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»Welt im Trichter« von Martin Kay Nach einer Idee von Dirk van den Boom Vorwort des Verlegers der Taschenbuchausgabe Eigentlich sollte der vorliegende zweite Band von Rex CordaNova bereits im Herbst des vergangenen Jahres vorliegen. Aber wie so oft, schrieb das Leben eine anderes Drehbuch. Der Autor hatte viel in seinem ‘richtigen’ Beruf zu erledigen und dann traten auch noch kurz hintereinander Krankheiten auf, der Abgabetermin verzögerte sich immer weiter. Dazu muss auch erwähnt werden, dass die Autoren der neuen Bände die Romane in ihrer ohnehin knapp bemessenen Freizeit verfassen; und ein Großteil der Autoren schreibt an verschiedenen Projekten mit. Als Konsequenz bat Martin Kay mich in der Folge, ihn erst einmal aus der Autorenschaft für SIGAM AGELON zu entbinden, was ich schweren Herzens tat; allerdings nicht, ohne mir seine Zusage zu sichern, wieder etwas für REX CORDA zu verfassen, wenn es sein zeitlicher Rahmen zulässt. Die Arbeiten an dem dritten Band von REX CORDA-NOVA sind dagegen bislang im Terminplan, allerdings verschiebt sich der Band nun etwas, damit die zweite Ausgabe erst einmal gebührend gewürdigt werden kann. Im Herbst des Jahres wird dann REX CORDA-NOVA 3 aus der Feder von Manfred H. Rückert, ‘Die Rückkehr des Diktators’, erscheinen – über wen es sich dabei handelt, darüber darf schon jetzt spekuliert werden. Sie als Leser überraschen wir mit einer Ablegerserie zu den Abenteuern um den Präsidenten der Erde. Ab sofort erscheint die Fortsetzungsserie SIGAM AGELON – Schatten über der Galaxis, die sich in erster Linie dem orathonischen Gegenspieler von REX CORDA widmet. Die erste Ausgabe von REX CODA NOVA, die sich den Jugendabenteuern des Orathonen gewidmet hatte, weckte bei vielen Lesern den Wunsch nach mehr Lesefutter mit dieser Person. Wir folgen gerne dem Wunsch der Leser und setzen damit einen Meilenstein in der deutschen SF-Literatur, denn noch nie zuvor
war einem ‘Bösewicht’ eine eigene Reihe gewidmet, die Serienfigur DR. MORTON war dem Horrorgenre zuzurechnen. Für die Freunde von REX CORDA haben wir auch noch einen weiteren Leckerbissen bereitet; in der neuen Reihe UTOPISCHE WELTEN SOLO, in der auch Romane anderer Corda-Autoren erscheinen, ist von H.G. Francis der Romane ‘Die Horden aus dem All’ herausgekommen. Aufmerksame Leser werden schnell feststellen, dass dieser Roman die Grundlage für die REX CORDA-Serie bildet; ein großer Teil der bekannten Elemente – Völker, Motivation, Personen, etc. stimmt mit der Serie überein. Heinz Mohlberg Gegenwart, Mitte Juni 1992 Die holografische Darstellung konnte nicht irren. Dennoch war es schier absurd und unmöglich, dass die Langstreckensensoren eben jenes Bild übermittelten. Ein gedämpftes Raunen ging durch die Zentrale. Jeder Anwesende sah von seiner Station auf und starrte ungläubig auf die Werte, die im gespenstischen Licht durch die Luft flimmerten. Noch vor wenigen Augenblicken waren die Laktonen sicher gewesen, ihre Verfolger abgeschüttelt zu haben, nur um festzustellen, dass sie es jetzt mit einer Übermacht zu tun bekamen, die ihnen Drei zu Eins überlegen war. Gomar Hencip verzog keinen Mundwinkel und blieb äußerlich ruhig, auch wenn in seinem Inneren ein Orkan der Gefühle tobte. Er hatte sich auf Dellentar der laktonischen Flotte angeschlossen und hielt sich seitdem auf dem Flaggschiff GANTARR auf. Der über vier Kilometer lange und 800 Meter durchmessende Raumgigant der Pithon-Klasse stellte für viele Völker der Galaxis ein Schreckenssymbol ohnegleichen dar, doch in der Masse der mehr als zehntausend Schiffseinheiten umfassenden Armada war auch er nur ein Staubkorn im schwarzen Samt des Alls. Dennoch gab es eine Bedrohung, die um einiges größer war als die laktonische Flotte. Schaudernd trat Hencip näher an das holografische Display in der Mitte der Zentrale heran. Ein junger Offizier der Flotte trat rasch beiseite, als er ihn sah. Hencip kümmerte sich nicht um ihn, sondern deutete auf einen Punkt am äußeren Rand der dreidimensionalen Darstellung.
»Was ist das dort?« Der Kommandant der GANTARR, Admiral Nomon Kelpoton, beugte sich neben ihm über das Lichtgitter. Sein Gesicht verschwand in einigen Leuchtbahnen, tauchte dann wieder auf und dann blickte er Hencip an. »Ein spärlich kartografiertes Sonnensystem entlang der Frontlinie. Ein M-Klasse Planet mit Rohstoffen. Die restlichen Welten sind kaum von Interesse. Warum fragen Sie?« Hencip hob die Schultern. Er wusste es selbst nicht. Vermutlich wollte er nur seinen Teil am Krieg gegen die Orathonen beitragen. Als Spezialagent war er an Bord eines Raumschiffs oft nutzlos und kam sich wie das fünfte Rad am Wagen vor. Erst wenn man ihn mit einer Aufgabe betraute, war er in seinem Element. »Es sieht abgelegen genug aus, um erst einmal dorthin zu fliehen«, schlug er vor. Sein Gegenüber runzelte die Stirn. »Fliehen? Wer spricht von fliehen?« Hencip deutete auf einen anderen Punkt auf der holografischen Karte, der einen gewaltigen Pulk zeigte. »Nun, die Orathonen warten mittlerweile mit über zweihunderttausend Schiffseinheiten auf. Es kann sich nur noch um wenige Augenblicke handeln, dass sie unseren letzten Hypersprungvektor errechnet haben. Sie machen Jagd auf uns!« Der Kommandant der GANTARR schnaubte. Ihm lag eine Erwiderung auf der Zunge, aber auch er musste sich der Logik beugen. Hencips Befürchtungen waren nicht aus der Luft gegriffen. Die laktonische Flotte war nicht in der Lage, gegen die Übermacht zu bestehen, zumal die Orathonen in vielen Fällen über bessere Waffensysteme verfügten, die ihnen zusätzlich zur zahlenmäßigen Überlegenheit das Leben schwer machen würden. Sie brauchten einen Versorgungspunkt – Rohstoffe für ihre Energiegeneratoren und Triebwerke. Und sie mussten sich mit der Hauptflotte vereinigen. Ohne diesen logistischen Rückhalt würden die Orathonen sie einfach überrennen. Die Funkstation meldete einen Anruf von einem Trakon-Kreuzer. Diese Raumschiffe waren mit 2160 Meter Länge nur knapp halb so groß wie die GANTARR. Admiral Kelpoton ließ ihn durchstellen. Das holografische Gebilde des nahen Weltraumsektors verschwand und machte der massigen Gestalt eines hochrangigen Laktonen Platz. Gomar Hencip nahm Haltung an, als er Fatlo Bekoval erkannte.
»Die Flotte der Orathonen macht mir Sorgen«, sagte der breitschultrige Laktone. »Wir können ihr unmöglich ausweichen. Der Weg zu unserem Heimatraum ist versperrt und führt quer durch die galaktische Frontlinie. Unsere Strategen haben einen Fluchtpunkt ermittelt, der zu diesem System führt.« Das holografische Abbild Bekovals machte eine Handbewegung und aktivierte wohl einen Schalter vor sich. Kurz darauf teilte sich das Bild – ein Ausschnitt eben jenes Sonnensystems, das zuvor schon Hencip vorgeschlagen hatte, wurde offenbart. Kelpoton warf Hencip einen undeutbaren Seitenblick zu. »Wir schlagen vor, dorthin zu fliegen«, sagte Bekoval. »Inzwischen konnten wir unsere Hauptflotte kontaktieren. Sie kann mit einem Hypersprung dort sein. Wir wären in der Lage uns in diesem System mit ihr zu vereinigen und können hoffen, dass wir eine der Welten besetzen und ihre Rohstoffe für uns nutzbar machen, ehe die Orathonen merken, dass wir dort sind. Es muss allerdings schnell gehen, Admiral. Spätestens in zehn Minuten sollten wir springen.« Die Holografie verblasste. Nur für einen Augenblick starrte Nomon Kelpoton Hencip an, dann schwang er herum und gab die Befehle zum Sprung an seine Untergebenen weiter. Gomar Hencip beugte sich über die Steuereinheit des Holografen und ließ noch einmal die Flotte der Orathonen projizieren. Er zuckte leicht zusammen, als er das Bild sah: Die Armada war fort! »Wir müssen sofort handeln, sie haben uns entdeckt!« Tatsächlich sprachen die Massetaster an und orteten in der nächsten Sekunde ein Dutzend durch Hypersprünge ausgelöste Strukturerschütterungen. Direkt vor dem Bug der GANTARR materialisierte ein silbriges Hantelschiff mit roter Beschriftung wie aus dem Nichts. Ein Erkundungsraumer der Alakim-Klasse. Es hatte Hantelform, wobei die Kugeln einen Durchmesser von je fast 400 Meter besaßen. Der zylinderförmige Mittelsteg besaß eine Länge von knapp 600 Meter und einen Durchmesser von annähernd 150 Meter. Die Späher wurden oft ausgeschickt, um die Lage zu sondieren und schnell wieder zurückzuspringen. Sie gaben ihre Daten an die Angriffsschiffe weiter, die daraus einen taktischen Nutzen zogen und nicht blind ins Verderben springen mussten. »Ins Visier nehmen!« Die Stimme des Flottenkommandeurs gellte durch die Zentrale. Ohne Bestätigung aktivierten die Kanoniere die Zielvorrichtungen. Drei Strahlbahnen kreuzten sich im
Raum und fanden ihr Opfer direkt über dem Schirmfeldgenerator des Alakim. Eine Explosion zerriss die Außenhülle, doch bevor die GANTARR ihm den Rest geben konnte, vollführte das kleinere Schiff einen Notsprung durch den Hyperraum. »Flotte meldet Sprungbereitschaft!« rief jemand von der Ortungskonsole aus. »In die Andrucksessel!« Gomar Hencip suchte sich einen freien Platz am Rand der Zentrale. Er schnallte sich an, blickte unentwegt auf den Holografen, um notfalls auftauchende Gefahren erkennen zu können. Wenn er schon in der Zentrale weilte, konnte er sich auch nützlich machen. Er verfolgte, wie die ersten raketenförmigen Schiffe der Lakton-Flotte mit Wahnsinnswerten beschleunigten und in den übergeordneten Hyperraum flüchteten. Zuerst sah es gut aus. Mehr als ein Drittel ihrer Schiffe waren aus dem Sektor geflogen. Doch dann schlugen erneut die Massetaster an. Diesmal war das Sensorenecho um ein Vielfaches gewaltiger. Unzählige Schiffe der unterschiedlichsten Formen und Größen fielen aus dem Hyperraum und befanden sich plötzlich mitten unter den laktonischen Raumern. Die Orathonen boten alles auf, was ihr Arsenal an Einheiten hergab. Kugelraumer, Diskustypen und schlanke pfeilförmige Objekte. Am Imposantesten jedoch waren die übergroßen Hantelraumer. Die Kommandoschiffe eröffneten sofort das Feuer. Ihre Geschütztürme spien vernichtende Energien gegen die laktonische Flotte. Gleich im ersten Ansturm vergingen einige der raketenförmigen Raumer wie kleine Sonnen im All. Die Übermacht war schier erdrückend. Mit fast zweihunderttausend Schiffseinheiten hatten die Orathonen leichtes Spiel. Erst, wenn sich die Hauptflotte unter Kelpotons Kommando wieder mit den Laktonen vereinigte, war ein zahlenmäßiger Ausgleich gewährleistet. Der Weltraum war von einem unablässigen Stakkato blitzender Batterien und explodierender Flugkörper erfüllt. Mit gnadenloser Härte schlugen die Orathonen zu, um ihre Gegner schnell in die Knie zu zwingen. Die Laktonen wehrten sich kaum. Sie waren darauf konzentriert, Geschwindigkeit aufzunehmen, um den Hypersprung zum Fluchtpunkt einzuleiten. Es hatte keinen Zweck, hier und jetzt der
Übermacht der Orathonen trotzen zu wollen. Sie brauchten eine Versorgungsbasis und nach Möglichkeit Nachschub und Verstärkung von anderen Flottenteilen im tieferen Raum Laktons. Eine Explosion erschütterte die GANTARR. Gomar Hencip blickte zum Holografen und sah gleich drei Schlachtschiffe der WonnKlasse auf ihren eigenen Kreuzer zufliegen. Raketenkatapulte schleuderten ihnen tödliche Geschosse entgegen. Energielanzen strichen über die Abwehrschirme und überlasteten sie. Der Dekompressionsalarm heulte durch die Zentrale. »Wir müssen uns ihnen stellen!« rief jemand. Hencip sah, dass es der stellvertretende Kommandant war. Eine neue Erschütterung. Auf der anderen Seite der Zentrale versagte eine Andruckliege. Ein Mann ruderte haltlos durch den Raum und wurde erst durch eine Schaltwand gestoppt, gegen die er prallte und dann langsam daran herunter rutschte. Der Übersetzer der GANTARR, ein Kynother namens Gon-Rendo sprang von seinem Platz und eilte zu dem Verletzten hinüber. Doch es war aussichtslos – der Mann hatte sich beim Aufprall das Genick gebrochen. »Kämpfen wir!« Der Offizier, der gerufen hatte, verstummte sofort unter dem eisigen Blick des Kommandanten. »Vorbereiten auf Hypersprung. Ausweichmanöver!« Die GANTARR beschleunigte mit Volllast und tauchte unter den drei Hantelgiganten durch. Sie steckte noch einmal eine volle Breitseite ein und verlor die Backbordstabilisationstriebwerke. Mehrere Hüllenbrüche und Verluste wurden gemeldet, doch bevor es noch schlimmer werden konnte, spürte Gomar Hencip das starke Ziehen im Nacken, das den Sprung in das Hypergefüge andeutete. Die Flucht war noch rechtzeitig geglückt. Das Nächste, was auf dem dreidimensionalen Bildschirm zu sehen war, war ein blaubrauner, schillernder Planet – der dritte des Sonnensystems, in dem sie rematerialsiert waren. »Meldung!« Der Kommandeur blickte sich nervös um. Sein Stellvertreter stand wie gelähmt da. Auch die anderen Offiziere in der Zentrale reagierten nicht sofort. Nur der Kynother handelte. Er ließ den Toten an der Schaltwand zurück und beugte sich über die Kontrollen des zentralen Holografen. Hencip stand auf und ging zu dem Kleinwüchsigen hinüber. Wie alle Vertreter seiner Art trug der einen fast schwarzen Anzug mit einem farbigen Emblem auf der Brust. Das dunkelgrüne Zeichen
erinnerte vage an eine Ellipse, wurde jedoch zweimal von kleinen Schlaufen unterbrochen. »Es sieht nicht gut aus«, sagte Gon-Rendo. »Wir haben fast eintausend Schiffe verloren. Die Orathonen werden die Strukturerschütterungen des Wiedereintritts orten und ebenfalls hierher springen.« »Wann?« fragte Hencip. »Wann können sie hier sein?« »In weniger als zwei Stunden.« Das war zu knapp. In zwei Stunden würde die Lakton-Flotte nicht den Planeten besetzt und entsprechende Gegenmaßnahmen getroffen haben, um ihn als Ressourcenbasis zu nutzen. Sie mussten sich etwas anderes einfallen lassen – und zwar schnell. Die blaue Kugel auf dem Holografen machte der Gestalt eines Wesens Platz, das Gon-Rendo nicht unähnlich war. Es handelte sich ebenfalls um einen Kynother, der allerdings einen feuerroten Keil als Symbol auf der Brust seiner schwarzen Kleidung trug. »Ga-Venga!« platzte Gon-Rendo hervor. Er besaß eine angenehm tiefe Stimme. »Du lebst!« Das dreidimensionale Abbild grinste breit. »Ja, Vetter…« Ehe er weiter sprechen konnte, schob ihn die massige Gestalt Fatlo Bekovals Beiseite. Der stämmige Anführer des laktonischen Geheimdienstes für Raumschiffeinheiten nahm den gesamten Raum auf dem Schirm ein. Er sprach nicht sofort, sondern wartete anscheinend auf ein Signal außerhalb des Aufnahmeradius der Kameras. Gomar Hencip ahnte, dass das Flottensignal synchronisiert wurde und Bekoval zu allen überlebenden Laktonen sprechen würde. »Bekoval an alle. Wir sind in einem Sonnensystem materialisiert, das sich genau entlang der Frontlinie befindet. Auf dem dritten Planeten herrschen lebensfreundliche Bedingungen. Unser Standardprozedere sieht vor, das System zu annektieren und einen Versorgungsstützpunkt zu errichten, doch unglücklicherweise hat uns die Orathonenflotte zu früh entdeckt. Wir haben weniger als zwei Stunden, bis sie ebenfalls hier ist. Das bedeutet, wir werden landen, unsere Spezialagenten absetzen und wieder starten, um uns mit unserer Hauptflotte zu vereinigen. Es ist anzunehmen, dass die Orathonen hier Fuß fassen und diesen Planeten auf ihre Art aussaugen und die Energien des gelben Sterns anzapfen. Mit unseren Agenten auf der Oberfläche haben wir zumindest die Chance, herauszufinden, was die Orathonen planen
und wie wir am besten gegen sie vorgehen können.« Irgendjemand schaltete sich zwischen die Übertragung, als Bekoval einmal Luft holte. »Was ist mit den Gerüchten, dass die gegnerische Flotte von Sigam Agelon persönlich befehligt wird?« Bekoval seufzte hörbar. Er ließ sich mit der Antwort Zeit. Wer ihn kannte, wusste, dass er nichts beschönigte und eine Situation so einschätzte, wie sie auch war. Sorgen, dass die Truppenmoral untergraben wurde, wenn man vor einer aussichtslosen Lage stand, schien Bekoval dabei nicht zu haben. »Unser Nachrichtendienst konnte noch nicht bestätigen, dass der Agelon der Oberbefehlshaber der Federkopf-Flotte ist. Es bleiben somit Gerüchte.« Bekoval flüchtete sich in eines seiner seltenen Lächeln. »Wir haben Signale der Hauptflotte erhalten, sie wird in Kürze ebenfalls hier eintreffen.« Jetzt mischte sich Admiral Kelpoton ein. »Selbst mit der Hauptflotte bleibt uns der Rückweg in unseren Sektor versperrt. Die Orathonen haben uns zur Heimatstreitmacht abgeschnitten, wir können kaum noch vor oder zurück. Hier findet die Entscheidungsschlacht statt!« »Hoffen wir, dass unsere Agenten auf der Oberfläche dieser Welt genügend Informationen sammeln und Schaden anrichten können, damit wir der Flotte der Federköpfe gewachsen sind«, sagte Bekoval. Das Bild des Laktonen verschwand und machte wieder der schillernden Kugel des dritten Planeten Platz. Von der Orterstation kam eine Meldung herein, dass Spähsonden ausgesandt waren, um den Planeten zu kartografieren, seine Rohstoffquellen zu analysieren und die Kulturen zu bestimmen. Die Informationen würden später von den Strategen ausgewertet und zum großen Teil an die Agenten weitergeben, damit sie sich auf fremden Terrain zurechtfanden. Für Gomar Hencip bedeutete es keine Schwierigkeit, über Hypnoeinspeisung die Landkarten eines ganzen Planeten im Kopf zu tragen und jederzeit aufzeichnen zu können. »Ich packe meine Sachen«, sagte Hencip an Kelpoton gewandt. Jeder Agent von Lakton besaß eine Spezialausrüstung, die es ihm erlaubte, sich auf jedem Territorium behaupten zu können. Nicht nur deswegen waren gerade die Spezialagenten des laktonischen Reichs von den Gefiederten so sehr gefürchtet. Der Kommandeur nickte nur, und Hencip deutete auf den kleinen Kynother. GonRendo fasste sich an die Brust und machte einen erstaunten Aus-
druck. »Sie kommen mit. Ich brauche dort unten eventuell einen Dolmetscher.« »Ich… aber…« »Gehen Sie«, befahl Kelpoton. Gon-Rendo fügte sich und trottete hinter Hencip her. Sie verließen die Zentrale des Schlachtschiffes über einen der beiden Transportschächte und ließen sich drei Decks tiefer gleiten. Aus den Augenwinkeln registrierte Hencip, dass der zwergwüchsige Kynother nicht unbedingt erfreut über die Mission war. Aus den Lautsprechern auf den Decks drangen Statusmeldungen und Befehle. Die Hauptflotte war soeben aus dem Hyperraum gefallen. Knapp einhundertfünfzigtausend Schiffseinheiten – eine gewaltige Armada. Dennoch nicht genug, um der Flotte der Orathonen wirksam die Stirn zu bieten. Die Hitzeschilde der landenden Schiffe wurden aktiviert, ihre Prallfelder liefen zur Höchstleistung auf. Eine Gravitationsanpassung war unumgänglich, denn die übergroßen Kolosse der Laktonen maßen viertausendsechzig Meter Länge und mussten ihr volles Energiepotenzial aufbieten, um auf einer Welt mit Schwerkraft und Atmosphäre landen zu können. »Mir gefällt das nicht«, sagte Gon-Rendo. Die Kynother hatten die Angewohnheit, ständig zu lächeln. Doch Hencips Begleiter schien jeglicher Sinn für Humor vergangen zu sein, seit er erfahren hatte, dass er für den Außeneinsatz vorgesehen war. »Muss es auch nicht.« Hencip bedeutete dem Kleinen draußen auf dem Gang zu warten, während er selbst sein Quartier betrat und Gürtel und Koffer mit der Spezialausrüstung zusammensuchte. Kaum, dass er damit fertig war, wurde Alarm gegeben. Ein Teil der Flotte setzte zur Landung auf einer fremden Welt an – wie schon unzählige Male zuvor. Gomar Hencip wurde das unbestimmte Gefühl nicht los, dass es diesmal gänzlich anders verlaufen sollte. * Vergangenheit, Sommer 1972 Fredrics Hand streichelte zärtlich den Bauch seiner Frau. Sie lächelte und berührte kurz seine Wange. Gleichzeitig führte sie sei-
ne Hand zu eben der Stelle, an der sie ihr gemeinsames Baby zuletzt gespürt hatte. Lisa war sich sicher, dass sie eine Tochter erwartete - eine Mutter spürt so etwas. Zumindest hatte das ihre eigene Mutter stets behauptet. Sie erinnerte sich noch an die Geburt ihrer Schwester. Gott, das ist Ewigkeiten her. Und jetzt bin ich selbst bald Mutter. Lisa Bennet spürte das trampelnde Etwas in ihrem Leib. Es war ein berauschendes, glückliches Gefühl, das in ihr den Wunsch auslöste, die gesamte Welt zu umarmen. Dennoch war die anstehende Geburt ihrer Tochter von politischen Ereignissen überschattet, die einen neuen Erdenbürger eher dazu brachten, den schützenden Mutterleib nicht zu verlassen. Die Meldungen der letzten Tage waren erschreckend gewesen. Durch alle Rundfunkkanäle geisterte die Nachricht, dass ein neuer Weltkrieg kurz bevor stand. Die Situation auf dem afrikanischen Kontinent eskalierte. Völkerunruhen und gewaltsame Übergriffe waren die Folge. Truppen hatten sich in Bewegung gesetzt, und die Nuklearwaffen Afrikas waren auf die Vereinigten Staaten und deren Verbündete gerichtet. Wenn nicht bald irgendein Wunder geschah, verlor jemand von der Republique Africaine die Nerven und drückte den roten Knopf. In was für Zeiten leben wir? fragte sich Lisa. In was für eine Welt, wirst du hineingeboren, mein kleiner Schmetterling? »Wir müssen los«, sagte Fredric Bennet und unterbrach damit die Gedanken seiner Frau. »Die Claytons von nebenan haben uns geraten, die Schutzbunker aufzusuchen.« »Meinst du, es wird wirklich ernst werden?« »Wer sollte jetzt noch etwas an der Situation ändern können?« Fredric half seiner Frau hoch auf die Beine. Sie bewohnten ein kleines Häuschen in Jersey City und waren sich der Gefahr bewusst, dass Jersey und New York ein erstes Angriffsziel darstellten. Vielleicht würden ihnen nicht einmal die Schutzbunker helfen können. Doch für einen Aufbruch ins Landesinnere war es längst zu spät. Draußen auf den Highways verstopften Fahrzeugkolonnen die Verkehrswege. Der Flugverkehr war bereits vor Tagen eingestellt worden, und die Eisenbahnen besaßen kaum mehr Kapazitäten, um noch weitere Flüchtlinge aufzunehmen. Einmal mehr verfluchte sich Lisa dafür, den Rat ihrer
Freundin Chloe vor zwei Monaten nicht angenommen zu haben. Damals hielt sie die Reaktion für viel zu übertrieben und überhastet. Sowohl Lisa als auch Fredric hatten fest damit gerechnet, dass sich die Situation wieder normalisierte. Chloe war in Sicherheit. Irgendwo weit draußen in Montana. Fredric nahm den schon vor Tagen gepackten Notkoffer auf und führte die hochschwangere Lisa zum Ausgang ihres Hauses. Draußen war der Teufel los! Ein Platzregen wütete auf dem Asphalt und dennoch liefen unzählige aufgeschreckte Menschen quer über die Gehwege und Straßen. Mrs. Downing von nebenan wurde von einem großen Unbekannten angerempelt und fiel taumelnd zu Boden. Ehe Lisa ihren Mann darauf aufmerksam machen konnte, waren bereits ein halbes Dutzend Menschen über die Nachbarin hinweg gelaufen oder gesprungen. Niemand achtete auf den jeweils anderen. Jeder war sich selbst der Nächste. Die Panik hatte die Bevölkerung erfasst. Erst jetzt hörte Lisa das monotone Auf und Ab des Luftschutzalarms. Diesmal war es keine Übung, wie in den Tagen zuvor. Irgendjemand hatte den Krieg begonnen! Statt sich in den Strom der Fliehenden einzureihen, zog Fredric seine Frau zurück und wartete mit ihr auf dem Weg ihres Vorgartens. Es war aussichtslos, sich den Flüchtlingen anzuschließen. Gerade Lisa in ihrem Zustand würde es nicht anders ergehen, als zuvor Mrs. Downing. »Wir müssen warten«, sagte Fredric. »Worauf denn?« Panik schwang in Lisas Stimme mit. In den Straßen schien es weder vor noch zurück zu geben. Die anderen Leute rannten einfach blindlings drauf los ohne Rücksicht auf ihre Mitmenschen zu nehmen. Sie rempelten und stießen und trampelten sich gegenseitig zu Tode. »Zurück ins Haus!« riet Fredric. Ohne Widerspruch ließ Lisa sich von ihm ins Haus zurückdrängen. Sie durchquerten das Wohnzimmer und die Küche und liefen durch die Terrassentür auf der Rückseite des Gebäudes wieder nach draußen. Der kleine Garten mit Swimmingpool wurde durch einen hüfthohen Zaun eingegrenzt. Fredric nahm Lisa an die Hand und zog sie hinter sich her. Sie umrundeten den Pool und blieben kurz an der Abgrenzung zum Nachbargrundstück stehen. Fredric schwang ein Bein über den Zaun. Er bot Lisa die Hand dar und forderte sie auf, ihm zu folgen. Doch bevor sie sich Ge-
danken machen konnte, wie sie in ihrem Zustand und langem Umstandskleid die Hürde nehmen sollte, wurde die Wirklichkeit in ein gleißendes Licht getaucht. Für eine Sekunde wirkte die Umgebung wie ein grelles, pastellfarbenes Bild Andy Warhols. Unnatürlich. Surreal. Dann bedeckte ein großer Schatten Lisas Gesichtsfeld, als ihr Mann sich einfach über sie warf und mit seinem eigenen Körper abschirmte. Lisa schrie als sie mit dem Rücken auf dem Rasen aufprallte. Das Gewicht Fredrics auf ihrem Leib schien sie zu erdrücken. Sie hatte Angst um das Baby! Du drückst es platt, dachte sie. Bitte, geh. Geh runter von mir! Doch sie sagte nichts. Denn das Beben, das dem infernalen Licht folgte, wischte ihre Gedanken einfach fort. Das Letzte, das Lisa bewusst wahrnahm, war das Scheppern und Klirren von Glas. Danach umfing sie tiefe Nacht. Von dem Chaos, das rings um sie herum ausbrach, bekam sie nichts mehr mit. Das Nächste, woran sie sich erinnerte, waren geschäftige Hände, die sie eilig aber behutsam abtasteten. Lisa hörte eine Stimme. Sie braucht eine Zeitlang, um sie als die Fredrics zu erkennen. Vor ihren Augen lichteten sich die Dunkelschleier nur schwerlich. Lisa verspürte Schmerzen im Rücken. Der Bauch tat weh. Über ihr hockte ihr Mann und fragte sie immer wieder, ob es ihr gut ginge und ob ihr nichts fehle. Lisa versuchte sich zu orientieren. »Was ist passiert?« »Die Bombe!« rief Fredric. »Die Bombe ist explodiert!« »Welche Bombe?« Fredric deutete nur nach Osten. Weit über den Dächern Jersey Citys war die unverkennbare pilzförmige Wolkenstruktur einer nuklearen Explosion zu sehen. »Diese Wahnsinnigen!« In Fredrics Augen lohte ein irrer Glanz. »Die Wahnsinnigen haben es wirklich getan.« * Gegenwart, Juni 1992 Warum ausgerechnet das Flaggschiff der Laktonenflotte in der Nähe der radioaktiven Quelle gelandet war, vermochte Gomar Hencip nicht zu sagen. Er sah den Umstand zunächst auch nicht als problematisch an. Sie besaßen ausreichend Schutz gegen
Strahlungen. Hätte Hencip auch nur entfernt geahnt, dass das Landemanöver der GANTARR ihm in wenigen Tagen zum Verhängnis wurde, hätte er anders darüber geurteilt. Während die Messgeräte aller gelandeten raketenförmigen Schiffe ihre Arbeit aufnahmen und in rasender Geschwindigkeit Rohstoffe und Bodenschätze des Planeten Erde analysierten und katalogisierten, setzte Lakton bereits seine Agenten aus. Gomar Hencip traf sich mit dem Kynother Gon-Rendo vor dem Schleusenturm. Auch der zwergenhafte Dolmetscher hatte sich eine Ausrüstung zusammengestellt. Wie fast alle Vertreter seiner Rasse lächelte er Hencip vergnügt an, als er ihn im Korridor vor der Schleuse entdeckte. »Geht es jetzt auf große Abenteuerfahrt?« fragte Gon-Rendo und blickte ihn aus großen Augen an. Die dunklen Brauen endeten bei Kynothern nicht über dem Jochbein, sondern zogen sich in feinem Bogen bis zu den Kinnladen herab. Gon-Rendo war klein mit knabenhafter Statur. Sein Kopf war unproportional groß, was ihm ein kindliches Aussehen verlieh. Seine Haare schimmerten blau. »Dies ist mein zweiunddreißigster Bodeneinsatz, Kleiner. Vergnügen hab ich dabei nie erlebt. Nur immer und immer wieder das Ende einer fremden Welt gesehen. Hier wird es kaum anders sein. Wenn wir Glück haben, wird uns unsere Flotte irgendwann wieder abholen. Im Zweifelsfall fallen wir den Orathonen in die Hände.« Gon-Rendo erwiderte nichts. Er drückte am Tastenfeld neben der Wand eine Ziffernfolge ein, woraufhin sich das Schott der Schleuse öffnete. Die beiden ungleichen Gestalten betraten die Kabine. Obwohl der Lift selbst im unteren Segment des gewaltigen Raumschiffes der Pithon-Klasse angesiedelt war, mussten knapp einhundert Höhenmeter überwunden werden, um den Boden auf dem gelandeten Planeten zu erreichen. Der Teleskoptunnel senkte sich mitsamt der Kabine bis zum Grund neben den Landestelzen. Als sich die Doppeltüren beiseite schoben, empfing Gomar Hencip und Gon-Rendo eine schwüle Wärme. Entgegen der Vorschriften, betrat der Kynother als erster das fremde Terrain. Hencip hielt sich mit einem Protest zurück. Noch war das Schiff durch eine Energieglocke geschützt. Selbst wenn das primitive einheimische Volk, das sie auf dieser Welt geortet hatten, sie an-
zugreifen versuchte, drohte ihnen keine unmittelbare Gefahr. »Du verbrennst dir noch einmal den Hintern, Kleiner«, sagte Hencip, als er neben Gon-Rendo stand. »Oho! Seit wann machen sich Leute wie du um meine Gesundheit Sorgen?« »Seit wir manchmal auf euch angewiesen sind.« »Du gibst es also zu?« Hencip lächelte und entblößte seine roten Zähne. »Ich würde es nie öffentlich erwähnen.« Laktonen waren sehr menschenähnlich, was Größe und Farbe der Haut, der Haare und der Augen betraf. Auf Menschen wirkten sie fettleibig, was sie aber bestimmt nicht waren. Der besondere Unterschied war: Sie hatten rötliche Zähne. Laktonen besaßen außerdem einen extrem herben Körpergeruch, der je nach Situation schärfer wurde. Sie sahen sich die Umgebung, in der das Flaggschiff gelandet war, näher an. Unweit ihrer Position erhoben sich die Ruinen einer alten Stadt aus einem zerklüfteten Trümmerfeld. Einige Gebäude in der Nähe eines gewaltigen Kraterrandes schienen erst kürzlich neu errichtet worden zu sein. Gon-Rendo, in seinem scheinbar naiven Forscherdrang, wollte bereits losgehen, als Hencip ihn zurückhielt. Noch war die Umgebung nicht gesichert. Sie warteten auf einen kleinen Trupp Raumsoldaten und ihre Kampfroboter, um sich zusätzlich vor Übergriffen der Einheimischen zu schützen, sobald sie das schützende Feld der GANTARR verließen. Die humanoiden Maschinen wirkten in ihrem Aussehen nicht so ausgeklügelt wie das orathonische Modell der Bronzeroboter. Obwohl auch die laktonischen künstlichen Wesen entfernt menschlich erschienen, sah man ihnen auf den ersten Blick an, dass es sich um Roboter handelte. In ihren Kapazitäten standen sie jedoch den Bronzenen in nichts nach. Kaum dass der Sicherungstrupp den ausgefahrenen Liftschacht neben einer anderen Landestelze verlassen hatte, bewegten sich zwischen den Gebäuden einige Gestalten. Tatsächlich traten Einheimische ins Sichtfeld und näherten sich zögerlich dem gelandeten Raumschiff. Hencip wusste, was jetzt kam. Er hatte solche Augenblicke schon Dutzende Male erlebt. Doch die Laktonen gestatteten keine Kontaktaufnahme. Im günstigsten Fall hatte sich das einheimische Volk zu unterwerfen. Im schlimmsten Fall – so wie in diesem – waren die Laktonen nicht in der Lage, den Planeten für sich zu beanspruchen, sondern konnten nur ihre Agenten
aussetzen, um danach den Orathonen das Terrain zu überlassen. Hencip gab den Robotern ein Zeichen. Zwei der Maschinen setzten sich in Bewegung und stakten über die zerklüftete Landschaft den Anwohnern entgegen. Nur kurz darauf schnarrte eine metallische Stimme, dass die Neugierigen sich in Sperrgebiet befänden und hier nichts zu suchen hätten. Die Roboter stellten ihnen ein Ultimatum, um sich zu entfernen. Sie sprachen jedoch nicht aus, was geschah, wenn man ihren Befehlen nicht Folge leistete. Zumindest begriffen diese Leute hier, dass die Invasoren aus dem Weltraum nicht an einer Kontaktaufnahme interessiert waren. Die meisten von ihnen kehrten sofort um, nachdem die Roboter ihre Worte an sie gerichtet hatten. Nur zwei blieben noch etwas länger stehen, musterten die Maschinen einen Augenblick lang, ehe auch sie sich wieder in die Häuser zurückzogen. »Keine weiteren Objekte im Sicherheitsbereich«, meldete einer der Roboter. Hencip und der Kynother setzten sich ab. Das ungleiche Paar folgte einer maroden Straße. Der Asphalt war stellenweise aufgebrochen, nicht erneuert worden und entließ moosartige Gewächse und Unkraut. Gomar Hencip schenkte der Umgebung seine besondere Aufmerksamkeit. Schließlich würde dieser Planet für mehrere Wochen, wenn nicht sogar Monate, seine neue Heimat werden. Es war alles eine Frage, wie schnell die Orathonen entweder von hier vertrieben werden konnte, oder es den Agenten Laktons gelang, die Arbeiten des Gegners zu sabotieren. Die beiden passierten die ersten Ruinen und wandten sich dann Richtung Krater. Da die Sensoren der GANTARR den dichten Dschungel nicht durchdringen konnten, musste Hencip wissen, ob es innerhalb des Kraters potenzielle Gefahren gab. Um nicht von den Einheimischen gesehen zu werden, aktivierten sowohl Hencip als auch Gon-Rendo ihre am Gürtel untergebrachten Tarnschirme. Die Kraftfelder beruhten auf einem Lichtumlenkeffekt, der auftreffende Lichtstrahlen um das Feld selbst herumleitete und seine Träger somit aus dem sichtbaren Bereich des Spektrums verschwinden ließ. Nahezu unsichtbar für menschliche Augen konnten sich Hencip und der Kynother frei auf der fremden Welt bewegen. Sie marschierten durch eine Häuserschlucht und gerieten unweigerlich mitten unter die Einheimischen, die sich neugierig über die gelandeten Raumschiffe aus ihren Häusern hervorwagten. Viele von ihnen plapperten aufge-
regt durcheinander. Hencip konnte ihre Sprache noch nicht verstehen. Wie so oft auf einer Außenmission versuchte Hencip sich mit dem linguistischen System des jeweiligen Planeten insoweit vertraut zu machen, dass er sich notfalls mit der Bevölkerung allein verständigen konnte. Er musste immer damit rechnen, dass der ihm zur Seite gestellte Dolmetscher ausfallen konnte. Um die Bewohner jedoch nicht auf sich aufmerksam zu machen, fragte er den Kynother nicht, worüber geredet wurde. Letztendlich konnte er sich die Gesprächsinhalte auch selbst zusammenreimen. Die Menschen waren verstört und erschreckt über die Invasion der Laktonen. Dabei stand ihnen das Schlimmste noch bevor. Spätestens wenn die Orathonen auf dieser Welt Fuß fassten, begann ein hartes Regime der Sklaverei und Ausbeutung, gegen das sich die Einheimischen nicht zur Wehr setzen konnten. Hencip und Gon-Rendo erreichten das Ende der Straße und hielten sich links an einem neu erbauten Gebäudekomplex entlang. Sie trafen auf weitere Menschen, darunter auch einige Uniformierte und Bewaffnete. Ungesehen konnten sie sie passieren. Eine Nebenstraße führte direkt auf den gewaltigen Krater zu, dessen radioaktive Strahlung sie vom Schiff aus angemessen hatten. Nach zweihundert Metern brach der Asphalt unmittelbar vor ihnen ab. Unter ihren Füßen breitete sich ein gigantischer Trichter aus, dessen Ursprung nur im Einschlag eines gewaltigen Asteroiden oder einer nuklearen Explosion liegen konnte. Die wahre Größe des Kraters vermochte Hencip nicht einmal ansatzweise zu erahnen, denn der Großteil lag unter einem wuchernden Teppich aus sattem Grün verborgen. Hencip warf einen Blick auf seine Messinstrumente. Der Pegel für radioaktive Strahlung schlug aus. Nicht so hoch, als dass die Dosis tödlich gewesen wäre, doch setzte man sich ihr längere Zeit aus, waren Spätschäden und gegebenenfalls Mutationen bei den Nachkommen nicht auszuschließen. »Was denkst du?« fragte Gon-Rendo. »Müssen wir in diesen Urwald?« Die Frage beantwortete sich beinahe von selbst, denn nur wenige Sekunden darauf meldete sich Hencips Signalgeber mit einem durchdringenden Pfeifton. Der laktonische Agent drehte sich um und sah in die Richtung aus der sie gekommen waren. Offenbar
hatten die Orathonen dieses Sonnensystem schneller erreicht, als die Admiralität geglaubt hatte. Der Boden bebte unter den brüllenden Triebtriebwerken der laktonischen Raumgiganten, als die Flotte sich anschickte, von der Welt, auf der sie gerade gelandet waren, wieder zu starten. »Das ging aber schnell«, kommentierte Gon-Rendo. »Es war zu erwarten«, sagte Gomar Hencip. »Die Gefiederten waren schon unter uns, als wir den Hypersprung vorbereiteten. Ihre Flotte konnte mühelos unseren Austrittsvektor ermitteln, sich sammeln und hinterher springen.« »Und jetzt?« Hencip antwortete nicht sofort. Stattdessen deutete er auf den grünen Wald direkt unter ihnen. »Ich schätze, uns bleibt keine andere Wahl.« Trotz des kleinlauten Protestes des Kynothers schickte sich der Agent an, in den Trichter hinab zu steigen. * Vergangenheit, Herbst 1980 Besorgt betrachtete Lisa Bennet ihre Tochter. Mit ihren acht Jahren war sie anders als alle anderen Kinder in der Umgebung. Sie lachte nicht. Sie spielte nicht. Sie aß sehr wenig. Und sie hockte lange Zeit einfach nur still und wie apathisch in ihrem Zimmer. Nach der Zerstörung New Yorks durch eine afrikanische Wasserstoffbombe war es den Bennets, wie allen anderen Menschen auch, mehr als schlecht gegangen. Die Druckwelle der Detonation hatte auch in Jersey City gewütet. Kaum ein Stein stand noch auf dem anderen. Alle Häuser waren zerstört. Die Bennets schlossen sich dem Flüchtlingsstrom an und übernachteten wochenlang im Freien. Nur der Umstand, dass Lisa schwanger war, rettete ihnen vermutlich das Leben. Ein junger Arzt, der sie in einem Park aufgabelte, brachte sie etwa 30 Meilen nach Norden zu einem Ort namens Spring Valley, in dem es nach dem Krieg noch eine der wenigen intakten Kliniken in der Nähe von New York gab. Hier wurde kurz darauf Saya geboren. Es hatte heftigen Streit wegen des Vornamens ihrer Tochter ge-
geben, doch letztendlich hatte sich Lisa durchsetzen können. Schon kurz nach der Geburt stellten die Ärzte eine erhöhte Strahlenbelastung des Säuglings fest. Doch Saya wuchs zunächst vollkommen normal heran. Misstrauisch wurden Lisa und Fredric erst, als sich ihre Tochter im Alter von drei Jahren immer mehr in sich selbst zurückzog. Sie kapselte sich von den anderen Kindern ihres Alters ab. Möglichweise lag auch die Angst vor Hänseleien darin begründet, denn auch äußerlich unterschied sie sich von den anderen Kindern. Ihr Haarwuchs kam nicht durch. Saya wies keinerlei Körperbehaarung auf – auch jetzt mit acht Jahren nicht. Ihre Haut war glatt und sehr hell. Lisa und Fredric suchten verschiedene Ärzte auf, doch die meisten diagnostizierten, dass ihre Tochter völlig gesund war. Man tröstete sie damit, dass Saya sich sehr spät entwickelte und riet ihnen zur Geduld und Abwarten, was die Zeit für ihre Tochter bringe. Inzwischen mehrten sich die Nachrichten über erste Mutationen, resultierend aus der harte Gammastrahlung im und in der Nähe des gewaltigen Bombentrichters von New York. Die Medien zeigten Bilder von abstrusen Verunstaltungen des menschlichen Körpers, doch angeblich sollte die Radioaktivität nicht nur physische Auswirkungen auf Mensch, Tier und Pflanzen haben, sondern auch den Geisteszustand zu beeinflussen und mutieren zu lassen. Die so genannte Mutantenpolizei wurde ins Leben gerufen. Bald schon durchstreiften uniformierte Ordnungshüter die Straßen auf der Suche nach Andersartigen, um sie zu kontrollieren und auszusortieren. Die Zeitungen berichteten davon, dass die Mutanten sich von den normalen Menschen bedroht fühlten und sich zurückzogen. In den Trichter. Dort, wohin sich kein anderer Mensch hintraute. Seit einiger Zeit benahm sich Saya allerdings immer seltsamer. Lisa bemerkte es das erste Mal, dass ihre Tochter offenbar mehrmals hintereinander das aussprach, was Lisa selbst dachte. Immer öfter sagte sie Dinge voraus, die in Abständen von Minuten oder Stunden wirklich eintrafen. Mit sieben Jahren ging ein Wandel in Saya vor. Statt sich in der provisorischen Unterkunft in die tiefste Ecke zu verbergen, ging sie immer öfters nach draußen und traf sich dort mit einem neuen Freund. Zuerst hatte Lisa geglaubt, dass es sich dabei um einen glei-
chaltrigen Jungen handelte, doch einmal war Fredric seiner Tochter gefolgt. Sayas Spielgefährte war ein Erwachsener. Ein Mutant! Sie hatten herausgefunden, dass er Thorgol hieß. Oftmals verbrachte er die ganzen Nachmittage mit Saya. Er war von spindeldürrer Statur und besaß einen überdimensionalen, birnenförmigen Schädel. Seit sich Saya mit Thorgol angefreundet hatte, geschahen unheimliche Dinge in ihrer Nähe. Das Mädchen brachte seine Eltern dazu, ihm keinen Wunsch abzuschlagen. Gegen den Willen Lisas und Fredrics setzte ihrer Tochter immer ihren Kopf durch. Spätestens da merkten ihre Eltern, dass Saya zu den Andersartigen gehörte. Ihre Gene und Gehirnzellen waren auf eine Art und Weise mutiert, die in ihre besondere Fähigkeiten weckten. Fähigkeiten, die ihre Eltern als gruselig und monströs empfanden. Lisa betrachtete ihre Tochter. Sie hatte ihr Hausarrest erteilt. Wieder einmal hatte sie sich den ganzen Tag bei Thorgol aufgehalten. Lisa und Fredric ahnten, dass der Mutant nur einen schlechten Einfluss auf ihre Tochter haben konnte. Sie wollten ihr verbieten, sich weiter in seiner Nähe aufzuhalten. Doch das Verbot, Saya in der provisorischen Unterkunft festzuhalten, konnte nur temporär sein. Bereits jetzt spürte Lisa die einschmeichelnden Gedanken ihrer Tochter. Sie wusste, dass Saya bereits versuchte, sie zu manipulieren. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Fredric stürmte in die Unterkunft, die aus zwei kleinen Zimmern einer langen Baracke bestand. Lisa zuckte erschrocken zusammen. »Es reicht!« brüllte Fredric. »Was? Was ist passiert?« »Draußen«, sagte ihr Mann. »Draußen! Die Mutanten, sie sind irre. Die Polizei kann sie nicht stoppen!« Lisa ging auf ihren Mann zu und fasste ihn bei den Schultern. »Jetzt beruhige dich erst einmal. Was ist passiert? Erzähl von vorne!« »Sie werden es gleich im Fernsehen bringen – und morgen wird es auf der Titelseite jeder Zeitung stehen. Ein Dutzend Mutanten kam aus dem Trichter und fiel über die Häuser der Randzone her. Sie plünderten. Und als die Mutantenpolizei eingreifen wollten, fingen diese Monster damit an, Leute umzubringen!« Fredric machte eine Pause. Er atmete schwer. Schweiß perlte an seinen Schläfen herab, dort wo die Adern dick geschwollen hervortraten. »Und sie«, er deutete auf Saya, die nun verschüchtert
in der Ecke saß und seinen Worten zugehört hatte. »Sie ist eine von ihnen!« Fredric stieß Lisa fort und ging zu seiner Tochter. Er packte sie brutal am Handgelenk und zerrte sie auf die Füße. Er war schon auf halbem Wege nach draußen, als sich Lisa so weit gefangen hatte, dass sie ihn fragen konnte, was er vorhatte. »Sie muss fort! Sie gehört nicht mehr zu uns. Sie ist nicht mehr unsere Tochter!« »Das… das kannst du nicht tun!« schrie Lisa. Doch Fredric war bereits zur Tür hinaus. Seine Frau stürzte hinterher und rief mehrmals hinter ihm her, aber er hielt weder an, noch reagierte er. Fredric lief mit Saya quer über die Straße zu einem kleinen, wartenden Transporter. Eines der wenigen Fahrzeuge, die in der Flüchtlingssiedlung überhaupt funktionierten. Seit dem Kriegsende begann der Aufbau. Die Medien hatten ihre Arbeiten wieder aufgenommen. Die Technik funktionierte und reifte. Es gab bereits mehrere technologische Errungenschaften, die vor dem Krieg nicht denkbar waren und nur in Folge des wirtschaftlichen Kollapses und mangels alternativer Ressourcen erst entwickelt worden waren. Die Fernsehsender berichteten von Gleitflugzeugen, die mit Solarenergie betrieben wurden. Diese so genannten Sonnengleiter sah man in den größeren Städten oft als Ersatz für die Autos auf den Straßen der Vorkriegszeit. Die arme Flüchtlingssiedlung konnte sich so einen Luxus natürlich nicht leisten. Sie griffen auf alte bodengestützte Fahrzeuge zurück, reparierten sie und versuchten, deren Motoren so umzubauen, dass sie mit alternativem Treibstoff betrieben werden konnten. Der Laster auf den Fredric Saya verfrachtete, fuhr mit Rapsöl. Als Lisa schwer atmend zu dem Fahrzeug kam, sah sie, dass auf der Ladefläche noch andere Kinder und Erwachsene saßen. Viele von ihnen wiesen deformierte Körperstellen auf, zweifelsohne Mutationen. »Fredric! Wohin bringst du unsere Tochter?« »Dorthin, wo sie hin gehört!« antwortete ihr Mann. Er nickte dem Fahrer zu, der die Ladefläche sicherte und dann ins Führerhaus sprang. Fredric blieb vor Lisa stehen und sah sie mit festem Blick an. »Glaub mir, mein Schatz, es ist besser so. Tief in dir, weißt du das auch. Saya gehört nicht mehr zu uns. Sie ist nicht unsere Tochter.« Lisa schluckte. Die Tränen rannen ihr aus den Augen, als das
Wort Tochter in ihr nachhallte. Meine Tochter. Sie versuchte den Weinkrampf zu unterdrücken. Mit verschwommenem Blick sah sie, wie der Lastwagen anfuhr und alsbald aus ihrem Blickfeld verschwand. Lisa blieb einfach auf der Straße stehen, ignorierte die anderen Leute um sich, reagierte nicht auf ihre Fragen, sondern weinte so lange, bis es keine Tränen mehr gab. Irgendwann kehrte der Laster nur mit Fredric und dem Fahrer zurück. Fredric nahm seine Frau in die Arme. Er sagte nichts, drückte sie nur fest an sich. »Wo ist sie?« fragte Lisa nach einer Weile. »Da, wohin sie gehört«, antwortete Fredric. »Im Trichter.« * Gegenwart, Juni 1992 Schlachten wurden binnen Minuten entweder gewonnen oder verloren. Zumindest hatte dies einmal ein großer Feldmarschall des orathonischen Imperiums behauptet, der darüber hinaus ein Mitglied der FAMILIE war. Die Schlacht um den dritten Planeten des Sol-Systems dauerte nunmehr schon mehrere Stunden an. Mit ihrer Ankunft in diesem Sonnensystem hatten die Orathonen die Flotte Laktons von der Erde vertrieben. Ein Großteil ihrer Schiffe war selbst auf dem dritten Planeten gelandet, um seine Ressourcen für den Krieg der Flotte zu sichern. Der Rest kämpfte erbittert im Weltraum gegen die Laktonen. Obwohl ihre Gegner hoffnungslos in der Unterzahl waren, setzten sie sich verbittert zur Wehr. Dies musste auch Demon Adilon feststellen, als sein Diskusraumer der Kapp-Klasse eine volle Breitseite eines Trakon-Kreuzers erhielt und seine Triebwerke versagten. Mit voll aktivierten Hitzeschilden gelang es dem Diskus, der Reibungshitze beim Eintritt in die Erdatmosphäre zu widerstehen. Doch das Schiff war manövrierunfähig und würde unweigerlich Bruch landen. Die Diskusraumer der KappKlasse besaßen einen Durchmesser von circa dreißig Metern sowie eine Höhe von knapp zehn Metern und stellten damit die mittlere Größe von Schiffen des Diskustyps im orathonischen Imperium dar. Ihre Besatzung variierte je nach Aufgabengebiet und Einsatzziel. Demon Adilons Crew bestand aus vier ora-
thonischen Offizieren, zwei Mannschaftsdienstgraden sowie zwei Bronzerobotern. In der unteren Sektion bestand die Möglichkeit, einen Whim-Bau einzurichten, um für Bodenmissionen die Schlagkraft durch das grillenähnliche Hilfsvolk zu erhöhen. Zum einen verachtete Adilon die Whims und verließ sich lieber auf die Bronzenen, zum anderen hatte er nicht damit gerechnet, abgeschossen zu werden und auf dem fremden Planeten notlanden zu müssen. Selbst dieser Umstand beunruhigte ihn nicht sonderlich, denn inzwischen war ein Teil der orathonischen Flotte auf dem dritten Planeten gelandet und begann mit der Übernahme. Sie würden nach ihrem Absturz sicherlich schnell Hilfe bekommen. Als Adilon auf den Holografen sah und im Kopf den voraussichtlichen Landevektor errechnete, erkannte er, dass sich zunächst keines der orathonischen Hantelschiffe in der Nähe der Absturzstelle befand. Manövrierunfähig jagte der Diskus auf einen Küstenstreifen zu. Sie würden im Herzen einer großen Metropole heruntergehen. Seltsamerweise füllte ein gewaltiger Krater deren Stadtmitte fast vollkommen aus. Adilon glaubte nicht, dass die Einheimischen ihre Siedlung absichtlich im Halbrund um den Kraterrand errichtet hatten, sondern vielmehr Opfer eines Meteoreinschlags geworden waren. Die Triebwerke versagten völlig. Demon Adilon blickte in die Richtung seiner Schwester Jelena, die die Schadenkontrolle des Raumers im Auge behielt. Zusammen mit Manam Kellehon, Adilons Stellvertreter, und dem Waffenoffizier Cord Haktar, bildete sie die Kommandocrew des Schiffes. Die zwei Techniker an Bord hielten sich im Maschinensegment auf. Seine Schwester hätte eigentlich nicht hier sein dürfen. Orathonische Frauen dienten nicht in der Flotte – ohne Ausnahme. Frauen galten nichts unter den Orathonen, sie waren nicht mehr als Eigentum der Männer und hatten sich ihrem Willen gänzlich zu unterwerfen. Es war eher einem unglücklichen Zustand zu verdanken, dass sich Jelena an Bord des Raumers aufhielt. Kurz vor dem Aufbruch von Khara, dem politischen Hauptplaneten des orathonischen Reiches, hatte sich Jelena nach Adilons Landurlaub von ihm verabschieden wollen. Das Rückruf- und Sammelsignal der Flotte erreichte das Schiff, ehe Jelena wieder von Bord gehen konnte. Adilon hatte seine Offiziere eingeweiht und zu Stillschweigen ge-
zwungen. Seiner Schwester vertraute er einfachere Aufgaben im Diskus an, die normalerweise von einem Mannschaftsdienstgrad ausgeführt wurden. »Irgendwelche feindlichen Aktivitäten zu entdecken?« fragte Demon Adilon. Er wusste, dass die Laktonen direkt vor ihrem Eintreffen eine Blitzlandung vorgenommen hatten und bei solchen Aktionen zuallererst ihre Agenten ausschleusten, damit diese spätere Operationen der Orathonen auf der Oberfläche, wo immer sie konnten, verhinderten. »Nur erhöhte Messwerte von Radioaktivität feststellbar.« Adilons Blick traf sich mit dem seines stellvertretenden Kommandanten. Die blaugrünen Kopffedern Kellehons richteten sich auf. Für gewöhnlich ein Anzeichen seiner Nervosität. »Es bleibt uns wohl ohnehin keine andere Wahl, Adilon«, sagte er. »Unser Schiff geht geradewegs dort herunter.« »Bremstriebwerke?« Jelena schüttelte den Kopf. »Ausgefallen. Ebenso die vorderen Andruckabsorber. Ich weiß nicht, ob unsere Liegen den Aufprall kompensieren können.« Normalerweise sorgten an Bord eines orathonischen Raumschiffs Prallfeldschirme und Andruckabsorber dafür, dass die Crew bei plötzlichen Beschleunigungen und Erschütterungen nicht wie wild über das Deck gewirbelt wurde. Ein Ausfall dieser Geräte ließ die Innenräume des Raumers ungeschützt. Die Treffer des Trakon-Kreuzers hatten einige der empfindlichen Stellen am Diskus getroffen. »In Ordnung, wir können hier nichts mehr tun. Auf die Liegen und festschnallen! Hoffen wir, dass uns die FAMILIE gnädig gesinnt ist und wir den Aufprall überstehen.« Demon Adilon wartete, bis seine Crew sich in den Konturenliegen befand. Die Absorptionsautomaten unter den Sitzen würden versuchen, die Wucht des Aufpralls zu mindern, doch sie arbeiteten nicht so effektiv wie die Hauptgeneratoren des Schiffes. Adilon wies die Techniker im Maschinenraum an, sich auf die Notlandung vorzubereiten. Dann nahm er selbst in einer der Absorptionsliegen Platz. Der Diskus fiel wie ein Stein vom Himmel. Die Gravitationskräfte des dritten Planeten zerrten an ihm, und die stetig steigende Beschleunigung beim Absturz war selbst in den Liegen spürbar gegenwärtig. Sie konnten von Glück sagen, dass wenigstens die
Hitzeschilde funktionierten, um der Reibung in der Atmosphäre entgegenzuwirken. Wären auch diese Generatoren ausgefallen, wäre das Schiff noch vor dem Aufprall verglüht. In der letzten Phase vor dem Einschlag vibrierte der Diskus so stark, dass die Gurte von Haktars Liege rissen. Krampfhaft hielt sich der Waffenoffizier am Sitz fest. Die Instrumente versagten. Der Holograf wurde dunkel. Alarm gellte durch das Schiff. Mehrere Konsolen implodierten. Adilon schloss die Augen und betete, dass sie den Absturz überlebten. Seine Hand tastete nach seiner Schwester, doch ihre Liege befand sich zu weit von seiner entfernt. Einschlag. Das Erste, das Demon Adilon bewusst wahrnahm, war ein auf und abschwellendes Heulen. Zuerst dachte er an die Alarmanlagen des Diskus’, doch es war ein defektes Ventil, das in unregelmäßigen Abständen Druckluft ausstieß und dabei ein Pfeifgeräusch erzeugte. Dichter Rauch umnebelte die Kommandozentrale. Nur schemenhaft konnte Adilon die anderen Liegen sehen. Mit der Hand tastete er nach den Gurten und stellte fest, dass sie gerissen waren. Seine Schulter schmerzte, die Brust ebenfalls. Flüssigkeit lief aus seiner Nase. Sein Kiefer fühlte sich an, als hätte jemand den Kolben eines Gewehres dagegen geschlagen. Adilons erster Gedanke galt seiner Schwester Jelena. Er richtete sich halb auf. Von einer Sekunde auf die andere gesellten sich zu seinen Schmerzen noch tausend weitere hinzu. Der plötzliche Ansturm ließ ihn sofort wieder in die Liege zurückfallen und betäubte seine Sinne. Für mehrere Sekunden verlor Adilon das Bewusstsein. Als er erneut zu sich kam, fühlte er tastende Hände auf seinem Leib. Über ihm stand Cord Haktar, der offenbar seinen Körper nach Verletzungen absuchte. »Wie geht es Ihnen?« »Nichts gebrochen«, antwortete Adilon. Der Waffenoffizier atmete erleichtert auf. »Konnten Sie schon einen Schaden feststellen?« »Nur einen groben Überblick«, sagte Haktar. »Kellehon ist tot. Ihre Schwester noch nicht bei Bewusstsein.« Adilon ließ sich von dem Waffenoffizier aus dem Sitz aufhelfen. Er überzeugte sich kurz, dass es seiner Schwester gut ging. Dann rückte das Pflichtbewusstsein eines Kommandanten für sein Schiff
in den Vordergrund. Das Zentralenschott war beim Aufprall so deformiert worden, dass es sich nicht einmal mit der mechanischen Entriegelung öffnen ließ. Adilon gab Haktar zu verstehen, dass sie den Diskus schnellstmöglich verlassen mussten. Die Schadenanalysen des Raumschiffs funktionierten nicht mehr. Sie wussten nicht, ob sie Plasmalecks oder defekte Energieleitungen hatten, die den Raumer im Nachhinein zur Explosion brachten. Haktar zog einen Energiestrahler aus dem Hüftholster und begann damit ein Loch in das Schott zu fräsen. Derweil überprüfte Demon Adilon, ob es noch irgendwelche Instrumente gab, die die Bruchlandung überstanden hatten. Nichts. Alles war tot. Das Raumschiff war ein Wrack, das allenfalls noch zum Ausschlachten taugte. Adilon holte seine Schwester aus der verbogenen Andruckliege und führte sie zum Schott hinüber. Sie war benommen und hatte zahlreiche Hautabschürfungen im Gesicht und an den Händen davongetragen. »Hast du Schmerzen?« fragte Adilon. Die junge Frau schüttelte langsam den Kopf, wobei ihre Federn, die sie, wie alle Orathonen, anstelle von Haupthaar besaß, wie das Gefieder eines Vogels im Wind aufbauschten. »Es geht schon«, sagte sie. »Wo sind wir?« Demon Adilon hob die Schultern. In der Kommandozentrale des Diskusraumers gab es keine Fenster, aus denen sie hätten blicken können. Der Holograf war ausgefallen. Wenn der Landeanflugvektor sich nicht gravierend geändert hatte, waren sie tatsächlich in dem gewaltigen Trichter am Rande einer irdischen Großstadt eingeschlagen. Sie würden sich zu Fuß oder mit einem einheimischen Transportmittel bis zum nächsten gelandeten Orathonenschiff durchschlagen müssen. Mit einem metallischen Ächzen schob sich das von Haktar losgefräste Stück des Schotts nach vorne und fiel polternd zu Boden. Adilon zuckte bei dem Laut zusammen. Er war nervös und überreizt. Die Schlacht war sein dreizehnter Gefechtseinsatz gewesen. Zuvor hatte er höchstens einige Schildtreffer einstecken müssen, war aber nie so sehr in Bedrängnis geraten wie jetzt. Haktar überquerte die Schwelle und sah sich draußen auf dem Gang um. Dann winkte er seinem Kommandanten und dessen Schwester zu. Sie folgten ihm durch den angrenzenden Rundgang
und durchsuchten das Schiff nach weiteren Überlebenden. Die Tür zum Wartungsraum ließ sich mit der mechanischen Entriegelung öffnen. Beide an Bord befindlichen Bronzeroboter waren beim Aufprall zerstört worden. Das Schott zum Maschinenraum musste erneut mit dem Energiestrahler aufgefräst werden. Hier unten im Herzen des Diskusschiffes herrschte ein desolater Zustand. Auch den beiden orathonischen Maschinisten war nicht mehr zu helfen. »Haben wir einen Stationierungsplan unserer Flotteneinheiten?« fragte Demon Adilon. Haktar überlegte kurz und schüttelte dann den Kopf. »Wenn, dann befand sich dieser bei den strategischen Daten in unserer Computerbank.« »Unsere Funkanlage ist zerstört«, sagte Jelena. »Wir können versuchen, mobile Kommunikatoren zur Kontaktaufnahme mit einem unserer Schiffe zu benutzen. Eventuell funktioniert die Sendeanlage aus unserem Beiboot noch.« »Eine gute Idee, allerdings bleibt uns nicht allzu viel Zeit, die Geräte zu bergen. Wir müssen uns darauf einstellen, dass der Diskus auch explodieren kann. Packt die notwendigsten Ausrüstungsteile zusammen. Nehmt vorsichtshalber Notrationen mit und vergesst die Waffen nicht. Wir treffen uns in fünf Minuten vor der Hauptschleuse.« Die Drei trennten sich. Haktar suchte den Waffenraum auf. Jelena begab sich zum Frachtraum, wo auch das Beiboot verankert war, und Demon Adilon stellte Standardrationen und Wasservorräte aus den Nahrungsverteilern zusammen. Noch vor Ablauf der Frist standen alle drei mit geschulterten Marschrucksäcken vor der Hauptschleuse des Raumers. Die innere Tür ließ sich über die Notentriegelung öffnen. Automatischer Druckabgleich und Atemgemischpumpen waren ausgefallen. Das Außenschott bestand nur noch aus zerfetzten Trümmern. Haktar ging mit gezogener Handfeuerwaffe voraus. Die beiden anderen vernahmen ein unterdrücktes Stöhnen, nachdem der Waffenoffizier durch das zerstörte Schleusenschott den Außenbereich betreten hatte. »Ist alles in Ordnung?« rief Adilon ihm hinterher. »Keine unmittelbare Gefahr«, sagte Haktar. »Macht euch jedoch auf eine ungewöhnliche Luft gefasst.« Adilon bekam einen Moment darauf am eigenen Leib zu spüren, was sein Offizier gemeint hatte. Feuchtschwüle, stickige Luft
schlug ihm entgegen. Obwohl die Kartografie beim Landeanflug kein subtropisches Terrain ausgemacht hatte, fand sich die notgelandete Besatzung in einem reinsten Regenwald wieder. Adilons Hoffnung, man könne schnell ihre Position bestimmen und über mobile Kommunikationsgeräte ein Schiff der Landungsflotte verständigen, zerschlug sich jäh. Beim Anflug hatten sie die Tiefe des Kraters nicht feststellen können. Doch anhand ihrer bisherigen Beobachtungen mussten sie sich ziemlich weit unten in der Nähe des Grundes befinden. Als Adilon hochblickte sah er über sich nur sattes Grün. Das Blätterdach des Waldes hatte sich über ihnen geschlossen. Nicht einmal die Einflugschneise des havarierten Diskusraumers war zu erkennen. Die drei Orathonen überprüften ihre Ausrüstungsgegenstände. Die Waffen waren funktionsbereit. Funk- und Messgeräte funktionierten nicht. Haktar lieferte als Erklärung hierfür die überhöhten Strahlenwerte im Trichter. Doch ganz überzeugend klangen seine Worte nicht. Die Instrumente der Orathonen waren dafür konzipiert, auch bei tödlichen Strahlungsdosen noch einwandfrei zu arbeiten. Die Belastung hier im Dschungel war jedoch deutlich geringer. Hier unten musste es irgendetwas geben, das selbst den Kompass verrückt spielen ließ. Adilon und seine Gefährten besaßen keinerlei Orientierungsmöglichkeit. Das dichte Blätterdach ließ keine Sonnenstrahlen hindurch. Dass es trotzdem nicht stockfinster war, lang an dem seltsamen fluoreszierenden Leuchten etlicher Pflanzen. Die Flora half sich im Krater offenbar selbst. »Was tun wir jetzt?« fragte Jelena. »Wir sind von allem abgeschnitten.« Demon Adilon unterdrückte im letzten Moment den Impuls, die Schultern zu heben. Es war nicht klug für einen Kommandanten, in Gefahrensituationen seine Ratlosigkeit offen zu zeigen. Dennoch blickte er fragend seinen Waffenoffizier an. Er war für jeden Vorschlag dankbar. Adilon war für den Weltraumeinsatz in der orathonischen Flotte ausgebildet worden. Seine Kenntnisse und vor allen Dingen Erfahrungen bei bodengestützten Missionen waren verschwindend gering. In solchen Fällen verließ er sich auf die Fertigkeiten der Bronzeroboter, die im orathonischen Imperium allgegenwärtig waren. Niemals hätte er gedacht, dass ausgerechnet die Bronzenen die Bruchlandung nicht überstanden.
Haktar half ihm aus der Klemme. Sein Vorschlag war jedoch so gut wie jeder andere in ihrer derzeitigen Lage. Ob er ihnen wirklich helfen konnte, würde sich noch zeigen. »Wir wählen eine Richtung aus und benutzen die Präzisionskalibrierung unserer Energiewaffen, um eine gerade Bresche in das Unterholz zu brennen. So laufen wir nicht Gefahr, vom Weg abzukommen und uns im Kreis zu bewegen, sondern immer geradeaus zu gehen. Irgendwann müssen wir den Kraterrand ja erreichen.« Adilon überlegte eine Weile, doch er selbst hatte keine bessere Idee. Die Gestrandeten wählten eine unbestimmte Richtung aus, und Haktar ging mit dem Energiestrahler voran. Er hob die Waffe an, zielte auf den Wald und schoss. Ein feiner blauer Blitz fräste sich durch das Gestrüpp, verbrannte grünes Blattwerk und hinterließ eine schmale Schneise. Bildete es sich Adilon nur ein, oder hatte er tatsächlich ein Kreischen gehört? Möglicherweise befanden sich im Unterholz Tiere, die durch die Hitze des Lasers aufgeschreckt worden waren. Vielleicht hatte Haktar auch etwas getroffen. »Ich habe ein ungutes Gefühl bei der Sache«, sprach Jelena die Gedanken ihres Bruders aus. Der Orathone nahm seine Schwester an die Hand und folgte Haktar. * Vergangenheit, Herbst 1986 Thorgol musste es von Anfang an gewusst haben. Nur so konnte sich Saya erklären, warum er sich, seit sie sich kannten, so rührig um sie gekümmert hatte. Anscheinend hatte der Mutant ihre besondere Begabung bereits im zarten Mädchenalter entdeckt. Andere an Thorgols Stelle hätten vermutlich aus bloßem Eigennutz gehandelt, denn Sayas Fähigkeiten stellten im Trichter einen Machtfaktor dar, der auch demjenigen zur Verfügung stand, der Saya kontrollierte. Aber Thorgol war für sie immer nur ein Lehrmeister gewesen. Ein guter Freund und ein Ersatz für ihren Vater. Als sie zehn Jahre alt wurde, fing der Mutant an, ihre Begabung zu wecken. Es ging nicht mehr darum, auf spielerische Art und Weise andere Leute zu beeinflussen, sondern um den gezielten
Einsatz von Kräften, die anfangs jenseits von Sayas Vorstellungskraft lagen. Sie lernte, ihre Andersartigkeit bewusst und konzentriert einzusetzen. Thorgol erklärte ihr, dass sie ein so genannter Absorber war. Wenn sie ihre Gedanken auf die eines anderen Mutanten richtete, war sie in der Lage, dessen geistiges und körperliches Potenzial für sich selbst dauerhaft zu nutzen. Schon bald verschaffte sie sich dadurch jedem Andersartigen gegenüber einen immensen Vorteil. Die Mitbewohner des Trichters zollten ihr Respekt, akzeptierten Saya nicht nur als eine der ihren, sondern sahen in ihr auch die mächtige Übermutantin, die durch ihre Fähigkeiten die geborene Herrscherin und Beschützerin des Trichters war. Thorgols Propaganda tat ihr Übriges dazu bei, dass die Bewohner des Kraters Saya zu ihrer Anführerin bestimmten. Anfangs gab es einige wenige, die sich dem widersetzten. Sie glaubten auf der einen Seite nicht, dass ein Kind sie führen könne, und andererseits waren sie versucht, ihre eigenen besonderen Fähigkeiten mit denen Sayas zu messen. Doch Saya selbst war niemals gezwungen gewesen, gegen andere ihrer Art zu kämpfen. Thorgol und auch der etwas später hinzugekommene Anyim Pius sorgten dafür, dass niemand Saya bedrängte. Mit jedem Jahr, das Saya älter wurde, schien sich ihr Bewusstsein wesentlich schneller zu entwickeln, als man es von Gleichaltrigen erwarten konnte. Der Verstand begriff die Zusammenhänge einer gesellschaftlichen Ordnung, Politik und Toleranz bereits mit zehn Jahren. Jetzt, mit Vierzehn, stand sie manch einem der hiesigen Politiker, sowohl in Rhetorik als auch in analytischem Denken, in nichts nach. Saya begriff auch, dass sie mit ihrem Wissen und Können ein Machtpotenzial darstellte, das in der Führungsebene dieses Staates mehr bewegen konnte, als der Präsident und der Kongress zusammen. Doch Saya wusste auch, dass sie nicht für die Realität außerhalb des Trichters geschaffen war. Sie war andersartig. Und genau das würden die Menschen sie in jeder Sekunde mit jeder Faser ihres Seins spüren lassen. Saya strebte auch nicht danach, dieses Land oder gar die Welt zu regieren, sondern sie begnügte sich mit der Tatsache, uneingeschränkte Herrscherin in ihrem kleinen Reich der Mutanten zu sein. Bei Audienzen oder Versammlungen ihres Völkchens wurden oft Stimmen laut, die forderten, dass den Mutanten in der Außenwelt mehr Freiheit, Mitbestimmung und Gewicht verliehen
werden sollte. Insgeheim hegte Saya den Wunsch, den Lebensraum ihrer Untertanen zu vergrößern und ihre Position in der menschlichen Gesellschaft zu stärken. Doch dies war ein Langzeitplan, der sich weder heute noch in den nächsten zehn Jahren verwirklichen lassen konnte. Saya hatte Zeit. Irgendwann, das wusste sie, würde die Stunde der Mutanten nahen. Dann, wenn sich die Andersartigen aus ihrem Trichter erhoben, um eine Revolution anzuführen, wie sie die Welt bisher noch nie gesehen hatte. Irgendwann. Vielleicht auch erst, wenn Sayas Herrschaft geendet hatte. Hier im Trichter besaßen die Mutanten alles, was sie zum Leben benötigten. Der Kraterdschungel war autonom von der Außenwelt. Es gab Bäche und Teiche mit ausreichend Süßwasser und eine üppige Flora, die mit mutierten Riesenfrüchten und Gemüsesorten aufwartete, um sowohl den menschlichen als auch den tierischen Bewohnern des Trichters als nicht versiegende Nahrungsquelle zu dienen. Das Zentrum des Kraters, an seiner tiefsten und engsten Stelle, war zugleich Sayas Wohnsitz und jener Ort, von dem aus sie zusammen mit Thorgol und Anyim Pius das Geschehen ihres Reiches lenkte. »Sie riechen streng«, sagte Saya. Wie üblich zur Mittagszeit saß das junge Mädchen auf ihrem aus Ranken geflochtenen Thron und genoss die einzigen Strahlen der Sonne, die je durch das Blätterdach ihren Weg bis zum Grund des Trichters fanden. Normalerweise schirmte der dichte Dschungel jegliches Licht und auch Geräusche von außerhalb ab. Doch wie durch wundersame Weise schien es eine Lücke im grünen Geflecht zu geben, die ausgerechnet zu einer bestimmten Tageszeit für zwei Stunden die Sonnenstrahlen bis zum Thron durchließ. Die anderen Mutanten sahen darin ein Zeichen, dass Saya ihre wahre Königin war. Nur das Mädchen und seine beiden Leibwächter kannten die Wahrheit. Sayas Mutantenkräfte vermochten auf telepathischer Ebene einen Kontakt zu der umgebenden Flora herzustellen und den Pflanzen teilweise ihren Willen aufzuzwingen. Die Königin hätte diese Lücke im Blätterdach an jeder beliebigen Stelle öffnen können. Anfangs war sie dagegen gewesen, sich auf diese Art und Weise ihrem Volk zu präsentieren. Doch Thorgol riet ihr, hin und wieder auch auf Effekte zu setzen, statt nur der Loyalität ihrer
Untertanten zu vertrauen. Anyim Pius hatte Sayas Worte offenbar gar nicht gehört. Er starrte stur geradeaus in Richtung der Untertanen, die auf ihre heutige Audienz warteten. Thorgols überdimensionierter Schädel fuhr heftig herum. Er schwankte dabei so sehr auf seinem dünnen Hals, dass manch einer befürchtete, er könne seinen Kopf bei jeder Bewegung verlieren. »Was hast du gesagt?« fragte der schlaksige Mutant. Seine Rechte zuckte dabei nervös in Richtung der Wartenden. Er vermutete, dass Sayas Worte ihnen gegolten hatten. Doch die Königin schüttelte den Kopf, als sie Thorgols fragenden Blick bemerkte. »Nein, ich meine nicht sie. Es sind die anderen.« Thorgol wirkte verwirrt. »Welche anderen?« Saya schloss ihre großen Augen und konzentrierte sich auf einen fernen Punkt in der Zukunft. Deutlich sah sie die Fremden. Hochgewachsene, massige Männer mit roten Zähnen, tödlichen Waffen und einem abstoßenden Körpergeruch, der Sayas Nase allein schon bei der Vorausschau kräuseln ließ. »Was siehst du?« fragte Thorgol und trat näher an sie heran. Inzwischen war auch Anyim Pius aufmerksam geworden. Er sah abwechselnd seine Königin, Thorgol und die in einiger Entfernung stehenden Untertanen an. Als er etwas fragen wollte, bedeutete ihm Thorgol mit einer hektischen Geste, zu schweigen. Saya nahm dies alles durch ihre geschlossenen Lider wahr. All die absorbierten Mutantenfähigkeiten hatten sie über die letzten Jahre hinweg zu einer Supermutantin entwickeln lassen. Doch Thorgol riet ihr stets, nie das volle Potenzial ihrer Kräfte auszunutzen oder gar zu testen. Er hatte ihr oft genug gesagt, dass sie dafür noch nicht bereit war. Saya hatte instinktiv seine Angst und Sorge um sie gespürt. Sie glaubte Thorgol. Er war seit mehr als sechs Jahren ihr Lehrmeister und hatte nie Grund für Zweifel aufkommen lassen. »Wer sind sie?« fragte er nun. Saya ließ sich mit ihrer Antwort Zeit. Hinter ihren geschlossenen Augen betrachtete sie die Fremden, die in gigantischen Raketen auf der Erde gelandet waren. Sie konnte nicht sehen, wann dieser Zeitpunkt eintraf, doch dass das, was sie in ihrer Vision erblickte einmal Realität werden würde, stand außer Frage. Ihre präkognitiven Fähigkeiten hatten Saya bisher noch nie im Stich gelassen. »L-a-k-t-o-n.«
Das Wort klang seltsam. Fremd. Es schien nicht von dieser Welt zu stammen. Saya spürte wie ein eisiges Kribbeln über ihren Nacken kroch. Wäre sie nicht ohne jeglichen Haarwuchs gewesen, hätte eine Gänsehaut feine Härchen aufgestellt. Um das unangenehme Gefühl loszuwerden, stand sie auf und öffnete die Augen. Sie sah Thorgol an. Der Mutant runzelte die Stirn. Seine Stirn legte sich dabei so sehr in Falten, dass sein Kopf fast einem Schraubgewinde glich. »Lakton«, wiederholte Saya. »Sie werden von Lakton kommen.« Thorgol wusste, dass seine Königin nicht den Zeitpunkt der Ankunft bestimmen konnte, daher fragte er auch nicht nach. Aber er musste feststellen, ob Gefahr für ihr kleines Reich bestand. Saya schüttelte langsam den Kopf. »Nein, wir sind hier in Sicherheit. Der Wald schützt uns.« Obwohl sie von ihrer Aussage überzeugt war, schwankte Sayas Stimme. Irgendetwas an ihrer Vision stimmte nicht. Ließ sie unsicher werden. »Wir beginnen mit der Audienz.« Die Königin schob das unangenehme Gefühl, das ihre Vorausschau begleitet hatte, fort und setzte sich wieder auf den Thron. Der erste Bittsteller wurde von Anyim Pius zu ihr geführt. Mit zittrigen Bewegungen und peinlich darauf bedacht, seine Königin nicht anzusehen, trat er bis auf drei Schritte an Saya heran. Ehe er seinen Namen nennen und sein Anliegen vorbringen konnte, wusste Saya bereits über ihn Bescheid. Sie empfing die Gedanken und Gefühlsströme des anderen Mutanten. Er hatte Angst vor einer Eskalation im Osten des Trichters. Immer wieder erreichten Saya Berichte von Unruhen an der Kraterwand, die direkt mit dem Meer abschloss. Thorgol hatte ihr einmal erzählt, welche Auswirkungen die Atombombe vor vierzehn Jahren auf den Stadtteil Manhattan gehabt hatte. Die gesamte Halbinsel war in den sie umgebenden Flüssen versunken. Das Wasser der Meerenge war im nuklearen Orkan restlos verdampft. Der Trichter war nicht nur ein gigantischer Krater, sondern seine Seitenwände hatten sich gebirgsartig über den Meeresspiegel erhoben, so dass das Wasser aus dem Atlantik den Krater nicht zu überschwemmen vermochte. Saya war selbst noch nicht in der östlichen Region gewesen. Sie wusste aus Berichten der anderen, dass direkt hinter dem Kraterrand eine Steilklippe ins Meer ragte. Manchmal kam es zu Durch-
brüchen in der Felswand. Gerade bei schlechten Witterungsverhältnissen, wenn heftige Stürme hohe Wellen gegen die Felsen schmetterten. Bisher war es den dort angesiedelten Mutanten immer gelungen, die Lecks zu schließen. Mit gebündelten Geisteskräften ließen sie Stein sich neu formieren und wachsen. Eine selbst im Trichter seltene mutierte Pflanzenart sorgte mit ihrem harzigen Lebenssaft für eine optimale Versiegelung. Die östliche Region barg dagegen nur wenige Früchte tragende Pflanzen. Auch wenn Saya regelmäßig ihre Leute mit Nahrungsmitteln versorgen ließ, trieb die Raffgier manch einen dazu, sich mehr zu organisieren, als ihm zustand. Bereits drei Mal hatte es Kämpfe um einen Beerenhain gegeben, der durch ein Leck in der Außenwand von Meerwasser umspült worden war und ein Jahr lang keine Früchte trug. Der Konflikt konnte beigelegt werden, nachdem Saya Thorgol als Schlichter ausgesandt hatte. Offenbar gab es jetzt wieder erneut Ärger, um den sich die Königin des Trichters kümmern musste. Stotternd trug der andere Mutant sein Anliegen vor. Da Saya dieses bereits kannte, hörte sie gar nicht mehr hin, sondern beschäftigte sich gedanklich schon mit einer Lösung. Als sie die Augen schloss und für einen Außenstehenden scheinbar konzentriert lauschte, erreichte sie eine weitere Vision. Die Fremden sahen diesmal anders aus. Rein äußerlich wirkten sie auf Saya nicht bedrohlich. Unter den Mutanten gab es durchaus schlimmere unansehnliche Missbildungen, die weitaus befremdlicher wirkten als die Gestalten aus ihrer Vorausschau. Saya hatte sich an all diese abnormen Mutationen gewöhnt, daher betrachtete sie die Wesen lediglich mit einer Mischung aus Neugier und Faszination. Die Fremden besaßen, im Gegensatz zu den Leuten aus ihrer ersten Vision, eine grüne Hautfarbe. Statt des Haupthaares wuchsen ihnen federartige Büschel aus dem Kopf, die die unterschiedlichsten Farbnuancen zwischen grün und blau bildeten. Die Vorausschau zeigte der Königin des Trichters nicht nur die Bilder, sonder vermittelte ihr auch auf eine empathische Art die Absichten der Aliens. Zerstörung! Tod! Während Saya die Laktonen nicht als Gefahr einstufte, spürte sie bei dieser Spezies die Aggression und die Eroberungssucht, deren Folge Vernichtung und Tyrannei waren. Saya wankte. Sie
kümmerte sich nicht mehr um das Anliegen des Bittstellers. Die Bilder der Gefiederten brannten sich unauslöschlich in ihrem Kopf ein. Wie schon zuvor konnte sie nicht sagen, wann in der Zukunft das Ereignis eintreffen würde. Aber allein die Tatsache, dass es unabänderlich war, schockierte sie. Sie wusste, dass sie es selbst noch erleben würde. Als Thorgol den Zustand der Königin erkannte, schickte er den Bittsteller fort und erklärte die Audienz für heute als beendet. Teilweise murrend zogen sich die anderen vom Rand der Thronlichtung ins dichte Unterholz zurück. Als sie fort waren, ging Thorgol auf Saya zu und streckte beschützend seine Hände nach ihr aus. »Was ist mit dir?« Mit schleppenden Worten, leise, so als rede sie im Fieberwahn, berichtete Saya ihm und Anyim Pius von der zweiten Vision und ihrer Erkenntnis. Während Pius die Nachricht gelassen aufnahm, ging von diesem Augenblick mit Thorgol eine unerklärliche Veränderung vor. Der Mutant mit dem überdimensionierten Schädel, verlor an diesem Tag seine Sprache. Kein Wort verließ mehr seine Lippen. Und so sehr Saya sich in der Folgezeit auch bemühte, ihm auf telepathischem Wege zu entlocken, was ihn so bestürzt hatte, Thorgol ließ sie im Ungewissen. * Gegenwart, Juni 1992 – Im Trichter Die geringere Schwerkraft der Erde gegenüber Lakton machte es Gomar Hencip wesentlich leichter, sich auf der fremden Welt zu bewegen. Schließlich war er eine Gravitation von 1,5 g gewohnt. Dagegen setzten ihm die Wärme und hohe Luftfeuchtigkeit innerhalb des Trichters zu. Hencips Uniform war bereits nach gut einer Stunde Aufenthalt im Dschungel vollkommen durchnässt. Er atmete schwer und versuchte ständig, sich auf die Entspannungsübungen, die man ihn während seiner Agentenausbildung gelehrt hatte, zu konzentrieren. Gon-Rendos unermüdliches Grinsen verhinderte jedoch, dass er damit Erfolg hatte. Der kleine Kynother schien immun gegen die Schwüle und Hitze zu sein. Mit federnden Schritten eilte er oft voraus, tänzelte nervend vor Hencips Füßen herum, und wenn er
nicht gerade vergnüglich vor sich hin pfiff, textete er den Agenten mit irgendwelchen komödiantischen Geschichten seiner Heimatwelt Kynoth zu. Hencip fand dies alles andere als witzig. Zwei oder drei Mal hatte er den Dolmetscher heftig angefahren, doch die Wirkung schien gleich Null zu sein, so dass der Laktone es schließlich aufgab und versuchte, seine Erregung unter Kontrolle zu behalten. Unnötiges Aufregen trieb ihm umso mehr den Schweiß aus den Poren. »Der Freund, des Bruders, der Schwester meiner Mutter hat übrigens einmal versucht, einen Handel für Deggeles aufzumachen. Du kennst doch Deggeles? Diese kleinen, putzigen, lebenden Igelchen von Tekket. Das Problem mit ihnen ist, dass sie ungemein gefräßig sind und darüber hinaus die biologische Angewohnheit haben, ihren Verdauungstrakt jede halbe Stunde, mit dem Dreifachen der Menge, der zu sich genommenen Nahrung zu entleeren. Ich…« Ein Knacken ertönte im Unterholz unmittelbar rechts von ihnen. Hencip versetzte dem Kynother einen Stoß, der ihn nach vorn taumeln und zwischen zwei großen Farnen verschwinden ließ. Er selbst zog seinen Magnet-Smash aus dem Holster und ging in die Hocke. Bei dem MAS handelte es sich um ein bleistiftdünnes Gerät mit kleinem Abzugshebel. Mit dem Smash verschoss man winzige Stahlnadeln, die einen starken Elektroschock verursachten, sobald sie auf Metallhaut von Bronzerobotern, auftrafen. Das positronische Gehirn des Roboters wurde durch den Schock vernichtet. Auf Menschen angewendet rief die Waffe ein Koma hervor. Nach mehreren Stunden drohte Eintritt des Todes, falls nicht mit einem Herzschrittmacher das Herz wieder voll aktiviert wurde. Was immer sich neben ihnen im Wald befand, hatte für eine Ablenkung gesorgt, für die Hencip äußerst dankbar war. Wenn GonRendo sich auch nur noch ein paar Minuten länger den Mund fusselig geredet hätte, hätte der Agent Laktons für nichts mehr garantieren können. Er war kurz davor gewesen, die Beherrschung zu verlieren und sich einfach auf den Kleinen zu stürzen und ihm den Hals umzudrehen. Gespannt lauschte der Laktone. Das Schweigen des Kynothers war eine wahre Wohltat. Dafür drangen die Geräusche des Dschungels nun umso intensiver an Hencips Ohren. Krächzende Laute, vereinzeltes Kreischen, das leise Rauschen von Wind, ein
fernes Plätschern und ein halbes Dutzend anderer Klänge, die der Agent nicht zu interpretieren wusste. Mit einem Seitenblick vergewisserte sich Gomar Hencip, dass Gon-Rendo nicht ernsthaft verletzt war. Der Kleine hatte sich halb aufgerichtet und lugte gebückt zwischen den Farnen hervor. Trotz der angespannten Situation lächelte er und gab Hencip mit einem Wink zu verstehen, dass alles in Ordnung war. Der Laktone blickte wieder in die Richtung aus der er das Knacken vernommen hatte. Er wünschte sich, seine Nahbereichsscanner würden zuverlässig arbeiten, doch irgendetwas in diesem tropischen Regenwald verhinderte den Einsatz fast aller Messgeräte. Hencip glaubte nicht, dass es allein an der überall präsenten radioaktiven Strahlung lag. Die Instrumente hatten bisher bei einem erhöhten Strahlungsniveau zuverlässig gearbeitet. Irgendetwas anderes befand sich hier im Trichter und störte die Impulse! Die beiden Eindringlinge warteten fünf Minuten. Außer den normalen Dschungelgeräuschen war nichts zu hören. Zu sehen gab es ebenso wenig. Irgendwann hielt es der zappelige Kynother nicht mehr aus, still zu bleiben. Er rief Hencip etwas zu, stand im selben Moment auf und kam geduckt zu ihm herüber. Hencip bedeutete ihm mit einer hektischen Geste, zurückzubleiben. Doch Gon-Rendo missachtete die Warnung. Auf halber Strecke zwischen ihren beiden Verstecken geschah es plötzlich! Aus dem Boden schossen zwei grüne Tentakel empor, umschlangen die Beine des Gnoms und zerrten ihn mit einem Ruck ins moosige Gras. Gon-Rendo keuchte. In einem Reflex schlug und packte er nach den Tentakeln, doch selbst wenn er etwas hätte ausrichten können, sein Schicksal wurde ohnedies im nächsten Moment besiegelt. Ein peitschender Schwanz zuckte aus dem Dickicht hervor, aus dem Gomar Hencip zuvor das verräterische Geräusch gehört hatte, und bohrte sich in die Brust des Kynothers. Das rote Symbol auf seinem schwarzen Anzug verfärbte sich, als es sich mit Gon-Rendos Blut vermischte. Ungläubig starrte der Dolmetscher auf die Stelle seiner Brust in der nun ein langer, grüner Schlauch steckte. Innerhalb des biegsamen Etwas pumpte und pulsierte es, als würde die Pflanze der dieser Fangarm gehörte, eine flüssige Substanz in den Leib des Kynothers injizieren. Mit jeder zuckenden Bewegung wurde der Körper des Gnoms schwächer und sackte in sich zusammen. Keu-
chende, gurgelnde Laute verließen seinen Hals, bis er schließlich die Augen verdrehte, ganz verstummte und kopfüber ins Moos fiel. Mit einem Schmatzlaut löste sich der Tentakel und schlingerte unter seinem Körper hervor zurück zu seinem Ursprung. Entsetzt hatte Gomar Hencip den Vorfall mit ansehen müssen, ohne etwas dagegen ausrichten zu können. Der Angriff hatte nur drei oder vier Sekunden angedauert, doch er kam dem Agenten wie eine Ewigkeit vor. Irgendetwas lähmte seine konditionierten Reflexe. Im Normalfall war er in der Lage, eine Situation in Sekundenbruchteilen zu analysieren und entsprechend zu handeln. Doch hier im Dschungel schien er wie paralysiert zu sein. Auch jetzt da sich die Schlingpflanzen um Gon-Rendos Beine zurückgezogen hatten und der Kynother wie tot keine sechs Schritte von Hencip entfernt lag. Der Laktone wusste nicht, wie lange er einfach nur da stand und auf den reglosen Körper starrte. Seine Schultern waren nach vorn gesunken, der MAS baumelte locker in seiner Hand und seine Gedanken waren seltsam leer. Jegliches Zeitempfinden war ausradiert worden. Gomar Hencip, ein Spezialagent der laktonischen Abwehr, war zu einem hilflosen Beobachter degradiert worden. Irgendwann fand sich der Laktone in der Hocke direkt neben dem verletzten Kynother wieder. Ohne zu wissen wie er überhaupt dorthin gekommen war. Er sah sich selbst dabei zu, wie seine Hände vorsichtig Gon-Rendos Wunden untersuchten. Das Loch in seiner Brust war von einer milchig-klebrigen grünen Substanz wieder verschlossen worden. Gon-Rendo atmete flach, aber er lebte. Hencip ging das Risiko ein, hob den kleinen Körper an und trug ihn auf Händen aus dem Bereich der unmittelbaren Gefahr. Er rannte so schnell es das Terrain zuließ. Tief hängende Zweige und Farnwedel peitschten ihm ins Gesicht. Hencip hatte sich längst damit abgefunden, dass er es bei der Flora dieses Kraters mit allem anderem als gewöhnlichen Pflanzen zu tun hatte. Das Grün war über Jahrzehnte hinweg durch den hohen Anteil radioaktiver Strahlung mutiert. Teilweise schienen daraus aggressive und intelligente Entitäten herausgekommen zu sein. Der Laktone stufte nicht den Wald selbst als bedrohlich ein, glaubte aber, dass der Vergleich mit einer laktonischen Großstadt treffend war. Es gab überall kriminelle Energien. Bei dem Gedan-
ken an verbrecherische Pflanzen hätte er fast aufgelacht. Doch angesichts seiner derzeitigen Situation war ihm nicht nach Lachen zumute. Der Schweiß rann ihm aus den Poren und verströmte den typisch herben Duft eines Laktonen. Aus irgendeinem Grund dachte Hencip plötzlich an seine Frau. Er wusste nicht, warum, doch mit einem Mal stand ihr Bild klar und deutlich vor seinem inneren Auge. Sie hatten sich vor vier Jahren getrennt. Temir Hencip arbeitete in der Verwaltung von Lakton Prime. Immer wieder hatte sie ihren Mann gedrängt, den Geheimdienst zu verlassen, aber Hencips Loyalität galt in erster Linie dem laktonischen Reich. Er war der geborene Krieger. Seinen Einsätzen verdankten unzählige Soldaten ihr Leben. Er konnte Temir verstehen. Sie sahen sich nur sehr selten, und bei jedem neuen Aufbruch ins All musste sie davon ausgehen, dass er nicht lebend zurückkehrte. Die ständige Angst um ihn hatte Temir teilweise hysterisch werden lassen. Es war zu heftigen Streitereien gekommen, die auch die lange Zeit seiner Einsätze und Missionen nicht überwinden konnte. Seit ihrer Trennung hatte er sie nicht mehr gesehen. Doch jedes Mal wenn er in brenzligen Situation wie diesen steckte, stand plötzlich ihr liebliches Gesicht vor seinen Augen. Gomar Hencip sehnte sich nach ihrer Wärme. Ihrem zarten, weichen Körper, dem markanten Duft ihrer Haut, ihren stürmischen Küssen und herzlichen Umarmungen. Er vermisste sie. Wie immer in solchen Momenten, nahm er sich fest vor, den Dienst beim Geheimdienst zu quittieren, falls er den Einsatz lebend überstehen sollte. Er wusste jedoch, dass es für ihn kein Zurück gab. Der Laktone bettete Gon-Rendo unter den Blättern eines palmenartigen Gewächses nieder. Besorgt sah er sich die bereits verkrustete Wunde an. Die grünlich-milchige Substanz der Pflanze wirkte befremdlich. So etwas hatte Hencip noch nie gesehen. Von den Rändern der Kruste liefen feine, sternenförmige Adern über den gesamten Brustkorb. Der Agent musste das Oberteil von Gon-Rendos Kombination mit einem Vibrationsmesser aufschneiden, um seine Befürchtung bestätigt zu wissen. Über und unter der Haut des Kynothers pflanzten sich die Fäden fort. Wie ein fremdartiges Gewächs, das versuchte, sich im Körper des Dolmetschers einzunisten. Hencip brauchte kein Arzt zu sein, um zu wissen, dass die Enden der Fäden sich mit den Blutbahnen Gon-
Rendos verbanden. Was auch immer das mutierte Gewächs mit dem Gnom anstellte, der Laktone wollte um nichts in der Galaxis mit dem Kleinen tauschen. Es war unabdingbar, ihn an Bord eines Lakton-Kreuzers medizinisch versorgen zu lassen. Doch auf der Oberfläche dieses Planeten gab es nunmehr nur noch orathonische Schiffe. Hencip sah sich um. Außer dichtem Grün war niemand zu sehen. Er fragte sich, ob es ratsam war, einige der Einheimischen zu suchen, um sie nach dem Angriff der Pflanze und der seltsamen Infektion, die sich Gon-Rendo zugezogen hatte, zu befragen. Vielleicht konnte man ihm helfen. Der laktonische Agent wollte jedoch nicht tiefer in den Dschungel vorstoßen. Besser war es, sie kehrten zum Ausgangspunkt zurück. Doch als er den Weg zurückblickte, den sie gekommen waren, schnürte ihm eine plötzlich aufkeimende Eiseskälte die Kehle zu. Seine überhastete Flucht mit Gon-Rendo auf den Armen hatte ihn Querfeldein laufen lassen. Es gab keine Marken, an denen er sich orientieren und den Weg zurück zum Trichterrand finden konnte. * Sie waren tatsächlich gekommen. Was vor sechs Jahren nur eine bloße, gedankliche Eingebung gewesen war, war nun von der Realität eingeholt worden. Sayas Vision von der Invasion war schneller über sie hereingestürzt als es ihnen lieb sein konnte und sie es jetzt wahrhaben wollten. Späher der Mutanten hatten die gewaltigen Schiffe auf dem Erdboden gesehen und wussten von heftigen Kämpfen innerhalb der Atmosphäre zu berichten. Mehrere flugunfähige Schiffe waren bereits abgestürzt und gigantischen Kolossen gleich über das Land und die Städte gewälzt. Die größte Vernichtung brachten nicht die Angriffe der Außerirdischen selbst, sondern die zerstörten, explodierenden und vom Himmel herabfallenden Raumgiganten, die alles jemals von Menschen konstruierte weit in den Schatten stellten. Saya wusste auch ohne ihre Späher, dass die Menschheit den Fremden hoffnungslos unterlegen war. Ihre Aufgabe war es, die Kontrolle und den Frieden innerhalb des Trichters zu bewahren. Thorgol stand schweigend an der Seite seiner Königin und musterte mit wachsamen Augen die nähere Umgebung. Seit jenem
Tag, an dem Saya ihn an ihrer Vision teilhaben ließ, hatte er nicht mehr gesprochen. Dennoch war es ihm möglich, sich mit der Königin des Trichters zu verständigen. Im Laufe der letzten Jahre hatte sich ein sehr starkes telepathisches Band zwischen den beiden entwickelt. Saya war ohnehin in der Lage, die Gedanken der meisten Mutanten zu lesen. Nur zu Thorgol vermochte sie nicht direkt durchzustoßen. Der Andersartige mit dem überdimensionierten Kopf konnte jedoch die eigenen Gedanken auf Saya fixieren und sie in ihr Hirn projizieren. All das, was sie zurückdachte, verstand Thorgol. Das Reden übernahm Anyim Pius. Er unterhielt sich mit den Spähern, sammelte Informationen und fasste sie dann für die Königin zusammen. »In der Nähe sind zwei der Riesenschiffe gelandet. Sie besitzen eine hantelförmige Konstruktion und Kugeldurchmesser von über eintausend Meter. Eine Staffel kleinerer Diskusschiffe ist ebenfalls im Großraum New York stationiert worden.« Warum kommen die Fremden nicht her? Thorgols gedankliche Frage war direkt an Saya gerichtet. Obwohl sie selbst die Antwort darauf kannte, gab sie die Frage an Anyim Pius weiter. »Die Späher berichten von den Roronen«, sagte der Leibwächter. Er war einer der Wenigen, dessen Mutationen nicht äußerlich sichtbar waren. Sein gewaltiger Leibesumfang ließ auf einen massigen, aber durchtrainierten Mann mittleren Alters schließen. Doch Anyim Pius war sozusagen ein medizinisches Wunder. Unter seiner Brust schlugen zwei Herzen. Seine Lungenflügel besaßen das doppelte Volumen eines herkömmlichen Mannes seiner Statur und Alters. Und seine Knochen bestanden aus einer enormen Dichte, die härter war als Diamant. Erhöhte Stoffwechselfunktionen, doppelter Sauerstoffvorrat und zwei biologische Pumpen, die das Blut in zweifacher Geschwindigkeit durch seine Adern transportierten, machten ihn zu dem perfekten Krieger. Dies war außerhalb des Trichters auch dem Militär aufgefallen. Sie hatten Pius gejagt. Wollten seine Gene, um seine DNA-Sequenzen zu analysieren und zu reproduzieren. Anyim Pius war ihnen entkommen und in den Trichter zu Saya geflüchtet. Hier fühlte er sich wohl und brauchte keine Angst vor den abscheulichen Versuchen der Menschen zu haben. »Die Roronen haben den Schild aktiviert.« Saya lächelte wissend. Roronen waren pflanzliche Mutationen,
die eine Symbiose mit menschlichen Genen eingegangen waren. Ihr parapsychisches Potenzial lag in der Fähigkeit ein elektromagnetisches Feld zu erzeugen, das jedwede Art von Strahlung absorbierte. Lediglich einige Frequenzen des Sonnenlichtes vermochten dieses Feld zu passieren. »Sie haben dem Trichter bisher wenig Beachtung geschenkt. Sollten sie sich wirklich für unsere Welt interessieren, werden sie vermutlich Vorauskommandos schicken oder uns aus der Luft bombardieren.« »Wird das Feld der Roronen gegen ihre Waffen stark genug sein?« fragte Saya. Anyim Pius zuckte die Schultern. »Das weiß niemand. Bisher war es nie erforderlich, dieses Kräfte auf die Probe zu stellen.« Eindringlinge sind hier. Thorgols Gedanken standen wie ein klares Leuchtband vor Sayas innerem Auge. Sie hatte die Fremden ebenso schon gespürt. Ihre geistigen Fähigkeiten waren mit dem gesamten Trichter umspannenden telepathischen und empathischen Netzwerk verbunden. Saya sah und fühlte mit den Augen und Sinnen der meisten Pflanzen und Lebewesen innerhalb des Kraters. Was anderorts geschah wurde ihr oft auf mentalem Wege übermittelt. Doch es gab auch Mutationen, die sich bisher nicht in dieses Netzwerk eingegliedert hatten. Pflanzen genauso wie Menschen und Tiere. Deren Gedanken konnte die Königin des Trichters nur verschwommen wahrnehmen, oft jedoch nicht richtig deuten. Daher war sie auf Beobachter, die jetzt Anyim Pius berichtet hatten, angewiesen. »Besteht Gefahr, wenn wir uns ihrer annehmen?« Sayas Blick wanderte zu Thorgol. Die großen Augen des Mutanten flackerten stetig. Ich bin mir nicht sicher, echoten seine Gedanken in ihrem Kopf wider. Wir können nicht so tun, als wären sie nicht vorhanden. Saya schloss die Augen. Sie versuchte, einen Blick in die Zukunft zu werfen. Doch alles, was sie sah, waren dunkle Nebel ohne ein klares Bild zu werfen. Das erste Mal in ihrem Leben sah sie kein Morgen. Gerade so, als hätten die Außerirdischen mit ihrer Ankunft die Zukunft der Erde fortgewischt. »Findet sie!« befahl Saya. Sie musste herausfinden, was diese düstere Vorausschau wirklich bedeutete.
* Die Kopffedern der drei Orathonen waren hoch aufgerichtet, um möglichst viel Luft an ihre darunter liegende Haut zu lassen. Tropische Schwüle erhitzte ihre Körper. Ein klebriger Schweißfilm hatte sich auf ihren grünen Häuten gebildet und nässte ihre Uniformen. Demon Adilon sah besorgt seine beiden Gefährten an. Normalerweise hätten sie Spezialausrüstungen benutzt, um sich vor Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit auf anderen Welten zu schützen. Doch die Lagerkammern waren beim Absturz des Diskus hoffnungslos zerstört worden. Sie hatten gerade das Notwendigste retten können. Notrationen, eine Miniaturwasseraufbereitungsanlage, Entgiftungstabletten, Medikits, komprimierte Thermodecken und ein paar Multizweckwerkzeuge, die üblicherweise Ingenieure zur Reparatur benutzten, mit denen sich aber auch in der Wildnis einiges improvisieren ließ. Die hohe Luftfeuchtigkeit machte den Orathonen besonders zu schaffen. Sie waren eher ein trockeneres Klima gewohnt. Adilon sah den fiebrigen Glanz in Jelenas Augen. Er hoffte, dass sie sich keine Infektion zugezogen oder ein Virus eingefangen hatte. Vielleicht aber war sie auch einfach nur erschöpft. Den Mädchen hoher Familien wurden früh die Sehnen an den Füßen gekürzt, damit sie, dem orathonischen Schönheitsideal entsprechend, nur mit Trippelschritten zu gehen in der Lage waren. Demon Adilon war in ihrer jetzigen Situation schon in eigenem Interesse froh darüber, dass seiner Schwester diese Tortur erspart blieb. »Wir machen eine Pause«, entschied er und deutete auf eine Gruppe von Findlingen in einer von Gestrüpp befreiten Zone. Haktar nickte dankbar. Und auch Jelenas Augen war die Erleichterung deutlich anzusehen. So ließ sie sich auch als erste auf einen der kleinen, abgerundeten Felsbrocken nieder. Haktar begnügte sich mit dem moosigen Boden und hockte sich im Schneidersitz neben Jelena. Sein Blick sprach Bände. Offenbar war er genauso besorgt um die junge Orathonin wie ihr Bruder. Demon Adilon vermutete schon seit längerem, dass sein Waffenoffizier ernsthafte Gefühle für Jelena hegte. Es bereitete ihm innere Schmerzen, der jüngeren Schwester beim Erwachsenwer-
den zuzusehen. Für ihn war sie bisher immer das kleine Mädchen gewesen, das zu ihrem großen Bruder aufsah, das seine Nähe und seinen Schutz benötigte. Doch für orathonische Verhältnisse war Jelena längst über das heiratsfähige Alter hinausgewachsen. »Schaffst du es?« fragte Haktar. Jelena sah ihn scheu an. Doch das Verlangen in ihren Augen, das plötzliche Zittern ihres Körpers verrieten Demon Adilon, dass seine kleine Schwester sich am liebsten dem Orathonen in die Arme geworfen hätte. Sie nickte kurz, doch angesichts ihres äußeren Zustandes schenkten weder Haktar noch ihr Bruder ihr wirklich Glauben. An der Schwerkraft dieses Planeten konnte Jelenas Erschöpfung nicht liegen; als Orathonin war sie an knapp 1,85 Gravos gewohnt. Es war höchste Zeit, dass sie aus dem Dschungel kamen und an Bord eines orathonischen Kreuzers medizinische Hilfe erhielten. »Was denken Sie, wie weit sind wir gekommen?« Haktar schien die plötzliche Frage und den damit verbundenen Themenwechsel zuerst sichtlich zu irritieren, doch dann straffte er sich, als er sich daran erinnerte, dass sein Vorgesetzter ihn angesprochen hatte. »Schwer zu sagen. Der Trichter selbst muss ungefähr einen Durchmesser von mindestens drei Kilometern haben. Doch bei all den Bodenunebenheiten hier, dem dichten Unterholz und der Tatsache, dass wir uns nicht geradeaus, sondern eher in die Tiefe bewegen, können wir kaum mehr als ein paar hundert Meter weit gekommen sein.« Adilon runzelte die Stirn. Mit dieser Antwort hatte er am allerwenigsten gerechnet. Seinem Zeitgefühl nach, waren sie bereits mehrere Stunden unterwegs. Er hatte gehofft, in wenigen Minuten endlich den Kraterrand zu erreichen und ins Freie zu kommen. Aber Haktars Beurteilung der Situation war bedrückend. »In die Tiefe? Wollen Sie damit sagen, wir bewegen uns zum Kraterzentrum hin?« »Ja.« »Aber wie ist das möglich? Wir wollten zum Rand! Dann sollten wir schnell umkehren und in die entgegengesetzte Richtung marschieren.« Haktar hob die Schultern. »Wir können es versuchen, aber ob wir wirklich Aussicht auf Erfolg haben?« Er deutete mit einem ausgestreckten Arm in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Die Schneise, die sie mit ihren Energiestrahlern durch das
Unterholz geschnitten hatten, war kaum noch erkennbar. Die Flora regenerierte sich erstaunlich schnell. Dort, wo vor wenigen Augenblicken noch eine Bresche im Gestrüpp bestand, wo abgeschnittene Äste, übergroße Farnwedel und Ranken auf dem Boden liegen sollten, befand sich nur noch frisches, wucherndes Grün. Adilons Mut sank endgültig in Abgründe, die er nie für möglich gehalten hätte. Er, Mitglied des Kommandostabs des orathonischen Imperiums, Verbündeter der FAMILIE. Er hatte sich, wie alle aus seinem Volk, stets als unbesiegbar gesehen. Nichts konnte der Technologie und der Waffengewalt, der unglaublichen Macht der Orathonen widerstehen oder sie aufhalten. Doch hier, allein und nur auf sich selbst angewiesen, musste er kapitulieren. »Können wir nicht versuchen, die Baumkronen zu durchstoßen und von dort ein Notsignal abzusetzen?« schlug Jelena vor. Adilon schaute sie an, als zweifle er an ihrem Verstand. Haktar indes schüttelte nur den Kopf. »Wenn meine Berechnungen stimmen, befinden wir uns bereits jetzt in einer Tiefe von einhundert Metern. Willst du wirklich so hoch klettern?« »Aber es muss einen Weg geben!« »Den gibt es«, sagte Haktar. »Wir gehen weiter und werden irgendwann am Kraterrand herauskommen.« Das Irgendwann bereitete Demon Adilon die größten Sorgen. Die Drei nahmen etwas Wasser und Nahrung aus den Notrationen zu sich und marschierten dann weiter. Kurze Zeit darauf zeigten sich die ersten Bewohner des Dschungels. Eine Gruppe kleinwüchsiger Gestalten hatte sich unbemerkt an die Orathonen herangeschlichen. Haktar bemerkte sie als erster, wenn auch viel zu spät für eine wirkungsvolle Verteidigung, falls die Einheimischen es wirklich auf einen Angriff abgesehen hatten. Mit einer hektischen Bewegung bedeutete er den beiden Adilons, Deckung zu suchen. Jelena ließ sich einfach fallen. Demon Adilon ging in die Hocke, zog gleichzeitig seinen Energiestrahler und warf seiner Schwester einen nervösen Blick zu. Die junge Frau machte keine Anstalten, sich in eine Schussposition zu bringen, geschweige denn überhaupt ihre Waffe zu ziehen. In einem Kampf würde sie ihnen keine große Hilfe sein – im Gegenteil, ihnen eher im Wege herumstehen. Keine zehn Schritt von ihnen entfernt nahm Demon Adilon hu-
schende Bewegungen zwischen den Bäumen wahr. So wenig wie es Menschen gelang, Orathonen auf Anhieb zu unterscheiden, so hatte auch Adilon seine Mühe damit, zu erkennen, um welche Vertreter der Einheimischen es sich handelte. Wenn er den Berichten des Nachrichtendienstes Glauben schenken durfte, waren dies vor ihnen Kinder. Die Einschätzung des Orathonen richtete sich in erster Linie nach der Körpergröße der anderen. Von zwergwüchsigen Menschen oder Mutanten wusste er nichts. Ein Mensch hätte die Andersartigkeit der Gestalten im Unterholz sofort erkannt. Ihre Körper waren spindeldürr, wiesen viel zu kurze Beine und dafür überlange Arme, die ihnen bis zu den Knien reichten, auf. Ihre Haltung war gebeugt. Aus ihren Schädeln sprossen dornenartige Borsten, und ihre Augen schienen von innen heraus dunkelblau zu glühen. Haktar legte auf die Gruppe an, doch Adilon warf ihm einen mahnenden Blick zu. So ungern er fremde Hilfe annahm, er sah doch die Ausweglosigkeit der Situation, in der sie sich befanden. Diese Einheimischen kannten sich hier aus. Sie konnten ihnen möglicherweise einen Weg aus dem Trichter zeigen. Wenn Adilon sich erst einmal an Bord eines Raumschiffs befand, war immer noch genügend Zeit, ein Luftbombardement zu starten, um diesen Dschungel großflächig zu verdampfen. Adilon kam hinter seiner Deckung hervor und machte zwei Schritte vorwärts auf die anderen zu. Er dachte nicht daran, seine Waffe als Geste guten Willens und des Friedens einzustecken, sondern hielt sie in Hüfthöhe in Anschlag. »Wir tun euch nichts«, sagte er, in der Gewissheit, dass der elektronische Simultanübersetzer, seine Worte in verständlicher Sprache bei den anderen ankommen ließ. Wir brauchen eure Hilfe, setzte er in Gedanken hinzu, und es widerte ihn an, in diesen Bahnen zu denken. Um nichts in der Galaxis hätte er diese Worte laut ausgesprochen. Stattdessen sagte er: »Wir wollen mit euch reden.« Schnarrend übersetzte der am Gürtel getragene Automat das Orathonische in einen der unzähligen einheimischen Dialekte. Die Zwerge reagierten zuerst nicht. Vielmehr taten sie etwas, das Adilon angesichts der Macht, die er und seine Begleiter verkörperten, als absurd empfand. Sie griffen an! Sowohl Cord Haktar als auch Demon Adilon hatten eine physi-
sche Attacke erwartet. Das, was über sie hereinbrach, hatte jedoch nicht das Geringste mit den Regeln der Kriegskunst, die man sie an der Akademie gelehrt hatte, zu tun. Ehe sich Adilon versah, wurde sein Waffenoffizier von unsichtbaren Gewalten gepackt und durch die Luft geschleudert. Jelena brüllte mit einem Mal scheinbar ohne jeglichen Grund auf und fasste sich mit beiden Händen an die Schläfen. Adilon selbst spürte ein Stechen in der Brust. Gleichzeitig schwappte eine enorme Hitzewelle über ihm zusammen. Er hatte das Gefühl, am lebendigen Leib zu verbrennen. Als sein Blick seine Haut streifte und diese keine Blasen warf, erkannte er, dass das Feuer von innen kommen musste. Der Hitzestau in seinem Gehirn schickte ihn in eine tiefe Bewusstlosigkeit. * Gomar Hencip fühlte sich wie ausgelaugt und am Ende seiner Kräfte. Er wusste nicht, wie lange er bereits den bewusstlosen Kynother durch die rätselhafte Kraterwelt getragen hatte. Nach einer Weile dämmerte es ihm, dass sie die ganze Zeit über im Kreis marschiert waren. Es gab keine Wegmarken, keine Orientierungspunkte. Eine Himmelsrichtung schien so gut, wie die andere zu sein. Auch wenn der Kynother nur ein Fliegengewicht darstellte, verfügte Hencip nicht über dauerhafte Energiereserven, die zusätzliche Belastung auszuhalten. Ermattet legte er Gon-Rendo an einem Baumstamm ab und ließ sich selbst neben ihm nieder. Der Kleine hatte zwar die Augen geschlossen, doch unter seinen Lidern waren deutlich schnelle Augenbewegungen zu erkennen. Hin und wieder zuckte sein Körper, und er schlug unkontrolliert um sich. Hencip hoffte, dass die Pflanzenart, die Gon-Rendo dies angetan hatte, nicht an jeder Ecke innerhalb des Trichters auf sie lauerte. Der laktonische Agent ließ Gon-Rendo allein zurück und folgte für zwanzig oder dreißig Schritt einem plätschernden Geräusch. Ihre spärlichen Wasservorräte waren so gut wie aufgebraucht. Es war höchste Zeit, Frischwasser zu finden. Die feuchtschwüle Luft des tropischen Regenwaldes verbrauchte ihre Körperflüssigkeiten wesentlich schneller, als sie es sonst gewohnt waren.
Hencip fand einen schmalen Bauchlauf. Doch als er das Wasser darin sah, scheute er davor zurück, aus ihm zu schöpfen. Das Nass besaß eine olivgrüne Färbung, und unter der milchigen Oberfläche sah er immer wieder kleine, wurmähnliche Schatten hin und her huschen. Er glaubte nicht, dass er mit Hilfe des Entgiftungsserums die Brühe in Trinkwasser verwandeln konnte. Wahrscheinlich waren hier selbst die Bakterien im Fluss mutiert. Fluchend versuchte Hencip, sich zu orientieren. Es war nicht einfach, sich im wuchernden Grün des Regenwaldes eine Richtung einzuprägen, zumal abgeschnittene oder umgeknickte Zweige sofort wieder nachwuchsen. Gerade als er glaubte, die Richtung, aus der er gekommen war, wieder entdeckt zu haben, übertönte ein anderes Geräusch das Rauschen des Baches. Hencip hörte eine Stimme. Sie sang. Er verbarg sich schnell hinter einem Baum und spähte angestrengt durch das Dickicht. Es dauerte eine Weile, bis er den Ursprung der Stimme auch sehen konnte. Da die Laktonen den Einheimischen dieser Welt sehr ähnlich waren, erkannte der Agent in der Fremden sofort die weibliche Form der Ureinwohner. Die Frau war gut zwei Köpfe kleiner als er. Sie war schlank und trug goldblondes, langes Haar, das bis über ihre Pobacken floss. Gomar Hencip kannte sie. Auch wenn er nicht geglaubt hätte, sie jemals in seinem Leben wieder zu sehen. Sie war seine Frau: Temir Hencip! »Du?« stieß er ungläubig hervor. »Aber… wie ist das möglich? Du kannst nicht hier sein!« Ihr Lächeln verunsicherte ihn. Der Blick in ihre Augen schien ihn in einem Meer voller Sterne versinken zu lassen. Die anmutigen Bewegungen, mit denen sie auf ihn zuschritt, erregten ihn. Sie sah ganz so aus, wie damals vor vier Jahren, als sie sich zum letzten Mal gesehen hatten. Es war schier unglaublich und nicht möglich. Als sie bei ihm war, schlang sie ihre Arme um seinen Hals, stellte sich auf die Zehenspitzen, reckte das Kinn vor und spitzte die Lippen in Erwartung eines Kusses. Hencip brachte es nicht über sich. Dazu schien ihm die Situation zu unwirklich zu sein. Diese Frau konnte niemals Temir sein. Niemals! Im selben Moment wurde seine Annahme bestätigt, als die ver-
traute Gestalt vor seinen Augen zerfloss und einem klumpigen, grünen Etwas Platz machte. Gierige Ranken umschlagen Hencips Oberkörper und Beine. Auf ihren Innenseiten befanden sich etliche Widerhaken, die sich durch seine Kleidung ins Fleisch bohrten. Der Schmerz war erträglich. Viel schlimmer war die Tatsache, dass man ihn zum Narren gehalten hatte. Wie konnte ihm jemand – oder eher etwas – vorgaukeln seine frühere Lebensgefährtin zu sein, wenn er sie gar nicht kannte, nicht wusste, wie sie aussah. Es sei denn… Die Erkenntnis lähmte Hencip und brachte ihn beinahe um den Verstand. Das fremde Wesen musste seine Gedanken gelesen haben. Seine Sehnsüchte. Seine Ängste. Bei allem technologischen Fortschritt seitens der Laktonen und den ungezählten Welten, die sie kolonialisiert hatten, waren ihnen Lebensformen mit parapsychischem Potenzial nie untergekommen. Obwohl laktonische und auch orathonische Wissenschaftler ständig bemüht waren, durch ihre Forschungen Gehirnkapazitäten zu erhöhen und Ressourcen anzuzapfen, die bisher ungenutzt blieben, hatte man dabei versagt, wenn es darum ging, geistigen Einfluss auf die Umwelt zu nehmen. Die Ärzte und Psychologen, die sich dennoch damit befassten, galten gemeinhin als Träumer und Illusionäre. Das amorphe Ding hatte Hencip fest im Griff. Die Fangarme umschlossen seinen Körper so fest, dass es ihm die Luft aus den Lungen presste. Er konnte kaum mehr atmen und versuchte verzweifelt, gegen die Schwärze vor seinen Augen anzukämpfen. Die Panik kam, als er für wenige Sekunden das Bewusstsein verlor. Seine Sinne schwanden. Er merkte, wie er wieder und wieder wegtrieb. Zwei oder drei Mal wurde er für winzige Augenblicke ohnmächtig. Der Druck und die Schmerzen rissen ihn jedoch ins Wachsein zurück. Hencip versuchte mit aller ihm noch verbleibenden Kraft gegen die tentakelartigen Auswüchse des Monsters zu wehren. Die Kreatur war etwas gänzlich anderes als das, was vorhin Gon-Rendo angegriffen hatte. Und doch schien sie sich einer ähnlichen Methodik zu bedienen, denn als alle Widerhaken sich im Fleisch des Laktonen verfangen hatten, begannen die Ranken kräftig zu pumpen. Statt ihm wie dem Kynother etwas zu injizieren, saugten sie ihm das Blut aus den Venen. Hencip spürte, wie er mit jedem Zucken der Tentakel etwas von
sich an die Kreatur abgab. Binnen Sekunden fühlte er sich zunehmend schwächer. Seine ohnehin nutzlose Gegenwehr erlahmte. Er stieß einen kehligen Laut aus und ergab sich seinem Schicksal. Doch ganz so einfach sollte es nicht werden. Etwas schnellte aus dem Unterholz hervor und bohrte sich mit tödlicher Präzision in den amöbenhaften Klumpen. Ein hässlicher Schmatzlaut erklang in Hencips Ohren. Für einen Moment glaubte er, das Geräusch verkünde sein eigenes Ende, doch dann spürte er, wie von seinem tauben Körper der Druck wich. Zwar blieben die Schmerzen von aufgerissenen, blutenden Wunden, jedoch zogen sich die Tentakel zurück, peitschten in der Luft und schrumpften dann zu kleinen Dornen zusammen, die dem amöbenartigen Etwas den Anschein gaben, es könne sich bei ihm um einen riesigen Kaktus handeln. Die Kreatur fiel zurück und schlug auf dem Waldboden auf. Hencip ging in die Knie und stützte die Hände auf den Oberschenkeln ab. Er keuchte und rang nach Luft. Die Schmerzen in seinem Körper wüteten unerträglich. Sein Fleisch fühlte sich an, als hätte jemand Hunderte von fingerdicken Nägeln dort hineingetrieben. Zwei, drei Augenblicke hielt sich Hencip noch auf den Beinen, ehe er in die Knie einbrach und nahe dem Ungetüm zum Liegen kam. Nur der Gedanke an den eigenen Tod beherrschte sein Denken. Er nahm nicht einmal bewusst wahr, dass ihm jemand das Leben gerettet hatte. Hencip hörte Schritte. Knackende Zweige. Fühlte tastende Hände über seinen Körper gleiten. Jemand sprach ihn an. Worte, die er ohne ein Übersetzungsgerät oder die Hilfe des kynothischen Dolmetschers nicht verstand. In seinem Zustand erriet er nicht einmal deren ungefähre Bedeutung. Der Agent Laktons musste abermals weggenickt sein. Das Nächste, woran er sich erinnerte, war, dass er auf einer Trage lag. Er drehte schwerfällig den Kopf zur Seite. Vier Männer, alle auf die ein oder andere Art und Weise missgestaltet, flankierten und trugen ihn. Zwei von ihnen hatten den Rücken seltsam gekrümmt, und ein zweiter Kopf schien direkt aus ihrem Nacken zu wachsen. Ein anderer besaß drei weitere Arme, und der Vierte ein so entstelltes Gesicht, dass er schon gar nicht mehr an einen Menschen erinnerte. Hencip richtete den Kopf so weit es ging auf. Vor ihm marschierten in stummer Prozession vier weitere Männer, die in ihrer
Mitte Gon-Rendo trugen. Wenn sie sich die Mühe machten, den Kynother mitzunehmen, so hoffte Hencip, dass dieser zumindest noch lebte. Er versuchte die Mutanten anzusprechen, doch seine Stimme versagte ihm den Dienst. Er fühlte sich elendig, schwach, motivationslos und wie ausgelaugt. Was immer diese Bestie mit ihm angestellt hatte, er hatte wenige Hoffnung, dass er es überlebte. Erneut musste er kurzweilig sein Bewusstsein verloren haben, denn von dem eigentlichen Weg bekam er kaum noch etwas mit. Erst als ihre Begleiter ihn und Gon-Rendo auf eine schmale Lichtung führten, die offenkundig als Camp diente, wurde er sich seiner Umwelt wieder bewusst. An den Rändern des Lagers hatten sich Dutzende weiterer Mutanten versammelt. Männer, Frauen und Kinder. Die meisten von ihnen mit Schlagstöcken, selbstgebauten Bogen und langen Messern bewaffnet. Bei einigen glaubte Hencip sogar die einheimische Variante von Schusswaffen zu sehen. Ein großer spindeldürrer Mann mit einem gewaltigen Kopf, der scheinbar nur lose auf seinem viel zu dünnem Hals zu sitzen schien, trat zuerst an Gon-Rendo heran, musterte ihn und kam dann zu Gomar Hencip herüber. Der Mutant blickte den Agenten von Lakton lange Zeit an. Seine starrenden, leblos wirkenden Knopfaugen waren Hencip unangenehm. Er wollte den Blick abwenden, doch der Fremde zog ihn unweigerlich in seinen Bann. Wenn er nur irgendetwas sagen würde! Das Schweigen war beunruhigend und nervtötend. Schließlich drehte sich der Mutant weg und ging auf ein thronähnliches, aus Pflanzenranken geflochtenes Gebilde zu. Hencip betrachtete die Frau, die darauf saß. Sie war hoch gewachsen und schlank. Weibliche Rundungen an den entsprechenden Stellen waren unübersehbar. Ihre Haut schien so weiß wie Kreide. Der Kopf vollkommen kahl. In ihren Augen stand eine unbeschreibliche Leere, als würde die Frau unentwegt in eine Ferne starren, zu der es keinen konkreten Bezugspunkt gab. Ihre Haltung und die Art und Weise, wie sich die anderen Mutanten ihr gegenüber benahmen, verstärkten Hencips Vermutung, dass er es hier mit der Anführerin der Trichterbewohner zu tun hatte. Der Mutant mit dem großen Schädel beugte sich leicht vor. Es schien, als spreche er mit der Frau, doch kein Wort verließ seine Lippen. Dass sie dennoch miteinander kommuniziert hatten, er-
kannte Hencip an dem Nicken der Anführerin. Daraufhin wandte sich der Mutant um und machte eine unbestimmbare Geste in Richtung einer Fünfergruppe anderer Männer und Frauen, die sich in der Nähe des Thrones aufhielten. Unmittelbar darauf spürte Gomar Hencip einen kräftigen Sog, der ihn über den Boden der Lichtung rutschen ließ. Es fühlte sich an, als griffen unsichtbare Hände und Fühler nach ihm, zerrten an seiner Kleidung und zogen ihn mit sich fort. Er war zu schwach, um dagegen anzukämpfen, und ihm dämmerte, dass es sich hierbei um eine weitere parapsychische Fähigkeit handelte, die von den mutierten Genen der Einheimischen herrührte. Knapp zwei Meter vor dem Fuße des Throns stoppte die unheimliche Kraft, und der laktonische Agent fiel kopfüber ins Moos. Gerade als er einen Gedanken daran verschwendete, seine Kräfte zu sammeln, um sich wenigstens halbwegs aufrichten zu können, setzte die Wirkung der psychokinetischen Kräfte erneut ein. Er spürte einen plötzlichen Druck unter seinem Kinn und etwas, das an seinen Schultern zog und ihn anhob. Hencip blieb auf seinen Knien hocken. Die Mutanten hatten offenbar nicht gewollt, dass er vor ihrer Anführerin aufrecht stand. Die junge Frau musterte ihn eine Weile mit dem seltsam leeren Blick. Dann beugte sie sich leicht vor und sprach ihn an. Ihre Stimme klang leise und weich. Die Worte verstand Hencip nicht, da er noch keine Zeit erübrigen konnte, sich mit dem einheimischen Sprachsystem vertraut zu machen. Unsicher blickte er zurück, doch Gon-Rendo, der wie alle Kynother ein Sprachwunder war, lag noch immer bewusstlos auf seiner Trage. Du verstehst nicht, was ich sage. Hencip zuckte zusammen. Die Worte standen klar und verständlich in seinem Kopf. Fast so, als hätte er sie selbst gedacht. Doch er fühlte instinktiv, dass es nicht seine eigenen Gedanken waren. Der Klang der Stimme der Frau vor ihm schwang in den Worten mit. Hencip wurden die Einheimischen immer unheimlicher. Sie besaßen Gaben und Talente, die den Laktonen fremd waren und nicht mehr als nicht nachweisbare wissenschaftliche Theorien darstellten. Mit Kräften wie der Telepathie mochten die Erdbewohner sogar in der Lage sein, den semibiotischen Konduktoren der Orathonen zu widerstehen – etwas, was bisher noch keiner der von den Gefiederten besetzten und versklavten Welten im
Spiralarm gelungen war. So verstehe ich dich besser, dachte Hencip zurück. Er wollte in Erfahrung bringen, ob die telepathische Kommunikation auch umgekehrt funktionierte. Ich bin Saya. Und dies alles hier, die Frau machte eine Handbewegung, die die Lichtung, wahrscheinlich eher den gesamten Trichter, umschließen sollte, ist mein Reich. Ich verstehe. Du bist hier also so etwas wie die Kommandantin. Ihr hünenhafter Leibwächter mit dem überdimensionierten Schädel trat an Hencip heran und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Seine Finger gruben sich mit unnachgiebiger Kraft in das Fleisch und entlockten Hencip ein Stöhnen. Nachdem ihn immer noch die Schmerzen von tausend Nadelstichen am gesamten Körper plagten, hätte er nicht gedacht, dass er überhaupt noch in der Lage war, neue Schmerzen wahrzunehmen. Der Hüne sprach nicht, sondern dachte ebenfalls nur. Seine mentalen Worte drangen jedoch wesentlich brutaler in Hencips Bewusstsein als zuvor die Sayas. Der laktonische Agent krümmte sich innerlich vor dem gewaltsamen Ansturm einer fremden Präsenz in seinem Gehirn. Sie ist unsere Königin! Und du wirst sie respektvoll auch als deine ansehen, solange du hier verweilst. Mein Name ist Thorgol, und ich bin ihr Leibwächter. Der Mutant verstärkte den Druck auf Hencips Schulter, bis dieser aufschrie und endlich nickte, dass er verstanden hatte. Thorgol ließ ihn los, blieb jedoch direkt neben ihm stehen. Wer ist der Zwerg? Sayas Gedankenstimme entstand erneut im Kopf des Laktonen. Dieser fragte sich, wie viele Informationen er über sich und seine Mission preisgeben durfte. Auf der anderen Seite hatte es noch nie geschadet, wenn sich die laktonischen Agenten, die auf einem kurz vor der Besetzung durch die Orathonen stehenden Planeten weilten, mit den Einheimischen verbündeten. Es war besser, er fing an, Saya und den anderen zu trauen. »Wir sind durch Zufall hier!« Hencip sprach laut. Auch wenn die Einheimischen seine Worte nicht verstehen konnte, so würden zumindest Königin Saya und auch ihr Leibwächter Thorgol seine Gedanken auffangen und interpretieren. »Mein Volk befindet sich seit Äonen in einem Krieg mit einer anderen Rasse, die sich selbst Orathonen nennt. Die Frontlinie verläuft durch einen Sektor, in
dem sich auch euer Planet befindet. Zwei Flottenteile kämpften in der Nähe. Meine Leute mussten sich vor der Übermacht der Gefiederten in Sicherheit bringen und wählten zufällig euer Sonnensystem als Fluchtpunkt aus.« Der Agent verschwieg, dass es im Grunde seine Idee gewesen war. Ohne dass ihn jemand unterbrach, konnte er mit seinem Bericht fortfahren. Entweder hatten sich die telepathiebegabten Mutanten bisher noch keine anderweitigen Informationen beschafft, oder sie wollten ihn auf die Probe stellen und ließen ihn erst erzählen, um den Wahrheitsgehalt seiner Schilderung zu prüfen. »Wir erhofften uns mehr Zeit«, sagte Hencip. »Zeit zur Landung auf eurer Welt und für den Aufbau einer wirkungsvollen Verteidigung. Doch wie so oft bei den Konfrontationen, sind uns die Orathonen um einige Schritte voraus. Sie haben uns eingeholt und landeten selbst auf der Erde, um ihre Ressourcen auszubeuten. Sie werden in Kürze gewaltige Transmitterstationen aufbauen, die Rohstoffe, Nahrung und Wasservorräte eures Planeten zur Flotte im Weltraum transportieren werden. Wenn sie damit fertig sind, werden sie eure Welt als trostlose, unfruchtbare Wüste zurücklassen. Hier wird nichts mehr leben können.« Saya schürzte die Lippen. Der Laktone vermochte noch immer nicht ihren Blick zu deuten. Ihre Augen schienen unentwegt an ihm vorbei zu sehen. Ihn gar nicht wahrzunehmen. Dachte sie über seine Worte nach? Hatte sie überhaupt zugehört? Gomar Hencip konnte es beim besten Willen nicht sagen. Die Königin des Trichters beugte sich vor. »An welcher Stelle kommst du ins Spiel?« fragte sie leise und kaum verständlich. Dennoch war sich Hencip sicher, dass auch ihre Untertanen in der letzten Reihe der Lichtung ihre Worte verstanden hatten. »Wir sind nicht so, wie du jetzt vielleicht denkst. Die Laktonen haben kein Interesse daran, andere Welten auszubeuten oder zu vernichten.« »Du sprichst nicht die ganze Wahrheit.« Hencip hätte sich fast die Zunge abgebissen. Er hatte ihr nur klarmachen wollen, dass die Laktonen nicht unbedingt die gleiche Skrupellosigkeit besaßen wie ihre Feinde. Jedoch waren auch sie nicht ganz unschuldig. Genau wie die Gefiederten gingen auch die Laktonen einem starken Expansionstrieb nach. Sie eroberten andere Welten, verleibten sie ihrem Reich ein und gründeten Kolo-
nien. Neu entdeckte Planeten wurden annektiert, ihre Bewohner in das laktonische System integriert, Regierungen gestürzt und eigene eingerichtet. Niemand wurde wirklich gefragt, ob er dies auch wollte. Widerstand wurde jederzeit unterdrückt. Wer sich wehrte wurde eliminiert. Die Laktonen zögerten nicht, Städte zu zerstören, Landstriche zu verwüsten und Leben auszuradieren, wenn man sich gegen sie stellte. Doch sie selbst hielten sich für wesentlich harmloser als die Orathonen, die rigoros daraus aus waren, Planeten auszubeuten und sie als leere, sterbende Hülle zurückzulassen. Nur wenn es sich wirklich strategisch lohnte, gründeten sie dauerhafte Kolonien und Satellitenwelten für ihr Imperium. All dies erfuhr Saya aus Hencips Gedanken. Als er zu einer Erklärung ansetzen wollte, winkte die Königin des Trichters ab. Sie hatte bereits alle Informationen, die sie benötigte. »Schafft ihn und seinen Freund fort!« Augenblicklich setzten sich drei, vier Leute aus dem Pulk der Wartenden in Bewegung und gingen mit vorgehaltenen Waffen auf Hencip zu. Der Laktone sah überrascht auf. Bisher waren einheimische Völker nie leicht zu überzeugen gewesen, dass ihnen nur die Chance blieb, das kleinere Übel zu wählen, wenn Orathonen und Laktonen gleichzeitig auf ihre Welt aufmerksam geworden waren. Meist folgten der Eröffnung wochenlanger Widerstand, letzte Hoffnungen, bis irgendwann Resignation und Verzweiflung die Oberhand gewannen. Erst dann sahen die Bewohner ein, dass sie ohne die Hilfe der Laktonen unmöglich eine Alternative besaßen. Sie mussten sich mit einem Feind arrangieren, um den anderen bekämpfen zu können. Doch bei Saya hatte Hencip gehofft, dass sie die Lage besser einschätzte, denn er hatte ihr die Situation nicht nur verbal erklärt, sondern sie war in der Lage, seine Gedanken zu lesen und aus seinem Erfahrungsschatz schöpfen zu können. Sie musste einfach erkennen, dass die Lage ausweglos war und die Menschen nur eine minimale Chance auf ein Überleben besaßen, wenn sie mit Lakton kooperierten. Auch jetzt folgte die Königin den Überlegungen Hencips. Sie lächelte spöttisch, als zwei Wächter ihn an den Schultern griffen und ihn auf die Beine zerrten. Kommentarlos führten sie ihn ab.
* Der Angriff kam unorganisiert und glich mehr dem Chaos einer aufgeschreckten Vogelschar als einer strategischen Konfrontation. Haktars Energiestrahler tötete zwei, Adilon einen weiteren der Kleinwüchsigen, ehe die anderen ins Stocken gerieten, als sie sahen, wie ihre Kameraden fielen. Sie versuchten, sich im Unterholz zu zerstreuen und die Bäume als Deckung zu nutzen, doch die sengenden Energieblitze aus den orathonischen Strahlern schnitten gnadenlos durchs Holz und verdampften es auf mikrozellularer Ebene. Pflanzen gingen in Flammen auf. Baumstämme explodierten förmlich. Die Splitter von losgesprengtem Holz sirrten als tödliche Geschosse durch die Luft und fanden ihre Ziele in dem einen oder anderen Körper eines angreifenden Mutanten. Die Zwergwüchsigen fielen reihenweise. Sie hatten nichts, was sie den außerirdischen Waffen entgegensetzen konnten. Hin und wieder brach einer von ihnen aus seiner Deckung hervor, schleuderte einen Stein oder einen Speer in Richtung der Gefiederten, doch in der Eile der Aktion verfehlten die Wurfgeschosse ihre Ziele. Adilon lachte, während er unablässig den Auslöser seines Strahlers betätigte. Nicht für Bodeneinsätze ausgebildet? Das war lächerlich! Diese wilden Kreaturen erledigte er im Schlaf. Er merkte nicht, wie er sich so sehr ins Gemetzel steigerte und dem Tötungsrausch erlag, wie er immer und immer wieder verschwenderisch gleißendes Licht in den Dschungel jagte, ohne kaum noch etwas oder jemanden dabei zu treffen. Erst als die Warnleuchte des Energiemagazins flammend rot in seine Augen stach, erkannte er, dass es längst nichts mehr gab, das auf der gegenüberliegenden Seite getötet werden konnte. Das Unterholz stand in Flammen. Dichter beißender Rauch hatte sich vor ihnen ausgebreitet und entließ unzählige verkohlte, schwelende Leichname abgeschlachteter Mutanten. »Es ist vorbei!« sagte Jelena an seiner Seite. Sie hatte längst zu schießen aufgehört. Ein Blick zu seinem Waffenoffizier zeigte Adilon, dass auch Haktar dem Blutrausch erlegen war. Das Magazin seiner Waffe war genauso erschöpft wie sein eigenes. Sie mussten sparsamer mit ihrer Energie umgehen, wenn sie lebend aus der Trichterhölle entkommen wollten. Noch ein oder zwei weiterer solcher Angriffe,
und sie hätten sich mit bloßen Händen und Füßen zur Wehr setzen müssen. Haktar löste das Magazin aus dem Griff der Waffe, warf den nutzlosen Speicherkern achtlos zu Boden und schob einen neuen Energiebolzen in das Griffstück. Die Statusanzeige wechselte von Leer nach Voll. Der Orathone wagte sich in den Nebel vor, um nach etwaigen Überlebenden Ausschau zu halten. Er war kaum drei Schritte in den Rauch eingetaucht, als Demon Adilon seinen Fluch hörte. Haktar sprang durch die Rauch- und Flammenwand und brüllte etwas, das in einem unnatürlichen Kreischen unterging. Im selben Augenblick geschah das Unfassbare. Der Wald selbst wurde lebendig. Ranken schossen von den Bäumen und griffen nach den Orathonen. Der Boden unter ihren Füßen erbebte. Ein Straucheln lief durch das Moos. Die Erde öffnete sich wie ein alles verzehrender Schlund. »Lauft!« schrie Cord Haktar, während er sich immer wieder über die Schulter umdrehte und vereinzelt Schüsse in den undurchdringlichen Nebel abgab. Adilon nahm seine Schwester bei der Hand und zerrte sie auf die Beine. Noch ehe er sie mit sich ziehen konnte, schlang sich ein grünes, tentakelförmiges Etwas um Jelenas Hüfte und presste so fest zu, dass es ihr die Luft abschnürte. Die Pflanze riss an ihr, zog sich zurück zu ihrem Ursprung, hoch oben in den Baumwipfeln und nahm Jelena einfach mit. Ihre Hand entglitt der Adilons. Hilflos musste der Kommandant mit ansehen, wie seine Schwester durch die Luft nach oben gezogen wurde. Sie war zu überrascht, um zu schreien. Adilon erkannte in ihrem flehenden Blick, dass sie lieber sterben wollte, als irgendetwas durchzumachen, das ihr die mutierten Pflanzen antun konnten. Doch er brachte es nicht über sich, auf die eigene Schwester zu schießen. Adilon sah der wild um sich schlagenden Jelena nach, bis sie zwischen den Blattkronen verschwand. Er stand wie angewurzelt da, den Kopf weit in den Nacken gelehnt und starrte unablässig nach oben. Erst Haktar riss ihn aus seinem fast schon apathischen Zustand. Der Waffenoffizier packte seinen Kommandanten an der Schulter und zerrte ihn mit sich. Die beiden Orathonen stolperten ziellos durch das Unterholz. Es gab keinen geordneten Rückzug nach
dem strategischen Lehrbuch, keine Verteidigungsschüsse, sondern nur noch die heillose Flucht ums nackte Überleben. Sie rannten, bis ihnen die Lungen brannten, das Gefieder auf ihren Köpfen sich aufblähte und damit möglichst viel Luft an den Körper zu lassen. Demon Adilon hörte das Blut in seinen Schläfen rauschen. Sein Herz pochte so stark und laut, als wolle es jeden Moment bersten. Seitenstiche hinderten ihn am Atmen. Seine Beine fühlten sich an, als besäßen sie keine Gelenke mehr. Keiner der beiden wusste, wie lange sie rannten, wohin und ob die Gefahr durch die mutierte Umwelt überhaupt noch akut war. Adilon erreichte einen Zustand, in dem ihm alles gleichgültig war. Er ließ sich fallen, rollte über den Boden und verfing sich in einem dornigen Strauch. Haktar rannte noch einige Meter weiter, ehe er den Sturz seines Kommandanten überhaupt bemerkte. Er bremste ab, kehrte um und versuchte, Adilon wieder auf die Beine zu stellen. »Lassen Sie mich!« wehrte dieser ab. »Gehen Sie! Bringen Sie sich in Sicherheit.« »Nicht ohne Sie!« »Es hat keinen Zweck mehr. Ich habe alles verloren. Meine Schwester, mein Schiff und jetzt… bin ich selbst erledigt…« Haktar packte ihn an den Kragen und riss ihn auf die Füße. Sein Gesicht war eine verzerrte Fratze, auf der wulstige Adern vor Überanstrengung bedrohlich hervortraten, die Haut vor Schweiß glänzte, angeschwollen war und um einige Nuancen dunkler wirkte, als das normale Grün des Orathonen. »Denkt so ein orathonischer Offizier?« brüllte Haktar ihn an. »Haben wir je den Kampf aufgegeben, auch wenn er noch so hoffnungslos war? Sind Sie als Kommandant nicht auch für Ihre Mannschaft verantwortlich? Ja, Sie haben einige Leute verloren, auch Ihre Schwester. Aber bedenken Sie, dass auch ich Ihr Crewmitglied bin. Wenn Sie jetzt aufgeben, bin nur noch ich übrig. Alleine habe ich kaum eine Chance in diesem mutierten Dschungel zu überleben. Gemeinsam können wir es schaffen!« Haktar hatte sich in Rage geredet. Er atmete schwer und blickte Adilon fast beschwörend an. Eine Zeit lang sagte niemand etwas. Nur die fremdartigen Laute des Dschungels drangen an ihre Ohren. »Und wir müssen es schaffen«, fuhr Haktar fort. »Denn wer sonst sollte hiervon«, er machte eine Geste, die den tropischen
Trichterwald umschloss, »berichten? Unsere Vorgesetzten müssen unbedingt erfahren, was hier vor sich geht. Die mutierten Einheimischen stellen eine Gefahr für unsere Invasion dar. Wenn sie sich gegen unsere Truppen erheben, haben wir es weitaus schwieriger, uns diese Welt untertan zu machen. Bedenken Sie die Wichtigkeit unserer Mission, Adilon. Wir waren Gestrandete. Scheinbar hat uns der Zufall hierher geführt. Doch jetzt sind wir Kuriere mit der wichtigsten Aufgabe, die man uns in diesem Sonnensystem auftragen könnte. Ich appelliere an Sie als Offizier des orathonischen Reiches, als Begünstigter der FAMILIE und als Bruder, dessen Schwester nicht umsonst gestorben sein soll… reißen Sie sich zusammen, Adilon.« TEIL2 Haktar war anzusehen, dass seine flammende Rede ihn die letzte Kraft kostete. Er selbst war nicht minder erschöpft als Adilon selbst – und dennoch legte er seine ganzen Energiereserven in die richtigen Worte, die Adilon nicht ignorieren konnte. Der Waffenoffizier hatte mit jeder Faser Recht. Ein Orathone gab nicht auf. Niemals. Sie waren die überlegene Rasse im Universum. Auch wenn Adilon den Gedanken, dass die Mutanten für die orathonische Invasion gefährlich werden könnten, für lächerlich erachtete, so war es dennoch ratsam, die Warnung nicht einfach in den Wind zu schlagen. Seine Vorgesetzten mussten von der Situation im Trichter erfahren, um entsprechend vorbereitet sein zu können, falls die Mutanten aktiv in den Krieg eingriffen. Adilon merkte, wie Haktar und er sich bereits gegenseitig stützten. Wenn einer den anderen losließ, würden sie beide zu Boden fallen. Er nickte knapp. Ein Zeichen für Haktar, dass er verstanden hatte. »Gut«, sagte der Waffenoffizier und blickte über Adilons Schulter in die Richtung, aus der sie gekommen waren. »Sie scheinen uns nicht weiter gefolgt zu sein. Ich denke, wir können uns eine Pause erlauben.« Dankbar über die Worte ließ sich Adilon auf dem grasigen Boden nieder. Erst jetzt spürte er, wie überanstrengt seine Muskeln und Glieder waren. Er zitterte am ganzen Leib. Sein Herz schlug laut und unregelmäßig. Die Kehle fühlte sich wie ausgedörrt an. Er rang nach Luft und merkte, wie ihm schwindelig wurde. Das
Nächste, woran er sich erinnerte, war die Gestalt Haktars, die sich direkt neben ihn gelegt hatte. Sie waren beide vor Erschöpfung eingeschlafen. Adilon lauschte den Gesängen der Vögel aus den Baumwipfeln und hörte das Plätschern eines nahen Baches. Er wünschte sich weit fort nach Hause. In den Kreis seiner eigenen Familie. Zusammen mit Jelena. Jelena, war sein letzter Gedanke, ehe er erneut einschlief. * Saya betrachte sich im Spiegel, einem Geschenk Thorgols aus der Welt der Menschen. Sie war schön. Zumindest war es das, was ihre Untertanen über sie dachten. Niemand störte sich daran, dass sie keine Haare besaß. Nicht einmal Wimpern oder Brauen. Ihre Haut, weiß wie Schnee. Glatt und weich. Der klare, durchdringende Blick zeugte von innerer Stärke und einem Charisma, das andere sofort in den Bann schlug. Sie griff sich an den Hals, löste die Schleife ihres Gewandes und ließ es zu Boden gleiten. Seit sie sich das letzte Mal so betrachtet hatte, schien sich ihr Körper nicht verändert zu haben. Er war klein, dünn und von knabenhafter Statur. Ihre Brüste stellten kaum mehr als leichte Erhebungen ihres Fleisches dar. Die Brustwarzen selbst wirkten unscheinbar. Sayas Hände strichen über ihre Haut. Den Bauch. Berührten ihre haarlose Scham. Doch wie jedes Mal, wenn sie dies tat, war die Berührung kalt, ohne eine Spur von Zärtlichkeit oder einem Lustgefühl. Aus den Gedanken und Gefühlen ihrer Untertanen hatte Saya sexuelle Höhepunkte erfahren. Sie wusste, wie es sich anfühlte. Und sie verabscheute es. Eine ihrer Beraterinnen hatte ihr gesagt, dass sie den Rausch der Begierde körperlich erleben müsse, um ihn wirklich genießen zu können. Saya jedoch verweigerte sich fleischlichen Genüssen. Wahre Ekstase fand im Geiste statt. Sie zog Emotionen und Energien aus den Gedanken ihrer Untertanen und dem mutierten Netzwerk der Flora und Fauna des Trichters. Ihr Leben machte nur hier in dieser Umwelt einen Sinn. Sie glaubte von sich selbst, in der Welt der normalen Menschen hoff-
nungslos verloren zu sein und unterzugehen. Bevor sie das Klopfen vernahm, wusste sie bereits, wer draußen vor der Tür stand. »Komm herein«, sagte sie laut zu Anyim Pius, hob gleichzeitig ihr Leinenkleid auf und zog es sich hoch bis über die Schultern. Der Leibwächter trat ein, verneigte sich kurz und wartete dann bis Saya das Wort an ihn richtete. »Gibt es Neuigkeiten?« »Bisher nicht. Ich bin hier, um zu fragen, was wir mit den Gefangenen tun sollen.« »Wie geht es dem Kleinen?« »Er ist immer noch ohne Bewusstsein. Die Otoriswurzel hat sein Zellgewebe durchsetzt und lässt es von innen heraus mutieren. Ihr wisst, dass es nur ein Gegenmittel gibt.« Saya war sich dessen bewusst. Mutationen dieses Ausmaßes konnten nicht durch Medikamente oder Kräuter rückgängig gemacht, geschweige denn gestoppt werden. Die Zellstruktur an sich musste umgepolt und zu neuem Wachstum angeregt werden. Dies ging jedoch nur, wenn jemand Kraft seines Geistes in jeden einzelnen Zellkern vorstieß. Einzig und allein Saya besaß diese Fähigkeit. Doch sie anzuwenden kostete große Kraft und schwächte sie dermaßen, dass sie sich tagelang an der Schwelle des Todes befand. Bisher hatte sie diese Kräfte nur ein einziges Mal aktiviert. Anyim Pius war damals das Opfer eines OtorisAngriffs geworden, als er Saya vor der heimtückischen Pflanze zu schützen versuchte. Bereitwillig hatte die Königin ihr eigenes Leben in die Waagschale gelegt, um ihren Leibwächter zu retten. Obwohl die Lebensimpulse des Kleinwüchsigen äußerst schwach waren, glaubte Saya eine Besonderheit zu spüren, die sie bei dem Laktonen nicht erkennen konnte. Möglicherweise besaß der Gnom ganz andere Informationen, die es Wert waren, ihn von dem Otoris-Syndrom zu befreien und zu heilen. Saya haderte mit sich selbst, ob sie dieses Risiko eingehen konnte. Zu einer anderen Zeit hätte sie es vielleicht getan, doch gerade jetzt benötigte ihr Volk Führung. Die Invasion durch die Fremden konnte das Ende der Welt bedeuten. Wie sie aus Gomar Hencips Gedanken wusste, bestand gerade durch den Einsatz der Mutanten noch vage Hoffnung für den Planeten. Sowohl Orathonen als auch Laktonen schienen paranormalen Fähigkeiten eher hilflos gegenüber zu stehen und ihnen nicht gewachsen zu sein.
»Wir behalten sie noch hier«, entschied Saya. »Der große Mann mit den roten Zähnen ist uns vielleicht nicht mehr nützlich, aber möglicherweise benötigen wir ihn, um seinen Begleiter zum Reden zu bringen.« »Der Zwerg wird nicht reden«, sagte Anyim Pius. »Es sei denn, Ihr…« Er ließ den Satz unvollendet. Saya verstand auch so. Sie brauchte mehr Bedenkzeit. Lange Zeit nachdem sie ihren Leibwächter fortgeschickt hatte, blickte sie noch in den Spiegel und versuchte, in den eigenen Augen Rat oder eine Antwort zu finden. Doch alles, was sie darin sah, war die gleiche Leere und der undeutbare Blick in die Ferne, den auch andere erkannten, wenn sie ihre Königin ansahen. Zum ersten Mal, seit sie die unproklamierte Herrschaft über den Trichter übernommen hatte, war Saya ratlos. * Hencip stand an den Ufern des Cortengaar auf dem fernen Planeten Rejin. Eine leichte, kühle Brise fuhr durch sein Haar und streichelte zärtlich sein erhitztes Gesicht. Das fast weiße Licht der beiden Sonnen am Horizont blendete in seinen Augen, doch gleichzeitig stand es symbolhaft für neues Leben. Hencip fühlte sich wie neugeboren. Er dachte an die vergangene Nacht zurück. Sie hatten sich geliebt, bis sie vor Erschöpfung halb sterbend nebeneinander in den Laken zusammengebrochen waren. Hencip sah noch immer das liebliche Gesicht von Temir vor seinen Augen. Ihr Duft, eine Mischung aus der laktoneneigenen herben Note und dem süßlichen Geruch eines sündhaft teuren Parfüms lag ihm noch in der Nase. Er fühlte ihr langes Haar auf seiner Haut. Die Knospen ihrer Brüste, die sanft über seinen Körper strichen. In seinen Ohren klangen ihre spitzen Schreie und die anschließend zärtlich geflüsterten Worte nach. Nie zuvor hatte Hencip Sexualität so intensiv erlebt. Es war ein vollkommen neues Gefühl. Eine Erfahrung, die ihn in seiner Entscheidungskraft wanken ließ. Er spielte tatsächlich mit dem Gedanken, gleich ins Haus zurückzukehren und Temir zu sagen, dass alles gut sei. Doch er wusste selbst, dass er es nicht über die Lippen bringen würde. Sein Entschluss, als Agent von Lakton seinen Dienst weiterhin im Militär zu verrichten, stand unumstößlich fest. Er wünschte sich,
dass auch Temir dies verstehen könnte. Er war ja nicht für immer aus der Welt und würde zu ihr zurückkommen, auch wenn es Monate dauern konnte. Aber Temir hatte es ihm bereits erklärt. Sie ertrug ein Leben nicht, in dem sie ständig voller Sorge an ihn denken musste, ob er jemals von einem Einsatz heil zurückkehrte oder ihr die Offiziere des laktonischen Geheimdienstes die traurige Nachricht überbrachten, dass ihr Liebster in Ausübung seiner Pflicht gefallen war. Hencip blieb eine Weile am Flussufer stehen und wartete darauf, dass die Luft seinen Körper abkühlte. Er war schon wieder erregt, wenn er an Temir auch nur dachte. Doch wenn er sich jetzt wieder zu ihr legte, würde er vermutlich einen weiteren Tag bei ihr verbringen. Er hatte aber bereits seinen Marschbefehl bekommen und sollte sich am frühen Nachmittag am Raumhafen einfinden. Starke Hände packten Hencip an den Schultern, rissen ihn auf die Beine und gleichzeitig aus seinem Traum heraus. Verwirrt öffnete er die Augen und sah in die Gesichter dreier Mutanten. Er befand sich nicht auf Reijn. Nicht bei Temir. Die Realität hatte ihn wieder. Er war Gefangener auf einer fremden Welt. Die drei Wächter banden ihn von dem mächtigen Baumstamm, an dem sie ihn tags zuvor gekettet hatten, los und führten ihn über eine schmale Holzbrücke, die man über einen Bach errichtet hatte, zu der Lichtung auf der Saya residierte. Die drei Männer gingen nicht sanft mit ihm um. Immer wieder stießen sie ihn vor sich her, obwohl er keine Anstalten zum Widerstand machte. Zu gerne hätte er ihnen das Genick gebrochen, doch er wollte seine langsam wiederkehrenden Kräfte für den richtigen Moment einer Flucht aufsparen. Was immer die mutierte Pflanze mit ihm angestellt hatte, es schien nicht so schlimm zu sein, als das, was Gon-Rendo durch die Tentakel widerfahren war. Als sie die Lichtung betraten, setzte feiner Regen ein. Sayas Thron wurde von einem geflochtenen Blattwerk überdacht. Die Königin der Mutanten trug ein langes, aber eng geschnittenes, rotes Kleid. Ihr wie immer geistesabwesender Blick schien alles und gar nichts zu sehen. Hencip wusste mittlerweile, dass sie ihre Umgebung zu einem Großteil mit ihren parapsychischen Fähigkeiten sondierte und sich mehr auf telepathische und empathische Eindrücke verließ, als auf ihre natürlichen Sinne. Hencip wurde fünf Schritte vor dem Thron gestoppt. Die Wäch-
ter hielten ihn fest und zwängten ihn brutal in die Knie. Er hatte damit gerechnet und ließ sich nicht anmerken, dass ihn die Behandlung schmerzte. Sein Blick wanderte zu den anderen Mutanten hinüber. Sie starrten ihn an. Er konnte ihre Präsenz fast fühlen. Nicht nur mit ihren Augen, sondern auch mit ihrem Geist beobachteten sie ihn. Keine zwei Schritt vom Thron entfernt hatten sich Thorgol und Anyim Pius neben eine Trage postiert. Darauf lag der noch immer bewusstlose Kynother. Gomar Hencip ahnte, dass irgendeine Schweinerei im Gange war. Inzwischen hatte er die Hoffnung, sich mit dem Feind seines Feindes gut zu stellen und eventuell sogar zu verbünden, aufgegeben. Vielleicht war eine Zweckgemeinschaft mit dem Rest der Bevölkerung dieses Planeten möglich, doch die Mutanten wollten offensichtlich nichts mit den Außenweltlern zu tun haben – selbst wenn es sie und ihre ganze Welt das Leben kostete. Hencip hörte, wie die Wächter neben ihm ihre Waffen zogen: Blanke Schwerter mit scharfen Schneiden. Für ihn war klar, dass sie ihn töten würden. Wahrscheinlich dann, wenn Saya ein bestimmtes Ziel erreicht hatte. Als sich die Königin erhob und neben Gon-Rendo in die Hocke ging, wusste der Agent von Lakton, was dieses Ziel darstellte. Anscheinend erhoffte sich Saya weitere Informationen von dem Kynother, aber wie wollte sie das anstellen? Der Kleine lag noch immer im Koma. Hencip beobachtete, wie die Königin der Mutanten ihre Augen schloss und dem Kynother eine Hand auf die Stirn legte. Die andere ruhte auf seinem Brustkorb. Thorgol und Anyim Pius bildeten einen undurchdringlichen Wall vor ihrer Königin, um sie vor jeglicher Gefahr schützen zu können. Atemberaubende Stille senkte sich über die Lichtung. Die umstehenden Mutanten schienen die Luft angehalten und ihren Herzschlag auf ein Minimum verlangsamt zu haben. Selbst das feine Rieseln des Regens verstummte in diesem Augenblick, als würde die Zeit selbst zum Stillstand kommen. Was immer die Königin tat, sie bannte dadurch nicht nur alle Anwesenden, sondern das Leben und Sein des Trichters selbst. Während der Stille war Hencip nicht in der Lage, sich zu bewegen. Er versuchte ein- und auszuatmen. Zu blinzeln. Einen Finger zu krümmen. Doch nichts von alledem gelang ihm. Alles war in einem Augenblick eingefroren. Und zum ersten Mal seit seiner
Ankunft auf diesem Planeten, erkannte er die wahre Macht Sayas. Die Mutanten würden die Orathonen zurückschlagen, wenn sie richtig in den Kampf eingebracht wurden. Sie brauchten nur jemanden mit militärischer Führung – Saya als Anführerin, aber auch jemanden, der Saya führte und ihr die wichtigen, taktischen Entscheidungen abnahm und ihr sagte, wie sie ihr Mutantenteam effektiv einsetzen konnte. Hencip sah in den Mutanten die einzige Hoffnung, die der Erde noch blieb. Alle anderen Mühen waren vergebens. Denn die Laktonen hatten orathonische Invasionen schon zu oft erlebt und immer waren sie gleich ausgegangen. Sie endeten mit dem Untergang der besetzten Welt und der Vernichtung der Sonne des Systems. Hencips Gedanken verstummten abrupt. Jegliche Worte, die er versuchte, in seinem Kopf zu formen, blieben in seinen Synapsen hängen. Sayas Kraft fror nicht nur die Zeit ein, sondern das Denken selbst. Das Leben, die Existenz aller Anwesenden und auch der Pflanzen reduzierte sich auf einen winzigen Punkt im Universum. Alles um sie herum, in ihnen, war nur noch bloßes Sein. Kein Fühlen. Kein Denken. Nur noch Energie. Der Moment verging so plötzlich, wie er gekommen war. Hencip bildete sich ein, das Seufzen der Welt zu hören, als sie aus ihrer Starre erwachte. Schlagartig setzte das Prasseln des Regens ein, erklangen die Laute des Urwaldes, hörte der Agent das eigene Atmen und war wieder in der Lage, bewusste Gedanken zu bilden. Dann geschahen drei Dinge gleichzeitig, die Hencip nur zu seinem Vorteil nutzen konnte. Der Kynother begann plötzlich einen tiefen Atemzug zu nehmen und schlug die Augen auf. Saya schwächelte, fasste sich an die Schläfe und fiel zur Seite. Als Folge dessen eilten die Wächter neben Hencip zu ihrer Königin, um ihr beizustehen. Der Agent von Lakton zögerte nicht länger. Er sprang hoch, wandte sich dem nächsten freien Weg von der Lichtung herunter zu und stürmte los. Er verschwendete keinen Gedanken an GonRendo und an etwaige Rettungsmissionen, die ihn nur aufhalten und seine Flucht im Ansatz zum Scheitern verurteilten. Die umstehenden Mutanten waren vom Fall ihrer Königin zu geschockt, als dass ihn jemand beachtete oder aufhielt. Ohne Probleme er-
reichte Gomar Hencip den Waldrand. Erst als er sich durch das Unterholz schlug, wurden erste Rufe laut und ein hektisches Stimmengemurmel schwoll an. Er achtete nicht darauf. Alles was zählte, war zu entkommen. Spätestens jetzt hatte er sein Leben verwirkt. Hencip rannte, schlug Haken, nutzte die Deckung von Bäumen, Büschen und gewaltigen Farnwedeln aus, in der Hoffnung, man würde seine Spur rasch verlieren. Er hatte gesehen, wie schnell der Wald sich bei Beschädigungen regenerierte. Jeder Zweig, den er brach, wuchs augenblicklich nach. Das Moos des Bodens richtete sich sekundenschnell bei jedem Fußabdruck, den er hinterließ, wieder auf. Für einen normalen Verfolger schien es schier unmöglich zu sein, seine Spur aufzunehmen. Doch die Leute aus Sayas Gefolge waren alles andere als normal. Vermutlich besaßen einige aufgrund ihrer paranormalen Fähigkeiten Späherqualitäten, womit sie Hencips Position rasch ausfindig machen konnten. Zweimal musste der Laktone den gefährlichen Schlingpflanzen, die bereits Gon-Rendo angegriffen hatten, ausweichen. Und er begegnete einer der amöbenhaften Kreaturen, die in der Lage waren, ihm ein anderes Bild von sich selbst vorzugaukeln. Diesmal war es nicht seine Gefährtin Temir, sondern eine Orathonin. Hencip warf sich in eine Senke und beobachtete den Feind aus sicherer Entfernung. Bei all den Gefahren des Trichters hatte er seinen wahren Gegner fast vergessen. Zuerst glaubte er, es mit einer wirklichen Orathonin zu tun zu haben. Doch dann sah er bei ihren Bewegungen, wie ihr Körper hin und wieder zu einer breiigen Masse zerfloss. Er hatte diesen seltsamen Wandlungsprozess bereits bei dem Monstrum gesehen, das ihn in der Gestalt Temirs zuerst verführen und dann töten wollte. Die Gestalt verschwand im Dickicht der Bäume. Hencip wartete, bis er sicher sein konnte, dass sie tatsächlich fort war. Gerade als er seinen Weg fortsetzen wollte, hörte er ein leises Rascheln und das Knacken von Zweigen. Stimmen klangen auf. Er war nicht allein. Auf allen Vieren kroch er auf dem Boden und orientierte sich in Richtung der Geräusche. Der Regen machte ihm nicht das Geringste aus. Durch die hohe Luftfeuchtigkeit des Dschungels war seine Kleidung ohnehin bis auf die Haut durchnässt. Grashalme kitzelten in Hencips Nase, reizten ihn zum Niesen. Der Agent konzentrierte sich auf seine Atmung, unterdrückte den Impuls und
verbannte das Kribbeln in die hintersten Winkel aller auf ihn einströmenden Reize, bis es gänzlich verschwand. Er kroch weiter, zwängte sich unter einem umgestürzten Baumstamm durch und betete zum Rat von Lakton, dass nicht auch er einer aggressiven, mutierten Pflanzengattung zum Opfer fiel. Nichts schien im Trichter sicher zu sein. Überall lauerten Gefahren. Gefahren, die von den Mutanten selbst, durch ihre besonderen Fähigkeiten sehr viel rascher und effektiver wahrgenommen werden konnten als von gewöhnlichen Menschen. Hencip passierte ungeschoren den Baumstamm und blieb hinter einem knorrigen Wurzelgeflecht in Deckung. Die Stimmen und Schritte waren deutlich lauter geworden. Der Laktone lugte hinter seinem Versteck hervor und prallte sofort erschrocken zurück! Nur knapp zwei Schritte von ihm entfernt bewegten sich zwei weitere Orathonen her. Bisher hatte er die amöbenhafte formwandlerische Kreatur nicht sprechen hören. Diese beiden hier aber sprachen akzentfreies Orathon. Hencip glaubte nicht, dass es sich bei ihnen um Nachahmer handelte. Der Feind war echt. Aus irgendeinem Grund waren die Orathonen im Trichter eingefallen. Als sich die Stimmen etwas entfernt hatten, beugte sich Hencip erneut über die Wurzel. Er sah niemand anderen. Keine Bronzeroboter. Keine Whims, Ätzer oder Vertreter eines anderen orathonischen Hilfsvolks. Die Grünhäutigen wagten sich normalerweise nicht allein auf feindliches Terrain. Das konnte nur bedeuten, dass sie unfreiwillig hier waren. Entweder waren sie gezwungen gewesen, wie Hencip und Gon-Rendo in den Trichter zu fliehen, oder sie waren beim Kampf gegen die Laktonen abgeschossen worden. Hencip war versucht, sich auf den Gegner zu stürzen, aber er war waffenlos. Ein Angriff kam einem Selbstmord gleich. Wenn er die beiden ausschalten wollte, musste er eine bessere Chance abwarten. Der Laktone merkte, wie sein natürlicher, angeborener und durch die Gesellschaft auferlegter Hass gegenüber allem Orathonischen die Oberhand über sein Denken und Handeln gewinnen wollte. In erster Linie sollte er versuchen, aus dem Trichter zu fliehen, Kontakt mit seinen Vorgesetzten aufnehmen und ihnen vom Potenzial der Mutanten im Kampf gegen die Orathonen berichten. Die Gegner waren nur zu zweit. Mit ein wenig Glück erledigte
der Dschungel das Problem. Hencip beschloss schließlich, die beiden laufen zu lassen. Er musste zusehen, dass er seine bisher erfolgreiche Flucht weiter ausnutzte und endlich diesem natürlichen Gefängnis entkam. Gut fünfzehn Minuten wartete er, bis die beiden Gefiederten sowohl außer Sicht als auch außer Hörweite waren und er sich aus seinem Versteck wagte. Mangels Orientierungsmöglichkeiten – der Dschungel sah immer noch überall gleich aus – entschied sich Hencip für eine unbestimmte Richtung. Er nahm sich vor, diesmal nicht abzuweichen, sondern schnurstracks geradeaus zu gehen. Er musste lernen, die feinen Unterschiede zwischen den verschiedenen Pflanzenarten zu erkennen und als Wegmarken für sich nutzbar zu machen. Der Trichter besaß lediglich einen Durchmesser von etwas mehr als drei Kilometern – eher eine lächerliche Strecke. Doch die wuchernde Pflanzenwelt und die Tatsache, dass der Krater weit in die Tiefe reichte, erschwerten jedwedes Vorhaben, ihn in kürzester Zeit zu durchdringen. Als er sich in Bewegung setzte, ertappte sich der Laktone dabei, wie er einen Gedanken an Gon-Rendo verschwendete. Laktonen und Kynother lebten in einer reinen Zweckgemeinschaft. Das zwergwüchsige Volk war vor Jahrhunderten einmal von den Laktonen geknechtet und in ihr Imperium einverleibt worden. Aufgrund ihrer Sprachbegabung waren die Kynother als Dolmetscher sehr beliebt. Selbst die Orathonen wussten ihre Fähigkeiten sehr zu schätzen, denn ihre elektronischen Translatoren arbeiteten nicht immer zuverlässig. Das Verhältnis zu den Kynothern war rein zweckmäßig. Wenn man einen der Zwerge beschützte, dann nur in dem Glauben, dass man ihn später noch benötigte. Hencip hatte mit Gon-Rendos Leben längst abgeschlossen, umso verwunderter war er, dass er ausgerechnet jetzt mit dem absurden Gedanken spielte, zum Lager der Königin zurückzukehren, um den Kleinen zu befreien. Er schob den Gedanken beiseite und konzentrierte sich auf seinen Weg. Der Dschungel besaß keine vorgelegten Pfade. Dicht an dicht reihten sich Bäume, Büsche, Sträucher und Farne und erschwerten damit ein Vorwärtskommen. Hencip zählte seine Schritte und versuchte dadurch die Zeit abzuschätzen, die er für eine bestimmte Wegstrecke benötigte. Als er bei fünfhundert angekommen war, blieb er unvermittelt stehen. Der Boden, die Pflanzen, irgendetwas wirkte vertraut. Vor ihm breitete sich eine Lichtung
aus, schob ein mannsgroßes Blatt eines unbekannten Gewächses beiseite und erschrak. Direkt vor ihm befand sich eben jene Lichtung im Herzen des Trichters, von wo aus Saya regierte. Er war im Kreis gelaufen, ohne es zu merken. Ehe er an Flucht denken konnte, spürte er einen spitzen Gegenstand in seinem Rücken. Der Atem seines Gegners wehte an seinem Ohr vorbei. Er erkannte die Stimme des anderen. Es war der Leibwächter Anyim Pius. »Das ist das Gesetz des Trichters. Alle Wege führen zur Königin.« * Demon Adilon benötigte keine große Überzeugungskraft, seinen Waffenoffizier zur Umkehr zu bewegen. Haktar hatte genauso ein Interesse daran, Jelena zu finden, wie sein Kommandant. Die Gefühle, die er für Adilons Schwester empfand, mussten tiefer sein, als dieser zuvor angenommen hatte. Nachdem sich die beiden Orathonen einigermaßen erholt hatten, waren sie den Weg zurückgegangen, der sie hergeführt hatte. Gefühlsmäßig mussten sie sich längst an der Stelle befinden, an der sie Jelena verloren hatten, aber der Wald wirkte an allen Orten gleich. Weder Adilon noch Haktar vermochten zu sagen, wo genau die Schwester des Kommandanten verloren gegangen war. »Wir könnten Tage suchen, ohne irgendetwas zu finden«, sagte Haktar. Adilon gab ihm im Stillen Recht. Der Dschungel war tückisch. Seine mutierten Pflanzen wucherten in jedem Winkel und regenerierten sich so schnell, dass keine Möglichkeit bestand, künstliche Anhaltspunkte oder Wegmarken zu setzen. Jeder Schnitt, den sie mit den Energiestrahlern ins Grün gebrannt hatten, war längst verheilt und nachgewachsen. »So kommen wir nicht weiter«, sagte Demon Adilon. »Der Wald will nicht, dass wir sie finden.« »Aber wir können sie hier nicht zurücklassen!« »Falls sie überhaupt noch lebt. Versuchen wir, aus diesem Dickicht herauszukommen und Kontakt zu unserer Flotte aufzunehmen. Sobald wir wieder an Bord eines Raumschiffs sind, wer-
den wir Verstärkung anfordern und diesen Wald von einer Armee Whims durchsuchen lassen.« »Und wenn selbst das nichts bringt?« wollte Haktar wissen. Adilon machte eine abwehrende Handbewegung. »Wir können die Whims zu Zehn- oder Hunderttausenden hier hineinschicken. Nichts und niemand wird überleben. Wir werden Jelena finden. Und wenn wir sie befreit haben, äschern wir den gesamten Trichter ein.« Er klammerte sich an diesen Gedanken, obwohl er wusste, dass er schon zum Scheitern verurteilt war, wenn sie keine Möglichkeit fanden, den Trichter zu verlassen. Selbst wenn sie heil herauskamen, standen die Chancen, dass Jelena Adilon den Angriff der heimtückischen Pflanzen überlebt hatte, mehr als schlecht. Es bestand kein Grund zur Annahme, dass man ihr Leben schonte. Demon Adilon drehte sich bei dem Gedanken daran der Magen um. Wie sollte er den Verlust der Schwester unter seinem Kommando ihren Eltern beichten – zumal niemand sonst in seiner Familie oder der Raumflotte überhaupt wusste, dass eine weibliche Orathonin in den Streitkräften diente? Was würde aus den Verbindungen zur FAMILIE werden, wenn all dies an die Öffentlichkeit drang? Ihr Haus würde in Ungnade geraten. Statt siegreich aus der Schlacht heimzukehren, hatte er eine Niederlage erlitten. Er durfte jedoch nicht kampflos aufgeben. Noch war nicht alles verloren. »Kommen Sie, Haktar!« Der Waffenoffizier sah ihn unsicher an. Anscheinend zweifelte er ebenfalls an der Standhaftigkeit des Planes, doch es war das Einzige, woran sie derzeit festhalten konnten. Die Alternative war, zu resignieren und auf den Tod zu warten. Da sie ohnehin nicht wussten, in welche Richtung sie sich wenden sollten, marschierten sie einfach los. Der Wald ließ ihnen keine andere Möglichkeit. Inzwischen waren mehr als die Hälfte ihrer Energiemagazine erschöpft. Dennoch machten sie beide unablässig Gebrauch von den Strahlern, um sich einen Weg durch das Unterholz zu bahnen. Mehr als einmal ertönte ein schrilles Kreischen, wenn die sengenden Energieblitze durch Äste, Zweige und Blattwerk schnitten. Adilon glaubte nicht, dass sie versehentlich tierische Lebensformen trafen, sondern mutmaßte, dass die Pflanzen selbst im Angesicht ihres Todes diese Schreie ausstießen.
Ich werde verrückt, dachte er. Die Hitze und Schwüle des Dschungels brachte die beiden Gefiederten fast um den Verstand. Sie hatten damit begonnen, sich ihrer Uniformen zu entledigen. Zuerst nur die Jacken, dann auch die darunter befindlichen Hemden, bis sie sich schließlich mit ihren freien, grünhäutigen Oberkörpern kaum noch von der restlichen Flora abhoben. Für einen winzigen Augenblick spielte Demon Adilon mit dem Gedanken, sich gänzlich auszuziehen, um einen Tarnvorteil gegenüber ihren Feinden zu erlangen. Doch Erziehung und Würde verhinderten, dass er die Entblößung als taktisches Mittel einsetzte. »Ich glaube, wir waren hier schon einmal«, sagte Cord Haktar. »Sind Sie sich sicher? Für mich sieht hier irgendwie alles gleich aus.« »Das schon, aber…« Haktar deutete nach vorn in Richtung einer Lichtung. Adilon folgte dem Fingerzeig. Kaum, dass er die Bewegung seines Kopfes vollendet hatte, stürmten zwanzig Gestalten, so unterschiedlich, wie sie nur sein konnten, aus dem Unterholz und umringten die beiden Orathonen. Haktar fuhr mit der Waffe in der Hand herum, doch ehe er abdrücken konnte, ritzte ein Speer seine Haut. Gleich vier weitere der Fremden traten mit erhobenen Speeren und Schlagstöcken an ihn heran. Eine hoch gewachsene, spindeldürre Gestalt mit überdimensioniertem Kopf trat aus den Reihen der Fremden hervor und musterte die zwei Gefiederten. Demon Adilon fühlte sich unter dem stechenden Blick seines Gegenübers unwohl. Ihm war, als könne der anderen ihm durch die Augen auf den Grund seiner Seele blicken und jeden einzelnen Gedanken erraten. »Er spricht zu mir!« Haktars Stimme klang verblüfft. Adilon runzelte die Stirn und beobachtete den Fremden. Dieser hatte seine Lippen nicht bewegt. Der orathonische Kommandant zweifelte bereits am Verstand seines Waffenoffiziers als er selbst die Stimme des Unbekannten direkt in seinem Kopf wahrnahm. Ich bin Thorgol, Diener und Berater der Königin des Trichters. Der Mann an meiner Seite ist der erste Leibwächter Ihrer Majestät. Sein Name lautet Anyim Pius. Merkt euch unsere Namen gut, denn wir beide werden eure einzigen Ansprechpartner sein. Jetzt legt die Waffen nieder. Zu Demon Adilons Verwunderung gehorchte Haktar sofort und
ließ seinen Energiestrahler fallen. Erst zwei lähmend langsame Sekunden später begriff der Orathone, was seinen Waffenoffizier zu der vorschnellen Reaktion veranlasst hatte. Er spürte den mächtigen Druck, der in seinem Kopf unaufhörlich anwuchs und wie bei einem präzisen, chirurgischen Eingriff auf unsichtbarem Wege einen bestimmten Bereich seines Hirns stimulierte, der augenblicklich kreatürliche Ängste in Adilon wachrief. Die Handfeuerwaffe entglitt seinen Fingern. Sofort waren zwei der Fremden bei ihnen und hoben die Strahler auf. Adilon und Haktar blieb nichts anderes übrig, als sich von den anderen abführen zu lassen. Thorgol und Anyim Pius gingen voran, während alle anderen die beiden Orathonen mit ihren Waffen in Schach hielten und vorwärts trieben. Sie bewegten sich auf die Lichtung zu. Adilon ballte die Hände in ohnmächtiger Wut zu Fäusten. Seine Niederlage schien immer größer zu werden. Die Hoffnung, lebendig aus diesem Trichter zu kommen, schwand endgültig dahin. Die Orathonen traten hinaus ins Freie und wurden erneut geschockt. Es war nicht der Anblick der kahlköpfigen Frau, die auf einem Korbgeflecht am anderen Ende der Lichtung saß, der sie erstarren ließ, sondern die vertrauten Gestalten eines Kynothers und ihres Erzfeindes: eines Laktonen. Der Gegner trug die Kommandouniform eines Agenten. Damit war für Adilon klar, dass Lakton bereits seine Spione auf dieser Welt abgesetzt hatte, um den Einmarsch der Orathonen aufzuhalten. Doch wie in Tausenden von Fällen zuvor würde ihnen dies nicht gelingen, dessen war er sich sicher. Ihre Wächter trieben sie bis wenige Schritte vor die Königin und schlugen ihnen dann die Schlaghölzer in die Kniekehlen, so dass die Orathonen gezwungen waren, vor der Frau auf dem Thron niederzuknien. Haktar spie verächtlich aus. Fast hätte sich Adilon zu einer ähnlichen Geste hinreißen lassen, doch er versuchte in der Situation einen kühlen Kopf zu bewahren und musterte die Frau, die Thorgol als seine Königin bezeichnet hatte, eingehender. Sie hatte die Lider geschlossen und schien zu schlafen. Ihr Körper war fast in sich zusammen gesunken, als wäre sie unendlich erschöpft. Ihr Atem ging langsam. Das Auf und Ab ihres Brustkorbs war kaum wahrnehmbar. Vielleicht bestand eine Möglichkeit, sich zu arrangieren. Oratho-
nen beherrschten normalerweise nicht das Geschick von Diplomatie. Bisher war es nicht notwendig gewesen, mit irgendwem zu verhandeln. Ich bin Saya, hörte Demon Adilon eine flüsternde, weibliche Stimme in seinem Kopf. Die Königin hatte weder die Lippen bewegt, noch die Augen geöffnet. Haktars leises Stöhnen neben ihm deutete an, dass auch der Waffenoffizier die telepathische Botschaft vernommen hatte. S-a-y-a… Der Name hallte in seinem Bewusstsein nach. Dann spürte er ihre Macht, die wie der Hammerschlag eines auftreffenden Asteroiden gegen sein ungeschütztes Selbst schmetterte. Eine fremde Präsenz bemächtigte sich seiner. Drang ohne Vorwarnung in sein Bewusstsein ein. Stieß in Tiefen vor, von denen er nicht einmal wusste, dass sie existierten. Grub Gedanken aus längst vergangenen Zeiten aus. Vergewaltigte. Löschte aus. Adilon fühlte einen Schmerz, der nichts mit körperlicher Pein zu tun hatte. Er wünschte sich, er könnte schreien, weinen, sich irgendetwas aus dem Leib herausschneiden, nur um die Qual zu lindern – doch da gab es nichts. Die Folter fand einzig und allein auf mentaler Ebene statt. Zurück blieb eine geschwächte, leblose Hülle, die kraftlos in den Staub fiel. Neben Adilon prallte Haktar auf. * Du musst dich schonen! Thorgols Gedanken drangen nur schwach in Sayas Bewusstsein. Sie hatte sich bereits bei der Wiederbelebung des Zwerges verausgabt. Die erneute Belastung durch das telepathische Verhör hatte ihr auch das letzte Quäntchen an Kraftreserven abverlangt. In sich zusammen gesunken hockte sie auf dem Bett in ihrer Hütte und fühlte, wie ihr Leibwächter sich sorgte. »Es war notwendig«, sagte sie. Ihre Stimme klang dünn, war kaum mehr denn ein Wispern. Aus schläfrigen Augen blickte sie zu Thorgol hoch. »Sie sind überall. Sie werden uns vernichten.«
Der hünenhafte Mutant schüttelte verständnislos den Kopf. Was meinst du damit? Sind wir hier nicht sicher? Saya seufzte. »Ich fürchte, nein. Wir können sie davon abhalten, in unser Reich einzudringen. Wir könnten ihren Waffen widerstehen, aber wir wären schutzlos, wenn sie die Sonne vernichten.« Sie sah, wie Thorgol schluckte und unabsichtlich zur Decke starrte, als könne er dort die Sonne sehen. Die wenigsten Bewohner des Trichters kannten den gelben Stern überhaupt. Sie waren unter den Kronen der Bäume aufgewachsen, wo sich tief unten am Grund des Kraters nur selten ein Sonnenstrahl hin verirrte – von Sayas Lichtung abgesehen. Thorgol aber war draußen aufgewachsen, jenseits des Trichters. In all den Jahren, die sie nun schon hier verbrachten, schien er nicht vergessen zu haben, wie es dort aussah, wie sich die Wärme der Sonne auf der Haut, ihr Licht in den Augen anfühlte. Saya konnte es ihm nicht verübeln. Auch wenn sie noch jung gewesen war, als sie den Trichter zu ihrer Wahlheimat machte, erinnerte sie sich noch an ihr Leben davor an der Oberfläche. Vermutlich verdankte sie es ihren besonderen Fähigkeiten, dass sie sich auch noch an Ereignisse aus tiefster Kindheit erinnerte. An ihre Mutter. Ihren Vater. An das, was ihr die beiden angetan hatten. Sie hatte seither nichts mehr von ihnen gehört oder gesehen. Vermutlich waren sie längst tot – oder würden es spätestens dann sein, wenn diese Welt starb. In den Gedanken der Orathonen hatte sie bildlich gesehen, was mit der Erde geschehen würde. Die Schlacht im Weltraum tobte unerbittlich weiter. Die Gefiederten beuteten den Planeten aus und schickten die Rohstoffe über Transmitter zu ihren Schiffen im All – und wenn es nichts mehr auf der Welt gab, das ihnen von Nutzen war, würden sie die Energien der Sonne anzapfen. Thorgol las ihre Gedanken und begriff. Wie wirst du dich entscheiden? Saya deutete ein Achselzucken an. Sie hatte die Verantwortung für all die Mutanten im Trichter übernommen, nicht für den Rest der Menschheit. Sie hatte niemals vorgehabt, ihren Machtbereich zu erweitern. Doch es schien mehr und mehr, dass sich die Mutanten erheben mussten, um die Welt zu retten, damit sie selbst überleben konnten.
»Ich werde mit dem Laktonen und seinem Zwerg sprechen«, sagte die Königin des Trichters. »Morgen… wenn ich wieder bei Kräften bin.« Übergangslos schlief Saya ein. * Gegenwart, Anfang Juli 1992 Flottenbewegungen in groß angelegten Operationen waren eine strategische Herausforderung. Die Orathonen dachten nicht in Maßstäben von fünf bis zehn Schiffseinheiten, sondern die Zahl der Raumer ihrer Hauptflotte ging in die Zehntausende. Selbst in den Dimensionen des Weltraums war ein zusammenhängender Schwarm nicht einfach zu navigieren und manövrieren – ganz gleich, ob er sich in Offensiv- oder Defensivformation befand. Kein Schiffskapitän konnte eigene Entscheidungen treffen, sondern musste sie in einer streng einzuhaltenden Befehlskette weitergeben. Alle Fäden liefen notgedrungen bei einer zentralen Sammelstelle auf, wo die Anfragen abgearbeitet und beantwortet wurden. Im Flottenpulk der Orathonen stellte ein gewaltiges Schlachtschiff der Arca-Klasse diese Sammelstelle dar. Der Raumer war in der für orathonische Großkampfschiffe typischen Form einer überdimensionalen Hantel gebaut worden. Der Durchmesser der beiden Endkugeln betrug fast zweitausend Meter. Der Mittelsteg war knapp 3000 Meter lang und besaß einen Durchmesser von rund 750 Meter. Ein Koloss ohnegleichen, der an Verteidigungsund Feuerkraft seinesgleichen im Kosmos suchte. Selbst die größten Laktonenschiffe der Pithon-Klasse hatten dem Arca-Raumer nichts entgegenzusetzen. In der Kommandozentrale herrschten Verhältnisse wie in einem Bienenschwarm. Dutzende von grünhäutigen Gefiederten saßen oder standen hinter einer Wand von Computern, Analysegeräten, Überwachungsschirmen und strategischen Displays. Sämtliche Flottenkommunikation lief über dieses Schiff. Sobald auch nur ein Raumer aus der Formation ausbrach, seine Triebwerksleistung erhöhte oder reduzierte, ein Funkspruch seinen Kommunikationsradius verließ, registrierten die Controller des Flaggschiffs dies und meldeten es an die taktischen Berater des Kommandanten
weiter, die dann entweder Entscheidungen fällten, wenn sie in ihrem Ermessensbereich lagen, oder die Befehle von Sigam Agelon persönlich einholten. Das Mitglied der FAMILIE saß, umringt von seinem Beraterstab, fast in der Mitte der Kommandozentrale und rieb sich die Schläfen, während drei seiner Admirale ununterbrochen auf ihn einredeten. Aus dem Stimmenwirrwarr waren nur Fetzen herauszuhören, und die Flut von unterschiedlichen und unverständlichen Informationen hätte selbst ein Bronzeroboter nicht herausfiltern können. »Genug!« Agelons Stimme donnerte so laut durch die Kommandozentrale, dass sogar die Schiffstechniker und Piloten im vorderen Bereich erschrocken zusammenzuckten. Der Kapitän des Hantelraumers, der nicht an der Besprechung teilnahm, sondern sich um die Führung seines Schiffes kümmerte, drehte sich langsam zu den Stabsoffizieren herum. Agelon nickte ihm mit dem Kinn zu und bedeutete ihm damit, dass ihn der plötzliche Wutausbruch nichts anging. Demütig senkte der Kapitän den Blick und widmete sich wieder seiner Arbeit. Sigam Agelon faltete die Finger ineinander und drückte sie so kräftig durch, dass die Glieder knackten. Nicht nur, dass er die Schmach erlitt, als ehrbares Mitglied der FAMILIE in diesen entlegenen Winkel der Galaxis strafversetzt worden zu sein, er musste darüber hinaus noch mit kleineren Niederlagen im Schlachtverlauf kämpfen. Obwohl die laktonische Flotte nur einen Teilverband darstellte, der von der Hauptstreitmacht abgeschnitten war, hatte sie dem orathonischen Verband erheblichen Schaden zugefügt und hielt ihn auch jetzt noch schwer in Atem. Agelon hatte mit einem schnellen Sieg gerechnet, doch wider Erwarten war es dem Gegner gelungen, den einzig bewohnbaren und rohstoffreichsten Planeten dieses Sonnensystems vor ihnen zu erreichen und bereits mit seinen Agenten zu infiltrieren. Die Agenten Laktons waren das A und O des Feindes. Sie schafften es immer wieder, den Invasionstruppen Paroli zu bieten und ihnen die Lage zu erschweren. Zwar hatten sie es bisher niemals geschafft, eine einmal besetzte Welt zu retten, aber der Verlust an Material war dabei immer immens hoch gewesen. Kampfeinheiten von Hilfsvölkern wie Whims, Ätzer oder Jumper waren jederzeit ersetzbar und in nahezu unerschöpflichen Massen vorhanden. Was ihnen jedoch ausgehen konnte, war das Material an
Schiffen, Bronzerobotern und Energiereserven für Waffen, Schutzschilde und Triebwerke. Die Einheimischen des dritten Planeten hatten sich ebenso als heimtückisch und schlagkräftig erwiesen. Allen voran erhob sich ein Mann aus der Masse hervor, der es schaffte, erheblichen Widerstand zu leisten: Rex Corda. Sigam Agelon ballte die Rechte zur Faust und ließ sie auf die Armlehne seines Sessels schmettern, als er an den Namen des Widersachers dachte. Er hatte ihn einmal bereits sicher in Händen gehabt, doch dem Präsidenten des nordamerikanischen Kontinents war die Flucht geglückt. Seitdem schaffte er es immer wieder, unterzutauchen und aus dem Untergrund heraus zu operieren. Cleveres Kerlchen, dachte Agelon. Als er die Blicke seiner Berater auf sich ruhen spürte und die Stille wahrnahm, die sich nach seinem Ausbruch in der Zentrale eingeschlichen hatte, schob er den Gedanken an Corda beiseite. Früher oder später würden sie ihn fassen und hinrichten. Er glaubte nicht, dass sie noch länger als eine Woche benötigten, die Flotte mit den Rohstoffen der Erde über die Supertransmitter zu versorgen. Anschließend würden sie den gelben Stern anzapfen und dann mit geballter Macht gegen die Laktonenflotte vorgehen. Ihre Versorgungslinie war so gut wie gesichert, während der Gegner keine Reserven zur Verfügung hatte. Das Schicksal der von der Hauptstreitmacht abgeschnittenen Lakton-Armada würde in diesem Sonnensystem besiegelt werden. Soviel war sicher. »Der Reihe nach. Admiral Tekko, Ihren Bericht. Und zwar noch einmal von vorn.« »Jawohl, Agelon«, sagte ein dicklicher Orathone, dem die Uniform deutlich zwei Nummern zu eng geschnitten war. Sein Hauptgefieder wies deutliche Orange- und Rottöne auf, wie bei welkenden Blättern im Herbst. Das Grün seiner Haut wirkte blass und ungesund. Er zitterte. Schweiß perlte auf seiner Stirn. Tekko war einer der Admirale, die unentwegt auf Sigam Agelon eingeredet hatten. Offenbar fürchtete er sich jetzt, da er als Erster aufgerufen wurde. »Nun?« fragte der Flottenkommandant der FAMILIE, als der andere nicht gleich zur Sache kam. »Entschuldigen Sie, natürlich sofort. Unsere Langstreckenaufklärer haben drei Schwerpunktbereiche der laktonischen Flotte
verzeichnet. Sie haben sich außerhalb des neunten Planeten dieses Systems, den die Erdbewohner Pluto nennen, versammelt. Allerdings sind sie so weiträumig verstreut, dass wir sie nicht direkt und gebündelt angreifen können, während von ihrer Seite ein einziger Sprung ausreichend wäre.« Agelon unterbrach den anderen mit einer vagen Geste. »Sie sind uns zahlenmäßig so unterlegen, dass sie einen direkten Angriff niemals wagen. Sie würden fliehen, wenn sie könnten, nur ist ihnen der Rückweg durch unsere eigenen Streitkräfte entlang der galaktischen Frontlinie verwehrt.« »Ja, Herr. Natürlich. Die Laktonen verüben vereinzelt Vorstöße, die wir bisher jedoch allesamt erfolgreich abwehren konnten.« Agelon knirschte mit den Zähnen. »Bis auf einen, oder?« Admiral Tekko senkte den Kopf. »Das Spezialschiff VARNAL galt als gesunken. Wir konnten nicht wissen, dass es einen Terra-Jet an Bord hat. Der verantwortliche Kommandant, der die VARNAL durchschlüpfen ließ, hat den Freitod als Reue gewählt.« Einer der anderen beiden Admirale trat vor. »Ich versichere Ihnen, Agelon, dass wir Beweise für die Vernichtung der VARNAL auf dem Boden des Pazifischen Ozeans haben. Das Schiff ist nach seiner Bruchlandung zerstört worden. Der Terra-Jet, der sich offenbar durch das Innere dieses Planeten bewegt, stellt derzeitig für uns keine Gefahr dar. Sowohl unsere Truppen als auch die Transmitter sind gegen jedwede Bedrohung gewappnet.« »Ihr Wort für die FAMILIE«, sinnierte Sigam Agelon. »Ich will trotzdem, dass die Suche nach diesem Fahrzeug verdreifacht wird. Ich weiß, dass Corda dahinter steckt. Er hat sich mit unserem Gegner verbündet. Ich will ihn tot und diesen Terra-Jet vernichtet sehen!« »Jawohl, Ehrwürdiger.« Agelon wandte sich an den dritten Stabsoffizier, der bisher geschwiegen hatte. Er hielt eine Datendepesche mit Auswertungstabellen und einer holografischen, taktischen Darstellung in den Händen. »Und was können Sie noch zu den Sorgen der Galaxis beitragen?« fragte Agelon in genervtem Ton. »Wir haben den Fortschritt der Invasion auf dem dritten Planeten analysiert.« »Verschonen Sie mich mit Details, die ich bereits weiß.« »Ja, Erhabener… äh… die meisten Kampfhandlungen wurden
eingestellt. In den politisch unabhängigen Gebieten hat man unseren Einmarsch inzwischen hingenommen und bereitet uns keine Probleme mehr. Nur vereinzelt bricht Widerstand los, der jedoch von den Regierungsstellen verurteilt wird. Man ist bereit, mit unseren Hilfstruppen zu kooperieren, um Resistance-Nester auszuheben.« »Was nicht anders zu erwarten war«, kommentierte Agelon. Es war auf jeder Welt das gleiche Prozedere. Er hatte es schon Dutzende Male miterlebt. »Weiter.« »Die Supertransmitter werden wie geplant einsatzbereit sein«, fuhr der Admiral fort. »Unsere Erzumwandler und Rohstoffsammler sind bereits in vollem Umfang dabei, die Standorte mit Material zu befrachten. Sobald wir die Transmitter ans Netz hängen, können wir im großen Umfang unsere Flotte versorgen.« Auch hier hatte Sigam Agelon keine Probleme erwartet, so dass er die Meldung mit einem Achselzucken abtat. Mit Ausnahme des Problems Corda und dem durchgeschlüpften Terra-Jet lief alles nach Plan. Agelon unterdrückte die wieder aufkochende Wut auf den Terraner und konzentrierte sich auf seinen Sieg. Er war guter Dinge, dass er die laktonische Splitterflotte komplett zerschlagen konnte. Mit den Ressourcen dieses Sonnensystems und der Tatsache, dass der Fluchtweg des Gegners zu seiner Hauptflotte abgeschnitten war, besaß die Orathonen-Armada die besten Erfolgsaussichten. Der Sieg über die Laktonen würde ihm Pluspunkte innerhalb der FAMILIE bringen. Er konnte sich im Herrschergeschlecht rehabilitieren, sein Name wurde reingewaschen und er würde als strahlender Held des Reiches nach Moratha zurückkehren. »Sonst noch etwas?« »Ja, Ehrwürdiger. Wir haben eine Anomalie aufgespürt, die uns anfangs nicht bewusst wurde. Offenbar handelt es sich um ein Areal, das unsere Aufmerksamkeit beeinflusst. Ein Trupp Bronzener hat Datenmaterial gesammelt und…« »Wo?« unterbrach Agelon. »Die Einheimischen nennen die Stadt New York. Es handelt sich um einen etwa drei Kilometer durchmessenden Bombentrichter von unbekannter Tiefe. Anhand der Daten der Roboter haben wir das Gebiet gescannt, konnten jedoch nicht durch die dschungelartige Pflanzendecke dringen.« Siehe Rex Corda Nummer 4 ‘Der Flug durch die Erde’ »Schicken
Sie einen Arca-Kreuzer und bombardieren Sie das Gebiet.« Der Admiral verneigte sich und bat um Erlaubnis, wegtreten zu dürfen. Agelon entließ auch die anderen Stabsoffiziere und signalisierte dem Kapitän des Schiffes, dass er sich in sein privates Quartier zurückzog. * Der Zorn wuchs binnen eines Lidschlags auf ein unerträgliches Maß an, so dass Gomar Hencip dachte, jeden Moment könnten seine Schläfen platzen. Er befand sich zusammen mit Gon-Rendo, der mittlerweile wieder bei Bewusstsein war, jedoch noch geschwächt auf einer Pritsche hockte, in einem Gefängnis aus einer Art Bambusstabkonstruktion. Die natürlichen Gitter waren massiv und fest und bildeten nicht nur ringsherum die Zelle, sondern zogen sich auch über ihren Köpfen hinweg – wie bei einem Käfig. Als die beiden Orathonen vorgeführt wurden, versetzte ihm allein der Anblick der Gefiederten einen scharfen Stich in den Lungen. Nur zu gerne hätte er sein Gefängnis überwunden und wäre mit bloßen Händen auf den verhassten Feind zugestürmt. Doch ihm blieb nichts anderes übrig, als ihnen zwischen die Gitterstäbe hindurch ein paar Unflätigkeiten an den Kopf zu werfen. Sie reagierten nicht einmal. Da erst sah Hencip, dass sie ihre Schultern hängen ließen, die Köpfe nach vorn gebeugt waren und ihre Schritte über den Boden schlurften. Vom Stolz der Orathonen war nichts mehr zu erkennen. Die Gefangenen schienen erschöpft, am Ende ihrer Kräfte. Ihr Widerstand war gebrochen. Sie würdigten Hencip und den Kynother keines Blickes, sahen nur stur gerade aus und blieben vor einer Nachbarzelle stehen. Einer ihrer Wächter öffnete den Käfig. Hencip beobachtete ihn genau. Es schien kein Schloss zu geben, das die Tür zuvor geschlossen hielt; noch nicht einmal einen Riegel. Neugierig geworden untersuchte er seine eigene Zelle. Auch hier war auf der anderen Seite des Bambusgitters nichts zu erkennen, das den Zugang verriegelte, dennoch ließ sich das Gitter nicht bewegen, als er daran rüttelte. Der Mutant, der die beiden Orathonen ins Gefängnis wies, drehte sich bei dem Geräusch, das Hencip verursacht hatte um und
lachte. Gib dir keine Mühe, hörte der Agent Laktons die telepathische Botschaft in seinem Hirn. Ihr kommt hier nicht heraus. Hencip trat vom Gitter zurück und ging zu Gon-Rendo hinüber. Offenbar hatte der Kynother dieselben Worte empfangen, denn er blickte müde auf und sprach den Laktonen direkt darauf an. »Sie sichern die Gitter mit ihren Parakräften«, sagte der Kleine. Hencip runzelte die Stirn. »Aber wie schaffen sie es, das beständig aufrecht zu erhalten.« Gon-Rendo hob die Schultern. »Irgendetwas ist mit den Pflanzen.« Er deutete in Richtung der Blattwedel, die durch die Bambusstäbe in die Zelle hereinragten. Der Lakton-Agent folgte dem Fingerzeig und schickte sich an, das Grün näher zu betrachten, doch als er sich daran erinnerte, was die Flora des Trichters bereits mit dem Kynother angetan hatte und wie ihn das amöbenhafte Monstrum draußen im Dschungel genarrt hatte, blieb er an Ort und Stelle stehen. Was immer er auch glaubte, an den Pflanzen zu erkennen können, er würde es nicht sehen. Die Kräfte, die hier wirkten, waren sowohl Laktonen als auch Orathonen im Grunde unbekannt. Sie kannten sich mit parapsychischen Energien nicht aus. Es gab nichts Greif- und Messbares, das sie katalogisieren konnten, wie den Rest des Universums. Hier scheiterten sie zwangsläufig. »Ein seltsamer Planet«, sagte Hencip. Gon-Rendo schüttelte langsam den Kopf. »Nicht unbedingt. Das alles hier scheinen die Auswirkungen des erhöhten Strahlungsniveaus zu sein. Offenbar besitzt die genetische Struktur der Einwohner eine höhere Mutationsanfälligkeit, als bei den uns bekannten Spezies.« »Aber der genetische Code ist gleich«, warf Hencip ein. »Die Umweltbedingungen sind andere. Strahlenart, ihre Intensität, die Häufigkeit des Auftretens, die Vorbelastung… alles Faktoren, die mit hineinspielen.« »Aber die Erkenntnis hilft uns nicht weiter.« Gon-Rendo richtete sich halb auf. »Warum nicht? Wenn wir uns mit den Mutanten verbünden, können sie mächtige Verbündete gegen die Orathonen sein.« Hencip nickte in Richtung des Thrones, der von hier aus gar nicht zu sehen war und sich etliche Meter hinter den letzten Farnen vor der Lichtung befinden musste. »Wenn Sie sie überzeugen
können, bitte. Ich hab es dieser… Königin bereits vorgeschlagen, aber sie scheint an einem Bündnis kein Interesse zu haben.« »Versuchen könnte ich es ja«, sagte Gon-Rendo. »Bitte.« Hencip machte eine einladende Geste Richtung Thron. »Ich werde Sie nicht aufhalten, oh hochwohldurchlauchter Botschafter des Laktonischen Imperiums.« Der Kynother verzog die Mundwinkeln, lächelte jedoch im selben Moment spitzbübisch. »Warten Sie nur ab.« Gomar Hencip ging zur Zellentür und klammerte beide Hände um die Bambusstäbe. Hasserfüllt sah er zu den Orathonen hinüber, die auf ihren Pritschen zusammengesunken waren. Ihre Schuld, dachte er. Es ist alles ihre Schuld. Dass ich hier bin, dass sich Temir von mir getrennt hat. Wären die Orathonen nicht, könnte ich zu Hause sitzen und eine Familie haben… »Was glotzt du so?« Einer der beiden Gefiederten hatte aufgesehen und starrte in seine Richtung. Hencip antwortete nicht. Wenn der Orathone sich schon dazu herabließ, ihn anzusprechen, musste er sehr schwer angeschlagen sein. Die beiden gegnerischen Völker hatten seit Jahrzehnten kein Wort miteinander gewechselt, allerhöchstens mit Gefangenen während eines Verhörs. Friedensverhandlungen. Kapitulationsbedingungen. Dergleichen hatte es nie gegeben und würde es nie geben. Laktonen und Orathonen bekämpften sich seit 4897 Terra-Jahren bis aufs Blut. Sich zu ergeben stand nicht zur Debatte. Hencip wandte sich ab, schlenderte zu Gon-Rendo zurück und ließ sich auf die zweite Pritsche in der Bambuszelle nieder. Er hatte keine Hoffnung, hier wieder heil herauszukommen. * Die parapsychischen Ströme ihrer Untertanen, der Pflanzen und Tiere des Trichters, liefen durch Sayas Geist und stärkten sowohl ihren Körper als auch ihre Seele. Sie lag in ihrer Unterkunft unweit der Lichtung mit dem Thron, hatte die Augen geschlossen und griff mit ihren Fähigkeit hinaus in die kleine, von der Außenwelt isolierte Gemeinde. Ihre Gedanken berührten andere Mutanten, wanden sich durch die unergründlichen Wege des Geistes bis hin zu den Kraftzentren, jenen mutierten Zellen des Gehirns, die
die Tür zum Paranormalen aufstießen und offen hielten. Saya zapfte ihnen Energie ab. Jedem nur ein Quäntchen. Hier ein bisschen, dort ein wenig. Sie verschonte die Schwachen und Kranken, machte vor den riesigen Drachenbäumen und mutierten Farnen keinen Halt, und wenn ihre Gedanken eines der im Trichter heimischen Tiere streifte, bediente sie sich auch dort. Sie ging behutsam vor. Einmal, um niemanden zu schädigen und zum anderen, weil sie selbst die aufgenommenen Energien kanalisieren und für sich nutzbar machen musste. Während sie dalag und neue Kräfte sammelte, schweiften andere Teile ihres multiplen Geistes durch die unergründlichsten Gefilde, die sonst kein Mensch auf Erden, ob Mutant oder nicht, je zu Gesicht bekommen würde. Saya sah die Welt über dem Trichter, sah die bedrohlichen Riesenschiffe der Invasoren, die Scharmützel im Orbit und weit draußen im Weltraum… und sie schaute in die Zukunft. Feuer vom Himmel! Bilder blitzten in Sekundenbruchteilen vor ihrem inneren Auge auf. Bilder von Wut und Zerstörung. Sie sah grelle Blitze, die vom Himmel herunter stachen und den Boden verbrannten. Mit einem Ruck setzte Saya sich auf. »Nein!« Der Vorhang vor ihrem Quartier wurde zur Seite geschlagen und Anyim Pius schaute herein. »Ist alles in Ordnung?« Saya blickte ihn einen Moment unverständlich an, dann schwang sie ihre Beine von dem Bett und stand auf. »Sie haben uns entdeckt.« Der Leibwächter runzelte die Stirn. »Aber wie?« »Irgendeiner von ihnen ist vielleicht nicht so empfänglich für unsere Schutzsuggestionen«, vermutete Saya. »Jemand bei den Orathonen hat sich Gedanken über uns gemacht. Sie planen einen Angriff. Wir müssen uns auf die Abwehr vorbereiten!« Pius stellte die Worte seiner Königin nicht in Frage. Er versuchte auch nicht, eine Erklärung einzufordern, sondern nickte nur knapp und verließ sofort die Unterkunft. Wenige Augenblicke darauf gellten die Alarmtrommeln über die Lichtung. Saya ging zum Fenster und schob die vor Regen schützenden Blattwedel beiseite. Binnen weniger Sekunden hatte sich das Lager der Mutanten in ein Wespennest verwandelt. Wie aufgeschreckt rannten Andersartige, denen man die genetische Veränderung in vielen Fällen ansah – in anderen wiederum nicht –, wie kopflos umher und such-
ten ihr Heil in der Flucht. Nur einige wenige, die zum inneren Kreis Sayas gehörten, befolgten die Befehle, die ihnen für den Alarmfall eingetrichtert worden waren. Sie wiesen den Fliehenden den Weg durchs Unterholz, schmale Pfade durch sattes Grün, das noch tiefer in den Trichter führte, als es die Bewohner für möglich gehalten hatten. Im Laufe der Jahre hatte Saya immer wieder damit gerechnet, dass die Menschen ihre Scheu vor dem Bombenkrater überwinden und bis tief in die unteren Ebenen vorstoßen könnten. Zur Verteidigung hatte sie Schächte im Boden ausheben lassen, die mittlerweile zu einem Tunnelsystem angewachsen waren. Die meisten ihrer Untertanen, die in der Nähe der Lichtung wohnten, würden so evakuiert werden – nur jene, die über entsprechende Parakräfte zur Verteidigung gegen Angreifer verfügten, wurden von Anyim Pius und Thorgol an die entsprechenden Plätze verwiesen. Saya trat nach draußen. Wann? erreichte sie Thorgols telepathische Frage. Sie blickte in die Richtung des Mutanten und hob die Schultern. Sie wusste es selbst nicht, aber sie spürte, dass der Angriff kurz bevor stand. »Hierher, los beeilt euch!« rief Anyim Pius einer Gruppe Kleinwüchsiger zu, die äußerlich jedwede Menschlichkeit abgestreift zu haben schienen. Sie wirkten wie wandelnde Bäume mit viel zu langem Astwerk und taumelten mehr schlecht als recht auf eine Position zu, die ihnen der Leibwächter zuwies. Sie waren die besten Psychokineten, die den Bewohnern des Trichters zur Verfügung standen. Saya ging zum Thron hinüber und ließ sich in dem geflochtenen Sitz nieder. Sie schloss die Augen und streckte ihre geistigen Fühler zum Roronen-Netzwerk aus, jenen mutierten Pflanzen, die in der Lage waren, einen mentalen Schild über dem Trichter zu erzeugen, der Angriffe von außen abwehren konnte – so zumindest hofften sie. Die Königin des Trichters berührte mit ihren Gedanken die Pflanzen, drang auf geistigem Wege bis zu dem feinen Netz aus feinstofflichem Gewebe vor, das zum Teil in dieser und zu einem gänzlich anderen Teil in einer anderen, undefinierbaren Welt beheimatet schien. Ihr müsst uns beschützen, sandte Saya ihre Gedanken in die psychischen Adern der Roronen. Die Antwort kam nicht verbal, sondern in Form einer warmen Schmeichelei, die Sayas Geist
umhüllte und liebkoste. Sie lächelte und genoss für ein paar Momente die zärtliche Berührung in ihrem Kopf. Dann konzentrierte sie sich auf ihre eigene Aufgabe. Sie würde der Verbindungsknoten für alle Mutanten sein, ihre Kräfte bündeln und an die Roronen weiterleiten, um den parapsychischen Schild so stark und so lange wie möglich aufrechtzuerhalten. Saya ahnte, dass es hierbei nicht damit getan war, elektronische Spürstrahlen abzulenken, sondern dass die Orathonen mit aller ihnen zur Verfügung stehenden Macht zuschlagen würden. Die Vision, die sie gehabt hatte, war schrecklich genug gewesen. Die Wirklichkeit aber stellte alles da gewesene in den Schatten. * Der Angriff wurde mit der Präzision der orathonischen Kriegsmaschine durchgeführt, bei der wie bei einem gigantischen Uhrwerk ein Rädchen ins andere griff, jeder Befehl umgehend ausgeführt wurde und niemand einen Einwand über den Sinn oder Unsinn der Aktion einwarf. Während weltweit die gelandeten Orathonen mit Widerstandsnestern kämpften, der Geheimdienst verzweifelt versuchte, die Spur des unterirdisch operierenden Terra-Jets zu verfolgen und die Vernichtung der Supertransmitter durch Rex Corda zu verhindern, senkte sich aus dem Orbit der Erde ein einzelnes überdimensionales Hantelschiff der Arca-Klasse herab. Der Kommandant zweifelte nicht an seinem Auftrag, zumal er von Sigam Agelons Beraterstab kam. Die Arca-Kreuzer operierten in den meisten Fällen nicht in der planetaren Atmosphäre. Alles, was ein Schiff dieser Größe auf der Oberfläche einer Welt ausrichten konnte, war auch durch einen Kreuzer der Wonn-Klasse ausführbar. Schon die Wonns mit ihren 1200 Metern durchmessenden Endkugeln sorgten für atmosphärische Störungen und gravimetrischen Verzerrungen, wenn sie in Massen sich einer Planetenoberfläche näherten. Die Arcas wurden normalerweise vornehmlich in einer Umlaufbahn geplant und für Bombardements aus dem Orbit eingesetzt oder um einen Blockadering zu bilden durch den nichts schlüpfen konnte. Die Aggregate des Riesen liefen zur Höchstleistung auf. Auf-
grund seiner ungünstigen Form, die jedwede Stromlinienförmigkeit vermissen ließ, war es unerheblich, welchen Eintrittswinkel der Raumer wählte. Die Reibungshitze entstand quasi an der gesamten Außenhülle und entfachte ein Feuer, die einen ungeschützten Stahlleib binnen weniger Minuten zu einem deformierten Klumpen zusammengeschmolzen hätte. Nur die bis zur Hochlast aktivierten Energieschirme leiteten die entstehende Hitze ab, absorbierten einen Teil und führten die Wärme dem eigenen System zu und reflektierten den anderen Teil. Gleichzeitig ächzten Schwerkraftstabilisatoren auf und die Triebwerke gaben Gegenschub, um den Kreuzer nicht wie einen Stein durch die Atmosphäre zu Boden fallen zu lassen. Für einen Außenstehenden mochte der Sinkflug fast gemächlich und behäbig aussehen, doch in Wahrheit zerrten ungeheure Kräfte an dem Schiff, denen es mit Aufbietung sämtlicher Energien trotzen musste. Wäre in diesem Moment ein Angriff gegen den Kreuzer gestartet worden, hätte er sich nicht wirksam verteidigen können. »Äußere Atmosphäreschichten überwunden«, meldete der Navigator. »Zielvektor voraus.« Der orathonische Kommandant trat an den Holoschirm heran und sah die unförmige Landmasse unter ihnen, die als Zielgebiet kartografiert worden war. Ihn interessierte nicht, dass die Stadt New York hieß, noch dass der gewaltige Trichter vor zwanzig Jahren einmal aus den Stadtteilen Manhattan und Queens bestanden hatte. Der Orathone wollte einzig und allein seinen Befehl ausführen und dann so schnell wie möglich den Arca-Kreuzer wieder in eine Umlaufbahn bringen, um die Antigravitationsgeneratoren nicht auf ein Übermaß zu belasten. Eine Landung kam für den Raumgiganten nicht in Frage, zumindest nicht im Zielgebiet. In einiger Entfernung standen bereits zwei Hantelraumer der WonnKlasse auf ihren unzähligen Landestelzen. Sie zeigten Präsenz für die Einheimischen und hatten ihre Landetruppen ausgeschleust, um die neue Ordnung Orathons aufrecht zu erhalten. Sie befanden sich außer Gefechtsreichweite und würden beim Angriff keinen Schaden nehmen. Dennoch ließ der Kommandant eine Warnung über die geplante Aktion an die beiden Kreuzer funken. Aus all dem Grau der Straßenschluchten und Gebäude der umliegenden Stadtteile hob sich das Grün des Bombentrichters besonders hervor, stach wie ein Oase aus der Betonwüste in die
Augen der Orathonen. Was immer für eine Gefahr dort unter dem dichten Blätterdach lauerte, der Kommandant des Arca-Kreuzers war sicher, es mit einer einzigen Salve auslöschen zu können. »Begleitschiffe ausschwärmen lassen!« befahl der Erste Offizier, doch der Kommandant machte eine abwehrende Handbewegung. Seine Kopffedern stellten sich vor Erregung fast senkrecht in die Höhe. »Wozu? Es gibt dort keine Bedrohung, mit der wir nicht fertig werden. Steuermann, bringen Sie das Schiff in Reichweite für die Sekundärgeschütze!« »Zu Befehl, Herr.« Der Erste Offizier sah den Kommandanten fragend an. »Sekundärgeschütze?« »Es ist nur Wald. Ein paar Bäume. Wir müssen mit unseren Energiereserven haushalten, weil wir nicht wissen, wann wir über die Supertransmitter beliefert werden. Wenn wir nach dieser Aktion wieder in den Raum zurückkehren und mit nur halber Feuerkraft einem Geschwader laktonischer Trakon-Kreuzer gegenüberstehen…« Er ließ den Satz unvollendet. Sein Erster Offizier verstand auch so. »Gefechtsreichweite für Sekundärgeschütze erreicht, Herr!« meldete der Steuermann. Der Kommandant rief die Feuerleitzentrale über das interne Kommunikationsnetz und wies sie an, zehn der fünfzig Bugkanonen feuerbereit zu machen. Hörbar sog der Erste Offizier die Luft ein, enthielt sich diesmal jedoch eines Kommentars. Er schien zu erkennen, dass der Kommandant es mit dem Energiehaushalt ernst meinte und nur an strategischen Punkten zuschlagen wollte, um einen Flächenbrand auszulösen. Geringster Krafteinsatz mit höchstmöglicher Effizienz. Nur war nicht ganz klar, warum sie zu diesem Zweck in Bodennähe beordert worden waren. Einer der beiden gelandeten Wonn-Kreuzer hätte diese Aufgabe mit eben solcher Leichtigkeit ausführen können. Die Energieverschwendung beim Eintritt in die Erdatmosphäre war immens hoch, ganz zu schweigen von der ungeheuren Beschleunigung, die vonnöten war, um das Schwerefeld des Planeten nach der Strafaktion wieder zu verlassen. »Geschütztürme feuerbereit, Herr!« teilte ein Waffenoffizier mit. »Wir haben sechs Eckpunkte und vier zentrale Koordinaten ermit-
telt, die zu einem zufrieden stellenden Ergebnis führen sollten.« »Feuer!« Nur zwei Sekunden darauf spien die Bugkanonen ihre tödlichen Lichtlanzen ins satte Grün hinunter. Sie sollten sich durch das Blätterdach bis auf den Grund des Trichters fressen, das Erdreich zum Kochen bringen, das Holz der Bäume entzünden und dann einen Waldbrand entfachen, der binnen kurzer Zeit von außen nach innen alle Pflanzen vernichtete und ebenso das, was Sigam Agelon als Gefahr eingestuft hatte. Doch nichts dergleichen geschah. Die Energieblitze wurden von irgendetwas reflektiert, ehe sie auch nur ansatzweise die ersten Blätter berühren konnten. Sie schossen in den Himmel oder wurden seitwärts abgefälscht, so dass einer geradewegs in der Nähe eines der gelandeten Wonn-Kreuzer in den Boden schlug. Aufgeregtes Stimmengewirr erhob sich in der Kommandozentrale, als die Anwesenden ungläubig auf die holografische Darstellung des Hauptschirmes starrten und die Bilder mit den Werten der taktischen Displays verglichen. »Leichter Temperaturanstieg in allen Reflexionsbereichen«, rief jemand. »Nur ein Bruchteil der ursprünglichen Energie.« »Was ist da passiert?« fragte der Erste Offizier. »Ein Energieschirm?« »Die Ortung ist negativ. Wir können keine Strahlenquelle anmessen.« Die Federn des Kommandanten standen so angespannt in die Höhe, dass es fast wehtat. Er spürte das Ziehen unter der Kopfhaut deutlich. Unfassbar starrte er auf den Holografen. Der Wald lag unversehrt unter ihnen, obwohl er von einer Strahlenmenge getroffen worden war, die ohne Probleme eine ganze Kleinstadt entvölkert hätte. »Feuer wiederholen, Herr?« fragte der Erste Offizier. »Wie war die Auslastung der Geschützstrahlung?« »Fünfundsiebzig Prozent«, teilte die Feuerleitzentrale mit. »Erhöhen auf einhundert. Aktivieren Sie zwanzig zusätzliche Geschütze und verteilen die Zielkoordinaten auf die bisherigen Punkte. Bereithalten, aber noch nicht feuern!« Als die Bestätigung der Feuerleitstelle kam, ordnete der Kommandant an, eine Sonde auszuschleusen. Das kugelförmige Messgerät jagte aus einem Katapultschacht am Rumpf der Querstrebe des überdimensionalen Hantelraumers und hielt genau auf
den dichten Wald zu, der den Trichter säumte. Die Daten, die die Sonde aufzeichnete wurden in Form von Analysekurven und tabellen auf einem kleinen Holografen an der wissenschaftlichen Station dargestellt. »Das ist merkwürdig, Herr!« rief der Offizier an der entsprechenden Konsole. »Wir erhalten Werte von der Umgebungsatmosphäre: Temperatur, Luftzusammensetzung, Strömungen. Aber nichts vom Bombentrichter selbst, als gäbe es dort nichts.« »Sie meinen, keine Pflanzen oder andere Lebewesen?« »Ich meine gar nichts, Herr. Nicht mal das sich unter dem Blätterdach zwangsläufig befindliche Gestein wird angezeigt.« »Die Messstrahlen scheinen reflektiert zu werden«, vermutete der Erste Offizier. Im selben Moment sahen sie alle auf dem Hauptholografen, was geschah! Die Sonde hatte sich dem Waldgebiet bis auf zweihundert Meter genähert, als sie plötzlich von ihrem ursprünglichen Kurs abwich und über die angrenzende Stadt hinweg flog. »Ich dachte, der Kurs wäre programmiert«, sagte der Kommandant des Arca-Kreuzers. »Ist er immer noch, nur hat irgendetwas die Sensoren der Sonde getäuscht und ihr eine Kurskorrektur vorgegaukelt«, sagte der wissenschaftliche Offizier. »Ich übernehme manuell und lenke sie über die Fernsteuerung direkt in den Wald hinein.« Kurz darauf beschrieb die Kugel eine Kehre, flog direkt auf den Wald zu und tauchte durch das satte Grün. Im selben Augenblick brach der Kontakt zu ihr ab. Der Datenstrom riss ab. Die von den Außenkameras übertragenen Bilder blieben aus. »Irgendetwas muss unsere Sonde vernichtet haben«, vermutete der Wissenschaftsoffizier, doch der Kommandant schüttelte langsam den Kopf. »Oder eine Art Energiefeld direkt unterhalb der Wipfel unterbindet jegliche Form von Strahlung. Feuern Sie aus den vorbereiteten Geschützen, sobald Sie bereit sind.« Der Befehl wurde vom Ersten Offizier an die Feuerleitzentrale weitergegeben, und noch in derselben Sekunde flammten sämtliche aufs Ziel ausgerichtete Kanonen auf und bestrichen das zwei Kilometer durchmessende Gebiet des Trichters mit einem tödlichen Inferno. Doch wie zuvor wurden die Strahlensalven einfach reflektiert, schossen in den Himmel hinauf oder strichen über die Häuser der nahen Stadt und verdampften ihre Dächer oder gar
ganze Wohnetagen. Eine Wirkung auf den Wald blieb jedoch aus. »Funkzentrale, verbinden Sie mich mit Sigam Agelons Flaggschiff«, sagte der Kommandant des Arcas und machte sich auf das Schlimmste gefasst. * Der Angriff war nicht spurlos am Trichter vorüber gegangen. Während es für Außenstehende so wirkte, als wären die Energiestrahlen reflektiert worden, sahen die Bewohner der seltsamen, mutierten Welt, was zusätzlich außerdem wirklich geschah. Ein Stakkato von Blitzen zuckte durch die oberen Blattschichten. Elektrische Entladungen umzüngelten die Stämme der riesigen Drachenbäume bis hinunter zum Boden. Das Strahlengewitter irrlichterte durch den Dschungel. Die Luft am Boden des Trichters war durchsetzt vom beißenden Geruch des Ozons. Hier und dort sprang eine Entladung über auf andere Pflanzen oder erreichte gar einen der menschlichen Bewohner, die nicht zeitig genug die Schutztunnel aufgesucht hatten. Demon Adilon und Cord Haktar beobachteten das Schauspiel entfesselter Energien mit Hoffnung. Obwohl man sowohl sie als auch den Laktonen und den Kynother draußen in den Bambuszellen gelassen hatte, hielt sich die Furcht, dass sie eine Energieentladung treffen konnte, in Grenzen. Adilon wusste, dass es seine Leute waren, die kamen, um ihn zu retten. Er blickte zum Käfig des Laktonen hinüber, der dicht an den Bambusgittern stand und mit geweiteten Augen die grellen Lichtfluten beobachtete, die unablässig durch das Blätterdach irrleuchteten. »Das ist orathonisches Geschützfeuer!« höhnte Adilon. »Du wirst hier niemals lebend rauskommen.« »Vielleicht will ich das auch gar nicht«, sagte der Agent Laktons. »Ihr werdet euch hieran die Zähne ausbeißen, verlass dich drauf.« Haktar gab einen Grunzlaut von sich, doch Adilon hielt ihn zurück, als er an die Gitter treten und dem Laktonen seine Wut entgegenschleudern wollte. »Lass ihn. Er klammert sich an unbegründete Hoffnungen.« Plötzlich verstummte das Bombardement. Adilon stieß einen Siegesruf aus und hob die Faust gen Himmel. Auch Haktar fiel
darin ein. Beide blickten erwartungsvoll nach oben und warteten darauf, dass sich das Blätterdach teilte, um die Landungseinheiten abzusetzen. Doch nichts dergleichen geschah. »Worauf warten sie?« fragte Haktar nach fünf Minuten. »Sie müssten längst durchbrechen.« »Ich verstehe es auch nicht…« Plötzlich erschallte ein helles Gelächter von der gegenüberliegenden Seite. Im anderen Käfig hielt sich der Laktone den Bauch und lachte wie verrückt, bis ihm die Tränen aus den Augen schossen. »Schweig!« schnauzte Adilon, doch er erreichte nur das Gegenteil. Der Agent lachte noch lauter, und selbst der Kynother schloss sich ihm an und zeigte mit Fingern auf die beiden Orathonen. Adilon verlor die Beherrschung ob der Demütigung. Er brüllte, schrie und trommelte wie ein Berserker gegen die Bambusstäbe, bis er sich die Haut abschürfte und Blut über seine Hände lief. Diesmal musste Haktar ihn zurückhalten. Adilon wurde grob bei den Schultern gepackt und von seinem Waffenoffizier vom Gitter fortgezehrt. Das Zetern hörte jedoch nicht auf. Seine Flüche gegen die Laktonen und die Mutanten gingen in ein unartikuliertes Gekreische über, bis er sich schließlich heiser geschrien hatte. Zitternd hockte er in Haktars Armen, rang nach Luft und versuchte sich wieder unter Kontrolle zu bringen, was ihm nur mit sichtlicher Mühe gelang. Seine Wut ließ ihn fast ohnmächtig werden. Die FAMILIE hat mich verlassen, dachte er und sackte durch Haktars Griff. Der Waffenoffizier ließ ihn zu Boden gleiten. Und jetzt? »Erinnerst du dich an meine Worte, Orathone?« rief der Agent Laktons lautstark aus seiner Zelle. »Hier werdet ihr eure Meister finden, da bin ich sicher. Wäre schön, wenn ich den Augenblick selbst miterleben könnte!« Neue Wut keimte in Adilon auf. Doch nur kurz. Er schloss die Augen und betete für ein Wunder. Er ahnte nicht, dass an Bord des Flaggschiffes ein anderes Mitglied der FAMILIE sich auf ähnliche Art und Weise vor Zorn fast die Seele aus dem Leib brüllte.
* Die Adjutanten duckten sich unter dem verbalen Ansturm ihres Oberbefehlshabers. Niemand wagte zu widersprechen. Niemand wagte auch nur zu atmen. Jeder der Anwesenden wusste, dass ein falsches Wort ausreichte, das eigene Todesurteil zu unterzeichnen. Selten hatten sie Sigam Agelon so in Rage gesehen. »Ein Kreuzer der Arca-Klasse und ein Geschwader Diskusschiffe, nutzlos gegen einen Wald?« Der Oberbefehlshaber der orathonischen Flotte stand vor seinem Kommandositz, die Hände zu Fäusten geballt und in die Hüften gestemmt und funkelte seine Untergebenen an. Jeder der umstehenden Stabsoffiziere und Berater hätte später schwören können, tatsächlich Blitze aus den Augen Agelons sprühen zu sehen, auch wenn dies unmöglich war. Das Gesicht des Kommandanten hatte eine ungesunde Färbung angenommen – für orathonische Verhältnisse. Die Adern traten vor Aufregung dick an seinem Hals hervor. »Was bereitet uns dort Probleme?« Niemand antwortete. Agelons Ungeduld steigerte sich ins Unermessliche. Er brauchte ein Ablassventil, sonst glaubte er, platzen zu müssen. Ohne Vorwarnung trat er vor, entriss einem der Adjutanten die Handfeuerwaffe aus dem Holster, legte auf einen anderen an und drückte ab. Erschrocken fuhren die Offiziere zusammen und stöhnten auf, als sie einen der ihren zu Boden gehen sahen. In seiner Brust schwelte ein fingerdickes Loch. »Es ist so einfach. Ein Schuss und tot. Soll ich es noch einmal demonstrieren?« Die Anwesenden wichen entsetzt zurück und hoben abwehrend die Hände. In ihren Augen stand nackte Angst. Sie wussten, dass Agelon nicht lange fackelte. »Herr«, brachte ein Admiral zögernd vor. »Die Energien unserer Geschütze wurden von einem nicht messbaren Schutzfeld absorbiert und reflektiert. Ganz gleich, mit welcher Feuerleistung unsere Schiffe angegriffen haben.« Sigam Agelon entspannte sich etwas und hockte sich in den Kommandosessel. Er war es leid, sich auch noch um dieses Problem kümmern zu müssen. Waren all seine Untergebenen unfähig, seine Befehle umzusetzen? Er hatte genug mit Rex Corda zu schaffen und musste planmäßig sämtliche Rohstoffreserven des
Planeten zur orbitalen Flotte hinaufschaffen, um für die sicherlich bald zuschlagenden Laktonen ein unüberwindliches Hindernis darzustellen. Er konnte sich nicht mit jeder Kleinigkeit befassen, dafür war seine Zeit zu kostbar. Gerade als er den Gedanken selbst aussprechen wollte, machte einer der anderen eine ähnliche Bemerkung. »Bodenangriff.« Agelon runzelte die Stirn. »Natürlich. Schicken Sie unsere Elitetruppen. Und fangen Sie erst gar nicht mit halben Sachen an. Keine Spähtrupps, keine Vorhut, gehen Sie gleich voll rein.« »Ein ganzer Trupp?« vergewisserte sich der Offizier, der die Bodenoffensive vorgeschlagen hatte. »Eine Kompanie Whims und Bronzeroboter! Machen Sie den Wald dem Erdboden gleich. Ich erwarte eine Vollzugsmeldung innerhalb der nächsten drei Stunden – und kommen Sie nicht auf die Idee, mir was anderes als einen Erfolgsbericht abzuliefern!« Erneut fuhren die Anwesenden zusammen. Sigam Agelon genoss für einen Moment die Angst, die er in den Augen seiner Untergebenen lag, doch dann wanderten seine Gedanken bereits wieder zu Rex Corda. »Wegtreten!« befahl er, als er nach einer Weile merkte, dass seine Berater immer noch den Kommandosessel umlagerten. Auf sein Wort hin stoben sie so schnell in alle Richtungen davon, als hätten sie es plötzlich furchtbar eilig, aus Agelons Nähe zu verschwinden. Ein Wald, dachte Agelon und schüttelte dabei den Kopf. Wir lassen uns nicht von einem Wald verspotten. * Der Himmel hatte sich beruhigt. Keine heftigen Blitze mehr, die an den Stämmen der Bäume entlang züngelten, keine Beben von Schockwellen. Gomar Hencip traute dem Frieden zwar nicht ganz, allerdings sah es so aus, als hätten die Orathonen das Feuer vorerst eingestellt. Er blickte zu den gefangenen Feinden hinüber, deren Gesichtsausdruck sich von bloßer Euphorie zu absoluter Niedergeschlagenheit gewandelt hatte. Sie pressten ihre Köpfe so dicht an die Bambusgitter, als könnten sie sich hindurchzwängen.
Hencip lächelte und drehte sich zu Gon-Rendo um. »Ich schätze, das ist in die Hose gegangen.« Der Kynother klatschte vergnügt in die Hände. »Es ist schon viel Wert, jetzt in ihre dummen Gesichter zu sehen. Allerdings fürchte ich, wird es noch nicht vorbei sein.« Hencip nickte. »Das ist wohl wahr. Wir sind in den Trichter gekommen, die Orathonen auch. Sie werden eine Bodenoffensive vorbereiten. Wir sollten das vielleicht mal der netten Königin sagen.« »Ich habe eher das Gefühl, sie weiß das schon.« Der Kynother deutete auf die Menschenmenge, die sich hinten bei der Lichtung gebildet hatte. Saya und ihre beiden Leibwächter schritten voran, der Pulk ihrer Untergebenen folgte. Der Zorn stand allen ins Gesicht geschrieben. Hencip hoffte, dass er sich nicht gegen alles Fremde, sondern ausschließlich gegen die Orathonen richtete. Saya blieb vor dem Käfig der Gefiederten stehen. Ohne dass auch nur irgendjemand einen Finger rührte, prallte etwas Unsichtbares an Demon Adilons Brust und schleuderte ihn gegen die Rückseite seiner Zelle. Sein Waffenoffizier folgte nur eine Sekunde darauf. Der Aufprall war so hart, dass die Bambusstäbe ächzten und knackten. Plötzlich fuhr Saya herum. Ihr Blick loderte. Neben Hencip krümmte sich Gon-Rendo vor Schmerz auf der Pritsche, presste seine Hände gegen die Schläfen und schrie. Hencip überraschte sich selbst dabei, dass er für den Kynother Partei ergriff. Er trat an die Gitterstäbe heran: »Lass ihn! Er war es nicht. Es war ihr Volk!« Hencip deutete auf die beiden Grünhäutigen, doch Saya hörte entweder gar nicht zu oder es interessierte sie überhaupt nicht. Plötzlich spürte er einen martialischen Druck in der Körpermitte, der ihn förmlich zerreißen wollte. Hencip schrie auf und wurde durch die Luft gewirbelt wie die Orathonen zuvor. Er schlug hart gegen die Bambusrohre an der rückwärtigen Zellenwand. Der Aufprall trieb ihm die Luft aus den Lungen und raubte ihm die Sinne. Statt zu Boden zu gleiten hielt ihn eine unsichtbare Kraft an den Bambusstäben gefesselt, drückte ihn fest dagegen. Der Schmerz wurde unerträglich, und er glaubte, dass Saya ihn ohne zu zögern getötet hätte, wäre sie nicht in diesem Moment abgelenkt worden. Hencip gewahrte aus den Augenwinkeln, wie
ein Bote sich den Weg durch die Menge der Umstehenden bahnte und sofort Sayas Aufmerksamkeit erlangte. Offenbar las sie ständig die Gedanken ihrer Untertanen und wusste bereits, mit welcher Nachricht er zu ihr kam. Der Druck auf Hencip ließ nach. Er rutschte mit dem Rücken an den Bambussäulen herunter. Neben sich sah er Gon-Rendo, der wie leblos auf der Pritsche lag. Leblos, dachte der Agent Laktons, und ihn beschlich ein eigenartiger Gedanke. Der Bote gestikulierte wie wild, deutete immer wieder in den Wald hinaus. Hencip sah, dass Anyim Pius bleicher wurde. Thorgols Miene verfinsterte sich. Irgendetwas Schlimmes musste vorgefallen sein, doch Hencip vermochte beim Willen nichts aus den Worten herauszuhören. Er konnte sich nur einen Reim auf die strategische Vorgehensweise der Orathonen machen: Das Bombardement war fehlgeschlagen. Wenn das Interesse der Gefiederten am Trichter nicht spurlos verschwunden war, würden sie als nächstes eine Bodenoffensive einleiten. Saya sprach laut zu ihren Untergebenen, dennoch erreichten Hencip nur Wortfetzen, als blockiere etwas den Schall. Kurz darauf stoben die Anwesenden wie wild auseinander. Eine größere Gruppe rannte in die Richtung des Thronbereichs. Andere kehrten mit eilig aufgesammelten Habseligkeiten wieder zurück und schlugen denselben Weg ein. Während um sie herum eine Hektik ausbrach, die mit der beim Bombardement vergleichbar war, stand Saya ungerührt da und hielt die Augen geschlossen. Vermutlich koordinierte sie telepathisch den Rückzug oder die Evakuierung. Umringt wurde sie von Thorgol und Anyim Pius, die jeden finster anstarrten, der sich ihrer Königin auf drei Schritte näherte. Hencip beugte sich zum Kynother hinunter und fühlte seinen Puls. Gon-Rendo war tot. Diesmal endgültig. Der Agent Laktons wandte sich ab und fuhr erschrocken zusammen, als er sich unvermittelt der Königin gegenüber sah. Sie stand direkt vor den Bambusgittern und blickte ihn an. »Du kennst die Grünen«, sagte Saya tonlos. »Wirst du uns helfen?« Die Kaltschnäuzigkeit in den Worten der Königin überraschte Hencip und hätte einem Orathonen zur Ehre gereicht. Er sah über die Schulter zurück zu Gon-Rendos Leichnam.
»Er ist tot«, sagte er. Saya ignorierte ihn und wiederholte ihre Frage. »Wirst du uns helfen?« Gomars Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Er reckte herausfordernd das Kinn vor und fragte sich für einen Moment, was sie tun würde, wenn er nein sagte. Er konnte sich die Antwort ausmalen. Ein Bote rannte quer über die Lichtung und blieb atemlos neben Thorgol stehen. »Meine Königin, die Grünen haben Bodentruppen abgesetzt. Sie dringen von Norden und Westen ins Zentrum des Trichters vor.« Sayas Augen weiteten sich. »Das Netzwerk… ich habe keine Verbindung mehr zu den Bereichen.« »Sie brennen alles nieder«, berichtete der Mann. »Ihre Waffen versengen den Wald, machen vor nichts Halt.« Sayas Kopf ruckte herum. Wirst du uns helfen? Ihre mentale Stimme dröhnte mit einer Gewalt in Hencips Kopf wider, die ihn sich zusammenkrümmen ließ. Unter Schmerzen sah er der Königin in die Augen und nickte. »Ja, beim Schento, ja verdammt, ich helfe euch.« Der Druck in seinem Kopf ließ nach. Saya bedeutete ihren Wächtern, die Türen zu öffnen. Hencip atmete tief durch, richtete sich zu seiner vollen Körperhöhe auf und warf den gefangenen Orathonen einen trotzigen Blick zu. Als er an Saya vorbei ging, spürte er ihre Hand auf der Schulter. Es tut mir Leid, was mit deinem Freund geschehen ist. Ich hatte mich nicht unter Kontrolle. Hencip vermied es, noch einmal in Gon-Rendos Richtung zu blicken. Er war selbst erstaunt, wie nah ihm der Tod des Kynothers ging. Die Laktonen betrachteten das sprachgewandte Volk eher als nützliche Helfer mit denen man aber keine Freundschaften schloss. »Wir müssen uns beeilen«, sagte Anyim Pius und deutete in Richtung der Thronlichtung. Der Bote ging voran, Thorgol folgte ihm. Hencip lief ihnen hinterher. »Was ist mit uns?« Die beiden Orathonen rüttelten an ihren Gefängnistüren. Bei all den Explosionen und Erschütterungen um sie herum, mussten sich einige Taue gelöst haben, denn plötzlich gab die Tür des Käfigs nach und schwang auf. Adilon wirkte überrascht und zögerte, doch Haktar nutzte seine Chance und stürmte
los. Der Angriff kam überraschend, dennoch reagierte Anyim Pius mit unglaublicher Schnelligkeit und stellte sich dem Gefiederten entgegen. Er war zu langsam. Haktar überrannte ihn einfach und versetzte ihm einen Hieb gegen die Kehle. Wie ein gefällter Baum schlug Pius auf dem Boden auf. Haktar stürzte sich auf Saya, ehe die Königin überhaupt wusste, wie ihr geschah. Vermutlich wäre es ihm sogar gelungen, sie zu packen und ihr das Genick zu brechen, doch er hatte die Rechnung nicht ohne den Agenten von Lakton gemacht. Mit einem Satz war Hencip bei ihm und fegte ihn von den Füßen. Der Orathone landete auf dem Rücken, Hencip sprang auf ihn, spürte jedoch plötzlich die Stiefelsohle des anderen in seiner Leiste und kurz darauf das unangenehme Gefühl des Fallens. Haktar hievte Gomar Hencip über sich hinweg. Er flog zwei, drei Meter durch die Luft, rollte sich dann ein und über die Schulter ab. Den Schwung ausnutzend kam er wieder auf die Beine und wirbelte herum. Haktar stand ebenfalls wieder. Thorgol kümmerte sich um den verletzten Anyim Pius, hob ihn hoch und wuchtete ihn sich über die Schulter. Er winkte Saya zu, doch die Königin starrte die beiden Kontrahenten in ihrer unmittelbaren Umgebung an. Plötzlich zuckte Haktar und griff sich mit beiden Händen an die Schläfen. Saya griff ihn auf telepathischem Wege an. Hencip sprang vor, hieb dem Gefiederten die Faust in die Brust, setzte mit dem Ellbogen nach und fegte ihn ihm quer durch das Gesicht. Der Orathone stöhnte auf und fiel. Auf dem Boden wand er sich vor Schmerzen, zappelte wie wild als könne er den bösen Geist, der sich in seinem Hirn eingenistet hatte, dadurch loswerden. Gomar Hencip beugte sich über ihn, packte ihn am Uniformkragen und stellte ihn wieder auf die Beine. Für eine Sekunde. Er griff ihm mit einer Hand unters Kinn, mit der anderen an den Hinterkopf und machte eine ruckartige Bewegung. Das Genick brach mit einem Knacken, und Haktar sackte in sich zusammen. Hencip drehte sich um, doch Demon Adilon war fort. Kommen Sie, hörte der Agent Laktons die mentale Stimme der Königin in seinem Kopf. Sie ließen die Leichen des Kynothers und des Orathonen achtlos zurück und verließen den Zellenbereich. Ein schmaler Trampelpfad führte zurück zur Lichtung mit Sayas Unterkunft und ihrem Thron.
»Wir müssen uns beeilen!« rief jemand. »Sie sind bereits auf dem Weg hierher.« Schrecken zeichnete sich in Sayas Gesicht ab. Vermutlich hatte sie über all die Jahre, die sie nun schon herrschte, nie etwas kennen gelernt, das der Welt im Trichter wirklich schaden konnte. Die mutierten Pflanzen waren ihre Beschützer gewesen. Sie hatten es gar geschafft, einem direkten Bombardement standzuhalten. Doch nun fiel der Feind in Scharen ein und zerstörte diese kleine, abgeschottete Welt von innen heraus. Gomar Hencip stellte sich vor, wie ganze Kompanien von Whims und Bronzerobotern am Waldrand aus Diskusraumern ausgeschleust wurden und ins Unterholz eindrangen. Sie würden auf heftigen Widerstand aus der Pflanzenwelt stoßen, doch letztendlich würden ihre überlegenen Waffen siegen und eine Bresche in die Flora brennen, die bis zum Herzen des Trichters führte. Saya bedeutete dem Agenten, ihr zur folgen. Aus allen Richtungen strömten Mutanten herbei und schlossen sich dem Tross an, auch wenn Hencip bezweifelte, dass Evakuierungsmaßnahmen einen Sinn machten. Wohin sollten sich die Bewohner des Trichters wenden? Wohin fliehen? Es gab kein Entkommen vor den Orathonen. Inzwischen war Anyim Pius wieder zu sich gekommen und half Thorgol mit, eine geordnete Reihe in die Flüchtlinge zu bekommen. Saya ging voran, dicht hinter ihr folgte Hencip mit den beiden Leibwächtern. Sie schlugen sich durchs Dickicht neben dem Flechtwerk des Thrones und fanden nach knapp einem Dutzend Schritten einen Weg, der aus dem Nichts begann. Gewaltige Farnwedel bildeten ein Dach über dem Pfad und sparten damit so viel Licht aus, dass man gerade zwei oder drei Meter weit sehen konnte. Saya blieb vor dem Eingang stehen und schloss die Augen. Auf ihrer Stirn entstand eine steile Falte der Konzentration. Nur einen Augenblick darauf glommen auf der Innenseite der Farnwedel feine Muster auf, die genug Licht spendeten, um den Weg zu erkennen. »Mir nach!« rief Anyim Pius und ging voran. Saya wartete zusammen mit Thorgol. Auch Hencip ließ die Flüchtlinge vorbei. Obwohl sie sich beeilten, schien der Strom der Mutanten schier endlos zu sein. Aus dem Unterholz kamen immer mehr Männer und Frauen und tauchten in dem natürlich geschaffenen Pflanzen-
tunnel ein. Als endlich der letzte aus Sayas Gefolge den Weg betreten hatte, machte die Königin eine unbestimmbare Handbewegung. Gebrochene Zweige, platt getretenes Moos und Gras wuchsen wieder zusammen, richteten sich auf, als wäre nie ein Mensch darüber gelaufen. »Netter Trick«, kommentierte Hencip. »Aber das wird sie nicht ewig aufhalten. Wenn die Orathonen erst einmal genug Pflanzen niedergebrannt haben und das mutierte Netzwerk kollabiert, werden ihre Instrumente und Geräte wieder funktionieren.« Saya nickte. »Ich weiß. Wir brauchen nur etwas Zeit, um die Zuflucht zu erreichen.« »Die Zuflucht?« Hencip runzelte die Stirn. »Kommen Sie.« Zu dritt betraten sie den durch die Farne geschaffenen Korridor. Hencip sah, wie die Lichter hinter ihm verblassten. Als der Weg einen Knick nach links machte, wurde es in Richtung Eingang schlagartig finster. Nur den Weg vor ihnen beleuchteten die Pflanzen weiter. Sie brauchten etwa hundert Meter und drei weitere Biegungen, um zu den restlichen Flüchtlingen aufzuschließen. Saya drängte sich zusammen mit Hencip und Thorgol an ihren Untertanen vorbei bis zur Spitze des Trosses. Anyim Pius atmete erleichtert auf, als er die Königin sah. »Wohin führt dieser Tunnel?« fragte Hencip. »Zum Ursprung«, antwortete Saya knapp. Der Laktone runzelte die Stirn. Eher er weiter nachbohren konnte, gelangten sie an ihr Ziel an. Der Farntunnel endete vor einer künstlichen Erhebung. Hencip trat an sie heran und erkannte einen kreisrunden Einstieg aus Beton, der in die Tiefe führte. Anyim Pius machte sich bereits an dem schweren Deckel zu schaffen und versuchte, ihn mit einer Art Brechstange aufzustemmen. Doch erst als drei weitere Männer ihm zur Hand gingen, schafften sie es gemeinsam. »Der Ursprung, ja?« Saya nickte. »Irgendwo dort unten befindet sich der tiefste Punkt des Trichters.« Gomar Hencip beugte sich über den Rand des Einstiegs und spähte in die Tiefe. Doch er sah nur Schwärze. »Und diesen Eingang haben Sie gebaut?« »Nein. Er war schon vorher hier, aus der Zeit vor dem großen
Krieg. Wir fanden ihn vor ein paar Jahren.« »Waren Sie schon dort unten?« fragte Hencip. An Sayas Stelle antwortete Thorgol auf telepathischem Wege. Ich habe die Anlage zweimal betreten. Sie eignet sich als Zufluchtsort. Der Hüne mit dem überdimensionierten Schädel ging mit gutem Beispiel voran und kletterte über den Rand des Einstiegs. Er warf Saya einen letzten Blick zu. Dann verschwand er in der Tiefe. Gomar Hencip blickte ihm hinterher. Der Mutant hatte sich eine Art Ranke um den Hals geschlungen, deren Blätter im Dunkeln leuchteten. Nahezu alles, was sich die Bewohner des Trichters nutzbar gemacht hatten, stammte aus der üppigen Pflanzenwelt. Der Lichtschimmer der Ranke verlor sich in der Tiefe. Als nur noch ein schwaches Funkeln zu erkennen war, meldete sich Thorgols mentale Stimme in den Köpfen Hencips und Sayas. Ich bin unten und aktiviere das System. Das System? dachte Hencip. »Nein!« Zu spät. Tief unten flammte Licht auf. »Sie werden uns orten können«, sagte der Laktone zu Saya. Wenn wir die Energie nicht aktivieren, werden wir hier unten ersticken, erklangen Thorgols Worte in Hencips Gedanken. »Gehen Sie vor«, bat Saya. »Wir folgen nach. Sobald Sie unten sind, sollten Sie sich umsehen, ob wir irgendetwas von dem, was wir vorfinden, zu unserer Verteidigung einsetzen können.« Gomar Hencip hätte beinahe aufgelacht. Sie wollten sich verteidigen? Gegen die Orathonen? Die beste Chance dazu hatten sie mit ihren Psi-Kräften, doch jetzt, nachdem Whims und Bronzeroboter damit begannen, den mutierten Wald zu verbrennen, nutzte ihnen auch das nicht mehr viel. Sich dort unten zu verstecken, kam dem Versuch gleich, sich lebendig ins eigene Grab zu legen. Saya blickte ihn mit funkelnden Augen an. Sie hatte seine Gedanken verfolgt und mahnte ihn stumm, sich nicht laut zu äußern. Gehen Sie… bitte. Für ein paar Sekunden blickte Hencip die Königin an, dann nickte er schließlich, nahm von Anyim Pius eine der Leuchtranken entgegen und kletterte über die Betonerhebung. Vermutlich hatte Saya die Ausweglosigkeit ihrer Situation längst selbst erkannt, wollte dies vor ihrem Volk jedoch nicht zugeben. Sie ließ ihre Leute in dem Glauben, dass sie das Bestmögliche für sie tat und nicht aufgab.
Hencips Füße berührten die Sprosse einer Leiter. Unter seinem Gewicht ächzte das Metall, doch es hielt. Er hielt sich an den Seitenrohren der Leiter fest und begann mit dem Abstieg. Die schwache Lumineszenz der Blätter tauchte den Schacht in ein gespenstisches Grün. Hencip sah raue Wände mit vielen Rissen. Moos wucherte darin. Hier und dort huschte ein Insekt aus einem Loch. Der Schacht schien sehr alt zu sein, vielleicht dreißig Planetenumläufe, und genauso lange war er wohl bereits verlassen. Aus den Messungen beim Landeanflug wussten die Laktonen, dass die Stadt, die sich am Rand des Trichters in den Himmel erhob, einmal viel größer gewesen sein musste. Wenn es aber so weit unten einen Einstieg zu einem unterirdischen Komplex gab, musste dieser mehrere Kilometer unter der Erde liegen. Damals tief und mitten unter der Stadt, vermutlich ohne dass ihre Bewohner davon wussten. Sie haben Recht, teilte ihm Saya auf geistigem Wege mit. Nach dem, was ich in Thorgols Gedanken sehe, muss sich hier unten eine geheime Basis befunden haben, die vom Angriff der Bombe verschont wurde. Hencip erreichte die unterste Sprosse und setzte seinen Fuß auf den Boden. Die Ranke nahm er ab. Dank der durch Thorgol aktivierten Systeme, herrschte im Gang helle Beleuchtung, die von Neonröhren herrührte. Der Laktone fragte sich, woher die Energie dafür kam. Vermutlich befanden sich in noch tieferen Regionen alte Generatoren. Der Agent machte Platz für die nachrückenden Flüchtlinge und sah sich den Gang, in den der Schacht mündete, genauer an. Er lag mit seiner Vermutung, dass die unterirdische Anlage erst hier begann, falsch. Über ihnen und auch über dem Zugang mussten sich vor dem Einschlag der Bombe noch unzählige Etagen befunden haben, die bei der gewaltigen nuklearen Explosion einfach fortgewischt wurden, so wie der Rest der Stadt. Diese Ebene schien die erste zu sein, die noch einigermaßen intakt war. Doch auch hier hatte der Zahn der Zeit bereits genagt. Jahrzehnte der Inaktivität und die feinen Risse in den Wänden, hatten dafür gesorgt, dass sich kleinste Sporen hierher verirrten. An den Wänden wucherten Schimmel und Moosarten, die in absoluter Finsternis existieren konnten. Hoffentlich entpuppen die sich nicht als mutierter Killerschimmel, dachte Hencip. Er schloss zu Thorgol auf, der sich am ande-
ren Ende des Ganges an einem Schott zu schaffen machte. Dem einzigen, wie Hencip feststellte. Es klemmt, signalisierte der Hüne mit dem überdimensionierten Schädel. Hencip schob ihn beiseite und sah sich den Schließmechanismus an. Neben dem Tor befand sich eine Schalttafel, am Schott selbst ein Handrad. »Es klemmt nicht«, sagte der Laktone. »Es ist versiegelt worden. Wir müssen den richtigen Code eingeben, um es zu öffnen. Aber ich bezweifle, dass nach all der Zeit überhaupt noch etwas funktioniert.« »Können Sie es überbrücken?« fragte Saya, die inzwischen an ihn und ihren Leibwächter herangetreten war. Hencip drehte sich zu ihr um. »Ich brauche meine Waffen und Geräte.« Eine Zeit lang sah ihn die Königin des Trichters forschend an, dann nickte sie Anyim Pius zu, der einen der Mutanten zu sich winkte. Er trug einen geflochtenen Rucksack über der Schulter und hielt ihn dem Laktonen hin. Hencip ergriff ihn, stellte ihn vor seine Füße und öffnete ihn. Sein Magnet-Smash sowie einige Geräte aus seiner Agentenausrüstung befanden sich darin. Die meisten Dinge befanden sich an einem Instrumentengürtel, den Hencip sich um die Hüfte schnallte. Die Waffe schob er in den Holster. Dann nahm er ein handtellergroßes Gerät an sich und wandte sich der Schalttafel zu. Als er das Gerät einschaltete, atmete er auf. Es funktionierte. Die Strahlung war hier unten im Tunnel deutlich geringer als oben an der Trichteroberfläche. Der laktonische Scanner sondierte die Tafel und erkannte das Schließmuster. Ein vierstelliger Code aus 10 möglichen Ziffern, bei knapp zehntausend Kombinationsmöglichkeiten – ein Schuss ins Blaue, wenn man einfach herumprobierte, doch kein Problem für laktonische Technologie. Hencip wählte zwei Scanmethoden. Die eine basierte auf einer Analyse der oft gedrückten Tasten, die sich entsprechend mehr abgenutzt hatten, als die unberührten. Die zweite nahm direkten Kontakt zu den Mikroprozessoren im Innern der Schalttafel auf, um ihnen den Code zu entlocken. In weniger als fünf Sekunden zeigte das Display des Scanners vier Ziffern an. Die Fingerdruckmethode konnte jedoch nicht die Reihenfolge erkennen, das erledigte die Code-Übereinstimmung
aus der Tafel selbst. Hencip grinste zufrieden und drückte die Tastenkombination. Aus den Tiefen erschallte ein dumpfes Grollen. Irgendetwas Altes war soeben zum Leben erwacht. Das Handrad ächzte im Gelenk und drehte sich langsam um die Nabe in seinem Zentrum. Dann plötzlich geriet es in Schwung und rotierte mit der Geschwindigkeit eines Propellers, bis es abrupt zum Stillstand kam. Das Schott schwang in Richtung Tunnel auf. Aus dem angrenzenden Raum begleitete ein leises Stöhnen einen kühlen, moderigen Luftzug. Gebannt blickten die Mutanten durch die Tür. Die Nervosität stand allen ins Gesicht geschrieben, denn anscheinend wusste niemand, was sie hinter dem Schott erwartete. Auch Thorgol nicht. »Ich dachte, Sie waren schon mal hier unten«, sagte Hencip. Der Wasserkopf ruckte herum. In Thorgols Augen stand Furcht. Furcht vor dem Unbekannten. Ich habe die Tür nie aufbekommen, gestand der Leibwächter. Hencip seufzte und streckte dann die Hand in Richtung Tür aus. Auffordernd blickte er Saya an. »Ladies first… so sagt man doch auf Ihrer Welt, oder?« * Er träumte von grünen Wäldern, in denen man sich hoffnungslos verlaufen konnte. Von weichem Moos, das der Belastung eines orathonischen Körpers nicht standhielt und meterweit durchsackte. Von meterhohen Farnen und Schlingpflanzen, die aus dem wuchernden Grün schossen, ihn umrankten und ihm das Leben aus dem Leib pressten. Als Demon Adilon die Augen aufschlug musste er erkennen, dass seine Albträume zur Realität geworden waren. Er befand sich in dem Wald. Alles geschah wirklich! Der Wald war sein Feind. Adilon drehte sich auf die Seite und stellte fest, dass er auf dem Boden lag, inmitten moosiger Polster. Er konnte sich nicht daran erinnern, wie er hergekommen war. Alles, was er noch wusste, war wie sich Haktar auf den Laktonen stürzte und starb. Adilon hatte die Ablenkung zur Flucht genutzt. Er war sicher, dass sein
Waffenoffizier es nicht anders gewollt hätte und absichtlich sein Leben für seines geopfert hatte. Schließlich bin ich ein Mitglied der FAMILIE! Adilon kam auf die Knie. Seine Glieder schmerzten als wäre er von einem Klaashtor überrannt worden. Ihm dröhnte der Kopf, und wenn er ihn zu schnell bewegte, überwältigte ihn ein Schwindelgefühl, das ihn fast wieder in die Bewusstlosigkeit riss. Der Gefiederte hörte das feine Klacken. Es schien aus allen Richtungen zugleich zu kommen. Der Gedanke, dass ihm nach geglückter Flucht nun die Mutanten oder irgendwelche mutierten Schlingpflanzen den Garaus bereiteten, schnürte ihm die Kehle zu. Von Panik ergriffen stand er auf. Zu schnell, denn der plötzliche Schwindel, der ihn erfasste ließ ihn gleich wieder zu Boden gehen. Er taumelte zwei Schritte, verlor das Gleichgewicht und schlug der Länge nach hin. Sein Gesicht schrammte an einem dornigen Busch entlang. Blutige Striemen zogen sich über seine Haut. Das Klacken kam näher. Adilon biss die Zähne fest aufeinander und atmete tief durch. Er musste Schwindel und Übelkeit abschütteln, wenn er wirklich entkommen wollte. Seine Flucht war bisher nicht den Einsatz wert, den er mit dem Verlust Haktars bezahlt hatte. Ich muss weiter. Raus hier. Raus aus dem verfluchten Trichter! Erneut stemmte er sich hoch, bis er auf den Knien hockte. Er konzentrierte sich auf seine Atmung, sog langsam die Luft ein, hielt sie für zehn Sekunden an und atmete dann genauso langsam aus, wie er zuvor eingeatmet hatte. Adilon bewegte den Kopf nach links, dann nach rechts. Als er sicher war, nicht gleich wieder zur Seite wegzukippen, richtete er sich langsam auf. Es gelang ihm, dennoch wurde ihm wieder schwindelig. Diesmal hielt er sich auf den Beinen. Das Klacken wurde unerträglich laut. Demon Adilon spürte Furcht in sich heranwachsen. Seine Knie zitterten, das Blut rauschte in seinen Ohren. Gehetzt blickte er sich um, doch außer dem Grün um sich herum konnte er nichts sehen. Für einen Augenblick dachte er, er bilde sich die Geräusche nur ein, doch dann waren sie da. Aus Schrecken wurde Erleichterung! Adilon wurde von einem Trupp Whims umringt. Die mannshohen, grillenähnlichen Wesen erzeugten mit ihren Chitingliedma-
ßen das klackende Geräusch. Als sie ihn entdeckten, präsentierten sie ihre schweren Gewehre und gingen in eine Hab-AchtStellung. Eine der grünen Riesengrillen kam auf Adilon zu und verneigte sich vor ihm. »Herr, wir sind froh Sie gesund zu finden. Sigam Agelon wird außerordentlich erfreut sein, dass Sie noch leben.« Adilon runzelte die Stirn. »Agelon? Warum, was ist mit ihm?« »Er hat den Angriff auf den Trichter befohlen, um Sie zu suchen und zu befreien.« Der Orathone stutzte. Sollte er sich nun geehrt fühlen, dass Kommandant Agelon sich die Mühe machte, ihn zu suchen? Oder wurde ihm der Absturz des Diskusraumers zur Last gelegt und er musste sich vor Agelon verantworten? Sei kein Narr und denk zur Abwechslung mal positiv. Sigam Agelon ist ebenso ein Mitglied der FAMILIE wie du. Er sorgt nur dafür, dass Seinesgleichen gerettet werden. »Er hat die Bodenoffensive befohlen?« »Ja, Herr. Unsere Truppen sind von drei Seiten in den Trichter eingefallen und…« Weiter kam der Whim nicht. Im nächsten Augenblick gab der Moosboden unter ihren Füßen einfach nach, als hätte er nur auf eine Chance gewartet. Die Hälfte der umstehenden Whims stürzte in einen Schlund, den es vorher schlicht nicht gegeben hatte. Adilon und einige der Grillen sprangen rasch aus der Gefahrenzone. Zwei Whims schafften es nicht, hielten sich am Rand des plötzlich entstandenen Lochs im Boden fest, fanden jedoch nicht den nötigen Halt, sich hochzuziehen. Sie rutschten ab und fielen in die Tiefe. »Mir nach!« rief Adilon und schlug einen Weg ein, der sie vom tückischen Moos wegführte. Der Anführer des Whim-Kommandos setzte zum Widerspruch an, erinnerte sich jedoch rechtzeitig, wen er vor sich hatte und entschied, dass es besser war, die Befehle eines orathonischen Kommandanten zu befolgen, statt sie anzuzweifeln. Drei weitere der Grillen fielen dem Moos zum Opfer. An unerwarteten Stellen taten sich plötzlich gähnende Schlünde auf, die die übergroßen Insekten verschlangen. Adilon hetzte, als sei ein ganzes Geschwader Arca-Kreuzer hinter ihm her. Er wich tief hängenden Ästen aus, sprang über knorrige Wurzeln und kletterte über einen umgefallenen Baumstamm. Als ihm die Luft ausging und die Lungen brannten, lief er langsam
aus und blieb schwer atmend stehen. Er hoffte, dass der Wald nicht gerade jetzt die Gunst der Stunde nutzte und ihm den Gnadenstoß versetzte. Der Orathone wandte sich um. Von dem Trupp Whims, der gut und gerne aus dreißig Fußsoldaten bestanden hatte, waren nur noch zwei übrig geblieben. Die unglaublichen Kräfte und die Ausdauer der insektoiden Kreaturen hatten ebenfalls ihre Grenzen erreicht. Ihre Tracheen öffneten und schlossen sich schneller, als Adilon es verfolgen konnte. Die beiden Grillen würden die nächsten Minuten keinen Meter mehr gehen oder auf der Stelle tot umfallen. Sie brauchten eine Pause, genauso wie er selbst. Demon Adilon ließ sich zu Boden fallen. Die Erschöpfung war so groß, dass es ihm gleichgültig war, ob hier nun neue Gefahren lauerten oder er sich zumindest für den Moment in Sicherheit wiegen konnte. »Wir ruhen uns kurz aus«, entschied er. »Herr«, sagte der Anführer der Whims. Seine Stimme klang wie ein Rasseln. Offenbar wendete er seine gesamte noch verbliebene Kraft für seine Worte auf, denn Adilon sah, wie er gefährlich hin und her wankte. »Wir haben keine Zeit. Wir müssen zum Kraterrand und Sie in Sicherheit bringen.« Der Orathone winkte ermattet ab. Er lag auf dem Rücken im Gras, Arme und Füße weit von sich gestreckt. Seine Augenlider flatterten. Auch wenn er gerade erst aus tiefer Bewusstlosigkeit erwacht war, glaubte er, jede Sekunde in einen Erholungsschlaf zu fallen. Nicht einschlafen, ermahnte er sich. Wach bleiben! Als Adilon die Augen öffnete, wusste er, dass alles gute Zureden nicht geholfen hatte und er doch eingeschlafen war. Blinzelnd richtete er sich auf. Einer der beiden Whims war tot. * Der Bereich hinter der Schleuse war zunächst dunkel. Offenbar hatte Thorgol nur das Licht in dem Tunnel eingeschaltet, nicht in der gesamten Basis – sofern die Beleuchtung im restlichen Komplex überhaupt intakt war. Hencip zog den MAS und ging voran. Kaum, dass er die Schwel-
le überschritten hatte, flammten die Wände auf. Anders konnte der Laktone den Vorgang nicht beschreiben. Der angrenzende Gang wurde schlagartig hell ohne dass es eine sichtbare Lichtquelle gegeben hätte. Die Beleuchtung schien indirekt direkt aus den Seitenwänden zu kommen. Ähnliches hatte Hencip bereits gesehen, jedoch nicht hier. Nicht auf dieser Welt. Der Korridor hinter dem Zugang unterschied sich nicht nur in seinen Beleuchtungsverhältnissen von dem vorherigen. Der Boden war seltsam weich. Jeder Schritt federte nach und beim Auftreten wurden kaum Geräusche verursacht. »Was ist das?« fragte Saya hinter Hencip. Er sah, wie sie eine Hand ausstreckte und die Wand neben sich berührte. Ihre Finger strichen sanft über das Material. »Es fühlt sich seltsam an.« Hencip runzelte die Stirn. Irgendetwas stimmte nicht, das fühlte er instinktiv, auch ohne Parakräfte zu besitzen. Er konzentrierte sich wieder auf den Gang. Dieser führte geradeaus zu einer weiteren Tür. Es gab weder Abzweigungen noch andere Eingänge. »Kommen Sie, weiter«, drängte der Laktone. »Wir wissen nicht, wie viel Zeit uns bleibt, bis die Gefiederten uns aufgespürt haben.« Thorgol warf ihm einen beschwörenden Blick zu. Nicht so laut in der Gegenwart der anderen. Aber denken darf ich es, oder ist das mittlerweile auch verboten? vergewisserte sich Gomar Hencip, nicht ohne eine Spur Ironie in den Worten. Thorgol blickte finster drein, doch Saya trat zwischen die beiden und schüttelte kaum merklich den Kopf. Thorgol schirmt Ihre und seine Gedanken vor den anderen Telepathen in unserer Gruppe ab. Wenn Sie denken, dann werden nur er und ich es hören. Na schön, dachte Hencip und fügte laut hinzu: »Was ist damals hier passiert?« Saya hob die Schultern, während sie dem Gang weiter bis zu seinem Ende folgten. »Ich war noch nicht geboren, als es passierte. Die Erde war schon immer eine Vielvölkerwelt. Es gab politische Spannungen, die Dinge eskalierten, irgendwer verlor die Nerven und drückte den roten Knopf.« »Nukleare Vergeltungsschläge«, vermutete Hencip. Saya nickte. »Der Krieg dauerte nicht lange, aber er hatte verheerende Auswirkungen. New York bekam einen direkten Treffer
ab. Die Halbinsel Manhattan hörte von einer Sekunde auf die andere auf zu existieren. Das Ergebnis nach zwanzig Jahren ist das, was Sie im Trichter gesehen haben.« Sie gelangten an der Tür an. Hencip blieb davor stehen, doch ehe er Anstalten machte, sie eingehender zu untersuchen, drehte er sich zu Saya und Thorgol um. Die anderen Mutanten hielten sich noch bei Anyium Pius im ersten Tunnel auf und warteten offensichtlich auf ein Zeichen ihrer Königin, ihr zu folgen. »Und die Strahlenbelastung soll dann innerhalb von nur zwanzig Planetenumläufen all die Mutationen hervorgerufen haben?« fragte der Agent Laktons skeptisch. »Die Menschen wissen, dass Gammastrahlen Zellen mutieren lassen können. Das Erbgut der hier lebenden Leute war verseucht. Missgeburten waren die Folge – doch viele körperliche Mängel wurden durch ein gesteigertes parapsychisches Potenzial wieder wettgemacht. Die Wissenschaftler sprechen davon, dass der Psi-Sektor des menschlichen Gehirns genetisch mutierte. Eine Entwicklung, für die die Evolution vielleicht Hunderte, wenn nicht Tausende von Jahren benötigt hätte, erfuhren wir in zwanzig Jahren am eigenen Leib.« Hencip blieb skeptisch. Alle raumfahrenden Völker waren teilweise harter Strahlung ausgesetzt, doch nirgendwo in der ihm bekannten Galaxis, hatte es Mutationen gegeben, deren Parapotenzial aufgrund höherer Strahlenbelastung aktiviert und weiter entwickelt wurde. Es musste auf der Erde Faktoren geben, die all das begünstigt hatten. Warum nur wurde er das ungute Gefühl nicht los, dass er die Antworten auf die genetische Veränderung hier unten in der geheimen Basis finden würde? Der Laktone wandte sich der Tür zu. Sein Blick suchte ein weiteres Eingabepaneel, doch es gab keines. Stattdessen schob sich das Schott ohne sein weiteres Zutun in die Fugen zurück und gab dahinter einen weiteren Korridor preis, der in demselben indirekten Licht schimmerte, wie der, in dem sie standen. Diesmal jedoch gab es Abzweigungen, Türen und Fenster. Keine drei Schritt von ihnen entfernt war eine große Scheibe in die Wand eingelassen worden, um den Blick in eine Art Labor zu gewähren. Hencip wartete nicht. Er betrat den Gang und spähte durch das Fenster, konnte jedoch auf der anderen Seite nichts erkennen, da es im Dunkel verborgen lag. Probehalber versuchte er die Tür neben der Scheibe zu öffnen, doch sie war verschlossen.
Saya winkte ihre Untertanen heran. Hencip schätzte, dass die Zahl der Evakuierten etwa drei Dutzend betrug. Sie alle tummelten sich in dem engen Gang und warteten. Weiter vorn gab es endlich Räume, die nicht verschlossen waren. Ihre Wände bestanden aus dem gleichen leuchtenden Material wie jene im Korridor. Sie fanden Gerätekammern, einen Aufenthaltsraum, Büros und Schlafstuben. Die Einrichtung wirkte auf Hencip seltsam vertraut. Er hatte all das schon einmal gesehen, erinnerte sich nur nicht daran, wo. »Wir sollten im Aufenthaltsraum warten«, entschied Saya und lotste ihre Leute in den großen Saal hinein, in dem mehrere Tische und Stühle standen. »Warten?« fragte Gomar Hencip. »Worauf?« Thorgol antwortete an Sayas Stelle. Die Königin wird sich sammeln und dann die Welle auslösen. Hencip zog die Brauen hoch und blickte verständnislos drein. Was soll das sein? Der Mutant blieb ihm eine Antwort schuldig, und auch Saya war nicht gewillt, die Gedanken Thorgols zu erklären. Sie suchte sich eine Ecke des Raumes, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und rutschte dann bis auf den Boden herunter. Warum sie auf einen der zahlreichen Stühle verzichtete, war Hencip schleierhaft. Saya zog die Knie zur Brust heran, schlang ihre Arme darum und schloss die Augen. Sich sammeln, dachte Hencip. Was hat er damit gemeint? Der Laktone machte eine wegwerfende Handbewegung und verließ den Aufenthaltsraum. Diesmal war er es, der Thorgols diesbezügliche Frage ignorierte. Er verspürte nicht die geringste Lust, darauf zu warten, bis die Whim-Truppen über ihnen die Flora ausgelöscht hatten und die orathonischen Sensoren wieder einwandfrei arbeiteten. Sie würden die Lebenszeichen der Flüchtlinge binnen Sekunden unter der Erde aufgespürt haben und ihre Truppen herunterschicken. Hencip glaubte nicht daran, dass er aus dem selbst geschaufelten Grab lebend herauskam, doch er wollte die Zeit bis zu seinem unvermeidlichen Ende nicht tatenlos herumsitzend verbringen. Vielleicht fand er irgendetwas innerhalb dieser alten Basis, das ihm weiterhelfen konnte – oder ihm zumindest verriet, wozu jemand den unterirdischen Stützpunkt errichtet hatte. Er verließ die Gruppe der Mutanten und erforschte weiter den
Korridor mit seinen anderen Räumen. Anfangs spielte er mit dem Gedanken, sich gewaltsamen Zutritt zu den verschlossenen Zimmern zu verschaffen, verwarf diesen jedoch rasch wieder. Feuerte er hier unten Energiewaffen ab, rief er damit die Orathonen nur umso schneller auf den Plan. Sie würden die Schocks womöglich anpeilen und problemlos ihre derzeitige Position orten können – wenn sie erst einmal den Wald im Trichter gerodet hatten, was allerdings nicht mehr allzu lange dauern konnte. Im hinteren Bereich des Ganges fand er eine Abzweigung und folgte ihr. Zu beiden Seiten führten Türen in weitere Räume. Die meisten waren unverschlossen, doch was er dahinter vorfand glich, dem, was sie bereits gesehen hatten: Nur weitere Büros, Lagerräume und Konferenzsäle. Der Korridor mündete in einem T-Stück. Gomar Hencip entschied sich für die rechte Seite und marschierte etwa fünfzig Schritt in den Gang hinein, ehe er unvermittelt vor einem Schacht stehen blieb. Fast wäre er einfach weiter gegangen und unweigerlich in die Tiefe gestürzt. Verwirrt betrachtete er das Loch zu seinen Füßen. Es war kreisrund, sauber ausgeschnitten und besaß einen Durchmesser von gut drei Metern. Hencip balancierte sein Gewicht aus und lugte über den Rand in eine bodenlose Tiefe. Vielleicht vier Meter unter ihm erblickte er ein weiteres Loch im Boden eines Korridors unter ihm. Darunter noch eines, darunter ein neues. Dies schien sich schier unendlich fortzusetzen, bis in den größeren Tiefen nichts mehr zu erkennen war, weil der laktonische Blick nicht mehr ausreichte. Der außerirdische Agent blickte nach oben und fand ein ähnliches Loch in der Decke über sich. Nur war dieses von festem Erdreich bedeckt, und vereinzelt ragten Wurzeln aus dem steinharten Lehm hervor. »Das gibt’s doch nicht!« stöhnte Hencip. Seine Gedanken rotierten. Er hatte bisher nicht allzu viel von den Menschen kennen gelernt, doch bisher waren sie in seinen Augen ein eher technisch rückständiges Volk, das den Laktonen und Orathonen weit hinterher hinkte. Aber warum, im Namen des Schenna, können Sie dann einen Antigravschacht bauen? *
Saya hockte noch immer mit angezogenen Knien auf dem Boden und hatte die Augen geschlossen. Zumindest hatte es den äußeren Anschein. In Wahrheit weilte sie gar nicht mehr in der unterirdischen Basis. Nur ihre sterbliche Hülle saß scheinbar schlafend dort, doch ihr Geist – ihr Sein – streifte an der Oberfläche umher und wanderte unter den Eindringlingen. Anfangs hatte sie sich die Mühe gemacht, einzelne Trupps der Invasoren aufzubringen. Sie befahl den Pflanzen, sich zu verteidigen, anzugreifen, wo immer es ging. Doch die Flut der Eindringlinge war gewaltig, ihr Nachschub scheinbar endlos. Auf diese Weise würde sie sich nur selbst verausgaben und keinen Schritt vorwärts kommen. In letzter Konsequenz würden die Invasoren die Oberhand gewinnen und sie und die Flüchtlinge früher oder später ausfindig machen und töten. Sayas Geist seufzte innerlich. Es gab nur eine einzige Möglichkeit, sich der Eindringlinge zu erwehren. Sie musste die Welle auslösen. Nur damit war gewährleistet, alle Feinde im Trichter gleichzeitig auszulöschen. Und dann? dachte ihr Geist, während sie über die alte Lichtung streifte, an der ihr Thron stand. Ein halbes Dutzend bronzefarbener Wesen war aus dem Unterholz aufmarschiert. Um ihre Hälse blinkte etwas auf. Rotierende Waffenkränze spien plötzlich todbringende Projektile aus, die in Salven in die Unterkünfte, den Thron und die nahen Bäume dahinter fuhren. Explosionsartig zerplatzten mächtige Baumstämme und Astwerk. Der Wald schien unter dem Ansturm der Gewalt aufzuschreien. Saya krümmte sich vor innerlichem Schmerz. Sie spürte die Qualen der Pflanzen so deutlich, als wären es ihre eigenen. Das Ganze musste aufhören. Sie war die Königin des Trichters. Die Verantwortung über die Flora lag ebenso bei ihr, wie die über ihre Untertanen. Saya musste dem Morden ein Ende bereiten. Sie sah, wie die bronzefarbenen Roboter weiter in den Wald vordrangen. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sie den geheimen Eingang zur unterirdischen Basis fanden. Dann war es längst zu spät. Saya zögerte nicht länger. Ihr Geist entfernte sich von den Maschinen und streifte umher, bis sie etwas fand, das lebte: Menschengroße, insektoide Wesen, die bewaffnet den Trichter durchkämmten und mit ihren Energiegewehren den Wald in Brand setz-
ten. Der Schmerz, den die Pflanzen dabei empfanden, hallte hundertfach in Sayas Bewusstsein wider. Die Königin des Trichters tastete sich bis zu einer der Grillen vor und drang mit ihrem Geist in das Bewusstsein ein. Es fiel ihr leichter, den Alien zu übernehmen, als es bei einem Menschen der Fall war. Das Hilfsvolk der Grünhäutigen schien weitaus primitiver zu sein. Sie veranlasste die Grille, sich von ihrer Gruppe abzusetzen und dirigierte sie bis hin zum Rand des Trichters. Saya benötigte einen Überlebenden. Nur einen… Der Großteil ihres Bewusstseins zog sich wieder zurück. Nur ein Quäntchen ihres Seins verblieb im Gehirn der Grille und steuerte es. Saya öffnete die Lider und erkannte die düstere Umgebung des Aufenthaltsraumes, in dem sich die Flüchtlinge niedergelassen hatten. Die meisten hielten sich am gegenüberliegenden Ende auf. Sie respektierten die Ruhe ihrer Königin und blieben ihr fern. Niemand benutzte einen der Stühle oder Tische. Sie waren es nicht gewohnt, darauf zu sitzen, so nahmen sie mit dem Fußboden vorlieb. Nur Anyim Pius und Thorgol hielten sich in Sayas unmittelbarer Nähe auf. Thorgol, der die Gedanken seiner Königin lesen konnte, sah sofort zu ihr herüber, als sie die Augen öffnete. Sein Gesicht umwölkte sich, doch er nickte ihr aufmunternd zu. Eine gute Idee, erreichten Saya Thorgols Gedanken. Die Königin schüttelte den Kopf. Nichts war eine gute Idee. Das Beste war vermutlich, sie verbargen sich so tief im Innern dieser Station und beteten, dass die Invasoren nie so weit herunterkommen würden. Das, was sie vorhatte, grenzte an Wahnsinn. Und es gab keine Gewähr, dass es überhaupt funktionierte. Wenn sie die Welle erst einmal auslöste, konnte sie durch nichts mehr aufgehalten werden. »Wo ist Hencip?« fragte Saya und stand auf. »Er ist noch nicht wieder zurück«, antwortete Anyim Pius. Sein Blick sah plötzlich alarmiert aus. »Soll ich ihn suchen?« Thorgol machte eine unbestimmbare Handbewegung. Saya blickte den Hünen an und wusste, dass er den Agenten Laktons die ganze Zeit über, im Auge behielt. Er überwachte ihn, auf telepathischem Wege. Überdies hätte Saya auch nicht geglaubt, dass
der Außerirdische irgendetwas anstellen würde. Aus der Basis heraus konnte er nicht mehr. Dort lauerte der Feind und damit der sichere Tod auf ihn. »Glaubt er, irgendetwas zu finden, das uns weiterhilft?« fragte Pius. »Wohl weniger«, antwortete Saya zurück. »Er macht es vermutlich richtig. Statt hier das Unvermeidliche abzuwarten, beschäftigt er sich und lenkt sich ab.« Thorgol schloss die Augen und schien sich zu konzentrieren. Offenbar drang er in diesem Moment in Hencips Geist ein, um dessen Gedanken zu sondieren. Plötzlich wankte der riesige Mutant wie unter einem Schwächeanfall. Er torkelte zwei Schritte zurück und hielt sich an einer Tischkante fest, um nicht zu stürzen. Die anderen Mutanten sahen auf. Einige eilten herbei, um den Leibwächter zu stützen, doch er winkte ab und schickte sie mit einer harschen Geste fort. Saya und auch Anyim Pius blickten ihn besorgt an. Der Hüne öffnete seine Augen. Sie waren leer! * Sie stießen auf zwei Angriffskommandos, die dabei waren, sich gegen monströse Kreaturen zu wehren, die scheinbar aus dem Nichts auftauchten. Pflanzenwesen, die die Gestalt von Whims und Menschen nachahmten, ohne Vorwarnung erschienen, töteten und wieder verschwanden. Demon Adilon hatte dem überlebenden Whim an seiner Seite mehr als deutlich eingeschärft, dass sie sich an keinem dieser Scharmützel beteiligen würden. Die Aufgabe der Grille war einzig und allein, ihn zu beschützen und sicher aus dem Trichter zu bringen. Sie umgingen die Kämpfenden, auch wenn sie dafür mehrmals Umwege in Kauf nehmen mussten. Adilon hoffte inständig, dass der angeborene Instinkt des Whim dafür sorgte, dass sie sicher aus dem Trichter herausfanden. Seine eigenen Erfahrungen zeigten zu deutlich, dass es nicht so einfach war, im mutierten Dschungel die Orientierung zu behalten. Vielleicht hätte er sich besser einem Bronzeroboter anvertraut. Der künstliche Ortungssinn der Maschinen hätte ihn womöglich schnell und einfach aus dem Schlamassel herausgelotst.
Die Zeit brannte Adilon unter den Nägeln. Jede Sekunde, die er länger im Trichter verweilte, konnte die letzte seines Lebens sein. Draußen im Raum, inmitten der Schlacht gegen die Laktonen, schienen die Überlebenschancen weit höher zu stehen als hier unten in dem unheimlichen Wald. Adilon blieb unvermittelt stehen. Er blickte sich in alle Himmelsrichtungen um, drehte sich im Kreis und sah nach oben. Als er merkte, wie ihm schwindelig wurde, hielt er an und sah sich dem Whim gegenüber. »Wir sind im Kreis gelaufen!« Das Insektenwesen legte den Kopf schief und gab einen klackenden Laut von sich. Adilon wartete nicht auf die Übersetzung. »Hier waren wir schon einmal.« Wieder ein Klacken und leises Zwitschern. Kurz darauf drangen die Worte der Grille aus dem Übersetzer, den die Kreatur am Gürtel um ihre Wespentaille trug. »Das ist vollkommen ausgeschlossen, Herr.« »Ich weiß es!« beharrte Adilon. »Ich habe diese Stelle vorhin schon gesehen.« Der Whim trat einen Schritt vor und schnatterte mit seinen Mundwerkzeugen. Erst als wieder das Klacken erklang, nahm das Übersetzungsgerät seine Arbeit auf. »Herr, ich habe unseren Wegabschnitt mit Whimsäure markiert. Seien Sie versichert, dass wir noch nicht an dieser Stelle…« Adilon wurde zornig. »Was bildest du dir ein, mir zu widersprechen?« Er machte einen überraschenden Schritt auf den Whim zu, packte sein Strahlengewehr, drehte es um und feuerte. Eine grellrote Energielanze zerteilte den Insektenkörper in zwei Hälften, die eine Böschung herunterkollerten. Beißender Dampf stieg auf, und es roch nach verschmortem Chitin. Demon Adilon verzog widerwillig das Gesicht. »Verdammte Insekten!« Er behielt das Gewehr im Anschlag und marschierte weiter. Kaum, dass er zehn Schritte gemacht hatte, stieg der Boden stetig an. Adilon blickte nach oben, versuchte durch das dichte Grün etwas zu erkennen. Zwischen den Blättern sah er eine Felswand, und darüber freien Himmel! »Verflucht, der Whim hatte Recht«, stieß er hervor, als er eingestehen musste, dass sie doch noch nicht an dieser Stelle gewesen waren. Vor ihm lag der Ausgang des Trichters. Er hatte es geschafft.
* Über sich vernahm er ein Geräusch und zuckte zusammen. Das Allerletzte, was er erwartete, war Besuch. Dennoch konnte er sich denken, wer ihm gefolgt war. Gomar Hencip ging den Gang bis zum Antigravschacht zurück, beugte sich über den gähnenden Abgrund und sah nach oben. Dort gewahrte er die drei Gestalten Sayas, Thorgols und Anyim Pius’, die sich mit Widerwillen in den Schacht hinausgewagt hatten und nun langsam in die Tiefe schwebten. Offenbar wussten sie aus seinen Gedanken, wie der Lift zu bedienen war. Von allein wären sie sicherlich nicht in die bodenlose Leere hinausgetreten. Der Laktone hatte sich drei Stockwerke unterhalb des bisherigen Standpunkts umgesehen und hatte den Mund vor Staunen nicht mehr zubekommen. Ein großer Teil der Instrumente und Anlagen, die er vorgefunden hatte, waren noch intakt. Jedoch half ihnen das nur bedingt weiter, denn das Einzige, was die Orathonen eventuell aufhalten konnte, war, die Selbstzerstörung der Anlage zu aktivieren. Doch damit war keinem geholfen. Der Trichter würde nur noch tiefer werden – und alle Truppen der Invasoren, die dabei umkamen, konnten jederzeit problemlos ersetzt werden. Etwa eine Minute nachdem die drei Mutanten den Schacht betreten hatten, schwebten sie auf Hencips Höhe im gähnenden Nichts. »Hallo«, begrüßte der Laktone sie lächelnd und entblößte dabei seine roten Zähne. »Habt ihr mich vermisst?« Saya trat auf den Gang hinaus. Ihre Leibwächter folgten ihr. Mit dem Kinn nickte sie in Richtung Thorgol. »Er hat Ihre Gedanken gelesen.« Hencip runzelte die Stirn und sah den Hünen an. Seine Augen hatten sich verändert. Sie wirkten wie zwei leere Höhlen, in Wahrheit aber waren seine Pupillen übernatürlich geweitet. »Also wissen Sie bereits, was ich herausgefunden habe?« Nun war es Saya, die verblüfft dreinschaute. »Nicht alles… nehme ich an«, sagte sie unsicher. »Dieser… Schwebeschacht spricht jedenfalls für sich.« »Antigravschacht«, verbesserte Hencip. »Ihre Leute werden so
etwas vor zwanzig Jahren wohl noch nicht gebaut haben, nehme ich an.« Saya schüttelte heftig den Kopf. »Weder vor zwanzig Jahren, noch sonst irgendwann.« »Das habe ich mir gedacht.« »Aber wer dann?« fragte Anyim Pius. Hencip hob die Schultern. »Genau das versuche ich gerade herauszufinden. Kommen Sie, ich war gerade dort drüben mit einem Schott beschäftigt, als ich Ihre Geräusche von oben hörte. Vielleicht finden wir dort Anhaltspunkte.« Saya trat an den Laktonen heran und legte ihm eine Hand auf den Arm. »Unter anderen Umständen wäre es sicherlich interessant, zu erfahren, wozu und durch wen diese Einrichtung erbaut wurde und wie man dies vor den Augen der Bewohner New Yorks geheim halten konnte. Aber ich denke, wir haben Dringenderes zu erledigen, finden Sie nicht auch?« Hencip streifte ihren Arm ab. Die Berührung mit der haarlosen, jungen Frau war ihm unangenehm. Er blickte in ihre tiefen, dunklen Augen. »Wenn Sie einen anderen Plan haben, wie wir die Orathonen und ihre Hilfsvölker oben im Dschungel vertreiben können, herzlich gerne. Aber solange wir hier nur tatenlos herumsitzen, sollten wir versuchen, so viel wie möglich über diesen Ort herauszubekommen. Vielleicht finden wir irgendetwas, das uns weiterhelfen könnte. Wenn es schon keine Waffen sind, vielleicht einen Fluchtweg, um aus dieser Sackgasse wieder herauszukommen.« »Ich habe eine Möglichkeit.« In Sayas Augen flackerte etwas, als wäre sie selbst nicht sicher, ob sie den Vorschlag überhaupt aussprechen sollte. »Die Welle, richtig?« Fragend blickte die Königin zu Thorgol, der leicht zur Bestätigung nickte, dass Hencip das Wort von ihm aufgeschnappt hatte. »Was hat es damit auf sich?« Saya holte tief Luft und atmete langsam aus. Ihr war es sichtlich unangenehm über das Thema zu sprechen. Sie deutete voraus in den beleuchteten Gang hinein. »Vielleicht sollten wir uns doch erst ansehen, was wir hier finden.« »Ich stimme Ihnen voll und ganz zu.« Hencip lächelte. »Dennoch könnten Sie mir etwas über diese ach so geheimnisvolle Welle verraten, oder? Immerhin sitzen wir im selben Raumkreu-
zer.« Als Saya die Stirn runzelte wurde Hencips Lächeln breiter und er fügte erklärend hinzu: »Ein… altes Sprichwort bei uns.« »Ein ähnliches gibt es auch hier. Gehen Sie voraus, bitte.« Gomar Hencip drehte sich um und folgte dem Korridor, in dem er vor wenigen Minuten bereits das Schott entdeckt hatte. Hinter ihm klangen die Schritte der drei Mutanten auf. Der Gang ähnelte dem, den sie drei Etagen über sich vorgefunden hatten. Seine Bauweise war zweckmäßig für Menschen eingerichtet, doch die Architektur entsprach keineswegs jener, die die laktonischen Datenbanken über diesen Planeten ausgeworfen hatten. Der Verdacht, der Hencip bereits mit der Entdeckung des Antigravschachts beschlichen hatte, verstärkte sich mit jeder Sekunde, die er hier unten weilte. Zu beiden Seiten des Korridors führten Türen zu den üblichen Räumen, die sie auch oben entdeckt hatten. Dazwischen gab es einige Labors. Deren Apparaturen und Instrumente weckten in Hencip eine seltsame Vertrautheit. Etwas daran kam ihm bekannt vor, wenn es auch irgendwie anders aussah – nur vermochte er die Andersartigkeit genauso wenig zu definieren oder in Worte zu kleiden, wie die Vertrautheit. Er hoffte, irgendwo hier unten den entscheidenden Hinweis zu finden, mit dem er genau sagen konnte, was an dieser Einrichtung nicht stimmte. Nicht stimmen konnte! »Die Welle«, erklärte Saya, während sie neben Hencip herging, »ist eine Art psychokinetischer Druckwelle, die ich über alles Leben im Trichter auslösen kann.« »Also etwas Unsichtbares?« vergewisserte sich Hencip, während er einen kleinen Frachtcontainer, über den er vorhin gestolpert war, an den Gangrand schob, um Saya und ihre Leibwächter durchzulassen. Die Königin nickte. »Ja. Es ist ein Impuls, der Energie aus lebendem Zellgewebe abzweigt. Ich kann diese Energie kanalisieren und gebündelt durch den gesamten Trichter schicken.« Sie erreichten das Schott. Hencip blieb stehen und drehte sich zu Saya. »Und welche Wirkung hätte das?« Die Augen der Königin schienen für einen Moment größer zu werden. Sie leckte sich mit der Zunge über die Lippen und zögerte. Hencip sah, wie sie mit sich selbst haderte und am liebsten wohl zur Tagesordnung übergegangen wäre.
»Stellen Sie sich vor, was ein nuklearer Sprengkopf mit den Gebäuden einer Großstadt anrichtet«, sagte Saya so leise, dass Hencip sich anstrengen musste, sie überhaupt zu verstehen. »Ja… und?« »So etwas Ähnliches wird mit dem Kern einer jeden lebenden Zelle innerhalb des Trichters geschehen.« Hencips Blick wurde starr. »Beim Schento… Sie löschen alles Leben im Trichter aus?« »Alles.« Der Laktone überdachte diese Alternative. Den orathonischen Abschaum und seine Hilfskräfte auf einen Schlag zu vernichten, war verlockend. Doch die Konsequenz war, dass Saya ihren Lebensraum gleich mit vernichtete. Genauso gut könnte man eine Kernwaffe im Herzen des Trichters zünden, was angesichts der Tatsache, dass die Bronzeroboter die Welle zwangsläufig überleben würden, effektiver war. »Die Orathonen werden wieder kommen und neue Truppen schicken. Sie haben nahezu unerschöpfliche Ressourcen, was entbehrliches Personal betrifft. Außerdem werden ihre Roboter von dem Psychoschock, den sie ihnen verpassen wollen, nicht betroffen sein.« »Ich weiß«, sagte Saya. »Darüber habe ich mir auch schon Gedanken gemacht. Aber wenn es mir gelingt, die Orathonen davon zu überzeugen, dass nichts und niemand mehr im Trichter lebt, werden sie abrücken.« »Sicher, aber wie wollen Sie das anstellen?« »Ich habe einen Augenzeugen beiseite geschafft.« Die Königin zwinkerte ihm zu. Hencip verstand gar nichts mehr. Doch bevor er sich noch weiter verwirren ließ, wandte er sich zum Schott um und überprüfte es. Es war verriegelt, wie das erste Hindernis, auf das sie oben gestoßen waren. Auch hier gab es seitlich neben der Tür eine Kontrolltafel. Der Blick des Laktonen streifte diese zuerst nur flüchtig, doch als er sie genauer untersuchte, wären ihm um ein Haar die Augen übergegangen. Die Beschriftung der Ziffern hätte er in jedem Teil des Universums auf der Stelle wieder erkannt. »Das… das kann nicht sein!« Und dennoch war es die einzige logische Schlussfolgerung, die all seine Ahnungen, die ihn seit dem Betreten der unterirdischen Anlage beschlichen hatten, bestätigten.
»Was denn?« Auch Anyim Pius und Thorgol traten an die beiden heran und sahen Hencip über die Schulter. Der Agent Laktons bekam vor Überraschung kein Wort heraus, aber seine Gedanken leuchteten für Thorgol und Saya wie ein Fanal in tiefster Finsternis und offenbarten, was er wusste. Orathonen, meldete sich Thorgols telepathische Stimme. Diese Anlage wurde von Orathonen erbaut! * Der Schock stand Gomar Hencip förmlich ins Gesicht geschrieben. Er war kalkweiß, und Schweiß lief ihm in Bächen über die Stirn und verbreitete den herben Geruch, der die Laktonen von Menschen unterschied. Obwohl er es die ganze Zeit über geahnt hatte, verstand der Agent nicht, was diese Entdeckung in letzter Konsequenz bedeutete. Die Orathonen waren bereits hier gewesen? Das klang nicht nur unglaublich, sondern es war schlicht unmöglich. Der angeborene Herrschaftsdrang hätte die Gefiederten niemals eine geheime Basis einrichten lassen, um eine andere Welt zu erforschen. Was sie haben wollten, nahmen sie sich – genauso wie die Laktonen auch. Niemand hielt sich mit Einrichtungen dieser Art auf, sondern hätte gleich eine Flotte losgeschickt, um diesen Planeten in sein Sternenreich zu annektieren. Hencip wurde das Gefühl nicht los, dass hinter der Sache noch etwas weit größeres steckte, das er bisher noch nicht begreifen konnte. Vielleicht lagen die Antworten dazu hinter dem Schott. »Sie haben uns beobachtet?« fragte Saya. Hencip hob die Schultern. »So etwas tun sie nicht. Normalerweise jedenfalls nicht. Ich gehe jede Wette ein, dass aus dem Flottenverband in diesem Sonnensystem keiner einen Schimmer von dieser Basis hat. Es scheint eher so, als hätten die hier ansässigen Orathonen sie vor ihren eigenen Leuten versteckt.« »Warum sollten sie so etwas tun?« fragte Anyim Pius. Der Laktone hob einen Finger. »Genau das, frage ich mich auch. Gehen wir rein.« Er spürte Sayas Hand auf seiner Schulter, sie hielt ihn zurück. »Wir haben nicht viel Zeit. Die Truppen werden bald den verborgenen Einstieg freigelegt haben und uns in den Bunker folgen.«
Hencip nickte. Dennoch machte er sich an der Verriegelung der Tür zu schaffen. Er versuchte ein paar orathonische Generalcodes, die er sich im Laufe seiner Agententätigkeit angeeignet und zusammen gestohlen hatte. Keiner von ihnen funktionierte. Der Laktone hielt inne und überlegte. Die Codes waren allesamt nicht älter als drei Jahre. Aber die Basis existierte bereits seit über zwanzig Jahren. Es gab keine Anhaltspunkte, die das tatsächliche Alter der Einrichtung verrieten. Hencip zog den Multiscanner vom Gürtel und hielt ihn vor das Schaltfeld. In dem Gerät waren sämtliche bekannten Codes der Orathonen gespeichert sowie zahlreiche Algorithmen, die in der Lage waren, Codes neueren Datums zu entschlüsseln. Hencip verstellte die Suchparameter und wurde fündig. Die Ziffern- und Buchstabenfolge, die das Display anzeigte, war ein alter Code, der vor dreißig Jahren Gültigkeit besessen hatte. Was, beim Schento, haben die Gefiederten hier gewollt? Hencip runzelte die Stirn. Ein Summen erklang und verriet ihm, dass der Schottmechanismus reagierte. Keine Sekunde darauf glitt die Tür geräuschlos in ihre Fugen zurück. Im angrenzenden Gang flammte erst jetzt Licht auf, als hätte dieser Bereich des unterirdischen Komplexes noch im Ruheschlaf gelegen. Das Licht unterschied sich von dem in den oberen Sektionen. Es war gedämpfter, glomm in einem seichten, beruhigenden Orange. TEIL3 »Wie ist das möglich, eine solche Basis unter einer Großstadt zu bauen, ohne dass irgendjemand der Bewohner es mitbekommt?« Sayas Stimme war dünn, beinahe andächtig. Hencip fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. »Möglich ist es, allerdings nicht ohne Hilfe, wenn man unentdeckt bleiben will. Jemand muss dafür sorgen, dass ein Kellergewölbe hermetisch abgeschottet wird. Von dort aus treiben die Orathonen Sonden ins Erdreich, die vorprogrammierte Arbeitsweisen ausführen und die Gänge ausheben. Lehm wird erhitzt und gleich für die Wände und Böden der Konstruktion mitverwertet, sodass Sie für den Rohbau kaum Material benötigen. Als der Komplex erst einmal stand, hat man die restlichen Geräte und Instrumente hergeschafft und installiert.« Saya betrat den Gang und sah sich um. Ihr Blick wanderte über
die Wände und deren mysteriöses Leuchten, das scheinbar aus dem Nichts kam. »Hilfe? Sie meinen Hilfe von den Menschen?« »So sieht es aus. Auch die Orathonen hätten es nicht geschafft, unentdeckt in einer Großstadt zu bleiben. Sie brauchten jemanden, der sie ungesehen eingeschleust und dafür gesorgt hat, dass das Gebäude, von dem aus sie operierten, für die Außenwelt abgeschottet blieb. So wie ich das sehe, ist die Anlage vielleicht dreißig oder vierzig Ihrer Planetenumläufe alt.« »Die Fünfziger«, sagte Saya leise. »Es soll eine Menge UFOSichtungen in der Zeit gegeben haben. Wenn die Orathonen hier gelandet sind, ergeben sie einen Sinn, oder?« Hencip hob die Schultern. »Möglich, aber ich verstehe nicht, warum sie nicht gleich Ihre ganze Welt übernommen haben, wie sie es sonst auch tun. Das Verhalten, eine Art Forschungsbasis zu errichten, entspricht überhaupt nicht der gängigen Vorgehensweise.« Sie gingen weiter in den Korridor hinein. Zu beiden Seiten des Ganges waren große Panoramafenster in die orange leuchtenden Wände eingelassen worden. Dahinter befanden sich Werkstätten und Labors. Diesmal waren die Geräte orathonischen Ursprungs eindeutig zu klassifizieren. Gomar Hencip blieb vor einem der Fenster stehen und starrte eine ganze Weile auf das orathonische Äquivalent eines Miniaturteilchenbeschleunigers. Er versuchte die Puzzleteile zusammenzusetzen. Neben ihm stand Saya. Ihre beiden Leibwächter waren vorausgegangen, um den Korridor bis zu seinem Ende zu erkunden. »Was denken Sie?« fragte die Königin. Fast hätte Hencip aufgelacht. »Ich dachte, Sie können meine Gedanken lesen.« Saya blickte ihn mit großen Augen an. Ihre Antwort war kaum mehr, denn ein Flüstern, in dem ein ängstlicher Unterton mitschwang. »Seit wir das Schott passiert haben, nicht mehr. Ich fühle Sie nicht mehr. Auch nicht Pius oder Thorgol. Es ist, als blockiere mich irgendetwas hier unten.« »Nur Sie? Oder auch Thorgol?« Saya zuckte die Schultern. »Wir werden ihn wohl fragen müssen.« »Das heißt, Sie können auch Ihre psychokinetische Welle von
hier unten aus nicht erzeugen?« »So ist es. Ein Grund mehr, um sich zu beeilen.« Der Laktone machte eine abwehrende Handbewegung. »Ich bin immer noch der Meinung, dass Sie mit der vollständigen Auslöschung Ihres Lebensraumes warten sollten. Vielleicht finden wir hier unten doch noch etwas, das uns weiter hilft. Möglicherweise sind wir bereits so tief, dass die orathonischen Sensoren uns nicht orten können.« »Meine Leute sind noch ein paar Etagen über uns«, erinnerte Saya. »Sie können Sie hier herunterholen.« »Und dann? Diese Roboter oder die Grillen werden den Eingang finden und nachkommen. Wir müssten ihn schon in die Luft jagen und den Zugang verriegeln. Dann wären wir hier unten lebendig begraben.« Hencip legte den Kopf schief und gab ihr im Stillen Recht. Vielleicht war das nicht die schlimmste Alternative. Besser, als das gesamte Leben im Trichter zu vernichten. »Die Pflanzen werden sich regenerieren«, sagte Saya. »Ich kann die Welle steuern, sie vom Boden fernhalten. Solange die Wurzeln keinen Schaden davontragen, werden die mutierten Gene aller Bäume sich in Windeseile heilen und schneller nachwachsen, als man ihnen dabei zusehen könnte. Aber ich mache mir Sorgen um all die versprengten Leute. Die drei Dutzend Männer und Frauen oben sind nur ein Bruchteil der Bevölkerung des Trichters. Es gibt Hunderte, die jetzt ziellos umherirren und sich vor den Kommandos der Gefiederten verstecken.« Eine Zeit lang blickte Hencip sie an. Saya vernichtete nicht ihren Lebensraum, sondern ihre Untertanen, wenn sie die Welle auslöste. Dennoch schien es ihr der einzige Weg zu sein, die Orathonen aus dem Gebiet zu vertreiben. Wenn der Plan funktionierte und sie den Invasoren begreiflich machen konnte, dass der Trichter tatsächlich entvölkert war und keinerlei Gefahr für die Gefiederten darstellte. »Ich verstehe. Umso wichtiger ist es, dass Ihre Schockwelle die allerletzte Möglichkeit zur Verteidigung darstellt.« »Wie lange wollen Sie denn warten?« fragte Saya patzig. »Wenn die Roboter erst einmal diesen Stützpunkt gefunden haben, ist es längst zu spät.« Sie hatte Recht, so ungern Hencip das auch zugab. Wenn sie nicht bald handelten, war der Trichter für immer verloren. Viel-
leicht hätte Hencip dies nicht gekümmert, doch er sah noch einen schwachen Hoffnungsschimmer für den gesamten Planeten. Die Mutanten stellten mit ihrem parapsychischen Potenzial einen Machtfaktor dar, dem weder Orathonen noch Laktonen bisher irgendwo in der Galaxis begegnet waren. Mit dem richtigen Training und Planung mochten die Mutanten das Eisen im Feuer im Kampf um die Erde darstellen, auch wenn Gomar Hencip noch keine konkreten Pläne hatte, wie sich diese Macht siegreich umsetzen ließ. »Geben Sie mir noch ein paar Minuten«, bat der Agent. »Ich will zumindest etwas Gewissheit haben. Jemand muss das hier«, er umschloss den Gang mit einer umfassenden Geste, »weitergeben. Vielleicht ist es irgendwann einmal wichtig.« »Wichtig wofür?« hakte Saya nach. »Für Ihr Volk, damit Sie uns noch weiter ausweiden können?« Hencip schüttelte heftig den Kopf. »Sie haben doch in meinen Gedanken gelesen. Sie wissen, was mit Ihrem Planeten geschieht, wenn es Ihren Leuten nicht gelingt, die Orathonen zu vertreiben. Wir haben diese Phasen schon viel zu oft durchgemacht. Die Grünhäutigen kommen, beuten aus, und wenn der Planet nicht mehr die notwendigen Rohstoffe für ihre Flotte liefert, holen sie sich den Rest aus der Sonne eines Systems, um sie auszubluten. Ihre Welt wird sterben, Saya, akzeptieren Sie das endlich. Alles, was zwischen dem Untergang steht, sind die auf der Erde versprengten laktonischen Agenten, die versuchen werden, die Supertransmitter der Orathonen zu vernichten, um ihren Nachschub an die Raumflotte zu unterbinden, und Sie und Ihre Mutanten.« Er sah die junge Frau für einige Sekunden an. Ihm entging nicht, wie sie über seine Worte nachdachte. Als sie ein Nicken andeutete, wandte Hencip sich von ihr ab und führte seine Untersuchungen fort. »Sie haben zehn Minuten«, rief Saya ihm hinterher. »Anyim, du begleitest ihn.« Sie wandte sich mit Thorgol ab, um den Rückweg anzutreten. »Nun, dann beeilen wir uns«, sagte Pius und deutete nach vorn. Diese Etage unterschied sich grundlegend von den oberen. Die Architekten machten kein Hehl daraus, wer den Komplex erbaut hatte. Während oben noch alles für die Menschen recht heimisch wirkte, besaß diese Ebene eindeutig und ausschließlich orathoni-
sches Flair. Die Instrumente, der Einrichtungsstil – fast hatte Hencip das Gefühl, sich Undercover in einem Gebäude auf einer orathonischen Kolonie zu befinden. Er hielt sich nicht mit den Labors auf. Hier hätte er tagelang suchen können, ehe er überhaupt nur ansatzweise dahinter kam, was die Orathonen erforscht oder produziert hatten. Was er brauchte, war eine zentrale Stelle, an der alle Fäden zusammenliefen. Ein Leitstelle, die Kommandozentrale oder irgendetwas in der Art. Hencip fand diesen Ort in Form eines Büros in einem Nebengang. Offenbar hatte hier der Leiter der Anlage residiert. Mehrere Datentransferfolien, die schon bessere Tage gesehen hatten, lagen in einem metallenen Korb auf dem wuchtigen Schreibtisch. Daneben befand sich ein Terminalzugang, der aller Wahrscheinlichkeit nach mit dem Hauptrechner verbunden war. Gomar Hencip ließ sich in dem monströsen Sessel nieder. Für einen Orathonen war das Möbelstück definitiv zu groß. Womöglich hatte er unter Minderwertigkeitskomplexen gelitten. Hencip schmunzelte bei dem Gedanken. Für Orathonen ganz und gar ungewöhnlich, aber das war allein schon der Umstand, dass die Gefiederten eine derartige Basis ohne Wissen der FAMILIE errichtet hatten. »Nach was suchen wir eigentlich?« fragte Anyim Pius. Hencip beugte sich über die Datenstation und aktivierte sie. Eines musste er den Orathonen anerkennend beipflichten, sie bauten für die Ewigkeit. Der Stützpunkt musste seit dem Bombeneinschlag vor zwanzig Jahren verlassen sein und dennoch funktionierten alle Apparate und Instrumente tadellos, als wäre die Einrichtung gerade erst in Betrieb genommen worden. Die Umwälzanlagen schienen sich in regelmäßigen Abständen einzuschalten und für eine Entlüftung zu sorgen. Die Luft roch oder schmeckte nicht abgestanden, nirgends war Staub zu sehen, alles wirkte sauber. Fast zu sauber, dachte Hencip und blickte sich nervös um. Er fragte sich, ob nicht vielleicht doch noch jemand hier unten war und die ganze Zeit über ausharrte. Bronzeroboter hätten durchaus die letzten zwanzig Jahre in der Anlage verbringen können. Hencip tröstete sich mit dem Gedanken, dass Wächter sicherlich sofort eingeschritten wären, als die ersten Lichter in den oberen Stockwerken angegangen waren. Er musste seine Paranoia unterdrücken und die wenige Zeit, die ihm Saya gewährt hatte,
sinnvoll nutzen. Der orathonische Rechner verlangte eine Passwortabfrage. Hencip versuchte es mit demselben Code, mit dem er das Schott geöffnet hatte, doch der Zugang wurde ihm verwehrt. »Ich will wissen, was hier passiert ist. Interessiert Sie das nicht, was die Orathonen bereits vor dreißig oder vierzig Jahren auf Ihrer Welt gemacht haben?« Anyim Pius zuckte die Schultern. »Sie werden uns studiert haben, um ihren Angriff zu planen.« »Nein!« Hencip schüttelte den Kopf und versuchte es mit einem anderen Code aus der Liste der alten Verschlüsselungen. »Die Orathonen machen so etwas nicht. Dass sie vor ein paar Wochen hier aufgetaucht sind, ist reiner Zufall. Gewissermaßen habe ich dieses Sonnensystem auf der Flucht ausgewählt. Hätte ich ein anderes Ziel für unsere Flotte ausgesucht, wäre Ihre Welt vermutlich noch lange Zeit verschont geblieben.« »Und das sagen Sie mir einfach so? Ich könnte Sie für Ihre Schuld auf der Stelle töten.« »Möglich«, sagte Hencip. »Aber Sie verlieren dadurch Ihren Vorteil gegenüber den Orathonen. Ihre Königin hat mich am Leben gelassen, damit ich Ihnen helfe, schon vergessen?« Pius nickte in Richtung Terminal. »Dann beweisen Sie uns endlich, dass Sie uns helfen können.« Der Laktone atmete tief durch und schwang im Sessel wieder zur Datenstation herum. Er probierte drei weitere Codes, doch keiner funktionierte. Offenbar handelte es sich um ein persönliches Passwort, das nur dem Leiter der Einrichtung bekannt war. Hencip ließ seine Blicke über den Schreibtisch schweifen, öffnete die magnetischen Schubfächer und suchte nach persönlichen Dingen, des Besitzers, die vielleicht einen Hinweis geben mochten: Daten von Familienangehörigen oder ähnlichem. Doch er fand nicht das Geringste. Entweder hatte der Orathone nichts besessen oder alles bei der Evakuierung der Station mitgenommen. Dass die Station evakuiert worden war, bevor oder nachdem die Bombe in Manhattan eingeschlagen hatte, stand für Gomar Hencip außer Frage. Sie hatten bisher nirgends Leichen gefunden. »Die Zeit ist fast um«, stellte Anyim Pius trocken fest. Seine Worte waren kaum verklungen, da wurde die Tür aufgestoßen und ein bronzener Roboter in menschlicher Gestalt aktivierte seinen Waffenkranz. Ohne Vorwarnung sirrten Dutzende von
Projektilen durch den Raum und durchlöcherten den Leibwächter. Hencip war vom Stuhl unter den Schreibtisch gerutscht, zog noch in der Bewegung den MAS und wartete, bis der Roboter das Feuer einstellte. Etwas polterte lautstark zu Boden – vermutlich Pius. Das surrende Geräusch, das von dem Waffenkranz herrührte, verstummte. Hencips Muskeln spannten sich. Er drückte die Schulter gegen die Schreibtischplatte, jederzeit bereit, das Möbelstück umzustoßen. Mit schweren Schritten setzte sich der Roboter in Bewegung, um sich davon zu überzeugen, dass seine Opfer tot waren. Hencip reagierte, sprang hoch und stieß mit der den Laktonen eigenen Kraft den Tisch um. Das Surren klang auf, doch Hencip war schneller. Zwei der Stahlnadeln aus dem Magnet-Smash jagten dem Bronzenen in das menschliche Gesicht und lösten den Elektroschock aus. Funken sprühten. Die humanoide Maschine taumelte und brach nach einem weiteren Vorwärtsschritt zusammen. Hencip atmete auf. Die Roboter reagierten außergewöhnlich schnell. Nur dank seines Agententrainings war er in der Lage, sie zu überlisten. Er hielt den MAS im Anschlag und lauschte angestrengt. Draußen auf dem Gang vor dem Büro schien es ruhig zu sein, doch das bedeutete nicht, dass noch weitere Bronzeroboter hier unten lauerten. Er schlich sich an der bewegungslos daliegenden Maschine vorbei und spähte um die Türöffnung in den Korridor hinaus. Keine Anzeichen weiterer Wächter. Hencip griff in seinen Instrumentengürtel, zog eine Überwachungsdrohne hervor und warf sie in die Luft. Die Kugel von der Größe einer Murmel schwebte frei im Gang und sondierte ihre Umgebung. Beim geringsten Anzeichen einer Bewegung würde sie einen Funkalarm an Hencips Gürtel auslösen und ihn warnen. Der Laktone ging zurück ins Büro und überzeugte sich davon, dass der Bronzene wirklich außer Gefecht gesetzt war. Erst dann beugte er sich über Anyim Pius und fühlte seinen Puls. Der Mann war tot. Sein Körper glich einem Sieb, aus dem unaufhaltsam das Blut floss und sich in einer Lache auf dem Boden unter seinem Leib verteilte. Hencip biss sich auf die Unterlippe. Saya würde nicht glücklich über den Verlust ihres Leibwächters sein, aber sie konnte Hencip nicht die Schuld dafür geben. Wenn sie seine Gedanken las, musste sie erkennen, was wirklich geschehen war.
Der Agent widmete sich wieder dem Bronzeroboter und kniete neben dem massigen Körper nieder. Er verband sein Multifunktionsgerät über den Dateneingang mit der Maschine. Der Zugang wurde normalerweise von den Orathonen benutzt, um grundlegende Programmierbefehle in die Roboter einzuspeisen. Hencip checkte darüber die Funktionalität des positronischen Gehirns des künstlichen Wesens. Es arbeitete noch. Hencip lächelte zufrieden. Die Grundfunktionen des Roboters waren durch den Elektroschock außer Kraft gesetzt worden, doch die Erinnerungsspeicher schienen noch intakt zu sein. Vielleicht würde er jetzt endlich erfahren, was hier geschehen war. Aber dazu musste er bei Saya noch etwas Zeit herausschinden. Kurzerhand packte Gomar Hencip den Kopf des Roboters am Kinn und riss ihn mit einem Ruck vom Torso. Mit dem Schädel der Maschine unter dem Arm machte er sich auf den Rückweg zu den Mutanten. * Adilons zuvor ohnehin schon arg mitgenommene Uniform hing in Fetzen, als er die letzten Höhenmeter des Felshanges überwand und sich über den Rand des Trichters zog. Er hatte alles hinter sich gelassen. Den dichten Dschungel, die lästigen Insekten, die Schwüle – er war frei! Der Orathone drehte sich auf den Rücken und blieb am Rand des Trichters liegen. Er sah in den wolkenlosen Himmel und atmete tief durch. Frei! Das Wort klang in seinen Ohren fremd, und obwohl er zu lebenslangem Dienst dem orathonischen Imperium verpflichtet war, fühlte er sich so frei als könne er tun und lassen was er wollte. Er schmeckte die Freiheit sogar und war vollkommen perplex über das Gefühl, das er vorher nie gekannt oder so intensiv wahrgenommen hatte. Er stellte sich vor, wie er endlos lange einfach nur dalag und den Himmel betrachtete. Wie er irgendwann aufstand, in seinen Diskusraumer stieg, einen Snack zu sich nahm und dann zu den Stränden von Arisis aufbrach oder den wunderschönen Sternen-
nebel bei Mutubar besuchte. Tun, was du willst. Die neu gewonnene Freiheit endete jäh, als ein Geräusch ihn in die Realität zurückriss. Irritiert blickte Demon Adilon auf. Er hatte Mühe, wieder in die Wirklichkeit zurückzukehren und sich in der Welt, in der er sich befand, zu orientieren. In seiner näheren Umgebung sah er die Ruinen lange zerstörter Hochhäuser. Dahinter türmten sich die Gebäude der neu entstandenen Stadt auf, die die Einheimischen New York nannten. Die Silhouette des gewaltigen Hantelschiffs zeichnete sich deutlich über der Skyline ab. Über der Stadt patrouillierten mehrere Dutzend Diskusraumer. Hin und wieder sah Adilon auch Ätzer über den Häusern schweben. Das Geräusch, das ihn aus seinen Träumen geweckt hatte, rührte von einem gelandeten Raumschiff her. Der Diskus hatte keine zwanzig Meter von Adilon entfernt am Rande des Trichters aufgesetzt und spie soeben ein halbes Dutzend Whims und ebenso viele Bronzeroboter aus. Dahinter folgten zwei grünhäutige Orathonen, die sich hektisch umsahen und dann zusammen mit ihren Helfern auf Adilon zu rannten. »Ihnen ist nichts passiert!« sagte einer der Gefiederten und half Demon Adilon auf die Beine. »Sigam Agelon hat den gesamten Krater nach Ihnen absuchen lassen. Wir dachten, Sie seien tot.« Adilon biss die Zähne zusammen. »Fast wäre ich das auch gewesen.« »Was ist mit ihrer Mannschaft?« Der Kommandant sah die Bilder Cord Haktars und Malam Kellehons vor seinem Auge, doch sein innerer Blick blieb an seiner Schwester Jelena hängen, von der niemand in der Flotte wusste. Alles verloren, dachte er und ließ die Schultern hängen. »Sie haben es nicht geschafft«, sagte er leise. Einer der beiden Orathonen griff zu seinem Kommunikator und aktivierte eine Verbindung zum Flaggschiff. Nur Sekunden darauf war die Stimme Sigam Agelons zu vernehmen. Der Orathone hielt Adilon das Gerät hin. »Es ist der Flottenkommandant«, sagte er mit fast beschwörendem Ton in der Stimme. Demon Adilon griff nach dem Kommunikator, atmete tief durch und sprach dann hinein. »Hier Adilon, Kommandant von Diskusraumer 378, drittes Flottenkontingent, OmikronAngriffsgeschwader.«
»Sie haben sich abschießen lassen!« Die schneidende Stimme Agelons ließ ihn zusammenzucken. »Wir erhielten einen Treffer, ja«, bestätigte Adilon. »Aber wir hätten notlanden können, wenn uns der Kurs nicht direkt in den Trichter geführt hätte.« »Erzählen Sie mir mehr über den Trichter. Warum wirkte unser Bombardement nicht, warum dringen unsere Ortungsstrahlen nicht durch das Blätterdach. Was haben Sie gesehen?« »Mutanten, Herr«, sagte Demon Adilon. »Es hat seltsame Strahlenmutationen gegeben, die ein parapsychisches Potenzial im Trichter bewirken.« »Gibt es Einschränkungen?« Adilon dachte an die Anführerin der Mutanten und berichtete dem Flottenkommandanten von ihr. Er erzählte ihm, für wie gefährlich er Saya hielt und davon, dass die anderen Mutanten ihr aufs Wort gehorchten. Ohne die Königin, war die Bedrohung des Trichters nicht einmal halb so groß. »Verstehe«, sagte Sigam Agelon. »Sie kehren in den Trichter zurück und nehmen diese Königin gefangen. Mittel und Wege sind mir Recht, falls Sie sie nicht lebend bekommen, töteten Sie sie. Ich will keine weiteren Verzögerungen mehr haben und alle Gefahren für uns eliminieren. Ich habe schon genug mit einem anderen Erdbewohner zu tun, als dass ich mich noch um zusätzlichen Ärger kümmern könnte.« Adilon schluckte. »Herr, ich werde sofort alles veranlassen, um noch mehr Truppen in diese Region zu schicken.« »Haben Sie mich nicht verstanden? Sie werden sich persönlich dieser Sache annehmen.« Das Gesicht Adilons wurde blassgrün. Seine Hauptfedern sträubten sich. Die anderen beiden Orathonen sahen ihn bestürzt an. »Aber Herr, ich bin ein entferntes Mitglied der FAMILIE. Sie haben alles daran gesetzt, mich zu finden. Eine Rückkehr in den Trichter wäre mein sicherer…« »Für die FAMILIE«, unterbrach ihn Sigam Agelon grob und beendete die Verbindung, ehe Adilon ausreden konnte. Damit unterschrieb er sein sicheres Todesurteil. Demon Adilon wankte. Die Panik stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er konnte nicht in den Trichter zurückkehren. Aber er durfte sich auch einem Befehl Sigam Agelons nicht widersetzen.
Ganz gleich, was er jetzt tat, er war so gut wie tot. Sollte er sich den Mutanten stellen, sie angreifen und sich erschießen lassen? Oder versuchen, den Diskusraumer zu kapern und die planetare Blockade zu durchbrechen? Er sah keine Alternativen. Alle Möglichkeiten endeten in einer Sackgasse. Nur seine Todesart war noch nicht ganz geklärt. * Wie er erwartet hatte, reagierte Saya heftig auf die Nachricht von Anyim Pius Tod. Ohne zu zögern griff sie Hencip an und pflanzte ihm einen fast tödlichen Gedanken ins Bewusstsein. Unter hämmernden Schmerzen und der Atemnot nahe, bäumte sich der Agent auf und stemmte sich gegen die unsichtbaren Kräfte, die im oberen Stockwerk der unterirdischen Basis wieder ihre volle Wirkung entfaltet hatten. Hencip wünschte sich für einen Moment, er wäre einfach unten im orathonischen Komplex gewesen, dort, wo ihm die Parakräfte nichts anhaben konnten. Doch ehe Saya ihn wirklich töten konnte, schritt ihr Leinwächter Thorgol ein, der offenbar Hencips Gedanken gelesen und so die Wahrheit über Pius’ Tod erfahren hatte. Warte! Der Hüne mit dem überdimensionalen Schädel packte Saya bei den Schultern und zog sie in die Ecke des Aufenthaltsraumes zurück, in der sie sich bereits vor gut einer Stunde zurückgezogen hatte. Hencip registrierte die Bewegung nur aus den Augenwinkeln. Er versuchte gegen die Bewusstlosigkeit anzukämpfen und die Nebelschleier vor seinem Blick zu vertreiben. Es hätte nicht viel gefehlt, dann wäre Sayas Attacke gegen ihn erfolgreich gewesen. Der mentale Ansturm hatte ihm fast die Luftröhre zerquetscht. »Es tut mir Leid«, röchelte Hencip. »Aber ich konnte es nicht verhindern.« Schon gut, signalisierten Thorgols Gedanken. Dann nickte er mit dem Kinn in Richtung des abgetrennten Roboterkopfes, den Hencip zu Boden fallen lassen hatte, als Sayas geistiger Angriff ihn traf. Was ist damit? Hencip richtete sich auf, nahm den Kopf an sich und legte ihn auf einen der Tische. Im deaktivierten Zustand hatte er kaum
noch etwas Menschenähnliches an sich. Die bronzefarbene Haut wirkte nicht mehr weich und natürlich, und die Augen waren die starren Rezeptoren einer Maschine. »Ich versuche herauszufinden, was er weiß«, erklärte Gomar Hencip. »Oder vielmehr, was er wusste.« Der Laktone schloss das Multifunktionsgerät an den Porteingang an der Rückseite des Schädels und zapfte die Erinnerungsspeicher des Roboters an. Der Datentransfer dauerte länger als gewöhnlich. Offenbar litten einige Schnittstellen unter dem Elektroschock des Magnet-Smash. Saya und Thorgol kamen näher. Die Königin warf Hencip einen wütenden Blick zu, doch er erkannte, dass ihr Zorn in Wahrheit dem Roboter galt. Ein Knacken erklang, kurz darauf ein leises Rascheln, als die Augenlider des Roboterkopfes rasch blinzelten und scheinbar Leben in die Maschine zurückkehrte. »Wo bin?« Die Stimme war schleppend, metallisch, nicht mehr so wohl moduliert, wie man es von den Bronzerobotern kannte. Hencip nahm einige Korrekturen an seinem Gerät vor und unterband logische Anfragen der künstlichen Intelligenz. Alles, was er wollte, waren Informationen. Er verspürte nicht die geringste Lust, dem Roboter Fragen zu beantworten. »Erwarte Ihre Eingabe, Herr«, sagte die Stimme plötzlich. Hencip lächelte zufrieden. Jetzt hoffte er nur, dass Pius nicht umsonst gestorben war. Eiseskälte lief ihm den Rücken bei diesem Gedanken herunter. Saya hatte in einem Wutausbruch GonRendo getötet und er trauerte ihrem gefallenen Leibwächter nach? Verstohlen blickte er auf, doch anscheinend hatten weder Thorgol noch die Königin seine Gedanken gelesen. Sie betrachteten fasziniert den Roboterkopf vor ihnen. »Wann wurde diese Basis gebaut?« fragte Hencip. Die Lider der Maschine flattern kurz. »Vor zweiundvierzig Planetenumläufen.« Seine Einschätzung war demnach richtig gewesen. Wie Saya schon sagte, hatte es Ende der 40er, Anfang der 50er Jahre eine Welle an Sichtungen unidentifizierter Flugobjekte gegeben. Wenn auch nur ein Bruchteil der Entdeckungen echt gewesen war, dann hatten die Orathonen damals schon eine halbe Invasion gestartet. »Wer war der verantwortliche Befehlshaber? Warum sind die
Orathonen von ihren ursprünglichen Invasionsplänen abgewichen?« Wieder ein Flattern der Lider. Die Mundwinkel zuckten und die Augen des Roboters verdrehten sich, ehe er sprach. »Ketrel Goron war führender Wissenschaftler im orathonischen Imperium, doch seine Arbeiten wurden durch die FAMILIE erheblich gestört, als man ihn zwang, sich auf die Arbeit für das Militär zu konzentrieren. Er und ein Dutzend seiner Mitarbeiter flohen mit einer kleinen Flottille Diskusraumern und suchten sich eine Welt, auf der sie überleben konnten. Sie fanden die Erde und arrangierten sich mit der amerikanischen Regierung. Es hat nie offizielle Invasionspläne für diesen Planeten gegeben.« Hencip rieb sich über das Kinn. Die Schilderung des Roboters klang plausibel, auch wenn dieser Ketrel Goron mit seiner Flucht wohl einen Präzedenzfall im orathonischen Imperium geschaffen haben musste. Also lebte und arbeitete er hier zwanzig Jahre unentdeckt vor der FAMILIE und betrieb seine privaten Forschungen – bis ein globaler Krieg der Einheimischen sein Werk zunichte machte. Ironie des Schicksals. Ein fremdes Volk hatte einem Orathonen Steine in den Weg gelegt. Auch das war vermutlich einmalig in der Geschichte der Grünhäutigen. »Warum gibt es unterschiedlich eingerichtete Etagen? Dieses Deck und zwei unter uns scheinen nach menschlichen Maßstäben angelegt worden zu sein, während im dritten Stockwerk unter uns sich ausschließlich orathonische Labors befinden.« »Um hier in Ruhe arbeiten zu können, versprach Ketrel Goron einen Austausch an Informationen und Technologie. Er richtete die Basis so ein, dass Menschen und Orathonen gleichermaßen hier arbeiteten.« »Wussten die Menschen, die hier arbeiteten, von der orathonischen Ebene?« »Nein. Die Orathonen betrieben in ihrem Bereich Forschungen, die für die Menschen nicht zweckmäßig waren. Ketrel Goron wusste, dass er entweder eines Tages selbst ins orathonische Imperium zurückkehren würde oder dass die Orathonen diesen Planeten irgendwann finden und in ihr Reich aufnahmen. Für den Fall wollte Goron Ergebnisse seiner Forschungen präsentieren.« »Welcher Art?« fragte Hencip, obwohl er es längst wusste. »Militärische Forschungen, so wie es die FAMILIE gewünscht hat.«
»Und war er erfolgreich, ehe die Bombe hier einschlug?« Diesmal dauerte die Antwort des Roboters länger. Fast befürchtete Hencip, dass die entsprechenden Gedächtnisspeicher in Mitleidenschaft gezogen worden waren, doch als der Roboter dann antwortete, atmete er erleichtert aus. Zumindest anfangs, denn der Bericht des Bronzenen verschlug ihm die Sprache. Ebenso Saya und Thorgol. »Die Bombe war der Grund für Gorons Forschungen. Die Menschen, die hier arbeiteten, fanden etwas über die unterste Ebene heraus und besorgten sich einen Zugang zum Datenmaterial. Sie entdeckten, dass die Orathonen gegen jede Versprechung gar nicht am Austausch von Technologien interessiert waren, sondern nur ihre eigenen Forschungsziele verfolgten. Es ging um genetische Experimente und biologische Waffen, die hier gebaut und gezüchtet wurden. Als diese Information nach außen durchsickerte, setzte die Regierung dieses Landes alles daran, um die Orathonen aufzuhalten, doch jeder Vormarsch mit militärischen Truppen wurde durch uns gestoppt. Die Menschen besaßen keine Möglichkeit, hier einzudringen. Wir hatten uns hermetisch von der Außenwelt abgeriegelt und hier unten verschanzt.« »Moment mal«, unterbrach Hencip und schnippte mit den Fingern. Als Saya seine Gedanken las und wusste, welche Schlussfolgerungen er zog, wurde ihr Gesicht noch blasser als es ohnehin schon war. Sie schüttelte heftig den Kopf. »Das kann nicht sein!« Hencip schnitt ihr das Wort mit einer schnellen Handbewegung ab. »Nein? Sie brauchen doch nur Eins und Eins zusammenzuzählen. Die größte Gefahr für Ihre Welt schlummerte unter dieser Großstadt. Es gab keine Möglichkeit, sie zu beseitigen, außer mit einer gewaltigen Bombe, die alles in Grund und Boden stampfte. Aber welche Regierung, die über Jahrzehnte hinweg die Anwesenheit von Außerirdischen verschwiegen und vertuscht hatte, würde der Öffentlichkeit jetzt von der unterirdischen Bedrohung berichten und den Einsatz eines nuklearen Sprengkörpers rechtfertigen?« »Sie meinen… sie brauchten eine Ablenkung?« Hencip nickte. »Richtig. Ihre Regierung provozierte einen Krieg mit ihren ärgsten politischen Gegnern, und als die ersten Raketen gestartet wurden, programmierte man einen eigenen Sprengkörper direkt ins Herz von New York. Die Bombe, die hier vor zwan-
zig Jahren detoniert ist, war Ihre eigene, Saya!« Die Ungeheuerlichkeit dieser Feststellung ließ die Königin wanken. Sie hielt sich an Thorgols Arm fest. Ihr Körper bebte. »All das…« ,sagte sie leise, »… hätte nicht geschehen müssen, wenn die Orathonen nicht gewesen wären? Ich war damals noch nicht geboren, als die Bombe fiel, aber ohne sie wäre nicht das aus mir geworden, was ich jetzt bin. Ich hätte glücklich bei meinen Eltern aufwachsen und ein normales Leben führen können.« Sie machte eine Pause, ehe sie unter Tränen hinzufügte. »Ich wäre niemals von meinen Eltern wie eine Aussätzige behandelt und verstoßen worden.« Hencip schwieg eine Weile. Fast war er versucht, zu Saya zu gehen und sie tröstend in die Arme zu nehmen. Ein Impuls, der sonst ganz und gar nicht seine Art war. Möglicherweise trug Sayas paranormale Ausstrahlung dazu bei, dass er sich anders verhielt, als unter gewöhnlichen Umständen. Dennoch hielt er sich zurück und überließ Thorgol die Streicheleinheiten, die dieser sicherlich bereits auf mentalem Wege zu ihr auf den Weg geschickt hatte. Stattdessen wandte sich der Laktone wieder dem Roboterkopf zu. »Was ist danach passiert?« »Die Druckwelle der Explosion zerstörte die ersten zehn Etagen dieser Basis.« Zehn Etagen? dachte Hencip und kratzte sich am Hinterkopf. »So viele? Dienten sie alle der Tarnung, um den Menschen weiszumachen, die Orathonen würden mit ihnen zusammenarbeiten?« »Teilweise«, sagte der Roboter. »Meine Herren fürchteten ebenso einen Angriff ihres eigenen Volkes. Je tiefer sie sich in der Erde vergraben konnten, umso sicherer fühlten sie sich. Die ersten dreizehn Stockwerke unter dem Empire State Building waren für die Menschen vorgesehene Einrichtungen mit verschiedenen Sicherheitsstufen. Nur die Top-Wissenschaftler durften bis in die dreizehnte Ebene hinunter. Niemand von ihnen allerdings auf Deck Vierzehn.« »Wo die Orathonen sich ausgebreitet hatten«, kommentierte Hencip. »Ja.« »Was passierte dann?« »Ketrel Goron riegelte die von der Explosion verschonten Decks
hermetisch ab, aber die Menschen waren bereits geflohen und hatten sich an die Oberfläche gewagt. Niemand, der hier arbeitete, kam mit dem Leben davon. Gorons Leute warteten mit einem halben Dutzend Bronzeroboter ein ganzes Jahr lang und setzten ihre Versuche fort. Dann kam es zu einem Unfall. Einer von uns wurde an die Oberfläche geschickt, um das Ausmaß radioaktiver Strahlung zu ermitteln. Die Belastung war dermaßen hoch, dass sein positronisches Gehirn Befehle falsch interpretierte und einen Generator kurz schloss. Der Energieabfall im Laborbereich sorgte dafür, dass ein genetisches Experiment mit menschlichen Genen außer Kontrolle geriet. Virensporen wurden freigesetzt und verseuchten den Rest der Basis. Ketrel Goron ließ die Decks entlüften und die Viren an die Oberfläche gelangen. Er hoffte, dass sie durch die hohe Strahlendosis im Trichter vernichtet wurden – doch das genaue Gegenteil war der Fall.« Hencip nickte leicht, als der Roboterkopf nicht weiter sprach. »Sie mutierten.« »Ja.« »Ketrel Goron?« »Für die Orathonen war es zu spät. Die freigesetzten Viren griffen ihren Organismus an und töten sie. Sie versuchten an die Oberfläche zu gelangen und starben auf dem Grund des Trichters.« »Und die Bronzenen?« fragte Gomar Hencip. Er musste wissen, ob es noch weitere Roboter in der unteren Ebene gab. »Deaktiviert. Nur ich blieb als Wächter zurück, für den unwahrscheinlichen Fall, dass jemand einen Zugang zur Basis findet.« Der unwahrscheinliche Fall, der dann nach zwanzig Jahren eingetreten ist, dachte der Agent Laktons. Er beugte sich vor, zog das Multifunktionsgerät aus dem Dockingport des Schädels und schaltete den Bronzekopf ab. Die Lider des Roboters senkten sich, die Gesichtszüge, die vorher noch menschlich waren, entgleisten unnatürlich. Als würde starke Hitze Plastik schmelzen und verziehen. Hencip sah zu Saya und Thorgol auf. Trotz der Trauer der Königin hatte sie jedes einzelne Wort mitgehört. »Es tut mir Leid«, sagte der Laktone und bedauerte seine Worte im nächsten Moment schon wieder. Tat es ihm denn wirklich Leid? Er wusste es nicht. Die Erkenntnis, die durch das Gespräch mit dem Bronzenen über Saya und Thorgol hereingebrochen war,
musste ungeheuerlich sein. Hencip für seinen Teil hatte gelernt, dass es Orathonen gab, die nicht notwendigerweise der FAMILIE bedingungslos gehorchten. Ein Jammer, dass Ketrel Goron nicht mehr lebte, er hätte ein wertvoller Verbündeter für Lakton sein können – oder ein Gefangener, je nachdem von welchem Standpunkt man dies betrachtete. »Ohne dieses Labor und all seine genetisch veränderten Proben wäre der Trichter nicht das geworden, was er heute ist«, sagte Hencip. »Die Mutationen in dieser Form wären ausgeblieben und das parapsychische Potenzial nie freigesetzt worden.« »Ja«, ließ sich Saya leise vernehmen. »Die Orathonen tragen an allem die Schuld. Wären sie nicht gewesen, wäre es nie zu dem Krieg gekommen. Ich verstehe nur nicht die damalige Regierung. Wie konnte sie es soweit kommen lassen? Einen Weltkrieg zu provozieren und dann eine Stadt wie New York zu bombardieren, nur um den Feind, den sie sich vorher selbst eingeladen haben, wieder loszuwerden?« »Ihre Leute müssen sehr verzweifelt gewesen sein«, vermutete Hencip. »Hören Sie auf, sie ständig meine Leute zu nennen!« Ungeahnte Schärfe lag in Sayas Stimme. »Ich war damals noch gar nicht auf der Welt.« Hencip hob entwaffnend die Hände. »Na schön. Und jetzt? Leider haben wir nicht das gefunden, was wir uns erhofft haben. Lieber wäre mir gewesen, da unten eine Waffe oder ähnliches zu entdecken. Die Informationen, woher die Mutationen da draußen rühren, helfen uns nicht weiter.« »Sie irren sich«, sagte Saya und erhob sich. »Mir helfen sie sehr wohl weiter.« * Am liebsten hätte Demon Adilon sich auf der Stelle selbst erschossen. Zurück in die Hölle. Nichts rechtfertigte den Befehl des Flottenkommandanten, ihn wieder in den Trichter zu schicken. Soweit er die anderen Orathonen verstanden hatte, waren alle möglichen Anstrengungen unternommen worden, um ihn überhaupt in der grünen Hölle zu finden und herauszuholen. Warum schickte Sigam Agelon ihn dann jetzt in den sicheren Tod?
Er sah sich um. Seine Angriffstruppe bestand aus einem halben Dutzend Bronzerobotern, doppelt so vielen Whims und zwei orathonischen Offizieren. Sie alle waren bis an die Zähne bewaffnet, doch was nützte ihre beste Ausrüstung gegen das mutierte Grauen, das hier auf sie lauerte? Trotz der Einsatzgruppen, die die Orathonen bereits in den Trichter geschickt hatten, um alles niederzubrennen, schien die Dichte des Dschungels nicht wirklich nachgelassen zu haben. Bei der groß angelegten Säuberungsaktion, hätten sie zumindest auf Teilstücke stoßen müssen, die bereits gerodet waren. Doch nichts dergleichen war zu sehen. Der Urwald war so undurchdringlich wie beim Absturz von Adilons Diskusraumer. Und genauso gefährlich. Sie hatten kaum flacheres Terrain erreicht, als sie bereits angegriffen wurden. Zwei Bronzeroboter verschwanden spurlos in der Tiefe, als sich direkt unter ihnen der Boden auftat und sie einfach verschlang. Ranken schossen aus einem moosartigen Gewächs, umschlangen die Whims und rissen ihnen bei lebendigem Leib die Gliedmaßen aus. Sie beeilten sich, aus der Gefahrenzone zu kommen, doch vier der Grillen waren bereits verloren. Adilon verlor zwei weitere Whims, einen Bronzenen und einen der orathonischen Offiziere. Als sie schließlich die Mitte des Trichters erreichten, stand er mit drei Grillen und einem der Roboter vor dem vernichteten Herrschaftsbereich der Königin, die er zu Sigam Agelon bringen sollte. Adilon beobachtete die Umgebung. Die Lichtung wirkte fast so, wie er sie zuletzt gesehen hatte. Nur der Thron und die kleine Hütte Sayas waren nicht mehr dort. Er erblickte im Lehm schwache Fußabdrücke bronzener Maschinen, die vor gar nicht allzu langer Zeit hier gewesen sein und alles, was ihnen vor die Waffenkränze kam, zu Kleinholz verarbeitet haben mussten. Und dennoch sah es hier ganz und gar nicht wie auf einem Schlachtfeld aus. Die Bäume und Büsche waren unversehrt, dort wo vorher der Thron gestanden hatte, wucherte Gras und Farn, und auch der Platz der Hütte war mit frischem Grün zugewachsen. Das kann doch nicht mehr als zwei oder drei Stunden her sein, dachte Adilon verwundert. War es möglich, dass die Strahlenmutation die Pflanzen so schnell regenerieren ließ? Bei dem Gedanken richteten sich schauernd seine Hauptfedern auf. Er wandte sich an den letzten verbleibenden Bronzenen aus sei-
ner Gruppe. »Nimm Verbindung mit dem Hantelschiff in New York auf. Wir brauchen Verstärkung. Außerdem will ich wissen, wie viel Prozent der Waldfläche bereits vernichtet wurde.« Die Mimik des Roboters war nicht dazu bestimmt, Sorge oder Angst auszudrücken, dennoch hatte Demon Adilon das Gefühl, als würde die Maschine in diesem Augenblick genau das empfinden. Vielleicht war es auch nur seine eigene Furcht, die ihm den Ausdruck auf dem Gesicht des Bronzenen vorgaukelte. »Es tut mir Leid, Herr«, sagte der humanoide Roboter. »Innerhalb des Trichters versagen unsere Kommunikationssysteme.« »Was? Aber wie soll das möglich sein?« »Ein nicht zuzuordnendes Energiefeld liegt über dem gesamten Areal und…« »Das weiß ich auch!« fauchte Adilon und ließ den Roboter nicht ausreden. »Aber seit Stunden durchkämmen unsere Truppen diesen verfluchten Dschungel und roden den Wald, wo sie nur können. Mittlerweile müssen doch in diesem Feld gewaltige Lücken klaffen!« Der Roboter schwieg. Er schloss kurz die Lider. Anscheinend arbeitete sein Computergehirn auf Hochtouren, um die Situation zu analysieren. Als er die Augen wieder öffnete, war sein Gesicht vollkommen ausdruckslos. »Es fehlen Daten, um einen Bericht zu erstellen.« Adilon seufzte und machte eine abwehrende Handbewegung. Er schaute sich um, und spürte, wie ihm die Angst die Kehle zuschnürte. Hartnäckig weigerte sich das Kopfgefieder, sich wieder an die Haut zu schmiegen. Es bleib hoch aufgerichtet und verriet Adilons Furcht. Vielleicht war es besser, so schnell wie möglich die Dschungelhölle zu verlassen und gegenüber Sigam Agelon zu behaupten, die Königin wäre bei der Waldrodung getötet worden. Vergiss es… er wird es durchschauen und mich vor Wut umbringen lassen. Adilon strich sich über die Federn. Die hohe Luftfeuchtigkeit im Trichter machte ihm erneut zu schaffen. Zu gerne hätte er sich die Uniform, die er vor dem Aufbruch erhalten hatte, vom Leib gerissen, aber vor den Whims und dem Bronzeroboter musste er Disziplin wahren. »Wir werden dieses Miststück finden«, sagte er laut und zog sich mit einem Finger den Kragen des Uniformrocks auf. Dann deutete er in den Wald, der hinter dem ursprünglichen Thronplatz
lag, hinein. »Wir gehen dort hinein.« Mit einem Wink wies er die drei Whims an, vorauszugehen. Adilon folgte, während der Bronzene seinen Rücken deckte. Es war Wahnsinn, tiefer in den Wald hineinzugehen. Einmal mehr beschlich ihn der Gedanke, Reißaus zu nehmen, sich zum Trichterrand durchzukämpfen, wie er es schon einmal geschafft hatte und dann einen Raumer zu kapern, um auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden. Im Schlachtengetümmel draußen im Weltraum war er sicherlich nicht der einzige Deserteur. Ich hätte niemals wieder zurückkehren dürfen. Die Whims blieben stehen und deuteten mit ihren feingliedrigen Armen voraus. Eine Grille hing an einem Gerüst, das aus mehreren Ästen zusammengebunden worden war. Für einen Menschen hätte der Anblick an eine Kreuzigung erinnert, doch das Bildnis war den Orathonen nicht geläufig. Aus der aufgeschnittenen Kehle des Whim lief durchsichtiges Blut. Die unnatürliche Haltung der festgebundenen Arme verriet Adilon, dass das Skelett mehrfach gebrochen war. Wer tut so etwas? »Weiter!« drängte der Gefiederte. Die Grillen zögerten. Sie zwitscherten sich etwas zu, dass der Übersetzer an Adilons Gürtel nicht aufnahm. Der Orathone wurde ungeduldig. Eine Meuterei der Whims hatte ihm gerade noch gefehlt. Er umfasste den Griff seines Energiestrahlers fester, bereit die drei Grillen zu töten, falls sie sich ihm widersetzten. »Herr?« fragte der Bronzeroboter an seiner Seite, der offenbar das Zögern der Whims ebenso interpretiert hatte, wie Adilon. Doch die Grillen gehorchten einen Moment später. Ohne die Leiche ihres Artgenossen eines weiteren Blickes zu würdigen, staksten sie mit weit ausgreifenden Schritten an dem Gekreuzigten vorbei. Adilon und der Roboter folgten ihnen. Als die Grillen nach gut dreißig Metern erneut stehen blieben, befürchtete der Orathone das Schlimmste. Er war umso überraschter, als er das eigentümliche Gebilde aus Ranken und Ästen sah, das einem Tunnel gleich in die Dunkelheit führte. Demon Adilon betrachtete staunend das kleine Kunstwerk. Zu beiden Seiten des Eingangs türmte sich dichtes, undurchdringliches Grün auf. Die natürliche Höhle, die nur durch das Blattwerk gebildet wurde, schien der einzige Weg zu sein. Adilon trat bis an den Rand heran. Nach wenigen Schritten verlor sich der Pfad in
der Dunkelheit. Er zog einen Strahler vom Gürtel und schaltete ihn ein. Der Lichtstrahl fraß sich durch die Finsternis und offenbarte einen Gang, der nach einigen Schritten hinter einer Biegung verschwand. »Das ist ungewöhnlich«, sagte der Bronzeroboter. »Diese Struktur muss künstlich angelegt worden sein.« Adilon bezweifelte das. Er hatte selbst gesehen, zu was die Mutanten fähig waren. Einige von ihnen standen mit der Flora des Trichters in einer Art telepathischer Symbiose. Vermutlich hatten sie die Pflanzen dazu veranlasst, sich in Form der Höhle zu biegen und positionieren. Der Orathone machte einen Schritt über die Schwelle des Eingangs, als er die Hand des Bronzenen auf seinem Arm spürte. »Es könnte eine Falle sein«, gab der Roboter zu bedenken. »Es ist offensichtlich der einzige Weg, der weiterführt. Von drinnen aus leicht gegen eindringende Gegner zu verteidigen.« Adilon nickte und gab der Maschine im Stillen Recht. Leiser fügte der Roboter hinzu: »Schicken Sie einen Whim vor, Herr.« Aus der Sicht hatte der Orathone die Hierarchie der Hilfsvölker noch nicht betrachtet. Zum ersten Mal, seit er Offizier des Imperiums war, machte er sich bewusst, dass die Whims selbst unter den Bronzerobotern – künstlichen Wesen – nur als Kanonenfutter angesehen wurden. Er gab einer Grille ein Zeichen. Das monströse, vielarmige Wesen salutierte mit dem Energiekarabiner und drang in die Pflanzenhöhle ein. Grelle Lichtkegel tanzten über die Blätterwände und den lehmigen Boden. Die beiden anderen Whims folgten in sicherem Abstand. Dann erst schickten sich Adilon und der Roboter an, die Höhle zu betreten. Er ahnte, dass er seinem Ziel nahe war. Der Tunnel schien die einzige Möglichkeit für Königin Saya, sich zu verstecken. Aber Adilon spürte noch etwas anderes. Die Vorahnung einer Gefahr ließ seine Nackenfedern senkrecht in die Höhe stehen. * Es waren elf Schiffe, die die Orathonen wünschen ließ, sie hätten den Krieg gegen Lakton niemals begonnen. Die Flottenverbände hatten sich neu formiert. Während die Armada der Grün-
häutigen sich rund um den dritten Planeten des Sol-Systems bis hin zum Asteroidengürtel gruppierte und vereinzelte Vorhuten bis zum Jupiter vorschickte, sammelte sich die Flotte Laktons jenseits der Plutobahn. Immer wieder gab es neue Vorstöße, Ablenkungsmanöver, ideenreiche Waffenvariationen, die mit Hilfe irdischer, entführter Wissenschaftler entwickelt wurden, um den orathonischen Schiffen größtmöglichen Schaden beizubringen. Was den Laktonen an Masse fehlte, machten sie teilweise durch hervorragende Angriffsstrategien und Effektivität wieder wett. Sigam Agelon kam nicht umhin, die Taktik seines Feindes zu würdigen. Auch wenn er die Laktonen für den Abschaum der Galaxis hielt, zollte er ihnen seinen Respekt, was die militärischen Schachzüge anbelangte. So auch zu dem Vorstoß, den die kleine Angriffsflottille seit einigen Stunden immer wieder wagte. Insgesamt waren es elf Raumschiffe der unterschiedlichsten Bauweise. Ein Pithon-Kreuzer, drei Raumer der Trakon-Klasse und eine handvoll Zerstörer und Angriffsboote, die scheinbar aus dem Nichts auftauchten, zuschlugen und genauso schnell wieder verschwanden, ehe die Orathonen überhaupt wussten wo sie was getroffen hatte. Sigam Agelon saß in seinem Kommandosessel an Bord des Flaggschiffs der Orathonenflotte und studierte die holografischen Aufzeichnungen eines Dorr-Hantelraumers. Das Schiff hatte einen Angriff der Elf, wie sie mittlerweile im Flüsterton von den Flottenoffizieren genannt wurden, beobachtet und wertvolle Daten in Richtung Terra gefunkt, ehe es selbst dem Strahlengewitter der Angreifer zum Opfer gefallen war. Die Elf fielen in Keilformation aus dem Hyperraum. Vorn der Pithon-Kreuzer, flankiert von den zwei Trakons. Ober- und unterhalb die Zerstörer, rundherum verteilt die Angriffsboote und als Nachhut der dritte Trakon. Wie ein Schwarm hungriger Raubvogel stürzten sich die Schiffe auf einen Kreuzer der Wonn-Klasse, der einen Patrouillenflug in der Nähe der Neptun-Umlaufbahn durchführte. Energiegeschütze spien dem Hantelraumer alles entgegen, was sie besaßen. Gleichzeitig kam eine der neueren Waffen, die die irdischen Wissenschaftler Silent Mary nannten, zum Einsatz und jagte zwei Geschosskugeln über ein Katapultsystem an der Außenwand des Pithon-Kreuzers direkt auf den orathonischen Raumer. Nur Sekundenbruchteile darauf gleißte für die Dauer von zwei
Lidschlägen eine neue Sonne im schwarzen Samt des Alls. Der Hantelraumer mit seinen 1200-Meter durchmessenden Endkugeln explodierte in einem grellen Feuerball. Die Elf fegten an ihm vorbei, hielten genau auf den Dorr-Kreuzer zu, der den Angriff aufgezeichnet hatte. Eine Strahlenkanonade unterbrach die Verbindung. Das Holobild wurde dunkel. Sigam Agelon sog scharf die Luft ein. Die Situation im SolSystem entwickelte sich nicht gerade zu seinen Gunsten. Nie zuvor hatte er so heftigen Widerstand erlebt. Und schon gar nicht musste er einen Mehrfrontenkrieg führen. Draußen im Raum bildeten die orathonischen Einheiten einen Sperrgürtel, der jedwedes Eindringen in dieses Sonnensystem verhindern sollte. Dennoch gelang es den Laktonen immer wieder, nach Guerilla-Taktik vorzustoßen und orathonische Einheiten außer Gefecht zu setzen. Die Flotte des Gegners verwickelte Agelons Raumschiffe in Scharmützel oder – wie im Falle der Elf – erledigte sie einfach im Vorbeiflug. Der Schaden hielt sich insgesamt in Grenzen. Die Laktonen konnten mit ihrer Methodik monatelang angreifen, ohne die Flottenstärke der Orathonen nennenswert zu reduzieren. Doch sie schlugen mit ihren Aktionen strategische Breschen in den Verteidigungsring. Lücken, die wieder gefüllt werden mussten, und wenn man sie nicht im Auge behielt, luden sie den Feind förmlich zu einem groß angelegten Überraschungsangriff ein. Auf der anderen Seite bereiteten Agelon die Probleme auf der Erde Kopfzerbrechen. Immer wieder schlüpfte dieser Rex Corda durch sein Sicherheitsnetz. Er arbeitete mit den laktonischen Spezialagenten zusammen, und ihr Ziel lag klar auf der Hand: Sie planten, die Supertransmitter zu vernichten, um den Nachschub der Orathonen zu stoppen. War diese Versorgung erst einmal ausgeschaltet, besaß die Laktonenflotte jenseits der Plutobahn freie Hand und konnte zur Offensive übergehen. Wütend ballte Sigam Agelon seine Hände zu Fäusten. Fast hatte er die unbedeutende Aktion in der Stadt New York vergessen, als sich ein vermisster Orathone, der gleichzeitig Mitglied der FAMILIE war, wieder meldete: Demon Adilon. Der Flottenkommandant kannte ihn nur flüchtig, und seine Anwesenheit in diesem Flottenteil sagte das Gleiche über seine Wichtigkeit innerhalb des Herrschergeschlechts aus, wie die Agelons. Beide waren sie Verstoßene. Denn wer als Mitglied der FA-
MILIE so frontnah eingesetzt wurde, konnte nur bei den höheren Herrschern in Ungnade gefallen sein. Agelon kochte vor Wut. Er hatte nichts mehr für die anderen übrig. Demon Adilon war ihm vollkommen gleichgültig. So schickte er ihn zurück in den Trichter. Vielleicht war er ihm ja nützlich und er konnte diese selbsternannte Königin zu ihm führen. Diese Mutanten waren der Schlüssel zum Versagen der semibiotischen Konduktoren, dessen war sich Sigam Agelon sicher. »Admiral Tekko!« rief Agelon. Am Kommandostand zuckte die Gestalt des Angesprochenen zusammen. Zackig wandte sie sich um und wäre fast über die eigenen Füße gestolpert. Der Admiral kam mit unsicheren Schritten näher, verneigte sich vor Agelon und sah ihn dann fragend an. »Ich brauche einen Bericht über die Aktion in diesem Trichter.« »Erhabener?« fragte Tekko und runzelte die Stirn. Ich bin von Versagern umgeben, dachte Agelon. »Der Bombentrichter in New York! Konzentrieren Sie sich, oder wollen sie Bekanntschaft mit der nächsten Luftschleuse machen?« »Ja, Herr… äh… nein, Herr. Ich werde mich sofort um die Daten kümmern.« Tekko eilte davon, und Agelon schüttelte nur entnervt den Kopf. Wäre ihm die Möglichkeit gegeben, alles selbst zu erledigen, er hätte rücksichtslosen Gebrauch davon gemacht und alle anderen Offiziere standrechtlich erschossen. Ungeduldig mit den Fingern auf die Armlehne seines Sitzes trommelnd, wartete er auf die Rückkehr des Admirals. Als Tekko endlich wieder erschien, war sein Gesicht so blass, dass es nicht einmal ansatzweise einer natürlichen Tönung der orathonischen Gesichtsfarbe entsprach. Wären nicht Federn anstelle des Haupthaares gewesen, hätte man ihn fast für einen viel zu klein geratenen Laktonen halten können. »Ist Ihnen nicht gut?« fragte Sigam Agelon mit mehr Spott in der Stimme, als er beabsichtigt hatte. Die unnatürliche Blässe des anderen konnte nur darauf hinweisen, dass es erneute Probleme gab. Gar nicht gut. Überhaupt nicht gut. Verfluchtes Terranerpack! »Erhabener… wir schickten ein ganzes Bataillon Bronzeroboter und Whims in den Sektor der Anomalie. Wie Sie selbst befahlen, sollten die Pflanzen eliminiert werden, um den psychoenergetischen Schild zu stören, der ein direktes Bombardement verhin-
dert.« Agelon rollte genervt mit den Augen. Warum brachten seine Leute nicht einmal die Nachrichten auf den Punkt, sondern begannen erst mit dem, was er längst wusste? Hielten sie ihn für senil, dass sie sein Gedächtnis erst auffrischen mussten? »Tekko… was ist im Trichter los?« Sigam Agelon sprach langsam und leise. Jeder, der ihn näher kannte, wusste, dass er einem seiner cholerischen Wutausbrüche sehr nahe war. In diesen Fällen tat er oft Dinge, die er vielleicht später bereute. »Wir haben keinerlei Rückmeldung unserer Truppen erhalten. Niemand von denen, die wir in den Trichter schickten, kehrte wieder zurück. Zudem ist das Kommunikations- und Sondierungsproblem noch immer nicht gelöst. Man sollte meinen, dass unsere Kommandos genug von dem Wald vernichtet haben, um den Schild wenigstens stellenweise kollabieren zu lassen. Doch er scheint so stark wie eh und je zu sein. Unsere Sensoren durchdringen nicht die Baumkronen; abgefeuerte Schüsse wurden reflektiert.« Fast hätte Sigam Agelon in einem Wutausbruch aufgeschrien, doch er beherrschte sich und unterdrückte mühsam seinen plötzlich anschwellenden Zorn. Er brauchte Tekko vielleicht noch. Ihm war nicht damit gedient, seinen Beraterstab stückweise zu dezimieren. Dennoch warfen ihn die Berichte aus dem Trichter erneut zurück. Er hatte das Problem als längst erledigt angesehen und wartete nur noch darauf, dass Adilon mit der gefangenen Königin zurückkehrte. »Gab es beim ersten Bombardement Schwankungen in dem Feld?« Tekko hob die Schultern. »Keine für uns messbaren. Warum fragen Sie, Erhabener?« »Weil ich nicht glaube, dass ein Schutzschirm, gleich welcher Natur er ist, auf Dauer einem punktierten Beschuss unserer Waffen standhalten kann. Vielleicht waren Energiestärke und Dauer nicht genug, um ihm ernsthaft Schaden zuzufügen, aber wenn ich die halbe Flotte konzentriert auf den Trichter schießen lasse, muss das eine Wirkung haben. Wir haben genug Feuerkraft, um den ganzen Planeten in die Luft zu jagen.« »Ja, Herr!« Admiral Tekko nickte dienstbeflissen und wandte sich halb in Richtung der Kommandokonsolen um. »Soll ich den Einsatz befehlen?«
»Sind Sie von Sinnen?« Agelons Stimme glich einem Kreischen, so laut und schrill, dass er sämtliche Mitglieder der Kommandozentrale herumfahren ließ. Mit geweiteten Augen und vor Schreck aufgerichteten Kopffedern starrten sie in Richtung Kommandosessel und erwarteten wohl, dass Tekko jeden Moment das Zeitliche segnete. »Aber… Herr.« Der Admiral wirkte sichtlich verstört. »Was glauben Sie wohl wird passieren, wenn wir die halbe Flotte in Stellung um diesen Planeten gebracht haben, um einen jämmerlichen, drei Kilometer durchmessenden Wald zu bombardieren? Abgesehen davon, dass wir wichtige strategische Positionen im Sonnensystem aufgeben müssten, würden wir wichtige Ressourcen verschwenden. Und wofür? Der Trichter hat uns bisher nicht aufgehalten, warum sollte er es jetzt tun? Er verteidigt sich, das ist alles. Ziehen Sie alles ab, was sich von unseren Truppen in seiner Nähe befindet. Wir lassen ihn so brach liegen, wie er ist.« »Aber…«, wollte Tekko einwenden. Er schien die Welt nicht mehr zu verstehen. »Kein aber!« fauchte Sigam Agelon. »Vielleicht hat Demon Adilon Glück und liefert uns diese Königin. Wenn nicht… in wenigen Tagen werden die Supertransmitter ans Netz gehen und unsere Flotte mit Rohstoffen versorgen. Sobald dieser Planet ausgebeutet ist, zapfen wir die Sonne an. Der Trichter wird mit dieser Welt untergehen. Warum sollten wir uns jetzt um Probleme kümmern, die sich alsbald von selbst lösen?« Tekko nickte übertrieben heftig. »Sie haben natürlich Recht, Herr. Wie immer. Ihre Weitsicht ist äußerst weise.« »Verschonen Sie mich mit Schleimereien, Admiral.« Der Offizier schluckte, verneigte sich tief und wollte gerade zu seinem Platz am Kommandostand zurückkehren, als eine Nachricht über die Holokonsole Agelons eintraf. Die Elf hatten erneut zugeschlagen und einen Schwarm A-Vaut-T-Diskusraumer vernichtet, waren in den Hyperraum gesprungen und nahe Uranus wieder heraus gefallen, um sich auf eine Arca-Hantel zu stürzen. Der mächtigste Kriegsschifftyp der orathonischen Flotte hatte nicht den Hauch einer Chance und wurde gnadenlos vernichtet. Admiral Tekko überlebte den darauf folgenden Wutausbruch Agelons nicht.
* Die Königin des Trichters war nicht von ihrem Vorhaben abzubringen, die Welle auszulösen. Gomar Hencip saß resignierend in einer Ecke des Aufenthaltsraums und hatte sich von den Mutanten abgekapselt. Ursprünglich hatte er nicht tatenlos zusehen, sondern die unterste Ebene der Basis weiter inspizieren wollen. Doch Saya war dagegen gewesen. Sie behauptete, sie könne es sich nicht leisten, dass irgendwelche unvorhersehbaren Dinge ausgelöst wurden, die ihre Konzentration störten. Von Thorgol wusste Hencip, dass die psychokinetische Welle Sayas volle geistige Kraft beanspruchte. Sie würde dem Tod näher als jemals zuvor sein, sobald sie ihre Energien über das biologische Netz in den Trichter speiste und alles Leben vernichtete. Um nicht gestört zu werden hatte Saya sich in einen Nebenraum zurückgezogen. Thorgol stand einsam wachend vor dem Ausgang des Aufenthaltsraumes, damit niemand während des Vorgangs hinaus konnte. Gomar Hencip stellte sich bildlich vor, was geschehen würde. Die Whims würden auf der Stelle zusammenklappen. Sämtliches Leben erstarrte von einem Augenblick auf den nächsten, ohne das irgendjemand wusste, was ihn oder es traf, noch dass es von irgendwem verhindert werden konnte. Die Vorstellung, dass jemand zu so etwas fähig war, ließ einen eisigen Schauder über Hencips Rücken wandern. Wenn er den Gedanken weiter sponn, wäre Saya womöglich sogar in der Lage, die psychokinetische Schockwelle außerhalb des Trichters auszulösen. Sie könnte möglicherweise ganze Landstriche von allem Leben ausradieren und damit die Invasion der Orathonen stoppen. Möglicherweise. Zum einen tötete sie damit auch die Menschen und zum anderen war nicht gesagt, dass ihre Konstitution überhaupt ausreichte, die Welle innerhalb des Trichters zu überleben. Sayas Geist war stark, doch sie steckte in einem schwachen Körper. Hencip war sicher, dass diese junge Frau ohne die mentale Unterstützung ihres Leibwächters Thorgol niemals so lange überlebt hätte. Sie war auf ihn angewiesen, mehr als sie sich eingestehen mochte. Hencips Herz setzte einen Schlag aus, als plötzlich der EnergieTaster an seinem Handgelenk ausschlug. Das Gerät war ihm von
Saya zusammen mit allen anderen Instrumenten seiner Agentenausrüstung zurückgegeben worden. In seiner Hauptfunktion maß es den Energieumsatz von orathonischen Organismen und schlug Alarm, sobald sich ein Gefiederter in der Nähe befand. Aber es war unmöglich, dass es in diesem Moment entsprechende Werte maß. Der Laktone fuhr hoch. In einer fließenden Bewegung hatte er den Magnet-Smash mit der Rechten und den Energiestrahler mit der Linken gezogen. Thorgol blickte ihn finster an, hatte aber im selben Moment seine Gedanken gelesen. Orathonen waren hier! Hencip wusste nicht, ob er etwas übersehen hatte oder ob die Eindringlinge schlicht und ergreifend den Zugang zur Basis gefunden hatten. Es spielte auch keine Rolle. Er musste eine Verteidigung organisieren. Ohne Vorwarnung gab er einen Schuss in die Decke ab und scheuchte die Mutanten hoch. Er blickte in verängstigte Gesichter. Einige von ihnen warfen ihm zornige Blicke zu. »Der Feind ist hier«, sagte er eindringlich. »Wir müssen raus auf den Korridor und ihn stellen, ehe er Sayas Konzentration stören kann.« Einige Männer und Frauen nickten und schlossen sich Hencip an. Thorgol ließ sie passieren, verbaute ihnen aber den Weg in Richtung des Raumes, den Saya für sich gewählt hatte. Hencip warf einen schnellen Blick auf die Anzeige des Energie-Tasters. Die Messwerte schienen aus dem Korridor zu kommen, der zum Ausgang führte. Offenbar war der Gegner tatsächlich gerade erst eingedrungen, als das Gerät ausschlug. Hencip wandte sich an die Mutanten. »Ich messe ein orathonisches Lebenszeichen. Das bedeutet allerdings nicht, dass der Eindringling allein ist. Wir sollten uns besser auf eine Reihe von Hilfstruppen einstellen, die ihn begleiten. Alle Telekineten bleiben direkt an meiner Seite. Wenn wir dem Feind begegnen, müssen Sie Ihre Fähigkeiten zuerst bei den Bronzerobotern anwenden. Die Telepathen nehmen sich die Nervenzentren des Orathonen und der Whims vor, falls sie ebenfalls hier sind.« Der Laktone war ein wenig über sich selbst verwundert. Er fühlte sich in der Rolle des Anführers sichtlich wohl und glaubte beinahe, in seinem bisherigen Leben nichts anderes getan zu haben, als Psi-Krieger in die Schlacht zu schicken.
Laktonen passen sich schnell den Gegebenheiten einer fremden Welt an, dachte er. Aber so schnell? Das ist selbst mir neu. Er lächelte und eilte mit den Mutanten los. Thorgol und die Trichterbewohner, die sich nicht für den Kampf eigneten, blieben zurück. Hencips Gruppe bestand aus sieben Leuten – drei Frauen und vier Männern, von denen ihm vier Telepathen und drei Telekineten zur Verfügung standen. Er hoffte nur inständig, dass sie sich nicht einer Übermacht stellen mussten. Ihm wäre wohler gewesen, wenn er über die aktuelle Situation im Trichter Bescheid gewusste hätte. Wie viele Truppen hatten die Grünhäutigen entsandt, um den Wald zu vernichten? Wie schnell hatten sie den Eingang zum Bunker gefunden? Hatten sie es nur mit einer Vorhut zu tun, oder hatte sich eine ganze Kompanie Zutritt verschafft. Im nächsten Moment bekam Hencip Antworten auf seine Fragen. Sie liefen den Korridor entlang, der sie her gebracht hatte. Dann geschahen plötzlich mehrere Dinge gleichzeitig, die in ihrer Abfolge eine unabwendbare Katastrophe herbeiführten. Hencip machte vorn eine Bewegung aus. Im selben Augenblick schrie eine der beiden Telepathinnen hinter ihm auf. Der Laktone fuhr herum und sah das Weiße in ihren Augen. Die Frau musste Entsetzliches gesehen oder gespürt haben. Nur am Rande seines Bewusstseins dämmerte ihm, dass sie direkten Kontakt zu einem Whim-Bewusstsein hatte und angesichts der Fremdartigkeit des Insektengehirns einfach geistig zusammenbrach. Vorn wurde das Feuer eröffnet. Gleichzeitig drang Sayas Ruf durch Hencips Gedanken. An den Reaktionen der anderen Mutanten erkannte er, dass auch sie ihre Stimme hörten. Nein! Kehrt zurück! Doch es war zu spät. Die Whims bestrichen den Korridor mit einem Stakkato an Energielanzen. Zwei Männer fielen getroffen zu Boden. »In Deckung!« schrie Hencip und warf sich durch die offene Tür eines Nebenraums. Er zog eine der beiden noch stehenden Frauen einfach mit sich, während die zweite vom Projektilhagel eines Bronzeroboters im nächsten Augenblick regelrecht zerfetzt wurde. »Mein Gott«, stöhnte die Frau unter Hencip. Sie stemmte sich gegen ihn und versuchte ihn von sich zu drücken. Der Laktone stand auf und half ihr auf die Beine. Er spähte durch den Türrah-
men zu einem Zimmer auf der gegenüberliegenden Seite des Korridors und sah, dass sich die beiden verbliebenen Männer ebenfalls in Sicherheit gebracht hatten. Die Whims stellten das Feuer ein. Ihre klackenden Schritte hallten auf dem metallenen Boden wider. Sie bewegten sich unregelmäßig, so als huschten sie von Türnische zu Türnische, um in Deckung zu bleiben. Hencip schätzte die Entfernung zu der Bewegung, die er am Ende des Ganges ausgemacht hatte, auf etwa dreißig Meter. Ihnen blieb nicht viel Zeit, wenn sie zum Gegenschlag ausholen wollten. Er blickte an seinen Instrumentengürtel herunter und wünschte sich, er hätte vor Beginn seiner Mission auch an Plasmagranaten gedacht. Sie wurden normalerweise nur von der laktonischen Infanterie genutzt und gehörten nicht zur Standardausrüstung der Agenten. Gomar Hencips Blick suchte den der beiden Männer. Es waren Telekineten. Die Frau, die er gerettet hatte, war Telepathin. »Teilen Sie den beiden mit, sie sollen sich um den Roboter kümmern. Sobald sie loslegen, greifen Sie den Orathonen an. Ich versuche, diese… Grillen zu erledigen. Verstanden?« Die Frau nickte. Sie schloss kurz die Augen und übermittelte ihre Botschaft. »Auf mein Zeichen«, sagte Hencip. »Los!« Das Fiasko hätte nicht größer sein können. Der Laktone hatte die Fähigkeiten der Mutanten überschätzt. Beide Männer benötigten Sichtkontakt, um ihre Kräfte wirken zu lassen. Als sie in den Gang hinaus traten, eröffneten die Whims augenblicklich das Feuer. Ihre Salven fraßen sich durch die Leiber der beiden Mutanten. Die Frau, die sich den Orathonen vornehmen sollte, stand wie vor Schreck da, die Schmerzensschreie der Sterbenden hundertfach in ihren Gedanken hörend. Hencip trieb sie an, doch sie rührte sich nicht vom Fleck. Er sprang in den Gang hinaus, schoss und traf einen Whim ins Gesicht. Die Grille zirpte und stieß ein schrilles Kreischen aus, ehe sie zu Boden fiel. Die anderen beiden ruckten ihre Gewehre herum und feuerten auf Hencip, doch der Laktone hatte bereits den Rückzug angetreten. Er hetzte den Gang entlang und brachte sich hinter der nächsten Biegung in Sicherheit. Energiestrahlen und Projektile fegten haarscharf an ihm vorbei. Er spürte die sengende Hitze an seiner Wange und merkte, wie sich einige seiner Haare kräuselten. Ein verirrtes Geschoss streifte seinen Oberarm, ehe er in Deckung war.
Er fluchte und hielt sich die verletzte Stelle. Nur eine Schramme, bleib ruhig! Der Schrei der Frau, die er zurückgelassen hatte ertönte und verstummte eine Sekunde darauf wieder. Die Whims hatten sie gefunden und getötet. Hencip atmete tief durch. So toll er sich in der Rolle eines Kommandanten gefunden hatte, so miserabel schienen seine Führungsqualitäten zu sein. Er hatte sieben Leute verloren und nur einen Gegner erledigt. Eine Bilanz, die ihn vor einem laktonischen Militärgericht den Kopf gekostet hätte. Glück für ihn, dass hier die Gerichtsbarkeit seiner Heimatwelt nicht angewandt werden konnte. Er rannte den Korridor zurück, aus dem er gekommen war. Wenn er den Rest der Mutanten einschließlich ihrer Königin retten wollte, musste er sich beeilen. Es gab nur einen Weg zu ihnen, die Eindringlinge konnten sie also nicht verfehlen. Atemlos erreichte er Thorgol. »Wir müssen fort. Schnell. Hol Saya!« Der Mutant zögerte nicht, sondern stürmte sofort in den Raum, in dem die Königin sich verschanzt hatte. Hencip winkte die Leute aus dem Aufenthaltsraum zu sich. »Rasch, los, schneller!« Die Leute gehorchten ihm aufs Wort, vermutlich eher ob der Tatsache, dass er mit seinen Waffen herumwedelte, als dass sie seiner Autorität ergeben waren. Er lotste die Mutanten durch den Korridor, blickte sich immer wieder gehetzt um und erwartete jeden Moment, die Grillen um die Biegung kommen zu sehen. Saya und Thorgol schlossen sich ihnen an. Sie nahmen die Abzweigung, die zum Antigravschacht führte. Als sie das kreisrunde Loch in der Mitte des Ganges erreichten, blieben die Männer und Frauen verdutzt stehen. »Runter da!« rief Hencip, doch keiner machte Anstalten, in die gähnende Leere hinauszutreten. Nicht einmal Saya oder Thorgol. »Was ist?« Der Laktone blickte die Königin an. »Gehen Sie schon, ich decke unseren Rückzug.« Saya nickte und sah ihre Untertanen aus ihren großen, leeren Augen an. »Es ist ungefährlich.« Zur Unterstreichung ihrer Worte machte sie einen Schritt auf das Loch im Boden zu. In diesem Moment flackerte das Licht an den Wänden. Sayas Fuß trat ins Leere.
Sie schrie erschrocken auf, ruderte mit den Armen, und wäre Thorgol nicht direkt an ihrer Seite gewesen und hätte sie ergriffen, wäre sie unweigerlich in die Tiefe gestürzt. »Verflucht!« presste Hencip hervor. Das Lichtflackern hörte auf. »Was ist passiert?« keuchte Saya. Die anderen Mutanten blickten Hencip feindselig an, als trüge er die Schuld am Versagen des Gravitationsschachtes. »Der Roboter in ihrer Begleitung hat die Situation analysiert und entdeckt, dass es sich um eine orathonische Einrichtung handelt«, erklärte Hencip. »Er versucht Zugriff auf den Steuerkern zu bekommen, um die Primärfunktionen zu kontrollieren. Aber anscheinend ist ihm das nicht ganz gelungen. Wir müssen nach unten, los jetzt.« Saya schüttelte den Kopf. Hencip seufzte, drängte sich an den anderen vorbei und trat in den Schacht hinaus. Ein überraschtes Raunen ging durch die Reihen der Mutanten, als sie den Laktonen mitten in der Luft stehen sahen. »Beeilt euch«, sagte er. Dann verschwand sein Körper langsam in der Tiefe. Er legte den Kopf in den Nacken und blickte nach oben. Noch immer zögerten die anderen, doch dann überwand sich Thorgol und folgte ihm. Das muss schneller gehen, dachte Hencip. Entweder die Whims holen gleich auf oder der Bronzene schaltet den Saft ab, dann wird aus einer Freifahrt nach unten ein Freiflug, den niemand überlebt. Der laktonische Agent hatte gehofft, Thorgol würde seine Gedanken aufschnappen und an die anderen Flüchtlinge weiterleiten, doch offenbar hatte er bereits jenen Punkt passiert, an dem die parapsychischen Fähigkeiten der Mutanten keinerlei Wirkung zeigten. Was auch immer die Orathonen im unteren Bereich der Basis gelagert oder freigesetzt hatten, es blockierte ihre Kräfte. Gomar Hencip verscheuchte den Gedanken – die einzigen Waffen, die ihnen jetzt zur Verteidigung blieben, waren die Strahler in seinen Händen. Der Reihe nach wagten sich weitere Mutanten in den Schacht hinaus und sanken langsam aber sicher nach unten. Hencip betete zum Schenna, dass nicht gerade jetzt der Lift versagte. Er sah zu Boden und erreichte im selben Moment die untere Ebene. Insgeheim hoffte er, dass der eliminierte Bronzene die Wahrheit gesagt hatte und sich hier unten tatsächlich keine weiteren Robo-
ter befanden. Angestrengt starrte er in den Gang hinein. Er lag ruhig und leer da, so wie er ihn verlassen hatte. Zur Sicherheit ging Gomar Hencip ein paar Schritte weit in den Korridor, bis zu jenem Raum, in dem Anyim Pius erschossen worden war. Die Leiche des Leibwächters lag noch immer dort. Hencip kehrte zum Schacht zurück, gerade rechtzeitig, um Thorgol in Empfang zu nehmen. Der Mutant wirkte ungewöhnlich blass. Die Aussicht auf ein plötzliches Versagen des Gravoschachtes und der fehlende telepathische Kontakt zu seiner Königin musste ihm die Angst in die Glieder getrieben haben. »Alles in Ordnung«, sagte Hencip und sah nach oben. Die nächsten Mutanten kamen bereits hereingeschwebt. Er half ihnen aus dem Schacht und wartete auf Saya. Sie war inzwischen ebenfalls im Schwebeflug, doch sie war nicht die Letzte. Hinter ihr waren weitere Mutanten, und oben am Rand des Antigravlifts machte Hencip noch drei weitere Gestalten aus, die sich zierten, in das Nichts hinauszutreten. Eine Sekunde darauf waren die drei tot. Grelle Blitze stachen durch über die Öffnung hinweg, fraßen sich durch die Leiber der Wartenden und stießen diese in den Schacht hinaus. Statt stehend wurden ihre leblosen Körper im Liegen nach unten befördert. Hencip fluchte, bot Saya eine Hand dar, doch sie schlug sie beiseite und trat ohne seine Hilfe aus dem Lift. Sie kümmerte sich mit ihm um die nachfolgenden Mutanten. Oben am Rand lugten die dreieckigen Insektenköpfe zweier Whims hervor. Sie gaben zwei Schüsse ab, doch die Gravitation bremste diese genauso ab wie einen festen Körper, sodass sie scheinbar unendlich langsam durch die Luft krochen. »Vorsicht!« brüllte Hencip hinauf. Zwei Mutanten im Schussfeld sahen nach oben und konnten den Energiestrahlen mühelos ausweichen. Die Lichtfinger schoben sich an ihnen vorbei wie zähflüssiges Magma, überholten sie und fuhren am Schachtende in den Boden, wo sie den Generator zerschmetterten. Von einem Lidschlag auf den nächsten war die Energie fort und die Gravitation aufgelöst. Vier Männer, die sich noch im Anflug befanden sowie die drei Leichname sausten, auf tödliche Geschwindigkeit beschleunigt, in die Tiefe. Ihre Körper zerschellten am Boden. Entsetzt wandte sich Saya ab, während Hencip mit aufwallender
Wut auf die Toten starrte. Zwei weitere Blitze schossen herab und zwangen den Laktonen, sich in die Sicherheit des Korridors zurückzuziehen. Wenigstens hatten sich die Orathonen den Weg nach unten selbst verbaut. Wenn sie keine Gravogürtel zu ihrer Ausrüstung zählten, mussten sie mit einem langwierigen Abstieg rechnen. Doch es schien nur eine Frage der Zeit, bis sie hier unten eintrafen und das beendeten, was sie oben begonnen hatten. »Und jetzt?« fragte Saya. Sie wirkte verängstigt. Kein Wunder, auch sie musste auf diesem Deck auf ihre Kräfte verzichten. »Haben Sie die Welle ausgelöst?« Die Königin schüttelte den Kopf. »Nein. Das war auch nicht notwendig. Ich habe die Umgebung im Trichter sondiert und nur noch vereinzelt Eindringlinge gefunden. Der Wald hat sich selbst verteidigt. Dort, wo Pflanzen verbrannt wurden, sind in Sekundenschnelle neue gewachsen. Die Mutationen haben sich gegen die Grillen und Roboter zur Wehr gesetzt und sie vernichtet. Gerade als ich mich zurückziehen wollte, entdeckte ich diese kleine Gruppe direkt am Eingang.« Hencip fuhr sich mit einer Hand übers Kinn. »Wir müssen weiter. Vielleicht finden wir auf diesem Deck irgendetwas, das wir als Waffen benutzen können. Soweit ich gesehen habe, sind die Eindringlinge nur noch zu Viert. Zwei Whims, ein Roboter und ein Orathone. Aber solange sie ihre Strahlenwaffen besitzen und Ihre Leute nicht ihre Parakräfte aktivieren können, sitzen wir hier wie auf dem Präsentierteller fest.« »Vielleicht gibt es einen anderen Ausgang.« »Kaum«, meinte Hencip. Sie liefen den Korridor entlang und holten die anderen ein. Gerade als der Gang eine Linksbiegung machte und der Antigravschacht damit außer Sichtweite geriet, ertönte das tiefe Grollen eines gerade aus der Starre erwachten Generators. Hencip blieb abrupt stehen und starrte zurück in den Gang zum Lift hin. Der Bronzeroboter im Feindkommando musste einen Reservegenerator aktiviert haben, um den Schacht neu zu starten. »Jetzt haben wir ein Problem!« »Laktone!« hallte eine wohl vertraute Stimme durch die Liftröhre zu ihnen herab. »Du bist hier auf meinem Terrain, das solltest du nie vergessen.« Hencip nagte an der Unterlippe und bleckte dabei seine rötlichen Zähne. »Es ist dieser orathonische Kommandant, den Sie
bei den Gefangenen hatten. Demon Adilon. Dieser Mistkerl ist zurückgekehrt.« Saya fasste ihn bei der Hand und zog ihn weiter. Erneut kamen sie an dem Büroraum des Basiskommandanten vorbei und sahen Pius’ Leiche. Saya blieb stehen und wollte in das Zimmer gehen, doch diesmal schleifte Hencip sie einfach mit sich. An einer Kreuzung schlossen sie zu den anderen Flüchtlingen auf. Thorgol, der es nicht gewohnt war, sich ohne seine telepathischen Fähigkeiten zu verständigen, versuchte mit Gesten etwas zu signalisieren, das Hencip nicht verstand. »Beruhige dich«, sagte Saya. Sie wandte sich an den Laktonen. »Und jetzt?« Gomar Hencip hob sein Multifunktionsgerät hoch und hielt es abwechselnd in die drei verschiedenen Gangrichtungen. Stirnrunzelnd betrachtete er das Display. Es gab keine sonderlichen Ortungen, die viel versprechend aussahen. Schwache Energieortungen, die auf kleinere Generatoren schließen ließen. Der Entfernungsmesser sprach gleichermaßen an und lieferte einen skizzierten Grundriss der Einrichtung, der die ungefähre Gesamtgröße erahnen ließ. Doch da war noch etwas. Der rechte Gang schien sich in einer groß angelegten Kurve mit dem linken und dem Korridor, der geradeaus führte zu vereinen, doch es schien eine Abzweigung zu geben. »Wir nehmen den rechten.« Hencip ging vor. Er hörte die eiligen Schritte hinter sich. Nach dem Vorfall am Gravoschacht gehorchten ihm die Mutanten aufs Wort. Sie hetzten den Korridor entlang. Je weiter sie kamen, umso schwacher schien das indirekte Licht der Wände zu werden. Hencip hatte nicht den blassesten Schimmer, ob dies von den Erbauern der Anlage beabsichtigt war oder ob Demon Adilon wieder seine Finger im Spiel hatte. Sie ließen die abzweigenden kleinen Gänge und Räume unbeachtet und folgten dem Hauptkorridor bis zu der Stelle, an der Hencips Ortungsgerät eine ungewöhnliche Messung angegeben hatte. Jetzt war der Grund ersichtlich: Ein weiterer Gravoschacht fiel in die Tiefe. Er begann auf diesem Deck und führte in einen gähnenden Abgrund, dessen Ende nicht sichtbar war. »Dort hinunter?« fragte Saya skeptisch. Hencip hob die Schultern. »Kein Licht. Ich weiß nicht, ob er überhaupt funktioniert.«
Thorgol überraschte sie alle, indem er sich an dem Laktonen und Saya vorbeidrängte und ohne Scheu einen Schritt über den Schachtrand hinaustrat. Er fiel nicht, sondern blieb mitten in der Luft stehen. Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Mutanten. »Das war leichtsinnig«, kommentierte Hencip. Der Hüne legte den Kopf schief. Im selben Augenblick sank er in langsam in die Tiefe. Hencip war mulmig zumute, Thorgol zu folgen. Solange der Orathone und sein Roboter nicht in der Basis waren, hatte er grenzenloses Vertrauen in die Technik der Gefiederten gehabt, doch mit Adilons Eindringen hatte sich die Lage grundlegend geändert. Wie leicht konnte er ihnen einen Strich durch die Rechnung machen, indem er die Stromversorgung für einzelne Bereiche der Einrichtung abschaltete? Hencip hatte das Gefühl, dem Grünhäutigen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert zu sein. Das Einzige, was für die Flüchtlinge sprach, war die Tatsache, dass Adilon die Basis genauso wenig kannte wie sie selbst. Kein Heimspiel für den Orathonen. Hencip lächelte und trat ebenfalls in den Antigravschacht hinaus. Die anderen Mutanten folgten ihm. Der Schwebeflug in die Tiefe war deutlich schneller als bei dem ersten Lift. Zudem sorgte die Dunkelheit dafür, dass sie nicht sehen konnten, wohin ihre Fahrt führte. Das Gefühl, jeden Moment auf einem harten Grund aufzuschlagen, wurde bei einigen der Flüchtlinge so übermächtig, dass sie zu schreien begannen. Hencip konnte nichts dagegen tun. Er hoffte nur, dass ihre Schreie nicht bis nach oben drangen und Adilon verrieten, welchen Weg sie genommen hatten. Der Laktone sah auf das Display seines Multifunktionsgerätes, das die Strecke ihres Falls berechnete. Demnach waren sie bereits seit vier Minuten unterwegs und hatten knapp dreihundert Höhenmeter überwunden. Hin und wieder ließ Hencip den Handstrahler aufblitzen, um sich zu orientieren und wenigstens etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Doch alles, was er um sich herum sah, waren glatte, fugenlose Wände und Thorgols Gestalt, etwa zwanzig Meter unter sich. Irgendwann spürte er eine Umkehrung der Gravitation. Der Flug durch den Schacht führte nicht mehr in die Tiefe, sondern war in die Waagerechte übergegangen. Erneut schaltete Hencip den Handstrahler ein. Der Lichtkegel tanzte durch einen Röhrentunnel, der keine fünfzig Meter vor ihnen abrupt endete. Gomar Hen-
cip befürchtete, dass sie in einen unausgebauten Streckenabschnitt geraten waren, der von den Orathonen nicht mehr fertig gestellt worden war. Vielleicht endete der Gravoschacht einfach vor solidem Fels. Seine Angst erwies sich als unbegründet, als keine zwanzig Schritt von ihm entfernt Thorgol auf dem Boden aufsetzte. Die Berührung schien diesen Teil der Anlage erst zu aktivieren. Ein tiefes Brummen breitete sich aus, das sich unangenehm in Hencips Magen bemerkbar machte. Kurz danach glommen die Wände in einem dunklen Orange auf und spendeten genügend Licht, um den Ort, an dem sie gelandet waren, genauer in Augenschein zu nehmen. Hencip verließ den Gravoschacht auf demselben Weg wie Thorgol. Der Tunnel mündete in einer kleinen Halle, an deren Übergang sich die Schwerewirkung einstellte und den Reisenden der natürlichen Gravitation überließ. Die Halle war funktionell eingerichtet. An den Wänden befanden sich einige Bildschirme und Schaltschränke. Energieleitungen liefen unter der Decke entlang. Hencip sollte mit der Vermutung, dass dieser Teil des Komplexes noch nicht ganz fertig gestellt war, Recht behalten. Doch es handelte sich nur um Schönheitskorrekturen. Die Anlage war in vollem Betrieb. Mit ihren Sitzbänken, die die Halle dominierten, erinnerte sie den Laktonen an das Warteterminal eines Raumhafens. Auf der gegenüberliegenden Seite der Gravoröhre entdeckte er ein Schott. Hencip drehte sich einmal um die eigene Achse und wartete bis sich die anderen Flüchtlinge eingefunden hatten. Er wählte einen stämmigen Mann aus und drückte diesem seinen MAS in die Hand. »Gehen Sie zur Röhre zurück und warten am Eingang. Egal was auch versucht, hereinzukommen, erschießen Sie es. Sie brauchen nur diese Taste zu bedienen. Alles klar?« Der Mann nickte und wandte sich ab. Hencip ging auf einen der Bildschirme zu und berührte die Sensorfelder, um den Computer zu aktivieren. Über das Display flimmerte eine Statusanzeige. Mit ihrem Eintreffen musste das Rechengehirn eine Selbstdiagnose durchgeführt haben. Wenn Hencip den Anzeigen Glauben schenken durfte, liefen alle Systeme auf hundert Prozent und ohne Fehler. Das Bedienungsmenü war in orathonischer Sprache dargestellt.
Hencip besaß keinerlei Mühe, sich zurechtzufinden. Er fand heraus, dass sie sich tatsächlich in einer geplanten Wartehalle aufhielten und dieser Teil der Einrichtung noch nicht komplett ausgebaut war. Von hier aus wollten die Orathonen ungesehen von den Einheimischen zu anderen Regionen es Planeten vorstoßen und weiteres Terrain erschließen. Jenseits des Schotts befand sich eine Magnetkapselbahn, ein Hochgeschwindigkeitstransportmittel, das tief unter der Erde die Entfernungen zwischen den irdischen Ländern und Kontinenten überbrücken sollte. Die Orathonen waren jedoch nie dazu gekommen, es in den Dienst zu stellen. Wenn Hencip der schematischen Karte folgte, führte die Röhre in den Süden der Stadt und gabelte sich dort Richtung Westen und Osten. Im Osten begrenzte der Atlantik das Areal, im Osten der Staat New Jersey. »Faszinierend«, kommentierte Hencip. »Die Orathonen hätten sich nicht nur hier eingenistet. Wäre der Krieg nicht ausgebrochen und die Nuklearexplosion hätte alle Träume der Gefiederten zunichte gemacht, dann hätten sie heute vermutlich den gesamten Planeten unterwandert.« »Was ist das?« fragte Saya und trat an Hencip heran. »Ein Transportsystem. Allerdings hilft uns das nicht wirklich weiter. Sehen Sie«, er deutete mit dem Finger auf eine Ausschnittsvergrößerung der Karte, »die Oströhre führte südöstlich quer durch das Stadtgebiet bis zum Meer. Die Bombenexplosion vor zwanzig Jahren hat für seismische Aktivitäten gesorgt und den Unterseetunnel vernichtet. Nur den Sicherheitssystemen, die die Orathonen eingebaut haben, ist es zu verdanken, dass nicht der ganze Komplex unter Wasser steht. Die Weströhre ist nur bis hierhin ausgebaut worden. Sagt Ihnen das etwas?« Saya betrachtete die Stelle über Hencips Finger genauer. »Dort liegt Jersey City, der Rand des Trichters. Das muss ungefähr vier Kilometer von hier entfernt sein. Können wir dort hin?« Hencip zuckte die Schultern. »Wenn die Elektromagnete noch funktionieren und die Transportkapseln einsatzbereit sind, ja. Aber wir hätten nicht viel dadurch gewonnen. Genau dort befinden sich einige gelandete Kreuzer der Orathonen.« Der Laktone sah in die ratlosen Gesichter Sayas und Thorgols. Er wollte gerade vorschlagen, dass sie sich besser wieder auf den Rückweg machten, als hinter ihnen an der Tunnelöffnung der Magnet-Smash abgefeuert wurde. Hencip wirbelte herum und
sah, wie die Silhouetten zweier Whims durch die Antigravröhre schwebten und mit ihren Strahlenwaffen schossen. Der Mutant, der am Eingang Wache hielt, verfehlte seine Ziele und brach unter den Energieblitzen der Angreifer zusammen. »Alles zurück!« brüllte Hencip über das sich ausbreitende Chaos aus Schreien und Rufen hinweg und brachte seine Pistole in Anschlag. Die Mutanten stoben panisch auseinander. Zwei, drei rannten ihm ins Schussfeld, sodass er nicht wagte zurückzufeuern. Hencip fluchte, wechselte seine Position und legte erneut an. Die Whims hatten den Halleneingang erreicht, betraten den Boden und bestrichen den Wartesaal mit todbringenden Energiefingern. Zwei Männer fielen. Eine Frau mit Kind auf dem Arm wurde an der Schulter getroffen und herumgerissen. Sie ließ das Kind los, doch bevor es zu Boden fallen konnte, fing es jemand neben ihr auf, drückte es an seine Brust und rannte in Deckung. Die Frau hielt sich die Schulter, sah dem Mutanten mit ihrem Kind im Arm nach. Ein mildes Lächeln lag auf ihren Lippen, als ein weiterer Energieblitz ihre Kehle zerriss und sie meterweit durch die Luft schleuderte, bis die Rückwand sie stoppte. Hencip verriss die Pistole als er feuerte. Beinahe hätte er einen der Mutanten getroffen, der blindlings durch sein Schussfeld rannte. Der bereits ausgelöste Strahl fuhr in die Decke. Dafür hatte er die Aufmerksamkeit des Whim auf sich gezogen. Die menschengroße Grille ruckte herum, erkannte den Laktonen und nahm ihn unter Beschuss. Hencip hechtete hinter eine Sitzreihe in Deckung, doch die Salve fuhr durch das Material und zerschmolz es, sodass er sich nicht lange in Sicherheit befand. Geduckt rannte er weiter, nutzte weitere der Wartebänke als Deckung, doch die Strahlenkanonade der beiden Insekten wütete gnadenlos und zerstörte nicht nur das spärlich vorhandene Mobiliar, sondern fällte auch der Reihe nach die Mutanten. Mit Bedauern sah Gomar Hencip, dass es auch den Mann, der das kleine Kind zu retten versuchte, erwischt hatte. Verfluchte Grillen! Inzwischen kamen aus der Gravoröhre zwei weitere Gestalten: Der Bronzeroboter und Demon Adilon. Beide hielten sich nicht damit auf, die Situation in der Wartehalle zu analysieren, sondern gingen rigoros zum Angriff über. Sie schossen wahllos in die Men-
ge. Hencip hechtete nach vorn, schlitterte mit ausgestreckten Armen über den Boden und zielte durch die halb geöffneten Beine eines Mutanten. Der grelle Blitz fand sein Ziel im Brustkorb des Whim, der hinter dem Flüchtling stand. Der Mutant nickte Hencip dankbar zu, wurde jedoch im selben Augenblick von den Projektilen des Waffenkranzes des Bronzenen durchsiebt. Hencip rollte auf den Rücken und kroch hinter der Leiche einer Frau in Deckung. Er versuchte den Bronzeroboter ins Visier zu nehmen, doch immer wieder huschten die Gestalten von Sayas Untertanen umher und nahmen ihm die Möglichkeit, einen sicheren Schuss zu platzieren. Aus den Augenwinkeln sah er, dass sich das Schleusentor zur Transportröhre geöffnet hatte. Das konnte nicht sein! Die Menschen kannten die Codes nicht, es sei denn… Hencip versuchte den Orathonen in dem Getümmel auszumachen und verfluchte sich selbst. Er hätte Adilon besser im Auge behalten sollen. Drei Männer und eine Frau stürzten sich auf den letzten Whim und rangen ihn zu Boden. Thorgol tauchte plötzlich in seinem Blickfeld auf: Der Hüne hatte sich bis zum Gravoschacht vorgearbeitet und hob nun den Magnet-Smash auf. Den Bronzenen! dachte Hencip angestrengt und erinnerte sich daran, dass hier unten die telepathischen Fähigkeiten der Mutanten blockiert waren. Aber Thorgol hatte das Ziel längst selbst ausgemacht, legte auf den Roboter an und feuerte. Zwei der Miniprojektile verfehlten den Gegner, ein drittes bohrte sich in den Hals einer Frau mit vier Armen, die zu nahe bei dem Bronzenen stand. Der Elektroschock setzte sie sofort außer Gefecht. Der Roboter hatte die Gefahr erkannt und fuhr mit erschreckender Geschwindigkeit herum. Sein Waffenkranz rotierte, doch ehe er das Feuer eröffnen konnte, schlugen zwei Projektile in seiner Brust ein, ein drittes bohrte sich in seine Stirn. Züngelnde Blitze tanzten wie Elmsfeuer über den Leib der Maschine. Der Körper zuckte unkontrolliert, versuchte noch einen Schritt nach vorn zu setzen und kippte dann einfach vornüber zu Boden. Sofort sprangen ein paar Überlebende aus Sayas Gefolge herbei und warfen sich auf den Bronzenen, doch das war gar nicht notwendig, denn die Elektroschocks aus dem MAS hatten ihn kampfunfähig gemacht.
Hencip richtete sich auf Knien auf und versuchte sich einen Überblick über die Lage zu verschaffen. Die beiden Whims waren tot. Der Roboter außer Gefecht. Mehr schien von Adilons Trupp nicht übrig geblieben zu sein. Er bedeutete Thorgol mit einer Geste, am Ausgang der Röhre Stellung zu beziehen, falls es doch noch weitere Eindringlinge gab. Wo war Adilon? Gomar Hencip stand auf und ging zu den Bedienkonsolen hinüber. Die abgefeuerten Strahlwaffen hatten dafür gesorgt, dass sich dichter Qualm in der Halle ausgebreitet hatte. Hencip beobachtete die Mutanten, die sich hustend in Thorgols Richtung zurückzogen. Er hoffte, dass er Adilon irgendwo vor sich auf dem Boden vorfand, totgetreten von den in Panik geratenen Trichterbewohnern. Doch als er direkt vor der geöffneten Schleuse stand, hatte er weder eine Spur von dem Orathonen noch von Saya gefunden. Er passierte das Schott. Der Gang dahinter war inzwischen hell erleuchtet. Rechts wurde er von einer Wand begrenzt. Auf der linken Seite befand sich eine gläserne Röhre, in der eiförmige Transportkapseln verschiedenster Größe darauf warteten, dass jemand einstieg und mit ihnen davon fuhr. Hencip wusste nicht, ob eine davon fehlte. Möglicherweise war Adilon geflogen. Aber wo steckte dann die Königin? Eiseskälte lief über seinen Rücken als in seinen Gedanken ein unangenehmer Verdacht aufkeimte. Was, wenn Adilon… Sein Denken verstummte jäh, als aus den Schatten des Bahnhofs – was anderes stellte die Röhre nicht dar – eine grünhäutige Gestalt trat und einen schlanken, haarlosen Körper dicht an den eigenen Leib gepresst hielt. Demon Adilon presste Saya die Mündung seines Energiestrahlers gegen die Stirn. Sein Blick drückte wilde Entschlossenheit aus. Er benutzte die Königin des Trichters als Geisel und würde keine Sekunde zögern, sie zu erschießen. Die Erkenntnis lähmte Hencip für wertvolle Sekunden. »Die Waffe weg, Laktone!« zischte Adilon. Hencip hörte, wie die Pistole zu Boden fiel, ohne dass er etwas dagegen unternehmen konnte. Er hatte einfach losgelassen. Was war los mit ihm? »Erstaunlich«, sagte Adilon. »Ich wusste nicht, dass ihr so sentimental seid.« Er löste den Strahler von Sayas Stirn und legte auf Hencip an.
Der erste Blitz fraß sich in die Schulter des Laktonen und warf ihn fast bis zum Schott zurück. Er krümmte sich vor Schmerzen, lag mit dem Rücken auf dem Boden und erwartete den sengenden Hitzestrahl eines weiteren Schusses. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Saya handelte. Ihr Ellbogen bohrte sich in Adilons Magengrube, ihre Ferse prallte gegen das Schienbein des Orathonen und ihr Hinterkopf ruckte gegen sein Kinn. Orathonen waren hart im nehmen und trotz ihrer kleinen Gestalt von etwa 1,65 Meter so kompakt und muskulös gebaut, dass sich ein Mensch im Nahkampf die Zähne an ihnen ausbeißen musste – dennoch wankte Adilon unter Sayas Ansturm. Die junge Frau schlug noch einmal zu und musste einen empfindlichen Nerv am Handgelenk getroffen haben, denn Adilon ließ plötzlich die Waffe fallen. Er starrte Saya verblüfft an, drehte sich dann auf dem Absatz um und sprang in eine der bereitstehenden Kapseln. Summend erwachte der Antrieb zum Leben. Die Kanzel schloss sich und von einer Sekunde auf die nächste schoss das kleine Gefährt in den angrenzenden Magnettunnel hinaus. »Bleiben Sie ruhig liegen!« Hencip hörte Sayas Stimme wie durch Watte. Sie klang dumpf und weit entfernt. Offenbar hatte ihn der Schuss noch schlimmer getroffen, als ihm die Schmerzen signalisierten. »Wie… wie sieht meine Schulter aus?« Hencip befand sich im Schockzustand. »Das wird schon«, antwortete Saya, doch ihr Blick verriet eher das Gegenteil. Hencip hörte ihre unausgesprochenen Worte förmlich: Welche Schulter? Auf einen Verdacht hin streckte der Laktone das Kinn vor und hob den Kopf an, doch Sayas Hände drückten ihn wieder zu Boden. »Bewegen Sie sich nicht. Wir werden Sie nach oben tragen. Ich hole Hilfe.« Als die Königin Anstalten machte, sich von ihm zu entfernen, wollte Hencip sie am Arm festhalten. Er hatte das Gefühl, ins Leere zu greifen, doch dort, wo sein Arm sein sollte, war Nichts. Ich muss Adilon aufhalten! Thorgol kam und sah auf ihn herab. Seine Miene war ausdruckslos. Saya blickte ihn fragend an, doch der Hüne schüttelte langsam den Kopf.
»Helft mir hoch«, bat Hencip. »Wenn ich ihn verfolge, kriege ich ihn noch.« Thorgol gestikulierte und teilte der Königin irgendetwas mit, was der laktonische Agent nicht sehen konnte. »Das wird nicht notwendig sein«, sagte Saya. »Aber er wird den anderen Orathonen verraten, wo diese Basis ist. Sie und Ihre Leute können sie als Schutzbunker benutzen.« Saya beugte sich wieder zu ihm herunter. »Thorgol hat auf dem Schirm draußen am Eingang die Route gesehen, die der Grünhäutige genommen hat.« Hencip runzelte die Stirn. Doch dann erinnerte er sich an seine eigenen Worte und begann zu lachen. Ein Kratzen in der Kehle zwang ihn zu Husten. Er spuckte Blut, und als er den Kopf weiter anhob und sein Blick den eigenen Brustkorb streifte, schlug seine Stimmung in Panik um. Dort, wo sich sein Oberkörper befinden sollte, gähnte ein klaffendes Loch, dessen Inneres aus einer breiigen, zusammengeschmolzenen Masse zu bestehen schien. Der Schuss aus Adilons Energiestrahler hatte ihn nicht nur an der Schulter erwischt, sondern war ihm komplett über die Brust gefahren und hatte eine verheerende Wirkung gehabt. Vermutlich waren alle Nerven bei dem Schnitt abgetötet worden. Das mochte erklären, warum Hencip kaum Schmerzen spürte. »Es… tut mir Leid«, sagte Saya und merkte, dass sie die gleichen Worte benutzte wie Hencip zuvor, als er von Anyim Pius Tod berichtete. Der Laktone spürte Übelkeit in sich aufwallen. Mit Entsetzen starrte er auf die aufgerissene Brust und konnte sich nicht einmal zwingen, den Blick abzuwenden. Er hustete erneut und erbrach sich dabei. Er wollte schreien, doch kein Ton kam ihm über die Lippen. Hencip fühlte, wie das Leben aus ihm wich. Er fühlte sich unendlich müde und erschöpft. Sein Blick wanderte langsam zu Thorgol hinauf. Dann zu Saya. Die leeren, wie stetig in die Ferne starrenden Augen der jungen Frau waren das Letzte, was er bewusst wahrnahm. Er sank in Sayas Arme, schloss die Lider und starb ohne Schmerzen. *
Er hatte die Königin nicht gefangen genommen, dennoch war sich Demon Adilon sicher, dass er in der Gunst des Flottenkommandanten stehen würde, sobald er diesem Bericht erstattete. Die Entdeckung einer orathonischen Basis tief unter der Erde war eine Sensation. Vermutlich wusste die FAMILIE nichts von der Einrichtung. Sie musste von Abtrünnigen erbaut worden sein. Renegaten, die über lange Zeit ungeschoren davongekommen waren. Wenn Adilon jetzt den Fund bekannt gab, konnte man sie möglicherweise aufspüren und zur Rechenschaft ziehen – oder zumindest ihre Verwandten und Freunde auf der Heimatwelt oder in den Kolonien ausfindig machen und bestrafen. Ein Exempel statuieren, dachte Adilon. Findest du die Schuldigen nicht, dann richte ihre Familien und Freunde. Das Kapselfahrzeug jagte mit Höchstgeschwindigkeit durch die Magnetröhre. Adilon versuchte ständig, die Kommunikationssysteme zu aktivieren und Kontakt zu einem Schiff der Flotte aufzunehmen, aber entweder funktionierten die Instrumente nicht einwandfrei oder er befand sich einfach zu tief unter der Erde für eine saubere Übertragung. Er beschloss, sich entspannt zurückzulehnen und einfach abzuwarten. Früher oder später würde er entweder das Ende des Tunnels oder einen weiteren Bahnhof erreichen und sich dann neu orientieren. Die Transportröhre war ein wahrer Glückstreffer für ihn gewesen. Als er sah, dass die Mutanten die Whims und den Bronzenen überwanden, war ihm klar geworden, dass er trotz seiner überlegenen Feuerkraft keine Chance gegen die zahlenmäßige Übermacht der Menschen hatte. Der Rückweg in den Gravoschacht war versperrt. Hätte er nicht die Schleuse zum Bahnhof geöffnet, wäre sein Leben verwirkt gewesen. So aber bot sich ihm eine neue Fluchtmöglichkeit, die ihm im ersten Moment wie ein Geschenk der Galaxis vorkam. Bedauerlicherweise hatte er die Königin nicht mitnehmen können. Ihr plötzliches Eingreifen hatte Adilon dermaßen überrascht, dass er nicht reagieren konnte. Aber sie konnte nirgends hin. Sobald Sigam Agelon von der Basis erfuhr und Truppen herunter schickte, würden sie auch die Frau und ihre Gefolgsleute in die Hände bekommen und dem Spuk um den Trichter endlich ein Ende bereiten. Damit bin ich noch ganz gut aus der Geschichte herausgekommen, dachte er und verschränkte die Arme zufrieden vor der
Brust. Wenn er erst einmal den Flottenkommandanten zufrieden gestellt hatte, würde es sicherlich auch gutes Wort bei der FAMILIE geben, um ihn zur Heimatwelt zurückzubeordern. Er dachte an Jelena und Haktar. Ihre Gesichter blitzten vor seinem inneren Auge auf, standen so klar in seinen Gedanken, als lebten sie noch und stünden direkt vor ihm. Jelena lächelte ihn an. Der Waffenoffizier zog dagegen eine anklagende Miene. Im selben Moment stoben die imaginären Gesichter in einer Wellenbewegung auseinander. Adilons Gedanken klärten sich. Er blinzelte und sah aus dem Fenster. Die Transportkapsel war gegen eine energetische Abschirmung geprallt und hatte sie bei ihrem hohen Tempo einfach durchbrochen. Ein Ruck ging durch das Gefährt, dann sackte es plötzlich durch. Der Schwerpunkt verlagerte sich, seine Spitze senkte sich nach vorn. Als Adilon endlich verstand, was geschehen war, war es für jede Rettung zu spät. Die Kapsel war aus einem nicht fertigen Teil der Transportröhre ins offene Meer hinausgeschossen und sank nun dem Grund zu. Der Druck, der auf der Kapsel lastete wuchs von Augenblick zu Augenblick. Adilon hörte das quietschende Knirschen und Ächzen des Materials, das für diese Art von Belastung nicht konzipiert war. Ein reißendes Geräusch fuhr dem Orathonen durch Mark und Bein. Die Frontscheibe hatte Risse bekommen. Wie ein feines Spinnennetz zogen sie sich über die gesamte Breite. »Was… das kann nicht sein!« Die Scheibe barst und hereinbrechende Wassermassen begruben den Grünhäutigen unter sich. Ehe er jedoch ersticken konnte, ließ der mörderische Druck seine Lungen platzen – und damit auch seinen Traum von der Rückkehr in die FAMILIE. * Sigam Agelon saß an seinem Platz am Kommandopult an Bord des Flaggschiffes seiner Raumflotte. Die Ereignisse auf der Erde hatten überraschende Wendungen angenommen. Zwei der Supertransmitter, die bereits in Betrieb waren, fielen den Sabotageakten der Menschen zum Opfer. Einmal mehr hatte sich Rex Corda als würdiger Gegner erwiesen, der es verstand, zur falschen Zeit am richtigen Ort zu sein. Die in Afrika gestohlenen Nuklearbomben waren dem Terraner in die Hände gefallen
und besaßen mit ihrer gewaltigen Sprengkraft als einzige die Möglichkeit, den Transmitterstationen wirklich gefährlich zu werden. Corda hatte es geschafft, und Agelon war außer sich. Er würde nicht dulden, dass auch die anderen Transmitter sabotiert wurden. Ohne ihre Unterstützung und den Transport der Rohstoffe von der Oberfläche der Erde zu der Flotte im Raum, war der Nachschub nicht gesichert, und die Laktonen konnten dies zu ihrem Vorteil nutzen. »Ich werde mich persönlich darum kümmern!« Seine Stimme war ein Brüllen, und die Offiziere in der Kommandozentrale duckten sich instinktiv, als fürchteten sie den Zorn des Kommandanten, der jede Sekunde unkontrolliert ausbrechen konnte. Sie alle dachten in diesem Moment wohl an Admiral Tekko. »Machen Sie einen A-Vaut-T-Diskus startklar, der mich zur Oberfläche hinunter bringt.« »Ja, Herr!« bestätigte ein Kommandant und beugte sich über die Kommunikationskonsole. Ein anderer Offizier wandte sich Agelon zu. »Ehrwürdiger, was ist mit Demon Adilon? Er hat sich bisher noch nicht aus dem Trichter gemeldet.« Agelon machte eine wegwerfende Handbewegung. Wen interessierte schon der Trichter? Solange sie ihm nicht zu nahe kamen oder mit dem Gedanken spielten, in ihn einzudringen, stellte er offenbar keine Bedrohung für sie da. Warum sollten sie sich weiter damit befassen? Sobald diese Welt all ihrer Rohstoffe beraubt war und die Sonne zur Nova wurde, hörte der Trichter genauso auf zu existieren, wie der Rest des Planeten. »Schreiben Sie Adilon ab«, sagte Sigam Agelon. Niemand der Orathonen, Bronzeroboter, Whims und Jumper, die in das Gebiet des Kraters eingedrungen waren, waren zurückgekehrt. Adilon weilte sicherlich ebenfalls nicht mehr unter den Lebenden. Aber auch das war für Agelon uninteressant. Er musste sich um wichtigere Dinge kümmern und eine Schlacht gegen seinen ärgsten Feind gewinnen. * Woran denkst du?
Es war beruhigend, Thorgols Gedanken wieder zu vernehmen. Sie hatten bisher noch nicht herausgefunden, warum ihre ParaKräfte im unteren Bereich der Basis nicht funktionierten. Sobald sie aber auf die erste Ebene zurückkehrten, waren sie wieder in der Lage, ihre Fähigkeiten zu nutzen und zu kontrollieren. Saya war mit ihrem Gefolge zurück an die Oberfläche gekehrt. Ihr Thron war fort. Die Hütte, die sie bewohnt hatte, ebenfalls. Aber das war nichts, was nicht wieder aufgebaut werden konnte. Nach und nach gesellten sich aus den Tiefen des Dschungels die Überlebenden zu ihnen. Die Lage sah nicht so hoffnungslos aus, wie sie anfangs geglaubt hatte. Mehrere hundert Mutanten hatten sich vor den Eindringlingen in Sicherheit bringen Siehe Rex Corda Nummer 6 ‘Angriffsziel Transmitter’ können. All das, was die Invasoren niedergebrannt hatten, war bereits wieder nachgewachsen, als wäre nichts geschehen. Der Trichter würde wieder zu dem werden, was er vorher dargestellt hatte: Ein undurchdringliches Sanktuarium für die Mutanten. Hier waren sie zu Hause, denn das, was in den Tiefen unter der Erde schlummerte, hatte sie erst zu dem gemacht, was sie heute darstellten. Ohne die durch Radioaktivität mutierten orathonischen Viren hätten sie sich niemals so entwickelt. Saya war froh, dass sie die Welle nicht ausgelöst hatte. Sie dankte im Stillen Hencip dafür, dass er sie lange genug hingehalten und nach anderen Möglichkeiten gesucht hatte. Aber es gab etwas anderes, das sie jetzt tun konnte. Es würde ihre Kräfte genauso beanspruchen, wie das Vorhaben, eine psychokinetische Schockwelle durch den Trichter zu jagen. Doch die Wirkung würde eine ganz andere sein. Vergessen. Mit Hilfe ihrer Macht und der Verbindung zu allen Mutanten und Pflanzen im Trichter würde sie den Orathonen, den Laktonen und auch den Menschen außerhalb des Trichters Vergessen schenken. Niemand sollte sich an die Mutanten erinnern. Niemand sollte sich je wieder in den Trichter wagen. Saya zog gab Thorgol ein Zeichen, dass es an der Zeit war. Sie zog sich zurück in den Dschungel und hockte sich zwischen zwei übergroßen Farnen auf den Bogen. Langsam schloss sie die Lider und konzentrierte sich, um eine Verbindung mit allem, was im Trichter lebte, einzugehen. Vergessen, dachte sie.
ENDE REX CORDA-Glossar Mit Sternchen* versehene Begriffe in Kursivschrift* werden als eigenes Stichwort behandelt. Quellennachweise: [C1] = REX CORDA – Retter der Erde (Classics, also die überarbeiteten Hefte) [N1] = REX CORDA NOVA (Corda Einzelabenteuer) [SigAg1] = SIGAM AGELON – Schatten über der Galaxis (Corda Spinoff-Serie) [C3] bedeutet z. B. dabei, dass es sich um den 3. Band der Classic-Serie handelt, und [SigAg4] um den 4. Band von Sigam Agelon. Diese Angaben stehen in eckigen Klammern. Agelon, Moga – Orathone*, Herrscher des Orathonischen Imperiums, Oberhaupt der FAMILIE* und Vater von Sigam Agelon*. Eine Persönlichkeit magischen Aussehens und ungeheurer Willensstärke, sowie großer Grausamkeit; ihm haben sich alle unterzuordnen. Moga umgibt sich gerne mit Beratern und Helfern aus treuen Hilfsvölkern, er bringt ihnen oft mehr Vertrauen entgegen als den intriganten Mitgliedern der FAMILIE, denen er einflussreiche Positionen zugestehen muss, um selbst an der Macht bleiben zu können. Agelon, Sigam – Orathone*, dritter Sohn des Herrschers über das Orathonische Imperium. Sigam ist ein ausgesprochen machthungriger und rücksichtsloser Mann, der in einer Elite eines machthungrigen und rücksichtslosen Sternenimperiums aufgewachsen ist. Außerhalb der orathonischen Volkes, und da noch mit besonderer Präferenz für die oligarchische Herrschaftsschicht der FAMILIE*, ist er kaum bereit, irgendjemanden als intelligentes und eigenständiges Lebewesen wahrzunehmen oder anzuerkennen. Alles, was er tut, ordnet er letztendlich seinen Bestrebungen unter, die Macht im Imperium zu erlangen. Es findet sich kaum ein »guter« Kern in ihm. Er ist gebildet, qualifiziert und intelligent. Er leidet unter Jähzorn und kompensiert Frustration mit Wutausbrüchen, verbunden mit Gewalt, aber er ist niemand, dem einer »abgeht«, wenn er jemanden foltert. Er ist also kein
Sadist, er setzt Gewalt jedoch als legitimes Mittel zur Verfolgung seiner Ziele ein und ist dabei denkbar rücksichtslos. Mitgefühl, Sanftheit, Freundschaft, Güte, Menschlichkeit sind für Agelon Zeichen von Schwäche. Er kann diese simulieren, aber nur, um sie gegen seine Gegner zu wenden. [C1 & N1] A-Vaut-T-Diskus – Diskusförmiges Raumschiff der Orathonen* mit 53 Meter Durchmesser und 17 m Höhe. [C6 & N1] Bronzeroboter – Roboter der Orathonen*. Absolut menschenähnliches Aussehen: wie ein mit Bronze überzogener, kahlköpfiger Mann. Besitzen Persönlichkeit, können lachen. Das Gesicht glänzt metallisch, glatte Lippen, sehr kräftig. In den Augenhöhlen schimmern Linsen. Schwenkbare Drehkränze auf dem oberen Schädel – nicht größer als ein flacher Teller und kaum von der Kopfform abweichend – rotieren schussbereit. Das Metall ist so geschmeidig, dass es sich den Bewegungen weich anpasst. Es kann nicht durch Mechanische Mittel verletzt werden. Flexibilität des Metalls wird durch ein spezielles Energiefeld aufrechterhalten. Sie haben Orathonen immer in der Form anzusprechen, dass sie sich zuerst vorstellen. Bezeichnungen bestehen aus Buchstabenund Zahlengruppen, wobei jeweils eine Zahl mehr als Buchstaben zu nennen ist (3 Buchstaben – 4 Zahlen, z. B. Sig3258) [C1] Dorr-Klasse – Hantelraumer mit einem Kugeldurchmesser von je etwa 200 Meter und einem zylinderförmigen Mittelteil von cirka 300 Meter Länge und 75 Meter Durchmesser. [C1] Enalis, Demur – (*) orathonischer* Soldat, der den Traum hegt, durch besondere Auszeichnungen eines Tages in die FAMILIE* aufgenommen zu werden. Er hängt sich wie eine Klette an Sigam Agelon*, der ihn mehr oder weniger wie ein Stück Dreck behandelt. Das einzige, was Demur zu einem einigermaßen gleichwertigen Gesprächspartner macht, ist die Tatsache, dass er ein Orathone und Mitglied der Streitkräfte ist. [SigAg1] FAMILIE – Bezeichnung für das Herrschergeschlecht der Orathonen*. Es handelt sich um die Nachkommen jenes Kolonistenraumers, dessen Besatzung auf einer unbesiedelten Welt den Grundstein für das Sternenreich gelegt hat, das nun diesen Teil der Galaxis dominiert. [C1] Galaktischer Krieg – Auseinandersetzung zwischen Orathonen* und Laktonen*. Mitte 1992, kurz nach Beginn der Orathonisch/Laktonischen Invasion der Erde ist bekannt, dass der G. K. seit 4897 Jahren Terra-Zeit andauert. Der G. K. begann also nach
unserer Zeitrechnung im Jahr 2905 v. Chr. [C1] Hantelraumer – Bezeichnung für Kampfraumschiffe der Orathonen*. Rote Beschriftung auf silbern glänzenden Hüllen. Es handelt sich dabei um zwei Kugeln, die durch einen Zylinderförmigen Steg verbunden sind. Das Größenverhältnis ist 1: 1,5 zwischen den Kugeln und dem Zylinder und 1: 4 zwischen Steglänge und -durchmesser. Beispiel: besitzt eine Kugel einen Durchmesser von 200 m, so ist der Zylinder 300 m lang und durchmisst 75 m. Die Triebwerksdüsen besitzen jede einen Durchmesser von vierzehn Metern. [C1] Khara – orathonischer Planet. Dort befinden sich die politische Zentrale des Reiches – die wirtschaftliche Zentrale ist der Planet Moratha* – sowie der Sommerpalast des Moga Agelon*. Laktonen – (der Laktone, die Laktonin, des Laktonen, pl.: die Laktonen, laktonisch) humanoides außerirdisches Volk, vom menschlichen Standpunkt aus fettleibig. Die Schwerkraft von Lakton beträgt fast 1,5 g. Aussehen: Sie sind sehr menschenähnlich, was Größe und Farbe der Haut, der Haare und der Augen betrifft. Besonderer Unterschied: Sie haben rötliche Zähne. Laktonen haben einen herben Körpergeruch, der je nach Situation schärfer wird. Charakter: Sehr stolz und selbstbewusst. Sie sind keine harmlosen Blender, sondern echte Gegner, die stets brandgefährlich sind. [C1] Orathon – Heimatwelt der Orathonen*. Es ist derzeit nicht bekannt, wie weit O. von Terra entfernt ist. Die Schwerkraft von Orathon beträgt 1,85 g. Besonderheit: Der Siegesplatz, eine große Fläche in der Mitte der größten Metropole auf Orathon, die normalerweise für Aufmärsche und Paraden verwendet wird. An ihrem Rand reihen sich kleine Restaurants und Geschäfte aneinander. Es ist eines der wohlhabenden Viertel der Stadt, denn hier flanieren die höchsten Repräsentanten der Wirtschaftselite des Reiches in ihrer freien Zeit entlang, um sich zu entspannen. Orathonen – (der Orathone, des Orathonen, pl: die Orathonen, orathonisch) humanoides außerirdisches Volk. Sie entstammen einer Oligarchie (Vorherrschaft einer kleinen Gruppe). An der Spitze dieses gigantischen Staates steht die Familie Agelon*. Sie herrscht mit diktatorischer Gewalt über ein Reich von
über 3600 von Orathonen bewohnten Planeten. Der gesamte Einflussbereich des Orathonischen Imperiums – mit allen unterdrückten Völkern – beträgt etwa 10.000 Sonnensysteme und knapp 15.000 Planeten. Aussehen: Menschenähnlich, was Größe und Form der Gliedmaßen anbetrifft. Ihre Haut ist olivgrün. Der Kopf eines O. ist von enganliegenden, sehr feinen Federn bedeckt. Daher auch ihre Spitznamen »Featherheads« oder »Gefiederte«. Die Farbe der Federn ist überwiegend blauschwarz oder bräunlich gelb, seltener rötlich bis hellgrau oder grün. Im Alter werden die Federn stumpfgrau; sie fallen nicht aus. Die Gesichtsform ist oft quadratisch. Das Gesicht wirkt immer gedrungen und zuweilen gutmütig, obwohl die Orathonen das auf keinen Fall sind. Durchschnittliche Größe beträgt 1,65 m. Orathonen bevorzugen bequeme, weiche Kleidung. Jacken und Umhänge sind ausschließlich der Familie Agelon vorbehalten. Besonderheit: Frauen gelten nichts unter den Orathonen, sie sind nicht mehr als Eigentum der Männer und haben sich ihrem Willen gänzlich zu unterwerfen. Den Mädchen hoher Familien werden früh die Sehnen an den Füßen gekürzt, damit sie, dem orathonischen Schönheitsideal entsprechend, nur mit Trippelschritten zu gehen in der Lage sind. Charakter: Orathonen sind sehr aggressiv. Angriff ist etwas Selbstverständliches für sie. Hier liegt eine Überbetonung ihrer Grundinstinkte. Selbst ein »vernünftiger« Featherhead würde immer aggressiv reagieren. Zudem sind die Gefiederten noch energisch, selbstbewusst, zielstrebig, egoistisch, expansionslüstern und vom unbändigen Willen nach totaler Herrschaft besessen. [C1] Semibiotischer Konduktor – (= »halblebender« Dirigent) Gedankenkontrollgerät der Orathonen*. Besteht zur einen Hälfte aus organischer, halbselbständig denkender Materie und ist zur anderen ein elektronisches Gerät. Wird ins Gehirn eingepflanzt. Es ist schwarz, hat Stacheln wie ein Seeigel, aber es ist beweglicher. Mittels elektronischer Fernsteuerung lässt sich die gesamte Instinkt- und Gefühlsskala abspielen. Zwei Zusatzfunktionen können eingespeichert werden: 1.) hemmungsloser Hass kann gegen Personen erzeugt werden, der die Betroffenen veranlasst, sie zu ermorden. 2.) der Konduktor kann explodieren, wenn man näher als zehn
Schritte an das Opfer herankommt. [C1] Vexidol – unscheinbare Pillen, die Gedächtnisverlust erzeugen. Es beginnt nach der Einnahme mit beißendem Schmerz unter der Schädeldecke. Der Schmerz hält nicht lange an, ebbt in Wellen ab und versiegt schließlich völlig. Zurück bleibt erneut Benommenheit und der Verlust der Erinnerung. [N1] Whims – (der Whim, des Whim, pl.: die Whims) grillenähnliches Hilfsvolk der Orathonen*, von der Größe eines ausgewachsenen Durchschnittsmenschen. Sie haben einen konisch geformten Kopf, besitzen zwei Armpaare und ein Beinpaar. Zwei dunkle Augen sowie die gefährlichen Mandibeln verleihen ihnen ein furchterregendes Aussehen. Als das Orathonische Imperium sich vor gut 400 Jahren in den Machtbereich der Insektoiden vorgewagt hatte, hatten die Whims dem Expansionismus der Orathonen lange erfolgreich Widerstand geleistet. Es hatte fast 70 Jahre gedauert, bis die FAMILIE* die gut 20 Sonnensysteme des Whim-Siedlungsbereiches mit überwältigender Materialüberlegenheit unterdrückt hatten. Sofort waren allen Whims die semibiotischen Konduktoren eingepflanzt worden. Sie verständigen sich untereinander mit schrillen, hohen Pfeiflauten, die nahe an der Ultrafrequenz liegen. Diese Pfeiflaute sind für Menschen nur schwer zu ertragen. Orathonen haben sich nie die Mühe gemacht, die komplexe Ursprache der Whims zu erlernen. Nach der massenhaften Einpflanzung der Semibiotischen Konduktoren* waren die Insektoiden alle gezwungen gewesen, die Einheitssprache des Imperiums zu sprechen. [C1 & N1] MANFRED H. RÜCKERT