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Jon Messmann
Tausend Stunden Todesangst
Titel des Originals: THE DEADLY DEEP
Aus dem Amerikanischen übertragen vo...
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Jon Messmann
Tausend Stunden Todesangst
Titel des Originals: THE DEADLY DEEP
Aus dem Amerikanischen übertragen von Elisabeth Simon
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1. AP 6-7 CHARTERBOOT GESUNKEN EINZIGE ÜBERLEBENDE BEHAUPTET: BOOT WURDE VON WALFISCH ANGEGRIFFEN! ZUSTÄNDIGE BEHÖRDEN ERMITTELN
Das Mädchen lag auf dem Dach des Bootes und sonnte sich. Sie spürte die Blicke des jungen Matrosen und hätte etwas darum gegeben, wenn sie das Oberteil ihres Bikinis hätte abnehmen können. Dann hätte er wenigstens Grund zum Gucken, dachte Candy Nolan. Sie war stolz auf ihre Brüste. Tolle Dinger, sagte Harry immer wieder. »Die Stelle hier taugt nichts!« grölte Harry in diesem Moment. »Steuern Sie den Scheißkahn gefälligst woanders hin!« »Geduld, Mr. Owens«, rief Tom Peterson aus dem Steuerhaus. 3
Nach gut einem Dutzend Charterfahrten mit Harry wußte der Kapitän, daß er die Anfälle von Arroganz einfach ignorieren mußte. Candy hatte es in den ganzen drei Jahren nicht gelernt. Sie setzte sich auf. Ralph Gunetta hieß der Matrose. Er stierte immer noch auf ihren Busen. Harry saß achtern in dem Drehstuhl, die dicke Angel fest in der Hand. Sein Nacken war von der Sonne verbrannt. Die einzige empfindliche Stelle. Sonst hatte Harry ein dickes Fell. In jeder Beziehung. Candy cremte sich die Beine ein und überlegte, was eigentlich in letzter Zeit mit ihr los war. Sie hatte Harry satt. Auch im Bett. Aber da gab es wenigstens keine Zeugen für seinen brutalen Egoismus. Drei Jahre. Anfangs hatte er ihr die Ohren vollgesäuselt und hatte sie mit Geschenken überschüttet. Das hatte sich mittlerweile gelegt. Aber immer noch besser die Geliebte eines Harry, als dauernd jobben zu müssen: Kellnerin, Garderobenfrau, Zigarettenverkäuferin mit Bauchladen, Kartenabreißerin im Kino. Schließlich kostet alles seinen Preis. 4
»Es hat was angebissen!« schrie Harry. Candy stand auf, schwang sich vom Dach und stellte sich hinter Harry. »Scheiße!« schimpfte er. »Weder ein Schwertfisch noch ein Segler.« Der Fisch sprang aus dem Wasser und wand sich in der Luft. Candy sah blaue Streifen auf dem blaßgelben Bauch. »Verdammt, ein Thunfisch«, brummte Harry. »Kann ich nicht gebrauchen.« Tom Peterson kam dazu. »Holen Sie ihn ein«, sagte er, »dann schneide ich ihn ab.« »Und der Haken bleibt drin«, sagte Candy angewidert. »Genau«, sagte Harry. »Tierquälerei ist das«, sagte Candy. Harry warf einen bösen Blick über die Schulter. »Verzieh dich!« Candy kletterte wieder aufs Kajütdach. Hoffentlich fängt er nichts, dachte sie. Oder besser doch. Sonst läßt er seinen Frust heute nacht an mir aus und ich muß wieder die Hampelfrau spielen. Viele beneideten sie. Aber die kannten eben Harry nicht. 5
Plötzlich sah sie die Delphine. Harry fluchte natürlich schon wieder. Für ihn gab es bloß Segler und Schwertfische. Sie beobachtete, wie die Tiere aus dem Wasser sprangen, einen Satz machten und wieder eintauchten. Einen Moment später kamen sie vor dem Boot aus dem Wasser, segelten graziös durch die Luft und tauchten senkrecht wieder ein. Nachdem sie ihr fröhliches Spiel eine Zeitlang betrieben hatten, waren sie so plötzlich wieder verschwunden, wie sie aufgetaucht waren. Candy versank erneut in Gedanken. Der Matrose war bestimmt gut im Bett. Zärtlich und gleichzeitig voll Feuer. Es war wirklich an der Zeit, daß sie sich wieder einmal verführen ließ. Sie wußte schon gar nicht mehr, ob es ihr am Anfang mit Harry wenigstens Spaß gemacht hatte. Wahrscheinlich schon. »Mann!« hörte sie Harry rufen. »Da drüben!« Candy suchte die Wasseroberfläche ab. Keine fünfzig Meter vom Boot entfernt schien eine kleine Insel aus dem Meer 6
aufzutauchen. Eine Fontäne schoß plötzlich aus ihrer glatten, bläulichen Oberfläche. »Mann, ist das ein Biest!« rief Harry. »Ein Blauwal«, sagte Peterson. »Der muß gut seine hundert Tonnen wiegen.« Candy fror plötzlich in der Hitze der Karibischen Sonne. Sie beobachtete, wie der Wal immer weiter aus dem Wasser kam. Er drehte sich dem Boot zu und kam mit erstaunlicher Geschwindigkeit näher. »Was soll denn das?« schrie Harry. »Weiß ich auch nicht«, sagte Peterson. »Sie kommen doch sonst nicht so nah ran.« »Verdammt, der hat es auf uns abgesehen.« Angst schwang in Harrys Stimme, und Candy genoß es. Sie hatte ihn noch nie ängstlich gesehen. »Der rammt uns. Schmeißt die Scheißmaschine an!« Die Geräusche, die Stimmen, das Aufheulen des Motors – alles klang, als käme es aus fremden Sphären. Candy war voll auf das Ungetüm konzentriert, das stetig näher kam. Sie war wie hypnotisiert und 7
glaubte gleichzeitig, einen spaßigen Traum vor sich ablaufen zu sehen. Die graublaue Masse war von Narben und Kratzern gezeichnet. Harry schrie, Peterson fluchte, der junge Matrose betete. Das Boot vibrierte, die graublaue Masse bäumte sich auf. Candy wachte plötzlich aus der Hypnose auf. Sie sprang in die Höhe, und genau in dem Augenblick rammte der Wal das Boot. Candy wurde in die Luft geschleudert. Holz zersplitterte, Planken rissen sich aus dem Rumpf. Candy tauchte in das Wasser ein, sank in die Tiefe, drehte sich wie eine Schlange und schwebte der Oberfläche entgegen. Als sie den Kopf wieder aus dem Wasser hatte, sah sie das Boot – eingedrückt und auslaufend wie ein Ei. Der junge Matrose hing verzweifelt an der Brücke, Harry und Peterson lagen auf dem Deck und hielten sich krampfhaft an der Reling fest. Der Wal, den das Meer einen Moment lang verschluckt zu haben schien, wurde plötzlich wieder ausgespuckt. Er richtete sich auf und wuchs und wuchs, bis er auf der Schwanzflosse zu 8
stehen und den Himmel zu verdunkeln schien. Das Wasser strömte von seinen gewaltigen Flanken. Er drehte sich um die eigene Achse und kam wie ein Schlaghammer nach unten gesaust. Das Boot brach in der Mitte entzwei. Alles wurde unter der wahnsinnigen Masse begraben und mit dem Sog in die Tiefe gerissen. Ein paar Sekunden später war nichts mehr da. Der Wal war verschwunden. Nach allen Himmelsrichtungen hin nur noch die weite blaue See. Es war, als sei nichts geschehen. Eine Planke tanzte auf den Wellen an Candy vorbei. Sie klammerte sich daran fest und ließ sich treiben. Die Sonne brannte ihr auf den Kopf, und langsam schwanden ihr die Sinne. Candy Nolan wurde kurz vor Einbruch der Nacht von einem Boot gesichtet und aus dem Wasser gezogen. Man brachte sie nach Key Largo in ein Hospital. Sie hatte einen schweren Schock erlitten. Nach den ersten Behandlungen wurde Candy von der Polizei verhört und berich9
tete, was passiert war. Man glaubte ihr kein Wort. »Miß Nolan«, sagte Jack Matthews geduldig, »das entspricht nicht der Verhaltensweise von Walen.« Er war Lieutenant der Küstenwache. »Selbst verletzte Wale greifen nur in den allerseltensten Fällen an.« »Glauben Sie vielleicht, ich lüge Sie an?« sagte Candy mit zusammengebissenen Zähnen. »Nein, das glaube ich nicht«, sagte der Lieutenant. »Aber vielleicht waren Sie zu lange in der Sonne und haben phantasiert. Das Boot kann ja auch explodiert sein.« »Das Boot ist nicht explodiert«, sagte Candy, »sondern von einem Wal zerstört worden.« Der Lieutenant schüttelte den Kopf. »Unmöglich, Miß Nolan. Wale greifen nicht an.« »Der hat aber angegriffen. Vielleicht ist er verrückt. Ich weiß es auch nicht. Ich weiß bloß, was passiert ist. Er hat das Boot angegriffen und total zerstört. Ver10
dammt noch mal, ich habe es schließlich mit eigenen Augen gesehen.« Der Lieutenant gab es auf. Er bedankte sich und ging. Zwei Tage später verschwand die Roberta II mit vier Männern an Bord. Sie hatte knappe zwanzig Meilen von der Stelle entfernt, an der man Candy Nolan aus dem Wasser gezogen hatte, ihre Netze ausgelegt gehabt. Lieutenant Matthews konnte sich die beiden Fälle nicht erklären. Wale griffen nun einmal nicht an.
UPI 8 – 7 – 1976 HUMMERFÄNGER AUF SELTSAME WEISE GETÖTET Die Bürger von Chittam im Staate Maine waren entsetzt. Nicht so sehr wegen Efrem Getz, den keiner gemocht hatte, sondern wegen des Vorfalls an sich. Sie verstanden es einfach nicht, und die Haa-
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re standen ihnen zu Berge. Ein letztes Mal schüttelten sie den Kopf. »Seltsame Menschen sterben eben auf seltsame Weise«, meinte einer. Efrem Getz war zweifellos der unbeliebteste Mann an der ganzen Küste gewesen. Zugegeben, er hatte die dicksten Hummer gefangen. Wie er das angestellt hatte, war allen immer ein Rätsel gewesen. Aber das war nicht der Grund gewesen. Wo bei normalen Menschen Blut durch die Adern fließt, war bei ihm schiere Bosheit geflossen. An keinem hatte er ein gutes Haar gelassen. Und seine Launen hatte jeder gefürchtet. In einem kleinen, einfachen Haus auf einem windigen Felsen hatte er gewohnt, ein gutes Stück außerhalb, und war einmal pro Woche zum Einkaufen in das Städtchen gekommen. Und eines Tages war Efrem nach Portland gefahren, war eine Woche geblieben und mit einem jungen Mädchen zurückgekommen, das ihm den Haushalt geführt hatte. Hübsch war sie gewesen und kaum über zwanzig. Sie hatte eine sehr 12
dunkle Haut gehabt, und jemand hatte angeblich gehört, daß er sie aus dem Gefängnis geholt hatte. Auch sie war einmal pro Woche zum Einkaufen gekommen, war immer freundlich gewesen, hatte aber mit niemand geredet. Bald hatte jeder mit eigenen Augen sehen können, daß Efrem Getz das Mädchen in regelmäßigen Abständen verprügelte. Und an einem eisigen Apriltag war das Mädchen dann in das Büro des Sheriffs gekommen. »Mr. Getz ist hingefallen und hat sich verletzt«, hatte es gesagt. »Schicken Sie einen Arzt und einen Krankenwagen raus.« Der Sheriff hatte Doc Hansen angerufen, und sie waren zusammen zu Efrem gefahren. Sie hatten ihn in der Küche auf dem Fußboden gefunden, und keiner von beiden hatte auch nur einen Moment daran gezweifelt, daß die klaffende Wunde am Kopf von einem Schürhaken stammte. Das Mädchen hatte dann niemand mehr gesehen. Es war spurlos verschwunden. Man hatte Efrems Kopf zusammengeflickt und ihn nach einem Mo13
nat wieder aus dem Krankenhaus entlassen. Durch den Vorfall war er nicht etwa weniger unsympathisch gewesen, aber er hatte noch zurückgezogener gelebt -was allen nur recht gewesen war. Wenn Billy Hoggins nicht gewesen wäre, hätte vielleicht niemand je erfahren, was mit Efrem Getz an dem Morgen des 8. Juli passiert war. Billy Hoggins, gerade vierzehn geworden, war hinausgerudert, um Krabben zu fangen. Plötzlich hatte er gesehen, wie unweit von ihm Efrem in seinem Beiboot aufgetaucht war. Wie immer am frühen Morgen, hatte ein angenehmes Lüftchen geweht. Und was sich dann keine fünfzig Meter vor Billy abgespielt hatte, hatte er einfach nicht glauben wollen. Efrem war zu seinem ersten Korkenschwimmer gerudert und hatte den Weidenkorb aus dem Wasser gezogen. An die fünfzehn Hummer hatten sich in der Falle verfangen gehabt. Alle von außen. Efrem, der natürlich nicht ein Stück aus der großen Beute hatte verlieren wollen, hatte gleich den ganzen Korb mit den 14
Lobstern ins Boot geworfen. Noch in der Luft hatten zwei von den Dingern losgelassen und waren auf Efrem gelandet. Der eine Hummer hatte sich mit der einen Schere am Kragen festgehalten und mit der anderen angegriffen. Billy Hoggins hatte die Schmerzensschreie gehört und hatte gesehen, wie Efrem den Hummer gepackt und vom Kragen gerissen hatte. Der andere war im Rücken der dicken Jacke verkrallt gewesen. Dem aber nicht genug. Jetzt hatten auch die anderen Hummer angegriffen. In Efrems Waden hatten sie sich verbissen, in die Knöchel hatten sie ihm die Zangen gebohrt und in die Füße. Efrem war schließlich ausgerutscht und in sein Boot gefallen, und dann hatten sie sich über das Gesicht hergemacht. Die Schreie des gequälten Mannes waren grauenvoll gewesen. Billy Hoggins hatte schnell sein Krabbennetz eingeholt und war wie besessen zum Beiboot des Hummerfängers gerudert. Efrem war auf dem Grund des Boots gelegen, von Hummern bedeckt. Sein Gesicht war kein 15
Gesicht mehr gewesen, sondern eine blutige Masse ohne Augen, Nase und Mund. In seine Eingeweide hatten sich die Hummer eingefressen, und die Schreie waren verstummt. Als die Hummer von Efrem abgelassen hatten und nun Billy Hoggins überfallen wollten, hatte der Junge die Flucht ergriffen. Die Geschichte hatte sich wie ein Lauffeuer in Chittam verbreitet. Der Sheriff hatte Billy Hoggins verhört und auch den Deputy zugezogen. Niemand hatte ihm glauben wollen. Als man jedoch Efrems Boot eingeholt hatte, war alles verstummt. Von Efrem war nur noch das Skelett übrig gewesen. Es war ein Bericht an die State Police gegangen. Ein Reporter war nach Chittam gekommen und hatte versucht, Billy Hoggins zu interviewen, aber es war nichts dabei herausgekommen. Auch die anderen hatten kaum etwas gesagt. Die Bürger von Chittam waren verschwiegene Leute. Sie behielten ihre Meinung über Efrem und den Vorfall für sich. 16
Als am Tag darauf zwei weitere Hummerfänger von ihrer Beute angegriffen wurden, blieben sie auch dann verstockt. Tom Osgood verlor einen Finger, und Sam Damt kam halbtot vor Angst zur Küste zurück. Ein Hummer hing ihm noch am Handgelenk. Sam Damt hatte ihn mit einem Hammer erschlagen. Als dann wiederum einen Tag später alle Leinen durchgebissen und die Hummerkörbe völlig zerrissen und zerstört waren, wurde im Schulhaus eine Versammlung einberufen. Dick Evans, der Bürgermeister, vertrat die Meinung, irgendwelche »fanatischen Naturliebhaber oder Vegetarier« seien die Täter, aber Tom Osgood und Sam Damt schüttelten die Köpfe. Am Abend versammelten sich kleine Gruppen auf den Straßen und alles sprach über die merkwürdigen Vorfälle. An die Öffentlichkeit gelangte lediglich die seltsame Geschichte von Efrem Getz. Zumindest vorläufig. Und so fing alles an: mit zwei skurrilen Berichten in den Zeitungen.
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2. Das Sommerhäuschen stand direkt an der Atlantikküste, nördlich der Rehoboth Beach im Staat Delaware. Es war stabil gebaut. Das Licht des Halbmonds schien durch das Fenster. Aran Holder war noch wach, das schlanke Mädchen neben ihm ebenfalls. Ihr lustvolles Stöhnen war verstummt. Schön war es gewesen, wie immer mit Jenny. Sie paßten gut zusammen, in jeder Beziehung. Und plötzlich war Aran voll konzentriert. Wie immer hatten sie das Radio eingeschaltet, und ein Nachrichtensprecher berichtete gerade von den beiden seltsamen Vorfällen. Als die Musik wieder einsetzte, starrte Aran an die Decke und machte sich seine Gedanken. »Du überlegst, ich spüre es«, sagte Jenny leise. »Diese beiden verrückten Geschichten beschäftigen dich, habe ich recht?« 18
»Ja«, sagte Aran. »Wie alles Ungewöhnliche.« Sie stützte sich auf die Ellbogen und strich sich die dichten aschblonden Haare aus der Stirn. »Das bestätigt es wieder einmal«, sagte sie. »Was?« fragte Aran. »Diese beiden Vorfälle«, sagte Jenny. »Nichts steht in einem logischen Zusammenhang.« »Wie meinst du das?« Jenny legte sich zurück und sah ebenfalls an die Decke. »Die Welt, in der wir leben, ist aus den Angeln gehoben. Sie besteht aus lauter Abgetrenntheiten. Irgendeinen Rhythmus oder eine Begründung gibt es nicht. Man bringt uns bei, daß alles nach Plan geht und nichts geschieht, was der Weisheit dieses Plans widerspricht. Das ist kompletter Unsinn. Alles besteht nur aus Bruchstücken und Splittern. Die Verbindungen sind lediglich lokaler Natur.«
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»Der Ansicht bin ich nicht«, sagte Aran. »Die Dinge stehen schon in Zusammenhang.« Jenny setzte sich auf. Sie schüttelte den Kopf. «Das tun sie eben nicht«, sagte sie. »Während wir uns hier lieben, werden woanders Menschen auf seltsame Weise getötet. Während wir ein kaum zu ertragendes Maß an Lust und Befriedigung empfinden, empfinden andere Menschen ein kaum zu ertragendes Maß an Leid und Schmerz. Wo ist da das Gleichgewicht? Ein Bauer schuftet sich ab, um seine Ernte zur vollen Reife zu bringen, während unter der Erde Larven nagen und sich entwickeln und zu Käfern werden, welche die Ernte zerstören. Wo ist da die Logik? Nein, alles ist aus einem Chaos von Einzelvorgängen zusammengesetzt.« »Und trotzdem ist es ein Ganzes«, sagte Aran. »Wie denn? Wo denn? Du bist doch der preisgekrönte Schreiber – also erkläre es mir.« 20
»Deswegen bin ich noch lange kein Jehova.« Aran zog Jenny an sich. »Du brauchst bloß jemand, der deine Schuldgefühle mindert. Ich kenne dich doch, Jenny Vandam. Du hast ein schlechtes Gewissen, weil jemand leidet, während du genießt. Dein Gerechtigkeitssinn ist verletzt. Übrigens ein Beweis, daß deine Instinkte richtig gelagert sind.« »Du tust gerade so, als sei ich ein Einzeller, eine primitive Kreatur, die lediglich auf ein Stimulans reagiert.« Er küßte sie und legte eine Hand auf ihre kleine, feste Brust. Er spürte, wie ein Schaudern durch ihren Körper ging. »Na und?« fragte er. »Ist das vielleicht schlecht?« Und einen Moment später waren sie wieder eng umschlungen, bis die Nacht noch einmal zu explodieren schien. Als Aran am nächsten Morgen aufwachte, stand Jenny bereits vor dem Spiegel und bürstete sich die Haare. Bis auf einen schmalen Streifen war sie tiefbraun gebrannt. Aran war seit einer Woche hier. Jenny verbrachte den ganzen Sommer an 21
der Küste. Ihre Eltern waren wie jedes Jahr in Europa. Aran hatte schon lange keinen Urlaub mehr gemacht und war heilfroh, einmal von der Universität in Washington weg zu sein. Um so mehr, als er sich dazu hatte überreden lassen, diese Vorlesung zu halten. Bisher hatte sich Aran mit Schreiben seinen Lebensunterhalt verdient. Neue Theorien und Entdeckungen legte er in einer Art und Weise dar, daß auch der Durchschnittsleser begriff, worum es sich handelte. Und als er dann den Magnus-Preis zugesprochen bekommen hatte, war man dann mit Dutzenden von Lehraufträgen an ihn herangetreten. Die Vorlesung, die er schließlich übernommen hatte, sollte sich mit den ethischen Aspekten neuer Wissensgebiete beschäftigen – Bioethik genannt. Zu seiner Enttäuschung hatte Aran schon nach ein paar Wochen feststellen müssen, daß seine Hörer weniger an der Bioethik interessiert waren, sondern vielmehr erwarteten, eine Kurzform dessen vorgebe-
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tet zu bekommen, was sie sich nicht selbst erarbeiten wollten. Jennifer hatte Aran auf einem Cocktail der Fakultät kennengelernt. Sie hatten sich anschließend, mehrmals getroffen, und alles hatte sich auf ganz natürliche Weise entwickelt und war von Anfang an schön gewesen. Jenny, Jennifer… Er nannte sie bei beiden Namen, weil sie mädchenhaft, verschmitzt und voll Mutterwitz sein konnte und ein andermal elegant, überaus zurückhaltend und auf kühle Art geistvoll. Sie hatte die besten Schulen des Landes besucht, hatte mit ihren Eltern Europareisen unternommen und arbeitete – wenn sie nicht in Delaware in der Sonne lag – in einer Kleinstadt in Virginia als Volksschullehrerin. Aran war überzeugt davon, daß sie bei ihren Schülern sehr beliebt war. Jetzt stieg sie in das Höschen ihres Bikinis und sah damit noch verführerischer aus. »Steh auf, du Faulenzer!« sagte sie. »Das Meer sieht phantastisch aus.« 23
»Sklaventreiber«, maulte er und trottete ins Bad. Jenny, das Oberteil ihres Bikinis in der Hand, wartete vor der Tür auf ihn. Der Strand war zwar privat, aber manchmal kam doch jemand, und dann zog sie es schnell an. Die Brandung war gering. Nur kleine Wellen spülten ihre Schaumkronen an den Strand. Jenny warf sich voll Energie ins Wasser. Aran ging etwas langsamer rein und ließ sich auf dem Rücken treiben. Ihr erster Schrei war eher erstaunt. Gleich darauf folgte jedoch ein Schmerzensschrei. Aran rollte auf den Bauch und sah, wie sich Jenny im Wasser wand. »Ich bin gebissen worden!« rief sie. Sie schwamm wie vom Teufel gejagt ans Ufer. Aran ebenfalls. Sie waren nicht weit draußen, und hier gab es keine Haie. Im flachen Wasser kamen sie außerdem nirgends vor. Jenny hatte Grund und arbeitete sich halb gehend, halb schwimmend dem Ufer entgegen, als Aran plötzlich einen Fisch springen und dann ver-
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schwinden sah. Ein Barsch. Ein ganz gewöhnlicher Barsch. Jenny ließ sich auf den Sand fallen. Aran war einen Moment später neben ihr. An ihrer rechten Hüfte, am rechten Oberschenkel und an der rechten Fessel war eine Blutspur. Er nahm sie in die Arme, und sie sah mit verschreckten Augen zu ihm auf. »Was hat dich denn um Gottes willen gebissen?« »Die Fische. Hast du sie denn nicht gesehen?« »Bloß einen Barsch.« »Genau, die Barsche. Sie haben mich angegriffen. Erst einer, und dann die anderen auch.« »Die Barsche?« fragte Aran. »Bist du sicher? Ich habe zwar auch einen gesehen, aber gebissen muß dich etwas anderes haben.« »Nein, der Barsch. Ich habe es doch gesehen.« Aran untersuchte die Bisse: es waren kleine, runde Einstiche, nicht besonders tief. Er hatte an einen Barracuda ge25
dacht, aber ein Biß von diesem Fisch sah anders aus. Aran stand auf und zog Jenny in die Höhe. »Komm, wir tun ein Desinfektionsmittel drauf. Kannst du gehen?« »Natürlich. Es tut nicht einmal mehr weh.« Nachdem die Bisse behandelt und mit Pflaster verklebt waren, machte Jenny das Frühstück, während Aran am Fenster saß und mit besorgtem Gesicht aufs Meer hinaussah. »Wenn das wirklich ein Barsch war«, murmelte er vor sich hin, »dann ist das aber schon sehr seltsam.« »Ich sage dir doch, daß auf dieser Welt nichts stimmt. Verhaltensweisen! Daß ich nicht lache!« Jenny schlug ein paar Eier in die Pfanne. »Von der Regel abweichendes Verhalten«, sagte Aran wie zu sich selbst. »Beim Menschen ist es meistens eine Kurzschlußhandlung, im Tierreich hingegen eine Art Warnung.«
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»Trink deinen Kaffee und hör auf, Verbindungen herstellen zu wollen«, sagte Jenny. »So etwas passiert einmal und dann nie wieder.« »Dann geh doch noch mal ins Wasser«, sagte Aran. In Jennys Augen funkelte es. »Das ist unfair. Du bist richtig gemein. Du kannst mich doch nicht…« Aran erstickte ihren Protest mit Küssen. Das Frühstück blieb stehen. Sie sanken auf das Bett und liebten sich bis zur totalen Erschöpfung. Später lagen sie dann am Strand, und der seltsame Vorfall mit den Barschen wurde nicht mehr erwähnt, bis kurz nach Mittag das Heulen eines Krankenwagens die Stille zerstörte. Aran setzte sich auf. Am angrenzenden Strand wurde der Sand von den Reifen eines Streifenwagens aufgeworfen. »Ich seh mal nach, was da los ist«, sagte Aran und stand auf. »Bleib du bitte hier.« Nach ungefähr zehn Minuten war er wieder zurück.
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»Und?« fragte Jenny. »Etwas Schlimmes?« »Ja«, sagte Aran ernst. »Ein Mann und seine beiden Söhne sind beim Schwimmen von Fischen angegriffen worden. Sie sind gerade noch zurückgekommen. Der eine Junge schwebt in Lebensgefahr. Es war ein Schwärm von Barschen.« »Mein Gott!« stöhnte Jenny. »Dieselben Fische, die mich gebissen haben.« »Vielleicht.« »Wieso vielleicht?« fragte Jenny. »Denkst du, daß alle Fische hier in der Gegend plötzlich durchdrehen?« »Ich denke gar nichts. Noch nicht. Aber etwas stimmt da nicht, und ich versuche, eine Verbindung zwischen den merkwürdigen Ereignissen herzustellen. Vielleicht ist das verfrüht, aber ich glaube es nicht.« Dem Stand der Sonne nach mußte es drei Uhr sein, also noch Zeit genug für das, was er vorhatte. Aran stand auf. »Ich telefoniere erst einmal ein wenig«, sagte er, »und du bleibst bitte schön brav
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hier sitzen, bis ich gewisse Dinge in Erfahrung gebracht habe.« »Keine Angst«, sagte Jenny. »Ich bin jetzt erst einmal eine Zeitlang wasserscheu.« Aran ging ins Haus und ließ sich von der Auskunft die Nummer der Staatlichen Fischerei- und Forstverwaltung in Boston geben. Dort verlangte er Emerson Boardman, den er persönlich kannte und der als oberster Beamter der Staatsstelle fungierte. Boardman, wurde ihm gesagt, sei in einer Konferenz. Aran hinterließ, daß Boardman ihn zurückrufen solle. Anschließend duschte Aran, zog sich an und packte gerade das Nötigste in eine kleine Reisetasche, als die Tür aufging und Jenny vor ihm stand. Sie zog eine Augenbraue hoch und sah ihn fragend an. »Ich warte«, sagte Aran. »Auf was?« »Auf…« Genau in dem Moment klingelte das Telefon. »Auf diesen Anruf«, sagte Aran und nahm den Hörer ab.
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»Hallo, Aran«, meldete sich Emerson Boardman. »Das ist ja eine Überraschung.« »Ich würde Sie morgen gern sprechen, Emerson. Haben Sie Zeit für mich?« »Morgen – warten Sie mal. Paßt es Ihnen gegen halb zwölf? Wir könnten ja zusammen essen.« »Gern. Ich bin um halb zwölf bei Ihnen im Büro.« Aran legte auf und zog Jenny auf seine Knie. »Mach doch wegen der Sache keine solchen Umstände!« stöhnte Jenny. »Bloß weil mich ein Fisch gebissen hat.« »Ich bin doch nur einen oder zwei Tage weg«, sagte Aran. »Ich wittere da eine sensationelle Story.« »Das ist nicht der einzige Grund«, entgegnete Jenny. »Sag mir die Wahrheit.« »Gut, ich sage dir die Wahrheit. Ich mache mir Sorgen. Vielleicht hat sich das Mädchen in seiner Angst nur eingebildet, daß das Boot von einem Wal gerammt worden ist. Vielleicht war der Hummerfänger total betrunken, ist in seine Beute 30
gefallen und aufgefressen worden. Vielleicht. Aber ich glaube es nicht. Ich habe das dumpfe Gefühl, daß sich etwas Schlimmes zusammenbraut.« »Aber was denn?« fragte Jenny. Aran zuckte mit den Schultern. »Ich habe keine feste Vorstellung, keine Theorie, nicht einmal eine Vermutung. Aber das Verhalten dieser Seebarsche hat mich schon sehr stutzig gemacht.« Jenny stand auf. »Und wann willst du fliegen? Noch heute abend?« »Nein, mit der ersten Maschine am Morgen.« »Und wie lange bleibst du weg?« »Höchstens zwei Tage. Wenn ich schon in Boston bin, dann muß ich auch schnell zu Hause guten Tag sagen. Was hältst du davon, wenn wir heute abend zum Essen ausgehen?« »Aber wir haben doch noch genug im Kühlschrank.« »Nein«, sagte Aran. »Ich will dich ausführen. Komm, zieh dir etwas an.«
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Jenny verschwand im Bad, während Aran die Beine vom Leib streckte und überlegte. Als Jenny ungefähr eine halbe Stunde später fertig war, sah sie so bezaubernd aus, daß Aran kein Wort herausbrachte. »Na?« fragte sie schelmisch. »Bist du vor lauter Nachdenken stumm geworden?« »Ich denke gerade, daß ich wohl nicht ganz bei Sinnen bin. Dich hier allein zurückzulassen, ist der schiere Wahnsinn.« »Aber du hast doch gesagt, daß du das Gefühl nicht los wirst, es sei da etwas nicht in Ordnung.« »Ja, und deshalb muß ich wohl fahren, ob es mir nun paßt oder nicht.« Die Sonne glitt gerade am Horizont hinunter, als sie in Arans Auto stiegen und zu einem Restaurant fuhren, das Jenny kannte. Es war rustikal eingerichtet, man bekam fabelhafte Steaks und alles an See-, Muschel- und Schalentieren, was das Herz begehrte. Nach dem Essen noch ein paar Drinks, dann fuhren Aran und Jenny zurück. Aran stellte das Radio an. 32
Die Station brachte Schlager aus den fünfziger Jahren. Aran drehte weiter und fand den lokalen Sender. Hier brachten sie Jazz. Das entsprach mehr seiner Stimmung. Sie waren fast zu Hause, als Nachrichten gesendet wurden. Aran spürte, wie Jenny neben ihm erschrak, als gemeldet wurde, daß ein Mann mit seinen zwei Söhnen und fünf weitere Badegäste von Fischen angegriffen und gebissen worden waren. Ein Mann und eine Frau waren an den Bißwunden gestorben, vier Personen mußten ins Krankenhaus gebracht werden und schwebten in Lebensgefahr. Die Unfälle ereigneten sich an dem Küstenstreifen zwischen Bothany Beach und Ollan City im Staat Maryland an der Küste der As-satcagne-Insel und im Seebad Cape May in New Jersey. »Das Baden«, fuhr der Nachrichtensprecher fort, »ist an der Küste zwischen Cape May und Delmarwa polizeilich verboten. Die zuständigen Behörden haben mit Ermittlungen begonnen.«
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Aran stellte das Radio ab, parkte neben Jennys Wagen, einem kleinen Fiat, nahm Jenny an der Hand und ging mit ihr ins Haus. »Das geht doch alles nicht mit rechten Dingen zu«, sagte Jenny, während sie sich auszogen. »Wenn man die Ursache erst gefunden hat, wird sich herausstellen, daß sie biologischer Natur ist«, sagte Aran. »Das glaube ich nicht – und du glaubst es auch nicht.« Aran zuckte mit den Schultern. Sie liebten sich nicht an jenem Abend. Eng umschlungen lagen sie im Bett, und jeder hing seinen Gedanken nach. Jenny schlief in seinen Armen ein, Aran wurde ein paar Minuten später vom Schlaf überfallen. Draußen rollte die Brandung an den Strand. 3. Emerson Boardman saß nachdenklich an seinem Schreibtisch. Seine Sekretärin 34
hatte ihm eben einen Stoß weiterer Berichte gebracht. Die bizarren Unfälle brachen nicht ab. Im Radio und im Fernsehen wurden pausenlos Sondermeldungen durchgegeben, die Zeitungen brachten Extrablätter heraus. Das Telefon klingelte schier ohne Pause. Man stellte ihm Fragen, die er nicht beantworten konnte. Verdammt, er mußte sich irgendeine Art von Stellungnahme zu den Vorkommnissen überlegen, aber er wußte ja auch nicht mehr als die anderen. Aran Holder wurde um elf Uhr dreißig von der Sekretärin angemeldet. Emerson Boardman empfing ihn mit ausgestreckten Händen. »Freut mich, Sie wieder einmal zu sehen, Aran«, sagte er. »Soll ich raten, was Sie zu mir führt?« »Wohl kaum nötig«, sagte Aran und deutete auf die Berichte auf dem Schreibtisch. »Wahrscheinlich ist mir nicht einmal die Hälfte von dem bekannt, was wirklich passiert ist.« »Das ist mir alles heute morgen auf den Schreibtisch geflattert«, sagte Emerson 35
Boardman. »Sie können die Berichte gern lesen.« Aran setzte sich, lud sich den Stapel auf den Schoß und überflog die einzelnen Berichte. »Ich war bei einem dieser Unfälle dabei«, sagte Aran, als er fertig war. »Er ereignete sich gestern an der Rehoboth Beach.« «Können Sie Genaues berichten?« fragte Emerson Boardman. »Ich bin mit einem Mädchen im Meer geschwommen. Das Mädchen wurde von Barschen angegriffen und gebissen. Völlig grundlos. Sie hatte keine offene Wunde oder sonst etwas, was die Fische hätte anziehen können. Wie gesagt, völlig grundlos.« Emerson Boardman nickte. Das war für ihn der erste Bericht eines Augenzeugen. Und noch dazu eines Mannes, den er kannte und dessen klaren, logischen Verstand er schätzte. Du kommst mir wie gerufen, dachte er plötzlich und legte dem um fünfzehn Jahre jüngeren Mann eine Hand auf die Schulter. 36
»Wir wollten ja ursprünglich zusammen zu Mittag essen, aber ich kann unter den gegebenen Umständen nicht weg«, sagte er. »Sie haben die Berichte nur flüchtig gelesen. Warum lassen Sie sich nicht ein Sandwich holen und arbeiten sie in Ruhe durch. Vielleicht stoßen Sie auf einen Anhaltspunkt. Ich habe für vierzehn Uhr eine Besprechung mit meinen engsten Mitarbeitern einberufen, um anschließend eine Stellungnahme herausbringen zu können. Ich hätte Sie gern dabei.« »Einverstanden«, sagte Aran. »Sie wissen ja, daß ich immer darauf bedacht bin, dort mit meinen Recherchen zu beginnen, wo eine Sache ihren Anfang hat. Im gegebenen Fall wäre das die Frau, die behauptet hat, daß das Motorboot von einem Wal gerammt worden ist. Ich möchte sie gern im Krankenhaus anrufen – falls sie noch da ist. Kann ich Ihren Apparat benutzen?« »Aber natürlich«, sagte Emerson Boardman und grinste in sich hinein. Gründlichkeit war einer der Hauptcharakterzüge von Aran Holder »Wenn Sie al37
lerdings lieber ungestört sein wollen, können Sie sich in den kleinen Konferenzraum setzen. Dort ist auch ein Anschluß.« Mit den Berichten unter dem Arm ließ sich Aran den kleinen Konferenzraum von Boardmans Sekretärin zeigen: ein ovaler Tisch, sechs Stühle, Telefon. Aran bat die Sekretärin, ihm ein Thunfischsandwich zu besorgen, setzte sich und machte sich an die Berichte. An den über den Fall Candy Nolan war eine Kopie des Gesprächs geheftet, das ein gewisser Lieutenant Jack Matthews mit ihr geführt hatte. Aran las den Bericht dreimal, dann ließ er sich mit dem Krankenhaus verbinden, in das man Miß Nolan eingeliefert hatte. Sein Sandwich wurde gerade gebracht, als er Candy endlich am Apparat hatte. Aran nannte seinen Namen, erklärte den Grund seines Anrufs und merkte sofort, wie das Mädchen in Verteidigungsposition ging.
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»Ich wollte Sie bloß bitten, mir ein paar Fragen zu beantworten, damit ich etwas klarer sehe«, sagte er. Candy Nolan schien zu überlegen. »Meinetwegen«, sagte sie schließlich. »Haben Ihre Freunde schon seit ein paar Tagen an der Stelle gefischt, an der sich dann das Unglück ereignete?« »Nein«, antwortete Candy. »Aber soviel ich weiß, war Kapitän Peterson schon oft dort.« »Haben Sie nur einen Wal gesehen?« »Bloß einen, aber das hat mir gereicht.« Aran lächelte über die Meilen hinweg. »Ist Ihnen inzwischen vielleicht noch etwas eingefallen, was Sie Lieutenant Matthews gegenüber zu erwähnen vergessen haben?« »Nein.« »Können Sie mir den Wal beschreiben?« »Ja. Er war riesig groß. Sie können sich gar nicht vorstellen. wie groß er war.« »Und die Farbe?« «So grau-blau-schwarz.« »Sonst noch etwas, was Ihnen aufgefallen ist?« 39
»Daß er an der Unterseite gestreift war. Oder wie mit Furchen. Ich habe es gesehen, wie er sich aufgerichtet hat und dann auf das Boot heruntergesaust ist. Und sein Kopf war nicht so eckig, wie man es immer auf Bildern sieht.« »Gut. Vielen Dank, Miß Nolan. Falls ich noch weitere Fragen habe, werde ich mir erlauben, mich an Sie zu wenden.« »Aber ich werde morgen entlassen«, sagte Candy. »Das freut mich für Sie. Alles Gute.« Damit legte Aran auf, überlegte einen Moment und machte sich an die anderen Berichte, während er nebenbei sein Thunfischsandwich aß. Kurz vor zwei war er damit fertig und ging in Emerson Boardmans Büro zurück. »Und?« fragte dieser. »Nichts, was zur Aufklärung dienen könnte«, sagte Aran. »Eben«, sagte Boardman. »Ich würde Sie gern beauftragen, Aran, offizielle Ermittlungen anzustellen. Die Massenmedien sind nur an der sensationellen Seite der Unglücksfälle interessiert. Wichtige 40
Fragen stellen sie nicht, und die Polizei verfährt routinemäßig. Aber Sie sind ein Mensch, der weiß, wonach er suchen muß und was wir brauchen. Außerdem sind Sie ja durch die Freundin, die von den Fischen gebissen wurde, sozusagen persönlich engagiert. Also, wie steht’s? Das übliche Tageshonorar plus Spesen.« »Einverstanden«, sagte Aran, der genau wußte, daß das eigentliche Honorar in der Story selbst lag. Typisch für Emerson Boardman, dachte er. Stopft die Löcher in seinem bürokratischen Apparat auf unsichtbare Weise, um dann die Lorbeeren zu ernten. Die Sekretärin kam herein und sagte, die anderen seien alle im großen Konferenzraum anwesend. Die »anderen« waren vier Beamte, von denen Aran zwei kannte: Carlton Cryder, ein Meeresbiologe, und Robert Eakins, ein Ichthyologe. Bei beiden handelte es sich um solide, verläßliche Männer, die allerdings nicht sonderlich einfallsreich waren. Emerson Boardman stellte die anderen beiden vor. Der eine war Ozeanograph 41
und arbeitete im Moment am WoodsHole-Projekt, der andere, ein gewisser Leslie Streeter, war Biochemiker an der Universität von Boston. »Holder, Aran Holder«, überlegte der Biochemiker, während sie sich die Hand schüttelten. »Sind Sie nicht der Mann, der die Abhandlung über molekulares Verhalten unter Streß geschrieben hat?« »Doch«, sagte Aran. »Gratuliere«, sagte Leslie Streeter. »Erstklassige Arbeit. Und so verständlich geschrieben. Ich habe in meinen Vorlesungen schon oft darauf verwiesen.« Streeter war ein kleiner Mann mit grauen Schläfen, einem gut geschnittenen Gesicht und leicht herablassendem Ton, wie Aran sofort feststellte. Nachdem Emerson Boardman dazu aufgefordert hatte, setzte sich die Gruppe um den ovalen Tisch. »Hat jemand etwas in Erfahrung gebracht?« fragte er und ließ den Blick in die Runde gehen. »Ich habe jedem einzelnen von Ihnen das Problem ja schon erläutert.« 42
»Es war ja nicht die Zeit, etwas in Erfahrung zu bringen«, sagte Carlton Cryder. »Ich weiß«, sagte Emerson Boardman, »aber ich bin auch an jeglichen Vermutungen oder Theorien interessiert. Wir müssen wissen, welchen Standpunkt wir einnehmen müssen.« Eakins, der Ichthyologe, räusperte sich. »Aus dem Wenigen, das uns bekannt ist, läßt sich bloß der Schluß ziehen, daß zwei verschiedene Arten von Meerestieren gleichzeitig veränderte Verhaltensweisen zeigen.« »Zwei?« fragte Aran. »Ja, die Seebarsche und die Hummer.« »Und der Wal, der das Motorboot zum Kentern gebracht hat?« fragte Aran. »Ich dachte, daran wird gezweifelt«, sagte Eakins, ein schmächtiger Mann, der immer auf der Hut zu sein schien. »Ich zweifle nicht daran«, sagte Aran. »Ich habe eben mit der Überlebenden telefoniert. Nach ihrer Beschreibung handelt es sich um einen Blauwal. Dazu kommt der Unfall mit der “Roberta IT″ 43
Nein, ich glaube, daß die Gattung der Wale dazu gezählt werden muß.« Eakins zuckte mit den Schultern. »Wenn Sie meinen… Auf alle Fälle habe ich drei Seebarsche einfangen und ins Labor bringen lassen. Die Tests laufen noch. Vielleicht stellen sich ja biologische oder chemische Veränderungen heraus, welche die abnorme Verhaltensweise erklären.« »Unter der Voraussetzung«, warf Carlton Cryder ein, »daß es sich bei den drei eingeholten Seebarschen um die handelt, die angegriffen und gebissen haben. Wäre das der Fall, dann wüßten wir damit nur, daß drei Vertreter der Gattung Seebarsch anormale Verhaltensweisen zeigen.« »Und ich finde«, sagte Eakins, »daß die geographische Lage eine Rolle spielt. Die Unfälle ereigneten sich an Stränden, wo praktisch jeder Badende ein Sonnenöl oder dergleichen auf der Haut hat. Vielleicht ist das aggressive Verhalten der Fische eine Reaktion auf gewisse Stoffe, die sich im Sonnenöl befinden.« 44
»Und das von einem Tag auf den anderen?« fragte Aran. »Seit Jahren schmieren sich die Leute mit Öl oder Sonnenmilch ein. Ganz abgesehen davon war das Mädchen, mit dem ich schwimmen war, nicht eingecremt.« »Und wie steht es mit der Wassertemperatur?« fragte Carlton Cryder. »Ich halte es durchaus für möglich…« Und so ging es geschlagene zwei Stunden weiter. Eine vage Vermutung nach der anderen wurde angestellt, bis Leslie Streeter, der Biochemist, dem ganzen Gerede ein Ende machte. »Auf Grund unserer Versuche und Wasseranalysen«, sagte er, »wissen wir, daß sich in einer Kubikmeile Meereswasser einundsechzig verschiedene Elemente befinden. Auch nur einige davon aufzuzählen ersparen Sie mir bitte. Daß die Elemente mengenmäßig unterschiedlich auftreten, setze ich als bekannt voraus. Jegliche Veränderungen der bisherigen Zusammensetzung der Elemente kann auf das Meeresklima – wenn ich mich einmal so ausdrücken darf – einwirken. Und ein 45
verändertes Meeresklima wiederum kann veränderte Verhaltensweisen der Meerestiere hervorrufen. Wenn die angestrebten Ermittlungen Hand und Fuß haben sollen, dann muß man mir für meine Analysen mindestens fünfzig Techniker zur Verfügung stellen. Wasserproben von den jeweiligen Unfallstellen sind bereits bei mir eingegangen.« »Fünfzig Techniker?« wiederholte Emerson Boardman entsetzt. Streeter zuckte mit den Schultern. »Mindestens.« »Das kann ich nicht allein entscheiden«, meinte Emerson Boardman. »Da muß ich mich mit Washington in Verbindung setzen. Zwischenzeitlich möchte ich jeden von Ihnen bitten, sich weiterhin mit dem Problem zu beschäftigen. Aran Holder wird mit einigen von den Leuten sprechen, die Opfer dieser merkwürdigen Unfälle geworden sind.« Das Meeting endete mit Händeschütteln, und Aran folgte Emerson Boardman in dessen Büro.
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»Was halten Sie von Streeters Vorschlag?« fragte Boardman, nachdem er sich stöhnend hinter seinen Schreibtisch gesetzt hatte. »Ich halte ihn für sehr vernünftig und durchaus berechtigt«, antwortete Aran. »Wahrscheinlich«, sagte Emerson Boardman, nahm Bleistift und Notizblock und fing an zu schreiben. Aran saß da und überlegte. Die Vermutungen des Biochemikers waren nicht abwegig, aber Aran hatte trotzdem seine Vorbehalte. Die Ökologie, die Wissenschaft von den Beziehungen der Lebewesen zu ihrer Umwelt, wurde immer ernster genommen, aber trotzdem tendierte der Mensch dazu, diese Beziehungen für gegeben zu halten. »Was halten Sie davon?« fragte Emerson Boardman und riß damit Aran aus den Gedanken. »Die Staatliche Fischereiund Forstverwaltung ist bemüht, durch eingehende Ermittlungen den Grund für das ungewöhnliche und aggressive Verhalten gewisser Meerestiere festzustellen. Die von den örtlichen Behörden getroffe47
nen Bestimmungen zur Verhütung weiterer Unfälle sind strengstens einzuhalten. Es besteht kein Grund zur Panik.« Aran lächelte schwach. »Ich weiß nicht, ob sich die Öffentlichkeit damit zufrieden gibt«, sagte er. »Das Volk will beruhigt, nicht hingehalten werden.« »Schon, aber man darf die Massenhysterie ja nicht auch noch schüren. Ich gehe jede Wette ein, daß bisher maßlos übertrieben worden ist.« Aran zuckte mit den Schultern. »Vielleicht.« »Sie wissen, welche Tatsachen wir brauchen, Aran«, sagte Emerson Boardman. »Versuchen Sie, die Wahrheit aus den betroffenen Leuten herauszubekommen.« »Ich werde mein Bestes tun«, sagte Aran. »Und sobald ich Näheres weiß, melde ich mich.« Damit ging er. Seine Eltern noch zu besuchen, dazu reichte die Zeit nicht mehr. Sie mußten sich diesmal mit einem Anruf vom Flughafen zufrieden geben. 48
Aran hatte Emerson Boardmans Büro kaum verlassen, als der nächste Bericht kam. Es ging um die »Mary Ann«. Seit fünfzehn Jahren lag die »Mary Ann« in der Sheepshead Bay an der Spitze Brooklyns und fuhr viermal pro Woche auf den Atlantik hinaus. Die Crew bestand aus drei Mann und dem Skipper, Kapitän Billy Straub. Billy Straub hatte seine Stammkunden. Mit ihrem Angelzeug bewaffnet kamen sie mit einer Regelmäßigkeit, die geradezu rührend war. Der Rest – Billy Straub nahm nie mehr als vierzig Passagiere an Bord – waren Ausflügler. Der Wetterbericht war einwandfrei, die Aussichten auf einen guten Fang waren bestens. Vier Meilen südlich und zehn Meilen westlich von Shinnecock stellte Kapitän Straub die Maschine ab und ließ die »Mary Ann« treiben. Er sah aus dem Steuerhaus auf das Deck hinunter und winkte Bess O’Neil zu. Sie stand wie immer am selben Platz: achtern und neben dem kahlköpfigen Sam Jalozzi. Beide hatten vor einem Jahr den Ehepartner verlo49
ren und sich durch den Angelsport kennengelernt. Bess, die gute Seele mit dem rauhen Auftreten, brachte meistens einen ganzen Korb voll selbstgebackener Köstlichkeiten mit und verpflegte das ganze Schiff. An diesem Tag waren es Apfelküchlein. «Heute hole ich den größten Fisch raus!« rief sie zu Kapitän Straub hinauf. »Ich habe es so im Gefühl.« »Abwarten, meine Liebe, abwarten«, sagte Sam Jalozzi und lachte. »Ich bin schließlich auch noch da.« Kapitän Straub hörte Rufen und Lachen am Bug, drehte sich um und sah einen ganzen Schwärm von Delphinen. Die graziösen, gelenkigen Tiere vollführten ihre Kunststücke, als würden sie dafür bezahlt. Die Delphine verschwanden wieder, die Passagiere warfen die Angeln aus. Und dann kam plötzlich der erstaunte Ausruf von Howie Henderson, und damit fing alles an. Kapitän Billy Straub sah, wie die dunkle Masse langsam vom Grund hochkam und 50
das halbe Boot einkreiste. Erst hielt er es für Ölschlick und fluchte. Die gallertartige Masse wurde immer größer und bewegte sich in sich. Und dann begriff Billy Straub plötzlich, was da an die Oberfläche kam: Tausende und Abertausende von Fischen, die sich dicht aneinandergedrängt unter sein Boot schoben. Die Passagiere auf Deck begannen zu schreien. Kapitän Straub wollte die Maschine anwerfen, als er spürte, wie die »Mary Ann« an einer Seite hochgehoben wurde und sich auf der anderen Seite neigte. Dann schien sich der Bug aufzubäumen. »Großer Gott, sie kentern uns!« stöhnte Kapitän Straub, als er auch schon durch das Steuerhaus rutschte. Er rappelte sich auf und sah auf das Deck hinunter. Panik hatte seine Passagiere ergriffen. Schreiend glitten sie über das Deck, das bereits eine Schräge von gut fünfundvierzig Grad hatte, und rutschten ins Meer. Sie konnten alle schwimmen, aber das nützte keinem etwas. Die Fische stürzten sich auf sie und
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fraßen ihre Opfer buchstäblich bei lebendigem Leib auf. Innerhalb von Sekunden war das Wasser tief rot, und Schreie erfüllten die Luft. Wieder erzitterte das Schiff und legte sich auf die andere Seite. Der Rest der Passagiere wurde ins Meer gespült. Planken wurden aus dem Deck gerissen, die Reling zerbarst, die »Mary Ann« lag auf der Seite wie ein toter Fisch. Nach zwei Minuten war alles vorbei. Kein menschlicher Laut mehr, nur noch das Schlagen der Wellen gegen die Bordwand des zerstörten Schiffes, das wie eine Nußschale auf dem Wasser trieb. Kapitän Billy Straub war beim zweiten Angriff der Fische auf die »Mary Ann« mit dem Kopf gegen die Steuersäule geprallt und ohnmächtig zusammengebrochen. Kurz vor Sonnenuntergang hatte die »Sea Fox«, die ebenfalls in der Sheepshead Bay ihren Ankerplatz hatte, das treibende Schiff gesichtet und Kapitän Billy Straub gerettet.
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Später, als er, von Reportern umringt, im Hafen stand, brachte er immer nur wieder einen einzigen Satz heraus. »Wie Piranhas. Makrelen und Schellfische wie Piranhas.« 4. Aran hörte von der Katastrophe mit der »Mary Ann«, als er in Dover gelandet war und gerade Jenny anrufen wollte. Tief erschrocken stieg er ins Taxi und ließ sich zum Krankenhaus von Ocean City fahren. Nicht einmal die Zeit zum Telefonieren hatte er sich genommen. Das grauweiße Gebäude war für ein Provinzhospital erstaunlich modern eingerichtet und mit den neuesten Apparaten bestückt. Bis zum Ende der Besuchszeit sprach Aran mit Leuten, die beim Baden von Fischen angegriffen worden waren. Er machte sich Notizen und hörte jedem einzelnen genau zu. Als er gehen mußte, ließ er von der Schwester an der Pforte ein Taxi bestellen und fuhr zu dem kleinen Sommerhaus hinaus. Es hielt an 53
der schmalen Straße hinter den Bäumen, und Aran ging den Rest zu Fuß. Es brannte noch Licht. Jenny öffnete ihm die Tür und lag im nächsten Moment in seinen Armen. »Ich habe so auf einen Anruf gewartet«, sagte sie. »Aber jetzt bist du ja da. Du siehst müde aus. Willst du eine Kleinigkeit essen? Wie steht’s mit Kaffee?« »Gern. Ich bin auch müde. Der Tag war anstrengend.« Er stellte sein Aktenköfferchen ab und ließ sich in einen Sessel fallen. »Hast du irgend etwas in Erfahrung gebracht?« fragte Jenny. »Im Radio sprechen sie nur noch von der Katastrophe mit der »Mary Ann«.« »Ja, ich habe es auch gehört«, sagte Aran und erzählte Jenny von dem Meeting. »Die Theorie dieses Biochemikers klingt plausibel«, sagte Jenny, als sie Aran den Teller mit den Rühreiern brachte. »Zumindest hat niemand eine bessere anzubieten«, sagte Aran. »Noch nicht.«
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»Noch nicht?« wiederholte Jenny. »Du hast also deine Zweifel.« »Ach, ich weiß es auch nicht«, sagte Aran und zwang sich, etwas zu essen. Der Appetit war ihm von der einen Sekunde zur anderen vergangen. Als er fertig war, schlang Jenny die Arme um ihn. »Komm ins Bett«, sagte sie. »Du mußt dringend schlafen.« »Gleich«, sagte Aran. Jenny gab ihm einen Kuß auf die Stirn und verschwand im Schlafzimmer. Aran löschte sämtliche Lichter und ging leise in die Nacht hinaus. Der Schein des fast vollen Mondes tauchte die Oberfläche des Meeres in ein silbernes Licht. Der unendliche Ozean schien Millionen von Geheimnissen zu bewahren. Drei Viertel der Erdoberfläche waren mit Wasser bedeckt. Mit halb zusammengekniffenen Augen sah Aran auf das Meer hinaus und sah mehr, als er sehen konnte. Er begann in die Tiefen einzudringen. Er bewegte sich zwischen den mikroskopisch kleinen Partikelchen, die für das menschliche Auge nicht wahrnehmbar sind. Plankton, eine 55
Art lebender Meeresstaub, der im Wasser schwamm. Einzellige Algen, Stabalgen, Geiseltierchen – unzählige Billionen davon, jedes von den Salzen und Mineralien des Meeres abhängig und Nahrung sowohl für den winzigen Ruderfüßer wie für den riesigen Wal. In der unendlichen Weite der Meere besaß jede Kreatur die eigenen Waffen, jede Kreatur hatte eine gewisse Rolle zu spielen, und die Zusammensetzung des Meeres selbst – Eisen, Wasserstoff, Natrium und jedes einzelne der einundsechzig Elemente – bildeten die Umgebung, in der das Leben existierte. Vom gigantischen Kalmar über den Riesenwal bis zum kleinen Seestern schwamm und kroch und krabbelte jedes Lebewesen in dem immensen Energiespeicher. Was ging in den schwarzen, noch zum Teil unerforschten Tiefen des Meeresgrundes vor sich? Fand eine Veränderung dessen statt, was bisher ausgewogen war? Die Frage war bedrückend, mußte aber dringlich beantwortet werden.
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Aran war so in Gedanken versunken, daß er Jenny nicht hatte kommen hören. Sie nahm seine Hand. »Wie ruhig das Meer aussieht«, sagte sie leise. »Und wie unverändert. Dabei ist es anders geworden, oder?« «Vielleicht«, sagte Aran. »Wenn ich doch nur mehr wüßte.« Er ging mit Jenny zurück ins Haus. Sie klammerte sich in dieser Nacht eng an ihn. Aran schlief noch, als die »Sister Rosa« von Providence, Rhode Island, auslief. Ihr Skipper, Jacob Elias, hatte ein Leben lang Thunfische gefangen und über merkwürdige Unfälle, von denen in den letzten Tagen berichtet worden war, nur gelächelt. Nicht ein Wort hatte er geglaubt. Dreißig Meilen von der Küste entfernt ließ er die Köder auslegen. Sie hatten die Zentralwasser erreicht, in dem die Zweihundertpfünder die Regel und Fünfhundertpfünder nicht selten waren. Jacob Elias, ein alter Seebär, stand im Steuerhaus und sah in die Ferne, als sein Boot plötzlich erzitterte, sich schüttelte und 57
stehen blieb. Er gab mehr Saft und hörte, wie die Schiffsschraube durchdrehte. Elias fuhr zum Ruder herum und mußte feststellen, daß es gebrochen war. Wieder erzitterte das Boot. Im selben Augenblick sah Jacob Elias, wie um das Schiff herum Thunfische aus dem Wasser schossen und an Deck sprangen. Innerhalb von Sekunden schienen es Hunderte von den Zweihundertpfündern zu sein. Ihre massigen, glitschigen Körper erdrückten die schreienden Matrosen, und immer mehr häuften sich obendrauf. Nach kaum einer Minute lagen Tonnen und aber Tonnen auf dem Schiff, das unter der Last langsam in die Tiefe ging. Jacob Elias schrie Kommandos in das Chaos hinein, aber es hörte ihn schon längst keiner mehr. Er ging mit seinem Boot unter. Wie durch ein Wunder überlebte ein Mann die Katastrophe: ein Portugiese, der sich auf den Mast gerettet hatte und irgendwie von der wühlenden Masse der Thunfische übersehen worden war. Er 58
wurde eine Stunde nach Untergang der »Sister Rosa« von einem Tanker aus dem Wasser gefischt und zur Küste gebracht, wo er die Schreckensnachricht verbreitete. Der Ausdruck schieren Entsetzens sollte nie wieder aus seinen Augen weichen. Als Aran aufwachte und Emerson Boardman anrief, erfuhr er vom Schicksal der »Sister Rosa«. »Die Lage spitzt sich zu«, sagte Emerson Boardman am Telefon. »Die Berufsfischer weigern sich auszufahren, bis der Grund der Unfälle bekannt ist. Alle Seebäder sind geschlossen, die Leute, die vom Tourismus leben, reden schon von Bankrott. In der Gegend von Atlantik City und an der Küste von Florida sind weitere Menschen angegriffen worden. Ich habe für morgen um sechzehn Uhr eine zweite Sitzung einberufen. Washington schickt Vertreter der Navy und einige Senatoren. Sie müssen unbedingt kommen. Haben Sie schon etwas in Erfahrung gebracht?« »Nichts, was der Rede wert wäre«, antwortete Aran. »Ich spreche heute mit 59
Straub, dem Skipper von der “Mary Ann″, und mit dem Portugiesen – falls möglich. Sie können sich darauf verlassen, ich bin morgen um sechzehn Uhr da.« »Ich hoffe zu Gott, daß Streeter etwas vorlegen kann«, sagte Emerson Boardman. »Die Situation verschlimmert sich von Minute zu Minute.« Aran ließ Emerson Boardman noch einen Moment jammern und lamentieren, dann verabschiedete er sich und legte auf. Er verbrachte fast den ganzen Tag am Telefon. Termine mit Kapitän Straub und dem Portugiesen zu bekommen, war alles andere als leicht. Die Genehmigung der zuständigen Behörde und der behandelnden Ärzte mußte eingeholt werden. Als der Terminplan für den folgenden Tag feststand, atmete Aran auf. Er hatte alles so hingekriegt, daß er sogar pünktlich zu Emerson Boardmans Sitzung erscheinen konnte. Am Abend waren Aran und Jenny bei Freunden von Jenny in Milford zum Essen eingeladen. Aufgrund der Ereignisse, die sich häuften, war die Stimmung leicht 60
gedrückt, und die Gastgeber, die sich redliche Mühe gegeben hatten, aber auch deprimiert waren, waren alles andere als beleidigt, als sich Aran und Jenny relativ früh auf den Heimweg machten. »Und wie lange bleibst du diesmal weg?« fragte Jenny im Auto. »Das kann ich jetzt noch nicht sagen«, antwortete Aran, »aber ich spiele mit dem Gedanken, dich mitzunehmen. Meinst du, ich könnte dich dazu überreden?« »Allerdings kannst du mich dazu überreden«, sagte Jenny. »Nach Schwimmen steht mir im Moment weiß Gott nicht der Sinn.« Zuhause angekommen, gingen sie sofort schlafen. Jenny schmiegte sich eng an Aran. Noch selten in ihrem Leben hatte sie es als so beruhigend empfunden, in beschützenden Armen zu liegen. Das nächste Sommerhaus lag ungefähr hundert Meter entfernt. Es gehörte den Minters, die mit ihrem sieben Jahre alten Sohn und dem fünf Jahre alten Töchterchen die Sommermonate am Strand ver61
brachten. Wenn sie am Abend ausgingen, paßte Judy Elman auf die Kinder auf und schlief im Wohnzimmer auf der Couch. So auch an diesem Abend. Das nächste Haus wurde von Karen Ellis und ihrem jeweiligen Liebhaber bewohnt. Karen war geschieden und wechselte die Männer ziemlich schnell. Im Moment lebte sie mit einem Rettungsschwimmer zusammen, der passenderweise Ernie Swimmer hieß. Das Häuschen bestand aus einem einzigen Raum, und wenn Karen betrunken war und leidenschaftlich wurde, waren ihr die vier Wände plötzlich zu eng, und es endete immer im Sand direkt vor dem Haus. In dieser Nacht war Karen ganz besonders betrunken und infolgedessen ganz besonders leidenschaftlich, und Ernie Swimmer stand ihr in beidem nicht nach. Vor lauter Lust und Begierde bohrte Karen sich in den Sand und schlief in der Kuhle auch schließlich erschöpft und befriedigt ein. Ernie Swimmer lag halb auf ihr und schnarchte. Er war der erste, der aufwachte, aber da war es schon zu spät. 62
Sie kamen aus dem Meer, wie an einer Schnur aufgereiht. Das Wasser triefte von ihren Panzern, die Stielaugen waren auf die Sommerhäuser gerichtet. Sie warteten, ließen ihre antennenähnlichen Fühler durch die Luft gehen und staksten dann weiter. Eine zweite Reihe kam aus dem Meer und drängte nach. Dann eine dritte, eine vierte, eine fünfte und so weiter, bis der Strand mit zehnbeinigen Krabben übersät war. Ihre Leibplatten glänzten blau im Mondlicht, nicht ein Sandkorn war mehr zu sehen. Wie die geschlossene Front einer seltsam bewaffneten Armee schoben sie sich auf die dunklen Häuser zu. Als erstes kamen sie zu der Stelle, wo Karen und Ernie Swimmer in der Kuhle lagen. Einige hundert machten sich über das Liebespaar her, die anderen krabbelten weiter. Ernie wachte auf, als sein Körper vor Schmerz zu explodieren schien. Er wollte schreien und sich zur Seite werfen, aber er kam nicht mehr dazu. Die Tiere hatten sich in ihn eingefres-
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sen, sich in ihm verbissen und rissen ihn buchstäblich in Stücke. Und dann wachte Karen auf, und auch sie konnte nicht einmal einen Schrei ausstoßen. Wie ihr Liebhaber starb sie in der Kuhle, in der sie die größte Lust verspürt hatte. Im letzten Moment, der ihr geblieben war, dachte sie voll Grauen daran, daß sie am Abend Krabbenfleisch gegessen hatte. Die endlose Masse von Krabben schob sich weiter vor und erreichte das Haus der Minters. Tausende krabbelten durch die Tür, die einen Spalt auf stand. Die Hand der erst neunzehn Jahre alten Judy Elman hing schlaff über den Rand der Couch herunter. Dort spürte sie den ersten Schmerz und wachte auf, um die grauenvollsten und letzten Sekunden ihres Lebens durchmachen zu müssen. Die Welle der mordenden Krustentiere wälzte sich in das Zimmer, in dem die Kinder schliefen. Ihnen blieb das Erwachen erspart. Nicht Edna Haggerty und ihrem Mann George. Sie erlitten einen qualvollen Tod 64
in dem Häuschen, das sie erst vor einem halben Jahr gekauft hatten. Aran wachte plötzlich auf, nahm vorsichtig Jennys Arm von seiner Brust und legte ihn auf das Kissen. Er stützte sich auf einen Ellbogen. Gefahr lag in der Luft. Wieso und woher, das wußte er nicht. Er stand auf und zog die Hose an. In dem Häuschen war kein Laut, aber draußen schwaches Klicken. Aran ging zum Fenster und sah hinaus. »Allmächtiger« stöhnte er. Aran fuhr herum und lief ins Wohnzimmer. Dort war das Fenster einen Spalt auf, und die Tiere krochen bereits durch. Aran knipste das Licht an. Die Krabben blieben wie erstarrt stehen und fuchtelten mit ihren Fühlern in der Luft herum. Aran machte einen Satz über sie hinweg und schob das Fenster zu. Schalen zerbrachen, einzelne Beine und Zangen fielen auf den Boden. Die Krabben, die schon im Raum waren, erwachten aus der Erstarrung und griffen an. Aran sprang auf das Sofa. Er riß eine Krabbe aus seinem
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Hosenbein und knallte sie gegen die Wand. Jenny tauchte splitternackt in der Tür auf. Sie starrte einen Augenblick mit weit aufgerissenen Augen in den Raum, dann schrie sie. »Zurück!« rief Aran. »Zieh etwas an. Und vor allem Schuhe.« Er packte einen Stuhl und warf ihn auf die Tiere. Nach zwei Sekunden war Jenny zurück. Mit einer Sandschaufel schlug sie auf die Krabben ein. Als sie den Kopf hob und ihr Blick zufällig auf das Fenster fiel, stieß sie einen gellenden Schrei aus. An der Scheibe hingen Hunderte von Krabben. Aran hatte schon den Hörer von der Gabel gerissen und wählte die Nummer der Polizei. Der diensthabende Beamte am anderen Ende der Leitung traute seinen Ohren nicht. »Hausnummer vierundsiebzig, Roberth Beach«, wiederholte er. »Alarmieren Sie die Feuerwehr«, sagte Aran. »Sie müssen Schaum sprühen. Es 66
sind Millionen. Sie kommen sonst nicht durch.« Aran legte auf, zog ein Hemd und Schuhe an und brachte für Jenny, die bloß in ihre Jeans gestiegen war, eine Bluse mit. Jenny ließ keinen Blick vom Fenster. »Meinst du, es hält?« fragte sie mit vor Angst erstickter Stimme. Aran zuckte mit den Schultern. »Wenn sie es schaffen, die Scheibe einzudrücken, laufen wir ins Schlafzimmer. An der Seite sind nicht ganz so viele.« Der erste graue Schimmer erschien am Horizont. Jenny umklammerte Aran mit beiden Armen und legte den Kopf an seine Brust. Sie zitterte am ganzen Leib. Das Klicken der Krabbenscheren gegen die Scheibe wurde immer lauter. Plötzlich schwoll in der Ferne das Heulen von Sirenen an. Aran und Jenny liefen in den Nebenraum, dessen Fenster nach hinten gingen. Nach einem Moment hielten drei Streifenwagen an der Straße, Polizeibeamte erschienen auf den Dünen, einer hielt ein Walkie Talkie vor den Mund. Die 67
anderen zogen die Revolver und schossen mitten in die Krabben hinein. »Als ob das etwas nützen würde«, sagte Aran, obwohl ihm klar war, daß diese Reaktion nur zu menschlich war. Weitere Streifenwagen kamen an. Sie hielten am Ende der Bucht, und auch hier schossen die Beamten blindlings in die Masse der Krabben hinein. Und plötzlich waren die Tiere von der Scheibe im Wohnraum verschwunden. Aran lief zum Fenster. »Sie ziehen sich zurück!« rief er Jenny zu, die im selben Augenblick neben ihm stand. »Sie verschwinden wieder im Meer.« »Wegen der Schießerei?« fragte Jenny. »Das glaube ich kaum«, sagte Aran. »Vielleicht, weil der Tag anbricht. Oder weil sie ihre Arbeit getan haben und es an der Zeit ist, zu verschwinden.« Mit erstaunlicher Geschwindigkeit liefen die Krustentiere auf das Meer zu und wurden von der Brandung verschluckt. »Aber sie können jederzeit zurückkommen«, sagte Jenny. 68
Aran nickte. »Was geht hier vor sich, Aran? Was kann passieren?« »Vielleicht verändert sich das Meer und wird zum Feind des Menschen«, antwortete Aran. »Zum Feind?« Sie ließ sich erschöpft in einen Sessel sinken. »Ich bleibe nicht hier, wenn du wegfährst. Unter keinen Umständen. Du mußt mich mitnehmen.« »Hast du vielleicht gedacht, ich lasse dich zurück?« Aran schüttelte den Kopf. »Ganz bestimmt nicht. Pack deinen Koffer.« Während Jenny ihre Sachen zusammensuchte, stand Aran in der offenen Tür und sah hinaus. Das Ausmaß des Angriffs wurde erst offensichtlich, als die Polizeibeamten und Feuerwehrleute die Sommerhäuser durchsuchten. Als erstes fanden sie die zerfetzten Überreste von Karen Ellis und Ernie Swimmer. Dann entdeckten sie, wie grauenvoll die Tiere die beiden Kinder und das Mädchen Judy verstümmelt hatten und schließlich den ganzen Horror dessen, was sich hier am 69
Strand abgespielt hatte. Nach ungefähr zwei Stunden war die Bucht voll von Menschen: Beamte der zuständigen Behörden und Reporter von Presse, Funk und Fernsehen traten sich gegenseitig auf die Füße. Jenny war nach zehn Minuten fertig. Aran holte sein Jackett und nahm ihren Koffer, dann verließen sie das Haus. Draußen blieb Jenny stehen. »Seit ich denken kann, verbringe ich den Sommer hier«, sagte sie. »Ich habe mich immer richtig zu Hause gefühlt. Und plötzlich komme ich mir wie eine Fremde vor. Ich habe Angst vor diesem Haus. Ich weiß nicht, ob ich je wieder zurückkommen kann. Ich fürchte, ich bringe es nicht fertig.« Sie fuhren mit Arans Wagen zum Flughafen. »Wenn das Meer wirklich zum Feind des Menschen wird, was passiert dann, Aran?« fragte Jenny unterwegs. »Dann wird sich sehr vieles ändern«, antwortete Aran. »Jeder Fischkutter zum Beispiel wird nicht einfach mehr Netze 70
auswerfen können, sondern um seine Beute kämpfen müssen. Kreuzfahrten und Ozeanüberquerungen werden kein Vergnügen mehr sein, sondern voll von Gefahr. Gegen Billionen von feindlich gesinnten Kreaturen ist der Mensch machtlos. Viele Tiere der Erde leben von dem, was sie aus dem Meer holen. Die Menschen dort werden Hunger leiden müssen. Vielleicht werden die Fische durch – sagen wir -die veränderte Zusammensetzung des Meeres giftig und können nicht mehr als Nahrung dienen. Das Meer als Beförderungsweg wird wegfallen. Du brauchst bloß an die Öltanker zu denken, die Containerschiffe und so weiter.« »Aber die Angriffe, die bis jetzt stattgefunden haben, sie sind so bösartiger Natur«, sagte Jenny. Aran nickte…Das ist der Punkt, der mir die meisten Sorgen bereitet. Veränderte Verhaltensweisen – noch! Aber, daß die Tiere ihre natürlichen Waffen und Fähigkeiten auf so effektvolle Weise einsetzen, ist erschreckend.«
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»Geht das nicht mit der veränderten Verhaltensweise Hand in Hand?« fragte Jenny. »Vielleicht. Aber da, wo früher der Instinkt geherrscht hat, scheint jetzt eine Art Intellekt zu herrschen.« Jenny verfiel in Schweigen. Im Moment konnte man vielleicht nur noch schweigen. Es war das Beste. Auch Aran wußte keine Erklärung, geschweige denn tröstende Worte. Weder für Jenny, noch für Emerson Boardman, noch für irgend jemand. Er hatte lediglich ein paar Notizen und war auf dem Weg, sich weitere zu besorgen. Vielleicht kam ja doch etwas dabei heraus. 4. Emerson Boardman eröffnete die Sitzung um Punkt vier Uhr. Aran hatte es im letzten Moment geschafft. Der Konferenzraum war voll. Außer den vier Herren vom letztenmal erkannte Aran Admiral Willard Hotchins von der US Navy, einen 72
Mann mit stahlblauen Augen und einem unbeweglichen Gesicht. Der Bund der Fischerei-Industrie war durch Robert Eloins vertreten, einen Mann, der immer einen schlechtgelaunten Eindruck machte. Zwei dickbäuchige Männer repräsentierten die Organisation zur Förderung des Tourismus am und auf dem Meer. Vom Sehen kannte Aran Senator Coolige aus Florida, Senator Saunton aus Virginia, Senator Rudman aus North Carolina, Senator Marantz aus New York und Senator Burroughs aus Maine. Emerson Boardman stand auf und verlas die zu diskutierenden Punkte seines Programms: Stillstand der Berufsfischerei. Zwei weitere Kutter waren angegriffen und versenkt worden. Kein Überlebender. Stillstand der Touristenfahrten. Zwei Charterschiffe vor der Küste Floridas vom Meer verschluckt. Stillstand des Badebetriebs entlang der gesamten Küste. Angriffe auf Schwimmende an der Tagesordnung. Die Angreifer waren Seebarsche, Blaufische, Herin73
ge, Makrelen, sogar Schwärme von Meerbrassen. Besorgnis beim Ministerium für Ernährung. 30 – 50 Prozent der Nahrung von Küstenbewohnern bestehen aus Fisch. Die Lieferung von Rindfleisch und Geflügel als Ersatz stockte bereits. Bekanntgabe des Zusammenschlusses von Fischkonservenfabriken und daß Vorräte bereits aufgebraucht sind. Forderung nach bewaffnetem Geleitschutz für Fangflotten. Flucht aus Wohn- und Sommerhäusern entlang der gesamten Ostküste. Baisse auf dem einschlägigen Immobilienmarkt. Defizit in Seebädern. Emerson Boardman ließ den Blick in die Runde gehen. »Ich könnte Ihnen noch eine ganze Reihe von weiteren Punkten aufzählen«, sagte er. »Bleiben wir jedoch beim Wesentlichen. Am schwersten sind wir durch die Nahrungsmittelversorgung betroffen. Zum Glück ist wenigstens die Westküste noch nicht in Mitleidenschaft gezogen und versorgt uns zum Teil mit.«
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»Weiß man warum?« fragte ein gewisser Rosen, der Sprecher der Maritimen Union. »Nein«, antwortete Emerson Boardman, »aber wenn eine Veränderung der organischen oder chemischen Zusammensetzung des Meeres der Grund für die Katastrophen sein sollte, wird irgendwann jeder Ozean dieses Erdballs betroffen sein.« »Ach, das ist der Grund?« fragte Eloins vom Bund der Fischereiindustrie. Emerson Boardman sah Leslie Streeter mit aufforderndem Blick an, und der Biotechniker stand auf. »Wir halten eine Umweltveränderung für die einzig logische Erklärung«, sagte er. »Im Moment sind über hundert Laboranten damit beschäftigt, Analysen von neu eingebrachten Wasserproben vorzunehmen. Ich hatte gehofft, daß wir schon nach den ersten Ergebnissen Genaueres sagen können, aber leider wurden keine wesentlichen Veränderungen festgestellt. Weder chemisch, noch biologisch, noch organisch.« 75
»Was bedeutet?« fragte Rosen. »Daß die Veränderungen minimal sein können und wir eine gewisse Zeit brauchen, bis wir die entsprechenden Analysen gemacht haben.« »Was heißt eine gewisse Zeit?« fragte Senator Marantz von New York. Streeter zuckte mit den Schultern. »Ich kann unmöglich genaue Angaben machen. Es kann eine Frage von Tagen oder auch von Monaten sein.« »Von Monaten?« wiederholte jemand entsetzt. »Gott weiß, was bis dahin schon alles passiert ist.« »Wir tun unser Bestes«, sagte Streeter. »Wir müssen mit einer sehr schwer feststellbaren Kombination von Faktoren rechnen, die dieses aggressive Verhalten hervorrufen. Die Molekularstruktur des Meerwassers ist möglicherweise spezifischen Veränderungen unterworfen. Jedes Molekül besitzt zum Beispiel eine bestimmte Anzahl von Hitzekalorien und einen bestimmten Leitfähigkeitskoeffizienten. Dieser thermale Leitfähigkeitskoefiizient wird durch die – sa76
gen wir – geographische Lage und den Temperaturunterschied zwischen Oberflächenmolekülen und Tiefseemolekülen beeinträchtigt. Möglicherweise müssen auch diese Faktoren genauer untersucht werden.« »Das kann ja Jahre dauern«, rief einer der beiden Männer von der Organisation zur Förderung des Tourismus. »Jetzt brauchen wir Klarheit. Jetzt wollen wir wissen, was von offizieller Seite unternommen wird. Sie können doch nicht den lieben langen Tag Wasseranalysen machen. Was wird unternommen, um unsere Strände vor weiteren Angriffen zu schützen?« »Diese Frage beantwortet Ihnen Admiral Hotchins«, sagte Emerson Boardman. Der Admiral stand auf. »Diese Panikmacherei ist absolut lächerlich«, sagte er mit arroganter Miene. »Massenhysterie nennt man so etwas. Aber kommen wir zur Sache. Die Navy wird es zu verhindern wissen, daß ein paar tausend Fische wegen irgendwelcher Umweltveränderungen unsere Meere be77
herrschen. Ab sofort wird jeder Fischereiflotte ein Zerstörer als Begleitschutz mitgegeben. Die Küstengebiete werden in Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden zusätzlich von Hubschraubern überwacht. Diese Hysterie bekommen wir schnell in den Griff, das schwöre ich Ihnen.« Der Admiral setzte sich, und Emerson Boardman stand auf. »Die Öffentlichkeit verlangt eine Stellungnahme«, sagte er. »Ich schlage folgenden Text vor…« Aran stand auf und verließ den Konferenzraum. Er ging zu dem Fenster am Ende des Flurs und sah hinaus. Daß er diesem arroganten Pinsel von einem Admiral nicht ins Wort gefallen war, war eine Meisterleistung an Selbstbeherrschung gewesen. Wie konnte jemand, der… Aran wurde in seinen Gedanken unterbrochen. Die Tür ging auf, und Leslie Streeter kam zu ihm heraus. »Sie teilen die Zuversichtlichkeit dieses Hotchins offensichtlich nicht«, sagte er.
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»Der Mann hat keine Ahnung, was möglicherweise auf uns zukommt«, sagte Aran. »Ich kann diese von sich überzeugten Typen nicht ausstehen.« »Lehnen Sie meine Theorie denn auch ab?« fragte Streeter. »Zumindest macht mich etwas sehr stutzig«, sagte Aran. »Eine biochemische Veränderung des Meereswassers scheint mir nicht von einen Tag zum anderen stattzufinden.« »Der Punkt macht auch mir Kopfzerbrechen«, gab Streeter zu. »Dazu kommt, daß Veränderungen der Umwelt normalerweise erst einmal lokal auftreten.« «Und nicht nur eine sichtbare Folge haben«, setzte Aran hinzu. »Im vorliegenden Fall ist es das aggressive, bösartige Verhalten von Fischen. Mir erscheint es zu gezielt und zu virulent zu sein für eine Reaktion auf biochemische Veränderungen.« »In dem Punkt haben Sie vielleicht recht«, sagte Streeter. »Trotzdem muß eine Art Umweltveränderung zugrunde
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liegen. Eine andere Erklärung gibt es einfach nicht.« Aran zuckte mit den Schultern. »Zumindest nach dem derzeitigen Wissensstand.« Streeter nickte und ging. Aran fuhr kurz darauf mit dem Lift nach unten und verließ das Gebäude. Er nahm sich ein Taxi. Jenny war in der Wohnung von Freunden, die für eine Woche nach New York gefahren waren. Aran und Jenny gingen zum Abendessen aus. Als Aran sie nach Hause gebracht hatte, überredete sie ihn, die Nacht dazubleiben. Aran hatte ursprünglich bei seinen Eltern schlafen wollen. Er gab nach, aber nur unter der Bedingung, daß er sich noch eine Weile mit seinen Notizen beschäftigen konnte. Als es Jenny nach guten zwei Stunden zu lang wurde, riß sie ihn aus der Arbeit. Sie schlang ihm von hinten beide Arme um den Nacken. »Jetzt reicht’s aber!« sagte sie. »Ich werde das Gefühl nicht los«, sagte Aran, »daß hier was steckt, was ich über80
sehe. Eine Art Anhaltspunkt. Wenn ich doch nur wüßte, was es ist.« »Etwa eine Verbindung?« fragte Jenny spöttisch. »Ja, etwas, was die Unfälle gemein haben. Ich glaube nach wie vor, daß alles nach einem bestimmten Plan geht.« Jenny zuckte mit den Schultern. »Falls deine Notizen tatsächlich eine Art Anhaltspunkt enthalten, bist du jetzt auf alle Fälle zu müde, um noch darauf zu stoßen. Komm ins Bett.« Daß es Jenny nicht nur um seinen gesunden Schlaf ging, wußte Aran. Lächelnd folgte er ihr. Am nächsten Morgen, Jenny und Aran saßen gerade beim Frühstück, wurde in den Nachrichten Emerson Boardmans Stellungnahme verlesen. »Die Staatliche Fischerei- und Forstverwaltung versichert der amerikanischen Bevölkerung, daß keinerlei Grund zur Panik gegeben ist. Während die wissenschaftlichen Analysen bezüglich der unvorhergesehenen Verhaltensweisen von Meerestieren noch nicht abgeschlossen 81
sind, wurden von der US Navy und der US Air Force Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung ergriffen. Unter dem Kommando Admiral Hotchins’ werden die betroffenen Küstengebiete mittels Hubschrauber überwacht. In Übereinstimmung mit den örtlichen Behörden kann der Badebetrieb wieder aufgenommen werden. In den Nachtstunden werden Kontrollen die Strände abgehen. Der kommerzielle Fischfang kann ab sofort wieder aufgenommen werden. Fischereiflotten werden von Kriegsschiffen der US Navy begleitet. Der Betrieb von Ausflugsbooten und dergleichen bleibt weiterhin eingestellt. Eine wissenschaftliche Erklärung für die ungewöhnlichen Vorkommnisse wird in Bälde erwartet. Die Staatliche Fischerei- und Forstverwaltung setzt größtes Vertrauen in die von Admiral Hotchins angesetzten Maßnahmen und…« Aran stellte ab. Man konnte Emerson Boardman das Geschwätz letztlich nicht übelnehmen. Was hätte er der Öffentlichkeit denn sagen sollen? 82
Emerson Boardman wachte im Bett seiner vollbusigen Sekretärin Dolly Wojieski auf und rieb sich die Augen. Seine Frau war zu ihrer Schwester nach Andover gefahren und über Nacht geblieben, und er hatte die Gelegenheit gleich genutzt, obwohl es am Abend vorher spät geworden war. Bis Viertel nach zehn war er mit dem Admiral noch im Büro gewesen. Emerson Boardman vertraute voll auf Hotchins. Die Bevölkerung würde sehen, daß etwas unternommen wurde, und sich beruhigen. Emerson Boardman stieg gerade aus dem Bett, als Dolly, nur mit einem knappen Höschen bekleidet, aus dem Bad kam. »Glaubst du, daß es wirkt?« fragte sie und setzte sich auf den Bettrand. »Ich meine das Hubschrauberaufgebot. Meinst du, man kann wieder in Ruhe schwimmen?« »In den Gebieten, die überwacht werden, ganz sicherlich«, antwortete Emerson Boardman. »Wieso fragst du?«
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»Weil ich morgen mit meinen Freundinnen aus dem Kegelklub zu einem Strandpicknick gehen wollte. Es ist schon seit Wochen ausgemacht. Wir wollten zum Cape hinausfahren.« Dolly machte bereits ein halb schmollendes Gesicht, und wenn Emerson Boardman etwas haßte, dann diese Anwandlungen von Kindlichkeit. Außerdem war Samstag, und er mußte erst gegen zwölf zu Hause sein und wollte mit Dolly noch einmal ins Bett hüpfen. Er war ausgeruht und versprach sich etwas davon. »Am Cape riskiert ihr nichts«, sagte er. »Ihr müßt euch eben an die Bestimmungen halten.« »Also können wir fahren?« »Natürlich. Jeder eventuelle Fischschwarm wird sofort von den Hubschraubern gesichtet. Er griff nach ihr und ließ die Finger über die prallen Brüste mit den harten Spitzen gleiten. »Um ganz sicher zu gehen, würde ich an deiner Stelle nicht im offenen Meer, sondern in einer der kleinen Buchten schwimmen. Da kann dir nun wirklich nichts passieren.« 84
»Gut«, sagte Dolly. »Wir haben uns nämlich alle schon so auf morgen gefreut.« Emerson Boardman vergrub den Kopf zwischen dem Busen. Dolly seufzte auf und war gleich besserer Laune. Sie hatten sich wirklich alle schon so darauf gefreut. Sie rutschte unter Emerson Boardman. Soll er sich doch meinetwegen abmühen, dachte sie. Welchen Bikini nehme ich morgen bloß mit?
6. Drei schwerwiegende Ereignisse waren an diesem Wochenende zu verzeichnen. Der Samstag verlief ruhig, die ständig über der Küste kreisenden Hubschrauber waren ein beruhigender Anblick. Am Nachmittag trauten sich sogar ein paar Menschen ins Wasser und blieben unversehrt.
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Am Sonntag morgen waren die Strände schon wieder ganz schön bevölkert. Emerson Boardman war zufrieden. Er stand in ständigem Kontakt mit Washington und Admiral Hotchins. Am Cape hielten Dolly Wojieski und ihre sechs Kegelfreundinnen das längst verabredete Picknick ab. Sie hatten sich in einer der kleinen Buchten einen Platz gesucht. Susan, auf die das Los gefallen war, hatte lauter Köstlichkeiten eingekauft, und Edie Haas hatte sogar ein paar Flaschen Wein mitgebracht. Alles war so ruhig, und die Hubschrauber gaben einem ein so sicheres Gefühl, daß Dolly einen Moment in Versuchung war, auf einen der großen Strände am offenen Meer umzusiedeln. Sie hielt es dann aber doch für vernünftiger, Emersons Rat zu befolgen. Gegen drei Uhr nachmittags gingen die Mädchen nochmals Schwimmen. Dolly zog das Oberteil ihres Bikinis etwas höher und sprang in das ruhige Wasser der Bucht, in der an die zwanzig Leute badeten. Sie drehte den Kopf zur Seite und 86
paddelte gemütlich vor sich hin. Flo Rizotta und Edie schwammen um die Wette, Harriet Eberle tauchte und tummelte sich. Plötzlich spürte Dolly einen stechenden Schmerz an der Ferse, dann in der Wade. Sie schrie auf und wollte das Bein an den Körper ziehen, aber es war bleischwer und brannte wie Feuer. Dolly suchte verzweifelt nach Harriet, aber das Mädchen war nicht wieder an die Oberfläche gekommen. Der nächste Schrei entrang sich ihrer Kehle, als sie glaubte, das Knie würde ihr aus dem Bein gerissen. Und dann sah sie Schatten aus allen Richtungen auf sich zukommen. Sie hörte Edie Haas schreien, dann gleich darauf Flo Rizotta, und von der einen Sekunde zur anderen war die Bucht von fürchterlichen Schreien erfüllt. Aber Dolly hatte keine Zeit, sich Gedanken wegen der anderen zu machen. Ihr ganzer Körper brannte. Sie bäumte sich aus dem Wasser und versuchte zu schwimmen, aber vier Fische hatten sich in ihrem linken Arm verbissen. Sie konnte 87
sich nur noch auf der Stelle drehen und schreien. Sie schluckte Wasser, konnte aber den Kopf noch oben halten. Immer mehr Fische kamen auf sie zugeschossen. Aber nicht etwa vom Meer her, sie kamen aus der Tiefe der Bucht. Während der Nacht waren sie schon gekommen, hatten auf dem Grund gewartet und schwammen jetzt an die Oberfläche. Der entsetzliche Schmerz in ihren Gedärmen ließ sie schreien und schreien. Ihre Tränen vermischten sich mit dem Salzwasser, während ihr halb aufgefressener Körper im Wasser trudelte. Um sie herum war alles rot. Was von Dolly Wojieski noch übrig war, starb einen Moment später. Keiner aus der Bucht konnte sie retten. Diejenigen, die im offenen Meer geschwommen waren, mußten dasselbe Schicksal erleiden. Ohne Vorwarnung wurden sie von Fischschwärmen aufgefressen, die während der Nacht vom Meer hereingekommen waren und auf dem Grund gewartet hatten. Wie Unterwasserguerillas griffen sie
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an, töteten und verschwanden weit draußen im Meer. In einer Höhe von hundert Fuß drehte der Hubschrauberpilot, ein junger Lieutenant, eine Schleife über der Bucht und sah plötzlich, wie sich die Badenden seltsam gebärdeten und das Wasser rot wurde. Große Massen von Fischen konnte er nirgends entdecken. Er gab einen Notruf durch, aber es war schon zu spät. Später, als aus den verschiedensten Gebieten die Berichte einliefen, wurde es offensichtlich, daß überall dasselbe passiert war: die angreifenden Fische hatten auf dem Grund gewartet, waren an die Oberfläche gekommen, hatten getötet und waren wieder verschwunden. Aber das war erst der erste Schlag, den Admiral Hotchins einstecken mußte. Die Flotte von Thunfischfängern bestand aus sechs Kuttern. Ihr Heimathafen war Providence, Rhode Island. Sie wurde von der »USS Stevenson«, einem 1.350Tonner, begleitet. Die Flotte hatte die Fanggründe erreicht und warf Köder und Fangleinen aus, als die Wasseroberfläche 89
in einem Umkreis von einer halben Meile dunkel wurde und sich nach oben zu wölben schien. Das Phänomen war sofort klar. Eine Heerschar von dicht zusammengedrängten Fischleibern. Sie griffen die Fangleinen an und rissen die Fischer gleich mit über Bord. Die Kutter stampften und tuckerten auf einer See, die nicht mehr aus Wasser bestand, sondern aus einer Masse von glitschigen Thunfischen. Es waren Hunderte von Tonnen. »Volle Pulle!« schrie der Kapitän des Zerstörers in den Maschinenraum hinunter. »Zum Abschießen der Torpedos fertig machen.« Der Zerstörer schoß durch die Fischmasse, legte sich leicht zur Seite und richtete sich wieder auf. Plötzlich drehten die Schrauben durch, blieben stehen, liefen noch einmal an, um dann mit einem Krachen ganz stehenzubleiben. Ein gutes Dutzend Thunfische hatte sich in selbstmörderischer Weise zwischen die Blätter geschoben.
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Die »USS Stevenson« lag hilflos im Wasser. In ihrer Not schoß die Besatzung die Torpedos ab. Eines riß einem Kutter, der zu nah war, den Bauch auf. Er sank auf der Stelle. Die anderen Boote wurden hin- und hergeworfen, eines kenterte und warf seine Crew in die mühlende Masse der Thunfische. Zwei, die drehen und fliehen wollten, stießen zusammen und sanken langsam. Ihre Besatzungen versuchten, sich auf Masten und Kabinendächer zu retten, aber schließlich ereilte sie doch der grauenvolle Tod. Zwei Kutter entkamen und flohen Richtung Küste. Mit aschfarbenen und von Panik gezeichneten Gesichtern gingen die Männer an Land. Und so, wie die Masse von Thunfischen plötzlich aufgetaucht war, so war sie auch wieder in der unendlichen Weite des Meeres verschwunden. Der Schaden an dem Zerstörer wurde an Ort und Stelle in dreistündiger Arbeit behoben. Zumindest eine Schraube wurde wieder in Gang gesetzt, und die »USS
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Stevenson« konnte zurück in den Hafen laufen. Der letzte Schlag gegen die Arroganz des Admirals kam von den Küsten Norwegens, wo die eisigen Wasser der Arktis in die Nordsee vordringen. Hier schob sich die »Irkutsk Christina« durch die Eisschollen. Sie war ein russisches Fangschiff von einhundertzehn Fuß Länge und zweihundert Tonnen Gewicht. Sie war eines der drei Schiffe, die das Mutterschiff »Nowgorod« belieferten. Auf der »Nowgorod«, die im offenen Meer lag, wurde der Fang sofort verarbeitet. Seit fünf Tagen hatte die »Irkutsk Christina« keinen Wal gesehen. Gregor Romanko saß auf der Brücke und stierte auf den Schirm des Unterwasserortungsgeräts und kämpfte wie so oft gegen den Ekel, der ihn von einer Sekunde auf die andere überfiel. Schon auf dem letzten Trip hatten sie die legale Grenze überschritten, aber das schien keinen zu kümmern. Es wurde gefangen, was vor die Harpune kam. Das Gesuch, das er schon vor Monaten eingereicht hatte, war 92
unbeantwortet geblieben. Dabei hatte er so dringlich darum gebeten, versetzt zu werden. Die Abschlachterei dieser riesigen Tiere – Gregor Romanko konnte es einfach nicht mehr ertragen. Gegen einen technisch so perfekten Apparat wie das Schiff, auf dem er saß, hatten die Wale keine Chance. Vor einem halben Jahrhundert war das noch anders gewesen, aber heute – nein. Die Wale waren bereits am Aussterben, aber auch das kümmerte keinen. Nein, er hatte die Schnauze voll. Soweit war es schon, daß er hoffte, keinen der großen Schatten auf dem Bildschirm auftauchen zu sehen. Neben ihm stand Kapitän Sorokin, die Hände im Rücken gefaltet. Er war ein finsterer, grausamer Mann, der das Letzte aus seinem Schiff und dessen Besatzung herausholte. Er brüstete sich, mit Abstand die meisten Wale abzuschlachten. Es wurde Nachmittag, und sie sahen die »Ino Maru«, einen japanischen Walfänger, am Horizont vorbeiziehen. Auf der 93
»Irkutsk Christina« stand Kapitän Sorokin wie aus Fischbein geschnitzt auf der Brücke und beobachtete das eisige Meer. Plötzlich durchbrach die Stimme des Wachtpostens am Bug die Stille. »Wale!« rief der Mann. »Backbord voraus!« Gregor sah hoch. Ganze vier Stück! Sie änderten die Richtung und schwammen auf die Steilküste zu. »Hinterher!« befahl Kapitän Sorokin und studierte mit gerunzelter Stirn die Karte. »Sie schwimmen immer mehr auf das Land zu!« rief der Mann am Steuer. »Nichts wie hinterher!« sagte Sorokin, über die Karte gebeugt. »Rechtes Ruder zwei Grad.« »Sie tauchen unter!« rief der Wachtposten. Fast die ganze Besatzung stand an Deck und beobachtete, wie die Beute von der Oberfläche verschwand. »Aufpassen!« rief der Kapitän Gregor zu, der gerade die scharfe Kante eines Riffs auf seinem Bildschirm auftauchen 94
sah. Er wollte dem Kapitän eine Warnung zurufen, kam aber nicht zu Wort. »Linkes Ruder drei Grad!« rief dieser dem Steuermann zu. Und in dem Moment sah Gregor den ersten großen Schatten auftauchen. »Ich habe einen!« rief er und gab dem Kapitän die Position durch. Sorokin änderte sofort den Kurs. Der Mann hinter der Harpunenkanone war voll konzentriert. Das Riff war wieder verschwunden, nur noch der Schatten des großen Säugetiers war auf dem Bildschirm. Und dann sah Gregor plötzlich den bewegungslosen Schatten genau in der Mitte. Er wurde größer und größer. »Felsen!« rief Gregor. »Genau vor uns.« Kapitän Sorokin fluchte. »Scharf nach links!« befahl er. »Die verfluchten Karten! Nie kann man sich darauf verlassen.« Die »Irkutsk Christina« schoß mit höchster Geschwindigkeit durch das Wasser und prallte gegen das Riff. Der Rumpf brach ein wie eine Eierschale, das Wasser 95
strömte in ihren Bauch. Männer und Geräte flogen über das Deck. Bevor Gregor Romanko von seinem Platz gerissen wurde, sah er noch, wie sich der Schatten, den er für einen Felsen gehalten hatte, auflöste und nach allen vier Himmelsrichtungen davonschwamm. Dann schleuderte es ihn über die Brücke, und er blieb mit einer Wunde an der Schläfe liegen. Der Felsen hat sich aufgelöst, dachte er, und der kalte Schweiß stand ihm auf der Stirn. Das war kein Felsen. »In die Rettungsboote!« schrie der Kapitän. Gregor rappelte sich auf. Der Bug der »Irkutsk Christina« war schon unter Wasser. Die Boote wurden heruntergelassen. Gregor bekam den Befehl, mit dem ersten Boot von Bord zu gehen. Er saß vorn in der Spitze und sah zu, wie die »Irkutsk Christina« langsam sank. Die Männer in den Rettungsbooten fluchten, stellten Fragen und zitterten vor Kälte. Kapitän Sorokin, eine tiefe Falte zwischen den buschigen Brauen, sagte kein Wort. Und Gregor Romanko starrte 96
ins Wasser und sah wieder vor sich, wie der Felsen sich aufgelöst hatte und in vier Richtungen davongeschwebt war. Die Wale haben uns in diese Falle gelockt, dachte er. Dicht zusammengedrängt und aufgestellt, damit es wie ein Fels aussieht. Und das genau in der richtigen Position vor dem Riff. Der Schrei des Mannes, der die Harpunenkanone bediente, riß Gregor aus seinen Gedanken. Er sah hoch. Drei Finnwale, jeder gut siebzig bis achtzig Fuß lang und mindestens hundert Tonnen schwer. Einer der Wale glitt auf das Rettungsboot zu, in dem Sorokin hockte. Die Besatzung ruderte im wahrsten Sinn des Wortes um ihr Leben. Der Wal hatte es in Sekundenschnelle eingeholt, tauchte mit dem Kopf unter das Boot und warf es in die Höhe. Die Männer flogen wie Gliederpuppen durch die Luft und stürzten ins Wasser. Ein einziger Schlag mit dem breiten Schwanz, und das Boot zersprang in tausend Stücke. Als ein zweiter Wal auf das Boot zugeglitten kam, in dem Gregor Romanko 97
saß, setzte sein Instinkt ein. Mit einem Hechtsprung war er im Wasser und tauchte unter den riesigen Leib. Die Schreie der Männer hörte er nicht, als der Wal sie mit der Schwanzflosse erledigte. Gregor mußte auftauchen und Luft holen. Er kam direkt neben dem glitschigen Leib an die Oberfläche. Ein Bild des Grauens bot sich ihm. In dem aufgewühlten Wasser trieben die gebrochenen, zerstümmelten Körper seiner Kameraden. Gregor tauchte wieder unter, und im selben Moment glitt der Wal weiter. Als Gregor wieder an die Wasseroberfläche kam, war er verschwunden. Daß ein Aufklärer der norwegischen Luftwaffe die Katastrophe beobachtet und SOS gefunkt hatte, konnte Gregor Romanko nicht wissen. Ein Küstentanker fing den Funkspruch auf und war schließlich an der Stelle, wo Gregor Romanko an einer Planke hing, halb erfroren. Im Krankenhaus, in das man ihn geschafft hatte, konnten die Ärzte sein linkes Bein nicht retten, aber sein Leben.
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»Die Wale haben uns in diese Falle gelockt«, sagte er immer wieder, als er aus der Narkose aufgewacht war. Man verlegte ihn in die Psychiatrische Abteilung. Die Presse in Europa überbot sich in ihren Schlagzeilen. Sechs Stunden später wurde die Nachricht von der Katastrophe auch in den Vereinigten Staaten verbreitet. Die mysteriöse Angelegenheit wurde für Aran Holder mit jedem Bericht beängstigender. Am Montag morgen rief ihn Emerson Boardman zu sich ins Büro. Der Schock über Dolly Wojieskis Tod sprach ihm aus den Augen. Aran wollte etwas sagen, fand aber nicht die richtigen Worte und schwieg. Er wußte, daß Emerson Boardman sich Vorwürfe machte und an Schuldgefühlen litt. Und woran er sonst noch litt, konnte sich Aran denken. Er sah es dem Mann an. »Und ich habe ihr noch gesagt, daß sie ruhig zum Baden gehen kann«, murmelte er vor sich hin.
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»Sie haben eben dem Admiral zu sehr vertraut«, sagte Aran. Emerson Boardman nickte. »Ich möchte Sie bitten, ab sofort alles zu übernehmen, was mit Presse und Veröffentlichungen zu tun hat. Ich schaffe das nicht auch noch. Ich muß mich auf das Material konzentrieren, das mir Streeter und die anderen auf den Schreibtisch legen. Außerdem ist in Washington ein Krisenstab eingerichtet worden, und ich muß dort einen detaillierten Bericht vorlegen.« Das klang einleuchtend, entsprach aber nicht ganz der Wahrheit. Emerson Boardman wagte es einfach nicht mehr, an die Öffentlichkeit zu treten. »Ich bin aber nicht bereit, den Menschen etwas vorzumachen«, sagte Aran, einen Ton schärfer als beabsichtigt. »Washington hat aber Angst, daß das Volk in Panik gerät. An der Westküste rechnet man jeden Moment damit, daß es auch da losgeht.« »Die Lage ist bereits zu kritisch«, sagte Aran. »Eine Panik ist nicht mehr zu ver-
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meiden. Und was die Westküste anbelangt…« »Biochemische Veränderungen«, fiel ihm Emerson Boardman ins Wort, »konzentrieren sich doch im allgemeinen auf einen Punkt. Geographisch gesehen, meine ich.« »Eben«, sagte Aran. »Und genau das stört mich an Streeters Theorie. Die gesamte Ostküste und die Nordsee kann man schlecht als einen geographischen Punkt bezeichnen.« Emerson Boardman zuckte mit den Schultern. »Roy Waite ist nach wie vor der festen Überzeugung, daß irgendwelche noch nicht entdeckten Tiefseeströmungen der Grund sind.« »Jeder denkt in seiner Terminologie. Der Ozeanograph so, der Biochemiker so.« »Schon, aber Waite meint…« Aran hörte nicht mehr zu. Die Meinungen dieser engstirnigen Spezialisten interessierten ihn nicht. Sie stellten Theorien auf, verwarfen sie, stellten neue auf
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und währenddessen wurde das Meer immer böser und gewalttätiger. »Übernehmen Sie den Pressejob?« fragte Emerson Boardman. »Nur für eine gewisse Zeit. Sie können ja gleichzeitig an Ihrem Projekt arbeiten.« Aran nickte und ließ sich das Versprechen geben, daß er totale Redefreiheit hatte. Noch vor Mittag wurde seine Stellungnahme als Sprecher der Staatlichen Fischerei- und Forstverwaltung über Funk und Fernsehen verlesen: die Überwachung aus der Luft dauere an, die Bevölkerung werde aber dringend ersucht, das Baden und Schwimmen zu unterlassen. Am frühen Nachmittag nahm Aran an einer Sitzung mit einer Delegation von Vertretern Europas teil. England, Holland und Frankreich waren vertreten. Sie brachten keine neuen Theorien mit, es wurde aber vereinbart, daß Kopien der Versuchsergebnisse an die entsprechenden Stellen in Europa geschickt und dort die Experten an die Verwertung gesetzt werden sollten. Die Engländer, erfuhr Aran, bewachten ihre Küste bereits. 102
Als Aran endlich wieder bei Jenny war, machte er seiner Frustration Luft. Auch seine Ängste versuchte er nicht mehr zu bagatellisieren. »Verdammte Pest!« rief er. »Was zum Teufel ist bloß los? Die Angriffe sind zu gezielt, um eine Folge biochemischer Veränderungen zu sein. Da steckt Organisation, Planung und Schläue dahinter. Die Sache mit dem russischen Walfänger ist der beste Beweis dafür.« »Glaubst du denn, was der Seemann berichtet hat?« fragte Jenny. »Wort für Wort. Ich kann mir bloß keinen Reim darauf machen.« »Vielleicht ist die Ursache phylogenetisch, und es findet im Moment eine Umwälzung in der Entwicklung im Tierreich unter dem Wasser statt.« »Vielleicht«, sagte Aran. »Langsam halte ich alles für möglich und glaube gar nichts mehr.« Nach dem Abendessen nahm sich Aran wieder seine Notizen vor und arbeitete bis spät in die Nacht hinein.
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Als er am nächsten Morgen in Emerson Boardmans Büro kam, drückte ihm dieser wortlos ein Telex in die Hand. Es war die Abschrift eines Aufrufs des Präsidenten der Vereinigten Staaten an die Bevölkerung. Es ist meine unangenehme Pflicht, das amerikanische Volk davon zu unterrichten, daß ab sofort Fleisch und Geflügel rationiert werden. Das Landwirtschaftsministerium gibt bekannt, daß durch den Lieferstop von Fischtran, Guano, Fischmehl und Algen die Produktion von Düngemitteln stark reduziert ist. In der Kette landwirtschaftlicher Erzeugnisse wie Fleisch, Geflügel und Getreide, gehören Düngemittel zu den absolut notwendigen Grundstoffen. Der Lieferstop der oben genannten Produkte beeinträchtigt außerdem die Futtermittelherstellung und zum Teil die chemische Industrie. Die ansteigende Nachfrage nach Fleisch und Geflügel hat bereits ein beachtliches Loch in die Lagerbestände gerissen. Man will diesem Problem durch den Gebrauch chemischer Düngemittel entgegenwirken, 104
aber die erhöhte Herstellung dieses Industrieprodukts braucht Zeit. Bis der Düngemittelmarkt wieder gesättigt ist, muß der noch vorhandene Vorrat an Fleisch und Geflügel – wie angekündigt – rationiert werden. Die staatlichen Behörden, die sich mit dem so plötzlich und unerwartet aufgetretenem Problem befassen, haben mir versichert, daß alles zu dessen schneller Lösung unternommen wird. Aran gab Emerson Boardman das Telex zurück. »Daß es so schnell geht, hätte ich nicht gedacht«, sagte er. »Was hören Sie von Streeter?« »Nichts, aber Admiral Hotchins hat angerufen. Er will Kriegsschiffe mit großen Netzen hinausschicken und rechnet mit einem enormen Fang. Genaue Pläne und strategische Maßnahmen will er bei der nächsten Sitzung vorlegen und erläutern. Sie ist für Freitag einberufen.« Emerson Boardman zuckte mit den Schultern. »Vielleicht nützen seine Stahlnetze et-
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was. Vor allem, wenn er in Tiefen fischt, die normalerweise nicht erfaßt werden.« »Vielleicht«, sagte Aran. Die Idee Hotchins’ zwang ihm nicht einmal ein Lächeln ab, aber besseres hatte er ja auch nicht zu bieten. Als er mittags die neu eingelaufenen Berichte durchgearbeitet hatte und das Büro verließ, fand vor dem Gebäude der Staatlichen Fischerei- und Forstverwaltung eine Art Demonstration statt. Eine Gruppe von jungen Menschen ging schweigend im Kreis herum, eine zweite Gruppe kniete auf den Steinstufen, die zum Eingang hinaufführten, und betete. »Und so steht es bei Jesaja geschrieben«, rief ein junger Mann mit klarer, deutlicher Stimme. »Es klagen die Fischer und trauern alle, welche die Angel in den Strom auswerfen; die das Netz auf dem Wasser ausbreiten, werden verschmachten. Es kommt die Rache, es naht Gottes Vergeltung. Die Erde wird entleert und völlig ausgeplündert.« Nach einem hastig hinuntergeschlungenen Sandwich in einem Coffeeshop stellte 106
sich Aran in einer der Fernsehanstalten Reportern von allen Medienbereichen. Von einer Verschnaufpause von fünfzehn Minuten abgesehen, wurde er ganze vier Stunden mit Fragen bombardiert und beantwortete sie so gut er konnte. Er atmete erst auf, als er gegen sieben in dem Appartement ankam und Jenny in die Arme schließen konnte.
7. Am nächsten Morgen erwartete Aran der grauenvolle Bericht eines weiteren Angriffs. Eine Springflut von Krabben stürzte sich auf die Wohnhäuser südlich der Virginia Beach. Fünfundfünfzig Menschen waren dabei ums Leben gekommen, ebenso viele lagen mit schweren Verletzungen in den umliegenden Krankenhäusern. Die Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung hatten sich als nichtig erwiesen. Die Krabben waren aus dem Meer gekommen, nachdem die Küsten107
kontrollen ihren Streifgang gemacht hatten. Bis die Ortspolizei und die Feuerwehr verständigt waren und man mit Schaum und Waffen anrückte, hatten sich die Tiere schon wieder verzogen. So plötzlich, wie das Meer sie ausgespuckt hatte, hatte es sie wieder verschlungen. Aran war der Verzweiflung nahe. Nirgends auch nur ein Schimmer Hoffnung. Die Intelligenz des Menschen schien zu versagen, die der Meeresbewohner immer schärfer und böser zu werden. Aran hatte den Bericht gerade weggelegt, als der Krisenstab von Atlanta anrief. Boston müsse eine Presseerklärung veröffentlichen, verlangte man. Atlanta sei nicht mehr bereit dazu. Man wollte also die ganze Verantwortung abladen und anderen zuschieben. Nach diesem Anruf stand das Telefon nicht mehr still. Die Presse, die Funkund Fernsehanstalten bedrängten Aran mit Fragen, die er nicht beantworten konnte. Am frühen Nachmittag kam Emerson Boardman mit drei Sekretärinnen in das 108
Büro, das man Aran zur Verfügung gestellt hatte und an dessen Tür PRESSEZENTRUM stand. Die Mädchen wollten wissen, was sie mit den Tausenden von Briefen machen sollten, die täglich eingingen. Es handelte sich um Post von Bürgern, die entweder Theorien anbieten wollten oder verlangten, daß »endlich etwas unternommen« würde. Die meisten Briefe allerdings waren voll von Fragen und aus den Zeilen sprach panische Angst. Es wurde beschlossen, daß lediglich die Post von zuständigen Behörden und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens beantwortet werden würde. Die Entscheidung, wer dazu gehörte, überließ Aran dem Direktor der Staatlichen Fischereiund Forstverwaltung. Am späten Nachmittag rief Bixly vom »Globe« an. Aran kannte Herb Bixly seit Jahren. Bixly war für die Seite »Wissenschaft und Forschung« verantwortlich, und die Wege der beiden Männer hatten sich schon oft gekreuzt.
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»Hast du das mit Taylor schon gehört?« fragte Bixly. »Nein«, sagte Aran und richtete sich in seinem Schreibtischsessel auf. Evan Taylor war ein brillanter, faszinierender Forscher, über den Aran schon mehrmals geschrieben hatte. »Er hat vergangene Nacht Selbstmord begangen«, sagte Bixly. »Ich dachte, es interessiert dich.« »Großer Gott!« stöhnte Aran und spürte, wie er kalte Hände bekam. »Du hast doch einmal eine Serie über seine Theorien bezüglich der Kommunikation bei Tieren geschrieben. Wenn ich mich richtig erinnere, ging es besonders um Tiere, die im Wasser leben. Kannst du mir dazu etwas sagen?« fragte Bixly. »Oder wenigstens über den Mann selber?« Aran hatte vor einigen Jahren drei Monate mit Evan Taylor verbracht und ihn dabei recht gut kennengelernt. »Er war sowohl Chirurg als auch Biochemiker«, antwortete er. »In den letzten Jahren hat er sich nur noch mit Ver110
haltensforschung beschäftigt. Er war ein hochintelligenter, sehr fortschrittlicher Mann. Ich habe ihn sehr bewundert.« Aran verfiel in Schweigen. Ja, gute zwei Jahre war es her. Kurz nachdem der erste Artikel der Serie erschienen war, hatte Evan Taylor ein eigenes Labor in Florida Keys gegründet. Und jetzt hatte er sich das Leben genommen. Aran war erschüttert. »Hat er etwas hinterlassen?« fragte er Bixly. »Einen Zettel mit genau drei Worten darauf«, antwortete Bixly. »Tut mir leid – mehr nicht.« Aran runzelte die Stirn. »Sonst nichts?« »Nein, sonst nichts. Wie gesagt, ich habe eben gedacht, es interessiert dich. Gibt es mit diesen Fischkatastrophen etwas Neues?« Aran berichtete Bixly von Roy Waites Theorie mit den Tiefseeströmungen, und Bixly legte zufrieden auf. Nach dem Gespräch beschäftigten sich Arans Gedanken mit Evan Taylor. Der große hagere Mann mit dem asketischen 111
Gesicht und dem missionarshaften Eifer war schon immer exzentrisch gewesen. Das Labor, das er in Florida Key aufgemacht hatte, hatte er vom ersten Tag an mit Geheimtuerei und Schweigen umgeben. Er hatte sich mit der Kommunikation unter Wasser beschäftigt. Er hatte allerdings auch noch an einer anderen Sache gearbeitet, wie er Aran einmal am Telefon gesagt hatte. Die Falte auf Arans Stirn wurde immer tiefer. Wenn er sich doch nur genau hätte erinnern können. Daß sich Taylor das Leben genommen hatte, konnte Aran kaum fassen. Evan Taylor war ein Mann gewesen, der sich hundertprozentig seiner Arbeit gewidmet hatte. Er war voll darin aufgegangen. Die verheerenden Unfälle der letzten Tage mußten ihn mehr als beschäftigt haben. Wahrscheinlich frei von jeglicher Art von Panik mußte Taylor – wenn Aran ihn richtig eingeschätzt hatte – Tag und Nacht an dem Problem gesessen und versucht haben, den Grund für das merkwürdige und vor allem abnorme Verhalten der Meerestiere zu erforschen. 112
Er mußte so darauf konzentriert gewesen sein, daß persönliche Probleme, falls vorhanden, beiseite geschoben waren. Und trotzdem hatte er genau in dieser kritischen Zeit Selbstmord begangen. Aran schüttelte den Kopf. Er konnte es einfach nicht glauben. Es paßte nicht zu Evan Taylor. Und dann nur drei Worte auf einem Zettel: Tut mir leid. »Verdammt«, murmelte Aran vor sich hin und grub in seinem Gedächtnis. Ein paar Monate nachdem Taylor das Labor in Florida Keys aufgemacht hatte, hatte Aran einen Brief von ihm bekommen. Aber mit welchem Inhalt? Aran hatte den Kopf so voll von gegenwärtigen Problemen, daß er sich mit dem besten Willen nicht erinnern konnte. Aran lehnte sich in seinem Schreibtischsessel zurück und machte die Augen zu. Schon als Student hatte er eine Technik zur Anregung des Gedächtnisses entwickelt. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß es sinnlos war, etwas erzwingen zu wollen. Man verrannte sich dann immer mehr, und die Spuren wurden immer un113
deutlicher. Man mußte anders vorgehen: man mußte sich in die damalige Situation versetzen und zu rekonstruieren versuchen, was vorher und gleichzeitig passiert war und sich so an das heranschleichen, was das Gedächtnis nicht hergeben wollte. Die Serie, die aus drei Artikeln bestand, war vor zwei Jahren erschienen. Evan Taylor war davon sehr angetan gewesen, hatte aus Florida Keys angerufen und Aran gratuliert. Sie hatten sich eine Weile unterhalten, und im Verlauf des Gesprächs hatte Taylor erzählt, daß er zwei junge Assistenten angestellt habe: eine gewisse Kay Elliot und einen Ichthyologen namens John Akberg. Nach dem Gespräch mit Taylor hatte Aran einen Artikel für eine der großen Illustrierten geschrieben. Thema: Reproduktion von Zellkulturen in der Retorte. Nach der Veröffentlichung des Artikels war wieder ein Brief von Taylor gekommen. Er war darin auf eine Reihe von Problemen eingegangen, die er bezüglich
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dieses Themas gelöst hatte, und wieder hatte er Aran gratuliert. Anschließend Schweigen. Aran hatte Jenny kennengelernt und sich regelmäßig mit ihr getroffen. Dann war Weihnachten gekommen, und Aran hatte Evan Taylor die obligate Karte geschickt. Natürlich mit ein paar persönlichen Worten. Der Brief, an den er sich zu erinnern versuchte, war kurz darauf bei ihm im Kasten gewesen. Und plötzlich sah ihn Aran förmlich vor sich. Vor allem den letzten Absatz, und auf den kam es ihm an. Ich arbeite an der Kommunikation maritimen Lebens und außerdem an einer Sache, die mich fasziniert, die ich im Griff habe und die meine ganze Kraft und Konzentration in Anspruch nimmt. Der Brief hatte dann ziemlich abrupt aufgehört, aber das war eben Taylors Art gewesen. Aran stand auf und sah zum Fenster hinaus. Der Himmel war grau. Die übliche Dunstglocke hing über der Stadt. Eine Frage blieb. Sie ließ ihn nicht los. Warum hatte Evan Taylor diesen Moment ge115
wählt, sich das Leben zu nehmen? Er mußte sich doch bei dem ersten Bericht, der veröffentlicht worden war, geradezu über das Problem gestürzt und versucht haben, zu ergründen, was der Anlaß zu diesem abnormen Verhalten der Meerestiere war. Hatte er etwas herausgefunden, was ihn in schwere Depressionen gestürzt hatte? Aran mußte sich Gewißheit verschaffen. Er ging zum Telefon, legte die Hand auf den Hörer und überlegte. Taylors geschiedene Frau lebte in Florida, aber es war nicht anzunehmen, daß sie Genaueres wußte. Aran ließ sich von der Auskunft die Nummer des Labors geben, das südlich von Pennekamp auf einem Korallenriff stand. Das Telefon klingelte eine Ewigkeit, bis endlich abgenommen wurde. »Miß Kay Elliot, bitte«, sagte Aran. »Wer spricht?« fragte eine Frau. »Aran Holder. Ich kannte Evan Taylor persönlich. Und auch beruflich.« »Aran Holder, Aran Holder – ach ja, der Mann, der Artikel schreibt. Er hat 116
manchmal von Ihnen gesprochen.« Die Stimme klang tief und heiser, die Sprache war schleppend. »Spreche ich mit Miß Elliot?« fragte Aran. »Ja, Sie sprechen mit Miß Elliot.« »Ich rufe an, weil ich mehr zu erfahren hoffe. Ich kann es einfach nicht verstehen. Warum hat er das getan?« »Evan war ein sehr sensibler Mensch, wußten Sie das nicht? Er war der phantastischste Mann, der mir je begegnet ist. Aber alles hat ihn belastet, selbst die kleinste Kleinigkeit. Es muß schrecklich sein, wenn man so intelligent und sensibel ist. Dann geht es einem wahrscheinlich wie einem Goldfisch in seinem Glas, habe ich nicht recht, Mr. Holder?« Das Mädchen stieß ein kurzes, trockenes Lachen aus. »Haben Sie getrunken, Miß Elliot?« Aran stellte die Frage ganz ruhig. Wieder dieses Lachen. »Hat Miß Elliot getrunken? Ist Kay zu? Haben Fische Menschen aufgefressen? Fällt der Himmel auf uns herunter?« 117
»Sie haben mit Evan Taylor zusammengearbeitet«, sagte Aran. »Warum hat er sich das Leben genommen? Was bedeutet der seltsame Zettel, den er hinterlassen hat? Was tat ihm leid?« »Das Heute und das Morgen«, antwortete das Mädchen. »Auf Wiedersehen, Mr. Aran Holder.« Ein Klicken, und die Leitung war tot. Aran legte auf. Hatte das Mädchen aus Kummer getrunken? Sicherlich, aber da war auch noch etwas anderes. Die schnodderigen Antworten dieser Miß Elliot waren voll Bitterkeit gewesen. Aran stand auf. Falls Taylor auf etwas gestoßen war, existierten unter Garantie Notizen. Er hatte bestimmt Aufzeichnungen gemacht und vielleicht schon Schlüsse gezogen. Aran ging in Emerson Boardmans Büro. Der Mann hatte völlig glasige Augen. Als Aran näher kam, roch er den Alkohol. »Vielleicht sollten Sie Pfefferminz essen«, sagte Aran lächelnd. »Aber das nur am Rande bemerkt. Ich werde für ein paar Tage weg sein. Ich will mich in Tay118
lors Labor umsehen. Vielleicht finde ich etwas.« »Sie müssen aber an der Sitzung am Freitag teilnehmen«, sagte Emerson Boardman. »Bis dahin bin ich wieder da.« Vor dem Gebäude standen wieder die jungen Leute mit ihren Transparenten. DER ZORN GOTTES IST GEWECKT DIE SÜNDEN DES MENSCHEN RÄCHEN SICH DAS LAND WIRD VERWÜSTET WERDEN Aran sprang in ein Taxi und kam in dem Appartement an, als Jenny gerade damit beschäftigt war, den Tisch fürs Abendessen zu decken. »Leider«, sagte Aran. »Ich muß weg, aber bloß einen Tag. Am Freitag muß ich wieder da sein. Wegen der Sitzung.« Er erzählte ihr von Bixlys Anruf und Taylors Tod. Jenny sah ihn besorgt an. »Florida Keys«, sagte sie. »Direkt am Meer.« »Mir passiert schon nichts«, sagte Aran. »Außerdem war bis jetzt dort noch alles 119
ruhig. Noch heute abend mit einer Spätmaschine nach Miami zu kommen, das schaffe ich leicht, und morgen fahre ich dann gleich in der Frühe nach Keys hinaus.« »Und warum fährst du hin? Was hat denn Taylors Selbstmord mit dem anderen Problem zu tun? Glaubst du, du findest dort einen Anhaltspunkt?« »Keine Ahnung. Vielleicht finde ich überhaupt nichts, aber ich muß es wenigstens probieren.« »Wieder einmal ein dumpfes Gefühl?« »Möglich.« Jenny nickte nachdenklich. »Ich bin wahrscheinlich nicht mehr hier, wenn du zurückkommst. Ted und Vivian kommen am Samstag.« »Willst du wieder ans Meer fahren?« fragte Aran. »Nein, nach Hause. Nach Falls Church.« »Aber wir können doch ins Hotel ziehen«, schlug Aran vor. Jenny schüttelte den Kopf. »Nein, ich fühle mich zu Hause wohler. Du steckst nun einmal in dieser Sache drin, und sie 120
nimmt deine ganze Zeit in Anspruch. Es ist besser, wenn du nicht ständig das Gefühl hast, daß ich irgendwo herumsitze und auf dich warte. Wenn ich nicht in Boston bin, kannst du dich besser auf deine Arbeit konzentrieren.« »Aber dein Auto ist doch noch draußen.« «Ich fahre vorbei und hole es. Am Morgen natürlich.« Sie lehnte den Kopf an seine Schulter. »Es ist besser so. Ich werde dich sehr vermissen und meine Zeit damit verbringen, auf dich zu warten.« Er schlang die Arme um sie. »Ich bin doch spätestens am Freitag wieder da. Kannst du nicht so lange auf mich warten? Dann haben wir wenigstens noch die eine Nacht zusammen.« Sie zuckte mit den Schultern und lächelte. »Im Grunde ist es natürlich netter, wenn ich Ted und Vivian am Samstag noch sehe und mich nicht einfach klammheimlich aus dem Staub mache.«
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Sie half ihm, die Reisetasche zu packen und bestand darauf, ihn zum Flughafen zu fahren. Auch dort, vor dem Hauptgebäude, waren viele junge Leute, die in einem Schweigemarsch auf den Zorn Gottes hinwiesen. In der Abflughalle verabschiedete sich Aran von Jenny mit einem Kuß. »Also, dann bis zum Freitag. Ich komme sofort nach der Sitzung.« »Ich warte auf dich«, sagte Jenny. »Wenn du nur nicht nach Keys müßtest. Du bist manchmal einfach zu gründlich mit deinen Recherchen. Der Mann hat sich das Leben genommen, was schließlich sein gutes Recht ist. Seine Gründe dafür wird er schon gehabt haben.« »Sicherlich, aber trotzdem hätte er es nicht tun sollen. Nicht jetzt.« Aran döste während des ganzen Fluges. Als die Maschine zur Landung in Miami ansetzte, war er jedoch wieder voll da. Zum Glück fand er in einem Motel ganz in der Nähe des Flughafens ein Zimmer, ging sofort ins Bett und schlief wie ein
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Stein, bis er, wie bestellt, um sieben Uhr geweckt wurde. Es war ein strahlender Tag. Aran zog sich schnell an, frühstückte und lieh sich anschließend einen Wagen. Um acht Uhr war er schon unterwegs. Gegen Mittag fuhr er durch Key Largo. Er hielt kurz an, warf noch einmal einen Blick auf die Adresse, erkundigte sich nach dem Weg und fuhr weiter. Schließlich bog er von der Landstraße ab. Der Weg war nicht einmal asphaltiert. Reiner Sand. Es roch nach Salzwasser. Nach einer Kurve sah Aran die kleinen Flachbauten vor sich liegen. Auf der einen Seite eine Reihe von kleinen Palmen, auf der anderen Dünen. Aran hielt an und ging auf das größte der Häuser zu, wobei er mit zusammengekniffenen Augen auf die vier großen untereinander verbundenen Tanks blickte, die mit Meerwasser gefüllt waren. Sie waren an die dreißig bis fünfzig Zentimeter in den Sand eingelassen und jeder Tank war von einer Steinmauer mit einem Gittertor umgeben. 123
Aran klingelte und wartete. Er klingelte ein zweitesmal. Schließlich hörte er Schritte. Die Tür wurde aufgemacht. Vor ihm stand ein Mädchen, einen Drink in der Hand. Volle rote Haare, die bis zu den Schultern gingen, hohe Backenknochen, eine schmale Nase und ein sympathischer Mund, der etwas zu rot bemalt war. Das Mädchen war groß. Auf seinem Gesicht ein ablehnender Ausdruck. Es war barfuß, trug Jeans und das Oberteil eines Bikinis. Der Busen quoll an allen Seiten heraus. Die Augen waren blau und leicht blutunterlaufen. »Miß Elliot?« fragte Aran. »Ich bin Aran Holder. Wir haben gestern zusammen telefoniert. Erinnern Sie sich?« »Natürlich erinnere ich mich«, sagte das Mädchen und zog spöttisch die Augenbrauen in die Höhe. »Und was wollen Sie hier?« »Mit Ihnen sprechen«, sagte Aran. »Ich möchte wissen, was wirklich passiert ist.« Der ablehnende Ausdruck blieb, aber sie forderte Aran doch auf, hereinzukommen.
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Ein großer Raum voll von Akten, Papieren, Leitzordnern und auf einem Regal zwei offene Aktentaschen. Ein L-förmiger Tisch vor einem L-förmigen Sofa, das tiefblau bezogen war. Zwei Flaschen Gin standen auf dem Tisch. Eine leer, die andere nur noch halb voll. Kay Elliot, die nicht mehr ganz fest auf den Beinen war, ließ sich auf das Sofa fallen. »Wollen Sie einen?« fragte sie und deutete auf den Gin. »Nein, danke«, antwortete Aran. Kay Elliot prostete ihm zu. »Willkommen in Ab 000«, sagte sie und nahm einen ordentlichen Schluck. »Ab 000?« fragte Aran. »Hat Taylor die Anlage hier so genannt?« »Genau.« »Das heißt so etwas ähnliches wie ,von Ursprung an’, oder?« »Nicht schlecht«, sagte das Mädchen und trank schon wieder. »Ein bestimmter Grund für den Namen?« fragte Aran. Das Mädchen zuckte mit den Schultern.
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»Evan war ein großer Verehrer der Klassiker. Außerdem hat es ihm schon immer Spaß gemacht, den Leuten Rätsel aufzugeben. Hier in der Gegend weiß kaum jemand, was es bedeutet. »Sie leerte das Glas und griff nach der Flasche. »Wann haben Sie heute angefangen?« fragte Aran. »Anfangen? Aufhören? Wenn ich aufstehe oder wenn ich ins Bett gehe. Ich passe da nicht weiter auf.« Sie lehnte sich zurück und rekelte sich. Kay Elliot war eine ausnehmend attraktive Frau. Selbst jetzt noch, wo sie es offensichtlich darauf abgesehen hatte, möglichst schnell voll trunken zu sein. Sie hatte Sexappeal und war sicherlich auch intelligent. Aran nahm ihr das Glas aus der Hand und stellte es auf den Tisch. Miß Elliot lächelte. »Jetzt genehmigen Sie sich wohl auch einen, was?« fragte sie.
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»Nein«, sagte Aran. »Ich möchte Sie bitten, mir ein paar Fragen zu beantworten, solange Sie noch in der Lage dazu sind.« »Das ist wenigstens ehrlich«, sagte sie. »Ich halte viel von Ehrlichkeit. Sie sehen übrigens sympathischer aus, als ich gedacht habe.« »Haben Sie denn damit gerechnet, daß ich komme?« fragte Aran. »Ach wo!« rief Kay Elliot. »Ich stelle mir nur immer vor, welches Gesicht wohl zu einer Stimme gehört, die ich kenne. Aber zur Sache. Was für Fragen wollen Sie mir stellen?« »Zum Beispiel, warum sich Evan Taylor das Leben genommen hat.« Sie griff nach ihrem Glas. »Stellen Sie mir eine andere Frage. Eine, die ich beantworten kann.« »Sie können diese Frage meiner Meinung nach durchaus beantworten, Miß Elliot.« »Nein«, sagte das Mädchen. »Ich bin nämlich zu spät gekommen, um ihn selber noch schnell fragen zu können.« 127
»Ich glaube, Sie haben jetzt genug getrunken«, sagte Aran. »Wie rührend«, spottete das Mädchen. »Sie machen sich Sorgen um die kleine Kay.« «Nein«, sagte Aran scharf. »Aber meine Fragen will ich beantwortet haben.« »Noch ehrlicher.« Sie holte tief Luft. »Warum verbringen wir den Nachmittag nicht mit Bumsen? Was halten Sie davon, Mr. Holder?« »Aus welchen Grund, wenn ich fragen darf?« »Weil ich dann nicht mehr daran denke.« »An das, was passiert ist?« »An alles. Wenn man wirklich vergessen will, dann hilft nur das.« Sie hob das Glas. »Funktioniert besser als mit dem Zeug.« Aran musterte das Mädchen. Am Telefon hatte er schon die Bitterkeit gespürt. Jetzt hatte er den Eindruck, daß auch noch Angst dazu kam. »Was war mit Evan Taylor los?« fragte Aran. »Warum hat er sich das Leben ge128
nommen? Arbeitet John Akberg noch hier?« Ein kurzes Lachen. »Der? Der ist nach Hause gelaufen. Geflohen!« »Wann?« »Vor drei Tagen.« »Warum? Aus persönlichen Gründen?« Ihre Augen wurden schmal. Sie lächelte. Antwort bekam Aran keine. »Was ist passiert, Miß Elliot?« Wieder keine Antwort. »Miß Elliot«, sagte Aran. »Ich bin nicht zum Zeitvertreib hier. Ich bekomme, was ich will. Ob von der Polizei oder von Ihnen oder von sonst wem – das ist mir egal.« Aran stand auf und drehte sich an der Tür noch einmal um. »Und das merken Sie sich einstweilen, Miß Elliot: ich bin nicht zum letztenmal hier.« »Evan Taylor war ein großer Mann«, sagte das Mädchen plötzlich. »Das können Sie jedem erzählen, der es wissen will. Ich, Kay Elliot, kann es nämlich beurteilen.« Aran kam wieder in das Zimmer zurück. Dieses Mädchen hatte eine Mauer um sich, und alles, was passiert war, war mit 129
in diese Mauer einbezogen. War es Selbstschutz oder mehr? »Hatten Sie ein Verhältnis mit Evan Taylor?« fragte Aran, um sie aus der Reserve zu locken. Sie wollte ihn mitten ins Gesicht schlagen, aber Aran hielt sie am Handgelenk fest. »Sie Schwein!« schrie sie. »Antworten Sie!« schrie Aran zurück. »Nein, verdammt noch mal – nein! Ich wollte, ich hätte ein Verhältnis mit ihm gehabt, aber für ihn hat es ja bloß seine Arbeit gegeben. An etwas anderes hat er nicht gedacht. Und am Ende seines Sechzehnstundentages war er so erschöpft, daß er nicht einmal mehr richtig schlafen konnte.« Aran hielt das Mädchen weiterhin am Handgelenk fest. »Er wußte doch, was im Moment los ist, und daß die Katastrophen sich häufen. Was hat er dazu gesagt?« Er ließ sie los. Kay Elliot ging einen Schritt zurück und sah ihn mit fast traurigen Augen an.
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»Lassen Sie Evan Taylor in Frieden«, sagte sie. »Er ist tot.« Sie goß sich ein, nahm einen anständigen Schluck und setzte sich. Aran sah dem Mädchen an, daß er nichts mehr aus ihr herausholen konnte. Ein total verschlossenes Gesicht. »Ich komme wieder«, sagte er und verließ das Haus. Draußen beschäftigten ihn wieder die Tanks. Sie waren so groß, daß gut zwölf Delphine, ausgewachsene Rochen, sogar Weißwale oder Haifische hineingepaßt hätten. Aran wollte gerade das Auto aufschließen, als er die senkrecht gestellten Tafeln sah, die vielleicht zweihundert Meter von der Küste entfernt aus dem Meer ragten. Aran konnte sich nicht erklären, wozu sie dienen sollten. Kopfschüttelnd stieg er ins Auto. Als er den Motor anließ, sah er, wie ein Vorhang zur Seite gezogen wurde. Kay Elliot wollte sich vergewissern, ob er auch wirklich wegfuhr. Merkwürdig, dieses attraktive Mädchen, das im Moment nicht von der Flasche los131
zukommen schien. Sie verschwieg etwas, aber was? War sie in Taylor verliebt gewesen? Daß zwischen ihr und Taylor nichts gewesen war, hatte ihr Aran aufs Wort geglaubt. Für eine Lüge war die Reaktion zu spontan gewesen. Unerfüllte Liebe konnte allerdings noch fanatischer sein als eine Liebe, die erwidert wurde. Aber hinter dem Schweigen und ausweichenden Verhalten lag noch mehr. Und dieser John Akberg war davongelaufen. Geflohen, wie sich Kay Elliot ausgedrückt hatte. Sie hatte den Nachmittag mit »Bumsen« verbringen wollen. Auch eine Art Flucht. Dazu kam die Angst, die dem Mädchen aus den Augen sprach. Und die nihilistische Bitterkeit. Das war nicht Kummer allein. Dahinter steckte noch mehr. An einer Tankstelle erkundigte sich Aran nach der Adresse des hiesigen Polizeichefs. Er hatte sein Büro in Key Largo und hieß Wilson. Als Aran nach einer guten Stunde Fahrt dort angekommen war, erfuhr er von dem Stellvertreter, daß Wilson in Miami 132
sei und am Abend gegen acht Uhr wieder hier sein müsse. Aran wollte wissen, was über den Selbstmord Evan Taylors bekannt sei und bekam zur Antwort, nur Wilson könne Auskunft geben. Aran setzte sich in einen Coffeeshop. Das Roastbeef auf seinem Sandwich war zäh, der Kaffee zu schwach und die Milch sauer. Aber eine Stunde wurde wenigstens totgeschlagen. Anschließend rief Aran von einer Telefonzelle aus im Büro Emerson Boardmans an. »Ich bin aufgehalten worden«, sagte er, »aber ich komme morgen schon rechtzeitig.« »Ich verlasse mich auf Sie«, entgegnete Emerson Boardman. »Die Sitzung ist natürlich geheim, aber die Presse wird Sie belauern. Tausend Fragen werden sie wieder haben, und ich bin nicht in der Lage, mich den Reportern zu stellen.« »Keine Angst, ich bin da. An der Westküste immer noch alles ruhig?« »Zumindest keine Angriffe, die bestätigt wurden«, sagte Emerson Boardman. »Die 133
Leute sind allerdings so nervös, daß schon ein Geschrei losgeht, wenn ein Kind von einer Krabbe gezwickt wird. Haben Sie etwas Neues zu berichten?« »Noch nicht«, sagte Aran. »Warum kommen Sie dann nicht gleich zurück?« fragte Emerson Boardman nervös. »Ich bin morgen pünktlich da«, sagte Aran und legte auf. Die nächsten zwei Stunden verbrachte Aran im Kino. Als er wieder herauskam, war es sieben Uhr dreißig. Er ging zur Polizeistation zurück, wo er seinen Wagen hatte stehen lassen. Wilson war zum Glück schon zurück, und Aran wurde in ein Büro mit Aluminiumstühlen, einem Aluminiumschreibtisch und Aluminiumregalen geführt. Wilson war ein großer Mann, der gut seine zwanzig Kilo Übergewicht hatte. Die Uniform saß ihm prall auf dem Leib. Aran stellte sich vor und betonte, daß er in seiner Funktion als Pressesprecher der Staatlichen Fischerei- und Forstverwaltung hier sei. 134
«Falls Sie daran zweifeln sollten«, sagte Wilson, »es war Selbstmord, das steht fest.« »Und wie hat er sich umgebracht?« »Mit einer Winchester.« »Aha«, sagte Aran und begriff nicht, warum das Mädchen sich so gescheut hatte, es auszusprechen. »Allerdings war die Art, wie er sich erschossen hat, komisch«, sagte Wilson. »Wieso?« fragte Aran. »Weil er mit einem Boot aufs Meer hinausgerudert ist. Das Mädchen, das bei ihm arbeitet, hat gesagt, daß es gegen Mitternacht gewesen sein muß. Er hat sich draußen auf dem Wasser erschossen.« »Und wie hat man ihn gefunden?« fragte Aran. »Wurde das Boot an den Strand gespült?« »Das, was von ihm übrig war, wurde an den Strand gespült«, antwortete Wilson. »Er war in der Mitte auseinandergebissen. Ich nehme an, daß sie das Boot angegriffen haben. Wir haben erst nicht an Selbstmord gedacht, bis dann der Ge135
richtsmediziner die Kugel im Kopf gefunden hat.« Aran lief es kalt über den Rücken. Vielleicht hatte das Mädchen deshalb nicht darüber sprechen wollen. Warum war Evan Taylor aber aufs Meer hinausgerudert, um sich das Leben zu nehmen? Was sollte diese Demonstration? Wem galt sie? »Kannten Sie Taylor persönlich?« fragte Aran noch, bevor er ging. »Nicht einmal vom Sehen«, antwortete Wilson. »Der Mann lebte völlig abgeschlossen.« Aran bedankte sich, saß einen Moment später im Auto und fuhr wieder zu Kay Elliot hinaus. Die Dunkelheit hatte sich auf das Land gesenkt, und Aran konzentrierte sich auf die Straße. Sich Fragen zu stellen, auf die er doch keine Antwort fand, war sinnlos und obendrein entmutigend. Im Wohnraum des großen Hauses brannte Licht. Aran klingelte und wartete, es wurde ihm aber nicht aufgemacht. Er drückte nach einer Weile die Klinke nach 136
unten. Die Tür war nicht abgeschlossen. Aran ging hinein. Kay Elliot lag auf dem Sofa, die leere Flasche neben sich. Aran schüttelte sie, aber sie rührte sich nicht. »Verflucht!« murmelte er. Es würde Stunden dauern, bis das Mädchen wieder denken und reagieren konnte. Aran sah auf Kay Elliot hinunter. Sie sah friedlich aus und fast zufrieden. Er hob sie vorsichtig hoch und legte sie auf das Bett im Nebenzimmer. Nachdem er leise die Tür hinter sich zugezogen hatte, machte Aran Holder sich daran, die Papiere in dem großen Raum durchzusehen. Die Leitzordner waren mit genauen Bezeichnungen und Daten versehen. Hier hatte er sich schnell einen Überblick verschafft. Die fliegenden Blätter nahmen mehr Zeit in Anspruch. Aran nahm sich einen ganzen Packen mit zum Tisch und machte sich an die Arbeit. Er hatte erwartet, Aufzeichnungen über die Kommunikation von maritimen Lebewesen zu finden, statt dessen mußte er jedoch feststellen, daß sich Taylor in letz137
ter Zeit nur noch mit Embryologie, Zellkulturen und Molekularstruktur beschäftigt hatte. Stunden vergingen. Aran saß über die Versuchsergebnisse gebeugt, und die Falte in seiner Stirn wurde immer tiefer. Er stand schließlich auf und ging aus dem Zimmer. Am Ende eines Ganges war eine geschlossene Tür. Aran machte sie auf und befand sich im Labor. Reihen von Retorten und Reagenzgläsern auf einem Regal, das bis zur Decke ging. Alle waren beschriftet, und Aran sah Bezeichnungen und Zahlen, die er schon aus den Papieren kannte. Endlose Viruskulturen, einige schon tot in ihrem Glasgefängnis, die meisten aber noch wuchernd. Mit sehr ernstem Gesicht ging Aran in den Raum, in dem Kay Elliot lag. Am Horizont kroch schon die Dämmerung hoch. Selbst wenn er das Mädchen jetzt wach bekommen hätte, es wäre nutzlos gewesen. Wenn er den ersten Flug nach Boston nehmen wollte – und das mußte er –, war es höchste Zeit, sich auf den Weg zu machen.
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Aran verließ das Haus. Die Luft war feucht, das Meer ruhig. Alles war ruhig. Nur in seinem Innern war keine Ruhe. Etwas brodelte dort. Angst etwa? Noch nicht. Aber es konnte dazu werden. »Ab 000«, murmelte Aran vor sich hin. Das Wort hatte plötzlich eine neue Bedeutung für ihn gewonnen. Aber bloß keine überstürzten Schlüsse ziehen. Aran mußte erst noch einmal seine eigenen Notizen überprüfen. Er mußte sie mit neuen Augen sehen. Und dann würde er hierher zurückkommen und das ausfindig machen, was Kay Elliot in sich vergraben hatte. Allerdings wußte er im Moment nicht, ob er die Wahrheit wirklich hören wollte. Aran fuhr Richtung Key Largo und Miami. Die Luft war lau, und er fror.
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8. Doch der Moment war gekommen. Auf einige Fragen, die laut geworden waren, kam die Antwort. Auf der anderen Seite des Atlantik tauchte die Dämmerung den Hafen von Positano, an der Südküste Italiens, in ein rosiges Licht. Geschrei an den Kais. Die Fischer machten ihre Boote fertig. Tag für Tag fuhren sie auf’s Meer hinaus und fingen die so in Mode gekommenen Ilungili, die Kraken oder auch den Octopus. Die kleinen Buben aus dem Dorf und den Hügeln dahinter liefen bereits im Hafen zusammen. Meistens aus bitterarmen Verhältnissen, warteten sie darauf, sich etwas zu erbetteln oder zu erstehlen, wenn die Boote mit ihrem Fang zurückkehrten. Und die gleiche Szene spielte sich an jedem Hafen an den Küsten Süditaliens ab. In Neapel, in Capri, in Sorrento, Amalfi, Agropoli bis nach Calabrien hinein. Die weißgetünchten Häuser Positanos leuchteten in der Sonne. An einem Fens140
ter stand Tullio Costanza und knöpfte sich gerade die Hose zu. Capitano Ruffo war schon an Bord, wie er sah, und brüllte herum. Seine Glatze glänzte wie eine Speckschwarte. Pannini und Spezione machten gerade die Netze fertig, und die anderen wuselten herum wie die Ameisen. Tullio Costanza wandte sich vom Fenster ab und betrachtete Simonetta, die auf der breiten Matratze lag und immer noch selig schlief. Eine stürmische Nacht war das gewesen mit dem drallen Mädchen. Am liebsten hätte Tullio sie noch einmal genommen, aber dazu reichte die Zeit nicht mehr. Ein Jammer, denn Simonetta würde erst in einer Woche wieder aus den Olivenhainen ihres Onkels ins Dorf herunterkommen. Tullio zuckte mit den Schultern. Da war ja auch noch Fiorenza. Sie hatte er die Nacht vorher gehabt. Ein wildes Weib, diese Fiorenza. Bei ihr konnte man sich Zärtlichkeiten sparen. Je grober, desto lieber war es ihr. Ganz im Gegenteil zu Camilla, ihrer Schwester. Tullio grinste bei dem Gedanken. Wenn Fiorenza das 141
mit Camilla oder Simonetta erfahren würde, dann würde man ihr Gezeter und Gekreisch bis Rom hören. Aber schließlich hatte er keiner Versprechungen gemacht, und sein Ruf war allen bekannt. Keine Frau war vor ihm sicher, keine konnte ihm widerstehen. Lächelnd schlenderte Tullio zum Hafen hinunter. »Zu spät – wie immer«, meckerte ihn Ruffo zur Begrüßung an. »Und wen hast du heute nacht entjungfert?« »Alles bloß Neid«, entgegnete Tullio gutgelaunt. »Du würdest etwas darum geben, Ruffo, wenn du Tullio Costanza wärst.« Tullio konnte es sich leisten, zu spät zu kommen. Den Octopus fing er mit derselben Leichtigkeit ein wie die Frauen. Und immer Prachtexemplare, weil er am liebsten danach tauchte. Oft, wenn er mit seiner Maske durchs Wasser schwamm, mußte er beim Anblick eines Octopus an eine Frau denken. Der weiche, runde Kern dieser komischen Tiere sah aus wie ein praller Busen. Er fühlte sich auch so an. Außerdem konnten diese Tiere quiet142
schen wie die Weiber. Und die Farbe wechseln, auch wie die Weiber. Tullio stand breitbeinig an Deck, während das Boot aus dem Hafen tuckerte. Sechs andere Boote liefen gleichzeitig aus. So war das Leben nun einmal: arbeiten, essen, lieben. Und der Rest? Der Rest konnte einem gestohlen bleiben. Capitano Ruffo steuerte das Boot in die Strömung und ließ es mit ihr an der Küste entlangtreiben. Die anderen sechs folgten demselben Kurs. Tullio kannte jeden einzelnen Mann an Bord. Sie kannten sich alle untereinander und waren Freunde. Neid – das gab es nicht. Es waren genug Kraken für alle da. Tullio sah zu, wie die Taue über Bord geworfen wurden und ein paar Netze. Er zog sich bis auf die Badehose aus, schnallte sich die Sauerstoffflasche auf den Rücken und setzte die Maske auf. Er sprang ins Wasser und tauchte sofort in die blaugrüne Welt ein, die er fast so liebte wie die an Land. Glänzende Korallenformationen, orangerote Seeanemo-
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nen und silberne Schatten, die zwischendurchschossen. Der Rumpf des Bootes über ihm sah aus wie eine dicke Zigarre. An den Tauen und Netzen hingen schon ein paar Kraken. Tullio tauchte auf den Grund. Hier wimmelte es von den Tieren mit ihren acht Fangarmen. So viele auf einem Fleck hatte er nie gesehen. Heute würde jeder mit seinem Fang mehr als zufrieden sein. Aber er wollte große, die sich meistens in Felsspalten versteckten. Als er plötzlich einen unter einem überhängenden Stein hervorkommen sah, rief er die Madonna an. So eine große Krake hatte er in seinem Leben noch nicht gesehen. Mindestens dreimal so schwer und dreimal so viel Spannweite wie die normale Mittelmeerkrake. Der riesige Octopus wechselte die Farbe. Sein anfangs blasses Grau ging in rotbraun über, er spuckte Wasser aus und schoß nach oben, direkt auf Tullio zu, der plötzlich von Fangarmen umschlungen war und nach unten gezogen wurde. Tullio erschrak nicht. Nicht das erstemal setzte 144
sich so ein Tier an ihm fest. Er zog einen Fangarm von seiner Schulter, einen zweiten von seinem Handgelenk und rollte sich zur Seite, als er den ersten Schmerz spürte. Das Biest hatte sich an seiner Schulter festgesaugt. Mit der Wut wuchs seine Kraft. Er riß sich das glitschige Tier vom Leib, aber es griff ihn sofort wieder an. Tullio verstand jetzt gar nichts mehr. Kraken flohen im allgemeinen vor dem Menschen. Daß sie bissen und ihn angriffen, das hatte er noch nie gehört. Und wenn schließlich jemand Bescheid wußte, dann er. Tullio war noch mitten im Staunen, als plötzlich zwei weitere und noch größere Kraken auftauchten und sich auf ihn stürzten. Er wirbelte im Wasser herum und versuchte, an die Oberfläche zu kommen, aber die Saugnäpfe bohrten sich ihm ins Fleisch, und er schrie auf hinter seiner Maske. Der Magen stülpte sich ihm um. Er wußte, daß Kraken ein Gift versprühen konnten, das die Beute lähmte, trotzdem kämpfte er und versuchte, nach oben zu kommen. 145
Er schaffte es auch, wollte gerade die Maske auf die Stirn schieben und um Hilfe schreien, als ihm jeder Laut in der Kehle stecken blieb. Die sieben Boote, die in einem Halbkreis auf dem Wasser lagen, waren übersät von Kraken. Ein Zischen und Brodeln von Millionen von Fangarmen. Die Fischer rollten auf Deck herum und kämpften gegen die Tiere, von denen gut die Hälfte so groß waren, wie die drei, die Tullio immer noch am Körper hingen. Und nicht eines von den Biestern verhielt sich normal. Alle griffen sie an. An Ruffo hingen mindestens zwei Dutzend. Eine Krake hatte sich in seiner Glatze festgebissen. Das Blut rann ihr über die Fangarme. »Heilige Maria Mutter Gottes, rette uns vor dieser Hölle«, murmelte Tullio, und dann kam wieder der Schmerz. Er wurde in die Tiefe gezogen, wollte kämpfen, aber an seinen Armen hingen die häßlichen Biester, an seinen Beinen, an seinem ganzen Körper.
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Unten auf dem Grund riß ihm eine Krake die Maske herunter. Wasser spülte angenehm lindernd über sein Gesicht. Ich träume, dachte Tullio, dem langsam die Sinne schwanden. Das ist bloß ein Traum… Kraken greifen den Menschen nicht an… sie fliehen… sie… Droben, über der Wasseroberfläche, trieben die Boote aus Positano ruderlos zwischen den Wellen. Von den Fischern lebte nicht einer mehr. Und im Hafen von Positano schrien die kleinen Buben vor Freude auf, als sie die Octopusse über die Kaimauer krabbeln sahen. Auch sie wußten, wie scheu diese Tiere waren und liefen auf sie zu, um einen zu erhaschen. Ihre Schreie, erst Erstaunen, dann Schmerz und Angst, hallten über die ganze Küste. Die Kraken bissen und saugten sich im Fleisch der Kinder fest. Ladenbesitzer, Männer und Frauen liefen den Kindern zu Hilfe und waren innerhalb von Sekunden übersät von Kraken. Die Kinder lagen schreiend auf dem Pflaster, die Erwachsenen kämpften um ihr Leben. Mehr Leute kamen angerannt, 147
bewaffnet mit Schaufeln, Besen, Rechen und sogar Stühlen. Sie schlugen auf die Kraken ein, die sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit fortbewegten und unter sich Hunderte und aber hundert mischten, die aus dem Meer kamen. Die Menschen flohen in die Häuser. Die Kinder zerrten sie so gut es ging mit sich. Nach ein paar Minuten war der Spuk vorbei. Die Kraken verschwanden wieder im Hafenbecken. Erst sehr viel später erfuhr man in Positano, daß alle Fischerhäfen Süditaliens, bis nach Sizilien hinunter, die gleichen schrecklichen Minuten hatten erleben müssen. Ein Boot aus Amalfi kam mit einem Überlebenden zurück. Es war ein alter Mann, der Netze reparierte. Er berichtete, wie die Kraken an den Tauen hochgeklettert waren und alles vernichtet hatten. Ein Fischer hatte sich in einem großen Holzfaß versteckt und den Deckel über den Kopf gezogen, aber auch das hatte nichts genützt. Eine Krake mit Fangarmen von mindestens drei Metern Län-
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ge hatte den Deckel heruntergezogen und den Mann aus dem Faß gezerrt. Es war der wirkliche Anfang – eine Antwort auf Fragen und Ängste, auf Spekulationen und Vermutungen. Zur selben Stunde, in der die Kraken in Süditalien gemordet hatten, wurde im Ärmelkanal eine Fischereiflotte von Flundern, Heilbutten, Steinbutten und Lanzettfischen angegriffen. Die Netze wurden zerrissen, die Kutter wurden ineinander hineingestoßen, Panik brach aus, und über die Hälfte der Besatzungen fand den Tod. Und dann verschwanden die Fischschwärme plötzlich wieder. »Es war«, so sagte ein Fischer später, »als hätten sie uns zeigen wollen, wozu sie in der Lage sind.« Holländische Fischerboote, die auf Heringsfang in der Nähe der Westfriesischen Inseln waren, sahen dagegen nicht einen einzigen Fisch – was auch noch nie passiert war. Aus englischen Strandbädern kamen katastrophale Berichte. Badende waren, wie auch an der Nord- und westfranzösi149
schen Küste bis Biarritz, von Lachsen, Heilbutten und Makrelen angegriffen und schwer verletzt oder zu Tode gebissen worden. In den Vereinigten Staaten ging die Anzahl der Todesopfer in die Tausende. Bis sich der Tag neigte, war auch aus Spanien und Norwegen bekannt, daß Fischereiflotten entweder zerstört worden oder ohne einen einzigen Fisch nach Hause gekommen waren. Was sich bisher nur in Amerika ereignet hatte, war in Europa in doppeltem Ausmaß passiert. Die Panik war entsprechend. Hilflosigkeit und Angst waren zu alltäglichen Gefühlen geworden. Aran war so rechtzeitig zurück in Boston, daß er vor der Sitzung noch schnell die letzten Berichte überfliegen und dem mittlerweile völlig fassungslosen Emerson Boardman die Hand schütteln konnte. Der oberste Beamte der Staatlichen Fischerei- und Forstverwaltung wußte nicht mehr ein noch aus. Die Sitzung unterschied sich wenig von den vorhergegangenen. Lediglich die Frustration war angestiegen und das Be150
wußtsein eines jeden Teilnehmers, daß bisher nicht das Geringste zur Aufklärung des Problems erreicht worden war. Roy Waite hatte keine neuen Tiefseeströmungen entdeckt, Leslie Streeter konnte trotz Hunderter diffizilster Analysen mit keiner Veränderung in der Molekularstruktur des Meerwassers aufwarten. Nur Admiral Hotchins glaubte die Lösung in der Tasche zu haben und faselte von Kriegsflotten, Stahlnetzen und der »absoluten Säuberung« der Weltmeere. Die Sitzung endete mit der Erklärung eines Sprechers der Regierung. Washington wünsche, daß keine Stellungnahmen abgegeben würden. Die Presse dürfe, wenn überhaupt, nur über das Allernötigste informiert werden, und das mit positivem Unterton. Aran stellte sich anschließend der Meute von Reportern und bemühte sich redlich um den »positiven Unterton«. Er berichtete von den Plänen des Admirals, und es gelang ihm sogar, sich so auszudrücken, daß sein Zweifel nicht mitschwang.
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Und schließlich, gegen sieben Uhr abends, war Aran bei Jenny. Er konnte nicht einmal die Wohnungstür zumachen, so fest hing sie an seinem Hals. »Gott sei Dank bist du wieder da«, rief sie. »Ich habe mir solche Sorgen gemacht, vor allem nach den Berichten in den Morgennachrichten. Das wird alles immer unglaublicher.« Sie schauderte. »Jetzt auch schon Kraken.« »Findest du das so unglaublich?« fragte Aran, nahm vorsichtig ihre Arme von seinen Schultern und machte die Tür zu. »Ja«, sagte Jenny, packte Aran an der Hand und führte ihn ins Wohnzimmer. «Der Octopus gehört aber bei vielen Meeresbiologen zu der Gattung der wirbellosen Tiere, die – von den im Wasser lebenden Säugetieren abgesehen – mit dem hochentwickeltsten Gehirn ausgestattet sind«, sagte Aran. »Er hat von den niedrigen Tierformen das komplizierteste Nervensystem und sein Auge kann dem des Menschen gleichgestellt werden. Die Intelligenztests, die mit in Gefangen-
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schaft lebenden Kraken gemacht wurden, haben erstaunliche Ergebnisse gezeigt.« Jenny sah mit Augen, die nichts wahrnahmen, zum Fenster hinaus. »Vielleicht denken sie alle mehr und schärfer, als wir annehmen«, sagte sie wie zu sich selbst. »Vielleicht fühlen sie auch mehr und wissen mehr und sind überhaupt mehr.« »Vielleicht«, sagte Aran. »Hast du den Bericht von dem Mann gehört, der als einziger eine Katastrophe überlebt hat, die in der Nähe der Bahamas sechzehn Menschenleben gekostet hat?« fragte Jenny. »Da haben auch Octopusse das Schiff angegriffen. Die Biester sollen Fangarme von sechs bis sieben Metern Länge gehabt haben. Glaubst du das?« Aran hatte den Bericht lediglich überflogen. Details waren ihm nicht bekannt. »Warum soll der Mann gelogen haben?« sagte er nach einigem Nachdenken. »Das Meer birgt so viele Geheimnisse. Es gibt bestimmt Kreaturen, die noch nie ein Mensch zu Gesicht bekommen hat. Es 153
wird langsam Zeit, daß wir aufhören, uns einzubilden, wir wüßten alles. Inzwischen sind wir ja von Beweisen umgeben. Vor etwa achtzig Jahren hat ein gewisser Professor Wood am Strand von St. Augustine in Florida den Kadaver eines Octopus gefunden, der sechs Tonnen wog. Die Fangarme waren zwischen fünfundzwanzig und achtundzwanzig Meter lang.« «Wie soll das alles enden, Aran?« fragte Jenny, die Stimme voll Angst. »Und wird es überhaupt enden?« »Ich weiß es nicht«, sagte Aran, »aber ich fürchte, es ist erst der Anfang.« Jenny verjagte alle weiteren Gedanken an die Zukunft und wandte sich dem Momentanen zu. »Du hast doch sicher Hunger«, sagte sie. »Ich habe Hamburger eingekauft. Hättest du Lust darauf?« »Ja, aber wirklich bloß ein Hamburger«, sagte Aran. »Keinen Salat und keine Kartoffeln. Ich möchte mich gleich über meine Notizen machen.« Jenny verschwand in der Küche, Aran setzte sich an den Tisch, auf dem der Ak154
tendeckel lag, und fing wieder bei Candy Nolan und dem Blauwal an. Wie lange schien das nun schon her zu sein. Die Seiten flogen, Aran suchte nur nach einem Punkt. Er hatte fast die Hälfte seiner Notizen durchgelesen, als ihn Jenny rief. Aran legte die Arbeit weg, ging in die Küche und aß. Es war ein rein mechanischer Vorgang. Seine Gedanken waren woanders. »Aran«, sagte Jenny nach einer Weile, »du bist ja völlig abwesend.« »Verzeih«, sagte Aran und seufzte. »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Ich verstehe dich ja.« »Ich muß nochmals hin«, sagte Aran. »Noch heute abend. Ich schaffe den letzten Flug leicht.« »Du hast etwas in deinen Notizen gefunden, stimmt’s?« fragte Jenny. »Ich bin mir noch nicht ganz sicher«, sagte Aran. »Ich weiß bloß, daß ich so schnell wie möglich dort sein muß. Ich muß etwas verfolgen.« »Für dich?« »Vielleicht für uns alle.« 155
»Du hast Angst, Aran. Ich spüre es. Etwas erschreckt dich. Und ich habe auch Angst.« Er hätte es gern abgestritten, aber das wäre gelogen gewesen. Das Gefühl hatte Jenny nicht getrogen. »Hast du schon einmal etwas von genetischen Manipulationen gehört?« fragte Aran. »Vage«, antwortete Jenny. »Dabei handelt es sich um fortgeschrittene Molekularbiologie, oder? Das DNA wird, soviel ich weiß, auf eine Art eingesetzt, die wir nie für möglich gehalten hätten. Gene werden verändert und dergleichen.« »Es geht um mehr als die Veränderung von Genen«, sagte Aran. »Man sprach bereits von Genenchirurgie, von Genentherapie und genetischer Mutation. Manche glauben, daß das DNA, das Molekül, das den Mittelpunkt einer jeden Zelle bildet, mehr als nur die Erblichkeit kontrolliert.« »Ist es nicht schon gelungen«, fragte Jenny, »Zellen verschiedener Spezies zu kombinieren und sie mit Hilfe von Viren 156
und Bakterien als Träger in fremde Organismen zu verpflanzen?« »Genau«, antwortete Aran. »Und damit ist ein Punkt erreicht, wo im Prinzip Lebensformen geschaffen werden können, die bisher nicht bekannt waren.« »Das klingt wie Utopie«, sagte Jenny. »Ist es aber nicht. Es ist verwirklicht. Die Methode wurde bisher meistens bei Zellkulturen angewandt. Frösche, Maulwürfe und Hühner wurden als Versuchstiere benutzt. Es ist gelungen, durch genetische Manipulation ihr Wachstum zu fördern.« »Glaubst du, daß das hinter dem Ganzen steckt?« fragte Jenny. »Ich meine…« »Ich weiß es nicht«, schnitt ihr Aran das Wort ab. »Vielleicht bin ich auch verrückt und bilde mir die wildesten Dinge ein, weil es sonst keine plausiblen Erklärungen gibt. Ich weiß lediglich, daß alle anderen Theorien falsch sind.« »Fliegst du deshalb noch heute abend nach Miami?« »Ich muß wissen, was Evan Taylor herausgefunden hat. Und daß er eine Ent157
deckung gemacht hat, darüber besteht kein Zweifel. Außerdem muß ich wissen, warum er sich das Leben genommen hat.« »Und wie lange bleibst du diesmal?« fragte Jenny. »Nicht lang. Entweder ich finde etwas, oder es stellt sich heraus, daß es nichts zu finden gibt. Beides geht schnell. Sobald ich Näheres weiß, rufe ich dich in Falls Church an.« Diesmal fuhr Jenny nicht mit zum Flughafen. Aran küßte sie zum Abschied und ließ sie mit großen, angsterfüllten Augen zurück. Vierundzwanzig Stunden, nachdem Aran das Haus im Schein der Morgendämmerung verlassen hatte, stand er wieder davor und klingelte. Als sich nichts rührte, ging er hinein und geradewegs in das Zimmer neben dem Wohnraum. Er knipste die Nachttischlampe an. Kay Elliot lag in Jeans und einer blauen Seidenbluse auf dem Bett, den Körper um eine leere Ginflasche gewunden.
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Aran nahm die Flasche, stellte sie auf den Nachttisch und schüttelte das Mädchen. »Kay, wachen Sie auf. Los, wachen Sie auf!« Sie fiel auf den Rücken zurück, aber nicht einmal ein Zucken der Lider war festzustellen. Aran zog sich das Jackett aus, krempelte die Ärmel hoch, packte das Mädchen an beiden Oberarmen und zog es hoch. »Nein – trinken«, murmelte sie, machte die Augen aber immer noch nicht auf. Aran legte sie wieder zurück aufs Bett, ging ins Bad und ließ Wasser in die Wanne laufen. Er zog Kay Elliot bis auf das Höschen aus, trug sie ins Bad und setzte sie in die Wanne. Kay Elliot riß die Augen auf und kreischte. Von einer Sekunde zur anderen war sie hellwach. Sie sah ihn mit dem ablehnenden Blick an, den er schon kannte, und wollte anfangen, ihn zu beschimpfen, als sie plötzlich kreidebleich wurde und in einer unmißverständlichen Geste die Hand vor den Mund hielt. 159
Aran machte schnell den Klodeckel auf, zog das Mädchen aus der Wanne und setzte es vor die Schüssel. Dann ließ er Kay Elliot allein. Er ging in die Küche und kochte starken Tee. Nach etwa zwanzig Minuten kam sie herein. Die Haare klebten ihr noch feucht an der Stirn, ihre Wangen waren eingefallen, aber hatten wenigstens wieder etwas Farbe. Sie hatte frische Jeans an und eine karierte Bluse. »Das war eine Gemeinheit«, sagte sie, allerdings ohne jeglichen Vorwurf in der Stimme, und setzte sich an den Küchentisch. Aran goß ihr Tee ein. »Tut mir leid«, sagte er, »aber ich brauche Sie nüchtern. Sie werden mir jetzt meine Fragen beantworten.« »Kann ich nicht, weil ich nichts weiß«, sagte das Mädchen. »Sie wissen sogar sehr viel, wollen es aber verschweigen.« »Das bilden Sie sich bloß ein.« Sie trank einen Schluck Tee und schnitt eine Grimasse.
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»Nachdem ich gestern abend mit der Polizei geredet hatte, war ich noch einmal hier«, sagte Aran. »Sie waren so voll Gin, daß Sie wie betäubt waren.« »So hat man wenigstens seine Ruhe.« »Ich war bis zum Morgengrauen hier«, fuhr Aran fort. »Ich habe sämtliche Aufzeichnungen überflogen und war auch im Labor.« «Dazu hatten Sie kein Recht!« fuhr ihn Kay Elliot an. »O doch«, sagte Aran und beugte sich nach vorn. »Es geht jetzt nämlich nicht mehr um Ihren privaten Kummer und Schmerz. Evan Taylor hat sich in letzter Zeit ausschließlich mit genetischer Manipulation beschäftigt. Aus seinen Papieren geht das klar hervor. Wie weit ist er in diese Materie eingetaucht? Was hat er in Erfahrung gebracht? Warum hat er sich das Leben genommen? John Akberg ist geflohen, wie Sie mir selbst gesagt haben, und Sie ertränken Ihre Angst in Alkohol. Wieso? Hat das, was Taylor in Erfahrung gebracht hat, etwas mit dem zu
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tun, was im Moment passiert und die Welt erschüttert?« »Wie kommen Sie denn darauf?« fragte Kay Elliot, und Aran spürte, wie sehr sie auf der Hut war. »Eine ganz einfache Schlußfolgerung«, sagte Aran. »Wenn sich Evan Taylor in einer Zeit wie dieser das Leben nimmt, dann muß eine Verbindung mit dem bestehen, was die Menschheit in Panik versetzt. Mit Delphinen hat es etwas zu tun. Taylor hat doch Versuche mit Delphinen gemacht, oder?« »Wie kommen Sie denn auf die Idee?« fragte das Mädchen, das immer vorsichtiger wurde. »Die vier Tanks draußen«, sagte Aran. »Genau die richtige Größe. Außerdem habe ich eine ganze Reihe von Unfallopfern interviewt. Ein Teil davon hat Delphine gesehen, bevor die Fische angriffen. Ich habe diesem Punkt anfangs keine Beachtung geschenkt, aber das hat sich nun geändert. Und jetzt sagen Sie mir, was Taylor über die Delphine in Erfahrung gebracht hat.« 162
Kay Elliot schüttelte den Kopf. Sie sah mit leerem Blick zum Fenster hinaus. »Keine Delphine«, sagte sie leise. »Die Leute haben keine Delphine gesehen. Wir haben nicht mit Delphinen gearbeitet.« »Sondern?« fragte Aran. »Mit großen Mördern. Man nennt sie auch Schwertwale.« Orcinus orca, dachte Aran. Natürlich. Sie sahen wie Delphine aus, zumindest für den Laien, und gehörten wie sie zu den Odontoceti, den bezahnten Walen. Die Delphine waren etwas kleiner, was aber auf die Entfernung nicht auffiel. »Und warum mit Schwertwalen?« fragte Aran. »Weil sie intelligenter sind als Delphine«, antwortete Kay Elliot. »Viel intelligenter sogar. Sie lernen schneller und bringen das Gelernte schneller in Anwendung. Unser Ohr kann nur einen Bruchteil dessen aufnehmen, was sie an Lauten von sich geben. Die Frequenz ist zu hoch.«
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»Und weiter?« fragte Aran, der spürte, daß das Mädchen noch nicht alles gesagt hatte. »Sie sind in vielen Dingen dem Menschen fast ähnlich. Sie können denken und sich untereinander verständigen. Sie sind verspielt, freundlich und anhänglich. Und – wie der Mensch – sie töten aus Spaß am Töten. Sie haben einen Mordinstinkt. Dem Delphin geht dieser Instinkt völlig ab. Wie fast jedes andere Tier tötet der Delphin nur, um sich Nahrung zu beschaffen.« »Warum war Taylor dieser Mordinstinkt so wichtig?« fragte Aran. »Weil er die Verträglichkeit der Organismen brauchte«, antwortete Kay Elliot. »Für genetische Manipulationen?« fragte Aran. »Hat er Transplantationen mit menschlichen DNA vorgenommen?« Das Mädchen nickte. »Wir hatten drei Weibchen und ein Männchen. Wir haben sie gepaart, und alle drei Weibchen waren trächtig. Gleich am Anfang der Trächtigkeit hat Taylor mittels Bakteriophagen
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menschliche DNA-Zellen in die Tiere verpflanzt.« »Mit dem Erfolg, daß die Jungtiere die menschlichen DNA-Moleküle in sich hatten«, sagte Aran. »Ja, alle drei. Wir haben sie aufgezogen. An die Öffentlichkeit treten wollte Taylor erst, wenn der Beweis erbracht war, daß sich die Tiere wirklich von ihren Artgenossen unterschieden – was sich für uns ziemlich bald herausstellte. Die Tiere lernten mit erstaunlicher Geschwindigkeit, schneller als jede nichtmenschliche Kreatur bisher. Evan Taylor wollte keine Zeit damit verschwenden, den Tieren das Sprechen beizubringen. Er hielt das außerdem für unwichtig. Ihn interessierte das Verständnis. Er war überzeugt davon, daß die Tiere in der Lage sind, uns verständlich zu machen, was ihre Geräusche bedeuten, wenn sie verstanden, was unsere Worte für uns bedeuten. Er entwickelte ein Programm, aus dem John und ich den Tieren täglich vorlasen.« »Und das funktionierte?«
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»Teilweise«, sagte Kay Elliot. »Sie hörten zu, und sie lernten zu verstehen. Sie wußten, was mit unseren Worten, also unseren Geräuschen, gemeint war. Haben Sie die Reihe von Tafeln draußen im Meer gesehen?« »Ja.« »Sie waren vorher in den Tanks. Zu jeder Tafel gehört eine gewisse Anzahl von Worten. Durch einen ganz simplen Mechanismus springt ein gewisses Wort auf die Tafel, wenn die dazugehörige Taste gedrückt wird, die sich am Fuß der Tafel befindet. Die Tiere waren in der Lage, uns auf Fragen durch Tastendruck Antwort zu geben. Es war faszinierend. Evan Taylor sah seine ganzen Hoffnungen bestätigt. Das DNA war angegangen, es gehörte zum Organismus der Schwertwale. Taylor hatte neue Kreaturen erschaffen. Und dann ist es plötzlich passiert.« »Was?« fragte Aran. »Sie waren etwas über ein Jahr alt, als sie eines Morgens plötzlich verschwunden waren. Alle drei. Evan Taylor war am Bo-
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den zerstört. Der lebende Beweis seiner Arbeit war weg.« »Wie sind sie denn ausgebrochen?« fragte Aran. »Sie haben beobachtet, wie die Riegel zu bedienen sind, mit denen die Gitter zwischen Tank und den Wasserrohren verschlossen waren. Sie haben ja sicher gesehen, daß alle Tanks durch Rohre von gut einem Meter Durchmesser verbunden sind und daß ein Rohr ins Meer hinausgeht. Sie haben während der Nacht die Gitter aufgemacht und sind geflohen. Evan Taylor war felsenfest überzeugt davon, daß sie zurückkommen. Sie hatten eine Art Zuhause hier und wurden im wahrsten Sinn des Wortes menschlich behandelt.« »Aber sie kamen nicht zurück«, sagte Aran. »Doch, aber nicht aus dem Grund, den Evan Taylor angenommen hatte«, sagte Kay Elliot. »Ein ganzes Jahr verstrich. Wir hatten die Tafeln da draußen verankert, wo sie jetzt noch sind. Evan Taylor hatte die Tiere gebeten, doch zurückzukom167
men, und wir ruderten jeden Morgen hinaus und sahen nach, ob vielleicht eine Antwort darauf stand, aber nichts. Nach einer gewissen Zeit fragte sich Evan Taylor, ob die genetische Transplantation wirklich angeschlagen hatte.« »Und die Tiere kamen irgendwann zurück?« fragte Aran. »Ja, eines Morgens fanden wir eine Nachricht auf den Tafeln«, antwortete Kay Elliot. »Mensch muß sterben, stand darauf.« »Mensch muß sterben?« wiederholte Aran. »Sonst nichts?« Kay Elliot zuckte mit den Schultern. »Als ob das nicht genug gewesen wäre«, sagte sie. »Evan Taylor ist hinausgerudert. Sie schwammen in einem großen Kreis um ihn herum, sind aber nicht nähergekommen. Evan Taylor hat eine neue Aufforderung auf die Tafeln geschrieben, sie kamen näher, haben sie abgelesen und sind sofort wieder weggeschwommen. Sie haben sich geweigert zu antworten.« »Wann war das?« fragte Aran. 168
»Ein paar Tage vor dem ersten Unglück«, sagte Kay Elliot. Aran stand der kalte Schweiß auf der Stirn. »Wissen Sie eigentlich, was Sie da sagen?« fragte er, aber die Frage galt eigentlich ihm selbst. »Evan Taylor hat also Bescheid gewußt. Er kannte die Ursache.« Sie waren inzwischen in dem Wohnraum, und Aran setzte sich neben Kay Elliot auf das Sofa. Es war unglaublich, und trotzdem glaubte er ihr aufs Wort. Das also war die Antwort auf die unzähligen Fragen, die er sich gestellt hatte. Das erklärte, warum alle Tests und Analysen nichts gebracht hatten. »Warum haben sich die Tiere gegen den Menschen gestellt?« fragte Aran. »Hatte Evan Taylor dafür eine Erklärung?« »Ja«, antwortete Kay Elliot. »Er war überzeugt davon, daß die Tiere sogar die phylogenetische Erinnerung geerbt haben.« »Das würde bedeuten, daß ihnen klar ist, wie sehr der Mensch das Meer aus169
beutet«, sagte Aran, wie zu sich selbst. »Daher die bösartigen Angriffe. Durch die Transplantation haben die Schwertwale das Organisationstalent des Menschen geerbt.« Er schluckte, die Kehle war ihm plötzlich wie ausgetrocknet. »Ist Evan Taylor in der Nacht hinausgerudert und hat sich das Leben genommen?« Kay Elliot schüttelte den Kopf. »Er wollte sich nicht das Leben nehmen«, sagte sie. »Nach den ersten Unfällen kamen die Schwertwale zurück. Manchmal bloß unsere drei, manchmal mehr. Sie schwammen um die Tafeln herum, sprangen aus dem Wasser und verschwanden wieder. Manchmal kamen sie am Tag, manchmal in der Nacht. Sie verhöhnten uns, sie spotteten und lachten. In der Nacht, in der Evan Taylor starb, saßen wir hier und unterhielten uns, als wir sie plötzlich draußen hörten. Evan Taylor war völlig mit den Nerven herunter. Das Schuldgefühl fraß an ihm, er hatte seit Tagen nicht mehr geschlafen. Er stand plötzlich auf und holte sein Gewehr aus dem Schrank. 170
,Ich muß sie töten’, sagte er. ,Das ist die einzige Lösung. Hoffentlich ist es nicht schon zu spät.’ Ich flehte ihn an, nicht hinauszurudern, aber er hörte nicht auf mich. Er ruderte hinaus. Der Mond stand am Himmel, und ich habe alles genau gesehen.« »Hat er versucht, sich mit den Tieren zu verständigen?« fragte Aran. Kay Elliot nickte. »Er hat die Tasten bedient, die Wale schwammen im Kreis herum und sprangen aus dem Wasser. Vielleicht haben sie gespürt, was er vorhatte, denn sie schwammen ungewöhnlich schnell. Schließlich wandte sich Evan Taylor von den Tafeln ab, ruderte auf die Tiere zu, zog die Ruder ein und saß abwartend im Boot. Plötzlich riß er das Gewehr hoch und schoß, aber er traf nicht. Sie tauchten und waren weg.« »Und dann haben sie angegriffen?« fragte Aran. »Ja, von allen Seiten«, antwortete Kay Elliot. »Evan Taylor stand auf, nahm langsam das Gewehr hoch und schoß die letzte Kugel auf sich selbst ab. Ich hatte 171
irgendwie den Eindruck, daß er ihnen sein Leben anbot, als eine Art Pfand. Aber die Wale kamen jetzt erst richtig in Rage. Sie zerstörten das Boot, und den Rest wissen Sie ja. Ich war allein im Haus. John Akberg war nach Key West gefahren. Als er zurückkam, hatte ich schon eine halbe Flasche Gin getrunken.« Aran stand auf und sah zum Fenster hinaus. Das Meer war so nah und sah so ruhig aus. Siebzig Prozent Wasser auf der Erde. Sie gehörte nicht den Menschen. Sie gehörte den Meeresbewohnern. Trotzdem hatte sich der Mensch auch die Meere zu eigen gemacht. Er hatte sie ausgebeutet, wie er das Land ausgebeutet hatte. Aran drehte sich zu Kay Elliot um. »Sie dürfen nicht hier bleiben«, sagte er. »Sie kommen morgen früh mit, wenn ich fahre.« Das Mädchen sah ihn nicht an. »Neben der Küche ist das Gästezimmer«, sagte sie. »Sie können hier schlafen.«
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»Danke«, sagte Aran. »Nur eine letzte Frage noch: warum sind Sie hiergeblieben?« »Weil ich dem, was ich weiß, nicht entfliehen kann. Wie viele Menschen sind schon getötet worden, weil wir hier experimentiert haben? Wann und wie wird das alles enden? Ich glaube, ich habe einfach beschlossen, hier abzuwarten. Auf was? Auf das, was eben kommt.« Aran nickte. Er verstand das Mädchen. Es hatte seine eigene Art von Mut und war bereit, die Verantwortung für das zu übernehmen, woran es teilgehabt hatte. Er ließ Kay Elliot allein und ging in das Zimmer neben der Küche. Ohne Licht anzumachen zog er sich aus und legte sich auf das Bett. Die Luft war feucht, die Erschöpfung zerrte an ihm, aber er konnte nicht schlafen. Die dunkle Stille bedrückte ihn, und er fühlte sich sehr allein und sehr unsicher. Und dann kam sie irgendwann herein und legte sich neben ihn. Sie war nackt. »Ich habe nicht mehr getrunken«, sagte sie leise, »und ohne Alkohol halte ich es 173
allein nicht aus.« Sie zuckte mit den Schultern. »Auch mein Durchstehvermögen hat Grenzen. Bitte halte mich fest.« Sie preßte sich verzweifelt an ihn. Aran legte beide Arme um sie und streichelte ihre Schultern. Die Verzweiflung und die Einsamkeit machte sie für diese Nacht zu Liebenden. Erst als die Dämmerung am Horizont aufzog, schliefen sie erschöpft ein. Zwei Stunden später war Aran schon wieder wach. Vorsichtig rüttelte er Kay Elliot aus dem Schlaf. »Es ist Zeit, Kay«, sagte er, zog sich an und ging zum Telefon, um Emerson Boardman anzurufen. Am anderen Ende der Leitung klingelte es endlos lange, bis endlich abgenommen wurde. »Ja?« fragte Emerson Boardman mit verschlafener Stimme. »Sie müssen eine Sitzung für heute nachmittag einberufen«, sagte Aran ohne weitere Einleitung. »Jeder muß daran teilnehmen.« Um irgendwelchen Fragen zu entgehen, legte er sofort auf. 174
Anschließend wusch und rasierte sich Aran und wartete dann vor dem Haus auf Kay Elliot. Sie kam nach einem Moment, ein kleines Köfferchen in der Hand. Ihr Blick ging über die Reihe von Tafeln draußen im Meer. »Ich schaue immer, ob sie zurückgekommen sind«, sagte sie. »Eine Nacht habe ich sie gehört, aber ich war so betrunken, daß ich nicht mehr stehen konnte.« Sie stieg in den kleinen Mietwagen. Als sie wegfuhren, sah Aran noch einmal zurück. »Ab 000«, sagte er, und jetzt war ihm die Bedeutung nur zu klar. 9. Im Sitzungsraum herrschte Totenstille. Aran wurde in seinen Ausführungen nicht ein einziges Mal unterbrochen. »Verdammt, das kann ich nicht glauben!« donnerte der Admiral, als Aran geendet hatte. »Drei Fische mit irgend175
welchen neuen Genen sollen an allem schuld sein?« »Keine Fische, sondern im Wasser lebende Säugetiere«, sagte Aran. »Außerdem vielleicht viel mehr als nur drei. Ganz bestimmt sogar.« Er sah Kay Elliot an, die neben ihm saß. »Die genetisch manipulierten Tiere – alle drei sind Männchen – waren geschlechtsreif, als sie ausgebrochen sind«, sagte sie. »Sie haben sich bestimmt gleich Weibchen gesucht, und wir müssen damit rechnen, daß es inzwischen zehn bis fünfzig Tiere dieser Art gibt.« »Sie meinen, alles Tiere, die die neuen genetischen Charakteristiken aufweisen?« fragte Shuster. »Das ist anzunehmen«, antwortete Aran. »Es deutet alles darauf hin«, sagte Leslie Streeter. »Die theoretischen Möglichkeiten dafür werden schon seit geraumer Zeit akzeptiert, und jetzt ist es eben nicht mehr Theorie.« »Die Meere sollen sich plötzlich gegen den Menschen auflehnen?« sagte Admiral 176
Hotchins und zog spöttisch die Augenbrauen in die Höhe. »Das glaube ich einfach nicht.« »Die im Wasser lebenden Säugetiere gehörten schon immer zwei Welten an«, sagte Aran. »Man könnte sie eine lebendige Brücke zwischen zwei Lebensformen nennen. Jetzt hat sich das noch verstärkt. Sie können denken wie der Mensch, können verstehen und sich verständigen – sowohl mit dem Menschen als auch mit anderen Meeresbewohnern. Wir bilden uns immer ein, daß die Verständigung ein Privileg des Menschen ist. Das ist es nicht. Alle Tiere verständigen sich untereinander. Es gibt viele Formen der Kommunikation, nicht nur die Sprache, die wir kennen. Die Methoden…« »Sie tun ja gerade so«, rief der Admiral empört, »als würden diese Tiere eine Art Revolution anzetteln.« »Genau das ist auch der Fall«, sagte Aran ruhig. »Dann rechnen Sie also damit«, sagte Ernest Shuster, der Sprecher des Weißen
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Hauses, »daß sich das Übel auch über den Pazifik verbreitet?« »Ja«, sagte Aran. Shuster nickte. »Alles, was in diesem Raum gesprochen wird, muß absolut geheim behandelt werden. Bis der Präsident die Möglichkeit hatte, mit dem Kabinett und seinen engsten Vertrauten zu sprechen, darf nicht ein Wort davon an die Öffentlichkeit dringen.« »Allerdings nicht!« rief der Admiral. »Wir würden ja zum Gespött der Nation werden. Wenn Sie mich fragen, sind das alles hysterische Hirngespinste. Mr. Holder ist so beeindruckt von diesen genetischen Manipulationen, daß er nicht mehr logisch denken kann. Die Meeresbewohner haben ihr Pulver verschossen. Sie haben Badende erschreckt, und damit hat es sich. Waffen kennen sie nicht, also können sie uns nichts anhaben.« »Ihre Waffen kennen sie nicht, Admiral Hotchins«, sagte Aran ruhig. »Sie brauchen sie auch nicht zu kennen, denn sie besitzen eigene. Die Überzahl und eine
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Kraft, die wir uns nicht einmal vorstellen können, das ist ihre Stärke. Falls sie…« »Falls!« Der Admiral stieß ein kurzes Lachen aus. »Wenn ich das schon höre! Das Wort existiert für mich nicht. Für mich gibt es lediglich Tatsachen. Ich spreche von akuter Stärke. Kontrolle aus der Luft, Vorplanung, Waffengewalt, Torpedos, Unterwasserminen, ganze Flotten von Zerstörern – damit werden wir den Walen zuleibe rücken. Und wenn sie wirklich so intelligent sind« – er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch –, »dann werden sie schnell kapiert haben, daß der Spaß vorbei ist.« Aran wollte etwas erwidern, aber er kam nicht zu Wort. »Ich glaube«, sagte Shuster, »daß wir uns auf Admiral Hotchins’ Erfahrung in punkto Kriegsführung verlassen können. Unser Land besitzt unvergleichbares technisches Wissen. Unsere Waffengewalt ist einmalig. Wir werden beides dazu benutzen, unsere Sicherheit zu verteidigen und unsere Interessen zu wahren. Was wir heute hier gehört haben, ist schreck179
lich. Wenn diese Gefahr gebannt ist, müssen die Regierungen dieser Welt Maßnahmen gegen weitere genetische Experimente ergreifen.« Er wandte sich an den Admiral. »Und Sie werden sofort alles in die Wege leiten, um die Sicherheit und die Kontrolle über die Ozeane wieder herzustellen.« Aran saß da und schluckte jeglichen Protest hinunter. Es war sinnlos, noch ein weiteres Wort zu verlieren. Gegen die selbstherrlichen Reden des Admirals kam er mit seinen Eventualitäten nicht an. Vielleicht hatte der alte Haudegen ja auch recht. Ein bitteres Lächeln huschte über Arans Gesicht. Es war zwar menschlich, sich an die letzte Hoffnung zu klammern, aber der kalten Vernunft hielt diese Hoffnung nicht stand. Die Sitzung war vorbei. Alles stand noch herum und unterhielt sich. Der Admiral redete auf Shuster ein, und dieser nickte zustimmend. Leslie Streeter kam auf Aran zu. Auf seinem Gesicht war nicht einmal ein Anflug von Zuversicht. 180
«Sie hatten von Anfang an recht«, sagte er und verließ den Raum. Nach einem Moment waren nur noch Aran und Kay Elliot übrig. Aran legte dem Mädchen eine Hand unter den Ellbogen und führte es in sein Büro. »Ich werde dir jetzt ein Hotelzimmer besorgen«, sagte er. »Nein«, sagte sie. »Nicht nötig. Ich fahre zurück.« »Das ist aber doch jetzt nicht mehr nötig«, sagte Aran erstaunt. »Wieso willst du denn zurück? Du hast hier deinen Bericht abgegeben, und damit ist der Fall – zumindest für dich – erledigt.« »Findest du?« Sie schüttelte den Kopf und sah ihn mit unsagbar traurigen Augen an. »Du kannst Evan Taylors Schuld nicht übernehmen.« »Das ist gar nicht nötig. Meine ist groß genug.« Sie sank in einen Sessel. »Ich muß zurück, verstehst du das denn nicht? Es ist die einzige Möglichkeit. Wie soll ich denn sonst meinen Teil dazu beitragen?« 181
»Deinen Teil?« »Ja, denn ich bin überzeugt, daß sie immer wieder zu den Tafeln kommen werden.« »Warum bist du überzeugt davon?« fragte Aran. Kay Elliot runzelte die Stirn. »Warum fliegen Tausende von Vögeln Tausende von Meilen weit an einen ganz bestimmten Ort? Warum stürzen sich Tausende von Lemmingen in selbstmörderischem Wahnsinn über Klippen? Irgend etwas veranlaßt sie zu tun, was sie tun müssen. Ich bin überzeugt davon, daß sie zurückkommen. Es ist sozusagen ihr Entstehungsort. Seit Evan Taylors Tod waren sie auch schon da.« »Und woher weißt du, daß es die drei sind, die ausgebrochen sind?« fragte Aran. »Du hast doch selber gesagt, daß es inzwischen bis zu fünfzig sein können.« »Weil sie die Anführer sind«, antwortete Kay Elliot. «Die Möglichkeit, daß sie Kontakt mit uns Menschen aufnehmen können, muß 182
bestehen bleiben. Vielleicht ist das sogar unsere letzte Chance.« Aran nickte. »Dann paß wenigstens auf dich auf«, sagte er. »Und geh nicht das geringste Risiko ein. Wenn du das Gefühl hast, daß etwas nicht stimmt, dann schau bloß, daß du möglichst schnell wegkommst. Ich werde in ständiger Verbindung mit dir bleiben.« »Ja, das ist wichtig. Und ich rufe dich gleich an, wenn sie zurückkommen.« Sie stand auf. »Vielen Dank für dein Verständnis. Und das mit vergangener Nacht tut mir leid. Ich hoffe, dir nicht auch.« »Nein«, sagte Aran. »Ganz bestimmt nicht.« Aran nahm sich in einem Hotel in der Nähe ein Zimmer und bezahlte gleich für eine Woche im voraus. Nachdem er sich ein kleines Transistorgerät gekauft und hastig ein Sandwich gegessen hatte, ging er zurück und rief Jenny an. Erstaunlicherweise schlief er in dieser Nacht wie ein Stein und kam am nächsten Morgen frisch und ausgeruht ins Büro.
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Die nächsten drei Tage verbrachte Aran hauptsächlich damit, die bereits vorhandenen und weiter einlaufenden Berichte von Unfällen zu numerieren und die jeweiligen Nummern auf Landkarten einzutragen. Am Abend im Hotel studierte er dann stundenlang die Karten und versuchte, hinter das System zu kommen, nach dem die Meeresbewohner im Kampf gegen den Menschen vorgingen. Alles, was bisher passiert war, glich lediglich einer Art Guerillakrieg. Der große Schlag kam erst noch, davon war Aran überzeugt. In den Tiefen der Weltmeere brodelte eine Kraft, eine Masse an Intelligenz und Strategie hatte sich zusammengeballt, ein Ausmaß an Haß, und all diese Mächte verlangten nach dem großen Sieg. Aber was wollten sie erreichen, die Billionen und Billiarden von Tieren, deren Umwelt das Wasser war? Wie sehr waren sie dem Menschen ähnlich geworden? So sehr, daß sie nur noch die eigenen Interessen kannten?
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10. Ein strahlender Morgen. Nicht eine Wolke am Himmel. Eintausendfünfhundert Meilen östlich von Florida flog hoch über dem Atlantik ein taktisches Aufklärungsflugzeug vom Typ RT-33, als plötzlich der Pilot, Lieutenant James Wittee, bemerkte, wie sich die Farbe des Meeres veränderte. Ein weites Gebiet wurde zusehends dunkler. »Das sieht aus wie ein riesiger Ölfleck«, murmelte er vor sich hin. »Viel zu groß«, sagte Ed Flynn, der Copilot. »Eher Tang oder so etwas.« Der Pilot steuerte die Maschine steil nach unten. Als er kurz über der Wasseroberfläche durchzog, wurden seine Augen groß. »Allmächtiger!« sagte er. »Fische, Millionen von Fischen.« Er flog einen weiten Bogen und stach über dem inzwischen fast schwarzen Gebiet noch einmal nach unten. Ed Flynn runzelte die Stirn, als er aus dem Fenster
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sah. Die ganze Meeresoberfläche schien voll von Fischen zu sein. »Sie schwimmen in einem riesigen Kreis!« rief er. »Und immer schneller werden sie!« »Durchgeben!« schrie der Pilot. »Sofort durchgeben. Das ist nicht normal.« »Allerdings nicht«, sagte Ed Flynn und schaltete das Mikrofon ein. Er gab die Position durch und versuchte zu beschreiben, was sich im Atlantik abspielte. »Genau!« rief er. »In einem riesigen Kreis. Und immer schneller. Millionen von Fischen. Sie…« James Wittee unterbrach ihn. »Sie gehen tiefer, Ed!« rief er. »Schau raus. Sie schwimmen immer noch im Kreis, gehen aber immer tiefer.« Die RT-33 zog eine Schleife nach der anderen und beobachtete das immense Rad von Fischleibern, das immer tiefer sank, bis nur noch ein Strudel von einem nicht abzuschätzenden Durchmesser zu sehen war, der sich schließlich langsam wieder mit Wasser füllte. 186
Der Bericht über die seltsamen Beobachtungen erreichte Aran, als dieser gerade eine Pressekonferenz hinter sich gebracht hatte. Das Telex in der Hand, ging Aran sofort in den Kartenraum, suchte die heraus, auf der das entsprechende Gebiet verzeichnet war und betrachtete sie mit gerunzelter Stirn. Er wußte, daß er wilden Spekulationen nachjagte, die er mit mathematischen Formeln und Zahlen zu begründen und erforschen versuchte. Vielleicht waren seine ganzen Berechnungen umsonst, aber auch dieses Vorkommnis -davon war Aran überzeugt – war nicht rein zufälliger Natur. Harry Cohan war kein glücklicher Mann. Alles Mist -das sagte er sich x-mal an diesem Tag. Geld hatte er genug. Er besaß zwei Villen und konnte sich alles leisten, aber er war unzufrieden. Nichts stimmte, selbst die Badehose zwickte ihn. Er rutschte nervös auf seinem Liegestuhl hin und her. Das Gold Coast hinter ihm, eines der großen Hotels von Miami, ragte in den Himmel. Daneben das Fontainebleau, das Doral, das Eden Rose, das 187
Deauville und wie sie alle hießen. Am Abend wurden in ihren Nightclubs Witze über die Katastrophen mit den Fischen gerissen. Aber vielleicht hatte das auch sein Gutes. Lachen war gesund. Im Moment war es ruhig in den berühmten Hotels. Entweder die Gäste lagen noch in ihren Zimmern mit Klimaanlage und schliefen, oder sie aalten sich in der Sonne. Seltsam, seit man nicht mehr ins Wasser gehen konnte, war es am Strand noch voller als sonst. Harry Cohan sah an sich herunter. Braungebrannt, straffe Haut und kein Gramm Fett. Seine Haare waren zwar schon grau, aber immer noch dicht und voll. Sein Blick ging zu Sarah hinüber. Sie glänzte wie eine Speckschwarte, war aber immer noch eine gutaussehende Frau. Ein paar Pfund hatte sie zugenommen in den letzten Jahren und war dadurch irgendwie erdiger geworden. Ein größerer Busen, volle Hüften, ein kleiner Bauch. Sein Mund wurde schmal. Warum machte es ihm dann mit ihr nicht mehr
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Spaß im Bett? Wie oft er sich diese Frage stellte. Es war ihre Schuld. Sie hatte immer zu viel herumgemeckert und zu viel verlangt. Sechzehn Stunden pro Tag hatte er anfangs geschuftet, und das hatte ihr nicht gepaßt. Und wenn er dann endlich zu Hause war, hatte er an seine Geschäfte gedacht. Sarah hatte nie begriffen, daß man in der Bekleidungsindustrie nichts erreichte, wenn man nicht ständig am Ball war. Er sei mit seinem Business verheiratet, pflegte sie zu sagen, also sollte er auch mit seinem Business schlafen. Aber meistens war er ja zu müde gewesen, um sich auch bloß darüber zu ärgern. Zugegeben, wenn er alle Jubeljahre einmal früh und frisch nach Hause gekommen war, hatte sie sich ihm nie verweigert. Sarah kannte ihre Pflichten als Ehefrau. Die Nerzmäntel, die ihr das Business einbrachten, genoß sie natürlich. Weltreisen, zwei Villen, teure Schulen für die Kinder, das mußte alles sein. Viel genützt hatten sie, diese teuren Schulen. Die 189
Kinder waren verwöhnt bis zum Tz und hatten die komischsten Ideen im Kopf. Jacob hatte er zu sich ins Geschäft genommen, mit dem Erfolg, daß es dauernd Meinungsverschiedenheiten gab. Der Junge begriff einfach nicht, daß man bei der Konkurrenz nicht anders konnte: hier eine Idee klauen, dort etwas kopieren und sich auf Schleichwegen so an den Markt heranmachen, daß man vor allen anderen mit einer Neuheit da ist. Jacob wollte immer den Gentleman spielen, und das war natürlich kompletter Schwachsinn. Und an Ellen mochte Harry Cohan gar nicht erst denken. Schon das zweite mal verheiratet und wieder eine hundsmiserable Ehe. Mit seinem Business schlafen! Aber Harry hatte sich schon arrangiert. Bereitwillige und ehrgeizige Fotomodelle waren schließlich keine Mangelware. Alles Wochenendflirts. Bis auf Sandy Dumont. In das Mädchen hatte er sich doch tatsächlich verliebt, und das Verhältnis hatte länger gedauert. Aber dann hatte er ihr schließlich doch den Laufpaß geben müs190
sen. Sandy hatte plötzlich Ansprüche gestellt und war frech geworden. Sie hatte ihn sogar einmal zu Hause angerufen, und das ging natürlich nicht. Es war wirklich alles Sarahs Schuld. Sie hatte nie kapiert, daß er sich nur für sie halb zu Tode geplagt hatte. Dabei hatte ihm so ein bescheuerter Psychoanalytiker einmal einreden wollen – er hatte den Mann auf einer Party getroffen –, daß alles bloß Egoismus gewesen sei, Geltungsbedürfnis. Harry Cohan schüttelte den Kopf. Und nächste Woche kamen auch noch die Einkäufer nach Miami, und er konnte sie nicht einmal mit seiner Yacht spazieren fahren. Fünfundsiebzigtausend Dollar hatte der Kahn gekostet und lag wegen dieser blöden Fische nutzlos im Yachthafen. Sarah rekelte sich, und der volle Busen sprang ihr schier aus dem Badeanzug. Vielleicht kriege ich es mit ihr doch noch einmal hin, dachte Harry Cohan. Sie war fünfzehn Jahre jünger als er und immer noch eine sehr attraktive Frau. Vielleicht 191
sollte er einfach aufs Zimmer gehen mit ihr und sie so lange lieben, bis sie total erschöpft war. Er fühlte sich durchaus in der Lage dazu. Eine Woche Florida, und er war wieder voll da. Und nach zwei Wochen Florida war er dann immer so energiegeladen, daß er nur noch einen Wunsch hatte: nichts wie heim und die Konkurrenz fertig machen. Sein Blick ging über den Strand. Die Wasserwacht schob im Moment eine ruhige Kugel. Das Meer – seltsam, dachte Harry Cohan. Der Horizont schien auf und ab zu gleiten. Oder schob sich das Wasser am Horizont hoch? Sicherlich eine optische Täuschung. Ein Lächeln huschte über Harry Cohans Gesicht. Schon komisch, wie sich das Auge täuschen konnte. Das Meer kroch immer weiter am Horizont hoch. Und dann schrie plötzlich jemand. Die Leute setzten sich auf und reckten neugierig die Hälse. Harry Cohan sah wieder aufs Meer hinaus. Eine riesige Welle, die immer höher zu werden schien. Harry Cohan stand
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auf. Ein paar Leute liefen auf die Hotels zu. Die riesige Welle verdunkelte plötzlich den Horizont. Man sah nur noch eine Mauer von Wasser. »Sarah!« schrie Harry Cohan. Der Strand war von einer Sekunde zur anderen zu einem Gewühl von laufenden, stolpernden Körpern geworden. In das panische Geschrei mischte sich das Donnern der Wassermassen, die auf das Land zurollten. Sarah schrie und sah ihren Mann mit weit aufgerissenen Augen an. Harry Cohan hatte plötzlich das Bedürfnis, mit ihr zu sprechen, ihr zu sagen, daß sie doch nicht an allem schuld war. Er wollte zu ihr laufen, jemand rempelte ihn, und er fiel in den Sand. Er rappelte sich auf, bekam im selben Moment einen Schlag gegen die Brust und wurde in die Höhe gespült. Es wirbelte ihn herum, sein Mund war voll Wasser, und dann seine Lungen. Harry Cohan war einer von den Tausenden, die von der Springflut erfaßt worden waren.
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Er war schon tot, als die dreißig Meter hohe Flutwelle die Hotels erreichte. Mauern wurden eingedrückt, als seien sie aus Pappe. Leiber vom Strand wurden in die oberen Stockwerke gespült. Die Menschen in den unteren Stockwerken wurden mit dem Sog herausgerissen. Auf die erste Flutwelle folgte eine zweite. Sie hatte nicht mehr denselben Druck, war aber gleichermaßen verheerend. Die Strandhotels von Miami Beach wurden total zerstört, die kleineren Bauten dahinter überschwemmt und stark in Mitleidenschaft gezogen. Die Anzahl der Todesopfer ging ins Unermeßliche. Als die Wassermassen der zweiten Welle schließlich ins Meer zurückgeflossen waren, war Miami Beach ein verwüsteter Ort, in dem es seltsam still war. Tausende und aber Tausende von verkrümmten Leichen und zerschmetterten Liegestühlen lagen am Strand, und immer noch wurden verstümmelte Körper aus dem Meer gespült, das kochte und brodelte. Die Ruinen der Luxushotels wirkten wie gigantische Grabsteine. Aber erst später, 194
sehr viel später, wurde das Ausmaß der Katastrophe bekannt. Zum Zeitpunkt der Katastrophe stürzte Aran Holder in Emerson Boardmans Büro. Sein Gesicht war gerötet. Er schlug mit der flachen Hand auf den Bericht über die merkwürdigen Beobachtungen des Aufklärerpiloten. «Eine Springflut!« rief er. »Sie lösen eine Springflut aus.« Emerson Boardman starrte ihn fassungslos an. »Ich überlege und rechne seit Stunden«, sagte Aran. »Ich bin felsenfest überzeugt davon. Die Springflut trifft im Süden von Florida auf das Land. Wahrscheinlich bei Miami Beach. Schlagen Sie sofort Alarm -wenn es nicht schon zu spät ist.« Es war zu spät, und Aran hatte die letzte Gewißheit, als er vom Fernmeldeamt erfuhr, daß alle telefonischen Verbindungen mit Miami Beach abgebrochen waren. Er machte sich die bittersten Vorwürfe. Wenn er nur eine halbe Stunde früher mit seinen Berechnungen fertig gewesen 195
wäre, hätten Tausende von Menschenleben gerettet werden können. Admiral Hotchins ging ihm nicht aus dem Kopf. Was würde dieser Mann, der so auf die Gewalt seiner Waffen vertraute, jetzt sagen? Aran machte sich daran, eine Erklärung zu verfassen, die ihm – das wußte er – Funk und Fernsehen aus den Händen reißen würden. Eine Springflut entstand durch die plötzliche Verschiebung enormer Wassermassen auf dem Meeresgrund. Meistens waren ein Seebeben oder vulkanische Eruptionen die Ursache. Wenn die Wassermassen einmal in Bewegung geraten waren, erledigten die Naturkräfte den Rest. Sie bewegten sich in Form von kleinen Wellen in den tiefsten Tiefen der Meere. Schiffe merkten oft gar nicht, daß eine Springflut unter ihnen durchrollte. Die Geschwindigkeit war erstaunlich. Sie erreichte bis zu vierhundert Meilen pro Stunde. Wenn sich die Springflut der Küste näherte und das Wasser flach wurde, schob sie sich wie ein gigantisches Ungeheuer, das plötzlich aus der 196
Tiefe aufsteigt, aus dem Wasser und schlug auf der Küste auf. Am Abend wurden die ersten Schätzungen durchgegeben: sechsunddreißigtausend Todesopfer allein im Raum Miami Beach. Für den nächsten Tag war wieder eine Sitzung des Krisenstabs einberufen worden. Nicht nur Admiral Hotchins, sondern auch General Albert Higgins, der oberste Befehlshaber des Generalstabs, und Daniel Brady, der Verteidigungsminister, sollten daran teilnehmen. Aran war erst nach Mitternacht in seinem Hotel und schlief wie ein Stein, bis er beim Morgengrauen durch das Telefon geweckt wurde. Es war Kay Elliot. »Sie waren vergangene Nacht da«, sagte das Mädchen. »Ich habe sie gehört.« Arans Kaumuskeln wurden hart. »Die Springflut«, sagte er. »Deshalb sind sie zurückgekommen.« »Ich habe auch vermutet, daß sie daran schuld sind«, sagte Kay Elliot. »Und als ich sie dann gehört habe, war ich mir sicher.« 197
»Sind sie im Moment draußen?« fragte Aran. »Nein«, antwortete das Mädchen. »Aber sie kommen im Lauf des Tages noch einmal. Das war schon immer so. Wenn sie nachts da waren, dann sind sie auch am darauffolgenden Tag gekommen.« »Gut. Bleib bitte im Haus und paß gut auf. Ich bin ab zwölf Uhr in einer Sitzung. Ruf mich sofort an, wenn sie auftauchen. Ich komme dann sofort. Die Navy stellt mir bestimmt einen Jet zur Verfügung. Zwei Stunden später bin ich da.« Kay Elliot versprach, ihn sofort zu verständigen und legte auf. Aran war so aufgeregt, daß er aufstand und sich anzog. Nach einem langen Spaziergang und einer Tasse Tee in einem Coffeeshop war er im Büro. Emerson Boardman hatte ein tragbares Fernsehgerät von zu Hause mitgebracht. »Der Präsident spricht um Viertel vor zwölf«, sagte er zur Erklärung. Aran nickte, sagte aber nichts. Ein Kommentar war überflüssig. Jetzt gab es
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keine Ausflüchte mehr. Der Moment der Wahrheit war längst gekommen. 11. Ernest Shuster leitete die Sitzung, zu seiner Rechten saßen General Higgins und der Verteidigungsminister. Aran saß gegenüber von General Hotchins. »Ich wende mich an die Spezialisten unter uns«, begann Shuster. »Ich bitte um Ihre ehrliche Meinung, wie man dieser Gefahr zuleibe rücken könnte. Sie sind Biochemiker, Mr. Streeter. Halten Sie es für möglich, daß wir mit chemischen Waffen etwas ausrichten können?« »Ein Gift?« fragte Streeter. »Möglich ist das schon. Das Material existiert, aber eine Attacke dieser Art ist endgültig. Die Meere werden vergiftet werden.« »Könnte das Gift in einem abgegrenzten Gebiet in Anwendung gebracht werden?« »Nein. Wassermoleküle zirkulieren ständig. Wenn wir Gift in Anwendung bringen, töten wir nicht nur alles Leben 199
im Wasser, sondern auch das Wasser selbst.« Shuster wandte sich an Waite, den Ozeanographen. »Besteht die Möglichkeit, die Tiere durch Strömungen in eine Falle zu locken? Vor allem die Mörderwale?« »Kaum«, antwortete Waite. »Es käme auf einen Versuch an, aber ich bin skeptisch.« Und so kam einer nach dem anderen an die Reihe, und keiner wußte einen Ausweg. »Verzeihen Sie«, schaltete sich schließlich Admiral Hotchins ein, »aber Sie sehen doch langsam selbst ein, daß man hier nur noch mit den massivsten Maßnahmen zu Werk gehen kann. Ich schlage vor, daß Gebiet für Gebiet mit Atomwaffen bekämpft wird.« »Damit die Meere radioaktiv werden«, sagte Aran prompt. »Das wäre eine noch größere Katastrophe als Chemikalien.« »Moment!« rief Hotchins gereizt. »Es fragt sich ja wohl immer noch, wie lange die Radioaktivität erhalten bleibt.« 200
»Zwischen zweihundert und tausend Jahren«, entgegnete Aran. »Die Meere wären dann für den Menschen noch sehr viel gefährlicher, als sie es im Moment sind.« »Verdammt, wir haben aber keine andere Wahl«, brauste der Admiral auf. »Konventionelle Waffen reichen nun einmal nicht aus. Die Tiere müssen vernichtet werden. Mit der Radioaktivität kann man sich dann auseinandersetzen. Ich habe vollstes Vertrauen in unsere Forschung. Man wird schon etwas erfinden, um die Meere zu entseuchen.« »Unsinn!« rief Aran, der mit seiner Geduld am Ende war. »Für Sie gibt es nur den Sieg. Daß er die Zerstörung unserer Meere zum Preis hat, ist Ihnen egal.« »Es bleibt uns aber keine andere Wahl – verdammt und zugenäht«, schrie der Admiral. »Vielleicht doch«, sagte Aran. »Vielleicht gelingt es uns, mit den drei genetisch manipulierten Walen, die ausgebrochen sind, Kontakt aufzunehmen.«
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Die Spannung im Raum war spürbar, als Aran berichtete, was Kay Elliot ihm über die Gewohnheiten der Tiere erzählt hatte. »Es ist einen Versuch wert«, sagte er abschließend. »Die Wale verstehen und können sich verständlich machen. Vielleicht finden wir eine Möglichkeit, uns mit ihnen zu unterhalten – wenn ich mich einmal so ausdrücken darf. Noch besser wäre es natürlich, wenn es uns gelingen würde, sie wieder einzufangen.« »Wir müssen es unter allen Umständen versuchen«, sagte Leslie Streeter. »Alles andere jagt mir die Gänsehaut über den Rücken.« Zu Arans großem Erstaunen war auch Admiral Hotchins dafür und ließ für Aran einen Jet der Navy bereitstellen. Die Sitzung wurde aufgehoben. Zwei Minuten später war Aran allein im Raum und wartete. Irgendwann döste er ein. Als er wieder aufwachte, stand bereits die Dämmerung vor den Fenstern. Aran sah auf die Uhr. Schon nach fünf. Der Tag ging zur Neige. Aran stand auf und wollte 202
gehen, als genau in dem Moment das Telefon klingelte. »Ein Ferngespräch für Sie, Mr. Holder«, sagte das Mädchen von der Vermittlung. »Ich lege es in Ihr Büro.« Aran war mit drei Sätzen in dem kleinen Raum und riß den Hörer von der Gabel. »Sie sind draußen!« rief Kay Elliot aufgeregt. »Sie schwimmen um die Tafeln herum und kommen immer wieder an die Oberfläche. Ich beobachte sie durch das Fernglas.« »Wie viele sind es denn?« fragte Aran. »Sechs, glaube ich«, antwortete das Mädchen. »Enosch und Set sind dabei.« »Enosch und Set?« fragte Aran. »Ja, Evan Taylor hat sie nach den Kindeskindern Adams benannt – Enosch, Set und Irad. Enosch hat einen großen weißen Fleck auf dem Kopf und Set hat eine auffallend große Schwanzflosse. Ich bin sicher, daß Irad auch dabei ist.« »Gut«, sagte Aran. »Zeig den Tieren, daß du da bist und versuche, sie dazubehalten. Ich fliege sofort los.«
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Aran legt auf und rief Admiral Hotchins an. «Steht die Maschine bereit?« fragte er ohne einleitende Worte. »Ja«, antwortete Hotchins. »Ich rufe Sie gleich zurück.« Und wieder saß Aran da und wartete. Die Minuten schlichen dahin und wurden zu einer Viertelstunde. Aran stand auf und ging nervös in dem kleinen Raum auf und ab. Als das Telefon endlich klingelte, schreckte er zusammen. Er riß den Hörer ans Ohr. Es war nicht Hotchins, sondern Kay Elliot. »Warum hast du mich angelogen?« rief sie mit tränenerstickter Stimme. »Du hast gesagt, daß du mit ihnen sprechen willst.« »Natürlich. Wovon redest du überhaupt?« »Es war unsere letzte Chance«, schluchzte das Mädchen. »Vielleicht wäre es gelungen. Aber jetzt ist es aus und vorbei.«
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»Was ist denn los?« rief Aran in den Hörer. »Ich begreife überhaupt nichts mehr.« »Die Flugzeuge. Die verfluchten Flugzeuge. Sogar ich habe mich auf den Boden werfen müssen. Aus dem Nichts sind sie plötzlich aufgetaucht. Drei Stück. Militärflugzeuge. Aus allen Rohren haben sie geschossen.« Aran spürte, wie es ihm eiskalt über den Rücken lief. Jetzt war ihm das erstaunliche Verhalten des Admirals klar. Er hatte seine Chance gesehen, die drei Anführer der Wale zu zerstören und hatte sie genutzt. »Ich habe damit nichts zu tun, Kay«, sagte Aran mit schwacher Stimme. »Ich hatte keine Ahnung davon. Du mußt es mir glauben.« Langes Schweigen am anderen Ende der Leitung. »Weißt du, was das Ironische ist?« sagte Kay Elliot schließlich. »Sie haben, glaube ich, nicht einen getroffen. Ich habe beobachtet, wie die Wale gleich bei der ersten Munitionsgarbe untergetaucht 205
sind. Als die Flugzeuge dann wieder weg waren, habe ich noch lange die Wasseroberfläche beobachtet, aber nichts gesehen.« Ein Klicken in Arans Hörer. Kay Elliot hatte aufgelegt. Aran legte ebenfalls auf und stürzte hinaus. Ohne anzuklopfen riß er die Tür zu Emerson Boardmans Büro auf. Hinter dem Schreibtisch Emerson Boardman. Davor in einem Halbkreis saßen Shuster, General Higgins, der Verteidigungsminister und Admiral Hotchins. »Sie gottverfluchter Lügner«, schrie Aran und deutete mit dem Zeigefinger auf den Admiral. »Sie unverbesserlicher Idiot!« »Ich muß doch schon sehr bitten, Mr. Holder«, sagte Shuster, und Aran fuhr zu ihm herum. »Haben Sie davon gewußt?« fragte er. »Admiral Hotchins hat uns beim Lunch über sein Vorhaben informiert«, antwortete Shuster. »Eine bessere Chance hätte sich uns vielleicht nie wieder geboten«, sagte der 206
Admiral. »Man hat mir gemeldet, daß die Aktion höchstwahrscheinlich sehr erfolgreich war.« »Ach, Unsinn!« sagte Aran mit verächtlicher Stimme. »Jetzt ist auch dieser Weg verbaut. Jetzt gibt es keinen Ausweg mehr.« »Mit Waffengewalt…« »Daß das nicht in Ihren Schädel hineingeht«, schnitt Aran dem Admiral das Wort ab. »Die Macht der Meeresbewohner ist grenzenlos. Die Springflut, die sie ausgelöst haben, war lediglich ein schwaches Beispiel. Vielleicht sollte sie sogar bloß als Warnung dienen. Ich wollte versuchen, mit den Tieren zu verhandeln. Ich hatte gehofft, etwas in Erfahrung zu bringen, was uns helfen könnte. Aber Sie haben dazwischenfunken müssen!« »Die Springflut war kein schwaches Beispiel, sondern der große Auftritt dieser glitschigen Viecher«, sagte der Admiral mit einem höhnischen Lachen. »Wir waren nicht darauf vorbereitet, deshalb ist es ihnen gelungen. Aber das ist ja inzwischen anders geworden. Wir haben unse207
re Maßnahmen getroffen. Meinetwegen können sie eine Springflut nach der anderen loslassen – das Resultat wird nicht mehr beeindruckend sein.« Aran war nicht in der Lage, auch noch ein Wort zu erwidern. War der Mensch denn in dem Maße unfähig, seine Grenzen zu sehen? Vielleicht war die Vorherrschaft zu lange in seiner Hand gelegen. Auf alle Fälle hatte er die Welt schlecht regiert. Er hatte immer nur die eigenen Interessen gesehen, und das schien sich jetzt zu rächen. Aran verließ Emerson Boardmans Büro, fuhr direkt ins Hotel und rief Kay Elliot an. Das Mädchen schien sich etwas beruhigt zu haben, denn seine Stimme klang wieder gefaßt. »Du mußt mir glauben, daß ich nichts davon gewußt habe«, sagte Aran. »Ich glaube es dir ja«, antwortete Kay Elliot. »Sie haben sich natürlich nicht wieder gezeigt, oder?« fragte Aran. »Nein, aber sie sind draußen. Ich spüre es.« 208
»Du mußt weg von dort«, sagte Aran. »Wenn sie wirklich draußen sind, dann kann das bedeuten, daß sie dich für das, was passiert ist, verantwortlich machen.« »Mir passiert schon nichts«, sagte das Mädchen. »Du mußt trotzdem weg, und zwar sofort. Dein Bleiben ist jetzt sowieso zwecklos.« »Da hast du recht«, sagte Kay Elliot und legte einfach auf. Kay Elliot sah zum Fenster hinaus. Höchstens noch eine halbe Stunde, dann brach die Nacht herein. Die ersten Nebelschwaden zogen vom Süden her auf das Land zu. Zwecklos sei ihr weiteres Bleiben, hatte Aran Holder gesagt. Er war ein sensibler Mann, aber trotzdem verstand er ihre eigentlichen Beweggründe nicht. Er konnte sie nicht verstehen. Ein Außenstehender konnte nicht wissen, welche speziellen Bande durch die Arbeit hier entstanden waren. Ein schwaches Lächeln huschte über ihr verweintes Gesicht. Mörderwale, auch solche, die nicht genetisch manipuliert 209
waren, hatten schon oft ein erstaunliches Maß an Intelligenz und Einfühlungsvermögen bewiesen. Anfangs hatte man nicht wissen können, ob die Genentherapie bei Enosch, Set und Irad wirklich angeschlagen hatte, und deshalb waren sie erst einmal wie ganz normale Wale behandelt worden. Sie hatte täglich mit den Tieren gearbeitet. Sie war in den Tanks mit ihnen geschwommen, hatte sie gefüttert und versucht, ihr Vertrauen zu gewinnen. Evan Taylor hatte im Labor alle Hände voll zu tun gehabt, und John Akberg war auch mehr an der Theorie interessiert gewesen und hatte sich letztlich nichts aus den Tieren gemacht. Wenn jedoch Evan Taylor und John Akberg einmal mit in den Tanks gewesen waren – was selten genug vorgekommen war-, dann hatten die Wale sie viel grober behandelt. Ihr gegenüber waren Enosch, Set und Irad ausgesprochen galant gewesen. Enosch hatte sogar einmal das Wort Liebe auf einer der Tafeln erscheinen lassen, und das hatte sie besonders gerührt. 210
Später allerdings, als die Tiere erwachsener geworden waren, hatten sie sich oft starrköpfig und manchmal sogar abweisend gegen sie verhalten. Hatten sie ein gewisses Mißtrauen gegen den Menschen entwickelt? Sie hatte oft das Gefühl gehabt. Aber Zutrauen hatten sie gehabt. Bis zum letzten Tag. Bis zu dem Tag, an dem sie ausgebrochen waren. Und jetzt dachten sie bestimmt, daß sie sie betrogen hatte. Daß sie die Flugzeuge bestellt hatte. Wenn sie jetzt ging, würden sie überzeugt davon sein, und das wollte sie vermeiden. Vielleicht war es dumm und sogar selbstsüchtig, aber sie wollte nicht als Verräter gelten. Wenigstens diese eine Nacht wollte sie noch bleiben. Sie würden Licht im Haus brennen sehen und wissen, daß sie da war. Sie knipste die Stehlampe an. Der Nebel drückte bereits gegen die Fenster. Sie ging in die Küche und machte sich etwas zu essen. Anschließend verpackte sie Evan Taylors Notizen und Aufzeichnungen. Es nahm viel Zeit in Anspruch. Als 211
sie endlich damit fertig war, brühte sie sich eine Tasse Kaffee auf, ging damit in den großen Wohnraum und sank müde auf die Couch. Der Nebel hatte sich fast ganz verzogen. Es war unheimlich still. Und plötzlich war das unverkennbare Klatschen auf dem Wasser zu hören. Sie lief zur Tür, machte sie auf und ging nach draußen. Als sich die Zangen in ihre Beine bohrten, stieß Kay Elliot einen grellen Schrei aus. Sechs Krebse, jeder gut einen Meter groß. Sie hatten auf sie gewartet. Ein Ruck, ein irrsinniger Schmerz, und sie stürzte. In das andere Bein bohrten sich Zangen, und in beide Arme. Sie spürte, wie sie in die Höhe gehoben und seitwärts zum Meer getragen wurde. »Nein!« schrie sie. »Bitte nicht!« Sie versuchte sich loszureißen und verlor schier die Sinne vor Schmerzen. Wasser spülte ihr über die Beine. »Bitte, laßt mich leben«, flehte sie. »Ich bin nicht schuld daran. Ich bin hiergeblieben. Versteht ihr das denn nicht? Ich
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bin geblieben, weil ich es euch sagen wollte!« Eine Welle schwappte ihr in den Mund. Sie wurde tiefer ins Meer hineingetragen, schluchzte vor Schmerzen und Verzweiflung. Sie wurde unter das Wasser gezogen und hielt die Luft an, bis ihre Lungen fast platzten. Auch sie füllten sich mit Wasser, und ihr Leben schwand ins Nichts. Sie zogen sie ins Meer. Sie handelten auf Befehl. Sie brachten sie zum Ursprung zurück. 12. Aran rief Kay Elliot am nächsten Morgen an. Er ließ das Telefon eine Ewigkeit klingeln, bevor er wieder auflegte. Nach einer halben Stunde versuchte er es noch einmal. Wieder ohne Erfolg. Eine seltsame Unruhe befiel ihn. Er ging ins Büro und wich bis zum Nachmittag nicht vom Telefon. Dann rief er Wilson in Key Largo an. 213
»Da draußen ist niemand mehr«, sagte der Polizeichef. »Meine Leute waren heute morgen dort, weil ja die ganze Gegend evakuiert werden muß. Keine Menschenseele da. Die Tür stand auf. Das Mädchen muß gestern abend weggefahren sein.« »Hm«, sagte Aran. »Vielen Dank.« Er legte auf. Die Unruhe wurde immer größer. Dazu kam ein ungutes Gefühl. War Kay Elliot wirklich noch am Abend weggefahren, oder war ihr etwas passiert? Die Frage beschäftigte ihn, doch dann kamen plötzlich die neuen Berichte herein und nahmen Arans ganze Konzentration in Anspruch. Die britische Marine machte die ersten Beobachtungen. Sie wurden von Frankreich bestätigt. Ein spanischer Kreuzer meldete das gleiche Phänomen. Die Engländer schlugen sofort Alarm: Über Unter-Wasserortungsgeräte waren riesige Fischschwärme aufgespürt worden, die den Nordatlantik verließen und Richtung Süden schwammen.
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Während der ganzen Nacht wurden gleiche Beobachtungen gemacht. Amerikanische Schiffe meldeten Massenbewegungen von Fischen von Grönland bis hinunter zur Nordatlantischen Schwelle. Aran war der einzige, der im Büro geblieben war. Er saß neben dem Fernschreiber, einen Stoß Landkarten vor sich, und machte die entsprechenden Eintragungen. Inzwischen lagen auch Berichte aus dem Südatlantik vor. Schon bald war es klar, daß sich die Fischschwärme auf drei Routen bewegten, jede davon an die fünfhundert Meilen breit. Aufklärerflugzeuge sichteten Mörderwale. Auch sie befanden sich auf den Routen, die sich immer deutlicher auf den Karten abzeichneten. Und gegen Morgen fiel es Aran dann plötzlich wie Schuppen von den Augen. Er lehnte sich zurück. Eine unermeßliche Traurigkeit drückte auf seine Seele. Die wilden Spekulationen der letzten Tage waren nichts, verglichen mit dem, was jetzt Gewißheit für ihn war.
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Irgendwann kam Emerson Boardman ins Büro. Er war immer einer der ersten und sah Aran erstaunt an. »Was machen Sie denn hier?« fragte er. »Ich beobachte den Anfang des Endes«, sagte Aran. »Können Sie Hotchins erreichen?« Emerson Boardman nickte. »Er soll so schnell wie möglich kommen«, sagte Aran. »Shuster und die anderen auch.« Als Emerson Boardman gegangen war, versuchte Aran, Kay Elliot anzurufen. Er bekam keine Antwort. Eine böse Vorahnung beschlich ihn, und er beschloß, so bald wie möglich nach Florida zu fliegen. Er mußte sich Gewißheit verschaffen. Wenn er die Maschine am Nachmittag erreichte, konnte er am Abend in Keys sein. Wieder nahm er den Hörer ab und wählte. Diesmal wurde am anderen Ende der Leitung abgenommen. »Ja, bitte?« meldete sich Jenny. »Habe ich dich geweckt?« fragte Aran.
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»Nein, ich war schon wach«, antwortete Jenny. »Mein Gott, Aran, habe ich auf deinen Anruf gewartet! Was ist denn bloß los? An allem sind die Versuche schuld, die sie in Keys gemacht haben, oder?« »Genau. Und ich muß heute abend noch einmal hinfliegen.« »Nein, bitte nicht!« rief Jenny ängstlich. »Ich muß. Das Mädchen, von dem ich dir erzählt habe – du weißt schon, die Assistentin von Evan Taylor –, ich mache mir Sorgen um sie. Sie war allein auf dem Gelände, und ich habe weder etwas von ihr gehört noch kann ich sie erreichen.« »Dann soll die Polizei nach ihr suchen.« »Nein, vielleicht hält sie sich versteckt, damit man sie nicht evakuieren kann.« Aran erzählte von Kay Elliot, von ihrem Mut und den Schuldgefühlen. Bis auf die eine Nacht erzählte er alles. Die Nacht zu erwähnen war nicht nötig, denn sie hatte mit seinen Gefühlen zu Jenny nichts zu tun. »Bitte, fahr trotzdem nicht hin«, flehte Jenny. »Du hast schon genug getan.« 217
»Genug?« wiederholte Aran. »Vielleicht, aber das reicht jetzt nicht mehr aus. Ich komme so bald wie möglich zu dir. Meine Sehnsucht nach dir ist größer, als du auch nur ahnen kannst.« »Ich habe Angst, Aran. Bitte, fahr nicht hin.« »Ich bin bald bei dir«, sagte Aran und legte rasch auf. Inzwischen war alles im Büro. Der Fernschreiber ratterte ohne Unterlaß; er lieferte Unterwasserortungen von Fischschwärmen, die auf den drei Routen südwärts zogen. Nach einer Tasse Kaffee ging Aran in Emerson Boardmans Büro. Shuster und Hotchins kamen als erste, dann General Higgins und zwei seiner Berater, und schließlich der Verteidigungsminister. »Verdammt, Holder, ich hoffe, Sie haben eine Lösung parat. In den Meeren ist der Teufel los.« »Eben«, sagte Aran ruhig und breitete die Karte aus, in die er die drei Routen eingezeichnet hatte. »Die zig Millionen von Fischen schwimmen in drei Gruppen, 218
jeweils in einer Breite von gut fünfhundert Meilen, Richtung Antarktis. Die mittlere Gruppe schwimmt in das WeddelMeer, die linke um Grahamland und die Palmer-Halbinsel herum und die rechte in die Mackenzie-See. Meiner Meinung nach ballen sich die Fischmassen unter dem Eis zusammen. Hunderte von Millionen. Sie erzeugen Wärme und erhöhen somit die Wassertemperatur. Durch das Steigen der Temperatur und einen ständigen Druck von unten wird das Antarktiseis schmelzen und brechen, wodurch wiederum der Schmelzvorgang beschleunigt wird. Wenn nur die Hälfte der antarktischen Eisplatten geschmolzen wird, steigt der Wasserspiegel der Weltmeere nach längst bekannten Berechnungen um siebenunddreißigeinhalb Meter.« »Damit wäre jeder Hafen unter Wasser!« rief Hotchins entsetzt. »New York, Boston, London, San Francisco, Tokio, Shanghai, Le Havre, Bremen und wie sie alle heißen.« »Und die Küsten aller Länder, die ans Meer angrenzen, werden überschwemmt 219
sein«, fügte Aran hinzu. »Inseln werden im Wasser verschwinden. Ein guter Teil von Florida wird plötzlich nicht mehr existieren.« »Großer Gott!« sagte Shuster. »Eine offene Arktis, zum größten Teil von Eis befreit, wird von warmen Strömungen aus dem Pazifik und dem Atlantik überflutet werden. Aufgrund der polaren Temperaturen und Stürme wird Dampf entstehen, der sich in Orkane verwandelt, die den amerikanischen Kontinent und Eurasien in eine neue Eiszeit versetzen werden. Eines ist gewiß: die Oberfläche dieses Planeten wird sich verändern. Die Meeresbewohner haben es darauf abgesehen und…« »… und müssen daran gehindert werden«, fiel der Admiral Aran ins Wort. »Ich gebe sofort den Befehl, daß die antarktischen Gewässer unter Beschuß genommen werden.« »Damit die Eisdecke noch schneller zerstört und den Fischen die Arbeit leichter gemacht wird«, sagte Aran.
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Der Blick des Admirals wurde hart. Nach einem Moment jedoch sah er den Einwand ein. Er fuhr mit dem Zeigefinger über die Karte. «Hier«, sagte er. »Wenn wir hier eine Art Sperre legen und diese Strecke unter ständigem Beschuß halten, haben wir die Chance, den Strom der Fische wenigstens zu verzögern. Mit Torpedos und Minen. Rußland, England, Frankreich – alle Nationen müssen sich an der großangelegten Aktion beteiligen. Wir machen den Anfang. Wir liegen geographisch am nächsten und können am schnellsten einsatzbereit sein.« Er sah Aran an. »Es muß doch zu machen sein, und wenn wir alles an Munition opfern, was wir besitzen.« »Vielleicht«, sagte Aran. »Aber ich fürchte, daß sie eben dann von Australien her alles zusammenziehen. Ich glaube nicht, daß die Tiere aufgehalten werden können. Die Überzahl ist einfach zu groß. Und wenn sie einmal das Eis unterhöhlt haben, dann sind Sie machtlos mit Ihrer
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Munition. Dann ist es nur noch eine Frage der Zeit.« »Trotzdem muß es versucht werden. Ich übernehme selbst das Kommando.« Hotchins hatte plötzlich rote Flecken am Hals. »Mein Stab bleibt vorerst hier und arbeitet mit Rußland und den anderen europäischen Mächten den entsprechenden Operationsplan aus. Verdammt, keine Minute darf mehr vergeudet werden.« Der Mann stürzte aus dem Raum. Alle Munition dieser Welt, nicht einmal atomare Waffen, würden die Katastrophe verhindern können. Ein gewisser Aufschub das vielleicht. Von »glitschigen Viechern« sprach Admiral Hotchins nicht mehr. Er schien eingesehen zu haben, daß man die Gegenwart nicht retten konnte, indem man die Zukunft zerstört, denn er hatte Atomwaffen nicht einmal erwähnt. Auch Aran ging, fuhr am Hotel vorbei, duschte und rasierte sich und zog ein frisches Hemd an. Eine Viertelstunde später war er bereits auf dem Weg zum Flughafen.
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Die Dunkelheit war schon hereingebrochen, als Aran die Straßensperre passierte, und eine Viertelstunde später war er vor den Gebäuden von Evan Taylors Labor. Er stellte den Mietwagen ab. In dem großen Wohnraum brannte Licht. Aran stieß die Tür auf und rief ins Haus. Nichts. Nur Stille und Kälte, die sich ihm wie ein feuchter Film auf die Haut legte. Im Schlafzimmer zwei halb gepackte Koffer auf dem Bett. Offene Schubladen, die Schranktür offen. Aran ging in den Wohnraum. Die Kaffeetasse fiel ihm sofort auf. Halb voll. Kay Elliot hatte also gepackt, sich einen Kaffee gemacht – und dann war etwas passiert. Sie war hinausgegangen. Aran ging ebenfalls hinaus und knipste die Außenbeleuchtung an. Die Spuren im Sand waren eindeutig von Krebsen, aber es mußten riesige Tiere gewesen sein. Aran kniete sich auf den Boden. Eingetrocknete Blutspuren. Aran folgte den Spuren. Sie führten ins Meer. Ein Fetzen weißer Stoff, weitere Blutstropfen, eine Sandale. Aran sah aufs 223
Meer hinaus. Der Mond war fast voll. Die sanften Wellen glänzten silbrig. Jetzt wußte Aran, was mit Kay Elliot passiert war. Nicht im Detail, aber genug. Das Mädchen war geblieben. Es hatte gehofft, sich mit den Walen auseinandersetzen zu können, aber es hatte sich getäuscht. Aran ging zurück ins Haus, vergewisserte sich, daß alle Fenster geschlossen und die Tür verriegelt waren, legte sich in dem Wohnraum auf die Couch und versuchte zu schlafen. Die innere Leere und die Angst, die ihn ständig quälte, waren zu einem Teil seiner selbst geworden. Als er aufwachte, war es draußen noch dunkel. Er setzte sich auf und horchte. Da war wieder das Geräusch. Er hatte sich also nicht getäuscht. Das Klatschen eines schweren Körpers auf dem Wasser. Aran ging zum Fenster und sah auf den Atlantik hinaus. Die Wale waren zurückgekommen. Aber warum? Es war doch niemand mehr hier – sie hatten schließlich selbst dafür gesorgt. Plötzlich wußte er die Antwort. Er hatte aus Versehen die Scheinwerfer des Mietwagens brennen 224
lassen. Hatten die Wale John Akberg erwartet, oder hielten sie den Lichtstrahl vielleicht für eine Art Signal? Aran zitterte plötzlich vor Aufregung. Die Wale waren da, und er mußte versuchen, Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Es war vielleicht die letzte Chance, die sich der Menschheit bot. Auch wenn sie in mörderischer Absicht zurückgekommen waren, Aran mußte es versuchen. Er stellte sich vor die Scheinwerfer, um sich den Tieren zu zeigen. Sie hörten auf zu springen, schwammen aber weiter im Kreis um die Tafeln herum. Aran ging ins Haus zurück, machte die Tür zu und knipste die Stehlampe aus. Draußen wurde wieder alles still. Er legte sich auf die Couch und schlief nochmals, bis ihn die Morgensonne weckte. Nach einer Tasse Kaffee schaltete Aran das Radio ein. Eine Sondermeldung nach der anderen. Auf sämtlichen Sendern Berichte über die Bombardierungen im Südatlantik. Riesige Zusammenballungen von Fischschwärmen waren in diesem Raum geortet worden. 225
Nachdem Aran auch noch ein trockenes Stück Brot gegessen hatte, ging er hinaus und beobachtete das Meer. Keine Spur von den Walen. Nach dem, was ihm Kay Elliot von den Gewohnheiten der Tiere erzählt hatte, würden sie im Lauf des Nachmittags zurückkommen. Er hatte also genug Zeit, sich darauf vorzubereiten und das Boot zu präparieren. Aran war kein Held, er war lediglich ein Mann, der um sein Leben kämpfte, und daß es auf dem Spiel stand, wußte er nur zu gut. . Aran fand im Geräteschuppen alles, was er brauchte und traf seine Vorkehrungen. Schließlich zog er das Boot an den Strand und legte die Ruder hinein. Dann ging er ins Haus, duschte, zog sich wieder an und telefonierte mit Emerson Boardman. »Wie stehen die Aktien?« fragte er. »Die Munition wird knapp«, bekam er zur Antwort. »Außerdem wurden schon mehrere Zusammenstöße von Flugzeugen gemeldet. Die Mannschaften auf See und in der Luft sind erschöpft.« »Weiter?« fragte Aran.
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»Roy Waite ist mit Hotchins zusammen auf einem Kriegsschiff. Er fürchtet, daß durch die Unterwasserbombardierungen ein Seebeben hervorgerufen werden könnte.« »Das fehlt noch«, sagte Aran. »Zehn Meilen von der Bombardierungslinie entfernt ist eine Kette von Schiffen mit Unterwasserortungsgeräten postiert. Sie melden, daß der Strom von Fischen beträchtlich abgenommen hat.« »Ich melde mich wieder«, sagte Aran und legte auf. Der Tag schleppte sich in den Nachmittag hinein. Aran war gerade damit beschäftigt, die Kartons mit Evan Taylors Schriften zu verschnüren, als er draußen einen Wagen vorfahren hörte. Er rannte hinaus und glaubte zu träumen, als er Jenny auf sich zukommen sah. »Du fährst auf der Stelle zurück!« herrschte er sie an. »Auf der Stelle.« Sie hatte tiefe Ränder unter den Augen. »Nein«, sagte sie und ging an ihm vorbei ins Haus. »Ich will jetzt die Wahrheit wissen. Ich lasse mich nicht mehr mit beru227
higenden Worten abspeisen. Aran, im Fernsehen, im Radio, in der Zeitung gibt es bloß beschönigende Berichte, die die Bevölkerung einlullen sollen. Ich will wissen, was auf uns zukommt. Ich will wissen, ob es noch eine Zukunft gibt. Auch wir beide haben schon oft von der Zukunft gesprochen und…« »Ich weiß«, fiel ihr Aran ins Wort. »Setz dich. Du sollst die Wahrheit erfahren.« Und dann erzählte ihr Aran alles, und ihre Augen füllten sich mit Angst. »Bitte, Aran«, flehte sie, als er geendet hatte, »du darfst nicht zu den Walen hinausrudern. Bitte, nicht! Es muß doch einen anderen Weg geben.« »Ich muß es versuchen, Jenny«, sagte Aran. »Mit diesen genetisch manipulierten Tieren hat alles angefangen. Sie haben die Führung übernommen und die Katastrophe angezettelt, also sind sie auch in der Lage, das Ganze abzubrechen. Ich muß versuchen, eine Art Verhandlungsbasis zu finden.«
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»Und wenn es dazu schon zu spät ist?« sagte Jenny. »Wenn sie nur noch an ihre Rache denken?« »Ich muß es versuchen«, wiederholte Aran in einem Ton, der keine weitere Diskussion zuließ. »Wie bist du überhaupt an der Straßensperre vorbeigekommen?« »Ich habe behauptet, daß ich deine Assistentin bin.« »Du mußt wieder zurückfahren, Jenny.« »Aber wohin denn?« In ihrer Stimme lag Verzweiflung. »Zu wem?« Und genau in dem Moment hörte er sie und war mit einem Satz vor dem Haus. Jenny folgte ihm. Er packte sie an den Schultern und schob sie auf ihr Auto zu. »Warte hier, wenn du darauf bestehst«, sagte er. »Aber steig wenigstens ein. Wenn ich nicht zurückkomme, dann drück aufs Gaspedal und schau, daß du möglichst schnell von hier wegkommst.« Aran lief zu dem Ruderboot, zerrte es ins Wasser und ruderte zu den Tafeln hinaus. Er hatte das Gefühl, völlig allein auf dieser Welt zu sein. Doch dann tauchte plötzlich die Rückenflosse eines Wals auf, 229
dann eine zweite, eine dritte, bis Aran sechs zählte. Sie schwammen langsam in einem weiten Kreis um das Boot herum. Ein Geräusch in seinem Rücken ließ Aran herumfahren. Ein riesiger Octopus schwamm hinter dem Boot her, schwang plötzlich einen seiner mindestens sechs Meter langen Fangarme über die Bordwand und ließ sich mitziehen. Einer der Wale schoß nach vorn, und Aran sah den weißen Fleck auf dem Kopf. Es war derjenige, den Evan Taylor Enosch getauft hatte. Der Wal war für einen Moment ganz nahe an das Boot herangekommen, dann aber gleich wieder verschwunden. Aran hatte den Mechanismus der Tafeln mit einem Blick erfaßt. Die Drucktasten, die das Aufspringen einzelner Worte verursachten, waren nicht, wie er nach Kay Elliots Beschreibung angenommen hatte, auf dem Meeresgrund, sondern direkt unter den Tafeln selbst, also an die fünfzig Zentimeter über der Wasseroberfläche. Der beißende Geruch von Öl stieg ihm in die Nase. Aran hatte den Vormittag 230
damit verbracht, das Holz des Boots mit Öl zu tränken. Ganze fünf Kanister hatte er hineingekippt. Mit dem ausgestreckten Ruder drückte Aran nun auf die Tasten und schrieb somit den ersten Satz auf die Tafeln. TÖTEN STOPPEN Er ruderte zurück und wartete. Zwei Wale tauchten aus dem Wasser auf. Einer davon war Enosch. Er gab die Antwort, indem er mit der Schnauze auf eine Taste drückte. NEIN Aran ruderte wieder zu den Tafeln. WARUM Diesmal dauerte es eine Zeit, bis die Antwort kam. MENSCH SCHLECHT MENSCH TÖTET Aran hatte den nächsten Satz sofort parat FISCH TÖTET Der Wal mit dem weißen Fleck machte bei diesem Satz einen wütenden Schnalzer durch die Luft und hämmerte auf die Tasten ein. 231
FISCH TÖTET WEIL FRESSEN Von da an ging es Schlag auf Schlag: MENSCH MUSS LEBEN ALLES MUSS LEBEN WAS WOLLT IHR Die Antwort kam so schnell, daß es Aran kalt über den Rücken lief. Daß damit die Kommunikation beendet war, war offensichtlich. ALLES MUSS LEBEN ABER MENSCH TÖTET Der Kreis der Rückenflossen wurde immer enger und immer schneller. Die Tiere waren aufgebracht. Sie hatten ihn verstanden und das begrenzte Vokabular der Tafeln benutzt, um ihm zu antworten. Sie waren intelligente Kreaturen, die denken konnten und voll Haß waren. Sie hatten es auf sein Leben abgesehen. Mit welchem Anliegen er zu ihnen gekommen war, war ihnen gleichgültig. Aran spürte, wie das Boot erzitterte. Der riesige Octopus hatte sich über den Rand geschwungen. Aran warf das Stahlkabel, das er am Bug festgemacht hatte, ins Wasser, zündete ein Streichholz an, 232
steckte damit die ganze Schachtel in Brand, warf sie ins Boot und hechtete sich ins Wasser. Das ölgetränkte Holz brannte sofort lichterloh. Aran tauchte unter das Boot, packte das Kabel und schwamm auf die Küste zu. Die Wale waren wie besessen vor Wut. Sie verfolgten Aran, wagten sich aber nicht an die lodernden Flammen heran. Aran schwamm aus ihrem Kreis, tauchte auf, um schnell Luft zu holen und war im nächsten Moment wieder unter dem Boot. Als er nur noch ein paar Meter vom Strand entfernt war, wurde das Wasser zu flach, und Aran mußte den Schutz des Feuers verlassen. Er ließ das Kabel los, richtete sich auf und rannte um sein Leben. Wie Torpedos kamen die Wale hinter ihm her. Einer wollte sich mit der ganzen Wucht seines Körpers auf ihn werfen, aber Aran konnte gerade noch zur Seite springen. Er hörte Jenny schreien, hörte, wie der Wal auf dem Sand aufschlug, wie der Motor von Jennys Wagen aufheulte. Eine Sekunde später saß er neben ihr, und sie 233
raste davon. Der Octopus wollte sich an der Stoßstange festklammern, rutschte aber ab und wurde überrollt. Sie rasten durch die verlassene Küstenlandschaft. Jenny fuhr wie in Trance, bis sie Key Largo erreichten und vor der Polizeistation hielten. Die Hände immer noch auf dem Steuer, starrte Jenny in die Dunkelheit hinein. »Ungeheuer sind das«, sagte sie mit tonloser Stimme. »Unbeschreibliche Ungeheuer.« »Allerdings«, sagte Aran. »Und was geschieht jetzt?« fragte Jenny. Aran zuckte mit den Schultern. Er war wieder an dem Punkt angelangt, wo er nichts mehr wußte. Er stieg aus und ging hinein. Polizeichef Wilson empfing ihn mit einer Frage. »Haben Sie es schon gehört?« »Was?« fragte Aran. »Die Fischschwärme verziehen sich.« »Die erste gute Nachricht seit Wochen«, sagte Aran. 234
13. Hotchins war ein müder, alter Mann geworden, Emerson Boardman hing pausenlos an der Whiskyflasche, und Shuster war so eingefallen, daß sein Kopf wie ein Totenschädel aussah. »Wir haben sie aufhalten können«, sagte der Admiral. »Zumindest zum größten Teil. Aber leider sollen Sie recht behalten, Mr. Holder. Auch im Raum Australien wurden riesige Schwärme geortet. Wie wir die aufhalten sollen, ist mir ein Rätsel. Unsere Waffenlager sind leer. Den Russen und den Engländern geht es genauso. Ich verstehe das Ganze nicht. Warum bloß haben es die Tiere darauf abgesehen, dem Menschen den Lebensraum wegzunehmen.« »Das kann ich Ihnen genau sagen«, antwortete Aran und berichtete, was er in Keys erlebt hatte. »Wir haben ihre Umwelt vergiftet«, setzte er hinzu. »Wir haben ganze Gattungen ausgerottet. Alles, was wir Menschen tun, betreiben wir bis zum Exzeß. Für uns existiert nur der 235
Mensch, wir beuten Land und Meere aus, aber die Meere haben ihre eigenen Waffen, und mit denen lehnen sie sich jetzt gegen den Menschen auf.« In dem Moment klingelte das Telefon, und Emerson Boardman nahm ab. Alles beobachtete ihn gespannt und sah, wie seine Miene immer verzweifelter wurde. Schwer atmend legte er schließlich auf. »Jetzt ist es soweit«, sagte er mit tonloser Stimme. »In Japan ist totale Panik ausgebrochen. Die Menschen verlassen das Land, das Militär ist nicht mehr in der Lage, Ordnung und Ruhe zu halten. Die Schiffe in der Bucht von Tokio sind gekapert worden. Von Hysterie getrieben springen Tausende von Menschen ins Hafenbecken und versuchen, sich auf die Schiffe zu retten. Die Börse in London ist geschlossen. Die in New York ebenfalls. Der Präsident der Vereinigten Staaten hat den Ausnahmezustand erklärt.« »Vielleicht brauchen die Fische die Antarktis gar nicht zu zerstören«, sagte Aran, stand auf und nahm Jenny an der 236
Hand. »Wenn Sie mich brauchen, ich bin in meinem Hotel. Ich muß erst einmal schlafen.« Sie verließen den Sitzungsraum. Es passierte fast zur gleichen Zeit. Und das an Orten, die dreitausend Meilen voneinander entfernt lagen. Die Wissenschaftler sprachen von unerklärlichen organischen Umwandlungen. Die Kirchenväter sagten: Gott ist gnädig. Vielleicht hatten beide recht. Die Hendricks’ besaßen ein Haus an der Virginia Beach. Als die anfängliche Hysterie etwas abgeflaut war, liehen sie einen Kleinlaster und fuhren zu dem Haus, das sie hatten verlassen müssen. Sie wollten die Möbel herausholen. Ihre guten Freunde und Nachbarn, die Rawlins’, fuhren mit, um ihnen zu helfen. Vielleicht auch, um ihnen moralische Unterstützung zu geben. Jahrelang hatten die Hendricks’ geschuftet und gespart, um sich das Ferienhaus leisten zu können. Es war bitter. Auf die Kinder achtete niemand. Tommy Hendricks war acht und Billy Rawlins ein Jahr jünger. Sie gingen zu dem Steg hi237
nunter, wo das Boot der Hendricks’ immer noch angebunden war. »Ich habe keine Angst«, sagte Tommy Hendricks. »Ich trau mich rein.« »Ins Wasser?« fragte Billy. »Klar.« »Angeber!« »Ich würde reingehen, aber meine Eltern lassen mich ja nicht.« «So. deine Eltern.« Bill lachte. »Du traust dich nicht. Gib’s doch zu.« »Du traust dich nicht.« »Was, ich? Da lache ich doch!« Billy stopfte beide Hände in die Hosentaschen und sah Tommy herausfordernd an. Tommy machte plötzlich auf dem Absatz kehrt und lief zu dem kleinen Schuppen, in dem das Angelzeug aufbewahrt war. Er kam mit zwei Angeln und einer Büchse mit getrockneten Regenwürmern zurück. Er lief an Billy vorbei und sprang in das Boot. »Los, komm, wenn du dich traust«, rief er. »Klar trau ich mich«, sagte Billy und kletterte ebenfalls in das Boot. 238
Er warf sogar als erster die Angel aus. Seine kleinen Hände waren klitschnaß vor Angst. Er rieb sie schnell an den Jeans ab. Tommy durfte es nicht merken. Sie ruderten ein Stück hinaus, dann warf auch Tommy die Angel aus. Er fing zwei Heringe und Billy drei Barsche. Als die Kinder stolz mit ihrer Beute zurückkamen, wurde Mrs. Hendricks ohnmächtig. »Aber da war doch nichts dabei«, sagten die Buben. »Sie haben prima angebissen.« Und auf der anderen Seite des Atlantiks ging südlich von Neapel Antonio Ricci mit seinem Großvater barfuß am steinigen Strand spazieren. Antonio, noch keine sieben, machte sich nichts aus dem Gerede über die Gefahren, die am Strand lauerten, und der alte Mann erst recht nicht. Die Sonne war gerade erst aufgegangen, und sie hatten noch nicht einmal gefrühstückt. Im Dorf schlief noch alles. Als Antonio plötzlich den kleinen Octopus sah, der gerade eine winzige Crevette unter einem Stein hervorzog, stürzte 239
er sich ganz automatisch darauf, erwischte ihn aber nicht. Der Octopus wollte fliehen, aber beim zweiten Versuch hatte Antonio ihn und trug ihn stolz nach Hause. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht über die beiden Ereignisse. Immer mehr Menschen faßten sich ein Herz und gingen ins Meer. Niemand wurde angegriffen. Alles war wie früher. Der böse Traum war zu Ende. Aus allen Teilen der Welt wurde bestätigt, daß die Meere nicht mehr »böse« waren. Die Navy meldete, daß riesige Fischschwärme die Antarktis verließen und sich in alle Himmelsrichtungen zerstreuten. Die Hummerfänger aus Maine kamen wieder mit fetter Beute zurück. Die Nachricht erreichte Aran in Falls Church. Er war am nächsten Tag in die kleine Provinzstadt gefahren, in der Jenny als Lehrerin arbeitete. Er hatte Emerson Boardman Jennys Telefonnummer hinterlassen, und dieser war es auch, der Aran davon informierte.
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»Shuster und die anderen haben allerdings immer noch Angst«, sagte Emerson Boardman. »Sie glauben, daß uns die große Katastrophe erst noch bevorsteht. Sie trauen dem Frieden nicht. Sie haben doch mit den Walen gesprochen, Holder. Können Sie sich das erklären? Halten Sie es für möglich, daß es sich die Tiere plötzlich anders überlegt haben? Oder meinen Sie, daß es lediglich eine Art Verhaltensstörung war?« »Ich muß mir da erst meine Gedanken machen«, sagte Aran. »Ich rufe Sie dann wieder an.« Damit legte er auf. Jenny sah ihn gespannt an. »Komm«, sagte Aran. »Fahren wir zu deinem Ferienhäuschen.« Unterwegs erzählte ihr Aran, was er von Emerson Boardman erfahren und welche Bedenken der oberste Beamte der Staatlichen Fischerei- und Forstverwaltung geäußert hatte. An der Küste angekommen, gingen sie zum Strand hinunter.
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»Aus Evan Taylors Aufzeichnungen weiß ich, daß er seine Bedenken bezüglich der Lebensdauer von Zellen hatte, die mittels Trägerkulturen verpflanzt sind«, sagte Aran. »Seltsamerweise scheinen bösartige Zellen eine größere Lebensdauer zu haben, als gutartige, beziehungsweise normale. Die DNS-Moleküle, die durch Viren oder Bakteriophagen übertragen worden sind, können daher mit dem Absterben der Trägerzellen ebenfalls vernichtet worden sein.« »Demnach wäre die genetische Manipulation lediglich für einen gewissen Zeitraum wirksam gewesen«, sagte Jenny. Aran nickte. »Eben. Vielleicht hat auch bloß eine chemische Umwandlung stattgefunden. Genaues wissen wir nicht. Es ist alles so voll von unbekannten und unerforschten Variablen.« »Aber sie sind irgendwo da draußen«, sagte Jenny und sah aufs Meer hinaus. »Genetisch manipulierte Wesen, ein neuer Organismus, der wieder zum Feind des Menschen werden kann. Ob und
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wann das allerdings passiert, wissen wir nicht.« »Nein«, sagte Aran. »Aber wir sind gewarnt. Dieser Planet gehört nicht einzig und allein dem Menschen -das haben wir hoffentlich daraus gelernt. Das Recht auf Leben gilt für alle. Der Mensch muß aufhören, sinnlos abzuschlachten, ganze Gattungen von Tieren auszurotten, die Meere, das Land und die Luft zu verpesten und nur an sich und seine Interessen zu denken. Wenn der Mensch das kapiert hat und sich danach richtet, passiert so etwas vielleicht nie wieder. Meiner Meinung nach beobachten sie den Menschen und warten ab, ob er in der Lage ist, seine letzte Chance zu nutzen.« Aran legte einen Arm um Jennys Schultern. Zusammen gingen sie hinauf zu den Dünen. Sie sahen, wie ein Auto hielt und drei Männer mit Angelzeug ausstiegen. »Mann, bin ich froh, daß man wieder seinem Hobby nachgehen kann«, hörten sie einen sagen. Aran und Jenny blieben stehen. Sie beobachteten, wie die Männer ein Alumi243
niumboot hinter sich herzogen. Jenny schauderte zusammen, und Aran drückte sie fest an sich.
Ein gewaltiger, heftiger Sturm, der Berge zersprengt und Felsen spaltet, ging vor Jahwe her; aber Jahwe war nicht in dem Sturm. Nach dem Sturm kam ein Erdbeben; aber Jahwe war nicht in dem Erdbeben. Nach dem Erdbeben kam Feuer; aber Jahwe war nicht in dem Feuer. Und nach dem Feuer kam ein sanfter Wind… I, Körige 19:11
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