Hans-Georg Gadamer Vernunft im Zeitalter der Wissenschaft Aufsätze
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Hans-Georg Gadamer Vernunft im Zeitalter der Wissenschaft Aufsätze
Suhrkamp Verlag
Dritte Auflage 1991 © Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1976 Quellenangaben am Schluß des Bandes Druck: Nomos VerlagsgeseUschaft, Baden-Baden Printed in Germany
Vernunft im Zeitalter der Wissenschaft
Über das Philosophische in den Wissenschaften und die Wissenschaftlichkeit der Philosophie Daß das, was wir Philosophie nennen, nicht in demselben Sinne Wissenschaft ist wie die sogenannten positiven Wissenschaften, liegt auf der Hand. Ein Positives, Gegebenes, das von ihr erforscht würde und das neben den gegebenen Forschungsbereichen anderer Wissenschaften seinen Platz hätte, das ist ganz gewiß nicht der Fall der Philosophie. Sie hat es mit dem Ganzen zu tun. Dies Ganze ist aber nicht nur, wie jedes Ganze, das Ganze aller seiner Teile. Es ist als das Ganze eine alle endlichen Erkenntnismöglichkeiten übersteigende Idee, mithin nichts, was wir auf wissenschaftliche Weise erkennen könnten. Und doch behält es einen guten Sinn, von der Wissenschaftlichkeit der Philosophie zu reden. Mit Philosophie meint man ja vielfach so subjektive und private Dinge wie die eigene Weltanschauung, die sich über alle Ansprüche auf Wissenschaftlichkeit erhaben dünkt. Demgegenüber kann Philosophie mit gutem Rechte wissenschaftlich heißen, denn trotz allem Unterschied von den positiven Wissenschaften wahrt sie dennoch eine verbindliche Nahe zu ihnen, die sie von dem Bereich der auf subjektive Evidenzen gegründeten Weltanschauung scheidet. Das ist nicht nur von ihrer Herkunft her so. Dort sind auf untrennbare Weise Philosophie und Wissenschaft eines - und beides ist eine Schöpfung der Griechen. Mit dem umfassenden Titel Philosophie wurde bei den Griechen alles theore-
tische Wissen bezeichnet. Freilich von der Philosophie Ostasiens oder Indiens reden wir inzwischen auch mit dem griechischen Worte, aber wir beziehen damit solche Gedankengestalten in Wahrheit auf unsere abendländische philosophische und wissenschaftliche Tradition, konstruieren auch wohl aus ganz andersartigem Material, wie etwa Christian Wolff, wenn er die sapientia sinica als »praktische Philosophie« auffaßte. Philosophie heißt in unserem Sprachgebrauch aber auch all das, was hier »das Philosophische in den Wissenschaften« genannt werden kann, d. h. die Dimension der Grundbegriffe, die das jeweilige Gegenstandsfeld einer Wissenschaft bestimmen, wie etwa anorganische Natur, organische Natur, Pflanzenwelt, Tierwelt, Menschenwelt usw., und solche Philosophie will erst recht nicht ihrem eigenen Denk- und Wissensstil nach hinter der Verbindlichkeit der Wissenschaften zurückstehen. Sie nennt sich heute gern »Wissenschaftstheorie«, stellt sich aber unter den Anspruch der Philosophie, Rechenschaftsgabe zu sein. So stellt sich die Frage, wie sie das vermag, ohne Wissenschaft zu sein, die Verbindlichkeit der Wissenschaft zu besitzen, und insbesondere, wie sie das heute vermag, der philosophischen Forderung der Rechenschaftsgabe zu genügen, wo die Logik der Forschung ihrer selbst bewußt genug geworden ist, sich alle phantasievollen Spekulationen über das Ganze zu verbitten, die ihrem Gesetz nicht unterworfen sind. Nun sagt man zwar, daß das bloße Ausgreifen der Wissenschaften nach allen Seiten, das ihrem Methodengedanken Ausführung gibt, ein letztes Bedürfnis
der Vernunft unbefriedigt lasse, nämlich, im Ganzen des Seienden Einheit zu gewahren. Das Verlangen nach systematischer Zusammenfassung unseres Wissens bleibe daher der legitime Bereich der Philosophie. Aber gerade dieses Zutrauen zur Philosophie, systematische Ordnungsarbeit zu vollbringen, begegnet immer größerem Mißtrauen. Die Menschheit scheint heute auf eine neue Weise bereit, gleichsam die eigene Begrenztheit anzunehmen und trotz der unüberwindbaren Partikularität des Wissens, das die Wissenschaft weiß, in deren Fortschritt und der ihr verdankten steigenden Naturbeherrschung Genüge zu finden. Sie nimmt dabei sogar mit in Kauf, daß mit der steigenden Naturbeherrschung auch die Herrschaft von Menschen über Menschen nicht abnimmt, sondern gegen alle Erwartung immer größer wird und die Freiheit von innen bedroht. Es ist ja eine Folge der Technik, daß diese zu einer solchen Manipulation der menschlichen Gesellschaft, der öffentlichen Meinungsbildung, der Lebensführung aller, der Zeiteinteilung jedes einzelnen zwischen Beruf und Familie führt, daß es uns den Atem beklemmt. Metaphysik und Religion scheinen den Ordnungsaufgaben der menschlichen Gesellschaft besseren Anhalt geboten zu haben als die in der modernen Wissenschaft geballte Macht. Aber die Antworten, die sie zu geben behaupteten, sind der heutigen Menschheit Antworten auf Fragen, die man nicht wirklich fragen kann und die, wie sie meint, man auch nicht zu fragen braucht. So scheint heute wahr geworden, was noch Hegel aus seinem vollen Engagement in die Sache der Philosophie heraus als einen in sich unmöglichen Widerspruch emp-
fand, wenn er sagte, ein Volk ohne Metaphysik sei wie ein Tempel ohne Allerheiligstes, ein leerer Tempel, ein Tempel, in dem nichts mehr wohnt und der deshalb selber nichts mehr ist. Indes, »ein Volk ohne Metaphysik«! Man kann schwerlich überhören, daß in dieser Wendung Hegels das Wort »Volk« nicht auf eine politische Einheit, sondern auf eine Sprachgemeinschaft geht. Damit aber schiebt sich Hegels Satz, der Rührung und Heimweh erregen mochte oder auch den Spott der radikalen Aufklärer herausfordert, plötzlich wieder in unsere eigene Zeit- und Weltsituation hinein und läßt uns im Ernste fragen: Liegt in der Solidarität, die alle Sprecher einer Sprache eint, am Ende doch noch immer etwas, nach dessen Inhalt und Struktur sich fragen läßt und wonach keine Wissenschaft auch nur zu fragen vermag? Ist es am Ende bedeutsam, daß die Wissenschaft nicht nur nicht »denkt« - im emphatischen Sinne des Wortes, den Heidegger in seinem viel mißverstandenen Satze meint -, sondern auch nicht wirklich eine eigene Sprache spricht? Kein Zweifel, das Problem der Sprache hat innerhalb der Philosophie unseres Jahrhunderts eine zentrale Stellung errungen, die sich weder mit der älteren Tradition Humboldtscher Sprachphilosophie noch mit den umfassenden Ansprüchen der allgemeinen Sprachwissenschaft oder Linguistik deckt. Wir verdanken das in gewissem Umfang der Wiederbeachtung der praktischen Lebenswelt, die einerseits durch die phanomenologische Forschung, andererseits innerhalb der angelsächsischen pragmatischen Denktradition erfolgt ist. Mit der Thematisierung der Sprache, die unlösbar zur 10
menschlichen Lebenswelt gehört, scheint sich eine neue Grundlage für die alte Frage der Metaphysik nach dem Ganzen zu bieten. Sprache ist in diesem Zusammenhang nicht ein bloßes Instrument oder eine ausgezeichnete Ausstattung, die dem Menschen zukommt, sondern das Medium, in dem wir als gesellschaftliche Wesen von Anbeginn leben und das das Ganze offenhält, in das wir hineinleben. Orientierung auf das Ganze-so etwas liegt in Sprache freilich nicht, solange es sich um die monologischen Sprechweisen wissenschaftlicher Bezeichnungssysteme handelt, die sich ganz und gar von dem jeweils zu bezeichnenden Forschungsbereich her bestimmen. Überall dort aber kommt Sprache als Orientierung auf das Ganze hin ins Spiel, wo wirklich gesprochen wird, das heißt, wo das Zueinander zweier Sprecher, die ins Gespräch geraten, die »Sache« umkreist. Denn überall, wo Kommunikation geschieht, wird nicht nur Sprache gebraucht, sondern bildet sich Sprache. Daher kann sich Philosophie von der Sprache führen lassen, wenn sie ihrem Hinausfragen über alle wissenschaftlich objektivierbaren Gegenstandsbereiche nach dem »Ganzen« Führung geben will - und sie hat es immer schon getan, von den hinführenden Reden des Sokrates an und jener »dialektischen« Orientierung an den logoi, an denen Plato und Aristoteles in gleicher Weise für ihre gedankliche Analyse gleichsam Maß nehmen. Es ist jene berühmte zweitbeste Fahrt, zu der Sokrates im Platonischen Phaidon aufbricht, nachdem ihn die unmittelbare Erforschung der Dinge, wie die Wissenschaft seiner Zeit sie ihm angeboten hatte, in völlige Orientierungslosigkeit versetzt hatte. Es ist die
Wendung zur Idee, in der sich Philosophie als das Gespräch der Seele mit sich selbst, das heißt als Denken, in unendlicher Selbstverständigung vollzieht. Noch die Sprache der Hegeischen Dialektik, die die erstarrte Sprache der Begriffe in Satz und Gegensatz, Spruch und Widerspruch aufzuheben und über sich hinauszuheben strebt, denkt Sprache weiter und kehrt selbst in Sprache ein, sofern sie es ist, in der sich der Begriff zum Begriff bringt. Die Grundlage, auf der sich dergestalt in Griechenland Philosophie erhob, war zwar die Unbändigkeit des Wissenwollens, aber doch nicht das, was wir Wissenschaft nennen. Wenn der erste Name für die Metaphysik »erste Wissenschaft« (prima philosophia) lautete, so besaß solches Wissen von Gott, Welt und Mensch, die den Inhalt der traditionellen Metaphysik ausmachten, nicht nur auf unbestrittene Weise einen absoluten Vorrang gegenüber allem anderen Wissen, das in den mathematischen Wissenschaften, der Zahlenlehre, Trigonometrie und Musik (Astronomie) seine vorbildliche Darstellung hatte. Was wir Wissenschaft nennen dagegen, wäre zu einem größeren Teile bei dem griechischen Gebrauch des Wortes philosophia überhaupt nicht in den Blick getreten. Der Ausdruck Erfahrungswissenschaften klingt für das Ohr des Griechen wie ein hölzernes Eisen. Man nannte das Historie, Kunde. Was dem uns gewohnten Begriff von Wissenschaft entspricht, hätten sie am ehesten als das Wissen verstanden, auf Grund dessen ein Herstellen möglich wird: sie nannten es poietike episteme oder techne. Das Standardbeispiel dafür und zugleich die führende Spielart M
solcher techne war die Medizin, die auch wir nicht so sehr Wissenschaft nennen als Heilkunde, wenn wir ihre menschheitliche Aufgabe ehren wollen. Das Thema, das uns heute abend beschäftigt, umfaßt daher auf seine Weise das Ganze des abendländischen Geschichtsganges, den Anfang mit Wissenschaft und die heutige kritische Situation, in der sich eine auf der Grundlage der Wissenschaft zu einem einzigen technischen Riesenbetrieb umgearbeitete Welt befindet. Ja, unsere Frage reicht damit zugleich über unsere aus unserer eigenen Geschichte gegenwärtige Welt hinaus, indem sie es als eine Herausforderung an unser Denken anzunehmen beginnt, daß es auch Weisheits- und Wissenstraditionen anderer Kulturkreise gibt, die sich nicht in der Sprache der Wissenschaft und auf der Basis der Wissenschaft formulieren. So wird es methodisch geboten sein, das Verhältnis von Philosophie und Wissenschaft in seiner vollen Weite zum Thema zu machen, das heißt ebensosehr von seinen griechischen Anfängen aus wie auf seine späten Folgen hin, die in der Neuzeit zutage treten. Denn Neuzeit definiert sich - gegenüber all den umstrittenen Herleitungen und Datierungen eindeutig dadurch, daß ein neuer Begriff von Wissenschaft und Methode aufkommt, der zuerst von Galilei in einem Teilgebiet verwirklicht und zuerst von Descartes philosophisch begründet worden ist. Seit damals, also seit dem 17. Jahrhundert, findet sich das, was wir heute Philosophie nennen, in einer veränderten Lage. Sie ist der Legitimation gegenüber den Wissenschaften bedürftig geworden, wie es das vordem niemals gab, und sie hat sich zwei Jahrhunderte lang, bis zu Hegels 13
und Schellings Tode, in solcher Selbstverteidigung gegenüber den Wissenschaften selber aufgebaut. Die Systembauten der letzten zwei Jahrhunderte sind eine dichte Folge solcher Anstrengung, das Erbe der Metaphysik mit dem Geist der modernen Wissenschaft zu versöhnen. Danach, mit dem Eintritt in das positive Zeitalter, wie man es seit Comte nennt, war es mit der Wissenschaftlichkeit der Philosophie ein nur noch akademischer Ernst, mit dem man sich aus den Stürmen der einander bekämpfenden Weltanschauungen aufs feste Land zu retten sucht und dabei in den Sumpf des Historismus geriet oder an den Untiefen der Erkenntnistheorie strandete bzw. im Binnensee der Logik hinund hertreibt. So liegt ein erster Zugang zur Verhältnisbestimmung von Philosophie und Wissenschaft im Rückgang auf die Zeit, in der es mit der Wissenschaftlichkeit der Philosophie noch voller Ernst war, und das war zuletzt die Zeit Hegels und Schellings. In der Wiederbesinnung auf die Einheit alles unseres Wissens wollten vor nun anderthalb Jahrhunderten Hegels und Schellings systematische Entwürfe »die Wissenschaft« neu rechtfertigen und umgekehrt den Idealismus auf die Wissenschaft begründen, Schelling durch seinen physikalischen Beweis für den Idealismus, Hegel durch die Zusammenbindung der Philosophie der Natur und der Philosophie des Geistes zur Einheit der Realphilosophie gegenüber der Idealphilosophie der Logik. Nicht, als ob es darum gehen könnte, den Versuch einer spekulativen Physik zu erneuern, der im 19. Jahrhundert geradezu als Alibi gegenüber der Philosophie 14
gebraucht und mißbraucht wurde. Zwar bleibt das Bedürfnis der Vernunft nach Einheit und Einheit des Wissens bis heute lebendig, aber es weiß sich von nun an im Konflikt mit dem Selbstbewußtsein der Wissenschaft. Je ehrlicher und strenger diese sich versteht, desto mißtrauischer ist sie gegen alle solche Einheitsversprechungen und Endgültigkeitsansprüche geworden. Einsehen, warum der Versuch einer spekulativen Physik und einer Einordnung der Wissenschaften in das von der Philosophie gelehrte System der Wissenschaft gescheitert ist, heißt daher zugleich, Rang und Grenze der Wissenschaft schärfer erkennen. Nun waren Hegel und Schelling selber nicht blind gegen den legitimen Autonomieanspruch der Erfahrungswissenschaften, die ihren eigenen methodischen Gang gehen und die eben durch dies ihr eigene Schrittgesetz der Philosophie der Neuzeit ihre neue Aufgabe gestellt haben. Auf dem Höhepunkte seines Berliner Wirkens hat Hegel in der Vorrede zur zweiten Auflage seiner Enzyklopädie einiges darüber gesagt, wie er sich das Verhältnis von Philosophie und Erfahrungswissenschaften vorstellt und welche philosophischen Probleme darin stecken. Es ist ja einfach genug einzusehen, daß die Zufälligkeit des hier und jetzt Begegnenden nicht vollständig aus der Notwendigkeit des Begriffs abgeleitet werden kann. Selbst der Extremfall sicherer Voraussage, wie ihn die großräumigen Verhältnisse unseres Sonnensystems für die Berechnung der Länge von Tag und Nacht, der Dauer von Verfinsterungen usw. gestatten, enthält nicht nur immer noch einen Spielraum von Abweichungen (der freilich alle kunstlose 15
Beobachtungsmöglichkeit um Dezimalen unterschreitet). Wesentlicher ist, daß das Erscheinen der vorausgesagten Himmelsereignisse am Himmel als solches nicht selbst voraussagbar ist. Denn für die natürliche Beobachtung hängt es in jedem Falle von den Wetterbedingungen ab - und wer wollte seine Zuversicht auf Wetterprognosen gründen? Nun handelt es sich bei einem solchen drastischen Beispiel gewiß nicht um das universelle Verhältnis zwischen Zufall und Notwendigkeit, sondern um eine innerwissenschaftliche Problematik. Hegel hat gezeigt, daß zwischen der Notwendigkeit des allgemeinen Gesetzes und der Zufälligkeit des einzelnen Falles eine deskriptive Identität besteht. Die Notwendigkeit der Naturgesetze ist, gemessen an der Notwendigkeit des Begriffs, selbst als eine zufällige anzusehen. Es ist keine einsehbare Notwendigkeit - wie man es etwa eine einsehbare Notwendigkeit nennen kann, daß ein lebendiger Organismus im Prozeß des Stoffwechsels seinen Bestand erhalten muß. Im Bereich der Naturforschung ist die Formulierung mathematisch genauer Gesetzmäßigkeiten ein approximatives Ideal. Es ist eine sehr vage Normvorstellung von Einheit, Einfachheit, Rationalität, ja von Eleganz, der solche Gesetzesaussagen folgen. Ihr wahrer Maßstab sind allein die Daten der Erfahrung selbst. Erst recht scheint der Bereich der menschlichen Dinge in das Reich des Zufalls zu fallen. Der geschichtliche Skeptizismus wird von der Erfahrung weit besser gestützt als der Glaube an geschichtliche Notwendigkeiten und an die Vernunft in der Geschichte. Hier bliebe 16
das Bedürfnis der Vernunft vollends unbefriedigt, wenn man sich bloß auf Regelhaftigkeiten im Laufe der Geschichte berufen würde, die wie die Naturgesetze ihrem eigenen Seinssinne nach nur das ausformulieren, was wirklich geschieht. - Das Bedürfnis der Vernunft meint etwas anderes, und Hegels Philosophie der Weltgeschichte ist eine gute Illustration dafür. Der apriorische Gedanke, der im Wesen des Menschen liegt und den er in der Geschichte erkennt, ist der Gedanke der Freiheit. Hegels berühmtes Schema von Orient, Antike und christlicher Welt lautete: Im Orient ist nur einer frei, in der Antike sind es einige, in der christlichen Welt sind alle Menschen frei. Das ist die Vernunftansicht der Weltgeschichte. Das will nicht sagen, daß damit die Weltgeschichte in allen Tatsächlichkeiten ihres Geschichtsganges konstruierbar wird. Der Spielraum der Erscheinungen, die man zufällig nennen darf, bleibt unendlich. Aber der Zufall ist keine Gegeninstanz, sondern geradezu eine Bestätigung des Sinnes von Notwendigkeit, der dem Begriff zukommt. Es ist keine Einrede gegen die Vernunftansicht der Weltgeschichte, daß es die Freiheit aller, die Hegel als das Prinzip der christlichen Welt dargestellt hat, in der Wirklichkeit gar nicht gibt und daß Zeiten der Unfreiheit immer wieder auftreten, ja daß sich Systeme gesellschaftlicher Unfreiheit vielleicht, wie in unserer zugespitzten Weltsituation, auf eine unausweichliche Weise endgültig etablieren könnten. Das fällt in das Reich der Zufälligkeit der menschlichen Dinge, das dennoch gegen das Prinzip keinen Bestand behält. Denn es gibt kein höheres Prinzip der Vernunft als das der Freiheit. So meint 17
Hegel und so meinen wir. Es ist kein höheres Prinzip denkbar, als das der Freiheit aller, und wir verstehen die wirkliche Geschichte von diesem Prinzip aus: als den sich immer wieder erneuernden und nie endenden Kampf um diese Freiheit. Es wäre ein Mißverständnis, das freilich oft genug begangen wird, als könnte dieser Vernunftaspekt des Begriffs von den Tatsachen widerlegt werden. Das berüchtigte »Um so schlimmer für die Tatsachen« behält eine tiefe Wahrheit. Der Satz ist nicht gegen die Erfahrungswissenschaften gerichtet, sondern im Gegenteil gegen das, was Hegel in der Berliner Vorrede die Übertünchung der Widersprüche nennt, die zwischen der Philosophie und den Wissenschaften klaffen. Er will von einer solchen »mäßigen Aufklärung« nichts wissen, in der sich die Forderung der Wissenschaft und die Argumentation aus Vernunftbegriffen wie in einer Art Kompromiß zusammenfinden. Das war ein »nur dem Anschein nach glücklicher Zustand«. Der Friede war »oberflächlich genug«. »Aber in der Philosophie hat der Geist die Versöhnung seiner mit sich selbst gefeiert«. Hegel will offenbar sagen, daß das Vernunftbedürfnis nach Einheit unter allen Bedingungen legitim ist und daß es allein von der Philosophie befriedigt werden kann, während die Wissenschaft, wenn sie sich anmaßt, sich selbst absolut zu setzen, aber nur dann, mit der Philosophie in einen unauflösbaren Widerspruch tritt. Genau das ist der Fall in unserem Beispiel von der Freiheit aller. Wer nicht sieht, daß das gerade Geschichte ist, daß die Freiheit aller ein unabdingbares Prinzip geworden ist und doch immer erneut der Anstrengung ih18
rer Verwirklichung bedarf, hat das dialektische Verhältnis von Notwendigkeit und Zufall und damit den Anspruch der Philosophie, konkrete Vernünftigkeit zu erkennen, nicht verstanden. Nun sehen wir Hegel nicht nur im Bereiche der Geschichtswissenschaft, wo seine produktiven Beiträge beträchtlich sind, sondern auch im Bereich der Naturerkenntnis heute mit immer gerechterem Auge. Er stand auf der Höhe der Wissenschaft seiner Zeit. Was seine und Schellings Naturphilosophie der Lächerlichkeit preisgegeben hat, war nicht ihr Informationsstand, sondern die Verkennung der wesenhaften Andersartigkeit der Vernunftansicht der Dinge gegenüber der Erfahrungserkenntnis. Sie lag gewiß auch auf der Seite Schellings und Hegels, weit mehr aber auf der Seite der Erfahrungswissenschaften, die sich gegen ihre eigenen Voraussetzungen blind machten. Eine sich in ihrer Bedingtheit wissende Erfahrungserkenntnis muß in Wahrheit darauf bestehen, daß sie in ihrem eigenen Forschungsgange auf sich selbst steht und sich allem dogmatischen Gerbrauche entzieht. Es ist eine bis heute nie genug zu beherzigende Lehre geblieben, daß das Philosophische nicht aus der Arbeit der wissenschaftlichen Forschung gleichsam herausgelesen werden kann, sondern weit eher darin zutage kommt, daß sich die Wissenschaften selber von allen philosophischen Ergänzungen und spekulativen Dogmatisierungen fernhalten und damit die Philosophie vor kurzschlüssigen Interventionen bewahren. Hegel und Schelling sind weit mehr das Opfer des Dogmatismus in den Wissenschaften als das ihres eigenen dogmatischen Vollendungswahns. 19
Wenn später der Neukantianismus so gut wie die Phänomenologie erneut für sich in Anspruch nahmen, die Grundbegriffe der jeweiligen Forschungsregionen in ihrer apriorischen Gegebenheit zum Gegenstand zu machen, so hat zwar die Forschung den dogmatischen Anspruch, der damit verbunden ist, in Wahrheit desavouiert. Die Chemie ist in die Physik, die Biologie ist in die Chemie aufgegangen, und die ganze Klassifikation von Pflanzenwelt und Tierwelt ist dem Interesse an den Übergängen und der Kontinuität dieser Übergänge gewichen, und die Logik vollends ist mehr und mehr von der modernen Mathematik unter ihre Fittiche genommen worden. Mein eigener Lehrer Natorp hat noch versucht, die Dreidimensionalität des Raumes apriorisch-begrifflich zu beweisen, so wie Hegel die Siebenzahl der Planeten. Das ist vorbei. Aber die Aufgabe bleibt. Denn das in der Sprache niedergelegte Verständnis unserer Lebenswelt läßt sich nicht durch die Erkenntnismöglichkeiten der Wissenschaft voll ablösen. Die Wissenschaft kann uns vielleicht in den Stand setzen, Leben in der Retorte zu erzeugen oder die Sterbenszeit des Menschen künstlich ins Beliebige zu verlängern. Aber dadurch ändert sich nichts an den harten Diskontinuitäten von Stofflichkeit und Lebendigkeit oder gar an der von wirklich gelebtem Leben und dem Hinwelken in den Tod. Die Artikulation der Welt, in der wir leben, durch Sprache und kommunikative Kooperation, ist keine bloße Dimension des Konventionellen oder der Niederschlag eines vielleicht falschen Bewußtseins: sie bildet ab, was ist, und ist im ganzen ihrer Legitimität gewiß, gerade weil sie im einzelnen 20
Einrede, Widerspruch und Kritik anzunehmen vermag. Die Zerlegbarkeit und Erzeugbarkeit alles Seienden, die die moderne Wissenschaft leistet, stellt dem gegenüber ein nur partikulares Feld des Ausgriffs und der Beherrschung dar, das sich nur so weit begrenzt, als der Widerstand des Seienden gegen seine Vergegenständlichung nicht überwunden werden kann. So läßt sich nicht verkennen, daß sich die Wissenschaft immer wieder und immer noch einem Anspruch des Begreifens gegenüberfindet, vor dem sie versagen dem sie sich versagen muß. Dieser Anspruch wird, seit Sokrates im Phaidon die Flucht in die Logoi, die Dialektik, begründete, von der Philosophie als ihre eigene Aufgabe festgehalten. Hegel steht in dieser Erbfolge. Auch er folgt der Führung der Sprache. »Die Sprache des übertägigen Bewußtseins« ist bereits von Kategorien durchzogen, die bis zum Begriff zu führen die philosophische Aufgabe ist. So hat Hegel die Dinge gesehen. Wir stehen heute vor der Frage, ob wir die Dinge etwa deshalb nicht mehr so sehen dürfen, weil die Wissenschaft sich selbst von der Sprache emanzipiert hat, indem sie eigene Bezeichnungssysteme und symbolische Darstellungsformen entwickelt hat, die sich nicht mehr in die Sprache des alltäglichen Bewußtseins übersetzen lassen. Gehen wir nicht in eine Zukunft, in der sprachlose, wortlose Angepaßtheit die Affirmation der Vernunft überflüssig macht? Und wie sich heute die Wissenschaft gleichsam auf eine neue Weise autonom setzt, indem ihr Wiedereingreifen in das Leben nicht durch den gemeinsamen Gebrauch allgemeinverständlicher Sprache vermittelt wird, so zeigt sich auch in ei21
ner zweiten Dimension ein ähnliches Bedenken. Bekanntlich hat Hegel das System der Bedürfnisse als die Grundlage von Gesellschaft und Staat mit besonderem Interesse studiert, aber dies System den geistigen Formen des sittlichen Lebens entschieden untergeordnet. Heute dagegen sehen wir dieses System in einen Teufelskreis von Produktion und Konsum gebannt, der die Menschheit immer tiefer in die Selbstentfremdung treibt, weil die natürlichen Bedürfnisse nicht mehr selbst »gemacht« sind, d. h. sich immer mehr als das Produkt eines andersartigen Interesses und nicht des Interesses an der Bedürfnisbefriedigung erweisen. Nun könnte man freilich fragen, ob die Entdogmatisierung der Wissenschaft, die sich im 20. Jahrhundert vollzogen hat, indem sie die Trennung von der natürlichen Anschauung zur Forderung erhob, damit nicht am Ende nichts weiter getan hat - und das wäre verdienstlich - , als einen allzu leichten Zugang des menschlichen Vorstellungsvermögens zu den Feldern der Forschung zu versperren, und daß sie so auch umgekehrt und positiv die dogmatische Verführung gebrochen hat, die aus dieser Zugänglichkeit entsprang und die Hegel die Ubertünchung der Widersprüche genannt hat. Das Modell der Mechanik, das in Hegels und Schellings Zeit auf der sicheren Grundlage der Newtonschen Physik beruhte, besaß eine alte Nähe zum Machen, zur mechanischen Verfertigung, und hatte damit die Handhabung der Natur zu künstlich ersonnenen Zwecken ermöglicht. Es lag in dieser universellen technischen Perspektive eine gewisse Entsprechung zu dem philosophischen Vorrang, den das Selbstbe22
wußtsein in der neueren Entwicklung gewonnen hatte. Wir sind dabei immer in der Gefahr, die Geschichtskonstruktion, die vom deutschen Idealismus geschaffen worden ist, unbesehen zu akzeptieren. Man muß sich fragen, ob beides am Ende zu kurz schließt. Die zentrale Stellung des Selbstbewußtseins ist im Grunde erst von dem deutschen Idealismus und seinem Anspruch, alle Wahrheit aus dem Selbstbewußtsein zu konstruieren, gefestigt worden, indem man Descartes' Auszeichnung der denkenden Substanz und ihres Gewißheitsvorranges als obersten Grundsatz aufbaute. Gerade hier hat aber das 19. Jahrhundert die Grundlagen erschüttert. Die Kritik der Illusionen des Selbstbewußtseins, die von den Antizipationen Schopenhauers und Nietzsches inspiriert, inzwischen in die Wissenschaft eingedrungen ist und der Psychoanalyse ihren Einfluß gegeben hat, steht nicht isoliert da, und Hegels Versuch, den idealistischen Begriff des Selbstbewußtseins zu überschreiten und die Welt des objektiven Geistes als eine höhere Dimension der Wahrheit aus der Dialektik des Selbstbewußtseins hervorgehen zu lassen, bedeutete eine Förderung in der gleichen Richtung, die Marx und die Ideologienlehre des Marxismus gegangen sind. Noch bedeutsamer aber konnte es scheinen, daß der Begriff der Objektivität, wie er in der Physik mit dem der Meßbarkeit verkoppelt ist, durch die neuere theoretische Physik tiefgreifende Wandlungen erfahren hat. Die Rolle, die die Statistik selbst in diesen Bereichen zu spielen begonnen hat und die sich unser ganzes wirtschaftliches und gesellschaftliches Leben mehr und 23
mehr unterwirft, läßt der Mechanik und der Kraftmaschine gegenüber neue Modelle ins Bewußtsein treten, deren Eigenart die Selbstregulierung ist und die damit stärker als an das Machbare an das Lebendige, an das in Regelkreisen organisierte Leben denken lassen. Es wäre jedoch ein Irrtum, den Herrschaftswillen zu verkennen, der sich in diesen neuen Methoden der Beherrschung von Natur und Gesellschaft seinen Ausdruck geschaffen hat. Die Unmittelbarkeit, in der sich menschlicher Eingriff überall dort empfiehlt, wo Mechanismen vollkommen durchsichtig geworden sind, ist vermitteiteren Formen des Steuerns, Balancierens, Organisierens gewichen. Das scheint mir alles. Nun aber ist zu bedenken: Vermutlich muß man den Fortschritt der industriellen Zivilisation, den wir der Wissenschaft verdanken, gerade auch unter dem Gesichtspunkt sehen, daß die Macht selber, die von Menschen über die Natur und die anderen Menschen ausgeübt wird, dadurch ihre Augenfälligkeit verloren hat und daß damit eine gesteigerte Verführung zum Mißbrauch herbeigeführt worden ist. Man denke an den organisierten Massenmord oder an die Kriegsmaschine, die auf einen Knopfdruck zu ihrer vernichtenden Wirkung gebracht wird. Man denke aber auch an den steigenden Automatismus aller gesellschaftlichen Lebensformen, an die Rolle der Planung etwa, zu deren Wesen es ja gehört, daß sie auf lange Sicht hinaus Entscheidungen trifft, und das heißt Entscheidungsfreiheit benimmt, oder an die steigende Macht der Verwaltung, die dem Bürokraten eine von niemandem überhaupt gewollte, aber dennoch nicht vermeidbare Macht in die Hand 24
gibt. Immer mehr Bereiche unseres Lebens treten so unter Zwangsformen automatischer Abläufe und immer weniger erkennt sich in diesen Objektivationen des Geistes der Mensch und sein Geist selber wieder. Indessen scheint mir eben mit dieser Situation des sich selber kreuzigenden Subjektivismus der Neuzeit ein anderer Aspekt an Bedeutung zu gewinnen, der dem neuzeitlichen Selbstbewußtsein und seiner Übersteigerung bis zur Anonymisierung des Lebens gänzlich entrückt ist, ja nach der umgekehrten Richtung hin alten Motiven eine neue Einschlagskraft verheißt, und auch unter diesem Aspekt scheint mir Hegel eine neue Aktualität zu zeigen: Er ist nicht nur der Vollender des der Neuzeit zugrunde liegenden Gedankens der Subjektivität, der diese Struktur der Subjektivität über die Gestalten des objektiven Geistes und des absoluten Geistes hin ausdehnt, sondern er bringt auch einen Sinn von Vernünftigkeit neu zu Geltung, der aus ältestem griechischem Ursprung ist. Der Begriff der Vernunft und der Vernünftigkeit ist nicht nur eine Bestimmung unseres Selbstbewußtseins. Er spielte in der griechischen Philosophie eine entscheidende Rolle, ohne daß ein Begriff des Subjektes oder der Subjektivität überhaupt entwickelt worden war, und es bleibt eine beständige Provokation unseres Hegel-Verständnisses, daß Hegel als den letzten Paragraphen seines Systems der philosophischen Wissenschaft kommentarlos einen griechischen Text aus der Metaphysik des Aristoteles abdruckt. Gewiß ist es ein Text, in den wir kaum anders können, als unseren Begriff des Selbstbewußtseins einzubringen. Das höchste Selbstbewußtsein muß dem 25
höchsten göttlichen Seienden zukommen. Und doch gipfelt in dem Selbstbewußtsein des sich selber denkenden Gottes für das griechische Denken der gesamte Aufbau des Seins, und zwar so, daß innerhalb desselben das menschliche Selbstbewußtsein eine recht bescheidene Rolle spielt. >τιμιώτατα τα άστρα<: Das Würdigste sind die Sternedas bleibt der unverrückbare Maßstab, unter dem das griechische Denken die Stellung des Menschen im Kosmos sieht. Das klingt uns fremd, daß nicht der Mensch, sondern die Sterne das Ehrwürdigste unter dem Seienden darstellen sollen. Es klingt unerreichbar fern von Hegel sowohl als von unserer eigenen Gegenwart. Und doch liegt darin eine dialektische Aktualität verborgen, die es freizulegen gilt und die sowohl Hegel als auch unseren griechischen Vätern, wie mir scheint, eine neue Bedeutung verleiht. Hegels Bestimmung der Philosophie als der Versöhnung des Verderbens erscheint uns dann nämlich weniger als eine gültige Wahrheit oder idealistische Unwahrheit, denn als eine Art romantischer Antizipation. Aus der Entzweiung von Selbstbewußtsein und Weltwirklichkeit sollte nach Hegel die höhere Form der Wahrheit durch Versöhnung und Vereinigung der Gegensätze hervorgehen, indem das Subjektive aus der Starrheit seiner Entgegensetzung zum Objektiven befreit würde. Das war das eschatologische Pathos seiner Philosophie. Was uns umgibt, ist freilich das Gegenteil: die schlechte Unendlichkeit eines endlos fortschreitenden, wie getriebenen Bestimmens, Bemächtigens, Aneignens. Hegel verband solche schlechte Unendlichkeit mit dem äußeren 26
Verstandesaspekt der vernünftigen Welt und der Hartnäckigkeit, mit der er auf Fixierung der Gegensätze besteht und damit das Äußere in seiner Gegenstellung gegen sich, in seiner puren Gegenständlichkeit setzt. Wenn nun Hegel demgegenüber die wahre Unendlichkeit des sich in sich bestimmenden Seins lehrt, zum Beispiel die des Lebendigen, zum Beispiel die des Selbstbewußtseins, zum Beispiel die der sich zum Bewußtsein ihrer Freiheit befreienden Menschheit, oder des sich in Kunst, Religion und Philosophie selber durchsichtig gewordenen Geistes, sieht man sich auf einmal jenseits der Zeitenschründe wie auf einen neuen Boden gestellt. Die griechische Vernünftigkeit, die Hegel mit dem modernen Selbstbewußtsein zu neuer Einheit zu vereinigen versucht, nimmt sich, wenn sie nicht mehr als eine bloße Vorgestalt der Moderne gesehen wird, anders aus. Sie ist nicht mehr die rätselhafte Selbstvergessenheit, die sich im Anschauen der Welt verlor und nur in einem höchsten Weltengott sich auf sich selbst bezog sie erscheint gegenüber der schlechten Unendlichkeit, in die es uns hineintreibt, als das Bild einer eigenen uns möglichen Zukunft und eines möglichen Lebens und Überlebens. Nicht mehr der Bau von Systemen, die in Gedanken vereinigen, was in Widerspruch miteinander getreten ist, nicht mehr die maßlose Leidenschaft der Architekten des Systembaus scheint uns das Ideal der Vernunft vor Augen zu halten. Auf eine rätselhafte Weise sieht sich ja das Bedürfnis der Vernunft nach Einheit im Fortgang der Forschung immer wieder enttäuscht und hat in einer erstaunlichen Weise gelernt, 27
sich in einer Vielzahl von Partikularitäten zurechtzufinden, die ihrerseits jede für sich die partikulare Struktureinheit von Systemen besitzen. Es scheint mir von einer symbolischen Tragweite, daß an die Stelle des Systembaus die Systemtheorie getreten ist. Freilich, welch ein Bedeutungswechsel im Sinne des Wortes Theorie liegt hier vor! Was liegt in diesem Wandel? Das Wort Theorie, das heißt theoria, ist ein griechisches Wort. Es stellt die eigentliche Auszeichnung des Menschen, dieser gebrochenen und untergeordneten Erscheinung innerhalb des Universum dar, daß er seinen geringen und endlichen Maßen zum Trotz zu der reinen Anschauung des Universum fähig ist. Aber es wäre vom Griechischen her unmöglich, Theorien »aufzustellen«. Das klingt ja, als ob wir sie »machten«. Das Wort meint nicht, wie das vom Selbstbewußtsein her gedachte theoretische Verhalten, jene Distanz zum Seienden, die das, was ist, unparteiisch erkennen läßt und es damit anonymer Beherrschung unterwirft. Die Distanz der theoria ist vielmehr die der Nähe und der Zugehörigkeit. Der uralte Sinn von theoria ist Teilnahme an der Festgesandtschaft zur Verehrung der Götter. Das Schauen des göttlichen Vorgangs ist nicht die teilnahmslose Feststellung eines Sachverhalts oder Beobachtung eines prächtigen Schauspiels, sondern eine echte Teilhabe an dem Geschehen, ein wirkliches Dabeisein. Dem entspricht, daß die Vernünftigkeit des Seins, diese große Hypothese griechischer Philosophie, nicht primär eine Auszeichnung des menschlichen Selbstbewußtseins ist, sondern eine des Seins selber, das so das Ganze ist und so als das Ganze er28
scheint, daß die menschliche Vernunft weit eher als ein Teil dieser Vernünftigkeit zu denken ist und nicht als das Selbstbewußtsein, das sich dem Ganzen gegenüber weiß. So ist es gleichsam ein anderer Weg, in dem die menschliche Besinnung sich in sich selbst vertieft und sich findet: nicht der Weg nach innen, zu dem Augustin aufrief, sondern ein Weg der vollen Hingabe an das Außen, in dem der Suchende sich selbst dennoch findet. Das war Hegels Größe, daß er diesen Weg der Griechen nicht als einen falschen Weg gegenüber jenem neuzeitlichen der Selbstbesinnung erkannte, den man hinter sich gelassen habe, sondern als eine Seite, die dem Sein selber zukommt. Es war die großartige Leistung seiner Logik, in der Dimension des Logischen diesen das Entgegengerichtete sammelnden und tragenden Grund erkannt zu haben. Ob er das nun nus oder Gott nannte, es ist jedenfalls ebensosehr das volle Außen, wie es in der mystischen Versenkung des Christen das letzte Innen ist. Wir stehen am Ende unserer Überlegungen. Das Verhältnis von Wissenschaft und Philosophie erwies sich an dem Standort, auf den uns Hegel geführt hat und mit ihm Schelling, als ein dialektisches. Nicht die aus den Wissenschaften herauszuhebende Philosophie, die ihren begrenzten Sinn behalten mag, und auch nicht die spekulative Grenzüberschreitung nach der Seite einer dogmatischen Festlegung der in stetem Fluß befindlichen Forschung können das Verhältnis von Philosophie und Wissenschaft angemessen beschreiben. Wir müssen dies Verhältnis in seiner vollen Gegensätzlichkeit positiv denken lernen. Keine Abschwächung zu 29
»mäßiger Aufklärung«, keine »Übertünchung« soll sein. Es wäre Verblendung zu meinen, daß diese Verlegenheit uns nötigte, Philosophie auf die Seite der Kunst zu stellen und ihr an allen Vorrechten der Kunst und allen Gewagtheiten, die mit diesen Vorrechten verbunden sind, teilzugeben. Die Anstrengung des Begriffs gilt es auch weiterhin auf sich zu nehmen. Zwar, der Anspruch systematischer Einheit scheint uns heute weniger einlösbar, als im Zeitalter des Idealismus es schien. So zieht uns gleichsam eine innere Affinität zu der zauberhaften Mannigfaltigkeit herüber, die die Aussage der Kunst in den Reichtümern ihrer Werke vor uns ausbreitet. Weder das Prinzip des Selbstbewußtseins noch irgendein anderes Prinzip letzter Einheitsgebung und Selbstbegründung geben uns die Erwartung, das System der Philosophie doch noch konstruieren zu können. Indessen bleibt das Bedürfnis der Vernunft nach Einheit unabweisbar. Dieses Bedürfnis schweigt auch nicht vor dem hundertäugigen Argus, den nach Hegels schönem Worte das Werk der Kunst darstellt, in dem ja keine Stelle ist, die uns nicht sieht. Es bleibt in jedem Aspekt die Aufgabe der Selbstverständigung des Menschen mit sich selber bestehen, die in keiner seiner Erfahrungen verleugnet werden kann und so gewiß auch nicht in den Erfahrungen der Kunst. Aber sowie die Aussagen der Kunst in den Prozeß unserer Selbstverständigung mit uns selber integriert werden, wenn sie in ihrer Wahrheit wahrgenommen werden, ist nicht mehr Kunst, sondern ist Philosophie am Werk. Es ist das gleiche Bedürfnis der Vernunft, das uns die Einheit unserer Erkenntnis immer wieder her30
zustellen nötigt, das auch Kunst in uns eingehen läßt. Dazu gehört aber auch in unserer Welt all das, was uns in der Durchmessung aller Weltzugänge und der Erprobung aller Weltausgriffe die Wissenschaften gewähren. Dazu gehört nicht zuletzt das Erbe unserer Tradition philosophischer Vernunftansichten, von denen wir nicht eine annehmen und ganz übernehmen können, aber die wir alle nicht ungehört lassen dürfen. Das Einheitsbedürfnis der Vernunft verlangt es. Das Vorbild der Wissenschaft, das unsere Zeit bestimmt, sollte uns zugleich vor der Versuchung schützen, im Philosophieren dem Bedürfnis nach Einheit durch voreilige Konstruktionen nachzufolgen. Wie unsere gesamte Welterfahrung einen nie zu Ende kommenden Prozeß der Einhausung darstellt - um mit Hegel zu reden - auch in einer uns immer fremder scheinenden, weil nur allzu sehr von uns veränderten Welt - , so ist auch das Bedürfnis nach philosophischer Rechenschaftsgabe ein unendlicher Prozeß. In ihm vollzieht sich nicht nur das Gespräch, das jeder einzelne denkend mit sich selbst führt, sondern auch das Gespräch, in dem wir alle zusammen begriffen sind und nie aufhören, begriffen zu sein - ob man die Philosophie tot sagt oder nicht.
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Hegels Philosophie und ihre Nachwirkungen bis heute
Es ist ebenso anziehend wie riskant, als akademischer Lehrer in einen Kreis akademisch gebildeter und berufstätiger reiferer Menschen zu treten, mit dem ihn nicht die regelmäßige Fühlung des akademischen Unterrichts verbindet. Ich möchte Ihnen einen Zugang zu einem Denker bahnen, dessen Werk in einem seltenen, ja einzigartigen Maße verrätselt ist. Es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, daß es keinen lebenden Menschen gibt, der das Werk Hegels so zu verstehen und denkend nachzuvollziehen vermag, daß ihm ein vorgelegter Zusammenhang Hegelscher Sätze sofort oder auch nach einiger Anstrengung ganz und gar verständlich würde. Es gibt eine berühmte Geschichte von einem Besuch Hegels bei Goethe. Goethe, der sonst mit einer gewissen patriarchalischen Überlegenheit das Gespräch zu führen pflegte, war bei Tisch auffallend still, und Hegel, der Gast, redete auffallend viel - in einem allerdings noch besonders mysteriösen Schwäbisch. Die Schwiegertochter Goethes, die bei Tisch dabei war, fragte nachher, als der Gast sich verabschiedet hatte: »Was war denn das für ein merkwürdiger Gast?« Und darauf sagte Goethe: »Das war der erste Philosoph Deutschlands, Professor Hegel aus Berlin«. Die Szene mag als erstes daran erinnern, daß Hegel in das Zeitalter Goethes gehört und daß beide Männer- gleich stark, wenn auch in unvergleichbarer Weise - die Folgezeit geprägt 32
haben. Goethe darf wohl mit Recht das Symbol der bürgerlichen Gesellschaft des 19, Jahrhunderts genannt werden, der Mann, der durch sein Talent und seine überragende Persönlichkeit schließlich der eigentliche Souverän am Weimarer Hof war, zu dem die Welt wie zu einem Fürsten des Geistes zu pilgern pflegte. Und auf der anderen Seite dieser seltsame Berliner Professor, der in seinem rauhen Schwäbisch und mit all der hochgetriebenen Abstraktion des Gedankens, die sich in seinen Werken spiegelt, dennoch der wirksamste Lehrer der Philosophie im 19. Jahrhundert gewesen ist mehr als irgendeiner der großen Denker eine Figur, um deren echtes Profil der Streit der Schulen ging und an deren wahrer Bedeutung sich die Geister schieden. Nach Hegels Tode gab es geistige Diadochenkriege, wie nach dem Tode eines Weltherrschers. Man unterschied eine Hegeische Rechte und eine Linke. Zwischen den »Rechtshegelianern« und den »Linkshegelianern« tobte der Streit um den wahren Gehalt des Hegelschen Denkens. Unter den Zeitgenossen Hegels war Goethe sicher der universalste Geist. Doch selbst Goethe war nicht imstande, Hegel wirklich zu lesen. Wir haben ein sehr schönes Dokument dafür. In den ersten Sätzen der »Phänomenologie des Geistes«, auf der ersten Seite des Buches, hat Goethe, dem Hegel sein Buch natürlich gesandt hatte, an einer Stelle Anstoß genommen. Wie alles hat er auch dies angelesen, ist aber über die erste Seite offenbar nicht hinausgekommen. Er hat nämlich ganz empört festgestellt, daß Hegel dort etwas ihm absolut Zuwideres schreibt: »Die Knospe verschwindet im Hervorbrechen der Blüte, und man 33
könnte sagen, daß jene von dieser widerlegt wird«. Goethe, dieser überzeugte Gegner aller revolutionären, explosiven Theorien in der Erdgeschichte wie in der Menschengeschichte, hat bekanntlich das Geheimnis des organischen Wachsens der Dinge gerade auch als das Vorbild für die rechte geistige Haltung des Menschen angesehen. Daher seine Ablehnung des Hegelschen Textes. Wenn man nun aber die Stelle, die Goethe reizte, nachliest, stellt man fest, daß Goethe nicht mehr umgeblättert hat, denn auf der nächsten Seite geht es ganz in Goethes Sinne mit einem »Aber« weiter, das die »organische Einheit« dagegen geltend macht. So hat denn Goethe die innere Verwandtschaft, die er zu Hegel besaß, selber nicht ganz realisiert. Gleichwohl bewahrte er für Hegel immer ein gutes Vorurteil, nicht zuletzt, weil Hegel zu seinen Verteidigern im Kampf um die Newtonsche Optik, d. h. zu den Anhängern der Farbenlehre Goethes gehörte. Bekanntlich sah sich Goethe selber nicht so sehr als der große Dichter, der er war, sondern vor allem als der große Naturforscher, der die wahre Betrachtungsweise der Natur, insbesondere des Lichtes, und damit die wahre Physik gegen Newton zur Geltung gebracht habe. Die Zustimmung Hegels, Schellings, Schopenhauers zu der Goetheschen Farbenlehre ist gewiß nicht ganz ohne sachliches Gewicht. Es wäre billig, sich als Physiker darüber erhaben zu fühlen. Was sich in diesem unglücklichen Streit Goethes gegen Newton spiegelte, ist vielmehr ein Phänomen von tiefster Bedeutung: In ihm wird manifest, daß die moderne Naturwissenschaft als ein wahrhaft verwandelndes Faktum in die Welt getreten ist und der 34
Traditionsgestalt von »Wissenschaft«, die aus der natürlichen Beobachtung und Erfahrung ohne mathematisierende Abstraktion schöpfte, ein Ende setzte. Die moderne Erfahrungswissenschaft fand im 17. Jahrhundert in der Mechanik Galileis und Huygens ihre erste Grundlage, entfaltete sich immer weiter, bezog alle Wissensgebiete in ihre neue Methodik ein und suchte schließlich - das ist die Stunde, in der wir heute stehensogar die gesellschaftliche Wirklichkeit mit dem Anspruch wissenschaftlicher Steuerung zu erobern und ihre Lenkung in den Griff zu bekommen. Im Grunde war schon mit dem 17. Jahrhundert der selbstverständliche Anspruch der Philosophie, die regina scientiarum, Inbegriff alles Wissens und der umschließende Rahmen für jede mögliche menschliche Erkenntnis zu sein, nicht mehr einlösbar. Hegel war der Allerletzte, der den stolzen Anspruch der Philosophie, Rahmen und umfassendes Ganzes für alles mögliche menschliche Wissen zu sein, in seinem Denken zu verteidigen gewagt hat. Soweit das auch nach Hegel noch versucht wurde, geschah es auf dem akademischen Schulhorizont von Philosophieprofessoren und war nicht mehr eine weltgeschichtliche Wirklichkeit, wie sie der Professor Hegel in Berlin noch gewesen war. Hegel versuchte eine letzte Synthese von Natur und Geschichte, von Natur und Gesellschaft in einem großen philosophischen Gedankensystem, das freilich, gerade weil es eine letzte Aufgipfelung eines ältesten Anspruches war, des griechischen Anspruches, den »logos« des Seins zu denken, sehr schnell um seine Popularität gekommen ist. Es kennzeichnet die Wirkungsge35
schichte Hegels, daß Rudolf Heym um die Mitte des 19. Jahrhunderts, im Jahre 1854, etwa 20 Jahre nach Hegels Tode, eine vielbeachtete polemische Darstellung der Hegeischen Philosophie gegeben hat und dieses Buch mit Reflexionen über den raschen Zusammenbruch der Hegeischen Philosophie eröffnete. Der etwas schnöde, kommerzielle Ton, in dem er da spricht und der für jeden, der ein Ohr für geschichtliche Töne hat, den kommerziellen Materialismus der frühindustriellen Entwicklung Deutschlands in der Mitte des vorigen Jahrhunderts verrät, lautete: »Dieses große Haus hat nur deshalb so schnell falliert, weil der ganze Geschäftszweig darnieder liegt.« Heym meint damit, daß die Philosophie als Ganzes sozusagen bankrott ging und der Zusammenbruch der Hegeischen Weltherrschaft des Geistes nur eine Folge des Bankrottes der Philosophie überhaupt war. Und es ist wahr: seit Hegel hat es keinen Denker mehr gegeben - vielleicht darf man sagen: nicht vor Heidegger - , der noch das Bewußtsein aller aussprach, obwohl er nur intra muros, nur im Rahmen der Universität seine Stimme vernehmen ließ. Natürlich gab es große Schriftsteller wie Schopenhauer und Nietzsche oder auch Kierkegaard, aber es gab keinen Lehrer der Philosophie an Universitäten mehr, der wirklich das allgemeine Bewußtsein erreicht hätte. Wenn Heideggers Denken heute von einem Romancier wie Günter Grass, der nicht für Fachleute schreibt, sondern allgemein gelesen wird, in einem Roman verspottet wird, so dokumentiert sich eben darin, daß Heideggers Stimme über den Hörsaal hinaus gedrungen ist. 36
Wenn wir uns fragen, was der Grund für den schnellen Zusammenbruch der Hegeischen Philosophie war, so ist die Antwort leicht. Der Anstieg der modernen Forschung in allen Wissenschaftsgebieten hat den Anspruch, den Hegel als letzter noch erhoben und verteidigt hatte, auch die Wissenschaft von der Natur in seinem apriorischen System des Gedankens vorzuzeichnen und in es einzubeziehen, diskreditiert. Eine solche Bevormundung durch den Apriorismus der Vernunft mußte den Widerstand und den Spott der Erfahrungswissenschaften hervorrufen. Heute, in dem Abstand eines Jahrhunderts, denken wir ein wenig anders über die führenden Kräfte in der unmittelbaren Epoche nach Hegel und erkennen auf allen Gebieten auch positive Einflüsse Hegels. Das gilt für die Grundbegriffe der Naturwissenschaft so gut wie für die Philosophie des Jahrhunderts, die im Neu-Kantianismus gipfelte, ohne sich bewußt zu sein, wieviel Hegel in ihr weiterlebte es gibt aber im besonderen die sogenannte historische Schule, die in Berlin zentrierte Bewegung der historisch-kritischen Forschung, die sich im Gegensatz gegen die spekulative Geschichtsphilosophie Hegels glaubte und wußte und von der wir heute erst sehen, wie sehr sie in Wahrheit von der idealistischen Philosophie und insbesondere den Hegeischen Ideen geleitet war. Es bleibt eine merkwürdige Tatsache, daß dieser verkauzte Schwabe wirklich nicht durch äußerlich gewinnende Mittel die Popularität errang, die er bei seinen Studenten in der Tat besaß. Nebenbei: Es bestätigt sich eine allgemeine Erfahrung, was einen Universitätsleh37
rer wirksam macht, sind nicht seine rhetorischen oder formellen Tugenden. Ich selbst ζ. Β. habe etwa auf dem Gebiete der Geschichte der Wissenschaften das meiste von jemandem gelernt, der stotterte. Nach zwei Stunden merkt man das nicht mehr, wenn ein Mann etwas zu sagen hat. So haben die Berliner Studenten Hegels bald gewiß nicht mehr bemerkt, daß er schwäbelte, sondern hielten das für Deutsch. Indessen war das wissenschaftliche Selbstbewußtsein des späteren 19. Jahrhunderts durch seine Abkehr von Hegel geprägt, und das so tief, daß Hegel bis zum heutigen Tage in der internationalen intellektuellen Welt eine suspekte Figur geblieben ist, insbesondere im angelsächsischen Raum. Erst in unseren Tagen kommt auch dort eine Gegenbewegung in Gang. Es gibt jetzt auch in England, in Amerika neue Hegel-Vereinigungen, die diesem letzten Denker, der unser Wissen und unser Weltgefühl durch seine philosophische Genialität zusammenzufassen vermochte, ihre Aufmerksamkeit wieder zuwenden. Aber man muß im ganzen sagen: noch heute bleibt Hegel in den Augen der Wissenschaft und aller derer verdächtig, die glauben, daß mit dem Fortschritt der Wissenschaft grundsätzlich alle menschlichen Probleme lösbar sind. Trotzdem gab es immer wieder »natürliche« Hegelianer. Da war in Italien Spaventa, auf den der spätere italienische Hegelianismus zurückgeht, der durch den Namen Croce und Gentile bekannt ist. Da war in Holland eine HegelSchule, die an den Namen Bolland geknüpft ist, die sogenannten Bollandisten, eine noch heute fortlebende Gruppe von freidenkerischen, liberalen Geistern. Da 38
war in England um 1900 ein weit verbreiteter Hegelianismus, dessen Spuren freilich in Oxford und Cambridge inzwischen mit Feuer und Schwert ausgerottet sind. Und da war in Deutschland immer wieder der eine oder der andere ein Hegelianer, und aus solchem natürlichen Hegelianismus nährte sich auch in Deutschland immer wieder das Studium der Hegeischen Philosophie. Im Jahre 1910 hielt dann Wilhelm Windelband, das Haupt des südwestdeutschen Neukantianismus, in der Heidelberger Akademie der Wissenschaften eine Rede über den neuen Hegelianismus, in der er sich zum Sprachrohr seiner eigenen Studenten und Schüler machte, die innerhalb der herrschenden neokantianischen Philosophie und gegen sie Hegel auf den Schild erhoben. Einer der Wortführer dieser hegelianisierenden Gruppe war Julius Ebbinghaus, heute ein erbitterter Hegelgegner und Altkantianer. Aber es gehörten viele Namen, die sehr bekannt sind, zu dieser Gruppe, zum Beispiel Ernst Bloch, Georg von Lukâcs, Fedor Stepun, Richard Kroner, Ernst Hoffmann usw., eine große Zahl von jungen Leuten, die damals anfingen, in Hegel die höchsten Erwartungen zu setzen. Für unsere Zeit wird man etwas Ähnliches nicht mehr behaupten wollen. Wenn ich selber Gründer und Leiter einer Vereinigung geworden bin, die sich das Studium der Hegeischen Philosophie zur Aufgabe setzt, so ist das mehr in der Absicht, von Hegel zu lernen, d.h. sich an seinem Niveau begrifflicher Präzision und radikaler Denkenergie zu schulen, und nicht so sehr, seine Perspektive zu erneuern - das gilt auch für diejenigen, die Hegel sagen, wenn sie Marx meinen. Es sind die Sa39
chen, die man bei Hegel zu lernen hat, die den Hegelianismus auch ohne jede zünftige Prägung zu einem Inbegriff lebendiger Fragen erheben. Das möchte ich an drei solcher Fragen erörtern: erstens an dem religiösen Problem von Glauben und Wissen, zweitens am Problem des objektiven Geistes oder der geschichtlichen Welt und drittens an der Frage der Einheit von Natur und Geschichte im Begriff. Das religiöse Problem ist insoferne das erste in dieser Reihe, als die von mir schon berührte Parteiung in der Ausdeutung Hegels wesentlich auf diesen Punkt zurückgeht. Die Hegeische Rechte und die Hegeische Linke bilden primär eine theologische Differenz. Es ging um die Frage : Ist Hegel im Recht, wenn er den Anspruch erhebt, in dem philosophischen Gedanken auch die Wahrheit des Christentums zu umfassen und den Glauben in die Gestalt des Wissens überführt zu haben, oder ist er - unbeschadet aller persönlichen christlichen Gebundenheit, um die der Streit nicht geht - darin so sehr im Unrecht, daß man sagen muß, er habe in Wahrheit die christliche Wahrheit verfälscht und der Auflösung entgegengeführt. Zum Wesen einer Religion der wahren Lehre - und das Christentum erhebt den Anspruch, eine Lehre zu sein - gehört, daß sie stets von dem Verdacht der Häresie umwittert ist. So ist auch der Hegeische Anspruch, die Wahrheit der Religion in die Form des philosophischen Begriffs erhoben zu haben, von seiten der Kirche und der theologischen Reaktion besonders heftig bestritten worden. Hegel wurde in die spiritualistischen Häresien eingereiht, die mindestens seit Joachim Da Fiori die christliche Kirche begleiten, 40
in denen der dritte Artikel, die Lehre vom Heiligen Geist, so überbetont wurde, daß die Inkarnation, die Menschwerdung Gottes, im Grunde zu einem beständigen, stets gegenwärtigen und sich überall wiederholenden Ereignis wird. In der Tat ist es das Pfingstwunder, die Ausgießung des Heiligen Geistes, das das, was durch Christus in die Welt gekommen ist, nun als die Gemeinde der Heiligen, d.h. als eine Gemeinschaft im Geiste, lebendig erhält und fortbestehen läßt. Der dritte Artikel ist in den spiritualistischen Häresien - wie wir es auch bei Hegel finden - immer so sehr überbetont worden, daß der Tod Gottes, die Kreuzigung Jesu und seine Auferstehung fast nur zu einem Symbol der ständigen Erneuerungskraft des Geistes wird. Was zugrunde geht, lebt in neuer Auferstehung auf - das ist die geistige Bewegung, durch die sich der Geist im Menschen zur vollen Auferstehung zu erheben sucht, und diese Verklärung gipfelt in der totalen Vergeistigung des Menschen und in der Selbstdurchsichtigkeit des Denkens. Wenn die Religion noch in der Form der Vorstellung ihre Lehren vorträgt und etwa den Opfertod Jesu am Kreuze als ein Ereignis, als die Gnadentat Gottes interpretiert, hat der philosophische Gedanke die Wahrheit dieser Vorstellung in den Begriff erhoben. So hat Hegel in der Tat geglaubt und beansprucht, daß er Glauben und Wissen versöhnt habe. Hegel meinte damit nicht, daß keine Vorstellungsweise des Gläubigen neben der Klarheit des sich selbst begreifenden Denkens mehr möglich und berechtigt wäre - so wenig wie Hegel mit seiner berühmten Lehre von dem Vergangenheitscharakter der Kunst gemeint hat, daß es 41
keine Kunst mehr gebe. Wenn Hegel gesagt hat: »Kunst ist nicht mehr die höchste Gestalt der Wahrheit«, so hat er gemeint, daß das, was in der griechischen Skulptur noch als selbstverständliche Übereinstimmung zwischen dem verehrten Göttlichen und dem sichtbar Künstlerischen da war, bereits mit dem Christentum und seiner Lehre von der inneren Wirklichkeit des Göttlichen nicht mehr besteht. Die Form der Kunstreligion ist zu Ende, d.h. eine höhere Form des Begreifens der Dinge, wenn auch zunächst in der Form der Vorstellung, d.h. in der Form der christlichen Glaubensvorstellungen, sei an die Stelle der schönen Göttergestalten der antiken Welt getreten. Es ist eine theologische Frage, dazu Stellung zu nehmen, wie es mit dem Anspruch Hegels steht, zwischen Glauben und Wissen eine echte Versöhnung gefunden zu haben. Aber eines muß man in jedem Falle ernst nehmen, daß sich Religion, auch gerade die christliche Religion, nicht ohne eigenen Schaden in einen Gegensatz zu der geistigen Denkfreiheit des Menschen begeben darf und daß eine jede Möglichkeit des Menschen, durch Denken Einsicht zu gewinnen, sich in einer lebendigen Auseinandersetzung mit unserer christlichen Überlieferung bewähren muß und umgekehrt. Die Philosophie wird von Hegel definiert als das Denken des Unendlichen. In der Tat ist das - inhaltlich gesehen - ein kongruenter Ausdruck zu der Vorstellung des unendlichen Gottes und zu einer Religion, die die Welttotalität als Schöpfung versteht und an die Überwindung des Todes durch die Heilstat der göttlichen Liebe glaubt. Der Streit um die Christlichkeit der Hegeischen Philo42
sophie flammt daher immer wieder auf. Erst vor kurzem ist ein vorzügliches Buch erschienen, das die Parteinahme für die Christlichkeit Hegels erneut mit allen Mitteln philosophisch gediegener Forschung ausspricht: Michael Theunissen; »Hegels Lehre vom absoluten Geist«. Aber wirksamer noch und aktueller ist der zweite Punkt, und das ist sicherlich derjenige Punkt, an dem sich die Unentbehrlichkeit Hegels für den philosophischen Gedanken am stärksten manifestiert und wo man sicher sein kann, daß auch diejenigen, die die Philosophie - und besonders die Hegels - zum Teufel wünschen, von ihr leben, insbesondere die Soziologen: das ist seine Lehre vom objektiven Geist. Der politische Hintergrund dieser Lehre Hegels ist besonders deutlich geworden, seit die Jugendgeschichte Hegels durch die Herausgabe seiner Jugendschriften ins allgemeine Bewußtsein der Philosophie getreten ist. Wie seine ganze Generation litt Hegel unter der Entfremdung, die zwischen den politischen und religiösen Zuständen seiner Zeit und dem eigentlichen Bedürfnis des Geistes herrschte. Das große Ereignis, mit dem sich das Denken des deutschen Idealismus besonders verbunden fühlte, war die Französische Revolution. Durch sie wurden die unverstandenen und unwirksam gewordenen Verfassungs- und Lebensformen von einem neuen Freiheitspathos überwunden. Das galt, wie insbesondere Joachim Ritter herausgestellt hat, auch für Hegel. Es wird berichtet, daß noch der Hegel der Berliner Zeit, dieser angebliche preußische Staatsphilosoph und Verteidiger der Reaktion, in einem Freundeskreis - es war 43
in Dresden, glaube ich, im Jahre 1823, mitten in der Zeit finsterster Metternichscher Restaurationspolitik plötzlich das Glas hebt und sagt: »Wißt Ihr, was heute für ein Tag ist?« und es auf den Sturm auf die Bastille leert. So sehr war die Französische Revolution, das heißt die Idee der bürgerlichen Freiheit und damit der Freiheit aller, das Leitmotiv auch des Hegeischen Denkens. Es liegt seiner Philosophie des objektiven Geistes zugrunde. In dieser Lehre von dem zu Institutionen objektivierten Geist geht es nicht darum, daß die bestehenden Institutionen in ihrer unveränderlichen Richtigkeit verteidigt würden. Hegel hat die Institutionen nicht schlechthin, sondern gegenüber der Besserwisserei des einzelnen verteidigt. Er hat mit seiner überwältigenden geistigen Kraft die Grenzen des Moralismus im gesellschaftlichen Leben gezeigt, die Unhaltbarkeit einer rein innerlichen Moralität, die sich nicht in den objektiven Formen des Lebens, die die Menschen zusammenfassen, manifestiert. So hat er in der Tat zu zeigen vermocht, was für eigentümliche Zwiespältigkeiten, um nicht zu sagen Unaufrichtigkeiten, was für eine Dialektik der Unaufrichtigkeit mit dem abstrakten Moralismus der Menschen verbunden ist. Er wurde zum Kritiker der Kantischen Moralphilosophie, sofern diese auf die moralische Selbstgewißheit pocht und sich in der Erkenntnis der eigenen Pflicht von allen äußerlichen Bedingungen, den natürlichen wie den gesellschaftlichen und insbesondere von dem System der Sitten und der Erziehung, dem System von Lohn und Strafe unabhängig denkt und darauf besteht, daß die praktische Vernunft imstande sei, allein durch die Au44
tonomie ihrer selbst die zwingende Kraft des moralischen Anspruchs des Sittengesetzes gegen alle andere Rücksicht durchzusetzen und zu verteidigen. Dieser in sich großartige kantische Impuls ist von Hegel kritisch behandelt worden, insbesondere dort, wo sich derselbe als eine Moralität der Innerlichkeit in eine moralistische Haltung gegenüber der staatlichen und gesellschaftlichen Wirklichkeit steigert. Das meint seine Theorie des objektiven Geistes, daß nicht das Bewußtsein des einzelnen, sondern eine über das Bewußtsein des einzelnen hinausgehende, gemeinsame und verbindende Wirklichkeit die Grundlage unseres menschlichen Lebens in Staat und Gesellschaft ist. Er hat in großartiger Weise, vor allem in seiner »Phänomenologie des Geistes« und später in Berlin in der »Rechtsphilosophie« dargelegt, daß das menschliche Selbstbewußtsein den entscheidenden Schritt zu seiner Stabilisierung in der Anerkennung des eigenen Seins durch den anderen tut. Er entwickelt die abstrakte Idee des Selbstbewußtseins, die im deutschen Idealismus letzten Endes auf Descartes' »cogito me cogitare« zurückgeht und zum Grundprinzip der Philosophie erhoben wurde - bei Kant heißt es das Ich der transzendentalen Synthesis der Apperzeption - und zeigt, daß dieses Ich in Wahrheit eine ganze Genese durchmacht, durch die es über seine bloße Ichheit hinaus in die Objektivität des Geistes übergeht. Die ichhafteste Form der Ichheit hat Hegel in der sinnlichen Begierde aufgewiesen. Das klingt sehr altmodisch. Was er meint, ist das vitale Selbstgefühl, die Art, seiner selbst in der sinnlichen Befriedigung gewiß zu sein. Das ist in der Tat eine aus unserem 45
Lebensgefühl aufsteigende Form der Ichbestätigung. Hier begegnet, was ich bin, sich selbst, etwa wenn ich Hunger fühle. Aber bekanntlich verschwindet der Hunger, wenn ich satt bin, bis ich wieder hungrig werde, und so ist dies Selbstgefühl außerordentlich labil. Hegel hat gezeigt, daß ein wahres Selbstgefühl auf dem Wege solcher Unterwerfung und Aneignung des Fremden überhaupt nicht gelingt. Nicht einmal in der Form, daß ich als Herr andere Menschen versklave, um mir die sichere Befriedigung meiner Begierden zu verschaffen, gewinne ich ein echtes Selbstgefühl. Denn was kann mir schon die Anerkennung durch einen von mir Abhängigen bedeuten? Was kann es für jemanden, der sein Selbstbewußtsein zu finden sucht, ausmachen, daß andere, als Sklaven, ihn als ihren Herrn anerkennen? Dagegen ist es ganz etwas anderes, von einem anderen Selbstbewußtsein anerkannt zu sein. Das gibt meinem Selbstbewußtsein wirkliche, konkrete Bestätigung. Wir kennen das alles an den Phänomenen, die wir im weitesten Sinne mit dem Begriff der Ehre umschreiben. Hegel zeigt darin die Dialektik des Selbstbewußtseins. Es ist eine der prächtigsten Partien Hegelscher Gedankendialektik, in der man sie sozusagen in ihrer Konkretion sehen kann. Anerkennung muß eine wechselseitige sein. Selbstbewußtsein ist nur Selbstbewußtsein, wenn es vom anderen her seine Bestätigung findet, aber so, daß auch der andere seine Bestätigung nur von mir her findet. Man kann es sich an einem ganz einfachen Beispiel klarmachen, das jeder schon erlebt hat. Eine der äußerlichsten Formen, Ehre zu erweisen, ist, jemanden zu grüßen. Wer kennt nicht dies unangenehme Gefühl, 46
wenn man grüßt, und der andere sieht gleichgültig an einem vorbei, sei es, daß wir jemanden verkannt haben, sei es auch, weil der andere einen nicht kennen will. Vergeblich gegrüßt zu haben, ist eine Erfahrung, bei der einem das eigene Selbstgefühl bekanntlich augenblickshaft zusammenbricht. Gewiß sind Grußsitten das Alleräußerlichste am sozialen Leben - daß unsere junge Generation uns Professoren nicht mehr mit unserem Titel anredet und am liebsten auf die Schulter klopfen möchte, als ob wir Amerikaner wären, scheint mir kein wesentlicher Beitrag zur Universitätsreform, auch wenn man nichts dagegen zu haben braucht. Aber man kann von diesem Äußerlichsten her das Substantielle unseres menschlichen Gemeinschaftslebens verständlich machen, zum Beispiel die Solidarität, die nötig ist, damit ein Rechtssystem funktioniert. Wir sind in den kritischen Zeiten, in denen wir heute leben, ganz gut mit Experimentalbeweisen dafür versehen, wie gefährlich es wird, wenn die Gesellschaft in ihrer Solidarität so bedroht ist, daß keine gemeinsame Selbstverständlichkeit mehr die Anerkennung der Rechtsordnung verteidigt. Man denke etwa an die Mißlichkeit, die die Zeugenaussage in einer säkularisierten Gesellschaft gewonnen hat und die die Rechtsprechung seit langem dazu veranlaßt, die Vereidigung des Zeugen nach Möglichkeit zu vermeiden. Dabei ist die Rechtsordnung selber noch eine recht äußerliche Seite der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Es gibt sehr viel substantiellere Wirklichkeiten des gemeinsamen Lebens. Jede Bindung in Freundschaft oder Liebe enthält solche substantielle Gemeinsamkeit, die sich durch die Dialektik 47
der gegenseitigen Anerkennung begrifflich beschreiben läßt. Es war eines der großen Verdienste Hegels, daß er Familie, Gesellschaft und Staat aus dieser einen Wurzel, der Überwindung und Überschreitung des subjektiven Geistes, des Einzelbewußtseins, nach der Richtung eines gemeinsamen Bewußtseins gedanklich überzeugend gemacht hat. Ich komme zum dritten Punkt meiner Darlegungen. Ich sagte schon, Hegel ist wie die ganze Generation seiner Zeit von einem Grunderlebnis auf den Weg seines Denkens gefordert worden, und das war das Erlebnis der Entzweiung. Er nannte es »Positivität«. Bei Hegel muß man sich daran gewöhnen, daß er oft ungefähr das Umgekehrte mit einem Ausdruck meint, als man erwartet. Wenn Hegel Positivität sagt, so meint er etwas sehr Negatives, nämlich daß Normen nur als Autorität gesetzt und nicht durch uns selber innerlich bejaht sind. Da ist es etwa die Positivität des Christentums, daß es vom Gläubigen bloßen Gehorsam verlangt, auch ohne Einsicht und inneres Engagement. Da ist es die Positivität einer Verfassung, wenn sie zwar in ihren positiven Bestimmungen als Verfassung gültig zu sein fortfährt, aber kein lebendiger Geist mehr in ihr ist. Bekanntlich war es die Verfassung des Römischen Reiches deutscher Nation, die in den Jugendjahren Hegels ein lebendiges Anschauungsfeld für solchen Verfall, für die Entfremdung zwischen dem äußerlich-positiv Geltenden und dem tatsächlich Wirklichen darstellte. Man erinnere sich, daß das Ende des Römischen Reiches deutscher Nation im Grunde in endlosen Prozessen - in Regensburg oder sonstwo ~ ausgetragen wurde, während die 48
wesentliche Bestimmung einer echten Reichsverfassung, die echte Solidarität aller Deutschen zu ordnen, durch den modernen Territorialstaat, durch die Gegensätze der Konfessionen und der absolutistischen Länderregierungen unwirksam und leblos geworden war. Entzweiung, dieser erste Ansatzpunkt von Hegel, enthält als seine Entsprechung die Versöhnung der Entzweiung oder auch, wie er sagt, »die Versöhnung des Verderbens«. Das ist die Aufgabe, die sich Hegel als Denker gestellt hat, die Versöhnung aller Entzweiungen, durch die Macht des philosophischen Gedankens wiederherzustellen. Um an den ersten Punkt meiner Darstellung noch einmal anzuknüpfen: Daß der Begriff der Versöhnung eine echte Gestalt der christlichen Botschaft ist, das hat Hegel offenkundig sehr früh empfunden. Wir besitzen einen Schulaufsatz von Hegels Schulkameraden Hölderlin über das Thema »Jesus als das Genie der Versöhnlichkeit«. Das ist ein Thema der Aufklärung und alles andere als theologische Orthodoxie. Wir würden sagen, das könnte Harnack gesagt haben oder sonst ein liberaler Theologe am Ende des 19. Jahrhunderts. Nicht das Theologische daran ist hier wichtig, aber daß Versöhnlichkeit oder Versöhnung ein echtes Phänomen menschlicher Geistigkeit ist, ist von Hegel gezeigt worden. Sie liegt auch in der Dialektik des Selbstbewußtseins. Es gibt keine Freundschaft, keine Ehe, keine Liebesbeziehung, in der nicht durch den Streit und die Versöhnung die innere Vertrautheit von Menschen miteinander wächst. Dies Geheimnis der Versöhnung ist das Geheimnis der Hegeischen Dialektik. Es heißt: Synthesis. Wenn man bestimmen will, 49
wodurch Hegel die abschließende Figur der großen Tradition der metaphysischen Philosophie geworden ist und was ihn in dieser großen Traditionsreihe auszeichnet, so würde ich sagen: er hat die großartige Konzeption der griechischen Metaphysik auf neuzeitlichem Boden um die ganze andere Hemisphäre erweitert, die die geschichtliche Welt darstellt. Die Großartigkeit der griechischen Metaphysik war, daß sie die Vernunft im Kosmos suchte, den Nus, der in allen Formationen der Natur ordnend und unterscheidend am Werk ist. Vernunft in der Natur zu sehen, das war das griechische Erbe. Hegel hat die Vernunft auch in der Geschichte aufzuzeigen gesucht. Zunächst scheint das ein maßloses Paradox - nicht nur in unseren Augen, sondern ebenso in den Augen der Hegeischen Zeit - , zu behaupten, daß ausgerechnet der Wirrwarr menschlicher Dinge mit den ruhigen Bahnen, die die Sterne am Himmel ziehen, den Vergleich aushalten soll. Das war tatsächlich das Vorbild der griechischen Kosmologie und Metaphysik gewesen: die Ordnung des Sonnensystems, die bereits die Pythagoräer als mathematischmusikalisch bestimmte Harmonie erkannt hatten. Daß im Wirrwarr der menschlichen Dinge, in diesem Auf und Ab der Unbeständigkeit, kein Dauerndes sich hält, das war dem 18. Jahrhundert besonders durch das Beispiel des Niedergangs des römischen Weltreichs vertraut. Die großen Geschichtsschreiber und Geschichtsdenker des 18. Jahrhunderts waren fast fixiert auf das Thema, wie die antike Oikumene zugrunde gegangen ist. Daß in der menschlichen Geschichte sich dennoch eine ähnliche Vernunft durchhalten und mani50
festieren soll wie in der Natur, das war Hegels kühne These. Die berühmte Wendung, die er in der Vorrede zur »Rechtsphilosophie« formuliert hat und die den Spott aller derer, die nicht denken wollen, auszulösen pflegt, schließt das ein: »Was vernünftig ist, das ist wirklich, und was wirklich ist, das ist vernünftig«. Beim ersten Hören wird man das eine unmögliche Behauptung finden. Kann man so sich mit gebundenen Händen einer veraltenden Wirklichkeit überliefern und alles Bestehende gut finden? Aber ist das gemeint? Meint Hegel mit »Wirklichkeit« das, was wir bei solchem ersten Verständnis dieses Satzes unterstellen? Meint er nicht am Ende - und es ist wohl ganz klar, daß er das meint - , daß auf die Dauer das Unvernünftige nicht wirklich zu bleiben vermag? Ist das so ganz abwegig, daß in der Wirklichkeit das Unvernünftige sich auf die Dauer nicht durchzusetzen vermag, und ist es nicht geradezu das ungeheuere Phänomen unserer geschichtlichen Selbsterfahrung, daß der einzelne mit seinen Plänen, Tätigkeiten, Hoffnungen, Enttäuschungen und Verzweiflungen tätig und lebendig ist, ohne zu wissen, was er damit am Ende im geschichtlichen Ganzen und für das gesellschaftliche Ganze ausrichtet und tut? Das ist doch unsere Erfahrung der Geschichte, daß wir alle so sehr in ihr stehen, daß wir in gewissem Sinne immer sagen können: wir wissen gar nicht, was mit uns geschieht. Genau das ist Geschichte, daß wir nicht wissen, was mit uns geschieht, und daß wir trotzdem in dies Spiel verwickelt sind, jeder an seinem Platze oderwie es die Jüngeren besonders empfinden - seinen Platz suchend und nicht findend, von dem her man tätig und 51
verändernd an einer schlechten Wirklichkeit arbeiten könnte. So meine ich, daß der Satz Hegels »Was vernünftig ist, das ist wirklich, und was wirklich ist, das ist vernünftig« viel mehr für jeden einzelnen eine Aufgabe formuliert, als daß es für uns alle eine Legitimation der eigenen Untätigkeit ist. An diesen Gedanken knüpft sich nun eine der vielleicht zukunftsvollsten Einsichten Hegels. Hegel hat bekanntlich den dialektischen Dreischritt: Thesis - Antithesis - Synthesis in der Weise an der Weltgeschichte durchgeführt, daß er die Weltgeschichte als einen Fortschritt der Freiheit deutete: Wenn im Orient einer frei war und alle anderen unfrei, und in Griechenland nur die eigentlichen Bürger der Stadt frei waren, während die anderen Sklaven waren, so ist es schließlich durch das Christentum und die neuzeitliche Geschichte, insbesondere die Emanzipation des dritten Standes und die Bauernbefreiung, so weit gekommen, daß alle frei sind. Ist damit nicht das Ende der Geschichte eingetreten? Kann es in Hegels Augen, nachdem die Freiheit aller zutage getreten ist, noch Geschichte geben - und was ist Geschichte seitdem? In der Tat: Geschichte ist seitdem nicht auf ein neues Prinzip zu gründen. Das Prinzip der Freiheit ist unantastbar und unwiderrufbar. Es ist für niemanden mehr möglich, die Unfreiheit von Menschen noch zu bejahen. An dem Prinzip, daß alle frei sind, kann also nicht wieder gerüttelt werden. Aber heißt das, daß deswegen die Geschichte zu Ende ist? Sind denn alle Menschen frei? Sind überhaupt die Menschen wirklich frei? Ist nicht die Geschichte seither eben das, daß das geschichtliche Handeln der Men52
sehen das Prinzip der Freiheit in die Wirklichkeit umzusetzen hat? Offenkundig ist gerade damit der Weltgeschichte der unendliche Zug ins Offene ihrer künftigen Aufgaben gewiesen und nicht etwa eine beruhigende Versicherung abgegeben worden, daß im Grunde alles in Ordnung ist.
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Was ist Praxis? Die Bedingungen gesellschaftlicher Vernunft
Praxis ist heute durch eine Art Gegensatz zur Theorie bestimmt. Es ist ein antidogmatischer Ton in dem Worte Praxis, ein Verdacht gegen die bloß theoretische Auskenntnis der Unerfahrenen - gewiß ein stets mitschwingender Gegensatz, den auch die Antike kannte. Aber sein Gegenbegriff, der Begriff Theorie, ist etwas anderes geworden und um seine Würde gekommen. Nichts klingt in diesem Begriff mehr von dem mit, was Theoria für das an das sichtbare Ordnungsgefüge des Himmels und die Ordnung der Welt und der menschlichen Gesellschaft weggegebene Auge war. Theorie ist zu einem instrumentalen Begriff innerhalb der Wahrheitsforschung und der Einbringung neuer Erkenntnisse geworden. Das ist die grundlegende Situation, von der aus sich für uns die Frage »was ist Praxis?« überhaupt erst motiviert: Wir wissen es nicht mehr, weil wir im Ausgang von dem modernen Begriff von Wissenschaft ganz in die Richtung der Anwendung von Wissenschaft gedrängt werden, wenn wir von Praxis reden. Wenn Praxis dergestalt für das allgemeine Bewußtsein Anwendung von Wissenschaft ist, was ist dann Wissenschaft? Welche neue Eigenwendung moderner, neuzeitlicher Wissenschaft hat dazu geführt, daß Praxis in die.anonyme und fast unverantwortliche, mindestens von der Wissenschaft unverantwortete Anwendung 54
von Wissenschaft umgeschlagen ist? Wissenschaft ist nicht mehr ein Inbegriff des Wissens und Wissenswürdigen, sondern ein Weg, ein Weg des Vorwärtskommens und Eindringens in unerforschte und deswegen noch unbeherrschte Bereiche. Solcher Vorstoß und Fortschritt war nicht zu gewinnen ohne einen primären Verzicht. Der erste Schöpfer moderner Wissenschaft, Galilei, der Schöpfer der klassischen Mechanik, kann das illustrieren. Aber welche Kühnheit gehörte dazu, daß Galilei die Gesetze vom freien Fall entwickelt hat, als noch niemand durch Erfahrung einen freien Fall hat sehen können, da das Vakuum ja erstmals erst in nachgalileischer Zeit experimentell hergestellt worden ist. Was der uns so faszinierende Versuch aus dem Schulunterricht, daß die Bettfeder im Vakuum tatsächlich genauso schnell fallt wie die Bleiplatte, bestätigt, das hatte Galilei in einer enormen Antizipation des Geistes bereits vorweggeleistet. So hat es Galilei selber beschrieben: mente concipio, im Geiste erfasse ich die Idee des freien Falles, der, nicht durch ein Medium gehemmt, seine reine mathematische Gesetzmäßigkeit in den Relationen von Weg und Zeit aussprechen läßt. Damit wurde Wissenschaft eine prinzipiell neue Haltung. Im Absehen von dem primär erfahrbaren und vertraut gewordenen Ganzen unserer Welt entwickelte sie sich zu einer Erkenntnis durch isolierende Erforschung beherrschbarer Zusammenhänge. Ihr Bezug zur praktischen Anwendung ist von da her als in ihrem neuzeitlichen Wesen gelegen zu verstehen. Wenn abstrahierte Relationen zwischen Anfangsbedingungen und Endwirkungen griffig werden, berechenbar werden, so daß 55
das Setzen von neuen Anfangsbedingungen eine voraussehbare Wirkung hat, dann ist in der Tat durch die so verstandene Wissenschaft die Stunde der Technik herbeigeführt worden. Die alte Bindung des künstlichen, handwerklich Gemachten an die in der Natur gegebenen Vorbilder ist damit in ein Konstruktionsideal umgeschlagen, in das Ideal einer der Idee nach artifiziellgemachten Natur. Das ist es, was am Ende die Zivilisationsgestalt der Moderne, in der wir leben, heraufgeführt hat. Das Konstruktionsideal, das im Wissenschaftsbegriff der Mechanik lag, ist zu dem ins Ungeheure verlängerten Arm geworden, der unser Maschinenwesen, unsere Umarbeitung der Natur und unseren Ausgriff in den Weltraum ermöglicht hat. Die immanente Folgerichtigkeit dieses Zusammenhangs von methodischer Konstruktion und technischer Herstellung wirkt sich zweifach aus : 1. Technik ist, wie das alte Handwerk auch, auf einen vorentworfenen Entwurf hin bezogen. Das bodenständige Wirtschaftsleben der mittelalterlichen Welt oder der anderen Hochkulturen der Menschheit stellte die technische Anstrengung jeweils unter das Gebot des Verbrauchers. - Wer letzten Endes für das, was zu machen ist, maßgeblich war, war der Verbraucher. Das ist offenkundig für die antike Arbeitsweise bestimmend gewesen. Wir dagegen sehen mit eigenen Augen, wie in unserer technisch sich steigernden Zivilisation mehr und mehr Künstliches sich als das neue Angebot, als das konsumweckende, bedürfnisweckende Fabrikat um uns aufbaut. 2. Was durch diese artifiziell werdende 56
Welt sich notwendig verbreitet, ist Flexibilitätsverlust im Umgang mit der Welt. Wer die Technik benutzt und wer von uns tut es nicht? -, vertraut sich ihrem Funktionieren an und ist mithin durch einen primären Freiheitsverzicht in bezug auf sein eigenes HandelnKönnen überhaupt erst in den Genuß dieser erstaunlichen Bequemlichkeiten und Reichweiten gekommen, die die moderne Technik uns bereitstellt. Zwei Dinge haben sich damit verdunkelt: für wen wird hier gearbeitet? und wie weit dienen die Leistungen der Technik dem Leben? Von da aus stellt sich auf eine neue Weise das Problem, das in jeder Zivilisation gestellt ist, das Problem der gesellschaftlichen Vernunft. Die Technisierung der Natur und der natürlichen Umwelt mit all ihren weitreichenden Wirkungen steht unter dem Titel Rationalisierung, Entzauberung, Entmythologisierung, Abbau vorschneller anthropomorpher Korrespondenzen, und schließlich wird ökonomische Rentabilität, ein neues Schwungrad unaufhörlicher Umgestaltung in unserem Jahrhundert, - und das kennzeichnet die Reife oder, wenn man will, die Krisis unserer Zivilisation - zu einer immer stärkeren gesellschaftlichen Macht. Denn erst das 20. Jahrhundert wird durch die Technik in einer entscheidenden Weise neu bestimmt, sofern nun langsam die Übertragung des technischen Könnens von der Beherrschung der Naturkräfte auf das gesellschaftliche Leben einsetzt. Das war retardiert. Es gab im 18. Jahrhundert Propheten der neuen gesellschaftlichen Zukunft, aber die großen tragenden Kräfte der europäisch-abendländischen Kultur, das Christentum, der Humanismus, das antike Erbe, 57
die alten politischen Organisationsformen blieben bestimmend. Und als mit der Französischen Revolution ein neuer unterer Stand, nämlich der dritte Stand in das gesellschaftliche Leben bestimmend eindrang, der selbst noch oft in religiösen Bindungen lebte, verzögerte sich nochmals die ungehinderte, entschlossene Anwendung technischen Könnens auf das gesellschaftliche Leben. Jetzt aber sind wir soweit. Nicht, daß unsere Gesellschaft von den Technikern der Gesellschaft wirklich ganz und gar bestimmt wird. Aber in unserem Bewußtsein breitet sich die neue Erwartung aus, ob sich nicht durch sinnvolle Planung eine zweckmäßigere Organisation, kurzum Beherrschung der Gesellschaft durch Vernunft und gesellschaftlich vernünftigere Verhältnisse herbeiführen lassen. Das ist das Ideal der Expertengesellschaft, in der man sich an den Fachmann wendet und bei ihm die Entlastung für praktische, politische, ökonomische Entscheidungen, die man zu treffen hat, sucht. Nun ist der Experte wirklich eine unentbehrliche Figur in der technischen Beherrschung von Abläufen. Er ist an die Stelle des alten Handwerks getreten. Aber dieser Experte soll auch die praktische und gesellschaftliche Erfahrung ersetzen. Das ist die Erwartung, die die Gesellschaft in ihn setzt und die er in nüchterner und methodischer Selbsteinschätzung und redlicher Gesinnung nicht erfüllen kann. Noch verhängnisvoller aber bewirkt die technische Durchformung unserer Gesellschaft die Technisierung der Meinungsbildung. Das ist heute vielleicht der stärkste neue Faktor im gesellschaftlichen Kräftespiel. Die 58
moderne Informationstechnik hat Möglichkeiten geschaffen, die in ungeahntem Ausmaß die Auswahl von Informationen nötig machen. Jede Auswahl bedeutet aber Bevormundung. Das kann nicht anders sein. Wer auswählt, enthält vor. Wenn er nicht auswählte, wäre es freilich noch viel schlimmer. Dann würde man durch die unaufhaltsamen Ströme von Information, die einen überfluten, um den letzten Rest von Verstand gebracht. Es ist also unausweichlich, daß die moderne Kommunikationstechnik zu machtvoller Manipulation der Geister führt. Man kann eine öffentliche Meinung planvoll in bestimmte Richtungen lenken und für bestimmte Entscheidungen beeinflussen. Der Besitz der Nachrichtenmittel ist also das Entscheidende - weshalb in jeder Demokratie mehr oder minder ohnmächtige Versuche gemacht werden, in die Verwaltung und Gestaltung der öffentlichen Nachrichtenmittel Balance und Kontrolle zu bringen. Daß dies nicht in dem Grade gelingt, daß der Nachrichtenkonsument einer echten Befriedigung seines Informationsbedürfnisses sicher sein könnte, zeigt sich in der steigenden Apathie der Massengesellschaft gegenüber den öffentlichen Dingen. Die Steigerung des Informationsgrades bedeutet also nicht notwendig eine Stärkung der gesellschaftlichen Vernunft. Es scheint mir vielmehr, daß gerade hier das eigentliche Problem liegt: der drohende Identitätsverlust des Menschen von heute. Wenn der einzelne in der Gesellschaft sich gegenüber ihren technisch vermittelten Lebensformen abhängig und ohnmächtig fühlt, dann wird er zur Identifizierung unfähig. Das aber hat eine tiefe gesellschaftliche Wirkung. Hier 59
liegt in meinen Augen die größte Gefahr, in der unsere Zivilisation steht: die Privilegierung der Anpassungsqualitäten. Es ist in einer technischen Zivilisation letzten Endes unvermeidlich, daß nicht so sehr die kreative Potenz des einzelnen, als seine Anpassungspotenz prämiert wird. Im Schlagwort gesprochen: dre Gesellschaft der Experten ist zugleich auch eine Gesellschaft der Funktionäre. Denn das macht den Begriff des Funktionärs aus, daß er sich selber auf die Verwaltung seiner Funktion konzentriert. In den wissenschaftlichen, technischen, ökonomischen, monetären Prozessen, erst recht in Verwaltung, Politik usw. hat er sich als der, der er ist, das heißt als der zum Funktionieren dieses Apparates Eingesetzte zu bewähren. Danach wird er ausgesucht, darin liegen seine Aufstiegschancen. Selbst wenn die Dialektik dieser Entwicklung einem jeden fühlbar wird, die besagt, daß immer weniger Menschen Entscheidungen treffen und immer mehr Menschen den Apparat nur bedienen - die moderne Industriegesellschaft unterliegt immanentem Sachzwang. Das aber führt zum Verfall der Praxis an die Technik und - nicht durch die Schuld des Experten - zum Verfallen in gesellschaftliche Unvernunft. Was kann in dieser Lage die philosophische Reflexion über den wahren Sinn von Praxis bedeuten? Ich setze an einem Punkte an, der vielleicht unerwartet ist, mir aber alles in allem doch der tiefstliegende scheint, weil er den unwandelbaren anthropologischen Hintergrund für alle menschlichen und gesellschaftlichen Veränderungen, die hinter uns liegen oder in denen wir stehen, dar60
stellt. Was ist in der Natur geschehen, als ein Wesen in der Kette der Bildungen der Natur oder der Schöpfung entstand, das aus der Eingefügtheit alles Lebendigen in seine Instinktzüge und in seinen Bezug auf die Erhaltung der Gattung herausgedreht ist? Der Mensch ist ein Wesen, dessen Lebensinstinkt so verdreht worden ist, daß er gegenüber allem, was wir aus dem Tierreich kennen, eine unbestrittene Besonderheit besitzt, die auch nicht durch das Studium von Tiergesellschaften und ihre Kommunikationsformen, Solidaritätsformen und Aggressionsformen auch nur im geringsten gemindert wird. Das ist das Hinausdenken des Menschen über sein eigenes Leben auf der Welt, d. h. das Denken des Todes. Da ist die Bestattung der Toten, vielleicht das Grundphänomen der Menschwerdung. Bestattung meint ja nicht die eilige Verbergung des Toten, das schnelle Verwischen des erschreckenden Eindrucks eines plötzlich in einem bleichen Dauerschlaf Erstarrten. Im Gegenteil wird mit einem ungeheuren Aufwand an menschlicher Arbeit und Hingabe das Verweilen beim Toten, ja sein Festhalten unter den Lebenden betrieben. Wir stehen staunend vordem Reichtum an Weihgeschenken, der uns aus den Gräbern aller alten Kulturen ständig neu entgegenquillt. Weihgaben verbürgen Dasein. Sie lassen den Tod nicht wahrhaben. Wir müssen das in seiner grundsätzlichen Bedeutung sehen. Es geht hier nicht um Religion oder die Umsetzung von Religion in säkulare Formen von Brauchtum, Sitte und dergleichen, sondern um die Grundverfassung des Menschen, aus der sich der besondere Sinn menschlicher Praxis herleitet: 61
daß es sich hier um ein Lebensverhalten handelt, das aus der Ordnung der Natur wie herausgedreht ist. Wie zwanghaft sind die Lebensinstinkte, die wir an den Tieren beobachten können, etwa bei Vögeln, wie erstaunlich das Ausweichen vor dem toten Artgenossen oder die totale Gleichgültigkeit gegenüber demselben. Das weist kontrasthaft darauf, daß sich der Mensch gegen die natürlichen Instinkte des Lebens und Weiterlebens zu kehren begonnen hat. Von diesem Ausgangspunkte aus lassen sich wesentliche Züge spezifisch menschlicher Praxis erkennen. Da ist zunächst die Arbeit. Hegel hat sehr richtig gezeigt, was für eine gewaltige Verzichtleistung in der Arbeit liegt. Sie ist gehemmte Begierde: wer arbeitet, folgt nicht der unmittelbaren Befriedigung von Bedürfnissen. So gehört das Produkt der Arbeit nie dem einzelnen allein, und insbesondere, wenn die Arbeitswelt durch Arbeitsteilung organisiert ist, gehört es der Gesellschaft. Was sich in dieser beginnenden Gesellschaft als erstes bildet, ist aber Sprache. Was ist Sprache? Wo geht Sprache über die auch stumm gelingende Verständigung - wie wir es etwa an Ameisen oder Bienen sehen - hinaus? Aristoteles hat das Entscheidende gesehen: ein Wesen, das Sprache hat, ist durch Abstand gegenüber dem jeweils Gegenwärtigen ausgezeichnet. Denn Sprache macht gegenwärtig. Im Gegenwärtighalten entfernter Ziele wird die Wahl des Handelns im Sinne der Mittelwahl zu gegebenen Zwekken getroffen - und darüber hinaus werden die verbindenden Normen festgehalten, auf die hin sich menschliches Handeln als gesellschaftliches entwirft. Darin liegt ein erster Schritt zu dem, was wir Praxis 62
nennen. In einem Wesen, dessen Bedürfnisziele komplex und widerspruchsvoll geworden sind, kommt es auf besonnene Wahl, richtige Vornahme, richtige Unterordnung unter gemeinsame Zwecke an. Man denke an die Jägergesellschaften der Frühgeschichte und all die erstaunlichen Gemeinschaftsleistungen, zu denen der Mensch schon damals geschritten war. Deren größte ist die Stabilisierung der Handlungsnormen im Sinne von Recht und Unrecht. Sie erhebt sich auf dem Hintergrund einer fundamentalen und im Bereich der Natur einzigartigen Instabilität des menschlichen Wesens. Ihr unheimlichster Ausdruck ist das Phänomen des Krieges, das unsere heutige Ethnologie und Prähistorie besonders bewegt. Es ist, wie es scheint, die eigenste Erfindung dieses verdrehten Wesens, das man Mensch nennt, und erscheint wie ein Widerspruch der Natur in sich selbst, daß sie ein Wesen hervorgebracht hat, das sich so gegen sich selbst kehren kann, daß es planvoll und organisiert die eigenen Artgenossen überfällt, ausrottet oder verzehrt. Man muß diese Spannweite des Menschlichen - zwischen Totenkult, Rechtspflege und Krieg - im Auge behalten, um den wahren Sinn menschlicher Praxis zu erfassen. Sie erschöpft sich nicht in kollektiv-funktionaler Anpassung an die natürlichsten Lebensbedingungen, wie wir es etwa bei den staatbildenden Tieren finden - menschliche Gesellschaft organisiert sich selbst auf eine gemeinsame Lebensordnung hin, so daß jeder einzelne sie als gemeinsame erkennt und anerkennt (und selbst noch im Bruch derselben, im Verbrechen). Es ist gerade der Überschuß über das zur Er63
haltung des Lebens Notwendige, das sein Handeln als menschliches Handeln auszeichnet. Zwar hat man auch für andere Hervorbringungen der Natur, Pflanzen wie Tiere, allmählich zu erkenen begonnen, daß das rationale ideologische Schema der haushälterischen Natur, die nichts »umsonst« tut, zu eng ist. Aber dort, wo das Verhalten bewußte Zweckmäßigkeit kennt, in der man sich menschlich-vernünftig versteht, weil man die Zweckmäßigkeit der Mittel zu gemeinsam gewünschten Zwecken einsieht, gewinnt der Bereich all dessen, was über Nützlichkeit, Brauchbarkeit, Zweckmäßigkeit hinausgeht, eine eigene Auszeichnung. Wir nennen dergleichen »schön« in dem selben Sinne, in dem die Griechen Kalon sagten: das meinte nicht nur die Schöpfungen der Kunst und des Kults, die jenseits alles Notwendigen stehen, sondern umfaßt all das, worin man sich fraglos versteht, da es wünschbar ist, ohne einer Rechtfertigung seiner Wünschbarkeit unter Gesichtspunkten seiner Zweckmäßigkeit fähig oder bedürftig zu sein. Das nannten die Griechen Theoria: Weggegeben-Sein an etwas, das sich in seiner überwältigenden Präsenz allen gemeinsam darbietet und dadurch ausgezeichnet ist, daß es im Gegensatz zu allen anderen Gütern durch Teilung nicht weniger wird und deswegen umstritten ist wie alle Güter sonst, sondern durch Teilhabe gewinnt. Das ist am Ende die Geburt des Vernunftbegriffs: je mehr sich allen überzeugend Wünschbares für alle darstellt, je mehr sie sich in diesem Gemeinsamen wiederfinden, desto mehr haben die Menschen im positiven Sinne Freiheit, d. h. wahre Identität mit dem Gemeinsamen. 64
Aber was sind das für alte Geschichten und wie sieht die Wirklichkeit aus, in der wir heute stehen? Wo haben wir solche Verklärung in der Gemeinsamkeit der Lebensformen unserer Gesellschaft? Und hat es die überhaupt je gegeben? Wie war es denn damals, wenn man an die Schrecklichkeiten der Sklaverei denkt? und erwächst nicht in jedem Fall aus der Notwendigkeit der Arbeitsteilung und aus der notwendigen Unterschiedlichkeit der Bedürfnisse und ihrer Befriedigung eine unvermeidliche Einschränkung solcher Gemeinsamkeit, wie sie sich nicht im »naturwüchsigen« Verhältnis von Herrschaft und Dienst zeigte? Liegt es nicht in der Natur der Sache, daß dieses Verhältnis sich in das Verhältnis von Herrschaft und Knechtschaft verkehrt? Von den reflektiertesten unter den Kritikern unserer Gesellschaft wird dies heute als Ideologieverdacht formuliert. Geht es nicht bei aller angeblichen Gemeinsamkeit um Interessen der Herrschaft, die sich mit offener Gewalt durchgesetzt hat und nun dieselbe im Namen der Freiheit und als freiheitliche Verfassung deklariert? Die Neomarxisten nennen das die verzerrte Kommunikation. Auch die Sprache, die das eigentlich Gemeinsame und Kommunikative darstellt, sei von Herrschaftsinteressen deformiert. Es wird als Ziel der emanzipatorischen Reflexion, d. h. der vollendeten Aufklärung erklärt, diese Nichtidentität, dieses Sichnicht-Verstehen in dem, was als gemeinsame Welt sprachlich kommuniziert wird, aufzuheben und zur Wiederidentität zu gelangen. Die emanzipatorische Reflexion soll das dadurch leisten, daß sie bewußtmacht und indem sie bewußtmacht, aufhebt, was als trennend 65
und blockierend den eigentlichen Kommunikationsfluß einer Gesellschaft auf das Gemeinsame zu hindert. Das ist der Anspruch der Ideologiekritik. Für das, was sie zu leisten verspricht, wird als Modell von dieser Seite immer wieder auf die Psychoanalyse verwiesen, d. h. auf die psychoanalytische Aufhebung von solchen Identitätsverlusten. Es ist nun der Anspruch der Ideologiekritik, daß man das auch in Staat und Gesellschaft leisten könne. Durch Reflexion, durch Vollendung der Aufklärung, im gewaltlosen Gespräch seien die Repressionen und gesellschaftlichen Deformationen abzubauen - mit dem Ziele, wie es etwa Habermas formuliert, der kommunikativen Kompetenz, so daß man wieder imstande ist über alle Unterschiede hinweg - zu kommunizieren, miteinander zu sprechen und durch Einsicht zu Einverständnis zu gelangen. Das Modell der Psychoanalyse reicht freilich nicht so weit wie der ideologiekritische Anspruch. Das Modell der Psychoanalyse zielt ja auf den Wiederanschluß des Gestörten an eine bestehende kommunikativ verbundene Gesellschaft. Das zeigt sich darin, daß Psychoanalyse die Krankheitseinsicht des Patienten voraussetzt. Niemals wird eine psychoanalytische Behandlung Erfolg haben, wenn jemand widerstrebend und widerwillig und ohne sich in wirklich echter Hilflosigkeit zu wissen, diesen Weg geht. Das Modell ist also nur soweit tragfähig, als es sich auch da um die Wiederherstellung von gestörten kommunikativen Gemeinschaftsbedingungen handelt. Das hat in meinen Augen eine positive und eine nega66
tive Seite, ich würde zunächst nur sagen: die ideologiekritische Arbeit hat dialektische Struktur, sie ist bezogen auf bestimmte gesellschaftliche Bedingungen, auf die sie korrigierend und abbauend wirkt. Sie gehört also selbst in den gesellschaftlichen Prozeß, den sie kritisiert. Das ist ihre unaufhebbare Voraussetzung, die durch keinen Wissenschaftsanspruch ersetzt werden kann. Das gilt am Ende auch von der Psychoanalyse. Mag immer in der psychoanalytischen Therapie ein technisch-wissenschaftliches Können eingesetzt werden - es ist immer auch ein Moment echter Praxis dabei. Hier wird nicht etwas »gemacht« oder durch Konstruktion hergestellt, auch nicht die Lebensgeschichte des Patienten. Die konstruktiven Angebote des Therapeuten müssen ja durch Eigenreflexion des Patienten akzeptiert werden. Das geht weit über jeden technischen Prozeß hinaus, sofern es den Patienten in seiner ganzen gesellschaftlichen und seelischen Verfassung in freie, spontane Arbeit an seiner eigenen Heilung versetzt. Einen indirekten Bezug auf den echten Begriff von Praxis enthält auch die Utopie. Hier ist es vollends klar: Utopie ist ein dialektischer Begriff. Utopie ist nicht der Entwurf von Handlungszielen. Das Charakteristische der Utopie ist vielmehr, daß sie gerade nicht bis an den Moment der Handlung, das »hier und jetzt ist Hand anzulegen« führt. Das gerade nicht. Eine Utopie ist dadurch definiert, daß sie (wie ich es einmal genannt habe), eine Form der Anzüglichkeit aus der Ferne ist. Sie ist nicht primär Handlungsentwurf, sondern Gegenwartskritik. Das läßt sich bei den Griechen lernen. 67
Sie haben das vorgemacht. Was Plato in seiner Politeia, was er in seinen Gesetzen etwa vorführt, was wir als Zeugnis einer ganzen Literaturgattung der Utopie bei den Griechen aus anderen Spuren kennen oder wovon wir wissen, ist dadurch bestimmt, daß es an einem oft bis ins Groteske verzerrten Bilde Einsicht in die Gegenwart und ihre Schwächen vermittelt. Man denke etwa an die Rolle, die die Weiber- und Kinder-Gemeinschaft in der platonischen Politeia spielt, eine provozierende Erfindung, in der offenbar Plato mit einer sehr deutlichen Adresse an die retardierende Funktion von Familiendynastien im gesellschaftlichen Leben der griechischen Polis hinblickt. Es scheint mir naiv, wenn man den Utopiecharakter der Platonischen Schriften möglichst zu mildern sucht, indem man sagt: Aber einiges könnte doch immerhin auch verwirklicht werden. Es soll sogar alles verwirklicht werden, nur nicht gerade durch die Zwangsordnung, die Plato da vorschreibt. Es soll vielmehr echte Solidarität, echte Gemeinsamkeit verwirklicht werden. Die Quintessenz seiner Erkenntnis war, daß nur Freundschaft mit sich selbst Freundschaft mit anderen möglich macht. Es wäre eine lange Geschichte, wie Plato das auch in seinem praktischen politischen Leben als Berater bei jenem unseligen sizilianischen Abenteuer gezeigt hat, über das wir durch seine Sendschreiben, insbesondere den 7. Brief, so gut informiert sind. Die platonische Utopie soll hier nur eine begriffliche Unterscheidung greifbar machen: den Unterschied zwischen Wünschen und Wählen. Es definiert das Wünschen, daß es die Vermittlung mit dem Tunlichen schuldig bleibt. Das in Wahrheit ist Wün68
sehen. Damit ist nichts gegen das Wünschen gesagt. Ich meine sogar, daß Ortega y Gasset vermutlich recht hat, wenn er sagt: Die Technik wird an dem Mangel an Phantasie, an Kraft des Wünschens zugrunde gehen. Es ist die schöpferische Fähigkeit des Menschen, Wünsche zu erfinden und dann die Wege zu ihrer Befriedigung zu suchen. Aber das ändert nichts daran, daß Wünschen nicht Wollen, nicht Praxis ist. Zur Praxis gehört wählen, sich für etwas und gegen etwas entscheiden, und darin ist eine praktische Reflexion wirksam, die in sich selber in höchstem Maße dialektisch ist. Wenn ich etwas will, dann setzt eine Reflexion ein, durch die ich mir die Erreichbarkeit in einem analytischen Prozeß vor Augen führe: wenn ich das und das will, dann muß ich das und das haben, wenn ich das und das haben will, dann muß ich das und das haben . . . so komme ich schließlich bis zu dem zurück, was bei mir steht, wo ich selber Hand anlegen kann. Mit Aristoteles zu sprechen: Der Schluß des praktischen Syllogismus, der praktischen Überlegung ist der Entschluß. Dieser Entschluß aber und der ganze Weg der Reflexion von dem Gewollten zu dem Zu-Tuenden ist zugleich eine Konkretisierung des Gewollten selber. Denn praktische Vernunft besteht nicht nur darin, daß einer einen Zweck, den er für gut hält, auf seine Erreichbarkeit hin reflektiert und das Tunliche tut. Aristoteles unterscheidet sehr ausdrücklich die bloße Findigkeit, die zu gesetzten Zwecken mit einer übersinnlichen Geschicklichkeit die rechten Mittel findet, das heißt, sich überall herauslügt, überall herausbetrügt, überall herausredet. Solche hochstaplerische Scharfsichtigkeit ist keine 69
wirkliche »praktische Vernunft«. Bei dieser geht es um etwas, was sich gegen jede technische Rationalität abgrenzt, nämlich darum, daß das Ziel selber, das »Allgemeine« durch das Einzelne seine Bestimmtheit gewinnt. Das kennen wir in manchen Bereichen unserer gesellschaftlichen Erfahrung. Wir kennen es zum Beispiel aus der Jurisprudenz aller Zeiten. Was das Gesetz vorschreibt, was ein Fall des Gesetzes ist, das ist nur in den Augen lebensgefährlicher Formalisten eindeutig bestimmt. Rechtsfindung heißt, den Fall und das Gesetz so zusammenzudenken, daß dabei das eigentliche Rechte oder das Recht konkretisiert wird. Oft ist daher die Judikatur, das heißt die gefällten Entscheidungen, in den Rechtssystemen wichtiger als die allgemeinen Gesetze, nach denen die Entscheidungen getroffen werden; mit Recht insofern, als der Sinn eines Allgemeinen, einer Norm, sich nur in der Konkretion und durch sie wirklich rechtfertigt und bestimmt. Nur so erfüllt sich auch der praktische Sinn der Utopie. Auch sie ist keine Handlungsanweisung, sondern eine Reflexionsanweisung. Das sind charakteristische Formen von »Praxis«. Man »handelt« nicht, indem man nach freiem eigenen Gutdünken Pläne ausführt, sondern hat es miteinander zu tun und bestimmt die gemeinsamen Angelegenheiten durch sein Tun mit. Praxis beruht also gewiß nicht auf einem abstrakten Norm-Bewußtsein allein. Sie ist immer schon konkret motiviert, zwar voreingenommen, aber auch zur Kritik an Voreingenommenheiten aufgerufen. Wir sind immer schon durch Konventionen beherrscht. In jeder 70
Kultur gilt eine Reihe von ihrem eigenen Bewußtsein völlig entzogenen Selbstverständlichkeiten, und selbst in der allergrößten Auflösung von Herkommensformen, Sitten und Gewohnheiten ist es nur verborgen, in welchem Grade noch immer Gemeinsamkeiten alle bestimmen. Das ist in Hegels Lehre von der bestimmten Negation grundsätzlich erkannt, aber erscheint mir eine sehr wichtige, in unsrer Zeit nicht zuletzt durch den Historismus und alle möglichen relativistischen Theoreme verdeckte Einsicht. Man mag vielleicht fragen: Ist diese vielleicht vorhandene Restgemeinsamkeit genug, aufgrund deren Staat und Gesellschaft überhaupt nur existieren können - etwa, daß vor Gericht ein Zeuge mitunter noch die Wahrheit sagt, weil er die Rechtsordnung achtet, auch wenn ihn kein religiös sanktionierter Eid mehr bindet? usw. Wenn das das Ganze ist, was einem durch die Besinnung auf »Praxis« wieder bewußt werden soll, ist das nicht zu wenig? Aber vielleicht ist das eine zu negative Perspektive. Vielleicht ist die Verbindlichkeit von Praxis und damit die Wirksamkeit gesellschaftlicher Vernunft »in der Praxis« noch immer weit großer, als die Theorie meint? Zwar sieht es zunächst so aus, als erlägen wir in unserem wirtschaftlich-gesellschaftlichen System einer Rationalisierung aller Lebensverhältnisse, die immanentem Sachzwang folgt, so daß wir immer weiter erfinden, immer weiter unsere technische Aktivität steigern, ohne daß wir sehen, wie aus diesem Teufelskreis herauszukommen ist. Weitblickende Leute halten das bereits für die Todeslinie, der die Menschheit entgegengeht. Aber es gibt noch andere, gemeinsame Erfah71
rungen in dieser im Profitstreben atomisierten Gesellschaft, an denen die Grenzen des Machen-Könnens allen bewußt zu werden vermögen. Ich erinnere etwa an den genetischen Schauder, an die Welle von Erschrekken, die durch die Welt ging, als das CIBA-Kolloquium, das über die Züchtungsmöglichkeiten auf genetischem Felde ausgetragen wurde, in die Öffentlichkeit trat. War es ein sittliches Bewußtsein - oder was war es für ein Erschrecken darüber, daß auf genetischem Wege eine Art Übermensch gezüchtet werden und diese Gesellschaft in das Arbeitsbienendasein für solche Drohnen verwandelt werden könnte? Oder nehmen wir ein anderes Phänomen, die Gehirnwäsche. Ich erinnere mich noch aus den frühen dreißiger Jahren, wie die Stalinschen Gehirnwaschprozesse im allgemeinen Bewußtsein mit einer Art fernen Grauens angesehen wurden, man zur Erklärung auf Drogen geriet oder andere Manipulationen, mit denen solche Umdrehung des Bewußtseins erzielt wird. Heute ahnen wir voller Bestürzung, daß die universale Tendenz zum Konformismus, die sich in unserer Welt wie in jeder menschlichen Gesellschaft zeigt, die natürliche, aber freilich unheimliche Ursache einer solchen Umdrehmöglichkeit lang eingewurzelter Überzeugungen zu sein vermag. Vor solchem Machen-Können weichen wir auch hier nicht ohne Schauder zurück. Oder nehmen wir ein Drittes: die Demokratie. Was ist das für eine Demokratie, die von den photogenen Vorzügen des Präsidentschaftskandidaten abhängt? Auch wenn man zugeben mag, daß keiner dadurch allein Präsident wird, daß er photogen ist, aber daß es eine Be72
dingung sein kann, ohne die es nicht geht - fragen wir uns da nicht besorgt, ob das die echte Erfüllung des praktisch-politischen Sinnes von Demokratie sei. Oder nehmen wir ein letztes, sehr unheimliches Problem unserer technischen Welt: die Sterbensverlängerung. Es stellt eine Überforderung des Arztes von heute dar, daß er, entgegen seinem hippokratischen Eid, sterben »läßt«. Er kann endlos lange eine sinnlose, maschinell gestützte vegetative Funktion des Organismus fortsetzen. Aber irgendwann muß er den Mut aufbringen und, wie ich aus vielen Gesprächen mit verantwortlichen Ärzten sagen kann, die ihn quälende Verantwortung auf sich nehmen, zu sagen: jetzt Schluß! Aber hinter all diesen Beispielen steht eine allgemeinere Erfahrung, die als ganze an unsere praktische Vernunft appelliert, indem sie die Grenzen unserer technischen Rationalität bewußtmacht: die ökologische Krise. Sie besteht darin, daß ein potentielles Wachstum unserer Wirtschaft und Technik auf dem Wege, auf dem wir sind, in absehbarer Zeit zu der Verunmöglichung des Lebens auf diesem Planeten führt. Wie alle Kenner dieser Dinge einem sagen, ist das so sicher wie etwa der errechnete Zusammenstoß mit einem großen Himmelskörper, der zu dem kosmischen Ende dieses Planeten als Lebensraum führen würde. Nun verdanken wir diese erste tragende Einsicht selber der Wissenschaft, und ihr verdanken wir noch weit mehr. Wir leben schließlich nicht mehr im Zeitalter der Mechanik mit ihrem riesig ausgestreckten Arm, sondern wir leben im Zeitalter der Reglersysteme, der Kybernetik, der Selbstkontrolle von Systemen. Wir beginnen, 73
durch die wissenschaftliche Aufklärung unserer Zeit zu lernen, daß es Gleichgewichtsbedingungen und Gleichgewichtslagen gibt, auf deren Aufrechterhaltung es ankommt. Diese Einsicht ist zwar vorläufig noch auf sehr begrenzte Teilaspekte unseres Daseins beschränkt und noch nicht bis zum führenden Modell unserer Welterfahrung aufgestiegen, aber was sich hier ankündigt, ist jedenfalls mehr als ein technisches Problem. Die geschlossene Werkstatt der Erde ist am Ende das Schicksal aller. Vielleicht dringt dies Bewußtsein langsam auf dem Wege über die Politik weiter vor. Man braucht sich da gar nichts vorzumachen: Nixon hatte sicherlich bestimmte innenpolitische Gründe, in einem bestimmten Augenblick die ökologische Krisis zum politischen Kampfmittel zu machen, und hätte es nicht ohne solche Absichten getan. Schadet nicht, die List der Vernunft geht krumme Wege. Immerhin ist die Sache in das gesellschaftliche Bewußtsein der Industrievölker dadurch eingedrungen. Nun weiß ich wohl: was helfen die Industrievölker und insbesondere die eines Wirtschaftsblockes ohne das Mitgehen der anderen Industrievölker? Und wie hoffnungslos es ist, einem unterentwickelten Lande die Schaudermär von einer überentwickelten Technik auch nur klarzumachen, habe ich an manchen Beispielen selber erlebt. Wir sind noch weit entfernt von dem gemeinsamen Bewußtsein, daß es um das Schicksal aller auf dieser Erde geht und daß niemand überleben kann, so wenig wie bei sinnlosem Einsatz von Atomzerstörungswaffen, wenn nicht die Menschheit im Laufe einer vielleicht noch vie74
le, viele Krisen und viele, viele Leiden bringenden Erfahrungsgeschichte eine neue Solidarität - aus Not wiederfinden lernt. Niemand weiß, wieviel Zeit wir noch haben. Aber vielleicht ist der Grundsatz gesund: zur Vernunft ist es nie zu spät. Auch darf man den Zeitberechnungen von Krisenpropheten niemals glauben. Solche Berechnungen hängen von zu vielen Unbekannten ab, als daß man zuverlässige Aussagen erwarten kann, und man kann sich, wenn einen gelegentlich gar zu pessimistische Informationen bedrücken, mit der Erinnerung an die Zeit nach Erfindung der Eisenbahn trösten. Damals sagten die Psychiater, Ärzte usw. übereinstimmend voraus, daß mit diesem mörderischen Gerüttel des neuen Transportmittels die seelische Gesundheit der Menschheit zerstört werden würde. Wäre das wahr gewesen, wären wir längst alle verrückt. Vielleicht haben wir auch jetzt etwas Zeit. Man wird das vielleicht einen traurigen Trost finden. Aber ich meine gar nicht, daß das alles ist: es ist ein erstes, nämlich ein erstes Bewußtsein von Solidarität. Gewiß, lediglich aus Not. Aber ist das ein Einwand? Spricht es nicht eher für das Vorhandensein eines fundamentum in re? Auch eine Solidarität aus Not kann andere Solidaritäten wieder aufdecken. So wie wir in dem überreizten Fortschrittsprozeß unserer technischen Zivilisation blind sind für die stabilen, unveränderlichen Elemente unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens, so könnte es auch mit dem wiedererwachenden Solidaritätsbewußtsein einer Menschheit werden, die langsam anfängt, sich als Menschheit zu wissen, das heißt, zu wissen, daß sie auf Gedeih und 75
Verderb zusammengehört und das Problem ihres Lebens auf diesem Planeten lösen muß. Und da glaube ich nun freilich an Wiederaufdeckung von Solidaritäten, die in eine Zukunftsgesellschaft der Menschheit eingehen könnten: ich sehe gewisse Züge der lateinischen Welt, die sich mit einer erstaunlichen Widerstandskraft gegen die industrielle Profitisierung zur Wehr setzt, eine Heiterkeit des natürlichen Lebens, die uns in südlichen Ländern begegnet wie eine Art Beweisstück für ein stabileres Zentrum von Glück und Genußfähigkeit des Menschen. Ich frage mich, ob nicht in den fremden Hochkulturen, die jetzt langsam von der europäisch-amerikanischen Zivilisation technisch überzogen werden, also China, Japan, Indien vor allem, aus der religiösen und gesellschaftlichen Tradition ihrer jahrtausendealten Kultur unter der Decke des europäischen Zimmers und des amerikanischen Jobs noch manches fortlebt, das in der Not vielleicht neue verbindende und gemeinsame Solidaritäten wieder bewußt macht, die praktische Vernunft sprechen lassen. Und am Ende glaube ich, daß auch die bürgerliche Gesellschaft noch einen Beitrag zu leisten hat. Ich meine das nicht im Sinne der Herrschaft einer sozialen Klasse und ihrer Standesideale. Was durch die bürgerliche Gesellschaft als Kulturerbe des Abendlandes in die künftige Weltzivilisation eingeht, mag heute noch in mehr oder minder bürgerlichen oder kleinbürgerlichen Formen des Genusses und der Kompensationsformen für eine drückende Wirklichkeit bestehen. Aber die List der Vernunft geht krumme Wege. Es könnte sein, daß auch von dem, was uns aus einer langen antiken und 76
christlichen Geschichte als Leitbild von Humanität eingeprägt worden ist, noch mehr lebt und zum Selbstbewußtsein zurückkehren kann, als wir heute sehen. Und so möchte ich als eine Art Antwort auf die Frage: Was ist Praxis? zusammenfassen: Praxis ist Sich-Verhalten und Handeln in Solidarität. Solidarität aber ist die entscheidende Bedingung und Basis aller gesellschaftlichen Vernunft. Es gibt ein Wort von Heraklit, dem »weinenden« Philosophen: Der Logos ist allen gemeinsam, aber die Menschen benehmen sich, als hätte ein jeder seine Privatvernunft. Muß das so bleiben?
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Hermeneutik als praktische Philosophie
Hermeneutik ist an sich eine alte Sache. Aber seit etwa 15 Jahren hat sie eine neue Aktualität gewonnen. Wenn wir diese Aktualität würdigen und uns die Bedeutung der Hermeneutik und ihrer Beziehung zu den zentralen Problemen der Philosophie und Theologie klarmachen wollen, müssen wir den geschichtlichen Hintergrund ausarbeiten, vor dem sich das hermeneutische Problem zu seiner neuen Aktualität erhob, und das heißt, wir müssen verfolgen, wie sich die Hermeneutik von einem speziellen und okkasionellen Anwendungsgebiet in das weite Feld philosophischer Fragestellungen hinein geweitet hat. Man versteht unter Hermeneutik die Theorie oder die Kunst der Auslegung, der Interpretation. Der dafür übliche deutsche Ausdruck des 18. Jahrhunderts, >Kunstlehre<, ist eigentlich eine Übersetzung des griechischen >Techne< und rückt die Hermeneutik mit solchen >Artes< wie Grammatik, Rhetorik und Dialektik zusammen. Doch verweist der Ausdruck >Kunstlehre< in Wahrheit noch auf eine andere als diese spätantike Bildungstradition, nämlich auf die von weither kommende und heute nicht mehr wirklich lebendige Tradition der aristotelischen Philosophie. In ihr gab es eine sogenannte philosophia practica (sive politica), die bis zum Ende des 18. Jahrhunderts noch fortlebte. Sie bil78
dete den systematischen Rahmen aller >Künste<, sofern sie alle im Dienste der >Polis< stehen. Um uns in die Mitte der Probleme zu versetzen, müssen wir die Begriffe, die in diesen Namengebungen stecken, einer begriffsgeschichtlichen Reflexion unterziehen. Da ist zunächst das Wort >Philosophie< selbst. Es hatte im 18. Jahrhundert nicht den ausschließlichen Sinn, den wir damit verbinden, wenn wir Philosophie von Wissenschaft unterscheiden und allenfalls darauf bestehen, daß auch sie eine Wissenschaft - oder gar die Königin der Wissenschaften - sei. Philosophie heißt vielmehr nichts anderes als >Wissenschaft<. Aber als >Wissenschaft< galt damals nicht nur die auf den neuzeitlichen Methodenbegriff begründete, Mathematik und Messung handhabende Forschung, sondern alle Sachkunde und Wahrheitserkenntnis war mitgemeint, auch soweit sie nicht durch den anonymen Prozeß erfahrungswissenschaftlicher Arbeit erworben wurde. So ist auch in dem aristotelischen Ausdruck >praktische Philosophie< mit >Philosophie< >Wissenschaft< in jenem allgemeinen Sinne gemeint, zwar als ein mit Beweisen arbeitendes und Lehre ermöglichendes Wissen, aber nicht von der Art der Wissenschaft, die den Griechen das Vorbild theoretischer Erkenntnis (επιστήμη) war: die Mathematik. >Praktisch< heißt diese Wissenschaft im betonten Gegensatz zur theoretischen Philosophie, welche >Physik<, das heißt das Wissen von der Natur, >Mathematik< und >Theologie< (oder erste Wissenschaft, das heißt Metaphysik) umfaßte. Da der Mensch ein politisches Wesen ist, gehörte zur praktischen Philosophie als ihre oberste die politische Wissenschaft, 79
die als die sogenannte >klassische Politik< bis ins 19. Jahrhundert hinein gepflegt wurde. Der moderne Gegensatz von Theorie und Praxis nimmt sich auf diesem Hintergrund etwas seltsam aus. Denn der klassische Gegensatz war letzten Endes ein Gegensatz des Wissens, nicht der Gegensatz zwischen Wissenschaft und Anwendung der Wissenschaft. Darin liegt zugleich, daß auch der ursprüngliche Begriff der Praxis anders strukturiert war. Um ihn wieder zu erfassen und den Sinn der Tradition der praktischen Philosophie zu verstehen, muß man ihn aus der gegensätzlichen Beziehung zur >Wissenschaft< ganz herausdrehen. Nicht einmal der Gegensatz zu >Theoria<, der gewiß in der Aristotelischen Einteilung der Wissenschaften liegt, ist hier wirklich bestimmend, wie schon der schöne Satz des Aristoteles beweist, daß wir diejenigen im höchsten Maße >tätig< nennen, die allein durch ihre gedankliche Leistung bestimmend sind. (Pol. 1325 b 21 ff.). Die Theoria ist selber eine Praxis (πράξις τις). Das klingt nur für moderne Ohren wie ein Sophisma, weil nur für uns die Bedeutung von Praxis durch die Anwendung von Theorie und Wissenschaft bestimmt ist - mit all den ererbten Konnotationen von >Praxis<, die solcher Anwendung der reinen Theorie Unreinheit, Halbheit, Akkomodation oder Kompromiß nachsagen. In sich ist das ganz richtig, und insbesondere Plato hat uns diesen Gegensatz in seinen Staatsschriften beständig eingeschärft. Die unaufhebbare Scheidung, die zwischen der reinen idealen Ordnung und der getrübten und gemischten Sinnenwelt besteht und die Piatos 80
Lehre von der Idee beherrscht, ist jedoch nicht mit dem Verhältnis von Theorie und Praxis im griechischen Sinne identisch. Das Begriffsfeld, in dem Wort und Begriff Praxis ihren eigentlichen Ort haben, ist nicht primär durch den Gegensatz zur >Theorie< und als eine Anwendung von Theorie bestimmt. >Praxis< formuliert vielmehr, wie insbesondere Joachim Ritter in seinen Arbeiten gezeigt hat, die Verhaltensweise des Lebendigen in weitester Allgemeinheit. Praxis als Lebendigkeit steht zwischen Tätigkeit und Befindlichkeit. Sie ist als solche nicht auf den Menschen beschränkt, der allein aus freier Wahl (Prohairesis) tätig ist. Vielmehr meint Praxis den Lebensvollzug (Energeia) des Lebendigen überhaupt, dem ein >Leben<, eine Lebensweise, ein Leben, das in gewisser Weise geführt wird (Bios), entspricht. Auch Tiere haben Praxis und Bios, das heißt eine Lebensweise. Freilich ist hier ein entscheidender Unterschied zwischen Tier und Mensch. Die Lebensweise des Menschen ist nicht von Natur so festgelegt wie die der anderen Lebewesen. Das drückt der ihm allein zukommende Begriff der >Prohairesis< aus. Prohairesis meint Vornahme und vorgängige Wahl. Wissentlich das eine dem anderen vorzuziehen und bewußt zwischen Möglichkeiten zu wählen, ist die alleinige und besondere Auszeichnung des Menschen. Der aristotelische Begriff der Praxis bekommt nun noch einen spezifischen Akzent, sofern er auf den Status des freien Bürgers in der Polis angewandt wird. Dort ist menschliche Praxis im eminenten Sinne des Wortes. Sie ist durch >Prohairesis< des >Bios< ausgezeichnet. Die freie Entscheidung orien81
tiert sich an leitenden Vorzugsordnungen der Lebensführung, sei es an Genuß oder an Macht und Ehre oder an Erkenntnis. Daneben begegnen in der politischen Verfaßtheit des menschlichen Zusammenlebens noch andere Unterschiede der Lebensführung, zwischen Mann und Frau, Greis und Kind, Abhängigen und Unabhängigen (was damals vor allem den Unterschied von Sklaven und Freien meinte). Das alles ist >Praxis<. Praxis ist also hier nicht länger das Naturhafte einer Verhaltensweise, wie bei den Tieren, die in die Züge eingeborener Lebensinstinkte eingelassen sind. Insbesondere die sophistische Aufklärung bestand darauf, daß die >Arete< des Menschen in all diesen Fällen eine verschiedene sei - wenn auch auf die ganze, auf Wissen und Wählen beruhende >Arete< erst im freien Stande des Polisbürgers sich vollendet. Da >Praxis< diesen weiten Bedeutungsbereich einschließt, ist die wichtigste Abgrenzung, die der Begriff der Praxis bei Aristoteles erfährt, nicht die von der theoretischen Wissenschaft, die sich als eine Art höchster Praxis aus dem weiten Bereich menschlicher Lebensmöglichkeiten erhebt, als die Abgrenzung gegen das auf Wissen beruhende Herstellen, die Poiesis, die für das Leben der Polis die Ökonomische Basis darstellt. Insbesondere, wenn es sich nicht um »niedere«, »banausische« Künste handelt, sondern um solche, die ein freier Mann ohne Disqualifikation betreiben kann, gehört solches Wissen und Können zu seiner »Praxis«, ohne doch praktisches Wissen< im praktisch-politischen Sinne zu sein. So ist die praktische Philosophie von der Grenzziehung bestimmt, die zwischen dem 82
praktischen Wissen des frei Wählenden und dem gelernten Können des Fachmanns, das Aristoteles >Techne< nennt, besteht. Praktische Philosophie hat es nicht mit den erlernbaren Handwerkskünsten und Fertigkeiten als solchen zu tun, so wesentlich auch der Anteil solchen menschlichen Könnens für das Gemeinschaftsleben der Menschen ist, sondern mit dem, was einem jeden als Bürger zukommt und was seine >Arete< ausmacht. Die praktische Philosophie muß daher die Auszeichnung des Menschen, Prohairesis zu haben, zum Bewußtsein erheben, sei es als Ausbildung der menschlichen Grundhaltungen solchen Vorziehens, die den Charakter der >Arete< haben, sei es als die alles Handeln leitende Klugheit der Besinnung und Ratfindung. Auf alle Fälle muß sie auch den Gesichtspunkt, unter dem etwas einem anderen vorzuziehen ist, also den Bezug auf das Gute, von ihrem Wissen aus mitverantworten. Da aber das Wissen, das das Handeln leitet, seinem Wesen nach von der konkreten Situation gefordert wird, in der es das Tunliche zu wählen gilt, ohne daß eine erlernte und beherrschte Techne einem die eigene Überlegung und Entscheidung ersparen kann, so ist auch die praktische Wissenschaft, die auf dieses praktische Wissen gerichtet ist, weder theoretische Wissenschaft im Stile der Mathematik, noch Fachwissen im Sinne der wissenden Beherrschung von Arbeitsgängen, >Poiesis<, sondern eine Wissenschaft eigener Art. Sie muß sich aus der Praxis selbst erheben und mit all den typischen Allgemeinheiten, die sie bewußt macht, auf die Praxis zurückbeziehen. Das macht nun in der Tat den spezifischen Charakter der aristotelischen Ethik 83
und Politik aus. Es ist nicht nur so, daß ihr Gegenstand stets wechselnde Situationen und Verhaltensweisen sind, die man natürlich nur in ihrer allgemeinen Regelhaftigkeit und Durchschnittlichkeit überhaupt zur Erkenntnis erheben kann. Den Charakter wirklicher Erkenntnis hat solches lehrbare Wissen typischer Strukturen auch umgekehrt nur dadurch, daß es - wie die Techne, die Kunstlehre stets - immer wieder in die konkrete Situation der Praxis umgesetzt wird. Praktische Philosophie ist also gewiß >Wissenschaft<, das heißt ein Wissen im allgemeinen, das als solches lehrbar ist, aber es ist doch eine unter Bedingungen stehende Wissenschaft. Sie fordert vom Lernenden den gleichen unlöslichen Praxisbezug wie vom Lehrenden. Insofern steht sie dem Fachwissen der Techne zwar nahe, aber was sie grundsätzlich von ihm trennt, ist, daß sie auch die Frage nach dem Guten, zum Beispiel nach der besten Weise des Lebens oder nach der besten Staatsverfassung stellt, und nicht nur, wie die Techne, ein Können beherrscht, dem seine Aufgabe von einer anderen Instanz gestellt wird: von dem Zweck, dem das Herzustellende zu dienen hat. Das gilt nun alles auch für die Hermeneutik. Als Theorie der Interpretation oder Auslegung ist sie nicht einfach nur eine Theorie. Ganz deutlich hat die Hermeneutik von den ältesten Zeiten an bis zum heutigen Tage den Anspruch erhoben, daß ihre Reflexion über die Möglichkeiten, Regeln und Mittel der Auslegung für die Praxis unmittelbar dienlich und förderlich sei während doch etwa eine durchgeführte Theorie der Logik einen wissenschaftlich höheren Ehrgeiz hat als 84
den, das logische Denken zu fördern oder gar die Zahlentheorie darin, das Rechnen zu fordern. Hermeneutik ließ sich daher in erster Annäherung in der Tat als >Kunstlehre< verstehen, wie etwa auch die Rhetorik. Hermeneutik kann, ähnlich wie Rhetorik, eine natürliche Fähigkeit des Menschen bezeichnen und meint dann seine Fähigkeit zum verständnisvollen Umgang mit Menschen. So kann Johann Peter Hebel in einem Brief an seinen Freund Hitzig über einen Theologen sagen, daß er »die schönste aller Hermeneutiken hat und übt, menschliche Schwachheiten zu verstehen und menschlich auszulegen«. So war denn auch die ältere Hermeneutik in erster Linie ein praktisches Bestandstück der Tätigkeit des Verstehens und Auslegens selbst und oft weniger ein theoretisches Lehrbuch - was in der Antike geradezu >Techne< hieß - als ein praktisches Hilfsbuch. Bücher mit dem Titel >Hermeneutik< hatten meist einen rein pragmatisch-okkasionellen Zug und halfen dem Verständnis schwerer Texte durch Erläuterung schwerverständlicher Stellen. Eben auf den Gebieten aber, auf denen schwierige Texte verstanden und ausgelegt werden müssen, hat sich auch die Reflexion über das Wesen solchen Tuns zuerst entwickelt und damit so etwas wie eine Hermeneutik in unserem Sinne hervorgebracht. So vor allem auf dem Gebiet der Theologie. Dort findet sich höchst Wichtiges und Grundlegendes beispielsweise in Augustins >De doctrina christiana<. Insbesondere, wenn er seine Stellung zum Alten Testament zu präzisieren sucht, sah Augustin sich zu einer Reflexion genötigt, die den Sinn von >Verstehen< betraf 85
und den dogmatischen Anspruch seiner Texte zu präzisieren zwang. Es war eine theologische Aufgabe, auseinanderzusetzen, warum das Alte Testament nicht in seinem ganzen Inhalt unmittelbarer Spiegel oder typologische Präfiguration der christlichen Heilsbotschaft sein kann. Dinge, die der christlichen Sittenlehre so widersprachen wie etwa die Polygamie der Patriarchen, ließen sich nicht mehr durch allegorische Auslegung retten und nötigten daher zu einer schlichten historischen Interpretation, die die fernen und fremden Sitten des Nomadentums heranzog - eine wesentliche Differenzierung im Scopus der Auslegung. - Ähnlich wie das Alte Testament für das frühe Christentum, wurde im Zeitalter der Reformation die ganze Heilige Schrift Gegenstand einer neuen hermeneutischen Bemühung und Anlaß zu hermeneutischer Reflexion. Überall sollte ja die allegorisierende Methode dogmatischer Schriftauslegung, die in der römischen Theologie herrschte und damit eine dogmatische Tradition über den Sinn der Schrift Herr werden ließ, zugunsten des >Wortes Gottes< überwunden werden. Nun aber erwies sich die neue Parole der >sola scriptura< ihrerseits als ein schwieriges Auslegungsprinzip. Auch die protestantische Exegese sah sich genötigt, so sehr sie den dogmatischen Charakter der katholischen Bibelauslegungstradition bekämpfte, einen gewissen dogmatischen Kanon aufzubauen, das heißt über die dogmatischen Resultate zu reflektieren, die sich aus ihrem neuen Lesen der Heiligen Schrift in den Ursprachen ergaben. So wurde der neue Grundsatz: >sacra scriptura sui ipsius interpres< zum Ursprung der neuen theologischen Hermeneutik, 86
aber was sich so herausbildete, war nicht einfach nur eine Kunstlehre, sondern umfaßte zugleich eine Glaubenslehre. Ein anderes Gebiet, auf dem Reflexion über das Auslegen von Texten sich nicht nur aus den Schwierigkeiten der hermeneutischen Praxis notwendig ergab, sondern auch aus der sachlichen Bedeutung dieser Texte, war das Gebiet der Jurisprudenz. Da handelte es sich immer um zunächst ganz praktische juristische Fragen, die sich bei der Auslegung von Gesetzestexten und ihrer Anwendung auf Streitfälle ergaben. Es ist ein integrales Moment aller Rechtskunst und Rechtswissenschaft, die Allgemeinheit des Gesetzes mit der konkreten Materie des vor Gericht anstehenden Falles zu vermitteln. Diese Schwierigkeiten steigern sich aber insbesondere dort, wo die Gesetzestexte nicht mehr der unmittelbare Niederschlag von Rechtserfahrung sind, die aus der sozialen Lebenswirklichkeit stammt, sondern eine geschichtliche Erbschaft darstellen, die aus einer andersartigen gesellschaftlich-geschichtlichen Wirklichkeit übernommen wird. Stets ist eine obsolet gewordene, veraltete Ordnung der Grund von Rechtsschwierigkeiten, die für eine sinnvolle Auslegung die Anpassung an die Wirklichkeit verlangen. Dies allgemeine hermeneutische Moment aller Rechtsfindung potenziert sich in Fällen, in denen wir von Rezeption sprechen, so insbesondere bei der Rezeption des Römischen Rechts im neueren Europa. Wie immer man auch diesen Prozeß der Rezeption werten mag und wieviel Entmythologisierung romantischer Vorurteile hier am Platze ist der Prozeß der Verwissenschaftlichung der Rechtspfle87
ge, der mit der Aufnahme der römisch-italischen Rechtskunst nördlich der Alpen einsetzte, hat unter den besonderen geschichtlichen Bedingungen der Neuzeit auch auf diesem Felde zu hermeneutischer Übung und theoretischer Besinnung angetrieben. So war etwa die justinianische Ausnahmestellung des Kaisers (lege solutus) seit alters umstritten und bildete unter den veränderten Umständen der Neuzeit einen beständigen hermeneutischen Stachel. Die Idee des Rechts enthält die Idee der Rechtsgleichheit. Wenn der Souverän dem Gesetz nicht selbst unterliegt, sondern frei über seine Anwendung entscheiden kann, ist offenbar die Grundlage aller Hermeneutik zerstört. Auch hier zeigt sich, daß die rechte Auslegung der Gesetze nicht einfach eine Kunstlehre ist, eine Art logischer Technik der Subsumtion unter Paragraphen, sondern eine praktische Konkretisierung der Rechtsidee. Die Kunst des Juristen ist zugleich Rechtspflege. Eine nicht geringe Spannung entstand aber auch noch in einer ganz anderen Richtung, zu deren Oberwindung es der Hermeneutik bedurfte. Das war, als im neuen Aufbruch des Humanismus die großen lateinischen und griechischen Klassiker als die Vorbilder aller höheren menschlichen Kultur neu angeeignet werden sollten. Der Rückgang auf das klassische Latein, das insbesondere durch seine höhere Stilistik im Vergleich zu dem scholastischen Latein etwas anspruchsvoll Neues war, aber vor allem der Rückgang auf das Griechische und im Falle des Alten Testaments auf das Hebräische verlangte nicht nur vielerlei praktische hermeneutische Hilfe für Grammatik, Lexikon und Realienkunde, was 88
sich in zahlreichen, >Hermeneutica< genannten Hilfsbüchern niederschlug. Die Klassiker beanspruchten überdies eine spezifische Vorbildlichkeit, die das Selbstbewußtsein der Neuzeit in Frage stellte. So gehört die berühmte >querelle des anciens et des modernes< ihrerseits in die Vorgeschichte der Hermeneutik, indem sie eine hermeneutische Reflexion über die Ideale des Humanismus weckte. Wenn man diese querelle neuerdings mit Recht als eine Vorbereitung des Erwachens des geschichtlichen Bewußtseins gewertet hat, so bedeutet das für die Hermeneutik auf der andern Seite, daß sie nicht bloß eine Fertigkeit des Verstehens pflegt, das heißt eine bloße Kunstlehre ist, sondern die Vorbildlichkeit dessen, was sie versteht, mitverantworten muß. So sehr das dem eigenen Selbstverständnis der Hermeneutik als einer >Kunstlehre< widerspricht- sie ist in allen ihren Richtungen, wie sich zeigt, mehr als eine bloße Kunstlehre und gehört in die Nachbarschaft der praktischen Philosophie. Sie hat damit an jenem Selbstbezug teil, der für die praktische Philosophie wesentlich ist. Wenn zum Beispiel die Ethik eine Lehre des rechten Lebens ist, setzt sie doch zugleich dessen Konkretion in einem lebendigen Ethos voraus. Auch die Kunst des Verstehens der Überlieferung setzt, ob es sich um heilige Bücher, um Rechtstexte oder um vorbildliche Meisterwerke handelt, nicht nur deren Anerkennung voraus, sondern bildet die Überlieferung derselben produktiv weiter. Die ältere Hermeneutik stellte freilich keinen zentralen Aspekt innerhalb der Problemkonzeption der traditionellen Philosophie dar, 89
solange sie auf normative >Texte< beschränkt blieb. Insofern ist sie von unserem heutigen philosophischen Interesse an der Hermeneutik noch sehr weit entfernt. Doch trat das Problem der Hermeneutik stärker in das philosophische Problembewußtsein, als nicht nur auf einzelnen Gebieten ein Abstand der Höhe und ein Abstand der Ferne zu überwinden war wie bei den religiösen Urkunden, Gesetzestexten oder fremdsprachlichen Klassikern, sondern wo das Ganze der bisherigen geschichtlichen Überlieferung in solchen Abstand rückte, und das geschah durch den großen Traditionsbruch, den die Französische Revolution darstellte und in dessen Folge die europäische Zivilisation in Nationalkulturen aufsplitterte. Die gemeinsame Überlieferung der christlichen Staatenwelt Europas, die im Hintergrund dieser neuen Entwicklung gewiß fortwirkte, trat mit dem Schwinden ihrer selbstverständlichen Geltung auf eine neuartige Weise ins Bewußtsein, als gewähltes Vorbild, als sehnsuchtsvolles Ziel des Heimwehs und am Ende als Gegenstand geschichtlichen Wissens. Das war die Stunde einer universalen Hermeneutik, durch die das Universum der geschichtlichen Welt aufzuschließen war. Denn es war das Vergangene als solches fremd geworden. Alle Wiederbegegnung mit alter Überlieferung ist nun nicht mehr einfache Aneignung, die ebenso selbstverständlich, wie sie das Alte aufnimmt, das Eigene hinzutut, sondern hat den Graben zu überbrücken, der Gegenwart und Vergangenheit trennt. So wurde die Romantik zum Wegbereiter des historischen Bewußtseins. Es war die allgemeine Parole, auf die originären Quellen zurückzugehen, und 90
unser Geschichtsbild der Vergangenheit wurde auf diese Weise auf einen ganz neuen Boden gestellt. Darin lag eine zutiefst hermeneutische Aufgabe. Wenn man anerkennt, daß die Eigenperspektive von den Gesichtspunkten der Autoren und dem Sinn der Texte der Vergangenheit ganz verschieden ist, bedarf es einer eigenen Anstrengung, damit man den Sinn alter Texte nicht mißversteht und sie doch in ihrer Überzeugungskraft wirklich versteht. Die bloße Beschreibung der inneren Struktur und Kohärenz eines gegebenen Textes und die bloße Wiedergabe dessen, was der Autor sagt, ist noch kein wirkliches Verstehen. Man muß sein Sprechen erneuern, und dazu muß man mit den Sachen vertraut sein, von denen die Texte sprechen. Gewiß muß man auch die grammatischen Regeln, die Stilmittel, die kompositorische Kunst, die einem Text zugrundeliegen, erfassen, wenn man das, was der Autor in seinem Text hat sagen wollen, wirklich verstehen will, aber der Hauptpunkt alles Verstehens betrifft doch das sachliche Verhältnis, das zwischen der Aussage des Textes und unserem eigenen Verständnis der Sache besteht. Gleichwohl tat die nachromantische Epoche bei der Entwicklung des hermeneutischen Verfahrens diesem Hauptpunkt nicht wahrhaft Genüge. Der Entfremdungserfahrung, die im geschichtlichen Bewußtsein zutage trat, bot sich zunächst das aus der Tradition der Kunstlehre stammende Selbstverständnis an: Erlernung des kritischen Könnens im Umgang mit Texten. Diesem Selbstverständnis kam als eine mächtige Unterstützung das steigende logische Selbstbewußtsein der 91
induktiven Wissenschaften zu Hilfe. Man suchte daher dem großen Vorbild der Naturwissenschaften zu folgen und sah das Ideal wie dort so auch hier darin, alle subjektiven Voraussetzungen auszuschalten. So wie für die Naturforschung das durch jedermann nachprüfbare Experiment eine Verifikationsgrundlage darstellt, suchte man auch bei der Auslegung von Texten überprüfbare Verfahrensweisen anzuwenden. Das alte Verfahren der Exegese, die Sammlung von Parallelen insbesondere, fand nun eine historisch-kritische Verfeinerung. Die hermeneutische Methodenlehre, die das romantische Interesse an der Geschichte in ihre wissenschaftliche Obhut nahm, verglich sich auf dieser Basis beständig mit der Methodenlehre der Naturwissenschaften. Ihre Gegenstände, die überlieferten Texte, sollten wie die Beobachtungsdaten in der Naturforschung behandelt werden. Daß ein solches Selbstverständnis der neuen kritischen Philologie, dem auch Schleiermachers Trennung einer allgemeinen Hermeneutik von der Dialektik, und im theologischen Bereich der hermeneutischen Kunstlehre von der Glaubenslehre entsprach, dem Interesse der Historie nicht genügte, blieb zwar bei den großen Historikern, etwa bei Ranke oder Droysen, nicht unempfunden, da es dem theologischen Pathos, das in ihrer kritischen Forschung lebendig war, nicht entsprach. Nicht ohne Grund schlössen sie sich mehr an Fichte, Humboldt und Hegel an. Trotzdem kam es nicht mehr zu einer grundsätzlichen Anerkennung der älteren Tradition der praktischen Philosophie, selbst bei Dilthey nicht, der das Erbe der romantischen Schule auf den Begriff brachte. 92
Es fehlte jede Einsicht in den Zusammenhang zwischen Hermeneutik und praktischer Philosophie. So war es erst, als sich unsere Kultur als ganze der Anzweiflung und der radikalen Kritik ausgesetzt sah, daß Hermeneutik eine Sache von universaler Bedeutung wurde. Das hatte seine überzeugende innere Logik. Man braucht nur an den Radikalismus im Zweifeln zu denken, der sich insbesondere bei Friedrich Nietzsche findet. Sein langsam wachsender Einfluß auf allen Erscheinungsgebieten unserer Kultur war von einer Tiefe, die man nicht genügend zu realisieren pflegt. Die Psychoanalyse zum Beispiel kann man sich gar nicht vorstellen ohne Nietzsches radikale Anzweiflung der Zeugnisse des menschlichen Selbstbewußtseins: Nietzsche stellte die Forderung auf, man müsse tiefer und gründlicher zweifeln als Descartes, der im Selbstbewußtsein das letzte unerschütterliche Fundament aller Gewißheit gesehen hatte. Die Illusionen des Selbstbewußtseins, die Idole der Selbsterkenntnis waren die neue Entdeckung Nietzsches, und die Moderne datiert von dem alles durchdringenden Einfluß Nietzsches. Damit erlangte der Begriff der >Interpretation< eine weit tiefere und allgemeinere Bedeutung. Interpretation meint nun nicht nur die Auslegung der eigentlichen Meinung eines schwierigen Textes: Interpretation wird ein Ausdruck für das Zurückgehen hinter die offenkundigen Phänomene und Gegebenheiten. - Nicht nur die Geltung der Phänomene des Bewußtseins und Selbstbewußtseins (das war der Fall der Psychoanalyse), sondern auch die rein theoretische Geltung wissenschaftlicher Objektivität, auf die in den Wissenschaften 93
Anspruch erhoben wurde, wurde von der sogenannten Ideologiekritik hinterfragt, die den wissenschaftlichen Neutralismus bezweifelte. Der klare Anspruch des Marxismus ging dahin, daß die theoretischen Lehren der Wissenschaften mit innerer Notwendigkeit die Interessen der herrschenden Gesellschaftsklasse und insbesondere die Interessen der Unternehmer und des Kapitals widerspiegeln. Daher war es eine der Forderungen des Marxismus, insbesondere wenn es sich darum handelte, die Erscheinungen des ökonomischen und gesellschaftlichen Lebens zu verstehen, hinter die Selbstinterpretation der bürgerlichen Kultur zurückzugehen, die sich auf die Objektivität der Wissenschaft berief. Auch sonst hat aber die philosophische Karriere des Begriffs interprétations die in den letzten hundert Jahren erfolgte, ihren philosophischen Grund in dem wohlberechtigten Mißtrauen gegen die traditionelle Begrifflichkeit, deren Begriffe nicht so selbstverständlich und voraussetzungslos sind, wie sie sich geben. Das Vorverständnis, das in ihnen impliziert ist, prägt die Probleme der Philosophie in bestimmter Weise vor. Es schematisiert aber nicht nur den philosophischen Gedanken. Unser ganzes kulturelles Leben zeugt von der ältesten ontologischen Erbschaft unseres Denkens, von der griechischen Philosophie. Es war das große Verdienst Heideggers, daß er die Selbstverständlichkeit aufbrach, mit der die griechischen Denker den Begriff des Seins gebrauchten, und insbesondere aufwies, wie das moderne Denken unter der Herrschaft dieses Seinsbegriffs den ganz ungeklärten Begriff von Bewußtsein ausbildete, der das Prinzip 94
der neueren Philosophie darstellt. Sein berühmter Vortrag >Was ist Metaphysik?< stellte die Behauptung auf, daß die traditionelle Metaphysik die Frage nach dem Sein gerade nicht selber gefragt habe, sondern im Gegenteil diese Frage verdeckt hielt, indem sie vom Begriff des Seienden aus das Gebäude der Metaphysik aufbaute. Der wirkliche Sinn dessen, was Heideggers Frage >Was ist Metaphysik?< fragte, läßt sich in Wahrheit nur von dem neuen Begriff von Interpretation aus verstehen. Das wird klarer, wenn man den Titel der Vorlesung Wort für Wort wägt und die geheime Betonung spürt, die das Wort >ist< trägt. - Der Sinn der Frage >Was ist Metaphysik?< ist, zu fragen, was Metaphysik wirklich ist, im Gegensatz zu dem, was Metaphysik sein will und als was sie sich selbst versteht. Was bedeutete es, daß sich die Frage der Philosophie als Metaphysik ausbildete? Was ist die Bedeutung des Ereignisses, daß die griechischen Denker den Kopf hoben und sich von den Bindungen des mythischen und religiösen Lebens freimachten und solche Fragen wagten wie: Warum ist es? und: Was ist es? und: Von wo aus kommt etwas ins Sein? Wenn man die Frage >Was ist Metaphysik?* in dem Sinne versteht, daß man fragt, was sich mit dem Beginn des metaphysischchen Denkens ereignete, dann gewinnt erst die Heideggersche Frage die Kraft ihrer Provokation und enthüllt sich als ein Beispiel des neuen Begriffs von Interpretation. Der neue Begriff von Interpretation, und folgerichtigerweise von Hermeneutik, der hier ins Bild tritt, überschreitet offenkundig die Grenzen einer noch so universal verstandenen hermeneutischen Theorie. In ihm 95
liegt am Ende ein ganz neuer Begriff von Verständnis und Selbstverständnis. Es ist interessant genug, daß der Ausdruck >Selbstverständnis< heute ein richtiger Modeausdruck ist und auch in den aktuellen politischen und gesellschaftlichen Diskussionen beständig gebraucht wird, bis in die Romanliteratur hinein. Worte sind Parolen. Sie drücken oft aus, was fehlt und was sein soll. Ein unsicher gewordenes Selbstverständnis bewirkt, daß jeder davon redet. Aber das erste Aufkommen des Wortes prägt seine Geschichte. Der Ausdruck Selbstverständnis ist erstmals mit einer gewissen terminologischen Betonung von Johann Gottlieb Fichte gebraucht worden. Indem er sich als Anhänger Kants fühlte, beanspruchte er zugleich, mit seiner >Wissenschaftslehre< die einzig vernünftige und authentische Interpretation der Kantischen Philosophie zu geben. Was man von einem Denker verlangen müsse, sei Konsequenz. Nur in der radikalen Konsequenz der Entwicklung seiner Gedanken könne ein Philosoph zu echtem Selbstverständnis gelangen. In den Augen Fichtes gibt es aber nur eine einzige Möglichkeit, mit seinem eigenen Denken in voller widerspruchsloser Übereinstimmung zu sein, und das ist, wenn man all das, was in unserem Denken Geltung beanspruchen soll, aus der Spontaneität des Selbstbewußtseins ableitet und begründet. Wenn man nun behaupten wollte, daß Kant neben seiner Lehre vom Selbstbewußtsein und der Deduktion der Stammbegriffe des Verstandes, der Kategorien, ein >Ding an sich< annahm, das unseren Geist durch unsere Sinnlichkeit affiziere, dann müßte man behaupten, er sei überhaupt kein Denker gewesen, sondern ein Dreiviertels96
köpf, wie Fichte mit schnöder Ruppigkeit es ausdrückt. Denn für ihn ist es selbstverständlich, daß alles, was als wahr gelten soll, durch Tätigkeit hervorgebracht sein muß. Natürlich meint er damit eine geistige Konstruktion, und das hat nichts zu tun mit dem absurden Begriff des Solipsismus, der in den Niederungen der Philosophie des 19. Jahrhunderts herumspukt. Konstruktion, Hervorbringung, Erzeugung sind transzendentale Begriffe, die die innere Spontaneität des Selbstbewußtseins und seine Selbstentfaltung beschreiben. Nur auf diese Weise gebe es ein wirkliches Selbstverständnis des Denkens. Heute ist genau dieser Begriff von Selbstverständnis zusammengebrochen. War es nicht wirklich ein hybrider Ehrgeiz, mit Fichte und Hegel zu behaupten, daß die ganze Summe unseres Weltwissens, unserer > Wissenschafts in einem vollendeten Selbstverständnis erreicht sein könnte? Der berühmte Titel von Fichtes philosophischem Grundwerk ist bezeichnend für diesen Anspruch. >Wissenschaftslehre< hat nichts zu tun mit dem, was man heute >philosophy of science< nennt. >Wissenschaftslehre< meint vielmehr das allumfassende Wissen, die Universalwissenschaft, die in der Ableitung aller Weltinhalte aus dem Selbstbewußtsein besteht. Es charakterisiert die neue Grundstellung der Philosophie und die neue Einsicht, die uns die Erfahrungen der letzten hundert Jahre gebracht haben, daß nicht nur dieser Sinn von >Wissenschaft< nicht mehr erfüllbar ist, sondern daß auch der Sinn von >Selbstverständnis< anders gefaßt werden muß. >Selbstverständnis< kann nicht mehr auf eine vollständige Selbstdurchsichtigkeit hin 97
bezogen werden, das heißt auf die volle Gegenwart unserer selbst für uns selbst. Selbstverständnis ist immer nur unterwegs, das heißt auf einem Wege, den zu vollenden eine klare Unmöglichkeit ist. Wenn es eine ganze Dimension des unerhellten Unbewußten gibt, wenn all unsere Handlungen, Wünsche, Triebe, Entscheidungen und Verhaltensweisen, wenn somit das Ganze unserer menschlich-gesellschaftlichen Existenz auf die dunkle und verhüllte Dimension des unbewußten Triebganzen unserer Animalität zurückgeht, wenn all unsere eigenen bewußten Vorstellungen Maskierungen sein können, Vorwände, unter denen unsere vitale Energie oder unsere gesellschaftlichen Interessen in unbewußter Weise ihre Ziele verfolgen, wenn alle noch so offenkundigen und evidenten Einsichten, die wir haben, solchem Zweifel ausgesetzt sind, dann kann >Selbstverständnis< gewiß nicht eine selbstverständliche Selbstdurchsichtigkeit unseres Daseins bedeuten. Wir müssen auf die Illusion verzichten, das Dunkel unserer Motivationen und unserer Tendenzen ganz aufzuklären. Wir können aber dieses neue Gebiet menschlicher Erfahrungen, das sich im Unbewußten auftut, nicht einfach ignorieren. Was hier zu methodischer Erforschung kommt, ist ja nicht nur jenes Feld des Unbewußten, das der Psychoanalytiker als Arzt betritt, es ist ebenso die Welt der herrschenden gesellschaftlichen Vorurteile, die der Marxismus aufzuklären beansprucht. Psychoanalyse und Ideologiekritik sind Formen von Aufklärung, und beide berufen sich auf den emanzipatorischen Auftrag der Aufklärung, wie ihn Kant formuliert hat als den > Ausgang aus dem selbstver98
schuldeten Zustand der Unmündigkeit^ Indessen, wenn wir die Reichweite dieser neuen Einsichten prüfen, müssen wir, wie mir scheint, kritisch durchleuchten, welche ungeprüften Voraussetzungen traditioneller Art in ihnen fortwirken. Es muß einem fraglich werden, ob das Bewegungsgesetz des menschlichen Lebens wirklich in dem Begriff des Fortschritts, des beständigen Vorankommens vom Unbekannten zum Bekannten gedacht werden kann und ob der Weg der menschlichen Kultur der geradlinige Fortgang von Mythologie zu Aufklärung ist. Man muß eine ganz andere Vorstellung erwägen, nämlich ob die Bewegung des menschlichen Daseins eine unaufhörliche innere Spannung zwischen Erhellung und Verhüllung in sich austrägt. Man muß sich die Frage stellen, ob es vielleicht ein Vorurteil der Moderne ist, daß der Fortschrittsbegriff, der in der Tat für das Wesen der wissenschaftlichen Forschung konstitutiv ist, auf das Ganze des menschlichen Lebens und der menschlichen Kultur übertragen wurde. Man muß die Frage in allem Ernste stellen, ob >Fortschritt<, wie er im Sonderbereich der wissenschaftlichen Forschung zu Hause ist, mit den Bedingungen des menschlichen Daseins im ganzen überhaupt im Einklang ist. Ist die Vorstellung einer steigenden und sich vollendenden Aufklärung am Ende zweideutig? Man muß diesen philosophischen und humanen Hintergrund, diesen gründlichen Zweifel an der Legitimität des Selbstbewußtseins vor Augen haben, wenn man die Bedeutung, das heißt die Aufgabe und die Grenzen dessen, was wir heute Hermeneutik nennen, würdigen 99
will. In gewisser Weise gibt schon das Wort >Hermeneutik< und das ihm entsprechende Wort Interpretation einen ersten Wink. Denn in diesen Worten steckt eine scharfe Unterscheidung zwischen dem Anspruch, eine gegebene Tatsache durch ihre Ableitung von all ihren Bedingungen her vollständig zu erklären, sie aus der Gegebenheit aller ihrer Bedingungen zu errechnen und durch künstliche Veranstaltung herbeiführen zu lernen - das ist das wohlbekannte Ideal naturwissenschaftlicher Erkenntnis - , und auf der anderen Seite dem Begriff der Interpretation, bei der wir immer voraussetzen, daß sie nur eine Annäherung, nur ein Versuch ist, plausibel und fruchtbar, aber klarerweise nie endgültig. Eine endgültige Interpretation scheint ein Widerspruch in sich selbst zu sein. Interpretation ist immer unterwegs. Wenn somit das Wort Interpretation auf die Endlichkeit des menschlichen Seins und die Endlichkeit des menschlichen Wissens hinweist, dann enthält die Erfahrung der Interpretation etwas, was im früheren Selbstverständnis nicht lag, als Hermeneutik speziellen Bereichen zugeordnet wurde und als eine Technik zur Überwindung von Schwierigkeiten in schwierigen Texten zur Anwendung kam. Damals war Hermeneutik als Kunstlehre verstehbar - und ist es nicht länger. Wenn wir nämlich voraussetzen, daß es so etwas wie einen voll durchsichtigen Text oder ein voll ausschöpfbares Interesse im Erklären und Verstehen von Texten überhaupt nicht gibt, dann verschieben sich alle Perspektiven in bezug auf die Kunst und Theorie der Interpretation. Dann wird es wichtiger, bei einer Sache 100
die uns leitenden Interessen aufzuspüren, als nur den klaren Inhalt einer Aussage auszulegen. Es ist eine der fruchtbaren Einsichten der modernen Hermeneutik, daß jede Aussage als Antwort auf eine Frage angesehen werden muß und daß der einzige Weg, eine Aussage zu verstehen, darin besteht, die Frage zu gewinnen, von der her gesehen die Aussage eine Antwort ist. Diese vorgängige Frage hat ihre eigene Sinnrichtung und ist durchaus nicht aus einem Geflecht hintergründiger Motivationen zu gewinnen, sondern im Ausgreifen zu weiteren Sinnzusammenhängen, die von der Frage umfaßt und in der Aussage angelegt sind. Als eine erste Bestimmung, die gegenüber der traditionellen Hermeneutik zu treffen ist, hat daher zu gelten, daß eine philosophische Hermeneutik mehr an den Fragen als an den Antworten interessiert ist. Oder besser, daß sie Aussagen als Antworten auf Fragen, die es zu verstehen gilt, auslegt. Aber das ist noch nicht alles. Womit beginnt denn unsere Anstrengung zu verstehen? Warum sind wir an dem Verständnis eines Textes oder an einer Welterfahrung interessiert, einschließlich unseres Zweifels an offen angebotenen Selbstinterpretationen? Haben wir dafür freie Wahl? Sind wir es, die da die Wahl haben? Ist es überhaupt wahr, daß wir unserer freien Entscheidung folgen, wenn wir bestimmte Dinge zu erforschen oder auszulegen suchen? Freie Entscheidung? Eine unbeteiligte, ganz objektive Bemühung? Mindestens der Theologe wird da wohl Einwendungen haben und sagen: »O nein! Unser Verstehen der Heiligen Schrift kommt nicht aus unserer freien Wahl. Es verlangt einen Akt der Gnade. Und die Bibel 101
ist nicht ein Ganzes von Sätzen, die sich willenlos der menschlichen Analysis zum Opfer bieten. Nein, das Evangelium richtet sich an mich. Es beansprucht, nicht eine objektive Aussage oder ein Ganzes objektiver Aussagen zu sein, sondern eine spezielle Anrede an mich selbst zu enthalten.« Nun, ich denke, es sind nicht nur Theologen, die an der hergebrachten Vorstellung Zweifel haben, daß man beim Interpretieren überlieferter Texte freie Entscheidungen treffe. Es gibt vielmehr uns bestimmende Interessen dabei, sowohl bewußte als auch unbewußte, und immer wird es so sein, daß wir uns fragen müssen, warum ein Text unser Interesse erregt. Daß er uns eine Tatsache mitteilt, wird nie die Antwort sein. Wir müssen im Gegenteil hinter solche vermeintlichen Tatsachen zurückgehen, um unser Interesse für diese Tatsachen zu wecken oder uns bewußt zu machen. Tatsachen begegnen in Aussagen. Alle Aussagen sind Antworten. Das ist aber noch nicht alles. Die Frage, auf die jede Aussage Antwort ist, ist ja selber wieder motiviert, und so ist in einem gewissen Sinne jede Frage selber wieder eine Antwort. Sie antwortet auf eine Herausforderung. Ohne eine innere Spannung zwischen unseren Sinnerwartungen und den allverbreiteten Ansichten und ohne ein kritisches Interesse a.n den allgemein herrschenden Meinungen würde es überhaupt keine Frage geben. Dieser erste Schritt hermeneutischer Anstrengung, insbesondere die Forderung, beim Verstehen von Aussagen auf die motivierenden Fragen zurückzugehen, ist nicht ein Verfahren von besonderer Künstlichkeit, im Gegenteil, es ist unser aller allgemeine Praxis. Wenn 102
wir auf eine Frage zu antworten haben und wir können die Frage nicht recht verstehen, das heißt wir wissen nicht recht, was der andere wissen will, dann müssen wir offenkundig den Sinn der Frage besser zu verstehen suchen. Und so fragen wir zurück, warum man einen das frage. Erst wenn ich den motivierenden Sinn der Frage verstanden habe, kann ich überhaupt anfangen, nach einer Antwort zu suchen. Das ist ganz und gar nichts Künstliches, über die Voraussetzungen nachzudenken, die in unseren Fragen stecken. Es ist im Gegenteil künstlich, nicht über diese Voraussetzungen nachzudenken. Es ist sehr künstlich, sich vorzustellen, daß Aussagen vom Himmel fallen und daß sie analytischer Arbeit unterworfen werden können, ohne überhaupt in Betracht zu ziehen, warum sie gesagt werden und in welcher Weise sie auf etwas Antworten sind. Das ist die erste, grundlegende und in Wahrheit unendlich weit reichende Forderung, die bei jeder hermeneutischen Bemühung verlangt ist. Nicht nur in der Philosophie oder in der Theologie, sondern überhaupt in jeder echten Forschungsbemühung ist gefordert, daß man ein Bewußtsein der hermeneutischen Situation ausarbeitet. Das muß unser erstes Ziel sein, wenn wir uns einer Frage nähern. Um es in den Worten unserer Trivialerfahrungen zu formulieren: Wir müssen verstehen, was dahintersteckt, wenn eine Frage gestellt ist. Verborgene Voraussetzungen bewußtmachen, meint aber nicht nur und in erster Linie, unbewußte Voraussetzungen im Sinne der Psychoanalyse aufklären, sondern es meint, unklare Voraussetzungen und Implikationen bewußtmachen, die in einer sich erhebenden Frage stecken. 103
Die Ausarbeitung der hermeneutischen Situation, auf die es für methodisches Auslegen ankommt, hat dabei einiges Eigentümliche. Die erste leitende Einsicht ist, daß man sich die Unendlichkeit dieser Aufgabe eingesteht. Es ist eine unmögliche Vorstellung, daß man über seine Antriebe oder Frage-Interessen je volle Aufklärung erlangte. Trotzdem bleibt es eine legitime Aufgabe, was unserem Interesse zugrunde liegt, nach Möglichkeit aufzuklären. Nur dann haben wir Aussicht, die Aussagen, die uns beschäftigen, zu verstehen, indem wir unsere eigenen Fragen darin wiedererkennen. Damit hängt zusammen, daß das Unbewußte und Implizite zu unserer bewußten menschlichen Existenz nicht einfach den Gegensatz bildet. Die Aufgabe des Verstehens ist durchaus nicht nur, bis in den innersten Grund unseres Unbewußten hinein aufzuklären, was unser Interesse motiviert, sondern vor allem in der Richtung und in den Grenzen zu verstehen und auszulegen, die durch unser hermeneutisches Interesse bezeichnet sind. In den seltenen Fällen, in denen die kommunikative Intersubjektivität der >Gesprächsgemeinschaft< gründlich gestört ist, so daß man an einem gemeinten und gemeinsamen Sinn verzweifelt, kann das eine Interessenrichtung motivieren, für die der Psychoanalytiker kompetent ist. - Aber das ist eine hermeneutische Grenzsituation. Man kann jede hermeneutische Situation bis zu dieser Grenze der Sinnverzweiflung und Sinnhintergehung zuspitzen. Die Arbeit der Psychoanalyse würde ihre Legitimation und ihren eigenen Sinn, wie mir scheint, falsch einschätzen, wenn sie nicht ihre Aufgabe als eine Grenzaufgabe ansähe 104
und nicht von der Grundeinsicht ausginge, daß sich Leben immer in einer Art Gleichgewicht befindet und daß zu diesem Gleichgewicht auch das Gleichgewicht zwischen unseren unbewußten Trieben und unseren bewußten menschlichen Motivationen und Entscheidungen gehört. Gewiß ist es nie eine volle Konkordanz, die zwischen den Tendenzen unseres Unbewußten und unseren bewußten Motivationen besteht, aber in aller Regel handelt es sich auch nicht um volle Verdeckung und Verstellung. Es ist ein Zeichen von Krankheit, wenn einer sich selber so verstellt hat, daß er nicht weiter weiß, ohne sich einem Heilkundigen anzuvertrauen und in gemeinsamer analytischer Arbeit ein paar Schritte weit den Hintergrund des eigenen Unbewußten aufzuklären - mit dem Ziele, das wiederzugewinnen, was er verloren hatte: das Gleichgewicht zwischen der eigenen Naturheit und unser aller Bewußtheit und Sprache. Demgegenüber ist das Unbewußte im Sinne des Implizierten der Normalgegenstand hermeneutischer Bemühung. Das heißt aber, daß die Verstehensaufgabe eine begrenzte ist - begrenzt durch den Widerstand, den Aussagen oder Texte leisten, und beendet durch die Wiedergewinnung der kommunikativen Sinnhabe, ganz wie beim Gespräch die Aufklärung einer Meinungsverschiedenheit oder eines Mißverständnisses geschieht. In diesem eigentlichen Bereich hermeneutischer Erfahrung, über dessen Bedingungen sich eine hermeneutisehe Philosophie Rechenschaft zu geben sucht, bestätigt sich die nachbarliche Verwandtschaft der Herme105
neutik mit der praktischen Philosophie. Da ist zunächst, daß Verstehen genau wie Handeln immer ein Wagnis bleibt und niemals die einfache Anwendung eines allgemeinen Regelwissens auf das Verstehen gegebener Aussagen oder Texte gestattet. Es heißt weiter, daß Verstehen dort, wo es gelingt, ein Innewerden bedeutet, das als eine neue Erfahrung in das Ganze unserer eigenen geistigen Erfahrung eingeht. Verstehen ist ein Abenteuer und ist wie jedes Abenteuer gefährlich. Man muß durchaus zugestehen, daß das hermeneutische Verfahren, gerade weil es sich nicht damit begnügt, nur erfassen zu wollen, was da gesagt ist oder dasteht, sondern auf unsere leitenden Interessen und Fragen zurückgeht, eine sehr viel weniger große Sicherheit hat, als die Methoden der Naturwissenschaften erreichen. Aber wenn man Verstehen als ein Abenteuer erkennt, so liegt darin auch, daß es besondere Chancen bietet. Es vermag in besonderer Weise dazu beizutragen, unsere menschlichen Erfahrungen, unsere Selbsterkenntnis und unseren Welthorizont auszuweiten. Denn alles, was das Verstehen vermittelt, ist mit uns selbst vermittelt. Ein weiterer Punkt ist der, daß die älteren hermeneutischen Leitbegriffe, die mens auctoris oder die Meinung des Textes, aber auch all die psychologischen Faktoren von Offenheit des Lesers oder Hörers für den Text, insofern nicht das Wesentliche an dem wirklichen Vorgang des Verstehens treffen, als dieser Vorgang in sich ein Vorgang von Kommunikation ist, ja ein Vorgang von wachsender Vertrautheit zwischen der bestimmten Erfahrung beziehungsweise dem >Text< und uns selber. 106
Es liegt in der sprachlichen Verf aßtheit all unseres Verstehens, daß die vagen Vorstellungen von Sinn, die uns tragen, Wort für Wort zur Artikulation gebracht und eben damit kommunikativ werden. Die Gemeinsamkeit alles Verstehens, die in seiner Sprachlichkeit gründet, scheint mir ein essentieller Punkt der hermeneutischen Erfahrung. Wir bilden beständig an einer gemeinsamen Perspektive, wenn wir eine gemeinsame Sprache sprechen und damit an der Gemeinsamkeit unserer Welterfahrung tätig sind. Das bezeugt sich gerade auch an Widerstandserfahrungen, zum Beispiel an der einer Diskussion. Sie ist fruchtbar, wenn eine gemeinsame Sprache gefunden wird. Dann gehen die Teilnehmer auseinander wie Verwandelte. Die individuellen Aspekte, mit denen sie in die Diskussion eintraten, haben sich gewandelt und so sind sie selber gewandelt. Das ist dann auch eine Art von Fortschritt, freilich nicht, wie der der Forschung, ein Fortschritt, hinter den man nicht zurückfallen kann, sondern der immer wieder in der Anstrengung unseres Lebens erneuert werden muß. Das Kleinbild einer erfolgreichen Diskussion kann illustrieren, was ich in der Theorie der Horizontverschmelzung in >Wahrheit und Methode« entwickelt habe, und mag rechtfertigen, warum ich die Situation des Gesprächs auch dort für ein fruchtbares Modell halte, wo ein stummer Text erst durch die Fragen des Interpreten zum Reden gebracht wird. Die Hermeneutik, die ich als eine philosophische bezeichne, stellt sich nicht als ein neues Verfahren der Interpretation oder Auslegung vor. Sie beschreibt im 107
Grunde genommen nur, was immer geschieht und insbesondere immer dort geschieht, wo Auslegung überzeugt und gelingt. Es handelt sich also keineswegs um eine Kunstlehre, die sagen will, wie Verstehen sein müßte. Wir müssen anerkennen, was ist, und so können wir auch nicht ändern, daß in unserem Verstehen immer unausgewiesene Voraussetzungen am Werk sind. Vielleicht sollten wir es nicht einmal ändern wollen, wenn wir es könnten. Verstehen ist eben mehr als die kunstvolle Anwendung eines Könnens. Es ist immer auch Gewinn eines erweiterten und vertieften Selbstverständnisses. Das heißt aber: Hermeneutik ist Philosophie, und als Philosophie praktische Philosophie. Die große Tradition der praktischen Philosophie lebt in einer Hermeneutik weiter, die sich ihrer philosophischen Implikationen bewußt wird. So werden wir auf diese ältere Tradition zurückverwiesen, von der oben die Rede war. Wie dort haben wir auch in der Hermeneutik dieselbe Wechselimplikation zwischen theoretischem Interesse und praktischem Tun. Aristoteles hat das in seiner Ethik mit voller Klarheit durchdacht. Sein Leben theoretischen Interessen widmen, setzt die Tugend der Phronesis voraus. Das schränkt aber den Vorrang der Theorie, das heißt des Interesses des bloßen Wissenwollens, in keiner Weise ein. Ihre Idee ist und bleibt, alle Interessen der Nützlichkeit auszuschalten, ob dieser Nutzen den einzelnen, eine Gruppe oder die Gesellschaft im ganzen betrifft. Auf der anderen Seite ist der Vorrang der >Praxis< unleugbar. Aristoteles war einsichtig genug, das Wechselverhältnis zwischen 108
Theorie und Praxis anzuerkennen. - So ist es Theorie, wenn ich hier über Hermeneutik spreche. Es sind keine praktischen Situationen des Verstehens, die ich damit zu lösen suche. Es handelt sich um eine theoretische Haltung gegenüber der Praxis der Interpretation, der Interpretation von Texten, aber auch der in ihnen und in der kommunikativ sich entfaltenden Weltorientierung ausgelegten Erfahrungen. Aber diese theoretische Haltung macht nur bewußt, was in der praktischen Erfahrung des Verstehens im Spiele ist. So scheint mir, daß die Antwort, die Aristoteles über die Möglichkeit einer Moralphilosophie gab, auch für unser Interesse an der Hermeneutik gilt. Seine Antwort war, daß Ethik gewiß nur ein theoretisches Unternehmen ist, und daß alles, was in theoretischer Beschreibung von Formen des rechten Lebens dort gesagt wird, für die konkrete Anwendung in menschlicher Lebenserfahrung nur eine geringe Hilfe sein könne. Dennoch macht das allgemeine Wissen wollen dort nicht halt, wo konkrete praktische Besonnenheit das Entscheidende ist. Der Zusammenhang zwischen allgemeinem Wissenwollen und konkreter praktischer Besonnenheit ist ein Wechselzusammenhang. So scheint mir: Theoretische Bewußtheit über die Erfahrung des Verstehens und die Praxis des Verstehens, philosophische Hermeneutik und eigenes Selbstverständnis sind voneinander nicht zu trennen.
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Über die Naturanlage des Menschen zur Philosophie
Wir leben in einem Zeitalter, das die Philosophie zu den theologischen Relikten einer überwundenen Vergangenheit rechnen möchte oder gar nichts so sehr der geheimen und unbewußten Interessenabhängigkeit verdächtigt wie das Ideal der reinen Theorie und der Erkenntnis um der Erkenntnis willen. So weckt der kantische Klang, der in der Behauptung einer Naturanlage des Menschen zur Philosophie zum Schwingen kommt, den Widerstand eines Zeitbewußtseins, das nicht einmal mehr der Wissenschaft und dem Geiste kritischer Rationalität, der sie beseelt, zu vertrauen bereit ist. Seit die technische Zivilisation und der fieberhafte Fortschritt, mit dem sie den ganzen Erdball überzieht, die Menschheit vor die atemberaubenden Probleme kriegerischer oder friedlicher Selbstzerstörung gestellt hat, scheint vollends die philosophische Passion wie eine unverantwortliche Flucht in eine Welt verblassender Träume. Und nun soll gar behauptet werden, die Philosophie gehöre ebenso wesentlich zur Naturanlage des Menschen wie sein technischer Verstand und seine praktische Klugheit, deren gesammelter Einsatz für die Zukunftsaufgaben der Menschheit kaum auszureichen scheint. Ist noch Zeit zur Muße und zum müßigen Spekulieren über die unlösbaren Fragen, die die Philosophen einst beschäftigten und die im menschlichen Gemüt weithin ihren Widerhall fanden? 110
Ja, gibt es das überhaupt noch? Ein gebildetes Volk ohne Metaphysik verglich Hegel noch im Jahre 1812 mit einem Tempel ohne Allerheiligstes. Wie weit scheint das zurückzuliegen, und war es nicht damals schon, nach Kants Zerstörung der »dogmatischen« Metaphysik und seiner kritischen Rechtfertigung der modernen Erfahrungswissenschaft und nach dem Epocheneinschnitt der Französischen Revolution, dem Nährboden der philosophie positive, ein rechter Anachronismus, den Anbruch des Zeitalters der Wissenschaft so zu verleugnen? Der rasche Zusammenbruch des Hegeischen Imperiums des absoluten Geistes bestätigt nachdrücklich das Ende der Metaphysik, d. h. aber das Aufrücken der Erfahrungswissenschaften an die erste Stelle im Reiche des denkenden Geistes. Sind sie imstande, diesen Platz auszufüllen? So fragen, heißt prüfen, ob Philosophie wirklich eine Naturanlage des Menschen darstelle oder ob sie nicht bloß eine Phase der Unreife des erkennenden Geistes ist, der sich zu seiner eigenen Rationalität noch nicht genügend befreit hat. Das ist deshalb die eigenüch kritische Frage an die Philosophie. Denn das, was wir Philosophie nennen, mit griechischem Wort eine griechische Sache, meint selber »Wissenschaft«, und diese griechische Sache stellt sich als eine - nein als die entscheidende Phase der Geschichte der Menschheit dar, durch die sich das »Abendland« von der Mythologie der Frühzeit der Menschheit und der orientalischen Hieratik schied und den Weg des Wissenwollens einschlug. Ist dieser Weg jetzt an sein Ziel gekommen und die Philosophie zu Ende? Oder ist sie eine bleibende Anlage 111
des Menschen, die ihn so wesenhaft kennzeichnet wie sein Wissen um seinen Tod und dies, daß er seine Toten bestattet? Und ist es dieser Gedanke eines Jenseits, der im Abendland seinen besonderen Weg einer Wissenschaft von einem Jenseits der Natur, den Weg der Metaphysik gegangen ist? Was war sein Beginn? Alle Anfänge liegen im Dunkel - und was mehr ist, lassen sich stets nur auf ein Späteres hin und von Späterem aus erhellen. Worte führen weiter, zurück ins Dunkel der Frühe, mehr als jedes andere Zeugnis. Was lehrt uns das Wort Philosophie? Aus Piaton wissen wir, daß er dem Worte den scharfen Akzent verlieh, demzufolge »philosophieren« das unablässige, wenn auch stets unerfüllte Streben nach der Wahrheit meint, während das Wissen den Göttern vorbehalten sei. Aber es ist kein Zweifel, daß das die spezifisch platonische Pointierung eines allgemeineren Wortsinnes ist. Thukydides legt dem Perikles in den Mund, daß die Athener »philosophieren« und das Schöne lieben (philosophoumen kai philokaloumen). Hier meint das Wort »Interesse an theoretischen Fragen«. Denn »schön« meint den Bereich dessen, das das Nötige und Nützliche überschreitet und um seiner selbst willen gesucht wird, nur weil es gefällt. Aber das Wort ist offenbar, wie eine Anekdote von Pythagoras lehrt, eine junge Bildung für theoretisches Interesse überhaupt und verknüpft dies Interesse oder diese Vorliebe mit dem Wort »weise«, mit welchem man die Außerordentlichkeit von Männern bezeichnete, deren Wissen oder Können alles überragt. Doch in diesem Wort »weise« vollzog sich eine Bedeutungsprägung, die den späteren platonischen Begriff 112
philosophia vorbereitet. Heraklit gebraucht nämlich den Ausdruck »das Weise«, das über und hinter allem Wißbaren und Kennbaren steht, so wie der Meister über allen Lehrlingen steht und über allem Erlernbaren. Das Weise, das eine Weise, von dem Heraklit Kunde geben will und das sich in allem als das Wahre erweisen soll, der allem gemeinsame Logos, Weltgesetz, Weltgrund, Weltsinn, Sein und Denken in eins, hebt sich ebenso sehr gegen die poetisch-mythischen »Lehren« eines Homer oder Hesiod ab wie gegen die jonische Wissenschaft, deren Weltneugier und Fragelust dem mythischen Denken ein Neues entgegenstellte - und vielleicht ist ja auch, was uns Hesiod als urzeitliche Göttergeschichte und im besonderen, was uns Homer als Götterleben und Göttertaten schildern, selber schon die aus dem mythischen Frühlicht emporsteigende freie Helligkeit poetischer Imagination und theologisch denkender Systematik. In jedem Falle stellt sich das dunkle Spruch wissen Heraklits - so gut wie das Welt-, Zahlen- und Seelenwissen eines Pythagoras oder die allem Sinnenschein trotzende Seinslogik des Parmenides all solcher Vielwisserei entgegen - und das geschieht unter dem neuen Anspruch des Logos, der alle verbindenden, alles zur kommunikativen Klarheit erhebenden Vernunft. Es scheint, daß dies es war, was Piaton zur Umbildung des landläufig gewordenen »Philosophia« veranlaßte. Er gab ihm einen neuen Akzent, kritisch gegen das Wissen seiner Zeit und zugleich zur Verklärung des Mannes, der über sein Leben entschied und ihn zum ersten Lehrer der Philosophie und zum ersten Gründer einer 113
Schule der Philosophie werden ließ: Sokrates. Er schildert ihn als einen schlichten Bürger Athens, der sich vom Wissen der »weisen Leute«, die die Natur erforschten, nichts versprach und statt dessen zur Bekümmerung um die eigene »Seele« mahnte und die Frage nach dem rechten Leben fragte. Er war wirklich Philosoph im neuen platonischen Sinne des Wortes, kein Wissender und Weiser, sondern ausgezeichnet durch das Wissen um seine eigene und aller anderen Unwissenheit über das, was das Wichtigste und allein Wesentliche ist, das Gute. Er holte, wie die Tradition sagte, die Philosophie vom Himmel, d. h. von der Erforschung des Weltenbaues und des Naturgeschehens, herab unter die Menschen, in ruhelosem, unermüdlichem Gespräch nach dem »Guten« fragend - in der Tat das Ur- und Vorbild aller, die im Philosophen einen Mann sehen, dem es um Selbsterkenntnis geht und dem sein Denken dazu hilft, über die Widerfahrnisse des Lebens^ Unglück, Unrecht und Leiden, ja über die Bitterkeit des Todes erhaben zu sein. Hier schlingt sich ein neuer Faden in das Gewebe, aus dem der Philosophenmantel gewebt ist, und die Sokratesnachfolge einer von aller Wissenschaft unabhängigen praktischen Lebensweisheit, beginnend mit jenem Diogenes in der Tonne, der von Alexander dem Großen nichts Höheres zu erbitten wußte, als daß er ihm aus der Sonne gehe, begleitet seitdem den Königsweg der abendländischen Philosophie. Wir werden ihr noch begegnen. Piatons Sokrates-Nachfolge dagegen war nicht diese allein. Er eröffnete den Königsweg, auf dem die Philosophie im Abendland die regina scientiarum, die höch114
ste aller Wissenschaften wurde. Was er in Fortbildung sokratischer Gesprächskunst betrieb, die »Dialektik« als höchste und letzte Rechenschafts- und Begründungsforderung, richtete er nicht nur, wie Sokrates, gegen die menschliche Unwissenheit der Staatsmänner, der Redner und der Dichter, sowie gegen die, die wirklich ihr Handwerk verstehen und am Ende gar gegen die Wissenschaft selbst- und das war vor allem die Mathematik. Auch das noch tiefer begründen, was in der anschaulichen Evidenz mathematischer Lehrsätze bewiesen ist, Fläche und Figur auf die Zahl und diese auf ihre Elemente, Einheit und Vielheit zurückführen, das gab der »Dialektik« den Rang des »eigentlichen« Wissens denn Einheit und Vielheit in eins, das war für Plato das letzte Geheimnis aller Ordnung, der himmlischen wie der menschlichen Dinge, des Weltenbaues wie der Staatsverfassung, der Seelenverfassung wie der gedankenbildenden Rede. Nach Piaton ist der Anfang der »Philosophie«, d. h. der Wißbegierde, das Staunen (Thaumazein). Es stellt sich immer dort ein, wo etwas befremdet, weil es den gewohnten Erwartungen widerspricht, z . B . daß sich die Zahlen und Größen als relativ erweisen und nicht feste Qualitäten der Dinge sind - eine Erfahrung, die zur Einsicht in das, was Zahlen und Größen sind, d. h. zur Mathematik nötigt. Niemand darf hier herein, der nicht Mathematik kann, stand über dem Eingangstor der Akademie in Athen, der ersten philosophischen Schule des Abendlandes. Aber Staunen ist nicht nur SichWundern, sondern auch Bewundern, d. h. beständiges Hinschauen zum Vorbildlichen. Das erst, der platoni115
sehe Aufstieg zum Guten, gibt dem Staunen seine Erfüllung im Schauen. Nicht nur die Mathematik schien Piaton der »Begründung« bedürftig, sondern all unser Wissen überhaupt, das der Fachleute wie das allgemeine Wissen, auf Grund dessen wir unsere praktischen Entscheidungen treffen. All das bedarf des Wissens des Guten. In diesem Sinne kann Plato von der Idee des Guten sagen, daß sie der höchste Wissengegenstand überhaupt sei, und wenn auch Aristoteles dies Denken auf einen letzten Ursprung hin, das er zu seiner ersten Philosophie ausarbeitete, nicht mehr mit der Frage nach dem Praktisch-Guten im menschlichen Leben ineins setzte, so teilt er doch ganz mit Plato das Wissenideal des reinen Schauens, das einem als höchstes Wissen über alle Wissenschaften aufgeht. Bekanntlich hat sich die moderne Erfahrungswissenschaft nur in mühsamer kritischer Arbeit von den Fesseln des Gesamtwissens der aristotelischen Philosophie befreit. Sie erkauft die Gewißheit und Kontrollierbarkeit ihrer Erkenntnisse und den sicheren Weg ihres Fortschreitens durch den Verzicht auf ein Gesamtwissen solchen Stiles. Indem sie das Beobachtbare den quantifizierenden Methoden der Mathematik unterwarf, fand sie einen neuen Begriff des Naturgesetzes und drang durch Experiment und Hypothese nach allen Richtungen zu wissenschaftlicher Erkenntnis vor. Aber was die alte, durch die Metaphysik gekrönte Wissenschaft geboten hatte, ein Ganzes der Weltorientierung, das die natürliche Welterfahrung und ihre sprachlich vermittelte Weltauslegung zu einem einheitlichen 116
Abschluß brachte, das konnte die neuzeitliche Wissenschaft nicht bieten. Wie der Mensch sich nicht mehr im Zentrum des Weltalls weiß, so ist auch seine Wissenschaft nicht mehr die natürliche Ausbreitung seiner Welterfahrung, sondern eine eigene Veranstaltung, ja ein Angriff auf die Natur, der sie einer neuartigen, aber auch nur teilhaften Beherrschung unterwirft. Mag auch das noch Jahrhunderte währende Fortspinnen der Philosophie an den alten Fragen der Metaphysik seit Hume und Kant mehr und mehr vergangen sein - konnten die neuen Erfahrungswissenschaften, die kein solches Gesamtwissen bieten, sondern ein nie endender Prozeß der Erforschung der Natur sind, je ihre Stelle einnehmen? Könnten sie auch nur die Fragen sich stellen, die unser Wissenwollen unablässig bewegen, Fragen, die wahrlich aus dem Staunen entspringen? Ist Staunen nicht noch mehr als jenes Sich wundern und Bewundern Piatos? Kommt es einem nicht vor allem vor dem Fremden und Fremdartigen? Und ist das nicht alles »fremd«: Anfang von allem, Dauer und Ende? Gibt es die Zeit überhaupt, oder ist sie nur »in uns« ? Warum ist überhaupt etwas und nicht nichts? Und was ist das Bewußtsein und Selbstbewußtsein, in dem alles noch einmal ist? Wie soll man verstehen, daß diese in sich scheinende Helligkeit, die wir Bewußtsein nennen, einmal zu Ende sein soll? Wie soll ein jeder von uns, der das denkt, das verstehen? Oder gar, daß die Freiheit, die er in sich selbst zu besitzen meint und die ihm über Räume und Zeiten und Ewigkeiten hin zu denken gestattet, ein bloßer Schein und Traum ist, den ein anderes beherrscht, ein Bündel von Trieben und unbewußter 117
Drang? Das alles weht uns fremd an, noch in ganz anderem Grade als die rätselhafte Tatsache, die Piatons »Theätet« schwindeln machte, daß dasselbe zugleich groß und klein ist. Es ist bezeichnend, daß das Durchdringen der Wissenschaft als des bestimmenden Charakters des Zeitalters zwar der klassischen Funktion der Philosophie ein Ende machte, aber ihr Fortleben in veränderter Gestalt nicht verhindert hat. Das 19. Jahrhundert wurde das Zeitalter der Weltanschauungen, ein Wort, das bis in seinen ursprünglichen Bedeutungsinhalt hinein das Versprechen einer Deutung des Ganzen, das die Wissenschaft nicht mehr einlösen konnte, erneuerte. Es ist nur in der Abwehr dieses weltanschaulichen Denkens, daß die Philosophie, indem sie ihre Aufgabe festhielt, wissenschaftliche Philosophie zu bleiben, mehr und mehr zu einer Philosophie der Wissenschaft, ihrer logischen und erkenntnistheoretischen Grundlagen wurde. Dagegen trat an die Seite des Weltanschauungsdenkens die Kunst. Mit dem Ende der Metaphysik flammte der uralte Wettstreit zwischen Philosophie und Dichtung aufs Neue auf. Hatte Piaton angesichts der Forderung rationaler Rechenschaft, die er in Sokrates verkörpert sah, seine eigenen Dichtungen verbrannt und die großen Dichter der Griechen, Homer und die Tragiker, aus seinem Staate der Bildung verbannt, so trat jetzt der eigene Wahrheitsanspruch der Kunst in mannigfachen Formen hervor. Es ist nicht zu viel gesagt, wenn man die große Romandichtung des 19. und 20. Jahrhunderts, und die Aussage der Kunst insgesamt, in dieser Epoche der bürgerlichen Bildung den alten Aufgaben 118
der Philosophie näher findet und in ihnen die Verwalterin ihres großen Erbes erblickt. Dem entspricht nun auch die Entwicklung und Funktion der sogenannten Geisteswissenschaften, die ihrerseits das Erbe der Metaphysik weitertragen. Im französischen Kulturgebiet gehören sie zu den Lettres - so sehr wird ihre Nähe zur Dichtung empfunden, daß ein einziges Wort sie zusammenschließt. Im angelsächsischen Sprachraum überträgt man den alten humanistischen Begriff der humaniora in den eigenen Sprachkontext unter dem Titel »humanities« und bekundet damit, daß in diesen Wissenschaften nicht die gegenständliche Welt zum Forschungsgegenstand erhoben wird, sondern das Wissen des Menschen von sich selbst und die Welt seiner Schöpfungen, in denen er dies Wissen niedergelegt hat. Am Ende solcher Wissenschaft steht nicht nur Erkenntnis, sondern lebendige Fortbildung des Wissens des Menschen von sich selbst. Vom Standpunkt der Wissenschaftstheorie aus muß das aber alles - der Anspruch der Kunst auf Wahrheit so gut wie ein solcher Anspruch der Geisteswissenschaften, dem Selbstverständnis des Menschen zu diesen - als hybrid bezeichnet werden, d. h. als eine unzulässige Verschmelzung von Imagination mit der Strenge der reinen Wissenschaft. In der Tat ist heute, im Zeitalter eines neuen, radikalisierten Wissenschaftsglaubens, die Rolle der Kunst in der Gesellschaft ebenso umstritten wie das von den Geisteswissenschaften gepflegte Interesse für die geschichtliche Überlieferung der menschlichen Kultur. 119
Es ist ein neuer Ton der Erwartung, mit dem sich das öffentliche Bewußtsein an die Wissenschaft wendet. Zwar betrifft die steigende Beherrschung der Naturprozesse noch immer nur einen kleinen Bereich der Natur, so lebenentscheidend auch insbesondere die Beherrschung der Energieprobleme im Haushalt des Menschen auf der Erde sind. Schon das Wetter bleibt eine stets nachbarliche Erscheinung von Unberechenbarkeit, gar nicht zu reden von dem mit der industriellen Revolution heraufziehenden furchtbaren Problemkomplex der Selbstgefährdung des Lebens auf diesem Planeten, der uns oft wie die Todeslinie der Menschheitsgeschichte vorkommen will. Aber gerade hieraus entspringt die sich steigernde Erwartung, die Wissenschaft möchte am Ende alle Unberechenbarkeiten aus dem eigensten Leben der Gesellschaft verbannen, indem sie alle Lebensbereiche der wissenschaftlichen Beherrschung unterwirft. Da ist etwa die Beherrschung der Probleme, die durch die Pflege des Erbgutes und die Züchtung gegeben sind, sowie die Probleme der Krankheitsverhütung und der Krankheitsbekämpfung, die freilich die Fremdheit des Todes nie aufheben können. Aber auch die naturhaften Grundlagen des Menschseins, die in seinem Triebleben liegen, sollen der wissenschaftlichen Beherrschung unterworfen werden und ein Einklang zwischen den unbewußten Antrieben und den bewußten Motiven durch Wissenschaft herbeigeführt werden. Das ist der universelle Anspruch heutiger Psychoanalyse. Da sind die wissenschaftlichen Probleme, die Wirtschaft und Wohlstand stellen, und deren Bewältigung man von der Ökonomie 120
erwartet. Da ist das Problem der sprachlichen Verständigung der Menschen miteinander: nicht nur die Vielheit der Sprachen, die die Menschen sprechen, sondern auch die Ungenauigkeit im Gebrauch einer jeden Sprache und damit alle Probleme von Verstehen und Mißverstehen sollen durch eine neue wissenschaftliche Beherrschung von Sprache überhaupt, durch ihre rationale Konstruktion und Organisation aufgelöst werden. Da sind die Prozesse der Politik, des gesellschaftlichen Lebens, der Informationsbildung, der Formung der öffentlichen Meinung, der Krieg- und Friedensführung, die durch Wissenschaft aus der emotionalen Sphäre der Zufälligkeit befreit werden sollen. Da ist am Ende der Anspruch, auch den objektiven Geschichtsgang zu erkennen, und das heißt beherrschbar zu machen, und das wiederum führt zu dem Anspruch, wissenschaftlich zu planen und eine Wissenschaft von der Zukunft zu erwerben. Nun bleiben gewiß die Erfolge der Wissenschaft hinter solchen Erwartungen und Hoffnungen auf all solchen Gebieten weit zurück. Meist stellen sie nicht viel mehr als Rahmenvorstellungen dar, deren Ausfüllung und deren Anpassung an die wechselnden Situationen mit den Mitteln der Wissenschaft einfach nicht möglich scheint. Sie geben damit einen gewissen Anhalt. Aber was sie so beliebt macht, ist etwas anderes. Die Autorität der Wissenschaft und der Experten bedeutet Entlastung von der Verantwortung, die der Handelnde trägt - auch wenn die Wissenschaft oft nicht wirkliche Sicherheit geben kann. Es ist keine Frage, daß dabei außerrationale Faktoren hineinspielen und wirksam sind, 121
die jenem älteren Bedürfnis des Wissenwollens näher stehen, das die Philosophie ehedem in sich zusammenfaßte, Erwartungshorizonte und Konventionen, Glaubensvorstellungen, traditionsbestimmte Normbegriffe und all das, was die praktischen Entscheidungen der Menschen seit alters trägt und bestimmt. Indessen, daß es tatsächlich so ist, das entscheidet noch nicht über die Legitimität des Zieles, alle Entscheidungen der Verantwortung der Wissenschaft zu unterstellen. Um diese Frage entscheidbar zu machen, muß man sich eine zur Perfektion gesteigerte Beherrschung all dieser Lebenssphären vor Augen stellen und sich fragen: Könnte eine solche unser Wissenwollen - und das ist nicht zuletzt ein Wissenwollen dessen, was wir zu tun haben - befriedigen? Läßt sich für das Leben des einzelnen wie für das Leben der Gesellschaft eine so vollständige Verwissenschaftlichung denken und wollen, daß eine jede persönliche und politische Entscheidung »objektiv«, d. h. nicht durch uns, sondern durch die Wissenschaft entschieden wird? Oder ist unser Wissenwollen stets von der Art, daß es sich noch aus anderen Quellen ernähren muß als aus denen der immer weiter fortschreitenden Forschung? Gehört es am Ende zum Wissen des Menschen von sich selbst, daß er — wie Sokrates — weiß, was er nicht weiß? Und nie wissen wird? Sind die Fragen abzuweisen, auf die die Wissenschaft keine Antwort weiß und die dennoch das menschliche Gemüt beschäftigen und die die ungeheuren Antworten der Religionen, der Mytologien, von Kunstschöpfungen wie den Tragödien, von Denkwerken wie den Platonischen Dialogen hervorgerufen haben? 122
Niemand wird meinen, daß angesichts dieser alten Fragen und jenes neuen Aufbruchs der Wissenschaft die Philosophie noch einmal ihre alte Gesamtfunktion übernehme und all unser Wissen in einem einheitlichen Weltbild vereinigen könnte. Aber die Naturanlage des Menschen zur Philosophie, d. h. zum Wissenwollen, setzt sich durch. Besteht nicht die Aufgabe fort, das Wissen der Wissenschaft, begrenzt und vorläufig, gesichert und wirkungsmächtig, wie es ist, und all das Wissen vom Menschen, das uns aus der großen geschichtlichen Überlieferung der menschlichen Kultur zuströmt, in unser praktisches Bewußtsein umzusetzen? Hier sehe ich die Aufgabe einer echten Integration: Wissenschaft und das Wissen des Menschen von sich selbst in eines zu binden, um eine neue Selbstverständigung der Menschheit mit sich selber heraufzuführen. Wir bedürfen ihrer. Denn wir leben in einer beständig steigenden Selbstentfremdung, die längst nicht mehr auf den Besonderheiten der kapitalistischen Wirtschaftsordnung allein beruht, sondern auf der Abhängigkeit der Menschheit von dem, was wir als unsere Zivilisation um uns errichtet haben. So stellt sich die Aufgabe, den Menschen wieder zum Verständnis seiner selbst zu bringen, mit steigender Dringlichkeit. Dem dient seit alters die Philosophie, auch in der Gestalt derselben, die ich Hermeneutik nenne (als Theorie und auch als Praxis der Kunst, zu verstehen und das Fremde, Fremdartige, Fremdgewordene zum Sprechen zu bringen). Das mag dazu helfen, gegenüber all dem, das uns fraglos einnimmt, und so auch gegenüber dem eigenen Können Freiheit zu gewinnen. Am Ende behält Piaton 123
recht. Nur durch die Entmythologisierung der Wissenschaft, die zwar das Ihre beherrscht, aber nicht wissen kann, wem sie dient, kann die Herrschaft des Wissens und Könnens zur Selbstbeherrschung werden. Die delphische Forderung: »Erkenne dich selbst« meinte: »Erkenne, daß du ein Mensch bist und kein Gott«. Sie gilt auch für den Menschen im Zeitalter der Wissenschaften, denn sie warnt vor allen Illusionen von Herrschaft und Beherrschung. Selbsterkenntnis allein vermag die Freiheit zu retten, die nicht nur durch die jeweils Herrschenden bedroht ist, sondern mehr noch durch die Herrschaft und Abhängigkeit, die von all dem ausgeht, das wir zu beherrschen meinen.
124
Philosophie oder Wissenschaftstheorie?
Das mir vorgeschlagene Thema klingt etwas sonderbar. Als ob Wissenschaftstheorie nicht auch Philosophie wäre. Der Sinn der gestellten Frage muß also sein : Kann es überhaupt noch in irgendeinem Sinne Philosophie geben außer in dem der Wissenschaftstheorie? Ist das Zeitalter der Philosophie in dem Sinne vorüber, in dem mit Hegels Tod (1831) das Zeitalter der Metaphysik zu Ende war? Ist nicht wirklich in dem Zeitalter der Wissenschaft, in dem wir stehen, der einzig legitime Sinn von Philosophie der der Theorie der Wissenschaft? War es nicht gerade das Verhängnis der Entwicklung der Philosophie in unserem Jahrhundert, d. h. in der Zeit des Zerfalls des Neukantianismus 1 , daß sie sich unter dem Stichwort >Existenzphilosophie< getrennt von der Wissenschaft einen eigenen Anspruch gab? In der Tat war es ehedem der wissenschaftliche Anspruch der Philosophie gewesen, das Surrogat der Weltanschauungen von sich zu weisen. Philosophie sollte selber strenge Wissenschaft sein. Im Zeichen der Wiederentdeckung Kants in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war das eine Selbstverständlichkeit. In charakteristischer Verengung der eigenen Blickrichtung berief man sich dafür auf Kant selber und insbesondere auf die eingängige Form, die Kant seiner kritischen Philosophie in den sogenannten >Prolegomena< gegeben hatte 2 . Wer heute diese Schrift Kants liest, die 125
zwar nur eine faßlichere Darstellung der Grundgedanken der >Kritik der reinen Vernunft* bieten wollte, aber in Wahrheit den eigentlichen Durchbruch und erstaunlich raschen Sieg der Idee der kritischen Philosophie in den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts gebracht hat, entdeckt mit einer gewissen Überraschung, daß die erkenntnistheoretische Kant-Deutung, die das spätere 19. Jahrhundert mit seiner Rückkehr zu Kant vollzog, sich mit einem gewissen Recht auf den Kant der >Prolegomena< berufen konnte. Hier klingt es wirklich beinah so, als sei das Faktum der Wissenschaft vorauszusetzen und als habe die Kantische Kritik nur die rechtfertigende Begründung für dieses Faktum erbringen wollen. Das war in Wahrheit die Perspektive gewesen, unter der im 19. Jahrhundert die Erkenntnistheorie zur Grunddisziplin der Philosophie aufstieg und das Verständnis der >Kritik der reinen Vernunft* ganz unter die Perspektive der Erkenntnistheorie rückte. Das drückt sich etwa darin aus, daß das französische und englische Äquivalent für den in der Mitte des 19. Jahrunderts entstandenen Begriff der Erkenntnistheorie >Epistemologie< oder >Epistemology< hieß. Diese Wörter lassen den griechischen Ausdruck für Wissenschaft und damit die Gleichsetzung aller Erkenntnis mit wissenschaftlicher Erkenntnis anklingen. Der Gegenstand der Erkenntnis, das berühmte >Ding an sich< Kants, ist, wie es in der Marburger neukantianischen Formulierung heißt, nichts als die »unendliche Aufgabe« - und das meint: für die wissenschaftliche Forschung. Es konnte freilich nicht ausbleiben, daß die Denkform der transzendentalen Reflexion, welche die Bedingun126
gen der Möglichkeit der Erfahrung als die Begründung der Erfahrungswissenschaften verstand, auf den ganzen Geltungsbereich der Kultur ausgedehnt wurde. So trat im Neukantianismus selber und insbesondere in seiner südwestdeutschen Form neben die Kategorien, die den Gegenstand der Erkenntnis konstituieren, das Substitut der Werte, deren Geltung es in transzendentaler Reflexion ebenso zu begründen galt, wie die theoretischen Grundbegriffe der Erkenntnis in der sogenannten Erkenntnistheorie begründet wurden. Die Geisteswissenschaften fanden auf diese Weise eine der erkenntnistheoretischen Rechtfertigung der Naturwissenschaften analoge transzendentale Begründung. Es war der Wertbezug, der etwa den Begriff der historischen Tatsache definierte. Nun war die Rückkehr zu Kant, d. h. der Neukantianismus in der Varietät seiner Spielarten, nur die eine der herrschenden Strömungen des Zeitalters - die andere war die durch die englische induktive Logik, insbesondere durch John Stuart Mill3 auch im deutschen Sprachraum überaus einflußreiche Orientierung an dem sogenannten Empirismus, d. h. an der Ableitung der Geltung unserer Begriffe aus dem Rückbezug auf die primären Inhalte der Erfahrung, die in der sinnlichen Wahrnehmung zur Gegebenheit gelangen. Hier war die Erfahrungswissenschaft nicht nur das der Begründung bedürftige Faktum - die Begründung der Wissenschaft und ihrer Allgemeinbegriffe wurde selber als ein Weg und ein Werk der Erfahrung verstanden. Aber ob transzendentaler Apriorismus oder logischer Empirismus - beide Positionen verstanden sich von der Auflö127
sung der dogmatischen Metaphysik her, ob dieselbe nun auf Kant oder auf Hume zurückging, und entsprachen durchaus der Charakteristik des Zeitalters, die Auguste Comtes geschichtsphilosophische Konstruktion gegenüber dem Zeitalter der Metaphysik als das Zeitalter der positiven Wissenschaft bezeichnet hatte 4 . Das Wort >positiv< ist freilich vage genug. Es kennzeichnet geradezu die Lage der Philosophie im Anfang unseres Jahrhunderts, daß sie sich selber als ein Streit um den wahren Positivismus und somit in letzter Instanz als eine Rechtfertigung der positiven Wissenschaften verstehen konnte. Der Begriff des Positiven, d. h. des Gegebenen, war eben in sich unbestimmt und mehrdeutig. Gegebenheit ist Gegebenheit für . . . Das meint offenkundig Bewußtseinsgegebenheit. Heißt das aber auch, wie der frühe Positivismus behauptet hatte, daß die einzigen Bewußtseinsgegebenheiten, auf die sich alle Erkenntnis der Außenwelt zurückführen läßt, die sinnlichen Gegebenheiten, d. h. die sogenannten Empfindungsdaten sind? So daß am Ende eine Mechanik der Sinnesempfindungen dem Aufbau unserer Erfahrungswelt zugrunde liegt? Da setzt die Kritik an: Gibt es überhaupt die Empfindung als eine wirkliche Gegebenheit im Bewußtsein? Oder hängt es am Ende von dem, was das Bewußtsein selber meint und weiß, wenn es etwas als gegeben erfährt, ab, wieweit Sinnesempfindungen als Bausteine der Erfahrung Geltung beanspruchen können? Aber was sind Bewußtseinsgegebenheiten? Läßt sich die Gültigkeit unserer Begriffe, und sei es auch nur im Felde der Logik, aufgrund der psychologischen Erforschung unseres Bewußtseins 128
verstehen? Es war die durchschlagende Kritik an den Verzerrungen, die die sensualistische Psychologie insbesondere den logischen Gebilden gegenüber angerichtet hatte, was eine neue, tiefere Begründung des Apriorismus in der Philosophie heraufführte: die Phänomenologie Edmund Husserls 5 . Die siegreiche Zurückweisung des Psychologismus im ersten Band der l o g i schen Untersuchungen* war jedoch nur der erste Schritt einer neuen philosophischen Grundlegung. Die transzendentale Reflexionsrichtung des Neukantianismus öffnete sich und weitete sich zu einem immensen Felde phänomenologischer Forschung, welche die Zuordnung differenzierter Bewußtseinsweisen, sogenannter Intentionalitäten, zu den ihnen korrelativen intentionalen Gegenständen studieren sollte. Im Begriff der Intentionalität war der dogmatische Zwiespalt zwischen der Immanenz des Selbstbewußtseins und der Transzendenz der Welterkenntnis, der dem Begriff der Erkenntnistheorie und ihren theoretischen Konstruktionen zugrunde lag, grundsätzlich überwunden. Die Erkenntnistheorie wandelte sich in Phänomenologie der Erkenntnis und Philosophie in Phänomenologie, sofern diese in den intentionalen Leistungen des Bewußtseins die Konstitution aller objektiven Geltung begründete. Aber auch die altere sensualistische Begründung der Erkenntnis, die sich ihrerseits >Positivismus< nannte, hielt nicht länger an dem dogmatischen Begriff der Empfindungsgegebenheit fest, sondern untersuchte die Frage nach dem Fundament der Erkenntnis - in Absehung von allen physiologisch-psychologischen Vorannahmen - so wie es in der reinen Immanenz des Wahr129
heitsanspruches von Sätzen seine Rechtfertigung finden konnte. Ihre theoretische Arbeit galt der Problematik der Protokollsätze, d. h. derjenigen Sätze, an deren Wahrheit kein möglicher Zweifel bestehen kann, weil das Aussprechen des Satzes mit der unmittelbaren Erfahrung des beobachteten Sachverhaltes zusammenfällt. Von da sollte der logische Aufbau der Welt gelingen6. So erheben beide Wege, der des philosophischen Apriorismus wie der des logischen Empirismus, den gleichen universellen Anspruch, das Ganze aller möglichen Erkenntnis zu begründen - und das hieß, den Anspruch der Wissenschaft zu rechtfertigen. - Aber ebenso lag darin, daß solche wissenschaftliche Philosophie nicht alles, was die philosophischen Wissenschaften in der klassischen Tradition des Abendlandes gewesen waren, in sich zu umfassen und als wissenschaftlich begründet zu rechtfertigen vermochte. Erinnern wir uns, was das für ein Wissen war. Jedermann kennt die Tradition unter dem Namen der >Metaphysik< und weiß wohl auch, daß dieser Name bei dem Begründer der Tradition, bei Aristoteles, nicht vorkommt, sondern daß es stattdessen >erste Philosophie<, >prima philosophia< heißt. Was man aber im allgemeinen nicht realisiert, das ist, was in dieser Bezeichnung impliziert ist, nämlich daß erste Philosophie nur eine sinnvolle Bezeichnung für die Frage nach dem Ersten, dem Prinzip, sein konnte, solange Philosophie noch den Gesamttitel für alle Art theoretischen Wissens und Wissenschaft darstellte. Die erste Philosophie war nicht nur die erste unter den philosophischen Wissenschaften, 130
sondern die erste unter allen Wissenschaften überhaupt, die in der Summe der griechisch-christlichen Tradition zusammengefaßt sind. >Philosophie< meint Wissenschaft. Wenn man das problematische Verhältnis zwischen Philosophie und Wissenschaft, wie es unsere gegenwärtige Zeit beherrscht, wirklich verstehen will, muß man als erstes die tiefe und einschneidende Bedeutung des 17. Jahrhunderts erkennen. Damals nahm eine neue Idee von Wissenschaft ihren Anfang und fand ihre erste theoretische Begründung. Mit der Galileischen Mechanik und der Ausbreitung ihres Verfahrens auf das ganze Feld der Erfahrung trat eine Idee von Wissenschaft ins Leben, die von der Grundlage der ersten Philosophie, der Lehre von der Substanz als dem wahrhaft Seienden, grundsätzlich geschieden war. Das kühne Unternehmen einer mathematischen Beschreibung und Analyse der Phänomene, das die Evidenz des Augenscheins hinter sich ließ und Galilei zu der Aufstellung der Gesetze der Mechanik führte, war erklärtermaßen mit dem Verzicht auf die Erkenntnis der Substanzen erkauft. Galilei unterwarf die Natur einer mathematischen Konstruktion und gewann so einen neuen Begriff des Naturgesetzes. Die Erforschung der Naturgesetze auf der Basis mathematischer Abstraktion und ihre Verifikation mit den Mitteln des Messens, Zählens und Wagens steht an der Wiege der neuzeitlichen Naturwissenschaften. Sie ermöglichte erst die volle Anwendung von Wissenschaft auf die technische Umarbeitung der Natur für menschliche Zwecke, die unsere Zivilisation von heute im planetarischen Ausmaß geprägt hat. Es war insbe131
sondere die Idee der Methode, d. h. der Sicherung des Erkenntnisweges durch das leitende Ideal der Gewißheit, das einen neuen Einheitssinn von Wissen und Erkenntnis zur Geltung brachte, der mit der Tradition unserer älteren Welterkenntnis nicht mehr in selbstverständlichem Zusammenhang stand. Das ist die erste Voraussetzung, die der gestellten Frage zugrunde liegt. Diese neue Konzeption von Wissenschaft begründete erstmals den engeren Begriff von Philosophie, den wir seither mit dem Wort >Philosophie< verbinden. Freilich handelte es sich nicht um ein Verhältnis der Ausschließung, sondern um Auseinandersetzung, ja Vereinigung der älteren mit der neueren Wissenschaftsidee. Das war von nun an die >eigentliche< Aufgabe der >Philosophie<. Das erste sprechende Exempel für diesen Sinn der philosophischen Wissenschaften<, der bis Kant und Hegel das neuzeitliche Denken beherrscht hat, spiegelt sich aufs deutlichste im Werke Descartes' 7 . Sein >Discours de la Méthode< und mehr noch die konsequente Ausarbeitung seines Methodenideals in den sogenannten >Regulae<, die erst lang nach seinem Tode, erstmals 1700 ans Licht traten, mochten noch so sehr ein neues Wissensideal entwickeln. Es galt zugleich, sich gegenüber dem Wissensanspruch der Tradition zu verantworten. Das berühmteste Werk Descartes' drückt schon im Titel diese Aufgabe der Selbstverantwortung aus: Die >Meditationen über die erste Philosophie* meinen nicht so sehr, wie die deutsche Übersetzung suggeriert, daß hier neue Grundlagen der Philosophie an die Stelle der alten gerückt werden, sondern im Gegenteil, daß das neue Erkenntnis132
und Methodenideal seine Begründung und Rechtfertigung in den >alten< Wahrheiten zu suchen hatte. Zwar war es etwas Ungeheures, daß Descartes in seiner radikalen Zweifelsbetrachtung das Ganze unserer verständlichen Welt in seiner Legitimität in Frage stellte und lediglich in der Unerschütterlichkeit des jeweiligen Selbstbewußtseins eine letzte Gewißheit entdeckte und das alles nicht, wie die antike Skepsis, in antidogmatischer Absicht, sondern um einen neuen, methodischen Weg der Erkenntnis zu begründen und zu rechtfertigen. So war es für ihn ganz evident, daß man nicht in der Unzweifelhaftigkeit des Selbstbewußtseins allein, sondern in der Gottesidee, die in ihm ihre evidente Ausweisung hatte, den Garanten für die Anwendung der Vernunftwahrheiten auf die Erfahrungswelt finden kann. Eben das schien dem Neukantianismus und - in anderer Wendung - selbst Husserl nichts als Unklarheit und Inkonsequenz - so sehr war die Aufgabe der Metaphysik inzwischen verblaßt. In Wahrheit lag für Descartes die ganze Pointe seines neuen Nachdenkens über die Wahrheiten der Metaphysik darin, daß nur auf dem Hintergrunde dieses alten Wahrheitsbegriffs und seines göttlichen Garanten die neue Wissenschaft begründet werden konnte. So steht Descartes am Anfang des Zeitalters der großen philosophischen Systeme, die allesamt darin ihre Aufgabe und ihre Auszeichnung hatten, daß sie das Unvereinbare zu vereinigen, das sich in die Partikularität wissenschaftlicher Forschung Vereinzelnde in das Ganze unserer Welterfahrung einzuordnen suchten. Das ist der Sinn von >System< der Philosophie, der damals aufkam und bis heute einen unkritischen Zu133
gang zu den >Sachen< der Philosophie verrät. Das große Vorbild der Leibnizschen Synthese von Universalmathematik und Individualmetaphysik definiert den Sinn der Philosophie geradezu in dem Sinne, daß sie die neue Wissenschaftsidee mit der Tradition der Metaphysik zu vermitteln hat. Sieht man Kants eigene kritische Leistung im Zusammenhang dieser Generalaufgabe der neueren Philosophie, so nimmt sie sich freilich sehr anders aus, als die neukantische Rechtfertigung des Faktums der Wissenschaften durch tranzendentalc Reflexion suggerierte. So sehr Kant die Leibnizsche Synthese und das Ideal einer Erkenntnis aus Begriffen als »dogmatische Metaphysik< verwirft und durch seine Kritik widerlegt, so gewiß versteht er sich doch selber noch im Fragehorizont der Metaphysik. Nicht nur daß seine Moralphilosophie die wesentlichen Inhalte der traditionellen Metaphysik auf der Basis des Vernunftfaktums der Freiheit neu in Geltung setzt - auch der Begriff einer Metaphysik der Natur, d. h. einer reinen Vernunftwissenschaft, die die Grundbegriffe der Natur zu entwickeln hat, behält für ihn Sinn. Vollends aber haben die kühnen Versuche der Nachfolger Kants8, das Aposteriori der Erfahrung und das Apriori der Vernunft zu einer vollendeten Identität zu steigern, den Gedanken der Metaphysik festgehalten und zum letzten Male die Einheit der philosophischen Wissenschaften als die Einheit allen Wissens abzuleiten unternommen. Gewiß war es ein zum Scheitern verurteilter Versuch, die Physik wieder zur spekulativen Physik zu machen, d. h. den allseitigen Fortschritt der Naturerkenntnis in einer Begriffsnotwendigkeit beanspru134
chenden Naturphilosophie zusammenzufassen und ebenso das unendliche Feld der geschichtlichen Erfahrung der Notwendigkeit des sich selbst begreifenden Geistes unterzuordnen. Aber die Aufgabe bleibt der philosophischen Vernunft gestellt, alles Wissen in ein Ganzes zurückzubinden. Muß das nicht heißen, in Natur und Geist und Geschichte die Verwirklichungen der einen und selben >Vernunft< zu erkennen? Es ist nicht Zufall, daß Hegel aus dem griechischen Begriff des Logos die Basisdisziplin der philosophischen Wissenschaften, die transzendentale Logik entwickelt9. Er, der Erneuerer der platonischen Dialektik, bekennt sich damit zu den griechischen Anfängen einer philosophischen und wissenschaftlichen Tradition, die selbst im Zeitalter der Wissenschaft in seinen Augen ihre unerschöpfte Lebenskraft beweisen. Es ist die Wendung in die kommunikativ verstandene und verständliche Welt, die der platonische Sokrates als die zweitbeste Fahrt, die Flucht in die Logoi, bezeichnet hat 10 , der auch Hegel noch folgt. Die Welt verstehen, wie einer sein eigenes Verhalten versteht, wenn er etwas als >gut< erkannt hat: in dieser denkwürdigen Selbstrechtfertigung, die Plato dem seiner Hinrichtung entgegenwartenden Sokrates in den Mund legt, hat sich ein Weltverständnis philosophisch legitimiert, das zwar unserm Begriff von Wissenschaft nicht mehr entspricht, das aber aus unserer eigenen Welterfahrung nicht wegzudenken ist. Das Zeitalter der Wissenschaft, das nach dem Zusammenbruch und Ende der Hegeischen Synthese von Philosophie und Wissenschaft seinen Lauf begonnen hat, vermochte das Erbe dieser Tradition nicht mehr voll in sich 135
einzubehalten. Das ist es, was der Frage >Philosophie oder Wissenschaftstheorie?< zugrunde liegt: Ist da überhaupt noch ein Weg, im Zeitalter der Wissenschaft das große Menschheitserbe von Wissen und Weisheit zu bewahren und zu bewahrheiten? Daß es mit bloßer Restauration nicht getan ist, zeigte sich vor allem in dem Verlust an öffentlicher Bedeutung, den die Philosophie als ganze im Laufe des 19. Jahrhunderts erfuhr. Es waren die großen Außenseiter wie Schopenhauer und Nietzsche, und nicht Hermann Lotze oder Eduard Zeller, der Erfinder des Wortes >Erkenntnistheorie<, die das 19. Jahrhundert bestimmten 11 . Damals entwickelte sich das Wort >Weltanschauung< zum Modewort, ein wahres plurale tantum, das schon als Wort die Relativität der Weltanschauungen zum Ausdruck bringt, die sich zwar auf Wissenschaft beriefen, aber gerade keine volle wissenschaftliche Ausweisung erlaubten. Der Abwanderung in das Weltanschauungsdenken und seine unauflösbare Pluralität entsprach die Entfaltung des historischen Bewußtseins. Wilhelm Dilthey 12 , der philosophische Repräsentant der historischen Schule, sah die philosophische Aufgabe eben darin, die Vielheit der Weltanschauungen in der »gedankenbildenden Arbeit des Lebens« zu begründen. Das bedeutete aber für das Ganze der Weltdeutung, die sie darstellten, daß Philosophie in ihrem Erkenntnisanspruch überhaupt nicht mehr ernst genommen wurde, sondern wie andere Kulturschöpfungen der Menschheit (Kunst, Recht, Religion usw.) als Ausdruck des Lebens galt, der als solcher zwar Gegenstand wissenschaftlicher Erkenntnis zu werden ver136
mag, aber als Ausdrucksphänomen nicht selbst Wissen ist. Die Denkform dieser wissenschaftlichen Behandlung der Weltanschauungen wurde die Typologie. Dahinter verbarg sich aber in Wahrheit der grundsätzliche Einwand des historischen Relativismus, den keine Argumentationskunst aufzulösen imstande war und der sich gegen jeden Anspruch der Philosophie, Erkenntnis aus Begriffen zu sein, richtete. Damit ist die Situation erreicht, aus der sich die Entfremdung zwischen Philosophie und Wissenschaft im 20. Jahrhundert herleitet. Gewiß konnte man es als eine Aufgabe der Philosophie bezeichnen und in Anspruch nehmen, das Auseinanderfallen des menschlichen Denkens in Typen der Weltanschauung seinerseits zu begreifen. Das war im besonderen die Leistung der Existenzphilosophie, daß sie aus der Erfahrung der Grenzsituationen, in denen das Wissen der Wissenschaft keine Weltorientierung mehr zu leisten vermag, einen eigenen Begriff von Existenz entwickelte, d. h. die Vernünftigkeit der Existenz zur Geltung brachte. Aber damit wurden in Wahrheit die Wissenschaften in ihrer zwingenden Richtigkeit für sich stehen gelassen und dem Begründungsanspruch der Philosophie entzogen, die auf dem Grunde der Bewegtheit der Existenz die Chiffren der Transzendenz - als Metaphysik, als Religion, als Kunst zu lesen unternahm und damit die Philosophie in das Lampenlicht des Privaten drängte. Es ist nicht die allgemeine Bedeutung der Wissenschaft für die menschliche Zivilisation, die einer solchen Privatisierung der Philosophie widersteht - das könnte ihr Schicksal sein, sich nur im Rückzug ins Private zu er137
halten. Indessen, die gesellschaftliche Funktion der Wissenschaft und ihre Ermöglichung der Technik ist nicht ein Äußeres, demgegenüber Philosophie das Reich der Innerlichkeit und der vernünftigen Freiheit in ungestörtem Besitz behalten könnte. Es ist insbesondere die steigende Bedeutung der Wissenschaft für die Technik der Meinungsbildung und Urteilsbildung innerhalb der menschlichen Gesellschaft, die es verbietet, sich an den Grenzen der wissenschaftlichen Weltorientierung auf die Vernunft der Existenz zu berufen. Das nicht länger zu dürfen, ist die Signatur unserer Zeit. Auch wenn Philosophie darauf verzichten muß, in die Arbeit der Wissenschaften selber richtungweisend oder gar berichtigend einzugreifen, muß sie ihre alte Aufgabe der Rechenschaftsgabe nunmehr erst recht dem durch Wissenschaft gestalteten Leben selbst zuwenden. Die Unabhängigkeit der Wissenschaft von der Philosophie bedeutet ja zugleich ihre Verantwortungslosigkeit - natürlich nicht im moralischen Sinne des Wortes, sondern im Sinne ihrer Unfähigkeit und Unbedürftigkeit, über das Rechenschaft zu geben, was sie selber im Ganzen des menschlichen Daseins, d. h. vor allem in ihrer Anwendung auf Natur und Gesellschaft bedeutet. Das ist nun freilich nicht das, was die sogenannte Wissenschaftstheorie als ihre philosophische Aufgabe ansieht. Aber muß sie nicht über die Aufgabe einer immanenten Rechtfertigung des Tuns der Wissenschaft hinausgehen, wenn sie wirklich Rechenschaftsgabe sein will? Muß ihre Rechenschaftsgabe nicht selber das Ganze des Wissens meinen und Wissenschaft im Ganzen unseres Wissens, und stößt sie dann nicht auf eben 138
die Fragen, die Philosophie von jeher gefragt hat und nicht aufgeben kann, weder nach Kants »alles zermalmender« Kritik noch nach der Diskreditierung der >Spekulation< im 19. Jahrhundert noch selbst nach dem Verdikt, das das Ideal der »unity of science« gegen alle >Metaphysik< geschleudert hat? Ich möchte zeigen, daß nicht nur der universale Apriorismus hinter die Wissenschaft zurücktragen mußte, sondern daß aller Wissenschaftstheorie selber der Gedanke der Selbstrecbtfertigung zugrunde liegt, der sie über sich hinausnötigt. So war es das Besondere der Phänomenologie gegenüber den übrigen Formen des Neukantianismus, daß sie die natürliche Welterfahrung, die noch aller wissenschaftlichen Methodik vorausliegt, und ihre konstitutiven Begriffe aufzuklären unternahm. Die späte Wortprägung von >Lebenswelt<, die im Zusammenhang philosophischer Rechenschaftsgabe im späten Husserl 13 eine bedeutende Rolle spielte, gibt dem deutlichen Ausdruck. Aber gerade hier stieß die Phänomenologie auf eine Grenze ihres Ideals der >Letztbegründung<. Es waren die Aporien der Selbstbezüglichkeit der Phänomenologie als der Wissenschaft vom reinen Bewußtsein und insbesondere die Aporien der Selbstkonstitution der Zeitlichkeit, in denen das transzendentale Selbstbewußtsein des Ego sich verwickelt, was den ganzen Entwurf einer transzendentalen Phänomenologie zum Einsturz brachte. Den entscheidenden Durchbruch bedeutete dabei Heideggers14 Kritik am Begriff des Bewußtseins und die Aufdeckung seiner ontologischen Vorgreiflichkeit. Das war die eigentliche Pointe der >Einführung< in die Seinsfrage, die >Sein und 139
Zeit< darstellt. Wenn Heidegger die Frage nach dem Sein neu zu stellen unternahm, war es nur konsequent, daß am Ende die Zeitlichkeit des Daseins, d. h. seine Endlichkeit und Geschichtlichkeit, die den Horizont der Seinsfrage öffnete, nicht einfach an die Stelle des transzendentalen Bewußtseins trat, sondern daß die gesamte Denkform einer transzendentalen Begründung der Umbildung verfiel. Zwar war es bereits in sich eine bedeutende Einsicht, daß sich der Objektivitätsbegriff der Wissenschaft ontologisch als ein derivierter Modus des menschlichen Daseins und seiner Weltangewiesenheit verstehen läßt. Nur Narren können in solcher ontologischer Derivation eine Minderung der Bedeutung oder der Rechtmäßigkeit der Wissenschaft sehen. Aber es konnte noch scheinen, als ob die radikale Fragestellung der Philosophie dem rechtmäßigen Geschäft der Wissenschaft gleichsam von sich aus seinen Platz anwiese. In Wahrheit war es gerade die Pointe der ontologischen Einsicht, die das Denken Heideggers vermittelte, daß die Wissenschaft einem Seinsverständnis entspringt, das sie nötigt, von sich aus jeden Platz in Anspruch zu nehmen und keinen Platz außerhalb ihrer überhaupt unbesetzt zu lassen. Das aber heißt, daß heute nicht die Metaphysik, sondern die Wissenschaft >dogmatisch< mißbraucht wird. Eine ähnliche Kritik an dogmatischen Voraussetzungen vollzog sich aber auf dem Felde des logischen Empirismus selber. War durch die Heideggersche Kritik an der Phänomenologie die apodiktische Evidenz des Selbstbewußtseins als ein ontologisches Vorurteil enthüllt worden, so hatte auch die Konzeption des logischen 140
Empirismus ein dogmatisches Element, das insbesondere in dem Fundament aller Erkenntnis, der Unmittelbarkeit der sinnlichen Wahrnehmung bzw. Beobachtung lag. Es war im Grunde schon in den Anfängen des Wiener Kreises umstritten, ob die sogenannten Basissätze einer wissenschaftlichen Theorie eine Gewißheitsauszeichnung besitzen, und jedenfalls hatte sich der Begriff des Protokollsatzes bald als unzulänglich erwiesen, eine solche Auszeichnung zu begründen. Eine solche kann am Ende nur von der Funktion von Sätzen im Ganzen einer Theorie aus geleistet werden. Das aber ist am Ende ein hermeneutischer Grundsatz, daß sich das Einzelne ebensosehr aus dem Ganzen bestimmt wie das Ganze aus den vielen Einzelnen. So konnte auch die logische Form der Induktion einer schärferen Kritik nicht standhalten. Es war das Verdienst der Selbstkritik des Wiener Kreises, die Rechtfertigung von Erkenntnis im Sinne einer allem Zweifel entrückten Gewißheit als eine unmögliche Aufgabe erkannt zu haben. Gewiß haben wissenschaftliche Theorien ihren Sinn und ihre Geltung am Ende nur durch die Bestätigung, die die Erfahrung ihnen zuteil werden läßt. Aber Erkenntnisgewißheit wird noch lange nicht durch eine anwachsende Reihe von Bestätigungen erbracht, weit eher durch das Ausbleiben von Gegeninstanzen, die Falsifikation bedeuten würden. Es war eine konsequente Zuspitzung der Logik der Bestätigung, wenn Karl Popper 15 statt die Verifizierbarkeit die Falsifizierbarkeit zur logischen Bedingung wissenschaftlicher Aussagen erhob. In Wahrheit beschränkt sich freilich das wirkliche Verfahren der Forschung 141
auch nicht auf diese Selbstvergewisserung e contrario. Aber es definiert, wie mir scheint, auf angemessene Weise die Fruchtbarkeit einer wissenschaftlichen Fragestellung, daß ihre Beantwortung >offen< ist - d. h. daß Erfahrung die erwartete Bestätigung verweigern kann. Es scheint mir daher auch gar nicht im Widerspruch zur Logik der Forschung, wenn Thomas Kuhn 16 die Bedeutung des Paradigmas für den Fortgang der Forschung herausarbeitete. Seine Theorie der >Revolution< in der Wissenschaft kritisiert mit Recht die falsche Stilisierung auf Gradlinigkeit, die mit dem Fortschritt der Wissenschaft verknüpft sei, und zeigt die Diskontinuität, die durch die jeweilige Herrschaft paradigmatischer Grundentwürfe bewirkt wird. Der ganze Problembereich der >Relevanz< von Fragen hängt daran - und das ist eine hermeneutische Dimension. In ähnlicher Weise war auch der Weg des Aufbaus einer eindeutigen Wissenschaftssprache, die imstande wäre, den logischen Aufbau der Welt zu rekonstruieren, in Schwierigkeiten geraten, uind am Ende hat erst die Überwindung des nominalistischen Korrespondenzideals zwischen sprachlichen Zeichen und Bedeutung den Gedanken der Letztbegründung auch in dieser Fragerichtung zu Fall gebracht. Es war insbesondere die Selbstkritik Wittgensteins' 7 und seine Konzeption der Sprachspiele, die eine ganz andersartige Zugangsweise eröffnete. Der ursprüngliche Praxisbezug alles Sprechens trat an die Stelle einer eindeutigen Wissenschaftssprache, und damit wandelte sich die logische Aufgabe der Begründung der Erkenntnis in die der sogenannten sprachanalytischen Philosophie, die sich der 142
logischen Analyse der verschiedensten Sprechweisen und Sprachspiele zuwandte. Damit war wenigstens im Prinzip der Vorrang des theoretischen Sprechens in >statements< eingeschränkt. Auch das ist am Ende ein hermeneutischer Grundsatz, daß es von dem jeweiligen Scopus einer Äußerung, einer Rede, eines Textes abhängt, wie er verstanden werden muß, bzw. eines Verstehens dieses Scopus, wenn richtig verstanden werden soll. Endlich ist festzustellen, daß auch die von Popper entwickelte Theorie von trial and error sich durchaus nicht auf die Logik der Forschung beschränkt und bei aller Verkürzung und Stilisierung, die in diesem Schema liegt, einen Begriff logischer Rationalität zur Darstellung bringt, der sich über das Feld wissenschaftlicher Forschung weit hinaus erstreckt und die Grundstruktur aller Rationalität, auch der der >praktischen Vernunft< beschreibt. Allerdings ist die Rationalität der praktischen Vernunft nicht nur als die Rationalität der Mittel zu vorgegebenen Zwecken zu verstehen. Gerade die Vorgegebenheit unserer Zwecke, die Ausbildung gemeinsamer Zweckrichtungen unseres gesellschaftlichen Daseins, unterliegt praktischer Rationalität, die sich in der kritischen Aneignung der uns bestimmenden Normen gesellschaftlichen Verhaltens bestätigt. Auf diese Weise hat sich auch noch die von der Wissenschaft erarbeitete Verfügungsmöglichkeit über die Mittelwelt praktischer Rationalität zu fügen. Allerdings hat man sich hier zu fragen, ob nicht alle diese Bewegungen in Richtung auf Entdogmatisierung, indem sie vom logischen Empirismus selber als Wissen143
schaftstheorie oder als bloße Ausweitung der Verfahrensweise der Wissenschaft verstanden werden, sich nicht am Ende einem instrumenteilen Wissensideal einordnen. Ich meine damit, ob nicht die Sprachanalyse oder auch die Beschreibung der logischen Rationalität sich ihrerseits dem Ideal der Wissenschaft unterwerfen, deren Analyse sie beschreiben, und das hieße: sich selber als Mittel und instrumenteile Zurüstung für den Fortschritt der Erkenntnis einstufen. Das wäre freilich eine Grenze ihres Selbstverständnisses und ihrer Selbstrechtfertigung, und die wissenschaftliche Forschung selber wäre die erste, ihnen die Gefolgschaft zu versagen. Wenn sie die Aufgabe philosophischer Rechtfertigung, die sie betreiben, ernst nehmen, werden sie über diese Grenze hinausgehen müssen. Es war eine große Einsicht, als Wittgenstein feststellte, daß die Sprache immer in Ordnung ist. Aber es würde ein technologisches Selbstmißverständnis implizieren, wenn diese Einsicht sich auf die Aufgabe einschränkte, Sprachspiele richtig auseinanderzuhalten und auf diese Weise Scheinprobleme aufzulösen. In Wahrheit ist das In-Ordnung-Sein der Sprache weit mehr. Dort, wo sie das Ihre tut, d. h. ihre kommunikative Leistung vollbringt, fungiert sie nicht als eine Technik oder Organik des Sichverständigens, sondern ist diese Verständigung selbst - bis hin zum Aufbau einer gemeinsamen Welt, in der wir miteinander eine verständliche - nein: dieselbe Sprache sprechen. Das ist die sprachliche Verfassung unseres menschlichen Lebens, die durch keine Informationstechnik ersetzt oder verdrängt werden kann. So sehen wir in den Wissenschaften selbst die herme144
neutische Dimension sich als die eigentlich tragende und begründende erweisen - in den Naturwissenschaften als die Dimension der Paradigmen und der Relevanz der Fragestellungen. In den Sozialwissenschaften ließe sich ähnliches als die Selbstaufhebung des Sozial-Ingenieurs in den gesellschaftlichen Partner beschreiben. In den geschichtlichen Wissenschaften endlich ist sie als die beständige Vermittlung von Einst und Jetzt und Morgen am Werk. Denn in den geschichtlichen Wissenschaften hebt sich vollends das scheinbare Gegenüber des erkennenden Subjekts und seiner Gegenstände auf. Es ist nicht nur eine Einschränkung, die dort die Anonymisierung der Erkenntnis, die wir Objektivität nennen, erleidet, sondern es ist eine Auszeichnung, die sie erfährt, sofern die geschichtliche Erkenntnis der Vergangenheit uns vor das Ganze unserer menschheitlichen Möglichkeiten stellt und uns damit mit unserer Zukunft vermittelt. Das ist es, was wir alle von dem gewaltigen Denkversuch Heideggers, Sein als Zeit zu denken und die Hermeneutik der Faktizität< dem Idealismus des bloßen Verstehens von Sinntraditionen entgegenzusetzen, gelernt haben sollten, daß die Überlieferungen, in denen wir stehen - und alle Überlieferung, die wir stiftend oder aneignend weitergeben - , nicht so sehr ein Gegenstandsfeld wissenschaftlicher Sachbeherrschung darstellen, Ausdehnung unserer Wissens-Herrschaft über Unbekanntes, als eine Vermittlung unseres Selbst mit unseren wirklichen, uns überkommenen Möglichkeiten - mit dem, was sein kann und was geschehen und aus uns werden mag. 145
So ist Wissenschaft nicht weniger Wissenschaft, wo sie sich in den Humaniora ihrer integrativen Funktion bewußt i s t - so wenig wie die Wissenschaftlichkeit, die in den Natur- oder Sozialwissenschaften erreichbar ist, dadurch verliert, daß Wissenschaftstheorie sie ihrer Grenzen bewußt werden läßt. Ist das dann >Wissenschaftstheorie< oder ist es Philosophie?
Anmerkungen des Herausgebers 1 »Neukantianismus* ist eine Sammelbezeichnung für philosophische Strömungen, die mit dem Rückgang auf Kant eine Renaissance der Philosophie im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts herbeiführten. Als seine beiden wichtigsten Richtungen bildeten sich die >Marburger Schule* (Hauptvertrcter: H. Cohen, P. Natorp, E. Cassirer) und die >Südwestdeutsche Schule< (Hauptvertreter: W. Windelband, H. Rickert, E. Lask, ß. Bauch) heraus; die erstere orientierte Philosophie primär an der Erforschung der Erkenntnisbedingungen und Grundsätze der Naturwissenschaften, die letztere richtete ihr Hauptaugenmerk auf das Wertproblem und über dieses auf die philosophische Begründung der Geisteswissenschaften (»Kulturwissenschaften*). Die Blüte beider Schulen fiel in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. 2 Immanuel Kants (1724-1804) grundlegendes Werk, die >Kritik der reinen Vernunft* erschien 1781 (in 2., veränderter Auflage 1787); es folgten 1 783 die >Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können* und als Übergang zu einer eigentlichen Metaphysik der Natur 1 786 >Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft*. Die wichtigsten ethischen Werke Kants sind: >Grundlegung zur Metaphysik der Sitten* (1785), >Kritik der praktischen Vernunft* (1788) und >Die Metaphysik der Sitten in zwei Teilen* ( 1797), Als drittes kritisches Hauptwerk erschien 179C die >Kritik der Urteilskraft*. 3 John Stuart Mill (1806-1873) legte in seinem Werk >A System of Logic, ratiocinative and induetive« (1843) eine Theorie der induktiven Methode vor; er ging davon aus, daß alle Allgemeinbegriffe nur Abstraktionen aus sinnlicher Erfahrung sind. Die deutsche 146
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Übersetzung von J. Schiel (Braunschweig 1849) war überaus einflußreich und führte den Terminus »Geisteswissenschaften* (für engl. >moral sciences«) ein. Auguste Comte ( 1798-1857) teilte die Geschichte der Menschheit in drei Stadien ein: ein theologisches, ein metaphysisches und ein positives, in welch letzterem Metaphysik durch Wissenschaft abgelöst ist (Hauptwerk: Cours de philosophie positive. 6 Bde. 1830-42). - Metaphysikkritisch verhielt sich sowohl der »logische Apriorismus« der Marburger Neukantianer wie der »logische Empirismus«, der in den Schriften des schottischen Philosophen David Hume (1711-1776) vorbereitet war. Edmund Husserl (1859-1938): Logische Untersuchungen. l.Bd.: Prolegomena zur reinen Logik (1900); 2. Bd.: Untersuchungen zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis (1901). - Die >transzendentale< Phänomenologie wird entfaltet in: Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie (1913). - Gesammelte Werke (Husserliana), bisher 16 Bde. (Den Haag 1950ff.) Rudolf Carnap (1891-1970) veröffentlichte 1928 ein Buch unter dem Titel >Der logische Aufbau der Welt* (2. Auflage Hamburg 1961). Carnap gehörte zu den Begründern des >Wiener Kreises<, der 1929 mit der Programmschrift »Wissenschaftliche Weltauffassung - Der Wiener Kreis< hervortrat; die Zeitschrift >Erkenntnis< folgte diesem Programm. Andere Repräsentanten der hier vertretenen >neopositivistischen< Philosophie waren M. Schlick, L. Wittgenstein, O. Neurath und H. Reichenbach. Sie knüpfte an den älteren Positivismus, insbesondere den >Empiriokritizismus< von R. Avenarius (1843-1896) und E. Mach (1838-1916) an. René Descartes ( 1596-1650): Regulae ad directionem ingenii (Regeln zur Leitung des Geistes, in den 20er Jahren geschrieben, 1701 veröffentlicht); Discours de la méthode (Abhandlung über die Methode, 1637); Meditationes de prima philosophia (Meditationen über die erste Philosophie, 1641 ); Principia philosophiae (Die Prinzipien der Philosophie, 1644). J.G. Fichte (1762-1814), F.W.J. Schclling (1 775-1854), G.W.F. Hegel (1770-1831). Hegels Hauptwerke: Die Phänomenologie des Geistes (1807); Wissenschaft der Logik (1812/16); Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821); Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (3. Ausgabe 1830). Piaton: Phaidon 99 c/d. 147
11 Hermann Lotzc (1817-1881), Mediziner und Philosoph, war einer der einflußreichsten Autoren und Philosophielehrer des 19. Jahrhunderts (einer frühen >Metaphysik< 1841 und >Logik< 1843, die im >System der Philosophie* 1874 und 1879 neubearbeitet erschienen, folgte der >Mikrokosmos< 1836ff., um nur einige der wichtigsten Werke zu nennen); Eduard Zeller (1814-1908) wurde vor allem durch sein großes Werk >Die Philosophie der Griechen* ( 1844ff.) bekannt; mit seinem Vortrag >Uber Bedeutung und Aufgabe der Erkenntnistheorie* (1862), abgedruckt mit Zusätzen in: E. Zeller: Vorträge und Abhandlungen. 2. Sammlung (Leipzig 1877) 479-526, verschaffte er dem Wort >Erkenntnistheorie< als neuer Bezeichnung für die grundlegende philosophische Disziplin Eingang in die akademische Welt (vgl. A. Diemer: (Art.) Erkenntnistheorie, Erkenntnislehre, ErkenntniskritikI, in: J.Ritter (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie Bd. 2 (Basel/Stuttgart 1972) Sp. 683.-Den Universitätsphilosophen stehen gegenüber der ob seiner Verbitterung gegen die Professorenzunft bekannte Arthur Schopenhauer (1788-1860) (Hauptwerk: Die Welt als Wille und Vorstellung, 1819) und Friedrich Nietzsche (1844-1900), dessen Gedanken erst im 20. Jahrhundert zu eigentlicher Wirksamkeit gelangten. 12 Wilhelm Dilthey (1833-1911): Einleitung in die Geisteswissenschaften (1883); Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psychologie (1894); Die Typen der Weltanschauung und ihre Ausbildung in den metaphysischen Systemen (1911) nebst zahlreichen geistesgeschichtlichen Arbeiten. Zur »historischen Schule< und Diltheys Philosophie vgl. H.-G. Gadamer: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik ( 1960, 3. Auflage Tübingen 1972) 185ff. 13 E. Husserl: Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie. HusserlianaBd. VI (Den Haag 1962). Vgl. H.-G. Gadamer: Diephänomenologische Bewegung. Philosophische Rundschau 11 (1963) 1-45, abgedruckt in: H.-G. Gadamer: Kleine Schriften III: Idee und Sprache (Tübingen 1972) 150-189; ders.: Die Wissenschaft von der Lebenswelt a.a.O. 190-201. 14 Martin Heidegger (geb. 1889): Sein und Zeit (1927, 10. Aufl. Tübingen 1963). 15 Karl R.Popper (geb. 1902): Logik der Forschung (1934, 3. dtsch. Auflage Tübingen 1969); vgl. E. Ströker: Aspekte gegenwärtiger Wissenschaftstheorie, in: H. Holzhey (Hg.): Wissenschaft/Wis148
senschaften. Philosophie aktuell Bd. 3 (Basel/Stuttgart 1974). 16 Thomas S. Kuhn: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen (1962, 2. dtsch. Auflage Frankfurt a. M. 1973). 17 Ludwig Wittgenstein (1889-1951) vollzog diese Selbstkritik an den in seinem >Tractatus logico-philosophicus< (1921) geäußerten Auffassungen in »Philosophische Untersuchungen« (dtsch./engl. Ausgabe 1953). Von Wittgensteins >Schriften< liegen bisher 6 Bände vor (Prankfurt a. M. 1960ff.).
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Quellenangaben
Über das Philosophische in den Wissenschaften und die Wissenschaftlichkeit der Philosophie: Unveröffentlichter Vortrag, gehalten wahrend des Hegel-Kongresses im Mai 1975 in Stuttgart. Hegels Philosophie und ihre Nachwirkungen bis heute: akademiker information, Heft 3/1972, S. 15-21. Was ist Praxis? Die Bedingungen gesellschaftlicher Vernunft: Univcrsitas, Heft 11, 1974, S. 1143-1158. Hermeneutik als praktische Philosophie: aus: Rehabilitierung der praktischen Philosophie, Band 1, hrsg. von Manfred Riedel, S. 325 bis 344. Über die NaturanUge des Menschen zur Philosophie: Vortrag bei der Entgegennahme des Reuchlinprcises der Stadt Pforzheim 1971 am 20. November 1971. Philosophie oder Wissenschaftstheorie?: aus: interdisziplinär, Interdisziplinäre Arbeit und Wissenschaftstheorie, hrsg. von Helmut Holzhey, Basel/Stuttgart 1974, S. 89-104.
Inhalt
Über das Philosophische in den Wissenschaften und die Wissenschaftlichkeit der Philosophie 7 Hegels Philosophie und ihre Nachwirkungen bis heute 32 Was ist Praxis? Die Bedingungen gesellschaftlicher Vernunft 54 Hermeneutik als praktische Philosophie 78 Über die Naturanlage des Menschen zur Philosophie 110 Philosophie oder Wissenschaftstheorie? 125
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Wolfgang Koeppen, Tauben im Gras/Das Treibhaus/Der Tod in Rom Thomas Bernhard, Holzfällen Danilo Kis, Ein Grabmal für Boris Dawidowitsch Janet Frame, Auf dem Maniototo Peter Handke, Gedicht an die Dauer Alain Robbe-Grillet, Der Augenzeuge Leonid Leonow, Evgenia Ivanovna Marguerite Duras, Liebe Hans Erich Nossack, Das Mal und andere Erzählungen Raymond Queneau, Die Haut der Träume - »Fern von Rueil« Juan Carlos Onetti, Leichensammler Franz Hessel, Alter Mann Bernard Shaw, Candida Marina Zwetajewa, Mutter und die Musik Jürg Federspiel, Die Ballade von der Typhoid Mary August Strindberg, Der romantische Küster auf Ranö Alberto Savinio, Maupassant und der andere Hans Mayer, Versuche über Schiller Martin Walser, Meßmers Gedanken Ödön von Horväth, Jugend ohne Gott E. M. Cioran, Der zersplitterte Fluch Alain, Das Glück ist hochherzig Thomas Pynchon, Die Versteigerung von N0.49 Raymond Queneau, Heiliger Bimbam Hermann Ungar, Die Verstümmelten Marina Zwetajewa, Auf eigenen Wegen Maurice Blanchot, Thomas der Dunkle Thomas Bernhard, Watten Eça de Queiroz, Der Mandarin Norman Malcolm, Erinnerungen an Wittgenstein André Gide, Aufzeichnungen über Chopin Wolfgang Hoffmann-Zampis, Erzählung aus den Türkenkriegen August Scholtis, Jas der Flieger Giorgos Seferis, Poesie Andrzej Kusniewicz, Lektion in einer toten Sprache Thomas Bernhard, Elisabeth IL Hans Blumenberg, Die Sorge geht über den Fluß Walter Benjamin, Berliner Kindheit, Neue Fassung Marguerite Duras, Der Liebhaber Ernst Barlach, Der gestohlene Mond Tschingis Aitmatow, Der weiße Dampfer Christine Lavant, Gedichte Catherine Colomb, Tagundnachtgleiche Robert Walser, Der Räuber Franz Rosenzweig, Der Stern der Erlösung
974 Jan Jozef Szczepanski, Ikarus 975 Melchior Vischer, Sekunde durch Hirn/Der Hase 976 Juan Carlos Onetti, Grab einer Namenlosen 977 Vincenzo Consolo, Die Wunde im April 978 Jürgen Becker, Felder 979 E. M. Cioran, Von Tränen und von Heiligen 980 Olof Lagercrantz, Die Kunst des Lesens und des Schreibens 981 Hermann Hesse, Unterm Rad 982 T. S. Eliot, Über Dichtung und Dichter 983 Anna Achmatowa, Gedichte 984 Hans Mayer, Ansichten von Deutschland 985 Marguerite Yourcenar, Orientalische Erzählungen 986 Robert Walser, Poetenleben 987 René Crevel, Der schwierige Tod 988 Scholem-Alejchem, Eine Hochzeit ohne Musikanten 989 Erica Pedretti, Valerie 990 Samuel Joseph Agnon, Der Verstoßene 991 Janet Frame, Wenn Eulen schrein 992 Paul Valéry, Gedichte 993 Viktor Sklovskij, Dritte Fabrik 994 Yakup Kadri, Der Fremdling 995 Patrick Modiano, Eine Jugend 997 Thomas Bernhard, Heldenplatz 998 Hans Blumenberg, Matthäuspassion 999 Julio Cortâzar, Der Verfolger 1000 Samuel Beckett, Mehr Prügel als Flügel 1001 Peter Handke, Die Wiederholung 1002 Else-Lasker-Schüler, Arthur Aronymus 1003 Heimito von Doderer, Die erleuchteten Fenster 1004 Hans-Georg Gadamer, Das Erbe Europas 1005 Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung 1006 Marguerite Duras, Aurelia Steiner 1007 Juan Carlos Onetti, Der Schacht 1008 Ε. Μ. Cioran, Auf den Gipfeln der Verzweiflung 1009 Marina Zwetajewa, Ein gefangener Geist 1010 Christine Lavant, Das Kind i o n Alexandros Papadiamantis, Die Mörderin 1012 Hermann Broch, Die Schuldlosen 1013 Benito Pérez Galdos, Tristana 1014 Conrad Aiken, Fremder Mond 1015 Max Frisch, Tagebuch 1966-1971 1016 Catherine Colomb, Zeit der Engel 1017 Georges Dumézil, Der schwarze Mönch in Varennes 1018 Peter Huchel, Gedichte 1019 Gesualdo Bufalino, Das Pesthaus 1020 Konstantinos Kavafis, Um zu bleiben 1021 André du Bouchet, Vakante Glut / Dans la chaleur vacante 1022 Rainer Maria Rilke, Briefe an einen jungen Dichter 1023 René Char, Lob einer Verdächtigen / Eloge d'une Soupçonnée 1024 Cees Nooteboom, Ein Lied von Schein und Sein
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Gerhart Hauptmann, Das Meerwunder Juan Benet, Ein Grabmal / Numa Samuel Beckett, Der Verwaiser / Le dépeupleur / The Lost Ones Ulrich Plenzdorf, Die neuen Leiden des jungen W. Bernhard Shaw, Die Abenteuer des schwarzen Mädchens auf der Suche nach Gott Francis Ponge, Texte zur Kunst Tankred Dorst, Klaras Mutter Robert Graves, Das kühle Netz / The Cool Web Alain Robbe-Grillet, Die Radiergummis Robert Musil, Vereinigungen Virgilio Pinera, Kleine Manöver Kazimierz Brandys, Die Art zu leben Karl Krolow, Meine Gedichte Leonid Andrejew, Die sieben Gehenkten Volker Braun, Der Stoff zum Leben 1-3 Samuel Beckett, Warten auf Godot Alejo Carpentier, Die Hetzjagd Nicolas Born, Gedichte Maurice Blanchot, Das Todesurteil D. H . Lawrence, Der Mann, der Inseln liebte Jurek Becker, Der Boxer F.. M. Cioran, Das Buch der Täuschungen Federico Garcia Lorca, Diwan des Tamarit / Divan Friederike Mayröcker, Das Herzzerreißende der Dinge Pedro Salinas, Gedichte / Poemas Jürg Federspiel, Museum des Hasses Alexander Blök, Gedichte Raymond Queneau, Stilübungen Dolf Sternberger, Figuren der Fabel Gertrude Stein, Q . E. D. Marina Zwetajewa, Phoenix Thomas Bernhard, In der Höhe, Rettungsversuch, Unsinn Jorge Ibargüengoitia, Die toten Frauen Henry de Montherlant, Moustique Carlo Emilio Gadda, An einen brüderlichen Freund Karl Kraus, Pro domo et mundo Sandor Weöres, Der von Ungern Ernst Penzoldt, Der arme Chatterton Giorgos Seferis, Alles voller Götter Horst Krüger, Das zerbrochene Haus Alain, Die Kunst sich und andere zu erkennen Rainer Maria Rilke, Bücher Theater Kunst Claude Ollier, Bildstörung Jörg Steiner, Schnee bis in die Niederungen Norbert Elias, Mozart Louis Aragon, Libertinage Gabriele d'Annunzio, Der Kamerad mit den Wimpernlosen Augen Max Frisch, Biedermann und die Brandstifter Willy Kyrklund, Vom Guten
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Achmatowa: Gedichte 983 Adorno: Minima Moralia 236 - Noten zur Literatur I 47 - Noten zur Literatur II 71 - Noten zur Literatur III 146 - Noten zur Literatur IV 395 - Über Walter Benjamin 260 Agnon: Der Verstoßene 990 Aiken: Fremder Mond 1014 Aitmatow: Der weiße Dampfer 969 - Dshamilja 315 Alain: Das Glück ist hochherzig 949 - Die Kunst sich und andere zu erkennen 1067 - Die Pflicht glücklich zu sein 470 Alain-Fournier: Der große Meaulnes 142
-Jugendbildnis 23 Alberti: Zu Lande zu Wasser 60 Alexis: Der verzauberte Leutnant 830 Amado: Die Abenteuer des Kapitäns Vasco Moscoso 850 - Die drei Tode des Jochen Wasserbrüller 853 Anderson: Winesburg, Ohio 44 Anderson/Stein: Briefwechsel 874 Andrejew: Die sieben Gehenkten 1038 Andrzejewski: Appellation 325 - J e t z t kommt über dich das Ende 524 D'Annunzio: Der Kamerad 1073 Apollinaire: Bestiarium 607 Aragon: Libertinage 1072 Artmann: Fleiß und Industrie 691 - Gedichte über die Liebe 473 Asturias: Der Böse Schacher 741 - Der Spiegel der Lida Sal 720 Bajin: Shading 725 Bachmann: Der Fall Franza 794 - Malina 534 Ball: Flametti 442 - Zur Kritik der deutschen Intelligenz 690 Bang: Das weiße Haus 586 - Das graue Haus 587 - Exzentrische Existenzen 606
Baranskaja: Ein Kleid für Frau Puschkin 756 Barlach: Der gestohlene Mond 968 Barnes: Antiphon 241 - Nachtgewächs 293 Baroja:ShantiAnda, der Ruhelose 326 Barthelme: Der Tote Vater 511 - Komm wieder Dr. Caligari 628 Barthes: Am Nullpunkt der Literatur 762 - Die Lust am Text 378 Becher: Gedichte 453 Becker, Jürgen: Erzählen bis Ostende 842 - Felder 978 Becker, Jurek: Der Boxer 1045 - J a k o b der Lügner 510 Beckett: Bruchstücke 657 - Damals 494 - Der Verwaiser 1027 - Drei Gelegenheitsstücke 807 - Erste Liebe 277 - Erzählungen undTexte um Nichts 82 - Gesellschaft 800 - Glückliche Tage 98 - Mehr Prügel als Flügel 1000 - Um abermals zu enden 582 - Warten auf Godot 1040 - W i e es ist 118 Benêt: Ein Grabmal/Numa 1026 Benjamin: Berliner Chronik 251 - Berliner Kindheit 966 - Einbahnstraße 27 - Sonette 876 Bernhard: Amras 489 - Am Ziel γβγ - Ave Vergil 769 - Beton 857 - DerlgnorantundderWahnsinnige 317 - Der Schein trügt 818 - Der Stimmenimitator 770 - Der Theatermacher 870 - Der Untergeher 899 - Die Jagdgesellschaft 376 - Die Macht der Gewohnheit 415
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Einfach kompliziert 910 Elisabeth II. 964 Heldenplatz 997 Holzfällen 927 In der Höhe, Rettungsversuch, Unsinn 1058 - ja 600 - Midland in Stilfs 272 - Ritter, Dene, Voss 888 - Über allen Gipfeln ist Ruh 728 - Verstörung 229 -Watten 955 - Wittgensteins Neffe 788 Bioy-Casares: Morels Erfindung 443 Blanchot: Das Todesurteil 1043 - Warten Vergessen 139 -Thomas der Dunkle 954 Blixen: Ehrengard 917 - Moderne Ehe 886 Bloch: Erbschaft dieser Zeit 388 - Spuren. Erweiterte Ausgabe 54 - Thomas Münzer 77 - Verfremdungen 2 120 Blök: Gedichte 1052 Blumenberg: Die Sorge geht über den Fluß 965 - Matthäuspassion 998 Bonnefoy: Rue Traversière 694 Borchers: Gedichte 509 Born: Gedichte 1042 Du Boucher. Vakante Glut 1021 Bove: Armand 792 - Bécon-les-Bruyères 872 - Meine Freunde 744 Brandys: Die Art zu Leben 1036 Braun Volker: Der Stoff zum Leben 1-3 1039 - Unvollendete Geschichte 648 Brecht: Die Bibel 256 - Dialoge aus dem Messingkauf 140 - Flüchtlingsgespräche 63 - Gedichte und Lieder 33 - Geschichten 81 - Hauspostille 4 - Politische Schriften 242 - Schriften zum Theater 41 - Svendborger Gedichte 335 - Über Klassiker 287 Brentano: Die ewigen Gefühle 821 Breton: CAmour fou 435
- Nadja 406 Broch: Demeter 199 - Die Erzählung der Magd Zerline 204 - Die Schuldlosen 1012 - Esch oder die Anarchie 157 - Gedanken zur Politik 245 - Hofmannsthal und seine Zeit 385 - Huguenau oder die Sachlichkeit 187 - James Joyce und die Gegenwart 306 - Menschenrecht und Demokratie 588 - Pasenow oder die Romantik 92 Brudzinski: Die rote Katz 266 Bufalino: Das Pesthaus 1019 Bunin: Mitjas Liebe 841 Butor: Bildnis des Künstlers 912 - Fenster auf die Innere Passage 518 Cabrai de Melo Neto: Erziehung durch den Stein 713 Camus: Die Pest 771 - Ziel eines Lebens 373 Canetti: Der Überlebende 449 Capote: Die Grasharfe 62 Cardenal: Gedichte 705 Carossa: Ein Tag im Spätsommer 1947 649 - Gedichte 596 - Führung und Geleit 688 - Rumänisches Tagebuch 573 Carpentier: Barockkonzert 508 - Das Reich von dieser Welt 422 - Die Hetzjagd 1041 Carrington: Das Hörrohr 901 - Unten 737 Castellanos: Die neun Wächter 816 Celan: Gedichte I 412 - Gedichte II 413 - Der Meridian 485 Ceronetti: Das Schweigen des Körpers 810
Char: Lob einer Verdächtigen 1023 Cioran: Auf den Gipfeln 1008 - Das Buch der Täuschungen 1046 - Der zersplitterte Fluch 948 - Gevierteilt 799 - Über das reaktionäre Denken 643 - Von Tränen und von Heiligen 979 - Widersprüchliche Konturen 898 Colette: Diese Freuden 717 Colomb: Das Spiel der Erinnerung 915 - Tagundnachtgleiche 971
- Z e i t der Engel 1016 Conrad: Jugend 386 Consolo: Wunde im April 977 Cortäzar: Der Verfolger 999 - Geschichten der Cronopien und Famen 503 Crevel: Der schwierige Tod 987 Dagerman: Deutscher Herbst 924 -Gebranntes Kind 795 Daumal: Der Analog 802 Ding Ling: Tagebuch der Sophia 670 Doderer:Die erleuchteten Fenster 1003 Döblin: Berlin Alexanderplatz 451 Dorst: Klaras Mutter 1031 Drummond de Andrade: Gedichte 765 Dürrenmatt: Monstervortrag über Gerechtigkeit und Recht 803 Dumézil: Der schwarze Mönch in Varennes 1017 Duras: Aurelia Steiner 1006 - Der Liebhaber 967 - Der Nachmittag des Herrn Andesmas 109 - Ganze Tage in den Bäumen 669 - Liebe 935 Ehrenburg: Julio Jurenito 455 Ehrenstein: Briefe an Gott 642 Eich: Aus dem Chinesischen 525 - Gedichte 368 - In anderen Sprachen 135 - Katharina 421 - Marionettenspiele 496 - Maulwürfe 312 -Träume 16 Eliade: Das Mädchen Maitreyi 429 - Dayan / Im Schatten einer Lilie 836 - Die drei Grazien 577 - Der Hundertjährige 597 - Fräulein Christine 665 - Nächte in Serampore 883 - Neunzehn Rosen 676 - Die Pelerine 522 - Die Sehnsucht n. d. Ursprung 408 Elias: Mozart 1071 - Über die Einsamkeit der Sterbenden in unseren Tagen 772 Eliot: Gedichte 130 - Old Possums Katzenbuch 10
- Über Dichtung und Dichter 982 - Das wüste Land 425 Elytis: Ausgewählte Gedichte 696 - Lieder der Liebe 745 - Maria Nepheli 721 - Neue Gedichte 843 Enzensberger: Mausoleum 602 - Der Menschenfreund 871 - Verteidigung der Wölfe 711 Faulkner: Wilde Palmen 80 Federspiel: Die Ballade von der Typhoid Mary 942 - Museum des Hasses 1050 Fitzgerald: Der letzte Taikun 91 Fleißer: Ein Pfund Orangen 37c Frame: Auf dem Maniototo 929 - Wenn Eulen schrein 991 Frank: Politische Novelle 759 Frey: Solneman der Unsichtbare 855 Frisch: Andorra 101 - Biedermann und die Brandstifter 1075 -Bin 8 - Biografie: Ein Spiel 225 - Biografie: Ein Spiel, Neue Fassung 1984 873 - Blaubart 882 - Homo faber 87 - Montauk 581 - Tagebuch 1946-49 261 -Tagebuch 1966-1971 1015 - Traum des Apothekers von Locarno 604 - Triptychon 722 Gadamer: Das Erbe Europas 1004 - Lob der Theorie 828 - Wer bin Ich und wer bist Du? Gadda: An einen brüderlichen Freund 1061 Gaiczynski: Die Grüne Gans 204 Garcia Lorca: Diwan des Tamarit 1047 - Gedichte 544 Gebser: Lorca oder das Reich der Mütter 592 - Rilke und Spanien 560 Gellen: Budapest 237 Generation von 27: Gedichte 796
Gide: Chopin 958 - Die Aufzeichnungen und Gedichte des André Walter 613 - Die Rückkehr des verlorenen Sohnes 591 Ginzburg: Die Stimmen des Abends 782 Giraudoux: Elpenor 708 -Juliette im Lande der Männer 308 -Siegfried 753 Gracq: Die engen Wasser 904 Graves: Das kühle Netz 1032 Grenier: Die Inseln 887 Gründgens: Wirklichkeit des Theaters 526 Guillén, Jorge: Gedichte 411 Guillén, Nicolas: Gedichte 786 Guimaräes Rosa: Doralda, die weiße Lilie 775 Gullar: Schmutziges Gedicht 893 Guttmann: Das alte Ohr 614 Handke: Die Angst des Tormanns beim Elfmeter 612 - Die Stunde der wahren Empfindung 773 - Die Wiederholung 1001 - Gedicht an die Dauer 930 - Wunschloses Unglück 834 Hasek: Die Partei 283 Hauptmann: Das Meerwunder 1025 Hemingway: Der alte Mann und das Meer 214 Herbert: Ein Barbar in einem Garten 536 - Herr Cogito 416 - Im Vaterland der Mythen 3*0 - Inschrift 384 Hermlin: Der Leutnant Yorck von Wartenburg 381 Hernändez: Die Hortensien 858 Hesse: Demian 95 - Glück 344 - Iris 369 -Josef Knechts Lebensläufe 541 - Klingsors letzter Sommer 608 - Knulp 75 - Krisis 747 - Legenden 472 - Magie des Buches $42 - Mein Glaube 300
- Morgenlandfahrt 1 - Musik 483 - Narziß und Goldmund 65 - Politische Betrachtungen 244 - Siddhartha 227 - Sinclairs Notizbuch 839 - Steppenwolf 869 - Stufen 342 - Unterm Rad 981 - Der vierte Lebenslauf J. Knechts 181 - Wanderung 444 - /Mann: Briefwechsel 441 Hessel: Alter Mann 939 - Der Kramladen des Glücks 822 - Heimliches Berlin 758 - Pariser Romanze 877 Hildesheimer: Biosphärenklänge 533 - Exerzitien mit Papst Johannes 647 - Lieblose Legenden 84 -Tynset 365 - Vergebliche Aufzeichnungen 516 - Zeiten in Cornwall 281 Hoffmann-Zampis: Erzählung aus den Türkenkriegen 959 Hofmannsthal: Buch der Freunde 626 - Gedichte und kleine Dramen 174 - Lucidor 879 Hohl: Bergfahrt 624 - Daß fast alles anders ist 849 - Nächtlicher Weg 292 - Nuancen und Details 438 -Varia 557 - Vom Erreichbaren und vom Unerreichbaren 323 - Das Wort faßt nicht jeden 675 Horkheimer: Die gesellschaftliche Funktion der Philosophie 391 Horvâth: Glaube Liebe Hoffnung 361 - Italienische Nacht 410 - Jugend ohne Gott 947 - Kasimir und Karoline 316 - Mord in der Mohrengasse 768 - Geschichten aus dem Wiener Wald 247 - Sechsunddreißig Stunden 630 Hrabal: Bambini di Praga 793 - D i e Schur 558 - Harlekins Millionen 827 - Moritaten und Legenden 360 - Sanfte Barbaren 916
- Schneeglöckchenfeste 715 - Schöntrauer 817 - Tanzstunden für Erwachsene und Fortgeschrittene 548 Hrabals Lesebuch 726 Huch: Der letzte Sommer 545 - Lebenslauf des heiligen Wonnebald Pück 806 Huchel: Gedichte 1018 - Die neunte Stunde 891 - Margarethe Minde 868 Hughes: Hurrikan im Karibischen Meer 32 Humm: Die Inseln 680 Huxley : Das LächelnderGioconda63 5 Ibargüengoitia: Die toten Frauen 1059 Inglin: Werner Amberg. Die Geschichte seiner Kindheit 632 Inoue: Das Tempeldach 709 - Eroberungszüge 639 - Das Jagdgewehr 137 - Der Stierkampf 273 Iwaszkiewicz: Drei Erzählungen 736 Jabès: Es nimmt seinen Lauf 766 - Das Buch der Fragen 848 Jacob: Höllenvisionen 889 - Der Würfelbecher 220 James: Die Tortur 321 Janus: Gedichte 820 Johnson: Skizze eines Verunglückten 785 - Mutmassungen über Jakob 723 Jonas: Das Prinzip Verantwortung 1005 Jouve: Paulina 1880 271 Jovine: Die Äcker des Herrn 905 Joyce: Anna Livia Plurabelle 253 - Briefe an Nora 280 - Dubliner 418 - Giacomo Joyce 240 - Kritische Schriften 313 - Porträt des Künstlers 350 - Stephen der Held 338 - Die Toten/The Dead 512 - Verbannte 217 Kadri: Der Fremdling 994 Kästner, Erhart: Aufstand der Dinge 476 - Zeltbuch von Tumilat 382 Kästner, Erich: Gedichte 6γγ
Kafka: Der Heizer 464 - Die Verwandlung 351 - Er 97 Kasack: DieStadthinterdemStrom 296 Kaschnitz: Beschreibung eines Dorfes 645 -Elissa 852 - Ferngespräche 743 - Gedichte 436 - Liebe beginnt 824 - Menschen und Dinge 1945 909 - Orte 486 -Vogel Rock 231 Kassner: Zahl und Gesicht 564 Kateb Yacine: Nedschma 116 Kavafis: Um zu bleiben 1020 Kawerin: Unbekannter Meister 74 Kellermann: Der Tunnel 674 Kessel: DieSchwesterdesDonQuijote 894 Keyserling: Harmonie 784 Kim: Der Lotos 922 Kis: Ein Grabmal für Boris Dawidowitsch 928 - Garten, Asche 878 Kluge: Lebensläufe 911 Koeppen: Tauben im Gras/Treibhaus/ Tod in Rom 926 - Das Treibhaus 659 - Der Tod in Rom 914 -Jugend 500 -Tauben im Gras 393 Kolmar: Gedichte 815 Kommerell: Der Lampenschirm 656 Kracauer: Über die Freundschaft 302 - Georg $67 Kraus: Nestroy und die Nachwelt 387 - Pro domo et mundo 1062 - Sprüche und Widersprüche 141 - Über die Sprache 571 Krolow: Alltägliche Gedichte 219 - Fremde Körper 52 - Gedichte 672 - Im Gehen 863 - Nichts weiter als Leben 262 - Meine Gedichte 1037 Krüger: Das zerbrochene Haus 1066 Kusniewicz: Lektion in einer toten Sprache 963 Kyrklund: Vom Guten 1076
Laforgue: Hamlet 733 Lagercrantz: Die Kunst des Lesens 980 Landsberg: Erfahrung des Todes 371 Larbaud: Fermina Marquez 654 - Glückliche Liebende 568 Lasker-Schüler: Mein Herz 520 - Arthur Aronymus 1002 Lavant: Gedichte 970 - Das Kind 1010 Lawrence: Auferstehungsgeschichte 589 - Der Mann, der Inseln liebte 1044 le Fort: Die Tochter Farinatas 865 Leiris: Lichte Nächte 716 - Mannesalter 427 Lem: Der futurologische Kongreß 477 - Drei geschichtenerzählende Maschinen 867 - Golem XIV 603 - Provokation 740 - Robotermärchen 366 Lenz: Dame und Scharfrichter 499 - Das doppelte Gesicht 625 - Der Letzte 851 - Spiegelhütte 543 Leonow: Evgenia Ivanovna 934 Lernet-Holenia: Die Auferstehung des Maltravers 618 Lersch: Hammerschläge 718 Levin: James Joyce 459 Lispector: Der Apfel im Dunkel 826 - Die Nachahmung der Rose 781 - Die Sternstunde 884 - Nahe dem wilden Herzen 847 Loerke: Gedichte 114 - Anton Bruckner 39 Loti: Aziyadeh 798 Lucebert: Die Silbenuhr 742 Lu Xun: Die wahre Geschichte des Ah Q 777 Maass: Die unwiederbringliche Zeit 866 MachadodeAssis: Dom Casmurro 699 - Quincas Borba 764 Majakowski: Politische Poesie 182 Malcolm: Erinnerungen an Wittgenstein 957 Malerba: Geschienten vom Ufer des Tibers 683 - Tagebuch eines Träumers 840
Mandelstam: Die Reise nach Armenien 801 - Die ägyptische Briefmarke 94 - Schwarzerde 835 Mann, Heinrich: Geist und Tat 732 - Professor Unrat 724 Mann, Thomas: Schriften zur Politik - /Hesse: Briefwechsel 441 Mansfield: Meistererzählungen 811 MaoTse-tung: Gedichte 583 Marcuse: Triebstruktur und Gesellschaft 158 Mayer: Ansichten von Deutschland 984 - Goethe 367 - Versuche über Schiller 945 Mayoux: Joyce 205 Mayröcker: Das Herzzerreißende der Dinge 1048 - Reise durch die Nacht 923 Mell: Barbara Naderer 755 Menuhin: Kunst und Wissenschaft als verwandte Begriffe 671 Michaux: Ein gewisser Plume 902 Miller: Das Lächeln am Fuße der Leiter 198 Mishima: Nach dem Bankett 488 Mitscherlich: Idee des Friedens 233 - Versuch, die Welt besser zu bestehen 246 Modiano: Eine Jugend 995 Montherlant: Die Junggesellen 805 - Die kleine Infantin 638 - Moustique 1060 Mori: Vita Sexualis 813 - Die Wildgans 862 Morselli: Rom ohne Papst 750 Muschg: Dreizehn Briefe Mijnheers 920 - Leib und Leben 880 - Liebesgeschichten 727 Musil: Vereinigungen 1034 Nabokov: Lushins Verteidigung 627 Neruda: Gedichte 99 - Die Raserei und die Qual 908 Niebelschütz: Über Dichtung 637 - Über Barock und Rokoko 729 Nijhoff: Die Stunde X 859 Nizan: Das Leben des Antoine B. 402
Nizon: Das Jahr der Liebe 845 - Stolz 617 Nooteboom: Ein Lied von Schein und Sein 1024 Nossack: Das Mal 936 - Das Testamentdes Lucius Eurinus 739 - Der Neugierige 663 - Der Untergang - Spätestens im November 331 - Unmögliche Beweisaufnahme 49 - Vier Etüden 621 Nowaczynski: Schwarzer Kauz 310 O'Brien: Aus Dalkeys Archiven 623 - Das harte Leben 653 - Der dritte Polizist 446 Olescha: Neid 127 Ollier: Bildstörung 1069 Onetti: Die Werft 457 - Grab einer Nameniosen 976 - Leichensammler 938 - Der Schacht 1007 - So traurig wie sie 808 Palinurus: Das Grab ohne Frieden 11 Papadiamantis: Die Mörderin 1011 Pasternak: Die Geschichte einer Kontra-Oktave 456 - Initialen der Leidenschaft 299 Paustowskij: Erzählungen vom Leben 563 Pavese: Junger Mond m Paz:Das Labyrinth der Einsamkeit 404 - Der sprachgelehrte Affe 530 - Gedichte 551 Pedretti: Valerie oder Das unerzogene Auge 989 Penzoldt: Der arme Chatterton 1064 - Der dankbare Patient 25 - Die Leute aus der Mohrenapotheke 779 - Prosa einer Liebenden 78 - Squirrel 46 - Zugänge 706 Pérez Galdos: Miau 814 -Tristana 1013 Percy: Der Kinogeher 903 Perec: W oder die Kindheitserinnerung 780 Pieyre de Mandiargues: Schwelende Glut 507
Pilnjak: Das nackte Jahr 746 Pinera: Kleine Manöver 1035 Plath: Ariel 380 - Glasglocke 208 Platonov: Dshan 686 Plenzdorf : Die neuen Leiden des jungen W 1028 Ponge: Das Notizbuch vom Kiefernwald / La Mounine 774 - Texte zur Kunst 1030 Pound: ABC des Lesens 40 - Wort und Weise 279 Prevelakis: Chronik einer Stadt 748 Prischwin: Shen-Schen 730 Proust: Briefwechsel mitder Mutter 239 - Der Gleichgültige 601 - Eine Liebe von Swann 267 - Tage der Freuden 164 - Tage des Lesens 400 Pynchon : Die Versteigerung von N0.49950 Queiroz: Der Mandarin 956 Queneau: Die Haut der Traume 937 - Heiliger Bimbam 951 - Mein Freund Pierrot 895 - Stilübungen 1053 - Zazie in der Metro 431 Quiroga: Geschichten von Liebe, Irrsinn und Tod 881 Radiguet: Der Ball 13 - Den Teufel im Leib 147 Rilke: Ausgewählte Gedichte 184 - Briefe an einen jungen Dichter 1022 - Bücher Theater Kunst 1068 - Das Florenzer Tagebuch 791 - Das Testament 414 - Der Brief des jungen Arbeiters 372 - Die Sonette an Orpheus 634 - Duineser Elegien 468 - Ewald Tragy 537 - Gedichte an die Nacht 519 - Malte Laurids Brigge 343 - /Hofmannsthal: Briefwechsel 469 Ritter: Subjektivität 379 Roa Bastos: Menschensohn 506 Robakidse: Kaukasische Novellen 661 Robbe-Grillet: Der Augenzeuge 931 - Djinn 787 - Die Radiergummis 1033 Roditi: Dialog über Kunst 357
Rodoreda: Der Fluß und das Boot 919 - Reise ins Land der verlorenen Mädchen 707 Rojas: Der Sohn des Diebes 829 Romanowiczowa: Der Zug durchs Rote Meer 760 Rose aus Asche 734 Rosenzweig: Der Stern der Erlösung 973 Roth: Beichte 79 Roussel: Locus Solus 559 Sachs: Gedichte 549 Saint-John Perse: Winde 122 Salinas: Gedichte 1049 Sanchez Ferlosio: Abenteuer und Wanderungen des Alfanhui 875 Sana: Der Tag des Gerichts 823 Savinio : Maupassant und der andere 944 - Unsere Seele / Signor Münster 804 Schneider: Die Silberne Ampel 754 Scholem: Judaica 1 106 - Judaica 2 263 -Judaica 3 333 -Judaica 4 831 - Walter Benjamin 467 Scholem-Alejchem: Eine Hochzeit ohne Musikanten 988 - Schir-ha-Schirim 892 -Tewje, der Milchmann 210 Scholtis: Jas der Flieger 961 Schröder: Der Wanderer 3 - Ausgewählte Gedichte 572 Seh wob : Roman der 22 Lebensläufe 521 Seferis: Alles voller Götter 1065 - Poesie 962 Segalen: Rene Leys 783 Seghers: Aufstand der Fischer 20 DeSena: Der wundertätige Physicus 921 Sert: Pariser Erinnerungen 681 Shaw: Candida 940 - Die Abenteuer des schwarzen Mädchens 1029 - Die heilige Johanna 295 - Frau Warrens Beruf 918 - Handbuch des Revolutionärs 309 - Haus Herzenstod 108 - Helden 42 - Mensch und Übermensch 129 - Pygmalion 66
- Sechzehn selbstbiographische Skizzen 86 - Wagner-Brevier 337 Shen Congwen: Die Grenzstadt 861 Simon, Claude: Das Seil 134 Simon, Ernst: Entscheidung zum Judentum 641 $klovskij: Dritte Fabrik 993 - Kindheit und Jugend 218 - Sentimentale Reise 390 - Zoo oder Briefe nicht über die Liebe 693 Solschenizyn: Matrjonas Hof 324 Spitteler: Imago 658 Stein: Erzählen 278 - I d a 695 - Jedermanns Autobiographie 907 - Kriege die ich gesehen habe 595 - Paris Frankreich 452 - Q . E . D . 1055 - Zarte Knöpfe 579 - /Anderson: Briefwechsel 874 Steinbeck: Die Perle 825 Steiner: Schnee bis in die Niederungen 1070
Sternberger: Figuren der Fabel 1054 Strindberg: Der romantische Küster auf Ranö 943 - Der Todestanz 738 - Fräulein Julie 513 - Schwarze Fahnen 896 Suhrkamp: Briefe an die Autoren 100 - Der Leser 5 5 - Munderloh 37 Szaniawski: Der weiße Rabe 437 Szczepariski: Ikarus 974 - Die Insel 615 Szondi: Celan-Studien 330 Tardieu: Mein imaginäres Museum 619 Tendrjakow: Die Abrechnung 701 Thoor: Gedichte 424 Trakl: Gedichte 420 Trifonow: Zeit und Ort 860 Ulimann: Erzählungen 651 Ungar: Die Verstümmelten 952 Ungaretti: Gedichte 70 Valéry: Die fixe Idee 155 - Die junge Parze 757 - Gedichte 992
- Herr Teste 162 - Zur Theorie der Dichtkunst 474 Vallejo: Gedichte 110 Vallotton: Das mörderische Leben 846 Vargas Llosa: Die kleinen Hunde 439 Verga: Die Malavoglia 761 Vischer: Sekunde durch Hirn/Der Hase 975 Vittorini: Erica und ihre Geschwister 832 - Die rote Nelke 136 Walser, Martin: Ehen in Philippsburg 5*7 - Ein fliehendes Pferd 819 - Gesammelte Geschichten 900 - Meßmers Gedanken 946 Walser, Robert: An die Heimat 719 - Der Gehülfe 490 - Der Räuber 972 - Der Spaziergang 593 - Die Gedichte 844 - D i e Rose 538 - Geschichten 655 - Geschwister Tanner 450 - J a k o b von Gunten 515 - Kleine Dichtungen 684 - Kleine Prosa 751 - Poetenleben 986
- Prosa 57 -Seeland 838 Weiner: Spiel im Ernst 906 Weiß, Ernst: Der Aristokrat 702 - Die Galeere 763 - Franziska 660 Weiß, Konrad: Die Löwin 885 Weiss, Peter: Abschied v. d. Eltern 700 - Der Schatten des Körpers 585 - Fluchtpunkt 797 - Hölderlin 297 Weöres: Der von Ungern 1063 Wilcock: Das Buch der Monster 712 Wilde: Bildnis des Dorian Gray 314 - Die romantische Renaissance 399 Williams: Die Worte, die Worte 76 Wilson: Späte Entdeckungen 837 Wittgenstein: Über Gewißheit 250 - Vermischte Bemerkungen 5 3 5 Woolf: Die Wellen 128 Yourcenar: Orientalische Erzählungen Zweig: Die Monotonisierung der Welt 493 Zwetajewa: Auf eigenen Wegen 953 - Ein gefangener Geist 1009 - Mutter und die Musik 941 - Phoenix 1057