Mac Kinsey Band 6
Norman Thackery
Wächterin der toten Seelen
Dreizehn Schritte vom Quell zum Mond sollten es sein. ...
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Mac Kinsey Band 6
Norman Thackery
Wächterin der toten Seelen
Dreizehn Schritte vom Quell zum Mond sollten es sein. So stand es in dem zerknitterten Pergament. Auf das steinerne Herz in einem Meer von Sand sollte man dann stoßen. Es war eine verschlüsselte Botschaft. Gnade Gott dem, der unwissend und unvorbereitet jenen Ort fand. Denn dort war das Reich der toten Seelen, über das die Wächterin herrschte. Wo ein grausamer Dämon neue Seelen beschaffte. Mitten in London. *** Seine Faust zuckte vor. Er schlug mit aller Kraft zu. So hatte er es gelernt. Juha Södergren zwang sich zu gleichmäßigem Atmen. Gute Ratschläge vergaß der Finne nie. Er duckte ab und ließ seine Rechte kommen. Er mußte etwas für seine Rechte tun. Sie war seine schwache Seite. Mit der Linken lehrte er so ziemlich jeden Gegner das Fürchten. Aber die Rechte! Er tänzelte geschickt zur Seite, um nicht getroffen zu werden. So ein Sandsack hatte ein ganz hübsches Gewicht, und seine Partner bei der morgigen Gesprächsrunde um die Fischereirechte würden unverschämt grinsen, wenn er mit zusammengestauchter Nase am Verhandlungstisch Platz nahm. Sie würden glauben, daß sie ihm getrost auch eins überbraten konnten, aber da sollten sie sich täuschen. Er hatte genaue Anweisungen von seiner Regierung bekommen, und von denen würde er um keinen Zoll abweichen. Wieder schlug er auf den Trainingssack ein. Dieses körperli-
che Austoben machte ihm Spaß. Außerdem mußte es sein. Achtzehn Stunden am Tag saß er entweder im Auto, am Diskussionstisch oder in einem Restaurant mit exzellenter Speisekarte. Das trieb den Cholesterinspiegel in die Höhe, und früher oder später sah er aus wie sein Boß im Ministerium, der zweieinhalb Zentner auf die Waage brachte. Juha Södergren stieg schon seit Jahren nur noch in Hotels ab, die über ein Fitneß-Center verfügten. Er hatte den Ehrgeiz, seine fette Pension noch zu erleben. Dem Staat, dem er jetzt treu diente, wollte er keine einzige Markka schenken. Der Finne grinste. Er stellte sich vor, der Sandsack wäre sein Chef. Vom Gewicht her kam das hin, nur war der Sack wesentlich hübscher. Sein Lächeln gefror auf den angespannten Lippen. Was war das? Wer keuchte da? Er befand sich doch ganz allein in diesem Raum, der unverständlicherweise nur sehr selten benutzt wurde. War er das selbst? Er trat zur Seite und ließ den Sack ausschwingen. Er lauschte. Nichts war zu hören. Nicht einmal die Digitaluhr über der Tür gab einen Laut von sich. Die Nerven! Juha, du bist überarbeitet. Vier Wochen Urlaub würden dir guttun! Er nahm sich wieder den Sandsack vor und bearbeitete ihn mit großer Verbissenheit. Seine Fäuste knallten gegen das Leder. Die Beine, an deren Waden sich deutlich Krampfadern abzeichneten, tänzelten. Seine wasserhellen Augen waren auf den imaginären Punkt gerichtet, der die Kinnspitze seines Gegners darstellen sollte. Er hielt sich das säulenförmige Ungetüm geschickt vom Leib. Wie das Gestänge einer Dampflokomotive arbeiteten seine
Arme. Doch dann riß es ihn herum. Entsetzt starrte er zu der Tür hinüber. Das Wimmern, das an seine Ohren drang, war abscheulich. Der Tritt eines Elefanten traf den Finnen am Rücken und warf ihn glatt um. Er stürzte vornüber und knallte mit der Nase auf den Parkettfußboden. Verdammt! dachte er. Jetzt ist sie doch zusammengestaucht! Er behielt genügend Geistesgegenwart, um sich herumzuwerfen. Der Kerl, der ihn niedergeschlagen hatte, sollte sein blaues Wunder erleben. Mit gequältem Grinsen sah er den Sandsack über sich pendeln. Er begriff, daß er sich quasi selbst in den Hintern getreten hatte. Ächzend wollte er sich erheben. Da riß ihn erneut das Wimmern herum. Es kam ganz deutlich von der Tür, aber es klang nicht wehleidig, sondern eher drohend. Aggressiv. Juha Södergren kniff die Augen enger. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, daß es kurz vor elf war. Um diese Zeit hatte sich doch noch kein Besucher der Hotelbar derart vollaufen lassen, daß ihm alberne Streiche in den Sinn kamen. Aber was sonst sollte das sein? Er griff nach seinem Frottierhandtuch und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. Als er auch den Oberkörper abtrocknete, sah er zu seiner Überraschung, wie heftig sein Herz schlug. War er so erschöpft? Oder hatte er gar Angst? Blödsinn! Wovor sollte er sich fürchten? Ihm flößte kein noch so hartgesottener Verhandlungsgegner Furcht ein. Und von einem unbekannten Spaßvogel ließ er sich erst recht nicht ins Bockshorn jagen. Auf jeden Fall war da jemand, der sich interessant machen
wollte. Am besten, er ging überhaupt nicht auf den Quatsch ein. Doch sein Blick blieb unverwandt auf die Tür gerichtet. Durch die schob sich nämlich eine monströse Hand mit langen Krallenfingern. Die Hand war behaart und bedeutend größer als die Hand eines Menschen. Sein Herz wurde rebellisch. Es versuchte, aus dem Brustkorb herauszuspringen. Jetzt konnte er die Angst nicht länger leugnen. Etwas so Abscheuliches hatte er noch nie zu Gesicht bekommen! Aber es kam noch schlimmer. Die Hand tastete sich weiter. Ein Arm wurde sichtbar. Und dann ein Körper. Aber was für ein Körper! Er konnte einem Orang-Utan gehören, nur paßten die Krallen nicht dazu. Wie kam die scheußliche Bestie in das Hotel? Ruhe bewahren! redete sich der Finne ein. Er ist vielleicht ganz harmlos. Wahrscheinlich hat er mehr Angst als du. Solche Zotteltiere sind meistens gutmütig. Doch dann schob sich der Kopf durch den Spalt, und Juha Södergren glaubte nicht länger an seine Theorie von der Gutmütigkeit. Ein länglicher Schädel, in dem zwei rote Augen glühten. Ja, sie brannten. Sie sprühten förmlich Funken. Darunter ragten lange, spitze Zähne aus einem gräßlichen, haßverzerrten Mund. Mehr war von dem Gesicht nicht zu erkennen, denn es war ebenfalls behaart. Struppiges, düsteres Geflecht bedeckte die grauenvolle Visage. Ein Monstrum! Das war kein Mensch, der sich lediglich maskiert hatte. Dieses Wesen sah wirklich so aus. Juha Södergren taumelte zurück. Dieses Monster hatte Böses
im Sinn. Und dieses Böse galt ihm. Die abscheuliche Kreatur bewegte sich nur sehr langsam, aber sie drang weiter in den Raum ein. Undefinierbare Laute tönten aus dem gierig aufgerissenen Maul. Worte waren es nicht, doch der Sinn war auch so zu verstehen. Das Monster war hier, um zu töten! Bei dieser Erkenntnis blieb dem Finnen fast das Herz stehen. Als kühl berechnender Denker brachten ihn die verzwicktesten diplomatischen Winkelzüge nicht in Verlegenheit. Jetzt wußte er zum ersten Male nicht, wie er sich verhalten sollte. Du mußt kämpfen, überlegte er. Hau ihm eins auf sein Maul, und es wird wieder abziehen! Er kämpfte das Grauen nieder und zwang sich, nicht das Gesicht des Ungeheuers anzusehen. Er schaltete seinen Denkapparat aus. Wenn er erst mal zu denken anfing, war alles aus. Dann mußte er sich sagen, daß er verrückt war. Denn was er da vor sich sah, gab es überhaupt nicht. Nicht einmal in England. Und im eleganten Sahara-Hotel in London schon gar nicht. Das Monster schnaufte. Geifer rann ihm aus dem Maul. Obwohl es einen Kopf größer war als der Finne, ging es leicht gebückt. Juha Södergren verließ sich lieber nicht auf seine Fäuste. Er schauderte bei der Vorstellung, das Scheusal mit der Hand berühren zu müssen. Hastig bückte er sich und packte eine Hantelstange, an der keine Gewichte befestigt waren. Er grinste verzerrt. »Komm nur her!« lockte er mit belegter Stimme. »Wollen doch mal sehen, was stabiler ist. Dein Schädel oder dieser massive Stahl.«
Wütend knurrend schob sich das Ungeheuer heran. Es streckte die Arme nach der Stange aus, aber der Finne schlug ihm damit kräftig auf die Finger. Aber das Scheusal zog sich nicht heulend zurück. Im Gegenteil! Es brüllte zornig auf. Dann riß es dem Mann die Stange aus der Hand und verbog sie ein paarmal, bis sie wie eine überdimensionale Büroklammer aussah. Entgeistert prallte Södergren zurück. Das gab es nicht! Das konnte unmöglich sein. Nicht einmal ein bärenstarker Schmied brachte dieses Kunststück mit rotglühendem Eisen zustande! Das Monster versuchte, ihn zu packen. Er duckte sich und kam hinter dem Sandsack wieder in die Höhe. Jetzt hatte er nur noch eins im Sinn – Flucht! Wer Eisenstangen verbog, der beschränkte sich nicht darauf, seinem Opfer ein paar Maulschellen zu verpassen. Der brach ihm das Rückgrat. Der Finne spurtete los. Es gab zwei Türen. Die eine führte zu den Dusch- und Umkleidekabinen. Das war eine Sackgasse. In der durfte er sich nicht fangen. Also dorthin, wo das Monster hergekommen war! Durch diese Tür erreichte er den Gang und die Treppe. Vielleicht sogar den Lift. Keine Stunde langer blieb er in diesem Hotel. Auf dem Boden stand ein Rudergerät. Er sprang darüber hinweg und jagte weiter. Noch fünf Schritte, dann hatte er die rettende Tür erreicht. Er erreichte sie, aber dort war Endstation. Eine behaarte Krallenhand packte ihn und schleuderte ihn in den Raum zurück. Juha Södergren schrie auf. Er schrie um Hilfe, aber der Raum war aus gutem Grund bestens schallisoliert, damit die anderen
Gäste nicht durch die Trainingsgeräusche gestört wurden. Niemand würde ihn oben hören. Das Ungeheuer stampfte erneut auf ihn zu. Trotz gräßlicher Schmerzen rollte sich der Finne rasch zur Seite. Nicht rasch genug. Er spürte, wie der Fußboden unter ihm wegsackte und gleich darauf mit teuflischer Geschwindigkeit wieder auf ihn zu raste. Es krachte fürchterlich, aber davon bekam der Tote nichts mehr mit. * Der Whisky funkelte im Glas. In den Eiswürfeln glitzerten Lichtreflexe. Jim Curry hatte keinen Blick für dieses hübsche Schauspiel. Er schüttete den Schnaps in sich hinein und schob das leere Glas dem Barmixer hinüber. »Noch mal dasselbe!« verlangte er. Jim Curry war mißgestimmt. Dabei hätte er zufrieden sein müssen. Die Premiere seines neuen Stückes war ein voller Erfolg, den die Kritiker hauptsächlich ihm, dem Star, zuschrieben. Seine Finanzen befanden sich auch in hervorragendem Zustand. Sein körperliches Befinden hätte nicht besser sein können. Es gab eigentlich keinen Grund für üble Laune. Doch! Einen gab es. Er war langbeinig und blond und besaß grüne Augen, die einem den Himmel auf Erden versprachen. Dieses Luder! Da hatte sie in der vordersten Reihe im Theater gesessen und ihn mit ihren sengenden Blicken fast verschlungen. Ihr Rock war sicher nicht aus Versehen bis übers Knie gerutscht. Er hatte an einer Stelle deswegen sogar den
Text verpatzt, sich aber schnell wieder gefangen. Nach der Vorstellung hatte sie ihn sogar um ein Autogramm gebeten und sich zu einem Drink in der Hotelbar einladen lassen. Und dann war sie mit ihrem Mann erschienen. Er hätte sie erwürgen können! Dabei schaute sie ihn noch immer so unschuldig an, als wäre nichts geschehen. Sie nuckelte fröhlich an ihrem Silver Fizz und plauderte abwechselnd mit ihm und mit ihrem Mann. Ihr Mann, das war vielleicht ein Vogel. Nelson hieß er. Daniel Nelson. Er sah aus wie ein Giftzwerg, hatte schiefe Zähne und eine fortgeschrittene Glatze. Unverständlich, daß sich Caroline, so hieß die Blondine, an so eine Mißgeburt gehängt hatte. Na ja, so unbegreiflich war das nun auch wieder nicht. Nelson wurde nämlich von einem ganz besonderen Geruch umweht. So roch nur Geld, und da der Duft sehr intensiv war, mußte es sich um viel Geld handeln. Daniel Nelson war Filmproduzent. Er redete unentwegt von einem Riesenprojekt, das er plante. Außer ihm kam kein anderer zu Wort. Wenn Caroline etwas sagte, hörte er überhaupt nicht hin. Jim Curry hatte längst den Versuch aufgegeben, auch etwas zur Unterhaltung beizutragen. Er ergab sich dem Whisky, und keinen schien das zu stören. »Ich habe Sie in Norwich spielen sehen, Jimmy«, schnatterte Nelson. Für dieses vertrauliche Jimmy hätte Curry ihm zu gerne die Zähne noch schiefer geschlagen. Er tat es nur nicht, weil das Sahara ein stinkfeines Hotel war, in dem man nicht auffallen durfte. »In Norwich haben Sie mir nicht so gut gefallen«, fuhr Nel-
son ungerührt fort. »Heute waren Sie um Klassen besser. Ich überlege mir, ob ich Ihnen nicht eine kleine Rolle in meinem Film anbieten soll. Was meinst du, Carol? Er könnte den Legionär spielen.« »Der vom Krokodil verspeist wird?« Die Blondine ließ ein klirrendes Lachen hören. »Mr. Curry sieht gar nicht so aus, als wäre er leicht verdaulich.« Das schien den Produzenten nicht zu stören. Wahrscheinlich hatte er den Einwand gar nicht zur Kenntnis genommen. Er schwatzte weiter und war schon längst bei einem anderen Thema. Die Frau verdrehte ihre Kulleraugen. Sie schien sich an diesem Abend nicht besonders zu amüsieren. Jetzt zuckte sie sogar zusammen. »Ist der Fizz nicht in Ordnung, Madam?« erkundigte sich der Mixer erschrocken. Caroline Nelson sah den schwarzhaarigen Mann an, als blickte sie durch ihn hindurch. »Haben Sie nicht diesen Schrei gehört?« flüsterte sie. »Ein Schrei? Hier in der Bar? Sie müssen sich irren.« »Nicht hier. Er war weiter entfernt. Er klang leise. Aber sehr entsetzt.« »Jemand wird seine Rechnung bekommen haben«, vermutete ihr Mann und lachte dröhnend. Jim Curry ließ sich den nächsten Whisky einschenken. Er hatte nichts gehört. Er wollte auch nichts mehr hören. Weder Nelsons Geschwafel, noch einen Schrei oder Carolines Gurren. Er war bedient. Noch ein paar Drinks, dann würde er sich empfehlen. Es kamen neue Gäste. Zwei Kerle, die schon ordentlich getankt hatten. Einer von ihnen, ein breitschultriger Bulle mit einem Gesicht wie ein Reibekuchen, drängte sich ausgerechnet
zwischen ihn und Caroline und verlangte die Speisekarte. Sein Begleiter lachte gröhlend. »Speisekarte? Hier sind sämtliche Gänge des Menüs flüssig. Du kannst sie trinken oder mit dem Löffel zu dir nehmen.« Der Reibekuchen war anderer Ansicht. Er grinste breit und lallte: »Was du nicht sagst. Wenn ich mich aber so umschaue, sehe ich auch ein paar ganz appetitliche Fleischbrocken. Mixer, servieren Sie mir diese knusprige Lady mit etwas Salat.« Er kniff die Blondine an einer Stelle knapp neben dem Barhocker, worauf Caroline quiekte. Daniel Nelson reagierte auf die ihm eigene Art. Er lachte und rief prustend: »Ein gelungener Gag. Den muß ich mir für meinen nächsten Film merken.« Jim Curry explodierte. Am liebsten hätte er Nelsons Gesichtszüge in eine neue Anordnung gebracht, doch gegen den Widerling besaß er leider keine Handhabe. Also ließ er seine Wut an dem Betrunkenen aus. Mit seiner angewinkelten Linken ruckte er herum und knallte sie dem Verdutzten vor den Latz. Mit dem Ellbogen räumte er dabei den Tresen in seinem Bereich ab. Whisky, Silver Fizz und Brandy flossen zu einem neuen Cocktail zusammen. Der Reibekuchen wurde breiig. Er glotzte verwundert und wußte offensichtlich nicht, worum es eigentlich ging. »Wenn du nächstes Mal eine Dame beleidigst«, fauchte der Schauspieler, »dann sieh sie dir nicht nur von hinten an.« Er machte Anstalten, erneut zuzuschlagen, aber der Bullige wich zurück und schimpfte weinerlich: »Er hat mich geschlagen, Bill. Gib es diesem Lümmel!« Bill gehorchte. Er verzichtete darauf, einen Hocker zu erklimmen, sondern kam auf Jim Curry zu. Er war nicht so massiv wie der Reibekuchen, dafür aber ungeheuer schnell. Er vollführte einen Tanz wie Muhammed Ali
in seinen besten Tagen, bevor er zuschlug. Currys Kopf flog zurück und fing sich auch noch den nächsten Haken ein. Caroline schrie spitz auf. Sie brachte sich in Sicherheit, während Bill zu einer Doublette ansetzte. Sie glitt vom Barhocker, wobei ihre Beine immer länger wurden, weil der ohnehin kurze Rock nicht so schnell hinterher kam. Bill kriegte Stielaugen. Sein Unterkiefer klappte nach unten. Sein Mund wurde trocken. »Donnerwet…!« Jim Currys Schwinger riß ihm das Wort ab. Der Schauspieler nutzte seine Chance, während sein Gegner in anderen Sphären schwebte. Er knallte ihm auch noch die andere Faust auf die Krawatte und scheute sich nicht, Bill ein Bein zu stellen. »O Bill!« Das war der Reibekuchen, der seinen Helden untergehen sah. Er besann sich auf seine Männlichkeit und sprang Curry wie ein Gummiball an. Allerdings hatte dieser Ball das Gewicht eines Zementsackes. Dementsprechend war seine Wirkung. Jim Curry wurde zu Boden gerissen. Er prallte gegen den Barhocker, auf dem gerade noch die Blondine gethront hatte, und fegte ihn zur Seite. Ein Spiegel ging zu Bruch. Das klirrende Geräusch weckte auch Bill wieder aus seiner Lethargie. Zunächst hielt er Ausschau nach dem erfreulichen Anblick, an den er sich noch erinnerte. Als er den nicht entdeckte, hielt er sich ersatzweise an Curry, dem er die Schuld dafür gab. Nun fielen sie zu zweit über den Schauspieler her. Die übrigen Gäste hielten sich auf Distanz. Einige verzogen
sich schleunigst. Daniel Nelson wechselte auf den Nachbarhocker. Von dem aus konnte er den Kampf beobachten, ohne sich den Kragen verrenken zu müssen. Außerdem war er hier weniger gefährdet. Er rührte keinen Finger, in die Auseinandersetzung einzugreifen, obwohl es darum ging, die Ehre seiner Angetrauten zu verteidigen. Da auch sein Glas ein Opfer von Currys Ellbogen geworden war, bestellte er einen neuen Brandy und amüsierte sich über das erschrockene Gesicht des Mixers. »Starke Szene«, lobte er. »Große Klasse, die Jungs. Ich baue sie alle in meinen Film ein. He, was ist los, ihr schlappen Säcke? Mehr Action, wenn ich bitten darf!« Sicher lag es nicht an seinen aufmunternden Worten, daß die drei Beteiligten gleichzeitig in die Höhe kamen. Jim Curry steckte genau zwischen den beiden Angreifern, und sie schlugen im selben Moment zu. Der Schauspieler ließ sich zurückfallen. Bills Faust landete mitten in dem Reibekuchen, und dessen Pranke räumte in Bills Gesicht auf. Die beiden verdrehten die Augen und stießen unartikulierte Seufzer aus. Jim Curry erkannte, daß die Schlacht geschlagen war, fand aber den Schluß nicht befriedigend. Die Szene mußte mehr hergeben. Schließlich war er der Star. Er mußte dem Publikum etwas bieten. Von seiner noch längst nicht verrauchten Wut ganz zu schweigen. Also griff er sich Bill, der nur schwachen Widerstand leistete, und schleuderte ihn über den Tresen genau ins Flaschenregal. In den alten Westernfilmen war das immer ein wirkungsvoller Knüller. Warum sollte das im Nobelhotel Sahara anders sein? Es splitterte und klirrte. Schnaps und Sekt flossen in Strö-
men. Die letzten Gäste verließen fluchtartig die Bar. Der Mixer rang die Hände. Jim Curry war nicht mehr zu bremsen. Er nahm sich den Reibekuchen vor, dem das Schicksal seines Freundes einen Heidenschrecken eingejagt hatte. Er war kaum noch fähig, sich auf den Füßen zu halten. Curry zog den Bulligen zu sich heran. Dann trat er ihm mit voller Wucht auf die Zehen. Der Ärmste brüllte, als gälte es sein Leben. Seinen weit aufgerissenen Mund nahm Curry als Ziel. Er schoß eine Granate ab, die einen Elefanten zum Grübeln veranlaßt hätte. Der Reibekuchen war kein Elefant. Folglich unterließ er auch das Grübeln. Panik ergriff ihn, als er eine frische Zahnlücke mit der Zunge ertastete. Er warf Jim Curry einen umgestürzten Barhocker vor die Füße, um ihn aufzuhalten. Dann ergriff er schleunigst die Flucht. Bill hatte sich ebenfalls in der Zwischenzeit hinter dem Tresen hervorgeschlichen. Auf allen vieren verließ er den Schauplatz seiner Schande. In Gedanken strich er für alle Zeiten das Sahara-Hotel aus dem Stadtplan von London. * Jim Curry massierte seine Fingerknöchel. Sie bluteten ein wenig, aber er fühlte sich jetzt bedeutend besser als vor drei Minuten. »Wo ist denn Ihre Frau?« wunderte er sich. »Carol hatte plötzlich Kopfschmerzen«, erklärte Daniel Nelson uninteressiert. »Sie ist mit dem Taxi nach Hause gefahren.« Schlagartig wurde Currys Laune wieder mies. War das noch
zu fassen? Da prügelte er sich wegen dieser Schlange mit zwei Typen, die ihn normalerweise mühelos auseinandergenommen hätten, er riskierte die Ebenmäßigkeit des bei seinen zahlreichen Bewunderern bekannten Curry-Konterfeis, er verwandelte die Hotelbar in eine römische Arena, und sie fuhr gelangweilt nach Hause, ohne sich auch nur von ihm zu verabschieden! Die Weiber sollte man allesamt auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Hexen waren sie, eine wie die andere! »Auf wessen Rechnung darf ich den ganzen Schaden setzen?« erkundigte sich der Mixer behutsam und zog sich aus Jim Currys Reichweite zurück. »Ich erledige das«, verkündete Daniel Nelson jovial. »Jimmy ist heute schließlich mein Gast. Wir müssen doch seine neue Hauptrolle feiern.« Er zückte sein Scheckbuch und füllte das oberste Blatt aus. In der Zwischenzeit erstickte Curry fast an dem neuerlichen Jimmy. Er beherrschte sich aber, denn die in Aussicht gestellte Rolle stach ihm in die Nase. Heutzutage war es nicht leicht, beim Film gut einzusteigen. Nicht mal für einen erstklassigen Mimen wie ihn. Sollte Caroline doch zum Teufel gehen! Ihr Mann war Produzent. Das war eine Charaktereigenschaft, die nicht jede Frau aufzuweisen hatte. »Betrunkene kann ich nicht ausstehen«, behauptete Curry und rückte seine Krawatte gerade. »Diese Strolche wollten sich an Ihre Frau heranmachen.« »Ja, ja«, sagte Nelson zerstreut. »Sie waren wirklich gut, Jimmy. Sie trinken doch noch einen mit mir?« »Ich glaube, ich sollte jetzt lieber schlafen. Das mit der Rolle können wir ja morgen besprechen. Ich rufe Sie an. Einverstanden?«
»Okay! Aber nur wenn Sie auf der Stelle mit mir anstoßen.« Am liebsten so, daß du gleich vom Hocker fliegst, dachte Curry. Er ließ sich überreden. Der Abend war sowieso verdorben. Der Drink bekam noch Junge, und es war schon gegen Mitternacht, als sich die Männer endlich verabschiedeten und Jim Curry den Lift ansteuerte, der ihn in die fünfte Etage bringen sollte. »Jimmy!« murmelte er wütend in der Kabine. »Habe ich vielleicht Danny zu ihm gesagt?« Im fünften Stock stieg er aus. Auf dem Gang war es still. Der dicke Läufer dämpfte seine Schritte. Er war noch nüchtern genug, um sein Zimmer zu finden. Nummer fünfhundertdreizehn. Es befand sich fast am Ende des Ganges. Jim Curry schwankte leicht. Er fummelte seinen Schlüssel aus der Tasche und vergewisserte sich, daß er auch vor der richtigen Tür stand. Zum Teufel auch! Da hatte ihm doch glatt einer die fünf von der Nummer geklaut! Sicher ein Souvenirjäger. Die Leute montierten ja heutzutage alles ab. Ausgerechnet die dreizehn! Wie die meisten Schauspieler war Jim Curry abergläubisch. Vor schwarzen Katzen hatte er einen Horror, obwohl er sonst ein Tiernarr war. Horoskopen schenkte er Beachtung, und in seiner Garderobe häuften sich die Glücksbringer, die er von Fans geschenkt bekommen hatte. Meistens von knackigen Mädchen. Nummer dreizehn! Unwillkürlich sträubten sich ihm die Haare. Wenn das kein Unglück brachte! Aber was sollte heute schon noch groß passieren? Der Tag
war vorbei. Morgen früh würde er darauf bestehen, daß die Zimmernummer wieder komplettiert wurde. Niemand konnte ihm zumuten, in Zimmer dreizehn zu nächtigen. Er stieß den Schlüssel ins Schloß und hatte einige Mühe, die Tücken der Technik zu überlisten. Wahrscheinlich lag das am Alkohol. Und am Ärger. Schließlich sprang die Tür aber doch auf. Seine Hand tastete zum Lichtschalter. Er kniff die Augen zusammen, als die Deckenbeleuchtung aufstrahlte. Ein paar Watt weniger hätten es nach seiner Meinung auch getan. Wo blieb denn da das Energiebewußtsein? Mit wieder wachsendem Unwillen warf er die Tür hinter sich zu und unterdrückte einen Ruf der Überraschung. In seinem Bett lag jemand. * Er dachte an Einbrecher, an Überfall, an alles mögliche, vor allem aber an die Zahl dreizehn. Entsetzen packte ihn. Würgend legte sich eine unsichtbare Hand auf seine Kehle. Hatte sich heute alles gegen ihn verschworen? Der Kerl in seinem Bett rührte sich. Es hörte sich an, als würde er schnurren. Eine Katze, nein, ein Raubtier! Dort war die gelbe Mähne. Sie quoll unter der Bettdecke hervor. Jim Curry wußte nicht, was er tun sollte. Schreien? Dann wurde die Bestie auf ihn aufmerksam. Davonlaufen? Aber wohin? Wer würde ihm glauben? Es war zum Verrücktwerden. Seine Blicke huschten durch das Zimmer. Er brauchte eine Waffe, um den unvermeidbaren Angriff abzuwehren. Die Vase dort vielleicht! Aber sie war viel zu unhandlich, und außerdem
würde sie gleich zerbrechen. Der Stuhl? Warum nicht? Das war etwas Solides, Handfestes. Er schlich sich zu dem Tisch, neben dem der Stuhl stand. Da wurde die Bettdecke mit einem Ruck zurückgeschlagen. Jim Curry stieß einen Schreckenslaut aus. Gleich darauf kam er sich ziemlich bescheuert vor. »Caroline?« stammelte er betroffen. »Ich glaube, ich träume! Was tust du in meinem Bett?« Sie lächelte ihn geheimnisvoll an. »Ich hätte dich für weniger begriffsstutzig gehalten, Jimmy.« Ihr Jimmy klang ganz anders als das ihres Mannes. Das ließ sich Curry gerne gefallen. Und jetzt mußte er über sich und seine unverständliche Furcht lachen. »Das also sind deine Kopfschmerzen«, stellte er vergnügt fest. »Ich bin ziemlich sicher, daß ich ein wirksames Heilmittel dagegen kenne.« Sie trug ein dünnes, grünes Nachthemd. Sie mußte es in seinem Schrank entdeckt haben. Eigentlich gehörte es Wendy. Sie hatte es bei ihm vergessen. »Du hast mich lange warten lassen«, gurrte sie. »Fast wäre ich eingeschlafen, aber die ewigen Geräusche haben mich munter gehalten.« »Geräusche?« wunderte sich der Mann. Er entledigte sich seiner Schuhe, die ihn schon den ganzen Abend drückten. »Um diese Zeit? Warum hast du nicht gegen die Wand geklopft?« »Es kam vom Gang, Jimmy. Ein schauriges Tappen und Schleifen. Eine Gänsehaut habe ich bekommen.« »Laß sehen!« bat Jim Curry. Er eilte auf die Frau zu und griff nach ihr. Caroline Nelson entwand sich ihm kichernd. Sie warf das Kopfkissen nach ihm. Es traf und zerplatzte. Es schneite Fe-
dern. »Die Nachbarn werden sich über die Geräusche in meinem Zimmer beschweren«, neckte sie Jim Curry. »Tappende, schleifende Geräusche. Und dann auch noch schmatzende.« Er warf sich ungestüm auf das Bett, und wurde durch die Berührung ihrer warmen Haut ganz wild. Der Alkohol trug seinen Teil dazu bei. Aber plötzlich erstarrte er. Ihr Gesicht schwebte dicht unter dem seinen. Ihre Lippen waren halb geöffnet. Sie hatte makellose Zähne. »Was ist?« hauchte sie. »Mundgeruch?« Seine Haut wurde grau. »Hörst du nicht, Carol? Draußen auf dem Gang.« Sie schloß den Mund und richtete sich auf. Jetzt hörte sie es auch. »Mein Mann!« stieß sie hervor. »Wenn er mich bei dir entdeckt, gibt er dir die Rolle nicht.« Jim Curry war beruhigt. »Keine Sorge! Der hält das Ganze für einen prima Gag und baut ihn in seinen Film ein. Wetten?« Das Scharren auf dem Gang wurde lauter, und nun rumpelte es auch noch gegen die Tür. »Er ist betrunken«, stellte Caroline Nelson fest. »In diesem Zustand ist er unmöglich. Es kann sein, daß er im Stehen einschläft. Hoffentlich fängt er nicht an zu randalieren. Ich habe schließlich einen Ruf zu verlieren.« »Versteck dich«, sagte der Schauspieler. »Ich erledige das schon.« Er wartete, bis Caroline im Bad verschwunden war. Dann ging er zur Tür und öffnete sie. Ein behaarter Arm packte ihn und schleuderte ihn ins Zimmer zurück. Er knallte mit dem Hinterkopf gegen das Bettgestell und sah
Sterne. Hinter den Sternen aber tauchte eine entsetzliche Fratze auf. Sie war ganz und gar behaart und fletschte die Zähne. Kein Mensch, auch kein Tier. Solche Horrorwesen sah man allenfalls im Kino. Aber dieses Monstrum war echt. Es besaß eine unvorstellbare Kraft. Jim Curry röchelte und kroch unter das Bett. Unten in der Bar war er mit zwei angetrunkenen Typen fertig geworden. Jetzt aber packte ihn die kalte Angst. Das Monster stampfte ins Zimmer. Es sah schrecklich aus. Erst jetzt merkte der Mann, daß es eine Pagenuniform trug. Es war die Uniform des Sahara-Hotels. Aber sie machte das Ungeheuer nicht menschlicher. Der Schauspieler wimmerte. Er hoffte, daß alles nur Einbildung war. Er schloß die Augen und zählte bis zehn. Dann riß er sie wieder auf. Tatsächlich! Das Scheusal war verschwunden. Er strich sich über die Stirn. Sie war glühendheiß. Hatte er Fieber? Er würde morgen nicht auf der Bühne stehen können. Er fühlte sich elend. Aus dem Bad drang ein unterdrücktes Gurgeln. Caroline fiel ihm ein. Sie hatte sich dort vor ihrem Mann versteckt. Vorsichtig schob sich Jim Curry unter dem Bett vor. Ihm brummte der Schädel. Junge, Junge, der verfluchte Schnaps! Kein Wunder, wenn man da unter Halluzinationen leidet! Langsam kam er in die Höhe. Mit einem Entsetzenslaut ging er sofort wieder auf Tauchstation. Keine Halluzination. Es war Wirklichkeit. Da kam das Scheusal aus dem Bad, und es trug auf seinen Armen eine leblose Frau. Caroline!
Das Herz blieb ihm fast stehen. Er sprang auf und raste aus dem Zimmer. Er schlug Lärm. Alle sollten ihn hören. Ein paar Türen öffneten sich. Flüche wurden laut. Jemand schimpfte. Es hörte sich verdächtig nach ›besoffenem Schwein‹ an. Dann schlugen die Türen wieder zu. Begriff denn niemand, was hier geschah? Jim Curry jagte die Treppe hinunter. Er mußte den Nachtportier alarmieren. Der sollte auf dem schnellsten Wege die Polizei verständigen. Caroline befand sich in der Gewalt eines Monsters! Er stolperte und segelte den Rest der Stufen hinunter. Dabei schrammte er sich die Hände blutig. Schöner Mist! Seine Füße gehorchten ihm nicht mehr. Das war auch kein Wunder. Warum nahm er nicht den Fahrstuhl? Das war ungefährlicher und ging außerdem schneller. Keuchend drückte er die Ruftaste. Der Lift setzte sich in Bewegung und glitt herab. Sekunden später hielt er. Die Tür schwang zurück. Jim Curry lachte schrill. Wahnsinn klang aus seiner Stimme. Er raufte sich die Haare und spreizte die Finger. »Nein!« kreischte er. »Es ist nicht, wahr!« Im Fahrstuhl stand das Monster und blitzte ihn mit rotglühenden Augen an. Auf seinen Armen hing der schlaffe Körper Caroline Nelsons. Sie war zweifellos tot. Das Ungeheuer wartete, ob er zusteigen wollte. Als das nicht der Fall war, drückte es auf einen Knopf, die Kabinentür schloß sich, der Lift sauste weiter in die Tiefe. Jim Curry krächzte nur noch mühsam. Die Augen traten ihm aus den Höhlen. »Hihi!« lallte er. »Ein M-Monster!« Er wandte sich stolpernd der Treppe zu, ruderte mit den Armen durch die Luft, drehte sich halb um seine eigene Achse und polterte dann krachend bis zum nächsten Absatz, wo er
schluchzend liegenblieb. * Der Tag begann nicht gerade erfreulich. Barbara Hicks, sonst schon nicht die personifizierte Freundlichkeit, goß sich eine Ladung Tee über ihren neuen Tweedrock und ließ ihre entsprechende Laune an mir aus, als ich es wagte, zu unserem gemeinsamen Chef Sir Horatio Merriman vordringen zu wollen. Ich entzog mich ihren spitzen Bemerkungen, indem ich hastig die Tür zu Sir Horatios Allerheiligstem hinter mir zuzog und ihn mit unschuldigem Augen – aufschlag fragte, ob etwas gegen einen freien Tag spräche. Ich hatte meinen letzten Fall gerade gelöst. Die Knochen taten mir jetzt noch weh, und am linken Oberschenkel zeugte eine noch nicht verheilte Wunde von der Bissigkeit meines Gegners, der sich als überdimensionale Katze herausgestellt hatte. Das Biest hatte die Gegend von Croydon unsicher gemacht und drei völlig unschuldige Passanten getötet. Undiplomatisch, wie es war, hatte es sich ausgerechnet an einen spanischen Offizier herangemacht. Kein Wunder, daß die Südländer alle möglichen Motive für dieses Verbrechen konstruierten. Es fiel sogar der Name Gibraltar. In solchen Fällen wird der Secret Service eingeschaltet, und da die Untaten von geheimnisvollen Umständen begleitet worden waren, kam als Bearbeiter nur ein Mann in Frage. Ich. Na, ich hatte das Höllenwesen dorthin geschickt, wo es hingehörte, und war der Meinung, ich hätte mir eine kleine Verschnaufpause verdient. Aktuelle Fälle standen meines Wissens nicht an, und Kathleen hatte angedeutet, sie wäre an diesem Tag in ihrer Boutique entbehrlich.
Kathleen Burke ist eine Superfrau. Rassig, schwarz, also durchaus mein Geschmack. Wenn wir zusammen sind, pflegen wir nicht ausgerechnet Bingo zu spielen. Das Angenehmste aber an ihr ist die Tatsache, daß sie nicht auf Biegen und Brechen einen Mann zum Heiraten sucht. Sie schätzt ihre Freiheit in ähnlicher Weise wie ich. Solch ein Mädchen war Gold wert. Sir Horatios Gesicht sah keineswegs nach Gold und anderen strahlenden Dingen aus. Er wirkte ausgesprochen bärbeißig. Vor allem aber lehnte er mein Ersuchen rundheraus ab. »Unmöglich, Mac«, erklärte er. »Sie werden gebraucht. Eigentlich hatte ich Sie schon vor fünfunddreißig Minuten erwartet. Es gibt Probleme.« »Es gibt auch eine Menge Kollegen beim Service«, motzte ich. Nicht, daß ich mich vor der Arbeit drücke, aber ausgerechnet heute hatte ich anders disponiert. »Sie wissen genau, daß meine Wahl aus gutem Grund auf Sie gefallen ist, Mac«, konterte Sir Horatio und lächelte mich in einer Art an, die mich weichkochen sollte. Da schwamm etwas von Unersetzbarkeit und diesem Schmus drin. »Im übrigen habe ich nichts dagegen, wenn Sie Ihre Flamme mitnehmen. Als Pärchen fallen Sie im Sahara weniger auf.« »Sprechen Sie vom Sahara-Hotel, Sir?« erkundigte ich mich. Ich kramte in meiner Erinnerung, aber es klingelte nicht. »Klug erkannt, Mac. Sie werden sich dort einquartieren und herausfinden, wo ein gewisser Juha Södergren geblieben ist. Södergren weilt im Auftrag der finnischen Regierung in London. Er nimmt an den Verhandlungen über die Fischereirechte vor Island teil. Seit vergangener Nacht ist er aus dem Hotel unter ziemlich merkwürdigen Umständen verschwunden.« »Eine Entführung?« vermutete ich.
»Der Gedanke liegt nahe. Sämtliche beteiligten Länder an der Konferenz geraten in Verdacht, denn Södergren ist als außerordentlich unbequemer Gesprächspartner bekannt.« »Und warum soll gerade ich mich darum kümmern?« »Das werden Sie verstehen, wenn Sie diese Akte hier studiert haben.« Er schob mir einen dünnen Schnellhefter über den Schreibtisch. »Viel steht zwar nicht drin, denn es gibt kaum Zeugenaussagen. Eine davon hat uns allerdings alarmiert. Ein gewisser Jim Curry, Schauspieler, ist in der gleichen Nacht durchgedreht. Er scheint den Verstand verloren zu haben. Jedenfalls steht im Protokoll, daß er ständig etwas von einem gräßlichen Monster phantasiert. Er hat es sogar beschrieben. Natürlich hat ihm keiner im Yard geglaubt. Sie wissen ja, wie die Jungs dort sein können. Immerhin waren sie froh, als sie diesen heißen Fall an uns abschieben konnten. Und jetzt schiebe ich ihn weiter, Mac. Machen Sie was draus!« Er zog sich eine neue Akte heran und schlug sie auf. Für ihn war der Fall offenbar so gut wie erledigt. Für mich nicht. Ich war sauer. Nur weil die Freunde von Scotland Yard nicht weiterkamen, mußte ich Kathleen absagen. Ich fand es nicht fair. Natürlich dachte ich nicht daran, sie mit ins ›Sahara‹ zu nehmen. Ich hütete mich, sie einer Gefahr auszusetzen, die ich selbst noch nicht abschätzen konnte. Vielleicht steckte eine organisierte Profi-Gang hinter dem Kidnapping. Vielleicht schlummerte der eisenharte Finne aber auch gerade in den weichen Armen einer molligen Blondine. Die Aussage von Jim Curry nahm ich nicht allzu ernst. Schauspieler sind von Berufs wegen meist mit einer gut entwickelten Phantasie ausgestattet. »Wie geheim ist meine Mission?« wollte ich noch wissen. Sir Horatio Merriman hob überrascht den Kopf und blinzelte
mich über die Ränder seiner Augengläser hinweg an. Offenbar konnte er gar nicht verstehen, wieso ich immer noch da war. Er räusperte sich. »Sie müssen denen ja nicht gerade auf die Nase binden, von welchem Verein Sie kommen, Mac. Jedenfalls ist die Hotelbesitzerin, eine gewisse Tina Spencer, informiert, daß sich ein Spezialist um die Angelegenheit kümmern wird. Sie haben freie Hand. Bringen Sie Södergren zurück, und sprechen Sie vor allem mit Curry.« Ich verließ mit Groll in der Brust sein Büro. Dabei kann ich mich über meinen Chef weiß Gott nicht beklagen. Ich kann jedem nur einen solchen Vorgesetzten wünschen. Er läßt mich auf meine Art arbeiten, auch wenn ihm die Methoden, die ich anwende, manchmal nicht ganz geheuer sind. Er mischt sich nicht ein und steht notfalls voll hinter mir. Wirklich, ich hätte es nicht besser erwischen können. Nur heute tröstete mich dieses Bewußtsein nicht. Dementsprechend muß wohl mein Gesichtsausdruck gewesen sein, als ich an Barbara Hicks vorbeiging. * Das Sahara-Hotel erhebt sich als moderner Neun-StockwerkeBau draußen in Barnet, weitab vom Trubel der City. Genauer gesagt in der Winnington Road. Es wird von gepflegten Parkanlagen umgeben. Die Ruhe ist Trumpf. Hier steigt nur ab, wer sich das leisten kann oder so tut, als könnte er sich das leisten. Mein alter MG, in dem ich vorfuhr, führte mich in den Kreis der Snobs bestens ein. Niemand hielt mich für einen Staatsdiener und schon gar nicht für einen Mann, der sich mit Vampiren und anderen Wesen herumschlägt. An der Reception nannte ich meinen Namen und verlangte
Mistress Spencer zu sprechen. Während ich auf die Hotelbesitzerin wartete, sah ich mich in der Empfangshalle um. Mir lag daran, möglichst schnell die Leute kennenzulernen, mit denen ich es in der nächsten Zeit zu tun haben würde. Ich wurde das Gefühl nicht los, als würde mir eine Welle von Feindseligkeit entgegenschlagen, konnte aber nicht die Richtung orten. Zu viele Menschen hielten sich in der Halle auf. »Was stieren Sie mich denn so an, Mister? Schulde ich Ihnen etwa ein Pfund?« Der Bursche, der sich offenbar durch mich gestört fühlte, war breitschultrig und stolzer Besitzer eines Bulldoggenkopfes. Normalerweise hätte ich ihn für einen Möbelpacker gehalten, doch Möbelpacker pflegten nicht im ›Sahara‹ abzusteigen. Sein schlechtes Benehmen glich er zweifellos durch eine prallgefüllte Brieftasche aus. »Es spricht nicht für Sie, wenn Sie vergessen, wem Sie Geld schulden«, gab ich ungerührt zurück. Der Halunke war mir nicht sympathisch. Ich hatte besseres Publikum erwartet. »Das ist Mister Sullivan«, hörte ich neben mir eine Männerstimme flüstern. »Er hat wieder mal an der Börse verloren und läßt nun seine schlechte Laune an anderen aus. Ignorieren Sie ihn einfach.« Ich blickte auf und sah ein Männchen mit fahlgrauen Haaren und ebensolchem Gesicht. Sein Anzug war zerknittert, das Hemd hoffnungslos unmodern. Es hätte mich nicht gewundert, wenn er zwei verschiedenfarbige Socken getragen hätte. Er musterte mich durch starke Brillengläser und fuhr fort: »Sie sind der Polizist, der Mr. Södergren finden soll, nicht wahr?« »Sieht man mir das an?« fragte ich erstaunt.
Der Alte lächelte. »Junger Mann, ich beobachte scharf. Sie stehen hier und sehen so blendend aus, daß ich Sie beneiden würde, wenn ich vierzig Jahre jünger wäre. Trotzdem haben Sie kein Auge für Miß Carr, die dort drüben sitzt, sondern fixieren die anwesenden Männer. Sie müssen ein Polizist sein.« Ich mußte lachen. Natürlich hatte ich die bildhübsche Blondine in dem weinroten Kleid längst bemerkt. Schon deshalb, weil sie errötend den Kopf senkte, als sie mein Blick streifte. Aber ich pflege Mädchen nicht anzustarren. »Ihre Tochter?« erkundigte ich mich höflich. Er wehrte erschrocken ab. »Wo denken Sie hin? Sie könnte ja meine Enkelin sein. Aber ich habe keine Nachkommen. Ich bin ledig geblieben. Keine Frau könnte sich mit meinem Beruf abfinden. Sie sind mir alle davongelaufen.« »Sind Sie Gerichtsvollzieher?« riet ich. »Schlimmer. Vielleicht erzähle ich es Ihnen einmal. Sie werden wahrscheinlich länger hier wohnen. Übrigens, ich heiße Jansen. Professor Raid Jansen.« Ich stellte mich ebenfalls vor, mußte das Gespräch aber abbrechen, weil eine sehr bestimmt auftretende Dame auf uns zukam. Ich wußte sofort, daß sie Tina Spencer war. Ich schätzte sie auf vierzig. Sie war eine elegante Erscheinung mit glattfrisierten Haaren und prüfenden Augen. Sie bat mich, ihr in ihr Büro zu folgen. Dort wies sie auf einen Sessel und nahm selbst hinter einem mit Papieren vollbepackten Schreibtisch Platz. »Ich bin froh, daß Sie da sind, Mr. Kinsey«, begann sie ein wenig atemlos. »Seit letzter Nacht ist hier, verzeihen Sie den Ausdruck, der Teufel los. Ein wichtiger ausländischer Politiker ist spurlos verschwunden. Ein Schauspieler, der es keineswegs nötig hat, sich interessant zu machen, flippt ohne ersichtlichen Grund aus und überschüttet die anderen Gäste mit Greuel-
märchen. Mein Hotel besitzt einen ausgezeichneten Ruf. Und nun das!« Sie war sichtlich geschockt. Bei der Konkurrenz hätten sie diese Vorfälle weit weniger gestört. Einiges wußte ich schon aus der Akte. Södergren war zuletzt gesehen worden, als er zu dem Fitneßraum im Kellergeschoß ging, um sich zu trimmen. Dort verlor sich seine Spur. Das merkwürdigste war, daß sein Anzug noch immer in der Umkleidekabine hing. Auch die Schuhe standen noch dort. Lediglich die Brieftasche wurde vermißt. Von Jim Curry war bekannt, daß er in der Hotelbar Streit mit zwei Fremden gehabt hatte, die nicht im ›Sahara‹ wohnten. Er hatte ziemlich aufgedreht und für Scherben gesorgt. Gut möglich, daß er zu dieser Zeit schon einen Knacks weg hatte. Vor allem aber sollte er ziemlich getrunken haben. Aus diesem Grund waren auch seine Schauergeschichten auf wenig Interesse gestoßen. Beunruhigend war nur, daß er noch immer in seinem Bett lag und wimmerte. Keiner der übrigen Gäste oder des Personals hatte eine Beobachtung gemacht, die der Polizei weitergeholfen hätte, aber die war ja jetzt auch fein heraus. Mehr, als in der Akte vermerkt war, konnte mir die Hotelbesitzerin auch nicht sagen. Eigentlich war ihr hauptsächlich daran gelegen, möglichst wenig Aufsehen zu erregen. Sie hoffte auf mein Verständnis. Das hatte sie, aber den Fall würde ich trotzdem auf die Art lösen, die erforderlich war. Und wenn dabei das schöne Hotel einstürzte. Ganz so direkt sagte ich es ihr nicht, aber sie verstand mich auch so. Ich war sicher, daß sie nach unserem Gespräch zum Telefon-
hörer greifen würde, um sich zu erkundigen, ob man nicht einen anderen Mann schicken könnte. Immerhin gestattete sie mir, mich in sämtlichen Räumen frei zu bewegen, solange ich die Intimsphäre der Gäste berücksichtigte. Ich erhob mich und wollte ihr Büro verlassen. Da warnte mich etwas. Es war jenes Gefühl, das ich nur unvollkommen beschreiben kann, dem ich aber schon mehr als einmal mein Leben verdankte. Ich warf mich zur Seite, überschlug mich auf dem Boden und riß gleichzeitig meine Automatic aus der Tasche. Ein fürchterliches Gepolter ertönte. Staub wölkte auf. Mrs. Spencer stieß einen Schreckensruf aus. Dann war alles wieder still. Ich lag auf dem Boden, die Waffe mit beiden Händen im Anschlag. »Ist Ihnen etwas passiert?« erkundigte sich Mrs. Spencer besorgt. Sie starrte unverwandt auf die Pistole und konnte nicht begreifen, was ich damit vorhatte. Es sah auch etwas merkwürdig aus, denn niemand griff mich an. Ein Bild war bloß auf den Boden gedonnert, allerdings ein mächtiger Schinken mit schwerem Rahmen, der mich durchaus hätte erschlagen können. Ich steckte die Waffe weg und erhob mich. Prüfend ging ich zu dem Gemälde, an dem noch der massive Haken hing. Er hatte sogar ein Stück aus der Mauer herausgerissen. Das Bild stellte einen würdigen Herrn dar, dessen Gesichtsausdruck unverkennbaren Hohn zeigte. In seinen finsteren Augen lag blanker Haß.
Ich erschrak unwillkürlich. Der Maler verstand, sehr intensiv darzustellen. »Nichts passiert«, verkündete ich. »Für einen Moment glaubte ich an das Monster. Wer ist dieser Herr im steifen Kragen und am lockeren Haken?« Mrs. Spencer war immer noch entsetzt. »Ich begreife das nicht, Mr. Kinsey. Der Haken ist seinerzeit eingemauert worden. Noch nie hat das Bild auch nur gewackelt.« »Der Bursche scheint etwas gegen mich zu haben. Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet.« Ihre Hände zitterten. Sie mußte sich setzen. Sie benahm sich so, als wäre sie selbst mit Not dem Anschlag entgangen. »Soviel ich weiß, handelt es sich um einen entfernten Verwandten meines verstorbenen Mannes. Ein Urgroßvater. Sir Archibald Woodharring hieß er. Das ist alles, was ich über ihn weiß. Mein Mann liebte dieses Bild. Deshalb habe ich es hier aufhängen lassen. Es ist mir unbegreiflich, wie das geschehen konnte.« Mir war das nicht unbegreiflich. Ich spürte förmlich die Ablehnung, die mir entgegenschlug. Mit diesem Bild mußte es etwas auf sich haben. Ich nahm mir vor, in der Vergangenheit dieses fallsüchtigen Sir Archibald zu forschen. * Ich versuchte zuerst zu ergründen, wer das Bild aufgehängt hatte, erhielt aber von dem ganzen Personal die Bestätigung, daß es schon im Büro hing, solange man denken konnte. Niemand konnte mir etwas über Sir Archibald sagen. Der Urgroßvater wurde immer mysteriöser. Auf dem Weg zu Jim Curry, der von keinem gestört werden
wollte, begegnete mir der Etagenkellner. Sein Namensschild wies ihn als Selby aus. Er war ein arroganter Mensch, der sich viel auf seine Tätigkeit im ›Sahara‹ einbildete. Da ich nicht meinen Smoking angezogen hatte, blickte er lässig auf mich herab und fragte, ob ich ein Lieferant sei. »Lieferant für dumme Antworten«, entgegnete ich. Noch war ich ruhig, aber das konnte sich schnell ändern. Mehr und mehr feindliche Strömungen nahm ich in mir auf. Ich mußte herausfinden, wo der Verursacher steckte, der mich anscheinend bereits als Gegner erkannt hatte. Selby verzog seinen Mund zu einem pikierten Lächeln. Er rümpfte die Nase und erkundigte sich: »Wollen Sie zu dem Verrückten? Er darf nicht gestört werden. Er ist gewalttätig.« Ich wußte, was er meinte. Curry hatte sich in der Nacht heftig gewehrt, als man ihn auf der Treppe tobend fand. Sein Zimmer hatte ausgesehen, als hätte eine Schlacht darin getobt. Da er es aber alleine bewohnte, mußte er es selbst so zugerichtet haben, denn das angebliche Monster hätte ihn sicher nicht ungeschoren gelassen. »Ich fürchte mich nicht vor Gewalttätigen«, behauptete ich. »Und verrückt sind wir schließlich alle ein bißchen.« Das nahm Selby als persönliche Beleidigung. Er stellte das Tablett, das er gerade in der Hand balancierte, auf ein niedriges Tischchen und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich soll zu den Gästen höflich sein«, sagte er, »aber ich brauche mir nicht dumm kommen zu lassen.« Ich wandte mich ab, denn ich hatte Mrs. Spencer versprochen, möglichst keinen Aufstand zu verursachen. Eine Schlägerei mit Selby brachte nichts. Er war anderer Meinung. Er riß mich an der Schulter zurück. Ich machte nur eine kurze Drehbewegung, bei der ich ihn
mit dem Ellbogen an der Brust erwischte. Er taumelte zurück, prallte gegen das Tischchen und riß das Tablett mit zwei leeren Gläsern zu Boden. Das war die Sprache, die er verstand. Ich erwartete einen weiteren Angriff, aber er murmelte etwas, sammelte die Gläser und das Tablett zusammen und schlich davon. Jetzt war die Tür zu Jim Currys Zimmer frei. So dachte ich jedenfalls. Selby, der kaum um die Ecke des Ganges gebogen war, schrie entsetzt auf. Die Gläser polterten abermals zu Boden, und diesmal zersplitterten sie. Ich wirbelte herum und hetzte hinter ihm her. Genau an der Ecke prallten wir mit voller Wucht zusammen. Er war ebenfalls in Laufschritt gefallen, aber in die entgegengesetzte Richtung. Er klammerte sich an mich. Sein Gesicht zeigte alle Anzeichen von Panik. Er wollte etwas sagen, aber er brachte kein Wort heraus. Mit Mühe hielt ich ihn mir vom Leibe. Ich blickte mich um, um zu erkunden, was den Mann derart entsetzt haben mochte. Ich konnte nicht das Geringste entdecken. »Das T-Tablett«, stammelte er. Ich ging hinüber und hob es auf. Es war aus Edelstahlblech, auf Hochglanz poliert. An einer Stelle zeigte es eine winzige Delle. Ohne Zweifel eine Folge der häufigen Stürze. »Was ist mit dem Tablett?« wollte ich wissen. Er schluckte und hielt sich an der Wand fest. Sein Grauen war nicht gespielt. »Sehen Sie es nicht? Das Gesicht. Es ist furchtbar. Diese Fratze. Sie hat mich höhnisch angegrinst.« »Nicht die Nerven verlieren«, schlug ich vor.
Auf keiner der beiden Seiten des Tabletts war eine Fratze zu erkennen. Wollte Selby mich nur auf den Arm nehmen oder von Currys Zimmer weghalten? Daran zweifelte ich. Ich brauchte den schlotternden Mann nur anzusehen, um zu wissen, daß er mit den Nerven am Ende war. Ich bat ihn, über sein Erlebnis den Kollegen gegenüber Stillschweigen zu bewahren. »Es ist nicht nötig, daß eine Panik ausbricht. Es wird sich alles aufklären. Haben Sie ebenfalls das Monster letzte Nacht gesehen?« Er brauchte einige Sekunden, bevor er antworten konnte. »Ich habe nichts gesehen«, stieß er hervor. »Ich glaubte, Mister Curry sei nicht ganz richtig im Kopf. Jetzt denke ich anders. Es geht etwas um in diesem Hotel. So etwas Gräßliches habe ich mein ganzes Leben noch nicht gesehen. Hören Sie, wenn ich vorhin unhöflich zu Ihnen war, dann tut mir das leid. Ich…« »Schon vergessen«, unterbrach ich ihn. »Sie können das wiedergutmachen, indem Sie in Zukunft mit mir zusammenarbeiten.« Er sah mich mit eigentümlichem Gesichtsausdruck an. »Ich glaube nicht, daß ich das tue. Ich hole mir jetzt meine Papiere, und dann verschwinde ich. Das ›Sahara‹ sieht mich nie wieder.« So schnell habe ich nie einen Kellner laufen sehen, wie Selby in Richtung Treppe davonsauste. Nachdenklich betrachtete ich das Tablett. Ich konzentrierte mich; denn ich hoffte, daß es mir gelingen würde, das Gesicht, das Selby gesehen hatte, zurückzuholen. Ich hatte den Verdacht, daß ich Ähnlichkeiten mit Sir Archibald feststellen würde. Aber alles, was ich erreichte, war, daß das polierte Metall be-
schlug. Die dämonische Kraft war nicht mehr stark genug. Sie hatte sich offensichtlich einen anderen Ort für ihr Wirken gesucht. Ich ging zu Jim Curry hinein. Die Tür war nicht verschlossen, doch als ich sie öffnete, zerbarst eine bauchige Vase dicht neben meinem Kopf. Gleichzeitig ertönte ein Zetern und Schimpfen und danach ein erbärmliches Schluchzen. »Fort!« heulte der Schauspieler. »Ich will nicht. Nein! Laß mich los! Verfluchtes Scheusal!« Er lag angekleidet auf dem Bett und hatte in der Nachttischlampe ein neues Wurfgeschoß gefunden. Ohne zu zögern, riß er das Kabel aus der Steckdose und warf die Lampe nach mir. Diesmal war ich darauf vorbereitet. Ich tauchte weg, und es gelang mir sogar, das Geschoß rechtzeitig aufzufangen, bevor es in Stücke ging. Er sah schlimm aus, aber in einem noch schlimmeren Zustand befand sich das Zimmer. Überall lagen Bettfedern herum, die Schranktüren waren aufgerissen und sämtliche Kleidungsstücke herausgezerrt. Zum Teil lagen sie auf dem Fußboden verstreut. Die Stühle waren umgestoßen, ein Spiegel zertrümmert. Kaum ein Gegenstand befand sich im Normalzustand. Die Tür zum Bad stand offen. Ich konnte sehen, daß auch dort ein Chaos herrschte, als hätte ein Kampf stattgefunden. Ich war nicht überrascht. Im Protokoll war alles genau vermerkt gewesen. Seit die Polizisten das Feld geräumt hatten, hatte sich hier kaum etwas verändert. Jim Curry kauerte jetzt im Bett. In seinen Augen lag ein irrer Glanz. Den Mund hielt er halb geöffnet. Die Zunge lag dick zwischen den spröden Lippen. Ich stelle die Lampe auf den Boden und zeigte ihm meine
leeren Hände. Er sollte sehen, daß er von mir nichts zu fürchten hatte. »Mein Name ist Kinsey«, stellte ich mich vor. »Sie können aber Mac zu mir sagen, falls Ihnen das lieber ist. Sie heißen Jim, nicht wahr?« Wenigstens erreichte ich, daß er momentan auf einen weiteren Angriff verzichtete. Aber sein Gesicht war nach wie vor von Mißtrauen und Entsetzen gezeichnet. Ich näherte mich ihm vorsichtig. Ich mußte mit ihm wie mit einem Kranken umgehen. Denn ich glaubte nicht, daß sein Geist verwirrt war. Er stand lediglich unter einem sehr starken Schock. »Ich weiß von Ihrer unangenehmen Begegnung, Jim«, sagte ich. »Hatten Sie vorher schon andere eigenartige Erlebnisse in diesem Hotel?« Er blickte durch mich hindurch. Seine Blicke wanderten weiter. Die Augen wurden starr und entsetzt. Abwehrend hob er die Hände. »D-dort! Er ist…« Ich wirbelte herum und warf mich auf den Teppich. Nichts! Der Bursche hatte mich reingelegt. Das merkte ich, weil er mich gleich darauf vom Bett aus ansprang und seine Hände um meinen Hals legte. Augenblicklich drückte er so fest zu, daß über seine Absichten kein Zweifel bestand. Der Mann verfügte über Kräfte, die ich ihm in seinem Zustand nicht zugetraut hätte. Diesem Griff hielt ich nur wenige Sekunden stand. Zum Glück durchläuft man beim Secret Service eine harte Schule. Ich kannte mich in vielen Tricks aus, von denen Curry mit Sicherheit noch nie gehört hatte. Um ihn abzuschütteln, versuchte ich es mit der Beinschere.
Der Ansatz gelang wie beim Training, doch sein Griff löste sich nicht. Er drückte nur noch fester zu, dabei mußte er beachtliche Schmerzen spüren. Teufel auch! Das konnte ja heiter werden. Ich ruckte mit den Knien hoch und rammte sie ihm in die Seite. Ohne Erfolg. Das gab es nicht. Curry war kein Schwergewicht und wirkte auch nicht übermäßig sportlich. Etwas mußte in ihm stecken, das sich mit ihm gegen mich verbündet hatte. Etwas Dämonisches. Wahrscheinlich hatte er selbst gar keine Ahnung davon. Es hatte von ihm Besitz ergriffen, um mich aus dem Weg zu räumen, nachdem der Anschlag mit dem Gemälde fehlgeschlagen war. Ich war jetzt davon überzeugt, daß Absicht dahinter gesteckt hatte, als der selige Sir Archibald von der Wand fiel. Mit Sicherheit war er gar nicht selig, sondern trieb im Hotel jetzt noch sein Unwesen. Diese Vermutung rettete mich aber nicht aus dem Würgegriff. Meine Kräfte erlahmten. Mir wurde schwarz vor Augen. Bleierne Müdigkeit erfaßte mich. Ich durfte nicht aufgeben. Ich langte tief in die Trickkiste, bearbeitete Curry mit den Fäusten, wobei ich nicht immer oberhalb der Gürtellinie blieb. Aber er schien aus Holz zu sein. Keiner meiner Schläge beeindruckte ihn. Ich dachte an die Automatic in meiner Tasche. Damit hätte ich ihn mir wohl vom Hals schaffen können, doch töten durfte ich den Ahnungslosen nicht, und es widerstrebte mir auch, ihn entscheidend zu verletzen. Mir fiel mein Messer ein. Eine winzige Wunde wirkte oft Wunder.
Wenn Blut floß, wurde der Dämon möglicherweise vertrieben. Kaum noch Herr meiner Sinne, tastete ich zu meiner Tasche. Ich fühlte das Springmesser und brachte es heraus. Ich ließ die Klinge aufschnappen. Mit letzter Kraft spannte ich meine Halsmuskeln an. Dann bohrte ich die Messerspitze in seinen Handrücken. Nichts. Kein Blutstropfen quoll heraus. Kein Zurückzucken. Kein Schmerzenslaut. Sein Griff wurde nicht mal unter einem Reflex stärker. Er blieb gleich. Gleich stark, gleich tödlich. Da wußte ich, daß es aus war. * Ich hatte mit dem Leben abgeschlossen, als ich plötzlich wieder Luft bekam. Instinktiv pumpte ich die Lungen voll und mobilisierte neue Kräfte zu einer entschlossenen Abwehr. Niemand war verblüffter als ich, als Jim Curry von mir wegkatapulitiert wurde und rückwärts auf das zerwühlte Bett flog. Ich rollte mich beiseite. Meine Bewegungen waren längst nicht mehr so schnell wie sonst. Ich kam auf die Beine und massierte meinen Hals. Da sah ich ihn! Klein, unscheinbar und zerknittert. Professor Raid Jansen. Er stand mitten im Zimmer, und hinter den Brillengläsern funkelten seine Augen fanatisch. Ich sah ihn verdutzt an. Kein anderer als er konnte mich gerettet haben, aber Jansen war viel zu schwächlich für einen solchen Kraftakt.
»Sind Sie in Ordnung, Mr. Kinsey?« erkundigte er sich besorgt. Ich grinste säuerlich und nickte. Meine Luftröhre war noch immer wie zugepreßt. Die Stimme wollte mir noch nicht gehorchen. Ich bückte mich nach meinem Messer, klappte es zu und steckte es in die Tasche. Allmählich strömten die Lebensenergien in meinen Körper zurück. »Ich bin froh, daß ich noch rechtzeitig dazugekommen bin«, fuhr der Professor fort. »Ich hörte draußen den Lärm und dachte sofort an den Dämon. Er hatte von Curry Besitz ergriffen. Zum Glück befasse ich mich schon lange genug mit okkulten Problemen, so daß mir die richtige Abwehrformel einfiel.« »Sie sind Magier?« fragte ich überrascht. Er wehrte erschrocken ab. »Das ist ein großes Wort, Mr. Kinsey. Nein, ich bin leider nicht stark genug, die Schattenwesen und die Bewohner der Finsternis zu besiegen. Meine Fähigkeiten beschränken sich auf ein paar Praktiken, die ich mir auf langen Reisen erworben habe. Aber ich hoffe, daß ich bald einen bedeutenden Schritt vorankomme.« »Wie meinen Sie das?« Jansen warf Jim Curry einen verstohlenen Blick zu. »Kommen Sie«, sagte er. »Von ihm erfahren Sie momentan ohnehin nichts. Der Dämon hat ihn zwar wieder verlassen, aber er gehört in die Hand eines fähigen Arztes. Nehmen Sie alles, was Sie von seinem bisherigen Gestammel erfahren haben, für wahr an, dann befinden Sie sich genau auf dem richtigen Weg. Dieses Monster, das ihm erschienen ist, existiert tatsächlich. Ich bin davon überzeugt. Aus diesem Grund halte ich mich überhaupt nur im Sahara-Hotel auf. Meine Forschungen haben mich hergeführt.« Er zog mich energisch aus dem Zimmer und deutete auf die
Tür, nachdem ich sie geschlossen hatte. »Sehen Sie dort die Nummer? Eine Ziffer ist verschwunden, obwohl sich niemand dazu bekennt. Ist das nicht seltsam? In einem so teuren Hotel wie dem Sahara werden nicht ausgerechnet Zimmernummern gestohlen. Ich sage Ihnen, daß der Dämon ein Zeichen setzen wollte. Er hat sein Kommen angekündigt. Darauf baue ich. Vielleicht tut er es wieder. Dann hoffe ich, ihn besiegen zu können.« Ich hütete mich, dieses Männchen zu unterschätzen. Immerhin hatte ich ihm zu verdanken, daß ich noch lebte. Aber er selbst hatte gesagt, daß seine Fähigkeiten begrenzt waren. Ich sah es als meine Pflicht an, ihn zu warnen. Sollte hier wirklich ein echter Dämon hausen, war es besser, das Hotel zu räumen, als Heldenstücke zu probieren. Vielleicht konnte mir Miriam, die Hexe aus Soho, einen guten Rat geben. Ich äußerte meine Bedenken, doch Jansen lächelte dünn. »Ich bin nicht so hilflos, wie Sie denken. In meinem Besitz befindet sich eine alte Schrift. Sie hat mich hergeführt. Sie wird mir auch den weiteren Weg weisen.« »Würden Sie mir diese Schrift zeigen?« Er schüttelte entschieden den Kopf. »Auf keinen Fall, junger Freund. Sie haben Pech gehabt. Ich traue Ihnen durchaus zu, daß Sie nicht immer Beistand von einem alten Mann brauchen. Meine Menschenkenntnis sagt mir genug über Sie. Aber gerade deshalb will ich Sie nicht gefährden. Die geheime Schrift würde Sie in Versuchung führen, sich mit dem Dämon anzulegen. Das ist meine Lebensaufgabe. Jahrzehnte habe ich dafür gearbeitet und auch gekämpft. Jetzt stehe ich kurz vor dem Ziel.« Ich versuchte ihm zu erklären, daß auch ich mich dem Kampf gegen alles Geisterhafte, Böse verschworen hatte. Er
nahm es zur Kenntnis, blieb aber bei seiner Weigerung. Ich spielte mit dem Gedanken, mir auf irgendeine Weise diese Schrift zu beschaffen. Raid Jansen meinte es zweifellos gut. Das gab ihm aber nicht das Recht, eine möglicherweise entscheidende Information zurückzuhalten. Nach mehreren vergeblichen Versuchen, ihn umzustimmen, brachte ich die Sprache auf Sir Archibald Woodharring. Er hörte interessiert zu und strich schließlich nachdenklich mit seinem Zeigefinger über den Nasenrücken. »Der Dämon hat es offenbar auf Sie abgesehen«, stellte er fest. »Das bestärkt mich in meiner Meinung, daß Sie außerordentlich gefährdet sind. Von diesem Gemälde weiß ich nichts, und den Namen Woodharring habe ich auch noch nirgends gehört. Es kann aber nicht schaden, wenn ich mich darum kümmere. Vielleicht bekomme ich etwas heraus. Wir gingen zusammen zum Lift, um ins Erdgeschoß zu fahren, als von unten ein unbeschreiblicher Lärm ertönte. Jansen packte mich am Arm. Ich spürte seine Erregung. »Das ist er wieder«, flüsterte er. »Himmel, und ich habe die Waffe noch nicht!« Er drückte auf den Knopf, um den Aufzug aus der neunten Etage zu rufen. Das dauerte mir zu lange. Ich wandte mich der Treppe zu und jagte hinunter, indem ich jeweils drei Stufen auf einmal nahm. * Ich hätte doch besser den Lift nehmen sollen. Die Treppe war zwischen der zweiten und dritten Etage hoffnungslos verstopft. Hotelgäste hatten ihre Zimmer verlassen
und drängten sich nun auf den Stufen, um zu erfahren, was der Lärm bedeutete. Mich trieb nicht die Neugier, sondern die Sorge. Professor Jansen hatte dafür gesorgt, daß ich mit dem Schlimmsten rechnete. Ich hatte keine Zeit zu verlieren. Ich warf mich kurzerhand gegen die Front breiter Rücken und ruderte mit den Armen, um eine Lücke zu schaffen. Natürlich erntete ich stürmische Proteste. Ich kümmerte mich nicht darum. Ich spurtete zur ersten Etage hinunter und konnte nun bereits sehen, was sich in der Halle tat. Von einem Monster oder Dämon war nichts zu erkennen. Aber Mrs. Spencer wurde von einem Pärchen bedrängt, das wortgewaltig auf sie einschrie. Sie hatte Mühe, höflich zu bleiben. Sie wurde von zwei Angestellten unterstützt, die den heftig gestikulierenden Mann davon abhielten, handgreiflich zu werden. Mit ein paar langen Sätzen war ich bei der Gruppe. Soeben verließ auch Professor Jansen den Fahrstuhl. »Helfen Sie mir, Mr. Kinsey!« rief Mrs. Spencer. »Ich weiß mir keinen Rat mehr. Ich kenne den Mann überhaupt nicht.« »Was, Sie kennen mich nicht?« kreischte der Kleine mit der Halbglatze. »Dann werden Sie mich kennenlernen! Wo ist meine Frau? Was ist das hier für ein Hotel, he? Ich werde Sie wegen Menschenhandels anzeigen!« »Ich verlange meinen Schmuck zurück«, zeterte die Frau neben dem aufgebrachten Mann. »Das ist hier nicht nur ein Tollhaus, das ist eine Räuberburg! Der Ring hatte vier Karat, und die Perlenkette ist ein Vermögen wert. Stehen Sie doch hier nicht so herum. Tun Sie gefälligst etwas.« »Nichts da!« protestierte der Glatzköpfige. »Die Lady bleibt
hier! Ich will Carol, und wenn ich das Hotel abreiße!« Der Mann zerrte eine flache Pistole aus der Tasche und richtete sie auf Mrs. Spencer, die leichenblaß wurde. Ich sprang mitten in die Menschenansammlung und schlug mit der Handkante auf den Unterarm des Bewaffneten. Die Pistole fiel auf den Boden und rutschte davon, und ich sah aus den Augenwinkeln, daß der Professor sich nach ihr bückte und sie in seiner Jacke verschwinden ließ. Mrs. Spencer atmete auf. »Gott sei Dank, daß Sie gekommen sind, Mr. Kinsey. Seit letzter Nacht bin ich offensichtlich nur noch von lauter Verrückten umgeben! Mister Curry sieht Gespenster. Dieser Gentleman, den ich noch nie gesehen habe, sucht seine Frau ausgerechnet in meinem Hotel. Und Mrs. Vanderloop behauptet, man habe sie bestohlen. Im Sahara ist noch nie etwas abhanden gekommen. Dafür verbürge ich mich.« »Verbürgen Sie sich nicht. Suchen Sie lieber meinen Schmuck«, schimpfte Mrs. Vanderloop, eine spindeldürre Mittfünfzigerin, die offensichtlich einen dichtbehaarten Pelz nicht nur auf den Schultern, sondern auch auf den Zähnen trug. Es dauerte einige Zeit, bis es mir gelang, die Gemüter einigermaßen zu beruhigen. Dann ließ ich mir der Reihe nach berichten, was sich zugetragen hatte. Der Mann hieß Daniel Nelson und war nach eigenen Angaben einer der erfolgreichsten Filmproduzenten des Landes. Ich kannte ihn trotzdem nicht. Angeblich hatte er am Vorabend in der Hotelbar ein paar Gläser mit seiner Frau getrunken. Sie hatte sich wegen Kopfschmerzen entschuldigt und war mit dem Taxi nach Hause gefahren, während er selbst noch einige Drinks gekippt hatte. Als er gegen ein Uhr nach Hause kam, war seine Frau dort
nicht angekommen. Anscheinend hatte auch keiner der Hotelangestellten für sie ein Mietauto bestellt. »Sie ist gekidnappt worden«, beharrte er, »Und dieses lächerliche Hotel ist verantwortlich. Ich stelle dieses ganze Haus auf den Kopf, wenn man sie nicht freiwillig herausrückt.« Ich wollte meinem ersten Impuls folgen und in der Bar nachfragen, was sich tatsächlich zugetragen hatte. Immerhin wußte ich, daß Jim Curry dort ganz schön aufgedreht hatte. Aber seine beiden Gegner waren anders beschrieben worden als dieser schwächliche Mann mit dem starken Namen. Dorothy Vanderloop ließ aber nicht zu, daß ich mich zuerst um den anderen Fall kümmerte. Sie bestand darauf, daß ich ihr ihre Juwelen beschaffte. Auf der Stelle. »Sind Sie nicht hier der Hausdetektiv?« fragte sie spitz. »Sie stecken doch überall Ihre Nase hinein. Aber wenn eine hilflose Dame Schutz braucht, lassen Sie sich natürlich nicht blicken. Jetzt zeigen Sie mal gefälligst, wofür Sie bezahlt werden. Sonst sorge ich dafür, daß Sie nie wieder einen Job finden.« Was dieses Problem betraf, war ich unbesorgt. Sir Horatio hält große Stücke auf mich, und selbst ein gelegentlicher Fehlschlag hindert ihn nicht daran, mich als seinen besten Mann zu bezeichnen. Aber ich nahm diesen Schmuckdiebstahl ernst. Ich erinnerte mich, daß auch die Brieftasche des verschwundenen Finnen vermißt wurde. War das ein Zufall? Es gab einen, der zu wissen glaubte, was es war. Er walzte heran und zeigte drohend auf mich. Ich entsann mich, ihn auf der Treppe unter den aufgebrachten Gästen gesehen zu haben. »Du Dieb!« beschimpfte er mich. »Du hinterhältiger Halunke! Jetzt weiß ich, warum du es so eilig hattest. Du warst in meinem Zimmer und hast mir die Tasche mit den Wertpapie-
ren gestohlen! Sind eine halbe Million wert. Wo hast du sie? Gib sie heraus!« Er packte mich bei den Schultern und stieß mir seinen nach Zigarrenrauch riechenden Atem ins Gesicht. Ich machte mich mit einer raschen Bewegung frei und hielt ihn auf Distanz. »Sie wollen doch nicht allen Ernstes behaupten, Sie hätten Wertpapiere unverschlossen in Ihrem Zimmer herumliegen lassen«, sagte ich zweifelnd. »Wem wollen Sie das weismachen?« »Was ich mit meinen Aktien anfange, geht dich einen Dreck an. Wenn ich sie an der Leine spazieren führe, kann dir das auch egal sein. Es gibt dir jedenfalls nicht das Recht, mich auszuplündern. Warum rufen Sie nicht endlich die Polizei?« Die letzten Worte waren an Mrs. Spencer gerichtet. »Mr. Kinsey kommt von der Polizei, Mr. Sullivan«, belehrte sie den aufgebrachten Mann, obwohl das nicht ganz stimmte. »Er ist hier, um für Ordnung zu sorgen.« Ihrem Gesicht sah ich allerdings an, daß sie meine Mission bereits jetzt als gescheitert betrachtete. Das konnte ich ihr nicht verdenken. Immerhin war während meiner kurzen Anwesenheit schon eine ganze Menge passiert, und es roch nach immer mehr Komplikationen. Sullivan lachte auch nur wegwerfend, traute sich aber nicht mehr, mich anzufassen. »Kann übrigens sein, daß die Papiere auch nur eine Viertelmillion wert sind«, räumte er wütend ein. »Aber weg sind sie, das steht nun mal fest. Und vor ein paar Minuten waren sie noch da.« Sullivan hatte sein Zimmer im vierten Stock. Ich wies ihn darauf hin, daß ich keinen Koffer bei mir gehabt hatte, als ich die Treppe hinunterrannte, aber ich sah deutlich, wie er daran dachte, daß man eine Beute auch anderweitig verstecken
konnte. Eine Brieftasche, der Schmuck von Mrs. Vanderloop, und nun auch noch ein Koffer voller Aktien – es sah ganz so aus, als sei der Dämon an irdischen Gütern sehr interessiert. Das war eine neue Erfahrung für mich. Deshalb hielt ich es auch für wahrscheinlicher, daß ein durchaus menschlicher Gauner für die Diebstähle verantwortlich zeichnete. Diese Erkenntnis machte mir meine Aufgabe keineswegs leichter. * Um die Gemüter zu beruhigen, sagte ich zu, mich um die verschwundenen Kostbarkeiten zu kümmern. Da mir ein verschwundener Mensch in der Wertrangfolge am höchsten erschien, ging ich zunächst der Frage nach, wo Caroline Nelson geblieben war. Ich begann meine Suche bei dem Barmixer, zu dem mich Nelson begleitete, nachdem er versprochen hatte, Ruhe zu bewahren. Der Mixer strahlte, als er den Produzenten sah. Ich erfuhr den Grund. Nelson hatte ihm den Schaden, den Jim Curry bei der Schlägerei angerichtet hatte, sehr großzügig bezahlt. Das mußte einen Grund haben. Da beide Männer sehr gesprächig waren, erfuhr ich schnell die Zusammenhänge des vergangenen Abends. Jim Curry hatte die Nelsons zu einem Drink eingeladen. Nelson hatte ihm eine Rolle in seinem nächsten Film angeboten und die Sache gleich kräftig begossen. Caroline Nelson war von zwei Randalierern angepöbelt, von dem Schauspieler aber in die Flucht geschlagen worden.
Nelson trug einige Fotografien seiner Frau bei sich. Er zeigte sie mir, und ich wunderte mich nicht, daß er Schlimmes befürchtete. Die Frau besaß unübersehbare Vorzüge. Der Mixer erzählte mir, daß Curry nicht sehr gesprächig gewesen war. »Der hatte Liebeskummer«, folgerte er kühn. »Damit kenne ich mich aus, Sir. Was glauben Sie, um wieviel weniger ich umsetzen würde, wenn es dieses Leiden nicht gäbe.« »Haben Mrs. Nelson und Mr. Curry miteinander geflirtet?« fragte ich so, daß es Nelson nicht hören konnte. »Sie mit ihm schon«, gab der Mixer zu, »aber er hat das gar nicht gemerkt. Er war sauer. Anscheinend hatte er sich den Verlauf des Abends anders vorgestellt.« Ich bin kein Freund voreiliger Schlußfolgerungen, doch in diesem Fall war ich mir ziemlich sicher, daß die Frau des unansehnlichen Produzenten ein Abenteuer gesucht hatte. Hatte sie es auch gefunden? Schwieg Jim Curry über die Dinge, die wichtig sein konnten? Ich mußte ihn noch einmal ins Gebet nehmen. Von der Bar aus rief ich meinen Chef an. Er sollte sich vorsichtshalber mit dem Yard in Verbindung setzen und die beiden Männer suchen lassen, mit denen Curry Streit gehabt hatte. Es war nicht auszuschließen, daß sie hinter dem Verschwinden der Frau steckten. Ich dachte an einen Racheakt für die eingesteckten Prügel. Der Mixer schien noch etwas zu wissen, rückte aber nicht damit heraus. Er druckste herum und polierte verbissen ein Sektglas. Während Nelson seinen Kummer in einem doppelten Scotch ertränkte, redete ich dem Mann gut zu. Er sollte wissen, daß auch pikante Geheimnisse bei mir gut aufgehoben waren. Ich war nicht hier, um sie in die Weltgeschichte zu posaunen.
Endlich bequemte er sich dazu, den Mund aufzumachen. »Es hört sich vielleicht ein bißchen verrückt an«, sagte er leise. »Aber als ich die Geschichte mit Mr. Curry erfuhr und auch noch, daß Mr. Södergren nicht auffindbar ist, habe ich mir so meine Gedanken durch den Kopf gehen lassen.« »Und was ist dabei herausgekommen?« »Nicht viel. Mir fiel nur ein, daß Mrs. Nelson behauptet hatte, einen Schrei gehört zu haben.« »Einen Schrei? Was für einen Schrei?« »Das weiß ich eben nicht. Sie fragte mich nur, ob ich nicht den Schrei gehört hätte. Angeblich hat er entsetzt geklungen und so, als käme er von weit her.« »Zum Beispiel aus dem Fitneßraum im Keller?« »Könnte durchaus möglich sein, Sir. Daran habe ich hinterher auch gedacht. Aber wie gesagt, ich selbst habe nichts gehört. Und, soviel ich weiß, sind die Gentlemen auch nicht darauf aufmerksam ge…« Daniel Nelson ließ einen Schrei los, als hätte er ein Stichwort erhalten. Fassungslos starrte er in sein Glas, das er mit beiden Händen umkrampfte. Sicher war es nicht der Whisky, der ihn so entsetzte. Mir kam vor, als würde noch etwas anderes in dem Glas schwimmen. Ein Gesicht. Ich konnte es aber nicht genau erkennen. Deshalb war ich mit zwei Schritten neben dem Produzenten und griff nach dem Glas. Er schleuderte es mir entgegen, und ich mußte den Kopf einziehen, um nicht getroffen zu werden. Ein paar Schnapsspritzer bekam ich zwar noch ab, aber die machten keine Beulen. Nelson schlug die Hände vors Gesicht. Er zitterte. Sein Kopf sank auf den Tresen.
Der Aufprall brachte ihn wieder zur Besinnung. Er fuhr hoch und starrte mich an, als sei ich nicht von dieser Welt. »Was war das?« würgte er mühsam hervor. »Das hätte ich ganz gerne von Ihnen gewußt, Mr. Nelson«, sagte ich ungehalten. »Hatten wir nicht Waffenstillstand geschlossen?« Er schüttelte verwirrt den Kopf. »Tut mir leid, wenn ich Sie getroffen habe. Das galt nicht Ihnen. Ich habe nur einen fürchterlichen Schreck bekommen. In meinem Glas saß jemand. Eine schauderhafte Kreatur. Ich kann sie gar nicht beschreiben. Sie war einfach monströs.« »Wie sah sie aus? Ein paar Einzelheiten wenigstens.« Daniel Nelson atmete stoßweise. Der Schreck war ihm in die Knochen gefahren. Er gab mir eine Beschreibung, mit der ich nicht viel anfangen konnte. Danach hätte das Wesen mindestens drei Mäuler, hundert Froschaugen und gleichzeitig Krallen und Hufe gehabt. Er wollte auch spitze Hörner gesehen haben. Gleich darauf sprach er aber wieder von einem blank polierten Schädel, der einem Totenkopf glich. Es war zwecklos. Wenn ich nicht selbst ein Gesicht gesehen hätte, hätte ich ihn vermutlich verdächtigt, ein paar Gläser zuviel getrunken zu haben. So aber glaubte ich ihm zumindest einen Teil seiner Behauptungen. Ich bückte mich nach den Glasscherben, als mich ein Schmerz wie von vielen kleinen Lanzen auf der Brust durchbohrte. Das war höllisch. Niemand griff mich an, und doch waren die Schmerzen nicht zu leugnen. Sie peinigten mich. »Wie sehen Sie denn aus, Sir?« Der Barmixer wunderte sich. Ich blickte an mir herab und zuckte zusammen. Mein Sakko
war durchlöchert. Scharf riechende Dämpfe stiegen daraus hervor. Säure! schoß es mir durch den Kopf. Ich riß mir die Jacke vom Leib und entledigte mich im nächsten Moment meines Hemdes, das ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen war. Auf der Haut bildeten sich feuerrote Blasen, die aufzuplatzen drohten. Der Barmixer griff nach einem mit Eiswasser gefüllten Sektkübel. Ich riß ihn ihm aus der Hand und schüttete mir den Inhalt über den Oberkörper. Es zischte, als hätte jemand in der Sauna Wasser auf die Glut gekippt. Dampf stieg auf und hüllte mich sekundenlang ein. In diesem Dampf sah ich eine Gestalt, die mir den Atem verschlug. Sie sah genauso aus, wie Jim Curry das Monster beschrieben hatte. Ich packte zu, aber da war sie auch schon wieder verschwunden. Nur eine Warnung blieb mir in den Ohren. »Verschwinde von hier, Mac Kinsey! Oder auch deine letzte Stunde hat geschlagen!« * Das war deutlich. Es wäre abwegig gewesen, den Mixer zu verdächtigen, Säure ins Whiskyglas gefüllt zu haben, zumal Nelson bereits daraus getrunken hatte. Die Verwandlung war dämonisches Machwerk und hatte zweifellos mir gegolten. Daniel Nelson blickte mich verdattert an. Daß ich mit entblößtem Oberkörper vor ihm stand, regte ihn schon nicht mehr auf.
Er begann zu ahnen, daß hier Dinge im Gange waren, die nicht mit zwei Worten zu erklären waren. Ich mußte mir Ersatzkleidung besorgen. Das war kein Problem, denn ich wohnte ja jetzt im Sahara-Hotel und hatte etwas Garderobe dabei. Auf dem Weg zu meinem Zimmer, das in der ersten Etage lag, stieß ich auf den Professor. Er sagte nichts, aber seine Blicke sprachen Bände. »Kurze Begegnung mit Ihrem Dämon«, erklärte ich in bezug auf meinen skandalösen Aufzug. »Wollen Sie mir nicht doch Einblick in Ihre Unterlagen gewähren?« »Auf keinen Fall«, wehrte er ab. »Je weniger Sie wissen, um so größer sind Ihre Überlebenschancen. Wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf, dann suchen Sie den Hoteldieb, der hier anscheinend im Trüben fischt, und lassen Sie den Dämon in Ruhe.« Mit diesem Rat war mir nicht gedient, wenn er auch zweifellos gut gemeint war. Mein Entschluß stand fest. Ich mußte die Schriften haben. Notfalls betätigte ich mich als Hoteldieb. Als ich mich umgezogen hatte, nahm ich den Fitneßraum in Augenschein. Leider war hier inzwischen aufgeräumt worden. Dummerweise lag auch die verbogene Hantelstange, von der im Protokoll die Rede war, irgendwo auf dem Müll. Sie hätte mir allerdings auch kaum weitergeholfen. Ich überzeugte mich, daß man aus dem Raum, der mit allen möglichen Geräten vollgestopft war, die der Körperertüchtigung dienen sollten, nicht so ohne weiteres verschwinden konnte. Einen direkten Weg nach draußen gab es nicht. Man mußte entweder über die Treppe durch die Halle, oder man benutzte den Lift und erreichte mit ihm sämtliche Stockwerke. Von der obersten Etage aus kam man über eine enge Treppe
auch aufs Dach. Die Verbindungstür war jedoch verschlossen. Den Schlüssel hierfür besaß Mrs. Spencer. Ein zweiter hing für den Notfall an einem Platz, den Juha Södergren bestimmt nicht gekannt hatte. Hatte er den Schrei ausgestoßen, den Caroline Nelson in der Bar gehört hatte? Was war geschehen? Wer hatte die Hantelstange deformiert? Nahm man alle Fragen zusammen, so ließen sie eine grauenvolle Antwort erwarten. Ich kontrollierte das Zimmer des Finnen. Auch hier fand ich keinen Hinweis, daß er geplant hatte, unterzutauchen. Ich trat auf der Stelle. Ich ertappte mich dabei, daß ich auf jedes lautere Geräusch achtete. Aber vorläufig geschah nichts. Mrs. Spencer erkundigte sich, wie ich vorankäme. Ich sagte ihr die Wahrheit. Sie war nicht entzückt. »Das ist ja schrecklich, Mr. Kinsey. Jetzt sind schon zwei Menschen verschwunden. Können Sie sich nicht vorstellen, was das für mich bedeutet?« »Vor allem kann ich mir vorstellen, was das für Caroline Nelson und Juha Södergren bedeutet«, entgegnete ich bissig. Ich wechselte das Thema und fragte sie nach einem Verdacht, was die angeblichen Diebstähle betraf. Sie war vom Fach, sie hatte Menschenkenntnis. Hoteldiebe gab es immer wieder. Sie verzog das Gesicht. »Unter uns gesagt, ich glaube nicht daran. Mr. Sullivan hat sich an der Börse verspekuliert. Er bildet sich wohl ein, er könnte einen Schadenersatz von mir erpressen. Mrs. Vanderpool läuft zwar mit jeder Menge Schmuck herum, aber ich bezweifle, daß er echt ist. Bleibt eigentlich nur noch die Brieftasche, und deren Existenz wird von der Polizei lediglich angenommen. Mr. Södergren müßte zumindest Papiere und ein Scheckbuch bei sich gehabt haben.«
Dieses Gespräch brachte keine neuen Erkenntnisse. Wie zum Hohn spürte ich die dämonische Nähe in allen Stockwerken. Mal stärker, mal schwächer. Aber der Halunke ließ sich nicht blicken. Ich fuhr in den fünften Stock, um meine so abrupt unterbrochene Unterhaltung mit Jim Curry fortzusetzen. Mir ging nicht aus dem Kopf, was der Barmixer behauptet hatte. Danach wäre es möglich, daß Mrs. Nelson gar nicht die Absicht gehabt hatte, nach Hause zu fahren. Vielleicht hatte sie die Nacht mit dem Schauspieler verbracht, der optisch keinen Vergleich mit dem Produzenten zu scheuen brauchte. Ich würde es ihm auf den Kopf zusagen. Dann sah ich schon, wie er darauf reagierte. Diesmal war ich gewarnt. Um Wurfgeschossen von vornherein aus dem Wege zu gehen, ging ich in die Hocke, als ich die Tür öffnete. Aber dieses Zimmer bot immer neue Überraschungen. Es war leer, obwohl ich gerade noch Geräusche darin gehört hatte. Wo lauerte Curry? Was führte er diesmal im Schilde? Steckte er im Bad? Hatte er sich womöglich mit einem Rasiermesser bewaffnet? Die Erinnerung an seine von dem Dämon unterstützte Umklammerung schmeckte bitter. Wenn er einen solchen Verbündeten besaß, war ihm alles mögliche zuzutrauen. Auf leisen Sohlen schlich ich zum Bad, sah aber mit einem Blick, daß Curry dort ebenfalls nicht war. Sämtliche Fenster waren geschlossen. Hatte man ihn in eine Klinik eingewiesen, ohne mich davon in Kenntnis zu setzen? Ich hatte doch eben erst mit Mrs. Spencer gesprochen. Sie
war natürlich ziemlich durcheinander. Möglicherweise hatte sie vorausgesetzt, daß ich es schon wußte. Ich sah mich im Zimmer um. Viel hatte sich nicht verändert, seit ich es mit dem Professor verlassen hatte. Und doch war da etwas, was mich stutzig machte. Ich kam nicht gleich darauf, was es war. Dann hatte ich es. Es war der Duft eines süßlichen Parfüms, der schwach in der Luft lag. Curry war bestimmt von kräftigen Pflegern abgeholt worden und nicht von einer parfümierten Krankenschwester. Von wem hatte er Besuch erhalten? Langsam ging ich im Zimmer auf und ab. Ich folgte meiner Nase, aber das nützte nichts. Der Geruch lag im ganzen Raum. Schon wollte ich das Zimmer verlassen, als mir einfiel, daß ich mich ruhig ein bißchen intensiver mit Currys Habseligkeiten befassen konnte. Vielleicht fand ich einen Hinweis, der zu der verschwundenen Produzentengattin führte. Zunächst zog ich sämtliche Schubladen heraus und durchsuchte sie. Ohne Erfolg. Ich fand zwar ein Notizbuch, in dem eine stattliche Zahl von Frauenadressen vermerkt war, die von Caroline Nelson befand sich aber nicht darunter. Ich wandte mich dem Kleiderschrank zu, öffnete eine der Türen, die nur angelehnt waren, und prallte zurück. Ein Mädchen mit weit aufgerissenen Augen fiel mir entgegen. * Meine erste Befürchtung war, es könnte sich um eine Leiche handeln. Die bestätigte sich zum Glück nicht. Die Kleine war ausgesprochen lebendig und versuchte, mir zu entschlüpfen.
Ich kreiselte herum und bekam etwas Weiches zu fassen. Gleich darauf gruben sich ein paar kräftige Zähne in meinen Handrücken. Das Mädchen hatte Temperament. Meine Hand blutete. Jetzt sah die Kleine fast wie ein weiblicher Vampir aus. An einem Mundwinkel hing ein Blutstropfen. Ihre hellen Augen funkelten mich an. »Lassen Sie mich los! Ich habe nichts getan.« Ich lächelte dünn. »Aber klar doch. Ich weiß, daß Sie hier im Schrank wohnen. Das Sahara-Hotel bietet eben für jeden Geschmack etwas. Und diese Sachen, die Sie da in der Hand halten, gehören zweifellos Ihnen, obwohl Sie da wohl erst noch hineinwachsen müssen.« Ich hielt ihr den Rock eines Kostüms unter die Nase, der ihr mindestens zwei Nummern zu weit war. »Nach dem Hoteldieb brauchen wir wohl nun nicht mehr zu suchen«, fuhr ich ernst fort. Tränen schossen der Kleinen in die Augen. Sie sah mich flehentlich an und wurde plötzlich ganz zahm. »Ich wollte die Sachen nicht stehlen«, beteuerte sie. »Ich habe sie gefunden, als ich etwas suchte, was mir gehört.« »Und was ist das?« »Ein – ein Nachthemd.« Sie wurde knallrot und begann zu schluchzen. Man hat mir im Laufe der Zeit schon viele Dinge einzureden versucht. Diese Behauptung war einsame Spitze. Sie sah mir an, daß ich ihr kein Wort glaubte, deshalb fuhr sie eifrig fort: »Es ist wahr, Sir. Ich lüge nicht. Bitte, verraten Sie mich nicht an Mistress Spencer. Wenn sie erfährt, daß ich ein paarmal der Einladung von Mister Curry gefolgt bin und ihm Gesellschaft geleistet habe, wirft sie mich raus. Das ist den
Zimmermädchen streng untersagt.« »Sie sind Zimmermädchen? Wie heißen Sie?« »Wendy«, kam es kaum hörbar. »Und Sie haben also mit Curry geschlafen?« Ihre Antwort war ein stummes Nicken. »Und das Nachthemd?« »Ich habe es beim letzten Mal bei ihm vergessen. Wir hatten Streit, und er setzte mich vor die Tür. Ich liebe ihn aber noch immer und ich will nicht, daß er Schwierigkeiten wegen dieses Flittchens bekommt.« »Sie meinen Mrs. Nelson«, vermutete ich. »Mag sein, daß sie so heißt. Jedenfalls habe ich beobachtet, wie sie sich gestern in sein Zimmer schlich. Als ich nun hörte, daß sie vermißt wird, dachte ich, daß er zu ihr vielleicht auch grob geworden ist. Jim, ich meine Mr. Curry, ist nämlich leicht erregbar. Deshalb bin ich, als ich ihn mit dem Messer herauskommen sah, in sein Zimmer gegangen, um das Nachthemd zu holen. Wenn es entdeckt worden wäre, hätte jeder bestimmt an die Nelson gedacht und ihn womöglich mit einem Mord in Verbindung gebracht. Das will ich nicht. Jim ist bestimmt unschuldig.« Da hatte ich einiges zu verarbeiten. »Mit dem Messer? Er hat das Zimmer mit einem Messer in der Hand verlassen? Er wurde nicht von einem Arzt abgeholt?« »Was für ein Arzt? Nein, nein, er schlich vor einer halben Stunde davon. Es war übrigens ein Rasiermesser. Er hatte sich wohl gerade rasiert. Ich sprach ihn an, aber er hat mich überhaupt nicht bemerkt.« Das hatte mir noch gefehlt! Ein Bursche, der offensichtlich den Verstand verloren hatte, schlich mit einem Rasiermesser durch das Hotel. Vielleicht
hatte er schon ein Opfer gefunden. Sein erstes? Und was war mit Caroline Nelson? Ging sie nicht ebenfalls auf sein Konto? Die Sachen, die Wendy aus dem Kleiderschrank geholt hatte, kannte ich von den Beschreibungen des Produzenten und des Mixers. Die Nelson hatte sie am Abend zuvor getragen. »Mein Nachthemd habe ich nicht gefunden«, klagte Wendy. »Sicher hat er es der anderen gegeben.« Nackt oder allenfalls mit einem Nachthemd bekleidet hatte Caroline Nelson sicher nicht das Hotel verlassen. Jedenfalls nicht freiwillig. Alles sprach dafür, daß sie nicht mehr lebte. Jim Curry! Wohnte der Dämon in ihm? Hatte er die ahnungslose Frau umgebracht? Und auch den Finnen? Aber was sollte dann sein Geschrei von dem Monster? Und wo befanden sich die Leichen? Fragen über Fragen. Sie wären leichter zu beantworten gewesen, wäre der Schauspieler in seinem Zimmer geblieben. Mir stellten sich die Haare auf, wenn ich daran dachte, was er jetzt gerade trieb. Ich durfte keine Zeit verlieren. Ich nahm Wendy die Sachen ab und schob sie vor mich her. »Sie dürfen mich nicht verraten«, jammerte sie, als ich die Tür öffnete. »Ich bekomme nie wieder eine Stelle.« Ihre Verzweiflung hörte sich echt an. Sie tat mir leid. »Hoffentlich begehe ich keinen Fehler«, antwortete ich, »aber ich glaube Ihnen. Ich werde dicht halten, es sei denn, es stellt sich heraus, daß Sie irgend etwas mit den mysteriösen Ereignissen zu tun haben.« Sie atmete erleichtert auf. *
Ich verständigte sofort Mrs. Spencer von dem Verschwinden des Schauspielers. Die Frau schaute betroffen. »Mir bleibt aber auch nichts erspart«, sagte sie verzweifelt. Dann ging sie, um das Personal von der neuen Schwierigkeit in Kenntnis zu setzen. Ich versuchte, mich in die Person Currys hineinzuversetzen, um seine Absichten zu erraten. Bei einem Menschen mit intaktem Geist war mir das schon gelungen, aber Currys Gedanken waren verwirrt. Er handelte nicht, wie man das erwartete. In einem so riesigen Logierkasten wie dem ›Sahara‹ gab es hunderterlei Verstecke. Es hätte schon eines beträchtlichen Polizeiaufgebotes bedurft, um sämtliche Etagen systematisch durchzukämmen. Wendy hatte leider nicht beobachtet, in welche Richtung Jim Curry davongeschlichen war. Ich sah drei Möglichkeiten: entweder trug er sich mit der Absicht, das Hotel zu verlassen. Oder er hatte tatsächlich Caroline Nelson getötet und wollte ihren Leichnam an einen sichereren Ort schaffen. Oder aber er suchte ein neues Opfer. Da niemand, den ich fragte, den Mann gesehen hatte, vermutete ich, daß er sich in eine der oberen Etagen zurückgezogen hatte. Ich wählte die Treppe und begann im sechsten Stock. In jeder Etage befand sich eine Wäschekammer. Außerdem gab es einen Raum für die Putzmittel. Und natürlich den Speiseaufzug. Ich kontrollierte alle diese Räume. Um die Zimmer wollte sich Mrs. Spencer mit ihren Angestellten selbst kümmern. Ich fand nichts. Ich stieg eine Treppe höher. Zuerst öffnete ich die Tür zum
Speiseaufzug. Grellrote Flammen schlugen mir entgegen und leckten nach meinem Gesicht. Ich fuhr erschrocken zurück und konnte das Schlimmste verhindern. Immerhin aber waren die vordersten Haare versengt. Die Augenbrauen hatten auch etwas abbekommen. Der Spuk dauerte nur wenige Sekunden. Während dieser Zeit sah ich undeutlich eine Fratze im Feuer. Es war abscheulich. Mit einem solchen Gesicht hätte ich mich nicht mal in einen Speiseaufzug getraut. Die Flammen erloschen, nur der Brandgeruch blieb noch in der Luft. Mir war klar, daß dies eine weitere Warnung des Dämons an meine Adresse gewesen war. Vorläufig warnte er mich nur, aber irgendwann würde er zuschlagen. Ich hoffte, daß ich den Zeitpunkt selbst bestimmen konnte. Ich setzte meine Suche nach Jim Curry mit vermehrter Vorsicht fort. Ich fand ihn nicht in der siebenten und auch nicht in der achten Etage. Nun blieben mir noch das oberste Stockwerk und das Dach. Als ich die Besenkammer öffnete, sprang er mich aufheulend an. Er hatte das Rasiermesser gezückt und zielte damit auf meinen Kehlkopf. Ich war auf den Angriff vorbereitet. Trotzdem überraschte mich die Wildheit. Nur ganz knapp wischte die Klinge an meinem Gesicht vorbei. Fast hätte sie mich tatsächlich rasiert. Mit der linken packte ich sein Handgelenk und hielt es wie in einem Schraubstock fest. Mit der Rechten verpaßte ich ihm einen Hieb, der ihn augenblicklich erschlaffen ließ.
Es gelang mir nun ohne Schwierigkeiten, ihm die Waffe zu entwinden. Ich durchsuchte ihn nach weiteren Mordinstrumenten, förderte aber lediglich einen Kamm und seine Geldtasche zutage. Beides ließ ich ihm. Ich ließ ihn nicht aus den Augen und stellte ihm die Frage, die mich am meisten interessierte: »Wo ist Caroline Nelson? Was haben Sie mit ihr gemacht?« Statt des erwarteten Leugnens brach er zusammen. Er heulte und versteckte seinen Kopf zwischen den verschränkten Armen. »Sie ist tot«, ächzte er. »Das Monster hat sie umgebracht. Es war schrecklich. Ich kann nicht mehr.« Ich blieb unerbittlich. Ich mußte es sein. Er war Schauspieler und konnte mir alles mögliche vorspielen. »Warum haben Sie die ganze Zeit behauptet, alleine gewesen zu sein, als das Monster kam?« Sein Schluchzen stockte. Er sah mich mit leeren Augen an. »Ich konnte doch nicht zugeben, daß Carol bei mir war«, raunte er. »Nelson darf es nicht erfahren, sonst gibt er mir die Rolle nicht. Sie dürfen es ihm nicht sagen. Versprechen Sie mir das?« »Den Teufel werde ich tun«, entgegnete ich grob. »Hier geht es um einen Mord. Wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, hat das Monster Mrs. Nelson vor Ihren, Augen getötet. Ist das korrekt?« Er schüttelte matt den Kopf. »Das Scheusal erwischte sie im Badezimmer. Er schleppte sie hinaus und fuhr mit dem Fahrstuhl hinunter. Ich weiß nicht wohin.« Wieder schüttelten ihn Krämpfe. Die Erinnerung übermannte ihn. Ich ließ mir das Monster noch einmal genau beschreiben, und es glich der scheußlichen Gestalt, die ich selbst im Eiswas-
serdampf unten in der Bar wahrgenommen hatte, aufs Haar. Das konnte sich Curry also nicht aus den Fingern gesogen haben. Ich brachte noch die Information aus ihm heraus, daß die Frau nur mit einem Nachthemd bekleidet gewesen war. Mit einem dünnen, grünen Nachthemd. Wendys Nachthemd. Alles paßte zusammen. Die Kleine hatte also echt nicht gelogen. Ich nahm den Mann mit hinunter und veranlaßte, daß er von einem Krankenwagen abgeholt würde. Er brauchte intensive ärztliche Betreuung. Als ich Professor Jansen in der Halle entdeckte, wich er mir aus. Ich kannte den Grund. Er wollte verhindern, daß ich ihn wieder wegen der geheimen Schrift bearbeitete. Ich überlegte mir, wie ich in sein Zimmer eindringen konnte, ohne von ihm überrascht zu werden. Aber hatte das überhaupt einen Zweck? Vielleicht trug er dieses wichtige Papier ständig bei sich. Er hatte von einer Waffe gesprochen, die ihm noch nicht zur Verfügung stand. Vermutlich stand darüber Näheres in dem Dokument. Daniel Nelson hielt sich noch immer im Hotel auf. Vorläufig sagte ich ihm nichts von meinen Befürchtungen. Erst wollte ich ganz sicher gehen. Es war ja möglich, daß Caroline noch lebte. Allerdings glaubte ich es nicht. Als nächstes wollte ich das Bild Sir Archibald Woodhaarings genauer unter die Lupe nehmen. Doch da wurde ich von Dorothy Vanderloop bestürmt, die wissen wollte, wann ich mich endlich um ihre Juwelen kümmerte. Ich behauptete, bereits eine heiße Spur zu verfolgen, aber
noch die Nacht abwarten zu müssen. Das besänftigte sie einigermaßen, und ich konnte mich endlich dem Gemälde zuwenden. Mrs. Spencer hatte es auf meine Bitte hin in die Halle schaffen lassen. Es lehnte gegen einen Pfeiler und wirkte völlig harmlos. Ich konzentrierte mich auf das Gesicht, dessen Augenausdruck mir jetzt gar nicht mehr höhnisch erschien. Ich erwartete, irgendwelche feindlichen Impulse zu empfangen, aber ich sah mich enttäuscht. Sir Archibald schaute unnahbar. Das war aber auch schon alles. Ich begann, doch dem alten Mauerwerk für den Zwischenfall die Schuld zu geben. Sullivan ließ die Gelegenheit, mich wieder einmal anzupöbeln, auch nicht aus. Er erinnerte mich an seine Tasche mit den Aktien und versprach mir jede Menge Ärger, da er nicht ohne Einfluß sei. Als ich deswegen nicht zu Tode erschrak, trollte er sich und warf Babsy Carr, die gerade die Treppe herunterkam, einen auffordernden Blick zu, den die Blondine aber ignorierte. Babsy Carr kam zögernd auf mich zu und blieb hinter mir stehen. Interessiert betrachtete sie das Gemälde. Ich blickte auf, und sie wurde verlegen. »Achtzehntes Jahrhundert, nicht wahr?« wisperte sie. Ich verstand nicht, was sie meinte. »Das Bild wurde im achtzehnten Jahrhundert gemalt«, erklärte sie. »Die Pinselführung ist ganz typisch. Wollen Sie es kaufen? Mir gefällt es nicht besonders.« »Sind Sie Expertin?« erkundigte ich mich interessiert. »Nur begeisterter Laie«, schränkte sie ein. »Ich befasse mich besonders mit dieser Epoche.« »Interessant«, sagte ich und meinte das auch. Ich überlegte mir nämlich, wie es möglich war, daß im acht-
zehnten Jahrhundert ein Urgroßvater von Mr. Spencer auf der Leinwand verewigt wurde, obwohl er erst im nächsten Jahrhundert gelebt haben konnte. Einer mußte sich also irren. Entweder Mrs. Spencer oder die kleine Carr, die ihrer Verlegenheit kaum Herr wurde. Diese Frage war wohl auch nicht so wichtig. Das Bild half mir ohnehin nicht weiter. Nach meinen bisherigen Erfahrungen benutzte der Dämon alle möglichen Gegenstände, um mich anzugreifen, unter anderem eben auch das Gemälde. Diese Spur verlief im Sand. Babsy Carr wollte mich in ein Gespräch über Kunst verwickeln. Ich hatte den Verdacht, daß sie es nicht der Malerei zuliebe tat. Die Blicke, die sie mir schenkte, ließen mich ahnen, daß sie eher an mir selbst interessiert war. So schmeichelhaft dies auch war und mir die Kleine gar nicht schlecht gefiel, so paßte mir das doch überhaupt nicht in die Arbeit. Zum einen hatte ich alle Hände voll zu tun und wußte, daß in diesem Haus ein Dämon lauerte, der jeden Augenblick erneut zuschlagen konnte. Zum anderen sah ich, daß Professor Jansen die Treppe herunterkam, mir einen hastigen Blick zuwarf, die Halle durchquerte und das Hotel verließ. Babsy Carr merkte, daß ich ihr überhaupt nicht zuhörte. Wenn sie gekränkt war, so zeigte sie es jedenfalls nicht. »Dieser alte Mann ist unheimlich, nicht wahr?« sagte sie flüsternd. »Ich habe schon gemerkt, daß Sie ihn beobachten. Sie trauen ihm nicht?« Diese Annahme stellte zwar die Tatsachen auf den Kopf, aber sie kam mir sehr gelegen. »Ja«, gab ich zu. »Ich muß ihm folgen, um zu sehen, wohin er geht.« Insgeheim hoffte ich, er würde fortfahren. Dann hatte ich Gelegenheit, sein Zimmer zu durchsuchen.
Babsy Carrs Augen leuchteten auf. Sie sah eine Möglichkeit, mir gefällig zu sein. »Das kann ich doch für Sie erledigen«, schlug sie vor. »Das fällt weniger auf. Bei Ihnen würde er sofort Verdacht schöpfen.« Das war mir auch recht. Dann mußte ich mich eben etwas mehr beeilen. »Aber seien Sie vorsichtig«, warnte ich das Mädchen. »Ich möchte nicht, daß Sie Unannehmlichkeiten bekommen. In diesem Hotel ist allerhand los. Freiwillig würde ich hier bestimmt nicht wohnen.« Sie lachte unbekümmert und folgte dem Professor, der hoffentlich nicht ahnte, daß er verfolgt wurde. * Ich verschenkte keine Sekunde. Vielleicht holte Jansen nur Zigaretten, obwohl er die im Hotel auch bekommen hätte. Möglicherweise entdeckte er auch seinen blonden Schatten und schöpfte Verdacht. Ich fuhr mit dem Lift nach oben und dachte daran, daß in der Kabine das langhaarige Monster mit seinem Opfer gestanden haben sollte. Spuren hatte es nicht hinterlassen. Sonst wäre es leichter zu entdecken gewesen. Ich kannte Jansens Zimmernummer, und alles, was ich brauchte, um seine Tür ohne Schlüssel zu öffnen, trug ich bei mir. Hotelschlösser sind ja. nicht gerade kompliziert. Da genügte oft schon ein Zahnstocher. Vorsichtshalber vergewisserte ich mich, daß mich niemand beobachtete. Die Schritte, die ich hörte, kamen von der Etage über mir. Ich
hatte nichts zu befürchten. Innerhalb weniger Augenblicke hatte ich das Schloß überlistet und huschte ins Zimmer. Draußen wurde es bereits dunkel, aber ich sah noch genügend, daß ich auf eine verräterische Taschenlampe verzichtete, deren Lichtschein am Fenster hätte gesehen werden können. Der Professor bewohnte eines der weniger luxuriösen Zimmer. Es verfügte über keinen Farbfernseher, und auch die Schrankbar war nur spärlich sortiert. Ich hatte mir schon vorher Gedanken gemacht, wo Raid Jansen ein so wichtiges Schriftstück wohl versteckt haben mochte, aber es gab zu viele Möglichkeiten. Ich mußte sie alle erkunden. Das Bett schloß ich aus, da die Papiere dort vom Zimmermädchen gefunden worden wären. Also wandte ich mich gleich dem riesigen Schrank zu, der aber nur wenige Kleidungsstücke enthielt. Jansen trug immer denselben Anzug. Ihn interessierten andere Dinge als Mode. Während ich die Wäsche auseinanderschichtete, lauschte ich immer wieder auf Geräusche, aber es blieb alles still. Es war die Zeit, in der unten im Speisesaal die meisten Gäste das Abendessen einnahmen. Auch ich spürte meinen Magen. Mit Ausnahme von ein paar Sandwiches hatte ich heute noch nichts zu mir genommen. Ich war einfach nicht dazu gekommen. Mein Hunger mußte warten. Nachts lag Jansen in seinem Bett. Dann kam ich an die Unterlagen nicht heran und mußte auf die nächste günstige Gelegenheit warten. Zwischen der Wäsche fand ich nichts. Ich blickte mich suchend um. Auf dem kleinen Tisch waren Bücher aufgestapelt.
Sie bedeckten die ganze Platte und bildeten ein heilloses Durcheinander. Ich nahm eines in die Hand. Es befaßte sich, dem Titel nach zu urteilen, mit magischen Praktiken unter Hypnoseeinfluß. Ich blätterte es durch. Kein loser Zettel fiel mir entgegen. Auf diese Weise verfuhr ich mit den anderen Büchern. Schließlich fielen mir ein paar Blätter in die Hände, die mit handschriftlichen Notizen bedeckt waren. Jetzt mußte ich doch meine kleine Stablampe zu Hilfe nehmen, wurde aber wieder enttäuscht. Es handelte sich um eine fernöstliche Sprache, die ich nicht lesen konnte. Wahrscheinlich hatte der Professor selbst die Schriftzeichen zu Papier gebracht. Jedenfalls hielt ich nicht das geheime Dokument in der Hand. Diese Hieroglyphen hätte Jansen nicht vor mir zu verbergen brauchen. Ich suchte unermüdlich weiter. Noch hatte ich nicht einmal die Hälfte der Bücher kontrolliert. Als ich das leise Geräusch an der Tür hörte, war es schon zu spät, das Zimmer zu verlassen. Verdammt! Trotz meiner Vorsicht hatte ich das Kommen des Professors nicht rechtzeitig mitgekriegt. Natürlich hatte ich auch für diesen Fall Vorsorge getroffen. Ins Bad durfte ich nicht. Da saß ich in der Falle. Den Schrank schloß ich auch aus. Ebenso widerstrebte es mir, mich unters Bett zu legen. Ich wählte den Balkon, dessen Tür ich schon zuvor geöffnet hatte. Während der Schlüssel ins Schloß gesteckt wurde, entwich ich nach draußen und zog die Tür hinter mir zu. Danach verbarg ich mich hinter den Vorhangschals, die unglücklicherwei-
se nicht zugezogen waren. Ich hörte nicht, wie Jansen ins Zimmer trat, auch nicht, wie sich die Tür hinter ihm schloß. Ahnte er etwas? Wollte er mich überraschen? Dann würde er mich auch hier auf dem Balkon finden. Damit mußte ich mich abfinden. Ich dachte nicht daran, das Versteckspiel auf die Spitze zu treiben. Schlimmstenfalls war er sauer und beschwerte sich bei Mrs. Spencer über mich. Ich hoffte aber noch, daß ich ihm die Gründe für mein unorthodoxes Vorgehen würde erklären können. Ich verhielt mich absolut ruhig. Warum schaltete er kein Licht an? Doch, jetzt geisterte ein dünner Lichtfinger durch das Zimmer. Der Schein einer Taschenlampe. Das war nicht Jansen. Da hatte sich ein Unbefugter Eintritt verschafft. Der Hoteldieb! war mein erster Gedanken. Es konnte kein anderer sein. Das war ein glücklicher Zufall. Wenigstens diesem Burschen konnte ich das Handwerk legen. Das war zwar nicht unbedingt meine Aufgabe, aber es würde mir meine eigentliche Arbeit erleichtern, wenn nicht auch dieser Dunkelmann noch für zusätzliche Aufregung sorgte. Ich mußte ihn auf frischer Tat ertappen. Eine pikante Situation. Er konnte mich genauso zur Rede stellen wie ich ihn. Noch wußte ich nicht, um wen es sich handelte. Ich fürchtete, von ihm entdeckt zu werden, sobald ich den Kopf hinter dem Vorhang hervorschob. Er verstand sein Handwerk, denn er verursachte kaum ein Geräusch. Kein Wunder, daß ich ihn zu spät gehört hatte. Jetzt öffnete er den Schrank. Das leise Knarren konnte auch
er nicht verhindern. Ihm entschlüpfte ein ärgerlicher Fluch. Dann war wieder alles still. Knarrend schloß sich die Schranktür. Der Lichtfleck wanderte zum Bett hinüber. Sicher griff er jetzt unter die Matratze. Dazu mußte er sich bücken und mir den Rücken zuwenden. Das war mein Augenblick zum Handeln. So leise es ging, stieß ich die Balkontür auf und federte ins Zimmer. Er spürte den Luftzug und wirbelte herum. Ich erkannte das Bulldoggengesicht. »Sullivan?« Das hatte ich nicht erwartet. Hoteldiebe pflegen für gewöhnlich durch vornehmes Gebaren und sicheres Auftreten zu blenden. Sullivan hatte sich offensichtlich für die entgegengesetzte Masche entschieden. Er kehrte den Büffel heraus und behauptete sogar noch frech, selbst bestohlen worden zu sein. Er fluchte lästerlich und rettete sich mit einem Sprung über das Bett. »Verdammt, der Schnüffler. Sie sind wohl 'n Hellseher?« So ganz unrecht hatte er damit nicht. In der Tat gelingt es mir manchmal, Dinge zu sehen oder Menschen zu durchschauen, was andere Sterbliche nicht können. In diesem Hotel stand ich jedoch vor dem Problem, überall auf dämonische Strahlungen zu stoßen. Deshalb war es mir bisher nicht gelungen, böse Gedanken oder Absichten sicher zu orten. Ich hechtete gleichfalls über das Bett. Ich mußte verhindern, daß er die Tür erreichte und floh. Sullivan stolperte über den Teppich, der sich etwas aufgeworfen hatte. Er ruderte mit den Armen, konnte aber den Sturz nicht mehr verhindern. Mit seinem beachtlichen Gewicht polterte er auf den Boden.
Ich war blitzschnell über ihm und drückte ihm mein Knie in den Rücken. »Das war eine beachtliche Vorstellung, die Sie da geboten haben, Sullivan«, fand ich. »Leider können Sie das Stück nicht mehr zu Ende spielen, und die benötigten Requisiten müssen Sie auch wieder herausrücken. Die werden noch gebraucht.« »Requisiten?« Er stellte sich dumm, obwohl er genau wußte, was ich meinte. Ich half ihm auf die Sprünge. »Die Brieftasche von Mr. Södergren, der Schmuck von Mrs. Vanderloop und wer weiß, was Ihnen noch alles in die Hände gefallen ist. Mich interessiert vor allem, was Sie ausgerechnet bei dem Professor zu erbeuten hofften. Der Mann verfugt doch wahrlich über keine Reichtümer.« »Ich sage nichts«, quetschte er durch die Zähne. »Sie haben mich überfallen. Ich verlange meinen Anwalt.« »Den werden Sie bekommen, Freund. Aber zuvor sagen Sie mir, wie Sie an Södergrens Brieftasche gekommen sind. Was wissen Sie über sein Verschwinden? Was haben Sie beobachtet? Los, reden Sie, oder ich führe Ihnen vor, wie ich sture Burschen zum Sprechen bringe.« Ich verstärkte den Druck in seinem Kreuz, und der Ganove stöhnte auf. Ich war jetzt davon überzeugt, daß er tatsächlich etwas Wichtiges beobachtet haben konnte. Das war für mich wesentlicher als die Tatsache, daß ich einem raffinierten Hoteldieb das Handwerk gelegt hatte. Sullivan biß die Zähne zusammen, aber er würde reden. Das wußte ich. Schneller als erwartet öffnete er den Mund. »Verdammt, Sie brechen mir ja das Rückgrat! Ich rede schon, aber Sie müssen Ihr Bein wegnehmen.«
Ich war einverstanden. »Aber keine Tricks! Ich bin nämlich furchtbar sensibel und reagiere empfindlich, wenn jemand mich zum Narren machen will.« Ich nahm den Druck von seinem Rücken, und Sullivan atmete auf. »Also das war so, ich war eigentlich gestern schon hinter den Klunkern von der Vanderloop her. Sie trug ihr Kollier auf der vertrockneten Brust, und ich schlich um sie herum. Ich hoffte, daß mir der unbemerkte Griff gelang. Gerade wollte ich es probieren, als ich einen leisen Schrei hörte. Er kam aus dem Keller. Ich wußte, daß der Finne dort unten seine abgeschlafften Muskeln auf Vordermann brachte. Ich dachte mir, schau doch mal nach. Vielleicht gibt es dort was abzustauben. Ich hob mir also das Kollier für später auf und ging in den Keller hinunter.« »Ist Ihnen jemand auf der Treppe begegnet?« fragte ich dazwischen. »Keiner. Ich war ganz allein. Auch der Trainingsraum war leer. Also schlich ich weiter und entdeckte die Klamotten des Mannes In der Kabine. Ich habe natürlich nicht lange gefackelt, sondern die Taschen ausgeräumt. Es befanden sich aber nur fünf Pfund in der Brieftasche. Ich schwöre es.« »Das interessiert mich nur am Rande«, sagte ich ungeduldig. »Was war weiter?« »Ich wollte den Keller schleunigst verlassen, denn Södergren konnte ja jeden Moment auftauchen. Aber plötzlich sah ich…« Er brach ab und zuckte zusammen. Auch ich hatte den langgezogenen Schrei gehört. Er kam von draußen, und ich glaubte, die Stimme zu erkennen. Sie gehörte Babsy Carr. Sie war in Gefahr. Ich mußte ihr helfen. Sullivan dachte nicht an das Mädchen, das womöglich dem
Tod ins Auge blickte. Er dachte nur an sich. Er sprang auf und versetzte mir einen Schlag, daß mir Hören und Sehen vergingen. Mit dem nächsten Sprung war er bei der Tür und schlug sie hohnlachend hinter sich zu. Mir war klar, daß er jetzt mit seiner Beute verschwinden würde. Das konnte ich nicht verhindern. Das Mädchen war wichtiger. Es schrie noch immer, und ich fürchtete mich vor dem Augenblick, an dem das Schreien verstummen würde. * Babsy Carr freute sich, daß sie Mac Kinsey einen Gefallen tun konnte. Ihr gefiel dieser gutaussehende Bursche, der leider so wenig Interesse für sie zeigte. Vielleicht konnte sie ihn doch noch auf sich aufmerksam machen. An ihr sollte es nicht liegen. Vor dem Professor fürchtete sie sich ein wenig. Er sah immer so unwirsch aus, und wenn er sie mit seinen Eulenaugen anblickte, fühlte sie sich bis in ihr Innerstes durchschaut. Ob er gefährlich war? Hatte er etwas mit dem Verschwinden der beiden Menschen oder den Diebstählen zu tun? Bei seinem Alter traute sie ihm zwar weder das eine noch das andere zu, aber was wußte sie schon von der Schlechtigkeit der Menschen? Auf jeden Fall benahm er sich reichlich sonderbar. Seinen Blick hatte er fest auf den Boden geheftet und schaute nicht rechts oder links, als er die Straße zu der Grünanlage überquerte. Ihr konnte das nur recht sein. So fiel es ihr leichter, ihm unbemerkt zu folgen.
Was trieb er um diese Zeit noch im Park? Noch dazu allein? Babsy Carr huschte hinter dem Professor her. Sie hielt sich etwas seitwärts. Dort drüben wuchsen hohe Sträucher, hinter denen sie sich verstecken konnte. Hoffentlich lief er nicht zu weit. Sie fand immer mehr Anlaß, sich über den merkwürdigen Mann zu wundern. Er hatte es überhaupt nicht eilig. Er drehte sich nach dem Hotel um und begann, ausgehend von einem Hydranten, mit langen Schritten eine Entfernung parallel zu diesem Gebäude auszumessen. Babsy Carr zählte mit. Es waren genau dreizehn Schritte. Dann blieb Jansen erneut stehen und beugte sich herab. Mit den Händen tastete er den Boden ab, als suchte er etwas. Die Blondine schlich etwas näher heran, um alles besser erkennen zu können. Es war ja schon nicht mehr richtig hell. Die Bäume warfen düstere Schatten. Der Himmel hatte sich mit Wolken bezogen. Ein Wolkenbruch war nicht gerade das, was Babsy Carr erhoffte. Irgendwo war ein knackendes Geräusch zu hören. Babsy zog die Schultern in die Höhe. Unheimlich war es im Park. Dabei stand das riesige Hotel gleich gegenüber, und menschenleer war die Anlage auch nicht. Dort drüben kam zum Beispiel ein Mann daher. Oder war es eine Frau? So genau konnte sie das nicht unterscheiden. Jedenfalls war die Person ziemlich groß. Babsy Carr wandte sich wieder dem Professor zu, dem ihre ganze Aufmerksamkeit zu gelten hatte. Raid Jansen richtete sich eben wieder auf und schüttelte den Kopf. Seine Suche war offenbar erfolglos verlaufen. Babsy Carr sah, wie er zusammenzuckte und niederfiel. Er
raffte sich auf und hob abwehrend die Hände. Dann begann er zu laufen. Er kam direkt auf die Sträucher zu, hinter denen sie steckte. Er würde sie entdecken, aber sicher zog er nicht die richtigen Schlüsse aus ihrem Hiersein. Er wirkte gehetzt. Wovor rannte er davon? Doch nicht vor der Gestalt, die inzwischen nähergekommen war und gerade durch einen Busch verdeckt wurde? Der Professor blieb keuchend stehen. Nur die Sträucher trennten ihn jetzt noch von dem Mädchen, das zitternd beobachtete, wie er in die Jackentasche griff und eine flache Pistole hervorholte. O Gott! Was hatte er vor? Sie hatte sich also doch nicht in ihm getäuscht! Er war ein Verbrecher! Ein Wegelagerer, der Passanten überfiel! Nur mit Mühe unterdrückte sie einen Schrei. Der hätte sie verraten. Sie machte sich ganz klein und starrte durch die Zweige hindurch. Raid Jansen hob die Waffe und drückte ab. Es löste sich aber kein Schuß. »Der Himmel stehe mir bei«, hörte sie ihn rufen. Er versuchte noch einen Schuß, aber wieder klappte es nicht. Da teilte er die Sträucher mit den Armen und suchte darin ein Versteck. Als er die Blondine entdeckte, zuckte er zurück. »Was tun Sie hier? Sind Sie von allen guten Geistern verlassen? Fort mit Ihnen! Sehen Sie nicht, daß er schon kommt?« Sie wußte nicht, was er damit sagen wollte. Sie verstand nur soviel, daß er über ihre Gegenwart nicht begeistert war. Er fühlte sich ertappt. Trotz erwachte in ihr.
Er konnte ihr nicht verbieten, sich in einem öffentlichen Park aufzuhalten. Und vor seiner Pistole hatte sie auch keine Angst mehr. Die funktionierte ja nicht. Plötzlich krachte es, als würde ein Panzer sämtliche Bäume und Sträucher niederwalzen. Die Erde schien zu beben. Die Luft wurde eisig. Babsy Carr begann zu frieren. Der Professor kroch tiefer in das Gesträuch. Er kauerte jetzt dicht neben ihr und hielt ihr eine Hand auf den Mund. Sie glaubte zu ersticken. »Verhalten Sie sich ruhig«, flüsterte er. »Er darf uns nicht entdecken, sonst sind wir beide verloren!« Sie glaubte, des Rätsels Lösung gefunden zu haben. Er verbarg sich vor der Polizei, die ihn suchte. Sie schüttelte seine Hand ab und holte tief Luft. Sie wollte ihm ihre Verachtung entgegenschleudern, wollte ihm sagen, daß Mac Kinsey ihn durchschaut hatte, aber das erste Wort blieb ihr im Halse stecken. Die Gestalt war herangekommen. Sie hatte einen zottigen Schädel mit rotglühenden Augen und fürchterlichen Zähnen. Das Monster, von dem der übergeschnappte Schauspieler gesprochen hatte! Es existierte wirklich! Es war hier und würde sie töten. Ihr Herz drohte zu versagen. Etwas so Schreckliches hatte sie noch nie erlebt. Warum war Mac Kinsey jetzt nicht bei ihr? Er würde sie beschützen. Dieser alte Professor, dem sie anscheinend Unrecht getan hatte, war dazu nicht in der Lage. Er starb ja selbst fast vor Entsetzen. Das Monster war riesig. Es bewegte sich gebückt vorwärts. Dabei stieß es drohende Laute aus.
Es wühlte mit seinen langen Armen, an deren Enden sich Krallen befanden, in dem Gesträuch und packte zu. Raid Jansen wimmerte auf. Er murmelte Worte, die das Mädchen nicht verstand. Es waren fremdartige Laute. Sie klangen wie Beschwörungen. Das Scheusal riß den Professor zu sich heran. Da drehte Babsy Carr durch. Sie sprang auf und schrie gellend ihre panische Angst in den Abend hinaus? Sie schrie und lief und blickte sich nicht mehr nach dem Furchtbaren um. Sie wußte, wenn sie stehenblieb, war es um sie geschehen. * Ich jagte los. Die Schreie waren mein Wegweiser. Ich hatte Angst, zu spät zu kommen. Als ich aus dem Zimmer stürmte, sah ich noch, wie Sullivan über die Treppe nach oben verschwand. Der Kerl hatte die Stirn, nicht unverzüglich das Hotel zu verlassen. Wahrscheinlich wollte er die neuerliche Aufregung für seine schmutzigen Zwecke nutzen. Ich konnte mich nicht um ihn kümmern. Ich rannte die Treppe hinunter und verursachte diesmal keine Zusammenstöße. Ich hoffte, in der Halle auf Mrs. Spencer zu stoßen. Dann konnte ich sie vor Sullivan warnen. Aber die Frau hielt sich vermutlich in ihrem Büro auf. Oder sie war, durch die Schreie alarmiert, ebenfalls auf die Straße gelaufen. Draußen hatten sich bereits Neugierige angesammelt. Sie schrien durcheinander. Einige deuteten zum Park hinüber. Jemand rief etwas von Vergewaltigung, aber daran glaubte ich nicht. Ich sah auf der anderen Straßenseite Babsy Carr in ihrem hel-
len Kleid laufen. Sie rannte vom Hotel fort. Jemand war hinter ihr. Der Professor war das nicht. Der war viel kleiner. Ich sprintete los. Im Laufen riß ich meine Automatic aus der Tasche und gab einen Warnschuß in die Luft ab. Der Verfolger drehte sich auch prompt nach mir um. Und da erkannte ich das Monster. Es ließ von dem Mädchen ab und war anscheinend unschlüssig, was es mit mir anfangen sollte. Ich empfing eine geballte Ladung dämonischer Feindseligkeit, die sich wie eine Mauer vor mir aufbaute. Ich hatte Mühe, sie zu durchdringen. Nur mit äußerster Willenskraft gelang es mir schließlich doch. Ich war nahe genug heran, um einen Schuß anzubringen. Ich blieb stehen und zielte sorgfältig. Als sich der Schuß löste, hoffte ich auf einen Erfolg. Das Ungeheuer fing das Geschoß mit seinem zotteligen Schädel auf und röhrte grimmig. Es schüttelte beide Fäuste und trabte auf mich zu. Babsy Carr hatte durch die Schüsse gemerkt, daß die Ereignisse eine neue Richtung nahmen. Sie lief nicht mehr, und ihr Schreien wechselte in ein hysterisches Schluchzen. Ich wußte nicht, was ich tun sollte. Ich besaß keinerlei Waffe gegen dieses Scheusal. Nur meinen Mut, und der würde nicht reichen. Ich versuchte es. Ich preschte auf das Monstrum zu. Dabei fuchtelte ich mit meiner Automatic herum, ohne aber noch einen Schuß abzugeben. Dabei brüllte ich wie ein gereizter Stier. Der Erfolg war verblüffend. Das Monster wankte und setzte sich in Bewegung. Aber es lief nicht auf mich zu, sondern wandte sich von mir
ab. Es schlug sich in die Büsche. Dort stieg eine gelbliche Rauchsäule auf, und als ich wenig später die Stelle untersuchte, fand ich nur einen ganz flachen Erdkrater. Sonst nichts. Das Monster war verschwunden. Ich lief auf Babsy Carr zu. Sie fiel mir schluchzend um den Hals und flüsterte immer wieder: »O Mac, daß Sie noch leben!« Ich gab mir Mühe, sie einigermaßen zu beruhigen. Ihr Entsetzen konnte ich gut nachempfinden. Sie war dem Tod nur knapp entgangen. Aber mich plagte eine andere Sorge. »Haben Sie den Professor gesehen, Babsy? Sie wollten ihn doch beobachten.« Sie sah mich mit ihren großen, entsetzten Augen an. Sie füllten sich erneut mit Tränen. Das Mädchen wurde von einem Weinkrampf geschüttelt. Ich führte es zum Hotel, wo es von ein paar hilfreichen Händen übernommen wurde. »Kümmern Sie sich um sie«, bat ich. »Sie hat einen Schock. Das Monster hätte sie fast erwischt.« »Monster? Was für ein Monster? Wir haben kein Monster gesehen.« Das glaubte ich. Von hier aus war das Ungeheuer auch nicht zu erkennen gewesen. Ich diskutierte nicht darüber, sondern rannte zum Park zurück, während ich laut den Namen des Professors rief. Ich erhielt keine Antwort. Nur ein paar Vögel, die sich bereits zur Nachtruhe begeben hatten, flatterten erschreckt auf und schimpften hinter mir her. Als ich den Schatten am Boden dicht bei den Sträuchern gewahrte, krampfte sich etwas in meiner Brust zusammen. Ich beeilte mich voranzukommen. Dann stand ich neben Raid Jansen.
Er lag verkrümmt auf der Erde. Seine Brille hing nur noch über einem Ohr. Aus blicklosen Augen starrte er durch mich hindurch. Er sah noch grauer und zerknitterter aus als sonst. Er war tot. Ich beugte mich über ihn und überprüfte sicherheitshalber Atem, Puls und Herzschlag. Keine Reaktion. Und als ich meine Hand über seinen Rücken gleiten ließ, wußte ich, daß seine Wirbelsäule gebrochen war. Das Monster hatte ihn auf unvorstellbar brutale Weise umgebracht. In der schlaffen Hand hielt er die Pistole Daniel Nelsons, die er sich genommen hatte. Sie enthielt überhaupt kein Magazin. Mit dieser Waffe hätte er sich nicht mal gegen einen Lebenden verteidigen können und schon gar nicht gegen einen Dämon. Erschüttert drückte ich ihm die Augen zu. Jahrzehnte hatte er für diesen Augenblick der Begegnung mit dem Dämon gearbeitet, und dann war es nicht einmal zum Kampf gekommen. Für mich stand jetzt fest, daß Caroline Nelson und Juha Södergren nicht mehr lebten. Und Professor Jansen war sicher nicht das letzte Opfer des Dämons. Ich fühlte mich ohnmächtig, weil ich nicht wußte, wie ich weitere Bluttaten verhindern sollte. Ich hob den Leichnam vom Boden auf. Mein Blick fiel auf ein Stück Pergament, das aus seiner Brusttasche herausschaute. Ich fühlte ein seltsames Kribbeln in mir. Ohne auch nur einen Blick in das zusammengefaltete Schriftstück geworfen zu haben, konnte ich den Text Wort für Wort sehen. Es waren geheimnisvolle Zeilen ohne erkennbaren Sinn. Er mußte verschlüsselt sein, und wahrscheinlich hatte nicht einmal Jansen den passenden Schlüssel dazu gehabt.
Erregt nahm ich das Dokument an mich, bevor ich den Professor über die Straße trug. Mrs. Spencer fuhr gerade mit ihrem Wagen vor. Sie hatte von der ganzen Aufregung nichts mitbekommen. Als sie mich mit dem Toten sah, erschrak sie sehr. »Ist er – tot?« Ihr Gesicht war kalkweiß. Ich bestätigte ihre Befürchtung. »Jim Curry hat nicht phantasiert. Das Monster ist unbestreitbare Realität. Wenn ich weitere Morde verhindern soll, muß ich darauf bestehen, daß das Hotel vorübergehend geräumt wird.« »Sie meinen, ich soll alle Gäste fortschicken?« fragte sie entgeistert. Ich nickte ernst. »Es ist nur für ein paar Tage. Ich kann sonst für nichts garantieren. Sicher kennen Sie ein paar befreundete Hoteliers, die sich bei nächster Gelegenheit bei Ihnen revanchieren werden. Ihnen entsteht dann kein finanzieller Schaden.« »Das sagen Sie so dahin«, erregte sie sich. »Sie haben doch keinen blassen Schimmer vom Hotelgewerbe. Das ist ein hartes Brot. Ich muß mich gegen Ihren Vorschlag verwahren.« Ich war sauer. Verdammt noch mal, auch bei mir hat der Idealismus seine Grenzen! Jeder braucht ein Existenzminimum und freut sich über ein paar zusätzliche Annehmlichkeiten. Aber hier ging es um Menschenleben. Seit vergangener Nacht hatte das Monster dreimal zugeschlagen. Genügte das noch immer nicht? »Sie vergessen, daß Sie das nächste Opfer sein können«, sagte ich wenig zartfühlend. An ihrem Leben hing sie vermutlich mehr als an der Rendite. Aber Mrs. Spencer blieb hart. »Ich habe Sie nicht kommen lassen, damit Sie mich ruinieren. Ich kann Ihnen den Vorwurf nicht ersparen, daß sich die Situation seit Ihrem Eintreffen er-
heblich verschärft hat. Ich bin enttäuscht.« Ich ließ sie einfach stehen. Mit manchen Leuten konnte man eben nicht diskutieren. Die Frau würde mir durch ihr eigennütziges Verhalten direkt unsympathisch. Doch zum Glück konnte sie nicht die Entscheidungen für ihre Gäste treffen. Ich verkündete über die Lautsprecheranlage im ganzen Hotel, was sich zugetragen hatte, und empfahl, vorläufig in ein anderes Hotel in der Nähe zu übersiedeln. Mrs. Spencer kam herangeeilt. Aber zu spät. Sie machte ein Gesicht, als wollte sie mich erwürgen. Das ließ mich kalt. Mehr ärgerte ich mich schon über die Reaktionen der Gäste. Die meisten dachten nicht daran, das Quartier zu wechseln. Keiner von ihnen hatte ein Monster gesehen. Niemand hatte ein unangenehmes Erlebnis gehabt. Daß ein alter Mann auf der Straße zusammengebrochen und nicht wieder aufgestanden war, war für sie kein Grund, um das eigene Leben zu bangen. Auch das Personal hielt mit einigen Ausnahmen zur Chefin. Das war schon eher einzusehen, denn der überfüllte Arbeitsmarkt ließ ihnen kaum eine andere Chance. Ich ergab mich in das Unvermeidliche und hoffte, bald das Rätsel der Geheimschrift zu lösen. Daß sich auch Babsy Carr nicht zur Abreise bereiterklärte, nachdem sie wieder einigermaßen klar denken konnte, überraschte mich allerdings. Sie mußte doch wissen, worum es ging. Sie hatte das Monster gesehen, war ihm nur mit knapper Not und viel Glück entgangen. Sie blickte mich treuherzig an, als sie sagte: »Sie gehen ja auch nicht fort, Mac. In Ihrer Nähe fühle ich mich sicher. Sie
müssen eben immer da sein, um mich zu beschützen.« Wer konnte die Gedanken einer Frau verstehen? »Sie vertrauen mir immer noch, obwohl ich es war, der Sie hinter dem Professor hergehetzt hat? Das hätte Ihr Tod sein können, Babsy.« »Es ist nicht nur das Vertrauen, Mac. Ich fürchte, ich habe mich in Sie verliebt.« Das hatte mir noch gefehlt. Ich bin durchaus kein weltfremder Mensch, und Babsy war wirklich sehr nett und verlockend anzusehen. Aber Dienst ist Dienst, und Liebe ist Liebe. Außerdem hatte ich Kathleen, mit der ich ursprünglich diesen schönen Tag hatte verbringen wollen. Ich sah in Babsys erwartungsvolle Augen und begriff, daß sie momentan keinen Argumenten zugänglich war. Morgen war sie hoffentlich wieder vernünftiger. Aber dazwischen lag eine lange Nacht, und in dieser Nacht konnte mehr passieren, als uns allen lieb war. * Nachdem sie sich leidlich beruhigt hatte, erfuhr ich von Babsy Carr, was sich draußen zugetragen hatte. Ich ließ mir von ihr die genaue Stelle zeigen, die der Professor abgeschritten hatte. Dann versuchte ich, die entsprechende Erklärung in der geheimen Schrift zu finden. Immer wieder studierte ich den Text. Auch noch, als ich mich in mein Zimmer zurückgezogen hatte, um mich besser auf meine Aufgabe konzentrieren zu können. Das Hotelpersonal suchte inzwischen vergeblich nach Sullivan. Nach Stunden setzte sich die Überzeugung durch, daß der Halunke doch die allgemeine Aufregung benutzt hatte, um
sich davonzustehlen. Die Polizei war informiert worden. Die Fahndung nach dem Hoteldieb lief. In dem Zimmer des Verbrechers fand man weder die Brieftasche des Finnen noch Mrs. Vanderloops Schmuck. Die Beute hatte der Gangster natürlich nicht zurückgelassen. Babsy Carr hatte mich ernstlich gebeten, in meinem Zimmer schlafen zu dürfen. Nur dort würde sie sich sicher fühlen. Ich lehnte aus grundsätzlichen Erwägungen ab und sagte ihr, daß der Dämon wahrscheinlich gerade mir irgendwann einen Besuch abstatten würde. Außerdem hatte ich vor, mich den größten Teil der Nacht außerhalb des Zimmers aufzuhalten. Natürlich hatte sie auch sofort vorgeschlagen, mich überallhin zu begleiten. Das Mädchen war lieb, aber lästig. Es behinderte mich. Das konnte gefährlich werden. Für uns beide. Ich brachte die Kleine dazu, in ihrem Zimmer zu bleiben und bei dem kleinsten verdächtigen Geräusch sofort laut zu schreien. Mehr konnte ich momentan nicht für ihre Sicherheit tun, die nach meiner Überzeugung nicht mehr oder weniger gefährdet war als die aller anderen Gäste und Angestellten im Hotel. Während ich mich wieder über das zerknitterte Pergament beugte, holte ich mein Abendessen nach. Ich vertilgte zwei Sandwiches und etwas kaltes Huhn und wußte hinterher nicht, was ich gegessen hatte. Die Schrift gab mir Rätsel auf. Da stand etwas von dreizehn Schritten vom Quell zum Mond. Das waren zweifellos die dreizehn Schritte, die Raid Jansen vom Hydranten aus in Richtung des aufgehenden Mondes ausgeführt hatte.
Ich fand jedoch keine Zeitangabe, wann diese Schritte zurückzulegen waren. Der Mond wechselte schließlich im Laufe der Stunden ständig seine Position. Ich hegte den Verdacht, daß der Professor diese Passage falsch gedeutet hatte. Allerdings war ich nicht in der Lage, es besser zu machen. Andere Stellen sprachen von einem gewaltigen Meer aus Sand, in dem das steinerne Herz ruhte. Dieses Herz sollte aufhören zu schlagen, wenn es den Tod besiegt hatte. Mit dem Meer aus Sand war zweifellos die Sahara gemeint. Durchaus denkbar, daß der Professor jahrelang in allen möglichen Wüsteneien herumgeirrt war, bis er darauf kam, daß es sich um dieses Sahara-Hotel handelte. Ich fand Absätze, die dies klar belegten. Wenn man aber die Lösung nicht kannte, gehörte schon allerhand dazu, die versteckten Hinweise richtig zu bewerten. Jansen mußte hochintelligent gewesen sein. Wo war das steinerne Herz? Handelte es sich um die Waffe, die der Professor erwähnt hatte? Wie war sie zu handhaben? Die Schrift gab keine Antwort auf diese Fragen. Es war, als hätte Jansen nur einen Teil der wichtigen Dokumente besessen. Vielleicht war er deshalb solange in die Irre gegangen. Aber er hatte den Dämon aufgespürt. Das war nun mal sicher. Er mußte also den richtigen Weg eingeschlagen haben. Meine Augen brannten. Ich kannte die engbeschriebenen Zeilen längst auswendig, aber dadurch wurden sie nicht klarer. Was hatte der unbekannte Verfasser sagen wollen, als er riet, tief in das Auge der schwarzen Katze einzudringen und dann
auf dem Blitz zu reiten? Rätsel über Rätsel. Ich kramte in meiner Erinnerung. Wo hatte ich eine schwarze Katze gesehen? Als es mir einfiel, packte mich gewaltige Erregung. In der siebenten Etage hing im Gang ein Bild, das eine Gewitternacht darstellte. Die Szene sah gespenstisch aus. Der Künstler hatte mit düsteren Details nicht gespart. Auf einem knorrigen Ast hockte eine Eule, fahle Blitze zerteilten die Wolken, auf einem See kenterte ein Kahn, und im Vordergrund strich eine Katze mit grünlich funkelnden Augen entlang. Blitz und Katze, alles war da. Ich mußte sofort ergründen, ob ich auf der richtigen Spur war. Ich verließ mein Zimmer. Im Hotel war es still geworden. Die Ereignisse hatten doch ihre Spuren hinterlassen. Niemand hatte mehr Lust auf einen Drink an der Bar. Ich fuhr zur siebenten Etage und ging zu der Stelle, an der das bewußte Bild hing. Das Gemälde war verschwunden! Jetzt hing ein anderes dort. Eine holländische Landschaft mit einer Windmühle und fröhlichen Menschen darauf. Hatte ich mich im Stockwerk geirrt? Das konnte schon vorkommen, obwohl ich geschworen hätte, am richtigen Ort zu sein. Schritte kamen die Treppe herauf. Ich gab dem ersten Impuls, mich zu verstecken, nicht nach. Wozu? Ich hatte nichts zu verbergen, und das Monster kündete sich wahrscheinlich nicht so deutlich an. Es war Mrs. Spencer. Sie schaute mich prüfend an. »Ach, Sie sind es, Mr. Kinsey«, sagte sie mit hörbarer Erleichterung. »Ich hörte Geräusche und wollte nach dem Rechten se-
hen. Neuerdings weiß man ja nicht, was im nächsten Augenblick geschieht. Sie können auch nicht schlafen?« »Ich bin nicht hier, um zu schlafen, Mrs. Spencer«, erinnerte ich. »Fast vor meinen Augen wurde ein Mann getötet, den ich schätzte. Zwei weitere Menschen sind verschwunden, ein anderer wurde in die psychiatrische Klinik eingeliefert, und ich komme nicht voran. Wo ist das Bild, das hier hing?« Sie blickte mich schon wieder verwundert an. »Sie meinen das Gewitter?« vergewisserte sie sich. Ich bestätigte es ungeduldig. »Wir mußten es entfernen«, erklärte sie. »Professor Jansen hat es ruiniert. »Ruiniert? Wie meinen Sie das?« »Er bohrte mit einem Messer darin herum. Sehen Sie – hier!« Sie hob das Ersatzbild ein Stück von der Wand ab. »Sogar die Mauer ist beschädigt. Nun ja, er war ein alter Mann. Da wird man wohl wunderlich. Er hat den Schaden zwar bezahlt, aber das Bild mußten wir natürlich austauschen.« »Und wo ist es jetzt?« »Auf dem Müll. Es war total zerfetzt. Schade drum.« Raid Jansen hatte also dieselbe Vermutung gehabt wie ich und war auf eine undurchdringliche Mauer gestoßen. Ich stand wieder in einer Sackgasse. »Gibt es noch andere Katzen in diesem Haus?« wollte ich wissen. »Schwarze Katzen?« »Das Mitbringen von Tieren ist im Sahara-Hotel selbstverständlich nicht gestattet«, sagte Mrs. Spencer entrüstet. »Ich dachte auch mehr an Abbildungen. Es könnte auch ein Panther sein oder etwas Ähnliches.« Sie schüttelte den Kopf und fragte, ob sie mir anderweitig helfen könnte.
Ich verneinte. Vorsichtshalber kontrollierte ich die beschädigte Wand noch einmal gründlich, aber hinter dem abgeplatzten Putz befand sich massives Mauerwerk, und auf der anderen Seite lag das Zimmer eines schottischen Kaufmannes, der sich bisher über keine unerklärlichen Geschehnisse beschwert hatte. Ich verabschiedete mich von Mrs. Spencer. Ich mußte doch noch einmal in den Park gehen. Wenn ich berücksichtigte, daß sich der Mond bewegte, und um den Hydranten einen Kreisbogen im Abstand von dreizehn Schritten zog, stieß ich vielleicht doch auf die Stelle, die in der Schrift gemeint war. Es hatte zu regnen angefangen. Ich achtete nicht darauf, sondern beschäftigte mich mit meinem Vorhaben. Ich machte große und kleine Schritte. Den Raum dazwischen suchte ich gewissenhaft ab. Ich ließ mir dabei viel Zeit. Es half aber alles nichts. Es gelang mir nicht, den Sinn des Pergaments zu entschlüsseln. Das Monster konnte offensichtlich an jeder beliebigen Stelle im Boden versinken. Auf diesem Weg konnte ich ihm nicht folgen. Aber wo hatte es seine vermutlichen Opfer gelassen? Mit Caroline Nelson war es im Fahrstuhl nach unten gefahren. Juha Södergren war ebenfalls nicht wieder aufgetaucht. Plötzlich erinnerte ich mich daran, daß Sullivan im Begriff gewesen war, mir etwas zu erzählen, als Babsy Carrs Schreien ihn unterbrochen und ihm die Flucht ermöglicht hatte. Angeblich hatte er unten im Fitneßraum irgend etwas gesehen, als er sich davonstehlen wollte. Einen Schatten vielleicht. Eine Bewegung. Irgend etwas, das ihn überraschte. Ich mußte auch dieser Möglichkeit nachgehen.
Ich kehrte ins Hotel zurück und merkte erst jetzt, daß ich tropfnaß war. Der Nachtportier schenkte mir einen mißbilligenden Blick, weil ich die teuren Teppiche in der Halle volltropfte. Er hatte aber wohl Anweisungen, mich in Ruhe zu lassen. Deshalb sagte er nichts. Nur seiner Miene war anzusehen, daß er Gäste wie mich nicht schätzte. Ich stieg die Treppe hinunter und schaltete unten das Licht an. Es roch nach frisch gebeiztem Holz und nach Gummimatten. Ich betrat den Trainingsraum, den ich bereits kannte. Nichts sah ungewöhnlich oder gar gefährlich aus. Wo mochte Sullivan gestanden haben, als er seine Beobachtung machte? Befand er sich noch in der Umkleidekabine, oder hatte er schon den Rückweg angetreten? Ich vollzog seine Aktionen nach. Ich ging in die Kabine, in der die Sachen des Finnen gehangen hatten. Ich achtete dort auf jeden Nagel. Es gab keine Katze, keinen Blitz, keinen Mond und auch keine Quelle. Enttäuscht verließ ich die Kabine und wurde von einem Geräusch alarmiert. Es klang gleichmäßig und monoton. Wie der Tropfen auf dem Stein. Ich stand neben dem Duschraum. Die Schwingtür klemmte und ließ meinen Blick hindurch. Ich öffnete sie vollends und ging hinein. Es roch klinisch sauber. Hier wurde verschwenderisch mit Desinfektionsmitteln umgegangen. Alles blitzte. Die milchige Kugellampe an der Decke erreichte mit ihrem Licht den letzten Winkel. Es gab zwei Duschen. Eine davon tropfte. Ich drehte den
Hahn zu, aber das Tropfen hörte nicht auf. Die Wände waren bis zur Decke gefliest. Passend zum Zweck dieser Räume waren Athleten unterschiedlichster Disziplin auf den Kacheln dargestellt. Sie zeigten ihre Muskeln und erstarrten bei irgend welchen Bewegungsabläufen. Der Raum faszinierte mich. Ich ließ meinen Kopf kreisen und holte mir den Text des Pergaments ins Gedächtnis zurück. Dreizehn Schritte vom Quell zum Mond. Ich hätte am liebsten ein Indianergeheul ausgestoßen. Die tropfende Dusche konnte die Quelle sein, und der Mond war die Kugellampe. Sie glich dem Himmelsbewohner wirklich auf verblüffende Weise. Ich hastete zur Dusche, blickte zur Lampe und begann, die dreizehn Schritte auszumessen. Schon beim sechsten prallte ich gegen die Wand. Hier war Schluß. Der Duschraum war viel zu klein. Hatte ich mich zu früh gefreut? Hatte ich wieder einen der vielen Irrwege beschritten, die nicht zum Ziel führten? Mein Blick fiel auf die Athleten, die mich umringten. Sie waren ungefähr zwei Fuß hoch. Ihre Schritte waren natürlich entsprechend klein. Ich schätzte das Maß ab und setzte es dreizehnmal aneinander. Mich traf fast der Schlag. Auf diese Weise kam ich genau zu dem Abflußgitter im Boden. Das mußte Sullivan gemeint haben – das Gitter hatte sich gehoben oder jedenfalls bewegt. Ich hatte einen Teil des Rätsels gelöst. *
Sullivan grinste in sich hinein. Sie sollten nur nach ihm suchen. Hier unten fanden sie ihn bestimmt nicht. Keiner wußte von dem Weg, hatte er ihn doch selbst nur durch Zufall gefunden. Er dachte gar nicht daran, das Hotel überstürzt zu verlassen. Wozu auch? Hier befand er sich in Sicherheit. Die Brieftasche des Finnen war zwar mit vielen Papieren, aber wenig Geld vollgestopft gewesen. Die Juwelen der Vanderloop glitzerten wohl schön, es handelte sich aber überwiegend um Splitter, die wenig einbrachten. Die größeren Steine waren nicht rein. Bis jetzt hatte sich der Fischzug im ›Sahara‹ nicht gelohnt. Oder doch? Das vergammelte Papier, das er dem Professor aus der Tasche gestohlen hatte, war eindeutig der Plan, der zu einem verborgenen Schatz führte. Was sonst sollten die verschlüsselten, geheimnisvollen Andeutungen bedeuten? Zu dumm, daß der Plan nicht vollständig war. Sonst wäre alles einfacher gewesen. Er war nicht mehr dazu gekommen, die zweite Hälfte des Dokumentes in Jansens Zimmer aufzuspüren. Dieser Kinsey hatte ihn dabei überrumpelt, und fast hätte seine Karriere ein jähes, unrühmliches Ende genommen. Aber er war dem Schnüffler durch die Finger geschlüpft, und nun suchte er hier nach dem Schatz, der ihn zum reichen Mann machen sollte. Sicher handelte es sich um Gold. Vielleicht auch um Diamanten und Perlen. Das Pergament hatte zwar nicht besonders alt gewirkt, aber die Stücke würde kaum niemand mehr kennen. Das bedeutete, daß sie leicht und zu einem hohen Preis zu
verkaufen waren. An Liebhaber. Als antik. Sullivan fühlte sich als Glückspilz. Ein richtiger Schatz fiel einem nicht alle Tage in die Hände, Das war schon etwas Besonderes. Wie er mit seiner Beute das Hotel verlassen sollte, bereitete ihm keine Kopfschmerzen. Es war keine Polizei im Haus, weil man ihn nicht mehr hier vermutete. Das war gut. Nur Kinsey hielt die Stellung. Aber der interessierte sich hauptsächlich für den finnischen Politiker, der mir nichts, dir nichts verschwunden war. Er mußte an dem Nachtportier vorbei. Dem mußte er einen Schlag auf den Hinterkopf verabreichen, und das Problem war keins mehr. Der Mann rechnete nicht mit Besuch aus dem Keller. In diese Richtung schaute er bestimmt nicht. Aber so weit war es noch nicht. Erst mußte er das Zeug finden. Vielleicht war es so schwer, daß er es gar nicht auf einmal abtransportieren konnte. Auch gut! Je mehr, um so besser. Dann machte er den Weg eben ein paarmal und zog den Portier notfalls ganz aus dem Verkehr. Was sein mußte, mußte sein. Sullivan tappte in dem Gewölbe herum. Mit der Batterie seiner Taschenlampe mußte er sparsam umgehen. Er besaß nur die eine. Ohne Licht war sein Unterfangen wesentlich schwieriger. Verdammt! Warum besaß er nicht den kompletten Plan? Nach seinen Unterlagen mußte es hier ein regelrechtes und sehr kompliziertes Labyrinth geben. Aber so oft er auch die wenigen Gänge durchschritt, er kam immer wieder automatisch an seinem Ausgangspunkt an. Hier konnte er sich überhaupt nicht verlaufen. Aber das war
nicht das, was er wollte. Sullivan lauschte. Waren da nicht Schritte? Nein, er mußte sich getäuscht haben. Nur sein eigenes Echo. Die Wände waren glatt und warfen jedes Geräusch zurück. Er tastete die Wände ab. Irgendwo mußte sich ein Stein bewegen lassen. Irgendwo war der Zugang zu diesem verfluchten Labyrinth, dem er dann nur noch der Anweisung entsprechend folgen mußte. Am Ende stieß er bestimmt auf den Schatz. Er blieb stehen und lauschte gebannt. Er mußte diesen geisterhaften Geräuschen auf die Spur kommen. Die waren echt und nicht das Echo seiner Schritte. Es tappte und schlurfte. In einer Ecke gluckerte es, als würde Wasser eindringen. Sullivan erschrak. Er war durch den Abfluß gestiegen und durch einige Rohre gekrochen. Wie, wenn er hier unten unter Wasser gesetzt wurde? Dann mußte er elend ersaufen, und niemand würde je erfahren, wo er geblieben war. Das war ein beängstigender Gedanke. Er vertrieb ihn schleunigst und sagte sich, daß mitten in der Nacht im ganzen Hotel nicht genügend Wasser verbraucht wurde, um ihn ernstlich zu gefährden. Außerdem floß das nicht in dieses Gewölbe ab, sondern in die Kanalisation. Die Geräusche blieben und verstärkten sich sogar. Jetzt gesellte sich auch eine Stimme hinzu. Sie stöhnte und wimmerte. Es hörte sich schaurig an. Es sind nur deine Nerven, sagte sich Sullivan. Wer soll hier unten stöhnen? Södergren vielleicht? Wenn der Finne durch Zufall hierher gefunden hat. steckte er hilflos irgendwo in den Rohren fest!
Flüchtig dachte er auch an das Monster, von dem er einiges gehört hatte. Ihm war noch nie ein Monster begegnet. An solchen Quatsch glaubten Kinder, aber keine erwachsenen Männer. Das Gruseligste, an das er sich erinnern konnte, war die Jagd, bei der ihn die Polizei um ein Haar geschnappt hätte. Nur um ein Haar. Er war eben schneller und gewitzter als sie alle. Das Tappen kam näher. Aus dem Stöhnen wurde ein zorniges Knurren. Wie von einem Tier. Ausgeschlossen! dachte er. Hier gibt es keine Tiere. Allenfalls Ratten, und die knurren nicht! Doch jetzt ließ es sich nicht länger leugnen – außer ihm war noch ein Lebewesen da. Und dieses Lebewesen hörte sich nicht so an, als freute es sich über seine Gegenwart. Es war feindselig. Sullivan bekam Angst. Richtige gemeine Angst. Er hielt den Atem an und suchte in seinen Taschen nach einer Waffe. Aber seine Hände wühlten nur in Ketten und Ringen. Das Zeug der Vanderloop hatte er eingesteckt, um nichts zurücklassen zu müssen. Zur Verteidigung war es nicht geeignet. Was sollte er tun? Er war ratlos. Das Beste war wohl, wenn er sich vorübergehend zurückzog. Er hatte Zeit, wenn seine Ungeduld, endlich von dem Schatz Besitz zu ergreifen, auch immer drängender wurde. Der Hoteldieb tastete sich zurück. Seine Taschenlampe benutzte er nicht. Sie hätte ihn verraten. Er suchte das Rohr, durch das er geschlüpft war. Er hatte sich die Stelle gemerkt, denn es führten noch andere Rohre in das Gewölbe, von denen er nicht wußte, wo sie endeten.
Er spürte hinter sich eine Bewegung. »Sullivan!« krächzte eine wütende Stimme. »Du bist mein. Du bist in mein Reich eingedrungen. Du wirst sterben.« Viel hätte nicht gefehlt, und ihm wäre das Herz stehengeblieben. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr – er wurde verfolgt. Das war der Hüter des Schatzes. Er wollte ihn töten. Seine Hände fanden das Rohr. Er zog sich hinauf. Plötzlich wurde es hell. Das ganze Gewölbe erstrahlte in gleißendem Licht. Jemand hatte die Beleuchtung angeknipst. Vor Schreck ließ er los und stürzte auf den harten Fußboden. Die bedrohlichen Schritte waren jetzt schon ganz nahe. Eine Gestalt trat aus einem der Gänge. Sullivan kniff verdutzt die Augen enger. »Ach, Sie sind das?« sagte er dann erleichtert, als er die Gestalt erkannte. »Was suchen Sie denn hier unten?« »Dasselbe könnte ich Sie auch fragen.« Sullivan wich der indiskreten Frage aus. »Haben Sie auch das gräßliche Stöhnen und Knurren gehört?« »Ich weiß nicht, was Sie meinen.« Sullivan wurde unsicher. Hier stimmte etwas nicht. Das spürte er ganz deutlich. Er wandte sich um, um durch die Röhre zu verschwinden. Im selben Augenblick wurde er von einer Krallenhand zurückgerissen. In dieser Sekunde wußte er, daß er ein mörderisches Geheimnis entdeckt hatte, daß er es aber keinem Menschen mehr verraten konnte. * Ich versuchte das Abflußgitter anzuheben. Es klappte. Es ließ
sich sogar ganz leicht bewegen. Ich schaute hinunter. Finsternis schlug mir entgegen. Und der typische Geruch nach Kanalisation. Ich hielt vorsichtshalber den Atem an. Sollte ich diesen Weg wagen? War nicht auch er nur wieder eine Sackgasse? ‚Oder gar eine Falle? Erneut nahm ich das Pergament des Professors zur Hand und vertiefte mich darin. Dringe tief in das Auge der schwarzen Katze ein, las ich. War mit dem Abfluß das Auge gemeint? Denkbar war es schon. Ich mußte es riskieren. Ich ließ mich in die enge Röhre gleiten, bis meine Füße einen Halt fanden. Es handelte sich um ein rostiges Steigeisen, das in der Wand der Röhre befestigt war. Ich tastete mich weiter hinunter und fand ein weiteres Eisen. Es gab eine regelrechte Leiter, die in eine ungewisse Tiefe führte. Nichts war zu hören. Kein einziger Laut. Es war so still wie im Grab. Irgendwann erreichte ich das Ende der Leiter. Von hier zweigte eine waagerechte Röhre ab, durch die ich kriechen mußte. Ich tat es. Vielleicht hielt ich mich in einem ganz normalen Abwassersystem auf, vielleicht handelte es sich aber auch um den Weg zu der Waffe, mit der ich den Dämon vernichten konnte. Ich zwängte mich durch Rohre und niedrige Gänge, stieg Leitern hinauf und hinunter. Und schließlich rutschte ich eine schräge Rinne entlang, die so glatt war, daß ich immer mehr Fahrt bekam. Die Reise endete mit einem dumpfen Aufprall.
Ich blieb einen Moment benommen liegen, bevor ich meine Taschenlampe zückte, um mich zu orientieren. Ich befand mich in einem Gewölbe, in das einige Gänge mündeten. Der Boden und die Wände glänzten feucht. Es roch modrig. Schon wollte ich mich dem ersten Gang zuwenden, als mein Blick auf dem Boden haften blieb. Er wurde von einem beschädigten Mosaik gebildet. Es stellte eine schwarze Katze dar, die ihr Maul weit aufgerissen hatte! Die schwarze Katze! Jetzt waren sämtliche Zweifel beseitigt. So viel Zufälle gab es nicht. Ich kniete mich neben dem Mosaik nieder und kontrollierte die beiden Augen des Tiers. Das linke konnte ich aufklappen. Dahinter entdeckte ich einen Mechanismus, den ich kurzentschlossen betätigte. Ich erschrak, als die Katze plötzlich fauchte und ihren Buckel krümmte. Aus dem anderen Auge zuckte ein greller Lichtstrahl. Das Katzenmaul öffnete sich weit und gab den Blick auf ein Gestänge frei, das in den Boden hineinführte. Ich zögerte nicht lange, ich turnte daran hinab, gespannt, was ich noch alles für Hindernisse überwinden mußte. Der Weg war noch nicht zu Ende. Drei Treppen erhoben sich vor mir. Ich dachte an die Beschreibung. Auf dem Blitz sollte ich reiten. Damit konnte nur die mittlere Treppe gemeint sein. Deren Stufen führten wie ein Blitz im Zickzack nach oben. Ich hastete hinauf. Die Treppe war nicht lang. Sie brachte mich in einen Raum, in dem es grauenvoll stank. Ich erschrak bis ins Mark. In einer Ecke waren die Überreste von Toten aufgestapelt.
Ich brauchte einige Augenblicke, um mit dem fürchterlichen Anblick fertigzuwerden. Ich erkannte, daß ich es nicht ausschließlich mit Skeletten zu tun hatte. Einige Leichname waren noch frisch. Sie konnten erst kurze Zeit in dieser Höhle liegen. Der Lichtschein meiner Lampe glitt über den Hügel des Grauens. Er zitterte, als er auf ein Gesicht fiel, das ich kannte. »Sullivan!« sagte ich würgend. Es war der Hoteldieb. Ich berührte ihn. Sein Körper fühlte sich noch warm an. Als wäre er eben erst getötet worden. Das alarmierte mich. Der Dämon hielt sich möglicherweise noch in der Nähe auf. Wenn er hier unten über mich herfiel, bevor ich die entscheidende Waffe in meinen Besitz gebracht hatte, befand ich mich in seiner Gewalt. Hier war sein Revier. Er würde nicht wieder vor mir fliehen wie draußen im Park. Mir konnte andererseits ein schneller Rückzug auch nicht gelingen. Der Weg war viel zu kompliziert und kräfteraubend. Ich umrundete den Leichenhaufen, um mich zu vergewissern, daß sich dahinter niemand verborgen hielt. Eine eiskalte Hand streifte mich. Ich wehrte sie reflexartig ab, aber sie pendelte zurück. Und da leuchtete ich sie an. Ich sah nicht nur die Hand, sondern auch einen schlanken, nackten Arm. Den Arm einer Frau. Das war nicht das Monster. Ich sprang zur Seite, und der Arm pendelte ins Leere. Er war von dem Totenhügel heruntergeglitten. In ihm war kein Leben. Aber starr war er auch nicht. Ich leuchtete höher und erblickte ein grünes Nachtgewand. Verzweifelte Augen starrten mich an. Auch sie waren grün.
Aber tot. Ich hatte Caroline Nelson gefunden. Gleich daneben ruhte ein Mann, den ich auch nur von den Beschreibungen und Fotos her kannte: Juha Dödergren. Mein Magen bekam Ecken. Es dauerte, bis ich über den Schock hinwegkam. Wer waren die anderen Gerippe? Es sah so aus, als ob in diesem Hotel schon sehr lange der Dämon umging. Die meisten Toten waren möglicherweise gar nicht vermißt worden. Vielleicht waren es Reisende, die heute hier, morgen dort übernachteten und die irgendwann nicht an ihrem nächsten Ziel eingetroffen waren. Ich schätzte, daß die Polizei monatelang zu tun hatte, bis alle Leichen identifiziert waren. Ich wurde ruhiger. Den gröbsten Schock hatte ich überwunden. Ich untersuchte, ob Sullivan wirklich nicht mehr zu helfen war, doch in ihm war kein Leben mehr. Ich untersuchte seine Kleidung. Aus seinen Taschen quollen Ketten und Armreifen. Ich vermutete, daß es sich um den Schmuck von Mrs. Vanderloop handelte. Auch die Brieftasche mit dem Paß des Finnen fand ich bei ihm. Und ein Pergament! Ich griff danach und war überrascht. Was da geschrieben stand, hatte ich noch nie gesehen. Es war ein völlig anderes Schriftstück als jenes, das ich besaß. Jetzt merkte ich, daß eine Ecke fehlte. Die entdeckte ich in Sullivans erstarrter Hand. Mir wurde einiges klar. Es gab zwei Pergamente Zwei Hälften. Die eine hatte ich bei dem toten Professor gefunden, die an-
dere mußte Sullivan schon vorher an sich gebracht haben. Sicher hatte er nicht vorgehabt, mit ihrer Hilfe eine Dämonenwaffe aufzuspüren. Ein Bursche wie Sullivan träumte von Reichtümern. Das erklärte auch, warum er das Hotel nicht nach seiner Entdeckung schleunigst verlassen hatte. Er tat mir leid. Er war zwar ein Halunke gewesen, aber den Tod hatte die britische Gerichtsbarkeit für seine Schurkereien nicht vorgesehen. Er wäre billiger davongekommen. Ich begann das neue Pergament zu entziffern. Und dann war alles plötzlich ganz klar – der Weg ging dort weiter, wo die Toten aufgestapelt waren. Ich mußte sie wegräumen. Eine andere Möglichkeit hatte ich nicht. * Babsy Carr konnte nicht einschlafen. Tausend Gedanken schossen durch ihren aufgeregten Kopf. Sie dachte an Mac Kinsey, aber auch an das schreckliche Monster, das den Professor so grauenvoll umgebracht hatte. Vielleicht war es doch besser, wenn sie dieses entsetzliche Hotel verließ, dann wieder sagte sie sich, daß sie an keinem Ort der Welt sicherer war als dort, wo sich Mac Kinsey befand. Sie warf sich unruhig in ihrem Bett hin und her. Warum war er nicht bei ihr? Er ging ihr aus dem Weg, und sie glaubte auch den wahren Grund dafür zu wissen. Nicht umsonst hatte sie beobachtet, wie er mit diesem aufdringlichen Zimmermädchen, dieser Wendy, zusammensteckte. War sie etwa häßlicher oder geringwertiger als eine Hotelangestellte? Ihr Vater besaß eine Fabrik in Norwich. Neun Männer bemühten sich gleichzeitig um ihre Gunst. Zwei davon
waren zwar schon fast sechzig, aber reich waren sie alle. Aber das war ja eben ihr Elend. Sie legte keinen Wert auf eine sogenannte gute Partie. Bei ihr zählte nur der Mensch, und in Mac Kinsey glaubte sie, diesen Menschen gefunden zu haben. Sie hatte sich hoffnungslos in ihn verliebt. Babsy Carr seufzte tief. Sie klammerte sich an diese Gedanken. Es war angenehmer, an eine unglückliche Liebe zu denken als an ein Ungeheuer, das jederzeit wieder auftauchen konnte. Nicht auszudenken, wenn es plötzlich mitten im Zimmer stünde. Wahrscheinlich traf sie dann der Schlag. Sie schwang die Beine aus dem Bett und suchte ihre Pantoffeln. Sie konnte sie wieder mal nicht finden. Es war immer dasselbe. Sie bückte sich und schaute unters Bett. Gellend schrie sie auf. Zwei glühende Augen sahen ihr aus der Dunkelheit entgegen. Sie rang nach Atem. Die Furcht legte sich wie mit heißen Zangen auf ihr Bewußtsein. Es war da! Das Monster wollte jetzt sie holen! Sie konnte gar nicht so schnell denken, wie sie handelte. Für sie gab es nur eins. Sie mußte zu Mac Kinsey. Wenn sie bei ihm war, befand sie sich in Sicherheit. Die glühenden Augen kamen drohend näher. Babsy Carr warf sich herum. Mit einem Aufschrei war sie bei der Tür, riß sie auf und stürmte auf den Gang. Sie war barfuß. Ihre Schritte waren nicht zu hören. Daß sie fast nichts am Leibe trug, wurde ihr überhaupt nicht bewußt. Sie rannte auf die Treppe zu und wählte den Weg, den sie als Kind bevorzugt hatte – sie rutschte über das blankpolierte Geländer, daß es nur so zischte. Als sie den nächsten Absatz erreichte, blickte sie sich furchtsam um.
Etwas Haariges, Grausiges verließ gerade ihr Zimmer und blickte sich suchend um. Es war das Scheusal. Es folgte ihr. Aber es würde sicher nicht das Geländer herunterrutschen. Und einen schnelleren Weg gab es nicht. Babsy Carr schwang sich wieder auf die kühle Messingstange und sauste erneut ein Stück tiefer. So ging das, bis sie keuchend die erste Etage erreichte. Was früher Spiel gewesen war, hatte ihr jetzt vielleicht das Leben gerettet. Von dem Monster sah sie nichts mehr. Aber sie konnte es hören. Es war vielleicht zwei Treppen hinter ihr. Höchstens. Es konnte unmöglich wissen, wo sie geblieben war. Oder doch? Auf den dicken Teppichen jagte sie zur der Tür von Mac Kinseys Zimmer. Sie verzichtete auf ein Klopfen, sondern warf sich aufscheuchend gegen das Holz. Die Tür gab nach. Babsy flog ins dunkle Zimmer, raffte sich auf und suchte den Lichtschalter. Sie fand ihn nicht gleich. Die Aufregung ließ sie keinen klaren Gedanken fassen. »Mac!« keuchte sie. »Mac, helfen Sie mir! Er ist hinter mir her.« Sie erhielt keine Antwort. Sie lief dorthin, wo sie das Bett wußte. Schluchzend warf sie sich auf die Kissen, merkte aber sofort, daß niemand darin lag. Voller Entsetzen knipste sie die Nachttischlampe an. Sie war allein! Mac Kinsey war gar nicht da! Sie mußte fort. Jeden Augenblick konnte das Monster in der Tür erscheinen. Sie hatte sie nicht mal geschlossen. Auf dem Fußboden lag das verzerrte, helle Rechteck, das die Gangbeleuchtung verursachte. Gebannt starrte Babsy Carr auf dieses Rechteck, in das sich jetzt eine Silhouette schob. Babsy zog sich angstvoll die Kissen über den Kopf, obwohl
sie wußte, daß die Methode nichts nützte. Das Ungeheuer hatte sie längst entdeckt. Es gab kein Entrinnen. Jetzt nicht mehr. Sie hatte sich selbst ausgeliefert. Als sie den brutalen Griff spürte, schrie sie ein letztes Mal auf. Sie riß die Augen weit auf und starrte genau in die monströse Fratze, die sie im dunklen Park längst nicht so deutlich gesehen hatte. Das war ein Höllenwesen. Etwas so Grausiges war nicht von dieser Welt! Sie wußte, daß das Monster kurzen Prozeß machte. Bei dem Professor hatte es auch nicht gezögert. Warum schlug es nicht endlich zu? Dann hatte sie alles überstanden. Das Scheusal las anscheinend ihre Gedanken. »Noch nicht«, krächzte es wild. »Du bist nicht wichtig. Ein Feind ist in mein Reich eingedrungen. Er ist dabei, zu meinem Geheimnis vorzustoßen. Das muß ich verhindern. Ich werde ihn fortlocken. Dazu brauche ich dich lebend. Nur wenn er die Chance sieht, dich zu retten, wird er mir folgen. Dann töte ich euch beide und herrsche wieder uneingeschränkt über die toten Seelen.« Das Monster brachte ein Geräusch hervor, das einem höhnischen Lachen glich. »W-wer ist dieser Feind?« stotterte Babsy Carr. Das Ungeheuer warf sich die Blondine über die Schulter und kicherte. »Jemand, von dem du dir sehnlichst wünscht, mit ihm vereint zu sein. Im Tod seid ihr vereint. Du und Mac Kinsey! Ich werde auch eure toten Seelen bewachen. Bald!« Es stapfte aus dem Zimmer, fuhr mit dem Fahrstuhl in das Kellergeschoß und strebte dem Duschraum im Fitneß-Center zu. *
Ich schuftete, bis mir der Schweiß in Strömen den Rücken hinunterrann. Für einen einzelnen Mann war das Wegräumen sämtlicher Leichen eine kräfteraubende Arbeit, die durch die stickige Luft nicht erleichtert wurde. Ich hätte zurückgehen und Hilfe holen können, aber ich wollte keine Zeit versäumen. Der Dämon konnte bald wieder zuschlagen. Ich mußte ihm zuvorkommen. Als ich fast fertig war, durchrieselte mich plötzlich ein eigenartiger Schauer, der mich in tiefste Erregung versetzte. Gefahr! Das war ein mir inzwischen bekanntes Signal, wenn unangenehme Ereignisse auf mich zukamen. Rasch vergewisserte ich mich, daß ich noch immer allein war. Auch über die Treppe, die ich benutzt hatte, näherte sich niemand. Weiter! Ich mußte es schaffen. Erst wenn sich die rätselhafte Waffe in meinem Besitz befand, konnte ich der Begegnung mit dem Monster ruhiger entgegensehen. Hastig trug ich die letzten Gerippe in die Ecke. Dann sah ich eine Klappe, die mit einem riesigen Schloß gesichert war. Ich hatte keine Möglichkeit, es mit bloßen Händen zu öffnen. Fieberhaft suchte ich nach einem Ausweg. Vielleicht ließ sich die ganze Klappe ausheben und auf diese Weise das Schloß überlisten. Es ging nicht. Ich brauchte Werkzeug, um den Durchlaß gewaltsam aufzubrechen. Zwar trug ich meine Automatic und das Messer bei mir, doch damit brauchte ich erst gar nicht anzufangen. Am besten war eine Spitzhacke geeignet, mit der ich die umfassenden Steine herausschlagen konnte. Den Schlüssel für das Schloß gab es vermutlich schon längst nicht mehr. Ich brauchte nicht danach zu suchen, denn auch in den Pergamenten wurde
er nicht erwähnt. Enttäuscht richtete ich mich auf. Ich hatte gehofft, es alleine schaffen zu können, aber die Bewältigung von Unmöglichem war mir auch beim Secret Service nicht beigebracht worden. Erst jetzt spürte ich, wie geschafft ich war. Ich steckte die beiden Pergamente sorgfältig zu mir und trat den Rückweg an. Dabei achtete ich auf jedes Geräusch, das ich nicht selbst verursachte. Anfangs war es grabesstill. Ich stieg die Treppe hinunter, durchmaß den Raum mit eiligen Schritten und turnte an dem Gestänge hinauf, das durch das Katzenmaul in das darüber befindliche Gewölbe führte. Kaum steckte ich den Kopf durch das Mosaik, als ich ein fürchterliches Rumoren vernahm. Es kam nach meiner Überzeugung genau aus jenem Rohr, durch das ich selbst gerutscht war. Vorsichtshalber zog ich mich zurück. Was konnte das sein? Ich hatte das Abflußgitter im Duschraum hinter mir geschlossen, um keinen anderen auf diesen Weg aufmerksam zu machen. Wenn ihn trotzdem jemand gefunden hatte, konnte es nur der sein, der sich hier unten besser auskannte als ich, weil er hier zu Hause war: der Dämon. Wenn er mich hier erwischte, kam ich nicht mal mehr dazu, mein Testament zu machen. Er war zweifellos stärker als ich. Mit Leichtigkeit hatte er Jansen das Rückgrat gebrochen, und ich hatte die Knochenbrüche der übrigen Toten gesehen. Er war eine gnadenlose Mordmaschine, und auf mich hatte er es sicher ganz besonders abgesehen. Ich mußte ihn auf irgendeine Weise an mir vorbeilassen, ohne daß er mich bemerkte. Als ich ihn dann sah, erschrak ich zutiefst. Mein Plan schei-
terte, bevor ich ihn überhaupt begonnen hatte. Das Monster war nicht allein! Es trug ein blondes Mädchen auf dem gewaltigen Rücken. Babsy Carr! War sie tot? Nach allem, was ich über den Dämon wußte, war damit zu rechnen. Doch es sah so aus, als bewegte sie sich noch. Wenn das zutraf, konnte ich sie keinesfalls dem Dämon überlassen. Ich mußte ihr helfen. Das Monster stampfte nun durch das Gewölbe. Es graunzte angriffslustig. In seiner Nähe war ein phosphoreszierendes Leuchten, so daß ich jede Bewegung genau sah. Es kam auf die Katze zu. Noch schien es mich nicht entdeckt zu haben. Es war ganz mit seinem jüngsten Opfer beschäftigt, das tatsächlich noch lebte. Babsy Carr stöhnte, und als sie plötzlich die Augen weit aufriß und schreien wollte, sah sie mich und rief: »Mac! Helfen Sie mir – o mein Gott, helfen Sie mir doch!« Ich war entdeckt. Jetzt durfte ich nicht länger zögern. Solange das Monster sein Opfer trug, war es in den Aktionsmöglichkeiten eingeengt. Ich warf mich vor und riß dem Scheusal eines der wuchtigen Beine weg. Es war wie eine Säule, aber der Koloß wankte. Er ließ die Blondine los, schlug aber reaktionsschnell nach ihr. Ich war noch schneller. Ich fing Babsy Carr auf und tauchte mit ihr unter den Armen des Ungeheuers hinweg. »Schnell, da hinauf!« schrie ich und deutete auf die Röhre, die den Fluchtweg bedeutete. Während Babsy Carr tatsächlich meiner Anweisung folgte und sich in die Röhre zog, versuchte ich, das Monster aufzuhalten. Lange schaffte ich das sicher nicht. Ich mußte im Gegenteil aufpassen, nicht von einem der fürchterlichen Hiebe getroffen
zu werden. Sonst war es um mich geschehen. Ich hatte die Erfahrung gemacht, daß fast jedes Wesen, und schien es noch so unüberwindlich zu sein, eine Schwachstelle aufwies, an der es empfindlicher war als an den übrigen Körperpartien. Wenn es dort auch nicht mit bloßen Händen umzubringen war, so empfand es doch Schmerzen oder konnte vorübergehend geschwächt werden. Oft waren es die Augen. Folglich riß ich mein Messer aus der Tasche und versuchte, damit eines der glühendroten Augen zu treffen. Das war gefährlich, denn ich mußte mich dazu sehr nahe an den Dämon heranwagen. Das konnte meinen Tod bedeuten. Babsy Carr jammerte. In dem schrägen Rohr kam sie nicht vorwärts. Sie rutschte immer wieder zurück. Sie war fast nackt und mußte eigentlich entsetzlich frieren. Ich sah aber, daß sie schwitzte. Die Todesangst bewirkte das. Das Monster grunzte höhnisch auf. Da stieß ich zu. Das Messer bohrte sich tief in sein linkes Auge. Ich ließ es stecken und sprang sofort zurück. Gleichzeitig zerrte ich die Automatic aus der Tasche und feuerte dem Scheusal sämtliche Kugeln, die das Magazin enthielt, in die grauenvolle Fratze. Ich wartete nicht den eventuellen Erfolg ab, sondern jagte zu der Röhre und warf das Mädchen förmlich hinein. Dann schwang ich mich selbst hoch und kroch weiter, immer bemüht, nicht zurückzurutschen. Das kostete eine Menge Kraft, von der mir kaum noch welche zur Verfügung stand. Hinter uns hörte ich ein markerschütterndes Brüllen. »Du entkommst mir nicht, Mac Kinsey! Ich bringe dich um, das schwöre ich dir!« Meine Waffen hatten ihm also tatsächlich nichts anhaben können. Das hatte ich befürchtet. Der Kampf war noch lange
nicht vorbei. Doch bevor ich daran denken konnte, mußte ich erst das Mädchen in Sicherheit bringen. Offenbar hatte es als Lockmittel dienen sollen. Sonst hätte der Dämon es doch sofort getötet. Ich schob Babsy Carr vorwärts. Hinter mir hörte ich das Monster schnaufen. Es verfolgte uns. Der Gang, in dem wir uns momentan befanden, war so eng, daß ich mich nicht umsehen konnte. Aber ich glaubte, heißen Atem in meinem Nacken zu spüren. Babsy Carr brach immer wieder zusammen. Vor Schwäche und vor Entsetzen. Ich konnte sie nicht tragen. Dafür war kein Platz. Wüstes Schnaufen ertönte hinter uns. Auch ,das Monster kam offenbar schlecht voran. Es war noch größer und breiter als ich. Das bedeutete hoffentlich unsere Rettung. Endlich hatten wir die Eisensprossen vor uns, die nach oben führten. »Ich kann nicht mehr«, stöhnte Babsy Carr. »Sie müssen«, forderte ich unerbittlich. »Reißen Sie sich zusammen! Hinauf mit Ihnen!« Ich wußte, daß ich von dem Mädchen Unmögliches verlangte. Es war ein Wunder, daß es Babsy überhaupt bis hier geschafft hatte. Zum Glück bot das senkrechte Rohr genug Platz, daß ich es um die Taille packen und nach oben schleppen konnte. Ich schleuderte das Abdeckgitter zur Seite und zwängte mich mit meiner nahezu bewußtlosen Last durch die Öffnung. Etwas griff im selben Moment nach meinen Beinen. Ich trat zu, und der Griff lockerte sich. Der Duschraum war unverändert. Hier sah man nicht, was sich in der Zwischenzeit tief unten zugetragen hatte. Babsy Carr klammerte sich an mich. Ich spürte das heftige
Schlagen ihres Herzens durch den dünnen Stoff ihres Nachthemds. Eine Situation, die mich an andere Dinge denken ließ als an Dämonen, die hinter uns her waren. Im Eilschritt durchquerte ich mit ihr den Trainingsraum, erreichte die Treppe und jagte hoch. Außer Atem kam ich in der Halle an. Der Nachtportier war eingeschlafen. Erst als ich ihn rüttelte, schreckte er hoch. Vielleicht lag es aber auch an dem ohrenbetäubenden Krachen, das auch mich herumfahren ließ. Ich sah, daß die gläserne Eingangstür des Hotels zersplittert war. Es sah aus, als wäre jemand mitten hindurchgesprungen. Rasch ließ ich Babsy Carr zu Boden gleiten und rannte zur Tür. Das Monster war draußen auf der Straße. Seiner Wut über die entgangenen Opfer ließ es freien Lauf. Es riß Pflastersteine heraus und feuerte sie in die Fenster der unteren Etagen, es rannte gegen einen Laternenmast und bog ihn um, es hetzte über die Straße in den Park und entwurzelte dort ein paar Bäume, und schließlich verschwand es in der Erde wie schon ein paar Stunden zuvor. Das war meine Chance. Der Weg zu der Waffe war frei. Ich wußte nicht, ob der Dämon noch in dieser Nacht zurückkehrte. Auf alle Fälle wollte ich ihm dann gut gerüstet entgegentreten. Der Nachtportier sah mich entgeistert an, als ich auf ihn zuging. Er hob abwehrend die Hände und stieß den Stuhl, auf dem er gesessen hatte, zurück. »Sie – Sie müssen verrückt sein!« stammelte er. »Das wird Sie eine Kleinigkeit kosten. Die Tür war aus Spezialglas.« Jetzt war es an mir, ihn verblüfft anzusehen. Hatte er nicht mitgekriegt, daß die Tür schon hinüber war, als ich hinlief? Aber das war Nebensache. Ich war nicht hier, um mit einem
Portier zu streiten und Spezialglastüren zu bezahlen. . »Ich brauche schnellstens eine stabile Spitzhacke«, erklärte ich, »und nach Möglichkeit noch eine starke Zange, mit der man Vorhängeschlösser knacken kann!« Jetzt war es ganz aus. Er starrte mich an, als hätte ich seit Jahren schon einen Stammplatz in der Heilanstalt und sei von dort eben mal entwischt. »Ich rufe die Chefin!« würgte er hervor. »Sie sind ja gemeingefährlich! Wollen Sie noch mehr demolieren? Was haben Sie mit dem Mädchen angestellt, Sie?« Daß Babsy Carr keineswegs tot war, konnte er im nächsten Augenblick sehen. Sie kroch nämlich zu einem Ledersessel hinüber und beobachtete von dort aus unsere Auseinandersetzung. »Machen Sie schnell, Mann!« drängte ich den Portier. »Sonst kriegen Sie eine Menge Ärger.« »Keine Drohungen!« kreischte er spitz. »Sie können mir gar nichts befehlen! Ich rufe die Polizei!« Tatsächlich griff er nach dem Telefonhörer und nahm ihn von der Gabel. »Das können Sie später immer noch erledigen. Ja, das verlange ich sogar von Ihnen. Das Hotel wird geräumt, und wenn sich Mistress Spencer auf den Kopf stellt! Was ist jetzt mit der Hacke?« »Ich sage nein.« Ich kochte über. Es mochte ja sein, daß sich der Mann korrekt verhielt. Wo kam man da hin, wenn man in jedem Hotel Spitzhaken an aufgeregte Gäste verteilte? Aber die Zeit rann mir unter den Fingern davon. Die Sekunden, die ich hier verlor, fehlten mir vielleicht später, wenn mich der Dämon angriff und ich die Waffe noch nicht hatte. Meine Hände schossen über den Tresen und packten den
Mann an den Schultern. Ich zog ihn zu mir herüber, bis seine erschrockenen Augen dicht vor den meinen waren. »Unter diesem Hotel liegen mindestens dreißig Tote«, brüllte ich ihn an. »Wollen Sie der nächste sein?« Natürlich faßte er das wieder falsch auf. »Hilfe!« schrie er. »Überfall! Er will mir ans Leben!« Ich schob ihn zurück. Es war sinnlos. Die Zeit war zu knapp, um einen aus dem Schlaf geschreckten Nachtportier von den Tatsachen zu überzeugen. Babsy Carr war mir keine Hilfe. Sie hätte die Wahrheit bestätigen können, aber sie brachte kein Wort heraus. Das Erlebnis hatte sie geschockt. Ich glaubte nicht, daß ihr meine Nähe jetzt angenehm war. Irgendwo mußte es hier doch einen Raum geben, in dem ich Werkzeug fand. Ich riß die erste Tür auf. Es handelte sich um eine winzige Küche. Hier konnte sich der Nachtportier vermutlich einen Kaffee kochen, damit er im Dienst nicht einschlief. Hätte es der Kerl bloß getan. Ich wußte, daß Mrs. Spencer im Hotel schlief. Ihre Privaträume grenzten an ihr Büro. Da sie offensichtlich einen gesunden Schlaf hatte, mußte ich sie wecken. Sie wußte besser, worum es ging, als ihr vernagelter Nachtportier. Ich kam aber gar nicht dazu, die Tür zum Büro zu öffnen. Der Lärm hatte etliche Männer auf den Plan gerufen. Die meisten waren hier angestellt, einige gehörten zu den Gästen. Ich sah auch Daniel Nelson, der sich im ›Sahara‹ einquartiert hatte, bis seine Frau wieder auftauchte. Er kannte die schreckliche Wahrheit nicht. Der Portier zeterte und behauptete, ich habe Miß Carr mißhandelt, das halbe Hotel demoliert und schließlich auch noch ihn umbringen wollen. Jetzt wolle ich Mrs. Spencer im Schlaf
überraschen. Ich sei der übelste Schurke, der jemals seinen Fuß in das ›Sahara‹ gesetzt habe. Sie sahen die wimmernde Blondine, sie sahen die zertrümmerte Glastür und meinen zerfetzten Anzug, der jedem Landstreicher zur Ehre gereicht hätte. Weitere Beweise brauchten sie nicht, zumal ich ja tatsächlich in das Büro eindringen wollte. Sie machten Front gegen mich. Ich versuchte zwar, ihnen zu erklären, daß in Wirklichkeit das Monster an allem schuld sei, doch ich predigte tauben Ohren. Da wußte ich, daß ich mich prügeln mußte. Ich entledigte mich meiner Jacke und schleuderte sie ihnen entgegen, um sie aufzuhalten. Leider erreichte ich damit das Gegenteil. Aus den Taschen der Jacke fielen die Schmuckstücke, die ich dem toten Sullivan abgenommen hatte, um sie der rechtmäßigen Besitzerin wiederzugeben. »Der Hoteldieb!« schrie einer und zeigte auf mich. Jetzt war die Hölle los. * Zwei baumlange Kerle rannten gegen mich an und schwangen die Fäuste. Ich war nicht mehr besonders in Form. Das Umsetzen der Toten und die Flucht vor dem Monster hatten an meinen Kräften gezehrt. Nur der Wille, unbedingt die Dämonenwaffe in die Hand bekommen zu müssen, hielt mich noch aufrecht. Ich empfing die rabiaten Burschen mit gezielten Gegenangriffen. Einer fiel sofort hin. Der andere betastete sein Kinn, wurde blaß und wankte zu den anderen zurück. Dabei wimmerte er:
»Er schlägt uns alle tot. Er ist das Monster.« Ein paar ließen sich durch diese alberne Behauptung wirklich aufhalten. Die meisten aber sahen nicht den Dämon, sondern einen Burschen in mir, dem eine anständige Tracht Prügel gut bekommen würde. Ich hatte alle Hände voll zu tun, zumal die Angreifer immer mehr Verstärkung erhielten. Der Lärm war fast bis zum obersten Stockwerk zu hören. Ich wehrte mich verbissen. Immer wieder nahm ich einen Anlauf, bei dem ich die wahren Zusammenhänge betonte. Aber keiner hörte mir zu. Der Nachtportier beteiligte sich zwar nicht an dem Handgemenge, aber er feuerte die anderen immer wieder begeistert an und warnte den einen oder anderen vor einem drohenden Treffer. Ich stand auf verlorenem Posten. Den Weg in das Büro von Mrs. Spencer hatten sie mir gleich zu Beginn abgeschnitten. Ich erhielt einen Stoß in den Rücken und flog nach vorne. Da erwarteten mich geballte Fäuste, und eine traf mich knapp unterm rechten Auge. Wahrscheinlich würde es zuwachsen. Das waren einmalige Voraussetzungen für den Kampf mit dem Dämon. Mich packte maßlose Wut. Mit einem Riesengebrüll, vor dem ich fast selbst erschrak, stürzte ich mich auf die ganze Bande. Ich stieß einen Mann in das Knäuel. Die Wirkung konnte sich sehen lassen. Ich hatte eine Gasse gemäht. Sie schoben Nelson nach vorne. Den schonte ich. Der Mann hatte noch einen schweren Schlag zu verkraften. Dafür langte ich dem Portier eine, der sein Schandmaul einfach nicht halten wollte.
Plötzlich begann der Leuchter an der Decke zu flackern. Der zu erwartende Stromausfall versetzte die Streithähne in Panik. Sie schrien durcheinander. Jeder versuchte, sich aus dem Gedränge zu befreien und scheute sich dabei nicht, über seinen Nachbarn zu klettern. Schlagartig hatten die Leute kein Interesse mehr an mir. Das war gut, denn zu meinem Schrecken sah ich, daß Babsy Carr genau unter dem Kronleuchter kauerte, der jetzt auch noch hin- und herzuschwingen begann. Ich rechnete damit, daß er auf sie niederstürzte. Ich sprang einfach los, griff mir das Mädchen und riß es aus dem Sessel. Als ich mich mit ihm in der Nähe der Treppe befand, schossen grelle Blitze in allen Farben der Hölle aus dem Leuchter. Es krachte und qualmte. Die Männer hasteten angstvoll nach allen Seiten davon. Draußen fuhr in diesem kritischen Moment ein Wagen vor. Der Schlag wurde zugeworfen. Eine Frau trat verwundert durch die zersplitterte Tür.»Was ist denn hier los?« fragte sie streng. Es war Mrs. Spencer. Ich hätte sie gar nicht in ihrem Bett vorgefunden. Jetzt war mir auch klar, warum sie durch den Höllenlärm nicht aufgeweckt worden war. Der Kronleuchter gab noch ein paar Blitze von sich. Dann glimmte das Licht wieder auf. Der Nachtportier klagte seiner Chefin sein Leid, indem er mit dem Finger auf mich zeigte. »Er hat eine Spitzhacke von mir verlangt und dreißig Menschen ermordet.« Mrs Spencer schnaubte ihn an. »Sie sind ja nicht bei Trost!« Dann wandte sie sich an mich. Aber an meinem Gesichtsausdruck merkte sie wohl, daß an der Sache etwas dran war. »Das ist doch nicht wahr, Mr. Kin-
sey, oder?« »Teils, teils. Die Hacke brauche ich unbedingt. Die Toten gehen allerdings auf das Konto des Monsters. Machen Sie bitte schnell. Ich darf nicht noch mehr Zeit verlieren.« In Stichworten erklärte ich ihr, was ich unten gefunden hatte. Ich erwähnte Sullivan und den Finnen, hütete mich aber, den Namen Caroline Nelson zu nennen. Das war aber nicht nötig. Der Produzent schrie auf und jammerte immer wieder: »Carol! Carol!« Er war Realist und konnte zwei und zwei zusammenzahlen. »Die Opfer hatten zweifellos einen raschen Tod«, sagte ich zu Mrs. Spencer, aber laut genug, daß auch Nelson es hören konnte. Ein Trost war ihm das sicher nicht. »Und was wollen Sie mit der Spitzhacke?« Ich erklärte es ihr. »Ich muß das Schloß aufbrechen. Dahinter werde ich die Waffe finden, mit der der Dämon zu besiegen ist. Wenn mir das nicht gelingt, wird er weitermorden, und Ihr Hotel bleibt eine tödliche Falle.« »Entsetzlich!« Sie schüttelte sich. Sie glaubte mir und gab Anweisung, mir die gewünschten Werkzeuge zu bringen. Zwei Angestellte eilten davon. Babsy Carr hatte mitbekommen, was ich vorhatte. Sie warf sich aufschluchzend an meinen Hals und stammelte: »Ich lasse dich nicht wieder dort hinunter! Das Scheusal bringt dich um! Du mußt bei mir bleiben, Mac!« Ich schob sie mir energisch vom Leib. Sie tat mir leid, aber es ging jetzt um andere Dinge als darum, was sie wollte. »Seien Sie vernünftig, Babsy«, forderte ich. »Ich muß wieder hinunter, es gibt gar keine andere Möglichkeit. Soll denn die Angst vor dem Monster nie enden?« Sie prallte zurück. In diesem Moment begriff ich, daß sie ein
ziemlich verzogenes und verwöhntes Mädchen war. Die Hacke und die Zange wurden gebracht. Ich nahm sie entgegen und prüfte ihre Stabilität. Ein drittes Mal wollte ich den beschwerlichen und gefahrvollen Weg nicht zurücklegen. Diesmal mußte es klappen. »Nach allem, was Sie mir erzählt haben, kann ich nicht zulassen, daß Sie sich allein dieser Gefahr aussetzen, Mr. Kinsey«, sagte Mrs. Spencer ernst. »Wenn Ihnen etwas zustößt, sind wir arm dran. Es ist besser, wenn ein paar entschlossene Männer Sie begleiten.« Ich lächelte. »Ich glaube kaum, daß sich jemand bereit erklärt.« Ich behielt recht. Jetzt, nachdem die Hotelchefin mir offensichtlich Glauben schenkte, beurteilten sie meine Behauptungen anders. Sie dachten nicht daran, ihr Leben aufs Spiel zu setzen. »Da sehen Sie es selbst, Mrs. Spencer«, meinte ich. »Verständigen Sie inzwischen Scotland Yard. Von dort wird man alles Nötige veranlassen.« Ich dachte an das Abriegeln des Häuserblocks, an die Bereitstellung von Krankenwagen und Transportmitteln für die Reisewilligen und an die Alarmierung der Feuerwehr. »Dann begleite ich Sie eben«, sagte sie entschlossen. Ich sah sie überrascht und prüfend an. Diese Frau hatte bisher nicht gerade einen einsichtigen Eindruck auf mich gemacht. Was sollte ich mit ihr? Sie würde mich im Ernstfall behindern. Es war genug, wenn ich auf mich selbst aufpassen mußte. Das sagte ich ihr in etwas netterer Form. Für ihre gute Absicht wollte ich sie nicht auch noch kränken. Sie war nicht beleidigt. Mit geheimnisvoller Miene zog sie
ein flaches Etui aus der Handtasche und sagte leise: »Sie haben sich vielleicht gewundert, wo ich um diese Zeit war. Ich muß Ihnen gestehen, daß ich bei einem entfernten Freund Rat gesucht habe. Ich habe ihm meine Probleme geschildert, und er hat mir das hier gegeben.« Sie klappte das Etui auf. Ich sah zwei flache, rechteckige Holzstücke, die an schwarzen Kordeln hingen. In das Holz waren seltsame Zeichen eingearbeitet, wie ich sie noch nie gesehen hatte. »Was ist das?« fragte ich. »Amulette. Sie sind nicht stark genug, einen Dämon zu töten, aber sie halten ihn für kurze Zeit auf Distanz. Wenn wir wirklich Schwierigkeiten bekommen, wird uns wenigstens die Flucht gelingen. Mein Freund kennt sich in diesen Dingen aus,. Ich hätte schon viel eher zu ihm fahren sollen.« Sie nahm eines der Amulette und hängte es mir um den Hals. Das andere behielt sie selbst. Ich zögerte noch immer. Zweifellos war der Schutz eines geeigneten Amuletts gar nicht hoch genug einzuschätzen. Ob unser Dämon darauf ansprach, wußte ich natürlich nicht. Ich konnte es nur hoffen. Ich klaubte meine Jacke auf, in der die beiden Pergamenthälften steckten, und belud mich mit dem Werkzeug. »Gehen wir!« sagte ich knapp. Ich tastete nach dem Amulett. Die erhoffte beruhigende Kraft ging nicht von ihm aus. * Ich ging voraus, ich kannte ja den Weg. Mrs. Spencer sagte kein Wort. Das war mir angenehm. Die Luft war ohnehin dünn und schlecht. Da war es besser, auf überflüssige Unterhaltung zu verzichten.
Ich hatte keine Hand frei. In der einen hielt er die riesige Zange, in der anderen die Hacke. Das behindert mich beim Abstieg gewaltig. Trotzdem drängte ich nur voran durch die Röhren und Gänge. Mrs. Spencer schnaufte vor Anstrengung. Ich durfte auf sie dennoch keine Rücksicht nehmen. Ich hatte schon viel zu viel Zeit verloren. Wer sagte mir, daß der Dämon nicht in der Lage war, einen völlig anderen Weg zu nehmen, nachdem er auch in der Erde verschwinden konnte? Die schräge Rinne hatte ich noch in schlechter Erinnerung. Beim Hinunterrutschen bekam man ganz schön Fahrt drauf. Ich warnte Mrs. Spencer, damit ich sie nicht mit der Spitzhacke aufspießte. Sie verstand und hielt ausreichenden Abstand. Wir sausten hinab. Dann standen wir vor dem Mosaik der schwarzen Katze. Der Mechanismus hatte sich in der Zwischenzeit geschlossen, aber er gehorchte mir auch diesmal. Mrs. Spencer kam aus dem Staunen nicht heraus. »Wie haben Sie das alles nur herausgefunden?« fragte sie beeindruckt. Ich gab zu, daß ich ohne Jansens Pergament den Weg nie entdeckt hätte. »Die zweite Hälfte des Schriftstückes habe ich bisher erst zur Hälfte studiert«, sagte ich, »Da ist von einem Labyrinth die Rede. Ich hoffe, daß die Anweisungen klar und eindeutig sind. Schon mancher hat aus einem Labyrinth nicht mehr herausgefunden.« Wir hasteten die mittlere Treppe hinauf. Wohin die beiden anderen führten, ließ sich später immer noch ergründen – falls es erforderlich war. Mrs. Spencer war durch meine Schilderung auf den Anblick
vorbereitet. Trotzdem zuckte sie zusammen, als sie den Berg der Toten sah. »Es ist nicht zu fassen«, stieß sie entsetzt hervor. »Und das unter meinem Hotel! Grauenhaft!« Ich deutete auf die Bodenklappe, die mit dem mächtigen Schloß gesichert war. »Hier ist es. Dahinter muß das Labyrinth beginnen.« Sie hielt die Taschenlampe, damit ich besser sehen konnte. Ich entledigte mich der Jacke und versuchte es mit der Zange. Der Schloßhügel mußte gehärtet sein. Er hielt stand. Nur eine unbedeutende Schramme war das ganze Ergebnis. Dafür war die Zange ruiniert. Das war ein schlechtes Omen. Ich packte die Spitzhacke und holte kräftig aus. Dicht neben der Klappe grub sich das Eisen in den Boden. Etwas Gestein spritzte heraus. Das spornte mich zu größtem Eifer an. Ich schuftete wie ein Wilder. Ich mußte mir das Hemd aufknöpfen und berührte dabei das hölzerne Amulett. Es schien zu glühen. Es war kochendheiß. Verbissen arbeitete ich weiter, bis endlich der erste Stein herausbrach. Von da ab ging es leichter. Stein um Stein legte ich beiseite, und endlich konnte ich die Klappe hochwuchten. Sie gab ein paar ausgewaschene Steinstufen frei. Dahinter erblickte ich ein Gewirr von Gängen. Ich griff nach der Jacke, um die Pergamente herauszunehmen. Die Tasche war leer. Ich spürte Unbehagen. Dann sah ich, daß Mrs. Spencer sie an sich genommen hatte und sich darin vertiefte. »Geben Sie mir das Blatt mit der fehlenden Ecke«, sagte ich und streckte die Hand aus. »Nein!« Ihre Stimme war so kalt wie Eis.
Ich erschrak. Ich sah den plötzlichen Haß in ihren Augen und wußte Bescheid. Sie hatte einen niederträchtigen Grund gehabt, mich zu begleiten. Sie wollte nicht, daß ich die Waffe fand. »Sie sind sehr gerissen, Mac Kinsey«, sagte sie widerwillig. »Sie sind weiter vorgedrungen als je ein Mensch vor Ihnen. Jedenfalls lebend. Aber hier ist Ihr Weg zu Ende. Auch Sie werden sterben.« Vorsichtshalber packte ich die Spitzhacke, um mich notfalls zur Wehr setzen zu können. Aber sie griff mich nicht an. »Sie suchen die Waffe, aber Sie werden Sie nicht bekommen. Ich habe den Plan des Labyrinthes.« Triumphierend hob sie ihn hoch, allerdings so, daß ich das Geschriebene nicht erkennen konnte. Ich schaltete blitzschnell. Auf einmal wußte ich, warum ich im ganzen Hotel immer wieder auf dämonische Strahlungen gestoßen war. Sie gingen von ihr selber aus. Sie war der Dämon! Das Amulett! schoß es mir durch den Kopf. Es sollte mich nicht schützen, sondern bannen. Und ich spürte, wie ein fremder Wille in mich strömte. Ich packte die schwarze Kordel und riß sie mir vom Hals. Es tat höllisch weh, aber wenigstens war ich das Teufelsholz los. Mrs. Spencer hatte sich alles raffiniert ausgedacht. War das Monster ihr Werkzeug? Würde sie es herbeizitieren, damit es auch mich ermordete? Oder konnte sie sich verwandeln? Ich starte das Pergament so intensiv an, wie es nur ging. Die höllische Frau ahnte nichts von meiner ›Gabe‹. In manchen Situationen entwickelte ich fast hellseherische Fähigkeiten. So konnte ich auch jetzt das verdeckte Schriftstück Wort für
Wort lesen. Ich prägte mir den Text genau ein. Ich durfte keine Silbe davon vergessen. »Jansen hätte mich um ein Haar entlarvt«, höhnte Mrs. Spencer. »Aber er war mir nicht gewachsen. Keiner ist das. Ich bin der gewaltigste Dämon, der das Böse auf die Erde trägt. Die einzige Waffe, die mir schaden könnte, ist unerreichbar. Da ich sie selbst nicht berühren kann, habe ich vor langer Zeit dieses Labyrinth darüber errichtet und dann das Hotel darauf bauen lassen. So konnte ich unbemerkt mein Imperium beherrschen. Das Hotel ist eine Menschenfalle. Ich schlage zu, wenn ich es für nötig halte, und jetzt ist es nötig.« Sie lachte wild auf. Es fiel mir nicht leicht, einen kühlen Kopf zu behalten. Sie hatte mich in die Falle gelockt, nachdem alle Versuche, mich auszuschalten, fehlgeschlagen waren. Das Bildnis des angeblichen Urgroßvaters ihres angeblichen Mannes, die Säure im Whiskyglas, die Fratzen und Gestalten, sie sollten mich vertreiben. Dann hatte sie zu stärkeren Mitteln gegriffen und Babsy Carr als Köder ausgelegt. Als auch dieser Trick versagte, ging sie aufs Ganze. Später würde sie erzählen, daß mich das Monster getötet hatte und ihr die Flucht mit Mühe und Not gelungen war. Niemand würde sie verdächtigen. Sie würde weiter ihre ahnungslosen Opfer in dieses Hotel des Grauens locken. »Sie – sie sind eine Ausgeburt der Hölle!« stieß ich keuchend hervor. »Ich verfluche Sie!« »Ich lache darüber«, höhnte sie. »Ich diene der Hölle, das ist richtig. Aber ich habe mir mein eigenes Reich geschaffen.« Sie machte eine Handbewegung ringsum und auf die Toten. »Ich sammle die toten Seelen. Sie geben mir Kraft und Stärke, um mein Reich zu erhalten und weiter aufzubauen. Die toten See-
len dienen mir. Und Ihre Seele wird mir, jetzt auch dienen. Bis in alle Ewigkeit.« Diese Aussicht gefiel mir nicht. Die Frau war eine Gefahr für alle Menschen. Dabei sah sie gar nicht furchterregend aus. Plötzlich knackte es in ihren Knochen. Sie schien zu wachsen und auch breiter zu werden. Ihr Gesicht veränderte sich auf grauenvolle Weise. Haare wuchsen darauf. Spitze Zähne schoben sich durch ihre Lippen. Ihre Augen begannen zu glühen. An den Händen zeigten sich messerscharfe Krallen. Das Monster stand vor mir, und es ging unverzüglich zum Angriff über. Ich hatte richtig vermutet – sie war das Monster. Ich fackelte nicht lange, sondern schlug mit der Spitzhacke zu. Das Werkzeug ging durch das Monster hindurch, das zornig aufbrüllte. Panik ergriff mich. Mir blieben zwei Möglichkeiten. Entweder versuchte ich ein zweites Mal, vor dem Ungeheuer zu fliehen. Dazu mußte ich aber erst mal an ihm vorbei. Was aber das Entscheidende war – es kam einer Kapitulation gleich. Oder ich zog mich in das Labyrinth zurück in der Hoffnung, an dessen Ende belohnt zu werden. Daß ich damit freiwillig in eine Sackgasse lief, war mir klar. Trotzdem gab es für mich kein Zögern. Ich dachte nur an die Dämonenwaffe, mit der ich dieses Ungeheuer endlich vernichten wollte. Ich ließ die Spitzhacke fallen. Mit einem gewaltigen Satz sprang ich in die Tiefe, ohne die Steinstufen zu benutzen.
Hinter mir ertönte Gelächter. Das Monster war sicher, daß ich mich in dem Irrgarten hoffnungslos erlief. Jetzt mußte es sich zeigen, ob es mir tatsächlich gelungen war, den ganzen verschlungenen Weg auswendig zu behalten. Nichts durfte mich ablenken. Nicht einmal ein Angriff des Scheusals. Die geringste Unaufmerksamkeit war mein Tod. Ich sah den Text des Pergaments vor mir. Ich schloß die Augen, um mich besser zu konzentrieren, und hastete vorwärts. Es war, als wäre ich diesen Pfad schon oft gegangen, so vertraut kam er mir vor. Doch das konnte sich schon an der nächsten Biegung dramatisch ändern. Das Monster ließ sich Zeit. Es wußte mich in der Falle. Erst als es begriff, daß ich kein einziges Mal eine falsche Abzweigung benutzte, beschleunigte er sein Tempo. »Kinsey!« brüllte es, daß es durch sämtliche Gänge hallte und von allen Seiten hundertfach auf mich eindrang. »Kinsey, ich töte dich! Ich bin deine Wächterin. Deine Seele gehört schon mir.« Nur nicht hinhören, sagte ich mir. Sie will dich durcheinanderbringen. Wenn ihr das gelingt, hat sie gewonnen! Und du bist erledigt! Ich wurde unsicher. Mußte ich nach rechts oder geradeaus? Wenn ich nur noch einen Blick auf das Pergament hätte werfen können. Trug sie es denn noch bei sich? Ich mußte meine Gedanken darauf konzentrieren. Es gelang. Der Text stand wieder klar vor mir, und ich erschrak, als sich herausstellte, daß ich den linken Weg einschlagen mußte. Durch dieses Zögern verlor ich wertvolle Zeit. Das Monster war jetzt knapp hinter mir. Es packte zu, bekam aber nur mein Hemd zu fassen. Es ging
in Fetzen, und eine blutige, schmerzhafte Spur zog sich über meinen Rücken. Da war ein Licht vor mir. Das Ende des Labyrinths. Was würde ich finden? Wie sah die Waffe aus? Woran sollte ich sie erkennen? Außer Atem stürzte ich in einen hohen Raum, in dessen Mitte eine Marmorfigur stand. Ihr fehlte der Kopf und eine Hand, aber sämtliche Archäologen wären über diesen Fund in Begeisterungsrufe ausgebrochen. Ich war nicht begeistert. Die Skulptur hielt keine Waffe in der unversehrten Hand. Und das Monster kam hinter mir her! Diesmal erwischte es mich. Es schleuderte mich quer durch den Raum. Ich krachte gegen irgendwelchen Schutt, der überall verstreut war. Mir flogen rote Kringel vor den Augen. Aber ich raffte mich hoch und stürzte vorwärts. Verdammt! Wo war die Waffe? Gab es sie gar nicht? Was hatte im Pergament gestanden? Das steinerne Herz in einem Meer aus Sand sollte aufhören zu schlagen, wenn es den Tod besiegt hatte! Die Statue! Sie besaß ein Herz aus Stein. Aber wie kam ich heran? Das Monster ließ mir keine Zeit zum Überlegen. Es holte zum vernichtenden Schlag aus. Ich sprang zur Seite und versuchte im nächsten Moment, die Skulptur umzustoßen. Ich schaffte es nicht. Sie war viel zu schwer. Es war aussichtslos. Ohne fremde Hilfe brachte ich den Koloß aus Marmor nicht zum Wanken. Vor dem nächsten Schlag des Ungeheuers rettete ich mich hinter die Figur. Beim folgenden Hieb wich ich im allerletzten Moment aus, und der Arm des Ungeheuers prallte gegen die
Statue. Sie stürzte unter der Wucht des Schlages um. Unter furchtbarem Krachen barst sie auseinander. Die antike Kostbarkeit war zertrümmert. Aber inmitten der Marmorbrocken blinkte etwas. Es sah aus wie eine schlanke, glühende Pyramide. Oder eine Art Pfeil. Tina Spencer, das Monster, brüllte vor Schreck auf und wollte in das Labyrinth zurückfliehen. Ich sah meine einzige Chance. Ich stürzte mich auf das blinkende Etwas und schleuderte es dem Ungeheuer mit der mir verbliebenen Kraft in den Rücken. Das Scheusal bäumte sich auf, während es markdurchdringend schrie. Dort, wo das Wurfgeschoß es durchbohrt hatte, wurde es durchsichtig. Die Zone breitete sich rasend schnell aus, und nach Sekunden war von dem Dämon nichts weiter übrig als die Pyramide, die nur noch ein paarmal aufblinkte und dann erlosch. Das steinerne Herz hatte den Tod besiegt und aufgehört zu schlagen. Es war nichts anderes mehr als ein gewöhnliches Stück Erz, als ich es vorsichtig aufhob. Ich setzte mich auf die Marmortrümmer. Noch konnte ich es nicht fassen. Es war doch noch gut gegangen. Jetzt würde Friede in das Sahara-Hotel einkehren. Die Toten wurden freilich nicht wieder lebendig. Und ihre Seelen irrten vielleicht irgendwo herum. Genau wußte ich es nicht. Ich hatte einen schwierigen Rückweg vor mir, aber auch den würde ich schaffen. Gegen das, was hinter mir lag, war das Labyrinth eine Kleinigkeit. ENDE
In vierzehn Tagen erhalten Sie den packenden Mac Kinsey-Gruselthriller Nr. 7. Das ist der Beginn eines unheimlichen Zweiteilers von Jake Ross und heißt
Der Kurier aus dem Jenseits Lesen Sie hier den Anfang und lassen Sie sich faszinieren. Die glühenden Fußtritte auf der Treppe waren die erste Warnung. Die Hexenblumen vor der Tür die zweite. Aber Miriam hoffte, doch noch in ihre Wohnung zu gelangen – zu den Zaubermitteln, damit sie gewappnet war. Doch sie hatte den Boten des Bösen unterschätzt. Die Schwarzwelt hatte ihr schon den Kurier aus dem Jenseits geschickt, und der hatte seine Falle aufgestellt. Er war nicht gekommen, um sie nur zu warnen. Er wollte sie gleich mitnehmen. In die Abrunde der Schwarzwelt. Miriam war voller Unruhe. Da war etwas, sie spürte es. Es betraf sie, niemand sonst. Sie erschauerte. Das Unbekannte war grausam, unheimlich und böse. Sie hob den Kopf und schaute über das Menschengewimmel in der Berwick Street hinweg. Wie jeden Tag war Markt. Fliegende Händler und ansässige Geschäftsleute hatten ihre traditionellen Stände aufgeschlagen und ihre Waren ausgelegt.
Es wurde gefeilscht und gelacht, geschimpft und geschoben. Viele Londoner kamen auf der Jagd nach einer günstigen Gelegenheit. Und viele Touristen wollten das unglaubliche Gewühl auf Londons ältestem nicht organisierten Markt mit eigenen Augen sehen. Das Unbekannte steckte irgendwo in dieser Menge. Es war ihr nahe. Es machte ihr Angst. Es war stärker als sie. Sie spürte die Macht. Der wolkenverhangene Himmel hatte eine unerklärliche Rötung angenommen. Genau über der Straße. Ausgeschlossen, dachte Miriam. Das kann nicht sein! Ein Mann stieß gegen sie, murmelte eine Entschuldigung und folgte ihrer Blickrichtung. »Unheimlich, nicht wahr?« sagte er. »Seit zwanzig Jahren komme ich auf den Markt, aber so etwas habe ich noch nie gesehen. Als hätte jemand die Wolken angezündet.« Kopfschüttelnd quetschte er sich weiter. Daß auch andere diese unheimliche Erscheinung der rötlich glühenden Wolken sahen, beruhigte Miriam keineswegs. Sie sah eigenartige Zusammenballungen. Und dann mitten drin ein schwarzes Loch wie das Tor zur Unendlichkeit. Sekunden später verschwand dieses Bild, der Himmel war wieder grau und glatt und trostlos. Er versprach einen soliden englischen Nieselregen. Miriam fühlte sich schutzlos. Sie preßte den Einkaufskorb an sich und kehrte zu dem Haus am Ende der Berwick Street zurück, in dem sie wohnte. Sie ging immer schneller. Schließlich rannte sie. In ihrer Wohnung war sie sicher – vielleicht. Dort hatte
sie ihre Zaubermittel zur Hand. Hier draußen war sie dem Unheimlichen ausgeliefert. Atemlos hastete sie ins Haus. Da –! Es war schon da. Es war vor ihr ins Haus gelangt. Auf den Holzstufen der Treppe prangten glühende Fußabdrücke. Sie spürte die grauenvolle Hitze. Und dennoch verbrannte das Holz nicht. Es waren wirklich die Abdrücke von Füßen und nicht von Schuhen. Miriam zitterte vor Entsetzen. Die glühende Spur führte hinauf, aber nicht wieder herab. In der ersten Eingebung wollte sie fliehen. Aber sie wußte, daß sie dann gar keinen Schutz mehr hatte. Sie mußte hinauf in die Wohnung, mußte versuchen, etwas zu retten. Sie achtete ängstlich darauf, nicht die glühenden Abdrücke zu berühren. Mit wild klopfendem Herzen langte sie oben an – und erstarrte. Die Spur der Abdrücke endete auf dem schäbigen Flur. Und vor ihrer Tür lag ein Strauß fremdartiger stinkender Blumen. Hexenblumen! Die Botschaft des Todes! Ein Gruß aus der Schwarzwelt! Soweit die Leseprobe vom Beginn des neuen Mac Kinsey-Grusel-Thrillers, den Sie in vierzehn Tagen erhalten. Dann ist wieder Kinsey-Time!