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Schwer rollte der Geschützdonner über die Reede des Hafens von Sao Tome. Er übertönte das...
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Seewölfe 147 1
Roy Palmer 1.
Schwer rollte der Geschützdonner über die Reede des Hafens von Sao Tome. Er übertönte das Schreien und Fluchen der Männer an Bord der Schiffe, und deckte auch die Rufe der Menschen zu, die auf dem Kai zusammengelaufen waren. Rauch wälzte sich in fetten Schwaden über das Wasser, er schien alles unter sich begraben zu wollen: die Stadt, die Festung, den Regenwald und die Höhenzüge im Zentrum der Insel, die von den Selvas eingehüllt wurden. Die ganze stickige, tödliche Atmosphäre schien verdrängt zu werden, man konnte wieder atmen und hoffen auf Sao Toni. Die große Wende war eingetreten. Ein Mann, der sich gewöhnlich weiß Gott nicht für die schlug, die von seiner Crew schlicht und einfach „die Dons“ genannt wurden, war den bedrängten Spaniern unverhofft zu Hilfe geeilt. Er hieß Philip Hasard Killigrew. Mit List und Verwegenheit waren Hasard und fünf seiner besten Männer in das Kastell eingedrungen, das von Manuelito und dessen Piratenbande vereinnahmt worden war. Die „Isabella VIII.“ hatte unterdessen die Insel an ihrer westlichen Seite gerundet, sich auf den Hafen zu gepirscht - und jetzt, auf Hasards Zeichen hin, kamen Ferris Tucker und die anderen fünfzehn Seewölfe auf der Galeone zum Zug. Ehe die Männer Manuelitos an Bord der Viermast-Galeone „Santa Catalina“ Gegenmaßnahmen hatten ergreifen können, hatte Hasards rothaariger Schiffszimmermann die „Isabella“ in die Hafeneinfahrt manövriert. Und es war nicht nur ein ausgesprochenes Pech, sondern auch ein klarer Fehler der Piraten, nicht die massive Eisenkette vor die Einfahrt gespannt zu haben, die diesem Zweck diente. Manuelito hatte seinerseits nur in den Hafen gelangen können, weil er die „Santa Catalina“ gekapert und sich als Capitan Algaba ausgegeben hatte. Eben weil die so dringend erwartete Galeone von Land aus
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erkannt worden war, hatte man die Kette geöffnet –und sich damit einen Wolf im Schafspelz in die Stadt und ins Kastell geholt. Manuelito hatte es dann jedoch versäumt, die Kette wieder schließen zu lassen. So sicher hatte er sich gefühlt. Für kurze Zeit waren die Freibeuter die Herren der Insel gewesen. Sie hatten den todkranken Stadtkommandanten Don Joaquin Barba Valiente, den Alkalden Juan Antonio Castano Collado, einen Feldscher namens Umberto und die übrigen Bewohner der Feste kurzerhand als Geiseln genommen und durch massiven Druck auch die Stadt unterworfen. Es war ein dreistes Banditenstück sondergleichen gewesen, und entsprechend groß war der Freudentaumel bei Manuelito, Caranza und den anderen Schnapphähnen gewesen. Spontan hatte Manuelito eine Siegesfeier im großen Salon des Kastells organisiert. Nicht ganz so spontan hatte er reagiert, als Hasard, Ben Brighton, Edwin Carberry, Smoky, der Kutscher und der junge Dan O'Flynn aufgetaucht waren, um ihm das soeben ergatterte Ruder wieder aus den Händen zu reißen. Und ausgerechnet Dona Adriana Valiente, diesem geradezu unerhört schönen Rasseweib, war es gelungen, Manuelito so zu umgarnen, daß er in die Falle tappte! Nicht minder überrascht und von panischem Entsetzen befallen waren die Kerle, die Manuelito an Bord der „Santa Catalina“ zur Bewachung des Hafens zurückgelassen hatte. Genau wie ihr Anführer hatten diese Männer sich schon darauf eingestellt gehabt, daß Sao Tome die neue uneinnehmbare Bastion der Freibeuter geworden war – und nun dies! Platt hatte sich die „Isabella“ vor den ablandigen Wind gelegt. Drohend blickten die Mündungen ihrer 17-PfünderCulverinen aus den geöffneten Stückpforten hervor. Die Piraten hatten in aller Hast die Viermast-Galeone herummanövriert und das Feuer mit einer vollen Breitseite eröffnet. Sofort hatten die Seewölfe zurückgeschossen, aber nicht nur mit den Culverinen, die extrem lange Rohre hatten,
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sondern auch mit der übrigen „Bordartillerie“. Hasard hatte Gary Andrews und Al Conroy, die als Boten zur „Isabella“ gelaufen waren, eingeschärft, dies Ferris Tucker unbedingt mitzuteilen: Er sollte sofort sämtliche Register ziehen, die zur Verfügung standen – kompromißlos. Die Positionen in diesem Gefecht waren klar abgesteckt, man wußte, wen man vor den Rohren hatte und mußte diesen Kerlen mit gleicher Münze zurückzahlen, was sie der unschuldigen Inselbevölkerung angetan hatten. Und, nicht zu vergessen, es war Dona Adriana gewesen, die den Seewolf um seine Hilfe gebeten hatte. Hasard war zwar nicht der Typ, der sich durch den gut einstudierten treuherzigen Aufschlag zweier dunkelbrauner Rehaugen weichkochen ließ und erlag auch nicht bedingungslos dem sanften Hüftschwung einer betörend schönen Senora. Aber das, was Dona Adriana ihm erzählt hatte, hatte ehrlich geklungen - und mittlerweile hatte sich ja auch herausgestellt, daß es stimmte. Die Steuerbordgeschütze der „Isabella“ waren leergefeuert. Ferris Tucker ließ anluven, auf Backbordbug drehen und nahm Kurs auf die „Santa Catalina“. Die Viermast-Galeone hatte ebenfalls die Segel gesetzt und bewegte sich auf der Reede voran. Sie legte sich jedoch viel zu schwerfällig auf den anderen Bug. Ein großer Kasten war sie, solide gebaut und mit viel Zierrat versehen, aber weder die wuchtige Galionsfigur noch die vielen Schnörkel der Heckgalerie verhalfen ihr zu größerer Wendigkeit. Sie schwenkte viel zu langsam herum, und entsprechend wuchs die Panik der Piraten. Sie brüllten durcheinander und liefen sich fast gegenseitig über den Haufen. „Feuer!“ schrie Ferris Tucker vom Achterdeck der „Isabella“. Al Conroy zündete daraufhin die beiden vorderen Drehbassen. Die Hinterlader ruckten in ihren auf dem Schanzkleid montierten Gabellafetten und spien ihre Kugeln aus. Schmale Feuerzungen stachen von den Mündungen der Bassen wie Schlitze in die Nacht.
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Ins Heck der „Santa Catalina“ gruben sich die beiden Kugeln. Sie hieben einen Teil der üppig verzierten Galerie kaputt, rasten dann weiter und trafen die Bleiglasfenster der Kapitänskammer. Klirrend zersprangen die Scheiben in tausend Stücke, es regnete Scherben, und in der Kammer, die einst Don Enrique Jose Algabas Allerheiligstes gewesen war, polterte und rumpelte es. Fast schien es, als wollten die Bassenkugeln sich einen Weg durch das ganze Achterkastell der spanischen Galeone bahnen. „Hurra!“ schrie Old Donegal Daniel O'Flynn. „Wir schießen diesen Lumpenhunden das Schiff unter dem Hintern weg! Weiter so! Arwenack !“ In seinen Kampfruf tönte die Explosion, die im Kastell erfolgte. Old O'Flynn, Al, Gary, Ferris Tucker -alle sechzehn Männer wandten sich für eine Sekunde überrascht der Festung zu. Sie wurden Zeugen, wie der Nordturm des Gemäuers zerfetzte und Feuer und Rauch himmelan stoben. Ein bestürzter Laut und die Frage, ob den Kameraden im Kastell wohl etwas zugestoßen war, lagen den Männern auf der Zunge. Aber Ferris Tucker, der zur Zeit das Kommando auf der „Isabella“ übernommen hatte, ließ ihnen dazu keine Zeit. „Batuti, Shane!“ schrie er zum Groß- und Vormars hinauf. „Anfangen! Brand- und Pulverpfeile!“ „Aye, aye“, rief Big Old Shane zurück, und das gleiche murmelte auch Batuti, der schwarze Herkules aus Gambia, während er schon den ersten glimmenden Pfeil auflegte. Die Bogensehnen spannten sich bis zum äußersten, und dann sirrten die Geschosse durch die Nacht. Kometenhaften Gebilden ähnlich, senkten sie sich auf das Oberdeck der „Santa Catalina“. Shane und der Gambia-Mann, die besten Bogenschützen der „Isabella“, arbeiteten mit der größtmöglichen Präzision und wetteiferten um die meisten Treffer. So gingen nur wenige Pfeile fehl. Die meisten lagen im Ziel und pflanzten einen Feuerteppich auf den Planken der Galeone. Richtig aus der
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Fassung gerieten die Piraten aber erst, als der erste Pfeil mit pulvergefülltem Schaft in der Nähe des Großmastes niederging und explodierte. Wieder gellten Schreie, und Irrwische der Hölle schienen über die Decks der spanischen Galeone zu tanzen. Nach der ersten Breitseite der Freibeuter hatten auch die Seewölfe Schäden im Schanzkleid ihres Schiffes zu verzeichnen. Eine Nagelbank hatte es auseinandergerissen, in den Luvhauptwanten klaffte ein Loch, und der Querbalustrade des Quarterdecks fehlten ein paar Taljen. Aber glücklicherweise gab es keine Verletzten, und die „Isabella“ war nach wie vor voll manövrierfähig. Alles übrige konnten Ferris und seine Männer mit einem Schulterzucken verkraften. Kaltblütig ließ Ferris mit dem Vorschiff in den Wind drehen und das Zeug wegnehmen. Er wandte sich den Geschützführern der Backbordseite zu und rief: „Feuer, solange wir noch Fahrt laufen! Gebt es den Halunken!“ „Feuer!“ schrie auch Blacky, der die am weitesten achtern stehende Culverine bediente. Die Luntenstöcke senkten sich auf die Bodenstücke der Kanonen, die Glut fraß sich durch die Zündkanäle auf das Zündkraut - es wummerte ohrenbetäubend. Rauch umfing die Gestalten der Männer. Er zerfloß und gab ihre hart grinsenden, verschmutzten Gesichter wieder frei. Shane und Batuti hörten nicht auf, die „Santa Catalina“ mit Brand- und Pulverpfeilen einzudecken. Krachende, berstende Geräusche klangen von dem Feindschiff herüber. Schreie ertönten. Die Seewölfe johlten und pfiffen. Matt Davies warf seine Mütze hoch, fing sie geschickt mit der Eisenhakenprothese auf und meinte: „Donnerwetter, das war mal ein Volltreffer, wie er im Buche steht. Seht doch, was für ein Loch der Kahn im Schanzkleid hat!“ „Seine Bordwand sieht aus wie ein Sieb!“ schrie Bill, der Moses, der aus dem Großmars abgeentert war und den Geschützführern assistierte. Natürlich
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übertrieb er in seinem Übereifer, aber das nahm ihm wahrhaftig keiner krumm. „Einen Treffer unter der Wasserlinie hat er auch abgekriegt“, stellte Blacky voll Genugtuung fest. „Männer, die Piraten kriegen den Kübel nicht mehr herum, sie schaffen es nicht, ihre zweite Breitseite auf uns loszulassen.“ „Mann, bei denen herrscht die größte Wuhling“, erklärte Old O'Flynn, „totale Panik - wie sollen die da noch ans Manövrieren und ans Schießen denken können?“ „Wir haben sie“, sagte Jeff Bowie. „Und unsere kleinen ,Wunderwaffen' geben ihnen den Rest. Hölle, wie der Kahn lodert! Die Segel der Galeone haben die Flammen ja schon fast aufgezehrt - jetzt kommen die Rahen und Masten dran.“ „He, Ferris!“ rief Pete Ballie aus dem Ruderhaus heraus. „Wann willst du endlich deine verteufelten Höllenflaschen einsetzen?“ Ferris Tucker hörte nicht darauf. Er kauerte schon hinter der von ihm gebastelten „Höllenflaschenabschußkanone“, zündete die Lunte der ersten Explosionsflasche an und legte das Ding auf die hölzerne Pfanne des Schleudermechanismus'. Er löste die Arretierung, und die Flasche mit der knisternden Zündschnur segelte in hohem Bogen auf die Viermast-Galeone zu. Der Rothaarige hatte die Distanz etwas zu knapp bemessen. Deutlich konnte er sehen, wie die Flasche ein paar Yards vor der Bordwand des Gegners ins Wasser schlug. „So ein Mist aber auch“, stieß Ferris aus. „Na, hoffen wir, daß die Lunte schon bis durch den Korken abgebrannt war und ...“ Er unterbrach sich, denn die Fontäne, die jetzt vor dem spanischen Schiff aufstieg, enthob ihn jeden Zweifels. Die Explosionsflasche hatte unter Wasser gezündet, die Wirkung war verblüffend. Rauschend fiel die Fontäne wieder in sich zusammen. Schaden richtete diese erste Flasche nicht an, aber es lief doch ein Schütteln durch die „Santa Catalina“, das die Verzweiflung der Piraten noch steigerte.
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Ferris legte die nächste Flasche auf die hölzerne Pfanne seiner grandiosen Erfindung. Wieder taumelte eins der absonderlichen Geschosse durch die Nacht. Dieses Mal hatte der Schiffszimmermann den Abstand richtig kalkuliert. Die Flasche polterte auf die Kuhl der Viermast-Galeone, rollte ein Stück auf die Luke zu — dann zerbarst sie. Sie riß ein kratergroßes Loch in die Planken, wie Big Old Shane und Batuti von ihren luftigen Standorten aus gut erkennen konnten. Die „Santa Catalina“ lief auf die Festung von Sao Tome zu, ihr Kurs war unkontrolliert, sie verlor an Fahrt. Ihre Entfernung zur „Isabella“ vergrößerte sich jetzt jedoch ein wenig, aber es wäre ein Fehler gewesen, daraus eine Hoffnung abzuleiten. Vielmehr war die Viermast-Galeone in die Reichweite der Festungskanonen geraten. Dan O'Flynn und Smoky, die die 24Pfünder und 17-Pfünder auf dem südlichen Wehrgang des Gemäuers be- wachten, zögerten nicht. „Auf geht's, Smoky“, sagte Dan O'Flynn erregt. „Wir dürfen nur nicht zu weit nach links zielen, sonst gefährden wir unsere ,Isabella`.“ Smoky hatte eine grimmige Miene aufgesetzt. „Keine Angst, Mann. Ich hab zwar kein Zielwasser getrunken, aber es geht auch ohne dem. Das schwöre ich dir.“ Sie stießen die Luntenenden in die Holzkohlenglut, die in kupfernen Becken zu ihren Füßen waberte. Als die Festungsgeschütze losböllerten, schmolz auch der letzte Rest Disziplin und Widerstandsgeist der Piraten dahin. Wer von ihnen noch gehen oder kriechen konnte, bewegte sich auf das Schanzkleid zu, kletterte darüber und ließ sich außenbords fallen. Jetzt noch auf der lodernden, von zwei Seiten beschossenen spanischen Galeone zu verweilen, war mit Selbstmord gleichzusetzen. * Hasard erhob sich von dem Kopfsteinpflaster des kleinen Innenhofes
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der Festung. Steintrümmer des explodierten Nordturmes prasselten jetzt nicht mehr nieder, und auch die Rauchund Staubwolken lichteten sich allmählich. Den Turm, in dem sich das Munitionsdepot des Kastells befunden hatte, hatte es regelrecht zerfetzt. An seiner Stelle klaffte eine mächtige Bresche in der Mauer, aber die Explosion hatte keine anderen Bereiche des Baus gefährdet. So war der Gebäudekomplex im Inneren der Mauern völlig intakt — bis auf das Fenster im Hauptgebäude, durch das Manuelito entwischt war. Der Teniente, der mit Eliseo, Javier, Rasome und einem ganzen Pulk von Soldaten ins Freie gestürmt war, richtete sich mit verdatterter Miene neben dem Seewolf auf. „Wie war das?“ sagte er. „Sagen Sie das noch mal.“ „Sie haben wissen wollen, wer ich bin“, erwiderte Hasard so freundlich wie möglich. „Ich habe Ihnen meinen Namen genannt: Philip Hasard Killigrew. Meine Freunde nennen mich Hasard.“ „Aber Sie haben auch El Lobo del Mar erwähnt.“ „Irgendwer hat mir diesen Spitznamen verpaßt“, antwortete Hasard in seinem tadellosen Spanisch. „Ich weiß selbst nicht mehr, wer. Aber lassen wir das, Teniente. Suchen wir lieber nach den sterblichen Überresten unseres gemeinsamen Freundes Manuelito.“ Der Teniente hielt ihn am Arm fest. „El Lobo del Mar. Der Seewolf. Sie sind das also. Spaniens Todfeind Nummer eins. Por Dios, und ich glaube, der König hat eine Belohnung auf Ihre Ergreifung ausgesetzt.“ Hasard sah dem Mann fest in die Augen, während sich von den Seiten Javier, Eliseo, Rasome und ein paar andere heranschoben. „Müssen wir das jetzt erörtern?“ sagte Hasard scharf. „Hombre, ich erwarte zwar keinen Dank für das, was ich für euch getan habe. Aber ich sehe andererseits auch nicht ein, warum wir uns jetzt herumschlagen sollten. Oder? Kann hier jemand seinen Patriotismus und seine
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Karrieresucht nicht wenigstens mal für ein paar Minuten hinten anstellen?“ Der Teniente blickte jetzt noch verstörter drein. Zweifellos war er in diesem Moment nicht das eherne, leuchtende Vorbild, das der Anführer einer Festungswache seinen Untertanen gegenüber zu sein hatte. „Teniente“, sagte Eliseo eindringlich. „Dieser Mann hat uns allen das Leben gerettet. Oder zweifeln Sie daran, daß Manuelito und seine Spießgesellen uns alle über die Klinge hätten springen lassen?“ „Ich nicht“, sagte Javier. Der Teniente räusperte sich. „Einverstanden. Inspizieren wir jetzt den Turm, äh, ich meine natürlich das, was davon übriggeblieben ist.“ Hasard drehte sich um und lief als erster auf die Trümmer zu. Er rechnete jetzt nicht mehr damit, von dem Teniente oder von einem übereifrigen und zu pflichtbewußten Soldaten eine Kugel in den Rücken zu erhalten - wenn er auch der Meinung war, daß der Yoruba Rasome etwas zu voreilig gehandelt hatte, als er die Festungswache befreit hatte. Aber das ließ sich jetzt nicht mehr ändern. Richtig, Hasard war Spaniens Feind Nummer eins. Aber eine Feuerpause, ein Waffenstillstand - ein Burgfrieden im wahrsten Sinne des Wortes war das mindeste, was er hier von den Dons verlangen konnte. In dieser Beziehung war Bescheidenheit wirklich fehl am Platze. Sicher war, daß sich auch Dona Adriana dafür einsetzen würde, daß Hasard und seinen Männern hier kein Haar gekrümmt wurde. Daß beispielsweise der Teniente nicht glaubte, zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen zu können, indem er jetzt, nach dem Sieg über die Piraten, die Männer der „Isabella“ festnahm. Aber Hasard dachte nicht daran, sich auf die Anordnungen der schönen Frau zu stützen. Er hatte seine persönlichen Angelegenheiten bislang selbst bereinigt, und so sorgte er auch hier, auf Sao Tome, dafür, daß man ihn respektierte und ihm nicht in die Seite fiel. Hasard kletterte über die Brocken von zerrissenen Quadersteinen und suchte
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zwischen den Fundamenten des Nordturmes nach der Leiche des Piratenführers. Eliseo und Javier hatten sich Pechfackeln besorgt. Sie zündeten sie an, traten zu dem Seewolf und leuchteten das Trümmerfeld aus. Rasome sah sich besorgt um und sagte: „Senor Killigrew, Vorsicht! Von den Wehrgängen könnten noch Steine herunterstürzen. Einige hängen sehr locker.“ „Danke“, erwiderte Hasard. Er blickte zu den beiden Soldaten auf. „Paßt auf, daß ihr keine Beulen in eure Helme kriegt.“ „Nein, Senor“, sagte Eliseo, und dieses „Senor“ kam ihm ganz selbstverständlich über die Lippen. Er konnte schon wieder grinsen, obwohl er noch immer kalkweiß im Gesicht war — wegen des Schrecks, der ihm wie den anderen in dieser Nacht gleich mehrfach in die Knochen gefahren war, und obwohl er unter seinem Helm fürchterlich schwitzte —wegen der Hitze, die auch jetzt, gegen Morgengrauen, kaum abklang. Aber es war besser, im Freien zu schwitzen und die neu gewonnene Freiheit zu genießen, als in einem schlecht gelüfteten Raum zu brüten und nicht zu wissen, was die nahe Zukunft brachte. Hasard untersuchte die Reste des Turmes und schob sich immer weiter vor. Auf diese Weise geriet er an die äußere Kante der Fundamente. Von hier aus konnte er auf die nur wenige Yards tiefer glitzernde Oberfläche des Atlantiks blicken. Nachdenklich blieb er stehen. „Das ist merkwürdig“, sagte er. Der Teniente war neben ihm angelangt und gab ihm durch eine Geste zu verstehen, daß er die Worte nicht begriffen hatte. Hasard, der unwillkürlich wieder in seine Muttersprache verfallen war, wiederholte auf spanisch, was er laut gedacht hatte. „Ich weiß immer noch nicht, was Sie meinen“, erklärte der Teniente begriffsstutzig. Hasard blickte ihn wieder an. ..Versuchen Sie mal, mir geistig zu folgen, ja? Wenn ich mich nicht irre, muß sich in unserer
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Nähe jenes Nebentor befinden, das auf den Kai der Festung hinausführt. Dona Adriana hat mir davon berichtet. Sie floh mit der Zofe Sandra und Rasome durch dieses Tor.“ „Eine Treppe führt vom überdachten Gang aus zu dem Tor hinunter“, sagte der Teniente. Seine Miene war ein einziges Fragezeichen. Rasome, der sich zu ihnen gesellt hatte, hatte noch die Worte des Offiziers verstanden. „Ja“, fügte er lächelnd hinzu. „Dort drüben, im Dunkel hinter den Arkaden, siehst du, Lobo del Mar?“ Er wies mit dem Finger auf den entsprechenden Punkt des Innenhofes. Hasard nickte. „Gut. Und nun weiter, Teniente. Hätte Manuelito nicht dieses Tor benutzen können, um sich aus dem Kastell abzusetzen?“ „Vielleicht wußte er überhaupt nicht, daß es existiert ...“ „So dämlich kann er nun auch wieder nicht sein“, entgegnete Hasard. „Nein, ich nehme vielmehr an, daß er diesen Weg für zu gefährlich hielt. Dan O'Flynn und Smoky, die auf dem südlichen Wehrgang Posten bezogen haben, hätten ihn nämlich auf der kurzen Strecke, die von der Treppe zum Tor führt, entdecken können. Habe ich recht, Teniente?“ „Sie scheinen sich ja bestens auszukennen ...“ „Ich sagte Ihnen doch, man hat mir ausführlich über die Festung berichtet.“ „Was hat Dona Adriana Ihnen noch alles verraten?“ wollte der Teniente wissen. Hasards Mundwinkel zuckten leicht, aber es war schwer herauszufinden, ob es sich um den Anflug eines spöttischen Lächelns oder um den Ausdruck von Verärgerung handelte. Er antwortete: „Soviel wie nötig war, um unseren Schlag gegen Manuelito glücken zu lassen. Aber Sie brauchen sich keine Sorgen zu bereiten, Teniente, falls das Kastell irgendein Geheimnis birgt, so kriege ich dies bestimmt heraus. Aber zurück jetzt zu unserem eigentlichen Gespräch. Manuelito hätte es riskieren können, das Nebentor zu erreichen.
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Trotzdem hat er den Nordturm als Versteck gewählt. Warum?“ „Er glaubte, sich bewaffnen und den Kampf noch für sich entscheiden zu können“, meinte der Teniente. Rasome schüttelte hinter seinem Rücken den Kopf. Eliseo und Javier, die den Dickschädel und das etwas begrenzte Kombinationsvermögen ihres Vorgesetzten genau kannten, quittierten dies mit einem Grinsen. Hasard schob die Unterlippe vor. „Nein“, erwiderte er. „Er wollte uns nur noch eins auswischen und dann verschwinden. Ich schätze, das ist ihm auch geglückt. Eine geringe Menge Pulver mehr, und ein Teil des Hauptgebäudes wäre mit in die Luft geflogen.“ „Aber Sie haben auf den Turm geschossen, Killigrew“, ereiferte sich der Teniente. „Und wahrscheinlich haben Sie diesen Hund von einem Piraten auch getroffen.“ „Das glaube ich nicht. Jetzt nicht mehr.“ „Schön, dann ist er eben nur verwundet worden. Auf jeden Fall aber hat die Explosion ihm den Rest besorgt.“ Hasard mußte lachen. Es war ein kurzes, trockenes Auflachen, und seine Augen blieben dabei ernst. „Wieder irren Sie sich. Sehen Sie hier irgendwo die Leiche von Manuelito?“ „Nein. Die Wucht der Explosion hat ihn zerrissen - in winzige Teile.“ „Praktisch ist das undenkbar. Wir müßten zumindest kleine Reste seines Körpers finden. Wenigstens Blut, das an den Trümmern haftet“, sagte Hasard. „Aber nichts dergleichen läßt sich hier feststellen. Manuelito scheint sich in Luft aufgelöst zu haben.“ „Unmöglich“, protestierte der Teniente. „So was gibt es nicht. Sie wollen doch wohl nicht behaupten, daß dieser Pirat über übernatürliche Kräfte verfügt!“ „Keineswegs.“ „Wenn das so ist, wie Sie sagen, kann er nur die Flucht angetreten haben, bevor der Turm in die Luft ging.“ „Wirklich, Teniente?“
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„Man muß den Bastard suchen, damit er seine gerechte Strafe kriegt!“ schrie der Teniente. Hasard blieb völlig gelassen. „Genau das wollte ich Ihnen auch empfehlen, Teniente. Bitte sorgen Sie doch dafür, daß Schaluppen und Boote aus dem Hafen mit der Fahndung beginnen. Vielleicht sollten sich auch die beiden zweimastigen Karavellen, die ich auf der Reede gesehen habe, an der Suche beteiligen. Veranlassen Sie, daß sie sofort auslaufen.“ Er entblößte seine Zähne, bevor er weitersprach. „Nein, keine Angst, Teniente. Meine Leute von der ,Isabella' lassen die Boote und Schiffe vorbeiziehen, ohne sie zu behelligen. Ich signalisiere ihnen.“ Hasard wandte sich ab und schritt auf die Treppe zu, um sich zu Smoky und Dan O'Flynn auf den südlichen Wehrgang zu begeben. Sowohl im Hafen als auch auf dem Söller der Festung war das Dröhnen der Kanonen verstummt. Die Schlacht war entschieden. Endgültig. 2. Drei Piraten hatten die „Santa Catalina“ bereits verlassen, bevor das Schiff in hellen Flammen aufgegangen war. Als Shanes verheerende Pulverpfeile Tod und Verderben auf dem Oberdeck des stolzen Viermasters gesät hatten, hatten die drei kapituliert und sich von ihren Kumpanen abgesondert. In einem günstigen Augenblick hatten sie sich auf die Galionsplattform geschlichen und waren an der der „Isabella“ abgewandten Schiffsseite ins Wasser gesprungen. Ein Stück waren sie durch die lauwarmen Fluten getaucht, dann hatten sie Luft geschöpft und waren weitergeschwommen. Ihr Ziel war das südliche Ufer der Hafenbucht. Schmählich hatten sie ihre Kameraden im Stich gelassen, aber das störte sie nicht weiter. Sie plagten sich nicht mit Selbstvorwürfen, solche Skrupel kannten sie nicht. Für sie war nur eines von
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Bedeutung, nämlich, die eigene Haut zu retten. Daß sie ungehindert von Bord fliehen konnten, lag in erster Linie daran, daß die „Santa Catalina“ über keine richtige Führung mehr verfügte. Manuelito und Caranza wären hart genug gewesen, die ganze Bande im Zaum zu halten, nicht aber ihre Stellvertreter, die jetzt, im Gefecht, noch vor der Freibeutermannschaft kopflos geworden waren. Mangel an Autorität, Disziplinlosigkeit, Panik — eine ideale Ausgangsbasis für das Gelingen des Fluchtplanes. Schützend lag der Mantel der Nacht über den drei Piraten. Sie erreichten den Strand des südlichen Buchtufers, schleppten sich an Land und blieben hier eine Weile liegen, um zu verschnaufen. Geübte Schwimmer waren sie nicht. Schon die relativ kurze Strecke vom Schiff zum Ufer hatte sie ausgelaugt. Adrian, ein hagerer Mann mit schmalem Schnauzbart, drehte sich als erster wieder der Hafenbucht zu. „Seht doch“, stieß er keuchend aus. „Die ,Santa Catalina' brennt lichterloh.“ Nun wandte sich zu seiner Rechten auch Hilario, ein kräftiger Andalusier mit leicht gebogener Nase, um. „Und sie krängt nach Steuerbord“, sagte er. „Sie muß einen Treffer unterhalb der Wasserlinie erhalten haben. Sie sinkt.“ Llorente war der Name des dritten, eines gedrungenen Typs mit kurzen Haaren. Er grinste schwach und fragte: „Was meint ihr, fliegt der Kahn auseinander, bevor er ganz untergeht?“ „Das kann uns doch scheißegal sein“, erwiderte Hilario. „Das Schiff ist so oder so hinüber“, sagte Adrian. „Und es war ein guter Entschluß, einfach abzuhauen. Sehen wir jetzt zu, daß wir auch hier verschwinden, ehe jemand auf die Idee verfällt, nach uns zu suchen.“ Er stand als erster auf und begann auf die Böschung zuzuhasten. Hinter ihm rappelten sich. Hilario und Llorente auf. Sie folgten ihm über einen niedrigen Hang, durch dicht stehendes, langhalmiges Gras. Adrian führte sie, weil er sich den besseren
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Überblick über die Umgebung verschafft hatte, nachdem sie in Sao Tome eingetroffen waren. Der südliche Bereich der Hafenbucht lief in einer Landzunge aus. Diesen Zipfel galt es zu überqueren. Auf der anderen Seite angelangt, verharrte Adrian. Er duckte sich ein wenig, und die anderen beiden folgten sofort seinem Beispiel. Adrian wies zum Ufer. „Dort, seht ihr?“ „Fischerboote“, murmelte Llorente. „Du hattest also recht. Die Kähne liegen bereit, wir brauchen uns nur einen zu schnappen und ihn ins Wasser zu schieben.“ „Vorausgesetzt, die Boote werden nicht bewacht“, raunte Hilario. „Unsere Schußwaffen sind unbrauchbar, weil das Pulver naß ist, und ehe wir uns mit den Säbeln und Entermessern an einen Wachtposten herangepirscht haben, kann uns dieser zweimal über den Haufen geschossen haben.“ Adrian beobachtete aus schmalen Augen. Eine Zeitlang standen sie alle drei stumm und reglos und nahmen eine lauernde Haltung ein. Schließlich wisperte Adrian: „Da ist niemand. Es sei denn, die Wächter haben sich verschanzt und warten in oder hinter den Booten auf uns.“ „Darauf müssen wir es ankommen lassen“, zischte Llorente. „Ja“, pflichtete Hilario ihm bei. „Versuchen wir's, ehe es zu spät ist: Nichts wie weg von dieser Hölleninsel.“ „Wir kriechen von drei Seiten auf die Boote zu“, flüsterte Adrian. „Los jetzt.“ Sie legten sich auf die Bäuche und robbten aus dem hüfthohen Gras auf den schmalen Streifen Strand hinunter, auf dem die Boote lagen. So sehr sie den Urwald haßten — in diesem Moment wünschten sie sich fast, es möge auch an dieser Stelle der Insel Mangroven und andere Tropenpflanzen geben, die bis ans Wasser wucherten und ihnen das Anschleichen erleichterten. Wenig später atmeten sie jedoch auf, denn es stellte sich ihnen kein Mensch in den Weg, und auch hinter den Dollborden der Boote schoben sich keine Gestalten hoch,
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die mit Musketen oder Pistolen auf sie anlegten. Die Piraten untersuchten die Boote und wählten schließlich das größte als das für ihre Zwecke geeignete. Es verfügte über einen kleinen Mast, den man in 'der zweitvordersten Ducht festsetzen konnte. Die simple Takelung bestand aus Großsegel und Fock. Trocken war das Fahrzeug in seinem Inneren, und es gab acht Riemen, von denen die Piraten sechs bedienen konnten, um erst einmal Distanz zwischen sich und die Insel zu legen. „Nur Wasser und Proviant haben wir nicht“, sagte Llorente leise. „Entweder schaffen wir es, eine der nördlichen Nachbarinseln anzulaufen, oder wir gehen elend vor die Hunde.“ Adrian wies auf das Netz im Bootsinnern. Es lag unter einer Ducht verstaut. „Damit können wir uns wenigstens ein paar Fische fangen. Wir werden es schon schaffen, Amigos.“ „Und wenn uns ein spanisches Schiff erwischt?“ fragte Hilario zweifelnd. „Vielleicht werden wir dann über den Haufen geschossen, weil die Überlebenden der ,Santa Catalina` inzwischen aufgefischt worden sind und die halbe Armada in Bewegung gesetzt haben.“ Adrian vollführte eine wegwerfende Gebärde. „Unsinn, darüber brauchen wir uns doch jetzt nicht den Kopf zu zerbrechen. Außerdem können wir irgendwelche Gegner leicht täuschen.“ Er Strich mit der Hand über seine klatschnasse Kleidung. „Hast du vergessen, daß wir noch die Sachen der Santa-Catalina-Leute anhaben? Hilario, du und ich, wir würden jederzeit als schiffbrüchige Seeleute durchgehen. Du, Llorente, siehst aus wie ein heruntergekommener Soldado. O, man würde schon Mitleid mit uns haben, falls man uns auflesen würde.“ Sie packten das Boot und schoben es ins flache Wasser. Ungestört, konnten sie kurz darauf die Duchten entern, zu den Riemen greifen und zu pullen beginnen. Niemand sah, wie sie sich allmählich von der Insel entfernten.
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Manuelito war tatsächlich im allerletzten Augenblick vor der Explosion zu einem der schmalbrüstigen Fenster des Nordturmes gelaufen, das auf die See hinausging. Hasards Schuß war über den Piratenführer weggerast. Die schwere 24-Pfünder-Kugel hatte eine Bresche in den Turm gerissen und die halbe Decke aus dem Zimmer gebrochen, in dem Manuelito untergekrochen war. Es hatte gedröhnt und gebebt, und der Rauch des Feuers, das Manuelito in den unteren Räumen gelegt hatte, hatte den stämmigen Mann mit dem derben Gesicht husten lassen. Er wußte, daß sein Moment gekommen war, das Fenster war die letzte Chance gewesen, dem Inferno zu entweichen. Mit einem federnden Satz hatte Manuelito die steinerne Fensterbank verlassen. Kopfunter war er in die Tiefe gerast, nur ein paar Yards, aber doch weit genug, um sich auf einem Klippfelsen, einem vorspringenden Stück Mauerwerk den Schädel aufstoßen zu können. Schwarz und voller Unheil war die Nacht, die Flammen aus dem Kastell zeichneten bizarre Lichtmuster in die Finsternis. Manuelito tauchte tief, als die Explosion die Festung erschütterte, und er hatte geradezu unglaubliches Glück, daß er nicht von den herabhagelnden Trümmern getroffen wurde. Er stieß wieder hoch, hatte Atemnot und glaubte, nicht mehr rechtzeitig an die Wasseroberfläche zu gelangen. Aber dann schoß er doch aus dem warmen Naß hoch und pumpte japsend frische Luft in seine Lungen. Er blickte sich wild um, sah, daß der Nordturm nicht mehr in die Mauern des Kastells eingefügt war, und lachte auf. Einen Moment war er versucht, in die Burg zurückzukehren, die er in einem so glänzenden Handstreich erobert hatte. Dann aber begann er, auf die Hafeneinfahrt zuzuschwimmen. Das Grollen der Kanonen und das Schreien der Männer auf den Schiffen lenkte seine volle
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Aufmerksamkeit auf sich. Er schwamm mit zusammengepreßten Lippen und atmete schnaufend durch, die Nase. Was dort auf der Reede seinen Lauf nahm, konnte er sehen, sobald er etwas weiter ins Meer hinaus geglitten war und die Festung schräg hinter sich zurückgelassen hatte. „Bastarde!“ stieß er in ohnmächtigem Zorn aus. „Wer seid ihr, daß ihr das fertiggebracht habt? Wer hat euch gerufen? Ihr dreckigen Hunde, ich verwünsche euch. Ich hasse euch, meine Rache wird euch ewig verfolgen!“ Brennend sank die „Santa Catalina“, und so mußte Manuelito auch die letzte Hoffnung aufgeben, den Kampf noch für sich entscheiden zu können. In den Hafen hatte er schwimmen und an Bord des Viermasters aufentern wollen, aber dazu war es jetzt zu spät. Kein Wunder dieser Welt konnte die „Santa Catalina“ in das hervorragend armierte, stolz überlegene Schiff zurückverwandeln, das sie gewesen war. Es war aus. Die Kanonen schwiegen. Die Kerle von dem fremden Schiff mit den merkwürdig hohen Masten jubelten und genossen ihren Sieg — die letzten Freibeuter verließen die „Santa Catalina“. Wie die Ratten, dachte Manuelito. Er verging fast vor Haß, aber weder die Verwünschungen, mit denen er die Männer der „Isabella“ bedachte, noch all das, was er ihnen an den Hals wünschte, nützte ihm etwas. Die Partie war entschieden. Er konnte froh sein, wenn er noch die eigene Haut rettete. Dieser schwarzhaarige Hundesohn mit den blauen Augen, der dich gefangengenommen hat, dachte er, wer zum Teufel ist das bloß? Der Name —ich will seinen Namen, damit ich ihn eines Tages vernichten kann! Manuelito hörte auf, Wasser zu treten. Er wußte, daß er schwimmen mußte, wenn er dem Feind nicht doch noch in die Hände fallen wollte. Der Schwarzhaarige war schlauer und gerissener als hundert Füchse, er konnte sich ausrechnen, daß Manuelito nicht mit dem Turm in die Luft geflogen war.
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Er würde nach dem Haupt der Piratenbande suchen lassen, das war gewiß. Über diesen Punkt wie über alles andere, was in der nahen Zukunft liegen mochte, gab sich Manuelito keinerlei Illusionen hin. Wenn er leben wollte, mußte er darum kämpfen. Wieder mußte er hoch setzen, um den Todfeind abzuwimmeln. Das hieß: Er mußte auf die offene See hinaus. Dort warteten die Tiburones, die Haie, auf ihn aber dort vermuteten ihn die Gegner nicht. Es war heller Wahnsinn, mitten in der Nacht ins Ungewisse zu schwimmen, aber allein dieser Wahnsinn konnte ihm die Rettung bringen. Er überlegte, ob er sich dem Dschungel zuwenden sollte. Aber natürlich würden darauf auch die Widersacher verfallen. Wenn sie ihn im Wasser nirgendwo entdeckten, begannen sie zweifellos, den Regenwald zu durchkämmen, und dabei standen ihnen die Yorubas als hervorragende Führer zur Verfügung. Ein Fremder hatte auf der Insel keine Chance, sich zu verbergen, nicht lange jedenfalls. Und noch etwas schreckte den Freibeuter ab. Auf Sao Tome lauerte der schleichende Tod. Überall. Mehr noch als die Tiere der Selvas fürchtete Manuelito jene Krankheiten, die von Insekten und noch kleineren Erregern hervorgerufen wurden: das Sumpf- oder Wechselfieber, die Gelbsucht und jenes rätselhafte Leiden, an dem der Stadtkommandant Don Joaquin Barba Valiente erkrankt war. Nein, dann lieber fort, dachte er. Mit den Haien war das so eine Sache. Man spielte va banque -es konnte gut gehen und tagelang zeigte sich kein mordender Tiburon. Hatte man jedoch Pech, wurde man schon nach kurzer Zeit von ihnen entdeckt und angegriffen. Hielten sie ihre furchtbaren Mahlzeiten auch bei Nacht? Manuelito stellte fest, daß er sich darüber vorher nie Gedanken gemacht hatte. Er kannte die See und ihre Tücken, war auf den Planken groß geworden, hielt sich für einen gewieften Seemann. Und doch wußte er nicht, ob Haie auch bei Nacht angriffen.
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War das nicht ein Hohn? Er schwamm mit verbissener Miene und beschloß, nicht mehr darüber nachzugrübeln. Hundert oder noch mehr Züge weiter gewahrte er plötzlich die Konturen eines Bootes. Ein recht großes Fahrzeug war das, fast so groß wie eine Schaluppe, und im Bug war gerade ein Mann dabei, den Mast zu richten und das Großsegel und die kleine Fock zu setzen. Manuelito überzeugte sich endgültig davon, daß es sich bei dem Boot um kein Trugbild und keine Geistererscheinung handelte, und hielt nun darauf zu. Unter Wasser tastete er nach dem Messer, das er noch im Gurt stecken hatte. Er beschloß, an das Boot heranzutauchen, die Besatzung zu überraschen und niederzustechen. Kurz darauf änderte er seine Pläne. Er hatte die drei Männer. in dem Boot erkannt. Überwältigt vor Freude hob er eine Hand und machte sich bemerkbar. „Adrian, Hilario, Llorente!“ rief er ihnen heiser zu. „Ich bin es — Manuelito!“ „Verdammt“, zischte Hilario, der Andalusier. „Er hat türmen können. Was tun wir? Nehmen wir ihn über oder beachten wir ihn einfach nicht?“ „He, hört ihr mich denn nicht?“ stieß Manuelito in diesem Moment aus. Adrian winkte ihm zu. „Wir kommen, Jefe“, sagte er. „Sei ganz beruhigt, wir ziehen dich sofort an Bord.“ Zu den beiden Freunden gewandt meinte er halblaut: „Er würde wie ein Irrer schreien, wenn wir ihn zurückließen. Das würde uns die Feinde auf den Hals hetzen. Und noch etwas. Manuelito weiß, wie wir zurück zu unserem geheimen Schlupfwinkel an der Sklavenküste gelangen. Nur er hat dieses Orientierungsvermögen. Wir brauchen ihn.“ „Das sehe ich ein“, gab Llorente gedämpft zurück. „Aber wir müssen ihm irgendwie klarmachen, warum wir abgehauen sind und die Kumpane auf der ,Santa Catalina` im Stich gelassen haben.“ „Überlaßt das mir“, sagte Adrian.
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„Er wird uns bestrafen wollen“, gab Hilario zu bedenken. Adrian grinste. „Wir sind zu dritt, vergeßt das nicht. Herumkommandieren und züchtigen kann er uns nicht mehr, klar? Er muß sich daran gewöhnen, daß er nicht mehr der großmäulige, starke Manuelito ist, sondern nur noch ein armes Schwein wie wir, das von nun an in einem Kahn sitzt, in dem jeder auf jeden angewiesen ist.“ In Hilarios Augen war plötzlich ein Aufleuchten. „Ja“, sagte er gedehnt. „So, wie du die Sache hinstellst, brauchen wir eigentlich gar keine Angst vor ihm zu haben. Im Gegenteil. Er hat vor uns zu kuschen, denn wir können ihm gewaltig die Hölle heiß machen, wenn wir wollen.“ Llorente, der nicht nur den Mast gerichtet und befestigt, sondern auch die Segel gesetzt hatte, hatte das Boot durch ein Manöver an den Wind gelegt. Auf Steuerbordbug glitt es auf den Mann im Wasser zu. „Haltet euch bereit, ihn in Lee überzunehmen, wenn wir ihn erreicht haben und ich Fahrt aus dem Kahn nehme“, sagte er zu seinen Begleitern. So zogen sie wenig später Manuelito zu sich an Bord. Wieder braßte Llorente an, und das Boot beschleunigte. Ihr Kurs war Norden, der Hafen mit der brennenden, sinkenden „Santa Catalina“, die Feste und die Insel Sao Tome blieben Backbord achteraus zurück. Aufmerksam betrachteten Adrian, Hilario und Llorente ihren gescheiterten Anführer. Er trug noch immer die Kleidung des spanischen Kapitäns Enrique Jose Algaba, die ihm etwas zu groß war. Die Perücke hatte er allerdings verloren. Sie war ihm schon bei dem Sprung durch das Fenster des Salons abhanden gekommen. Manuelito hatte sich auf eine Ducht sinken lassen. Er atmete ein paarmal tief durch und schöpfte frische Energien. Dann richtete er seinen Blick auf die Kumpane. „Ihr scheint die einzigen zu sein, die sich aus der Hafenbucht absetzen konnten“, begann er langsam. „Die wenigen, die
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außer euch noch rechtzeitig die Galeone verlassen haben, sind, soweit ich sehen konnte, von den Soldaten der Garnison — diesem Pack von Bastarden — gefangengenommen worden.“ Adrian wich dem Blick Manuelitos nicht aus. Er ließ sich sogar ihm gegenüber nieder. „Wir können froh sein, mit heiler Haut davongekommen zu sein. Aber was, zum Teufel, ist in der Festung passiert?“ „Ein Trupp fremder Kerle hat uns überrascht“, antwortete Manuelito, wobei er sichtlich Mühe hatte, die Beherrschung zu wahren. „Es hat — Tote gegeben?“ „Caranza hat es erwischt, glaube ich.“ „Und die anderen?“ „Gefangen ...“ „Wer sind diese fremden Hunde?“ fragte Adrian. „Wer? Spanier? Nein, das glaube ich nicht. Ihr Dreimaster sieht nicht wie ein spanisches Schiff aus. Auch die Rufe, die diese Mannschaft von Hurensöhnen ausgestoßen hat, als sie uns befeuerte, klangen nach einer anderen Sprache.“ „Englisch“, sagte Hilario. „Por Dios, ich glaube, das war wirklich Englisch.“ „Aber der schwarzhaarige Bastard mit den blauen Augen sprach auch hervorragend spanisch“, murmelte Manuelito. „Wie reimt sich das zusammen? Ich weiß es nicht. Vielleicht sind diese Dreckskerle Korsaren. Aber wieso helfen sie dann den Spaniern?“ Adrian erwiderte: „Wir haben noch Zeit genug, darüber nachzudenken, Manuelito. Eines aber sollte für uns vier von vornherein feststehen: Es hat keinen Zweck, wenn wir uns gegenseitig Vorhaltungen machen.“ „Finden wir uns mit der Lage ab.“ „Machen wir das Beste daraus.“ Manuelito blickte auf die offene See hinaus. “Ja. Nur so können wir überleben und neue Kräfte sammeln.“ 3. Hasard hatte seine Inspektionsrunde durch das Kastell abgeschlossen. Dan O'Flynn hatte er auf dem südlichen Wehrgang
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zurückgelassen. Smoky hatte er jedoch abgezogen. Der Decksälteste der „Isabella“ begleitete ihn, als er nun in das Hauptgebäude zurückkehrte. In der Eingangshalle trafen sie auf Eliseo und Javier. Die beiden Soldaten hatten Caranzas Leiche geborgen und schickten sich nun an, sie ins Freie zu tragen. Hasard blieb stehen. „Was habt ihr mit ihm vor?“ „Wir werfen ihn in die See“, sagte Javier. „Was Besseres hat er doch nicht verdient, oder?“ „Die Piraten sind ja auch mit unseren toten Kameraden nicht besser verfahren“, fügte Eliseo bitter hinzu. „Ich kann eure Wut und euren Wunsch nach Vergeltung verstehen“, erwiderte Hasard. „Aber die Freibeuter haben bereits ihre Lektion erhalten. Und man sollte nicht unbedingt Gleiches mit Gleichem vergelten — jedenfalls nicht im Hinblick auf die Toten. Ich schlage vor, grabt diesen Mann hinter dem Kastell ein.“ „Senor Killigrew“, gab Eliseo zurück. „Sollen wir vielleicht auch noch den Pfarrer rufen, damit er ihm eine Grabrede hält?“ „Tut, was ihr wollt“, sagte der Seewolf. „Ich kann euch keine Vorschriften erteilten.“ Eliseo biß sich auf die Unterlippe. „Also gut, wir verscharren ihn. Wir beweisen damit, daß wir über den Dingen stehen und nicht so niederträchtig wie diese Piraten sind.“ Hasard lächelte plötzlich. „Genau das hatte ich gemeint, Eliseo. Wo ist eigentlich euer Teniente abgeblieben?“ „Er ist mit einem Trupp Soldaten in die Stadt abgerückt, um sich dort mit den übrigen Soldaten der Garnison zu treffen. Sie nehmen die Piraten fest, die sich von der ,Santa Catalina' retten konnten. Außerdem werden 'sie die Ordnung in der Stadt wiederherstellen, der Bevölkerung mitteilen, daß kein Anlaß mehr zur Angst besteht, und nach Manuelito suchen.“ „Ausgezeichnet. Aber da fällt mir etwas ein, Eliseo. Was ist aus den Arzneimitteln, dem Proviant und dem Trinkwasser
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geworden, die die viermastige Galeone an Bord hatte?“ Eliseo mußte lachen. „Da können Sie ganz beruhigt sein, Senor. Die Piraten haben die gesamte Ladung heute nacht hier in die Festung schaffen lassen. Es wäre tragisch für uns gewesen, wenn das alles jetzt mit dem Schiff verbrannt und gesunken wäre.“ „Allerdings. Mir fällt wirklich ein Stein vom Herzen.“ „Was ist mit Ihren Leuten von der ‚Isabella'?“ fragte Javier. „Sind sie alle wohlauf?“ „Ferris Tucker hat mir signalisiert, daß sie sich alle bester Gesundheit erfreuen“, entgegnete Hasard. „Unsere Lady hat zwar ein paar Beschädigungen aus dem Gefecht davongetragen, aber die sind kaum der Rede wert. Wir haben schon Ärgeres verdaut. Ich schätze, an einem einzigen Tag können wir sie ausbessern.“ „Die ‚Isabella' ankert jetzt erst mal auf der Reede, und unsere Freunde pullen an Land“, sagte Smoky. „Wir haben ihnen Zeichen gegeben, daß sie direkt hier zur Festung heraufkommen sollen.“ Eliseo und Javier trugen den Leichnam Caranzas aus dem Gebäude. Hasard und Smoky setzten ihren Weg ebenfalls fort. Sie gelangten in das hell erleuchtete Zimmer, das eine Art Foyer vor Don Joaquins Schlafgemächern darstellte. Hier hatte der kurze Kampf zwischen Ben Brighton, Ed Carberry und Caranza stattgefunden. Die Piraten, die sich den Seewölfen ergeben hatten, waren in den Raum gesperrt worden, in dem sie Stunden zuvor die Soldaten der Festung zusammengepfercht hatten. Rasome und zwei andere Yoruba-Diener bewachten dieses Zimmer. Rasomes grinsende Miene war der Inbegriff der Zufriedenheit. „Lobo del Mar, wir alle danken dir“, empfing er den Seewolf. „Die Yorubas sind Sklaven, aber trotzdem sind sie glücklich über das, was der heutige Tag ihnen beschert hat.“
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„Schon gut“, entgegnete Hasard. _Du hast dich doch schon auf dem Innenhof bei mir bedankt.“ „Das genügt nicht.“ Rasome hielt eins der schwarzen Mädchen fest, das gerade an ihm vorbeihuschen wollte, um den Salon zu betreten. Er wechselte ein paar Worte in seiner Stammessprache mit ihr, und sie nickte hastig. Sie warf einen unsicheren Blick zu Hasard hinüber und schaute dann fast verlegen zu Boden. Hasard hob die Hand. „Augenblick, Rasome. Das geht zu weit. Ich habe zwar nicht verstanden, was ihr gesprochen habt, aber ich kann es mir denken.“ Überrascht zog Rasome die Augenbrauen hoch. „Wie das, Lobo del Mar? Kannst du Gedanken lesen?“ „Nein, leider nicht. Aber wir haben da einen schwarzen Herkules aus Gambia an Bord, mit dem mir früher, bei unserer ersten Begegnung, etwas Ähnliches passiert ist. Hör zu, ich will das Mädchen nicht.“ „Die Yorubas schenken es dir!“ „Deine Dankesworte genügen mir, Rasome.“ „Gefällt sie dir nicht?“ sagte der Neger entsetzt. Er maß das Mädchen mit einem abschätzenden Blick und faßte es ganz ungeniert an. „Sie ist jung, schlank und hübsch“, erklärte er. „Es ist bei den Yorubas Sitte, guten Freunden junge Mädchen mitzugeben.“ „Du kannst nicht über sie verfügen“, versuchte Hasard zu erklären. „Begreif das doch. Du stehst sicher schon lange genug in Don Joaquins und Dona Adrianas Diensten, um die Bräuche der Weißen zu kennen.“ „O, Dona Adriana hätte aber sicherlich nichts dagegen, wenn ich dir dieses Juwel zum Zeichen unserer Verbundenheit überlassen würde“, sagte der schwarze Mann beharrlich. Hasard wollte aufbrausen, bezwang sich aber. Inzwischen waren auch Ben Brighton und Edwin Carberry aus dem Schlafzimmer des Stadtkommandanten getreten. Sie hatten die Stimmen
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vernommen und wollten nach dem Rechten sehen. Sie grinsten beide. „Sir“, sagte der Profos. „Können wir dir bei dieser Entscheidung irgendwie behilflich sein?“ „Brauchst du einen Rat?” erkundigte sich Ben. „Teufel auch“, sagte Smoky. „Die Kleine da sieht wirklich entzückend aus. Zum Anbeißen.“ Hasard warf ihnen einen vernichtenden Blick zu. „Sagt mal, sticht euch der Hafer, oder was ist los? Kehrt marsch und ab ins Zimmer des Kommandanten mit euch! Smoky, das gilt auch für dich!“ „Aye, Sir“, brummten die Männer. Sie drehten sich um und verschwanden von der Bildfläche, während Rasome erschüttert dreinblickte. „Amigo“, sagte Hasard zu ihm. „Laß das Mädchen laufen. Das ist ein Befehl, verstanden?“ Rasome konnte nicht anders, er mußte gehorchen. Zwar hatte der Seewolf im Grunde auch ihm keine Anweisungen zuerteilen, aber allein die Erscheinung dieses ungewöhnlichen Mannes vermittelte dermaßen viel Autorität, daß es keine Widerworte gab. Das Mädchen trippelte davon. Hasard glaubte, erhebliche Erleichterung in ihren Zügen zu lesen. Er trat zwei Schritte auf den Yoruba zu und sagte lächelnd: „Wenn du unbedingt ein gutes Werk tun willst, dann kümmre dich um den jungen Stammesbruder, der oben auf der Hochebene über dem Inseldschungel hockt und die sechs gefangenen Piraten bewacht. Er kann jetzt von seinem stumpfsinnigen Auftrag erlöst werden, findest du nicht auch?“ „Si, Senor“, antwortete Rasome mit militärischem Schneid. „Ich werde veranlassen, daß ein kleiner Trupp Soldaten in die Berge aufsteigt. Ich gebe dem Teniente Bescheid.“ Hasard ging in das Wohnzimmer von Don Joaquin und dachte dabei: Es ist doch erstaunlich, wie gut Rasome die spanische
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Sprache beherrscht. Davon sollte sich Batuti mal eine Scheibe abschneiden. Er blieb unter dem Türpfosten stehen und blickte zu dem baldachingekrönten Bett des Stadtkommandanten. Etwas außergewöhnlich fiel die Zimmerverteilung in dem Kastell von Sao Tome aus, auch das ging ihm in diesem Augenblick durch den Kopf. Don Joaquin hätte seine Nachtgemächer im oberen Geschoß des Hauptbaus haben sollen, wo auch Dona Adriana ihren Schlafbereich eingerichtet hatte. Aber vor einiger Zeit hatte es in dieser Beziehung einige Änderungen gegeben, wie die schöne Adriana dem Seewolf erzählt hatte. Getrennte Schlafzimmer - um die Ehe der Valientes war es nicht sehr gut bestellt. Doch das schien, wie die Frau versichert hatte, in erster Linie auf Don Joaquin zurückzuführen zu sein. Er hatte ein bewegtes Leben geführt, ehe er von der tückischen Krankheit heimgesucht worden war. Nicht nur eine, mehrere Geliebte hatte er in der Stadt gehabt, und auch über ausschweifende Reisen zum afrikanischen Festland hatte Dona Adriana berichtet. Andererseits hatte er eifersüchtig darüber gewacht, daß sie keinen Kontakt zu „anderen Kerlen“ unterhielt. Kein Mann, nur die Zofe Sandra durfte auf Don Joaquins Order hin an die Tür zu den Schlafgemächern im Obergeschoß klopfen. Ja, Dona Adriana hatte Hasard ins Vertrauen gezogen. Und er war fest davon überzeugt, in ihren Augen Aufrichtigkeit zu lesen - auch jetzt, als sie von Don Joaquins Lager aufschaute und ihn, Hasard, musterte. Ihre dunklen Haare schmiegten sich um ihr schlankes Gesichtsoval und flossen weich auf die Schultern. Nach ihrer Flucht aus der Festung und den weiteren Abenteuern der Nacht hatte sie noch keine Zeit gefunden, ihr Äußeres wieder ein wenig zu ordnen. Sie hatte sich nur einen Umhang übergeworfen, um ihre Blöße vor den Männern zu verhüllen. Trotzdem - die Zeichen des unfreiwilligen Bades in der See, die Spuren der
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Schrecknisse taten ihrer Schönheit keinen Abbruch. Ihre dunklen, großen Augen blickten wach unter einer glatten Stirn und sanft geschwungenen, exakt gezeichneten Augenbrauen hervor. Ihr voller Mund war von sinnlichem, beinahe empfindsamem Ausdruck, und hohe Jochbeine verliehen ihrer Physiognomie den Hauch des Exotischen, Ihr Körper, soviel hatte Hasard schon bei der Begegnung in den Bergen feststellen können, war vollendet geformt und ließ nichts zu wünschen übrig. Sie war einfach betörend schön -und begehrenswert. * Außer Dona Adriana, Ben Brighton und Ed Carberry befanden sich weitere drei Personen am Bett des Stadtkommandanten: der Kutscher —Hasards Koch und Feldscher -, der befreite Alkalde Don Juan Antonio Castano Collado und ein Mann namens Umberto, der in Sao Tome die Funktion eines Feldsehers versah. „Kutscher“, sagte Hasard. „Wie sieht es aus? Kannst du dem Comandante helfen?“ „Darauf kann ich nur schwer eine Antwort geben“, erwiderte der Kutscher ausweichend. Dona Adriana richtete ihren Blick auf ihn. „Hören Sie, Senor, Sie können ganz unumwunden sprechen. Auf mich brauchen Sie keine Rücksicht zu nehmen. Ich kann die Wahrheit verkraften.“ „Das gilt auch für uns“, sagte der Alkalde und meinte sich und den spanischen Feldscher. „Wir bitten Sie darum, uns vor die klaren Tatsachen zu stellen. Schwebt Don Joaquin in Lebensgefahr?“ „Ja“, entgegnete der Kutscher. „Ich habe ihn untersucht und bin jetzt sicher, daß meine Diagnose richtig ist.“ Er sprach reinstes Kastilisch und hatte keinerlei Schwierigkeit, sich richtig auszudrücken. „Im Fall von Don Joaquin haben wir es mit der Trypanosomiasis zu tun, der sogenannten Schlafkrankheit. Ihr Erreger ist die Glossina palpalis, auch Glossina morsitans genannt - die Tsetsefliege. Aber
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ich will Sie nicht mit unwesentlichen Einzelheiten und Fremdwörtern aufhalten, Senora, Senor Alkalde. Die Symptome sind eindeutig, und Don Joaquin wird der Krankheit erliegen, wenn er nicht intensiv gepflegt wird.“ „Aber wir haben alles für ihn getan, was in unseren Kräften stand“. sagte die schöne Frau. „Das genügt offenbar nicht“, erklärte Hasard. Er trat zu Adriana und den Männern. „Kutscher, du befaßt dich jetzt mit den Arzneien, die von Bord der ,Santa Catalina' in die Festung gebracht worden sind.“ „Ich weiß, wo sie lagern“, sagte Umberto. Er hob seine bebende rechte Hand. „Ich sollte damit die Piraten behandeln, denn sie hatten Angst, sich anzustecken. Aber ich fühle mich dem nicht gewachsen. Ich hin kein Arzt.“ „Ich auch nicht“, erwiderte der Kutscher. Umberto fixierte ihn aus fiebrig glänzenden Augen. „Aber du hast mehr auf dem Kasten als ich, Hombre. Irgendwer muß dich ganz hervorragend unterrichtet haben.“ „Das war Sir Anthony. Doc Freemont. Aber lassen wir das“, meinte der Kutscher. „Sehen wir uns die Medizin an. Ich werde auch versuchen, für dich etwas zu tun, Umberto, damit du von deinen MalariaAnfällen befreit wirst.“ „He“, mischte sich unvermittelt Carberry ein. „Kutscher, jetzt hast du dich aber verhauen. Du hast vorhin doch gesagt, er hätte das Sumpf- oder Wechselfieber.“ „Das ist das gleiche wie Malaria.“ „Hol's der Henker“, grollte der Profos. „Der Teufel soll dieses ganze QuacksalberLatein holen. Ich kann damit nichts anfangen. Ein klares Wort ist mir lieber. Und, äh, noch was, Sir!“ Er wandte sich seinem Kapitän zu. „Wer sagt uns, daß wir uns nicht auch noch anstecken? Zum Teufel, ich hab nicht die geringste Lust, mir hier das Gelbfieber, die Schlafkrankheit oder die MalariaDingsbums wegzuholen.“ Er hatte englisch gesprochen. Dona Adriana, der Alkalde und der spanische
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Feldscher sahen ihn betroffen an, offenbar glaubten sie, er könnte jeden Augenblick einen Wutanfall kriegen. In der Tat sah der Profos furchtbar aus. Seine Stirn war gefurcht, sein Rammkinn vorgeschoben, in seinem narbigen Gesicht arbeitete es. Finster blickte er drein, und nur wer ihn genau kannte, wußte, daß dieser Zustand bei ihm noch kein echter Grund zur Besorgnis war. Wenn der Profos richtig aus der Haut fuhr, lief er vorher dunkelrot im Gesicht an. Dann brüllte er meistens auch nicht mehr herum, sondern flüsterte fast — und das war das allerschlimmste Zeichen. „Ed“, sagte Hasard. „Nun mal immer mit der Ruhe. Du erschreckst unsere spanischen Freunde, merkst du das nicht?“ Carberry räusperte sich und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Es war heiß, brütend heiß, die Zimmerdecke schien sich auf sein Haupt zu senken. Elende ScheißInsel, dachte er, dies ist der Arsch der Welt, wo man krank und verrückt wird. Laut und diesmal auf spanisch sagte er: „O, Verzeihung. Ich wollte nur sagen — he, Kutscher, es wäre gut, wenn du dich beeilst, Himmel noch mal.“ Der Kutscher traf Anstalten, den Raum zu verlassen, wurde aber durch Umberto aufgehalten, der plötzlich wie im Bann auf Carberrys Haupt starrte. „Er hat sich am Kopf gekratzt, das ist ein schlechtes Zeichen“, sagte Umberto. Carberry, der ja wie alle Seewölfe Spanisch konnte und deshalb jedes Wort verstanden hatte, ließ seinen Blick zu dem spanischen Feldscher hinüberwandern und beäugte ihn in einer Mischung aus Verärgerung und Amüsiertheit. „Was, wie?“ sagte er. „Hölle, ich hab mich nicht gekratzt. Und wenn, was wäre daran so schlimm gewesen?“ „Das ist der Anfang“, erklärte Umberto. „Die Krankheitserreger, die so klein sind, daß man sie nicht sehen kann, fressen und graben sich durch die Kopfhaut, dringen in das Gehirn ein, nisten sich dort ein und verseuchen den ganzen Körper. Sie treiben den Menschen langsam zum Wahnsinn ...“ „Augenblick mal“, sagte der Kutscher.
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Aber weiter gelangte er vorläufig nicht, denn da war jetzt Carberry, der schweren Schrittes nähertrat und sich vor Umberto aufbaute. „Mann!“ platzte es aus ihm heraus, aber dann besann er sich wieder darauf, daß er spanisch sprechen mußte, um sich mit dem Feldscher der Siedlung zu verständigen. „Das kann doch nicht dein Ernst sein“, fuhr er den wachsbleichen, zitternden Mann an. „Doch“, entgegnete Umberto. „Es ist meine Theorie. Wie sonst sollten die winzigen Tierchen wohl in die Organe des Menschen gelangen?“ Der Profos kratzte sich jetzt wirklich am Kopf. Es schien dort oben, auf der Schädelplatte und rundherum, mit einemmal wirklich ganz fürchterlich zu jucken. Carberry schabte und ächzte, bearbeitete seine Frisur und was darunterlag nach den verschiedensten Methoden. Er fing an, vor sich hinzufluchen. Dona Adriana beobachtete den seltsamen Mann völlig erschüttert. Der Alkalde wußte auch nicht, was er von dieser eigentümlichen Darbietung halten sollte. Carberry ging total in seiner Kratztätigkeit auf. Er sah den Feldscher Umberto dabei so wild an, als wollte er ihn samt seiner Malaria verschlingen. „Ed“, sagte Hasard. „Schämst du dich nicht, einer Lady einen solche Vorführung zu bieten?“ „Verzeihung, Sir, aber ich kann nicht anders. Hölle, mir ist so mulmig zumute.“ „Profos“, sagte der Seewolf um eine Spur schärfer. „Reiß dich zusammen, verdammt noch mal.“ Carberry zeigte klar, seine Gestalt straffte sich. „Aye, Sir“, sagte er, hörte zwar mit dem Kopf kratzen auf, ließ den spanischen Feldscher aber nicht aus den Augen. Der Kutscher meldete sich endlich wieder zu Wort. „Umberto, deine Theorie steht auf wackligen Beinen. Mit der Tsetsefliege, der Anopheles-Mücke, die die Malaria überträgt, und den Erregern des Gelbfiebers verhält es sich ganz
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anders. Die gefährlichen Insekten des Regenwaldes bringen den Menschen ihr tödliches Gift durch Stiche. Das Gelbfieber hingegen entsteht wie die Amöbenruhr oder die Frambösie durch allerkleinste Tierchen, die man mit bloßem Auge nicht erkennen kann.“ „Das habe ich doch gesagt“, erwiderte Umberto. „Sicher“, fuhr der Kutscher fort. „Aber soviel ich weiß, gelangen sie nicht durch die Haut in den Organismus des Menschen. Gefährlich ist es während der heißen Jahreszeit hingegen in Zonen wie dieser, unkontrolliertes Süßwasser zu sich zu nehmen. Auch Lebensmittel, die zu lange konserviert worden sind, können die Seuchen bringen.“ „So ist das“, sagte Umberto leise. „Aber ich bin erst vor einem Jahr hierher versetzt worden, und ich hatte nicht viel Zeit, mich mit dem Arzt der Festung zu unterhalten. Der Doctor ist gestorben, bevor er mich richtig in seine Künste einweihen und zu seinem Gehilfen machen konnte.“ „O Mann“, entfuhr es Carberry. „Jetzt bin ich aber erleichtert. Ich schwöre, daß ich auf dieser Sch ... auf dieser Insel lieber hungere und dürste, als einen Brocken Essen oder einen Schluck Trinken anzurühren. Aber was kann man gegen die Mücken und Fliegen tun, Kutscher?“ Ben Brighton, der sich das Lachen kaum verkneifen konnte, riet ihm: „Besorg dir doch eine Fliegenklatsche, Ed, das ist das einfachste und sicherste Mittel, nicht angegriffen zu werden.“ Carberry wandte sich ihm zu. „Du spottest darüber, Ben, aber wenn es uns erwischt, vergeht auch dir der Galgenhumor.“ „Senor“, sagte Dona Adriana zum Kutscher. „Sie scheinen nach allem, was ich soeben von Ihnen gehört habe, ein belesener und gescheiter Mann zu sein. Können Sie nicht auch meiner Zofe Sandra helfen?“ Der Kutscher hatte rote Ohren bekommen. „Ich werde alles versuchen“, erwiderte er. „Wir haben das Mädchen in einem der Nachbarräume untergebracht. Ich habe sie vorhin untersucht, und ich sage es Ihnen
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jetzt auch rundheraus, Senora: Sie leidet an der gleichen Krankheit wie Ihr Mann.“ „Sie hat sich angesteckt, weil sie sich so aufopfernd um ihn gekümmert hat“, flüsterte die schöne Frau. „Allmächtiger Gott im Himmel, warum konnte sie denn nicht verschont bleiben?“ „Adriana“, sagte Hasard. „Bei Sandra befindet sich die Schlafkrankheit noch in einem harmloseren Stadium als bei Don Joaquin. Das solltest du nicht vergessen.“ „Ich denke daran“, erwiderte sie leise. „Und ich bete, daß alles gut wird. 4. Der Kutscher und Umberto hatten kaum das Krankenzimmer verlassen, da öffnete sich die Tür wieder, und Rasome steckte seinen Kopf herein. „Besuch“, sagte er. „Die Männer der ‚Isabella' sind eingetroffen. Soll ich sie hereinlassen?“ Der Seewolf trat auf ihn zu. „Nein, das gäbe zuviel Unruhe. Don Joaquin liegt zwar nach wie vor in tiefer Bewußtlosigkeit, aber Lärm und Durcheinander würden sich doch störend und schädlich auf ihn auswirken. ' Ben, begrüßen wir die Freunde draußen. Smoky, du bleibst als Wache hier im Zimmer.“ „Senor“, sagte nun der Alkalde, ein distinguierter Mann um die Fünfzig. „Wann können wir uns unterhalten? Ich möchte gern wissen, bei wem wir uns für diese unverhoffte Rettung zu bedanken haben.“ Hasard deutete eine Verbeugung zu ihm hin an. „Später, Alkalde. Bitte gedulden Sie sich noch etwas. Ich muß jetzt erst meinen Männern sagen, wie sie sich in den nächsten Stunden zu verhalten haben. Die ‚Isabella' muß repariert werden — es gibt eine Menge für uns zu tun.“ „Dafür habe ich Verständnis“, erklärte der Alkalde Castano Collado. „Bitte bewegen Sie sich frei im Kastell und in der Stadt. Wenn Sie einen Wunsch haben, wenn Sie Unterstützung brauchen, stehe ich Ihnen jederzeit zur Verfügung. Vorerst halte ich
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am Bett meines Freundes Barba Valiente Wache, wenn Sie nichts dagegen haben.“ „Wie sollte ich?“ entgegnete Hasard. „Übrigens, mein Name ist Philip Hasard Killigrew.“ „Hasta luego“, brummelte der Profos. „Bis nachher, Alkalde. Sir, darf ich dich begleiten? Ich langweile mich hier ja doch zu Tode. Ich stehe mir nur unnütz die Beine in den Bauch.“ „Wegen der Ansteckungsgefahr hast du natürlich keine Angst mehr“, sagte Hasard auf englisch. „Ach wo“, antwortete der Profos. „Wer wird sich denn so zimperlich anstellen?“ „Ein salzgewässertes Rauhbein auf keinen Fall, was, Ed?“ „Stimmt. Sag mal, dieser Alkalde ist ja wirklich ein feiner Kerl, was? Ahnt denn der nicht, wer wir sind?“ „Der Name Killigrew sagt ihm nichts“, entgegnete Hasard verhalten. „Wenn ich Seewolf gesagt hätte, wäre er vielleicht bis an die Decke gesprungen. Nun, spätestens bei der Rückkehr des Tenientes wird er erfahren, mit wem er es zu tun hat.“ „Können wir das nicht verhindern?“ zischte Ben Brighton, als sie zur Tür marschierten. „Ich denke mal darüber nach“, sagte Hasard. Er drückte die Tür auf, die von Rasome halboffen gelassen worden war, und trat in den Vorraum, blickte dabei aber noch einmal zu Dona Adriana zurück. Die Art, wie sie ihm nachsah, ließ keinen Zweifel darüber offen, daß sie ihr in den Bergen der Insel gegebenes Versprechen halten wollte. „Wenn wir durchkommen. bedanke ich mich noch ausgiebig bei dir —später“, hatte sie gesagt. Und sie hatte ihm dabei mit der Hand durch die Haare gestrichen. Hasard verdrängte den Gedanken daran und ging auf die Kameraden zu, die jetzt einen Hurraruf anstimmten. Ben Brighton konnte gerade noch die Tür zum Krankenzimmer zudrücken, so daß der Ruf die Ohren der im Raum Zurückgebliebenen nur gedämpft erreichte.
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Hasard schüttelte Ferris Tucker, Big Old Shane, Old O'Flynn und den anderen die Hände. „Großartig habt ihr das gemacht“, sagte er. „Ich bin stolz auf euch. Ist auch wirklich keiner verletzt?“ „Keiner“, erwiderte Ferris. „Bloß die Lady hat ein paar Ausbesserungen nötig, wie ich dir schon signalisiert habe.“ „Damit warten wir, bis es hell wird“, sagte der Seewolf. „Ich habe vor, noch den ganzen heutigen Tag hier zu verbringen.“ „Wenn die Dons damit einverstanden sind“, meinte der alte O'Flynn mit verkniffener Miene. Er trat mit seinem Holzbein auf. „Aber die steigen uns noch gewaltig aufs Dach, das schwöre ich euch, Leute. Die werden sich doch wohl nicht die Gelegenheit entgehen lassen, Spaniens meistgehaßten Feind ein Ding vor den Bug zu setzen.“ „Donegal“, sagte Shane. „Ich habe dich immer wieder gewarnt, aber du willst ja nicht auf mich hören. Du sollst nicht soviel unken und motzen, sonst fällst du eines Morgens von der Großrah der ‚Isabella', mit einer Eisenkugel an den Füßen, ehe du richtig wach wirst.“ „Du hast mir nicht zu drohen“, giftete der Alte den graubärtigen Riesen an. „Hört auf“, sagte Hasard. „Ich habe mir schon etwas zurechtgelegt — sagen wir, einen halbfertigen Plan. Ich warte nur auf das, was der Kutscher mir sagt, wenn er die Arzneimittel in Augenschein genommen hat. Und ich will sehen, ob es dem Teniente und seinen Mannen gelingt, Manuelito doch noch zu packen.“ „Was, der lebt?“ Carberry war wirklich verdutzt. „Ich denke, den hat es zerrissen, als der Turm explodiert ist.“ „Ich nehme an, daß er vorher in die See gesprungen ist.“ „So ein Satansbraten“, sagte Ben Brighton. Hasard lächelte. Er legte Ben und Ferris die Hand auf die Schultern. „Laßt uns jetzt einen Rundgang durch das Kastell unternehmen. Ich habe das Gefühl, daß es hier noch eine angenehme Überraschung für uns gibt. Nein, fragt mich nicht, was
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das sein könnte. Ich weiß es ja selbst noch nicht.“ Kurz darauf waren sie im Freien und suchten zunächst den südlichen Wehrgang auf. Rasome begleitete sie. Er hatte sich bereits mit Batuti angefreundet und unterhielt sich mit ihm in einer der vielen Bantu-Sprachen. Hasard löste Dan O'Flynn ab und ließ den Gambia-Mann und den Yoruba als neue Posten auf dem Wehrgang patrouillieren. Über die Zinnen blickte Hasard zur Hafenbucht hinunter. Nur die Mastspitzen der „Santa Catalina“ ragten jetzt noch aus den Fluten auf. Flammen züngelten wie rätselhafte Erscheinungen von den Tropen auf, brannten bis zuletzt und setzten den Wellenkämmen dämmrige Lichter auf. „Wenn die Euphorie der Dons über unser Eingreifen verklungen ist, werden sie uns übelnehmen, daß wir ihre stolze Galeone versenkt haben“, sagte Hasard. „Sie werden schon noch darauf kommen, daß wir den Viermaster auch weniger hart hätten bepflastern können, um die Piraten zu besiegen.“ „Aber da wären wir ja ganz schön dumm gewesen“, meinte Matt Davies. „Sir, möglicherweise hätten die Spanier uns mit der ,Santa Catalina` verfolgt.“ „Könnte ich mir auch vorstellen“, sagte Blacky. „So lange hält die Dankbarkeit nicht an, wie ich die Brüder kenne. Im übrigen scheint der Teniente, den du erwähnt hast, ein scharfer Hund zu sein, Sir.“ „Ja. Er wartet nur darauf, gegen uns vorgehen zu können. Er weiß, wer ich bin.“ Der Seewolf beobachtete die Boote und Schaluppen, die von der Reede zurückkehrten. Im Dunkel hinter der Hafeneinfahrt waren jetzt auch die Konturen der beiden zweimastigen Karavellen zu erkennen. Die Schiffe hatten auf offener See manövriert und segelten jetzt wieder in die Bucht zurück. „Nichts“, sagte Hasard. „Sie haben Manuelito nicht gefunden. Anderenfalls hätten sie ein Signal gegeben. Der Teniente wird noch im Dschungel suchen lassen,
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aber ich kann mir nicht vorstellen, daß er den Freibeuter dort aufstöbert.“ „Mit anderen Worten?“ Old O'Flynn hatte den Kopf gehoben und sah seinen Kapitän forschend an. „Mit anderen Worten, ich glaube, der Kerl ist entwischt.“ „Aber wie?“ „Donegal, das wissen die Götter.“ „Wir haben kein Boot gesehen, das versucht hat, sich heimlich zu verholen“, sagte Al Conroy. „Und Manuelito wird doch wohl nicht so blöd sein, ins offene Meer hinauszuschwimmen. Denkt doch mal an die Haie.“ „Ja“, erwiderte Hasard. „Das halte ich auch für ausgeschlossen. Aber irgendetwas muß geschehen sein – irgendetwas, das Manuelito geholfen hat.“ „Letztlich kann uns das doch egal sein, was?“ sagte der Profos. „Der Hurensohn wird uns nicht mehr gefährlich werden.“ Hasard nickte, entgegnete aber nichts. Er schaute jetzt nach Osten und stellte fest, daß sich der Himmel über dem afrikanischen Kontinent hellgrau gefärbt hatte. Es dauerte nicht mehr lange, dann erwachte der neue Morgen. „Kommt“, sagte er zu seinen Männern. „Wir steigen jetzt in das Kellergewölbe der Burg. Der Trupp schloß sich ihm schweigend an, und es wurden erst wieder Worte gewechselt, als sie in den unterirdischen Räumen des Kastells standen und Shane das Schloß aufbrach, das eine Eisengittertür verriegelte. Dahinter erkannten sie im Licht von zwei Fackeln, die Bob Grey und Luke Morgan entzündet hatten, einen ganzen Stapel Kisten und Truhen. „Da wird doch der Kabeljau in der Pfanne verrückt“, sagte Ben Brighton. „Dreimal dürft ihr raten, was wir da entdeckt haben.“ „Bestimmt keinen wertlosen Plunder“, gab Old O'Flynn zurück. Er grinste und war diesmal ausnahmsweise nicht pessimistisch. „Auch keine Arzneimittel“, fügte Ed Carberry grunzend hinzu.
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Das Schloß fiel zu Boden, Hasard öffnete die Eisengittertür. Sie quietschte in ihren rostigen Angeln. Die feuchtheiße Tropenluft fördert die Korrosion, dachte der Seewolf, das Klima und der Wildwuchs des Dschungels zerstören auf die Dauer fast alles. Vielleicht besteht dieses Kastell in einigen Jahrzehnten schon nicht mehr. Er schritt seinen Männern voraus und verharrte vor einer großen Truhe. Stickig war die Luft in dem Gewölbe. Old O'Flynn hustete. Carberry klatschte sich die flache Hand gegen den Hals, weil er glaubte, von einer Mücke gestochen worden zu sein. Hasard öffnete die Truhe. Bob und Luke traten mit ihren Fackeln vor und senkten sie. Das rotgoldene Licht ließ den Schmuck, das Gold und das Silber, die den Kasten bis obenhin füllten, in ihrem vollen Glanz aufleuchten. Die Männer stießen erstaunte Rufe und Pfiffe der Überraschung aus. „Da bleibt einem die Spucke weg“, sagte Smoky. „Wer hätte das gedacht!“ „Manuelito muß eine ziemlich genaue Vorstellung von dem gehabt haben, was hier herumliegt“, meinte Gary Andrews. „Der wußte, daß sein Raid sich in vielfacher Hinsicht lohnte.“ Hasard gab vorerst keinerlei Kommentar ab. Erst als er alle schatzgefüllten Kisten und Truhen geöffnet hatte, drehte er sich zu den Kameraden um. „Das meiste davon ist den Yorubas und anderen Stämmen des Schwarzen Erdteils abgenommen worden, schätze ich“, sagte er. „Wir können ihnen ihren Reichtum nicht zurückgeben. Aber wenigstens können wir verhindern, daß Spanien sich seinen gierigen Rachen allzu sehr vollstopft.“ „Wir schaffen das Zeug an Bord der ‚Isabella'?“ erkundigte sich Shane. „Ho, das ist nach meinem Geschmack.“ „Nur einen Teil davon.“ „Beeilen wir uns“, drängte Ferris Tucker. „Wir sollten das erledigt haben, bevor es Tag wird und die Leute von Sao Tome uns 'dabei zusehen können.“
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„Einverstanden“, sagte der Seewolf lächelnd. „Ich erkläre euch auch gleich, wie ich mir die Angelegenheit im einzelnen vorstelle. Noch etwas. In der Festung ist der Proviant gehäuft worden, den die ,Santa Catalina' vom afrikanischen Festland herübergebracht hatte. Und Manuelito hatte freundlicherweise auch die Fässer mit dem Trinkwasser heraufmannen lassen.“ „Dann sind wir ja fein 'raus“, meinte Pete Ballie. „Natürlich nehmen wir nur einen Teil des Proviants und des Wassers mit“, sagte Hasard. „Gerade soviel, wie wir für die Überfahrt zum Kontinent benötigen. Ein bißchen von dem Nachschub kann die Bevölkerung der Insel wohl entbehren.“ „Und wegen unseres Nahrungs- und Wassermangels, waren wir ja auch eigentlich nach Sao Tome gekommen“, meinte Blacky grinsend. „Unser ursprüngliches Ziel wäre also erreicht.“ „Ferris“, sagte der Seewolf. „Stenmark und Bill sind mit Arwenack und Sir John auf der ‚Isabella' geblieben, aber das ist mir als Ankerwache nicht ausreichend. Hör zu, du kehrst mit Shane, Old Donegal, Pete, Matt, Jeff, Bob, Luke, Will und Sam an Bord zurück. Zu dritt oder zu viert schnappt ihr euch das größte Beiboot und pullt zu dem kleinen Kai der Festung, er befindet sich an der Westseite des Baus. Die anderen Männer bleiben als Wache auf der ‚Isabella' zurück.“ „Aye, Sir“, entgegnete der rothaarige Zimmermann. „Wir haben den Kai von See aus gesehen, als wir in die Hafeneinfahrt segelten.“ „Dann brauche ich dir ja nicht mehr viel zu erklären.“ „Glaube ich auch nicht. Ich weiß, was wir zu tun haben.“ „Also gut, dann laßt uns jetzt die schönsten Schmuck-, Gold-, Silberund Edelsteintruhen auswählen“, forderte der Seewolf seine Männer auf. *
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Der Teniente und seine Abteilung waren immer noch nicht zurückgekehrt, als Hasard und seine Begleiter wieder das Erdgeschoß des Hauptgebäudes aufsuchten. Hasard atmete auf. Das bedeutete, daß er noch ein wenig Zeit zur Verfügung hatte und gewisse Dinge noch Aufschub duldeten. Der Kutscher und der spanische Feldscher hatten sich in Sandras Zimmer begeben, ihre Gestalten waren durch den Türspalt zu erkennen. Hasard trat zu ihnen und ließ die anderen Männer draußen warten. In dem Zimmer roch es eigenartig, teils streng, teils würzig. Der Kutscher hatte einige Essenzen und Mixturen zubereitet, mit denen er die Zofe jetzt behandelte. Umberto — immer noch wachsbleich und zittrig —assistierte ihm dabei. „Sir“, sagte der Kutscher, ohne sich umzudrehen. „Meines Erachtens hat die ‚Santa Catalina` die richtigen Arzneien gebracht. Ich kenne die meisten davon recht gut. Umberto und das Mädchen kann ich damit bestimmt kurieren.“ „Und Don Joaquin?“ „Er bereitet mir am meisten Sorgen.“ „Stell dein Licht doch nicht unter den Scheffel“, sagte Hasard. „Es kann uns nicht egal sein, ob der Stadtkommandant überlebt oder nicht. Wir haben ihn krank vorgefunden, und für uns ist es eine Art moralische Verpflichtung, alles für ihn zu tun, was uns irgend möglich ist.“ Der Kutscher hielt inne und drehte sich verblüfft um. „Sir, das tue ich auch. Ich drücke mich nur so vorsichtig aus, wie ich kann. Es liegt mir nicht, den Mund voll zu nehmen. Erst wenn ich einen winzigen Erfolg, einen Hoffnungsschimmer sehe, stelle ich meine endgültige Prognose.“ „In Ordnung, wir verstehen uns. Das wollte ich nur von dir hören“, erwiderte der Seewolf. „Für mich ist das selbstverständlich.“ „Sicher.“ Hasard wandte sich zum Gehen, blieb nach zwei, drei Schritten aber stehen und blickte noch einmal zu seinem Koch und Feldscher. „Bring Umberto bei, wie er mit den Arzneien umzugehen hat. Er wird sich um die Kranken in der Stadt
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kümmern, 'wenn wir bereits wieder in See sind.“ „Aye, Sir.“ „Und noch etwas. Du erinnerst dich doch noch an das Insektizid, das wir in den Kalmenzonen nördlich von Madagaskar kennengelernt haben, nicht wahr?“ „Das Zeug aus Bitterlupinen und Gurken, das der Eremit erfolgreich anwandte? Aber sicher doch.“ „Erkläre dem spanischen Feldscher, wie man das Mittel zubereitet. Vielleicht kann man es auch für die Bekämpfung von Tsetsefliegen und Anopheles-Mücken benutzen — nicht nur gegen die Wüstenheuschrecken.“ Der Kutscher lächelte sparsam. „In Ordnung. Ich erledige auch das. Du willst um jeden Preis verhindern, daß hier ein Massensterben einsetzt, oder? Und wenn man die Inselbewohner evakuieren würde?“ „Das darf nicht unsere Aufgabe sein. Das geht zu weit. Wir würden uns unseren eigenen Strick daraus drehen.“ „Ich sehe es ein. Wieso tust du überhaupt soviel für die Dons, Hasard?“ Weil mich eine Lady darum gebeten hat“, erwiderte Hasard stockernst. „Und da sind wir doch Gentlemen, oder?“ 5. Erschöpft kehrten die Soldaten in die Festung zurück. Am elendsten war dem Teniente zumute - nicht, weil auch er unter den ersten Anzeichen einer bösartigen Krankheit litt, sondern weil ihm die Erfolglosigkeit seines Unternehmens zu schaffen machte. Stundenlang hatten er und seine Männer den Dschungel durchkämmt. Sie hatten ein ganzes Dutzend Yoruba-Führer vor sich hergescheucht und waren bis in die Hochebene aufgestiegen, weil der Teniente nach Rasomes Meldung über die dort oben festgehaltenen Piraten natürlich annahm, Manuelito hätte sich zu den Kumpanen durchzuschlagen versucht, von deren Pech er vernommen hatte.
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Aber diese Hoffnung hatte sich nicht in eine Tatsache verwandelt. Wohl waren die Fahnder auf den jungen Yoruba, auf Giorgio, Jorge und die anderen vier Piraten gestoßen, aber das war auch alles gewesen. Von Manuelito fehlte jede Spur, und seine sechs Spießgesellen hatten nur geflucht und die Soldaten angespuckt, als diese sie nach ihrem Anführer gefragt hatten. Die Soldaten trieben die Gefangenen auf ein Verlies in einem Nebengebäude zu. Der Teniente verharrte auf der Mitte des Hofes und blickte sich um. Er entdeckte Eliseo und Javier und winkte sie zu sich heran. „Wo stecken dieser Killigrew und seine Kerle?“ fragte er sie gereizt. „Ich kann sie nirgends sehen. Sind sie getürmt?“ „Warum sollten sie?“ Eliseos Verwunderung schien echt zu sein. „Als unsere Retter haben sie doch wohl keinen Anlaß dazu, sich still und heimlich wieder abzusetzen und ...“ „Schon gut“, herrschte der Teniente ihn an. „Ich habe dich nicht nach deiner Meinung gefragt, Soldado, sondern nach etwas anderem.“ „Si, Senor.“ Eliseo wies zum Innenhof im Nordtrakt der Festungsanlage. „Dort hinüber sind die meisten von ihnen gegangen. Was sie vorhaben, wissen wir nicht, wir haben uns auch nicht weiter darum gekümmert, Senor. Vielleicht untersuchen sie noch einmal die Trümmer des Nordturmes.“ „Ja, Manuelito kann sich nicht in Luft aufgelöst haben“, sagte Javier. Das klang einfältig, und der Teniente hätte den Soldaten am liebsten nach Strich und Faden zusammengestaucht. Er mußte seine aufgestaute Wut an irgendjemandem auslassen, verschonte Javier aber doch und beschloß vielmehr, Philip Hasard Killigrew als Zielobjekt seiner Ausbrüche zu benutzen. „Ihr könnt gehen“, sagte er mit ungnädiger Miene. Er lenkte seine Schritte nach Norden und sah natürlich nicht, wie Eliseo und Javier ihm feindselig nachblickten. Sie konnten den bornierten und übertrieben ehrgeizigen
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Mann beide nicht leiden. Ein Mann wie dieser Killigrew wäre ihnen da als Vorgesetzter lieber gewesen. „Weißt du, wovon ich träume?“ sagte Javier. „Klar”, gab Eliseo zurück. Er schnitt eine säuerliche Grimasse. „Von deiner Versetzung natürlich.“ „Wie hast du das 'rausgekriegt?“ „Al diablo“, zischte Eliseo. „Du quatscht mir doch schon seit einiger Zeit die Ohren davon voll, daß du nach Tanger willst, wo das Klima besser sein soll.“ „Tanger liegt nicht weit von der Straße von Gibraltar und von der Heimat entfernt, Eliseo.“ „Aber du brauchst dir keine falschen Hoffnungen zu machen“, sagte Eliseo. „Schlag dir das aus dem Kopf. Uns schicken sie nicht mal bis zur Nachbarinsel Principe. Wir sind dazu verdammt, hierzubleiben, comprendido, Compadre?“ Javier ließ einen tiefen Seufzer vernehmen. „Ja, ich hab's begriffen. Aber man wird doch wohl noch träumen dürfen.“ Der Teniente hatte den Hof überquert, schritt durch eine Passage zwischen zwei Gebäuden und sah, bevor er an die Treppe gelangte, die zum Innenhof hinaufführte, die große Gestalt des Seewolfs an der einen Wand lehnen. „Lobo del Mar“, sagte er. Hasard drehte sich um. Im zunehmenden Licht des Morgengrauens konnte der Offizier Einzelheiten seines Gesichtes erkennen — die klaren, eindringlich blickenden Augen, die recht schmalen Lippen, die Narbe über Stirn und Wange. Jung und doch schon alt schien dieses Antlitz zu sein, von tausend Erfahrungen geprägt. „Teniente“, erwiderte der Seewolf verhalten. „Ich bin zu dem Schluß gelangt, daß es nicht sehr klug von mir war, Ihnen meinen Beinamen zu verraten.“ „Ich hätte auch so herausbekommen, wer Sie sind, Killigrew.“ „Wirklich?“ „Bezweifeln Sie es?“ „Ich weiß nicht, wieweit Ihre Intelligenz reicht, Amigo“, sagte Hasard ruhig. „Aber
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eins ist mal sicher. Sie können sich einfach nicht dazu durchringen, für ein paar Stunden zu vergessen, daß Spanien Jagd auf mich macht.“ Der Teniente rückte noch. ein Stück näher auf sein Gegenüber zu. „Soll ich vor Dankbarkeit und Rührung zerfließen, Killigrew? Hören Sie, Sie haben uns doch nicht aus purer Menschlichkeit Beistand geleistet, sondern nur, weil Sie ein Auge auf Dona Adriana geworfen haben. Sie sind nur darauf aus, mit ihr ins Bett zu steigen.“ „Und deswegen habe ich mein Leben riskiert — und das meiner Männer?“ „Sicher. Eine Frau wie die Senora Valiente kann noch ganz anderen Kerlen die Köpfe verdrehen.“ Hasards Blick schien sich in die Augen des Tenientes bohren zu wollen. „Wissen Sie was, Teniente? Sie sind ein ausgesprochener Schwachkopf. Ich bedaure, daß Ihresgleichen überhaupt anderen Leuten Befehle erteilen darf.“ Der Teniente wollte jetzt aufbrausen und sich endlich Luft verschaffen, aber Hasard bremste ihn durch eine Geste und fragte: „Wie ist das, haben Sie Manuelito nicht gefunden? Das habe ich mir doch gleich gedacht. Der Bruder ist viel zu gerissen, um sich von Ihnen und Ihren Schergen einfangen zu lassen. Der hustet Ihnen was, Teniente.“ „Du provozierst mich absichtlich“, flüsterte der Teniente, der jetzt im Gesicht weiß vor Wut war. „Das wirst du noch bereuen, elender Bastard.“ Er verstummte wieder, denn in diesem Moment war auf der Steintreppe, deren Stufen sie von ihrem Standort aus sehen konnten, eine Bewegung. Eine Gestalt stieg die Stufen hinunter, ihr folgte eine zweite. Dem Teniente klappte ganz unwillkürlich der Mund auf, er bemerkte es gar nicht. Er stand nur da und verfolgte, wie zuerst die beiden Männer und dann noch zwei Kerle, die zur Crew des Seewolfs gehörten, an ihnen vorbeimarschierten - von der Treppe zum Seitentor.
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Erst jetzt konstatierte der Teniente, daß auch dort ein Mann stand. Dieser öffnete das Tor, der Blick auf den Kai der Festung wurde frei. Der Teniente glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als er erkannte, daß dort draußen ein Boot angelegt hatte, von dessen Duchten sich ebenfalls Gestalten aufrichteten. Und es war ja nicht das Unbekümmerte in den Bewegungen dieser Männer, was ihn derart erschütterte -es waren die Truhen und die Kisten auf ihren Schultern, die ihn völlig aus der Fassung warfen. „Spaniens Besitztümer“, stammelte er. „Der Schatz von Sao Tome - in den Händen des Feindes!“ „Teniente“, warnte der Seewolf. „Seien Sie vernünftig.“ Der Teniente ließ die Hand auf den Kolben seiner Miqueletschloß-Pistole fallen. Er wollte drei Dinge gleichzeitig tun: die Waffe aus dem Gurt reißen, ihren Hahn spannen, nach Verstärkung brüllen. Schießen, Alarm schlagen, kämpfen, Wut ablassen - all diese Dinge hatten in seinem Geist bereits Gestalt angenommen, aber er kam nicht mehr zur Durchführung. Hasards Faust traf sein Kinn. Es war ein gezielter Hieb, Hasard hatte sich während ihres Gesprächs darauf vorbereitet. Die Knöchel seiner rechten Faust rammten sich unter die noch offene Kinnlade des spanischen Offiziers. Der Mund des Tenientes klappte mit einem hohlen Laut zu, und der Mann konnte noch von Glück sagen, daß er sich dabei nicht die Zungenspitze abbiß. Der Teniente taumelte zurück, prallte mit dem Rücken gegen die gegenüberliegende Gebäudewand und sank daran zu Boden. Er stieß keinen Ruf aus und kriegte auch die Miqueletschloß-Pistole nicht mehr aus dem Gurt. Ohnmächtig legte er sich auf die Körperseite. Ben Brighton, der den Seewölfen zum Nebentor gefolgt war, verharrte neben seinem Kapitän. „Mein Kompliment, das war ein guter Hieb“, raunte er. „Und der Teniente hat
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nichts Besseres verdient. Er war ja darauf aus, sich mit uns anzulegen.“ Hasard grinste. „Ehrlich gesagt, ich hatte gehofft, daß er hier erscheinen würde. Deswegen hatte ich auch Batuti und die anderen Posten vom südlichen Wehrgang abgezogen. Der Teniente sollte sich fragen, wo wir steckten, was wir im Schilde führten. So ist er mir in die Falle gegangen.“ „Fesseln wir ihn?“ „Natürlich, und wir verpassen ihm auch einen feinen Knebel. Wir verschnüren ihn so, daß er aus eigener Kraft nicht mehr freikommen kann.“ Carberry trat zu ihnen. „Sir“, sagte er. „Die Kisten und Truhen, die du ausgesucht hast, sind in der Jolle verstaut. Ferris, Shane, Matt und Pete können damit zur ‚Isabella' zurückpullen.“ „Gut, sie sollen ablegen. Schließt das Tor und kehrt ins Hauptgebäude zurück.“ „Aye, Sir.“ „Ben, faß mal mit an“, sagte Hasard. „Wir schaffen den Kameraden hier jetzt ins Kellergewölbe hinunter. Da kann er den Rest von Spaniens Besitztümern und den Schatz von Sao Tome bewachen und verwalten.“ „Fein“, gab Ben mit gedämpftem Lachen zurück. „Ich schätze, er wird stolz auf diese Aufgabe sein.“ Sie packten den Teniente bei den Armen und Beinen und trugen ihn über die Treppe zum Innenhof. Von dort aus führten weitere Stufen in die großen Kellerräume hinunter, die sich unter dem Haupt- und den Nebengebäuden der Festungsanlage ausdehnten. * Ben Brighton und Edwin Carberry sorgten mit ein paar anderen Seewölfen für die Bewachung der Wehrgänge. Die Soldaten, die jetzt noch auf den Beinen waren, unterstützten sie dabei. Solange sie keine anderslautende Order erhielten, glaubten sie dies ganz freimütig tun zu können. In der Stadt war man damit beschäftigt, Nahrungsmittel und Trinkwasser-Rationen
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zu verteilen, die der Alkalde vom Kastell aus hatte hinunterschaffen lassen. Von dort aus wurden Hasard und seine Männer also vorläufig nicht behelligt. Hasard suchte wieder das Hauptgebäude auf Der Kutscher verließ gerade das Zimmer der Zofe Sandra und wollte sich über den foyerähnlichen Vorraum dem Schlafraum des Stadtkommandanten zuwenden. Er hörte die Schritte hinter sich, drehte sich um und erkannte Hasard. „Nun?“ sagte Hasard. „Die Therapie zeigt ihre ersten Erfolge“, antwortete der Kutscher stolz. „Sandra ist über den Berg, das kann ich dir versichern. Umberto geht es auch schon besser. Ich denke, ich kann ihn von seinen Anfällen befreien, obwohl es jetzt noch zu früh ist, ganz optimistisch zu sein.“ „Du gehst jetzt zu Don Joaquin?“ „Ja. Ich muß ihm wohl eine Pferdekur verpassen, mit Theriak und anderen starken Heilmitteln, anders geht es nicht. Aber wir müssen schon froh sein, daß die ,Santa Catalina` all diese Arzneien überhaupt aus Cadiz mitgebracht hat.“ Theriak war ein opiumhaltiges Allheilmittel, das in extrem schweren Fällen angewandt wurde. „Kutscher“, sagte Hasard. „Hast du ihm denn nicht schon etwas von deinen Essenzen und Mixturen eingeflößt?“ „Natürlich. Ich sehe jetzt nach, wie diese erste Behandlung angeschlagen hat. Kommst du mit?“ „Nein. Wegen des Alkalden. Der würde mich mit Fragen bestürmen, und ich würde ihn nicht mehr loswerden.“ „Ich schicke Smoky zu dir 'raus.“ „Einverstanden. Wo ist Umberto?“ „Noch bei der Zofe. Aber er kann schon bald in die Stadt gehen und dort mit der Heilung der Kranken beginnen. Auch die Sache mit dem Insektizid aus Bitterlupinen, wilden Gurken und Salzlake habe ich ihm erklärt“, sagte der Kutscher. „Diese Zutaten glaubt der Feldscher beschaffen zu können. Ich schätze, die Dons kriegen ihre Insel weitgehend seuchenfrei, wenn sie sich anstrengen.“
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Hasard ließ ihn zu Don Joaquin Barba Valiente und dem Alkalden in den mit holzgetäfelten Wänden versehenen Raum gehen. Ob Dona Adriana auch noch bei ihrem Mann war, konnte er so nicht feststellen. Die Frage beschäftigte ihn, bis sich die Tür des Schlafgemachs wieder öffnete und Smoky heraustrat. „Sir“, sagte er. „Ob du's glaubst oder nicht, Don Joaquin hat zum erstenmal die Augen aufgeschlagen. Er ist zwar wieder eingeschlafen und wir wissen auch nicht, ob er etwas von seiner Umgebung und von seinen Bettwächtern erkannt hat, aber der Kutscher ist sehr zufrieden. Er sagt, wenn der Mann so weitermacht, braucht man um sein Leben bald nicht mehr zu bangen.“ „Bei der vorsichtigen Art, mit der der Kutscher sich ausdrückt, bedeutet das, Don Joaquin ist schon jetzt außer Lebensgefahr“, entgegnete Hasard. „Wenn er erfährt, wer ihn gerettet hat, wie wird er dann wohl reagieren?“ „Nach allem, was ich über ihn vernommen habe, wird er uns wohl nicht gerade dankbar sein. Aber das soll uns nicht stören, Smoky.“ „Sir, der Alkalde fragt dauernd nach dir.“ „Laßt ihn schmoren. Der Kutscher soll ihn untersuchen.“ „Und weiter?“ „Versucht, ihn so lange wie möglich hinzuhalten. Sag mal, ist Dona Adriana noch in dem Raum?“ Der Decksälteste der „Isabella“ konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Nein. Sie ist nach oben in ihre Gemächer gegangen, um sich ein wenig von den Strapazen der letzten Stunden zu erholen, wie sie gesagt hat.“ „Jemand muß ihr die guten Nachrichten über den Zustand ihres Mannes überbringen.“ „Aber die Zofe ist selbst krank ...“ „Nun, dann übernehme ich diesen Botengang, Smoky.“ „Es ist fremden Männern aber verboten, an Dona Adrianas Tür zu klopfen.“ Hasard räusperte sich und täuschte Verlegenheit vor. „Darüber müssen wir uns gezwungenermaßen hinwegsetzen,
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Smoky. Wir dürfen eine Lady doch nicht im Ungewissen über das lassen, was in ihrem Kastell vorgeht, oder?“ „Mein Gott, das stimmt, Sir“, erwiderte Smoky. Er zwang sich, ernst zu bleiben. „Übrigens, wo steckt eigentlich dieser aufgeblasene Teniente?“ „Welcher Teniente?“ „Ja, welcher Teniente eigentlich?“ echote Smoky. „Hör zu, wenn dich jemand nach einem Teniente fragt, wir haben hier noch keinen gesehen, verstanden?“ Mit diesen Worten wandte Hasard sich ab. Er vergewisserte sich, daß außer Smoky niemand Zeuge wurde, wie er die Treppe ins Obergeschoß hochstieg. Kurze Zeit später war er vor der Tür angelangt, an die kein „fremder Kerl“ pochen durfte. Hasard brach das Tabu kaltblütig, und als sich von innen eine sanfte Frauenstimme nach seinem Namen erkundigte, nannte er ihn leise. Dona Adriana öffnete ihm die Tür. Sie hatte sich gekämmt und sich eine bodenlange Abendrobe aus feinster Seide angezogen. Nein, sie hatte nicht im entferntesten daran gedacht, sich im Morgengrauen zur Ruhe zu begeben, sie hatte sich auf einen lange ersehnten Empfang vorbereitet. „Ich habe eine Botschaft zu überbringen“, sagte Hasard. „Sie betrifft Don Joaquin.“ „Eine schlechte?“ Ihre dunkelbraunen Augen weiteten sich. „Nein. Eine gute. Er kommt durch.“ Ihre Züge entspannten sich. „Allmächtiger — und Sandra geht es auch viel, viel besser, wie mir noch Umberto mitteilte. Hasard, dein Feldscher vollbringt ja Wunderdinge. Wie froh ich bin! Jetzt hat sich also wirklich alles zum Guten gewendet. Komm, das müssen wir feiern. Wir beide — ganz allein.“ Er trat ein und schloß die Tür hinter sich. 6. Heiß brannte die Mittagssonne der Tropen vom Himmel, sie dörrte die Gaumen der
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vier Männer in dem Boot aus, brachte sie zum Schwitzen und verwirrte ihren Geist. „Ich habe Durst“, sagte Hilario, der Andalusier. „Ich habe noch nie einen so wahnsinnigen Durst gehabt. Hölle, wenn ich nicht trinke, sterbe ich.“ „Jetzt schon?“ fragte Adrian rauh. „So schnell krepiert man nicht. Es wird noch ein paar Tage dauern, bis wir endgültig vor die Hunde gehen.“ „Warum so trübsinnig, Hombre?“ wandte sich Manuelito an den Andalusier. Er grinste, aber sein übertriebener Optimismus wirkte nicht überzeugend. „Der Wind hat gedreht und weht jetzt aus Süden. Wir können froh sein, daß wir nicht zu weit nach Osten gedrückt werden und womöglich auf der Insel Principe landen. Dort würden uns die Spanier gefangen nehmen, sobald sie die Nachricht erhalten, was auf der Nachbarinsel Sao Tome vorgefallen ist.“ „Aber in der Gefangenschaft müßten wir keinen Durst leiden“, erklärte Hilario. „Wenn ich kein Wasser kriege, halte ich nicht mehr lange durch.“ „Reiß dich zusammen“, sagte Adrian schroff. „He, Llorente!“ Llorente saß im Heck des Bootes. Er hielt die Ruderpinne und hatte sich umgedreht, um zu dem Fischernetz zu blicken, das im Kielwasser hinter dem Boot trieb. „Llorente“, sagte Adrian lauter. „Wann holst du endlich das Netz ein?“ Der Pirat mit den stoppelkurzen Haaren erwiderte mit belegter Stimme: „Ich habe es heute morgen schon fünfmal ausgebracht und wieder aus dem Wasser gezogen. Ohne Erfolg. Ich begreife das nicht.“ „Wir brauchen den Fisch“, sagte Manuelito. „Wir werden ihn roh essen müssen, aber wir entnehmen ihm nicht nur die Energien, die wir benötigen, sondern auch die Flüssigkeit, nach der wir lechzen.“ „Zum Teufel“, sagte Adrian. „Fischblut kann kein Wasser ersetzen.“ „Doch“, stieß der Andalusier hervor. „Es kann. Ich will einen Fisch, he, Llorente,
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hörst du, einen einzigen Fisch nur. Fang mir einen Fisch, sei so gut, ja?“ „Hör auf“, zischte Adrian. „Ich kann dein Gefasel nicht mehr hören.“ „Wenn ich keinen Fisch kriege, trinke ich das Seewasser“, stammelte Hilario. „Warum darf ich es nicht schlürfen? Schön, es ist salzig, und man kriegt noch mehr Durst davon.“ Er lachte. „Aber wenn man wieder Durst hat, kann man doch einfach noch mehr davon saufen, es ist ja genug da.“ „Hör auf! Du sollst aufhören!“ schrie Adrian. „Laß ihn“, sagte Manuelito. „Du hast mir nichts zu befehlen“, fuhr der hagere Mann ihn an. „Jetzt nicht mehr. Darüber waren wir uns doch einig, oder, Manuelito? Du bist nicht mehr unser Anführer! Wir sind jetzt gleichberechtigt, alle vier!“ „Wenn du dich aufregst, schwächst du dich nur noch mehr“, erwiderte Manuelito. „Heute fühlst du dich vielleicht noch stark, aber morgen wird dir schon elend zumute, und übermorgen — na, ich weiß nicht, wie es dann um dich bestellt ist. Aber wir müssen durchhalten, verstehst du? Durchhalten.“ „Du würdest mich gern verrecken sehen, was?“ „Unsinn. Wir sind aufeinander angewiesen.“ „Durst“, stöhnte Hilario. Adrian wandte sich ihm zu und packte ihn an den nackten Schultern. „Du wirst kein Meerwasser saufen, kapiert, du Hund? Du wirst es bleiben lassen! Wenn ich dich dabei erwische, stecke ich dir mein Messer zwischen die Rippen.“ Hilario grinste. „Du hast mir gar nichts zu befehlen. Wir sind gleichberechtigt. Wir sitzen alle in einem Boot.“ Adrians Miene hatte sich bedrohlich verfinstert, er traf ernsthaft Anstalten, das Messer zu zücken. Manuelito hielt mit einer Hand die Segelleine, war aber bereit, mit der anderen Hand einzugreifen, sobald Adrian sich wirklich auf den Kumpan stürzte.
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Zum Glück stieß plötzlich Llorente einen Schrei aus. „Da - ich glaube, da hat sich was im Netz bewegt!“ Hilario warf sich herum. „Los, packen wir an. Ziehen wir das Netz ins Boot, Compadres.“ Adrian nahm die Hand vom Heft seines Messers und blickte nach achtern. „Hoffentlich ist das kein Tiburon, der sich da verfangen hat“, sagte er. „Sei doch still“, raunte Manuelito ihm zu. Llorente und Hilario zerrten das Netz Hand über Hand binnenbords. Die beiden anderen Piraten griffen jetzt mit zu, und wenig später sahen sie, was da zwischen den Maschen zappelte. „Fische“, stieß Hilario schier verzückt aus. „Und alles harmlose Tiere, die uns nicht in die Finger beißen. Ha, Llorente, ich hätte aber auch meine Zähne in eine Muräne geschlagen, so widerlich ich die Biester finde. In der Not frißt der Teufel eben Fliegen.“ Sie hievten das Netz ins Boot. Llorente, der früher Fischer gewesen war, betrachtete den Fang interessiert. „Umber, Zahnfische und Zackenbarsche“, sagte er. „Wir haben wirklich großes Schwein gehabt, Freunde. Nun, ich schätze, wir sind in bessere Fanggründe geraten und brauchen uns von jetzt an nicht mehr um unsere Verpflegung zu sorgen.“ Hilario trachtete, sich einen der Fische aus dem Netz zu klauben, aber er stellte sich dabei so ungeschickt an, daß das Tier beinah ins Wasser zurücksprang. Adrian fing den Fisch auf, drückte ihn auf den Bootsboden und sagte, während er sein Messer zur Hand nahm: „Du willst den Burschen doch wohl nicht lebend verspeisen, was, Andalusier? Komm, ich schlachte ihn für dich, entschuppe ihn und nehme ihn aus. Ist das ein Angebot? Keine Sorge, du kriegst als erster deinen Teil.“ Hilario grinste. „Du bist ein feiner Kerl. Ein guter Kamerad, Adrian. Ich hab's ja immer gewußt. Wir werden uns schon nicht streiten, was?“ „Nein.“ „Amigos“, sagte Manuelito zuversichtlich. „Wenn wir weiter so gut vorankommen
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und genügend Fische ins Netz kriegen, erreichen wir die Sklavenküste mit diesem elenden Kahn garantiert.“ „Falls wir keinen Sturm auf die Jacke kriegen“, murmelte Llorente, aber seine drei Kumpane hörten es nicht. Llorente war der Besonnenste der Gruppe, er konnte das mörderische Klima am besten verarbeiten und blieb völlig ruhig. Was ihr Schicksal betraf, so war er Fatalist -mochte kommen, was wollte, er konnte an der Entwicklung der Dinge ja doch nichts ändern. Am frühen Nachmittag war er es dann, der sich kerzengerade auf seiner Ducht aufrichtete und zur nordwestlichen Kimm sah. Deutlich glaubte er Mastspitzen zu erkennen, aber sie verschwanden wieder, tauchten für kurze Zeit erneut auf, waren dann jedoch völlig weggewischt. „Was ist?“ fragte Manuelito, der Llorente beobachtet hatte. „Hast du Land gesehen? Nun spuck's schon aus.“ „Warte ...” Llorente reckte den Hals und verengte die Augen zu Schlitzen. Aber so sehr er sich auch anstrengte, die Mastspitzen erschienen nicht wieder an der Kimm. War er jetzt auch schon halb durchgedreht wie Hilario? Gaukelte ihm die Einbildung etwas vor? Gewiß, es gab Sinnestäuschungen und Trugbilder, rätselhafte Erscheinungen, die das Produkt einer zu regen oder übersteigerten Phantasie, auch irgendwelcher Spiegelungen sein konnten, über die Llorente jedoch nichts Genaueres wußte. War er also einer Fata Morgana aufgesessen? Jäh zuckte er zusammen. „Santa Maria“, murmelte er. Manuelito begann zu fluchen. Er kletterte in den Bug, erhob sich, beschattete die Augen mit der Hand und spähte zum Horizont. Dann rief er: „Al diablo, das ist ja kaum zu fassen! Mastspitzen - und sie halten auf uns zu, wenn mich nicht alles täuscht. Llorente, du Himmelhund, das hättest du aber auch gleich sagen können!“
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„Zweimal kamen und verschwanden die Masten“, entgegnete der Mann mit den kurzen Haaren verwirrt. „Das liegt an den Wellentälern.“ „Aber so starken Seegang, daß sie sich dem Blick völlig entziehen können, haben wir doch gar nicht.“. „Hilario“, sagte Adrian. „Hörst du, was er sagt? Verdammt, wir haben offenbar alle lange nicht mehr in einem Boot gehockt. He, Llorente, überleg doch mal. Wir haben uns daran gewöhnt, die Dinge von Bord eines Segelschiffes aus zu beobachten, nicht aber von einer flachen Nußschale aus. Von hier aus hat alles eine völlig andere Perspektive, kapiert?“ „Jetzt geht mir ein Licht auf“, antwortete Llorente und begann zu grinsen. „Was ist das, Perspektive?“ wollte der Andalusier wissen, aber keiner gab ihm eine Erklärung. Seine drei Kumpane standen aufrecht im Boot und winkten dem Schiff zu, obwohl die Distanz zu dem fremden Segler noch so groß war, daß dessen Ausguck die vier nur schwer zu sichten vermochte. Manuelito hielt unvermittelt mit dem Gestikulieren inne. Er drehte sich um und sagte: „Augenblick mal. Ziehen wir uns rasch die Hemden und die Wämser über, die wir noch von dem Überfall auf die ,Santa Catalina` überbehalten haben. Wer immer das Schiff dort befehligt, er wird bestimmt bereitwilliger auf uns zuhalten, wenn er in uns einen schiffbrüchigen spanischen Kapitän, zwei Seeleute und einen Soldaten erkennt.“ „Ja klar“, sagte Adrian schleppend. „Nehmen wir mal an, das ist ein Freibeuter. Er wird sich freuen, uns das Fell über die Ohren ziehen zu können.“ „Laß uns erst mal bei ihm an Bord sein“, versetzte der stämmige Pirat mit dem derben Gesicht. „Dann tischen wir ihm schon ein paar faustdicke Lügen auf, die ihm den Mund wäßrig machen. Ich werde ihm was über verborgene Schätze erzählen, diesem Capitan, daß ihm die Augen übergehen.“ „Er wird dich durchschauen“, gab Adrian zu bedenken.
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„Und wenn ich ihm über Sao Tome berichte?“ „Ja“, meinte Adrian nach einigem Nachdenken. „Das wäre eine Möglichkeit.“ Er bückte sich, las seine Kleidungsstücke auf und zog sie sich über den nackten Oberkörper. „Was tun wir, wenn wir einen hochverehrten Landsmann vor uns haben?“ erkundigte sich Llorente. „Sagen wir dem klipp und klar, dass wir ehemalige Meuterer einer spanischen Kriegsgaleone sind, die sich später entschlossen haben, die Laufbahn von Freibeutern einzuschlagen?“ Manuelito knöpfte sich seine inzwischen getrocknete Kapitänsmontur zu, hob den Kopf und fixierte den Mann im Bootsheck. „Du redest wie ein Narr daher. Überlaß es nur mir, die Männer des Schiffes dort hinters Licht zu führen.“ „Es ist ein Dreimaster!“ rief Hilario jetzt. „Seht doch!“ „Verdammt, daß wir aber auch kein Spektiv haben“, sagte Adrian. „Wir könnten es jetzt gut gebrauchen.“ „Es geht auch so.“ Manuelito atmete tief durch, er konnte seine Erregung kaum verbergen. „Laß ihn nur noch ein Stückchen näher heran, dann erkennen wir auch mit bloßem Auge, ob er ein Holzkreuz unterm Bugspriet baumeln hat oder nicht, ob wir's mit einem Landsmann zu tun haben oder nicht.“ „Er hat seinen Kurs ein wenig geändert!“ schrie Hilario. „Er steuert jetzt genau auf uns zu, sein Ausguck hat uns gesehen.“ Er breitete die Arme aus und begann zu winken. „Ho, hier sind wir, hier! Erlöst uns von diesem verfluchten Dasein, kommt her, laßt uns von eurem Wasser und Wein kosten!“ „Ich glaube, ich sehe ein hölzernes Kreuz vor seiner Galion“, murmelte Adrian. „Ja, ich kann es jetzt auch erkennen!“ rief Manuelito. „Das ist ein spanischer Handelsfahrer, wenn ich nicht irre. Himmel, was haben wir doch für ein sagenhaftes Glück! Keinen ganzen Tag sind wir unterwegs, und schon kommt uns eine Galeone zu Hilfe.“
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„Es wird sich erst noch zeigen, ob das ein Glück ist“, stellte Llorente mehr im Selbstgespräch fest, und wieder verstand ihn keiner seiner Begleiter. Der Wind hatte leicht gedreht und blies aus Süd-Süd-West. Der Kapitän der spanischen Galeone hatte Mühe, den Kurs zu halten. Sehr hoch lag das Schiff am Wind und krängte mit Steuerbordhalsen tief über Backbordbug. Als es in den Wind zu laufen drohte, mußte seine Besatzung in den sauren Apfel beißen und zu kreuzen beginnen. Die Galeone ging über Stag, lief nach Westen ab, manövrierte etwas später noch einmal mit dem Vorschiff durch den Wind und steuerte nun nach Ost-Süd-Ost. So dauerte es noch einige Zeit, ehe sie bei dem Boot angelangt war. Manuelito, Adrian, Hilario und Llorente hatten genügend Zeit, das Großsegel und die Fock zu bergen und sich für den Augenblick abzusprechen, in dem sie dem Kapitän des Schiffes gegenübertreten würden. Sie standen immer noch aufrecht in dem auf den Wellen dümpelnden Boot. In ihren Mienen stand Zuversicht zu lesen. Die Männer der Galeone, die sich am Schanzkleid versammelt hatten, um die Schiffbrüchigen in Lee des Schiffes zu übernehmen, ahnten nicht im entferntesten, welchen Plan diese vier abgerissenen, erbärmlich aussehenden Burschen gefaßt hatten. * Dreihundert Tonnen, dachte Manuelito, als er über die Sprossen der Jakobsleiter auf die Kuhl der Galeone klomm, vielleicht auch ein bißchen mehr. Ein solide gebauter, großer Kahn, dessen Stapellauf noch nicht allzu lange zurückliegen kann. Ausgezeichnet. Als „Capitan“ stand es ihm natürlich zu, als erster Schiffbrüchiger an Bord des Seglers zu entern. Er fühlte, wie ihn eine Mischung aus Genugtuung und Triumph durchströmte. Gleichberechtigung, darauf waren Adrian, Hilario und Llorente aus, aber er würde es schon verstehen, die
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Führung wieder an sich zu reißen. Was bildeten sich die Kerle überhaupt ein? Manuelito schob ein Bein über das Schanzkleid, zog das andere nach und stand auf den Planken der Kuhl. Ein rascher, huschender Blick, und er wußte, daß die Galeone über zwölf mittelschwere Geschütze verfügte, daß die Mannschaft komplett war und das Rigg und die Bemastung nichts zu wünschen übrigließen. Ein feiner Kahn, dachte Manuelito. Er las den Namen, der in bescheidenen, kaum verschnörkelten Lettern an die Querwand der Hütte gepinselt worden war: „Nombre de Dios“. Nicht sehr einfallsreich, aber einprägsam. Adrian, Hilario und Llorente krochen nun ebenfalls über das Schanzkleid. Ein paar Decksleute der Galeone rückten näher heran. Sie begannen Fragen zu stellen und beäugten die „Schiffbrüchigen“ neugierig. Aber Manuelito hob nur stolz den Kopf, sah zum Achterdeck und sagte: „Ich verlange den Kapitän dieses Schiffes zu sprechen.“ Der brauchte nicht mehr gerufen zu werden, er nahte bereits und entpuppte sich als ein ziemlich fülliger Mann mit Ansatz zum Doppelkinn, aber er schien es zu verstehen, sein Übergewicht mit Würde zu tragen. Auf die Perücke verzichtete er, auch auf jegliche andere Kopfbedeckung. Wegen des Klimas. Schon sein Wams und sein Rüschenhemd schienen ihm eine Last zu sein. Seine Stirn glänzte, er schwitzte. „Capitan Augusto de Viacava“, machte er sich bei Manuelito bekannt. Er streckte die Hand aus, als er vor dem stämmigen Mann stand, und dieser ergriff sie auch sofort und schüttelte sie. „Capitan Enrique Jose Algaba“, entgegnete Manuelito kaltschnäuzig. „Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe, Capitan, und Sie können sicher sein, daß ich Ihren Namen bei Hofe lobend erwähnen werde, wenn ich erst wieder in Spanien bin.“ „Bei Hofe?“ sagte de. Viacava erstaunt. Adrian, Hilario und Llorente glaubten, nun müsse der ganze Schwindel auffliegen,
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weil de Viacava den echten Algaba persönlich kannte. Sie schwitzten Blut und Wasser und sahen im Geist schon, wie die Mannschaft der „Nombre de Dios“ über sie herfiel. Aber Manuelito bewies, daß er immer noch gute Nerven hatte. Unbeirrt fuhr er fort: „Ja, Sie haben schon richtig verstanden. In Madrid werde ich bald wieder sein, wenn Gott mir weiterhin beisteht. Capitan, ich wurde als Sonderbeauftragter Seiner Majestät, König Philipps von Madrid nach Cadiz geschickt, von dort aus mit der ,Santa Catalina` nach Sao Tome.“ Bei der Erwähnung des spanischen Königs hatte de Viacava unwillkürlich Haltung angenommen. „Das ist ja schier unglaublich. Sie, Senor Algab, ein Capitan — in den Diensten Seiner Majestät.“ „Unterstehen Sie nicht auch Seinem geschätzten Kommando?“ fragte Manuelito. „Gewiß, aber nicht so — so direkt. Meine Hochachtung, Senor Algaba.“ „Aber ich bitte Sie.“ Manuelito fühlte sich wirklich geschmeichelt, obwohl er sich mit fremden und obendrein noch erschwindelten Lorbeeren schmückte. Der wirkliche Algaba hatte keineswegs einen Sonderauftrag von Philipp II. gehabt. „Man hätte auch einen Kommandanten oder gar einen Admiral entsenden können“, fuhr er fort. „Aber gerade das wollte der König vermeiden. Ein. nicht allzu bekanntes Gesicht sollte unversehens in Sao Tome auftauchen.“ „Aber warum?“ „Wir sind uns vorher noch nie begegnet, Capitan?“ „Nein. Ich bin ja auch lange nicht mehr in Cadiz gewesen. Das liegt schon über zwei Jahre zurück.“ „Was Sie nicht sagen“, entgegnete Manuelito. „Nun, ich werde Ihnen noch auseinandersetzen, welche Aufgaben ich 'habe. Das kann ich aber nicht vor versammelter Mannschaft tun. Haben Sie bitte Verständnis dafür.“ „Gewiß“, beeilte sich de Viacava zu versichern. „Aber wollen Sie uns nicht
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wenigstens sagen, was Ihnen zugestoßen ist?“ Manuelitos Züge verhärteten sich. „Wir wurden von Piraten angegriffen, von einem ganzen Verband. Im Gefecht hörte ich, wie diese Kerle den Namen ihres Anführers anfeuernd schrien: Manuelito ...“ „Von diesem Hund haben auch wir gehört“, sagte de Viacava mit echtem Zorn in der Stimme. „Bisher haben wir Glück gehabt und sind diesem Teufel, der im gesamten Golf von Guinea von sich reden macht, nicht begegnet.“ Adrian, Hilario und Llorente mußten an sich halten, um jetzt nicht loszuprusten. Sie ließen ihre Blicke über Deck und zu den Masten hinaufwandern, um ja nicht das Gesicht von Augusto de Viacava vor sich zu haben, das sie zum Lachen anreizte. Manuelito indes hatte sich hervorragend in der Gewalt. Er blickte de Viacava ernst in die Augen. „Wir kämpften verzweifelt“, sagte er. „Aber wir waren den Halunken nicht gewachsen. Sie metzelten meine Männer nieder zündeten die ,Santa Catalina an und versenkten sie.“ „Noch bevor Sie Sao Tome erreichten?“ „Noch vorher. Diese drei Männer und ich können froh sein, daß wir dem Satan von einem Seeräuber entwischt sind.“ „Allmächtiger“, stieß de Viacava hervor. Seine Erschütterung war nicht gespielt. „Capitan, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie unser Boot an Bord hieven lassen könnten.“ „Selbstverständlich, Capitan Algaba. Sie müssen ja Entsetzliches durchgestanden haben. Kommen Sie, ich lasse Ihnen eine Kammer im Achterdeck herrichten. Ihre zwei Seeleute und der Soldat werden im Vorschiff versorgt.“ „Wir haben Durst“, sagte Hilario. „Gräßlichen Durst.“ „Gebt diesen drei armen Teufeln zu trinken und zu essen“, ordnete Augusto de Viacava an. „Verhelft ihnen zu allem, was sie brauchen.. Das Boot wird auf die Kuhl gehievt und festgelascht. Kommen Sie, Capitan Algaba, ich zeige Ihnen jetzt Ihre
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Kammer. Alles andere können wir später bereden.“ „Ja, einverstanden“, erwiderte Manuelito. Er schritt mit dem Kapitän der Galeone auf die Hütte zu, ohne sich noch einmal zu seinen drei Kumpanen umzudrehen. Schließlich waren sie das Fußvolk, und es wäre ein Fehler gewesen, sie auch nur noch eines flüchtigen Blickes zu würdigen. 7. Eliseo und Javier staunten nicht schlecht, als sie die Fackeln in die in den Wänden des Kellergewölbes eingemauerten eisernen Halterungen gesteckt und angezündet hatten. Sie brauchten nur einen einzigen Blick durch die Gittertür zu werfen, da sahen sie den fest verschnürten Mann mit dem Knebel im Mund. Er lehnte mit dem Rücken an einer der Schatztruhen. Als sie mit offenen Mündern auf die Tür zutraten, begann er mit den Füßen auf den Boden zu schlagen, die Augen zu rollen und würgende, völlig unverständliche Laute von sich zu geben. „Das ist ja der Teniente“, sagte Eliseo. „Wer hat denn den so zugerichtet?“ wunderte sich Javier. „Verdammt, und wir haben ihn schon überall gesucht.“ „Sagte Rasome nicht, er wäre in die Stadt hinuntergegangen?“ „War das der Yoruba? Ich weiß es nicht mehr.“ „Egal. Wir müssen den Teniente befreien.“ „He, Eliseo, sieh doch mal. da hat jemand ein ganz neues Schloß an der Tür angebracht!“ „Javier“, sagte Eliseo. „Du läufst jetzt nach oben, verständigst Dona Adriana und den Alkalden und rufst den Schmied und Waffenmeister und ein paar Soldaten, verstanden? Sie sollen alle hier herunterkommen und sich diese Sauerei ansehen.“ Javier hastete los. Eliseo blieb an der Eisengittertür stehen, legte die Hände um zwei Stäbe und blickte den Teniente an. „Nicht verzagen, Teniente!“ rief er. „Jetzt ist ja Hilfe da. Es ist nur noch eine Frage von Minuten, und Sie sind frei.“
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Innerlich sagte er sich, daß man dem Teniente. diesem eingebildeten Hund, am besten höhnisch ins Gesicht gelacht hätte. Geschieht dir recht, hätte man ihm zurufen sollen. Aber das wäre ein Liquidierungsgrund gewesen, und darauf wollte Eliseo es nun wahrhaftig nicht ankommen lassen. „Teniente“, sagte Eliseo. „Bitte haben Sie noch etwas Geduld.“ Die Minuten verstrichen langsam. Der Teniente wollte keine Geduld haben. Immer wieder hämmerte er mit den Stiefelabsätzen auf den feuchten, schimmligen Boden seines Verlieses. Er ruckte mit dem Oberkörper hin und her, vor und zurück, stöhnte und würgte, aber das alles nutzte ihm natürlich nichts. Endlich traf der Hilfstrupp ein. Schritte trappelten auf den Steinstufen der Treppe, Eliseo blickte sich um. Im Fackelschein sah er als erste den Waffenmeister und Schmied, zwei Soldaten, dann Javier, Dona Adriana und den Alkalden Don Juan Antonio Castano Collado. „Por Dios“, stieß der Alkalde in höchster Bestürzung hervor. „Da ist er ja, unser Teniente. Wie konnte das nur geschehen? Wer hat das getan? Männer, schließt die Tür auf! Sofort!“ „Und wenn wir den passenden Schlüssel nicht finden?“ fragte der Schmied und Waffenmeister. „Dann brecht ihr das Schloß am besten auf“, riet Adriana Valiente. Sie konnte sich ein Lachen kaum verkneifen, hütete sich aber, auch nur den Anflug davon zu zeigen. „Sehr wohl, Senora“, brummte der Schmied. Er winkte die beiden Soldaten, die von Javier benachrichtigt worden waren, zu sich heran und gab ihnen halblaute Anweisungen. Sie benutzten sämtliche Schlüssel eines mitgebrachten riesigen Bundes, hatten aber keinen Erfolg. Daraufhin probierte der Schmied seine Werkzeuge an der Verriegelung aus. „Ich kann es nicht fassen“, sagte der Alkalde immer wieder. „Wenn Don Joaquin das erfährt! Nein, ich kann es ihm nicht melden. Ich darf es nicht, es könnte
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ihm jetzt, da er gerade wieder erwacht ist, zu sehr zusetzen.“ „Sehr richtig, lieber Alkalde“, erwiderte die schöne Frau. „Das wollte ich auch gerade vorschlagen. Mein armer Mann hat Ruhe nötig, viel Ruhe, man darf ihn jetzt nicht aufregen.“ Der Alkalde heftete seinen Blick auf Dona Adrianas Gesicht. Er mußte sich bezwingen, nicht etwas tiefer zu schauen in den atemberaubenden Ausschnitt, mit dem ihr Kleid die Pracht zweier fester Brustansätze offenbarte. „Dona Adriana“, sagte er. „Haben Sie einen Verdacht, wer den Teniente gefesselt und geknebelt haben könnte?“ „Sagen Sie es ehrlich, Alkalde, wie sollte ich?“ „Ja, natürlich.“ „Vielleicht waren es die Männer dieses Killigrew“, sagte der Schmied. „Wäre denen so etwas nicht zuzutrauen?“ „Warum sollten sie so etwas tun?“ fragte Javier. Der Alkalde schluckte plötzlich heftig, er schien gegen einen Hustenanfall zu kämpfen. „Senora, es steht doch wohl außer Zweifel, daß derjenige, der den Teniente hierhergeschafft hat - wer immer es auch war - der Versuchung. nicht widerstehen konnte, die Truhen und Kisten zu öffnen. Was wir dringend benötigen, ist eine Liste. Ein Verzeichnis des Inventars, des Inhaltes.“ „Hören wir uns erst einmal an, was der Teniente uns zu sagen hat“, meinte die Frau. „Dann sehen wir weiter.“ Dem Schmied und Waffenmeister des Kastells war es nun endlich gelungen, das neue Schloß aufzubrechen. Er wußte nicht, daß es von einem Mann gegen das alte Schloß ausgetauscht worden war, der vom gleichen Metier wie er war, und ebenso wenig war ihm bekannt, daß jener graubärtige Riese Big Old Shane hieß. Aber der Schmied bescheinigte dem Unbekannten insgeheim, daß er mit größtem fachmännischen Geschick gearbeitet hatte. Die Gittertür öffnete sich, als der Schmied dagegen trat. Eliseo, Javier und die
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anderen beiden Soldaten stürzten in den Raum, der die Reichtümer der Festung barg. Sie beugten sich über den Teniente und lösten seine Fesseln. Erst als er ihnen wie verrückt gegen die Schienbeine trat, faßten sie den Beschluß, ihn auch seines Knebels zu entledigen. Der Teniente atmete ein paarmal tief durch, als er jetzt wieder als freier Mann dastand. Dann begann er zu schreien: „Wo sind sie? Wo stecken die Hunde?“ Er taumelte vor, stieß sich fast am eisernen Rahmen der Tür und stolperte auf den Schmied und Waffenmeister zu. „Wo kann ich diese Bastarde und Hurensöhne finden? Wo?“ keuchte er. „Von wem reden Sie denn?“ Der Schmied forschte mit einem abschätzenden Blick nach Spuren des Wahnsinns im Gesicht des zornroten Teniente. „Hören Sie“, sagte nun der Alkalde. „Ich kann Ihre Wut verstehen, Teniente, aber ich muß Sie bitten, Ihre Worte ein wenig sorgfältiger zu wählen. Falls Sie es noch nicht bemerkt haben: Wir befinden uns in Gesellschaft der Senora Valiente.“ „Wie spät ist es?“ würgte der Teniente hervor. „Ist es Tag oder Nacht?“ „Nacht“, antwortete der Alkalde Castano Collado. „Es ist recht spät geworden. Richtig, Sie armer Teufel müssen ja in der Finsternis hier unten jeglichen Zeitbegriff verloren haben. Wie lange sitzen Sie schon hier und warten darauf, daß man Sie entdeckt?“ Der Teniente ging nicht auf die Frage ein. „Wo ist er?“ wollte er wissen. „Wo kann ich ihn stellen? Man gebe mir eine Waffe einen Degen. Ich fordere ihn zum Duell ...“ „Wen denn, verdammt noch mal?“ schrie der Alkalde. Der Teniente musterte ihn verständnislos. „Den Seewolf.“ „Wen?“ „Philipp Hasard Killigrew.“ Jetzt fing auch Don Juan Antonio zu wanken an. „Er - Killigrew? Hinter diesem Namen also versteckt sich die gefürchtete Figur von El Lobo del Mar? Teniente - Sie irren sich.“
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„Nein!“ brüllte der Offizier, der einem Tobsuchtsanfall nahe war. „Er hat euch alle an der Nase herumgeführt. Er und seine Kumpane haben Truhe um Truhe, Kiste um Kiste an Bord ihres Schiffes geschafft, ohne daß es außer mir jemand bemerkt hat. Dann, als ich den Seewolf zur Rede stellte, schlug er mich einfach nieder.“ „Unfaßbar“, sagte Dona Adriana. Der Teniente stolperte auf sie zu und blieb vor ihr stehen. „Sie - Sie haben es gewußt! Sie waren im Bilde, daß er der Seewolf ist ...“ „Überlegen Sie sich, was Sie da sagen“, fuhr der Alkalde ihn an, ehe die schöne Frau sich äußern konnte. „Wegen dieser Bemerkung kann ich Sie an die Wand stellen lassen, Teniente!“ „Teniente“, sagte Adriana Valiente sanft. „Ihre Behauptung entbehrt jeder Grundlage. Ich konnte nicht einmal ahnen, daß der Mann ein Korsar ist. Und ich habe auch keine Fragen über seine Person gestellt, als er mich vor den Piraten des Manuelito in Sicherheit brachte.“ „Si, Senora“, stammelte der Teniente. „Also los, nehmen Sie zurück, was Sie da eben im Wahn gesagt haben, und der Fall ist vergessen“, forderte Don Juan Antonio den soeben Befreiten unwirsch auf. „Ich nehme es zurück. Entschuldigung, Senora ...“ „Reden wir nicht mehr darüber“, erwiderte Dona Adriana so ruhig wie möglich. „Eine Waffe“, sagte der Teniente nun wieder. „Sie haben mir alles abgenommen, die Hunde - die Pistole, den Stoßdegen, das Messer. Ich brauche einen Degen.“ Eliseo antwortete: „Den werden Sie aber kaum gebrauchen können, Teniente. Senor Killigrew und seine Männer sind am Spätnachmittag an Bord ihres Schiffes gegangen. Sie haben die Gefechtsschäden ausgebessert und ein wenig Proviant und Wasser auf die Galeone geschafft. Da 1 sie keine Zeit mehr zu verlieren hatten, wie Senor Killigrew sagte, und da sich auch keine Wetterverschlechterung anzubahnen schien, beschlossen sie ...“ „Nein!“ schrie der Teniente.
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„... beschlossen sie, ankerauf zu gehen und davonzusegeln“, vollendete der Alkalde den Satz. „Himmel, wenn wir doch nur etwas geahnt hätten. Wir hätten ja eher im Kastell nach Ihnen gesucht, Teniente, wenn El Lobo del Mar uns nicht versichert hätte, daß sie in die Stadt gegangen wären.“ „Ehrlich gesagt, darüber haben wir uns gewundert“, sagte Javier. „Das war doch sonst nicht Ihre Art, Teniente, einfach davonzulaufen und uns unbeaufsichtigt zu lassen.“ „Wir beantragten bei Dona Adriana und Don Juan Antonio, einen Inspektionsgang durch die Festung unternehmen zu dürfen“, fügte Eliseo hinzu. „Ja“, sagte der Alkalde. „Wenn diese Männer nicht gewesen wären, hätten sie vielleicht noch die Nacht und den morgigen Tag hier im Gewölbe verbracht, Teniente.“ „Wir müssen sie verfolgen“, stieß der Teniente gequält aus. „Womit?“ erkundigte sich der Alkalde. „Mit zwei Karavellen, deren Kapitäne erst gesundgepflegt werden müssen, weil sie am Gelbfieber und an der Malaria leiden? Mit Schaluppen und Booten?“ „Sie wußten, warum die die ‚Santa Catalina` versenkten“, flüsterte der Teniente. Er suchte nach Halt und fand ihn an einer Steinbank, die in die Mauer eingelassen war. Er ließ sich darauf nieder und barg das Gesicht in den Händen. Er war in diesem Moment wirklich den Tränen nahe. Dona Adriana betrat den Raum hinter der Eisengittertür, um festzustellen, wie viele Schatztruhen und Kisten verschwunden waren. Als sie sicher war, daß keiner der Männer in ihrem Rücken es bemerken konnte, lächelte sie verschmitzt. Seewolf, dachte sie, du Teufelskerl. Du liebenswerter Draufgänger, wie ich dich bewundere. Wenn ich auch nur die winzigste Möglichkeit gesehen hätte, mich dir anzuschließen -ich wäre dir an Bord deiner „Isabella“ gefolgt. Sie seufzte kaum vernehmlich. Aber ich habe ja hier auf Sao Tome meine
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Verpflichtungen, überlegte sie, und ich will nicht zur Verräterin Spaniens abgestempelt werden. Außerdem - außerdem hast du mir ja auch klipp und klar gesagt, daß du keine Frau mit zu dir aufs Schiff nehmen würdest, geliebter Lobo del Mar. Sie öffnete eine der übriggebliebenen Truhen. Sie war immer noch randvoll mit Kleinodien und anderen Kostbarkeiten gefüllt. Hasard war so fair gewesen, den Spaniern mehr als die Hälfte ihrer Schätze zu lassen. Das ist nicht nur fair, dachte die schöne Frau, das ist edel, Seewolf. Das entspricht deinem Charakter. 8. Die „Isabella VIII.“ hatte, wie die zweiundzwanzig Seewölfe wußten, zu diesem Zeitpunkt die nördliche Nachbarinsel von Sao Tome, Principe, längst achteraus gelassen. Auf Nordwesten war der Kurs der Galeone ausgerichtet. Sie lag mit Backbordhalsen hoch am Wind und segelte über Steuerbordbug. Mit durchschnittlich sechs Knoten Geschwindigkeit lief sie gute Fahrt. Hasard sagte: „Wenn der Wind nicht nachläßt, kommen wir auf ein Etmal von über hundertdreißig Meilen, Ben.“ „Mit anderen Worten, übermorgen könnten wir das afrikanische Festland erreicht haben“, erwiderte Ben Brighton, der wie sein Kapitän darauf verzichtet hatte, sich zur Ruhe zu begeben. Es war jetzt zwar schon die zweite Nacht, die sie sich um die Ohren schlugen. Aber einen allzu großen Energieverlust spürten sie nicht. Hasard konnte trotz seines Stelldicheins mit Dona Adriana nicht über Müdigkeit klagen, er fühlte sich immer noch putzmunter. Wert hatte er indes darauf gelegt, Ferris Tucker und die anderen in die Kojen zu schicken, die die Gefechtsschäden der Galeone ausgebessert hatten. Diese Männer hatten das Ausruhen dringender nötig als er und sein erster Offizier und Bootsmann.
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„Wir werden sehen, ob wir übermorgen an Land gehen oder nicht“, sagte Hasard. „Das hängt ganz von unseren Essen- und Trinkwasservorräten ab. Wenn sie nicht vorzeitig faulen und wir damit haushalten, können wir theoretisch noch tagelang in Küstennähe weitersegeln. Immerhin haben wir soviel Proviant von Sao Tome mitgenommen, daß wir einigermaßen abgesichert sind.“ „Ja, wir müssen eben aufpassen, ob sich die Sachen halten“, meinte nun auch Ben. „Bist du sicher, daß wir den Leuten der Insel nicht zuviel von ihren Frischvorräten abgenommen haben?“ „Nein, deswegen brauchst du dir keine Gewissensbisse zu machen. Dona Adriana hat mir versichert, soviel könnten sie erübrigen, Außerdem wird sie den Alkalden veranlassen, so schnell wie möglich die beiden Karavellen zum Festland hinüberzuschicken und Nachschub holen zu lassen. Jetzt besteht ja die Aussicht, daß die Kapitäne der Schiffe genesen, ebenso die Offiziere und die Mannschaften. Umberto, der Feldscher, schuftet wie ein Besessener, um das KurProgramm durchzuführen, das der Kutscher ihm ans Herz gelegt hat.“ „Ja. Also, wie wir uns diesmal für die Dons eingesetzt haben. Es kommt mir fast absurd vor.“ „Mir nicht, Ben. Wenn jemand in Not ist, dürfen wir wegen seiner Abstammung keine Vorbehalte haben. Und im übrigen sind wir der unbeteiligten Zivilbevölkerung gegenüber auch nicht feindlich eingestellt.“ Ben mußte plötzlich lachen. „Ich nehme an, du rechnest in diesem Zusammenhang auch Dona Adriana zur Zivilbevölkerung.“ „Allerdings, trotz der Tatsache, daß sie die Frau des Stadtkommandanten ist. Sie ist in vieler Hinsicht immun, Ben, nicht nur, was die Schlafkrankheit, das Wechsel- und das Gelbfieber angeht. Sie steht außerhalb der Amtsgeschäfte ihres Mannes.“ „Wäre es nicht besser gewesen, sie -hm, zu evakuieren?” „Du weißt, daß das gegen meine Prinzipien verstößt.“
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„Ja, eine Frau an Bord, das gibt böses Blut“, sagte Ben. „Aber wenn die Dons erst herausgekriegt haben, daß wir ihnen ein Drittel ihres zusammengerafften Vermögens unter dem Hintern weggeklaut haben, gibt es vielleicht Ärger für sie.“ Hasard grinste. „Nicht für eine Frau dieses Formats, darauf kannst du dich verlassen, Mister Brighton. Wie hat doch der Teniente so richtig gesagt? Eine Schönheit wie sie kann noch ganz anderen Männern den Kopf verdrehen als unsereinem.“ „Und ihren Mann, den Alkalden, den Teniente und alle anderen steckt sie allemal in die Tasche, falls sie argwöhnisch werden“, gab Ben auflachend zurück. „Ja, das leuchtet auch mir ein.“ Der Seewolf blickte voraus. Was lag vor ihnen? Ein paar ruhige Tage? Man konnte keine Voraussagen darüber treffen, denn die See war so unberechenbar wie nichts auf der Welt. Das Wetter konnte sich ändern, Feinde konnten unversehens auf kreuzen. „Sag mal, Ben, was ist deiner Meinung nach aus Manuelito geworden? Ferris, Shane und Dan sind der Ansicht, er ist ertrunken, nachdem er vom Nordturm ins Meer gesprungen war.“ „Ihn könnte auch ein Hai verspeist haben.“ „Tja. Nun, ich habe vorsichtshalber selbst noch einmal das ganze Schiff durchsucht.“ „Unsere Lady? Ja, glaubst du denn allen Ernstes ...“ „Daß Manuelito es geschafft haben könnte, zur ‚Isabella' zu schwimmen und sich solange irgendwo festzuklammern, bis er in einem günstigen Moment aufentern konnte? Ja, das hätte ich ihm zugetraut, Ben.“ „Aber da hätte unsere Bordwache ja pennen müssen!“ „Eine Zeitlang waren nur Stenmark und Bill auf dem Schiff, und die beiden konnten weiß Gott ihre Augen nicht überall haben“, entgegnete der Seewolf. „Aber Schwamm drüber. Inzwischen bin ich sicher, daß wir keinen blinden Passagier haben. Ach, übrigens, bei meinem Rundgang durchs Schiff habe ich noch etwas gefunden -einen chinesischen
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Brandsatz. Er hatte sich so hinter einem Verband verklemmt, daß man ihn bei flüchtigem Hinsehen nicht bemerken konnte.“ „Dann haben wir also immer noch die Möglichkeit, bei Gelegenheit ein kleines Feuerwerk zu zünden.“ „Ja. Vielleicht ist uns der Brandsatz, den wir vom Hof des Großen Chans mitgebracht haben, noch von größtem Nutzen.“ Hasard schaute auf, prüfte den Stand des Riggs, blickte wieder zu Ben Brighton. „Manchmal ist es ein unschätzbarer Vorteil, noch so eine kleine ‚Wunderwaffe' in der Hinterhand zu haben.“ * Manuelito hatte sich in der Kammer des Achterkastells, die der Kapitän Augusto de Viacava für ihn hatte herrichten lassen, einfach auf die Koje fallen lassen. Die Rettung aus dem Boot, das Glücken seines haarsträubenden ersten Planes hatten seine nervliche Anspannung weichen lassen, und zum erstenmal seit Sao Tome hatte er gemerkt, wie erschöpft er war. Binnen Sekunden war er eingeschlafen. Erst nach Dunkelwerden war er wieder aufgewacht und hatte sich verwirrt in der Kammer umgesehen. Schlaftrunken hatte er eine Öllampe angezündet und sich wieder auf dem Rand seiner Schlafkoje niedergelassen, um darüber nachzugrübeln, wie sich die Durchführung der zweiten Hälfte seines Planes gestalten ließ. Ein plötzliches Klopfen an seiner Kammertür hatte ihn aufschrecken lassen. Unwillkürlich hatte er nach dem Heft seines Messers gegriffen. „Senor“, hatte draußen auf dem Mittelgang des Achterkastells eine Stimme gesagt. „Sind Sie wach? Senor Capitan!“ „Ja, ich bin wach. Wer ist da?“ „Der erste Offizier, Senor. Capitan de Viacava lädt sie auf einen kleinen Umtrunk in seine Kammer ein, aber nur, wenn Sie sich schon wieder einigermaßen wohlfühlen.“
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„Ich komme sofort“, hatte Manuelito geantwortet. „Sagen -Sie dem Capitan bitte, daß ich ihm danke und seine Einladung selbstverständlich gern annehme.“ . Die Schritte des ersten Offiziers entfernten sich, Manuelito grinste und sprang auf. Binnen kurzer Zeit hatte er sich äußerlich so weit wiederhergerichtet, daß man sein Aussehen als passabel bezeichnen konnte. Er verließ seine Kammer, schritt durch den Gang nach achtern und verharrte vor der Tür zur Kapitänskammer. Fast behutsam klopfte er an. Er rechnete fest damit, daß der Fortgang der Dinge nun beschleunigt und ihm alle weiteren Grübeleien abgenommen würden. Nur hatte er vorläufig keine Möglichkeit, sich mit Adrian, Hilario und Llorente zu verständigen. Die befanden sich im Vorschiff, und es war undenkbar, daß er sie aufsuchte, bevor er zu dem Capitan der „Nombre de Dios“ ging. „Adelante“, sagte der Kapitän. „Herein.“ Als sich die Tür öffnete und Manuelito auf ihn zu trat, erhob er sich hinter seinem Pult und breitete die Arme aus. Seine Züge hellten sich auf, als habe er eine wunderbare Erscheinung vor sich. „Mein lieber Kollege Algaba, bitte nehmen Sie doch Platz“, sagte er mit überschwänglichem Gebaren. „Ich freue mich, daß Sie sich bereits ein wenig erholt haben, ein Zeichen, daß man es an Bord der ,Nombre de Dios` aushalten kann, nicht wahr?“ Er lachte. „Nun, wir sollten es begießen, daß Sie und Ihre drei Getreuen diesem Manuelito entkommen sind.“ Der erste Offizier, der sich ebenfalls im Raum aufhielt, rückte einen schweren Holzstuhl für Manuelito zurecht. Der vermeintliche Don Enrique Jose Algaba setzte sich darauf, lächelte dem Capitan zu und fragte sich, warum dieser wohl jegliche Reserviertheit abgelegt hatte. Die Antwort fand er in einer bereits zu zwei Dritteln geleerten Karaffe auf dem Pult des wackeren Kapitäns. Die tiefrote Flüssigkeit in diesem Glasbehälter war
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alles andere als Fruchtsaft, soviel war gewiß. Manuelito nickte dem Capitan zu und ließ sich von dem ersten Offizier nur zu gern etwas von dem Rotwein - kredenzen, achtete aber im Verlauf der nächsten Stunde darauf, nicht zu viel von dem naturreinen Rebentrank zu sich zu nehmen. De Viacava wollte Einzelheiten über die Schlacht mit Manuelito hören - und der falsche Algaba lieferte sie ihm. Als Erzähler war Manuelito ein Naturtalent, er hatte nie Schwierigkeiten gehabt, nicht Existentes mit den faszinierendsten Worten zu schildern. Der Capitan de Viacava hing mit dem Blick an seinen Lippen, und auch den ersten Offizier riß es in eine Art Bann. Der zweite Offizier befand sich auf Oberdeck, er hatte in dieser Nacht mit fünf Seeleuten die Wache übernommen. Im Vordeck schliefen der Zuchtmeister der Galeone und weitere zwanzig Mannschaftsmitglieder, soviel bekam der Pirat im Verlauf des Gesprächs durch knappe Zwischenfragen mühelos heraus. Der Kapitän der „Nombre de Dios“ gab seinem Ersten einen Wink, und dieser öffnete einen Schrank. Er entnahm ihm eine zweite, gefüllte Karaffe, bediente wieder den Gast, vergaß aber auch seinen Capitan und sich selbst nicht. Manuelito war mit seinem Bericht über das Gefecht, das in dieser Form nie stattgefunden hatte, am Ende angelangt, als ihm etwas einfiel. „Eine Frage“, sagte er zu de Viacava und richtete sich dabei mit dem Oberkörper auf. „Bei dem Verband des Piraten Manuelito befand sich eine Galeone mit auffallend hohen Masten und flachen Kastellen. Befehligt wurde das Schiff — soviel konnte ich durch mein Spektiv erkennen — von einem schwarzhaarigen, großen Kerl. Seine Kumpane sahen mir eher wie Nordländer. nicht wie Spanier, Franzosen, Italiener oder Griechen aus.“ „Holländer vielleicht“, meinte der erste Offizier, dem die Zunge schon ein wenig schwer geworden war. „Die haben insgesamt nur drei oder vier Schiffe, habe
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ich mir sagen lassen, aber sie fangen an, damit unsere Konvois zu belästigen.“ De Viacava hatte die Unterarme auf die Platte des Pults gelegt. Er nahm seinen Blick nicht von Manuelitos Gesicht. „Was sagen Sie da, Capitan? Ein Schwarzhaariger? Ein Schiff mit überhohen Masten, ein ausgesprochener Schnellsegler? Das kann nur — nein, das ist schier unmöglich!“ „Sie haben einen Verdacht, wer es gewesen sein könnte“, stieß Manuelito erregt aus. „Heraus damit, mein Freund, auch wenn er nur sehr vage ist!“ „Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Mann sich mit einem primitiven Schnapphahn wie Manuelito zusammentut“, sagte Augusto de Viacava. Manuelito wäre am liebsten aufgesprungen und hätte ihm das Messer in den Leib gestochen. Er konnte sich aber wieder beherrschen, legte nur seinen Kopf ein wenig schief und erwiderte: „Wie, Amigo? Das hört sich ja an, als sei dieser schwarzhaarige Bastard, der meinem Schiff auch arg zugesetzt hat, etwas Besonderes. Wie soll ich das verstehen?“ Wieder goß der Erste die Kelche voll, wieder trank Augusto de Viacava. „So war das nicht gemeint. Die Beschreibung, die Sie eben gegeben haben, paßt nur ziemlich genau auf diesen Killigrew — auf den Seewolf, wie er genannt wird. Und der ist ein ausgesprochener Einzelgänger. Er hat sich nur einmal mit jemandem verbündet, mit einer Korsarin, glaube ich.“ „El Lobo del Mar!“ Manuelito war wie vom Donner gerührt. „Dieser Hund soll immense Schätze an Bord seines Schiffes haben. Und er kann den Hals nicht voll genug kriegen. Er hat Spaniens Kolonien in der Neuen Welt und in der Südsee bereits erheblichen Schaden zugefügt. Aber ist es denn sicher, daß er sich in diesen Breiten herumtreibt?“ „In Accra habe ich zuletzt vernommen, daß er auf Madagaskar und an der Ostküste des Schwarzen Erdteils herumgespukt haben sollte. Aber es ist denkbar, daß er inzwischen das Kap der Guten Hoffnung
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umrundet hat. Er ist schnell und taucht völlig unvermittelt auf, dieser Kerl.“ „Sie haben — Angst vor ihm, Capitan?“ „Angst? Ich würde ihn zusammenschießen, wenn ich ihn und seine Teufel vor die Geschützrohre bekäme!“ „Man müßte ihn jagen“, erklärte Manuelito. „Ihn und diesen Manuelito. Vielleicht liegen in Sao Tome genügend Schiffe, um eine solche Hatz zu veranstalten. Sind Sie darüber unterrichtet, mein lieber Augusto de Viacava?“ „Leider nicht.“ „Ihr Ausgangshafen ist Accra?“ „Ja, und wir sollen uns in Luanda einem Geleitzug anschließen, der das Kap der Guten Hoffnung umsegelt und spätestens Ende des Jahres in Manila eintrifft. Wir haben Harthölzer geladen, und auch die Fracht der anderen Schiffe des Konvois besteht größtenteils aus Baumaterialien, die auf den Philippinen in dieser Art und in dieser Menge nur schlecht zu kriegen sind.“ Über die Ladung der „Nombre de Dios“ war der vermeintliche Kapitän Enrique Jose Algaba zwar enttäuscht. Er hatte Wertvolleres vorzufinden gehofft, aber er sagte sich auch, daß man im Leben nicht alles haben konnte. Ihm genügte schon ein .Schiff, ein neuer, solide gebauter Segler mit drei Masten und zwölf DemiCulverinen. „Capitan“, sagte er. „Sie müssen mich und meine drei Begleiter auf der Insel Sao Tome absetzen.“ De Viacava begann, die Hände zu ringen. „So gern ich das tun würde, Amigo, wie soll ich das schaffen, wie diesen Umweg verkraften? Der Konvoi in Luanda wartet bereits auf uns, wir haben einen Sturm abreiten müssen und sind überfällig.“ „Mit anderen Worten, wir sollen bis nach Luanda mitsegeln und zusehen, wie wir von dort aus zurück nach Sao Tome gelangen?“ De Viacava füllte sein mittlerweile wieder leeres Glas aus der Karaffe und bewegte dann die Karaffe hin und her.
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„Bis auf den Grund gelenzt“, sagte er traurig. „Erster, beschaffen Sie Nachschub. Das ist ein Befehl.“ „In den Schränken sind keine vollen Flaschen mehr, Senor Capitan“, antwortete der erste Offizier. „Was soll ich tun? Das Weinfaß im achteren Frachtraum anzapfen?“ Augusto de Viacava reichte ihm die Karaffe. Er bedeutete ihm, auch die zweite Karaffe an sich zu nehmen, dann wies er auf die Tür und sagte: „Steigen Sie in den Frachtraum hinunter. Das ist ein Befehl.“ Der Erste verschwand. Manuelito beugte sich vor und wiederholte eindringlich: „Capitan, Sie müssen mich nach Sao Tome bringen. Sie müssen!“ Aller Kummer dieser Welt schien sich in de Viacavas Miene zu spiegeln. „Wie soll ich das nur machen? Das ist undurchführbar.“ „Denken Sie an meinen Sonderauftrag.“ „Ja. Wollen Sie mir endlich sagen, was es damit auf sich hat?“ „Gut, wir können ja jetzt unter vier Augen sprechen“, entgegnete Manuelito. „Capitan, die Casa de Contratacion hat Unregelmäßigkeiten in den Büchern festgestellt, die der Stadtkommandant Don Joaquin Barba Valiente, der Hafenkapitän Don Alvaro Broviras und der Alkalde Don Juan Antonio Castano Collado von Sao Tome nach Cadiz geschickt haben. Die Bücher wurden nach Madrid weitergeleitet — zum Hof. Es besteht der Verdacht, daß die Senores einen Teil der Schätze, die zur Weiterverschiffung nach Spanien gelegentlich auf der Insel Sao Tome gehortet werden, auf die Seite geschafft haben. Um ihr Privatvermögen aufzubessern.“ „Nein!“ „Unglaublich, nicht wahr? Nun, ich soll diese Angelegenheiten vor Ort prüfen und Broviras, Castano Collado und Valiente festnehmen, falls ich sie der Unterschlagung überführen kann.“ „Unfaßbar“, sagte Don Augusto de Viacava. Er schien selbst kein Engel zu sein und kein ganz reines Gewissen zu haben. Allein die Aufreihung von Namen,
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die Manuelito eben von sich gegeben hatte, überzeugte. ihn, daß dieser Algaba wirklich ausgezeichnet Bescheid zu wissen schien und eine höchst kompetente Persönlichkeit war. Ein Vertrauter des Königs! „Senor Algaba“, sagte de Viacava daher. „Wenn Sie es verantworten können, daß wir diesen Umweg fahren, will ich die Kursänderung gern anordnen.“ Manuelito erhob sich. Jeden Augenblick konnte der Erste zurückkehren. Die Zeit drängte. „Ich stelle Ihnen eine schriftliche Beglaubigung aus, daß Sie auf meine Anordnung hin gehandelt haben, Capitan“, erwiderte er. „Das dürfte genügen, um Sie in Luanda von jeder Schuld dafür freizusprechen, daß der Konvoi nicht termingemäß auslaufen kann. Die Obrigkeiten von Luanda werden bereits im Bilde darüber sein, was es mit meinem Namen und meinem Auftauchen auf sich hat — zumindest wissen sie, daß ich als Sonderbeauftragter handele. Und es war ja nicht meine Schuld, daß die ,Santa Catalina` von Piraten versenkt wurde.“ „Ich gebe Ihnen einen Federkiel und Papier“, sagte der beleibte Kapitän der Galeone. „Wir sollten das. gleich erledigen.“ „Ganz meine Meinung, mein Bester“, entgegnete der Pirat, während er schon auf das Pult zuschritt, es umrundete und neben den Mann trat. De Viacava kramte unterdessen in den nicht gerade sehr aufgeräumten Fächern seiner Escribania. Vom Wein ganz erheblich in seinen Reaktionen und Wahrnehmungen beeinträchtigt, bemerkte er nicht, wie der falsche Algaba das Messer zog. Erst als Manuelito ihm die Klinge an die Gurgel hielt und ihm die teure Radschloßpistole aus dem Gurt zog, fiel es dem Kapitän wie Schuppen von den Augen. Mit einemmal fühlte er sich auch bei weitem nicht mehr so angeheitert wie kurz zuvor, aber die ganze Ernüchterung kam eben doch zu spät. „Ich töte dich, wenn du nicht alles tust, was ich dir sage“, zischte Manuelito, der
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seinen Mund dicht neben das Ohr de Viacavas gebracht hatte. „Wer — wer bist du wirklich?“ „Der, der Algaba zum Teufel gejagt hat.“ „Manuelito? Mein Gott!“ Manuelito hob die Radschloßpistole und spannte ihren Hahn. Er zielte über die Platte des Pultes auf die Tür der Kammer. Durch den Gang näherten sich die Schritte des ersten Offiziers. 9. Adrian war von seiner Koje geglitten und hatte sich zu Hilario geschlichen, der mit ihm die winzige Kammer im Vordeck teilte, die der spanische Profos ihnen zugewiesen hatte. Nur für Llorente war in dem ein Deck höher liegenden, in zwei große Räume unterteilten Mannschaftslogis noch eine Koje frei gewesen. „Hilario“, raunte der Mann mit dem Schnauzbart. „Ich bin wach“, gab der Andalusier zurück. „Wir müssen handeln.“ „Jetzt?“ „Die Gelegenheit ist günstig. Außer der Deckswache schläft alles.“ „Warum unternimmt Manuelito nichts?“ „Wir können uns nicht auf ihn verlassen“, zischte Adrian. „Wir haben auch keine Möglichkeit, uns mit ihm abzustimmen. Wir werden ihm zeigen, was wir auch ohne ihn leisten können.“ „Wir brauchen Waffen!“ „Los, wir schleichen zum Logis hinauf und besorgen uns Pistolen und Musketen.“ Hilario richtete sich von seinem Lager auf. Er lauschte dem Knarren im Schiffsleib, dem Plätschern und Gurgeln des Seewassers an den Bordwänden. Etwas benommen fühlte er sich noch, aber er hatte seinen Durst mit Wasser und Wein löschen können, und allein das hatte ihm sehr geholfen. Jener schmale Grat, der das Normalsein vom Wahnsinn trennte, schien wieder in weite Ferne gerückt zu sein. „Moment mal“, wisperte er, nachdem er sich mit den Händen durchs Gesicht gefahren war. „Wäre es nicht einfacher,
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nach der Waffenkammer zu suchen? Die befindet sich bestimmt im Achterdeck. Adrian, wir pirschen durch die Frachträume und dann ...“ „Ich habe diese Möglichkeit schon geprüft“, erwiderte der Kumpan ungeduldig. „Aber die Tür, die vom Vordecksgang zu den Frachträumen führt, ist fest verriegelt. Die Schlösser aufbrechen, das können wir nicht. Selbst wenn wir Werkzeug auftreiben würden, würde das zu viel Lärm verursachen.“ Der Andalusier erhob sich nun ganz. „Also gut. Gehen wir. Mit ein bißchen Glück müßten wir es fertigbringen, die Wachen an Oberdeck zu überwältigen.“ „Wichtig ist, daß der Profos und die anderen zwanzig Männer im Logis nicht aufwachen.“ „Und Llorente?“ „Den nehmen wir natürlich mit“, flüsterte Adrian. Wenig später hatten sie den Niedergang, der ein Deck höher hinaufführte, hinter sich gebracht, ohne auch nur ein verräterisches Geräusch zu verursachen. Vorsichtig arbeiteten sie sich nun auf das Mannschaftslogis zu. Die Türen des Doppelraumes standen offen, damit die Frischluftzufuhr durch den Schiffsgang gesichert war. Adrian und Hilario konnten das Schnarchen und die heftigen Atemgeräusche vernehmen, die einige Schläfer von sich gaben. Hilario blieb stehen, als er gemurmelte Worte vernahm, aber sein Begleiter grinste nur. „Da spricht einer im Schlaf“, raunte Adrian. . Sie glitten weiter und wagten sich in den Großraum. Adrian hatte sich gemerkt, in welche Koje Llorente verfrachtet worden war. Er schob sich jetzt sofort darauf zu. Hilario kauerte sich neben eine andere Doppelkoje und streckte die Hand nach einer Muskete aus, die an der Wand lehnte. Die Muskete stand mit ihrem Kolben in' einem Zwischenraum zweier Planken eingeklemmt, so daß sie auch bei stärkeren Schiffsbewegungen nicht umkippen konnte.
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Sie schien geladen zu sein. Hilario, der nur ein kurzes Messer im Hosengurt stecken hatte, dachte: Wenn du das Schießeisen erst in den Fingern hältst, bist du schon ein mächtiges Stück weiter. Adrian war bei Llorente angelangt. Er wollte ihm die Hand an die Schulter legen und ihn wachrütteln, doch der ehemalige Fischer schlug im selben Augenblick die Augen auf. Er entblößte seine Zähne, sprach aber kein Wort. Wie, stand in seinen Augen zu lesen, dachtest du wirklich, ich schlafe? Hilario hatte seine Finger um den Schaft der Muskete geschlossen, da regte sich der Seemann links neben ihm in der untersten Koje. Hilario hielt inne. Mit der anderen Hand tastete er nach seinem Messer. Der Seemann wälzte sich jedoch nur von der einen Körperseite auf die andere, brummelte noch etwas Unverständliches, lag dann wieder still und atmete tief und gleichmäßig. Hilario zog die Muskete aus dem Spalt zwischen den Planken. Er befingerte sie und stellte mit endgültiger Sicherheit fest, daß sie geladen war. Adrian und Llorente huschten durch das Logis und sammelten so viele Waffen ein, wie sie konnten: Pistolen, Musketen, Tromblons und ein paar altertümliche Arkebusen. Wenn auch nur ein Besatzungsmitglied der „Nombre de Dios“ aufwachte und Alarm schlug, brauchten sie mindestens ein Dutzend Schüsse, um den Leuten genügend Angst einzujagen und jeden Widerstand zu zerschlagen. Ein Dutzend Schüsse, das bedeutete zwölf Waffen - doppelläufige Pistolen oder Flinten waren nicht aufzutreiben. Llorente übergab Hilario einige von den erbeuteten Waffen. Auf ein Zeichen von Adrian hin wandten sich die beiden dem Ausgang zu. Adrian sicherte zum Logis hin und hielt ihnen den Rücken frei. Er sah, wie sich eine Gestalt aus einer der Kojen aufrichtete. Der Profos! Adrian durchfuhr es siedend-heiß, aber er zwang sich, keine überhastete Reaktion zu zeigen. Fast gelassen schritt er über die Planken auf den Mann zu.
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„Was ist los?“ murmelte der Profos verdrossen. „He, was geht hier vor? Wer trabt hier durch, die Gegend?“ „Ich, Senor“, gab Adrian gedämpft zurück. „Ich mußte mal 'raus, auf die Galionsplattform. Legen Sie sich ruhig wieder hin.“ Der Profos traf aber keine Anstalten, sich wieder auszustrecken. Adrian tat noch zwei Schritte auf ihn zu, dann hatte er endlich das Messer aus der Lederscheide am Gurt gezogen und die erbeuteten Waffen hinter seinem Rücken verborgen. Er duckte sich, und als der Profos noch eine Frage stellen wollte, diesmal lauter, fordernder, zuckte die matt blinkende Klinge durch das Logis. Der Zuchtmeister der Galeone gab einen erstickten Laut von sich. Adrian war mit einem Satz bei ihm, ließ die Waffen auf die Koje sinken und hielt dem Mann den Mund zu. Die Gestalt des Profos' erschlaffte. Als Adrian ihn auf das Lager zurücksinken ließ, war sein Lebensfunke bereits erloschen. Ohne jegliche Gemütsregung verließ Adrian den Doppelraum. Auf dem Gang warteten die Kumpane auf ihn. Sie empfingen ihn mit besorgten Mienen. „Nur ein kleiner Zwischenfall“, flüsterte Adrian. „Ich habe ihn bereinigt.“ Er wies auf die Lederscheide an seinem Gurt, die jetzt leer war. Er hatte keinen Wert darauf gelegt, sich das Messer wieder zu nehmen. Kurz darauf blieb eine der Deckswachen überrascht vor der Tür des Vordecks stehen, die an der Steuerbordseite des Dreimasters von der Kuhl zum Mannschaftslogis hinabführte. Die Tür hatte sich geöffnet und knarrte ein wenig in ihren Angeln. Der Spanier beugte sich vor, um sie zu schließen. Aber in diesem Moment wurde die Tür von innen so schnell und hart aufgestoßen, daß er ihre Kante gegen die Stirn erhielt. Er stöhnte und fiel hin. Er glaubte, sein Kopf müsse zerspringen, war von dem jähen Schmerz benebelt und merkte kaum noch, wie eine Gestalt aus der Türöffnung hervorglitt und ein
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Musketenkolben auf sein Haupt niederzuckte. Den Schlag, der ihn dann traf, spürte der Decksmann aber in seiner unverminderten Wucht. Ihm schwanden die Sinne. Reglos. blieb er auf den Planken der Kuhl liegen. Zwei weitere Wachen, die sich gerade auf der Back befanden und damit beschäftigt waren, ein Fall zu klarieren, hatten das Stöhnen ihres Kameraden vernommen. Verdutzt drehten sie sich um. Sie traten beide auf die achtere Querbalustrade des Vordecks zu, aber als sie fast dort angelangt waren, blieben sie plötzliche wie festgenagelt stehen. Zwischen den Balustradenstäben schimmerten die Läufe von zwei Musketen. Die Mündungen der Waffen blickten die Decksleute ernst und unmißverständlich an. „Weg mit den Waffen“, zischte eine Stimme. „Spielt nicht die Helden, Compadres, oder es ist um euch geschehen.“ Der Segundo, der zweite Offizier, der auf dem Achterdeck der Galeone auf- und abschritt, hatte etwas von den Vorgängen an der Back bemerkt. °Er winkte den anderen beiden Deckswachen zu, die gerade am Backbordniedergang zur Kuhl verharrt hatten. „Seht nach, was da los ist“, sagte er. „Da scheint jemand umgekippt zu sein. Wenn er getrunken hat, sind ihm die Vorpiek und zwanzig Hiebe mit der Neunschwänzigen sicher.“ Die beiden Männer setzten sich in Marsch. Sie hatten aber gerade den Niedergang verlassen und schickten sich an, die Kuhl zu überqueren, als eine verhaltene Stimme in ihrem Rücken erklang. „Hierher! Das ist ein Befehl!“ Überrascht stellten sie fest, daß es sich bei dem Sprecher um ihren Kapitän handelte. Sie drehten sich gleichzeitig um und lenkten ihre Schritte auf die dicke Gestalt Don Augusto de Viacavas zu. Als die Distanz auf knapp drei, vier Fuß zusammengeschrumpft war, schob sich plötzlich auch der erste Offizier der „Nombre de Dios“ aus dem Eingang des
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Achterkastells. Das allein wäre noch kein Grund zur Verwunderung gewesen - wenn da mit einemmal nicht auch dieser Kapitän Algaba gewesen wäre, der eine Radschloßpistole gegen de Viacavas und ein Messer gegen des Ersten Hals drückte. „Die Waffen hinlegen“, zischte Manuelito. „Oder wollt ihr, daß ich euren ersten Offizier abserviere? Ich brauche nur zuzustoßen ...“ „Nein - nur das nicht“, stöhnte der Erste. „Gehorcht“, sagte der Kapitän zu seinen Untergebenen. Daß dies ein Befehl war, brauchte er nicht erst hinzuzufügen. Die beiden Decksleute ließen ihre Musketen auf die Planken sinken und legten die Pistolen und die Säbel gleich daneben. Dann traten sie auf Manuelitos Anweisung hin zur Seite. Manuelito nickte de Viacava zu. „Du weißt, was du zu tun hast.“ „Segundo“, rief der beleibte Mann. „Bitte sofort zu mir.“ Wenig später befand sich auch der zweite Offizier in der Gewalt des Piraten. Manuelito wollte seine Gefangenen in Richtung auf das Vordeck treiben, um nun auch die anderen Deckswachen zu überrumpeln, aber das war nicht mehr nötig. Adrian, Hilario und Llorente dirigierten zwei Posten mit vorgehaltenen Musketen vor sich her, über die Kuhl auf die Hütte der Galeone zu. Der dritte, den sie überlistet hatten, lag immer noch bewußtlos vor der Vordeckstür. Manuelito grinste breit und hämisch. „Ausgezeichnet. Wir brauchen jetzt nur noch die Männer im Logis festzunehmen. Mein lieber Augusto, du wirst sie davon überzeugen, daß es keinen Sinn hat, sich zu' wehren.“ Der Kapitän der „Nombre de Dios“ hatte erhebliche Mühe zu sprechen. Er mußte erst einen dicken Kloß herunterwürgen, ehe er fragen konnte: „Und was wird dann aus uns?” „Sie bringen uns alle um“, mutmaßte der Erste: „Ich verspreche, es nicht zu tun“, entgegnete Manuelito. „Und wenn
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Manuelito sein Wort gibt, dann hält er es auch.“ * Der neue Tag stieg mit vielversprechendem Sonnengleißen über dem afrikanischen Festland auf und glitt über den Atlantik, um die letzten Schatten der Nacht zu verdrängen. Bill, der Moses der „Isabella“, begrüßte den Morgen mit einem herzhaften Gähnen. Er hockte seit nunmehr sieben Glasen im Großmars und freute sich auf den Moment, in dem Gary Andrews ihn ablösen würde. Eine Mütze voll Schlaf, ja, das wäre jetzt das Richtige, dachte der Junge. Arwenack erhob sich neben ihm. Er leistete ihm Gesellschaft, wie er das so oft tat, seit Bill die Aufgabe eines Ausgucks übernommen hatte. Das Recken, Strecken und Gähnen, das der Schimpanse zelebrierte, wirkte sehr solidarisch, aber es hatte einen kleinen Schönheitsfehler — Arwenack hatte nicht gewacht, sondern die ganzen sieben Glasen über selig geschlafen. „Was willst du eigentlich beweisen?“ fragte Bill ihn mürrisch. „Daß du immer noch hundemüde bist und dich am liebsten an meiner Stelle in eine Koje des Vordecks hauen würdest?“ Arwenack blickte seinen Freund an und kräuselte die Stirn. Seit einiger Zeit fuhr er jetzt auf diesem Schiff und in Gesellschaft dieser Lebewesen, die er als „seine Zweibeiner“ ansah — aber ihre Sprache zu verstehen hatte er immer noch nicht gelernt. Er blähte die Lippen auf und gab einen seiner urigen Laute von sich. „Also schön, lassen wir das“, sagte Bill. „Werfen wir lieber mal wieder einen Blick in die Runde.“ Er zog das Spektiv auseinander und hob es über die Umrandung des Großmarses. Sir John, der karmesinrote Aracanga, war ebenfalls erwacht. Er blinzelte mit den Augen und sagte „Schockschwerenot“ und „Himmel, Arsch und Zwirn“, Wörter, die zu seinen Lieblingsausdrücken zählten.
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Damit erhob er sich von seinem Schlafplatz auf der Back, flatterte auf und glitt in schwingendem Flug vor dem prall geblähten Großsegel der Galeone zum Hauptmars hinauf. Er hatte sich kaum auf der Umrandung des luftigen Postens niedergelassen, da fing Arwenack mit seinem Gezeter an. Nur wenn ein Sturm das Schiff durchbeutelte oder wenn die „Isabella“ im heftigen Gefecht mit einem Gegner lag, wurden Arwenack und Sir John echte Bundesgenossen. Dann schlossen sie Burgfrieden. Aber in „Friedenszeiten“ zeigten sie sich als eifersüchtige Konkurrenten, die um die Gunst der Seewölfe kämpften. Der Schimpanse holte mit der rechten Vorderpfote aus und schlug zu. Eigentlich wollte er Sir John von der Großmarsverkleidung wegjagen, aber der Vogel war schneller. Er schwang schimpfend hoch. Arwenacks Ohrfeige ging ins Leere, der Affe verlor fast das Gleichgewicht. Er wurde nun noch wütender. Sir John flatterte über dem Großmars und ließ einen ganzen Schwall von Flüchen vom Stapel. „He“, sagte Bill plötzlich. „Ihr beiden, seid doch mal still. Arwenack, hör auf zu wackeln, hier bebt ja wirklich alles!“ Der Affe hatte einen wahren Tanz aufgeführt, um den Ara zu greifen. Jetzt aber blieb er still sitzen, um sich nicht Bills Zorn zuzuziehen. Die Worte des Jungen waren zurechtweisend, soviel hatte Arwenack herausgehört. Im Rund der Optik hatte Bill etwas erspäht. Er ließ seinen Blick darauf verharren. „Himmel“, sagte er. „Das kann doch wohl kaum wahr sein ...“ Hasard, der in diesem Moment gerade das Achterdeck betrat, blieb stehen und' blickte zum Großmars hoch. Er sah deutlich, wie der Schiffsjunge unablässig mit dem Spektiv nach Nordwesten Ausschau hielt. Und jetzt ertönte auch schon Bills Stimme: „Sir - Boot Backbord voraus! Mit mehr als zwei Dutzend Männern an Bord!“
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„Was? Das muß ja eine Schaluppe sein!“ rief der Seewolf verblüfft zurück. „Nein, Sir, ein Fischerboot mit einem getakelten - Mast!“ schrie der Junge. „Es ist viel zu klein für die vielen Männer! Und dann dieser Tiefgang ... Mein Gott, es sinkt ja!“ „Wenn wir denen nicht helfen, werden sie von den Haien vertilgt“, sagte Hasard. „Hoffentlich ist das. keine Falle.“ Nein, es war keine List, kein Hinterhalt. Etwa eine halbe Stunde später nahm die „Isabella“ die verstörten Männer aus dem Boot über, dessen Boden vorsorglich angebohrt worden war. Von einem übergewichtigen Mann, der sich als Capitan Don Augusto de Viacava ausgab, erfuhr Hasard, daß dies Manuelitos Werk gewesen war, daß man die fast komplette Mannschaft der spanischen Galeone „Nombre de Dios“ vor sich hatte. Nur der Profos fehlte. „Manuelito hält sein Wort, nicht wahr?“ sagte Hasard auf de Viacavas Bericht hin. „So hat er sich das also vorgestellt, als er Ihnen und Ihren Männern das Leben schenkte, Sonor. Haben Sie verfolgt, in welcher Richtung der Kerl gesegelt ist?“ „Nordwesten.“ „Mit nur drei Mann Besatzung kann er nicht weit kommen. Mal sehen, ob wir Ihnen Ihr Schiff wiederholen, Capitan.“ Hasard sah de Viacava ernst an. „Versprechen kann ich Ihnen allerdings nichts. Finden wir diesen Freibeuter, mit dem auch wir noch ein Hühnchen zu rupfen haben, nicht, setzen wir Sie und Ihre Leute an Land, sobald wir den Kontinent erreicht haben.“ „Ich danke Ihnen, Senor ...“ „Killigrew“, sagte Hasard. „Darf ich Sie jetzt bitten, sich samt Ihrer Mannschaft unter Deck zu begeben?“ „Sie sind Engländer?“ „Ja.“ „Wir bereiten Ihnen keine Schwierigkeiten“, entgegnete der Kapitän der spanischen Galeone. „Und auf mein Wort ist Verlaß, Senor Killigrew.“ Er gab durch keine Silbe, durch keine Regung in
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seinem Gesicht zu verstehen, daß er den Seewolf längst erkannt hatte. De Viacava beschloß, auch seine Landsleute nicht in dieses Geheimnis einzuweihen. 10. Am Nachmittag des nächsten Tages hatten Manuelito und seine drei Kumpane die Sklavenküste erreicht. Tief in einen felsigen Uferstreifen westlich der KetaLagune eingekerbt lag die Bucht, die sie zu ihrem Schlupfwinkel erkoren hatten. Die Bucht wand sich wie ein Wurm in die Felsen, und es war eine kleine Meisterleistung der vier gewesen, die „Nombre de Dios“ dort hineinzumanövrieren. Sie hatten es geschafft, ohne das Schiff zu beschädigen. Nachdem sie es an Land vertäut hatten die Anker faßten auf dem steinigen Grund nicht —, ließ sich Manuelito lachend auf das Ufer sinken, das als Abgrenzung der Bucht zur See hin eine Art natürliche Barriere bildete. „Hier laßt uns verschnaufen“, sagte er. „Später werden wir damit beginnen, unsere Mannschaft wieder zu vergrößern. Das wird zwar einige Zeit dauern, aber wir brauchen mehr Leute, um das Schiff zu steuern, wie ihr ja gemerkt habt.“ „Ja“, entgegnete Adrian. „Es ist ein Wagnis, die ,Nombre de Dios' auf diese Weise voranzubewegen. Aber wir haben ja in den nächsten Wochen Muße genug, uns um neue Verbündete zu bemühen.“ „Soviel nun auch wieder nicht“, sagte Manuelito. Hilario schritt vom Boot her auf sie zu und hatte die letzten Worte verstanden. „Wie? Hältst du etwa an deinem Plan fest, nach dem Seewolf zu suchen?“ „Sicher. Er hat immense Reichtümer an Bord seines Schiffes, habt ihr das vergessen? Wenn wir ihm all das abjagen können, haben wir bis an das Ende unserer Tage ausgesorgt.“ „Oder es ist unser letzter Beutezug“, erwiderte der Andalusier.
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„Ja, El Lobo del Mar ist ein paar Nummern zu groß für uns“, sagte nun auch Adrian. „Und du hast keine Vorschriften zu machen und nichts mehr zu befehlen. Wir sind gleichberechtigte Partner, verstanden, Manuelito?“ „Sicher“, sagte der Pirat mit der stämmigen Statur und dem derben Gesicht. „Aber bedenkt: Der Seewolf hält sich bestimmt noch etwas auf der Insel Sao Tome auf. Wenn er dann weitersegelt, nimmt er Kurs auf Europa. Er will zurück nach England, hat eine Weltreise hinter sich. Begreift ihr denn nicht? Wir könnten ihn abfangen.“ Adrian wollte darauf etwas antworten, aber Llorente kehrte gerade von einem Rundgang über den Uferstreifen zurück und meldete: „Amigos, unser altes Schiff war kleiner als dieser Kahn, und die Bucht verdeckte seine Masten zur See hin. Diese Masten hier ragen aber ein Stück über die Felsen hinaus. Wer nahe genug heransegelt, der wird uns entdecken.“ „Uns verfolgt doch keiner“, sagte Hilario. „Aber es gibt Zufälle“, versetzte Adrian. „Manuelito, wir sollten uns unsere Diskussionen für später aufsparen. Ich finde, es ist das Beste, wenn wir uns erst einmal auf unliebsame Überraschungen vorbereiten. Wir sollten das Schiff gefechtsklar halten und auch die Kanone in der Höhle laden.“ „Ausnahmsweise sind wir mal einer Meinung“, sagte Manuelito grinsend. „Auf was warten wir noch?“ * Die geräumige Höhle ging auf die Einfahrt zur Bucht hinaus. Sie war der ideale Standort für jemanden, der einem allzu Neugieren einen gebührenden Empfang bereiten wollte, falls dieser sich von See her der Bucht näherte. Aus diesem Grund hatte Manuelito schon vor Monaten, als sie diesen Platz zu ihrem Versteck gemacht hatten, eine Culverine in die Kaverne hieven lassen. Das 17PfünderGeschütz stammte von dem Schiff der Piraten, das nach der gewonnenen Schlacht gegen die Viermast-Galeone
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„Santa Catalina“ von ihnen selbst versenkt worden war. Vom Eingang der Höhle verlief ein schmaler, simsähnlicher Pfad in westlicher Richtung. Er führte in die Bucht, und man konnte, wenn man ihn benutzte, direkt zu dem Boot gelangen, das am Ufer bereitlag. Es war eins der beiden Beiboote der „Nombre de Dios“. Rund zwanzig Yards trennten es von der Bordwand der gefechtsbereiten Galeone. „Mastspitzen in Sicht“, hatte Llorente vor einer halben Stunde gerufen. Manuelito und Adrian waren daraufhin zu ihm in den Hauptmars des Schiffes aufgeentert –und dann hatten auch sie das Nahen der Galeone verfolgt, die sich da von Südosten her mit geblähten Segeln heranschob. Kurze Zeit später hatten sie gewußt, daß sie dieses Schiff bereits kannten. Sie hatten ihre Beute-Galeone mit dem Boot verlassen und waren in die Höhle geeilt. Jetzt standen sie an der Lafette der Culverine bereit, um dem Ankömmling den entscheidenden Schuß zu verpassen. „Die ‚Isabella'", stieß Manuelito haßerfüllt aus, während er das Feuer in dem Holzkohlenbecken hinter der Geschützlafette schürte. „Der Teufel mag wissen, wie sie so schnell hier aufkreuzen und der Seewolf uns überhaupt finden konnte.“ „Er hat einen guten Ausguck“, sagte Llorente. „Natürlich hat der die Mastspitzen unseres Schiffes erspäht,“ „Und ich habe es dir doch gesagt, Manuelito“, meinte Adrian. „Dieser Lobo del Mar ist um einige Nummern zu groß für uns.“ „Wollt ihr kneifen?“ schrie Manuelito sie an. „Ihr könnt ja abhauen, wenn ihr wollt. Ich trage diesen Kampf allein aus.“ Nein, sie wollten nicht fliehen. Erstens wollten sie die „Nombre de Dios“ als neues Schiff behalten, zweitens dachten auch sie an die gewaltigen Schätze, die im Bauch der „Isabella“ lagerten. „Warten wir“, sagte Manuelito, nachdem er über das Rohr der Kanone geblickt hatte. „Sie tasten sich an unsere Bucht
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heran, diese Hunde. Wenn sie nahe heran sind, setzen wir ihrem Kahn die Kugel unter der Wasserlinie in den Rumpf, Dann sinken sie in Minutenschnelle, und wir werden die, die sich an Land retten wollen, einzeln abknallen.“ Die Minuten verstrichen mit entnervender Langsamkeit. Immer noch zögerte Manuelito. Adrian wollte schon eingreifen und darauf drängen, den Schuß endlich abzugeben, da hatte Manuelito die „Isabella“ genau im Visier. „Jetzt“, sagte er. Llorente, der rechts stand, stieß den Luntenstock in die Glut, daß das Ende der Zündschnur Feuer fing. Er reichte den Luntenstock an Manuelito weiter. Dieser duckte sich, taxierte Abstand und Zielrichtung noch einmal, sagte dann „Feuer!“ und hielt dabei das Luntenende auf das Bodenstück der Kanone. Knisternd fraß sich die Glut durch den Zündkanal. Die Piraten sprangen beiseite. An Bord der „Isabella“ verhielt man sich noch arglos. Die Seewölfe konnten die Höhle zwar sehen, erkannten aber die Gestalten darin nicht, weil die Sonne jetzt im Westen stand und ihr Licht .nicht in das im Felsen gähnende Loch fallen ließ. Das Wummern des Geschützes, durch das Echo in der Kaverne vielfach verstärkt, zerriß die Stille über der See. Grellgelb stach der Feuerblitz aus der Höhle hervor. Hasard sah ihn vom Achterdeck der „Isabella“ aus und vernahm dann auch das Heulen der heranrasenden Kugel. „Hinlegen!“ schrie er noch. Im nächsten Moment lag alles platt auf den Planken — Ben, Shane, Ferris, Smoky, Old O'Flynn und der Rest der Crew sowie der spanische Kapitän, den der Seewolf nach der Entdeckung der Galeone in der Bucht zu sich auf Oberdeck geholt hatte. Jawohl, das war die „Nombre de Dios“, hatte de Viacava bestätigt. Und auch Manuelito, Adrian, Hilario und Llorente waren zur Stelle, wie sich jetzt herausstellte. Die Kugel bohrte sich in die Bordwand der „Isabella“. Das hörte sich an, als würde das Schiff in Stücke gerissen. Es knackte und
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krachte, barst und bebte bis in die letzten Verbände. Bill wurde fast aus dem Großmars gerissen. Arwenack und Sir John zeterten um die Wette. Die Männer fluchten, waren aber sofort wieder auf den Beinen; als es vorbei war. „Ist jemand verletzt?“ rief Hasard vom Achterdeck. „Keiner, Sir!” brüllte Carberry. Er hatte den Nerv, sich außenbords zu beugen. So sah er das Loch, das über dem Wasserspiegel in der hölzernen Haut der Galeone klaffte. „Ein Leck!“ schrie er den Männern zu. „Ein Loch, durch das ein ausgewachsener Seebär steigen kann! Hölle und Teufel, geben wir es diesen Hunden! Ich ziehe mir selbst die Haut in Streifen ab, wenn wir uns noch so ein Ding verpassen lassen!“ Hasard ließ sich auf dem Achterdeck von Ben und Ferris helfen. Sie richteten das Gestell, das der Seewolf auf dem Schanzkleid angebracht hatte. Hasard selbst zündete mittels einer glühenden Lunte den Brandsatz. Schon seit einiger Zeit hielt er ihn bereit, wie auch die Geschütze der .,Isabella“ klar zum Gefecht auf Oberdeck standen, wie auch Ferris seine Höllenflaschen bereithielt und Shane und Batuti darauf warteten, ihre Brandpfeile einzusetzen. Fauchend verließ der Brandsatz, ein Mitbringsel aus dem fernen Reich der Mitte, das Achterdeck. In der Höhle war Adrian auf Manuelito zugerückt und hatte ihn angebrüllt: „Zu hoch! Du hättest tiefer zielen sollen, du Narr! Wenn ich gefeuert hätte, wäre das nicht passiert! Du bist ein Versager, es wird Zeit, daß du aussteigst!“ Manuelito zückte blitzschnell sein Messer und fing den anstürmenden Adrian damit auf. Adrian konnte nicht mehr ausweichen. Mit einem röchelnden Laut brach er zusammen. Er wälzte sich noch neben der Lafette des leergefeuerten Geschützes, da warfen sich auch Hilario und Llorente herum und wandten sich gegen ihren ehemaligen Anführer. Manuelito zog die zwei Pistolen, die er sich vorher vorsorglich in den Hosengurt
In die Falle gelaufen
gestopft hatte. „Ihr also auch? Ihr Hurensöhne, was bildet ihr euch ein? Daß ihr mich ausbooten könnt? Ihr habt euch schwer getäuscht. Ihr ...“ Der Brandsatz tanzte auf die Höhle zu und schien sich den bequemsten Weg zu suchen, um hineinzugelangen. Chinesischer Schnee fuhr mitten zwischen die Streithähne. Er leuchtete die Höhle mit gleißendem Magnesitfeuer aus, blendete und trennte die drei Piraten. Manuelito schrie. Er glaubte, bei lebendigem Leib zu verbrennen. Er sah Hilario und Llorente stürzen und hatte plötzlich nur noch den einen Gedanken: Fort, fort, zurück zum Schiff... Torkelnd erreichte er den Ausgang der Höhle. Er wandte sich nach rechts und stolperte auf dem schmalen Pfad entlang. Sein Körper schien zu glühen, abzufackeln. Manuelito spürte seine Füße nicht mehr, er dachte, sie in der Höhle des Infernos gelassen zu haben. Rote und gelbe, grüne und violette Lichter kreisten vor seinen Augen, und von irgendwoher, aus weiter Ferne, schraubte sich ein orangefarbener Strudel heran, um ihn zu verschlingen. Zum Boot, dachte Manuelito. Der orangerote Sog war heran, als er die ersten unsicheren Schritte auf dem Pfad getan hatte. Manuelito riß die Arme hoch, schrie gellend auf und verlor das Gleichgewicht. Er kippte vornüber und stürzte von dem Felsensims in das klare Wasser der Bucht. Stumm und duldsam war die See, sie nahm auf, was ihre Gesellschaft suchte. Sie löschte das Feuer, das Manuelito um den Verstand brachte. Für immer. Hasard und seine Männer hatten das Drama mit ernsten Mienen verfolgt. Auch der Capitan Don Augusto de Viacava hatte ein Spektiv empfangen. Er ließ es jetzt allmählich sinken und sagte: „Senores, ich glaube, wir können jetzt an Bord der „Nombre de Dies` gehen. Aber vorher sind meine Männer Ihnen behilflich, das Leck auszubessern, Senor Killigrew.“
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„Nicht nötig, das schaffen wir auch allein“, sagte der Seewolf. „Wir setzen Sie und Ihre Mannschaft jetzt ab, Capitan.“ „Mein Dank ist Ihnen gewiß.“ „Er wird nicht ewig anhalten.“
In die Falle gelaufen
De Viacava nahm seinen ganzen Mut zusammen. „Sie meinen — wir könnten noch Feinde werden?“ „Offiziell sind wir es vielleicht schon.“ Sehr leise entgegnete der Spanier: „Ich werde mich davor drücken, eines Tages gegen Sie zu kämpfen — Lobo del Mar.“
ENDE