rauben die Kelche und Weihegeräte aus den Kirchen und brandschatzen die Siedlungen. Mit den Herbststürmen kehren die Boote in die schützenden Buchten zurück; dann sitzen die Seefahrer an den Torffeuern und berichten den Daheimgebliebenen vom goldenen Westen, von der Schwäche der dort lebenden Völker, die weder Flotten noch Küstenfestungen besäßen, und von den reichen Kirchen, den Städten und Klöstern. Sie reden vom Zauber freier Meerfahrt und von den Sagen, die über den schatzreichen Süden gehen, sie zeigen stolz die geraubten Armspangen, die edelsteinbesetzten Kelche, die bunten Meßgewänder und die geraubten Waffen aus Britannien. Von Fjord zu Fjord raunt das Gerücht. Überall werden Drachenboote gebaut, Masten aufgerichtet und Segel gewebt; der Norden gerät in Bewegung, mit jedem Jahr ziehen größere Flotten von Raubschiffen auf Fahrt, immer mehr Piraten reiten auf ihren schnittigen Meerrennern 23
über die Hochsee. Jetzt dehnen die Nordleute ihre Fahrten schon bis zur Bretagne, nach Aquitanien und zur spanischen Nordküste aus, andere fahren in die breiten Strommündungen, tasten sich die Fahrrinne aufwärts zu den reichen Städten des Binnenlandes. Bin einziger Schreckensruf durcheilt den Westen des Abendlandes, eine schreckliche Gefahr erhebt ihr Haupt: Die Normannen sind aufgebrochen! Überall, wo Nordleute wohnen, schließen sich Krieger dem ebenso abwechslungsreichen wie einträglichen Unternehmen der Seeräuberei an. *
Während die Nordleute — von Karls Feldzug aufgestört — auf den Ozean entfliehen und zur Meerpest werden, erkennt Herzog Widukind, daß die Macht der Sachsen sich nun endgültig dem Franken beugen muß. Er verlangt von Karl die Stellung von Geiseln für seine und seiner Kampfgefährten Sicherheit, erhält sie und reitet quer durch Sachsenland nach Franken. 17 In Attigny an der Marne empfängt Karl den alten Widersacher, der nun sein Haupt unter die Taufe zu beugen bereit ist. Die beiden Fürsten ihres Volkes reichen sich die Hände zur Versöhnung. Karl selbst übernimmt das Amt des Taufpaten für seinen langjährigen großen Gegner und ehrt ihn durch zahlreiche Gaben. Die Großen haben ihren Frieden gemacht, aber über dem nördlichen Sachsenland liegt weiterhin der Dunst von Brand und Blut. Jahr für Jahr verheeren fränkische Kriegshaufen die Landschaft entlang der Nordseeküste. Aus den unzuverlässigen Landesteilen werden lange Züge von Zwangskolonisten in andere Gebiete fortgeführt. Fränkische Kolonisten nehmen die freigewordenen Bauernstellen ein. Die heilende Hand der Zeit schließt langsam die Wunden des grimmigen Kampfes, die beiden feindlichen Stämme beginnen zu begreifen, daß sie neben- und miteinander leben können. Viele Jahre später werden dem Sachsenvolk auch die alten Stammesrechte zurückgegeben. * 24
Am Aachener Königshofe, der seit dem Jahre 794 zur fast ständigen Residenz geworden ist, versammeln sich nicht nur die Großen des Staates und der Kirche, sondern auch die gelehrten Männer, denen Karl mit höchster Achtung begegnet. Das geistige Haupt dieser fränkischen „Akademie" ist der fromme aus Britannien stammende Mönch Alkuin. Die meisten dieser durch besonderen Bildungsstand ausgezeichneten Höflinge werden vom König mit reichen Pfründen ausgestattet. Alkuin werden mehrere Abteien anvertraut, später wird er auch Herr über das große Kloster Tours in Frankreich. Wenig bekümmern Herrn Karl die Beschwerden der gemeinfreien Bauern, die den fester werdenden Griff der adligen Herrschaft auf ihren Schultern verspüren und sich nun um ihre altüberkommene Freiheit rühren. In dieser Frage denkt Karl als Grundherr, der die Notwendigkeit erkennt, viele Knechte für die Bewirtschaftung des Landes und gehorsame Gefolgsleute zu haben. Der Boden macht entweder zum Freien und zum Herrn oder zum angebundenen Knecht. Lieber als mit solchen Unabänderlichkeiten des Daseins beschäftigt sich Karl mit den Schönen Künsten. Die Freude der Antike an Wissenschaften, an Philosophie und Dichtung ist wiedererwacht, die Italienzüge haben dem König den großen Bildungsunterschied zwischen dem fränkischen Volke und den Nachfahren der Römer gezeigt; er ist eifrig bestrebt, auch auf diesem Gebiet Wandel zu schaffen und die Weisheit der Vergangenheit seinem Volk zugänglich zu machen. Die Gelehrten und Priester sollen ihm dabei helfen. „Man soll bei den einzelnen Klöstern und an den Bischofssitzen Schulen errichten, in denen Psalmen, Noten, Gesänge, Kalenderkunde, Grammatik und sorgfältig von Fehlern gesäuberte, christliche Bücher gelesen werden; denn während oft gar mancher gern •würdig zu Gott beten möchte, betet er doch wegen der fehlerhaften Bücher nur übel. . ,"18 Alkuin, der seine Bildung an der Schule zu York erworben hat, ist der eifrigste unter den Gelehrten des Hofes. Er wird zum verehrten Lehrer der königlichen Familie. Weilt er fern in seinen Abteien oder in seiner Inselheimat, so steht er in ständigem Briefverkehr mit Gisla, der Schwester, und Hruodtrud, der Tochter des 25
Königs, um sie in den schönen und frommen Dingen zu unterweisen. Nicht nur nach der Belehrung durch die klugen Theologen und Wissenschaftler, nach den Literaturvorlesungen der aus Italien berufenen Gelehrten und dem wohlklingenden Griechisch der wenigen Kenner dieser Sprache verlangen die Damen und Herren des Karlshofes, in ihrem Herzen lebt auch die frohe Erinnerung an die langen Winterabende, wo sich das „Kränzchen" oder gar die „gelehrte Akademie" um den Kamin der Pfalz versammelt, und „Winelieder" — zu Wein und Liebesspiel gedichtet — vorgetragen, wo die alten Schriftsteller gelesen und erklärt werden. Der lebensfrohe König sitzt lächelnd, von Vaterstolz beseelt, dabei und lauscht den Wechselgesängen der Prinzessinnen. Er, der sich immer noch vergeblich mit der Rechenkunst abplagt, der nur mühsam Lateinisch und Fränkisch zu lesen vermag und insgeheim die Wachstafel mit dem Griffel bei sich trägt, um die schwertgewohnte Hand zum Malen von Schriftzeichen zu zwingen, debattiert klug und in der Literatur bewandert mit seinen Akademikern, die allesamt biblische oder klassische Namen tragen und denen er selbst als „der neue David" präsidiert. Mehr als vier Jahre lebt auch der Langobarde Paulus Diakonus in diesem Kreise, er beteiligt sich an höfischem Wortspiel, an geistreichem Rätselraten, Verseschmieden und Lautenschlagen. Er dichtet Grabinschriften, übersetzt mit seinem gebrechlichen Griechisch die Depeschen aus Byzanz und lehrt, was er selber in der Bibliothek Monte Cassinos gelesen hat. König Karl will ihm wohl und entläßt ihn endlich in Gnaden in sein geliebtes Kloster. Der aus der Gefangenschaft befreite Bruder Arechis darf mit ihm ziehen, so daß die Frankenfahrt des Paulus nicht unbelohnt bleibt. „Was ist Karl für ein milder Herr! Er hat meines Bruders Übeltat vergeben, und ich liebe ihn wie Petrus Christus geliebt hat. . ,"19 *
Den Winter verbringt König Karl in der neugebauten Pfalz Ingelheim am Rhein. Die Buchenscheite krachen im 26
offenen Kamin der Herrenhalle, der breite Tisch ist mit feinem irischem Linnen gedeckt. Dort sitzt Herr Karl im schöngeschnitzten Hochsitz an der Spitze der Tafel, hinter ihm ragt der Hauptstamm des von Holzsäulen getragenen Saales auf. Schild und Schwert hängen in Greifnähe. Die Mahlzeit inmitten der Kinder und des Gefolges ist eben beendet; von dem Pokal mit Moselwein hat Herr Karl nur dreimal und recht bescheiden getrunken. Der Tafelmeister reicht ihm die Schale, in der er sich die Hände wäscht, während der Truchseß mit einem Linnentuche danebensteht. König Karl hebt die Tafel auf. Die Halle füllt sich mit den Edelfrauen und Herren des weiteren Gefolges, die nun hungrig zu Tische drängen. Nur die Auserwählten der „Akademie" dürfen Herrn Karl in ein entferntes Gemach folgen. An der Seitenwand einer Galerie, die Karl mit seinem Gefolge passiert, steht ein Dutzend Bittsteller, denn oftmals beliebt es dem König, einen von ihnen anzusprechen und eine überraschende Gnade zu gewähren. Ein Höfling, der die Namen und das Anliegen der Wartenden notiert, erklärt den sich ehrfürchtig Verneigenden flüsternd das vorüberschreitende Gefolge Herrn Karls. „Der kleine, lebhafte Herr", sagt er, „mit dem sich der König unterhält, ist Herr Einhard. Sie nennen ihn an der Tafelrunde .Beseleel' nach dem Baumeister der biblischen Stiftshütte; Herr Einhard hat außer den Baurissen zu dem berühmten Kloster Lorsch und der Pfalz zu Aachen auch den Plan zu dem neuen Aachener Marienmünster entworfen. Manche sagen allerdings", fügt er hinzu, „der Plan des Domes stamme von Meister Ansegis und Einhard führe nur die Oberaufsicht. Einhard ist auch als Geschichtsschreiber berühmt. Er führt Jahrbücher, in denen er die wichtigsten Ereignisse der Zeit niederschreibt. - Die beiden Männer hinter dem König sind Osulf und Erchambald, der Erzkanzler, dem das Amt obliegt, die Befehle Karls aufzuzeichnen." „Die reinen Zwerge!" lacht ein Sachsengraf, „ich möchte die zwei nicht einmal als Viehhirten." „Ja, klein sind sie an Gestalt. Und darum hat man den beiden zusammen mit dem kleinen Einhard den Spottnamen ,die drei Beine des Königstisches' gegeben." 27
„Wer sind diese dort?" fragt ein Italiker mit gedämpfter Stimme; verstohlen deutet er auf einen älteren Mann von großer Würde, der zwischen einem Geistlichen und einem in kostbare, griechische Tracht gekleideten Höfling geht. „Das ist der Oberkämmerer Meginfried. Und weil es üblich ist, daß sich die Angehörigen der Akademie während ihrer Sitzungen mit Namen aus dem klassischen Altertum oder der Bibel benennen, so heißt er ,Thyrsis'; der Geistliche auf seiner rechten Seite ist Erzkaplan Hildebold aus Köln; der schöne, vornehme Herr zur Linken aber ist Angilbert, der um seiner Verse willen ,Homer' genannt wird." „Und wo ist der berühmte Alkuin?" fragte jemand. „Auf Urlaub in England", gibt der Hofbeamte Auskunft. „Das dort ist Eppin, der Schenke", fährt er fort, „der Grauhaarige, aber ist der Ostgote Theodulf, Abt zu Fleury und Bischof von Orleans; hinter ihm geht Rikulf, mit dem Zunamen ,Flavius', ein Mann, der der wohlgesetzten Rede wie des Schwertes gleich mächtig ist. Die beiden, die eben im Gemach verschwinden, sind der Keller- und Tafelmeister, ihnen folgen Gisla und Gundrada, die Schwestern des Königs, und Hruodtrud, seine schöne Tochter . . ." „Was sollen die Frauen in der Akademie?" staunt der Italiker. „Sie debattieren und singen, dichten und raten. . ." „Bei Wotan und dem weißen Christ!" dröhnt der Sachse, als sich die Tür hinter dem Gefolge geschlossen hat, „ich habe den König in der Dänenschlacht vor Ballinstett gesehen, da verstand ich ihn besser. Wie kann man an solchem Kinderspiel Gefallen finden? Lieber sitz ich bei Leuten, die zu zechen verstehen,als in der Akademie." „Keine Sorge, lieber Freund!" lächelt der Franke, „der Zugang zu diesem Kreise ist nicht leicht zu gewinnen. Nicht einmal mich lädt der König ein, obschon ich Lateinisch verstehe und eine Handschrift schreibe, schöner als mancher Mönch sie malt." * Der Raum, in dem die „Akademiker" tagen, ist mit bunten Teppichen und ziervollen Geweben ausgehängt, die Stirnwand trägt auf Purpurgrund steife, fremdartige 28
Fresken, wie sie die am byzantinischen Vorbild geschulten Maler anzufertigen verstehen. Meister Einhard sagt, daß sich in diesen Bildern Kunst, Wissenschaft und Religion verbinden; denn jede Farbe habe ihre sirnibildhafte Bedeutung, jede Geste, jedes Größenverhältnis drücke irgendeinen frommen Gedanken aus. Gold sei die Farbe der Ewigkeit, Grün deute hoffnungsvolle Erwartung, Gelb erhörtes Flehen und Rot flammende Liebe an; schwierig mag es für den Betrachter sein, aus der Mischung der Farben, aus dem Bildgefüge und der Gebärde der Figuren herauszulesen, was der Künstler ausdrücken will. Als besondere Seltenheit gibt es in diesem Raum kleine, buntgefärbte Glasfenster, die das Licht in farbiger Dämmerung ins Gemach dringen lassen. Auf einem Pult liegt das berühmte Evangelienbuch des Königs, das ein kunstfertiger Mönch mit Goldtusche auf Purpurgrund geschrieben hat.20 Im Kamin prasselt ein mächtiges Feuer, das aber nicht ausreicht, um den Raum behaglich zu erwärmen. Darum haben die Diener vorsorglich unter die Sitze und unter den großen, runden Tisch Strohbündel gebreitet, die die Bodenkälte fernhalten. Schwer hat sich König Karl im Hochsitz niedergelassen, er ist etwas korpulenter geworden, seit er nicht mehr täglich mehrere Stunden im Sattel sitzt. In blauem Mantel aus einheimischem, grobem Wolltuch, das mit Eichhörnchenpelz verbrämt ist, thront er wie der Göttervater majestätisch über der Runde. Der kostbare „Goldtisch" vor ihm ist ein Geschenk des Kalifen Harun al Raschid; die polierte, ziselierte Platte zeigt eine Karte der Erde, soweit man sie kennt, und das Planeten- und Himmelssystem mit all seinen verwickelten Bahnen und Sternbildern. Leise hebt Angilbert an, auf seinem Saiteninstrument zu präludieren, die stolze Berta fällt mit warmer Stimme ein und trägt eines der lateinischen Lieder ihres Lehrers Alkuin vor, die der König so sehr liebt. Herr Karl stützt während des Vortrages das ergrauende Haupt auf die Rechte und verharrt auch nach Beendigung des Gesanges eine Weile schweigend. Dann spricht er von seinen Plänen und Gedanken und von der Zukunft, die er sich für das Reich erhofft. 29
„Es ist ein Rohbau, den ich errichtet habe", sagt er nachdenklich. „Einheimische Handwerker gingen mir zur Hand, noch fehlt dem Gebäude die römische Pracht, der klassische Glanz. Mein Streben gilt der Durchdringung der Germanenwelt mit dem funkelnden Geiste der Alten, so wie man eine fertiggebaute Pfalz mit köstlichem Hausrat einrichtet. Aber", fährt er mit erhobener Stimme fort, „wir wollen niemals vergessen, daß wir nicht gekommen sind, das Alte nur nachzuahmen, sondern daß uns eigene Art innewohnt, die wir erhalten und pflegen wollen. Ich habe mich entschlossen, auch die Erinnerungen der fränkischen Vorzeit zu erneuern. Schreib auf, Erzkanzler, ich will, daß die alten Heldengesänge, die Lieder aus Wanderund Kampftagen unserer Völker in meinem Namen gesammelt und aufgezeichnet werden, damit spätere Geschlechter daran ihre Freude haben." Erchambald notiert die königliche Anordnung auf seiner Wachstafel. Dann steht Herr Karl auf, und auch die anderen erheben sich. Heute ist die Sitzung nur kurz, da Gesandte der Dänen empfangen werden müssen. Mit freundlichen Worten verabschiedet Karl die Männer und Frauen der ,, Akademie". * Der große Karl folgt seiner von der Geschichte vorgezeichneten Aufgabe mit Starkmut und Zähigkeit. Jetzt ist die Stunde gekommen, dem neuentstehenden abendländischen Reich weitere Gebiete einzugliedern oder abtrünnige Herrschaften zur Ordnung zu rufen. In Bayern hat Herzog Tassilo bisher seine Selbständigkeit behauptet und versucht, neben der fränkischen Macht eine bayrische zu begründen. Seine Missionare und Kolonisten waren ins Ostland gefahren und entlang den Alpenrändern, wo das Fehlen starker Widerstände eine Ausdehnung ermöglichte; die Ostmark, das Gebiet um Wien, war bayrisch geworden. Karl beruft den Herzog wegen eines lange zurückliegenden Treubruchs während eines der Feldzüge vor den Reichstag von Ingelheim; der Bayer wird zum Tode verurteilt und schließlich zur Haft hinter Klostermauern begnadigt. In Bayern und die neugewonnenen Voralpengebiete des Ostens ziehen fränkische Truppen ein, Gau30
grafen übernehmen die Verwaltung. Der Feldzug wendet sich noch weiter donauabwärts, gegen Slawen und Awaren, die von Ungarn aus ihre Raubzüge unternehmen. Um den Nachschub des Heeres zu sichern, -will Karl Main und Donau durch einen Kanalbau verbinden lassen. An der Wasserscheide zwischen Altmühl und Rednitz graben Tausende von hörigen Arbeitern und gefangenen Sachsen am „Karlskanal"; der König selbst besichtigt die Arbeiten und prüft die Pläne. Aber durch Regengüsse verschieben sich die Erdmassen. Die nicht entwässerten, höher gelegenen Wiesen drücken ihr Grundwasser auf die Aufschüttungen im Tal, und endlich müssen die Techniker des Königs ihr Unvermögen zur Durchführung des großen Planes eingestehen. So rücken die zum Awarenkriege bestimmten Truppen auf den alten Römerstraßen nach Südosten; vom Rhein, den sie auf der neugebauten, hölzernen Brücke zu Mainz überschreiten, marschiert das Aufgebot zur Donau und schifft sich in Regensburg auf breiten Schuten ein. Ins Land der Sage, ins alte Reiterland König Btzels, geht die Fahrt. Aus halbdunklen Fernen dringt der Ruhm der Königstaten in die westliche Christenheit, wiederum klingen Lieder und Sagen auf, die Spielleute preisen die Erstürmung des „Awarenringes", der Hauptburg dieses Nomadenvolkes, singen von der unermeßlichen Beute an Gold und Silber, die Herr Karl und die Seinen im Raubhorst der Awaren fanden, und die Legende fabelt hinzu, der König sei ans Schwarze Meer und in die Märchenländer am Rande der Welt geritten. Weit greift die fränkische Herrschaft in den Osten. Die Grenze des christlichen Abendlandes verläuft jetzt von der Saale, an deren Ufer sich die Sorben beugen, über den böhmischen Raum, in dem sich die Tschechen unterwerfen, bis zur dalmatinischen Küste. So groß ist der Ruf Karls, daß sein Name, verwandelt in „Kral", für die Slawen künftig gleichbedeutend mit „König" wird. Durch das Vordringen der Franken berühren sich nun in den Donauprovinzen das Byzantinische Reich und das Abendland. Lange schon hat man in Byzanz das Anwachsen der fränkischen Macht mit Sorge beobachtet, aber die Kräfte des byzantinischen Kaisertums sind zu sehr durch die Slaweneinfälle an der unteren Donau, die Auseinandersetzung mit dem Islam und durch die eigenen, 31
inneren Schwierigkeiten in Anspruch genommen, als daß es möglich gewesen wäre, eine kraftvolle Gegenpolitik zu betreiben. Byzanz hält immer noch seine aus Römerzeiten überkommenen Ansprüche auf die Herrschaft über das Abendland fest, und seine Herrscher verfolgen mit Argwohn den Aufstieg der neuen Macht im Norden, Westen und in Italien. Wird dieser Frankenkönig nicht eines Tages seine Heere auch gegen Byzanz in Bewegung setzen? * Vom Teutoburger Wald und Eggegebirge streichen die Frühlingslüfte ins flache Hügelland, das sich zur westfälischen Ebene senkt. Die Kraft der Sonne hat das erste Grün auf Wälder und Wiesen gelockt, schon steht der Laubwald wie eine geschlossene Kulisse hinter der breithingelagerten Königspfalz. Das benachbarte Kloster mit seinen dunklen Schilfdächern verschwindet fast im jungen Laub der Buchen, Eichen und Birken. In wenigen Jahren ist das neugegründete Paderborn zu einer stattlichen Siedlung aufgewachsen. Die ausgedehnten Wiesenflächen, die zum Quellgebiet der Lippe hinüberziehen, sind übersät von weidenden Viehherden, von den Pferdekoppeln der versammelten Kriegsscharen. Auf der Ebene zu Füßen der Pfalz steht der niedersächsische und fränkische Heerbann zur Frühjahrsmusterung versammelt. In endlosen Reihen, viele Glieder tief gestaffelt, sind die Gaumannschaften und Stämme um ihre Feldzeichen geschart; die Gaugrafen halten auf festlich geschirrten Rossen vor den Linien, hinter ihnen stehen die Schultheiße und die Führer der Gemarkungen und Hundertschaften. Seit dem frühen Morgen schreitet König Karl, gefolgt von seinen Großen, durch die Reihen, überprüft die Waffen, besieht die Ausrüstungen und verteilt Lob und Tadel. Da sprengt gegen Mittag ein bestaubter Bote aufs Feld, wird zum König gewiesen und überbringt ihm eine Meldung. Gleich darauf bricht Herr Karl die Heerschau ab, übergibt seinem Sohne Pippin, dem Unterkönig von Italien, den Befehl und verläßt mit seinen Paladinen den 32
Platz. Ein Gerücht durcheilt die Eeihen der Sachsen und Franken: Papst Leo III. 2 1 sei vor neuen Unruhen in Italien geflüchtet und befinde sich auf dem Wege nach Paderborn.
* In Begleitung seines Erzkanzlers begibt sich Karl über die breite, holzgezimmerte Freitreppe zum Hauptportal des langen Saalbaues, durchquert eine kleine Galerie, die mit Teppichen und Fellen behangen ist und gelangt an ihrem Ende in das Beratungszimmer, einen einfachen Raum mit einem angebauten Erker. „Setz dich, Erchambald", befiehlt der König, „wir wollen in aller Ruhe erwägen, was zu tun ist. Du weißt, was die Ankunft des Papstes bedeutet?" „Wir werden zu einem neuen Italienzug rüsten müssen, um das bedrängte Oberhaupt der Christenheit in seine Herrschaft wiedereinzusetzen." „Aber meine Krieger sind müde", erwidert König Karl. „Die Männer jubeln mir zu. Sobald ich ihnen jedoch das Aufgebot zu neuer Heerfahrt schicke, murren sie. Der Franke will seßhaft werden; der unruhige Wandertrieb der alten Zeit verebbt, die Heerleute wollen nicht Jahr für Jahr fern von ihren Hufen durch die Welt streifen. Sie sind Bauern geworden . . . " „Herr", erwidert der Kanzler, „der Bauer und Krieger lebt dem heutigen Tag und denkt nicht an Morgen. Ihr aber könnt Euch nicht mehr von jener geraden und großartigen Linie entfernen, die von Gott selbst für das Reich vorgezeichnet erscheint. Bedenkt, daß Ihr den Titel eines Schutzherrn Roms tragt, daß Euch die Wahrung der Freiheit und Sicherheit der christlichen Kirche aufgetragen ist. Als König der Franken seid Ihr allen fremden Völkern — den Sachsen, Thüringern, Bayern, Awaren, Slawen und Langobarden — nur ein fremder Eroberer. Macht Ihr aber den Frankenstaat zum Träger einer christlichen Reichsidee, so werden sich alle abendländischen Völker in einem gemeinsamen Gedanken vereinen. Dieser Gedanke ist der Gottesstaat der Christenheit, wie ihn Sankt Augustinus vorgezeichnet hat. Vielleicht ist jetzt die Zeit reif, um den Bau des Reiches zu vollenden. Vergeßt es nicht, daß der Papst eine Krone zu vergeben hat, daß er 3 (21)
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der Hüter und Bewahrer des Purpurs der altrömischen Kaiser ist. Krönt Euer Lebenswerk, König der Franken, und setzt Euch das Diadem der Cäsaren des Westens aufs Haupt!" * Papst Leo trifft mit geringem Gefolge in Paderborn ein. Ein Aufstand römischer Patriziergeschlechter hat ihn genötigt, die Ewige Stadt zu verlassen, mit Not entrann er der Gefangenschaft. Wohin sollte er sich wenden? Wer gewährte dem Nachfolger Petri Sicherheit, wenn nicht der Schutzherr Roms, der Schwertträger der Christenheit? Von Byzanz war keine Hilfe mehr zu erwarten. Karl behandelt den Heiligen Vater mit höchster Ehrfurcht, er verspricht Untersuchung des Streitfalles und bewaffnete Hilfe. Der Erzkaplan des Reiches, Bischof Hildebold von Köln, und Bischof Arno von Salzburg geleiten den Papst nach Rom zurück. Im Spätsommer des Jahres bricht auch König Karl mit einem kleinen Heere nach dem Süden auf. Sein ältester Sohn Pippin, der Vizekönig Italiens, begleitet ihn zusammen mit vielen Edlen. Feierlich zieht König Karl an der Spitze seiner Krieger in Rom ein. Vor der Basilika des heiligen Petrus22) steigt er vom Pferd und begrüßt den Papst, der ihn inmitten seiner Bischöfe und Priester erwartet. Unter Glockengeläut und Trompetengeschmetter findet ein Hochamt in der Kirche statt. Dann besteigt der Schutzherr der Kirche den Richterstuhl und ruft die Widersacher des Papstes auf, ihre Sache zu vertreten. Aber niemand wagt sich zu melden. König Karl fällt seinen Spruch, der die Feinde der Kirche zur Verbannung verurteilt. Ein brausendes „Tedeum" beendet die Zeremonie. * Am ersten Weihnachtsfeiertag des Jahres 800 — es ist nach dem Brauch der Zeit zugleich der Neujahrstag und damit der erste Tag des neuen Jahrhunderts —, an diesem dreifach bedeutungsvollen Tage also begibt sich König Karl in römischer Tracht, in langem, weißem Gewände, mit Purpurmantel und roten Senatorenschuhen 34
zur Basilika Sankt Petrus, um am Apostelgrabe zu beten. Er kniet in der halbrunden Apsis nieder, einige Schritte hinter ihm stehen in Festgewändern, nur mit den fränkischen Kurzschwertern bewaffnet, die Reihen seiner Ge-' treuen und die Mitglieder seiner Familie. Das gewaltige Kirchenschiff ist gedrängt voller Römer. Unter den langen Säulenreihen, in den Seitenschiffen und Kapellen wogt Kopf an Kopf die Menge. Papst Leo zelebriert am Hochaltar die Messe. Weihrauch wölkt auf, von den Emporen der Apsis tönt Orgelklang und der weihevolle Gesang der Sängerknaben. Zu beiden Seiten des Altars sitzen Bischöfe und Angehörige des römischen Stadtsenats, eine Spannung wie vor bedeutenden Ereignissen liegt über der Stunde. Nach Beendigung der Messe wendet sich Papst Leo um. Mit hocherhobenen Händen, in denen — allem Volk sichtbar — ein goldener Kronreif blitzt, schreitet er auf Karl zu. Der König scheint einen Augenblick überrascht, dann senkt er schweigend das Haupt. Der Papst drückt ihm das Diadem auf das ergraute Haar und salbt ihm die Stirn mit heiligem Chrysamöl. Brausend erklingt der Ruf der Römer: „Vivat Cäsar Augustus!" Überrascht nehmen die versammelten fränkischen Großen das Wort auf. Dann vereint sich der Jubel der Franken und Römer, im Chor wiederholen die Massen: „Heil! Dem erhabenen Karl, dem von Gott gekrönten, großen und friedbringenden Kaiser der Römer Leben und Sieg!" Krönung und Zustimmung des Volkes — das ist seit Kaiser Diokletians Zeiten die feierliche Form der Kaiserwahl und der Kaiserkrönung. Papst Leo sinkt vor dem Gekrönten auf die Knie und huldigt ihm als dem neuen Kaiser Europas und Herrn der Christenheit. * Am Abend dieses bewegten und großartigen Tages, in dem die Entwicklung langer Zeiten ihren vorläufigen Abschluß findet, sitzt Kaiser Karl in seinem Palaste in Rom und diktiert dem Schreiber die notwendig gewordenen diplomatischen Briefe. 35
Erzkanzler Erohambald ist bei ihm, reine und ungetrübte Freude liegt auf seinem offenen Gesicht; ihm vollendete sich an diesem ersten Tag des neuen Jahrhunderts der kühngewölbte Bogen höchster Wünsche. „Kaiser des Römischen Reiches!" sagt er leise, und das klingt wie ein erlösendes Aufatmen nach schwerem Tageswerk, „der von Gott gekrönte Herr des Abendlandes .. ." „Es waren die Römer, nicht meine geliebten Franken, die mich erwählt haben", seufzt Herr Karl. Dann rafft er sich auf, um zum erstenmal in seiner neuen Würde an die Majestät des oströmischen Kaisers in Byzanz zu schreiben. Ungewohnt und ein wenig vermessen klingt es, als er diktiert: „Wir, Karl, durch Gottes Gnade König der Franken und Langobarden und Kaiser der Römer grüßen unseren Herrn Bruder, den Kaiser der Griechen." 23 Byzanz aber hüllt sich in Schweigen. Die Kaiser Ostroms fühlen sich als die alleinigen Träger der altrömischen Kaisertradition. Die barbarischen Franken mögen einen König haben, einen Kaiser gibt es nur in Byzanz. Das alte Band zwischen dem Osten und dem Westen der römischen Mittelmeerwelt ist zerschnitten; die Geschichte des Abendlandes löst sich von Byzanz und betritt die Bahn ihres eigenen Schicksals. * In,breiten Wellen senkt sich das Land zu den grünen Ufern der Loire. Wo in alten Tagen der Ziegelturm über dem römischen Kastell ragte, drängt sich nun die Stadt Tours im Ring ihrer Wälle. Uralte Laubbäume überschatten die Dächer des St.-Martins-Klosters, der milde Blauhimmel vermag nur ein paar Sonnenkringel in die Dämmerung der ehrwürdigen Mauern zu schicken. Die Innenhöfe sind mit Platten belegt, eine Quelle plätschert und verläuft sich im steinernen Becken. Über den Bogengängen sitzt der Pater Prior am Fenster seiner Zelle und studiert einen Brief, den der Kurier von Saint-Denis gebracht hat. Es ist ein kaiserliches Rundschreiben an die Klöster des Frankenreiches. Der nach Tours gerichtete beginnt mit den Worten: 36
„Wir, Karl, durch Gottes Gnade König der Franken und Langobarden und Kaiser der Römer, richten einen liebenswürdigen Gruß an Dich, Abt Alkuin, und Deine ganze Gemeinde." 24 Die Initiale des Namens Alkuin ist ein Rankenwerk von Schnörkeln, Blumen und Weinlaub. Der Schreiber der kaiserlichen Kanzlei hat alle seine Kunst aufgeboten, um den großen Gelehrten, den Günstling des allmächtigen Karl, zu ehren. Noch weiß man es nicht in der Kaiserpfalz, daß der ehrwürdige Alkuin — die Leuchte des Ordens und des ganzen Frankenreiches — seit Wochen ein todkranker Mann ist und daß der Prior an seiner Stelle die Geschäfte des Klosters führt. Aufmerksam liest der Mönch die Zeilen. Die Abte und Prioren werden darin von Kaiser Karl ermahnt, die Wissenschaften eifriger als bisher zu pflegen; denn nicht überall würden — wie in Tours — die Schätze der geistigen Bildung wohlbewahrt und mit Eifer vermehrt. Das folgere er vor allem aus den Briefen, die der kaiserliche Hof erhalte; sie seien zum Teil in einer ungebildeten Sprache abgefaßt. Aus Wortfehlern ergebe sich aber die Gefahr der Sinnfehler. Darum ermahnt der Kaiser die Klöster, bei aller Gottgefälligkeit das Studium nicht zu vernachlässigen und wetteifernd zu lernen. Auch die Bibel werde in ihrem Sinne besser und schneller erfaßt, wenn eine große und vollkommene wissenschaftliche Ausbildung der Beschäftigung mit ihr vorausgehe. Nachdenklich legt der Prior das Schreiben aus der Hand. Der Kaiser bemüht sich sehr um die Hebung der geistigen und sittlichen Bildung im Volke. In einem Reichsgesetz ist allen Geistlichen befohlen worden, Leseschulen für die Jugend einzurichten; auch Rechnen soll dort gelehrt werden. Als Lehrer sollen solche Männer gewählt werden, die den Beruf in sich spüren, andere zu unterrichten. Aber auch die Erwachsenenbildung sei zu fördern, und die Schulung des Klerus. Allzusehr sei das geistige Leben verwildert. Die Geistlichen sollten sich eines reineren Lateins befleißigen, der Adel solle schreiben lernen — das ist die ständige Mahnung Karls. Mehr als bisher müsse man sich auch des Wertes der eigenen Sprache bewußt werden, deren Grammatik Karl bearbeiten läßt. Die deutsche Volkssprache könne durchaus dem Hebräischen, Lateinischen und Griechischen an die Seite gestellt werden. 37
In der Klosterkorrespondenz von Tours findet sich der Bericht eines Mönches von Sankt Gallen, in dem geschildert wird, wie Herr Karl — nach langer Abwesenheit in seine Pfalz heimkehrend — die Hofschule besuchte und Prüfung abhielt. Dabei schied er die Tüchtigen von den Nichtwissern und sprach zu den Faulen, die meist aus adligen Familien stammten: „Beim König des Himmels, ich mache mir nichts aus eurem Adel und eurer Schönheit, wenn euch auch andere bewundern mögen; ihr sollt wissen, wenn ihr nicht die frühere Trägheit durch wachsamen Fleiß wiedergutmacht, so werdet ihr von Karl nie etwas Gutes erlangen!" 25 Den Fleißigen aber verhieß er: „Habt Dank, meine Söhne, daß ihr euch Mühe gabt, meinem Befehl und eurem Vorteil nachzukommen, so gut ihr vermochtet! Jetzt müht euch, zur Vollendung vorzudringen . . . und immer werdet ihr ansehnlich vor meinen Augen sein!" 26 In die Gedankengänge des Priors schellt die Klosterglocke. Der weißhaarige Pförtner humpelt aus seiner Zelle, öffnet die kleine, eisenbeschlagene Tür im Kreuzgang und läßt einen Bauern eintreten; der armselige Kittel des Hintersassen ist geflickt, die leinene Hose mit vielfach geknüpften Kreuzriemen gebunden, er trägt weder Schuhe noch Hut. Der Bauer ist mit seinem achtjährigen Knaben für diese Stunde ins Kloster bestellt. Er wünscht das Kind der Obhut der Mönche zu übergeben, um es von der schweren Fron der Bauernarbeit zu erlösen und es vielleicht zu einem gelehrten und mächtigen Manne aufwachsen zu sehen. Der Vertreter des Abtes sucht eines der Formulare heraus, die schon vorgeschrieben in einem Kistchen liegen und geht den Bittstellern voran zu der Hauskapelle, deren Altar mit zwei brennenden Kerzen geschmückt ist. Nachdem der Bauer noch einmal vor dem Pförtner als Zeugen seinen Wunsch geäußert hat, wickelt der Mönch die Hand des Kleinen in das Tuch des Meßkelches und läßt den Vater die andere Hand des Kindes ergreifen. Langsam und deutlich verliest er die vorgeschriebene Formel. „Ich will diesen unseren Sohn, namens . . . Dionys . . ., der die Opfergabe und die Bitturkunde um Auf38
nähme in der Hand hält, und dessen Hand in die Altarpalla gewickelt ist, in dem Namen des heiligen Martin und im Beisein des Priors vor Zeugen hiermit übergeben, daß er der Regel gemäß hierbleibe . . . Und damit dieses, mein Ansuchen endgültig ist, habe ich es durch eigenhändige Unterschrift bekräftigt."27 „Malt euer Kreuz hier auf diese Stelle, Bauer!" sagt der Mönch, und schwerfällig macht der Hörige mit Tinte das Zeichen der Schreibunkundigen. Als Zeugen unterschreiben der Pförtner und der Ordenspriester. „Und nun nehmt Abschied!" sagt der Prior aufmunternd und wendet sich zum Ausgang, damit Vater und Sohn allein sind. Der Bauer legt dem Jungen, der schweigend und mit scheuen, erstaunten Augen die fremdartige Umgebung gemustert hat, die Hand auf die Schulter, tröstend streicht er ihm über das glatt gestriegelte Haar. „Hier wirst du frei sein", sagt er leise, „denn nur die Kirche nimmt das Joch der Hörigkeit von den Nacken. Sieh zu, daß du es weiterbringst als zum Pförtner, obschon du auch auf diesem Posten nicht hungern würdest!" „Wenn ich nur das Schreiben fertigbringe!" seufzt der Knabe schweren Herzens, „sonst möchte ich schon Pfarrer oder gar Bischof werden." * Der Neuling wird eingekleidet, er ist nun Scholar28 im Klosterinternat; der gutmütige Küchenmeister verabreicht ihm einen kräftigen Imbiß, und eine Stunde nach seiner Ankunft im Kloster betritt der Knabe zum erstenmal das Schulzimmer. Die Schule von Tours ist berühmt im ganzen Land. Sie ist in drei Abteilungen gegliedert: Auf der Unterstufe wird den Scholaren des Klosters und den Kindern aus der Stadt und den Dörfern der Umgebung das Lesen und Schreiben, das Singen der Kirchenlieder und einiges aus den Heiligen Schriften beigebracht; die mittlere Stufe dürfen nur die Erfolgreichsten aus der Abc-Schule besuchen, denn hier müht man sich nach altrömischem Muster um die sieben Künste: Grammatik, Rhetorik und Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie. Die kleine Gruppe, die sich durch die läuternden Feuer der zwei Unterstufen durchgerungen hat, wird von Abt Alkuin oder seinem Mei39
sterschüler Hrabanus Maurus29 in die hohen Geheimnisse der Theologie eingeführt. Der kleine Dionys muß freilich zunächst als AbcSchütze die unterste Sprosse der himmellangen Leiter betreten. Während er dem Pförtner zum Lehrsaal folgt, pocht ihm das Herz im Halse. Schon auf dem Korridor vernimmt er das Summen der Lernenden; als er durch die Tür tritt, wenden sich ihm alle Köpfe zu, und Dionj-s blickt in vier Dutzend neugierig glänzende Augenpaare. Die Mehrzahl der Schüler trägt die Tracht Sankt Benedikts. An einer schwarzen Wandtafel steht der „Magister". Er fragt Dionys nach Namen und Herkunft und läßt ihn das Vaterunser aufsagen; zuerst geht es nur stockend und zögernd, aber schließlich endet der Prüfling doch aufatmend mit dem,,. . . sed libera nos a malo!" Dionys hat das Paternoster in heißem Bemühen beim Ortspfarrer gelernt. Bruder Baugulf •— so heißt der Lehrer — weist dem neuen Schüler einen Platz ganz vorne an, denn er ist einer der Jüngsten und bedarf besonderer Aufsicht. Dann stellt er den größeren Schülern eine Denkaufgabe. „Der Sohn eines Mannes freit eine Witwe, sein Vater ihre Tochter, wie sind die Kinder aus diesen Ehen miteinander verwandt?"30 Für die Kleineren weiß er eine andere Frage: „Wie führt ein Mann einen Wolf, eine Ziege und einen Kohlkopf über den Fluß, wenn er nur eines auf einmal hinüberführen kann und verhüten will, daß unterdes der Wolf die Ziege oder die Ziege den Kohl auffrißt?"31 Während die Schüler sich mühen, die richtige Lösung zu finden, sitzt Dionys ängstlich auf seiner Bank. Der Lehrer sagt ihm ein paar ermunternde Worte und gibt ihm eine nach einem Holzmodell abgedrückte Wachstafel in die Hand; darauf sind alle Buchstaben genau zu erkennen. ;, Herr Baugulf befiehlt einem älteren Scholaren, dem Jungen die Buchstaben zu erklären. Die Kinder sind eifrig mit ihren Aufgaben beschäftigt. Fleißig malen sie die Wörter auf die wachsüberzogenen Täfelchen; wenn sie Fehler machen, drehen sie den Stilus um und wischen mit der verbreiterten Kante die Wachsstriche aus. In einer Sonderbank sitzen zwei Vorzugsschüler, beide sind wohl doppelt so alt wie Dionys. Sie schrei40
ben mit Tinte und Rohrfeder die klare und leicht lesbare, von Kaiser Karl eingeführte Minuskelschrift, die große und kleine lateinische Buchstaben aufweist. Dionys nimmt sich vor, möglichst rasch auch zu solch stolzer Höhe der Wissenschaft vorzudringen; aber sein Vorsatz wird wankend, als einer der Tintenschreiber erschreckt auf einen gewaltigen Klecks auf seinem Pergamentblatt starrt. Der Magister hat das Vergehen ebenfalls bemerkt; sein Stock kommt in Bewegung. Kostbar ist das weiße, geglättete Pergament, und wer es leichtsinnig verdirbt, büßt mit seinem Rücken. Dionys erinnert sich an ein Wort, das sein Vater oft zu ihm gesagt hat: Wer den Honig will, darf den Stachel nicht scheuen! Auch die Wissenschaft scheint nicht frei von schmerzlichen Tücken zu sein. * Gegen Mittag, als die zunehmende Sonnenwärme auch in den stillen Innenhof dringt, läßt sich Abt Alkuin im Stuhl ins Freie tragen. Sein schlohweißes Haupt ist in die Kissen zurückgelehnt, die bläulich geäderten Lider sind geschlossen. Doch der Kranke ist wach; als ihn die dienenden Mönche verlassen, öffnet er die Augen. Sein Geist schwebt bereits in jenem Bereich, in dem Gefühle Gestalt annehmen und Gedanken wie körperliche Wesen greifbar werden, wo man fast mühelos den Kern der Dinge schaut. Die milde Wärme des Tages erinnert ihn an die sonnige Heiterkeit des Landes Italia, das ihm für immer im Gedächtnis geblieben ist. Alkuin hat Italien mehrmals besucht und Rom gesehen — das Forum und das Capitol, jene schicksalsumwitterten Plätze, die nun wie Friedhöfe eines untergegangenen Geschlechtes wirken. Er stand vor den Ruinen der alten Tempel, sah die weißen Reihen der Marmorsäulen, aus denen manche herausgestürzt war und geborsten am Boden lag. Über den Trümmern alter Traditionen, über der Schutthalde des westlichen Imperiums steht unvergessen der Name Roms; sein ehrwürdiges Erbe liegt in den Händen des Papstes, der Purpur und Krone der gestürzten Cäsaren bewahrt hat; der Nachfolger Petri hütet die Erinnerung an das versunkene Imperium wie einen kostbaren Schatz der Vergangenheit. Die äußeren Zeichen der Würde hat er 41
dein Größten und Würdigsten, dem König Germaniens, weitergegeben. Die Franken sind die Nachfahren der Latiner; die unverbrauchte Kraft der Germanenvölker baute das neue Reich. Antike, Christentum und die Jugend des Nordens vereinten sich, um den Staat der Zukunft zu errichten. Alkuins Gedanken verlieren sich in den Zaubergärten der Wunschträume. Ist nicht das Reich Gottes nahe, dämmert nicht der Tag herauf, von dem die alten Weissagungen sprechen, an dem der ewige Friede beginnt, wo allein Gottes Gesetze über eine in Christo vereinte Menschheit regieren ? Ein Mönch tritt leise an den Kranken heran; als er sieht, daß der Abt wach ist, meldet er, ein reitender Bote aus der Kaiserpfalz sei soeben angekommen, er bringe Grüße des Kaisers und gute Wünsche für die Genesung des verehrten Meisters. Ein Lächeln geht über die eingefallenen Züge Alkuins. Sein ganzes gesegnetes Leben lang hat ihn das Wohlwollen und die gütige Freundschaft des mächtigen Frankenherrschers begleitet. Der starke Gerechtigkeitssinn des Kaisers ertrug es sogar, daß man ihm bewegte Vorhalte wegen dieser oder jener Ungerechtigkeit machte; freimütig gestand dann der Gewaltige seine Irrtümer und bemühte sich um Abstellung und Wiedergutmachung. Karl hat das Frankenreich auf den Gipfel geführt — was aber wird geschehen, wenn der Kaiser einmal von dieser Welt in eine andere geht? Auch er zählt schon zweiundsechzig Jahre . . : Die bisherige Geschichte der Franken ist wahrlich kein Ruhmesblatt gewesen; am verderblichsten für das Ganze aber war immer das Gesetz der Erbteilung. Der germanischen Staatsauffassung bedeutet die gesamte Bodenfläche eines Reiches persönliches Königseigentum, das der König nach Belieben an seine Gefolgsleute, Verwandten und Söhne verteilen kann. Der Bestand des Reiches ist an den Zufall von Nachkommenschaft und Testament gebunden, morgen kann alles schon unter den Schwertern des Bruderkrieges zerschlagen werden. Das ist die Aufgabe der Zukunft: Das Reich darf nicht mehr allein auf den Schultern des Herrschers ruhen, es muß ein breites Fundament erhalten, auf dem es sicher gegründet ist. Die Krone des westhchen Imperiums muß vom 42
ganzen Volk getragen und für alle Zeiten mit der christlichen Kirche verbunden werden. Das Abendland ist wie eine umstürmte Insel; der Islam droht von Spanien und vom Orient her, Byzanz ist ein mißgünstiger Nachbar, an den östlichen Grenzen wehen immer wieder die Feuerfahnen der Slawen und Awaren, und um die Meergrenzen schweifen die Drachensegel der Wikinger. Gegen alle diese Feinde muß das christliche Abendland fest das Zeichen des Kreuzes in die Erde pflanzen. Wo die christüche Kirche steht, steht das Eeich, und wo das Reich auftritt, erheben sich die Völker zu höherer Kultur. Nicht nur das Schwert soll erobern, die Lehre muß das Gewonnene verankern. * Alkuin schließt erschöpft die Augen, sein Kopf schmerzt, und die Pulse klopfen wie im Fieber; der ausgemergelte, verbrauchte Körper erträgt nicht mehr den Höhenflug der Gedanken. Schweißtropfen perlen auf der Stirn, das Gesicht des Kranken scheint wie erstorben in grauer, kalkiger Blässe. Besorgt eilen die beiden Pfleger herbei und tragen den Greis in seine geräumige Zelle zurück. Der herbeigerufene Arzt des Klosters beugt sich über den Ohnmächtigen und faßt nach dem Puls — noch schlägt das Herz Alkuins, des Magisters der Franken . . .
Kurz nach dem feierlichen Empfang einer islamitischen Gesandtschaft in der Kaiserpfalz zu Aachen verläßt der königliche Sendbote Graf von Montfort den Hof und begibt sich mit seinem Gefolge in die ihm zur Kontrolle zugewiesenen Gaue im Südosten des Reiches. Das prachtvolle Bild, wie Herr Karl im langwallenden Haar, im Kaiserornat mit funkelnder Krone, mit Kreuz und Schwert auf dem Hochsitz thronte, wie ihn seine Großen in Festgewändern umstanden und die Gesandten des Kalifen Harun al Easchids aus Bagdad in feierlichem Aufzuge nahten, ihre kostbaren Geschenke am Eingang der Halle niederlegten, um sich dann dreimal zu Boden zu werfen, ehe sie vor Herrn Karl hintraten — dieses märchenhafte Bild kaiserlichen, in fränkischen Landen bislang 43
nie gesehenen Glanzes, wird dem Herrn von Montfort unvergeßlich bleiben. Roger von Montfort reist als „Missus"32; die Gnade des Kaisers hat ihn zu einem der höchsten Reichsämter berufen. Diese mit allen Vollmachten ausgestatteten Sendboten besuchen die ihnen zugewiesenen Provinzen und Gaue, prüfen die Verwaltung, die Wirtschaft, die Rechtsprechung, treffen selbständig Änderungen im Namen des Kaisers und schicken regelmäßig Berichte an die Hofkanzlei. Das Reisen bietet sehr viel Annehmlichkeiten, denn für den Landesherrn und die hohen Reichsbeamten ist überall an den Straßen Vorsorge getroffen; wie in Römertagen gibt es für diese Klasse von Reisenden gut eingerichtete und geführte Herbergshäuser. Kaiserliche Erlasse regeln genau die Gestellung von Vorspannpferden in den einzelnen Stationen. Graf Montfort gelangt ohne störende Zwischenfälle entlang dem Rheinufer, über die von Karl erbaute Holzbrücke von Mainz und dann den alten Limesweg entlang nach Bayern. Unterwegs besucht er die nahe am Wege gelegenen königlichen Mustergüter, die Klöster und Grafensitze. Wohin er auch kommt, befragt man ihn nach dem Aussehen und den Plänen des großen Karl. In den abendlichen Gesprächen am wärmenden Kaminfeuer hört er die zahlreichen Legenden, die über seinen Herrn im Volk umgehen. Der Kaiser ist bereits zu seinen Lebzeiten zur Sage geworden. Ein bunter Kranz von Mären umgibt die Gestalt des Karolingers. Von seiner Sarazenenfahrt und den Taten der Paladine, von Rolands Schwert Durendar, dem Wunderhorn Olivant und dem Tod des Helden im Tale Ronceval wird gefabelt; von der wilden Dänenschlacht und Karls Meerfahrt, vom sagenhaften Ostlandzug und der überraschenden Heimkehr. Aus geschichtlicher Wahrheit, unerfüllten Sehnsüchten, aus Gerüchten und Wunschbildern erwächst die Vorstellung der Völker vom Kaiser; in ihm sammeln sich die Gedanken und Willensströme des Abendlandes. Es gehört zu den Regierungsgrundsätzen des Kaisers, die Gaugrafen — die obersten Beamten der größeren Verwaltungsbezirke — meist aus dem heimischen Adel zu wählen, während die Sendboten — die kaiserlichen Kontrollbeamten — möglichst ohne Bindung zu den bereisten Provinzen sein sollen. Ihre Berichte müssen ohne RückU.
sieht auf verwandtschaftliche oder freundschaftliche Beziehungen abgefaßt sein. Roger von Montfort fühlt sieh als Westfranke und geistiger Nachfahre der Römer dem „wilden Osten" überlegen; Land und Volk hier erscheinen ihm unheimlich, gefährlich und noch in tiefer Barbarei befangen. Dazu kommen sprachliche Schwierigkeiten. In der westfränkischen, französischen Heimat des Grafen, auf deren Boden sich Kelten, Römerkolonisten und Franken seit Jahrhunderten gemischt haben, spricht man das „Romanzo", eine Mischsprache, die starke Anklänge an das römische Latein aufweist. Im Ostteil des Reiches, in dem der Einfluß der Römer unbedeutend blieb oder wie in Bayern und Schwaben durch eingewanderte Germanenstämme fast ausgelöscht wurde, hat sich die volkstümliche „tiudiske" 33 Mundart herausgebildet. Es fällt daher dem westfränkischen Grafen schwer, sich mit den Landesbewohnern in Bayern zu verständigen, doch lernt er rasch hinzu, und nach wenigen Monaten kann er sich bereits ohne Mühe unterhalten. Am Ende eines jeden Monats diktiert er seinem Schreiber einen ausführlichen Bericht an die kaiserliche Hofkanzlei in Aachen; da er Herrn Karls Vorliebe für ungeschminkte Wahrheit kennt, scheut er sich nicht, Zustände, die sein Mißfallen erregt haben, in zutreffender Weise zu bemängeln. Auf diese Weise durchzieht Roger von Montfort im Laufe einiger Monate die Gaue Bayern und Kärnten. Im Spätsommer erreicht er das neugegründete Kloster Maria Saal nahe der Drau, von dem aus die Benediktiner die Slawenmission in der ungarischen Ebene und in Kroatien betreiben. Einen Tag nach seiner Ankunft zieht sich Herr von Montfort mit seinem Sekretär in ein stilles Schreibzimmer zurück, sichtet die zahlreich angesammelten Notizen und beginnt seinen Bericht an den Kaiserhof. „An den Imperator Carolus Augustus, Sieg und langes Leben dem ruhmgekrönten, großen Kaiser! Es geschieht fast zwangsläufig, daß in allen meinen Berichten meist nur von der Tätigkeit der kaiserlichen Beamten, der Gaugrafen, Vikare und Schultheiße, von den Sorgen und Anliegen des Adels, der Mönche und Missionare gesprochen wird. Mit diesen Ständen komme ich häufig in Berührung; durch meinen Aufenthalt als Gast in den 45
Pfalzen, Burgen und Klöstern kenne ich ihre Lebensführung, ihre Feste, ihre Arbeit und ihren Alltag. Wenig oder gar nichts wissen wir von dem Dasein der Unbekannten, der Unfreien und Halbfreien, der Arbeiter und Bauern. Ich weiß mich einig mit Buch, dem stets sorgenden Vater der Völker, wenn ich mich in dem vorliegenden Bericht eingehender mit den Lebensumständen dieser Schichten befasse. In dem Gau Kärnten gibt es besonders viele staatliche Gewerbebetriebe. Gemäß Euren Anweisungen sind alle Bergwerke und Bodenschätze Königseigentum und werden von königlichen Beamten verwaltet. Ich habe auf meiner Keise die Salzwerke von Keichenhall und Salzburg besichtigt, in denen das Steinsalz aus dem Berge gebrochen, die Salzlake in Pfannen ausgedampft und vorher auf Eeisigwänden angereichert wird. Ein Goldbergwerk mit geringem Ertrag, das der Erzbischof von Salzburg in den Tauerngebirgen in Eurem Namen betreibt, besuchte ich nicht, aber dafür hielt ich mich längere Zeit in verschiedenen Erzbergwerken, Schmelzhütten und Schmieden des steirischen Landes auf. Das eisenhaltige Gestein wird in den Bergen gebrochen. Lange, mit Baumstämmen abgestützte Schächte führen in die Flanken der Erzberge, die Knechte stehen oft bis zum Gürtel im Sickerwasser und schlagen mit Spitzhacken das wertvolle Gut heraus; halbwüchsige Kinder schieben auf hölzernen Gleitbahnen kleine Wagen heran, beladen mit bloßen Händen die Karren, bringen sie zutage und türmen das Gestein auf die Halden. Das kunstreiche Volk hat im Tal eine Eeihe von Schmelzöfen gebaut, wie sie nach den Aussagen der Einwohner schon in Römertagen angelegt worden sind. Diese alten Eisenöfen sind meist nur niedere Gruben oder tiefer gelegene Schachtöfen aus Lehm oder roh gefügten Bruchsteinen. In ihnen wird das Erz — nachdem es ausgewaschen, von Erde und Beimischungen befreit und auf Rosten vorerhitzt worden ist — mit dem natürlichen Luftzug und unter Verwendung von Holzkohle geschmolzen. Die neueren Ofen ragen mit ihrem Mauerwerk über die Erdoberfläche hervor, ihre Hitze wird durch handbetriebene Blasebälge oder in größeren Werken neuerdings auch durch Blasebälge mit Wasserantrieb gesteigert. Das arbeitende Volk steht halbnackt, schweißübergossen an den Blaseiü
bälgen, Treträder ersetzen dort, wo keine Wasserkraft zur Verfügung steht, manchesmal den Antrieb des Bachgefälles; die Hörigen laufen oft zwölf und mehr Stunden am Tage treppauf, durch ihr Gewicht das Kastenrad bewegend. Ist das Erzgestein genügend erhitzt, wird der Ofen am unteren Ende geöffnet und das Eisen in den Sand abgelassen; es erkaltet in kindskopfgroßen, schlackendurchsetzten Klumpen schmiedbaren Eisens, die durch wiederholtes Ausglühen und Schmieden gereinigt werden. Die Arbeit in diesen Werken ist mühselig und qualvoll. Die Hörigen an den Öfen verbringen ihr Dasein in stets wechselnder Hitze und Kälte, denn die Feuergruben und Öfen sind meist nur flüchtig überdacht, viele liegen im Freien, und im Winter ist die Plage der Ofenknechte fast unerträglich. In den Schmieden steht Amboß neben Amboß, und ganze Reihen von Handwerkern hämmern das glühende Eisen zu Waffen, Brünnen, Hufeisen, Hausgeräten, Pflügen und Werkzeugen. Mancherorts gibt es auch Nagelschmiede, die mit großer Geschicklichkeit Nägel und Haken jeder Größe herstellen. Bei dem allgemein herrschenden Mangel an Eisenwaren sind die Erzeugnisse der Erzbereitungswerkstätten auf allen Märkten, aber besonders hier im Osten, sehr gesucht. Die Eisenwerke im Rheinland, im Tal der Sieg und in Westfranken, im Odenwald und Maingebiet haben kaum genug, um den Bedarf der eigenen Gaue zu decken; sie sind nicht in der Lage, noch zusätzlich Waren nach den östlichen Provinzen zu liefern. Die Märkte von Regensburg und Enns haben sich zu bedeutenden Handelsplätzen für Eisenerzeugnisse entwickelt. Hier werden aber auch fränkische Linnenwaren, Wolle, Wein und gewerbliche Erzeugnisse gegen Vieh, Wachs, Pelze, Häute, Seide und Gewürze des Ostens getauscht. Auch viele sächsische Händler besuchen diese Marktplätze; die Sachsen gelten ja im Osten als besonders eifrige Kaufleute. In Enns im Donauland trifft man außer Awaren, Böhmen und Kroaten auch Angehörige weit entfernt wohnender Stämme — Finnen, Bulgaren und Wikinger —, die den Zwischenhandel mit Byzanz und den Ländern am östlichen Rande der Erdscheibe besorgen. Wenn auch zumeist getauscht und nur sehr wenig in barer Münze 47
bezahlt wird, so bleibt doch ein bedeutender Verdienst im Land. Ich habe auf meiner Reise die Rechnungsbücher der königlichen Wirtschaftsbeamten von drei Schmelzhütten nachgeprüft und gefunden, daß die vorgeschriebenen Marktpreise gebucht, die Erzeugnisse der Hütte jedoch zu weit höheren Preisen weiterverkauft wurden; die für die Eisenwaren erzielten Preise sind viel höher als die in den Rechnungsablegungen erscheinenden Beträge. Nur so ist es zu erklären, daß manche königlichen Verwalter in kurzer Zeit zu Reichtum, ausgedehnten Ländereien, Viehherden, hörigen Knechten und großen Höfen gelangen. In einigen Fällen, über die ich an Ort und Stelle zu Gericht saß, vermochte ich festzustellen, daß entgegen Eurer ausdrücklichen Verordnung, die den Verkauf von Waffen — insbesondere von Brünnen — an die Slawen verbietet, schwerbefrachtete Wagenladungen von Panzern und Schwertern an Awaren und Kroaten verhandelt worden sind. Profitgier und Eigennutz haben die ungetreuen Verwalter veranlaßt, die königlichen Gebote zu mißachten und einem Volke, das morgen vielleicht schon wieder mit uns im Kriege liegt, jene Waffen zu verkaufen, mit denen es unseren Söhnen und Brüdern Wunden schlagen wird. Es erscheint mir dringend notwendig, daß die königlichen Beamten erhöhte Aufmerksamkeit der Frage der Beschaffung von Arbeitskräften schenken. Die ständige Zunahme der Schmelzöfen, der anwachsende Bedarf an Erz, die Notwendigkeit, große Mengen von Holzkohle zu brennen,.Holz für die Meiler zu fällen und heranzuschaffen, die Vergrößerung der Werkstätten und die hohe Sterblichkeit unter den Knechten haben hier ebenso wie auf den großen Gütern einen empfindlichen Mangel an Knechten geschaffen. Eine Hauptsorge aller Sachwalter, die mir immer wieder vorgetragen wird, ist das Fehlen von Menschen für die Ausbeutung der Bergwerke, den Betrieb der Öfen und die Arbeiten auf den Äckern der Großgüter. Es haben sich nun gewisse Methoden entwickelt, die wir als Christen aufs höchste mißbilligen müssen und die auch wirtschaftlich unklug erscheinen. Um Knechte zu beschafTtie gegenüberliegende Seite zeigt o b e n l i n k s und r e c h t s Karl, o b e n M i t t e Pippin der Jüngere; M i t t e : Sachsen- und Frankenkrieger; Palastkapelle zu Aachen; u n t e n : Kaiserpfalz; r e c h t s u n t e n : Sachsenherzog Widukind.
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fen, erzeugen die Besitzer der Großgüter und Manufakturen durch allerband Winkelzüge künstliche Teuerungen, ja sogar Hungersnöte, so daß viele Familien genötigt sind, ihre Kinder als Leibeigene zu verkaufen. Auch der freie Bauer wird durch offenbares Unrecht immer mehr in Abhängigkeit gedrängt; es gibt Landstriche, in denen kaum mehr ein freier Bauer lebt. Nur auf den Bergen haben sich noch viele Höfe unabhängig erhalten. Die Zahl der Kriegsgefangenen aus den Slawen- und Awarenkriegen genügt bei weitem nicht, um die Schmelzhütten in Betrieb zu halten. An den heißen Öfen, in den raucherfüllten Werkstätten und in den feuchten Schächten der Bergwerke arbeiten größtenteils hörige Leute ohne Becht und Lohn. Sie erhalten, wie befohlen, Lebensmittel aus den Krongütern zugewiesen, aber leider nicht so viel, wie es die Verordnungen vorschreiben, sondern meist nur das Schlechteste und das, was der Beamte auf den Märkten nicht verkaufen kann. Erschwerend wirkt sich die Erhöhung des Geldwertes durch den Mangel an Prägemetall aus. Selbst die reiche Gold- und Silberbeute des Awarenfeldzuges hat nur eine vorübergehende Besserung des Geldumlaufes und damit eine Senkung des Münzwertes gebracht. Die Preise sind so hoch, daß der Geringe sie kaum erschwingen kann. Nun besteht die Bestimmung, daß überall für einen Denar mindestens 12 zweipfündige Weizenbrote abzugeben sind; aber diese Anordnung wird dadurch umgangen, daß gewisse Grundherren unter das Weizenmehl Kleie, Sägemehl, ja, sogar Erde mengen lassen. Durch den geringen Geldumlauf ist zudem alle Gewalt in den Händen des Großgrundbesitzes oder der Verwalter von staatlichen Liegenschaften; sie machen die Preise. Schwere Mißstände habe ich auch bei den Steuerzahlungen der Gemeinfreien festgestellt. Der Beamte, der meist personengleich mit dem größten Grundbesitzer des Gaues oder der Gemarkung ist, schätzt den Kirchenzehent für die freien Höfe ab und hat dabei leider die Möglichkeit, die Abgaben zu seinen Gunsten zu erhöhen. Wollen sie ein fremdes Grundstück, einen Acker, ein Waldland oder einen Hof in ihren Besitz bringen, scheuen viele Beamte nicht davor zurück, ihre gemeinfreien, wirtschaftlich schwächeren Nachbarn auszuplündern, bis die Wehrlosen endlich des nutzlosen Kampfes müde sind, die Schutzherrschaft 50
des großen Güterbesitzers annehmen und ihre bisher freien Höfe als Hintersassen und Halbfreie bewirtschaften. Überall befinden sich die ehemals unabhängigen Wehrmänner, die Masse der gemeinfreien Bauern, in verzweifelter Abwehr gegen den Druck der Großgrundbesitzer. Dazu kommt noch die allgemeine Kriegsmüdigkeit, die viele Freie veranlaßt, sich unter die Oberhoheit eines nahegelegenen Klosters zu begeben und damit der Wehrpflicht beim jährlichen Aufgebot ledig zu werden. Das Kloster rüstet dann Soldknechte als Ersatzmänner aus, die dem Gaugrafen lieber sind als die unwilligen Bauernsoldaten. Diese erfahrenen Berufskämpfer leben von ihrem Kriegshandwerk und drängen nicht nach jeder gewonnenen Schlacht heimwärts. Andere Bauern werden durch Zehent, Steuern und mancherlei Bedrückungen gezwungen, ihren Besitz von dem benachbarten Adligen als Lehen zu nehmen und damit die Freiheit aufzugeben. Viele der königlichen Meier, die Eure Weisheit zum Nutzen des Landes auf die überall eingerichteten Mustergüter gesetzt hat, benutzen die Überlegenheit ihrer Wirtschaft, die besseren Marktverbindungen, die größeren Ernten und die Scharen ihrer Hörigen, um billiger und mehr erzeugen zu können als ihre bäuerlichen Anlieger. Die Freibauern geraten in Schulden und Bedrängnis und wissen endlich keinen anderen Ausweg mehr als die großen Nachbarn um Schutzherrschaft zu bitten und dafür künftig Zins an sie zu zahlen. Ich habe meinem Auftrag gemäß auch die königlichen Domänen geprüft und gefunden, daß die Güterverordnung aus dem ersten Jahre Eures Kaisertums überall durchgeführt worden ist. Die königlichen Kammergüter des Gaues verwaltet ein Beamter, der dem Bang nach den Amtsleuten oder Hundertschaftsführern gleichgestellt ist. Von der Zentralstelle des Verwaltungshofes aus werden die Haupthöfe verwaltet, auf denen jeweils ein Meier sitzt. Die Meier gehören meist dem Mittelstande an, es sind im allgemeinen zuverlässige und tüchtige Männer, die mit den Methoden des fortschrittlichen Landbaues, der Garten-, Bienen- undViehwirtschaft gut vertraut sind und die Fähigkeiten haben, den anderen als Vorbild zu dienen. Ich habe die Kechnungsablegungen der Domänen durchgesehen und gefunden, daß überall echte Überschüsse erzielt worden sind. Da auf den Meierhöfen die Zinsen der umliegenden 51
hörigen Hufen, die Erträgnisse von Marktsteuern, Zöllen und Brückenabgaben abzuliefern sind, werden allerdings nicht alle erzielten Einnahmen aus dem Acker gezogen. Viele Meier siedeln die hörigen Handwerker — Müller Bäcker, Schneider, Schuster, Sattler und Wagenmacher — um die Haupthöfe an; manche dieser Mustergüter sind Dörfer von mehreren hundert Einwohnern, und die Verwalter herrschen wie Fürsten über ihr kleines Reich. Die Bauern in unmittelbarer Nähe des Hofes arbeiten ihren Zins auf den Gutsfeldern, am Straßenbau und an den Entwässerungsanlagen ab, während die weiter entfernten Hufen ihre Leistungen in Naturalien zur Domäne schicken. Die Meier, Förster, Aufseher, Zollwärter und Fuhrleute erhalten ihren Lohn in Form von zugeteilten Diensthufen; die Knechte und Mägde der Herrenhöfe bekommen neben Kost und Bekleidung ein Stück Acker- oder Gartenland zur eigenen Bestellung. Eure Weisheit hat das alles wohl geordnet, und ich glaube auch, daß sich dieses System von weitverzweigten Hofgenossenschaften unter einer zentralen Leitung bewähren wird. Das Knechtsvolk ist viel zufriedener als die hörigen Arbeiter in den Eisenhütten und Werkstätten, und der Gewinn für die Krone ist durch die Domänenwirtschaft recht bedeutend. Erlaubt mir aber trotzdem einige kritische Bemerkungen zu der bäuerlichen Ordnung in den Provinzen. Habe ich schon bei dem Bericht über die Bergwerke, Eisenhütten und Werkstätten auf die große und echte Not der Halbfreien und Hörigen hingewiesen, habe ich den Eigennutz verschiedener Beamten, Grafen und Verwalter bemängelt und von dem Zwang zur Annahme der Schutzherrschaft gesprochen, so erscheint es mir notwendig, auch auf deutliche Veränderungen innerhalb des Gefüges unseres einst kraftvollen Landvolkes, jener Wehrmannschaften und Gemeinfreien, die den Kern unserer Heere und des Reiches ausmachten, zu verweisen. Es will mir scheinen, als ziehe sich ein dunkles Verhängnis über unserem Bauernvolke zusammen; der Druck der großen Grundherren und die Unmöglichkeit neuer Siedlung für die nachgeborenen Bauernsöhne erzwingen den Abstieg der Freien. Wo noch vor einem Menschenalter genug ungenutzte Waldgebiete der inneren Wanderung offenstanden, sind heute überall Grenzen gesetzt. 52
Die Grundbesitzer mit ihren Scharen von Leibeigenen roden die geeigneten Waldgebiete für ihre eigene Nutzung; die riesigen Waldungen zwischen den einzelnen Domänen, Klöstern und Großgütern sind meist zu Barmforsten erklärt, die sich die Herren als Jagd- und Holznutzgebiete vorbehalten. So sind die Freibauern gezwungen, anstatt neue Äcker umzubrechen, die vorhandene Fläche stärker auszunutzen. Auch im Osten des Reiches wird nun die intensivere Dreifelderwirtschaft 34 des Westens Brauch. Auf meinen Reisen habe ich mehrmals Wagenzüge von Auswanderern getroffen; es waren Bauernsöhne und Töchter, die auf dem Weg zur Ostmark waren, jenem Gau, den einst der Bayernherzog von Awaren gesäubert und mit Bayern besiedelt hatte. Wie ich später feststellte, gehen alljährlich auf der durch Freising nach der Salzach führenden ,Salzstraße' Scharen von Kolonisten ostwärts. Ich schließe meinen Bericht mit der Versicherung, daß ich mich des Vertrauens des Kaisers würdig erweisen will und daß ich im Namen des Ehrwürdigen Karl entscheiden und richten werde, niemandem zuliebe und niemandem zuleide. Amen!" * Bald darauf erläßt die kaiserliche Kanzlei zu Aachen eine vom Kaiser gezeichnete Verordnung. Den hohen und niederen Beamten wird befohlen, die Rechte der Gemeinfreien zu achten und niemanden durch wirtschaftlichen oder persönlichen Druck zur Aufgabe seiner Freiheit zu zwingen; neue Höchstpreise und Marktordnungen werden festgelegt, die Herstellung minderwertigen Brotes unter Strafe gestellt, die Einschätzung der Abgaben von landwirtschaftlichen Erzeugnissen amtlich festgesetzt und die Entschädigung der zu Kriegsdiensten eingezogenen Wehrmänner großzügiger geregelt. Der Kaiser, der so Großes vollbracht, der das Abendland unter der Idee des Christentums wieder zum Imperium zusammengefaßt und die unbotmäßigen Völker unterworfen hat, gleicht einem alten Gärtner, der inmitten seines prachtvoll blühenden Gartens plötzlich ein leises Welken und Müdewerden, wie von nahendem Herbste, spürt und nun in Klage über den Anhauch der Vergänglichkeit ausbricht, ohne ein sicheres Mittel anzugeben, das dem Sterben Einhalt gebietet. 53
Bestimmungen, die eine Beseitigung der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Schäden herbeiführen könnten, fehlen in dem Gesetzeswerk von Aachen; es endet ohne Entscheidung in fruchtloser Klage: „Was soll mit dem Reich sein, so die Oberen ihre Macht mißbrauchen und die Gemeinen sich dem Gebot nicht fügen?"35 * Das Frankenreich erstreckt sich von der Elbe bis zu den Pyrenäen, von Mittelitalien bis Schleswig; der fränkische Name wird wie einst jener der Römer überall mit bewundernder Ehrfurcht genannt. Im Osten haben sich die slawischen Randgebiete unterworfen oder sind tributpflichtig geworden, die Sorben jenseits der Elbe und Saale, die Tschechen im böhmischen Raum und die Kroaten an Drau und Save. Die angelsächsischen Könige und die irischen Fürsten werben um die Freundschaft des Frankenreiches ; Gesandtschaften der Kalifen von Bagdad und der Sarazenenherrscher von Spanien, der afrikanischen Mauren und der trotzigen Nordlandskönige kommen an den Kaiserhof nach Aachen; hier ist ein neuer Mittelpunkt der westlichen Welt entstanden. Aber immer noch weigert sich Ostrom-Byzanz, das Kaisertum Karls des Großen im Westen anzuerkennen. Ein seltsamer und dem Gefühl der Völker widerstrebender Zustand ist dadurch geschaffen. Der Himmel der christlichen Menschheit zeigt die furchterregende Erscheinung zweier Sonnen — einer östlichen und einer westlichen. So zittert noch immer eine verhaltene Spannung und Unsicherheit durch den Reichsbau im Westen. Die Gegensätze der Zeit spiegeln sich auch in der Seele des alternden Kaisers wider. Während seine Außenpolitik sich ständig um die Anerkennung und Versöhnung der Byzantiner müht, um dem Reich auch in der Zukunft sicheren Bestand zu geben, unterliegt er andererseits den überkommenen, germanischen Traditionen, dem Gesetz der Eroberer- und Wanderzeit, nach dem der Staat gleich einem Landgut persönlicher Besitz seiner Herrscher ist; während Karl die große christlich -abendländische Gemeinschaft erstrebt, teilt er gleichzeitig das Imperium unter seinen Söhnen. Karl, der älteste der Söhne, erhält den 54
fränkischen und deutschen Norden, die Ostteile und somit die Kerngebiete der Macht; Pippin wird König der Langobarden, er soll über Italien, Bayern und Alemannien gebieten, während Ludwig, als der Jüngere, nur Südfrankreich zugesprochen erhält. Über die Kaiserkrone wird mit Rücksicht auf Byzanz keine Entscheidung getroffen, zudem scheint das Schicksal des neuentstandenen FrankenImperiums durch die Teilung in drei Staaten besiegelt. Als alle Verhandlungen zwischen dem Westimperium und Byzanz scheitern, spricht wieder einmal das Schwert. Byzanz, das noch immer kleine Eestgebiete im Westen festhält und mit diesen Brückenköpfen zugleich seinen Anspruch auf die Vorherrschaft behauptet, soll endgültig aus dem Abendlande vertrieben werden. Fränkische Truppen setzen sich gegen Süditalien und Sizilien, Illyrien, Dalmatien, gegen die kleinen Bezirke um Neapel und Venedig, die noch unter byzantinischer Oberhoheit stehen, in Bewegung. * Byzanz schweigt zu diesen Vorgängen in seinem italischen Hoheitsbereich. Keine oströmische Flotte kommt den Bedrängten zu Hilfe, keine griechisch-byzantinischen Heere marschieren donauaufwärts. Das alte Byzanz ist wieder einmal so sehr mit näheren und größeren Sorgen belastet, daß es vor einer Auseinandersetzung in Italien zurückweicht. In den Jahren, die der Kaiserkrönung Karls gefolgt sind, siedet heiß der Haß zwischen den religiösen Parteien in den Straßen der Wunderstadt am Bosporus. In das Gezeter der Griechen und Syrer mengt sich der Schlachtruf wikingischer Krieger, die auf dem Wege über die russischen Ströme und über das Schwarze Meer der Lockung von Byzanz gefolgt sind und sich dort als Söldner verdingt haben. Die inneren Auseinandersetzungen des östlichen Imperiums benützen die über die untere Donau hereinbrechenden Bulgaren und wälzen ihre Sturmkolonnen vor die Mauern von Byzanz-Konstantinopel. Als Kaiser Nikephoros in der Bulgarenschlacht fällt, wird der Vertreter einer versöhnlichen Politik auf den Thron gehoben und als Michael I.36 gekrönt und gesalbt. 55
Seine erste Regierungshandlung ist der Versuch einer Aussöhnung mit dem katholischen Westen. Der Kaiser erkennt, daß die alten Ansprüche auf Italien im Augenblick nicht zu verwirklichen sind. Endlich scheint der Augenblick gekommen, der die so sehr auf ihre uralten Traditionen pochenden Byzantiner unter dem Zwang der Notwendigkeit geneigt macht, die Tatsache des westlichen Imperiums anzuerkennen; denn der Angriff der Franken auf die letzten byzantinischen Besitzungen und Hafenplätze im Westen hat dem Hofe am Bosporus die Endgültigkeit und Gefährlichkeit des Bruches gezeigt. Eine Gesandtschaft der Byzantiner erscheint in Aachen. Ein Vertrag kommt zustande, der beiden Imperien die Grenzen ihrer Macht zuweist: Karl, der soeben vergebens versucht hat, Venedig zu erobern und von dort aus die Seeherrschaft im Mittelmeer zu errichten, verzichtet auf die Gründung einer Seemacht und auf die dalmatinischen und venezianischen Häfen. Der Osten braucht in Zukunft keine fränkische Konkurrenz auf dem Meere zu befürchten. Dafür erringt der Kaiser die Anerkennung seiner jungen Würde. Künftig wird Karl auch in byzantinischen Urkunden mit dem kaiserlichen Titel angesprochen — in lateinischer Sprache mit „Imperator Augustus" und in griechischer mit „Basileus". In einem Brief Kaiser Michaels an Karl wird zum erstenmal von byzantinischer Seite die Wendung das „östliche und das westliche Reich" gebraucht und Karl als „Bruder" des oströmischen Kaisers angesprochen. Damit scheint der Riß inmitten der christlichen Welt überbrückt. Es gibt wieder ein einiges Kaisertum, das zwischen dem Augustus des Ostens und dem Augustus des Westens geteilt ist; über beiden Herrschern aber wölbt sich das gemeinsame Dach der Kirche.
* Im Norden hat die Unruhe nach dem Sachsenkrieg kein Ende mehr gefunden. Die Dänen und Norweger haben ganze Flotten von seetüchtigen Langschiffen gebaut und umsegeln in kleinen Geschwadern die Küsten Westfrankens und die nördlichen Seeprovinzen. In aller 56
Welt — in Britannien, Irland und sogar an der_ französischen Mittelmeerküste — fürchtet man die Überfälle der Seeräuber. An der Niederelbe, wo die Slawengaue, die Dänenmark und das Reich zusammenstoßen, ist ständiges Kampffeld. Alles, was lieber ein Schwert als den Pflug führt, geht auf Raubzug; die Abenteurer wechseln von einer Grenze zur anderen und brandschatzen die neugegründeten Missionsstationen, Klöster, Mustergüter und Kirchen. Karl sieht sich genötigt, seinen ältesten Sohn, der seinen Namen trägt, mit einem Heer in die gefährdeten Gaue zu schicken. Prinz Karl züchtigt die Dänen, drängt die Slawen zurück und zwingt sie unter fränkische Botmäßigkeit. Um das Befriedungswerk zu sichern, läßt er zwischen Schlei und Nordsee eine mächtige Schanze nach römischem Vorbild aufwerfen ;37 nur ein einziges Tor soll hinfort aus dem christlichen Reich ins heidnische Nordland führen. * Nach dem frühen Tode König Pippins, der vor Venedig dem Fieber erlegen ist, steht das künftige Kaiserhaus nur noch auf den vier Augen der Söhne Karl und Ludwig. Prinz Karl weilt meist in seinen Erblanden, den stets unruhigen Provinzen beiderseits des Niederrheins, vornehmlich aber in Sachsen oder an der Slawengrenze. Er tut sein Werk mit Ernst und Ausdauer, der Kaiser setzt große Hoffnungen auf seinen einstigen Nachfolger. Andere Kunde dringt aus Südfrankreich nach Aachen. Prinz Ludwig, der jüngste Prinz, gleicht dem Vater äußerlich am meisten, er ist groß, breitbrüstig und helläugig, ein Kämpfer, wie ihn die Frankenkrieger lieben. Als Jäger und Reiter, als Speerwerfer und Schwertfechter hat er sich hohen Ruhm erworben. Was Herrn Karl sein Leben lang sehnsüchtiger Wunsch blieb — selbst ein Mann der Wissenschaft zu werden —, das wurde Ludwig durch eine sorgfältige Erziehung selbstverständlicher Besitz. Er spricht außer der romanischen und der deutschen Sprache lateinisch und griechisch, seine Bibelkenntnis wird selbst von Bischöfen bewundert. Die umfassende Bildung hat sein Wesen geadelt, aber König Ludwig ist kein naturhaftes Herrschergenie wie 57
sein Vater. Er hätte eher ein Mönch oder Missionar werden können. Zwischen ihm und dem Kaiser besteht nicht das herzliche Verhältnis, wie es Karl zu seinen anderen Kindern hat. Der Kaiser empfindet den Charakter seines Sohnes zu sehr als Gegensatz zur eigenen kraftvollen Art. Da erreicht den neunundsechzigj ährigen Kaiser die Nachricht von einer schweren Erkrankung und dem jähen Hinscheiden seines ältesten Sohnes Karl.38 Das ist ein furchtbarer Schlag, aber er bedeutet zugleich die Rettung der Reichseinheit; denn nun wird das Imperium in den Händen eines Erben bleiben, und Ludwig, den manche den Frommen nennen, kann dereinst die Krone des Gesamtreiches auf sein Haupt setzen. Es wird langsam leer um den Kaiser. Die alten Freunde sind dahingegangen, die großen Tage seines Ruhmes sind verrauscht. Glanz und Herrschaft vermögen nicht mehr über die Vergänglichkeit aller irdischen Größe hinwegzutäuschen. Karl spürt das unerbittliche Alter, die hohe Gestalt ist leicht gekrümmt, die Knie zittern nach starken Anstrengungen, öfter muß er die Bäder aufsuchen. In vielen Klöstern wird um die Erhaltung seines Lebens gebetet. Krone und Zepter können ihm keinen einzigen Tag der vollen, überschäumenden Jugend zurückgeben, die Bahn des Lebens führt bergab. * Im Sommer des Jahres 813 erwartet man den alten Recken in seiner Aachener Pfalz. Monate hat er in Regierungsgeschäften an verschiedenen Bischofssitzen des westlichen Reiches verbracht und hat den Rückweg über die wildreichen Ardennen genommen, um sich im allezeit geliebten Waidwerk zu erholen. Der Einundsiebzigj ährige ist des endlosen Umherziehens müde. Er hat sich entschlossen, seinen Lebensabend in Aachen zu beschließen. Mühselig wird ihm das Reiten auf den schlechten Knüppelwegen, und er ist froh, als man kurz vor Aachen auf die von Trier herüberziehende gute Römerstraße stößt. Als der lange Zug des Gefolges mit vollbeladenen Jagdwagen Aachen erreicht, ist es schon fast dunkel. Trotzdem säumt eine jubelnde Menschenmenge die Häuser58
fronten, an den Fenstern hängen grüne Kränze, und die Fahrbahn ist mit Blumen bestreut. Herr Karl grüßt nach allen Seiten; an den besorgten und erstaunten Blicken spürt er, wie alt er geworden ist. Da fällt sein Blick auf das Dach des Sankt-MarienMünsters, in dem er zur letzten Buhe bestattet werden will. „Einhard!" ruft er, „sieh dort hinauf, was ist geschehen?" Der alte Vertraute drängt sein Pferd, auf dem er klein und unansehnlich kauert, an den Kaiser heran. Er vermag nichts Besonderes zu erkennen. „War nicht immer ein goldener Keichsapfel mit einem Kreuz auf der Dachspitze? Wo ist er geblieben?" „Herr", erwidert Einhard, „als Ihr auf Beisen wart, etwa im Mai, kam ein Gewitter, und der Blitz schlug es von der Höhe, so daß es im Pfarrhof zerschellt ist." Der Kaiser reitet schweigend weiter. Seine Beine sind so steif und gichtig, daß ihn die Diener vor dem Eingang der Pfalz aus dem Sattel heben müssen. Auch die warmen Quellen von Aachen bringen die Gesundheit nicht mehr zurück. Ohne Erfolg sitzt der Kaiser stundenlang in Gesellschaft seines Hofes bis zum Hals in den Marmorbecken. Als sich im Frühling sein Zustand ein wenig bessert, tafelt er wie früher, reitet auf die Jagd und übernachtet in den kühlen, nebligen Wäldern. So geht es mit seinen Kräften unentwegt bergab, bis er sich eines Tages selbst eingestehen muß, daß er nicht mehr wie in alten Zeiten feiern, reiten und jagen kann. Der Kaiser macht sein Testament. „Was an Gold, Silber und Edelsteinen in den Schatzkammern ist, soll in drei Teile geteilt werden. Zwei Drittel bekommen die einundzwanzig Erzbischöfe des Reiches, die wiederum mit ihren Bischöfen teilen sollen. Das letzte Dritteil sollen mein Sohn und meine Töchter und Enkel erhalten und die Knechte und Mägde, die mir treu gedient haben.. .'<39 Dann humpelt er am Stock in die Schatzkammer, läßt Kelche, Gefäße, Schalen und Ringe, Edelsteine und Münzen aufzeichnen, die wertvollen Kleider, die Teppiche aus Persien, die Seide aus China, das köstliche Lederwerk, das ihm die Mauren geschickt haben, und all die zahl59
losen Kostbarkeiten, von denen jede ihre Geschichte und ihr Schicksal hat. Da steht das in verschiedenen Farben gewebte Zelt, das einst die Abgesandten des Kalifen gebracht haben; noch haftet ein Hauch von schwerem Moschusduft in den Falten. Und dort — die Uhr Harun al Raschids, ein wahres Zauberwerk des geheimnisvollen Ostens. Es ist eine Wasseruhr aus Messing, nach Ablauf jeder Stunde fällt ein ehernes Stäbchen tönend in ein Becken, und ein kleiner, kunstvoll getriebener Reiter reitet zu einem Türchen hinaus. Aber lange schon steht das Uhrwerk, kein Stundenschlag fällt in das Becken; bald wird auch der Schlag des Herzens verstummen. Karl verläßt gebeugt seine Schatzkammer, am Abend desselben Tages befiehlt er, seinem Sohne Ludwig Botschaft zu schicken, er möge nach Aachen kommen.
* Im Spätherbst reitet Herr Ludwig in der Kaiserpfalz ein. In der Pfalz findet er die Großen, die Bischöfe, Grafen und Beamten des Reiches, versammelt. Auf Veranlassung des alten Kaisers stimmt der Reichsrat der Ernennung Herrn Ludwigs zum Mitherrscher zu. Karl schämt sich der Tränen nicht, als er seinen Gefolgsleuten zuruft: „Haltet meinem Sohn die Treue, wie ihr sie mir gehalten habt!" Dann verpflichtet er jeden einzelnen mit Handschlag, zu seinem Wort zu stehen. Am folgenden Sonntag nimmt Kaiser Karl noch einmal im vollen Kaiserornat, mit Purpurmantel, Krone und Zepter, am Gottesdienst in der Marienkirche teil. Tausende der herbeigeströmten Frankenkrieger finden keinen Platz mehr in der Kuppelhalle und füllen weit hinaus den Vorplatz und die Seitengassen. Alle haben die Häupter entblößt; vielen ist das Herz schwer, während sie schweigend — eine dichte Mauer der Treue und Liebe — zu ihrem alten Kaiser aufblicken. Als Orgelklang und Chorgesang verstummt sind, tritt tiefe Stille ein. Dann erhebt sich der greise Karl, er geht zum Altar und legt dort die Krone nieder. Mühsam sinkt er an der 60
Seite seines Sohnes in die Knie und betet. Verhaltenes Schluchzen dringt von den überfüllten Emporen, wie ein Seufzen geht es durch die Kirche. Zwei Bischöfe helfen dem Monarchen beim Aufstehen; ohne den Glanz der Krone steht Karl im Schmuck seines vollen, weißen Haares vor dem Volke. Er wendet sich an die Bischöfe und Adeligen, nimmt seinen Sohn bei der Hand und spricht: „Zeige dich stets untadelig vor Gott und dem Volke! Hole die Krone mit eigener Hand und setze sie auf dein Haupt. Gott gibt sie dir!" 40 Herr Ludwig tut, wie ihm geheißen, und nun löst sich die Spannung der Massen in dem brandenden Ruf: „Heil und Leben dem Kaiser Ludwig!" Die Orgel setzt ein, Mönche stimmen das Tedeum an.
* Als der sechsunddreißigjährige neue Kaiser Ludwig nach Südfrankreich zurückgekehrt ist, verschlimmert sich Karls Zustand. Der Januar ist kalt und bringt eisige Winde. Den Alten befällt ein starkes Fieber, das er in seinem Starrsinn durch eine Hungerkur bezwingen will. Heftige Schmerzen beim Atmen treten auf, die Ärzte stellen eine schwere Brustentzündung fest und schütteln bedenklich die Köpfe. Im Volke raunt man von unglückverkündenden Vorzeichen. 41 Nachts ächzt das Gebälk der Pfalz; von der Inschrift, die an der Marienkirche die Namen von Baumeister und Stifter angibt, ist Karls Name herausgebrochen. Aus Mainz kommt Nachricht, daß die stolze Rheinbrücke, ein Wunderwerk der Bautechnik, innerhalb von drei Stunden bis auf den Wasserspiegel niedergebrannt ist. In der letzten Januarwoche läßt Karl den Erzkaplan von Köln rufen: der Freund der Jugend und der Mannesjahre soll ihm die Letzte Ölung reichen. Am Morgen des 28. Januar des Jahres 814, um die neunte Stunde, fühlt Karl, daß sein Leben zur Ewigkeit hinübergeht. Mit kaum noch vernehmbarer Stimme spricht er die Worte des Erlösers: „Vater, in Deine Hände empfehle ich meinen Geist!" 61
ANMERKUNGEN r
) Der Name der Franken taucht erstmals um die Mitte des 3. Jahrhunderts auf; er bezeichnet damals eine Bündnisgemeinschaft verschiedener Stämme zwischen Weser und Niederrhein zur gemeinsamen Kriegführung. Von hier breiten sie sich nach dem Abzug der röm. Besatzung über Gallien, über den Mittelrhein und das Moselgebiet aus. Sie unterwerfen das schwäbische und mainlandische Gebiet (Ostfranken). Seit der Gründung eines fränkischen Reiches werden die Franken auf deutschem Boden zu Einigern der deutscheu Stämme; — 2 ) vor der Gründung des zusammenhängenden Kirchenstaates im Jahre 754 besaß die Kirche von Rom verstreuten Grundbesitz in Mittelund Süditalien und auf Sizilien. Der Besitz gab ihr ein gewisses Maß von Unabhängigkeit gegenüber Eingriffen von außen; — 3) der lateinische Titel ist patricius Romanorum, er stand ursprünglich den in Rom residierenden Statthaltern der oströmischen Kaiser zu; — 4) der große Geschichtsschreiber lebte von etwa 720 bis um 797, seit 774 Mönch in Monte Cassino; — 5) nach einem zeitgenössischen Bericht; — 6) übe*- die benediktinische Klostergründung Monte Cassino s. Historische Reihe Heft 19 „Die Mönche von Monte Cassino"; — 7) über Mohammed s. Historische Reihe Heft 20 „Der Prophet Allahs"; — 8) Roland (Hruodlandus) war Graf der bretonischen Mark; — 9 ) Pippin der Jüngere (auch der „Kleine", der „Kurze") starb am 24. Sept. 768 in Saint-Denis bei Paris; — I0 ) gestorben 771; — u ) im Jahre 772; — 12 ) W. stammte aus westfälischem Adel, seit 779 Führer der Aufständischen; er starb zwischen 804 und 812; — 1S ) nach dem Bericht Einhards; — u) dieses und die folgenden Zitate nach dem Gesetzestext; — 16) die Tatsache des Blutbades von Verden ist nicht unbestritten; manche sprechen nicht von Enthauptung (lat. decollare), sondern von Verbannung (lat. delocare); — 16 ) althochdeutsch, aus dem 8. J h . ; — 17) im Jahre 785; — 2 0 ) heute in der Pariser Nationalbibliothek; — 21) Papst von 795 bis 816; — 22) die alte, 324 von Kaiser Konstantin erbaute Peterskirche war eine fünfschiffige, flachgedeckte Domkirche mit großer Vorhalle; — 23) und 24) aus Briefen Karls d. Gr.; — 25) und 28) Bericht des „Mönchs von St. Gallen"; — 27) aus einer zeitgenössischen Formularsammlung; — 28) Schüler, Besucher der Schola (Schule); -— **) um 780 bis 856, später Erzbischof von Mainz, bedeutender Pädagoge; — 30) und 31) zeitgenössische Denkaufgaben; — 3a) Königsbote, der im Auftrag des Königs die Provinzen bereiste, um die Verwaltung zu kontrollieren. Die Einrichtung der Missi brachte das Reichsgebiet in eine streng zusammenfassende Ordnung; Amtsdauer ein Jahr; — 33) aus dem althochdeutschen Wort tiudiske (d. h. volkstümlich — nicht lateinisch) bildete sich das Wort ,deutsch* als Bezeichnung für Land und Leute diutisca zunga, deutscher Zunge. Die ältesten schriftlichen Zeugnisse in deutscher Sprache sind aus dem 8. Jahrhundert erhalten; — 84) landwirtschaftliche Betriebsform mit von Jahr zu Jahr wechselnder Bestellung: Sommerfrucht — Winterfrucht — Brachland, um dem Boden genügend Ruhe zu geben; — 36 ) aus dem Gesetzestext vom Jahre 811; — 38) regierte von 811 bis 813, gestorben 843; — 87) es ist das sog. Danewerk, ein 17 km langer, oft umkämpfter Erd- und Steinwall mit Vorgraben und burgartigen Befestigungen; — 38) Karl, der älteste Sohn des Kaisers, starb im Jahre 811; — 39) bis 41) nach Einhard.
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ZEITTAFEL 2. April742 Vermutlicher Geburtstag Karls des Großen. 751 Der Vater Karls, der fränkische Hausmeier (Staatskanzler) Pippin der Jüngere macht sich zum Frankenkönig. 752—757 Papst Stefan II. 754 König Pippin gründet den Kirchenstaat zur Sicherung der Unabhängigkeit der Päpste gegenüber den angreifenden Langobarden und wird weltlicher Schutzherr dieses Staates. Pippin bindet Südfrankreich an das Frankenreich. 768 Nach Pippins Tode treten seine Söhne Karl (d. Gr.) und Karlmann als Könige die Herrschaft im zweigeteilten Frankenreich an. 768—772 Papst Stefan III. 771 Tod Karlmanns; Karl d. Gr. Alleinherrscher im wiedervereinigten Gesamtreich. 772—795 Papst Hadrian I. 772 Erster Vorstoß zur Unterwerfung der Sachsen; Zerstörung ihrer Heiligtümer Eresburg und Irminsul. 773/74 Italienzug zur Unterwerfung der Eom erneut bedrängenden Langobarden. Karl macht sich zu ihrem König und beruhigt die Lage. Fortsetzung des Sachsenkrieges. 777 Reichstag im sächsischen Paderborn; Sachsen wird in Missionsgebiete aufgeteilt, fränkische Königshöfe sichern das besetzte Gebiet. 778 Feldzug gegen die Araber in Spanien, im Pyrenäengebiet Gründung einer wehrhaften Grenzmark (Spanische Mark) gegen den Islam. 781 Karl zum zweiten Mal in Rom. Karl erneuert den Kirchenstaat. 782/84 Aufstände der Sachsen unter Herzog Widukind. Blutige Unterwerfung (Blutgericht von Verden). Einführung der fränkischen Grafschaftsverfassung in Sachsen. 785 Widukind gibt den Widerstand auf, läßt sich taufen. Massentaufen im ganzen Sachsenland. 787 Byzanz beruft ein Reichskonzil, Karl spricht dem Konzil Verbindlichkeit für den Westen ab. 63
788
Nach der Unterwerfung Bayerns gehören alle rechtsrheinischen Germanengebiete zum Frankenreich. Die Franken bleiben der allein führende Stamm. Jenseits der Ostgrenze des Reiches werden Sicherungen gegen Eibslawen und Awaren getroffen (Kastelle, Marken). 794 Konzil in Frankfurt verkörpert den geschlossenen Willen der abendländischen Christenheit gegenüber Byzanz. 795—816 Papst Leo I I I . Seit 797 Verbindung Karls mit dem Kalifen von Bagdad zur Einkreisung von Byzanz. 800 Leo III. erscheint in Paderborn, um gegen byzantinische Bedrohungen bei Karl Hilfe zu suchen. Karl ordnet erneut die römischen Verhältnisse. Am Weihnachtstage krönt der Papst den Frankenkönig zum Kaiser und erneuert damit das römische Kaisertum. 802 Die Sachsen erhalten die alten Volksrechte zurück. Endgültige Befriedung nach 30j ährigem Kriege erst 804. 806 Reichsteilungsgesetz für den Fall des Todes des Kaisers. 812 Friede mit Byzanz: Die byzantinischen Kaiser anerkennen das Kaisertum des Westens. 813 Karls vierter Sohn Ludwig (d. Fromme) wird nach dem Tode der drei älteren Söhne Karls (810 und 811) Mitkaiser mit dem Recht der Nachfolge. 28. Jan. Karl d. Gr. stirbt nach 46j ähriger Regierung 814 etwa 72j ährig in Aachen und wird in dem von ihm erbauten Marienmünster beigesetzt. Die Vorderseite des Umschlags zeigt die Karlsbüste aus dem Aachener Domschatz, eine frühgotische Aachener Goldschmiedearbeit; Auf der UmschlagRückseite: Kaisermünze Karls des Großen aus vergoldetem Silber, in der Münze zu Trier geprägt — darunter der Kaiserthron von Aachen
Alle Rechte vorbehalten. Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky; Illustrationen: H. G. Strick Druck: Dr. F. P. Datterer & Cie. - I n h a b e r Selber - Freising / Obb.
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Zur erzählenden Geschichtsdarstellung gehören als wertvolle Ergänzung auch Bild und Karte. Den Lesern der Hefte LUX HISTORISCHE BEIHE wird
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Aus der Fülle der Urteile: „Dieser Atlas, in dem die Gesamtgeschichte gegenständlich wird, zeigt vorbildlich die immerwährende Bewegtheit der historischen Entwicklung. Er ist ein vorzügliches Anschauungs- und Bildwerk für Schule und Haus." Berliner Lehrerzeitung ,,Der neue historische Bildatlas gehört nicht nur zum Handwerkszeug des Historikers, er ist unentbehrlich für alle, die bewußt in der Geschichte leben." Düsseldorfer Nachrichten
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