Bastei
TEXAS-WESTERN Band 684
Wenn Texaner kämpfen Ein mitreißender Roman von BILL MURPHY
Marshal Jim Rug stieß die ...
10 downloads
242 Views
312KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Bastei
TEXAS-WESTERN Band 684
Wenn Texaner kämpfen Ein mitreißender Roman von BILL MURPHY
Marshal Jim Rug stieß die Tür zu seinem Office auf. Er war müde und erschöpft. Was er wollte, war Ruhe. Er mußte zur Besinnung kommen nach der mörderischen Schießerei, die nur er heil und unverletzt überstanden hatte. Aber er sah, daß er hier keine Ruhe finden würde. Eine Menge Männer hatten sich in seinem Office eingefunden, und sie wurden still, als Jim Rug eintrat. »Ich hab’s nicht geschafft«, murmelte er halblaut. »Einer allein kommt gegen die Höllenmeute nicht an. Und zu einem zweiten Versuch wird es bei mir nicht mehr kommen. Ich gebe auf...«
Der Bruder des Marshals, Berry Rug, schob sich nach vorne. »Hör zu, Jim, die Stadt rechnet auf dich. Sie ist nun mehr denn je auf dich und deine Arbeit als Marshal angewiesen.« Jim Rug schnallte bedächtig seinen Revolvergurt ab. Er blickte lange und prüfend in die Gesichter der Männer ringsum. »Ich sagte klar und verständlich, daß ich gegen die Bande nicht mehr antreten werde. Nicht, weil Carillos Höllenhunde mich geschafft haben. Ihr seht, ich hatte Glück. Nicht einmal einen Streifschuß habe ich abbekommen.« »Warum wollen Sie dann den Job hinwerfen, Rug?« fragte ein älterer Mann, Mitglied des Stadtrates von Hays und Besitzer der Kingdom Bar. »Weil ich kein Vertrauen mehr zu euch habe, deshalb«, erwiderte Jim Rug hart. »Ihr seht alle nur das Geld und die Geschäfte, die ihr mit Logan Carillo machen wollt. Und ihr merkt dabei nicht, daß dieser Verbrecher die ganze Stadt unter seine Kontrolle bringt. Die Schießerei mit seinen angeheuerten Revolverschwingern hat mir gezeigt, wer in dieser Stadt der wahre Boß ist.« »Unsinn«, brummte Berry Rug. »Das siehst du falsch, Bruder. Wenn die Kerle, gegen die du angetreten bist, wirklich zu Logan Carillo gehören, hast du unsere volle Unterstützung.« »Die brauche ich nicht mehr, Berry.« Jim Rug riß sich die Marshalplakette von der Brust und knallte sie auf den Schreibtisch. »Sucht euch einen neuen Marshal! Ich kann es nicht mehr sein! Unschuldige Frauen, sogar Kinder, sind angeschossen und verletzt worden. Da fragt ihr noch, ob es Carillos Schießer waren! Glaubt ihr etwa, ich hätte auf Frauen und Kinder geschossen?« »Viele in der Stadt halten Mister Carillo für einen Ehrenmann, Jim. Er hat auch viel für diese Stadt getan. Der Handel ist aufgeblüht, seit Logan Carillo hier ist.« »Dann macht doch Carillo zum Marshal! Oder einen seiner skrupellosen Killer! Ich reite noch heute, noch an diesem
Abend. Ich habe die Nase voll von euch scheinheiligen Dollargeiern!« »Das darfst du uns nicht an den Kopf werfen, Jim«, wandte sein Bruder Berry ein. »Du hast dir vorgenommen, Logan Carillo aus dieser Stadt zu vertreiben. Nun mußt du dich nicht wundern, wenn er zurückschlägt.« »Es hat Tote gegeben, Leute. Wann werdet ihr denn endlich wach? Carillo ist nicht der Ehrenmann, für den ihr ihn haltet. Ich allein habe keine Chance gegen Carillos skrupellose Mannschaft. Und eure Unterstützung kommt zu spät. Logan Carillo hat seit heute in dieser Stadt vollendete Tatsachen geschaffen. Er ist der Boß. Bald werdet ihr alle es merken, wenn ihr eure Geschäfte und Unternehmungen an ihn abtreten müßt« »Sie sagen, es hätte Tote gegeben«, sagte der Besitzer der Kingdom Bar. »Auf welcher Seite denn? Hat Logan Carillo Männer verloren?« »Nein. Aber Freunde von mir haben dran glauben müssen. Die wenigen aufrechten Kerle, die mir in dieser Stadt noch geholfen haben. Ich bin sicher, daß ihr Tod ungesühnt bleiben wird. Es gibt keine Beweise und keine Handhabe gegen Carillos Meute. Die Banditen geben sich gegenseitig falsche Alibis, und Logan Carillo verfügt über Beziehungen bis zu den höchsten Stellen in diesem Staat. Ich habe heute eingesehen, daß es sinnlos ist, als einzelner noch etwas gegen diesen Verbrecher ausrichten zu wollen. Deshalb habe ich meinen Posten als Marshal niedergelegt.« Im Office herrschte betretenes Schweigen. Jim Rug, ein Mann wie ein Bär, hatte ein verräterisches Glitzern in den Augenwinkeln. »Versteht doch, daß ich nicht länger euer Marshal sein kann. Ich habe versagt. Und ich habe die Konsequenzen gezogen. Ein Mann muß wissen, wann er verloren hat. Alles andere ist Augenwischerei...«
Mike, ein alter Mann, trat von einem Bein auf das andere. Immer wieder schüttelte er den Kopf und warf besorgte Blicke auf den ehemaligen Marshal. Er wußte, alle Bemühungen waren vergebens. Jim Rug würde sich nicht mehr umstimmen lassen. Besser, sie alle sahen das möglichst schnell ein. Zögernd und mit auf den Boden gerichteten Blicken räumten die Männer das Office. Jim Rug verabschiedete sich von keinem von ihnen. Bis zum Abend ordnete er den Schreibtisch, räumte im Office gründlich auf und verstaute dann seine geringe Habe in den Satteltaschen. Auch Coltgurt und Schießeisen wurden eingepackt. Jim Rug wollte so bald nicht wieder schießen. Der alte Mike brachte einen Beutel mit Proviant. Dann ritt Jim Rug aus der Stadt. Es war Nacht. Die Sterne glitzerten am Himmel. Hays lag in tiefem Frieden. Aber dieser Frieden mochte täuschen. Der Oldtimer Mike stand noch lange vor dem verwaisten Marshal’s Office und lauschte dem Hufschlag von Jim Rugs Pferd nach, bis er verklang. *** Auf den Tag genau zwei Jahre später hielten drei Reiter ihre Pferde in der Vergnügungsstraße von Hays an. Jack Benny und Clark Bowman atmeten begierig die Stadt ein. Für diese Männer aus dem Süden war das bunte Treiben in Hays ein gewaltiges Erlebnis. Die vielen Saloons, die kreischende und lärmende Musik, die aus den offenstehenden Fenstern und Türen drang, die zahlreichen Menschen auf den Sidewalks – das alles verwirrte sie. Steve Bate jedoch hockte teilnahmslos im Sattel. Er hielt den Kopf gesenkt und wartete, daß Clark Bowman endlich das Zeichen zum Weiterreiten gab.
Doch Clark und Jack waren scharf auf einen Whisky. »Wir sind in Dodge zu keinem Drink gekommen«, sagte Jack Benny sehnsüchtig. »Laß uns hier kurz von den Pferden steigen, Clark.« Clark Bowman nickte. Er sah Steve Bate an. Da der ein schiefes Gesicht zog, fragte er: »Was ist, Steve? Keinen Durst?« »Wir sollten erst zur Viehverladestelle reiten, Clark«, gab Bate zu bedenken. »Das Geschäft ist wichtiger. Wir werden auch bei den Aufkäufern einen Whisky bekommen.« Doch Clark Bowman schüttelte den Kopf. Er trieb sein Pferd zum Sidewalk und stieg aus dem Sattel. Jack und Steve folgten ihm. Als sie aus den Sätteln waren, bemerkte Clark Bowman, daß sich Steve Bate nach allen Seiten umsah. »Was ist los mit dir, Steve? Paßt dir was nicht?« Bate schüttelte den Kopf. »Du wolltest mich unbedingt bei dem Handel dabei haben. Nur deshalb bin ich mitgekommen. An dieser Stadt liegt mir verdammt wenig. Ich wäre lieber im Camp bei der Herde geblieben.« Bowman lachte. Er schlug Steve auf den Rücken und schob ihn auf Judy Biddys Saloon zu. »Los, Mann! Ein Whisky kann nie schaden.« Kurz vor dem Biddy Saloon drehte Bate plötzlich ab und zog die Partner in die Hays Inn hinein. Clark Bowman, der Trailboß, schüttelte den Kopf. Doch er folgte ihm. Jack Benny hatte gar nichts bemerkt. Er hatte einer blondgelockten Frau nachgeschaut und betrat erst nach den beiden die Inn. Drinnen war viel Betrieb. Am Tresen fanden die drei Männer Platz. Clark Bowman bestellte die Drinks. Er und Jack sahen sich neugierig und interessiert um. Nur Steve Bate nicht. Der stützte die Ellenbogen auf den Tresen und hielt den Kopf gesenkt. Hin und wieder warf er einen verstohlenen Blick zu den Tischen.
Dann tranken sie. Steve Bate hob sein Glas. Er sagte »Cheerio!« und wandte sich gleich wieder ab. »Jim Rug!« klang da ein Ruf auf. Jack und Clark blickten sich verwundert um. Sie entdeckten den Rufer und erkannten, daß dessen eisiger Blick auf Steve Bate gerichtet war. »Hallo, Jim Rug!« rief der Mann noch einmal. In der Inn war es still geworden. Viele Männer erhoben sich und sahen zu den drei Männern herüber. Einige blickten fragend hin und her. Andere aber lächelten wissend. Jack und Clark schauten auf Steve Bate. Zweifelnd, ungläubig und belustigt. Sie warteten nun darauf, daß Steve Bate endlich seinen Namen nannte, um den Fremden von der offensichtlichen Verwechslung zu überzeugen. Doch zu ihrer Überraschung sagte Steve Bate: »Ja, was ist, Kim Stanley?« Dieser Kim Stanley nickte zufrieden. Er schob seinen bulligen Schädel nach vorn und kam um die Tische herum. Dann blieb er stehen. »Nett, daß du mich nicht vergessen hast.« »Warum sollte ich dich vergessen haben?« fragte Steve Bate trocken. Kim Stanley lächelte eisig. Er wippte selbstsicher auf den Stiefelspitzen. »Well«, brummte er. »Warum solltest du mich auch vergessen haben!« Er lachte und warf einen schnellen Blick über die Gäste. »Die Stadt hatte einmal einen berühmten Revolvermann als Marshal. Diesen Jim Rug da! Ich hörte davon in Wyoming. Deshalb stieg ich damals in den Sattel, um zu sehen, was an diesem Mann Berühmtes ist. Ich wollte einfach mal mein Glück in Hays versuchen. Doch ich hatte Pech. Gleich am ersten Tag schmeckte mir nach dem langen Ritt der Whisky zu gut. Der berühmte Marshal gab mir eins über den Schädel und lochte mich ein. Am gleichen Tag verschwand er. Niemand wußte wohin. Niemand! Nicht mal die kleine Judy Biddy wußte, wohin er sich verkrümelt hatte.«
Steve Bate nickte. »Alles richtig! Aber wie geht es nun weiter?« Kim Stanley grinste. »Du bist wieder da. Meine Geduld ist belohnt worden. Zwei Jahre habe ich hier auf dich gewartet. Damals bin ich zu spät gekommen. Also werde ich eben heute mein Glück versuchen.« Jim Rug, alias Steve Bate, schüttelte den Kopf. »Ich schieße nicht mehr. Auch nicht auf Narren, die unbedingt unter die Erde wollen. Deshalb habe ich vor zwei Jahren diese Stadt verlassen. Nur ein lächerlicher Zufall hat mich wieder hierhergeführt. Ich werde sofort wieder verschwinden.« Kim Stanley hob den Kopf. »So kommst du mir nicht davon, Jim Rug. So nicht. So billig wollen wir das nicht machen.« »Ich werde nicht ziehen«, erwiderte Jim Rug fest. »Nie mehr! Hörst du das? Du bist eben viel zu spät gekommen.« Jack Benny verzog das Gesicht. Er stieß Jim Rug den Ellenbogen in die Seite und raunte ihm zu: »Mensch, Steve, wenn du Jim Rug bist, dann brenn doch dem großmäuligen Burschen eins übers Fell. Der steht in viel zu großen Stiefeln.« Clark Bowman war ein älterer Mann und um einige Erfahrungen reicher als der wilde Texasboy Jack Benny. Halblaut sagte er zu Jim Rug: »Ich verstehe dich sehr gut, mein Junge. Aber wie willst du aus diesem Bau herauskommen? Doch nur als Jim Rug. Du hast keine andere Wahl. Als Steve Bate wird dir das nicht gelingen.« Doch Jim Rug hatte sich bereits entschieden. Und das nicht erst in der Hays Inn. – Schon bedeutend früher hatte er das getan. Damals – vor zwei Jahren, als er diese Stadt verließ, weil er nicht mehr töten wollte. Er würde lieber eine harte Lektion hinnehmen, als noch ein einziges Mal zu schießen. Nie mehr würde er einen Menschen töten. Nie mehr.
»Also, Rug! Wie ist das jetzt mit dir?« fragte Stanley mit lauerndem Blick. »Sicher bist du nicht ohne Grund hergekommen. Willst du den Marshaljob wieder annehmen?« »Ich werde sofort weiterreiten«, erwiderte Jim fest. Kim Stanley hielt den bulligen Schädel schief. Er grinste wissend. »Aber Judy wirst du doch bestimmt einen Besuch abstatten, wie? Hahaha! Sei nur vorsichtig, Knabe! In Judy Biddys Saloon verkehren wieder ein paar Burschen, die mächtig scharf auf dich sind. – Ein Glück, daß du ausgerechnet mir zuerst über den Weg gelaufen bist. Ich bin eben doch ein Glückspilz.« Er lachte boshaft und verschlagen. »Du bist ein Pechvogel wie die anderen auch.« Jim Rug ging langsam auf die Tür zu. »Ich werde nicht mehr ziehen. Nie mehr. Versuch also dein Glück anderswo.« Aber da stellte sich Kim Stanley vor die Tür. Er schlug die Hände um die Kolben und fauchte wütend: »Ohne Kampf wirst du diesen Raum nicht verlassen! Kein Weg führt an mir vorbei. Du mußt schon zusehen, daß du über mich steigst!« Jim blieb stehen. Er blickte sich nach seinen Partnern um. Die lehnten in kampfbereiter Haltung am Tresen und nickten ihm zu. Er aber band seinen Gurt ab und ließ ihn einfach zu Boden fallen. Dann wurde es totenstill in der Hays Inn. Jack Benny und Clark Bowman machten finstere Mienen. Doch sie verharrten nach wie vor in der gleichen kampfbereiten Haltung. Sie sahen auf Jims breiten Rücken, blickten auf den Coltgurt und schauten dann wieder zu Stanley hinüber. Auch der war zunächst überrascht. Er schien das gar nicht richtig zu begreifen. Er zog die Stirn in Falten und rief bissig: »Du willst doch nicht etwa vor mir kneifen, Jim Rug!« »Doch!« gab Jim ruhig zur Antwort. »Ich kneife!« Kim Stanley beugte sich vor. Beißender Hohn klang in seinen Worten mit, als er schnell ausstieß: »Sag jetzt laut, daß du vor mir kneifst! Laut! Jede Seele in diesem verfluchten Bau
soll das hören und es dann durch die Stadt tragen.« Er hatte nur noch Blicke für Jim Rug. Der nickte und lächelte. »Wenn dich das beruhigt: Well, ich...« »Sei still!« rief da Jack Benny hinter ihm. Benny hatte plötzlich den Colt in der Faust und hielt ihn auf Kim Stanley gerichtet. »Das Theater ist zu Ende! Verschwinde, Junge!« rief er mit heiserer Stimme Kim Stanley zu. »Hau ab! Ich bin so nervös wie ein junger Hengst. Wenn du nicht gleich gehst, fahre ich aus der Haut.« Clark Bowman griff ebenfalls zur Waffe. »Well«, raunte er dem Mann aus Wyoming zu. »Geh jetzt lieber! Das sind schlechte Späße. Er will keinen Kampf. Respektiere das gefälligst!« Kim Stanley sah die drei Männer an. Er nickte den Männern zu. »Ihr seid im Vorteil, Gents. Schön, ich werde diese Inn verlassen. Aber seht euch vor. Diese Stadt ist für euch alle drei verdammt heiß geworden. In euren Stiefeln möchte ich nicht durch die Gegend steigen.« Er lachte niederträchtig und hob die Hand. »Wir sehen uns sicher bald wieder, Gentlemen!« Dann drehte er sich um und ging hinaus. Jim hob seinen Gurt auf. Dann gingen auch die Partner zur Tür. Jim Rug wollte als erster hinaus. Doch Jack und Clark hielten ihre Colts noch in den Fäusten. Sie stießen ihn zur Seite und schoben sich schnell durch die Schwingtüren. Von Kim Stanley war jedoch nichts mehr zu sehen. Sie steckten ihre Colts weg. »Mein lieber Mann«, schnaufte Jack Benny mit funkelnden Augen, »das war vielleicht ein Ding. Wir hätten diesen Burschen abschießen sollen.« »No, Jack«, erwiderte Jim Rug. Er legte ihm die Hand auf die Schulter. »Wenn ich vor zwei Jahren nicht über Nacht fortgeritten wäre, weiß der Teufel, wie viele noch gekommen wären. Es war so schon mehr, als ein Mann ertragen kann. –
Nun wißt ihr, warum ich lieber als Steve Bate nach Texas kam.« Jack Benny lachte. »Du wirst als Steve Bate wieder mit uns reiten, und alles ist im Lot.« »Das geht nun nicht mehr, Jack!« Jim Rug schüttelte den Kopf. »Kim Stanley wird mir auf der Fährte bleiben. Es gibt nur eine Lösung: Ich muß allein weiterreiten.« Clark Bowman sagte: »Die Entscheidung kann dir kein Mensch abnehmen. Reite jetzt ins Camp zurück und warte dort auf uns. Ich werde mit Jack allein mit den Aufkäufern verhandeln.« Jim Rug wußte, daß er nun wieder reiten mußte. Ein zweites Mal würde er versuchen müssen, seine Fährte zu verwischen. Nach Texas führte kein Weg mehr. Kurz vor dem Ausgang der Stadt trat ein Halbblut seinem Pferd in den Weg. Es griff einfach in die Zügel und rief zu ihm herauf: »Du bist doch Jim Rug. Dein Bruder erwartet dich. Diese Straße da drüben hinein. Das letzte Haus.« Jim entsann sich nicht, diesem Burschen schon mal irgendwo begegnet zu sein. Aber er nickte dem Halbblut zu und ritt dann in die Straße hinein. Auf halbem Wege pfiffen ihm plötzlich Kugeln um den Kopf. Also doch eine Falle, dachte er und biß die Zähne hart aufeinander. Sein Pferd mußte er scharf an die Kandare nehmen. Flucht! dachte Jim. Vielleicht wäre es das beste. Aber dafür ein paar Kugeln in den Rücken? Verdammt! Ausgerechnet in dieser Stadt. Hierher mußte er kommen, um sich wie ein räudiger Hund abknallen zu lassen. Da klang vor ihm ein dröhnendes Lachen auf. An der Ecke erschien eine Gestalt und ging mitten auf die Fahrbahn zu. Kim Stanley. »Exmarshal«, schrie er ihm entgegen, »du dachtest wohl, ich hätte dich so einfach aus dem Hinterhalt abknallen wollen,
wie? Hattest du das nicht gedacht? Ich möchte wetten, du hast die Hosen voll, du Waschlappen. Zieh endlich, damit wir es austragen können – das von damals und das von heute. Du kommst mir nicht davon.« Jim Rug hatte sein Pferd beruhigt. Er trieb es an und ritt auf Stanley zu. »Gib den Weg frei, Kim!« rief er. »Ich hab’ mit dir nichts zu schaffen.« »Ha, aber ich mit dir! Nur das sticht, verstanden?« Rug hatte Stanley erreicht. Der fiel dem Pferd in die Zügel. »Konnte mir denken, daß du zu deiner Liebsten willst, Jim. Hab’ sie laufen sehen. Schnurstracks zu deinem Bruder. Jetzt ist es aber zu spät. Zieh, sag’ ich dir!« Jim Rug war ganz ruhig. Er gab seinem Pferd die Sporen. Es bäumte sich auf. Doch Kim hielt die Zügel fest, riß es herunter. Und was nun geschah, ging so blitzschnell vonstatten, daß hinterher niemand von denen, die hinter den Fenstern mit angehaltenem Atem lauerten, hätte sagen können wie es eigentlich geschah. Kim Stanley ließ die Zügel los, trat zur Seite. Seine Linke griff blitzschnell zu, krallte sich in Jims Hose. Und mit einem Satz schwang er sich hinter Jim auf das Pferd. Das erschrak, bäumte sich wieder auf, so daß sich beide Reiter festhalten mußten. Dann setzte es zu einem wilden Galopp an. Kim aber hatte alles berechnet. Er besaß die Geistesgegenwart, an Jim vorbei zu den Zügeln zu greifen. Er riß das Pferd zurück, ehe es in Galopp fallen konnte. Seinen rechten Arm schlang er um Jims Hals. »So, jetzt ist es soweit«, knurrte er ihm ins Ohr. »Jetzt wehr dich, du Coyote!« Der Druck seines Armes wurde von Sekunde zu Sekunde stärker, während er das Pferd tiefer in die Seitengasse zu dirigieren versuchte. Jim Rug griff mit beiden Händen nach dem ihn würgenden Arm. Er brachte den Arm herunter. In dem Augenblick aber, da
er sich vorbeugte, um den Angreifer in einem rasanten Zug über seinen Rücken hinweg auf die Erde zu werfen, ließ Kim Stanley die Zügel los. Er griff mit der linken Hand nach und zog den verhaßten Jim Rug mit zur Erde vom Pferd herunter. Kim Stanley mußte mit seinem ganzen Körper den Fall Jim Rugs auffangen, denn er kam zuunterst zu liegen. Mit einem Satz kam Jim Rug hoch. Er war jedoch unentschlossen, was er tun sollte. So gewann Kim Stanley Sekunden Zeit. Auch er schnellte aus dem Staub hoch. Ein Messer blitzte auf in seiner Faust. Sein Gesicht war vor Haß verzerrt, die Augen zu Schlitzen zusammengekniffen. So ging er geduckt auf Jim Rug zu. »Los, Exmarshal!« knurrte er. »Jetzt zeig, was du kannst! Zeig, ob das alles stimmt, was man sich von dir erzählt hat. Zwei Jahre hab’ ich gewartet. Und ich bin extra nach Hays gekommen, um das zu erfahren.« Jim Rug stand kerzengerade vor ihm, die Arme vor der Brust verschränkt. Er erwartete den Ausfall. Er war vorbereitet. Obwohl er schon lange aus der Übung war, wußte er, daß er den Messerarm würde abfangen können. Er würde Kim Stanley mit einem Ruck den Arm ausdrehen und dann gehen. Doch dazu kam es nicht. Schüsse peitschten auf. Zwei, drei, vier. Kim Stanley sah kleine Staubwölkchen aufwirbeln, wo die Kugeln in den Sand fuhren. Der Schütze stand in seinem Rücken. Schreie gellten auf, Rufe. Fenster wurden aufgerissen. Jim Rug sah, wie sich das Gesicht seines Gegners noch mehr verzerrte. Enttäuschung malte sich darin. Stanleys Hand sank herab. Diese Verwirrung benutzte Jim Rug. Er sprang mit einem Satz zurück und zur Seite, wo sein Pferd stand, ohne Kim Stanley aus den Augen zu lassen. Er griff zum Sattel und riß die Bullpeitsche heraus.
Im gleichen Augenblick, als Jim Rug die lange Schnur der Bullpeitsche ausschwingen ließ, hatte sich Kim gefaßt. »Jetzt ist’s egal, du Coyote!« schrie er und griff nach seinem Eisen. Das Messer fiel zu Boden. Es kümmerten ihn nicht die Schreie, nicht die Kugeln, die um ihn herum in den Staub der Straße fuhren. Die Schützen, die Jim Rug aus dieser verflixten Lage herausschießen wollten, standen zu weit entfernt. Gleich aber würde der Colt Kims die Sprache des Todes hinausbellen. Sekunden nur, dann wäre es aus mit Jim Rug, dem einstigen Marshal von Hays. Die mehr oder weniger weit entfernt herumlungernden Neugierigen hielten den Atem an, preßten die Fäuste gegen die Zähne. Kims Colt, von fünf zum Mord bereiten Fingern fest umkrallt, sauste aus der Halfter. Gleich würden ein, zwei Flammenzungen aus der Mündung lecken. Da aber sauste, singend die Luft durchschneidend, der lange, im Schwung und unter der Gewalt des Hiebes messerscharfe Riemen der Bullenpeitsche durch die Luft, Auf die Colthand herab. Im gleichen Augenblick ließ Kim Stanley, in seinem Haß zum Mord bereit, den Hammer seines Colts herunterfallen. Der Schuß löste sich. Kim lachte schaurig auf. Das Lachen brach ab und wurde von einem tierischen Schrei fortgesetzt. Die Kugel war, abgelenkt durch den Peitschenschlag, irgendwo in die Luft gesaust. Ehe Kim Stanley den zweiten Schuß abfeuern konnte, sauste ein zweiter Peitschenschlag quer über sein Gesicht. Kim wollte im letzten Augenblick noch ausweichen, stolperte aber. Sein rechter Arm sackte herab. Der schneidende Schmerz zwang ihn in die Knie. Der Colt entfiel seinen Händen. Das alles hatte sich in Sekunden abgespielt.
Nun waren auch die Männer heran, die Jim Rug gegen diesen gemeinen Überfall helfen wollten. Drei Coltmündungen richteten sich auf Kim. Der wischte sich mit der Hand über die blutenden Striemen im Gesicht. »Du hast wieder einmal Glück gehabt, Exmarshal. Das nächste Mal aber nicht mehr. Darauf kannst du dich verlassen. Die Rechnung wird beglichen werden.« Dann war Kim Stanley mit ein paar Sätzen verschwunden. Jim Rug klopfte sich den Staub aus den Kleidern. Er biß die Zähne aufeinander, als er abgerissene Sätze vernahm, aus denen er heraushörte, daß man ihn auch hier erkannt hatte. »Jim Rug, schnall um!« schrie einer. »Nimm den Stern! Wir brauchen dich!« Da erst sah er seinen Bruder Berry. An dessen Seite das Halbblut. Die hatten also für das Ende des Kampfes gesorgt. *** Jim ging langsam zu seinem Pferd, nahm es beim Zügel und ging schweigend neben seinem Bruder her. Keiner von ihnen kam auf die eben durchgestandene Situation zu sprechen. »Es hat sich verdammt schnell rumgesprochen, daß du wieder aufgetaucht bist«, sagte Berry. Sie erreichten Berrys Haus und traten ein. Jim nickte. »Genauso schnell wird es sich herumsprechen, daß ich wieder verschwunden bin.« »Du willst wieder reiten?« »Genau das«, erwiderte Jim gelassen. »Ich bin gegen meinen Willen in dieser Stadt. Eigentlich war es nur ein dummer Zufall. Ich bin mit einer Treibherde aus Texas gekommen. Wir wollten nur bis Dodge. Aber wir hatten Pech. Fünf große Herden waren kurz vor uns eingetroffen. Die drängten sich in den Verladekorrals und drückten auf die
Preise. Deshalb wollten wir es in Hays versuchen. – Ich reite schon morgen weiter.« Berry betrachtete seinen Bruder. Er sah ihn von oben bis unten an und lächelte nachsichtig. »Niemand kann aus seiner Haut heraus oder über seinen eigenen Schatten springen. Auch du nicht, Jim. Aber das weißt du sicher selbst am besten. Und das eben...« »Well! Ich weiß es. Ich werde es immer wieder versuchen.« »Dann bist du ein Narr, Jim. Er hätte dich kampfunfähig gemacht.« »Vielleicht, Berry«, erwiderte Jim und schaute seinen Bruder an von Kopf bis Fuß. Berry Rug war nicht billig gekleidet. Deshalb sagte Jim: »Du mußt verdammt gute Geschäfte machen.« »Das ist schon längst wieder vorbei.« Berry zog ein bekümmertes Gesicht. »Ich komme nicht mehr groß zum Zuge, seitdem Logan Carillo seinen Trust aufgebaut hat. – Hays braucht einen harten Marshal. Du bist zur rechten Stunde gekommen.« Jim hatte den lauernden Blick seines Bruder aufgefangen. Er schüttelte den Kopf. »Ich werde nie wieder den Stern einer Stadt tragen. Nie wieder!« Er ging langsam ein paar Schritte auf Berry zu. »Wenn du Carillo in die Quere gekommen bist, wie du sagtest, dann handelst du also jetzt mit Vieh?« »Ja, Jim!« Berry zuckte resigniert die Schultern. »Aber ich habe schon lange keine Herde mehr vermittelt. Carillo sitzt zu dick drin. Auch bei der Eisenbahn. Wer nicht seinem Trust angehört, der zahlt Unsummen an Fracht. Es bleibt kaum noch was übrig.« Er verstummte und schob die Hände trotzig in die Hosentaschen. »Warum trittst du seinem Trust nicht bei?« »Ha!« stieß Berry hart hervor. »Das ändert auch nichts. Fünfzig Prozent muß ich dann an den Trust abführen. Nein, das ist nichts.« Er zog die Hände wieder aus den Hosentaschen,
ballte sie zu Fäusten und blieb vor Jim stehen. »Hier leiden noch mehr Leute unter seiner Knute. Nicht nur ich – die ganze Stadt. Wir brauchen in Hays wieder einen harten Marshal. Das ist der einzige Weg.« »Warum ist der einzige Weg immer ein harter? Kannst du mir das beantworten, Berry?« »Gewalt gegen Gewalt!« rief Berry Rug ergrimmt. »Das war schon immer so auf dieser verdammten Welt. Du hast es ja selbst erlebt.« Er hob die Hände. »So ist es auch in Hays. Das Gesetz wird unterliegen, wenn du nicht...« »Keinen Versuch, Berry! Spar deine Worte. Ich werde nie mehr ein Marshal sein.« »Du enttäuschst mich«, erwiderte Berry mit einem bitteren Zug um den Mund. »Mich und die Stadt. Wir haben auf einen Mann wie meinen Bruder gewartet. Ich habe meine ganze Hoffnung auf dich gesetzt. Jetzt kann ich hier einpacken. Ich habe ja selbst gesehen, was aus dir geworden ist.« »Dann reite mit mir!« Berry lachte verbissen. Er schüttelte den Kopf. »Hank Tucker ist mein Partner. Wir geben nicht auf. Es muß eben dann ohne dich gehen. – Außerdem... ich bin seit einem Jahr mit Florene verheiratet. Wir haben ein Kind. Mit ihnen kann ich nicht von einem Ort zum anderen ziehen, nur um den Schwierigkeiten aus dem Wege zu gehen.« Jim lächelte. »Du hast also Florene geheiratet? Wo ist sie? Ich würde sie gern begrüßen.« »Judy Biddy ist bei ihr. Sie ist kurz vor dir gekommen. Sie hoffte, dich hier zu sehen. Die Sache mit Kim Stanley hat sich schnell rumgesprochen. Sie kam gleich zu mir.« Berry ging auf eine Tür zu. Er legte die Hand auf die Klinke. »Willst du auch Judy Biddy sehen?« Jim nahm den Stetson vom Kopf, fuhr sich über die Stirn. – Zwei Jahre waren eine verdammt lange Zeit. Sie hing offenbar immer noch an ihm, liebte ihn vielleicht noch genauso wie
früher. – Jim atmete tief. – Was nutzte das alles... In Hays konnte er nicht bleiben. Judy mitnehmen? Das ging auch nicht. Das vermochte er heute genausowenig wie damals vor zwei Jahren. Florene und Judy erhoben sich sofort, als die beiden Männer in das Zimmer traten. Florene hatte ein Baby auf dem Arm. Sie war als erste bei Ihrem Schwager Jim. Sie reichte ihm die Hand und sagte froh: »Wir haben so lange auf dich gewartet, Jim. Nun wird sicher alles wieder gut werden.« Berry schüttelte den Kopf. »Du machst dir falsche Hoffnungen. Er bleibt nicht. Er reitet weiter!« Jim kümmerte sich nicht um Florenes enttäuschten Blick. Er schaute Judy an, lächelte zu ihr hinüber. Die senkte den Kopf. Kummer stand in ihrem Gesicht. Zwei Jahre waren eine lange Zeit. Da ging er zu ihr, legte die Hände auf ihre Schultern, dann küßte er sie. »Du warst lange weg, Jim«, flüsterte sie. Sie lächelte traurig und sah ihn an. »Ich habe die ganze Zeit auf eine Nachricht gewartet. Tag für Tag.« Jim ließ die Arme sinken. Er atmete tief. »Mir ist nicht viel gelungen in diesen zwei Jahren. Und jetzt muß ich noch einmal von vorn beginnen.« »Du bist der größte Narr, den ich jemals gesehen habe«, ließ sich Berry vernehmen. »Du willst von vorn beginnen? Warum und wozu? Deine Aufgabe liegt in dieser Stadt, Jim!« Er lächelte schmerzlich. »Ich bin dein Bruder, da ist Florene mit unserem Kind, und da steht Judy, die Frau, die auf dich wartet. Vier Menschen, die dich brauchen. Ich kann es einfach nicht glauben, daß du nicht wegen uns nach Hays gekommen bist.« Berry erzählte den beiden Frauen, warum Jim in die Stadt gekommen war. Nach seinen Worten war es still. Aber diese beklemmende Stille wurde schon bald durch ein Klopfen an
der Tür unterbrochen. Berry rief sein »Hallo!« und das Halbblut erschien. »Marshal Smith, Mister.« »Der Marshal?« fragte Berry. »Zu wem will er? Was kann Smith denn wollen?« »Zu Ihnen, Mister. Er sagte, er muß Sie sprechen.« »Führ ihn rein!« Der Marshal trat ein. Er zog sofort seinen Hut, als er die Frauen erblickte, und verbeugte sich. »Ich habe mit Ihnen zu reden, Mister Rug«, sagte er zu Berry. Er sah sich um. »Wo können wir ungestört... Ich meine...« Berry winkte ab. »Reden Sie nur, Marshal. In diesem Haus ist der Kummer jedem bekannt. Das da ist mein Bruder Jim. Auch er weiß von meinen Sorgen.« Der Townmarshal von Hays sah Jim kurz und forschend an. Dann zuckte er die Schultern. »Na gut, Rug. Wie Sie wollen. – Auf Logan Carillo ist ein Mordanschlag verübt worden. Ich will nicht bluffen, um Sie auf den Leim zu führen. Der Täter wurde von Carillos Leibwächtern erschossen. Er konnte also seinen Auftraggeber nicht mehr nennen. Vielleicht war das Ihr Glück, Mister Rug. Ich muß Sie warnen. Wenden Sie nicht Carillos Methoden an. Der macht das nämlich viel geschickter. Sie wissen, daß ich Ihnen wohl will, Rug. Machen Sie mir keinen Ärger. Ich habe schon genug am Hals.« Berry Rug lachte. Er schob die Hände in die Hosentaschen, ging auf Smith zu. »Da liegen Sie aber schief, mein Lieber! So herzlich gern ich Carillo in die Hölle wünsche, ich habe keinen Mörder zu ihm geschickt. Das können Sie mir glauben. Ich nicht und auch mein Partner nicht.« »Es gibt viele Bürger in unserer Stadt, die auf Sie und Tucker zählen. Deshalb bin ich gekommen. Ich will nicht, daß ihr euch durch eine Dummheit selbst den Hals umdreht.« Er lächelte. »Haben wir uns verstanden, Mister Rug?« »Ich glaube schon«, erwiderte Berry und lächelte. Dann geleitete er den Townmarshal aus dem Zimmer. Jim konnte
deutlich verstehen, wie der Marshal draußen zu seinem Bruder sagte: »Na, Rug! Mit Ihrem Bruder haben Sie ja jetzt eine ziemlich hohe Karte in der Hand. Im Interesse der Stadt würde ich den Stern gern abgeben. Sagen Sie ihm das.« »Sie werden Ihren Stern behalten, und meine Karten werden so schlecht bleiben, wie sie sind«, erwiderte Berry. »Er ist nicht mehr mein Bruder.« Dann klappten draußen die Türen. Judy und Florene sprangen auf. Entsetzt sahen sie die Brüder an. »Berry!« rief Florene mit großen Augen. Mit harter Hand drückte Berry Rug seine Frau auf den Stuhl zurück. »Geh jetzt, Jim, und laß dich nie wieder sehen! Es ist für uns alle das Beste!« Jim stand da mit herabhängenden Schultern. Leere war in ihm. Er nickte seinem Bruder zu. »Ich wußte, daß du mich nicht verstehen würdest. Deshalb wollte ich dich auch gar nicht erst aufsuchen.« Er sah zu Judy Biddy hinüber. »Auch du verstehst mich sicherlich nicht.« Dann ging er. Bitterkeit erfüllte ihn. Sein Bruder hatte ihn nicht verstanden. Doch der Wille, nie mehr einen Colt auf einen Menschen zu richten, war so groß wie vordem. *** Die Treibherde war groß. Es waren fast zehntausend Rinder, die Clark Bowman von Texas bis nach Hays getrieben hatte. Auch die Mannschaft war stark. Fünfzig Männer hatten diese gewaltige Herde nach Norden gebracht. Als Clark Bowman und Jack Benny am Abend aus Hays zurückkamen, saßen gut zwei Dutzend Cowboys am Campfeuer. Auch Jim Rug saß da und wartete wie die anderen auf den Trailboß. Clark und Jack wurden von den Männern sofort umringt, als sie von den Pferden stiegen. Ihre finsteren Gesichter ließen nichts Gutes vermuten.
Jack Benny konnte seinen Zorn nicht verbergen. »In dieser Stadt ist der Teufel los! Für zehn Dollar sollen wir die Rinder abgeben. Zehn Dollar für ein Rind!« Er schaute sich wild um, erblickte Jim Rug und sagte: »Steve! Zehn Dollar! Wie gefällt dir das?« Jim Rug schwieg, weil er die Zusammenhänge in der Stadt bereits zur Genüge kannte. Ihm war klar, daß von Logan Carillos Trust nichts anderes zu erwarten war. Clark Bowman trat mit sorgenvollem Gesicht zu den Männern. »Der Teufel hol’s! Es gibt nicht viel zu erzählen. Die Viehhändler werden von einem Trust beherrscht. Wer von euch schon einmal im Norden war, der wird wissen, was das für uns und unser County bedeutet. Zehn Dollar ist hier der vorgeschriebene Preis.« Die Männer murrten. Einer sah sich wild um. »Schlagen wir alles zusammen, Jungs! Für zehn lumpige Dollar pro Rind bin ich nicht tausend Meilen weit geritten. Wir wollen einen anständigen Preis.« Die Mannschaft nickte zustimmend. Mit grimmigen Gesichtern. Denn sie waren für ein ganzes County nach Norden gezogen. Clark Bowman hob beschwichtigend die Hand. »Wir haben einen Händler gefunden, der diesem verdammten Trust nicht angehört. Aber auch er kann höchstens fünfzehn Dollar zahlen. Die Frachtkosten sind für ihn zu hoch. Und dann ist noch die Frage offen, wann er für unsere Herde die Waggons bekommt.« »Auch zu wenig!« giftete sich ein Trailreiter. »Wie lange sollen wir hier vor der Stadt lagern?« Clark Bowman zuckte die Schultern. »Der Himmel weiß das, Boys! Es wird uns nichts anderes übrigbleiben. Wenn wir nach Dodge zurücktreiben, so sind wir auch nicht besser dran.« »Wir sollten diese verdammte Stadt zusammenreiten! Ah, Brüder! Schlagen wir diesen Trust auseinander! Wozu sind wir
schließlich mit fünfzig Burschen auf den Trail gegangen? Wozu?« schrie einer. »Du sagst es, George«, ließ sich ein baumlanger, sommersprossiger Reiter vernehmen. »Teufel«, brummte ein anderer. So und ähnlich riefen die Männer zornig und aufgebracht durcheinander. Clark Bowman konnte sie nur mit Mühe halten. Sie wollten sofort in die Sättel steigen. Jim Rug war etwas zurückgewichen. Er brauchte keine Frage an Clark Bowman richten. Er wußte auch so, daß Clark und Jack im Büro von Hank Tucker gewesen waren, dem Partner seines Bruders. Er wußte auch jetzt schon, daß dieses Geschäft niemals zustande kommen würde. Logan Carillo würde sich diese große Herde aus Texas nicht vor der Nase wegschnappen lassen. Bestimmt nicht! Bevor der Tanz um diese Herde begann, mußte er verschwunden sein. Well, er mußte verschwinden, wenn er seinem Vorsatz treu bleiben wollte, nie wieder auf einen Menschen zu schießen. *** Logan Carillo war ein hagergesichtiger Mann. Hochaufgeschossen und blaß, mit scharfen, spähenden Falkenaugen. Etwas Unruhiges, Gehetztes ging von ihm aus. Er stand nie still. Auch an diesem Abend war er sehr beschäftigt. Die große Herde aus Texas, die draußen vor der Stadt lagerte, hatte ihn mobil gemacht. Er lief unruhig in seinem Zimmer auf und ab. Er blickte immer wieder zur Uhr und sagte dann zum wiederholten Mal: »Diese Herde lasse ich mir nicht durch die Finger gleiten!« John Crain grinste und brummte zurück: »Das hast du nun schon hundertmal gesagt, Logan.«
Logan Carillo achtete nicht auf ihn. Als die Vorgartentür klappte, unterbrach er aufatmend seine rastlose Wanderung und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Endlich! Der Satan soll diesen Kerl greifen. So was Langweiliges!« »Komm schon rein, Robby!« rief er, als die Tritte des Mannes im Flur zu hören waren. »Laß mich nicht so lange warten!« Robby Boone war ein schwergewichtiger Mann. Auch etwas langsam in seinen Bewegungen. Doch wer als sein Gegner einmal seine Hände zum Colt fliegen sah, der konnte später nichts mehr darüber berichten. Als nun Robby Boone durch die Tür gestampft kam, schob er sich den Schlapphut in den Nacken und lief an Carillo vorbei zum Schrank. Das waren seine Partner gewohnt. Logan Carillo blieb mit gesenktem Kopf und trommelnden Fingern am Tisch stehen. John Crain blickte von seiner Zeitung nicht auf. Er raunte Robby Boone nur zu: »Trink nicht wieder gleich aus der Flasche. Ich hab’ dir ein Glas hingestellt.« Robby Boone begann endlich: »Aus Tuckers Büro sind sie auch mit trüben Gesichtern rausgekommen. Sie ritten sofort in ihr Camp hinaus. Kann sein, daß sie mit Tucker irgendwie ins reine gekommen sind.« »Weiter! Das habe ich vermutet«, sprach Carillo scharf und mit funkelnden Augen. »Was sagte Twice? Kann er Tucker verhungern lassen?« »Ich war schon bei diesem Galgenvogel. Aber weiß der Kuckuck, ob er Tucker so lange die Waggons verweigern kann. Er meint, daß eine Herde hier ist, wird sich rumsprechen. Und die Gesellschaft wird eventuell bei ihm anfragen, warum er keine Waggons anfordert. Stehen doch auf allen Bahnstationen rum, die Viehwagen. Sollen Geld bringen.« Er blickte Carillo mit müden Augen an, rieb sich am Kinn und griff wieder zur Flasche.
»Laß das, Robby!« befahl Carillo laut. »Es gibt Arbeit für dich. Du brauchst einen klaren Kopf.« John Crain richtete sich im Rohrsessel auf. »Was überlegst du, Logan? Es ist doch alles klar. Ein paar Tage wird Rings Twice die Waggons schon festhalten können. Die Texaner wollen sicher bald wieder zurück. Sie sind drei Monate unterwegs gewesen. Glaub nicht, daß sie viel Geduld mitgebracht haben.« Er hob die Hand. »Die Mannschaft will ihren Lohn. Hays mit seinen vielen Etablissements lockt, mein Lieber! Da wird jeder Trailboß kapitulieren.« »Das stimmt alles, John!« Carillo blieb vor ihm stehen. »Aber du hast vergessen, daß auch ich nicht viel Geduld habe. Einmal muß ich mit Rug und Tucker doch beginnen. Ich habe verdammt wenig Lust, mich wegen jeder Herde mit Twice auseinanderzusetzen. Rug und Tucker sind die einzigen, die noch nicht mitspielen. Ich kann mir das nicht mehr lange leisten. Diese Burschen geben vielen Leuten in Hays ein schlechtes Beispiel. Also, Schluß! Robby wird sich auf Berry Rugs Fährte setzen und ihn provozieren. Klar, Robby?« Der nickte. Er leckte sich schnell über die Lippen und sagte dann: »Da ist noch was, Logan. – Jim Rug ist wieder in der Stadt.« »Jim Rug?« riefen Carillo und Crain wie aus einem Munde. Crain sprang sofort auf. Robby Boone nutzte die Überraschung der beiden Männer auf seine Art aus. Flink schüttete er sich noch einen Whisky ein. Als er getrunken hatte, sagte er: »Jim Rug tauchte heute in der Hays Inn auf. Kim Stanley wollte sich sofort mit ihm schießen. Aber da hat der große Jim Rug einfach seinen Gurt abgeschmissen. Stellt euch das vor: Jim Rug paßt vor Stanley, diesem trüben Hecht! Wie gefällt euch das? Er soll in der Hays Inn gesagt haben, er will niemanden mehr erschießen!«
»Er läuft also ohne Gurt durch die Gegend?« fragte John Crain lauernd. Wieder zog Boone die Schultern bis zu den Ohren hinauf. »Die Leute sagen’s. Man erzählte auch, daß er zu dieser Treibherde gehört.« »Wie? Zu den Texanern?« Logan Carillo verzog ungemütlich das hagere Gesicht. Er blickte John Crain an. »Verdammt! Dieser Bursche hat uns gerade noch gefehlt.« Robby Boone grinste schlau. »Warum machst du dir Sorgen, Logan? Du hast es doch gehört: Er tötet niemanden mehr.« Logan winkte ab. »Ach was! Alles Geschwätz! Der wird höllisch schnell anderen Sinnes werden, wenn er hört, daß wir seinem Bruder und dieser Treibherde den Garaus machen wollen.« »Ja«, brummte John Crain verdrießlich. »Ich glaube auch, daß er darum seinen Gurt wieder umlegen wird. Das wird alle seine Vorsätze über den Haufen werfen, sofern er überhaupt welche hatte. Verlaßt euch darauf!« Logan Carillo durchmaß wieder das Zimmer. Unruhig. »Robby! Ich lasse mir den Spaß etwas kosten. Verbreite das im Vagabond Lodge! Well, im Vagabundenhaus halten sich die richtigen Männer auf. Die sind alle hart genug, um so etwas zu wagen. Wenn er seinen Gurt noch nicht wieder umhaben sollte, wird’s ja sehr einfach sein.« Ein teuflisches Grinsen zog über sein Gesicht. »Well, Robby! Ich will mir seinen Tod fünfhundert Dollar kosten lassen.« John Crain nickte. Auch er grinste. »Das wird sie alle auf seine Fährte bringen. Nur Robby nicht. Dein Mann hat einen anderen Vornamen. Berry. Der ist für dich reserviert!« Er blickte auf die Uhr. »Noch heute! Du hast nicht mehr viel Zeit, wenn du vorher noch ins Vagabond Lodge mußt« Robby Boone hatte inzwischen wieder getrunken.
»Du sollst nicht mehr trinken!« fuhr ihn Logan Carillo wütend an und ging auf ihn zu, um ihm die Whiskyflasche fortzunehmen. Aber Robby wich ihm geschickt aus. Er leerte das Glas in einem Zug. Dann sprach er heiser: »Für Männer meiner Sorte gibt es nur zwei Wege. Der eine ist abbinden und reiten, und der andere ist der hier!« Dazu schwenkte er die Whiskyflasche. »Well, seht her! Das ist auch ein Weg, um damit fertig zu werden.« Er lief mit verzerrtem Gesicht auf Carillo zu. »Alle, die du erschossen hast, tauchen eines Tages wieder auf und sehen dich an! Wenn du ein Gewissen hast, natürlich nur. Nur zu dir kommt keiner, Logan, weil du kein Gewissen hast. Warum läufst du weg, Logan? Warum, he? Rede ich dir etwa in dein verkümmertes Gewissen? Seht ihr? So ist es! Auch Jim Rug, dieser eisenharte Marshal, hat ein Gewissen. Und sie kommen alle wieder zu ihm, die guten Jungs, die er erschossen hat. Am Tag und in der Nacht!« Hastig schüttete Boone wieder ein. Dabei beobachtete er die beiden Männer mit argwöhnischen Blicken. Dann setzte er das Glas an den Mund. »Hör auf!« schrie Logan Carillo. »Auf deine Befehle pfeife ich«, erwiderte Robby Boone störrisch und wollte abermals einschenken. Logan Carillo gab Crain ein Zeichen. »Nur nicht so, Logan! Nur nicht so! Auf diese Tour erreichst du bei mir nichts.« »Mach keinen Unsinn, Robby«, sagte John Crain sanft und stellte sich vor Logan Carillo. »Was soll der Zauber? Gib mir deine Kanone und schlaf dich aus! Komm!« Boone zögerte. Der sanfte Ton John Crains schien ihn versöhnlich zu stimmen. Langsam schob er die Hand vor und hielt Crain seinen Colt hin. Der packte ihn und schlug dann zu.
Einmal, zweimal, bis sich Boones erstaunte Augen schlossen und der schwergewichtige Mann bewußtlos zu Boden ging. »Dieser Narr!« schimpfte Logan Carillo. »Dann geh du los und ruf die Schakale aus dem Vagabond Lodge, John!« John Crain nickte und ging rasch hinaus. *** Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als Jim Rug seinem Rappen zum erstenmal in die Zügel fiel. Unter dem schützenden Blätterdach einer Baumgruppe stieg er aus dem Sattel. Er war einen halben Tag westwärts geritten. In der Ferne, weit im Westen, hoben sich ein paar Hügel über den Horizont. Bis dorthin wollte er an diesem Tage noch kommen. Denn zwischen den Hügeln lag Sharon Springs. In dieser Ortschaft gedachte er, die Nacht zu verbringen. Statt zu grasen, hob der Rappe plötzlich den Kopf und schaute ihm mit vorgestellten Ohren über die Schulter. Jim drehte sich um. Da sprach schon jemand auf ihn ein: »Ich glaube nicht daran. Dein Gaul wird dich heute bestimmt nicht mehr weit tragen.« Mit spähenden Augen suchte Jim das Terrain ab. Doch er konnte niemanden entdecken. Er hatte die Lippen zusammengekniffen. Die Gedanken begannen sich in seinem Hirn zu jagen. Ohne den Mann gesehen zu haben, wußte er genau, wie es weitergehen würde. Er hatte das schon oft erlebt. Er wußte nicht, daß dieser Mann James Billing war, der drüben, mit dem Colt in der Hand, zwischen den Büschen auftauchte. Zehn Yards vor Jim blieb er stehen. »Was willst du?« fragte Jim. Billing grinste. »In Hays gibt es einen mächtigen Mann. Der möchte dich tot sehen. Richtig tot, Jim Rug. Deshalb hat er auch ein richtiges Kopfgeld ausgeschrieben. Fünfhundert
Dollar! Ich meine, das ist eine Menge Geld. Was hältst du davon?« »Du hast recht, Fremder«, sagte Jim. »Fünfhundert Dollar sind wirklich eine verdammte Menge Geld. Niemand wird das bestreiten.« »Schön, daß du’s einsiehst.« James Billing grinste noch mehr. Niederträchtig und gefährlich war sein Grinsen. »Aber du brauchst mich nicht ›Fremder‹ zu nennen. Ich bin James Billing. Und du solltest wissen, wer dich töten wird.« »Ich trage keine Waffe.« Jim hob die Arme etwas an. »Wie hast du dir die Sache vorgestellt?« Billing lachte geringschätzig. »Hab’ davon gehört. Aber das ist doch sicher nur Geschwätz. Los! Binde deinen Gurt schon um!« »Das ist kein Geschwätz, Billing. Ich schieße mich wirklich nicht mehr. – Du mußt mich schon so erledigen, wenn du die Dollars von Logan Carillo haben willst.« »Ich kann dich zwingen.« »Wie?« »Es gibt viele Mittel, einen Mann gefügig zu machen. Du weißt das selbst.« James Billing stellte sich breitbeinig hin. Mit einer flinken Bewegung schob er seinen Colt in die Halfter zurück und blickte Jim hart an. »Mich zwingt niemand mehr. Du wirst auf einen Wehrlosen schießen müssen. Du hast gar keine andere Wahl.« James Billing lachte. »Dazu bist du einfach nicht hart genug, Jim Rug. Es gibt viele Mittel, die dich zwingen, deinen Revolvergurt umzuschnallen.« »Da irrst du dich, Billing. Keiner deiner Tricks wird mich zwingen, zum Colt zu greifen. Nicht mal, wenn du mir mit vorgehaltenem Revolver mein Pferd abverlangst, werde ich auf dich reinfallen.« James Billing schüttelte den Kopf. »Ich brauche keine Tricks, Rug! Du wirst nämlich wieder nach Hays reiten. Das
hast du jetzt gar nicht vor, wie? Du willst sicher nach Nevada hinüber.« Er lachte hart. »Aber gleich wirst du anders darüber denken. Nimmst du nun deinen Colt oder nicht? Oder muß ich dir eine Geschichte erzählen, die dich von Grund auf verändert? Wie ist es also?« »Auf dich fall’ ich nicht rein, Billing. Bestimmt nicht.« Jim erwiderte den harten Blick des anderen. »Es gibt keinen Grund, der mich wieder nach Hays zurückbringt. Nur eine Kugel im Rücken und quer über den Sattel.« Bevor James Billing jedoch antworten konnte, tauchten zwei Reiter auf. Sie kamen im scharfen Galopp angeritten und sprangen aus den Sätteln. Sie legten sofort die Hände auf die Kolben. »Noch mehr Wölfe sind auf deiner Fährte«, rief der eine, ein Schwarzhaariger, zu Jim Rug herüber. Sein Partner aber blitzte James Billing an. Er musterte ihn geringschätzig. »Wir teilen nicht mit dir, Billing. Reite!« Gesindel aus dem Vagabond Lodge, schoß es Jim durch den Kopf. Er lachte verbissen in sich hinein. Da hatte ihm Carillo gleich ein ganzes Rudel hinterhergeschickt. Lauter wilde Wölfe. Die würden Billing abschieben und dann sofort schießen. James Billing war in sich zusammengesunken. Er lauerte wie ein gestellter Puma. Sicher wußte er so gut wie Jim, daß er mit diesen scharfgesichtigen Burschen um seine Beute kämpfen mußte. Jim konnte deutlich sehen, daß er sich dazu schon bereit machte. Dann hörte er ihn sagen: »Ich bin zuerst am Zuge! Wenn er zieht, werde ich beginnen. Kann er mich schaffen – seid ihr an der Reihe. Versucht dann euer Glück. Von mir aus. Ich stehe euch dann nicht mehr im Wege. Nur jetzt bin ich erst mal dran.« Die Revolvertramps lachten. »Du bist verrückt!« rief der Partner des Pechschwarzen aus. »Glatt verrückt, Billing.« Er zeigte mit dem Daumen über die Schulter. »Reite du! Wir sind
nicht die Männer, die sich fünfhundert Dollar so einfach wegschnappen lassen! Wir haben auch keine Lust, diese Summe durch drei zu teilen!« »Bestimmt nicht«, brummte der schwarze Bursche gefährlich. Nach diesem Wortwechsel wurde es still unter den hohen Bäumen. Vier Männer standen schweigend und verbissen da. Drei von ihnen waren bewaffnet. Und von diesen dreien blickten zwei grimmig auf Billing, weil der nach ihrer Meinung zuviel unter diesen Bäumen war. Dann ging alles sehr schnell. So schnell, daß Jim später nicht mal mehr sagen konnte, wer zuerst gezogen hatte. Wahnsinnig schnell und glatt jagten die Fäuste der drei Bewaffneten zu den Kolben. Dann knallte es schon. Viermal! Vier Schüsse fielen zur gleichen Zeit und zerrissen die Stille unter der Baumgruppe am Smoky Creek. Als sich der ätzende Pulvergestank verzogen hatte, lagen drei Männer im Gras. Jim Rug stand da mit eingestemmten Armen. Er wartete eine ganze Weile, bevor er zu den Männern ging. Der Schwarzkopf war tot, sein Partner ebenfalls. Nur James Billing atmete noch. Er lächelte sogar, als Jim zu ihm trat. Doch es war das Lächeln eines vom Tode Gezeichneten. Jim sah das. Jim kniete sich nieder, weil er sah, daß Billing etwas sagen wollte. »Die Geschichte, Rug«, flüsterte der Sterbende. »Die Geschichte! Steig auf deinen Klepper und reite nach Hays zurück. Sie haben gestern Judy Biddy erschossen, weil sie deinen Bruder nicht erwischen konnten.« Abgehackt und leise kamen die Worte über Billings Lippen. Doch Jim hatte jedes Wort genau verstanden. Er hielt sich die Hand vor die Augen. Langsam stand er auf. Er schaute auf Billing nieder und sah ihn seinen letzten Atemzug tun.
Jim Rug blieb nur noch übrig, die drei Toten zu begraben. Dann ritt er. *** Clark Bowman und Jack Benny ritten nach Hays, direkt zum Verladecorral. Vor Hank Tuckers Büro sprangen sie aus den Sätteln. Klein und schwer saß Tucker hinter dem Schreibtisch. Er zuckte zusammen, als die Tür aufflog. Aber dann lehnte er sich aufatmend zurück, weil er die Rindermänner erkannte. Er schob eine Lade zu, in der Bowman einen Colt vermutete. Ihm war der Schreck Tuckers nicht entgangen. »Hallo, Mister!« rief er dem Dicken zu. »Ich fürchte, um ein Haar hätten Sie zum Colt gegriffen und uns über den Haufen geschossen.« Prüfend betrachtete er den Viehhändler. »Was hat Sie so verändert?« Tucker erhob sich und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Mit Ihrer Herde wird nichts werden. Ich packe meine Sachen zusammen und verschwinde. Hier ist es verflucht heiß geworden.« »Das ist es um diese Jahreszeit überall.« Jack Benny lächelte sauer. »Heiß und heiß sind zwei verschiedene Dinge, junger Mann.« Tucker schob sich um den Schreibtisch herum. »Die Hitze, die ich meine, ist bleihaltig.« »Reden Sie schon, Mister Tucker«, forderte Clark, weil er ahnte, daß irgend etwas geschehen sein mußte. »Was ist los? Wir sind uns doch gestern einig geworden. Bis die Waggons kommen, warten wir. Das wissen Sie doch. Auf ein paar Tage kommt es mir nicht an.« »Ich sagte Ihnen schon, daß aus unserem Geschäft nichts mehr werden kann. Mein Partner ist gestern niedergeschossen
worden. Eine hundsgemeine Sache. Der Schießer hat auch eine Frau dabei tödlich getroffen. Gegen den Trust komme ich allein nicht an, wenn er so gegen uns vorgeht. Den Mörder hat niemand gesehen. Carillo ist gerissen.« Clark und Jack sahen sich betroffen an. Mit finsteren Gesichtern. »Welche Frau?« fragte Clark Bowman heiser. »Berry Rugs Frau?« »Nein, nicht Rugs Frau. Eine gewisse Judy Biddy. Sie werden sie sicher nicht kennen. Sie verkehrte in Rugs Haus. Man spricht davon, daß sie mit seinem Bruder...« Er zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht. Jedenfalls war sie im Zimmer und wollte sich wohl schützend vor meinen Partner stellen. Aber der Bandit ließ sich nicht behindern. Er soll zweimal geschossen haben.« Er schüttelte erregt den Kopf. »Ich schließe diesen Laden. Solchen Leuten bin ich nicht gewachsen. Da fehlt es mir an Mut und an Schießkunst. Ja, wenn ich so ein Kerl wäre wie der Bruder meines Partners, dann sähe es anders aus in Hays. Darauf können Sie sich verlassen. Aber so!« »Berry Rug ist also tot?« fragte Bowman. »Nein! Nur Judy Biddy. Der Bandit hat Berry nicht richtig treffen können. Wahrscheinlich hat er die Nerven verloren, als er sah, daß er eine Frau erschossen hatte.« Hank Tucker war wieder hinter den Schreibtisch getreten. Clark Bowman ging auf ihn zu. Er stützte die Arme auf den Tisch und sah den Viehhändler durchdringend an. »Gibt es immer nur den Weg, der Flucht heißt? Verdammt noch mal, Tucker! Vielleicht finden Sie Freunde. Ein Mann findet immer Freunde, wenn er welche braucht.« Tucker lachte spöttisch. »Sie sind ein Narr, Mann! In Texas mag das vielleicht so sein. Hier nicht. Hier bestimmt nicht! Reiten Sie in die Stadt und rufen Sie nach Freunden. Man wird Sie einfach auslachen und für verrückt erklären.«
»Sie haben mich falsch verstanden, Tucker«, erwiderte Clark eisig. »Wir wollten ein Geschäft miteinander abschließen. Nun haben Sie Sorgen. Warum sind Sie nicht in unser Camp hinausgekommen? Ich habe fünfzig Reiter im Sattel, die diese Stadt zusammenreiten können. Haben Sie daran schon mal gedacht?« Tucker überlegte. »Fünfzig Reiter?« Er lachte kurz und schüttelte bedenkenvoll den Kopf. »Mein Lieber, wie stellen Sie sich das vor? Wollen Sie mit Ihren fünfzig Texanern die Stadt anzünden?« Clark verzog das Gesicht. »Tucker!« rief er scharf. »Das ist doch alles ganz einfach. Auf Berry Rug ist ein Anschlag unternommen worden. Das Ziel der Leute ist klar. Wir brauchen deshalb nicht die ganze Stadt anzuzünden, sondern nur den Trust...« »Ich sehe, Sie kommen aus der Wildnis, Mann.« Tucker schüttelte den Kopf. »Sie haben verdammt wenig Ahnung. Sie können nicht mit fünfzig Männern vor Logan Carillos Haus erscheinen und ihn einfach aufknüpfen. Dazu ist der viel zu gerissen. Wenn Sie das versuchen, werden Sie todsicher mit dem Gesetz in Konflikt kommen.« »Ich bin kein Wilder, der noch nie in einer Stadt gewesen ist. Solche Sachen sind mir nicht neu.« Clark hatte sich vorgeneigt. Er sah Tucker durchdringend an. »Sie werden bleiben. Sie werden Ihr Geschäft nicht auflösen. Ich werde Ihnen vier meiner Boys schicken, die Sie auf Schritt und Tritt begleiten sollen. Auch Berry Rug werde ich Leute schicken. Und dann, Tucker, dann wollen wir mal sehen, ob meine fünfzig Reiter einen Dreck wert sind. Jeder Bandit, und mag er noch so ein raffinierter Bursche sein, macht mal einen Fehler. Darauf werden wir warten, und dann schlagen wir zu.« »Da fliegen die Fetzen, Mister«, ereiferte sich Jack Benny und schlug mit der flachen Hand durch die Luft. »Haben Sie
schon mal fünfzig Texaner gesehen, wenn sie mit dem Teufel tanzen?« Hank Tucker war beeindruckt. Er schaute sprachlos von einem zum anderen. Dann lachte er zaghaft, strich sich über das Kinn. »Alles ganz gut. Bestimmt! So würde mir die Sache schon gefallen. Aber...« »Was gibt’s da noch für ‘n Aber?« fragte Jack Benny und beugte sich ebenfalls über den Schreibtisch. Er sah Hank Tucker an und polterte dann los. »Ist hier in diesem Drecksnest nicht genug passiert? Auf Ihren Partner wurde geschossen. Eine Frau mußte sterben. Warum nehmen Sie das einfach so hin? Einer hilft dem anderen. Wir kämpfen mit Ihnen gegen diesen verdammten Trust von Logan Carillo, und Sie kaufen uns danach die Herde zu einem vernünftigen Preis ab. Sagen wir zwanzig Dollar pro Rind.« »Ich würde noch drei Dollar zulegen.« Röte stand auf einmal in Tuckers Gesicht. »Aber erst muß der Trust zerschlagen werden. Mit Berry Rug stehe ich schon seit einem Jahr gegen Carillo. Immer wieder haben wir von einer großen Herde geträumt. Und von seinem Bruder. Sie werden ihn nicht kennen. Jim Rug. Der war mal Marshal in dieser Stadt. Aber dann drehte er plötzlich durch.« »Diese Geschichte kennen wir. Jim Rug zog mit uns als Steve Bate nach Norden. Er war gestern in der Stadt.« Tuckers Augen begannen zu blitzen. Er stellte sich breitbeinig in Positur und keuchte: »Warum sagen Sie das erst jetzt! Los, der ist bestimmt bei seinem Bruder! Ah! Was habe ich auf dessen Eisen gewartet!« »Sie setzen auf die falsche Karte, Tucker. Wir werden die Sache auch ohne Jim Rug zu Ende bringen. Er ist heute morgen wieder geritten. Kein Mensch weiß wohin. Nicht mal wir wissen das. Obwohl wir in den letzten zwei Jahren seine Kameraden gewesen sind. Machen Sie sich also keine falsche Hoffnungen.«
Tucker hatte sich wieder hingesetzt. Er starrte die Männer fassungslos an. »Das ist doch nicht möglich! Das glaube ich nicht. Wie kann er seinen Bruder in der Klemme sitzenlassen?« »So einfach ist diese Frage nicht zu beantworten, Mister Tucker«, sagte Clark Bowman ernst. »Jim Rug hatte seine Gründe.« Nun stand Hank Tucker wieder auf. Er sah die Männer eine ganze Weile schweigend an. Die Stille wirkte richtig beklemmend. »Sie sagen, Jim Rug hat seine Gründe, daß er wieder geritten ist. Diese Gründe existieren seit gestern abend nicht mehr. Es gibt für ihn nur noch einen Grund, etwas zu tun. Und der heißt Judy Biddy! Wenn er der ist, der er früher war, dann muß ihm das genügen zurückzukommen. Das wird er auch. Jagen Sie Ihre fünfzig Teufel in die Sättel, Bowman. Das ist dann alles, was Sie zu tun haben. Finden Sie mit Ihren Männern Jim Rug und sagen Sie ihm, daß Judy Biddy kaltblütig ermordet wurde, weil sie seinen Bruder decken wollte. Weil sie etwas tat, wozu er scheinbar nicht bereit war. – Ein Mann muß ein elender Hund sein, der diesem Ruf nicht folgt.« Jack und Clark sahen sich an. Wer wollte wissen, ob Jim Rug tatsächlich zurückkommen würde? Judy Biddys Tod mußte Jim Rug schwer belasten. »Nun?« fragt Hank Tucker in das Schweigen hinein. »Sind die Gentlemen anderer Ansicht?« »Nein! Ich bin der gleichen Meinung wie Sie, Mister. Ich werde Jim Rug suchen lassen.« Auch Jack Benny nickte zustimmend. »Wenn er so eine harte Nummer ist, dann brauchen wir ihn. Nun haben wir auch einen Grund, ihn zurückzuholen.« Er sah Clark Bowman an. Der erwiderte seinen Blick. »Hoffentlich hat alles seinen Sinn. Wer kennt sich schon bei einem Mann wie Jim Rug aus...«
Tucker schob seinen runden Kopf ruckartig nach vorn. »Er wird sein Gesicht verlieren, wenn er nicht kommt. Diese Geschichte vom ungesühnten Tod der Judy Biddy wird zur Legende, mein Lieber. Das erledigt ihn. Er muß zurückkommen. Er hat gar keine Wahl.« »Sie haben recht, Tucker.« Bowman setzte seinen Stetson auf. »Reiten wir mal zu Berry Rug. Wir werden mit ihm alles durchsprechen.« Sie zogen ab, zu dritt. Tucker warf vorher noch einen prüfenden Blick auf ihre tiefhängenden Revolver. *** Logan Carillo unterbrach augenblicklich seine unstete Wanderung durch das Zimmer, als Robby Boone und John Crain eintraten. Er blickte sie fragend an. »Na?« »Ich glaube, wir können es jetzt wagen«, sagte John Crain. »Sie reiten zu Rug. Jedenfalls haben sie diesen Weg eingeschlagen.« Ohne darauf einzugehen, fragte Logan Carillo hastig: »Ist Jack Alder in der Stadt?« »Jack Alder, der Deputy des Marshals?« fragte Robby Boone sofort. »Yeah, er müßte da sein.« »Was heißt müßte? Ist er da oder nicht?« Logan Carillo sah Boone durchdringend an. »Du solltest dir endlich angewöhnen, auf klare Fragen auch klare Antworten zu geben. Meine Frage war doch klar, oder nicht?« »Verdammt, ja!« fauchte Boone wütend. »Er ist hier. Aber ich verstehe nicht, wozu du ihn brauchst.« Auch John Crain konnte seinen Boß nicht verstehen. »Was hast du mit Alder vor?« fragte er ihn. »Seit wann brauchen wir für unsere Angelegenheiten einen Sternträger?« »Ihr werdet schon früh genug dahinterkommen. Es gibt vieles, das mich und Jack Alder verbindet. Nicht alle Westen
sind weiß, Boys. Darüber kann auch ein Stern hinwegtäuschen. – Ein Glück, daß er da ist.« »Jack Alder hat noch niemandem Glück gebracht, Logan«, erwiderte Robby Boone daraufhin mürrisch. »Vor drei Jahren ist der in Iowa nur davongekommen, weil er seine Partner hat auffliegen lassen. Er hätte sie warnen können. Ich weiß nicht, Alder dürfte für uns kaum der richtige Mann sein. Wenn ich mit solchen Leuten zusammenarbeite, habe ich immer ein verdammtes Gefühl in der Brust.« »Nach deinen Gefühlen habe ich dich nicht gefragt.« Logan Carillo lachte trotzig. »Beruhige dich. Ich kenne die IowaStory von ihm genausogut. Ich werde besonders auf ihn achtgeben. – Aber jetzt hol ihn! Wir wollen zu Berry Rug. Dort spielen wir mit Jack Alder die letzte Karte aus. Dann ist die Herde unser. Ihr sollt mal sehen, wie prächtig die Sache von nun an laufen wird.« Robby Boone schüttelte den Kopf. »Glatter Unsinn.« Nach diesen Worten verschwand er. Carillo nickte grimmig. »Wir werden großen Zeiten entgegengehen, John. Die Vergnügungsstraße von Hays muß unter unsere Fuchtel. Doch lassen wir das. Erst mal die Texasherde. Alles andere kommt von selbst.« »Aus Hays bringt uns niemand mehr raus«, stimmte Crain lachend zu. *** Als Tucker, Clark und Jack vor Berry Rugs Haus von den Pferden stiegen, kam ihnen das Halbblut schon entgegen. Der junge Bursche führte sie hinein. Kurze Zeit später standen die Männer vor Berry Rugs Bett. Auch Florene war im Zimmer. Nach der Begrüßung ging sie sofort hinaus. »Das sind die Männer der Texasherde, Berry«, begann Hank Tucker. »Sie haben ein paar gute Vorschläge. Ich will deshalb
bleiben und es noch einmal versuchen. Dabei zähle ich auf dich.« Berry Rug hob müde die Hand. Er winkte ab. »Auf mich kann niemand mehr zählen, Hank. Auch du nicht.« »Du solltest erst mal zuhören.« Berry richtete sich mühsam auf. Dabei verschob sich das Hemd und gab den Verband frei. Clark erkannte sofort, daß Berry Rug nicht schlimm verwundet war. Nicht mal die Lungenspitzen dürften getroffen worden sein. »Ganz Hays hat ein Jahr lang zugesehen, wie Carillo uns beide in die Knie gezwungen hat. Nein, es ist aus, Hank! Vorbei! Für immer. Ich ziehe fort! Diese Stadt ist es nicht wert.« Er legte sich wieder zurück, hielt die Hand vor die Augen und sagte: »Nicht mal für Judy Biddy will jemand etwas wagen. Sie war eine Frau.« Er nahm die Hand wieder fort, sah Clark finster an und schrie: »Eine Frau ist erschossen worden, Mister! Nur wegen Ihrer verdammten Herde. Was wollen Sie also jetzt tun? Oder fühlen Sie sich auch zu nichts verpflichtet?« Clark Bowman konnte den Kummer dieses Mannes verstehen. »Sie messen mit falschen Maßen, Mister Rug. Der Zusammenhang besteht nicht direkt. Wenn ich hier etwas tue, so denke ich nur an die Herde, die einem ganzen County gehört und für die ich verantwortlich bin. Ich verfüge über fünfzig Reiter. Sie werden noch heute abend eine Leibwache erhalten.« »Darauf pfeife ich, Mister Bowman«, erklärte Berry Rug wütend. »Gut, jetzt liegen Sie hier. Sie sind verwundet. Doch wenn Sie wieder in Ihren Stiefeln stehen können, sollten Sie etwas unternehmen. Judy Biddy hat ein Recht darauf. Denn sie erhielt die Kugel, die Ihnen zugedacht war.« Das war klar gesprochen.
»Fragen Sie also nicht nach Schuld, Mister Rug. Das ist vollkommen verkehrt. Diese Frage ist beantwortet. Schuldig sind der maskierte Mörder und dessen Hintermänner. Sonst niemand, verstanden? Wir haben jetzt nur eine Aufgabe: diesen Burschen das Handwerk zu legen – für immer. Ein zweites Mal wird kein Mörder mehr hier einbrechen können. Verlassen Sie sich darauf.« Berry Rug sah den Trailboß zynisch an. »Soweit sind Ihre Gedanken ganz gut.« Was gesagt werden konnte, war gesagt worden. Berry Rug mußte nun selbst zu einem Entschluß kommen. Bevor er diesen Entschluß jedoch fassen konnte, traten Carillo, John Crain und Robby Boone durch die Tür. Das Halbblut schlich geduckt und verängstigt hinter ihnen in das Zimmer. Sein Gesicht blutete. Er mußte geschlagen worden sein. Carillo hob die Hand und blieb mit seinen Begleitern mitten im Zimmer stehen. »Sie sollten sich mal einen anderen Burschen anschaffen, Rug. Dieser Knabe hat uns unflätig beschimpft, weil wir ihn baten, unsere Pferde anzubinden. Das ist doch üblich in Hays. Die Hausburschen nehmen den Besuchern immer die Pferde ab. Oder etwa nicht?« Rug und Tucker waren sprachlos. Alles hatten sie erwartet. Mit jeder Überraschung hatten sie schon ein ganzes Jahr lang gerechnet. Aber nur nicht damit, daß Carillo sie persönlich aufsuchen würde. Es dauerte deshalb eine ganze Zeit, bis Rug die Überraschung verwunden hatte und antworten konnte. »Mister Carillo«, erwiderte Berry Rug. Er sprach sehr kalt und bemühte sich, seiner Stimme die nötige unverkennbare Schärfe zu geben. »Ihr Besuch ist hier nicht erwünscht. Ich habe deshalb meinem Hausburschen die nötigen Anweisungen gegeben. Er hat in meinem Sinne gehandelt.« Logan Carillo lachte überlegen. Die Überraschung der Männer hatte ihm sichtlich Genugtuung verschafft. »Sie sind
verdammt unfreundlich, Mister Rug. Ich bin extra hierhergekommen, um Ihnen ein gutes Geschäft vorzuschlagen. Da empfangen Sie mich so kühl.« »Männer wie Sie werden wohl überall kühl empfangen werden.« Berry Rug richtete sich auf. Er schaute mit loderndem Blick zu seinem Widersacher hinüber. »Vor allem, wenn Sie sich so hart ankündigen wie gestern abend.« »Ich verstehe Sie vollkommen«, erwiderte der gelassen. »Ein heimtückischer Überfall. Nun versuchen Sie, das Rätsel zu lösen, und kommen dabei natürlich auf die verschiedensten Gedanken. Es würde wohl jedem von uns so ergehen. Ich nehme es Ihnen nicht krumm.« Berry Rug nickte Carillo mit finsterem Gesicht zu. »Das war eine dürftige Erklärung. Doch alles wird sich eines Tages aufklären.« »Das stimmt. Ich glaube das auch. Denn auf dieser Welt ist ja nichts vollkommen. Jeder begeht mal einen Fehler. Auch dieser Mörder.« »Auf diese Stunde warte ich«, antwortete Berry fest. Carillo winkte geringschätzig ab. »Wozu damit Zeit verschwenden! Die Stadt hat einen Marshal. Der wird das für Sie erledigen.« »Ha!« stieß Berry rauh hervor. »Dieser Marshal ist eine Niete!« »Lassen wir das«, sagte Carillo darauf. »Ich bin gekommen, um Ihnen ein Geschäft vorzuschlagen. Es handelt sich um die Texasherde.« Er sah Clark an. »Ich habe allerdings nicht erwartet, Sie hier anzutreffen. Doch es ist vielleicht ganz gut, daß Sie da sind, Mister!« »Da bin ich aber gespannt«, brummte Bowman finster. Carillo schaute von einem zum anderen. Dann sprach er: »Ich habe gehört, daß Sie die Stadt verlassen wollen, Mister Rug. Nach dem, was gestern passierte, verstehe ich Sie völlig. Auch Ihr Partner, Mister Tucker, will weg. Das Geschäft mit
der Herde werden Sie ja kaum noch abwickeln wollen. Deshalb bin ich hergekommen. Überlassen Sie mir die Sache. Ich zahle Ihnen fünf Prozent. Das ist leichtverdientes Geld. Sie brauchen nichts dafür zu tun.« Berry Rug richtete sich steil auf. »Was steckt dahinter, Carillo?« fragte er scharf und lauernd. »Wenn ich verschwinde, bleibt die Herde auch so für Sie zurück. Was soll das Theater also?« Carillo lachte. Er breitete die Arme aus. »Was soll dahinterstecken. Es gibt ja noch mehr Händler in Hays. Wieso sollte da die Herde gerade für mich bleiben!« Berry Rug überlegte. Auch Clark Bowman dachte nach. Er hatte die gleichen Gedanken wie Berry Rug. Warum kam Carillo und wollte die Herde, wenn er wirklich annahm, daß Rug und Tucker verdufteten? Das mit den anderen Händlern war Gewäsch. Die gehörten alle zu seinem Trust. Clark Bowman witterte sofort, daß an diesem Spiel etwas faul war. Er gab seinem Partner, Jack Benny, ein unauffälliges Zeichen. Auch in Hank Tuckers Hirn arbeitete es fieberhaft. »Sie sind falsch unterrichtet. Wir bleiben. Wir erledigen das Geschäft mit der Herde selbst. Und wir sind nicht so edel wie Sie, Carillo. Wir geben Ihnen keine fünf Prozent davon ab.« »Sie bleiben?« fragte Carillo, und er gab sich Mühe, verwundert zu sein. »Richtig«, nickte Berry Rug grimmig. »Wir bleiben hier. Einmal, um das Geschäft mit dieser großen Texasherde selbst abzuwickeln, und zum anderen, um auf den Fehler eines bestimmten Mannes zu warten. – Haben Sie das verstanden?« Logan Carillo nickte. Sein Gesichtsausdruck wurde auf einmal gehässig. Er sah Robby Boone kurz, aber durchdringend an. Der reagierte sofort. Seine Hände flogen zu den Waffen. Dann schoß er. Zweimal kurz hintereinander. Dem jungen Jack
Benny sausten die Bleistücke um die Ohren. So schnell, wie Boone gezogen hatte, so schnell ließ er die Colts wieder verschwinden. Erstaunt, verblüfft sahen sich Rug, Tucker und Clark Bowman an. Doch Jack Benny war ein wilder Texascowboy. Wie alle Texaner fuhr er aus der Haut, wenn... Well! Aber so mußte es Carillo wohl einkalkuliert haben. Bevor Clark Bowman die Sache durchschaut hatte und Jack Benny warnen konnte, hatte dieser schon den Colt in der Faust. Mit grimmigen Blicken marschierte er langsam auf die drei Männer zu. »Jetzt langt’s mir aber! Verduftet!« Auch der kleine, dicke Tucker zog einen Colt aus der Rocktasche. »Well!« krähte er kampfeslustig. »Hinaus!« In diesem Augenblick flog die Tür auf, und Jack Alder, der Hilfsmarshal von Hays, trat in das Zimmer. Verwunderung war wieder nur auf den Gesichtern von Rug, Tucker, Bowman und Benny. Carillo, Boone und Crain grinsten. Carillo nickte dem Hilfsmarshal freundlich zu. »Da haben wir ja mächtig Glück. Sie schickt der Himmel. Nur ein paar Sekunden später, Marshal, und wir wären tote Männer gewesen.« Alder blickte sich verschlagen um. »Wer hat geschossen?« Vor Jack Benny blieb er stehen. »Ihren Colt, Mister!« Er winkte Tucker heran. »Abgeben, das Ding!« sagte er auch zu ihm und nahm ihm den Colt aus der Hand. Tucker protestierte heftig. Auch Jack Benny versuchte, dem Marshalgehilfen die Lage zu erklären. Aber Alder ließ überhaupt nicht mit sich reden. »Als ich draußen vorbeiging«, sagte er spöttisch, »da knallte es zweimal. Jetzt komme ich hier herein und treffe zwei Männer mit gezogenen Schießeisen an. Wer hat da wohl geschossen, he?« »Untersuchen Sie meinen Colt!« forderte Jack Benny und gab ihm seine Waffe. »Es fehlt nicht eine Patrone.«
Ohne sich den Colt anzusehen, schob ihn Alder in seinen Gürtel. »Da brauche ich gar nicht reinzugucken. Es ist geschossen worden, und Sie haben Ihre Kanone in der Hand gehalten.« Clark Bowman stieg das Blut in den Kopf. Grimmig fuhr er den Sternträger an: »Sie sitzen mit Carillo in einem Boot! Passen Sie ja auf, daß dieser faule Kahn nicht umkippt!« Er ging auf ihn zu und blieb in bedrohlicher Nähe vor ihm stehen. Alder wich zurück. Er wollte mit der Hand zum Colt. Aber das war überflüssig. Auf einen Wink Carillos hatten Crain und Boone gezogen. »Stopp, Rindermann!« rief Crain scharf und legte auf ihn an. »Dieser Mister vertritt das Gesetz.« In ohnmächtiger Wut wandte sich Clark von Alder ab. Die Lage war für ihn aussichtslos. Er sah es an den Augen der Revolvermänner. Berry Rug hatte sich im Bett aufgesetzt. Er hob die Faust und drohte Logan Carillo: »Für dieses raffinierte Stück werde ich Ihnen die Rechnung präsentieren. Darauf können Sie sich verlassen. Sie haben alles sehr geschickt eingefädelt. Doch ab jetzt dürfen Sie keinen Fehler mehr machen, Carillo. Ich werde darauf lauern.« Carillo wollte etwas erwidern. Doch Alder hob die Hand. »Schluß jetzt! Los, zum Office! Sie auch, Tucker! Leisten Sie keinen Widerstand!« Boone und Crain grinsten Carillo an. Betont langsam ließen sie ihre Colts wieder in den Halftern verschwinden. Carillo nickte dem Hilfsmarshal zu und sagte: »Führen Sie diese Leute ab, Alder! Wir kommen sofort nach. Dann können wir im Office das Protokoll aufnehmen.« Jack Benny sah seinen Boß an. Der nickte ihm zu. Da ging er wortlos vor Alders Colt zur Tür. Hank Tucker schimpfte und lamentierte. Doch es half ihm nichts. Als der verängstigte Hausbursche den Männern die Tür öffnete, wurden draußen Stimmen laut. Und dann kam schon
Florene Rug mit schreckverzerrtem Gesicht in das Zimmer gelaufen. Sie trug ein Einkaufsnetz in der Hand. Sie ließ es hinter der Tür zu Boden fallen und stürzte zu ihrem verwundeten Mann ans Bett. Carillo, Crain und Boone standen unbeweglich und beobachteten das Ehepaar. Clark Bowman ballte die Hände. »Was wollen Sie noch hier, Carillo? Verschwinden Sie endlich!« Logan Carillo lachte gehässig. »Was soll das heißen? Sind Sie hier der Hausherr?« »Nein!« rief da plötzlich eine scharfe Stimme von der Tür her. »Nein, das ist er nicht! Ihr werdet aber trotzdem verschwinden. Ich gebe euch genau fünf Sekunden!« Carillo und seine Kumpane wirbelten Herum. Clark Bowman schaute ungläubig hinüber. Denn – in der Tür stand Jim Rug. Den Gurt um die Hüften. Den Colt in der Faust. Er hatte nur Augen für Carillo, Boone und Crain. »Eure fünf Sekunden sind rum«, sagte er nach einer Weile. Er sagte es ruhig – beinahe sanft, wie man zu einem ungehorsamen Hund spricht. Carillos Gesicht spiegelte entsetztes Staunen wider. Auch seine Begleiter waren fassungslos. Sie zeigten es nur nicht. Es dauerte eine Weile, bis sie ihr Entsetzen überwunden hatten. Auf einen Wink Carillos gingen sie langsam zur Tür. Jim Rug trat zur Seite. Er ließ sie an sich vorübergehen und sagte dabei zu Carillo: »Deine fünfhundert Dollar konnten mich nicht aufhalten. Drei von deinen Windhunden liegen am Smoky Creek.« Carillo hatte darauf keine Erwiderung parat. Seit langer Zeit sicher das erste Mal, daß er keine Worte fand. Stumm und verbissen gingen die drei Kumpane an Jim Rug vorbei durch die Tür. Er steckte den Colt zurück und drehte sich um.
Im Zimmer blieb es lange still. Endlich rührte sich Berry Rug. »Du kommst verdammt spät. Wahrscheinlich zu spät. Es kommt darauf an, von welcher Seite man es betrachtet.« »Von welcher Seite betrachtest du es, Bruder?« Berry Rug bekam einen harten Gesichtsausdruck. Kantig erwiderte er: »Ich betrachte es so, daß ich sagen muß, du bist zu spät gekommen.« »Du denkst also an Judy Biddy!« »Richtig! Jim! Genau das denke ich«, antwortete Berry. Jim Rug senkte den Kopf. »Vom Smoky Creek bis hierher waren es dreißig Meilen. Dreißig verdammte Meilen zum Nachdenken. Ich habe auf keine Frage eine richtige Antwort gefunden. Auch deine Antwort ist keine Lösung.« »Ach, scher dich zum Teufel!« schrie Berry. »Seit zwei Jahren denkst du nach. Du gehst falsche Wege. Du wirst nie eine richtige Antwort auf deine vielen Fragen finden.« »Vielleicht hast du recht, Berry. Vielleicht. Jeder Mann muß dem Ruf seines Gewissens folgen.« »Ho!« rief Berry Rug spöttisch. »Und welchem Ruf bist du jetzt gefolgt? Jetzt hat dich die tote Judy Biddy gerufen, du Narr!« »Wie wirst du mit deinem Gewissen fertig, Berry?« fragte Jim eisig. »Wie ich hörte, ist sie hier in diesem Zimmer gestorben. Vor deinen Füßen. Und das, weil du dich in Dinge eingelassen hast, die dir über den Kopf gewachsen sind. Auch mir sind die Dinge über den Kopf gewachsen. Deshalb habe ich gepaßt. Ein Mann sollte passen können!« Berry Rugs Grimm und Zorn waren nach diesen Worten verflogen. Er sagte nichts mehr. Er schwieg. Florene sprach für ihn. Sie erhob sich. »Er hat dich um Hilfe gebeten, dich, seinen Bruder! Mehr konnte Berry nicht tun. Nun bist du endlich da, Jim. Du bist spät gekommen, aber nicht zu spät.«
Clark Bowman hatte bis jetzt geschwiegen. Nun trat er vor. »Am Tode von Judy Biddy hat nur einer die Schuld. Und das ist dieser verdammte Logan Carillo. Du weiß das, Jim Rug. Deshalb bist du gekommen. Was wirst du nun tun?« »Ich werde mich um das Marshalamt bewerben, wenn Smith noch darauf verzichten will. Ich habe mir geschworen, Hays noch einmal zurechtzutrimmen. Und zwar so, daß hier nie wieder eine Frau über den Haufen geschossen wird. Ich weiß nur nicht, ob ich das schaffen werde.« »Wieso hast du Zweifel? Du warst doch schon mal Marshal in dieser Stadt.« »Wenn die Kerle um Logan Carillo erfahren, daß ich seit zwei Jahren nicht mehr geschossen habe, bin ich morgen früh ein toter Mann. Ich baue jetzt nur auf meinen alten Ruf.« Clark Bowman lief es eiskalt über den Rücken. »Du hast doch am Smoky Creek drei von Carillos...« »Das habe ich nicht gesagt. Die haben sich gegenseitig umgebracht.« Jim lächelte. »Wenn es Carillo genauso aufgefaßt hat wie du, Clark, dann ist es ja gut.« Er hob die Hand zum Gruß. »Wenn ich morgen Marshal bin, werde ich euer Camp aufsuchen.« Nach diesen Worten sah er Berry lange an. »Ich werde auch dich besuchen, Bruder«, sagte er und ging schnell hinaus. Im Zimmer starrten die drei Menschen noch lange auf die Tür, durch die Jim Rug so schnell verschwunden war, wie er hereingekommen war. *** Noch am Abend trat der Bürgerschaftsrat der Stadt Hays zu einer Sitzung zusammen. Alan Smith wollte den Marshalstern abgeben. Jim Rug, der dieser Stadt schon einmal diente, war der neue Kandidat. Die Honoratioren der Stadt berieten bis Mitternacht. Viele Männer waren gegen Jim Rug.
Das war bemerkenswert. Die für ihn waren, waren ausschließlich Bosse von Lokalen und Geschäften. Als sie dann um Mitternacht abstimmten, konnten diese Männer der Vergnügungsstraße mit einer Stimme Mehrheit diesen zähen Kampf gewinnen. Fünf nach zwölf Uhr war Jim Rug wieder Marshal von Hays. Als die beiden Männer gehen wollten, erhob sich A. Rings Twice, Bahnagent und Rat der Stadt. »Ich hoffe nur, Mister Rug, daß Sie die Stadt dieses Mal nicht wieder sitzenlassen, wie vor zwei Jahren.« Er sah Jim Rug spöttisch an. »Es sah damals so aus, als seien Ihnen die Probleme über den Kopf gewachsen.« Jim Rug erwiderte ernst den spöttischen und kalten Blick des Bahnagenten. Erst nach einer Weile sprach er steif: »Sie haben recht mit Ihrer Bemerkung. Doch Sie können beruhigt sein. Diese Probleme bestehen nicht mehr. Ich bin einen falschen Weg gegangen. Nun ist wieder alles in Ordnung.« Alle im Zimmer kannten die Geschichte des Revolvermarshals Jim Rug. Der Besitzer der Kingdom Bar erhob sich. »Well, das sollte uns genügen. Gehen Sie nun, Mister Rug«, sagte er freundlich und nickte Jim aufmunternd zu. Alan Smith hatte ein paar scharfe Worte parat. Doch Jim hob schon wortlos die Hand und ging hinaus. Da grüßte auch Smith und folgte ihm. Im Office wurden sie von Jack Alder erwartet. Unsicher grinste er Jim an, als er den Stern auf dessen Weste erblickte. Er murmelte einen Gruß und erhob sich. Abwartend blieb er stehen. Jim Rug schaute sich um. Alan Smith bemerkte Jims Blick. »Well, es ist noch alles so wie vor zwei Jahren. Selbst die Uhr an der Wand hängt noch schief. Der alte Mike hat ein paarmal die Uhr nachgesehen. Drei Tage, bevor er das Glas
erneuern wollte, ist er gestorben. Darum hängt sie eben immer noch schief. Eine Stunde geht sie am Tag nach. Doch mich hat das nie gestört.« Jim drehte sich um. »Der alte Mike ist tot?« Er senkte den Kopf. Dann schaute er zu Jack Alder hinüber. »Sie sind entlassen, Mann. Holen Sie sich morgen früh in der Town Hall Ihren Lohn. Ich werde die Anweisung gleich morgen früh rübergeben.« »Ich bin entlassen?« Jack Alder blickte hilfesuchend zu Alan Smith. »Well, Alder!« erklärte Jim. »Ich habe immer ohne Gehilfen gearbeitet. Deshalb brauche ich Sie nicht.« »Na gut, Rug! Ich werde abziehen. Doch dich wird bestimmt eines Tages der Teufel holen.« Zerknirscht stampfte er nach diesen Worten hinaus. *** Am nächsten Tag gab Jim am Bahnhof ein Telegramm auf. Union Pacific Agentur in Topeka. Erbitte Angaben über die zur Zeit gültigen Frachtkosten für Herdenvieh. Für zehntausend Rinder. Von Hays bis Chicago. Telegrafische Antwort erbeten. Rug, Marshal von Hays. Der Mann an der Morsetaste blickte ihn erstaunt an. »Sie sind – Jim Rug? Jim Rug – der Coltmarshal?« stammelte er bestürzt. »Genau der!« erwiderte Jim bissig. Dann ging er zur Tür. »Warum überrascht Sie das eigentlich so sehr?« Nach einem prüfenden Blick fügte er hinzu: »Legen Sie die Rechnung für das Telegramm dem Kassierer in der Town Hall vor.« Schnell ging er hinaus. Jim wollte den Bahnhofsplatz überqueren. Aber da sah er eine Lady stehen. Ein Bursche mit einem großen Koffer wartete geduldig neben ihr. Sicher sollte sie abgeholt werden.
Jim ging auf sie zu. Er hob die Hand zum Gruß und sagte: »Sie sind bestimmt fremd in dieser Stadt, Madam. Kann ich Ihnen behilflich sein?« Sie schaute ihn aus großen und dunklen Augen forschend an. Ihr Blick war sanft und strahlte Wärme aus. Sie war schön. Sogar sehr schön. Ihre Haltung war die einer vollendeten Lady. »Ich danke Ihnen, Marshal. Ich werde abgeholt. Da drüben kommt der Wagen schon.« In schnellem Tempo kam ein Einspänner über den Platz gerollt. Er war sehr erstaunt, als der Wagen hielt. Logan Carillo sprang heraus und ging auf die Lady zu. Doch bevor er sie begrüßte, blickte er eisig herüber und schnarrte: »Hierher hat Sie kein Mensch gerufen, Rug!« Jim nickte lächelnd. »Das stimmt auffallend, Carillo! Ich bin nur zufällig hier.« Er zeigte mit dem Daumen über die Schulter zur Telegrafenbude hin und sagte betont: »Ich hatte da drinnen zu tun. Ich habe ein Telegramm nach Topeka aufgeben müssen. Aber ich verschwinde schon.« Er grüßte und ging davon. Aus den Augenwinkeln heraus konnte er deutlich Carillos mißtrauischen Blick erkennen, den der auf die Telegrafenbude warf. Still und zufrieden grinste Jim in sich hinein. Jim betrat das Agenturbüro der Union Pacific. Ein Mann in der Bekleidung eines Bahnschaffners führte ihn, höflich dienernd, zu Mister A. Rings Twice. Der staunte nicht schlecht, als er den Marshal sein Zimmer betreten sah. »Hallo! Sie, Marshal?« fragte er verblüfft. »Tag, Mister Twice.« Jim lachte. »Sie sind überrascht? – Ein guter Marshal hat eben seine Nase überall. Und ich will ein guter Marshal sein. Auch dann, wenn es einige Leute gibt, die das nicht von mir erwarten.« Rings Twice verstand die Anspielung auf seine Worte vom vergangenen Abend in der Town Hall sehr gut. »Ich verstehe, daß Sie sich Mühe geben wollen, Marshal. Doch ich kann das
mit diesem Besuch hier in keinen Zusammenhang bringen.« Er grinste. Sein Lächeln verschwand sehr schnell, denn Jim Rug sagte scharf: »Das werden Sie gleich kapieren, Mister. Ich interessiere mich für die Bahntarife. Meine texanischen Freunde wollen eine große Herde nach Osten in die Fleischfabriken schicken. Ich bin daran beteiligt. Ich habe die Herde mitgetrieben. – Wie ist das also? Sind die alten günstigen Tarife noch gültig? Oder hat sich was geändert?« Twice war ein alter Fuchs. Er ging nicht so fix in die Falle. Jim hatte das auch gar nicht erwartet. Er wußte, daß der Bahnagent sich herausreden würde. Das tat er auch. »Es hat sich viel verändert. Rinder werden jetzt überall aufgetrieben. Es ist Hochbetrieb. Die Waggons sind knapp. Die Tarife liegen um diese Zeit immer etwas höher, Mister Rug.« »Da haben Sie recht!« Jims Stimme wurde einen Grad schärfer. »Doch ich habe den Eindruck, daß die Tarife zur Zeit in Hays besonders hoch liegen.« Twice winkte verächtlich ab. »Tarif hin, Tarif her. Im Augenblick sind gar keine Waggons zu bekommen.« Jim tippte an die Hutkrempe. »Ich werde das alles herausfinden, Mister Twice. Vielleicht weiß ich das morgen schon besser.« Er ging zur Tür. Aber dort drehte er sich noch einmal um. »Ich habe noch keinen geduldigen Texaner kennengelernt, Mister. Vor allem nicht, wenn sie zu fünfzig auf einem Haufen stehen. Ich muß das wissen. Ich war zwei Jahre im Süden.« Er nickte Twice zu und ging hinaus – zum Office zurück. Er war zufrieden. In den ersten Stunden war es ihm gelungen, seine Gegner unruhig werden zu lassen. Vielleicht hatte er sie sogar verwirrt. Wahrscheinlich gehörte auch der Beamte in der Telegrafenbude zu diesem großen und zugleich üblen Verein. Nun – das würde sich heute oder spätestens morgen herausstellen.
Im Office angekommen, ging er in den Stall und sattelte seinen Rappen. Schon kurze Zeit später saß er auf und ritt aus der Stadt, zur Treibherde hinaus. *** Jack Alder stand mit finsterem Gesicht unter dem Vordach der Town Hall. Mit zusammengepreßten Lippen verfolgte er Jim Rugs Ritt. Erst als der seinem Blick entschwand, lief er zu seinem Pferd. Übelgelaunt band er den Gaul los und zog sich in den Sattel. Er ritt die Straße hinunter aus der Stadt hinaus. Der Weg führte ihn nach Westen, auf den Smoky Creek zu. Als er dann vor den drei Gräbern am Smoky Creek sein Pferd anhielt, wußte er, daß ihn nur der Teufel von seinem Entschluß abbringen konnte. Langsam stieg er vom Pferd. Er nahm den Stetson ab und ging auf die Gräber zu. Sein Gesicht war hart und kantig. Auf dem Kreuz stand in steilen Kerben geschrieben: Sie haben mich zur Umkehr gezwungen. J. R. Jack Alder stülpte seinen Hut wieder über den Kopf und nahm die drei Coltgurte vom Kreuz, die Gurte von diesen drei Männern, die sich Logan Carillos fünfhundert Dollar hatten erschießen wollen. Er betrachtete die Gurte versonnen. Dann untersuchte er die Revolver. Als er die Waffengurte wieder über das Kreuz hängte, seufzte er und sagte halblaut: »Drei rauhe Burschen haben ihn nicht geschafft. – Logan, du wirst einen verdammt schweren Stand haben in Hays. Ich werde dir dabei nicht helfen. Das tut mir leid.« Jack Alder lachte hart und ging zu seinem Pferd. Er ritt sofort zurück. Als er die Stadt wieder erreichte, war es schon dunkel. Vor Carillos Haus sprang er aus dem Sattel. Drinnen hatten sie auf ihn gewartet. Logan Carillo, John Crain, Robby Boone, Donald Gramm und – Jane Steven, die
seit ihrer Ankunft in Hays schon viel Aufsehen erregt hatte. Er kannte sie von früher her. Sie lächelte ihm zu, als er eintrat. Jack Alder wunderte sich, daß der zerlumpte Gramm im Hause war, doch dann fuhr ihn Carillo schon an: »Rede! Was war am Smoky Creek?« »Drei Gräber und ein Holzkreuz mit den Worten: Sie haben mich zur Umkehr gezwungen! Ich fand die Gurte von Billing und den Roggers. Die Roggers haben jeder einmal schießen können. Auch Billing kam nur einmal mit beiden Colts zum Zuge. Sie konnten ihn trotzdem nicht...« Logan Carillo reckte sich auf. Er überlegte. Dann schaute er von einem zum anderen. »Wer sagt, daß sie ihm alle drei zu gleicher Zeit ans Leder wollten! Sicher hat er sie der Reihe nach abgeknallt.« Jack Alder schüttelte mißbilligend den Kopf. Schroff erwiderte er: »Das glaube ich nicht. Zumindest haben die Roggers zusammen gegen ihn gestanden. Die machen so was immer gemeinsam.« Carillo blickte Alder mißtrauisch an. »Ich will dir nichts einreden, lieber Freund.« Seine Stimme klang sehr sanft und schmeichelnd. »Ich will nur verhindern, daß ihr Gespenster seht und euch die Hosen vollmacht vor ihm.« »Er brauchte für drei Männer nur ein Kreuz. – Reite hinaus, Logan, und sieh es dir an. Dann wollen wir nochmals reden.« Carillo winkte geringschätzig ab. »Ich habe noch keinen Mann gesehen, der unüberwindlich ist. Das sieht immer nur so aus. Mit dir, Jack, sind wir jetzt sechs Mann. Ich glaube nicht, daß ein einzelner...« Jack Alder unterbrach ihn. Er hob die Hand. »Halt, Logan! So wollen wir es nicht machen. Du kannst mich nicht einfach zu deiner Mannschaft rechnen. Auf mich kannst du in Hays nicht zählen. Ich reite!« Logan Carillo kniff die Lider zusammen. »Du kennst unsere Gesetze! Keiner springt ab, bevor der Trail zu Ende geritten ist.
Das habe ich immer so gehalten und bin verdammt gut dabei gefahren.« »Ich gehöre nicht zu deinem Verein!« schrie Alders wild. »Also kannst du mich nicht unter dieses Gesetz stellen.« Carillo lachte gehässig. »Halt deine Nerven zusammen, Jack. Wer zu schwitzen beginnt, der macht es meist nicht mehr lange. – Sei vernünftig! Du hast doch schon für mich gearbeitet. Folglich zähle ich auf dich. Du bleibst und basta!« In Jack Alder stieg der Trotz hoch. »Du kannst mich nicht halten, Logan! Du nicht! Ich will nicht. Hörst du? Ich will in Hays nicht mehr... Es ist ein stinklangweiliges Kaff!« »Jetzt drehst du durch, Jack«, brummte Robby Boone von der Seite her. Er grinste und tippte sich mit dem Finger an die Stirn. »Nirgends ist mehr los als hier in Hays. Soviel GratisWhisky gibt’s auf der ganzen Welt nicht, wie hier in dieser Stadt. Laß dich nicht auslachen. Laß dir von Logan einen Vorschuß geben und geh rüber in den Trade Winds Saloon. Die schwarze Milly weint sich sonst die Augen nach dir aus, du Schafskopf!« Alle lachten und sahen Jack Alder belustigt an. Jane auch, die hinten am Fenster im Sessel saß. »Schwärmen Sie immer noch für Schwarz, Mister Alder?« fragte sie. Wütend blickte Alder von einem zum anderen. Plötzlich hatte er einen Colt in der Hand. Niemand von den Männern hatte im Augenblick mit dieser Reaktion gerechnet. Das war sein Vorteil. Das Lachen erstarb. Carillo und Crain tauschten einen Blick aus. Carillo warf auch einen Blick auf Boone und Gramm. Dann grinste er. »Steck den Colt weg, Jack«, sagte er ruhig. »Du solltest wirklich bei der schwarzen Milly einen trinken. Komm, steck deinen Schießprügel wieder ein!« »Einen Dreck werde ich tun, Logan! Einen Dreck! – Ich verschwinde jetzt, und keine Seele wird mich daran hindern.«
»Doch, Jack! Doch«, ließ sich da John Crain vernehmen. »Wir werden dich daran hindern. Du hast gehört, was Logan von dir verlangt. Richte dich also danach. Du bereust es sonst noch.« Jack Alder lachte laut und wild. Er zeigte seine Zähne. »Ich sage, einen Dreck werde ich tun! Du hast es doch gehört, John!« Gehetzt sah sich Alder um. Schnell und glatt zog er auch das andere Eisen. »Ich knall jeden über den Haufen, der sich auf meine Fersen heftet. Merkt euch das gut!« Langsam ging er rückwärts zur Tür. »Du bist der erste, Logan«, erklärte Alder dann in die gespannte Stille hinein. »Sollte einer von euch etwas versuchen, so wird das Logan bezahlen.« »Wenn hier einer zahlt, dann bist du es, Jack.« Donald Gramm trat vom Schrank weg und stellte sich breitbeinig hin. »Laß deine Colts fallen! Alle beide! Wirf sie weg, sag ich dir!« Jack Alder ritt jetzt der Teufel. Er lachte trotzig. Er mußte es mehrmals versuchen, ehe es ihm gelang, die Klinke mit dem Ellenbogen herunterzudrücken. Ungerührt sahen sie ihm zu. Mit dem Fuß öffnete er die Tür. Doch die Kumpane Logan Carillos – seine Revolvermänner – paßten auf. Als Alder über die Schwelle trat, stand Logan im toten Winkel. Alders Kugeln konnten ihn nicht mehr erreichen. Darauf hatten sie gelauert. Wie Wölfe, die den günstigsten Augenblick abgewartet hatten, schlugen sie ihre Beute. Donald und Robby Boone stürzten zur Seite und schossen. Jack Alder konnte feuern. Er traf auch. Doch nicht richtig. Diesen uralten Trick hatte er nicht einkalkuliert. So mußte Jack Alder sterben, bevor er das Zimmer überhaupt richtig verlassen hatte. Carillo trat vor. »Es ist schon gut, Mister Hopkins. Gehen Sie ruhig wieder rüber! Es ist nichts weiter passiert.«
Der zappelige Hopkins starrte auf Jack Alder. Dann sah er Carillo entgeistert an. »Ein toter Mann!« rief er. »Der Marshal soll kommen! Hier ist einer tot!« Carillo biß sich auf die Lippen. Vor Jane war ihm das unangenehm. Er drehte sich um. Da kam sie gerade wieder ins Zimmer, das sie vorhin schnell verlassen hatte. Von Alder konnte sie nur die Stiefel sehen. Aber mehr war wohl auch nicht nötig. »Ihr habt ihn umgebracht?« fragte sie tonlos. »Ihr habt ihn...« »Red jetzt keinen Unsinn!« fuhr Carillo sie an. »Und kein Wort! Wenn der Marshal Fragen stellt, werden wir antworten!« Dann trat Jim Rug ein. Mit kantigem Gesicht stieg er über Jack Alder hinweg. Mitten im Zimmer blieb er stehen und sah sich um. Als er Jane Steven erblickte, grüßte er. Danach wandte er sich an Carillo. »Was ist geschehen, Mister?« fragte er sehr förmlich. Der Sachverhalt war ihm sofort klar. Ohne zu zögern, sagte Carillo: »Eine Meinungsverschiedenheit. Sonst war weiter nichts. Aber er zog. Von Mister Gramm und Mister Boone kann niemand erwarten, daß sie sich erschießen lassen.« »Sie werden das alles beeiden müssen, Gentlemen«, erwiderte Jim. Er blickte sie nacheinander an, nickte grimmig und ging um den Tisch herum. Er blickte Jane fest an. »Auch Sie müssen das Protokoll unterzeichnen, Madam.« Jane warf einen Blick auf Carillo und nickte. »Dieses Land, besonders diese Stadt ist hart, Madam«, sagte er zu ihr, weil er sah, daß dieser Mord nicht spurlos an ihr vorübergegangen war. »Doch das wird sich bald ändern.« Carillo baute sich neben ihm auf. »Miß Steven hat nichts mit der Geschichte zu tun, Marshal. Sie war gar nicht im Zimmer.« »Stimmt das, Madam?«
Sie blickte zu ihm auf. »Ja, ich ging kurz vorher aus dem Zimmer.« »Dann werden Sie doch unterzeichnen, denn Sie kennen die Vorgeschichte«, sagte Jim fest und wandte sich ab. Neben Jack Alder kniete er nieder und durchsuchte dessen Taschen. »Hat er Angehörige?« fragte er über die Schulter. »Nein«, erwiderte John Crain. Jim legte den Tascheninhalt des Toten auf dessen Brust. »Dann laßt das mit beerdigen! – Mister Carillo, sorgen Sie dafür!« Nach diesen Worten tippte er an die Hutkrempe und ging hinaus. Carillo schaute ihm grimmig nach. Dann fuhr er Boone an: »Schick die Gaffer weg und schließ die Tür!« Logan Carillo ging wortlos auf und ab. Nach einer Weile blieb er vor Jane stehen, mit den Händen in den Taschen. »Warum mußtest du ihm sagen, daß du erst kurz vorher aus dem Zimmer gegangen bist? Du hättest dir viel Ärger ersparen können.« Jane Steven erhob sich. Sie war immer noch blaß im Gesicht. »Ich hätte es mir denken können, Logan. Du hast dich nicht verändert. Überhaupt nicht. Es ist nur gut, daß ich es gleich am ersten Tag feststellen konnte. – Gute Nacht!« Nachdenklich, mit gesenktem Kopf, ging sie wieder in das andere Zimmer. Sie schloß die Tür hinter sich ab. Die drei Coltmänner sahen sich bedeutungsvoll an. Sie grinsten verstohlen und vertrieben sich die Zeit, bis Mac Tar angeritten kam. Auch Mac Tar war ein Mann von der schlimmsten Sorte. Kahlgeschoren, klein und drahtig. Er trug nur einen Colt – doch mit vielen Kerben in den Hartholzschalen des Kolbens. Er war schon mit sechzehn Jahren auf die schiefe Bahn geraten, und für Geld machte er alles. Statt eines Grußes lachte er dröhnend und warf Carillo seinen Stetson vor die Nase. »Die Rancher werden sich hüten,
auch nur ein einziges Rind von diesen Texanern auf die Weide zu lassen. Darauf kannst du Gift nehmen, Logan. Sie sind nun alle so klein, daß sie dir nicht über die Stiefel schauen können.« »Du bist hoffentlich nicht zu hart eingestiegen?« fragte Carillo mit schiefem Gesicht. »Sei beruhigt, Logan!« Mac Tar grinste. »Mein Kolben sagt solchen Leuten mehr als zehn auf sie gerichtete Mündungen.« Sie betrachteten ihn mit gemischten Gefühlen. Robby Boone, die den Aufschneider nicht leiden konnte, fragte lachend: »Haben sie nicht gefragt, ob du sie nur zum Spaß hineingeschnitten hast?« Mac Tar warf den Kopf auf. Flink ließ er den Colt wieder in die Halfter rutschen. »Ich verstehe keinen Spaß, Robby! Ich habe noch nie Spaß verstanden. Ist dir das klar?« Robby Boone trank das Glas aus, das er in der Hand hielt. »Nein, das wußte ich noch nicht. Das ist völlig neu für mich.« Bevor die Situation brenzlig wurde, fuhr Carillo dazwischen. Er sprang auf und schlug mit der Faust auf den Tisch. Er blickte seine Männer reihum an. »Mit diesen verdammten Sticheleien ist Schluß! In dieser Mannschaft will ich Ordnung haben. Jetzt reicht es mir.« »Beruhige dich, Logan«, ließ sich John Crain vernehmen. »Das war wirklich nur ein Spaß. – Los, ihr Narren«, forderte er Boone und Tar auf. Mac Tar schwieg zunächst. Doch dann zwang ihn der stahlharte Blick John Crains. »Wenn du es so willst, John«, erklärte er grimmig, »dann ist es natürlich ein Spaß gewesen.« Logan Carillo nickte zufrieden. Wieder einmal mußte er sich eingestehen, daß John Crain für ihn unbezahlbar war. Er wußte das genau, und er war auch schlau genug, John bevorzugt zu behandeln. »Berichte weiter, Mac! Wieviel Regierungsland haben Sie noch zum Abgrasen?«
»Sie haben die Herde geteilt und sind schon sehr weit im Süden. Mehr als zwei Tage gebe ich ihnen nicht mehr. Dann müssen sie was tun, wenn die Rinder nicht zuviel Fleisch verlieren sollen.« »Warten wir also ab. Die laufen uns von selbst in die Hand.« Mac Tar räusperte sich. »Ich habe unterwegs einen Mann von Woody Hermann getroffen. Er ist mit seinem Rudel hier in der Nähe.« Carillo fuhr auf dem Absatz herum. Seine Augen leuchteten. »Wo? – Wo hat er sein Camp aufgeschlagen?« »Ein paar Meilen von hier am Smoky Creek. Jack Alder wird auch auf ihn stoßen.« »Jack Alder bestimmt nicht.« Donald Gramm erzählte Mac Tar mit ein paar kurzen, abgehackten Sätzen eine unglückselige Geschichte. Logan Carillo lief hin und her. Als er einen Entschluß gefaßt hatte, blieb er ruckartig stehen. »Morgen früh reiten wir zum Smoky. Wie weit ist es?« Mac Tar antwortete: »Das weiß der Teufel, Logan! Wir werden die Brüder schon finden. Mehr als zwanzig Meilen werden’s kaum sein.« »In zwei Tagen ist die Herde mein. Fünfhundert Dollar für Jim Rug biete ich immer noch. Jack Alder drehte durch. Ich hoffe, daß euch das nicht schrecken wird.« Mac Tar krallte die Hand um den Kolben. »Ich habe den ersten Versuch. Ich weiß, daß mir das niemand streitig machen wird. Oder?« Robby Boone schüttelte den Kopf. »Nein, Mac! Das macht dir keine Seele streitig. Du hast den ersten Versuch. Ich lasse dir gern den Vortritt.« Mac Tar schielte Boone böse von der Seite her an. »Soll das schon wieder ein Witz sein?« fragte er lauernd.
Doch Robby Boone ging nicht darauf hochgezogenen Schultern verließ er das Zimmer.
ein.
Mit
*** Als Jim Rug eintrat, erhob sich Jane Steven. Sie lächelte und reichte Jim die Hand. »Mister Carillo ist weggeritten, Marshal. Setzen Sie sich.« Jim dankte. Er blieb einen Augenblick unschlüssig stehen. Doch dann nahm er Platz. »Ich komme wegen des Protokolls...« Jane nickte ernst. »Geben Sie her, Mister, ich werde unterschreiben. Die Gentlemen werden auf dem Rückweg sicher am Office, vorbeikommen. – Sie sprachen davon.« Jane ging zum Schrank. Sie holte Tinte und Federhalter. Jim beobachtete sie. Als sie ihm gegenüber am Tisch Platz nahm und die Hand nach dem Papier ausstreckte, zog er es zurück. »Ich bin Ihnen zuvor eine Erklärung schuldig, Madam.« »Welche Erklärung?« »Sie sind gestern erst angekommen. Die Verhältnisse in dieser Stadt sind Ihnen fremd. Darüber will ich Sie aufklären, bevor Sie leichtfertig eine falsche Aussage...« »Marshal!« »Machen wir uns nichts vor, Madam. Wir wissen beide, wie Jack sein Leben verloren hat.« Jane erhob sich. Es fiel ihr sichtlich schwer, Jim Rug anzusehen. »Sie waren nicht im Haus. Sie können nur eine Vermutung aufstellen.« »Ja, eine Vermutung. Doch die ist richtig. Ich weiß, das Gegenteil von Logan Carillos Aussage kann ich nicht beweisen.« Er lachte hart. »Doch beachten Sie bitte, daß dieses Protokoll von Ihnen und fünf Männern unterschrieben werden wird. Für einen Meineid sind das zu viele Personen. So was ist noch nie gutgegangen.«
Jane Steven wandte sich ab. Sie lief ans Fenster und schaute hinaus. »Wie kommen Sie überhaupt zu der Annahme, daß...« »Sie werden alles sofort begreifen.« Jim erhob sich ebenfalls. Er ging zu ihr. »Logan Carillo ist ein Bandit. Ich bin sicher, daß Sie ihn besser kennen als ich. Darum wissen wir beide – Carillo ist ein Schurke!« Jane drehte sich um. Sie sah ihn ängstlich an und stieß heftig hervor: »Nein! Das ist nicht wahr!« Er zog sie am Arm zu sich herum. »Vor ein paar Tagen ist in dieser Stadt ein gemeiner Mord geschehen. Der Gegenspieler Carillos sollte ermordet werden. Eine Frau ist dem Schützen in den Weg gestürzt. Er hat sie kaltblütig niedergeschossen. – Eine Frau!« Jim ließ Janes Arm los. »Nun wissen Sie, was in dieser Stadt gespielt wird.« Um Jane Stevens Lippen zuckte es. Jim sah, wie es in ihr arbeitete, wie sie nach Fassung rang. »Wer... wer ist es gewesen...?« »Das weiß ich noch nicht«, sagte Jim hart. »Doch ich werde das herausfinden. Ich habe deshalb wieder den Stern genommen, und ich glaube nicht, daß mir der Mörder entkommen wird. Auch nicht der Hintermann, sein Auftraggeber! – Vor der Stadt lagert eine große Herde. Um sie geht es. Wenn die zehntausend Rinder verladen werden, wird in dieser Stadt alles geklärt sein. Und ich glaube, dann wird Logan Carillo nicht mehr frei herumlaufen.« Angst stand in ihren Augen. Entsetzliche Angst. Doch Jim ließ nicht locker. Er stieß unbarmherzig nach. »Wollen Sie jetzt noch das Protokoll unterzeichnen?« Blaß, mit Tränen in den Augen, sank Jane Steven auf den Stuhl. Sie verdeckte ihr Gesicht mit beiden Händen. »Jack Alder...« »Halt!« unterbrach sie Jim Rug und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Als Logan Carillos geschiedene Frau brauchen Sie keine Aussage zu machen, die ihn belastet.«
Sie sah ihn groß an. »Sie wissen...?« Jim nickte. »Well, ich habe Auskünfte eingeholt.« Jane weinte nicht mehr. Sie saß bleich und mit hängenden Schultern auf dem Stuhl. »Ja, ich war einmal seine Frau. Und ich bin in diese Stadt gekommen, weil er mir damals geschworen hatte, ein neues Leben anzufangen. Ich wollte ihm eine Chance geben. Er schrieb mir, daß es ihm in Hays geglückt wäre, Fuß zu fassen und etwas aufzubauen. Jack Alder wollte aus der Stadt. – Ich kenne den Grund nicht. – Logan war damit nicht einverstanden. Da schossen sie ihn nieder. Boone und dieser – Gramm heißt er, glaube ich – hatten ihre Revolver noch in der Hand, als ich in das Zimmer zurückkehrte.« »Ich wußte es«, sagte Jim mehr zu sich selbst als zu ihr. Er schürzte die Lippen und steckte das Protokoll wieder weg. »Ich werde Ihre Aussage natürlich nicht werten, Madam. Ich verzichte auf die Unterschrift. Doch ich gebe Ihnen noch einen Rat. Reisen Sie wieder ab. So schnell es nur irgend geht. Nehmen Sie den nächsten Zug. – Und, wie es hier auch ausgehen mag, lösen Sie sich endgültig von Logan Carillo. Das Land ist groß genug. Es bietet jedem, der von vorn beginnen will, eine Chance.« Er ging zur Tür. Doch Jane Steven rief ihn zurück. »Bleiben Sie, Marshal!« Sie erhob sich, schaute ihn ernst und kummervoll an. »Logan Carillo hat mir sieben Jahre lang eine Enttäuschung nach der anderen bereitet. Glauben Sie mir, Marshal, ich habe seine Handlungen nie gedeckt. Nehmen Sie meine Aussage zu Protokoll, Marshal.« Jim betrachtete sie forschend. Sie schien seine Gedanken zu ahnen. »Ich verrate meinen geschiedenen Mann nicht, Marshal. Nein, das tue ich nicht. Obwohl er es gar nicht anders verdient hat. Ich werde ihm nachher sagen, daß ich meine Aussage änderte. Dann erst
werde ich diese Stadt verlassen, Marshal. – Schreiben Sie alles nieder. Ich besuche Sie im Office.« Jim lächelte bitter. »Er wird nicht daran denken, von hier wegzugehen. – Doch von der Stunde an werden Sie sich in Gefahr befinden.« »Er hat schon eine Frau auf dem Gewissen, meinen Sie?« »Ja!« Jane Steven schüttelte energisch den Kopf. »Nein! Das wird er nicht wagen«, erklärte sie hastig. »Er hat Leute genug, die das für ihn tun. Packen Sie Ihre Sachen!« Jane holte sich ein Stück Papier. Sie setzte sich an den Tisch und schrieb. Jim schaute ihr über die Schulter. Sie brachte ihre Aussage zu Papier. Als sie damit fertig war, faltete sie den Bogen zusammen, erhob sich und reichte ihn Jim. »Hier«, sagte sie, »das soll ihn zwingen, in Hays Schluß zu machen. Es war gut, daß Sie gekommen sind, Marshal.« Sie seufzte. »Wieviel Zeit werden Sie Logan geben?« Ohne zu überlegen, erwiderte Jim: »Sie werden noch heute abreisen. Ich warte bis morgen früh. Das ist Frist genug für ihn. Doch ich bin sicher, er wird sie gar nicht nutzen.« »Ich werde ihm ins Gewissen reden.« Jim schüttelte den Kopf. Er lächelte nachsichtig. Er sah sie fest an. »Ich glaube, das haben Sie schon oft versucht.« »Sie haben recht.« »So wird es auch dieses Mal nicht gelingen.« »Ich fahre morgen früh«, sagte sie dann. Jim nickte. »Ich werde am Bahnhof sein. Ich will wissen, wie Sie von hier wegkommen.« Sie lächelte schwach. »Sie sind ein guter Marshal. Sie kümmern sich um alles in dieser Stadt.« »Wenigstens um alles, was mit Carillo zusammenhängt«, erwiderte er grimmig. Dann ging er hinaus.
*** Carillo hatte mit seinen Männern das Camp der Hermanbande nicht lange zu suchen brauchen. Draußen am Smoky Creek lagerten die Banditen in einer kleinen Mulde. Sie waren von Woody Herman und dessen Kumpanen ziemlich eisig empfangen worden. Nun standen sie einander gegenüber. Hermans Mannschaft zählte neun Männer. Er war ein grober Bursche. Groß und wuchtig, mit brutalen Gesichtszügen. In seinem Rudel hatten sich Burschen vom gleichen Kaliber zusammengefunden. Herman blickte Logan Carillo grimmig und abschätzend an. Dann sagte er knurrend: »Die Herde ist viel zu klein. Wir teilen nicht mit euch, Carillo.« Carillo war verblüfft. »Seit wann schlägst du solche Geschäfte aus?« »Das ist für uns kein Geschäft, Carillo.« Er grinste verschlagen. »Wir sind schon lange hinter dieser Herde her.« Carillo warf seinen Kopf hoch. »Wenn ich die Texaner nicht in Schwierigkeiten gebracht hätte, so wäre die Herde längst auf dem Wege nach Chicago. Ihr wärt also zu spät hier angekommen.« »Wir sind zur rechten Zeit da. – Mit solchen verdammten Burschen wie euch wollen wir schon gar nicht teilen.« Carillo fixierte den Banditenboß abwägend. Er versuchte, dessen eisige und ablehnende Haltung zu ergründen. Doch sie blieb ihm nach wie vor rätselhaft. »Was ist los mit dir, Woody? Du hast früher anders reagiert. Wir sind von der gleichen Art. Seit wann stehen wir uns feindlich gegenüber?« Herman lachte hart. Er sah sich nach seinen Männern um, die grinsend ihm zur Seite standen. »Habt ihr das gehört? He! Konntet ihr das eben hören? Joe! Gib du ihm die Antwort!«
Der Mann trat vor. Langsam trat er aus dem Kreis der Kumpane. Er glich Woody Herman wie ein Ei dem anderen. Er musterte Carillo und dessen Reiter mit verächtlichen Blicken. »Wieso sind wir von gleicher Art?« fragte er Carillo und hielt den Kopf schief. »Wie soll ich das verstehen?« »Wie? – Will ich dir erklären. Ihr seid gesetzlos. Wir sind das auch.« »Na also«, grinste Carillo zufrieden, »was reden wir da überhaupt?« Joe hob abwehrend beide Hände. »Ich bin noch nicht fertig. Wir sind rauh und übel. Wenn wir eine Herde wollen, so holen wir sie uns. Ihr macht das nicht anders. Nur eure Methoden... In Hays habt ihr nicht mal vor ‘ner Frau haltgemacht, Carillo!« schrie er und spie ihm vor die Füße. Woody nickte. »So ist das, Carillo. Auch wir sind üble Burschen. Doch eine Frau!« Herman schüttelte voll tödlicher Verachtung den Kopf. »Das war zuviel, Carillo!« »Zur Hölle!« keuchte Logan Carillo und funkelte Herman wütend an. »Ja, zur Hölle! Aber mit euch!« fauchte Joe. »Und merkt es euch verdammt gut: Der den Colt bei dieser gemeinen Tat geführt hat, der soll reiten! Der soll tausend Meilen zwischen sich und Hays legen.« »Ja«, meinte auch Woody Herman. Carillo beobachtete Robby Boone von der Seite her. Er wollte ihm einen warnenden Blick zuwerfen. Doch da verriet der sich schon. Robby Boone schlug die Hand um den Kolben und trat einen Schritt zurück. Er zog den Hals ein, stand krumm und breitbeinig da und schrie los: »Das will ich doch mal sehen! Verdammt, jetzt bin ich aber gespannt, wer mich tausend Meilen durchs Land jagen will, ohne daß ich Lust dazu habe! Zwei von euch Narren nehme ich bestimmt mit. Zwei bestimmt! Du, Woody, wirst zu ihnen gehören. Los, fangt an!«
Carillo wollte eingreifen. Er wollte die Situation retten. Ihm war sofort klar, daß er bei einem Coltkampf den kürzeren ziehen würde. Aber da erkannte er schon, daß Woody Herman keinen Kampf zu führen gedachte. Der grinste nur zu den Worten Robby Boones und sagte voller Niedertracht: »So nicht, Boone! Nicht mit einer ehrlichen Kugel! Nein, heute finden wir keinen Spaß an der Geschichte. Wir wollen dich hängen sehen, Boone! Hängen! An einem richtigen Strick!« Carillo sah, daß Boone erblaßt war. Er wollte ihn vor einer Unbesonnenheit bewahren, die am Ende seine Mannschaft in diesem Camp vernichten würde. Er ging zu ihm hin und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Steig auf, Robby! Wir reiten!« Er gab seinen Männern einen Wink. *** Sie ritten in die Stadt zurück und kamen am Office vorbei. Der Marshal trat ihnen in den Weg. Er forderte sie auf, das Protokoll zu unterschreiben. Sie überlegten nicht lange und setzten ihre Namen darunter. »Hallo, Carillo!« rief Jim dann, als sie wieder anreiten wollten. »In dieser Stadt ist schon eine Frau erschossen worden. Ein zweites Mal wird so etwas bestimmt nicht passieren.« Carillo kniff die Lider zusammen. Er zuckte die Schultern. »Ich weiß nicht, was das soll. Was geht mich das an? Sie sind der Marshal! Sie haben dafür zu sorgen, daß so etwas nicht wieder vorkommt.« »Eben!« erwiderte Jim fest. »Das wollte ich nur von Ihnen hören!« Seine Worte waren hintergründig. In die erste Falle war Logan Carillo bereits getappt. Allerdings mit Hilfe von Jane Steven. Jim mußte nun für ihre Sicherheit sorgen und aufpassen.
Dann machte er seinen Rundgang. Vor dem Saloon Judy Biddys blieb er stehen. Er überlegte lange. Doch dann entschloß er sich und trat ein. Im Saloon richteten sich sofort alle Augen auf ihn. Judys Vater stand hinter dem Schanktisch. Ein Mann, dem diese Art von Tätigkeit so gar nicht von der Hand ging. Mit dem Rücken zu Jim Rug lehnte ein großer Mann an der Theke. Im Gegensatz zu allen anderen Gästen nahm er scheinbar keine Notiz von Jim. Doch Jim bemerkte sofort, daß ihn dieser Mann im Spiegel beobachtete, der hinter dem Tresen an der Wand hing. Dieser Mann hieß Joe Stöcker und sah dem Bandenboß Woody Herman ziemlich ähnlich. Davon wußte Jim allerdings nichts. Jim Rug war erst seit drei Tagen wieder Marshal in Hays. Er war schon ein paarmal zu Judys Grab hinausgeritten. Doch mit ihrem Vater hatte er noch kein Wort gewechselt. Seit zwei Jahren stand er ihm nun zum erstenmal wieder gegenüber. Sie musterten sich lange. Dann sagte der Alte: »Du bist wiedergekommen! Doch zu spät!« In diesem Moment drehte sich Joe Stöcker um. »Sie sind ein Narr, Mister Biddy«, sprach er laut, so daß jeder im Saloon seine Worte verstehen konnte. »Die ganze Stadt, scheint mir, ist von Narren und verdammten Feiglingen bevölkert. Ihre Tochter wurde von Robby Boone erschossen. Logan Carillo gab ihm den Auftrag.« Er sprach gelassen weiter, warf dem alten Biddy ein Geldstück auf den Tresen und ging danach mit eingestemmten Armen durch den Saloon. »Statt aus der Haut zu fahren, gebt ihr die Schuld einem Mann, der gar nicht in Hays war. Ihr seid Schafsköpfe! Los! Springt auf! Bindet eure Gurte fester und zieht Logan Carillo und seinem Rudel das Fell über die Ohren!«
Er machte eine kurze Pause. Dann sprach er zynisch weiter: »Nun wollt ihr wissen, woher ich Judys Mörder kenne, was? – Das haben mir Carillo und dieser verdammte Boone selbst gesagt. – Geht hin und fragt!« Zu Jim gewandt sagte er: »Holen Sie also diesen Boone ab, Marshal! Das ist doch Ihre Pflicht, oder?« Wieso hatten Carillo und Boone dem Mann den Mord gestanden? – Jim fand darauf keine Antwort. Er sah keinen Grund, der Carillo und Boone zu einer so leichtfertigen Äußerung getrieben haben sollte. Vieles wäre anders gekommen, hätte Jim gewußt, daß auch Woody Hermans Bande auf die Herde aus dem Pecos County in Texas scharf war. Genauso scharf wie Logan Carillo und dessen Rudel. So aber tappte er im dunkeln. Er wußte nicht, daß Joe Stöcker von seinem Boß in die Stadt geschickt worden war, um auf diese Art Logan Carillo zu schaden. »Wieviel Zeugen brauchen Sie, Marshal, um Carillos Verein auseinanderzureißen?« »Es genügt mir einer, der vor Gericht die Hand hebt.« »Da bringe ich Ihnen neun Mann, Marshal! Neun Mann!« Er grinste. »Die haben alle Carillos Geständnis gehört, wenn wir das mal so nennen wollen.« Er stieß ein hartes Lachen hervor. »Nur freies Geleit muß uns zugesichert werden.« Da dämmerte es Jim Rug. Da wußte er sofort Bescheid. Noch mehr Galgenvögel, dachte er grimmig. Allerdings schienen sie aus irgendeinem Grunde mit Carillo im Streit zu liegen. Doch wer wollte sagen, daß nicht auch er mit ihnen Verdruß bekommen würde? – Und dieser Bursche? Wer war das? Bestimmt hatte er genug auf dem Kerbholz, daß er ihn gleich hier verhaften könnte.
Doch dieser eine nützte ihm verdammt wenig. Seine Kumpane würden ihn todsicher aus dem Jail herausholen. Da müßte er sie schon alle neun hinter Gitter bringen. So einfach würde das nicht sein. »Also, es geht in Ordnung. Für Sie und Ihre Partner freies Geleit«, versprach Jim. Joe Stöcker nickte lässig. »Wußte doch, daß Sie vernünftig sind, Marshal.« Auf sein Zeichen erhoben sich zwei Männer mit grinsenden Gesichtern. »Wir gehen jetzt, Mister. Wenn es soweit ist, werden Sie von uns hören.« Er war also nicht allein hierhergekommen. Sicher ein ganz übler Bursche, schoß es Jim durch den Kopf. Es war ihm klar geworden, daß sich hier zwei Banden befehdeten, die aus irgendeinem Grund aneinandergeraten waren. Nachdem die drei Burschen den Saloon verlassen hatten und auf ihren Pferden davongeritten waren, fragte der Alte hinter dem Tresen: »Was wirst du nun tun, Jim Rug?« Er schob ihm Glas und Flasche hin. Während sich Jim einschenkte, grübelte er vor sich hin. Das war eine neue Situation, mit der er erst fertig werden mußte. Boone war also der Mörder. Er sollte es jedenfalls sein. Daß Carillo dahintersteckte, war Jim von Anfang an klar gewesen. Wer konnte außer ihm am Tode seines Bruders Interesse haben? Wer, wenn nicht Carillo! »Ich weiß noch nicht, was ich tun werde«, antwortete er dem Alten versonnen. »Und ich habe die Sache von vor zwei Jahren auch nicht vergessen. Eines weiß ich: Carillo und seine Bande werden Hays nicht mehr lange unsicher machen, das schwöre ich euch. Diesmal gibt es Beweise!« Ein paar von den Gästen sprangen auf. Sie umringten Jim. Einer rief scharf und hitzig: »Nehmen Sie Carillo fest,
Marshal! Das ist doch die beste Gelegenheit, um ihn unschädlich zu machen. Der Teufel soll Sie holen, wenn Sie zaudern!« »Packen Sie zu, Marshal«, forderten die Männer. »Wenn Carillo von der Geschichte Wind bekommt, wird er sich aus dem Staube machen. Sie müssen schneller sein als er.« »Ihr seid Hitzköpfe«, ließ sich da der alte Biddy hinter dem Schanktisch vernehmen. »Wie lange seid ihr schon hier? Bestimmt noch nicht lange. Sonst würdet ihr den Marshal kennen. Der braucht euren Rat nicht. Jim Rug hat die Stadt vor zwei Jahren schon einmal zurechtgetrimmt. Er wird es auch dieses Mal wieder schaffen. Euch hätte der Hafer viel früher stechen sollen. – Nun wißt ihr, wie ich darüber denke.« Jim lächelte dem Alten zu, der sich so für ihn ins Zeug gelegt hatte. Er zahlte seinen Whisky und wollte die Männer einfach stehen lassen. Doch in diesem Augenblick betrat Mac Tar den Biddy Saloon. Steifbeinig blieb er an der Tür stehen. Jim witterte sofort Ärger. Auch die Männer am Tresen, die eben noch so lebhaft Ratschläge austeilten, witterten Gefahr. Lautlos, aber schnell, stahlen sie sich von seiner Seite weg. Der Wind hatte die Tür hinter Tar wieder aufgerissen. Mit einem wuchtigen Fußtritt stieß er sie zurück. Er grinste kalt und schob sich den Hut vom Kopf. »Ich wollte dich schon immer mal sprechen, Jim Rug«, kam es rauh über seine Lippen. Jim war einen Schritt vom Tresen weggetreten. Er nickte gelassen. »Schieß los, Tar!« antwortete er dem Revolvermann. Jim wußte, daß jetzt sein erster großer Auftritt in dieser Stadt kam. Er würde kämpfen müssen. Da half keine Finte und kein Bluff mehr. Die Gäste des Saloons hatten sich bis auf einen jungen Burschen zur Seite hin in Sicherheit gebracht. Auch der alte Biddy war hinter dem Tresen weggegangen. Er stand drüben bei den anderen an der Wand.
Mac Tar schien nur Augen für Jim zu haben. Er stand geduckt und mit abgespreizten Händen. In seinen Augen leuchtete es gefährlich. »Ich rede nur eine Sprache, Rug. Doch ich hoffe, daß du sie verstehst.« Dabei näherten sich seine Hände langsam dem Coltkolben. »Diese Sprache verstehe ich. Hab’ sie schon immer verstanden. Auch James Billing und dessen hitzköpfiges Gespann wollten auf diese Art plaudern, weil es um fünfhundert Dollar ging. – Sie liegen jetzt unter der Erde am Smoky Creek.« Jim Rug preßte die Zähne aufeinander. Er hatte noch einmal zu bluffen versucht. Irgendwie kam er sich klein dabei vor. Doch es war seine einzige Chance. Er war klug und nüchtern genug, sie zu erkennen. Er wußte, daß er Mac Tar nicht schlagen konnte. Der war sicher eine Klasse besser als er. Ihm fehlten diese zwei Jahre, die er nicht wettmachen konnte. Höchstens durch Bluff. Er hatte in dieser Stadt eine Aufgabe übernommen, die zu erfüllen jedes Mittel rechtfertigte. Auch diesen Bluff. Mit einer Kugel im Herzen nützte er dieser Stadt nichts mehr. Er war gezwungen, seinen alten Ruf aufzupolieren, um über die Runden zu kommen. In Hays wollten die Menschen wieder frei atmen können, und am Pecos warteten die Leute auf den Erlös ihrer Rinder. Während dieser Gedanken kam er zu der Erkenntnis, daß sich Mac Tar nicht durch Worte und Warnungen beeinflussen lassen würde. Das sah er zu deutlich an dessen grimmig verzogenem Gesicht. Der wollte vor allem den Ruhm, Jim Rug geschlagen zu haben, und Logan Carillos fünfhundert Dollar. Heiser stieß Tar hervor: »Billing und die Roggers müssen irgendwas falsch gemacht haben. Die waren schon immer zu leichtsinnig. Sie fühlten sich alle drei zu stark. Mir wird das nicht passieren. Los, Rug, versuchen wir es doch mal!«
»Sie stehen gegen einen Marshal, Mister Tar«, ließ sich der alte Biddy aus dem Hintergrund vernehmen. »Bedenken Sie das! So was ist noch nie...« »Darum kümmere ich mich ‘nen Dreck, Alter!« Tar funkelte Biddy böse und gefährlich an. »Misch dich nicht ein! Laß das meine Sorge sein. Wenn er mich schafft, soll er mich hinterher ruhig einbuchten. Ich will den Marshal sehen, der mich ins Loch bringt! Los, Rug, versuch das!« Er hatte seinen harten Blick wieder auf Jim gerichtet. Auf diesen Moment mußte der Bursche am Tisch gelauert haben. »Sehen Sie mal hierher, Tar, und messen Sie daran, wie groß Sie sind. Wird nicht viele Fuß ergeben«, sagte er sanft. Mac Tar blickte den Jungen spöttisch an. Der hatte, bisher von allen unbeobachtet, seinen Colt auf ihn gerichtet. »Was soll das, Bursche? Du willst dich doch nicht etwa mit mir anlegen, was? Los, weg mit dem Ding! Ich zähle bis drei, dann bist du und der Marshal reif.« »Zählen Sie nur nicht!« warnte der Junge und lachte lautlos. »Schon bei eins verliere ich die Nerven.« Der Spott in Mac Tars Gesicht verschwand. Der Zorn stieg in ihm hoch. Er spürte wohl, daß der Junge ihm die Partie mit Jim verdorben hatte. Auch Jim kam es plötzlich nicht mehr so vor, als sei dieser Bursche ein Grünschnabel. Er nutzte nun die Chance und handelte schnell. Er zog den Colt und sprach zu Mac Tar: »Runter mit dem Gurt! Ich stelle dich unter Arrest. Zunächst nur wegen Landfriedensbruchs. Das andere folgt noch.« In Mac Tars Kopf schienen sich die Gedanken zu jagen. Er blickte von Jim auf den Jungen und wieder auf Jim. »Verdammt!« fluchte er. Zu mehr war er nicht fähig. Dann resignierte er. Wortlos schnallte er den Coltgurt ab. Der Junge stand auf. Er schob langsam den Colt zurück und näherte sich Mac Tar, der in ohnmächtiger Wut sehen mußte, wie der junge Bursche seinen Coltgurt aufhob und ihn Jim Rug
übergab. »Das wirst du mir eines Tages teuer bezahlen, Boy!« brummte er finster. Der Junge lachte nur. »Daran glaube ich nicht«, sagte er über die Schulter. »Hier, Jim!« Er öffnete die Brusttasche und zog einen Brief hervor. »Ich bin Smyli Bender aus Topeka. Der alte Saller schickt mich. Er meint, es wäre der sicherste Weg für einen Brief.« Der Bursche lachte verschmitzt. »Ich wollte mich schon vorhin bemerkbar machen. Aber der Mann, mit dem du zuvor gesprochen hast, schien mir auch nicht gerade ungefährlich. Ich dachte mir gleich, daß ich dir irgendwie helfen könnte.« »Du bist in Ordnung, Smyli«, erwiderte Jim lachend und nahm den Brief an sich. »Auf diesen Brief habe ich schon lange gewartet. Wie geht’s dem alten Saller? Ist er immer noch nicht in den Ruhestand gestreten?« »Nein!« Smyli schüttelte den Kopf. »Dieser alte Kauz und die Eisenbahn sind unzertrennlich.« »Gut! Komm mit ins Office!« Dann gingen sie hinaus. Mac Tar vornweg, als Jims Gefangener. Sie schritten zum Office. Ein Gewitter war im Anzug. Die ersten Blitze zuckten am Himmel, die ersten Regentropfen fielen. Der Wind war stärker geworden. Das Gewitter näherte sich sehr rasch. Einen Augenblick dachte Jim an die Texaner und die Herde. Er hoffte, daß sie dieses Wetter gut überstehen würden. Jim sperrte Mac Tar ein. Dann ging er mit Smyli Bender ins Office. Das Feuer brannte noch, und Jim stellte erst mal den Wasserkessel auf. Dann setzte er sich und las Sallers Brief. Unterdessen sah sich Smyli mit respektvoller Miene im Office um. Anschließend kochte Jim Kaffee und bereitete für den Jungen und sich eine Mahlzeit. Danach lehnte er sich im Stuhl zurück und zündete sich eine Zigarette an. »Du wirst also in Hays bleiben, Junge. Ich glaube nicht, daß dich da der alte Saller gut beraten hat. Er bittet mich in seinem
Brief, dir einen Job zu verschaffen. Ich werde sehen, was ich tun kann.« Die Augen des Jungen leuchteten. »Brauchst du keinen Gehilfen, Jim? Das wäre schon was für mich.« Jim musterte Smyli. Er war ein schmalschultriger Junge mit intelligenten Augen. Sicher war er sehr klug. Doch bestimmt gehörte auch er zu der Sorte junger Burschen, die der Schießerei nur eine abenteuerliche Seite abgewinnen wollten. »Hör zu, Smyli!« begann Jim und schaute ihn prüfend an. »Warum hast du mir vorhin geholfen?« »Warum?« Smyli sah Jim erstaunt an. »Das ist doch ganz einfach. Ich will auch mal Marshal werden. Ich meine, da muß man zeitig anfangen. – Außerdem«, er lächelte schüchtern, »wollte ich mich bei dir gut einführen.« Jim lachte nachsichtig. »Du bist noch sehr jung und...« »Ich werde bald neunzehn. Das ist alt genug. Es gibt viele, die so früh angefangen haben. Mein Vater war früher mal in Texas. In irgend so einem Nest. Da hatten sie einen zum Sheriff, der war erst achtzehn Jahre. Aber schießen konnte der! Mein lieber Mann! Der hat jeden umgesäbelt, der ihn auch nur schief angeguckt hat.« »Du meinst, es kommt nur auf’s Schießen an?« »Na klar, Jim! Mit dem Eisen muß man umgehen können. Das ist alles. An dich traut sich doch auch keiner ran. Dieser Tar war bestimmt nicht ganz richtig im Kopf, als er dich forderte. Du hättest ihn doch sicher geschafft. Ich habe ja gehofft, er würde es auch mit mir versuchen. Dann hättest du gleich sehen können, ob ich was tauge.« Jim nickte nachdenklich. »Ja, dann hätte ich gleich sehen können, ob du was taugst. Wahrscheinlich hätte er dich erschossen. Dann wärst du jetzt tot. Und alle Chancen, einmal Marshal zu werden, wären dahin. Für immer.« »So genau kannst du das doch gar nicht sagen, Jim!«
»Eben! So genau kann man das nie wissen, ob man einen Mann schafft oder nicht. Wahrscheinlich hätte ich diesen Tar auch nicht bezwungen. Es ist immer ein Spiel mit dem Tod.« »Bei einem Coltkampf steht es immer fünfzig zu fünfzig. Das ist eine faire Sache. Nichts ist so fair wie ein Coltkampf.« »Von wem hast du diese Weisheiten? Gewiß von einem Narren. An gleiche Chancen glaubt jeder. Meist sogar noch an einen Vorteil. Doch von zweien muß sich immer einer verrechnen. Nämlich der, der liegen bleibt. Und wer weiterreiten kann, hat einen Menschen auf dem Gewissen. Hast du daran schon einmal gedacht?« »Wenn ich zuletzt ziehe, kann mir niemand etwas anhaben.« An diesen Worten erkannte Jim zu gut, wie weit das Hirn des Jungen schon durcheinandergebracht worden war. Und da entschloß er sich, den Burschen bei sich zu behalten, um ihn von seiner Krankheit zu befreien und seine Erfahrungen, seine bitteren Erfahrungen mit dem eigenen Gewissen, an ihn weiterzugeben. *** Der Sturmwind trieb das Gewitter schnell nach Süden. Es blitzte und donnerte ohne Unterlaß. Die Herde im Süden der Stadt stand kurz vor einer Stampede. Verzweifelt versuchten die Texaner, die Tiere beieinanderzuhalten. George Tebos, ein alter krummbeiniger Treiber, schrie den Männern mit schriller Stimme seine Befehle zu. Mit Coltschüssen und Bullpeitschen trieben die Männer die ausbrechenden Tiere zurück. Einige von diesen Tieren waren nur mit einer gezielten Kugel aufzuhalten. George Tebos hielt immer wieder nach Clark und Jack Ausschau. Es war ihm unverständlich, daß die beiden nicht umgekehrt waren.
Die Rinder drängten immer stärker nach Süden. Die Tiere wollten vor dem Gewitter davonlaufen. Dann stand das Unwetter genau über der Herde. Die Panik begann, als ein Blitz mitten in die zottigen Leiber schlug. Da waren auch die fünfzig erfahrenen Texaner machtlos. Die ersten großen Rinderrudel, angeführt von blindwütigen Stieren, brachen durch. Dann war die ganze Herde in rasender Bewegung. Die Trailmänner konnten sich nur noch vor der anstürmenden Rindermasse in Sicherheit bringen. Das gelang nicht allen Männern, denn auch die Pferde waren scheu und ängstlich geworden. Vier, fünf Tiere stolperten, stürzten zu Boden und begruben ihre Reiter unter sich. Diesen Männern konnte keiner mehr helfen. Schon Sekunden später war die Herde über Pferde und Reiter hinweggerast. Mit verbissenen und aschgrauen Gesichtern rissen die anderen Cowboys ihre Pferde herum. Es war nicht ihre erste Stampede, die sie erlebten. Und es waren auch nicht die ersten Männer, die sie von einer in Panik geratenen Rinderherde zertrampelt sahen. Doch es schnürte ihnen die Kehlen zu, weil sie nicht imstande waren, ihren Partnern zu helfen. Mit verzerrtem Gesicht schrie Old George seine Befehle in dieses Durcheinander. Für die Mannschaft gab es jetzt nur eins: Sie mußte versuchen, die Richtung der jagenden Herde zu bestimmen. Die Männer waren alle erfahren genug, um das sofort zu begreifen. Noch ehe George Tebos seine Befehle gab, ritten sie nach vorn und zwangen die Spitze der Herde auf den Trail nach Dodge. So, wie es Clark Bowman vorher befohlen hatte. George Tebos war zur Seite ausgewichen. Fünf Cowboys waren bei ihm. Sie jagten ein ausbrechendes Rudel zur Herde zurück und standen dann auf einem Haufen beisammen. Mit grimmigen Blicken sahen sie auf die erdbraune, hetzende Rinderflut.
Das Trommeln von Abertausenden Hufen dröhnte in ihren Ohren. Die Erde zitterte. Sie spürten es selbst im Sattel noch deutlich. Nur mit Mühe vermochten sie ihre Pferde zu halten. Wieder und wieder wurde diese gespenstische und chaotische Szene von den grellen Blitzen taghell erleuchtet. Ein paar von den Männern fluchten lästerlich vor sich hin. Die Masse der zehntausend Rinder war bald an ihnen vorüber. Hier und da jagten die Männer einige kleine Rudel zurück, die unter Anführung ihres Leitstieres einen anderen Weg einschlagen wollten. Dann sahen auch die Männer die Fackelreiter. »Verdammt!« fluchte George. »Was ist das für ein Spuk?« Er lauschte. »Da wird doch geschossen!« »He!« brüllte ihm einer von den Männern zu. »Das sieht nach Viehdieben aus, die hier die Gelegenheit für sich...« Da hob George die Hand. Sie rissen die Winchester unter die Arme und galoppierten sofort los. Sie ritten einen Bogen und waren bald hinter der Herde. Nun begriff George Tebos, warum Clark und Jack nicht zurückgekommen waren. Verzweifelt hielt er nach ihnen Ausschau. Doch er konnte sie nirgends entdecken. Das Gewitter war schon weitergezogen. Die Blitze zuckten nicht mehr so grell. Zudem verminderte der strömende Regen die Sicht. Er gab den Männern ein Zeichen. Daraufhin ritten sie den Banditen genau in die Flanke. Doch drüben schienen die anreitenden Cowboys bemerkt worden zu sein. Die Fackeln flogen auf einen Haufen, und dann näherte sich Hufschlag. Wieder hob der Oldtimer die Hand. »Es gilt jetzt!« schrie er seinen Männern zu und fiel seinem galoppierenden Pferd in die Zügel. Die Cowboys ritten augenblicklich auseinander und glitten wenig später aus den Sätteln. Mit Colts und Gewehren im
Anschlag, erwarteten sie die Banditen. Aber noch bevor die aus der Dunkelheit vor ihnen auftauchten, peitschten Schüsse auf. Die Mündungsfeuer lagen hinter den Banditenreitern. Nun begriff George, daß dort drüben ein anderer Teil seiner Mannschaft anritt. Mit einem lauten Schrei jagte er seine Männer wieder in die Sättel. In der Dunkelheit war dieser Kampf nur kurz. Doch er war rauh und erbarmungslos. Die Texaner, durch die Stampede ihrer Herde in Wut geraten, kannten in dieser Nacht kein Erbarmen mehr mit den Rustlern. *** Am anderen Morgen schien die Sonne wieder hell und strahlend. In den Straßen von Hays war es noch schlammig und morastig. Jim Rug und Smyli waren zeitig auf den Beinen. Sie saßen noch beim Morgenkaffee, als eine Reiterschar vor dem Office auftauchte. Ein gutes Dutzend Männer stiegen draußen aus den Sätteln. Bevor Jim an der Tür war, trat Clark Bowman ein. Er trug einen durchbluteten Verband am Kopf. Er war schmutzig und machte einen übernächtigten Eindruck. Auch seine Kleider schienen noch nicht getrocknet zu sein. Jim dachte sofort an das Gewitter. Er reichte Clark die Hand. »Was war mit der Herde bei diesem Wetter? Habt ihr eine Stampede verhindern können?« »No, Jim«, erwiderte der Trailboß mit bitterem Gesicht. »Das konnten wir nicht. Die zehntausend Rinder waren nicht mehr zu halten. Ein Blitz... Er fuhr mitten in die Herde. Wir haben sie erst kurz vor Morgengrauen wieder zum Stehen gebracht. Ich weiß noch nicht, wie viele Rinder wir verloren haben. Ich weiß nur, daß zwölf Männer nicht mehr leben.«
Jim Rug trat einen Schritt zurück. »Zwölf Männer! Bei einer Gewitterstampede? Das ist zuviel, Clark! Ihr habt das Gewitter doch heranziehen sehen?« »Das haben wir«, sprach Bowman grimmig. »Doch das Gewitter war es nicht allein. Eine Rustlerbande...« »Carillo!« sagte Jim scharf. »Er hat diese Stunde also genutzt.« Clark Bowman schüttelte den Kopf. Er warf seinen Stetson auf den Tisch und setzte sich. Er gähnte und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. »Nein, mit Carillo hatten diese Burschen nichts zu tun. Das haben wir schon herausgefunden. Es war die Hermanbande.« Für Jim Rug klärten sich sofort viele Rätsel. Er dachte an den Mann, der gestern im Saloon aufgetaucht war und neun Männer seine Partner nannte. Die Hermanbande also, dachte er. Diese Burschen wollten genau wie Carillo die große Texasherde. Um den Weg frei zu haben, hatten sie versucht, Carillo auf eine ziemlich leichte Art und Weise aus dem Rennen zu werfen. Diese Brüder wollten Carillo im Kittchen sehen, um nicht mit ihm teilen zu müssen. Wohl nur aus diesem Grunde hatte der Mann in Biddys Saloon Logan Carillo und Robby Boone des Mordes an Judy Biddy bezichtigt. Ein einfacher Racheakt. Kein Richter würde auf die Aussagen dieses Mannes etwas geben, wenn ihm klar wurde, daß die Bande mit Carillo wegen der Herde in Streit geraten war. Jim preßte die Lippen zusammen. Das schien Clark Bowman falsch zu deuten. Er lächelte säuerlich. »Darüber brauchst du dir keine Kopfschmerzen zu machen, Jim. Mit diesen Sattelratten wirst du keine Schwierigkeiten mehr haben. Die Boys waren durch diese Gewitterstampede ziemlich in Fahrt. Von Woody Hermans Bande ist kein Mann entkommen. Drei von ihnen haben diese
Gewitternacht überlebt. Sie warten draußen. Du kannst sie gleich aufhängen lassen.« »Damit werden wir noch etwas warten, Clark. Sie sollen reinkommen!« Er lachte bitter. »Jetzt will ich erst mal hören, was sie mir zu erzählen haben. Einer von dieser Bande hat mich gestern aufgesucht, um eine verteufelte Geschichte an den Mann zu bringen.« Die drei Überlebenden der Hermanbande wurden von den Cowboys hereingeführt. Joe Stöcker war dabei. Er war nicht verwundet. Doch er sah übel aus. Wahrscheinlich war er von den ergrimmten Trailmännern verprügelt worden. Die beiden anderen hatte es arg erwischt. Sie bluteten aus vielen Wunden. Die Verbände waren rotgefärbt. Einer wurde von zwei Texanern gestützt Jim Rug stellte sich vor Joe Stöcker auf. Der platzte sofort los: »Wenn Sie glauben, daß ich Ihnen das Lied noch mal singe, so sind Sie schief gewickelt, Marshal. Ich sage gegen Carillo nur aus, wenn Sie mich laufen lassen. Das ist der Preis. Auf dieser Welt ist nichts umsonst.« Smyli Bender war dazugekommen. »Gut, daß du das einsiehst!« fauchte er den Banditen an. »Auf dieser Welt muß jede Rechnung bezahlt werden. Du kommst an den Galgen! Das wird die Quittung für dich sein.« Jim lächelte. Er schob Smyli zurück. Smyli funkelte die Banditen der Reihe nach an. Dabei hatte er die Hand am Colt. »Ich lasse Sie nicht laufen, Mann!« Jim schüttelte den Kopf. »So einfach ist das nicht. Außerdem haben Sie mir was Falsches vorgesungen.« Er lachte hart und ging zum Tisch. Mit der Faust schlug er knallend auf ein Aktenstück. »Hier habe ich die Beweise! Der Mord an Judy Biddy geht auf das Konto der Hermanbande.« Joe Stöcker wurde blaß. Er trat zurück. Dann verzog er wütend das Gesicht.
»Dieser verdammte Carillo! Dieser ausgekochte Fuchs. Das Blatt einfach umzudrehen. Das sieht ihm ähnlich.« Er zeigte auf seine Kumpane. »Fragen Sie, Marshal! Die waren dabei! In unserem Camp am Smoky Creek hat sich Boone verraten. Und dieser Carillo hat alles kaltblütig zugegeben. Er wollte mit uns die Herde teilen. – Wir sind alle wilde Burschen, Rug. Das geben wir zu. Doch mit Leuten, die eine Frau... Damit wollen wir nichts zu schaffen haben. Aus diesem Grunde konnte Carillos Rudel niemals unser Partner werden.« Einer der Kumpane nickte. »So war’s, Marshal! So und nicht anders!« Er zeigte auf das Aktenstück. »Das zieht nicht, Mann! Als diese Frau... Da waren wir ja noch gar nicht hier. Was wollen Sie uns da einreden?« Nun merkte Joe Stöcker, daß er sich hatte bluffen lassen. Doch im Moment störte ihn das nicht. Er war froh, daß ihm diese Sache nicht angehängt werden konnte. »He, Rug! Fragen Sie mal in La Crosse nach. Dort wird man sich todsicher an uns erinnern. Viele von uns haben da ihr letztes Geld verspielt.« Jim atmete tief. Wenn die Aussagen der Burschen den Nachforschungen in La Crosse standhielten, dann konnte Carillo eventuell doch noch festgenagelt werden. Er nickte zufrieden. »Jetzt sperre ich euch ein. Der Doc wird nach euch sehen, und dann wird sich alles finden. Mehr kann ich für euch nicht tun.« Er sah sie der Reihe nach an. »Nur wenn sich in La Crosse kein Mensch an euch erinnern kann, geht’s euch verdammt schlecht. Das verspreche ich euch.« Danach brachte er die Banditen ins Jail. Er sperrte sie zu dritt in eine Zelle Mac Tar gegenüber. Als der die Burschen erkannte, wurde er grau im Gesicht.
Jim schickte einen Mann zum Doc, damit der sich um die verwundeten Banditen kümmerte. Als er ins Office zurückkehrte, war sein Bruder da. Clark Bowman berichtete ihm gerade von den Aussagen der gefangenen Banditen. Berry wandte sich sofort seinem Bruder zu. »Du hast also jetzt die Beweise gegen Carillo?« Jim nickte mit ernstem Gesicht. »Ich hab’ sie, Berry. Carillo kann mir nicht mehr aus dem Griff kommen. Im Grunde war das sein eigener Fehler.« »Ich wußte, daß er einmal einen Fehler machen würde, der den Mord an Judy aufklärt. – Robby Boone also«, flüsterte Berry Rug. Er schüttelte den Kopf. »Daß ich ihn nicht erkannt habe! – Er war maskiert. Ich habe den Mörder erst gesehen, als Judy schon auf dem Boden lag und er ein zweites Mal feuerte. Es war ein kurzer Augenblick. Ich fiel und kam erst wieder zu mir, als er das Haus schon verlassen hatte. Nein, ich habe ihn nicht erkennen können. – Judy... well, die wird ihn bestimmt erkannt haben. Aus diesem Grund hat er sie ja auch getötet.« Die Männer schwiegen und blickten zu Boden. *** Kurz darauf stand Jim vor Carillos Haus. Er zögerte nicht. Er ging hinein und lief rasch durch den Flur. Als er das Zimmer betrat, sprangen Carillo und John Crain überrascht auf. Auch Jane Steven war erstaunt! Das hatte sie nicht erwartet. »Was soll diese Unverschämtheit?« fragte Carillo gereizt. »Wie können Sie einfach hier hereinkommen?« Jim überschaute die Situation im Zimmer sofort. Jane war reisefertig. Ihre Augen waren rot umrändert. Sie mußte geweint haben.
Carillo wollte sie also nicht weglassen. Sein Gesicht war blaß und eingefallen. Hilfesuchend sah er ab und zu nach Crain. Der stand in lauernder Haltung, schien aber auf Carillos Zeichen zu warten. Sicher wagte er es nicht, allein gegen den Marshal anzugehen. Doch Carillo gab dieses Zeichen nicht. Wahrscheinlich verspürte er wenig Neigung, sich in dieser Situation mit dem Colt zu behaupten. Jim ging langsam auf ihn zu. »In zwanzig Minuten geht der Zug nach Topeka. Ich glaube, Mrs. Steven hat die Absicht zu fahren.« »Was geht Sie das an?« fragte Carillo rauh und unbeherrscht. »Ich glaube, Mrs. Steven möchte mit diesem Zug die Stadt verlassen. Sie werden sie doch daran nicht hindern wollen, Mister?« Diese Frage kam messerscharf über Jim Rugs Lippen. Carillo warf Crain einen schnellen Blick zu. Doch der stand immer noch abwartend da. Carillo wurde sich deshalb nicht schlüssig, wie er reagieren sollte. Mit schmalen Lippen starrte er vor sich hin. Dann warf er Crain einen giftigen Blick zu. »Der Koffer soll zur Station gebracht werden.« Wortlos ging Crain zur Tür, öffnete sie und rief den Hausburschen. Während der Mann den Koffer von Jane Steven aus dem Zimmer wuchtete, fiel kein Wort. Erst als die Tür wieder geschlossen war, erhob sich Jane. Sie ging zu Logan Carillo und sah ihn flehend an. »Leb wohl, Logan! Und versuch es noch einmal von vorn!« »Schweig! Sei still und geh!« herrschte er sie an. Er blickte zum Fenster hinaus, als sei sie gar nicht vorhanden. In Janes Augen standen Tränen. Langsam und mit gesenktem Kopf ging sie zur Tür. Dort blieb sie stehen und
schaute Jim an. »Ich danke Ihnen, Marshal«, sagte sie mit spröder Stimme. »Geht nun endlich!« schrie Carillo unbeherrscht. Er musterte Jim mit eisigen Blicken. »Was wollen Sie noch hier, Rug? Sie kann gehen! Deshalb sind Sie doch, gekommen, oder?« »Sie haben recht, Mister Carillo«, erwiderte Jim ruhig, »deshalb kam ich her.« »Dann verschwinden Sie jetzt und kommen Sie nie wieder unaufgefordert in dieses Haus.« »Sie werden sich gefallen lassen müssen, daß ich noch einmal wiederkomme«, gab Jim kühl zur Antwort. »Vielleicht werde ich Sie dann mitnehmen.« Carillo lachte gehässig. John Crain grinste niederträchtig. Carillo schüttelte den Kopf. »Die Aussage des Frauenzimmers ist überhaupt nichts wert, Marshal. Das meinen Sie doch damit? – Aber da tippen Sie völlig falsch.« Seine Stimme wurde richtig zynisch, als er fortfuhr: »Es stimmt, daß wir Alder reingelegt haben. Doch beweisen Sie uns das mal. Jane Steven war gar nicht im Zimmer, und Sie – Sie habe ich auch erst hinterher gesehen, Was wollen Sie also?« Er schaute Jim überlegen und selbstsicher an. »Sie konnten mir wohl eine Schlinge legen, Rug. Doch nicht fest genug. Mit der Aussage von Jane Steven können Sie überhaupt nichts anfangen.« »Das würde ich nicht sagen, Carillo«, gab Jim trocken zurück. »Doch ich lege darauf gar keinen Wert mehr. Ich habe eine andere Schlinge, die etwas fester sitzt. Verlassen Sie sich darauf. Die Bande von Woody Herman ist in der vergangenen Nacht auseinandergebrochen worden. Drei von diesen Burschen sitzen im Jail. Ich glaube, es steht sehr schlecht für Sie und sicher auch für Robby Boone.« Das war deutlich genug. Carillo und Crain rissen die Köpfe hoch.
Sie sahen Jim mißtrauisch an. Crain fand die Sprache als erster wieder. »Sie können uns nicht reinlegen, Marshal«, sprach er heiser und abgehackt. »Uns nicht! Ich errate, was Sie uns anhängen wollen. Doch ich glaube nicht, daß Ihnen das gelingen wird. Nein – das glaube ich einfach nicht.« Mit aschgrauem Gesicht stimmte der Banditenboß seinem Kumpanen zu. »Dieser Trick ist zu billig, Rug! So einfach wird das doch nicht sein. – Jetzt werden wir erst die Trumpfkarte ausspielen. Und dabei kommen Sie dran, Rug!« Jim lachte bissig. »Ihre Karten waren vielleicht vor zwei Jahren einmal gut, aber jetzt bin ich an der Reihe. Merken Sie sich das, Carillo!« Dann nahm er Jane beim Arm und verließ mit ihr das Haus. Es war viel Zeit verstrichen. Sie mußten sich beeilen. Jane war völlig außer Atem, als sie die Bahnstation erreichten. Der Zug stand schon da. Carillos Hausbursche hatte den Koffer bereits am Gepäckwagen abgegeben. »Leben Sie wohl, Marshal.« Mit großen, ernsten Augen schaute sie Jim an. »Ich danke Ihnen nochmals. Logan... Ich weiß nicht. Er muß ein anderer Mensch geworden sein in den letzten Jahren.« »Streichen Sie diesen Mann aus Ihrem Gedächtnis«, erwiderte Jim mit hartem Gesicht. »Logan Carillo ist verloren. Kümmern Sie sich jetzt nur noch um sich. Suchen Sie irgendwo einen neuen Anfang. Denn Sie müssen von vorn beginnen. Für ihn gibt es keine Chance mehr.« Er lächelte sie an. »Wenn Sie mal Hilfe brauchen, Jane, Sie haben in Hays einen Freund. Ich würde auch ganz gern mal hören, wie es Ihnen geht.« »Ich danke Ihnen, Jim Rug.« Jane gab ihm die Hand. Sie lächelte ebenfalls. Ein mattes Lächeln war es nur. »Ich werde Ihnen Nachricht geben.«
Dann stieg sie ein. Die Begleiter des Zuges drängten zur Eile. Die Lokomotive stieß einen langen Pfiff aus, und der Zug setzte sich in Bewegung. Jane stand am Fenster. Sie winkte. Jim Rug verharrte und nahm ihr Bild in sich auf. Als der Zug seinem Blick entschwunden war, wußte er auf einmal, daß er diese große, schlanke Frau nie mehr vergessen würde. Er hatte das Gefühl, etwas versäumt zu haben. So stand er eine Weile und schaute, tief in Gedanken versunken, dem abgefahrenen Zug nach. Dann wandte er sich ab und ging langsam auf Rings Twices Büro zu. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, daß der Gegenzug aus Topeka in zehn Minuten ankommen mußte. Ein paar Leute standen am Rande der Station. Sie mußten ihn wohl die ganze Zeit beobachtet haben. Mit neugierigen Blicken verfolgten sie seinen Weg. Ein Uniformierter trat ihm entgegen und fragte nach seinen Wünschen. Jim schob den Mann einfach zur Seite und ging an ihm vorbei in A. Rings Twices Büro. Twice staunte genauso wie bei Jims erstem Besuch. »Hallo, Rug! – Sie scheinen tatsächlich ehrgeizig zu sein und ein guter Marshal werden zu wollen.« »Ich bin ein guter Marshal, Mister Twice«, gab Jim ihm bissig zurück. Twice hatte sich von seiner Überraschung erholt. Er lächelte nachsichtig und nickte. »Sie interessieren sich sogar für die Eisenbahn. – Doch das, mein lieber Rug, ist völlig unnötig, denn wir...« »Ich interessiere mich nicht für die Eisenbahn, Mister Twice«, unterbrach ihn Jim, »sondern für Sie. Nur deshalb bin ich hier. In ein paar Minuten wird der Zug aus Topeka eintreffen. Mit ihm der Mann, der Sie heute noch hier ablösen wird.« Twice richtete sich auf. Er schaute Jim entgeistert an. »Wie? Was? – Mich ablösen?«
Jim nickte ernst. »Richtig, Mister Twice! Sie werden diesem Mann alles übergeben. Und dann verhafte ich Sie wegen Betruges und Unterschlagung.« »Sie sind wohl verrückt geworden!« Twice war aufgesprungen. »Unterstehen Sie sich!« warnte er. »Sie vergehen sich gegen das Gesetz...« »Schweigen Sie, Twice!« Jims Stimme donnerte durch den Raum. »Das Gesetz vertrete ich!« Er blickte den Agenten der Union Pacific Railway kalt an. »Und ich werde Sie auch vor den Richter bringen.« Nun sah Twice wohl ein, daß sein schuftiges Spiel in dieser Stadt durchschaut worden war und es keinen Zweck mehr hatte, Versteck zu spielen. Er lachte gehässig auf. »Sie wollen mich vor einen Richter bringen? Mann, bis nach Topeka ist es ein verflucht weiter Weg. Haben Sie sich das schon mal durch den Kopf gehen lassen?« »Hab’ ich!« erwiderte Jim schroff. »Sogar sehr gut und sehr genau. Für Sie ist keine Chance mehr drin. Denn die Leute, von denen Sie herausgehauen werden möchten, begleiten Sie auf diesem langen Weg.« Rings Twices Gesicht verzog sich zu einem teuflischen Grinsen. »Das glauben Sie doch selbst nicht!« stieß er hart hervor. »Wollen Sie etwa behaupten, daß Sie Carillo überführt haben?« Er schwieg betroffen, weil er glaubte, daß er zuviel gesagt hatte. Doch Jim sagte scharf: »Reden Sie nur ruhig weiter, Twice! Daß Sie für Carillo gefälscht und unterschlagen haben, ist mir hinreichend bekannt.« Dann pfiff, zischte und schnaufte draußen eine Lokomotive. Der Zug aus Topeka war angekommen. Die Männer maßen sich mit eisigen Blicken. Sie sprachen nun nichts mehr. Sie warteten.
Es dauerte nicht lange, da betrat ein hochaufgeschossener Mann mit ergrauten Schläfen und einem typischen langen Yankeegesicht das Büro. Er lächelte beim Eintritt. »Recht so, Marshal! Es ist gut, daß Sie schon da sind. So wird alles ohne Schwierigkeiten über die Bühne gehen.« »Was soll das heißen?« brauste Twice auf. »Wer sind Sie? Und was soll dieser ganze Zirkus?« »Versuchen Sie nur nichts mehr«, erwiderte Jim darauf. »Sie haben Ihr Spiel schon lange verloren.« »Ich bin Jeff Benedict«, sagte der Yankee und warf Twice einen reservierten Blick zu. »Die Union Pacific hat Sie entlassen. Wegen Betruges und Unterschlagung im Amt. Ich habe auch gleich den Strafantrag mitgebracht, damit Sie der Marshal verhaften kann. Sie haben von den Rinderleuten seit mehr als einem Jahr höhere Frachtsätze verlangt und dieses Geld in die eigene Tasche wandern lassen. Ferner sind in Ihrem Auftrag Postsendungen und Telegramme gefälscht worden.« Er stellte seine Reisetasche auf den Tisch, öffnete sie und nahm ein Schriftstück heraus. »Hier, Marshal! Mister Saller laßt Sie grüßen. Er würde Sie gern mal wiedersehen. Sollte Sie der Weg mal über Topeka führen, dann...« »In Ordnung, Mister Benedict!« Jim faltete das Papier zusammen und steckte es ein. »Danke für die Grüße. Ich glaube schon, daß ich bald mal nach Topeka fahren muß.« Er packte den verbrecherischen Railroadmann am Arm. »Kommen Sie nun, Twice! Übergeben Sie rasch den Laden hier. Ich habe wenig Zeit.« Etwas hochnäsig – doch immer noch höflich – ließ sich Benedict einweisen.
Es dauerte nicht lange. Der Yankee war bald im Bilde. Twice war blaß geworden. Mit zuckenden Lippen gab er Benedict die nötigen Erklärungen. Dabei schielte er ab und zu verstohlen zur Tür. Doch in dieser Stunde gab es nichts, was ihn vor seinem Schicksal bewahren konnte. Alles verlief reibungslos. Kein Zwischenfall. Niemand betrat das Zimmer, um mit vorgehaltenem Colt seine Freiheit zu erzwingen. Jim erriet Twices Gedanken nur zu gut. Nachdem er sich von Jeff Benedict verabschiedet hatte, schob er Rings Twice zur Tür. »Gehen wir!« Twice blickte sich noch einmal um. Beinahe wehmütig. Sicher begann er jetzt schon einiges zu bereuen. Vor dem Bahnhofsgebäude standen immer noch neugierige Menschen. Jetzt mehr als vorher. Sie schauten stumm herüber, als Jim Rug mit Rings Twice das Gebäude verließ. Daß der Marshal Twice, den Agenten der Union Pacific, verhaftet hatte, mußte sich wie ein Lauffeuer in Hays verbreitet haben. Überall säumten Menschen den Straßenrand. Die beiden Männer gingen mitten auf der Fahrbahn. Twice vorneweg. Jim folgte ihm mit einem Schritt Abstand. Bevor sie in die Straße zum Marshal’s Office einbogen, trafen sie auf Carillo, John Crain und – Kim Stanley, den Jim seit dem ersten Tag in Hays nie wieder gesehen hatte. Nun hatten sie sich auch diesen Schießer in den Sattel genommen, dachte er grimmig. Doch Twice ließ ihn mit seinen Gedanken nicht weiterkommen. Er blieb plötzlich stehen und grinste zu den Banditen hinüber. »Gehen Sie weiter, Twice«, raunte ihm Jim zu, »oder es passiert was!«
Die Leute am Straßenrand gingen sofort auseinander und brachten sich in Hauseingängen und Hofeinfahrten in Sicherheit. Bestimmt vermuteten diese Leute, daß die Partner Rings Twices jetzt dem Marshal in den Arm fallen würden. Doch die beschränkten sich darauf, Jim Rug zynisch zuzulachen. John Crain rief über die Straße: »Geh nur mit, Twice! Du bist unschuldig! Es ist bestimmt nur ein Spaß. Morgen wirst du wieder auf deinem Stuhl sitzen. Verlaß dich drauf! Wir werden dafür sorgen!« Jim stieß Rings in den Rücken. »Weiter, hab ich gesagt!« Unter halb geschlossenen Lidern beobachtete er die Schießer am Straßenrand. John Crains Worte waren unmißverständlich. Jim erriet sofort, daß sie beabsichtigten, Rings Twice aus dem Jail herauszuholen. Er lächelte grimmig in sich hinein. Das sollten sie nur versuchen, dachte er. Wahrscheinlich würden diese Burschen gar nicht mehr dazu kommen. Wenn er in La Crosse die richtigen Auskünfte bekam, dann sahen sich diese Schakale im Kittchen eher wieder, als es ihnen lieb sein würde. Rings Twice ging weiter. Auch er hatte die Worte seiner Kumpane richtig ausgelegt. Mit hocherhobenem Kopf ging er vor Jim Rug her, überzeugt, daß er nicht lange in der Gewalt dieses Marshals bleiben würde. Die Banditen blieben, mit den Händen in den Hosentaschen, zurück. Sie lachten hinter Jim her und machten gehässige Bemerkungen. Doch Jim scherte sich nicht darum. Er bedauerte nur, daß er Logan Carillo nicht schon vorher festgenommen hatte. Er biß sich auf die Lippen. Verdammt, dachte er wütend, hoffentlich stimmen die Aussagen der Leute von der Herman-
Bande. Er wollte die Schlinge um Logan Carillos Hals so fest legen, daß es für den kein Entrinnen mehr geben konnte. Jim wußte, daß er Carillo nicht nur auf bloßen Verdacht hin verhaften konnte. Er mußte Beweise haben. Carillo würde sich todsicher einen gerissenen Advokaten nehmen. Wenn auch nur eine Lücke bliebe, so würde dieser Federfuchser alles auseinanderreißen. Carillo wäre wieder frei und würde ihn auf Freiheitsberaubung verklagen. Den Mund verkniffen, ging er dicht hinter Twice her. Er war nicht umsonst umgekehrt. Er war nicht umsonst auf diesen Weg zurückgegangen, den er vor zwei Jahren verlassen hatte, weil ihn das Gewissen dazu gezwungen hatte. Er würde ganze Arbeit leisten. Nicht einer von diesen Mördern und Schuften durfte dem Gesetz entkommen. Er erreichte mit Twice das Office ohne weiteren Zwischenfall und sperrte ihn zu Mac Tar in die Zelle. *** Es war schon dunkel, als Jim aus La Crosse zurückgeritten kam. Im Office warteten Smyli Bender, Jack Benny und der alte George Tebos. Jack richtete sich auf. »Es wird verdammt Zeit, Jim. Wir haben lange gewartet. Was war in La Crosse? Können wir Carillo und dessen Revolverrudel ausheben?« »Es ist alles in Ordnung. Die Leute in La Crosse bezeugen, daß die gesamte Hermanbande an jenem Tag dort war und bis in die Nacht hinein getrunken hat. Erst am anderen Mittag sind sie von dort weggeritten. – Doch was wollt ihr hier?« »Clark hat uns hergeschickt«, beantwortete ihm der alte Tebos die Frage.
»Er meint, du könntest ein paar handfeste Burschen nötig haben. Wir sind gern gekommen. – Die Herde wird jetzt schon auf dem Trail sein.« »Es ist gut, daß ihr da seid, George. Ich will jetzt Carillo aus seinem Bau holen. Ihr aber werdet hierbleiben und das Jail bewachen.« Jack Benny sprang auf. »Das ist doch unnötig, Jim. Wenn wir zu viert kommen, so werden sie gar nicht mehr dazu kommen, hier was anzustellen. Wir können sie alle mitnehmen.« »Dazu ist es zu spät.« Jim schüttelte den Kopf. »Ich hätte früher zurück sein müssen. Draußen ist es schon dunkel. Wahrscheinlich lauern sie schon auf der Straße und warten, daß wir das Office verlassen. Nein. Ich werde allein gehen. Ladet die Colts auf und bewacht die Gefangenen. Jeder von diesen Burschen ist Gold wert.« »Du bist so sicher, Jim«, ließ sich George vernehmen. »Wenn du meinst, daß sie kommen, dann bleib doch hier. Diesen Carillo wirst du eventuell überhaupt nicht finden. – Hast du daran schon mal gedacht.« »Daran habe ich schon gedacht, George. Doch ich muß es wenigstens versuchen.« »Dann nimm uns mit!« forderte Smyli Bender hitzig. »Die werden alle zusammen auf dich warten und dann erst ihre Brüder herausholen wollen.« Dieser Disput wurde plötzlich unterbrochen. Ein Stein polterte gegen die Tür, und eine Stimme rief scharf: »Komm raus, Rug! Komm jetzt raus, sage ich! Wenn du nicht selbst den Weg findest, so holen wir dich!« Die vier Männer im Office sprangen auf und griffen nach den Revolvern. George löschte die Lampe.
»Die Ratten sind da, Boys! Sie pfeifen. Lassen wir uns nicht lumpen. Zeigen wir’s den Burschen!« Hitzig stieß der Alte die Worte hervor. »Leg den Gefangenen Riemen um die Gelenke, Jim. So dumm, wie’s kommt, kann man meist nie denken.« »Das werde ich tun«, erwiderte Jim und schloß in der Dunkelheit den Gewehrschrank auf. »Kommt her und nehmt die Gewehre. Die Munition lege ich oben auf den Schrank. Für jeden eine Schachtel.« Die Männer schlichen herüber. Es war dunkel im Raum. Nur an der Fensterfront fiel etwas Licht von der Straße herein. Es knackte hin und wieder, wenn einer der Männer sein Gewehr durchlud. Jim ging langsam zum Jail hinüber. Smyli folgte ihm, und zusammen legten sie den Banditen die Riemen an. George und Jack standen mit schußbereiten Gewehren im Gang. Es war ja leicht möglich, daß die Gefangenen versuchten, die Stunde zu nutzen. Draußen riefen sie unterdessen wieder nach Jim Rug. Ein paar Gewehrkugeln zerschlugen die Scheiben. Jack Benny schoß die erste Schrotladung ab. »Kommt nur ran! Holt euch Jim Rug!« schrie er wütend hinaus. Mit einem wahren Kugelregen eröffneten die Banditen den Kampf um das Jail der Stadt Hays. George Tebos wurde von einer Kugel gestreift. Doch einen Schuß jagte er trotzdem durch die zerschossenen Scheiben auf die Straße hinaus. Jack, Smyli und Jim standen im Office. Mit den Gewehren in den Händen. Es war nicht viel zu sehen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite brannten ein paar Lampen. Doch als einer von den Strolchen in deren Schein getroffen zusammenbrach, wurden sie alle ausgeschossen.
Dann war es stockdunkel. Im Schutze dieser Dunkelheit jagten die Banditen ihre Kugeln durch die Fenster. Sie hatten begriffen, daß Jim Rug nicht allein im Office war. Sie riefen nicht mehr nach ihm. Statt dessen jagten sie Schuß auf Schuß herüber. Dann warfen sie eine Brandfackel auf das Dach. Die drei Männer im Office sahen sich mit ernsten Gesichtern an. Der Feuerschein erhellte gespenstisch ihre Züge. Auch der alte Tebos bemerkte das Feuer. Er erhob sich stöhnend, wankte und lehnte sich an die Wand. Seine Flinte behielt er in der Hand. Er begann, sie zu laden. Sein Gesicht war grimmig verzerrt. »Es gilt, Bowy. Einen Schuß noch, dann nehme ich die Colts. Wir müssen raus, Jim!« Sie hatten keine Wahl. Sie mußten im Schein des Feuers das Office verlassen und die Angreifer niederkämpfen. Doch da waren noch die Gefangenen. Unterdessen würden die einen qualvollen Tod sterben. Jim gab Jack Benny die Zellenschlüssel. »Hol sie aus dem Jail! Kette sie aneinander und sieh zu, daß sie nicht flüchten können.« »In Ordnung!« rief Benny und verschwand durch den Gang. Jim schaute den Jungen an. Smyli blickte mit heißspornigem Gesicht nach draußen. »Das ist so eine Lage, in der man schießen muß, Jim«, sagte er. »Das werde ich jetzt tun. Und wenn ich gut bin, wirst du mich morgen früh zum Hilfsmarshal machen. Das soll gelten.« Bevor Jim etwas erwidern konnte, war der Junge draußen. Jim und Tebos folgten ihm sofort. Die Kugeln der Banditen stießen sie ins Office zurück. Die Verwirrung dauerte nur einen Augenblick, dann hatte Smyli Bender mit seinen zwei Revolvern eingegriffen. Dieser junge Bursche stand breitbeinig unter dem brennenden Vordach auf dem Sideway und schoß aus den Hüften.
Jim rannte an ihm vorbei und stand dann an der Giebelwand. Sein Colt hämmerte ein wildes Stakkato. Die Trommel wirbelte herum. Und seine sechs Schuß trieben auf der anderen Seite der Straße vier Männer aus dem Feuerschein. Jim füllte mit fliegenden Händen die Trommel auf. Dabei schaute er sich um. Smyli Bender stand immer noch unter dem brennenden Vordach. Er mußte bereits aufgeladen haben, denn er schoß schon wieder wild und hitzig. Der alte George hatte inzwischen das Gewehr weggeworfen. Er lehnte an der Bretterwand, die Colts im Anschlag. Sicher suchte er sein Ziel. Brennende Holzteile fielen zu beiden Seiten neben ihm herab. Darum kümmerte er sich jedoch nicht. Plötzlich lief er los. – Jim schoß, um ihn zu decken. Auch Smylis Colts spieen Flammenbündel. Der Alte überquerte die Fahrbahn, blieb auf einmal stehen und schoß. Schnell hintereinander. Jim hob seinen rauchenden Colt an. Er suchte das Ziel des Alten. Da sah er zwei Gestalten stehen. Geduckt. In einer Hofeinfahrt. Vom brennenden Office kaum angeleuchtet. Georges Kugeln fegten dort hinüber. Doch er traf nicht. Da jagte Jim seine Kugeln aus dem Lauf. Mitten hinein in die zuckenden Mündungsfeuer der beiden Gestalten. Einer von diesen Burschen schlug lang hin. Der andere verschwand in der Dunkelheit. Doch auch George Tebos lag auf der Straße. Smyli war schon bei ihm. Er zog ihn aus dem Feuerschein. Da kam auch Jack Benny mit den Gefangenen aus dem Office. Er hatte sie aneinander gekettet. Geduckt kamen sie Mann für Mann aus der Tür. Mac Tar war der letzte in dieser Reihe. Seine Vordermänner schienen ihm wohl zu schnell zu laufen. Er stemmte sich richtig gegen die Fesseln, die ihn an die anderen banden.
Jim mußte unwillkürlich lächeln über diesen Eifer. Vor allem, als er den Grund erkannte. – Jack Benny ging hinter Tar her und hatte ihm den Coltlauf ins Genick gedrückt. Das Zusammenbrechen des brennenden Office war der letzte Akt. Hoch stoben die Funken zum Nachthimmel empor. Es knisterte und prasselte. Und in dieses Knistern und Prasseln mischte sich der Hufschlag der davonreitenden Banditen. Die ersten Leute kamen aus den Häusern. Es waren Männer mit Flinten und Wassereimern. Dann kam auch eine Feuerspritze. Ein Dutzend Männer zog sie heran. Mit viel Stimmenaufwand begannen sie, das Feuer zu löschen. Nur eine knappe Minute nach dem letzten Schuß war der Platz vor dem Office von Neugierigen umlagert. Einige von den Flintenmännern waren Jack Benny zu Hilfe gekommen. Mit angeschlagenen Gewehren und grimmigen Gesichtern standen sie vor den fünf aneinandergeketteten Banditen. Auch der Doc war da. Er kümmerte sich um George Tebos. Zwei Kugeln hatten den Alten niedergestreckt. Im Schein des brennenden Office entfernte sie der Arzt. Er verband ihn, und dann legten ihn zwei Männer auf eine Bahre. Tebos schlug bereits wieder die Augen auf und schaute sich neugierig um. Als er Jim erblickte, fragte er gequält: »Wir haben sie doch davongejagt?« Jim nickte. »Ja, George! Wir haben sie davongejagt. Doch nun brauchst du dich nicht mehr darum zu kümmern. Im Hause des Doc wirst du dich erholen, um rasch wieder auf die Füße zu kommen. Clark und die anderen Boys wollen in wenigen Tagen nach Texas aufbrechen. Wie ich sie kenne, werden sie das nicht ohne dich tun, George.« »Ich werde dabei sein«, krächzte der alte, krummbeinige Kauz. Dann trugen ihn die Männer fort.
Zwei Banditen waren tot liegengeblieben. Einer war Donald Gramm. Sie wurden später zum Boot Hill hinausgebracht. Ein dritter Galgenvogel war verwundet. Auch ihn trugen Männer ins Haus des Arztes. Smyli Bender stand mit hängenden Schultern da. Er sah dem Treiben gelassen zu. Sein Haar war blutverklebt. Eine Kugel hatte ihm die Kopfhaut aufgerissen. Hin und wieder strich er sich über diese Stelle. Dabei verzog er das Gesicht. Als ihn der Arzt verbinden wollte, sagte er: »Lassen Sie das, Mann! Mir macht es nichts aus. Dieser Kratzer ist nicht der Rede wert. Wird von selber zuheilen.« »Sie können eine Blutvergiftung bekommen«, gab der Arzt zu bedenken. Doch Smyli wehrte lachend ab. Erst als Jim hinzutrat, ließ er sich verbinden. »Mut und Leichtsinn sind zwei sehr verschiedene Dinge, Smyli«, sagte Jim zu ihm. »Mir scheint, du verwechselst sie. Zum Mut gehört auch die Vorsicht. Ganz Hays würde einen Lachkrampf bekommen, wenn es in ein paar Tagen heißt: Der Hilfsmarshal Smyli Bender ist an einer Blutvergiftung gestorben.« Smyli schlug dem Arzt die Hand weg. »Wie? Meinst du das wirklich?« Er funkelte den Arzt an. »Verbinden Sie mich, Doc. Verbinden Sie den Hilfsmarshal von Hays.« Der Doc lächelte über den jungen neuernannten Deputy. Auch Jim mußte lächeln, weil er wußte, daß er in Smylis Alter wahrscheinlich genauso stolz gewesen wäre. Doch dann wurde er nachdenklich. War das eben richtig gewesen, diesem Jungen den Weg zu einem rauhen Beruf zu ebnen? Smyli Bender würde nun ein genauso hartes Leben führen wie er selbst. Hatte er nicht dieses Leben gehaßt?
War er nicht vor zwei Jahren davongelaufen, weil er dieses Leben mit der Hand am Colt nicht mehr ertragen zu können glaubte? In dieser Nacht fand Jim Rug keine Antwort auf diese Fragen. *** Zum Verladen der großen Texasherde brauchten Bowmans Männer volle zehn Tage. Jeden Tag gingen tausend Rinder auf die Reise nach dem Osten der Staaten. Die auf knapp vierzig Mann zusammengeschrumpfte Mannschaft hatte alle Hände voll zu schaffen. Jeder Mann saß beinahe Tag und Nacht im Sattel. Am Tage wurden die tausend Rinder von der Herde getrennt, in die Stadt zum Bahnhof getrieben und verladen. Und in der Nacht ritten die Männer Patrouille bei dem Rest der Herde. Logan Carillo war aus Hays verschwunden. Ihn und sein Revolverrudel schien die Erde verschluckt zu haben. Doch die Männer der Texasmannschaft, Jim Rug und Smyli Bender wußten genau daß er nicht aufgegeben hatte. Er würde wiederkommen und zuschlagen. Zehntausend Rinder waren ein großes Geschäft. Jeder wußte das. Und Logan Carillo würde sich dieses Geschäft nicht durch die Finger gleiten lassen, solange er den Hauch einer Chance hatte. Clark Bowman hatte die Herde des Pecos Countys verkauft. Doch vor ihm lag noch ein gefährlicher Weg. Mit den vielen Dollars mußte er fast tausend Meilen durch wildes Land reiten. Sicher, vierzig Männer würden ihn begleiten. Aber die zweihunderttausend Dollar würden auch viele Desperados auf die Fährte locken. Am zehnten Tag hatten es Bowmans Männer dann geschafft. Sie standen alle an der Rampe. Verstaubt,
verschwitzt und verdreckt. Aber glücklich, den harten Job hinter sich zu haben. Endlich war es soweit. Sie lachten und scherzten. Sie stießen sich in die Rippen und schlugen sich gegenseitig auf die Schultern, daß es nur so staubte und krachte. Auch Jim und Smyli waren an diesem Tag zum Viehbahnhof geritten. Berry Rug und Hank Tucker waren natürlich auch da. Ebenso hatte es sich Mister Benedict nicht nehmen lassen, den letzten Viehtransport der großen Herde abfahren zu sehen. Pfeifend und schnaufend zog die Lokomotive die lange Reihe der Viehwagen an. Die Männer jubelten und rissen vor Freude die Arme hoch. Hüte flogen in die Luft, und ein paar ganz Besessene rannten ein Stück weit neben den fahrenden Wagen her. Hier und da fielen sich Männer vor Freude in die Arme. Als sich der Trubel etwas gelegt hatte, rief Bowman die Mannschaft zu sich. »Ich werde an jeden zwanzig Dollar auszahlen, damit ihr die Stadt heute abend auf den Kopf stellen könnt. Morgen früh reiten wir nach Texas zurück. Dort erhaltet ihr den Rest eures Lohnes.« Im allgemeinen war das nicht üblich. Doch Clark Bowman war ein harter Boß, und er dachte vor allem an das viele Geld, das er an den Pecos bringen mußte. Dazu brauchte er jeden Mann. Er konnte auf keinen verzichten. Nur aus diesem Grunde zwang er sie, auf diese Art bei der Stange zu bleiben. Der eine oder andere würde sicher abspringen, wenn er hier seinen vollen Lohn bekäme. Außerdem war das beim Aufbruch am Pecos so ausgemacht worden. Darum murrten die Männer auch nicht. In Hank Tuckers Büro zahlte er ihnen dann das Geld aus. Mit erwartungsvollen Gesichtern stürzten sie einer nach dem anderen davon.
Nur Jack Benny, Joe Rock und der alte Tebos blieben bei ihm. Clark legte dem Alten die Hand auf die Schulter. »Du bleibst diese Nacht noch im Hause des Docs. Morgen früh wird dich Sam mit dem Küchenwagen abholen. Reiten sollst du auf keinen Fall, George.« *** Es waren etwa zehn Reiter. Im Galopp sprengten sie heran. Kein Zweifel – es war Carillos Rudel. John Crain und Robby Boone konnte Jim schon aus großer Entfernung erkennen. Dann entdeckte er auch Logan Carillo. Der Boß galoppierte mitten unter seinen Reitern. Berry Rug und Hank Tucker hatten sich bewaffnet. Mit angeschlagenen Gewehren standen sie an der Tür. Auch der alte Tebos hatte ein Gewehr in der Hand. Von Clark Bowman, Jack und Joe Rock konnte Jim nichts sehen. Verdammt, dachte Jim grimmig, wenn die nur mit dem Geld aus dieser Klemme herauskommen! Bis die Texaner Wind von der Sache bekämen und hier einträfen, konnte alles längst entschieden sein. – Alles! Das Schicksal der Stadt und – das Schicksal des Pecos County. Oder das Schicksal der Banditenreiter. Doch das mußte nun ausgefochten werden. John Crain hielt die Banditenhorde an. Jim konnte sehen, wie er den Arm hob und wie sie ihren Pferden in die Zügel fielen. John Crain ritt langsam weiter. Allein. Er mußte Jim und Smyli gesehen haben, denn er hielt direkt auf sie zu. Jim Rug trat auf die Straße. Er ging Crain ein paar Schritte entgegen. Dann blieb er stehen und wartete auf den Banditen.
Crain saß schief und nachlässig im Sattel. Er grinste säuerlich, als er anhielt. »Das Geld!« forderte er. Er sprach nur die zwei Worte. Jim Rug war zu keinem Scherz aufgelegt. Er wußte, wie gering die Chancen gegen diese starke Bande waren. Er ließ sich auf das übliche Gerede gar nicht ein. Ruckartig stieß er die Hand hinunter und zog. »Steig ab, Crain! Das Theater ist vorbei!« Crain grinste nur. »Versuch nichts, Rug!« warnte er. »Diese Burschen warten nur darauf, daß ich aus dem Sattel gestoßen werde. Mein Leben bringt dir nichts ein. Wenn du mich erschießt, folgst du mir schneller nach, als du auch nur denken kannst. Steck also deine Kanone weg. Raus mit dem Rindergeld! Ruf den Trailboß! Er soll die Kiste bringen. Wir reiten sofort weiter. Wir wollen nur das Geld.« »Ich zähle bis drei, Crain, dann bist du vom Gaul!« Der Bandit verzog das Gesicht. »Ich hätte dich für schlauer gehalten. Ihr seid doch nur ein paar Mann! Was rechnest du dir aus? Bevor diese erbärmliche Stadt aufwacht und euch helfen kann, haben wir das Geld und sind über alle Berge.« »Steig ab!« John Crain schüttelte den Kopf. Er lachte niederträchtig und hob die Hand. Da setzten sich hinter seinem Rücken die Reiter in Bewegung und kamen heran. Jim biß sich auf die Lippe. In diesem Augenblick konnte er nicht mal gegen Crain etwas unternehmen. Denn der blieb gelassen im Sattel sitzen und rührte keine Hand. Er dachte scheinbar nicht einmal daran, an den Colt zu fassen. »Warum schießt du nicht, Rug?« fragte er auch noch spöttisch. Eine Gewehrkugel schlug vor Jims Füßen in den Staub. Er sprang schnell zurück und ging wieder neben Smyli in Deckung. Der blitzte ihn wütend an. »Warum holst du diesen gerissenen Burschen nicht mit einer Kugel aus dem Sattel, Jim?
Wenn seine Kumpane hier sind, wird er ihnen todsicher helfen und uns das Leben schwermachen.« Bekümmert schüttelte der Junge den Kopf und jagte gleichzeitig die erste Kugel aus dem Lauf. Dann begann der Tanz. Im Galopp ritten die Banditen an. Smyli behielt recht. Als die Banditen an Crain heran waren, ritt der scharf an und zog seinen Colt aus der Halfter. Doch darauf hatte Smyli nur gewartet. Seine Kugel fuhr durch den Haufen der galoppierenden Banditen hindurch und fand sicher ihr Ziel. Jim und Smyli kamen kaum noch zum Schuß. Sie waren hinter der Giebelmauer in Deckung gegangen und wurden nun dort von den singenden Bleistücken der Banditen wie festgenagelt. Berry Rug und Hank Tucker waren längst überspielt. Tucker hatte einen Coltknauf über den Kopf bekommen, und Jims Bruder wurde von ein paar kräftigen Faustschlägen von den Beinen gerissen. Sie waren bezwungen worden, als sie ihre Waffen nachladen wollten. Nur Tebos schoß noch. Dieser alte, hartbeinige Bursche war irgendwo in Deckung gegangen. Jim hörte nur hin und wieder sein Gewehr aufbellen, während die Banditen mit ihren Colts auf diese Stelle hielten. Dann stürmten die ersten von Carillos Leute in Tuckers Büro. Jim hob gerade den Kopf, als diese Burschen wie von Geisterhänden zurückgestoßen wurden. – Clark Bowman war also mit seinen Partnern noch im Haus, schoß es Jim durch den Kopf. Er fluchte verbittert in sich hinein, weil ihn das Feuer der Banditen niederhielt. Er zog den Kopf hinter die Deckung und wartete, bis das Schießen nachließ.
Dann stieß er Smyli an. Der hob seinen Colt hoch und jagte die Trommel herum. Jim richtete sich auf. Er mußte mit Grimm im Herzen ansehen, wie Carillos Leute ins Haus stürmten. Clark Bowman schien überwältigt worden zu sein. Da packte Jim der Zorn. Mit angeschlagenem Colt sprang er auf und stürmte los. Smyli folgte ihm. Doch sie kamen nicht weit. Die Banditen zwangen sie mit ihrem Coltfeuer nieder. Smyli war getroffen. Er stürzte lang hin. Die Banditen saßen schon wieder auf den Pferden. Robby Boone hielt die Geldkiste unter dem Arm. Sein Gaul drehte sich auf der Hinterhand im Kreis. Dann galoppierte er an. Fünf Reiter folgten ihm. Mehr waren es nicht mehr. Jim sprang auf die Straße. Er schoß noch zweimal. Dann war der Colt leer. Er warf ihn einfach weg. Das Gesicht verzerrt, sprang er auf ein reiterloses Banditenpferd. Er zog das Gewehr aus dem Sattelschuh und ritt los. Jack Benny folgte ihm. Auch er nahm sich ein herrenloses Banditenpferd. Die Banditen hatten dreihundert Yards Vorsprung. Sie verschwanden in einer Seitenstraße, setzten über die Bahnschienen und ritten in jagendem Galopp ins Land hinaus. Als Jim an den Schienen war, stießen Jack und die ersten Männer der Texasmannschaft zu ihm. Die fünf Banditen teilten sich. Sie merkten, daß sie ihren Verfolgern nicht entkommen konnten. Doch Jim Rug und die Cowboys hatten nur Augen für den Reiter mit der Geldkiste. Bevor Robby Boone damit im Walde verschwinden konnte, kam Jim Rug heran.
Der Kampf zwischen diesen beiden Männern war kurz – kurz und erbarmungslos. Sie flogen gleichzeitig aus den Sätteln und rollten ineinander verschlungen über den Boden. Als die Texaner, unter Jack Bennys Führung, ankamen und aus den Sätteln sprangen, war alles vorüber. Nur Jim erhob sich. Boone blieb liegen. Er war bewußtlos. Während sich Jim die aufgeschlagenen Knöchel massierte, banden die Männer den Banditen auf ein Pferd. Dann ritten sie zurück. In der Stadt trafen sie auf andere Männer aus Clark Bowmans Mannschaft. Die liefen mit wilden Blicken und angeschlagenen Colts durch die Straßen und suchten die Häuser ab. »Was ist! Wen sucht ihr?« fragte Jim. Ein bärtiger Texaner blickte Jim erstaunt an. »Wie? Wen wir suchen? Carillo! Wen denn sonst? Der soll in der Stadt sein. Hat sich irgendwo verkrochen.« Sie suchten weiter. Kurz darauf fanden sie ihn. Er lag in einer abgelegenen Straße. Mit dem Gesicht auf der Erde. Vor ihm – etwa zehn Yards entfernt – stand ein junger Bursche. Er ließ gerade seine beiden Revolver verschwinden, als Jim und die Männer auftauchten. Sie stiegen wortlos von den Pferden. »Was war, Junge?« Jim legte dem Burschen die Hand auf die Schulter. »Wollte er dich niederschießen?« Da lachte der Bursche auf. In seinen Augen blitzte es gierig. »Der und mich niederschießen...! – Marshal, das ist – das war doch dieser Carillo. Den hab’ ich umgelegt.« Weiter kam er nicht. Jim schlug zu. Wuchtig und hart. Der junge Schießer segelte einige Yards über die Fahrbahn und stürzte hin. Benommen blieb er liegen. Angeekelt wandte sich Jim Rug ab und ging langsam davon. Die Männer verstanden ihn nicht sofort. Betroffen blickten sie auf den Jungen.
Doch dann begriffen sie. Jim Rug, der vor zwei Jahren versucht hatte, über seinen Schatten zu springen, haßte das Töten nach wie vor. Einmal mußte für ihn endlich Schluß damit sein. ENDE