Marschak/Culbreath
Wie Phoenix aus der Asche!
Aus dem Amerikanischen übertragen von Carla Blesgen
GOLDMANN VERLAG
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Marschak/Culbreath
Wie Phoenix aus der Asche!
Aus dem Amerikanischen übertragen von Carla Blesgen
GOLDMANN VERLAG
Bearbeitung: Hermann Urbanek
Deutsche Erstausgabe
Der Goldmann Verlag ist ein Unternehmen der
Verlagsgruppe Bertelsmann
Made in Germany • 6/90 • 1. Auflage
© STAR TREK® THE PRICE OF PHOENIX
© 1977 by Paramount Pictures Corporation
© der deutschsprachigen Ausgabe
1990 by Wilhelm Goldmann Verlag, München
Umschlaggestaltung: Design Team München
Umschlagillustration: O. Berni / Schlück, Garbsen
Satz: IBV Satz- und Datentechnik GmbH, Berlin
Druck: Eisnerdruck, Berlin
Verlagsnummer: 23620
Lektorat: Christoph Göhler/SK.
Herstellung: Peter Papenbrok
ISBN 3-442-23620-7
Captain Kirk ist tot! Die Leiche wird an Bord der USS Enterprise gebeamt, auf der ab sofort Spock das Kommando hat. Bei einem Besuch auf einem rätselhaften Planeten, wo ein Mann namens Omne uneingeschränkter Herrscher ist, soll er in einem einstürzenden Haus umgekommen sein. Omne, ein erklärter Feind der Föderation, versucht mit dem neuen Commander ein Spiel zu spielen. Der Einsatz für Spock: die Enterprise. Und für Omne: ein zweiter Captain James T. Kirk.
Für
CAROL FRISBIE
Nur Carol konnte den Vorsitz über die Entbindung bei der Geburt dieses speziellen Phönix führen. Nur sie – und wir – wissen, welchen Preis sie für ihre tage- und nächtelange Betreuung zahlen mußte und weshalb unser »Pille« endlich einmal das letzte – und auch das erste Wort bekommt.
1 Dr. McCoy hatte nur einen einzigen Gedanken: Das muß Spock erspart bleiben! Er eilte zu der von Spock besetzten Transporterposition und ergriff seinen Arm. Der Vulkanier ließ sich ohne Protest von der Plattform führen. McCoy wollte ihn durch die endlosen Korridore der Enterprise lotsen, ihn notfalls in den ruhigen Hafen der Krankenstation schleppen – alles wollte er tun, nur nicht den Vulkanier mit ansehen lassen, wie der Sicherheitstrupp die Bahre mit der verhüllten Leiche hereinbrachte. Neben der Transporterkonsole blieb Spock jedoch stehen. Er stand da wie ein Fels mit seiner unbeweglichen vulkanischen Stärke; seine eigenartige Starre hatte sich fast zu Katatonie gesteigert. »Energie!« befahl er mit erschreckend normaler Stimme. Hinter der Konsole stand Scotty. Er wirkte geschlagen und leer, um Jahre gealtert. Seine Schultern rangen um Haltung, als ob sie eine Ehrenwache wären. Seine Hände bedienten die Instrumente mit besonderer Sorgfalt – als ob das jetzt noch eine Rolle spielen würde. Uhura stand in der Tür, ohne ihre Anwesenheit zu erklären oder die Tränen zu entschuldigen, die lautlos über ihr schönes schwarzes Gesicht rannen. Die Transporterplattform glühte. Die beiden Sicherheitsmänner der Enterprise materialisierten, schlossen die Hände fester um die Anti-Grav-Einheiten und verließen dann vorsichtig die Plattform mit der Bahre, die den toten Körper von Captain James T. Kirk beherbergte.
Spock folgte ihnen durch die Tür, ohne den Blick von der Bahre zu wenden. McCoy hing an seinem Arm; er war nicht sicher, ob er nun Trost spendete oder Trost bekam. Er konnte die Stärke des Vulkaniers spüren – aber war diese Stärke noch normal? Leonard McCoy wußte, daß sich diese schweigsame Prozession für immer wie ein Alptraum in sein Gedächtnis eingraben würde, aber sie war nichts verglichen mit dem Alptraum, sich auf den Planeten zu begeben und die verkohlte Leiche aufzulesen. Absolut kein Vergleich zu dem, was Spock gesehen hatte. Die Besatzung der Enterprise säumte die Korridore, wartete neben dem Turbolift. Sie wußte es natürlich längst. Dafür hatte Omne schon gesorgt. Der Besitzer dieses zum Banditennest umfunktionierten Planeten hatte die Neuigkeit unverblümt und brutal bekanntgegeben, nachdem er sein Spezialsignal durch die undurchdringlichen Schutzschirme geschickt – was jede andere Kommunikation unterbrochen hatte – und sich direkt in das Bordintercom eingeschleust hatte. »Captain Kirk ist tot! Erteile Landeerlaubnis für den Bordarzt der Enterprise und seine Leute.« Die Crew hatte ihm nicht geglaubt. Ihr Captain konnte einfach nicht sterben! Jetzt sahen sie die Endgültigkeit in McCoys und Spocks Gesichtern. McCoy hielt Spock an der Tür zurück, während die Leiche in den kleinen sterilen Autopsieraum gebracht wurde. Der Zweck dieses Raumes war dem Wissenschaftler Spock nur allzugut bekannt. Routinemaßnahme. Alle gewaltsamen
oder plötzlichen Todesfälle. Hier herrschte Dr. McCoys eigenes, striktes Reglement. Der anwesende Dr. M’benga zog fragend eine Augenbraue hoch. McCoy schüttelte den Kopf. Das wollte er selbst in die Hand nehmen. Es war das letzte, was er für Jim Kirk tun konnte. Der Vulkanier und Erste Offizier betrachtete ihn mit völligem Verständnis. »Vielen Dank, Doktor«, sagte Spock. »Genauso hätte er es sich gewünscht.« McCoy fiel keine Erwiderung ein. Aber der Vulkanier hatte gesprochen – zum ersten Mal, abgesehen von dem knappen Befehl im Transporterraum. McCoy mußte diesen kleinen Zipfel geistiger Gesundheit zu fassen bekommen, dem Vulkanier irgendwie einen Halt geben. »Spock – «, begann er, doch der Vulkanier war bereits wieder unerreichbar und verharrte in derselben unbeweglichen Starre, mit der er schon die Bergung von Kirks Leiche aus der Asche verfolgt hatte. Der stiere Blick drückte Mordlust und Wahnsinn aus, eine schreckliche Erlösung von etwas, von dem es keine Erlösung gab, was aber auch nicht zu ertragen war. McCoy spürte mit Gewißheit, daß Spocks Leben in Gefahr war. Damals auf Vulkan hatte der Vulkanier Kirks vermeintlichen Tod überlebt, als er glaubte, er selbst habe seinen Captain und Freund getötet. Aber dann war die fürchterliche vulkanische emotionale Selbstbeherrschung in genau diesem Raum hier vollkommen zusammengebrochen, als Spock Jim lebend durch die Tür hereinspazieren gesehen hatte. Und das lag viele Jahre und viele freundschaftliche Bande zurück. McCoy war nicht sicher, ob Spock jemals ernsthaft an Kirks Tod geglaubt hatte, als der Captain ein anderes Mal im tholianischen Sektor verschwunden war und McCoy und Spock sich gemeinsam eine Aufzeichnung seiner letzten Befehle angehört hatten. Damals hatte Spock das Schiff
wegen der im Grunde unmöglichen Chance, Jim zurückzuholen, aufs Spiel gesetzt. Das war Jahre her – was würde er jetzt riskieren, wenn auch nur die geringste Chance bestünde? Wie konnte er mit der Tatsache leben, daß es absolut keine Chance mehr gab? Die vulkanische Unterdrückung der Gefühle war ebenso Schwäche wie Stärke. Sie hatte dem Vulkanier über schreckliche Zeiten hinweggeholfen – gelegentlich sogar der ganzen Besatzung –, aber McCoy war sich stets darüber im klaren gewesen, daß sie eines Tages mit einem fürchterlichen Knall zusammenbrechen konnte. Er hatte Spock oft genug die Hölle heiß gemacht und versucht, diese Barriere Stück für Stück abzubauen, bevor der Tag gekommen war. Der heutige Tag. McCoy wußte mit unerschütterlicher Gewißheit, daß dieses Unglück den großen Knall auslösen konnte, daß es vielleicht das einzige Ereignis war, was so etwas überhaupt fertigbrachte. Auch er hatte seinen besten Freund verloren; aber Spock hatte den einzigen Menschen eingebüßt, dem er je erlaubt hatte, in sein selbstgezimmertes Gefängnis vulkanischer Zurückhaltung einzudringen und seine nackte Seele zu berühren. McCoy ließ sich auf einem Knie neben Spocks Sessel nieder. »Durchhalten, Spock«, sagte er sehr sanft im Tonfall eines Priesters, fast mit der Stimme eines anderen Mannes. »Lassen Sie sich davon nicht kaputtmachen. Halten Sie durch.« Der Vulkanier schauderte, und seine Augen suchten den tröstenden Blick, den Kirk parat gehabt hätte. »Danke, Pille«, erwiderte er bedächtig im selben Tonfall, wobei er Kirks Spitznamen für den Arzt benutzte. Dann brannte in seinen Augen plötzlich eine Wildheit, wie sie McCoy noch nie darin gesehen hatte. »Es wird mir nichts anderes übrigbleiben, als ›durchzuhalten‹, Doktor. Der Mord
ist geschehen, und jedermann ist anscheinend dabei, sich damit abzufinden.« »Mord?« McCoy schnappte nach Luft. »Aber es war doch eindeutig ein Unfall. Großer Gott, Spock, nicht einmal Omne würde sich eine solche Falle ausdenken! Sati (eine Zeremonie, bei der die Inderin lebendig zusammen mit der Leiche ihres Ehemannes verbrannt wird, d. Übers.) auf sandorianische Art? Das ganze Haus in Brand gesteckt? Die Ehefrau? Das Baby? Die Frau ist wirklich gestorben, Spock, das war kein Trick. Jim hielt es einfach nicht aus – nicht das mit dem Baby. Es war ein Unfall.« »Oder eine exakte Kalkulation mit der Psyche des Captains«, entgegnete Spock grimmig. »Es war Omne, der die Delegiertentournee durch die außerirdischen Enklaven inszenierte, der uns über die Nichteinmischungsdirektive der Föderation belehrte – was die Menschen angeblich nicht zu würdigen wüßten; er führte uns herum, ohne dem Captain von den Fersen zu weichen, und setzte ihm gerade die Opferungsriten auseinander, als das Haus in Brand gesteckt wurde und die Frau mit dem Kind hineinplatzte. Es waren Omnes romulanische Söldner, die mich daran hinderten, Jim zu Hilfe zu kommen.« Er brach ab, und McCoy konnte die hochschlagenden Flammen fast in seinen Augen sehen. McCoy selbst sah wieder die schwelende Asche und Spock vor sich, eingeschlossen von bulligen romulanischen Renegaten derselben vulkanischen Abstammung und ebenso stark wie er. Spock hielt immer noch einen schreienden, etwa sechs Monate alten Jungen auf dem Arm. Spock, der sonst an keiner Katze vorbeikam, ohne sie zu streicheln, hatte ein Baby im Arm, ohne sich dessen überhaupt bewußt zu sein. McCoy hatte ihm das Kind schließlich abgenommen, es ähnlich abwesend bei irgendeiner Frau
abgeladen und versucht, aus Spock herauszubekommen, was eigentlich geschehen war. Schließlich erfuhr er das Wesentliche in Bruchstücken von einigen Augenzeugen: Spock hatte die Romulaner wie Kegel beiseite gestoßen, die Tür erreicht und Kirk mit der an ihn geklammerten Mutter entdeckt. Kirk hatte Spock das Baby entgegengeschleudert, der es genau in dem Moment auffing, als ihn die Romulaner erneut in der Zange hatten, das brennende Haus einstürzte und Kirk unter sich begrub. McCoy schloß die Augen. Es half nichts. Wenn Spock tatsächlich glaubte, einen Mord mit angesehen zu haben – vielleicht stand es dann mit seinem Geisteszustand wirklich nicht mehr zum besten. Vielleicht mußte das so sein, damit er jemanden töten konnte. Und was würde in diesem Fall mit seiner vulkanischen Friedensphilosophie geschehen? In Spocks Gesicht war nicht die leiseste Spur des tausendjährigen Friedens von Vulkan zu erkennen. Es war das Gesicht seiner wilden Vorfahren, fünftausend Jahre alt – oder auch fünf Millionen. McCoys Beine wollten ihn nicht mehr so recht tragen; er hievte sich in den Sessel hinter seinem Schreibtisch. Spock war nur noch ein wandelnder Trauerkloß, aber er führte jetzt das Kommando auf der Enterprise und besaß folglich die Macht, einen Planeten zu zerstören. Hier braute sich ohnehin ein Krieg zusammen. Dieser erbärmliche Planet der Gesetzlosen und Geächteten war das Intrigenzentrum der gesamten Galaxis. Und McCoy bezweifelte, daß Omnes ›Schwarzes Loch‹ wirklich völlig gesichert war, trotz seiner uneinnehmbaren Schutzschirme. Spock sah auf und bemerkte McCoys starren Blick, Der Vulkanier riß sich abrupt zusammen. Er durchquerte den Raum und ließ sich mit einer Hinterbacke auf der Schreibtischkante nieder – eine für ihn äußerst untypische Stellung.
»Überprüfen Sie meine Logik, Doktor«, sagte er. »Ich bin nicht voll – funktionsfähig.« »Ihre Logik überprüfen?« Der Vulkanier sah McCoy ernst an. »Ich glaube nicht, daß wir seine letzten Befehle brauchen werden – diesmal. Und Sie?« »Nein, Spock. Diesmal nicht.« Spock nickte. »Dann hören Sie mir zu.« Er dehnte seine Schultern nach hinten, bis ein Knacken zu hören war. »Punkt eins: Es besteht bei mir die Möglichkeit einer Paranoia, obwohl ich nicht daran glaube. Meine Intuition meldet mir ein viel weitreichenderes Komplott, als uns bekannt ist. Natürlich hat sich der Verdacht bestätigt, der uns hierhergeführt hat – daß nämlich diese ganze Konferenz von eigenartigen Delegierten, Gesetzlosen, Renegaten, Revolutionären, Regierungen im Exil und Dissidenten nur dem einen Ziel dient, die Föderation zu sprengen und eventuell eine Menge Planeten zu einer Allianz mit den Romulanern zu bewegen, so daß diese wieder Krieg führen können. Omne macht weder einen Hehl aus seiner Befürwortung dieses Projekts noch aus seiner Verachtung für die Föderation. Denken Sie nur daran, wie er uns auf dem Bildschirm begrüßte und seiner Freude darüber Ausdruck gab, daß wir ›seine Einladung angenommen hätten‹; was nichts anderes bedeuten sollte, als daß er sorgfältige Vorbereitungen getroffen hatte, damit wir versuchen würden, ›ungeladen auf der Party aufzukreuzen‹, wie sich der Captain ausdrückte. Sie haben seine anfängliche, merkwürdig überschwengliche Freundlichkeit dem Captain und mir gegenüber nicht miterlebt, aber als er Sie schließlich herunterbeamte, damit Sie sich unserem Privatausflug durch das Krankenhaus anschließen konnten – « Spock brach ab. »Was halten Sie von ihm, Doktor?«
»Eine medizinische Beurteilung?« McCoy runzelte die Stirn und erinnerte sich säuerlich daran, wie ein Volltrottel auf der Transporterplattform gestanden zu haben, während die anderen beiden von dannen geflimmert waren, und wie er eine kopflose Weile mit Scott verbracht hatte, bis der Bordingenieur schließlich feststellte, daß sich der Transporter, der die beiden heruntergebeamt hatte, auf dem Planeten befand, trotz der undurchdringlichen Schutzschirme voll funktionsfähig war, genauso arbeitete wie der Transporter der Enterprise und sogar auf deren Meßinstrumente reagierte. Ihr eigener Transporter hatte allerdings keinen Mucks mehr von sich gegeben und sich beharrlich geweigert, McCoy zu befördern. Schließlich war er dann herbeizitiert worden und hatte Omne endlich gegenübergestanden. »Erster Eindruck: übergeschnappt«, sagte McCoy. »Größenwahnsinnig. Wahnvorstellungen der Omnipotenz. Daher vielleicht auch der Name.« Er schüttelte den Kopf. »Zweiter Eindruck: doch nicht verrückt. Ich weiß, daß dieser Ort mit dem ganzen melodramatischen Drum und Dran von Mythen und Legenden gepflastert ist, aber er hat auch etwas Unheimliches an sich. Dieser ganze Wild-West-Kram – «, er deutete auf den sechsschüssigen Revolver an Spocks Hüfte und auf seinen eigenen, » – nur daß es hier immer heißt: ›Überprüft eure Schießeisen, bevor ihr reinkommt‹ und einen der Gastgeber vergnügt mit gleichwertigen Waffen versorgt. Das schafft eine höfliche Gesellschaft, sagt er. Duelle anstelle von Gesetzen und die altbekannten Regeln: keine Schüsse aus dem Hinterhalt und die romulanischen Wachen, die jeden auf dem rechten Pfad halten. Es gibt aber auch extraterrestrische Enklaven, in denen Waffen verboten sind und wo Sitten und Gebräuche voll und ganz dem eigenen Ermessen unterliegen. Außerdem gibt es hier mehr als eine Legende. Ich habe einen antiken griechischen Trakt gesehen, der irgendwie wie eine
Wiedergeburt des Goldenen Zeitalters von Deneb Fünf wirkte.« »Prä-Reform-vulkanisch«, fügte Spock hinzu, »und aus der Zeit von Surak.« »Es erinnert mich an das alte Ideal vom Gemeinschaftsbesitz. Minimale Reglementierung von Seiten des Gastgebers, Schutzschirme als Absicherung gegen fremde Truppen. Es scheint weder eine Offensivstreitmacht noch eine Raumflotte zu geben, aber den Legenden zufolge kauft ein Schiff, das in einem Umkreis von fünfundsiebzigtausend Kilometern Krach schlägt, die Farm. Es ist also ein Freihafen, nur ein Steinwurf von der Neutralen Zone der Romulaner entfernt. Sehen Sie sich uns doch an. Drei romulanische Schiffe im Orbit, und wir haben uns bis jetzt noch nicht über den Haufen geschossen. Und dann noch fast hundert andere fremde Schiffe, die Delegierte von dreimal so vielen Planeten mit sich führen.« »Dreiundneunzig. Drei-Komma-zweimal«, korrigierte der Vulkanier automatisch. McCoy nickte. »Wer so etwas fertigbringt, wird ernst genommen – und ist ein ernsthafter Mann. Und dann dieses Krankenhaus – ich habe dort Dinge gesehen, für die ich meinen Augapfel hergeben würde, Dinge, die es bisher in der gesamten zivilisierten Galaxis noch nicht gegeben hat. Das läßt auf ein Forschungspotential allererster Ordnung schließen. Omne führt keinen Titel, aber er muß Doktor der Medizin sein.« »Außerdem noch Doktor in einigen anderen wissenschaftlichen Bereichen«, fügte Spock hinzu. »Linguist. Galaxiserfahren. Durchdrungen von Sprache und Literatur Gott weiß wie vieler Welten. In Umgangsenglisch und Slang ebenso bewandert wie Sie – nur daß er es zugibt.« Spock hob eine Braue, wodurch er allerdings eher ungeduldig aussah. »Und er spricht vulkanisch wie ein Vulkanier, aber
was soll das alles? Er ist ein mächtiger Mann, doch zu welchem Zweck?« McCoy entsann sich des unguten Gefühls, auf Grund dessen er versucht hatte, Jim und Spock von dem zweiten Treffen abzuhalten, zu dem er selbst ostentativ nicht eingeladen worden war. Es war eine fast körperlich spürbare Furcht gewesen, verursacht durch die bloße physische Präsenz dieses Riesen in Schwarz vor der kostümierten und bunt bemalten Kulisse der von ihm geschaffenen Privatwelt. Ein schlichter schwarzer Overall, schwarze Stiefel und Handschuhe; das schwarze Haar und die unergründlichen schwarzen Augen; die ausgeprägte Muskulatur und eine beinah überwältigende Männlichkeit. Omne besaß menschliches Aussehen, aber es lag etwas Fremdartiges unter den zahlreichen Schichten des galaxisgewandten Mannes. Und er hatte eine gewisse Aura von grüblerischem, schwarzem Kummer und Zorn, der Dekaden tief zu reichen schien. McCoy schüttelte den Kopf. »Omne läßt mir die Zähne vor Angst klappern, Spock. Er ist zwar nicht verrückt, aber er besitzt eine eiserne Entschlossenheit, was fast genauso schlimm ist. Er- er ist ein Besitzertyp, Spock. Er will seine Welt besitzen, auf seine Weise, egal um welchen Preis. Was immer er will, er würde sich selbst oder die Galaxis vernichten, um es zu bekommen.« Spock nickte. »Sehr poetisch, Doktor, aber ganz meine Meinung.« »Noch eins, Spock. Er ist ein Alpha-Männchen. Sie kennen doch die Idee, dominante Primatenmännchen in Alpha-, Betaund Gammagruppen einzuteilen. Jim und ich malten uns immer aus, daß man dasselbe auch mit Menschen tun könnte. Aber dieser Omne – er ist so sehr alpha, er hätte die größten Schwierigkeiten, überhaupt einen gleichwertigen Konkurrenten aufzutreiben. Vielleicht bin ich ja verrückt, und
das alles hat gar nichts mit dieser Geschichte zu tun, aber ich hatte den Eindruck, er würde es gern mit uns aufnehmen.« »Mit dem – Captain«, brachte Spock mühsam hervor. »Möglicherweise mit Ihnen. Oder dem, was Sie beide verkörpern: die Föderation. Er hat die fixe Idee, Sitten und Gebräuche niederzutrampeln, was der Schlüsselgedanke hinter dieser ganzen Konferenz zu sein scheint. Sogar auf Vulkan hat es doch deshalb schon Schwierigkeiten gegeben und diese halbamtliche Vulkanierdelegation hier…« »Der Gedanke ist mir auch schon gekommen, Doktor. Falls der Captain eines Sternenschiffs der Föderation bei dem scheinbaren Versuch getötet würde, die Oberste Direktive zu verletzen – « McCoy holte tief Luft. »Es muß doch nicht gleich Mord gewesen sein. Ein Test, eine Falle vielleicht, aber – «, er schüttelte den Kopf, »das werden wir nie nachweisen können, ja, ich glaube, Omne könnte töten. Aber tat er es?« »Das«, entgegnete Spock, »werde ich herausfinden.« Er stand abrupt auf, und McCoy schaltete gleich auf Alarmstufe Rot. »Moment, Spock. Wie?« Spock blieb mit mühsamer Beherrschung stehen. »Es gibt da noch etwas, Doktor. Ich bin seit dem – letzten Ausflug nach unten noch nicht dazu gekommen, es Ihnen zu sagen. Die drei romulanischen Schiffe unterstehen doch tatsächlich unserer alten – Freundin, der Flottenkommandeurin. Sie hat uns weder vergessen noch vergeben. Aber sie erneuerte, mit leichten Abwandlungen, ihr Angebot an mich. Ich sollte zu ihr überlaufen und den Captain gleich mitbringen. Ich glaube, sie wollte mich vor etwas warnen, von dem sie zwar wußte, was sie aber nicht aufhalten konnte oder wollte.« Spock verstummte, und sein vulkanischer Kiefer trat hart hervor.
»Kirks Ermordung«, schloß er kategorisch; in seinen Augen stand Mordlust. Dann machte er auf den Hacken kehrt und stapfte aus dem Raum. Nachdem er einen Augenblick wie betäubt dagesessen hatte, hievte sich McCoy aus seinem Sessel, um ihm nachzueilen. Doch Spock hatte bereits den Turbolift erreicht. Als McCoy endlich in den Transporterraum hineinstürmte, beobachtete Scotty gerade das abnehmende Schimmern der Entmaterialisierung. Er drehte sich zu McCoy um und sagte: »Glauben Sie mir, daß er mir das Kommando übertragen hat?« McCoy nickte heftig. »Aye, Mr. Scott, und ich wünsche Ihnen dabei viel Spaß.« Er knallte seine flache Hand auf die Konsole. »Hol’s der Teufel, Scotty!« »Aye«, machte Scott. »Doktor, ist bei ihm alles in Ordnung?« »Trifft das vielleicht auf irgend jemand von uns zu?« McCoy streckte sich und stieg auf die Transporterplattform. »Versuchen Sie’s, Scotty.« Der Transporter blieb still. Spock muß erwartet worden sein, dachte er, und der Gedanke gefiel ihm gar nicht. Er kletterte langsam wieder hinunter und bedachte Scott mit einem auffordernden Nicken. »Kommen Sie, ich verordne Ihnen einen Drink. Sie könnten einen vertragen. Wir beide könnten einen vertragen!«
2 Spock verließ die Transporterplattform genau da, wo man sie schon beim erstenmal hingebeamt hatte – im Wild-West-Trakt. Die romulanischen Wachen mit ihren schlechtsitzenden, schwärzen Levis und den kompakten sechsschüssigen Colts starrten ihn böse an. Einer von ihnen erstattete sogleich Bericht über seinen Kommunikator, aber man versuchte nicht, ihn aufzuhalten, als er sich in Richtung Front Street auf den Weg machte. Dodge City mit Luftwagen. Ein Dutzend Legenden von einem Dutzend Welten, von Banditen und Geächteten, zwielichtigen Banden und verbitterten Überlebenden vergessener Kriege. Spock hatte dies alles im ersten Moment als faszinierend und reichlich mitleiderregend empfunden, war sich allerdings darüber im klaren gewesen, daß all die Erbärmlichkeit das Ganze nicht ungefährlicher machte. Später, nachdem er Omne, die übrigen Mythen und die wahre Macht kennengelernt hatte, stufte er es eher als unheilverkündend denn als bemitleidenswert ein. Jetzt nahm er nichts von alldem wahr; er hatte eine quälende Flammenvision vor Augen, sah darin ein Gesicht und ein Lippenpaar, das sich nicht zu einem Schrei, sondern zu dem Wort Spock! formte. Spock berührte seine Schläfe. Er mußte diese Vision unbedingt in sein Unterbewußtsein verbannen, auch wenn er wußte, daß sie dann trotzdem immer gegenwärtig war. Einige solcher Visionen kannte er, tausendfach variiert, seit Jahren aus seinen Alpträumen.
Er machte sich für die vulkanische Technik der Disziplinierung und Beherrschung bereit. Er war Vulkanier; das war sein Erbe. Es durfte keine Zugeständnisse an blinde Emotionen geben, vor allem dann nicht, wenn die Versuchung am größten war. Er führte die einzelnen Schritte durch, sammelte die alten Energien, den alten Stolz… Nach einer Weile ließ er die Hand wieder sinken. Spock wußte, daß er im Grunde gar nicht damit gerechnet hatte, daß es funktionieren würde. Er straffte die Schultern und betrat den Konferenzpavillon. Es blieb ihm immer noch die menschliche Technik, schließlich war er zur Hälfte Mensch. Es mußte eben reichen. Der Pavillon war ein einziges Eingeständnis an modernste Technologie; er war mit Lebenserhaltungsquartieren für die unterschiedlichsten Außerirdischen, Treffpunktmöglichkeiten für ungleiche Lebensformen und Speiseund Erholungseinrichtungen für eine Vielzahl von Arten und Rassen ausgestattet. Hier, mitten im Niemandsland, hatte Omne Einrichtungen geschaffen, die durchaus mit denen der offiziellen interstellaren Begegnungsstätte auf Babel konkurrieren konnten. Spock fand sie in der romulanischen Bar. Ein Drink wartete auf ihn. Es war der gleiche orangefarbene Nektar, den sie ihm einst auf ihrem Flaggschiff angeboten hatte – damals, als er sie belogen und betört hatte, dann ihr Geheimnis stahl und vielleicht auch ihr Herz. Die beiden schlanken, quadratischen Gläser standen sich verloren gegenüber. Auch ihres war unberührt. Sie erwartete ihn stehend und musterte ihn wie ein Soldat; in ihren Augen stand die Gewißheit, daß er nicht mit ihr trinken würde, daß offen war, ob er sie nicht auf der Stelle töten würde.
»Sie haben es gewußt«, sagte er. Das Kinn der Soldatin straffte sich. »Nicht im Detail; nicht mit absoluter Sicherheit. Aber daß eine gewisse Gefahr bestand – ja.« »Konkretisieren Sie mir das«, forderte Spock sie gelassen auf. Sie warf ihr weiches Haar zurück, so daß ihre nach oben hin leicht spitz zulaufenden Ohren sichtbar wurden. »Meine Art der Warnung war alles, was ich anbieten konnte – und mehr als ich schuldig war.« Er konnte den alten Vorwurf hören: Wer bist du, daß du mir das antun konntest? – und auch seine Antwort, die einzig mögliche Antwort: Erster Offizier der Enterprise. Falls sie auf Rache aus war, die hatte sie bekommen, doppelt und dreifach. Und falls sie ihn hatte warnen wollen, war diese Warnung unbezahlbar und weit mehr, als sie ihm schuldete. »Die Schuld ist beglichen«, sagte er. »Vielleicht wäre es mir lieber, der Preis wäre nicht so hoch gewesen«, erwiderte sie und warf wieder ihr Haar zurück. »Ob Sie es mir nun glauben oder nicht, mein früheres Angebot gilt jedenfalls noch, und ich möchte Ihnen dringend raten, es anzunehmen. Es gibt hier jetzt nichts mehr, was Sie halten könnte, und ich verlange nicht einmal die Auslieferung Ihres Schiffs. Die Ausrüstung des Militärs ist nicht gerade von langer Lebensdauer, wie wir beide festgestellt haben. Ich verlange auch keinen großen Auftritt vor der Öffentlichkeit. Beenden Sie Ihre Tätigkeit für die Föderation, und kommen Sie auf der Stelle mit mir.« Einen Moment lang blickten die Augen einer Frau aus dem Soldatengesicht. »Ich behaupte keineswegs, Ihnen etwas anderes bieten zu können als eine Zuflucht. Aber wenn Sie hierbleiben, habe ich allen Grund zu glauben, daß Sie Gefahren und Kummer ausgesetzt sein werden, die Sie nicht überleben können.«
Spock schüttelte den Kopf. »Es gibt keine Zuflucht. Doch eins haben Sie anzubieten, was ich akzeptiere: den Grund dafür.« Sie zuckte resigniert die Achseln. »Den kann ich Ihnen nicht sagen, Sie werden ihn selbst herausfinden müssen. Ich möchte Sie nur darauf hinweisen, daß Omne ein komplizierter und raffinierter Mann ist. Er gehört nicht zu meinen Verbündeten, aber in manchen Punkten besteht eine gewisse Parallelität zwischen unseren Interessen.« »Sie glauben, daß Omne Kirk ermordet hat«, stellte Spock fest. »Ich merke, daß Sie es tun – und unsere Logik funktioniert nach einem ähnlichen Schema.« Sie straffte die Schultern. »Wenn sein Tod kein Mord war, so kam er doch – äußerst gelegen. Omnes Wachen werden jeden Augenblick hier sein, um Sie zu ihm zu bringen. Ich werde Sie begleiten – es sei denn, Sie kommen mit mir.« »Das wäre wieder eine Entscheidung, die Sie nicht respektieren würden«, sagte Spock ernst. Sie seufzte. »Mr. Spock, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie leid ich es bin, Sie immerzu zu respektieren.« Er hob eine Braue und wandte sich ab. Sechs Männer näherten sich. Sie stellten sich schützend vor den romulanischen Commander, sorgsam darauf bedacht, daß niemand den Eindruck gewinnen könnte, er würde sich des Colts bedienen, mit dem ihn Omne ausstaffiert hatte. Sie trat um ihn herum und richtete das Wort an die Wachen: »Er wird jetzt mitkommen. In Reih und Glied – antreten!« Ihre Hand senkte sich zu der Waffe, die seitlich an dem Patronengurt befestigt war, der sich um ihren kurzen Uniformrock wand. Sie hatte sich nicht dazu bewegen lassen, sich von ihrer modernen Waffe zu trennen. Spock registrierte, daß Omnes Wachen ihre Befehlsgewalt akzeptierten, ohne mit
der Wimper zu zucken. Wenn sie wirklich kein Verbündeter war, so besaß sie doch das Privileg, sich wie einer zu benehmen. Machte sie jetzt zu seinen Gunsten von diesem Privileg Gebrauch? Oder lieferte sie ihn bloß der Gefangenschaft aus? All das spielte im Grunde kaum eine Rolle. Sie führte ihn genau da hin, wo er hinwollte: zu dem einzigen Mann in der ganzen Galaxis, den er zu sehen wünschte. Dem einzigen lebenden Mann. McCoy rannte in sein Büro und stürzte wie blind auf seinen Sessel zu; es dauerte eine Weile, bis er Scottys Gegenwart und die ruhige Hand wahrnahm, die ihn stützte. »Immer noch hier?« brummte er halb gereizt, halb dankbar. »Schon wieder. Hab’ mal auf der Brücke nach dem Rechten ge sehen. Alles ruhig – zu ruhig. Diesmal verordne ich einen Drink.« Er drückte McCoy ein Glas in die Hand. »Sie sind weiß wie die Wand.« McCoy nickte und verkniff sich die Bemerkung, daß das schließlich auch sein gutes Recht sei. Scotty würde schon wissen, wo er gewesen war und was er in der engen, sterilen Kammer getrieben hatte. »Ich schätze, ein Irrtum ist ausgeschlossen«, machte sich Scotty erneut bemerkbar. »Androiden, Doppelgänger, Schwindler, Trugbilder…« McCoy blickte auf. Es war weiß Gott wenig genug übriggeblieben, aber dieses bißchen war durch und durch echt. »Diesmal nicht, Scotty. Kein Irrtum.« Es hatte ohnehin nur die Andeutung eines Hoffnungsschimmers bestanden, und jetzt sah er auch das in Scottys Augen erlöschen wie kurz zuvor in seinen eigenen – in der kleinen Kammer, die er für Autopsien benutzte.
3 Spock schritt durch die endlos lange Halle auf die Gestalt in Schwarz zu. Er ignorierte die Wachen und den romulanischen Commander. Nicht ignorieren konnte er jedoch die Erinnerung an Kirk, der den gleichen Marsch erst an diesem Morgen mit ihm zurückgelegt hatte. Die unauffälligen Seitenblicke, die Kirk ihm zugeworfen hatte und denen deutlich zu entnehmen war, was er von jemandem hielt, der seine Gäste Eintrittsgeld zahlen ließ; Kirks Augen, die über die umfangreichen Reihen klassischer Bücher glitten und ihm zu verstehen gaben, daß ein Mann, der Bücher liebt, nicht durch und durch schlecht sein könnte; Kirks Augen, denen Spocks Interesse an dem Bibliothekscomputer und der ausgetüftelten Datenverarbeitungsanlage nicht entgangen war; Kirks ungläubiger und belustigter Blick angesichts der Bar im rückwärtigen Teil der Halle, die wie der Last Chance Saloon aufgemacht war. Kirks Augen, ja sein ganzer Körper, die den Mann in Schwarz abschätzten, dessen einer Fuß lässig auf dem Messinggeländer ruhte, bis er sich schließlich langsam daran machte, sie zu empfangen. Kirk hatte immer intuitiv gewußt, woran er einen anderen zum Befehlen Geborenen zu erkennen und wie er dessen Gefährlichkeit einzuschätzen hatte. Spock waren die Anzeichen bekannt. Kirk war schon früher mächtigen Männern begegnet: Flint, dem alterslosen Alexander, da Vinci und all den anderen Größen der Macht oder des Geistes; Spocks eigenem Vater Sarek; und anderen – den Besten und den Schlechtesten einer Galaxis. Kirks Körper hatte ihm, fast unmerklich, mitgeteilt, daß Omne eine Klasse für sich war.
Spock wankte für den Bruchteil einer Sekunde und machte sich dann für eine neue Begegnung mit dem Mann in Schwarz bereit. Auch er spürte die Macht, die von Omne ausging, aber er hatte sich eine Reaktion auf solche Empfindungen schon seit langem abgewöhnt und statt dessen geübt, an des Captains Seite zu stehen, ohne sich einzumischen, zufrieden mit dem sicheren Wissen, daß dieser sich hundertprozentig auf ihn verließ. So vieles, wichtig und auch unbedeutend, was nie wieder sein würde. Spocks Blick begegnete durch seine Flammenvision hindurch dem des Mannes in Schwarz, und er wußte, daß Omne in seinen Augen kaum verhüllte Mordlust und die Herausforderung zum Kampf erblickte. Spock sammelte sich, um wenigstens wieder so viel Kontrolle über sich zu gewinnen, daß er mit diesem Mann reden konnte. »Mein lieber Spock«, sagte Omne mit seiner leisen, tiefen Stimme, »Sie sind ja völlig außer sich!« »Es hat mir besser gefallen, neben Kirk zu stehen«, gab Spock trocken zurück. »Diese Möglichkeit haben Sie mir genommen.« »Ganz im Gegenteil«, erwiderte Omne. Ein rätselhaftes Lächeln umspielte seine sinnlichen Lippen, und Spock hatte den flüchtigen Eindruck, als ob sich der Körper des romulanischen Commanders versteift hätte. »Sie haben es nicht getan?« fragte sie Omne dumpf. »Mein lieber Commander, wir reden in Rätseln, und Spock spricht von Mord.« »Mord«, wiederholte Spock. »Sie sollten mir lieber eine verständlichere Antwort geben, sofern Sie auch in Zukunft noch Zeit für Rätsel haben möchten.« »Aber die Antwort ergibt sich von selbst, Spock von Vulkan«, sagte Omne. »Ihr Captain handelte aus eigenem
Antrieb und seinem Charakter entsprechend, wie Sie selbst wohl am besten wissen. Wenn ich ihn auf so atemberaubende Weise hätte umbringen wollen, wäre es mir sicher nicht ohne seine atemberaubende Mithilfe gelungen.« »Die Frage nach der Ethik beantwortet sich nicht von selbst«, erwiderte Spock. »Wenn Sie seine Handlungsweise vorausgesehen haben – « »Nein«, unterbrach ihn Omne, »die ethische Frage beantwortet sich nie von selbst. Angenommen, ich sah es voraus. Angenommen, ich wußte, daß er einfach großartig war – daß er genau das besaß, was der Galaxis den Untergang bringt? Einen schleichenden Weltverbesserungswahn; den rührseligen Tick, überall seine Nase reinzustecken; erdrückendes Wohlwollen. Ich habe hier einen Zufluchtsort vom Gutsein geschaffen. Erlöse uns von der Tugend – besonders von den Tugendhaften, die anderen die Tugenden vorschreiben wollen. Auf dem Planeten dieser jungen Mutter hat das Überleben seinen Preis. Eine Witwe mit einem Kleinkind kann dort nicht überleben und wäre eine Last für ihre Angehörigen, wenn sie es dennoch versuchen würde. Sie müßte zusehen, wie ihr Kind einen langsamen Hungertod stirbt. Aber das interessierte Ihren Captain gar nicht. Er wußte nur, was er fühlte. Das hat er auch früher schon getan, er ist berüchtigt dafür. War. Er war ein echter Sohn der Föderation. Ihre Oberste Direktive ist in den Wind geschrieben – und von einer Blutspur gesäumt. Vernichtete Kulturen; ausgelöste Bürgerkriege; Bevölkerungsgruppen, die aus ihrer Existenz herausgerissen wurden. Ein Tasmanien nach dem anderen – quer durch die ganze Galaxis – « »Diese Ansicht ist mir bekannt«, fiel Spock ihm ins Wort, wohl wissend, wie nah er selbst daran gewesen war, diese Dinge auszusprechen – jedenfalls einen Teil davon. Aber er war Kirks Gegengewicht, sowohl die
Nichteinmischungsdirektive als auch andere Angelegenheiten betreffend. Es war sowohl Spocks Funktion als auch sein Recht. »Dieses Argument ist hinsichtlich der Mordfrage irrelevant.« »Ist es nicht«, widersprach Omne. »Ich habe ihn einem Test unterzogen. Er mußte weder durchfallen – noch dabei umkommen. Hätte er bestanden, hätte ich Ihnen beiden freies Geleit gegeben. Es muß nicht unbedingt eine Tötungsabsicht vorgelegen haben.« »Sie sagen nicht, es hätte keine vorgelegen.« Omne hob eine seiner buschigen Augenbrauen. »Das ist Ihnen wohl nicht entgangen, wie?« Er zuckte die Achseln. »Ich war bereit, ihm eine faire Chance zu geben, aber ich erwarte nicht, daß Sie es mir glauben, wenn Sie erst einmal des Rätsels Lösung erfahren haben.« »Ich werde sie jetzt erfahren«, verlangte Spock mit Nachdruck in der Stimme. »Wollen Sie denn nicht im Sinne Ihrer Obersten Direktive antworten – wollen Sie ihn nicht verteidigen?« »Ich reagiere auf Mord nicht mit Worten und verteidige ihn auch nicht vor jemandem, der es nicht wert ist, ihn überhaupt angesehen zu haben.« Er hörte den uralten Wahnsinn aus seiner Stimme heraus und schreckte nicht einmal davor zurück. Der Commander berührte seinen Arm, doch Spock sah sie nicht einmal an. Sein Blick ließ Omne nicht los. »Ihr einziges Gesetz hier ist die Herausforderung. Stellen Sie also Ihr Rätsel, und dann – sofern Sie auch Mut zu Ihren Lastern zählen sollten – stellen Sie sich mir mit Ihrem Revolver oder mit Ihrem Körper!« Omne brach in schallendes Gelächter aus. »Sieh sich einer den friedliebenden Vulkanier an!« Er warf den Kopf in den Nacken. »Ich habe Ihren Preis herausgefunden, Spock von
Vulkan. Das ist mein Rätsel: Womit kauft man den Unkäuflichen?« »Es gibt nichts, mit dem Sie mich – oder Ihr Leben – kaufen könnten«, gab Spock tonlos zurück. »Wirklich nicht?« Omne lachte leise in sich hinein. Seine behandschuhte Hand berührte einen Kontrollschalter an der Bar. Der riesige Spiegel hinter ihr verwandelte sich in einen Bildschirm, auf dem James Kirk erschien. Ausgestreckt auf einem Experimentiertisch, den nackten Körper mit einem dünnen Leinentuch verhüllt, das Gesicht entblößt. Es war unversehrt. Er schlief und hatte dabei die im Schlaf für ihn typische unglaubliche Unschuld an sich. Er atmete… Spock spürte, daß der Commander ihn stützte, und richtete sich wieder auf, nachdem sich der Bildschirm verdunkelt hatte. »Ein Trugbild«, sagte er matt. Wieder sah er die Flammenvision vor seinem geistigen Auge. Konnte Kirk der Feuersbrunst irgendwie lebend entkommen sein? Sein Verstand wollte diese Hoffnung weder zulassen noch bestärken. Er hatte den Unglücksort keine Sekunde aus den Augen gelassen – die Trümmer, die… Bergung… Er ließ schnell seinen Kommunikator aufschnappen, bevor ihn die Erinnerung überwältigen konnte. Omne lächelte. »Nun sieh sich einer das vulkanische Erinnerungsvermögen an!« Er berührte wieder einen Schalter. »Erlauben Sie mir, Ihnen einen Kanal zu öffnen.« »Spock an McCoy«, sagte Spock unvermittelt, als ob gar nichts vorgefallen wäre. Es gab nicht die kleinste Verzögerung im Relais, als hätte Omne Spocks Absicht vorhergesehen und sich bereits in die Bordsprechanlage eingeschaltet. »Hier McCoy.« Die Stimme klang über alle Maßen müde; auch sie sprach für sich selbst. »Die – Untersuchung«, sagte Spock. »Kein Zweifel an der – der Identität?«
»Zweifel?« Die Stimme stockte. »Nein, Spock. Absolut kein Zweifel.« »Danke, Doktor. Spock Ende.« Er sah Omne kalt an. »Ausgezeichnet, Mr. Spock. Die Sherlock-Holmes-Maxime: Schalte das Unmögliche aus; was immer bleibt, egal wie unwahrscheinlich es sein mag, muß wahr sein.« Spock versuchte ein Achselzucken. »Ein Android«, sagte er. »Ein außerirdischer Formenwechsler. Ich könnte Ihnen ein halbes Dutzend Methoden aufzählen, von denen man die meisten schon ausprobiert hat – an uns.« Als ob er es tatsächlich mit einem Androiden zu tun hätte, erwischte er sich bei dem Gedanken: Sagen wir ein quasi-biologischer Android wie Flints Rayna, fähig zu denken, zu fühlen, sich zu entscheiden… »Der hier ist anders«, widersprach Omne. »Er ist neu. Ich will Ihnen eine Geschichte erzählen, Mr. Spock – von einem Mann, dessen Planet in friedlicher Absicht von der Föderation heimgesucht wurde. Äußerst friedfertig. Und äußerst dienstbeflissen. Oh, mit kleinen Abstrichen an die Oberste Direktive der Föderation hier und da, aber nichts Wichtiges. Die Bürde des Erdenmenschen. Doch das Ganze führte zu einem Bürgerkrieg – Sympathisanten der Föderation gegen Konservative. Der Mann wurde Zeuge der Ermordung seiner Lebensgefährtin und seiner Söhne, ein paar von ihnen auf der einen Seite, ein paar auf der anderen. Der Planet wurde auf Trümmer und Barbarei reduziert. Der Mann entwickelte einen Haß auf den Tod. Bevor er noch einmal lieben würde, mußte es einen Weg geben, den Tod zu besiegen, die Toten wieder zum Leben zu erwecken. Nicht unbedingt seine Toten, aber es war ein Grund dafür, nicht aufzugeben, eine Art Ideal.« Er zuckte die Achseln. »Ideale sind zerbrechlich, Ziele aber
dauerhaft. Die perfekte Reproduktion, Spock. Absolut identisch. Und sie gehört Ihnen, falls das Ihr Preis sein sollte.« »Mir?« hörte Spock sich fragen und riß sich gewaltsam zusammen. »Das ist unmöglich. Ein Geist, ein Zombie, eine farblose Imitation. Irgendeine obszöne Hexerei…« »Wissenschaft, Mr. Spock.« Omnes Stimme war kalt und vollkommen leidenschaftslos. Nur die schwarzen Augen funkelten vor wilder Entschlossenheit. »Der endgültige Triumph. Die Unsterblichkeit. Der Sieg über den Tod. Kommen Sie, wir wissen schon seit Jahren, daß wir diesem Ziel mit dem Transporter bereits sehr nahe gekommen sind. Nur, daß er ausschließlich Leben in Leben transmittieren konnte, nicht Tod in Leben. Der Lebensfunke war endgültig verloren. Wir wußten nicht, wie wir ihn fangen und wieder einhauchen konnten…« »Man hat es versucht«, beharrte Spock. »Nicht gründlich genug.« Omne lehnte sich gegen die Bar, sein Blick konzentrierte sich auf einen Punkt in weiter Ferne. »Es gibt Bewußtseinsströme, Mr. Spock, was Sie als Telepath eigentlich wissen sollten. Besonders in extremen Krisensituationen – wie dem Tod oder der unabänderlichen Furcht davor – bewegen sie sich über die Normalgrenze hinaus.« Spock spürte ein neuerliches Zupfen des Commanders an seinem Ärmel; er war also wieder gewankt. Ja. Er hatte es durch die Feuerwand hindurch gesehen – und mehr noch: gefühlt. Er hatte die ›Ströme‹ gespürt. Das Erstaunen, den Unglauben und schließlich die Gewißheit. »Die Beschaffenheit dieser Ströme hat die Wissenschaft jahrhundertelang nicht feststellen können«, fuhr Omne fort, »aber das Phänomen der Projektion einer kompletten Persönlichkeit im Augenblick des Todes oder höchsten Entsetzens ist seit jeher bekannt. Wie viele Väter, Mütter,
Brüder, Kameraden haben schon von einer solchen Heimsuchung berichtet – und über weiche Entfernungen? Was echt ist, kann aufgezeichnet werden. Es bedurfte nur einer vorurteilsfreien Auseinandersetzung mit diesem Thema und einer dauerhaften Entschlossenheit.« »Es würde einer völlig neuen Theorie bedürfen«, bemerkte Spock, der sich nur unter äußerster Anstrengung auf die Tatsachen konzentrieren konnte. »Richtig. Wohingegen die Hardware relativ einfach herzustellen war – es erforderte nur ein paar Jahre Entwicklungszeit. Was existiert, kann aufgezeichnet werden. Es bedurfte nur eines neuartigen Recorders und eines Zusatzgeräts, mit dessen Hilfe man die Aufzeichnung, kombiniert mit dem biologischen Grundmuster eines Transporterscans, wieder abspielen kann.« Er richtete sich auf und blickte Spock ernst an, einen Moment lang sogar ohne jede Feindseligkeit oder Provokation, wie jemand, der einem fähigen Kopf die Früchte seiner Arbeit präsentiert. »Jede Zelle, jedes Molekül. Und jetzt auch jeden Gedanken, jede Erinnerung. Identität, Spock, nicht zu unterscheidende Identität. Unsterblichkeit.« »Es würde einen Unterschied geben«, flüsterte Spock; er empfand sich im Moment überhaupt nicht als Wissenschaftler. »Unlogisch, Mr. Spock. Ein Unterschied, der keinen Unterschied macht, ist kein Unterschied.« Omne hob mit einer Handbewegung den Moment der direkten Verständigung auf. »Ich spreche natürlich nicht von der philosophischen Problematik. Eine… Reproduktion… ist ein Erzeugnis und daher Eigentum. Mein Eigentum, und es steht zum Verkauf. Möchten Sie die Ware begutachten?« Plötzlich stand der Commander vor Spock und legte ihm die Hände auf die Schultern. »Nicht, Spock! Er ist tot. Sie müssen sich damit abfinden. Ein Schritt weiter, und Sie sind verloren.«
»Jawohl«, pflichtete Spock ihr oder auch Omne bei und schob sie beiseite. Omne lächelte und geleitete Spock unter Verbeugungen zu einer Tür.
4 Spock klammerte sich an den Disziplinierungseffekt der Logik. Es gab wieder ein Ziel. Die Tür mußte zu dem gewaltigen unterirdischen Komplex führen, den sein Tricorder schon bei ihrem ersten Besuch ausfindig gemacht hatte. Er hatte ihn zwar geortet, jedoch nicht durchdringen können, genausowenig wie die äußeren Schutzschirme um Omnes Privatgelände mit seinen riesigen Toren, genausowenig, wie die Sensoren oder Waffen des Sternenschiffs die Schutzschirme des gesamten Planeten durchdringen konnten. Die Tür führte zu Korridoren, die sich kilometerlang auszudehnen schienen und seltsamerweise dann und wann abbogen. In Begleitung einiger Wachen betraten sie einen Turbolift. Der Lift reagierte auf Omnes Stimme, die einen Zahlencode nannte. Spocks Gedächtnis speicherte den Code augenblicklich und verglich ihn mit den Zahlen, die ihm an den kurzen Korridorabschnitten aufgefallen waren, die sie durchquert hatten. Das Zahlensystem hatte etwas sehr Eigenartiges an sich. Er schaltete seine Sinne und sein Unterbewußtsein so weit wie möglich aus, um sich vollkommen auf die Berechnung von Beschleunigung, Zeitdauer und zurückgelegter Strecke des Lifts konzentrieren zu können. Die Berechnungen waren selbstverständlich genau. Aber Spock rechnete nicht damit, daß sie ihm von Nutzen sein könnten. Einhundert Stockwerke – sein Rechengehirn bestimmte methodisch die Größe des Komplexes und die Anzahl möglicher Verstecke für einen Gefangenen. Er machte sich nicht die Mühe, das Ergebnis auf einen Wert ausreichender
Genauigkeit zu reduzieren, um einen gewissen Menschen damit zu ärgern. Und er gestattete sich auch nicht die mindeste Hoffnung, dieses Spielchen jemals wieder mit einem ganz bestimmten menschlichen Wesen spielen zu können. Sie verließen den Lift in der Nähe einer Tür. Omne öffnete sie und komplimentierte Spock salbungsvoll in den dahinterliegenden Raum. Spock hatte ein Laboratorium erwartet. Es dauerte einen Moment, bis er das Bestattungsritual der Erdenmenschen erkannte: Kerzen, Blumen, Aufbahrung. Eine Flammenschale, glühende Kohlen und schwacher Weihrauchduft: das vulkanische Äquivalent. Spock stellte emotionslos fest, daß Omne versuchte seine Nerven zu strapazieren – und Erfolg damit hatte. Doch nichts konnte seine Aufmerksamkeit von dem langsamen Heben und Senken der breiten Brust und dem Flattern unter den Augenlidern in dem friedlichen, träumenden Gesicht ablenken. Er stellte sich neben den Katafalk. »Eine echte schlafende Schönheit«, bemerkte Omne spöttisch. »Sie können die Auferweckung vollziehen – auf traditionelle Art, wenn Sie möchten.« Spock warf ihm einen grimmigen Blick zu, ohne jedoch allzuviel Zeit damit zu verschwenden. Er blickte auf die Bahre hinab und zögerte. Er brachte es nicht fertig, den Namen auszusprechen; wenn er das tat, war er mit Sicherheit verloren. Statt dessen löste er eine Hand von seinem Rücken und umschloß mit langen Fingern die bloße, warme Schulter. Überraschung! Und dann umspielte ein Lächeln die immer noch schlafenden Lippen. Spock beobachtete, wie das Gesicht den Augenblick des Erstaunens, der Ungläubigkeit und schließlich der Gewißheit noch einmal durchlebte. Die Adern traten wie kleine
Gebirgsketten hervor; die Lippen formten »Spock!«; die Bauchmuskulatur verkrampfte sich und warf die breiten Schultern haltenden Armen entgegen; die hellbraunen Augen sprangen auf. Es dauerte noch einen Moment, dann konzentrierte sich der Blick. Die erwachende Stimme flüsterte: »Spock?« Arme umklammerten Spocks Schultern. »Schhh…« machte Spock und verharrte so einen Augenblick, bevor er die Arme löste und die Schultern sanft nach unten drückte. »Immer mit der Ruhe!« »Ruhe?« Die Gestalt rollte sich mit einem plötzlichen, ironischen Grinsen auf einen Ellbogen, aber in den Augen stand Verblüffung. »In Frieden – dachte ich jedenfalls. Wie…?« Der scharfe Blick erforschte den Raum, registrierte die Atmosphäre, die beiden Gestalten im Hintergrund, die spitzohrigen romulanischen Wachen. »Keine üble Version der Hölle.« Der Blick schweifte zurück zu Spock. »Oder – des Himmels.« Ein leicht spöttisches Lächeln. »Mir soll’s recht sein. Es ist keins von beidem.« »Beides«, korrigierte Spock. »Genau«, warf Omne ein. »Erlauben Sie mir eine Erklärung. Ich glaube kaum, daß Mr. Spock dazu in der Lage ist.« Er gesellte sich zu dem Vulkanier und blickte in die herausfordernden haselnußbraunen Augen. »Sie, Sir, erinnern sich schätzungsweise fast bis zum Augenblick Ihres Todes. Es würde Ihnen auch nicht mehr einfallen, wenn Sie der echte Kirk wären. Sie sind, wie auch immer, nicht Kirk. Sie sind eine Kopie. Kirk in neuer Auflage.« »Quatsch!« Spock seufzte. Das eben war eine perfekte Imitation von McCoys Tonfall bei einer ähnlichen Gelegenheit gewesen. Diese… Kopie… versuchte ihm weiszumachen, sie wäre Kirk.
Und es wurde in der Tat immer unmöglicher, sie nicht dafür zu halten. »Spock«, ertönte die vertraute Stimme. »Sie haben mir noch nicht geantwortet.« »Nein.« »Dann – dann glauben Sie ihm also? Sie haben mich sterben sehen?« »Ich sah – das Haus einstürzen«, präzisierte Spock. »Verdammt.« Die Stimme war sehr leise. Die Augen versuchten die Entwicklungen, die Anstrengungen, die einzelnen Schritte nachzuzeichnen, die Spock hierhergebracht haben mochten. »Tut mir leid, Spock.« »Entschuldigen Sie sich nicht.« Omne blickte lächelnd auf die Gestalt herab. »Sie sind so unschuldig wie jede Jungfrau. Mehr als die meisten. Ein erwachsener Mann ohne Fehl und Tadel.« »Fahren Sie zur Hölle!« Die Stimme besaß trotz allem noch jene erstaunliche Milde, die ihr immer dann zu eigen war, wenn es am schlimmsten stand. Die Augen glitten von Omne zu Spock. »Ziehen Sie ruhig sämtliche Alternativen in Betracht, Spock, ich kann Ihnen nur sagen: Ich bin hier! Stellen Sie irgendeine Frage. Benutzen Sie die Gedankenverschmelzung. Was Sie wollen! Ich habe keine Ahnung, wie er es angestellt hat, aber ich bin hier. Geist, Körper – alles.« »Genau das behauptet er ja«, sagte Spock. »Perfektion.« »Exakt«, stimmte Omne zu. »Meine Reproduktion sollte Kirk sein und sich auch für Kirk halten. Aber sie soll trotzdem meine Reproduktion bleiben.« Spock entnahm Omnes Gesichtsausdruck irgendeine tiefere Absicht, konnte sie aber nicht deuten. »Wachen! Commander!« rief der Riese plötzlich und dann, als die Wachen näherkamen: »Postiert euch hinter Mr. Spock und auf
der anderen Seite von dieser Figur hier unter dem Tuch! Seht zu, daß keiner von beiden irgendwelche abrupten Bewegungen macht!« Er ging zum unteren Ende der Bahre, von wo aus der Commander das Geschehen verfolgte. »Commander, es erhebt sich die Frage der Identität – und der Perfektion. Ich glaube, Sie kannten den verstorbenen Captain?« »Ich kannte ihn schon einmal als ›verstorben‹«, erwiderte sie. Spock zuckte zusammen. Er hatte immer befürchtet, daß sie einmal den Tag verwünschen würden, an dem sie ihr Kirks Tod vorgespielt hatten – wie auch so viele andere Dinge. Mit Vergebung oder gar Verständnis war kaum zu rechnen. Die Gestalt veränderte ihre Stellung, als sich der Mann in ihr des fadenscheinigen, bestenfalls lichtdurchlässigen Nichts von einem Leinentuch bewußt wurde; aus bestimmten Blickwinkeln mußte es fast durchsichtig sein. Er neigte leicht den Kopf und machte gute Miene zu dieser vertrackten Situation. »Commander«, grüßte er. Sie nickte ihm ernst zu. Spock registrierte, daß sie den Gruß weder mit seinem Namen noch mit seinem Titel erwiderte. Dieselbe UnpersonTaktik, die auch er anwendete. Selbst er! Omne stemmte die Hände in die Hüften und ließ sie auf seinem tiefsitzenden Waffengurt ruhen. »Kommen wir zur Sache, verehrtes Duplikat. Ich habe keine Ahnung, wie gut der Commander Ihren Vorgänger kannte, obwohl Captain Kirk allgemein für seine flüchtigen Affären bekannt war. Commander Spock jedenfalls hat mit Sicherheit einige Jahre lang das Schiff und mehrere Landurlaube mit ihm geteilt sowie diverse Notlagen, Verletzungen, Gefahren und Turnstunden. Er muß den Captain sehr gut kennen. Jede Kontur. Jede Narbe. Jede Wunde. Sie haben eine halb verheilte am Bein; deshalb werden Sie sich jetzt erheben und Ihre Identität und Perfektion zur Schau stellen.«
»Machen Sie sich nicht lächerlich«, schnappte der Mann. Sein Gesicht war langsam rot angelaufen. »Sie sind mein Eigentum, Duplikat. Bewegung!« Die Gestalt blieb wie angegossen liegen. »Selbst wenn ich eine ›Kreation‹ sein sollte – ich gehöre niemandem! Spock zweifelt an mir, und deshalb ziehe ich die Möglichkeit in Betracht, daß James Kirk tatsächlich gestorben ist. Andererseits weiß ich aber, daß ich James Kirk bin – woher auch immer ich stammen mag. Einen Geist kann man nicht besitzen, und ein Mann wird nicht besessen, darf nicht besessen werden. Sie sind vielleicht in der Lage, mich zu töten oder hier festzuhalten, aber Sie werden mich niemals besitzen!« »Ich besitze Sie schon jetzt!« Omnes behandschuhte Hand schoß hervor und riß ihm blitzschnell das Leinentuch weg; wenn sie mit derselben Geschwindigkeit auch den Revolver ziehen würde… Spocks Hand schloß sich um Omnes beleidigendes Handgelenk, und er merkte im selben Moment, daß es nicht menschlichen Ursprungs sein konnte, weil es dem brutalen Griff standhielt. Eine Zeitlang packte er mit solcher Kraft zu, daß fast sein eigenes Handgelenk gebrochen wäre, doch dann umklammerten zu viele romulanische Arme von hinten seine Schultern. Und ein verwundbares menschliches Wesen kletterte mit brennenden Augen von der Bahre, keineswegs entmutigt durch unwesentliche und unvermeidliche Schwierigkeiten. »Nein, Jim!« befahl Spock. Und der Mensch gehorchte. Die romulanischen Arme um Spock waren eine Art notwendige Stütze. Vulkanieraugen versenkten sich in Menschenaugen, und die des Menschen waren offen und voller Glanz. Es hatte schon immer einen Großteil ihres Erfolgs
ausgemacht, dachte Spock, daß sein Captain wußte, wann er zu gehorchen hatte. »Das ist mein Captain«, sagte er, »Ich benötige keine weitere Untersuchung.« »Aber ich verlange sie«, beharrte Omne. Kirk ließ Spock keine Sekunde aus den Augen, er nahm keinen der anderen Anwesenden zur Kenntnis. »Und ich verlange sie ebenfalls«, verkündete er. »Ich brauche Ihren Glauben an mich, Spock, Ihre Gewißheit – und auch meine eigene. Benutzen Sie die Geistverschmelzung!« Spock neigte den Kopf. Auch er wußte, wann die Zeit zum Gehorchen gekommen war. »Mir soll jedes Mittel recht sein, Mr. Spock«, stimmte Omne zu. »Sie haben freie Hand bei der Prüfung der – Originalgetreue dieser Reproduktion.« Die Wachen lockerten ihren Griff, und Spock richtete sich auf. »Wir müssen dazu allein sein«, sagte er. »Das müssen Sie keineswegs, Mr. Spock«, erwiderte Omne. »Ich bin Experte, was vulkanische Sitten angeht, wie Sie sicher noch feststellen werden.« Er drehte sich um und lächelte die Frau an. »Soviel einmal mehr zu der Legende, Vulkanier könnten nicht lügen, meine Liebe, Doch das ist Ihnen wohl mittlerweile auch schon bekannt.« »Mr. Spock liebt unausgesprochene Wahrheiten«, erwiderte sie. »Diesmal fordert er, unbedingt mit seinem Freund allein gelassen zu werden.« »Er ist gar nicht in der Position, etwas fordern zu können. Doch j nun, meine Liebe – was halten Sie denn von meinem Duplikat?« »Ziemlich perfekt«, antwortete sie neckend. »Wie das Original. Wirklich sehr lebensecht.«
Spock spürte den Drang, eine Braue zu heben, und unterdrückte ihn. Sie war also nicht darüber erhaben, ihn zu ärgern. Natürlich, sie hatte einmal längere Zeit als ihre Gefangene – und ihr Gast – auf der Enterprise verbracht, aber er hatte eigentlich gedacht, sie hätte die Zeit damit verbracht, etwas über die menschliche Kultur zu lernen. An Spock hätte sie sich nicht gewendet, aber… Kirks Gesicht war ausnahmsweise einmal vollkommen ausdruckslos. Und Spock rühmte sich, daß sein eigenes unergründlich vulkanisch blieb. Da wurde ihm schlagartig klar, welcher Umschwung sich in ihrer – und seiner – Einstellung vollzogen hatte. Das beinah metaphysische Grauen war verschwunden. Dieser Kirk war echt. Doch im selben Moment kehrte das Grauen mit übelkeiterregender Gewalt zurück. Derselbe Kirk – sein Kirk – war umgebracht worden! Dieser lebendige Körper hier lag gleichzeitig tot an Bord der Enterprise! Trotzdem war es ganz unmöglich, diesen Kirk nicht für echt zu halten, ihn nicht als einen Segen hinzunehmen. War das tatsächlich der Sieg über den Tod – selbst wenn er einem Mord entsprang? Spock trat vor und bog seine Hände durch. Er hätte den Moment der Geistverschmelzung am liebsten gleichzeitig verzögert und beschleunigt. Was, wenn er eine Unvollkommenheit entdeckte? Oder eine Unvollständigkeit? Es gab so viele Möglichkeiten. Vielleicht kam er ja sogar einem Betrug auf die Schliche? Einem biologischen Androiden? Irgendeiner Lebensform, die ihr Vorbild absolut lebensecht nachahmen konnte? Würde er sich selbst damit noch – zufriedengeben? Und wenn er auf den echten Kirk stieß?
Zum ersten Mal in seinem Leben verfluchte Spock sämtliche philosophischen Fragen. Er nahm Kirks Gesicht zwischen die Hände, ohne nach Erlaubnis zu fragen; die hatte er auch früher nie gebraucht. Seine Finger nahmen die stilisierte Position der Geistverschmelzung ein, und er versuchte, die Flammenvision aus seinem Kopf zu verbannen. Diesmal gelang es ihm. Er reinigte Geist und Körper von seinem Entsetzen, das die Verschmelzung nicht stören durfte. Auf Kirks Gesicht spiegelte sich derselbe Reinigungsvorgang wider, das Ausgleichen und Konzentrieren, bis ein Zustand ruhiger Kontrolle und die mutige Bereitschaft, sich völlig zu öffnen, erreicht waren. »Wie rührend«, bemerkte Omne mit schleppender Stimme. Wieder spürte Spock, wie sich Mordlust in seinen Schultern breitmachte. Er ließ sie nicht bis zu seinen Händen vordringen. Da legten sich Kirks Hände beschwichtigend auf seine Schultern und zogen ihn überraschend eng an den Captain heran. »Wir sind allein, Mr. Spock«, sagte er eindringlich. »Vollkommen allein. Haben Sie verstanden?« »Absolut, Captain. Vollkommen allein«, bestätigte Spock und setzte seine Worte in die Tat um. Die Geistverschmelzung war ein Herabsetzen aller persönlichen Schranken. Sie verlangte nicht nach Abgeschiedenheit, sie schrie geradezu danach. Spock erreichte die Ebene der Wärme mit Leichtigkeit. Er war nicht zum erstenmal dort und wurde wie ein alter Bekannter empfangen. Aber er wollte die Berührung knapp halten, um schnell zu der gelasseneren Bewußtseinsebene vorzudringen. »Jim?« »Mein Gott, ja! Die Antwort lautet doch hoffentlich ja, Spock?« »Ja. In der Tat, ja!«
Wieder Gelächter, quirlig wie Quecksilber. »Wo steckt bloß mein logischer Vulkanier?« »Hier.« Plötzliches Stocken. »Auch wenn – wenn ich gar nicht ich bin, Spock?« »Sie sind es, durch und durch, egal was passiert ist. Ich bin davon überzeugt – und Sie auch.« Ein Schaudern, rasch eingefangen und zu Reglosigkeit gezähmt. »Dann – ist es also passiert?« Ruhe, gefaßte Ruhe. Unmöglich, daraufhin zu lügen. »Ich sehe keine andere Möglichkeit, aber ich kann mich auch irren.« Ein tiefer Atemzug, »Das war’s dann wohl.« Spock spürte den Schock des anderen, empfand seine Traurigkeit wie ruhige Musik, seine Wut wie loderndes Feuer. Das Gesicht unter Spocks Händen glättete sich mühsam, dann hob sich der Kopf. »Für Sie wird’s am schlimmsten werden, Spock. Sie dürfen Ihren Gefühlen nicht nachgeben. Sie müssen sich dazu zwingen… weiterzumachen wie j eh und je. Es ist bloß… ich spüre einfach nicht den geringsten Unterschied.« »›Ein Unterschied, der keinen Unterschied macht, ist kein Unterschied‹.« Spock nahm ein leichtes, erschrecktes Kräuseln der glatten Quecksilberoberfläche wahr und spürte das fast greifbare Gefühl der Dankbarkeit in der Magengrube des anderen. Etwas schien sein Herz sprengen zu wollen. »Das Paradoxon eines Logikers, Spock? Ein Vulkanismus?« »Ein Terranismus ebenfalls. Und – eine Wahrheit. Sie kennen auch eine: ›Die Pforten der Hölle können uns nichts anhaben‹.« Vielleicht brach das Herz des Menschen in diesem Moment tatsächlich. Seine Antwort fand nicht auf der Wörterebene statt. Es tauchten zwar Worte auf, aber sie liefen an der Ebene
der Gedanken-Sprache vorbei; es waren uralte, intonierte Worte, die der Mensch sich nicht zu benutzen traute. Fürwahr, obgleich ich durch das Schattental der Toten schreite, fürchte ich kein Übel… Denn du bist mit mir… Die breiten Schultern strafften sich, und Spock nahm wieder das sanfte, quecksilbrige Wogen wahr. »Die Pforten der Hölle, Spock. Wir sind schon von schlimmeren Orten ausgebrochen.« Diesmal mußte Spock tief Luft holen; es kam ihm so vor, als hätte er es längst verlernt. Er wechselte auf die Bewußtseinsebene und konzentrierte sich auf die Berechnungen der notwendigen nächsten Schritte, die im Unterbewußtsein weitergelaufen waren. Ja, die logische Konsequenz war eindeutig und mußte akzeptiert werden, was immer es kosten mochte. »Jim?« rief er. »James!« Diesen Namen benutzte er normaler weise nie. Kirk hob den Kopf. »Ja?« »Ich werde Sie jetzt – markieren. Das wird mir helfen, zu Ihnen zurückzufinden, denn ich glaube, er wird Sie von mir fernhalten wollen.« »Mich – hierbehalten?« Ein Schlucken. Die Kieferpartie wurde hart. »Mich markieren, Spock?« »Auf geistiger Ebene. Unsichtbar und diesmal nicht nur im Sinne eines Täuschungsmanövers.« Verwirrte Bemühungen zu begreifen. Dann ein plötzlicher Schock. »Sie denken, er könnte noch mehr – Kopien produzieren?« »Es wäre möglich.« »Mein Gott!« Gepreßtes Atmen. Nachdenklich gerunzelte Augenbrauen. Blitzschnell im Bewußtsein und darüber hinaus hin- und herflitzende Gedanken, die sich schließlich zu dem einzig möglichen Resultat verdichten: »Spock, Sie müssen mich hier
zurücklassen! Er wird Sie sonst für alle Zeiten in der Hand haben. Er kann mich vor Ihren Augen töten – und wieder zum Leben erwecken.« »Ja. Davon müssen wir wohl ausgehen.« »Sie müssen das Schiff nehmen und verschwinden.« »Unmöglich.« »Es muß sein! Ansonsten kann er Sie jederzeit kaufen.« »Das kann er.« Ein tiefer Atemzug. »Nein, Spock! Kommt gar nicht in Frage. Jim Kirk ist tot. Gehen Sie, und begraben Sie den Toten. Das ist ein Befehl, Mr. Spock.« »Ein Toter ist kaum in der Lage, Befehle zu erteilen.« »Treiben Sie hier keine logischen Spielchen mit mir, Spock. Kein Unterschied – so sagten Sie doch.« »Nicht der geringste. Aber Ihre Logik ist nicht in bester Verfassung, Captain. Und Sie sind – momentan – nicht in der Lage, das Kommando zu führen. Ist Ihnen nicht klar, daß er Sie nicht nur mir, sondern der ganzen Galaxis zum Verkauf anbieten könnte?« Bestürztes Schweigen. Dann uralte Flüche, gewaltsam aus der Ebene der Gedanken-Sprache verdrängt. »Begreifen Sie denn nicht! Ich kann Sie einfach nicht hier zurücklassen – lebend.« »Verstehe.« Ein tiefes Einatmen. »Dann müssen Sie mich eben tot zurücklassen. Und zwar sofort.« »Nein.« »Spock – « »Sie dürfen sich nicht für entbehrlich halten. Würde ich Jim Kirk etwa töten? Sie sind er, niemand sonst. Kein Unterschied. Und Sie sind schon öfter in Gefangenschaft geraten.« Spock spürte das bestürzte Schweigen im Körper des anderen. Dann seufzte der Mensch tief und ergeben. »In Ordnung, Spock.«
Spock hatte den dringenden Wunsch, sich hinter die Mauer vulkanischer Zurückhaltung zurückzuziehen, aber er tat es nicht. »Sie sind ausnahmsweise einmal außerordentlich folgsam, Captain. Alle Achtung!« Wie beabsichtigt, erklang auf diesen Aufheiterungsversuch des Vulkaniers hin wieder das leichte, quecksilbrige Gelächter. »Jawohl, Captain Spock, Sir.« »So ist’s schon besser. Wir haben vielleicht nicht mehr viel Zeit. Und nun bemühen Sie sich darum, das Problem logisch anzugehen, wenn ich bitten darf – « »Spock«, warf der wache Geist des anderen ein, »Sie sagten: Markieren. Aber wie? Könnte er nicht auch das duplizieren?« »Nein, ich möchte versuchen, eine spezielle Art der Gedankenverbindung herzustellen, die mich jederzeit zu Ihnen führen kann. Dieser unterirdische Komplex hier ist absichtlich wie ein Labyrinth aufgebaut. Man könnte Sie verlegen und irgendwo in diesem Irrgarten verstecken. Eine permanente Gedankenverbindung ist unsere einzige Chance. Im Falle Ihres – Todes würde ich die Unterbrechung spüren. Und falls er Sie noch einmal kopieren sollte, würde mir auch das nicht entgehen. Dann gäbe es einen Unterschied.« »Worauf warten Sie noch?« »Ich benötige Ihre Zustimmung…« »Schon passiert.« »… nachdem Sie alle Fakten kennen. Es besteht ein gewisses Risiko. Ich bin in erster Linie Verschmelzungs-Telepath. Diese Verbindung müßte sehr tief und direkt sein, damit sie auch über größere Entfernungen bestehen bleibt. Man hat sie zu diesem Zweck noch nie benutzt. Ich könnte – mich in acht nehmen, aber Sie würden diese Tiefe als störend empfinden.« Jemand klopfte auf Spocks Schulter. Auch Kirk spürte die Berührung. »Tun Sie’s, Spock. Jetzt gleich!«
Spock veränderte die Stellung seiner Hand auf Kirks Gesicht. Hierfür existierte kein Präzedenzfall, kein Wortmuster, das man benutzen konnte. Es bestand nur die absolute Dringlichkeit, sehr schnell sehr tief zu kommen, tiefer als jemals zuvor. Mit qualvoller Geschwindigkeit mußten Schranken niedergerissen werden, die zu Bereichen und Ebenen, zu geheimen Winkeln führten, die um keinen Preis berührt werden wollten, damit sich die hauchdünnen Fäden der Verbindung zu reißfestem Zwirn verdichteten. Der Mensch atmete tief durch und sank dem Vulkanier entgegen. Dann ein Moment der Rebellion – nein, nicht diese absolute Nähe, nicht diese völlige Offenheit – und schließlich die Kapitulation. Dringlichkeit. Dann, endlich, das Vermögen standzuhalten, zuzugreifen und zu erwidern. Geschafft! Eine behandschuhte Hand riß Kirks Hand von Spocks Schulter. Noch einmal Worte. Hastige Worte diesmal. »Die Pforten der Hölle, James.« Atmen. Schwaches quecksilbriges Gelächter, wie glitzerndes Sonnenlicht auf silbrigen Wogen. »Können uns nichts anhaben… Schlimmere Orte, Spock.« Omne riß Spock hoch, schleuderte Kirk gegen die Bahre. Der Mensch prallte dagegen und sackte in sich zusammen; zusätzlich zu dieser unsanften Behandlung bereitete es ihm ziemliche Qualen, so abrupt aus den oberen Bereichen der Geistverschmelzung gerissen worden zu sein. Spock biß die Zähne zusammen und kämpfte ebenfalls – mit dem plötzlichen Eintritt in die Realität, mit Omne und mit dem unwiderstehlichen Drang, diesen Mann auf der Stelle zu töten. Gegen diese Horde Wachen hatte er allerdings nicht die geringste Chance. Schlimmer noch, es war vollkommen aussichtslos, den Menschen aus dieser Übermacht von Muskeln und Knochen vulkanischen Ursprungs zu befreien.
Und dann dieser Omne! Er besaß eine Kraft von mindestens vulkanischem Ausmaß, obwohl er wie ein Mensch aussah. Es lag jedoch nichts Menschliches in Gewicht, Stärke, Geschwindigkeit und Umfang dieses Giganten, der Spock in jeder Hinsicht übertraf. Omne. Was war er wirklich? Spock stemmte sich dem Riesen vorsichtig entgegen, zügelte das blinde Verlangen, ihn zu töten, und versuchte seine Kräfte für den Moment aufzusparen, in dem er sie am effektivsten einsetzen konnte. Schließlich griffen die romulanischen Wachen ein und nagelten ihn zwischen sich fest. Kirk hatte sich wieder in der Gewalt und richtete sich auf. Omne strich mit unerschütterlicher Miene seinen Overall glatt, dann trat ein grimmiges Grinsen auf sein Gesicht. Er rief die Wachen von Spock ab und wandte sich ihm herausfordernd zu, einen Daumen auf Kirk gerichtet. »Also?« fragte er fordernd. Spock tat so, als ob er nicht gleich wüßte, worum es eigentlich ging. Im Grunde war er im Moment sogar wirklich etwas verwirrt, und dann gab es ja immer noch das Problem der richtigen Antwort. Bei Omne mußte man seine Worte sehr sorgfältig wählen. »Oh«, sagte er schließlich, »die – Originalgetreue der Reproduktion ist exzellent.« Er holte tief Luft. »Dürfte ich den Preis erfahren?« Omne stellte ein fast anerkennendes Grinsen zur Schau. »Wie üblich«, erwiderte er. »Ihre Seele. Ihre Ehre. Ihre Heimat. Ihre Flagge.« »Abgemacht. Packen Sie ihn ein, und ich nehme ihn mit.« Omne gluckste und brach plötzlich in brüllendes Gelächter aus. Er warf den Kopf in den Nacken und wischte sich die Augen. »Wirklich, Ihr Stil gefällt mir, Mr. Spock!« »Spock!« rief der romulanische Commander entsetzt. »Keine Sorge, meine Liebe. Ich bin sicher, Mr. Spock begreift, daß es nicht ganz so einfach laufen kann.« Sein Blick
schweifte zu Kirk. »Wir brauchen ihn noch eine Weile. Wir – werden liefern, Mr. Spock. Sehen Sie zu, daß Sie es ebenfalls tun.« Spock machte eine leichte Verbeugung. Kirk richtete sich kerzengerade auf; er bediente sich seines besten Kirkschen Benehmens wie einer Ritterrüstung. »Sehen Sie zu, daß Sie nichts dergleichen tun werden, Mr. Spock. Das ist ein Befehl!« »Ich werde ihn mir gebührend lange durch den Kopf gehen lassen, Captain.« »Mr. Spock«, schlug Omne vor, »ich spendiere Ihnen einen Drink, und wir können uns dabei über die Details unterhalten.« »Die Details reichen mir auch schon ohne den Drink«, entgegnete Spock milde. Omne warf ihm einen ziemlich giftigen Blick zu, entschloß sich dann aber doch zu einem Grinsen. »Schön, Mr. Spock, wir wollen doch nicht herumstreiten. Alle Mann raus! Captain, für Sie steht hinter dieser Tür eine vergleichsweise komfortablere Unterkunft bereit – allerdings ohne Ausgang. Meine Hochachtung Ihrer Vollkommenheit. Und Ihrem Ersten Offizier.« »Meine Hochachtung – ebenfalls ihm«, sagte Kirk. Sie ließen ihn splitternackt inmitten der Kerzen und Blumen zurück, aber Spock spürte, wie sich zwischen ihnen ein feines, wie aus Gold und Stahl gesponnenes Band ausdehnte.
5 Omne machte Anstalten, den Commander an den mit grünem Filz bezogenen Pokertisch in der Nähe der Bar zu setzen. Sie wimmelte ihn ruhig auf ihre soldatenhafte Art ab und ließ sich dann mit einer Miene nieder, als ob sie sich selbst zu einem Spielchen entschlossen hätte. Spock begrüßte sie mit einem leichten Heben seiner Augenbraue. Er hatte den Verdacht, daß sie Omnes ›Meine Liebe‹-Masche genausowenig ausstehen konnte wie den leisen Anflug davon in Kirks Verhalten Jahre zuvor. Es würde ihm bestimmt sehr viel weiterhelfen zu wissen, was sie im Schilde führte. Spock setzte sich und sah zu, wie Omne einen Stuhl zu sich herumdrehte und sich rittlings darauf setzte, dem romulanischen Commander einen Drink reichte und schließlich einen Stoß Chips mischte, der aus alten amerikanischen Doppeladler-Goldmünzen bestand. Spock wurden dieser Mann, sein Macho-Gehabe und seine Spiele langsam unerträglich. Er war sich darüber im klaren, daß genau darin die Gefahr für ihn lag. Dieser Mann spielte all das bewußt gegen ihn aus. Aber Spock hatte von Jim Kirk gelernt, wie man pokert. Er ließ sich seine Ungeduld nicht anmerken und wartete ab, bis Omne zwangsläufig das Wort ergreifen mußte. »Soso!« machte er. »Also schön, Mr. Spock, Sie haben anscheinend trotz allem nicht so leicht kapituliert. Wir haben bisher nur die Höhe des Einsatzes festgelegt, nicht wahr? Ansonsten ist es ein unlimitiertes Spiel.« »Vollkommen unlimitiert«, bestätigte Spock. »Geben Sie die Details bekannt.«
»Nichts leichter als das. Haben Sie sich schon gefragt, weshalb es gerade Sie erwischt hat?« »Der Gedanke ist mir beizeiten durch den Kopf gegangen.« »Eine Konvergenz, Mr. Spock. Sie betreffend. Was Vulkan macht, macht die Galaxis. Was Sie machen, macht Vulkan. Mir ist die bedeutende Stellung Ihrer Familie dort aufgefallen sowie Ihre und Ihres Vaters Bemühungen, Vulkan wegen der Einmischungen der Menschen in außerirdische Sitten von einem Bruch mit der Föderation abzuhalten.« Spock zuckte die Achseln. »Diese Bemühungen hängen nicht von mir ab. Mein Vater – sowie ganz Vulkan – werden sich durch nichts beeindrucken lassen, was ich unter Zwang tue.« »Oh, man wird Ihnen diesen Zwang aber gar nicht anmerken. Genau aus diesem Grund bedurfte es Kirks Todes – nur um Ihnen einen plausiblen Grund dafür zu liefern, daß Sie endlich den Irrtum der Föderation und Ihres Freundes erkennen können. Sie werden ihn eher gramgebeugt als wütend denunzieren – und die ganze Galaxis wird sich zusammenrotten, um für die Sache der großartigen, nachdenklichen Persönlichkeit von Vulkan zu kämpfen. So lautet Ihr Drehbuch.« Spock spürte, wie sich seine Kiefer verkrampften und sich eine tiefe Kluft vor ihm auftat. Dieser Mann wußte wirklich, wie er einen in die Enge treiben konnte; er besaß ein unbegrenztes Potential an Schlechtigkeit. Pokern, ermahnte sich Spock. »Ihre Theorie hat nur einen Haken«, sagte er ruhig. »Laut diesem Drehbuch können Sie Kirk unmöglich lebend mit mir gehen lassen. Und deshalb werde ich es nicht tun.« »Damit wären wir beim zweiten Punkt der Konvergenz«, erklärte Omne und sah zum Commander hinüber. »Der Commander – will Sie.« Er zuckte die Achseln. »Das ist Ihre Sache, meine Liebe. Aber was Sie machen, macht das Romulanische Kaiserreich.
Mein Drehbuch für Spock wird auch Ihnen zugute kommen, weil es mein Bündnis ins Leben ruft, und Sie werden das Reich dazu anhalten, es zu verteidigen. Diese Kombination wird Sie von dem Makel Ihrer Neutralen Zone befreien und dazu befähigen, es mit der Föderation aufnehmen zu können. Sie bekommen Ihren nachdenklichen Vulkanier – und als Zugabe sogar noch einen ein wenig getarnten Freund, den Sie in der Weite des Reichs versteckt halten können.« »Der Haken an dieser Theorie ist«, gab sie sanft zurück, »daß Sie weit mehr auf das Kaiserreich angewiesen sind als ich auf Sie!« »Und der Haken daran wiederum ist, daß ich den Preis für den unkäuflichen Spock in Händen halte.« Jetzt zuckte sie die Achseln. »Mr. Spock ist jedenfalls nicht mein Preis, sonst hätte er mich bereits vor Jahren kaufen können. Ich bin der Käufer.« Omne spreizte die Finger. »Vielleicht stand er zu Ihrem Preis nicht zum Verkauf.« Ihre Schultern versteiften sich, dennoch lächelte sie Omne an. »Ich mache Ihnen ein Gegenangebot: sofortige Unterstützung seitens des Kaiserreichs, um Ihrem Bündnis Leben einzuhauchen, allerdings ohne Zuhilfenahme des SpockDrehbuchs. Als Gegenleistung verlange ich nur eine bestimmte Reproduktion. Abzug, Negativ und Matrize.« Omne lachte. »Mehr nicht? Damit besäßen Sie Mr. Spocks Preis – und den Unbezahlbaren zugleich. Sie hätten dann höchstwahrscheinlich genug Informationen beisammen, um hinter das Verfahren zu kommen, und mit dem Verfahren könnten Sie die ganze Galaxis kaufen.« Der Commander nickte. »Dieser Gedanke ist mir auch durch den Kopf geschossen.« »Wirklich sehr scharfsinnig von Ihnen, meine Liebe.« Omne lehnte sich zurück und umfaßte die Stuhllehne; er ließ seine
ausgeprägten Armmuskeln spielen, die durch die Ärmel aus leichter schwarzer Seide ohnehin schon besonders vorteilhaft zur Schau gestellt wurden. »Sie sind möglicherweise noch viel scharfsinniger, als ich dachte. Was wären Sie eigentlich gern? Herrscherin über das gesamte Kaiserreich und gleichzeitig Oberbefehlshaberin? Mit Spock als Prinzgemahl und Kirk als Lord-Kammerdiener? Mit Hilfe meines Verfahrens könnten Sie das erreichen. Es gibt kein Reich, keine Föderation, keinen Planeten, kein Sternenschiff ohne Schlüsselfigur mit einem Gatten, einem Kind und einem Freund dahinter. Ich habe selbstverständlich nicht die Absicht, das Verfahren herauszugeben. Vielleicht werde ich es ja bei Gelegenheit auch in Ihrem Fall anwenden müssen. Ich fürchte, Sie sind eine Spur zu zimperlich, meine Liebe.« »Sollte mir der Sinn nach Mord stehen«, entgegnete sie, »werde ich mich darum kümmern. Sie sehen doch ein, daß Sie nicht am Leben bleiben dürfen, solange Sie im Besitz des Verfahrens sind?« Omne lachte. »Die Dame erhöht den Einsatz.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, meine Liebe. Sie haben weder die nötigen Chips noch die Karten für dieses Spiel. Man kann mir nicht drohen. Ein Mann ohne Liebe hat nichts zu verlieren. Solange meine Schutzschirme halten, sind Ihre drei Schiffe ebenso machtlos wie Spocks Enterprise. Wenn ich mit Ihnen nicht ins Geschäft kommen kann, dann vielleicht mit dem Kaiserreich. Und falls nicht – ich brauche das Reich nicht unbedingt. Es würde mir im Moment nicht mehr als eine bloße Annehmlichkeit bedeuten. Die Föderation ist die gewaltige, unausgewogene Macht, gegen die ich ein Gegengewicht aufbauen muß. Um der Freiheit der Galaxis willen.« »Spielen Sie sich bloß nicht als Freiheitskämpfer auf«, warf Spock unumwunden ein und deutete auf den Bildschirm, den
Untergrund – auf Kirk. »Sie kaufen und verkaufen. Das ist Sklaverei!« Omne zuckte die Achseln. »Die Sache hat sowohl einen politischen als auch einen persönlichen Aspekt, Spock. Nach dem Verlauf dieses mit Überraschungen gespickten Tages sind Sie anscheinend geneigt zu glauben, mein Ziel sei rein persönlicher Natur und durch und durch böswillig. Ich warne Sie. Kein Mann von Bedeutung ist nichts als ein Schurke, und niemand kann ohne den geringsten Glauben an den Wert seiner Sache handeln.« Er lächelte. »Selbst ein Verbrecher hat das Recht auf ein oder zwei verdammte Ideale.« »Ein Mörder nicht«, sagte Spock, dem langsam die Lust zum Pokern verging. Jim hatte es ihm beigebracht, und Jim war – tot. Omne zuckte die Achseln. »Ich befinde mich im Kriegszustand, Spock. Ich habe keinen Separatfrieden geschlossen. Die Galaxis wird von Supermächten in Besitz genommen, die Ihre eingeschlossen – ganz besonders Ihre, mit ihren edlen Ansprüchen und edlen Zielen. Nichts ist gefährlicher als Edelmut. Ihr Kirk war der edelmütigste und tödlichste Friedensstifter in der ganzen Milchstraße. Hätte man ihn weitermachen lassen, hätte es bald nur noch ein einziges Staatssystem gegeben, übelkeiterregend süßlich und auf äußerst subtile Weise erdrückend. Wo aber Konflikte bestehen, existiert auch Raum für Enklaven der Freiheit.« »Wo Sie sich einen Sklaven halten können?« erkundigte sich Spock erbittert. Omne spreizte die Finger. »Außerdem gibt es eine persönliche, eine elementare Seite. Der Herrschertrieb ist ein angeborener Instinkt jedes Lebewesens, Spock. Wir hier sind alle Wölfe.« »Einer von uns, ja.« Spock sah Omne gerade in die Augen. In seinem eigenen Blick loderte Feuer. »Zwei.«
Omne verzog das Gesicht zu einem eigenartigen, fast wölfischen Grinsen. »Drei«, sagte er. »Es weilt sogar eine Wölfin unter uns.« »Sie haben keine politischen Beweggründe«, konstatierte Spock. »Nur die Böswilligkeit eines Wolfs.« »In diesem Punkt irren Sie sich, Spock«, widersprach Omne nüchtern. »Wie dem auch sei, ich werde zugegebenermaßen eine gewisse persönliche Befriedigung aus Ihrer Darbietung ziehen.« »Und welche?« Omne lachte. »Nun, ich bin neugierig darauf festzustellen, ob Sie auch weiterhin käuflich bleiben werden, jetzt, nachdem ich den Unkäuflichen gekauft habe.« Spock zuckte die Achseln. »Und was sonst noch?« Omne sah ihn feierlich an. »Nennen wir es – eine dauerhafte Lebensaufgabe, Mr. Spock. Ihre Lüge wird einer Lebensweisheit entsprechen, die ein bestimmter Mann vor Jahrzehnten erkennen mußte, als er das Sterben der Liebe miterlebte.« Die schwarzen Augen blickten durch Spock hindurch auf einen Punkt in weiter Ferne, dann kehrten sie mit einem Glitzern zurück, das so kalt war wie das Weltall. »Man könnte auch sagen, ich kann es nicht ertragen, einen Mann zu sehen, der es wagt, selbst im Angesicht des Todes noch zu lieben – selbst dann, wenn er alles zu verlieren hat.« Omnes behandschuhte Hände kehrten die goldenen Chips plötzlich in der Mitte des Tisches zusammen, ballten sich dann zu Fäusten und stießen mitten hinein. »Das Beste, was jeder von Ihnen tun kann, ist mitzugehen. Spock! Ihr Wort auf Ihr Drehbuch. Commander: Das Bündnis und Asyl für zwei Flüchtlinge. Sollte es Mr. Spocks Auftritt an Glanz mangeln, werde ich Ihnen eine etwas abgenutzte Kopie aushändigen – nachdem ich mit ihr fertig bin.«
Spock mußte seine Kiefermuskulatur gewaltsam im Zaum halten. »Ich werde keine beschädigte Ware akzeptieren, und ich rate Ihnen, nicht zu glauben, daß ich Ihnen nicht drohen könnte.« Omne neigte leicht den Kopf. »Wenn irgendeine lebende Person dies zuwege bringen kann, Mr. Spock, dann Sie. Aber ich halte das As in der Hand. Gehen Sie mit?« »Ich gehe mit«, sagte Spock. »Commander?« »Ich bin dabei.« Omne stieg von seinem Stuhl und richtete sich zu voller Lebensgröße auf, nahm sein unberührtes Cocktailglas in die Hand Und hielt es vor Spock und dem Commander, die sich ebenfalls erhoben hatten, in die Höhe. »Spock, die Delegierten versammeln sich in zwei Stunden, um die Auswirkungen des schrecklichen Ereignisses von heute morgen zu diskutieren. Sie haben also genug Zeit, ein ausreichend überzeugendes Drehbuch im Rahmen der vorgefaßten Skizze zu entwerfen. Es muß mich überzeugen. Ich brauche wohl nicht zu betonen, daß die Geisel für Ihr Verhalten aufzukommen hat. Commander – was Sie als meinen neuen Verbündeten betrifft –, ich denke, wir sollten uns um das Wohlergehen der Ware kümmern.« Er hob sein Glas. »Aufs Geschäft, auf Ankauf und Verkauf.« Er leerte es in einem Zug, aber die schwarzen Augen blickten weiterhin kalt und starr. »Wachen, begleitet Mr. Spock hinaus!«
6 Der Commander hatte Spocks Abgang beobachtet, und es war ihr nicht entgangen, wie kurz er davor gewesen war, über den mit Gold überhäuften Tisch hinweg Widerstand zu leisten – mit einem einsamen sechsschüssigen Colt gegen Omne und ein Dutzend Wachen. Und sie wußte auch, daß ein Teil von dem, was ihn davon abgehalten hatte, seine Zweifel an ihr waren. Wenn er sich wenigstens auf ihre Neutralität hätte verlassen können… Aber sie konnte ihm in Omnes Gegenwart unmöglich Sagen, wo sie stand. Außerdem hätte es auch gar nichts genützt. Es gab ja nicht einmal die Legende, Romulaner könnten nicht lügen. Sie mußte Omne in dem Glauben lassen, der Vulkanier wäre nicht ihr Preis, aber sie hatte den Verdacht, daß Spock selbst dies durchaus für möglich hielt. Was Kirk betraf, war er schon halb davon überzeugt. »Wie das Original – sehr lebensecht.« Sie ertappte sich bei einem Lächeln. Das geschah dem Vulkanier ganz recht – und dem Menschen ebenfalls. Kirk hätte sich mächtig ins Zeug gelegt, wenn er sie nicht als Spocks Privateigentum betrachtet hätte. Die beiden würden noch so manches über Eigentumsverhältnisse lernen müssen. Vielleicht sogar zu viel. Ihr Blick mied die Totenbahre, als Omne sie leise durch den mit Kerzen übersäten Raum führte. Die Blumen bedeuteten ihr nichts. Vor der inneren Tür hob sie die Hand, um anzuklopfen.
Omne fing sie in der Luft auf, riß sie hinunter und hielt sie fest, damit sie sich nicht auf die seitlich getragene Waffe stürzen konnte. Sie hatte schon aus geringerem Anlaß getötet. Er las es in ihrem Blick und lachte lautlos. Sie beherrschte sich. Seine Stärke reichte zweifellos aus, um sie festzuhalten – sofern sie nicht zu modernen Kampftechniken griff. Die Zeit war noch nicht reif für einen Krieg. Er drückte auf den Türöffner und führte sie an der Hand in den Raum. Unangemeldet. Kirk setzte sich abrupt auf dem Bett auf; er wirkte aufgeschreckt, entrüstet und sogar verlegen, wozu er nicht in der Lage gewesen war, als er vollkommen nackt vor ihnen gestanden hatte. Er trug ein eigenartiges, kurzes Gewand, eine Kreuzung aus Kampfjacke und Krankenhaushemd, und sie vermutete, daß er es verkehrt herum angezogen hatte. Die Stoffränder lagen über Brust und Hüften nicht richtig aneinander, und die Befestigungsschnüre baumelten nutzlos herab. Zudem bestand der Stoff aus einer Art dünnem weißen Samt, der sich wie ein lebendes Tier um seinen Körper schmiegte. Es lag etwas Provozierendes in dem Stoffetzen aus demselben Material, der – nur durch ein Band zusammengehalten – seine Hüften umspannte und offenbar moralische Unterstützung bieten sollte. Er schwang seine weichen, weißen Stiefel auf den Fußboden und erhob sich. Die Ränder des Hemdchens fielen noch ein bißchen weiter auseinander, und der Stoff bildete sanfte Falten und Wölbungen, aber er hatte sich wieder so weit unter Kontrolle, daß er nicht anfing daran herumzuzupfen. Statt dessen nahmen seine Hände die bei den Menschen übliche starre Haltung während einer Truppeninspektion ein, Sein ganzes Benehmen wies darauf hin, daß er sich wenigstens in Würde gehüllt fühlte.
»Dort, wo ich herkomme, sowie in der ganzen zivilisierten Welt überhaupt ist es Sitte, vor dem Eintreten um Erlaubnis zu bitten«, sagte er. »Man bittet sein Eigentum nicht um Eintrittserlaubnis«, erwiderte Omne. »Diese Auseinandersetzung hatten wir bereits.« Omne lächelte. »Sie zogen dabei den kürzeren.« »Man bereinigt Auseinandersetzungen nicht durch Gewalt.« »Das ist die einzige Möglichkeit.« Kirk schüttelte den Kopf, ohne sich zu einer Antwort herabzulassen. Wie das Original, dachte sie, sehr lebensecht. Sie stellte überrascht fest, daß sie den Atem anhielt. O ja, sie verstand nur zu gut, weshalb er der Preis des Vulkaniers war. Da fragte Omne, als ob er ihre Gedanken gelesen hätte: »Und welchen Preis würden Sie für ihn zahlen, meine Liebe – wenn ich ihn nicht als Teil des Handels betrachten würde?« »Irrelevant, da Sie es tun.« »Nicht unbedingt«, widersprach er. »Sollte Spock mich – und die Delegierten – überzeugen, werden Sie ihn schätzungsweise mitgeliefert bekommen, allerdings nicht als Ihr Eigentum, sondern als Flüchtling. Und gelingt es ihm nicht – ich bin verdammt schwer zu überzeugen – , wäre er Ihr Eigentum, und Spock würde vermutlich versuchen, ihn zu kaufen. Es könnte allerdings in jedem Fall Probleme mit dem Zustand der Ware geben. Sein äußeres Erscheinungsbild müßte zum Beispiel geändert werden. Sie hätten wohl nichts gegen romulanische Ohren und Augenbrauen einzuwenden. Ich glaube, Sie haben ihn sogar schon einmal damit gesehen. Es könnte aber noch andere Veränderungen geben – und andere Schäden.« »Ich an Ihrer Steile würde Spocks Drohung nicht auf die leichte Schulter nehmen.« Der Kampf um Gelassenheit auf Kirks Gesicht, das feine, fast unmerkliche Zucken um die
Kieferpartie, das ihn bei genauem Hinsehen verriet, blieb ihr keineswegs verborgen. Auch Omne bemerkte es, aber er ließ sie nicht aus den Augen. Er zuckte die Achseln. »Der Planet ist uneinnehmbar, dieses Gelände eine Festung. Der unterirdische Bereich ist ein Labyrinth; es gibt dort Kammern, in denen selbst ich seit zwanzig Jahren nicht mehr gewesen bin.« »Spock hat immerhin noch zweihundert Jahre seines Lebens vor sich, um eine Bresche in das Uneinnehmbare zu schlagen«, gab sie zurück. »Und er würde sie dafür opfern.« »Es bleiben ihm vielleicht noch zwei Stunden, um die Festung zu stürmen und sich durch das Labyrinth zu schlängeln. Zwei Stunden, die wir wesentlich besser nutzen könnten.« Omne musterte Kirk langsam von Kopf bis Fuß, dann verdrehte er ihr brutal den Arm und zog sie zu sich heran. Sie konnte die Hitze seines Körpers durch seine schwarze Seidenrobe und ihren Uniformrock hindurch spüren. »Es besteht wirklich kein Grund, noch länger zu warten. Spock wird sich auch mit beschädigter Ware zufriedengeben. Sollte es wirklich dazu kommen, bleibt ihm keine andere Wahl. Darüber hinaus würde unser Freund hier niemals ein Wort darüber verlieren. Ihr alter Feind, Commander, der Sie vor dem Imperium und der ganzen Galaxis zum Narren gemacht hat! Würde es Ihnen nicht gefallen, den Captain des Sternenschiffs auf den Knien herumrutschen zu sehen?« »Mir würde gefallen, wenn er es nicht tut!« Sie sah, daß Kirk verblüfft die Brauen hochzog. Omne zwang sie mit einem Ruck, ihn anzusehen. »Ich denke, er würde es tun, Verbündete. Möchten Sie vielleicht eine kleine Wette darauf abschließen?« »Ich würde lieber eine Wette darauf abschließen, daß ich Sie gleich hier auf der Stelle töten kann, wenn Sie mich nicht endlich loslassen und aus diesem Raum verschwinden.«
Omne begann zu kichern. »Meine Dame, ich bewundere Ihre Selbsteinschätzung«, bemerkte er in schleppendem Tonfall. »Sie sind fast so faszinierend wie der unbezahlbare Preis. Was haben Sie eigentlich vor? Ist Ihnen denn nicht klar, daß Sie den Vulkanier nie bekommen werden, solange der hier lebt?« »Ich werde ihn nie bekommen, wenn der hier stirbt. Und Sie werden weder einen Verbündeten noch das Kaiserreich gewinnen, wenn Sie ihm Schaden zufügen. Wir haben Ihren Einsatz akzeptiert, Omne. Wenn Sie auch kein Ehrgefühl haben, ich schon. Spock hat seine zwei Stunden und seine Chance, den Preis zu bezahlen. Er bekommt, wofür er zahlt, und zwar unbeschädigt, oder einer von uns wird diesen Raum nicht lebend verlassen.« Omne drehte ihr den Arm auf den Rücken. Sie biß die Zähne zusammen und sah, daß Kirk seine Kräfte mobil machte. Sie brauchte jemand wie ihn, um es mit einem Gegner von Omnes Stärke und Größe aufnehmen zu können, und es war sehr beruhigend festzustellen, daß ihr seine Hilfe immer sicherer wurde. Wenn sie diesen mutigen Menschen bereitwillig in ihrem Rücken oder an ihrer Seite und den Vulkanier als rechte Hand hätte, könnten sie gemeinsam das ganze Universum bezwingen. Doch das war nur ein schöner Traum. Omne lachte, wirbelte sie herum und schleuderte sie in Kirks Arme. Der schwarze Handschuh verschwamm vor ihren Augen, und dann lag der altertümliche Revolver in Omnes Hand; er wirkte zweifellos ungemein tödlich. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich mich fürchte, meine Liebe«, grinste er. »Oder besser: meine Lieben. Wie dem auch sei – Sie haben es erfaßt, Commander. Ich bin kein Ehrenmann. Unser Bündnis basiert nicht auf meiner Ehre, Sie kennen ja meine Beweggründe und meine Macht. Es hängt von der Ihren ab, und Sie sollten unbedingt daran festhalten. Auch Sie sind
mitgegangen. Ich gestatte Ihnen, die Ware sicher für Ihren Spock aufzubewahren, während wir herauszufinden versuchen, ob Ihr Spock auch dann noch ein Ehrenmann ist, wenn es um seinen Captain geht. Ich habe noch nie zugelassen, daß meine persönliche Zufriedenheit von einem bestimmten Stück meines Privatbesitzes abhängt.« Er verbeugte sich, und es lag ein Ausdruck in seinen Augen, den sie lieber nicht gesehen hätte. »In diesem Sinne werde ich Sie nun verlassen«, sagte Omne feierlich und verschwand mit einer Verbeugung durch die Tür. Ihre Hand glitt zu der seitlich angebrachten Waffe, aber sie unterdrückte den Impuls, sie zu benutzen. Omne war schnell und vorsichtig und befand sich außerdem auf seinem Territorium. Vielleicht wartete er nur darauf, sie von Kirk losreißen zu können. Kirk drehte sie langsam zu sich um, und sie wehrte sich nicht. »Danke«, sagte er schlicht. Und einen Moment später: »Ich denke, Spock hätte wohl nichts dagegen, wenn ich Ihnen richtig danke.« Sie zog seinen Kopf zu sich hinunter, um ihn zu küssen, und war plötzlich froh, daß sie weder auf romulanische noch auf vulkanische Rituale und Anstandsregeln Rücksicht nehmen mußte. Sie lebten beide zwischen den Sternen. Das traf zwar auch auf den Vulkanier zu, aber es gab noch vieles, was er über die Annehmlichkeiten lernen konnte, die die Aufgabe mancher Sitten und Gebräuche mit sich brachte. Sie würde es ihm auch gern beibringen, aber diesem hier konnte sie in der Hinsicht wahrscheinlich nicht viel Neues zeigen. Er war die Kraft nicht gewohnt, mit der sein Kopf nach unten gezogen wurde, aber er setzte sich nur für den Bruchteil einer Sekunde zur Wehr, entspannte sich dann und ließ sich fallen, konzentrierte sich lieber darauf, ihr mit seinen eigenen Fähigkeiten den Atem zu rauben.
In diesem Wettstreit sind wir ungefähr ebenbürtig, dachte sie. Doch schon bald entzog er ihr seinen Kopf und drückte ihr Gesicht sanft gegen seine Wange und Schläfe. So hielt er sie eine ganze Weile. »Gegen mehr hätte er wohl doch was einzuwenden«, flüsterte er ihr ins Ohr. Er streifte es leicht mit seinen Lippen und löste sich dann von ihr, hielt sie aber immer noch im Arm. »Ich stehe zu Ihrer Verfügung«, sagte sie mit ernstem Gesicht und bemerkte ein verschmitztes Funkeln in seinen Augen. »Das müssen Sie erst mal mit Spock abklären«, erwiderte er mit einem leichten und merkwürdig ernsthaften Lächeln. »Das habe ich auch vor.« Er hob eine Braue auf beinah Spocksche Manier; es störte ihn nicht im mindesten, daß der Vulkanier ebenfalls mit von der Partie war. »Ist das – bei euch so Sitte?« »Nicht bei uns. Bei mir. Ich nenne es ›Über die Phalanx hinaus denken‹. Phalanx ist eigentlich nicht der richtige Ausdruck, aber es gibt bestimmte militärische Probleme, die nicht im Rahmen der Standard-Truppenformation gelöst werden können.« Sie lächelte, ohne ihre Ernsthaftigkeit zu verlieren. »Und auch andere Probleme. Und andere – Formationen.« Er nickte. »Ich weiß, was Sie meinen. Raus aus dem Schuhkarton. Dem Spiel einen anderen Namen geben.« Er schüttelte nachdenklich den Kopf. »Sie werden möglicherweise noch feststellen, daß Spock und ich weiter von der Phalanx entfernt sind, als Sie glauben. Ich scheine ja sowieso in keinen Schuhkarton mehr zu passen.« Er sah zur Tür. »Abgesehen von diesem hier vielleicht.« Seine Hände umfaßten ihre Schultern. »Commander, ich kann weder in die Zukunft sehen noch die Vergangenheit ausradieren -selbst wenn ich nie in ihr gelebt haben sollte. Ich weiß, daß Sie als Feind gelten und in meinem Fall auch allen Grund dazu haben.
Aber Sie haben sich soeben Spock und auch mir gegenüber wie ein Freund verhalten.« Seine Hände glitten zu den ihren und hoben sie hoch. »Freunde? Und – Verbündete? Mit denselben Zielen und der Pflicht zur Ehrenhaftigkeit?« Sie erwiderte seinen Händedruck. »Das dürfte für den Anfang genügen.« Dann befreite sie sich mit einem Lachen in den Augen aus seinem Griff und formte seine Rechte zu einer Faust, tat mit ihrer Hand das gleiche und legte anschließend sein und ihr rechtes Handgelenk in der Kriegergeste der Romulaner über Kreuz. Die Bedeutung dieser Geste reichte von erster Kameradschaft bis hin zu den Blutsbanden der Brüder des Schwerts. Sie und ein paar wenige andere Frauen hatten auch Schwestern in diesen Kreisen gesellschaftsfähig gemacht. Er wirkte im ersten Moment etwas erschreckt, schien dann jedoch weitere Erklärungen für überflüssig zu halten, nahm Haltung an und erwiderte den Druck mit ernstem Gesicht. Sie nickte und trat ein paar Schritte zurück. »So«, sagte sie mit einem Blick über die Schulter in Richtung Tür, »und was diesen Schuhkarton hier angeht…« »Das Schloß reicht vollkommen«, sagte er wie bei einer Einsatzbesprechung. »Es gibt keine Fluchtmöglichkeit. Ihre Waffe wird vielleicht mit der Tür fertig, aber bei Omne sieht das schon ganz anders aus.« Er atmete tief durch. »Sein Blick hat mir gar nicht gefallen.« »Stimmt.« »Als ob er jemandem ganz fürchterlich die Hölle heiß machen wollte.« Da überfiel ihn plötzlich ein Gedanke wie ein Schlag in die Magengrube. »Verdammt! ›Ein bestimmtes Stück meines Privatbesitzes.‹ Spock vermutet, es könnten noch mehr – Kopien existieren.« Sie ging zur Tür und begann sie mit dem Laserstrahl ihrer Waffe zu bearbeiten. Das Metall war zäh. Nur ein extrem
gebündelter Strahl konnte die Oberfläche überhaupt ankratzen. »Das dauert zu lange«, stellte sie fest, ohne mit dem Aufschweißen aufzuhören. »Daß ich daran nicht selbst gedacht habe! Omne hat ein bißchen ausgepackt. Er hat so gut wie zugegeben, daß anhand einer – Matrize – noch mehr Kopien angefertigt werden können.« Er stand schweigend neben ihr. Nach einer Weile fragte er ruhig: »In Spocks Beisein?« »Alles geschah in Spocks Beisein. Omne malte ihm praktisch ein äußerst anschauliches Bild, und dann ließ er ihn abtreten. Er wird nie wieder durch diese Tore zurückkommen.« »Die Pforten der Hölle.« Kirk ballte die Hände zu Fäusten und stieß sie gegeneinander. Dann glaubte sie, das Geräusch würde sich wiederholen. Falsch. Es war das scharfe Schnappen der Auslösemechanik eines ferngesteuerten Schalters. Sie stellte den Laserstrahl ab und drehte den Kopf nach rechts, aber Kirk hatte seine Aufmerksamkeit einem großen Wandspiegel zugewandt, der sich langsam in einen Bild-Schirm verwandelte… Sie sah den Rücken eines anderen Mannes, der auf einen anderen Bildschirm starrte. Sein Bildschirm war in vier Bereiche unterteilt. Sie erkannte die Halle, das Zimmer mit den Kerzen, diesen Raum… Und sie erkannte den Rücken des Mannes. Er gehörte unverkennbar Kirk. Irgendeinem Kirk. Der Bildschirm flimmerte und zeigte dann eine andere Kameraeinstellung, die das Gesicht jenes Kirks einfing. Dann begegneten sich, wieder von einem anderen Blickwinkel aus, die Augenpaare beider Kirks, als sie die verborgenen Kameras entdeckten. Sie ortete die in diesem Raum versteckte Kamera selbst. In der mit Edelsteinen gespickten Goldverzierung des Spiegelrahmens steckte eine winzige Prismalinse.
Sie konnte ihren Blick, allerdings nur schwer von dem anderen Kirk losreißen, während ihre Hände auf den Schultern seines Doppelgängers lagen. Die beiden starrten sich an. Der andere trug die Uniform der Sternenflotte; der robuste goldfarbene Stoff seines Kommandantenhemdes war mehr als nur etwas versengt. Leicht zu imitieren, dachte sie. Aber auch Gesicht und Hände sahen ein bißchen verbrannt aus, als ob er sich zu lange in der Sonne aufgehalten hätte, und über die linke Hand zog sich ein dunkelroter Streifen, auf dem sich eine Blase bildete. Aber wahrscheinlich konnte man auch das vortäuschen. Der Kirk unter ihren Händen wußte jedoch Bescheid. Sie spürte seine Schultern zusammensacken – und sich wieder aufrichten. »Hast du – von Anfang an alles mitgekriegt?« fragte er den anderen. Dessen Augen blickten vollkommen ruhig. Sie hoffte, niemals wieder einen solchen Ausdruck in den Augen eines Mannes sehen zu müssen, und hätte gleichzeitig alles dafür hergegeben, daß sie ihn dieses eine Mal sehen durfte: Beistand, Trost, rasenden Zorn, der kein Erbarmen kannte, Mut zu einer schonungslos aufrichtigen Antwort. »Ich war die ganze Zeit über bei vollem Bewußtsein«, sagte Kirk. Ihr Kirk nickte. Nur sie allein konnte spüren, welche Anstrengungen es seine Nackenmuskulatur kostete. »Wie?« fragte er. »Er benutzte irgendeine neuartige Version des Transporters, die absolut geräuschlos ist. Vor mir stürzte eine halbe Wand zusammen, während der größte Teil des Dachs auf mich und ein Körper direkt neben mich fiel. Ich vermute, es handelte sich dabei um ein unvollständiges Duplikat. Da war ich allerdings schon unterwegs.« »Spock kann es unmöglich gesehen haben…«
»Daß die Wand zwischen uns einstürzte, war kein Zufall, genausowenig wie die Leiche. Sie war vielleicht in den Dachsparren versteckt worden. Ich konnte nur einen flüchtigen Blick darauf werfen.« »Der perfekte Mord«, sagte ihr Kirk nachdenklich. »Und – was das schönste ist – es kam niemand dabei ums Leben.« Kirk nickte. »Außer – aber woher solltest du von der Frau wissen.« Ihr Kirk verkrampfte sich. Unmöglich, dem anderen Kirk nicht zu glauben, aber – »Und woher weißt du davon?« Kirk wischte die Frage mit einer Handbewegung fort. »Von dem Moment an, als ich von der Transporterplattform stieg, machte er eine Aufzeichnung der weiteren Ereignisse. Ich sah das eingestürzte Haus. Spock. Pille. Viele Leute. Dich, mitten in einem Berg von Geräten, und dann Omne, wie er dich in Bewegung setzt…« »Mein Gott!« Sie wußte, daß der echte Kirk jetzt den gleichen Ausdruck der Raserei in den Augen des Kirks an ihrer Seite sah. »Omne wollte, daß du alles mitbekommst. Dafür gibt es keine Entschuldigung, nicht mal die geistiger Unzurechnungsfähigkeit. Dafür nicht, und auch nicht für das, was er Spock angetan hat.« Kirk nickte. »Oder für das, was er dir angetan hat.« Ihr Kirk biß auf seine Unterlippe und zog die Brauen zusammen. »Darüber werden wir uns Gedanken machen, wenn wir beide überleben sollten. Aber zuerst… gibt es für dich irgendeine Möglichkeit zu entkommen? Hast du irgendeine Waffe?« Kirk schüttelte mit grimmigem Lächeln den Kopf. »Der Colt, den er mir gab, war nicht zu gebrauchen.« Der große Raum, in dem er sich befand, war, abgesehen von ein paar schweren Möbelstücken, die zu solide waren, um zerlegt werden zu können, völlig kahl.
Ihr Kirk drehte sich zu ihr um. »Kümmern Sie sich weiter um die Tür!« Sie tat wie befohlen, konnte es aber nicht lassen, die zwei Kirks aus den Augenwinkeln heraus zu beobachten. »Du hast wohl verstanden, was Omne hier vorhin sagen wollte«, fuhr ihr Kirk fort. »Er muß die Monitore eingeschaltet haben, weil er will, daß wir mit ansehen, was mit dir passiert.« »Ich weiß«, bestätigte Kirk ruhig. »Ich hatte sehr viel Zeit darüber nachzudenken.« »Geh kein Risiko ein. Tu, was du tun mußt. Töte ihn!« Kirk grinste ernüchtert. »Von hier aus scheint das gar nicht so einfach zu werden.« »Hast du eine Ahnung, wo du bist?« »Ein Wachposten hat mir die Tür geöffnet. Die Nummer war U-27-E-14.« Ihr Kirk lachte. »Das ist doch schon mal was. Fast so gut wie eine Straßenkarte. Kopf hoch!« Kirk grinste. »Wir werden ein paar ›Macho‹-Spielchen miteinander spielen. Das Dominanz-Spiel; das ganze AlphaMännchen-Zeug: Herrscher des Dschungels; Paviane-unter sich und Auf-die-Brust-Klopfen; wird der Captain des Sternenschiffs seinen stolzen Nacken beugen? Das sollte ihn eine Weile hier festhalten. Ich möchte euch – bei aller Logik – empfehlen, euch zu beeilen.« Er vernahm rechts von sich das Geräusch einer sich öffnenden Tür und wandte sich ab. Dann drehte er sich noch einmal kurz um. »Danke, Commander. Freunde?« Doch dann stellte er sich Omne, dessen massige Gestalt sich in diesem Moment ins Blickfeld schob. »Captain«, rief sie ihm noch hastig warnend zu, »er ist nicht menschlicher Herkunft. Er besitzt vulkanische Kräfte. Er ist wie Spock – nur ungefähr doppelt so schwer.«
7 Kirk warf dem Commander kurz ein reuevolles, dankbares Grinsen zu und drehte sich dann endgültig zu Omne um. Sein Mund wurde trocken, und der nervöse Knoten in seinem Magen zog sich zusammen; er wußte, daß er auf den Fußballen herumtänzelte und für ausreichenden Bewegungsfreiraum sorgte. Er hatte es im Grunde nicht nötig, sich Gedanken über seine Körpersprache zu machen, die dies wie ein Zurückweichen wirken ließ, aber er tat es trotzdem. AlphaMännchen-Zeug hatte er gesagt. Darin war er ziemlich gut. Normalerweise begnügte er sich damit, es auf der Instinktebene ablaufen zu lassen, aber das würde diesmal nicht reichen. Es war immer höllisch, wenn diese Art Dominanz die Kluft zwischen zwei Spezies unterschiedlicher Stärke überwinden mußte. Man hielt nicht für möglich, daß es überhaupt funktionierte, aber das tat es. Omne brauchte nicht erst vulkanische Stärke, um ihm Angst einjagen zu können. Dieser Mann strahlte eine Kraft aus, die nur zu offensichtlich war, gleich, von welcher Welt er kam, und außerdem hatte er einen eisernen Kampfwillen; dieser würde eher den Körper, in dem er hauste, in Stücke reißen lassen als sich ergeben. Und dafür war der Geist verantwortlich, nicht die Muskeln. Omne spürte das gleiche in ihm. Irgendwo hatte jeder von ihnen gelernt, es anzuwenden, und zwar nicht ausschließlich auf der Instinktebene. Omne konnte damit spielen, aber er meinte es todernst. Außerdem verfügte Omne über vulkanische Muskeln, um das Ganze zu untermauern.
Und Kirk hatte am eigenen Leib erfahren, was das bedeuten konnte. »Soso«, sagte er mit übertriebener Milde. »Das macht die Sache interessant.« »Nicht alle starken Männer der Galaxis sind Vulkanier, Captain.« Zur Bekräftigung dieser Worte hob Omne eine seiner schwarzen Brauen. Kirk neigte den Kopf. »Nein, nur ein paar der Besten.« »Und der Beste macht natürlich gute Beta-Miene zum AlphaKirk.« Omne lächelte. »Ich werde es für Sie aussprechen, Captain. Es macht Sie so gut, so überaus gut. Sie segeln durchs Weltall und nehmen es mit jedem auf. Und was das Ganze noch besonders reizvoll macht, ist Ihre außerordentlich große Verwundbarkeit.« Verdammt, das war wirklich ein harter Brocken. Kirk lachte. »Andererseits bin ich gerade deshalb auch nicht so verwundbar. Ich mußte schon gegen zwei-, drei-, viermal so starke Gegner antreten, vielleicht sogar noch mehr. Vulkanier, Mutanten, Androiden. Es ist nicht nur eine Frage der Muskeln.« Omne schüttelte nachsichtig lächelnd den Kopf. »Wenn nichts dazwischen kommt, wird es genau das sein, Captain.« Er trat näher an Kirk heran; sein pantherartiger Gang betonte seine Schnelligkeit, seine riesige Gestalt ihre Verschiedenartigkeit. Kirk wich nicht von der Stelle. Er hob gelassen den Kopf, um dem finsteren Blick der schwarzen Augen zu begegnen, und bereitete sich auf einen möglichen Zusammenstoß vor. Omne lachte und blieb stehen. Er ragte wie ein Berg vor ihm auf. »Aber Sie würden sicher nur wenige treffen, die Ihnen in anderen Dingen das Wasser reichen könnten, Captain. Geist, Wille, Entschlossenheit. Diese absolute Unnachgiebigkeit.
Lieber tot als ehrlos. Der unbeugsame Nacken und die aufrechte Wirbelsäule. Rückgrat. Bluff. Das Alpha-Männchen besteht zur Hälfte aus Bluffs und bis in die Zehenspitzen aus Mut.« Er deutete auf den Bildschirm; er mußte sie über Monitor beobachtet haben. »Auch ich studiere die Gesetze des Dschungels, Captain.« »Dann lassen Sie uns doch endlich mit dem ganzen Unsinn aufhören!« sagte Kirk und wechselte ungeduldig die Stellung. »Wer blufft hier wen? Und bei welchem Spiel überhaupt? Wir hätten Wichtigeres zu besprechen.« Omne schüttelte den Kopf, ohne von seiner veränderten Haltung Notiz zu nehmen. »Das hier ist wichtig, Captain. Spiele sind immer ernst zu nehmen. Wie, zum Beispiel, das Spiel der rauchenden Colts in der Front Street oder das Spiel der galaktischen Konfrontation.« »Sie spielen mit lebendigen Figuren.« »Selbstverständlich. Das Leben ist immer der Einsatz.« »Für mich ist Mord kein Spiel, außerdem bin ich nicht zum Spielen aufgelegt.« »Aber natürlich sind Sie das.« Omne deutete über die Schulter auf den Bildschirm. »Sie – beide Versionen von Ihnen – taten eben erst die Absicht kund, mich zu ermorden. Nebenbei bemerkt: Sie verletzen damit jedes einzelne Ihrer kostbaren Gesetze. Dabei habe ich noch nicht einmal jemanden umgebracht.« Kirk fegte den Einwand mit einer Handbewegung beiseite. »Pure Selbstverteidigung! Keine Ausflüchte, Omne. Sie haben! Und Sie haben noch etwas viel Schlimmeres getan. Sie haben all das Leid verursacht, das ein Mord auslöst, von dem ganzen anderen Kummer noch zu schweigen. Und die Frau ist tot.« »Selbstmord«, erwiderte Omne, »Es war ihr Recht und außerdem Sitte auf ihrem Planeten. Ich habe ihren Tod nicht
arrangiert. Auf meinem Planeten herrschen Gewohnheitsrecht und Entscheidungsfreiheit, auch wenn die getroffenen Entscheidungen falsch sein sollten. Das Grundprinzip der Freiheit ist das Recht, sich im eigenen Einkaufskorb in die Hölle befördern zu können.« »Vorausgesetzt, es handelt sich um Ihre eigene Hölle und Ihren eigenen Einkaufskorb – und Sie nehmen keine Passagiere mit, denen keine andere Wahl bleibt. So wie einem Baby.« Omne spreizte die Finger. »Man kann nicht alles haben, Captain. Sitte bleibt Sitte, oder sie ist keine mehr. Nichteinmischung bleibt Nichteinmischung, oder sie ist es nicht mehr. Alles andere ist ein moralisches Aburteilen auf emotionaler Basis – und dient der Befriedigung Ihres Egos, indem Sie dem Universum ständig Ihr äußerst mutiges Reaktionsvermögen vor Augen führen können.« Kirk richtete sich mit ernstem Gesicht auf. »Nein«, widersprach er feierlich. »Es kann passieren, und aus diesem Grund gibt es die Oberste Direktive. Aber auch Werturteile entspringen einer gewissen Logik, und bestimmte Urteile müssen gefällt werden, weshalb wiederum bestimmte Personen damit beauftragt werden. Ob deren Einschätzung nun stimmt oder nicht, es ist jedenfalls ihre Aufgabe, und sie müssen dafür geradestehen. Sitten sind nicht unantastbar. Die breite Masse kann sich genauso irren wie das Individuum, die Antike ebenso wie die Zukunft. Nur das Leben ist unantastbar – sowie die nötige Freiheit, um es erhalten und genießen zu können. Sitten liegen strikte Verhaltens regeln zugrunde, damit sie nur nicht ins Wanken geraten können, aber der Wunsch nach Entscheidungsfreiheit wird dadurch keineswegs abgeschafft.« Omne blickte ihn nachdenklich an, dann zog er langsam eine Braue hoch. »Dann sind Sie also wirklich das genaue Gegenteil. Kein bloßes Bündel gedankenloser Reaktionen,
sondern ein wahres Kind moralischer Gewißheit.« Er nickte, als ob ihm diese Vorstellung gefiel. »Genau das wollte ich herausfinden.« »Und wozu?« fragte Kirk. »Sie sind kein Gerechtigkeitsfanatiker, das ist nichts als Theater. Ihr wahrer Charakter hat sich heute gezeigt: Killer, Kidnapper, Verschwörer, Körper- und Seelenhändler.« Omne zuckte die Achseln. Kirk verschlug es einen Moment lang die Sprache. Ein Teil von ihm war beinah beeindruckt. Omnes schwarze Augen waren trübe Teiche einer Qual, deren Tiefe nicht ausgelotet werden konnte. Der Mann, dem diese Augen gehörten, war ein Riese. Und ein Monstrum. »Nein«, sagte er schließlich mit fester Stimme. »Ich kann Ihnen den Status eines echten Mannes wirklich nicht zugestehen.« Die schwarz umhüllte Hand des Riesen prallte flach gegen Kirks Kinnlade, und dieser ging in die Knie. Es war nur ein Klaps gewesen, aber er wirkte fast wie ein K.-o.-Schlag, hätte ihm beinah das Genick gebrochen. »Elementare Bedürfnisse«, dozierte Omne. Er stand breitbeinig über ihm. »Spock bekommt die Kopie. Ich werde das Original behalten.« Kirk rollte sich zur Seite und kam nur sehr langsam wieder auf die Beine. Er kämpfte Angst und drohende Bewußtlosigkeit nieder. Unmöglich, einer solchen Kraft lange standzuhalten. »Fahren Sie zur Hölle«, sagte er leise. Omne nickte. »Sie werden einen reizenden Einkaufskorb abgeben, mein stolzer Captain.« »Sie besitzen die Ware nicht!« Kirk versuchte einen Scheinangriff und setzte zu einem Sprung an, der ihn hinter
das Pistolenhalfter des Giganten befördern sollte. Was Muskeln betraf, konnte er sowieso nicht mithalten. Geh kein Risiko ein. Töte. Omne packte ihn mitten im Flug. Stählerne Arme quetschten ihn gegen den gerippten und geschmolzenen Stahl des riesigen Körpers. Seine Brust lag an dem federnden Stahlthorax des anderen, schwarze Hände bohrten sich in seinen Rücken und einen Oberschenkel. Sein linker Arm war außer Reichweite von Omnes rechter Hüfte mit dem Colt, aber er versetzte dem Gegner einen harten Schlag mit der Rechten und versuchte dann doch noch, die Waffe zu fassen zu kriegen. Omne bog ihn mit einem Ruck nach hinten, der ihm fast die Wirbelsäule gebrochen hätte. Die schwarzen Augen starrten böse auf ihn hinunter, während eine Hand seinen linken Arm auf den Rücken drehte. Die Finger, die sich in seinen Beinansatz gegraben hatten, trugen jetzt sein ganzes Gewicht und schienen sich tief in Muskeln und Knochen hineinzubohren. »Soviel zum Thema Muskeln, Verwundbarer«, flüsterte Omne. Er preßte Kirk wieder an seine Brust, schob den verdrehten Arm qualvoll langsam nach oben und umklammerte mit seinem anderen Arm Kirks Brustkorb, dessen Rippen unter dem Druck ächzten. Ihm wurde ein zweites Mal schwarz vor Augen; tief unten in seiner Kehle stieg ein Schrei auf, den er um jeden Preis zurückhalten mußte. Heiliger Strohsack, der Kerl tobte wie ein entfesselter Spock. Spock… Wenn er nur hier wäre… Stählerne, vulkanische Finger würden sich in die bulligen, schwarzen Schultern graben… Plötzlich fand Kirk sein Kinn über einer dieser Schultern wieder, nicht weit von dem Ansatzpunkt für Spocks Betäubungsgriff, nicht weit von der idealen Stelle für jeden gut gezielten Schlag entfernt.
Mit ganzer Kraft schnellte sein Kinn hinunter und ein Knie zwischen Omnes muskulösen Beinen hoch. Das Knie traf nicht so gut wie das Kinn, aber die Aktion erfüllte auch so ihren Sinn. Er machte einen Hechtsprung zur Seite, als sich der Griff um ihn lockerte und der massige Mann leicht schwankte. Bei der unsanften Landung verlor Kirk das Gleichgewicht, rappelte sich jedoch schnell wieder auf, um seinen Vorteil zu nutzen. Eine zweite Chance bekam er bestimmt nicht. Da gab der malträtierte Oberschenkel unter seinem Gewicht nach, und er stürzte hin. Im Fallen formte er mit seinen Beinen eine Schere, die Omne die Füße unter dem bulligen Körper wegriß. Der Riese knallte hart auf den Boden, fing sich aber mit katzenhafter Geschmeidigkeit und landete schließlich in der Hocke. Kirk stützte sich benommen auf ein Knie und eine Hand. Er behielt den Gegner im Auge und versuchte seinem fast gelähmten Oberschenkel wieder etwas Gefühl einzumassieren. Omne richtete sich vollkommen mühelos und ohne ernsthafte Verletzung auf und kam auf Kirk zu. Kirk wartete ab. Er bedauerte nur, daß sein Knie nicht volle Dienste geleistet hatte. Er bezweifelte, daß er es schaffen würde, bereitete sich aber trotzdem auf einen erneuten Angriff vor. Wenn er Omne in den Schwitzkasten bekäme, würde er versuchen, den Riesen zu Boden zu zwingen. Doch Omne blieb stehen. »Auch das wollte ich herausfinden.« »Und wozu?« fragte Kirk wieder. »Um das Offensichtliche zu beweisen? Daß körperliche Überlegenheit körperliche Überlegenheit bleibt?« Omne schüttelte lächelnd den Kopf. »Um zu beweisen, daß Sie nicht aufgeben werden, auch nicht gegen mich.«
Kirk richtete seinen Oberkörper auf und zuckte kaum merklich die Achseln. »Für wen halten Sie sich eigentlich?« »Für den Mann, vor dem Sie kapitulieren werden!« Omne rückte näher, bis er ihn wie ein Berg überragte. Kirk sah zu ihm auf und machte es sich wieder auf den Hacken bequem. »Ich bin all das, was Sie nicht sind.« »Falsch, Captain. Sie sind all das, was ich hätte sein können.« »Und deshalb wollen Sie mich vernichten?« »Wieder falsch, Captain. Ich will Sie – und damit die andere Hälfte meiner Seele besitzen.« »Meine werden Sie nicht bekommen.« Omne hob eine Braue. »Sie sind sich aber doch darüber im klaren, daß sie zum Verkauf steht? Es geht immerhin darum, ob Spock diesen Ort lebend verlassen wird.« Kirk schwieg; sein Magen zog sich zusammen, seine Beine zitterten. Schließlich sagte er: »Sie würden alles verlieren. Die Sternenflotte würde Sie von der einen Seite aus in Stücke reißen, das Kaiserreich von der anderen. Wenn man genug Zeit hat, gibt es so etwas wie Uneinnehmbarkeit nicht. Auch mein Mr. Scott gibt nicht so leicht auf. Genausowenig wie der Commander.« Omne schüttelte den Kopf. »Ob Mr. Spock nun seine Rede halten wird oder nicht, er wird in jedem Fall bei diesem Zuviel an Leid und Niedergeschlagenheit zu Harakiri greifen – beziehungsweise dem vulkanischen Äquivalent. Den Commander könnte man möglicherweise zu der romulanischen Version davon überreden. Ein Paar, dessen Liebe unter einem ungünstigen Stern steht, das seine ganzen Hoffnungen wie Seifenblasen zerplatzen sieht. Das wäre ein herrliches Drehbuch. Oder – ja, ich werde euch drei andere schreiben. Ich kann Körper herstellen. Wenn ihr sehr brav seid, könnten wir eine Aufzeichnung behalten. Wir könnten sie mitnehmen, bei
besonderen Gelegenheiten abspielen und anschließend wieder wegräumen.« »Sie werden einsehen, daß ich Sie töten muß«, stellte Kirk nüchtern fest. »O ja. Für diesen Fall habe ich die Maschine auf Automatik programmiert. Das wird mir keine großen Probleme bereiten.« »Oder ich töte mich selbst«, sagte Kirk, der die Antwort darauf bereits tief in seinem Inneren ahnte. »Auch diesen Fall sieht das Programm vor«, versicherte Omne. »Es gibt keinen Ausweg.« »Es gibt immer einen Ausweg«, widersprach Kirk, ohne einen zu sehen. »Ich kann Sie tausend Jahre hier festhalten. Den Phönix aus den Flammen.« »Und wenn es tausend Jahre dauert, ich werde einen Weg finden, das Böse in Ihnen zu zerstören.« »Ist es böse, jemandem das ewige Leben anzubieten?« Omne lächelte entrückt. »Es gab eine Zeit, da hätte ich es der ganzen Galaxis angeboten. Vielleicht ist es irgendwann einmal wieder soweit, aber ich habe an mir selbst erlebt, wozu man es benutzen würde.« »Sie sind nicht das Universum. Sie sind ein finsterer Spiegel. Eine bodenlose Grube. Ein schwarzes Loch.« Omne richtete sich zu voller Größe auf. »Das sind wir alle, Captain. Und genau das kann ich Ihnen zeigen. Die andere Seite der Unschuld. Die andere Hälfte Ihres Ichs, die Sie in einem Käfig aus Tugendhaftigkeit eingesperrt halten. Spüren Sie denn nicht ihr Toben und Rasen, ihren Schrei nach Freiheit? Das Winseln nach Streicheleinheiten? Armer Wolf. Was verleiht ihm weniger Daseinsberechtigung als Tugendhaftigkeit?« »Man kann – den Wolf auch gut behandeln«, brachte Kirk mühsam hervor, »ohne ihn anderen an die Kehle zu hetzen.«
Er legte seine Hände an die Oberschenkel und straffte die Schultern. »Omne, keine Rechtfertigungen für Ihre Böswilligkeit. Kommen wir zu den Details. Nennen Sie Ihren Preis, hier ist meiner: Spock – und sein Preis. Den Commander inbegriffen.« »Sie wären einfach so bereit, Spock mit Ihrem – Doppelgänger fortgehen zu lassen, Spock niemals wieder zu begegnen? Zu dieser Bedingung wären Sie bereit, bei mir zu bleiben?« Kirk spürte, wie sich seine Kiefer aufeinanderpreßten. »Nein, nicht einfach so. Ich würde sogar den… den anderen um das Leben beneiden, das eigentlich meins sein sollte. Er kann es haben, wenn ich schon nicht dazu in der Lage bin. Spock wird mich nicht zweimal sterben sehen. Sie haben mich in der Hand. Ich werde kämpfen, aber das wollen Sie ja. Ich werde bleiben – und zusehen, wie Sie zur Hölle fahren.« Omne grinste breit. »Ausgezeichnet! Wieder etwas, das ich herausfinden wollte. In der Tat, ich habe Sie in der Hand, kämpfend, und genau so wollte ich es haben. Sie werden lernen, mich als Ihren natürlichen Herrn anzuerkennen. Sie werden lernen, Ihren Nacken zu beugen. Sie werden meine Geisel sein gegen Spock und er die Geisel gegen Sie.« Er rückte näher. »Sie knien zwar schon, allerdings nicht vor mir. Jetzt werden Sie richtig vor mir niederknien, den Kopf beugen und Gnade für Spock erbitten.« Kirk lächelte freudlos. »Nur um daran erinnert zu werden, daß Sie ein Mann ohne Ehrgefühl sind?« »Schon möglich«, erwiderte Omne sanft. »Aber mit der Gewißheit, daß er sterben wird, wenn Sie es nicht tun.« Kirk kniete sich wortlos vor ihm hin. Sein Gesicht stieß fast mit dem großen, schweren Mann zusammen, aber er krümmte sich ein wenig und beugte den Kopf. »Ich erbitte Gnade für Spock«, sagte er mit unverhohlenem Gleichmut.
Die schwarzen Hände fuhren in sein Haar, rissen seinen Kopf hoch, bis seine Brust an den gerippten Oberschenkeln lag, sein Gesicht beinahe den riesigen Rumpf berührte. Omnes Gesicht war das Gesicht eines Wolfs – einer Bestie, das Gesicht des Dschungels und der Nacht. »Und nun bitte für dich selbst. Hier bin ich der Alpha, und du wirst dich jetzt ergeben. Sofort!« Eine der riesigen Pranken drückte seinen Kopf nach unten, während die andere zu der Wölbung seines Nackens glitt, unter der es voller Widerstand krachte und knirschte. »Ergib dich!« zischte die leise Stimme. »Mach schon!« Abrupt entspannte Kirk jeden einzelnen Muskel, so daß die Kraft der großen Hände seine Stirn mit voller Wucht gegen jenes Ziel stieß, das sein Knie vorher verfehlt hatte. Ein Brüllen erscholl, und während der Riese zusammenklappte und noch im letzten Moment versuchte, Kirks Nacken zu erwischen, packte dieser seine baumstammdicken Beine an den plötzlich nachgebenden Kniegelenken und warf den lebenden Klotz rücklings auf den Boden. Diesmal war Omnes Landung äußerst unsanft, und er krümmte sich benommen zusammen. Kirk hievte sich, ohne nachzudenken, auf die Arme zu, die ihn zerschmettern konnten; sein Knie hatte es auf das alte Ziel abgesehen, seine Hände auf Augen und Kehle. Omne schleuderte ihn quer durch den Raum gegen eine Wand. Er schaffte es gerade noch, sich wieder an ihr hochzuziehen. Der Riese war bereits mit erschreckender Vitalität wieder auf den Beinen. Unverhohlene Mordlust funkelte in den schwarzen Augen, Lust auf einen gemächlichen Mord, nach viel Geschrei. Na schön, dachte Kirk, das hatte er schließlich gekauft und bezahlt.
Spocks und seine eigene Freiheit. Es war ihm nichts anderes übriggeblieben, als beides zu kaufen. Er wollte auf keinen Fall die letzte Geisel sein. Jetzt galt es nur noch, die schwarze Rage anzustacheln. Kirk riß sich zusammen, kämpfte die Schmerzen mit hellem Zorn nieder und stürzte sich Omne – Rapier gegen Schwert – mit einem blitzschnell hervorschießenden Fausthieb entgegen. Er entkam nur mit knapper Not der vernichtenden, vor Wut blinden Antwort. Omne durfte ihn nicht zu fassen kriegen, nicht bevor es wirklich ums Ganze ging, und er durfte auf keinen Fall sein seelisches Gleichgewicht zurückgewinnen. Spocks Freiheit, betete er sich immer wieder vor und begann wieder, höhnisch herumzutänzeln. Was auch immer das alles den Vulkanier kosten mochte, es würde ihm völlige Handlungsfreiheit verschaffen. Wie auch immer der Unterschied, keine Reproduktion könnte ihm je wieder als identisch mit dem Original erscheinen. Nichts, was mit einer Reproduktion geschah, würde mehr dasselbe sein. Das konnte er Spock ersparen. Und sich selbst. Selbst wenn Omne die Wahrheit sagte und die Automatik bereits auf Kirk eingestellt war – was er in dieser kurzen Zeit allerdings für unwahrscheinlich hielt – , selbst wenn ihm, seinem Nachfolger, der Tod kaum Unannehmlichkeiten bereitete, nichts wäre mehr dasselbe. In gewissem Sinn würde es trotzdem noch einen Tod auf die altmodische Art geben; den Tod, seinen alten Feind – und jetzt vielleicht sogar Freund. Eigenartig, wie schwer ihm diese Einsicht fiel. Unlogisch. Omne stürmte auf ihn zu, und er machte einen Scherensprung halb über dessen Schulter. Kirk machte sich nichts vor. Der Riese würde in Sekundenschnelle Geschwindigkeit, Klarsicht und Präzision
zurückgewonnen haben. Er konnte ihn nicht besiegen. Und die unheimliche Kraft, die teuflische Fantasie konnten dem menschlichen Körper Qualen zufügen, die jenseits des Ertragbaren lagen. Und der Seele ebenfalls. Erniedrigung. Seelische Übelkeit, die körperlich spürbar war. An einem bestimmten Punkt würde er ganz erbärmlich um Gnade winseln, und zwar um seiner selbst willen. Nur keine Illusionen. Das Universum war ein hartes Pflaster. Jedem anderen konnte das gleiche passieren. Er hatte immer gewußt, daß es auch ihm selbst passieren könnte. Er hatte bisher einfach nur sehr viel Glück gehabt. Und jetzt hatte ihn sein Glück im Stich gelassen. Das letzte Blatt ausspielen. Erhöhen und mitgehen mit dem letzten Haufen Chips. Das Pfand einlösen. Er hatte immer gewußt, daß es Dinge gab, für die es sich zu sterben lohnte. Jetzt mußte er erfahren, daß es etwas gab, das er nicht ertragen konnte – daß er sterben wollte, um es nicht ertragen zu müssen. Kirk duckte sich unter einem plötzlichen Hieb, der auf seinen Nacken zielte, rollte sich zur Seite weg und landete wieder auf den Füßen. Er stand sehr langsam auf. So war das also. Sein Körper wußte, was sein Geist noch nicht begriffen hatte. Dieser Prankenhieb hätte den sicheren Tod bedeutet – einen schnellen Tod. Er hatte darum gebuhlt, aber er wollte ihn offenbar nicht stillschweigend akzeptieren. Letztendlich würde er sich also doch fürs Leben entscheiden und ertragen, was er zu ertragen hatte. Er würde sogar in Kauf nehmen, was es den Vulkanier kosten mochte, genau wie Spock es getan hätte. Er spürte, wie sich sein Kopf voll plötzlichem Stolz hob.
Und er sah Omne innehalten; die schwarzen Augen hatten seinen Entschluß an dem sich hebenden Kopf und dem Blick, der den seinen traf, erkannt. Klarsicht und Selbstbeherrschung sowie ein kurzes Aufblitzen grimmigen Gelächters – halb Bewunderung, halb Neid – lagen jetzt in diesen schwarzen Augen und der Wunsch, einen bestimmten Grundstoff der Seele zu besitzen, der ihm fehlte, und über den Mann zu verfügen, der ihn besaß; den Mann zu bestrafen, der die Frechheit hatte, ihn zu besitzen. Die behandschuhten Hände glitten zu dem Waffengurt und losten ihn, zogen den schweren Lederriemen aus der Halfterschlaufe und warfen Halfter samt Revolver nachlässig auf das einzige Sofa; nein, er würde ihn nicht brauchen, und er brauchte auch keine Angst zu haben, daß er gegen seinen Besitzer benutzt werden würde. Omne legte den schwarzen Riemen einmal zusammen und ließ das doppelte Ende mit einem schicksalsschwangeren, endgültigen Laut in den Tiefen einer schwarzen Handfläche verschwinden. Damit geht es also los, dachte Kirk. Seine Kehle wurde trocken und machte ihm das Schlucken schwer. Doch Omne lächelte. Das Lächeln erreichte sogar die schwarzen Augen, es betonte die Spannbreite der Möglichkeiten. Dann warf er den Gurt dem Colt hinterher. »Nein«, sagte er. »Das gehört nicht in den Dschungel.« Er streifte die schwarzen Handschuhe ab. »Nichts, was nicht dahin gehört, wird Sie berühren, und Sie werden noch wünschen, es wäre so leicht gewesen.« Die Handschuhe folgten dem Gurt. Omne ließ seine riesigen, muskulösen, langfingrigen Hände spielen. »Haben Sie jemals geweint, Captain, seitdem Sie ein Kind waren?« »Nein«, erwiderte Kirk, der aus irgendeinem unerfindlichen Grund wollte, daß der Mann über ihn Bescheid wußte. Als
Edith oder Miramanee gestorben waren – nein. Möglicherweise hatte er Schlimmeres getan als geweint, aber das nicht. Und bei anderen Gelegenheiten – nein. Omne nickte. »Männer weinen nicht, Captain. Sonderbar, wie weit die Notwendigkeit dieser Lektion reicht.« »Die Notwendigkeit – oder der Irrtum?« »Beides. Das Alpha-Männchen muß beschützen, verteidigen, es kann sich nicht leisten zu weinen. Der Dschungel weiß das, aber wir müssen es erst lernen. Wir müssen uns entscheiden, wenn wir den harten Weg wählen. Für uns ist es schlimmer, weil wir fähig sind zu weinen.« Sogar Vulkanier sind dazu fähig, dachte Kirk. Warum auch nicht? Aber war das der Grund? War das die Alpha-Auslese? Hatte er es deshalb nie getan und würde es auch nie können? »Es spielt keine Rolle«, sagte er laut. »Wir wählen, was wir wählen.« »Die freie Wahl kann einem – kann jedem – genommen werden.« »Ihnen zum Beispiel«, stellte Kirk mit plötzlicher Gewißheit fest. »Das war einmal«, bestätigte Omne, und die schwarzen Augen klarten wieder zu ihrer bodenlosen Tiefe auf. »Und jetzt sind Sie an der Reihe.« »Nicht doch. Ich treffe die Wahl.« Omne schüttelte den Kopf. »O nein! Sie könnten es ertragen, das Weinen zu wählen, wie Sie sich auch fürs Bitten entschieden haben, was Spock, was Ihre Wahl, was andere betrifft. Aber nicht um Ihrer selbst willen. Sie werden weinen – um sich selbst; wie ein Kind, wie eine Frau. Sie werden nicht mehr aufhören können und wissen, daß Sie ein gebrochener Mann sind.«
»Niemals«, protestierte Kirk kategorisch, konnte aber eine ge wisse Einschränkung nicht mehr aufhalten: »Nicht, wenn ich es verhindern kann.« Omne lachte. »Genau das ist der springende Punkt, Captain. Es gibt einen Punkt jenseits von Beeinflußbarkeit und Durchhaltevermögen. Sie werden weinen, und dann werden Sie betteln. Sie werden das wahre Vorrecht des Mannes anerkennen, der Sie schlagen und meistern kann.« »Vorher treffen wir uns in der Hölle.« Wieder ertönte polterndes Gelächter. »Mein lieber Captain, dies ist die Hölle.« Und dann kam Omne auf ihn zu, diesmal mit der ihm eigenen unglaublichen Schnelligkeit, mit der man es unmöglich aufnehmen konnte. Trotzdem wirkten seine Bewegungen träge und entspannt, irgendwie spielerisch. Kirk wich aus – aber die schwarze Gestalt erwartete ihn bereits an der Stelle, wohin er geflüchtet war. Omne versetzte ihm beiläufig einen Klaps wie ein Bär, der seinem lästigen Jungen eine Lektion erteilt. Der Schlag traf Kirk nur an der Schulter, die gut mit Muskeln gepolstert war und jeden normalen Hieb ausgehalten hätte, doch augenblicklich schoß unerträglicher Schmerz wellenartig durch seinen ganzen Körper, und er wurde wie eine Stoffpuppe durch den Raum geschleudert. Er prallte gegen die scharfe Metallkante eines Schränkchens, die ihm beim Fallen eine klaffende Wunde in den Rücken riß. Langsam rappelte er sich hoch und wandte sich wieder dem Gegner zu. Er war bereit, sämtliche Kniffe der Sternenflotte und seiner Kampfkunst, die er noch aufbringen konnte, in einen erneuten Angriff zu legen, aber er wußte längst, daß er verloren hatte. Kirk erhaschte einen flüchtigen Blick auf entsetzte Gesichter auf dem Bildschirm, die die Ereignisse in ohnmächtiger Qual
verfolgten. Doch dann konzentrierte er sich wieder voll und ganz auf Omne. Er würde ihn in der Hölle treffen.
8 Spock tauchte wie blind in einer Nische unter, schlug mit den flachen Händen gegen die Wand und rang um Selbstbeherrschung. So konnte es nicht weitergehen. Er durfte sich dieser Strapaze nicht länger hingeben, während er sich eigentlich für Kirks Leben einsetzen mußte. Er versuchte mit aller Kraft, die Verbindung auf einen simplen Kontaktdraht zu reduzieren, um den wilden, sintflutartigen Schwall der Gefühle abzustellen. Kirks eigene Gefühle – jenen Mut der Verzweiflung, der ihm ins Gesicht geschrieben gestanden hatte – hätte Spock vielleicht ertragen, aber die Verbindung führte zu – zu dem anderen Kirk. Zu Spocks… Er wußte gar nicht, wie er ihn nennen sollte. James! Er hatte mit James angefangen, also blieb er auch dabei. »James!« rief er. Doch James brüllte Omne über den Bildschirm hinweg an, absolut unfähig, seine Hilflosigkeit angesichts der Geschehnisse auf dem Monitor zu ertragen. Er zuckte unter der plötzlichen Erschütterung in der Verbindung zusammen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Spock genug Kraft gehabt, ihn davon abzuschirmen. »Spock?« stockte er irritiert. Er hätte den Namen fast laut ausgesprochen und schloß die Augen vor dem Bildschirm, um sich auf den inneren Ruf zu konzentrieren. »Gut so, James. Lassen Sie die Augen zu. Helfen Sie mirmich zurückzuziehen. Ich muß zu ihm finden.« »Sie haben alles mitbekommen?« »Über Ihre Augen und Gefühle. Von dem Augenblick an, als Omne und der Commander zu Ihnen kamen. Die starken
Emotionen erweckten die Verbindung zum Leben. Es war nicht Ihre Schuld. Ich muß mich entschuldigen.« James war tief bestürzt. »O mein Gott, Spock! Das durfte nicht… Wie konnten Sie das aushalten…?« Er atmete mit einiger Mühe tief durch. »Er – er lebt, Spock, Denken Sie nur daran.« Wieder nahm Spock seine mühsame Beherrschung wahr. »Finden Sie ihn! Wo sind Sie?« »Unterwegs. Keine Zeit für Finesse. Ich habe die Wache zusammengeschlagen…« Die Geistverschmelzung wurde von sanft plätscherndem Quecksilbergelächter überblendet; es war zwar nicht frei von Schmerz, aber der Mensch mußte einfach lachen. Es gefiel ihm immer sehr, wenn sein Vulkanier die Etikette verletzte. »Die Kleidung wird Ihnen sicher ausgezeichnet stehen«, prophezeite James und schickte dem Vulkanier eine kurze, flotte Vision von Spock in schwarzen Jeans, Seidenhemd und altertümlichen Stiefeln mit Sporen. Mit Hut? Ohne Hut. Diesmal bestand keine Veranlassung, die Ohren zu verstecken. »Faszinierend«, stellte James auf Spock-Manier fest. Er benutzte diese kurze, humorige Verschnaufpause, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Genau das hatte Spock beabsichtigt. »Utilitarist.« Spock registrierte vulkanischen Beifall für die neu eingekehrte Ruhe. »Ich habe jetzt das Labyrinth erreicht, muß mich aber vorsichtig fortbewegen, um das äußere Erscheinungsbild eines Wachpostens zu wahren. Es wimmelt hier nur so von Wachen. Die Turbolifts sind außer Betrieb, vermutlich aus Sicherheitsgründen. Bleiben Sie unbedingt wo Sie sind, selbst wenn die Tür plötzlich nachgeben sollte.« Spock spürte sowohl den Widerstand des anderen als auch seinen Versuch, ihn zu verbergen, damit es nicht zu einer Auseinandersetzung kam. Dann ertönte das klatschende Geräusch eines Schlags auf nackte Haut; der Aufprall wurde von James’ Fleisch wahrgenommen und drang bis zu Spock
durch. War es Einbildung? Nein. Eine einzigartige Form von Resonanz? Irgendeine Art von Rückkopplung zwischen den beiden zu gleichen Körpern, den zu ähnlichen Geistern? James hatte vom Augenblick der ersten Handgreiflichkeit an mehr und mehr das Gefühl bekommen, in Kirks Haut zu stecken. Jetzt schlug er die Augen auf, nur um Kirk unter dem Hieb taumeln zu sehen, und geriet selbst ins Wanken. Er rang mit dem Schmerz und versuchte, nicht das Gleichgewicht zu verlieren, zwang sich schließlich mit aller Kraft, die Augen wieder zu schließen und so die Sicht zu blockieren. »Das ist der andere Grund, weshalb Sie sich nicht von der Stelle rühren dürfen«, wies Spock ihn streng zurecht. »Sie müssen mir helfen, die Verbindung so weit herunterzuschrauben, daß ich dazu in der Lage bin.« Wieder einmal zeigte sich James gehorsam – wenigstens was diesen letzten Befehl betraf. Er versuchte sein Bestes, ohne genau zu wissen, was er eigentlich zu tun hatte. Helfen. Er gab sich alle Mühe, seine Gefühle unter Kontrolle zu bekommen, und er tat dies auf menschliche Art und Weise. Es fiel ihm sehr, sehr schwer. Er kämpfte um Rückzug, was sogar noch schwieriger war. Aber er versuchte es – und es gelang ihm. Vielleicht sogar noch besser als seinem Vulkanier. Langsam blendete James das Entsetzen seines Fleisches aus, wie er zuvor das Sehvermögen seiner Augen ausgeschaltet hatte. Spock konzentrierte sich auf das Bedürfnis, sich in Bewegung zu setzen, und leugnete das Bedürfnis zu fühlen, zu sehen, zu wissen – dabei zu sein. Er beschränkte sich auf die zentrale Vision eines Tunnels, der sich vor ihm auftat. Er konzentrierte sich mit der größten Anstrengung seines ganzen bisherigen Lebens. Jetzt, wo es wirklich zählte, Vulkanier zu sein. Kurz vor der vollkommenen Konzentration nahm Spock ein Paar Hände wahr, die seine Schultern schüttelten. Wessen
Hände? Kirks? Von welchem Kirk -? James? Eine schlanke Hand auf einem Gesicht. Der leichte Klaps hallte auf Spocks eigenem Gesicht wider, aber jetzt wußte er auch, daß der Commander James eine Ohrfeige versetzt hatte. »›Captain!‹« Er hörte die Frauenstimme wie aus weiter Entfernung. »›Die Tür, Captain, schnell! – James T. Kirk! Jim! Mein – Kirk!‹« Sie schlug fester zu. Spock schaltete sich aus, als James Kirk die Augen aufschlug und nach ihrem Handgelenk griff. Er mußte – James – jetzt ihr überlassen. Es blieb nicht genug Zeit… Plötzlich fand sich Spock nur wenige Zentimeter von einer nackten Wand entfernt wieder. Sein Geist war – Gott sei Dank – vollkommen klar. Es war nur noch ein sehr dünnes Verbindungskabel übriggeblieben. Dann spürte er eine schwere Hand gegen seinen Kiefer krachen. Es hätte nicht viel gefehlt, und das Genick wäre gebrochen. Nein, nicht Spocks Genick – Kirks. Jim Kirks. Spock empfand die erschreckende Verwundbarkeit des Menschen – und die Macht, die der schwarze Riese über sein zartes Fleisch hatte. Und dann war ihm klar, daß er alles spüren würde, genau wie James, genau wie Jim. James hatte zwar die optische Frequenz aus der Übertragung ausschalten können, nicht jedoch die sonderbare Resonanz, die proportional zu Kirks Schmerz zunahm. Sie entzog sich Spocks Einflußbereich. Der nächste Klaps ließ seinen Kopf wackeln, aber er spannte seine vulkanische Muskulatur dagegen an und reduzierte die Bewegung auf ein konvulsives Zucken. O ja, er würde alles spüren, aber er war Vulkanier. Was er allerdings nicht schaffte, war, diese Empfindungen dämpfen zu wollen. Er konnte jetzt sehen, und er konnte sich bewegen.
Er bewegte sich vorwärts.
9 Der Commander nahm James’ Gesicht vorsichtig in beide Hände, als ob sie seine Wangen besänftigen wollte, auf denen sich weiße Handabdrücke abzeichneten. Hatten ihre Hände das getan? Eigentlich hatte sie angenommen, selbst für einen Menschen sanft genug gewesen zu sein. Für diesen Menschen. Wo war er nur mit seinen Gedanken gewesen? Jetzt war er wieder da. Zitternd zwar, aber wenigstens da. »Die Tür«, wiederholte sie und drehte seinen Kopf in deren Richtung, vom Bildschirm weg. Auch sie selbst vermied hineinzusehen. Es gab eine Menge zu tun. »Jim?« drängte sie vorsichtig. »Nennen Sie mich James«, forderte er sie geistesabwesend auf, dann konzentrierte sich sein Blick auf ihr Gesicht. »Tut mir leid. Gehen wir!« Sie wollte ihn gerade loslassen, als sich seine Wangen abrupt unter ihren Händen verkrampften. Parallel dazu ertönte das Knallen eines kräftigen Kinnhakens. Jeder Muskel in seinem Körper spannte sich an, und sie versuchte sich dagegenzustemmen. Ihre Augen weiteten sich bestürzt. Sie hatte ihm immer wieder flüchtige Blicke zugeworfen, während sie mit der Tür beschäftigt gewesen war und beobachtete, wie sich seine ohnmächtige Wut zu tranceartiger Absorbierung gesteigert hatte. Außerdem war ihr seine Körpersprache aufgefallen, die den Kampf des anderen zu unterstützen schien. Aber er spürte es tatsächlich, am eigenen Körper. »Werden Sie’s schaffen?« fragte sie ihn erschrocken. Er riß sich mit ungeheurer Anstrengung zusammen, als ob er sich dazu einer Kraft bedienen würde, die er im Grunde gar
nicht besaß. Der nächste Schlag ließ ihn taumeln, er konnte sich jedoch rasch wieder fangen. »Ich bin bereit. Verschwinden wir von hier!« »Bleiben Sie hinter mir«, befahl sie, legte ihre fast erschöpfte Waffe an und trat Sekunden später kräftig mit dem Stiefelabsatz gegen das, was von dem Schloß noch übrig war. Sie polterte schwungvoll und auf ein Feuergefecht gefaßt in das Kerzenzimmer, doch die Kerzen hauchten gerade völlig unbeachtet und einsam flackernd ihr Leben aus. Dann war die verdoppelte oder verdreifachte Wachmannschaft also draußen im Gang postiert. Dafür hatte Omne mit Sicherheit gesorgt. Er wußte, daß sie kommen würden. Der traurige Rest Munition, den sie aufgespart hatte, brachte sie vielleicht gerade an dem ersten Trupp vorbei; vielleicht schafften sie nicht mehr als ein paar Meter. Sie rechnete sich wirklich nicht die geringste Chance aus, bis zu Kirk durchzukommen. Aber sie brachte es einfach nicht fertig, ihrem Begleiter von dem Versuch abzuraten. »Hier wimmelt’s nur so von Wachen«, stellte der Mensch ruhig fest. Sie nickte. Sie hatte sich gemerkt, daß diese Tür nicht verschlossen war. Sie ließ sich sogar nach außen öffnen; derselbe altmodische Stil, den Omne offenbar für den Großteil der Ausstattung dieses verflixten Ortes bevorzugte. Sie drehte leise den Türknauf und stürmte dann auf den Korridor, spürte, wie die Tür gegen stahlhartes Fleisch prallte. Sie mähte die Wachen ohne ein Wort oder jegliches Zögern nieder. Der Betäubungseffekt ihrer Waffe lähmte vier von ihnen, dann schaltete sie sie ab, schob sie blitzschnell ins Halfter zurück und nahm sich die restlichen beiden, die
wankend hinter der Tür standen, mit Hilfe ihrer Füße und der Kanten ihrer Hände selbst vor. Noch bevor der Mann hinter ihr an ihr vorbei und sich am Geschehen beteiligen konnte, war alles vorüber. Sie beugte sich hinunter, sammelte zwei der antiquierten Colts auf und steckte sie hinter ihren Gürtel, wobei sie ihm mit einer Geste zu verstehen gab, daß eine davon für ihn war. »Nützen uns gar nichts, bevor wir nicht bei ihm sind«, sagte sie. »Die Dinger machen viel zuviel Lärm.« Sie bemerkte seinen verwirrten Blick, wandte sich aber ohne weitere Erklärungen dem Turbolift zu. Er hielt sie an der Schulter zurück. »Die Turbolifts sind außer Betrieb.« Sie zog fragend eine Braue hoch. Woher wollte er das wissen? »Spock«, klärte er sie auf. Sie nickte und schob ihn auf den Notausgang mit den Gleitstangen und Sprossenschächten zu, auf die Omne sie während seiner Führung vergnügt aufmerksam gemacht hatte. Er war äußerst stolz auf sein verfluchtes Labyrinth gewesen und hatte sie voller Selbstvertrauen wissen lassen, daß jeder Ausbruchsversuch im Keim erstickt werden konnte. Und nun – Ein Dutzend Stockwerke unter ihnen und eine unbekannte horizontale Ausdehnung mit wer weiß wie vielen Abzweigungen und Biegungen. U-27-E-14. Sie ließ ihre Hand auf dem Arm des Menschen liegen und spürte dessen Kampf mit dem Zwang, seine Aufmerksamkeit nach innen zu richten. Er gewann, versank aber doch manchmal, wenn er die Reaktion seines Körpers einfach nicht mehr unterdrücken konnte, in tiefe Geistesabwesenheit.
Sie packte ihn fest an seinem elastischen Samtgewand und dem breiten Hüftgürtel, bevor sie vor ihn trat, um nach der Gleitstange zu greifen. Für den Bruchteil einer Sekunde sagte ihr sein verblüffter Blick: Verdammt, ich kann für mich selbst sorgen! Dann hatte er den inneren Aufruhr überwunden und packte die Stange ein kurzes Stück über ihr. Seine Beine umklammerten ihre Oberschenkel, die sich fest an den glatten Stahl preßten; einen Arm legte er um die Stange, den anderen um sie, und dann hatte sie endlich einen festeren Halt als den dünnen Stoff. Trotzdem ließ sie nicht los. Gab es irgendeinen Mann in der Galaxis, der diesen Moment nicht hinausgezögert hätte, um seinen Stolz zu bewahren? Sie nahm ihren Fuß vom Haltebügel, und los ging die Fahrt. Er überließ ihren romulanischen Muskeln sogar den größten Teil der anstrengenden Bremsarbeit gegen die Schwerkraft während der langen Rutschpartie – einer Rutschpartie, die auf romulanische Muskeln und nicht auf seine eigenen zugeschnitten war, obwohl er sie an einem ganz normalen Tag vielleicht durchaus bewältigt hätte. Notfalls würde er es auch heute schaffen, selbst wenn es ihn umbrächte. Und das würde es wahrscheinlich. Sie zählte die Stockwerke eher gefühlsmäßig, bekam den richtigen Haltebügel aber genau im richtigen Moment mit dem Fuß zu fassen und fragte sich, ob er sich wohl dabei das Fußgelenk gebrochen hätte. Gut möglich. Die größere Schwerkraft hier entsprach eher romulanischen oder vulkanischen Verhältnissen; sie war ganz und gar nicht für seine zerbrechlichen Kräfte gedacht. Er schwang sich jedoch rasch und geschickt auf den sicheren Boden des Stockwerks, nahm ihre Hand und zog sie hinter sich her.
Sie ließ ihn die Richtung angeben. Eine war so gut wie die andere. Bei der Führung hatte sie gesehen, daß die Türen scheinbar normal durchnumeriert waren, aber in Wirklichkeit entbehrte das Numerierungssystem jeder allgemein bekannten – sogar jeder mathematischen – Grundlage. Auf siebenundvierzig folgte unverschämterweise eine Dreiundachtzig, die wiederum zu 16-C führte. Soweit sie beurteilen konnte, ergab nur die Stockwerknumerierung einen Sinn. Ein wirklich ausgeklügeltes Sicherheitssystem. Jemand, der hier unten regelmäßig zu tun hatte, würde sich an die relevanten Punkte des Labyrinths erinnern. Man gab dem Turbolift die Nummer des gewünschten Raumes bekannt, und dann bestimmte der Computer den am nächsten gelegenen Halt. Waren die Aufzüge allerdings außer Betrieb, konnte ein Fremder Stunde um Stunde damit verbringen, jede einzelne Tür abzuklappern, nur um überhaupt eine bekannte Zahl zu entdecken. Eine außerordentlich schlechte Straßenkarte! Sie hielt es nicht für ratsam, diese Meinung zu äußern. Es handelte sich dabei zweifellos um einen von Omnes kleinen Scherzen. Er hätte die Nummer an Kirks Tür ohne weiteres entfernen können, wenn er nicht genau diese Hoffnung hätte wecken wollen. Sie fragte sich, ob Spock das Numerierungssystem auf seinem Weg zum Kerzenzimmer aufgefallen war – trotz der nervlichen Belastung. Doch ja, mit ziemlicher Sicherheit, mit seinem vulkanischen Geist. Der Mensch mußte Spock die Zahl mitgeteilt haben. Die beiden mußten irgendwie miteinander in Verbindung stehen, obwohl sie sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, wie sie das über eine so große Entfernung anstellten. Jedenfalls mußte der Vulkanier auch gewußt haben,
daß die Hoffnung trügerisch war. Wo er sich jetzt wohl aufhielt – mit dieser Gewißheit? Der Mensch fand es gerade heraus und drehte sich ihr einmal mehr mit einem Gesichtsausdruck zu, den sie nie wieder sehen wollte. Sie zwang sich zu einem Nicken und löste ihre linke Hand aus der seinen, um seinen Arm zu nehmen. Sie konnte nichts anderes tun als ihn ansehen. Er schwankte nach einem unsichtbaren Hieb, und sie half ihm, das Gleichgewicht wiederzufinden. Da tauchte eine dunkle Gestalt in einer Biegung vor ihnen auf. Während ihre Hand blitzschnell zu der Waffe glitt, vergewisserten sich ihre Augen, daß es sich dabei nicht um Spock handelte. Der Wachposten fiel um, und die Waffe summte leicht in ihrer Hand, ein Zeichen dafür, daß sie leer war.
10 Spock kam zu dem Schluß, daß es nicht funktionierte, und führte zum letzten Mal eine Blitzkalkulation in seinem Unterbewußtsein durch, um vielleicht doch noch irgendein verstecktes Muster in dem Numerierungssystem zu entdecken. Nichts. Null. Reines Zufallsprinzip. Möglicherweise lag die einzige Hoffnung darin, die Turbolift-Anlage zu stürmen und wieder instand zu setzen, um sich zu der am nächsten liegenden Liftstation befördern zu lassen. Zeit! Die Zeit wurde knapp. Die Qualen hatten sich mittlerweile zu mehr als bloßem Schmerz gesteigert. Zur totalen Niederlage. Völliger Ratlosigkeit. Hoffnungslosigkeit. Spock versuchte krampfhaft, den Weg im Auge zu behalten und in Bewegung zu bleiben. Er hatte sich zu – unlogischen Hoffnungen hinreißen lassen. Unter anderem zu der, die sonderbare Resonanz hätte vielleicht auch eine richtungsweisende Komponente, die ihn zu Kirk führen könnte. Aber dem war nicht so. Er konnte James’ Bewegungen nachempfinden. Bei Jim waren es leider nur die Gefühle. James! Plötzlich wurde Spock sich bewußt, daß James den Commander durch das Wirrwarr von Gängen dirigierte, daß seine Bewegungen langsam ihre Unsicherheit verloren und immer zielstrebiger wurden; zögernd und tastend zwar- aber zielstrebig. Als ob er einer äußerst zerbrechlichen, spinnfadendünnen Schnur folgen würde.
Spock seufzte. Dann lieferte die Resonanz also doch einen Anhaltspunkt; nicht ihm, aber James. Sie würde James zu Kirk führen und die Verbindung Spock zu James. Zu spät, aber nicht zu spät zum Töten. Spock fuhr fort, das Stockwerk zu durchforsten, und versuchte dabei die Richtung des anderen vorher zu erkennen. Er hatte Angst davor, den Kontakt zu intensivieren, weil er befürchtete, daß die spinnfadenfeine Schnur zerreißen könnte.
11 Der Commander stützte schweigend den Arm des Mannes an ihrer Seite. Er würdigte die Türnummern keines Blickes, und sie bezweifelte, daß er überhaupt etwas sah. Sein Körper schien, mittlerweile jenseits jeglichen Schmerzempfindens, völlig gefühllos zu sein und nicht einmal ihre Berührung wahrzunehmen. Trotzdem hielt ihn irgendein versteckter Steuermechanismus davon ab, gegen die Wände zu laufen. Und er war es, der die Richtung diktierte. Sie hatte keine Ahnung, was er da tat oder wie er es tat. Sie folgte ihm einfach. Wenige Meter weiter verkeilten sie sich, denn er versuchte, durch die Wand zu ihrer Linken zu steigen. Jetzt galt es, ihn an die Leine zu nehmen und sanft um die Ecke zu führen. Plötzlich brach er in Tränen aus; sein ohnehin schon schweres Atmen verwandelte sich in Schluchzer. Überraschung, Beschämung und völlige Geschlagenheit erschienen auf seinem Gesicht – und ein immer noch vorhandener Widerstand, der ihn die Zähne zusammenbeißen ließ. Mit aller Kraft hielt er die Worte zurück, die sich zusammen mit den Schluchzern seiner Kehle entringen wollten. Sie wußte, daß sie nicht das Gesicht ihres Begleiters vor sich sah. Aber auch der Mann an ihrer Seite biß die Zähne zusammen und ließ, blind vor Tränen, eine Biegung nach der anderen hinter sich. Dann endlich, über den breiten Schwingtüren am Ende eines endlos langen Korridors, sah sie die Nummer. Sie lehnte ihn gegen die Wand, ließ ihn dort stehen und stürmte los. Ein einziger Wachposten stand vor dem Raum.
Er hielt ihr den Rücken zugekehrt; eins seiner Augen klebte an dem winzigen Spalt zwischen den beiden Türen. Sie sagte sich, daß es absolut nötig war ihn auszuschalten, und traf ihn mit der Handkante knapp unter dem Ohr. Wahrscheinlich hatte sie ihm das Genick gebrochen. Dann warf sie einen Blick über die Schulter und sah, daß ihr Kirk unter größten Anstrengungen, etwas zu sehen, hinter ihr hergetaumelt kam. Sie zog die beiden Colts aus dem Gürtel. Die haarfeine Ritze zwischen den Türen ließ die Beleuchtung des dahinterliegenden Raums, abgesehen von einem schmalen Balken in der Mitte, völlig durchscheinen. Sie zielte mit dem Stiefelabsatz darauf und stürzte durch die aufschwingenden Türen. Sie platzte unvermittelt ins Zimmer und ortete die dort anwesenden Männer nicht gleich. Dann entdeckte sie am anderen Ende des Raums in einem Chaos von Möbelstücken Kirk als einen zusammengebrochenen zerfetzten, blutenden Haufen auf den Knien liegen – mit Omne über sich. Der Riese drehte ihr mit arroganter und triumphierender Schulterhaltung den Rücken zu, doch im nächsten Moment drang das Geräusch der aufbrechenden Tür in sein Bewußtsein vor; er warf sich auf Kirk, der gerade mühevoll aufzustehen versuchte. Ihre rechte Hand hatte sich erhoben, um Omne in den Rücken zu schießen, aber diese Chance hatte sie durch das kurze Zögern verspielt, als sie der Treffsicherheit der fremdartigen Waffe so nahe bei dem Menschen mißtraute. Die beiden Männer rangen eine Weile ineinander verschlungen am Boden zwischen den Möbeln miteinander, dann nahm Omne Kirk mit einem Arm in die Zange und bewegte sich wie ein Krebs seitlich auf ein breites Sofa zu. Er hielt den Menschen dabei wie ein Schutzschild vor seine Brust. Nicht die kleinste Gelegenheit zum Schießen.
Sie stürmte los, sprang über Möbelstücke- und sah den Colt auf dem Sofa leider zu spät. Schon schoß Omnes Arm über die Rückenlehne, um danach zu greifen. Eine Kugel zischte pfeifend durch ihr Haar, als sie in Deckung ging und ihrerseits im Flug einen improvisierten Schuß auf den zielenden Arm abfeuerte. Für einen improvisierten Schuß gar nicht schlecht, fand sie. Er mußte mindestens die schwarze Seide versengt haben. Der Arm zuckte zurück, und sie hatte sich fast hinter einen Deckung bietenden Schreibtisch gerollt, als sie noch schnell einen Blick zur Tür warf. Hoffentlich hatte ihr Kirk die Tür noch nicht erreicht. Aber er war schon dort, und er hatte sich nicht mal um Deckung bemüht. Er steuerte taumelnd auf den Bereich hinter dem Sofa zu. Sie sprang hoch und hechtete mit einem Satz über die Couch, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie der zusammengeschlagene Kirk eine schwache Hand hob, um Omne daran zu hindern, auf den herantorkelnden Kirk zu zielen. Omne fluchte und versetzte seinem Kirk einen Klaps mit dem Rücken seiner Schußhand. Sie bekam immer noch keine Gelegenheit zu schießen, und Omne hatte bereits einige Meter im Schutz des Sofas hinter sich gebracht, während ihr Kirk seinen Berserkerangriff fortsetzte. Und dann, als er gerade darin verschwand, entdeckte sie endlich das Ziel des riesigen Mannes: Ein Gleitstangenschacht tat sich hinter der Wandverkleidung auf, die auf Omnes Berührung hin zur Seite geglitten war. Er hatte Kirk in seiner Gewalt, den linken Arm hatte er um dessen Brust geschlungen, in der Rechten hielt er immer noch den Revolver. Sie sah Omnes rechte Armbeuge die Stange
umklammern, konnte allerdings nicht feststellen, ob die großen Füße mit ihrer gewaltigen Last auf dem Trittbrett unten im Schacht Halt fanden. Eine endlose Sekunde lang rechnete sie damit, Schreie und das Geräusch eines langen Absturzes zu hören. Aber nein. Dann, als ihr Kirk ebenfalls an das Loch herantrat und einen Schritt ins Leere machte, erwartete sie es wieder. Sie war einen Schritt von ihm entfernt und kam viel zu spät. Als sie den Schacht erreichte, sah sie seine Arme jedoch zupacken, und dann entschwanden die drei Gestalten in weitere unbekannte Tiefen, aber wenigstens nicht mit Sturzgeschwindigkeit. Wenn er sich nur halten konnte… Sie war gerade dabei, sich ebenfalls an die Stange zu schwingen, als sie bei dieser Bewegung einen Blick auf Spock erhaschte, der schnurstracks auf sie zumarschierte. Sein dumpfer Blick sprach Bände: Er wußte, er kam viel zu spät. Da tauchte plötzlich ein abtrünniger, romulanischer Wachposten auf, den der Vulkanier über den Haufen gerannt hatte, und zielte auf Spocks Rücken. Sie schoß ihn, ohne zu zögern, nieder. Als Spock sie erreichte, machte sie sich gerade zum zweitenmal zum Absprung bereit. Sie blickte in die Tiefe und sah die Stange – sie war leer. Jedes der unzähligen Stockwerke war ein verschlungenes Labyrinth wie dieses hier. Sie mußte jetzt ohne Führer auskommen. Wahrscheinlich stand ihr eine lange, mühsame Suche nach einer Blutspur bevor, nach einer übel zugerichteten Gestalt mit gehetzten Augen, die feucht waren von den Tränen des Captains der Sternenflotte. Und nach einer anderen, in weißen Samt gekleideten Person – die vielleicht auch mit Blut beschmiert war.
Es gab nur einen Mann im ganzen Universum, den um Hilfe zu bitten sie sich erlauben würde. Sie schaute ihm jetzt direkt ins Gesicht. Und sah trotz des gequälten Ausdrucks Hilfsbereitschaft in seinen Augen. »Ich kann sie finden«, brachte Spock mit mühsamer Beherrschung heraus. »Sofern – sie – noch leben.« Die Stimme des Vulkaniers klang unglaublich gequält. »Kommen Sie«, sagte er und schwang sich an die Stange. Sie folgte ihm.
12 James Kirk hinkte weiter, mit einem Knöchel, den er so sehr verdreht hatte, daß er um ein Haar gebrochen wäre, und seinen nackten, durch den Reibungswiderstand der Gleitstange bis aufs bloße Fleisch verbrannten Oberschenkeln. Er nahm jedoch weder das noch seine blutenden, offenen Hände wahr; er spürte nur den Schmerz des anderen Kirk, der in seinem Körper pulsierte. Er gab sich sogar alle Mühe, diesen Schmerz nicht zu verlieren, denn er war sein einziger Führer. Sie waren abgesprungen – nach weiß Gott wie vielen Stockwerken. Vielleicht nach zweimal so vielen wie beim ersten Mal, aber er hatte jedenfalls genau mitbekommen, wann Omne die Stange verlassen hatte. Er hatte auf die gleiche Art nach dem Haltebügel geangelt wie vorher der Commander, doch seinen Fuß hatte es bei dem Manöver fast aus dem Gelenk gerissen. Es war ihm nichts anderes übriggeblieben, als sich mit den Händen an der Kante festzuklammern, und als er sich wieder einigermaßen in der Gewalt hatte und hochsehen konnte, war Omne mit seiner Last bereits außer Sichtweite. O Gott, wie hatte er langsam die Nase voll von diesem verdammten Ort! Er torkelte mit zerfetzten Kleidern die breiten Gänge hinunter, fuhr sich von Zeit zu Zeit mit den Handrücken über die Augen und schaffte es im großen und ganzen, nicht gegen die Wände zu rennen. Er hätte den Commander ganz gut brauchen können. Er könnte Spock brauchen. Aber das war unmöglich. Es würde niemals wirklich möglich sein.
Er hatte keinen Anspruch darauf. Auf Freundschaft; all die vergangenen Jahre – und die noch kommenden; die geteilten Sorgen und kleinen, internen Spaße. Blicke, die in vertrautem Schweigen Bände sprachen. Das Recht. Es war das Recht des anderen, der gerade genau aus diesem Grund durch die Hölle ging. Er hatte sich dieses Recht einmal mehr verdient und es unbestreitbar schon immer besessen. In der Verbindung schwang trotz aller Qualen der gedämpfte Unterton einer schlichten Feststellung mit, die ständig in Spocks Geist mitschwang und keiner Worte bedurfte: Jim lebt! Auch mit seinem ganzen enormen Großmut würde der Vulkanier niemals in der Lage sein, den Unterschied vollkommen zu vergessen. Er hatte ihm den Namen James gegeben. James! Er war James. Er hatte James zu sein. Verdammt noch mal, er war aber auch Jim l War es immer gewesen. Und er beneidete den anderen um das Leben, das eigentlich seins sein sollte. Jims Worte hallten in ihm wider: »Er muß es haben, wenn ich nicht dazu imstande bin.« Gab es denn keinen Unterschied? Hatte – James – es? Was immer es war – und hatte er den Preis dafür bezahlt? James taumelte um die nächste Biegung. Irgendwo dort unten, sagte er sich. Er würde es herausfinden.
13 Jim Kirk rieb seine Augen und versuchte aus ihnen hinauszusehen, versuchte gegen die Schluchzer anzuatmen, die seinen Körper in unkontrollierbaren Spasmen überfielen, versuchte irgendwie, mit dem unerträglichen Schmerz fertig zu werden, aus dem sein ganzer Körper bestand. Es war nur ein bißchen schlimmer an der Stelle, wo ihn Omnes schwerer Arm gegen die wuchtige Brust preßte. Dann balancierte der Riese ihn plötzlich wie ein Kind auf der Hüfte, während er den anderen Arm nach etwas ausstreckte. Seine Hand ertastete einen unsichtbaren Punkt auf der schlichten Vertäfelung einer Korridorwand. Sie ging nach innen auf. Omne trat durch die Öffnung und drehte sich um, um sie hinter sich zu schließen. Sie befanden sich jetzt in einer Art innerem Labyrinth. Die Gänge waren winzig und verästelten sich. Kämpfe! Hier würde man ihn niemals finden. Kämpfe! sagte er sich. Und dann wurde ihm plötzlich klar, daß er es nicht mehr konnte. Er konnte nicht! Jeglicher Kampfgeist hatte ihn verlassen. Wo war die Bereitschaft, sich noch einmal hochzurappeln und es ein letztes Mal zu versuchen? Er konnte sich nicht erinnern, daß ihm so etwas schon irgendwann einmal passiert war. Es hatte Momente gegeben, in denen ihn seine Muskeln im Stich gelassen hatten, aber das – noch nie! Der Wille zu kämpfen war verschwunden, als hätte er niemals existiert.
Abrupt schwang er einen bleischweren Arm in das heidnische Gesicht des Abgotts. Auch wenn alles versagte – Muskeln, Wille, Nerven, Mut –, irgendwas mußte doch noch übrig sein. Omne ließ den Schlag einfach seitlich an seinem Kopf abrollen. Dann blickte er beinah gütig lächelnd auf ihn hinab und machte die Wandvertäfelung endgültig zu. Ein neuer Schluchzer schüttelte Kirks Brust, und er mußte gewaltsam gegen den Drang ankämpfen, nicht einfach die Augen zu schließen und in sich zusammenzusinken, sich in irgendeinen Winkel seines Geistes zu verkriechen und seine Augen nie wieder zu öffnen, um nie wieder jemandem ins Gesicht sehen zu müssen. Wenn du jetzt die Augen zumachst, rief er sich zur Ordnung, bist du völlig am Ende. Nicht nachdenken! Du darfst einfach nicht nachdenken. Und nicht fühlen, laß dich nicht zu Gefühlen hinreißen! Halte einfach die Augen offen. Omne tauchte in das innere Labyrinth ein, und Kirk zwang sich dazu, den Weg zu verfolgen. Es war zwar kein Ausweg für ihn, aber immerhin eine Möglichkeit, die Augen offen zu halten. Sie kamen zu immer mehr Abzweigungen und schließlich zu einer Art vertäfelter Trennwände, die die einzelnen Passagen blockierten. Auf jeder von ihnen ließ Omne in einem bestimmten Muster die Finger seiner freien Hand spielen und betätigte dadurch die unsichtbaren elektronischen Knöpfchen, die in die Verschalung eingebettet waren. Seine nächste Berührung löste den Schließmechanismus aus. Kirk registrierte das Muster fast wie von selbst. Nein, er durfte sich zu keinerlei Hoffnungen hinreißen lassen. Das könnte gegen ihn verwendet werden – wie schon einmal Er war an seiner Hoffnung zerbrochen. Erst hatte man sie geweckt, dann damit herumgespielt und sie schließlich zerstört.
Omne trat durch eine Vertäfelung in einen großen Raum. Die Wände waren mit alten Büchern gesäumt. Ein Arbeitszimmer, dachte Kirk, als Omne ihn auf einem Sofa ablegte. Die riesigen Arme behandelten ihn mit überraschender Sanftheit und rollten ihn auf den Bauch. Er aber drehte sich sofort auf die Seite und stützte sich auf einen Ellbogen, wobei er sich alle Mühe gab, das krampfartige Zittern seines Armes zu ignorieren. Sieh hoch und stell dich seinem Blick, verdammt noch mal, oder du wirst es nie mehr tun! Die schwarzen Augen blickten auf ihn hinunter, und etwas in ihnen bewunderte den Mann, der ihm trotz allem noch ins Gesicht sehen konnte. Omne nickte, wandte sich ab und lief geschäftig im Zimmer herum; er wirkte wie jemand, der endlich glücklich in seinen eigenen vier Wänden angekommen ist. Dann verschwand er in einer Nische und war augenblicklich wieder zurück, den schwarzen Overall glattgestrichen, einen Ärmel aufgerollt. An seinem Arm war die Verbrennung eines Streifschusses zu sehen. Sie war anscheinend die einzige Verletzung, die er davongetragen hatte. Außerdem hatte er das verloren gegangene Halfter durch ein Pendant ersetzt und einen Colt hineingeschoben. Er kam auf das Sofa zu. »Warum hier?« fragte Kirk, ganz erstaunt, daß er noch sprechen konnte. Omne hob eine Augenbraue, als ob ebenfalls überrascht, daß er seinerseits das noch konnte oder wollte. »Mein hochsicheres Domizil«, antwortete er leichthin, als ob er vor diesen unerschrockenen Augen kein Geheimnis mehr zu wahren hätte. »Kein anderes lebendes Wesen kennt seinen Standort. Schweigen und Geheimhaltung sind seine einzigen Schlösser. Selbst wenn der Planet, die Festung, der gesamte unterirdische
Bereich fällt, könnte dieser innerste Komplex nur durch schrittweise Vermessung gefunden werden. Wir könnten hier jahrzehntelang mit den gelagerten Vorräten auskommen.« Plötzlich begriff Kirk den tieferen Sinn hinter diesen ruhig ausgesprochenen Worten: Omne hatte entsetzliche Angst vor dem Tod. Sein ganzes Leben war darauf ausgerichtet, sein Sterben nach Möglichkeit zu verhindern. Er hatte die Unsterblichkeit nicht etwa erfunden, um einen geliebten Menschen am Leben zu erhalten oder um der Galaxis zu dienen – nicht mal, um Kirk quälen zu können – , sondern schlicht und einfach als letzten Fluchtweg vor dem Tod. »Wir?« hakte Kirk nach, dem noch etwas anderes klar geworden war. »Warum bringen Sie mich an Ihren letzten Zufluchtsort?« »Hier sind Sie in Sicherheit.« In den schwarzen Augen leuchtete eine gewisse Befriedigung. »Wozu überhaupt weglaufen?« bohrte Kirk schonungslos weiter. »Vor – einer Frau – und einem unbewaffneten Mann?« Streu Salz in die Wunde! Egal, wie sehr dich die romulanische Kavallerie beeindruckt hat. »Sie hätten doch eine Schießerei mit ihnen anfangen können, und die Wachen wären nur so herbeigeströmt. Hatten Sie etwa Angst vor ihrem rasenden Widerstand?« Bring ihn dazu, seine Angst zuzugeben. Aber Omne blickte auf einmal erschrocken drein, als ob er den Grund für etwas herauszufinden versuchte, dessen Offensichtlichkeit ihn plötzlich wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf. »Ich – « Dann zögerte er kurz, doch der Moment der Selbstoffenbarung schien anzuhalten. »Ich wollte Sie aus der Schußlinie raushalten.« Kirk spürte einen eigenartigen Schock auf einer Ebene, die er nicht einmal benennen konnte oder wollte. Vielleicht auf der Ebene all dessen, was er sich weigerte, beim Namen zu
nennen, sogar vor sich selbst. Die nackte, brutale Realität zum Beispiel. Aber das hier – Er hatte Omne diese Fragen an den Kopf geworfen, um seiner Wut Luft zu machen, und halb auf ein Eingeständnis seiner Feigheit gehofft. Jetzt mußte er feststellen, daß der Mann keineswegs ein Feigling war, und das machte ihm angst. Omne hatte ein pathologisches Verhältnis zum Tod. Er wußte es auch, aber er ließ sich dadurch nicht aufhalten. Und doch… »Bei – jeder anderen Gelegenheit«, sagte Kirk vorsichtig, »hätte Ihr ganzes Denken nur Ihrem eigenen Leben – oder irgendeinem Spiel gegolten.« »Ja«, bestätigte Omne mit dem Lächeln eines Mannes, der sich verstanden fühlt. »Und – diesmal – kam es Ihnen überhaupt nicht in den Sinn.« Omne nickte ernst. »Nein.« Dieser Ruck, erkannte Kirk, war etwas sehr Ähnliches wie Stolz – und das schockierte ihn erst recht. Ihm war, als ob dieser Mann gesagt hätte: Was ich dir angetan habe, was ich dich zwang, von dir zu zeigen, läßt dich mehr wert sein als mein eigenes Leben. Und es sah so aus, als ob Kirk das etwas ausmachen könnte. Aber der Mann hatte es gesagt. Und es machte ihm etwas aus. Auf irgendeine entsetzliche Weise machte es ihm etwas aus. »Aber Sie haben mich zerbrochen«, begehrte Kirk gequält auf. »Ich habe – geweint.« »Sie haben geweint«, bestätigte Omne. »Sie sind nicht zerbrochen.« »Woher wollen Sie das wissen?« platzte Kirk heraus. »Wie kannst du es wissen – wenn ich es selbst nicht einmal weiß?«
Er drängte die Worte mühsam in seine Kehle zurück, aber er hatte den Eindruck, als hätte Omne sie auch so gehört. »Sie haben zu keiner Zeit – gebettelt.« Hab’ ich nicht? Auch das behielt er für sich. Dieser Mann durfte auf keinen Fall alles wissen. Und Kirk durfte diesen Mann auf keinen Fall um Bestätigung bitten – oder um Trost. »Nein«, beantwortete Omne die unausgesprochene Frage und lieferte ihm damit die Bestätigung, vielleicht sogar den Trost. War das denn kein Betteln? grübelte Kirk. Das Heulen und Schreien, die Worte – alles war in seinem Geist vorhanden gewesen, auch wenn er nichts davon gezeigt hatte. Hatte er nicht gerade deshalb geweint, weil er nicht sprechen konnte, nicht sprechen wollte – und war das nicht auch eine Form von Betteln? Nein. Diesmal gab er sich die Antwort selbst. Nein, es war nicht dasselbe. Die Gewißheit schien allerdings auch nicht zu helfen. Etwas in ihm war zerbrochen, und er wußte nicht genau, was. Trotzdem – es gab immer noch etwas, das nicht zerbrochen war. Konzentrier dich darauf. »Nein«, sagte er laut. »Ich habe nicht gebettelt. Spielt das denn eine Rolle?« Omne nickte. »Ich wollte Sie zu keiner Zeit zerbrechen.« Kirk lachte hart auf. »Sie haben Ihr verdammt Bestes versucht!« »Sicher. Wie hätte ich denn sonst herausbekommen, daß ich es niemals schaffen kann?« Er lächelte. »Oder Sie – daß es Ihnen niemals passieren wird?« »Sie haben behauptet, man könnte jeden Mann zerbrechen.« Omne schüttelte den Kopf. »Ich sagte, jeder Mann kann weinen. Und bevor es soweit ist, weiß er auch nicht, ob er daran zerbricht.«
»Und falls nicht«, erkundigte sich Kirk bitter, »versuchen Sie’s dann noch mal?« Wieder drehte sich der schwere Kopf auf den massigen Schultern hin und her. »Das wird nicht mehr nötig sein, außerdem will ich es gar nicht mehr.« Kirk runzelte die Stirn. »Sie wollen mich nicht mehr so weit bringen, daß ich als Beta um Sie Alpha herumscharwenzle?« Omnes Lächeln wirkte eine Spur wölfisch, aber sein Blick war ernst, fast sanft. »Ja, wissen Sie das denn nicht selbst? In diesem Punkt haben Sie letzte Nacht verloren, als Sie sich fürs Leben entschieden. Aber es war kein… Zerbrechen. Sie wissen genau, was für eine Art Sieg es war.« Omne lächelte Kirk an, als ob er ihn selbst erfunden hätte, und sagte dann: »Aus diesem Grund werden auch tausend Jahre nicht reichen.« Unwillkürlich sog Kirk scharf die Luft ein. Die schwarzen Augen glühten, als ob sie in Flammen stünden. Der große schwarze Mann kehrte ihm abrupt den Rücken und nahm etwas aus einer Schublade. Es war ein langes, schmales, silbernes Röhrchen, das Kirk für eine etwas ausgefallene Version einer Sprühdose hielt. Omne kam zum Sofa zurück. »Umdrehen!« befahl er. Kirk versuchte, nicht zurückzuzucken, keine Fragen zu stellen. Aber er fragte doch. »Was – was haben Sie…?« »Ich werde Ihren Rücken in Ordnung bringen.« »Wie bitte?« Kirk brach in Gelächter aus; er stand kurz vor einem hysterischen Anfall, war den Tränen wieder erschreckend nah. »Während in Ihrem Wild-West-Verschnitt über unseren Köpfen die große Ballerei abgezogen wird? Während Ihr Verbündeter und Ihre – Reproduktion – durch die Gänge gehetzt werden? Während irgendwo Spock und die
Delegierten warten? Da wollen Sie meinen Rücken in Ordnung bringen?« »Unter anderem. Drehen Sie sich um!« »Fahren Sie zur Hölle!« »Wie Sie wünschen, Captain. Ich kann auch vorne anfangen.« »Ich will nicht! Verschwinden Sie, und kümmern Sie sich um Ihr Strickzeug!« »Alles zu seiner Zeit. Ich werde den Commander und meine Reproduktion schon noch zu fassen kriegen. Der Wilde Westen würde das zwar auch für mich erledigen, aber es würde doch ein bißchen länger dauern. Naja, dadurch bekämen sie wenigstens eine faire Chance. Spock wird sich noch etwas gedulden müssen, bis sein großer Auftritt kommt. Sie alle können warten. Ich werde zuerst das Original restaurieren.« »Dazu brauchen Sie eine ganze Krankenstation, keine Sprühdose«, stellte Kirk bitter fest und wußte, daß es einem Zugeständnis gleichkam. Omne ließ sich auf der Sofakante nieder. »Oh, ich habe eine ganze Krankenstation – hier in dieser Sprühdose.« Er riß mit der freien Hand und ohne um Erlaubnis zu fragen die letzten Reste von Kirks zerfetztem Hemd herunter. »Ein Wachstumsverstärker«, fuhr er dabei ungerührt im Tonfall einer wissenschaftlichen Dissertation fort. »Zur lokalen Stoffwechselbeschleunigung. Antiseptisch. Anästhetisch, mit tiefenwirksamer Schmerzausschaltung und Reinigungseffekt.« Seine Hände lösten den Gürtel, der immer noch die Überbleibsel der strapazierfähigen Uniform der Sternenflotte zusammenhielt. Kirk wollte protestieren, merkte jedoch schnell, daß es keinen Sinn hatte. »In wenigen Sekunden werden Sie völlig frei von Schmerzen sein. Es sind keine Knochen gebrochen, und es liegen keine ernsthaften inneren Verletzungen vor. Ich war vorsichtig. Und ein paar Minuten
später werden sich überall zartes junges Fleisch und junge Haut gebildet haben, die Schwellungen werden zurückgehen, die Blutergüsse verblassen, Schnitte und Quetschungen heilen. In ein paar Stunden – sind Sie wieder wie neu.« Er entledigte ihn fast wie ein Arzt seiner gesamten Kleidung, inklusive Stiefel. Kirk biß die Zähne zusammen und versuchte das Ganze wie eine normale Untersuchung zu nehmen. Er wünschte sich plötzlich sehnlichst Pille McCoy herbei, zog diesen Wunsch jedoch gleich wieder zurück. Pille sollte lieber nicht in diesen Schlamassel hineingezogen werden. Omne griff erneut nach der Spraydose. »Dieser Ort hier ist – unter anderem – das ausgeklügeltste Forschungslaboratorium der ganzen Galaxis. Sie wären überrascht, wenn Sie wüßten, wie viele erstklassige Wissenschaftler von wer weiß wie vielen Planeten hier Unterschlupf gefunden haben. Heute wurden sie zu Ehren der Konferenz beurlaubt. Manche von ihnen sind Delegierte.« Kirk war in der Tat überrascht und ließ die Neuigkeit erst einmal wirken. Bisher hatte er diesen Ort nur als großen, leeren Schauplatz für Omnes üble Machenschaften betrachtet. »Es würde Ihnen einen Schock versetzen, wenn Sie wüßten, wie viele neue Produkte wir von hier aus über viele Kanäle auf den Markt bringen.« Er hob die Dose in die Höhe. »Es macht sich bezahlt. Die hier stammt von mir. Mein öffentliches Labor liegt nicht weit weg von hier. Das private – « Er zuckte die Achseln und lächelte. »Legen Sie sich hin.« Kirk biß sich auf die Unterlippe. Er wollte nicht etwa gehorchen, sagte er sich, es war nur so, daß ihn sein Arm wirklich nicht mehr viel länger tragen würde. Er tat es für den Commander, für – für den anderen, sogar für Spock. Zeit schinden! Das war’s. Aber er wußte, daß er Omne glaubte, trotz dessen Prahlerei, auch Gutes tun zu können. Er wußte, warum der Mann diese
Prahlerei gerade jetzt für nötig hielt, angesichts der vielen Beweise dafür, wie schlecht er sein konnte, und angesichts des Mannes, der seine ganzen Fähigkeiten zu spüren bekommen hatte. Kirk wußte es. Er kannte diesen Mann sehr gut. Mit schlagartiger, betäubender Wut wurde ihm klar, was in ihm zerbrochen war und weshalb er geweint hatte. Man hatte ihn auch früher schon verwundet, in Entsetzen versetzt. Er war von Experten bearbeitet worden. Gefoltert. Man hatte ihm mehr zugemutet, als er ertragen konnte. Man hatte ihn niemals kleingekriegt. Der physische Schmerz war genauso schlimm wie jeder andere, den er bisher hatte aushalten müssen, aber nicht schlimmer. Trotzdem hatte er diesmal seinen Meister gefunden. Er holte tief Luft und zwang sich, es einzugestehen. Nein. Es war viel schlimmer. Omne hatte es ausgesprochen, und es war die Wahrheit. Dieser Mann hatte sein Spiel mit ihm getrieben, und er hatte ihn in jeder Hinsicht übertroffen – geistig, körperlich, was die Willenskraft betraf. So spielend leicht. Ohne ihm nur den geringsten Ansatzpunkt zum Widerstand geboten zu haben. Die ganze Zeit über hatte Kirk fast das Gefühl gehabt, irgendein uraltes Gesetz des Dschungels sage ihm, dieser Mann wäre sein natürlicher Herr, dieser Mann hätte sogar einen Anspruch darauf. Genau das hatte der Riese bezweckt. Er konnte es jetzt in den schwarzen Augen sehen, die ebenso in den seinen lasen und wußten, daß er es gefühlt hatte. »Nein«, sagte er laut. »Ich lebe nicht im Dschungel. Niemand ist mein Herr.« »Ich bin es«, widersprach Omne. »Nach dem ältesten aller Gesetze. Das war es, was Sie nicht ertragen konnten.«
»Ich habe es ertragen«, erinnerte ihn Kirk mit freudlosem Stolz. Omne nickte. »Und Sie haben sich nicht ergeben, aber der Dschungel in Ihnen schon. Sie spüren es doch. Sie wollen gehorchen. So wird es immer sein, und gleichzeitig werden Sie auch kämpfen wollen. Aber Sie kennen mich jetzt. Sie kennen mich als Ihren Herrn. Irgendwann im Verlauf der tausend Jahre werden Sie feststellen, daß aus Fügsamkeit Gehorsam geworden ist – und daß Sie sich nicht an den Augenblick erinnern können, an dem es soweit war.« Er lächelte. »Vielleicht geschieht es gerade jetzt.« »Nein«, flüsterte Kirk, aber er sah die tausend Jahre in Omnes Augen. »Nein? Jetzt werden Sie sich jedenfalls fügen. Sie können sich ruhig vormachen, es wäre für die anderen, in Wirklichkeit tun Sie es für sich selbst. Vielleicht bringen Sie ja auch soviel Ehrlichkeit auf, es zuzugeben. Und jetzt legen Sie sich hin. Sie müssen mich nicht ansehen.« Omne legte eine Hand auf Kirks Nacken und drückte sein Gesicht leicht, aber bestimmt nach unten. Dieser sanfte Druck war zuviel für ihn. Der zittrige Arm würde ihn nicht länger halten. Vielleicht – würde auch etwas anderes nicht halten. Kirk ließ die Schultern fallen und vergrub sein Gesicht. Ja, laß es einfach geschehen. Gott, er war so müde. Dann hob er den Kopf wieder und drehte sein Gesicht gegen den Widerstand seiner verspannten Nackenmuskulatur und gegen Omnes leichten Druck auf die Seite, um dem schwarzen Blick zu begegnen. Mehr konnte er nicht tun, aber es reichte auch schon. »Jetzt noch nicht«, flüsterte er. »Ich denk nicht im Traum dran!«
Omne lächelte wieder mit jenem Gesichtsausdruck, als ob er ihn geschaffen hätte. »Das ist mein Original«, lobte er. »Ich hätte keine bessere Wahl treffen können.« Wieder spürte Kirk diesen eigenartigen, stolzen Ruck, doch diesmal kämpfte er dagegen an. Auch das sollte ihn nicht beeindrucken. Falsch, es beeindruckte ihn, aber es sollte ihn nicht hindern. Er würde Haß dagegensetzen, Haß, Selbstkontrolle und nüchterne Logik. Es würden lange tausend Jahre werden. Omne gab seinen Nacken frei und griff nach der Spraydose. Das Spray wehte wie wallender Nebel und fließender Schaum, wie eine kühlende Flamme über Kirks Rücken. Dann nahm er Omnes geschäftige Hände durch die Kühle hinweg wahr, die klaffende Risse zusammenfügten, wo sich das Fleisch über Knochen gespalten hatte, die den Schaum dorthin verteilten, wo er am dringendsten gebraucht wurde. Kirk wappnete sich gegen die Berührung und gegen den Drang, dagegen anzukämpfen. Doch der Schmerz in seinem Körper ließ langsam nach und verschwand sogar aus den tiefliegenden Prellungen und den ineinander verschlungenen Klumpen seines inneren Widerstands. Diese Erlösung war fast eine Qual für sich, und er spürte, daß er sich an das letzte bißchen Schmerz klammerte wie an einen Rettungsanker. Er begann – davonzutreiben. Der Schock, den er mühsam in Schach gehalten hatte, holte ihn jetzt ein. Die letzten Schluchzer brannten zu den winzigen Zuckungen eines vom Weinen er schöpften Kindes aus, das langsam in den Schlaf gleitet. Die Augen des Sternenschiffcaptains waren jetzt trocken, und doch weinte auch er sich innerlich in den Schlaf. Wenigstens hatte Spock von dem Ganzen keine Ahnung. Der Vulkanier würde es nie erfahren…
Kirk riß ein letztes Mal sekundenlang die Augen auf, um Omne anzusehen. Sein breites, rauhes Gesicht wirkte beinah sanft. Dieser Mann hatte so viele Facetten. So viele Gesichter. Niemand würde diesen Ort je finden, und selbst nach tausend Jahren würde Kirk nicht all seine Gesichter kennen. Aber das Wolfsgesicht würde er niemals vergessen…
14 Für den Commander war Hilflosigkeit ein ungewohnter Zustand. Ihr Kirk preßte den fleckigen weißen Samt, die blutverschmierten Hände, sein Gesicht an die kahle Wand. »Ich – kann nicht – «, murmelte er, »ich – habe das – Signal verloren.« Seine Schultern bebten unter Spocks Händen, und das ohnehin schon steinerne Gesicht des Vulkaniers wurde noch eine Spur härter, aber seine Stimme war sanft. »Das macht nichts. Es ist besser so für Sie – und für ihn.« Die zitternde Gestalt stieß sich schwankend von der Wand ab und drehte sich um; die offenen Hände packten Spocks Schultern. »Besser! Der Schmerz – die Gefühle – alles weg! Ich habe ihn verloren. Begreifen Sie denn nicht? Jetzt können wir ihn nicht mal mehr finden. Omne kann ihn Gott weiß wohin schleppen.« »Ich weiß«, erwiderte Spock sehr ruhig und blickte beinah tröstend in die gequälten Augen. Die beiden hatten sich in eine Welt zurückgezogen zu der sie keinen Zugang fand. So war es jetzt schon seit dem Augenblick, als Spock sie zu dem Mann geführt hatte, den er James nannte. Sie konnte sich dieser Namensgebung nicht so recht anschließen. Wann hatten sie sich nur dazu entschlossen? Und was bedeutete es ihnen? Spock hatte ihn nur ein einziges Mal ausgesprochen, vor wenigen Minuten, als sie den – anderen – dabei entdeckten, wie er gerade durch die Wand steigen wollte. Es bestand offensichtlich immer noch irgendeine Verbindung zwischen ihnen. Das gefiel ihr nicht besonders, auch wenn Spock sie dadurch hatte zu ihm führen
können. Der Mechanismus, mit dessen Hilfe die beiden anscheinend Kirks Gefühle nachempfinden konnten, war ihr ein komplettes Rätsel. Spock hatte sich zwar besser unter Kontrolle, aber sie konnte es ihm – trotz seines starren Gesichtsausdrucks – deutlich ansehen. Und doch schien die – Verbindung nicht bis zu Spock durchgängig zu sein. Sie hatten die angrenzenden Zimmer überprüft, während ihr Kirk die ganze Zeit über darauf beharrt hatte, Kirk in einer bestimmten Richtung wahrnehmen zu können, in der er aber scheinbar nicht sein konnte. Spock hatte dies offensichtlich nicht nachempfinden können. Sie hatten die Wandverschalung nach Geheimtüren und verborgenen Durchgängen abgesucht, mit dem hilflosen Gefühl, daß ein von Omne gewahrtes Geheimnis sie stundenlang beschäftigen konnte. Sie hatten vielen Wachen ausweichen müssen. Schließlich war ihr Kirk wieder vor einer bloßen Wand gelandet, dort zu Stein erstarrt und hatte dann geflüstert: »Irgendeine ärztliche Versorgung«, ohne sich wieder zu entspannen. Spock hatte mit grimmiger Miene seine steifen Schultern gestützt. Jetzt sagte er: »James…« Aber James’ Kinnpartie festigte sich bereits wieder, sein Blick sammelte sich, als ob er den Trost zurückgeben wollte, seine Hände drückten die Arme des Vulkaniers kurz, dann ließ er sie los. »Danke, Spock. Klar, wir müssen einfach zu ihm.« Er überflog die Mauer mit einem prüfenden Blick. »Wir kennen die momentane Richtung. Omne wird vermutlich in Kürze eine Umorganisation vornehmen, ihn wegschaffen, seine Truppen sammeln – was auch immer. Vielleicht ist dies der richtige Zeitpunkt zum direkten Ein greifen. Denken Sie, ein Vulkanierpaar könnte die Aktion durch das Zertrümmern dieser Wand in die Wege leiten?« Er sah kurz zu ihr hinüber. Sie trat einen Schritt vor und bedachte seine – an einer gewöhnlichen Gleitstange! – aufgeschürften Hände mit einem
spitzen Blick. »Hauptsache, der Mensch versucht es nicht auch.« Spock schob die Schultern des Menschen zart beiseite, als ob er ein Kind vor sich hätte, und stieß dann krachend eine Faust durch die Wand. Einen Moment lang stand er wie angewurzelt da; seinem Blick zufolge war so was schon seit langem fällig gewesen. Dann schob er seinen Unterarm durch das sauber aufgebrochene Loch in der stabilen Kunststoffverschalung und riß sie heraus; die aufspringenden Scharniere knatterten wie altertümliches Gewehrfeuer. Wenige Zentimeter dahinter war jedoch nichts als nackter Stein. Der Commander machte sich mit nicht geringerem Zartgefühl ans nächste Schott. »Das dürfte reichen«, sagte Omne. Er hatte blitzschnell einen Arm um James Kirks Hals geschlungen und richtete, an dessen Taille vorbei, einen Revolver auf sie. Er nickte freundlich. »So einfach ist das also«, stellte er fest. »Wie gut, daß ich zufällig einen Blick auf die Monitore warf. Guten Tag, Mr. Spock. Soeben erkenne ich den Wert Ihres Ehrenworts.« Spock befreite seine Hand von der Wandverkleidung und Heß sie gegen die Mauer fallen. Ein Rückzug stand völlig außer Frage. »Den Wert des Ihren kenne ich ja schon.« »Lassen Sie uns die Tatsachen einmal klarstellen«, sagte Omne. »Ich habe Ihnen keineswegs mein Wort darauf gegeben, irgend etwas von dem zu unterlassen, was ich getan habe, nicht einmal hinsichtlich ›beschädigter Ware‹. Sie sind von Ihren persönlichen Annahmen ausgegangen.« Er zuckte die Achseln. »Außerdem habe ich nie behauptet, ein Ehrenmann zu sein.« »Ich – schulde – einem – « Spocks Stimme geriet ins Stocken, doch dann spuckte er Omne seinen ganzen Abscheu
unverhüllt ins Gesicht: » – Kerl wie Ihnen nicht die geringste Ehrerbietung!« Omne hob eine Braue. »Sieh an, sieh an. Die berühmte vulkanische Selbstbeherrschung?« Er verringerte den Druck seines Unterarms auf James Kirks Kehle ein wenig und ließ den Ellbogen auf dessen Brust fallen. »Wie dem auch sei, ich gebe Ihnen wirklich keine Schuld. Eine interessante Frage, Spock, wer von uns beiden sein Wort zuerst gebrochen hat, wem gegenüber – und wem zuliebe. Haben Sie die Absicht, Ihr Wort mir gegenüber zu halten – diesem hier zuliebe?« James Kirks Augen entbehrten jeglicher Gefühlsregung. »Diesmal werde ich es halten, beiden zuliebe«, versicherte Spock. Omne schüttelte den Kopf. »Das war weder die Frage, Mr. Spock, noch das Angebot. Ein galaktisches Drehbuch – gegen eine Kopie. Haben Sie sich entsprechend darum gekümmert – und werden es auch weiterhin tun?« Spocks und James’ Blicke trafen sich. »Ich hatte vor, gemäß dem Drehbuch zu handeln.« Omne mußte irgendeine leichte Bewegung wahrgenommen haben, die dem Commander entgangen war. Er sah auf den Mann in seinen Armen hinunter. »Freut Sie das etwa?« »Spock spielt es so, wie er es sieht. Er hat noch nie ein falsches Spiel mit mir getrieben.« »Dazu hatte er auch reichlich wenig Zeit«, schnappte Omne. »Es gibt für Sie kein ›noch nie‹ bei ihm!« James Kirk streckte seine eingezwängten Schultern, so gut es ging. »Ich habe alle Voraussetzungen, die dafür erforderlich sind.« »Dann wollen wir doch mal herausfinden, welche Voraussetzungen das sind«, gab Omne grimmig zurück. Er zog den Menschen näher an sich heran und schleppte ihn die Halle hinunter auf eine offenstehende Tür zu, die in ein großes
Laboratorium führte. Omne will eventuell herumstreunenden Wachen aus dem Weg gehen, dachte der Commander, Sie und der Vulkanier folgten ihm hilflos, während er seine Rede mit vollkommener Selbstbeherrschung fortsetzte. »Die Einsätze sind noch nicht endgültig festgelegt, Spock. Meiner steht. Ich werde die Tatsache ignorieren, daß ihr drei mir einige Unannehmlichkeiten bereitet und zweifellos einigen Wachen Schaden zugefügt habt. Dafür werden sie schließlich bezahlt. Sie und der Commander können die Kopie wie vereinbart mitnehmen. Der Commander kann bei ihm bleiben und die – Änderungsarbeiten – überwachen, während Sie Ihre Vorstellung geben. In einer Stunde werde ich euch drei auf ihr Schiff beamen – sofern Sie die Absicht haben sollten, zu Ihrem Wort zu stehen.« »Meine Intention«, erwiderte Spock vorsichtig, stets auf der Suche nach einem nicht vorhandenen Ausweg, »basierte sowohl auf der geringen Wahrscheinlichkeit, daß Sie Ihr Wort halten würden, als auch auf der größeren, daß Sie es an irgendeinem Punkt brechen und mich dadurch von meinem erlösen würden. Ein durch schlaue Reden hervorgerufener Schaden ist reparabel. Ein Leben ist unersetzlich – auch jetzt noch.« Omne trieb sie kichernd in eine leere Ecke des großen Labors. »So stehen Sie also zu diesem – Mann – hier? Aber das bedeutet ja den absoluten Erfolg meines Verfahrens. Die Kopie ist so perfekt, daß sie für Sie unersetzlich ist – obwohl ich eine neue herstellen könnte. Werden Sie zu Ihrem Wort stehen, Spock? Seinetwegen?« »Es gibt bei Zwang keine moralische Verpflichtung. Sie haben jeden Anspruch darauf von Anfang an verwirkt. Man kann aber nicht miteinander verhandeln – auch nicht, und besonders nicht, unter Zwang – , wenn man sich nicht auf das Wort des anderen verlassen kann. Die Worte werden zu
sinnlosen Lauten – so wie bei Ihnen. Ihr Spiel war schon immer unehrlich, und jetzt haben Sie jede Vereinbarung gebrochen, alle Anstandsregeln verletzt. Die Einsätze gelten nicht mehr.« »Irrelevant, Mr. Spock, ob Sie nun recht haben oder nicht. Kein Einsatz ist ungültig geworden. Die Frage ist nur, ob Sie den hier haben wollen.« »Beide!« »Das wird nicht gehen«, lehnte Omne bedauernd ab. »Abgesehen von allem anderen – können Sie sich wirklich vorstellen, mit beiden im Romulanischen Kaiserreich aufzukreuzen?« »Um dieses Problem werde ich mich schon kümmern«, warf der Commander bestimmt ein. Omne sah sie mit hochgezogener Braue an. »Glauben Sie nicht, daß Sie das in eine äußerst peinliche Situation bringen würde, meine Liebe?« »Ich werde schon damit fertig«, gab sie zurück. Omne lachte. »Damit möglicherweise schon. Wie dem auch sei – «, sein Blick schweifte zurück zu Spock, »die Schäden an der anderen – Ware – sind behoben. Er hat keine Schmerzen mehr, und sein Leben ist außer Gefahr, jetzt und in Zukunft. Er hat sich in sein Schicksal gefügt. Für die nächsten zweihundert Jahre wird er die Geisel für unser zweifelhaftes Wort sein. Er hat sich selbst unter diesen Umständen fürs Leben entschieden. Und niemand wird je zu ihm gelangen, niemand außer mir. Wo Sie ihn noch vor kurzem vermuteten, ist er nicht mehr. Wie Sie ihn auch immer hier aufgespürt haben mögen, jetzt ist er für Sie verloren. Wenn Sie mich hier und jetzt töten, werden Sie weder ihn noch jemals wieder ans Tageslicht finden. An seinem Aufenthaltsort gibt es Nahrung, Wasser und Sauerstoff. Er kann es dort hundert Jahre aushalten. Allein!«
»Wie steht’s denn mit Ihrer Prahlerei, der Tod würde Ihnen keinerlei Steine in den Weg werfen?« fiel der Commander an Spocks Statt ein. »Was ist mit der automatischen Maschine, die angeblich für Sie und ihn bereitsteht?« Spock ließ sich seine Überraschung nicht anmerken. Omne zuckte die Achseln. »Vielleicht habe ich ja gelogen. Wie gesagt, ich bin kein Ehrenmann. Und falls doch Was dran ist, würde mein Tod, hier oder sonstwo, jetzt oder später, das Spiel nur von neuem in Gang bringen. Sie werden nie erfahren, ob es stimmt oder nicht, es sei denn, ich will es. Mein Reich hier ist so angelegt, daß es treuhänderisch von kompetenten Köpfen verwaltet werden kann. Es wird noch tausend Jahre funktionieren, vielleicht auch ewig, selbst wenn ich sterbe oder verschwinde.« Er drückte den Revolver an seine Schläfe. »Vielleicht verlasse ich diesen Ort genau in diesem Moment durch einen anderen Ausgang, um mich Kirk anzuschließen – oder ihn allein zu lassen. Möchten Sie es darauf ankommen lassen?« »Nein«, sagte Spock. Omne lachte und schob den Revolver ins Halfter zurück. »Dann werden Sie es auch in den nächsten tausend Jahren nicht tun.« Der Commander dachte nach. Von hier, aus dem Stand, konnte sie mit einer Kugel ein beträchtlich kleineres Ziel als den riesigen Kopf durchbohren, der mal über, mal neben ihrem Kirk auftauchte. Außerdem hatte sich der Colt an ihrer rechten Seite als sehr zielgenau erwiesen. Omnes Argumente betrafen Spock, nicht sie. Was hatte sie schon damit zu tun. Ihr Kirk war hier. Mit dem anderen hatte sie keine verpflichtende Freundschaft geschlossen. Und – davon einmal ganz abgesehen – würde ein wahrer Freund Omne jetzt etwa nicht um Kirks willen töten? Wäre er nicht tausendmal lieber allein? Omnes Tod würde ihnen jedenfalls etwas Zeit zum Suchen
verschaffen. Und wenn diese Zeit abgelaufen war, könnte sie die anderen beiden dazu bewegen, mit ihr zu gehen – notfalls mit der Überzeugungskraft ihrer Waffe. Kirk wäre vielleicht sogar damit einverstanden. Er verdiente eigentlich etwas Besseres, aber sie hatte schließlich auch gewisse Bedürfnisse, und dann waren da noch die Realitäten. »Nicht, Commander!« Sie hielt inne, noch bevor sich ihre Hand in Bewegung gesetzt hatte. Ihr Kirk hatte im Befehlston des Captains eines Sternenschiffs gesprochen. Ihre Gedanken hatten schneller feste Formen angenommen, als sie sie hätte aussprechen können, und sie hatte nicht damit gerechnet, daß sie durch ein leichtes Muskelzucken übertragen werden könnten. Omne hatte nichts bemerkt, ihr Kirk schon. Spock starrte sie an. Omne sagte: »Aber, aber, meine Liebe«, und zog seine Waffe. »Mr. Spock, Sie werden unsere Wildwestheldin jetzt von ihren Metalldingern befreien. Gleich links von Ihnen befindet sich ein Müllschlucker.« Spock trat hinter sie, um ihr die beiden Colts abzunehmen. Sein Blick ruhte nicht auf ihr, sondern auf James Kirk. Sie war sicher, daß Spock ihr Vorhaben schon seit längerem vorausgesehen hatte. Er mußte ihre Tat als eine Art Verrat betrachten. Und wie wertete er das Eingreifen des Menschen? Als Verteidigung des echten Kirks – oder als Verrat an ihnen allen? Als irgendein Alleingang-Manöver? Dieser Kirk hier führte etwas im Schilde, und das gefiel dem Vulkanier ganz und gar nicht. Doch Omnes Argumente überzeugten ihn anscheinend immer noch. Spock warf drei Waffen in den Abfallschacht. »Ausgezeichnet, Mr. Spock«, meinte Omne. »Soviel zum romulanischen – und möglicherweise auch menschlichen –
Ehrgefühl. Sie, meine Liebe, haben dem Menschen jedenfalls Ihr Leben zu verdanken. Ich wäre schneller gewesen als Sie.« »Schon möglich, aber Sie wären ebenfalls tot und Spock und der Mensch noch am Leben.« Omne hob eine Braue. »Der hier? Kein Wort von dem anderen?« »Der auch«, erwiderte sie mit gepreßter Stimme. »Er ist der springende Punkt«, ließ sich da der Mensch vernehmen. »Die ganze Situation führt zu einem logischen Schluß, der euch völlig entgangen ist.« »Ach wirklich?« fragte Omne. »Hat Spock Sie in Logik unterrichtet, Mensch?« Der Mensch schüttelte den Kopf und lächelte Spock flüchtig an. »Poker. Ich habe einfach ein gutes Blatt auf der Hand.« Er verrenkte sich ein wenig, um Omne in die Augen sehen zu können. »Lassen Sie mich los, damit ich Ihnen entgegentreten kann.« »Nicht, James«, sagte Spock mit sanftem Nachdruck, als ob er diesen Mann und diesen Tonfall nur zu gut kennen würde. »Tut mir leid, Mr. Spock«, beharrre der Mensch im Befehlston. Omne zog interessiert eine Augenbraue hoch und lächelte, dann gab er ihn mit einer leichten Drehung frei, so daß er den dritten Punkt des Dreiecks bildete. »Nennen Sie Ihren Einsatz!« Der Mensch fing sich und richtete sich zu voller Größe auf. »Eine Zwei-Mann-Partie«, sagte er und gab Omne mit einer Kopfbewegung zu verstehen, daß er ihn unter vier Augen sprechen wolle. Omne lächelte nachsichtig. »Falls Sie mit dem Gedanken spielen sollten, sich auf meine Waffe zu stürzen, damit die anderen beiden mich mit ihrer Muskelkraft überwältigen
können, lassen Sie sich gesagt sein, daß Sie Mr. Spock überschätzen und der Commander gar nicht im Bilde ist.« »Darauf würde ich mich an Ihrer Stelle nicht verlassen«, erwiderte der Mensch. »Aber auf diese Idee bin ich noch gar nicht gekommen.« Der Commander, nicht bereit, sich ihrerseits auf diese letzte Äußerung zu verlassen, trat einen Schritt vor. Spock folgte ihrem Beispiel. »Haben Sie die Güte, Ihr Angebot in unserem Beisein zu machen» James.« Er klang plötzlich sehr müde. »Es betrifft uns alle.« James’ Blick wurde weich. »Natürlich tut es das«, bestätigte er sanft, »aber Sie müssen es nicht unbedingt hören.« »Sie brauchen das Spiel nicht zu gewinnen«, widersprach Spock, »aber wenn Sie es schon tun müssen, dann müssen wir auch zuhören.« Der Mensch nickte. Omne grinste. »Ach, was seid ihr doch alle edel – und so überaus unterhaltsam! Ich denke, das Ganze wird mir gefallen.« Er hob eine Braue und wandte sich wieder an James: »Sie werden mir hoffentlich Ihr bestes Angebot machen.« »Aber sicher! Es geht nicht um Edelmut, es geht um Logik. Logik ist das Erkennen der Realität, auch wenn es weh tut, auch wenn es zu Konflikten mit Gefühlen und Hoffnungen führt. Auch die Realität beinhaltet Gefühle, Hoffnungen, Bedürfnisse, Ziele, Ansprüche. Und – Unterschiede. Dinge, für die man bezahlen muß.« Er sah Spock an. »Jim Kirk bot sich selbst im Austausch gegen Ihre und meine Freiheit. Er hat bereits bezahlt. Ist James – zu weniger imstande?« »Zu mehr«, erwiderte Spock wie aus der Pistole geschossen. »Kämpfen Sie für euch beide! Um den doppelten Einsatz oder gar nichts! Er würde es tun. Er – hat es getan.« James Kirk spreizte die Hände. »Ich bin nicht er. Es gibt da eben – diesen gewissen Unterschied. Ich habe weniger zu
verlieren und keinen Ort, an dem man auf mich wartet. Aber auch ich habe meinen Preis. Und einen Haufen Chips.« Er wandte sich an Omne. »Ihre Freiheit. Die von Spock, Jim und Ihre. Ohne Einschränkungen. Kein Gängelband, keine Drehbücher. Spock würde eher mit Ihnen zusammen zum Teufel fahren, bevor er seine vorgegebene Rolle spielt, falls Sie auf mein Angebot eingehen sollten. Möglicherweise sogar dann, wenn Sie es nicht tun. Und ich will nichts anderes kaufen als das einzige, was für Kirk wirklich zählt – sein Leben, auf das er ein Recht hat; die Enterprise; Spock an seiner Seite. Es wird nicht weiter schwierig sein, eine Geschichte über den Toten zu erfinden. Er war ein Doppelgänger. Plastische Chirurgie. Bis zur Unkenntlichkeit verkohlte Überreste. Ein bedauerlicher Irrtum. Ein niederträchtiges Komplott. Der gekidnappte Kirk wurde vom cleveren Omne befreit. Irgend sowas.« »Ihr Preis scheint mir doch ein bißchen unverschämt zu sein«, bemerkte Omne. »Besonders, wo ich euch doch alle vier in der Hand habe und nicht der geringste Anlaß besteht, irgendeinen gehen zu lassen.« »Sie können den Commander und Spock gar nicht töten. Ihre Ermordung würde bis zum Himmel stinken- und bis zu den obersten Befehlshabern der Föderation und des Kaiserreichs. Vielleicht schnappt man Sie schließlich sogar! Dasselbe gilt, wenn Sie einen oder beide gehen lassen – es sei denn, Sie haben für beide eine Geisel. Sie haben gerade erst feststellen müssen, daß Jim Kirk für den Commander nicht unbedingt einen Wert besitzt.« »Und Sie schon?« erkundigte sich Omne belustigt. »Ich denke doch.« Er begegnete ihrem Blick. Sie antwortete nicht, aber für sie selbst war das schon lange keine Frage mehr. »Und für Spock?« fragte Omne.
»Auch.« Omne lächelte. »Sie unterschätzen sich nicht, aber vielleicht überschätzen Sie mein Bestreben, Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen. Sind das Ihre ganzen Chips?« »Nein.« »Was ist es dann, das ich nicht haben kann, wenn ich Jim Kirk – oder euch beide – behalte?« Die weißen Schultern strafften sich. »Wirklichen Besitz.« Omne lachte überrascht auf. »Das ist Ihr Angebot? Der Mann, den man nicht besitzen kann?« »Von diesem Mann.« Schultern und Stimme blieben ruhig. »Sie haben die ganze Zeit von Besitz geredet, ihn beansprucht, ihn verlangt, und zwar nur von einem Mann, der niemals besessen werden kann.« »Ich besitze ihn.« »Nein, und es wird Ihnen niemals gelingen. Sie haben sich genommen, was Sie wollten, aber er wird es Ihnen nie freiwillig geben. Gehorsam. Anerkennung. Bestätigung. Sie haben keine Einschüchterungsversuche mehr auf Lager und nichts, womit Sie es ihm schmackhaft machen könnten.« »Und Sie? Vorausgesetzt, ich nähme das Angebot an, wären dann nicht Sie der Mann, den man besitzen kann?« James Kirk schüttelte den Kopf. »In dieser Hinsicht gibt es keinen Unterschied. Darüber müßten Sie sich immer im klaren sein. Sie würden besitzen, was nicht zu besitzen ist.« Omne lächelte dünn. »Ein zugegebenermaßen entzückendes Paradoxon, und ich muß Ihnen auch dahingehend recht geben, daß Einschüchterungsversuche bei Ihnen ebenfalls nichts nützen würden. Aber ich glaube nicht, daß ich Sie nur um den Preis anderer Leben kaufen möchte.« »Genau darin liegt der Unterschied.« Die weißen Schultern strafften sich noch mehr. »Sie besitzen noch etwas anderes sehr Wertvolles, das Sie nur mir anbieten können: sich selbst.
Sie sind mein Schöpfer. Sie haben mich – und mein einzigartiges metaphysisches Problem erschaffen. Sie sind mein Pygmalion, mein Frankenstein. Und ich bin Ihr ganz persönliches, privates Monstrum. Zwischen uns besteht eine Art Bindung. Ich kann tausend Jahre hierbleiben – oder bis der Fall für uns erledigt ist.« Omne hatte es die Sprache verschlagen, und der Commander war sich plötzlich vollkommen sicher, daß er kaufen würde. James Kirk hatte den Preis des Schwarzen Omne entdeckt. Omne riß sich zusammen; er sah aus wie jemand, der unter größten Anstrengungen zu einem allerletzten Versuch ansetzt. »Ich könnte einen neuen erschaffen.« »Er wäre nicht wie ich. Er wäre nicht der erste. Nicht der erste, der den Tatsachen – der Ihnen – ins Auge sehen muß. Wenn ich bleibe, werden Sie nie wieder einen anderen erschaffen. Ihm würde – zuviel fehlen. Von seinem ersten Atemzug an gäbe es einen – Unterschied. Auch das spielt für mich eine Rolle. Alles endet bei mir – und Ihnen. Ein kleines Privatuniversum hier, nur für uns zwei, und das Weltall kann weiterhin ungestört seinen Gang nehmen.« »Während wir beide uns hier mit den Problemen um Leben und Tod und Unsterblichkeit befassen«, setzte Omne nachdenklich hinzu. »Diese Lösung hat eine gewisse Eleganz, eine gewisse Größe. Mein Kompliment.« »Es reicht, wenn Sie annehmen. Gehen Sie mit?« »Das Original – gegen mein Original.« Omne lachte. »Ich hätte einfach keine bessere Wahl treffen können. Ihr seid beide eine ganze Galaxis wert. Habt beide ein Grundverständnis für – elementare Bedürfnisse und einen Sinn fürs Spielen.« Die schwarzen Augen verengten sich. »Aber ihr seid auch beide Meister im Bluffen. Der Preis ist gepfeffert, James, für uns beide. Ich habe die nötigen Chips. Sie auch? Sie haben einen Schuldschein in den Topf geworfen, also wäre eine Anzahlung
nur angebracht. Zur Demonstration der Loyalität. Der Ehre.« Omne warf einen kurzen Blick auf Spock und den Commander. »Außerdem brauchen wir Bürgen. Werden sie dafür geradestehen?« James Kirk sah erst Omne, dann Spock und dem Commander gerade in die Augen. »Ich werde sie darum – bitten, bei ihrer Liebe, bei meinem Recht – bei Jim Kirks Recht darauf. Es ist die einzige Möglichkeit.« Er grinste sie flüchtig an. »Ein krummes Spiel – aber das einzige, was in dem Kaff hier gespielt wird. Ihr braucht euch keine Sorgen zu machen. Ich habe die Chips.« Sie war so sehr von dieser unerwarteten Wendung der Dinge gebannt, daß sie nicht mal mehr ein Kopfschütteln zustande brachte. So sah es also aus, wenn ein befehlsgewohnter Mann – um etwas bat. »Beweisen Sie es«, sagte Omne, den Blick auf den Mann in Weiß gerichtet, den Revolver auf den reglosen Vulkanier. »Diesen Luxus gönne ich mir gern«, gab er zurück und sank vor Omne auf die Knie. Der kniende Körper verriet nicht die geringste Spur von Furcht oder Entsetzen, aber sie sah, daß sich die zarten Härchen an der Wölbung seines gebeugten Nackens sträubten. »Ganz meinerseits«, versicherte Omne – und blickte auf ihn hinab. Sie setzte sich in Bewegung – doch da war Spock bereits ein einziges wirbelndes Knäuel aus Armen und Beinen. Sein Stiefel traf den Colt und beförderte ihn in die Luft. Gleichzeitig hob er den Menschen hoch und schleuderte ihn in ihre Arme. Als sie ihn auffing, hatte Spock sich bereits schützend vor ihnen aufgebaut. »Ich ändere den Einsatz«, verkündete er. Sie sah Omne zum Sprung auf Spock ansetzen, doch dann liefen plötzlich blitzschnelle Berechnungen seiner Chancen
sowie Spekulationen, was sie wohl mit dem verdatterten Menschen anstellen würde, in den schwarzen Augen ab. Omne richtete sich zu voller Größe auf. »Nennen Sie ihn«, sagte er zu Spock. Der Mensch in ihren Armen hatte langsam wieder Boden unter den Füßen gewonnen und wollte vorwärtsstürmen; sie hinderte ihn daran. »Loslassen!« keuchte er. »Spock, nein!« »Ein neues Drehbuch«, gab Spock zurück. »Die Kopie darf auf keinen Fall sterben.« »Ich wäre nicht gestorben, Spock«, begehrte der Mensch auf, aber seine Worte gingen in etwas unter, das ganz wie ein Schluchzer klang. »Es würde den Tod und noch Schlimmeres für Sie bedeuten. Ich habe es Ihnen schon mal gesagt. Sie sind keineswegs entbehrlich!« »Und – «, die Stimme des Menschen geriet ins Stocken, » – Ihr Kirk ist es?« »Ihr seid beide ›mein‹ Kirk«, erwiderte Spock. »Sie sind gerade dabei, sein Leben wegzuwerfen. Oder Sie verdammen ihn zu noch weit Schlimmerem«, beharrte der Mensch. »Möglich ist alles, James. Das bleibt abzuwarten.« Spock drehte sich nicht um, schien sie jedoch trotzdem zu sehen. »Commander, würden Sie ihn bitte wegbringen?« Sie sagte augenblicklich: »Kommen Sie, James!« Dann schob sie schnell ihren Arm unter seinen Oberschenkeln durch und trug ihn gerade hinaus, als Omne aufbrüllte und sich auf Spock warf.
15 Spock machte einen Satz zur Seite; eine seiner messerscharfen Handkanten traf Omne an der Schulter, ein Stiefel Omnes Knie, Omne plumpste schwer auf den Boden, rollte sich ab und stand wieder auf. Spock drehte sich in der Luft und hatte so, kurz bevor er sicher auf seinen Füßen landete, die Gelegenheit, den Commander mit Kirk auf dem Arm hinausgehen zu sehen. Trag die Verantwortung gut, dachte Spock und wünschte, er könnte ihren Geist erreichen. Bitte, sei dazu imstande, diese Verantwortung gut zu tragen! Er ließ seinen Stiefel gegen Omnes Kniescheibe krachen und machte einen Grätschsprung über ihn hinweg. Er mußte Kirks Taktik übernehmen. Der Riese hatte viele Trümpfe in der Hand: sein Gewicht, seine Größe, seine rasende Wut. Spock konnte es nur was die Wut betraf mit ihm aufnehmen und genau darüber mußte der Vulkanier in ihm Herr werden. Als Offizier hatte er gelernt zu töten und es auch getan, wenn die Pflicht es erforderte. Aber er hatte niemals aus purer Lust am Töten gemordet, nicht einmal in dem Moment, als jeder echte Vulkanier es getan hätte: in der Kampfarena – mit Kirk. Doch jetzt spürte er diesen Drang in sich hochsteigen. Für Kirk. Und zwar für beide! Und gerade ihnen beiden zuliebe durfte es nicht geschehen. Das Risiko war viel zu groß. Er würde Kirk niemals finden, niemals wissen, ob der tote Gigant am Leben und bei ihm war – oder vielleicht James hinterherjagte… Omne hatte den Zielort von Spocks Ausweichmanöver vorausgeahnt und ging jetzt mit wahnwitziger Geschwindigkeit
wie ein wildgewordener Stier auf ihn los. Riesige Pranken sausten auf Spocks Nacken und knapp über seinem Herzen nieder, ein Knie bohrte sich in seinen Unterleib. Der Vulkanier schlug blind vor Schmerz eine Art verunglückten Salto und versuchte sich kriechend aus der Gefahrenzone zu retten. Er war gerade um eine Ecke gekrabbelt, als Omne zum Hechtsprung auf ihn ansetzte, ohne auch nur einen Gedanken an die Würdelosigkeit dieser Gebärde zu verschwenden. Ich spüre keinen Schmerz, rief Spock sich zur Ordnung und griff mit seiner gesamten Willenskraft rigoros dagegen durch. Er schaffte es nicht ganz, aber es mußte eben reichen. Er kam wieder auf die Beine. Sein Rechengehirn war mittlerweile in der Lage, die Kraft des Gegners exakt einzuschätzen, und gab ihm ungerührt und ungebeten jede Minute eine Wahrscheinlichkeitsberechnung zu der Frage durch, ob Spock den Raum überhaupt lebend verlassen würde, selbst wenn er mit dem Willen zum Töten kämpfte. Dann folgte eine Bekanntgabe mikroskopisch größerer Chancen, wenn er den Riesen, anstatt ihn zu töten, so lange bearbeiten würde, bis ihm eine erzwungene GeistSondierung Kirks Aufenthaltsort gewaltsam entriß. Das verstieß zutiefst gegen die Wahrung der Privatsphäre. Die gewaltsame Sondierung war verboten, aber sie konnte durchgeführt werden – und wurde auch gemacht. Und Spock wußte, daß sein Rechengehirn recht hatte. Trotzdem war er überzeugt davon, daß es sich gleichzeitig irrte. Er würde gewinnen. Er mußte gewinnen. Er bohrte eine Faust in Omnes Magengrube.
16 Der Commander verschwand mit dem Menschen hinter einer Tür, stellte ihn auf dem Boden ab und kehrte dann wieder zur Tür zurück, um sich mit dem Rücken dagegenzustellen. Sie vergewisserte sich mit einem raschen Blick, daß es auch wirklich keinen zweiten Zugang zu dem kleinen Büroraum gab, wie sie es noch von ihrer Suchaktion her in Erinnerung hatte. Dann trafen sich ihr und Kirks Blick, und seinem war deutlich zu entnehmen, daß er an ihr vorbeikommen würde – so oder so. Vorhin, auf dem Korridor, hatte er es schon einmal drauf ankommen lassen, als er mit seinem leisen und eindringlichen Gut-Zureden nicht weitergekommen war. Er hatte es nicht fertiggebracht, sie zu schlagen, sich dafür aber mit beträchtlicher Gelenkigkeit und gesammelter Muskelkraft und Schnelligkeit in ihren Armen gedreht und gewendet. Mit ihrer eigenen unglaublichen Kraft hatte er allerdings nicht gerechnet. Und dann hatte er doch zugeschlagen. Mit einem beidseitigen Handkantenhieb auf ihre Schulternerven. Ein nicht gerade harmloser Schlag; für einen Menschen war er erstaunlich stark. Trotzdem lockerte sich ihr Griff nicht. Aber sie hatte ihn viel zu fest an sich gedrückt, ihm zu sehr weh getan, und wenn sie irgendwelchen Wachen über den Weg gelaufen wären… »Ich kann Sie nicht die ganze Zeit so durch die Gänge schleppen«, stellte sie fest. »Nein«, gab er ihr recht. »Commander, Sie wissen, daß wir zu Spock zurück müssen. Es stimmt einfach nicht, ich würde
mein Leben nicht wegwerfen – und wir können nicht zulassen, daß er es tut. Bitte! Es geht um Spock!« »Ja, ja, es geht um Spock, auch für mich«, gab sie heftig zurück. Dieser Tatsache war sie sich nur allzu deutlich bewußt. Spock – er hatte ohne sie nicht die geringste reelle Chance. Er deckte ihre Flucht mit seinem Leben, wenn er auch das Gegenteil behaupten mochte, und diese Flucht war gar nicht möglich, solange ihr Begleiter hier nicht aufgab. Selbst wenn sie ihn k. o. schlagen würde, reichte nicht einmal ihre Kraft aus, ihn wer weiß wie viele Stockwerke die Sprossenschächte hinaufzutragen. »Ich weiß, daß er Ihnen auch sehr viel bedeutet«, sagte er sanft. »Begreifen Sie denn nicht – wir können ihn nicht hierlassen! Sie können mich nicht mitnehmen und ihn zurücklassen. Alles oder nichts. Er hat es selbst gesagt.« Sie nickte. »Aber er hat mir – die Verantwortung übertragen.« »Ich werde vorsichtig sein. Mein Wort drauf.« Irgendwie brachte sie ein Lächeln zustande. »Ich würde mich ja darauf verlassen – in jedem anderen Fall.« Er bewahrte soviel Haltung, daß er sie angrinsen konnte, aber seine Augen sprühten vor Wut und Verzweiflung. »Verdammt, ich bin nicht zerbrechlich! Ich bin der Captain eines Sternenschiffs. Ich habe mit dem Gorn gekämpft, mit Spock, mit Omne!« Sie nickte. »Und verloren.« Sie bemerkte sein Schlucken und wußte, daß die Erinnerung an diese Niederlage noch in seinem Körper brannte. »Also gut, ich habe verloren, ansonsten wären wir jetzt zu dritt. Aber es wäre immer noch besser, noch mal zu verlieren, als Spock hierzulassen.« »Nicht für Spock – und nicht für mich.«
Er runzelte die Stirn; zur Hälfte konnte er ihrem Gedankengang folgen, zur anderen mußte er den flüchtigen Eindruck beiseite schieben, er wäre ihr wichtiger als Spock. Er biß sich auf die Unterlippe. »Dann gehen Sie. Lassen Sie mich hier. Sie können mich einsperren, wenn Sie mir nicht trauen, aber gehen Sie sofort zu ihm!« Sie streckte eine Hand nach ihm aus und legte sie ihm in stummem Begreifen, welche Überwindung ihn das gekostet haben mußte, auf die Schulter. Er – stets der Erste, wo immer es ihn auch hin verschlug – er wollte ihr den Kampf überlassen? Er gab ihr ein Rätsel nach dem anderen auf. Dieses Manöver könnte ihm viel leicht sogar eine vage Überlebenschance verschaffen, falls… »Das geht leider auch nicht«, lehnte sie mit bedauerndem Kopf schütteln ab. »Ein Schloß könnte Sie möglicherweise gar nicht aufhalten – oder aber zu gut, und dann würden die Wachen Sie finden. Omne würde Sie auf jeden Fall finden, sollten Spock und ich verlieren. Spock würde mir das niemals verzeihen und ich selbst mir eben falls nicht. Spock hat seine Wahl getroffen.« Sie holte tief Luft und legte ihre andere Hand auf seine andere Schulter. »Und ich meine, James.« Er nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände, als Vorgeschmack auf die Vollkommenheit der Art von Wahl, die auch er treffen könnte. »Dann tun Sie es für mich. Bitte!« Er ist wirklich zum Steinerweichen, dachte sie und blickte in das ausdrucksvolle Gesicht; er kann steinerne Herzen zum Schmelzen bringen; vulkanische, romulanische. Wie viele Herzen er wohl schon erweicht hat, wie viele Gesichter mit diesen sanften, fordernden Händen gewärmt? Und trotzdem war er vollkommen unschuldig, er, der alles wußte -und noch nie berührt worden war. Wenn sie ihm jetzt seinen Willen ließ, würde er ihr gehören, wenn nicht, könnte sie ihn für immer
verlieren. Aber wenn sie jetzt nachgab, verlor sie ihn garantiert für alle Zeiten. »Nein«, sagte sie bestimmt. Ihre Beweggründe behielt sie mangels Mut für sich. Er ließ sie los, befreite sich von ihren Händen und rückte von ihr ab. »Na schön, dann hören Sie mir gut zu. Wenn Sie nicht sofort gehen, werde ich mich keinen Millimeter mehr von der Stelle rühren. Sie müßten mich schon tragen, aber das wird Ihnen nicht gelingen. Ich garantiere Ihnen, Ich werde mich mit aller Kraft wehren und Ihnen das Tragen so schwer wie möglich machen. Ich werde so lange versuchen, Ihnen zu entkommen, bis wir endlich zu Spock zurückgehen – oder Omne uns findet. Und wenn das geschieht, werde ich mein Angebot erneuern, Kirk zuliebe. Ich werde Ihnen niemals gehören. Sollten Sie mich, entgegen aller Wahrscheinlichkeit, doch von der Stelle bewegen können, werde ich Ihnen eben falls nie gehören – wenn Spock stirbt. Es sei denn, es würde Ihnen Spaß machen, mich als Gefangenen zu halten.« »Wenn’s nicht anders geht«, hörte sie sich sagen und spürte seinen Schock. Sie hob das Kinn. »Ich werde es tun! Sackgasse, Captain.« Sie warf die Schultern zurück und nahm die einem Flottencommander angemessene Haltung ein. »Dieses Spiel ist für zwei Personen gedacht.« Sein Blick sagte ihr, daß er ihr plötzlich glaubte. Er stand am Rande eines Tränenausbruchs, seine Augen funkelten vor Wut und schierer Frustration, es fehlte anscheinend nicht mehr viel, und sein Kummer würde ihn überwältigen. »Für mich ist das kein Spiel, außerdem ist mir nicht im geringsten nach Spielen zumute.« »Ich weiß«, sagte sie. »Mir auch nicht.«
Er stand reglos da, und sie konnte ihm ansehen, wie sehr er gegen den Impuls ankämpfte, ihr an die Kehle zu springen. »Also gut«, sein Tonfall war der des Sternenschiffcaptains, »ich bleibe dabei, habe allerdings nicht vor, Alpha-Spielchen mit Menschenleben zu treiben – oder einen aussichtslosen Kampf zu führen. Irgendjemand muß immer das Kommando haben. Übernehmen Sie das, Commander. Lassen Sie sich etwas Sinnvolles für uns beide einfallen.« Ohne daß sie es wollte, überflog ein Lächeln ihr Gesicht. »Sie bringen es wirklich fertig, James.« Sie nickte anerkennend. »Ich frage mich, ob Jim wohl ebenfalls dazu imstande wäre. Gehen wir!« Er fragte nicht einmal »Wohin?«, er folgte Ihr einfach. Kirk schlug im Traum um sich, wußte, daß es ein Alptraum war, versuchte, sich dagegen zu wehren. Er drehte sich auf die Seite und rollte sich zusammen, schaffte es irgendwie, sich auf die Knie zu ziehen. Zwei Alpträume vermischten sich jetzt. Omne – nein, das war der alte Alptraum. Greif nach dem neuen, dem leisen, dem bitteren. Der dir sagt, daß Spock in diesem Moment unter Omnes Händen stirbt. Kirk riß mit einem krampfartigen Zucken seines ganzen Körpers die Augen auf. Er befand sich im Arbeitszimmer. Nein, woanders, hier war es dunkler. Irgendwo flackerte Licht. Das Ding unter ihm war eine breite Lederbank. Dieser zweite Alptraum – woher war er gekommen? Er steckte ihm immer noch in den Knochen; er konnte ihn einfach nicht abschütteln. Kirk setzte sich auf und stützte die Hände auf die Oberschenkel. Diese Befürchtung liegt absolut nahe, überlegte er. Spock und Omne. Aber Spock konnte unmöglich hier sein, und doch war der Traum erschreckend lebensecht gewesen,
eher wie eine Tatsache als eine Befürchtung. Er lag ihm bleischwer in der Magengrube, brannte in seinen aufgeschürften Oberschenkeln und Händen. Was!? Er riß die Hände hoch, um sie zu begutachten, fuhr anschließend damit über die Innenseiten seiner Schenkel, über das verrenkte Fußgelenk – Nein. Es war nicht sein eigener Schmerz. In seinem Körper war kein Schmerz mehr. Na schön, verdammt wenig, wenn man es genau nahm. Trotzdem spürte er etwas; und dann dieser Kummer in seinem Geist, wie – Was spielte das schon für eine Rolle? Spock – Er hievte sich mit Hilfe irgendwelcher verborgener Energiereserven trotz unbeschreiblicher Müdigkeit von der Bank. Setz dich in Bewegung! Finde es heraus! Er stellte fest, daß das Flackern von einer Reihe von Monitoren herrührte. Gut. Trotz eines leichten Taumelns konnte er sich aufrecht halten bis sein Blick auf zwei schwarzen Gestalten erstarrte, die sich in wildem Kampf ineinander verkrallt hatten. Omne und – guter Gott! – Spock.
17 Spock blieb in Bewegung. Sie bewegten sich eigentlich beide so gut wie gar nicht mehr, aber er durfte sich auf keinen Fall von der stierartigen Attacke oder der bärenhaften Umarmung erwischen lassen. Das würden seine gebrochenen Rippen, lädierten Muskeln, verzerrten Sehnen und brennenden Nervenenden nicht mehr verkraften. Die vulkanische Fähigkeit der Schmerzverarbeitung war zur Genüge angewandt und über die Grenzen hinaus ausgeschöpft worden. Er war am Ende seiner Kraft angelangt. Omnes Arme streckten sich in Zeitlupentempo nach ihm aus; die langsame Bewegung bewies seinen eigenen tödlichen Schwächezustand und seine Schmerzen. Die schwarze Seide hing ihm in Fetzen herunter, die entblößten Arme und Schultern, der nackte Brustkorb waren mit Spocks grünem und seinem blaugrünen Blut bedeckt. Omne ist kein reiner Vulkanier, schoß es Spock wieder durch den Kopf, während er die angreifenden Arme packte und den Riesen aus dem Gleichgewicht brachte. Von einer verwandten Gattung vielleicht – aber er entstammte zweifelsohne einer eigenen Art. Spock war niemals zuvor einem solchen Kämpfer begegnet. Er duckte sich unter Omnes Antwortschlag, sprang mit ineinander verschränkten Händen auf und ließ sie wie ein Beil in das blutige Götzengesicht seines Gegners sausen. Er mußte Ihn erledigen. Omne wankte ein paar Schritte zurück, drehte sich dann um und floh taumelnd hinter das Ende einer anderen Laborbank. Spock nahm mit grimmiger Miene die Verfolgung auf; er wußte, daß sich der Riese schon seit einiger Zeit nach dem
heruntergefallenen Revolver umsah. Diese Suche nach der Waffe zeigte, daß auch Omne noch nie an jemanden wie den Vulkanier geraten war, doch das ließ Spock im Moment vollkommen kalt. Er stürzte sich mit einem flachen Hechtsprung auf ihn, als er sah, daß Omne den Revolver gefunden hatte und darauf zusteuerte. Sie rangen dicht neben der Waffe auf dem Boden. Dies war das Finale; Spock konnte sich der animalischen Kraft des anderen nicht mehr lange widersetzen. Und diese Gewißheit lenkte seine Hände zielsicher und unaufhaltsam auf die Nervenknoten der beiden wuchtigen Schultern. Spock wußte bereits, daß die durch die gerippten Muskelstränge, die hart wie Drahtseile waren, geschützten Zentren unglaublich widerstandsfähig waren. Aber sie waren nicht unverwundbar, und Spocks Hände hatten sich in wilder Entschlossenheit zu Stahl verwandelt. Die riesigen Arme umklammerten Spocks gebrochene Rippen. Grüner Nebel trübte seine Sicht, das Blut pulsierte in seinen Schläfen, aber seine Hände waren unerbittlich. In den schwarzen Augen schimmerten glühendweiße Todesqualen. Spock sah das Bewußtsein langsam aus Omnes Blick schwinden, erkannte Unglauben und Rebellion in diesen Augen, die niemals besiegt worden waren. Er sah Furcht – aber keine Kapitulation. Dann lockerte schleichend einsetzende Lähmung die kräftige Muskulatur. Die Arme fielen zur Seite, der gerippte Leib unter Spock wurde weich, die schwarzen Augen aber hielten mit aller Macht an dem letzten Bewußtseinsfunken fest. Das mußten sie auch, wurde Spock schlagartig klar. Er brauchte das Bewußtsein dieses Mannes – als Führer, als Straßenkarte durch das Labyrinth seines Geistes. Ansonsten würde er möglicherweise ewig in der Finsternis brachliegender
Erinnerungen auf der Suche nach der einen herumtappen, die er brauchte. Schlimmer noch – es lag ihm besonders viel daran, daß der Mann den Prozeß mitbekam, daß er den gewaltsamen Eingriff in seinen Geist deutlich spürte. Und es gab noch eine andere Erinnerung, die Spock samt Wurzeln herausreißen wollte. Kein Vulkanier durfte sich den Zugang zu einem Geist erzwingen; er verstieß damit gegen das grundlegende Gesetz einer telepathischen Rasse… Spock löste seine Hände. Es gab Momente, in denen man bestimmte Regeln brechen mußte. Die schwarzen Augen klarten sich ein wenig in der Erwartung eines neuen Schreckens auf, als ob Omne in Spocks Gesicht etwas Schlimmeres als Tötungsabsicht erkannt hätte. Spock bohrte seine Linke erneut in das Schulternervenzentrum, während sich die Rechte auf Omnes zerschundenes Gesicht legte. »Was – «, kam es fast lautlos über die verschwollenen Lippen, dann, mit etwas festerer Stimme, » – was haben Sie mit mir vor?« Spock wischte sich das Blut von seinen eigenen Lippen und stellte dabei fest, daß er die Zähne fletschte. »Ich werde ihn aus Ihrem Geist entfernen«, sagte er, »bis ins kleinste Detail – beide Ausführungen. Ich werde alles Wissen über ihn aufspüren und mir genauestens einprägen, dann werde ich es Stück für Stück ausradieren. Sie werden spüren, wie es verschwindet, und sich darüber im klaren sein, daß es nachher so sein wird, als ob er nie für Sie existiert hätte.« Omne stockte der Atem. »Das ist – schlimmer als alles, was ich getan habe.« »Ja«, bestätigte Spock. »Möchten Sie vielleicht um Gnade winseln?«
Die Lippen verzogen sich zu einem schrecklichen Grinsen. »Würde es mir irgend etwas nützen?« »Nein«, erwiderte Spock, und er lächelte ganz bestimmt nicht. »Hätte es ihm etwa geholfen?« Schwaches Gelächter rumpelte in Omnes Kehle. »Nein.« Die schwarzen Augen blieben reuelos und unnachgiebig, sie rüsteten sich für einen Kampf auf Geistesebene. Spock stürzte sich in den Gedanken-Kontakt. Er stieß mit einem einzigen vernichtenden und unaufhaltsamen Schlag auf ein einziges Angriffsziel zu: die eine Erinnerung, die er zuallererst kennen mußte, bevor ihn irgend etwas aufhalten konnte. Er spürte sie trotz Omnes gewaltigen Widerstands auf, und dann war sie in sein Gehirn eingegraben: die Route zu Jim Kirk – und der Weg nach draußen. Das war erledigt. Und jetzt… Spock forschte nach der anderen Erinnerung und begegnete dabei der erschreckenden Vitalität des finsteren Geistes, der sich vom ersten Schock erholt hatte und sich gegen ihn mobil machte. Es war ein Kampf, wie es ihn noch nie gegeben hatte, aber nichtsdestotrotz ein Kampf, den Spock gewinnen mußte, weil ihm einfach nichts anderes übrig blieb. Er raste an der Erinnerung wie an einer Feuerwand entlang, ließ sie sich so schnell in sein Gehirn einbrennen, daß sie sein Begriffsvermögen überstieg; Hauptsache, sie war später da – klar und unauslöschlich. Er ließ den gewaltigen finsteren Geist, der ihn mit der blanken Kraft seines schwarzen Wesens auf zuckenden Schmerz zu reduzieren versuchte, mit brutalen, ziellos zuschlagenden Hieben auf seinen eigenen eindringen. Er wußte, daß er den Schmerz empfinden und sogar jene schwarze Essenz absorbieren konnte, ohne dadurch behindert zu werden. »Sagen Sie ihm Lebwohl«, knurrte er laut.
Die schwarzen Augen bohrten sich in seine. Und die wuchtigen Muskelpakete wanden sich in krampfartigen Zuckungen. Spock wurde aus Regionen, die ihm vollkommen unbekannt waren, sowohl körperlich als auch geistig, von Schmerzen überfallen – aber er hielt durch. Die Beine des Riesen bockten und wuchteten die massige Gestalt mit Spock im Schlepptau nach hinten. Omnes Hand packte den Revolver. Spocks Hände ließen alles andere außer acht, um das dicke Handgelenk zu umklammern. »Stirb, Vulkanier!« keuchte der schwarze Berserker. Der Lauf des Revolvers bebte nur wenige Millimeter neben Spocks Kopf. Er drückte ihn mit aller Kraft zur Seite und richtete ihn mühsam nach unten, auf Omnes eigenen Schädel. »Du wirst sterben!« versprach er triumphierend und merkte, daß er es absolut ernst meinte. Der tausendjährige Frieden ruhte besonnen in seinem Geist, aber in seinen Adern pochte das siedendheiße Blut von Jahrtausenden, von Äonen. Und selbst das Jahrtausend gab sein Einverständnis: Der hier hatte den Tod verdient – für ein schlimmeres Verbrechen als Mord, für die Hölle, die er entfesseln würde, für den Mangel an Ehrenhaftigkeit, der jeden Frieden unmöglich machte. Im Grunde genommen war es noch wesentlich einfacher: für Jim; für James, Spock zwang den Revolver weiter nach unten. Er besaß jetzt alle lebenswichtigen Kenntnisse. Sollte dieser Kerl seine Erinnerung doch im Tod verlieren. Es gab keine andere Wahl – und das paßte ihm ganz gut. Geh kein Risiko ein. Er entdeckte plötzlich nackte Todesangst in Omnes Augen, konnte ihren Widerhall in seinem Geist spüren. Es war keine Angst auf Verstandesebene. Sie erstreckte sich bis in die finstersten Winkel dieses gewaltigen Geistes und dieses ungeheuren Egos, dieses ultimativen ›Ichs‹, das sich nicht in die Auflösung fügen wollte.
O ja, das wäre wirklich das schlimmste Schicksal für jemanden wie ihn. Spock zuckte wie unter einem Schlag zusammen und erstarrte. Was war, wenn Omne starb, sich sein ›Ich‹ aber nicht auflöste? Wenn es in eine geheime Maschine in irgendeinem geheimen Labor flüchtete, um aus der Asche aufzusteigen? Spock benutzte eine letzte Kraftreserve, um den Revolver mit einer Hand festzuhalten, während sich die andere wieder auf den Weg zu dem Nackendruckpunkt machte. »Nein«, sagte er sowohl laut als auch innerlich zu dem dunklen Geist. »Der Tod wird Sie nicht befreien. Sagen Sie Lebwohl.« Spock lenkte seinen Geist gewaltsam zu der Wurzel der Erinnerung, begann zu ziehen – und der Druck auf die Nerven tat das seinige dazu. Die letzte Kraft des Riesen lag jetzt in dem Arm, der den Revolver hielt; sie reichte nicht aus, ihn wieder auf Spock zu richten. Omne wurde langsam von Paralyse überfallen. Er wurde von Furcht übermannt – und von der schlagartigen Erkenntnis, daß es möglich war, noch Schlimmeres als den Tod zu fürchten. Dann formten sich seine Lippen plötzlich zu dem altbekannten Spielergrinsen. »Ich werde auferstehen. Leben Sie wohl, Mr. Spock.« Der Mann, der den Tod haßte, gab seinen Arm plötzlich frei und ließ die vulkanischen Muskeln den Revolverlauf in das weiche Fleisch unter seinem Kiefer pressen. Spock versuchte wieder zu sich zu kommen, um ihn zur Seite zu ziehen – und schaffte es nicht. »Oder besser – au revoir«, drang es durch die Gedankenverbindung. Omne drückte ab. Spock zog seinen Geist mit aller Macht zurück, um nicht in dem Sterbevorgang gefangen zu werden – im echten Tod, schwarz und um sich greifend. Er nahm das Erstaunen und die
Rebellion des gewaltigen finsteren Geistes wahr, selbst angesichts seiner eigenen Entscheidung. Eine allmächtige Schwärze griff mit langen Fingern nach Spock. Er war nicht sicher, ob er das alles überlebt hatte…
18 Kirk riß sich zusammen; er schalt sich dafür, daß er hier herumstand und zusah und seinen Blick einfach nicht losreißen konnte. Verdammt noch mal, er gewöhnte sich wirklich langsam an den Gedanken, ein Gefangener zu sein – eingesperrt, verloren, absolut handlungsunfähig. Zum Teufel damit! Wahrscheinlich war er eingesperrt, vielleicht aber auch nicht. Oder wenigstens nicht ständig. Es gab immer einen Weg hinaus. Das hier schien nur eine Monitorzentrale zu sein, aber irgendwo anders mußte es auch eine Kontrollzentrale geben. Irgendwas, mit dessen Hilfe er zu Spock kommen konnte. Vielleicht sollte er sich den Weg hinaus einfach ertasten? Er hatte sich genau eingeprägt, wie Omne die Trennwände, die die Gänge des inneren Labyrinths blockierten, hatte aufspringen lassen. Nein. Er hatte ja schon gesehen, daß es mehrere Ausgänge gab. Aber welcher war der richtige? Seine Finger flogen über die Schalter unter den Monitoren und zauberten neue Ansichten auf die Bildschirme. Er wünschte, er hätte Spocks Gabe, auf Anhieb mit fremdartigen Geräten zurechtzukommen. Der Vulkanier war wahrscheinlich in der Lage, durch seine Rückschlüsse anhand der zahlreichen unterschiedlichen Blickwinkel den exakten Standort jeder Person und jedes Ziels überhaupt zu bestimmen – und eine Karte anzufertigen. Na schön, das alles passierte im Unterbewußtsein. Kirk versuchte, sich zu entspannen und das seine für sich arbeiten zu lassen.
Er holte das große Labor, in dem Spock und Omne miteinander gekämpft hatten – in dem sie beide wie tot auf dem Boden lagen –, von den verschiedensten Perspektiven aus auf die Monitore. Bloß nicht dran denken! Er sondierte die äußeren Korridore. Dort stieß er auf eine Stelle, an der drei Wandverkleidungen heruntergerissen waren; hinter einer lag der Eingang zum inneren Labyrinth. Die Bildschirme boten ihm eine bunt gemischte Anzahl von Blickwinkeln auf wahllos herausgegriffene Passagen des inneren Labyrinths, Verästelungen, weitere Trennwände. Und dann, in einem winzigen Korridor in der Nähe einer halb heruntergerissenen solchen Wand, entdeckte er den Commander – und den anderen Kirk. Sie beugte sich über den anderen, der mit verdrehten Augen an der Wand heruntergesackt war. »James!« sagte sie und rüttelte ihn sanft an der Schulter. Der andere – James, wie Kirk ihn ebenfalls augenblicklich nannte, versuchte, sich auf den Commander zu konzentrieren. »Spock – « brachte er mit matter Stimme heraus. »Ich glaube, er lebt, aber er ist sehr schwer verletzt. Er konnte mich zum Schluß nicht mehr raushalten.« Die Hände des Commanders lagen weich auf James’ Gesicht, aber ihr Tonfall forderte einen nüchternen Bericht. »Und Omne?« »Tot. Hat sich selbst umgebracht.« Der Commander preßte die Kiefer zusammen. »Dann – lebt er also noch.« James’ Augen weiteten sich. »Wieder – mein Gott!« Er schüttelte den Kopf. »Wir müssen sofort zurück. Wir müssen zu Spock!« »Nein. Wir müssen zu Kirk. Wir wissen nicht, wie lang Omne für seine Wiederauferstehung brauchen wird. Spocks Stärke wird ihm zugute kommen.«
James schluckte. »Dann lassen Sie mich zu Spock gehen.« Sie schüttelte wieder den Kopf. »Sie sind mein Wegweiser zu Jim. Können Sie ihn immer noch orten?« »Ich – ich weiß nicht. Alles, was ich spüre, ist Spock.« »Versuchen Sie’s!« Sie faßte ihn erneut an den Schultern, »Das ist ein Befehl, James. Gehen wir!« James raffte sich auf und folgte ihr. Sie zerrte an der Trennwand. Kirk schüttelte sich. Verdammt! Wenn man sich das alles so recht überlegte… Verflucht noch mal... und anderes – für eine Situation, in der es nichts zu sagen gab. Und zum Teufel mit diesem tatenlosen Herumstehen! Eher zufällig steuerte er auf eine Tür zu. Sollte sich sein Unterbewußtsein doch auch mal an die Arbeit machen! Oder das, was auch immer er von James wahrnahm, was immer James von Spock wahrnahm. Was auch immer. Pures Idiotenglück. Was auch immer! Los! Er konnte sich tatsächlich nicht des Eindrucks erwehren, er könnte schnurstracks zu Spock marschieren – wie ein Schlafwandler. Er bemühte sich, nicht weiter über dieses Gefühl nachzudenken oder es gar zu erforschen. Laßt ihn nur wandeln im Schlaf, laßt ihn wandeln. Er drückte auf die entsprechenden Schalter, um die Trennwände in Bewegung zu setzen, und ging einfach weiter. Omne am Leben! Gütiger Gott, die ›Automatik‹! Aber was für eine fantastische Möglichkeit das für ihn war. Omne der Große. Wo mochte er jetzt gerade sein – und wie lange würde es dauern? Würde er hinter der nächsten Trennwand in voller Lebensgröße und aus vollem Halse lachend auf ihn warten? Noch nicht, sagte sich Kirk entschieden. Noch nicht.
Er stand im Arbeitszimmer. Gut. Das Unterbewußtsein hatte wirklich etwas für sich. Er hob die Spraydose vom Sofa auf. Kirk steuerte auf die Tür zu, durch die Omne ihn hinausgetragen hatte. Vermutlich würde er irgendwo dort draußen auf James und den Commander stoßen, sofern sie die richtige Route eingeschlagen hatten. Doch irgend etwas schien ihn auf geheimnisvolle Weise zu einer anderen Tür zu ziehen. Er zögerte. Es war nur eine sehr, sehr vage Ahnung. Wahrscheinlich hatte er mit der Passage, die er schon halbwegs kannte, und mit dem Commander bessere Chancen. Trotzdem gab er der Ahnung nach. Er hatte schon auf weit weniger gesetzt, und diesmal schrie der Einsatz nach Spock. Er kam an einem offenstehenden Wandschrank vorbei und dachte flüchtig an neue Kleidung. Ach, zum Teufel auch damit! Darum konnte er sich später kümmern. Er stürzte sich in das Wirrwarr von Gängen und begann in großen Sätzen zu rennen. Auch hier gab es überall Trennwände und Abzweigungen, aber er fand die hinter den Wandverkleidungen versteckten Schalter, ohne zu zögern. Trotzdem, er hätte auch ohne das, was immer ihn lenkte, die Hölle in Bewegung gesetzt, um hier rauszukommen. Dasselbe galt für die geheimen Bedienungsschalter. Omne mußte davon ausgegangen sein, daß er nicht mehr in der Verfassung gewesen war, sie zu registrieren. Dann erreichte er eine Stelle, an der sich der Irrgarten zu einer Art Nische ausweitete. Von dort aus platzte er unbeirrbar in den großen Laborraum, entdeckte die beiden reglosen Gestalten am Ende eines Seitenflügels und begann zu rennen. Er ließ sich neben Spock auf die Knie fallen, um seinen Puls zu fühlen, packte statt dessen allerdings die schlaffen Schultern
und preßte sein Gesicht und ein Ohr an Spocks Rücken. Ja, das Herz des Vulkaniers schlug noch; etwas weiter unten zwar, seltsamerweise am falschen Platz… Teufel auch, am richtigen Platz! Wunderbare, lächerlich schnelle Herzschläge! »Spock!« Er rollte den Vulkanier von Omnes Körper und nahm ihn in die Arme. Vorsicht mit den gebrochenen Knochen! ermahnte er sich, aber er wollte Spock unbedingt von dem Geruch und dem Anblick des Todes und dem zerplatzten Schädel, dem ganzen Blut wegschaffen. Außerdem waren die Wachen vielleicht schon auf der Suche nach der Quelle des Schusses. Kirk kam vorsichtig mit seiner Last auf die Beine, die schwerer war als ein Mensch, ihm jetzt aber sehr leicht erschien. Er entdeckte eine niedrige Bank in der Nische vor dem Zugang zum Labyrinth, stupste die Wandverkleidung mit der Schulter an, damit sie sich hinter ihnen schloß, und entschied sich gegen den Versuch, das Arbeitszimmer zu erreichen. Er kniete sich hin, deponierte seine Last sanft auf der Bank und nahm dann die Spraydose aus der Hand, die Spocks Schultern umfaßt hielt. Kirk begann mit dem Gesicht. Der weiche Sprühnebel schien aufzuschäumen, absorbierte das Blut, reinigte die Wunden, verdichtete sich zu einem hautartigen Film. Trotzdem mußte er Schnitte und Risse zusammenfügen, das Gesicht fast zu seiner ursprünglichen Form ummodellieren. Als er fertig war, machte er sich Gedanken über den Körper. Gegen innere Verletzungen war er machtlos. Das mußten Spocks vulkanische Heilungskräfte übernehmen, jedenfalls so lange, bis er ihn ins Revier bringen konnte. Kirk hatte keine Ahnung, ob er darauf hoffen durfte, daß die vulkanische Heilungstrance mit voller Kraft einsetzte und ihre Arbeit
schnell erledigte. Vielleicht verharrte der Vulkanier in Katatonie und brauchte den einen oder anderen Klaps, um wieder zu sich zu kommen. Sie mußten hier verschwinden, sofern Spock dazu in der Lage war. Aber Kirk wußte wenigstens, daß das Krankenrevier in der Sprühdose Schmerzen vertreiben konnte, als ob es die Nerven vollständig durchtränken würde. Zumindest das konnte er tun. Spocks Hemd war völlig zerfetzt. Kirk riß es herunter, machte sich an die Brust, ertastete die gebrochenen Rippen. Verdammt! Wenn sie nur nicht in die Lunge eingedrungen waren oder Schlimmeres… Er versuchte nicht, den Vulkanier umzudrehen oder hochzuheben, um an den Rücken heranzukommen, sondern sprühte sich den Schaum einfach auf die Hände, schob sie unter Spock durch und versuchte ihn, so gut es ging, zu verteilen. Als nächstes kamen die Arme und zerschundenen Hände an die Reihe. Die Hosen waren robuster als das Hemd; sie und der Waffengurt hatten den Unterkörper vielleicht ein bißchen geschützt. Er öffnete beides und stellte sich dabei unwillkürlich vor, wie Spock angesichts dieser Unverschämtheit eine Augenbraue hochziehen oder seinen Unmut kräftigst äußern würde. »Die Adjustierung des heutigen Tages, Mr. Spock«, murmelte Kirk, insgeheim ganz froh darüber, daß der Vulkanier ihn weder hören noch sein Gesicht sehen konnte. Diese Blutergüsse… Kirk hatte sogar den Verdacht, daß die Kugel eines Hüftknochens zertrümmert war. Wie hatte der Vulkanier nur weiterleben, geschweige denn sich bewegen können? Kirk versorgte alles Nötige. Er war gerade mit den Oberschenkeln fertig und begann mit den zerschmetterten Kniescheiben – Spocks Hosenbeine baumelten um seine
Fußgelenke –, als sich der Vulkanier vernehmen ließ: »Das reicht, Captain!« Kirk wirbelte herum und packte seinen Ersten Offizier bei den Schultern, ohne sich um das Gelächter und die Tränen zu kümmern, die aus ihm heraussprudelten. »Spock!« Er ließ sich zu einem langsamen, breiten Grinsen hinreißen, stellte fest, daß er wohl ein oder zwei Tränen vergossen hatte- diesmal auf eigenen Entschluß –, und fügte schließlich hinzu: »Sie alter Pferdedieb!« »Aus welchem Grund sollte ich einen solchen Vierbeiner wohl entführen, Captain?« erwiderte Spock ganz in der Manier ihrer früheren Flachsereien, und Kirk wußte plötzlich, daß er noch nie so froh darüber gewesen war, einem Vulkanier den wilden Cowboy vorzuspielen. »Na ja, wir könnten doch eins benutzen, um damit aus diesem fürchterlichen Pferdetheater davonzureiten«, schlug er vor und legte eine Hand auf Spocks Gesicht. »Willkommen daheim, Mr. Spock.« »Ganz meinerseits – « Der Vulkanier legte eine lange Pause ein, während der seine Augen Kirks Gesicht erforschten, es beinahe in sich aufzusaugen schienen, bis er schließlich ein paar lange Finger ausstreckte, um die Nässe von Kirks Wangen zu wischen. »Jim.« In seiner Stimme lag unverhohlene, offene Befriedigung, sein Gesicht war ruhig und ohne die übliche Maske. Kirk neigte den Kopf. »Spock«, entgegnete er im gleichen Tonfall. Im stillen dachte er, daß wohl keiner von ihnen diesen Augenblick noch viel länger hinausziehen konnte, daß es auch gar nicht nötig war. »Was dieses Knie betrifft – « Spock hob erst den Kopf, dann eine Schulter und versuchte schließlich, sich ganz aufzusetzen. »Ich bin durchaus funktionsfähig – «
»Liegen bleiben, Mr. Spock!« Kirk drückte die Schulter wieder auf die Bank, und Spock setzte sich für den Bruchteil einer Sekunde zur Wehr, ließ sich dann aber zurückfallen, als ob Gehorsam ein Luxus wäre. »Jawohl, Captain.« Kirk grinste und machte sich wieder an die Knie, ging anschließend zur Stiefellinie über, während Spock reichlich krampfhaft auf irgendeinen Punkt an der Decke starrte. »Jetzt ist’s wirklich genug, Jim. Der innerliche Heilungsprozeß findet auch unterwegs statt. In kurzer Zeit werde ich mich wieder bewegen können – und wir müssen unbedingt von hier verschwinden.« »Sie werden sich wenigstens ein paar Minuten ausruhen«, widersprach Kirk. »Ich denke, Omne wird ungefähr eine Stunde brauchen. So war es jedenfalls bei James.« Spock hob eine Braue. »Sie scheinen bemerkenswert gut informiert zu sein. Außerdem ist mir immer noch nicht klar, wie Sie mich gefunden haben. Eigentlich war diese Rolle doch mir zugedacht.« Kirk grinste. »Ich klaue immer die besten Stellen vom Drehbuch.« Dann wurde er wieder ernst. »Bildschirme. Ich habe das Ende eures Kampfes mit angesehen. Hab’ versucht, die Kameraeinstellung rauszukriegen. Trotzdem – Ich weiß nicht recht, irgendwas Seltsames geht vor – mit James, mit mir, mit Ihnen. Vielleicht hat mich genau das hierhergeführt.« Spock seufzte. »Schon möglich.« Ihre Blicke kreuzten sich. »Ich – stehe mit James in Verbindung.« Kirk spürte seine Kieferpartie hart werden, nickte aber. »Ich weiß.« »Der Kontakt ist richtungweisend, aber Sie konnte ich damit nicht direkt erreichen. Er konnte es und ich dann auch – durch ihn.« »Schon gut, Spock. Darüber können wir später noch reden.«
»Sie begreifen nicht«, beharrte Spock. »Wir waren – bei Ihnen – bis Sie – keine Schmerzen mehr hatten.« »Bei mir?« hakte Kirk nach und merkte, daß er in die Hocke ging. »Guter Gott!« Spocks Hand tastete nach seiner Schulter. Nach einer Weile sah Kirk wieder auf, dem Vulkanier in die Augen. »Tut mir leid, Spock. Es muß die Hölle gewesen sein.« »Für Sie.« Kirk raffte sich zu einem Lächeln auf. »Na gut. Aber jetzt bin ich wieder in Ordnung.« Er straffte die Schultern und reichte Spock die Hand. »Wir sollten jetzt besser mal nach dem Rechten sehen, sofern Sie bereit sind.« Der Vulkanier schlug ein. »Ich bin bereit, Captain.« Kirk stellte den Vulkanier auf die Füße und legte einen Arm um seine Schultern. Spock fand sein Gleichgewicht jedoch rasch zurück und gab ihm klar zu verstehen, daß auch er wieder völlig in Ordnung sei. Er musterte Kirk mit einem kritischen Blick. »Ich sollte mir Sie einmal vorknöpfen«, sagte er. Kirk lachte. »Zum Teufel, ich dachte, Sie wüßten es bereits. Omne hat mich wieder in Ordnung gebracht.« Er wies mit einer Handbewegung auf seinen halbbekleideten Zustand. Eine von Spocks Augenbrauen zuckte in die Höhe. »Die Adjustierung des heutigen Tages, Captain.« Dann runzelte er die Stirn. »Wie dem auch sei, diese Sprühdose verbirgt eher, als daß sie heilt. Sie könnten trotz allem schwere innere Verletzungen haben. Menschliche Knochen! Kaum zu glauben, daß Sie Omnes Behandlung überlebt haben.« Kirk lächelte bitter. »Er hat mich offensichtlich noch mit Samthandschuhen angefaßt, Jedenfalls tut mir jetzt nichts mehr weh, Spock. Nicht der Rede wert.« »Genau das, worüber nicht geredet wird, macht mir Sorgen.«
Kirk grinste. Der Alltag hatte sie wieder. »Na schön, wenn man’s genau nimmt, habe ich irgendwie Schmerzen, nur – ich bin’s eigentlich gar nicht.« Er schnappte sich die Spraydose. »Können Sie mit James Kontakt aufnehmen? Sagen Sie dem Commander, sie soll damit aufhören, die Wände einzureißen. Wir werden zu ihnen kommen; eigentlich sind sie auf dem Weg zu mir.« »Sie wissen bereits Bescheid. Ich konnte meine Verschönerung nicht vor James verbergen. Sie haben das Arbeitszimmer erreicht.« »Sie sollen dort warten«, sagte Kirk. »Na dann los!« Er führte sie durch die offen gelassenen Trennwände ins Labyrinth und ließ sie jeweils wieder hinter ihnen zuschnappen. Nach einer Weile drehte er sich mit breitem Grinsen um. »Hoffentlich kriege ich die SeptembermorgenNummer genausogut hin wie – James.« Der Commander stand, eine Hand auf James’ Schulter, reglos da: sie hatte ihn augenscheinlich, ohne Widerrede zu dulden, dazu gebracht, sich auf dem Sofa niederzulassen. James warf Kirk einen kurzen Blick zu, der diese Annahme bestätigte und eine Art verblüffende Verwunderung darüber ausdrückte. Im Grunde hatte er jedoch nur Augen für Spock, genau wie der Commander. Die beiden saugten seinen leibhaftigen Anblick gierig in sich auf, und Kirk nahm es ihnen nicht übel. Er gab James die Spraydose. »Versuch’s mal hiermit an deinen Händen und Beinen. Sieht ganz so aus, als ob wir beide in einem Boot sitzen würden.« James grinste zurück. »Tut mir leid, Captain. Werd’ mal sehen, was sich machen läßt. Danke, Jim.« Dann war es also so einfach – anderer Name, anderer Rang. »Ich danke dir, James«, erwiderte Kirk. »Für alles.« Er sah auf
und begegnete dem Blick der Frau. »Das gleiche gilt für Sie, Commander.« »Es war mir ein Vergnügen, Captain«, gab sie ernst zurück; nur die kleinen Fältchen um ihre Augen verrieten, daß sie seine Nacktheit zur Kenntnis genommen und größtes Verständnis dafür hatte. Dann mußte sie doch lächeln. »Das Original – bis ins Detail.« »Dazu hätte ich noch ein oder zwei Worte zu sagen«, sagte er lachend und verbeugte sich flüchtig. »Es wäre mir – ein Vergnügen gewesen.« Ihr Lächeln wurde ein wenig schelmisch. »Kommen Sie, Captain, Sie werden doch wohl nicht den Wert eines gut gehüteten Geheimnisses schmälern. Wollen Sie wirklich die Ehre einer Frau verteidigen, indem Sie sie eine Lügnerin nennen?« »Ich würde sie – sehr geschickt im Bluffen nennen.« Sie lachte leise. »O ja, heutzutage gibt’s nur noch herzlich wenig Geheimnisse.« Sie wandte sich an James. »Und immer weniger Zeit dafür. Geben Sie mir diese Dose und folgen Sie dem Beispiel des Captains!« »Was-?« machte James, als sie sich der Sprühdose bemächtigte. »Na ja, sie wird wohl kaum durch die Kleidung hindurch wirken. Das hat unser Captain bereits festgestellt. Ich würde sogar darauf wetten, Mr. Spock. Wieso ist das bei Ihnen eigentlich anders?« James brachte es fertig, entrüstet dreinzuschauen. »Also, erstens bin ich ohnehin nur sehr dürftig bekleidet. Das meiste von mir ist ziemlich – gut zugänglich. Geben Sie mir diese Dose und ich – « »Man ratscht an einer Gleitstange nicht nur mit dem runter, was gut zugänglich ist.« Sie schob die Aufschläge seines Hemds zur Seite, wodurch weniger schlimme, durch die
Reibung entstandene Verbrennungen an Brust und Bauch sichtbar wurden, die sich bis in seinen Slip fortsetzten. Plötzlich wurde sich auch Kirk dessen bewußt. Verdammt! »Zweitens«, fuhr James mit rotem Kopf fort, »galt unsere Vereinbarung hinsichtlich des Kommandos nur für begrenzte Zeit.« »Und die ist noch nicht vorbei«, entgegnete sie ungerührt. »Ich hoffe sogar, daß es noch eine Weile so bleiben wird. Los jetzt, keine Geheimnisse vor mir. Bringen wir’s hinter uns!« Kirk betrachtete die beiden grüblerisch, während ihre Blicke sich in stummem Kampf ineinanderbohrten. Da erschien Spock plötzlich wieder auf der Bildfläche und legte Kirk eine Art Bademantel um die Schultern, einen weiteren warf er James in den Schoß. Damit wurde ihr Zweikampf unterbrochen, und die beiden blickten erstaunt auf. Kirk schlüpfte in das Gewand – er verschwand quasi darin. Das Ding sah Omne ähnlich: Es war schwarz und weich, aus sinnlichem Samt. Kirk schnürte es mit dem dazugehörigen Gürtel eng in der Taille zusammen, während Spock beide Ärmel ungefähr fünfzehn Zentimeter aufrollte und ihn anschließend mit befremdetem Gesichtsausdruck musterte. Kirk zuckte die Achseln. »Je größer sie sind…« Er riß sich zusammen und fügte hinzu: »Ich hab’s jedenfalls verkraftet. Danke, Spock.« »Captain«, bemerkte Spock grimmig, »ich bin seinem Geist begegnet – kurz vor dem Ende. Sie können sich keine Vorstellung von der Böswilligkeit seiner Absichten machen, was Sie, was James, was die ganze Galaxis betrifft. Und dann der Umfang, die Größe dieses Geistes… Und dieser Mann lebt immer noch – in derselben Galaxis wie ihr beide.«
»Das macht nichts, Spock«, erwiderte Kirk ruhiger, als ihm eigentlich zumute war. »Sogar auf demselben Planeten, aber wir werden von hier verschwinden, auch wenn es kein Kinderspiel werden wird. Alles, was ich entdeckt habe, war eine Monitorzentrale.« Er sah zu James hinunter. »Ich schlage vor, wir brechen in den nächsten Minuten auf.« James grinste ironisch und nickte. Kirk zog Spock wie zu einer Einsatzbesprechung auf die Seite, so daß sie den anderen beiden den Rücken zudrehten. Aus dem Hintergrund drangen leise Geräusche. Und er spürte – verdammt, er spürte sie wirklich fast am eigenen Körper – schlanke, starke Hände… »Vielleicht«, wandte er sich mit fester Stimme an Spock, »gelingt es Ihnen ja, diesen Bildschirmen gut zuzureden, so daß sie uns zu der Kontrollzentrale oder sogar zu einem Transporterraum führen.« »Nicht nötig, Captain, Auf meiner Suche nach Ihnen habe ich auch den Weg nach draußen gefunden. Den Kontrollraum. Er liegt ganz in der Nähe von dem Ort, an dem Sie sich aufgehalten haben. Ich kann ihn wiederfinden.« In letzter Sekunde erinnerte sich Kirk, daß er dem Vulkanier nicht auf den Rücken klopfen sollte, und er setzte seine Begeisterung in ein Grinsen um. »Omnes Labor auch?« »Nein, zu ihm konnte ich nicht durchdringen, auch ganz zum Schluß nicht. Er hält seinen Standort streng geheim. Wissen Sie, daß er es nie für möglich gehalten hätte, daß ich ihn schlagen könnte? Er wollte es nicht mal glauben, als es soweit war. Er wollte seine Ziele – seine elementaren Bedürfnisse – absolut nicht aufgeben. Wollte nicht glauben, daß er sterben könnte, auch nicht mit dem sicheren Wissen, daß er wiederauferstehen würde. Sogar im Augenblick seines Todes wollte er es nicht glauben – «
Spock taumelte ihm entgegen. Kirk fing ihn an den Schultern auf und hielt ihn fest, bis der Schwächeanfall vorüber war. »Sie hatten ihn beinahe gern, stimmt’s?« fragte Kirk. »Nein, aber ich konnte ihn verstehen.« Kirk nickte. »So ging’s mir auch, jedenfalls zum Teil.« »Aber vergeben haben Sie ihm nicht.« »Nein.« »Genau wie ich.« »Wir reden, als ob er wirklich tot wäre.« Spock nickte. »Er ist es. Wir müssen ihn töten.« Kirk hielt dem Bett den Rücken zugekehrt, gestattete sich jedoch eine Bestandsaufnahme, wie weit die Dinge zwischen James und dem Commander mittlerweile fortgeschritten waren. Er ließ seine Aufmerksamkeit für einen kurzen Augenblick zu den beiden abschweifen; dagegen, daß sie ihm ständig gegenwärtig waren, war er ohnehin machtlos. Er stellte fest, daß zwischen den beiden keine wirkliche Verlegenheit herrschte. Die Berührung war medizinisch, jedoch keineswegs unpersönlich, und wurde auch nicht übelgenommen, als ob zwischen ihnen sehr schnell eine Art Freundschaft entstanden wäre, die sogar ihre überlegene Stärke mit einschloß. Na ja, wenn er selbst dazu imstande war, dachte Kirk, warum dann nicht auch James? Aber es war schon ein bißchen beunruhigend, dasselbe halb spielerische, halb ernstgemeinte Sich-zur-Wehr-Setzen zu spüren, das er selbst an den Tag gelegt hätte. Und dann ihre leise, lächelnde, leicht spöttische Reaktion darauf… Kirk zog Spock noch ein paar Schritte weiter von dem Bett weg, doch auch das schien nichts zu helfen. »Das zwischen James und mir«, fragte er leise, »was ist das? Es scheint stärker zu werden. Hat es – nichts mit Ihnen zu tun?«
»Nein«, erwiderte Spock. »Herkunft unbekannt. Ich nehme an, es handelt sich um eine Art Resonanz. Zwei zu ähnliche Strukturen, zu ähnliche Geister. Sie wird möglicherweise durch unterschiedliche Erfahrungen schwächer, erneuert sich dann aber wieder durch engeren Kontakt oder mehr Wissen über den anderen. Sehr störend für Sie – eventuell sogar gefährlich.« Kirk grinste schwach. »Störend auf jeden Fall. Aber gefährlich?« »Wenn sie weiterhin besteht, wärt ihr beide euch des anderen ständig viel zu sehr bewußt. Ihr würdet Schmerzen und alle anderen Empfindungen miteinander teilen. Das wäre äußerst ablenkend, bei einem Kampf möglicherweise tödlich.« »Ich verstehe, was Sie meinen«, bestätigte Kirk. »Na schön, auch darum müssen wir uns kümmern.« Er spürte, daß das Kleidungsdilemma wieder in Griff gebracht worden war, und drehte sich nach kurzem Warten um. James band gerade sein neues Gewand in der Taille zusammen, und die dünne Seide verriet, daß er seinen Slip wieder angezogen hatte. Kirk beneidete ihn zwar um letzteres, allerdings nicht um seine extravagante Seidenrobe. Nach Kirks Schätzung war es wirklich ein fairer Wettbewerb, wer von ihnen beiden sich am lächerlichsten vorkam oder am lächerlichsten aussah. Dann war der Commander endlich mit dem Hochkrempeln der Ärmel fertig, und er sagte: »Gehen wir. Bilden Sie den Anfang, Mr. Spock.« Spock nickte und führte sie durch den Tunnel zur Bildschirmzentrale. Kirk folgte zuerst dicht hinter ihm, übernahm dann die Führung, um die Schalter zu bedienen. In der Zwischenzeit hatte Spock sich für einen anderen Tunnel entschieden und machte Kirk mit einem Tippen auf die Schulter darauf aufmerksam.
Kurze Zeit später platzten sie in eine riesige Schaltzentrale, und Kirk folgte Spock zu etwas, das wie die Hauptkonsole aussah. Spock ließ seinen Blick über die Bedienungskontrollen gleiten und teilte den anderen bald darauf das Ergebnis mit: »Ein Transporter. Außerkraftsetzungshebel für die meisten Systeme« Hier ist alles, was wir brauchen – abgesehen davon, daß ich nicht damit rechne, Omnes Geheimlaboratorium auf irgendeiner Karte, einem Grundriß oder einem Bildschirm zu finden.« Er drehte sich zu Kirk um. »Jedenfalls haben wir jetzt die Kontrolle über die Hauptverteidigungsschirme des Planeten.« »Dann müssen wir uns auf unsere Schiffe beamen«, folgerte der Commander sofort, »und den Planeten zerstören.« »Den Planeten?« hakte Kirk mit dem Gefühl nach, etwas langsam von Begriff zu sein. »Wir haben keine andere Wahl«, erklärte der Commander. »Omne – und sein Verfahren – dürfen weder auf die Galaxis noch auf euch beide losgelassen werden. Er würde sich damit die ganze Milchstraße untenan machen, und er weiß, wie er es einsetzen kann. Kaiserreich, Föderation, meine und eure Spezies, Klingonen – jede Spezies, die zu Loyalität und Liebe fähig ist. Vielleicht sogar andere. Abgewandelte Duplikate, Betrüger, die Transplantation eines Geistes in einen anderen Körper… Das Böse kennt keine Grenzen – und nur wir können ihm Schranken setzen.« »Finden Sie Omne«, fiel Kirk ein. »Er ist das Böse.« »Unmöglich«, lehnte der Commander ab und sah ihm gerade in die Augen. »Bevor wir noch wissen, wie uns geschieht, könnte er untergetaucht sein und unsere Flucht von irgendeinem Hilfskontrollsystem aus blockieren. Er könnte sonstwo im Radius von Tausenden von Kilometern sein; das würde jedenfalls zu seiner Persönlichkeit passen. Wir können
uns keine halben Sachen leisten. Nein, Captain, der Planet muß verschwinden.« »Hier leben auch viele Unschuldige«, gab Kirk zu bedenken. Sie nickte. »Das läßt mich keineswegs kalt, Captain, aber ich bin schließlich Soldat; Es gibt immer Unschuldige. Diese hier haben sich außerdem für einen Planeten der Geächteten entschieden, und es sind nur wenige Tausend. Es handelt sich hier in erster Linie um einen Krieg, um den wichtigsten Krieg, der je in der Galaxis geführt wurde. Entweder schlagen wir jetzt zu – oder wir werden in lange, schreckliche Agonie stürzen.« Sie richtete sich zu voller Größe auf und sah ihn unverwandt an. »Sollten Sie dazu nicht in der Lage sein«5 sagte sie einfach, »werde ich es tun.« »Wenn ich es tun will«, versicherte Kirk, »tu ich’s auch.« »Captain«, schaltete sich Spock ein. »Die Oberste Direktive tritt in diesem Fall außer Kraft. Wir haben es hier mit einer künstlichen Kultur zu tun, einer Ansammlung von Legenden und Konzessionen, Ausgestoßenen und Geächteten. Und die haben es sich wirklich selbst ausgesucht. Es gibt Milliarden, bei denen das nicht der Fall ist. Ich will nicht behaupten, wir hätten ein Recht dazu, aber möglicherweise haben wir die Pflicht!« Kirk drehte sich langsam zu ihm um. »Sie sind mein – Gegengewicht, manchmal sogar mein Gewissen. Sagen Sie ›Krieg!‹, Spock?« »Ich sage nur, daß es Zeiten gibt, in denen man sich nicht für das Richtige entscheiden kann, weil das Richtige nicht zur Wahl steht.« Er blickte unverwandt auf Kirk hinunter. »Deshalb stellt man Regeln auf, die nicht gebrochen werden sollen, und wählt einen Mann aus, der doch dazu fähig ist.« Seine Braue verzog sich fast wie zu einem Lächeln. »Ich mußte noch nie als Ihr Gewissen fungieren, aber jetzt habe ich den Verdacht, Sie müssen meins sein. Ich denke, ich kenne
Ihre Entscheidung – und die Zeit, die uns möglicherweise noch bleibt, sie zu bedauern.« Kirk konnte sich eines Lächelns nicht erwehren. Er nickte. »Die nächsten tausend Jahre vielleicht.« Dann wandte er sich wieder dem Commander zu und schüttelte den Kopf. »Ausnahmsweise bin einmal ich derjenige, der für die Oberste Direktive – oder vielleicht sogar eine noch viel ältere Regel – eintritt. Ich kann keine Unschuldigen umbringen, nur um an den Schuldigen heranzukommen. Es geht hier nicht um Zahlen. Die Daseinsberechtigung eines einzigen unschuldigen Lebens muß auch gegen das ›größere Wohl‹ von Milliarden bestehen können, andernfalls haben wir in den vergangenen tausend Jahren nichts dazugelernt und werden es auch in den kommenden nicht tun!« Der Commander hob bewundernd eine Braue, ihr Blick verlangte aber doch nach stichhaltigeren Argumenten. »Das ist also der Mann, den die halbe Galaxis dafür verdammt, daß er auf den ›Rechten‹ herumtrampelt und die Moral selbst in die Hand nimmt?« Sie schüttelte den Kopf. »Ich bewundere Ihr Gewissen, Captain, und auch das von Mr. Spock. Ich werde diese Angelegenheit ganz auf meine Kappe nehmen. Ich werde mich auf mein Schiff beamen. Sie werden für mein Handeln keinerlei Verantwortung tragen müssen.« »O doch, sofern es mir nicht gelingt, Sie zurückzuhalten«, sagte Kirk. »Und wie, bitte, wollen Sie das anstellen?« erkundigte sie sich milde. Er hatte den flüchtigen Eindruck, als stünde ihm der Mund offen. »Ich dachte, wir sitzen alle in einem Boot? Aber wenn’s denn unbedingt sein muß – da drüben finden Sie alles, was Sie brauchen.« Er machte eine Handbewegung in Spocks Richtung. »Damit kann ich umgehen«, versicherte sie.
Moment mal! Daran hatte er noch gar nicht gedacht. Warum eigentlich auch nicht? Seine Brauen zogen sich unwillig zusammen. Na gut, dann also zum Wesentlichen: »Ich schätze, wenn es wirklich darauf ankommt, haben Sie’s mit dreien von uns zu tun.« »Ach ja? Sind Sie sicher? Wie Sie sehen, spielen Zahlen manchmal doch eine Rolle. Doch falls es so sein sollte – Mr. Spock ist schwer verletzt, und ihr zwei seid nur Menschen.« »Sie würden doch nicht – « begann Kirk. »Wirklich nicht? Euch alle drei von der Schuld befreien? Ich weiß, daß ich es ertragen könnte, was ich von Ihnen oder James nicht behaupten kann. Mr. Spock wäre durchaus in der Lage, aber ich bezweifle, daß er Ihre Mißbilligung ertragen würde, Captain.« »Ich finde nicht, daß Sie sich über mein Urteil Gedanken machen müssen«, gab Kirk gleichmütig zurück. »Aber was ist mit Spock? Und mit James?« »James hat sich noch nicht geäußert. Sie haben sich das Recht herausgenommen, für ihn zu entscheiden. Vielleicht gesteht er es Ihnen sogar zu, aber aus welchem Grund? Er untersteht nicht Ihrem Kommando, er hat sich meinem untergeordnet. Was sagt Ihr Ehrgefühl zu diesem Punkt, James?« James schüttelte den Kopf. »Mein Ehrgefühl verpflichtet mich Ihrem Kommando unter diesen Umständen ganz und gar nicht. Ich spiele nicht mit Menschenleben. Wenn ich mich irgendwelchen Befehlsansprüchen untergeordnet habe, dann nur, weil jemand das Kommando führen mußte und wir schließlich nicht unter Omnes Bedrohung darum kämpfen konnten. Trotzdem stimme ich mit Jim überein. Ich würde auf keinen Fall zulassen, daß Sie die Angelegenheit allein in die Hand nehmen. Wenn wir gegen Sie kämpfen müssen, dann soll
es eben geschehen, und Sie werden nur über meine Leiche an die anderen beiden herankommen.« Sie nickte. »Das läßt sich machen.« »Es – es macht Ihnen nichts aus, wenn ich Sie verdamme?« Sie hob den Kopf. »Ich bin darauf vorbereitet.« Spock war mit irgendeiner Geräteeinstellung fertig und wandte sich zu ihr um. »Und was ist mit mir?« »Ihre Verdammung würde ich, unter anderem, gerne vermeiden, Mr. Spock. Mit den anderen beiden käme ich zurecht, ohne ihnen oder mir ernsthaften Schaden zufügen zu müssen. Ich würde sie auf mein Schiff verfrachten und die Diskussion unter angemesseneren Umständen fortsetzen. Aber Sie, in Ihrer momentanen Verfassung, würde ich höchstwahrscheinlich töten, und es ist genauso vorstellbar, daß Sie trotz allem in der Lage wären, mich umzubringen, und es auch tun müßten. Das alles ist völlig unlogisch, Mr. Spock. Reinste Verschwendung.« Spock hob eine Braue. »In der Tat.« »Logisch wäre, daß weder Jim noch James hier eine Entscheidung treffen dürfen. Sie sind viel zu edelmütig in dieser Sache. Ich habe ihnen bereits gesagt, wie sehr ich des Edelmuts müde bin. Er ist ja ganz nett, aber er hat uns schon früher eine Menge gekostet, und diesmal ist der Preis einfach zu hoch. Ein einziges unschuldiges Leben? Ja! Gleich zwei. Ihre! Und mehr noch als nur ihr Leben. Ihnen drohte das Schlimmste! Man hat dem Tod früher ins Gesicht gesehen und wird es auch in Zukunft tun. Aber sie sind die ersten, die sich so etwas stellen müssen. Sie kennen Omnes Absicht besser als jeder andere – und seine Macht.« »O ja«, bestätigte Spock. »Wirklich? Haben Sie, was das betrifft, schon mal Ihrer Fantasie freien Lauf gelassen? Er wird hinter ihnen her sein. Er wird eine neue Kopie anfertigen, aber trotzdem wird er diese
beiden hier wiederhaben wollen. Das Original und sein ganz besonderes erstes Gesicht; die Erfahrungen, die sie heute miteinander gemacht haben; ihre großartige, widerstreitende Beziehung zueinander; seinen Machtkampf mit Jim; James’ Angebot – das er um Ihretwillen wiederholen müßte; den Kampf mit Ihnen – mit dem genauen Wissen, was jeder einzelne von ihnen und beide zusammen Ihnen bedeuten; und sogar den Kampf mit mir. Sie können versuchen, sie zu beschützen und zu verteidigen, aber wie wollen Sie beide gleichzeitig verteidigen? Wie sonst könnten sie Ihnen helfen, falls er Sie gefangennimmt, als mit – Angeboten?« »Aufhören!« rief Kirk, der Spocks Gesicht beobachtet hatte. »Was immer uns das Ganze bringen wird, wir werden einfach damit leben müssen. Wir sollten uns nicht länger damit aufhalten.« »O doch, das sollten wir!« beharrte sie. »Wir müssen uns genauestens klarmachen, was uns bevorsteht. Wir werden gegen Omne antreten – ja, auch ich, ganz egal, was ihr tut. Und wir können verlieren. Wir werden Dinge verlieren, die wir möglicherweise nicht verschmerzen können, sofern wir dieses Übel nicht samt der Wurzel ausrotten.« Sie wandte sich wieder an Spock. »Einer von ihnen oder beide, tot oder in tausendjähriger, viele tausend Jahre langer Sklaverei. Omne kann sich einen neuen Zufluchtsort vorbereiten, wo wir ihn nie finden werden. Vielleicht gibt es den sogar schon. Oder mehrere! Er muß dann nur noch aus seinem Loch hervorkriechen, um den Standort zu wechseln. Er wird uns überall in der ganzen Galaxis angreifen – um die Galaxis – und die Macht über sie übernehmen, wenn auch nur aus dem einen Grund, daß er uns dann besiegen kann. Er wird versuchen uns gegeneinander aufzuhetzen, Föderation gegen Kaiserreich, wird einen Krieg nach dem Motto ›Jeder gegen jeden‹ anzetteln, nur um seinen Rachedurst zu befriedigen. Weil wir
ihn geschlagen haben, ihn, der es nicht ertragen kann, geschlagen zu werden. Wir brachten ihn dazu zu sterben – den Mann, der ganz bestimmt nie sterben wollte.« »Das ist wahr«, pflichtete Spock ihr düster bei, den Blick in irgendwelche finstere Fernen gerichtet. »Das ist noch nicht alles«, fuhr sie unerbittlich fort. »Das gleiche wird er anderen antun, wo immer er auf Liebe stößt. Er haßt die Liebe – und verlangt nach ihr. Aber bei uns wird er anfangen und sein Werk zu Ende bringen. Wir haben ihm gezeigt, was Lieben heißt. Jim? James? Es wird einen James II geben, einen James III. Omne wird Kopien herstellen, manche für den Eigenbedarf, manche für den Verkauf. Sklavenhändler vom Orion werden reihenweise Kirks anbieten – in niedlichem Nebeneinander mit grünen Tanzmädchen. Und jeder von ihnen wird wirklich Jim oder James sein. Genauso mutig, genauso echt, genauso wertvoll. Sollen wir unser ganzes Leben damit verbringen, Kirks zu retten? Und wenn wir es tun – was werden wir mit ihnen anfangen? Was werden sie mit sich selbst anfangen?« »Es könnte gefährlich für ihn werden, Kopien zu behalten«, wandte Kirk ein, der sie irgendwie zum Schweigen bringen mußte. Probier’s mit Logik! »Eine davon könnte hinter sein Verfahren kommen und ihn von der ganzen Galaxis jagen lassen.« »O ja, aber würde ihm das etwas ausmachen? Wenn er auf einem einzigen Planeten schon so gründlich untertauchen kann wie hier? Wenn er nicht sterben kann? Außerdem hilft uns das nicht weiter. Sollte die bloße Existenz des Verfahrens bekannt werden, werden auch andere es anwenden wollen. Es wäre nur eine Frage der Zeit. Sehr kurzer Zeit. Dann wird jeder x-beliebige Diktator der Galaxis darüber verfügen. Mein Kaiserreich. Können Sie selbst Ihrer Föderation trauen? Wie steht’s mit den Klingonen? Wem
kann man überhaupt noch trauen, mit der Unsterblichkeit als Waffe in der Hand? Würden Sie darauf schwören, daß Sie Ihre Seele nicht für eine Neuauflage von Spock verkaufen würden, wenn er eines schönen Tages getötet werden sollte?« Kirk holte tief Luft. »Nein«, sagte er. »Ich auch nicht«, versicherte sie Kirk, aber ihr Blick galt Spock. »Außerdem – warum sollte er nicht noch einmal leben? Wenn es schon möglich ist, warum dann nicht? Weshalb sollten Sie es nicht tun? Männer, die für sich selbst und andere von großem Wert sind? Und Frauen? T’Pau von Vulkan wird bald sterben. Warum nicht auch sie? Warum nicht Botschafter Sarek? Oder Spocks Mutter Amanda? Warum nicht Ihre Mutter, Jim, oder meine? Doch dann – warum nicht jedermanns Mutter, Vater, Kind, geliebte Personen? Warum nicht die Ungeliebten? Aber es wird bestimmt sehr kostspielig werden. Wer soll das alles bezahlen? Und wer entscheidet, wer noch mal leben darf und wer nicht?« »Ich gebe Ihnen ja recht«, gab Kirk zu. »Aber man ist solchen Problemen, in geringerem Umfang, schon mit vielen medizinischen Weiterentwicklungen entgegengetreten.« »Und hat sie nie ganz gelöst. Aber das hier ist die endgültige Lösung. Und der Kampf darum könnte das Ende aller Welten bedeuten – das Ende des zivilisierten, sterneverbindenden Lebens in der Galaxis. Auf Schutt und Asche reduzierte oder mit in endlosen Schichten übereinandergequetschten Leuten angehäufte Planeten.« Kirk nickte seufzend. »Ich weiß. Natürlich weiß ich das alles. Aber auch dieses Problem ist nicht neu, und manchmal ist die einzige Lösung, sich durchzukämpfen und auf der anderen Seite wieder rauszukommen. Selbst wenn es bedeutet, daß man sich mit den eigenen Händen aus dem ganzen Dreck freischaufeln muß. Ihre Visionen sind wahr, aber was Sie nicht sehen, ist, daß die Büchse der Pandora nicht mehr geschlossen
werden kann. Besonders bei der Technikbüchse der Pandora ist das ganz unmöglich. Die Erfindung der Atombombe konnte nicht rückgängig gemacht werden. Hätte sie das eine Land nicht gebaut und angewendet, dann ein anderes. Denken Sie nur an die vielen gleichzeitigen Entdeckungen gerade jetzt auf der Erde und auf Ihrem eigenen Planeten. Wenn wir diesen Planeten heute zerstören würden, würde irgend jemand anderer das Verfahren in ein paar Jahren, spätestens in Jahrzehnten entdecken. Nein, dafür dürfen wir kein einziges Leben opfern, denn warum dann nicht gleich einen Planeten nach dem anderen? Und wohin sollte uns das führen? Nein! In jeder Büchse der Pandora steckt auch Hoffnung – und das hat bisher immer gereicht. Wir werden damit auskommen müssen! Wir werden kämpfen, aber es muß der richtige Kampf sein.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich stimme Ihnen zu – und auch wieder nicht. Das Verfahren darf sich einfach nicht im Besitz des Schwarzen Omne befinden, und es darf auch noch nicht freigegeben werden. Wenn ich Pandora wäre, hätte ich den Deckel schnell wieder zugeschlagen – und das Ganze in die Luft gejagt. Und genau das werde ich auch tun! Ich werde diese Jahre oder Jahrzehnte auf mich nehmen. Den Luxus kann ich mir leisten.« Sie wandte sich wieder an Spock. »Und Sie, Spock? Es geht nicht nur um die Unsterblichkeit, es ist ein persönlicher Wettkampf, bei dem wir – und die unseren – das meiste zu verlieren haben. Denken Sie nur an Omnes rabenschwarze, teuflische Fantasie. Stellen Sie sich einen fremden Geist in Kirks Körper vor, der eines schönen Tages bei Ihnen vor der Tür steht. Vielleicht sogar Omnes Geist. Sie oder ich könnten es eventuell anhand der Verbindung feststellen, aber stellen Sie sich einmal das Gegenteil vor. Omne hat bestimmt Ultraschallaufnahmen von unseren Körpern. Wir haben seinen Transporter durchlaufen. Macht
Ihnen die Vorstellung von Jim oder James gegen Omne im Körper von Spock nichts aus?« »Nein«, erwiderte Spock dumpf. »Legen Sie dafür Ihre Hand ins Feuer? Ich würde es nicht tun. Aber all das nehme ich Ihnen ab, ich möchte nur nicht unbedingt über Ihre Leiche gehen müssen. Auch nicht über die von Jim oder James. Treffen Sie jetzt Ihre Wahl! Unterstehen Sie in dieser Angelegenheit seinem Kommando?« Spocks Blick war auf ihr Gesicht gerichtet, und Kirk sah, daß der Vulkanier in die Untiefen der Hölle blickte. In seinem und ihrem Gesicht brannte das Feuer ihrer uralten, wilden Vorfahren, und Kirk wußte plötzlich, daß er in dieser Angelegenheit keine Befehlsgewalt über Spock hatte. Von Anfang an nicht und auch nicht in Zukunft. Es gab einen Punkt, an dem Stärke regierte und Triebe das Kommando führten. Und der Vulkanier besaß in diesem Raum die Macht. »Nein«, sagte Spock. »Aber Sie werden über seine Leiche gehen müssen, um hier rauszukommen, und über meine, um an ihn ranzukommen. Das gilt für beide.« Sie machte den Eindruck, als ob sie es drauf ankommen lassen wollte, und Kirk machte sich sprungbereit, damit sie die gebrochenen Rippen nicht erreichen konnte. Aus den Augenwinkeln sah er, daß James das gleiche tat. Aber sie hatte nur Augen für Spock. »Das war es, was ich herausfinden wollte«, sagte sie und trat ein wenig zurück. »Auch Sie tragen eine Verantwortung, Mr. Spock. Und ich – «, sie hob den Kopf, » – selbst wenn es mir gelingen würde, ich würde es nicht tun!« »Bluffen Sie?« fragte Spock. »Ich sage nur an.« Spock nickte. »Ein Spiel ohne Limit.« Er wandte sich an Kirk. »Ich schlage vor, wir brechen auf.«
Kirk entspannte seine Schultern. »Sobald Sie fertig sind, Spock.« »Ich bin fertig. Ich habe mir erlaubt, einen Störfaktor in die Stromkreise der Schutzschirme zu integrieren. Die Reparatur wird einige Zeit dauern und uns etwas Zeit verschaffen. Ich kann weder Ihre Logik noch die des Commanders völlig zurückweisen. Ich bin allerdings dafür, daß wir die Debatte auf die Enterprise vertagen. Ich habe den Transporter auf McCoys Büro eingestellt; für uns vier.« Kirk nickte. »Danke, Mr. Spock.« Dann wandte er sich wieder an den Commander: »Wir brauchen Ihr Wort.« Sie zog eine Braue hoch. »Mein Ehrenwort als Gefangene?« »Nur, falls das nötig sein sollte. Aber ich will auf keinen Fall, daß Sie Spock noch einmal herausfordern.« »Oder Sie?« »Oder mich auf meinem Schiff.« »Ich würde es nicht wagen, Captain. Und ich stelle fest, daß es trotz allem noch Ihr Schiff ist. Auch das wollte ich herausfinden.« »Mr. Spock hat gerade erst gesagt, daß er meinem Kommando nicht untersteht«, sagte Kirk klar und deutlich. »Und bewiesen, daß er Ihrem Kommando mehr untersteht, als Sie je geahnt haben.« Auch das, dachte Kirk. Natürlich – auch das. »Habe ich Ihr Wort, Commander?« »Für begrenzte Zeit, Captain.« Die begrenzte Zeit – ist noch nicht vorbei, schoß ihm durch den Kopf. Gott im Himmel, für ewig! Langsam holte es ihn ein. Er zeigte ihr und James das, was hier wohl als Transporterpositionen bezeichnet wurde, und folgte ihnen dann stumm, mit plötzlich schwer gewordenen Beinen. Er blieb kurz hinter Spock an der Konsole stehen, wußte jedoch nicht, was er sagen sollte. All das war einzig und allein zu seiner
Verteidigung geschehen! Er legte dem Vulkanier eine Hand als Geste der Anerkennung, Entschuldigung, des Trostes – alles mögliche – auf die Schulter. Und die Augen des Vulkaniers drückten ungefähr das gleiche aus; sie sagten: Verfluchtes Universum! Kirk lächelte dünn und machte sich auf den Weg zur Transporterplattform. Spock programmierte eine Verzögerung ein und gesellte sich zu ihnen. Pille, dachte Kirk. Nein, es war absolut unmöglich, ihn hier mit dieser ganzen Geschichte zu konfrontieren. Spock hatte sich bestimmt gedacht, daß sie dafür die Intimität seines Büros brauchen würden, das Revier – Pille… Spock schien seine Gedanken gelesen zu haben. »Die Art von Schock kann man in Kauf nehmen«, sagte er. Kirk grinste und fühlte sich etwas besser. Er beobachtete das erste Funkeln über der Konsole, als Omnes Transporter in Gang kam, und registrierte, daß er völlig geräuschlos war.
19 McCoy nahm sich fest vor, seinen Kopf in einer Minute vom Schreibtisch hochzunehmen; wirklich, nur noch eine Minute. Dann hieß es wieder ab zum Signalhorn und zum x-tenmal bei Scotty nachfragen. Irgendwas Neues von Spock? Irgendwelche Fortschritte beim Durchbrechen der Transportersperre oder dieser verfluchten Schutzschirme? Aber die Antwort kannte er jetzt schon. Sie blieb immer die gleiche, Stunde um Stunde. Er hatte versucht, sich einen anzutrinken, es aber bald wieder aufgegeben, weil er sowieso vollkommen nüchtern blieb. Scotty hatte es natürlich nicht einmal versucht und war sogar noch nüchterner; er spürte die Last der Befehlsgewalt auf seinen Schultern und bekam langsam Angst, daß sie diesmal dort bleiben würde. Ja, er mußte irgendwas für Scotty tun, wenn er ihm auch nur die x-te Frage zum x-tenmal stellte. Nur noch eine Sekunde – »Pille – « Diese sanfte Stimme… Verflixt noch mal, er hatte wirklich nicht vor, jetzt auch noch Halluzinationen zu kriegen! Eine Hand berührte ihn an der Schulter, und er kam stolpernd auf die Beine. Jim fing ihn auf. Er brachte kein Wort heraus und rückte ein Stück ab, um sich zu vergewissern. Das war doch unmöglich! Aber dieses Gesicht – es gab kein anderes solches Gesicht im ganzen Universum. Und die Augen. Der Körper in seinen Armen… Das war bestimmt nicht der Körper eines Androiden. Guter Gott, es konnte durchaus all das sein, doch irgendwie wußte er, daß es nicht so war.
»Jim! Mein Gott, Jim – « »Es ist wahr, Pille. Alles ist wieder in Ordnung. Ich bin’s!« Hör auf zu flennen, rief sich McCoy zur Ordnung. Du bist schließlich Arzt, kein – Seine Vorstellungskraft ließ ihn im Stich. Er hob den Kopf und packte die breiten Schultern, schüttelte sie, starrte Kirk an… Und traf auf Widerstand. »Einen Moment, bitte, bevor du in Ohnmacht fällst!« sagte Kirk. Es war ein Befehl, und McCoy zwinkerte und blieb wie angewurzelt stehen. Er versuchte Haltung anzunehmen und seine Gedanken zu ordnen. »Spock?« fragte er. »Ihm geht’s gut. Mir auch. Es gibt allerdings zwei von meiner Sorte. Das Ganze ist etwas kompliziert, aber auch das geht in Ordnung. Dann haben wir noch einen Gast – und sie ist ebenfalls okay. Tut mir leid, daß wir dich so damit überfallen müssen, aber wir werden’s dir noch erklären.« . Die Arme ließen McCoy los und fingen ihn wieder auf, als er seinem Schreibtisch entgegensank. Er war nicht sicher, ob er das Wegsacken seiner Knie nicht nur vorschützte. »Ich denke nicht, daß ich es wissen will«, erwiderte er mit seiner besten Leidensmiene. Spock zog eine Braue hoch. »Würden Sie das als emotionale Zurschaustellung bezeichnen, die alle emotionalen Zurschaustellungen beenden soll, Doktor?« »Quatsch!« murmelte McCoy glücklich. Kirk sah Spock zustimmend nicken. »Captain, Mr. Scott.« »Sofort.« Kirk ließ die Schultern sinken und machte eine Kopfbewegung zur Bordsprechanlage. »Sag ihm, er soll still sitzen bleiben. Wir werden – « Doch da erwachte das Intercom zum Leben und stieß laute Alarmsignale aus. »Eindringlings-Alarm!« ertönte Scotts Stimme. »Eindringlings-Alarm! Planetenschirme abgeschaltet.
Verfolgung des interplanetarischen Transportersignals ergibt Zielort auf diesem Schiff. Sicherheitsabteilung: Suchaktion Sicherheitsklasse Zwei einleiten! An alle Besatzungsmitglieder, Alarmstufe Gelb! Scott Ende.« Spock und Kirk wechselten einen Blick, dann winkte Kirk ihn zum Intercom. »Hier Spock«, meldete sich der Vulkanier. »Heben Sie den Alarm auf, Mr. Scott. Ich bin dafür verantwortlich.« »Spock! Wo in Teufels Namen -? Jawohl, Sir. Sie sind an Bord? Hier ist die Hölle los. Das Kommunikationssystem bricht vor lauter Stimmenwirrwarr fast zusammen. Der Planet berichtet, Omne sei ermordet, die Wachen zusammengeschossen worden. Die Schiffeder Romulaner sind völlig in Aufruhr. Ihr Commander ist überfällig. SubCommander S’Tal läßt verlauten, wir könnten irgendwas damit zu tun haben. Hat mir empfohlen, Sie zum Vorschein kommen zu lassen, sonst könne er für nichts garantieren! Auf dem Planeten sucht man nach ihr und behauptet, sie hätte die Wachen erledigt, vielleicht sogar Omne. Einem Bericht zufolge soll sie sogar mit – Captain Kirk zusammen gesehen worden sein! Unten ist die totale Hysterie ausgebrochen. Der nackte Wahnsinn!« Scott seufzte vernehmlich. »Willkommen an Bord, Mr. Spock!« »Danke, Mr. Scott. Bin schon unterwegs – « Kirk legte ihm eine Hand auf den Arm. »Scotty«, sagte er in das Intercom, »teilen Sie der Mannschaft mit, daß ich lebe!« »Captain! Jim? Jim!« Ein tiefer Atemzug. »Aye, Sir.« »So ist’s recht, Scotty. Sagen Sie ihnen, Beschwerden nehme ich später entgegen.« »Aye, Sir. Ich sag’ ihnen – na, mir soll’s recht sein.« Die grinsende Stimme machte plötzlich eine Pause. »Königin bietet dem König Schach auf Ebene vier, Captain.«
Kirk warf James einen Blick zu und dachte, wie hilfreich ihnen dieser Code schon gewesen war und wie wenig er ihnen jetzt nutzen würde. »Springer schlägt Königin. Matt!« gab Kirk zur Antwort. »Aye«, machte Scott befriedigt. »Halten Sie die Stellung, Scotty. Noch fünf Minuten, dann bin ich bei Ihnen. Kirk Ende.« Nachdem er Scotts Stimme auf ein Hintergrundgeräusch reduziert hatte, drehte er sich zu den anderen um und prallte fast mit McCoy zusammen, der seinen Verstand und seinen medizinischen Tester mittlerweile wiedergefunden hatte und damit Kirks Rücken untersuchte. »Du gehst nirgendwo hin!« sagte McCoy energisch. »Später, Pille. Verordne mir erst mal ein paar Kleidungsstücke aus deinem berühmten Medizinervorrat. Und dann kümmere dich um Spock.« Dieser Vorschlag stieß sowohl bei McCoy als auch bei dem Vulkanier auf Protest. »Keine Debatte, bitte«, sagte er in einem Tonfall, der keine Widerrede zuließ. McCoy zog es dennoch in Betracht, schüttelte dann aber den Kopf und verschwand schließlich im Wandschrank seines Privatbüros, in dem er- zu seiner eigenen Verlegenheit – einige Kleidungsstücke für Kirk und Spock aufbewahrte. Er beschwerte sich ständig darüber, daß Kirk keine Hemden tragen wollte. »Commander, ich hätte da einen Drehbuchvorschlag«, wandte sich Kirk an die Frau. »Ich wurde von Omne und Kumpanen entführt. Sie haben mich gerettet. Das Kaiserreich läßt sich nicht mit billigen Tricks an der Nase herumführen. Waffenstillstand zwischen ehrenhaften Feinden statt feiger Täuschung oder gar des Versuchs der Gefangennahme. Zugleich auch Selbstverteidigung. Auch Mr. Spock deckte das Komplott auf und forderte Omne zu einem Zweikampf nach den Regeln des Planeten heraus. Angesichts seiner Niederlage beging Omne Selbstmord. Wir
beide könnten diesen Ort jetzt als Vergeltungsmaßnahme, oder um zukünftige Verschwörungen zu verhindern, in die Luft jagen, aber das werden wir natürlich nicht tun. Eine gute Eigenschaft des Kaiserreichs und der Föderation. Wir werden ihnen die Oberste Direktive in ihre Hälse rammen. Keine Einwände, wenn sie hier einen Laden als Zufluchtsort eröffnen wollen, allerdings nur mit friedlichen Absichten, ansonsten stellen wir sie unter Quarantäne und brechen die Handelsbeziehungen zu ihnen ab. So könnte unsere Bekanntgabe lauten. Wir werden uns noch einigen, wer die besten Zeilen bekommt. Was halten Sie davon?« »Drehbuch?« Ihr Gesicht verzog sich langsam zu einem Lächeln. »Es ist die schlichte Wahrheit!« »Das sind immer die besten Drehbücher«, grinste er. »Es ist, trotz allem, nicht die volle Wahrheit«, schaltete sich Spock ein. »Da ist immer noch Omne. Er bleibt bewaffnet und gefährlich zurück, hat seine Organisation im Falle seines Todes oder Verschwindens darauf eingerichtet, als Treuhandgesellschaft weiterzufunktionieren. Vielleicht sollten wir ihre Evakuierung verlangen, oder doch wenigstens ihre Waffen und Schutzschirme abrüsten.« McCoy drückte Kirk ein Paar Hosen in die Hand, und der machte sich daran, sie unter seinem Gewand anzuziehen. »Das ist noch nie besonders effektiv gewesen«, wandte er ein, »außerdem müßten wir sie, um das zu erreichen, bis zu einem gewissen Grad zusammenschießen. Sie haben ein Recht darauf zu verteidigen, was sie sich hier aufgebaut haben. Einiges davon ist durchaus wertvoll. Die Forschung. Der Handel. Die Zuflucht für politische, vielleicht sogar auch andere Kriminelle. Denken Sie nur an Australien. Nein! Aber vielleicht gelingt es uns, Omne aus seinem Versteck zu locken. Ich habe so das Gefühl, als ob er ein ziemlicher Einzelgänger war, was seine teuflischen Ziele angeht. Es wird ihm
schwerfallen, sie zu verwirklichen, wenn er tot ist. Und es wird ihm schwerfallen, wieder aufzutauchen, ohne sein Verfahren zu enthüllen. Wohingegen es uns aus gewissen Gründen schwerfallen wird, eine zentimetergenaue Suchaktion nach ihm zu starten, selbst wenn man uns lassen würde.« McCoy reichte ihm ein Hemd und beschlagnahmte den Bademantel. Kirk spürte die Hand des Arztes auf den Wunden unter dem Sprühfilm, als er das Hemd über den Kopf streifte. »Jim – « Kirk drehte sich um, um die Sorgen in Pilles Augen zu beschwichtigen. »Ist schon gut, Pille. Ich bin von einem Experten -zusammengeflickt worden. Er hat mir genug Schmerzkiller verpaßt, um ein ganzes Pferd lahmzulegen. Sie werden ihren Zweck erfüllen, bis die Zeit für den richtigen Fachmann gekommen ist.« »Ich hab’ ein paar Neuigkeiten für dich, Jim. Welche Schmerzkiller du auch immer bekommen hast, sie lassen rasch nach.« Kirks Augen gaben McCoy zu verstehen, daß das keineswegs Neuigkeiten für ihn waren, aber er verbarg es vor dem Vulkanier. »Ist noch nicht so schlimm«, sagte er mit fester Stimme und drehte sich wieder um. »Commander, wir beide sollten besser aufbrechen, bevor Ihr ‘Tal einen nervösen Finger am Abzug bekommt.« »Er ist als reichlich impulsiv bekannt«, gab sie zu und ging zur Tür. Spock folgte ihrem Beispiel, wurde aber durch einen Blick von Kirk zum Stehenbleiben gebracht. »Sie sind nicht in Uniform, Mr. Spock.« Der Vulkanier hob eine Braue. »Das spielt wohl kaum eine Rolle. Außerdem möchte ich Sie darauf hinweisen, daß das auch bei Ihnen der Fall ist.« Er blickte ostentativ auf Kirks nackte Füße.
»Na ja, ich werde eben aufpassen, daß sie nicht auf dem Bildschirm zu sehen sind«, grinste er. »Nein, Spock. Sie gehen ins Revier. Sie werden McCoy seinen Kram erledigen lassen und Ihren vulkanischen Anteil dazu beisteuern. Wir müssen noch einige Dinge klären, nachdem wir den Krieg abgeblasen haben.« Er sah zu James hinüber. »Sorgst du dafür, daß er meinen Anweisungen folgt? Außerdem fürchte ich, daß du dem Arzt so manche Erklärung abgeben mußt.« »Ich werde mich um alles kümmern«, versicherte James, »und außer Sichtweite bleiben.« Kirk nickte ihm ernüchtert zu. »Danke,« Er las widerwillige Zustimmung in Spocks Augen und wandte sich zur Tür. »Commander?« Sie ließ ihm den Vortritt.
20 Spock setzte sich auf. James versetzte ihm eine Ohrfeige. »Noch mal«, befahl Spock. »Härter.« James biß die Zähne zusammen und aktivierte seine Muskeln. Noch mal. Und noch mal. Spock packte sein Handgelenk und rief sich dabei in Erinnerung zurück, sanft zu sein. »Das reicht, danke. Ich bin wiederbelebt genug.« McCoy schwenkte den Taster über seinem Körper hin und her. »Aber nicht wiederhergestellt. Sie haben sich nicht lange genug behandeln lassen, Spock. Die gebrochenen Rippen und Kniescheiben fangen gerade erst an zusammenzuwachsen. Und was die inneren Verletzungen angeht – nun, es ist mir sehr unangenehm, mich über ein Wunder zu beschweren. Jeder andere wäre längst tot, aber – « »Wir haben es hier nicht mit einem Wunder zu tun, Doktor, bloß mit einer nützlichen Spezialtechnik. Das wird vorerst reichen. Der Heilungsprozeß wird langsamer voranschreiten.« »Die Schmerzwerte sind trotzdem hoch genug, um jeden anderen umzubringen.« »Ich bin einsatzfähig, Doktor, und ich habe bestimmte Funktionen zu erfüllen. Sie werden jetzt mit James anfangen und auch die routinemäßige Identitätsprüfung durchführen.« McCoys Augenbrauen schossen in die Höhe. »Ich dachte, seine Identität steht außer Frage? Er sagte, sie hätten seinen Geist – « »Seine Identität ist nicht das Problem. Die Frage ist, ob wir ihn verstecken oder unkenntlich machen sollen.« »Ich kann Ihnen nicht ganz folgen«, gestand McCoy.
Spock sah erst James, dann wieder den Doktor an. »Die Enterprise kann nicht zwei Captains haben. Aber vielleicht könnten dem ja gewisse chirurgische Eingriffe, ein spezieller Eintritt in die Sternenflotte mit einem anderen Hintergrund oder ein politischer Rang – zum Beispiel Sonderbeauftragter – Abhilfe schaffen – « »Das wird niemals klappen, Spock. Aufzeichnungen von jedem einzelnen Molekül seiner Körperstruktur, Stimmuster –« »Das sollte doch zu machen sein«, unterbrach ihn Spock. »Probieren Sie’s. James?« James nickte. »Der Nachweis ist sowieso längst überfällig, und obendrein erhalten wir so vielleicht ein paar Anhaltspunkte über das Verfahren. Doktor?« »Sie sind nicht unbedingt in der Verfassung für eine solche Untersuchung. Ich kann keine Verletzungen finden, aber Ihre Schmerzen sind genauso stark wie die von Jim.« »Das geht vorbei«, gab James ruhig zurück. »Gehen wir! Spock, Sie ruhen sich aus.« Spock seufzte und ließ sich mit einem Gesichtsausdruck zurückfallen, als ob ihn alle nur ausnutzen wollten. Jetzt gab es schon zwei von der Sorte! »Das müßte genügen«, sagte Kirk. »Übernehmen Sie das Kommando, Scotty. Commander?« Er führte sie schnell von der Brücke, nicht ohne der Brückenbesatzung einen flüchtigen Blick zuzuwerfen und noch einmal dankbar ihre Reaktion auf seine Rückkehr in sich aufzunehmen. Uhura hatte ihre Arbeit unverwandt fortgesetzt, aber die Tränen auf ihren Wangen waren langsam getrocknet. Leider hatte er keine Zeit mehr. Die Türen des Turbolifts glitten zu, und er sagte: »Zum Revier.« Dann fing ihn der Commander auf, denn er sackte zusammen.
Sie entschärfte seinen Fall, beugte sich dann hinunter und hob ihn hoch. »Lassen Sie mich runter!« keuchte er; er konnte sich wirklich glücklich schätzen, daß er nicht geschrien hatte. »Seien Sie doch nicht albern«, schimpfte sie. »Ich kann Sie mühelos tragen.« »Verdammt, nicht durch die Korridore der Enterprise!« Sie zog eine Braue hoch. »Ich könnte mir denken, daß Sie nicht zum erstenmal ins Revier getragen werden. Soll wohl heißen: nicht von einer Frau!« »Schon möglich. Und wenn es so wäre? Kein angenehmer Gedanke, sich daran zu gewöhnen. Ich hab’ ja gar nichts gegen Ihre Muskeln – aber müssen Sie ihren Einfluß denn überall geltend machen?« Sie zuckte die Achseln, als ob sein Gewicht überhaupt kein Problem für sie wäre. »Muß man das? Es ist einfach ein Grundprinzip: Was du hast, sollst du auch nutzen.« Auch ein Standpunkt, dachte er in dem lahmen Versuch fair zu sein. Hatte er nicht auch jeden einzelnen seiner Muskeln eingesetzt – sehr froh darüber, daß er sie besaß? Und wenn er erst in ihrer Haut stecken würde -? Mit einer reuevollen Grimasse gab er ihr in diesem einen Punkt recht. »Dann – lassen Sie mich einfach runter, weil ich Sie darum bitte! Würden Sie wollen, daß ich Sie durch Ihr Schiff schleppe, wenn Sie noch gehen – oder wenigstens kriechen könnten?« Sie hob beide Brauen, dann gab auch sie ihm mit einem langsamen Lächeln in diesem einen Punkt recht. »Na gut, versuchen Sie es, Captain«, sagte sie und stellte ihn langsam ab. Es hätte nicht viel gefehlt, und er wäre tatsächlich gekrochen. Er hielt sich mühsam aufrecht, während sie einen Arm um ihn gelegt hielt; diesmal lag nicht der geringste Spott in ihrer Unterstützung. »Das ist schon in Ordnung«, sagte sie sanft.
»Sie haben wirklich jedes Recht auf Schwäche. Kämpfen Sie doch nicht mit aller Macht dagegen an! Gegen eine starke Schulter haben Sie doch wohl nichts einzuwenden?« Er lächelte schwach und legte einen Arm um sie, dann stützte er sich mit seinem ganzen Gewicht auf die Frau. Kaum zu glauben, daß in einem so schmalen Körper solche Kräfte schlummerten. »Freunde?« flüsterte er. »Freunde«, bestätigte sie und richtete sich kerzengerade unter seinem Arm auf, als der Turbolift sie freigab. Der Arm, den sie um ihn geschlungen hatte, trug ihn die meiste Zeit über, während er versuchte, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Aber sie sorgte dafür, daß man es nicht merkte, und die befremdeten Blicke, die er in der Halle erntete, drückten eher Der-Cap-tain-hat-schon-wieder-eine-abgeschleppt aus als alles andere. Vielleicht auch bloß Mann-da-ist-der-Captain willkommen-daheim-Sir. Er sah, daß man zu ihm rennen, ihn berühren wollte. Doch dann besannen sie sich auf die Dienstordnung und ließen ihn weiterziehen. Eines schönen Tages würde er mal eine Woche Urlaub nehmen und seinen Gefühlen in dieser Hinsicht freien Lauf lassen. »Spock!« entfuhr es ihm kurz vor der Tür. »Von da an muß ich es allein schaffen.« In ihrem Blick lag Verständnis, und sie ließ ihn gehen, aber er konnte die bis aufs äußerste gespannten Reflexe neben sich spüren, mit deren Hilfe sie ihn notfalls jederzeit wieder auffangen würde. Er glättete sein Gesicht und machte sich bereit.
21 James legte eine Hand auf die von McCoy, als der Arzt die Injektionspistole von seinem Arm entfernte. James deutete auf die Tür, und McCoy war sofort zur Stelle, als der Captain hereinkam. McCoy hängte sich an seinen Arm und schubste ihn, ohne um Erlaubnis zu fragen, vor sich her. Der Captain ließ sich ohne Protest zu dem am nächsten gelegenen Bett lotsen, hievte sich dann aber ohne fremde Hilfe und mit einer gewissen Vorsicht darauf. Da saß er jetzt, mit einer Miene, als ob er noch einige dringende Geschäfte zu erledigen hätte. Spock hatte dem Computer den Rücken gekehrt, um ihn zu beobachten, unterdrückte aber den Impuls, zu ihm hinüberzugehen. Und James dachte, daß er langsam, aber sicher doch noch hinter diese ganze Geistverbindungs-Resonanz-Geschichte kam. Er konnte zwar Kirks Schmerzen anscheinend nicht ganz aus seinem eigenen Körper ausblenden, aber, bei Gott, er hatte es geschafft, die Verbindung auf einen dünnen Faden zu reduzieren, damit wenigstens der Vulkanier nichts davon spürte. Spock hatte zweifellos nichts dagegen einzuwenden, da er auf diese Weise auch seine eigenen Schmerzen für sich behalten konnte. Aber es war immerhin ein Fortschritt. Der Commander hatte den Captain zum Bett begleitet, wandte sich jetzt von ihm ab und stellte sich neben James. »Alles klar«, sagte sie im Tonfall eines Berichterstatters. »Es war wirklich eine einmalige Vorstellung! Die Delegiertenkonferenz zeigte sich äußerst beeindruckt. Es wird einige Zeit dauern, bis sich der Großteil von ihnen trauen wird, ihn dafür anzuklagen, daß er wieder einmal zu Ehren der
Obersten Direktive gegen eine Vorschrift verstoßen hat. Es ist von einer Allianz die Rede, die die Beziehungen zwischen Föderation und Kaiserreich fördern soll – und zusätzlich auch Omnes Leute. Das klingt zwar ein bißchen nach Kriegsneurose, enthält aber eine gewisse – Logik. Die Delegation wird eine Kommission mit der Untersuchung von Omnes Todesumständen beauftragen und uns in Kürze Bericht erstatten.« »Und Sub-Commander S’Tal?« »Ist verärgert – wie üblich.« Sie lächelte ernst auf ihn hinab, »Er hat sich immer noch nicht ganz von seinem Verdacht gelöst, ich könnte eine Geisel sein.« Sie sah ihm in die Augen. »Er ist – mein Gegengewicht. Mein Rechtsbeistand, weil ich Omnes Wachen zusammengeschossen habe. Nichtsdestotrotz, ich führe das Kommando.« So war das also. »Und ‘Tal vielleicht mehr, als es bisher den Anschein hatte – « »S’Tal wird uns zur äußeren Werteposition folgen, Captain«, erwiderte sie gelassen. »Zwölfmal die maximale Transporterreichweite weit entfernt, außer Reichweite von Transporterstrahlen und Waffen, genau wie Sie es vorgeschlagen haben. Ich schätze, wir müssen den Bericht der Delegierten abwarten, aber ich würde mich bedeutend besser fühlen, wenn wir uns sofort mit Solkraft auf den Weg machen könnten.« »Sie haben heute auch viel mitgemacht«, stellte Kirk fest. Sie drehte sich mit einem leichten Heben ihres Kopfes zu ihm um. »Das kann man wohl sagen. Und jetzt muß ich das Kaiserreich auseinandernehmen und wieder aufbauen. Die Entscheidung über Krieg oder Frieden liegt nicht in meiner Hand, aber ich muß diese Position unbedingt erreichen.« Kirk nickte. »Das dachte ich mir. Wird S‘Tal hinter Ihnen stehen?«
»Nein, aber man wird nur über seine Leiche an mich herankommen.« Kirk lächelte voll Verständnis und Sympathie. »Trotzdem werden Sie dafür sorgen, daß wir irgendwann einmal auch ebenso gute Bündnispartner wie Freunde sein können.« »Ja.« »Genau wie ich«, bestätigte Kirk nüchtern und sah plötzlich recht beklagenswert aus. »Eigentlich ist es viel wahrscheinlicher, daß man mich zu Tode quatschen wird.« »Welch schreckliches Schicksal! Im großen und ganzen möchte ich wirklich nicht mit Ihnen tauschen.« Kirk grinste. »Ganz meinerseits – im großen und ganzen.« »Ein im großen und ganzen zufriedenstellendes Arrangement«, schaltete sich Spock ein, »da ein Tausch doch irgendwie unlogisch wäre. Wie dem auch sei – ich gehe davon aus, daß, was uns betrifft, diese Allianz bereits begonnen hat und sowohl Föderation als auch Kaiserreich notfalls voneinander getrennt werden müssen, bis sich beide der Bedrohung durch Omne stellen können.« »Einverstanden, Spock«, sagte Kirk mit fragendem Unterton. »Ich würde sagen, wir befassen uns erst mal mit dem anderen Problem, solange Sie und James sich noch darauf konzentrieren können. Keiner von Ihnen kann seinen Bedarf nach medizinischer Betreuung und einer ausgedehnten Ruhepause vor mir verbergen.« Das war’s dann wohl, dachte James; er hatte den Verdacht, daß er genauso verlegen dreinschaute wie Kirk. Wann war Spock schon jemals auf die Geistverbindung angewiesen gewesen? »Ausnahmsweise mal eine logische Schlußfolgerung«, ließ sich McCoy vernehmen. »Verschwindet hier und laßt mich die beiden behandeln.«
»Ich fürchte, ich werde hier bald ganz verschwinden müssen, Doktor«, sagte der Commander, »oder S’Tal kommt tatsächlich noch zu dem Schluß, daß ich unter Zwang stehe – oder nicht mehr ganz klar im Kopf bin.« »Verzeihen Sie, Commander«, erwiderte McCoy verdutzt, »aber ich begreife wirklich nicht, was das eine mit dem anderen zu tun haben soll. Sie können Ihre Bündnisse doch auch per Bildschirm besprechen – später, morgen, irgendwann anders!« »Nein, das können wir nicht«, widersprach sie mit einem Seitenblick zu Spock. McCoy glaubte den Sinn ihrer Worte verstanden zu haben. »Ach so, na ja – äh… wenn Sie und Spock – ja, wenn das so ist… aber – « »Nein, Doktor!« erlöste ihn Spock. »Commander, Captain wir haben James’ Identitätsmuster überprüft. Er ist absolut und ohne jeden Zweifel bis zur letzten Dezimalstelle als James T. Kirk identifizierbar.« Kirk nickte seufzend und sah dann zu James hinüber. »Genau, was wir erwartet hatten. Du hättest es gar nicht erst über dich ergehen lassen müssen.« »O doch, das mußte ich«, entgegnete James, schaffte es dann allerdings doch nicht, diese Bemerkung weiter zu erklären. Da übernahm Spock von neuem das Wort. »Stellen Sie sich die Auswirkungen vor, Captain. Er kann nirgendwo innerhalb der Sternenflotte oder sonstwo innerhalb der Föderation versteckt werden, es sei denn unter großen Schwierigkeiten und mit gewaltigem Risiko. Ich wüßte einen Ausweg: meine Eltern auf Vulkan. Der vulkanische Respekt vor dem Privatleben des anderen, die Sitte, einen Freund als Gast bei sich wohnen zu lassen – zusammen mit einer passenden Hintergrundgeschichte könnte es funktionieren, und mein
Vater würde beträchtlichen Schutz für ihn bedeuten. Wir hätten einen plausiblen Grund für Besuche – « Die Brauen des Commanders schossen gefährlich in die Höhe. »Mein Gott«, sagte Kirk, und seine Schultern sackten zusammen, als ob irgendeine unerträgliche Last sie plötzlich zerschmettert hätte. Er musterte James mit einer Vision dieses fürchterlichen Verlusts vor Augen. »Er – er kann nicht! Du kannst nicht, James! Ich – könnte es niemals.« Er hielt die Luft an. »Ich kann es nicht! Weshalb überhaupt James und nicht ich? Mit weicher Rechtfertigung? Mir fällt keine ein. Es gibt keinen Unterschied! Und ich bin nicht bereit, das alles hier aufzugeben!« Seine Hand deutete auf das Schiff, die Sterne, Spock, McCoy… »Aus welchem Grund sollte er es sein? Er kann nicht!« Zu Spock sagte er: »Es muß einen anderen Weg geben.« »Ich sehe keinen«, gab der zurück. »Dieses Problem ist unlösbar und muß doch geregelt werden. Wenn zwei Dinge identisch sind, gibt es logischerweise keinen Unterschied. Und doch existiert in diesem Fall ein Unterschied. Vielleicht gibt es keine Rechtfertigung, aber wir waren uns doch einig – und ich glaube, auch James war dieser Ansicht –, daß es so etwas wie ein ›Originalrecht‹ geben sollte.« »Nicht mal das können Sie mit Sicherheit sagen«, platzte Kirk plötzlich heraus. »Sie haben nur mein Wort, daß ich das Bewußtsein nicht verloren habe. Mit meinem Geist sind Sie nicht verschmolzen.« Spocks Gesichtszüge wurden weich, und James fühlte den Stolz, der in ihm aufstieg. »Unnötig, Jim. Kein echter Kirk würde mich dahingehend anlügen. Ich bezweifle, daß man dasselbe von jedem anderen behaupten kann.« Kirk lächelte gequält. »Einen oder zwei könnte ich Ihnen schon nennen. Trotzdem – ich bin nicht sicher, ob jeder
dagegen gefeit ist. Wenn man genug Zeit hat, sich die Sache richtig zu überlegen – « Er schüttelte den Kopf. »Ich würde nicht mal mir selbst trauen.« »Sie trauen James.« Spocks Blick wies daraufhin, daß James sich auf der Enterprise frei bewegen konnte, daß er mittlerweile genau wie Kirk gekleidet war. Kirk grinste, als ob man ihn bei etwas ertappt hätte. »Ja, ich schätze, das tue ich.« Er warf James einen flüchtigen Blick zu. »Ist mir noch gar nicht in den Sinn gekommen. Das war wohl noch gar nicht nötig. Dennoch bleibt die Tatsache bestehen – « James nickte. »Durchaus möglich, wenn man genug Zeit hat. Und wenn es keinen Unterschied gibt.« »Es gibt aber einen Unterschied«, platzte der Commander heraus. »Wenn man euch so zuhört, wie ihr über sein Leben verfügt… Als ob er euch gehören würde!« Sie starrte Spock an, und ihre Augen schossen Blitze. »Das tut er nicht, versteht ihr? Wirklich, Vulkanier! Soll er vielleicht Quivas anpflanzen? Sich nebenbei mit Trillium beschäftigen? Auf Papas Knien sitzen? Der am besten kämpfende Commander einer halben Galaxis. Der Erste im Krieg – und im Frieden? Der Mann, der bereit war, seine Freiheit für eure zu verkaufen und sie dadurch völlig zu verlieren? Die Freiheit der Sterne?« »Wenn er uns nicht gehört«, erkundigte sich Spock, »wem dann? Ihnen?« Der Commander warf den Kopf zurück und bohrte ihre Augen in Spocks. »Ja!« »Was?« entfuhr es McCoy, während Kirk sie nur anstarrte. »Ich erhebe Anspruch auf ihn«, verkündete sie und maß sie alle mit einem herausfordernden Blick. »Ich habe für ihn gekämpft. Ich habe sein Leben gerettet und mehr. Nach den Sitten meines Volkes gehört er mir, wenn ich ihn will. Und ich will ihn!«
»Sie meinen – «, stammelte McCoy, » – Sie wollen doch wohl nicht sagen, Sie besitzen ihn? Doch nicht wortwörtlich?« »Warum nicht? Ich habe im Kampf einen Gefangenen genommen. Ganz wie in alten Zeiten: Jetzt gehört er dem Sieger.« »Ich dachte, Spock hätte Omne besiegt?« wunderte sich McCoy. »Ein einziges Mal«, sagte sie. »Und das auch nur, weil ich damit einverstanden war, James in Sicherheit zu bringen und zu bewahren. Das war mein Sieg, und dadurch wird auch der von Spock im Grunde zu meinem. Außerdem habe ich ihn auch schon früher vor Schaden bewahrt. Ich nehme an, Spock kämpfte für das Original. Das habe ich zwar zusätzlich auch noch, aber ich will ja nicht gierig sein. Das wäre dann doch zuviel des Guten.« »Das ist doch die Höhe«, zischte McCoy. »Aber es kann unmöglich Ihr Ernst sein!« »Mir ist noch nie etwas ernster gewesen. Spock, können Sie denn meinen Anspruch aufgrund unserer Sitten noch vor der Teilung unseres Volkes bestreiten?« »Die Sitte nicht«, erwiderte Spock grimmig, »den Anspruch schon.« »Und wo bleibt Ihre Oberste Direktive? Es ist schließlich Sitte bei uns.« »Es ist sein Leben!« rief Kirk unverblümt dazwischen. »Ich hab’ mich schon gefragt, ob das überhaupt noch jemandem in den Sinn kommen würde«, sagte James. Er stand auf und wirbelte den Commander zu sich herum. »Finden Sie nicht, Sie sollten zuerst mich fragen?« Sie zog schamlos eine Braue hoch. »Nur, wenn Sie die richtige Antwort geben.« »Ansonsten schleppen Sie mich einfach auf Ihr Schiff?«
»Sehr gut möglich. Meine Leute würden Sie als meinen Gefangenen weit weniger ablehnen denn als meinen Gefährten.« »Und welchen Rang haben Sie mir anzubieten?« »Gar keinen«, sagte sie. »Es gibt keine Bezeichnung für die Position, die ich Ihnen verschaffen würde – beziehungsweise: die Sie sich selbst verschaffen müßten. Wenn nicht als mein menschlicher Gefangener – und Bettwärmer – , könnten Sie nur als Romulaner bei mir sein, damit niemand erfährt, was Sie wirklich sind oder was Sie mir bedeuten. Sie müßten durch Ihre eigenen Verdienste aufsteigen, ohne den Segen starker Muskeln, denn die haben Sie dort nicht. Sie dürften sich nicht einen einzigen Kampf erlauben, denn Sie würden nicht nur zerschmettert, sondern auch entdeckt werden – und ich mit Ihnen. Ich könnte Ihnen eine Identität verschaffen, doch dieses Tarnungsmanöver würde sofort mir zur Last gelegt werden, wenn man Sie entlarvt. Damit müßten wir rechnen, aber ich würde mich entsprechend darauf vorbereiten. Ich würde mich gegen Ihr Ungestüm schützen. Sie würden Ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen, aber nicht meins.« James spürte, daß seine Atmung nicht ganz in Ordnung war, daß in zwei anderen Körpern, die mit dem seinen in Verbindung standen, der Atem angehalten wurde und dies in ihm selbst widerhallte. »Sie setzen eine Menge voraus«, sagte er vorsichtig. »Irre ich mich denn? Ist es unlogisch? Unverschämt?« Sie schüttelte den Kopf. »Sie wollen es doch um jeden Preis! Den Kampf, die Herausforderung, die galaktische Sache auf ihre Größe zugeschnitten. Das Kaiserreich an meiner Seite wiederaufbauen. Ein Verbindungsglied zur Föderation schmieden und dadurch einen Frieden schaffen, der anders gar nicht möglich wäre. Die Weiterausübung des von Ihnen gewählten Berufs. Die Sterne. Ihre Position, Ihre Arbeit, Ihr
Leben. Ab und zu sogar Spock und Jim, und zwar nicht als Ruhegeldempfänger. Von gleichem Format in diesem Kampf, den wir alle gemeinsam führen müssen. Die Möglichkeit, gegen Omne anzutreten – und ein bewegliches Ziel darzustellen.« »Vom Regen in die Traufe«, bemerkte McCoy. »Seid ihr zwei verrückt geworden? Er kann nie im Leben als Romulaner durchgehen. Eine Stunde lang vielleicht – mit einem Haufen Glück und einem glücklichen rechten Haken, aber trotzdem ist und bleibt das ein wahnwitziges Produkt! Wir wußten bis vor kurzem nicht viel über Romulaner, konnten nicht mal mit Bestimmtheit sagen, ob sie vulkanische Kräfte besitzen. Das wenigstens konnte ich bestätigen, als Sie unser – Gast waren. Molekularstruktur, Knochen, Muskeln – alles ist anders, schwerer und kräftiger. Er würde nicht eine Minute durchhalten, nicht mal gegen Sie.« »Beträchtlich weniger als eine Minute«, korrigierte sie ihn. »Ich habe gegen Spock durchgehalten«, verteidigte sich James, ohne sich um den Unterschied zu kümmern. »Selbst Spock ist nicht in der Verfassung eines voll ausgebildeten romulanischen Commanders. Er hat zwar mehr Muskeln – wenn auch nicht so viel mehr, wie allgemein angenommen wird –, aber weniger Technik. Zu viele Jahrhunderte des Friedens. Einen gewissen Sanftmut, selbst als Mitglied der Sternenflotte.« Sie schüttelte den Kopf. »Sie hielten aus demselben Grund durch, aus dem Sie es gegen mich tun würden: Er hat niemals unter vollem Einsatz seiner Kräfte gegen Sie gekämpft und er hat sie aus mehr Schwierigkeiten rausgeholt, als Sie zählen können.« »Das stimmt«, bestätigte James. »Ich mußte ihn bisher nie innerhalb des Romulanischen Kaiserreichs schützen«, sagte Spock. »Und schon gar nicht als Romulaner!«
»Sie waren zu dem Versuch bereit, als Omne Ihnen diesen Vorschlag machte.« »Mir blieb keine andere Wahl, aber irgendwann hätte ich mir etwas anderes ausdenken müssen. Die Aussicht auf Jahre – Jahrzehnte! – unter solchen Umständen würde meine Fähigkeiten übersteigen. Genau wie Ihre.« »Meine nicht, Spock. Ich habe eine Verantwortung übernommen, und ich werde auch weiterhin dazu stehen. Ich habe ihn dazu gebracht, meinem Kommando zu gehorchen. Er wird es wieder tun – und ich werde ihn in Sicherheit bringen, ihn trainieren und bewachen. Für ihn sorgen und ihn behalten. Seinen stolzen Nacken für ihn beugen, wenn es erforderlich sein sollte.« Sie wandte sich lächelnd an James. »Wird ganz schön schlimm für Sie werden, schlimmer, als Sie sich vorstellen können. Das Alpha-Männchen einer halben Galaxis soll Befehle entgegennehmen – ausgerechnet noch von mir! – und leisetreten? Bluffen, das schon. Aber kämpfen – niemals. Über den Unterschied im Bilde sein, und nie etwas darüber verlauten lassen. Über mich im Bilde sein und auch darüber kein Wort verlieren, denn man würde Sie zum Frühstück verspeisen und gegen mich verwenden, wenn man – meinen Preis kennen würde.« Ihr Lächeln war ein offenes Geständnis und offene Herausforderung zugleich. »Es hat noch keinen Mann gegeben, der das fertiggebracht hätte, aber ich denke, er ist heute geboren worden. Heute, nicht gestern. Sie wissen, daß es nicht funktionieren wird, wenn Sie nur auf die Position und den Kampf aus sind. Ich biete Ihnen keine Zuflucht. Aber wenn es nicht das ist – « »Ich brauche keine Zuflucht – «, begann James. »Moment«, fuhr Kirk dazwischen, rollte sich vom Bett und kam mit unsicheren Schritten auf sie zu; er legte eine Hand auf James Arm. »Bevor du es aussprichst… Zum Teufel, ich kann’s doch verstehen! Ich hab’ schließlich Augen im Kopf!«
Er warf einen Seitenblick auf den Commander. »Aber dein Leben, deine Freunde, deine Familie – all das ist hier!« Er sah Spock an. »Wir können ihm das nicht antun.« Dann glitt sein Blick wieder zu James. »Das ist die Crux der Prämisse identischer Doppelgänger, zweier vollkommen gleicher, realer Männer. Es ist sogar ein metaphysisches Problem. Ich verstehe auch nicht, weshalb das Original irgendwelche Vorrechte haben soll – und beanspruche dieses Vorrecht andererseits so sehr, daß meine Zähne knirschen. Aber du hast jeden Anspruch auf alles, was mir gehört: Leben, Besitz, Befehlsgewalt, Freunde, Familie und mehr; selbst auf meine Erinnerungen – eure, unsere.« Er straffte die Schultern wie unter einer unerträglichen Bürde. »Es gibt keinen Unterschied. Und doch wäre ich nicht bereit – ins völlige Nichts zu gehen. Wir könntest du es?« James atmete bis in die äußersten Spitzen seiner Lunge ein; er spürte plötzlich, daß die Bestätigung seines Anspruchs eine Sanktion war und seine Anerkennung besiegelte, daß Jim ihm eine Art von Respekt entgegengebracht hatte, die ihn auf sonderbare Weise erleichterte. »Das stimmt«, erwiderte er mit demselben Respekt, »aber für mich wäre es nicht das Nichts.« Er brachte ein Lächeln zustande und berührte den Arm des Commanders. »Das muß als Antwort genügen. Vom Augenblick der – Teilung – an gibt es einen Unterschied. Ein Mensch ist seine Erinnerungen. Omne starb lieber, als seine Erinnerung an jenen Tag aufzugeben. Das würde ich auch tun. Sie gehört mir. Wie groß die Qualen auch gewesen sind, sie sind jetzt ein Teil von mir, der einzige Teil, der ich wirklich selbst bin. So wie deine nur dir gehören, welche Erlebnisse wir auch immer geteilt haben. Es gibt Dinge, die haben wir nicht gemeinsam erlebt: der Moment, als Spock mich akzeptierte, seine Weigerung, mich als überflüssig zu erachten, selbst nachdem er wußte, daß du noch am Leben bist. Der
Commander, und wie sie zu der ihr übertragenen Verantwortung stand.« James straffte sich ebenfalls die Schultern und blickte in die Augen, die seinen so überaus ähnlich waren. »Diese Erinnerungen gehören mir. Sie machen eine solche Entscheidung möglich, nicht nur, weil es notwendig ist. Jim – wirst du dich auf mein Wort verlassen?« Das vollkommen ähnliche Gesicht verzog sich zu demselben Lächeln. »Bis in alle Ewigkeit, James.« James drehte sich der Frau an seiner Seite zu. »Und Sie, Commander?« Sie hob den Kopf. »Bis in alle Ewigkeit, James.« Er berührte ihr Gesicht, strich ihr das Haar von dem flinken, hochzuckenden Ohr zurück und murmelte: »Das dürfte – beinah – lange genug sein.« Er glaubte fast, durch seine Finger hindurch das Feuer in ihrem Geist zu spüren, und konnte es eindeutig in ihren Augen sehen. »Weshalb kenne ich Ihren Namen eigentlich nicht?« erkundigte er sich leise. Sie würde schon wissen, welchen er meinte: den vertraulichen, von dem Spock einmal gesagt hatte, er würde in der uralten Sprache, die ihr Volk einst geteilt hatte, soviel wie »Frühlingsdämmerung« bedeuten. »Sie werden ihn bald kennen«, versicherte sie, und ihre Augen versprachen ihm noch viel mehr. Er nickte und drehte sich wieder zu den anderen um: Spock – nein, es gab nichts, was man Spock sagen könnte, nichts, was wirklich nötig war; Jim – ihm hatte er bereits alles gesagt; McCoy, der sich vergebens bemühte, nicht mit besorgter Miene herumzustehen. James grinste. »Laß dir diesmal bloß mehr Zeit mit den Ohren, Pille – «, er machte eine Kopfbewegung zu Spock und dem Commander, » – oder wir werden das Ende der Geschichte nie erfahren.«
»Das werden wir sowieso nicht«, schimpfte McCoy neckend, aber seine Hand schien zu zittern, und er ließ sie auf James Schulter zur Ruhe kommen. »Hier kann man’s auch wirklich keinem recht machen.« Seine andere Hand streckte sich nach Jim aus. »Gott sei Dank«, setzte er abschließend hinzu. Und schien wieder mal das letzte Wort zu behalten. Doch als sie den Raum gerade verlassen wollten, hörte James Jim leise sagen: »Moment noch, Spock.« Der Vulkanier kehrte um, und James spürte plötzlich eine Leere, die nicht nur von der langsam einsetzenden Wirkung der Medikamente herrühren konnte. Es war schließlich die erste Gelegenheit für Jim, mit dem Vulkanier allein zu sein. Es war Jims gutes Recht, ihr gutes Recht. Die beiden machten einen vollkommen normalen Eindruck, als ob sie sich mit irgendeinem Problem hinsichtlich der Befehlsgebung auseinandersetzen wollten. James zwang sich, den Raum zu verlassen, und einen Augenblick später hatte McCoy ihn in ein kleines Behandlungszimmer bugsiert und wieder mit einem Betäubungsmittel bombardiert. Trotz aller Bemühungen, nicht über die Gedankenverbindung zu lauschen, hörte er Jim irgend etwas über das Überprüfen des Berichts der Delegiertenkommission von sich geben und hatte den Verdacht, daß er im Grunde etwas absolut anderes sagen wollte. Plötzlich merkte er, daß der Commander seine Hand hielt; langsam verschwamm ihm die Sicht vor den Augen. »Sie haben mich in der Hand«, stellte er ein wenig reuevoll fest. »Jawohl«, pflichtete sie ihm zufrieden bei. Doch als er einschlief, war er mit seinen Gedanken nicht voll und ganz bei ihr. Sie schweiften immer noch in die Verbindung ab, und er hatte fast den Eindruck, als würde sich ein anderer Geist einschalten. Jim? Das mußte allerdings eine
Illusion sein. Und doch – er hätte ein Recht dazu… Er konnte Jims Körper nicht mehr richtig spüren – die Droge entspannte ihn, blendete Jims Schmerzen aus. James ließ sich forttreiben… Ein Unterschied… Wenn er wach wurde, würde er sogar ein anderes Gesicht haben…
22 Genauso war es, als er aufwachte – und James hatte sich noch nicht ganz daran gewöhnt, als er sich auf den Weg zu Jim machte. Nicht ganz? Würde er sich je daran gewöhnen können? Er würde, beschloß er entschieden. Der Commander hatte ihm, genauso entschieden, einen Spiegel vors Gesicht gehalten und ihm kurz erläutert, wie es gemacht worden war. Sie, Spock und Pille hatten im Team gearbeitet. Wie sich herausstellte, hatte auch sie ihre Laufbahn als Wissenschafts-Offizier gemacht. Es war ihm direkt schwergefallen, ihren Erklärungen zu folgen; sie hatten mehr getan als erwartet. Nicht nur Augenbrauen und Ohren waren anders, sein ganzes Gesicht hatte sich auf eine sehr subtile Art veränderte, so subtil, daß er den Unterschied gar nicht exakt benennen konnte. Es war immer noch sein Gesicht, allerdings millimeterweise entscheidend verändert. Außerdem hatten sie Antworten auf Fragen gefunden, die er sich nicht einmal zu stellen getraut hätte. Zum Beispiel eine Transplantatinjektion von Knochenmarkzellen, die auf die Schnelle von Spock geklont worden waren. Sie hatten irgendwie festgestellt, daß die menschlichen Faktoren in Spocks Blut zu seinen eigenen kompatibel, die vulkanischen jedoch unterschiedlich genug waren, daß er davon keine Bauchschmerzen oder sonst was kriegen konnte – so hoffte er wenigstens. Sie hatte nichts von Bauchschmerzen gesagt, nur daß sie sein Immunsystem dazu gebracht hätten, die vulkanischen Komponenten zu akzeptieren. Und daß die Knochenmarkzellen mit ihren starken Pigmentfaktoren genügend vulkanische Blutzellen produzieren würden, damit sein Blut grün aussähe. Möglicherweise ein
bißchen verwaschen grün, weil der Großteil des Blutes schließlich seines bleiben müßte, und es würde auch keiner medizinischen Untersuchung standhalten, aber es würde ihn jedenfalls nicht gleich beim ersten Kratzer oder Erröten verraten. Außerdem noch eine subkutane Injektion vulkanischer Hautpigmentbildungszellen, ebenfalls von Spock geklont. Sie hatten ihn damit von Kopf bis Fuß mit dem Spray-Injektor bearbeitet. Vielleicht bekam er jetzt wenigstens keinen Sonnenbrand mehr. Dann die Haare – ein normaler, kosmetischer Eingriff –, denen sie einen sich selbst von den Wurzeln her regenerierenden Farbton verpaßt hatte. Nicht dunkel, sondern eher kupfergold. Ein heller Romulanerschopf. Sie sagte, solche Haare seien ›hochgeschätzt‹. Dieser Ausdruck gefiel ihm gar nicht. Aber er stellte keine weiteren Fragen. Er schob den Gedanken beiseite. Er mußte jetzt Jim – den Unterschied zeigen. James marschierte durch die Tür. Jim schlief nicht – hatte nicht die Bohne geschlafen, wie McCoy natürlich kräftig bemeckert hatte – und konnte James’ Kommen selbstverständlich ebenso spüren wie dieser die Tatsache, daß er nicht schlief. Seine Augen waren jedoch geschlossen, und er sah abgespannt aus; die Resonanz bebte immer noch vor Schmerzen, die unmöglich von James stammen konnten. Jim hatte Omnes riesigen schwarzen Bademantel über die Uniform gestreift. Hatte er sich etwa erkältet? Doch davon spürte James nichts. Er spürte nur den Druck eines allzeit gegenwärtigen Alptraums und wußte, welcher es war.
Jim schüttelte ihn nicht ab und ließ die Augen geschlossen, während James auf die Untersuchungsliege zusteuerte. Dann tat er beides ganz bewußt und starrte in das neue Gesicht. James legte ihm eine Hand über die Augen und schloß sie sanft. »Sieh mich jetzt noch nicht an. Mach dich erst mit dem Gedanken vertraut. Bring den – Traum zu Ende.« »Ich bin damit fertig«, erwiderte Jim resolut. »Ich bezweifle, daß überhaupt jemand von uns in der nächsten Zeit damit fertig werden wird«, sagte James und dämpfte dann die Stimme. »Komm mir jetzt bloß nicht auf die vulkanische Tour. Haben wir nicht beide einen bestimmten Vulkanier verteufelt, weil er seine Gefühle verleugnet? Und jetzt müssen wir uns beide eingestehen, daß wir heulen können. Manchmal möchte man das Universum doch wirklich zum Teufel jagen, stimmt’s?« Jim lachte auf die Art, die ihm stets ein Ersatz fürs Weinen gewesen war und es auch weiterhin sein würde. »Anscheinend ist es aber doch das einzige, was wir haben.« Er atmete tief durch. »Laß dich mal anschauen, James.« James nahm seine Hand fort. Er grinste leicht und beobachtete amüsiert, wie Jim unwillkürlich mit seinen Händen dorthin faßte, wo er keine Ohren hatte. James schon. Und er sah auch, daß Jim sie diesmal als zum Gesicht passend befand, anders als nach dem hastigen Ausgeschnittenund-angeklebt-Kunstwerk, das McCoy ihm selbst einmal in der Hitze des Gefechts verpaßt hatte, als er vulkanische Ohren brauchte. Spock hatte sie als ›ästhetisch unschön‹ an einem Menschenkopf bezeichnet, und Kirk hatte genau gewußt, daß er seinen Kopf damit meinte – und war ausnahmsweise einmal todernst bei einem Ohrenwitz geblieben. Dabei hatte er Spocks Meinung voll und ganz geteilt. Er hatte ausgesehen und sich gefühlt wie ein Idiot.
Doch jetzt sagte sein Blick, daß das bei diesem Kirk nicht der Fall war. Er schien wie geboren für die Ohren und umgekehrt. James grinste. »Spock und der Commander. Pille sagte, sie hätten sie mit Hilfe des Computers entworfen und während der ganzen Operation mit dem Knüppel hinter ihm gestanden.« Jim lachte. »Aber er hat für diese künstlerische Leistung doch bestimmt das Verdienst in Anspruch genommen.« »In der Tat.« »Wäre es – unlogisch, wenn ich dir mein Kompliment ausspreche?« »Wir müssen wohl beide zugeben, daß wir unerträglich eitel sind.« Jim grinste. »Jetzt reicht’s aber für heute mit den Eingeständnissen.« Dann wurde er wieder ernst, »Fast. Eins habe ich noch für dich. Aber zuerst – Spock… Du hast ihm heute sehr nahegestanden, hast ihn durch die Hölle gehen sehen. Jetzt muß er mit ansehen, wie du dich in – in eine ganz annehmbare Version der Hölle begibst. Was meinst du – wird er damit zurechtkommen? Ganz unter uns.« »Ganz unter uns – er wird«, gab James zurück. »Er ist soweit in Ordnung, wie er es immer gewesen ist – und für die nächste Zeit wohl auch bleiben wird. Er steht mir jetzt nicht mehr so nahe, aber das weißt du sicher genausogut wie ich. Ich würde sagen, er hat sich ein bißchen hinter die Große Mauer von Vulkan zurückgezogen. Er braucht das nach dem heutigen Tag. Ausgeschlossen, daß er sonst nicht auf der Triebebene reagieren würde. Deine Emotionen, meine… Und er leugnet ja nicht mal seine eigenen. Er ist in die Hölle hinabgestiegen und hat dich herausgeholt – und obendrein auch noch mich! Hat sich durch das Labyrinth geschlängelt, das Monster besiegt.« »Mythen«, sagte Jim plötzlich. »Als ob Omne das Drehbuch geschrieben hätte.«
James nickte. »So war es auch. Der Mann der tausend Mythen aus eintausend Welten. Aber Spock verfaßte den Schluß.« »Wenn man davon absieht» daß es kein Ende gibt.« »Richtig. Spock wird noch seine ganze Beherrschung brauchen. Er findet immer noch, wir müßten unsere Gefühle zeigen und er die seinen meistern.« Jim blickte in die Augen, die seinen nun nicht mehr so ähnlich waren, in diesem Punkt aber völlig mit ihm übereinstimmten. »Vielleicht sollten wir alle besser eine Zeitlang wie Vulkanier sein.« »Ja. Paß auf ihn auf.« Jim lächelte. »Eigentlich soll es umgekehrt sein.« James lachte leise. »Er wird um dich herumschleichen wie eine Glucke um ihr einziges Küken.« Jim schüttelte den Kopf. »Er hat jetzt zwei Küken – und das zweite muß nicht unbedingt ein romulanisches sein. Wie willst du das übrigens in den Griff kriegen? Und welche Pläne genau hat der Commander eigentlich mit dir?« James zuckte grinsend die Achseln. »Ist mir auch ein Rätsel. Ich bin mir nicht sicher, ob sie mich besitzt oder ich sie – oder beides. Vielleicht auch keins davon. Keine Ahnung!« »Macht dir das keine Sorgen?« »Es bringt mich fast um!« Sie mußten beide lachen. »Mal ganz im Ernst – « fuhr Jim nach einer Weile fort. James lächelte. »Mir ist noch nie etwas ernster gewesen. Ich fürchte, das Mädchen hat sich den Captain schließlich doch noch geangelt. Oder besser: ein akzeptables Faksimile.« »Akzeptabel? Laß mal deinen Kopf untersuchen!« »Schon geschehen«, grinste James ihn fröhlich an. »Ich hab’s mir ehrlich verdient.«
Jim zog ein reuevolles Gesicht. »Das hast du wirklich.« Dann wurde seine Miene wieder ernst. »James, bist du in Ordnung? Keine Bedenken metaphysischer Art? Keine philosophischen Grübeleien? Fragen über – Ansprüche? Über den Unterschied? Begibst du dich tatsächlich nicht ins Nichts?« James schüttelte den Kopf. »Es geht mir gut, so gut, wie es wohl eine Zeitlang bleiben wird. Ins Nichts – nein. Was den Rest angeht: Skrupel – nein; Fragen – sicher; Dinge, von denen ich nicht weiß, wie ich sie aufgeben soll – ja. Manche werde ich mitnehmen, neue finden, mit einigen alten in Verbindung bleiben.« Er spreizte die Hände. »Mir fällt keine andere logische Lösung ein. Was den Unterschied betrifft – er ist vielleicht der einzige versöhnliche Faktor. Ich besitze jetzt etwas, das du nicht hast, etwas, das nur mir gehört; sie ist meine Zukunft, und zwar nicht nur deshalb, weil es so sein muß.« Jim blickte feierlich in das neue Gesicht, als ob er darin vielleicht schon einen Unterschied entdecken könnte, der nicht chirurgischer Natur war. James wußte, daß Jim diese Angelegenheit auf dieselbe Art hätte hinnehmen wollen und nicht sicher war, ob er den Mut dazu hätte. Ein Teil davon, soviel war ihnen beiden klar, würde einfach nur darin bestehen, einen Fuß vor den anderen zu setzen, so wie sie es bisher getan hatten und noch eine Zeitlang würden tun müssen. Es war aber auch etwas anderes: das Gefühl, eine neue Herausforderung käme auf ihn zu. Jim konnte das nachvollziehen, dadurch würde alles erträglicher werden. Mit der Zeit sogar – gut. So gut jedenfalls, wie es ging. »Ich kann dich verstehen«, sagte Jim und streckte einen Arm aus. Ihre Hände fanden sich eine Weile zu mehr als einem Händeschütteln. Da erinnerte sich James plötzlich an die romulanische Geste, die sie ihm beigebracht hatte. Er ließ Jims Hand los, formte sie
zu einer Faust und folgte dann diesem Beispiel. Schließlich überkreuzten sich ihre Handgelenke, wie Jim es schon öfter gesehen hatte. Von der Tür zu McCoys Büro ertönte ein Signal, und Kirk sagte: »Herein«, verharrte jedoch erst einen ausgedehnten Augenblick in dieser Haltung, bevor er seinen Arm sinken ließ und sie sich umdrehten. Der Commander neigte den Kopf; ihre Augen strahlten. Spock stand stumm und sehr dicht mit seiner betonten, vulkanischen Zurückhaltung hinter ihr. Trotzdem lag das gleiche Leuchten in seinem Blick, der sich jetzt auf die beiden Männer konzentrierte, die Brüder hätten sein können – wenn auch aus unterschiedlichen Welten und keine Zwillinge mehr. McCoy umrundete die kleine Insel des Schweigens ebenfalls lautlos und trat zu Kirk. »Los, laß uns endlich weitermachen«, murrte er leise und sah die beiden vorwurfsvoll an. »Ich war einer Meinung mit James, daß du dich sicher noch verabschieden möchtest – ich ging davon aus, daß dazu jeder in der Lage ist –, aber du bist immer noch mein Patient, und du brauchst eine ausgedehnte Ruhephase.« »Der Doktor hat gesprochen«, seufzte Jim mit gespielter Resignation, akzeptierte aber den Vorwurf und brachte ein kleines Grinsen zustande. »Der Patient hat eine Beschwerde.« Er deutete mit dem Kopf auf James. »Warum ist er denn eigentlich so verdammt gesund und munter?« Weil er nicht dasselbe wie du durchgemacht hat, sagten McCoys Augen anklagend, doch dann raffte er sich zu seinem gewohnt flachsigen Tonfall auf. »Man kann’s hier wirklich keinem recht machen«, quengelte er wieder. »Warum sagst du mir nicht einfach, er wäre hinreißend?« Jim lachte leise. »Ich würde ihn nicht mal mit der Zange anfassen, Pille. Außerdem wäre das eher die Aufgabe des Commanders.«
»Er ist einfach hinreißend«, stellte sie ebenfalls in neckendem Tonfall fest und machte eine leichte Verbeugung vor Kirk. »Ist es immer gewesen.« Um ihre Augen bildeten sich leichte Lachfältchen. »Aber jetzt würde er tatsächlich einen äußerst zufriedenstellenden Romulaner abgeben – sagen wir, von einer der matriarchalischen Kolonien, wo Männer wie zerbrechliche Geschöpfe behandelt werden und nicht kämpfen dürfen.« Jetzt nahm sie sie schon wieder auf den Arm! James sah, daß auch Jim sich absolut darüber im klaren war, trotzdem konnte er nicht anders, als mit einem: »Das wird doch wohl nicht Ihre Hintergrundgeschichte sein?« heraussprudeln. Sie zuckte die Achseln, die Lachfältchen vertieften sich. »Es ist doch eine logische Möglichkeit. Ich muß noch eine bestimmte Angelegenheit zu Ende bringen, von der ich dank dieser Krise hier abgehalten wurde. Es gibt da einen solchen Planeten, der mir noch ein Prinzchen als Tribut und Geisel schuldig ist sowie eine Kriegerprinzessin dort – die Herrscherin, die Begriffe lassen sich nicht exakt übersetzen –, die in meiner Ehrenschuld steht und ihn lieber behalten würde, selbst wenn sie ihn in den Bergen verstecken müßte.« »Was mir wirklich Kopfschmerzen bereitet«, warf James mit ziemlich kläglichem Grinsen ein, »ist, daß ich nie sicher sein kann, daß Sie nur Spaß machen.« Sie hob eine Braue. »Und wenn nicht?« Sie stellte sich neben James ans Ende des Bettes. »Wissen Sie, das würde eine Menge Probleme lösen. Man würde nicht erwarten, daß Sie kämpfen oder an den Übungen der anderen Krieger teilnehmen. Und niemand würde einen zweiten Gedanken daran verschwenden, weshalb Sie als mein Eigentum unter meinem Schutz stehen.« Es ist wirklich unmöglich zu sagen, ob sie Spaß macht oder nicht, dachte James. Aufziehen, ja bestimmt, aber Spaß machen?
»Ich schon«, sagte er vorsichtig. »Und warum sollte das auch nur die Spur besser sein, als Ihr Gefangener und Bettwärmer zu werden? Oder – mir bei meiner Karriere im Kaiserreich helfen?« »Oh«, erwiderte sie unschuldig, »der Status wäre eindeutig besser. Ein wackerer Tributsvasall ist hoch bezahlt, ein fähiger hoch angesehen, und ein hinreißender wird allseits beneidet. Nicht selten wird so jemand zum Favoriten und Intrigenzentrum am Hof, zu der Macht hinter dem Thron – oder dem Kommandosessel.« »Wie eine – « Jim konnte sich weder zurückhalten noch den Satz zu Ende bringen. »Frau?« tat es der Commander ruhig an seiner Stelle. »Eine gefangene Prinzessin? Als Geschenk für den Eroberer? Warum nicht? Auch ihr habt solche Bräuche gekannt. Eure Geschichte schließt sogar Matriarchate und hin und wieder eine Gesellschaftsform ein, in der die Rollen exakt andersherum verteilt waren und Männer als zerbrechliche, eitle, geschwätzige – kurzum als ziemlich alberne Geschöpfe betrachtet wurden. Ich habe, während der Zeit auf eurem Schiff, eine Menge über die menschliche und vulkanische Kultur gelernt und dieses Wissen anschließend als eine Art Student vertieft.« »Es gab bei uns auch Sklaverei«, sagte Jim. »Das alles beweist keineswegs, daß wir dem – oder dieser Einstellung Frauen gegenüber – nicht entwachsen sind.« »Wirklich nicht? Weshalb protestieren Sie dann so entschieden gegen manche Aspekte dieser Rolle, wenn es um James geht? Übrigens sind auch unsere Krieger inzwischen erstaunlich tolerant gegenüber solchen Männern von den ›Umkehrungs‹-Planeten geworden. Sie halten sie zwar für ziemlich arme Schweine, weil sie sich beschützen und umsorgen lassen, lassen sie aber recht hohe Posten bekleiden,
die nichts mit Kampf zu tun haben. Ähnlich wie die Frauen bei der Sternenflotte.« »Es gibt bei uns durchaus Frauen, die kämpfen können«, wandte Jim ein, machte allerdings ein Gesicht, als ob er selbst einen defensiven Unterton in seiner Stimme wahrgenommen hätte. Sie zog vielsagend eine Braue hoch. »Es würde Ihnen nichts ausmachen, zu sagen, daß es keinen Unterschied gibt?« »Nein«, sagte Kirk niedergeschlagen, »aber nichtsdestotrotz – es gibt einen Unterschied. In physiologischer Hinsicht. Wie sehr wir uns auch anstrengen, fair zu sein, wenn es um Muskeln geht – « »Ganz genau, Captain«, bestätigte sie, und Jims Augen weiteten sich, als er merkte, daß die Falle über ihm zugeschnappt war. »Genau das ist für James der Unterschied, dort, wo er hingeht.« Jim war für eine Weile auf Eis gelegt, erholte sich dann aber rasch wieder. »Nein, das ist nicht der ganze Unterschied. Ihr Prinzchen-Projekt wird nicht funktionieren. Es ist pure Verschwendung. Unlogisch – und gefährlich. James besitzt sämtliche Instinkte und Reflexe, Verstand, Willen und Mut eines Kämpfers. Geistesgegenwart, Talent zum Bluffen. Er hat etwas, das die meisten Männer kapitulieren läßt, ohne es drauf ankommen zu lassen. Ihr dummes ›Was-man-hat-muß-man auch-nutzen-Prinzip‹ ist an allem schuld. Wenn Sie diese Anlagen in ihm unterdrücken, werden Sie nicht nur seine Reflexe kurzschließen, sondern auch die jedes anderen. Man wird unbewußt halb auf ihn als ›armes Schwein‹, halb als Alpha-Männchen reagieren – und dann wäre er wirklich in Schwierigkeiten.« Sie hob eine Braue in einem Anflug von Bewunderung. »Nett argumentiert, Captain. Wie ich sehe, haben Sie doch keine
Skrupel, ihn als hinreißend zu bezeichnen, wenn es darauf ankommt.« Jim bekam einen roten Kopf, und James fragte sich, ob das bei ihm wohl auch der Fall war – ob er etwa auf Romulanerart die Farbe gewechselt hatte? »Na ja, es ist eben ein- metaphysisches Problem«, sagte Jim verlegen. »Aber was ich gesagt habe, ist wahr.« »Das stimmt«, schaltete sich Spock ein, »aber es ist genauso wahr, daß Sie ein sehr talentierter Schauspieler sind – ihr beide seid es.« »Auf welcher Seite stehen Sie eigentlich?« beschwerte sich James. »Auf beiden. Ich kann Sie mir nicht so recht als ›armes Schwein‹ vorstellen, aber Ihre Fantasie wird dieser Aufforderung möglicherweise durchaus gerecht. Das Projekt brächte wichtige Vorteile mit sich. Ein Prinz, der Schritt für Schritt zu einer echten Macht wird. Dies ist möglicherweise ein Fall, in dem das Denken über bloße Reflexhandlungen hinausgehen muß.« »Ich bin mir nicht sicher, ob ich so weit raus will«, sagte James. »Ich weiß sogar ganz genau, daß ich es nicht will!« Er senkte seinen Blick auf den Commander. »Ihr fruchtbares Gehirn hat sicher noch andere Alternativen parat.« »Sie wären überrascht, was mein fruchtbares Gehirn so alles ausgeheckt hat. Ich kann Ihnen vierzehn verschiedene Drehbücher schreiben, in denen Sie sämtlich Karriere im Imperium machen werden, vorausgesetzt, ich kann Sie durch mein Training so weit bringen, daß Ihnen niemand mehr Ihren starren Hals brechen kann. Und ich könnte sieben verfassen, in denen ich Sie besitze – so oder so.« »Ich kann eins schreiben, in dem das sicher nie der Fall sein wird«, gab James etwas hitzig zurück. »Nicht, wenn Sie es wörtlich meinen.«
»Ach, können Sie? Und wie wörtlich, bitte, darf’s sein? Was, wenn auch ich gern den Unbesitzbaren besitzen wollte? Das ist bei euch nicht Brauch, und ich halte offengestanden selbst nicht viel von Sitten und Gebräuchen, die meinen eingeschlossen, aber vielleicht mache ich in diesem besonderen Fall einmal eine Ausnahme. Außerdem können wir das jetzt nicht klären. Für welches Drehbuch wir uns auch immer entscheiden werden, wir müssen es uns sorgfältig überlegen, denn es soll für ein ganzes Leben gelten. Sowohl die öffentliche als auch die private Version. Und wenn nun die öffentliche die Prinzchen-Version wäre? Oder die private eine andere, als Sie sich vorstellen können? Würden Sie immer noch mit mir kommen? Die einzige Frage, auf die es wirklich ankommt, ist die, ob sie mich hier aus der Tür marschieren lassen möchten – ohne Sie.« James drehte sich zu ihr um und sah ihr gerade ins Gesicht. »Es gibt noch eine andere. Könnten Sie ohne mich gehen?« Sie hob den Kopf. »Nein, aber in diesem Fall würde ich Sie einfach fortjagen.« McCoy versteifte sich, aber Jim berührte beschwichtigend seinen Arm, und James sah, daß sich auch der Vulkanier fast unmerklich hinter ihm aufrichtete. Das würde sie nicht, dachte James, war sich allerdings ganz und gar nicht sicher. Ihre gesammelten Kenntnisse der menschlichen Sprache und Kultur, aufgrund welcher man sie leicht für einen Menschen halten konnte, machten sie eben noch lange nicht wirklich zu einem Menschen. Sie war eine Außerirdische aus einer fremden Kultur, genau wie Spock – trotz seines zur Hälfte menschlichen Erbes –, nur daß ihr dieses Erbe und möglicherweise auch seine grundlegende Höflichkeit fehlten. Sie war eine romulanische Kriegerin – und sie war sie selbst. Einzigartig; außerhalb der Phalanx.
Und sie gab James in aller Deutlichkeit zu verstehen, daß auch er außerhalb stehen würde. James lachte. Er sah über ihren Kopf hinweg den Vulkanier an, streifte Kirk und McCoy mit einem flüchtigen Blick. »Falls es wirklich soweit kommen sollte – aber ich würde mich an Ihrer Stelle nicht darauf verlassen, genausowenig wie darauf, daß es ein Kinderspiel wäre, wenn Sie einen gewöhnlichen Menschen in Ihren Klauen hätten.« Er nahm ihren Kopf zwischen die Hände. »Selbst wenn es wirklich so ist. Arme Kleine! Ich fürchte, Sie haben mich auf dem Hals und ich habe schon deshalb ein oder zwei Wörtchen bei diesen Drehbüchern mitzureden. Das dürfte das Ganze interessant machen.« Ihre Brauen wanderten nach oben. »Da sind wir einer Meinung.« »Das wird für den Augenblick reichen, oder nicht?« »Es wird reichen«, bestätigte sie, aber ihr Rücken war ziemlich steif. James Finger glitten wieder in ihr Haar, zeichneten die Konturen ihrer nach oben spitz zulaufenden Ohren nach, zogen eins von ihnen dicht an seinen Mund heran. »Und was wäre«, flüsterte er gut hörbar, »wenn ich Sie besitzen wollte?« Ihre Steifheit schmolz dahin. Sie lehnte sich zurück und sah ihn mit einem leisen Lachen an. »Können Sie sich diesen Luxus denn leisten?« »Dürfte ich mich nach dem Preis erkundigen?« Ihr Blick war plötzlich schmerzerfüllt, und James wußte mit schlagartiger Gewißheit, daß sie, daß sie alle vier wie aus heiterem Himmel Omnes schleppende Stimme sagen hörten: »Das übliche. Ihre Seele. Ihre Ehre. Ihre Heimat. Ihre Flagge.« Und alle vier, ja, sogar fünf, wußten, daß dies genau der Preis war, den James nicht würde zahlen können. Sie nannte ihn nicht, aber James hatte sich ohnehin – ohne zu wissen, wie ihm geschah – in dem Wortwechsel verfangen.
Er holte tief Luft und brachte ein Lächeln zustande. »Abgemacht«, sagte er entschieden. »Aber Sie sollten mich wirklich besser einpacken und mitnehmen.«
23 Der Commander sagte: »In der Tat.« James beugte sich zu ihr hinunter, um sie zu küssen, aber sie nahm sein Gesicht mit festem Griff zwischen ihre Hände und berührte mit jeweils zwei Fingern ihrer Hand seine Schläfen und gleichzeitig die Spitzen seiner Ohren. Die traditionslose Art zu küssen, die zwischen den Sternen üblich war, war für den Mann, der Captain Kirk gewesen war, angemessen. Aber dieser hier war ihr unschuldiges Prinzchen – wie auch immer das Drehbuch lauten sollte –, das auf ihrem eigenen Territorium zu ihr kommen würde, wo die Kußtradition der Alten Zeiten vorherrschte, und er sollte sich ihr auf ihre Art nähern. Sie hielt ihn mit ihrer ganzen Kraft und berührte ihn mit der urältesten Form der Gedankenverbindung – und zwar ohne die übliche Selbstbeherrschung der Vulkanier. Der unterdrückte Gedanken-Kontakt des Vulkaniers war immer noch da. Das durfte nicht mehr lange so bleiben, aber im Moment würde es eben gehen müssen, und sie ließ sich nicht davon stören. James hielt unter der neuartigen Berührung den Atem an, und sie spürte sogar durch die Resonanz, daß Jim dasselbe tat. Doch auch das störte sie nicht. Es gab wirklich herzlich wenig Geheimnisse an diesem Tag. Aber sie berührte ihn nur leicht. Manche Dinge sollten eben doch nur unter vier Augen stattfinden. Trotzdem wollte sie es sich nicht nehmen lassen. Es war mehr als ein Kuß, und es brachte ihn zum Beben, aber sie spürte seine eigene tiefe Kraft, die es durchaus mit ihrer aufnehmen konnte.
Auch sie hatte Schwierigkeiten mit dem Atmen. Man hörte überhaupt keinen Atemzug mehr im ganzen Raum, nicht mal vom Doktor. Und mitten in dieses Schweigen hinein platzte plötzlich – kein Geräusch, sondern das Gefühl, daß noch jemand anwesend war. Es lief ihr eiskalt den Rücken hinunter, und als sie sich umdrehte, sah sie das lautlose Funkein eines Transporterstrahls, in dem sich langsam ein gewaltiger Umriß abzuzeichnen begann, der nur einem einzigen Mann in der Galaxis gehören konnte. Omne. Völlig unmöglich, daß er hier sein konnte, außerhalb jeder Transporterreichweite. Sie verschwendete allerdings keinen weiteren Gedanken an diese Ungeheuerlichkeit. Statt dessen machte sie einen Satz vorwärts, um genau in dem Moment, wenn er noch hilflos dem Transporterstrahl ausgesetzt war, zum Nahkampf überzugehen. Der Vulkanier trug einen Phaser. Er konnte sie und Omne betäuben, während sie Omnes Waffe blockierte. Spock würde die Notwendigkeit einsehen. Sie warf sich mit voller Wucht und einem Hieb auf Omnes Kehle auf den massigen Körper, während ihre andere Hand auf seinen Arm mit der Waffe niedersauste. Nur, daß sich der gerippte Arm kaum bewegte – und sie für einen langen Augenblick, in dem die Zeit still zu stehen schien, die Hitze von Omnes Körper spüren konnte. Sie wußte, daß der Vulkanier näherkam, daß Jim und James versuchten, sich in Bewegung zu setzen… Und im selben gespaltenen Augenblick packte Omne sie und schleuderte sie mit Gebrüll gegen den Vulkanier, so daß sie gemeinsam auf den Boden geschmettert wurden.
Durch ihre Benommenheit und den lodernden Schmerz hindurch war sie sich bewußt, daß der Aufprall sie beide zweifellos umgebracht hätte, wenn sie Menschen wären. Da ging James auf Omne los. »Nicht, James!« schrie sie durch die Gedankenverbindung und rappelte sich vom Fußboden hoch. Doch es war bereits zu spät. Er wollte Omne einen brutalen Tritt versetzen, wahrscheinlich die einzige Angriffsform, mit der der Mensch überhaupt eine Chance hatte. Omne aber zeigte auf den fürchterlichen Stoß von seinem Fuß keine Reaktion und fing James in der Luft ab. Jim flog Omne vom Sofa her entgegen, doch ein kurzer Schlag von Omnes anderer Hand schleuderte auch ihn gegen sie – diesmal nicht mit voller Wucht. Der Vulkanier tauchte, von Mordlust angetrieben, an ihr vorbei. Omnes Knie bohrte sich in seine Rippen, und der Aufprall explodierte in der Gedankenverbindung. Trotzdem gingen Spocks Hände auf Omnes Kehle los, doch da ließ ihn ein weiterer Hieb des Riesen auf die Knie fallen, und ein Tritt warf ihn um. Schließlich tauchte auch noch McCoy von irgendwoher auf, mit weniger Muskelkraft zwar, dafür aber mit dem Mut der Verzweiflung. Omne fällte ihn mit einem einzigen Klaps. Sie schob Jim zur Seite, um einen neuen Versuch zu starten, doch dieser setzte sich ebenfalls in Bewegung. In diesem Augenblick sagte Omne: »Halt!«, und sie sahen, daß er einen Arm von hinten um den strampelnden James geschlungen hatte und mit einem Phaser in der Hand auf den Commander zielte. Nicht mit dem Colt, der immer noch in seinem Halfter steckte, sondern mit einem hochmodernen
Phasermodell. Man konnte unmöglich sagen, ob er auf Betäubungs- oder Tötungseffekt eingestellt war. Sie ließ sich nicht beirren, denn sie wußte, daß der erste Moment explosionsartiger Handlung ihre einzige Chance war. Omne konnte sich jeden Augenblick mit James entmaterialisieren. Aber wenn sie ihn alle gemeinsam angreifen würden – Jim stand dicht neben ihr. Sie zielte auf Omnes Augen und das Nervenzentrum unterhalb seiner Kinnlade, sorgfältig darauf bedacht, den Menschen zwischen ihnen nicht zu verletzen. Omne erwischte sie mit dem Rücken der Faust, die den Phaser umklammert hielt. In ihren schlimmsten Träumen hatte sie sich nicht vorgestellt, jemals so hart geschlagen zu werden. Sie ging zu Boden, kämpfte mit gesammelter vulkanischer Kunstfertigkeit gegen die Bewußtlosigkeit an und versuchte mit ihren Beinen eine Schere zu formen, um Omne die Beine wegzureißen. Doch der stand felsenfest da, wie ein zweibeiniger Baum. Er versetzte Jim einen etwas sanfteren Hieb, fing ihn wie eine Mücke ein und ließ ihn fast besorgt auf Spock fallen, als der versuchte aufzustehen. Spock rollte Kirk zur Seite und setzte sich erneut in Bewegung. Omne stoppte ihn mit einem Stiefeltritt gegen die Kinnlade, dann trat er mit der Gewandtheit eines Tänzers einen Schritt zurück. Sein Arm lag jetzt im Würgegriff um James’ Hals und zähmte den Menschen nach und nach, der ihn die ganze Zeit über unbeirrt mit Schlägen und Tritten gegen Leib und Beine traktierte. Omne legte den Phaser an James’ Schläfe. James’ Bewußtsein verschmolz zu pochender Schwärze, und der Commander stieß ein erneutes: »Nicht, James!« aus. Diesmal gehorchte er ihr – möglicherweise nur deshalb, weil ihm nichts anderes übrig blieb.
Genau wie den anderen. Sie und Spock waren zwar noch einsatzfähig, aber selbst ein Betäubungsschuß des Phasers aus kürzester Distanz konnte James spielend umbringen – sofern ihm Omne nicht höchstpersönlich das Genick brach. Es war nicht etwa so, daß sie und Spock völlige Bewegungsfreiheit hatten. Da waren immer noch die Menschen. Die Gedankenverbindung und deren Resonanz hallten von ihren Schmerzen wider, wenn auch – zugegebenermaßen – eine gewisse romulanische und vulkanische Beteiligung daran nicht geleugnet werden konnte. Sie hatte den bitteren Geschmack einer Niederlage im Mund, aber er war nicht so stark wie der metallische Geschmack der Panik. Omne hatte seinen Würgegriff kein bißchen gelockert. Sie kam auf die Knie. »Aufhören!« rief sie, und es klang wie eine Bitte. »Was wollen Sie erbitten?« polterte Omne. »Ich – bitte um Gnade«, gab sie zurück. Das wölfische Lächeln erschien auf Omnes Gesicht. »Ich nehme wohl an, Sie bitten für sich selbst.« »Ja«, erwiderte sie stolz. »Und Sie, Spock?« »Ebenfalls.« Omne spürte, daß James in sich zusammensackte, und lockerte endlich den Griff. James wäre wie ein Sack zusammengefallen, wenn ihn der Riese nicht festgehalten hätte. »Mörder! Sie haben ihn umgebracht!« rief McCoy, der sich gerade vom Boden hochrappelte. »Lassen Sie mich – « Seine Hände griffen nach James, und seine Stimme war am Rande der Hysterie. Der Commander dachte mit einem Anflug von Mitgefühl, daß der arme Mensch durchaus ein Recht dazu
hatte: Nur die Gedankenverbindung sagte ihr, daß James nicht tot war. Und dann sah sie die Injektionspistole, die McCoy im Ärmel versteckt hatte, auf Omnes Schultern zielen. Ihr Gesicht zeigte nicht die leiseste Reaktion. Aber Omne drehte sich mit jenem allwissenden Gespür, das er zu besitzen schien – oder auch nur, weil ihm ein Reflex eingab, James wegzuziehen –, ein wenig zur Seite und sah den Injektor. Er ließ den Phaser auf McCoys Handgelenk niedersausen; der Arzt stieß einen erstickten Schrei aus, und der Injektor fiel klappernd auf den Boden. Dann zeigte der Phaser wieder auf James Ohr. Omne lachte. »Selbst der gute alte Doktor steckt voller Überraschungen. Ich hoffe doch, Sie wissen die meinen zu schätzen.« Er sah so neu aus wie eine frisch geprägte Münze, wirkte erschreckend lebendig und vital, seine unwiderstehliche Ausstrahlung erfüllte den ganzen Raum – als ob er tatsächlich wiedergeboren wäre. Der Phönix aus den Flammen. Der Schwarze Omne. Er war wahrhaftig der erste, dachte sie, der erste Unsterbliche Gedankenverbindung zurückgekehrt von der anderen Seite des Todes. Selbstverständlich hatte er dieses Ereignis mit ihnen feiern wollen. »Wir haben Sie erwartet«, sagte sie, verdrängte die Schmerzen und richtete sich auf. Er lachte wieder. »Das kann ich mir kaum vorstellen, meine Liebe, aber ihr hättet es tun sollen! Wann werdet ihr endlich begreifen, daß ihr über meine Fähigkeiten niemals im Bilde sein werdet, bevor ich sie nicht gegen euch verwendet habe?«
Auch Spock war wieder aufgestanden. Langsam zwar, denn die halb verheilten Rippen, Hände, Knie – alles war wieder hinüber. Seine Schmerzen machten die Gedankenverbindung unbrauchbar, bis es ihm endlich gelang, sie zu dämpfen. Jim, diesmal weniger schlimm verletzt, stützte den Vulkanier, schwankte allerdings leicht unter James’ Nachwirkungen von Omnes Würgerei und der Masse der Schocks und Verletzungen des Tages, unter dem brutalen Schlag, den ihnen allen Omnes überwältigende Gegenwart versetzt hatte. McCoy lehnte schlaff an der Couch und verarztete sein Handgelenk, als ob es gebrochen wäre. Wirklich eine bemitleidenswerte Mannschaft, die es mit diesem Monstrum in tadellosem Zustand aufnehmen sollte. Sie war die einzige von ihnen allen, die nach diesem Tag eben noch fit genug gewesen war, um zu kämpfen, aber es gab einen Punkt, an dem nur noch nackte, rohe Muskelkraft und Schwere zählten – sowie jener leibhaftige, unsterbliche Wille, der Omne zu eigen war. Aber ihr eigener Wille war genauso stark. Wille und Verstand mußten jetzt eben reichen; ihr Wille, ihr Verstand. Bring ihn zum Reden, laß ihn nicht wieder aufhören! Wo blieb nur Mr. Scott mit seinem Alarm? Hatte er Verstand genug, um zu wissen, daß sie es nur mit einem einzigen Eindringling zu tun hatten? Bestimmt. Und was würde er dann tun? »Das Kaiserreich würde für einen Transporter mit dieser Reichweite sehr viel zahlen«, sagte sie. Omne tat diese Eröffnung mit einer Handbewegung ab. »Wir wollen doch unsere Zeit nicht mit Gesprächen über belanglose Maschinen verschwenden, meine Liebe. Es gibt vom heutigen Tage an nur eine einzige Maschine in der ganzen Galaxie, die wirklich ihren Preis hat – und ebenfalls mir gehört.«
Sie neigte anerkennend den Kopf. »Wie wahr. Sie ist ein absoluter Erfolg. Ein Triumph! Lassen Sie uns über ihren Preis verhandeln.« Er lachte sein Wolfslachen. »Kommen Sie mir nicht mit Schmeicheleien, meine Liebe, darauf bin ich keineswegs aus. Ich werde schon von mir aus mit dem Verfahren prahlen, wenn mir danach ist.« »Und ich werde, sofern mir danach ist, anerkennen, daß Sie die allerletzte Chance beim Schopf gepackt und den endgültigen Sieg errungen haben.« »Ja«, bestätigte Omne schlicht. »So ist es.« Jim hielt sich dicht neben ihr, doch weder er noch der Vulkanier wollten den Augenblick stören. Auch James verhielt sich ruhig, versuchte seinen Geist zum Schweigen zu bringen und sie nicht am Ellbogen zu rütteln. Die Konfusion der Gedankenverbindungen und deren Resonanz stellte einen erheblichen Störfaktor dar; überall waren Schmerzen und James’ Gedanken auf der Ebene des Unterbewußtseins, deren einziger Hoffnungsfunke Scotty! war. Sie hätte allerdings auch nicht nur einen einzigen hauchdünnen Faden der Verbindung für alle Prinzchen des Imperiums hergegeben; eventuell mußte sie der Gedanken-Kontakt noch zu ihrem führen. »Sie sind der erste«, sagte sie zu Omne. »Der Phönix. Der Feuerdrache.« »Jawohl.« Diesmal nahm Omne die Anerkennung an, wischte sie aber sogleich mit einem leicht ironischen Lächeln beiseite. »Sie zählen James nicht mit?« »James ist nicht gestorben.« »Nein.« Die großen dunklen Augen brüteten einen Moment über einer bestimmten Erinnerung; sie waren unergründlicher denn je, eine Schicht schwarzer Tiefen schien über der anderen zu liegen, wie bei einem Obsidian, der transparent geworden
ist. Aber lag jetzt nicht auch etwas Neues in diesen Augen, als ob der Tod irgend etwas in absoluter Deutlichkeit eingebrannt hätte? »Sie haben beinahe recht behalten, Commander. Ich war der einzige, der um keinen Preis sterben wollte – und der einzige, der starb. Aber ich war nicht geschlagen. Ich war der, der lieber sterben wollte – und habe es getan.« »Dann fanden Sie also eine Aufzeichnung unseres Gesprächs in der Kontrollzentrale?« »Sicher, meine Liebe. Sämtliche Monitore nehmen automatisch auf. Der ganze Tag ist sicher abgespeichert und gelagert.« Jim neben ihr wurde ein wenig unruhig. Tja, dann konnte man nichts machen. »Ich habe hoffentlich nicht zu viele Möglichkeiten ausgelassen?« erkundigte sie sich mit leicht provozierendem Unterton. »Dutzende«, verkündete Omne. »Hunderte!« Sie lächelte flüchtig. »Sie werden mich zweifellos darüber aufklären.« Omne lächelte nachsichtig, als ob er über ihre sämtlichen Vorhaben auf dem laufenden wäre und sich den Luxus leisten könnte. Und unter dem Lächeln erkannte sie plötzlich den lodernden Haß, der im Kampf explodiert war und sich immer noch nicht aufgelöst hatte. Omne hatte ihn nur momentan an die Leine gelegt. Er hatte ihnen weder ihren Sieg noch seinen Tod verziehen. »Was Sie hier sehen, ist nur ein Test des Verfahrens, und zwar, was die Liebe angeht«, sagte Omne. »Stellen Sie sich einmal einen Test hinsichtlich Haß, Schwäche, Machtgier, menschlicher Anfälligkeit oder sogar Stärke und Anstand vor. Sie hatten nämlich eine Menge Vorteile. Jim und James sind sehr außergewöhnliche Männer – und fanden wiederum außergewöhnliche Hilfe.« Er sah erst sie, dann Spock an.
»Aber denken Sie sich zwei Könige, Imperatoren, Präsidenten, die eines schönen Morgens aufwachen – und plötzlich einen Doppelgänger von sich vorfinden. Man könnte sich nicht unbedingt auf den Edelmut unserer beider Originale verlassen. Sie selbst haben es ja nur gerade noch geschafft. Stellen Sie sich nun vor, ein solches Paar wüßte nicht, wer eigentlich das Original ist? Jeder müßte um seinen rechtmäßigen Platz kämpfen. Der andere wäre ein Hochstapler – der sich allerdings seiner eigenen Echtheit absolut sicher ist. Was, wenn dann kein Vulkanier zur Hand ist? Kein Telepath, der die Identität ermitteln kann? Und wenn es doch einen solchen Freund gäbe? Für wen und wie würde er sich entscheiden? Wie könnte ihn einer der beiden verlassen? Nehmen wir nur einmal an, meine Liebe, Sie wären heute nicht hier, um James einen neuen Weg zu öffnen?« »Der Gedanke ist mir beizeiten durch den Kopf gegangen«, gestand sie mit Mühe. »Es ist nur eine von vielen Möglichkeiten. Da wären zahlreiche Permutationen, Kombinationen, Überraschungen, elementare Nutzungsmöglichkeiten. Besessenheit. Die Erforschung metaphysischer Probleme. Das eigene Überleben.« »Wenn man genug dafür bezahlt«, bemerkte sie grimmig. »Zweifellos ebenfalls überraschend.« Wo blieb nur Mr. Scott? Wie lang konnte sie Omne noch hinhalten? »Sicher«, pflichtete Omne bei. »Ich stecke voller Überraschungen. Versuchen Sie eine Ihrer eigenen vor mir zu verheimlichen? Zum Beispiel, daß Mr. Scotts Alarm längst überfällig ist, sofern er meinen Transporter geortet hat? Er muß also entweder irgendwelche lautlose Aktionen in die Wege geleitet haben, in welcher Hoffnung Sie mich hinhalten, oder ich habe noch eine andere Fähigkeit als Überraschung für Sie parat.«
Sie zuckte kaum merklich die Achseln. Langsam, aber sicher bekam sie den Eindruck, daß Omne ihnen in jeder Hinsicht einen Schritt voraus war. Hatte Scott überhaupt die geringste Ahnung? »Wo Sie gerade mein Spiel erwähnen«, sagte sie, »es ist immer noch das einzige, das hier gespielt wird. Auch wenn wir noch die eine oder andere Überraschung einbauen müssen. Jedenfalls sind Sie gekommen. Sie wollten uns sagen: Ich lebe! Dafür können Sie uns dankbar sein – wenigstens dem Captain. Wir haben Sie nicht vernichtet, als wir konnten. Sie stehen in unserer Schuld.« Omne schüttelte den Kopf. »Ich bin weder für verpaßte Gelegenheiten noch für unangebrachten Edelmut und schon gar nicht für die Rationalisierung elementarer Bedürfnisse verantwortlich.« Er wandte sich an Jim. »Ein einziges unschuldiges Leben, Captain? Soll ich Ihnen den wahren Grund nennen, warum Sie den Planeten nicht zerstört haben?« Kirk nickte. »Ich habe es zwar schon getan, aber sagen Sie nur, was Sie glauben.« »Wegen der Unsterblichkeit, Captain. Sie konnten es nicht ertragen, die Tür hinter dem Sieg über den Tod zufallen zu lassen. Sie werden noch feststellen, daß Sie Ihre Seele und die Galaxis dafür verkauft haben.« Kirk richtete sich kerzengerade auf, und sie sah, daß Omne auf irgendeiner sehr, sehr tiefen Ebene recht hatte. Auch James’ Geist bestätigte ihr das. Kirk hob den Kopf. »Wegen der Unsterblichkeit! Man hätte Sie bis ans Ende aller Zeiten dafür geehrt. Aber statt dessen haben Sie Ihre Seele verkauft. O ja, ich will den Sieg über den Tod.« Er deutete auf die Sterne. »Wozu sonst sind wir hier draußen? Um zu lernen, um zu wissen, um die Grenzen immer weiter hinauszuschieben – um zu lieben. Wer will schon den Tod der Liebe? Nein, ich habe die Tür nicht zufallen lassen. Ich wäre bereit, mit der Büchse der Pandora – inklusive Hoffnung – zu leben. Aber nicht mit
der Unsterblichkeit als Waffe in Ihren Händen. Ich habe die Galaxis nicht verkauft. Wir werden Sie bekämpfen.« »Das haben Sie bereits versucht.« »Wir sind noch nicht am Ende. Wofür halten Sie sich, daß wir vor Ihnen kapitulieren?« »Für Omne«, gab der Riese schlicht zurück. Kirk nickte. »Der sind Sie – und wir haben nicht kapituliert. Heute haben Sie verloren. Sie sind der Liebe begegnet, und Sie konnten sie nicht zerstören.« »Ich werde Sie zerstören. Sie wollten das Verfahren, Captain, und Sie wollten es nicht für die Galaxis, sondern für sich selbst.« Kirk blieb sehr ruhig, aber sie konnte die dazu nötige Anstrengung in seinem Körper quasi spüren. »Ich wollte es, aber ich bin früher auch ganz gut ohne ausgekommen.« Er stand da, als ob er einen vernichtenden Hieb erwarten würde. Wieder loderte der Haß in den Obsidianaugen, und der wuchtige Arm um James’ Brust packte fester zu. James keuchte, und Kirk biß die Zähne zusammen; sie befürchtete einen Moment lang, der Riese würde seine aufgesetzte Pose einstudierter Gelassenheit über Bord werfen und anfangen um sich zu schlagen. Vielleicht hatte Kirk genau das beabsichtigt. Es wäre eine Chance aus der Sackgasse. Man mußte Omne aus seiner sicheren Position mit der Geisel im Arm und den Rücken gegen die Wand, die Türen im Blickfeld, herauslocken. Natürlich. Vielleicht stand Scotty draußen, beobachtete sie über Monitor und wartete nur auf eine gute Gelegenheit. Und wenn nicht – sie war noch nicht völlig ausgeschaltet, und weder Kirk noch James hielten sich dafür, nicht mal der Vulkanier mit seinen gebrochenen Rippen. Sie machte sich für den Angriff bereit.
Doch der Riese hatte die Situation vollkommen im Griff. Er zeigte sein Wolfslächeln. »Ich lasse mich nicht herauslocken, Captain. Genau wegen dieser besonderen Fähigkeit habe ich Sie ausgewählt. Es machte Sie zu einem passenden Subjekt für den ersten Test. Selbstverständlich sind Sie ohne die Unsterblichkeit ausgekommen, als es sie noch gar nicht gab. Aber jetzt existiert sie, und Sie haben einen Vorgeschmack davon bekommen.« Lange Zeit herrschte tiefes Schweigen. Sie spürte eine Last in der Gedankenverbindung. Jeder von Ihnen hatte viele Jahre dicht an der Grenze zum Totenreich gelebt und trotzdem gewagt zu lieben. Es war nötig gewesen. Der Tod war das Wesen des Universums, und jede Person, jedes intelligente Leben mußte damit leben. Der Tod war zu allen Zeiten unerträglich gewesen und doch ertragen worden. Jetzt war er nicht mehr das Wesen des Universums. Dann ergriff der Commander für alle das Wort: »Wir würden Ihnen alles dafür geben – nur nicht uns selbst.« »Ihr seid euch also vollkommen einig?« fragte Omne höhnisch nach, doch sein dunkler Blick wirkte beeindruckt, als er fühlte, daß ihre Übereinstimmung untereinander sie zu einer soliden Einheit machte. Sogar McCoy hob den Kopf und begegnete ihm mit einem glühenden Blick voller Abscheu und eisigem, blanken Stolz – er, der den Tod schon oft auf seinem eigenen Territorium bekämpft und zu oft verloren hatte – und dennoch nicht aufgab. Omne nickte. »Dann seid ihr also trotz allem nicht bereit, eure Seele, eure Flagge, euer Schicksal und eure heilige Ehre zu verkaufen?« »Wir werden nichts verkaufen, was das Lieben möglich macht«, erwiderte der Commander. »Aber genau das ist der Preis des Phönix«, verkündete Omne und lachte dann finster. »Und ihr werdet ihn bezahlen. Die
Lämmer in euch sind heute einer Meinung, doch die Wölfe werden schon bald zu mir kommen, lautlos, einer nach dem anderen, genau wie die Wölfe der Galaxis. Ihr werdet kommen, wenn die Belastung des Lebens mit dem Tod und das Wissen vom ewigen Leben zu viel für euch geworden sind. Commander, Ihre Pläne, James mit ins Romulanische Kaiserreich zu nehmen, sind einfach rührend. Und was wollen Sie tun, wenn Ihr hinreißendes, zerbrechliches Prinzchen es eines schönen Tages verpatzt, seinen stolzen Nacken zu beugen, und entlarvt wird? Oder falls er verraten wird – was sich nämlich durchaus machen läßt- und man ihn in die Kerker des Reichs wirft?« Ja, was dann? fragte sie sich und kämpfte aufsteigende Übelkeit nieder. Laut konzentrierte sie sich jedoch aufs Detail. »Wir haben nur hier von einem Prinzchen gesprochen. Können wir also davon ausgehen, daß Sie auch diese Unterhaltung belauscht haben?« »Aber natürlich«, sagte Omne ruhig. »Auch das habe ich auf Band. Ich muß zugeben, in diesem Punkt habt ihr mich wirklich enttäuscht. Ihr hattet bereits reichlich Gelegenheit zu erkennen, daß ich eure Bordsprechanlage anzapfen kann. Ihr wart ziemlich sorglos. Ihr hättet mir die Ehre geben können, mit Sol-Acht zu verschwinden. Aber wahrscheinlich kann man euch zugute halten, daß ihr unter den Nachwirkungen eines Schocks gestanden habt.« Sie schnitt eine Grimasse. Die Verzögerung hatte ihr tatsächlich zu denken gegeben, aber sie hatte keine Möglichkeit gesehen, sie zu vermeiden. Die aufgetretenen politischen, medizinischen, ja sogar metaphysischen Probleme und Emotionen mußten erst geklärt werden; darüber war sich auch der Vulkanier im klaren gewesen – vielleicht sogar mehr als jeder andere. »Wir hatten unsere Gründe«, sagte sie. »Außerdem haben wir nichts gesagt, worauf Sie nicht durch
James’ bloßes Auftauchen im Reich auch von allein gekommen wären.« Omne nickte. »Abgesehen vielleicht von der entzückenden Vision des Prinzchens. Ihr habt mir sozusagen die Augen über eure Pläne geöffnet, wie ihr mit mir fertig werden wollt. Und es gibt dabei wirklich ein Problem: Ich kann eine Allianz zwischen Föderation und Kaiserreich natürlich auf keinen Fall zulassen.« »Sie können sie nicht verhindern«, entgegnete sie. »Sie selbst haben dieses Band geknüpft.« Omne nickte wieder. »Und ich muß es unbedingt wieder auflösen, bevor die Schweißnähte zu widerstandsfähig geworden sind. Ich mußte dieses Risiko eingehen. Es war notwendig, um das Verfahren an den Besten zu testen, die die Galaxis zu bieten hat.« Er verneigte sich leicht vor ihnen. »Ich hatte mir nicht exakt genug ausgerechnet, wie gut die Besten sein würden.« Sie alle standen wie angewurzelt da. Der Commander brachte nicht einmal ein Nicken zustande und begann dann langsam zu begreifen. In Omnes Augen brannte ebenfalls Verständnis – und Haß. Er konnte ihre Anerkennung akzeptieren, aber seine war ihnen nichts wert. Er blieb mit gefährlicher Selbstkontrolle ruhig und nickte langsam. »Ich will nicht behaupten, es wäre direkt notwendig gewesen, das Beste in euch anhand des Schlechtesten in mir zu testen. Aber weil ich es tat, habt ihr meine Absichten mit der Galaxis vielleicht nicht ernst genug genommen. Sie, Commander, könnten sich immer noch in dem Glauben befinden, daß es mir nur darum geht, die ganze Galaxis in meine Gewalt zu bringen. Ich bin allerdings weit gefährlicher. Ich habe keinerlei Ambitionen, ein unbedeutender Diktator zu werden – auch nicht der einer ganzen Galaxis. Ihr alle werdet noch am eigenen Leib erfahren, daß ich ein wahrer Verfechter
der Freiheit bin, egal wie abwegig und verwittert das Ideal oder der Geächtete, der dafür eintritt, auch sein mögen.« Sein Blick war jetzt völlig ernst, und einen kurzen Augenblick lang mußten sie alle das mit Ausdauer verfolgte Ziel in den schwarzen Augen erkannte haben: die Lüge, zu der er sie hatte zwingen wollen, die eine Wahrheit war, die ein bestimmter Mann hatte erkennen müssen, als er den Tod der Liebe miterlebte. Einen Moment lang glaubte sie das Gesicht dieses Mannes in Omnes Gesicht wiederzufinden; ein jüngeres, fremdartiges Gesicht, das keine Sünde zu kennen schien. War das einmal Omne gewesen? Er legte das Gesicht ab, wie er es schon vor langer Zeit einmal getan haben mußte. Der ernste Blick blieb jedoch noch eine Sekunde lang erhalten. »Das letzte, was ich zulassen kann, ist eure Allianz, und wenn ich euch töten müßte, um sie zu verhindern. Es war außerdem nie Bestandteil meines Plans, jeder Seite einen Kirk mit auf den Weg zu geben – und ich werde es auch nicht tun!« Er verstärkte seinen Griff um James. Der Commander versteifte sich. »Sie haben keinen Kirk, den Sie irgendwem geben könnten«, stieß James mit zusammengebissenen Zähnen aus. Omne lachte. »Und ob! Sie sind mein Geschöpf, mein Eigentum – und zugleich das Eigentum des Siegers.« »Sie haben verloren«, knirschte James. Omne kicherte. »Kommen Sie, Prinzchen, Sie waren doch derjenige, der mich darüber belehrt hat, daß man Auseinandersetzungen nicht mit Gewalt löst. Möchten Sie jetzt vielleicht das Gegenteil behaupten? Ich habe aber auch in dem Punkt gewonnen, denn ich bin für dieses Privileg gestorben. Wie dem auch sei – wir können im Lauf der nächsten tausend Jahre noch jede Menge solcher Auseinandersetzungen führen. Ich darf Sie wirklich nicht an die Galaxis verlieren; ein Kirk ist
schon zuviel des Guten. Er wird die Herrschaftsgebiete Mauer an Mauer quer über die ganze Milchstraße aneinanderschweißen, bis auch nicht mehr der kleinste Durchschlupf für die Freiheit bleibt – oder für einen der noch frei herumlaufenden Wölfe der Galaxis. Abgesehen natürlich von mir. Und ich werde dann Wolf genug sein.« »Omne«, unterbrach ihn Kirk, »sind Sie nicht Wolf – oder Manns – genug, zweien von uns entgegenzutreten?« Omne lächelte. »Warum fragen Sie, Captain – durchaus! Kommen Sie ruhig, wenn Sie möchten. Ich habe den Gedanken, das Original – oder beide – mitzunehmen, immer noch nicht ganz aufgegeben. Sie würden sich beizeiten nicht nur meiner Herrschaft unterwerfen, sondern auch meine Vorstellung von Freiheit verstehen können. Ich könnte schon einen oder zwei Kirks gebrauchen, bei denen das der Fall ist.« Kirk schüttelte den Kopf. »In tausend Jahren nicht!« »Oh, wir hätten ewig Zeit«, rief Omne ihm ernst ins Gedächtnis zurück und lächelte dann. »Im Moment jedenfalls würde Ihr Verschwinden nur unangenehme Fragen über das Verfahren aufwerfen. Bei James’ Verschwinden wird das logischerweise nicht der Fall sein, da er gar nicht existiert.« »James’ Verschwinden würde mehr als nur Fragen aufwerfen«, warf der Commander brüsk ein. Omne grinste. »Wirklich, meine Liebe, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich mich vor Ihnen fürchte.« Er zuckte die Achseln. »Bei wem würden Sie sich denn Hilfe holen? Bei Ihrem Kaiserreich? Der Föderation? Auf welche Genfer Konvention wollen Sie sich berufen? Wer wird gefangengehalten, sagten Sie? Captain Kirk? Aber der ist doch an Bord der Enterprise! Ein Captain Kirk mit eleganten Ohren und dem Äußeren eines romulanischen Prinzchens? Lieber Commander, bei allem Respekt, sind Sie nicht vielleicht ein wenig überarbeitet?«
»Ich brauche keine Hilfe, um Sie auseinanderzunehmen«, sagte sie, obwohl ihr im Grunde vollkommen klar war, daß er recht hatte. Wenn er erst mal wieder hinter seinen Schutzschirmen steckte… Sie versuchte sich den Streit mit Omnes Treuhändern und der Delegiertenkonferenz auszumalen, wenn sie die Erlaubnis für eine Durchsuchung des Planeten durchsetzen wollte. Nein. Er würde James nicht mitnehmen – ganz bestimmt nicht ohne sie! Es mußte wenigstens einen Moment geben, in dem sie sich mit ihnen in den Transportereffekt stürzen konnte. Sie stellte fest, daß ihr Körper zu diesem Rückschluß schon vor einiger Zeit gekommen sein mußte, denn sie fand ihn bereits in Sprungposition vor. »Nein«, drang James’ lautloser Kommentar dazu durch die Verbindung, aber sie ließ sich auf keine Debatte ein. »Sie hat Hilfe«, ließ sich nun Kirk mit ruhiger Stimme vernehmen und trat Omne einen Schritt entgegen. »Die Allianz ist bereits in Kraft getreten. Niemand wird sie oder uns brechen. Was ich über die Daseinsberechtigung jedes einzelnen unschuldigen Lebens sagte, gilt für James wie auch für uns. Wir haben das Recht, uns selbst und die anderen zu verteidigen. Sie denken vielleicht, wir wollten unter keinen Umständen die Enthüllung des Verfahrens riskieren. Falsch! Wir tun es, wenn wir müssen. Es wäre ein gravierender Schritt, aber wir könnten die Konsequenzen in Kauf nehmen. Wir sind unter keinen Umständen bereit, einen von uns dem Tod, der Gefangenschaft oder Ihren Spielchen auszuliefern. Keinen von uns, niemand sonst, der uns teuer ist, keinen einzigen unter unserem Kommando, überhaupt niemanden!« Omne zog gefährlich eine schwarze Braue hoch. »Captain, Sie brauchen mal wieder eine kleine Lektion in Unterordnung.«
Doch Kirk schüttelte den Kopf. »Sie brauchen eine Lektion.« Er richtete sich kerzengerade auf und stand vollkommen ruhig da, aber diese Ruhe hatte eine elektrische Färbung, sie strahlte eine knisternde Energie aus, die es vielleicht sogar mit Omnes aufnehmen konnte. Sie sah ihn erstaunt an. War ihr irgend etwas entgangen? Das waren weder Blick noch Tonfall eines Verlierers, aber es war doch gar nichts passiert? Hatte ihm diese ganze Geschichte den Verstand geraubt? Verspürte er irgendeinen krankhaften Drang, sich gegen Omne zu behaupten? Eigentlich klang er gar nicht verrückt. »Omne«, fuhr er fort, »Sie gehören nicht zu den Unschuldigen. Die uralte Strafe für Ihre Verbrechen – um nur einmal Kidnapping zu nennen – ist der Tod. Für Ihre Verbrechen, für die mir nicht einmal eine Bezeichnung einfällt, haben Sie – sowohl nach alten als auch nach modernen Gesetzen – wirklich den Tod verdient, sogar als Unsterblicher. Und für das, was Sie noch vorhaben, ist der Tod nicht Strafe genug. Wir werden Ihnen nicht vergeben. Die hier anwesenden – Wölfe würden Ihnen liebend gern an die Kehle springen. Auch ich. Aber es ist uns unter einiger Anstrengung gelungen, aus dem Sumpf und dem Dschungel herauszukriechen. Wir können Ihnen weder eine Verhandlung noch Behandlung anbieten, für den Fall, daß wir Ihren Geisteszustand als gestört bewerten sollten. Es ist nicht unsere Art, jemanden durch Mord zu exekutieren, aber Sie haben sich jenseits des Gesetzes und jeder Diskussion gestellt. Eine Sache erkennen wir allerdings an: Ihre Errungenschaft und den Verstand, der sie ins Leben gerufen hat. Es gibt einen Weg, wie Sie trotz allem dafür geehrt werden können und Ihre Errungenschaft den ihr angemessenen Platz in der Galaxis einnehmen kann. Wir werden Ihnen weder vergeben noch Ihr Verhalten entschuldigen, aber ich biete Ihnen unter einer Bedingung Straferlaß an: Geben Sie das Verfahren frei und erklären Sie
sich damit einverstanden, es nie für den Privatgebrauch einzusetzen, weder gegen Schmerz noch gegen den Tod; denn wir hier in diesem Raum, Sie inbegriffen, werden eine Kommission zur Überwachung seiner sorgfältigen, richtigen Einführung in die Galaxis bilden. Ich biete Ihnen Straferlaß, Würdigung, Ihr Leben – als Alternative zum endgültigen Tod. Entscheiden Sie sich.« Omne hörte sich diese Worte mit so großem Erstaunen an, daß er sich nicht einmal ärgern konnte. Dann brach er in schallendes Gelächter aus. »Sie bieten mir Straferlaß an? Sie tun so, als ob es in Ihrer Macht stünde, mir überhaupt etwas anzubieten? Mir zu drohen?« Kirk zeigte keinerlei Regung. »Ich bitte Sie mir zu glauben, daß ich dazu in der Lage bin. Ich gebe Ihnen eine Chance, Omne. Entscheiden Sie sich.« »Captain«, erklärte Omne mit übertriebener Geduld. »Ich habe eben erst den Fußboden mit euch aufgewischt. Ich versichere Ihnen, ich habe meinen Transporterstrahl so abgeschirmt, daß Mr. Scott ihn nicht entdeckt haben kann. Ich bin mir bewußt, daß Sie mich hinhalten wollen, aber ich würde doch sehr begrüßen, wenn Sie es auf etwas plausiblere Art und Weise täten. Mit nichts als einem Pärchen in der Hand können Sie wirklich nicht so tun, als hätten Sie keine neuen Karten nötig. Schlecht gepokert, Captain.« »Sie halten nichts in der Hand, Omne, gegen einen Poker.« Kirk bewegte sich kaum merklich. »Haben Sie wirklich geglaubt, wir würden hier wie eine unbewegliche Zielscheibe auf Sie warten? Daß Spock die wirkliche Reichweite Ihres Transporters nicht berechnen kann? Daß ich sie nicht ungefähr über den Daumen peilen konnte? Daß ich Sie nicht gut genug kenne, um mit Ihrem Auftauchen zu rechnen? Wir konnten Sie nicht persönlich aus Ihrem Loch herauszerren, aber wir konnten Sie herauslocken. Mit welchem besseren Köder als
uns selbst – den einzigen, denen Sie sich überhaupt präsentieren konnten? Sie wurden hergelockt, Omne. Man hat Sie übers Ohr gehauen. Wir freuen uns, daß Sie unsere Einladung angenommen haben und in unsere Party reingeplatzt sind.« Omne lachte wieder. »Das wäre ja, als wenn man einen feuerspuckenden Drachen zu einer Teegesellschaft bittet. Ich hoffe, ihr habt seine Gesellschaft genossen. Sind Sie denn wirklich der Meinung, Captain, ich hätte diese Möglichkeit nicht in Betracht gezogen? Aber es entspricht nicht meinem Temperament, mich in einem Loch zu verkriechen. Und ich traf die Vorsichtsmaßnahme, Ihre Brücke und andere wichtige Areale am Monitor zu überwachen. Sie hatten keinerlei Gelegenheit, irgend etwas zu arrangieren.« »Kommen Sie, Sie Drache – glauben Sie wirklich, wir hätten diese Möglichkeit nicht in Betracht gezogen?« Kirk lächelte grimmig. »Sie hatten ausreichend Gelegenheit, unsere Möglichkeiten durch die Gedankenverbindung kennenzulernen. Mr. Spock und ich haben etwas vorbereitet: für Sie!« Dann stimmte also ihre Schlußfolgerung, daß die beiden etwas ausgeheckt hatten, als sie allein gewesen waren. Sie signalisierte dem Vulkanier Mordlust durch die Verbindung; jetzt verstand sie auch seine übernatürliche Ruhe und sein Sichabschirmen sogar James gegenüber, das sie für schlichte Selbstbeherrschung gehalten hatte, »Verbündete!« schickte sie ihm siedendheiß durch den Gedanken-Äther. Spock blieb hartnäckig stumm, selbst in der Verbindung. »Vertrauen Sie ihm – ihnen«, schickte ihr James, aber sie konnte auch seine Wut und sein Verletztsein fühlen: Hatten sie wirklich etwas arrangiert, ohne ihn und ohne sie, oder war es nichts als ein Bluff?
»Sie bluffen, Captain«, befand auch Omne, aber seiner Stimme fehlte für den Bruchteil einer Sekunde eine winzige Ecke an Selbstsicherheit. Da legte sich sein Arm plötzlich wieder um James’ Kehle, und eine Hand berührte in der Haltung der vulkanischen GeistVerschmelzung James’ Gesicht. Aber Omne war doch gar kein Telepath Und dann spürte sie den gewaltigen finsteren Geist mit plötzlicher, dunkler Flinkheit in James’ Geist eindringen – zusammen mit den Elementen eines vertrauteren Geistes, der sonnig war, aber auch seine konfliktbeladenen Schattenbereiche und große Energie besaß, die momentan diszipliniert war: der Geist des Vulkaniers; Spock. Da begriff sie schlagartig, obwohl sie sich verzweifelt bemühte, James abzuschirmen: Spock war zur Zeit von Omnes Tod mit ihm verbunden gewesen und hatte seine ultimative Todesangst geteilt. Seine – Bewußtseinsströme – hatten ebenfalls ausgestrahlt und waren, mit Omnes vermischt, aufgezeichnet worden. Spocks Kräfte, sein Wissen, seine Fähigkeiten – alles gehörte jetzt Omne. Omne! Die Gefahr Der dunkle Geist schlug mit riesigen schwarzen Schwingen nach dem von ihr und James; sie schützte den Menschen und versuchte die räuberische Finsternis zurückzudrängen, zurück – aber ihre Macht war ehrfurchtgebietend. Dann war der Spuk genauso schnell vorbei, wie er gekommen war, und sie wußte, daß Omne weder in ihrem noch in James’ Geist ein Komplott entdeckt hatte. »Sie bluffen, Captain«, stellte Omne diesmal mit völliger Sicherheit fest. Seine Hand glitt hinunter, um den zusammensackenden James aufzufangen. Kirk schwankte, aber er spuckte Omne »Auch das mußten wir herausfinden!« ins Gesicht.
Omnes Augen verengten sich. Trotz der Negativaussage von James’ Geist begann er langsam zu glauben. Kirks Selbstsicherheit erfüllte den ganzen Raum. Omne zuckte die Achseln. »Eine absolut logische Ausdehnung dieser Fähigkeit. Zwei Geister, die bei Eintritt des Todes ineinander verkrallt sind. Faszinierend. Ich hätte euch beizeiten noch darüber aufgeklärt, vielleicht ist das jetzt sogar der rechte Moment dafür. Es bedeutet, daß ich jeden einzelnen eurer Schritte voraussehen kann.« Kirk nickte. »Es sei denn, wir würden es schaffen – aus der Reihe zu denken. Wir haben es gerade getan.« Omne kicherte. »Ich bin fast versucht, James laufenzulassen. Es wäre bestimmt äußerst unterhaltsam, euch vier zu beobachten, wie ihr euch alle Mühe gebt, ›aus der Reihe zu denken‹; wie sich der Commander und James anstrengen, ein gemeinsames Leben aufzubauen, sich über Drehbücher und Prinzchen herumstreiten, das Kaiserreich umzumodeln versuchen – ständig in der Gewißheit, daß mein Schatten über ihnen schwebt, daß ich hinter jeder Ecke lauern, jeden Plan zunichte machen kann. Zuzusehen, wie sie dem Entsetzen jedes kleinste bißchen Glückseligkeit abzuringen versuchen – in dem Bewußtsein, daß das Beil jeden Moment auf sie niedersausen kann. Dasselbe gilt für Sie und Spock, denn ihr wißt genau, wie gut ich euch kenne. Ihr seid wirklich würdige Gegner.« Omne lächelte das Wolfslächeln, richtete sich gerade auf und zog James noch näher an sich. »Aber weil ihr genau das seid, kann ich mir diesen Luxus nicht leisten. Ich brauche eine effektive Geisel, mit der ich euch in der Hand habe. Captain, ich bedaure, daß Sie für den Commander diese Funktion anscheinend nicht erfüllen. Doch ich denke, James schon – sogar für Sie.« »Das ist richtig«, pflichtete Kirk ihm bei, »aber Sie werden ihn nicht bekommen.«
»Vergeben Sie mir, aber ich sehe wirklich nicht, wie Sie mich davon abhalten wollen«, gab Omne in verbindlichem Tonfall zurück. »Und ich glaube, ich werde nicht mehr lang genug hierbleiben, um Ihre dahingehenden Versuche miterleben zu können. Am Ende bringe ich gar noch jemanden um – dabei seid ihr alle so ungeheuer edel und unterhaltsam. Wenn ihr mich nun entschuldigen wollt – « »Sie lehnen die Amnestie ab?« fragte Kirk im Befehlston und mit Endgültigkeit in der Stimme. Omne lachte. »Selbstverständlich! Akzeptiert der Wolf etwa den Straferlaß eines Lamms?« Kirk schüttelte fast betrübt den Kopf. »Genausowenig wie die Schäfer den Wolf räubern lassen können.« Er richtete sich zu voller Lebensgröße auf und schien plötzlich wie ein Denkmal der Gerechtigkeit über ihnen allen hochzuragen. »Dann- stirb, Omne!« Er gab Spock einen raschen Wink mit der Hand. »Jetzt, Mr. Scott!« sagte der Vulkanier sowohl laut als auch in der Gedankenverbindung. »Commander, entfernen Sie James aus der Gefahrenzone – « Doch im selben Augenblick drang Omne in James Geist ein und riß die Gedankenverbindung zu Spock mit der Kraft des Vulkaniers entzwei, noch bevor der geistesabwesende Spock auch nur im geringsten zum Handeln kommen konnte. Seine und James’ Pein zuckten in den Überresten der Verbindung – und dann stürzte sich Omne auf ihren Kontakt zu James. Sie wehrte sich Da ertönte plötzlich ein Summen, und sie sah Omnes Phaser in einem sonderbar aussehenden Transportereffekt entmaterialisieren. Die Transporter der Föderation brachten so etwas gar nicht fertig – oder etwa doch? Der Transporter hätte James den Kopf abreißen können. Aber sie stellte keine Fragen, sondern machte sich daran, James – der sein Bestes tat, sich selbst zu befreien – aus dem
Weg zu schaffen. Sie hatte Zeit genug gehabt, wieder ins Gleichgewicht zu kommen, und ging unter Aufbietung des gesamten Trainings eines romulanischen Kommandanten auf Omne los; sie ließ ihre messerscharfen Handkanten auf die Nervenzentren in den bulligen Schultern sausen und vollendete diesen Bewegungsablauf, indem sie James den augenblicklich erlahmenden Armen entriß. Übrig blieb Jim Kirk, der Omne gegenüberstand, und Omne hatte immer noch den Colt im Halfter stecken. Sie beförderte James schwungvoll hinter sich und setzte sich erneut in Bewegung. Doch Kirk hatte sein riesiges schwarzes Gewand aufgerissen, und wie man sah, trug auch er darunter eine dieser veralteten Waffen – McCoys. Seine Hand fand den Colt mit untrüglicher Präzision und unglaublicher Schnelligkeit, während auch Omne zog. Es knallte, und selbst sie mit ihrem scharfen romulanischen Gehör konnte unmöglich sagen, welcher Revolver nun geschossen hatte oder ob nicht sogar beide – wie aus einem Lauf. An den Auswirkungen des Aufpralls einer großkalibrigen Kugel aus kurzer Distanz bestanden allerdings keine Zweifel. Er schleuderte Omne mit einer Wucht gegen die Wand, die sie zum Beben brachte, während seine Waffe diesem Beispiel kurz darauf folgte und schließlich polternd auf dem Boden landete. Und Kirk war noch auf den Beinen, wenn auch ein wenig bleich und mit den Händen des Vulkaniers auf seinen Schultern. Doch das dauerte nur einen Moment, dann gingen beide zu Omne hinüber, während sie mit einer Hand den Revolver aufhob; mit der anderen hinderte sie James am Umfallen.
Sie traute der animalischen Vitalität des schwarzen Riesen nicht über den Weg, auch nach diesem traurigen Schicksal nicht. Und wirklich – die baumstammdicken Beine hielten Omne immer noch aufrecht, obwohl in seiner Brust ein Loch klaffte und sich hinter ihm an der Wand ein blaugrüner Blutfleck abzeichnete. In den schwarzen Augen funkelte unauslöschliches Leben – und Verblüffung. McCoy eilte kopfschüttelnd mit seinem Tester herbei. »Dieses Mal sind Sie außer Reichweite Ihrer Apparaturen«, sagte Kirk sehr ruhig. »Es ist – endgültig.« Omne sah sie an, einen nach dem anderen, als ob er sich ihre Gesichter für immer einprägen wollte. »Das Spiel der rauchenden Colts, Captain«, krächzte er. »Sehr passend.« Kirk nickte. »Das fand ich auch.« Omne wandte sich an Spock. »Befragen Sie einmal Ihren Geist, Vulkanier, was der Begriff Omnedon darin auslöst.« Spock kehrte sich mit abwesendem Gesichtsausdruck nach innen. Nach einer Weile sagte er: »Ich werde um Omnedon trauern.« Das Wolfslächeln versuchte sich gegen Omnes schmerzverzerrte Grimasse durchzusetzen. »Trauert bloß nicht um den Schwarzen Omne!« »Ich trauere um ihn«, erwiderte Kirk. »Um den Geist, um den Giganten. Nicht um den Wolf, wohl aber um den Mann, der den Tod besiegt hat.« Omne lachte atemlos und unhörbar. »Vergessen Sie das nicht. Jetzt aber schnell – wie haben Sie den Phaser transportiert?« »Mit einem anti-biologischen Stromkreis«, klärte Spock ihn auf. »In Adaption an die – Schädlingsbekämpfung. Wir mußten davon ausgehen, daß Sie bewaffnet sein und einen von
uns in Ihrer Gewalt haben würden. Wir kehrten den Stromkreis um, so daß er Metall annehmen, Fleisch jedoch abweisen würde – damit uns keine Hand oder kein Ohr verloren gehen könnte.« Omne nickte, als ob er voll und ganz begriffen hätte, was ja vielleicht auch dank des Wissens von Spocks Geist möglich war. »Faszinierend. So etwas erfordert höchste Feineinstellung. Zeit. Man mußte das Intervall berechnen.« Er nickte wieder, was seltsam an einen Vuikanier erinnerte, dessen Neugier befriedigt war. Dann übermannte ihn der Schmerz. »Warum haben Sie mich nicht bei der erstbesten Gelegenheit erschossen?« »Edelmut«, ließ sich der Commander vernehmen. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich des Edelmuts müde bin.« James spürte die Glut in ihrem Geist und mußte feststellen, daß auch in seinem Geist eine Flamme brannte, zusammen mit der Erinnerung an das Bild, wie sie Omnes Phaser lud. Er beherrschte sich, indem er sich darauf konzentrierte, Verständnis zu haben. »Selbst Omne hat eine Chance verdient. Sonst wäre es hier nicht anders – als im Dschungel.« Omne lachte leise auf und sah den Commander an. »Der Edelmut. Ich fürchte, meine Liebe, den haben Sie jetzt auch am Hals.« Er warf einen vielsagenden Blick auf James. »Aber was sie jetzt nicht mehr auf dem Hals haben, ist, daß sie sich ständig nach Ihnen umsehen müssen«, sagte Kirk. »Dasselbe gilt für die Galaxis. Wir durften es einfach nicht zulassen.« »Wie Sie sehen, edler Captain«, hauchte Omne, »gab es doch einen Preis, um den Sie töten würden.« »Ja, aber ich habe es nicht getan.« »Nein«, gab Omne ihm bedeutsam recht, als ob er damit wesentlich mehr als bloße Zustimmung ausdrücken wollte.
»Er hat Sie besiegt, Omne«, schaltete sich jetzt auch der Vulkanier ein, »und zwar mit mehr als reiner Muskelkraft. Er ist der Mann, der Sie hätten sein können – und genau wegen dem, was Sie hätten sein können, wünschte ich, der Preis wäre nicht so hoch ge wesen.« Omne lächelte. »Sie haben immer noch viel über den Mann zu lernen, der ich hätte sein können und der ich bin – genau wie über den Preis des Phönix.« McCoy richtete sich samt seinem Tester auf. »Bedaure«, stellte er im nüchternen Tonfall eines Arztes fest. »Ich kann nichts mehr für Sie tun. Es ist vorbei.« Und wirklich – das Licht in den großen schwarzen Augen schien schwächer zu werden. Omne lachte. Dieses Lachen war ein unsterbliches Echo seines Stiergebrülls, und das Lächeln auf seinem sterbenden Gesicht war das des Wolfs. Dem Commander lief ein eisiger Schauer über den Rücken; sie zog James dichter an sich heran. Beim letzten Ton des Lachens holte Omne noch mal tief Luft. »Ist es das?« fragte er. Dann griff seine Hand nach irgendeinem kleinen Gerät an seinem Gürtel. Die Obsidianaugen wurden trüb. Der schwere Körper fiel um wie ein Baum. Und dann war er plötzlich lautlos verschwunden.
24 McCoy drehte sich zu den anderen vier um. In allen Augenpaaren, den vulkanischen, den romulanischen, den menschlichen, stand ein und dieselbe Frage. Ist es vorbei? Was für ein Alptraum, dachte McCoy. »Er war tot«, sagte er laut. »Ich schwör’s. Endgültig tot.« »Logik, Doktor«, ermahnte ihn Spock. Nicht um ihn zu ärgern, sondern eher in der Erinnerung an einen alten Alptraum – oder war es ein neuer? Er beugte sich steif hinunter, um das schmale Gerät aufzuheben, das von Omnes Gürtel gefallen war. »Das Verfahren funktioniert durch den Transportereffekt. Wir wissen nicht, ob die ›Ströme‹ nicht ebenfalls als vom Transporter codierte Informationen weitergebeamt werden können. Das wäre wenigstens die logische Schlußfolgerung.« »Aber – er war bereits tot«, beharrte McCoy hartnäckig. »Wirklich?« Spock untersuchte das Gerät. »Spock, ist das nicht ein – Gürtelrecorder?« erkundigte sich Kirk mit ziemlich hohler Stimme und betrachtete das kleine Gerät, als ob es die Seele des Schwarzen Omne enthalten könnte. »Nein«, gab der Vulkanier zurück, »obwohl er durchaus einen getragen haben kann, an der Innenseite seines Gürtels befestigt oder in einem Stiefel versteckt. Wir wissen nicht, wie weit er mit dem Verkleinerungsprozeß gekommen war. Vielleicht war es aber auch wesentlich simpler. Er konnte mit Leichtigkeit einen offenen Transporter-Leuchtspurstrahl hinterlassen, ein Signalgerät – «
»Spock«, fiel ihm McCoy gereizt ins Wort, »worauf, zum Teufel, wollen Sie hinaus? Und was ist das eigentlich – da in Ihrer Hand?« Spock blickte mit verbindlicher vulkanischer Unschuld zu ihm hoch. »Doktor, es ist ein – Toter-Mann-Schalter.« »Was?« »Ein Gerät, dessen Funktionsfähigkeit von der anhaltenden Lebendigkeit seines Benutzers abhängig ist«, erklärte Spock geduldig. »Die frühesten mechanischen Versionen davon stoppten eine Dampflokomotive, wenn der Maschinist starb. Wenn man Omnes Stärke bedenkt, tat dieses Ding hier schätzungsweise das gleiche.« »Spock, würden Sie wohl endlich verständlich reden?« schimpfte McCoy. »Ich denke, das tat ich, Doktor.« Spock klang unendlich lustlos. Der Commander nahm dem Vulkanier das Gerät aus seiner ungeäderten Hand und begutachtete es. »Schwerkraftgesteuert mit einem Tropfen Quecksilber«, übersetzte sie. »Sehr simpel. Solange Omne am Leben und auf den Beinen war, signalisierte es dem Transporterstrahl, ihn nicht mitzunehmen. Im Falle seines Todes – oder auch dann, wenn wir ihn überwältigt oder betäubt hätten – signalisierte es dem Strahl, augenblicklich in Kraft zu treten.« Sie sah erst Kirk, dann die anderen an. »Er hat es uns hiergelassen«, sagte Kirk langsam, »damit wir uns fragen: Ist es vorbei?« »Exakt«, bestätigte Spock. »Dann stehen wir also am gleichen Punkt wie vor ein paar Stunden«, folgerte James. »Nicht ganz«, sagte Kirk. »Damals war die Frage überflüssig. Er hätte sich nicht umgebracht, wenn er sich nicht absolut sicher gewesen wäre. Doch diesmal haben wir ihn überrascht. Hier, am äußeren Rand der Transporterreichweite, weit
entfernt von seinen Apparaturen und tot – so glauben wir wenigstens – bevor ihn der Strahl mitnahm…« Er richtete sich gerade auf. »Wir könnten es wirklich geschafft haben.« »Oder auch nicht«, murmelte McCoy und betrachtete die vier mit bangen Zukunftsaussichten. Dreh dich auf keinen Fall um! Irgend etwas könnte dich einholen. Omne. »Das werden wir erst wissen«, sagte Spock, »wenn er wieder in Erscheinung tritt- falls er wirklich noch lebt. Diesmal wird er untertauchen. Der Bericht der Delegiertenkommission traf erst kurz vor seinem Auftauchen hier ein; sie bestätigten seinen Tod; sein Anwesen wird von Treuhändern verwaltet; diejenigen, denen er Unterschlupf gewährte, trauern um ihn, und in manchen Vierteln, in denen das Erinnerungsvermögen kurz oder die Ungläubigkeit groß ist und so geringfügige Fehltritte wie Kidnapping schnell vergessen werden, wird er vielleicht sogar bald als Märtyrer der Freiheit beweint werden.« Kirk runzelte die Stirn. »Auch Sie sagten, Sie würden um Omnedon trauern. Was hatte das zu bedeuten, Spock?« »Eines Tages werde ich Ihnen die ganze Geschichte erzählen«, erklärte Spock. »Kurz vor dem Ende wollte Omne anscheinend noch seine Identität enthüllen und sagte, sein wirklicher Name sei Omnedon. Das rief eine Erinnerung in mir wach, von deren Existenz ich gar nichts wußte. Sie muß sich in dem Augenblick seines Todes durch unseren GedankenAustausch bei mir eingeschlichen haben; wahrscheinlich hatte er sie selbst verdrängt.« Spocks Blick war abwesend. »Es gab eine Zeit, als Omnedon noch nicht wie ein Wolf lachte. Er war ein mächtiger Mann, hielt aber nichts von Gewalt. Ein Gigant, nicht nur, was seine Größe betraf, und ohne jede Böswilligkeit. Er war der Alexander seiner Welt, aber nicht aufgrund von Eroberungen, fast ein – Surak, der kriegführende Königreiche
durch eine Philosophie des Friedens und der Freiheit wiedervereinigte. Als die Föderation auftauchte – es war ein sehr früher Kontakt –, empfing er sie mit offenen Armen. Er wurde zu einem führenden Kopf der Wissenschaft und der erste, der vor seinem Volk für den Nutzen von Veränderungen eintrat. Er rannte die steinerne Mauer eingefahrener Bräuche ein. Zu guter Letzt zerstörte es ihn und seine Welt, und er konnte es sich niemals mehr verzeihen. Er war die treibende Kraft beim Verletzen der Obersten Direktive.« Spock kehrte wie aus weiter Ferne in die Gegenwart zurück und richtete seinen Blick auf Kirk. »Aber was er weder sich selbst noch Ihnen vergeben konnte, war, daß er einen Punkt erreicht hatte, an dem er aufgab.« Kirk schwieg lange Zeit. Dann sagte er schließlich: »Er hat diese Lektion gelernt. Er hat selbst heute nicht aufgegeben, auch nicht im Angesicht des Todes. Und er wird es auch in Zukunft nicht tun.« »Nein«, pflichtete Spock bei. »Vielleicht war es genau das, was er von Ihnen lernen wollte.« »Ihr sprecht über ihn, als ob er gar nicht gestorben wäre«, warf McCoy verständnislos ein. Kirk lächelte andeutungsweise. »Selbst wenn er starb, er hat nicht aufgegeben. Ich wünschte, wir könnten zurückgehen und zu – Omnedon durchdringen. Der Mann war ein Gigant. Davon gibt es nicht viele.« »Er war ein Monstrum«, knurrte McCoy. »Auch das.« Kirk machte eine leise Bewegung, als ob er etwas abschütteln wollte. »Schön«, sagte er dann im Befehlston, »damit müssen wir leben. Sofern er nicht tot ist, ist er ein noch weit gefährlicherer Feind, als wir je geahnt haben. Mit einem Eroberer, der auf eine Diktaturherrschaft aus ist, würden wir viel leichter fertig werden. Aber der schlimmste Betrug in der ganzen Geschichte war schon immer die
Vorgabe, ein Verfechter der Freiheit zu sein – mit der Waffe im Anschlag. Und der gefährlichste Mann ist der, der an seinen eigenen Schwindel glaubt. Wir haben es jetzt mit einem Mann zu tun, der an sich glaubt und der der Galaxis seine Auffassung von Freiheit in den Hals rammen wird – mit dem Verfahren an der Spitze. Obendrein besitzt er nun auch noch Spocks Kräfte. In höchstem Maße gefährlich! Wir müssen unseren Plan ausführen, allerdings mit allergrößter Sorgfalt und ohne jemals genau zu wissen, ob Omne nicht hinter irgendeiner Ecke lauert. Die Allianz – « »Haben Sie bei der erstbesten Gelegenheit betrogen«, fiel ihm der Commander mit ernster Stimme ins Wort. »Geheimnisse. Mit welchem Recht haben Sie ohne mein Wissen oder meine Zustimmung James’ Leben riskiert?« Kirk antwortete ihr müde, aber bestimmt: »Commander, Sie haben vollkommen recht. Es stand uns nicht zu, schon gar nicht ohne James’ Einverständnis. Ich nahm mir heraus, für ihn zu entscheiden, und habe Ihre Entscheidungsgewalt vorübergehend – usurpiert, wenn Sie so wollen. Um unsere Falle aufzustellen, mußten wir in Reichweite bleiben. Es war jederzeit möglich, daß Omne sich einen von uns schnappen und mit ihm verschwinden würde – oder einen von uns festhalten, wie bei James. Falls wir ihn nicht im ersten Moment aufhalten oder außer Gefecht setzen konnten, wie wir hofften, mußten wir wenigstens dazu in der Lage sein, unser Geheimnis vor ihm zu verbergen und ihn am Reden zu halten, bis Scotty endlich so weit sein würde. Spock zog die Möglichkeit in Betracht, daß Omne sich einen Teil seiner Kenntnisse und seiner Kräfte angeeignet haben könnte. Wenn er einen von uns zu bald durchleuchtet hätte… Wie dem auch sei, wir hatten die Absicht, es Ihnen sofort zu erzählen, nachdem die Falle fertig vorbereitet war und Spock eine Möglichkeit bekäme, mit Ihnen
in Verbindung zu treten, ohne daß Omne Verdacht schöpfen könnte.« »Irgendwann im nächsten Jahr?« entgegnete sie unversöhnlich. Kirk lächelte reuevoll. »Es wäre wahrscheinlich schon längst geschehen, wenn Sie meinen Kopf mit Ihrer PrinzchenGeschichte nicht völlig durcheinandergebracht hätten. Also wirklich, wie können Sie einem armen Menschen-Männchen so was nur zumuten?« McCoy sah Kirk das berühmte Lächeln lächeln, das normalerweise die Vögel aus den Bäumen hervorlockte, aber der Commander blieb so unbeeindruckt wie ein Stein. Schließlich wurde Kirk wieder ernst. »Ich möchte mich entschuldigen, Commander, und ich meine es wirklich absolut todernst. Werden Sie mir verzeihen?« Endlich nickte sie. »Lassen Sie uns nur nicht solche Metaphern wie ›todernst‹ benutzen. Vom Tod hatten wir wirklich genug.« »Allerdings«, stimmte Kirk zu. »Freunde?« Sie nickte und nahm die romulanische Geste der gekreuzten Handgelenke ein. »Und Verbündete. Aber wenn Sie jemals wieder etwas in der Art tun sollten, werden Sie noch wünschen, Sie hätten keine anderen Sorgen, als möglicherweise ein Prinzchen zu sein – mein armer Kleiner.« Kirk lachte, aber es klang ein klein wenig zittrig. »Schon kapiert«, sagte er – und schwankte leicht. James erbleichte auf romulanische Manier, war plötzlich an Jims Ellbogen und führte ihn auf das Bett zu; der Vulkanier folgte seinem Beispiel mit dem anderen Ellbogen, und McCoy durchquerte den Raum, den Tester im Anschlag, mit einem einzigen Satz. Doch soviel er sagen konnte, handelte es sich nur um einen Zusammenbruch unter der Anhäufung der Schocks des Tages – guter Gott, das stand ihm auch wirklich
zu, aber er wollte sich ja einfach nicht ausruhen – und um einige neue Kratzer aus dem letzten Gerangel. Außerdem verlangte es ihm sehr viel ab zu töten – noch dazu jemanden wie Omne. »Und jetzt verschwindet von hier und laßt mich an meinen Patienten ran«, sagte McCoy kategorisch und warf einen Blick auf den Vulkanier. »Meine beiden Patienten. Ihr könnt euch später um die Galaxis kümmern.« James nickte. »Exakt«, sagte er im Befehlston. »Pille, kümmere dich um sie! Setz dich notfalls auf sie drauf, wenn sie nicht stillhalten wollen. Jim, Spock, ab ins Bett. Ausruhen! Das ist ein Befehl.« Er ging zum Intercom. »Scotty?« »Aye, Captain.« James hob eine seiner romulanischen Brauen, was soviel bedeuten sollte wie: nahe genug. »Danke, Scotty. Wunderbare Arbeit.« »War Mr. Spocks Idee. Er sagte, Sie brauchen eine Möglichkeit, wie man einem Mann die Waffe aus der Hand schießen kann. Nur eine winzig kleine Veränderung an der Einstellung des anti-biologischen Stromkreises, mit dem wir unsere Fracht von Ratten und anderem Ungeziefer säubern. So eine Art gegenteilige Problematik.« »Gar nicht mal so gegenteilig«, sagte James gedankenvoll. »Es hat uns einen Wolf vom Hals geschafft.« Hat es das? dachte McCoy, während er sich an Kirk zu schaffen machte. »Aye, Sir«, gab Scotty etwas zweifelnd zurück. »Mr. Scott, fertigmachen zum Aufbruch, Sol-Faktor Sieben. Nehmen Sie den entsprechenden Kurs, damit wir unsere unterbrochene Mission wieder aufnehmen können. Machen Sie alles für ein Intra-Schiff-Beamen bereit. Der Commander wird Ihnen die Koordinaten durchgeben. Übernehmen Sie bis auf
weiteres das Kommando. Kirk Ende.« Der Name wurde nur mit dem leisesten Zögern ausgesprochen. »Aye, Sir.« James kehrte wieder zu den Liegen zurück und stellte sich neben den Commander. Er nahm ihre Hand – auch wenn es für einen Moment so aussah, als ob sie die seine nahm. Er senkte den Blick auf Kirk, ließ ihn dann zu Spock hinübergleiten, der es schon wieder geschafft hatte, auf der Liege zu sitzen. »Es wird bestimmt nicht leichter«, sagte James mit einem Seitenblick zur Tür, »und es kann auch nicht mehr viel schlimmer werden. Aber – es ist mit Sicherheit kein Lebwohl.« Da drang es endlich auch bis zu McCoy durch, daß sie wirklich drauf und dran waren zu gehen – daß er ging: James! Aber, gütiger Gott, er war doch immer noch James T. Kirk. Wie konnten sie ihn nur gehen lassen? Und dann fiel McCoy schlagartig ein, auf welche Art sich er und der Vulkanier erst vor wenigen Stunden von James T. Kirk verabschiedet hatten. Du liebe Zeit, war das ein Alptraum gewesen! Er sah Spock an und las denselben Gedanken in den Augen des Vulkaniers. Einen Augenblick lang fand ein lautloser Austausch all dessen statt, was nur sie beide durchgemacht und miteinander geteilt hatten, sowie ein Austausch von soviel Trost, wie ihn McCoy jetzt angesichts des bevorstehenden Verlusts aufbringen konnte. Diese Art von Verlust konnten sie verkraften, denn es war kein Abschied für immer. McCoy versuchte, dem Vulkanier etwas von dieser Gewißheit hinüberzuschicken. »Ich danke Ihnen, Leonard«, sagte der Vulkanier unvermittelt und ohne sich zu erklären. Dann richtete er das Wort an James. »Die Pforten der Hölle, James.« McCoy vollendete das Zitat im stillen. O ja.
James stand in feierlicher Haltung da. Dann zuckte ein Lächeln um seine Mundwinkel, dieses Lächeln, an dem sich nichts geändert hatte. »Wir sind schon von schlimmeren Orten entkommen, Spock. Heute.« »Das Schattental der Toten…« sinnierte Spock und betrachtete James, als ob er eine triumphale Errungenschaft wäre. »Dem sind wir heute entronnen – und wenn es Jahre dauern sollte, bis wir den Sieger wieder einfangen und diese Angelegenheit endgültig regeln werden.« Dann richtete sich sein Blick auch auf Jim Kirk, und der nickte zustimmend. »Wir haben jahrelang Zeit. Und wir haben James und neue Freunde.« Er wandte sich an den Commander. »Wenn Sie ihn nicht augenblicklich hier rausschaffen, fang ich wieder an, mir über das Prinzchen-Projekt den Kopf zu zermartern.« »Ich mach’ das schon die ganze Zeit«, gestand James. Der Commander schüttelte den Kopf. »Lassen Sie das nur meine Sorge sein.« McCoy seufzte. »Das sagen wir alle«, verkündete er resigniert. Und während der Commander und James durch die Tür verschwanden, stellte er plötzlich fest, daß er wieder mal das letzte Wort behalten hatte.