Günter Dönges
Zarter Speck in scharfer Falle Josuah Parker war der Meinung, daß Lady Simpson sich recht albern benahm...
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Günter Dönges
Zarter Speck in scharfer Falle Josuah Parker war der Meinung, daß Lady Simpson sich recht albern benahm. Seine Herrin, die sich schon seit etlichen Jahren unverändert als Sechzigerin bezeichnete, saß in einem Boot und stieß einen teenagerhaften Jauchzer aus, als der Holzkahn sich dem tosenden Wasserfall näherte. Sie hielt ihren Hut fest, der ein wenig an einen Südwester erinnerte, jauchzte erneut auf und verschwand dann in den Wasserschleiern. Butler Parker fand, daß Agatha Simpson sich ein wenig zu laut und ausgelassen benahm. Er mißbilligte das sehr. Er saß zu seinem Leidwesen ebenfalls in diesem Einbaum und machte einen äußerst abweisenden Eindruck. Steif, als habe er einen Stock verschluckt, drückte er seine schwarze Melone mit dem Bambusgriff seines Universal-Regenschirms auf den Kopf und kniff die Augen zu. Nun war nämlich die Reihe an ihm, in die Wasserschleier einzutauchen. Es ging alles blitzschnell.
Die Hauptpersonen: Melvin Custner spielt mit Plastiktieren und Menschen. Steve Morlay landet zwischen Alligatoren. Butch und Herb verirren sich in »Wonderland«. McWarden sorgt sich intensiv um Lady Agatha. Kathy Porter bietet sich als Köder an. Lady Agatha Simpson schockt falsche und echte Bestien. Butler Parker füttert eine Anakonda mit Zigarren.
Der hölzerne Kahn neigte sich vor und jagte dann über den Rand des Wasserfalls. Sekunden später war dieser Sturz in die Tiefe bereits überstanden. Die Spitze des Einbaums ließ das Wasser des kleinen Bergsees aufschäumen, glitt weiter und hielt auf den Wildwasserkanal zu, in dem die Wasserfluten zu kochen schienen. »Ist das nicht wunderbar?« Lady Agatha wandte sich zu ihrem Butler um und sah ihn mit funkelnden Augen begeistert an. »Wie Mylady meinen«, gab Josuah Parker neutral zurück. »Gleich wird es noch spannender werden.« Lady Simpson deutete auf den Wildwasserkanal. Sie jauchzte noch ein drittes Mal begeistert auf und veranlaßte Parker dadurch nur zu einem gequälten Lächeln. Er war von Anfang an gegen diese Art von Belustigung gewesen. Der vollbesetzte Kahn geriet leicht ins Schwanken. Die Insassen kreischten vergnügt, schaukelten noch zusätzlich und ließen sich ohne Protest von den überschwappenden Wellen unter Wasser setzen. Parkers Gesicht hatte einen mißbilligenden Ausdruck angenommen, was bei ihm schon viel bedeutete. Normalerweise zeigte er kaum eine Reaktion. Selbstbeherrschung und Haltung waren Tugenden, die für Josuah Parker eine Selbstverständlichkeit darstellten. Seine Mißbilligung hing damit zusammen, daß eine über Bord schwappende Welle bereits sein gestärktes Vorhemd erreichte. Das Wasser netzte zu ausgiebig seine Brust. Eine zweite Welle landete in seinen schwarzen Schuhen und verordnete seinen Füßen ein nicht eingeplantes, gründliches Bad. Parkers Gesichtszüge entgleisten endgültig, als er von einer dritten Welle förmlich geohrfeigt wurde. »Wunderbar«, rief Lady Agatha Simpson ihrem Butler zu. Wie eine erfahrene Wikingerin saß sie im Holzkahn und trotzte Wind und Wellen. Hinter ihrem breiten Rücken hatte Kathy Porter Schutz gesucht und auch gefunden. Sie bekam von dem unfreiwilligen Bad kaum etwas ab. Der Wildwasserkanal war inzwischen auch überstanden.. Die Fahrt ging weiter und näherte sich einer Stromschnelle, die weitere unangenehme Überraschungen
verhieß. Parker wischte sich die Wasserperlen aus dem Gesicht und bereute seinen Entschluß, an dieser Bootsreise teilgenommen zu haben. Er hatte sich diesen Nachmittag anders vorgestellt. Die Stromschnelle tat ihre Pflicht überaus gründlich. Sie durchnäßte Parkers Hosenbeine völlig, verabreichte ihm eine zweite Ohrfeige und weichte sein Gesäß nachhaltig ein. Der Kahn erreichte einen kleinen See, beschrieb einen sanften Bogen und hielt dann vor dem langen Bootssteg. »Ich möchte die Strecke am liebsten noch einmal fahren«, sagte Lady Simpson, als Parker ihr auf den Bootssteg half. »Oh, Mr. Parker, Sie sind naß geworden?« »Ein wenig, Mylady«, erwiderte Parker gemessen und steif. »Mylady bestehen auf einem zweiten Durchgang?« »Unbedingt«, entschied Lady Agatha unternehmungslustig. »Aber vorher will ich mir noch die Alligatorenfarm ansehen. Nun kommen Sie schon, Mr. Parker. So etwas wird einem nicht alle Tage geboten.« »Wenn Mylady meine bescheidene Wenigkeit vielleicht entschuldigen wollen?« »Papperlapapp, Mr. Parker.« Sie sah ihn streng an. »Ich möchte auf Ihre Begleitung in keinem Fall verzichten.« »Mylady schmeicheln einem alten, müden und verbrauchten Mann. Ich möchte mir allerdings erlauben darauf hinzuweisen, daß meine Kleidung durchnäßt ist.« »Das trocknet alles wieder, Mr. Parker. Wir haben doch ein selten schönes Wetter. Nach den Alligatoren werden wir uns die Feen und Zwerge ansehen.« »Myladys Wünsche sind mir Befehl«, gab Josuah Parker würdevoll zurück. Er hatte sich entschlossen, das hier alles über sich ergehen zu lassen. Schlimmer als die Wildwasserfahrt konnte es ja wohl kaum noch kommen. Doch darin sollte Butler Parker sich gründlich getäuscht haben! *** Der Mann war klein und fett. Er erinnerte ein wenig an einen degenerierten Buddha, wozu seine Glatze noch ein Übriges tat. Der Mann saß in einem Drehsessel und beobachtete die Bilder, die ihm die sechs Monitoren lieferten. Er beugte sich vor und deutete auf den dritten Kontrollfernseher. Seine Augen verengten sich, und sein Gesicht nahm einen gespannten Ausdruck an. »Da ist sie wieder«, sagte er und wandte sich an einen jungen, drahtigen Mann, der vor einem Kontrollpult stand. »Gehen Sie näher heran, Steve. Ja, noch näher. Natürlich, das ist sie.« »Sie war eben auf der Wildwasserbahn«, bestätigte der junge Mann. Er drückte auf verschiedene Knöpfe, worauf das Bild auf dem Monitor noch deutlicher wurde. Es zeigte eine gewisse Lady Agatha Simpson, die wie ein etwas zu füllig und zu groß geratenes Kind in einem breiten Ruderboot saß und sich die Alligatoren aus nächster Nähe anschaute. Daß sie diese Fahrt genoß, war ihr deutlich anzusehen.
Sie wandte sich gerade an ihre Begleiterin und deutete auf einen besonders mächtigen Alligator, der nach dem Boot schnappte, es jedoch knapp verfehlte. Die junge Begleiterin der Lady schien von dem Alligator nicht viel zu halten. Sie bog sich unwillkürlich zurück und verzog angewidert ihr Gesicht. »Die sieht verdammt gut aus, Sir«, sagte der junge Mann, dessen Vorname Steve war. »Also gut, Steve. Merken Sie sich die Kleine ebenfalls vor. Sie sollen nicht leer ausgehen.« , »Vielen Dank, Sir.« Steve griff nach einem Fotoapparat und schoß das Bild, das immer noch auf dem Monitor zu sehen war. Er machte einige Aufnahmen und griff dann nach einem Funksprechgerät, das neben dem Kontrollstand auf einem Tisch lag. Während er sich mit der »Außenstelle Alligator« in Verbindung setzte, beobachtete der Glatzköpfige weiter die Fernsehbilder. Der fette Mann, der etwa fünfundfünfzig Jahre alt sein mochte, suchte nach weiteren Testpersonen für seinen großangelegten Versuch. Ihm ging es da um eine Mischung, die gute Resultate versprach. Zum anderen mußte sie einen gewissen Unterhaltungswert darstellen. Über das geplante Experiment hinaus wollte der Fette sich auch amüsieren. »Was halten Sie von dem Butler der >Alten« erkundigte sich Steve. Der junge Mann drückte wieder Bedienungsknöpfe und regulierte mit einem Drehknopf das Bild. Steve deutete auf den Monitor, auf dessen Bildscheibe nun der Butler zu sehen war, wie er eigentlich nur noch in nostalgischen Filmen zu genießen war. Dieser Butler trug einen schwarzen Zweireiher, eine schwarze Melone und hielt einen altväterlich gebundenen Regenschirm in der Hand. Er saß hinter der jungen Frau, die bereits notiert worden war. »Uninteressant«, meinte der Fette und schüttelte den Kopf. »Dieser Mann gibt nichts her, Steve. Er wird schon nach ein paar Stunden aus den Schuhen kippen und die Nerven verlieren.« »In Ordnung, Sir.« Steve verzichtete auf jedes Gegenargument. Er kannte seinen Chef nur zu gut. Hatte er einmal entschieden, so war die Sache erledigt. Der glatzköpfige Fette schüttelte unwillig den Kopf, als Steve das Bild umschalten wollte. Er beugte sich wieder vor und sah sich den Butler noch einmal genau an. Irgendwie gefiel ihm dieser so korrekt aussehende Mann nicht. Instinktiv spürte der Fette, daß dieser Butler nicht einzuordnen war. Dieser Mann im schwarzen Zweireiher war für jede Überraschung geeignet. Der Fette spürte förmlich die Herausforderung, die von diesem so gemessen aussehenden Mann ausging. Er war fast versucht, seinen Entschluß rückgängig zu machen, ließ es dann aber. Unnötige Risiken brauchten nicht unbedingt eingegangen zu werden. Was er plante, war ohnehin gefährlich genug. ***
Lady Agatha Simpson ließ sich von einem waschechten Chinesen den Tee servieren. Sie saß zusammen mit ihrer Gesellschafterin und Sekretärin in einem Pavillon und erholte sich etwas von der massierten Unterhaltung, die man ihr serviert hatte. Die Dame - immens reich und unabhängig - hatte sich auf den Besuch dieses Ferienparadieses schon seit Wochen gefreut. Sie erfüllte sich damit einen Kindertraum und war tatsächlich noch einmal zu einer Halbwüchsigen geworden. »Wonderland«, wie das Ferienparadies hieß, war vor knapp einem Jahr etwa anderthalb Autostunden von London entfernt in der Nähe von Oxford errichtet worden. Kenner der Vergnügungsindustrie hatten hier in einem sanften Hügelland, das von einigen Tälern durchschnitten wurde, eine Art Disneyland aus dem Boden gestampft. Es gab im Grunde nichts, was es nicht gab. Lady Simpson hatte die ersten Attraktionen bereits andeutungsweise genossen. Sie war auf dem Wildswasserkanal gewesen und hatte sich vom Boot durch die tosenden Fluten tragen lassen. Dieser Kahn war natürlich unterhalb der Wasseroberfläche an einer Führungskette befestigt und nahm seinen vorprogrammierten Kurs. Auch der Wasserfall war nichts als eine geschickte Täuschung, die allerdings den Blutdruck ansteigen ließ. Die Alligatoren im Dschungelsee bestanden aus Plastik und waren täuschend nachgeahmt worden. Ihr Schnappen nach dem trägen Ruderboot wurde elektronisch gesteuert, was dem Spaß aber keinen Abbruch tat. Echte Alligatoren hingegen konnte man in einem benachbarten See bewundern. Auf ihm verkehrten natürlich keine Besucherboote. Die Panzerechsen sollten nicht unnötig gefüttert werden. Die Besucher konnten sich diese Ungeheuer aus grauer Vorzeit von einer sicheren Plattform aus ansehen. Obwohl ein normaler Wochentag, war das Ferienparadies überaus gut besucht. Die Fahrt hinaus nach »Wonderland«, war vor allen Dingen für Familien ein Ereignis. Es gab so viel zu sehen, daß man den ganzen Tag lang bleiben konnte. »Was haben wir bisher abhaken können, Kindchen?« fragte Lady Simpson, sich an Kathy Porter wendend. Kathy lächelte, nahm den Parkführer hoch und reichte ihn Lady Agatha. »Den Wildwasserkanal haben wir, dann den Alligatorensee und das Feenschloß«, meinte Lady Simpson. »Richtig, dann die Delphin-Schau, die Western-Eisenbahn und >Gun Town<.« »Die Goldmine, Mylady, die Reptilienfarm und auch das > Reich der Gnome<.« »Eine ganz hübsche Liste, Kindchen.« Lady Agatha lehnte sich zufrieden zurück. »Nach dem Tee werden wir uns die Zauberburg und die Raubtier-Safari vornehmen.« »Hoffentlich läßt sich das zeitlich schaffen, Mylady.« Kathy Porter, wunderte sich wieder einmal über die Energie der älteren Dame. Lady Agatha wollte sich wirklich nichts entgehen lassen. »Falls nicht, kommen wir morgen noch einmal zurück«, erklärte Lady Simpson. »Haben Sie mitbekommen, daß Mr. Parker sich gar nicht- wohl fühlt?«
»Mr. Parker hält, glaube ich, nicht viel von solchen Belustigungen, Mylady.« Kathy lächelte wieder. Sie hatte sogar noch reichlich untertrieben. Sie kannte den Butler nur zu gut, der für solche Ferienparadiese überhaupt nicht geschaffen war. »Und was sagen Sie dazu, Kindchen? Hand aufs Herz, machen Sie mir nichts vor.« »Ich amüsiere mich, Mylady.« Kathy meinte es ehrlich. »Man kann sich gruseln und weiß, daß einem nichts passieren kann.« »Ich werde mit meinem Vermögensverwalter ein offenes Wort reden müssen«, sagte Lady Agatha nachdenklich. »An solch einem Ferienpark sollte man sich beteiligen. Ich hätte eine Menge Ideen für zusätzliche Attraktionen. Sagen Sie, wo bleibt denn Parker? Hat er sich etwa abgesetzt?« »Er trocknet wahrscheinlich seine Kleidung«, antwortete Kathy. »Der Wildwasserkanal schien es auf ihn abgesehen zu haben.« Lady Agatha hätte gar zu gern einige spitze Bemerkungen gemacht, doch sie wurde plötzlich abgelenkt. Zwei Herren traten an den Tisch. Sie waren feierlich gekleidet und hielten große Blumensträuße in Händen. »Dürfen wir vielleicht einen Moment stören?« fragte der jüngere der beiden Männer und verbeugte sich höflich. »Sie haben gewonnen«, verkündete der zweite Mann, der ein wenig füllig war. »Und was?« erkundigte sich Lady Simpson sofort. Gegen Gewinn hatte sie grundsätzlich nichts einzuwenden. »Zuerst einmal die Blumen, Madam«, meinte der junge Mann, der mit dem Steve identisch war, der sich im Kontrollraum des Ferienparks befunden hatte. »Der eigentliche Preis wartet auf Sie in unseren Geschäftsräumen«, fügte der Füllige freundlich hinzu. »Wenn wir die Damen einladen dürften?« »Wieso hat Mylady gewonnen?« wollte Kathy wissen. Sie hatte von Parker gelernt, immer mißtrauisch zu sein. »Sie sind die 500 000. Besucherin in dieser Saison«, sagte der junge Mann. »Und wieso finden Sie mich erst jetzt? «f wollte Lady Simpson genau wissen. Steve griff in seine Brusttasche, holte zwei Polaroid-Farbfotos hervor und reichte sie Lady Simpson. »Sie wurden an der Kasse bereits fotografiert, Madam«, meinte er geschmeidig. »Worauf warten Sie noch, junger Mann?« Lady Simpson ließ ihre tiefe Stimme ertönen. »Sagen Sie mir endlich, was ich gewonnen habe?« »Wollen Sie sich nicht überraschen lassen, Madam? Der Wagen wartet bereits vor dem Pavillon.« »Und wie verständigen wir Mr. Parker?« Kathy Porter war mit dieser Einladung nicht sehr einverstanden. Sie wußte aus Erfahrung, daß Lady Simpson gefährlich lebte. Was immer sie auch anpackte, es wurde daraus früher oder später ein Kriminalfall. »Sie haben noch einen Begleiter bei sich?« fragte der Korpulente. »Mein Butler.« Lady Simpson war ungeduldig geworden. Sie wollte endlich ihren Preis kassieren.
»Ich werde hier auf ihn warten«, meinte der Füllige, indem er mit seinem Begleiter Steve einen schnellen Blick wechselte. »Wollen Sie mich um meinen Preis bringen?« Lady Simpson war noch ungeduldiger geworden. Sie setzte sich bereits in Bewegung und war nach Lage der Dinge nicht mehr zu stoppen. Kathy folgte ihr notgedrungen. Sie wollte Lady Simpson auf keinen Fall allein gehen lassen. Und damit marschierten die beiden Damen unwissend bereits in ihr nächstes Abenteuer hinein. *** Butler Parker kam sich ein wenig unglücklich vor. Er wartete nun schon seit einer halben Stunde auf die Rückgabe seines schwarzen Zweireihers, doch bisher hatte sich nichts getan. Er war in die Schnellbügelanstalt in der Nähe des Wildwasserkanals gegangen, um sein Äußeres wieder in die alte Form bringen zu lassen. Vor einer halben Stunde noch hatte er die Einrichtung solch einer Schnellbüglerei äußerst begrüßt, doch nun änderte sich seine Meinung gründlich. Ohne Jackett und Hose kam er sich hilflos und verlassen vor. ; Er saß in einer freundlich eingerichteten Kabine und ließ sich von Musik berieseln. Er hatte in den hier ausliegenden Magazinen lustlos herumgeblättert, immer wieder auf seine unförmig aussehende Taschenuhr geblickt und schließlich sehr nachdrücklich auf den Klingelknopf gedrückt, um die Bedienung herbeizurufen. Nun, entweder war die Klingel nicht in Ordnung, oder man reagierte überhaupt nicht. Josuah Parker erhob sich aus dem kleinen Sessel und ging zur Tür. Er kam dabei an dem großen Wandspiegel vorüber und warf einen prüfenden Blick auf sich. Besonders korrekt sah er wirklich nicht aus. Er trug geblümte Shorts, ein Baumwollunterhemd und sah nicht unbedingt wie ein Leistungssportler aus. Vielleicht störte es den Gesamteindruck, daß er seine schwarze Melone trug. Sie paßte nicht recht zu seiner momentanen Kleidung. Verblüfft nahm der Butler zur Kenntnis, daß die Tür der Umkleidekabine verschlossen war. Parker rüttelte an dem Türknauf und war sofort hellwach. Hier stimmte etwas nicht. Das Zuschließen der Tür war völlig irregulär. Er hämmerte mit dem Bambusgriff seines Universal-Regenschirms gegen die Türfüllung und legte sich dabei keinerlei Hemmung auf. Da der Bambusgriff mit Blei ausgegossen war, fielen diese Schläge sehr laut aus. Sie dröhnten durch die Umkleidekabine und mußten auch drüben im Laden mit Sicherheit wahrgenommen werden. Es rührte sich jedoch nichts. Parkers Mißtrauen wuchs zusehends. Er hatte nun das feste Gefühl, daß man ihm aus irgendeinem Grund einen bösen Streich gespielt hatte. Er dachte natürlich sofort an Lady Agatha und an Kathy Porter. Wurde er hier festgehalten, um sich
nicht mit den beiden Damen beschäftigen zu können? War der Zufall genutzt worden, daß er hier seine Hosen neu aufbügeln lassen mußte? Er war nicht der Mann, geduldig und ergeben zu warten. Josuah Parker bückte sich und untersuchte das einfache Schloß. Dann langte er nach dem langen, an der Wand hängenden Schuhlöffel und benutzte ihn als Brecheisen. Innerhalb weniger Sekunden gab das Schloß seinen Widerstand auf und die Tür ließ sich aufschwingen. Der Butler schien völlig vergessen zu haben, was er anhatte. Es wäre ihm auch jetzt völlig gleichgültig gewesen. Die Sorge um Lady Simpson und Kathy Porter war schließlich größer. Dieses Einsperren konnte kein Zufall sein. Parker rückte sich seine schwarze Melone zurecht, legte den Regenschirm korrekt über den linken Unterarm und schritt den Korridorgang hinunter, an dem die insgesamt sechs Umkleidekabinen lagen. Er erreichte den Trennvorhang, schob ihn zur Seite und sah sich im gleichen Moment auch schon in seinem Verdacht bestätigt. Der Laden war leer! Die Angestellten schienen auf irgendeinen Wink hin den großen Raum verlassen zu haben. Die Jalousetten vor den beiden Schaufenstern waren herabgelassen worden. Jetzt wurde Parker ärgerlich. Er schalt sich einen Narren, daß ihm nicht schon früher ein Licht aufgegangen war. Wer mochte ihn hereingelegt haben? Seit wann war man hinter Lady Agatha Simpson her? Daß es einzig und allein um sie ging, war für ihn bereits eine erwiesene Tatsache. Irgendwelche Gangster mußten schon seit Stunden hinter ihnen hergewesen sein. Irgendwelche Gangster? Parker fragte sich, wer im Moment ein Interesse daran haben könnte, Lady Simpson zu belästigen. Es gab leider recht viele Unterweltler, die auf die Lady nicht gut zu sprechen waren. Lady Simpson galt in eingeweihten Kreisen als Gangsterschreck Nr. 1. Zusammen mit Kathy Porter und ihrem Butler widmete sie sich in ihrer Freizeit der Aufklärung von Kriminalfällen. Da sie dabei überaus erfolgreich war, mochte man sie natürlich nicht besonders gut leiden. Erleichtert nahm Parker zur Kenntnis, daß man seine Kleidung immerhin trockengebügelt und in Ordnung gebracht hatte. Der schwarze Zweireiher hing korrekt über einem Bügel und brauchte nur noch angezogen zu werden. Nach wenigen Minuten war der Butler wieder einsatzbereit. Er kam aus der Umkleidekabine, wo er den Tascheninhalt zurück in den Anzug befördert hatte. Er schritt auf den Ausgang zu und sperrte die Tür auf. » Draußen schien die Nachmittagssonne. Alles sah unverdächtig aus. Überall waren freudig gestimmte Menschen, die die Überraschungen des Ferienparks genossen. Parker war allerdings überhaupt nicht mehr an Überraschungen interessiert. Er war in dieser Hinsicht bereits ausgiebig bedient worden.
*** Im Teepavillon konnte man ihm nur sagen, daß die beiden Damen bereits vor einer Viertelstunde gegangen waren. Nein, sie hatten keine Nachricht hinterlassen, man bedauerte ungemein. Parker verzichtete darauf, weitere Fragen zu stellen. Er beging auch nicht den Fehler, auf dem weiträumigen Gelände nach Lady Simpson und Kathy Porter zu suchen. Der Betrieb im Ferienpark war einfach zu unübersichtlich. Parker schritt ein wenig schneller als sonst aus und erschien dann im Gebäude der Geschäftsleitung. Die Verwaltung des Ferienparks war in einem Haus, das einer spanischen Hazienda glich, untergebracht. Die Hosteß, die das Telefon bediente und Auskunft gab, war erstklassig geschult und erklärte sich, sofort bereit, Lady Simpson über die Lautsprecheranlage ausrufen zu lassen. »Aber nein, das macht überhaupt keine Mühe«, sagte sie lächelnd, und notierte sich den Namen. »Was glauben Sie, wie viele Kinder hier pro Tag ihre Eltern verlieren? Dafür haben wir extra einen Suchdienst eingerichtet.« Parker erinnerte sich. Während des Aufenthaltes hier im Ferienpark hatte er tatsächlich drei solcher Durchsagen gehört, aber nicht weiter darauf geachtet. Die Hosteß stand bereits vor dem Mikrofon und rief Lady Simpsons Namen aus. Sie bat über die vielen, im Ferienpark verstreut aufgestellten Lautsprecher, daß sich Lady Simpson im Informationscenter melden möge. »Erfahrungsgemäß dauert es eine gute Viertelstunde, bis die gesuchten Personen hier erscheinen«, sagte sie dann zu Parker. »Nehmen Sie doch bitte drüben im Sessel Platz, Sir. Keine Sorge, Sie werden die Dame bald wiedersehen.« Parker lüftete höflich seine schwarze Melone und ließ sich im Sessel nieder. Er hatte sich tatsächlich wieder etwas beruhigt. Mylady waren wahrscheinlich, so überlegte er, im Überschwang der Gefühle bereits weitergegangen. Sie schien diesen albernen Ferienpark sehr zu genießen. Parker faßte sich in Geduld, schielte aber immer wieder zu der Uhr hinüber, die über dem Eingang angebracht war. Für seine Begriffe bewegten sich die Zeiger überaus träge. Nachdem zehn Minuten verstrichen waren, stand er auf und ließ sich wieder bei der Hosteß sehen. »Die Lady wird bestimmt gleich kommen«, behauptete die Hosteß lächelnd. »Bisher ist hier bei uns noch jeder gefunden worden. Darf ich Sie etwas fragen, Sir?« »Ich stehe zu Ihrer Verfügung.« Parker deutete eine steife Verbeugung an. »Lady Simpson könnte nicht weggefahren sein?« »Wie soll ich das verstehen?« »Könnte Lady Simpson nicht den Ferienpark allein verlassen haben?«
»Das ist nach menschlichen Ermessen so gut wie ausgeschlossen«, gab der Butler zurück. »Das kommt nämlich schon mal vor, Sir«, redete die Hosteß weiter. »Es hat dann meist Streit oder Unstimmigkeiten gegeben. Partner haben sich dann absichtlich getrennt.« »Diese Möglichkeit ist in diesem Fall auszuschließen«, sagte der Butler steif und ging wieder zurück zu seinem Sessel. Er mußte weiter warten, ob es ihm nun gefiel oder nicht. Er kam sich dabei seltsam hilflos vor. Ja, er machte sich bereits ernsthaft Vorwürfe. Er hätte Lady Agatha Simpson auf keinen Fall allein lassen dürfen. Er wußte doch, wie überschäumend das Temperament der Amateurdetektivin sein konnte, wenn man sie erst einmal in die richtige Stimmung brachte. *** Lady Agatha Simpsons Temperament schäumte leider nicht sonderlich über. Sie war gerade aufgewacht und fühlte sich äußerst miserabel. Sie hatte Kopfschmerzen, großen Durst und brauchte einige Sekunden, bis sie sich zurechtgefunden und erinnert hatte. Sie richtete sich auf und schaute sich in dem engen und feuchten Keller um. Die Luft war stickig und roch nach Moder und Fäulnis. Unter der niedrigen Decke dieses Betonbunkers brannte eine Glühbirne, die nur schwach Licht gab. Auf einer Pritsche an der gegenüberliegenden Wand lag Kathy Porter. Sie schlief noch tief und fest. Lady Simpson stand auf und ging zu ihrer Gesellschafterin hinüber. Sie überzeugte sich erst einmal davon, daß Kathy unverletzt war. Dann sah sie sich die Tür dieses Gefängnisses etwas genauer an. Nein, da war nichts zu machen. Vielleicht hätte ein Butler Parker solch ein Hindernis bezwingen können, aber sie war in diesen Dingen doch wenig geschult. Die Tür bestand aus schweren Holzbohlen, von denen das Schwitzwasser in dicken Tropfen herunterrann. Lady Simpson fuhr herum, als sie hinter sich ein leises Seufzen vernahm. »Sie haben wieder mal einen festen Schlaf, Kindchen«, grollte sie Kathy an, die sich gerade aufrichtete und nach ihren Schläfen griff. »Mein Kopf«, stöhnte Kathy. Dann durchfuhr es sie. Erst jetzt ging ihr auf, wo sie sich befand. Sie war sofort auf den Beinen, taumelte noch ein wenig und schleppte sich dann zu Lady Simpson hinüber. »Wagen Sie es nicht, mir irgendwelche Fragen zu stellen, Kindchen!« Lady Simpson sah Kathy gereizt an. »Ich weiß nur, daß man den Sekt präpariert haben muß.« »Sekt, Mylady?« Kathy hatte ihr Erinnerungsvermögen noch nicht vollständig zurückgewonnen. »Den Sekt zur Begrüßung. Geht Ihnen jetzt endlich ein Licht auf?«
»Richtig, Mylady.« Kathy wußte wieder Bescheid. Mylady hatte ja diesen Preis gewonnen. Es hatte Blumen im Teepavillon gegeben und anschließend war man zur Geschäftsleitung gebeten worden. Hier hatte es Sekt und freundliche Worte gegeben. »Ich ... Ich verstehe das alles nicht, Mylady.« »Aber ich, Kindchen! Man hat uns hereingelegt.« »Aber wer, Mylady!« »Weiß der Himmel, wahrscheinlich irgendwelche Subjekte aus der Unterwelt.« »Sie glauben, daß man uns entführt hat, Mylady?« »Zu einer Party wird man uns hier nicht eingeladen haben!« Deutlicher Spott klang in Lady Agathas Stimme. »Sehen Sie sich doch gefälligst um, Kindchen. Das hier ist kein Spaß, sondern nackte Wirklichkeit.« »Es riecht hier so eigenartig, Mylady.« Kathy rümpfte die Nase. »Wie im Dschungel. Das habe ich bereits auch schon bemerkt.« »Und wie lange, Mylady, sind wir schon hier?« »Keine Ahnung. Man hat uns die Uhren weggenommen.« Das hatte Lady Simpson bereits zu ihrem Mißfallen festgestellt. »Ob man auch Mr. Parker ...?« Kathy verzichtete darauf, den Satz zu beenden. »Natürlich«, sagte Lady Simpson. »Wahrscheinlich sitzt er in einem anderen Keller.« »Dann besteht noch ein Hoffnungsschimmer, Mylady.« Kathy hatte sich mit der Situation bereits abgefunden und massierte nur noch ein wenig ihre hämmernden Schläfen. »Gott erhalte Ihnen Ihren Optimismus, Kindchen!« Lady Simpson ging zu ihrem Feldbett zurück und ließ sich auf der Kante nieder. »Die Geschäftsleitung dieses Ferienparks hat uns hereingelegt. Ahnen Sie, was das bedeutet?« »Nein, Mylady.« »Der Ferienpark wird von Gangstern geleitet, Kindchen.« »Aber sie wußten doch gar nicht, daß Sie hierherkommen würden, Mylady. Sie hatten sich doch erst heute morgen dazu entschlossen.« »Was hat das damit zu tun?« Lady Simpson sah ihre Gesellschafterin, grimmig an. »Schön, wir sind zufällig hierher geraten, aber das ist es ja gerade. Man hat uns erkannt und daraus gefolgert, wir wären einer bestimmten Sache auf der Spur.« »So könnte es tatsächlich gewesen sein, Mylady.« »So ist es gewesen, Kindchen!« Mylady duldete keinen Widerspruch. »Ich will Sie ja nicht beunruhigen, aber wir sollten uns auf böse Überraschungen rechtzeitig einstellen.« »Sie glauben, man will uns umbringen, Mylady?« »Was denn sonst?« knurrte die Hobbydetektivin ärgerlich zurück. »Man sollte den Tatsachen immer ins Auge sehen!« ***
»Dort sitzt er, Sir«, sagte Steve zu dem Fetten und deutete auf einen Kontrollfernseher. »Der gute Mann scheint nicht zu wissen, was er machen soll.« »Ein typischer Butler«, sagte der fette Mann und lachte leise auf. »Er ist auf Befehle seiner Herrin angewiesen. Bleiben sie aus, dann ist er hilflos verloren.« Die versteckte Kamera hatte Josuah Parker erfaßt. Er befand sich im Pavillon, wo er sich mit Lady Simpson und Kathy Porter hatte treffen wollen. Der Butler hatte sich eine Tasse Tee servieren lassen und machte tatsächlich auf einen Nichteingeweihten einen ratlosen Eindruck. »Aber die Polizei wird er doch sicher informieren, Sir, oder?« fragte Steve. »Natürlich, soweit reicht seine Eigeninitiative noch. Aber dann wird er warten und warten.« »Die Polizei wird hier erscheinen, Sir.« »Auch das ist richtig, Steve. Doch was wird sie finden? Wir haben heute gut und gern achttausend Besucher. Das läßt sich an Hand der Einlaßkarten belegen. Wie sollen wir wissen, welcher Besucher wann wohin gegangen ist? Das Interesse der Polizei wird sich bald erschöpfen.« »Zumal die Unterkünfte für unsere Gäste mehr als sicher sind, Sir.« Steve lachte leise auf. Er war an Parker nicht mehr näher interessiert. Dieser Mann gab für das geplante, große Experiment nichts her. »Schalten Sie ab, Steve«, befahl der Fette und stand auf. »Wir sind ohnehin komplett.« »Acht Personen«, faßte Steve zusammen, während er die Bilder auf den Monitoren löschte. »Vier Frauen und vier Männer.« »Eine gute Mischung, denke ich.« Der Fette zündete sich eine Zigarre an und wandte sich leutselig an seinen Assistenten. »Sie werden bald viel zu tun bekommen, Steve.« »Ich freue mich auf die Testprogramme, Sir.« »Sie sind sämtliche Sicherungen noch einmal durchgegangen?« »Richtig, Sir. Wenn der Ferienpark übermorgen schließt, bleibt nur unser Stammpersonal zurück. Und auf diese Leute kann man sich verlassen.« »Wer aus der Reihe tanzt, wird umgehend aus dem Verkehr gezogen, Steve. Nehmen Sie da keine Rücksicht.« »Bestimmt nicht, Sir.« »Falls etwas sein sollte, finden Sie mich in meinem Hauptquartier, Steve.« »Jawohl, Sir.« Steve grüßte respektvoll, beinahe wie ein Offizier der britischen Armee. Der Fette nickte knapp und verließ seinen Kommandostand. Er ließ sich von dem Privataufzug hinauf in seinen Wohnturm bringen. Dieses Gebäude befand sich in nächster Nähe der nachgebauten, spanischen Hazienda und glich äußerlich einem mehrstöckigen Indianerpueblo. In den unteren Räumen war eine Art Völkerkundemuseum untergebracht, das den Besuchern des Ferienparks zugänglich war.
Die beiden oberen Etagen des fünfstöckigen Hauses waren das Hauptquartier des fetten Mannes. Die Einrichtung war abenteuerlich und befremdend zugleich. Man schien sich tatsächlich in einem Armeehauptquartier zu befinden. An den Wänden hingen Generalstabskarten mit deutlichen Markierungen. Daneben hingen ganze Fotoserien von bereits geschlagenen Schlachten aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. Es gab hier weiter Erinnerungsstücke in Hülle und Fülle. Sie lagerten in Vitrinen oder großen Schränken. Es gab praktisch keinen Ausrüstungsgegenstand, angefangen von Gasmasken über Waffen bis hin zu Uniformen, der nicht vertreten gewesen wäre. Der fette Mann schien in einer sehr eigenen Welt zu denken und zu leben. Er öffnete jetzt eine Schiebetür und betrat einen niedrigen Raum, der aus Beton gegossen zu sein schien. Unter einer Pendelleuchte stand ein langer Kartentisch. Der fette Mann öffnete ein Spind gleich rechts neben der Schiebetür und streifte sein Jackett ab. Dann zog er sich eine etwas zu knapp sitzende Offiziersjacke über, setzte sich eine entsprechende Mütze auf und trat dann an den Kartentisch. Er beugte sich über die ausgelegten Karten und befaßte sich mit dem Vorstoß, den er mit seinen imaginären Panzern durchführen wollte. Die bereits legendär gewordene Schlacht von El Alamein in Nordafrika wollte er noch einmal schlagen, diesmal aber schneller und vor allen Dingen genialer. Nach wenigen Sekunden richtete er sich irritiert auf. Ihm schien noch etwas zu fehlen. Der kleine, fette Mann ging zu einem Wandbord hinüber und schaltete hier ein großes Tonbandgerät ein. Sekunden später war das rasselnde Mahlen von Panzerketten zu vernehmen, dann Dauerfeuer von Maschinengewehren und das grollende Rollen weit entfernter Artillerie. Nun stimmte alles. Der kleine, fette Mann machte sich daran, seine Schlacht zu schlagen. *** Josuah Parker befand sich allein auf weiter Flur. Er saß auf dem Fahrersitz seines hochbeinigen Monstrums und ließ die Leere des riesigen Parkplatzes auf sich einwirken. Der Ferienpark hatte vor etwa einer halben Stunde seine Tore geschlossen, die Besucher waren bereits weggefahren. Es wurde dunkel. Die Bogenlampen über den Eingangsschleusen waren bereits eingeschaltet worden. Ihr kaltes Licht verstärkte noch den Eindruck der Leere und Verlassenheit. »Wollen Sie hier übernachten?« Einer der Parkwächter erschien neben dem Wagen. Er sah den Butler belustigt an. »Sind Sie sicher, daß sämtliche Gäste den Ferienpark verlassen haben?« fragte der Butler höflich. »Natürlich«, gab der Parkwächter zurück. »Für heute ist Schluß! Dann noch zwei Tage, und hier wird bis zur nächsten Saison dichtgemacht. Im Herbst wäre hier
draußen nicht mehr viel los. Wir brauchen den ganzen Winter, um den Ferienpark wieder auf Vordermann zu bringen.« »Dies kann ich mir in der Tat vorstellen. Kommt es übrigens vor, daß hin und wieder Besucher im Park zurückbleiben? Ich meine bewußt und absichtlich. Weiträumig genug dürfte die Anlage ja sein.« »Wer sich unbedingt verstecken will, kann's natürlich«, räumte der Parkwächter ein. »Wahrscheinlich tun's auch Leute, die sich den Eintrittspreis für den nächsten Tag sparen wollen.« . »Wird der Ferienpark über Nacht kontrolliert?« »Aber klar«, meinte der Parkwächter. »Da gehen Hundestreifen durch das Gelände. Es gibt ja genug, was man sich unter den Nagel reißen könnte.« Dieses Ferienparadies scheint das zu sein, was man eine Goldgrube zu nennen pflegt.« »Mir würde schon eine Tageseinnahme reichen.« Der Parkwächter nickte und seufzte auf. »Und wem gehört diese Goldgrube, wenn die Frage gestattet ist?« »Melvin Custner. Er hat zwei davon, eine ist oben in Blackpool. Ich glaube, - der dritte Park wird im nächsten Jahr eröffnet. Und zwar in Schottland.« »Ein geschäftstüchtiger Mensch, wenn ich so sagen darf.« »Bestimmt.« Der Parkwächter nickte zustimmend. »Der hat's in den Fingerspitzen.« »Auch ein guter Arbeitgeber?« »Doch, er zahlt bestens, das kann man nicht anders sagen. Aber jetzt muß ich weiter meinen Rundgang machen. Wollen Sie noch länger bleiben?« »Es dürfte wohl kaum noch Sinn haben.« Parker lüftete seine Melone und fuhr wenig später mit seinem hochbeinigen Monstrum an. Nach außen hin sah sein Privatwagen wie ein echtes Londoner Taxi aus, aber unter dem Blech war alles ganz anders. Parkers Wagen war eine Trickkiste auf vier Rädern, ausgestattet mit den raffiniertesten Techniken, die man sich nur vorstellen konnte. Parker hätte sich mit seinem Monstrum durchaus an jedem Sportwagenrennen beteiligen können, so stark war zum Beispiel der Motor. Der Wagen war nach seinen Vorstellungen und Plänen umgestaltet worden und hatte sich in der Vergangenheit schon oft bewährt. Jetzt schien sein Monstrum allerdings unter erheblichen Konditionsschwierigkeiten zu leiden. Aus dem Auspuff quollen blauschwarze Rauchwolken hervor. Fehlzündungen unterstrichen akustisch die scheinbare Klapprigkeit dieses Vehikels. Der Parkwächter grinste und verzog sein Gesicht. Er rechnete damit, daß dieser ulkige Karren noch vor dem Verlassen des Parkplatzes auseinanderfiel. Parker rollte mitsamt seinem Monstrum endlich die breite Zufahrtstraße hinunter und verschwand dann in der hereinbrechenden Dunkelheit. Er schien es endgültig aufgegeben zu haben, auf Lady Simpson und Kathy Porter zu warten. ***
»Mylady, sehen Sie doch!« Kathy, die auf dem Feldbett saß, deutete überrascht zur Tür hinüber. Sie stand auf und wollte ihren Augen nicht trauen. Die schwere Tür aus Holzbohlen hatte sich geöffnet. . »Was ist denn, Kindchen?« Lady Simpson Stimme klang äußerst unwillig. Als sie keine Antwort erhielt, öffnete sie die Augen und stutzte. Ihre Gesellschafterin war verschwunden. Und die Tür des feuchten, stickigen Kellers war halb geöffnet. Die Lady schwang sich hoch, stand auf und schritt auf ihren stämmigen Beinen zum Ausgang. Sie bereitete sich innerlich auf die nächste Überraschung vor. Sie glaubte übrigens nicht einen Moment lang an ihre Befreiung. »Hier, Mylady«, hörte sie Kathy Porters Stimme. Lady Simpson betrat den schmalen Gang, dessen Wände aus kaltem Beton bestanden, und sah dann ihre Gesellschafterin. Kathy Porter stand in einer Tür und winkte ihr zu. »Endlich ein normales Apartment«, stellte Lady Simpson fest, als sie in den Raum hinter der Tür schaute. »Nicht besonders geschmackvoll eingerichtet, aber immerhin.« »Das sieht aus wie in einem Unterstand oder Bunker«, sagte Kathy überrascht. »Sehen Sie sich nur die Pritsche und die Möbel an.« »Und die Kochgeschirre«, fügte Lady Agatha hinzu. »Wenn mich nicht alles täuscht, sind sie sogar gefüllt, Kindchen.« »Gemüseeintopf, Mylady.« Kathy war bereits an einem Tisch, der aus ungehobelten Brettern roh zusammengezimmert war. Sie warf einen Blick in die gut gefüllten Kochgeschirre. »Jetzt merke ich erst, daß ich Hunger habe.« »Was soll das alles?« Lady Simpson sah sich den Unterstand ein wenig näher an. Die Wände waren mit Brettern verschalt, es gab Stützbalken, die die leicht durchgebogene Decke abstemmten, und sogar in der Ecke neben den beiden primitiven Holzspinden einen Gewehrständer. »Zwicken Sie mich mal, Kindchen«, verlangte die Lady. »Sind wir in einen der beiden Weltkriege geraten?« »Der Eintopf ist sehr gut, Mylady«, erinnerte Kathy. Sie saß bereits auf der einfachen Holzbank und löffelte die dicke Gemüsesuppe. »Hören Sie, Kindchen!« Lady Simpson hob lauschend den Kopf. »Hört sich nach Kanonen an, Mylady.« Kathy ließ sich kaum beeindrucken. »Das sind Geschütze«, stellte Lady Agatha fest. »Ich habe so meine traurigen Erfahrungen. Das ist Geschützfeuer, etwa zwei bis drei Kilometer weit entfernt. Du lieber Himmel, wohin hat man uns verschleppt?« »Mylady, der Eintopf wird kalt«, drängte Kathy die Lady besorgt und löffelte bereits genußvoll den Eintopf. »Das kann doch nur ein schlechter Scherz sein«, ärgerte sich Lady Simpson. Sie nahm auf der Holzbank Platz und wollte nach dem einfachen Holzlöffel greifen, als ihr Blick auf einen Umschlag fiel, den man unter das zweite Eßgeschirr
geklemmt hatte. Sie griff nach ihm, öffnete ihn und zog einen engbeschriebenen Bogen hervor. Kathy aß weiter, aber sie beobachtete die Lady, deren Gesicht sich langsam rosa einfärbte, ein sicheres Zeichen dafür, daß Lady Simpson langsam, aber sicher in Fahrt geriet. »Also, das ist doch die Höhe!« Lady Simpson warf das Papier auf den Tisch und griff nach dem Löffel. »Wir haben es mit einem Verrückten zu tun, Kindchen.« »Was steht denn in dem Schreiben, Mylady?« »Lesen Sie selbst, denn mir werden Sie nicht glauben.« »Aber bestimmt, Mylady.« Kathy wollte ihre Mahlzeit nicht unterbrechen. »Man gratuliert uns«, bemerkte Lady Simpson grimmig. »Wir sind für würdig befunden worden; an einem Planspiel zum Studium des Überlebens teilnehmen zu dürfen. So steht es fast wortwörtlich in diesem arroganten Wisch.« »Was soll man sich darunter vorstellen, Mylady?« Kathy schien nur halb zugehört zu haben. »Das werde ich Ihnen gern erklären, Kindchen.« Lady Simpson tauchte ihren Löffel ins Kochgeschirr und kostete. Sie nickte wider Willen anerkennend, widmete sich dann aber wieder ihrer Antwort. »Wir werden um unser Leben kämpfen müssen. Nicht mehr und nicht weniger.« »Aha.« Kathy Porter schien den Ernst der Lage noch nicht begriffen zu haben. »Und gegen wen?« . »Diese Frage ist gut, Kindchen. Wir werden gegen eine Gruppe kämpfen müssen, die auch gern überleben möchte.« »Und wie lange, Mylady?« Nein, Kathy ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Das Planspiel soll sechsunddreißig Stunden dauern.« »Seltsame Idee, Mylady. Dann braucht man ja nur sechsunddreißig Stunden lang nichts zu tun.« »Und schon sind Sie auf dem Holzweg, Kindchen.« Lady Simpson nickte grimmig. »Nur der wird überleben und seine Freiheit zurückbekommen, der die meisten Erkennungsmarken vorweisen kann.« Kathy ließ ihren Löffel sinken,, sah Lady Agatha verblüfft an und langte dann in den Ausschnitt ihrer Bluse. Sie fingerte ein wenig am Hals herum und zog dann zu ihrer eigenen Überraschung eine Erkennungsmarke hervor, wie sie beim Militär verwendet wird. Lady Simpson tat es ihr nach, fand auch ihre Erkennungsmarke und sah ihre Gesellschafterin verblüfft an. »Die muß man uns während unserer Ohnmacht umgehängt haben«, sagte Kathy. »Nur der wird Überleben und wieder frei sein, der die meisten Erkennungsmarken vorweisen kann«, wiederholte Lady Simpson. »Wissen Sie, was das bedeutet, Kindchen?« »Natürlich, Mylady.« Kathy beschäftigte sich schon wieder mit ihrem Eintopf. »Kampf aller gegen alle.« »Wir sollen uns gegenseitig umbringen«, entrüstete sich Lady Simpson. »Zuerst gruppenweise, dann einzeln innerhalb der jeweiligen Gruppe.«
»So etwas kann sich nur ein Verrückter ausgedacht haben«, sagte Kathy. »Wenn Sie wollen, können Sie übrigens meine Erkennungsmarke sofort haben.« »Haben Sie noch immer nicht begriffen, Kindchen?« Lady Simpson sah ihre Gesellschafterin beinahe strafend an. »Sie bringen sich damit um Ihre Chance.« »Wo soll dieses Planspiel denn überhaupt stattfinden, Mylady?« fragte Kathy, ohne auf den Hinweis Lady Agathas näher einzugehen. »Hier im Ferienpark, wenn ich den Wisch richtig verstanden habe. Ich möchte nur wissen, ob auch Mr. Parker Teilnehmer dieser Menschenjagd ist. Erstaunlich ist doch, daß man von ihm noch nichts gehört hat, finden Sie nicht auch?« *** »Sie hat sich bisher also noch nicht gemeldet?« fragte Superintendent McWarden, ein bulliger und untersetzter Mann von etwa fünfzig Jahren. Parker hatte ihn in das Stadthaus von Lady Simpson gebeten und ihm die Tatsache mitgeteilt. »Ein Anruf fand leider nicht statt«, bestätigte der Butler. »Es geht auf Mitternacht zu. Seit dem Verschwinden von Mylady und Miß Porter sind bereits wertvolle Stunden verstrichen, wenn ich es so umschreiben darf.« »Sie ist vielleicht entführt worden«, vermutete McWarden. »Hat man in der Vergangenheit doch schon mehrmals versucht, oder?« »Dies ist der Fall, Sir«, sagte Parker. »Also werden die Entführer sich früher oder später melden und die Höhe des Lösegeldes durchgeben.« »Das wäre das übliche Verfahren, Sir.« »Aber Sie sind anderer Meinung, wie?« Ich kenne Sie doch. Wenn Sie sich so ausdrücken wie gerade eben, haben Sie doch schon längst das bekannte >Haar in der Suppe< entdeckt.« McWarden übertrieb dabei keineswegs. Er kannte das Trio Lady Simpson, Kathy Porter und Butler Parker. McWarden hatte von dieser Bekanntschaft schon häufig profitieren können. Verzwickte Kriminalfälle waren ihm schon mehrfach sauber gelöst serviert worden. Darüber hinaus schätzte McWarden den Butler als erstklassigen Kriminalisten. Der Superintendent wunderte sich immer wieder darüber, daß ein Mann wie Parker weiterhin als Butler arbeitete. Als offiziell zugelassener Privatdetektiv hätte Parker seiner Ansicht nach ein Vermögen machen können. »Sie wollen mir Ihren Verdacht nicht nennen?« fragte McWarden weiter. »Entschuldigung, Sir, ich erlaubte mir gerade, die Dinge noch einmal zu durchdenken«, gab Parker gemessen zurück. »Eine Entführung, um auf Ihre Vermutung zurückzukommen, wird meist von langer Hand geplant. Myladys Entschluß hingegen, den Ferienpark zu besuchen, war spontan gefaßt. Etwaige Entführer konnten mit dieser Ausfahrt wirklich nicht rechnen.« »Man wird vielleicht ihrem Wagen gefolgt sein, Mr. Parker.«
Um Mylady dann im Ferienpark zu entführen, Sir? Dies erscheint mir kaum vorstellbar. Sie kennen doch Mylady, wenn ich so etwas vorsichtig andeuten darf.« »Allerdings.« McWarden lächelte unwillkürlich. »Mylady hätten sich einem Entführungsversuch sehr energisch widersetzt«, führte der Butler weiter aus. »Das Terrain für eine Gegenwehr war äußerst günstig.« »Was vermuten Sie, Mr. Parker?« »Mylady müssen sich meiner Ansicht nach noch im Ferienpark befinden.« »Jetzt komme ich da nicht ganz mit. Sie glauben, sie wird dort gegen ihren Willen festgehalten?« »Das ist nur ein scheinbarer Widerspruch, Sir«, schickte der Butler voraus. »Mylady wurden nach Lage der Dinge durch einen Trick in eine Falle gelockt.« »Und von wem? Von einem Angestellten? Und falls das so ist, Mr. Parker, zu welchem Zweck? Jede Tat muß ein Motiv haben. Hier kann ich keins entdecken.« »Leider ergeht es meiner bescheidenen Person nicht anders«, räumte Parker ein. »Die Frage bleibt, warum man Lady Simpson und Miß Porter im Ferienpark zurückgehalten hat.« »Falls überhaupt«, schränkte McWarden ein. »Ließe sich feststellen, Sir, wer der Besitzer des Ferienparks wirklich ist? Sein Name lautet Melvin Custner, wie ich in Erfahrung bringen konnte.« McWarden notierte sich den Namen und nickte. »Ich setze meine Leute sofort darauf an«, versprach er. »Ich werde auch den Ferienpark durchsuchen lassen. Vielleicht findet sich ein Hinweis.« »Gegen eine Befragung der Angestellten wäre nichts einzuwenden«, meinte Parker. »Vielleicht würde man im Ferienpark sogar Verdacht schöpfen, falls eine Befragung nicht stattfindet.« »Parker, jetzt mal rundheraus«, meinte McWarden burschikos. »Haben Sie wirklich keinen Verdacht? Denken Sie daran, daß Lady Simpson und Miß Porter sich eventuell in Lebensgefahr befinden.« »Ich stehe vor einem völligen Rätsel, Sir. Dieses Verschwinden hat weder einen Hintergrund noch einen Sinn. Ich hoffe, Sir, daß es sich nur um eine normale Entführung handelt, fühle aber instinktiv, daß mehr dahintersteckt.« »Was denn zum Teufel!« »Ich weiß es leider nicht, Sir. Sie sehen mich völlig rat- und hilflos.« *** »Hoffentlich nehmen Sie das Planspiel nicht auf die leichte Schulter, Kindchen«, sagte Lady Simpson. Ihre Stimme klang ernst. Sie lag auf ihrer Holzpritsche und ließ sich immer wieder durch den Kopf gehen, was sie da gelesen hatte. Die Geräuschkulisse hatte sich inzwischen nur wenig verändert. Der Geschützdonner war schwächer geworden. Nur hin und wieder war von weit her
ein Maschinengewehr zu hören und dann das Zischen einer Leuchtkugel. Lady Simpson kannte all diese Geräusche. »Ich nehme das Planspiel sogar sehr ernst, Mylady«, gab Kathy zurück. Sie lag auf der anderen Pritsche und schaute in das Licht der Kerze, die auf dem Holztisch stand. Kathy Porter kannte inzwischen auch die Regeln dieses tödlichen Spiels, das da auf sie wartete. »Wer kann sich so etwas Verrücktes nur ausdenken?« fragte Lady Agatha halblaut. »Offen gesagt, Kathy, ich habe Angst. Das kommt zwar selten vor, aber ich habe plötzlich Angst.« »Wir haben es unzweifelhaft mit einem Verrückten zu tun«, wiederholte Kathy noch einmal ihre Vermutung. »Irgendein Sadist will auf seine Kosten kommen.« »Und er wird es, Kathy.« Lady Simpson sah alles bereits genau vor sich. »Wir werden uns gegenseitig zerfleischen, wenn wir nicht aufpassen.« »Ich würde niemals eine Hand gegen Sie erheben, Mylady.« »Schnickschnack, Kindchen. Machen wir uns nichts vor. Wenn es ums Überleben geht, verlieren wir schnell alle Hemmungen. Und genau darauf spekuliert dieser Irre.« »Wird der Sieger dieses Planspiels tatsächlich freigelassen werden, Mylady?« »Natürlich nicht, Kindchen. Wissen Sie, was ich glaube? Der Sieger wird im Alligatorenteich landen. Und zwar in dem echten.« »Wann soll das Planspiel beginnen? Habe ich etwas überlesen?« »Der genaue Zeitpunkt ist nicht angegeben. Es kann also jederzeit losgehen. Und auch das hängt mit dem ganzen Planspiel zusammen. Wir sollen uns bereits schon jetzt gegenseitig belauern.« »Wann wird man uns mit den übrigen Mitgliedern unserer Gruppe zusammenbringen? Ob man hier in diesem Bunker überhaupt sicher ist?« »Wie meinen Sie das, Kindchen?« »Könnte man uns nicht überfallen? Es geht schließlich um unsere Erkennungsmarken. « »Donnerwetter, Kathy, daran habe ich ja überhaupt noch nicht gedacht.« Lady Simpson richtete sich auf und wuchtete ihr ansehnliches Gewicht von der Pritsche. Sie ging zu der Brettertür, die den Bunker zum Korridor hin abschloß. Diese Tür reagierte auf den leisesten Druck und schwang quietschend auf. Im Korridor war alles dunkel. Lady Simpson holte sich die Kerze vom Holztisch und leuchtete in den schmalen Gang hinein. Sie wandte sich ab und zog die leichte Brettertür wieder hinter sich zu. »Wir sollten vielleicht so etwas wie eine Wache einrichten«, schlug sie ihrer Gesellschafterin vor. »Ich möchte nicht unnötig überrascht werden.« »Wenn man die Mitspieler kennen würde«, sagte Kathy. »Vielleicht könnte man sich untereinander verständigen. Man muß sich ja nicht gegenseitig umbringen, Mylady. Falls wir uns zusammentun, könnten wir vielleicht gemeinsam etwas erreichen.«
»Sie ahnungsloser Engel.« Lady Simpson schüttelte den Kopf. »Sie wissen wohl gar nicht, was Egoismus ist, wie? Jeder wird nur an sich allein denken, verlassen Sie sich darauf. Schon allein aus der Angst heraus werden unsere lieben Mitspieler zu Bestien werden. Warten Sie's nur ab, Kindchen. Wissen Sie, das alles erinnert mich plötzlich an ein Experiment, von dem ich mal gelesen habe.« »Ist so etwas schon einmal durchgespielt worden, Mylady?« fragte Kathy neugierig. »Mit Ratten«, gab die Lady ernst zurück. »Sie fraßen sich schließlich gegenseitig auf. Hier will man uns zu Ratten machen, Kathy. Kommen Sie, verbarrikadieren wir lieber die Tür. Wer weiß, welche Ratte da draußen in der Dunkelheit bereits auf uns lauert!« *** »Natürlich nichts«, sagte Superintendent McWarden. »Meine Leute haben den ganzen Ferienpark auf den Kopf gestellt, Mr. Parker. Keine Spur. Lady Simpson und Miß Porter bleiben wie von Erdboden verschwunden.« »So etwas hatte ich mir bereits zu denken erlaubt«, gab der Butler in seiner verschrobenen Art zurück. »Sie haben mit Mr. Custner gesprochen, Sir?« »Mit ihm und seinem Assistenten, ein gewisser Steve Morlay. Machen beide einen guten Eindruck, aber das besagt ja noch gar nichts.« Parker hatte sich mit McWarden im Pavillon getroffen, wo der Butler die beiden Damen zum letztenmal gesehen hatte. Sie tranken Tee und machten einen ratlosen Eindruck. »Hat sich der Zwischenfall in der Bügelabteilung aufklären lassen, Sir?« fragte Parker. »Sogar elegant«, meinte McWarden. »Man wird, wie man mir sagte, die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen und sich bei Ihnen noch zusätzlich entschuldigen.« »Zufall oder Absicht, das ist hier die Frage, wenn ich ein klassisches Zitat leicht abändern darf, Sir.« »Richtig, Mr. Parker. Sie rechnen nach wie vor damit, daß Lady Simpson und Miß Porter hier im Ferienpark festgehalten Werden?« »Davon möchte ich hypothetisch ausgehen, Sir.« »Dann muß es sich aber um ein raffiniertes Versteck handeln, Mr. Parker. Meine Leute haben es sich sicher nicht leicht gemacht. Sie haben sich das ganze Gelände genau angesehen und sich überall herumführen lassen.« »Weiß man, ob ihnen auch wirklich alles gezeigt wurde, Sir?« , »Meine Leute legt man nicht so leicht herein, Mr. Parker. Ich nehme an, daß Lady Simpson und Miß Porter längst weggeschafft worden sind. Ich glaube ferner, daß Custner mit dieser Entführung nichts zu tun hat. Warum sollte er die beiden Frauen auch gekidnappt haben? Das ergibt doch keinen Sinn.« »Ich werde wohl umdenken müssen, Sir.«
»Bestimmt sogar, Mr. Parker. Üben wir uns in Geduld. Vielleicht melden sich die Entführer noch im Laufe dieses Tages, wenn wir es mit einer Entführung zu tun haben sollten!« »Haben Sie denn eine eigene Theorie entwickelt, Sir?« Sollte man sich nicht vielleicht auch damit vertraut machen, daß die beiden Frauen umgebracht worden sind?« »Sir, an so etwas wage ich noch nicht einmal zu denken!« Jetzt nahm Parker sich die Freiheit, echte Entrüstung zu zeigen. »Sehen wir den Tatsachen doch ins Auge, Mr. Parker. Feinde hatte Lady Simpson doch genug, oder?« »Hat, Sir, hat! Noch ist Lady Simpson nicht ermordet aufgefunden worden.« »Ich hoffe ja auch, daß ich mich irre, Mr. Parker. Ich hoffe es sogar sehr, aber...« »Wenn Sie erlauben, Sir, werde ich mich noch ein wenig im Park ergehen.« Parker stand auf und griff nach Melone und Regenschirm. »Sie wollen nicht mit zurück nach London fahren? Für uns ist die Sache hier erledigt. Hier haben wir nichts mehr zu suchen.« »Ich erlaube mir, Ihnen eine gute Fahrt zu wünschen, Sir.« »Sie sind jetzt sauer auf mich, oder?« »Keineswegs, Sir. Sie sind verpflichtet, mit dem Schlimmsten zu rechnen.« Parker deutete eine Verbeugung an, legte sich den Bambusgriff seines UniversalRegenschirms über den linken Unterarm und schritt gemessen davon. Superintendent McWarden zahlte den Tee und ging zu seinen Leuten, die sich vor der spanischen Hazienda versammelt hatten. Irgendwie fühlte der Superintendent sich beunruhigt. Warum blieb der Butler allein im Ferienpark zurück? Hatte er etwa eine Spur entdeckt? Wollte Parker wieder einmal auf eigene Faust ermitteln? Er traf damit den Nagel auf den Kopf. Josuah Parker hatte sich an der Suche nach den beiden Frauen bisher nicht beteiligt. Parker hatte sich in den großen und bunten Lageplan des Freizeitparks vertieft, den jeder Besucher gleichzeitig mit seiner Eintrittskarte erwarb. Der Butler hielt nicht viel von unnötigen Bewegungen. Er hätte lieber gründlich nachgedacht und wollte sich jetzt auf zwei Punkte konzentrieren, die er für ausschlaggebend hielt. Er hatte sein Herz für Alligatoren, für Reptilien und für Raubtiere entdeckt. Er wollte diesen überaus lieben Tieren seine private Aufwartung machen. *** Die Fütterung der Alligatoren hatte eine große Zahl neugieriger Zuschauer angezogen, die sich angenehm gruselten. Die zahnbewerten Ungetüme, die bis zu dreieinhalb Meter lang waren, hatten ihr normales Phlegma aufgegeben. Sie schnappten blitzschnell nach den großen
Fleischstücken, die die Wärter ihnen ins Gehege warfen, und zeigten dabei ausgesprochenen Futterneid. Sie schnappten ungeniert nach ihren Artgenossen und schlugen ihre Zahnreihen in die Flanken benachbarter Panzerechsen. Das trübe Wasser, in dem sie normalerweise wie Baumstämme trieben, schien ins Kochen geraten zu sein. Zur Fütterungszeit befanden sich auf dem Beton unterhalb der Zuschauerplattform keine Tierwärter. Sie kannten ihre Freunde und wollten ihre Gliedmaßen auf keinen Fall dem unersättlichen Appetit dieser Alligatoren opfern. Parker schaute nur kurz zu. Es interessierte ihn, wo die Alligatoren während der Winterzeit die notwendige Wärme für ihr Wohlbefinden fanden. Jenseits des kleinen Sees, der mit Sträuchern und Buschwerk bewachsen war, erhob sich eine Art Felsen aus Beton. In der Basis dieses Felsens entdeckte Parker einige flache Einschnitte. Er löste sich aus der Menge der Zuschauer und umschritt den See. Nach etwa fünf Minuten hatte er den Zugang zum Tropenhaus gefunden. Die beiden Türen waren nur angelehnt. Überhitzte und stickige Luft schlug dem Butler entgegen. Er holte unwillkürlich tief Luft, bevor er das Tropenhaus betrat. Parker blieb auf dem breiten Besucherbalkon stehen, von dem aus ein U-förmiger Laufgang durch das langgestreckte Haus führte, der wieder auf dem Balkon endete. Parker glaubte sich in einen Miniaturdschungel versetzt. In der feuchten Wärme gediehen die exotischen Pflanzen der Tropenzonen ausgezeichnet. Parker wanderte über den Laufsteg und schaute hinunter in das Wasser, dessen Tiefe verschiedene Bereiche umfaßte. Es gab seichte Stellen, Sandbänke, schlammige Tümpel und auch eine Art Becken, in denen die Alligatoren schwammen. Parker fand auch die Einlaßschlitze im Bau. In ihnen erschienen die ersten Alligatoren, die sich ihren Brocken Fleisch ergattert hatten und hier vom Fressen ausruhen wollten. Sie krochen träge in das Tropenhaus und achteten nicht weiter auf den einsamen Besucher auf der Besucherbrücke. »Hallo, Sie da!« Parker fühlte sich angesprochen und wandte sich um. Ein Wärter kam langsam auf ihn zu und schüttelte den Kopf. »Das Tropenhaus ist geschlossen. Wer hat Sie eigentlich reingelassen?« »Ich erlaube mir, Ihnen einen wunderschönen Tag zu wünschen«, begrüßte Parker den barschen Wärter. »Die Tür war geöffnet, um auf Ihre Frage einzugehen.« »Das war'n Irrtum, Sir. Bitte, gehen Sie wieder zurück. Der Besuchersteg ist nicht ganz in Ordnung. Ich wette, Sie haben keine Lust zwischen den Kiefern der Viecher da unten zu landen.« »Sie sind das, was ich einen Hellseher nennen würde.« Parker lüftete seine schwarze Melone und schlenderte dann zurück zum Besucherbalkon. Er wählte den längeren Weg und brachte den gesamten Laufsteg hinter sich. »Sind das Abwasserschächte?« Er blieb stehen und deutete auf die viereckigen Gußplatten, die im Zement der Uferpartie eingelassen waren.
»Klar doch, Sir. Wir müssen ja auch mal das Wasser wechseln.« Der Wärter nickte. »Lassen Sie dazu das Wasser bergauf fließen?« wollte Parker naiv wissen. »Ein kleiner Scherz, um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen.« Sein Scherz war angebracht, denn der Wasserspiegel des Tropenhauses lag wesentlich tiefer als die beiden Ablaßschächte. »Ach so, die da meinen Sie! Nee, die sind vor dem Umbau notwendig gewesen.« Parker nickte dankend und schritt weiter. Er beobachtete die Alligatoren, die jetzt in Rudeln durch die Schlitze krochen und hier offensichtlich ihr Fressen ungestört verdauen wollten. Parker erreichte endlich wieder den Besucherbalkon und ging nach draußen. Der Wächter folgte ihm dicht auf dem Fuß und schloß die beiden Türen hinter dem Butler nachdrücklich ab. »Der Ferienpark wird morgen geschlossen?« erkundigte sich Parker weiter. »Eigentlich ist heute schon der letzte Besuchertag«, gab der Wächter zurück. »Morgen ist nur noch für diejenigen offen, die die Ankündigung in den Zeitungen nicht mitbekommen haben. So 'ne Art letzter Bus, verstehen Sie?« »Nur zu gut, nur zu gut. Ein sogenannter Akt der Höflichkeit Ihren Besuchern gegenüber.« »Genau, Sir. Aber jetzt müssen Sie mich entschuldigen. Ich habe noch 'ne Menge zu tun.« Das war auch bei Josuah Parker der Fall. Auf seiner speziellen Liste standen ja noch die Schlangenfarm und das Gelände, auf dem die Raubtier-Safaris durchgeführt würden. . Zuletzt setzte Parker sich in einen Jeep, der auf Schienen glitt und von einer Greiferkette gezogen wurde. Die offenen Seitenwände dieses Jeeps, der sich im Zebralook präsentierte, bestanden aus dickem Drahtgeflecht. Diese radlosen Jeeps wurden je nach Bedarf vom Personal über eine Weiche in den Kreislauf geschoben. Die Fahrt durch das kleine Wildgehege dauerte etwa eine halbe Stunde, denn die Jeeps bewegten sich nur sehr langsam. Die Insassen der Wagen sollten schließlich ausgiebig Zeit und Gelegenheit haben, sich die Raubtiere aus nächster Nähe anzusehen. Die Fahrt ging vorbei an Löwen, einigen Tigern und Pumas. Es gab da massive Büffel und sogar Elefanten, Nashörner und auch Flußpferde, die sich in einem kleinen See suhlten. Parker brauchte einige Zeit, bis er seinen Irrtum bemerkte. Bis auf die Löwen waren alle anderen Tiere aus Plastik und wurden durch Elektromotoren in Bewegung gehalten. Die Nachbildungen waren täuschend ähnlich und kleine Meisterwerke der Präparatoren. Butler Parker wunderte sich jetzt nicht über das friedliche Zusammenleben dieser Tiere. Die echten Löwen hatten natürlich längst herausgefunden, daß für sie hier keine Beute zu holen war. Auch sie waren auf die Fütterung durch Menschen angewiesen.
Die Jeeps rollten langsam weiter und wanden sich auf ihren Schienen in engen Kurven durch die wild zerklüftete Landschaft, die natürlich ebenfalls künstlich war. Auf diese Art und Weise konnte man dem Zuschauer auf engstem Raum sehr viel bieten und dennoch die Illusion schaffen, man fahre durch eine weiträumige und wilde Landschaft. Nach diesem Ausflug, der ihm ein wenig langweilig geworden war, schaute der Butler sich noch in der Schlangenfarm um. Sie bestand aus einer kleinen, inselartigen Anhebung, die sich mit einer schmalen Landzunge in einen See hineinschob. Selbstverständlich war alles überdacht und wohlgewärmt. Die Zuschauer konnten auch hier etwas für ihre Nerven tun und über einen glasgeschützten Laufgang hinüber zur Insel gehen. Von hier aus konnte man hinunter auf die Reptilien sehen, die einzeln oder in wilden Knäueln auf dem warmen Sand lagen oder sich träge herumschlängelten. Von Ästen hingen Baumschlangen herab, im kleinen Sumpf aalte sich gerade eine mächtige Anakonda. Josuah Parker genoß auch diese Attraktion des Ferienparks und schritt dann später sehr nachdenklich dem Ausgang zu. Ihm war inzwischen klargeworden, wo Superintendent McWardens Mitarbeiter auf keinen Fall nach Lady Simpson und Kathy Porter gesucht hatten. »Dieser Mann gefällt mir nicht.« Der kleine, fette Mann namens Melvin Custner starrte mißgelaunt auf einen der Bildschirme in der Zentrale und beobachtete wieder einen gewissen Josuah Parker, der gerade auf den Ausgang des Ferienparks zuhielt. »Das kann alles Zufall gewesen sein, Sir«, sagte Melvin Custners Assistent. Steve Morley stand schräg hinter seinem Chef und mokierte sich innerlich. Gestern erst hätte Custner diesen Butler noch für vollkommen unbedeutend gehalten, inzwischen hatte Custner es sich anders überlegt. Von Custner war anderes kaum zu erwarten. Seine Stimmungen und Ansichten wechselten ununterbrochen. Ein Mann wie Custner irrte dennoch nie. Für Pannen, die sich einschlichen, mußten stets seine Mitarbeiter herhalten, vor allen Dingen aber er, Steve Morlay. Er hatte sich daran inzwischen gewöhnt und schluckte jede Beleidigung bewußt hinunter. Morlay hatte schließlich Zeit und Geduld. Er wartete nur auf den richtigen Moment, seinen Chef ausbooten zu können. Custner bedeutete ein Riesenvermögen. Es galt, die richtigen Mittel und Wege zu finden, an dieses Vermögen heranzukommen. Leicht war das nicht. Custner war ein mißtrauischer Mensch, den man nicht so ohne weiteres ausnehmen konnte. Die täglichen Einnahmen des Ferienparks wurden per Hubschrauber nach London geschafft und waren unerreichbar für normale Gangster. An diesen Einnahmen war Steve Morlay allerdings auch nicht interessiert. Warum sollte er sich mit Kleingeld abgeben, wenn er großes Geld verdienen konnte?
Morley hatte seinen Chef natürlich schnell durchschaut und hielt ihn zumindest für spleenig. Wahrscheinlich war Custner aber schlicht und einfach verrückt, lebte in einer Welt krauser Vorstellungen und Wünsche. Das Planspiel, das am kommenden Tag anlaufen sollte, stammte von Steve Morlay. Seit vielen Wochen schon war er dabei, das Hirn seines Chefs zu vergiften. Er wollte Custner in eine ausweglose Lage hineinmanövrieren und ihn später erpressen. Dann konnte er den Geldhahn ganz nach Belieben aufdrehen. Custner war ein Mann, der darunter litt, daß er am Zweiten Weltkrieg nicht hatte aktiv teilnehmen können. Sein Herz war nicht in Ordnung. Die Ärzte hatten auf seine freiwillige Meldung verzichten müssen und ihn sofort ausgemustert. Das war damals in Singapore gewesen, das Custner noch rechtzeitig verlassen hatte. Seit dieser Zeit träumte er von Heldentaten im Dschungel, die er hätte begehen können, falls man ihm eine Chance gegeben hätte. Custner schlug nun seine Schlachten am Kartentisch und in seiner Einbildung. Hier war er natürlich um Klassen besser als die Heerführer, die die Armeen seinerzeit bewegt hatten. Diese spleenige Marotte war von Steve Morlay sehr schnell durchschaut und geschickt genutzt worden. Er hatte Custner förmlich beschworen, ein großes Militärwerk zu verfassen oder Studien für einen dritten Krieg anzufertigen. Custner war darauf nur zu gern eingegangen und hatte sich für die zweite Möglichkeit entschieden. Seine geplante Studie sollte zum Rüstzeug für jeden Soldaten werden. Die Beobachtungen und Erfahrungen sollten aus jedem normalen Soldaten eine Art Einzelkämpfer machen, der weder Tod noch Teufel fürchtete. Custner, normalerweise in Geschäftsdingen ein kalter Rechner, ahnte nicht, was sein Assistent plante. So wußte Custner nicht, daß seine Testpersonen sehr unfreiwillig an diesem Überlebensspiel teilnahmen. Er hielt sie für engagiert, für Menschen, die gegen Bezahlung sich zur Verfügung stellten und ein kalkuliertes Risiko eingingen. Er hatte allerdings auch nicht mitbekommen, daß sein Assistent eine raffinierte Personalpolitik betrieb. Die Stammannschaft war von Morlay nach und nach ausgewechselt worden. Sie bestand jetzt nur noch aus Männern, die Morlay ergeben waren. Er hatte sie aus Kreisen der Unterwelt rekrutiert und ihnen einen großen Coup versprochen. Diese Leute dachten wahrscheinlich an einen lukrativen Überfall auf einen Geldtransport. Für Geld würden sie grundsätzlich alles tun. Sie wurden von zwei Gangstern dirigiert und auch in Schach gehalten, die von Steve Morlay besonders gut bezahlt wurden. Sie erkannten ihn als Chef an, doch Morlay wußte schon jetzt, daß er sie eines Tages umbringen würde. Auf die Dauer waren sie zu gefährlich. »Was suchte dieser Butler im Alligatorenhaus, Steve? Was treibt er sich im Tropenhaus herum und was wollte er im Raubtiergelände?« »Er sucht nach den beiden Frauen, Sir. Wahrscheinlich ist er von seiner Herrschaft nicht eingeweiht worden. Möglicherweise möchte er auch engagiert werden und sich als Testperson anbieten.«
»Sorgen Sie dafür, Steve, daß meine Pläne nicht gestört werden«, befahl Melvin Custner. »Die Fragen der Polizei waren mir schon peinlich genug. Um ein Haar hätte ich ihr von meinem Test berichtet.« »Damit hätten Sie sich um die Pointe, dieses einmaligen Versuches gebracht, Sir.« »Natürlich. Darum habe ich mein Geheimnis ja auch gewahrt. Noch einmal, Steve, und das mit allem Nachdruck. Eine gewisse Grenze darf in diesem Test nicht überschritten werden.« »Sir, ich habe mich genau an Ihre Anordnungen gehalten.« Steve sah seinem Chef treuherzig und offen in die Augen. »Derjenige Teilnehmer, der die meisten Erkennungsmarken vorweisen kann, erhält die Sonderprämie. Danach werden die Preise aufgestuft verteilt. Pro Erkennungsmarke bekommen die Testpersonen zweihundert Pfund. Gewalt ist ausdrücklich verboten. Die Bedingungen sind allen Beteiligten genau erläutert worden.« »Ich weiß, daß ich mich auf Sie verlassen kann, Steve. Machen Sie weiter. Ich muß nach oben. Ich habe da eine interessante Variante zur Schlacht bei Monte Cassino gefunden, die möchte ich jetzt durchspielen.« . Steve Morlay grüßte militärisch und brachte seinen Chef bis an die Tür. Als sie sich hinter Custner geschlossen hatte, konnte Morlay sich ein abfälliges Grinsen nicht verkneifen. Custner hatte ja keine Ahnung, daß die Bedingungen für den Test leicht abgeändert worden waren. Mit Gewalt und Blutvergießen war sogar fest zu rechnen. Diese Leutchen da unten im Ferienpark würden sich mit Wonne gegenseitig umbringen und hoffen, so überleben zu können. Dabei wartete auf den Sieger doch nur der Tod. Nach diesem Massaker durfte es keine Augenzeugen mehr geben. Dann existierten nur noch Video-Bandaufnahmen, die auf das Konto Custners gingen. Für diese Aufnahmen hatte dieser Idiot dann bis zu seinem Lebensende zu zahlen. Fast gegen seinen Willen schaltete Morlay noch einmal sämtliche Kontrollschirme ein und suchte auf ihnen nach diesem Butler. Ihm gefiel dieser so konservativ aussehende Mann auch nicht. »Würden Sie Ihre Wünsche freundlicherweise noch einmal wiederholen?« sagte Josuah Parker ein paar Stunden später. Er befand sich wieder in Lady Simpsons Stadthaus und war gerade von den Entführern der Lady angerufen worden. Das hatte die Stimme in der Leitung zumindest behauptet. Das Gespräch wurde bereits auf Tonband aufgenommen. Parker hatte technisch entsprechend vorgesorgt. Obwohl er wie elektrisiert war, war seinem Äußeren nichts anzusehen. Ein Butler Parker hatte sich stets völlig unter Kontrolle.. »Sie sind schwer von Begriff, wie?« Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang gedämpft und verzerrt. »Sie sollten meine innere Erregung verstehen, Sir«, entschuldigte sich Parker gemessen. »Ich war so frei, mir die allergrößten Sorgen zu machen.«
»Und die werden noch größer, falls nicht gezahlt wird. Haben Sie das mitbekommen? Wir verlangen für Lady Simpson und ihre Gesellschafterin eine runde Million Dollar in kleinen, gebrauchten Scheinen. Ist das jetzt endlich klar?« »Sir, Sie überschätzen mein Sparkonto«, versicherte der Butler höflich. »Ich könnte Ihnen vielleicht mit dreihundert Pfund dienen.« »Sie Idiot! Sie sollen doch nicht zahlen! Sprechen Sie mit der Bank der Lady Simpson. Bereiten Sie alles vor. Ich werde mich morgen noch einmal melden. Sagen wir, so gegen 10.00 Uhr morgens. Keine Fragen mehr. Ende.« Parker legte auf und spulte das Tonband zurück. Anschließend spielte er sich die Unterhaltung noch einmal vor und hörte mit geschlossenen Augen zu. Die Stimme war nicht zu erkennen, sie kam ihm fremd vor, doch das hatte er erwartet. Nein, Parker wunderte sich über die Anweisung, die er erhalten hatte. Die Stimme war auf seine gespielte Naivität eingegangen und hatte ihm befohlen, sich mit der Bank Myladys in Verbindung zu setzen. Solch ein Ansinnen war absurd. Sollten die Entführer tatsächlich nicht wissen, daß Parker dort gar nichts ausrichten konnte? Hatte er es mit reinen Amateuren zu tun? War Mylady von einigen Anfängern gekidnappt worden? Parker verneinte diese Frage. Solche Leute hätten es niemals geschafft, Mylady und Kathy Porter inmitten des Ferienparks zu entführen. Solch eine Behandlung hätte sich vor allen Dingen Lady Simpson niemals bieten lassen. Sie konnte außerordentlich energisch werden, wenn man sie reizte. Ganz zu schweigen von Kathy Porter, die in den Künsten der Nahverteidigung eine wahre Meisterin war. , Josuah Parker kam zu dem Schluß, daß die Forderung nach der Million mehr als halbherzig gestellt worden war. Die Entführung hatte bestimmt nicht stattgefunden, um ein Lösegeld herauszuschinden. Nein, hier wurde absichtlich eine falsche Spur ausgelegt, um die wahren Absichten zu tarnen. Für den Butler stand es nach wie vor fest, daß die beiden Damen im Ferienpark festgehalten wurden. Als Verstecke kamen nur die drei Punkte in Betracht, die er sich noch einmal gründlich angesehen hatte. Im Laufe dieser Nacht wollte der Butler sich noch einmal näher mit dem Ferienpark befassen. Für solch einen Besuch mußte er sich natürlich speziell ausrüsten. Im Souterrain des Hauses befand sich Parkers Bastelstube, wie Lady Simpson diesen Raum spöttisch umschrieb. Dort stellte der Butler seine liebevollen Überraschungen her und ließ seine Phantasie spielen. Bevor er sich an die Arbeit machte, rief er Superintendent McWarden an und fragte an, ob bereits Material über die Herren Melvin Custner und Steve Morlay vorliege. »Aktenkundig ist überhaupt nichts, Mr. Parker«, lautete die Antwort. »Custner ist ein sehr reicher Mann, der zwei Ferienparks unterhält, aber das wissen Sie ja schon. Er hat einen Spleen, über den man in seinem Londoner Club gern witzelt und spöttelt.« »Dieser Spleen, Sir, würde mich ungemein interessieren.«
»Er hält sich für einen verhinderten Strategen und macht nachträglich alles besser als die Burschen, die die Schlachten bereits geschlagen haben. Sie verstehen?« »Ich versuche bereits, mich in die Gedankenwelt dieses Herrn hineinzuversetzen, Sir.« »Das wird leider nichts nützen, Mr. Parker. Hat sich bei Ihnen inzwischen etwas getan? »Nichts«, schwindelte der Butler. »Keiner bedauert dies mehr als meine bescheidene Wenigkeit, Sir.« *** Der Gefechtslärm war wieder lauter geworden. Lady Simpson saß auf der Holzbank und überlas wieder einmal die Spielregeln. Sie war allein in dem Bunker. Kathy Porter befand sich in dem winzig kleinen Waschraum und erfrischte sich. Diesen Raum hatten die beiden Frauen neben dem Spind entdeckt. Lady Agatha machte sich nichts vor. Sie nahm diese mörderischen Spielregeln sehr ernst. Ihr war klar, daß man es mit einem Verrückten zu tun hatte, der sich von diesem widerlichen Test einige unterhaltsame Stunden versprach. Wahrscheinlich kam dieser Unbekannte auf seine Kosten. Die Testpersonen würden bestimmt versuchen, so viele Erkennungsmarken wie möglich zu ergattern. Die letzten Hemmungen würden dabei fallen. Mord war so gut wie sicher. Lady Agatha Simpson wunderte sich, daß ihr Butler sich noch nicht eingeschaltet hatte. War Mr. Parker vielleicht ausmanövriert worden? Oder saß er jetzt ebenfalls in einem Bunker und wartete auf den Testbeginn? Mehr denn je vermißte Lady Simpson die Anwesenheit ihres Butlers. Sie brauchte jetzt seinen Rat, seine Ideen, seine Ruhe und Gelassenheit dringender denn je. Lady Simpson sah hoch, als ihre Gesellschafterin aus dem kleinen Waschraum kam. Sie wunderte sich, wie entspannt und frisch Kathy Porter aussah. Sie hatte sich einen der beiden Overalls übergestreift, die sie im Spind gefunden hatte. »Vielleicht sollten auch Sie sich umziehen, Mylady«, meinte Kathy und deutete auf den zweiten Overall, der über der Tischkante hing. »Sie werden sich darin viel besser bewegen können.« »Später, Kindchen, später. Im Moment fühle ich mich nicht besonders wohl.« »Das wird sich sehr bald ändern, Mylady. Das macht nur das untätige Herumsitzen und ewige Warten.« »Wenn man nur wüßte, wann das Spiel endlich beginnt.« »Das kann ganz überraschend losgehen, Mylady. Aber müssen wir dann wirklich den Bunker hier verlassen? Warum verbarrikadieren wir uns nicht?«
»Daran habe auch ich schon gedacht, Kindchen. Glauben Sie, daß man nicht mit solch einer Möglichkeit gerechnet hat? Diese Gangster werden Mittel und Wege kennen, uns rauszutreiben.« »Ist Ihnen schon aufgefallen, wie modrig es hier riecht, Mylady?« »Natürlich, wie im Dschungel.« »Ob wir uns unter dem Krokodilteich befinden?« »Durchaus möglich. Und darum wird man uns hier auch nicht finden, falls wir überhaupt vermißt werden. Welcher Polizeibeamte traut sich denn schon an Alligatoren heran?« Lady Simpson griff nach dem Overall, der in etwa ihrer Größe entsprach. Dann ging sie in den Waschraum, um sich ebenfalls für den Test vorzubereiten. Kathy Porters Gesicht nahm jetzt einen ernsten Ausdruck an. Sie hatte Lady Agatha Optimismus vorgespielt. In Wirklichkeit aber rechnete sie sich keine großen Chancen aus. Die ältere Dame war solch einem Test sicherlich kaum gewachsen. Man würde es mit Gegnern zu tun bekommen, die rücksichtslos ihre Überlegenheit nutzten. Kathy nahm sich vor, Lady Simpson nicht einen Moment lang aus den Augen zu lassen. Auch Kathy Porter hatte sich längst gefragt, was wohl aus Butler Parker geworden sein mochte. Falls er sich hier im Ferienpark befand, dann konnte man Hoffnung schöpfen. Butler Parker war ein Meister der Improvisation. Lady Simpson kam aus dem Waschraum. Sie sah in dem etwas knapp sitzenden Overall überaus abenteuerlich aus. Auf ihren Pompadour hatte Lady Simpson allerdings auch jetzt nicht verzichtet. Das Handbeutelchen enthielt nämlich einen »Glücksbringer« in Form eines echten Hufeisens. In der Hand der Lady war das eine ungewöhnlich wirkungsvolle Waffe. »Schluß mit der Warterei«, rief sie energisch. »Wir werden jetzt etwas unternehmen, Kindchen. Suchen wir die anderen Testpersonen. Räumen wir die Tür frei.« Kathy Porter war mehr als einverstanden. Sie klemmte die zweite Holzbank von der Tür weg und schob sie zur Seite. Sie richtete sich gerade auf, als die Tür unter einem wilden Fußtritt aufschwang. Zwei Männer stürzten herein. Auch sie trugen Overalls und gehörten damit eindeutig zum Kreis der Personen, die diesem Test unterworfen werden sollten. Einer von ihnen war klein und geschmeidig, der andere mittelgroß und muskulös. Sie schwangen Tischbeine als Waffen und warfen sich auf die beiden verdutzten Frauen. *** Parker merkte, daß er beobachtet wurde. Die beiden Männer in der uniformähnlichen Dienstkleidung schlenderten hinter ihm her und benahmen sich bewußt unauffällig.
Josuah Parker freute sich über diese Beschattung. Sie war für ihn der Beweis, daß er auf die richtige Karte gesetzt hatte. Seine Anwesenheit im Ferienpark mußte eine gewisse Unruhe ausgelöst haben. Es war Nachmittag geworden. Parker hatte sich für diesen Besuch gründlich ausgerüstet. Es war seine Absicht, die Nacht hier im Ferienpark zu verbringen. Er brauchte dazu natürlich ein erstklassiges Versteck, das selbst vor Spürhunden sicher war. Während der Fahrt hierher hatte er sich bereits entschieden. Bis zur Schließung des Ferienparks blieben noch drei Stunden. Der Betrieb war bereits geringer geworden. Parker suchte den Pavillon auf, in dem er Lady Simpson und Kathy Porter zum letztenmal gesehen hatte. Während er mit Superintendent McWarden hier gewesen war, hatte er die versteckt angebrachte Fernsehkamera über der Küchentheke entdeckt. Er nahm an einem Tisch Platz, der genau im Bereich dieser Kamera stand. Er fühlte, daß ihn die Optik dieser Kamera bereits erfaßt hatte. Parker blickte betont in die Kamera und nickte andeutungsweise. Dann holte er einen Notizblock hervor und schrieb einige Zeilen nieder. Er riß den Zettel ab, hielt ihn der Optik entgegen und schob ihn dann unter den Rand des Zuckerstreuers. Er stand auf und verließ den Pavillon. Die beiden Beobachter hatten draußen auf ihn gewartet und schlossen sich ihm sofort wieder an. Ohne sich weiter um sie zu kümmern, schritt der Butler gemessen auf das »Feenschloß« zu, das auf einem künstlich errichteten, spitzen Bergkegel stand. Es bestand eigentlich nur aus spitzen Türmen und Türmchen, hohen Bogenfenstern und Zinnen. Im Inneren dieses »Feenschlosses« traf er auf eine Art Wachsfigurenkabinett. Hier waren sämtliche Märchenfiguren vertreten, die man sich nur vorstellen konnte. Die Nachbildungen waren fast lebensecht. Da war Schneewittchen, da waren die Zwerge, da gab es Hexen und Gnome, Kobolde und Zauberwesen. Geheimnisvolle Musik schuf eine unwirkliche und zauberhafte Atmosphäre. Die Figuren bewegten sich, von einer perfekten Elektronik gesteuert. Ausrufe des Entzückens und des Staunens waren allenthalben zu vernehmen. Die großen und kleinen Besucher genossen diese Zauberschau ausgiebig. Parker folgte einigen Hinweisschildern, die hinunter in den Folterkeller wiesen. Die beiden Beobachter blieben ihm dicht auf den Fersen. Sie hatten keine Ahnung, welch ein Zauber auf sie wartete. Sie kannten Parker nicht. Der Folterkeller war ein wahrer Alptraum. Auf einem Streckbett lag eine bleiche Schönheit, die von zwei Folterknechten systematisch in die Länge gezogen wurde. Diese beiden Folterknechte trugen spitze, dunkelrote Kapuzen mit kleinen Augenschlitzen, lange, schwarze Mäntel und Schnabelschuhe. Die bleiche Schönheit trug wesentlich weniger. Auch die erwachsenen Besucher wollten schließlich optisch auf ihre Kosten kommen. An den Wänden des Folterkellers hingen Ketten und Eisenringe. Auf einer künstlich hergerichteten Strohschütte lagen weitere Jungfrauen, die auf die
Spezialbehandlung warteten. Parker blieb vor dem Tisch der Richter stehen. Hinter ihm saßen drei hoheitsvoll und düster aussehende Männer, die die Folterszene beobachteten. »Könnten Sie mir freundlicherweise mit einer Auskunft dienen?« Parker war stehengeblieben und wandte sich zu den beiden Männern um, die ihn verfolgten. Sie standen ein wenig verlegen am Eingang zum Folterkeller und ordneten ein paar Requisiten, als seien sie darum gekommen. »Sir?« fragte einer der beiden Uniformierten und kam näher, dicht gefolgt von dem zweiten. »Würden Sie sich diesen Skandal einmal ansehen?« Parker deutete mit der Spitze seines Universal-Regenschirms auf die gegenüberliegende Wand. Alles Weitere war eigentlich schrecklich einfach. Die beiden Männer drehten sich um und wollten den von Parker angesprochenen Skandal näher in Augenschein nehmen. Sie konnten aber nicht mehr bemerken, wie der Butler seinen Schirm blitzschnell drehte. Dann langte er nicht zu hart mit dem bleigefütterten Bambusgriff zu und klopfte bei den beiden Beobachtern kurz an. Sie gingen sofort in die Knie. Parker trug sie nacheinander zur nahen Strohschütte und legte die beiden Helden neben den Jungfrauen ab. Sie machten sich dort recht dekorativ. Sekunden später waren bereits Schritte und Stimmen auf der engen Treppe zu vernehmen, die hinunter in den Folterkeller führte. Einige Besucher nahten, schoben sich in den düsteren Raum und sahen sich die Schrecken einer vergangenen Zeit aus der Nähe an. Parker stand in der Bogentür und nahm zur Kenntnis, wie sich die Besucher lobend über die Natürlichkeit der Wachsfiguren ergingen. Sie inspizierten die Strohschütte, weil die Jungfrauen darauf recht sparsam bekleidet waren. »Das ist aber ein Stilbruch«, sagte ein Sachkenner unter den Besuchern und deutete auf die beiden Uniformierten, die tief und fest schliefen. »Als ob's wirkliche Menschen wären«, sagte eine Besucherin. »Ob man die mal antippen kann?« Josuah Parker hielt es für angebracht, den Folterkeller zu verlassen. Er hatte noch viel vor. Als er das Ende der Treppe erreicht hatte, hörte er von unten her einen Schrei. Die Besucher waren wohl inzwischen dahintergekommen, daß zwei der Wachsfiguren tatsächlich lebten, im Moment nur etwas außer Form waren. Jetzt war mit Aufregung zu rechnen. Parker nutzte sie. *** Der Ferienpark hatte seine Pforten bereits geschlossen.
Parker saß in seinem Versteck. Er hatte die Lautsprecherdurchsagen für die Besucher gehört, die gebeten worden waren, das Gelände zu verlassen. Zusätzlich war darauf hingewiesen worden, daß von morgen ab die Saison beendet sei. Parker rechnete mit einer intensiven Suche. Seit dem Verlassen des Folterkellers waren gut und gern anderthalb Stunden verstrichen. Wahrscheinlich war bereits nach ihm gefahndet worden, doch nun kam man sicher zur Sache. Der Butler machte sich allerdings keine Sorgen. Er hatte ein Versteck gewählt, das man wohl kaum entdeckte. Er saß im wahrsten Sinne des Wortes in einer Schlangengrube. Er hatte es sich auf der Schlangeninsel bequem gemacht und wurde vom dschungelartigen Unterholz gegen Sicht geschützt. Die Reptilien hatten sich mit seiner Gegenwart noch immer nicht so recht abgefunden. Sie wirkten verstört und irritiert. Sie wußten mit diesem eigenartigen Fremdkörper nichts anzufangen. Parker saß mit angezogenen Beinen unter einem Schutzdach, das aus Bambus und Palmwedeln bestand. Es lag hart am Rande des kleinen, künstlichen Sees und diente wahrscheinlich der Anakonda, die er bereits gesehen hatte, als Unterschlupf. Eine Diamantklapperschlange wollte sich diesen großen Fremdkörper aus der Nähe ansehen. Sie kam um die Ecke der Schutzhütte herum und klapperte aufgeregt mit ihrer Schwanzrassel. Ihre feinen Sinnesorgane meldeten ihr die Wärme eines riesigen Beutetieres. Josuah Parker hatte mit solchen Besuchen gerechnet und reagierte dementsprechend. Er klopfte mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines Regenschirms auf den dreieckigen Kopf der Schlange, die daraufhin wie betäubt liegenblieb. Eine nachdrängende Wassermokassinschlange überlegte es sich daraufhin anders und zog sich zurück. Sie machte einer zweiten Klapperschlange Platz, die es genau wissen wollte. Sie war noch länger und dicker als die erste. Sie arbeitete sich echt schnell heran und schien es auf Parkers Knie abgesehen zu haben. Sie klapperte und zischte beeindruckend. Wahrscheinlich hätte ein normaler Mensch sich panisch geängstigt, doch der Butler ließ sich durch diese Attacke nicht aus der Ruhe bringen. Er hielt längst einen kleinen Taschenzerstäuber in der linken Hand und richtete den Spray auf die Schlange. Parker zischte auf diese Art ebenfalls und konnte einen schnellen Erfolg verbuchen. Parker versprühte nichts als reinen Alkohol, doch der erwies sich als eine sehr gute Waffe gegen das Reptil. Die Verdunstungskälte des Alkohols löste bei der Klapperschlange ein deutlich sichtbares Mißbehagen aus. Geeicht auf Wärme, fühlte die Klapperschlange sich stark unterkühlt und warf sich förmlich zurück. Danach schlängelte sie sich träge davon. Parker hatte sich auf diese Art und Weise bisher immer wieder Luft verschaffen können. Doch er mußte wachsam bleiben. Es gab da immer wieder einige vorwitzige Reptilien, die man zur Ordnung rufen mußte. Im übrigen wartete Parker
darauf, daß die Suchtrupps endlich hier in der Reptilien-Farm erschienen, um auch hier nach ihm zu suchen. Und da waren sie auch schon. Durch die Palmwedel des niedrigen Unterschlupfes entdeckte Josuah Parker drei Männer, die im glasgeschützten Laufgang erschienen. Sie glaubten wahrscheinlich nicht einen einzigen Moment daran, der Gesuchte könne sich hier verstecken. Doch sie hatten einen Befehl bekommen und führten ihn auch aus. Sie kamen vor bis zur Schlangeninsel, beugten sich weit über die schräggestellten Sichtfenster und suchten das dschungelartige Unterholz nach ihm ab. »Wäre doch reinster Selbstmord, da unten reinzukriechen«, hörte der Butler einen der Suchenden sagen. »Hauen wir ab, ich kann die Biester nicht sehen«, sagte ein zweiter Mann und richtete sich wieder auf. »Wer geht schon freiwillig da runter?« »Wir sollen's mit 'nem ganz Abgebrühten zu tun haben«, sagte der dritte Mann, der wahrscheinlich der Anführer dieses Suchtrupps war. »Willst du etwa da runter auf die Insel?« fragte der erste Mann und lachte spöttisch auf. »Bin ich verrückt?« Der Angesprochene lachte ironisch auf. »Los, verschwinden wir. Sehen wir uns noch das Tropenhaus mit den Alligatoren an.« »Da ist er bestimmt auch nicht.« Der zweite Mann schüttelte nachdrücklich den Kopf.« Und falls er's riskiert hat, hat er sich inzwischen auf ein paar Mägen verteilt, wetten?« Seine Kollegen gingen auf die Wette erst gar nicht ein. Während sie über den glasgeschützten Laufgang zurück zum Ausgang gingen, ventilierten sie noch die Möglichkeit, im Safari-Park nach Parker zu suchen. Sie waren übereinstimmend der Meinung, daß eine Suche sich dort ebenfalls als sinnlos erweisen würde. Parker konnte es nur recht sein, daß die Suchenden diese Ansicht vertraten. Hier war er auf jeden Fall erst einmal sicher. Bis zum Einbruch der Dunkelheit konnte er hier sicher in Deckung bleiben. Er zuckte jedoch ein wenig zusammen, als die Lichter plötzlich erloschen. Die Männer des Suchtrupps hatten die Beleuchtung bis auf ein paar Notlampen ausgeschaltet. Im ersten Moment hatte Parker das Gefühl, in vollkommener Dunkelheit zu sein. Langsam gewöhnten seine Augen sich an das spärliche Licht. Jetzt wurde seine Lage doch noch recht gefährlich. Bei diesen Sichtverhältnissen hatten die Schlangen es wesentlich einfacher, an ihn heranzukommen. Er erlebte schon sehr bald, wie richtig er seine Lage beurteilte. Dicht vor der Schutzschütte bewegte sich nämlich das seichte Wasser. Und Sekunden später erschien bereits der mächtige Kopf einer Anakonda, die ihre Schutzhütte aufsuchen wollte. Die Riesenschlange war natürlich verdutzt, als dieser Unterschlupf bereits besetzt war. So etwas hatte sie bisher noch nie erlebt. Sie züngelte und zischte und versuchte zu orten, wer oder was sich da breitgemacht hatte. Sie öffnete dazu ein
Maul, dessen Kiefer in der Lage waren, sich über ein ausgewachsenes Wasserschwein zu stülpen. Parker wollte in der ersten Aufwallung mit dem Bambusgriff zulangen. Und zwar ordentlich. Doch damit, so fürchtete er, forderte er das Riesenreptil vielleicht nur unnötig zu einem sehr ungleichen Zweikampf heraus: So etwas mußte vermieden werden. Parker hatte es mit einer Würgeschlange zu tun, deren Ringmuskeln die Rippen eines Puma zerbrechen konnten. Die Anakonda schob sich immer weiter aus dem seichten Wasser hervor und schnappte jetzt zögernd nach Parkers Beinen. Der Butler wußte sich auch jetzt zu helfen. Er speiste die Riesenschlange im wahrsten Sinne des Wortes mit einer seiner speziell angefertigten Zigarren ab. Er war dabei nicht geizig. Er warf die beiden Tabaktorpedos, die in seiner Ziertuchtasche des Zweireihers waren, in den weit geöffneten Rachen der Anakonda. Die Schlange verschluckte sich und schlang automatisch den vermeintlichen Appetithappen herunter. Damit hatte sie einen Fehler begangen. Sie lag im seichten Wasser, horchte offensichtlich in sich hinein und bekam dann auch schon prompt die ersten Schluckbeschwerden. Parker sah zum erstenmal in seinem Leben, wie eine Riesenschlange rülpste und den Schluckauf bekam. Der starke Verdauungssaft im Schlangenmagen hatte die beiden Zigarren bereits aufgefressen, woraus ihre Übelkeit resultierte. Die Anakonda bäumte sich auf, rülpste erneut und glitt dann ins Wasser zurück. Bevor sie ganz im Wasser versank, sah sie den Butler mit einem anklagenden Blick an. *** Lady Simpson hatte schon immer etwas gegen Tischbeine gehabt, die man drohend gegen sie erheben wollte. Sie reagierte mit grimmiger Entschlossenheit und kippte den Holztisch energisch hoch. Der angreifende Bullige sah sich plötzlich diesem Hindernis gegenüber, hatte aber keine Möglichkeit mehr, seinen Schwung abzubremsen. Er klatschte gegen die Tischfläche und fiel dann zur Seite. Lady Agatha Simpson schien auf diesen Moment gewartet zu haben. Sie zögerte keinen Augenblick, ihren Pompadour ins Gespräch zu bringen und donnerte ihn gegen die linke Schläfe des Mannes, der daraufhin einen Kiekser von sich gab und wie ein nasser Sack zu Boden fiel. Der Mann war dem »Glücksbringer« im Pompadour nicht gewachsen. Das Hufeisen hatte wieder einmal seine Pflicht getan. Lady Simpson sah zu ihrer Gesellschafterin hinüber und nickte wohlwollend. Die Amateurdetektivin sah im Augenblick keinen Anlaß, helfend einzugreifen. Kathy Porter war ebenfalls nicht untätig geblieben. Sie hatte es jedoch mit einem Gegner zu tun, der geschmeidig und schnell reagierte. Er hatte einen Handkantenschlag abgewehrt und baute sich jetzt in der typischen Art eines Karatekämpfers vor Kathy auf.
Kathy wich zurück, wirkte unsicher, schien mit solch einer entschlossenen Reaktion nicht gerechnet zu haben. Sie stolperte und gab sich eine Blöße. Das wollte ihr Gegner rücksichtslos nutzen. Er federte nach vorn, schlug mit der linken Handkante zu und merkte ein wenig zu spät, daß er einem Trick aufgesessen war. Kathy hatte ihn zu dieser Unvorsichtigkeit provoziert. Sie wich aus und plazierte ihren Schlag haargenau im Ziel. Der Gegner blieb für Sekunden wie versteinert stehen, schnappte dann verzweifelt nach Luft und landete zu Kathys Füßen auf dem harten Zementboden. »Das war schon recht nett, Kindchen«, stellte die Lady befriedigt fest. »Damit hätten wir bereits zwei Erkennungsmarken.« »Sie wollen sie sammeln, Mylady?« Kathy sah Lady Simpson erstaunt an. »Was man hat, hat man.« Lady Simpson sammelte die beiden Erkennungsmarken ein und wog sie nachdenklich in ihrer Hand. »Was machen wir jetzt mit diesen Subjekten?« »Dort drüben ist eine Feldapotheke, Mylady.« Kathy öffnete den Blechkasten und zog eine Rolle Heftpflaster hervor. Geschickt nutzte sie das Klebeband, um erst einmal die Hände der beiden Einzelkämpfer zu fesseln. Von Parker wußte sie, welche Technik da anzuwenden war. Es dauerte nur wenige Minuten, bis die beiden Männer völlig wehrlos waren. Der Bullige öffnete die Augen und sah Kathy haßerfüllt an. »Mäßigen Sie sich«, warnte ihn Lady Agatha. »Ihr Blick gefällt mir nicht.« »Wir sprechen uns noch«, drohte der Mann mit heiserer Stimme. »Wollten Sie meine Begleiterin und mich etwa umbringen?« »Wie kommen Sie denn darauf?« Seine Antwort war reine Heuchelei. Er bemühte sich schleunigst um einen entsprechenden Blick. »Wir wollten uns nur die Erkennungsmarken besorgen.« »Ich werde Ihnen glauben, junger Mann«, erwiderte Lady Simpson, obwohl sie diesen robusten Mann einen Mord durchaus zutraute. »Wie sind Sie in diesen scheußlichen Ferienpark geraten?« »Mich hat man praktisch aus meinem Wohnwagen rausgeholt«, lautete die Antwort des Robusten. »Ich wohn' in 'ner Wohnwagenstadt an der Küste.« »Und was ist Ihr Beruf?« »Sagen wir, Gelegenheitsarbeiter, Madam. Ich spring' manchmal in Nachtclubs als Kellner ein.« Er sah mehr nach einem Rausschmeißer aus, doch das schluckte Lady Simpson taktvoll herunter. Sie deutete auf den Geschmeidigen, der leise stöhnte. »Kennen Sie ihn?« »Ich hab' ihn in unserem Bunker kennengelernt.« »Und was ist er?« »Vertreter, wie er sagt. Er verkauft Sportgeräte fürs Heimtraining. Den haben sie von der Straße runtergeholt.« »Sie kennen die Leute, die Sie entführt haben?«
»Ich hab' die ja nur für ein paar Sekunden gesehen. Die waren plötzlich in meinem Wohnwagen drin und knallten mir eines über den Schädel. Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich in dem Bunker.« »Eine letzte Frage, junger Mann. Seit wann befinden Sie sich in diesem Bunker und seit wann wissen Sie von dem Test?« »Ich möcht' annehmen, daß mein Kumpel und ich seit drei Tagen hier sind. Kann aber auch länger sein. Wir haben ja keine Uhr. Und das mit dem Test? Gestern lag der Wisch auf dem Tisch. Da wußten wir, was hier laufen soll.« Der Geschmeidige war inzwischen wieder völlig zu sich gekommen. Er hatte die letzten Sätze noch mitbekommen und nickte zustimmend. »Die wollen doch nur, daß wir uns gegenseitig umbringen«, meinte er und musterte dabei ausschließlich Kathy. »Aber den Gefallen dürfen wir denen nicht tun. Denke ich mir wenigstens so.« »Und wie stellen Sie sich eine Lösung vor, junger Mann?« Lady Simpson sah ihn aufmerksam an. »Wir verabreden uns, nicht auf die Tube zu drücken«, meinte der Sportartikelvertreter burschikos. »Wenn wir alle mitmachen, können die gar nichts machen, oder?« »Ein überlegenswerter Vorschlag.« »Es gibt keine andere Lösung.« »Und wie denkt die andere Gruppe darüber? Wo befindet sie sich? Konnten Sie schon Kontakt mit ihr aufnehmen?« »Hier im Keller sind nur wir. Das wissen wir bereits schon.« Der Geschmeidige richtete sich auf. »Mein Partner und ich haben den Korridor genau untersucht. Wir sind die eine Gruppe. Wo die zweite steckt, weiß ich nicht.« »Und jetzt könnten Sie uns eigentlich losbinden, wo alles klar is'.« Der Bullige sah die Hobbydetektivin treuherzig an. »Könnten, junger Mann, könnten.« Lady Simpson schüttelte den Kopf. »Aber wir werden es nicht tun. Miß Porter und ich hängen nämlich an unserem Leben.« Die Antwort des Bulligen war eine, einzige Schimpfkanonade. Darüber hinaus versprach er Lady Simpson, er würde ihr bei passender Gelegenheit den Hals umdrehen. Der Geschmeidige sagte überhaupt nichts. Er hielt die Augen geschlossen und dachte wahrscheinlich über einen Trick nach, wie er die beiden Frauen hereinlegen könnte. »Würden Sie mal für einen Moment den Mund halten?« fragte Kathy, sich an den Bulligen wendend. »Hören Sie denn nichts?« »Was soll ich hören?« Der Mann wollte wieder loslegen, hörte dann doch etwas und starrte zu Lady Simpson hinüber. Sie stand an der Tür und sah auf den Korridor hinaus. Dann sprang sie plötzlich zurück und deutete auf den Boden. »Wasser«, sagte sie. »Sehen Sie sich das mal an, Kindchen. Man scheint uns vertreiben zu wollen.« »Wasser?« Der Bullige geriet sofort in Panik.
»Und zwar recht übelriechendes«, meinte Lady Agatha, wobei sie ihre Nase rümpfte. »Es steigt sehr schnell.« »Wir müssen hier raus!« Der Bullige stieß die Bank zur Seite und rannte auf Lady Agatha zu. Er glich einem Stier, der von einer Bremse gestochen worden ist. Als Lady Simpson jedoch ihren Pompadour pendeln ließ, blieb der Mann stehen. . »Der Test scheint zu beginnen.« Der Geschmeidige sprach fast ruhig und leidenschaftslos. »Das Wasser soll uns in den Ferienpark treiben.« »Richtig«, pflichtete Lady Simpson ihm bei. »Es muß für, uns also jetzt eine Art Ausstieg geben. Kommen Sie, Kindchen, orientieren wir uns.« Das Rauschen und Strudeln des Wassers war jetzt deutlich zu hören. Jemand schien einen Schieber oder ein Ventil inzwischen vollständig aufgedreht zu haben. Das Schmutzwasser, das mit trüben Schaumkronen bedeckt war, näßte bereits die Waden von Lady Simpson. »Mir nach«, kommandierte sie und wollte hinaus in den Korridor. Der Bullige hatte es jedoch noch eiliger als sie. Er rammte sie und stürzte sich nach draußen. Er watete durch das einströmende Wasser und war nicht mehr aufzuhalten. Er rannte direkt in den Tod. *** Butler Parker verließ die Schlangeninsel und schien die Anwesenheit der giftigen Tiere völlig vergessen zu haben. Er schritt steif und gemessen an den Schlangen vorüber und übersah sie souverän. Er machte sich auch nichts daraus, als eine Grubenotter ihn aufs Korn nehmen wollte. Die Schlange schien ihn besonders leiden zu können. Sie schob sich erstaunlich schnell an seine Beine heran und ... stieß dann überraschend zu. Sie erwischte Parkers linke Wade und zuckte plötzlich wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Ein feines Ohr hätte das Brechen ihrer beiden Giftzähne hören können. Die Grubenotter zog sich zusammen und hatte Zahnschmerzen. Ihre Giftzähne waren auf einen harten Widerstand gestoßen und dabei tatsächlich angebrochen. Die Grubenotter hatte ja schließlich nicht wissen können, daß sie es mit Butler Parker zu tun hatte. Vor seinem Einstieg in diese überdimensional große Schlangengrube hatte Parker selbstverständlich seine Vorkehrungen getroffen. Seine Beine hatte er mit dünnem Stahlblech umgeben, das bis hinauf zu den Knien reichte. Vielleicht war sein Gang dadurch ein wenig schwerer geworden, auf jeden Fall aber sicherer. Die Grubenotter trollte sich und überließ das Feld einer Kupferkopfschlange, die ebenfalls giftig war. Sie attackierte den Butler und wollte sich in seine Ferse verbeißen. Nachdem auch sie ihre beiden Giftzähne verloren hatte, ringelte sie sich schleunigst davon. Weitere Angriffe unterblieben danach. In Schlangenkreisen mußte es sich
inzwischen herumgesprochen haben, daß dieser Warmblüter kein ausgesprochener Leckerbissen war. Der Butler erreichte jetzt den Einstieg, der normalerweise nur von den Tierpflegern benutzt wurde. Das Schloß ließ sich ohne weiteres öffnen. Vor dem Einstieg auf die Schlangeninsel war es von Josuah Parker bereits entsprechend präpariert worden. Sein Interesse galt jetzt dem Tropenhaus, in dem die Alligatoren untergebracht waren. Gab es dort vielleicht das Versteck, wonach er suchte? Parker war nach wie vor fest davon überzeugt, daß Lady Simpson und Kathy Porter noch lebten und hier auf dem Gelände festgehalten wurden. Das Hinüberwechseln ins Tropenhaus war recht einfach. Beide Warmhäuser lagen nebeneinander. Der Butler schritt durch einen schmalen Verbindungskorridor und drückte vorsichtig die Tür auf. Bis auf die Notbeleuchtung brannte auch hier kein Licht. Demnach war auch das Tropenhaus bereits vom, Suchtrupp durchsucht worden. Parker hörte das Rauschen von Wasser. Er holte einen seiner Spezialkugelschreiber aus einer der vielen Westentaschen und schaltete das Licht ein. Ein scharf gebündelter Lichtstrahl fiel hinunter auf die Alligatoren, die seltsam unruhig waren. Hing das nur mit dem Wasser zusammen, das in das große Becken strömte? Parker suchte die Oberfläche des Teiches ab und entdeckte, daß das Wasser durch gerade jene beiden Entwässerungsschächte wieder abfloß, die bei seinem ersten Besuch hier noch vollkommen trocken gewesen waren. Was hatte das zu bedeuten? Sekunden später wußte er es. Er entdeckte im Lichtkegel eine bullig aussehende Männergestalt, die aus einem der beiden Schächte hervorkam. Sie schien über eine steile Treppe zu kommen und blinzelte dann in das Licht. Wenn Parker nicht alles täuschte, dann waren diesem bulligen Mann die Hände auf dem Rücken zusammengebunden. »Zurück!« Parkers Stimme klang laut und scharf. Er hatte, im Gegensatz zu diesem Mann, die beiden Beute witternden Alligatoren gesehen. Der Mann reagierte nicht. Hatte er nicht gehört? Oder trieb ihn die panische Angst voran? Der Bullige stand bereits neben dem Schacht und rannte los. Nun hatte auch er die beiden mächtigen Ungeheuer entdeckt. Der Mann wollte auf den Laufsteg klettern, der auf hohen Stahlstelzen stand. Wie der Mann auf den Laufsteg wollte, war Parker ein Rätsel. Er kam nicht weit. Der bullige Mann stolperte und landete vor dem mächtigen Gebiß eines dritten Alligators. Parker rannte über den Laufsteg zu dem Mann hinüber, um wenigstens den Versuch zu machen, ihm zu helfen. Kaum hatte der Butler die richtige Stelle auf dem Laufsteg erreicht, als der Mann sich aufraffte und versuchte, torkelnd eine andere Richtung einzuschlagen. Er rannte wieder zurück und damit in sein Verderben hinein. Er geriet in den
Peitschenschlag eines Alligatorenschwanzes, wurde durch die Luft gewirbelt und landete im Teich. Sekunden später schäumte das Wasser, Die Riesenechsen ließen sich diese Gelegenheit nicht entgehen. Parker hörte noch ein paar erstickte Schreie, dann war alles vorüber. Der Butler nahm die schwarze Melone vom Kopf und erwies diesem Mann seine höfliche Reverenz. Doch dann wendete er sich wieder dem Einstieg zu, aus dem der Mann gekommen war. Er ging zurück, bis er fast über den beiden geöffneten Quadraten im Zementboden stand. Er leuchtete hinunter und nahm höchst erfreut zur Kenntnis, daß Lady Simpson erschien. Sie kämpfte sich durch den herabstürzenden Wasserstrom und glich einer allerdings reichlich angejahrten Wassernixe. Nicht unbeteiligt an diesem Gesamteindruck waren einige Wasserpflanzenstengel, die sich als eine Art Kranz um ihr Haupt gelegt hatten. Mylady schnaufte wie ein Walroß, schaute sich grimmig um und musterte die Alligatoren, die mit weiterer saftiger Beute rechneten. *** »Unterlassen Sie gefälligst dieses alberne Lachen, Mr. Parker«, sagte Lady Simpson streng und wischte sich die Wasserpflanzenstengel vom Kopf. »Sorgen Sie lieber dafür, daß wir nicht angeknabbert werden.« Daran hatte Josuah Parker selbstverständlich schon gedacht und entsprechende Vorkehrungen getroffen. Er warf zwei Kugelschreiber zwischen die Alligatoren, die bereits anfingen, aufdringlich zu werden. Das Resultat war frappierend. Die Kugelschreiber, äußerlich völlig harmlos und regulär aussehend, entpuppten sich als wirkungsvolle Feuerwerkskörper, die Feuer und Rauch verbreiteten. Die zu neugierig gewordenen Alligatoren wichen zurück und klappten vor Überraschung erst einmal ihre Rachen zu. Ein Methusalem von einem Alligator, breit und mächtig, beging den Fehler, den dritten Kugelschreiber, den Parker hinunterwarf, blitzartig in sich hineinzuschlingen. Bruchteile von Sekunden später erlebte das Tier eine herbe Überraschung. In der Speiseröhre detonierte der Feuerwerkskörper und verwandelte das Krokodil in einen wirklich feuerspeienden Drachen. Mit einfachsten Mitteln war es dem Butler gelungen, ein Ungeheuer aus dem Märchen zu erschaffen. Das Krokodil spuckte Feuer und Rauch, doch es fühlte sich nicht sonderlich wohl dabei. Das riesige Tier wälzte sich auf die Seite und watschelte dann eiligst hinunter zum Tümpel, um den Brand in seinem Inneren zu löschen. Lady Simpson hatte sich inzwischen um Kathy Porter und einen weiteren Mann gekümmert, die nacheinander aus dem Schacht stiegen. Sie übernahm die Führung
und schritt auf ihren Beinen einem Ziel entgegen, das Parker oben vom Laufsteg aus nicht erkennen konnte. Parker blieb über der Amateurdetektivin und wachte. Es gab noch ein paar weitere Zwischenfälle mit Alligatoren, doch sie verliefen harmlos. Parkers Patentkugelschreiber bahnten der Lady einen sicheren Weg, den auch ihre Begleiter nutzten. Inzwischen hatte Parker entdeckt, wohin Lady Agatha schritt. Sie hielt auf eine schmale Tür zu, über der eine schwachrote Lampe brannte. »Falls die Tür verschlossen sein sollte, Mylady, möchte ich meine bescheidene Hilfe anbieten«, rief Parker nach unten. »Das möchte ich mir auch ausgebeten haben«, lautete die grimmige Antwort. »Haben Sie noch ein paar von diesen Wunderkerzen, Mr. Parker? Hier liegen zwei Alligatoren, die ruppig werden wollen.« Parker war es eine reine Freude, seine nächste Wunderwaffe verwenden zu können. Er sah jetzt die beiden listigen Panzerechsen, die die schmale Eisentür bewachten. Sie lagen auf einer nur schmalen Sandbank vor dem Ausgang und warteten geduldig auf ihre Opfer. Der schmale, drahtig wirkende Mann zwischen Kathy Porter und Lady Simpson blieb stehen. Er weigerte sich, in die weit geöffneten Rachen hineinzulaufen. Der Mann hatte Angst und stand dicht davor, zurück in die Tiefe des Tropenhauses und damit in seinen Tod zu laufen. Er hatte offensichtlich die Nerven verloren, obwohl Kathy beruhigend auf ihn einredete. Mit den Patentkugelschreibern war hier kaum etwas auszurichten. Die Entfernung oben vom Laufsteg aus war einfach zu groß und ließ ein gezieltes Werfen nicht mehr zu. Hinzu kamen noch die schlechten Sichtverhältnisse. Doch auch an solche Möglichkeiten schien Josuah Parker gedacht zu haben. Er hob die Spitze seines Universal-Regenschirms an und zielte mit der Spitze auf das erste Ungetüm. Dann drückte er auf einen versteckt angebrachten Knopf und löste so das erste Geschoß. Dieser Schirm war nichts anderes als ein modernisiertes Blasrohr nach Art der Amazonasindianer. Die Pfeile, kaum stecknadelgroß, wurden mit Kohlensäuregas nach draußen gepustet. Die erhebliche Geschwindigkeit konnte von Parker ganz nach Wunsch reguliert werden. In diesem Fall hatte Parker natürlich die größtmögliche Treibkraft eingestellt. Der erste buntgefiederte Pfeil landete genau auf der Nasenspitze der ersten Panzerechse. Innerhalb von wenigen Sekundenbruchteilen spürte der Alligator bereits das chemische Präparat, mit dem die Pfeilspitze präpariert worden war. Der Alligator nieste dröhnend, zeigte dann deutliche Lähmungserscheinungen und trollte sich von der schmalen Sandbank. Der zweite Alligator rückte nach und wurde vom zweiten Pfeil getroffen. Dieser Pfeil landete im gerade weit aufgesperrten Rachen und blieb im Unterkiefer hängen. Als auch dieses Ungeheuer nieste, konnte Lady Agatha nicht länger widerstehen. Sie langte mit ihrem Pompadour hart zu und knallte dem Alligator den
»Glücksbringer« auf die empfindliche Nase. Das Krokodil sprang förmlich senkrecht hoch, klatschte zurück auf den feuchten Sand und sauste dann in das hochschäumende Wasser. Damit war der Weg frei. Lady Simpson ging die wenigen Meter weiter bis zur Tür und öffnete sie vorsichtig. Der Drahtige hinter ihr jedoch erwies sich als heimtückisch. Er versetzte Lady Simpson mit seiner Schulter einen kräftigen Stoß und trieb sie damit ins Wasser. Mit seinem linken Fuß drückte der Mann nun die schmale Eisentür auf und rannte nach draußen. Er wollte dieses gräßliche Tropenhaus mit seinen Alligatoren so schnell wie möglich hinter sich bringen. Das schaffte er auch, doch mehr leider nicht. Selbst Butler Parker hörte den erstickten, gurgelnden Aufschrei des Mannes.. »Darf ich mir erlauben, Mylady die größte Vorsicht anzuraten?« rief Parker nach unten. »Wahrscheinlich befindet sich hinter der Tür eine Falle.« »Wo bleibt die Taschenlampe?« rief die Hobbydetektivin energisch zurück. Ihre Stimme klang fest und tief wie immer. »Muß ich denn immer an alles denken?« *** .»Typisch«, stellte der kleine, fette Mann kopfschüttelnd fest und beugte sich vor, um das Bild auf den TV-Schirm noch besser beobachten zu können. »Kopflose Flucht endet stets mit einem Hereinfall.« Er hatte den drahtigen Mann beobachtet, der gerade aus der schmalen Tür gekommen und dann kopfüber in ein mit Wasser gefülltes Betonbecken gefallen war. Dieser Mann hatte in seiner panischen Flucht auf die schmale Holzplanke verzichtet, die das Becken überspannte. Steve Morlay, der hinter dem fetten Melvin Custner stand, schaltete schleunigst das Bild um. Custner brauchte nicht zu sehen, wie der drahtige Mann zwischen Alligatoren landete, die sich im Becken befanden. Die Aufnahmen davon wurden jedoch auf einem Magnetband gespeichert. Morlay brauchte diese Dokumentaraufnahmen für seine spätere Erpressung. »Umschalten grundsätzlich nur mit meiner Einwilligung«, sagte Custner scharf. »Entschuldigung, Sir«, gab Steve Morlay zurück. »Ich wollte Ihnen jetzt Bilder der zweiten Gruppe zeigen.« »Noch einmal zurück«? forderte Custner verärgert. »Ich will sehen, wie viele Personen aus dem Tropenhaus kommen. Worauf warten Sie noch?« Steve Morlay schaltete also noch einmal um und hoffte, daß der Drahtige bereits nicht mehr zu sehen war. Als das der Fall war, atmete er auf. Die Kamera nahm gerade Lady Simpson und Kathy Porter auf, die vorsichtig über, die schmale Holzplanke balancierten und nun die rettende, andere Seite erreichten. »Wo bleibt dieser bullige Mann, der zur Gruppe gehört?« Melvin Custner wandte sich zu seinem Assistenten um. »Er ist vielleicht schon auf der anderen Seite, Sir«, erwiderte Morlay.
»Ihm wird im Tropenhaus doch nichts passiert sein?« Echte Sorge klang in Custners Stimme. Nein, er hatte immer noch nicht durchschaut, daß es in diesem Test um Leben und Tod ging. Morlay war stolz auf sich, daß er Custner derart hatte täuschen können. Dieser Trottel von Custner war auf dem besten Weg, seine Millionen zu verlieren. »Es kann nichts passiert sein, Sir«, beruhigte er Custner. »Für den Fall des Falles hätten Butch und Herb eingegriffen. Sie stehen mit Gewehren oben auf dem Laufsteg und wehren alle Attacken der Alligatoren ab.« »Ich bin ein wenig beunruhigt, Morlay.« Er sagte »Morlay« und gab damit zu verstehen, daß er gereizt war. »Gut, zeigen Sie mir jetzt die zweite Gruppe.« Die im Ferienpark versteckt angebrachten TV-Kameras hatten ausreichend Licht, um gute Bilder zu liefern. Natürlich brannten überall starkkerzige Bogenlampen wie sonst auch. Das gesamte TV-System diente ja normalerweise zur Überwachung des Ferienparks. Während der Schließungszeiten konnte das gesamte Gelände hier vom Kontrollraum aus beobachtet werden. Es brauchte einige Zeit, bis Morlay zwei weitere Personen mit einer der versteckt angebrachten Kameras einfangen konnte. Es handelte sich um zwei Männer. Einer von ihnen war dicklich, der andere groß und hager. Sie sahen aus wie Komiker, aber sie lachten nicht, das war deutlich zu sehen. Sie kamen gerade hinter einem Kiosk hervor und beobachteten eine breite Straße. Sie hatten sich mit Holzknüppeln ausgerüstet und wichen jetzt zurück. »Sie scheinen etwas entdeckt zu haben«, sagte Melvin Custner, dessen Ärger sich bereits wieder gelegt hatte. »Sind die Teilnehmer auch nachdrücklich unterrichtet worden, Morlay?« »Bestimmt, Sir., Gewalt darf nicht angewendet werden. Es zählt nur die List.« »Lassen wir uns überraschen.« Custner lehnte sich zurück und griff nach seiner Zigarre. Er rechnete mit einer spannenden Übertragung. Auf der breiten Straße erschien jetzt eine junge Frau, die vielleicht fünfunddreißig Jahre alt sein mochte. Ihr Kleid war zerrissen, ihr Haar strähnig. Sie schien bereits eine böse Begegnung hinter sich zu haben. Sie bewegte sich daher überaus vorsichtig. Auch sie war bewaffnet. Sie trug eine lange Holzstange in der rechten Hand und schaute sich immer wieder um. »Ob sie bereits eine Erkennungsmarke gewonnen hat?« fragte Custner. »Sie läuft direkt auf den Kiosk zu«, meinte Morlay. Diesmal wollte er nicht umschalten. Die Minute der Wahrheit für Custner war jetzt gekommen. Kaum hatte Morlay seinen Satz beendet, als die beiden Männer links und rechts am Kiosk erschienen und der Frau den Weg abschnitten. Sie wehrte sich verzweifelt, schlug mit der Holzstange wie wild um sich, doch gegen die beiden Männer hatte sie keine Chance. »Was ... was ist denn das?« Custner war aufgesprungen und sah seinen Assistenten in einer Mischung aus Bestürzung und Empörung an. »Die Frau ist ja
niedergeschlagen worden. Haben Sie das gesehen, Morlay? Die Frau ist brutal zusammengeschlagen worden.« »Und lebt wahrscheinlich nicht mehr«, sagte Morlay trocken. »Ihre Testpersonen, Sir, funktionieren nicht.« »Das ... Das wäre ja Mord!« »Natürlich, Sir«, war die kühle Antwort Morleys. Er genoß sie. Jetzt saß Custner in der Falle. Ob er endgültig begriff? »Und mich, Morlay, mich wird man dafür verantwortlich machen!« »Wahrscheinlich Sir, obwohl Sie ja...« »Man wird mir diesen Mord anlasten, Morlay, weil ich diesen Test durchgeführt habe. Ich werde alles sofort abblasen. Hören Sie, Morlay, Schluß mit dem Experiment. Wer weiß, was alles schon passiert ist.« »Ich habe eine Bandaufzeichnung, Sir. Ich werde sie Ihnen einspielen. Einen Augenblick, bitte.« Morlay beschäftigte sich mit dem Video-Recorder, ließ das Band zurückschnurren und spielte es dann über einen freien Monitor ein. Custner saß inzwischen nur noch auf der Kante seines Sessels und starrte auf das gräßliche Bild. Der drahtige, schmale Mann, der gerade aus der schmalen Tür des Tropenhauses lief, stürzte kopfüber in das Betonbecken. Diese Bilder kannte Custner bereits. Doch dann sah er die scheußliche Wahrheit. Der Mann tauchte auf und wurde von Alligatoren angefallen. Der Mann hatte überhaupt keine Chance. Innerhalb weniger Sekunden zerrten die Krokodile den Mann unter die Wasseroberfläche, die den grausamen Tod des Opfers dann gnädig zudeckte. Melvin Custner stöhnte auf und senkte seinen Kopf. »Schalten Sie ab«, sagte er leise zu Steve Morlay. »Stellen Sie ab. Ich kann das nicht mehr sehen. Wie konnte so etwas passieren?« »Sie sind überrascht, Sir?« Morlays Stimme war voller Hohn. »Wieso sind Alligatoren in dem Becken?« fragte Custner gebrochen. »Das alles sollte doch nur ein Spiel sein, ein Test.« »Die Polizei wird anders darüber denken, Sir.« »Wie meinen Sie das, Morlay?« »Die wird das für Vorsatz halten.« »Aber das entspricht doch überhaupt nicht den Tatsachen, Morlay.« »Wie wollen Sie das beweisen, Sir?« »Die Aufzeichnungen müssen sofort vernichtet werden, Steve.« Nun bemühte Custner sich um Vertraulichkeit in seiner Stimme. »Sorgen Sie dafür, Steve.« »Und was ist mit den Testpersonen, Sir? Die werden doch früher oder später reden.« »Was ... Was schlagen Sie vor?« »Es gibt nur eine Möglichkeit, Sir. Nur eine einzige. Es darf keine Testperson übrig bleiben.«
»Das würde doch den Tod von acht Personen bedeuten, Steve. Nein, das geht nicht.« »Jetzt sind's nur noch sechs Personen, Sir. Und die werden sich auch noch gegenseitig umbringen. Nein, eigentlich sind es nur noch fünf. Der Bullige der ersten Gruppe dürfte im Tropenhaus von den Alligatoren erwischt worden sein. Nur noch fünf Personen.« »Lassen Sie mich nachdenken, Steve. Ich brauche noch etwas Zeit. Und wie sieht es mit unserem Stammpersonal aus? Auch diese Leute wissen doch Bescheid, was sich hier abgespielt hat.« »Vielleicht könnte man diesen Leuten den Mund mit Geld stopfen, Sir. Vielleicht bieten sich noch andere Möglichkeiten.« »Sie haben da schon eine bestimmte Vorstellung, nicht wahr?« »Ich versuche nur, Sie aus der ganzen Geschichte herauszuhalten, Sir. Außer Butch und Herb besteht das Stammpersonal aus sechs Männern.« »Wollen Sie die etwa auch noch opfern?« »Wollen Sie den Rest Ihres Lebens in einem Zuchthaus verbringen, Sir? Oder in einer Irrenanstalt? Sie können es sich aussuchen.« »Eine schreckliche Vorstellung.« »Alligatoren sind unersättlich, Sir.« Morlay grinste tückisch. »Ich lasse Ihnen freie Hand, Steve. Sie können tun, was immer Sie für richtig halten. Und dafür werde ich Sie zu einem reichen Mann machen.« »An welche Summe haben Sie denn so gedacht, Sir?« Morlay gab jedes Versteckspiel auf. »Nennen Sie die Summe, Hauptsache, das da draußen geht schnell in Ordnung.« »Machen Sie mich zu Ihrem Teilhaber, Sir. Überschreiben Sir mir fünfzig Prozent der gesamten Anteile.« »Das geht in Ordnung, Steve, mein Wort als Ehrenmann darauf.« »Ich hätte es lieber schriftlich, Sir.« »Bereiten Sie das vor, Steve. Ich werde mich jetzt zurückziehen. Ich muß mit diesen Dingen erst einmal fertig werden. Ich werden diesen Schock wohl nie überwinden!« *** »Die Jagd ist eröffnet«? sagte Morlay zu seinen beiden Vertrauten Butch und Herb. Butch war ein sympathisch wirkender Mann von knapp vierzig Jahren, der wie ein Buchhalter aussah und einen sehr peniblen Eindruck machte. Butch war tatsächlich penibel, was seine bisherigen Morde, anbetraf. Nachlässigkeiten ließ er sich niemals durchgehen. In seiner Branche mußte man korrekte Arbeit liefern, wenn man auf die Dauer bestehen wollte.
Herb entsprach schon mehr dem Bild eines Gangsters, wie er in Kriminalfilmen gezeigt wird. Er war schlank, mittelgroß, etwa fünfundzwanzig Jahre alt und hatte stechende, schwarze Augen, die keinen Moment stillstanden. »Und wie soll die Jagd aussehen?« erkundigte sich Butch sachlich. Er befand sich zusammen mit Herb im Kommandostand. »Wir räumen die Testpersonen ab«, befahl Morlay. »Das muß jetzt blitzschnell über die Bühne gehen. Endstation Tropenhaus. Deutlicher brauche ich wohl nicht zu werden, oder?« »Schon kapiert, Morlay«, sagte Herb und lächelte satt. »Möglichst keine Schußwaffen«, redete Morlay weiter. »Und wenn, dann nur mit Schalldämpfer. »Ist bereits gelaufen«, versicherte Butch. »Hat Custner inzwischen begriffen?« »Restlos, Jungens.« Morlay nickte zufrieden. »Er überschreibt mir die Hälfte seines Vermögens. Wir machen das gleich schriftlich. Anschließend mache ich den Teilungsvertrag mit euch. Da kann überhaupt nichts mehr passieren.« »Das läuft ja wie geschmiert«, freute sich Herb. »Da ist nur noch ein Problem.« »Tatsächlich?« wunderte sich Morlay. »Was wird aus dem Stammpersonal?« »Habt ihr Vorschläge, Jungens?« »Besonders zuverlässig sind die Typen gerade nicht«, stellte Butch fest. »Hoffentlich müssen sich die Alligatoren nicht überfressen, Jungens.« »Schon kapiert.« Herb grinste. »In Ordnung, die lassen wir also auch verschwinden. Ist schließlich ein Aufwaschen.« Butch nickte seinem Freund Herb zu. »Für ein Vermögen kann man schon mal fest zulangen.« »Da ist noch'n Problem«, ließ Herb sich vernehmen. »Jetzt sehe ich aber keins mehr, Jungens.« Morlay blickte seine beiden Vertrauten überrascht an. »Kunststück, Morlay, dazu müßtest du dich erst vor 'nem Spiegel aufbauen.« Butch lächelte dünn. Wieso denn das?« Morlay runzelte die Stirn. »Dann kannst du das Problem sehen, Morlay«, warf Herb ein. »Was... Was soll denn das bedeuten?« »Das hier, Morlay!« Herb hatte plötzlich einen kurzläufigen Revolver in der Hand. Er richtete die Mündung auf Morlay. »Begriffen, Morlay?« Butch lachte leise auf. »Seid ihr wahnsinnig?« Morlay wich zurück und starrte seine beiden Vertrauten ängstlich an. »Custner zahlt besser als du.« Herb genoß seine Worte. »Er gibt und zwar nicht die Hälfte seines Vermögens, aber 'ne regelmäßige Zahlung pro Monat«, fügte Butch hinzu. »Wir werden Direktoren der beiden Ferienparks. Das ist doch was, oder?« »Er... Er will euch doch nur reinlegen.« Morlays Worte klangen beschwörend.
»Darauf lassen wir's ankommen.« Herb war nun wieder an der Reihe und genoß seine Überlegenheit. »Wir brauchen vor allen Dingen, nicht unsere Kumpels umzubringen. Und genau das wolltest du, Morlay.« »War kein schöner Zug von dir«, spöttelte Butch. »Man bringt seine Kumpels nicht um. Nur in Sonderfällen.« »Wie in deinem.« Herb lächelte nicht mehr. Sein Gesicht wurde ernst. »Er legt euch rein. Der ist doch wahnsinnig. Der hat sie doch nicht mehr! Der bringt euch nacheinander um, Jungens. So glaubt mir doch!« »Los, steh auf.« Butch deutete auf die Tür. »Was ... Was habt ihr mit mir vor?« Morlay schob sich gehorsam zur Tür hinüber. »Wir sehen uns mal die Alligatoren näher an«, meinte Herb. »Und du, Morlay, wirst sie dir sogar aus allernächster Nähe ansehen.« Morlay wollte protestieren und schreien, doch vor Angst und Grauen bekam er keinen Ton heraus. Er sackte in sich zusammen und war einer Ohnmacht nahe. *** »Was soll nun werden, Mr. Parker?« Lady Simpson befand sich zusammen mit ihrer Gesellschafterin Kathy Porter und Josuah Parker vor dem »Reich der Gnome«, einer der großen Attraktionen des Ferienparks. Es handelte sich um eine künstlich nachgebaute Tropfsteinhöhle mit langen Gängen und zauberhaften Grotten. »Falls ich mir einen Vorschlag erlauben darf, Mylady, so sollte man die Testpersonen einfangen und bis zum Morgenanbruch einlagern.« »Wozu soll das gut sein, Mr. Parker?« »Dadurch ließe sich das verhindern, Mylady, was man gemeinhin ein Blutbad zu nennen pflegt.« »Leicht gesagt, schwer getan. Und wie soll das vor sich gehen?« »Man müßte, wenn ich meinen Gedanken weiter entwickeln darf, eine Falle herrichten.« »Aha. Und wie soll die Falle aussehen?« »Sie sollte zuerst einmal akustisch wirken, Mylady. Miß Porter könnte den hilflosen Köder in dieser Falle darstellen.« »Und wenn ihr etwas passiert?« »Ich habe schon begriffen, Mr. Parker.« Kathy Porter lächelte. »Ich bin der zarte Speck in einer scharfen Falle, nicht wahr? Ich werde um Hilfe rufen oder so.« »Genau dies, Miß Porter, schwebt meiner bescheidenen Wenigkeit vor.« »Und wo lagern wir die Testpersonen ab?« wollte Lady Simpson wissen. »Hier, Mylady, im Reich der Gnome.« Bevor Lady Agatha weitere Fragen stellen konnte, rief Kathy Porter bereits um Hilfe. Sie tat es zwar nicht besonders laut, dafür aber ängstlich und klagend.
Diesen Hilferufen hörte man deutlich an, wie schwach und hilflos die Frau sein mußte. Josuah Parker nickte anerkennend und zog Mylady sehr höflich in den dunklen Höhleneingang zurück. Er »entsicherte« seinen Universal-Regenschirm und wartete ab. Er brauchte nicht lange zu warten. Der akustische Köder wirkte wie ein Zaubermittel. Plötzlich erschien ein großer, schlanker Mann neben dem Geländer vorn am Eingang. Er war mißtrauisch wie ein Fuchs. Neben ihm tauchte ein dicklicher Mann auf. Er war wesentlich unvorsichtiger und marschierte sofort auf Kathy zu, die dekorativ auf den Steinplatten saß und sich den linken Fuß rieb. Sie hatte sich den Overall am Hals weit geöffnet und ließ ein wenig nackte Schulter sehen. Sie wußte sehr genau, wie zart der Speck in dieser Falle sein mußte. Die beiden Männer waren übrigens identisch mit dem Paar, das die junge Frau am Kiosk niedergeschlagen hatte. Sie bemühten sich jetzt, Vertrauen auszustrahlen. »Keine Sorge, alles in Ordnung«, rief der Dicke. »Ich habe mir den Fuß verstaucht«, klagte Kathy. »Sind Sie allein?« wollte der Große wissen. Er blieb hinter dem Dicken. »Natürlich«, sagte Kathy. »Werden Sie mir auch nichts tun? Sie können meine Erkennungsmarke haben. Ich geb sie Ihnen freiwillig.« »Wer denkt denn an so was?« Der Dicke lachte leise auf und schob sich immer näher an den Köder heran. »Wir machen dieses Spiel doch nicht mit«, sagte der Große fast entrüstet. »Wir sind doch zivilisierte Menschen, oder?« »O mein Fuß!« Kathy richtete sich auf und zeigte noch ein wenig mehr von ihrer nackten Schulter. Die beiden Männer hatten sie fast erreicht und jede Vorsicht aufgegeben. Sie bauten sich jetzt vor Kathy auf und zeigten ihr dann plötzlich ihre Holzknüppel. »Los, rüber mit der Erkennungsmarke«, sagte der Dicke. »Dafür geht's dann auch kurz und schmerzlos«, fügte der Große hinzu. »Was geht kurz und schmerzlos?« Kathy sah die beiden Männer gespielt erschrocken an. »Na, was wohl schon!« Es war klar, daß man sie umbringen wollte. Warum sich die Männer nicht mit der Erkennungsmarke begnügen wollten, war schwer zu verstehen. »Ich bin doch uninteressant für Sie, wenn Sie meine Marke haben«, keuchte Kathy. Parker fand wieder einmal, daß Kathy auch eine ausgezeichnete Schauspielerin war. »Nur'n toter Mitspieler is'n guter Mitspieler«, meinte der Dicke. »Und so 'ne Gefahr weniger für uns!« Der Große holte aus und wollte mit dem Knüppel zuschlagen.
»Und wer von Ihnen gewinnt schließlich?« Kathy hob abwehrend die Arme. »Nur einer wird doch freigelassen?« »Das weitere findet sich später.« Der Dicke grinste und hob auch seinen Knüppel. Bruchteile von Sekunden später zuckte er allerdings zusammen und stierte aus hervorquellenden Augen auf den kleinen, bunt gefiederten Pfeil, der in seinem rechten Oberarm steckte. Diesen winzigen Augenblick der Unachtsamkeit nutzte der Große. Er schlug zu und traf seinen Partner im Genick. Der Dicke keuchte scharf, fiel auf die Knie und stand einen kurzen Moment wie versteinert da, dann rollte er auf die Seite und blieb regungslos liegen. »So wird die Sache gelöst«, meinte der Große und lachte leise auf. Dann hob er wieder seinen Holzknüppel und ... fing sich seinen Pfeil ein. Das unheimlich aussehende Geschoß vibrierte in seinem Handrücken. Der Mann warf die Waffe weg und sah sich wie gehetzt nach allen Seiten um. Er wich zurück, als Kathy plötzlich aufstand und eine überaus agilen Eindruck machte. »«Eine Falle!« Der Große taumelte bereits. Das chemische Präparat an der Pfeilspitze fing bereits zu wirken an. »Eine Falle«, bestätigte Kathy. »Nein, laufen Sie erst gar nicht weg. Sie werden nicht weit kommen.« Der Mann wollte aber dennoch flüchten, doch schon nach zwei Schritten brach er haltlos zusammen und landete auf den Steinplatten. »Sehr schön«, war Lady Simpsons Stimme befriedigt zu vernehmen; »Das läßt sich gut an, Kindchen. Als Köder machen Sie sich ganz passabel.« *** »Sie haben geglaubt, mich hereinlegen zu können, Steve! Was für eine Vermessenheit.« Melvin Custner schüttelte den Kopf und wirkte fast ein wenig beleidigt. Er stand vor Morlay, dessen Arme von Butch und Herb festgehalten wurden. »Sie Miststück«, schimpfte Steve Morlay. »Sie können mich nicht verärgern«, sagte Custner und lächelte. »Ahnen Sie jetzt endlich, wer wen hereingelegt hat?« »Für Sie war das ganze Testspiel von Anfang an ernst gemeint?« »Natürlich! Wo wäre denn sonst der Witz? Ich habe mir dieses Spiel gern einreden lassen, es war schließlich Ihre Idee, das gebe ich gern zu. Aber ich wußte von Beginn an, daß die Testpersonen sich gegenseitig umbringen sollten.« »Warum ... Warum haben Sie das nicht gleich gesagt, Custner?« »Ich wollte herausfinden, wie weit Ihr Doppelspiel geht. Ich weiß inzwischen Bescheid.« »Sie sind ein Irrer!« Morlay war jetzt alles gleichgültig. Tödlicher Haß klang in seiner Stimme.
»Aber einer, der klar denkt, Morlay.« Custner lächelte milde. »Sie werden es gleich am eigenen Leib erfahren. Ich wünsche eine gute Unterhaltung mit den Alligatoren. Inzwischen dürften sie ja auf den Geschmack gekommen sein.« »Er wird auch euch umbringen., Jungens«, brüllte Morlay und sah Butch und Herb an. »Warum sollte ich, Morlay? Butch und Herb bereiten schon das nächste Planspiel vor. Diesmal wird es im Ferienpark bei Blackpool über die Bühne gehen. Und die Testpersonen werden dann sogar noch Geld mitbringen.« »Richtige Entführungen mit Lösegeld und so«, fügte Butch hinzu. »Und anschließend verschwinden die Typen im Alligatorenteich«, schloß Herb und zwinkerte Morlay zu. »Wie so was ist, wirst du ja gleich erleben.« »Die Bullen werden euch auf die Schliche kommen.« Morlay versuchte instinktiv Zeit zu gewinnen. »Es gibt keinen einzigen Bullen, der sich in 'nem Magen von 'nem Alligator umsieht«, meinte Butch. »Schafft ihn weg.« Custner hatte keine Lust mehr, sich mit diesem Verbrecher zu unterhalten. Er hatte seinen Triumph ausgekostet und wollte zu den Bildschirmen zurück. Bisher hatte er von dem mörderischen Test nicht allzuviel mitbekommen. Er wollte sich nicht weiter um sein Vergnügen bringen lassen. »Nach ihm befaßt euch mit diesem Butler«, sagte .Custner. »Jagt ihn und bringt ihn mir. Ich will diesen Mann kennenlernen, bevor er stirbt.« Morlay schrie wie ein Tier, als Butch und Herb ihn wegbrachten. Er wehrte sich, doch er hatte gegen die Kraft seiner Bewacher keine Chance. Sie banden ihm draußen im Vorraum die Hände auf den Rücken und klebten ihm ein Pflaster über den Mund. Anschließend trugen sie ihn fast hinüber zum nahen Tropenhaus. Sie benutzten den regulären Eingang und schoben Morlay hinaus auf den Uförmigen Laufsteg. »Such dir 'ne nette Stelle zum Absprung aus«, sagte Herb. »Du kannst völlig frei wählen«, meinte Butch. »Moment mal.« Herb riß Morlay das Pflaster vom Mund. »So, nun kannste wenigstens auch mal schreien.« »Das erleichtert ungemein«, sagte Butch grinsend. »Jungens«, brach es aus Morlay heraus, »begreift ihr denn nicht? Der bringt auch euch um! Der sorgt doch nur dafür, daß sein Buckel rein wird. Custner ist mit allen Wassern gewaschen.« »Hoffentlich«, erwiderte Butch. »Genauso einen Partner und Chef haben wir uns schon immer gewünscht.« »Der kann uns überhaupt nicht raffiniert genug sein«, fügte Herb hinzu. »So, Morlay, nun hüpf mal schnell runter. Wie wär's denn mit dem Teich? Weiche Landung garantiert.« Er deutete hinunter. Die Alligatoren machten noch immer einen aufgeregten und aktiven Eindruck. Das Wasser war nachgefüllt, der Wasserspiegel wieder auf einen normalen Stand gebracht worden. Morlay sah verstohlen zu den beiden
freiliegenden Ablaufschächten hinüber. Er wußte nur zu gut, daß sie den Zugang zu dem Versteck bildeten. »Laß das lieber sein«, meinte Butch, nachdem er den verstohlenen Blick bemerkt hatte. »Die Keller sind vollgelaufen.« »Und wahrscheinlich schwimmen da unten jetzt 'n paar Krokodile rum«, warnte Herb. »Immer in Bewegung bleiben, Morlay, das ist deine einzige Chance.« Bevor er überhaupt auch nur an eine Abwehrbewegung denken konnte, griffen Butch und Herb zu. Sie rissen ihn hoch und warfen ihn in weitem Schwung hinunter in den Alligatorenteich. Dann drehten sie sich um und rannten schleunigst über den Laufsteg zum Ausgang zurück. Sie waren nicht abgebrüht genug, sich die Einzelheiten anzusehen. Sie konnten sie sich nämlich lebhaft vorstellen. Und das reichte ihnen bereits. Als sie draußen waren, hörten sie seine Schreie. *** »Sie sind ja ein wahrer Schatz, Mr. Parker.« Lady Simpson sah ihren Butler mit einem freundlichen Lächeln an. Parker hatte, eine flache, mit Leder umspannte Taschenflasche hervorgeholt und schraubte den Verschluß ab, der als Trinkbecher diente. »Ich war so frei, Mylady, von der Tatsache auszugehen, daß Myladys Kreislauf vielleicht einer Erfrischung bedarf.« »Vollkommen richtig.« Lady Simpson nahm den gefüllten Silberbecher entgegen und kostete kennerisch den alten Cognac, den Parker ihr serviert hatte. Sie schnalzte mit der Zunge und trank den kleinen Silberbecher dann leer. »Hüten Sie sich vor dem Teufel Alkohol, Kindchen«, meinte sie warnend und sah zu Kathy Porter, die neben ihr stand. »Wie weit sind Sie gekommen? Was haben wir nun an Erkennungsmarken zusammenbekommen?« Das Trio stand in der Nähe von »Gun-Town«, der perfekten Nachbildung einer Westernstadt. Bis zu den ersten Saloons, der Schmiede und dem Hotel war es nicht weit. Von ihrem Standort aus konnten sie die Hauptstraße gut einsehen. »Diese beiden Erkennungsmarken, Mylady, stammen von Ihnen und mir«, sagte Kathy und legte sie beiseite, »diese beiden Marken sind von den beiden Männern, die uns im Bunker überfielen.« »Das wären also schon mal vier Trophäen«, freute sich Lady Simpson. »Mr. Parker, worauf warten Sie noch?. Glauben Sie etwa, dieser winzig kleine Schluck hätte meinen Kreislauf stabilisieren können?« Josuah Parker füllte den Silberbecher nochmals und reichte ihn an Lady Simpson weiter. Er beobachtete die breite Hauptstraße von »Gun-Town« und die Holzhäuser zu beiden Seiten. Er blieb wachsam und vorsichtig. »Diese beiden Erkennungsmarken sind von den beiden Männern, die mich niederknüppeln wollten«, zählte Kathy Porter inzwischen weiter auf. »Und in ihren Taschen fanden sich noch zwei weitere Marken.«
»Noch einmal vier«, faßte Lady Simpson zusammen. »Die beiden Lümmel scheinen demnach zwei Testpersonen bereits erledigt zu haben.« »Daran dürfte leider kein Zweifel bestehen, Mylady«, sagte der Butler Parker. »Wie diese Begegnungen ausfielen, läßt sich erahnen. Sie dürften für die Besitzer der beiden Erkennungsmarken tödlich verlaufen sein.« »Schrecklich.« Lady Simpson reichte den kleinen, schmalen Silberbecher zurück. »Bisher scheint die Rechnung dieses verrückten Sadisten aufgegangen zu sein.« »Mylady wissen nicht, wie viele Testpersonen sich an diesem Spiel wider Willen beteiligen müssen?« erkundigte sich Parker. »Mit Kathy und mir sind es acht Personen gewesen«, antwortete die Amateurdetektivin. »Genaue Zahlen kenne ich nicht.« »Könnten es nicht je zwei Gruppen zu vier Personen gewesen sein, Mylady?« schaltete Kathy Porter sich ein. »Wie kommen Sie denn darauf?« Lady Simpson sah ihre Gesellschafterin erstaunt an. »Ein Rückschluß, Mylady. Die beiden Männer, die in unseren Bunker eindrangen, rechneten sich und uns zu einer Gruppe. Vielleicht habe ich das auch nur mißverstanden.« »Jetzt fällt es mir wieder ein. Stimmt. Damit, Mr. Parker, dürften wir keine Gegner mehr haben.« »Mylady erlauben einen Einspruch?« »Natürlich, Sie müssen ja wieder alles besser wissen.« »Selbst wenn man davon ausgeht, Mylady, daß es keine weiteren Testpersonen mehr gibt, sollte und müßte man wohl doch davon ausgehen, daß es noch das sogenannte Stammpersonal gibt.« »Das sage ich doch die ganze Zeit über«, erklärte Lady Agatha Simpson wie selbstverständlich. »Moment mal, wer ist denn das, dieses >Stammpersonal« »Die Kreaturen, mit denen sich Mr., Melvin Custner umgibt, Mylady.« »Aha. Und wer ist Mr. Custner?« »Der Besitzer dieses Ferienparks, Mylady. Meiner bescheidenen Schätzung nach ist er der Mann, der dieses Mordspiel durchführt.« »Und wo finde ich diesen Lümmel?« Der Pompadour an Myladys Handgelenk geriet in leichte Schwingungen. »Er dürfte sich im Verwaltungsgebäude befinden, Mylady, und gut bewacht sein. Nach Lage der Dinge rechnet Mr. Custner sicher mit einem baldigen Besuch. Diesen Gefallen sollte man ihm nicht erweisen, wenn ich raten darf.« »Schön, dann warten wir ab, bis es hell geworden ist. Wie lange dauert das noch, Mr. Parker?« »Noch gut und gerne viereinhalb Stunden, Mylady.« »Die werden ja auch noch zu schaffen sein. Sobald es hell geworden ist, dürfte der irrsinnige Spuk vorüber sein. Warum bleiben wir nicht gleich in dieser ulkigen Stadt? Dort drüben, der Saloon, der sieht doch recht einladend aus.«.
»Er ist leider bereits besetzt, Mylady«, antwortete Josuah Parker gemessen und höflich. »Das Stammpersonal arbeitet sich vorsichtig heran. Mir scheint, und ich möchte nicht übertreiben, daß man Mylady, Miß Porter und meine bescheidene Wenigkeit endgültig erledigen will.« »Dann tun Sie gefälligst etwas dagegen, Mr. Parker!« Lady Simpson sah ihren Butler streng an. »Ich lasse mich nicht gern herumhetzen-« Lady Agatha Simpson zuckte wenig später zusammen, als dicht neben ihr ein Geschoß landete. Ein Holzsplitter wurde aus dem Gatterpfosten herausgerissen. Die Jäger eröffneten die Treibjagd. *** »Morlay ist erledigt«, sagte Butch zu Melvin Custner. »Ging alles blitzschnell, Sir«, fügte Herb hinzu. »Den Rest schaffen wir auch noch. Wir haben ja noch ein paar Stunden Zeit.« »Unterschätzen Sie mir diesen Butler nicht«, warnte Custner, der wieder vor den Kontrollschirmen saß. »Ich spürte es gleich, dieser Mann ist ungewöhnlich. Morlay hatte dafür keinen Sinn.« »Hier draußen im Ferienpark hat der dennoch keine Chance, Sir.« Butch war sich seiner Sache vollkommen sicher. »Zusammen mit Herb und mir werden acht guttrainierte Männer Jagd auf ihn machen.« »Sehen wir uns an, was die Kameras für Bilder liefern.« Custner verschwendete kein einziges Wort über seinen früheren Assistenten Morlay. Er existierte für ihn nicht mehr, ihn schien es nie gegeben zu haben. Custner schaltete die restlichen Kameras ein und streckte dann plötzlich seine Hand aus. »Da sind sie ja«, rief er. »In der Westernstadt. Geben Sie das sofort an den Jagdtrupp durch. Man sieht sie ganz deutlich. Diese Alte, die Rothaarige und der Butler.« »Man hat sie schon aufgespürt, Sir.« Herb nickte Butch zu, der bereits sein kleines, aber leistungsfähiges Funksprechgerät in der Hand hielt und den Jagdtrupp in »Gun-Town« informierte. »Sie ziehn sich zur Goldmine zurück«, rief Custner. Er war völlig bei der Sache und genoß diese Treibjagd mit vollen Zügen. Er hoffte auf prickelnde Zwischenfälle. Zu schnell sollte das alles nun auch nicht über die Bühne gehen. Die in »Gun-Town« angebrachte Kamera arbeitete mit einem Weitwinkelobjektiv und lieferte erstklassige Bilder. Man sah deutlich, wie das Trio sich geschickt absetzte. Man sah auch, wie relativ gut die Schüsse lagen, die auf sie abgefeuert wurden. »Sie werden gleich im Goldtal untertauchen«, rief Custner Butch zu. »Geben Sie das auch durch.«
Butch baute sich hinter seinem Chef auf und lieferte dem Jagdtrupp eine Reportage, die sich durch Knappheit und Präzision auszeichnete. Er steuerte den Jagdtrupp, der aus drei Männern bestand. »Sollten wir nicht den zweiten Trupp zusätzlich alarmieren?« erkundigte sich Herb bei Custner. »Auf keinen Fall. Ich brauche eine Eingreifreserve, guter Mann. Sie müssen das taktisch-militärisch sehen. Aber ich möchte wissen, wo sich der zweite Jagdtrupp befindet.« Butch erledigte auch das per Sprechfunk. Der zweite Trupp meldete sich aus dem Feenschloß und wartete auf seinen Einsatz. Nein, lautete dann die Antwort, von weiteren Testpersonen habe man dort in der Umgebung bisher nichts entdecken können. »Vielleicht sind das schon die letzten Überlebenden«, mutmaßte Butch, nachdem er Custner informiert hatte. »Ist es denn zu glauben?« Custner rutschte nach vorn zur Kante des Sessels und schüttelte ungläubig den Kopf. »Sie haben es tatsächlich geschafft und die Mine erreicht. Dort schlüpfen sie gerade hinein.« »Und sitzen damit in der Falle«, meinte Butch und lachte triumphierend auf. »Das hätten sie nicht tun dürfen.« »Woher kommt denn plötzlich der Nebel?« wunderte sich Herb und zeigte auf das Bild. Vor dem Eingang zur künstlichen Goldmine wallte plötzlich eine dichte Nebelwolke auf, die jede Sicht nahm. Sie breitete sich aus, wurde vom Nachtwind erfaßt und förmlich in die Breite gezerrt. »Das ist künstlicher Nebel«, sagte Custner verdutzt. »Sie sind irgendwie an künstlichen Nebel gekommen. Sofort eine Warnung an den Jagdtrupp! Auf keinen Fall in die Mine. Dort ist das Trio längst nicht mehr. Das ist ein Trick. Ich werde diesem Trio zeigen, daß man einen Custner taktisch nicht so leicht ausmanövrieren kann!« *** Der Jagdtrupp hielt sich an den Befehl, der per Sprechfunk gekommen war. Die drei Männer, ausgekochte Kriminelle, waren im Grund heilfroh, daß sie nicht in diese künstliche Mine hinein mußten. Ihnen paßte die ganze Richtung nicht. Der plötzlich hochwallende Nebel hatte sie verunsichert. Sie kümmerten sich also nicht weiter um den Stolleneingang, der tagsüber von schier unübersehbaren Massen von Zuschauern passiert wurde und kamen an der alten Feldbahn vorüber, deren Schienen aus dem Stollen heraus und hinüber zu einer Art Schutthalde führten. Die Feldloren waren mit Gestein hoch beladen und erweckten den Eindruck, als seien sie gerade erst aus der Mine herausgekommen. Die drei Männer liefen wie mißtrauische Füchse an den Loren entlang und erreichten dann die Gruppe der
Minenarbeiter, die dort an der Goldwaschanlage standen. Diese Goldgräber aus Plastik waren abenteuerlich gekleidet und hielten Waschpfannen, Pickel und Schaufel in ihren erstarrten Händen. Sie warteten darauf, auf Knopfdruck mit ihrer elektronisch gesteuerten Arbeit zu beginnen. Während der Öffnungszeiten des Ferienparks schufteten diese Glückssucher stundenlang und ohne jede Ermüdung. »Die sind den Hang runter«, sagte der Anführer des Jagdtrupps und deutete auf die Schutthalde. »Die haben die Holztreppe genommen und rennen dann rüber zum Wildwasserkanal. Los, die kaufen wir uns.« Die drei Männer kümmerten sich nicht weiter um die Goldsucher. Die hingegen taten es sehr nachdrücklich. Drei von ihnen erwachten zum Leben und wurden sehr aktiv. Ein großer, ein wenig zur Fülle neigender Goldgräber langte herzhaft mit seiner Schaufel zu und knallte sie dem Anführer des Jagdtrupps ins Kreuz. Der Mann verlor sofort seine Waffe und landete auf dem Boden. Er schrammte mit seiner Nase durch den Steinschutt und wurde erst vom gußeisernen Rad einer Lore gebremst. Der Mann blieb daraufhin regungslos liegen und tat vorerst keinen Schnaufer mehr. Der zweite Goldsucher war wesentlich schlanker und schmaler. Doch auch er hatte nachhaltigen Erfolg, als er sich den zweiten Jäger vornahm. Der Goldsucher hatte gewartet, bis sein Opfer ihn passiert hatte, dann hob er die Goldwaschschüssel und setzte ihren Boden auf den Kopf des Mannes. Ein Gong tönte daraufhin durch die Nacht. Der Getroffene verneigte sich ein wenig, ging dann in die Knie und lauschte den Gongtönen, die ihm überirdisch vorkamen. Ein zweiter Schlag mit der Waschpfanne reichte dann vollkommen aus, diesen Mann in das Land buntester Träume zu schicken. Der dritte Goldsucher hielt plötzlich einen altväterlich gebundenen Regenschirm in Händen. Der dritte Kriminelle hatte etwas hinter sich gehört, warf sich herum und ... stierte dann überrascht auf den Goldsucher aus Plastik, der mit einem Regenschirm zuschlug. Der Bambusgriff dieses Schirms landete genau auf seiner Stirn. Der Kriminelle verlor seine Waffe und ringelte sich auf dem Boden zu einem länger anhaltenden Schlaf zusammen. Er hatte in Sekundenschnelle seine Form verloren. »Das war herzerfrischend, Mr. Parker«, sagte der erste, zur Fülle neigende Goldsucher. »Vielen Dank, Mylady«, gab Parker zurück, der die alte Pferdedecke von seinen Schultern schüttelte. Sie hatte ihn getarnt und die drei Jäger getäuscht. »Ein Funksprechgerät«, sagte der dritte Goldgräber. Kathy Porter bückte sich und sammelte die Waffen und das kleine Gerät auf. Sie reichte es an Parker weiter, der es sofort einschaltete. »Mr. Custner?« rief er, »hören Sie mich? Hier spricht Josuah Parker. Ich habe die Ehre und Freude, der Butler Lady Simpsons sein zu dürfen. Mylady lassen ihren
Unmut ausdrücken und werden Sie als einen billigen Scharlatan zur Rechenschaft ziehen.« Parker schaltete auf Empfang und hörte eine wütende, gereizte Antwort. Custner beschimpfte Lady Simpson und drohte ihr den baldigen Tod an. »Sie sind ein lümmelhaftes Subjekt«, antwortete Lady Simpson herrisch, nachdem Parker ihr das Funksprechgerät gereicht hatte. »Leider werde ich Sie kaum erwischen. Wie ich Sie einschätze, werden Sie schleunigst die Flucht ergreifen. Man kennt ja diese feigen Memmen, wie Sie eine sind.« Sie schaltete das Gerät ab und zwinkerte ihrem Butler listig zu. »Das wird Mr. Custner mit letzter Sicherheit im Ferienpark zurückhalten«, sagte Josuah Parker. »Ein Psychopath wie er nimmt diese Herausforderung mit Freuden an, Mylady!« »Was ich mir auch ausgebeten haben möchte«, erwiderte die resolute Lady grimmig. »Dieses Subjekt werde ich mir noch kaufen, Mr. Parker. Und es gehört mir dann ganz allein!« *** Das Gesicht Custners hatte sich gelbweiß gefärbt. Der kleine, fette Mann war tödlich beleidigt worden. Er war eine feige Memme genannt worden, man hielt ihn für einen Scharlatan. So etwas konnte nur mit Blut abgewaschen werden. »Ab sofort unterbleibt jeder Funkverkehr«, sagte er zu Butch und Herb, die ein wenig betroffen aussahen. Da das Trio sich über Sprechfunk gemeldet hatte, ließ sich leicht ausrechnen, daß der erste Jagdtrupp erledigt worden war. »Butch und ich gehen sofort los«, sagte Herb und nickte seinem Freund zu. »Wir räumen das Trio aus dem Weg, Sir. Das haben wir in einer halben Stunde geschafft.« »Ich werde mitkommen, meine Herren.« Custner wurde zum Militärbefehlshaber und nahm Haltung an. »Ich werde das Unternehmen kommandieren. Erwarten Sie mich in zehn Minuten. Die Stellung des Feindes ist bis dahin genau zu beobachten.« »Der Nebel Verzieht sich«, sagte Herb, der bereits wieder den Bildschirm kontrollierte. »Aber vom ersten Jagdtrupp ist nichts zu sehen«, ärgerte sich Butch. »Verdammt, mit dieser Panne hätte ich nicht gerechnet.« »Das sind eben keine echten Profis«, stellte Herb fest. »Sobald wir draußen im Gelände sind, Butch, sieht der Fall schon ganz anders aus.« »Sind wir überhaupt auf dem richtigen Dampfer, Herb?« fragte Butch und dämpfte unwillkürlich seine Stimme. »Wieso? Was meinst du?« »Custner«, tippte Butch an. »Der Busche hat doch 'ne Meise, oder?«
»Möglich, interessiert mich aber nicht. Hauptsache, er spuckt Moneten. Und dazu werden wir ihn bringen.« »Und wenn die Bullen hier aufkreuzen?« »Bis zum Morgen sind alle Spuren verwischt.« »Ich werde das komische Gefühl in der Magengegend nicht los«, redete Butch weiter. »Der ganze Spaß ist irgendwie ins Wasser gefallen. Ich hatte mir das alles anders vorgestellt.« »Wir müssen nur auf Draht sein, und schon scheint wieder die Sonne, Butch.« Herb war wesentlich optimistischer als sein Partner. Er zündete sich eine Zigarette an und schaltete die Monitoren ein. Er hoffte, zufällig dieses Trio erfassen zu können, doch es blieb wie vom Erdboden verschwunden. »Wo mögen die jetzt stecken?« fragte er halblaut. »Der zweite Jagdtrupp?« fragte Butch. »Das komische Trio«, stellte Herb richtig. »Verdammt, wo bleibt Custner? Ich will raus ins Gelände.« Wie auf ein Stichwort hin erschien Melvin Custner. Butch und Herb schluckten nur mühsam ihre Überraschung hinunter, Sie bemühten sich sichtlich um ihr Gleichgewicht. Custner hatte sich militärisch zurechtgemacht. Er trug einen Kampfanzug samt Koppel. Er hielt eine Maschinenpistole in Händen, auf deren Mündung ein langer Schalldämpfer saß. Im Koppel steckte ein Parabellum, im Kampfstiefelschaft ein langes Jagdmesser. Custner hatte sich das Gesicht schwarz eingefärbt. »Auf, Männer«, sagte er militärisch knapp. »Das Unternehmen >Liquidation< kann beginnen. Ich erwarte, daß jeder gewissenhaft seine Pflicht erfüllt.« Sie verließen den Kontrollraum. Custner hatte die Führung übernommen und erwies sich als gerissen. Sie verzichteten darauf, den normalen Ausgang zu benutzen. Custner führte sie durch einen Keller hinaus in den Innenhof der Hazienda. Sie stahlen sich anschließend durch eine Stalltür hinaus ins Gelände. »Es werden keine Gefangene gemacht«, flüsterte Custner seinen beiden Jägern zu. »Ich wünsche gründliche Bereinigung der Lage, meine Herren.« Als im gleichen Moment von weit her ein erstickter Schrei zu hören war, zuckte Custner zusammen. Seine Augen glitzerten in Vorfreude. Er setzte sich sofort in Bewegung. Der fette, kleine Mann glich einem dicken Frosch, der loshüpfte. *** Lady Simpson, Kathy Porter und Josuah Parker standen in der Nähe eines Kiosks und schauten auf die junge Frau hinunter, die dort auf dem Weg lag. Sie war tot. »Das dürfte auf das Konto dieser beiden Subjekte gehen, die wir ins Reich der Gnome geschickt haben«, sagte Lady Simpson. »Schrecklich, wie schnell Menschen zu Mördern werden.«
»So sollte wahrscheinlich auch ich niedergeknüppelt werden«, meinte Kathy Porter beeindruckt. »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit«, sagte Josuah Parker. »Ich möchte die Andacht der Damen nicht stören, aber es empfiehlt sich, schleunigst in Deckung zu gehen.«: »Werden wir verfolgt, Mr; Parker?« Lady Simpson sah sich um. »Mit Überraschungen ist jederzeit zu rechnen, Mylady.« »Wo stellen wir diesen Subjekten die nächste Falle, Mr. Parker?« wollte Parkers Herrin als nächstes wissen. »Der Wildwasserkanal ist ein gut zerklüftetes Gelände, Mylady. Wenn ich mir die Freiheit nehmen darf, die Damen dorthin zu führen?« »Sie dürfen, Mr. Parker.« Lady Agatha nickte hoheitsvoll und warf noch einen Blick auf die Frau, die dort auf dem Weg lag. Parker schritt bereits voraus und verließ schon nach wenigen Metern den breiten Weg. Er tauchte in Strauchwerk ein und wartete hier, bis die beiden Frauen ihm gefolgt waren. Der Butler hatte die Lage der Sehenswürdigkeiten genau im Kopf. Mit nachtwandlerischer Sicherheit fand er den richtigen Weg. Sie waren etwa zehn Minuten unterwegs, als sie auch schon den kleinen See unterhalb des künstlichen Wasserfalls erreicht hatten. »Achtung, dort oben, Mr. Parker!« Kathy deutete hinauf auf den Rand des Wasserfalls. Gegen .den nächtlichen Himmel hob sich die Silhouette einer Gestalt ab. »Holen Sie diesen Lümmel herunter, Mr. Parker«, verlangte die resolute Dame. Der Butler nickte und legte den Universal-Regenschirm aus der Hand. Er griff in die Innentasche seines Zweireihers und holte die Gabelschleuder hervor. Mit wenigen Handgriffen setzte er sie zusammen und prüfte die Elastizität der beiden Gummistränge. Seine Waffe sah auf den ersten Blick wie ein normales Kinderspielzeug aus. Es handelte sich um eine Zwille oder Schleuder, wie sie von Halbwüchsigen gern aus Astgabeln hergestellt wird. Im Falle Josuah Parker aber handelte es sich selbstverständlich um eine spezielle Konstruktion, die sich vor allen Dingen durch Reichweite und Zielsicherheit auszeichnete. Parker griff in eine seiner vielen Westentaschen und holte das erste Geschoß hervor. Er wog die runde Stahlmurmel in der Hand und tauschte sie dann gegen eine etwas kleinere aus. Er legte sie in die Lederschlaufe, strammte die beiden Gummistränge und visierte die Silhouette dort oben am Rand des Wasserfalls an. Nur ein feines Zischen war zu vernehmen, als der Butler dann die Lederschlaufe freigab und das Geschoß sich selbständig machte. Sekunden später war deutlich zu sehen, daß der Mann dort oben zusammenfuhr, wankte und das Gleichgewicht verlor. Er warf die beiden Arme hoch in die Luft, stieß einen Schrei aus und kippte dann kopfüber hinunter in den See. »Passabel«, kommentierte Lady Agatha diesen Meistertreffer. »Ich hätte es kaum besser machen können.«
»Wenn die Damen mich für einen Moment entschuldigen wollen.« Parker verließ die Deckung und ging mit schnellen Schritten ans Ufer hinüber. Er wollte den bewußtlosen Mann bergen und vor dem Ertrinken bewahren. Parker brauchte nicht lange nach ihm zu suchen. Der Mann trieb ihm förmlich entgegen. Er war tatsächlich bewußtlos und merkte nicht, daß er von dem Bambusgriff eines Regenschirms erfaßt und an Land gezogen wurde. Er mußte zur zweiten Jagdgruppe gehören. In seinem Hosengurt befand sich eine schallgedämpfte Schußwaffe. Parker schleifte den Mann ins nahe Gesträuch und untersuchte ihn kurz. An der linken Kopfseite entdeckte der Butler eine starke Schwellung. Genau dort war das Geschoß »eingeschlagen«. »Und jetzt, wohin mit diesem Lümmel?« Lady Simpson tauchte zusammen mit Kathy neben Parker auf, der sich daraufhin aufrichtete. Die Antwort mußte der Butler leider schuldig bleiben. Oben vom Wasserfall aus wurde eine Geschoßgarbe auf sie abgefeuert. Kathy hechtete sich ins Gesträuch, Parker warf sich gegen die empört aufquiekende Lady Simpson und drückte sie zusammen mit seinem Körper hinter einen künstlichen Felsen. Der Mann aber, den er eben erst vor dem Ertrinken gerettet hatte, bäumte sich auf, krümmte sich wie ein Wurm und blieb dann ruhig liegen. Parker brauchte sich nicht mehr zu überlegen, wo man diesen Mann verstecken sollte. *** Die beiden Männer des Jagdtrupps waren ihren Opfern dicht auf den Fersen. Es war nur noch eine Frage von Minuten, bis sie zuschlagen konnten. Diese beiden Männer, die ihren eigenen Partner erschossen hatten, gierten nach Rache. Als sie die Zugbrücke vor dem Feenschloß erreicht hatten, sahen sie gerade noch die junge Frau, die hinter dem Tor verschwand. Nein, es lohnte sich nicht, Dauerfeuer auf sie zu eröffnen. Sie saß zusammen mit ihren beiden Begleitern rettungslos in der Falle. Sie marschierten auf die Zugbrücke zu, schauten sich immer wieder vorsichtig nach allen Seiten um und flüsterten miteinander. Sollten sie diese Sache allein hinter sich bringen? War es vielleicht nicht besser, auf Verstärkung zu warten? Sie verzichteten jedoch auf jede Vorsicht, als sie im Feenschloß plötzlich lautes Gepolter hörten, und darauf einen kurzen Aufschrei. Sie stürmten die große Märchenhalle und schauten sich um. Im Licht der Notbeleuchtung sahen sie die junge Frau. Sie war fast nackt, lag auf den Stufen der Treppe und schien bewußtlos zu sein. Die beiden Jäger vergaßen jegliche Vorsicht. Sie rannten auf die Treppe zu, zu deren Füßen wunderbar nachgebildete Märchenfiguren standen. Sie passierten eine alte Hexe, die einen Reisigbesen in Händen hielt und achteten nicht weiter auf einen Magier, der mit seinem
Zauberstab in der Luft herumzurühren schien. Nein, sie sahen nur die fast nackte, junge Frau dort auf den Stufen und wollten an ihr ihre wilde Wut auslassen. Damit war aber die alte Hexe überhaupt nicht einverstanden. Sie langte mit ihrem Besen nachdrücklich zu und knallte diesen dem ersten Mann ins Genick. Der alte Magier benutzte seinen Zauberstab und drosch ihn dem zweiten Jäger gegen die Rippen. Die beiden Männer stürzten zu Boden, wollten sich noch einmal hochraffen, doch sie hatten keine Chance mehr. Es war die alte Hexe, die hier reinen Tisch machte. Ihr Besen war dabei eine äußerst wirkungsvolle Waffe. »Mylady sollten sich nicht unnötig echauffieren«, sagte der Magier zu der alten Hexe. »Lassen Sie mich, ich bin wütend«, erwiderte die alte Hexe, alias Lady Simpson. Doch sie beruhigte sich und ließ den Besen zu Boden fallen. Dann schaute sie zur Treppe hinüber und nickte Kathy Porter zu, die hinter der Brüstung der Galerie erschien. Kathy Porter schritt an der fast nackten, jungen Frau vorüber und kümmerte sich nicht weiter um sie. Es handelte sich schließlich nur um eine Puppe, die mit Bekleidung die Pechmarie darstellte. Zur Täuschung der beiden Jäger war sie von Parker dekorativ auf den Treppenstufen abgelegt worden. »Die Sache macht sich«, stellte Lady Simpson zufrieden fest. »Mr. Parker, schaffen Sie mir diese Subjekte aus den Augen, bevor ich mich vergesse.« »Miß Porter könnte vielleicht das Gelände vor dem Feenschloß beobachten«, schlug Parker vor. »Ich fürchte nach wie vor, daß die eigentliche Auseinandersetzung noch zu erwarten ist.« »Das möchte ich aber auch sehr hoffen«, schnaufte Lady Agatha unternehmungslustig. »Die Dummheit dieser beiden Subjekte ist ja schon rührend gewesen, Mr. Parker.« Josuah Parker machte sich daran, die beiden Jäger von der Bildfläche verschwinden zu lassen. Sie sollten nicht auf Anhieb gefunden werden und nicht mehr in das Geschehen eingreifen können. Um das zu erreichen, entwickelte der Butler wieder einmal Phantasie. *** Sie lief ihnen direkt in die Arme. Kathy Porter sah sich plötzlich Butch und Herb gegenüber. Sie wollte sich noch zurück in das Feenschloß flüchten, doch die beiden Profis waren schneller. Herb hechtete nach ihren Beinen, umklammerte ihren linken Fußknöchel und brachte Kathy zu Fall. Sie schlug hart auf und ergab sich erst einmal, in ihr Schicksal. »Nein, nicht erledigen«, hörte sie eine satte, zufriedene Stimme. »Sie ist unsere Geisel.« Kathy wurde hochgerissen und sah sich Melvin Custner gegenüber. Sie wußte sofort, daß es Custner war, Parker hatte ihr den Besitzer des Ferienparks genau beschrieben.
Butch und Herb schleiften Kathy von der Zugbrücke weg und hielten ihr die Arme fest. Custner trat dicht an Kathy und musterte sie aus seinen kleinen, glitzernden Augen. »Sie haben sich bisher gut geschlagen«, meinte Custner fast anerkennend, »aber nun dürfte das Spiel gelaufen sein. Eigentlich sehr schade.« »Sie sind Custner?« fragte Kathy, um Zeit zu gewinnen. »Commander Custner«, korrigierte der kleine Fette. »Erzählen Sie mir von den beiden Jagdtrupps?« »Wir haben sie ... erledigt«, sagte Kathy zögernd. »Erstaunlich, erstaunlich.« Custner war nach wie vor beeindruckt. »Und was wurde aus den Testpersonen?« »Die haben wir auch geschafft«, erwiderte Kathy. Sie spürte instinktiv, daß Custner solche Antworten hören wollte. Wahrscheinlich paßten sie in sein wahnsinniges Konzept. »Lobenswert, lobenswert«, freute Custner sich weiter. »Sie haben meine Erwartungen voll und ganz gerechtfertigt.« »Sir, wir sollten keine Zeit verlieren«, drängte Butch, dem das alles nicht paßte. Er deutete auf den Eingang zum Feenschloß. »Da sind die beiden anderen Typen noch drin.« »Sie können uns nicht entkommen.« Custner lächelte überlegen. »Sie werden sehr schnell und freiwillig ihre Deckung verlassen, meine Herren.« »Und wie?« fragte Herb. Er beobachtete den Eingang zum Feenschloß, rechnete jeden Moment mit einem überraschenden Ausfall. »Ich fordere Sie hiermit zur Kapitulation auf«, rief Custner mit lauter Stimme zum Eingang hinüber. »Ich gebe Ihnen eine Minute Zeit, sich zu entscheiden. Ich biete Ihnen einen ehrenvollen Abzug. Falls Sie nicht zustimmen, werden Sie laute Schreie dieser jungen Dame hier hören.« Er trat vor Kathy, riß ihr den Overall über die Schultern, entblößte ihren Oberkörper und schob sie dann nach vorn, damit man sie vom Feenschloß aus erkennen konnte. Kathy leistete keinen Widerstand. Sie tat völlig eingeschüchtert und wirkte tatsächlich auch verängstigt. »Wie soll dieser ehrenhafte Abzug aussehen?« rief Parker zurück. »Ich gebe Ihnen eine faire Chance!« »Könnten Sie diese Antwort noch ein wenig präzisieren?« fragte Parker zurück, ohne sich allerdings sehen zu lassen. Genau in diesem Moment reagierte Kathy. Sie hatte gespürt, daß die Härte der Griffe der beiden Männer nachgelassen hatte. Sie stieß mit ihrem linken Ellenbogen in den Magen von Herb, trat gegen das Knie von Butch und warf sich zurück. Sie schlug mit der rechten Handkante nach Butch, der sich stöhnend aufrichtete, benutzte ihren Fuß als Waffe, um Herb endgültig zu Boden zu schicken und wollte sich dann mit Custner befassen, aber der selbsternannte Commander war schon nicht mehr zu sehen.
Er hatte sich abgesetzt und lief schnell über den mit Strauchwerk bestandenen Hügel nach unten in Richtung Safari-Park. Kathy mußte sich entscheiden. Sollte sie Custner folgen? Konnte sie diese beiden Männer hier allein zurücklassen? Noch waren Butler Parker und Lady Simpson nicht zu sehen. Kathy nahm die beiden Schußwaffen der Männer und warf sie in den Schloßgraben. Dann rannte sie los und nahm die Verfolgung von Custner auf. *** Er war schlau. Kathy stolperte in ihrem Eifer in die nächste Falle. Sie lief auf die Gasse zu, die von zwei Sträuchern gebildet wurde, und hatte nicht mit der Tücke Custners gerechnet. Er ließ im richtigen Moment die langen, zurückgebogenen Zweige los. Sie schnellten nach vorn und schlugen förmlich auf die überraschte Kathy ein. Sie verlor für einen ganz kurzen Moment die Übersicht, sah dann Custner vor sich, wollte noch eine Abwehrbewegung ausführen und erhielt einen harten Schlag gegen den Kopf. Er warf sie sich über die Schulter und trug sie fort. Custner, der kleine, fette Mann, entwickelte dabei eine erstaunliche Kraft. Sie war wieder seine Geisel. Sie war der Schlüssel zu seinem Sieg. Er wußte genau, daß er diesen letzten Test bestehen würde. Commander Custner war unbesiegbar. Sein Plan stand bereits fest. Er war stolz auf ihn. Er garantierte den Tod seiner Feinde. Sie mußten sogar freiwillig in ihren Tod hineinrennen. Ihnen blieb überhaupt keine andere Wahl. Er keuchte und war in Schweiß gebadet, als er den Safari-Park erreicht hatte. Er ließ Kathy zu Boden gleiten und griff nach dem Hauptschlüssel, den er mit in den Kampf genommen hatte. Er sperrte die schmale Gittertür zum großen Freigehege auf und zerrte die bewußtlose junge Frau hinter sich her. Er sperrte wieder ab und machte sich erst jetzt daran, Kathys Hände zu fesseln. Er benutzte dazu feinen Draht, den er für dieses Unternehmen sicherheitshalber mitgenommen hatte. Ein Commander Custner dachte eben an alles. Kathy seufzte auf, stöhnte und öffnete dann die Augen. Sie blinzelte Custner an und richtete sich vorsichtig auf. »Unter anderen Voraussetzungen hätte ich Sie engagiert«, sagte Custner fast freundlich. »Sie haben Mut. Hoffentlich reicht er für die nächste halbe Stunde aus.« »Was haben Sie mit mir vor?« »Sie werden Ihre beiden Freunde anlocken«, sagte Custner. »Eine schöne Rolle, die Ihrem Aussehen durchaus entspricht. Sie werden zufrieden sein.« Er trieb sie vor und sparte nicht mit leichten Schlägen. Kathy fügte sich notgedrungen in ihr Schicksal. Sie schaute sich verstohlen um und entdeckte hier und da in der Dunkelheit die Raubtiere aus Plastik, die dem Safari-Park einen
echten Anstrich verleihen sollten. Von den Löwen war erfreulicherweise nichts zu sehen, doch Kathy fürchtete, daß sich das bald ändern würde. Sie hatten einen ziemlich mühevollen Anstieg hinter sich und blieben auf einer Plattform stehen. Custner bückte sich nach einer Eisenleiter und stemmte sie gegen den künstlichen Felsen, der in einer Nadelspitze endete. Er deutete hinauf. »Dort oben ist ein schmales Felsplateau, meine Hübsche«, sagte er und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Steigen Sie hoch. Sie wollen doch nicht, daß ich Sie mit einem Messer ermuntere, nicht wahr?« »Binden Sie meine Hände frei«, bat Kathy. »Aber nein, Sie sind noch jung und geschmeidig. Sie werden das auch so schaffen. Bitte!« Jetzt klang seine Stimme scharf. Er hatte das Messer bereits in der rechten Hand und führte einen Scheinstoß nach ihrem Gesicht aus. Kathy mußte, ob sie wollte oder nicht, hinaufsteigen. Sie legte sich fast auf die Leitersprossen, um nicht abzurutschen. Langsam nahm sie Sprosse für Sprosse und erreichte endlich das schmale Felsplateau, von dem Custner gesprochen hatte. Es war gefährlich schmal und bot kaum einen Halt. Kathy schaute nach unten. Es waren gut und gern acht Meter bis zum Boden, wo der Wahnsinnige stand. Kathy verließ vorsichtig die Leiter und lehnte sich dann mit der Vorderseite ihres Körpers gegen die Felswand aus Beton. Sekunden später fiel die Leiter bereits um und landete mit einem lauten Scheppern auf dem Boden. Dann hörte sie das Lachen von Custner. »Bleiben Sie schön stehen«, rief er nach oben. »Ihre Freunde werden bestimmt gleich erscheinen.« Kathy hatte keine Möglichkeit, sich umzudrehen. Sie mußte so bleiben, wie sie stand. Sie entspannte sich, beruhigte die Nerven. Sie ahnte, was Custner plante. Jetzt hing alles davon ab, wie Josuah Parker reagierte. *** »Sehen Sie sich das an, Mr. Parker. Die reinste Festbeleuchtung!« Lady Simpson deutete zum Safari-Park hinüber, wo gerade die Bogenlampen eingeschaltet worden waren. Das weißliche Licht bestrahlte die Betonfelsen und schuf lange, unheimlich aussehende Schatten. Lady Simpson und Josuah Parker hatten gerade Butch und Herb »behandelt« und standen vor dem Feenschloß. Parker hatte ein böses Gefühl in der Magengegend. Custner mußte sich eine weitere Teufelei ausgedacht haben. Sie brauchten nur fünf Minuten, bis sie die schreckliche Wahrheit erkannten. Lady Simpson und Josuah Parker standen vor dem vergitterten Teil des SafariParks und beobachteten Kathy, die unbeweglich auf dem schmalen Felsplateau stand. »Lassen wir das Kind nicht länger warten«, sagte die Lady mit rauher Stimme. »Sie kann ja jeden Augenblick abrutschen.«
Parker war klar, daß es sich um eine tödliche Falle handelte, doch das spielte im Moment keine Rolle. Erst mußte Kathy aus dieser prekären Situation herausgeholfen werden. Er nickte und stieß die schmale Gittertür vollends auf. Lady Simpson folgte ohne Zögern. Als sie die ersten Felsen erreicht hatten, war hinter ihnen ein Scheppern zu vernehmen. Lady Simpson fuhr herum und erkannte den fetten Custner, der die Gittertür ins Schloß geworfen hatte. Er hielt ein Maschinengewehr in Händen und verschwand sofort hinter dem Tierwärterhäuschen. »Ihre Waffen, wenn ich bitten darf!« Hohn klang in seiner Stimme. »Die Waffen! Oder möchten Sie, daß ich die junge Dame vom Felsen schieße?« Parker verzichtete auf jeden Einwand. Er warf die Schußwaffen in hohem Bogen über das Trenngitter. Lady Simpson folgte seinem Beispiel und ärgerte sich schrecklich. In der Nähe des Häuschens, hinter dem Custner Posten bezogen hatte, landeten eine Maschinenpistole, zwei Revolver und zwei Messer. Doch Custner rechnete mit der Schläue seiner beiden Gegenspieler. »Ich weiß, daß Sie noch weitere Waffen haben«, behauptete er. »Ich gebe Ihnen zehn Sekunden, dann werde ich schießen.« Lady Simpson fluchte wie ein Fuhrmann und lieferte einen weiteren Revolver ab. Parker trennte sich zu seinem Leidwesen ebenfalls von einer Schußwaffe und einem weiteren Messer. »Nun viel Spaß«, wünschte Custner und lachte grell auf. »Sie werden gleich Besuch erhalten. Gehen Sie mit meinen Berberlöwen nicht zu arg um!« *** Kathy zitterte am ganzen Körper, als sie endlich wieder auf sicherem Boden stand. Parker hatte sie sehr vorsichtig über die Leiter nach unten geholt und löste den dünnen Draht von ihren Handgelenken. Er sah sie fragend an. »Alles in Ordnung«, meinte Kathy und lächelte tapfer. »Ich hab's bereits überstanden. Um ein Haar wäre ich abgerutscht.« »Keine Konversation«, meldete sich die resolute Dame zu Wort. »Hat dieses wahnsinnige Subjekt nicht von Berberlöwen gesprochen, Mr. Parker?« »In der Tat, Mylady. Er dürfte inzwischen die Schieber öffnen, falls mich nicht alles täuscht. Während der Nacht befinden die Raubtiere sich in geschützten Käfigen.« »Und was sollen wir nun machen, Mr. Parker? Ich verlange, daß Sie sich etwas einfallen lassen.« Josuah Parker besaß Nerven wie Drahtseile. Obwohl die Lage mehr als gefährlich war, obwohl man bereits das dunkle Brüllen der Raubtiere hörte, griff er an seine Brusttasche und holte sein
Zigarrenetui hervor. Er zündete sich eine Zigarre an und deutete dann mit der Spitze seines Universal-Regenschirms auf eine Art Felsenbank. »Ist das alles, Mr. Parker, was Sie anzubieten haben?« erkundigte sich Lady Simpson grimmig. »Sie enttäuschen mich aber sehr.« »Mylady dürfen versichert sein, daß die Berberlöwen sich recht friedfertig benehmen werden«, erwiderte Josuah Parker höflich und gemessen. »Wenn ich die Damen dort hinaufbegleiten darf?« Das Trio hatte die Felsenbank noch nicht ganz erreicht, als die ersten Raubkatzen bereits auf der Bildfläche erschienen. Die mächtigen Berberlöwen machten einen unternehmungslustigen und gereizten Eindruck. Custner schien sie vor ihrem Einsatz noch ordentlich in Stimmung gebracht zu haben. Die Berberlöwen - es waren inzwischen vier - hatten natürlich sofort Witterung aufgenommen und freuten sich auf eine kleine Zwischenmahlzeit. Sie trauten sich aber noch nicht so recht an diese Appetithappen heran, gähnten ein wenig verlegen, brüllten dann, machten sich gegenseitig Mut und pirschten sich dann an die Felsenbank heran. Parker scheuchte sie mit einem seiner Patent-Kugelschreiber zurück. Als dieser Schreibstift auf dem Betonboden aufschlug, schoß eine funkensprühende Nebelwand hoch und jagte die Berberlöwen auseinander. Einer dieser Löwen aber schien sich in seiner Würde verletzt zu fühlen. Wahrscheinlich führte er sogar das Rudel an. Diese Raubkatze faßte sich ein Herz und schnellte sich durch die Nebelwand auf die Opfer zu. Parker nahm seine Zigarre und schleuderte sie dem Berberlöwen in den Rachen. Die Raubkatze hustete augenblicklich los, spuckte um sich, warf sich herum und trottete tränenden Auges wieder zurück. Womit der erste Angriff abgeschlagen war. »Ich möchte nur wissen, was für ein schreckliches Kraut Sie rauchen, Mr. Parker«, wunderte sich Lady Agatha Simpson. »Wie vertragen Sie das, wenn selbst Berberlöwen zurückschrecken?« »Custner wird bestimmt gleich schießen«, warnte Kathy, die neben Lady Agatha stand. »Wir müssen unseren Standort wechseln.« »Sehr gut, Miß Porter«, lobte der Butler. »Wenn die Damen mir erneut folgen würden?« Sie gingen um den Felsen herum und fanden eine Art Grotte. Parker warf einen weiteren Kugelschreiber und nebelte die Grotte ein. Er wich mit den beiden Damen zur Seite aus und brachte sie hinter einen Felsen. Sie hatten gerade Deckung genommen, als Schüsse aus der Maschinenpistole zu hören waren. Die Geschosse jagten in die Grotte hinein. Custner hatte sich täuschen lassen. Er glaubte seine Opfer hinter der dichten Nebelwand. »Ich werde sofort wieder zurück sein. Wenn man meine bescheidene Wenigkeit vielleicht entschuldigen möchte.« Parker wußte jetzt, wo Custner Stellung bezogen hatte. Er verließ die Deckung, schlängelte sich um eine Felsnase herum und ... sah sich einem gereizten
Berberlöwen gegenüber. Die Raubkatze hatte den Rachen weit geöffnet und wollte sogar schon zuschnappen. In diesem Moment entschloß der Butler sich zu einer heroischen Tat. Parker opferte seine schwarze Melone! Er tat es gewiß nicht gern, doch es mußte sein. Er nahm sie elegant-höflich von seinem Kopf und schleuderte sie dem Raubtier in den Rachen. Der Berberlöwe, der die Geheimnisse dieser Kopfbedeckung nicht kannte, biß herzhaft zu und merkte viel zu spät, daß die Wölbung der Melone mit zähem Stahlblech ausgefüttert war. Das Ergebnis war schrecklich. Der linke Reißzahn des Berberlöwen zersplitterte, zwei weitere Zähne spalteten sich. Das Raubtier jaulte auf und griff sich mit der linken Tatze nach dem schmerzenden Maul, verkrümmte sich, stöhnte deutlich hörbar und jagte dann in langen Sätzen davon. Parker schritt weiter, fand den richtigen Platz und entdeckte dann unter sich Custner. Er stand am schmalen Gittertor und hielt seine Maschinenpistole schußbereit in Händen. Parker nahm die Spitze seines Universal-Regenschirms hoch, visierte den Wahnsinnigen kurz an und schickte seinen Pfeil auf die Reise. Der Pfeil wurde ein wenig abgetrieben und landete nicht dort, wo er eigentlich hätte treffen sollen. Er zischte genau in die Nasenspitze Custners, der daraufhin schielte und einige Zeit brauchte, bis er das seltsame Geschoß mit seinen Augen erfassen konnte. Dann aber brüllte er auf, warf das Maschinengewehr von sich, hielt sich die Nase und jagte hinaus in die Dunkelheit, gehetzt von Angst und Grauen. »Das Abenteuer dürfte sein Ende gefunden haben«, meldete Parker, als er wieder bei den Damen erschien. Er griff nach seiner nicht vorhandenen Melone und wollte sie höflich lüften. Als er sie vermißte, begann sich Trauer in seinen Augen zu zeigen. *** »Er ist bereits in den Händen einiger Psychiater«, sagte Superintendent McWarden. »Aber selbst ein Laie sieht, daß der Mann wahnsinnig ist. Auf Sie, Mr. Parker, scheint Custner übrigens nicht besonders gut zu sprechen sein. Er verflucht Sie am laufenden Band.« »Haben die Herren Butch und Herb bereits ausgesagt?« erkundigte sich Josuah Parker gemessen. »Sie übertreffen sich gegenseitig mit ihren Aussagen«, sagte der Superintendent lächelnd. »Sie schieben alle Schuld natürlich auf Steve Morlay.« »Für sie wird noch ausreichendes Belastungsmaterial zurückbleiben, Sir«, sagte Parker. »Wie wird man mit den Testpersonen verfahren, die nun tatsächlich gemordet haben?«
»Darüber sollen die Juristen sich den Kopf zerbrechen«, gab McWarden zurück. »Ich möchte da auf keinen Fall ein Urteil sprechen. Das ist verdammt schwer.« »Und die Mitglieder der beiden sogenannten Jagdgruppen, Sir?« »Sind mehr oder weniger polizeibekannt und haben allerlei auf dem Kerbholz. Für ein paar Jahre wird das sicher reichen. Ihnen muß man ja wieder» mal gratulieren. Sie haben das alles sehr erfolgreich rausbekommen, Mr. Parker.« »Vielen Dank, Sir.« »So ganz zufrieden scheinen Sie aber doch nicht zu sein.« McWarden sah den Butler prüfend an. »Ich werde darüber nachdenken müssen, Sir, wo ich eine neue Kopfbedeckung erstehen kann.« »Ihre Sorgen möchte ich haben, Mr. Parker.« McWarden grinste und wandte sich dann Lady Simpson und Kathy Porter zu, die aus dem Erfrischungsraum kamen. Sie trugen Kleider, die sie sich hier ausgeliehen hatten. Lady Simpson hatte sich in eine Feenkönigin verwandelt. Das Kostüm stammte aus dem Fundus des Ferienparks. Sie sah in dem Kleid tatsächlich hochherrschaftlich und imponierend aus. Kathy Porter hatte sich in eine Elfe verwandelt. Ihr Kostüm war ein wenig sparsam ausgefallen und zeigte viel von ihrer bemerkenswerten Anatomie. »Was sollen diese lüsternen Blicke, McWarden«, raunzte Lady Agatha den Kriminalbeamten an. »Mäßigen Sie sich gefälligst.« »Sie sehen wunderbar aus, Mylady«, schmeichelte McWarden, während er Kathy Porter verstohlen anblickte. »Sie schrecklicher Heuchler«, sagte Lady Simpson. »Ich hätte große Lust, Sie durch den Ferienpark zu hetzen. Bis zum Hellwerden haben wir noch eine gute Stunde Zeit für eine Privatjagd.« »Lieber nicht, Mylady.« McWarden schüttelte den Kopf. »Ich glaube, gegen Sie hätte ich keine Chance.« »Natürlich nicht«, gab die Amateurdetektivin grimmig zurück. »Wem hat man denn zu verdanken, daß dieser Wahnsinnige nicht auf seine Kosten gekommen ist? Doch nur mir! Oder sind Sie anderer Meinung, Mr. Parker?« »Mitnichten und keineswegs, Mylady«, gab der Butler höflich und würdevoll zurück. »Mylady zu widersprechen, würde meiner bescheidenen Wenigkeit niemals einfallen.« ENDE
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Nächste Woche erscheint Butler Parker AUSLESE Band 154
Günter Dönges
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