PETER DAVID
Star Trek®
Starfleet Kadetten
Band 2
Deutsche Erstausgabe
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN
HEYNE SCIE...
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PETER DAVID
Star Trek®
Starfleet Kadetten
Band 2
Deutsche Erstausgabe
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN
HEYNE SCIENCE FICTION & FANTASY Band 06/6502
Titel der Originalausgabe STAR FLEET ACADEMY # l WORF'S FIRST
ADVENTURE
Übersetzung aus dem Amerikanischen von
UWE ANTON
Redaktion: Rainer Michael Rahn
Copyright © 1993 by Paramount Pictures
Die Erstausgabe erschien bei Pocket Books,
a division of Simon & Schuster, Inc., New York
Copyright © 1995 der deutschen Ausgabe und der Übersetzung
by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München
Umschlagbild: Catherine Huerta
Innenillustrationen: James Fry
Umschlaggestaltung: Atelier Ingrid Schütz, München
Technische Betreuung: M. Spinola
Satz: Schaber Satz- und Datentechnik, Wels
Druck und Bindung: Ebner Ulm
ISBN 3-453-09051-9
Für die
nächsten Generationen
überall auf der Welt
STARFLEET-ZEITTAFEL
2264 Beginn der Fünfjahresmission der USS Enterprise NCC-1701 unter Captain Kirk. 2292 Die Allianz zwischen dem Klingonischen Imperium und dem Romulanischen Reich zerbricht. 2293 Colonel Worf, Großvater von Worf Rozhenko, verteidigt Captain Kirk und Doktor McCoy bei ihrem Prozeß wegen Mordes am klingonischen Kanzler Gorkon. Friedenskonferenz zwischen dem Klingonischen Imperium und der Föderation auf Khitomer [Star Trek VI]. 2323 Jean-Luc Picard beginnt die vierjährige Ausbildung an der Starfleet-Akademie. 2328 Das Cardassianische Imperium annektiert Bajor. 2341 Data beginnt die Ausbildung an der Starfleet-Akademie. 2342 Beverly Crusher (geb. Howard) beginnt die achtjährige Ausbildung an der Medizinischen Fakultät der StarfleetAkademie. 2346 Massaker der Romulaner auf dem klingonischen Außenposten Khitomer. 2351 Die Cardassianer erbauen im Orbit um Raumstation, die sie später aufgeben werden.
Bajor
eine
2353 William T. Riker und Geordi LaForge beginnen die Ausbildung an der Starfleet-Akademie. 2354 Deanna Troi beginnt die Ausbildung an der Starfleet
Akademie. 2355 Tasha Yar beginnt die Ausbildung an der Starfleet-Akademie. 2357 Worf Rozhenko beginnt die Ausbildung an der StarfleetAkademie. 2363 Captain Jean-Luc Picard tritt das Kommando über die USS Enterprise, NCC-1701-D an. 2367 Wesley Crusher beginnt die Ausbildung an der StarfleetAkademie. Zwischen den Cardassianern und der Föderation wird ein unsicherer Waffenstillstand geschlossen. Angriff der Borg im Sektor Wolf 359; unter den Überlebenden sind Lieute nant Commander Benjamin Sisko, Erster Offizier der Saratoga, und sein Sohn Jake. Die USS Enterprise-D besiegt das Schiff der Borg im Erdorbit. 2369 Commander Benjamin Sisko tritt das Kommando über Deep Space Nine im Orbit von Bajor an.
Quelle: Star Trek Chronology von Michael und Denise Okuda
Der junge Klingone sah ihn vor allen anderen. Er blinzelte einen Augenblick lang in die Sonne, während sein Bruder noch in das Gespräch mit ihren Eltern vertieft war. Dann zeigte er mit einem Finger in den Himmel und sagte: »Dort!« Die drei Menschen drehten sich in die Richtung, in die er zeigte. »Wo?« fragte sein Vater. »Ich sehe nichts... Nein, wartet! Er hat recht! Da kommt er!« Der Transport-Shuttle fiel anmutig aus dem Himmel und schien wie eine Feder im Wind über der russischen Landschaft zu flattern. Nun, da er zu sehen war, näherte er sich mit erschreckender Geschwindigkeit. Im einen Augenblick war er nicht größer als ein Penny vor der Sonne, und im nächsten flog er direkt über ihnen und senkte sich auf die ein paar Meter tiefer liegende Landefläche. Techniker eilten bereits zu dem Fahrzeug, um es zu warten und auf die Fortsetzung seiner Reise vorzubereiten. Der junge Worf Rozhenko wandte das Gesicht seinen Eltern zu. Sie strahlten so vor Stolz, daß er geblendet worden wäre, wären sie Sonnen gewesen. Welches Wort hatte seine Pflegemutter gleich noch benutzt? K'velling. Es klang beinahe klingonisch, doch seine Mutter hatte darauf bestanden, daß es einer uralten Sprache namens Jiddisch entstammte. Sergey Rozhenko, sein Adoptivvater, war ein robuster Mann
mit breitem Brustkorb. Sein Haar und Bart zeigten die ersten Spuren von Grau. Zuerst hatte Sergey sich einfach geweigert, die Veränderung seiner Haarfarbe zur Kenntnis zu nehmen, und wiederholt behauptet, kein männlicher Rozhenko sei je ergraut. Dann, eines Tages, hatte Worf einfach darauf hingewiesen, daß noch kein männlicher Rozhenko je einen jungen Klingonen hatte großziehen müssen. Diese Bemerkung hatte ihm fünf Minuten hysterisches Gelächter von beiden seiner Eltern eingebracht. Er würde nie vergessen, wie Sergey Rozhenko sich auf die Knie geschlagen, auf ihn gezeigt und gesagt hatte: »Du hast recht, Worf! Du hast absolut recht! Wenn jeder Rozhenko einen klingonischen Sohn hätte großziehen müssen, wären wir mit dreißig Jahren grau und hätten mit vierzig eine Glatze!« Sein Vater war ein starker Mann, sowohl körperlich als auch vom Temperament her. Seine Mutter, Helena, war genauso stark, aber auf ganz andere Art und Weise. Wo Sergey ungestüm war, war Helena zurückhaltend. Wo Sergey fordernd war, war
Helena überzeugend. Sie ergänzten einander perfekt und konnten gemeinsam einfach alles erreichen. Neben Worf stand sein Bruder Simon. Worf mußte nicht lange überlegen, wie sein Vater als junger Mann ausgesehen hatte. Simon war sein Ebenbild. Er war bartlos und enthüllte so das starke Kinn, das der Bart ihres Vaters verbarg. Aber er hatte das gleiche schwarze Haar, das gleiche bereitwillige Lächeln und die gleichen zuversichtlichen, leuchtenden Augen. Der einzige echte Unterschied war, daß er die kleinere, zierlichere Nase von Helena hatte, die irgendwie gar nicht zu dem ansonsten schroffen Gesicht zu passen schien. Sergey be hauptete des öfteren polternd, eines Tages würde der Junge in eine gute, handfeste Schlägerei geraten, sich die Nase brechen und danach genau wie sein Vater aussehen... eine Vorstellung, von der Helena nicht besonders begeistert war. Eigentlich hätte Worf in Simon seinen Adoptivbruder sehen müssen. Aber in all den Jahren, die sie bereits zusammen waren - und Worf fiel es mittlerweile schwer, sich an eine Zeit zu erinnern, da dies nicht der Fall gewesen war -, hatte Simon niemals etwas getan, das in Worf das Gefühl hervorgerufen hätte, er sei etwas anderes als ein richtiges, vollwertiges Mitglied der Familie Rozhenko. Und das galt auch für Sergey und Helena Rozhenko. Und doch... Bei einigen anderen war dem nicht so. Worfs Miene hatte sich so sehr verdüstert, daß seine Mutter ihn instinktiv begriffen hatte. Ihre erste, gefühlsmäßige Reaktion bestand darin, ihren klingonischen Sohn zu umarmen. Ihn an sich zu drücken und ihm zu versichern, daß nun alles besser werden würde. Daß der Hohn und Spott, den Worf auf der Schule während seiner Kindheit und Jugend hatte ertragen müssen, bald nur noch eine Erinnerung sein würde. Aber sie kannte ihn zu gut. Sie wußte, daß er solche ermunternden Worte nicht hören wollte. Wenn er nach Hause gekommen war, nachdem er sich erneut geprügelt hatte, hatte er Trost weder gewollt noch gewünscht. »Es ist nicht angemessen, Mutter«, hatte er so oft zu ihr gesagt, daß sie jedes Wort auswendig kannte. »Ein Krieger erträgt Schmerz ohne Klagen. Man kann nicht weniger von mir erwarten.«
»Aber du bist kein Krieger!« hatte sie einmal aufgebracht erwidert. »Du bist ein Junge und noch lange nicht erwachsen! Und es macht dir zu schaffen, auch wenn du es nicht eingestehen willst. Schließe mich nicht aus, Worf.« Doch genau das hatte er getan. Denn er war Klingone, und so standen die Dinge nun mal. Sie hatte lange gebraucht, um sich damit abzufinden. Doch schließlich war es ihr gelungen... oder sie glaubte es zumindest. Doch als sie nun sah, wie ihr Sohn Simon seinen Vater umarmte - er drückte ihn mit solcher Kraft an sich, daß es den Anschein hatte, er wolle ihn zerquetschen -, wollte sie Worf nur einen Augenblick lang in die Arme nehmen. Ihren Adoptivsohn noch einmal an sich drücken, bevor er an die Starfleet-Akademie ging, um ein Mann zu werden. Doch sie hielt sich zurück. Statt dessen näherte sie sich ihm steif und gab ihm die Hand. »Viel Glück, Worf«, sagte sie. Einen Moment lang war sie überzeugt, einen flüchtigen Ausdruck von Dankbarkeit in seinen Augen zu sehen. Eine Gefühlsregung wäre für sie zwar sehr erfüllend, ihm jedoch überaus peinlich gewesen. Er ergriff die Hand und drückte sie fest. »Danke, Mutter.« »Laß dein Haar nicht zu lang wachsen«, fügte sie wider besseres Wissen hinzu. »Darüber haben wir uns ja immer gestritten.« Worf räusperte sich unbehaglich. »Ein wahrer klingonischer Krieger trägt das Haar lang... und vorzugsweise ungekämmt.« Sein Vater sah ihn an und ließ Simon los. »Wenn du im Klingonischen Imperium bist«, sagte er nachdrücklich, »kannst du so ungepflegt gehen, wie du willst. Aber«, polterte er, »auf der Akademie wirst du dich an die Kleidungsordnung halten. Das hast du doch verstanden, oder, Worf?« Der Satz war keine wirkliche Frage, und eindeutig war nur eine Antwort darauf akzeptabel. »Ja, Vater«, erwiderte Worf. Seinem Vater fiel es etwas leichter, dem Drang zu widerstehen, ihn zu umarmen. Er war auch einmal Angehöriger von Starfleet gewesen, und daher war ihm Formalität bei besonderen Anlässen nicht fremd. Er schüttelte fest Worfs Hand und zuckte nicht einmal zusammen, als der Junge mit
aller Kraft zudrückte. Der Shuttle war gelandet, und der Pilot gab den Technikern die aktuellen Fluginformationen. Durch ein Fenster des Shuttles erhaschte Worf einen Blick auf eine junge Frau mit spitzen Ohren und nach oben gebogenen Brauen. Sie war zweifellos Vulkanierin, und Worf verspürte einen kurzen Anflug von Aufregung. Er hatte noch nie einen Vulkanier gesehen, und nun würde er an der Starfleet-Akademie mit einer studieren! Es war noch jemand am Fenster, und diese Person wurde von Worf mit einem Stirnrunzeln bedacht. Es war ein menschlicher Junge mit kurzgeschnittenem, rotem Haar. Aus Gründen, die Worf nicht einmal ahnen konnte, betrachtete der Junge intensiv das Fenster und berührte mit einem Finger seine Nasenspitze. Dann führte er den Finger langsam zur Scheibe, bis er sie berührte... und führte ihn wieder zur Nase zurück. Während Worf ihn beobachtete, machte der junge Mann dies dreimal, ohne anscheinend zu bemerken, wie seltsam er sich benahm. Worf zuckte im Geiste mit den Achseln. Wer verstand schon das geheimnisvolle Verhalten der Menschen? Er lebte bei ihnen, fast solange er sich erinnern konnte, zuerst auf dem Planeten Gault, auf dem fast ausschließlich Landwirtschaft betrieben wurde, und dann, seit seinem elften Lebensjahr, auf der Erde, in Rußland. Die Jahre, die er mit seinen klingonischen Eltern auf der nun zerstörten Kolonie Khitomer verbracht hatte, kamen ihm immer häufiger wie ein bloßer Traum vor, der zusehends verblich. Manchmal mußte er sich richtiggehend anstrengen, wenn er sich an diesen Traum erinnern wollte. Es gab nichts mehr zu sagen. Er nickte seinen Eltern formell zu, nahm seine Tasche und ging zu dem Shuttle. Simon wollte ihm folgen, doch Helena legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Paß auf deinen Bruder auf, Simon«, sagte sie leise. »Sorge dafür, daß er zurechtkommt.« »Natürlich, Mutter«, erwiderte ihr Sohn. Er klang etwas verwirrt. »Aber Worf hat immer gut auf sich selbst aufpassen können, meinst du nicht auch? Er braucht keinen Babysitter.«
»Nein. Aber er braucht Unterstützung. Er muß wissen, daß er jemanden hat, an den er sich wenden kann. Sogar starke Menschen müssen Kraft aus den Personen in ihrer Umgebung ziehen. Sei für ihn da, damit er sich auf dich stützen kann, Simon.« Sie küßte ihn auf die Wange. »Ich zähle auf dich.« »Mach dir doch nicht immer solche Sorgen, Helena!« dröhnte Sergey in seinem zuversichtlichsten Tonfall. »Die Rozhenko-Brüder gemeinsam an der Starfleet-Akademie! Mit welchem Hindernis sollten die beiden nicht fertig werden können?« Simon lächelte bereitwillig, wie es bei ihm so oft der Fall war. »Mit keinem, Vater«, sagte er. Doch als er zum Shuttle ging, verspürte er den ersten Anflug von Unbehagen. Er schaute zurück und sah, daß seine Eltern winkten. Sein Vater reckte zuversichtlich einen Daumen in die Höhe. Er hoffte, daß er selbst so zuversichtlich wie sein Vater bleiben würde. In dem Shuttle waren noch zwei Sitzplätze frei. Worf entschied sich für den ganz hinten. Es war ein Reflex. Worf hatte sich schon lange angewöhnt, in jedem Raum dort zu sitzen, wo er am weitesten von der Tür entfernt war - und wenn möglich mit dem Rücken zu einer Wand. Damit verhinderte er, daß sich jemand anschleichen und ihn von hinten angreifen konnte. Die Tatsache, daß man ihn an Bord eines Shuttles, das die Erde in einem niedrigen Orbit umkreiste, wohl kaum angreifen würde, spielte keine Rolle. Die Macht der Gewohnheit obsiegte. Direkt neben ihm, lediglich durch den Gang getrennt, saß die junge Vulkanierin, die er zuvor gesehen hatte. Sie sah einfach faszinierend aus. Abgesehen von der exotischen Wirkung, die ihre Ohren und Brauen erzielten, hatte sie ihr langes, schwarzes Haar zu einem Pferdeschwanz zusam mengebunden, der von einer seltsamen, dreieckigen goldenen Spange gehalten wurde. Worf war von ihrem Glanz fasziniert und betrachtete die Klammer ziemlich geradeheraus. Simon hingegen saß neben dem seltsamen Burschen mit dem Fenstertick. Er führte nun nicht mehr die Fingerspitze von der Nase zum Fenster und wieder zurück. Statt dessen
hielt er den geöffneten Mund direkt vor die Scheibe, hauchte dagegen und schuf so einen kleinen, feuchten Kreis, der die Scheibe beschlagen ließ. Dann schrieb er mit dem Fingernagel ein paar Zahlen und Gleichungen in den Kreis. Die ganze Zeit über blieb sein Gesichtsausdruck völlig abwesend. Die Tür des Shuttles schloß sich mit einem dumpfen Schlag. Der Pilot nahm noch ein paar letzte Sicherheits-Checks vor, dann hob das Fahrzeug sich in die Luft. Es drehte sich; Worf sah durch das Fenster und konnte seine Eltern ausmachen. Sie standen an derselben Stelle wie zuvor und winkten noch immer, als wären sie mechanische Puppen, die man aufgezogen hatte. Er bezweifelte, daß sie ihn von dort unten aus sehen konnten... und sie konnten auch nicht wissen, ob er sie sah. Aber für sie schien das irgendwie keine Rolle zu spielen. Wahrscheinlich würden sie dort stehenbleiben und winken, bis ihnen die Arme abfielen, und auch das spielte für sie keine Rolle. Er hatte das Gefühl, daß sie noch winken würden, wenn der Shuttle schon längst außer Sicht war... und vielleicht auch noch ein paar Augenblicke länger. Als könne das Winken noch einen kurzen Moment die unvermeidbare Tatsache hinausschieben, daß sie nun, nachdem sie fast zwei Jahrzehnte lang Kinder großgezogen hatten, allein zurückblieben. Er seufzte kurz und richtete seine stumme Aufmerksamkeit dann wieder auf die junge Vulkanierin. Sie schien konzentriert irgendeinen Text zu lesen. Er warf einen Blick darauf und sah, daß er in einer Sprache verfaßt war, die er nicht kannte, wahrscheinlich Vulkanisch. Also betrachtete er wieder die seltsame Spange in ihrem Haar. »Das ist ein UMUK-Symbol«, sagte sie, ohne aufzuschauen. Er blinzelte überrascht. »Was?« »Das Symbol, das mein Haar hält. Es heißt UMUK.« Zum erstenmal sah sie auf und musterte ihn aus dunklen Augen. »Das starrst du doch so an, richtig?« »Ja«, sagte er und rutschte unbehaglich auf seinem Sitz hin und her. »Ich... wollte dich nicht in Verlegenheit bringen.« »In Verlegenheit?« Sie sah ihn an, als hätte er gerade ein Wort einer bizarren, unverständlichen Fremdsprache benutzt. »Du hast mich nicht ›in Verlegenheit gebracht‹. Es ist verständlich,
daß du nichts über UMUK weißt. Aber weißt du denn über haupt etwas von Vulkaniern?« »Ich weiß einiges über Vulkanier«, entgegnete Worf steif. »Es heißt, ihr würdet die Logik mehr als alles andere schätzen. Und ihr wäret sehr diszipliniert und hättet nicht die geringsten Gefühle.« »Das stimmt nicht ganz«, sagte sie. »Wenn wir keine Gefühle hätten, müßten wir auch nicht so diszipliniert sein. Wir beherrschen unsere Gefühle, so daß sie andere Beschäftigungen nicht stören. Logik ist von höchster Bedeutung. Mehr brauchen wir nicht.« »Wirklich?« Worf war nicht im geringsten überzeugt. »Und was sagt deine Logik dir dann über mich?« Sie zögerte keinen Augenblick lang. »Deine Eltern sind ums Leben gekommen, als du noch ein kleines Kind warst. Du wurdest von einem Starfleet-Offizier adoptiert und bist auf einem Planeten aufgewachsen, auf dem Landwirtschaft
betrieben wird. Dann bist du zur Erde gekommen, und nun bist du mit deinem Adoptivbruder auf dem Weg zur Starfleet-Akademie.« Worfs Mund fiel vor Erstaunen auf. »Woher... weißt du das alles?« Sie berührte den Datenblock, den sie studiert hatte. »Ich habe mir die besonderen Kennzeichen aller neuen Kadetten eingeprägt. Da nur ein Klingone auf der Liste steht, und da dieser Shuttle zur Akademie fliegt, ist es logisch, daß du Worf Rozhenko bist. Und das ist Simon?« Sie zeigte auf Worfs Bruder. »Ja.« »Na also.« Sie betrachteten einen Augenblick einander, und dann fragte Worf: »Was ist UMUK?« »Ein vulkanischer Begriff«, sagte sie. »Eine Philosophie der geistigen Einheit. Das vulkanische Wort wird etwas anders ausgesprochen. Die Menschen haben es mit U-M-U-K umschrieben und behaupten, daß es für ›Unendliche Mannigfaltigkeit in Unendlicher Kombination‹ steht. Ein bequemes mnemonisches Hilfsmittel, um es sich einzuprägen. Vereinfachend, aber einigermaßen zutreffend.« »Wie heißt du?« Sie zog eine Braue hoch. »Ist das von Interesse für dich?« Er zuckte mit den Achseln. »Soleta«, erwiderte sie. »Und wenn du mich jetzt bitte entschuldigst...« Sie widmete sich wieder ihrem Datenblock, und Worf wurde schnell klar, daß sie keinen ›logischen‹ Grund sah, das Gespräch fortzusetzen. Er schaute aus dem Fenster. Sie hatten die obere Atmosphäreschicht erreicht, und die Erde drehte sich schnell unter ihnen. Indem sie in solch großer Höhe flogen, nutzten sie die Erdrotation aus und kamen auf diese Weise wesentlich schneller zu ihrem Ziel. »Dürfen wir uns von unseren Plätzen erheben?« rief er dem Piloten des Shuttles zu. »Steht auf, geht herum, macht einen Handstand, wenn ihr wollt«, sagte der Pilot. »Aber in zehn Minuten schnallt ihr euch wieder zur Landung an.« Worf nickte, um dem Piloten anzuzeigen, daß er verstanden
hatte, stand dann auf und ging zu Simon hinüber. Simon betrachtete noch immer fasziniert den rothaarigen Jungen. »Was macht er da?« flüsterte Worf seinem Bruder zu. Simon schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Frag du ihn doch.« Unerschrocken streckte Worf die Hand aus und klopfte dem Jungen auf die Schulter. »Du«, sagte er ohne höfliche Einleitung. »Was machst du?« Der Rotschopf sah ihn an. »Wann?« »Jetzt gerade.« »Da spreche ich mit dir.« Worf kniff mißtrauisch die Augen zusammen. Sein erster Eindruck war, daß der Junge versuchte, ihn gegen sich aufzubringen. Aber er betrachtete Worf mit so ausdruckslosem Gesicht, daß dieser nicht sicher sein konnte. »Vorhin, meine ich. Als du deine Nase und die Scheibe berührt hast. Und Zahlen auf die Scheibe geschrieben hast.« »Ach, das. Abstraktes Denken. Der Sache auf den Grund gehen. Räumliche Koordinaten. Verhältnisse. Paradoxa. Das Halbieren.« »Das Halbieren?« Worf wußte überhaupt nicht mehr, worum es ging. »Sagen wir, du mußt eine bestimmte Strecke auf einer bestimmten Ebene in einer geraden Linie zurücklegen«, sagte der Rotschopf. Er schaute so seltsam drein, daß Worf damit rechnete, die beiden Augäpfel würden sich jeden Moment in entgegengesetzte Richtungen drehen. »Von Punkt A nach Punkt B. Und du legst die halbe Entfernung zurück. Und dann die Hälfte der verbleibenden Entfernung, und so weiter, und so fort. Und was dann?« »Ja, was dann?« fragte Simon hinter Worf. »Du würdest nie am Ziel ankommen«, sagte der Rotschopf. »Du würdest lediglich immer kleinere Entfernungen zurücklegen. Warum? Ein Paradoxon. Eine Frage ohne Antwort. Nun ja... nicht alle Fragen ohne Antworten sind Paradoxa. Zum Beispiel... was reimt sich auf Orange? Darauf gibt es keine Antwort. Aber das ist kein Paradoxon. Das ist nur eine ärgerliche Frage. Mögt ihr Orangen?« Er betrachtete sie eindringlich, als hätte er gerade eine Frage
von lebenswichtiger Bedeutung gestellt. Worf und Simon nickten zögernd. Der Junge hob einen Finger. »Wenn ein Baum in einem Wald umstürzte«, sagte er nachdenklich, »und niemand wäre in der Nähe... wer würde dann etwas darum geben?« Worf öffnete den Mund, um etwas zu sagen, und schloß ihn dann wieder. Simon schien nicht minder verblüfft zu sein. »Wißt ihr, was ich denke?« fuhr der Rotschopf fort, den es anscheinend nicht interessierte, ob er eine Antwort auf eine seiner vorherigen Fragen bekam. Vielleicht hatte er sie schon wieder vergessen. »Ich denke, es ist seltsam, daß das Gegenteil von Antimaterie nicht Promaterie ist. Ich denke, das sollte man der Klarheit wegen ändern.« »Wer bist du?« fragte Worf verwirrt. »Mark McHenry«, sagte der Rotschopf. »Und wer seid ihr?« »Simon und Worf Rozhenko«, sagte Simon. »Wer ist wer?« »Ähh... ich bin Simon. Das ist Worf«, erwiderte Simon. Erneut wechselte er einen Blick mit Worf. »Es überrascht mich, daß du nicht darauf gekommen bist«, sagte Worf trocken. »Ein menschlicher Name, ein klingonischer Name. Man müßte uns doch problemlos auseinanderhalten können.« »Du hast einen klingonischen Namen?« sagte McHenry. »Warum?« Simon mußte ein Lachen unterdrücken. Einen Augenblick lang dachte Worf, Simon wolle ihm vielleicht einen Streich spielen und habe sich mit McHenry abgesprochen. »Weil ich Klingone bin!« McHenrys Blick konzentrierte sich auf Worf, als sehe er ihn jetzt zum erstenmal. »Ja, allerdings«, sagte er. »Seit wann bist du schon Klingone?« »Schnallt euch an!« rief der Pilot und ersparte es Worf damit, die seltsame Frage zu beantworten. Worf kehrte schnell zu seinem Platz zurück. McHenry machte eine schnelle Handbewegung, starrte einen Moment lang ins Leere und fing dann an, an der Luft zu zupfen. Simon beobachtete ihn einen Augenblick lang und konnte es dann nicht mehr aushalten. »Was machst du da?«
»Ich versuche, Moleküle zu fangen«, erwiderte McHenry. »Aber du kannst Moleküle doch nicht mal sehen!« sagte Simon. »Ich weiß. Deshalb muß ich mir auch keinen Vorwurf machen, daneben gegriffen zu haben«, sagte er und schnappte erneut mit der Hand nach Luft. Simon sagte klugerweise nichts mehr.
Der Shuttle flog langsam über die Golden Gate Bridge hinweg und setzte dann auf der offiziellen Landefläche der Starfleet-Akademie auf. Worf drückte gaffend das Gesicht gegen das Fenster. Sein Vater hatte ihm die zahlreichen Gebäude, aus denen die Akademie bestand, oft beschrieben - eine fabelhafte Mischung aus Eleganz und Schlichtheit. Sie leuchteten weiß in der Mittagssonne und wirkten so makellos und neu, als wären sie am Vormittag und nicht bereits vor einigen Jahrzehnten erbaut worden. Er betrachtete seine Mitschüler. Soleta würdigte die Akademie kaum eines Blickes, nickte aber kurz und anerkennend. McHenry hingegen schien sie gar nicht zu bemerken. Er schien plötzlich versessen darauf, die Windungen auf seinen Fingerkuppen zu studieren. Und Simon... Einen Augenblick lang dachte Worf, Simon sei etwas nervös. Aber der Gedanke war natürlich lächerlich. Simon hatte sich sein Leben lang auf diesen Moment vorbereitet. Er war der beste, der klügste Kopf, den die Familie Rozhenko aufzuweisen hatte. Worf hatte sich bereits geistig dagegen gewappnet, im Schatten der sicherlich brillanten Karriere seines Bruders leben zu müssen. Worf würde einfach sein Bestes geben, und das würde genügen müssen. Der Shuttle setzte sanft auf, und kurz darauf verließ Worf das Fahrzeug als erster. In der Nähe sah er andere Shuttles, die gerade gelandet waren; ihre Passagiere betraten den Boden, über den schon Starfleet-Legenden wie Robert April, Matt Decker, James Kirk und Rachel Garrett geschritten waren. Die Luft war hier in San Francisco viel wärmer. Worf atmete sie tief ein, aber irgendwie kam sie ihm nicht stofflich vor. Als
hätte die Atmosphäre an diesem Ort keine Eigenschaften. Er
war schon seit langem an die beißende Schärfe gewohnt, die die
russische Luft mit sich zu tragen schien.
Und dann hörte er zu seiner Linken einen Fluch.
Die Worte waren ihm nicht vertraut, der Tonfall hingegen sehr. Überdies war er sich einigermaßen sicher, daß dieser Fluch ihm galt. Langsam drehte er den großen Kopf und sah sich einem Brikar gegenüber. Wie es bei allen Mitgliedern dieser Spezies der Fall war, hatte der Brikar kein einziges Haar auf dem Körper. Der Mode seines Planeten entsprechend, ging er barfuß. Er trug Hosen, die aus einem leuchtend schwarzen Material bestanden... irgendeiner Tierhaut, vermutete Worf. Des weiteren trug er einen schwarzen, offenstehenden Umhang. Seine Arme waren kräftig und muskulös. Er war dreigliedrig, seine Hände liefen in drei langen Gliedmaßen aus: in zwei V förmigen Fingern, denen ein Daumen gegenüberlag. Im Gegensatz zum Rest seines schroffen Äußeren wirkten die Hände relativ zart. Das war jedoch trügerisch, denn sie waren so kräftig wie der Rest von ihm. Seine Haut war von einem dunklen Braun, das an mehreren Stellen pechschwarz getupft war. Die eigentliche Hautoberfläche wirkte felsähnlich. Dies hatte den Ruf der Brikar begründet, eine sehr widerstandsfähige Spezies zu sein. Am deutlichsten drückte sich dies jedoch in der Form und dem Aussehen seines Schädels aus. Er war eckig und facettiert wie ein ungeschliffener Diamant. Seine Ohren waren kleine Löcher in den Seiten des Kopfes, und seine Nase bestand aus zwei vertikalen, parallelen Schlitzen, die zwischen den Augen begannen und unmittelbar über dem Mund endeten. Seine Augen waren schwarz und funkelten vor Verachtung. Da sein Bündel zu seinen Füßen lag, wußte Worf sofort, daß er gerade erst eingetroffen war. »Aha«, sagte er ruhig und so bedachtsam, wie es allen Brikar eigen war. »Die Gerüchte stimmen also. Ein Klingone unter uns.« Worf wollte schon zu einer scharfen Erwiderung ansetzen, sah dann jedoch, daß Simon besänftigend abwinkte. Immer mit der Ruhe. Laß dich von niemandem piesacken. Du bist nicht mehr
auf der Grundschule, schien er sagen zu wollen. »Das... ist richtig«, erwiderte Worf nach einem Augenblick. Der Brikar verzog vor unverhohlenem Abscheu das Gesicht. »Was hab' ich doch für ein Glück«, sagte er. »Endlich werde ich von der Akademie akzeptiert, und jetzt... jetzt... schmeißen sie die Zulassungsbestimmungen in den Papierkorb und nehmen jeden auf.« Worfs Mitreisende hatten den Shuttle mittlerweile verlassen. Andere Studenten, die den Wortwechsel aufgeschnappt hatten, kamen langsam näher. Worf fühlte sich äußerst unwohl in seiner Haut. Wenn Worf sich unwohl fühlte, machte er seinem Zorn normalerweise Luft, indem er auf etwas schlug... normalerweise auf einen unbelebten Gegenstand. Aber es war keiner in der Nähe, und der Brikar stellte allmählich eine schreckliche Versuchung dar. Das war jedenfalls keine Art, sich mit jemandem bekannt zu machen. »Mir ist nicht bekannt, daß die Zulassungsanforderungen herabgesetzt wurden«, sagte Soleta, die den Wortwechsel beobachtet hatte, wie ein Wissenschaftler eine Zellteilung beobachten würde. »Doch wenn sie herabgesetzt wurde, könnte dies vielleicht die Anwesenheit äußerst streitlustiger Individuen erklären. Die deine vielleicht auch?« Der Brikar warf ihr einen wütenden Blick zu, der die junge Vulkanierin nicht im geringsten störte. »Das ist nicht deine Angelegenheit, Vulkanierin«, schnappte er. »Mit dir habe ich keinen Streit.« Nun trat Simon dazwischen. »Und mit Worf hast du auch keinen«, sagte er energisch. »Worf, gehen wir.« Simon nahm seinen Bruder fest am Arm, und zuerst duldete Worf, daß er ihn wegführte. Doch der Brikar wollte die Sache nicht auf sich beruhen lassen. »Wie passend«, sagte er. »Der klingonische Hund läßt sich herumführen. Dir fehlt nur noch eine Leine.« Worf riß sich von Simon los und drehte sich zu dem Brikar um. »Und dir fehlt ein Maulkorb«, fauchte er. Mittlerweile hatten weitere Kadetten mitbekommen, daß hier etwas Ungewöhnliches vorging, und scharten sich um sie. Doch Worf achtete nicht auf sie. »Was hast du überhaupt für ein Problem, Brikar?« fragte er.
»Ich habe das Problem«, erwiderte der Brikar wie aus der Pistole geschossen, »daß alle Klingonen wissen, wie man irgendwo einfällt. Angreift. Ein Territorium an sich reißt. Sich irgendwo niederläßt, wo man nicht erwünscht ist. Wenn die Klingonen nicht vor fünfzig Jahren zur Föderation gekrochen gekommen wären...« »Wir kamen nicht gekrochen!« sagte Worf, dessen Wut allmählich den Siedepunkt erreichte. »Seid ihr doch!« sagte der Brikar. »Ihr kamt angekrochen, weil ihr Hilfe brauchtet, und habt eine Friedensinitiative in Gang gesetzt. Und als ihr dann wieder auf eigenen Füßen stehen konntet, habt ihr der Föderation sofort einen Messerstich in den Rücken versetzt...« »So ist es nicht gewesen«, schnaubte Worf durch zusammengebissene Zähne. »Worf, beruhige dich«, rief Simon. Er versuchte erneut, Worf am Arm fortzuziehen, doch der Klingone war ihm kräftemäßig weit überlegen, und nun wollte er sich nicht wegführen lassen. Der Brikar war unbarmherzig. »Genauso war es! Verbündete der Föderation, wenn es euch in den Kram paßt, Feinde, wenn ihr etwas anderes vorhabt. Ihr übernehmt unsere Planeten, mischt euch überall ein, wo man euch nicht haben will...« »Ich habe das gleiche Recht, hier zu studieren, wie du auch!« »Aber nur, weil niemand in Starfleet so klug war, nein zu sagen!« Niemand wußte genau, wer zuerst zuschlug, auch Worf und der Brikar nicht. Im einen Augenblick stritten sie noch, die Gesichter lediglich Zentimeter voneinander entfernt. Und im nächsten prallten sie gegeneinander, rangen, schoben und zerrten. Worf landete oben, holte aus und schlug so kräftig zu, wie er konnte. Es war, als hätte er gegen Granit geschlagen. Worf kämpfte den Reflex nieder, vor Schmerz laut aufzuheulen. Ganz im Gegenteil, er schlug den Brikar erneut so hart, wie er konnte, und hoffte, daß er sich dabei nicht die Finger brach. Der Schlag blieb nicht ohne Wirkung. Einen Augenblick lang schien der Brikar benommen zu sein, doch dann erholte er sich wieder und schlug zurück. Worf flog praktisch durch die Luft und prallte zu Boden. Nun war der Brikar oben und
schlug zu, doch er bewegte sich langsamer als Worf, der sich aus seinem Griff wand und den Schlägen auswich. Er holte mit den Beinen aus, erwischte den Brikar an den Knöcheln, und der größere Kadett ging zu Boden. Worf warf sich auf ihn, und sie wälzten sich herum, brüllten sich an und prügelten sich weiter. Simon versuchte, sich über den Lärm verständlich zu machen, hatte aber nicht den geringsten Erfolg damit. Die anderen Kadetten johlten viel zu laut und übertönten ihn. »Worf, um Himmels willen ...«, rief er, doch seine Stimme war lediglich eine von vielen und ging in dem Chaos unter. Die Sicherheitswächter hingegen konnten sich problemlos verständlich machen. »Was, zum Teufel, ist hier los?« brüllte derjenige, der als erster bei den beiden Streithähnen war. Sie hatten ihre Phaser gezogen und waren auf fast jeden erdenklichen Zwischenfall vorbereitet. Allerdings keineswegs auf den, zwei zukünftige Kadetten von Starfleet - einen Brikar und einen Klingonen - zu sehen, die in den heiligen Hallen der Akademie aufeinander einschlugen. Die anderen Kadetten wandten sich ab, als befürchteten sie plötzlich, ihre bloße Anwesenheit könne ausreichen, sie von der Akademie zu werfen, bevor sie mit ihrem Studium überhaupt begonnen hatten. Die Wächter umgaben die Kampfhähne und zerrten sie auseinander. Das war keine leichte Aufgabe, denn Worf und sein Widersacher waren mit jedem Pfund Lebendgewicht imstande, den Wächtern energischen Widerstand zu leisten. Doch die beiden waren hoffnungslos in der Unterzahl. Außerdem hatte die Tatsache, plötzlich von einem kleinen Meer roter Uniformen von Sicherheitswächtern umgeben zu sein, eine ziemlich einschüchternde Wirkung. Nach einem Augenblick war die Ordnung wiederhergestellt. »Mitkommen«, sagte einer der Wächter in einem Tonfall, der keinen Widerspruch zuließ. Dennoch versuchte Simon, das Schlimmste zu verhindern. »Sir, er ist mein Bruder, Sir.«
Der Wächter blieb stehen und betrachtete verwirrt Worf und den Brikar. Da keiner der beiden ein aussichtsreicher Kandidat zu sein schien, fragte er: »Welcher?« »Er«, sagte Simon und zeigte auf Worf. »Und er wurde provoziert. Ich habe gesehen...« »Das spielt keine Rolle«, sagte der Wächter standhaft. »Lassen wir den befehlshabenden Offizier die Sache klären.« »Aber...« »Willst du hier als Kadett anfangen, mein Sohn?« »Ja, Sir.« »In diesem Fall«, sagte der Wächter, »hast du bestimmt eine zumindest flüchtige Vorstellung davon, was es heißt, einem Befehl Folge zu leisten. Und ich befehle dir jetzt, aus dem Weg zu gehen.« Simon sah Worf hilflos an, und Worf zuckte kaum wahrnehmbar mit den Achseln und winkte ab. Er bildete mit den Lippen stumm den Satz: Mir wird schon nichts passieren. Nicht, daß er besonders davon überzeugt war, als die Wächter ihn zum Büro ihres befehlshabenden Offiziers führten. Sein einziger Trost war, daß der Brikar sich genausoviel Ärger wie er eingebrockt hatte. Was es ihm aber nicht leichter machen würde, dachte er, wenn man ihn in Rekordzeit wieder nach Hause schicken würde. Als seine Eltern ihn kurz nach dem wunderbaren Abschiedsfrühstück, das seine Mutter zubereitet hatte, zur Landestelle des Shuttles gebracht hatten, hatten sie sich bestimmt nicht vorgestellt, daß er zum Mittagessen schon wieder zu Hause sein würde.
Worf und der Brikar saßen auf entgegengesetzten Seiten des Zimmers. Die Arme verdrossen vor der Brust verschränkt, die Beine ausgestreckt, waren sie sich zumindest in ihrem Gebaren recht ähnlich. Mit dieser Vorstellung war Worf nicht besonders glücklich - mit dem Gedanken, etwas mit dem verhaßten Brikar gemeinsam haben zu können, und sei es auch nur die Körpersprache. Also veränderte er seine Haltung und schlug die Beine übereinander. Seltsamerweise hatte der Brikar gerade das gleiche tun wollen. Als er jedoch sah, daß Worf ihm zuvorgekommen war, verharrte er abrupt und behielt seine Haltung bei. Auf diese Weise saßen sie anscheinend eine Ewigkeit reglos da. Sie sprachen nicht miteinander und versuchten sogar, einander nicht anzusehen. Doch schließlich ging die Stille Worf etwas zu sehr auf die Nerven... besonders, nachdem sich das Bild hinzugesellt hatte, das er sich im Kopf von seinen enttäuschten Eltern gemacht hatte. »Warum hast du das getan?« fragte er. Der Brikar sah zu ihm hoch. »Was getan?« fragte er sanft. Worf gab ein Geräusch des Abscheus von sich. Wenn der Brikar irgendein Spielchen mit ihm treiben wollte, hatte er nicht die geringste Absicht, daran mitzuwirken. Doch nun, da das Schweigen gebrochen war, ließ der Brikar sich tatsächlich zu einem leisen, amüsierten Lächeln herab. »Weil ich dich weghaben wollte. Weil du hier nichts zu suchen hast. Und wenn ich dafür meinen eigenen Platz an der Akademie opfern muß, nehme ich das in Kauf.« »Ich habe hier genausoviel zu suchen wie du«, erwiderte Worf wütend. »Ich habe dir nichts getan...« »Aber irgendwann hättest du mir etwas getan«, sagte der Brikar. »Und nun wirst du dazu keine Gelegenheit mehr
bekommen.« Zuerst wollte Worf etwas darauf erwidern, doch dann sah er den entschlossenen, sturen Ausdruck auf dem Gesicht des Brikar. Derselbe Ausdruck der Feindseligkeit und Intoleranz, den er in der Vergangenheit so oft gesehen hatte. Er hatte geglaubt, hier würde es anders werden. Was für eine fürchterliche Enttäuschung war doch die Erkenntnis, wie sehr er sich geirrt hatte. Die beiden hatten sich nichts mehr zu sagen, und dann wurde eine Tür am anderen Ende des Zimmers geöffnet. Einen Augenblick später kam ein älterer Kadett heraus. Sein Gesicht war undeutbar. Mehr aus Höflichkeit denn aus Pflichtgefühl - schließlich argwöhnten beide jungen Männer in dem Raum, daß ihre Starfleet-Karrieren beendet waren, bevor sie angefangen hatten - erhoben sie sich und standen stramm. »Die Frau Admiral will Sie jetzt sprechen.« Mehr sagte der Kadett nicht. Worf und der Brikar traten an ihm vorbei in das Büro der Admiralin. Das Büro selbst war absolut makellos. Hier herrschte nicht die geringste Unordnung. Trophäen, Auszeichnungen, Belobigungen, Andenken - alles war ordentlich aufgereiht. Kleine Holos der Admiralin, die sie mit mehreren hohen Starfleet-Offizieren zeigten, füllten die Regale an den Wänden aus. Und alle betrachteten die Admiralin voller Zuneigung. Die Frau Admiral saß mit ineinander verschränkten Fingern hinter einem großen Schreibtisch. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht ließ nicht den geringsten Zweifel daran, wie ernst die Lage war. Ihr Gesicht war rund, ihr Haar weiß. Die Augen waren dunkle Teiche; die Lippen hatte sie zu einem finsteren Ausdruck der Mißbilligung geschürzt. Worf fragte sich, ob sie immer so aussah oder aus diesem Anlaß ein besonders finsteres Gesicht aufgesetzt hatte. Als die Tür sich zischend hinter ihnen schloß, ließ sie die beiden einen Augenblick lang stehen. Sie betrachtete sie, als wolle sie in just diesem Moment eine Entscheidung fällen, was sie in dieser Angelegenheit unternehmen wollte. Natürlich war Worf sich ziemlich sicher, daß sie schon lange, bevor der Brikar und er den Raum betreten hatten, gewußt hatte, was sie
tun würde. Ihm war nicht klar, worauf sie noch wartete. Warum sagte sie nicht einfach: »Ihr seid beide von der Akademie verwiesen.« Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, ohne den Blick von ihnen zu nehmen. »Setzen Sie sich, meine Herren«, sagte sie schließlich. Sie setzten sich, und das enge Leder der Hosen des Brikar erzeugte dabei ein seltsames, knitterndes Geräusch. »Ich bin Admiral Fincher, Dekan der Studenten«, sagte sie nach einem Augenblick. »Und Sie, meine Herren, sind... und ich benutze den Begriff weitgefaßt... Kadetten?« Ihr Tonfall machte klar, daß eine Antwort überflüssig, ja nicht einmal von ihr erwünscht war. Also schwiegen die beiden. Sie schüttelte den Kopf und schob einen leuchtenden Computerbildschirm beiseite. Dann richtete sie den Blick auf den Brikar. »Zak Kebron«, sagte sie. »Habe ich das richtig ausgesprochen?« »Ja, Ma'am«, murmelte er. »Sie sind erst der dritte Brikar, der die Akademie besucht. Ihre Prüfungsergebnisse waren außergewöhnlich gut. Das gilt besonders für Ihre Kraft und Reflexe.« »Nun ja«, sagte er und warf einen überlegenen Blick auf Worf, »wir Brikar werden schließlich genetisch gezüchtet, um...« »Schweigen Sie«, sagte sie energisch. Zak verstummte augenblicklich. Sie richtete den Blick auf Worf. »Worf Rozhenko«, sagte sie. »Unser erster Klingone.« Sie lehnte sich zurück und drückte die Fingerspitzen aneinander. »Ich bin mit Ihrem Adoptivvater geflogen, damals, als wir beide Raumratten waren, die frisch von der Akademie kamen. Er war ein beeindruckender Mann.« »Das ist er noch immer«, erwiderte Worf. Sie runzelte amüsiert die Stirn, das erste und kaum wahrnehmbare Anzeichen dafür, daß sie irgendeinen Aspekt dieser Situation amüsant fand. »Verzeihen Sie. Ich wollte nicht in der Vergangenheitsform von ihm sprechen.« Dann hielt sie kurz inne. »Haben Sie den Eindruck, daß meine Bekanntschaft
mit Ihrem Vater Ihnen irgendwelche Begünstigungen einbringen wird?« »Nein, Ma'am.« »Gut. Nun, meine Herren... einer der besten Ratschläge, die ich je gehört habe, ist, daß man nie eine zweite Chance bekommt, einen guten ersten Eindruck zu machen. Und Sie haben diese Gelegenheit in der Tat eindrucksvoll verstreichen lassen, nicht wahr?« Erneut hielt sie inne und warf einen Blick auf den Computerbildschirm. »Ich habe hier die psychologischen Profile der Kadetten Kebron und Rozhenko aufgerufen«, fuhr sie fort. »Sie besagen, daß es zwischen den beiden unausweichlich zu einem körperlichen Konflikt kommen wird. Die Brikar haben eine historische Abneigung gegenüber Klingonen, die auf ziemlich heftigen Grenzkriegen zwischen den beiden Spezies vor der Zeit der großen Allianz beruht. Sie haben bestimmt einige Horrorgeschichten über Klingonen gehört, nicht wahr, Kebron?« Er versuchte gar nicht erst, seinen Abscheu zu verbergen, als er Worf ansah. »Allerdings.« »Hmm«, machte die Fincher nichtssagend. »Und Sie, Rozhenko, haben schon mit solchen Individuen wie Kebron zu tun gehabt. In Ihrer Akte sind zahlreiche Schlägereien aufgeführt, die Ihre kleine Auseinandersetzung mit Kebron ziemlich unvermeidlich erscheinen lassen.« »Wie immer wurde ich provoziert«, sagte Worf. »Ich suche den Kampf nicht.« »Aber Sie gehen ihm auch nicht aus dem Weg.« »Das wäre nicht ehrenvoll.« »Hmm«, machte Admiral Fincher erneut und trommelte mit den Fingerspitzen auf die Schreibtischplatte. »Mit allem gebührenden Respekt, Frau Admiral«, sagte Worf, »es ist einfach, die psychologischen Profile zu betrachten und dann zu behaupten, die Schlägerei sei ›unvermeidlich‹ gewesen. Indem Sie behaupten, seine Erziehung habe dem Brikar keine andere Wahl gelassen, sprechen Sie ihn von der Verantwortung frei, sie provoziert zu haben...« »Ja, genau, wie Ihre Herkunft Ihnen keine andere Wahl läßt, was Ihre Reaktion darauf betrifft«, sagte die Fincher. »Sehen Sie sich das Datum dieses Berichts an, meine Herren.« Sie drehte den Computer herum, und Worf und Zak beugten
sich vor. »Er wurde vor zwei Monaten verfaßt?« fragte Zak. Die Fincher nickte langsam. »Was Ihnen beiden spontan erscheint, haben wir schon kommen sehen, als wir Ihre Bewerbungen akzeptierten. Wenn man ein guter StarfleetOffizier sein will, Kebron... Rozhenko..., muß man Situationen voraussehen, bevor sie eintreffen, und sich auf sie vorbereiten. Das ist neunundneunzig Prozent von dem, was wir hier lehren... man muß vorbereitet sein. Wenn Sie durch das Leben gehen und einfach nur auf das reagieren, was Ihnen w i d e r f ä h r t, w i r d S i e f r ü he r o d e r s p ä t e r d a s Wahrscheinlichkeitsgesetz einholen, und Sie werden von etwas überwältigt werden, mit dem Sie nicht gerechnet haben.« Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. »Haben Sie jemals von den ›Kalten Gleichungen‹* gehört, meine Herren?« Als die beiden die Köpfe schüttelten, fuhr sie fort: »Das ist eine sehr berühmte Kurzgeschichte, die in den frühen Tagen der Raumfahrt spielt. Damals mußte jedes einzelne Pfund, das ein Raumschiff befördert, genau berechnet werden, weil das Schiff nur über gerade genug Treibstoff verfügte, um einen dorthin zu bringen, wohin man gebracht werden mußte. In dieser Geschichte schlich sich ein junges Mädchen an Bord eines kleinen, nur mit dem Piloten bemannten Transportschiffs, weil es ihren Bruder auf einer Kolonie besuchen wollte. Nachdem der Pilot das Mädchen entdeckt hatte, stellte er fest, daß ihr zusätzliches, nicht eingeplantes Gewicht den Treibstoff zu schnell verbrauchte. Die Folge wäre die Bruchlandung des Schiffes und der Verlust der Fracht gewesen ... einer Fracht, die die Kolonisten dringend benötigten. Dem Piloten blieb keine andere Wahl, als das Mädchen von Bord zu werfen. Es starb. Ende. Das ist natürlich nur eine Geschichte und niemals passiert, doch es könnte unter den richtigen Umständen sehr schnell passieren. * Tom Goodwin, ›Die kalten Gleichungen‹ (›The Cold Equations‹), in: James Gunn (Hrsg.), VON CLEMENT BIS DICK, WEGE ZUR SCIENCE FICTION. SECHSTER BAND, München 1990, Heyne Bibliothek der Science Fiction Literatur 95; Anm. d. Übers.
Ich will darauf hinaus, meine Herren, daß der Weltraum eine unversöhnliche Umgebung ist. Er ist kalt. Er ist luftleer. Er ist lebensfeindlich und nimmt auf Dinge wie Intoleranz und Feindseligkeit keine Rücksicht. Dem Vakuum des Raums ist Ihre Hautfarbe völlig gleichgültig, oder Ihre politische Einstellung oder die Kraft in Ihren Armen oder die Gehirnzellen in Ihren Köpfen. Lediglich zwei Dinge können einen sehr schnellen und schmerzhaften Tod verhindern. Das erste ist die Unversehrtheit Ihrer Schiffshülle. Und das zweite sind Sie selbst und Ihre Kameraden.« Den letzten Satz ließ sie einen Augenblick lang im Raum schweben. »Ich gestehe ein, daß hier gewisse Vorurteile eine Rolle spielen«, sagte sie schließlich. »Es wäre sehr, sehr entmutigend, den ersten Klingonen, der je an der Starfleet-Akademie studiert, ein paar Stunden, nachdem er hier eingetroffen ist, wieder nach Hause zu schicken. Das wäre ein Mißerfolg, und Mißerfolge akzeptiere ich nicht gern. Genausowenig kann ich zulassen, daß Worf bleibt, und Sie nach Hause schicken, Kebron. Das wäre nicht fair.« »Er hat angefangen!« protestierte Worf. Die Admiralin hob streng einen Finger. »So etwas will ich nicht hören«, sagte sie energisch. »Das ist kein Schulhof, meine Herren. Das ist kein Spielplatz. Das ist die Starfleet-Akademie. Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, daß sich auf dem Gelände kein Spielgerät befindet. Haben Sie das große Schild gesehen, auf dem ›Starfleet-Akademie‹ steht? Allerdings haben Sie kein Schild mit der Aufschrift ›Zu den Wippen und Rutschen‹ gesehen. Das hätte Ihr erster Anhaltspunkt sein müssen.« Sie erhob sich von ihrem Stuhl. Worf war völlig verblüfft, daß sie kaum einen Meter und fünfzig groß war. Angesichts des reinen Charismas, das sie ausstrahlte, überraschte ihn diese Tatsache gewaltig: Er hatte erwartet, daß sie an die zwei Meter groß war. Sie ging langsam um die beiden herum. »Zu Ihren Gunsten spricht nur eins. Der Umstand, daß Sie sich noch nicht formell angemeldet haben. Rein formal sind Sie erst dann Kadetten, nachdem Sie sich angemeldet und eingetragen haben. Als Sie sich auf dem Hof zu dieser abscheulichen körperlichen Auseinandersetzung hinreißen ließen, waren Sie
sozusagen noch Zivilisten. Ich kann wohl kaum die Handlungen von Kadetten bestrafen, die zur Zeit des Verstoßes noch keine Kadetten waren. Gehe ich recht in der Annahme, daß Sie gern weiterhin an diesem Lehrinstitut studieren möchten?« Beide nickten. »Nun gut«, sagte sie. »Doch wie Sie diesen Unterlagen entnehmen können, hatten wir durchaus eine Ahnung, daß es zu solch einer Auseinandersetzung kommen würde, wenngleich wir nicht damit gerechnet haben, daß sie sich so schnell zutragen würde. Nichtsdestoweniger haben wir sie erwartet und konnten daher Vorbereitungen treffen, wie wir damit umgehen wollen. Kebron... Rozhenko... Sehen Sie sich an.« Der Klingone und der Brikar betrachteten einander mit düsteren Mienen. »Meine Herren«, sagte die Fincher, »Sie sehen Ihren neuen Zimmergenossen.« Es dauerte einen Augenblick, bis die beiden begriffen, was sie gerade gesagt hatte, und dann sprachen beide gleichzeitig. »Frau Admiral, mit allem gebührenden Respekt...« »Das wird nicht gutgehen...« »Ich kann mich nicht entsinnen, Ihnen eine Wahl gelassen zu haben«, sagte sie. »Es gibt natürlich zwei Fragen. Die erste lautet: Wie stark ist Ihr Wunsch, in Starfleet zu bleiben? Und die zweite... da ich davon ausgehe, daß Sie beide die Situation für unerträglich halten...« Beide nickten im Einklang. »In diesem Fall kommt es lediglich darauf an, wer von Ihnen als erster aufgeben wird. Sobald einer von Ihnen die Akademie verlassen haben wird, wird der andere es viel einfacher haben... ganz davon zu schweigen, daß er dann ein Zimmer für sich allein haben wird. Also... wer von Ihnen will uns verlassen?« Der Satz hing wie ein Geier in der Luft. Keiner der beiden jungen Männer wußte, wie er reagieren sollte. »Ich werde die Akademie nicht verlassen«, sagte Worf dann fest. »Ich habe auch nicht die Absicht«, sagte Zak mit ebenso
großer Überzeugung. »Na also!« sagte die Fincher fröhlich. »Dann sind wir jetzt anscheinend ja eine große, glückliche Familie. Doch sollte es noch einmal zu einem solchen Ausbruch kommen, wie wir ihn heute ertragen mußten, werden Sie beide von der Akademie verwiesen. Mir sind Spezies, Kriegsgeschichten und dergleichen völlig egal. Um es so auszudrücken, daß Sie es hoffentlich auch verstehen: Nun, da Sie sich auf unserem Spielplatz befinden, spielen Sie nach unseren Regeln. Wegtreten.« Sie drehten sich um und gingen zur Tür. »Ach ja, meine Herren«, fügte Admiral Fincher hinzu. »Willkommen an der Starfleet-Akademie.«
Als Worf seine Tasche von der Shuttle-Landefläche geholt und sein Quartier erreicht hatte, befand Zak Kebron sich schon dort. Zak hatte seine wenigen Besitztümer bereits ausgepackt. Bei einigen davon schien es sich um seltsame Statuen zu handeln, die er ordentlich in dem Raum verteilt hatte. Nun, eigentlich nicht ›verteilt‹. Sie nahmen genau die Hälfte des Zimmers ein... die rechte Hälfte. Auf seiner Schlafkoje ausgestreckt, einem felsähnlichen Gebilde, das eigens für den Brikar bestellt worden sein mußte, bedachte Zak den Klingonen keines Blickes, als Worf hereinkam. Statt dessen sprach er kurz und bündig, auf eine Art und Weise, die andeutete, daß er sich genau überlegt hatte, was er sagen wollte. »Achte genau auf die Linie«, sagte er. Und nun sah Worf sie: ein langer, schwarzer Strich, der durch die Mitte des Raumes gezogen war und ihn genau in zwei Hälften teilte. »Diese Seite«, sagte Kebron, »ist meine Seite. Die andere ist deine Seite. Halte alles, was dir gehört, einschließlich dir selbst, auf deiner Seite, und wir werden keine Probleme bekommen.« »Das meinst du wirklich ernst.« »Allerdings«, sagte Kebron. Einen Augenblick lang zog Worf es in Betracht, die Linie buchstäblich zu überschreiten. Aber ihm wurde klar, daß er damit eine Prügelei provoziert hätte. Er war immer stolz darauf gewesen, nie einen Streit angefangen zu haben. Also ging er zur anderen Seite des Zimmers und warf seine Koffer auf das Bett. »Ich hatte gehofft«, sagte er, »mir mit meinem Bruder ein Zimmer teilen zu können.«
»Ich hatte gehofft«, erwiderte Zak, »in den nächsten Jahren kein Klingonengesicht sehen zu müssen. Man bekommt eben nicht immer, was man haben möchte, nicht wahr?« »Was hast du für ein Problem?« fragte Worf verwirrt. »Mein Problem?« Zak drehte sich um und stützte sich auf einem Ellbogen ab. »Mein Problem, Klingone, besteht darin, daß ich alles über deine Spezies weiß.« »Ach ja?« »Ja.« »Und wie viele Klingonen kennst du?« Zak runzelte die Stirn. »Nur dich«, gestand er ein. Doch bevor Worf einen Kommentar über Zaks Mangel an Vertrautheit mit seinem Volk loswerden konnte, fügte Kebron schnell hinzu: »Aber ich habe einiges über euch gehört. Ich habe genug gehört. Mein Großvater hat mir alles über eure Gattung erzählt. Er hat mir von den Kriegen erzählt. Wenn man einem Klingonen auch nur eine Sekunde lang den Rücken zudreht, findet man ein Messer darin. Das hat er mir gesagt. Er hat mir von euern bösen Ritualen erzählt... daß ihr Menschenblut trinkt und am liebsten Menschenkinder eßt.« Worf war entsetzt. »Und du hast das alles geglaubt?« »Willst du meinen Großvater einen Lügner nennen?« »Dein Großvater war... falsch unterrichtet«, sagte Worf, der keinen Sinn darin sah, dieses Thema weiterhin zu verfolgen. »Sag mal, Kebron, warum teilst du das Zimmer mit mir, wenn du dermaßen davon überzeugt bist, daß Klingonen nicht vertrauenswürdig sind?« »Mir blieb ja wohl kaum eine Wahl«, stellte Kebron klar. »Und außerdem... Ich habe einen sehr leichten Schlaf. Versuche also keine Tricks, Klingone, oder wir werden feststellen, in wessen Rücken ein Messer stecken wird.« Worf ging zu seinem Schrank, um seine Sachen einzuräumen. Er stellte fest, daß bereits mehrere Starfleet-Uniformen darin hingen. Sie schienen genau die richtige Größe zu haben. Er schüttelte erstaunt den Kopf. Voraussicht... das konnte man laut sagen! Admiral Fincher hatte nicht nur genau gewußt, was sie tun würde, bevor sie es tat, sie war sich auch völlig sicher gewesen, daß sowohl er als auch Kebron einer Situation zustimmen würden, die keiner von ihnen für besonders angenehm hielt. Sogar so sicher, daß sie angeordnet hatte, ihre
Uniformen und eine spezielle Schlafkoje in dieses Zimmer zu bringen. Er zog sich um und legte die Kadetten-Uniform an. Damit setzte er die Tradition der Rozhenkos fort, in Starfleet zu dienen. Dies hätte eigentlich ein stolzer Augenblick für ihn sein sollen, doch er wurde von dem Abscheu in dem Blick verdorben, den Zak ihm zuwarf. »Weißt du, ich habe auch einiges über die Brikar gehört«, sagte Worf. »Arrogant. Anmaßend. Aufgeblasene Feiglinge, so hat man euch genannt. Du hast bislang wenig getan, was mich überzeugen könnte, daß diese Schilderungen übertrieben waren. Doch was dich betrifft, so kannst du mir nachspionieren, so lange du willst, und wirst niemals sehen, daß ich ein Menschenkind esse.« Mit diesen Worten verließ er das Zimmer und ging den Korridor entlang, um seinen Bruder zu suchen. Er fühlte sich seltsam unsicher. Es hatte eine Weile gedauert, bis er sich mit der Tatsache abgefunden hatte, daß er der erste Klingone in den heiligen Hallen der StarfleetAkademie sein würde. Aber seine alles andere als glorreiche Ankunft hatte ihn besonders empfindlich gemacht. Jeden neugierigen Blick, den man ihm zuwarf, interpretierte er als Gaffen. Jedes höfliche Nicken, jeder muntere Gruß war (so dachte er zumindest nach wenigen Minuten) lediglich ein Versuch, um irgendeine Feindseligkeit zu verbergen. Er wußte, daß er solche Gedanken nicht mehr lange hegen durfte. Damit würde er sich verrückt machen. Aber er kam nicht dagegen an. »Worf!« Er drehte sich um und sah, daß Simon, der bereits die Kadetten-Uniform trug, hinter ihm herlief. Sein Bruder legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Da bist du ja! Ich habe schon überall nach dir gesucht.« »Ich habe mich nicht versteckt.« »Das weiß ich«, sagte Simon mit dem zwanglosen Lachen, um das Worf ihn so beneidete. »Ich habe mich bei den Lamettahengsten erkundigt, und sie haben mir gesagt, daß man dich nicht hinausgeworfen hat. Ich war ja so erleichtert! Nicht wegen dir, keineswegs«, sagte er halb im Scherz. »Ich hätte nicht gewußt, wie ich Mama und Papa
erklären sollte, daß ich nicht gut genug auf dich aufgepaßt habe. Übrigens hast du die Begrüßungsansprache und die Führung durch die Akademie verpaßt.« »Ich habe meine Sachen ausgepackt.« »Es stand nicht angeschlagen, welches Zimmer du bekommen hast. Wo hat man dich untergebracht?« »Sektion vierundzwanzig, Zimmer sieben«, sagte Worf. Dann fügte er mit offensichtlicher Abneigung hinzu: »Sie haben mich mit dem Brikar zusammengesteckt.« »Nein! Mit dem, mit dem du dich geprügelt hast?« »Ja.« Simon schüttelte den Kopf. »Die Wege von Starfleet sind unergründlich. Ich dachte, wir würden uns ein Zimmer teilen.« Er zuckte mit den Achseln. »Na ja, ist wohl besser, als rausgeworfen zu werden... wenn auch nicht viel besser, würde ich sagen. Kommst du klar?« »Ich halte solange durch wie er. Länger«, berichtigte er sich. »Na schön. Komm mit, ich habe ein paar Leute auf meinem Zimmer, die ich dir vorstellen will.« »Ist ein Brikar dabei?« »Nein.« »Geh voran.« Simon führte ihn zu seinem Quartier. Als er die Tür öffnete, fiel Worf zuerst auf, daß das Zimmer von keiner Linie geteilt wurde. Irgendwie schien ihm das eine vernünftigere Einstellung zu sein, die Dinge zu handhaben. Er hörte auch mehrere Stimmen, die alle durcheinander sprachen, doch der Lärm verstummte abrupt, als Worf den Raum betrat. Mehrere der Insassen erkannte er augenblicklich wieder. »Du bist noch hier«, sagte die Vulkanierin Soleta interessiert. »Überaus faszinierend.« »Sie haben zugegeben, daß ich keine Schuld trug«, sagte Worf. »Es kommt mir wahrscheinlicher vor«, erwiderte Soleta, »daß sie den ersten Klingonen, der die Akademie besucht, nicht ausschließen wollten. Und sie konnten dich nicht hierbehalten und den Brikar von der Akademie verweisen. Was haben sie unternommen? Euch beiden ein Zimmer gegeben?« Worf versuchte, sich sein Erstaunen nicht anmerken zu lassen.
»Ja.« »Eine logische Vorgehensweise«, sagte sie. »Mark da drüben ist mein Zimmergenosse«, sagte Simon und zeigte auf den etwas entrückten Mark McHenry. »Marks Fachgebiet ist die Astronavigation. Nicht wahr, Mark?« McHenry war damit beschäftigt, aus einer seiner Socken eine Handpuppe zu fertigen. Worf starrte ihn ungläubig an. »Astronavigation? Ist das dein Ernst? Er findet doch kaum den Weg durch das normale Universum, ganz zu schweigen davon, den Weg durch den Warp-Raum auf einer Karte einzuzeichnen. Stell ihn hinter das Steuer, und er baut noch im Trockendock eine Bruchlandung!« »Komm schon, Worf, sei doch nicht so hart zu dem Jungen. Ob du es glaubst oder nicht, ich habe gehört, er sei ein Genie, wenn es um...« »Hallo, ihr da!« sagte Mark mit hoher Stimme, wozu er gleichzeitig den Mund seiner improvisierten Puppe bewegte. »Ich bin Marks Quark! Oder Mockes Socke, ganz wie ihr wollt!« »Wenn es worum geht?« sagte Worf trocken zu Simon. »Ums Bauchreden? Da hab' ich eine schlechte Nachricht, Simon. Ich habe gesehen, daß sein Mund sich bewegt.« »Na schön, na schön. Und das ist Tania Tobias.« Simon trat beiseite, und Worf machte direkt hinter ihm eine attraktive, junge Frau aus. Das erste, was Worf an ihr auffiel, waren ihre Augen, die so groß und dunkel wie die eines Rehs waren. Sie hatte eine kleine Nase, und da ihr Kinn spitz zulief, konnte man ihr Gesicht am besten als elfenhaft beschreiben. Ihre Haut war sehr weiß, fast alabastern, und ihr glattes, blondes Haar fiel ihr gerade bis auf die Schultern. »Es ist mir eine Freude, dich kennenzulernen, Worf«, sagte sie und gab ihm einen kräftigen Händedruck. »Ich freue mich auch, dich kennenzulernen.« »Wir haben beschlossen, eine Studiengruppe zu bilden. Vielleicht willst du ja bei uns mitmachen?« sagte Simon zu ihm. »Was für eine tolle Idee!« sagte Marks besockte Hand. Worf warf ihm einen kalten Blick zu. »Nur, wenn er den Strumpf in seinem Schrank läßt.«
Mark sah die Socke an. »Darf ich sie auch nicht an meinem Fuß tragen?« fragte er dann. »Doch«, sagte Worf ungeduldig. Mark zog die Socke über seinen Stiefel - nicht, um die anderen zum Lachen zu bringen, sondern, wie Worf vermutete, weil er einfach nicht mitbekommen hatte, daß er einen Stiefel trug. Worf hatte den leisen Verdacht, daß er sich über McHenrys verwirrende Anwesenheit nicht lange Sorgen machen mußte. Bei seiner Flapsigkeit würde er wahrscheinlich innerhalb von einer Woche wieder verschwunden sein. »Wißt ihr was«, sagte Simon. »Gehen wir in die Mensa und essen eine Kleinigkeit. Dabei können wir ja unsere Kurspläne besprechen. Alles in Ordnung bringen, über unsere Schwachpunkte sprechen ... und so weiter.«
Erneut verspürte Worf einen leisen Anflug von Eifersucht auf seinen Bruder. Seit seiner Ankunft hatte Worf es geschafft, sich auf einen Ringkampf einzulassen und sich vom Dekan einen Tadel einzufangen. In genau derselben Zeitspanne hatte Simon eine Studiengruppe organisiert und sich darauf vorbereitet, die wichtigsten Dinge zu klären. Worf konnte sich glücklich schätzen, ihn zu haben. Worf ging zur Tür, öffnete sie, ging hinaus... ... und bekam dann nur noch mit, daß ein harter Gegenstand aus Metall scheppernd herunterfiel, sich über seinen Kopf stülpte, ihm die Sicht nahm und, was am schlimmsten war, Wasser über seine gesamte Uniform strömen ließ. Hinter ihm erklangen erschrockene Schreie, und direkt vor ihm erscholl tosendes Gelächter. Langsam zog er den Eimer von seinem Kopf. Ein Student im dritten oder vierten Jahr stand gut einen Meter von ihm entfernt, krümmte sich vor Gelächter und heulte vor Freude. Er war schlank und hatte einen grauweißen Haarschopf, und als er sprach, hörte Worf einen schweren irischen Akzent heraus. »Wunderbar!« rief er und klatschte vor Erheiterung in die Hände. »Oh, mein Urgroßvater Sean Finnegan wäre so stolz, wenn er wüßte, daß sein Urenkel die Familientradition am Leben hält, anderen Streiche zu spielen! Oh, die Streiche, die er dem jungen James Kirk gespielt hat, werden nichts im Vergleich zu denen sein, die ich aushecken werde! Es wird...« Finnegan sah Worfs Faust gar nicht. Einen Tag später erwachte er auf der Krankenstation. Er hatte zwei Zähne verloren, ein blaues Auge und eine gebrochene Nase und konnte eine Woche lang keine feste Nahrung zu sich nehmen. Er konnte keine Beschwerde einlegen, weil er noch immer benommen war und nicht genau wußte, was überhaupt passiert war. Und die anderen wußten es auch nicht. Zumindest behaupteten sie das. Finnegan war überzeugt, mit einem schweren Gegenstand geschlagen worden zu sein. Zum Beispiel mit einem Barren in Gold gepreßtes Latinum. Oder von einem Shuttle überrollt worden zu sein.
Auf jeden Fall faßte er nie wieder den Mut, anderen Streiche zu spielen. Und von diesem Augenblick an achtete er sorgfältig darauf, einen weiten Bogen um die gesamte Studiengruppe zu machen.
Unterrichtsfach war die Erste Direktive Theorie und Praxis. Es war einer der Grundkurse, die alle Kadetten belegen mußten, und er beinhaltete zahlreiche Fallstudien und Szenarios, die oft zu lebhaften, ja sogar verbitterten Debatten zwischen den Studenten führten. Die Erste Direktive war das erste Gesetz von Starfleet. Sie besagte, daß eine Einmischung in die Angelegenheiten und die Entwick lung anderer Planeten und Zivilisationen verboten war. Und sie war das Fundament, auf dem alle anderen Aspekte der Erforschung des Weltraums aufbauten. Und es war Worfs erster Kurs. Als er das Klassenzimmer betrat, herrschte ein allgemeines Stimmengewirr. Die Kadetten unterhielten sich angeregt miteinander. Er machte auf ihren Gesichtern alle Regungen von äußerster Nervosität bis zu absolutem Selbstvertrauen aus. Der Hörsaal fiel nach unten ab, und auf beiden Seiten führten Treppen zum Dozentenpult. Viele der Plätze weiter oben waren bereits besetzt; die Studenten befolgten den uralten Brauch, so weit wie möglich von dem Dozenten entfernt zu sitzen. Dort, so hofften sie, würde er sie nicht sehen können. Diese Strategie ging nie auf, was die Studenten aber nicht daran hinderte, es auch weiterhin zu versuchen. Daher mußte Worf eine beträchtliche Strecke zurücklegen, bis er zu einer Reihe gelangte, in der noch ein Sitzplatz frei war. Und als er an den Reihen der Studenten vorbeiging, stellte er unwillkürlich fest, daß deren Gespräche abrupt verstummten ... und sofort von einem leisen Flüstern ersetzt wurden. Worf warf ihnen keinen einzigen Blick zu, wußte jedoch, daß sie über ihn sprachen. Dann konnte er der Versuchung nicht mehr widerstehen und sah zu ihnen hinüber, und, ja, sie warfen ihm in der Tat verstohlene Blicke zu. Es war eine dieser Situationen, in denen
die Leute unbedingt hinsehen, aber nicht dabei ertappt werden wollen. Daher bemühten sie sich, feinfühlig vorzugehen, benahmen sich dabei aber höchst auffällig. Tania Tobias saß auf halber Höhe des Hörsaals, und sie winkte Worf zu. Obwohl Worf sie erst seit kurzem kannte, war er von der aufrichtigen Freundlichkeit beeindruckt, die sie ihm entgegenbrachte. Da er war, wer er war, hegte er ihr gegenüber natürlich auch einen gewissen Argwohn. Doch in ihrer Reihe waren keine Plätze mehr frei, und so kam es gar nicht in Frage, sich neben sie zu setzen. Er ging weiter. Er bemerkte Simon, der in der Mitte der dritten Reihe von vorn saß. Simon bedeutete ihm, zu ihm zu kommen und sich neben ihn zu setzen. Einen Augenblick lang spielte Worf mit dem Gedanken, sich von seinem Bruder fernzuhalten. Worf galt eindeutig bereits als seltsamer Kauz; warum sollte er Simons Ruf ebenfalls verderben? Doch Simon blieb beharrlich, und das unvermeidliche Gefühl der Absonderung gewann die Oberhand über Worf. Er nahm neben seinem Bruder Platz. »Sie starren mich an«, flüsterte Worf ihm zu. Simon zuckte mit den Achseln. »Möglich. Na und? Man hat dich schon immer angestarrt, Worf. Jetzt treibt die Neugier sie dazu. Irgendwann einmal wird es die Bewunderung sein.« Er lächelte so ungezwungen, wie er es immer tat, und schlug Worf liebevoll auf die Schulter. Die Tür auf der gegenüberliegenden Seite des Hörsaals wurde geöffnet, und der Professor kam herein. Seine gekrümmte Nase, die weißen Haarbüschel und krumme Haltung verliehen ihm eine verblüffende Ähnlichkeit mit einer Eule. Das war Professor Lynch, und sein Ruf war legendär. Lynch ging zum Pult, drehte sich um und betrachtete die Studenten mit einem so durchdringenden Blick, daß er damit einen Deflektorschild hätte zusammenbrechen lassen können. Das leise Flüstern war verstummt. Das einzige Geräusch, das man nun im Hörsaal vernehmen konnte, war nervöses Schlucken. Worf blieb jedoch teilnahmslos sitzen. Tief in seinem Inneren war er bereits überzeugt, daß er es nicht durch die Akademie schaffen würde. Zu viele Faktoren sprachen dagegen. Das bedeutete nicht, daß er nicht sein Bestes geben würde. Andererseits hingegen würde es ihn kaum überraschen, wenn
Starfleet letztlich zum Schluß kam, noch nicht bereit für den ersten klingonischen Studenten zu sein. Und sollte er wirklich scheitern, würde er diesen Umstand akzeptieren, wie es sich gehörte. Schließlich hatte die Allianz zwischen den Klingonen und der Föderation seit der Konferenz auf Khitomer eine lange und schwere Geschichte hinter sich. Jedesmal, wenn ein Schritt vorwärts getan worden war, schienen sofort zwei Schritte rückwärts zu folgen. Seit dem edlen Opfer der Enterprise NCC 1701-C, die zerstört worden war, als sie tapfer einen klingonischen Außenposten auf Narenda III gegen einen Angriff der Romulaner verteidigte, war kaum ein Dutzend Jahre vergangen. Diese kühne Tat war der Wendepunkt in der Beziehung zwischen den Klingonen und der Föderation gewesen. Aber es war eine Tatsache, daß Terraner mit kurzem Geduldsfaden und langem Gedächtnis die Klingonen noch immer mit Mißtrauen betrachteten. Terraner... und Brikar. Worf schaute sich um, konnte Zak aber nirgendwo ausmachen. Er mußte einen Parallelkurs belegt haben. Worf war dankbar dafür. Professor Lynch hatte einen elektronischen Notizblock vor sich liegen, auf dem die Namen der Studenten verzeichnet waren. »In all meinen Kursen für das erste Semester«, sagte Lynch, »richte ich zu diesem Zeitpunkt die folgenden Worte an meine Studenten. Hören Sie genau zu. Diese Worte werden Sie durch die schwierigen Tage und langen Nächte bringen, die vor Ihnen liegen. Diese Worte werden Ihnen als Beispiel dienen, wie Sie versuchen können, in Starfleet zu dienen. Diese Worte werden Ihnen Kraft geben, während Sie zusehen, wie ein Klassenkamerad nach dem anderen in der Feuerprobe untergeht. Während Sie zusehen, wie ihre Hoffnungen und Träume von den anspruchsvollen, rigorosen und manchmal überwältigenden Anforderungen der Starfleet-Akademie zunichte gemacht werden. Und diese Worte lauten: Viel Glück. Sie werden es brauchen.« Und dann sagte er ohne jede weitere Einleitung: »Wenden wir uns nun dem Fall Eminiar VII zu. Mr...« Er warf einen Blick auf seinen Block. »Mr. Rozhenko.«
Worf und Simon wollten sich gleichzeitig erheben und sahen dann einander an. Falls Lynch überrascht war, zeigte er es nicht. »Ah. Zwillinge, vermute ich.« Im Hörsaal erklang leises Gelächter. »Sir«, sagte Worf schnell. »Darf ich eine Bitte vortragen?« Lynch neigte den Kopf, um anzudeuten, Worf solle fortfahren. »Bei meinem Volk wird der Vorname bei allen Formen der direkten Anrede benutzt, auch nach Anreden wie Mister. Der Hausname oder Nachname ist für formelle Anlässe reserviert. Um Verwechslungen zu vermeiden, sollte man mich mit ›Mister Worf‹ ansprechen.« »Nun gut.« Lynch gab einen Vermerk in den elektronischen Notizblock ein, der augenblicklich zu ähnlichen Geräten aller anderen Lehrer an der Akademie weitergeleitet wurde. »Aber ich habe mit Mr. Rozhenko gesprochen, Mr. Worf.« Erneut brandete Gelächter auf. Offensichtlich hatten die Studenten nichts dagegen, sich auf Worfs Kosten amüsieren zu können. Worf setzte sich, und Simon blieb stehen. »Eminiar VII«, wiederholte Lynch. Simon sagte nichts. Verwirrt sah Worf hoch. Simons bereitwilliges Lächeln war noch vorhanden. Aber es war auf seinem Gesicht erstarrt, und es steckte keine Aufrichtigkeit dahinter. »Mr. Rozhenko!« sagte Lynch noch lauter und energischer. »Wir warten. Würden Sie uns bitte etwas über Eminiar VII erzählen? Das war die Pflichtlektüre vor Beginn dieses Kurses. Haben Sie den Fall nachgelesen, Mr. Rozhenko?« Simons Mund bewegte sich, doch kein Geräusch kam über seine Lippen. Dann gelang es ihm endlich, sich zusammenzureißen. »J-Ja, Sir. Ich habe den Text gelesen. Ich war... Es waren so viele Fallstudien, daß mir auf Anhieb jetzt keine mehr einfällt...« Lynch trat um das Lesepult, ließ die Hand aber darauf liegen. »Angenommen, Sie befinden sich in einer Situation, in der es um Leben und Tod geht, Mister Rozhenko, und brauchen einen Starfleet-Präzedenzfall, der Ihnen verrät, was Sie tun
müssen... Glauben Sie, Sie könnten das Geschehen dann einfach zum Stillstand bringen, während Sie in Ihren Texten nach der richtigen Antwort suchen? Starfleet ist kein Gerichtshof, Mi-ster Rozhenko. Es wird Ihnen nicht möglich sein, die relevanten Fälle in aller Gemächlichkeit zu studieren, um dann einen Schriftsatz aufzusetzen. Sie müssen augenblicklich wissen, worum es geht, sonst kann es Sie oder Ihrer Mannschaft das Leben kosten. Ist das klar?« Simon schwitzte. Er hatte die Finger so fest um die Kanten seines Pults gedrückt, daß die Knöchel weiß hervortraten. Und Worf flüsterte so leise, wie er konnte: »Kirk...« »Kirk!« schrie Simon. Und dann quollen die Worte praktisch aus ihm heraus. »Die Enterprise flog auf einer diplomatischen Mission nach Eminiar VII. Eminiar war in einen computersimulierten Krieg mit ihrer Nachbarwelt Vendikar verstrickt. Computergenerierte Todesfälle wurden durch den freiwilligen Selbstmord der Bürger, die zu Verlusten erklärt wurden, in echte Todesfälle verwandelt.« Lynch nickte anerkennend. »Und was geschah dann?« »Die Enterprise wurde als Verlust erklärt. Statt zuzulassen, daß seine Mannschaft getötet wurde, hat Captain Kirk die Computer von Eminiar VII zerstört und damit den Krieg de facto beendet.« »Und damit hat er ein Unrecht begangen, nicht wahr?« Der Einwurf überraschte Simon völlig. »Sir...?« »Überprüfen Sie den Vorfall, Mr. Rozhenko«, sagte Lynch. »Eminiar hat versucht, die Enterprise zu warnen. Der Planet hat den Kode Sieben-Zehn gefunkt, der eine Kontaktaufnahme untersagt. Kirk hat ihn ignoriert - und begann bereits damit einen Verstoß gegen die Erste Direktive. Dieser Vorstoß führte zur theoretischen Vernichtung seines Schiffes und seiner Mannschaft. Und dann hat er Eminiars gesamte Lebensweise zerstört... ein noch offenkundigerer Bruch der Ersten Direktive. Hätten Sie auch so gehandelt?« Simon orientierte sich an dem Stirnrunzeln des Professors. »Äh... nein, Sir«, sagte er schnell. Seine Antwort rief bei Lynch ein ungläubiges Luftschnappen hervor. »Was? Dann hätten Sie Ihrer Mannschaft also befohlen, in den Tod zu gehen? Freiwillig in eine Desintegrationskammer zu marschieren? Was für ein kaltherziger Kommandant wären
Sie gewesen! Die Mannschaft hätte vielleicht gemeutert! Haben Sie das in Betracht gezogen, als Sie Ihre Leute in den Tod schickten?« »Nein... Ich meine, ja...« Worf war wie vor den Kopf geschlagen. Er hatte Simon noch nie so nervös gesehen... oder überhaupt einmal nervös. Ohne groß darüber nachzudenken, sprang er auf. »Captain Kirks Vorgehensweise war notwendig, Sir. Nicht richtig, nicht falsch. Notwendig.« »Ich habe nicht mit Ihnen gesprochen, Mr. Worf«, sagte Lynch. »Nein, Sir. Aber ich habe mit Ihnen gesprochen, Sir.« Mehrere Kadetten atmeten hörbar ein. Worfs Antwort kam einer Aufsässigkeit gefährlich nahe. Aber er hatte seine Stimme so neutral, ja sogar so respektvoll gehalten, wie es ihm nur möglich war. Lynchs Gesicht verdüsterte sich zu einem wütenden Stirnrunzeln. Und dann sah er dem jungen Klingonen ins Gesicht und - in diesem kurzen Augenblick - sogar ein wenig in dessen Herz. Und er sah einen jungen Mann, der seinem Lehrer Respekt und seinem Bruder Treue entgegenbrachte und nicht die geringste Angst um sich selbst hatte. Es war eine eindrucksvolle Mischung. Dem Professor gelang es, etwas von dem strengen Gesichtsausdruck zu bewahren. »Captain Kirk hatte eine Wahl.« »Nein, Sir. Er hatte keine, denn eine der beiden Möglichkeiten wäre gleichbedeutend mit dem Mord an seiner Mannschaft gewesen. Kein Starfleet-Offizier - kein Mann, wenn er sich wirklich Mann nennen will - hätte diese unehrenhafte Entscheidung getroffen. Damit blieb ihm nur eine Wahl. Und eine Wahl, Sir, ist keine Wahl.« Lynch schwieg einen geraumen Augenblick lang. »Wenn Sie noch einmal ohne Aufforderung das Wort ergreifen, Mr. Worf«, sagte er dann, »wird es sich in Ihren Noten bemerkbar machen. Setzen Sie sich - alle beide.« Sie taten wie geheißen.
»Gehen wir das Eminiar VII-Szenario Schritt für Schritt durch«, sagte Lynch, »und stellen wir fest, wo man die mögliche Katastrophe hätte verhindern können. Mr. DelVecchio«, sagte er und sprach dabei den Kadett Anita DelVecchio gemäß der Starfleet-Tradition mit ›Mister‹ an, »beginnen wir mit Ihnen...« »Ich weiß, warum du das getan hast«, sagte Worf. Simon hatte den Hörsaal schnell verlassen, doch Worf holte ihn mühelos ein. Sie schritten gemeinsam den Gang entlang. »Du kannst mich nicht hereinlegen, Simon.« »Ach nein?« Simon schaute nun wieder völlig gefaßt drein. »Nein. Ich weiß, warum du während des Unterrichts ›erstarrt‹ bist. Du hast versucht, mein Selbstvertrauen aufzubauen. Diese Fragen waren nicht schwierig, aber du hast so getan, als wüßtest du die Antwort nicht, damit ich dich ›retten‹ kann.«
Simon lächelte blaß. »War das so offensichtlich?« »Für mich schon. Es war sehr anständig... und genau das, was ich von dir hätte erwarten können.« Simon gab Worf einen Klaps auf den Rücken. »Es war kein Problem.« Worf nickte anerkennend - er lächelte nur selten - und ging zu seinem Zimmer weiter. In dem Augenblick, da er außer Sicht war, verblich Simons Lächeln, und er lehnte sich zitternd gegen die Wand.
Keiner aus der Gruppe hatte es so richtig glauben können. Die Legende von Mark McHenry war schnell ins Riesenhafte gewachsen, nachdem er im Navigations-Grundkurs zum erstenmal den Mund geöffnet hatte. Die Dozentin war der Ansicht gewesen, McHenry wäre eine leichte Beute für sie. Die anderen Studenten hatten starr vor Aufmerksamkeit auf ihren Plätzen gesessen und nur mit begrenztem Erfolg versucht, die Grundbegriffe der Astronavigation zu begreifen. Mark McHenry hatte den Eindruck erweckt, als wäre er ganz woanders. Er hatte dort ge sessen und die Lampe an der Decke betrachtet, als wären ihr Flügel gewachsen. Die Dozentin war sicher, daß McHenry ihr nicht die geringste Aufmerksamkeit schenkte. Sie trug ein langes, kompliziertes Problem vor, und sämtliche Studenten griffen nach ihren Taschenrechnern, um es in den Griff zu bekommen, versuchten verzweifelt mitzuhalten, während die Dozentin eine Variable nach der anderen einwarf. Freie Neutrinos, ein Quasar, ein mögliches Wurmloch - alle möglichen im Weltall auftretenden Phänomene, die man berücksichtigen mußte, wenn man einen Kurs ausarbeitete. Und während ihre Finger über die Tastaturen huschten, saß McHenry einfach da und hatte das Kinn auf die Hände gestützt, als versuche er, vorbeifliegende Elektronen zu zählen. »... und deshalb«, kam die Dozentin zum Ende, »müssen Sie Ihr Ziel in genau drei Tagen, neunzehn Stunden und zweiundvierzig Minuten erreichen. Mit welchem Warp-Faktor - bis auf die dritte Stelle hinter dem Komma - müssen Sie also fliegen... Mr. McHenry!« krähte sie triumphierend. Und wie aus der Pistole geschossen erwiderte Mark: »Warp 4,735926.«
Der Mund der Dozentin klaffte auf. Studenten, die ihre Taschenrechner benutzten, benötigten wenigstens weitere zehn Sekunden, um auf die Antwort zu kommen, die Mark gerade im Kopf errechnet hatte. Mark sah die Dozentin an, als bemerke er sie in diesem Augenblick zum erstenmal. »Oh... ich bitte um Verzeihung«, sagte er mit echtem Bedauern. »Bis auf die dritte Stelle hinter dem Komma, haben Sie gesagt. Dann also Warp 4,736. Ich nehme an, Sie wollten, daß ich aufrunde.« Sie nickte langsam und überprüfte erstaunt ihre eigene Berechnung. »Mr. McHenry... wie in aller Welt haben Sie das nur gemacht?« »Was?« fragte er mit ehrlicher Verwirrung. Die Gerüchte besagten, die Dozentin habe später, überzeugt davon, daß McHenry kein Mensch war, seine Akten studiert. Man hörte zufällig, wie sie einem Kollegen sagte: »Seit vor über einem Dutzend Jahren dieser Androide mit dem goldenen Gesicht hier studiert hat, bin ich von keinem mehr dermaßen aus der Fassung gebracht worden.«
Seit diesem Vorfall waren einige Tage verstrichen. Mark schien auch weiterhin nicht zu begreifen, wie lustig und einzigartig seine Leistung während dieser Vorlesung gewesen war. Sogar die Mitglieder seiner Studiengruppe brauchten eine Weile, um dahinterzukommen, wie Mark McHenrys Verstand funktionierte. Es gab zahlreiche Fächer, in denen Mark bestenfalls durchschnittlich war. Da er Schwierigkeiten hatte, sich darauf zu konzentrieren, hatte er nichts für tiefgehende philosophische Diskussionen übrig. Körperlich war er nicht besonders beeindruckend, und die Kurse, in denen Selbstverteidigung gelehrt wurde, gerieten für ihn fast zur Katastrophe. Er hatte grundlegende Kenntnisse vom Ingenieurswesen, mehr aber auch nicht. Doch wenn er das Reich der Navigation betrat, wäre die Behauptung, der Unterricht fiele ihm leicht, eine Untertreibung gewesen. Er fiel ihm sogar viel zu leicht. Mark konnte mit einer Geschwindigkeit, die sonst nur von Computern erreicht wurde, Kurse festlegen und Schiffe steuern... und Computer verfügten über keine menschliche Intuition, die ihnen die Aufgabe erleichterte. Da ihm die Sache einfach so zufiel, widmete er dem Unterricht nie die volle Aufmerksamkeit oder Konzentration. Also gab er sich Tagträumen oder Spekulationen hin oder arbeitete daran, bei Dingen, die ihm bislang unverständlich geblieben waren, zu einem tieferen Verständnis zu gelangen. Wenn die Dozenten ihn in diesem Zustand sahen, hatten sie zuerst stets den Eindruck, daß er nichts von dem mitbekam, was um ihn herum vorging. Sie begriffen nicht, daß er genauso aufmerksam war wie alle anderen Teilnehmer des Kurses, wenn nicht sogar viel aufmerksamer. Die Qualität und nicht die Quantität der Aufmerksamkeit stand zur Debatte. Und wenn es um Qualität ging, konnte niemand Mark McHenry das Wasser reichen. Nun saß Mark auf seinem Lieblingsstuhl in seinem Zimmer und sprach mit dem Rest der Studiengruppe den Unterricht der vergangenen Woche durch. Wenn es bei der Zusammenarbeit mit Mark eine Schwierigkeit gab, dann die, daß er nicht so leicht erklären konnte, wie er tat, was er tat. Er tat es einfach und hatte keine große Erfahrung darin, sein Vorgehen zu
analysieren. Sie arbeiteten schon seit drei Stunden daran. Schließlich lehnte Simon sich zurück und schaltete den elektronischen Notizblock aus. »In meinem Kopf dreht sich alles«, sagte er und rieb mit Daumen und Zeigefinger seinen Nasenrücken. Mark sah interessiert auf. »Wirklich? Ich hätte gedacht, deine Gehirnzellen würden eher schwimmen oder treiben... Sie haben ja gar keine Arme, mit denen sie sich drehen können. Oder... na ja, wahrscheinlich würden sie auch nicht schwimmen, son dern eher versinken, oder?« Soleta, Worf und Tania sahen ihn an. Simon, der sich schon längst daran gewöhnt hatte, lehnte lediglich den Kopf zurück. Worf erhob sich. »Ich gehe jetzt«, sagte er scharf und verließ ohne ein weiteres Wort das Zimmer. »Das war aber plötzlich«, sagte Tania. »Typisch«, sagte Soleta, die noch immer einen Text durchlas. »Klingonen sind eine extrem launische Spezies. Leider schwanken ihre Launen nur zwischen schlecht gelaunt und gereizt.« »Sei nett«, sagte Simon zu ihr. Soleta sah ihn an und zog eine Braue hoch. »Das sollte ein Scherz sein, nicht wahr?« Nun ging Tania zur Tür. »Gehst du heute abend noch einmal weg?« rief Soleta - die ihre Zimmergenossin war - ihr hinterher. »Ich werde meditieren und die Tür von einundzwanzig Uhr bis einundzwanzig Uhr dreißig verriegeln.« »Du hast dein Leben aber wirklich bis ins kleinste geplant, was?« sagte Simon. »Das ist ziemlich erstaunlich.« Soleta zuckte kaum merklich mit den Achseln. »Für mich ist ›erstaunlich‹, daß jemand sein oder ihr Leben nicht bis ins kleinste geplant hat.« »Mach dir keine Sorgen, Soleta«, sagte Tania. »Ich werde dich nicht stören. Ich habe auch etwas vor.« Sie trat auf den Gang und murmelte dann leise, nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte: »Wenn ich nur wüßte, was.« Aber sie wußte es, noch während sie es sagte. Sie wußte, bevor sie sich wieder in Bewegung setzte, daß sie zu Worf
gehen würde. Daß sie einfach mit ihm sprechen wollte. Sie nickte anderen Klassenkameraden, an denen sie vorbeiging, höflich zu, wich jedoch nicht von dem Weg ab, der sie zu Worfs Zimmer führte. Doch schon bald wurde sie langsamer, denn sie wußte nicht genau, welches Zimmer Worf hatte. Aber dann bekam sie einen Hinweis, der sie auf die richtige Spur brachte. Es war der Klang lauter Stimmen. Die eine erkannte sie augenblicklich als die Worfs. Die andere identifizierte sie kurz darauf als die des Brikar-Kadetten Zak Kebron. Die Stimmen waren leicht gedämpft - aber wirklich nur leicht -, was darauf hindeutete, daß sie aus einem Zimmer drangen. Tania fiel auf, daß das Gebrüll bei anderen Passanten nicht die geringste Reaktion hervorrief. Ihr wurde augenblicklich klar, daß diese lautstarken Auseinandersetzungen hier anscheinend so üblich waren, daß die Kadetten sich bereits daran gewöhnt hatten. »Wann bekommst du es endlich in deinen übergroßen Schädel?« brüllte Zak gerade. »Du bist hier einfach nicht willkommen!« »Ich habe das Recht, hier zu studieren!« erwiderte Worf. »Das Recht! Wir sprechen hier nicht über Rechte! Wir sprechen über die Geschichte. Und in der gesamten Geschichte hat niemand je einem Klingonen vertraut! Mir kommt es bemerkenswert vor, daß du so eitel bist, dir einzubilden, du allein könntest das ändern!« »Es ist genauso bemerkenswert, daß du dir einbildest, du allein könntest mich von der Akademie vertreiben!« »Ach, das glaube ich doch gar nicht, Klingone. Du hast bereits schmerzlich klargestellt, daß du uns auch weiterhin deine unerwünschte Anwesenheit aufzwingen wirst, ganz gleich, was alle anderen sagen. Oder stimmt das nicht?« Mittlerweile hatte Tania das Zimmer gefunden, aus dem das Gebrüll drang. Sie hielt einen vorbeigehenden Studenten an. »Sind die beiden immer so?« fragte sie ihn. »Ach, was«, erwiderte der Student. »Manchmal sind sie wirklich laut.« Tania stieß einen leisen Pfiff aus. Der Student ging seines Weges, und sie blieb vor der Tür stehen und überlegte, ob sie
auf die Klingel drücken sollte. Doch dann hörte sie, daß laute Schritte sich der Tür näherten. Aus irgendeinem Grund kam sie sich wie ein Spitzel vor, und sie trat zurück und drückte sich gegen die Wand, damit man sie nicht sofort sah. Die Tür öffnete sich zischend, und Worf stürmte hinaus. Er hatte die Hände zu Fäusten geballt und das Kinn vorgeschoben. Er zitterte am ganzen Leib, und Tania wurde klar, daß er sich mit aller Kraft bemühte, nicht die Beherrschung zu verlieren. Er sah sie nicht einmal, als er sich nach rechts wandte und den Korridor entlangging. »Meinetwegen brauchst du gar nicht erst zurückzukommen!« rief Zak Kebron ihm sarkastisch hinterher. Die Tür schloß sich zischend wieder, und Tania mußte sich zwischen drei Möglichkeiten entscheiden. Sie konnte Worf folgen. Sein Zimmer betreten. Oder einfach davongehen und so tun, als hätte sie nichts von dem Streit mitbekommen. Impulsiv trat sie in Worfs und Zaks Quartier. Die Tür hielt inne, öffnete sich kurz wieder, damit sie eintreten konnte, und schloß sich dann. Zak Kebron blickte hinter seinem Schreibtisch zu ihr hoch und runzelte die Stirn. In seinem schweren Gesicht bildeten sich daraufhin kleine Furchten. »Tobias, nicht wahr?« Sie nickte. Er deutete zur Tür. »Wenn du deinen klingonischen Freund suchst... den hast du knapp verpaßt.« Sie trat einen Schritt vor. »Warum haßt du ihn so sehr?« fragte sie. Zak lehnte sich zurück und betrachtete sie interessiert. »Warum, in aller Welt, interessiert dich das? Es geht dich nichts an.« »Er ist mein Freund. Er ist in meiner Studiengruppe. Wenn ihm etwas zu schaffen macht, macht es auch mir zu schaffen.« Zak hüstelte leise. Irgendwie klang es amüsiert. »Bist du sicher, daß es nicht mehr als nur das ist?« »Was meinst du damit?« »Ach, ich habe dich beobachtet. Wie du ihn immer so schnell grüßt. Wie du versuchst, in seiner Nähe zu sein, ohne daß er dich bemerkt. Du magst ihn.« »Und du haßt ihn.«
»Es ist nichts Persönliches. Ich hasse alle Klingonen. Ich kann nur nicht begreifen, wie ein Mensch sich mit einem Klingonen anfreunden kann.« Tania dachte lange über ihre Antwort nach. Dann ging sie langsam zu Zak hinüber und hockte sich auf die Kante seines Schreibtisches. »Hast du je von Khitomer gehört?« fragte sie ihn. »Natürlich. Der Planet, auf dem die erste große Friedenskonferenz zwischen den Klingonen und der Föderation stattfand. Das erste in einer langen Reihe von Treffen mit den Klingonen, die zwangsläufig zu gebrochenen Versprechen und Kriegsdrohungen führten.« »Und darüber hinaus weißt du nichts über Khitomer?« »Was gibt es da noch zu wissen?« »Nun, ich dachte nicht an die Friedenskonferenz auf Khitomer im Jahre 2293. Ich dachte an den Angriff auf Khitomer, der über fünfzig Jahre später erfolgte.« »Dann gab es eben einen Angriff«, sagte Zak. »Na und?« Sie betrachtete ihn einen Augenblick lang, als überlege sie, ob sie fortfahren solle oder nicht. Doch nachdem sie bereits so weit gegangen war, konnte sie wohl kaum noch zurück. »Auf Khitomer befand sich ein klingonischer Außenposten, und Romulaner haben ihn angegriffen. Niemand weiß genau, warum. Allgemein geht man davon aus, daß der Angriff zu einem Zeitpunkt erfolgte, der nach der romulanischen Zeitrechnung einen Jahrestag der Friedenskonferenz darstellte. Die Romulaner und Klingonen waren einmal Verbündete...« »Nie zuvor haben zwei Rassen einander so sehr verdient«, sagte Zak. »... und der Zerfall dieser Allianz war für sie ein sehr wunder Punkt. Er führte zu jahrelangen Kämpfen. Auf jeden Fall entschlossen die Romulaner sich, Khitomer anzugreifen, und richteten unter der Bevölkerung ein Massaker an. Es war ein hinterhältiger Angriff, der nur durch Verrat ermöglicht wurde. Viertausend Klingonen, Zak... viertausend... sind bei dem Gemetzel gestorben. Männer. Frauen. Kinder. Romulanische Plasma-Waffen nehmen keine Rücksicht auf das Alter oder das Geschlecht.« »Als ob die Klingonen etwas um ihre Opfer gegeben hätten«, sagte Zak. Aber er sagte es nicht mit seinem üblichen Poltern.
Auch wenn er Klingonen nicht ausstehen konnte, der Gedanke an ein solches Gemetzel war ihm äußerst zuwider. »Mein Vater«, fuhr sie fort, »diente an Bord der Intrepid, als das Schiff einen Notruf empfing. Sie flogen nach Khitomer, trafen aber zu spät dort ein. Der Schaden war angerichtet. Überall blutige Leichen... soweit das Auge blicken konnte. Es war ein wissenschaftlicher Außenposten gewesen, Kebron. Er hat niemandem Leid zugefügt. Aber das war den Romulanern völlig gleichgültig. Sie haben jeden getötet, an den sie herankamen.« Sie hielt inne, damit ihre Worte Eindruck machen konnten, »Die Intrepid beamte Hunderte von Mannschaftsmitgliedern auf den Planeten, die beim Aufräumen helfen und Leben retten sollten, wo immer es ihnen möglich war. Mein Vater war nur bei wenigen Außenteams dabei... er war Ingenieur. Aber der Captain stellte für die Hilfsaktion alle entbehrlichen Leute zur Verfügung. Er hat mir erzählt... er hat mir so oft erzählt, daß er so etwas noch nie gesehen hatte. Und am meisten beeindruckte ihn, wie tapfer die Klingonen waren. Kein Stöhnen. Kein Schluchzen. Keiner, der ›Bitte helfen Sie mir!‹ jammerte. Sie waren massakriert worden, aber trotzdem waren die Überlebenden ungebrochen. Er hat mir von einer Klingonin erzählt. Sobald sie sie unter dem Schutt hervorgezogen hatten, machte sie sich daran, andere auszugraben. Er fand erst viel später heraus, daß sie einen gebrochenen Arm und zwei gebrochene Rippen hatte. Sie machte einfach weiter und ignorierte den Schmerz.« »Willst du auf etwas Bestimmtes hinaus?« fragte Zak und bemühte sich, ungeduldig zu klingen. Tania fuhr fort, als hätte er nichts gesagt. »Und an einen Vorfall erinnere ich mich besonders gut. Mein Vater ging mit einem anderen Mannschaftsmitglied - einem WarpfeldSpezialisten namens Sergey Rozhenko - an einem Schutthaufen vorbei. Und zwischen den Trümmern ragte eine kleine Hand hinaus. Zuerst dachten sie, derjenige, dem die Hand gehörte, sei tot. Doch dann sah Rozhenko, daß die Hand sich bewegte, ganz leicht nur. Als versuche sie mit der geringen Kraft, die ihr noch geblieben war, sich aus dem Schutt zu befreien.
Rozhenko lief zu dem Schutthaufen und räumte die Trümmer beiseite. Mein Vater half ihm. Und dort lag... verbrannt, schwer verletzt, gerade zum Waisen geworden... ein sechsjähriger Klingone. Er gab keinen Ton von sich. Auf seinem Gesicht war keine einzige Träne zu sehen. Als Rozhenko fragte, wo seine Eltern seien, konnte er sie zu ihnen führen. Nun ja... zumindest zu der halben Tonne Schutt, unter der ihre Leichen lagen. Schließlich sagte Rozhenko zu ihm: ›Wie heißt du?‹ Und der kleine Klingone sagte: ›Worf.‹ Und nun, Zak Kebron... vergleiche deine Kindheit mit der von Worf Rozhenko. Du sprichst davon, wie sehr deine Spezies gelitten hat. Aber was ist mit dir persönlich? Und wie sieht dein Leiden neben dem aus, was Worf durchgemacht hat?«
Zak Kebron sagte nichts. Tania glitt vom Schreibtisch und ging zur Tür. Dort blieb sie stehen und drehte sich zu ihm um. »Ich werde dir jetzt nicht sagen, was du zu tun hast, Zak. Aber wenn ich du wäre, würde ich es Worf vielleicht etwas einfacher machen... nur ein wenig. Denn sehen wir den Tatsachen doch ins Auge. Wenn du glaubst, du könntest ihn verletzen, machst du dir selbst etwas vor. Verglichen mit dem, was er schon durchgemacht hat, ist alles, was du ihm antun könntest, doch nur eine Kleinigkeit.« Dann ging sie hinaus und ließ Zak Kebron mit seinem Lehrstoff allein.
Ein paar Wochen später ging Worf, ein Tablett mit seinem Mittagessen in den Händen, durch die Mensa. Man hatte ein besonderes Replikator-Programm geschrieben, das klingonisches Essen herstellte. Der Geschmack war aber nicht ganz richtig, und Worf war von den Ergebnissen nicht besonders begeistert. Diese Meinung wurde von den anderen Kadetten geteilt. Sie hatten die ursprüngliche Abscheu, die sie überkam, wann immer Worf sich mit seiner Mahlzeit neben ihnen niederließ, zwar schon längst überwunden, aber er war beim Essen nicht gerade ein gerngesehener Gefährte. Nur selten stand jemand auf, winkte und rief: »Worf! Komm mit deinem Teller und diesem ekelhaften, wurmähnlichen Kriechzeug hierher!« Eine Zeitlang hatte Kadett Stanislaw abzunehmen versucht. Also bestand er darauf, seine Mahlzeiten immer in Worfs Nähe einzunehmen. Wenn er Worfs Essen betrachtete, verging ihm auf der Stelle der Appetit, und nach kurzer Zeit hatte er bereits fünfzehn Pfund verloren. Nachdem er jedoch das gewünschte Gewicht erreicht hatte, zog er es wieder vor, mit Kadetten zu essen, die weniger widerwärtige Mahlzeiten zu sich nahmen. Also aß Worf normalerweise mit Simon, dem die klingonischen Eßgewohnheiten zumindest vertraut waren. Er stellte sein Tablett neben dem seines Bruders ab. »Wie geht es dir?« fragte er, ohne Simon richtig anzusehen. Doch als er keine Antwort bekam und ihn schließlich anschaute, blinzelte er überrascht. Simon schlief. Er hatte eindeutig vorgehabt, lediglich kurz die Augen zu schließen, und den Kopf auf die Faust gestützt. Doch nun schnarchte er leise vor sich hin. »Simon!« flüsterte Worf barsch und stieß seinen Bruder an. Simon fuhr leicht zusammen, riß die Augen auf und sah sich
verwirrt um. »Was...?« »Simon, was ist los mit dir?« »Oh.« Er versuchte hektisch, sich den Schlaf aus den Augen zu reiben. »Ich habe noch etwas länger gelernt, das ist alles.« Worf sah ihn mißtrauisch an. »Etwas länger? Die Studiengruppe hat um dreiundzwanzig Uhr Schluß gemacht. Wie lange bist du dann noch aufgeblieben?« »Noch drei, vier Stunden...« »Warum?« »Es gab da ein paar Dinge, die ich nicht kapiert habe, klar? Einen Warpsinus, den ich nicht auf Anhieb verstanden habe. Das ist alles.« Worf war sprachlos. »Ich dachte, das wäre völlig klar. Du hast mit keiner Silbe angedeutet, daß du...« »Ich wollte die anderen nicht aufhalten, klar? Jetzt habe ich es kapiert. Mir ist ein Licht aufgegangen. Wir brauchen kein Wort mehr darüber verlieren, in Ordnung?« Das alles kam Worf sehr seltsam vor. Die Warpsinus-Ratios gehörten zum Elementarstoff. Worf war kein Genie, wenn es um solche Dinge ging, doch sogar er hatte sie ziemlich schnell in den Griff bekommen. Und dann wurde ihm klar, daß Simon sich nur wie Simon verhielt. Es genügte ihm nicht, einfach etwas zu verstehen. Simon hatte die Grundlagen bestimmt sofort begriffen. Und wie Worf ihn kannte, arbeitete er nun vor, versuchte, den anderen Studenten und vielleicht sogar dem Dozenten einen Schritt voraus zu sein. Ja, das wäre typisch für ihn. Während die anderen sich noch mit den Grundlagen herumschlugen, war Simon ihnen um Lichtjahre voraus und beschäftigte sich schon mit den Anwendungen für Fortgeschrittene. Und dies machte er wahrscheinlich, um mit dem Stoff vertraut zu sein und Worf helfen zu können, wenn der mal ein Brett vor dem Kopf hatte und (wie es zwangsläufig geschehen würde) mit der Materie nicht mehr klarkam. Denn Simon war nun mal ein so rücksichtsvoller Bruder. »Na gut, Simon«, sagte Worf lahm. Er wollte nicht durchblicken lassen, daß er Simon auf die Schliche gekommen war. »In Ordnung.« Mark McHenry ließ sich auf dem Stuhl neben ihnen nieder.
Sein Tablett klapperte laut, als er sich setzte. Er musterte Simon und Worf eindringlich. »Warum gibt es einfach kein Wort, das sich auf Orange reimt?« fragte er. Die Gebrüder Rozhenko sahen einander an. Und dann rief ein Kadett im vierten Jahr laut: »Kadetten!« Diesen Tonfall kannten sie mittlerweile ganz genau. Sie sprangen auf und standen stramm. Direktor Sulak betrat die Mensa und ging zur vorderen Wand. Die Kadetten blieben stehen und sahen starr geradeaus. Sulak erreichte die vordere Wand und drehte sich zu ihnen um. »Kommando zurück!« sagte der eindrucksvolle Vulkanier mit tiefer Stimme. Die Kadetten nahmen augenblicklich wieder Platz, blieben reglos sitzen und warteten geduldig darauf, daß Sulak das Wort an sie richtete. »Professor Lupisky«, sagte er, »hat einen Shuttle-Unfall gehabt. Zum Glück war er nicht tödlich, doch der Professor wird den Rest der Woche über keinen Unterricht geben können.« »Er sollte uns in Kampfstrategie unterrichten«, flüsterte Worf seinem Bruder zu. »Daraus wird nun wohl nichts«, erwiderte McHenry genauso leise. »Ich bitte um Ruhe«, sagte Sulak. Worf zuckte zusammen, verärgert darüber, daß er vergessen hatte, wie scharf die Ohren eines Vulkaniers waren. »Allerdings sieht Professor Lupisky keinen Anlaß, Ihnen eine Woche freizugeben. Daher werden Sie in der Zeit, in der sein Kurs stattfinden sollte - und auch in Ihrer Freizeit - eine Prüfungsarbeit über das folgende Thema vorbereiten. Vor zwei Jahren geriet Captain Jean-Luc Picard, während er das Kommando über die USS Stargazer hatte, im System Maxia Zeta in einen Hinterhalt. Er improvisierte eine Kampftechnik, die den Spitznamen ›Picard-Manöver‹ erhalten hat. Diese noch nie dagewesene Prozedur führte dazu, daß seine Mannschaft überlebte, wenn auch auf Kosten des Verlusts des Schiffes. Sie haben die Aufgabe, zwanzig bedeutende Schlachten in der Geschichte von Starfleet auszuwählen. Dann werden Sie ausarbeiten, wie diese Schlachten anders
hätten ausgehen können, wäre das Picard-Manöver damals schon bekannt gewesen. Das ist alles.« Ohne ein weiteres Wort drehte Sulak sich um und verließ die Mensa. In dem Augenblick, da er durch die Tür ging, begannen die Kadetten, sich leise miteinander zu unterhalten und Vorschläge zu machen, über welche Schlachten sie schreiben konnten. »Darf ich mich zu euch setzen?« Simon und Worf schauten auf und sahen, daß Tania mit einem Tablett vor ihnen stand. Simon rutschte ein Stück, und Tania nahm Platz. »Ich habe gehört, wie mein Vater über die Sache mit der Stargazer sprach«, sagte Simon. »Picard ist vor ein Kriegsgericht gestellt worden.« »Das überrascht mich nicht«, sagte Worf. »Ein Captain sollte mit seinem Schiff untergehen. Ich könnte nie unter solch einem Mann dienen.« »Worf, ist dir schon mal in den Sinn gekommen, daß man dir vielleicht nicht die Wahl läßt, unter wem du dienst?« fragte Tania lächelnd. »Außerdem sprach das Kriegsgericht keine Verurteilung aus, wenn ich mich recht entsinne. Also war Starfleet wohl nicht der Ansicht, daß seine Vorgehensweise unangemessen war.« »Nun ja«, sagte Worf steif, »bei einem Prozeß vor dem Kriegsgericht spielen viele Faktoren eine Rolle. Wer weiß schon, welche Taktik der Verteidiger eingeschlagen hat.« »Ja, sicher«, sagte Tania. »Vielleicht war der Verteidiger ganz gewitzt und hat... nun ja... Mannschaftsmitglieder in den Zeugenstand gerufen, die Picards Einfallsreichtum ihr Leben verdankten.« Worf gab ein ablehnendes Schnauben von sich. »Es ist sinnlos, darüber zu sprechen«, sagte er. »Die ganze Angelegenheit ist strittig.« Sie zuckte mit den Achseln. »Na schön. Sollen wir gemeinsam an unseren Erörterungen arbeiten?« Sie sah ihn mit ihren großen, dunklen Rehaugen an. »Vielleicht«, erwiderte Worf lediglich. »Wir können später darüber sprechen. Wenn ihr mich jetzt entschuldigt...« Er erhob sich und ging in Richtung Tür. Simon drehte sich zu Tania um. »Bin gleich wieder da«, sagte er und lief seinem
Bruder hinterher. »Worf!« flüsterte er, als er ihn eingeholt hatte. »Muß dir jemand erst ein Brett über den Schädel ziehen?« Worf sah ihn verwirrt an. »Hoffentlich nicht. Warum?« »Tania, Worf! Wie sie dich ansieht! Wie ihre Stimme immer weicher wird, wenn sie mit dir spricht!« Worf runzelte die Stirn. »Ich verstehe nicht ganz...« »Sie ist verrückt nach dir, Worf. Du bist so sehr damit beschäftigt, die Stirn zu runzeln, daß du gar nicht mitbekommst, was in der Welt um dich herum vorgeht!« »Unsinn«, sagte Worf nachdrücklich. »Sie hat nicht besonders viel für mich übrig.« »O doch, das hat sie!« »Und selbst wenn... Sie ist ein Mensch. Ich bin Klingone.« »Ein Klingone, der unter Menschen aufgewachsen ist! Wenn sie sich für dich interessiert, solltest du darauf reagieren.« Er faßte Simon fest an den Schultern. »Simon... bestenfalls bin ich für sie ein Objekt, an dem sie ihre Neugier befriedigen kann. Das ist alles. Ich werde nicht das - wie lautet der Ausdruck? - das Versuchskaninchen spielen, mit dem sie experimentieren kann. Wenn sie neugierig ist, soll sie ihre Neu gier anderswo ausleben.« Bevor Simon noch ein einziges Wort sagen konnte, drehte Worf sich um und verließ die Mensa.
Commander Clark war einer der bekanntesten Experten von Starfleet, was den Nahkampf betraf. Er bewegte sich mit einem Selbstvertrauen und einer Zuversicht, für die Worf unwillkürlich Bewunderung empfand. Die Kadetten trugen weit sitzende Trainingsmonturen. Sie saßen in der Lotus-Position in einem Kreis auf dem Boden. Clark ging, die Hände locker auf dem Rücken verschränkt, um den Kreis herum. Er war breitschultrig und muskulös. Sein Haar war grau und kurz geschnitten und lief in der Mitte der Stirn spitz zu. Seine Hände waren unglaublich schwielig, und die Beinmuskeln schienen wie aus Marmor gemeißelt zu sein. Worf beobachtete ihn aufmerksam und prägte sich jede seiner Bewegungen ein. Gegenüber von Worf saß Zak Kebron. Worf versuchte, den Brikar keines Blickes zu würdigen. Es war schon schlimm genug, daß er ihn die ganze Zeit über in ihrem ge meinsamen Quartier anschauen mußte. »Bislang«, sagte Clark, »haben wir den unbewaffneten Nahkampf trainiert. Sie dürfen nicht zulassen, daß Sie von Phasern abhängig werden - besonders diejenigen von Ihnen nicht, die sich auf den Sicherheitsdienst spezialisieren wollen. Sie müssen in der Lage sein, Gegner auch ohne die Hilfe einer Schußwaffe zu entwaffnen und auszuschalten. Stimmen wir in dieser Hinsicht überein?« Überall im Kreis nickende Köpfe. »Wir haben uns für den Angriff bislang auf die Grundlagen des Taekwondo konzentriert, da Ihnen bei diesem Kampfsport der Einsatz der Beine eine größere Reichweite ermöglicht. Und für die Verteidigung haben wir uns auf Aikido konzentriert, da Sie damit die Körperkraft Ihres Gegners zu Ihrem Vorteil einsetzen können. Es gibt in der Galaxis viele verschiedene
Lebensformen... und viele von ihnen verfügen über wesentlich höhere Körperkräfte als ein durchschnittlicher Terraner.« Zak nickte zustimmend. Worf sagte nichts, rümpfte im Geist aber die Nase. »Es gibt auch zahlreiche Waffen«, fuhr Clark fort, »mit denen Sie sich vertraut machen müssen. Man kann nie wissen, wann man sich auf einen Nahkampf einlassen muß. Und es gibt sogar Gelegenheiten, bei denen ein solcher Nahkampf in der Gesellschaft, die man gerade besucht, eine rituelle Bedeutung hat und obligatorisch ist. Die Erste Direktive weist uns an, den örtlichen Gepflogenheiten zu folgen, wann immer dies möglich ist. Sie werden sich nicht tagtäglich auf Duelle und dergleichen einlassen müssen, müssen aber stets auf solche Möglichkeiten vorbereitet sein. Dieser Aspekt der Selbstverteidigungskurse wurde von Admiral James T. Kirk persönlich eingeführt, als er hier an der Akademie lehrte. Bei seinen Reisen mußte er eine Vielzahl von Waffen handhaben. Zum Glück lernte der Admiral schnell, und dieser Umstand hat ihm das Leben gerettet. Aber er glaubt daran - wie wir auch -, daß es am besten ist, stets auf alles vorbereitet zu sein.« Clark ging zu einem Schrank hinüber und holte zwei lange Stäbe hinaus. Einfache Holzstöcke, aber trotzdem sahen sie irgendwie gefährlich aus. »Bei einer Reihe von Waffen, die in der gesamten Galaxis verwendet werden, handelt es sich um Variationen des antiken terranischen Kampfgeräts, das man lapidar als Stock bezeichnet. Die Vulkanier haben zum Beispiel den Lirpa, der am einen Ende wie ein Knüppel geformt ist und am anderen über eine ziemlich gefährliche Klinge verfügt. Die Pamanianer haben den Syzke, an dessen beiden Enden zerrissene Stofftücher befestigt sind. Das klingt vielleicht absurd, bis man begreift, daß man damit einem Gegner kurzzeitig die Sicht nehmen kann. Und wenn man im Nahkampf seinen Gegner auch nur einen Moment lang aus den Augen verliert, könnte dies zu einem schnellen Ende des Kampfes führen... und, im schlimmsten Fall, auch zu dem des Unterlegenen.« Aus den Augenwinkeln bemerkte er, daß Worf den Eindruck machte, als wolle er etwas sagen. »Ja, Mr. Worf?« Worf dachte an den Bat'telh, die mit Klingen versehene
klingonische Waffe, die einem Stock ähnelte. Mit dieser Waffe war er durchaus vertraut. Ein Bat'telh zählte zu den wenigen Besitztümern, die er von Khitomer hatte retten können. Er hatte seinem Vater gehört - seinem klingonischen Vater Mogh -, und Worf hatte tagtäglich eifrig damit geübt. Zuerst hatte Helena Rozhenko entsetzliche Angst vor der Waffe gehabt - besonders vor dem bösartigen Zischen, mit dem die Klinge die Luft durchschnitt. Sie hatte sie immer wieder zufällig ›verlegt‹, doch Worf hatte sie stets spätestens nach einem Tag wiedergefunden. Schließlich hatte sie wütend ge sagt: »Na schön! Aber wenn du dir damit ein Bein abschneidest, komm ja nicht zu mir gelaufen!« Der junge Worf hatte sich gar nicht erst die Mühe gemacht, sie auf diesen Widerspruch hinzuweisen. Er war viel zu beschäftigt mit seinen Übungen gewesen. Nichtsdestoweniger war er plötzlich gehemmt. Wenn er seine Erfahrungen mit dieser Waffe beschrieb, würde er damit nur darauf hinweisen, daß er einer jener ›Fremdrassen‹ mit ihren bizarren Waffen angehörte, auf die sie sich in diesem Kursus vorbereiteten. »Ich... habe nur mein Gewicht verlagert, Sir«, sagte Worf bedächtig. »Ich verstehe.« Clark richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die anderen Studenten. »Wenn Sie die Grundlagen des Kampfs mit dem Stock verstehen, wird Ihnen das eine wertvolle Hilfe in einer Situation sein, in der Sie eine ähnliche Waffe benutzen müssen.« Er nahm einen Stab in beide Hände und hielt ihn waagerecht vor sich hin. »Sie fassen ihn hier an«, sagte er und deutete auf zwei Punkte in der Nähe der Stabmitte. »Halten Sie ihn nicht zu fest. Um jetzt ein Ende zu heben, belassen Sie eine Hand an Ort und Stelle und schieben die andere nach innen, etwa so...« Nach fünfzehn Minuten hatte Clark ihnen die Grundbegriffe des Kampfes mit einem Stab erklärt. Dann betrachtete er den Kreis der Studenten. »Mr. Worf, Sie werden mein erstes Opfer sein. Hoffentlich haben Sie Ihr Gewicht so oft verlagert, daß Sie jetzt ganz locker sind.« Worf erhob sich und trat in den Kreis. Die anderen Kadetten rutschten zurück, um ihnen mehr Platz zu schaffen. Worf hob den anderen Stock auf, balancierte ihn zuversichtlich aus,
verlagerte sein Gewicht auf die Ballen seiner nackten Füße und trat Clark gegenüber. Clark griff sofort an und versuchte es mit einer Finte. Worf setzte zu einer geringfügigen Bewegung an, um vorzutäuschen, er glaube, die Finte sei der richtige Angriff. Als Clark dann das andere Ende seines Stabes hob, um den richtigen Angriff einzu leiten, war Worf darauf vorbereitet und konnte ihm problemlos mit einem Schritt zur Seite ausweichen. Clark war zu zuversichtlich gewesen und verfehlte ihn. Er verlor kurzzeitig das Gleichgewicht, und Worf hob seinen Stab und rammte ihn in Clarks Magengrube. Clark stieß laut die Luft aus und brach keuchend auf die Knie zusammen. Der Kampf hatte keine fünf Sekunden gedauert. Genauso lange dauerte es, bis die Studenten begriffen hatten, was passiert war. Automatisch traten die anderen Kadetten vor, um Clark zu helfen, doch der winkte mühsam ab. »Worf, hilf ihm auf!« sagte Kadett Briggs. Worf betrachtete ihn mit gelinder Überraschung. Es wäre ihm niemals in den Sinn gekommen, Clark auf die Füße zu helfen. Wenn ein Krieger am Boden lag, galt es als unehrenhaft, ihm die Hand zu reichen. Daraus folgerte doch, daß der besiegte Krieger schwach und nicht imstande war, für sich selbst zu sorgen. Nein, ehrenhaft war es - solange es nicht um Leben und Tod ging -, völlig reglos dazustehen. Darauf zu warten, daß der niedergeschlagene Krieger sich zusammenriß und erklärte, ob er den Kampf fortsetzen wolle. »Warum?« fragte Worf. »Weil es sich so gehört!« sagte ein anderer Kadett wütend. »Helft ihr Klingonen euch etwa nicht auf?« »Nein«, sagte er sachlich. Er sah sich langsam um, doch statt der erwarteten Bewunderung sah er nur mühsam gezügelte Verachtung auf ihren Gesichtern. Sie haßten ihn. Alle haßten sie ihn. »Schon gut«, sagte Clark, der mittlerweile seine Stimme wiedergefunden hatte. »Ich bin in Ordnung. Mr. Worf«, fuhr er knirschend fort, »anscheinend bin ich nachlässig geworden und Sie haben mir das nicht durchgehen lassen. Gut für Sie.« Er richtete sich langsam wieder auf.
»Danke, Sir.« Dann bemerkte Clark, daß Zak Kebron düster die Stirn runzelte - düsterer als je zuvor, was schon etwas heißen wollte. »Mr. Kebron, sind Sie der Ansicht, daß Sie gegen Mr. Worf besser bestehen können?« Der Brikar sagte lediglich: »Ja.« Clark bedeutete ihm, sich zu erheben, und Zak tat wie geheißen. Der Ausbilder gab ihm den Stab, setzte sich dann zwischen die Studenten und kümmerte sich um seinen schmerzenden Magen. Zak Kebron nahm den Stab mit großer Zuversicht entgegen und drehte sich zu Worf um. »Diesmal«, sagte er, »wirst du Schmerzen erleiden.« »Wenn du mir welche zufügen kannst«, erwiderte Worf gleichgültig. Clark sah auf. Plötzlich fiel es ihm wieder ein. An jenem ersten Tag des neuen Semesters, als Worf und Zak sich geprügelt hatten, war er nicht anwesend gewesen. Es gab wirklich böses Blut zwischen den beiden, doch er hatte nur aus zweiter Hand davon gehört. Das war vor ein paar Wochen gewesen, und er hatte einfach nicht mehr daran gedacht besonders, nachdem der Klingone ihm gerade dermaßen zugesetzt hatte. Es war ein außerordentlich schlechter Zug, den Klingonen und den Brikar nun mit Waffen gegeneinander kämpfen zu lassen. Clark rief ihnen augenblicklich zu, sie sollten aufhören. Aber es war zu spät. Die Waffen prallten gegeneinander. Die Kadetten feuerten die beiden Kämpfenden so laut und energisch an, daß der noch immer atemlose Clark sich nicht verständlich machen konnte. Der erste Schlagabtausch erfolgte so schnell, daß außer den beiden Kämpfenden niemand ihn nachvollziehen konnte. In der Luft hallten die schnellen Schläge von Holz auf Holz. In den ersten Augenblicken des Gefechts schätzte Worf in aller Ruhe die Taktik seines Gegners ein. Zak schien sich völlig auf seine Größe und Kraft zu verlassen, um den Kampf für sich zu entscheiden. Zak griff wütend an, und Worf ließ sich zurück treiben. Dann duckte Worf sich unter einem besonders heftigen Schlag hinweg, hob blitzschnell seinen Stab und rammte ihn Zak in den Magen.
Der Brikar schwankte nur leicht und erholte sich viel schneller, als Worf es erwartet hatte. Er stürmte wieder vor, und Worf konnte seinen nächsten Hieb nur mit Mühe abblocken. Sie standen einen Augenblick lang schwer atmend da, schoben und drückten, und niemand wollte zurückweichen. Die Kadetten johlten und brüllten - doch keiner rief Worfs Namen. Wenn der Mangel an Unterstützung ihm etwas ausmachte, zeigte er es jedenfalls nicht. Worf drehte sich zur Seite, und Zaks Stab rutschte ab, wodurch der Brikar kurz das Gleichgewicht verlor. Worf versuchte, die Gunst des Augenblicks zu nutzen und den Kampf zu beenden, indem er seinen Stab drehte und hinabrammte. Doch Zak wehrte Worfs Schlag ab, wechselte in diesem Augenblick die Taktik und holte zu einem wütenden Schlag gegen Worfs Magengrube aus. Worf blieb der Bruchteil einer Sekunde, um darauf zu reagieren, und es gelang ihm, sich zur Seite zu drehen und einen Teil der Wucht des Schlages mit seinem robusten Brustkorb abzufangen. Der Stoß warf ihn zurück, und er sank auf ein Knie nieder. Als Zaks Stab die Luft über seinem Kopf mit einem scharfen Zischen bogenförmig durchtrennte, stieß Worf seinen Stock zwischen Zaks Beine vor. Bevor Zak begriff, was ihm widerfuhr, zog Worf den Stab quer zurück und benutzte ihn als Hebel. Er riß Zaks Füße vom Boden, und der Brikar stürzte so schwer, daß der Aufprall die ganze Turnhalle erzittern ließ. Schnell wie der Blitz saß Worf rittlings auf dem Brikar, drückte seinen Stab auf Zaks Kehle und zwang ihn zu Boden. »Gib auf«, knirschte Worf. Zak sagte nichts. Er funkelte Worf finster an und versuchte, ihn zurückzustoßen. Aber er brachte die dafür nötige Hebelwirkung nicht auf. »Das reicht, Mr. Worf«, sagte Clark. »Hören Sie auf.« Langsam trat Worf zurück. Zak erhob sich und vermied es, das geringste Anzeichen von Schwäche zu zeigen, indem er sich etwa geprellte Körperstellen rieb. »Geben Sie sich die Hand«, sagte Clark. Beide starrten ihn an. »Auf der Stelle«, sagte Clark ohne jede übermäßige Betonung. »Meine Herren, das war keine Bitte«, fügte er dann hinzu.
Worf und Zak schüttelten sich die Hand. Doch an der Art, wie Zak ihn ansah, erkannte Worf, daß der Brikar voller Zorn und Feindseligkeit war. Und die Weise, wie die anderen Studenten ihn betrachteten, machte ihm klar, daß er in der nächsten Zukunft wohl nicht die geringste Hoffnung hatte, einen Be liebtheitswettbewerb gewinnen zu können. »Stellen Sie die Stäbe zurück, meine Herren«, sagte Clark. Er klatschte scharf mit den Händen, und Worf und Zak stellten die Stäbe in den Schrank zurück. Den Rest der Lehrstunde über sagte Zak kein Wort zu Worf. Und die anderen Studenten auch nicht.
Als Professor Lupisky, der nicht schlechter als zuvor und noch immer genauso schrullig aussah, eine Woche später vor seine Studenten trat, brachen die Kadetten in Applaus aus. Der Professor winkte ab und versuchte den Anschein zu erwecken, dieser Ausdruck von Respekt verärgere ihn. In Wirklichkeit war er sehr geschmeichelt, doch das hätte er nie eingestanden. »Also«, sagte er mit dem abgehackten deutschen Akzent, für den er so bekannt war, »Sie haben hart gearbeitet, ja? Während meines Zwangsurlaubs? Direktor Sulak hat Ihnen meine Anweisungen für Ihre eigenständige Arbeit mitgeteilt?« Fast alle Kadetten nickten. »Gut. Dann brauche ich mir jetzt keine Ausreden wie ›lch habe nichts davon gehört! ‹ oder ›Mir hat keiner etwas gesagt! ‹ oder andere solcher Verschwendungen von Atem und Zeit anzuhören.« Fast alle Kadetten schüttelten den Kopf. »Sehr gut. Also, berühmte Schlachten, die anders ausgegangen wären, hätte man das Picard-Manöver angewendet. Wer möchte seine Fallstudie als erster vortragen?« Worf hob augenblicklich die Hand und sah noch einmal auf seinen elektronischen Notizblock, um sich zu vergewissern, daß er seine Informationen auch richtig zusammengestellt hatte. Dann warf er einen Blick zu Simon hinüber. Sein Bruder hatte die Hand nicht gehoben. Typisch. Er wollte sich nicht in den Vordergrund spielen. »Mister...« Lupisky sah auf seine Liste. »Kebron.« Zak Kebron, der mehrere Reihen hinter und rechts von Worf saß, erhob sich. »Die erste Schlacht, die ich ausgewählt habe«, sagte er, »ist das Rimbor-Gefecht im Jahr 2264. Die USS Farragut wurde von drei klingonischen Schiffen angegriffen.« Worf drehte sich langsam um und bedachte Zak mit einem
giftigen Blick. Falls Zak den Blick gesehen hatte, ließ er sich jedenfalls nichts anmerken. »Die Farragut erlitt schwere Verluste... neunundsiebzig Tote, dreiundachtzig Verletzte. Es gelang ihr, eins der drei klingonischen Kriegsschiffe kampfunfähig zu schießen, woraufhin ihr eine knappe Flucht gelang. Hätte der Captain jedoch das Picard-Manöver genau zweiundvierzig Sekunden nach Beginn des Angriffs angewandt, hätte er meinen Berechnungen zufolge zwei der drei klingonischen Kriegsschiffe vernichten können. Das dritte klingonische Schiff wäre dann zweifellos geflohen, weil... nun ja, weil sie nun mal so sind.« »Weil wer so ist, Mr. Kebron?« fragte Lupisky. In seiner Stimme schwang ein gefährlicher Tonfall mit. »Klingonen, Sir. Wenn sie ihrem Gegner nicht mindestens im Verhältnis zwei zu eins überlegen sind, fliehen sie normalerweise immer.« »Das ist gelogen!« brüllte Worf lauthals. »Mr. Worf, beherrschen Sie sich«, schnauzte Lupisky ihn an, doch Zaks Ausführungen schienen ihm auch nicht besonders gut zu gefallen. »Mr. Kebron, solche rassistischen Verleumdungen werde ich hier nicht dulden...« »Mit allem gebührenden Respekt, Sir«, sagte Zak leichthin, »es war nicht als eine solche gemeint. Von den einhundertunddreiundsiebzig Gefechten mit Klingonen, die ich für diese Arbeit untersucht habe...« »Sie haben lediglich Scharmützel mit Klingonen untersucht?« sagte Lupisky ungläubig. »Sie meinen, bei all den feindseligen Rassen, denen wir begegnet sind - Rigelianer, Cardassianer, Ferengi, Orioner, Romulaner, Tholianer, Gorn - bei all diesen und zahlreichen anderen mehr, haben Sie es als angemessen erachtet, für Ihre Untersuchung lediglich Schlachten heranzuziehen, in die Klingonen verwickelt waren?« »Ich spezialisiere mich gern«, lautete die ruhige Antwort. »Setzen Sie sich, Mr. Kebron.« Angesichts von Lupiskys Stimme schien die Temperatur im Hörsaal um mindestens zwanzig Grad zu fallen. »Ein anderer, bitte. Mr. Briggs.« Kadett Briggs erhob sich, und Worf ahnte, was nun kommen würde. Er behielt recht.
»In der Schlacht von Chernobog«, begann Briggs, »geriet ein Frachtschiff-Konvoi in einen Hinterhalt der...« »Klingonen«, unterbrach Lupisky ihn. »Haben Sie ein Szenario, an dem die Klingonen nicht beteiligt waren?« Briggs sah auf seinen elektronischen Notizblock und täuschte Überraschung vor. »Äh... nein, Sir.« Lupisky musterte die Studenten der Reihe nach. In seinen Augen lag kalte Wut. »Darf ich fragen, wie viele Personen hier Kämpfe untersucht haben, an denen keine - ich wiederhole, keine - Klingonen beteiligt waren?« Worf hob die Hand, und Simon ebenfalls. Tania, das einzige Mitglied ihrer Studiengruppe, das diesen Kurs belegt hatte, saß in der ersten Reihe. Sie hob ebenfalls die Hand. Alle anderen saßen in versteinertem Schweigen da. Worf stand auf, nahm sein elektronisches Notizbuch und ging zum Ausgang. »Mr. Worf, ich habe Ihnen nicht die Erlaubnis gegeben, den Hörsaal zu verlassen«, rief Lupisky ihm hinterher. Worf blieb an der Tür stehen und drehte sich um. »Bei allem gebührenden Respekt, Herr Professor«, sagte er, »ich habe nicht um Ihre Erlaubnis gebeten.« Und dann ging er hinaus. Es folgte ein langes Schweigen. Kadetten sahen einander an und grinsten verstohlen. Lupisky grinste nicht. Er war wütend. »Das«, sagte Lupisky, »war das abscheulichste Verhalten, das mir je in einem Starfleet-Kurs untergekommen ist. In meiner gesamten Laufbahn« -und seine Stimme wurde, getragen von seiner überschäumenden Wut, immer lauter - »in meiner ge samten Laufbahn bin ich noch nie Zeuge einer geheimen Absprache geworden, die einzig und allein den Zweck hat, einen Studienkollegen zu erniedrigen. Ihr Verhalten war skandalös. Skandalös! Berichtigen Sie mich, falls ich mich irren sollte, aber Sie haben sich an dieser Akademie eingeschrieben, weil Sie unseren Eid aufrechterhalten wollen. Neues Leben und neue Zivilisationen zu suchen. Nun, meine Damen und Herren, der Student, den Sie gerade so erniedrigt haben, daß er diesen Raum verlassen hat, ist - soweit es Sie betrifft - eine neue Lebensform. Die große Mehrheit von Ihnen hatte zuvor noch nie einen Klingonen auch nur gesehen.
Und doch haben Sie den Nerv, mit Ihren Vorurteilen und Neigungen hierherzukommen und ihn zu vertreiben! Was Sie gerade getan haben, war für jemanden, der in Starfleet dienen möchte, schockierend und völlig unangemessen!« »Sir«, meldete Zak sich zu Wort, »falls Sie mir die Bemerkung gestatten, Sie haben uns nicht ausdrücklich verboten, uns auf Kämpfe mit Klingonen...« »Schweigen Sie, Mr. Kebron!« fauchte Lupisky. »Beleidigen Sie meine Intelligenz nicht. Wir beide wissen, daß dies kein Zufall war. Sie haben sich abgesprochen, und das finde ich widerwärtig. Widerwärtig! Und ich kann nur hoffen, daß Sie mit Ausnahme von Mr. Rozhenko und Mr. Tobias - keine Abneigung dagegen habe, reichlich zusätzliche Arbeit zu leisten. Denn ich kann Ihnen garantieren, die haben Sie sich gerade eingehandelt.« Ein leises Stöhnen ging durch den Hörsaal, und mehrere Studenten warfen Zak wütende Blicke zu. Damit wußte Lupisky ganz genau, wer hinter diesem Streich steckte. Aber das interessierte Zak nicht. Denn er hoffte, daß Worf endlich - endlich - die Botschaft verstanden hatte. Mit etwas Glück würde der Klingone die Akademie morgen schon verlassen haben. Einen kurzen Moment lang erinnerte er sich an das, was Tania gesagt hatte, und verspürte tatsächlich Gewissensbisse. Doch dann fiel ihm wieder ein, was in dem Selbstverteidigungskurs passiert war, und er war wieder überzeugt, genau das Richtige getan zu haben. Worf Rozhenko war ganz einfach kein Kadett, den Starfleet haben wollte oder brauchte. Worf stürmte den Korridor entlang und stieß alle Kadetten beiseite, die ihm zufällig in den Weg gerieten. Als sie Worfs wütenden Gesichtsausdruck sahen, unterdrückten sie sofort ihre erste Reaktion auf die unsanfte Behandlung. Er lief aus dem Gebäude und bewegte sich so schnell, daß den Türen kaum Zeit blieb, sich für ihn zu öffnen. In der Stimmung, in der er jetzt war, wäre er wahrscheinlich einfach durch die Türen gestürmt, hätten sie sich nicht rechtzeitig geöffnet. Vor der Akademie blieb er stehen und lehnte sich schließlich
gegen eine der hohen Mauern. Er bemühte sich, seinen rasenden Herzschlag und das Pochen des Pulses in seinen Schläfen zu verlangsamen. Er wußte nicht genau, worüber er sich mehr ärgerte: Über die Tatsache, daß sie sich abgesprochen hatten, ihn unsanft an die feindselige Geschichte der Beziehungen zwischen den Klingonen und der Föderation zu erinnern. Oder darüber, daß er sich so fürchterlich darüber aufgeregt hatte. Aufgeregt? Machte er sich nicht selbst etwas vor? Es war vorbei. Es hatte keinen Zweck mehr. Nicht den geringsten. Hätte er noch einen Funken Verstand im Schädel gehabt, wäre er jetzt auf sein Zimmer gegangen, hätte seine Sachen gepackt und wäre endgültig verschwunden, bevor die anderen Studenten den Unterricht beendet hatten. Natürlich war er ein Kämpfer. Natürlich war er zäh. Aber wann immer er bisher in seinem Leben Argwohn und Feindseligkeit begegnet war, hatte es für ihn die Hoffnung gegeben, daß es irgendwie, irgendwo, einmal besser werden würde. Für ihn war Starfleet die Verkörperung dieser Hoffnung gewesen. Und nun brach alles auseinander. Was für einen Sinn hatte es, sich irgendwo hineinzudrängen, wo er eindeutig nicht erwünscht war? Er hörte leise Schritte in der Nähe und riß den Kopf herum. Als er den Störenfried sah, runzelte er verwirrt die Stirn. Ein junger Mann, ein paar Jahre älter als Worf, stand hinter einem Busch. Worf sah, daß er irgendeine seltsame Sehhilfe trug... vielleicht eine Sonnenbrille. Vielleicht waren seine Augen besonders lichtempfindlich. Er war vielleicht noch einen Meter entfernt und musterte Worf eindringlich. »Was ist los?« fragte Worf. Der junge Mann neigte leicht den Kopf, als drehe er ihn in die Richtung, aus der Worfs Stimme kam. »Verzeihen Sie. Sind... Ich hoffe, das klingt nicht unhöflich. Sie sind kein Mensch, oder?« Worf öffnete erstaunt den Mund und schloß ihn dann wieder. »Machen Sie Witze?« »Eigentlich nicht.«
»Ich bin Klingone!« sagte er ungläubig. »Was sind Sie, blind?« Der andere lächelte schief. »Nun ja... das bin ich. Von Geburt an.« Er kam um den Busch herum, und nun sah Worf zu seinem Entsetzen, daß der junge Mann die Uniform eines Fähnrichs trug. Er streckte eine Hand aus. »Ich bin Geordi LaForge.« »Worf«, erwiderte er und erwiderte den Händedruck fest. Er sah LaForge ins Gesicht. »Dieses... dieses Gerät auf Ihrem Gesicht. Es ermöglicht Ihnen zu sehen?« »Gewissermaßen«, sagte Geordi. »Ich gewöhne mich zur Zeit noch daran. Man nennt es VISOR. Ich sehe die Dinge... etwas anders als die meisten Menschen. Deshalb habe ich Sie auch angestarrt. Ich habe von Ihnen Wärmewerte empfangen, die nicht einmal annähernd der Norm entsprechen.« »Nein«, sagte Worf, und sein Tonfall kam dem von Selbstmitleid gefährlich nah. »Nichts an mir entspricht der ›Norm‹. Daran werde ich sehr häufig erinnert.« Geordi legte erneut den Kopf schief, und Worf wurde klar, daß es sich um einen Reflex handelte, den LaForge in den Jahren seiner Blindheit entwickelt hatte. »Das klingt so, als hätten Sie irgendein Problem, Worf. Sie studieren an der Akademie, oder?« »Im ersten Jahr«, bestätigte Worf. Geordi nickte. »Ich habe gerade die Abschlußprüfung gemacht und warte nun auf meinen ersten Einsatz. Wo liegt das Problem also? Wächst Ihnen die Arbeit über den Kopf? Vielleicht könnte eine Studiengruppe...« »Ich bin der Arbeitsmenge durchaus gewachsen, vielen Dank. Ich weiß Ihr Interesse durchaus zu schätzen, möchte Ihre Zeit aber nicht länger in Anspruch nehmen.« »He, Augenblick mal...« . »Vielen Dank, Mr. LaForge.« Worf entfernte sich von dem Gebäude, doch Geordi LaForge rief ihm mit scharfer und fester Stimme hinterher: »Kadett, halt!« Obwohl er lieber weitergegangen wäre, blieb Worf unwillkürlich stehen.
Geordi schloß gemächlich zu ihm auf. »Wollen Sie mir jetzt sagen, was für ein Problem Sie haben?« »Mit allem gebührenden Respekt, Sir... nein. Ich werde allein damit fertig.« »Wirklich? Und wie wollen Sie das anstellen? Indem Sie die Akademie verlassen?« Worf sah ihn überrascht an. »Wer hat Ihnen das gesagt?« Geordi ging einen der Wege entlang. »Lassen Sie mich raten. Sie kommen sich abgesondert vor... entfremdet von Ihren Kommilitonen.« Worf hielt mit LaForge Schritt. »Sie machen es mir... schwer«, gestand er ein. »Tja, dafür gibt es keine Entschuldigung«, sagte Geordi wie aus der Pistole geschossen. »Ich kann dazu nur sagen, daß man hier an der Akademie studiert, um etwas zu lernen. Und hier lernt man mehr als lediglich Fakten und Zahlen, Schiffsnamen und Sternzeiten. Hier lernt man eine besondere Denkweise. Hören Sie... Worf, so heißen Sie doch, oder?« Worf nickte, doch dann kam ihm der Gedanke, daß der VISOR vielleicht nicht empfindlich genug war, um so kleine Gesten wahrzunehmen. Also fügte er fast wie einen nachträglichen Einfall ein »Ja!« hinzu. »Worf, die Menschen denken manchmal ganz automatisch. Zahlreiche Vermutungen, zahlreiche eingebaute Mechanismen. An der Starfleet-Akademie werden die Leute dazu gebracht, viel von dem, was man uns aufgezwungen hat, wieder zu verlernen. Das reicht fast bis in die Zeit zurück, da unsere Vor fahren - oder zumindest meine Vorfahren - um die ersten Feuer kauerten und nervös zu den funkelnden Augen im Wald hinüberschauten. Und einer der grundlegendsten dieser eingebauten Mechanismen ist der, daß die Leute Angst vor dem haben, was sie nicht verstehen. Sie fürchten sich vor dem Unbekannten, weil sie glauben, es könne ihnen schaden. Wenn man ein guter Starfleet-Offizier sein will«, fuhr LaForge fort, »darf man keine Angst vor dem Unbekannten haben, sondern muß bereit sein, es zu umarmen. Sich von ihm anziehen zu lassen, es zu studieren. Sich von ihm anregen zu lassen und seine Wunder teilen zu wollen. Ob Sie es mir nun glauben oder nicht, dieser Übergang ist wirklich nicht einfach.
Und Sie befinden sich nun inmitten Ihrer Kommilitonen, die gerade versuchen, diesen Übergang zu vollziehen und das Unbekannte willkommen zu heißen. Das Unbekannte, das sich auf einmal unter ihnen befindet. Ach was, es ist noch schlimmer als das Unbekannte - sie glauben, alles über die Klingonen zu wissen, was sie wissen müssen, und was sie wissen, macht sie nervös.« »Sie hingegen sind nicht nervös«, sagte Worf. Geordi zuckte mit den Achseln. »Warum sollte ich nervös sein? Wir haben mit dem Klingonischen Imperium Frieden geschlossen. Sie sind hier an der Akademie, und man hätte Sie wohl kaum aufgenommen, wenn man Sie vorher nicht genau überprüft hätte. Also bezweifle ich, daß Sie ein verrückter Mörder sind. Oder sind Sie einer?« Worf zeigte angesichts des einnehmenden Tonfalls in LaForges Stimme die Spur eines Lächelns. »Meines Wissens nicht.« »Aber...?« »Ich bin anders als sie«, sagte Worf. »Ich denke anders, handle anders. Und sie...« »...sind Studenten«, rief Geordi ihm in Erinnerung zurück. »Sie lernen noch. Wachsen noch. Genau wie Sie, ob Sie es nun glauben oder nicht. Und wie Ihre Studienkollegen etwas über die besondere Denkweise der Klingonen lernen müssen, müssen Sie verstehen lernen, daß man manchmal auch mit Menschen auf besondere Art und Weise umgehen muß. Außer natürlich...« Er führte den Satz nicht zu Ende. Worf versuchte, seine Ungeduld zu verbergen, doch es gelang ihm nicht besonders gut. »Natürlich was?« fragte er. »Nun ja... solange Sie hier sind«, fuhr Geordi fort, »haben die Kadetten die Gelegenheit, aus erster Hand und allernächster Nähe zu erfahren, wie ein Angehöriger der stolzen Spezies der Klingonen sich verhält. Sie bewirken bereits mit Ihrer bloßen Anwesenheit sehr viel. Wenn Sie ihnen begreiflich machen können, daß die Klingonen nicht der Feind sind, leisten Sie damit allen Klingonen einen enormen Dienst. Wie?« nahm er Worfs Frage vorweg. »Sobald Ihre Studienkollegen die Abschlußprüfung bestanden haben, werden sie in Schiffen losfliegen und die Galaxis erkunden. Und früher oder später werden sie Klingonen begegnen.
Wollen Sie das Risiko eingehen, daß sie bei ihrer Begegnung mit Klingonen Schwierigkeiten haben werden, weil sie noch ihre alten Ängste mit sich tragen? Oder wollen Sie, daß sie ihre Vorurteile gegenüber Klingonen überwinden, indem sie Sie in den nächsten paar Jahren kennenlernen? Und daß sie deshalb die Klingonen wahrscheinlich mit dem Respekt, der Würde und der Ehre behandeln, die sie verdient haben?« »Das ist nicht fair«, sagte Worf ein wenig wütend. »Sie können mir nicht die Last auf die Schultern laden, daß meine Anwesenheit an der Akademie von ausschlaggebender Bedeutung für das zukünftige Verhältnis zu anderen Klingonen ist.« »Ich will Ihnen gar nichts auf die Schultern laden«, erwiderte Geordi gleichmütig. »Ich weise lediglich darauf hin, wie die Dinge sich wahrscheinlich entwickeln werden. Ich habe den Eindruck, es wäre ehrenhaft von Ihnen, auf der Akademie zu bleiben und zu versuchen, das Leben für die klingonische Spezies zu verbessern. Aber das ist nicht meine Entscheidung, nicht wahr?« Worf runzelte verdrossener die Stirn, als er dies seit geraumer Zeit getan hatte. »Und von der Akademie zu gehen wäre unehrenhaft... wollen Sie das damit sagen?« »Sie haben es gesagt, nicht ich. Tun Sie einfach das, von dem Sie glauben, es tun zu müssen. Nirgendwo steht geschrieben, daß Sie mich glücklich machen müssen.« Worf schwieg einen Augenblick lang... und seufzte dann sehr, sehr laut. Daraufhin lächelte Geordi. »Sehen Sie, Mr. Worf, Sie sprechen mit dem einzigen anderen Burschen an der Akademie, der wirklich weiß, wie es ist, vom Rest der Welt abgesondert zu sein. Sie und ich... wir ähneln uns sehr. Wir beide sehen die Dinge so, wie die anderen Leute in unserer Umgebung sie nicht sehen. Sie sehen sie durch die Augen eines Klingonen, der dazu geboren wurde, Ehre und Stärke und eine Vielzahl anderer Tugenden zu respektieren. Und ich sehe die Welt... nun ja, auf meine Weise. Und damit ist man sehr allein. Aber so muß es nicht sein. Nicht, wenn Sie bereit sind, andere Leute an sich her anzulassen... oder sich anderen Leuten zu nähern.« Worf nickte, und Geordi gab ihm einen Klaps auf den Rücken. »Machen Sie den Prometheus-Einsatz mit?« fügte er dann
hinzu, als wäre ihm dieser Gedanke gerade gekommen. Worf schaute verblüfft auf. »Den was?« »Ein Routineeinsatz«, erklärte Geordi. »Prometheus ist der künstliche Satellit am äußeren Rand des Sonnensystems. Er dient im Fall eines Angriffs als Frühwarn-Station und arbeitet vollautomatisch, aber Starfleet schickt gern einmal im Jahr ein paar Kadetten dorthin, damit sie einige Routinechecks durchführen. Kadetten im vierten Jahr stellen das Team zusammen. Ich kenne einen Burschen im Komitee und könnte Sie empfehlen. Worauf haben Sie sich spezialisiert?« »Sicherheit im Hauptfach, technische Abteilung im Nebenfach.« »Na schön. Eine ziemlich einfache Sache, aber immerhin kommen Sie auf diese Weise mal ins All. Und darum geht es in Wirklichkeit doch, nicht wahr?« »Ja, Sir«, sagte Worf schnell. »Es war mir eine Freude, Sie kennenzulernen, Kadett Worf.« »Mir ebenso, Sir.« Worf stand da und sah dem zum Hauptgebäude zurückkehrenden Geordi LaForge nach. Von allen Menschen, denen Worf je begegnet war, so dachte er in diesem Augenblick, war Fähnrich Geordi LaForge wahrscheinlich der ungewöhnlichste. Er war fast traurig, weil LaForge die Akademie bald verlassen würde. Er fragte sich, ob er ihn je wiedersehen würde.
Eine Woche später fand sich ein Dutzend Kadetten in der gerade über San Francisco aufgehenden Sonne zum Prometheus-Einsatz am Shuttle-Landefeld zusammen. Obwohl erst ein paar Wochen vergangen waren, seit Worf auf genau diesem Landefeld eingetroffen war, kam es ihm in gewisser Hinsicht vor, als wäre es erst gestern gewesen. Er konnte kaum glauben, daß ihm in so kurzer Zeit so viel zugestoßen war. Und er konnte kaum glauben, daß er noch immer an der Akademie war. Er ärgerte sich darüber, so bereitwillig auf das gehört zu haben, was der Fähnrich gesagt hatte. LaForge hatte Worf - das war ihm mittlerweile klargeworden - die Worte so in den Mund gelegt, daß ihm einfach keine andere Wahl mehr geblieben war. Er hatte ihm eingeredet, er würde dem gesamten Klingonischen Imperium Schaden zufügen, wenn er nun von der Akademie abging. Also würde er bleiben. Zumindest so lange, bis man ihn hinauswarf. Die Luft war an diesem Morgen ziemlich kalt, und vom Ozean wehte eine steife Brise. Sie erfüllte die Luft mit dem Geruch des Meeres, und einen Augenblick lang fühlte Worf sich mit Forschern vergangener Jahrhunderte verwandt. Mit jenen, die nicht den Sternen in großen Metallschiffen getrotzt hatten, sondern den Meeren in solchen aus ächzendem Holz, das von antiquierten Gebilden namens »Nägel« zusammengehalten wurde. Was für Menschen mußten diese Abenteurer gewesen sein? Obwohl von den Geheimnissen des Weltraums noch so viele unbekannt geblieben waren, gab es doch auch zahlreiche, von denen man bereits wußte. Aber was war mit jenen ersten For schern, die in einer Gesellschaft aufgewachsen waren, die sie gelehrt hatte, die Welt sei flach, und an den Rändern lebten
Drachen, die jeden unvorsichtigen Seefahrer verschlingen würden, der sich ihnen näherte? Wie mußten sie gewesen sein, diese Forscher? »Verrückt.« Als er die Kommentare von anderen Studenten hörte, die sich nun um den Shuttle versammelten, drehte er sich um. Briggs stand kopfschüttelnd da und murmelte vor sich hin: »Es ist doch verrückt von ihnen, uns zu diesen frühen Stunde aus den Betten zu jagen.« Worf freute sich, unter den Kadetten, die an der Mission teilnahmen, die anderen Mitglieder seiner Studiengruppe zu sehen. Es überraschte ihn nicht besonders - die Mitglieder dieser Crew wurden aus den Studenten ausgewählt, die die besten Noten bekommen hatten. Und zu denen gehörten auch die Teilnehmer der Studiengruppe, die so glatt und tüchtig arbeitete, wie Simon es geplant hatte. Worf mochte seine Schwierigkeiten haben, wenn es darum ging, mit anderen Studenten zu verkehren, doch was das Studium betraf, mußte er sich nicht verstecken. Er machte Soleta aus, die wahrscheinlich auch mitten in der Nacht selbstbeherrscht und vorbereitet gewesen wäre. Tania Tobias rieb sich noch den Schlaf aus den Augen, schien aber ansonsten der bevorstehenden Aufgabe durchaus gewachsen zu sein. Mark McHenry wirkte - wie üblich - zerstreut. Worf bezweifelte, daß Mark Schwierigkeiten mit der frühen Stunde hatte. Er hatte einmal erwähnt, daß er kaum schlief, weil es immer interessantere Dinge zu tun gab. Wenn man ihn nach biologischen Notwendigkeiten wie dem Traumschlaf fragte, der für die psychische Gesundheit eines Menschen erforderlich war, erwiderte Mark lediglich: »Ach, das mache ich, während ich wach bin.« Niemand hatte den Mut besessen, dieses Thema zu vertiefen. Andererseits bezweifelte auch niemand, daß er die Wahrheit gesprochen hatte. Zak Kebron war ebenfalls schon auf den Beinen. Als Worf aufgestanden war, hatte der Brikar noch laut geschnarcht. Tief in seinem Inneren hatte Worf gehofft, daß Zak die vorgesehene Abflugzeit des Shuttles verschlafen würde. Er hätte wissen müssen, daß diese Hoffnung sich nicht erfüllen würde.
Als am Anfang der Woche das Namensverzeichnis für den Prometheus-Einsatz angeschlagen worden war, hatte Worf fast eine Welle des Protests erwartet, weil sein Name auf der Liste stand. Dazu war es jedoch nicht gekommen. Starfleet-Kadetten waren anscheinend aus einem anderen Holz geschnitzt. Die zusätzliche Arbeit, die Professor Lupisky ihnen aufgebrummt hatte, hatte wahrscheinlich die meisten Gedanken an Rebellion erstickt. Andererseits hingegen gab es auch keinerlei Versuche, ihm zu zeigen, daß er an der Akademie willkommen war. Als Worf nach seinem Gespräch mit Geordi LaForge auf sein Zimmer zurückgekehrt war, hatte Zak über einem Buch an seinem Schreibtisch gesessen und nur kurz aufgeschaut. »Oh. Noch hier?« hatte er gefragt. Er schien weder wütend noch frustriert oder froh oder sonst etwas zu sein. Er hatte einfach nur Worfs weitere Anwesenheit zur Kenntnis genommen. Und ganz ähnlich hatten sich in den nächsten paar Tagen mehrere andere Studenten verhalten. Stets schien dieses »Oh. Noch hier?« in der Luft zu schweben. Niemand schüttelte eine Faust nach ihm, aber andererseits reichte ihm auch niemand die Hand. Es waren noch andere Kadetten hier, die sich angeregt miteinander unterhielten. Den meisten merkte man die Aufregung über ihre erste Mission deutlich an, ob es sich nun um einen Routineauftrag handelte oder nicht. Und da war Simon. Worf starrte ihn an. Er hatte Simon seit einigen Tagen nicht mehr gesehen. Simon war nicht mehr zu ihren üblichen gemeinsamen Mahlzeiten erschienen und hatte gesagt, er ziehe es vor, auf seinem Zimmer oder überhaupt nicht zu essen. Worf wußte, daß er sich in die Arbeit gestürzt und viele Stunden lang immer wieder verschiedene Texte gelesen hatte. Getrieben, davon war Worf überzeugt, von dem unstillbaren Drang, erfolgreicher zu sein, als man es rechtens erwarten konnte. Er hatte sogar ein paar Zusammenkünfte der Studiengruppe verpaßt, Erschöpfung vorgeschoben und behauptet, ihm stecke wahrscheinlich eine Grippe in den Knochen. Worf war zuerst etwas besorgt gewesen. Aber er wußte, daß Simon immer ein Mensch sein würde, der mehr leisten wollte,
als man verlangen konnte. Das war ein Teil dessen, was Simon zu dem geborenen Anführer machte, der er war, hatte Worf ge dacht. Dennoch... nachdem er Simon eine Zeitlang nicht mehr gesehen hatte, empfand er nun eine gewisse Besorgnis. Sein Bruder wirkte nicht mehr so robust wie früher. Seine Augen schienen etwas eingefallen zu sein, als hätte er in letzter Zeit nicht mehr besonders gut geschlafen. Er hatte eindeutig abgenommen. Er sah zwar nicht gerade krank aus, doch diese Veränderungen reichten aus, um Worfs Aufmerksamkeit zu erregen. »Simon«, sagte er leise, »ist alles in Ordnung?« Simon lächelte lahm. »Du kennst mich doch«, sagte er. »Ich bin so früh am Morgen nicht besonders gut drauf.« Natürlich kannte Worf seinen Bruder. Und er wußte, daß Simon auch schon am frühen Morgen in Bestform war. Als sie auf der Farm auf Gault gewohnt hatten, waren sie jeden Morgen sehr früh aufgestanden. Doch bevor er eine weitere Frage stellen konnte, erklang ein scharfes Händeklatschen, und eine Stimme rief: »Also los, Kadetten! An Bord.« Der Shuttle stand vor ihnen, von einer dünnen Schicht Morgentau bedeckt. Die Einstiegsluke war geöffnet, und in ihr tauchte Commander Clark auf, der sie in Selbstverteidigung unterrichtete. Er klatschte erneut in die Hände. »Wenn ihr einfach rumsteht, bringt ihr nichts zustande«, sagte er. »Machen wir uns an die Arbeit.« Augenblicklich gingen die Kadetten an Bord. Man merkte ihnen die Begeisterung und Aufregung an. Für solch einen Einsatz waren sie ausgebildet worden. Worf hatte einen Fensterplatz erwischt und hielt den neben ihm für Simon frei. Doch zu seiner Überraschung setzte sein Bruder sich in die nächste Reihe, ebenfalls neben ein Fenster. Er drückte das Gesicht dagegen und schaute hinaus, und einen Augenblick lang glaubte Worf, den Ausdruck trüber Hilflosigkeit auf Simons Gesicht zu sehen. Doch er verschwand so schnell wieder, wie er gekommen war, und Worf redete sich ein, er habe es sich nur eingebildet. Tania beugte sich zu Worf hinüber. »Sitzt hier jemand?« fragte sie und zeigte auf den leeren Platz am Gang neben ihm.
Worf betrachtete den Sitz. »Falls ja, ist er jedenfalls sehr gut getarnt«, erwiderte er. Tania lachte und nahm neben Worf Platz. »Kaum zu fassen«, sagte sie. »Worf hat tatsächlich einen Witz gemacht.« »Einen Witz?« sagte er. »Oh. Eigentlich hatte ich das ernst gemeint.« Sie seufzte. »Du meinst immer alles ernst. Was bringt einen Klingonen zum Lachen?« »Leidende Menschen.« Sie starrte ihn an und erbleichte etwas. »Das war ein Witz«, sagte er. »War er nicht gut?« »Nein, nicht besonders.« »Oh.« Er schaute etwas niedergeschlagen drein. »Das sollte ›schwarzer Humor‹ sein. Es ist mir nicht gelungen?« »Arbeite weiter daran.« Er seufzte. »Das haben meine Eltern mir schon gesagt. Die Vorstellung, die Menschen von Humor haben, ist sehr seltsam.« »Das stimmt allerdings«, gestand sie ein. Clark saß auf dem Pilotenstuhl. Er drehte sich damit zu den Kadetten um. »Alles anschnallen«, rief er ihnen zu. »Wir müssen einen Zeitplan einhalten und werden gleich starten.« So geschah es dann auch. Als Worf den Sicherheitsgurt strammzog, bemerkte er, daß Mark McHenry ihm gegenüber auf der anderen Seite des Ganges saß. Auf seinem Gesicht zeigte sich eine dermaßen ungezügelte Aufregung, daß Worf sich zu der Frage veranlaßt sah: »Was ist los?« »Ich kann es einfach nicht glauben«, erwiderte Mark. »Das ist das erste Mal, daß ich ins All fliege.« Tania und Worf sahen ihn ungläubig an. »Dein erstes Mall« fragte Tania. »Du hast noch nie die Erde verlassen? Nicht einmal zu einem Urlaub oder so?« Er schüttelte den Kopf. »Ich bin ausschließlich auf der Erde zur Schule gegangen. Und was Urlaube betrifft, hat mein Vater immer gesagt: ›Warum sollen wir die Mühe und Kosten auf uns nehmen, die Erde zu verlassen, wenn wir doch für einen Bruch teil der Kosten und des Ärgers in Holo-Salons gehen können? ‹ Da hat er wahrscheinlich noch nicht mal unrecht. Aber trotzdem...« Worf schüttelte den Kopf. »Das kommt mir sehr beschränkt vor...«
»Mir auch«, sagte Mark leise, als befürchtete er, daß sein Vater - wo auch immer er sein mochte - ihn irgendwie hören könnte. »Aber mein Vater hat auch immer gesagt, ich hätte sowieso schon zuviel gähnende Leere zwischen den Ohren. Keine Ahnung, was er damit gemeint hat. Wißt ihr es?« Worf und Tania sahen sich an. »Nein«, sagten sie gleichzeitig. Die Triebwerke des Shuttles dröhnten auf, und schneller, als Mark es sich hätte träumen lassen, startete das Gefährt von der Landefläche und hob sich in den Himmel. Von ihren Sitzplätzen aus konnten sie durch die Fenster sehen, wie die Erde unter ihnen kleiner wurde. Große, bauschige Wolken trieben vor ihnen. Und dann, schneller, als sie blinzeln konnten, hatten sie die Wolkendecke durchstoßen und die Erdatmosphäre verlassen, und die Schwärze des Alls umgab sie. »Die Sterne«, flüsterte Tania erstaunt. »Sieh sie dir an.« »Was ist mit ihnen?« fragte Worf. »Es überrascht mich jedesmal, daß sie nicht funkeln.« »Natürlich nicht«, sagte Worf nüchtern. »Das ›Funkeln‹ entsteht, weil das Sternenlicht verzerrt wird, wenn es durch die Planetenatmosphäre dringt. Also...« »Worf?« »Ja, Tania?« »Sei still.« Sie schaute noch immer ehrfürchtig aus dem Fenster. »Sei einfach still.« Sie rasten durch den Weltraum. Die Kadetten unterhielten sich weiterhin, doch die lauten Neckereien, die bisher ihre Gespräche geprägt hatten, waren verstummt. Statt dessen sprachen sie leise, ja sogar ein wenig unsicher. »Nervös, Worf?« Die Frage kam von Zak Kebron, der hinter Worf saß. Worf war überrascht. Er konnte sich nicht entsinnen, wann Zak ihn zum letzten Mal angesprochen hatte, ohne ihn damit absichtlich auf die Palme bringen zu wollen. »Nein. Sollte ich nervös sein?« »Nun ja«, sagte Zak ruhig, »jetzt sind wir im All und fliegen zum Prometheus-Satelliten. Eine Routinemission, aber man weiß ja nie. Von solchen Situationen erzählt man uns auf der Akademie ständig... wir müssen uns alle aufeinander verlassen können. Macht es dich nicht im geringsten nervös, daß dein
Wohlergehen von einem Haufen Nicht-Klingonen abhängig ist?« Worf wollte antworten, doch plötzlich fuhr Simon auf seinem Sitzplatz herum, richtete sich auf ein Knie auf, drehte sich um und sah über Worfs Schulter hinweg zu Zak. Und als er sprach, war seine Stimme unerwartet spröde und schroff. »Hör auf damit, Kebron!« schnauzte er fast. »Du hackst seit dem Tag auf ihm herum, an dem er hier eingetroffen ist, und jetzt reicht es! Er gibt sein Bestes. Wir alle geben unser Bestes! Und wenn dir das nicht genügt, kannst du ja...« »Was kann ich?« fragte Zak ruhig. Commander Clark drehte sich auf seinem Stuhl. »Das reicht jetzt, ihr da hinten! Wenn ihr euch auf zivilisierte Art und Weise unterhalten wollt, habe ich nichts dagegen. Aber wenn ihr euch streiten wollt, haltet ihr freundlicherweise den Mund. Verstanden?« Einige Kadetten murmelten »Ja, Sir!«, und dann machte sich Schweigen im Shuttle breit. Worf beugte sich vor. »Simon«, flüsterte er, »du hättest nicht...« »Genieße einfach die Aussicht, Worf«, erwiderte Simon. Seine Stimme klang alt und müde. Worf und Tania sahen sich an, sagten aber nichts. Der Rest des Fluges verging ereignislos. Schließlich rief Clark: »Achtung, Kadetten! Bereitet euch auf die Ankunft vor.« Sie alle kniffen die Augen zusammen, konnten zuerst jedoch nichts ausmachen. Doch dann sahen sie die Station. Auf den ersten Blick wirkte sie sehr klein, doch sie wurde mit erstaunlicher Schnelligkeit größer. Die Tatsache, daß etwas so weit entfernt und kurz darauf schon so nah sein konnte, vermit telte ihnen einen Eindruck davon, wie schnell sie flogen. »In den frühen Tagen der Raumfahrt«, sagte Clark, als habe er ihre Gedanken gelesen, »wäre so ein bemannten Flug aufgrund von Treibstoffaspekten unmöglich gewesen. Und selbst, wenn sie genug Treibstoff gehabt hätten, hätten sie für die Strecke, die wir gerade in knapp einer Stunde zurückgelegt haben, ein paar Monate gebraucht. Schätzt euch
glücklich, daß ihr in der heutigen Zeit geboren wurdet. Denn andernfalls...« »Ginge meine Mutter noch mit mir schwanger«, versetzte Mark trocken. »Achtzehn Jahre. Mann. Das wäre bestimmt ein Rekord.« Wie es bei Mark stets der Fall war, konnte man unmöglich sagen, ob er einen Witz gemacht hatte oder nicht. Vor ihnen schwebte die Prometheus-Station. Sie befand sich schon seit Jahrzehnten an dieser Stelle und war in jeder Hinsicht alt. Ein noch lebendes Überbleibsel aus den frühesten Tagen der Föderation. Damals schienen die Begegnungen verschiedener Zivilisationen hauptsächlich eine Angelegenheit des gegenseitigen Schutzes vor Feindseligkeiten und weniger das Forum für informierte, intelligente und nicht-aggressive Beziehungen gewesen zu sein, zu denen sie sich entwickelt hatten. Das völlig automatisierte Verteidigungssystem und die Ortungsgeräte der Prometheus-Station waren in der Tat völlig veraltet. Hätte man die Station außer Dienst gestellt und verschrottet, hätte sich für die Sicherheit der Erde nicht der geringste Nachteil ergeben. Nicht bei den LangreichweitenSensoren, über die die Erde mittlerweile verfügte. Doch Prometheus wurde als eine Art historischer Meilenstein angesehen. Und so wurde die Station in Betrieb gehalten - als Mahnmal für die schroffen Anfänge der Vereinten Föderation der Planeten. Die Prometheus-Station sah aus wie ein riesiger Kreisel und wurde von einer großen Spirale umgeben, die ihr als Energieleitung diente. Der Shuttle näherte sich der Station, und Clark gab einen Zugangskode in das Kommunikationsnetz ein. Prometheus drehte sich weiter vor ihnen, als müsse die Station diesen unerwarteten Bissen erst verdauen. Dann öffnete sich das schwerfällige Schott des Shuttle-Hangars im oberen Bereich der Station. Es schien dafür ewig zu benötigen - ein weiterer Hinweis auf das Alter der Station. Schließlich hatte es sich vollständig geöffnet, und Clark steuerte den Shuttle mit der Leichtigkeit hinein, die man nach Jahren der Übung entwickelte. Der Shuttle-Hangar war so alt, daß er nicht einmal über ein Kraftfeld verfügte, das die Atmosphäre an Ort und Stelle
hielt, solange die Türen geöffnet waren. Die Kadetten mußten in dem Shuttle sitzen bleiben, bis das Schott sich wieder geschlossen hatte und das atmosphärische Gleichgewicht wiederhergestellt worden war. Dann drehte Clark sich zu ihnen um. »Sie alle kennen die Ihnen zugeteilten Aufgaben«, sagte er. »Eine gründliche Überprüfung aller Wartungssysteme sowie der Waffen- und Ortungssysteme. Diese Station hat sechs Etagen, und es befinden sich zwölf Kadetten an Bord. Sie können sich also selbst ausrechnen, daß Sie Ihre Aufgabe in Re kordzeit erledigt haben sollten. Suchen Sie nach akuten Fällen von Systemversagen und achten Sie besonders auf alle kleinen Fehler, die irgendwann zu Problemen führen könnten. Ich wünsche über alles, was Sie finden, detaillierte Berichte. Falls es ein Problem geben sollte, ich befinde mich in der Kommandozentrale im Zentrum der Station. Sind Ihre Kommunikationsverbindungen eingeschaltet?« Man hatte sie vor dem Abflug mit Insignienkommunikatoren ausgerüstet. Ein jeder berührte nun seinen Kommunikator, und alle hörten daraufhin ein bestätigendes Piepsen und nickten. »Ausgezeichnet. Also an die Arbeit, Kadetten. Sie haben Ihre Befehle vor dem Start erhalten. Führen Sie sie aus.« Die Tür öffnete sich zischend, und ein Kadett nach dem anderen betrat den großen Shuttle-Hangar der PrometheusStation.
Worf überprüfte den Neutronenfluß im Graviton-Feld und nickte bestätigend. Einerseits handelte es sich um eine ziemlich langweilige Prozedur. Andererseits verlief sie wenigstens völlig glatt. Hätte es in dem Feld eine Abweichung von auch nur einem Prozent von der Norm gegeben, hätte Worf vielleicht ein paar Stunden damit verbringen müssen, der Ursache auf die Spur zu kommen. Aber die Messungen sahen genauso aus, wie sie aussehen sollten. Worf schob die Wandverschalung wieder zurück und drehte sich um, als Soleta zu ihm kam. »Ist alles in Ordnung?« fragte er. Sie nickte. »Die Spulen sind intakt. Die strukturelle Integrität ist nicht gefährdet. Ich habe kein Anzeichen dafür gefunden, daß es auf lange Sicht zu einem möglichen Zusammenbruch der Stationssysteme kommen könnte...« »Worf.« Es war Simons Stimme. Worf schaute sich einen Augenblick lang verblüfft um, bis er begriff, daß die Stimme seines Bruders aus dem Kommunikator gekommen war. Simon hatte den Auftrag erhalten, die Redundanz der Langreichweiten-Monitore auf Etage l zu überprüfen. Worf tippte auf den Kommunikator. »Ja, Simon.« »Worf, komm mal hoch. Ich möchte wegen einer bestimmten Sache deine Meinung hören. Beeil dich.« Worf und Soleta sahen einander an. »Wenn es ein Problem gibt...«, erwiderte Worf. »Ich bin mir nicht sicher. Ich möchte, daß jemand diese Daten überprüft. Worf, das ist kein Scherz. Bitte komm hoch.« »Ich bringe Soleta mit«, sagte Worf. »Einverstanden. Aber beeil dich.« Ohne weitere Diskussionen liefen Worf und Soleta den
Gang entlang. Sie stiegen in den Turbolift, fuhren drei Etagen hinauf und verließen ihn in der ersten Etage wieder. Simon wartete bereits auf sie. »Kommt«, sagte er. Sie eilten ihm hinterher und erreichten die Ortungszentrale. Zak Kebron befand sich ebenfalls dort und las einige Instrumente ab. Er schaute zu den anderen hoch. »Wieso bist du auf einmal verschwunden?« fragte Zak. Simon machte sich gar nicht erst die Mühe, ihm zu antworten, sondern drehte sich zu Worf und Soleta um. »Überprüfe das Subroutine-System A, Langreichweite. Sag mir, was du siehst.« »Ich sage dir, was ich sehe...«, begann Zak. Worf ging zu dem Schaltpult und unterbrach ihn. »Niemand hat dich gefragt«, fauchte er. Soleta trat neben ihn und beobachtete, wie seine großen Hände sich schnell über die Anzeigen bewegten. Worf verzog das Gesicht zu einem Stirnrunzeln. »Da ist ein Echozeichen«, sagte er schließlich. »Irgendein Elektronenfluß...« »Ein Eindringling?« fragte Soleta. Worf schüttelte den Kopf. »Das Echo wird von keinem Primärdetektor empfangen.« »Sagen wir es Clark?« fragte Simon. »Was sollen wir ihm sagen?« schnaubte Zak. »Es kann sich nicht um einen Eindringling handeln. Die primären Ortungsfelder hätten ihn schon längst gemeldet. Gäbe es einen Eindringling, würden die Alarmglocken hier so laut klingeln, daß man sie bis nach Argelius hören könnte. Es kann keinen Eindringling geben, der nur von einem Gerät mit einer Redundanz dritter Ordnung bemerkt wird.« Er hielt inne. »Vielleicht handelt es sich um eine räumliche Verzerrung.« »Holen wir McHenry her«, sagte Worf. »Mit Raumverzerrungen kennt sich keiner so gut aus wie er.« »Der Mann ist eine Raumverzerrung«, sagte Zak naserümpfend. »Richtig. Genau. McHenry.« Simon hatte kurzzeitig verwirrt geklungen, als hätte er die Situation noch nicht erfaßt. Er berührte seinen Kommunikator. »McHenry.« Keine Antwort.
»McHenry«, wiederholte er. Noch immer keine Antwort. Die anderen sahen sich besorgt an. »Mark, wo, zum Teufel, bist du?« fauchte Simon. »Bin schon da.« Sie fuhren zusammen und drehten sich dann um. Mark McHenry stand direkt hinter ihnen, als wäre er aus heiterem Himmel dort aufgetaucht. »Ich steckte zwischen dieser Ebene und der nächsten und bin durch eine Jefferies-Röhre geklettert«, erklärte Mark. »Als ich deinen Ruf hörte, bin ich einfach weitergeklettert.« »Wir empfangen etwas auf den Langreichweiten-Scannern, aber nur auf einem System dritter Priorität. Die Primär-Scanner stellen nichts fest. Vielleicht sind wir von einer Raumverzerrung genarrt worden.« »Entweder das, oder das System ist kaputt«, sagte Mark. »Wir haben einen Primär-Check vorgenommen«, sagte Soleta. »Alle Werte sind normal.« Mark zuckte mit den Achseln. »Dann sind vielleicht die Überprüfungs-Systeme defekt.« »Vielleicht sollten wir Tania heraufholen«, schlug Simon vor. »Sie ist die technische Expertin.« »Warum rufen wir nicht alle her«, sagte Zak verächtlich, »und feiern eine kleine Party?« »Nein, ist nicht nötig«, sagte Mark und trat zu einer Konsole. »Ich kenne mich mit den Dingern aus. Das ist die primäre Ortungsstation, oder?« »Ja. Genau«, sagte Simon. »Und wären wir wirklich in Gefahr, würde sie Alarm auslösen, nicht wahr?« »Genau«, sagte Worf. Er wurde allmählich ungeduldig. »Aber da es keinen Alarm gegeben hat«, fuhr Mark fort, als müsse er sich mächtig bemühen, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, »gibt es entweder keine Gefahr... oder dieses Ding hier ist kaputt.« »Genau«, warf Soleta ein. Selbst die Vulkanierin schien wegen Marks Beschränktheit etwas verblüfft zu sein. »Hmm.« Mark betrachtete die Konsole genau, bückte sich dann und schaute unter sie. »Das ist doch reine Zeitverschwendung«, murmelte Zak.
Und dann zog Mark langsam und bedächtig eine Hand zurück, ballte sie zur Faust... Und schlug auf die Konsole. Augenblicklich ging ein greller, lauter Alarm los, der in der gesamten Station erklang. Die Kadetten sahen sich verwirrt an alle bis auf Mark McHenry, der ungewöhnlich ruhig wirkte. »Repariert«, sagte Mark. Commander Clarks Stimme erklang gleichzeitig über alle Kommunikatoren. »Was, zum Teufel, ist da oben los?« fragte er aus der Kommandozentrale, die sich im Mittelpunkt der Station befand. Überall um sie herum blitzten Instrumente auf. Jedes Ortungsgerät an Bord der Station spuckte Daten aus. Worf wartete darauf, daß Simon antwortete. Ihm war das Kommando über diese Etage übertragen worden. Dementsprechend fiel es in seine Verantwortung, Clark zu antworten. Aber Simon stand einfach nur da, und sämtliche Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. »Commander, hier spricht Worf«, sagte der Klingone schnell. »Die Instrumente zeigen an, daß ein Sicherheitsverstoß der Priorität Eins vorliegt. Ein Schiff, bei dem es sich um eins einer feindlichen Spezies handelt, befindet sich in unserem Verteidi gungsperimeter.« »Identifizieren!« sagte Clark. Soleta arbeitete schon daran. Sie studierte die Daten und rief dann: »Die Konfigurationen zeigen an, daß es sich um ein romulanisches Schiff handelt. Es kommt schnell näher.« »Ich alarmiere Starfleet«, sagte Clark. »Geben Sie die Daten weiterhin an mich durch. Clark an Etage fünf. Bereiten Sie die Defensivbewaffnung vor...« »Vielleicht sind sie hinter Worf her«, sagte Zak verdrossen. »Sie haben herausgefunden, daß sie auf Khitomer einen übersehen haben...« Worf riß den Kopf herum. »Woher weißt du von Khitomer?« fragte er. Zak antwortete nicht und wandte den Blick ab. »Sie sind nicht getarnt!« rief Mark. In dem Augenblick, in dem sie erkannt hatten, daß sie angegriffen wurden, war seine
Zerstreutheit verschwunden. »Warum sind sie nicht getarnt?« »Logisch«, sagte Soleta mit erstaunlicher Ruhe. »Sie enttarnen sich, um...« Die Prometheus-Station schien zu schwanken und riß sie alle von den Füßen. Worf prallte zu Boden, und Soleta fiel auf ihn. Durch den Lärm der Schreie und Explosionen hörten sie Clarks Stimme, die aus den Kommunikatoren kam. Der Commander sagte ihnen, sie sollten nicht in Panik geraten und ihre Arbeit tun... In der fünften Etage hatten Briggs und Tania das Defensivaufgebot aktiviert. Sie hatten die Schilde aktiviert und luden die Phaser-Batterien. Aber Briggs bekam es mit der Panik zu tun. »Sieh dir diese Geräte an!« knurrte er. »Die sind doch uralt! Wir hätten mehr Chancen, wenn wir nach draußen gingen und mit Steinen auf sie würfen...« Dann feuerte die romulanische Kriegsschwalbe. Sie schwankten. Tania ergriff die Unterseite einer Konsole und konnte sich mit knapper Not festhalten, doch Briggs stürzte. »Schilde auf dreiundsiebzig Prozent!« rief sie. »Feuer!« brüllte Clark über ihre Kommunikatoren. »Feuer!« Briggs hatte sich beim Fallen den Kopf gestoßen und lag bewußtlos auf dem Boden. Tania kämpfte ihre düsteren Gedanken - Die erste Mission im All, und jetzt werde ich hier sterben... - nieder und sah auf die Waffenkonsole. Einen kurzen Augenblick lang glaubte sie, die Kriegsschwalbe im Visier zu haben, dann hatte sie sie wieder verloren. Doch sie mußte sofort reagieren, oder sie alle waren tot. Sie drückte auf bloßen Verdacht hin auf die Feuerknöpfe, ohne das Ziel erfaßt zu haben, und sprach ein kurzes Stoßgebet. Die Phaser der Prometheus-Station entluden sich. Tania hoffte, die Instrumente würden ihr verraten, daß der Feind nur noch aus dahintreibenden Metallfetzen bestand. Doch statt dessen fühlte sie, wie die Station erneut unter der Einwirkung der romulanischen Plasmakanonen erzitterte. Ihr entsetzter Blick fiel auf die letzten Werte: Die Schildstärke war auf dreiundzwanzig Prozent gefallen. Selbst moderne Deflektoren hielten einem Beschuß nicht ewig stand, und die Schilde der Prometheus-Station entsprachen keineswegs der modernsten Technik.
Sie drückte auf ihren Kommunikator. »Tobias an alle!« rief sie. »Die Schilde versagen. Noch einen oder zwei Treffer, und sie brechen zusammen. Ich versuche, das Feuer zu erwidern, aber ich bin hier unten ganz allein!« Dann wurden sie erneut getroffen... und in diesem Augenblick hörte sie die Schreie. Sie alle hörten sie durch ihre geöffneten Kommunikatorverbindungen - die Schreie, die in der Kommandozentrale erklangen. Es war Clarks Stimme. Und über ihre Kommunikator verbindung hörten sie auch, wie etwas zusammenbrach und den Schrei abschnitt, bevor er seine volle Lautstärke erreicht hatte. Auf der ersten Etage sahen die Kadetten sich an. Sie waren kreidebleich geworden. Jeder wußte, was dieses Geräusch zu bedeuten hatte. »Clark ist tot«, flüsterte Simon. Und dann wurde die Station erneut getroffen. Konsolen überluden sich und explodierten, und große Teile der Decke regneten herab. Worf riß Soleta gerade noch rechtzeitig beiseite; im nächsten Augenblick schlugen dort, wo sie gerade noch gestanden hatte, schwere Trümmer auf. Über ihre Kommunikatoren hörten sie Tanias panische Schreie. »Die Schilde brechen zusammen! Phaser-Batterien überladen sich!« »Clark ist tot«, sagte Simon erneut. In seinem Gesicht war nicht mehr die geringste Farbe. »Er ist tot! Wir alle sind tot!« Der Boden bäumte sich unter ihnen auf. »Kommt schon!« rief Worf und stürmte zur Tür. Sie öffnete sich nicht. Die Systeme waren ausgefallen. Simon war hysterisch. Tränen strömten sein Gesicht hinab, und er schrie: »Wir stecken in der Falle! Wir stecken in der Falle!« »Halt die Klappe!« rief Mark. »Zak! Jetzt!« brüllte Worf dem Brikar zu, der augenblicklich verstand. Er setzte sich in Bewegung und rammte seine massige, steinharte Schulter gegen die Tür. Der Aufprall genügte, um sie ein Stück zu öffnen, und Worf konnte die Finger in den Spalt schieben. Er stöhnte und zog mit aller Kraft, und dann half ihm auch schon Zak. Eine paar Sekunden, die eine Ewigkeit zu währen schienen, geschah gar nichts. Dann löste die Tür sich plötzlich aus der Verankerung. »Raus! Alle raus!« rief Worf. Überall um sie herum
entzündeten sich beschädigte Geräte, und die Flammen nagten an den uralten Vertäfelungen. Simon rührte sich nicht. »Wir können nirgendwo hin«, schluchzte er. »Wir können nirgendwo hin...« Worf packte Simon an den Schultern. »Wir leben noch!« knirschte er. »Wir geben erst auf, wenn wir tot sind! Vorher nicht!« Die anderen Kadetten waren bereits draußen; Worf riß Simon beinahe von den Füßen und stieß ihn hinaus. Dann folgte er seinem Bruder, und im nächsten Augenblick stürzte die Decke ein. Die Kadetten stürmten den Korridor entlang. »Wohin wollen wir?« rief Mark. »Tobias an alle. Bitte melden«, erklang Tanias Stimme knisternd über ihre Kommunikatoren. »An alle Kadetten. Wir treffen uns im Shuttle-Hangar!« rief Worf. »Das ist unsere einzige Chance!« Die Tür zum Turbolift-Schacht stand offen, aber es war kein Turbolift in Sicht. Rauch quoll aus dem Schacht. Die Kadetten, Zak vorneweg, kamen schlitternd vor der Tür zum Stehen. »Die Nottreppen!« rief Worf. »Wir müssen hinab zur...« Die Prometheus-Station wurde erneut getroffen, und die Wand am anderen Ende des Korridors wurde gesprengt. Die Station legte sich scharf auf die Seite, und die Kadetten taumelten... Zak Kebron wurde von den Beinen gerissen und fiel in den geöffneten Turboschacht. Er streckte die Arme aus und griff verzweifelt um sich. Im letzten Augenblick schlössen seine drei Finger sich um die Kante des Liftschachts. Er baumelte an einer Hand, und Rauch wogte um ihn. Selbst durch seine dicke Haut spürte er, daß die Hitze ihn versengte. Tränen schössen in seine kleinen Augen. Fünf Etagen unter ihm tobte auf dem Boden des Schachts ein Inferno. Das Metall, das er umklammerte, verbog sich abrupt und begann zu brechen, und dann schloß sich eine Hand fest um sein Gelenk. »Ich hab dich!« rief Worf zu ihm hinab. Er hielt Zak mit einer Hand fest; mit der anderen umklammerte er den Türrahmen. Soleta lag auf dem Bauch und griff zu ihm hinab.
»Deine andere Hand!« rief sie. »Gib mir deine andere Hand!« Ohne nachzudenken, griff Zak nach oben und ergriff Soletas ausgestreckte Hand. Erst dann kam ihm ein beunruhigende Gedanke. Was, wenn er beide mit sich in den Schacht hinabziehen würde? Aber die angehende vulkanische Wissenschaftlerin verfügte über die beträchtliche Stärke eines jungen Klingonen und verkraftete Kebrons Gewicht, ohne auch nur zusammenzuzucken. Zak trat verzweifelt um sich, fand tatsächlich Halt und schob sich hoch. Im nächsten Augenblick hatten Worf und Soleta ihn in Sicherheit gezogen. Für einen Wortwechsel blieb keine Zeit. »Schnell!« sagte Worf. »Wir müssen zum...« Es war zu spät. Sie hörten ein Geräusch, das wie eine Totenglocke klang die Welt wurde um sie herum auseinandergerissen. Worf sah, daß Simon zusammenbrach, schluchzte, seine Knie umklammerte und sich in eine Fötusposition zusammenrollte. Dann wurde die Prometheus-Station in einem versengenden Lichtblitz und mit einem ohrenbetäubenden Knall von dem Feuer verschluckt, das ihr mythologischer Namensvetter der Menschheit gebracht hatte. Worf verlor den Halt... was ihn kaum überraschte, denn plötzlich hatte er keinen Boden mehr unter den Füßen. Das Knirschen von Metall und die Todesschreie des Satelliten übertönten alle anderen Geräusche. Flammen schössen überall um sie herum hoch und blockierten jeden möglichen Fluchtweg. Und dann stieß Worf seine letzten trotzigen Worte aus, mit denen er sogar diese ohrenbetäubende Kakophonie übertönte. »Ich geselle mich zu meinen klingonischen Eltern!« rief er. »Kadetten... ich grüße euch! Es ist ein guter Tag zum Sterben!« Und dann war die Hitze verschwunden, und die Station ebenfalls... und die Kadetten wurden in das gewaltige, luftleere, eisige Vakuum des Weltraums geschleudert. Und während sie hilflos dahintrieben und darauf warteten, daß der Tod sie holte, sahen sie in den kalten Tiefen
Commander Clark... Und er stand völlig ruhig da. Und lächelte. Und winkte.
»Computer... das Programm beenden.« Worte, die sie eigentlich nicht mehr hätten hören dürfen. Aber sie hörten diese Worte, die der vermeintlich tote Commander Clark ganz ruhig und sachlich gesprochen hatte. Und der Weltraum und die zerstörten Überreste der unglückseligen Prometheus-Station... das alles verschwand. Die zwölf Kadetten stellten fest, daß sie auf einem Boden lagen. Der Raum, in dem sie sich befanden, war riesig, pechschwarz und wurde auf allen Seiten von einem gelben Netzwerk sich schneidender Linien durchzogen. Abgesehen von ihnen selbst befand sich nur ein Gegenstand in diesem Raum - der Shuttle, mit dem sie nach... Nach... Ja - wohin waren sie geflogen? »Wo sind wir?« fragte Worf verwirrt. Mark McHenry hingegen hatte sofort begriffen. »Ein HoloSalon«, sagte er erstaunt. »Wir... wir sind in einem HoloSalon. Auf...« »Auf der Erde«, beendete Clark den Satz. Er musterte die erstaunt dreinstarrenden Kadetten. »Sie haben die Erde nie verlassen. Der Shuttle verfügt über spezielle Fenster, die die Holo-Illusion eines Raumflugs vermitteln. Das Dach dieses Ausbildungszentrums kann geöffnet werden. Wir sind auf diesem Holodeck gelandet und haben es seitdem nicht mehr verlassen.« »Ausbildungszentrum?« fragte Worf. »Ein Ausbildungszentrum«, bestätigte Clark. »Es ist gut und schön, daß Sie theoretisch lernen, wie Sie mit einer gefährlichen - ja sogar tödlichen - Situation umzugehen haben. Aber nichts geht über eine grundsolide praktische Erfahrung.« Simon hatte sich erhoben. Sein Atem ging rasselnd. »Prak... Praktische Erfahrung?«
»Natürlich«, sagte Clark. »Während Ihrer gesamten Laufbahn werden Sie...« »Praktische Erfahrung!« Simon warf sich mit einem lauten Schrei auf Clark. Clark trat überrascht einen Schritt zurück, und Simon wäre ihm an die Kehle gesprungen, hätte Worf ihn nicht erwischt und festgehalten. »Beruhige dich, Simon!« sagte er. »Es war eine Prüfung! Uns ist nichts passiert.« Simon bekam sich langsam wieder unter Kontrolle. Er schaute sich um und sah, daß alle anderen Kadetten ihn musterten. Er richtete sich auf und glättete seine Jacke. Und dann sagte er: »Computer... Ausgang.« An einem Ende des Raums erschien eine Tür. Simon ging wortlos hinaus. »Geh nicht«, sagte Worf. »Bitte.« Simon packte seine letzten Besitztümer zusammen. Er stand in Zivilkleidung da; seine Kadetten-Uniformen hingen ordentlich im Schrank. Langsam sah er zu Worf hoch. Und lächelte. Zum erstenmal seit langer Zeit lächelte er. Das echte, warmherzige Lächeln des alten Simon. »Es ist nicht daran zu rütteln, Worf«, sagte er. »Ich bin mit der Akademie fertig.« »Wir können mit jemandem sprechen«, sagte Worf. »Diesmal hast du eine schlechte Leistung gebracht, aber du kannst noch immer...« »Worf, verstehst du denn nicht? Hast du es noch immer nicht begriffen? Das ist... eine Erleichterung für mich. Ich bin nicht für Starfleet geschaffen. Das weiß ich jetzt.« »Unsinn«, sagte Worf heftig. »Du schaffst, was immer du willst.« »Vielleicht. Aber ich will das nicht.« Er setzte sich auf die Bettkante und betrachtete seine gepackte Tasche. »Ich bin jahrelang mit Vaters Geschichten von Starfleet aufgewachsen, und mit seinen Erwartungen, und... nun ja, ich habe wahrscheinlich einfach angenommen, ich wolle auf die Starfleet-Akademie gehen. Aber das stimmt nicht. Ich bin nicht mit den Ansprüchen des Studiums fertig geworden,
und noch viel weniger mit den Risiken, die man bei Starfleet eingehen muß. Ich meine... na, komm schon, Worf, du hast doch gesehen, wie es mir erging. Du hast gesehen, wie ich gekämpft habe. Ich habe darauf gewartet, daß du etwas sagst, aber das hast du nicht getan. Warum nicht?« Worf machte eine hilflose Handbewegung. »Ich... ich habe gedacht, du hättest nur so getan. Du hättest mir nur etwas vorgespielt, damit ich mich besser fühle. Damit ich mich dir nicht unterlegen fühle.« Simon lachte laut auf. Er erhob sich, ging durch das Zimmer und trat vor seinen Bruder. »Du mußt dich niemandem unterlegen fühlen. Niemals. Dafür gibt es nicht den geringsten Grund. Hast du das verstanden? Und du wirst hierbleiben, und du wirst Erfolg haben, und du wirst eine unglaubliche Karriere machen, Worf. Hast du mich verstan den?« Worf nickte. »Ich werde dich jetzt umarmen«, erklärte Simon. Worf seufzte. »Das hatte ich befürchtet.« Simon legte die Arme um seinen Bruder und drückte ihn an sich... aber nur ganz kurz. Er wollte Worfs Geduld nicht über Gebühr beanspruchen. Dann trat er zurück. »Mach uns stolz«, sagte er. »Bezweifelst du, daß ich das tun werde?« fragte Worf. Simon nahm seine Tasche, ging zur Tür und drehte sich zu Worf um. »Nein«, sagte er. Und dann war er fort. Zak Kebron lag auf seiner Schlafkoje und las, als Worf hereinkam. Er bewegte sich ganz vorsichtig, um nicht die falsche Seite des Zimmers zu betreten, und nahm auf seinem Lieblingsstuhl Platz. »Weißt du«, sagte Worf, »jetzt, da Simon fort ist, könnte McHenry einen Zimmergenossen gebrauchen. Wenn wir mit Admiral Fincher sprechen, können wir sie vielleicht überzeugen...«
»Uns zu trennen? Einen von uns auf McHenrys Zimmer zu legen und diese... gegenseitige Strafe zu beenden?« Worf nickte. Zak schwieg einen Augenblick lang. »Die Menschen verstehen uns nicht«, sagte er schließlich. »In dieser Hinsicht stimme ich mit dir überein.« »Zum Beispiel«, fuhr Zak fort, »könnte ein Mensch glauben, dein Versuch, mir das Leben zu retten, als wir glaubten, auf dieser explodierenden Station zu sein, hätte bewirkt, daß ich jetzt besser von dir denke. Daß ich jetzt glaube, du wärest fähig und vertrauenswürdig und den Idealen von Starfleet ergeben. Ein Mensch könnte das glauben, habe ich gesagt.« »Richtig«, sagte Worf ernst. »Aber ein Mensch würde die berühmte Starrköpfigkeit der Brikar nicht verstehen.« »Die lediglich«, stellte Zak fest, »der berüchtigten Starrköpfigkeit der Klingonen gleichkommt.« »Auch in dieser Hinsicht stimme ich mit dir überein.« Sie schwiegen wieder eine Weile. »Es wäre sinnlos, sich an Admiral Fincher zu wenden«, sagte Zak schließlich. »Sie würde darauf bestehen, daß wir zusammenbleiben, in der vergeblichen menschlichen Hoffnung, daß wir lernen, einander zu respektieren, und uns irgendwann vielleicht sogar - der Himmel soll es verhindern - mögen.« »Lächerlich.« »Absurd.« »Ja, einfach abwegig. Dennoch« - Worf seufzte - »hast du wahrscheinlich recht. Anscheinend müssen wir uns auch weiterhin ein Zimmer teilen.« »In der Tat.« Worf griff nach seinem elektronischen Notizblock und warf einen Blick auf die Vorlesungen des nächsten Tages. Dann sah er zu der Grenzlinie, die mitten durch das Zimmer verlief. »Weißt du«, sagte er, »diese Linie ist sehr unansehnlich.« Zak würdigte sie kaum eines Blickes. »Ach so, die Grenzlinie meinst du. Ich hatte schon ganz vergessen, daß sie da ist. Wisch sie doch einfach weg, ja?« »Wieso ich?« »Du findest sie doch unansehnlich.«
»Ja, aber du hast sie angebracht.« »Ach, wie dem auch sei«, sagte Zak ungeduldig. »Sprechen wir später darüber... wenn wir nichts Wichtigeres zu tun haben.« »Einverstanden«, sagte Worf. Zak sah ihn an. »Du mußt immer das letzte Wort haben, oder?« Worf erwiderte den Blick. »Ja.« Zak Kebron gab ein Geräusch von sich, das wie ein BrikarKichern klang, und wandte sich wieder seiner Lektüre zu.