KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
D r . m e d . TH. P. K A P E L L E...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
D r . m e d . TH. P. K A P E L L E
Wunder in uns DER M E N S C H L I C H E KORPER UND SEINE ORGANE
VERLAG
SEBASTIAN
LUX
MURNAU • M Ü N C H E N • I N N S B R U C K • ÖLTEN
Wie ein großes Ziegelsteingebäude . . . Als du einmal eine Entzündung am Arm hattest, hast du dir vielleicht keine Gedanken darüber gemacht, was das eigentlich war. Plötzlich war der Arm rot, geschwollen und heiß, und es klopfte scheußlich drinnen. Du bist zum Arzt gegangen. Der hat ein bedenkliches Gesicht gemacht und gesagt: „Mit diesem Arm dürfen Sie nicht weiterarbeiten, wir müssen ihn sofort ruhigstellen. Sie haben eine Zellgewebsentzündung!" Du hast daraufhin ,,Aha!" gesagt und doch nicht so recht gewußt, was los war. Was aber ist dieses Zellgewebe, das dir damals soviel Schmerzen bereitet hat? , Wie ein großes Ziegelsteingebäude aus unzähligen Steinen errichtet ist, so besteht auch der menschliche Körper aus Bausteinen, lebenden Bausteinen, die wir Zellen nennen. Die Körperorgane, die Muskeln, die Haut, die Haare, ja, selbst die Knochen — fast alles an uns ist aus diesen Zellen zusammengesetzt. Zu Millionen neben-, über- und aneinandergereiht, bilden sie das Zellgewebe. Der Fachmann spricht vom „Muskelgewebe", „Knochengewebe", „Bindegewebe" usw. Die Zelle wird schon seit dem 17. Jahrhundert erforscht, seit der Botaniker Robert Hooke ihr den Namen gegeben hat, da er ihre Gestalt mit der Wabenzelle eines Bienenstockes verglich. Aber erst von der Mitte des vorigen Jahrhunderts an datiert die streng wissenschaftliche Arbeit auf diesem Gebiet; die Durchforschung der Zelle ist jedoch noch immer nicht abgeschlossen, zumal sie so winzig ist, daß sie dem bloßen Auge unsichtbar bleibt. Die Beschäftigung mit ihr ist deshalb so bedeutungsvoll, weil alles Leben auf Erden an die Zelle als letzte Lebenseinheit geknüpft ist. Auf 30 Billionen schätzt man die Zahl der Zellen des Menschenkörpers. Jede einzelne Zelle — gleichgültig, um welches Gewebe es sich handelt — ist ein äußerst kompliziertes Gebilde; „ g r o b " betrachtet, besteht sie aus einem ^Zellkern, weiter aus der eigentlichen Zellmasse, einem zähflüssigen Eiweißstoff — dem sogenannten Protoplasma —, und der Zellwandung. In Wirklichkeit ist das alles überaus vielfältig, verwickelt, geheimnisvoll. Die einzelnen Zellen 2
des Gewebes sind, wie die Ziegelsteine durch den Mörtel, durch eine Kittmasse aneinandergeklebt. Die Kittmasse ist nicht überall gleich; sie paßt sich, ebenso wie die Zelle selbst, den Anforderungen an, die an sie gestellt werden. So leuchtet es ein, daß z. B. das Hautgewebe stabil und undurchlässig für schädliche Stoffe sein m u ß , daß das Muskelgewebe die Fähigkeit haben soll, sich dehnen und zusammenziehen zu können. Knorpelgewebe soll elastisch, Knochengewebe hingegen starr, Bindegewebe faserig gebaut sein; das Nervengewebe schließlich hat kabelartige Enden, um Leitungsimpulse von und zur zentralen Empfindungs- und Befehlsstelle des Gehirns übermitteln zu können. Das harmonische Zusammenarbeiten all dieser verschiedenen Gewebe bei bestimmten Lebensaufgaben ist die Aufgabe der Körperorgane; von ihnen soll später die Rede sein. Aber an dem Beispiel eines Darmstückes will ich jetzt schon zeigen, wie zweckmäßig die Zusammenarbeit der Gewebe vor sich geht. Denken wir nur einmal darüber nach, was von einem solchen Stück Darmgewebe alles verlangt wirdl Die Speisen, die durch den Darm wandern, sollen in ihm verbleiben, die Darmwand darf also für sie nicht durchlässig sein. Anderseits sollen aber die lebensnotwendigen Nährstoffe, die wir in den Speisen zu uns nehmen, duiieh die Wand in das Blut übertreten. Weiterhin erwarten wir vom Darm, daß er den Verdauungssaft hergibt, damit die Speisen überhaupt verdaut, d. h. von den ausscheidungspflichtigen Resten getrennt werden. Das alles besorgt das Darm-Innenhautgewebe mit seinen Drüsen. ' Aber damit ist seine Aufgabe bei weitem nicht erschöpft. Die ausgelaugten Speisen müssen weitertransportiert werden, damit Platz für die nächste Mahlzeit geschaffen wird. Dafür ist das den Darm umgebende Muskelgewebe zuständig. Damit die verschiedenen, sich überschneidenden Tätigkeiten in sinnvoller Reihenfolge vor sich gehen, ist auch die Anwesenheit des Nervengewebes zur Befehlsübermittlung notwendig. Schließlich müssen die Eingeweide gegeneinander gleitfähig sein. Dafür sorgt das umgebende Fettgewebe. Schon dieses ganz bescheidene Beispiel der Zusammenarbeit in einem Körperorgan zeigt, wie großartig und einmalig die Konstruktion des „Wunderwerkes Körper" ist. Sie wird auch von der kompliziertesten Maschine, die Menschenhand erbaute, niemals erreicht oder gar übertroffen werden können. Die Körpergewebe besitzen noch eine weitere, ganz erstaunliche Fähigkeit, sie können sich erneuern. Diese Erneuerung geht stän3
dig vor sich. Hat man aber einmal das Pech, sich zuschneiden oder sonstwie zu verletzen, so werden die zerstörten Gewebe außer der Reihe ersetzt. Nach einer gewissen Zeit — „die Zeit heilt alle W u n d e n " — ist das verletzte Gewebe, auch wenn wir gar nichts dazu tun, im allgemeinen verheilt.
Dreißig Elemente in uns In den Geweben des menschlichen Körpers findet sich ein besonders buntes Gemisch von Grundstoffen. Von den 96 heute bekannten Elementen sind allein in unserem Körper 30 vorhanden. Sauerstoff, Kohlenstoff, Wasserstoff und Stickstoff sind die Hauptbestandteile. In kleineren Mengen finden sich: Kalzium, Phosphor, Chlor, Schwefel, Natrium, Kalium, Fluor, Magnesium, Eisen, Silizium, Mangan, Aluminium, Jod und Arsen; in Spuren sind die restlichen zwölf, darunter Kupfer, Blei und Zinn, vorhanden. Allein an Sauerstoff und Wasserstoff zusammen hat ein mittelkräftiger Mann von 78 Kilogramm Körpergewicht einen ganzen Zentner. Das liegt daran, daß der menschliche Körper zum größten Teil aus — Wasser besteht. Aus schlichtem Wasser, das sich ja aus den Elementen Sauerstoff und Wasserstoff zusammensetzt. Ohne Wasser ist kein Leben möglich; es vermittelt die chemischen und physikalischen Prozesse in der Zelle, es quillt die Eiweißkörper auf, es hilft bei der Verdauung, gibt den Geweben die Elastizität und hilft die Körperwärme regulieren. Ein durchschnittlicher Erwachsener besteht aus 64 Prozent Wasser, und selbst der Körper eines hochbetagten Menschen weist immer noch 58 Prozent Wasser auf —, das ist mehr als die Hälfte seines Körpergewichtes — mehr auch, als die menschlichen Knochen wiegen.
Ein Gerüst — hart und doch elastisch Mit dem Begriff Knochen verbindet sich meist die Vorstellung des Starren, Unlebendigen, Toten. Der Tod tritt in dem „Gewand" des Knochengerippes auf. Von dem Etikett einer Giftflasche leuchtet uns warnend ein Totenkopf mit gekreuzten Knochen entgegen. Verkehrsschilder bedienen sich an besonders gefährlichen Stellen des gleichen Symbols des Todes. Und doch sind die Knochen, die so oft als Todeswarnung dienen, ein besonders lebendiges Organsystem. Selbst wenn ein Menschenherz zu schlagen aufgehört hat, leben die Knochen noch Stunden weiter. So ist es möglich, einem Verstorbenen — er darf jedoch
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nicht länger als drei Stunden tot sein — ein Stück Knochen BU entnehmen; dieses Knochenstück kann man einem Unfallverletzten einpflanzen, und es wird ebenso gut anwachsen, wie jenes, das man einem Lebenden entnommen hat. Stellen wir uns vor, wir hätten keine Knochen, wie ein Pudding würden unsere Weichteile in sich zusammensinken. Von einer „ F i g u r " könnte beim besten Willen keine Rede mehr sein. Unser Knochengerüst hat also in erster Linie die Aufgabe, als Stützorgan den Zusammenhalt und die Form des Körpers zu gewährleisten. Außerdem gibt es wichtigem Organen den nötigen Schutz gegen die rauhe Umwelt. Der knöcherne Schädel umschließt das Gehirn als stoß- und bruchsichere Kapsel. Ohne Schädeldecke würde der geringste Stoß oder Druck auf das Gehirn das sofortige Ende bedeuten. Herz und Lungen aber sind vom knöchernen Brustkorb schirmend umgeben; ohne ihn endete jeder Boxkampf bereits zu Beginn der ersten Runde mit einem totalen K. o. Noch eine weitere Aufgabe haben die Knochen: In ihrem Innern, dem Knochenmark, befindet sich die Produktionsstätte für unseren Lebenssaft, das Blut. Aus dem Anfangskapitel geht hervor, daß auch die Knochen — wie alle anderen Organe — aus Zellgewebe bestehen, und zwar aus einem elastischen Bindegewebe. Wir kennen vielleicht jene Beißknochen aus Gummi, die als Spielzeug für Hunde hergestellt werden. Genau so elastisch sind zunächst die Knochen eines Menschen vor seiner Geburt. Die Härte und Stabilität erhält der Knochen erst durch die Einlagerung von Kalk in das Zellgewebe. Das Mischungsverhältnis Zellgewebe—Kalk wird bei gesunder Ernährung immer genau den Erfordernissen ^angepaßt sein. Fehlt es aber im Körper irgendwo außerhalb der Knochen an Kalk — das ist dann der Fall, wenn zu wenig Vitamin D aufgenommen und der Körper nicht genug frische Luft und Sonnenbestrahlung erhält —, dann greift die Natur auf den großen Kalkvorrat in den Knochen zurück und nimmt den Kalk wieder heraus. Die Knochen werden wieder biegsam, und wir haben das Krankheitsbild einer hochgradigen Rachitis, der „Englischen Krankheit", vor uns, die den daran Erkrankten äußerst entstellen kann. Zum Kummer aller Medizinstudenten besteht das Knochengerüst des Menschen aus 245 Knochen, die sie alle kennen und im Examen mit dem deutschen und lateinischen Namen benennen müssen. Der größte aus dieser Vielzahl ist der Oberschenkelknochen von etwa einem halben Meter Länge, der kleinste ist der „Steigbügel"-Kno5
chen im Mittelohr, den man kaum ohne Lupe genauer betrachten kann. Große und kleine Knochen erfüllen genau die Aufgabe, die ihnen im einzelnen gestellt ist. ' Das Gewicht aller 26 Knochen unseres Fußskeletts z. B. beträgt nur 125 Gramm, das entspricht dem Gewicht von 21/2 Brötchen. Auf diesen leichten Gebilden läuft eine Hausfrau an normalen Tagen sieben, an besonders geschäftigen Tagen etwa fünfzehn Kilometer, eine Verkäuferin in einem vielbesuchten Geschäft sogar fast zwanzig Kilometer einher. Diese Leistung wird verständlich, wenn man weiß, daß die kleinen Fußknochen eine Zugfestigkeit haben, die dem Eichenholz und eine Druckfestigkeit, die annähernd dem Schmiedeeisen entspricht. Wenn ich sage, daß diese Knochen die Zugfestigkeit des Eichenholzes und die Druckfestigkeit des Schmiedeeisens haben, so will ich auch den Grund dafür nennen; das innere Gefüge der Knochen richtet sich genau nach den äußeren Erfordernissen. Wenn ein Ingenieur eine Brücke baut, hat er zwei Möglichkeiten: Entweder er baut sie massiv, dann wird er niemanden finden, der bereit ist, für eine solche Materialverschwendung zu zahlen. Oder aber er schaut sich vorher etwa das Innere eines Knochens mit seiner „Bälkchen-Konstruktion" an und verfährt genau so, wie es ihn die Natur lehrt; er ordnet die Streben so an, daß sie innerhalb der Zug- und Druckbelastungen liegen, und läßt alles andere weg. Dann hat er das gemacht, was jeden einzelnen unserer Knochen auszeichnet: Mit geringstem Materialaufwand ist die größtmögliche Festigkeit erreicht. Besonders deutlich ist diese Streben-Konstruktion am Hüftgelenk. Die hüftgelenknahen Enden der Oberschenkelknochen sind nach innen zum Becken hin fast rechtwinklig abgebogen. Das ganze Gewicht des Oberkörpers ruht also auf den Oberschenkelknochen nicht wie auf Säulen, sondern — ähnlich wie auf den Auslegern eines Lastenkrans — auf den abgewinkelten „Hälsen" dieser Knochen. Die Knochenbälkchen, die im Inneren des Oberschenkelknochens in diese Ausleger ziehen, sind genau da angeordnet, wo die Linien der Druck- und Zugbelastungen verlaufen. Und nun kommt das Erstaunlichste: Wenn wir einmal einen Knochen brechen und dieser Knochen wächst wieder zusammen, aber schief, dann wird die so durcheinandergebrachte Bälkchenkonstruktion — nicht von heute auf morgen, aber in verhältnismäßig kurzer Zeit — den neuen Belastungen genau angepaßt. Ebenso zweckmäßig wie das innere Gefüge ist auch die äußere Form der Knochen. Es wird heute niemandem mehr einfallen, als 6
Straßenlaterne oder Oberleitungsmast der Straßenbahn einen massiven Eisenstab aufzustellen. Für solche Zwecke hat man das nahtlose Rohr. Ein solch nahtloses Rohr stellen alle langen Knochen dar; sie heißen darum auch Röhrenknochen.
Manche Tiere haben es leichter . . . Das wichtigste Knochensystem, das unsere aufrechte Haltung ermöglicht und die Schutzhülle für das empfindliche Rückenmark und die Hauptnervenkabel darstellt, ist die Wirbelsäule. Aus zwei Dutzend Einzelknochen mit dazwischengelagerten Pufferscheiben aus Knorpel ist sie aufgebaut und erfüllt zwei Forderungen: Stütze zu sein und dennoch Beweglichkeit zu besitzen. ' Die typische S-Form der Wirbelsäule bildet sich in der Zeit, in der das Baby das schwere Kunststück erlernt, aufrecht zu gehen. Neben den Vögeln sind wir Menschen ja die einzigen Lebewesen, die ausschließlich auf nur zwei Beinen stehen und herumlaufen können. Um diese Kunst zu erlernen, braucht das so gelehrige kleine Menschenkind viele Monate vorbereitender und direkter Übungen. Unzählige Male fällt das Kleine hin, bis es sich aufrecht halten kann. Wenn es dann soweit ist, heißt es: „Halt dich gerade!" Diese wohlgemeinte Mahnung ist, meine ich, die meist ausgesprochene auf der ganzen Welt. Die rechte Haltung ist jene aufrechte Oberkörperstellung — im Stehen oder Sitzen — die ohne Verkrampfung der Lage den Aufgaben unserer Innenorgane die besten Möglichkeiten bietet. Diese Haltung ist niemandem von seihst gegeben. Man muß fortgesetzt etwas dafür tun. Und zwar sind es vorzugsweise die Gesäßmuskeln und die langen Rückenstrecker, die immerwährend arbeiten müssen, solange wir uns aufrecht und gerade halten. Das schaffen diese Muskeln nicht pausenlos, darum verändern wir immer wieder unsere Stellung: Beim langen Stehen treten wir von einem Fuß auf den anderen, stützen uns mit den Händen ab oder lehnen uns an. Auch beim Sitzen lassen wir uns einmal gegen die Rückenlehne sinken, dann stützen wir uns auf die Armlehnen. Manche Tiere haben es darin besser: Ein Pferd z. B. schläft stehend die ganze Nacht, ein Vogel fällt im Schlaf nicht von seinem Ast, obwohl beide dafür keinerlei Muskelarbeit zu leisten brauchen. Sie klinken einfach einen sehnigen Haltemechanismus ein, und schon stehen bzw. sitzen sie fest, ohne auch nur einen Muskel zu rühren. So etwas gibt es beim Menschen nicht. Er m u ß immer wieder an sich arbeiten.
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Die Natur als Erfinder Die beweglichsten Stellen unseres Knochengerüstes sind die Gelenke. Jeder, der von der Technik etwas versteht, wird bemerken, daß die Natur schon seit Jahrmillionen alle die Kniffe anwendet, mit denen wir heute die beweglichen Teile unserer Geräte und Maschinen ausstatten. Da gibt es Scharnier-, Zapfen-, Rad-, Sattel- und Kugelgelenke, um nur die wichtigsten aufzuzählen, und außerdem noch die verschiedensten Kombinationen. Die Schleifstellen aller Gelenke sind mit elastischem Knorpel überzogen. Manchmal sind noch Knorpelscheiben dazwischen geschaltet. Beim Kniegelenk ist es der „Meniskus", von dem mindestens die Sportler bei den Lesern gehört haben. Bei gewissen ruckhaften Drehbewegungen im Kniegelenk, wie sie z. B. beim Skilaufen vorkommen, kann ein Stückchen dieses Meniskus abreißen und sich verklemmen. Das tut so gemein weh, daß ich dem Betroffenen gar nicht zu raten brauche, in einem solchen Falle den Arzt aufzusuchen. Das wird er ganz von selbst tunl Jedes Gelenk ist von einer bindegewebigen Gelenkkapsel umgeben, damit die Gelenkschmiere, die von ihr produziert wird, nicht herausläuft. Dank dieser Schmiere und auf Grund der Präzisionsbauweise arbeitet das gesunde Gelenk reibungslos. Jede Maschine kann sich schon einmal heißlaufen. Aber wir haben noch nie etwas von einem Körpergelenk gehört, das sich — selbst nach einem Gewaltmarsch — heißgelaufen hätte. Wie Gummigriffe die Lenkstangen das Fahrrades umschließen, so ist auch jeder Knochen in einer elastisch-häutigen Hülle rundum verpackt. Diese Hülle nennt man die Knochenhaut. Hier wird neues Knochengewebe fabriziert. Darum ist diese Knochenhaut reichlich mit Blutadern und Nerven versorgt. Diese Tatsache hat jeder schon einmal in unangenehmer Weise an sich verspürt, wenn er sich z. B. an das Schienbein gestoßen hat. An dieser Stelle liegt die Knochenhaut nämlich völlig ohne Polsterschutz unmittelbar unter der Körperhaut. Auch bei einer Brustkorbprellung ist es die schmerzende Haut der Rippen, die uns für zwei bis drei Wochen vermuten läßt, wir hätten uns einen Rippenbruch zugezogen. Wir haben also festgestellt: Die Knochen sind kein „totes Gebein". Unsere Knochen leben. Aber sie bilden immerhin nur das Gerüst. Unser Körper birgt noch viele andere Geheimnisse, ,die darauf warten, von uns entdeckt zu w e r d e n . . . ' 8
1. Zelle als Baustein der Organe und Körperstoffe: a) Zelleib, b) Zellkern, c) Zentralkörper; 2. Blutgefäße: a) bei Krampfadern, b) bei Verkalkung, c) beim gesunden Menschen; 3. Vene (Blutader) mit Rückstauklappen (Venenklappen); 4. Arterie (pulsierende Schlagader); 5. Haargefäßnetz, Übergangsstelle von den Arterien zu den Venen
Der Muskelmensdi Der stärkste Knochen und das raffinierteste Gelenk hätten keinen Sinn, wenn wir sie nicht bewegen könnten. Der menschliche Körper braucht einen Motor, ein Organ, das in der Lage ist, Kraft in Bewegung umzusetzen. Ein solches Organ ist die Muskulatur. Wie schaffen es die Muskeln, den Körper zu bewegen? Wir erinnern uns, daß das Muskelgewebe aus einzelnen Zellen besteht, eben den Muskelzellen. Diese Zellen sind durch zwei Eigenschaften ausgezeichnet. Sie sind dehnbar und haben die Fähigkeit, sich wieder zusammenziehen zu können. Wenn wir einen Stahldraht mit dem Querschnitt von einem Quadratmillimeter nur um den hundertsten Teil seiner Länge dehnen wollen, so müssen wir ein Gewicht von 190 Kilogramm, also von fast vier Zentnern, daranhängen. Bei einer Muskelfaser vom gleichen Querschnitt genügen bereits drei bis fünf Gramm, um dasselbe zu erreichen. Die Muskelfaser ist fähig, sich bis zur Hälfte ihrer Ruhestellungslängc zusammenzuziehen. Viele Muskelzellen bilden eine Muskelfaser. Viele Muskelfasern schließlich ergeben einen Muskel. Wenn sich nun die unzählig vielen Muskelfasern gleichzeitig auf die Hälfte ihrer ursprünglichen Länge verkürzen, so tut der Muskel einen ganz schönen Ruck und ist daher in der Lage, ein gutes Stück Arbeit zu leisten. Je nachdem, wie ein Muskel an einem Gelenk angesetzt ist, kann er das entsprechende Körperglied beugen oder strecken, einwärts oder auswärts rollen, heben oder senken. Die Anordnung verschiedener Muskelgruppen, die teils mit-, teils gegeneinander arbeiten, vermag an ein und demselben Gelenk nun erst recht die verschiedensten Bewegungen gleichzeitig oder nacheinander auszuführen. Man unterscheidet zwei verschiedene Arten von Muskeln: die „quergestreiften" und die „glatten". Die quergestreiften sehen aus, als ob man den Fasern Ringelsöckchen übergezogen hätte. Das kann man allerdings nicht mit bloßem Auge, sondern nur bei starker Vergrößerung unter dem Mikroskop sehen. Diese quergestreiften Muskeln bilden den weitaus größten Teil unserer Körpermuskulatur; alle Skelettmuskeln, deren Betätigung unserem Willen unterliegt, gehören dazu. Wir wollen z. B. den Arm beugen; schon tun wir es. Wir wollen uns vom Stuhl erheben; schon sind wir aufgestanden. Wir wollen weitergehen; schon sind die Beine in Bewegung. Die glatte Muskulatur hingegen unterliegt nicht unserem Willen. Sie betätigt die automatischen Organe: unseren Darm z. B. 10
oder die Blutadern. Wir mögen noch so sehr wollen, es wird uns nicht gelingen, den Darm schneller oder langsamer zu bewegen, eine Blutader sich zusammenziehen oder ausdehnen zu lassen. Das geschieht ganz von selbst, wie es die körperlichen Gegebenheiten jeweils erfordern. Während die quergestreiften Muskeln rasche Bewegungen ausführen können, ist die Tätigkeit der glatten Muskulatur träge; man nennt sie auch „wurmartig". Die Bewegung des Darmes sieht genau so aus wie die eines Regenwurmes.
* Was schätzt du, schleppt ein normaler Mann so an Muskulatur mit sich herum? Ich will es dir sagen: Im Mittel ist es ein halber Zentner! Ein Koloß unter den Schwerathleten kann es auf sage und schreibe zwei Zentner Muskulatur bringen! Die Muskeln sind ja nichts anderes als unser Fleisch. Wie jedes andere Körpergewebe auch, richtet sich die Ausbildung und Entwicklung der Muskeln ganz nach ihrer Beanspruchung. Der genannte Kraftmensch z. B. kann bei scharfem Training seine Muskelmenge etwa vervierfachen. Ein Leichtathlet dagegen vermehrt nicht die Muskelmasse, sondern die Leistungsfähigkeit seiner Muskeln. Sie werden härter. Er bleibt schlank, aber drahtig. Wenn die Muskeln gar nicht üben, etwa bei einer Krankheit, die uns wochenlang ans Bett fesselt, dann kommt es zum Muskelschwund. Daran liegt es, daß man nach einer längeren Bettlägerigkeit erst einmal wieder Stehen und Gehen lernen muß. Ebenso wie der angehende Kraftfahrer erst einmal das Gefühl für das Wechselspiel des Gasgebens und Bremsens bekommen muß, so muß der kleine Mensch es üben, die „Mitspieler" und die „Gegenspieler" unter den Muskeln wechselweise zu betätigen. Nehmen wir als Beispiel einmal einen unserer beiden Arme: Wir können den Arm beugen; das besorgt einer unserer bekanntesten Muskeln, der „Bizeps", der „Zweiköpfige". Es ist der Muskel, mit dessen Umfang und Härte man so gern angibt und den man wie eine Maus auf dem Oberarm springen lassen kann. Anderseits können wir unseren Arm aber auch wieder strecken. Das besorgt eine andere Muskelgruppe. Wir müssen also jeweils bei einer Beuge- oder Streckbewegung den Mitspieler-Muskel in Betrieb setzen, den Gegenspieler aber ausschalten. Das muß alles erst einmal geübt werden, bis es dann später spielend klappt. Wir können aber auch die Beuge- und Streckmuskeln gleichzeitig betätigen, dann wird — um bei unserem Beispiel Arm zu 11
bleiben — dieses sonst so bewegliche Körperglied zu einem starken, kaum zu biegenden Stab. Es ist erstaunlich, zu welchen Kraftleistungen die Muskeln fähig sind. Wir haben im Variete oder im Zirkus „Zahnartisten"' gesehen. An dem Gebiß des Obermannes hängen ein oder sogar mehrere andere Artisten und vollführen dabei ihre Kunststücke. „Solche Zähne möchte ich haben!" hat sich schon mancher gewünscht. Dabei sind es gar nicht, oder nur zum geringen Teil, die Zähne, die diese Leistungen ermöglichen. Es ist die lächerlich kleine Kaumuskulatur, die eine Spannkraft bis zu acht Zentnern aufbringen kann. Acht Zentner, das ist das Gewicht eines kleinen Kraftwagens! Darum dürfen wir niemals einem Bewußtlosen, einem Ertrunkenen oder einem Epileptiker (während eines Anfalles z. B.) mit dem Finger in den Mund greifen, um etwas zu entfernen oder ihm — damit er freier atmen kann — die Zunge herabdrücken, ohne ihm vorher ein Stück Holz in die Zähne zu klemmen. Der Finger könnte glatt durchgebissen werden. Denken wir dabei immer an die achtzentrige Spannkraft der Kaumuskulatur!
Nahrung für die Muskeln Wenn ein Muskel in Tätigkeit ist, so ziehen sich die Muskelfasern in der Sekunde etwa zehn- bis dreißigmal zusammen. Das ist eine recht anstrengende Arbeit. Dafür braucht er, wie jeder, der ordentlich zupacken muß, seine ausreichende Ernährung. Er bekommt sie auch, und zwar holt er sie sich aus dem Blut. Es ist im wesentlichen Sauerstoff und „Glukose", eine bestimmte Form des Zuckers. Geschickt und rationell, wie die Natur nun einmal ist, hat sie es so eingerichtet, daß die Muskelarbeit gleichzeitig die Wirkung einer Saugpumpe hat und so selbst für den genügenden Nachschub an Blut sorgt. Auf diese Weise wird dem Muskel während seiner Arbeit fünf- bis zehnmal mehr Blut zugeführt als während seiner Ruhepausen. Nach getaner Arbeit ist aus dem Sauerstoff und der Glukose Kohlenstoff und Milchsäure geworden. Diese Schlacken im Muskel, auch „Ermüdungsstoffe" genannt, wollen wieder teils umgebaut, teils abtransportiert werden. Dafür benötigt der Muskel eine Ruhepause. Er ist müde. Wenn wir trotzdem weiterarbeiten — wir können das, weil immer noch stille Reserven vorhanden sind —, dann kommt es zu dem bekannten „Muskelkater", jenem rheumaähnlichen Gefühl, das ein Zeichen der Überanstrengung ist. 12
Die besten Methoden, den Muskelkater möglichst schnell loszuwerden, sind die Massage oder die Überwärmung, weil dadurch eine verstärkte Durchblutung herbeigeführt wird. Die bessere Durchblutung wiederum bewirkt einen beschleunigten Abtransport der Ermüdungsstoffe. Jeder arbeitende Muskel ist in Spannung. Darum ist seine notwendige Erholung die Entspannung. Spannung ist Verkrampfung, Entspannung Lösung der Verkrampfung. Entspannung kann und soll man üben. Lege dich einmal flach auf den Rücken! Du glaubst dich entspannt. Weit gefehlt; die Nackenmuskulatur ist ja noch angespannt! Laß sie locker, der Kopf sinkt seitlich ab. Du hast die Lippen zusammengepreßt; laß den Unterkiefer fallen! Die Arme sind angewinkelt, die Hand zur Faust geballt. Entspanne sie! Die Füße zeigen nach aufwärts. Laß sie seitlich umkippen I Schließe die Augen, presse sie aber nicht krampfhaft zusammen, sondern laß sie ganz leicht zufallen! Diese Übung darf man nur ganz zwanglos vornehmen, nicht unbedingt „wollen", denn festes Wollen bringt wieder nur erneute Spannung, erneute Verkrampfung. Unsere jeweilige Stimmung hat einen bedeutenden Einfluß auf den Spannungszustand, den „Tonus", deir Muskeln. Schau dir einen Menschen an, der soeben eine große Enttäuschung erlitten hat; seine Muskeln erschlaffen, er „sackt in sich zusammen"! Das Gegenteil: Jemand ist in freudiger Stimmung oder er hat gerade einen schönen Erfolg gehabt; seine Muskeln straffen sich, er „wirft sich in die Brust"! Der Spiegel unserer Stimmungslage ist das Gesicht. Was können die Muskeln unseres Antlitzes nicht alles ausdrücken: Frohsinn und Niedergeschlagenheit, Freude und Schmerz, Hoffnung und Verzweiflung, Hingebung und Mißtrauen, Liebe und Haß. Ein Kind gibt sich keine Mühe, seine Gefühle zu verbergen, seine Miene drückt unverhüllt aus, was es denkt und fühlt. Der Erwachsene lernt sich mehr und mehr beherrschen, seine wahren Empfindungen zu verbergen, „gute Miene zum bösen Spiel" zu machen. Aber dennoch wird der erfahrene Menschenkenner aus einem kleinen Muskelzucken des Mundwinkels, aus einem flüchtigen Stirnrunzeln mancherlei erkennen können . . .
Muskeln heizen auf .. , Hast du dir schon einmal Gedanken über die eigenartige Tatsache gemacht, daß die Körpertemperatur aller Menschen, gleich, unter welch äußeren Bedingungen sie leben, immer die gleicheist? 13
Ob man beim Eskimo in den Eiswüsten Grönlands nachmißt oder bei einem Bewohner Zentralafrikas, auf den tagtäglich eine glühende Tropensonne herniederbrennt, du wirst immer wieder — sofern es sich um einen gesunden Menschen handelt — dieselbe Körpertemperatur von knapp 37 Grad vorfinden. Da die Durchschnittstemperaturen der uns umgebenden Luft auf der Erde weit unter 37 Grad liegen, benötigt der Körper zur Erhaltung einer gleichmäßigen Innenwärme eines Wärmespenders. Die Tätigkeit dieser „Zentralheizung" übt unsere Muskulatur aus. Wenn sie arbeitet, entsteht Wärme. Diese Wärme benutzt der Körper, um die für alle Lebensvorgänge notwendige gleiche Innentemperatur aufrechtzuerhalten. Das merkt man ganz deutlich bei sich selbst: Wenn es sehr heiß ist, schränkt man seine Bewegungen möglichst ein, wenn es dagegen Stein und Bein friert, macht man sich Bewegung, um die Zentralheizung der Muskeln in Gang zu bringen. Wenn man schläft, ruht die Muskeltätigkeit; prompt sinkt, wenn auch nur um Zehntelgrade, die Körperwärme. Wenn man aber kräftig gegessen hat, die Verdauungsmuskeln des Darmes also emsig arbeiten, wird es einem mollig warm. Die Wärmebildung ist neben der reinen Motor-Funktion nicht die einzige Aufgabe der Muskulatur. Sie ist noch für etwas anderes verantwortlich, sie stellt sozusagen unseren „sechsten Sinn" dar. Neben den bekannten fünf Sinnesorganen — Geschmack, Geruch, Gefühl, Gesicht, Gehör — besitzen wir noch den Muskelsinn. Dieser Muskelsinn ermöglicht unser Raumgefühl. Ob man sich in einem völlig dunklen Raum bewegt oder sich als guter Schwimmer unter Wasser tummelt — jederzeit sind wir in der Lage festzustellen: Meine Körperstellung im Raum oder im Wasser ist gerade oder schräg, ich bewege mich vorwärts oder zurück, auf oder ab, ich drehe mich links oder rechts herum. Das ist gar nicht so selbstverständlich, wie wir es im allgemeinen annehmen, denn im dunklen Zimmer oder unter der Wasseroberfläche fehlt uns doch jeder Anhaltspunkt. Wir fühlen unsere augenblickliche Lage ganz aus uns selbst heraus. Das besorgt eben unser Muskelsinn. In allen Muskeln sind empfindliche Nervenenden untergebracht, die laufend unser Gehirn unterrichten, welche Bewegungen die Muskeln machen. Das Gehirn seinerseits baut sich aus all diesen Einzelmeldungen das Gesamtbild der Lage auf. Bis jetzt haben wir die Entwicklung des Menschen, den Aufbau seines Knochengerüstes und seinen „Bewegungsapparat", die Muskeln, kennengelernt. Schauen wir jetzt in das Innere des Körpers!
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Die „Verdauungs-AG" Wer hat diese Aufforderung des Arztes noch nicht gehört: „öffnen Sie den Mund und sagen Sie a h l " Der Mund ist die Pforte zu dem Organ, das dem obersten der menschlichen Triebe, dem der Selbsterhaltung, dient. Dieses Organ ist der Verdauungsweg. Der Verdauungsweg ist vergleichbar mit einer chemischen Fabrik, in deren raffiniert ausgeklügeltem Arbeitsprozeß das Ausgangsmaterial in seine Bestandteile zerlegt und diese Bestandteile für ihren jeweiligen Verwendungszweck hergerichtet werden, bis zum Schluß die völlig ausgelaugten und unbrauchbaren Reste abgegeben werden können. Ebenso wie die Fabrik eine solche Aufgabe nur in mehreren Arbeitsgängen schaffen kann, arbeitet auch das „Chemische W e r k " unseres Verdauungsweges in verschiedenen Stufen. Die grobe Zerkleinerung des Materials „Nährstoffe" erfolgt im Mahlwerk der Zähne. Wir erinnern uns, daß dieses Mahlwerk mit einer Spannkraft von acht Zentnern arbeitet. Gleichzeitig liefert der erste „Zulieferant", das System der Speicheldrüsen, den Saft für die chemische Zersetzung eines Teiles der Nahrungsmittel. Durch die Speiseröhre rutscht der nunmehr gleitfähige Brei in den Sammelbottich Magen, wo durch Knetbewegungen und ein Säurebad ein weiterer Teil des Nährbreies aufgeschlossen wird. Weiter geht es auf das „Fließband" des Dünndarms. Gleich zu Beginn dieses Arbeitsganges wird das Produkt des Zulieferanten Nr. 2, der Leber, hinzugefügt: der Gallensaft; kurz hinterher das des Zulieferanten Nr. 3, der Bauchspeicheldrüse. Diese beiden erledigen den Rest. Nun ist das Ausgangsprodukt schon so weit bearbeitet, wie der Abnehmer, der Körper, es braucht. Der weitere Verlauf des Dünndarmes ist als Expedition eingerichtet: Er versendet die Nährstoffe durch Rohrpost, auf dem Weg der Blutadern, an die Empfänger, die Körperorgane. Schließlich werden in der letzten Station, dem Dickdarm, den Resten das Letzte an Brauchbarem und die Flüssigkeit entzogen, so daß nur noch der Müll zur Abgabe bleibt. Neben den großartigen maschinellen und chemischen Anlagen ist die Verdauungs-A. G. wohl das Unternehmen, welches weitaus mehr Angestellte, nämlich die Fäulnisbakterien, aufweisen kann, als alle Werke der Welt zusammengenommen Arbeiter beschäftigen. Von diesen einzelnen Stationen, die, jede für sich, für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden von äußerst großer Bedeutung sind, wollen wir uns einige einmal etwas näher betrachten. 15
„Herr Ober, bitte ein Schweinekotelett mit Salzkartoffeln und jungen Bohnen!" Bald ist das Essen serviert. Wir schneiden ein Stück Fleisch. Bevor wir den Bissen eingeführt haben, ist uns schon „das Wasser im Mund zusammengelaufen"! Die Speicheldrüsen beginnen ihre Arbeit. Noch eine Gabel Gemüse dazu und ein Stückchen Kartoffel. Wir beginnen zu kauen. Unterschätzen wir das Kauen nicht! Es ist von großer Wichtigkeit! Einmal werden die Speisen durch die Zerkleinerung viel besser von den Verdauungssäften erreicht, zum zweiten werden sie kräftig mit Speichel untermischt. Er ist der erste Verdauungssaft, mit dem das Essen in Berührung kommt. Seine Aufgabe ist es, den Stärkeanteil der Mahlzeit, in unserem Fall die Kartoffelstärke, zu bearbeiten. So, nun haben wir den Bissen genügend gekaut. Wir haben uns damit noch einen weiteren Gefallen erwiesen, denn hierdurch erst haben wir den rechten Geschmack des guten Mahles gehabt. Nun schlucken wir den Brei herunter. So, das klappt vorzüglich, weil wir den Bissen genügend eingespeichelt haben. Rutsch, schon hat er den Mageneingang passiert. Hier im Magen kommt unser Bissen ins Säurebad. Und zwar ist es im wesentlichen die Salzsäure, die sich auf die eiweißhaltigen Stoffe, auf den Fleischanteil unseres Koteletts und das pflanzliche Eiweiß der jungen Bohnen stürzt. Außerdem wird der Speisebrei durch die wellenförmigen Bewegungen des Magens wiederum geknetet. Nach einem kurzen Aufenthalt von wenigen Minuten wird er schubweise vom Pförtner, dem Schließmuskel am Magenausgang, in den Anfang des Dünndarms, den Zwölffingerdarm, eingelassen. Hier fließt die Galle in den Darm, die in der Leber produziert und in der Gallenblase gespeichert wird. Die Gallenblase gibt den Gallensaft nur auf Abruf ab, wenn etwas Fettiges zu verdauen ist; denn für die Fettverdauung ist die Galle da. Gleichzeitig tritt auch der Saft der Bauchspeicheldrüse in den Dünndarm ein. Er ist in der Lage, die drei Hauptnahrungsmittel, Stärke, Eiweiß und Fett, nochmals anzugreifen. Im Dünndarm stürzen sich ganze Legionen von Fäulnisbakterien auf die Speise und verwandeln sie schnell, in eine übelriechende Masse. Sage nicht zu voreilig „ P f u i " ; denn ohne diese Bakterien könnten wir gar nicht leben, weil wir die Speisen picht richtig verdauen würden. Man hat den Darm von Versuchstieren bakterienfrei gemacht und festgestellt, daß sie so — trotz ihres nunmehr untadelig riechenden Inneren — nicht recht gedeihen. Inzwischen ist also unsere Mahlzeit durch mechanische, chemische und bakterielle Einwirkungen in die Bestandteile zerlegt, 16
An d«T Verdauung sind beteiligt bzw. zum Verdauungskanal gehören: Speicheldrüsen (Unterzungen- und Unterkielerdrüsen 1, Ohrspeicheldrüse 8): Speiseröhre (9); Magen (10); Zwölltlngerdarm (4) mit Ausgang der Galle und Bauchspeicheldrüse (11); Leber (2); Gallenblase (3); Dünndarm (13); aufsteigender (5), absteigender Dickdarm (12); Blinddarm (6, 7); Mastdarm (14)
welche die Betriebsstoffe für die Körperorgane darstellen. Während der Speisebrei, durch die regenwurmartigen Bewegungen des Darmes angetrieben, die fünf Meter langen Dünndarmschlingen passiert, treten diese Betriebsstoffe durch die Darmwaind und gelangen auf dem Blutweg dorthin, wo sie gebraucht werden. Die unbrauchbaren Reste unserer Mahlzeit sind die Wände der Stärkekammern der Kartoffel, die bindegewebsfaserigen Anteile des Fleisches und das Zellulose-Gerüst der Bohnen. Diese Reste, vermengt mit Wasser und einer Unzahl von Fäulnisbakterien, treten jetzt aus dem Dünndarm in den Dickdarm über. Dieser, eine Art Reste-Verwertungsstelle, entzieht dem Darminhalt nochmals Flüssigkeit und scheidet alles Nichtverwertbare aus. So schnell, wie wir das gelesen haben, geht die Geschichte natürlich nicht vor sich. Der Weg durch die Eingeweide, den jede Speise und jeder Trank zu nehmen hat, ist immerhin etwa sieben Meter lang, und es gibt viele Unterwegsstationen.
Der Körper-Ofen Der letzte Atemzug zieht den Schlußstrich unter unser Leben, das mit dem ersten Atemzug begonnen hat. Atmen heißt leben. Wir atmen, um den Sauerstoff der Luft in uns hineinzusaugen, ohne den die Organe des Körpers nicht bestehen könnten. Du atmest, ich atme, Milliarden von Menschen und eine unübersehbare Zahl von Tieren atmen beständig auf unserer Erde- Sie alle brauchen Sauerstoff. Wie kommt es, daß immer noch genug da ist, daß er nicht alle wird? Wie alles in der Natur, ist auch dies ein wunderbar ausgewogenes Geben und Nehmen. Zur gleichen Zeit, in der Mensch und Tier Sauerstoff benötigen, ihn einatmen, wird Kohlenstoff, genauer gesagt Kohlendioxyd, von ihnen abgegeben, ausgeatmet. Diesen Kohlenstoff atmen die Pflanzen der Erde ein, denn den Stoffwechsel der Pflanzen kann man getrost ebenfalls als Atmung bezeichnen. Dabei geben sie wieder Sauerstoff ab — genausoviel, wie von Mensch und Tier gebraucht wird. Keine Sorge also, wir und noch viele Tausende von kommenden Generationen werden genug Luft zum Atmen haben! Die Schöpfung hat weise vorgesorgt, damit der lebenserhaltende Sauerstoff nicht knapp w e r d e . . .
* Atmung und Blutkreislauf bilden im Körpergeschehen eine wundersame Einheit. Ihr beider Wirken ist so eng verzahnt, daß man sie nur gemeinsam betrachten kann. 18
\v ir haben die Verdauungsorgane mit einem chemischen Werk verglichen. Für die Atmungs- und Kreislauforgane bietet sich ein anderer Vergleich an. Und zwar der mit einem Ofen. Nicht mit einer Zentralheizung und auch nicht mit einem modernen ElektroStrahler, sondern mit einem schlichten alten Ofen, der mit Holz oder mit Kohlen gefüttert werden will. Was erwarten wir von unserem Ofen? Wenn wir ihn in unserem Zimmer stehen haben, soll er uns Wärme liefern. Wenn wir die Feuerung unter einem Dampfkessel anordnen, wie etwa bei einer Lokomotive, wollen wir damit Energie, Bewegungsenergie, erzeugen. Im Prinzip — wenn auch nicht so stürmisch mit Flammen und Rauch — arbeitet genauso unser Körperofen: Er erzeugt Wärme und Energie. Wenn wir unseren Ofen in Gang bringen wollen, so brauchen wir zuallererst Brennmaterial. Dieses Brennmaterial haben wir in Form unserer Ernährung bereits eingefahren. Unser Ofen soll auch ziehen. Also: Luftklappe aufl Wir atmen kräftig ein. Der Körper-Ofen zieht! Nun brennt der Ofen. Dabei wird der Sauerstoff der Luft verbraucht, und es entsteht Kohlendioxyd. Genauso bei uns im Körper! Beim Ofen lassen wir es durch den Kamin entweichen, bei unserem Körper atmen wir es aus. Da wir im Körper auch Eiweißstoffe verbrennen, kommt es auch zur Bildung des giftigen Ammoniaks. Es wird schnell in den ungiftigen Harnstoff und die ebenfalls unschädliche Harnsäure umgebaut und durch die Nieren ausgeschieden. Und die Rückstände, die Schlacken? Unseren Ofen müssen wir von Zeit zu Zeit entschlacken, damit er wieder gut brennt. Auch das besorgt der Körper, aber schon vorher, denn er trennt schon im Dairm die reinen Brennstoffe von den Rückständen. Die reinen Brennstoffe führt er dem Körper-Ofen zu, die unbrennbaren Rückstände werden durch den Darm ausgeschieden. Der KörperOfen kann also gar nicht verschlacken. Ebenso wie unser Verdauungsorgan eine kurvenreiche Straße darstellt, geht auch unsere Atmung um mehrere Ecken. Das hat seinen guten Grund: Wir saugen die Luft — wenn wir richtig atmen — durch die Nase ein. Hier wird sie durch eine komplizierte Innenarchitektur von gewundenen Gängen geschleust, damit sie richtig vorgewärmt und angefeuchtet ist. Jetzt erst gelangt sie in den Rachen und weiter durch den Kehlkopf in die Luftröhre. Von hier aus dringt sie in die Bronchien ein, die sich in immer klei19
nere Äste innerhalb der Lunge verzweigen. Durch dieses fein verästelte System kommt sie gleichzeitig in allen Partien der Lunge an. Die Lunge selbst ist wieder raffiniert gebaut. Sie besteht aus Millionen von kleinen, zarthäutigen Bläschen, die von kleinsten Blutäderchen, sogenannten Haargefäßen, umsponnen sind. Durch diese Konstruktion ist die Oberfläche der Lunge ungeheuer vergrößert. Die Oberflächenvergrößerung ist deswegen so wichtig, weil der übertritt des Sauerstoffes der Luft um so schneller vor sich gehen kann, je größer die Berührungsfläche der Luft mit den feinsten Blutäderchen ist. Wenn sich jemand die Mühe machen wollte, alle diese blutaderumsponnenen Lungenbläschen ganz auseinanderzufalten und nebeneinanderzulegen, so könnte er damit den Boden eines Tanzsaales von der Größe neun mal zehn Meter bedecken. Weil auf dieser großen Fläche der Austausch sehr schnell erfolgen kann, können wir durch unsere Atmung — wir atmen im Durchschnitt sechzehnmal in der Minute — dem Blut die benötigten großen Sauerstoffmengen zuführen, anderseits eine ähnlich große Menge Kohlendioxyd wieder aus dem Blut herausholen und ausatmen. Die Tätigkeit der Lungen kann man sich am ehesten verdeutlichen, wenn man sie mit einem Blasebalg vergleicht, dessen Inneres mit Schwamm angefüllt ist. Dabei stellt die Luftröhre die Öffnung des Blasebalgs dar, durch die die Luft ein- und austritt. Der eigentliche Balg wird durch den Brustkorb, die Rippen also und die sie verbindende Muskulatur, und die große Muskelplatte des Zwerchfells gebildet.
„Ein ganz besonderer Saft" Wir wissen nun, daß Blut, während es die Lungenbläschen umspült, den Sauerstoff der Luft aufnimmt. Wie macht es das? Das Blut ist keine einfache Flüssigkeit, etwa wie rote Tinte, sondern man nennt es mit Recht „einen ganz besonderen Saft". Die Wissenschaftler haben ganze Bände mit seiner Beschreibung gefüllt. Uns interessieren hier nur seine drei Hauptbestandteile. Wer einmal dabei war, wenn ein Schwein geschlachtet wurde, hat sicherlich gesehen, daß sich das Blut, das in einem Eimer aufgefangen wird, sehr bald in zwei sichtlich verschiedene Flüssigkeiten getrennt hat. Am Boden des Eimers setzt sich ein dicker, dunkelroter Brei ab, und darüber eine gelblichtrübe Flüssigkeit. Diese Flüssigkeit, das „Blutwasser" — es besteht zu neun Zehn20
tel aus Wasser —, ist nur das Lösungsmittel für die drei 'Blutbestandteile. Da sind zuerst einmal die roten Blutkörperchen, kleine runde Plättchen, von denen man 1250 Stück nebeneinander legen muß, damit diese Plättchenkette einen Millimeter lang wird. Diese roten Blutkörperchen bestehen zu vier Fünftel aus dem Blutfarbstoff, dem Hämoglobin. Dieses Hämoglobin ist der wichtigste Blutbestandteil, denn einerseits ist es so gierig auf den Sauerstoff, daß es ihn schnell aus der Luft aufnimmt, anderseits ihn aber auch ebenso bereitwillig wieder abgibt, wenn es zu den Organen gelangt, die den Sauerstoff gebrauchen. Das Hämoglobin der roten Blutkörperchen ist also der Träger, das Transportmittel für den Sauerstoffaustausch des Körpers. Weiter besteht der Blutkuchen am Grunde des Eimers noch aus den weißen Blutkörperchen. Man hat sie auch Polizisten des Körpers genannt, weil sie überall dort eingesetzt werden, wo ein Unruheherd, eine Entzündung, zu finden ist. Die Rötung der Haut, die bei jeder Entzündung auftritt, stellt nichts anderes als eine verstärkte Durchblutung dar, damit möglichst viele Polizisten dorthin geschickt werden, wo der Körper ihrer bedarf. Wenn die Entzündung weiter fortschreitet, bildet sich Eiter. Dieser Eiter ist eine Ansammlung ungeheurer Mengen von weißen Blutkörperchen. Der dritte Bestandteil sind die Blutplättchen. Sie haben die Aufgabe, das Blut zum Gerinnen zu bringen, wenn es einmal seine vorgeschriebene Bahn verlassen sollte, wie das bei Verletzungen der Fall ist. Stellen wir uns vor, dem Blut fehlte die Gerinnungsfähigkeit — bei der geringsten Verletzung würde der Körper ausbluten, wie die Milch aus einem Topf herausläuft, in dessen Boden ein Loch ist. Das ist glücklicherweise nur in ganz seltenen Fällen so, und zwar bei den „Blutern". Normalerweise gerinnt bei Verletzungen das Blut und bildet eine Kruste, eben den Verschluß, der ein weiteres Ausbluten verhindert.
* Den Weg, den das Blut durch den Körper nimmt, nennt man Kreislauf. Kreislauf ist heute zu einem Schlagwort geworden. Jeder gebraucht es, aber viele haben keine rechte oder eine ganz abwegige Vorstellung von dem, was man mit Kreislauf bezeichnet. Dabei ist die Sache gar nicht so schwierig. Man kann den Blutkreislauf am besten mit einer 8 vergleichen. Die kleine obere Schleife der 8 ist der Lungenkreislauf, auch der kleine genannt. 21
Die untere große Schleife ist der große, der Körperkreislauf. Die Kreuzungsstelle der 8 ist das Herz. Die Herz- und Kreislauf-Tätigkeit gleicht der Wasserleitung 1 eines mehrstöckigen Hauses, die aus einem eigenen Brunnen versorgt wird: Die beiden Pumpanlagen — die rechte und linke Herzhälfte für den kleinen Reinigungskreislauf durch die Lunge und den großen Rundlauf im Körperhaus — liegen im dritten Stock, in der Brust, weil sich nebenan in der Lunge und im nahen vierten Stock, im Gehirn, die Hauptversorgungsanlagen befinden, die das Wasser — das Blut — sozusagen aus erster Hand haben sollen. Im zweiten Stock befinden sich schon etwas weniger wichtige Einrichtungen — Magen, Darm, Leber usw. —, während sich im ersten Stock, zu ebener Erde und im Keller — in den Armen und Beinen — die untergeordneten Stellen befinden. Daß die Druck- und Steigrohre — die Arterien — stärker und dickwandiger sein müssen als die Abfallrohre — die Venen —, leuchtet ein. Unser Herz bewältigt an einem Tag eine Pumpleistung von etwa 10 000 Litern. Von dieser Blutmenge schickt es z. B. durch das Gehirn täglich 1100 Liter, durch die Nieren 1400 Liter, durch die Leber 2000 Liter und durch seine eigenen Versorgungsadern, die Herzkranzgefäße, 300 Liter Blut. „Alle Achtung!" wirst du sagen. Und dennoch muß ich dich enttäuschen. Unser Herz ist kein Akkordarbeiter, der Raubbau mit seinen Kräften treibt. Es ist ein ausgesprochen „ruhiger Vertret e r " , der 61/2 Stunden am Tag arbeitet und sich 17% Stunden Ruhe gönnt. Wenn das Herz auch ungefähr jede Sekunde einen Schlag tut, so beträgt die eigentliche Pumparbeit jedesmal nur etwa eine Viertelsekunde, während es fast eine Dreiviertelsekunde im Erschlaffungszustand, also in Ruhe, verbringt. Dafür allerdings arbeitet es mit einer Stetigkeit ohnegleichen, ein ganzes Leben lang . . . Ein ganzes Leben lang pumpt es das Blut durch unsere Adern, durch die Schlagadern, durch die Arterien, die das frische, hellrote, sauerstoffbeladene Blut in alle Körperregionen bringen, durch die Venen, die das verbrauchte, dunkelrote Blut zu ihm zurückfließen lassen, und durch die feinsten Verästelungen, die Haargefäße, welche die Verbindung zwischen Arterien und Venen herstellen, die den Kreislauf erst zu einem Kreislauf machen. So viele Haargefäße hat jeder Mensch, daß ihre Länge, würde man sie alle aneinanderlegen, sage und schreibe 100 000 Kilometer, das ist der 2% fache Umfang der Erde, beträgt! 22
Das dichte Netz der Nerven „Mensch, du gehst mir auf die Nerven!" — „Er hat eiserne Nerven." — „Sie ist das reinste Nervenbündel!" — „Seine Nerven haben versagt!" Von den Nerven spricht heute ein jeder. Aber frage doch beim nächsten Mal den Betreffenden: „Du, was sind das eigentlich für komische Körperteile, diese Nerven?" Du wirst sehen, es wird Schwierigkeiten geben . . . Auch das Nervensystem ist ein Organ wie jedes andere Körperorgan. Es ist nicht einmal so kompliziert, wie wir uns das vielleicht vorstellen. Der Reflex ist die einfachste Form einer in sich abgeschlossenen Nerventätigkeit. Das grelle Licht dringt plötzlich in unsere Pupille. Gleich verengert sie sich. Das ist ein Reflex. Ein kühler Luftzug streift unseren nackten Arm. Schon haben wir eine Gänsehaut. Auch das ist ein Reflex. Wir brauchen diese Dinge gar nicht zu überdenken oder zu wollen, sie geschehen ganz von selbst. Reflexe sind Schutz- und Abwehrmaßnahmen des Körpers. Wenn uns ganz plötzlich und unerwartet jemand vor dem Gesicht herumfuchtelt — schon haben wir die Augen ganz instinktiv geschlossen. Instinkt: das ist nichts anderes als der zweckmäßige Ablauf einer Serie von Reflexen. Der Instinkt ist bei den Tieren und beim ganz kleinen Kind wesentlich stärker ausgebildet als beim erwachsenen Menschen. Der ganze Vorgang der Nahrungsaufnahme beim Säugling über das Saugen bis zum Schlucken ist ein rein instinktiver Vorgang, eine Reihe von sinnvoll ablaufenden Reflexen. Wenn wir selbst dagegen unsere Linsensuppe mit Würstchen löffeln, so ist das keineswegs eine Reflex- oder Instinkthandlung, sondern eine absolut verstandesmäßige. Wir betrachten wohlgefällig den gefüllten Teller, saugen den würzigen Duft ein und denken: „Danach steht mir so recht mein Appetit!" Wir erteilen den Arm- und Handmuskeln den Befehl: „ E r g r e i f den Löffel, tauch' ihn ein und führe ihn zum Mund!" Wir prüfen mit den Lippen: „Halt! Sie ist zu h e i ß ! " Der Löffel entfernt sich wieder etwas vom Mund, wir blasen leicht darüber. So, nun ist die Temperatur recht, hinein mit der leckeren Suppe in den Mund! „Gut schmeckt sie", teilt uns die Zunge mit, gerade wollen wir schlucken. \\ as ist das? Eben hat die Zunge ein hartes Körnchen gegen den oberen Gaumen gedrückt. Dies Pfefferkorn wollen wir nicht mitschlucken. Wir warten also poch, bis wir das Pfefferkorn wieder 23
dem Löffel anvertraut haben, und dann — endlich — rinnt uns die Linsensuppe angenehm den Schlund hinab. Bei dieser alltäglichen Handlung hat unser Verstand, das Gehirn, entscheidend mitgewirkt. Es hat über die Sinnesorgane die verschiedensten Eindrücke auf dem Weg der Gefühlsnerven zugeleitet bekommen, sie registriert, geprüft, geordnet, sodann seine Entschlüsse in die Tat jimgesetzt. Die Anordnungen sind über die Befehlsnerven zu den ausführenden Organen gelangt und schließlich befolgt worden. W i r wollen noch einen Augenblick bei unserer Linsensuppe verweilen. Du wirst mir sagen: Das geht nicht mehr, denn sie ist ja schon den Schlund hinabgerieselt. .Von diesem Moment ab ist sie gar nicht mehr unserer Kontrolle unterstellt. Was jetzt mit ihr geschieht, können wir nicht mehr bestimmen, das geht ganz automatisch vor sich. Sie wird ihren Weg durch unser Inneres nehmen, wie wir das schon in dem vorangegangenen Kapitel über die Verdauungsorgane gehört haben. Allerdings war, weil das erst hierher paßt, noch nicht davon gesprochen worden, daß auch diese Aufgabe der Steuerung eines Nervensystems unterliegt. Indessen einem ganz besonderen, dem selbständigen, dem Vegetativen Nervensystem. Diese vegetativen Nerven steuern ohne unseren Willen die Tätigkeiten der Verdauung, des Kreislaufs und der Drüsen. So haben wir in großen Zügen bereits unser ganzes Nervensystem kennengelernt: die Gefühlsnerven, , d e r e n Meldeweg zentralwärts gerichtet ist, die Befehlsnerven, die umgekehrt leiten, das Rückenmark als Schaltwerk, das Gehirn als zentrale Empfangsund Befehlsstelle für Verstandes- und willensbedingte Tätigkeiten, und schließlich die selbständigen Nerven mit dem Wirkungsbereich der unwillkürlichen, unbeeinflußbaren Körpervorgängen. Zentrale des Nervensystems ist das Gehirn. So umfangreich die Forschungen über dieses komplizierte Gebilde sein mögen, im Grunde wissen wir nur manches, doch nicht allzuviel davon. Verstand, einsichtiges Handeln, Bewußtsein, Willen — das sind alles schöne Begriffe, wo aber das körperliche Organ, auf das diese seelisch-geistigen Vorgänge angewiesen sind — wir vermuten es in der Hirnrinde —, zu suchen ist, das Letzte wird sich wohl für immer unserer Erkenntnis entziehen. Höchste Erkenntnis führt zwangsläufig zur Demut: „Ich weiß, daß ich nichts w e i ß l " Zweifellos unterscheidet sich der Mensch dadurch von jedem Tier, daß seine Handlungen durchweg vom Verstand diktiert und 24
1. Blutkreislauf mit dem Weg des sauerstoffreichen Blutes zu den Zellen und in Neben&trömen zu Darm, Leber, Niere, Schilddrüse, Milz, Nebennieren, Hypophyse u. a.; Ablauf des kohlensaurereichen Blutes in die rechte Herzkammer; 2. Zusammensetzung des Blutes; es enthält außerdem Mineralstoffe, Kohlehydrate, Milchsäure, Farbstoffe u. a.; 3. normales Blutbild
kontrolliert werden. Dem entspricht im Körperlichen die gewaltige Kniwicklung des menschlichen Großhirns. Ein Zusammenhang zwischen Größe und Leistung ist hier ohne Zweifel gegeben, denn die Wägungen der Gehirne großer Denker haben ergeben, daß sie durchweg über dem Durchschnittsgewicht liegen — es beträgt beim Mitteleuropäer 1450 Gramm —. So hat z. B. das Gehirn des großen Philosophen Kant ein Gewicht von 1600 Gramm, wobei zu berücksichtigen ist, daß dieses Altersgewicht einem noch höheren in der Jugend und in mittleren Jahren entspricht. Das Gehirn des bekannten russischen Dichters Turgenjew wog sogar mehr als 2000 Gramm. Welche Bedeutung die Schöpfung dem kostbaren Organ Gehirn beimißt, geht aus zwei Tatsachen deutlich hervor: Einmal ist es, wie kein zweiter Körperteil, ringsum durch eine sehr stabile Knochenkapsel, den Schädel, geschützt, zum zweiten wird es auch mit Abstand in seiner Ernährung, d. h. seiner Versorgung mit Blut, gegenüber anderen, weniger wichtigen Organen bevorzugt: In 24 Stunden fließen durch die Adern des Gehirns, das nach seiner Größe nur 2
Die sogenannten „fünf Sinne" So unterschiedlich die Wünsche und Sehnsüchte der Menschen sein mögen, eines haben sie gemeinsam: Sie werden alle und ausschließlich durch die Sinnesorgane vermittelt. Ohne Sinnesorgane gliche der Mensch einer Haselnuß in ihrem Schalengehäuse. Er verspürte nicht die Nähe des geliebten Menschen, unbekannt wäre ihm der Genuß einer köstlichen Speise, er hörte weder das Tosen eines Unwetters noch die liebliche Melodie einer meisterlich gespielten Geige, der Duft einer Rose könnte ihn niemals erreichen, er sähe nicht die fernen Gestirne am Firmament und nicht die goldenen Sterne in den Augen seiner Kinder . . . I Im allgemeinen spricht man von den „fünf Sinnen": Gesicht — Geruch — Geschmack — Gehör — Gefühl. Das ist recht summarisch, 26
denn wenn man näher hinschaut, besteht allein das „Gefühl" aus einer ganzen Reihe verschiedener Wahrnehmungsmöglichkeiten. Wenn wir bei geschlossenen Augen einen Gegenstand in die Hand nehmen, sind wir sofort in der Lage, zu entscheiden: Er ist rauh oder glatt, kalt oder warm, hart oder weich, leicht od2r schwer, groß oder klein. Wenn der Gegenstand angenehm kühl in der heißen Hand liegt, werden wir sagen: „Das tut w o h l ' " Wenn er aber zu heiß ist, werden wir ihn bald fallen lassen, weil sich ein heftiger Schmerz meldet. Alle diese Empfindungen, für die jeweils besondere „Spezialisten" unter den Nerven zuständig sind, hat man unter dem Sammelnamen „Gefühl" zusammengefaßt, von den Gefühlen, bei denen das Gemüt beteiligt ist, ganz zu schweigen. Eigentlich müßte man von einem „Oberflächen"-, einem „Temper a t u r " - , einem „Struktur"-, einem „Gewichts"-, einem „Raum"-, einem „Lust"- und einem „Schmerzsinn sprechen. Die Nervenendpunkte zur Aufnahme der üblichen Tastempfindungen sind über die ganze Haut verteilt. An manchen Stellen sind sie ganz eng beisammen, an den Fingerspitzen zum Beispiel. Darum spricht man ja auch vom „Fingerspitzengefühl". Oft haben sie weitere Abstände, z. B. an den unteren Partien des Rückens. Auf einem Quadratzentimeter Haut des Unterarmes finden sich etwa 30 Tastpunkte, 5 Kältepunkte, ein halber Wärmepunkt, aber 175 Schmerzpunkte. 1 Dieses „Mißverhältnis" ist gar kein Mißverhältnis; das Übergewicht der Schmerzpunkte hat seinen guten Grund. Wir mögen die Schmerzen für häßlich halten, aber sie sind von großer Wichtigkeit. Wenn der Warner Schmerz nicht wäre, so könnten wir beispielsweise nicht einmal die Füße baden, ohne Gefahr zu laufen, uns scheußlich zu verbrennen. i Damit wir uns von vorneherein recht verstehen: Alle Sinnesorgane sind nur Empfänger, auf die Wahrnehmung bestimmter Reize ausgerichtete Aufnahmegeräte. Sie vermitteln uns irgendwelche Empfindungen nicht direkt, sondern sie erfassen sie nur, wie ein Mikrophon Sprache oder Musik erfaßt, um sie auf dem Weg der Gefühlsnerven — die wir im vorangehenden Abschnitt kennengelernt haben — an das Gehirn zu leiten. Dort, in der Zentrale, wird uns die Empfindung erst bewußt. Auch für den Geschmack haben wir ein eigenes Sinnesorgan. Es sind die Gesohmackspapillen; sie sitzen auf der Zunge. Der Geschmack ist das primitivste unserer Sinnesorgane. Wir können damit nur vier Geschmackseigenarten unterscheiden: Süß — sauer — bitter '— salzig.
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W i r unterscheiden aber doch so vielerlei verschiedene Speisen, wird man mir entgegenhalten. Jawohl, das stimmt I Aber diese feinen Unterscheidungen treffen wir nicht mit der Zunge, sondern mit dem dritten unserer Sinnesorgane, dem Geruchssinn. Welche Bedeutung unserer Nase beim Schmecken zukommt, können wir am besten ermessen, wenn wir einen Schnupfen haben, der Geruchssinn also weitgehend ausgeschaltet ist. Dann schmeckt alles gleichsam nach „Pappe". Nicht umsonst probiert der Weinkenner das köstliche Naß zuerst einmal mit der Nase. Die „Blume", die flüchtigen Duftstoffe, sagen ihm mehr als das, was er mit der Zunge schmeckt. Aus dem gleichen Grund bezeichnet er einen Wein mit wenig Blume als „zu k u r z " , weil er, nachdem er die Zunge passiert hat, nicht mehr genügend Duftstoffe enthält, um noch einmal rückwärts vom Gammen her die Riechzellen der Nase anzusprechen. Wir mögen uns noch so sehr etwas auf unsere „feine Nase" einbilden, wir müssen uns trotzdem vor fast jedem Säugetier verstecken! Ein Hund z. B. beschnüffelt einen Gegenstand erst einmal, ehe eir ihn betrachtet. Bei ihm ist — wie bei fast allen Säugetieren — der Geruchssinn weit besser ausgebildet als beim Menschen.
*
Die bisher kurz besprochenen Sinnesorgane — Gefühl, Geschmack, Geruch — werden im allgemeinen gegenüber dem Sehen und Hören als etwas untergeordnet betrachtet. Und doch haben auch der Gehörs- und der Gesichtssinn von der Natur gezogene Grenzen in sich selber. Wenn ein Detektivinstitut von sich behauptet: „ W i r sehen und hören alles!" so unterliegt dieses Institut dem gleichen Trugschluß wie die meisten Menschen. Wenn man es recht betrachtet, so sehen und hören wir nur einen ganz bescheidenen Ausschnitt dessen, was um uns vorgeht. Wir nehmen z. B. mit unserem Auge nur Lichtstrahlen von der Wellenlänge zwischen 400 und 800 millionstel Millimeter, mit dem Ohr nur Schallwellen von 16 bis 6000 Schwingungen pro Sekunde wahr. Darüber und darunter gibt es aber noch viel mehr, was wir überhaupt nicht wahrnehmen können. Denn die Natur ist grenzenlos. Wir erleben natürlicherweise nur einen Ausschnitt und geben uns damit zufrieden, oder wir nehmen die Technik zu Hilfe, um unseren Wahrnehmungskreis zu erweitern. Denken wir nur an die unendlich vielen Wellen, die sich im Äther tummeln. Wir können sie zwar mit Hilfe von „Eselsbrükken", dem Radioapparat oder dem Fernsehgerät, in den Bereich 28
unserer Empfindungsmöglichkeiten übersetzen, aber eine körpereigene Antenne haben wir dafür n i c h t . . . Die Wirkungsweise der Augen kann man am ehesten mit der eines Photoapparates vergleichen. Durch die Linse — das Objektiv — werden die gesehenen Gegenstände auf die Netzhaut — den Film — projiziert. Ein grundsätzlicher Unterschied allerdings besteht: Während man bei der Kamera die Scharfeinstellung des Bildes dadurch bewerkstelligt, daß man den Abstand des Objektivs vom Film ändert, erreicht das menschliche Auge es durch Verformung der Augenlinse mit Hilfe eines Muskelzugs. Jenseits der ersten Jugend — so um die Vierzig herum — beginnt die Kraft des Linsenmuskels nachzulassen, man kann dann sein Auge immer schwerer auf nahe Gegenstände, beispielsweise die Druckschrift, einstellen. Diese Alterssichtigkeit ist etwas Normales, ganz im Gegensatz zur angeborenen Weit- oder Kurzsichtigkeit. Bei den angeborenen Leiden ist der Augapfel und damit die Entfernung von der Linse zur Netzhaut bei der Weitsichtigkeit zu kurz, bei der Kurzsichtigkeit zu lang. So fällt das gesehene Bild nicht auf die Nervenenden in der Netzhaut, sondern dahinter oder davor und wird deshalb verschwommen empfunden. Die genannten — und noch andere — Sehfehler können und sollen durch eine entsprechende Brille ausgeglichen werden. Ich sage gewiß nichts Neues, wenn ich erzähle, daß die Ohren zum Hören da sind. Aber das sagt sich so leicht dahin: Wissen wir genau, wie das Hören vor sich geht? ( Nehmen wir einmal an, wir genießen gerade in aller Ruhe den Feierabend. Plötzlich schrillt die Haustürklingel. Gleichzeitig hupt draußen ein Auto, schon ertönt die Frage: „Wer mag das schon wieder sein .. . 1" Alle drei verschiedenen Geräusche — Klingelzeichen, Autohupe und Frage — hören wir gleichzeitig. Das geht folgendermaßen vor sich: Die Schallwellen der Geräusche kommen mit einer Geschwindigkeit von 300 Meter pro Sekunde auf uns zu. Das sind ungefähr 1000 Stundenkilometer. Sie werden von der Ohrmuschel aufgefangen, in den Gehörgang geleitet und treffen an seinem Ende auf das Trommelfell. Das Trommelfell wird von den Schallwellen in Schwingungen versetzt und überträgt sie auf drei hintereinandergeschaltete kleine Gehörknöchelchen des Mittelohrs, die ihrerseits die Schwingungen dem eigentlichen Empfänger im Innenohr zuleiten; dieser Empfänger steht in Verbindung 29
mit dem Hörzentrum des Gehirns, wo wir uns nun endgültig dessen bewußt werden, was wir gehört haben. i Eä ist ähnlich wie beim Radioapparat, nur daß wir nicht lediglich eine Station hören, sondern alles das gleichzeitig, was auf den Wellenlängen von 16 bis 6000 Schwingungen je Sekunde gesendet wird. Unter 16 Schwingungen als tiefstem und über 6000 als höchstem für uns vernehmbarem Ton gibt es noch eine Unmenge Töne, die wir nicht wahrnehmen können. Es ist eine ähnliche Erscheinung wie beim Sehen. Unser Ohr hört praktisch nur einen Ausschnitt aus der Geräuschskala. Ein Hund z. B. kann wesentlich höhere Töne als die mit der Schwingungszahl 6000 hören. Darauf beruht das Prinzip der „lautlosen Hundepfeife", die für den Menschen nicht, für den Hund aber gut hörbar ist. Noch etwas läßt sich am Ohr aussetzen! Wenn das Licht zu grell wird, schließen wir die Augen. Doch mit einer entsprechenden Einrichtung am Ohr für unsere lärmerfüllte Zeit hat uns die Schöpfung leider nicht ausgestattet. Das Ohr enthält gleichsam als Ausgleich für diesen Mangel noch eine besondere Sinnesgabe. Im Innenohr hat sie ihren Platz. Drei kleine Bogengänge, in den drei Raumrichtungen aneinandergefügt, melden dem Gleichgewichtszentrum im Gehirn zu jeder Zeit, ob wir uns im Gleichgewicht befinden oder ob wir zu stolpern drohen. Als Hilfsorgan dient dem Körper — wie wir das schon im Muskel-Kapitel erfuhren — der „Muskelsinn", der ebenfalls dem Gehirn laufend berichtet, in welcher Lage zum Raum sich die einzelnen Glieder gerade befinden. Wenn das System der Bogengänge im Innenohr einmal nicht recht funktioniert — und das ist bei manchen Erkrankungen der Fall —, so muß der Muskelsinn als Vertreter heran. Der Körper hat also gleich eine doppelte Sicherung vorgesehen, damit wir recht im Gleichgewicht bleiben. Um so erstaunlicher ist es, daß man immer nur von den „fünf Sinnen" spricht. Aber wir wissen es nun genau, daß es mindestens sechs Sinne gibt, die ums das Leben erst lebenswert machen.
Das vielstrapazierte „Schicksalsleder" Die Bezeichnung „Schicksalsleder" für unsere Haut stammt von dem gleichen Mann, der folgende geistreichen Sätze über sie geschrieben hat: „Sie ist der am stärksten strapazierte Teil der Erdoberfläche. Was geht alles über sie dahin im Ablauf eines langen 30
Lebens! Sonne und Regen, Schicksalsschläge und Masern, Hautcreme, Läuse und eine liebende Hand . . ." Sie ist tatsächlich ein erstaunliches Organ, unsere Haut. Im allgemeinen machen wir uns keine Gedanken darüber, welch vielfache Aufgaben diese rund zwei Quadratmeter unserer Körperbedeckuing zu erfüllen haben: Die Haut schützt uns vor Witterungseinflüssen, sie verwehrt — sofern sie unbeschädigt ist — Krankheitskeimen den Zutritt, sie atmet Sauerstoff aus der Luft, schwitzt Flüssigkeiten und Abfallprodukte aus, sie ist wasserdicht und dennoch elastisch, denn sie paßt auch noch, selbst wenn unser Gewicht auf das Doppelte ansteigen sollte; sie trotzt sehr starken Druck-, Zug- und Reibungseinwirkungen, sie vermittelt uns die unterschiedlichsten Empfindungen, und obendrein repariert sie entstandene Schäden ganz aus sich heraus. Nicht muir die Zwiebel hat viele Häute, sondern auch der Mensch, genauer gesagt, besteht seine Haut aus mehreren Schichten. Dber den Muskeln, dem Fleisch, liegt eine Lage Fett; es dient der Isolierung und macht die Haut gegenüber dem Fleisch verschiebbar. Nehmen wir einmal die Haut des Handrückens zwischen zwei Finger der anderen Hand: Wir können sie regelrecht von der Unterlage abheben. Ober der Fettschicht liegt die Lederhaut. Man nennt sie deswegen so, weil aus dieser Schicht der Tierhaut — die der menschlichen Haut weitgehend entspricht — das Leder gewonnen wird. Darüber kommt als letzte, äußerste Schicht die Oberhaut; sie besteht wiederum aus zwei Blättern, der Keimschicht, die für die Neubildung von Hautgewebe zuständig ist, und der Hornschicht, die den äußeren Abschluß gegenüber der Umwelt bildet. Im gleichen Tempo, wie die Keimschicht neue Haut produziert, werden von der Hornschicht kleine Schuppen abgestoßen. So befindet sich unsere Haut in einer zwar unmerklichen, aber dauernden Erneuerung. Noch vier wichtige Organsysteme beherbergt unsere Haut: die Drüsen für die Schweiß- und Talgabsonderungen, deren sichtbare Ausführungsgänge wir Poren nennen, die Haare, die Haargefäße — feinste Verzweigungen der Blutadern in großer Anzahl — und zuletzt die Nervenendigungen der Sinnesorgane. Daß unsere Haut neben den Knochen oder den Muskeln ein mindestens gleichwertiges Organ darstellt, ist gar keine Frage. Ein Mensch, dessen Hautfunktion etwa durch eine umfangreiche Verbrennung mehr als zu zwei Dritteln lahmgelegt ist, kann nicht 31
mehr weiterleben. Darum können Artisten, die mit vergoldetem oder versilbertem Körper auftreten, diesen Zustand auch immer nur eine ganz begrenzte Zeit durchhalten; dann muß die Haut wieder gesäubert werden, sie muß atmen können . . . Eine außerordentlich wichtige Aufgabe der Haut ist die Transpiration, das Schwitzen. Es dient durch die Bildung von Verdunstungskühle der Wärmeregulation des Körpers, und außerdem wird beim Schwitzen eine Reihe von Abfallprodukten ausgeschieden. Die schweißbildende Haut ist sozusagen unsere dritte Niere, durch die viel überschüssiges Wasser ausgeschieden wird. Schweißdrüsen sind in der Haut des ganzen Körpers verteilt. Am häufigsten treten sie an der Innenfläche der Hand und an den Fußsohlen auf. In einem Quadratzentimeter der Fingerkuppen gibt es nicht weniger als etwa tausend Schweißdrüsen. Neben den Schweißdrüsen liegen in der Haut die Talgdrüsen. Sie haben unter anderem die Aufgabe, Haare, Gehörgang und Augenlider einzufetten. „Haut und Haare" sind nicht nur im Sprichwort verwandt. Wenn wir unseren Körper durch eine Lupe betrachten, werden wir feststellen, daß es kaum eine Hautpartie gibt, die nicht behaart ist. Jedes dieser Millionen von Härchen ist ein kleines Wunderwerk für sich: Wie eine Zwiebelknolle sitzt die Haarwurzel in der Haut, kleinste Blutadern sorgen für die Ernährung, mehrere Talgdrüsen produzieren das notwendige Fett. Wenn wir ein Haar berühren oder gar daran ziehen, können wir deutlich spüren, daß zu jedem Haar auch ein Nerv führt. Zum guten Schluß gehört auch noch ein besonderer Muskel dazu, der das Haar aufrichten kann und so die bekannte „Gänseh a u t " oder jenes prickelnde Gefühl auf der behaarten Kopfhaut herbeiführt, wenn wir einer „haarsträubenden" Situation gegenüberstehen. (Von anderen interessanten und seltsamen Vorgängen und Einrichtungen im Körper soll ein andermal berichtet werden.) Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Bild auf Umschlagseite 2: Geschmacks- und Geruchssinn
L u x - L e s e b o g e n 223 ( N a t u r k u n d e ) H e f t p r e i s 2 5 Pfg. Natur- und kulturpolitische Hefte - Bestellungen (vierteljährl. 6 Hefte DM 1.50) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt — Verlag Sebastian Lux, Murnau, München, Innsbruck, Ölten — Druck: Buchdruckerei Auer, Donauwörth
IM FALLE EINES FALLES...