Atlan ‐ Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 713 Die Daila
Verfolgt und vogelfrei von Falk‐Ingo Klee
Auf Terra ...
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Atlan ‐ Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 713 Die Daila
Verfolgt und vogelfrei von Falk‐Ingo Klee
Auf Terra schreibt man die Jahreswende 3818/19, als der Arkonide sich nach einer plötzlichen Ortsversetzung in einer unbekannten Umgebung wiederfindet, wo unseren Helden alsbald ebenso gefährliche Abenteuer erwarten wie in Alkordoom. Atlans neue Umgebung, das ist die Galaxis Manam‐Turu. Und das Fahrzeug, das dem Arkoniden die Möglichkeit bietet, die Spur des Erleuchteten, seines alten Gegners, wiederaufzunehmen, ist ein hochwertiges Raumschiff, das Atlan auf den Namen STERNSCHNUPPE tauft. Das Schiff sorgt für manche Überraschung – ebenso wie Chipol, der junge Daila, der zum treuen Gefährten des Arkoniden wird. In den drei Monaten, die inzwischen verstrichen sind, haben Atlan und der Daila schon manche Gefahr bestanden – immer auf der Spur jener Kräfte, die schon an anderen Orten des Universums für Leid und Unfrieden verantwortlich waren. Der Handlungsspielraum Atlans und seines Gefährten ist gegenwärtig jedoch sehr beschnitten. Erst als der Angriff der Piraten auf BASTION‐V, die Raumfestung der Ligriden, erfolgt, kommt es für den Arkoniden und den jungen Daila zu einer unerwarteten Wende. Unsere beiden Helden erkämpfen sich die Freiheit und steuern schließlich Aklard an, die Heimatwelt der Daila. Dort aber gelten sie als VERFOLGT UND VOGELFREI …
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan und Chipol ‐ Der Arkonide und sein Gefährte auf dem Planeten Aklard. Gleerth ‐ Ein junger Rebell. Kyrkodh ‐ Anführer einer Rebellengruppe. Ghorza ‐ Kommandant der Ligriden im Gebiet von Aklard. Schirtuboh ‐ Ein Käsehändler.
1. Ein rötlichgelber Ball wanderte langsam vom Bildschirmrand zum Mittelpunkt. »Atlan, wir haben es geschafft! Diese Sonne ist Suuma!« Chipol hielt es nicht mehr in seinem Sessel. Erregt sprang er auf und betrachtete mit leuchtenden Augen das Abbild des Sterns. »Hast du je eine Sonne von solch majestätischer Schönheit gesehen?« Unwillkürlich mußte ich über den Überschwang des Jungen lächeln. Gestirne dieses Spektraltyps sind nun wahrlich keine Seltenheit im All, doch um meinem dailanischen Begleiter die Freude nicht zu nehmen, nickte ich beifällig. Enthusiastisch sprach der Junge davon, daß wir es geschafft hatten. Was hatten wir geschafft? Eine Etappe von rund achtzig Lichtjahren, den Flug von Dawaggor nach Aklard. Aklard war nur eine Zwischenstation, um ein anständiges Raumschiff zu bekommen, damit ich in die Nähe von Zyrph zurückkehren konnte. Noch seid ihr nicht auf Aklard! ließ sich mein Extrasinn vernehmen. Nein, wir sind noch nicht auf dem Planeten gelandet, aber das ist nur noch eine Frage der Zeit, gab ich gedanklich zurück. Wie ich dich kenne, wünschst du mir schon jetzt wieder alle möglichen Schwierigkeiten an den Hals. Werde nicht zynisch! Ich wollte dich nur daran erinnern, daß eine Menge Leute Jagd auf dich machen. Danke für die Warnung, doch ich denke,
daß wir auf der Welt der Daila nichts zu befürchten haben. Sei dennoch wachsam! Ich verzichtete auf eine geistige Erwiderung. Manchmal ging mir der Logiksektor mit seinem Pessimismus ziemlich auf die Nerven, andererseits hatte ich es in der Vergangenheit oft genug nur seinem Rat zu verdanken, daß ich mit dem Leben davongekommen war. Chipol hatte seinen Platz wieder eingenommen. Ich veränderte den Erfassungswinkel der Aufnahmegeräte und projizierte eine rechnergestützte Darstellung des ganzen Systems auf den Schirm. Verzückt starrte mein jugendlicher Begleiter auf einen Planeten, der sich vorwiegend in den Farben Blau, Grün und Weiß präsentierte. »Aklard, meine Heimat«, kam es leise, fast andächtig aus Chipols Mund. »Woher weißt du das?« erkundigte ich mich ein wenig verwundert. »Hast du mir nicht erzählt, daß du diesen Planeten mit deiner Familie verlassen mußtest, als du noch ein Kleinkind warst?« »Das stimmt, aber ich kenne Aklard dennoch von Berichten und Filmen her. Und auch Bilder der anderen Planeten habe ich gesehen.« Versonnen blickte mich der Junge mit seinen dunklen Augen an. »Weißt du, es ist ein ganz eigenartiges Gefühl – so, als würde ich von einer langen Reise nach Hause zurückkehren. Ich habe es mir immer gewünscht.« Ich verstand. Chipol nahm es seinem Volk nicht oder nicht mehr übel, daß er und die Seinen damals verbannt worden waren. In seinem jungen Leben konnte Aklard nicht mehr als eine Legende für ihn gewesen sein, etwas, was unerreichbar in weiter Ferne lag, und trotzdem fühlte er sich mit diesem Planeten so tief verbunden. Innerlich schien er sich nie wirklich von der Welt seiner Vorfahren abgenabelt zu haben, die so verheißungsvoll vor dem dunklen Hintergrund schimmerte. Zwei kleine Monde begleiteten den zweiten Trabanten von Suuma auf der Bahn um seine Sonne. Es entsprach seinem aufgeschlossenen Naturell, daß Chipol sich nicht in wehmütigen Gedanken verlor oder rührselig wurde,
sondern sich an den Realitäten orientierte. Voll jugendlichem Eifer sprudelte er hervor: »Der blaue Planet ist Ris, erstarrt in einem Eispanzer. Genauso lebensfeindlich ist der rötliche Rim, eine Wüstenwelt ohne Lufthülle.« Ich gönnte dem Jungen das kleine Vergnügen, mit seinem Wissen zu glänzen, zumal mir die Informationen von Nutzen waren. »Und der dunkle Brocken?« »Das ist Illard.« Mein junger Freund verzog das Gesicht und setzte eine Verschwörermiene auf. »Er gilt seit jeher als Unglücksbringer.« »Ist dir bekannt, ob es dort eine Station gibt oder etwas Ähnliches? Existieren Niederlassungen auf den Planeten?« Der Daila hob abwehrend die Hände. »Wo denkst du hin? Niemand kann auf den anderen Welten leben, und auf Illard will auch niemand leben. Er ist ohnehin nur ein öder Klumpen aus verbrannter Schlacke – eben ein Unglücksbringer.« »Dann gibt es also auch keinen regelmäßigen Raumschiffsverkehr zwischen Aklard und den drei anderen Planeten?« folgerte ich. »Wozu auch?« lautete die entwaffnende Gegenfrage. Der Extrasinn gab sich erheitert. Logisch, oder? Ich verkniff mir eine bissige Bemerkung und wandte mich wieder an Chipol. »Illard, Ris und Rim – das sind recht ungewöhnliche Bezeichnungen. Haben sie eine besondere Bedeutung?« »Es sind die Namen altdailanischer Gottheiten. Früher schrieb man den Himmelskörpern eine besondere Bedeutung zu. Man glaubte, daß sie Einfluß auf alle Lebewesen hatten und Macht ausüben konnten.« Altklug setzte der Halbwüchsige hinzu: »Das ist natürlich Aberglaube.« »Und Illard?« »Du sollst dich jetzt lieber um das Raumschiff und die Landung kümmern«, lautete die ausweichende Antwort. »Entschuldige, Chipol, ich wollte dich nicht verletzen.« Ein wenig
zerknirscht machte ich mich an den Instrumenten zu schaffen. »Meine Frage war dumm.« »Unter Freunden gibt es keine dummen Fragen, Atlan, sondern nur solche, die sich beantworten lassen und andere, die offenbleiben müssen, weil sie sich unserem Wissen entziehen.« Das war nun wahrhaft philosophisch, zumal für einen Knaben in seinem Alter. Was sollte ich da noch sagen? So konzentrierte ich mich auf die Steuerung unseres »Raumschiffs«, wie Chipol es genannt hatte. Das, was uns da durch das Vakuum beförderte, war in Wahrheit nicht viel mehr als ein Beiboot, lanzettförmig und rund dreißig Meter lang, mit einer Reichweite von maximal einhundert Lichtjahren. So etwas war in meinen Augen eine Überlebenseinheit, aber kein Raumer, doch immerhin hatte der Flugkörper bisher seinen Zweck erfüllt. Mit gedrosselter Geschwindigkeit bewegten wir uns auf unser Ziel zu. Alle Systeme arbeiteten einwandfrei. Wir hatten uns dem Planeten mittlerweile so weit genähert, daß alle Einzelheiten zu erkennen waren. Erneut zeigte sich Chipol als sachkundiger Begleiter. Neben zahlreichen Inseln gab es drei Kontinente, von denen jedoch nur zwei wirklich dicht besiedelt waren. »Hier hoch im Norden siehst du Uschriin, eine unwirtliche Landmasse. Zwar ist das Gebiet reich an Erzen und Mineralien, und die Gewässer sind auch in Küstennähe sehr fischreich, doch die Kälte hält die meisten Daila ab, sich auf dem kleinsten Kontinent niederzulassen, was eigentlich verständlich ist.« Der Junge grinste spitzbübisch. »Auch Akjunth gehört noch zur nördlichen Hemnisphäre, Akbarry liegt dagegen in südlichen Gefilden. Wir sollten versuchen, dort niederzugehen – vorausgesetzt, die Bodenkontrolle erlaubt es.« Ich wollte gerade das Funkgerät in Betrieb nehmen, als der Ortungsalarm durch das Schiff gellte. Alarmiert bückte ich auf die Anzeigen – und erschrak. Der Raumer, der sich uns mit hoher Geschwindigkeit näherte, war ein Kampfschiff der Ligriden, und
zwar vom gleichen Typ wie die ZYRPHʹOʹSATH, die über Cairon die STERNSCHNUPPE an Bord genommen hatte. Der Großraumer mußte sich im Ortungsschatten von Suuma verborgen gehalten haben. »Atlan, wir müssen fliehen!« Das war leichter gesagt als getan. Unser Boot war nicht dafür gebaut worden, um es mit einem solchen Giganten aufzunehmen. Versuche zu landen, wisperte der Extrasinn. Im Raum habt ihr keine Chance, zu entkommen. Mit fliegenden Fingern aktivierte ich die Schutzschirme, schaltete den Antrieb auf Vollast und drückte die Maschine nach unten. Unsere Verfolger durchschauten meine Absicht. Drüben blitzte es auf. »Sie wollen uns abschießen!« schrie Chipol angsterfüllt. Brutal riß ich den Flugkörper hoch. Das Arbeitsgeräusch der Aggregate steigerte sich zu einem schrillen Kreir sehen, alles vibrierte. Die Andruckabsorber wurden durch das Gewaltmanöver überfordert, mehrere schlugen durch, Titanenfäuste preßten mich in den Sitz und nahmen mir die Luft. Die Energiebahn strich knapp unter uns hinweg. Sofort änderte ich erneut den Kurs, ließ das Schiff nach links abkippen und nahm die Schubleistung abrupt zurück. Das Boot rüttelte und schüttelte sich wie ein bockiges Pferd, Schwingungen durchliefen Decks und Abtrennungen. Diesmal verkrafteten die Schwerkraftneutralisatoren die Belastung. Ich riskierte einen schnellen Seitenblick zu dem Jungen. Mehr liegend als sitzend, umklammerte er die Sessellehnen und starrte mit weitaufgerissenen Augen auf den Monitor, der von dem Ungetüm fast ganz ausgefüllt wurde. Wieder wurde eine Salve auf uns abgefeuert. Ich orientierte mich nach unten. Mit rasender Geschwindigkeit näherten wir uns der Planetenoberfläche. Es war unmöglich, noch den Raumhafen von Akbarry zu erreichen. Wie eine rotierende Kugel drehte Aklard sich unter uns weg, schon befanden wir uns
über dem Meer. Ich gab Gegenschub. Das war unser Glück. Direkt vor dem Bug entstand eine Miniatursonne, die sich rasch ausbreitete. Abrupt schnellten die Belastungsanzeigen nach oben, die Schirmfelder drohten instabil zu werden. Es heulte und orgelte, als wären wir in einen Orkan geraten. Turbulenzen und kinetische Energien wirbelten unser Schiffchen herum wie eine Nußschale, das Tosen der Meiler klang bedrohlich laut. Endlich gelang es mir, den Flug zu stabilisieren. Um ein schlechtes Ziel abzugeben, ließ ich den Raumer durch die dichter werdende Atmosphäre hüpfen wie einen Stein auf dem Wasser. Das Ächzen und Stöhnen des malträtierten Materials ging in einem ohrenbetäubenden Krachen unter, ein Schlag von solcher Wucht erschütterte den Flugkörper, als wäre er gegen ein unsichtbares Hindernis geprallt. Abrupt wurde die Maschine herumgerissen. Wir hatten einen Treffer erhalten! Chipol schrie gellend, doch ich konnte mich nicht um ihn kümmern. Vor meinen Augen drehte sich alles, das Licht erlosch. Wie glühende Augen stachen die Kontrollen aus der Dunkelheit hervor, immer mehr davon in düsterem Rot. Flackernd sprang die Notbeleuchtung an, Funken sprühten aus einer Konsole, grelle Blitze zuckten aus der danebenliegenden Schalteinheit, aus der geborstenen Abdeckung drang schwarzer Rauch. Du mußt den Kurs stabilisieren! Ich folgte dem Rat meines Logiksektors, doch es war ein mühsames Unterfangen. Noch immer trudelte das Schiff und kreiste um die eigene Achse. Kraftlos und bleich hing der Junge in den Gurten. »Chipol, bist du verletzt?« rief ich laut, um den Lärm zu übertönen. »Nein, mir ist übel«, kam es kaum verständlich zurück. »Es wird gleich besser!« Scheinbar widerwillig reagierte die Steuerung auf mein Bemühen, immer wieder setzte der Antrieb aus. Der Schutzschirm war
zusammengebrochen, ein aufgeregt blinkender Leckwarner meldete eine Beschädigung der Außenhülle am Heck. Da wir uns in den atembaren Schichten einer Lufthülle bewegten, interessierte mich das im Augenblick ebensowenig wie die Zerstörungen in der Zentrale, gleichzeitig versuchte ich, das Jaulen und Wimmern der Aggregate zu, ignorieren, die außer Kontrolle zu geraten drohten. Endlich hatte ich das Schiff in eine stabile Lage gebracht. Die Höhe betrug nur noch knapp sechs Kilometer. Unter uns war Wasser, Akbarry war am Horizont als Buckel zu erkennen. Ich mußte das Festland erreichen – um jeden Preis! Ein leises Prasseln ließ mich aufhorchen. Ich drehte den Kopf und erkannte mit Schrecken, daß aus einem Verteiler blaugrüne Flammen züngelten, der Gestank verschmorter Isolierung breitete sich aus, obwohl die Lufterneuerungsanlage auf Hochtouren arbeitete. Rasch schnallte ich mich los, riß einen Feuerlöscher aus seiner Halterung und eilte zu dem Brandherd. Fauchend entwich der Inhalt aus dem Behälter und legte sich als dicker Schaumteppich über den Kasten. Eine Explosion ließ das ganze Schiff erzittern und erbeben. Ich verlor den Halt und wurde gegen ein Terminal geschleudert. In letzter Sekunde gelang es mir, mich abzufangen, so daß ich nicht mit dem Kopf aufprallte. Knallend zerplatzte ein Bildschirm, zornig brummend wie angriffslustige Insekten sausten die Bruchstücke durch den Raum, prallten gegen andere Einrichtungsgegenstände und schwirrten als Querschläger davon. Abdeckungen zersplitterten, ein Pult wurde aus seiner Verankerung gerissen. Wie ein Geschoß bohrte es sich in eine Rechnereinheit, die sofort ihren Geist aufgab. Mühsam rappelte ich mich hoch und bahnte mir einen Weg durch die Trümmer zu meinem Sitz. Wie durch ein Wunder waren Chipol und ich unversehrt geblieben. Der Junge hatte sich regelrecht in seinem Sessel verkrochen und schützend die Hände über den Kopf gelegt.
Ein durchdringendes Pfeifen, das in einen, tiefen Brummton überging, ließ mich nichts Gutes ahnen. Kaum, daß ich saß und den Gurt angelegt hatte, durchfuhr ein heftiger Ruck das Boot. Schlagartig erlosch ein Teil der Anzeigen. Der Antrieb hatte seinen Dienst aufgegeben. Das hatte uns gerade noch gefehlt! Nun konnte ich nur noch versuchen, das Wrack einigermaßen heil zu Boden zu bringen. Ein rascher Blick auf den noch intakten Orterschirm zeigte mir, daß der Verfolger nicht nachsetzte. Offensichtlich gingen die Ligriden davon aus, daß wir ihnen auf dem Planeten ohnehin nicht entkommen konnten oder gar tot waren. Verbissen nahm ich den Antigrav in Betrieb. Er mußte auch etwas abbekommen haben, denn immer wieder sackte das arg ramponierte Schiff durch oder brach unkontrolliert zur Seite aus. Wir waren nur noch knapp fünftausend Meter hoch, aber viel zu schnell. Mit hoher Geschwindigkeit rasten wir auf ein mächtiges Gebirgsmassiv zu, dessen Gipfel von ewigem Eis bedeckt waren. Wenn es mir nicht gelang, das Tempo deutlich zu drosseln, würden wir an einer Bergwand zerschellen. »Wir schaffen es nicht, Atlan!« »Ruhig Blut, mein Freund.« So gelassen, wie ich mich gab, war ich keineswegs. Vor Erregung begannen meine Augen zu tränen, meine Finger verkrampften sich. Schroffes Gelände, teilweise bewaldet, huschte unter uns hinweg. Trotz meines Bemühens war der Flugkörper noch nicht wesentlich langsamer geworden. Zu allem Unglück setzte ausgerechnet jetzt der Antigrav aus. Wie ein Stein fiel die schrottreife Maschine in die Tiefe. »Hilfe, wir stürzen ab!« schrie Chipol mit sich überschlagender Stimme. Verzweifelt versuchte ich, den Raumer abzufangen und den Antigrav zu reaktivieren. Stotternd kam das Aggregat wieder in Gang. Bevor ich aufatmen konnte, verstummte es bereits wieder. Nun wurde auch mir angst und bange. Oft genug hatte ich meine
Haut zu Markte getragen, hatte dem Tod unzählige Male ins Antlitz geschaut, doch diesmal schien mein Leben keinen Pfifferling mehr wert zu sein. Mit beiden Fäusten traktierte ich die Instrumente. »Atlan, ich will nicht sterben«, wimmerte der Junge. Verdammt, ich wollte es auch nicht. Aber was sollte ich tun? Noch nie zuvor hatte ich mich so hilflos gefühlt – und dem Tod so nah. Die Sekretproduktion hätte sich erhöht, das Bild vor meinen Augen verschwamm. Da – ein vertrautes Summen – der Antigrav arbeitete wieder. Neuer Lebensmut durchströmte mich, ohne es bewußt zu wollen, glitten meine Hände wie eigenständige Lebewesen über die Schaltungen. Der Fall wurde gebremst, aber nicht wirksam genug. Der felsige Untergrund war nur noch tausend Meter entfernt! Halte auf den Nadelwald zu! Das könnte die Rettung sein! Ich verstand den Hinweis sofort und handelte wie ein Automat. Viel zu langsam für meine Begriffe richtete das Wrack die Nase auf das baumbestandene Plateau in südwestlicher Richtung. Wenn es mir gelang, den Raumer exakt auf Wipfelhöhe zu bringen, konnte ich die elastischen Kronen als mechanische Bremse nutzen, doch dabei durfte mir nicht der kleinste Fehler unterlaufen. Drückte ich die Maschine auch nur wenige Handbreit zu tief hinuter, war es endgültig aus mit uns. Behutsam pendelte ich die Energiezufuhr neu ein, den Blick starr auf die Anzeigen und mein Display gerichtet, immer wieder korrigierte ich minimal Kurs und Antigravleistung. Wie durch Watte hindurch hörte ich das Schluchzen meines jungen Freundes. Nur nicht ablenken lassen! Konzentriere dich! Mir brannten die Augen, meine Hände zitterten unmerklich. Mit angespannten Sinnen saß ich da, meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Um den Bruchteil eines Millimeters zog ich ein Hebelchen näher zu mir heran – der Bug hob sich um einige Zentimeter an. Vorsichtig, vorsichtig, um Himmels willen keine hastige Bewegung machen, hämmerte ich mir ein. Daran, daß das
Aggregat jederzeit wieder streiken konnte, mochte ich gar nicht denken. Die ersten Bäume waren nur noch wenige hundert Meter entfernt. Noch eine letzte kleine Berichtigung, dann befand sich das Schiff über den Tannen. Peitschend schlugen die Zweige der Nadelhölzer gegen die Unterseite der Außenhaut, ein häßliches Kreischen von Metall war zu hören, aber meine Baumbremse funktionierte. Ein eisiger Schreck durchfuhr mich, als das Boot plötzlich durchsackte. Obwohl der Antigrav gleich darauf wieder funktionierte, gelang es mir nicht, den Flug zu stabilisieren. Wipfel wurden zerfetzt und abgerissen, Stämme geknickt und abgemäht wie Grashalme. Pausenlos erschütterten heftige Stöße und Schläge den Flugkörper, der hin und her geworfen wurde wie ein Schiff auf den Wellen. Hinter uns blieb eine Spur der Verwüstung zurück, eine regelrechte Schneise aus kronenlosen, abgeholzten und umgestürzten Baumriesen. Ich nahm diese Bilder nur unbewußt in mir auf. Unter Aufbietung meiner ganzen Erfahrung und all meines Könnens versuchte ich, die Maschine unter Kontrolle zu bekommen und hochzuziehen. Alle Mühe war vergebens, als das Aggregat mit einem letzten Aufheulen sein synthetisches Leben aushauchte. Mit der Wucht einer Kanonenkugel bahnte sich das Wrack, das jeden Augenblick auseinanderbrechen konnte, einen Weg durch den Wald. Und ich konnte nichts mehr tun – nur zusehen und hoffen, daß wir diese Höllenfahrt überlebten. Dann hörte dieses Stakkato auf einmal auf, keine Tanne ragte mehr empor. Wir waren in einen Windbruch geraten. Rumpelnd und polternd, mit der Gewalt eines urweltlichen Sauriers, durchpflügte unser Gefährt den Verhau aus faulenden und modernden Pflanzenveteranen und schlitterte auf dem Boden dahin. Wir schaffen es, jubilierte ich innerlich. Es hat funktioniert! Warte es ab! Bevor ich den Logiksektor in seine Schranken verweisen konnte,
erreichte das stark beschädigte Boot – nunmehr kaum schneller als ein Fußgänger – den Plateaurand und kippte nach vorn. Chipol stieß einen Schrei aus. Vergeblich versuchte ich zu erkennen, was ihn so ängstigte und was jenseits der Ebene war. Wieder einmal drehte sich alles, und dann erhielt ich einen Schlag an den Kopf, der mir das Bewußtsein raubte. * Als ich wieder zu mir kam, hatte ich das Gefühl, gerädert worden zu sein. Mein ganzer Körper schmerzte, und im Schädel hämmerte es, als wäre dort eine Dampframme in Betrieb. Ganz langsam öffnete ich die Lider, aber das einfallende Licht war so gering, daß es die Netzhaut nicht reizte. Ich riskierte es, die Augen ganz zu öffnen und mich umzusehen. Um mich herum herrschte das Chaos – das war selbst bei dem trüben Schein der einzig intakten Lampe zu erkennen. Fast alle Kontrollen waren erloschen, alle Bildschirme und Monitoren zu Bruch gegangen. Selbst schwere Geräte waren aus ihrer Verankerung gerissen und zertrümmert worden, Terminals erinnerten an abstrakte Kunstwerke, Schaltpulte sahen aus, als hätte sich eine Planierraupe damit beschäftigt. Verteiler offenbarten ihr kompliziertes, nunmehr deformiertes Innenleben, Rechner waren nur noch ein Gewirr durcheinandergewirbelter Schaltungen, massive Stützelemente hatten sich verzogen und waren gestaucht. Einheiten, die ihren Platz vorher an den Wänden hatten, hingen deformiert herunter oder lagen zwischen Trümmern und Bruchstücken, die sich auf dem Boden türmten. An der tiefsten Stelle hatte sich eine knöcheltiefe Lache gebildet, und noch immer tropfte Wasser aus einer geborstenen Versorgungsleitung. Das ganze Schiff knisterte und knackte verdächtig. Chipol! Der Junge lag verrenkt in seinem Sessel und rührte sich nicht, an der Stirn hatte er Blut, die Augen waren geschlossen. Da –
die Brust hob und senkte sich, schwach nur, doch er lebte. Ich mußte zu ihm und ihm helfen. Vorsichtig bewegte ich Hände und Füße. Zwar tat jede Muskelanspannung höllisch weh, doch offensichtlich warenrrteine Glieder heil geblieben. So schnell es ging, schnallte ich mich los und stand auf. Das Sägewerk in meinem Schädel schien darauf nur gewartet zu haben und legte erst richtig los. Mir drohte der Schädel zu platzen, Schwindel übermannte mich. Instinktiv klammerte ich mich an meinem Sitz fest und atmete mehrmals tief durch. Deutlich fühlte ich das Pulsieren meines Zellaktivators, der Anfall ebbte ab. Behutsam setzte ich mich in Bewegung. Das Boot mußte auf der Seite liegen, denn der Boden hatte sich in eine schräge Ebene verwandelt, was dem Fortkommen nicht gerade dienlich war. Steifbeinig stakste ich durch das Durcheinander aus Schrott, zerfetzten Kunststoffteilen und unbrauchbar gewordenem Gerät. Immer wieder mußte ich Trümmer zur Seite räumen oder ausweichen, weil ineinander verkeilte, unidentifizierbare Brocken ein Durchkommen unmöglich machten. Es war ein mühsames Unterfangen, zu meinem jungen Freund zu gelangen. Die Sorge um ihn ließ mich aber meinen eigenen Zustand vergessen. Sei nicht so ungestüm! warnte der Extrasinn. Wenn die Lage des Wracks instabil ist, kann dein Hauruck‐Verfahren katastrophale Folgen haben. Daran hatte ich nicht gedacht. Zweifellos war der Schrotthaufen mit uns in die Tiefe gestürzt. Vielleicht war er an einem Felsen hängengeblieben, vielleicht bewahrten uns nur ein paar mickrige Bäumchen davor, in einen Abgrund zu rutschen, und da konnte jede heftige Bewegung ausreichen, die trügerische Balance zu beenden. Wie es aussah, würde das Material einer weiteren Belastung nicht mehr standhalten. Es war ohnehin fast unglaublich, wie stabil diese winzige Raumeinheit war. Wesentlich behutsamer bahnte ich mir einen Weg, immer mit der Furcht im Nacken, daß jeder Schritt, jede Gewichtsverlagerung den
Absturz und damit auch das Ende bedeuten konnte. Täuschte ich mich, oder wurde das Knacken und Knirschen tatsächlich lauter, bedrohlicher? Von überallher drang Ächzen und Stöhnen von Metall an mein Ohr. Plötzlich gab es einen ohrenbetäubenden Knall, dem ein heftiges Gepolter folgte. Mir gefror förmlich das Blut in den Adern, und dann sah ich, was mir einen solchen Schrecken eingejagt hatte: Ein Stützelement, ziehharmonikaartig zusammengedrückt, hatte sich aus der Halterung gelöst und war auf das herumliegende Gerumpel gefallen. Einen Augenblick lang verharrte ich, doch der Neigungswinkel des Bodens veränderte sich nicht. Langsam ging ich weiter. Nach einer Zeit, die mir wie eine Ewigkeit vorkam, gelangte ich zu dem halbwüchsigen Daila, der sich immer noch nicht rührte. Sofort untersuchte ich ihn. Der Puls war nicht sehr ausgeprägt, aber regelmäßig, der Herzschlag stabil. Offensichtlich hatte er sich nichts gebrochen, und was ich für eine Kopfverletzung gehalten hatte, entpuppte sich bei näherem Hinsehen als eine Platzwunde auf der Stirn, die zwar stark geblutet hatte, aber relativ harmlos war. Ohne lange zu überlegen, löste ich den Gurt und nahm den Jungen Huckepack. Obwohl es mein Bestreben war, dieses brüchige Gefährt so rasch wie möglich zu verlassen, blieb ich vorsichtig, denn es war ohnehin unmöglich, einfach loszurennen. Nun, da ich keine Hand mehr frei hatte, um Hindernisse zur Seite zu räumen, mußte ich sie umgehen oder darübersteigen, was mehrmals einem Balanceakt gleichkam. Endlich gelangte ich zum Schott. Wie nicht anders zu erwarten, funktionierte es nicht mehr. Ich überlegte mir bereits, wie ich es anstellen sollte, aus der Steuerkanzel herauszukommen, und betätigte ohne große Hoffnung den Notschalter. Ich war angenehm überrascht, als sich der Flügel tatsächlich bewegte – ruckend und quietschend zwar, aber immerhin. Als ein Mann, der Gegebenheiten sofort akzeptierte, wunderte ich
mich nicht lange darüber, sondern zwängte mich durch die Öffnung, als sie groß genug war, um mich mit meiner Last auf dem Rücken hindurchzulassen. Die Gangbeleuchtung funktionierte nicht mehr, dennoch war es nicht finster. Durch zahlreiche Löcher und Spalten – teils faustgroß, teils mehrere Meter im Durchmesser – drang Sonnenlicht in den Flur. Auch zu meinen Füßen war die Außenhülle aufgerissen, ich konnte felsigen Untergrund und Geröll erkennen – etwa zwei Meter unter mir. Dieser von den Konstrukteuren des Flugkörpers nicht eingeplante Notausstieg kam mir wie gerufen. Kurzerhand ließ ich Chipol sanft zu Boden gleiten, ging in die Hocke – und sprang. Angeschlagen, wie ich war, hatte ich mich wohl ein wenig überschätzt. Der Versuch, mich abzufedern, mißlang. Ich kam hart auf und prellte mir den linken Knöchel. Der stechende Schmerz trieb mir das Wasser in die Augen, ich war wütend auf mich selbst. Nein, dies war wahrlich nicht mein Tag, es schien, als hätte sich alles gegen mich verschworen. Hör auf, dich selbst zu bemitleiden! wies mich der Logiksektor barsch zurecht. Du bist kein Kind! Nach allem, was geschehen ist, kannst du dich glücklich schätzen, daß du lebst und Chipol auch. Seit wann bist du so furchtsam und so wehleidig? Ist es beginnende Senilität? Dir werde ich es nie recht machen können, dachte ich wütend. Zeige ich mich wagemutig, bin ich ein Verrückter, verhalte ich mich in höchster Gefahr wie ein Mensch, bin ich ein Feigling. Weißt du, wer von uns beiden der Narr ist? Du! Ich halte diese unqualifizierten Gedanken deinem Trauma zugute, das Ligriden heißt. Ja, du hast recht, gestand ich. Die Ligriden haben mein seelisches Gleichgewicht momentan erschüttert. Schuld daran ist weniger der Abschuß als vielmehr ihre Anwesenheit hier, denn das bedeutet nichts anderes, als daß sie diese Welt bereits für sich vereinnahmt haben. Oder sie sind im Begriff, das zu tun.
Wie auch immer: Unter diesen Umständen wird es außergewöhnlich schwer sein, von den Daila ein Raumschiff zu bekommen und Aklard zu verlassen, gab ich gedanklich zurück. Du mußt den Realitäten ins Auge sehen. Hole den Jungen aus dem Schiff und verschwinde. Vermutlich wird man nach dem Wrack suchen. Ihr müßt wegsein, bevor die Ligriden es entdecken. Widerspruchslos gehorchte ich und hob Chipol aus dem arg ramponierten Flugkörper, der kaum noch Ähnlichkeit mit einem Boot hatte. Mein jugendlicher Begleiter war immer noch ohnmächtig. Ich überlegte, ob ich diesen Zustand beenden sollte, entschied mich dann jedoch dafür, sofort aufzubrechen. Die Schneise, die unser Raumschiff in den Wald geschlagen hatte, war unübersehbar, und es war abzusehen, daß bald Suchkommandos auftauchen würden, um das umliegende Gelände zu durchkämmen, weil man keine Leichen fand. Bis dahin mußten wir uns einen gehörigen Vorsprung und ein sicheres Versteck verschafft haben. Wir befanden uns in einem kleinen Gebirgstal. Linker Hand wurde es von einem Steilhang begrenzt, der dem Raumer und damit auch uns beinahe zum Verhängnis geworden wäre. Beim Rutsch in die Tiefe hatte sich der Flugkörper wohl endgültig in einen Schrotthaufen verwandelt und Berge von Steinen und mächtigen Blöcken mitgerissen, die sich zu Wällen aufgetürmt hatten. Der hintere Ausgang war regelrecht verschüttet worden von einer Gesteinslawine, die ein Unüberwindliches Hindernis bildete. Die rechte Bergflanke stieg sanfter an, klippenartige Erhebungen, von Wind und Wetter geformt, erhoben sich wie Monolithen über Buckel und Vorsprünge. Krautige Gewächse, Stauden und grasartige Pflanzenpolster – typische Gebirgsflora – bedeckten den Hang und versuchten, sich an Blütenvielfalt und Farbenpracht gegenseitig zu übertreffen. Unästhetische Sträucher mit dornigen Ranken und verblichenem Grün machten den zarten Pflanzen den kargen Lebensraum streitig und rangen mit ihnen um die spärlichen
Nährstoffe. Vereinzelt strebten armlange Baumschößlinge empor, hier und da behauptete sich auch ein blattgeschmücktes mageres Stämmchen oder eine unterernährte Tanne. Mein Blick ging nach vorn. In südlicher Richtung Verengte sich der Gebirgseinschnitt zu einer Schlucht, die von meinem Standpunkt aus nicht einzusehen war. Eine Ansammlung von Büschen, gut mannshoch, trotzte hier den Unbilden der Natur und reckten ihre biegsamen, mit Kätzchen besetzten Zweige der Sonne entgegen. Deren Stand nach mußte es später Vormittag sein. Die eher spärliche Vegetation würde uns kaum Schutz bieten können, und Höhlen gab es nicht, soweit das erkennbar war. Ein längerer Marsch war somit unumgänglich, aber wohin? Die vergleichsweise ebene Talsohle ermöglichte ein rasches Fortkommen, doch war das nicht zu durchsichtig? Wer immer uns verfolgte, würde wohl zuerst diesen Weg nehmen – also klettern. Wieder lud ich mir Chipol auf den Rücken und ging los. Gleich beim ersten Schritt wäre ich um ein Haar gestürzt, weil der schmerzende linke Knöchel nicht so wollte wie ich und umknickte. Ich hatte das Gefühl, daß jemand das Gelenk mit Messern traktierte. Ein solches Handikap hatte mir gerade noch gefehlt. Um das Bein zu entlasten, verlagerte ich das Gewicht auf den rechten Fuß. Unter diesen Umständen hatte es keinen Sinn, den Hang zur Flucht zu wählen. Ich konnte mich nur hinkend fortbewegen, und das war bergauf weitaus mühsamer als im ebenen Gelände. Da ich nicht wußte, wann der Junge aus seiner Bewußtlosigkeit erwachte und wo ich ein brauchbares Versteck für uns fand, mußte ich meine Kräfte schonen und durfte mich nicht gleich am Anfang verausgaben. Notgedrungen mußte ich also dem Tal folgen. »Wo bin ich?« tönte es kläglich neben meinem linken Ohr. Chipol war wieder zu sich gekommen – das traf sich gut. Vorsichtig ließ ich ihn zu Boden gleiten und lehnte ihn an einen marmorierten dunklen Quader. Er wirkte mitgenommen, schien
jedoch keine ernstlichen Schäden davongetragen zu haben. Während ich ihn abtastete, berichtete ich ihm, was mir durch den Kopf gegangen war und was ich zu tun gedachte. »Wir sollten doch den Aufstieg wagen.« Seine Stimme klang schon ein wenig frischer. »Ich werde dich stützen.« »Du wirst dich selbst kaum auf den Beinen halten können.« »Das laß nur meine Sorge sein. Immerhin brauchst du mich nicht zu tragen.« Dieses Argument hatte etwas für sich. »Versuche, zu laufen.« Der junge Daila erhob sich. Typisch Junge begnügte er sich nicht damit, über den Boden zu gehen, was mir als Beweis seiner Einsatzfähigkeit vollkommen gereicht hätte, nein, es mußte eine Ebene höher sein. Ein wenig wackelig auf den Beinen, balancierte er über meterhohe Blöcke, aber schon nach wenigen Schritten wurde sein Gang sicherer. »Nun?« fragte er triumphierend. »Du hast mich überzeugt. Nehmen wir also die schwierigere Route.« Humpelnd setzte ich mich in Bewegung. Mühelos überholte Chipol mich. Auf einmal kam ich mir uralt und gebrechlich vor. Atlan, der Unsterbliche, dabei verwundbar wie jeder Sterbliche auch. »Komm, ich helfe dir. Halte dich an meiner Schulter fest.« »Nein, laß nur, es geht schon«, wehrte ich wider besseres Wissen ab, trat bewußt forsch auf – und zuckte vor Schmerzen zusammen. Was ist nur mit dir los? Was du denkst und tust, ist selbstzerstörerisch, raunte der Extrasinn vorwurfsvoll. Du hast schon schlimmere Situationen gemeistert, aber nie warst du so mutlos wie heute. Vermutlich Altersdepressionen, Herr Psychiater, gab ich gallig zurück. Wenn du mir helfen kannst, tue es, wenn nicht, kannst du mir den Buckel herunterrutschen mit deiner Unkerei. Eine Antwort blieb aus, dafür registrierte ich, daß das Stechen im
Fuß nachließ. Offensichtlich hatte sich da wieder etwas eingerenkt durch meine heftige Bewegung. Probehalber machte ich einen weiteren Schritt nach vorn – es ging. Zwar tat der lädierte Knöchel noch weh, doch der Schmerz war erträglich. »Geht es wirklich?« erkundigte sich der Junge fürsorglich. »Ja, also los. Wir haben schon genug Zeit verloren.« Mein junger Freund, der wie ich stehengeblieben war, nahm die Aufforderung wörtlich und stürmte leichtfüßig auf die Bergflanke zu, ich folgte ihm, immer noch ein wenig hinkend, doch von Meter zu Meter wurde es besser. Ich holte auf, und bevor der Daila den Hang in Angriff nehmen konnte, war ich dicht hinter ihm. Die Stelle für den Aufstieg war gut gewählt. Es gab keinen dichten Pflanzenwuchs, der uns behinderte, sondern nur vereinzelte Grasbüschel und niedrige Kräuter. Sanft ansteigend, wurde der Felsbuckel erst mit zunehmender Höhe steiler. Meiner Schätzung nach hatten wir eine Kletterpartie von sechshundert Metern zu bewältigen, bevor wir den Gipfel erreichten. Noch einmal suchte ich mit den Augen den Himmel nach Flugkörpern ab, ohne etwas zu entdecken, dann ging es bergauf. Anfangs war es ganz einfach. Das Gestein war trocken und nicht rutschig, die geringe Neigung begünstigte ein rasches Fortkommen, kantige Erhebungen und rauher Untergrund boten den Füßen guten Halt. Schon nach wenigen Minuten lag das Tal hundert Meter unter uns, doch unser Vormarsch geriet ins Stocken, weil Dorngestrüpp uns den direkten Weg versperrte. Ranken, die rote und grüne Früchte trugen und an Brombeeren erinnerten, bedeckten fast die ganze Flanke und hatten sich wuchernd und miteinander verfilzt so ausgebreitet, daß sie einen gut zwanzig Meter breiten Gürtel bildeten. Selbst mit einem Vibratormesser war dieses wehrhafte Gestrüpp kaum zu bezwingen. Uns blieb nichts anderes übrig, als auszuweichen und diese Bastion der Gebirgsflora zu umgehen. Unglücklicherweise mußten wir dabei ein Geröllfeld überqueren. Das war nicht nur zeitraubend und kräftezehrend, sondern auch
gefährlich. »Sei vorsichtig, Chipol!« rief ich dem Daila zu, weil er sich gar zu leichtsinnig über das tückische Gestein bewegte. Meine Warnung kam zu spät. Übermütig wie ein Fohlen hüpfte der Junge dahin, und was ich befürchtet hatte, trat ein: Einige Steine lösten sich, gerieten ins Rutschen und polterten, zu einer Lawine anschwellend, hinunter ins Tal. Auch Chipol, der zu Fall gekommen war, wurde mitgerissen. Schreiend versuchte er, sich irgendwo festzuklammern, doch er fand keinen Halt. Ich mußte ihm zu Hilfe eilen und zögerte keine Sekunde. Eine der elastischen Ranken abzureißen und loszulaufen, war eins. Die spitzen Dornen bohrten sich wie Nadeln ins Fleisch und zerstachen die Haut, doch ich spürte es kaum. Mehr stolpernd als rennend sprang ich talwärts. »Chipol, versuche, den Zweig zu fassen!« brüllte ich, um das Getöse zu übertönen. Der Junge mußte mich gehört haben, denn er drehte den Kopf, und obwohl er in eine Staubwolke eingehüllt war, schien er mich auch zu sehen. Ich krallte mich an einem armdicken Bäumchen fest, stemmte die Füße in den Boden und warf die Ranke aus wie eine Angel. Chipol griff danach, aber er verfehlte sie knapp. Mit einer letzten verzweifelten Kraftanstrengung bekam er sie noch zu fassen und hielt sie eisern fest. Ungehemmt machte er seinem Schmerz und der Angst Luft. Langsam zog ich ihn zu mir herüber, immer bemüht, ihn nicht zu gefährden, zugleich mußte ich darauf achten, nicht vom Steinschlag getroffen zu werden. Mir kam es fast wie eine Ewigkeit vor, bis mein jugendlicher Freund endlich aus der unmittelbaren Gefahrenzone war. Ausgepumpt lag er da, Tränen liefen über das von pulverisiertem Gestein grau gefärbte Gesicht. Die blutverschmierten Hände umklammerten die stachelige Rute, als wollte er sie nie mehr loslassen. Ich beugte mich über ihn, bog behutsam die verkrampften
Finger zurück und entfernte vorsichtig die Ranke. »Danke, Atlan«, stieß er schluchzend hervor. »Du hast …« »Laß es gut sein, Chipol«, winkte ich ab. »Ruhe dich einen Augenblick aus, ich verbinde derweil deine Hände.« »Du blutest ja auch an der rechten Hand.« »Das ist halb so schlimm. Erst mußt du einmal versorgt werden. Hast du starke Schmerzen?« »Ich meine, sie sind auszuhalten.« Der Junge bewegte die Extremitäten, und obwohl er die Zähne zusammenbiß, konnte er ein Stöhnen nicht unterdrücken. »Ich glaube, gebrochen habe ich mir nichts. Wahrscheinlich habe ich Hautabschürfungen und ein paar blaue Flecke, doch das ist nicht weiter tragisch.« Während ich ein Tuch in schmale Streifen riß, musterte ich ihn eindringlich. »Chipol, du benötigst dringend eine Erholungsphase. Da eine längere Rast nicht in Frage kommt und wir gleich wieder aufbrechen müssen, werde ich dich tragen.« »Nein, das lasse ich nicht zu. Ich will dir nicht zur Last fallen. Ohne mich und meine Dummheit hättest du jetzt fast den Gipfel erreicht.« Schwankend kam der Knabe auf die Beine. »Du wirst sehen, ich schaffe es aus eigener Kraft.« Da war ich mir durchaus nicht so sicher, aber welchen Sinn hatte es, ihm zu widersprechen? Wir hatten wieder klare Sicht, der Staub hatte sich gelegt, und still geworden war es auch. Nur ab und zu kollerte noch ein Stein in die Tiefe. Erneut hielt ich Ausschau nach Verfolgern, doch außer ein paar Wolken gab es am Himmel nichts zu sehen, nicht das leiseste Geräusch war zu hören, das auf nahende Flugkörper schließen ließ. In Gedanken versunken verband ich Chipols Wunden. Daß die Ligriden bisher noch nicht aufgetaucht waren, es also nicht eilig hatten, das Wrack zu finden und zu untersuchen, konnte eigentlich nur bedeuten, daß sie sich ihrer Sache sehr sicher waren. Das wiederum ließ nur den Schluß zu, daß sie alles unter Kontrolle
hatten – sowohl den Planeten selbst als auch seine Bewohner. Also waren auch die Daila geknechtet, von denen ich mir Hilfe und Unterstützung versprochen hatte. Ich verdrängte diese Überlegungen. Zuerst mußten wir uns einmal in Sicherheit bringen, denn selbst wenn die Ligriden sich Zeit nahmen, mußte das nicht heißen, daß sie erst in ein paar Stunden hier aufkreuzten. Wir mußten aufbrechen. Mit einem prüfenden Blick auf den Verband erhob ich mich aus der Hocke und band mir selbst einen Lappen um die rechte Hand. »Sieh mal, wir bekommen Besuch!« rief Chipol. Alarmiert fuhr ich herum, doch ich entspannte mich sogleich. Die Gestalt, die da über uns am Hang verharrte und etwa hundert Meter von unserem Standort entfernt war, signalisierte keine Gefahr. Hautfarbe und Kleidung verrieten, daß es sich um einen jungen Daila handelte, um ein Kind von vielleicht zwölf, dreizehn Jahren. »Hallo!« Chipol winkte mit beiden Armen. »Wir sind Freunde. Du brauchst dich nicht zu fürchten.« »Das tue ich auch nicht«, kam es selbstbewußt zurück. Mit einer Geschmeidigkeit, die den geübten Bergwanderer verriet, kam der Halbwüchsige auf uns zu. Wir gingen ihm entgegen in der Hoffnung, ihn als Führer gewinnen zu können. Ohne Hilfe waren wir in dieser Wildnis verloren, denn wir benötigten nicht nur ein sicheres Versteck, sondern auch Wasser und Nahrung. Gewiß, wir konnten Beeren sammeln und essen, doch damit war es vorbei, wenn die Ligriden Jagd auf uns machten. So gesehen, konnte uns der Junge von Nutzen sein, aber ich würde auf der Hut sein. Es wäre nicht das erste Mal, daß Kinder zu Spitzeldiensten eingesetzt wurden. 2. Gleerth kannte sich in der schroffen Gebirgswelt wie kaum ein
anderer aus. Seine Kenntnisse verdankte er nicht nur der Tatsache, daß er oft in den Bergen unterwegs war, um Pflanzen, Beeren und Wurzeln zu sammeln, sondern auch seinem Lehrmeister. Der Kräuterkundler war ein weiser Mann, der höchstes Ansehen genoß, denn er wußte nicht nur die Sprache der Natur zu deuten, sondern verstand sich auch auf die Heilkunst. Jeder begegnete ihm mit Respekt, und obwohl er sehr zurückgezogen lebte, hatte sein Wort im Dorf Gewicht. Auf Bitten von Gleerths Mutter hatte Fastir den Jungen zu seinem Schüler gemacht. Nach den anfänglichen Unterweisungen oblag es nun dem zwölfjährigen Knaben, jene Kräuter und Pflanzenteile zu ernten, die dann zu Elixieren, Salben und Tinkturen verarbeitet wurden. Sie halfen nicht nur gegen allerlei Gebrechen und Krankheiten der Daila, sondern waren in Abwandlung auch als Medizin für das Vieh zu gebrauchen. Daß Fastir ihn für so beschlagen hielt, daß er ihn allein gehen ließ, erfüllte den Knaben mit Stolz, und bisher hatte er seinen Lehrmeister auch nie enttäuscht. Sachkundig unterschied er zwischen wirksamen Pflanzen und solchen, die ähnlich, aber pharmazeutisch nutzlos waren. Er kannte die Stellen, wo seltene Nützlinge wuchsen, und er wußte, welche Teile der Gewächse zu Heilzwecken gebraucht wurden. Neben seiner Tätigkeit als Kräutersammler war Gleerth aber noch in einer anderen Mission unterwegs: Er übermittelte den Rebellen, die sich in die unzugänglichen Regionen der Berge zurückgezogen hatten, Nachrichten und Botschaften. Der Grund dafür war in der jüngsten Vergangenheit der Daila zu suchen. Unmittelbar nach dem Überfall der Ligriden hatten sich sowohl Gleerths Vater als auch seine Brüder einer Widerstandsgruppe angeschlossen. Es kam zu einem Gefecht mit den Besatzungstruppen, und seitdem hatte niemand mehr etwas von den Männern gehört. Keiner wußte, ob sie getötet worden oder in Gefangenschaft geraten waren – nicht die kleinste Information
sickerte durch. Gleerth hatte den Gedanken daran verdrängt, ob er und seine Mutter die einzigen Überlebenden der Familie waren, doch frisch war in seiner Erinnerung daß die Fremden Angehörige seines Volkes dazu zwangen, sich verstecken zu müssen, weil sie es nicht einmal duldeten, daß jemand gegen dieses Unrecht seine Stimme erhob. Schon seit Stunden kletterte der Junge im Gebirge herum. Er war bereits bei Sonnenaufgang aufgebrochen, um Pherian zu pflücken. Diese seltene Blume wuchs an unzugänglichen, schattigen Stellen, die zugleich feucht und windgeschützt sein mußten. Die unscheinbare Pflanze war nicht zu gebrauchen, dafür waren die handtellergroßen rosafarbenen Dolden um so wertvoller bei allerlei Herzerkrankungen und Kreislaufbeschwerden. Die Blüten wurden nicht einmal einen Tag alt. In der Nacht begannen sie aufzublühen, zur Mittagszeit hingen sie bereits welk am Stengel. Zu diesem Zeitpunkt waren sie bereits wertlos, als Knospe dagegen hochgradig giftig. Um sie zu Heilzwecken einzusetzen, mußte sie also in den frühen Morgenstunden gebrochen werden. Ein gutes Dutzend Exemplare hatte Gleerth geerntet, Fastir würde mit ihm zufrieden sein. Wie immer war die Ausrüstung des Jungen bescheiden. Ein Messer und eine kleine Axt waren die einzigen Werkzeuge. Als Waffe hatte er sie noch nie einsetzen müssen, denn die Beutegreifer, die in dieser kargen Region lebten, waren klein und gingen dem Daila aus dem Weg. Der lederne Rucksack, der zum Transport des gesammelten Materials diente, enthielt als Proviant nur eine Flasche Wasser und ein Stück Fladenbrot. Das genügte ihm, denn er wußte, wo es Quellen und klare Bäche gab, und er kannte die Früchte und Wurzeln, die eßbar waren. In der Frühe war es empfindlich kalt gewesen. Tau lag auf Blättern und Pflanzen, Nebel kroch über Hänge und Grate. Obwohl Gleerth
sich bewegte und anstrengende Kletterpartien hinter sich bringen mußte, hatte er gefröstelt. Erst als die Strahlen der Sonne kräftig genug waren, um den Dunst zu durchdringen, war es erträglicher geworden. Die Wärme lockte zahlreiche Insekten und Schmetterlinge aus ihren Unterschlüpfen hervor, in denen sie starr und klamm die Nacht verbracht hatten. Das Jubilieren der Vögel, seit eh und je die Frühaufsteher unter den Tieren, war verklungen. Erst am Abend würden sie wieder singen, um nach ein paar Stunden Schlaf erneut den neuen Tag zu begrüßen. Wie immer erfreute sich der Junge an der Natur. Die scheuen Begas, gemsenähnliche Kletterer, konnte er ebenso beobachten wie die Ochos, murmeltiergroße Nager, die die würzigen Gebirgskräuter abweideten. Sie lebten in Kolonien in unterirdischen Bauten und waren verspielte Geschöpfe, aber zugleich sehr wachsam. Wann immer sie ihren schrillen Alarmpfiff hören ließen, wurden auch die anderen Arten gewarnt, so daß die Räuber es schwer hatten, Beute zu machen. Besonders fürchteten die Ochos den Jucredi, einen hellgefiederten Greif mit mächtigen Schwingen und den Feltervis, den Bergmarder, der im Sommer ein braunes und im Winter ein reinweißes Fell trug. Dieser flinke Jäger drang sogar in die Bauten der Nager ein, mußte sich jedoch oft mit blutiger Nase zurückziehen, weil die männlichen Tiere einer Familie ihre Burg mit Klauen und Zähnen verteidigten. Dem Stand der Sonne nach war es bereits später Vormittag, als die Pflanzenfresser ihr Frühstück beendet hatten. Auch Gleerth, der schon lange auf den Beinen war, verspürte Hunger, und er beschloß, zu rasten. Ein sonniges Plätzchen mit weichem Graspolster bot sich dafür an, zumal es in der Nähe auch silberlaubige Sträucher mit kirschgroßen Früchten und meterhohe Zwergbüsche mit reichlichem Beerenbehang gab. Zahllose Gefiederte, die sich daran gütlich getan hatten, erhoben sich bei der Annäherung des Jungen zeternd in die Luft. Einen so reich gedeckten Tisch fand man in der Felsenwildnis
nicht oft, und so ließ der Daila es sich schmecken. Plötzlich drang ein ungewohntes Geräusch an sein Ohr. Er drehte den Kopf in die Richtung, aus der diese merkwürdigen Töne kamen, und beschattete mit einer Hand die Augen. Zuerst konnte er nur ein blinkendes Pünktchen erkennen, das er beim Näherkommen als Flugkörper identifizierte. Das kleine Raumschiff hielt auf die Berge zu, aber es flog so merkwürdig. Auf einmal begriff er: Es stürzte ab! Noch einmal schien der Pilot das unabänderliche Schicksal abwenden zu können, der Kurs wurde geändert, dann berührte das Boot die Wipfel eines Tannenwalds und entschwand Gleerths Blicken. Das Krachen und Brechen von Holz und Stämmen war zu hören, Scheppern und explosionsartiges Gepolter, dem lähmende Stille folgte. Aufgeregt kreisten Vögel am Himmel. Das Kind hatte es auf einmal eilig. Hastig streifte es sich den Rucksack über, prägte sich die Richtung ein und die Stelle, an der der Flugkörper niedergegangen sein mußte, und marschierte los. Gleerth wußte nicht, wer an Bord des Schiffes war, doch er wollte am Absturzort sein, bevor die Ligriden dort eintrafen. Vielleicht konnte er etwas in Erfahrung bringen, was seine Freunde in den Bergen interessierte. Das Kräutersammeln konnte warten. * Der Junge musterte uns neugierig, dabei ruhte sein Blick länger auf mir als auf Chipol. Obwohl er mich sicherlich nicht für einen Daila hielt, fragte er nicht, wer und was ich war, sondern kam gleich zur Sache. »Dir seid in Schwierigkeiten«, stellte er fest. »Wie kommst du darauf?« tat ich naiv. »Ich habe den Absturz eures Raumers beobachtet.« »Er wurde von den Ligriden abgeschossen!« empörte sich Chipol. So schnell hatte ich mich dem Knaben nicht offenbaren wollen,
doch da mein Begleiter nun mit der Wahrheit herausgeplatzt war, hatte es wenig Zweck, Märchen aufzutischen. Als Chipol das Wort »Ligriden« aussprach, ging mit dem Kind eine Veränderung vor sich. Die hagere Gestalt straffte sich, die schrägen Augen wurden zu schmalen Schlitzen, die Blitze verschossen. Mit geballten Fäusten stand er vor uns. »Ligriden!« stieß er hervor. Seine Stimme schwankte zwischen Haß, Wut und Verachtung. »Wir bekämpfen diese Schurken, wo immer es geht. Ich, Gleerth, werde dafür sorgen, daß ihr nicht in ihre Hände fallt so wie mein Vater und meine Brüder.« Du kannst ihm vertrauen, raunte der Logiksektor. Dieser Auffassung war ich auch und stellte meinen jungen Freund und mich vor. »Was hast du vor, Gleerth? Willst du uns zu einer Ansiedlung bringen?« »Nein, unser Dorf ist zu weit entfernt. Ich werde euch zu unseren Leuten führen, die sich in die Berge zurückgezogen haben. Sie werden sich um euch kümmern. Dort seid ihr erst einmal in Sicherheit.« »Bist du sicher, daß sie uns Unterschlupf gewähren werden, wenn sie erfahren, daß wir auf der Flucht vor den Ligriden sind?« »Ganz sicher, Atlan.« Der Junge lächelte. »Eine bessere Empfehlung könnt ihr nicht mitbringen.« Ich verstand. Beherzte Daila, die sich nicht unterwerfen lassen wollten, hatten sich zu Widerstandsgruppen zusammengeschlossen, um die Invasoren zu bekämpfen. Offensichtlich waren sie für eine offene Auseinandersetzung nicht stark genug, so daß sie sich in unzugängliche Regionen zurückgezogen hatten, um als Rebellen gegen die Fremdherrschaft zu operieren. Wieder einmal mußte ich mich in den Schutz einer Untergrundorganisation begeben in der Hoffnung, dort die Hilfe zu bekommen, die ich benötigte. »Führst du Wasser mit dir?« erkundigte sich Chipol. »Ja, aber jetzt und hier ist nicht die Zeit und der Ort, um zu essen
und zu trinken. Das könnt ihr tun, wenn wir uns weit genug von der Absturzstelle entfernt haben, dann werde ich auch eure Wunden versorgen.« Das Kind sah mich an. »Wir müssen so schnell wie möglich von hier verschwinden. Es wird nicht mehr lange dauern, bis ein Ligriden‐Kommando auftaucht, um das Schiff zu untersuchen.« »Das ist auch meine Meinung«, bestätigte ich. »Laß uns also gehen.« Gleerth warf einen prüfenden Blick zum Himmel und lauschte einen Augenblick lang mit schiefgelegtem Kopf, dann wandte er sich um und stieg bergan, ohne sich noch einmal umzusehen. Wir folgten ihm. * Der Junge zeigte sich als ein umsichtiger, aufmerksamer Führer, der uns rechtzeitig warnte und gefährliches Terrain umging. So vermied er es, tückische Geröllfelder zu betreten, machte uns auf verborgene Spalten und versteckte Abhänge aufmerksam. Mit traumwandlerischer Sicherheit bewegte er sich durch das schroffe Gelände, und wann immer ich glaubte, nun würde es nicht mehr weitergehen, tat sich ein bis dahin unsichtbarer Pfad auf, ein Felsensteg oder ein Hohlweg. Zielsicher führte er uns durch das steinige Labyrinth – ohne ein Zeichen von Unsicherheit. Das konnte nur jemand, der in dieser Wildnis zu Hause war. Undurchdringlich scheinendes Rankendickicht entpuppte sich als ein herunterhängender Blättervorhang, den Gleerth zur Seite schob wie eine Gardine. Dahinter befand sich eine Art überdachtes Tal, beschattet von mächtigen Felsvorsprüngen. Auch ein Wasserfall vermochte den kleinen Daila nicht aufzuhalten. Er durchschritt ihn einfach. Wir taten es ihm nach und gelangten in eine Höhle, die von dämmrigem Licht erfüllt war. Die feuchten Wände und der
glitschige Boden waren über und über mit Leuchtmoosen bedeckt, die einen grünlichen Schein verbreiteten. Den Auswaschungen nach mußte diese übermannshohe Röhre einst der subplanetare Lauf eines Flusses gewesen sein, der sich dann vor Jahrtausenden ein anderes Bett gegraben hatte. Obwohl es draußen heiß war, beeilten wir uns, aus dem kalten Gewölbe mit seinen modrigen Gerüchen herauszukommen. Wesentlich erfrischender war da das Durchqueren kleiner Bäche und Rinnsale. Das eisige Wasser kühlte angenehm, wir tauchten die Hände ein und bespritzten unsere verschwitzten Gesichter. Nach einer guten Stunde Marsch begann Chipol zu jammern, aber Gleerth kannte kein Erbarmen und führte uns mit strammem Schritt von der Absturzstelle weg. Dank meines Zellaktivators erholte ich mich schnell und konnte mithalten, doch mein Begleiter war den Strapazen nicht mehr gewachsen. Da unser Führer es ebenso wie ich für zu gefährlich hielt, jetzt schon eine Pause einzulegen, lud ich mir den protestierenden Knaben auf die Schultern und trug ihn. Mittlerweile hatte ich von Gleerth erfahren, daß er zwölf Jahre alt und der Schüler eines Kräuterkundlers war. Er hatte von seinem Dorf und seiner Mutter erzählt, und er hatte von den Rebellen berichtet, die – das hatte ich herausgehört und mir zusammengereimt – eigentlich keine Kämpfer waren. Der einzige, der auf diesem Gebiet ein wenig Erfahrung und Sachverstand hatte, war ihr Anführer, ein altgedienter Raumfahrer namens Kyrkodh. Der Kleine wußte von anderen Gruppen, deren Zusammensetzung ähnlich war. Das bedeutete, daß es mir kaum gelingen würde, ein Raumschiff zu bekommen. Nur eine schlagkräftige Organisation konnte darüber verfügen, aber nicht ein lockerer Zusammenschluß von Planetariern, die zwar alle guten Willens waren, sich jedoch als Einzelkämpfer verstanden. Alle waren beseelt von dem Gedanken, dem Feind zu schaden, ihn von Aklard zu vertreiben, doch der Wunsch allein genügte nicht. Invasoren, das wußte ich zur Genüge, setzten skrupellos ihr
gesamtes militärisches Potential ein, und sie hatten schon vorher strategische Überlegungen angestellt, wie Oppositionellen beizukommen war, wenn sie bewaffneten Widerstand leisteten. Vielleicht konnten sich einige Rebellentrupps noch jahrelang behaupten, doch besiegen konnten sie die Besatzer nicht. Das war mir ganz klar, als mir Gleerth schilderte, wie die Ligriden vorgingen und was die Untergrundkämpfer dagegen taten. Eine kurze Rast im Schatten von Bäumen mobilisierte unsere Lebensgeister wieder. Gleerth teilte seine karge Ration mit uns und kümmerte sich um unsere Wunden. Verschiedene Blätter, die er quasi im Vorbeigehen gepflückt hatte, zerhackte er mit seinem Messer und gab Wasser dazu, dann strich er diesen Brei auf unsere zerschundenen Handflächen. Die zähflüssige Masse kühlte angenehm und linderte das Brennen, zudem sollte sie, wie das Kind versicherte, vor Entzündungen schützen. Mir konnten Bakterien und andere Mikroorganismen wegen des Zellaktivators kaum etwas anhaben, anders war es da bei Chipol. Sein Körper konnte bei der Abwehr von Keimen Unterstützung gut gebrauchen. Gleerth hatte uns bisher in südöstliche Richtung geführt, tiefer ins Gebirge hinein. Die Baumgrenze mit dem Krummholzgürtel hatten wir hinter uns gelassen, hier und da trotzte eine verkrüppelte Latschenkiefer den Unbilden der Witterung. Der stetig blasende Wind machte die hochsommerlichen Temperaturen erträglicher. Nach einem steilen Aufstieg ging es wieder bergab in Regionen, wo die Vegetation etwas vielfältiger und üppiger war. Halbhohe Buschgruppen duckten sich an den Hang, niedrige Föhren wuchsen im Schutz von Felsvorsprüngen und in Senken. Plötzlich raschelte es neben uns im Gebüsch. Ich nahm an, daß ein flüchtendes Tier dieses Geräusch verursacht hatte, weil Gleerth achtlos weiterging, doch ich wurde sofort eines Besseren belehrt. Ein scharfes »Stop!« ließ mich im Schritt verharren, zwei Gewehrläufe wurden durchs Geäst geschoben und auf uns gerichtet. Wir mußten auf einen Posten der Rebellen gestoßen sein, denn mit so
altertümlichen Waffen waren die Ligriden bestimmt nicht ausgerüstet. Furcht empfand ich nicht, dennoch hob ich die Hände, um zu demonstrieren, daß uns an einer Konfrontation nicht gelegen war. »Gleerth, geh zur Seite!« Der Junge gehorchte der Stimme aus dem Hain. Gleich darauf schob sich ein Daila mittleren Alters durch das Blattwerk und baute sich vor uns auf. Die doppelläufige Flinte hielt er locker in der Armbeuge. »Es sind Freunde, Martegh«, sagte der Junge. »Ligriden haben ihr Raumschiff abgeschossen. Sie benötigen Hilfe.« »Wir haben den Absturz beobachtet«, entgegnete der Bewaffnete. »Effin ist mit ein paar anderen unterwegs, um sich die Sache aus der Nähe anzusehen.« Er musterte uns kurz und wandte sich wieder an das Kind. »Wo hast du die beiden gefunden?« »In der Nähe der Absturzstelle. Ich habe sie nicht direkt hierhergebracht, sondern einen Umweg gewählt, um mögliche Verfolger in die Irre zu führen.« Chipol gab einen dumpfen Laut von sich. Auch ich war für einen Moment perplex. Ohne ein Wort darüber zu verlieren, hatte dieser Knabe uns vielleicht die doppelte Strecke laufen lassen, um seine Freunde nicht zu gefährden. Nie während des Marsches und der manchmal recht mühseligen Kletterei war mit der Gedanke gekommen, daß dieses Schlitzohr absichtlich Umwege gewählt hatte, was natürlich auch unserem Schutz diente. Der pfiffige Bengel hatte mehr Umsicht bewiesen als mancher Erwachsene. »Gut gemacht, Gleerth.« Martegh nickte anerkennend, Chipol dagegen machte ein finsteres Gesicht. Vermutlich überschlug er, wieviel Kilometer uns erspart geblieben wären, wenn sein jüngerer Artgenosse die direkte Route genommen hätte, möglicherweise hatte er auch das Gefühl, von dem Zwölfjährigen zum Narren gehalten worden zu sein. »Seid ihr bewaffnet?« erkundigte sich der Posten.
»Nein«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Wie heißt ihr?« »Das ist Chipol, mein Name ist Atlan.« »Du bist kein Daila«, stellte mein Gegenüber fest. »Woher kommst du und was führt dich nach Aklard?« »Ich komme von einer Welt, die dir unbekannt ist, aber ich bin alles andere als ein Freund der Ligriden.« Die letzten Worte betonte ich nachdrücklich. »Ich steuerte diesen Planeten an in der Hoffnung, hier Unterstützung zu finden und ein Raumschiff zu bekommen.« »Ein Raumschiff?« echote der Bewaffnete entgeistert. »Wie hast du dir das vorgestellt? Wir kämpfen hier gegen die verhaßten Ligriden, die unser Volk knechten und unterwerfen wollen, und da erwartest du, daß wir irgendwo in den Bergen ein Raumschiff versteckt haben?« »Nicht mehr. Als wir starteten, ging ich davon aus, daß die Ligriden noch nicht auf das Suuma‐System aufmerksam geworden sind«, formulierte ich vorsichtig. »Inzwischen weiß ich, daß das ein Trugschluß war. Unter den gegebenen Umständen bin ich mir nicht sicher, ob wir Aklard überhaupt aus eigenem Entschluß verlassen können.« »Ich werde euch zu Kyrkodh bringen. Er ist der Chef unserer Gruppe und weiß vielleicht Rat. Auf jeden Fall seid ihr im Lager erst einmal in Sicherheit.« Der Daila sah zu dem Jungen hinüber. »Es ist besser, du gehst jetzt ins Dorf zurück, bevor man dich dort vermißt. Sei unbesorgt, Gleerth, wir werden uns um Atlan und Chipol kümmern und sie schützen.« »Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder!« rief unser freundlicher Helfer, winkte verabschiedend und stapfte davon, ohne sich noch einmal umzusehen. »Eisth, wir gehen zurück. Es reicht, wenn Vorsind hier die Stellung hält.« Ein Mann, der sich bisher verborgen gehalten hatte, verließ seine Deckung und trat hervor. Er war wesentlich älter als Martegh. Sein
wettergegerbtes Gesicht und die derbhäutigen Hände verrieten, daß er einen Großteil seines Lebens im Freien zugebracht hatte und gewohnt war, hart zu arbeiten. Nach meiner Einschätzung hatte er als Bauer seinen Lebensunterhalt verdient, bevor er sich den Rebellen angeschlossen hatte. Bedächtig, fast schwerfällig, überprüfte Eisth seine langläufige Waffe und packte sie wie einen Stock am Kolben. »Kommt, wir wollen keine weitere Zeit verlieren.« Martegh schulterte sein Gewehr und marschierte mit raumgreifenden Schritten voraus, wir setzten uns ebenfalls in Bewegung, gefolgt von Eisth, der keine Anstrengung machte, zu uns aufzuschließen. Das konnte bedeuten, daß er auf eventuelle Verfolger achten und uns den Rücken freihalten sollte, es konnte aber auch sein, daß er ein wachsames Auge auf uns hatte – oder alles zugleich. Ich vertiefte den Gedanken nicht weiter. »Schaffst du es aus eigener Kraft, Chipol?« erkundigte ich mich besorgt. »Wenn sie nicht endlose Umwege wählen – bestimmt«, raunte der junge Daila mir grimmig zu. Innerlich schmunzelte ich. Wie es schien, hatte er immer noch nicht verwunden, daß Gleerth den Fußmarsch nach eigenem Gutdünken ausgedehnt hatte, ohne uns darüber zu informieren. * Das Lager befand sich in einer bewaldeten Senke, umgeben von Bergkuppen, die auch vor einer Einsicht nach oben schützten. Posten in getarnten Unterständen sicherten die Zugänge und überwachten das umliegende Gelände ebenso wie den Luftraum. Die Sicht reichte kilometerweit, so daß die Daila und damit auch wir vor einem Überraschungsangriff sicher waren. Unterkünfte im eigentlichen Sinne gab es nicht, als Behausungen
und Vorratskammern diente ein reichverzweigtes Höhlensystem, das keinen sonderlich wohnlichen Eindruck machte. Das Mobiliar war spärlich, Tische und Stühle roh zusammengezimmert, die Schlafstätten bestanden aus mit Heu gefüllten Säcken. Selbst die rauchlos flackernden Feuer verbreiteten kaum Behaglichkeit. Gleich nach unserem Eintreffen wurden weitere Späher losgeschickt, die an der Absturzstelle Stellung beziehen sollten. Ob es ihnen gelang, noch vor den Ligriden dort zu sein, wagte ich zu bezweifeln, dennoch begrüßte ich die Aktion. Wenn wir wußten, was die Besatzer für Schritte einleiteten, um unser habhaft zu werden, konnten wir uns rechtzeitig darauf einstellen. Die Begrüßung durch Kyrkodh war herzlich. Der alte Raumfahrer zeigte sich als ein einsichtiger und besonnener Mann, der seine Leute mit Umsicht führte und spektakuläre Aktionen vermied, wenn dadurch Gesundheit und Leben der um ihn versammelten Kämpfer gefährdet wurden. Kyrkodh hatte Fruchtsäfte servieren lassen und für ihn und mich einen Kräuterschnaps, der mir beim ersten Schluck das Wasser in die Augen trieb. Chipol lächelte wissend. Wir drei hatten es uns in einer Felsnische in der Nähe eines Feuers bequem gemacht. Der Anführer der Rebellen hatte sofort erkannt, daß ich kein Daila war. Da ich sicher war, ihm vertrauen zu können, weihte ich ihn in groben Zügen in meine Pläne ein und erwähnte dabei, daß mein jugendlicher Begleiter zu jenen Angehörigen seines Volkes gehörte, die wegen ihrer besonderen Fähigkeiten von Aklard verbannt worden waren. Der alte Daila hatte aufmerksam zugehört: Nachdenklich warf er ein weißrindiges Holzscheit in die prasselnden Flammen und lehnte sich zurück, dann sagte er bedächtig: »Ich muß euch eine seltsame Geschichte erzählen, die ich vor einigen Jahren erlebt habe.« Er leerte sein Glas. »Als Kommandant eines Frachtraumers bin ich weit herumgekommen. Alle Planeten, mit deren Völkern wir Handel treiben, habe ich angeflogen, aber nie
traf ich dort Verbannte. Mir kam es fast so vor, als hätten sie Scheu davor, sich auf einer Welt niederzulassen, deren Bewohner mit uns Kontakt haben.« Ich warf einen Blick auf Chipol. Er hing förmlich an Kyrkodhs Lippen. »Unsere Flüge waren Routine, aber dann trat bei einem dieser Transporte ein Defekt am Navigationsrechner ein. Wir gerieten in einen bis dato unbekannten Raumsektor, waren also jenseits der Grenze unseres Operationsgebiets. Als einzigen Bezugspunkt hatten wir eine nahe Sonne, die von mehreren Trabanten umkreist wurde. Da einer der Planeten Aklard recht ähnlich war, nahmen wir ihn näher in Augenschein. Zu meiner Überraschung war er von ʹDaila bewohnt, die ihre Heimatwelt verlassen mußten – Verbannte.« Der Raumfahrer zog einen ledernen Beutel aus seiner Kleidung und begann, sich umständlich eine Pfeife zu stopfen. »Weiter«, drängte Chipol. »Was geschah weiter?« »Nicht so ungeduldig, junger Freund.« Mit einem Hölzchen, das Kyrkodh am Feuer entzündete, steckte er die Pfeife an und machte ein paar Züge, die uns regelrecht einnebelten. »Vorsichtig versuchte ich, Kontakt aufzunehmen, denn ich mußte davon ausgehen, daß sie uns feindselig behandeln würden, aber genau das Gegenteil war der Fall. Sie gaben mir gegenüber zu erkennen, daß sie sich noch immer als Daila fühlten und gewährten mir und meinen Leuten jede denkbare Unterstützung. Eine solche Hilfsbereitschaft hatten wir alle nicht erwartet.« Vergnügt paffte er vor sich hin. »Doch damit nicht genug, behaupteten sie auch, daß alle Verbannten denken und handeln würden wie sie selbst. Sie verstiegen sich sogar zu der Behauptung, daß sie spüren würden, wenn Aklard in Gefahr wäre.« Der Daila nahm die Pfeife aus dem Mund und sah mich versonnen an. »Ich glaube nicht, daß die Verbannten gelogen haben. Möglicherweise müssen wir nun einen Gesandten zu ihnen schicken, um Hilfe zu erhalten.« Kyrkodhs Stirn umwölkte sich.
»Allerdings müßten wir dazu erst einmal ein Raumschiff haben.« »Und wo willst du das hernehmen? Die Ligriden werden es kaum zulassen, daß einer ihrer Raumer gekapert wird«, wandte ich ein. »Vielleicht unterschätzt du die Möglichkeiten unserer Bewegung.« Der Raumfahrer lächelte hintergründig. »Ich gebe zu, daß die Ausrüstung der von mir befehligten Gruppe sehr zu wünschen übrigläßt, aber wir sind nur eine Art Vorposten im Gebirge. Dieser Landstrich ist für die Ligriden kaum interessant, es gibt keine Industrie und keine hohe Bevölkerungsdichte, überwiegend ländliche Struktur ohne nennenswerte technische Einrichtungen. Es reizt keinen Eroberer, hier präsent zu sein. Anders ist das in den Städten. Ich werde euch mit einer anderen Gruppe unserer Organisation in Kontakt bringen. Vielleicht können euch Freunde dort zu einem Schiff verhelfen.« Kyrkodhs Eröffnung machte mir wieder Hoffnung, meine Pläne doch noch realisieren zu können. Erfreut stieß ich mit dem Daila an. * Ohne Umweg kehrte Gleerth in sein Dorf zurück. Bleierne Hitze ließ die Luft flirren, wie unsichtbare Wolken lastete sie auf den Hütten und Katen. Die staubige Straße war öde und verlassen, nicht einmal Tiere tummelten sich dort wie sonst. Das Vieh war auf der Weide, die meisten Bewohner arbeiteten auf den Feldern oder waren unterwegs, um Beeren und Früchte zu sammeln. Lediglich ein paar alte Leute saßen dösend vor ihren Häusern im Schatten der Dächer. Daran, daß alles seinen gewohnten Gang ging, erkannte der Knabe, daß der Absturz unbemerkt geblieben sein mußte, denn sonst hätten sich die Dörfler ganz anders verhalten. Seine Mutter wartete bereits mit dem Essen auf ihn. Sie hatte im Freien gedeckt, weil es in der Stube unerträglich heiß und stickig war. Hungrig und durstig, wie er war, langte der Junge ordentlich
zu und ließ es sich schmecken. Zufrieden sah die Frau ihm zu und erkundigte sich wie immer danach, was er in den Bergen getan und erlebt hatte. Bereitwillig gab Gleerth Auskunft, verschwieg jedoch, daß er zwei Schiffbrüchige zu den Rebellen gebracht hatte. Das vertraute er wenig später seinem Lehrmeister an, der in seiner Küche hockte und in Tiegeln Salben und Mixturen zusammenrührte. Geduldig hörte der Alte zu, legte den Mörser aus der Hand und sagte orakelhaft: »Ich denke, wir werden bald Besuch bekommen.« 3. Die PUNDRA war das Flaggschiff der Ligriden‐Truppe, die Aklard quasi auf die Übernahme vorbereiten sollte. Kommandant war Ghorza, ein Ligride von höchstem Adel. Bei seinen Untergebenen genoß er die Autorität, die das Amt und seine Herkunft mit sich brachten, dennoch machte er sich Sorgen um seine Zukunft. Um ungestört nachdenken zu können, hatte er sich in seine Privaträume an Bord des Raumers zurückgezogen. Stumm saß der humanoide Riese da, den Kopf mit dem prächtig verzierten Helm auf die sechsgliedrigen Hände gestützt. Es hielt ihn nicht lange im Sessel. Unvermittelt sprang er auf und begann eine unruhige Wanderung. Er wußte, daß er einen unverzeihlichen Fehler begangen hatte, indem er viel zu früh auf Aklard eingegriffen hatte, nämlich zu einem Zeitpunkt, als die Naldrynnen gerade erst begannen, sich allmählich zurückzuziehen. Die Daila durchschauten prompt das Spiel und erkannten, daß die Naldrynnen es darauf abgesehen hatten, den Planeten wirtschaftlich zu ruinieren, mehr noch, sie kamen auch dahinter, wer deren Auftraggeber waren – sein Volk, die Ligriden. Kurzerhand setzten die Daila ein paar hundert Naldrynnen als Geiseln fest.
Ghorza hatte keine Skrupel, die Gefangenen zu opfern, doch das konnte er nicht, weil er von einigen Beobachtern aus BASTION‐V kontrolliert wurde. Ihretwegen konnte er nicht so durchgreifen auf Aklard, wie es ihm notwendig erschien. Nach dem ersten Schlag mußte er sich mit seinen Leuten zurückhalten, und das hatte die für ihn fatale Folge, daß die Daila Zeit erhielten, um sich überall zu Widerstandsgruppen zusammenzuschließen. Der Kommandant verwünschte die Aufpasser, die ihm im Nacken saßen. Ohne sie hätte er längst hart durchgegriffen und für geordnete Verhältnisse auf dem Planeten gesorgt, aber so waren ihm die Hände gebunden, dabei wurde die Lage allmählich kritisch. Halphar, dieser Emporkömmling, den er aus tiefster Seele haßte, zugleich aber auch fürchtete, war der oberste Kriegsherr. aller Ligriden in diesem Raumsektor, und der hatte für Fehlentscheidungen welcher Art auch immer wenig Verständnis. Vergeblich zerbrach Ghorza sich den Kopf darüber, wie er es anstellen sollte, nicht sein Gesicht zu verlieren und doch noch zu einem Erfolg zu kommen. Die Ruhe, die er gesucht hatte, brachte ihm keine Erleuchtung, im Gegenteil, ihm ging die Stille auf die Nerven, weil es nichts gab, was ihn ablenkte, und seine Gedanken sich nur im Kreis drehten. Verärgert über sich selbst verließ er die Kabine und kehrte in die Zentrale zurück. Sein Stellvertreter reichte ihm zwei Meldungen, die in der Zwischenzeit eingegangen waren. Stirnrunzelnd überflog Ghorza die Nachrichten. Die erste besagte, daß ein kleines Raumschiff, vermutlich von Dawaggor kommend, über Aklard abgeschossen wurde, aber noch notlanden konnte. Der zweite Text enthielt einen Befehl Halphars, nach einem Fremden namens Atlan und einem jungen Daila mit Namen Chipol zu suchen und sie auf der Stelle zu töten. Die Spur der beiden hatte sich auf dem Planeten Dawaggor verloren. Ghorza, der zwischen den Zeilen zu lesen wußte, erkannte, daß sie Halphar selbst entkommen waren.
Der Ligride lächelte maliziös. Sollte sich hier eine Gelegenheit ergeben, seine Schwierigkeiten mit einem Schlag loszuwerden? Für ihn gab es gar keinen Zweifel daran, daß zwischen beiden Meldungen ein Zusammenhang bestand – die Verbindung lautete Dawaggor. Die unmißverständliche Order, die Gesuchten sofort zu töten, ließ darauf schließen, daß die beiden etwas wußten, was Halphar gefährlich werden konnte, und sie sollten daran gehindert werden, dieses Wissen auszuplaudern. Ghorzas Lächeln vertiefte sich. Er mußte dafür sorgen, daß Chipol und dieser Atlan am Leben blieben und ihm ihr höchst gefährliches Geheimnis verrieten, dann konnte er Halphar unter Druck setzen, der ohnehin schon viel zu mächtig geworden war. Der Ligride wußte, daß das, was er vorhatte, den Traditionen widersprach, daß es ihn das Recht kosten konnte, den Helm zu tragen, was schlimmer war als der Tod, aber nur dieser Ungehorsam rettete ihn aus seiner Notlage. Zugleich hatte er damit Halphar in der Hand, seinen Vorgesetzten, den er verachtete und zugleich fürchtete. Nein, er hatte keine andere Wahl, als dem Befehl zuwiderzuhandeln. »Warum bekomme ich die Meldung jetzt erst, Sethor?« Sein Stellvertreter erstarrte. »Ich hielt sie nicht für so wichtig, um dich in der Meditation zu stören, Kommandant. Ich habe bereits veranlaßt, daß nach dem Raumer und eventuellen Überlebenden gesucht wird. Soll ich das rückgängig machen?« »Nein. Ich will, daß die beiden gefunden werden – lebend. Ihnen darf nichts geschehen. Ist das klar, Sethor?« »Vollkommen, Kommandant. Ich werde deinen Befehl gleich weiterleiten.« »Warte. Der Fremde und der Daila sind zu isolieren und an mich zu übergeben. Kein Gespräch, kein Verhör – nichts.« »Jawohl, Kommandant.«
»Wenn sie gefunden werden, will ich sofort informiert werden. Außer mir wird niemandem Meldung gemacht.« »Verstanden, Kommandant.« »Gut, du kannst gehen.« Eilig entfernte sich der Ligride. Ghorza blickte ihm aus halbgeschlossenen Augen nach. Auf einmal sah seine Zukunft gar nicht mehr so düster aus. * Ein feines Summen ließ Gleerth und den Kräuterkundler, die im Garten arbeiteten, aufhorchen. Als sie die Köpfe hoben, erkannten sie am Himmel große schwarze Fluggleiter, die auf das Dorf zuhielten und rasch näher kamen. »Sie suchen Atlan und Chipol«, flüsterte der Junge dem Alten zu, als fürchtete er, belauscht zu werden. »Ja, es sieht so aus.« Der Daila beschattete die Augen mit der rechten Hand. »Der Aufwand der Fremden läßt vermuten, daß die beiden für die Ligriden sehr wichtig sind.« Laute Rufe waren zu hören. Aufgeregte Dorfbewohner, die ihr Tagwerk auf den Feldern in der Nähe verrichtet hatten, liefen die trockene Straße entlang, verschrecktes Vieh trabte kopflos durch die Siedlung. Schon senkten sich die ersten Schweber herab. In einer gewaltigen Staubwolke landeten drei Flugkörper am Ortsausgang neben dem unbefestigten Weg, während die anderen in niedriger Höhe dahinglitten und sich entfernten. Zahlreiche bewaffnete Uniformierte sprangen aus den Gleitern. »In die Häuser!« brüllte der hünenhafte Anführer. »Wer ist hier der Bürgermeister?« Während die Daila verstört ihren Unterkünften zustrebten und versuchten, ihre Haustiere in Pferche und Ställe zu treiben, begannen die Ligriden bereits damit, Hütten und Scheunen zu
durchsuchen. Sie gingen dabei nicht gerade zimperlich vor, und mancher Verschlag blieb ziemlich demoliert zurück. »Verdammt, wo steckt der Bürgermeister?« Nervös wieselte ein schmächtiger Mann heran, der eine halbgefüllte Kiepe mit Pilzen auf dem Rücken trug. Außer Atem stieß er hervor: »Ich bin der Ortsvorsteher. Ich war im Wald und habe …« »Das interessiert mich nicht. Beim nächsten Mal bist du sofort zur Stelle, sonst mache ich dir Beine, Kerl. Wie heißt du?« »Herlem«, dienerte der Bürgermeister. »Los, führe uns zu deiner Behausung!« »Sofort!« Eilig lief Herlem auf ein doppelstöckiges Gebäude zu, das aus Findlingen und Felsblöcken errichtet worden war. Ein efeuartiges Gewächs rankte daran empor und ließ das Gemäuser noch trutziger erscheinen. Eilfertig riß der Daila die Tür auf. »Tretet ein!« Der Ligride bückte sich, um die Öffnung zu passieren, prallte jedoch entsetzt zurück, als sich eine übelriechende Wolke den Weg ins Freie suchte. Mit beiden Händen hielt er sich die Nase zu. »Augenblicklich entfernst du das Aas aus diesem Loch. Der Gestank bringt einen ja um.« Auch die drei stämmigen Begleiter des Truppführers verzogen angewidert das Gesicht und wichen naserümpfend zurück. »Das ist kein Aas«, sagte Herlem arglos. »Was da so duftet, ist Merlitong. Dieser Käse ist eine Delikatesse.« »Egal, ob faules Fleisch oder fauler Käse – das Zeug kommt auf der Stelle weg. Und dann wird ordentlich gelüftet. Wie kann man nur so etwas Ekelhaftes essen?« Der Ortsvorsteher hörte den letzten Satz nicht mehr. Nervös schlüpfte er ins Haus und tat, was der Bewaffnete verlangt hatte. Er war unruhig und aufgeregt, denn noch nie hatten die Ligriden ein
solches Aufgebot ins Dorf geschickt. Was mochte der Grund dafür sein? Hing es mit den Rebellen in den Bergen zusammen? Suchte man nach Sympathisanten, nach Kämpfern? »Was ist? Hat dich der Geruch betäubt?« »Ihr könnt hereinkommen, ich habe alle Fenster geöffnet.« Mit eingezogenen Köpfen polterten die Uniformierten durch die Tür und ließen sich ächzend auf hölzerne Schemel sinken, die unter ihrem Gewicht verdächtig knarrten. »Es stinkt immer noch bestialisch«, beschwerte sich der Anführer. Argwöhnisch sah er sich um. »Haust du allein in diesem Käsepalast?« »Nein, ich lebe mit meiner Lebensgefährtin und drei halbwüchsigen Kindern hier. Ah, da sind sie ja!« Erleichtert deutete Herlem zur Tür. Eine dralle Frau und die besagten Kinder standen auf der Schwelle. »Was gafft ihr so? Los, herein mit euch!« polterte der Ligride. Die Daila kamen der Aufforderung nach. Die Mädchen machten einen verängstigten Eindruck, ganz anders dagegen ihre Mutter. Sie stemmte die Arme in die Hüften und machte ihrer Empörung Luft. »Was hat das zu bedeuten? Was geht hier vor?« »Ich weiß es auch nicht, Brunthi«, gab der Bürgermeister kläglich zurück. »Ihr haltet den Mund, die Fragen stellen wir.« Um seine Macht zu demonstrieren, zog der Hüne seinen Strahler und legte ihn auf den blankgescheuerten Tisch. »Nun erzählt mal, was ihr von dem Raumschiff wißt, das vor wenigen Stunden unweit dieser Siedlung abgestürzt ist.« Überrascht sahen sich die Planetarier an. Schließlich antwortete die resolute Brunthi. »Wir haben weder ein Raumschiff gesehen noch etwas von einem Absturz bemerkt. Um welche Zeit soll das gewesen sein?« »Ich sagte bereits, daß es vor wenigen Stunden war!« grollte der Ligride. »Also?«
»Du siehst mich verwundert«, stotterte Herlem. »Ich fürchte, wir können euch nicht weiterhelfen. Ein solches …« Unvermittelt brach er ab und griff sich an die linke Brust. Seine Augen waren weit aufgerissen, die Lippen zitterten, gierig schnappte er nach Luft. Ein langgezogenes Stöhnen drang aus seinem Mund, der Körper verkrampfte sich und verlor den Halt. Sofort war seine Frau heran und fing die schmächtige Gestalt auf. Ohne sich um die Ligriden zu kümmern, bettete sie ihren Gefährten auf eine Bank und schob ihm ein Kissen unter den Kopf, dabei redete sie beruhigend auf ihn ein. »Mein Herz …«, röchelte der Daila. »Die Aufregung …« »Sei still und bleib ruhig liegen.« Sanft wischte Brunthi ihrem Mann den Schweiß von der Stirn. »Sylthi, lauf zum Heiler. Er soll sofort kommen.« Mit einem scheuen Blick auf die Uniformierten verschwand die älteste Tochter nach draußen. Niemand hielt sie auf. Getrieben von der Angst, daß der Vater sterben könnte, rannte sie zur Hütte des Kräuterkundlers und trommelte an die windschiefe Pforte. »Ja, ja«, war die Stimme des Alten von drinnen zu hören, »ich bin ja schon da.« Quietschend öffnete sich die Tür. »Du, Sylthi? Was gibt es?« »Vater ist zusammengebrochen – das Herz. Du mußt sofort kommen.« »Gleerth, meine Tasche!« Gehorsam wuchtete der Junge ein kofferähnliches Gebilde heran, das ihm der weise Mann abnahm. Auf einmal wirkte er gar nicht mehr alt und gebrechlich, sondern vital. Mit hurtigen Schritten folgte er dem Mädchen, seinen jungen Assistenten im Schlepp. Ohne sich um die Riesen zu kümmern, untersuchte der Heilkundige den Patienten und begann sogleich mit der Behandlung, bei der Gleerth ihn mit Handreichungen unterstützte. Die Ligriden ließen die beiden gewähren, da sie sie als harmlos
einstuften. Ähnlich lautete auch das Protokoll über die Befragung des Alten und seines Schülers, das mittlerweile vorlag. »Gut ein Drittel der Bevölkerung ist mittlerweile verhört worden – bisher ohne Erfolg«, berichtete eine Ordonnanz dem Anführer. »Es hat den Anschein, als wäre der Absturz tatsächlich nicht bemerkt worden.« »Die Schlußfolgerungen kannst du getrost mir überlassen«, herrschte der Hüne seinen Untergebenen an. »Was ich will, sind Fakten, du Idiot. Was ist mit diesem Atlan und Chipol? Wurden sie gesehen, hat jemand ihnen Hilfe gewährt?« »Nein.« »Nein, nein. Wann begreift ihr endlich, daß dieses Pack mit den Rebellen unter einer Decke steckt? Hat die Durchsuchung etwas ergeben?« »Bisher nicht.« »Dir alle seid absolut unfähig«, schnaubte der Chef des Kommandos. »Ich habe den Befehl, den Fremden und den Daila lebend zum Kommandanten zu bringen – koste es, was es wolle. Und ich werde diesen Befehl befolgen. Atlan und Chipol müssen gefunden werden, und wer ihnen etwas antut, wird mit dem Tode bestraft. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?« »Vollkommen. Was ordnest du an?« »Versprecht diesem Gesindel eine Belohnung. Wer weiß, wo die beiden sich aufhalten oder wer sie uns ausliefert, erfreut sich fortan unseres Wohlwollens.« Der Riese lachte hämisch. »Wir könnten beispielsweise dieses Dorf zerstören und niederbrennen, aber wir werden das Haus desjenigen verschonen, der uns hilft, die Gesuchten zu finden. Ihr müßt nur entsprechend argumentieren. Klar?« »Verstanden!« Der Uniformierte salutierte und trat ab. Der Wortführer der Ligriden erhob sich und trat zu Brunthi und den Kindern, die sich scheu und mit verheulten Augen um ihre Mutter scharten.
Verstohlen wischte die Frau ein paar Tränen weg. »Ihr sorgt euch um Herlem, nicht wahr?« Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr der Hüne fort: »Warum sagt ihr nicht die Wahrheit? Ein Hinweis von euch, und wir schicken unsere besten Ärzte. Sie verstehen sich auf ihre Kunst – im Gegensatz zu diesem Quacksalber dort. Nun?« »Wir wissen wirklich nichts von einem Absturz.« »Dein Mann kann sterben, wenn ihm nicht wirksam geholfen wird. Willst du das?« fragte der Ligride lauernd. »Nein, aber warum glaubst du mir nicht?« Die Daila schniefte vernehmlich. »Soll ich dich anlügen?« »Das würde ich dir nicht raten, sonst …« Der massige Soldat ließ die Drohung unausgesprochen und kehrte an seinen Platz zurück. Ihm war anzusehen, daß er wütend war. »Brunthi, bring mir ein Stück Merlitong«, bat Herlem mit schwacher Stimme. »Solange wir hier sind, kommt dieser verfaulte Käse mit seinem Aasgeruch nicht ins Haus, verstanden?« Der Hüne verzog angeekelt das Gesicht. »Diese Bude stinkt schon genug danach.« »Warum verweigerst du einem Kranken einen solch harmlosen Wunsch?« erkundigte sich der Kräuterkundler verwundert. »Weil … Das geht dich überhaupt nichts an, Alter. Kümmere dich um deinen Hokuspokus und mische dich nicht in Angelegenheiten, die dich nichts angehen.« Der Daila war klug und schwieg. Er hatte die Kleidung des Bürgermeisters geöffnet, massierte vorsichtig die Herzgegend und verrieb eine giftgrüne, aromatisch duftende Salbe auf der Haut während Gleerth dem Patienten tropfenweise eine Tinktur einflößte. Herlems Mimik verriet, daß sie alles andere als wohlschmeckend war. Erneut betrat ein Posten das Haus, ein paar beschriebene Folien unter dem Arm. »Was ist, Mann? Rede schon!« rief der Truppführer ungeduldig.
»Wir haben alle befragt. Niemand hat etwas gesehen oder gehört, von dem Fremden und dem Daila keine Spur.« Zornig haute der Ligride mit der Faust auf den Tisch. »Ihr habt euch von den Dörflern zum Narren halten lassen, ihr Hohlköpfe!« »Du kannst die Protokolle selbst lesen, wenn du willst.« »Verschwinde, du Trottel!« Der Uniformierte grüßte überhastet und machte, daß er davonkam. Übellaunig versetzte der Hüne dem Tisch einen Tritt, steckte den Strahler wieder weg, rückte den Helm zurecht und stand auf. »Gibt es in diesem elenden Nest ein Funkgerät oder andere Kommunikationsmittel?« bellte der Ligride. »Ja, wir haben eine kleine Funkstation«, sagte Brunthi leise. »Triumph der Technik und des Fortschritts, was?« Der Hüne machte eine abfällige Handbewegung. »Hört zu: Wenn dieser Atlan und sein Begleiter Chipol hier auftauchen sollten, will ich benachrichtigt werden – sofort. Und wehe euch, wenn den beiden etwas geschieht – ich will sie lebend, verstanden?« Mit ungelenker Hand kritzelte er dailanische Zeichen auf ein Stück Plastik. »Unter diesem Anschluß bin ich immer zu erreichen. Wer etwas weiß, sagt es mir – nur mir. Ich werde mich erkenntlich zeigen. Wenn ich jedoch erfahre, daß ihr mich hinters Licht geführt habt, dann geht es euch schlecht, das verspreche ich euch.« Der Truppführer warf die Folie auf den Tisch und verließ den ihrem Gewicht knarrten die Dielen, krachend wurde die Tür ins Schloß geworfen. Ein wenig erleichtert ließ sich die dralle Frau auf einen Schemel sinken. »Gut, daß die schrecklichen Ligriden endlich weg sind.« Sie wandte sich an den Alten. »Kannst du meinem Gefährten helfen?« »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen«, antwortete der Kräuterkundler der besorgten Frau. »Herlem ist bald wieder gesund. Ein wenig Ruhe, viel pflanzliche Kost und Milchprodukte,
und er ist in ein paar Tagen ganz der alte. Ich werde täglich nach ihm sehen und ihn medizinisch versorgen. Für alle Fälle werde ich dir eine Creme und ein Elixier hierlassen. Wie sie anzuwenden sind, erkläre ich dir später.« Ein schwaches Lächeln erschien auf dem runzligen Gesicht. »Jetzt solltest du deinem Mann erst einmal Merlitong servieren.« Brunthi eilte davon und wurde von ihren Kindern überholt. Jeder in der Familie wollte der erste sein, der dem Kranken den Wunsch erfüllte. Als alle verschwunden waren, gab der Alte seinem Schüler mit einem Wink zu verstehen, zum Fenster zu gehen. Der Junge verstand sofort. Er sah gerade noch, daß die schwarzen Gleiter summend starteten und die Nase gen Westen drehten, dann entschwanden sie aus seinem Blickfeld. »Die Besatzer sind weg«, rief Gleerth halblaut. Sofort war sein Lehrmeister an seiner Seite. »Du mußt noch einmal zurück in die Berge«, raunte der Heiler. »Hast du Augen und Ohren offen gehalten?« »Ich kann mich an jedes Wort erinnern.« »Gut. Berichte unseren Leuten, was du weißt und was sich hier getan hat – und warne Atlan und Chipol. Sie müssen wissen, welche Anstrengungen die Ligriden unternehmen, um ihrer habhaft zu werden.« »Ich breche gleich auf.« Auf Zehenspitzen huschte Gleerth zur Tür, öffnete sie leise und trat ins Freie. Er blickte nach links und rechts, dann rannte er über die leere Dorfstraße davon. Flink wie eine Gazelle sprintete er auf das eigentliche Gebirge zu, eingehüllt in eine Staubwolke. Die Botschaft, die er zu überbringen hatte, duldete keinen Aufschub. Auf seinem Marsch zu den Rebellen gelangte der Junge in die Nähe der Absturzstelle. Schon von weitem war der dunkle Gleiter zu erkennen, der über dem Tal schwebte, in dem das schrottreife Raumschiff lag. Gleerths Neugier war geweckt.
Vorsichtig, jeden Block und jeden Busch als Deckung nutzend, immer wieder nach oben sichernd, bewegte er sich durch das unübersichtliche Gelände. Endlich erreichte er kriechend eine baumbestandene Anhöhe, die es ihm ermöglichte, in die Schlucht einzusehen. Angestrengt spähte er in die Tiefe. Vor Aufregung begann sein Herz wie wild zu pochen. Die Ligriden hatten vier Freiheitskämpfer gefangengenommen und trieben sie zu einem gelandeten Flugkörper, um sie abzutransportieren. Dabei gingen die Riesen nicht gerade sanft mit den Daila um. Wut, aber auch Angst erfüllte den Knaben, er wußte nicht, ob er Steine nach den Soldaten werfen oder fortlaufen sollte, alles in ihm war in Aufruhr. Eher unterschwellig nahm er die Ligriden wahr, die an dem Wrack herumwimmelten und es eingehend untersuchten. Der Schweber mit den Gefangenen an Bord startete und hob ab. Das ernüchterte den Jungen, die Emotionen verloren an Intensität, und der Verstand gewann wieder die Oberhand. Nun gab es noch einen Grund mehr, die Rebellen aufzusuchen: Kyrkodh mußte erfahren, daß vier seiner Leute den Besatzern in die Hände gefallen waren. Gleerth verließ seinen Beobachtungsposten robbend, sprang dann auf und zwängte sich durch das Geäst des Wäldchens, das ihn vor fremden Blicken schützte. Er hatte es eilig. Zweige peitschten ihm ins Gesicht, Äste mit rauher Rinde schrammten über die Haut und rissen sie auf, oberirdische Wurzeln wurden zu Stolperfallen, doch nichts konnte den jungen Daila aufhalten. Der Baumbestand wurde lichter, eine karge Wiese mit sperrigen Stauden löste das Gehölz ab. Hier und da behauptete sich ein Busch, dornige Ranken überwucherten nackten Fels, der an einigen Stellen unter der dünnen Erdkrume sichtbar wurde. Die zarten Blüten auf dicken Stielen und schwankenden Stengeln, die sich zahlreich der Sonne entgegenstreckten, wiegten sich im Wind, als wollten sie den
einsamen Wanderer damit auf sich aufmerksam machen, doch anders als sonst hatte Gleerth keine Augen für die Formenvielfalt und Farbenpracht der Gebirgsflora. Der Gleiter war hinter den Wipfeln verschwunden, der Junge schritt schneller aus. Mit der Gewandtheit der gemsenartigen Begas überwand er Steilhänge und Grate, tastete sich auf schmalen Pfaden an Abgründen vorbei und kletterte über schroffe Klippen und Felsnasen. Endlich gelangte er in das Gebiet, das von den Freiheitskämpfern kontrolliert wurde. Ohne sich lange orientieren zu müssen, steuerte er zielstrebig einen verborgenen Unterstand an, der stets von einem Posten besetzt war, doch zu seiner Überraschung war der Ausguck verlassen. Nichts deutete darauf hin, daß sich hier längere Zeit intelligente Wesen aufgehalten hatten; man mußte schon ein geübter Beobachter sein, um zu erkennen, daß dieser Ort wieder »natürlich« hergerichtet worden war. Gleerth gehörte zu dieser Kategorie, aber er machte sich weiter keine Gedanken darüber. Mit der Unbekümmertheit eines Kindes suchte er die nächste ihm bekannte Wache auf‐ und fand die gleiche Situation vor. Nun wurde er unruhig, denn da konnte etwas nicht stimmen. Hatten die Rebellen fliehen müssen, weil ihnen die Ligriden auf den Fersen waren? Oder war gar Schlimmeres passiert? Es war nicht auszuschließen, daß die Besatzer den Stützpunkt ausgehoben und Kyrkodh und seine Mitstreiter festgesetzt hatten. Verunsichert blickte der Junge sich um. Lauerten die Ligriden ihm vielleicht irgendwo auf, warteten sie in einem Hinterhalt auf ihn, um ihn zu verschleppen oder gar zu töten? Gleerth fürchtete sich auf einmal. Es war weniger die Angst um sein Leben als vielmehr die Sorge um die Mutter. Sie würde es nie verwinden, wenn auch das letzte Kind, das ihr noch verblieben war, nicht mehr nach Hause zurückkehrte. Nein, das konnte er ihr unmöglich antun. Andererseits wollte er nicht als Feigling gelten. Was sollte er seinem Lehrmeister sagen, wenn er unverrichteter
Dinge ins Dorf zurückkam? Konnte er dem weisen Mann überhaupt noch in die Augen sehen, wenn er gestand, daß er aus einem unbestimmten Gefühl heraus einfach weggelaufen war? Hatte der Heiler nicht sein ganzes Vertrauen in ihn gesetzt? Unbewußt schüttelte der Junge den Kopf. Er mußte seine Aufgabe erfüllen. Sich selbst Mut machend, sichernd wie ein scheues Wild, setzte er einen Fuß vor den anderen, blieb stehen, lauschte und schlich weiter. Da – ganz in der Nähe rollte ein Stein in die Tiefe. Gleerth reagierte sofort und ließ sich fallen. Dicht an den Boden gepreßt, glitt er mit der Geschmeidigkeit einer Schlange hinter das nächste Gebüsch. Erst jetzt wagte er es, den Kopf zu heben. Vorsichtig schob er einen Zweig zur Seite, der ihm die Sicht nach vorn versperrte und spähte angestrengt durch das Blattwerk. Fast eine Minute verharrte er so, ohne daß sich etwas tat. Schon wollte er sich erheben, als das Knacken eines Astes an sein Ohr drang. Diesmal konnte er auch die Richtung ausmachen, aus der das Geräusch kam. Ein Tier schied als Verursacher aus, da die hier lebenden Arten allesamt zu leichtgewichtig waren, als daß Holz unter ihren Tritten zerbrach. Es mußte sich um einen Daila handeln – oder um einen Ligriden. Der Knabe zog die Beine an, bereit, sich davonzuschnellen und zu fliehen, wenn er es tatsächlich mit den Soldaten zu tun haben sollte. Für einige Sekunden war ein grotesk verzerrter Schatten auf dem holprigen Untergrund zu sehen. Zwar verschwand er wieder, doch Gleerth wußte nun, wer sich da verbarg. Hastig sprang er auf und lief bergan, auf eine Felsnische zu. Ein Mann, dessen Konturen vor dem bräunlich‐dunklen Hintergrund kaum auszumachen waren, trat daraus hervor. »Gleerth, was treibst du denn hier?« »Ich muß zu Kyrkodh und zu Atlan und Chipol«, stieß der Junge hervor. »Ligriden waren in unserem Dorf und haben sich nach den beiden Schiffbrüchigen erkundigt. Sie suchen sie.« Er deutete vage nach hinten. »Ich bin an der Absturzstelle vorbeigekommen. Die
Besatzer haben vier unserer Leute gefangengenommen und abtransportiert. Haben sie nach euch gesucht, oder warum habt ihr die Beobachtungsposten aufgegeben?« »Späher, die sich in der Nähe der Wracks auf die Lauer gelegt hatten, haben uns berichtet, daß einige Kämpfer in die Hände des Feindes gefallen sind.« Die Stirn des Freischärlers bewölkte sich. »Wir sind darauf gefaßt, daß sie versuchen werden, uns aufzuspüren, um uns unschädlich zu machen, aber das wird ihnen nicht gelingen.« Die düstere Miene des Daila erhellte sich wieder. »Auf Kyrkodhs Anordnung hin haben wir uns in einem Ausweichquartier eingerichtet und neue Stellungen bezogen. Hast du mich auf Anhieb gefunden?« »Nein, die Tarnung ist ausgezeichnet.« Der Junge warf einen Blick zur Sonne. »Führst du mich? Ich will vor Einbruch der .Dunkelheit wieder in der Siedling sein.« »Komm, ich zeige dir den Weg.« 4. Chipol und ich hatten den Standortwechsel mitgemacht. Da die Untergrundkämpfer weder über Packtiere noch über Transportmittel verfügten, hatten wir die wenigen Habseligkeiten der Rebellen mit eigener Muskelkraft ins neue Lager gebracht. Es lag ähnlich gut versteckt wie das alte, war aber noch unzugänglicher und bestand wieder aus einer Anzahl von Höhlen. Diese Zufluchtstätte war den gefangengenommenen Daila nicht bekannt, so daß wir uns relativ sicher fühlten, hier nicht von den Ligriden aufgestöbert zu werden. Ich begleitete Kyrkodh bei seinem Rundgang. Wer nicht zur Wache eingeteilt war, war damit beschäftigt, die Sachen zu verstauen, die wir herangeschafft hatten. Überall lagen noch Rucksäcke, Tragegestelle und verschnürte Bündel und Ballen
herum. Feuerstellen wurden eingerichtet, ein paar Mann waren unterwegs, um die Bäume zu fällen, deren Holz selbst in frischem Zustand rauchlos verbrannte. Auch Chipol machte sich nützlich, indem er von einer nahen Quelle Trinkwasser holte. Mitten in das geschäftige Treiben hinein platzte ein Posten. Natürlich dachte ich sofort, daß etwas vorgefallen wäre, doch zu meiner Überraschung präsentierte er uns Gleerth. »Ich habe euch etwas mitzuteilen«, sprudelte der Junge sofort los. »Es betrifft dich, Atlan, und Chipol, aber auch Kyrkodh. Es ist wichtig.« Der alte Raumfahrer faßte den Knaben väterlich an der Schulter und führte ihn zu einem Stollen, der etwas abseits vom allgemeinen Trubel lag. Ich folgte ihnen in das Gewölbe, das von zwei blakenden Fackeln nur spärlich erhellt wurde. In Ermangelung anderer Sitzgelegenheiten ließen wir uns auf Reisighaufen nieder. »Erzähle«, bat ich. Ausführlich informierte uns der Junge darüber, was sich im Dorf zugetragen und was er aufgeschnappt hatte – selbst die Abneigung der Ligriden gegen Merlitong erwähnte er. Wie bedeutsam der Bericht für Chipol und mich war, konnte auch Kyrkodh ermessen, denn Gleerths Worte ließen nur eine Interpretation zu: Zwar versuchten die Ligriden, meinen jugendlichen Begleiter und mich mit allen Mitteln zu fangen und scheuten dabei weder Kosten noch Mühen, doch offensichtlich sollte die Jagd nicht mit einem Erfolg um jeden Preis enden. Der Führer der Rebellen faßte das zusammen, was ich auch dachte. »Eure Ausgangsposition hat sich entscheidend gebessert, mein Freund, da die Ligriden den strikten Befehl haben, euer Leben nicht zu gefährden. Das gibt Raum für Aktivitäten.« Denke an die vergangenen Ereignisse, warnte mein Extrasinn. Da stimmt etwas nicht. Er hatte recht. Auf einmal stiegen Zweifel in mir auf, die ich auch äußerte.
»Mich würde interessieren, woher der plötzliche Sinneswandel kommt. Erst schießen sie uns ab und nehmen unseren Tod dabei in Kauf, nun auf einmal sind wir für die Ligriden so wichtig geworden, daß sie uns zwar fangen wollen, jedoch davor zurückschrecken, uns umzubringen. Was ist der Grund dafür?« »Vielleicht haben sie im Wrack etwas gefunden, wonach sie euch befragen wollen, möglicherweise liegt es an der Mentalität der Ligriden. Ich habe dir erzählt, wie sie hier auf Aklard vorgegangen sind – zuerst der Überfall, dann eine Art Rückzug. Auch das ergibt keinen Sinn, denn jeder, der eine bestimmte Position erobert hat, versucht sie zu festigen, doch das war bei den Helmträgern nicht der Fall.« Kyrkodh lächelte. »Uns hat diese Unentschlossenheit genützt, und sie wird euch auch nützen. Warum also sollen wir uns den Kopf darüber zerbrechen? Wir können es ohnehin nicht ergründen.« »Ich weiß nicht recht«, sagte ich unschlüssig. »Ich habe nicht den Eindruck, es mit unbedarften Amateuren zu tun zu haben, und Wankelmütigkeit paßt ebenfalls nicht in dieses Bild. Nach meinem Dafürhalten ist dieses Volk kriegerisch.« Halphar ist dir unterlegen. Er wird nicht rasten und ruhen, bis du tot bist, damit du von dieser Schmach nicht berichten kannst. Der Hinweis des Logiksektors verunsicherte mich noch mehr, was die Bewertung der humanoiden Riesen und ihrer Aktivitäten betraf. Bevor ich mich näher damit auseinandersetzen konnte, fuhr der Raumfahrer fort: »Wir wissen nun, daß euer Leben nicht unmittelbar bedroht ist. Das gibt dir Gelegenheit, deinen Plan in die Tat umzusetzen.« Kyrkodh lehnte sich zurück. »Ihr müßt nach Chinchidurry. Das ist der nächste größere Ort, und dort wird man dir weiterhelfen.« »Laßt euch nicht stören, aber für mich wird es Zeit, zu gehen.« Gleerth erhob sich. »Ich möchte vor Sonnenuntergang wieder im Dorf sein.«
»Ich bringe dich zum Ausgang.« »Das ist nicht nötig, Atlan.« Er drückte mir die Hand. »Dir und Chipol wünsche ich viel Glück.« »Ich dir auch. Und nochmals vielen Dank für alles. Du hast uns sehr geholfen.« »Wenn es gegen die Ligriden geht, müssen wir alle zusammenhalten«, sagte er altklug und lief davon. Wir blickten ihm nach, bis er hinter einer Gangbiegung verschwand. »Ein prächtiger Bursche. Er hat uns schon manch guten Dienst erwiesen.« »Das habe ich an mir selbst erlebt«, bestätigte ich. »Um auf unser Gespräch zurückzukommen: Verfügt die Gruppe in Chinchidurry über einen Raumer?« »Nein, es ist lediglich eine Zwischenstation, um ein Transportmittel zu bekommen, das euch nach Ghyltirainen bringen kann. Diese Stadt verfügt nicht nur über einen Raumhafen, sondern es leben dort zudem ein paar verläßliche Ratsmitglieder der alten Regierung, die es offiziell nicht mehr gibt. Aus sicherer Quelle weiß ich, daß man etwa fünfzig Naldrynnen als Geiseln hält, um Übergriffe der Ligriden zu verhindern. Wendet euch an Urlysh. Er gehörte früher der Regierung an und ist ein mutiger Mann, bei dem ihr sicherlich Unterstützung finden werdet.« Das hörte sich nun wieder gut an. »Zwei von meinen Leuten werden euch begleiten. Ich schlage vor, daß ihr gleich morgen früh aufbrecht.« »Einverstanden«, stimmte ich zu. »Ich fühle mich wieder frisch, und auch Chipol bereiten seine Blessuren keine Beschwerden mehr, sonst würde er nicht so eifrig mithelfen.« »Gut, dann werde ich für euch Lager herrichten lassen. Ihr solltet euch früh schlafen legen und ausruhen, denn der Weg ist beschwerlich.« »Ich werde meinen jungen Freund informieren«, sagte ich und
stand auf, nickte Kyrkodh zu und schlenderte davon. Lange zu suchen brauchte ich nicht. Mein Begleiter hockte an einem Feuer und stärkte sich nach des Tages Mühen mit einem Stück Wildbret. »Magst du auch einen Happen?« fragte er schmausend und hielt mir eine Keule hin. Dankend griff ich zu und berichtete ihm während des Essens, was ich erfahren hatte und was für den nächsten Tag geplant war. Kauend murmelte er Zustimmung. Zwar fand er den Sinneswandel der Ligriden ebenfalls merkwürdig, aber nicht beunruhigend. »Uns kann das nur recht sein.« Das war es mir zwar auch, dennoch blieb ein ungutes Gefühl, das vom Logiksektor genährt wurde. Warum vollzogen die Besatzer einen Schwenk von hundertachtzig Grad? * Hätte der Arkonide gewußt, welche Rivalität zwischen Halphar und Ghorza herrschte, wäre ihm einiges klarer geworden, hätte er dann gar noch erfahren, daß der neue Befehl gar nicht von seinem Erzfeind stammte, wäre der Widerspruch erklärlich geworden. Ob er dann aber auch so gehandelt hätte, wie er es zu tun gedachte, war durchaus nicht sicher, denn es ergab sich ein völlig neuer Aspekt. Ghorzas Truppen wollten ihn lebendig fangen, ihn und Chipol, während Halphars Untergebene ihn auf der Stelle töten würden. Das bedeutete, daß die beiden Verfolgten nur auf dem Planeten der Daila unversehrt blieben. Verließen sie Aklard, hatte der Kommandant der PUNDRA nichts mehr zu bestellen, Atlan und Chipol waren vogelfrei, und jeder Ligride – auch Ghorza – mußte sie umbringen. So gesehen war das Unterfangen des Aktivatorträgers selbstmörderisch, ein Raumschiff zu bekommen und zu starten, aber
Atlan wußte ja nicht, wie die Karten gemischt und verteilt waren … * Kyrkodh hatte es sich nicht nehmen lassen, uns selbst zu verabschieden. Ausgerüstet mit mehrschüssigen Schnellfeuerpistolen, handlichen Wasserschläuchen und ledernen Proviantbeuteln, die als Wegzehrung kalten Braten und Fladenbrot enthielten, machten wir uns auf den Weg. Begleitet wurden wir von Martegh und Eisth, den beiden Rebellen, auf die wir zuerst gestoßen waren. Es war empfindlich kalt. Nur langsam schob sich die Sonne hinter den Gipfeln hervor, Nebel und Dunstschleier hingen zwischen Felsen und in den Tälern. Ab und zu ließ ein Vogel seinen Ruf hören, ansonsten war es unnatürlich still. Auch die Daila fröstelten. Immer wieder schlugen sie mit den Händen gegen Arme und Körper, um sich zu erwärmen, der Atem bildete kleine Dampfwolken. Tau lag auf den Pflanzen, der Untergrund war feucht und rutschig. Unsere Führer gingen ein hohes Tempo an, vornehmlich wohl deshalb, um die Kälte aus den Gliedern zu vertreiben. Niemand sprach ein Wort, stumm schritten wir nebeneinander her auf eine Anhöhe zu, die nur schemenhaft zu erkennen war. Der sanft geneigte Hang war auch von einem ungeübten Bergwanderer leicht zu bewältigen. Als wir die Kuppe erreicht hatten, ging es in südöstlicher Richtung weiter. Es war heller geworden, Vogelgezwitscher begleitete uns nun, hier und da war auch ein Tier zu sehen, das aber schnell verschwand, wenn es uns bemerkte. Einen Pfad oder so etwas wie einen Wildwechsel gab es nicht. Offensichtlich orientierten sich die Daila am Stand der Sonne und nutzten markante Geländeformationen als
Orientierungshilfen. Die Flora wurde spärlicher, kümmerliche Exemplare, die kaum noch als Bäume zu bezeichnen waren, trotzten Wind und Wetter, zerzauste Gewächse duckten sich hinter Vorsprüngen und Blöcken, dennoch hatte auch diese karge Landschaft ihren Reiz. Martegh hielt auf ein Felsband zu, das sich eng an einen Steilhang schmiegte. Links war die Bergflanke, rechts gähnte ein Abgrund, in dem Nebelschwaden wogten. Wie tiefes hinunterging, ließ sich nur erahnen. »Müssen wir da hinüber?« fragte Chipol ahnungsvoll. »Ja«, bestätigte der jüngere Freischärler. »Der Weg über den Kamm bedeutet einen Umweg von mehr als sechs Stunden. Wir würden es dann nicht mehr bis Chinchidurry schaffen und müßten in den Bergen übernachten.« Abenteuerlich war dieser Weg schon. Wer nicht schwindelfrei war, konnte leicht auf dem nur einen Meter breiten Pfad das Gleichgewicht verlieren. Die Daila zogen einige Lederriemen mit verbogenen Nägeln aus ihren Taschen, reichten Chipol und mir jeweils zwei und begannen, die Gebilde an ihren Schuhen zu befestigen. Ich nahm die Dinger näher in Augenschein. Was ich für Nägel gehalten hatte, waren spikesähnliche Krallen mit spitzen Enden. Der Junge grinste, als er den Sinn der Konstruktion erkannte und tat es seinen Artgenossen nach. Auch ich band mir die Stifte unter die Stiefelsohlen. »Seid vorsichtig, es gibt Steinschlag. Und haltet euch dicht am Berg, die Kante ist bröckelig.« Das konnte ja heiter werden. Geröll von oben, das uns in die Tiefe reißen konnte, ein falscher Schritt, und wir stürzten in den Abgrund. Eisth setzte sich als erster in Bewegung. Ohne zu zögern, betrat er das schmale Band, aber er schritt nicht mehr im geringsten so forsch aus wie vorher. Eng an den Steilhang gepreßt, setzte er Fuß vor Fuß und tastete sich vorwärts. Notgedrungen folgte ich ihm, dann kam Chipol. Martegh bildete den Abschluß.
»Wer den Halt verliert, ist verloren, wer versucht, ihn festzuhalten, ebenfalls«, warnte Eisth noch einmal. »Hier gibt es keine Rettung.« Das war mehr als deutlich. Mein Leidensgenosse bedachte mich mit einem seltsamen Blick. »Nur Mut, Chipol. Wir beide haben schon ganz andere Sachen überstanden – denke nur an den Absturz.« »Um eben einen solchen geht es ja.« Ich schwieg betroffen. Wie gedankenlos man doch manchmal etwas dahersagte, dabei hatte ich ihn nicht ängstigen wollen, ganz im Gegenteil. Unzufrieden mit mir selbst, konzentrierte ich mich darauf, diese schwindelerregende Hühnerleiter hinter mich zu bringen. Es war mühsam und zeitraubend – und gefährlich dazu. Hauchdünne Polster von Moosen, die sich hier angesiedelt hatten, machten den Untergrund glitschig. Ohne die Krallen wären wir keine fünf Meter weit gekommen. Ein verhaltenes Grollen, das sich schnell in Donnerhall verwandelte, ließ mich alarmiert aufhorchen. Bevor ich einen Warnruf ausstoßen konnte, schrie Martegh: »Eine Steinlawine! Bleibt stehen und preßt euch an den Berg!« Meine Augen suchten Chipol. Der Junge tat instinktiv das Richtige. Breitbeinig stand er da, die abgewinkelten Arme und den Körper eng an den Hang geschmiegt. Und dann schien die Welt unterzugehen. Ein Schauer von Steinen, Felsen und Geröll prasselte mit Urgewalt hernieder, Brausen und Poltern erfüllte die Luft, gewaltige Staubmassen verfinsterten die Sonne. Der Berg bebte und dröhnte, als wollte er auseinanderbrechen, unsere schmale Plattform zitterte und vibrierte, daß einem angst und bange werden konnte. Rumpelnd sausten Tonnen von Gestein den Hang herunter, zentnerschwere Brocken zersprangen unter dem Bombardement anderer Trümmer und überschütteten uns mit einem Splitterregen.
Das Geräusch, mit dem die Querschläger abprallten, malträtierte das Gehör bis zur Schmerzgrenze. Der Strom schien nicht versiegen zu wollen. Obwohl wir uns fast in einem toten Winkel befanden und die Lawine über uns hinweg in die Tiefe donnerte, prallten pausenlos Steine auf den Pfad, der ohnehin keinen vertrauenerweckenden Eindruck machte. Und dann – mir stockte der Atem – traf unmittelbar neben mir ein Koloß auf, der übermannshoch war. Der Boden unter meinen Füßen vibrierte wie bei einem Erdbeben und erschütterte den Fels bis in seinen Kern. Für den Bruchteil einer Sekunde verlor ich den Halt, fühlte mich hochgehoben und nach vorn geschoben. Reflexhaft wirbelte ich mit den Armen und wich zurück, gleich darauf fühlte ich das kalte, kantige Gestein im Rücken. Der Abgrund, der mich zu verschlingen drohte, hatte wieder die ursprüngliche Distanz. Ich sah nach rechts – und erschrak. Der riesige Brocken hatte mich zwar nicht getroffen und wohl niemanden erschlagen, doch er hatte das Felsband teilweise zerstört und mit in die Tiefe gerissen. Auf einer Länge von knapp zwei Metern war der Pfad nur noch etwa fünfzig Zentimeter breit. Noch immer war die Sicht schlecht. »Chipol!« brüllte ich, um den Lärm zu übertönen. »Bist du in Ordnung?« Angestrengt lauschte ich – vergebens. Außer dem abklingenden Gepolter war nichts zu hören. Nun war ich doch ernstlich besorgt und schob mich vorsichtig an die Stelle des Bandes heran, die der Felsen zertrümmert und quasi durchschlagen hatte. Gerate jetzt nicht in Panik! Davon kann überhaupt nicht die Rede sein, gab ich gedanklich zurück. Mir geht es um den Jungen und nicht um mich. Eben deshalb warne ich dich. Du bringst dich meist dann in Gefahr, wenn es um andere geht. Immer, wenn du dich verpachtet fühlst oder helfen willst, achtest du dein Leben gering. Wann begreifst du endlich, daß du niemanden dadurch lebendig machen kannst, wenn du dich für ihn opferst?
Ich gab keine Antwort. Auf dem Bauch liegend, mit Armen und Beinen schiebend, robbte ich behutsam nach vorn. Da – hockte da nicht eine zusammengekauerte Gestalt? Oder war es Gesteinsschutt? Mit zusammengekniffenen Augen versuchte ich, die sich lichtende Staubwolke zu durchdringen. »Chipol!« »Atlan!« Die Stimme des Jungen klang wie immer. Er lebte also! Unendlich erleichtert richtete ich mich auf den Ellenbogen auf, um besser sehen zu können. Das Bombardement hatte aufgehört, nur ab und zu rollte noch ein Stein in die Tiefe. »Bist du verletzt?« »Nein, ich glaube nicht.« »Gut. Bleib, wo du bist. Die Lawine hat einen Teil des Felsbandes in die Tiefe gerissen. Wir müssen uns etwas einfallen lassen, wie ihr da hinüberkommt. Martegh, Eisth, seid ihr unversehrt?« Ein zweimaliges, beruhigendes »Ja!« war die Antwort. Ich drehte den Kopf. Der ältere Daila balancierte zu mir zurück und ging in die Hocke. Mittlerweile war das pulverisierte Gestein zu Boden gesunken, die wenigen Partikel, die sich noch als Schwebeteilchen in der Luft befanden, behinderten die Sicht nicht mehr. Stumm betrachtete der Freiheitskämpfer den angerichteten Schaden, nahm einen kiloschweren Brocken auf und schleuderte ihn auf das, was von dem Pfad noch übriggeblieben war. Nichts geschah. »Scheint stabil zu sein«, bemerkte Eisth. »Wir müssen die beiden zu uns herüberbekommen.« »Ich weiß auch schon, wie.« Langsam schob ich mich so weit vor, daß mein Oberkörper sich auf dem verbliebenen Steg befand. »Lege dich auf mich und halte meine Beine fest.« Der Daila tat es. »Chipol, krieche zu mir, aber vorsichtig. Und vermeide es, in den Abgrund zu sehen.« Gehorsam kam der Jugendliche meiner Aufforderung nach, dabei
prüfte er vor jeder Bewegung, ob der geröllübersäte Untergrund das Gewicht seines Körpers trug. Diese Art der Fortbewegung war mühsam und gefährlich zugleich, und ich hielt mehr als einmal den Atem an, wenn Trümmer verrutschten oder an der Kante etwas abbröckelte. Endlich bekam ich eine Hand zu fassen. »Festhalten, Chipol!« Er umklammerte meine Hand und kroch auf Knien und Ellenbogen weiter, ich bewegte mich im gleichen Tempo im Krebsgang zurück, meinerseits gehalten von Eisth. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, bis sich mein junger Freund in relativer Sicherheit befand und mit Hilfe des Freischärlers über mich hinweggekrabbelt war, damit ich das gleiche Spiel bei Martegh wiederholen konnte. Der Daila war nicht so schlank wie Chipol, infolgedessen war er gezwungen, den verbliebenen Steg in seiner ganzen Breite zu benutzen, obwohl er sich eng an den Hang preßte. Ich hatte schon seinen linken Unterarm gepackt, als plötzlich ein Stück Felsen abbrach, sein rechter Fuß hing in der Luft. Ohne lange überlegen zu müssen, riß ich Martegh zu mir heran, der selbst so geistesgegenwärtig war, sich mit dem anderen Bein abzustoßen. Trotzdem sah es für einen bangen Moment so aus, als würde er den Halt verlieren und über den Rand rutschen, lockeres Geröll polterte in die Tiefe, aber dann befand er sich auf dem intakten Steg. Erst jetzt löste ich den Griff. »Puh«, machte der Freischärler und atmete mehrmals tief durch. »Das war knapp. Danke, Atlan.« »Laß es gut sein.« Ich richtete mich auf. »Warten noch mehr von diesen Überraschungen auf uns?« »Auszuschließen ist das nicht.« Eisths aufmunterndes Grinsen geriet zur Grimasse, als er eine schimmernde Beule an seinem Kopf berührte. Auch unser anderer Führer hatte etwas abbekommen, wie blaue Flecken und mehrere blutige Schürfwunden bewiesen. Chipol hatte da mehr Glück gehabt, weil sein Wasserschlauch ihn vor einem Zusammenprall mit
einem Felsstück bewahrt hatte. Zwar war das elastische Gefäß unter der Wucht des Aufpralls zerplatzt, doch das war nicht weiter schlimm. Auch ich hatte außer einigen harmlosen Kratzern keine Blessuren davongetragen. »Es geht weiter!« Erneut übernahm der ältere Daila die Spitze, ich ging jetzt hinter dem Jungen. Diesmal war es der reinste Balanceakt, weil der Pfad mit Trümmern übersät war. Immer wieder mußten wir mit den Füßen Brocken zur Seite schieben, tastend bewegten wir uns über aufgeschüttete Gesteinshügel. Den schwierigsten Part hatte zweifellos Eisth, der vorausging. Ein unbedachter Schritt, ein falscher Tritt, und … Und er stürzt in die Schlucht, ergänzte der Logiksektor unerbittlich. Dieses Schicksal droht dir auch, wenn du nicht aufpaßt! Ich fühlte mich ertappt. Tatsächlich war ich für einen Augenblick unaufmerksam gewesen, meine Gedanken waren vorausgeeilt und beschäftigten sich bereits mit dem, was uns in Chinchidurry und in Ghyltirainen erwartete. Sofort widmete ich mich wieder dem tückischen Felsband. Unser Fortkommen war mühsam und gefährlich. Die Sonne hatte mittlerweile den Nebel vertrieben und brannte auf uns hernieder, als wollte sie die Zeit zwischen Untergang und Aufgang in wenigen Minuten wettmachen. Ungeschützt trafen uns ihre Strahlen, die ganz allmählich auch den nackten Fels aufheizten. Schwitzend tastete ich mich vorwärts, aber ich war nicht der einzige, dem heiß war. Hochgeschobene Ärmel bewiesen, daß es meinen Begleitern ebenfalls zu warm war. In Kehren zog sich das Felsband um die Bergflanke. Immer wieder warfen die Rebellen einen prüfenden Blick nach oben oder hoben lauschend den Kopf, aber es ging keine weitere Geröllawine nieder, bis wir endlich wieder wirklich festen Boden unter den Füßen hatten. Nach meiner Schätzung hatten wir knapp drei Kilometer zurückgelegt auf diesem Steg und dafür gut zwei Stunden
gebraucht. Die Daila waren zähe Burschen. Obwohl ihre Gesichter die innere Anspannung und die Anstrengung der letzten Stunden verrieten, gönnten sie sich und uns keine Pause. Mir machte das nichts aus, aber auch Chipol klagte nicht. Ein Schluck Wasser als Erfrischung, und es ging weiter, tiefer hinein in die zerklüftete Gebirgswelt. Majestätische Gipfel mit weißen Kappen blickten auf uns herab, trutzige Grate mit schroffen Hängen säumten unseren Weg ebenso wie Abgründe und anmutige Täler mit fast üppiger Vegetation. Suuma hatte ihren Zenit fast erreicht, als wir auf einen tosenden Wildbach stießen. Ein wenig ratlos blickten sich unsere Führer an. »Was gibt es?« erkundigte ich mich. »Habt ihr euch verirrt?« »Nein, nein.« Suchend glitt Marteghs Blick über die gischtsprühenden Wassermassen. »Wir sind hier schon richtig, nur der Übergang fehlt. Der Bach hat die Bäume weggerissen, die wir gefällt und zur Brücke zusammengebunden hatten.« »Gibt es keine Furt in der Nähe?« »Doch, flußabwärts, aber das bedeutet einen Umweg von drei Stunden.« Ich scheute mich nicht vor dem Marsch, doch so viel Zeit hatten wir nicht, wenn wir Chinchidurry vor Einbruch der Dunkelheit erreichen wollten, andererseits war es zu riskant, den Bach einfach zu durchwaten. Zwar war er kaum breiter als sechs Meter und seine Ufer fielen nicht steil ab, aber Stromschnellen und die hohe Fließgeschwindigkeit machten ihn unberechenbar. »Wir brauchen ein Seil.« Die Daila sahen mich verwundert an, stellten jedoch keine Fragen. Eisth kramte aus seiner Ausrüstung eine Kordel hervor, die aus geflochtenen Lederriemen bestand und einen vertrauenerweckenden Eindruck machte. Ich knüpfte eine Schlinge, visierte eine Felsnadel auf der anderen Seite des Wasserlaufs an und schleuderte das Band wie ein Lasso durch die Luft. Auf Anhieb traf ich den Zacken. Prüfend zog ich an dem Seil – es hielt. Als ich mir
das andere Ende um die Taille schlang, begriffen meine Begleiter, was ich vorhatte. Ich packte den Strick mit beiden Händen und ließ mich ins Wasser gleiten. Es war eiskalt und reichte mir bis zur Hüfte, Gischt spritzte mir ins Gesicht. Kaum, daß ich die Randzone verließ, griff die starke Strömung nach mir und wollte mich von den Füßen reißen und fortspülen. Gehalten von dem Riemen, stemmte ich mich dagegen, verlor doch den Halt und wurde abgetrieben. Mit unwiderstehlicher Gewalt wurde ich unter Wasser gedrückt und gegen ein unsichtbares Hindernis geschleudert. Ich bekam keine Luft mehr, mein Brustkorb schmerzte. Sauerstoff! Unvermittelt spürte ich Grund unter mir und schnellte mich mit aller Kraft nach oben, atmete hastig ein – und bekam einen Wasserschwall ins Gesicht. Prustend spie ich das eisige Naß wieder aus und orientierte mich. Ich befand mich in der Strommitte. Da es so gut wie aussichtslos war, Bodenkontakt zu halten, wandte ich eine andere Taktik an. Mit den Beinen paddelnd, zog ich mich Stück für Stück näher an die Felsnadel heran. Das war kräfteraubend, denn die Armmuskeln hatten die Hauptarbeit zu leisten. Mein Körper schien das Dreifache zu wiegen, wie eine hungrige Meute zerrte die Strömung an mir, Strudel beutelten mich, Wellen rollten über mich hinweg und tauchten mich unter. Wie ein stromaufwärts schwimmender Lachs kämpfte ich gegen den tosenden Wildbach mit seinen entfesselten Wassermassen an. Endlich kam ich in ruhigeres Gewässer, von Klippen geschützt. Nun war es kein Problem mehr, zum Ufer zu waten und an Land zu gehen. Durchnäßt und frierend stapfte ich zu der Felsnadel, löste das Seil von meinem Körper und warf das lose Ende den Wartenden zu. Martegh machte sich bereit. Er stellte sich recht geschickt an und versuchte gar nicht erst, auf den Beinen zu bleiben. Wie ein Strick dürres Holz wurde er fortgerissen, dann, als sich der Strick spannte, hangelte er sich dran
entlang. Ich unterstützte ihn aus Leibeskräften und zog den Riemen zu mir heran. Das ging recht gut, und auf die gleiche Weise erreichten auch Chipol und Eisth wohlbehalten das diesseitige Ufer. Nach dieser Anstrengung gönnten wir uns eine längere Rast und aßen von den mitgeführten Vorräten, bevor wir, von der Sonne aufgewärmt, erneut aufbrachen. Noch lag über die Hälfte des Weges vor uns. * Es dämmerte bereits, als wir unser Ziel erreichten. Noch mehrmals auf unserem beschwerlichen Marsch hatten wir Hindernisse überwinden müssen. Der Junge konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, und auch unsere Führer waren todmüde. Selbst ich spürte trotz meines Zellaktivators die Strapazen der vergangenen Stunden. Die Strahlen der untergehenden Sonne tauchten Chinchidurry in ein Meer aus glühenden Farben. Der Ort, nicht mehr als ein Marktflecken, lag am Fuß eines Berges, eingerahmt von saftigen Wiesen und grünen Matten. Etwa einhundert Häuser, keins höher als zwei Stockwerke, säumten den Marktplatz und eine Straße, die den Namen kaum verdiente. Der Platz war vollgestopft mit Ständen, Karren, Karussells und anderen Vergnügungsstätten, wie sie für einen Jahrmarkt typisch waren. Überall wurde noch eifrig gewerkelt, erste Fackeln wurden entzündet – ein Zeichen dafür, daß bis in die Nacht hinein gearbeitet wurde. Obwohl die Dunkelheit bald hereinbrechen mußte, drängten sich immer noch eine Menge Neugieriger zwischen den Buden der Schausteller und Händler. Meine Befürchtungen, hier auf Ligriden zu treffen, erwies sich als unbegründet. Von den Uniformierten und ihren Gleitern war weit und breit nichts zu sehen, doch das konnte sich schnell ändern.
Von den Rebellen wußte ich, daß dieser Markt alljährlich im Herbst stattfand. Ursprünglich hatte er allein dazu gedient, den Bauern den Verkauf ihrer Erzeugnisse und Produkte zu ermöglichen, mittlerweile hatte er den Charakter eines Volksfests bekommen, der Besucher aus der gesamten Umgebung anlockte. Um der Massen Herr zu werden, waren hinter den Häusern am Ortseingang große Zelte errichtet worden, in denen die Gäste gegen Entgelt schlafen konnten und bewirtet wurden. Auch wenn der Andrang in diesem Jahr vielleicht nicht so groß sein mochte wie sonst – uns bot sich die Gelegenheit, uns in dem Getümmel zu verbergen und ein Transportmittel zu organisieren. Auf Schleichwegen, abseits vom Trubel, führte Martegh uns zu einem steinernen Gebäude, das am Ende der staubigen Straße lag. Der Besitzer, so hatte der Daila uns versichert, war der Freund der Freischärler, der uns Unterkunft gewähren würde. Joptih empfing uns wie gute alte Bekannte. Er war ein jovialer Mann mittleren Alters, der allein im Haus lebte und uns spontan die drei Zimmer im Obergeschoß zur Verfügung stellte. Meine drei Begleiter machten davon sofort Gebrauch und sanken ins Bett, ohne etwas gegessen oder getrunken zu haben, während ich mich noch eine Weile zu unserem Gastgeber setzte. Gastfreundschaft hatte hier noch Bedeutung. Joptih tischte auf, was Küche und Keller hergaben, darunter auch Merlitong. Als die duftende Delikatesse serviert wurde, konnte ich die Abneigung der Ligriden verstehen, denn auch ich hätte mir am liebsten die Nase zugehalten. Anstandshalber probierte ich ein Stück davon und war überrascht, weil der Käse seinem Gestank zum Trotz ganz ausgezeichnet schmeckte. Neugierig war der Daila nicht, er drang nicht in mich, aber ihm war anzumerken, daß er darauf brannte, etwas über uns zu erfahren. Ich zierte mich nicht und weihte ihn in meine Pläne ein, soweit das der Sache dienlich war. Damit war er zufrieden und erkundigte sich nach Kyrkodh und seinen Leuten. Bereitwillig gab
ich Auskunft, ohne die Lage des Verstecks zu verraten. Ganz uneigennützig war dieses Gespräch natürlich nicht, denn ich erfuhr im Verlauf der Unterhaltung einiges über die Örtlichkeiten und die Sitten und Gebräuche in Chinchidurry, auch über den Markt, der morgen beginnen sollte. Es war schon spät in der Nacht, als Joptih endlich den Weinkrug und die Becher wegräumte. Rechtschaffen müde suchte ich mein Lager auf und schlief sofort ein. 5. In aller Frühe waren wir schon wieder auf den Beinen. Unsere Führer hatten sich nach einem üppigen Frühstück auf den Rückweg zu ihrem Lager gemacht, Chipol und ich waren auf der Suche nach einem gewissen Schirtuboh. Den Namen des in Ghyltirainen ansässigen Käsehändlers hatten wir von unserem Gastgeber bekommen mit dem Hinweis, auf einen komisch ausstaffierten Roboter zu achten, der als Handlanger für Schirtuboh arbeitete. Um uns herum wogte das Getümmel. Marktschreier, Händler und Gaukler versuchten gegenseitig, sich zu übertönen, um die Aufmerksamkeit des Publikums auf die eigenen Attraktionen und Waren zu richten, allerlei Musikanten mit den unterschiedlichsten Instrumenten, Drehorgeln und Spielautomaten steigerten den Lärm noch. Die Daila stürzten sich mit einer Vehemenz in das Gewühl, als gäbe es nichts, was wichtiger wäre als dieses Fest. Ganz bewußt hielt ich mich mit Chipol im Hintergrund. Manchmal ließ es sich nicht umgehen, von der Menge eingekeilt und mitgeschoben zu werden, doch sobald sich eine Lücke bot, entschlüpften wir dem Gedränge und bewegten uns an der Rückseite der Buden und Stände entlang. Selbst der strenge Geruch von Merlitong war in diesem Trubel nicht ganz leicht auszumachen, weil überall gebrutzelt und gebacken wurde. Der Duft von
gebratenem Fleisch, Kuchen und undeutbaren Spezialitäten vermischte sich miteinander und lag wie ein unsichtbarer Schleier über dem Platz. Und dann sahen wir den Helfer Schirtubohs. Fast hätte ich laut gelacht, denn der Automat war die absolute Karikatur eines Roboters. Er glich zwar völlig einem Daila, hatte sogar die schräggestellten Augen, dennoch war er sofort als Synthogeschöpf zu erkennen. Die künstliche braune Haut und auch die Kopfverkleidung bestand aus einer Gummifolie, die sogar eine menschliche Mimik ermöglichte, aber irgendwie wirkte das Antlitz verknautscht. Direkt lächerlich war die Aufmachung. Die Maschine trug eine dunkelblaue Livree, die allerdings schon bessere Tage gesehen hatte, die weißen Handschuhe ließen die Grundfarbe nur noch erahnen. Hose, Weste und das weiße Hemd waren speckig und fleckig, schmuddelig auch die rote Fliege und die weißen Gamaschen, die schwarzen Schuhe waren matt und stumpf. In diesem Aufzug verlud die Butlertype Kisten mit Käse auf einen altersschwachen Lastwagen mit der Aufschrift »Schirtubohs feine Käsespezialitäten«. Daneben stand ein schmächtiger Daila, der den Roboter schimpfend antrieb. »Nun los, Schwiegermutter, schlaf nicht ein! Faulpelz!« »Zu übertriebener Eile scheint mir kein Anlaß zu bestehen, Meister, Schirtuboh. Diese Ware, die so streng zu riechen beliebt, muß ordentlich verstaut werden, soll sie verwertbar und wohlfeil in Ghyltirainen ankommen.« »Bei deinem Tempo ist der Merlitong bereits schimmelig, wenn er endlich auf dem Transporter liegt.« »Ach.« Der Roboter verzog das Gesicht zu einem grimassenhaften Lächeln. »Derart schlechte Qualität läßt du dir von den Bauern aufnötigen. Meister Schirtuboh?« »Der Käse ist gut, aber du taugst nichts«, ereiferte sich der Händler. »Hör endlich mit diesem blöden Grinsen auf,
Schwiegermutter!« »Ich habe mir bereits mehrmals erlaubt, daraufhinzuweisen, daß meine Gesichtssensoren nicht mehr optimal funktionieren, was zur Folge hat, daß meine Mimik ein unkontrolliertes Eigenleben führt, was wiederum zu Fehldeutungen Anlaß gibt, die …« »Deine geschraubten Schachtelsätze kann ich nicht mehr hören. Du sollst arbeiten und keine gestelzten Reden halten!« »Meister Schirtuboh, ich gestatte mir den diskreten Hinweis, daß ich für eine andere Aufgabe geschaffen wurde. Meine Herkunft als hochherrschaftlicher Diener ist kaum vereinbar mit meinem derzeitigen Tun unter unkultiviertem Pöbel in der Provinz. Es oblag mir, Merlitong zu servieren, doch ich war nie in der Verlegenheit, ihn stapeln zu müssen.« Der Dialog konnte sich noch hinziehen, da ganz offensichtlich jeder das letzte Wort haben wollte. Ich beschloß, dem Streitgespräch ein Ende zu machen, und trat neben den Planetarier. »Du bist mir empfohlen worden, Schirtuboh.« Der Händler musterte mich aus zusammengekniffenen Augen. »Du bist kein Daila. Darf ich den Namen dessen erfahren, der dir so bereitwillig über mich Auskunft gegeben hat, Fremder?« »Joptih.« »Gehörst du zu den Freiheitskämpfern?« »Man kann es so nennen.« Ich stellte Chipol und mich vor. »Wir suchen eine Mitfahrgelegenheit nach Ghyltirainen.« »Und was wollt ihr dort?« »Wir müssen zu Urlysh.« Das Mißtrauen wich endgültig aus dem Gesicht des Händlers. »Gut, ich nehme euch mit, aber ihr müßt mit der Ladefläche vorliebnehmen. Die Ligriden muß etwas aufgeschreckt haben, und ich will es nicht riskieren, bei einer Kontrolle aufzufallen.« »Verständlich.« Zwar begeisterte es mich nicht, längere Zeit in solch anrüchiger Gesellschaft zu verweilen, dennoch mußte ich froh sein, daß uns
geholfen wurde. Sorge machte mir das Verhalten der Besatzer. Nach Schirtubohs Worten mußten sie sich immer noch in Alarmbereitschaft befinden. Wem diese Aktivitäten galten, war leicht auszurechnen. »Ligriden!« ging es plötzlich wie ein Aufschrei durch die Menge: Tatsächlich – die schwarzen Gleiter. Also hatte mich mein Gefühl doch nicht getrogen. Schon setzten die ersten Schweber zur Landung an. Kopflos rannten die Daila durcheinander, Hysterie lag in der Luft. Ich wartete nicht länger. »Schnell, Chipol!« Mit zwei, drei Schritten war ich bei dem Lastwagen und schwang mich auf die Pritsche* stieg über Kisten hinweg und räumte andere zur Seite. Der Junge, der gefolgt war, half mir, die roh zusammengezimmerten Behälter so zu schichten, daß ein Hohlraum entstand, in dem wir uns verbergen konnten. »Beeilung, Schwiegermutter, wir müssen weg!« Am Gepolter und den Schwingungen der Plattform war zu erkennen, daß der Roboter tatsächlich ein paar Takte schneller arbeitete. Behutsam schob ich die Plane des Aufbaus ein wenig zur Seite und spähte hinaus. Die Musik war verstummt, Kommandos der Helmträger hallten über den Platz. Einige marschierten in die umliegenden Häuser, andere trieben mit gezogener Waffe das Publikum und die zeternden Händler zusammen. Buden und Stände waren verwaist. Ein Soldat näherte sich unserem Vehikel. Rasch ließ ich die Plane sinken. »Kerl, was ist mit dir? Wartest du auf eine Einladung?« Chipols Augen leuchteten unnatürlich. Nun wurde es brenzlig. Wenn die Ligriden den Transporter durchsuchten, saßen wir in der Falle, an ein Entkommen war nicht zu denken, doch noch gab ich uns nicht auf. Angesichts ihrer Abneigung Merlitong gegenüber hoffte ich, daß sie auf eine genau Kontrolle verzichteten. »Ich bin noch nicht mit dem Beladen fertig.«
»Das kümmert mich einen Dreck, Krämerseele. Wenn ich es will, räumst du den ganzen Kram wieder herunter, klar?« »Aber es ist leicht verderbliche Ware, die dringend nach Ghyltirainen gebracht werden muß.« »Was hast du geladen?« »Sechzig Kisten Merlitong.« »Uh!« stieß der Soldat entsetzt hervor. »Das hat mir noch gefehlt. Wie heißt du?« »Schirtuboh. Ich bin Käsehändler in Ghyltirainen.« »Wir suchen zwei Personen. Atlan ist der Name des Fremden, in seiner Begleitung befindet sich ein junger Daila namens Chipol. Hast du von ihnen gehört oder sie gesehen?« »Dieser Fremde – wie heißt er, sagtest du?« »Atlan.« »Dieser Atlan stammt also nicht von Aklard?« »Nein. Was ist, kennst du ihn?« Mein junger Freund zupfte mich aufgeregt am Ärmel. Was war nur mit Schirtuboh los? Wollte er uns verraten und den Ligriden ausliefern? Hoffte er auf eine Belohnung? »Kennen? Ich? Nein. Ich meine nur, daß es leicht sein müßte, ihn zu finden, denn er sieht dann ja anders aus als ein Daila, oder?« Ich atmete auf. Der Bursche stellte sich nicht ungeschickt an, aber er konnte mit seiner vorgegaukelten Naivität leicht übers Ziel hinausschießen. »Darauf sind wir auch schon gekommen, du Dummkopf.« Stiefelschritte waren zu hören, dann wurde die Plane angehoben. Tageslicht drang herein, jemand klopfte gegen die Kisten. »Verschwinde mit deiner stinkenden Fuhre, bevor du den ganzen Ort damit verpestest.« Es wurde wieder dämmrig. Begeistert drückte Chipol meine Hand. »Recht vielen Dank, Kommandant. Komm, Schwiegermutter, sage artig …«
»Auf Wiedersehen, Meister Ligride«, plapperte der Roboter. »Haut ab, bevor ich mich vergesse!« Türen klappten, ächzend sank der Aufbau tiefer in die Federn. Mit Donnergetöse wurde ein antiquiertes Verbrennungstriebwerk in Gang gesetzt. Das Vehikel erzitterte und vibrierte, als wollte es sich selbst in seine Einzelteile zerlegen, bevor es rumpelnd Fahrt aufnahm. »Geschafft!« raunte der Junge mir ins Ohr. Ich schwieg. Ganz teilte ich seine Zuversicht nicht. * Meiner Meinung nach waren wir etwa eine halbe Stunde lang unterwegs und mußten Chinchidurry längst hinter uns gelassen haben, als der Transporter abgebremst wurde und zum Stillstand kam. Röchelnd erstarb das Antriebsgeräusch. Was hatte das zu bedeuten? Hatte der altersschwache Motor seinen Geist aufgegeben? Oder bekamen wir es erneut mit Ligriden zu tun? »Keine Gefahr, Freunde«, ertönte die Stimme des Händlers. »Ihr könnt nach vorn kommen und es euch bequem machen.« »Und wenn wir in eine Kontrolle geraten?« wandte ich ein. »Damit ist nicht zu rechnen. Bis Ghyltirainen sind es noch zwei Tagesreisen.« »Zu Fuß?« »Wo denkst du hin – mit meinem Transporter.« Ich schluckte. Zeit schien auf diesem Planeten keine Rolle zu spielen. Achtundvierzig Stunden auf einer harten, auf‐ und niederhüpfenden Ladefläche, umgeben von streng riechendem Käse – unter diesen Umständen war Schirtubohs Angebot doch zu verlockend. Mit steifen Gliedern richtete ich mich auf. Gemeinsam mit Chipol räumte ich ein paar Kisten zur Seite, balancierte zwischen anderen Kästen hindurch und schlug die Plane zur Seite.
Wir befanden uns auf einem Paß. Hinter uns schlängelte sich eine kurvenreiche Straße zu der Anhöhe hinauf, hier und da geschottert und voller Schlaglöcher und Risse. Von der Siedlung war nichts mehr zu sehen, auch kein schwarzer Gleiter. Der Luftraum gehörte allein den Vögeln und den träge dahinsegelnden Wolken. Ich sprang von der Ladefläche und half meinem Begleiter, abzusteigen. Federnd ruckte die Pritsche einige Zentimeter höher. Der schmächtige Daila stand neben dem Fahrerhaus des zweiachsigen, mit grobstolligen Pneus versehenen Gefährts und hielt einladend die Tür auf. Nacheinander kletterten wir in die Führerkabine und nahmen auf der breiten Sitzbank Platz. Stocksteif hockte der Automat in der Mitte hinter dem Lenkrad. »Abfahren, Schwiegermutter.« Ich hatte erwartete, daß der Roboter den Motor anlassen würde, doch er löste lediglich die Feststellbremse und ließ den Wagen bergab rollen. Schneller werdend, holperte das Vehikel über die abschüssige Chaussee. Als Schirtuboh meinen fragenden Blick bemerkte, erklärte er: »Das spart Treibstoff.« »Wäre ein Gleiter nicht zweckmäßiger bei solchen Straßen?« »Sicher, aber für mich einfach zu teuer. Immerhin besitzt mein Lastwagen Allradantrieb – damit komme ich überall hin, auch im Winter.« Der Händler lehnte sich zurück. »Sag mal, warum hast du verschwiegen, daß die Ligriden euch suchen?« »Hätte das Einfluß auf deine Entscheidung gehabt, uns zu helfen?« »Nein.« Schirtuboh kicherte. »Aber es hätte mir noch mehr Spaß gemacht, diesen hochmütigen Ligriden zum Narren zu halten. Sie …« »Bremsen!« schrie Chipol. »Wir rasen auf einen Abgrund zu!« »Diese Kehren nehmen wir immer mit voller Fahrt.« Die Stimme des Roboters klang so unbewegt, als säße er in einem Simulator, doch er machte dabei gleichzeitig ein Gesicht, als wollte er uns fressen. »Meister Schirtuboh pflegt zu sagen, daß unnötiges
Bremsen nur den Abrieb der Beläge und den Verschleiß ganz allgemein erhöht. Das erscheint mir durchaus logisch, Meister Chipol.« Ich klammerte mich an einem Haltegriff fest. Daß uns kein gemütlicher Ausflug bevorstand, hatte ich mir schon gedacht, aber daß unser Käsehändler aus Geiz sein altersschwaches Gefährt als Rennwagen einsetzte und unser aller Leben riskierte, hatte ich mir nicht träumen lassen. Mit unverminderter Geschwindigkeit näherten wir uns der scharfen Rechtskurve. Links davon ging es steil in die Tiefe. Wenn wir über die felsige Piste hinausgerieten, war es aus mit uns … Schon wollte ich eingreifen, als Schwiegermutter plötzlich eine Vollbremsung machte. Das Heck des Transporters wurde herumgerissen und näherte sich bedenklich dem Abgrund, gleichzeitig riß er wild das Steuer herum. Mit quietschenden Reifen schlingerte das Fahrzeug durch die Kehre, wurde mit einigen Lenkbewegungen stabilisiert und rollte auf die nächste Serpentine zu. »Dein Roboter ist ja wahnsinnig«, keuchte der Junge neben mir. »Gegen diesen Vorwurf muß ich mich strengstens verwahren, Meister Chipol. Meine Gesichtssensoren bedürfen einer Inspektion, wenn ich mich einmal so ausdrücken darf, doch meine Positronik ist unverändert leistungsfähig. Ich versteige mich sogar zu der Behauptung, daß ihre Kapazität nur zu einem Bruchteil genutzt wird, was mir natürlich Kummer bereitet, zumal ich als Käseanpreiser und eine Art Knecht Arbeiten verrichten muß, die unter meiner Würde sind. Als …« »Halt den Mund und achte auf die Straße!« raunzte der Händler seinen synthetischen Helfer an. Zu uns gewandt, fuhr er fort: »Schwiegermutter hat durchaus seine Qualitäten, doch er ist ein bißchen vorlaut. Andererseits ist er ein idealer Gefährte – stark, schnell und ausgestattet mit einem unerhörten Reaktionsvermögen, als Diener ebenso tauglich wie als Leibwächter.«
Der Aufbau neigte sich bedenklich, als wir um die nächste Biegung schlitterten. Chipol stöhnte unterdrückt. »Wie ihr selbst seht, ist er auch ein ausgezeichneter Chauffeur, ein Multitalent eben.« Schirtuboh wurde nicht müde, die Vorzüge des Automaten aufzuzählen. »Er kann nicht nur hören und sehen, sondern auch riechen, dazu hat er feine Manieren und beherrscht einen gepflegten Umgangston. Daß er selbstlos und hilfsbereit ist, versteht sich von selbst. Wäre das nicht ein Begleiter, wie ihr ihn euch besser nicht wünschen könnt, Atlan?« Merkwürdigerweise empfand ich so etwas wie Sympathie für den skurrilen Roboter – trotz seiner Merkwürdigkeiten oder vielleicht gerade deswegen. Daß er ein positronischer Trottel war, glaubte ich nicht, denn dazu war er eine zu aufwendige Konstruktion. Wenn sein Programm etwas abgewandelt wurde, konnte er durchaus nützlich sein – etwa als Betreuer von Chipol, aber auch als Helfer allgemein. »Grundsätzlich bin ich nicht abgeneigt.« »Etwas Besseres wirst du auf ganz Aklard nicht finden«, sagte der Käsehändler im Brustton der Überzeugung. »Du scheinst mir ein Mann von Kultur zu sein, Meister Atlan«, meinte der Roboter. »Nur zu gern würde ich in deine Dienste treten, aber ich muß dich warnen: Immer, wenn Meister Schirtuboh mich so anzupreisen pflegt, will er nur den Preis nach oben treiben.« »Schweig! Es ist ganz und gar meine Sache, für welche Summe ich dich hergebe.« Schirtuboh lächelte honigsüß. »Willst du ihn kaufen, Atlan?« »Schon, aber womit soll ich bezahlen?« »Wenn es dir beliebt, könntest du an meiner Stelle als Käsestapler arbeiten, Meister Atlan.« »Idiot!« Der Daila rang die Hände. »Ich ärgere mich schwarz über diesen Kerl. Anstatt auf den Märkten zu feilschen, feilscht er mit mir um einen besseren Status. Alles weiß er besser, mäkelt an meinem Lebensstil und an meinen Tischsitten herum und vergrault jeden
potentiellen neuen Herrn mit seinen Macken. Niemand will ihn.« »Das entspricht nicht der Wahrheit, Meister Schirtuboh. Als hochherrschaftlicher Diener bin ich erste Wahl, aber der bäuerliche Pöbel, dem Zivilisation ein Fremdwort ist, verkennt meine Qualitäten. Mit Verlaub gesagt, ist es auch unter meiner Würde, mich als Erntehelfer oder Viehhirte zu verdingen.« So war das also. Schirtuboh wollte ihn loswerden, und der Roboter haderte mit seinem Schicksal. Schmunzelnd fragte ich: »Warum heißt er eigentlich Schwiegermutter?« »Ganz einfach: Er benimmt sich wie eine Mutter der besseren Gesellschaft, deren Tochter einen Primitivling zum Mann genommen hat. Immer wieder weist er daraufhin, daß er etwas Besseres ist, zetert, keift, ist bestimmend und will immer das letzte Wort haben.« »Diese Aufzählung negativer Merkmale ist verzerrend und spricht nicht für einen lauteren Charakter, Meister Schirtuboh.« »Den hast du ja auch nicht«, giftete der Händler. »Ich meinte deinen, Meister Schirtuboh.« »Na, was habe ich gesagt? Das letzte Wort will er haben und unterstellt mir sogar Boshaftigkeit.« Anklagend blickte der schmächtige Mann nach oben. »Als ich Schwiegermutter damals erstand, glaubte ich, einen guten Kauf getätigt zu haben, aber heute verwünsche ich den Tag, an dem ich ihr begegnete.« »Ihm«, verbesserte der Automat. »Ich bin männlichen Geschlechts, wie auch mein ursprünglicher Name ›Johan‹ belegt.« »Papperlapapp. Du heißt Schwiegermutter und damit basta.« »Ganz wie belieben.« Die Stimme des Roboters klang beleidigt, doch, sein verknautschtes Gesicht drückte genau das Gegenteil aus. Erheitert wandte ich meine Aufmerksamkeit wieder der waschbrettähnlichen Straße zu. In den letzten Minuten hatte Schwiegermutter keine Gelegenheit mehr gehabt, seine Fahrkünste als Rallyespezialist unter Beweis zu stellen. Mit gemächlichem Tempo, durchgerüttelt
von Bodenunebenheiten, rollte der Autoveteran geradeaus. »Schlaf nicht ein und laß endlich den Motor an!« Rumpelnd und scheppernd sprang das Triebwerk an und nahm mit dem typischen Nageln eines Selbstzünders die Arbeit auf. Sofort trat Schwiegermutter das Gaspedal durch, was ihm auf der Stelle die Schelte seines Besitzers eintrug. »Geh gefälligst sparsam mit dem teuren Treibstoff um, du Verschwender, oder willst du mich ruinieren? Meine Handelsspanne ist ohnehin gering genug.« »Dreihundertfünfzig Prozent«, war die trockene Antwort. »Ich habe dir verboten, Geschäftsgeheimnisse auszuplaudern, du Narr«, wetterte Schirtuboh. »Es steht nicht zu vermuten, daß Meister Atlan diesen derben Handel betreiben und die Konkurrenz machen will, Meister Schirtuboh.« »Ich hätte nicht übel Lust, dir einen Merlitong in dein vorlautes Maul zu stopfen, Schwiegermutter.« »Du hast einen guten Einfluß auf Meister Schirtuboh, Meister Atlan. Noch nie hat er sich erlaubt, mich mit dieser Käse‐Delikatesse zu verwöhnen, die so streng zu riechen beliebt.« Chipol zwinkerte mir belustigt zu, während der Händler den Eindruck machte, jeden Augenblick aus der Haut fahren zu wollen. Ein Unikum war dieser Roboter schon. Die Berge traten weiter zurück, sanft geschwungene Hügel mit bewaldeten Kuppen bestimmten mehr und mehr das Bild. Mit einer Geschwindigkeit von etwa fünfzig Stundenkilometern tuckerte unser Gefährt durch die anmutige Landschaft, vorbei an klaren Bächen und farbenfrohen Blumenwiesen. Stunde um Stunde ging es so dahin, wieder wechselte die Umgebung, wurde unwirtlich. Links und rechts am Horizont waren rauchende Vulkankegel zu erkennen, aus dunkler Magma ragten die Überreste verkohlter Bäume hervor. Kein grünes Hähnchen sproß hier, Geysire und heiße Quellen beherrschten dieses Gebiet,
wie es trostloser nicht sein konnte. Schwefelgeruch lag über der verbrannten Erde. Allmählich wurde es wieder freundlicher, fruchtbare Hänge lösten den tristen Landstrich ab. Das monotone Motorgeräusch und die gleichbleibende Geschwindigkeit wirkten ermüdend. Chipol war eingeschlafen, Schirtuboh döste vor sich hin. Ich beschloß, ebenfalls ein Nickerchen zu machen. Wer wußte schon, ob wir in den kommenden Tagen genügend Schlaf bekommen würden? Nach Ligriden Ausschau zu halten, konnte ich getrost Schwiegermutter überlassen. Er kannte keine Müdigkeit und würde uns rechtzeitig wecken, wenn ein unvorhergesehenes Ereignis eintreten sollte. * Es war Nacht, als wir nach zwei Tagen Ghyltirainen erreichten. Das Gebirge lag endgültig hinter uns, über tausend Kilometer hatten wir zurückgelegt, ohne daß der Lastwagen einmal gestreikt hätte. Auf dem letzten Drittel der Strecke war die Straße in einem wesentlich besseren Zustand als in den Bergen, was wohl an der dichter werdenden Besiedlung lag. Wann immer wir Ortschaften durchfuhren, hatten Chipol und ich uns geduckt oder, wenn es durch Städte ging, auf der Ladefläche versteckt. Daß diese Vorsichtsmaßnahme durchaus angebracht war, hatte Schirtuboh bei einem Tankstop erfahren. Auch dort waren die Ligriden aufgetaucht und hatten sich nach uns, erkundigt. Sie hatten die Suche also immer noch nicht aufgegeben. Von Ghyltirainen bekam ich so gut wie nichts zu Gesicht. Chipol und ich hockten wieder auf der Pritsche in unserem Verschlag aus Käsekisten. Wir froren erbärmlich. Das lag nicht nur an den gefallenen Außentemperaturen, sondern auch an unserem Beförderungsmittel. Es zog aus allen Ecken, weil die Plane nicht
völlig dicht war. Dem Verkehrslärm nach zu urteilen, der zu uns hereindrang, konnte auf den Straßen nicht mehr viel Betrieb sein. Schirtuboh hatte uns erzählt, daß die Ligriden den Daila das Nachtleben mit zahlreichen Verordnungen und willkürlichen Kontrollen vergällt hatten. Das Vergnügungsviertel in der Nähe des Raumhafens, dessen Kneipen, Bars und Amüsierbetriebe früher rund um die Uhr geöffnet waren, lag jetzt nach Mitternacht wie ausgestorben da, selbst die Leuchtreklamen wurden abgeschaltet. Ich spürte, daß der Transporter abgebremst wurde und schließlich völlig zum Stillstand kam. Der Junge wollte durch einen Spalt nach draußen spähen, doch ich hielt ihn zurück, weil ich Gefahr witterte. Es war nur ein Gefühl, ein Instinkt, den ich mir im Lauf meines langen Lebens erworben hatte. Und ich behielt recht. »Ausweiskontrolle!« sagte eine herrische Stimme, die ich sofort als die eines Ligriden identifizierte. »Zeig deine Papiere.« »Hier, bitte!« »Du wohnst in einem anderen Stadtviertel. Was hast du hier zu suchen?« »Ich bin unterwegs zu Kunden«, log der Händler dreist. »Um diese Zeit?« »Was soll ich machen?« jammerte Schirtuboh. »Ich bin nur ein kleiner Kaufmann, und die Konkurrenz ist groß. Ich muß fast Tag und Nacht arbeiten, um leben zu können. Sieh dir den Lastwagen an! Seit Jahren brauche ich einen anderen, aber ich kann mir einfach keinen neuen leisten.« »Wenn ich Zeit habe, bedauere ich dich. Was hast du geladen?« »Neben dem Roboter …« »Die Ware, du Trottel!« Für meine Begriffe trieb Schirtuboh es zu toll. Hoffentlich ließ sich auch dieser Soldat durch die Nennung der Käsespezialität abschrecken und verzichtete auf eine Durchsuchung, sonst hatten wir ausgespielt. Auch die Pistole, deren kaltes Metall ich in meiner
Hand spürte, würde daran nichts ändern. Selbst wenn es mir gelingen sollte, den Helmträger kampfunfähig zu machen – der Knall eines Schusses zu dieser späten Stunde würde Aufsehen erregen und jeden Ligriden alarmieren. Daß welche in der Nähe waren, dessen war ich mir absolut sicher. »Sechzig Kisten Merlitong.« »Igitt!« Schon glaubte ich, daß wir gewonnen hätten, als der Posten sagte: »Das will ich sehen. Los, komm nach hinten!« Das Vehikel wippte in den Federn, Schritte waren zu hören, und dann wurde die Plane angehoben. Das Licht eines starken Scheinwerfers drang bis in unser Versteck. Sprungbereit duckte ich mich tiefer. »Nun? Soll ich eine Kiste öffnen?« »Untersteh dich! Es stinkt so schon erbärmlich genug. Mach, daß du mit deiner verfaulten Fracht verschwindest, bevor mir das Essen hochkommt!« »Stets zu Diensten, Kommandant! Ich wünsche dir noch einen angenehmen Abend!« Der Transporter ächzte in den Federn, als Schirtuboh das Führerhaus bestieg. Ich hörte noch ein »Degeneriertes Pack!« des Soldaten, dann rumpelte das Vehikel wieder los. Chipol atmete auf. »Das hätte leicht schiefgehen können«, murmelte er. »Das hätte es in der Tat. Ohne die Aversion der Ligriden gegen Merlitong wären wir nie durch die Sperren gekommen. Gut, daß Schirtuboh kein Obst‐ und Gemüsehändler ist.« Der Junge kicherte. »Meinst du, daß Urlysh uns tatsächlich ein Raumschiff besorgen kann? Daß er es überhaupt will?« »Nach allem, was ich von Kyrkodh weiß, ist Urlysh bereit, uns zu unterstützen, Chipol. Ob er uns nun in dem Maße helfen kann, wie wir es uns wünschen, müssen wir abwarten.« »Ich wollte, wir könnten Aklard schon morgen verlassen.«
»Bereitet dir dieser Planet Unbehagen?« »Nein, es ist eine schöne Welt, aber wir müssen so schnell wie möglich weg, um meinem Volk Hilfe zu bringen … Unsinn, erst einmal müssen wir Hilfe holen. Das …« »Still!« zischte ich. Erneut würde die Geschwindigkeit unseres Gefährts vermindert. Unser Ziel konnte nicht mehr weit entfernt sein. Sollten wir noch einmal in eine Kontrolle geraten sein? Abrupt stoppte der Veteran. »Alles in Ordnung«, hörte ich die vertraute Stimme Schirtubohs. »Ich will nur Urlysh anrufen und ihn informieren. Aus verständlichen Gründen schätzt er es nicht, um diese Zeit unangemeldeten Besuch zu bekommen.« Ich entspannte mich innerlich wieder. Diese latente Bedrohung und die damit verbundene Gefährdung meiner Pläne zerrte auf die Dauer mehr an den Nerven als eine brenzlige Situation, die ich aus eigener Kraft meistern konnte. Zeit, so wußte ich aus Erfahrung, konnte für und gegen jemanden arbeiten. Ich hatte vielleicht ein etwas anderes Gefühl dafür als ein Geschöpf, dessen Lebensuhr mit der Geburt abzulaufen begann, dennoch wurde ich allmählich kribbelig, weil ich zur Passivität verurteilt war. Seit fast einer Woche befanden wir uns inzwischen auf Aklard, und wir hatten nicht das geringste erreicht. Im Gegenteil, Chipol und ich waren immer auf die Unterstützung anderer angewiesen gewesen. Gut, wir waren gelaufen, hatten eine gewisse Strecke ab‐ und durchgesessen, doch was war das schon? Wir waren weitergereicht worden, hatten Entfernungen überwunden, aber als Globetrotter waren wir schließlich nicht unterwegs. Nicht, daß ich undankbar war, denn es war ein Verdienst der Freischärler, daß wir nicht den Ligriden in die Hände gefallen waren, dennoch fühlte ich mich unbefriedigt. Ich war es gewohnt, aktiv zu sein, zum Gelingen beizutragen, doch diesmal war das nicht der Fall. Ich kam mir vor wie eine verbotene Ware, die über einen halben Kontinent geschmuggelt wurde.
Du dauerst mich. Spar dir deine Ironie, gab ich verärgert zurück. Auf Beistand dieser Art kann ich verzichten. Zu gegebener Zeit werde ich dich daran erinnern. Ein dumpfer Schlag gegen den Aufbau enthob mich einer Antwort. »Wir starten. Urlysh erwartet uns. In wenigen Minuten sind wir bei ihm.« Ratternd setzte sich der Oldtimer wieder in Bewegung und gewann an Fahrt. Obwohl die Straßen in der Stadt wesentlich besser sein mußten als in den Bergen, hüpfte die Ladefläche auf und ab wie ein Lämmerschwanz. Da defekte Federn derbere Stöße durchließen, waren vermutlich die Stoßdämpfer nicht mehr in Ordnung. Mir kam es vor, als würde ich mich auf einem tanzenden Floß befinden. Endlich stoppte das schaukelnde Vehikel. »Aussteigen, wir sind da!« Erleichtert und durchgeschüttelt zugleich verließ ich den selbstgeschaffenen Verhau aus Käsekisten und schwang mich von der Pritsche, nachdem Chipol an meiner Seite war. Wir befanden uns in einem von Mauern umschlossenen Hof, dessen Tor sich wieder geschlossen hatte. Hohe Bäume und Buschgruppen verhinderten zusätzlich eine Einsicht von draußen. Den über Eck gebauten, weißgetünchten Bungalow konnte man getrost als Villa bezeichnen. Zwei stilvolle Leuchten neben dem Portal schufen rund um den ebenerdigen Eingang eine Insel aus gedämpftem Licht. Zwei Fenster waren erleuchtet, doch schwere Vorhänge verwehrten den Blick nach drinnen. Aus dem Garten kam eine dunkle Gestalt auf uns zu. »Willkommen in meinem Heim. Ich bin Urlysh.« 6.
In Urlysh fand ich einen Verbündeten, der so ganz nach meinem Geschmack war. Er mochte etwa fünfzig Jahre alt sein und war ein vitaler Mann, ein kluger Kopf, der das Herz auf dem rechten Fleck hatte. Daß er auch mutig war, bewies seine Zusage, mich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu unterstützen. Er wußte, daß die Daila nichts mehr zu verlieren hatten, und er war bereit, jedes Risiko einzugehen, wenn Hoffnung auf Erfolg bestand. Auch ihm war bekannt, daß die Verbannten von Aklard ihrem Volk immer noch wohlgesinnt waren und helfen wollten. Eine Chance, zwischen den Daila und den Vertriebenen eine Brücke zu schlagen, sah er wie ich darin, Chipol als Vermittler einzusetzen. Noch in der Nacht unserer Ankunft versprach er mir, heimlich ein dailanisches Kugelraumschiff startklar machen zu lassen. Damit rückte mein Ziel in greifbare Nähe. * Seit nunmehr vierzehn Tagen hielt ich mich zusammen mit Chipol in Ghyltirainen auf. Die Vorbereitungen für den Start des Raumers liefen auf vollen Touren. Von der Stadt bekam ich kaum etwas zu Gesicht. Auf wechselnden Routen wurde ich täglich mit einem Gleiter zum Raumhafen gebracht, wo ich die meiste Zeit in einem verborgenen Hangar verbrachte, in dem das Kugelschiff ausgerüstet wurde. Die GHYLTIROON war ein modernes, weitgehend automatisiertes Schiff, das notfalls von einer einzigen Person beherrscht werden konnte und knapp neunzig Meter Durchmesser hatte. Ursprünglich sollte es zu weit entfernten Planeten fliegen, um neue Handelskontakte zu knüpfen, doch die Ankunft der Ligriden hatte das verhindert. Entsprechend der Aufgabenstellung als Forschungs‐ und Handelsraumer war die Bewaffnung: Paralysestrahler und vier
starke Lasergeschütze, aber keine Werfer oder ähnliche Systeme, mit denen Kampfeinheiten bestückt waren. Die Waffen befanden sich im Wulst des oberen Kugeldrittels, der daneben noch die Beobachtungseinrichtungen und fernlenkbare Sonden enthielt. Die Kommandozentrale befand sich unter dem oberen Pol, darunter lagen Laboratorien und Arbeitsräume, eine Ebene tiefer die Wohnkabinen. Zwei Drittel des verfügbaren Raumes waren als Lager und Hallen für Waren, Proben und Muster bestimmt. Ein zentraler Antigravschacht reichte von der Steuerkanzel bis zur unteren Hauptschleuse, die durch eine ausfahrbare Metallrampe mit dem Boden verbunden werden konnte. Neben der Hauptschleuse gab es einen Hangar, der Platz bot für ein Erkundungs‐ und zwei Transportfahrzeuge. Als Aufklärer eigneten sich auch die beiden Rettungskapseln, die maximal je zehn Personen für zehn Tage am Leben erhalten konnten. Die Dreierkombination des Antriebs war bewährt: Antigrav‐, Impuls‐ und Lineartriebwerke. Sie waren im unteren Drittel in Form eines warzig‐buckligen Wulstes angeordnet, der deutlich ausgeprägter war als der Waffenring. Insgesamt machte die GHYLTIROON einen guten Eindruck auf mich, sie war solide gebaut und der Aufbau nebst der inneren Ordnung durchdacht und praktisch. Die Besatzung bestand aus fünf Daila, einem eingespielten Team, das sich nicht nur hervorragend ergänzte, sondern auch in der Lage war, die Aufgaben des anderen zu übernehmen. So oft es ging, war ich mit der Mannschaft zusammen, um persönlichen Kontakt herzustellen und um die Eigenart der Raumfahrer kennenzulernen. In Zukunft waren wir aufeinander angewiesen, und da war es gut, wenn man in kritischen Situationen nicht erst lange Diskussionen führen mußte, was warum zu tun war. Kommandant war der vierzigjährige Norgis, ein hagerer Mann, der nicht viel Worte machte. Als Pilot stand ihm Raegul zur Seite, der ein wenig arrogant wirkte und ein ausgesprochener Zyniker
war. Der Bordtechniker Ganno war mit 1,82 Meter nicht nur der größte, sondern mit vierundvierzig Jahren auch der älteste Daila im Team. Er neigte zur Fülle und brauste leicht auf. Das genaue Gegenteil davon war Mallosh, zuständig für Funk‐ und Waffensysteme. Komplettiert wurde die Crew von Trom, seines Zeichens Mechaniker und der Benjamin der Mannschaft, ein schlaues Bürschchen mit einer ausgesprochenen Vorliebe für Späße und witzige Bemerkungen. Zusammen mit Chipol stand ich neben der Hauptschleuse und überwachte die Verladung von Ausrüstungsgegenständen, als sich Norgis und Raegul näherten. Beide trugen Raumanzüge und schleppten Koffer, die kaum noch als Handgepäck bezeichnet werden konnten. »Probt ihr den Ernstfall, oder seid ihr tatsächlich schon reisefertig?« erkundigte sich der Junge lachend. »Was meinst du?« Der Pilot strich sich affektiert übers Haar. »Hast du deinen Schnuller schon an Bord, Chipol‐Baby?« »Nenn mich nicht immer so. Ich bin kein Kind mehr, du Fatzke.« Raegul musterte den Halbwüchsigen abfällig. »Kaum den Windeln entwachsen, und schon spuckst du große Töne, was? Vergiß nicht, daß du ausgewachsene Raumfahrer vor dir hast, Chipol‐Baby.« »Laß ihn in Ruhe. Trom ist auch nur rund zehn Jahre älter als Chipol und trotzdem ein ganz ausgezeichneter Mann.« Norgis wandte sich an mich. »Wir wollen einen letzten Test durchführen. Kommst du mit, Atlan?« »Selbstverständlich. Die Einlagerung ist ohnehin gleich abgeschlossen. Chipol, was ist mit dir?« Mein junger Freund machte ein trotziges Gesicht. »Ich bleibe hier, denn sonst fühlt sich Raegul‐Opa wieder abgelenkt.« Nur mit Mühe gelang es mir, meine Heiterkeit zu verbergen. Die Mundwinkel des Kommandanten zuckten verdächtig. Ein
Ingenieur, der in der Nähe stand und die Bemerkung gehört haben mußte, konnte sich nicht beherrschen und prustete laut los. Der Pilot bedächte ihn mit einem giftigen Blick, drohte Chipol mit der Faust und verschwand im Schiff, ohne sich noch einmal umzudrehen. Wir folgten gemächlichen Schrittes und ließen uns vom Antigrav nach oben tragen. Die anderen Besatzungsmitglieder hatten ihre Positionen bereits eingenommen. Demonstrativ drehte uns der Pilot den Rücken zu, als Norgis und ich auf unsere Plätze zugingen. Ich beachtete ihn nicht weiter und ließ mich in meinem Sessel nieder. Als würden wir wirklich starten, schnappten die Haltegurte zu. Mit der eigentlichen Schiffsführung hatte ich nichts zu tun, meine Aufgabe war es, als eine Art Koordinator zu fungieren, der Kurs und Ziel bestimmte und die Ausführung überwachte. Es war kein Problem gewesen, mich mit den technischen Einrichtungen vertraut zu machen. Ein zusätzlich installiertes Pult mit Monitoren, Display und Datenterminal lieferte mir die gleichen Informationen wie dem Kommandanten und erlaubte mir wie ihm, notfalls direkt einzugreifen. »Alles klar zum Check‐up?« »Fertig, Kommandant!« tönte es viermal. »Bordsysteme intern?« »Normal.« »Bordsysteme extern?« »In Ordnung.« »Funk?« »Steht.« »Waffenleiteinheiten?« »Einsatzbereit.« »Kapazität der Speicherbänke?« »Maximalwert.« So ging es fort, und das technische Kauderwelsch wurde für einen Laien immer unverständlicher, je mehr Detailwerte abgefragt
wurden. Die Daila gingen gründlich vor und überprüften sogar die Kontrollpositronik auf optimale Funktion. Es dauerte mehr als fünf Stunden, bis alles durchgetestet war, dann stand fest, daß auch der letzte Chip ohne Fehler arbeitete. »Die GHYLTIROON ist einsatzbereit. Wir können morgen starten.« Es war typisch für Norgis, sich so kurz zu fassen. Andere an seiner Stelle hätten vielleicht eine Rede gehalten, auf mögliche Gefahren hingewiesen, beschworen, wie wichtig unsere Mission war, Heldentum erwähnt und was der Dinge mehr waren – er tat es nicht und verzichtete auf große Worte. »Meine Mannschaft ist gut, und sie ist motiviert«, hatte er mir ganz am Anfang unserer Begegnung gesagt. »Jeder weiß, worum es geht, warum soll ich da noch Vorträge halten? Ich bin Raumfahrer, kein Politiker.« Gemeinsam mit dem Kommandanten strebte ich zum Ausgang, als sich das Schott öffnete und Urlysh die Zentrale betrat. Respektvoll blieben die Daila stehen. »Alles in Ordnung, Freunde?« Mit einer diskreten Handbewegung bedeutete Norgis mir, zu sprechen. »Das Schiff befindet sich ebenso wie die Besatzung in einem ganz ausgezeichneten Zustand«, lobte ich, und das war keine plumpe Schmeichelei, sondern meine Überzeugung. »Wenn es nach uns geht, können wir schon in den nächsten Stunden aufbrechen.« »Das freut mich.« Die Miene des früheren Ratsmitglieds ließ Zufriedenheit erkennen. »Euch allen sei Dank für euer Engagement. Da einem Start nun nichts mehr im Wege steht, wollen wir auch keine Zeit mehr verlieren. Ich ordne an, daß die GHYLTIROON morgen um zehn Uhr abhebt. Ruht euch noch etwas aus.« Damit war die Mannschaft entlassen. Die Daila verließen grüßend den Raum. »Mana sei mit euch!« rief Urlysh ihnen nach.
»Mana sei mit dir!« Mana – das war nach dem Verständnis der Planetarier die ordnende Kraft, die den ganzen Kosmos betraf. Ich wußte mittlerweile, daß es regionale Religionen gab, doch allen Strömungen war gemein, Mana zu verehren. »Wie ausgemacht, habe ich mit den Naldrynnen geredet. Fast alle waren bereit, dem Vorschlag zuzustimmen. Drei mitsamt ihren Familien habe ich ausgesucht.« »Sie sind also bereit, mitzumachen?« »Ja – ohne Einschränkung«, bestätigte der Daila. »Kann ich noch einmal mit ihnen sprechen? Es ist kein Mißtrauen, ganz im Gegenteil, doch wenn es Schwierigkeiten geben sollte während des Fluges, bin ich es, der sich mit ihnen auseinandersetzen muß.« »Du hast mein volles Vertrauen, Atlan. An deiner Stelle würde ich ebenso handeln.« »Wo kann ich mich mit den Naldrynnen unterhalten?« »Auf der Wohnebene. Sie befinden sich unter Bewachung bereits an Bord.« »Du bist wahrlich ein Mann von schnellen Entschlüssen, Urlysh.« »Wie du. Wir sehen uns dann bei mir zu Hause.« Gemeinsam benutzten wir den Antigrav. Während ich schon zwei Decks tiefer wieder ausstieg, ließ sich der Daila nach unten tragen. Nach der Unterkunft der Naldrynnen mußte ich nicht lange suchen. Zwei bewaffnete Doppelposten standen vor den Kabinen. Sie ließen mich anstandslos passieren. Meine Augen mußten sich erst an das Dämmerlicht gewöhnen, das die Naldrynnen bevorzugten. Eine Handvoll kastenähnlicher Körper in unterschiedlicher Größe quirlte durch das Zimmer, dann erkannte ich einen Erwachsenen, der es sich auf einer Liege bequem gemacht hatte. Trotz seines plumpen Aussehens stand er recht behend auf und fixierte mich mit seinen beiden riesigen, kohlschwarzen Augen.
»Mein Name ist Atlan. Ich …« »Urlysh hat mir von dir erzählt. Du bist der Kommandant des Unternehmens, das uns unsere Freiheit zurückgeben soll.« Die Stimme des Naldrynnen klang hell und durchdringend. »Ich heiße Buaru und bin der Sprecher der beteiligten Familien. Gibt es Probleme?« »Nein, aber ich möchte unsere Vereinbarung noch einmal kurz durchgehen.« »Gut. Bitte geht nach nebenan, meine Lieblinge.« Die lärmende Kinderschar trollte sich gehorsam. »Obwohl die Daila uns gut behandeln, fühlen wir uns als Gefangene, und das sind wir ja wohl auch. Wir möchten diesen Planeten verlassen und sind um unserer Angehörigen willen bereit, alles zu tun, was verlangt wird. Wolltest du das hören?« »Ja. Wenn ihr den Part spielt, der euch zugedacht ist, werden auch wir unser Versprechen erfüllen und euch auf einer Welt eurer Wahl absetzen. Du weißt, was ihr zu tun habt, Buaru?« Das neunzig Zentimeter große Geschöpf mit dem dichten, olivgrünen Pelz marschierte auf seinen vier stämmigen Beinchen zu mir heran. »Du kannst dich auf uns verlassen, Atlan«, sagte der Naldrynne mit Nachdruck. »Unsere Familien sind uns wichtiger als Geschäfte und die Ligriden. Ich hoffe, daß du ebenfalls Wort hältst.« »Dafür stehe ich ein. Morgen um zehn Uhr starten wir.« »Wir sind bereit.« Als ich zu meinem Domizil in Urlyshs Haus zurückkehrte, erwartete mich dort zu meiner Überraschung der geckenhafte Roboter des Käsehändlers. »Schwiegermutter, was machst du denn hier?« »Ich habe den Dienst bei Meister Schirtuboh quittiert, um mich dir anzuschließen, Meister Atlan.« »Ist denn Schirtuboh damit einverstanden?« »Wie könnte er. Seine Welt ist die Provinz, sein Sinnen und
Trachten dreht sich um Märkte und Käse.« Schwiegermutter verbeugte sich steif. »Du dagegen bist ein Mann von Kultur, Meister Atlan, dir haftet ein Hauch von Abenteuer und Weite an, du hast Stil und Niveau mehr noch als mein erster Herr. Dir möchte ich dienen.« »Ich fürchte, das wird nicht gehen, Schwiegermutter. Schon morgen früh verlasse ich Aklard.« »Es ist mein sehnlichster Wunsch, dich zu begleiten, Meister Atlan. Nimm mich mit an Bord des Raumschiffs, du wirst es nicht bereuen.« Unser Gastgeber betrat den Raum. In seiner Begleitung befand sich ein wutschnaubender Schirtuboh. »Hier steckst du also, du undankbares Subjekt. Wie kommst du dazu, einfach fortzulaufen, ohne ein Wort zu sagen? Los, antworte, bevor ich mich vergesse!« »Ich habe mir erlaubt, Meister Atlan meine Dienste anzubieten«, sagte der Automat würdevoll. »Ihm beliebt es, diesen Planeten zu verlassen.« »Oh, du ausgekochter Lump!« Der Daila war einem Schlaganfall nahe. »Reisepläne schmiedest du also – heimlich hinter meinem Rücken. Ist dir immer noch nicht bewußt geworden, daß du mein Eigentum bist? Wie kommst du dazu, einfach deine Arbeit im Stich zu lassen, du Taugenichts?« »Käsehandel ist nicht mein Fach.« »Und ob es dein Fach ist!« tobte Schirtuboh. »Aus dem Flug wird nichts, du kommst auf der Stelle mit mir zurück. Und morgen bist du wieder dort, wo du hingehörst, nämlich hinter dem Stand und verkaufst Merlitong. Jawohl, Merlitong!« »Diese ungeliebte Tätigkeit werde ich nicht bis ans Ende meiner Tage ausüben.« Schwiegermutters Gesicht wollte nicht so recht zu dem feierlichen Tonfall passen. »Ich verspreche dir, Meister Atlan, daß ich dir irgendwann folgen und dich auch finden werde.« »Jetzt folgst du erst einmal mir und findest heim.« Schirtuboh
packte den Roboter und zog ihn mit sich. »Angenehme Nachtruhe allerseits. Viel Erfolg, Atlan.« »Leb wohl, Meister Atlan!« »Gute Nacht!« Erheitert und nachdenklich zugleich blickte ich dem ungleichen Paar nach. Ob ich Schwiegermutter tatsächlich noch einmal wiedersehen würde? Meine Gedanken kehrten zu dem bevorstehenden Start zurück. Würde alles so ablaufen, wie wir es geplant hatten? Hatten wir wirklich alles bedacht? Urlysh legte mir die Hand auf die Schulter. »Es ist spät geworden, Atlan. Du solltest dich jetzt zur Ruhe begeben.« »Ja, du hast recht, Urlysh. Wer weiß, was der neue Tag alles bringen wird. Gute Nacht!« 7. Die Naldrynnen hielten Wort und richteten sich genau nach ihren Anweisungen. Schon als die GHYLTIROON aus dem subplanetaren Hangar nach oben schwebte, begann Buaru auf der Frequenz der Ligriden zu funken und identifizierte sich. »Wir haben eine Fluchtmöglichkeit gefunden und verlassen Aklard mit einem Kugelraumer dailanischer Fertigung. Wir verlangen, ungehindert von Kampfschiffen abfliegen zu können.« »Hier spricht Ghorza, Kommandant des Flaggschiffs PUNDRA. Bleibt, wo ihr seid, ich lasse euch abholen und an Bord nehmen.« »Daran sind wir nicht interessiert. Sorge dafür, daß wir nicht aufgehalten werden.« »Ihr könnt nicht einfach verschwinden.« »Natürlich können wir das.« »Euer Platz ist hier auf meinen Einheiten!«
»Mit euch Ligriden haben wir nichts mehr zu schaffen. Ende.« Alle weiteren Versuche Ghorzas, die mittlerweile auf dem Startfeld stehende GHYLTIROON zu erreichen, blieben ergebnislos. Die Naldrynnen hatten jeglichen Kontakt abgebrochen. Der Kommandant schäumte innerlich vor Wut, als der Kugelraumer abhob. Offiziell hatte er keine Handhabe, den Start zu verbieten, im Gegenteil, es würde nur Verdacht erregen. Von Haß und Furcht erfüllt, mußte er mit ansehen, wie der Kugelraumer den Planeten verließ. Eine dumpfe Ahnung sagte ihm, daß sich Atlan und Chipol an Bord befanden, die beiden, die er mit enormem Aufwand vergeblich gesucht hatte, und ihm waren die Hände gebunden. Jeder Versuch, die GHYLTIROON aufzuhalten oder zu verfolgen, mußte die Beobachter von BASTION‐V stutzig werden lassen. Und mißtrauisch, wie sie waren, würden sie nicht eher rasten und ruhen, bis sie den Grund herausgefunden hatten. Das durfte auf gar keinen Fall geschehen. Eine einzige Meldung an Halphar, selbst wenn die Hinweise anonym waren – und er war erledigt. Nein, der oberste Kriegsherr in diesem Sektor durfte auf keinen Fall davon erfahren: Insgeheim bereute Ghorza bereits seine Eigenmächtigkeit. Er hatte sich von seinen Aktivitäten den Sturz des Emporkömmlings versprochen, und nun war aus dem angestrebten Triumph eine Niederlage geworden, die ihn vernichten würde, wenn sein Tun Halphar zu Ohren kam. Der Ligride kannte den Ehrenkodex seines Volkes – auch tausend gute Gründe waren kein Argument, das die Mißachtung eines Befehls rechtfertigte. Und er konnte keinen einzigen Grund nennen als den, seinen Vorgesetzten zu verachten. Das war ein persönliches Motiv, das einen Soldaten den Kopf kostete. Aufgewühlt setzte sich der Kommandant an das Terminal in seiner Kabinenflucht und löschte per Ultra‐Order alle verräterischen Daten und auch die Gesprächsaufzeichnungen, die ihm zum Verhängnis werden konnten, dann stellte er eine Verbindung zur
Zentrale her. »Kommandant?« »Alle Offiziere, ob abkömmlich oder nicht, sollen sofort in den Konferenzraum kommen.« »Befehl verstanden, Kommandant. Ausführung wird bestätigt.« Ghorza schaltete ab und lehnte sich in seinem Sitz zurück. Er wollte noch ein paar vertrauliche Gespräche führen und seinen Getreuen vergattern, um zu vertuschen, daß er aus eigenem Antrieb entschieden und Halphar zuwidergehandelt hatte. Ob seine Maßnahmen ausreichen wurden, um ihn vor btrate zu bewahren, wußte der Ligride selbst nicht genau. »Chipol und diesen Atlan müßte ich haben …«, knurrte er. ENDE Mit der GHYLTIROON, einem relativ kleinen Kugelraumer, haben Atlan und Chipol den Planeten Aklard unbeschadet verlassen können. Um den Bewohnern von Aklard beizustehen, deren Unterjochung durch das Neue Konzil fast schon vollzogen ist, machen sie sich auf die Suche nach Helfern. Mehr zu diesem Thema berichtete Harvey Patton. Sein Atlan‐Roman erscheint in einer Woche unter dem Titel: DIE SPUR DER DAILA