Die gemeinsame Abstammung ist vergessen. Die Entwicklung hat zwei einander mißtrauisch gegenü berstehende Rassen gesch...
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Die gemeinsame Abstammung ist vergessen. Die Entwicklung hat zwei einander mißtrauisch gegenü berstehende Rassen geschaffen. Jede strebt nach Ein fluß auf dem unerforschten Planeten. Die Schwimmer können nur im Zustand der Schwe relosigkeit existieren. Sie leben in gigantischen Raumschiffen oder in schwerelos gehaltenen Räumen auf der Planetenoberfläche. Ihre Körper sind zart, schön, grazil. Von wesentlich derberem Schlag sind die Läufer, eine aggressive, kämpferische Rasse, de ren körperliche Konstitution es ihnen erlaubt, sich frei zu bewegen. Crowell stammt von den Schwimmern ab, lebt aber bei den Läufern und befehligt einen Kommando trupp des Cencom auf einem unerforschten Planeten. Da erfolgt eine Einmischung einer unbekannten Macht, die das mühsam aufrechterhaltene Gleichge wicht zwischen Schwimmern und Läufern zugunsten der Schwimmer zu beeinflussen droht, im Grunde aber selbst die alleinige Herrschaft über den an Bo denschätzen reichen Planeten mit brutaler Gewalt er reichen will.
Weitere Romane von JAMES H. SCHMITZ in der Reihe der Ullstein Bücher: Dämonenbrut (3022) Das Psi-Spiel (3061)
Ullstein Buch Nr. 3110 im Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M – Berlin – Wien Titel der amerikanischen Originalausgabe: THE ETERNAL FRONTIERS Übersetzung von Rudolf Mühlstrasser
Umschlagillustration: ACE Umschlaggraphik: Ingrid Roehling Alle Rechte vorbehalten Copyright © 1973 by James H. Schmitz Übersetzung © 1975 by Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M – Berlin – Wien Printed in Germany 1975 Gesamtherstellung: Augsburger Druck- und Verlagshaus GmbH ISBN 3 548 03110 2
James H. Schmitz
Welt im
Würgegriff
SCIENCE-FICTION-Roman
Herausgegeben von Walter Spiegl
ein Ullstein Buch
1
Die beiden Raumfähren kamen aus den dichten Wol ken heraus, nicht mehr als acht Kilometer entfernt. Il ken bemerkte sie auf dem Radarschirm, kurz bevor auch Crowell sie sah, und sagte schnell: »Sieht aus, als hätten sie's auf uns abgesehen!« Crowell faßte die schnell auf sie zukommenden Schiffe ins Auge und glaubte für einen Augenblick nicht an einen Angriff. Dennoch handelte er ebenso automatisch auf die im Ragnor-Training eingedrillte Weise wie Ilken. Sie schlüpfte auf den durch eine Panzerung geschützten Sitz hinter der Kanone in der Mitte des Luftfahrzeugs, während er schon die Nase des Gefährts nach unten drückte und es auf das flek kige Dunkelgrün des unter ihnen liegenden Waldes von Kulkoor zuschießen ließ. Sein Finger drückte auf einen Hebel, und die Armierung seines Sitzes schloß sich um ihn herum. »In Ordnung!« sagte ihre Stimme. Ein weiterer Hebeldruck. Über ihnen entfaltete sich ein Dach und schnappte in die Seitenwände ein. Aktionsbereit. Die Fähren hatten inzwischen die Distanz zwischen ihnen halbiert, und Crowell sah, daß es sich nicht um Luftwagen handelte, wie er auf den ersten Blick ange nommen hatte. Ihre Geschwindigkeit verringerte sich
stark – Raumfahrzeuge waren normalerweise nicht für Manöver in Baumwipfelhöhe geeignet –, und der Wald war kaum noch sieben Meter unter ihnen, als er den Sturzflug seines Fahrzeugs abfing. Es kam jetzt darauf an, welches Material sie an Bord hatten. Über ihre Ab sichten konnten nun keine Zweifel mehr bestehen. Mit dumpfem Knall spien die Kanonen ihres Fahr zeugs eine dreifache Defensivladung aus. Ein gelber Schimmer verschleierte sogleich das Heckfenster. Licht blitzte durch den Schimmer, und ein dröhnen des Donnern erschütterte ihr Fahrzeug. SprayTorpedos. Sauber abgeblockt. Dann ein letztes Aufflammen zu ihrer Linken, zu weit vom Ziel entfernt, um innerhalb der Sperrfelder zu liegen – und, kaum hörbar, das kurze heftige Zi schen von Spray gegen Plastik und Metall. Crowell sah schnell zu Ilken zurück. Sie lächelte beruhigend durch das Panzerglas. »Jämmerlicher Schuß!« hörte er sie sagen. Gerade das freilich hatte die Sache so gefährlich gemacht. Crowell überprüfte die Instrumente, verrin gerte die Geschwindigkeit und zog das Fahrzeug in eine weit geschwungene Kurve. Keine unmittelbaren Anzeichen größeren Schadens. Sie hatten sich an der Wirkungsgrenze des Torpedos befunden. Er sagte: »Sie könnten auf die Idee kommen, uns in die Zange zu nehmen. Wo sind sie jetzt?«
»Machen über uns eine Schleife. In dreißig Sekun den sind sie zurück.« »Können Sie sie erwischen?« »Wenn sie dieses Mal näher vorbeifliegen. Wollen Sie einen Schaden vortäuschen?« »Ja. Handeln wir, bevor sie ihre Taktik ändern.« Crowell leitete eine Kenterbewegung ein. »Ich behalte die Bäume im Auge, nicht Sie. Geben Sie mir Anwei sungen.« »Mehr nach links«, sagte Ilkens Stimme. »Sie kommen. Mann, die sind wirklich schnell! Noch mehr nach links – gut jetzt! Weiter so ... Jetzt!« Fast verschluckte der Knall der Kanone das letzte Wort. »Getroffen!« Beinahe sang sie es. Crowell hörte eine Explosion, richtete das Gefährt wieder auf und zog es über den Wall windbewegten Grüns hinauf, auf den es zugestürzt war. Er sah sich um. Eine der Fähren war nur noch eine Wolke bro delnden Rauches. Die andere – Ilken fluchte wütend. »Nur angesengt!« Die Kanone schwang zu dem fal lenden Fahrzeug hinüber. »Halt!« »Warum?« »Es ist manövrierunfähig. Der Pilot könnte noch – da ist er!« Ein auf die Entfernung winzig erscheinendes Ob
jekt in menschlicher Form war aus der beschädigten Fähre geschleudert worden und ging getrennt von ihr zur Erde nieder, während das Fahrzeug auf schräger Flugbahn in den Wald stürzte. Die Gestalt überschlug sich und fiel jetzt schneller den Bäumen entgegen. »Er lebt!« sagte Ilkens Stimme dünn. »Ich möchte ihn lebend, Sie blutrünstiger Mailli ard!« Der Aircar flog auf die fallende Gestalt zu. »Wir müssen herausfinden, wer sie sind.« »Sie werden es herausfinden – wenn Sie ihn erwi schen! Aber er wird es schaffen.« Ihre Stimme war kalt vor Selbstverachtung. Tatsächlich erreichte die Gestalt die schützenden Bäume, bevor sie bei ihr waren. Doch das war nur ein zeitweiliges Entkommen, dachte Crowell. Die Bäume bildeten hier einen kleinen, freistehenden Wald, ein gezacktes, dicht bewachsenes Oval, das von offenem Felsgrund umgeben war. Der Pilot der Fähre war ir gendwo in diesem Wäldchen. Über seinem Zentrum hielt Crowell das Fahrzeug an und fragte: »Sie haben keinen Kommunikator mitgenommen, oder?« »Nein.« Gespannte Wachsamkeit war plötzlich in Ilkens Stimme. »Stimmt mit dem BordKommunikator etwas nicht?« »Tot. Ist offenbar getroffen worden. Ich habe ver sucht, die Basis zu erreichen.« Sie sagte nichts. Dies konnte neue Probleme brin
gen. Irgendwo in der Nähe war ein Raumschiff, das die Fähren mit einem Auftrag heruntergeschickt hat te. Das Schiff konnte noch andere Fähren haben, und wenn die Leute an Bord das Scheitern der ersten Mis sion registrierten, konnten die anderen Fähren bald kommen. Wahrscheinlicher aber war, daß das Schiff sich schnell und leise davonmachen würde. Seine Be satzung mußte ja annehmen, daß Crowell bereits Verbindung mit der Basis aufgenommen, den Angriff gemeldet, Verstärkung angefordert und das Wach schiff der Stern-Union alarmiert hatte. Wenn der An greifer oberhalb der Atmosphäre war, mußte das Wachschiff es in seinen Instrumenten haben ... »Holen wir uns unseren Mann!« sagte er. Er löste den Energie-Karabiner aus seiner Befestigung neben dem Pilotensitz und stand auf. »Setzen Sie mich auf der anderen Seite der Bäume ab und gehen Sie dann wieder hierher herauf ...« Er brach ab. »Sie sind ver letzt! Warum haben Sie nicht ...« »Hab schon Schlimmeres erlebt.« Ilken war dem gepanzerten Sitz entstiegen. Rote Nässe. Sie hatte das linke Bein ihrer Buschausrüstung von der Hüfte bis zum Knie aufgeschlitzt und brachte mit einer schnel len Bewegung zwei breite Streifen Plastikpflaster an der Außenseite ihres Oberschenkels an. »Ist es schlimm?« Er sagte es fast brüsk. Freilich, er kannte die Mailliards. Jedes Anzeichen von Besorgnis
wäre hier unstatthaft gewesen. Tatsächlich hoben sich die kurzen, schwarzen Brauen über ihrem bleichen Gesicht leicht bei dieser Frage. Doch sie sagte: »Nur meine Beine.« Sie berührte das Pflaster. »Das sind die beiden schlimmsten Schnitte. Nichts, was nicht war ten könnte.« Um ihren Mund herum erschien ein bleicher Ring; davon abgesehen verriet ihr Ausdruck nur eine Spur von Ungeduld. Crowell hatte die Fähigkeit der Mail liards, Schmerz und Schock an die Grenzen des Be wußtseins zu verdrängen, solange es die Umstände erforderten, nie ganz verstanden. Immerhin war er etwas beruhigt. Der Pilot der Fähre war fast mit Si cherheit ein Stern-Union-Schwimmer – seiner habhaft zu werden und unbestreitbare Beweise zu bekom men, daß es sich hier um einen Schwimmer-Anschlag handelte, konnte von größter Wichtigkeit sein. Es würde nur einige Minuten dauern. Er fragte: »Kön nen Sie das Fahrzeug übernehmen?« »Ja.« Sie bewies es, indem sie an ihm vorbei ging und sich auf dem Fahrersitz niederließ. Ihre Bewe gungen ließen keine Behinderung erkennen. »Der Mann trägt einen Raumanzug, nicht wahr?« sagte sie. »So sah es aus.« »Wahrscheinlich ist er bewaffnet.« »Höchstens eine Handwaffe. Sie waren nicht dar auf eingestellt, ihr Schiff verlassen zu müssen.«
»Wollen Sie ihn aus dem Wald heraustreiben?« »Oder ihn zur Aufgabe bewegen«, sagte Crowell. »Wenn er im freien Gelände zu fliehen versucht, ver suchen Sie, ihn zu stoppen. Töten Sie ihn nicht, es sei denn, daß es ihm sonst gelänge, einen der großen Wälder zu erreichen.« Ilken nickte. »In Ordnung. Glauben Sie, er ist ein Schwimmer?« »Ich bin fast sicher.« »Und wenn er ein Galestral ist? Wir sind in ihrem Gebiet. Vielleicht haben sie hier etwas, was wir nicht entdecken dürfen.« »Könnte schon sein«, stimmte Crowell zu. »Aber dann würden sie nicht versuchen, uns abzuschießen, während wir über ihrem Gebiet sind. Es würde unse ren Verdacht direkt auf sie lenken – und gerade das möchten die Schwimmer.« »Ja, da haben Sie recht.« Ilken setzte das Fahrzeug in Bewegung. Nicht weit oberhalb der Baumwipfel flog es einen Kreis über dem Wald. Wenn der Pilot der Fähre sie sah, würde ihn das von dem Versuch abhalten, das offene Gelän de zu überqueren. Dann ging das Fahrzeug plötzlich am Waldrand nieder. Den Karabiner in der Hand, sprang Crowell heraus, und Ilken ging mit dem Ge fährt wieder in Beobachterstellung. Crowell drang in das Gehölz ein. Er war ziemlich
sicher, daß das, was aus der Fähre herauskatapultiert worden war, ein unbeschädigter Standard-SupportAnzug gewesen war. Wenn das stimmte, dann war der Mann, der ihn trug, der Erdanziehung nicht aus gesetzt. Der Anzug war ein Ein-Mann-Fahrzeug und recht gut manövrierbar. Im freien Raum konnte er sich mit respektabler Geschwindigkeit bewegen, in dichtem Baumbestand wie hier jedoch waren seine Antriebsaggregate beinahe nutzlos. Körperlich moch te der Pilot unversehrt sein, aber wenn er ein Schwimmer war, mußte seine Gefühlsverfassung we niger zufriedenstellend sein. Es war anzunehmen, daß er sich zum erstenmal ohne eine gravitationsge schützte Kugel um sich herum auf einem Planeten be fand, auf dem Grunde eines bewegten atmosphäri schen Ozeans, versteckt in einem Gewirr ruhelos sich bewegenden fremden Lebens. Die Sensoren seines Anzuges versorgten ihn optisch und akustisch, doch was sie ihm zu berichten hatten, war ungewohnt. Und er mußte erwarten, daß diese ruhelose, unheim liche Umgebung einen oder mehrere Jäger verbarg. Seine Lage konnte ihn nicht mit besonderer Zuver sicht erfüllen. Es war sehr wohl möglich, daß er sich zum Aufgeben bewegen lassen würde. Ein halbes Dutzend schiefergrauer Vierbeiner trat aus dem Dickicht in Crowells Weg. Die Tiere blieben für einen Augenblick erstaunt stehen und starrten ihn
an. Vielleicht waren sie schon durch den Lärm und die Lichtblitze des Luftkampfes aufgeschreckt wor den – hier konnten sie einen Zweck erfüllen! Crowell sprang plötzlich vorwärts und warf seine Arme hoch. Laute der Furcht ausstoßend, warf sich die Herde herum und rannte durch das Gebüsch davon. Crowell stand wieder still und fragte sich, welchen Reim sich der Fährpilot wohl auf die abrupte Bewe gung machen mochte. Dann trat er hinter einen Baumstamm zurück. Der Support-Anzug kam in Sicht. Jeglicher Zweifel, den er vielleicht über die Identität der Angreifer ge habt hatte, war jetzt geschwunden. So bewegte sich ein Null-Schwimmer im Support-Anzug an Stellen einer Planetenoberfläche, wo seine Antriebsaggregate nicht zu gebrauchen waren. Er bewegte sich auf Ze henspitzen durch das Gebüsch, wobei der schwere Oberkörper hin und her schwankte. Der Mann im Anzug ging nicht, sondern stieß sich vorwärts und erhob sich mit jedem Schritt kurz in die Luft. Seine freie Hand streckte sich nach vorn und ergriff alles, woran er seinen Körper weiterziehen konnte. Die an dere Hand war nicht frei. Sie hielt eine Schußwaffe. Das große runde Kopfteil enthielt kein Sichtfenster, doch konnte der Schwimmer durch ein System von innen angebrachten Spiegeln den Raum um sich her um und über sich gleichzeitig beobachten. Crowell
war nun so nahe an seiner Beute, wie ihm das, ohne gesehen zu werden, möglich war. Er legte den Kara biner an, trat, hinter dem Baum hervor und sagte scharf: »Stehenbleiben! Werfen Sie die Waffe weg!« Der Schwimmer fuhr herum – gar nicht unge schickt oder unsicher jetzt, sondern in einer schnellen, kraftvollen Bewegung, welche die Beine seines An zuges nach oben brachte, so daß er flach in der Luft lag, den Kopf Crowell zugewandt. Die Handwaffe feuerte während dieser Bewegung und entließ eine zehn Meter lange Nadel blau-weißer Strahlung, die von rechts her durch das Gehölz fuhr und auf Cro well zuströmte. Vom Standpunkt des Schwimmers aus keine Notwendigkeit, sorgfältig zu zielen ... wenn das Feuermesser durch den Raum zuckte, wo Cro well stand, mußte Crowell sterben. Es war die Standardpraxis mit dieser Art von Waf fe, einfach und schnell. Hielt jemand sein Gewehr schon gezielt im Anschlag, war sie nicht schnell ge nug. Crowell drückte kurz auf den Abzug seines Ka rabiners. Der Support-Anzug hüpfte nach hinten, und der Strahl der Handwaffe erlosch. Der Anzug wurde in Drehung versetzt, verfing sich im Unterholz und glitt langsam durch dieses zu Boden. Crowell, den Anzug nicht aus den Augen lassend, kam hinzu und biß sich auf die Lippen. Er hatte auf
die Schulter des Mannes gezielt, doch genau, als er feuerte, hatte der Anzug eine Drehung gemacht. Nur leicht, und doch zu stark! Das Geschoß mußte in den Oberkörper gedrungen sein. Der Pilot war mit ziem licher Sicherheit tot. Er nahm die Waffe des Mannes an sich, steckte sie ein, lehnte seinen Karabiner an einen Busch und löste das Oberteil des Support-Anzuges. Als er es abnahm, sackte der Kopf des Piloten zur Seite. Seine Augen waren halb geschlossen. Crowell fand keine Spur ei nes Halspulses. Er untersuchte den Winkel, in dem der Strahl in den Anzug und den darin befindlichen Körper gefahren war, schüttelte den Kopf und schloß den Anzug wieder. Dann verließ er das Gehölz auf dem gleichen Weg, den er gekommen war, wobei er den nahezu gewichtslosen Anzug hinter sich herzog. Der Aircar ließ sich auf dem Boden nieder. Ilkens gebräuntes Gesicht sah zu ihm heraus. »Ist er tot?« »Ja, tot. Nichts zu machen. Wir werden die Leiche zur Basis mitnehmen.« »Stern-Union-Anzug«, bemerkte sie, als sie ihn an sah. »Ein-Schwimmer?« »Ohne Zweifel. Ich möchte, daß die Mediziner für die Akten die Null-g-Kennzeichen feststellen.« Ilken sagte: »Da oben ist ein Aircar und beobachtet uns.« Überrascht blickte Crowell in die Höhe, sah aber
nur bewölkten Himmel. »Noch eine von diesen Fäh ren?« »Ein Aircar. Ich hatte ihn auf dem Schirm. Er ist nicht von der Basis. Muß also von den Galestrals sein.« Sie zeigte plötzlich hinauf. »Dort!« Crowell schaute in die angegebene Richtung und sah einen blassen Fleck, der aus den Wolken heraus zutreiben schien. Sie waren weniger als achtzig Kilo meter vom Schiff des Galestral-Beobachtungsteams entfernt, als der Angriff begann. »Ich werde versu chen, sie herunterzuwinken«, sagte er. »Glauben Sie, daß Sie ihnen vertrauen können?« Er zuckte die Achseln. »Genauso, wie wir gegen wärtig irgend jemand auf Kulkoor vertrauen können. Bis jetzt gibt es keinen Streit mit der GalestralGesellschaft. Wenn ich ihren Kommunikator benüt zen kann, um Verbindung mit der Basis aufzuneh men, wird uns das eine Menge Zeit sparen.« Er hob den Support-Anzug und seinen Inhalt in den hinteren Teil des Fahrzeugs, ging dreißig Schritte weg, verschloß hermetisch seine Jackentaschen, nahm das Kleidungsstück ab und begann, es in der Luft hin und her zu schwenken. Etwa eine Minute verging. Das Fahrzeug über ihnen bewegte sich sehr langsam, schien aber seinen Kurs weiter zu verfolgen. »Wieso glauben Sie, daß sie uns beobachten?« fragte Crowell. »Sie fliegen im Kreis. Was sonst sollten sie beo
bachten?« sagte Ilken. »Jetzt kommen sie herunter – sie haben Sie gesehen!« Crowell schwenkte weiter seine Jacke, bis es un verkennbar war, daß der Aircar wirklich zu ihnen he runterkam. Dann schlüpfte er in das Kleidungsstück und schnallte den Gürtel fest. »Sie müssen aus weiter Entfernung auf die Schießerei aufmerksam geworden sein«, sagte er. »Wahrscheinlich«, stimmte Ilken zu. Er sah zu ihr hinüber. »Ist es schlimm mit den Bei nen?« »Nicht so schlimm, wie es noch werden wird.« »Sie müssen sich verbinden lassen, sobald es mög lich ist.« Die Augen auf den sich nähernden Aircar gerichtet, bemerkte Ilken: »Es hätte ein Problem werden kön nen, wenn wir den Weg zu der Basis zu Fuß hätten zurücklegen müssen – oder gar die achtzig Kilometer zum Galestral-Schiff. Aber so oder so, wir hätten es wahrscheinlich geschafft.« »Wir hätten – wovon reden Sie eigentlich?« Mit einem Nicken des Kopfes wies sie auf die Kon sole. »Der Antrieb hat einen Treffer abbekommen. Das Instrument zeigt noch zwei Flugminuten an – und der Zeiger geht zurück.« Crowell fluchte. »Warum haben Sie mir das nicht schon früher gesagt?«
»Warum sollte ich Sie damit belasten, bevor wir wußten, ob die Galestrals zu uns herunterkommen würden. Wissen Sie, ich freue mich darauf! Wollte immer schon einen Galestral treffen ...«
2
Crowell hatte ein Cencom-Band gesehen, das die drei Leute in dem Aircar identifizierte, der in diesem Au genblick in einer Entfernung von einem Dutzend Me ter auf dem Boden aufsetzte. Sie waren der andere Teil des Galestral-Schwermetall-Forschungsteams auf Kulkoor und – zumindest vermutlich – drei Viertel der ganzen augenblicklichen Galestral-Vertretung auf dem Planeten. Ihre Namen waren Grant, Gage, Ned Brock und Jill Hastings. Altersmäßig standen sie wohl zwischen Ilken und ihm. Als sie aus dem Fahr zeug traten, hatte jeder eines der leichten SuesvantGewehre der Galestrals über der Schulter hängen. Crowell erläuterte kurz die Lage. Sie schienen nicht überrascht zu sein; zweifellos waren sie über die poli tischen Rivalitäten und Spannungen zwischen der Schwimmer- und der Geher-Fraktion der Stern-Union gut unterrichtet. Grant Gage sagte, daß sie mit einem Überwachungsinstrument Energieausbrüche in fünf zig Kilometer Entfernung festgestellt hätten und ge kommen seien, um der Sache nachzugehen. Von dem Luftkampf hatten sie nichts bemerkt und auch nicht erkannt, daß Crowell in Schwierigkeiten war, bis sie ihn auf dem Bodenschirm seine Jacke schwenken ge sehen hatten.
Jill Hastings schaltete sich ein. »Sie sagen, daß Leutnant Ilken Tegeler durch Torpedo-Spray verletzt wurde ...« »Ja.« Crowell sagte Ilken, sie solle im Aircar war ten. »Sie glaubt, die Verwundung sei weiter nicht schlimm, aber ich möchte, daß unsere Ärzte sofort hierher kommen, damit wir sichergehen.« »Sie sind mehr als zwei Stunden von Ihrer Basis entfernt«, bemerkte Jill. »Wir können sie in zehn Mi nuten auf unser Schiff bringen und dort etwas gegen den Spray unternehmen.« Crowell musterte sie. Schlank, blond, intelligentes Gesicht, nachdenklich blaue Augen. In ihrer Buschaus rüstung sah sie sehr kompetent aus. Freilich, Torpedo Spray-Verwundungen waren eine heikle Sache ... Grant Gage sagte: »Jill ist unsere Ärztin, und eine gute, Captain Witter. Das Schiff ist für Notfälle dieser Art ausgerüstet.« Crowell nickte. »Ich danke Ihnen für das Angebot. Wir wollen sehen, was Leutnant Tegeler meint.« Ilken hielt es für eine gute Idee. Sie lächelte Jill zu. »Das Zeug beginnt allmählich unangenehm zu wer den.« Schnell wurden die nötigen Schritte unternommen. Crowell benützte den Kommunikator des GalestralSchiffes, um Verbindung mit der Basis aufzunehmen. Dr. Bates würde so schnell wie möglich kommen. Eine
Gruppe von Technikern sollte alle auffindbaren Spuren des Angriffs analysieren, und bewaffnete Fahrzeuge sollten sie für den Fall einer weiteren Attacke begleiten. Captain Bymer vom Wachschiff konnte von der Kommunikator-Stelle der Basis nicht sofort erreicht werden. Crowell nahm an, daß er sich auf der Verfol gung der Angreifer befand, und sagte: »Verbinden Sie mich mit ihm, sobald Sie können.« Dann Guy Hansen ... Hansens Stimme kam trocken aus dem Kommuni kator: »Wir haben hier auch Probleme gehabt, Witter. Das Luftüberwachungssystem ist ausgefallen.« »Ausgefallen? Wie kam das?« »Bis jetzt habe ich weder die Ursache noch den Umfang des Schadens feststellen können. Angesichts dessen, was Ihnen zugestoßen ist, dürfte jedoch Sabo tage durchaus im Bereich des Möglichen liegen.« »Wann passierte es?« »Etwa vor einer Stunde.« Dann war wirklich Sabotage denkbar. Hansen war noch dabei, eine Notüberwachung des Luftraumes von Kulkoor einzurichten; im Augenblick konnte man kaum damit rechnen, daß der Angriff auf Cro wells Fahrzeug durch das System aufgezeichnet wor den war. Aber die Leute, die hinter diesem Angriff steckten, wußten das wohl nicht. Schließlich sprach Crowell mit Herrick, seinem Si
cherheits-Dezernenten. »Die Sache soll nicht geheim bleiben«, sagte er, »denn ich möchte, daß Sie auf Re aktionen achten. Nachdem ihr Anschlag auf mich oh ne Erfolg geblieben ist, könnte jemand versuchen, Beweismittel beiseite zu schaffen. Die Öffentliche Dienerin Betheny und ihre beiden SchwimmerHilfskräfte dürften ihre Wohnung nicht verlassen. Treffen Sie jede erforderliche Maßnahme, um sicher zustellen, daß sie dort bleiben, gleichgültig, was Be theny oder andere dazu sagen. Sie sind durch das Cencom-Statut ermächtigt.« »Jawohl, Sir!« sagte Herrick fröhlich. »Soll der Öf fentlichen Dienerin der Gebrauch eines Kommunika tors erlaubt werden?« »Auf jeden Fall. Sie soll Verbindung mit ihren Sympathisanten aufnehmen. Ich kann mich dann bes ser um sie kümmern, wenn ich zur Basis zurück komme. Sollte es vorher zu nennenswerten Schwie rigkeiten kommen, erledigen Sie das auf der Stelle. Sie sind von jetzt ab mein persönlicher Vertreter.« Crowell schaltete den Kommunikator aus und klet terte aus dem Fahrzeug. Das Beobachtungsteam, das mit Ilken draußen stand, hatte mit unverhohlenem Interesse zugehört. »Vielen Dank«, sagte er zu Grant Gage. »Das hat die Dinge ins Rollen gebracht. Wenn Sie nun bitte die Patientin zu Ihrem Schiff bringen möchten ...«
Gage fragte: »Sie kommen nicht mit uns?« »Nein«, sagte Crowell. »Ich werde mich in meinem Fahrzeug hinter die Kanone klemmen, bis die Leute von der Basis hier sind. Ich bin nicht ganz sicher, ob wir mit den Leuten schon ganz fertig sind, die diese Fähren heruntergeschickt haben, wer immer sie sein mögen.« Gage nickte. »Ich glaube, ich bleibe bei Ihnen, Cap tain Witter.« Er lächelte kurz. »Die GalestralGesellschaft hat selbstverständlich Interesse daran, daß ihre Beweismittel unversehrt bleiben. Ned kann Leutnant Tegeler und Jill zu unserem Schiff bringen und dann mit dem Fahrzeug zurückkommen.« In einer kleinen, hell erleuchteten Kabine des Gale stral-Schiffes lag Ilken Tegeler mit dem Gesicht nach unten auf einer weißen Arztliege ausgestreckt. Ihre Kleidung, blutgetränkt und an manchen Stellen von Spray zerfressen, wurde an einer anderen Stelle des Schiffes gesäubert und ausgebessert, und Jill Hastings war dabei, die Torpedo-Spray-Partikel aus ihr he rauszubekommen. Von einem schimmernden Behäl ter hinter der Liege ging ein Schlauch zu Ilkens linker Armbeuge. Die Flüssigkeit ließ ein Gefühl der Wärme langsam durch ihren Arm und weiter durch ihren Körper gehen. Sie versorgte sie mit Ersatz für das Blut, das sie immer noch verlor. Sie hatte bereits
ziemlich viel verloren und würde mit Sicherheit noch einiges mehr verlieren, bevor Jill ihre Arbeit beendet hatte. Die Torpedonadeln waren da und dort tief ein gedrungen. Die meisten davon waren winzig, nicht leicht zu finden, und nur mit großer Schwierigkeit zu entfernen. Dennoch fühlte sie sich gut. Mehr als gut. Sie hat ten hier ein wunderbares Betäubungsmittel, das ei gentlich kein wirkliches Narkotikum sein konnte, da keine Gefühllosigkeit oder Taubheit eintrat. Was sie fühlte, während Jills Instrumente die kleinen Teilchen suchten, nach ihnen gruben und sanft an ihnen sogen, war eine fortgesetzte Folge von beruhigenden Lust impulsen. Sie kam zu dem Schluß, daß ihr Gehirn Schmerz verspürte, wahrscheinlich ziemlich heftigen Schmerz, aber durch einen Trick dazu gebracht wur de, ihn für etwas anderes zu halten. »Man könnte soweit kommen, daß man Spaß daran hat, auf diese Weise in Stücke geschnitten zu wer den!« bemerkte sie schließlich. »In der Tat«, sagte Jill. »Viele haben das schon ge lernt. Der Lusteffekt kann noch beträchtlich gesteigert werden. Man muß mit dem Zeug sehr vorsichtig sein.« Ilken runzelte die Stirn. »Sehr dumme Leute!« »Ja. Sehr dumm.« »Das war auf Galestral?«
»Ja. Ich glaube nicht, daß die Droge irgendwo an ders benutzt wird.« Ilken schwieg einen Moment. »Einiges möchte ich gern wissen«, sagte sie dann. »Stört es Sie zu reden?« »Gar nicht. Aber versuchen Sie, sich nicht zu be wegen.« Ilken sagte: »Es gibt Legenden über euch Galestrals auf hinterwäldlerischen Planeten wie Ragnor. Als Kind hörte ich immer nur, daß alle Galestrals drei Meter groß seien – und daß es keine Dummen unter ihnen gebe.« Jill lachte leise. »Zu schade, daß es nicht wahr ist! Ich kenne bemerkenswert dumme Galestrals. Und körperlich sind wir im Durchschnitt kleiner als die Geher der Stern-Union – ganz zu schweigen von fort geschrittenen Schwimmer-Typen.« »Ist die Tatsache, daß Galestral beinahe eineinhalb g hat, der Grund dafür, daß ihre Größe zurückgegan gen ist?« »Mhm. Anpassung. Der Prozeß scheint in den letz ten paar Generationen zum Stillstand gekommen zu sein.« »Mir ist aufgefallen, wie ihr euch hier bei Normal-g bewegt«, sagte Ilken. »So richtig federleicht, als ob ihr gar nicht stolpern könntet! Sind Sie in den RaumStädten gewesen?« »Nein«, antwortete Jill. »Seit dem Ende meiner
Ausbildung arbeite ich mit den Forschungs- und Be obachtungsteams der Gesellschaft. Auf dem Gebiet der Stern-Union bin ich nie gewesen.« »Das Gewehr, das Sie tragen – ist es ein Suesvant?« »Ja.« »Das gleiche Modell, wie Sie es gegen die SuperTiere gebrauchen?« »Genau dasselbe.« Aus Jills Stimme klang Belusti gung. »Scheint es Ihnen zu leicht dafür?« »Nur vom Ansehen her würde ich sagen. Scheint mehr für kleines Wild zu sein, bis hinauf zum Men schen. Ich habe gehört, daß die Suesvants eine unge heure Durchschlagskraft haben.« »Ja, wenn man das braucht. Aber sie können auch für kleinere Ziele verwendet werden, ohne alles zu zerfetzen. Es kommt auf die Art von Geschoß an, die man wählt.« »Hm! Gibt es irgend etwas Geheimes an dieser Konstruktion?« »Eigentlich nicht«, sagte Jill – Gewehre des Suesvant-Typs waren in der Stern-Union immer wieder gefertigt worden. Verbreitung gefunden hatten sie al lerdings nur auf Galestral, wo bis vor nicht allzu lan ger Zeit nur Waffen von außerordentlicher Wirksam keit ein Überleben garantieren konnten. Wenn sie et was taugten, waren sie komplizierte Präzisionsin strumente und sehr teuer. »Das wichtigste allerdings
ist ein hohes Maß an Übung mit der Suesvant, so daß man in einem Notfall automatisch die richtigen Be wegungen macht«, sagte sie. »Es wäre ziemlich leicht, das Falsche mit einer Suesvant zu tun, wenn keine Zeit zum Überlegen bleibt.« »Wegen der verschiedenen Arten von Geschos sen?« »Hauptsächlich. In der Regel beschränke ich mich auf fünf Standard-Typen. Aber es gibt mehr als hun dert für spezielle Zwecke.« »Waren Sie im ... wie nennt man dieses Gebiet auf Galestral?« »Im Wildland? Ja. Gegen Ende meiner Ausbildung verbrachte ich vier Monate dort. Eine Art Abschluß prüfung.« »Und Sie haben mit der Suesvant Super-Tiere zur Strecke gebracht?« »Einige. Die meisten greifen Menschen nicht mehr an. Aber in diesem Gebiet kann man nie sicher sein. Manche beobachten einen heimlich, während sie Fal len stellen und darauf warten, daß man unvorsichtig wird. Die Gesellschaft ist der Ansicht, daß man in vier Monaten den Beweis der Qualifikation für das Raumforschungs-Corps zur Genüge erbracht hat. So bestand ich die Prüfung ... Aber jetzt bin ich dran – Wann verließen Sie Ragnor?« »Wie? Oh, vor etwas mehr als einem halben Jahr«,
sagte Ilken. »Captain Witter musterte bei den Rangers ab, und ich mit ihm. Wir gingen nach Halcolm. Er ist dort geboren. Die erste Raum-Stadt, die ich sah – überhaupt das erste außer Ragnor.« »Wie gefiel sie Ihnen?« »Halcolm war durchaus interessant, aber ich möchte doch nicht viel länger dort bleiben, als wir es taten. Es ist eine gemischte Stadt, und die Schwimmer haben dort die Kontrolle übernommen. Es gibt eine große Null-g-Sektion, und der Rest der Stadt ist zum größten Teil Viertel-g. Man wird gewarnt, wenn man zu einem Normal-g-Gebiet kommt, so daß niemand es unge wollt betritt und zu Schaden kommt! Die meisten der Geher von Halcolm können bei Normal-g nicht auf ih ren Beinen stehen. Sie werden während ihres Schlafes Übungen unterzogen, und so bleiben sie gesund.« »Ich habe davon gehört. Sleepex.« »Ja. Und vielleicht sind sie wirklich gesund«, sagte Ilken, »obwohl sie auf mich ziemlich schlaff und kraftlos wirkten. Aber die meisten wollen Viertel-g, weil es weniger anstrengend scheint, und es macht ihnen nichts aus, zum Ausgleich mit Arzneisubstan zen versetzte Nahrung zu sich zu nehmen, weil sie diese Substanzen nicht schmecken können. Die Schwimmer jedenfalls halten sich fit. Man hat mich Null-g-Gymnastik gelehrt, als ich dort war. Das ist großartig!«
»Wer lehrte Sie das?« »Captain Witter. Er ist als Schwimmer geboren.« Jill sagte: »Den Eindruck macht er gar nicht.« »Nein. Er unterzog sich einem gTrainingsprogramm, als er elf Jahre alt war, um zu zeigen, daß er ein Normal-g-Geher sein konnte, wenn er wollte. In der Grundanlage war er immer noch der Geher-Typ, und er schaffte es und wurde schließlich auch politisch ein Geher. Aber alle seine Verwandten sind Schwimmer, einige von ihnen ziemlich hoch droben in der Schwimm-Liga. Die glauben wohl, Captain Witter sei ein wenig seltsam, obwohl er sehr gut mit ihnen zurechtkommt.« »Was halten Sie von den Schwimmern im allge meinen?« »Wenn sie nicht auf mich schießen?« fragte Ilken trocken. »Nun – sollen sie ruhig das sein, was sie sind. Es ist ihre Angelegenheit. Aber ich möchte nicht, daß sie in der Stern-Union die Oberhand bekommen. Sie würden jeden zum Schwimmer machen wollen, und wenn man keiner sein wollte, gäbe es nicht mehr viele Orte, an die hinzugehen sich lohnen würde.« »Zwei Arten des Lebens, mit divergierenden Tech nologien und divergierenden Adaptions-Typen der Körperchemie«, sagte Jills Stimme nachdenklich. »Am Ende müßten zwei getrennte Arten stehen. Wie ich höre, sollen wir sie schon haben. Die Aufrechter
haltung gemischter Bevölkerungen in den RaumStädten muß für beide Seiten zunehmend schwieriger werden. Ich verstehe, daß die Schwimmer auf ihre ei gene Art leben wollen.« »Ich auch«, sagte Ilken. »Aber ich möchte nicht, daß das auch meine Art wird. Sie drängten sie einem auf, als sei es eine Religion. Wenn wir Verwandte von Captain Witter oder Schwimmer-Freunde von ihm besuchten und sie hörten, daß ich eine Mailliard von Ragnor sei, dann begann sehr bald der eine oder an dere mir zu erklären, wie der Mensch als primitiver Erden-Geher begann und zum Raum-Menschen wurde, der die Stern-Union ins Leben rief und sich nun als Schwimmer zum homo universalis entwickelte, der höchsten Form des Lebens, die jemals existierte und die sich weiterentwickeln würde. Aber ein Planeten-Geher, der darauf bestand, ein Geher zu bleiben, konnte sich offensichtlich zu gar nichts entwickeln. Seine oder ihre Nachkommen würden ebenfalls primitive Geher bleiben. Es regte mich nicht einmal auf, weil sie sich wirklich bemüh ten, es mir plausibel zu machen und mich zu bekeh ren. Befreit von den uralten Fesseln der Gravitation, so drückten sie es gern aus. Captain Witter stritt sich nie mit ihnen, und so tat ich es auch nicht. Ich lächelte immer nur freundlich. Sie mußten wohl denken, ich sei etwas schwer von Begriff!«
Jill lachte. »Aber nicht einmal als Geher könnte ich das Leben in einer dieser Norm-g-Städte ertragen«, sagte Ilken. »So groß sie auch sind, und wenn man auch durch die Wände hinausschauen und die Sterne sehen kann – es sind doch Raumschiffe, und man ist drinnen. Nach dem, was ich über Galestral gehört habe, wer den Sie wohl nicht glauben, Ragnor sei eine Welt, über die sich besonders Großartiges sagen ließe, aber dort waren wir außen, und die ganze Milchstraße um uns herum. Schwimmer wissen nicht, was es heißt, ein Planeten-Geher zu sein! Immer sind sie in irgend etwas. War das der Grund dafür, daß die Leute, die Galestral besiedelten, die Stern-Union verließen – um aus den Raum-Städten wegzukommen?« »Zum Teil«, sagte Jills Stimme. »Anscheinend hat ten sie auch so etwas wie eine religiöse Motivation; vor allem aber wollten sie zurück auf die Oberfläche einer terroiden Welt. Und außerdem wollten sie auch unabhängig von Cencom und der Politik der SternUnion sein – nicht nur weg von den Schwimmern.« »Nun, sie haben es geschafft. Niemand sonst ist jetzt wirklich unabhängig von Cencom.« »Nein, es hat nicht den Anschein.« Für einige Minuten trat eine Pause ein. Jills Instru mente arbeiteten weiter. Ilken ignorierte sie – igno rierte auch die Lustgefühle, die sie hervorriefen und
die jetzt etwas undezent zu werden schienen – und dachte nach. Im Grunde gefiel ihr diese hilfsbereite und so freundlich wirkende Galestral-Frau; doch die Galestrals konnten Feinde sein. Nicht direkt ihre Feinde, aber Feinde der Stern-Union. Somit, hier auf Kulkoor, Feinde Crowell Witters. Und damit auch Feinde von ihr selbst. Es konnte nichts schaden, ein wenig weiter zu son dieren ... Ilken sagte: »In den Cencom-Berichten heißt es, daß Sie und Grant Gage jene Geistermine in den Bergen fanden, die allen ein Rätsel ist.« »Das stimmt. Wir fanden sie.« »Waren Sie in letzter Zeit wieder dort?« »Nein, in letzter Zeit nicht mehr. Warum?« »Wir wollten dort hin, als die Fähren der Schwim mer uns angriffen. Captain Witter glaubte, daß wir dort auf Farquhar treffen könnten.« Ein Augenblick des Schweigens. Dann sagte Jills Stimme: »Ja, warum sollte Farquhar nicht gerade dort sein. Aber ich bezweifle, ob man ihn finden wird, wenn er nicht gefunden werden will. Er sagt nicht einmal uns, wohin er geht oder was er tut.« »Ich dachte, Sie drei hätten die Aufgabe, ihm zu hel fen bei der Suche nach ... Wonach immer ihr sucht.« »Das glaubten wir auch«, sagte Jill trocken. »In un seren Anweisungen heißt es, daß wir sein Hilfs-Team
sind. Wenn er irgendwelcher Unterstützung bei der Lösung des sogenannten Kulkoor-Problems bedarf, sollen wir sie ihm geben. Technisch unterstehen wir in dieser Hinsicht seinem Befehl. Bis jetzt hat er nicht um Hilfe gebeten. Er hat uns sogar zu verstehen ge geben, daß wir ihm bestenfalls nur im Wege sind. Seit seinem Eintreffen auf Kulkoor habe ich ihn zweimal gesehen. Er betreibt die Untersuchung für die Gesell schaft ganz für sich allein.« »Ist die Gesellschaft damit einverstanden?« »Offenbar. Farquhar soll der beste lebende BiotaAnalytiker sein – und er hat im Forschungs-Corps schon wirklich bemerkenswerte Leistungen er bracht.« »Leistungen welcher Art?« »Er hat Dinge gefunden, die sonst niemandem auf gefallen sind. Er hat sein eigenes bewegliches Labora torium, und seine Berichte gehen direkt an die Gale stral-Gesellschaft. Von Zeit zu Zeit läßt er uns wissen, daß er noch lebt. Ansonsten ignoriert er uns, so sehr er nur kann. Offenbar arbeitet er an einer Theorie, über die er nichts sagen möchte.« »Haben Sie und die beiden anderen eine Theorie?« fragte Ilken. »Darüber, warum es ein Jahr bevor die legitimen Bergbauarbeiten auf Kulkoor beginnen sollten, hier eine geheimnisvolle verlassene Mine gab?«
»Ja.« »Nun«, sagte Jill, »es ist nicht schwer zu erraten, warum die Bergleute kamen. Vermutlich hörte ir gendeine zweifelhafte Bande irgendwo in einer ter roiden Ansiedlung von dem Fund auf Kulkoor und versuchte, sich ein Vermögen in Erz zu machen, so lange es noch Zeit war. Die Frage ist, wie und warum die Leute verschwanden. Wie jedermann sonst haben wir uns Gedanken darüber gemacht. Natürlich be steht auch die Möglichkeit, daß die Mine nur ein Trick ist.« »Sie meinen, jemand sollte sie finden?« »Ja.« »Wozu?« »Offensichtlich«, sagte Jills Stimme freundlich, »um Maßnahmen zu rechtfertigen, welche die Stern-Union gern auf Kulkoor treffen möchte.« »Und Cencom«, sagte Ilken, »scheint anzunehmen, daß die Galestral-Gesellschaft die Mine hingestellt hat. Aus demselben Grund.« »Nun, wenn Cencom nicht dahintersteckt, könnte es das vermuten. Es ist logisch.« »Hm! Haben Sie noch eine Theorie?« »Bis jetzt gibt es noch nichts Erfolgversprechendes. Aber es gibt hier ein Tier, das einen Mann spurlos verschwinden lassen könnte. Es ist ein Flugtier.« »Als wir von der Basis hierher kamen, sahen wir
einige von diesen großen fliegenden Dingern entlang der Küste«, sagte Ilken. »Der Typ scheint hauptsächlich ein Aasfresser zu sein. Aber im Binnenland gibt es eine – wahrschein lich verwandte – Art, die nur Jäger ist, und ein sehr starker obendrein. Wir haben sie des öfteren in den Bergwäldern um die Mine gesehen. Wenn ein Schwarm dieser Tiere überraschend auf das Lager dort heruntergestoßen wäre, wäre er physisch in der Lage gewesen, in wenigen Augenblicken alles Leben dort zu vernichten. Dazu wäre jedoch ein Intelligenz niveau erforderlich, das die Fauna auf Kulkoor noch nicht erreicht zu haben scheint. Diese Tiere jagen ein zeln und paarweise, nicht in Schwärmen.« »Trotzdem – als Theorie scheint mir das gar nicht so schlecht«, bemerkte Ilken schläfrig. »Haben Sie sie Farquhar gegenüber erwähnt?« »Wir haben sie dem Kommunikator in seinem Luftkreuzer diktiert. Nichts deutet darauf hin, daß er zuhörte, aber was wir sagten, wurde aufgenommen. Einige Tage später hörten wir eine Aufnahme seiner Antwort. Er dankte uns für den Einfall – und sagte, seiner Meinung nach würden wir ein ausgezeichnetes Schwermetall-Forschungsteam abgeben.« Ilken sagte: »Ich glaube, ich verstehe jetzt, warum er auch auf die Kommunikator-Anrufe, die Captain Witter seit unserer Landung vor vier Tagen an ihn
gesandt hat, nicht antwortete. Seltsam übrigens Ihre andere Theorie! Die Schwimmer-Liga kann die fal sche Mine hingestellt haben, um Cencom in die von ihr gewollte Richtung zu lenken – Null-g-Kuppeln für die Operationen auf Kulkoor. Oder Cencom kann es getan haben. Captain Witter und ich konnten das nicht wissen.« »Nein, das konnten Sie nicht.« Ilken gähnte langsam und genußvoll. »Anderer seits«, sagte sie, »könnten auch Leute von Galestral sie hingestellt haben, und auch Sie und die beiden anderen würden es nicht wissen ... Farquhar wüßte es vielleicht.« Jills Stimme sagte etwas, was auf seltsame Weise schwand und unhörbar wurde. Ilken hatte nun das Gefühl, sanft von allem um sie herum wegzuschwe ben, ohne etwas dagegen tun zu können – oder zu wollen.
3
Einige Zeit später – Ilken hätte nicht sagen können, ob es eine lange oder kurze Zeit war – wurde sie sich wieder bewußt, daß sie sich in dem hellen kleinen Krankenraum des Galestral-Schiffes befand; nun, da sie den Torpedospray los war, hatte sie ein angeneh mes Gefühl, wenn auch der schimmernde Behälter hinter der Liege immer noch Blutersatz in ihren Arm fließen ließ. Noch etwas anderes war im Gange. Jill stellte ihr Fragen, und sie gab Antworten darauf. Ilken fühlte einen Anflug grimmiger Belustigung. Die neue Droge, unter deren Einfluß sie jetzt stand, paßte zu ihren anderen Erfahrungen hier – sie war so wunderbar wirksam! Sie wollte die Fragen beantwor ten; es bereitete ihr Freude, sie zu beantworten; und sie konnte sich nicht einmal erinnern, wie es sein mochte, wenn man sich der Beantwortung widersetz te. Aber es war ja auch gleichgültig. Crowell hatte vielleicht Geheimnisse, die er unter solchen Umstän den preisgeben konnte; sie hatte keine. Es gab nichts von wirklicher Bedeutung, was die Galestrals durch sie erfahren könnten ... und im übrigen schien Jill auch nicht auf Geheimnisse aus zu sein, zumindest nicht im Augenblick. Sie stellte Fragen über den Ra
gnor-Feldzug. Besonders über Crowells und Ilkens Rolle in seinen letzten Stadien. »Nun, als Captain Witter zu Cencom ging und sie für seinen Plan gewann«, hörte Ilken sich sagen, »wa ren wir schon lange geschlagen, ohne es zu wissen. Nur etwa zweiundvierzigtausend Mailliards waren auf Ragnor übriggeblieben. In dem Jahr, als wir die Schwimmer-Kolonie der Stern-Union vernichteten, waren es mindestens fünfmal so viele gewesen. Wir kannten nicht die Verluste, die wir erlitten hatten. Kommunikatoren wurden in diesen Jahren wenig be nützt, denn die Rangers hatten gelernt, sich sehr schnell auf sie einzupeilen. Wir glaubten also, daß noch viel mehr dieser Gruppen existierten und nur kein Kontakt mit ihnen bestand. In diesem Stadium hätten uns die Rangers innerhalb weiterer sechs Mo nate erledigen können, wenn sie mehr Druck ausge übt hätten. Aber sie hielten sich zurück.« »Warum?« »Politik. Nach dem Beginn des Ragnor-Feldzuges konnte Cencom seine Geher-Bodenstreitkräfte auf das mehr als Zehnfache dessen ausbauen, was sie bis da hin gewesen waren. Wir hatten aufgezeigt, daß Schwimmer-Truppen für die Einnahme oder Vertei digung von Planetenterritorium nicht geeignet wa ren, und solange wie Mailliards auf Ragnor kämpf ten, hatte Cencom einen schönen offiziellen Grund,
seine Geher-Streitkräfte zu verstärken. Wir sollten nicht zu schnell vernichtet werden. Natürlich wußten wir auch das nicht. Wir konnten zählen, und wir sa hen, daß auf einen toten Mailliard im Durchschnitt immer noch zwei oder drei tote Rangers der SternUnion kamen. Uns schien, daß wir uns gut hielten.« »Wie führte Captain Witter den Umschwung her bei?« »Er hatte erfahren, wie es tatsächlich auf Ragnor stand, und er hielt mit seinem Wissen nicht hinter dem Berg. Er hatte Beweise. Es war nicht gerade das, was Cencom gern in der Stern-Union verbreitet hätte. Und wenn er die Mailliards dazu bringen konnte, Bürger der Stern-Union zu werden, würde Cencom eine neue, fertige Bodentruppe von Planeten-Gehern haben, die bei Norm-g-plus aufgewachsen waren. Cencom erkannte das, besonders seit man sich in der Stern-Union genügend Sorgen über euch Galestrals gemacht hatte, um die Verstärkung der GeherTruppe nachdrücklich zu verfolgen. Als Captain Wit ter nun auf Ragnor zurückkam, war er immer noch Ranger-Offizier, aber er war auch CencomKundschafter mit dem Auftrag, den Ragnor-Feldzug durch Verhandlungen zu einem Ende zu bringen – mit dem Cencom-Statut im Rücken, wie immer er seine Aufgabe angehen mochte. Natürlich mußte er dann noch die Mailliards über
zeugen, und das war nicht leicht. Wir – meine Grup pe – hörten eines Tages, daß ein Ranger-Captain kei ne achtzig Kilometer von uns eine Mailliard-Gruppe zur kampflosen Aufgabe bewegt hatte. Wir alle ver muteten, daß ein neuer Trick der Rangers im Spiele war, und Captain Witter wurde der von uns meistge jagte Mann. Ich war sechzehn zu der Zeit und der be ste Jäger meiner Gruppe, also ging ich los, um mir selbst seinen Kopf zu holen. War auch ziemlich nahe daran, ihn zu kriegen – näher als irgend jemand an ders vorher oder nachher. Aber ich wurde gefangen und ...« Ilken hielt inne, blinzelte, sah sich um. Der Infusi onsschlauch war von ihrem Arm entfernt worden, und Jill Hastings saß wenige Meter von ihr entfernt auf einem Stuhl und sah sie an. »Das Zeug wirkt nicht mehr, Jill«, sagte Ilken. »Nein?« fragte Jill. »Nein. Ich habe eben bemerkt, daß ich Ihnen nichts mehr sagen muß.« Jill lächelte, stand auf. »Schon gut. Die Droge hat wirklich nur ganz vorübergehende Wirkung. Im üb rigen habe ich Sie wieder zusammengeflickt. Ich werde jetzt Ihre Sachen holen.« Ein halbes Dutzend Aircars und ein Transportflug zeug von der Stern-Union-Basis erreichte das Gebiet,
wo der Angriff erfolgt war, etwa zwei Stunden nach Crowells Ruf; und die Galestrals verabschiedeten sich. Crowell ließ die an Ort und Stelle nötigen tech nischen Untersuchungen unter der Leitung von Guy Hansen durchführen. Sein beschädigtes Gefährt, die zerstörte Raumfähre und ihr toter Pilot wurden dann auf das Transportfahrzeug geladen. Nach vierzig Mi nuten war man auf dem Weg zurück zur Basis. Zu diesem Zeitpunkt war unübersehbar geworden, daß Crowells Instruktionen an Herrick in der Basis beträchtliche Aufregung verursacht hatten. Dr. John Sutton, Direktor und wissenschaftlicher Leiter der Expedition, meldete sich zweimal, um gegen die an maßende und beleidigende Arretierung der Öffentli chen Dienerin Betheny von Varien zu protestieren. Er sagte, er wolle eine offizielle Beschwerde beim Cen com einreichen. Crowell sagte ihm, daß er innerhalb weniger Stunden dazu Gelegenheit bekommen wer de. In der Zwischenzeit werde die Öffentliche Diene rin unter Bewachung bleiben. Crowell steuerte eines der Fahrzeuge, Hansen war neben ihm, Ilken und Dr. Bates befanden sich hinten in der Kabine. Nach Dr. Suttons zweitem Anruf sagte Crowell zu Hansen: »Sie kennen Betheny seit vielen Jahren, nicht wahr?« Hansen nickte. »Eine Zeitlang kannte ich sie ganz gut.« Geboren in Varien, der neuesten und größten
der Nur-Schwimmer-Städte der Stern-Union, hatte Guy Hansen wie Crowell sich früh dazu entschieden, die Fähigkeiten eines Norm-g-Gehers zu entwickeln. Nichtsdestoweniger war er jahrelang in der Schwimmer-Liga aktiv gewesen. In den Akten von Cencom war er jetzt als politisch ungebunden regi striert. Das alleine bewies noch nichts, doch in den wenigen Tagen, die Crowell nun auf Kulkoor war, war er zu dem Schluß gekommen, daß Hansen einer der drei Männer auf der Basis war, denen er in einem Notfall voll und ganz vertrauen würde. Auch Dr. Ba tes gehörte dazu. Herrick, ein Veteran des RagnorFeldzuges und Kommandeur der kleinen Sicherheits truppe der Basis, war der dritte. Crowell sagte: »Als ich hierher geschickt wurde, um mich der Probleme der Basis anzunehmen, hat die Liga starken Druck auf Cencom ausgeübt, damit sie Betheny erlaubte, mit mir zu kommen. Ihr Argu ment war, daß die Interessen der Liga auch offiziell auf Kulkoor vertreten werden mußten. Zu jenem Zeitpunkt kam es mir etwas seltsam vor, daß sie ei nen ihrer Führer in einer unvorhersehbaren und po tentiell gefährlichen Situation gefährden wollten.« Hansen sah zu ihm herüber. »Vielleicht beginnen Sie jetzt zu verstehen, warum.« »Vielleicht. Vier Tage ist sie jetzt hier, und dreivier tel unseres Geher-Personals scheint ihr schon aus der
Hand zu fressen. Ist das Arrangieren von Morden auch eine Spezialität von ihr?« Hansen zuckte die Achseln. »Ich habe mich des Vertrauens der Liga-Führung nie in dem Maße er freut, daß ich das beantworten könnte. Aber Betheny ist ein homo universalis par excellence. Mit anderen Worten, vollkommen rücksichtslos, wenn es um die Interessen der Liga geht – und der Vertrag für die Kuppeln des Kulkoor-Projekts dürfte im Augenblick das Hauptziel der Liga sein. Sonst wäre sie wohl nicht hier.« »Warum nicht?« »Sie haßt es, auf der Oberfläche oder auch nur in der Nähe eines Planeten zu sein. Das weiß ich.« Crowell knurrte. »Deswegen hat sie also ihren pri vaten Psychiater mitgebracht ...« Er fügte hinzu: »Wenn ich einmal aus dem Wege gewesen wäre – und Leutnant Tegeler mit mir –, und wenn, wie es wahrscheinlich ist, auch jeder Beweis für den Angriff beiseite geschafft gewesen wäre, dann wäre Betheny auf Kulkoor als höchstgestelltem Vertreter der SternUnion die Befehlsgewalt zugefallen.« »Nur so lange, bis Cencom einen anderen Vertreter hier mit dem Cencom-Siegel legitimiert hätte«, be merkte Hansen. »Vier Wochen, etwas weniger oder etwas mehr«, sagte Crowell. »Völlig rücksichtslos, man kann mit
Sicherheit behaupten, daß in dieser Zeit genug pas siert wäre, um der Liga den Kuppel-Kontrakt zu ver schaffen.« Hansen sah beunruhigt aus. »Was könnte Betheny denn wirklich tun?« »Ich denke an eine Reihe von Dingen, die ich in dieser Lage tun könnte.« Crowell zuckte die Schul tern. »Weitere Fälle unerklärlichen Verschwindens. Noch mehr und immer gravierendere Probleme mit den schnell wachsenden Nutzpflanzen und den Fleisch-Tieren. Eine gewisse Anzahl von tödlichen Viruserkrankungen auf der Basis. Man könnte es noch weiter treiben, aber allzuviel wäre eigentlich gar nicht nötig. Cencom würde natürlich Verdacht schöp fen, andererseits hätten sie wenig Handlungsspiel raum. Betheny genießt die Immunität des Öffentli chen Dienstes, und für langwierige Untersuchungen wäre keine Zeit.« Hansen sagte: »Wenn es kein Geheimnis ist, was ist der letzte Termin für die Entscheidung, ob der Berg bau auf Kulkoor durch Geher-Gruppen oder unter Schwimmer-Kuppeln ausgeführt werden soll?« »Soweit ich betroffen bin, gibt es kein Geheimnis«, sagte Crowell. »Acht Wochen sind das Äußerste, wenn das Unternehmen wie vereinbart bis zum Jah resende beginnen soll. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, daß die Galestral-Gesellschaft zu diesem
Zeitpunkt nicht mit dem Abbau beginnen könnte. Cencom kann also nicht warten. Wenn irgendein Rest des Zweifels über die Durchführbarkeit des Unter nehmens durch Geher bleibt, wird es sich für die Kuppeln entscheiden.« Hansen nickte. »Ich begreife Bethenys Motive«, sagte er. »Allerdings habe ich den Eindruck, daß sie mehr Hilfe brächte, als sie sie von dem Schiff, das sie hierher gebracht hat, bekommen könnte, wenn sie das tun will, was Ihrer Meinung nach ihre Absicht ist.« »Das ist richtig«, stimmte Crowell zu. »Nehmen wir also an, daß sie diese Hilfe bereits hat. Sonst hätte meine Ermordung nicht viel Sinn gehabt. Sie hat oh nehin zu viel riskiert, indem sie es auf diese Weise versuchte.« Hansen sagte nachdenklich: »Für sie oder für ihre Ratgeber sah es vielleicht anders aus. Ich bin kein Ex perte in dieser Hinsicht – aber eigentlich hätten diese Fähren Ihr Fahrzeug schon beim ersten Angriff erle digen müssen, oder?« »Für gewöhnlich werden zwei bewaffnete Raum fähren mit einem Kanonen-Aircar fertig. Ja.« Mit dem Standard-Modell, dachte Crowell. Als Führer des Cencom-Untersuchungskommandos auf Ragnor, wo einige seiner erbittertsten Feinde die Uniform der Stern-Union-Ranger getragen hatten, hatte er vor
sichtshalber vier Jahre lang ein Fahrzeug mit Sonder bewaffnung benützt. Dreieinhalb Jahre davon war Il ken sein Schütze gewesen. Das Fahrzeug, das sie an diesem Tag benutzt hatten, war vom selben Typ. Das Kräfteverhältnis war nicht so gewesen, wie es den Anschein hatte. Die Kommunikationszentrale der Basis verband Captain Bymer auf dem Wachschiff mit Crowell. By mer hatte zuvor berichtet, daß die automatischen Überwachungsanlagen des Schiffes zu dem Zeit punkt des Angriffes durch die Fähren keine Spuren eines anderen Raumfahrzeuges festgestellt hatten. In der Zwischenzeit hatte er einen Suchflug um Kulkoor unternommen, ebenfalls ohne Ergebnis. Offenbar hat te sich der Angreifer in ein Gebiet außerhalb des Be reichs der Überwachungsinstrumente zurückgezo gen, nachdem er den Kontakt mit den Fähren verlo ren hatte. Das Wachschiff hatte nun seine Position über der Stern-Union-Basis wieder eingenommen. Dort stand es zu sofortigem Eingreifen bereit. Als Crowells Kavalkade auf der Basis ankam, war tete schon eine Delegation auf ihn, an ihrer Spitze Dr. John Sutton, der in dem Augenblick nach vorne trat, da Crowell dem Aircar entstieg. Der Rest der Gruppe blieb, wo er war; die Gesichter ließen mehr oder we niger heftige Mißbilligung erkennen. »Captain Witter«, sagte Dr. Sutton, »wir stellen
nicht in Abrede, daß Sie allen Grund haben, über den mörderischen Angriff auf Ihre Person empört zu sein. Dennoch darf ein derartiger Vorfall nicht zu überha steten Entscheidungen führen. Wir schlagen vor, daß Sie zu uns in mein Büro kommen, wo wir die Lage besprechen und die zu treffenden Maßnahmen über legen können.« »Wer ist ›wir‹, Dr. Sutton?« fragte Crowell. »Nun ...« Überrascht blickte Dr. Sutton zu seinen Leuten zurück. »Nun, natürlich meine Abteilungslei ter drüben!« »Natürlich«, sagte Crowell. »Ja, ein ausgezeichne ter Vorschlag! Wenn Sie und die anderen Herren schon zu Ihrem Büro vorausgehen wollen, werden wir – das heißt Dr. Bates, Mr. Hansen, Leutnant Tege ler und ich – uns binnen kurzem dort einfinden. Zu nächst jedoch haben wir noch etwas anderes zu tun.« Dr. Sutton zog die Brauen zusammen. Crowell deutete mit einer Kopfbewegung hinauf zu der offe nen Schleuse in der Schutzwand. »Sechs Fahrzeuge warten draußen«, bemerkte er, »und in wenigen Au genblicken werden sie herunterkommen, genau dort hin, wo Sie und Ihre Kollegen stehen.« Mißmutig zo gen sich die Wissenschaftler zurück. Das Transport fahrzeug kam durch die Schleuse herunter, gefolgt von den Kampffahrzeugen, Herrick war erschienen, und Crowell begann Anweisungen zu geben. Hansen
ging zum geographischen Büro. Dr. Bates ließ die Leiche des Fährenpiloten in sein Laboratorium brin gen. Nachdem er Herrick beauftragt hatte, sich um al les übrige zu kümmern, wandte sich Crowell zu Il ken. »Was hält Bates als Arzt von Ihren Beinen?« Sie lächelte kurz. »Der Spray ist entfernt. Soweit ist alles in Ordnung. Die nächsten paar Tage soll ich sie noch schonen.« »Wollen Sie das tun?« »Wohl kaum!« »Gut. Gehen wir also nach Hause und vervollstän digen wir unsere Ausrüstung. Dann werden wir Be theny einen Besuch abstatten.« Sie machten sich auf den Weg. In Ilkens Gang war eine Spur von Steifheit. Der Rat, den ihr Dr. Bates ge geben hatte, war wahrscheinlich richtig. Aber in den kommenden Stunden konnten sich kritische Entwick lungen ergeben, und wenn Ilken sich handlungsfähig fühlte, wollte Crowell sie an seiner Seite haben. Sie sagte: »Sie glauben, daß etwas auf Bymers Schiff nicht stimmt, nicht wahr?« »Es muß so sein«, stimmte Crowell zu. »Nachdem wir heute morgen die Basis verließen, wurden wir verfolgt. Diese Fähren kamen nicht von unterhalb des Planetenhorizonts, um uns zu suchen – sie wurden direkt von oben in die Atmosphäre geschickt. Also muß das Schwimmer-Schiff in Bymers Suchgeräten
erschienen sein. Entweder lügt er uns an, oder irgend jemand anders hat die Bänder der Suchgeräte mani puliert und ihn angelogen. Wenn wir die Dinge hier in Ordnung gebracht haben, werden wir hinaufflie gen und nachsehen. Bis dahin wollen wir nichts dar über sagen. Übrigens, was halten Sie von Jill Ha stings?« Ilken hob die Schulter. »Ziemlich clever. Ansonsten bin ich mir gar nicht sicher.« Crowell nickte. »Den Eindruck hatte ich auch von den beiden anderen. Ich würde sehr gern genau wis sen, was Farquhar auf Kulkoor treibt ... BiotaAnalytiker!« Er kratzte sich das Kinn. »Nun, wir soll ten jedenfalls bei allem, was hier vorgeht, mit den Ga lestrals rechnen – selbst wenn nur vier von ihnen auf diesem Planeten sind.« »Wir wissen nicht, ob das alle sind«, sagte Ilken. »Nein, das wissen wir nicht.«
4
Die kurze Zugangspassage zu der fast kugelförmigen Struktur, welche die Wohnstätte Bethenys von Varien auf der Stern-Union-Basis umgab, war der Gravitati on Kulkoors ausgesetzt. Betheny und ihre Schwim mer-Hilfskräfte konnten sie nur in speziellen Schutz hüllen durchqueren. Führantennen für Besucher hin gen von den Wänden. Crowell und Ilken rüsteten sich bei ihrem Eintritt damit aus. Sie hatten einige kleinere Vorkehrungen für den Besuch auf Null-g-Gebiet getroffen: Keine lockere Kleidung, das Hemd straff unter dem Gürtel festge zogen. Ilkens dunkles Haar war auf ihrem Hinterkopf zusammengeknotet. Das Paar Mailliard-Messer, das sie normalerweise in ihrer Jacke trug, steckte in ihrem Gürtel, eines auf jeder Seite. Am Ende der Passage endete auch die Gravitation. Von hier ab gab es keine Ähnlichkeit mehr mit einer Norm-g-Wohnstätte. Der Transport der zusammenge legten Außenhülle war auf demselben SchwimmerSchiff erfolgt, das Betheny auf Kulkoor gebracht hatte. Aufgespannt nahm die Kugel achtmal so viel Platz in Anspruch wie der Crowell auf der Basis zugewiesene Raum. Im Inneren waren alle früheren Architekturre geln zugunsten eines ausschließlich an Null-g-Bedürf
nissen und -Verfügungen orientierten Designs miß achtet worden. Die runden Wände der unmittelbar an die Passage anschließenden Sektion leuchteten sanft; Mobiliar schwamm in kaum sichtbarem Spinnenge webe. Die Linien der funktionalen Anlagen besaßen Schönheit und Schwung. Als Crowell und Ilken, dem Elektronenleitstrahl folgend, in die Sektion kamen, leuchtete Tageslicht in ihr auf. Luft bewegte sich mit kühler Frische, und ein Gemisch von Hintergrundge räuschen, die kaum wahrnehmbar waren, bis man ei gens auf sie horchte, vermittelt den Eindruck geschäf tigen Lebens. Crowell war dies alles vertraut; er hatte seine Kindheit in dieser Art von Umgebung verbracht. Damals hatte er nicht gewußt, was sie bedeutete, doch hatte sie ihn manchmal auf unerklärliche Weise bedrückt. Später hatte er verstanden. Die Kunst der Schwimmer, besonders die funktionale Kunst, war sehr fortgeschritten. Durch sie schuf sich der Schwimmer mit großem Geschick die Illusion einer eigenen Welt, die er mit sich nehmen konnte, wohin er auch ging. Was Crowell bedrückt hatte, war das beinahe unterbewußte Gefühl, durch diese Illusion von der Wirklichkeit des Universums abgeschnitten zu sein. Nachdem er seinen Weg aus dieser Illusion gefun den hatte, empfand er jetzt nichts Derartiges mehr. Er
bewegte sich mit Ilken auf das Zentrum der Sektion zu. Es gab zwei runde Ausgänge, einen großen vor ihnen, den anderen über ihnen, beide durch Lichtund Tonbarrieren fast nicht wahrnehmbar. Sie hatten sich von außerhalb der Struktur angemeldet, und die Anmeldung war von Dr. Torres, einer der beiden Ge fährtinnen Bethenys, angenommen worden. Doch Be theny schien keine Eile zu haben, sie zu empfangen. Dr. Torres war es, die etwa zwei Minuten später durch die über ihren Köpfen gelegene runde Öffnung zu ihnen hereinkam. Crowell und Ilken änderten ihre Position in Richtung auf sie. Die Psychiaterin war ein Riesen-Schwimmer der mittleren Stufe, etwas älter schon, aber noch geschmeidig, mit dem anziehend guten Aussehen und der bezwingenden Persönlich keit, die für ihren Typ fast charakteristisch war. Sie trug Schwimmer-Kleidung, eine dünne Kupfertunika, die ihre starken braunen Arme und Beine unbedeckt ließ. Als sie sich ihnen näherte, erhellte das Licht für einen Augenblick die bronzebraunen Linien auf ih rem Schädel, der enthaart oder vielleicht seit ihrer Geburt schon haarlos war. »Captain Witter, Leutnant Tegeler«, sagte sie. »Be theny wird sofort zu uns kommen. Vielleicht möchten Sie mir den Grund Ihres Besuches sagen.« »Dr. Sutton würde ihn als ›die Situation‹ bezeich nen«, sagte Crowell.
»Die Situation? Wir sind davon unterrichtet wor den, daß man vor einigen Stunden einen Anschlag auf Sie verübt hat.« »Das trifft zu.« Dr. Torres nickte. »Würden Sie mir bitte die Ein zelheiten schildern?« »Ich bin sicher, daß Ihnen bereits alle wissenswer ten Einzelheiten mitgeteilt worden sind«, sagte Cro well. »Betheny hat sich hier Freunde gemacht.« »Das hat sie.« Die schönen braunen Augen der Psychiaterin betrachteten Crowell mit einem winzi gen Anflug von Spott. »Captain Witter, Sie handeln unter dem Cencom-Statut, welches Ihnen im Augen blick eine gewisse Autorität verleiht. Vielleicht sollte ich Sie aber davor warnen, zu eifrigen Gebrauch da von zu machen. Sie scheinen eine gedankliche Ver bindung zwischen der Gegenwart der Öffentlichen Bediensteten auf der Basis und dem Angriff auf Ihre Person geknüpft zu haben. Ich brauche Sie wohl nicht daran zu erinnern, daß Sie sich eines Kapitalverbre chens schuldig machten, würden Sie wegen eines sol chen Verdachtes die Immunität der Öffentlichen Be diensteten in irgendeiner Weise verletzen.« »Es bedarf dieser Erinnerung nicht«, erwiderte Cro well. »Und nachdem ich sicher bin, daß Betheny von Varien hört, was wir hier sagen, könnte sie sich viel leicht zu uns gesellen – oder sollten wir zu ihr gehen?«
Bethenys fein gezeichnete Züge verrieten eine selt same Mischung von Arroganz und Wärme. Auf ebe nem Boden stehend wäre sie zehn Zentimeter größer als Crowell gewesen. Ihre Schultern waren breiter; ihr Gewicht mochte das doppelte des seinen betragen. Trotz ihrer Größe blieb sie ein erhabenes weibliches Wesen – die zu dieser Zeit höchste Entwicklung des homo universalis, schön, mütterlich, unendlich anzie hend. Es trug wesentlich zur Stärke der SchwimmerLiga bei, daß ihre Führer solche Elternfiguren waren, wohlwollend und doch eindrucksvoll. Man bewun derte sie, suchte ihre Nähe, vertraute ihnen. Selbst eingeschworene Geher unterlagen dieser Anzie hungskraft. Und es war sicher, dachte Crowell, ein wohlberechneter Zug, Betheny und kein männliches Wesen auf Kulkoor zu schicken. Auf den leitenden Posten der Stern-Union-Expedition befanden sich Männer. Auch er fühlte diese Anziehungskraft, als Betheny erschien, in einen silbernen Anzug und ebensolchen Helm gekleidet, die sie auch trug, wenn sie sich zu den Gehern begab. Begleitet war sie von einer jungen Frau mit kurzem, braunem Haar, einem mittleren Schwimmer-Typ wie Dr. Torres – einem Leibwächter, der eine Waffe trug. Crowell sagte, sich an Betheny wendend: »Ich habe Grund zu der Annahme, daß es eine Verschwörung
der Liga gibt mit dem Zweck, die Ziele der Stern Union-Expedition auf Kulkoor zu vereiteln. Die Im munität einer Öffentlichen Bediensteten wird soweit wie möglich respektiert werden, aber ich kann Ihnen nicht erlauben, sich in eine Untersuchung dieses Komplexes einzumischen oder sie zu behindern.« »Wie wollten Sie mich daran hindern?« fragte Be theny. »Ich habe in Betracht gezogen, Sie und die beiden anderen unter zeitweiligen Arrest zu setzen.« Die Leibwächterin warf Betheny einen Blick zu. Be theny schüttelte den Kopf. »Wir haben nicht die Absicht, Ihre Untersuchung zu behindern, Captain Witter«, sagte sie. »Ausgezeichnet«, sagte Crowell. »In diesem Fall wollen Sie bitte bei mir bleiben, während Leutnant Tegeler Ihre Wohnstätte inspiziert.« Betheny lächelte. »Wonach soll sie suchen?« »Nach Beweisen für die Verschwörung«, sagte Crowell. Als Crowell und Ilken Dr. Suttons Büro erreichten, wandte sich Dr. Sutton sofort Crowell zu. Wieder schien er als Sprecher der Gruppe zu fungieren, der sich inzwischen auch Hansen und Dr. Bates ange schlossen hatten. »Mehrere der Anwesenden vertreten die Mei nung«, sagte Dr. Sutton zu Crowell, »daß der Vorfall
heute morgen von Galestrals inszeniert wurde mit der Absicht, das Mißtrauen, welches zwischen man chen Stern-Union-Bürgern im kritischen Bereich von Kulkoor herrscht, zu verstärken. Dr. Bates ließ uns wissen, daß der Mann, den Sie erschossen haben, Null-g-Schwimmer-Merkmale aufweist. Es besteht natürlich die Möglichkeit, daß die Galestrals einen Schwimmer-Typ entwickelt haben.« »Ja«, stimmte Crowell zu, »das ist in der Tat mög lich.« Dr. Suttons Blick ging zu den anderen. »Sie könnten sich auch Stern-Union-Ausrüstung verschafft haben, um bei einem Mißlingen der Opera tion den Verdacht von sich abzulenken.« Crowell nickte. »Oder sie könnten selbst derartige Ausrüstung hergestellt haben. Warum nicht? Mr. Hansen, haben Sie diese Herren über den Schaden an den Überwachungsinstrumenten informiert?« »Nein«, sagte Hansen. »Ich hielt es für angebracht, damit bis zum Beginn dieses Gesprächs zu warten.« »Bitte tun Sie es jetzt.« Hansen erklärte der Gruppe: »Einigen von Ihnen ist schon bekannt, daß das hier auf der Basis instal lierte Radio-Vermessungssystem für eine Art ständi ger planetarischer Überwachung verwendet werden kann. Es würde dann unsystematisch arbeiten und unvollständige Ergebnisse liefern, dennoch aber jede
größere Verletzung der Suntrask-Übereinkunft an zeigen. Vor einigen Stunden – kurz vor dem Angriff auf Captain Witters Aircar – funktionierte das System nicht mehr. Wir haben inzwischen festgestellt, daß die Schäden durch miniaturisierte Sprengkörper ver ursacht wurden, die von außerhalb der Meßstation her ausgelöst wurden.« »Vielleicht sogar außerhalb der Basis?« sagte Dr. Sutton, der aufmerksam zuhörte. Hansen zuckte die Schultern. »Das ist möglich. Je denfalls war es Sabotage – und die Sprengkörper müssen von einem ausgebildeten Mitglied unseres Personals angebracht worden sein.« »Sie meinen also«, sagte einer der anderen Männer, »daß das Überwachungssystem außer Gefecht gesetzt wurde, damit die Einzelheiten des Angriffs auf Cap tain Witter nicht von der Meßstation aufgezeichnet werden konnten. Wäre das geschehen, wenn das Sy stem funktionstüchtig gewesen wäre?« »Nur durch einen ziemlich unwahrscheinlichen Zufall«, sagte Hansen. »Natürlich könnten die Sabo teure übersehen haben, daß ihr Risiko, Verdacht zu erregen, geringer gewesen wäre, wenn sie das System intakt gelassen hätten.« Dr. Sutton sagte: »All dies beweist doch höchstens, daß es zumindest einen Saboteur in der Basis gibt.
Und ich bin nicht sicher, ob es auch nur das beweist! Aber nehmen wir es einmal an. Dann bleibt die Frage, ob hinter der Sabotage die Schwimmer-Liga oder die Galestral-Gesellschaft steht. Menschen kann man kaufen, und ich bin sicher, daß niemand hier an nimmt, Stern-Union-Bürger könne man nicht zu Ver rätern machen.« »Das wäre allerdings eine sehr gedankenlose Vor stellung«, stimmte Crowell zu. »Trotzdem hätte man von einem Galestral-Agenten erwarten können, daß er dem Überwachungssystem einen dauerhafteren Schaden zufügt – Mr. Hansen erwartet, es in weniger als einer Woche wieder arbeitstüchtig zu machen.« Er stellte eines von zwei mit einem Gehäuse versehenen Instrumenten, die er mitgebracht hatte, auf einen Tisch und öffnete es. »Jedenfalls«, fuhr er fort, »wenn es hier so jemanden gibt, werden wir das binnen kur zem festgestellt haben.« Dr. Sutton betrachtete das Instrument. »Was haben Sie da?« »Einen Interrogator«, erwiderte Crowell. »Wurde ursprünglich für die Ragnor-Rangers entwickelt. Es war oft sehr schwierig, mit anderen Mitteln verläßli che Informationen von Mailliard-Gefangenen zu be kommen. Diese Apparate lieferten sie regelmäßig. Man kann nichts dagegen tun, weil die Dinger selbst gar nichts zu tun scheinen.«
»Sie wollen also das Basispersonal einer Befragung unterziehen?« »Natürlich.« Crowell lächelte der Gruppe zu. »Be ginnen werden wir mit den hier versammelten Hauptabteilungsleitern! Dann werden wir uns lang sam nach unten arbeiten. Es dauert nicht allzu lange. In weniger als drei Stunden werden wir jeden durch haben.« Die Männer waren wie erstarrt. Dann lachte Han sen. »Ein logisches Vorgehen! Beginnen Sie mit mir.« Crowell wandte sich zu Dr. Sutton. »Was ist hinter dieser Tür?« »Das Büro meiner Sekretärin.« »Befindet sie sich im Augenblick dort?« »Nein.« »Dann werde ich Sie draußen befragen, einen nach dem andern. Nun dürfen wir nicht die Möglichkeit übersehen, daß sich ein gekaufter Galestral-Spion oder ein Liga-Verschwörer unter Ihnen befindet. Sie haben bemerkt, daß Leutnant Tegeler und ich be waffnet sind. Während der ganzen Befragung werden wir unsere Waffen in Bereitschaft halten. Leutnant Tegeler wird in diesem Raum bleiben, um die ganze Gruppe zu beobachten, während ich Sie einzeln be frage.« Dr. Suttons Gesicht hatte sich gerötet. »Das dürfte wohl kaum nötig sein!«
Diesmal fand er bei den anderen keine Unterstüt zung. Fünfzehn Minuten später kam Crowell mit dem letzten von ihnen aus dem Nebenraum und ver kündete: »In Ordnung – jeder von Ihnen hat bewie sen, daß er frei von bösen Absichten ist! Wir können nun mit der Befragung in den einzelnen Abteilungen beginnen. Mit Ihrer Erlaubnis, Dr. Sutton, werde ich weiterhin Ihre Räumlichkeiten dafür benützen.« Dr. Sutton sagte: »Ich verstehe nicht, wie dieses Ge rät arbeitet. Es sagte einige Dutzend zusammenhang lose Wörter. Sonst passierte nichts. Trotzdem schei nen Sie davon überzeugt zu sein, daß ich mit der Sa che nicht in Zusammenhang stehe.« »Die Wahl dieser Wörter war nicht zufällig«, sagte Crowell, »und das Instrument interpretierte Ihre Re aktionen auf Sie. Es hat nur gezeigt, daß keiner von Ihnen an einer Verschwörung beteiligt ist, welche die Störung der legitimen Tätigkeit auf der Basis zum Ziele hat. Aber das ist alles, was wir im Augenblick wissen müssen.« Er öffnete das zweite der mitge brachten Gehäuse. »Hier ist noch etwas anderes. Oh ne Zweifel können die meisten von Ihnen sehen, was es ist.« »Ein Sender natürlich«, sagte Hansen. Er runzelte die Stirn. »Erkennen Sie den Typ?« fragte Crowell. »Ja.« Hansen nahm den Sender, drehte ihn herum
und stellte ihn dann wieder hin. »Ein äußerst starker Sender!« Er blickte zu Crowell. »Warum zeigen Sie uns den?« »Er ist stark genug«, sagte Crowell, »um einen Ruf durch das halbe Kulkoor-System zu schicken. Er ist so gut abgeschirmt, daß niemand außer dem Emp fänger der Botschaft seinen Gebrauch bemerken kann. Ich zeige ihn Ihnen, weil Leutnant Tegeler ihn unmittelbar, bevor wir hierher kamen, aus seinem Versteck in der Wohnung der Öffentlichen Bedienste ten geholt hat.« Ein verwirrtes Gemurmel erhob sich plötzlich. Ei ner der Männer fragte: »Was wollen Sie damit genau sagen, Captain Witter?« »Ziehen Sie Ihre eigenen Schlüsse. Bethenys Im munität deckt auch ihre persönlichen Helfer. Diese drei kann ich nicht befragen. Aber ich glaube kaum, daß das notwendig ist. Und, Dr. Sutton, wir stimmen wohl darin überein, daß sich die Öffentliche Bedien stete kaum als Galestral-Agent erweisen wird?« Dr. Sutton schüttelte den Kopf und räusperte sich. »Eine ziemlich üble Geschichte, wie mir allmählich scheint!« »Vielleicht«, sagte Crowell. »Drehen wir nun die einzelnen Abteilungen durch die Mühle. Für Sie alle ist es Ehrensache, niemandem den Zweck der Befra gungen zu nennen.« Er sah zu Ilken. »Sagen Sie Her
rick, er soll zwei Wächter in das Büro schicken. Ir gend jemand könnte doch ahnen, was wir hier trei ben, und einen Verzweiflungsschritt tun.«
5
In Dr. Suttons Büro gab es keine Probleme, und den noch kam es wirklich zu einem Akt der Verzweif lung. Herrick bekam einen Anruf von einem Lager hausangestellten wegen ungewöhnlicher Betriebsam keit auf seinem Gelände. Der Direktor der Vorratsstelle Willis war unter Mithilfe eines Weltraumbeob achters namens Merriman beobachtet worden, wie er ungeöffnete Kisten in den Abfallvernichter warf und Willis hatte das restliche Lagerhauspersonal wegge schickt. Mit zwei Sicherheitsbeamten begab sich Her rick eilends an Ort und Stelle. Als sie Willis und Mer riman antrafen, zogen sich die beiden sofort in den Abfallschuppen zurück. Als Herricks Truppe die Zu gangstür aufgebrochen hatte, standen die beiden vor dem laufenden Abfallvernichter. Merriman war bleich. Willis grinste. »Merriman hätte sich ergeben«, meinte Herrick, als er Crowell berichtete. »Aber er bekam keine Gele genheit mehr dazu. Willis stieß ihn in den Abfallver nichter, winkte uns dann zu und sprang selbst hin terher. Wir hatten keine Zeit, ihn aufzuhalten.« Es hatte zwei kurze Lichtblitze gegeben. Und die beiden Männer waren verschwunden. Es folgten viel fältige Spekulationen, wessen sich Willis wohl entle
digt haben könnte und warum er lieber einen Helfer und dann sich selbst getötet hatte, als ihn oder sich einer Befragung unterziehen zu lassen. Dr. Bates meinte, daß einige der Kisten biologische Wirkstoffe enthalten haben könnten. Nutzpflanzen und -tiere, die für Experimente zum Nachweis wirtschaftlicher Verwendbarkeit auf Kulkoor gebracht worden waren, waren beträchtlich geschädigt worden durch bakteri elle Toxine, die in den ursprünglich vorhandenen Le bensformen nicht auffindbar waren. Die Keime konn ten anderswo entwickelt und hier ausgestreut wor den sein, um Argumenten zugunsten der Errichtung eines umfassenden Systems von SchwimmerKuppeln auf Kulkoor zusätzliches Gewicht zu verlei hen. Im Laboratorium gezüchtete Krankheitserreger konnten vielleicht für den nächsten Schlag gegen das Personal vorgesehen sein. Willis' Position hätte es ihm ermöglicht, die Tatsache, daß solche Materialien auf die Basis gelangt wären, zu verheimlichen und Merriman konnte sie draußen ausgestreut haben, während er sich den Anschein gab, seiner Arbeit nachzugehen. Crowell schenkte den Theorien keine besondere Aufmerksamkeit. Nachdem die Untersuchung nun in Gang gebracht war, kam es darauf an, sie so schnell wie möglich zu Ende zu führen, diejenigen, die an der Verschwörung beteiligt waren, zu identifizieren
und sie auszuschalten. Einzelheiten und Beweise konnten warten. Gegen den späten Nachmittag hatte er die Überprüfung sowohl des Basispersonals als auch der von Außenstationen zu diesem Zweck her beigeflogenen Leute beendet. Acht Gefangene waren das Ergebnis – weniger, als er erwartet hatte. Noch mußte die Mannschaft des Wachschiffes untersucht werden. Verbindung zwischen dem Schiff und der Basis hatte es in der Zwischenzeit nicht gegeben. Ilken fragte: »Wäre es legal, Betheny und die bei den anderen zu dem Schiff hinaufzubringen und ein zufrieren?« »Unter diesen Umständen müßte es wohl legal sein«, sagte Crowell. »Ich könnte es eine besondere Form der Arretierung nennen. Aber ich werde sie hier unten behalten. Wenn sie weitere Schritte tun will, ist es mir lieber, wenn sie sie so bald wie mög lich tut. Das Schiff könnte unser Lebensretter werden. Mit Betheny dort oben, selbst wenn sie eingefroren wäre, wäre mir nicht sehr wohl.« »Glauben Sie, jemand würde auf den Gedanken kommen, sie aufwachen zu lassen?« Crowell zuckte die Achseln. »Sie haben die Wirkung gesehen, die sie in den wenigen Tagen ihrer Anwesen heit auf unsere Basisverwaltung ausgeübt hat. Sie ist hier, weil sie ein Übermaß an universalis-Appeal be sitzt. Deswegen müssen wir sehr auf der Hut sein.«
Er bestimmte Hansen zum Cencom-Vertreter wäh rend seiner Abwesenheit, nahm Verbindung mit Cap tain Bymer auf und bat ihn, das Landeschiff herun terzuschicken, damit Beweismittel für den Angriff durch die Raumfähren zur Aufbewahrung an Bord genommen werden konnten. Er erwähnte nicht, daß er und Ilken ebenfalls mit dem Landeschiff kommen würden. Der Körper des Fährschiffpiloten wurde zu dem Wachschiff gebracht und dort in ein Abteil des Ge friergerätes gelegt. Als er mit Captain Bymer und Il ken die Sektion verließ, sagte Crowell: »Captain, es besteht die Möglichkeit, daß einige Mitglieder Ihrer Mannschaft im Sinne haben, sich des Schiffes zu be mächtigen. Wir haben die Mittel zu ihrer Identifizie rung mitgebracht. Wie sollen wir Ihrer Meinung nach vorgehen, ohne daß sie Verdacht schöpfen?« Bymer musterte ihn einen Augenblick lang und sagte dann: »Gehen wir in den Instrumentenraum.« Sie gingen dorthin, und Bymer entließ die beiden dort diensthabenden Männer. Nachdem sie gegangen waren, sagte er kalt: »Der Instrumentenraum kontrol liert das Schiff, ich habe ihn nun hermetisch abge schlossen und abgeschirmt. Erklären Sie mir bitte in allen Einzelheiten Ihren Verdacht.« »Seit unserer letzten Unterhaltung«, sagte Crowell,
»haben wir Hinweise auf eine SchwimmerVerschwörung innerhalb der Basis entdeckt. Die An gelegenheit darf nicht unterschätzt werden – die Öf fentliche Bedienstete ist in sie verwickelt. Wir haben die Verschwörer erwischt; beim übrigen Basisperso nal ist erwiesen, daß es nicht beteiligt ist. Sie werden verstehen, daß wir hier zuerst Sie überprüfen müs sen.« Captain Bymers Gesicht wurde langsam rot. Er sagte: »Dagegen habe ich keine Einwände.« Ilken nahm den Interrogator aus seinem Gehäuse und stellte ihn auf einen Tisch. »Danke, Captain«, sagte Crowell. »Sie gehören nicht zu den Schwimmer-Verschwörern, aber Sie ha ben zweifellos Leute an Bord, die dazugehören. Ihre Radargeräte arbeiteten doch, als mein Aircar von den Fähren angegriffen wurde, oder?« »Sie sind ständig und automatisch in Betrieb, wenn wir auf Posten sind«, bestätigte Bymer. Er zögerte. »Sind Sie der Meinung, daß das Schiff, welches die Fähren losschickte, mit elektronischen Aufzeichnun gen nachzuweisen sein müßte?« »Ja.« Crowell erläuterte die Einzelheiten, die darauf schließen ließen, daß das Schiff sich etwas oberhalb des Hinterhalts befunden haben mußte. Bymer nickte grimmig. »Nach Ihrem Anruf überprüfte ich die Bän der, welche die Aufzeichnungen jenes Zeitraums ent
hielten«, sagte er. »Es war nichts Derartiges darauf. Aber Bänder kann man austauschen. Die Überwa chung zur fraglichen Zeit oblag Leutnant Jones. Er war allein im Instrumentenraum.« »Wer hat ihn für diesen Dienst eingeteilt?« »Der Erste Offizier Henderson.« Bymer fügte hin zu: »Henderson dient seit vier Jahren unter mir.« »Nun«, sagte Crowell, »wir beginnen am besten mit diesen beiden.« Leutnant Alfred Jones war ein pausbäckiger junger Mann, dessen Miene respektvolle Verwirrung aus drückte, während er der zusammenhanglosen Folge von Worten lauschte, die aus dem kleinen Apparat kamen. Es zeigte sich, daß der Leutnant auf acht die ser Wörter heftig reagierte. Ohne aufzusehen, be merkte Crowell: »Das genügt!« Leutnant Jones schloß die Augen und sank auf dem Tisch zwischen ihnen zusammen. Zwei Meter hinter Jones stehend, steckte Captain Bymer ein kleines In strument in seine Tasche. Zusammen mit Crowell trug er den bewußtlosen jungen Mann in einen Ne benraum und legte ihn dort auf den Boden. Zum Instrumentenraum bestellt, schlenderte der Erste Offizier Henderson lächelnd herein, einen Re volver auf Bymer und Crowell gerichtet. Dann ließ er mit einem plötzlichen Schmerzenslaut die Waffe fal len, blickte fahlen Gesichts auf das Mailliard-Messer,
das sein Handgelenk durchbohrt hatte und fiel in Ohnmacht. »Unter diesen Umständen«, bemerkte Crowell, als Ilken durch die Tür des Nebenraums hereinkam, »müssen wir wohl als nächsten den Schiffsarzt über prüfen ...« Es gab keine weiteren Schwierigkeiten. Der Zweite Ingenieur und zwei weitere Mitglieder von Captain Bymers Mannschaft reagierten positiv auf den Schwimmer-Test. Sie, der Erste Offizier und Leutnant Jones kamen in den Personal-Gefrierraum. Das glei che geschah mit den acht Gefangenen, die Crowell mit von der Basis heraufgebracht hatte. »Es spricht viel dafür«, sagte er zu Bymer, »daß sich eine Schwimmer-Gruppe irgendwo auf Kulkoor versteckt hält und Anweisungen von Betheny erwar tet. Ohne ihre Mitwirkung ist es unwahrscheinlich, daß wir sie lokalisieren können, bevor sie sich selbst bemerkbar machen. Doch wenn wir das SchwimmerSchiff außer Gefecht setzen können, werden die Mög lichkeiten der auf dem Planeten befindlichen Gruppe stark eingeschränkt. Wie groß ist Ihrer Meinung nach unsere Chance, das Schiff zu finden?« Captain Bymer sagte: »Sie nehmen also an, daß es im Kulkoor-System verblieben ist? Die Computer techniker hatten die gelöschten Passagen der elektro nischen Radaraufzeichnung rekonstruiert. Der An
greifer war volle fünfundzwanzig Minuten lang er faßt worden, bevor er hinter dem Horizont des Plane ten verschwand, und wurde als das Schiff identifi ziert, das Betheny und ihr Gefolge vier Tage vorher auf Kulkoor gebracht hatte.« »Eindeutig«, sagte Crowell. »Meine und Leutnant Tegelers Ermordung sollte nur ein Schritt in dem großangelegten Plan sein, der Schwimmer-Liga die Kontrolle über das Kulkoor-Projekt zu verschaffen. Wie dieser Plan auch ausgesehen haben mag, das Schiff spielt eine Rolle dabei. Bis jetzt können sie nicht wissen, daß wir Gegenmaßnahmen ergriffen und Be theny isoliert haben; deshalb werden sie sich irgend wo an der Grenze der Funkreichweite befinden und auf Anweisungen warten. Aber es ist immer noch ein Riesenraum, in dem wir da auf gut Glück herumsu chen müssen.« Captain Bymer blickte nachdenklich drein. »Vielleicht müssen wir es gar nicht auf gut Glück versuchen ...« Er erläuterte seine Gedanken. Wahrscheinlich trieb das Schwimmer-Schiff nicht einfach im freien Raum herum, während es wartete. Kulkoors System galt als »verseucht« – zwischen dem Planeten und jenseits davon umkreisten gewaltige Trümmermassen die Sonne. Am Rand einer solchen Meteoriten-Wolke mußte man nach dem Angreifer suchen; und eine
Anzahl dieser Wolken befand sich zu diesem Zeit punkt nicht weit von Kulkoor entfernt. Sie konnten sich des Schiffscomputers bedienen, um die Stellen herauszufinden, die für die Suche am meisten Erfolg versprachen. Crowell nahm Verbindung mit Guy Hansen auf der Basis auf. »Wir haben eine größere Chance, an sie heranzukommen, wenn wir Funkstille halten«, sagte er. »Es kann einige Tage dauern. Sie brauchen nicht zu sagen, warum Funkstille herrscht. Rufen Sie uns nur bei einem wirklich ernsten Notfall. Wir werden dann antworten und kurz darauf zur Verfügung ste hen.«
6
Grant Gage schaltete den Recorder ab, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und drückte den Knopf der Schiffssprechanlage. »Jill?« »Ich bin hier«, verkündete Jills Stimme aus dem daneben gelegenen Kommunikator-Raum. »Oh! Ich hörte Sie nicht kommen. Wie lange ist es her, daß Farquhar zum letzten Male Kontakt mit uns aufgenommen hat?« »Acht Planetentage. Überprüfen Sie es an Hand des Galestral-Kalenders.« Grants Blick ging zu den Kalendern auf der Konso le. »Bekommen Sie Antwort?« »Immer das gleiche. Sein Fahrzeug nimmt den Ruf auf. Farquhar ist entweder nicht zu Hause oder will nicht sprechen. Ich sagte, daß eine der ZuronKameras verschwunden sei, und bat ihn, zurückzuru fen, wenn er an Einzelheiten Interesse habe.« Sie war zur Tür gekommen, während sie sprach. Grant be trachtete sie für einen Moment. Beobachtungstechni kerin zweiter Klasse. Mehrstufentraining. Im Alter von zweiundzwanzig Jahren seit vier Jahren Veteran des Galestral-Raumforschungscorps. Drei vollständi ge Außenwelt-Touren. Jill Hastings. Eine von Gale
strals wertvollsten Kräften; als Aktionärin an den Un ternehmungen beteiligt. »Ich habe die Standard-Berichte fertig«, sagte er. Er drückte auf den Schalter der Sprechanlage. »Ned?« Aus der Anlage krächzte es: »Bin fast so weit.« »Haben wir einen Bericht für die Nachrichtenrake te?« »Bin gerade dabei. Dauert noch drei, vier Minu ten.« Sprechanlage aus. Grant sagte zu Jill: »Wie wär's mit Frühstück für drei?« »Fahren wir wieder hinaus?« »Mhm. Ich möchte einen Ausflug zum Lager der Geistermine machen. Wenn wir Glück haben, gibt es weder Nebel noch Regen auf den Hügeln, und wir werden einen von diesen großen Vögeln finden und einfangen.« Jill verzog ihr Gesicht zu einem Ausdruck affektier ter Strenge und rezitierte mit Schulmädchenstimme: »Die Anweisungen der Gesellschaft besagen deutlich, daß wir uns im gegenwärtigen Augenblick mit dem, ich zitiere, Kulkoor-Problem, Zitat Ende, nur in dem Maße zu beschäftigen haben, wie es den Anordnun gen des Biota-Analytikers erster Klasse Frank Farqu har entspricht! Ohne diese ...« »Dessen bin ich mir bewußt. Und der BiotaAnalytiker mag gute Gründe für seine Spiele haben,
aber ich werde ihrer allmählich überdrüssig. In den Anweisungen der Gesellschaft heißt es nicht, daß wir nicht jagen gehen dürfen. Also schaffen Sie freund lichst was zu essen herbei! Sie und Ned können un terwegs noch Schlaf nachholen.« Jill machte sich in der Messe zu schaffen. Gleich darauf hörte sie Ned Brock auf seinem Weg zur Nachrichtenzentrale vorbeikommen. Ihre Gedanken aber waren bei Frank Farquhar. Fast alles, was sie über ihn wußten, hatten sie seit seiner Ankunft auf Kulkoor erfahren, hauptsächlich, daß er ein Einzel gänger war. Bei der besonderen Art seiner Arbeit mochte er das einen Vorteil finden, doch trieb er es zu ärgerlichen Extremen. Er war mit seiner eigenen Aus rüstung gelandet – einem kleinen Aircar, einem Luft transporter mit Laboratorium und einem Vorrat an »Drohnen«, ferngelenkten, der Nachrichtenübermitt lung dienenden Flugkörpern. Seine Berichte gingen getrennt von den anderen nach Galestral. Es mochte zwei Tage dauern, bis sie wieder von ihm hören würden; wahrscheinlich würde es aber nur eine auf Band gesprochene Mitteilung sein. Es war vorgese hen, daß er alle zehn Planetentage Kontakt mit sei nem Hilfsteam aufnehmen sollte, nur um es wissen zu lassen, daß er noch da war. Bis jetzt hatte er das getan. Wenn zwei Wochen ohne ein Wort von ihm vergingen und sie nicht Verbindung mit ihm auf
nehmen konnten, würden sie unterstellen, daß er Schwierigkeiten gehabt hatte und tot oder außer Ge fecht sei. Sie würden Galestral davon unterrichten und dann zusehen, was sie selbst zur Bewältigung des Kulkoor-Problems tun konnten. Wenn auch sie scheiterten, würde die Galestral-Gesellschaft bei der Auswahl der Leute, welche ihre neue Frontlinie auf Kulkoor bilden sollten, diese Erfahrungen berück sichtigen. In der Zwischenzeit nahmen sie Routinekontrollen vor, justierten Überwachungsinstrumente und po stierten sie neu, standen in Bereitschaft, um Farqu hars gelegentliche Aufträge durchzuführen, und hiel ten die Sicherheitsvorkehrungen aufrecht, die für »anomale Bedingungen« vorgesehen waren. Dies be deutete, daß ihr Schiff, mit einem Magnetstrahl auf der Oberfläche Kulkoors verankert, zweihundert Me ter hoch in der Luft stand. Sie verließen ihr Schiff mit Aircars und kehrten ebenso dorthin zurück, und ihre Suesvant-Gewehre begleiteten sie, wohin immer sie gingen. Bis zu diesem Morgen war das alles gewesen. In den frühen Stunden dieses Tages entdeckten Ned und Jill bei der Rückkunft von einer Kontrolle der Überwachungsinstrumente, daß eine von den ZuronKameras in der Nähe des schwebenden Raumschiffs
verschwunden war. Die Zurons, auf sieben Meter ho hen Masten montiert, schwenkten in Richtung auf al les, was sich innerhalb eines Umkreises von zwei hundert Metern bewegte und größer als fünfzehn Zentimeter war, stellten automatisch die Entfernung ein und nahmen es auf. Zahlreiche Arten der Kul koor-Fauna waren auf diese Weise katalogisiert wor den; doch weniger als ein Dutzend davon erwiesen sich als interessant für Farquhar, für den man diese Kameras betrieb. Während der vergangenen Wochen hatte das Beobachtungsteam ein Specimen jeder die ser Arten für ihn eingefangen; er würde sie überneh men, sobald er dazukam. Warum er daran interessiert war, hatte er nicht gesagt. Und was diese verschiede nen Tiere gemeinsam hatten, blieb dem Team ein Rätsel. Die verschwundene Kamera brachte etwas Neues ins Spiel. Der Trägermast war nahe dem oberen Ende abgerissen worden, und das kurze Bruchstück war mit der Kamera verschwunden. Die Zurons waren durch Energiefelder geschützt, die große Tiere davon abhielten, gegen die schlanken Masten zu rennen, und kleinere daran hinderten, an ihnen emporzuklet tern. Bis jetzt hatte dieser Schutz gewirkt. Ned Brock überprüfte mit einem Suchgerät die Umgebung und fand kein Anzeichen dafür, daß sich irgend etwas während der Nacht dem Mast genähert hätte.
Es konnte aber auch etwas zu ihm hingeflogen sein – etwas, was stark genug war, um den Metallmast zu zerbrechen – etwas, was die Zuron dann nicht einfach auf den Boden hatte fallen lassen, sondern sie weg trug. Sie hatten nur eine Lebensform auf Kulkoor gefun den, die zu beidem fähig war; und das war der große, geflügelte Waldjäger, der – vielleicht – dafür verant wortlich zu machen sein konnte, daß es eine auf un geklärte Weise verlassene Mine auf Kulkoor gab. Bis jetzt war er in der Ebene nicht beobachtet worden, doch gab es nichts, was ihn von ihr hätte fernhalten können. »Nehmen wir einmal an, daß es so war«, sagte Grant. »Die Frage ist: Warum hat er das getan?« Das war in der Tat die Frage. Es konnte ein Unfall gewesen sein. Ein einfältiger Raubvogel, der in den Bereich der Zurons geraten war und die Bewegung der Kamera, als sie sich auf ihn richtete, beobachtet hatte, konnte vielleicht instinktiv angreifen, die Zu ron herunterreißen und wegtragen, einfach weil er nicht erkannt hatte, daß seine Beute nicht verspeisbar war. Ned Brock sagte: »Anders kann es fast nicht gewe sen sein. Trotzdem glaube ich immer noch ...« »Ned, das glauben wir alle«, sagte Jill. Auf Galestral wäre etwas Derartiges nicht als Un
fall betrachtet worden. Zu viele der ursprünglichen Lebensformen, die aus den von Menschen für sich beanspruchten Teilen des Planeten vertrieben worden waren, waren intelligent genug zu verstehen, daß die Instrumente des Menschen seine Verbündeten waren. Solch eine Kreatur konnte sich nachts heimlich genä hert haben, um das schwebende Schiff näher zu in spizieren und, als es die Zuron bemerkte, die Kamera abgerissen und weggeschleppt haben, um zu verhin dern, daß das Gerät ihre Gegenwart meldete, selbst wenn sie nicht wissen konnte, wie diese Meldung vonstatten gehen würde. Bis jetzt lag der einzige Hinweis darauf, daß irgend welches bereits auf Kulkoor vorhandene Leben dieses Intelligenzniveau erreicht haben konnte, darin, was sich vor Monaten in der Mine am Berghang ereignet hatte. Jill konnte verstehen, warum Grant ein Exemplar des großen pfeilschnellen Flugtieres untersuchen woll te, das sie in den nahen Wäldern gesehen hatten. Ein eigener Bericht über den Verlust der Zuron und seine Umstände wurde der Ladung der Meldedrohne beigegeben. Ned hatte den Kraftaufwand errechnet, der nötig war, um den Kameramast abzubrechen; die Zahl würde auf Galestral Staunen hervorrufen. Das Team behielt seine Spekulation für sich. Im Augen blick war Spekulation in diesem Gebiet Farquhars Sa che.
Sie starteten die Drohne, aßen ihr Frühstück und machten sich auf den Weg. Ned hatte Grant beim Wort genommen und sich hin ten im Aircar ausgestreckt, um den durch die Frühpa trouille versäumten Schlaf nachzuholen. Jill war nicht müde und saß auf dem Platz hinter Grant, die Sues vant auf den Knien. Ihre Gedanken wanderten; ein wenig war sie mißgestimmt. Galestral, die Galestral-Gesellschaft, und die SternUnion ... Die einzig maßgebenden Mächte in diesem Teil der Milchstraße. Vielleicht waren es im Endeffekt gleichstarke Mächte, obwohl Galestral eine stabile Bevölkerung von zweiunddreißig Millionen aufwies, während sich die Zahl der Bürger der Stern-Union auf über eine halbe Milliarde belief – eine halbe Milli arde freilich, die weit in Raum-Städten und bewegli chen Asteroid-Basen verstreut war und darüber hin aus auch noch durch politische Differenzen und die Fraktionenbildung der Geher und Schwimmer auf gespalten waren. Nun, da die Galestral-Gesellschaft begonnen hatte, sich wieder in den Weltraum vorzu wagen, hatte die Gefahr einer ernsten Interessenkolli sion mit der Stern-Union bestanden. Das acht Jahre zuvor getroffene SantraskAbkommen zielte darauf ab, dieses Risiko so klein wie möglich zu halten. Es regelte die Nutznießung
unkolonisierter und von anderer Seite nicht bean spruchter Welten zum Vorteil jeder menschlichen Re gierung, die gewillt war, die Bedingungen des Ab kommens zu erfüllen. Die Entdeckung einer Reihe von Schwermetallvorkommen auf Kulkoor war die erste Belastungsprobe des Abkommens gewesen. Der Wert dieser Vorkommen war immens, und die Schätzungen gingen immer höher, je länger man sie untersuchte. Wäre dieser Wert nicht so beträchtlich gewesen, so hät te man die Nutzbarmachung Kulkoors nicht in Be tracht ziehen können. Kulkoor lag fast am Rande des erforschten Raumes, von den nächstgelegenen SternUnion-Basen ebenso weit wie von Galestral entfernt, und in noch größerer Distanz von den meisten der ver streuten Koloniewelten der kleineren SantraskMächte. Sogar Meldedrohnen brauchten Wochen, um den Planeten zu erreichen. Überführung und Unter halt der für großangelegte Bergbauoperationen nöti gen Ausrüstung würde ein Vorhaben sein, das die Mit tel der Galestral-Gesellschaft und der Stern-Union stark strapazieren würde. Die kleineren Unterzeich nermächte des Santrask-Abkommens konnten sich an ein solches Projekt gar nicht erst heranwagen. Die Stern-Union würde sie auf Kulkoor vertreten. Und nun war das Vorhaben aufgehalten worden, bevor es begonnen hatte. Kulkoor hatte den mensch lichen Eindringlingen ein Rätsel aufgegeben ...
Oberflächlich besehen schien das ganze nicht allzu bedeutsam zu sein. Grant und Jill hatten zu den er sten auf Kulkoor gesandten Beobachtungsteams ge hört. Als sie eines Morgens ein kartographisch nicht erfaßtes Gebiet untersuchten, hatten sie an einem be waldeten Berghang unter ihnen Bergbaumaschinen und eine Raumfähre entdeckt. Legitimierter Abbau war für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr noch nicht geplant. Sie benachrichtigten andere Teams und gingen hinunter, um ein genaueres Bild zu bekom men. Es ergab sich, daß in gewissem Maße Oberflächen abbau betrieben worden war. Die Fähre war zum Teil mit Erz beladen. Aber niemand war in Sicht; und die Maschinen waren offensichtlich in letzter Zeit nicht benützt worden. Erst nach ihrer Landung entdeckten sie das Lager, das sich unter nahe gelegenen Bäumen befand und nach oben durch ein Tarnfeld geschützt war. Im Lager herrschte Stille, es erschien verlassen, aber sie warteten, bis ein weiterer Aircar über ihnen kreiste, bevor sie sich mit schußbereiten Suesvants ihm näherten. Jill erinnerte sich gut des wachsenden Gefühls der Unbehaglichkeit, das sie damals empfand. Grauer Waldmoder, etwas trockene Vegetation und abge storbenes Geäst war von Windstößen hereingetragen worden und lag überall im Lager verstreut. Ein paar
kleine Tiere liefen vor ihnen davon. Sonst bewegte sich nichts. Das, was der Kontrollschuppen sein muß te, befand sich etwa fünfzig Meter von der Stelle ent fernt, wo sie das Lager betreten hatten. Vorsichtig schlichen sie hin. Der Schuppen hatte keine Fenster, und seine Tür war geschlossen. Während Jill ihm aus vier Metern Entfernung Feuerschutz gab, berührte Grant die Türklinke und drückte sie langsam hinab. Unversperrt. Die Suesvant in einer Hand, stieß er die Tür auf. Das Innere des Schuppens war hell erleuchtet, aber offensichtlich menschenleer. Sie traten nicht sofort ein. Von der Tür her spähten sie in den Raum. Das Büro des Lagerchefs. Eine Instrumententafel an einer Wand. Der glasige Schimmer eines Insektengitters hinter der Tür. Das normale Maß an Unordnung ... So wie es aussah, konnte derjenige, der hier gearbeitet hatte, vor zehn Minuten weggegangen sein. Jill fühlte ein Prickeln auf ihrer Haut; sie war nicht sicher, war um. Grant ging hinein und drehte den TarnfeldSchalter. Flecken bleichen Sonnenlichts erschienen plötzlich zwischen den Bäumen. Ein dritter Aircar war nun angekommen. Seine Mannschaft schloß sich Grant und Jill an, und sie gingen durch den restlichen Teil des Lagers. Niemand, lebend oder tot, befand sich in den Unterkünften, nichts deutete darauf hin,
daß der Ausbruch irgendeiner lokalen Seuche die Männer vertrieben hätte. Es gab auch keinen Hinweis auf Kampf oder ein planmäßiges Verlassen des La gers. Alles sah ganz gewöhnlich aus bis auf eine ge wisse Unordnung, die durch herumstreifende Tiere, Wind und Regen verursacht sein mochte. Die Ma schinen waren arbeitsbereit. Das persönliche Eigen tum der Leute lag in den Unterkünften; was man vor fand, erlaubte den Schluß, daß dreiundvierzig Män ner hier einquartiert gewesen waren. Heizung und Beleuchtung funktionierten, und die meisten der elektrischen Ungeziefergitter standen unter Span nung. Der Tarnfeld-Akkumulator war fast erschöpft. Was war aus den Männern geworden? Die Fähre war ihre einzige Verbindung mit dem Erdtransporter gewesen, der sie auf Kulkoor gebracht hatte, vermut lich aber im Abstand, der dem Planeten nächstgele genen Meteoritenwolken verblieben war, wo er fast sicher vor Entdeckung sein konnte. Und die Fähre stand hier, ebenso rätselhaft wie alles andere. Warum waren sie nicht mehr da? Wohin waren sie ver schwunden? Die Fragen blieben unbeantwortet. Bio-Suchgeräte zeigten an, daß mindestens einen Monat lang vor der Ankunft Grants und Jills keine menschlichen Wesen im Lager gewesen waren. Der Erztransporter hatte vermutlich seinen Warteplatz wieder verlassen, als
die Fähre nicht mehr vom Planeten zurückkam. Nichts fand sich, was einen Schluß auf seine Herkunft erlaubt hätte. Die Fähre und ein Großteil der Maschi nen waren Jahrzehnte alt und in der Stern-Union her gestellt worden. Sie konnten von fast überall herge schafft worden sein. Aus den Sachen der verschwun denen Mannschaft ergab sich ebenfalls kein Hinweis. Ein wilder Haufen, wahrscheinlich aus irgendeiner zurückgebliebenen Geher-Kolonie, der Wind von den Vorkommen auf Kulkoor bekommen hatte und es für der Mühe wert hielt, sich dort hinzustehlen und alles Greifbare aufzuladen, bevor der legale Abbau begann und der Planet in einer Weise überwacht wurde, die private Unternehmungen unmöglich machte. So sah es aus. Es konnte absichtlich so angelegt sein, um Verwir rung zu stiften. Es konnte alles mögliche andere sein und sich später als bedeutsam erweisen, oder auch nicht. Jedenfalls mußte alles unternommen werden, um zu klären, was vorgefallen war, bevor größere Operationen auf Kulkoor gestartet wurden. Darüber waren sich die Galestral-Gesellschaft und Cencom ei nig. Ihre Aufklärungsbemühungen freilich unter nahmen sie auf verschiedene Weise. Die Galestral-Gesellschaft ging vorschriftsmäßig vor und beachtete die strengen Regeln, die bei der Eroberung ihres eigenen Planeten aufgestellt worden
waren. Man ließ drei Beobachter und ein Forschungs schiff auf Kulkoor und evakuierte das restliche Per sonal. Grant Gage und Jill Hastings waren zwei der Beobachter. Sie wurden für die Aufgabe ausgewählt, weil sie von den zu diesem Zeitpunkt auf Kulkoor be findlichen Leuten die beste Qualifikation vorweisen konnten. Da sich bei beiden eine gewisse Neigung zum Nonkonformismus gezeigt hatte, wurde ihnen Ned Brock beigegeben, fast so qualifiziert wie sie und von Natur aus ein geselliger Mann, ein stabilisieren der Faktor im Team. Sie waren bestens ausgebildete Fachleute, sollten aber in dieser Angelegenheit kein unnötiges Risiko laufen. Für heiklere Dinge würde man einen Spezialisten schicken. Die GalestralGesellschaft war zurückhaltend bei der Verwendung von Menschenmaterial. Wenn das erhoffte Ergebnis den Preis wert war, riskierte man die eingesetzten Leute, setzte sie aber nicht aufs Spiel, wenn es ir gendwie vermeidbar war. Cencom, im Umgang mit anomalen planetaren Be dingungen weniger erfahren, plante ein Projekt, bei dem einhundertfünfzig Leute Kulkoor in einem Zeit raum von zehn Monaten einer umfassenden Analyse unterziehen sollten. Irgendwie sollte so das Problem, wenn es existierte, ans Licht gebracht werden. Der Gefahr würde man, wenn sie sich ergeben sollte, mit konventionellen Mitten begegnen; die Basis war so
wohl durch Defensiv- wie auch durch OffensivWaffen geschützt. Das Wachschiff, das in mit der Planetenumdrehung synchroner Kreisbewegung über der Basis stand, war dafür ausgerüstet, im Notfall al les Personal zu evakuieren. Das Projekt der Stern-Union ging nun in seinen dritten Monat. Zwei Kartographen mitsamt ihrem Aircar wurden vermißt. Es gab Anzeichen dafür, daß sie versucht hatten, in bergigem Gelände einen hefti gen Sturm zu durchfliegen. Weder von der Mann schaft noch von ihrem Fahrzeug hatte man die ge ringste Spur gefunden; dennoch schien niemand ge neigt, das Kulkoor-Problem als den Grund ihres Ver schwindens anzusehen. Mit gelegentlichen Unfällen dieser Art mußte man rechnen. Sonst hatte es keine Verluste gegeben. Jill seufzte. Auch die Stern-Union ging auf Kulkoor gemäß den Regeln vor. Und diese Regeln wurden langsam alt. Während der zweihundertdreiundsech zig Jahre seiner Existenz war Cencom, der durchtun nelte Planetoid und immer noch die gewaltigste be kannte Raumfestung, das strategische Zentrum der Stern-Union gewesen. Die Galestral-Gesellschaft war nicht viel jünger. Beide hatten nach und nach immer mehr die Herr schaft über diesen Bereich der Galaxis übernommen. Man war ein Bürger der Stern-Union – Geher oder
Schwimmer; in beiden Fällen vom Wesen her welt raumorientiert und im Weltraum zu Hause. Oder man war ein tätiger Teilhaber der GalestralGesellschaft. Galestral war eine ebenso großartige Welt, wie es die Erde jemals gewesen sein mochte, aber er war die einzige derartige hier existierende Welt. Ragnor war nie in der Lage gewesen, eine halbe Million Mailliards zu verkraften; und die Mailliards waren jahrzehntelang immer weiter zurückgefallen, bevor sie in Verwicklungen mit der Stern-Union ge rieten. Dutzende von Kolonien auf anderen Welten führten eine Randexistenz oder konnten sich nicht mehr halten und verschwanden. Kulkoor konnte, obwohl vier Fünftel seiner Landoberfläche aus kalter Wüste bestanden, dem Menschen eine bessere Hei mat bieten als die meisten von ihnen. Das also war der gegenwärtige Stand der Dinge. Menschen hatten die Erde verlassen und waren bis hierher gekommen. Planeten, die für Menschen un bewohnbar waren, blieben unerschöpfliche Quellen von Grundstoffen. Dann waren die Dinge zum Still stand gekommen; es wurde Zeit, zu organisieren und zu konsolidieren. Die Stern-Union wurde ins Leben gerufen; und alsbald trennte sich die GalestralGesellschaft von ihr ab, eroberte die fast uneinnehm bare Schreckenswelt Galestrals und hielt den Plane ten gegen alle menschlichen Ankömmlinge, bis nie
mand mehr den Versuch machte, seinen Fuß dorthin zu setzen. Die Konsolidierung ging weiter. Sie wurde zur Sta gnation, dachte Jill. Seit dreihundert Jahren hatte es in der Grundkonstruktion von Raumschiffen keine Wei terentwicklung mehr gegeben. Die Schiffe waren gut – aber auch nicht mehr. Sie hatten nicht die Reichwei te, um allein aus diesem sterilen Gebiet zu entkom men, weit genug, um die Stern-Union und die Gale stral-Gesellschaft zurückzulassen. Weit genug, um die Fesseln zu sprengen.
7
Es dauerte fast zwei Tage, bis sie das SchwimmerSchiff fanden. Wie Captain Bymer vorhergesagt hatte, stand es am Rand einer dichten Meteorwolke, als sie es fanden. Vielleicht hatte es seinerseits im gleichen Augenblick das Wachschiff entdeckt. Es stieß in die rasende Raumlawine und verschwand aus dem Be reich der Instrumente. Es tauchte nicht wieder auf. Bymer sagte: »Wenn er versucht, dort durchzu kommen, ist er verloren! Er wird es nicht versuchen.« »Wo ist er also?« sagte Crowell. »Irgendwo gelandet – auf irgendeinem dicken Brocken nahe der Stelle, wo er verschwunden ist. Er wird schließlich wieder herauskommen, aber wenn wir darauf warten, verlieren wir ihn vielleicht.« »Dann sollten wir nicht warten.« Captain Bymer begann Crowell zu gefallen. Das Schwimmer-Schiff war bald entdeckt. Es be fand sich auf dem Grunde einer tiefen Spalte in einem der größten Meteoritenhaufen. Als sie es mit Signalen ansprachen, kam es mit feuernden Kanonen aus der Spalte heraus. Das Ganze dauerte kaum zwanzig Se kunden. Dann taumelte das Schwimmer-Schiff nach einem Volltreffer stumm und blind durch den Raum. Captain Bymer stoppte das Feuer. Wie Perlen einer
Kette kamen Gestalten in Raumanzügen aus dem Wrack. Sie machten keinen Versuch zu entkommen; wohin sollten sie auch fliehen? Eine Stunde später befanden sich die Gefangenen im Personalgefrierer, und das Wachschiff war auf dem Weg zurück zu Kulkoor. Sie hatten nicht ver sucht, das Schwimmer-Schiff zu entern. Nachdem seine Antriebsaggregate ausgefallen waren, hatte der Meteoritenhaufen es verschlungen, bevor der letzte Überlebende seiner Mannschaft in das Wachschiff gebracht worden war. Crowell hatte vorgehabt, vor ihrer Rückkehr auf die Basis mehrere der gefangenen Schwimmer eingehend zu verhören. Doch als er Verbindung mit Guy Han sen aufnahm, um ihm mitzuteilen, daß die Kommu nikatorstille vorüber sei, sagte Hansen: »Ich glaube, es ist besser, wenn Sie so schnell wie möglich herun terkommen, Crowell.« »Warum?« fragte Crowell. »Zum einen werden Sie Gelegenheit haben, diesem geheimnisvollen Biota-Analytiker von Galestral zu begegnen. Farquhar verbringt die Nacht auf Station drei.« »In Ordnung!« sagte Crowell. »Wir werden so schnell dort sein, wie Captain Bymer uns hinbringen kann. Noch etwas?«
»Ja. Die zoologische Abteilung hat einen Mann ver loren. Alex Hays. Wir fanden heute seine Leiche – etwa zehn Kilometer nördlich von Station III. Er wurde von einem Tier getötet – offenbar von einer bisher noch nicht registrierten Art, der er auf der Spur war. Das ist es übrigens, was Farquhar auf den Plan gerufen hat.« »Wie hat Farquhar davon erfahren?« Hansen sagte trocken: »Es hat sich herausgestellt, daß er in ziemlich regelmäßigem KommunikatorKontakt mit Dr. Freemont von der Zoologie steht. Sie haben während des vergangenen Monats Informatio nen über die Kulkoor-Fauna ausgetauscht. Freemont sah bis jetzt keinen Anlaß, es zu erwähnen. Er rief Farquhar an, nachdem wir die Leiche gefunden hat ten, und Farquhar erschien etwa fünf Stunden später auf der Station.« »Er möchte wohl dieses Tier suchen?« fragte Cro well. »Das nehme ich an. Freemont hat er nichts über seine Absichten erzählt.« »Haben Sie eine Ahnung, um welche Art von Tier es sich handeln könnte?« »Um einen großen Zweibeiner mit dichtem Fell. In Hays' erstem Bericht war von einem humanoiden Riesen die Rede.« »Wann gab er diesen ersten Bericht?«
»Vor vier Planetentagen.« »Und Dr. Freemont und die Zoologieabteilung hielten auch das nicht für der Erwähnung wert?« »Es scheint«, sagte Hansen, »daß die Zoologieabtei lung Alex Hays' Geschichte nicht ernst nahm.« »Man hätte Alex einen Romantiker nennen können, Captain Witter«, sagte Dr. Freemont einige Stunden später zu seiner Rechtfertigung. »Um es ganz unum wunden auszudrücken: Er war ein junger Mann mit übergroßer Fantasie, und seine Arbeit wurde da durch ungünstig beeinflußt. Die Zoologie leidet unter Personalmangel, und mehr als einmal haben wir wertvolle Zeit versäumt, als wir sich weit von den Tatsachen entfernenden Berichten von ihm nachgin gen.« Crowell nickte. »Ich verstehe. Was hat er denn die ses Mal berichtet – und hat er Notizen hinterlassen?« »Wir fanden keine Aufzeichnungen. Aber er sprach viel über diese Sache. Heute habe ich das, was er an deren gesagt hat, mit dem verglichen, was ich von ihm erfuhr, und ich fand, daß seine Geschichten diesmal wirklich recht gut übereinstimmten.« »Sie neigen also dazu, sie jetzt zu glauben?« »Ich neige mehr dazu als früher. Immerhin ist es möglich, daß die Fauna des Planeten eine zweibeini ge Form entwickelt hat, oder jedenfalls ein großes
Tier, das gelegentlich auf seinen Hinterbeinen steht oder sogar geht. Wenn das so ist, muß es sich um eine ungemein seltene Art handeln, sonst hätten wir sie schon früher entdeckt. Hays war in einem Aircar und machte eine Routinezählung der Fauna, als er es sah. Er sagte, es habe wie einer der mythischen Menschen fresser auf der Erde gewirkt.« Dr. Freemonts Mund verzog sich vor Abscheu. »Ich nahm mir die Zeit, ihm Fragen zu stellen. Er wurde dann sachlicher und er klärte, es sei ein Zweifüßler mit langen, geraden Bei nen, aber stark entwickeltem, affenartigem Oberkör per. Die Arme seien lang und schwer gewesen. Of fenbar war es sehr groß für diese Art des Körperbaus – Hays schätzte es auf fast drei Meter, mit einem Ge wicht von über fünfhundert Pfund. Es hatte einen schwarzbraunen Pelz. Sein Kopf war relativ groß, mit spitzen Ohren oder ohrenartigen Anhängseln. Hays sah keine Waffen oder sonstige Artefakte – mit ande ren Worten, keine Anzeichen von höherer als tieri scher Intelligenz.« Dr. Freemont dachte einen Augenblick nach. »Ja, so könnte man die Beschreibung wohl zusammenfas sen.« »Sie scheint ziemlich präzise zu sein«, sagte Cro well. »Ja – präziser vielleicht, als man erwarten würde. Alex Hays hat offensichtlich etwas gesehen. Ich bin
nicht sicher, daß das, was er sah, seiner Beschreibung allzu genau entspricht.« »Wieso glauben Sie das?« Der Zoologe zuckte die Achseln. »Hays sagte, die Kreatur habe sich schnell bewegt. Er hatte sie am Rande eines Waldstückes kurz im Blickfeld und sah sie dann einige Sekunden später wieder, als sie eine Lichtung durchquerte. Er kreiste dann über eine Stunde weiter über dem Wald, bekam sie aber nicht mehr zu sehen. Mir scheint, daß ihm seine Fantasie vielleicht mehr eingab, als er in diesen kurzen Au genblicken tatsächlich erkennen konnte. Er versuchte, mich zu überreden, ich solle einen Suchtrupp aus schicken und das Tier einfangen lassen. Ich lehnte das ab. Allerdings rief ich Gerson an, der Station III leitet, um ihn zu befragen. Gerson arbeitete mit Hays zu sammen, und er lachte nur. Er versicherte mir, es ha be in diesem Gebiet niemals irgendeinen Hinweis auf solch eine Kreatur gegeben, und Station III hat natür lich die ganze Nachbarschaft ziemlich gründlich durchgekämmt. Hays bat darum, von seinem regulä ren Dienst entbunden zu werden, damit er das Tier auf eigene Faust verfolgen könne, aber ich lehnte ab.« »Dann hat er es also ohne Erlaubnis getan?« sagte Crowell. »Ja. Zum Teil, fürchte ich, weil seine Kollegen Wit ze über ›Hays' Menschenfresser‹ machten. Erst heute
morgen erfuhr ich, daß er gestern die Basis mit einem Aircar verlassen hatte. Auf dem Erlaubnisschein hatte er meine Unterschrift gefälscht. Als er nicht auf Kommunikator-Anrufe reagierte, unterrichtete ich Mr. Hansen, daß er überfällig sei und sich vielleicht in Gefahr befinde.« Crowell sah Hansen an. Hansen sagte: »Herrick und ich gingen in zwei Aircars auf die Suche nach ihm. Wir fanden sein Fahrzeug innerhalb einer hal ben Stunde. Es stand im freien Gelände – dort, wo er den Zweibeiner gesehen haben wollte. Was von ihm übrig geblieben war, lag neunzig Meter entfernt unter ein paar Büschen. Teile muß das Tier verschlungen haben. Sein Energie-Karabiner lag zehn Meter von der Leiche entfernt. Er war fast voll geladen, aber ent sichert, und eine etwa fünfzehn Sekunden lange Ent ladung war abgefeuert worden. Offenbar hatte er sein Ziel verfehlt.« »Offenbar?« sagte Crowell. Hansen sagte: »In diesem Gebiet hatte es in der Nacht schwere Regenstürme gegeben. So blieben kei ne Spuren, überhaupt nichts, was einen Hinweis ge ben konnte, welche Art von Kreatur Hays getötet hat te. Wir suchten die Umgebung in der Annahme ab, daß das Tier vielleicht schwer genug verletzt worden war, um sich irgendwo in der Nähe zu verstecken. Wir fanden nichts. Die Stelle ist am Rand eines dich
ten Waldes, der sich bis hinauf in die Berge erstreckt, und eine weitere Suche erschien sinnlos.« Dr. Freemont bemerkte: »Übrigens beweist der Zu stand von Hays' Leiche nicht, daß er von einem Fleischfresser getötet wurde. Es gibt in den nördli chen Wäldern jene Tierarten, die alle Arten von Aas schnell beseitigen.« »War Hays ein einigermaßen guter Schütze?« frag te Crowell. »Das würde ich schon sagen. Er liebte die Jagd und brachte während der ersten Wochen unserer Operation auf Kulkoor dem Departement eine ganze Anzahl von ihm erlegter Exemplare der verschiedenen Arten.« »Mir kam gerade in den Sinn«, sagte Crowell, »daß es gar nicht leicht ist, etwas so Großes, das auf einen zukommt, mit einem Energie-Karabiner zu verfehlen. Er muß es für den größten Teil dieser fünfzehn Se kunden im Visier gehabt haben.« »Sofern er nicht in Panik geraten ist«, sagte Han sen. »Ja, das ist möglich. Wie steht es mit Farquhar, Doktor? Gab er irgendeinen Kommentar zu dem, was passiert ist?« »Er sagte nur, er wolle die Kreatur, der Hays be gegnet war, genauer kennenlernen und bat mich, ei nen Aufenthalt auf Station III für ihn zu arrangieren.« »Sie wissen, daß er sich tatsächlich dorthin begab?«
»Ja, eine Stunde oder zwei nach Sonnenuntergang. Den genauen Zeitpunkt kann ich im Augenblick nicht nennen. Dan Gerson rief mich an, um mir mitzutei len, daß Farquhar angekommen sei.« Hansen sagte: »Soll ich jetzt die Station anrufen und Sie mit Farquhar verbinden?« Crowell schüttelte den Kopf und sah auf seine Uhr. »Er könnte Gründe dafür haben, die ihm eine Kon taktaufnahme mit mir nicht wünschenswert erschei nen lassen. Die Nacht ist ohnehin fast vorbei. Leut nant Tegeler und ich werden sofort zu der Station hi nausfliegen und Farquhar zu erwischen versuchen, bevor er aufwacht.« Die Morgendämmerung graute gerade, als Crowells reparierter Aircar auf Station III niederging. Die Sta tion war ein niedriges, ausgedehntes Gebilde, an und teilweise in einen Felshang gebaut, knapp hundert Meter unterhalb eines dunklen Waldstrichs auf dem Bergkamm. Ilken beobachtete das Bodenradar und sagte: »Dort unten sind zwei Aircars geparkt. Der ei ne gehört zur Station. Farquhar ist also noch da.« Crowell antwortete nichts. Der Bergkamm lag halb unter Nebelschleiern; er hatte die Aircars nicht er kennen können. Einen Augenblick später runzelte Il ken die Stirn. »Da ist ...« Ihre Stimme verklang. Dann sagte sie: »Halten Sie an, Crowell!«
Er stoppte den Landeanflug und sah schnell zu ihr hinüber. »Etwas nicht in Ordnung?« »Schwer auszumachen.« Sie regulierte die Feinein stellung des Schirmes und nickte dann plötzlich. »Se hen Sie!« Ihre Stimme war fast tonlos. Die beiden Fahrzeuge waren nur schemenhaft auf dem Schirm zu erkennen, doch Crowell konnte sie ausmachen. Irgendwie waren ihre Umrisse seltsam verzerrt. Er starrte auf den Schirm. »Man möchte meinen, sie seien von einem Bergrutsch erfaßt wor den!« »Sie sind zertrümmert worden«, stimmte Ilken zu. »Man hat ihnen übel mitgespielt!« Sie wechselten ei nen Blick, und dann sprang Ilken auf und begab sich auf ihren Platz hinter der Kanone. Crowell tippte eine Nummer auf dem Kommunikator. Einen Augenblick später sagte er: »Herrick? Wir befinden uns über Sta tion III. Versuchen Sie, sie über den BasisKommunikator zu erreichen. Wenn niemand antwor tet, kommen Sie schnell mit ein paar bewaffneten Aircars hierher!«
8
»Captain Witter«, sagte die Stimme des Kommunika tor-Operators, »die drei Leute von Galestral sind eben eingetroffen. Sie haben Dr. Bates gebeten, ihnen die Leichen zu zeigen, und sind jetzt bei ihm. Mr. Hansen wird mit ihnen nach Station III kommen.« »Danke«, sagte Crowell. »Ich werde warten.« Er schaltete seinen Armbandsender ab und sah den Abhang entlang auf Station III hinunter. Die einge schlagene Zugangstür war aus diesem Winkel sicht bar; und obwohl der Wind jetzt von ihm zur Station hinüber wehte, schien der Gestank des Todes immer noch spürbar zu sein. Ein Schatten trieb über den Fels, und er sah zu seinem Aircar hinauf, der sich zwanzig Meter über ihm langsam bewegte. Er war jetzt nur noch eine flache Plattform; die teilbare Dachkuppel war versenkt. Ilken saß hinter der Kano ne, und Bill Tabor, einer der Aircar-Piloten von der Basis, steuerte. Ihre Aufmerksamkeit galt dem Wald auf dem Bergkamm. Zwei weitere bewaffnete Aircars schwebten vierhundert Meter über ihnen am Himmel und überwachten die Gegend. Crowells Hand ging zu dem Pistolenhalfter an seiner Hüfte in einem nur halbbewußten Drang, sich des Vorhandenseins der Waffe zu vergewissern, obwohl sie allein ihm nicht
viel Schutz bieten konnte, wenn das, was Station III während der Nacht verwüstet hatte, wiederkommen sollte. Fünfzehn Minuten später setzte das GalestralFahrzeug etwas weiter oben auf dem Abhang auf. Hansen kletterte als erster heraus, gefolgt von den drei Mitgliedern des Forschungsteams. »Ich habe sie über die Sache mit Hays informiert«, sagte Hansen, als sie näher kamen. Crowell nickte, die Augen auf die Galestrals ge richtet. Sie trugen ihre Suesvant-Gewehre über der Schulter; Gurte kreuzten sich auf ihrer Brust. Sie hat ten bereits erfahren, daß Frank Farquhar verschwun den war, und hatten sich während des Angriffs of fenbar nicht auf der Station befunden. »Wir zeigen Ihnen, wie es drinnen aussieht«, sagte Crowell. »Dann können wir zusammen unsere Schlüsse zie hen.« Die drei machten sich an eine sachliche Untersu chung des verwüsteten Inneren von Station III; ihre Gesichter zeigten Nüchternheit, aber keine Gemüts bewegung. Crowell und Hansen, die die Station schon vorher eingehend untersucht hatten, sahen zu. Man hatte alles gelassen, wie es war, nur die Leichen der vier Techniker der Station waren abtransportiert worden. Flecken klebrig angetrockneten Blutes be fanden sich an mehreren Stellen auf dem Fußboden;
insektenartiges Getier kroch und flog um die Flecken herum. Der Geruch gewaltsamen Todes hing in der Luft. Offenbar war nur ein Killer hereingekommen. Zwei deutliche Fußabdrücke waren auf dem ver schmierten Boden des Hauptraumes zu sehen. Sie waren dem Abdruck eines nackten menschlichen Fu ßes nicht unähnlich, aber größer und im Verhältnis breiter. Beide stammten von demselben Fuß – einem Fuß, der vom Ende der Ferse bis zum vordersten der vier dicken Zehenabdrücke fast vierzig Zentimeter und an der Stelle der größten Breite fünfzehn Zenti meter maß. Solch ein Fuß war auch nötig, um die gi gantische Gestalt zu tragen, die einen großen Fels block von schätzungsweise dreihundert Pfund Ge wicht hochgehoben und dann gegen die Eingangstür der Station geschleudert hatte, um sie zu zerschmet tern. Der Block lag immer noch zwischen den Bruchstücken der Tür. Verschmierte Muster anderer, sehr viel kleinerer Fußabdrücke waren in der Nähe des Eingangs zu se hen, von wo sie durch die kurze Vorhalle in den Hauptraum führten. Sie schienen von aasfressenden Tieren zu stammen, die später in der Nacht nach dem Verschwinden des Killers in die Station gekommen waren. Möbel und Ausrüstung im Hauptraum waren herumgeworfen und zertrümmert worden. Zwei
schwere Schockgewehre hingen unberührt an der Wand beim Eingang. Ned Brock zog hinter einem umgestürzten Tisch einen gepackten Tornister hervor und stellte ihn auf einen Stuhl. »Er gehört Farquhar«, erklärte er. Einen Augenblick später fügte er hinzu, »er nahm also nur seine Suesvant und ging hinaus ...« Im benachbarten Instrumentenraum bot sich fast das gleiche Bild. Einer der beiden Stationschronome ter war zertrümmert worden. Crowell deutete darauf und sagte: »Er zeigt sechzehn Stunden acht Minuten Basiszeit. Was bedeutet, daß der Angriff etwa drei Stunden nach Einbruch der Dunkelheit stattfand. Man war hier noch an der Arbeit.« Mit einem Kopf nicken wies er auf eine Handwaffe auf dem Boden. »Sie ist als Dan Gerson gehörend identifiziert wor den. Gerson ist der Mann, der im Moment des An griffs in diesem Raum einen Bericht in das Aufnah megerät diktierte.« Grant Gage fragte: »Ist die Waffe abgefeuert wor den?« »Ja«, sagte Crowell. »Wir fanden sie mit einge klinktem Abzug und verbrauchter Ladung. Auch jetzt noch ist ein meßbarer Rest von Strahlung im Raum. Seine Leiche lag einige Meter entfernt von der Waffe.« »Die anderen wurden im Hauptraum getötet?«
»Zwei von ihnen. Ray Cross und Edwin Raines.« Crowell deutete zu einem zerschmetterten Türrah men auf der anderen Seite des Raumes. »Die vierte, Wilma Howard, starb im Schlafraum hinter dieser Tür.« Grant sagte: »Können wir die Aufnahme des An griffs hören?« Das Bandgerät, in das Gerson diktiert hatte, war bei dem Überfall nicht beschädigt worden und lief noch, als Crowell, Ilken und Herrick am Morgen in die Station kamen. Somit waren sie im Besitz einer akustischen Dokumentation des Angriffs und der folgenden Nachtstunden. Die entscheidende Passage war nicht lang. Die Stimme des Biologen Gerson wurde abrupt von dem explosivartigen Knallen der zerschmetternden Ein gangstür unterbrochen. Er rief etwas aus, doch seine Worte gingen in unartikuliertem Brüllen, menschli chen Schreien und pochenden Geräuschen unter. Das Brüllen schwoll an und verstummte plötzlich mit dem Rest des Lärms. Dann, nach einigen Sekunden, kam ein splitterndes Krachen, das von der Zerstö rung der Schlafraumtür herrührte. Das Knurren des Tieres wurde wieder lauter und hörte dann auf. Das letzte seiner Opfer war tot. Dann kamen noch unbe stimmbare Geräusche aus dem Lautsprecher – ein stoßweises tiefes Rumpeln, ein nasses Klatschen. Von
Zeit zu Zeit das Krachen eines zu Boden gestürzten Einrichtungsgegenstandes. Die Geräusche riefen den unangenehm lebendigen Eindruck eines Eindring lings hervor, der überall auf der Suche nach versteck ten Überlebenden herumstampfte und von Zeit zu Zeit innehielt, um eine der Leichen wieder an einen anderen Platz zu zerren. Schließlich wurde es still in der Station. »Es« war fort. Crowell schaltete das Bandgerät aus und sagte: »Alle vier starben innerhalb von weniger als zwanzig Minuten. Ich habe den Rest des Bandes abhören las sen. Nichts deutete darauf hin, daß die Kreatur noch einmal zurückkam. Sie zerschlug noch mit Felsen die beiden Aircars, wie Sie sahen, und ging dann offen bar weg.« Er fügte hinzu: »Falls Sie hier nichts mehr untersuchen wollen, können wir hinausgehen und überlegen, was dies bedeutet und was wir tun kön nen.« Alles ließ darauf schließen, daß der Angreifer ein Lebewesen der Art war, wie sie Alex Hays beschrie ben hatte. In der Tat konnte es sehr wohl dasjenige gewesen sein, über das er berichtet hatte, das ihn wahrscheinlich wenige Kilometer von dieser Stelle entfernt getötet hatte. Vielleicht hatte es Station III ei nige Zeit von einem Versteck aus beobachtet. Jeden falls wußte es genug, um die Eingangstür als An griffspunkt zu wählen.
Und bis zu einem gewissen Grade war es gegen Energiewaffen immun – mußte es sein. Crowell sagte: »Ich habe gehört, daß einige von Galestrals Supertie ren schwere Ladungen vertragen können, ohne Scha den zu leiden.« Die drei nickten. Grant sagte: »Es gibt Arten, die für Angriff oder Verteidigung Energiestöße aussen den können. Andere entwickelten die entsprechende Widerstandsfähigkeit. Auf Kulkoor ist allerdings nichts gefunden worden, das erklären könnte, wieso dieser Zweibeiner dazu in der Lage sein sollte.« »Nein«, sagte Crowell. »Natürlich könnten wir noch eine Erklärung finden, bevor wir hier fertig sind. Jedenfalls scheint der Zweibeiner diese Immuni tät zu besitzen. Wenn man von den Galestral-Tieren ausgeht, könnte dann eine solche Kreatur der Kanone eines Aircars widerstehen?« Grant schüttelte den Kopf. »Keinesfalls sehr lange – wenn Sie es vor die Kanone kriegen könnten.« »Ja, das mag ein Problem sein«, gestand Crowell zu. Ned Brock sagte: »Mich wundert nur, daß sich ein Sperrfeld von Standardstärke in der Eingangshalle der Station befindet. Der Felsblock könnte die Tür nicht zertrümmert haben, wenn das Feld eingeschal tet gewesen wäre. Warum aber sollte es ausgeschaltet gewesen sein – besonders nachdem zwei Tage vorher jemand in der Nähe umgebracht worden war?«
Und das war in der Tat ein ziemlich delikater Punkt. Crowell sagte: »Wir haben keine Erklärung. Die Außenstationen haben Anweisung, die Schutz felder stets eingeschaltet zu lassen, außer wenn Per sonal das Gelände betritt oder verläßt. Diese Vor schrift scheint heute nacht hier nicht beachtet worden zu sein.« Grant sagte nach einer kurzen Pause: »Das Feld kann auch von außerhalb der Station abgeschaltet werden?« »Ja«, sagte Crowell. »Das ist eine notwendige Vor kehrung. Man braucht aber einen speziellen Code schlüssel dazu.« Hansen bemerkte: »Das ist nur einer von mehreren ungeklärten Punkten. Was halten Sie von Farquhars Interesse an dem Zweibeiner und von der Tatsache, daß er nicht in der Station war, als das Ding auf kreuzte?« »Ich könnte es mir schon vorstellen«, sagte Grant. »Vielleicht wußte er bereits, daß eine derartige Le bensform existiert. Seine sofortige Reaktion auf die Nachricht, die er von Ihrer Basis bekam, läßt das vermuten. Vielleicht hat er dieser Lebensform irgend eine besondere Bedeutung beigemessen.« Hansen sagte trocken: »Das heißt, er betrachtete sie als den möglichen Schlüssel zu dem Geheimnis von Kulkoor?«
»Oder zu dem Kulkoor-Problem, wie die GalestralGesellschaft es nennt. Ja, vielleicht. Wegen eines ne bensächlichen Grundes hätte Farquhar nicht um die Erlaubnis gebeten, Station III zu seinem zeitweiligen Quartier machen zu dürfen. Ich gehe noch weiter. Die Überwachungsgeräte der Station sind ausgeschaltet. Doch Farquhar kann sie benützt haben, bevor er fort ging. Vielleicht sah er den Zweibeiner herumstreifen und ging ihm nach, ohne den anderen zu sagen, was er gesehen hatte oder was er tun wollte. Es stünde in Einklang mit seiner bevorzugten Verfahrensweise – ganz auf sich allein gestellt zu arbeiten.« Grant fügte hinzu: »Wir können annehmen, daß der Zweibeiner ihm auflauerte und ihn tötete, bevor er die Station angriff.«
9
Wieder war während der Nacht starker Regen gefal len, und bis Tagesanbruch waren alle sichtbaren Spu ren um Station III herum unkenntlich geworden. Die Galestrals hatten jedoch ein Gerät mitgebracht, das ihnen ermöglichen sollte, sowohl Farquhars als auch des Zweibeiners Spuren zu verfolgen. Jill Hastings erklärte es kurz Crowell, während Ned Brock im Hauptraum die Kenndaten der Zweibeinerspuren in das Gerät eingab. »Er unterdrückt alles bis auf die stärksten nachweisbaren Charakteristika und schaltet sämtliche Perimeter aus, die mit menschlichen Wesen und lebloser Materie zusammenhängen«, sagte sie. »Der Geruch des Zweibeiners dürfte der eindeutigste davon sein. Einmal registriert, kann er überall, wo er vorhanden ist, wieder nachgewiesen werden. Ebenso ist es dann mit Zweibeinerspuren überhaupt. Farqu hars persönliche Perimeter sind schon in dem Gerät gespeichert.« Inzwischen war Guy Hansen zur Stern-Union-Basis zurückgeflogen, um dort während Crowells weiterer Abwesenheit nach dem Rechten zu sehen. Bei den Galestrals war ein kurzes, kaum wahrnehmbares Zö gern zu bemerken, als Crowell sagte, er würde sie zu Fuß bei ihrer Suche nach Farquhar begleiten. Doch
widersprachen sie nicht. Er hatte beschlossen, eine der Schockwaffen mitzunehmen, die zum Verteidi gungsarsenal von Station III gehörten. Selbst für ei nen Mann von seiner Körperkraft waren dies unan genehm schwere Waffen; trotzdem hatten sie weder die Dauerladung von Energiekanonen noch größere Reichweite. Auf geringe Entfernung allerdings wür den sie so ziemlich alles, was auf Beinen ging, zu mindest zeitweise außer Gefecht setzen. Ned Brocks Biotracker nahm Farquhars Spur un mittelbar vom Stationseingang an auf. Sie führte die Anhöhe hinauf. Ilken und der Basis-Operator würden versuchen, den Bodentrupp in Crowells Aircar zu begleiten, wobei er so niedrig als möglich über den Bäumen bleiben sollte. Fast tausend Meter höher soll te die Mannschaft eines zweiten bewaffneten Fahr zeugs den weiteren Umkreis nach allem absuchen, was irgendwie von Bedeutung sein konnte, während es die Aufgabe des Operators in dem Galestral-Aircar war, das Gefährt für Eventualfälle bereitzuhalten. Die unsichtbare Spur führte zu dem Wald und mündete dort in einen schmalen Wildwechsel. Unter den Bäumen war es luftiger, als Crowell erwartet hat te. Die dichten Wipfel gingen häufig ineinander über, doch um die Stämme herum war wenig Unterholz. Man hörte die Laute kleinerer Tiere, plötzliches Ra scheln, Flügelflattern. Die Galestrals bewegten sich
leise, fast wie Suchhunde, dachte Crowell – allen vor an Ned Brock mit dem Biotracker, Crowell etwa acht Meter hinter ihm, die anderen beiden zu seiner Rech ten und Linken. Nach einigen Minuten erkannte Crowell, daß dies eine bewußt gewählte Formation war, die – so sehr sie sich auch den Gegebenheiten des Geländes anpassen mußte – sicherstellen sollte, daß Ned Brock zu jeder Zeit durch die Suesvant eines seiner Kameraden gedeckt war, während ihn selbst beide schützten. Er fühlte eine momentane Verärge rung darüber in sich hochsteigen, bemühte sich aber, nicht daran zu denken. Er wußte, daß die Leute vom Galestral-Weltraumforschungscorps eine langwierige Ausbildung unter den gefürchteten Bewohnern der Wildnisse ihres Planeten erhielten. Seine Gefährten hatten einigen Grund, ihn in dieser Angelegenheit als Amateur zu betrachten. Ned Brock hielt plötzlich an und steckte das Spu rengerät in eine seiner Taschen. Crowell, der fast ebenso plötzlich stehenblieb, hob die Schockwaffe. Grant und das Mädchen verharrten unbeweglich. Ein ausgedehntes Dickicht lag vor ihnen und zu ihrer Linken, etwa fünfzehn Meter entfernt, ein graugrü nes, regenfeuchtes Gestrüpp. Crowell blickte hinüber und fragte sich, was sie gesehen hatten. Ned hatte seine Suesvant im Anschlag; Jill scherte nach links aus und näherte sich vorsichtig dem Dickicht. Sie
blieb stehen; Ned war noch in Bewegung und ging von rechts an das Gestrüpp heran, während Grant von hinten auf Crowell zukam. Einen Augenblick lang fühlte Crowell den Drang, sich wie die anderen anzuschleichen, und unterdrückte ihn wieder; sie bewegten sich absolut lautlos, wie es ihm hier nicht möglich gewesen wäre – wenn er sich falsch verhielt, konnte er ihr Vorhaben zunichte machen. Und wenn wirklich etwas aus dem Dickicht kam, konnte er von seiner jetzigen Position aus helfend eingreifen. Er spürte feuchte Kühle im Genick. Der Wind hatte gedreht, ging nun auf das Dickicht zu. Die Galestrals blieben stehen. Dann bewegte sich das Geäst; das Knacken split ternder Zweige wurde hörbar. Crowell sah, wie ein großes, massiges Tier auf vier kurzen Beinen eilends das Dickicht verließ. Ein zweites folgte ihm. Augen blicke später waren beide im Wald verschwunden. Crowell atmete hörbar auf. Als sie ihre Formation wieder einnahmen, bemerk te er, daß die Galestrals ihm beifällige Blicke zuwar fen; das tat ihm auf seltsame Weise gut. Etwa zehn Minuten später fanden sie Farquhars Suesvant. Wieder ging Ned Brock voraus, einem Wildpfad folgend, der an einem kleinen Bach entlan glief. Der Wald war hier relativ offen, und Crowell
sah von Zeit zu Zeit seinen Aircar, der sich über ih nen hielt. Offenbar wurden sie in den Suchgeräten häufig genug sichtbar, daß man ihnen ohne Mühe folgen konnte. Jenseits des Baches erhob sich ein Steilufer von etwa sieben Meter Höhe; und Crowell bemerkte, daß Grant und Jill den oberen Rand des Ufers nicht aus den Augen ließen. Ned sagte ruhig: »Hier hat es ihn erwischt!« Farquhars Leiche war nicht da. Aber daß dies die Stelle sein mußte, wo er getötet worden war, wurde schnell deutlich. Wieder waren Felsbrocken die Waffe des Zweibeiners gewesen – zwei große Brocken, die er vom anderen Ufer aus geworfen haben mußte, und zwar mit bemerkenswerter Zielgenauigkeit. Tiefe Rinnen am jenseitigen Hang verrieten, wo das Tier dann heruntergerutscht war, um Farquhar endgültig zu erledigen, wenn er nicht gleich getötet worden war. In dem weichen Boden hatte es seine Fußab drücke hinterlassen. Die Suesvant lag in der Nähe; ihr Lauf war verbogen, der Verschluß zerschmettert. Ned lief mit dem Biotracker herum, und die Ge schichte wurde klar. Nachdem er Farquhar hierher gelockt und getötet hatte, war der Zweibeiner zur Station III gegangen, hatte dort sein Werk verrichtet und war dann auf einem anderen Weg zu dieser Stel le zurückgekommen, um Farquhars Leiche wegzu schleppen.
Sie setzten sich wieder in Bewegung. Crowell fühl te von neuem, wie seine innere Spannung wuchs. Vielleicht war der Zweibeiner ganz in der Nähe, ob schon fast zehn Stunden vergangen waren, seit er hier gewesen war. Dies schien sein Territorium zu sein; jeden Augenblick konnten sie auf ihn treffen. Ned hob von Zeit zu Zeit den Biotracker, schwenkte ihn zwischen den Büschen, durch die sie jetzt gingen, und las die Anzeigen ab. Crowell verstand, daß er Geruchsspuren des Zweibeiners oder von Farquhars Körper aufnahm, wo diese mit dem Geäst in Kontakt gekommen waren. Endlich wandte sich Ned zu ihnen um und verkündete: »Offenes Gelände in Sicht!« Der Baumbestand wurde dünner. Über eine Fels ebene gelangten sie zu einem breiten, rasch fließen den Bach. Vor ihnen und linker Hand, jenseits des Baches erhoben sich bewaldete Berghänge. Rechts lag ein kalt tiefblauer Gletschersee von etwa drei Kilome ter Durchmesser. »Es ist direkt zu dem Bach gegangen«, sagte Ned. In dem Bach verlor sich die Spur. In einem sich rasch bewegenden Wasserlauf konnte der Biotracker einen halben Tag alte Geruchsspuren nicht mehr aufneh men. Die Besatzungen der Aircars hatten nichts zu berichten. Während der nächsten Stunde suchte Ned Brock, von zwei Aircar-Kanonen gedeckt, beide Ufer
ab. Aber der Biotracker zeigte keinerlei Spuren an, weder von Menschen noch von anderen Zweibeinern. Westlich von ihnen ergoß sich der Bach aus einer schmalen, dicht bewachsenen Bergschlucht. Im Osten floß er in den stillen See. »Was, glauben Sie, ist pas siert?« fragte Crowell Grant Gage. Sie standen gerade allein am Bachufer. Grant zuckte die Achseln. »Das Ding ist im Wasser entweder zurück in die Berge gegangen oder in den See. Vielleicht wollte es keine Spuren hinterlassen, vielleicht ist es von Natur aus amphibisch. Vielleicht hat es Farquhar mit sich fortgeschleppt oder ihn unter Felsen im Bach vergraben.« »In jedem Fall«, sagte Crowell, »haben wir wenig Aussicht, ihn jetzt zu finden.« »Ja, sehr wenig.« »Wollen Sie die Suche aufgeben?« »Nein«, sagte Grant, »wir werden die Suche nicht aufgeben.« Crowell schwieg einen Augenblick und sagte dann: »Wenn wir diesen Zweibeiner, den wir suchen, finden und schließlich töten, könnte sein Körper Anzeichen früheren Strahlenbeschusses aufweisen. Das würde klarstellen, daß es tatsächlich ein Zweibeiner war, der Station III angriff und wahrscheinlich vorher Hays tö tete. Aber das wissen wir wohl schon. Was sonst könn te eine Fortsetzung der Jagd noch erbringen?«
»Ich weiß nicht«, sagte Grant. Nachdenklich rieb er sich das Kinn. »Wir versuchten vor zwei Tagen, Kon takt mit Ihnen aufzunehmen.« »Ich weiß. Aber ich war auf außerplanetarischer Mission und nicht erreichbar. Wir mußten das Schwimmer-Schiff stellen, was uns auch gelang. Am frühen Morgen des heutigen Tages kehrte ich zurück, weil ich erfahren hatte, daß Farquhar auf Station III sei. Also begab ich mich dorthin, um mit ihm zu spre chen, bevor er wieder verschwinden würde.« »Ja, ich verstehe. Der Grund, warum wir versuch ten, Verbindung mit Ihnen aufzunehmen, liegt darin, daß wir glaubten, selbst einen Schlüssel zu dem Kul koor-Geheimnis gefunden zu haben.« »Und der wäre?« fragte Crowell. Grant erzählte ihm von der verschwundenen Zu ron-Kamera und ihren Spekulationen. Da schwerer Bergnebel über den Gebieten lag, wo die großen Flug tiere beobachtet worden waren, waren sie bisher nicht in der Lage gewesen, eins zu töten und zu un tersuchen. »Sollte eines davon die Kamera abgerissen haben, und zwar absichtlich«, sagte er, »dann haben wir innerhalb weniger Tage von zwei verschiedenen Kulkoor-Arten Fälle vorsätzlicher Feindseligkeit ge gen Menschen erlebt.« Crowell runzelte die Stirn. »Ein Zweibeiner könnte die Kamera nicht genommen haben?«
»Nein, außer er konnte in der Luft gehen. Ned hat mit dem Biotracker die Umgebung gründlich unter sucht. Was auch immer die Kamera entführt hat, es hat keinerlei Spur hinterlassen.« »Der Zweibeiner hat ja beträchtliche Intelligenz er kennen lassen«, bemerkte Crowell. »Ja. Etwa auf der Stufe primitiver menschlicher Wilder. Vielleicht sogar mehr.« »Und wenn Ihr Flugtier ein ähnliches Intelligenz niveau besitzt ...« »Dann dürften wir auf Kulkoor eine biologisch in stabile Situation haben«, sagte Grant. »Eine der bei den müßte jetzt die dominierende Spezies des Plane ten sein – das heißt, sie wäre dann in relativ großer Anzahl vorhanden. Die andere Art müßte ausgerottet sein, oder wenigstens annähernd. Vor allem hier, wo das fruchtbare Land etwas wie eine Kette großer In seln um die Äquatorzone bildet, die von Wüsten um geben ist. Es gibt keinen Platz für zwei einander be kämpfende intelligente Arten, es sei denn, es gäbe etwas wie eine instinktive Allianz oder einen Waffen stillstand zwischen ihnen.« »Soviel ich weiß, gab es so etwas bei den fortge schritteneren Überlebensformen auf Galestral«, sagte Crowell. »Ja, etwas Ähnliches. Auf Galestral konnte man es zwar nicht Waffenstillstand nennen, da sie einander
auflauerten und töteten. Dennoch erhielten sie eine Art Gleichgewicht aufrecht und hatten das offensicht lich schon sehr lange getan. Und sie schlossen sich gegen die menschlichen Eindringlinge zusammen.« »Sie glauben, das könnte auch hier der Fall sein?« »Es könnte erklären, was bisher vorgefallen ist«, sagte Grant. »Die intelligenteren Lebewesen auf Kul koor könnten versuchen, uns abzuschrecken und uns so loszuwerden, ohne zuviel über sich selbst preis zugeben.« Crowell sagte langsam: »Wenn das der Fall ist, könnte es größere Operationen für geraume Zeit un möglich machen.« »Ja, das stimmt«, sagte Grant. »Für die GalestralGesellschaft sieht die Lage wohl so aus: Bevor wir das Schiff verließen, schickten wir eine Drohne ab, um Farquhars Verschwinden und seine allgemeinen Um stände zu melden. Wir werden jetzt berichten, daß wir Beweise für seinen Tod besitzen. Wie wir Ihnen sagten, fungieren wir hier als Farquhars Hilfsteam. Der Umstand, daß er uns bei seinen Arbeiten nicht zuzog und sich auch weigerte, uns über sie zu unter richten, ändert nichts daran. Wir werden dort fortfah ren, wo er aufgehört hat – und natürlich haben wir jetzt neues Material zu bearbeiten. Wir werden in re gelmäßigen Abständen der Gesellschaft berichten, die von Farquhars tatsächlichen Resultaten ebenso wenig
Ahnung zu haben scheint wie wir. Solange es danach aussieht, als könnten wir das Problem lösen, wird die Gesellschaft warten. Wenn wir uns nicht mehr mel den, oder wenn sie von Ihnen hört, daß wir geschei tert sind, wird sie ihren nächsten Schritt tun.« Crowell sagte: »Das heißt, sie schicken jemand an ders?« »Ja. Wen man schickt und wofür die neue Gruppe ausgerüstet sein wird, kann ich nicht sagen.« »Mit ›Scheitern‹ meinen Sie, daß Sie und die beiden anderen getötet wurden ...« »Ja. Da wir nicht wissen, womit wir es zu tun ha ben, ist das eine Möglichkeit, mit der wir rechnen müssen.« »Wie werde ich erfahren, daß Sie gescheitert sind, und wie würde ich es der Galestral-Gesellschaft mel den können?« »Wir werden in Verbindung mit Ihnen bleiben. Wenn sie abreißt und nicht wiederherzustellen ist, können Sie unser Scheitern unterstellen. Auf Ihrer Basis werden wir eine Meldedrohne hinterlassen, die auf die Gesellschafts-Koordinaten eingestellt ist. Ge ben Sie ihr mit, was Sie wissen, und senden Sie sie ab.« Crowell schwieg einen Moment. »Die Basis ist hauptsächlich auf Defensive angelegt«, sagte er dann. »Aber ich möchte gern aktiveren Anteil an dieser Sa
che nehmen. Ich werde diesen ganzen Bereich und den um die Mine herum unter Luftüberwachung hal ten lassen. Haben Sie noch eine andere Idee?« »Im Augenblick nicht«, erwiderte Grant. »Wir werden versuchen, den Zweibeiner zu finden, und eine kleine Gruppe von Jägern ist dafür wohl besser geeignet als eine große. Wir wollen das Ding nicht in ein Versteck treiben.« »Ja, ich verstehe.« Crowell war unbefriedigt. Grant fügte hinzu: »Das Gefährliche an der Situation liegt natürlich nicht nur hier. Bei Kulkoor geht es inzwi schen um zu viel. Wenn die Angelegenheit nicht bald aufgeklärt ist, wird es neuen Argwohn geben.« »Ganz zweifellos«, stimmte Crowell zu. »Allerdings haben wir bis jetzt noch keinen Grund zu der Annah me, man habe ein Supertier von Galestral importiert.« »Noch nicht«, sagte Grant. »Es gibt auf Galestral kein Supertier, das der Beschreibung des Zweibeiners entspricht. Aber das zu beweisen, könnte schwierig sein.« »Gibt es welche, die für das Verschwinden der Kamera verantwortlich sein könnten?« »Mehrere.« Grant zögerte. »Captain Witter, wir sind uns bewußt, daß Sie, wenngleich Sie hier Cen com vertreten, sich nicht immer in voller Überein stimmung mit der Politik von Cencom befinden.«
Crowell lächelte kurz. »Leutnant Tegeler sagte mir, daß Ihre Krankenabteilung mit einer sehr wirkungs vollen Wahrheitsdroge ausgerüstet ist.« »Ja, sie ist sehr verläßlich. Wir sind Anteilseigner der Galestral-Gesellschaft, und wir arbeiten für sie. Das heißt aber auch nicht notwendigerweise, daß wir unbedingt mit einer bestimmten Politik der Gesell schaft übereinstimmen – oder über sie informiert sind.« Crowell nickte. »Nicht, wenn so viel auf dem Spiel steht, darüber bin ich mir im klaren. Wir sollten uns nicht auf irgendeine Theorie festlegen ...« »Wie«, sagte Ned Brock, als der Aircar des For schungsteams auf dem Rückweg zu ihrem Schiff war, »wollen wir nun verfahren? Wenn das Ding seine Verfolger abschütteln wollte, hat es einen guten Ort dafür gewählt. Es konnte flußaufwärts oder -abwärts gehen. Wenn es im Wasser zu Hause ist, dann hatte es nur achthundert Meter bis zum See zurückzulegen. Lebt es in den Bergen? Sie waren in unmittelbarer Nähe. Seine Spur wiederzufinden könnte ungeheuer mühsam werden.« »Also werden wir es gar nicht erst versuchen«, sag te Grant. »Es wurde zuerst bei Tageslicht gesehen – wenn es will, ist es ein Tagtier. Wir wollen jetzt auf dem Rückweg die Augen offen halten. Vielleicht se
hen wir das Ding heute noch, oder ein anderes seiner Art. Wenn nicht, werden wir unsere Taktik ändern. Soviel wir bis jetzt wissen, ist das eine Kreatur, die ruhig wartet und lauert, bis sie im Vorteil ist. Dann kommt sie hervor und tötet. Sie blufft nicht.« Ned sagte: »Ich verstehe ... Und wir kennen in etwa den Bereich, wo sie sich aufhält.« »Und wir wissen, daß das Ding Aircars haßt«, füg te Jill hinzu. Sie nickte. »Wenn wir ihm lang genug lä stig fallen, wird es vielleicht eine Gelegenheit suchen, uns an den Kragen zu gehen.« Vom Schiff aus sandten sie eine Meldedrohne an die Galestral-Gesellschaft, kehrten zur Stern-UnionBasis mit einer weiteren Drohne für Crowell zurück und waren am Nachmittag des Planetentages wieder über der Stelle, wo sich die Spur im Bach verloren hatte. Sie bewegten sich flußabwärts und dann am Rande des Sees entlang. Das Ufer war größtenteils steil und felsig, doch hier und dort erstreckte sich Baumwuchs bis an die Wasserfläche. Sie sahen ver schiedene Tierarten, aber nichts, was einem großen, braunen Zweibeiner ähnlich sah. Bald kamen sie wieder zurück und fuhren strom aufwärts, über die Stelle hinaus, wo die Spur des Zweibeiners ins Wasser geführt hatte. Anderthalb Ki lometer weiter stürzte der Bach in einer Kaskade aus einer tiefen, schmalen Bergschlucht. Der Aircar fuhr
vorsichtig in sie hinein. Üppige Vegetation wucherte auf beiden Seiten. Feiner Wassernebel hing in der Luft. Hier gab es selbst für recht große Lebewesen unendlich viele Verstecke, und für einen Menschen zu Fuß würde das Durchkommen schwierig sein. Schließlich verließen sie die Schlucht wieder. Der Air car kreiste über einem Gebiet, das Station III, den Bach und die Bergflanken einschloß. »Also gut, fallen wir ihm lästig«, sagte Grant. »Und zwar gründlich! Vielleicht können wir das Ding – oder die Dinger – aus ihrem Versteck treiben.« Von nun an arbeiteten sie in Schichten; einer steu erte den Aircar, einer überwachte die Suchgeräte, ei ner schlief oder ruhte. Das Fahrzeug trieb fast ziellos herum. Es bewegte sich über offenem Gelände, hing niedrig über Baumwipfeln und glitt zuweilen einige hundert Meter zwischen die Baumkronen hinein. Wiederholt besuchten sie die Schlucht und das See ufer oder kreisten langsam über Station III. Manch mal sahen sie einen Aircar der Stern-Union, der über ihnen seine Bahn beschrieb. Der Tag zog sich hin.
10
»Was werden Sie tun?« fragte Ilken Crowell. Er knurrte. »Ich rechne mit dem Schlimmsten.« »Warum?« »Die Sache stinkt. Das ganze Bild stimmt nicht! Ich halte nichts von Zufällen.« Ihre hellen Augen musterten ihn. »Sie glauben nicht, daß Farquhar tot ist?« »Ob, er ist tot«, sagte Crowell mürrisch. »Was das betrifft ... Aber ich möchte wissen, warum er tot ist!« Er fügte hinzu: »Irgend etwas bahnt sich hier an. Ich brauche soviel Bewegungsfreiheit wie möglich, wenn es losgeht.« »Eine sehr überzeugende Geschichte können Sie den Leuten noch nicht erzählen.« »Ich werde sie ihnen schon beibringen.« Bevor er zur Stern-Union-Basis zurückkehrte, hatte Crowell Station III versiegeln und ihr Sperrfeld von außen arretieren lassen. Auf der Basis rief er die Department-Leiter zu einem Meeting in Dr. Suttons Bü ro zusammen. Sie kamen herbei, begierig, Einzelhei ten des Vorgefallenen zu erfahren. Crowell unterrichtete sie. Es hatte sich erwiesen, daß eine intelligente, gefährliche Form von Leben auf Kulkoor existierte. Innerhalb von drei Tagen waren
sechs Menschen getötet worden, offenbar durch eine einzige Spezies, die ihre Angriffe sorgfältig geplant und eine zumindest teilweise Immunität gegen trag bare Energiewaffen bewiesen hatte. »Bis jetzt können wir nicht sagen, welche anderen Eigenschaften sie noch hat«, erklärte er. »Das Gale stral-Forschungsteam versucht im Augenblick, den Zweibeiner zu finden, der Station III angriff, und ihn zwecks näherer Untersuchung zu töten. Für diese Aufgabe ist es besser ausgerüstet als wir.« »Inwiefern?« fragte einer der Männer. »Sie haben ein hochentwickeltes Suchinstrument. Sie sind darin geschult, die gefährlichsten Lebewesen zu jagen, die man kennt. Und die meisten von Ihnen wissen wohl, daß die Suesvant-Gewehre, die sie als Waffen benutzen, vor allem für die Anwendung ge gen Supertiere konstruiert wurden.« Eine leichte Unruhe entstand. Dr. Sutton sagte: »Sie wollen doch damit nicht sagen, daß dieses zweibeini ge Tier – so gefährlich es auch offenbar ist – von der selben Art ist wie einige der Galestral-Ungeheuer?« »Nein, das will ich nicht«, sagte Crowell. »Doch bis wir wissen, zu welcher Art es gehört, werden wir uns so verhalten, als stünden wir hier auf Kulkoor einer Spezies der Supertiere gegenüber. Das bedeutet auch, daß wir dem Galestral-Team jede nur mögliche Un terstützung gewähren – hauptsächlich dadurch, daß
wir unsere bewaffneten Aircars für sie bereithalten. Das bedeutet weiter, daß für diese Basis ab sofort der Notstandsfall eintritt. Die heute außerhalb der Basis operierenden Arbeitsgruppen werden bereits zu rückgerufen, und ich möchte, daß jeder von Ihnen unverzüglich dafür sorgt, daß die Ihren Abteilungen angeschlossenen Außenstationen sofort geschlossen werden und das Personal noch im Laufe des Tages zur Basis zurückkehrt.« Es gab erstaunte Proteste. Auf den Stationen wurden wichtige Arbeiten durch geführt. Viele davon konnten nicht auf die Basis ver legt werden. Projekte von größter Bedeutung würden zunichte gemacht werden, wenn sie nicht ohne Un terbrechung weiterverfolgt würden. Eine so drasti sche Maßnahme schien kaum angebracht – die Sta tionen waren gut geschützt, und das Personal war nun von der Gefahr in Kenntnis gesetzt worden. Crowell hörte kurze Zeit zu, bevor er sagte: »Meine Herren, vergessen Sie bitte eines nicht! Diese Basis – die ganze Kulkoor-Expedition – ist selbst ein experi mentelles Cencom-Projekt. Ihre wissenschaftliche Ar beit ist von großer Bedeutung. Ich wäre der letzte, der das in Abrede stellte. Aber der Hauptzweck des Cen com-Projektes ist, festzustellen, ob Operationen auf Kulkoor mit halboffenen Basen wie dieser durchge führt werden können. Es wäre das bei weitem wirt schaftlichste Verfahren. Aber Sie wären jetzt nicht
hier, wenn es bezüglich dieser Möglichkeit nicht be reits einige Zweifel gäbe. Mit gutem Grund beziehen Sie Gefahrenzulage. Cencom möchte sehen, ob Ihnen etwas zustößt. Sollte das der Fall sein, wird es nötig werden, andere Methoden ins Auge zu fassen.« »Wir sind uns durchaus darüber im klaren, daß man gewisse ›technische‹ Verluste unter uns in Kauf nimmt, Captain Witter«, sagte Dr. Sutton steif. »Gut«, sagte Crowell. »Und wenn sich herausstellt, daß es sich um mehr als um ›Technisches‹ handelt, dann bin ich unter anderem hier, die Verluste auf ein Minimum zu beschränken. Das wiederum muß Vor rang vor anderen Überlegungen haben. Es ist durch aus möglich, daß die nächsten paar Tage den Beweis bringen, daß es sich bei dem Zweibeiner nicht um ei ne abnorm gefährliche Kreatur handelt und daß es nur der üblichen Vorsichtsmaßnahmen bedarf, um eine Wiederholung dessen zu verhindern, was in der letzten Nacht auf Station III passierte. In diesem Falle werden die Stationen wieder geöffnet, und das all gemeine Arbeitsprogramm wird wieder aufgenom men. Im Augenblick jedoch müssen Sie sich als Teil einer militärischen Defensivoperation betrachten. Zuwiderhandlungen werde ich nicht dulden. Sollte jemand die Mitarbeit verweigern, wird er eingefroren und mit dem nächsten Versorgungsschiff zu Cencom zurückgeschickt werden.«
Dr. Sutton sagte: »Wir werden Ihren Anweisungen Folge leisten müssen. Aber Sie scheinen mehr Ver trauen zu den Galestrals zu haben, als einige von uns aufbringen können. Ich halte das für einen Aspekt der Angelegenheit, der weitere Überlegungen nötig macht.« Crowell nickte. »Dem stimme ich zu. Es wird im Verlauf des Tages noch ein weiteres Meeting geben, bei dem wir darüber sprechen werden. Wir werden uns wieder versammeln, nachdem Sie Ihre Befehle ausgeführt haben.« Herrick hatte die Basis bereits in Alarmzustand ver setzt. Die Panzerblenden waren geschlossen; Wachen standen an den Betätigungshebeln. Die drehbaren Kanonentürme, welche die ganze Umgebung mit vernichtender Feuerkraft bestreichen konnten, waren bemannt. Ein großer Teil von Dr. Suttons Wissen schaftlern mochte über die Unterbrechung seiner Lieblingsprojekte nicht gerade begeistert sein, aber Crowell war das ziemlich gleich. Er sandte Admini strator Ogilvy auf Cencom eine Meldedrohne mit Mitteilungen darüber, was geschehen war und über seine augenblicklichen und zukünftigen Maßnahmen, und vergewisserte sich dann, daß die Evakuierung der Stationen begonnen hatte und vor Einbruch der Dunkelheit beendet sein würde. Die verschiedenen
Abteilungen arbeiteten offenbar mit, wenn auch wi derwillig. Die zu Experimentierzwecken gehaltenen Tiere konnten auf den für sie eingerichteten, umfrie deten Flächen mehrere Wochen ohne Pflege bleiben. Crowell sagte zu Ilken: »Wir wollen Betheny besu chen.« »Wegen der Schwimmer-Gruppe, die irgendwo auf Kulkoor ist?« sagte Ilken. »Ja. Nachdem wir ihr Schiff ausgeschaltet haben, macht sie mir weniger Sorgen. Aber ich möchte sie doch lieber aus dem Weg haben.« »Ich kann mir nicht vorstellen, daß Betheny dabei helfen wird«, sagte Ilken. Sie hatte recht. Betheny sagte nicht allzu freund lich, sie wisse nicht, wovon Crowell spreche. »Sie sind über die Ereignisse informiert worden«, sagte Crowell achselzuckend. »Die Lage kann sich ebenso gut zum Vorteil der Schwimmer-Liga wie zu dem Cencoms auswirken. Warum sollten Sie nicht versuchen, das Beste aus der Situation zu machen? Ihre Männer auf Kulkoor können Ihnen jetzt nicht viel nützen. Ich werde Ihren Sender herbringen, und Sie können Verbindung mit ihnen aufnehmen und anordnen, daß sie friedlich zurückkommen sollen. Es hat keinen Sinn, auf diesem Planeten eine drohende Gefahr vorzutäuschen, wo wir doch einer ausgesetzt zu sein scheinen, die real ist.«
»Was das betrifft«, sagte Betheny, »so habe ich viel leicht in Bälde einiges zu sagen. Aber nicht jetzt, und nicht zu Ihnen.« »In den nächsten paar Stunden werden Sie Gele genheit haben, so viel zu sagen, wie Sie nur wollen«, sagte Crowell zu ihr. Sie verließen Bethenys Null-g-Komplex und gingen zu Herricks Büro. »Herrick«, sagte Crowell, »wieviel Personal bräuchten wir, um die Basis zu halten oder, wenn nö tig, gegen sie zu kämpfen?« »Achtundvierzig«, sagte Herrick ohne Wimperzuk ken. »Ich habe die Namen auf einer Liste zusammen gestellt.« Captain Bymers Stimme sagte aus dem Kommunika tor: »Eine Totalevakuierung der Kulkoor-Basis würde selbstverständlich die Dienste eines Versorgungs schiffes nötig machen. Das nächstfällige ...« Crowell unterbrach ihn. »Ich spreche von einer Notevakuierung, die nur Personal betrifft. Etwa zwei Drittel oder, wenn möglich, alle. Wie lange würden Sie brauchen, um zwischen einhundert und einhun dertfünfzig Leute zu dem Wachschiff hinaufzubrin gen und sie dort in Gefrieranlagen zu stecken?« Einen Augenblick lang herrschte Stille. »Vielleicht vier Stunden, vorausgesetzt, daß die nö
tigen Vorbereitungen getroffen wurden«, sagte By mer dann. »Wie lange brauchen Sie für die Vorbereitungen?« »Das ist ein Prozeß von fünfundsiebzig Stunden, Captain Witter.« »Und wenn Sie ihn auf zwanzig Stunden reduzie ren?« »Eine technische Unmöglichkeit! Wir würden die lebenserhaltenden Systeme überlasten und das Schiff paralysieren.« »Gut«, sagte Crowell. »Um wieviel können Sie also diese fünfundsiebzig Stunden reduzieren?« Es gab eine weitere, noch längere Pause, bevor By mers Stimme ihm erklärte: »Äußerstenfalls könnte man mit vierzig Stunden auskommen, bevor der Ladevor gang beginnt. Ich kann das nicht empfehlen, außer es liegt ein begründeter und dringender Notfall vor.« Crowell sah auf seine Uhr und sagte: »Ich weiß nicht, ob ein Notfall eintreten wird. Doch beginnen Sie jetzt mit Ihren Vorbereitungen, planen Sie vierzig Stunden ein – und betrachten Sie das nicht als Übung!« »Ich darf festhalten, Captain Witter«, sagte Bymer, »diese Anweisungen ergehen an mich unter dem Cencom-Statut?« »So ist es.«
Es gab erstaunte Gesichter, als Betheny von Varien auf dem Sattel einer Null-g-Blase, begleitet von Crowell und Ilken, in Dr. Stuttons Büro kam, um an der zweiten Konferenz der Expeditionsleiter teilzunehmen. Crowell sagte: »Die Öffentliche Bedienstete bleibt unter Sicherheitsarrest. Mehrere von Ihnen haben je doch der Meinung Ausdruck verliehen, daß sie als die Vertreterin der Schwimmer-Liga auf Kulkoor Ge legenheit haben sollte, ihren Standpunkt bezüglich der gegenwärtigen Lage darzulegen. Das scheint ver nünftig. Dr. Sutton, am Ende unserer vorhergehen den Zusammenkunft bemerkten Sie, es gebe gewisse Aspekte in Verbindung mit dem GalestralForschungsteam, die weiterer Erörterung bedürfen. Würden Sie das bitte jetzt erläutern?« »Ja«, sagte Dr. Sutton. »Ich bezog mich auf die Tat sache, daß Sie in die Galestral-Gesellschaft volles Ver trauen zu haben schienen, soweit es um Kulkoor geht.« Mehrere der Anwesenden begannen gleichzeitig zu sprechen, doch Bethenys Stimme übertönte kühl die der anderen. »Zweifellos müssen wir die Möglichkeit in Betracht ziehen«, sagte sie, »daß die Ermordung von Bürgern der Stern-Union Teil eines großangeleg ten Planes von Galestral ist, Cencom so lange zu ver wirren und zu entmutigen, bis Galestral die Kontrolle über Kulkoor an sich reißen kann.«
Dies war der Grundtenor einer Reihe von Gerüch ten, die an diesem Tage in der Basis kursierten. Cro well fragte Dr. Sutton: »Ist es das, woran Sie dach ten?« Dr. Sutton sah unsicher zu Betheny hinüber. »Ich hätte es nicht so kraß ausgedrückt«, sagte er. »Aber – ja. Ich halte dies zumindest für eine Möglichkeit, die wir jetzt bei unseren Plänen und Aktionen in Rech nung stellen müssen.« »Darf ich Ihnen sagen, Captain Witter«, sagte Be theny, »was Dr. Sutton und ich und nicht wenige an dere in diesem Raum und auf dieser Basis wirklich denken. Wir glauben, daß die Absicht des Galestrals Farquhar, als er sich heute nacht auf Station III auf hielt, nicht unbedingt die Erlegung eines Killer-Tieres war, wie er zu verstehen gab. Genauso gut ist mög lich, daß er das Tier auf unsere Leute gehetzt und sich dann versteckt hat, so daß er selbst als Opfer erschei nen mußte, um den Eindruck des Vorfalls auf uns zu verstärken und damit indirekt auch seine Wirkung auf Cencom.« Einen Augenblick lang herrschte völlige Stille. Dann sagte Crowell nachdenklich: »Ein gezähmtes Supertier, von den Galestrals auf Kulkoor gebracht, wie?« Betheny sagte: »Dr. Freemont soll Ihnen sagen, ob das unmöglich wäre.«
Der Blick des Zoologen verriet Überraschung. Crowell sagte: »Nehmen wir an, es sei nicht unmög lich. Was ich Dr. Freemont gern fragen möchte, ist, ob er auf Galestral Supertiere kennt, die dem giganti schen, von Alex Hays beschriebenen Zweibeiner auch nur im geringsten ähneln.« Dr. Freemont schüttelte den Kopf. »Nein – freilich hatte nur eine relativ kleine Anzahl von Stern-UnionWissenschaftlern Gelegenheit, die Galestral-Fauna eingehend zu studieren. Den größten Teil unseres diesbezüglichen Wissens haben wir über die Gale strals selbst bezogen.« »Genau. Und beachten Sie bitte«, sagte Betheny zum Rest der Versammelten, »daß es nicht viel zu bedeuten hätte, wenn Captain Witters GalestralFreunde uns die angebliche Leiche Farquhars oder einen erlegten Zweibeiner vorweisen könnten. Nie mand hier weiß, wie Farquhar aussieht. Die Leute auf Station III, die es uns hätten sagen können, sind tot. Und Galestral könnte den Verlust eines seiner pos sierlichen Monster in Kauf nehmen, um uns in Si cherheit zu wiegen.« Crowell sagte mild: »Es ist nur eine Frage von Ta gen, bis unsere Überwachungseinrichtungen wieder arbeiten werden. Wenn das, was heute nacht auf Sta tion III passiert ist, Teil einer größeren GalestralAktion war – mit anderen Worten, wenn sich Gale
stral-Leute, -Ausrüstung oder Supertiere in größerer Anzahl auf Kulkoor befinden, dürfte dies früher oder später nachweisbar sein. Mr. Hansen kann Ihnen das bestätigen. Und wenn nur ein Supertier einge schmuggelt wurde, um ein paar Morde zu verüben, dann ist es schwer, viel Sinn dahinter zu sehen. Viel leicht wären wir bereits in der Lage, die Tatsachen einwandfrei festzustellen, wenn nicht an den Über wachungsgeräten Sabotage verübt worden wäre.« Wieder sahen viele fragend zu Betheny hinüber. Sie lächelte. »Seien wir doch nicht naiv«, sagte sie. »Hier geht es um entscheidende politische Ziele. Die Schwimmer-Liga hat gute Gründe, Captain Witter und seine Mailliard-Assistenten als skrupellose Fein de zu betrachten. Beide gehören übrigens nicht mehr zu den Ragnor-Rangers. Sie sind Söldner. Cencom hat sie angeworben, damit sie auf Kulkoor gegen LigaInteressen arbeiten. Aber auch ihre Loyalität gegen über Cencom kann nicht als sicher gelten. Die Gale stral-Gesellschaft ist ein freigebiger Zahlmeister. Ich glaube, wir sollten Captain Witters Bereitwilligkeit, bei der Aufklärung der Vorgänge auf Station III Hand in Hand mit dem sogenannten GalestralForschungsteam zusammenzuarbeiten, mit einiger Skepsis betrachten. Ich nehme auch an, daß wir heute hier sicherer wären, wenn er und Leutnant Tegeler schlichtweg eliminiert worden wären.«
Crowell zuckte die Achseln. »Es trifft zu, daß Leut nant Tegeler und ich unseren Ranger-Rang nur noch auf Grund eines Entgegenkommens von Cencom in nehaben, und daß wir jetzt unabhängige Spezialisten sind, die von Cencom für einen Auftrag auf Kulkoor verpflichtet worden sind«, räumte er ein. »Ich gebe auch bereitwillig zu, daß wir dafür gut bezahlt wer den, und wenn Sie mich deswegen einen Söldner nennen wollen, habe ich dagegen nichts einzuwen den. Was den Vorwurf anbelangt, wir würden auch von Galestral bezahlt, so hat es natürlich keinen Sinn, so etwas abzuleugnen. Wenn wir Agenten Galestrals wären, würden wir es wohl kaum zugeben.« Betheny hatte, so glaubte er, nunmehr ihr Pulver verschossen. Tatsächlich hatte sie annähernd das ge tan, wofür er sie zu dieser Konferenz gebracht hatte. Und als er wieder das Wort ergriff, verriet ein kurzes Flackern in ihren Augen, daß sie die Situation zu ver stehen begann. »Überlegen wir uns doch die größeren Zusammen hänge«, fuhr er fort. »Es könnte etwas auf Kulkoor geben, seien es Supertiere von Galestral oder ein auf Kulkoor beheimatetes Phänomen, wogegen wir kei nen wirksamen Schutz besitzen, solange wir nicht hinter Energiefeldern bleiben. Im Augenblick versu che ich herauszufinden, ob das zutrifft. Es ist durch aus möglich, daß wir in einem oder zwei Tagen fest
stellen, daß es nicht der Fall ist. Wenn es aber wahr ist, sind wir, soweit es irgendwie konkrete Nutzbar machung des Planeten betrifft, auf einer Basis dieser Art so nutzlos, als lägen wir im Personalgefrierer un seres Wachschiffs. Cencom wird nicht daran denken, eine große Anzahl von Bodenkämpfern hierher zu schaffen, um auf diesem Planeten Fuß zu fassen. Vie le von Ihnen kennen sicherlich die enormen Kosten der beschränkten Ragnor-Aktion. Sie werden zuge stehen müssen, daß hier auf Kulkoor die logistischen Probleme unüberwindlich sein würden. Ganz abge sehen davon, daß die Stern-Union einfach nicht ge nügend Bodenkämpfer verfügbar hat, die eine Inva sionsstreitmacht von Galestral oder irgendeine lokale Superfauna erfolgreich bekämpfen können. Cencom müßte also auf Kulkoor zu dem KuppelSystem Zuflucht nehmen. Auch dieses System ist sehr teuer, kann aber praktisch verwirklicht werden. Aus Gründen der Effizienz müßte es sich selbstverständ lich um die neueste Art von mit Schwimmern besetz ten Null-g-Kuppeln handeln. Unsere Aufgabe ist nun, herauszufinden, ob das nötig ist. Wenn es sich er weist, daß dieser Zweibeiner nur eine geringe Gefahr darstellt, eine Gefahr, der wir mit unseren jetzigen Mitteln begegnen können, wird es nicht nötig sein.« Er schloß: »Ungeachtet der zwangsläufig entste henden Schwierigkeiten und der nötigen Unterbre
chung von Projekten bitte ich Sie für diese kommen den Tage um Ihre uneingeschränkte Unterstützung. Helfen Sie festzustellen, um was für ein Problem es sich handelt, und helfen Sie mit bei der Suche nach einer Lösung.«
11
Am Abend und während der mondlosen KulkoorNacht hatte der Aircar der Galestrals seine Suche fortgesetzt. Sein Scheinwerfer fingerte hier und da über den Boden und fing hin und wieder erschreckte Tiere ein, die in die ungewohnte Helligkeit über ih nen starrten. Gegen Morgen war der Aircar fast zum Stillstand gekommen und trieb, selten mehr als sieben Meter über dem Boden, langsam vor einem Felsabhang hin und her. Sie hatten deutlich, sehr deutlich gemacht, daß sie sich in diesem Gebiet befanden. Ihre Anwe senheit zu übersehen war nicht möglich. Wenn nun irgend etwas, was ihre Gegenwart übel nahm, sie argwöhnisch oder böse aus einem Versteck heraus beobachtete, so war es jetzt Zeit, daß dieser Beobach ter Gelegenheit bekam, dem Ärgernis ein Ende zu be reiten. Der Aircar gewann an Höhe, schwebte über dem Kamm des Berghanges, und senkte sich dann in das dahinter liegende grüne Tal. Sie hatten die Stelle beim ersten Tageslicht eine Stunde zuvor ausgesucht – die offene Senke des Ta les. Auf der anderen Seite war ein breiter Waldgürtel; und jenseits des Waldes lag das Gebiet, in dem sie am
Tag zuvor dem Zweibeiner gefolgt waren, war der Bach, wo seine Spur zwischen den Bergen und dem See geendet hatte. Auf dieser Seite erhoben sich überhängende Felswände. Der Aircar stand etwa im Mittelpunkt des Tales. Er war ihr Hauptköder. Jill Hastings lehnte an einem schrägen Fels unterhalb des massiven Überhangs. Ih re Suesvant ruhte auf dem Block und war durch das Blattwerk eines abgerissenen, aber sie verbergenden Astes hindurch auf das Tal gerichtet. Sie war sowohl Hilfsköder als auch Jäger. Die Suesvant konnte das Tal bestreichen. Wenn das Ding, das sie jagten, seiner Neugier folgend sich dem Aircar näherte, würde es seine Deckung verlassen müssen. Sie erwarteten, daß das Fahrzeug es aus seinem Versteck locken würde, wenn auch vielleicht nicht vor Ablauf von ein paar Stunden. Wenn es sie beobachtet hatte, mußte es wis sen, wo sie gelandet waren. Es konnte argwöhnen, daß die Menschen sich nicht in dem gelandeten Aircar, sondern irgendwo in der Nähe befanden. Also würde es vielleicht zuerst auf der Suche nach ihnen die bewaldeten Ränder des Ta les durchstreifen. Jills Sichtfeld nach rechts und links war durch die Wölbungen der Felswand begrenzt; was ihrem Blick entzogen war, lag aber im Schußfeld der Suesvants von Grant und Ned, die auf Bäumen saßen. Sie war nur dann in Gefahr, wenn der Zwei
beiner etwas tun konnte, wozu keines der großen Tie re auf Galestral fähig war – all die verschiedenen Formen tödlicher Strahlung, welche die Suesvant in Sekundenbruchteilen ausspeien konnte, zu absorbie ren und weiter auf seinen Feind einzudringen. Doch daran glaubten sie nicht. Und wenn es dazu in der Lage war, dann liefen Grant und Ned, die nur ihre eigenen Sinne davor schützen konnten, von dem durch das Dickicht anschleichenden Tier überrascht zu werden, größere Gefahr als sie. Die Falle hatte also einen doppelten Köder und sie durften damit rechnen, daß sich, so oder so, etwas in ihr verfangen würde. Der Rest war nur eine Frage der Geduld. Der Zweibeiner hatte gezeigt, daß er zu war ten verstand. Sie konnten das auch. Langsam verstrichen die Minuten. Der Morgen graute allmählich und wurde dann wieder dunkler, als schwarze Wolken sich über ihnen zusammenzo gen. Es gab einen kurzen, heftigen Regenguß, gefolgt von zeitweisen Schauern. Der Donner grollte in den Bergen. Jills Blick ging methodisch über die gegenü berliegende Seite des Tals. Von Zeit zu Zeit benützte sie das Zielfernrohr, um irgendeine Stelle in der Ver größerung genau zu betrachten. Vielfältiges Leben war zu bemerken; zwischen den Regenfällen schien die Luft voll von kleinen Stimmen zu sein. Gelegent lich sah sie größere Tiere im Tal und am Waldrand.
Zwei langbeinige, gestreifte Tiere strichen minuten lang um ihr Fahrzeug und betrachteten es in stum mem Argwohn aus jedem Winkel, bevor sie sich wie der entfernten. Sie hatte gerade ein Gebüsch auf der anderen Seite im Zielfernrohr, als sie plötzlich einen Kopf erblickte. Das war alles, was sie von dem Tier sehen konnte; der Kopf hatte sich vorsichtig aus der Vegetation er hoben, um in das Tal zu spähen. Es war ein großer, dunkler Kopf mit einem schmalen Maul, hellen Au gen und spitzen schwarzen Ohren. Ein Schauder durchfuhr sie. Alles, was einen Kopf dieser Größe hatte, war zu schwer, um im Geäst der Büsche zu sit zen. Dieses Wesen stand auf dem Boden ... und es überragte die Größe eines Menschen um ein gutes Stück. Dieser Abschnitt des Waldrandes befand sich au ßerhalb des Gesichtsfeldes der anderen. Jill drückte den Alarmknopf auf ihrem Armbandsender. Sofort verspürte sie unter dem Senderband auf der Haut ei nen zweimaligen leichten Schock. In Ordnung – die Männer waren informiert ... Und jetzt Geduld. Sie konnte auf den Kopf feuern, aber wenn er nicht zu dem gehörte, was sie vermute te, würde das den ganzen Plan vereiteln. Sie regulier te ein wenig die Zielvorrichtung der Suesvant. Fertig. Der Kopf sank in das Gebüsch zurück und ver
schwand. Jill hob ihre Augen über das Fernrohr und wartete. Eine Minute verging. Eine zweite. Dann tauchte, dreißig Meter von der Stelle entfernt, wo sie den Kopf gesehen hatte, langsam etwas unter den Bäumen auf. Sofort hatte sie es wieder im Zielfern rohr – und das war es! Der Zweibeiner. Das KulkoorTier. Riesenhafter Bau; Gewicht vielleicht fast eine Vierteltonne. Schwarzbraune Farbe mit moosgrünen Flecken. Der Kopf des Tieres – er hatte nichts Huma noides oder Affenähnliches an sich – saß auf einem kurzen dicken Hals. Seltsam unregelmäßig gezackte Stellen, wie Deformierungen, zeigten sich auf der großen Brust ... Und während ihr Gehirn all dies ver zeichnete, verstärkte sich der langsame Druck ihres Fingers auf dem Abzug, das Fadenkreuz auf den obe ren Torso des Tieres gerichtet. Dann ein gewaltiger Peitschenknall, und die Suesvant hatte quer durch das Tal gefeuert. Konzentriert hätte der gewaltige Rückstoß Jill von dem Felsen hochgehoben und sie mit knochenbrechender Wucht gegen die hinter ihr hochragende Wand geschleudert. Aber die Rückstoß verteiler neutralisierten ihn; was sie halb unbewußt spürte, war ein kurzer Stoß gegen ihre Schulter. Als der Zweibeiner rückwärts taumelte – nur rückwärts taumelte? – setzte sie ein zweites Geschoß ein Dut zend Zoll unterhalb des ersten, ein drittes unterhalb des zweiten. Die Kreatur wandte sich nun zur Seite
und stolperte mit weit aufgerissenem Maul dahin; und Jill feuerte einen vierten Schuß auf den Kopf. Ein Explosivgeschoß dieses Mal; ein weißer Feuerstrahl leuchtete auf, als es traf. Dann verschwand der Zwei beiner in der Vegetation. »Es ging zu Boden«, verkündete sie unsicher, wäh rend ihre Finger mechanisch vier neue Geschosse in die Kammer steckten. »Kann es jetzt nicht sehen. Traf es viermal, aber ...« »Wo genau war es?« fragte Grants Stimme aus dem Empfänger. Jill beschrieb die Stelle. Die Suesvant lag wieder schußbereit auf dem Felsblock, und ihre Augen überwachten den Wald. Bis jetzt schienen die Zwei beiner Einzelgänger zu sein. Aber die Manöver des Aircars konnten mehrere in dieses Gebiet gezogen haben. Allerdings schien sich nichts zu bewegen. Die vier Schüsse hatten viele Tiere zu wilder Flucht auf gejagt. Diese Geräusche verstummten nun. Jill fuhr fort: »Diese Kreatur ist unglaublich! Die er sten beiden Schüsse schienen ihr nur einen kleinen Stoß zu versetzen. Erst auf den dritten hin begann es, zu Boden zu gehen.« Ein Augenblick der Stille. Grant sagte: »Kein An zeichen irgendeiner Bewegung jetzt?« »Keins.« »Wir kommen herunter. Ned?«
»Schon unterwegs«, sagte Ned Brock. Jill wartete. Einige Minuten vergingen. Dann sagte Grants Stimme: »Wir sind im freien Gelände, Jill. Kommen Sie heraus.« Sie sah die beiden, als sie unter dem Überhang he raustrat. Sie kamen von beiden Seiten in das Tal her unter. Jill deutete zu der Stelle, wo der Zweibeiner verschwunden war, und sie schritten darauf zu, die Suesvants im Anschlag. Jill ging bis zum Aircar und wartete dort. Ned und Grant trafen sich, näherten sich vorsichtig dem Gebüsch und entschwanden dann ihren Blicken. Nach einigen Sekunden sagte Neds Stimme: »Jill?« »Ja?« »Sie haben es getroffen. Eine dicke Blutspur ... Aber es ist nicht liegen geblieben. Es ist weg.« Sie sagte ungläubig: »Das Explosivgeschoß traf es in den Kopf – ich habe es gesehen! Ist es auch nicht von anderen weggeschleppt worden?« »Nur eine Spur«, sagte seine Stimme. »Nur eine. Aber es wird nicht weit kommen. Wir folgen ihm. Steigen Sie in den Aircar und überqueren Sie den Wald. Schauen Sie, ob Witter ein bewaffnetes Fahr zeug hier stehen hat, das bei der Jagd helfen kann.« Sie warf einen letzten Blick nach allen Seiten, schwang sich in das Fahrzeug und zog es über das Tal hoch. Enttäuschung und Besorgnis lasteten
schwer auf ihr. Etwas zu verfolgen, was sich nach mehreren Treffern aus einer Suesvant wieder vom Boden erhoben hatte, war in diesem Dickicht keine angenehme Aufgabe! Aber die Zweibeiner waren nicht unverwundbar; das hatte sie bewiesen. Sie selbst würde jetzt mit dem Fahrzeug zwischen dem Wald und dem Bach warten, um es im freien Gelände zu fangen, falls es versuchen sollte, wieder seinen früheren Fluchtweg einzuschlagen. Und es war zu erwarten, daß es das tun würde, wenn es nicht vorher die Kräfte verließen. Sie schaltete den Kommunikator ein, rief die SternUnion-Basis an und bat um eine Verbindung mit Crowell. Der Zweibeiner erschien nicht mehr im offenen Ge lände. Er verschwand im Wald. Die Blutspur führte zu einem schmalen, tiefen, reißenden Bach. Dort en dete sie. Ihr Rückstand konnte nur wenige Minuten betragen, und wenn es sich stromaufwärts gewandt hatte, mußte Neds Biotracker Spuren des Blutes im Wasser registrieren. Es gab keine solchen Spuren; also suchten sie beide Ufer ab und flogen dann stromab wärts, wobei sie wiederum beide Ufer nach einer Blutspur absuchten. Es gab keine. Nach allem, was sie über das Tier wußten, war es möglicherweise ein ausgezeichneter Schwimmer, und der Bach wies tiefe
Tümpel auf, zu tief, um in der schwachen Helligkeit des Waldes etwas optisch auszumachen, vielleicht gab es auch Höhlen in den felsigen Ufern, in die es sich zurückgezogen haben konnte. Auch in diesem Fall hätte jedoch das Wasser Blut- oder Geruchsspu ren aufweisen müssen, und der Biotracker zeigte kei ne an. Es war eine mühsame, zeitraubende Arbeit. Doch schließlich kamen sie zu der Stelle, wo der Wald en dete und der Bach in das Flüßchen mündete, das zum See hinunter führte. Jill hatte seit einiger Zeit dort gewartet; ihr Aircar schwebte über einem seichten Abschnitt des Baches, den der Zweibeiner nicht pas siert haben konnte, ohne von ihr gesehen zu werden. In hundert Meter Entfernung hing Crowells bewaff neter Aircar in der Luft, in dem sich auch Ilken be fand. Die Fahrzeuge landeten. Grant und Ned berichte ten, was geschehen war. Es blieb unerklärt. Sie hatten keine überhängenden Äste feststellen können, die stark genug waren, daß ein so gewaltiges Lebewesen an ihnen hätte aus dem Wasser klettern können, ohne das Ufer zu berühren. »Ich kann mir nur vorstellen«, sagte Ned schließlich, »daß es sich in irgendeinem tie fen Tunnel am Bachufer verkrochen hat – oberhalb der Wasserlinie. Dann könnte der Bach alle Spuren fortgetragen haben, bevor wir die Stelle erreichten.«
Er sah Crowell an. »Der wichtigste Punkt – abgesehen von der Tatsache, daß diese Tiere verletzlich sind – ist, daß der von Jill verwundete Zweibeiner nicht der selbe ist, der in Station III war und Farquhar fort schleppte. Der Biotracker zeigt an, daß es sich um die gleiche Spezies, aber um verschiedene Individuen handelt.« Crowell sagte: »Das bedeutet, daß es zumindest noch einen lebenden Zweibeiner in der Gegend gibt?« »Das nehmen wir an«, sagte Grant. »Und wenn der Verletzte nicht stirbt, dann wird er sich auch nicht auf Dauer verborgen halten. Unser Trick wird hier wohl nicht noch einmal gelingen; wir werden uns also für den Rest des Tages zurückziehen und die Dinge sich selbst überlassen. Am frühen Morgen kommen wir zurück und durchkämmen den Wald zu Fuß. Wenn wir keine frische Spur finden, so müßte es doch alte geben, die der Tracker registriert, und unter den Bäumen werden sie nicht so vom Regen ausgewa schen sein. Vielleicht führen sie uns zum Versteck des einen Zweibeiners, oder wir provozieren einen weite ren Angriff.« Crowell nickte. »Bis zum Morgen kann ich die mei sten bewaffneten Aircars der Basis von ihren anderen Aufgaben freistellen und in diesem Gebiet hier sta tionieren. Sie werden das offene Gelände überwa chen.«
Sie besprachen die Einzelheiten. Eine gemeinsame Operation konnte nun erfolgreich sein. Wenn der Bio tracker Stellen anzeigte, wo ein Zweibeiner versteckt sein mochte, konnten die schweren Energiestrahlen der armierten Aircars die Deckung aus Wald, Erde und Fels durchdringen und die Kreatur ans Tages licht zwingen. Mit etwas Glück würden sie am näch sten Tag ihrer habhaft werden. Sie bestiegen wieder ihre Fahrzeuge und entfernten sich. Im Verlauf des Tages ließ Crowell sämtliche Aufzeichnungen und andere wichtige und bewegli che Materialien auf die Basis verbringen. Das For schungsteam würde zu seinem Schiff zurückkehren. Der Galestral-Aircar war noch eine Flugstunde von dem Schiff entfernt, als er ein Alarmsignal des Schiffscomputers empfing. Etwas, das zu keiner be kannten Spezies der lokalen Fauna gehörte, bewegte sich am Rande des Verteidigungs-Perimeters des Schiffes. »Das müssen wir überprüfen!« sagte Grant schnell. Jill glitt auf ihren Sitz vor der KommunikatorKonsole. Das Alarmsignal hatte aufgehört. Sie drück te die Bericht-Taste und sagte einen Augenblick spä ter: »Nicht identifizierte Störung ... Jetzt wird sie wie der angezeigt ...!« Ned sagte: »Einige von Captain Witters Schwim
mer-Freunden unterwegs zum Planeten? Vielleicht haben sie auch mit uns etwas vor.« Es schien die wahrscheinlichste Erklärung und blieb doch rätselhaft. Das Schiffsradar konnte einen Aircar in dem Augenblick identifizieren, in dem es seine Annäherung registrierte. Aber das Berichtsband wiederholte unablässig, daß die Störungsquelle nicht identifizierbar sei. Sie hatten den Eindruck, als bewe ge sich etwas am Rand der Verteidigungszone, be rühre es und ziehe sich dann wieder zurück. Das Alarmsignal kam in unregelmäßigen Abständen. Dann, etwa fünf Minuten später, verzeichnete das Band die Detonation einer Schiffskanone. Danach kam kein weiteres Alarmsignal; das Berichtsband zeigte normale Lage an. Ned schüttelte den Kopf. »Wollte sich nicht warnen lassen! Vielleicht werden wir nie wissen, was es war!« Sie näherten sich dem Schiff weiter mit hoher Ge schwindigkeit und sahen es alsbald über der sich vor ihnen ausbreitenden Ebene stehen. Alle Radargeräte des Aircars waren in Betrieb, doch ließ nichts auf die Anwesenheit von Eindringlingen schließen. Grant flog mehrmals in weitem Bogen um das Schiff und sagte dann: »Wie steht es, Jill?« Jill sagte nach einem Augenblick: »Alles normal. Wenn hier etwas war, dann ist es nicht mehr da, Grant.«
»Wenn hier etwas war?« »Man hat auch schon von versagenden Sensorsy stemen gehört.« »Ja«, räumte Grant ein. »Aber uns ist das noch nicht passiert. Und jetzt wäre auch nicht gerade der richtige Augenblick dafür.« Der Aircar nahm Rich tung auf das Schiff. »Nun, bald werden wir es wis sen!« Er drückte das Erkennungssignal. »Bestätigt«, sagte Jill. Der Aircar näherte sich dem Schiff um weitere dreihundert Meter. Plötzlich erschien eine Aura strahlenden blauen Lichts um das Schiff und hüllte es ein – die einge schalteten Schutzfelder. Grant riß das Fahrzeug herum und verließ mit Höchstgeschwindigkeit den Verteidigungs-Perimeter. Das Licht erlosch. »Nicht identifizierte Störung!« las Jill einen Augen blick später vom Report-Band. »Das waren wir!« »So muß es sein.« Versagen der Systeme? Die Ge sichter der drei waren bleich geworden. Bei normaler Annäherungsgeschwindigkeit hätten sie die Waffen des Schiffs ausgelöst. Grant sagte: »Versuchen wir es noch einmal ...« Die Ergebnisse waren dieselben. Das Schiff erkann te das Signal des Aircars, ging aber in Angriffsbereit schaft, sobald das Fahrzeug den Verteidigungs
Perimeter erreichte. Für das Computergehirn drüben im Schiff blieben sie eine nicht identifizierte Störung. »Versuchen Sie festzustellen, wo das Problem liegt«, sagte Grant. Jill schüttelte den Kopf und ging zweimal sämtli che Kontrollschaltungen durch. »Soweit ich von hier aus sagen kann, gibt es kein Problem«, sagte sie dann. Nach einem Moment des Nachdenkens fügte sie hin zu: »Versuchen wir, uns mit Dauer-Erkennungssignal zu nähern. Wenn sie zu fortwährender Bestätigung gezwungen sind, kann das vielleicht den Alarm un terdrücken.« Sie näherten sich langsam. Das Sperrfeld leuchtete auf. Jill sagte: »Jetzt verweigert er die Bestätigung. Die Sequenzen unterdrücken wirklich einander! Wenden Sie und versuchen Sie es noch einmal, Grant.« Beim fünften Versuch funktionierte es. Die Sperr felder erschienen nicht, und das Schiff erkannte das Kommen des Aircars als ein friedliches an. Grant stoppte das Fahrzeug kurz vor der Angriffszone und sagte mit abwesend klingender Stimme: »Verfahren Sie weiter nach Standardprozedur!« Jill unterbrach das Erkennungssignal. Das Schiff stoppte die Bestätigung. Sonst geschah nichts. Sie gab den Befehl, die Schleuse zu öffnen und sagte: »Wird bestätigt.« Ihre Stimme war ein wenig zittrig.
Grant nickte und sagte: »Die Schleuse öffnet sich. So, Leute, haltet den Atem an! Sieht aus, wie wenn al les in Ordnung wäre, und wir können nicht auch noch auf eine persönliche Einladung warten.« Er nahm Fahrt an, erreichte die Angriffszone und steuerte die offene Schleuse an.
12
In dieser Nacht wirkte die Stern-Union-Basis nur we nig anders als sonst. Viele der Abteilungen blieben auch nach der offiziellen Arbeitszeit noch für einige Stunden beleuchtet. Operationen rund um die Uhr waren nichts Ungewöhnliches, und Dr. Sutton hatte die Abteilungsleiter angewiesen, neue Arbeitspläne aufzustellen, um die von den verschiedenen Außen stationen zurückgerufenen Leute nützlich beschäfti gen zu können. Crowell bemerkte, daß im Erholungstrakt viel ge trunken wurde. Er war nicht überrascht. Für mehr als zwei Drittel der Expeditionsteilnehmer war die Ober fläche jedes Planeten ein in höchstem Maße fremdes Gebiet. Sie waren Norm-g-Geher, waren für ihre jet zige Aufgabe geschult worden, aber in abgeschlosse nen Zonen geboren und aufgewachsen. Diese Zonen waren manchmal sehr weitläufig, aber immer und unübersehbar begrenzt. Unter dem offenen Himmel fühlten sie sich bewußt oder unbewußt gefährdet. Genau das hatte Cencom bedacht, als es die Expe dition zusammenstellte, sagte sich Crowell. Es testete Kulkoor. Nicht mit erfahrenen Planetenforschern, denn in der Stern-Union gab es nicht genügend er fahrene Planetenforscher für die wichtigeren Opera
tionen, die hier geplant waren. Es testete Kulkoor mit etwa dem Geher-Material, wie es für groß angelegten Bergbau auf diesem Planeten zur Verfügung stehen würde. Und wenn es sich erweise, daß dieses Men schenmaterial den Beanspruchungen durch Kulkoor nicht gewachsen war, würde Cencom, wenn auch widerwillig, Schwimmer-Kuppeln verwenden müs sen. Dies würde größere Konzessionen an die Schwimmer-Liga bedeuten, doch Cencom würde den Preis bezahlen, um die Kontrolle über die Operatio nen auf Kulkoor zu behalten. In der Zwischenzeit aber würde er sich einer all gemeinen, stetig noch zunehmenden Nervosität ge genüber sehen, wenn nicht schnell bewiesen werden konnte, daß zumindest die Zweibeiner ein lokales, kontrollierbares Problem waren. Er hatte verlauten lassen, daß eines dieser Wesen am Morgen vom Gale stral-Forschungsteam schwer verwundet worden war, und daß die bewaffneten Aircars der Basis am nächsten Tag ihre intensive Suche fortsetzen würden. Er war nicht sicher, ob diese Information Nutzen ge bracht hatte. Vielleicht würde die beste Lösung doch sein, den größten Teil des Personals in die Gefrier schränke des Wachschiffs einzulagern, einfach um die Leute für den Augenblick aus dem Weg zu haben. Er würde darüber entscheiden, sobald er Bescheid von Captain Bymer erhielt, daß die Vorbereitungen
für den Prozeß abgeschlossen seien. Es war keine Lö sung, die Cencom gefallen würde – dort würde man es lieber sehen, daß die Expedition bis zu ihrem psychi schen Zerfall getestet würde. Doch hatte man dies Crowell nicht ausdrücklich aufgetragen; und er war es, der hier die Verantwortung trug. Die Entscheidung lag bei ihm. Cencom würde sie akzeptieren müssen. Die Moral des Verteidigungsteams jedenfalls schien überaus gut zu sein. Sie waren, wie Herrick es ausgedrückt hatte, auf Kampf gedrillt, und jetzt hat ten sie zumindest die Illusion, daß es außerhalb der Basis etwas gebe, was sie bekämpfen konnten. Die Energiekanonen waren mit dem Mechanismus der Sperrfelder verbunden, so daß sie in jeder Richtung durch sie feuern konnten. Die Strahlen der Such scheinwerfer bildeten wechselnde Muster und be leuchteten die Landschaft jenseits der undeutlich schimmernden Sperrfelder. Technisch gesehen han delte es sich um eine Übung. Wenn sie obendrein da zu diente, das Personal an die furchterregende Be waffnung der Basis zu erinnern, dann um so besser. Crowell ging zu seiner Wohnung und hatte etwa eine Stunde geschlafen, als das Intercom-Signal ihn weckte. Er schaltete das Gerät an und drückte die »Bereit«-Taste. »Captain Witter«, sagte Dr. Bates' Stimme, »wür den Sie bitte sofort in mein Büro kommen?«
»Was ist passiert?« »Wir hatten eine ... nun, einen Zwischenfall. Einen Fall akuter Hysterie. Es besteht die Gefahr, daß die Hysterie sich ausbreitet. Ich denke, Sie sollten sich aus erster Hand informieren, worum es geht.« »Ja, das ist wohl besser, ich komme sofort.« Als Crowell mit Ilken Dr. Bates' Büro erreichte, wa ren Herrick, Hansen und Dr. Sutton bereits dort. Als sie den Raum betraten, öffnete sich eine weitere Tür, und Dr. Kimberley, Bates' Assistent, erschien in ihr. »Die Patientin schläft«, sagte Kimberley. Er sah Crowell an. »Ich habe ihr ein Beruhigungsmittel ge geben. Natürlich können wir sie wecken, wenn Sie mit ihr sprechen wollen.« »Im Augenblick nicht«, sagte Crowell. »Erzählen Sie mir nur, was geschehen ist.« Dr. Bates sagte: »Die Patientin ist Nancy Watson, eine Biotechnikerin. Sie war eng mit Wilma Howard befreundet, der jungen Frau, die in Station III getötet worden ist.« Crowell nickte. »Wilmas Tod hat sie furchtbar mitgenommen«, sagte Dr. Bates. »Wir haben sie gestern schon behan delt, aber dann wollte sie wieder an ihre Arbeit ge hen, und ich erlaubte es ihr. Es schien mir eine gute Therapie zu sein. Was ich sagen will, ist, daß sie sich unter einem schweren emotionalen Stress befindet.
Nun – eben kam sie durch eine der südlichen Passa gen.« »Korridor achtundvierzig«, sagte Herrick. »Er ist, oder war fast unbeleuchtet. Niemand war bei ihr.« »Also«, sagte Crowell, »sie kam allein durch einen dunklen Korridor. Und dann?« »Sie glaubt Geister gesehen zu haben«, sagte Dr. Bates. Crowell starrte ihn an. »Geister?« wiederholte er. »Die Geister von Wilma Howard und den anderen, die in Station III umkamen?« Dr. Bates runzelte die Stirn. »Nein«, sagte er. »Ob wohl das den Umständen nach nahegelegen hätte.« »Wessen Geister also?« »Es war niemand, den sie kannte. Die Geister von drei Männern. Sie sagte, es seien drei von den Män nern gewesen, die aus dem mysteriösen Bergwerks lager verschwunden sind.« Crowell knurrte. »Gab sie irgendwelche Einzelhei ten an?« »Ja«, sagte Dr. Bates. »Sie sei den Korridor entlang gegangen und habe dann drei Männer beisammen stehen sehen, die in ihre Richtung starrten, als warte ten sie auf sie. Sie konnte die drei zunächst nicht deutlich sehen und näherte sich ihnen also weiter, bis sie plötzlich bemerkte, daß es überhaupt keine Leute von der Basis waren, sondern Geister, wie sie sagte –
drei tote Männer. Sie drehte sich schreiend um und stürzte den Weg zurück, den sie gekommen war.« Herrick sagte: »Ich war zufällig in der Nähe und hörte etwas. Ich und einige andere untersuchten so fort den Korridor. Niemand war zu sehen, weder dort noch in den umliegenden Gebäuden.« »Dr. Bates«, sagte Crowell, »als Sie mich riefen, ga ben Sie mir zu verstehen, daß Sie es vielleicht mit mehr als einem Fall von Hysterie zu tun haben wür den.« »Das ist durchaus möglich, fürchte ich«, sagte Dr. Bates. Hansen sagte: »Nancy war in der ganzen Sektion zu hören, Crowell. Mindestens zwei Dutzend Leute hörten sie direkt. Weshalb sie so schrie ... Sie meinte, daß Teufel Alex Hays und die Leute von Station III getötet hätten. Daß dies ihre Welt sei und wir nicht hätten hierher kommen sollen. Und daß Sie alles nur noch schlimmer gemacht hätten, indem Sie die Gale strals einen von ihnen erschießen ließen. Deswegen zeigten sie ihr die Geister früherer Opfer als ein Zei chen, daß sie nun uns alle umbringen würden.« Han sen zuckte die Achseln. »Wir beruhigten sie, so gut es ging, aber ich konnte sehen, wie zumindest einige der Zuhörer reagierten.« Dr. Bates nickte. »Symptome agoraphobischer Verwirrung sind hier nicht selten, obwohl sie bisher
die Arbeit der Expedition nicht nennenswert beein trächtigt haben. Schlafstörungen, allgemeine Span nungen ... Dinge dieser Art. Meistens wußte der Pati ent nicht genau, was ihm eigentlich fehlte. Wenn die Zweibeiner nicht gekommen wären, wäre es wohl dabei geblieben. Jetzt aber werden diese leichten Psy chosen durch das Gefühl verstärkt, daß uns die Welt um uns herum aktiv feindlich gegenübersteht. Wir müssen mit weiteren Schwierigkeiten rechnen und ...« Er brach ab, als der Intercom-Summer ertönte. Eine Stimme fragte: »Ist Captain Witter in der Medizinal abteilung?« Dr. Bates wandte sich zu seinem Schreibtisch und drückte den Intercom-Knopf. »Ja, er ist hier.« »Wir haben eine Botschaft der Öffentlichen Bedien steten Betheny von Varien für ihn. Sie möchte ihn so bald wie möglich bei sich sehen. Die Angelegenheit ist dringend.« Crowell warf Ilken einen Blick zu und sagte: »Hier ist Witter. Bestellen Sie der Öffentlichen Bediensteten, daß ich in wenigen Minuten dort sein werde.« Dr. Ba tes ließ den Antwortknopf los, und Crowell fuhr, die Augen auf Dr. Sutton gerichtet, fort: »Ich habe Cap tain Bymer angewiesen, die Notsektionen des Perso nalgefrierers seines Schiffs bereitzuhalten. Von mor gen früh an dürfte er in der Lage sein, binnen kurzer
Zeit größere Gruppen aufzunehmen. Sie können die einzelnen Abteilungen wissen lassen, daß jeder, der sich auf dem Schiff einfrieren lassen will, dann diese Möglichkeit haben wird. Das sollte einen guten Teil des Drucks von uns nehmen. Nötigenfalls werden wir sogar das gesamte Personal mit Ausnahme der Kampf- und Sicherheitsgruppen und der Notdienste evakuieren, bis die Dinge hier unten in Ordnung ge bracht sind.« Er fügte hinzu: »Ich komme Ihren Projekten nicht gern derart ins Gehege, Dr. Sutton, aber es scheint mir besser, als eine allgemeine Panik zu riskieren.« Dr. Sutton lächelte gezwungen. »Wir stimmen völ lig überein!« »Und, Herrick«, fuhr Crowell fort, »beleuchten Sie die Basis für den Rest der Nacht, mit Ausnahme der Personalquartiere. Keine dunklen Korridore oder Ar beitsstellen mehr. Vielleicht könnten Sie ein paar Pa trouillen herumgehen lassen.« Herrick nickte und ging zur Tür. »Guy«, sagte Crowell, »wie schnell können Sie die Überwachungsgeräte wieder in Gang bringen?« Hansen hob die Schultern. »Wenn ich auf Schlaf verzichte – bis übermorgen.« »Captain Witter«, sagte Betheny, »ich bin zu dem Schluß gekommen, daß es nicht angezeigt wäre,
wenn ich weiter versuchte, Cencoms Pläne für die Kulkoor-Operation zu modifizieren. Ich lasse sie gänzlich fallen. Und ich wünsche, unverzüglich von hier zum Wachschiff gebracht zu werden und dort zu verbleiben, bis die Vorkehrungen für meine Rückkehr nach Varien getroffen sind.« Der Hauptraum der Null-g-Struktur war in blen dendes Licht getaucht. Die beiden Dienerinnen Be thenys hatten sich entfernt, als Crowell und Ilken ein traten. Betheny wünschte, das Gespräch ohne Zuhö rer zu führen. Crowell sagte: »Was hat Sie zu dieser Entscheidung veranlaßt?« »Spielt das eine Rolle?« »Es könnte sein.« Er beobachtete ihren Ge sichtsausdruck. Ilken hielt ihre Position mit einer langsamen, fächelnden Bewegung der Leitantenne und beobachtete sie ebenfalls. »Sie haben eine Grup pe von Anhängern dort«, bemerkte Crowell, »die seit einiger Zeit keine Instruktionen mehr von Ihnen er halten haben.« »Was hätte das schon zu besagen?« »Ich frage mich, ob nicht eine Ihrer Anweisungen war, zu einem bestimmten Zeitpunkt einen Schlag gegen die Basis zu führen. Wobei natürlich Sie in die sem Moment nicht auf der Basis sein würden.« In Bethenys Gesicht arbeitete es. »Es ist keine der
artige Anweisung ergangen!« sagte sie. »Auch sind sie nicht dafür ausgerüstet, die Basis anzugreifen. Nachdem ich meine Arbeit hier beende, bin ich bereit, sie hierher zu rufen und aufzufordern, sich zu erge ben. Genügt Ihnen das?« »Ich könnte nicht sicher sein, daß alle sich ergeben haben, oder?« Sie zögerte. »Sie haben Ihr Befragungsinstrument. Es wird Ihnen zeigen, daß ich die Wahrheit sage. Ich verzichte auf meine Immunität.« »Halten wir das fest.« Crowell sah zu Ilken hin über. Sie nickte, war schon in Bewegung, tauchte auf die Eingangshalle zu. Einen Augenblick später hörten sie, wie sich die Tür hinter ihr schloß. Crowell schau te sich in dem stillen, hell erleuchteten Raum um und sah dann wieder Betheny an. »Wovor haben Sie Angst?« fragte er. »Angst?« Sie schüttelte den Kopf. »Ich möchte nur ...« »Sie fürchten sich zu Tode.« Aber er war verwirrt. Er wußte, daß einige von Bethenys Sympathisanten auf der Basis sie weiter über die Ereignisse draußen auf dem laufenden hielten. Es war durchaus möglich, daß sie bereits von Nancy Watsons hysterischer Er zählung von einer Begegnung mit Geistern gehört hatte. Was unwahrscheinlich schien, war, daß Bethe ny von Varien sich wegen einer solchen Geschichte
von der Basis vertreiben lassen oder auch ihre Pläne nur im geringsten ändern würde – außer sie hatte Grund, der Angelegenheit eine Bedeutung beizumes sen, die Crowell verborgen blieb. Sie sagte: »Ihre Behauptung ist impertinent, Cap tain Witter! Und Sie überschreiten Ihre Befugnisse.« Crowell schüttelte den Kopf. »Wenn ich entscheide, daß es in Cencoms Interesse ist, Sie auf der Basis fest zuhalten, dann bleiben Sie.« »Nein!« sagte Betheny zitternd. »Ich muß auf das Schiff.« »Dann sagen Sie mir den Grund.« Sie drehte ihren Kopf von einer Seite auf die andere. »Meine innere Stimme sagt mir, daß dieses Planetentier hier war. Ich weiß, daß es unmöglich ist. Aber wenn man mich zwingt, auf der Oberfläche von Kulkoor zu bleiben, dann werde ich den Verstand verlieren.« Einen Augenblick lang spürte Crowell, wie es ihm kalt den Rücken hinunterlief. »Das Planetentier?« Sie starrte ihn an. »Die Kreatur, die die Leute der Station getötet hat. Oder eine andere dieser Gattung.« »Was ist geschehen?« sagte Crowell. Sie hatte in ihrem verdunkelten Ruheraum geschla fen und war von einem Geräusch aufgeweckt wor den, das sie jetzt nicht beschreiben konnte. Es war kein lautes Geräusch gewesen. Dann erschien etwas sehr Großes an der Wand der Abteilung. Es war vage,
schemenhaft. Aber irgendwie war es, abgesehen von seiner Größe, menschenähnlich. Schließlich schien es nach und nach zu verschwinden. In den nächsten eineinhalb oder zwei Minuten konnte sie es dann nicht mehr sehen, obwohl sie seine Gegenwart noch fühlte, als ob es sie aus der Nähe beobachtete. Sie war zu verängstigt, um sich zu bewegen oder einen Laut von sich zu geben. Plötzlich spürte sie dann, daß es fort war, und rief ihren Leibwächter und Dr. Torres. Die hatten nichts Ungewöhnliches bemerkt. Ilken kehrte zurück, während Betheny noch berich tete. Letztere schien sie kaum zu bemerken, ebenso wenig wie die Instrumente, die sie brachte. Crowell nahm ihren Immunitätsverzicht auf Band, ließ Bethe ny dann weiter erzählen und stellte gelegentlich Fra gen. Ilkens Gesicht blieb undurchdringlich, während sie die Anzeigen des Interrogators verfolgte. Sie mochte einen sehr lebhaften Alptraum gehabt haben; jedenfalls erzählte sie Crowell nicht mehr, als sie für wahr hielt. Schließlich sagte er: »Also gut, Sie dürfen hinauf zum Schiff, Rufen Sie jetzt Ihre Gruppe.« Betheny nahm den Sender, den Ilken ihr gab, nahm sorgfältig einige Einstellungen vor, drehte den Schal ter. Sie warteten.
»Hatten Sie je das Gefühl«, fragte Crowell Ilken, »daß Sie bald den Boden unter Ihren Füßen verlieren?« »Hie und da«, gestand Ilken. »Fühlen Sie sich jetzt so?« »Ich bin nicht sicher.« Sie hatten Dr. Bates herbei gerufen, Betheny und ihre beiden Dienerinnen be täubt und sie in einen geschlossenen Null-gTransporter der Krankenabteilung gebracht, in dem sie zum Wachschiff transportiert werden sollten, so bald Captain Bymers Transporter ankam. Bymer würden die drei unverzüglich in ein Gefrierabteil le gen. Er glaubte nun, die von Crowell vorgegebene Zeit von vierzig Stunden für die Vorbereitung der Evakuierung einhalten zu können. Er würde das melden, sobald alles noch einmal überprüft war. Crowell hatte noch niemandem gesagt, daß Bethenys Gruppe auf Kulkoor, achtzehn Mann, verschwunden zu sein schien. Zumindest hatten sie fünfzehn Minu ten lang das Code-Signal gegeben, ohne Antwort zu erhalten, obgleich der Sender anzeigte, daß das Signal aufgenommen wurde. Betheny hatte beinahe einen Schock erlitten. »Werden Sie die Evakuierung in die Wege leiten, sobald Bymer bereit ist?« fragte Ilken. »Die Leute, die wir hier nicht brauchen und die morgen gehen wollen, kommen hinauf. Freiwillige können bleiben – bis jetzt scheint es nicht, als würde
es viele davon geben!« Düster kratzte sich Crowell den Kopf. »Es liegt einfach nicht genug Konkretes vor, was eine völlige Evakuierung rechtfertigt. Wir können die Expedition nicht gut von Geistern ver treiben lassen!« Ilken bemerkte, daß Geister auf Kulkoor ein ebenso stichhaltiger Grund seien wie irgendwo anders. Mail liards empfanden tiefen Respekt vor dem Übernatür lichen. »Und was sagen Sie dazu, daß Bethenys Män ner einfach so verschwunden sind?« Crowell zuckte die Achseln. »Ob sie verschwunden sind, wissen wir nicht. Wir wissen nur, daß sie auf unseren Ruf nicht reagieren. Und da sie nicht weiß, wo sie sich versteckt halten, können wir der Sache nicht nachgehen ... Suchen wir Herrick und stellen wir sicher, daß er die Einfrier-Kandidaten gruppen weise bereithält, sobald Bymer bereit ist und Trans porter für sie herunterschickt. Dann werden wir noch schärfer rangehen, Vorkehrungen für alle nur denk baren Eventualitäten treffen und warten, was pas siert.« Im weiteren Lauf der Nacht, etwa eine Stunde vor Morgengrauen, passierte etwas. Herrick hatte an einer kleinen Seitenschleuse des Energiefeldes eine Wache postiert. Eine vorbeikom mende Patrouille bemerkte, daß dieser Posten fehlte
und informierte Herrick. Bald stellte sich heraus, daß der Mann nirgendwo auf der Basis aufzufinden war. Die Überprüfung der Aircar verlief negativ, und auch die Aircar-Schleuse war während der Nacht nicht benützt worden. Es blieben zwei Möglichkeiten, wie der Posten die Basis verlassen haben konnte. Ei ne, ob freiwillig oder nicht, war der Abfallvernichter. Die andere war die Schleuse, die er hatte bewachen sollen. Niemand konnte durch sie eintreten, bevor der Kontrollturm sie öffnete. Doch konnte ein einzelner durch sie hinausgelangen. Aber dort fand sich keine Spur des Postens, auch nicht auf dem Felsgrund um die Basis herum. Die Wachen auf den Türmen hinter ihren Suchscheinwerfern hatten nichts von Bedeu tung bemerkt. »Trotzdem kann er so hinausgekommen sein«, sag te Crowell über den Kommunikator zu Grant Gage. »Wenn das der Fall ist, ging er irgendwo hin. Können Sie uns mit Ihrem Biotracker aushelfen?« »Wir kommen, so schnell wir können«, erwiderte Grants Stimme. »Zufällig wollten wir sowieso eben aufbrechen.« »Gibt es bei den Galestral-Übertieren etwas«, fuhr Crowell fort, »was psychische Auswirkungen auf Menschen haben kann – Halluzinationen, irrationales Verhalten, Wahnsinn?« Grant sagte zögernd: »Von mehreren dieser Arten
weiß man, daß sie Symptome dieser Art beim Men schen hervorrufen können.« »Symptome, die unsere Geistererscheinungen er klären könnten – oder vielleicht einen Mann dazu veranlassen, in der Nacht die Basis zu verlassen?« »Das ist nicht ausgeschlossen. Man weiß nicht sehr viel über diese Dinge.« »Wie kann man sich dagegen schützen?« »Im allgemeinen dadurch«, sagte Grant, »daß man das betreffende Tier tötet. Es gibt Pharmazeutika, die einen Teilschutz gewährleisten. Und manche Leute sind einfach dagegen immun.« Er fügte hinzu: »Auch bei uns gibt es ein Problem. Unser Schiff kann im Moment nicht als ganz zuverlässig bezeichnet wer den.« Er beschrieb die Schwierigkeiten, die sie tags zuvor gehabt hatten, als sie an Bord gehen wollten. »Jill und ich waren die halbe Nacht auf, um die Ursa che zu finden. Das Dumme ist, daß wir keinen Fehler finden können. Sonst wären wir schon seit einer Stunde unterwegs. Doch werden wir innerhalb der nächsten zehn Minuten in Richtung Basis starten.« Captain Bymer meldete, daß die Vorbereitungen auf dem Wachschiff in nicht viel mehr als einer Stun de definitiv beendet sein würden. Herrick hatte fest gesetzt, wer zur Durchführung der Wartungsarbeiten auf der Basis bleiben würde. Andere wurden für die Evakuierung in Gruppen eingeteilt. Von den Abtei
lungsleitern gab es keine Proteste; und sehr wenige Expeditionsteilnehmer hatten sich freiwillig für ein Verbleiben auf der Basis entschieden. Crowell sandte eine weitere Drohne mit einem Be richt über den gegenwärtigen Stand der Dinge zu Cencom.
13
Captain Bymers Stimme sagte aus dem Kommunika tor: »Die Ursache der Verzögerung auf dem Schiff ist ein Defekt in der Schleuse zum Transporterdeck. Sie öffnet sich nicht. Unsere Ingenieure arbeiten seit einer halben Stunde daran. Die Störung kann nicht allzu gravierend sein. Ich melde mich wieder, sobald der Transporter startbereit ist.« »Wir erwarten Ihren Ruf«, sagte Crowell. Er schaltete den Kommunikator ab und machte eine Grimasse zu Ilken hinüber. »Vorerst zu niemandem ein Wort darüber. Hier ist alles schon nervös genug!« Auf der Basis herrschte an diesem Morgen etwas wie Furcht, etwas, was über Unruhe hinausging und sich noch dadurch zu steigern schien, daß niemand diesem Gefühl Ausdruck verleihen wollte. Das mit der Evakuierung befaßte Personal hatte sich in den verschiedenen Sektionen gesammelt. Herrick hatte die Reihenfolge bekannt gemacht, in der die einzel nen Gruppen abtransportiert werden sollten. Die be waffneten Aircars waren auf einer Seite des Lande feldes abgestellt worden, um Platz für die Transpor ter zu lassen. Abwehrteams hatten ihre Positionen eingenommen; die Schleusen standen unter Bewa chung. Jetzt konnte man nur noch warten.
Fünfzehn Minuten vergingen, bevor ein weiterer Anruf vom Schiff kam. »Ja?« fragte Crowell. Captain Bymers Stimme verriet seine Anspannung. »Ich habe keine Erklärung«, sagte er. »Eben wurde mir eine Explosion auf dem Transporterdeck gemel det.« Crowell warf Ilken schnell einen Blick zu und frag te: »Irgendwelche Schäden?« »Captain Witter, wir wissen es nicht. Die Transpor terschleuse funktioniert immer noch nicht. Jedenfalls scheint die Explosion ziemlich heftig gewesen zu sein. Ich fürchte, es wird unmöglich sein ...« Er brach ab. Aus dem Kommunikator kam ein prasselndes Geräusch. »Captain Bymer?« »Noch eine Explosion.« Bymers Stimme klang dünn. »Dieses Mal offenbar im Maschinenraum. Ich ...« Der Kommunikator verstummte. Crowell und Ilken starrten einander an. Der Schrecken in ihrem Gesicht wich schnell einem kal ten, entschlossenen Ausdruck. »Noch ein Zufall?« sagte sie. »Kaum! Aber was ...« »Crowell, irgend etwas ist auf dem Schiff! Irgend etwas hat nicht zugelassen, daß die Basis evakuiert wird. Das nächste Ziel wird die Basis selbst sein!«
Er nickte. »Wir müssen Cencom eine Drohne schik ken – müssen sie wissen lassen, was sie erwartet, wenn sie auf Kulkoor zurückkommen. Vielleicht ha ben wir nicht mehr viel Zeit ...« Als sie sich der Tür des Kommunikator-Raums zuwandten, gab es plötzlich eine Explosion. Der Bo den erzitterte. Sie rannten zur Tür hinaus. Schwarzer Rauch erhob sich am anderen Ende der Basis. Crowell packte Ilken am Arm. »Das Drohnenlager!« stieß er hervor. »Jetzt kom men sie aus ihren Löchern – und sie wollen verhin dern, daß wir Meldungen an Cencom senden. Rufen Sie die Galestrals! Sagen Sie ihnen, daß die Basis an gegriffen wird und daß sie den Planeten verlassen sollen, solange sie noch können!« Ilken wandte sich zum Computer-Raum um. In diesem Augenblick blitzte Feuerschein auf. Der Druck der Explosion ließ sie instinktiv die Arme zum Schutz ihres Gesichts hochreißen und warf sie ein paar Schritte zurück. Als Crowell sie auffing, wurde überall auf der Basis Schreien und Stöhnen laut. Unter dem Aircar des Forschungsteams raste Kul koors Oberfläche vorbei. Sie befanden sich über fla chem Tafelland, in dem durch den kürzlichen Regen gebildete kleine Seen aufleuchteten. Dann kamen Berge, deren schneebedeckte Gipfel kalte Gletscher
seen umschlossen. Südlich hinter den Bergen lag das Gebiet der Stern-Union-Basis. Jill Hastings' Blicke hefteten sich unablässig und methodisch auf den überflogenen Bereich. Mecha nisch regelten ihre Finger die Vergrößerung des Ra darschirms. Wenn auch düstere, besorgte Gedanken sie erfüllten, so beeinträchtigte das keineswegs ihre Wachsamkeit. Sobald der Elektronenstrahl etwas er faßte, was genauerer Betrachtung bedurfte, würde sie das sofort bemerken. Diese Fähigkeit war ebenso ein geübt und mechanisch wie das Regulieren der In strumente. Kurz bevor sie das Schiff verließen, hatten sie eine Drohne an die Galestral-Gesellschaft abgeschickt. Sie enthielt Informationen, die Crowell Grant über den Kommunikator gegeben hatte, und meldete weiter, daß eine teilweise Evakuierung der Stern-Union-Basis von ihm angeordnet worden war. Daneben über brachte sie einen Bericht über das unerklärte Versa gen des Schiffscomputers des Teams. Es gab keinen, absolut keinen Hinweis darauf, warum das Schiff den Aircar nach der Bestätigung seines Erkennungssi gnals nicht als in freundlicher Absicht kommend ak zeptiert hatte. Auch nach nochmaligem Abspielen der Bänder fanden sie keine Erklärung dafür, warum das Schiff Verteidigungs- und Angriffswaffen benutzt hatte.
Sie waren dann sechzig Kilometer nach Westen ge flogen und hatten ihr Fahrzeug in dreitausend Meter stationiert. Seinen neuen Standort wie auch die Er kennungssignale, die eine vorsichtige Annäherung erlaubten, hatten sie der Drohnenmeldung beigege ben. Sie hatten hinzugefügt, daß sie sich zur SternUnion-Basis begeben würden, um zu sehen, ob sie sich dort nützlich machen könnten, und hatten die Drohne abgeschickt. All dies war natürlich für den Fall erfolgt, daß die Galestral-Gesellschaft alsbald jemand anders senden würde, der die Kulkoor-Frage von der Stelle an wei ter verfolgen würde, wo sie steckengeblieben waren. Ein Scheitern schien nun durchaus möglich. Jill beugte sich über die Bildschirme des Bodenra dars und verbannte die Stimmen ihrer Gefährten aus ihrer Wahrnehmung. Wie die meisten der geborenen Galestrals hatte sie kaum Illusionen von einer absolu ten Vorrangstellung des Menschen im Universum. Die Wege des Lebens waren unvorhersehbar; seine möglichen Endformen konnte niemand erahnen. Der Mensch hatte sich bis jetzt im Wettbewerb gut gehal ten. Niemand konnte mit Sicherheit sagen, ob er es noch weiter bringen würde. Auf Kulkoor schien ihm ein beachtlicher Konkur rent erwachsen zu sein. War es der Zweibeiner, der große schwarzbraune Menschenfresser dieser Welt,
mit seiner instinktiven Schlauheit, der fast unzerstör bar erschien? Oder etwas anderes – etwas, was sich bis jetzt nur indirekt bemerkbar gemacht hatte? Sie bewegten sich rasch an den südlichen Abhän gen der Berge entlang. Ihr Fahrzeug überquerte das Gebiet, wo sie dem Zweibeiner aufgelauert hatten, und Jill sah links unter sich die verlassene Station III. »Grant!« rief sie plötzlich. »Dort unten ist jemand!« »Was? Wo?« »In der Station. Eben sah ich ihn einen Moment lang ... Da ist er wieder!« Sie drehte einen Schalt knopf. Dann hielt sie den Atem an. »Was ist es?« Mit bleichem Gesicht sagte Jill mit leiser, erregter Stimme: »Fliegen Sie weiter – aber langsam! Natür lich ist es unmöglich ... Aber es ist Farquhar, der dort unten neben der Station steht. Frank Farquhar!« »Es kann nicht Farquhar sein«, sagte Grant. »Was ist es? Können Sie es auf dem Schirm nicht klar er kennen?« »Nein«, sagte Jill. Die unmögliche Gestalt dort un ten schien von Augenblick zu Augenblick zu ver schwimmen und dann wieder feste Umrisse anzu nehmen. Es hatte nichts mit der Einstellung des Ra dars zu tun; der Fels um die Gestalt herum blieb klar zu erkennen. Sie hörte Ned Brock sagen: »Sieht aus, wie wenn
jemand Geist spielte ... Irgend so ein Spiel wie letzte Nacht auf der Basis?« »Wahrscheinlich«, sagte Grant. »Gehen wir hinun ter.« Jill sah sich zu ihm um. »Das ist doch unsere Auf gabe!« »Natürlich ist das unsere Aufgabe. Und was es auch ist – jetzt zeigt Kulkoor sein wahres Gesicht. Wir werden uns das ansehen.« Jill antwortete nicht und beobachtete weiter auf merksam die Figur in der Station, während der Aircar eine nach unten führende Kurve beschrieb. Ned war am Kommunikator und bat die Stern-Union-Basis, Crowell wissen zu lassen, was sie gesehen hatten. Bis jetzt hatte der Kommunikator der Basis nicht geant wortet. Irgend etwas, dachte Jill, hatte vorher ihren Aircar über die Berge kommen sehen. Irgend etwas, das wußte, daß es ihr Aircar war, auch wußte, daß sie mit Farquhar zu tun hatten, wußte, daß sie es waren, die einen Zweibeiner niedergeschossen hatten und einzufangen versuchten ... Also war bei Station III ein Bild Farquhars geschaf fen worden. Irgend etwas wußte, daß sie es sehen und zu ihm kommen würden. Es war eine Falle, aber sie sagte das nicht laut. Grant und Ned wußten es auch. Und Grant hatte recht; sie mußten herausfin den, was das war.
Dann kam ihr wieder der Gedanke, daß die Menschheit nicht erwarten konnte, jede Runde zu gewinnen und diese hier vielleicht schon verloren hatte. In einer Entfernung von vierhundert Metern von dem Bild und ziemlich nahe über dem Boden stoppte Grant den Aircar. Zu ihrer Linken, nicht viel mehr als siebzig Meter entfernt, erhob sich die Silhouette des Waldes über ihr Fahrzeug. Ned hatte den Kommuni kator abgeschaltet und kauerte mit seiner Suesvant an der offenen Tür, aufmerksam den Wald beobach tend. Wenn es hier Zuschauer gab, mußten sie dort drüben sein. Das einzige Versteck in den Felshängen darunter war die Station; und sie war ja durch die Sperrfelder unzugänglich. Grant beobachtete auch das restliche Gelände. Seine Hände ließ er an den Steuerhebeln, bereit, das Fahr zeug bei voller Beschleunigung in jeder Richtung da vonzuziehen. Die Nase des Aircars zeigte auf Farqu hars Bild, das Jill angestrengt auf dem Schirm beobach tete. Es schien jetzt nicht mehr als sieben Meter entfernt zu sein. Jill hatte während ihres Abstieges in zuneh mendem Maße den Eindruck gehabt, als veränderten sich ihre Gefühle und Vorstellungen. Dieser Eindruck war nun großenteils geschwunden; sie versuchte jetzt, sich klar zu werden, was dies Ding, dieses Bild eines to ten Mannes, den sie zu seinen Lebzeiten flüchtig ge
kannt hatte, sein mochte. Die Ähnlichkeit war nicht perfekt; es wies kleinere Abweichungen auf und schien auch nicht zu leben – sollte vielleicht gar nicht lebendig erscheinen. Es bewegte sich nicht. Sein Ausdruck war starr. Die Augen schienen blind zu sein. Mit tonloser Stimme meldete sie: »Die Figur scheint den Boden nur mit einem Fuß zu berühren. Wenn sie Masse und Gewicht hätte, müßte sie in dieser Stel lung umstürzen.« »Können Sie sonst noch etwas erkennen?« »Gar nichts.« »Im Gebüsch bewegt sich nichts«, sagte Ned kurz. »Ich gehe näher heran«, sagte Grant. Jill seufzte leise. Sie wollten die Falle absichtlich zuschnappen lassen. Vielleicht war das nicht zu ver meiden. Das Bild, seine bloße Anwesenheit – welcher Natur es auch immer sein mochte – hatte schon eine Anzahl von Dingen bemerkenswert klar gemacht. Ihr Blick war weiter auf den Bildschirm gerichtet, doch entging ihr nicht, daß der Berghang zu ihrer Linken durch die Vorwärtsbewegung des Fahrzeugs langsam vorbeizog. Etwa eine Minute verging. Far quhars Bild kam auf dem Schirm immer näher. Plötz lich verschwand es. »Es ist weg, Grant!« »Hab's gesehen.« Er hatte abgestoppt, als Jill sprach. Sie schaltete das Sichtgerät auf Weitwinkelop
tik. Dann warteten sie schweigend. Das Verschwin den des Bildes mußte irgendeine Bedeutung haben. Um sie herum war ein Ton. Nicht laut, aber be ständig. Er hing wie ein Zittern in der Luft, wuchs nicht an, schwand nicht. Ned knurrte. »Haben Sie auch das Gefühl, daß ir gend etwas an Ihnen zerrt?« »Ja. Ein seltsames ... Jill?« Jill antwortete nicht. Grant fuhr in seinem Sitz her um, fühlte sein Gesicht blutleer werden, schrie aus Leibeskräften: »Jill!« In dem Sitz hinter ihm war eine Silhouette. Sie hat te Jills Umrisse, war aber nebelig grau, von fast rauchartiger Substanzlosigkeit. Auf seinen Ruf hin schien der Kopf sich ihm zuzuwenden; ihre Gesichts züge waren noch schwach wahrnehmbar. Er hörte, wie Ned entsetzt den Atem anhielt. Dann bewegte sich der Umriß, nahm Gestalt an; Farbe floß in ihn; und da war sie wieder, blinzelnd, verwundert. »Grant ... Was ...« »Bleiben Sie, wie Sie sind! Bleiben Sie hier! Sehen Sie sie an, Ned!« Grant beschleunigte abrupt und zog das Fahrzeug in engem Bogen nach oben. »Sie lösten sich auf wie ein Geist!« sagte er eine Minu te später immer noch leichenblaß im Gesicht. »Was war mit Ihnen los?«
Das Fahrzeug kreiste in einer Höhe von etwa tausend Meter etwas südlich von der Station. Farquhars Bild war wieder dort unten zu sehen. Offenbar wurde es un sichtbar, wenn das Radargerät nahe genug herankam, und erschien wieder, wenn sie sich entfernten. Jill schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht! Da war eine Art Nebel. Ich meine wirklichen Nebel. Ich wur de dicker. Ich schien mich in den Nebel hinein zu bewegen. Eure Stimmen begannen sich zu entfernen. Dann hörte ich Sie schreien – und war wieder da.« »Warum taten Sie nichts?« Hilflos zuckte sie die Achseln. »Was sollte ich tun? Ich hatte keine Angst. Ich weiß nicht warum. Ich be merkte, was vorging, aber es schien nicht sehr wirk lich zu sein. Mehr wie ein Traum.« »Der Fallenmechanismus«, sagte Grant nach einem Moment. »Er hätte Sie fast erwischt. Und wenn wir es nicht bemerkt hätten, hätte es auch uns erwischt. Wir spürten ein Ziehen ...« »Es paßt zu anderen Dingen«, sagte Ned. Das stimmte. Es hatte geschienen, als endeten die Spuren der beiden von ihnen verfolgten Zweibeiner im Wasser. »Sie wurden fortgetragen«, sagte Ned, »von – nun, was immer das ist!« Grant nickte. »Sie können den Effekt auf einen be liebigen Punkt konzentrieren. Der zweite Zweibeiner war verletzt – er rief um Hilfe, und sie holten ihn di
rekt vor uns aus dem Bach.« Das spurlose Ver schwinden des Mannes von der Stern-Union-Basis in der Nacht mußte auf ähnliche Weise zu erklären sein. »Die Geister von Menschen und Zweibeinern, die früher auf der Basis gesehen wurden«, fuhr Grant fort. »Es geht in beiden Richtungen. Eine Art des Transports. Man verschwindet hier; man materiali siert sich dort. Hält man den Prozeß vor der völligen Materialisierung an, dann sieht man aus wie ein Geist. So wie Jill eben.« »Und die Sperrfelder geben Witters Basis keinerlei Schutz«, fügte Ned hinzu. »Nicht den geringsten«, stimmte Grant zu. »Nun – was werden sie als nächstes tun?« Jill sagte nüchtern: »Sie müssen vor dem entschei denden Schlag stehen! Sie haben versucht, die Men schen von dem Planeten zu verjagen. Zunächst indem sie vorgaben, Tiere zu sein ...« Schlaue, wilde Tiere, die ohne Warnung zuschlu gen, durch menschliche Waffen nicht verletzbar wa ren und auf geheimnisvolle Weise verschwanden, wenn sie verfolgt wurden. Wenn die Verluste der Stern-Union-Expedition auf ein so unerträgliches Maß gebracht werden konnten, daß die Überleben den in panischer Furcht flohen, würden die Men schen vielleicht beschließen, einer so ungeheuerlich feindseligen Welt den Rücken zuzukehren.
»Und dennoch hat Jill einen von ihnen angeschos sen«, sagte Grant. »Abschirmfelder. Einen gewöhnli chen Energiestrahl wehren sie ab, aber die Suesvant schlug durch. Vielleicht ist es sehr schwer verletzt worden oder war schon am Sterben, als sie es zu rückholten. Das setzte dem Mythos vom unbesiegli chen Supertier ein Ende – und so verlegten sie sich heute nacht auf übernatürliche Effekte. Begonnen hat das Ganze schon damit, daß sie das Bergwerkslager ausräumten und dann stehen ließen, damit wir es finden sollten.« »Wenn sie planten, uns von dem Planeten zu ver treiben, müssen sie Grund zu der Annahme haben, daß unsere Gehirne auf ziemlich ähnliche Weise wie die ihren arbeiten«, sagte Ned. »Hier gibt es eine Zivi lisation. Untergrund? In Berghöhlen?« Grant sagte: »Vielleicht nur, solange Menschen hier sind. Vielleicht gibt es nicht allzu viele von ihnen, aber in gewisser Hinsicht muß es eine ziemlich fort geschrittene Zivilisation sein. Vielleicht sind sie für die gestrigen Störungen im Schiff verantwortlich?« Ned sagte nach einer Pause: »Bis jetzt gibt es noch keinen Grund zu dieser Annahme.« Jill sagte: »Ich glaube, Farquhar war daraufge kommen! Er versuchte, einen Weg zu finden, wie er mit ihnen Verbindung aufnehmen konnte. Deswegen verließ er Station III. Aber ihnen liegt nichts an einer
solchen Verbindung. Was tun wir jetzt? Sie sahen uns kommen und stellten uns auf dieser Route, die wir schon früher benützten, eine Falle. Sie müssen wis sen, daß wir drei in Verbindung mit Farquhar stan den. Das mit der Falle klappte nicht, und vielleicht wissen sie es bereits.« Ned sagte: »Die Basis antwortet immer noch nicht auf unser Signal.« Einen Augenblick lang schwiegen sie. Dann sagte Jill: »Sie glauben, es wird auf unserem Schiff wieder Probleme geben? Vor einer Stunde arbeitete die Kommunikator-Verbindung noch. Wir können es schnell feststellen, indem wir weiter zur Basis fliegen ...« »Und ihr beide begebt euch dorthin«, sagte Grant. »Wir müssen Witter sofort von diesen Dingen berich ten, so daß er die Informationen weitergeben kann.« »Und Sie?« sagte Jill. Grant klopfte auf seinen Bildschirm und sagte: »Die Metallsensoren melden, daß dort unten eine Maschine ist. Prüfen Sie es selbst nach, Ned. Ich habe sie genau erfaßt. Etwa einhundertfünfzig Meter von Ihrem Farquharbild entfernt. Kupier. Stahl, und noch anderes. Mißt von oben gesehen etwa fünfundvierzig mal zwanzig Zentimeter. Nehmen wir an, es sei der Bildprojektor.« »Was wollen Sie tun?« fragte Jill scharf.
»Wir gehen hinunter, Sie geben mir Deckung, und ich steige aus. Dann fliegen Sie beide zur Basis. So bald Sie weg sind, werde ich einen Schuß auf diesen Apparat abgeben. Dann wird wohl einer von ihnen kommen, um nachzusehen, was passiert ist. Auf den werde ich warten.« »Grant, tun Sie es nicht«, sagte Jill. »Bleiben wir wenigstens zusammen!« »Mir wäre lieber, wenn wir das könnten. Doch wir haben zu wenig Zeit. Sie scheinen beinahe alles über uns zu wissen, was man wissen kann, und wir wissen noch immer fast nichts über sie. Alles, was ich dort unten feststelle, kann von größter Bedeutung sein. Wenn ich meine Position eingenommen habe, werde ich Sie rufen. Versuchen Sie nicht, vorher mit mir Kontakt aufzunehmen. Sie könnten verraten, wo ich bin.« »Jill, er hat recht«, sagte Ned, als sie antworten wollte. »Ja, so ist es wohl«, stimmte Jill zögernd zu. Sie sagte nicht, daß sie davon überzeugt war, Grant nicht mehr wiederzusehen. Der Aircar ging nach unten, machte einen weiten, vorsichtigen Bogen um Farquhars Bild, blieb kurz über dem Wald stehen und glitt dann zwischen die Bäume. Falls es Beobachter gab, sollte der Eindruck entstehen, als suchten die Galestrals den Wald nach
ihnen ab. Einige Minuten später erhob sich das Fahr zeug wieder über die Bäume, stieg höher und nahm rasch Kurs auf die Stern-Union-Basis. Grant saß nicht mehr darin. »Wo ist Gage?« »Er hat zu tun«, sagte Ned. »Auf unserem Schiff?« »Nein. Er versucht, einen Zweibeiner zu fangen.« Crowell gab einen unwilligen Laut von sich. »Das könnte er auch hier tun!« »Sie wurden offensichtlich belagert«, sagte Ned. »Wir werden immer noch belagert«, erwiderte Crowell. »Im Augenblick ist es gerade ruhig. Vor fünf Minuten war das noch nicht der Fall. Sie werden zu rückommen. Hier auf der Basis haben wir etwas mehr als vierzig Leute verloren. Es ist schwierig, auf dem laufenden zu bleiben. Sie sind auch auf unserem Wachschiff. Einige von ihnen sind vielleicht gestern mit dem Transporter hinaufgekommen. Niemand hat sie bemerkt.« »Was ist passiert?« »Explosionen im Schiff. Ich sprach gerade mit By mer. Er berichtete von zwei Explosionen, konnte aber keine Einzelheiten angeben.« Die bewaffneten Aircars der Basis waren auf dem zentralen Freigelände verteilt. Die Kanonen waren
bemannt. Ned sah Ilken an einer von ihnen. Sie be achtete weder ihn noch Jill, die sich immer noch in dem neben Crowell und Ned schwebenden GalestralFahrzeug befanden. Ihre Blicke gingen hastig hierhin und dorthin; ihre Hände waren an den Bedienungs hebeln der Kanone. Einige Dutzend Männer, ausge rüstet mit den verschiedensten Waffen, von Energie gewehren bis zu tragbaren Kanonen, waren am Rand des Geländes postiert. Sechs oder sieben von ihnen hatten Schockwaffen, auch Crowell. Auch die übrigen Angehörigen des Stern-UnionPersonals waren anwesend, wenn auch unbewaffnet. Die Leute saßen, einzeln oder in verstreuten Grup pen, zwischen den armierten Aircars auf dem Lande feld. Einige lagen mit dem Gesicht nach unten, doch schien keiner irgendwie verletzt zu sein. Fast nie mand bewegte sich. »Wie gingen die Leute verloren?« sagte Ned. Crowell wies mit einer Kopfbewegung zu dem nächstgelegenen Gebäude hinüber. »Etwa ein Dutzend von ihnen liegt dahinter«, sagte er. »Was von ihnen übrig ist. Wir kriegten sie nicht rechtzeitig hier heraus. Sie kamen in irgendeiner Art Feuer um. Die Mannschaft im Südturm sah den Zweibeiner, der es tat. Sie griffen ihn sofort an, schossen die Längswand des Hauses ein. Aber er war einfach verschwunden ... Und der Rest der Leute, die
wir verloren, ist ebenfalls verschwunden. Man hörte hier einen seltsamen Ton ...« »Wir haben ihn auch gehört«, sagte Ned. »Beinahe hätten sie Jill auf diese Weise erwischt.« »Man sieht sich um, und wieder scheinen drei oder vier weg zu sein, was? Verschwinden ... Nun, wir ha ben das abgestellt – wahrscheinlich!« »Wie?« »Nahmen an, daß der Ton etwas mit ihrem Ver schwinden zu tun hat«, sagte Crowell. »Wenn er jetzt anfängt, überlagern wir ihn mit der Sirene. Haben seitdem niemanden mehr verloren. Unsere Verteidi gungsvorkehrungen« – er deutete auf das Gelände um sie herum – »sollen auch ihre weiteren Schritte vereiteln. Alle Leute sind hier draußen, durch die Kanonen geschützt. Die Kanonen decken einander. Wenn die Dinger anfangen, sich in der Luft zu mate rialisieren, nehmen wir sie kurz unter Strahlungsbe schuß, und sie verschwinden wieder. Sie haben nicht die Zeit, ihre Waffen zu benutzen.« »Sie haben nicht versucht, sich anderswo auf der Basis zu materialisieren und von dort aus anzugrei fen?« fragte Ned. »Nur einmal. Wir erwischten drei, als sie heraus kamen. Töteten sie, denke ich; doch ihre Körper hat ten sich mitsamt ihren Waffen aufgelöst, bevor wir sie erreichen konnten. Sie könnten es wieder versuchen,
aber offensichtlich wollen sie keine Verletzungen in Kauf nehmen. Natürlich haben sie es nicht nötig, Ver luste zu riskieren.« Crowell wies zum Nordende der Basis. »Eine Explosion dort drüben! Nur eine. Und zwar genau dort, wo sie unsere letzte Verbindung mit Cencom zerstören mußte – in der Sicherheitszone, wo die Navigationseinrichtungen der Meldedrohnen ge lagert wurden. Nichts Brauchbares blieb übrig.« Er schüttelte den Kopf. »Sie verstehen. Die könnten jederzeit die ganze Basis hochgehen lassen. Wir könn ten sie nicht daran hindern. Aber sie wollen nicht. Sie wollen hier ebenso sauber aufräumen wie in dem Bergwerkslager. Wenn eine Untersuchungsexpediti on kommt, gibt es ein neues Rätsel, ein viel größeres. Was geschah? Was stieß der Basis zu? Wohin ver schwand das Wachschiff? In allen unseren Berichten war nur von Problemen mit einem zweibeinigen Tier die Rede – und von Halluzinationen. Ausgezeichne tes Timing! Es könnte gelingen, wissen Sie. Es müßte Cencoms Computer verrückt machen.« Er fügte hin zu: »Wenn Sie noch in unser Schiff gelangen können, tun Sie es, verlassen Sie den Planeten. Das ist die ein zige sichere Möglichkeit, jemanden außerhalb des Planeten wissen zu lassen, was wirklich passiert ist.« »Wir wissen nicht, ob wir noch auf das Schiff kön nen«, sagte Ned. Er warf Jill einen Blick zu. »Soll ich mit Ihnen kommen?«
Sie schüttelte schnell den Kopf. »Ich muß die Bela stung so gering wie möglich halten. Sobald ich die Basis verlassen habe, werde ich alles nur Mögliche über Bord werfen, sogar Reservetreibstoff. Vielleicht schaffe ich es dann in dreißig Minuten zum Schiff. Sie kann man hier gebrauchen. Ich werde eine Drohne abschicken und dann mit dem Schiff zurückkommen. Viel Glück, Ned!« »Viel Glück, Jill! Wenn Grant sich meldet, werden wir ihn mit einem dieser Aircars holen.« Sie nickte, lächelte beiden kurz und etwas ängstlich zu und schloß die Fahrzeugtür. Der Aircar stieg schnell auf die Schleuse über ihnen zu und ver schwand hinter dem bläulichen Schimmer der Sperr felder. »Sie sollte das Schiff nicht hierher bringen«, sagte Crowell mißbilligend. »Doch«, sagte Ned. »Es ist ein verdammt gutes Schiff, und kampfstark. Ich wurde nie darauf ge schult, aber Jill. Die Zweibeiner können sich auf mehr Widerstand gefaßt machen, als sie ahnen.«
14
Grant Gage stand schultertief im Gebüsch, den Rük ken an einem Baum, große Felsen zur Linken und Rechten. Er befand sich gerade außerhalb des Berei ches der Projektionsfalle der Zweibeiner und war so auf natürliche Weise geschützt. Das die Projektion regelnde Gerät stand achtzig Meter links, etwas han gabwärts. Es war unsichtbar und wäre auch aus nächster Nähe nicht zu erkennen gewesen. Irgendwie hatten sie es getarnt. Aber er hatte sich seine Lage eingeprägt – einen Meter von der Spitze einer dun kelgrünen Gebüschzunge entfernt. Von seiner Positi on aus konnte er es mit einem Explosionsgeschoß treffen. Und das würde er tun, wenn derjenige, der das Ge rät hier aufgestellt hatte, sich nicht innerhalb von zehn Minuten zeigte, nachdem seine Arbeit ihm ja jetzt zwecklos erscheinen mußte. Diese Möglichkeit hätte er vorgezogen. Jedenfalls mußten Jill und Ned die Basis erreicht haben, und Crowell Witters Mel dung an Cencom war vermutlich unterwegs. Er hatte keinen Grund, noch länger als weitere zehn Minuten zu warten, bevor er ihnen durch die Zerstörung ihrer Maschine eins auswischte. Vielleicht drei dieser Minuten waren dann vergan
gen, als er etwas sah ... Eine nebelhafte Form, die sich nach und nach zwanzig Meter jenseits des Apparates über einem flachen, schrägen Felsblock bildete. Grant verharrte bewegungslos und beobachtete sie. Es konnte nur eines sein, obgleich es bis jetzt noch keine erkennbare Form oder deutliche Umrißlinie aufwies. Es war wie ein aufrecht stehender Fleck grauen Ne bels, der sich bewegte, aber blieb, wo er war. Es war groß genug, um einen Zweibeiner einzuhüllen. Jill hatte gesagt, daß in dem Augenblick, als sie beinahe verschwand, ihre optische und akustische Wahrneh mung in einer Art Nebel zu verschwimmen schien. Die Zweibeiner kontrollierten den Vorgang. Jetzt war einer von ihnen hier – wenngleich wiederum nicht ganz – auf jener Felsplatte, und spähte aus seinem subjektiven Nebel auf die objektiven Einzelheiten der Umgebung, möglicherweise um sicherzustellen, daß kein menschlicher Feind sich in der Nähe des Gerätes befand. Sie hatten gezeigt, daß sie trotz ihrer offen kundigen Wildheit argwöhnische und vorsichtige Wesen waren. Der Nebel wurde nach und nach wieder dünner und verschwand schließlich völlig. Nachdenklich fuhr sich Grant mit der Zunge über die Lippen. Er hatte keine Bewegung gemacht; somit war nicht an zunehmen, daß er hier entdeckt worden sein könnte. Aber er war nicht sicher ...
Etwas rührte sich zu seiner Linken, hart am Wald rand. Nur seine Augen drehten sich hinüber. Einen Augenblick lang sah er den Zweibeiner – wenn es derselbe war. Jedenfalls war es jetzt keine Geisterer scheinung, was da in einer Entfernung von hundert Meter im Profil zu sehen war und den Abhang hinun terschaute. Es war ein eindrucksvolles Geschöpf, menschenähnlich in seiner Haltung. Doch der Kopf war, wie Jill ihn beschrieben hatte: Etwa wie der eines Bären oder eines Schweines, wenn man von den gro ßen spitzen Ohren absah. Die Gestalt verwischte sich und verschwand dann sofort. Und das, dachte Grant, war kein Zufall. Wenn der Zweibeiner nur einen allgemeinen Überblick über das Gelände hätte gewinnen wollen, wäre er länger in Sicht geblieben. Vielleicht versuchte er jetzt, ihn zu einer Reaktion zu verleiten. Entweder argwöhnte oder wußte er, daß jemand hier war; vielleicht kannte er sogar Grants genauen Standpunkt. Vielleicht hat ten sie Instrumente, die den schützenden Nebel durchdrangen. Er hatte keine Instrumente gesehen, aber eine Art Gürtel um den behaarten Oberkörper wahrgenommen. Grants Aufmerksamkeit galt nun hauptsächlich dem Gelände zu seiner Rechten. Und er sah den Zweibeiner wieder erscheinen. Er kam plötzlich in Sicht, ungefähr zwanzig Meter entfernt und etwas
unterhalb von ihm, leicht gebückt, das Gesicht ihm zugewandt, einen gewaltigen, zottigen Arm ausge streckt, in der riesigen Hand ein durchsichtiges Rohr, das auf die Stelle, wo er stand, gerichtet war ... Grant warf sich seitwärts durch das Gebüsch, über den Felsbrocken zu seiner Linken hinunter, warf sich zu Boden. Feuer jagte das Dickicht jenseits des Felsblocks in die Luft, flammte an dem Baum empor, vor dem Grant gestanden war, floß den Abhang herunter. Glühende Hitze drang auf ihn ein. Er hechtete vorwärts, sah durch brennende Vegetation hindurch den Zweibeiner gebückt am Abhang stehen und in das Dickicht starren, die Waffe im Anschlag. Grant rollte sich zur Seite, riß gleichzeitig die Suesvant hoch, zielte und drückte ab. Der zweite Schuß folgte unmittelbar dem ersten, der dritte dem zweiten, wo bei die Detonationen sich dröhnend vereinten. Der Zweibeiner stolperte zurück, die glasige Waffe flog in hohem Bogen durch die Luft. Grant jagte drei weitere Schüsse in den großen Kopf, sah, wie das Geschöpf zu Boden stürzte und in seinen Konturen zu ver schwimmen begann, sprang auf und rannte durch das brennende Gebüsch. Der Zweibeiner verschwand. Dann, als Grant unter dem Schock der Enttäuschung stehenblieb, erschien er wieder – ausgestreckt in der Luft, einige Meter
oberhalb des Bodens und etwa vier Meter entfernt von der Stelle, wo er zuletzt gewesen war. Dann fiel er schwer auf den Hang hinunter, verschwand wie der – und erschien von neuem, fast in seiner vorheri gen Position. Nun lag er still. Grant lud die Suesvant nach, ohne den Blick von dem Zweibeiner zu wenden, und ging dann bergab auf ihn zu. Die explosive Gewalt des Feuers hatte sich verausgabt; in der nassen Vegetation breitete es sich nicht weiter aus. Grants linke Hand ging zu dem Armbandsender an seiner Rechten. Er sah darauf hinunter und fluchte dann leise und ingrimmig. Der kleine Apparat war zerstört, zur Unbrauchbar keit zermalmt bei seinem rettenden Sprung. Ein Kon takt mit den anderen war unmöglich geworden. Einiges wurde ihm alsbald klar. Der Zweibeiner trug eine Art Weste aus einem Material, das seinem eigenen zottigen Pelz so sehr ähnlich sah, daß Grant es erst bemerkte, als er die am Boden liegende Krea tur untersuchte. Die Weste ging bis zu dem breiten Gürtel, den er beim ersten Erscheinen des Zweibei ners gesehen hatte. Sie hatte verschlossene Taschen, in denen er verschiedene Geräte fühlen konnte. Die nächste Entdeckung kam nicht unerwartet. Der Pelz des Zweibeiners war kein natürlicher Schutz, son dern das Ergebnis eines persönlichen Energiefeldes. Grant versuchte an mehreren Stellen, den Giganten mit
einem spitzen Stock zu stechen, und erkannte, daß das Schutzfeld alles außer Händen und Füßen zu decken schien. Die Weste und der Gürtel befanden sich an des sen Außenseite. Einem längeren Druck gab das Feld etwas nach, konnte aber nicht so weit eingedrückt wer den, daß es das Fleisch unmittelbar darunter berührte. Offenkundig behinderte es weder Atmung noch Bewe gungen seines Trägers, schien aber für Einwirkungen von außen fast undurchdringlich zu sein. Grants Ge schosse hatten es durchschlagen; doch der Körper in seinem Inneren konnte nur einen Bruchteil der unge heuren Wucht der Suesvant-Projektile abbekommen haben. Dennoch hatte es genügt, um ihn zu töten. Grant fand an der Seite des Gürtels etwas, was sich als der Feldschalter erwies, rüttelte an der Arretie rung, konnte sie öffnen und drückte den Schalter nach unten. Das Feld verschwand; die Pelzweste, die saumlos zu sein schien, öffnete sich über der Mitte der Brust. Grant zog sie aus dem Gürtel heraus und starrte auf die Ursache der klumpigen Deformierung der Brustgegend dieser Kreaturen hinunter. Sie hatten vier Arme. Das zweite Armpaar saß vorn auf der Brust und war zwar sehnig und muskulös, aber doch viel kleiner und kürzer als das Hauptpaar, ja, es besaß kaum die Größe der Arme eines durch schnittlichen menschlichen Erwachsenen. Die Hände hatten lange, dünne, geschickt aussehende Finger.
Trotz seiner gewaltigen Größe mußte der Zweibeiner in der Lage gewesen sein, Feinarbeit zu verrichten. Die Sekundärarme waren auf der Brust gefaltet; und eine der Hände umschloß etwas. Grant hob den Arm; die Hand öffnete sich in der Schlaffheit des Todes und gab einen Gegenstand frei. Ohne besonders darauf zu achten und still auf den toten Zweibeiner starrend, hob Grant ihn auf. Sechs Glieder ... Die dominante pseudomammali sche Fauna auf Kulkoor, zu der die Zweibeiner zu gehören schienen, hatte vier Extremitäten! Er hatte die Erklärung des Geheimnisses Kulkoors vor sich. Es gab keine verborgene Zivilisation hier! Die Zweibeiner gehörten nicht zu den einheimischen Le bensformen. Sie waren aus einer anderen Welt ge kommen, fast mit Sicherheit aus demselben Grund wie die Menschen – um die gewaltigen Metallager des Planeten auszubeuten. Sie waren noch nicht lange hier, sonst wären Spuren ihrer Bergbautätigkeit ge funden worden. Irgendwo hatten sie eine versteckte Basis; aber vielleicht waren gegenwärtig nicht mehr von ihnen auf Kulkoor, als es Menschen gab. Und sie hatten versucht, eine rivalisierende zivili sierte Rasse zu vertreiben, ohne zu offenbaren, was sie waren ... So fortgeschritten sie technisch auch sein mochten, an diesem Punkt mußten sie sich verwundbar fühlen.
Grant besah sich den Gegenstand, den die Hand des Zweibeiners umklammert hatte. Offenbar war er für ihn von Wert gewesen – vielleicht war er auch für Grant von Wert. Etwa zehn Zentimeter lang, grau, glatt, birnenförmig, mit einer kleinen Einkerbung am spitzen Ende, ziemlich schwer für seine Größe. Ein persönliches Amulett ohne weitere Bedeutung? Wer aus dem Aberglauben anderer Vorteil ziehen wollte, war vielleicht selbst nicht ganz frei davon. Sein Blick fiel auf die offene leblose Hand des Zweibeiners. Die Handfläche hatte das stumpfe Ende der grauen Birne umschlossen. Er legte den Gegen stand in seine eigene. Bei der Berührung verspürte er ein schwaches Prickeln, das sofort wieder verging. Sein Interesse war plötzlich erwacht. Das Ding besaß eine Kraft – für irgendeinen Zweck. Er blickte wieder auf die Hand. Es schien, daß einer der Finger auf einem spitzen Ende der Birne geruht und auf die Einkerbung gedrückt hatte. Er packte das Ding auf die gleiche Art. Das Prickeln begann von neuem, hörte sogleich wieder auf. Ein Schleier schien sich über seine Augen zu ziehen. Er blinzelte, schüttelte den Kopf – und begriff plötzlich, was vorging. Er ließ den grauen Gegen stand beinahe fallen und nahm dann stattdessen sei nen Finger von der Spitze. Sofort wurde die nebelhaft verdunkelte Luft um ihn herum wieder klar.
Grant atmete tief ein und sah auf den Zweibeiner hinunter. Er hatte also eines ihrer Transportmittel! Er war jetzt ganz sicher, daß sich der Finger des Zwei beiners noch um die eingekerbte Spitze gekrampft hatte, als er ihn zum erstenmal aus der Nähe sah. Doch hatte das keine Veränderung gebracht. Dagegen war der Gigant vorher, nachdem er getroffen worden war, zweimal für Augenblicke verschwunden. Be wußt oder unbewußt, dachte Grant, hatte die Kreatur versucht, dorthin zurückzufliehen, woher sie ge kommen war, hatte es aber nicht geschafft. Zu diesem Zeitpunkt war sie schon dem Tode nahe. Jetzt war sie in voller Körperlichkeit hier. Um zu funktionieren, benötigte der Apparat Kon takt mit einem lebenden Körper. Brauchte er zudem die Führung eines lebenden Geistes, der ihm die Richtung wies?
15
Jill hatte den größten Teil der rasenden Fahrt zurück zum Schiff darauf verwendet, seine Funktionsfähig keit so gründlich zu untersuchen, wie das von dem Aircar aus möglich war. Sie fand keine Fehler. Alles schien normal. Die Sensoren meldeten, daß die Um gebung frei von verdächtigen Objekten war. Als sie sich dem Schiff näherte, gab sie das Erken nungssignal, empfing die Bestätigung des Schiffs, stellte auf Dauersignal ein und flog weiter bis zum Verteidigungs-Perimeter. Die Sperrfelder des Schiffes blieben ausgeschaltet. Alles schien in Ordnung zu sein. Sie biß sich auf die Lippen, gab das Öffnungssignal für die Eingangs schleuse und sah auf dem Radarschirm, wie sie auf ging. Das Fahrzeug glitt in die Verteidigungszone. Fast unmerklich schien sich die Welt zu verdun keln. Jill vernahm einen Ton. Er hüllte sie ein wie der nur halb gehörte Klang ei ner Glocke, ein Beben in der Luft. Müdigkeit überfiel sie. Dann durchfuhr sie schreckliche Angst. Die Müdigkeit war geschwunden. Der Aircar aber wurde undeutlich und löste sich in grauen Nebel auf. Sie versuchte, sich mit Gewalt in die Wirklichkeit zu
rückzuversetzen, wußte, daß es ihr nicht gelang, griff mechanisch nach der nebelhaften Suesvant an der Fahrzeugtür. Einen Moment lang schien es, als griffe sie in die Luft; dann fühlte sie den Kolben fest und kühl in ihrer Hand und riß das Gewehr an sich. Die Steuerung ... Sie war nicht mehr in ihrem Fahrzeug. Vor sich, in einem dunkler werdenden Nebel, sah sie seine un deutliche Silhouette, die sich auf das Schiff zubeweg te. Und das Schiff zerplatzte plötzlich zu einem gel ben Feuerball. Die Explosion war lautlos. Das Schat tenfahrzeug verschwand im Feuer, und der Nebel umschloß alles. Sie war im Nichts. Aber sie war Wirklichkeit. Die Suesvant in ihrer Hand war ebenso wirklich wie sie. Sonst nichts zu sehen, nichts zu hören. Der Nebel war kein Nebel; es war die Abwesenheit anderer Rea litäten; er war substanzlos, ohne Temperatur. Nichts. Aber sie war da. Sie konnte an sich hinunterschau en und sich wie bei Tageslicht sehen, auch das Ge wehr in ihrer Hand. Ihre Lungen atmeten, der Tatsa che nicht achtend, daß es nach den Gesetzen der Lo gik nichts zu atmen gab. Sie räusperte sich, vernahm das Geräusch. Irgendwie begann sie zu verstehen. Wenn die Zweibeiner dies als Transportmittel benutzten, konn te der Vorgang selbst ihr nichts tun, gab es nichts zu
fürchten. Gefährlich würde es erst dann werden, wenn er beendet war. Einige Zeit verging. Dann schien der Nebel dünner zu werden. Darauf hatte Jill gewartet. Sie drückte den Alarmknopf auf ihrem Armbandsender. »Ned?« Keine Antwort. Seltsame Lichter wurden um sie herum sichtbar. Sie war jetzt in irgend etwas. In einer Struktur – ei ner langen Halle mit Metallwänden. Sonst war nichts zu sehen. Es war, als blickte sie durch Wasser. Sie war in Bewegung, trieb die Halle entlang und dann auf eine der Wände zu. Sie geriet an die Wand, ohne die Berührung zu spüren, schwebte durch sie hindurch ... Und war in einem großen Raum. Wieder war da der metallische Glanz der sie umgebenden Wände; unter sich sah sie große, glänzende Apparate und hinter ihnen vage sich bewegende Silhouetten. Hier hörte sie auch Geräusche, das anschwellende Sum men von Kraft. Wieder und wieder überschlug sie sich wie ein taumelndes Blatt, wurde dann auf die zentrale Maschine zugezogen – in sie hinein. Licht blitzte kurz durch ihre geschlossenen Lider; heftige Energien umzitterten sie; dann hatte sie diese un glaubliche Hölle durchmessen, unverletzt, unberührt. Sie trieb weiter. Schneller. Ein Zweibeiner erschien plötzlich vor ihr, starrte sie an. Er hob einen gewalti gen Arm, als sei er von ihrem Kommen erschreckt
und versuche, sie abzuwehren. Vier Arme? War er vierarmig? Das kurze, unklare Bild konnte ihr keine Gewißheit verschaffen. Als sie die Suesvant hochriß, war sie durch ihn hindurch geschwebt, dann durch eine weitere Wand. Ein Geist. Bewegte sie sich durch Teile der unterir dischen Kulkoor-Zivilisation, die sie sich in ihren Theorien erdacht hatten? Es schien nicht so. Was sie hier sah, ließ auf eine großartige, kraftvolle Techno logie schließen, die offen und frei in ihrer eigenen Welt stand, bereit, sich jedem Eindringling zu stellen – nicht die Überreste einer fortgeschrittenen, aber ver fallenden Kultur, die sich beschämt im Untergrund verstecken mußten, wenn Besucher von den Sternen kamen. Mitunter sah sie jetzt andere Zweibeiner. Manchmal schienen sie sie zu bemerken, manchmal nicht. Sie waren vierarmig. Warum war ihr bei dem jenigen, den sie erschossen hatte, ein so wesentliches Merkmal nicht aufgefallen? Sie hatte den Eindruck, daß die meisten dieser Wesen kleiner und leichter waren als die Giganten, die sie bekämpft hatten, wenn sie auch der gleichen Art angehörten. Und die konnte nun nicht länger als eine KulkoorSpezies angesehen werden ... War sie in eine andere Welt versetzt? Es schien möglich. In diesem Augen blick wäre ihr vielleicht alles möglich erschienen. Plötzlich wurde der Nebel wieder dicker. Doch nur
für Augenblicke. Als er sich wieder zu lichten be gann, wußte Jill, was ihr zielloses Schweben bedeute te. Die kurze Verzögerung war es gewesen, weil sie mit anderen Angelegenheiten beschäftigt waren. Mit anderen Gefangenen. Denn sie befand sich in einer Exekutionskammer. Verglichen mit den meisten anderen Räumen, durch die sie gekommen war, war dieser Raum schmal, lang und niedrig. Etwas wie ein großes Ventilatorgitter er streckte sich über ihr. Einer der großen Zweibeiner stand am anderen Ende des Raumes und blickte in ihre Richtung. Er hielt ein kurzes, röhrenförmiges Ge rät in einer Hand. Auf einer Seite des Raumes lag ein Haufen ineinander verschlungener, verkohlter Dinge. Jill sah einmal zu ihnen hin, und dann nicht wieder. Erkannte der Henker die Suesvant als eine Waffe, die ihm gefährlich werden konnte? Sobald sie begriffen hatte, wo sie war und warum, hatte Jill das Gewehr sinken lassen und hielt es, während sie auf den sie beo bachtenden Zweibeiner starrte, in der Hand. Er wandte den Kopf; sie hörte ein gedämpftes Bellen. Der Nebel verdünnte sich weiter; sie spürte einen Ruck, stand plötzlich auf dem harten Boden des Raumes, roch den Gestank verbrannten Fleisches, den die durch die Kammer strömende Luft noch nicht fortgetragen hatte. Der Zweibeiner richtete sein Feuerrohr auf sie.
Die Suesvant war noch schneller im Anschlag. Der Henker war nicht durch ein Sperrfeld geschützt. Er war tot, als zwei Geschosse ihn zurück an die Wand schmetterten. Was nun? dachte Jill. Als Antwort zog sich der Nebel wieder dichter um sie zusammen. Wieder wirbelten kaum erkennbare Dinge an ihr vorbei. Sie war wieder in der körperlo sen Halbwelt. Die Kammer war verschwunden, doch jetzt erschien um sie herum und unter ihr eine Land schaft. Das Gespenst einer Landschaft, bleich, farblos. Trotzdem erkannte sie den Umriß jener Berge sogleich und wußte, daß sie auf Kulkoor war. Als sie hinabblickte, lag ein See unter ihr – weit unten, fast tausend Meter. Der Gletschersee, der die nördliche Grenze des Gebietes bildete, wo sie die beiden Zwei beiner aufgespürt hatten, deren eines von ihren Schüssen getroffen worden war. Sie blickte in die Richtung, aus der sie gekommen zu sein schien. Dort, innerhalb einer schemenhaften Bergsilhouette, lag ein riesiges, längliches, an einem Ende spitz zulaufendes Gebilde. Ein Schiff, dachte Jill. Ein gigantisches Raumschiff lag am Fuße des Berges. Vierarme waren von einem fernen Stern nach Kulkoor gekommen ... Als sie das Schiff genauer betrachten wollte, ver schwammen seine Umrisse. Die Berge ringsum und
der See unter ihr begannen Farbe und feste Formen anzunehmen. Einen Augenblick lang spürte sie das Wehen kalten Windes, das Aufscheinen hellen Tages lichts. Ihre Hand ging schnell zum Alarmknopf des Armbandsenders, drückte ihn. Sie war in die Welt der Wirklichkeit zurückversetzt worden, um hier zu sterben. Ein tausend Meter tiefer Sturz in den See wä re eine einfache Art, sich eines unerwartet wider spenstigen Gefangenen zu entledigen. Doch vielleicht war noch Zeit ... Und irgendwo änderte irgend jemand seine Ab sicht; und der Nebel umfing sie wieder. Und dies war nun die Steuerzentrale des großen Schif fes. Es konnte nichts anderes sein. Sie war entsprechend groß; etwa ein Fünftel davon nahmen Instrumentenpulte ein, die vor einem gekrümmten, Wand und Decke überspannenden Sichtschirm angeordnet waren. Was an der linken Wand zu sehen war, schienen die Umrisse der etwa vierzig Decks des Schiffes zu sein, deren wechselnde Licht- und Farbmuster der Zentrale Infor mationen signalisierten. Verhältnismäßig wenige der Kontrollplätze waren besetzt. Insgesamt waren etwa dreißig Zweibeiner zu sehen, zwei von ihnen von der Riesenart. Die anderen waren kaum mehr als manns hoch. Bei ihrem leichteren Bau erreichten sie wohl kaum ein Viertel des Gewichts der Riesen.
Jills Bewegung war in der Mitte des Raumes zum Stillstand gekommen. Eine Anzahl von Zweibeinern stand herum und starrte sie an. Der Nebeleffekt schien nur geringfügig zu sein, doch wußte sie, daß sie noch von ihnen getrennt war. Ihre Füße schienen den Boden zu berühren, doch als sie einen Schritt vorwärts machte, veränderte sich ihre Position nicht. Sie hielt die Suesvant bereit. Die beiden großen Zwei beiner waren bewaffnet. Die anderen nicht. Vor Ablauf einer Minute war der Grund ihres Hierseins klar. Die ganze rechte Wand des Raumes wurde zu einem Bildschirm. Auf ihm sah Jill einen anderen Raum, der ebenso hoch wie dieser war, aber schmaler. Ein Dutzend der kleineren Zweibeiner stand und ging dort herum. Hinter ihnen stand ein Exemplar einer dritten Zweibeinerart – einer, neben der die gewaltigen Menschenfresser wie Miniaturen wirkten. Nach Menschenart auf einem großen Stuhl sitzend, hatte er die Dimensionen eines ErdenDinosauriers. Stehend hätte er eine Höhe von acht Metern erreicht. Sie war hierher gebracht worden, um von diesem vierarmigen Wesen untersucht zu werden – dem Schiffskapitän vermutlich, der in einem Kommandoraum vor Instrumententafeln saß, die zu seinen Pro portionen paßten. Verließ er jemals diesen Raum? Wahrscheinlich. Große Teile des Schiffes wiesen rie
sige Ausmaße auf. Natürlich war es die Suesvant, die sie interessierte. Indem sie ihren Henker exekutierte, hatte sie die Möglichkeiten der Waffe erneut demon striert. Sie wollten die Suesvant für Studienzwecke. Die Kreatur musterte sie eine endlose Minute lang über den Schirm; dann erdröhnte kurz ihre Stimme. Das Bild verschwand, der Schirm wurde wieder zu einer Wand. Ihr Schicksal war entschieden. Die Steuerzentrale entschwand ihren Blicken. Grant hob die Hochtemperaturwaffe des toten Zwei beiners auf. Sie war schwer; er brauchte beide Hände, um sie zu halten und auf die Gestalt im höher gele genen Teil des Abhangs zu richten. Er drückte auf den Abzug, und die Gestalt und der Boden um sie herum gingen in hellen Flammen auf. Wenn die Ge nossen des Zweibeiners nach ihr suchten, würden zur Abwechslung sie etwas zu rätseln haben. Grant si cherte das Gerät und klinkte es an seinem Gürtel ein. Sein hohes Gewicht war hinderlich, doch konnte ihm das Ding noch einmal nützlich sein. Er hob die Pelz weste auf, die er dem Tier ausgezogen hatte. Ihre ver schlossenen Taschen waren vollgestopft mit den ver schiedensten Dingen, deren genauere Untersuchung einem anderen Zeitpunkt vorbehalten sein mußte. Zwei davon waren allerdings graue, birnenförmige Instrumente der Art, wie der Zweibeiner sie in der
Hand gehalten hatte. Die Notreserve. Es hatte kein Risiko eingehen wollen, plötzlich ohne ein funktions fähiges Exemplar dieses Gerätes dazustehen. Es war ihre besondere Transportmethode. Grant wußte nicht, ob ihrem Wirkungsbereich Grenzen ge setzt waren, aber das spielte jetzt keine Rolle. Er hatte herausgefunden, was er wissen mußte. Das Gehirn gab Anweisungen; das graue Instrument führte sie aus. Man stellte sich den Ort vor, zu dem man gelan gen wollte, oder man trieb einfach in den Nebeln des Nichts, wenn der Finger die gekerbte Spitze des In struments berührte und Kontakt schloß. Doch sobald man an den Ort dachte, kam man hin. Schnell oder langsam, wie man wollte. Oder man kam gar nir gends hin, blieb einfach im Nichts, ein Geist, kaum sichtbar, der hinaus in eine Schattenwelt blickte. Ein sehr praktisches Instrument. Er hatte es wäh rend der vergangenen Minuten ausprobiert und eine Anzahl von Ortsveränderungen hangauf- und abwärts vorgenommen. Fertig jetzt für einen geziel ten Sprung ... Er hängte die Weste des Zweibeiners über seinen linken Arm, nahm das graue Instrument in seine rechte Hand und schloß den Kontakt. Nebel wallte auf, wurde dünner. Seine Gedanken stoppten den Prozeß. Er war in einem Raum, undeut lich, aber erkennbar. Er war in der Krankenabteilung der Stern-Union-Basis; er und Jill und Ned waren dort
hin gebracht worden, um die Leichen der auf Station III Getöteten zu sehen. Sonst war im Moment niemand da. Grant kam aus dem Nichts in den Raum ... In ein Inferno des Lärms! Eine Sirene heulte und sank dann zurück in ein böses Weinen. Das Dröhnen von Energiegeschossen. Die flache, harte Detonation einer Suesvant ... »Jill sollte das Schiff hierher bringen«, sagte Ned und wischte den Schweiß von seiner Stirne. »Vielleicht haben sie sie erwischt.« »Warum glauben Sie das?« »Grant, ich sage nicht, daß es so ist! Ich weiß es nicht! Vor weniger als zehn Minuten empfing ich ein Alarmsignal von ihr. Ich konnte es nicht bestätigen. Die Zweibeiner versuchten durchzubrechen – mit Gewalt. Sie werden ungeduldig. Sobald es möglich war, rief ich Jill an. Ich gab ein Dauer-Alarmsignal. Sie antwortete nicht.« »Zehn Minuten ... Wie lange können Sie hier aus halten?« Crowell sagte: »Sie werden in dem Augenblick Schluß machen, wo sie aufhören, an die Kosten zu denken. Vier bewaffnete Fahrzeuge und der Nord turm sind noch übrig. Wenn die Angriffe so weiter gehen, können wir noch eine halbe Stunde durchhal ten, oder etwas mehr.«
»Einer von Ihnen soll mitkommen«, sagte Grant. »Ich habe noch zwei von diesen Dingern, die einen irgendwohin in den Raum versetzen können. Damit können wir etwas anfangen.« »Ihre Aufgabe«, sagte Ned zu Crowell. Er sah Grant an und klopfte auf die Suesvant. »Das könnte uns hier eine weitere Viertelstunde halten. Sie gehen auf die Suche nach Jill.« Fast unbeachtet von den wenigen Überlebenden der Basis liefen Crowell und Grant über das Lande feld, vorbei an Lebenden und Toten. Nur wenige Ge sichter – bleich, schweißüberströmt, vom Schrecken gezeichnet – wandten sich ihnen zu. In der Kranken abteilung nahm Grant die beiden birnenförmigen Translokatoren aus der Pelzweste, gab einen davon Crowell und hakte die Hochtemperatur-Waffe wieder an seinem Gürtel ein. »Sobald Sie wissen, wie man damit umgeht, küm mere ich mich um Jill«, sagte er. »Es geht so ...« Als Grant in den Nebel des Nichts zurückkehrte und sich in Gedanken in den Steuerraum des GalestralSchiffs versetzte, geschah zunächst nichts. Dann wurde der Nebel dunkler. Ein erdbebenähnliches Gepolter begann, das schnell heftiger wurde. Grant hatte ein Gefühl drohender höchster Gefahr. Sein Sinn verfiel in eine andere visuelle Vorstellung. Einen
Augenblick lang schien das nichts zu ändern. Dann hörte das Poltern langsam auf. Der Nebel wurde dünner, verschwand. Die baumelnde Feuerwaffe schlug schwer gegen seinen Schenkel. Grant steckte das Translokationsgerät in seine Tasche und sah sich rasch um. Er stand unter einer überhängenden hohen Fels wand, um sich herum abgestürztes Gestein, unter sich ein nicht allzu tiefes Tal, jenseits dessen Berge den Wald überragten. Das war die Stelle, wo sie Jill postiert hatten, als sie dem Zweibeiner auflauerten. Er hatte einen Ort ge braucht, wo er sich in Sicherheit bringen konnte; er hatte sich dieses Bild vorgestellt und war so hierher gekommen. Der Ort schien gut gewählt. Vertrautes Gelände, im Augenblick frei von Zweibeinern und von ihnen nicht einsehbar. Unten im Tal waren Tiere, die arglos grasten. Er hätte in den Steuerraum ihres Schiffes versetzt werden müssen. Statt dessen hatte er das starke Ge fühl gehabt, daß er beinahe in ein endgültiges Nichts projiziert worden wäre. Der Steuerraum existierte nicht mehr. Ihr Schiff gab es nicht mehr. Als er zu diesem anderen Ort abschwenkte, zog ihn etwas ins Nichts ... Ein Zweibeiner-Geist, der sich am Rande des Verteidigungs-Perimeters herumtrieb, als ihr Aircar sich
dem Schiff näherte. Er konnte in die sich öffnende Schleuse des Schiffs hineinsehen. Er konnte sich spä ter durch die Schleuse hindurch translozieren. Von nun an bewegte sich ein unsichtbares Wesen um das Schiff. Das Schiff war fremdes Eigentum geworden. Als die Fremden keine Verwendung mehr dafür hat ten, wurde es zerstört. Und Jill ... Er konnte sich Jill nicht als tot, als nicht existierend vorstellen. Die Zweibeiner nahmen Gefangene, hatten schon früher versucht, sie gefangenzunehmen. Grants Hand schlüpfte in seine Tasche und schloß sich um das Translokationsgerät. Er stellte sich Jills Gesicht vor, wenige Meter von seinem eigenen ent fernt. Er fixierte das Bild, als er seinen Finger in die Einkerbung an der Spitze des Instruments drückte. Nebel zog sich zusammen, verdünnte sich wieder. Das erste, was er sah, war nicht Jill. Es war die runde, schwarze Mündung einer auf ihn gerichteten Suesvant. Dann wurde die Suesvant beiseite gerissen. »Grant!« Ein schwaches Flüstern. Der kleine, kahle Würfel eines Raumes mit nahtlo sen Metallwänden und nichts, was wie eine Tür aus sah. Jill starrte ihn an, die Augen riesig im kalkwei ßen Gesicht.
16
Grant hatte nicht gewußt, daß es funktionieren wür de, doch hatte er es gehofft. Und es funktionierte. Er hatte einfach Jill gepackt und sich sofort den Über hang über dem Tal vorgestellt. Der Translokator brachte sie hin. Er setzte Jill ab, nahm das andere Re serveinstrument des Zweibeiners aus seiner Tasche. Jill lernte, wie es zu gebrauchen war. »In einem Felsen?« fragte Grant. »Aber außerhalb unseres Raumes.« Jill fügte hinzu, »es muß ähnlich funktionieren wie ihre Translokati onsgeräte, nur in großem Maßstab. Wenn wir am See wären, könnte ich Ihnen den Berg zeigen.« »Sie haben andere Gefangene«, sagte Grant dann. Sie schüttelte den Kopf. »Denen können wir nicht mehr helfen.« Bevor man sie in der Zelle ohne Aus gang zurückließ, war sie in einen anderen Teil des Schiffes verbracht worden, ein großes Laboratorium, das dem Studium des menschlichen Feindes diente. Der Feind war gründlich studiert worden. Etwas schwamm in einem transparenten Behälter. Die mei sten der zugehörigen Organe hingen in dem Behälter daneben, waren aber nicht abgetrennt. Das herausge löste Herz schlug stetig, und das Ding mochte sogar bei Bewußtsein sein, denn seine Augen wandten sich
zu Jill, als sie in das Laboratorium eintrat, und ließen nicht mehr von ihr ab. Es gab eine ganze Anzahl an derer Studienobjekte. Jill war offensichtlich für das Laboratorium be stimmt, sobald sie ihr die Suesvant abgenommen hat ten, ohne ihr etwas anzutun. Die drei diensthabenden Zweibeiner untersuchten sie eine oder zwei Minuten lang in ihrem halb entmaterialisierten Zustand; dann machte einer von ihnen eine Handbewegung, sie wurde in die Zelle verbracht. »Sie experimentierten mit der ersten Gruppe von Menschen, die sie antra fen«, sagte sie. »Was von ihnen übrig blieb, ist nicht mehr zu retten. Die von der Stern-Union-Basis herge brachten Leute wurden bei ihrer Ankunft umge bracht. Eine einfache Art, sie loszuwerden.« »Dann wären wir soweit«, sagte Grant. »Sie gehen als erste. Ich folge Ihnen sofort.« Sie hängten die Suesvants um. Jill nahm das fremdartige Instrument in ihre linke Hand. Sie ver schwand. Der große Steuerraum des Schiffes erschien vor Grant. Jill stand einen Meter rechts von ihm. Der weite Türrahmen hinter ihnen war leer. Die Wand zur Rechten war jetzt eine Wand und kein Bildschirm. Zwei große, bewaffnete Zweibeiner stan den zwischen ihnen und den Instrumenten und beo
bachteten eine Anzahl von kleineren Zweibeinern bei der Arbeit. Einer von den Kleinen ging an den Konso len entlang, würdigte sie aber keines Blickes. Nie mand hatte sie kommen sehen. Kein Zweibeiner ahn te wohl bis jetzt, daß ein Mensch sich einige ihrer Translokatoren angeeignet hatte und sich ihrer zu bedienen wußte – es sei denn, sie hätten während der letzten Minuten Jills Zelle überprüft. Sie feuerten gleichzeitig. Die großen Zweibeiner wurden nach vorn geworfen und schlugen, bereits tot, schwer auf dem Boden auf. In ihrem Schiff hatten die Zweibeiner keinen Anlaß gesehen, die Sperrfelder zu benutzen. Bis jetzt. Grant schenkte den kleineren Zweibeinern keine Beachtung. Für sie war Jill zuständig. Mit Ausnahme der ersten waren die Geschosse, die er hier benützte, Explosiv- und Brandprojektile. Ihr Ziel waren die In strumententafeln. Er feuerte so schnell wie noch nie in seinem Leben. Eine Serie von Einschlägen erschütterte die Konsolen; Rauch und Flammen kamen aus ihnen hervor. Zwei beiner-Stimmen wurden kurz in dem Aufruhr laut und verstummten. Jill hörte auf zu feuern. Sie war Grant halb zugewandt; ihr Blick überflog den Raum. Dann riß sie plötzlich die Suesvant hoch und feuerte an Grant vorbei auf den Eingang. Einige Sekunden später feuerte sie wieder.
Grant drehte sich nicht um. Das war immer noch Jills Aufgabe, solange sie ihm kein Zeichen gab, daß sie Hilfe brauchte. Er führte sein Zerstörungswerk fort. Vom anderen Ende des Raumes her wurden Se kundärexplosionen und andere Geräusche laut. Eines der Nervenzentren des riesigen Schiffs wurde demo liert. Wie wirksam, konnte er nicht sagen. Dann hob Jill ihre Hand und rief seinen Namen. Sie hatten nicht gewußt, wie lange es dauern würde, bis andere Mitglieder der Besatzung die Zerstörung des Steuerraums bemerkten und Posten auf den Plan rie fen; aber hier einen Endkampf auszutragen, hatten sie nicht geplant. Es war Zeit, sich zu entfernen ... Ihre erste Translokation war nur geringfügig – zur anderen Seite des Raumes, hinter die Kontrollpulte. Als er zum Eingang zurückschaute, sah Grant vier große Zweibeiner auf dem Boden, von denen einer versuchte, sich zu erheben. Waffen lagen um sie her um. »Der letzte hatte ein Abschirmfeld!« »Ist er mit Hilfe eines solchen Instruments herein gekommen?« Jill schüttelte den Kopf. »Er kam mit den anderen aus der Vorhalle!« Demnach war der Gegenangriff noch nicht organi siert. Freilich konnte es bis dahin nicht mehr lange dauern. Grant hängte sich die Suesvant über die
Schulter und nahm die Hochtemperaturwaffe des Zweibeiners von seinem Gürtel. Aus kurzer Entfer nung würde sie das Zerstörungswerk des Gewehres vollenden. So war es. Riesige weiße Flammen schossen aus den Konsolen. Erneut ertönten Explosionen. Durch das Inferno hörte Grant wieder Jills Rufe, schaute schnell zu ihr hinüber und sah Crowell neben ihr ste hen, ein schweres Schockgewehr in der Hand. Jill packte Crowells Arm, sagte etwas und rief Grant zu: »Drei haben sich eben hereintransloziert – auf der anderen Seite des Raumes! Witter kann uns folgen.« Sie war verschwunden. Grant hängte die Feuerwaf fe wieder an seinen Gürtel, nahm die Suesvant in die linke Hand und den Translokator in die rechte. Nebel erhob sich und wurde wieder licht. Jill befand sich zu seiner Linken – und Crowell materialisierte sich un vermittelt einige Schritte rechts von ihm. Der giganti sche Zweibeiner, den Jill beschrieben hatte, lehnte mit Armen wie zottigen braunen Baumstämmen auf dem Tisch vor ihm und starrte auf einen Schirm, aus des sen Lautsprecher wirre Geräusche kamen. Wie auf Kommando feuerten sie. Es war, als griffen sie ein übernatürliches Wesen, eine tierische Gottheit an. Der riesige Körper schwankte. Der Kopf wandte sich den Eindringlingen zu, doch sein Augenlicht war zerstört. Der Gigant machte einen schwankenden
Schritt und begann sich umzudrehen. Ein Arm holte aus und zerschmetterte den Schirm. Der große Zwei beiner drehte sich weiter, verlor das Gleichgewicht, stürzte. »Gehen wir ...« Und Jill war wieder verschwunden. Noch vier weiteren verwundbaren Punkten galten ih re schnellen, vernichtenden Schläge. Das Überra schungsmoment war immer noch auf ihrer Seite – kein anderer bewaffneter Zweibeiner war erschienen, um sie zu bekämpfen und an ihrem Tun zu hindern. Dann eine sechste Translokation, und Crowell fragte: »Warum hier?« Jill hatte sie zu einer engen Galerie am oberen Rand einer großen Halle geführt. Sie hörten Stimmen von Zweibeinern, obwohl keiner davon in Sicht war. Jill sagte: »Hier werden sie uns nicht suchen.« »Aber es gibt nichts zu ...« »Vorhin spürte ich etwas. Das Schiff könnte am Auseinanderbrechen sein.« »Das Schiff?« fragte Crowell. »Ist das ein Schiff?« Jill nickte. »Ein sehr großes. Aber wir haben es wohl genug beschädigt. Das klang wie eine Serie von Explosionen in den Decks unter uns – oder in einiger Entfernung.« Grant sagte: »Wir sollten uns vergewissern! Ich hat te nichts bemerkt.« Mit bleichen, gespannten Gesich
tern sahen sie einander einen Augenblick an. Grant fragte Crowell: »Wie haben Sie uns gefunden?« »Geistige Fixierung auf Ihre Suesvant«, knurrte Crowell. »Ein leicht vorstellbares Bild! Wo die Sues vant war, mußten auch Sie sein. Sie schienen eine Idee zu haben, wie wir ihre Apparate nutzen konn ten, und das hat sich bestätigt. Aber sollten wir nicht ...« Er unterbrach sich. Ein Zweibeiner hatte sich in der Halle unter ihnen materialisiert. Er hob seine gewal tigen Arme in die Luft, stieß wilde Schreie aus, wand te sich ungelenk hierhin und dorthin. Andere Stim men antworteten. Eine Gruppe rannte vorbei. Ir gendwo in der Nähe war ein Kommunikator zu hö ren. Was sie vernahmen, war vielleicht die Stimme des Giganten, den sie niedergestreckt hatten – jam mernde, klagende Laute. Sie endeten abrupt. Jetzt füllte sich die Halle unter ihnen plötzlich mit den fremden Kreaturen. Sie schienen aus verschiede nen Gängen zu kommen, strömten in beiden Rich tungen vorbei, liefen ziellos herum, kreischten, hiel ten sich den Kopf. Die Galerie schwankte. Der Tumult unter ihnen wuchs. Jill hielt den Atem an. »Jetzt ist es stärker!« sagte sie. »Aber es war ein Gefühl wie hier!« Aus der Ferne hörte man das Dröhnen einer Explo sion. In der Halle wurden Schreie laut. Crowell sagte
kurz: »Sie selber scheinen zu glauben, daß das Schiff dem Untergang geweiht ist!« Wieder gab es eine Explosion, stärker oder näher als die vorhergehende. Grant sagte: »Los, fort von hier!« Er sah Crowell an. »Wir treffen uns auf der Ba sis. Jill und ich haben noch etwas zu erledigen.« »Frank Farquhars Luftkreuzer«, sagte Grant. »Wir können jetzt zu ihm gelangen, wo immer er ihn auch versteckt hat. Er hatte einen Vorrat von Meldedroh nen dabei.« Fünf Minuten später detonierte das fremde Schiff. Vielleicht hatte man an Bord noch mit allen Mitteln versucht, die Kettenreaktion der zerstörerischen Ex plosionen zu unterbrechen. Wenn ja, dann ohne Er folg. Die übriggebliebenen Verteidiger der SternUnion-Basis sahen, wie über den Bergen im Norden ein Fächer gleißend roten Lichts zum Himmel auf strahlte. Die Oberfläche Kulkoors erbebte. Dann kam das ferne Donnern einer gewaltigen Explosion. Grant und Jill waren mit dem Sack voll Drohnen zu rückgekehrt, die sie von Farquhars Kreuzer geholt hat ten. Die Basis verblieb im Alarmzustand. Zwar waren die angreifenden Zweibeiner anscheinend zu dem in Not geratenen Schiff zurückgerufen worden, doch konnten andere auf Kulkoor verblieben sein. Vielleicht gab es Überlebende, die sich rächen wollten.
Dann machte Grant eine Entdeckung. Er hatte be schlossen, sich wieder zu dem Kreuzer zu translozie ren und ihn zur Basis zu bringen. Vielleicht hatte Farquhar aufgezeichnet, zu welchen Schlüsseln er be züglich der Zweibeiner gekommen war. Grant mußte feststellen, daß der Translokator nicht mehr arbeitete; er reagierte nicht, schien tot zu sein. Sie versuchten es mit den beiden anderen Geräten – mit dem gleichen Ergebnis. Offenbar waren sie vom Schiff mit Energie versorgt worden und arbeiteten nach dessen Zerstö rung nicht mehr. Damit war jede Besorgnis über allenfalls noch vor handene Zweibeiner hinfällig geworden. Wenn es noch welche gab, dann waren sie nur so beweglich, wie es ihnen ihre Beine erlaubten. Zum Problem konnten sie nicht mehr werden. Ein zur Erkundung ausgesandter Aircar berichtete, daß der ganze Berg, in dem sich das große Schiff verborgen hatte, mit ihm verschwunden war. So war es nunmehr Zeit, die Toten und Vermißten zu zählen. Es gab fast keine Verwundeten. Wo die Waffen der Zweibeiner zugeschlagen hatten, hatten sie getötet. Es war eine lange, lange Namensliste. »Das meiste davon ist wohl nicht von allzu großer Bedeutung«, bemerkte Crowell im weiteren Laufe des
Abends. Er befand sich mit Ilken und den Galestrals in seinem Büro, und die verschiedenen in der Pelz weste des Zweibeiners gefundenen Gegenstände wa ren auf einem Tisch ausgebreitet. Gemeinsam ging man sie durch. »Ich bin zwar kein Physiker, doch be zweifle ich, daß es nennenswerte neue Erkenntnisse geben wird, wenn die Spezialisten das Zeug ausei nandernehmen.« Die anderen nickten nachdenklich. Ned sagte: »Wahrscheinlich. Nichts Aufregendes dabei.« »Mit denen natürlich«, fuhr Crowell fort und be rührte einen der drei toten Translokatoren, die ge trennt von den anderen Dingen lagen, »ist das wohl etwas anderes.« »Gewiß!« stimmte Ned ohne Enthusiasmus zu. Crowell betrachtete seine Gefährten. Die sahen ihn ihrerseits nachdenklich an. Jill saß mit übergeschla genen Beinen entspannt in einem Sessel und schien nicht auf die wie zufällig über ihren Knien liegende Suesvant zu achten. Grant und Ned hatten sich ihre Gewehre nachlässig über die Schulter gehängt. Es war bekannt, daß sich Galestrals nur selten von ihren todbringenden Spielzeugen trennten. Ilkens Augen waren hellwach; sie trug ihre Mailliard-Messer ganz vorn im Gürtel. Aber auch daran war nichts wirklich Ungewöhnliches. Crowell lehnte sich in seinem Stuhl zurück und
verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Eines wis sen wir von den Zweibeinern«, bemerkte er. »Sie müssen von weit her nach Kulkoor gekommen sein. Eine Zivilisation wie ihre könnte in Gebieten, die un sere Forschungsschiffe berühren, nicht unbemerkt bleiben. Die Annahme erscheint berechtigt, daß sie nicht wegen eines Bergbauunternehmens hergekom men wären, wenn nicht die Reichweite und Wirk samkeit ihrer Antriebssysteme allem, was wir ken nen, weit überlegen wäre.« »Das scheint in der Tat eine durchaus vernünftige Annahme zu sein«, sagte Jill. »Das meinen Sie auch, nicht?« Crowell deutete mit dem Kinn auf die Translokatoren. »Würden Sie sa gen, daß ihre Schiffsantriebe und diese Dinger nach demselben Grundprinzip arbeiten?« Jill nickte. »Mhm. Abgesehen von der Reichweite muß es sich um das gleiche Phänomen handeln. Und die Reichweite könnte hauptsächlich von der Dimen sion der kontrollierbaren Kraft abhängen.« Crowell bemerkte, zu Grant gewandt: »Sie haben die Translokatoren dem von Ihnen getöteten Zwei beiner abgenommen. Technisch gesehen gehören sie Ihnen – Kriegsbeute!« Grant lächelte kurz. »Abgesehen von einem ande ren technischen Punkt! Ich bin angestellter Anteils eigner der Galestral-Gesellschaft und bin auf einer
Mission dieser Gesellschaft in den Besitz dieser Dinge gekommen. Das macht sie zu GesellschaftsEigentum.« »Was, glauben Sie, wird die Gesellschaft damit an fangen?« brummte Crowell. »Nun, zunächst wird sie natürlich absolute Ge heimhaltung verhängen«, sagte Jill. »Dann wird man versuchen, die Prinzipien zu erforschen. Man wird sie auf Schiffsantriebe anwenden und einige Schiffe bauen. Man wird die Antriebe verbessern.« »Was für eine Art von Schiffen wird das sein?« Sie musterte ihn, zuckte die Achseln. »Kampffahr zeuge mit mindestens der gleichen Masse wie die der Zweibeiner hier. Für den Fall, daß sie mit Gewalt zu rückkehren wollen, möchte die Galestral-Gesellschaft sicherlich gerüstet sein.« »So sieht es wohl auch Cencom«, meinte Crowell zustimmend. »Und Cencom wird alles nur Erdenkli che tun, um sich Kenntnis von diesen Prinzipien zu verschaffen!« »Das glaube ich auch«, sagte Jill. »Wenn ein solches Antriebssystem entwickelt wird, dann wird die Ge sellschaft nicht wünschen, daß das Prinzip auf abseh bare Zeit nicht allgemein zugänglich wird. Sie wird seinen Gebrauch an den Erfordernissen ihrer eigenen Politik orientieren.« Ned sagte mild: »Gerade die Existenz eines solchen
Antriebssystems würde einen Wandel dieser Politik herbeiführen, Jill!« »In drei, vier Jahrzehnten, ja. Die Veränderung muß aber nicht grundlegend sein.« »Captain Witter«, sagte Grant, »was würde Cen com tun, wenn es im Besitz der Translokatoren wä re?« »Oh, so ziemlich dasselbe!« Crowell lehnte sich wieder in seinem Sessel zurück. »Ja, bestimmt dassel be. Man wird versuchen, das Antriebssystem zu ent wickeln und die Kontrolle darüber nicht aus der Hand zu geben. Solange wie möglich nicht. Wenn Stern-Union-Bürger sich je nach Lust und Laune in unerreichbare Fernen versetzen könnten, was würde aus Cencoms Autorität?« »Aber ist dies nicht eine etwas theoretische Diskus sion?« fragte ihn Ned. »Vor die Wahl gestellt, zöge ich es natürlich vor, wenn die Galestral-Gesellschaft in den Besitz der Translokatoren käme. Alle, die jetzt noch auf der Basis sind, wissen, daß wir sie haben. Wenn sie nicht zerstört werden – was absolut sinnlos wäre – dann wird derjenige, dessen Hilfsexpedition als erste hier ankommt, in ihren Besitz gelangen. Es könnte ein ziemlich knappes Rennen werden!« »Sein Ausgang würde gleichgültig sein«, sagte Crowell, »wenn wir die Translokatoren heute abend mit Meldedrohnen fortschicken.«
Sekundenlang sprach niemand ein Wort. »Eine an die Gesellschaft, eine an Cencom?« fragte Ned dann. »Jeweils mit Informationen über die Wirkungsweise? Es würde ein weiteres Rennen auslösen – unmittelba re Schwierigkeiten aber vermeiden helfen.« Er fügte hinzu: »Jedenfalls wird das Antriebssystem einzelnen Stern-Union-Bürgern oder Galestral-Bediensteten weiterhin nicht zugänglich sein. Daran ändern Sie nichts.« »Sie würden stillschweigend übereinkommen, es uns vorzuenthalten«, räumte Crowell ein. »Also geht gleichzeitig mit den anderen beiden eine dritte Droh ne und der dritte Translokator an das Hauptquartier der Schwimmer-Liga auf Varien. Ein dreifaches Ren nen also – eines, das die Schwimmer gewinnen soll ten. Sie haben die neueste, am höchsten entwickelte Technologie; doch besitzen sie bis jetzt kein Antriebs system, das hinreichte, ihre beweglichen Städte von der Stern-Union und Cencom unabhängig zu ma chen. Die Schwimmer werden alles tun, um sie zu bekommen. Und sie wollen aus demselben Grund ein allgemein zugängliches Antriebssystem, wie Cencom und Ihre Gesellschaft es nicht wollen. Es wird die ge genwärtigen Abhängigkeitsverhältnisse auflösen. Al les gerät wieder in Fluß; und Cencom und die Gesell schaft müssen der neuen Situation Rechnung tragen. Die Schwimmer werden diese Prinzipien offenlegen,
sobald sie sie kennen!« Crowell blickte in die Runde. »Nun?« Ned Brock schüttelte den Kopf. »Alles gerät wieder in Fluß ... Wenn ich jetzt das täte, was ich als Vertreter der Gesellschaft tun müßte, würde ich einfach über stimmt. Ich will es mir ersparen. Machen wir die Drohnen fertig!«