Roland Berger Strategy Consultants – Academic Network Herausgeberrat Prof. Dr. Thomas Bieger, Universität St. Gallen Prof. Dr. Rolf Caspers †, European Business School, Oestrich-Winkel Prof. Dr. Guido Eilenberger, Universität Rostock Prof. Dr. Dr. Werner Gocht †, RWTH Aachen Prof. Dr. Karl-Werner Hansmann, Universität Hamburg Prof. Dr. Alfred Kötzle, Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/Oder Prof. Dr. Kurt Reding, Universität Kassel Prof. Dr. Dr. Karl-Ulrich Rudolph, Universität Witten-Herdecke Prof. Dr. Klaus Spremann, Universität St. Gallen Prof. Dr. Dodo zu Knyphausen-Aufseß, Otto-Friedrich-Universität Bamberg Dr. Burkhard Schwenker, Roland Berger Strategy Consultants
Weitere Publikationen des Academic Network T. Bieger · N. Bickhoff · R. Caspers D. zu Knyphausen-Aufseß · K. Reding (Hrsg.) Zukünftige Geschäftsmodelle XII, 279 Seiten. 2002. ISBN 978-3-540-42744-5 N. Bickhoff · C. Böhmer · G. Eilenberger K.-W. Hansmann · M. Niggemann C. Ringle · K. Spremann · G. Tjaden Mit Virtuellen Unternehmen zum Erfolg VI, 125 Seiten. 2003. ISBN 978-3-540-44246-2 G. Corbae · J. B. Jensen · D. Schneider Marketing 2.0 VI, 151 pages. 2003. ISBN 978-3-540-00285-7 R. Caspers · N. Bickhoff · T. Bieger (Hrsg.) Interorganisatorische Wissensnetzwerke XI, 353 Seiten. 2004. ISBN 978-3-540-20182-3 L. Schuster · A. W. Widmer (Hrsg.) Wege aus der Banken- und Börsenkrise X, 527 Seiten. 2004. ISBN 978-3-540-21106-8 N. Bickhoff · M. Blatz · G. Eilenberger S. Haghani · K.-J. Kraus (Hrsg.) Die Unternehmenskrise als Chance X, 440 Seiten. 2004. ISBN 978-3-540-21433-5 K. Spremann (Hrsg.) Versicherungen im Umbruch IX, 543 Seiten. 2005. ISBN 978-3-540-22063-3 B. Schwenker · S. Bötzel Auf Wachstumskurs V, 147 Seiten. 2006. ISBN 978-3-540-26755-3
M. Blatz · K.-J. Kraus · S. Haghani (Hrsg.) Gestärkt aus der Krise XII, 177 Seiten. 2006. ISBN 978-3-540-29416-0 S. Dutta · A. De Meyer · A. Jain G. Richter (Eds.) The Information Society in an Enlarged Europe X, 290 pages. 2006. ISBN 978-3-540-26221-3 M. Blatz · K.-J. Kraus · S. Haghani (Eds.) Corporate Restructuring XII, 180 pages. 2006. ISBN 978-3-540-33074-5 G. Kasperk · M. Woywode · R. Kalmbach Erfolgreich in China VIII, 166 Seiten. 2006. ISBN 978-3-540-29839-7 B. Schwenker · S. Bötzel Making Growth Work VI, 138 pages. 2007. ISBN 978-3-540-46486-0 B. Stauss · K. Engelmann · A. Kremer A. Luhn (Eds.) Services Science VI, 172 pages. 2008. ISBN 978-3-540-74487-0 G. Eilenberger · S. Haghani · A. Kötzle K. Reding · K. Spremann (Hrsg.) Finanzstrategisch denken! VIII, 129 Seiten. 2008. ISBN 978-3-540-76433-5
Burkhard Schwenker · Klaus Spremann
Unternehmerisches Denken zwischen Strategie und Finanzen Die vier Jahreszeiten der Unternehmung
123
Dr. Burkhard Schwenker Roland Berger Strategy Consultants Am Sandtorkai 41 20457 Hamburg burkhard
[email protected] Prof. Dr. Klaus Spremann Schweizerisches Institut für Banken und Finanzen Universität St. Gallen Rosenbergstr. 52 9000 St. Gallen
[email protected]
Lektorat: Andrea Wiedemann
ISBN 978-3-540-75950-8
e-ISBN 978-3-540-75951-5
DOI 10.1007/978-3-540-75951-5 © 2008 Springer-Verlag Berlin Heidelberg Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Herstellung: LE-TEX Jelonek, Schmidt & Vöckler GbR, Leipzig Einbandgestaltung: WMX Design GmbH, Heidelberg Gedruckt auf s¨ aurefreiem Papier 987654321 springer.com
Vorwort Die Arbeit am Buch ist aus Herausforderungen entstanden, die immer wieder an uns zwei Autoren herangetragen worden sind: Welches ist nach der Theorie und aufgrund der Praxis ein erfolgreicher Weg, wenn die Strategie im Widerspruch zum Denken der Kapitalmärkte steht? Unser Buch versucht, diese Frage zu klären, und behandelt dabei ein grundsätzliches Problem der Entscheidungsfindung in Unternehmen: Es geht um den Gegensatz zwischen strategischem und finanziellem Denken. Wir stellen diese beiden Hauptströmungen der betriebswirtschaftlichen Argumentation einander gegenüber und beschreiben die wichtigsten Instrumente der beiden Lager. Allerdings belassen wir es nicht bei der Gegenüberstellung, sondern entwickeln ein Modell, das den Antagonismus der beiden Denkschulen überwindet: die Phasensicht. Wir arbeiten die vier Phasen Position, Aufbau, Wachstum und Ertrag als zeitlich und logisch aufeinander folgende Abschnitte des unternehmerischen Geschehens heraus. Sowohl die strategische als auch die finanzielle Sichtweise dienen als Kompass für die Entscheidungsfindung in der Unternehmensführung – je nachdem, in welcher Phase sich das Unternehmen befindet, verschiebt sich die Gewichtung zwischen strategischem und finanziellem Denken. Wir haben in diesem Buch theoretische Erkenntnisse zusammengetragen, synthetisiert, anhand praktischer Fälle geprüft und konkretisiert. So ist die Systematik der vier Phasen entstanden, die inzwischen in die Lehre der Hochschulen eingeflossen ist. Unter anderem bilden die „Vier Jahreszeiten“ den Inhalt der Lehrveranstaltung Unternehmerische Investitionen, die regelmäßig an der Universität St. Gallen für Studierende im Master-Programm Accounting and Finance gehalten wird. Mit den Inhalten und Argumenten dieses Buches wollen wir eine moderne Sicht der Betriebswirtschaftslehre entfalten. Dabei kamen wir nicht umhin, uns mit einer wesentlichen Frage auseinanderzusetzen: Wie soll eine Allgemeine Betriebswirtschaftslehre aufgebaut werden? Die Antwort von einst bestand darin, einzelne Disziplinen zu lehren, wie Produktion, Absatz, Finanzen und Organisation. Leider kommen bei diesem Ansatz der Zusammenhang und die Verbindungslinien zwischen den einzelnen Disziplinen zu kurz. Wir meinen, dass unsere Betrachtung des strategischen und finanziellen Denkens eine fruchtbare neue, weil ganzheitliche Perspektive entfaltet. Da die Gewichtung der Entscheidungskriterien Strategie oder Finanzen von der Phase abhängt, in der sich eine Unternehmung befindet, zeigen wir zugleich die typischen Muster, in denen der Mensch, das Geld und die Technik miteinander verwoben sind.
VI
Unser Dank geht an der Universität St. Gallen an Prof. Dr. Thomas Berndt, Sebastian Lang und Roman Frick für inhaltliche Anregungen. Bei Roland Berger Strategy Consultants hat Herr Dr. Tobias Raffel das Projekt im Gesamtverlauf betreut. Frau Andrea Wiedemann hat die Daten und Materialien integriert und unseren Überlegungen den letzten sprachlichen Schliff gegeben. Schließlich geht unser Dank an den Springer-Verlag, namentlich an Herrn Dr. Werner A. Müller und Frau Irene Barrios-Kezic, für die Betreuung auch dieses Bandes der vom Roland Berger Academic Network herausgegebenen Reihe. Burkhard Schwenker Klaus Spremann
Hamburg, St. Gallen September 2007
Inhaltsverzeichnis TEIL 1: EINFÜHRUNG.......................................................................... 1 TEIL 2: GRUNDLAGEN ....................................................................... 15 1 Markt oder Unternehmung?............................................................. 17 1.1
Haushalten oder kooperieren ..................................................... 17
1.2
Hierarchie und Unternehmung................................................... 22
1.3
Markt und Unternehmung – eine Gegenüberstellung ................ 25
1.4
Innere und äußere Schichten...................................................... 30
1.5
Zusammenfassung ..................................................................... 34
1.6
Literaturempfehlungen............................................................... 35
2 Ressourcen .......................................................................................... 37 2.1
Eine Ressourcen-Typologie ....................................................... 37 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.1.5 2.1.6
2.2
Fehlende Marktfähigkeit............................................................ 47 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.2.5 2.2.6
2.3
Zwei Merkmale .......................................................... 37 Privates Gut mit Externalitäten .................................. 38 Öffentliches Gut ......................................................... 40 Acht Typen von Ressourcen....................................... 41 Zwischenfazit ............................................................. 44 Entscheidung aufgrund von Strategie oder Finanzen? ........................................................... 45 Einführende Übersicht................................................ 47 Transaktionskosten ..................................................... 48 Technische Transaktionskosten.................................. 51 Spezifität..................................................................... 53 Synergien.................................................................... 54 Hold up ....................................................................... 56
Öffentliches Gut......................................................................... 58 2.3.1
Wissen – Definition.................................................... 58
VIII
2.3.2 2.3.3 2.3.4
Wissen – Verwendung................................................ 59 Wissen und Investitionen ........................................... 61 Arten des Wissens ...................................................... 63
2.4
Zusammenfassung ..................................................................... 66
2.5
Literaturempfehlungen............................................................... 67
3 Transfer Pricing ................................................................................. 69 3.1
Interne Leistungen ..................................................................... 69 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5 3.1.6
3.2
Rekapitulation ............................................................ 69 Dezentrale Entscheidungsfindung .............................. 70 Eine einfache Rechnung ............................................. 72 Interpretationen .......................................................... 74 Transferpreise in Höhe der Grenzkosten .................... 76 Zur Praxis ................................................................... 78
Zeitlich-logische Verknüpfung .................................................. 79 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.2.6
Phasen des unternehmerischen Geschehens ............... 79 Aufstellung des Baums............................................... 81 Zur Natur der Vorleistungen ...................................... 84 Rückwärtsrechnung .................................................... 86 Zur Praktikabilität....................................................... 89 Vier Phasen................................................................. 92
3.3
Zusammenfassung ..................................................................... 93
3.4
Literaturempfehlungen............................................................... 94
4 Strategisch denken!............................................................................ 95 4.1
Entwicklung und Ansätze des strategischen Managements....... 95 4.1.1 Was bedeutet „Strategie“?.......................................... 95 4.1.2 Die Anfänge des strategischen Managements ............ 96 4.1.3 Weiterentwicklung: Market-based View.................. 101 4.1.4 Resource-based View (RBV) ................................... 103 4.1.5 Vernetzungen............................................................ 108
4.2
Herausforderungen für das strategische Management ............. 113 4.2.1
Treiber der Veränderung .......................................... 113
IX
4.2.2
Defizite der klassischen Strategieinstrumente.......... 118
4.3
Zusammenfassung ................................................................... 121
4.4
Literaturempfehlungen............................................................. 122
5 Finanziell denken! ............................................................................ 123 5.1
Ein Minimum an Finanzmathematik ....................................... 123
5.2
Fokus Zahlungswirkungen....................................................... 125
5.3
Die Auswahl der besten Summenzahlungsreihe...................... 127
5.4
Fisher-Separation und Kapitalwert .......................................... 130
5.5
Zwischenfazit........................................................................... 132
5.6
Freie Cashflows ....................................................................... 133
5.7
Das Capital Asset Pricing Model............................................. 137
5.8
Unternehmensbewertung ......................................................... 143 5.8.1 Die Formeln für den DCF ........................................ 143 5.8.2 EBIT, Equity Value versus Entity Value ................. 144 5.8.3 Entfaltung der Kapitalmärkte ................................... 147
5.9
Zusammenfassung ................................................................... 150 5.9.1 5.9.2
Prinzipien des finanziellen Denkens ........................ 150 Finanzielles Führungssystem.................................... 151
5.10 Literaturempfehlungen............................................................. 153 TEIL 3: DIE VIER JAHRESZEITEN ................................................ 155 1 Grundlagen schaffen und Position bestimmen.............................. 157 1.1
Überlegungen zum Standort .................................................... 157 1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.1.4 1.1.5
1.2
Grundsätzliches ........................................................ 157 Von Thünen.............................................................. 158 Hotelling................................................................... 159 Standorttheorie heute................................................ 161 In das Zentrum oder nicht?....................................... 164
Positionswechsel...................................................................... 168 1.2.1
Die klassischen Zyklen: Kondratieff ........................ 168
X
1.2.2 1.2.3 1.2.4 1.3
Konklusion zur ersten Jahreszeit ............................................. 179 1.3.1 1.3.2
1.4
Organisches Wachstum ............................................ 170 Unternehmenstransformation ................................... 174 Wie Abschreibungen verwenden?............................ 177 Zur Phasenidentifikation .......................................... 179 Fazit .......................................................................... 181
Literaturempfehlungen............................................................. 182
2 Entwickeln und aufbauen................................................................ 183 2.1
Innovation ................................................................................ 183 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.1.5
2.2
Umfeld und Wirkung – Geistesblitz und Umgebung............... 192 2.2.1 2.2.2 2.2.3
2.3
Sieben Schritte.......................................................... 202 Interne Kapitalmärkte............................................... 204 Zielkostenrechnung .................................................. 207
Konklusion zur zweiten Jahreszeit........................................... 209 2.4.1 2.4.2
2.5
Fünf Faktoren ........................................................... 193 Makroklima .............................................................. 196 Schumpeter versus Kirzner....................................... 198
Entrepreneurship als Prozess ................................................... 202 2.3.1 2.3.2 2.3.3
2.4
Zum Innovationsbegriff............................................ 183 Die Rolle des Entrepreneurs..................................... 185 Entwicklung und Skalierbarkeit ............................... 186 Entwicklung und Varianten...................................... 188 Innovation als Wachstumsmotor .............................. 190
Zur Phasenidentifikation .......................................... 209 Fazit .......................................................................... 211
Literaturempfehlungen............................................................. 213
3 Wachstum managen......................................................................... 215 3.1
Vom Prototyp zum Markterfolg............................................... 215 3.1.1
Das Management von Ressourcen und Risiken ....... 215
XI
3.1.2 3.2
Individualisiertes Massenprodukt ............................................ 222 3.2.1 3.2.2 3.2.3
3.3
Organisches Wachstum ............................................ 241 Externes Wachstum .................................................. 241
Konklusion zur dritten Jahreszeit............................................. 246 3.5.1 3.5.2
3.6
Markteinführung....................................................... 228 Markenbildung.......................................................... 230 Marktdurchdringung ................................................. 234 Mitarbeiter und Incentives........................................ 236
Verschiedene Wege zum Wachstum ....................................... 240 3.4.1 3.4.2
3.5
Vier Entwicklungsstufen .......................................... 222 Attribute und Zusatzdienste...................................... 224 Technologiesprünge.................................................. 227
Der Absatzprozess ................................................................... 228 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4
3.4
Vom Kapital bis zum Talent – benötigte Ressourcen ................................................ 220
Zur Phasenidentifikation .......................................... 246 Fazit .......................................................................... 248
Literaturempfehlungen............................................................. 249
4 Ernten und neu beginnen ................................................................ 251 4.1
Gegenwart versus Zukunft....................................................... 251 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.1.5
4.2
Balance ..................................................................... 251 Marktansprüche ........................................................ 253 Krisen ....................................................................... 255 Die „gesunde“ Unternehmung.................................. 259 Indikatoren................................................................ 262
Wertorientierung...................................................................... 264 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.2.5
Wie die Zukunft beurteilen?..................................... 264 Gewinne oder Cashflows.......................................... 266 Absatz, Leistungserstellung, Finanzen ..................... 268 Kennzahlen und Programme..................................... 270 Economic Value Added............................................ 272
XII
4.3
Fortführung versus Liquidation ............................................... 276
4.4
Konklusion zur vierten Jahreszeit............................................ 282 4.4.1 4.4.2
4.5
Zur Phasenidentifikation .......................................... 282 Fazit .......................................................................... 284
Literaturempfehlungen............................................................. 286
5 Nachwort zu den vier Jahreszeiten................................................. 287 5.1
Die Frage: strategisches oder finanzielles Denken? ................ 287
5.2
Lebenszykluskonzept als Schlüssel für die Frage.................... 288
5.3
Andere Lebenszyklusmodelle.................................................. 290
TEIL 4: DIE KUNST DER BALANCE – EINE SCHLUSSBEMERKUNG.......................................... 295 TEIL 5: FRAGEN ZUR LERNKONTROLLE UND AUFGABEN ................................................................. 311 ANHANG ............................................................................................... 329 1 Personenverzeichnis......................................................................... 331 2 Glossar............................................................................................... 337 Die Autoren............................................................................................ 343
Teil 1: Einführung
1
Das Thema
Dieses Buch haben wir ganz bewusst für einen großen Adressatenkreis geschrieben: Von der Lektüre sollen alle profitieren, die sich für moderne Unternehmensführung und deren Grundlagen interessieren. Das Thema ist ein grundlegendes Problem der Entscheidung in Unternehmen: Es geht um den Gegensatz zwischen strategischer und finanzieller Unternehmensführung. Strategisches Denken stellt generell ein inhaltliches Ziel an den Anfang. Die Strategie beantwortet die Fragen, wie, mit welchen Schritten und Aktionen, mit welchen Reaktionen auf zufällige Einflüsse sowie auf Maßnahmen von Dritten und von „Gegenspielern“ man dieses Ziel wohl am besten erreicht. Ausgangspunkt der Strategie ist eine Analyse der eigenen Lage, der Umwelt und der Wirkungszusammenshänge. Durch die Entwicklung einer differenzierten Sichtweise kann strategisches Denken auf Komplexität und Unsicherheit eingehen. Die Strategie weist einen Weg, den der Unternehmer für richtig hält und einschlägt. Sie verlangt bei der Umsetzung von ihm Kraft und Ausdauer, weil es vielleicht eine Zeitlang keinen Applaus von außen gibt. Der strategische Unternehmer folgt seiner Vision und führt vom Gemeinplatz des allgemein Gedachten weg. Die Mehrheit betrachtet ihn als Vordenker oder Querdenker. Finanzielles Denken heißt hingegen, die Sicht und Beurteilung der Kapitalmärkte zu übernehmen. Mit anderen Worten: Man passt sich an die Mehrheit der Analysten und Finanzinvestoren an und leitet aus ihren Wertzielen ab, welche Maßnahmen sie heute wünschen und für richtig halten. Finanzielles Denken übernimmt die Perspektive der Kapitalmärkte als Richtschnur für unternehmerische Entscheidungen. Vom Unternehmer oder Manager wird verlangt, mit der eigenen Meinung zurückzuhalten, wenn es „der Markt“ draußen anders sieht. Ein an finanziellen Ergebnissen orientierter Unternehmer muss immer wieder rechnen und kalkulieren, welche (im Markt anerkannten) Werte mit seinen Vorhaben verbunden sind. Der visionäre Stratege ist also mitunter ein Querdenker, während der Manager, der sich an den Kapitalmärkten orientiert, die Anpassung an das allgemein Gewünschte suchen muss. Ein Querdenker zu sein ist schon etwas anderes, als sich an die Mehrheit anzupassen – oder? In diesem Spannungsfeld zwischen strategischem und finanziellem Denken bewegt sich das gesamte Planungs- und Entscheidungssystem einer
4
Unternehmung. Die Thematik bestimmt, wie die Fragen der Betriebs- oder Managementlehre zu beantworten sind: x
Sollte eher die Strategiebildung und das strategische Denken in den Unternehmen gefördert werden – mit der Folge, dass dem finanziellen Führungssystem dort Einhalt geboten wird, wo es gegen „strategisch erforderliche“ Maßnahmen spricht?
x
Oder sollte vielmehr das finanzielle Führungssystem immer weiter ausgebaut und verfeinert werden – wobei das strategische Denken zurücktreten muss, sobald die Rechnung nicht aufgeht und Werte vernichtet werden?
Für beide Positionen gibt es Schulen, prominente Wissenschaftler, Werke und Fallstudien, die für das eine oder das andere sprechen. Der Unternehmer oder Manager muss sich aber bei einer Einzelentscheidung festlegen: Entweder folgt er seiner Strategie und den sich aus ihr ergebenden „unternehmerischen Erfordernissen“. Oder aber er legt mehr Gewicht auf die Investitionsrechnung und folgt der Perspektive der Kapitalmärkte. Zugegeben: In einigen Situationen laufen beide Perspektiven auf dieselbe Entscheidung hinaus. Doch oft geben die strategische und die finanzrechnerische Sicht einen unterschiedlichen Rat. Mitunter stehen Strategie und Maximierung des Discounted Cashflow (DCF) sogar im Gegensatz zueinander. So öffnet sich durch die Frage „Strategie oder Wertsteigerung“ ein Spannungsfeld. Doch welche Orientierung verspricht nachhaltigen Erfolg? Anhänger des finanziellen Denkens erheben den DCF zum Allheilmittel. Sie möchten die im Kapitalmarkt etablierten Bewertungen und Kriterien an die Unternehmung herantragen und in sie hineinnehmen. Das Hauptkonzept ist die marktübliche Rendite, die alle Maßnahmen und Investitionen erbringen müssen. Bei den unternehmensinternen Entscheidungen wird die marktübliche Rendite als Kapitalkostensatz interpretiert. Falls die im Kapitalmarkt geforderte Rendite (der Kapitalkostensatz) erreicht wird, ist die Investition vorteilhaft, ansonsten nicht. Die Befürworter finanziellen Denkens postulieren, man könne selbst Einzelentscheidungen auf den unteren Stufen anhand ihrer jeweiligen Rentabilität treffen. Dazu wird die Finanzrechnung auf die einzelnen Ebenen der Unternehmung heruntergebrochen. Bei einem Primat finanzieller Führung hat das strategische Management folglich keine besondere Bedeutung. Es reduziert sich auf die Funktion eines Brainstorming: Mit strategischem Denken können Szenarien und langfristige Planungen erstellt werden. Doch fällt die Wahl schnell auf denjenigen der aufgestellten Geschäftspläne, der den höchsten DCF aufweist.
5
Auf der anderen Seite stehen die Befürworter des strategischen Denkens. Sie stellen die inhaltlichen Vorgaben des Gründers der Unternehmung in den Mittelpunkt oder greifen Ansätze auf, die Wandel oder eine andere Zielerreichung versprechen. Sodann wird die Strategie wie ein inhaltlicher Masterplan befolgt und umgesetzt. Das Erreichen der Zwischenziele, der Meilensteine, wird geprüft. Für jede Maßnahme, jedes Projekt und jede Investition ist wichtig, dass sie zum Masterplan passt. Ist der strategische Fit nicht gegeben, dann wird ein Vorhaben verworfen. Infolgedessen kommt es bei einer Einzelentscheidung nicht so sehr auf die Rendite an, die mit ihr verbunden ist. Zwar räumen die Befürworter strategischen Denkens ein, dass die Unternehmung „langfristig“ nach finanziellem Erfolg streben und Wertsteigerung erzielen müsse. Doch dieses sehr grundsätzliche und langfristige Ziel könne eben hier und da verlangen, die Strategie und die „Erfordernisse der Unternehmung“ zu betonen, selbst wenn dadurch der Wunsch nach Rentabilität in den Hintergrund gedrängt wird.
2
Die phasenorientierte Sicht
Wir zeigen in unserem Buch zunächst das Spannungsfeld zwischen strategischem und finanziellem Denken auf. Vermutlich hätte sich das unternehmerische Denken in der Praxis längst entweder für die Perspektive der Strategie oder für die der Finanzen entschieden, wenn nicht beide in bestimmten Situationen Vorzüge vorweisen könnten. Von daher sollten sich Bereiche unternehmerischer Entscheidungen finden lassen, in denen einmal die strategische Sicht, ein andermal die finanzielle Sicht wirksamer ist. Deshalb suchen wir nach der Grenzlinie im Gesamtbereich unternehmerischer Entscheidungen, die das Reich der Strategie vom Reich der Finanzen trennt. Unbestritten bleibt dabei die globale und langfristige Wertorientierung der Unternehmung.1 Insofern geht es bei der Bestimmung der gesuchten Grenzlinie im Reich unternehmerischen Denkens darum, wie tief ein finanzielles Führungssystem auf die einzelnen Bereiche und Ebenen heruntergebrochen werden kann. Denn durch die dabei immer wieder nötigen Abgrenzungen kommt es zu Fehlern, sodass irgendwann ein strategischer Ansatz zu besseren Entscheidungen führt als die (aus systemischen Gründen immer ungenauere) Investitionsrechnung. ALBERT EINSTEIN 1
Auch SHAKESPEARE, der uns im „Kaufmann von Venedig“ in die Kunst der Geschäftleute der Renaissance einführt, zeigt einen Antonio, der zwar hilfreiche Bekanntschaften und Verbindungen sucht (Antonio selbst handelt mit Shylock), doch letztlich alles aufs Geld reduziert.
6
(1879-1955) meinte einmal: „Sometimes what counts can’t be counted, and what can be counted doesn’t count.“ Das ist genau der Punkt: Im Reich unternehmerischen Denkens bieten sich hier und da rechnerische Entscheidungsunterstützungen. Doch die quantitativen Modelle greifen nicht überall, vor allem wenn die Wirklichkeit zu komplex und die Interdependenzen zu vielfältig sind. Dort entfalten die Strategien ihre Kraft. Unternehmerisches Denken bedeutet also, eine Balance zwischen der strategischen und finanziellen Sichtweise zu schaffen. Dazu gehört die Festlegung, welche der beiden Perspektiven in welcher Situation den Ausschlag für unternehmerische Entscheidungen geben soll. Wir zeigen, dass die Grenzlinie zwischen strategischem und finanziellem Denken wesentlich von der Phase unternehmerischer Aktionen und Investitionen bestimmt wird. Das Instrumentarium der Kapitalmärkte – Barwerte, DCF, Kapitalkosten – greift ausgezeichnet in den späteren Phasen des unternehmerischen Geschehens, während es in den früheren Phasen versagt. Dort öffnet sich der Raum für das strategische Denken. Strategische Ansätze entfalten gerade in den frühen Phasen ihre volle Kraft. Auf der anderen Seite kann das strategische Management in den späteren Phasen fehlleiten, sofern es dort nicht klar mit der für Kapitalmärkte typischen Wertorientierung harmoniert. Strategisches Denken
Position
Aufbau
Wachstum
Ertrag
Finanzwirtschaftliches Denken
Abbildung 1-1: Das Leitmotiv des Buches: Strategisches und finanzielles Denken haben in den vier Phasen des unternehmerischen Geschehens unterschiedlich hohe Bedeutung und ergänzen sich
Wir argumentieren, dass gerade in den früheren Phasen der Strategie Priorität gegenüber der finanziellen Führung zukommt. Hingegen sollte in den späteren Phasen stärker das finanzielle Denken leiten und weniger die Strategie.
7
Es wird also eine Aussage zugunsten der unternehmerischen Sicht und der Innenleitung für die früheren Phasen der Wertschöpfungskette getroffen. Die Sicht der Kapitalmärkte und die Außenleitung erhält in den späteren Phasen der Wertschöpfungskette Gewicht. Die Wissenschaft und die Auswertung von Praxisfällen belegen, dass vier Phasen unternehmerischer Aktivitäten und Investitionen unterschieden werden müssen. In jeder dieser Phasen sind spezifische Ressourcen verlangt; eigene Handlungsgrundsätze und Arten der Führung kommen zur Geltung. Diese vier Phasen sind: 1.
Bezug der richtigen Position,
2.
Entwickeln und Aufbauen, von der Innovation bis zur Produkteinführung,
3.
Wachstum durch Produktion und Absatz,
4.
Ertrag und Rendite.
Wie die vier Jahreszeiten den Zyklus in der Landwirtschaft bestimmen (erstens die Wahl des zu bestellenden Feldes, zweitens die Saat, drittens das Wachstum der Frucht, viertens das Einbringen der Ernte) muss auch der Unternehmer diese vier Phasen – Position, Innovation, Wachstum, Ertrag – erkennen, um phasenspezifische Entscheidungen so zu treffen, dass sich der langfristige Erfolg einstellt. Vielleicht wundert sich manche Leserin, mancher Leser zunächst über unsere Phaseneinteilung: Häufig wird bei anderen Phasenmodellen im Lebenszyklus behauptet, es beginne alles mit der Innovation, auf die sich die Phase des Wachstums anschließe und alles dann irgendwann in eine Phase der Rückbildung von Umsatz und Ertrag münde. Dies halten wir für nicht zutreffend, weshalb wir Entwickeln und Aufbauen als zweite Phase betrachten. Ihr gehen die Schaffung von Grundlagen und die Bestimmung der Position voraus. Diese Phase wird oft übersehen und so getan, als ob dort begonnen würde, wohin einen Schicksal oder Zufall verschlagen haben. Das ist falsch; wir sind beweglich und sollten uns deshalb überlegen, wie wir uns positionieren und welche Grundlagen durch die Wahl des Ortes im vieldimensionalen Raum von Technologie und Wahrnehmung geschaffen werden. Deshalb haben wir vier Phasen, nicht nur drei. Die „Vier Jahreszeiten“ – um den Untertitel unseres Buches aufzugreifen – bieten eine Typologie des unternehmerischen Denkens, das nach Phasen gruppiert wird: Wie in einem Stafettenlauf startet eine Führungspersönlichkeit, die eine Positionsbestimmung für alle weiteren Aktivitäten vor-
8
nimmt. Es folgt der Entrepreneur: Er stimuliert die Phase der Innovation und führt bis zur Produkteinführung. Der Stab geht sodann an einen Manager von Produktion und Absatz. Hier ist neben strategischem bereits das finanzwirtschaftliche Denken gefordert. Schließlich wird der Stab einem Wertmanager übergeben, der den Ertrag optimiert. Dabei werden die Werttreiber aus Sicht des Kapitalmarktes optimal variiert. Jede Phase hat ihre eigenen Anforderungen. Wir bestimmen phasenspezifisch das dominante Entscheidungskriterium, das den nachhaltigen Erfolg stützt. In Konzernen oder Unternehmen mit mehreren Geschäftsbereichen bzw. Produkten überlappen sich natürlich die einzelnen Phasen. Es laufen mehrere Transformationsprozesse parallel, die sich in jeweils unterschiedlichen Phasen befinden können. Die Identifikation der Phase schärft das Bewusstsein für die Ressourcen, die Relationen und die erforderlichen Führungsgrundsätze. Es gilt, die Gesamtstrategie (der Wertschöpfungskette) auf Phasenspezifität und Verträglichkeit zu prüfen und zu optimieren. Nach Erkenntnis der phasenspezifischen Notwendigkeiten werden parallel dazu die Beziehungen zu externen Partnern gestaltet oder modifiziert. Schließlich müssen Führungsstruktur und Kultur auf Phasenverträglichkeit getrimmt werden. Untersuchungen und Auswertungen praktischer Fälle machen es deutlich: Die Grenze zwischen Strategie und Finanzen im Gesamtreich unternehmerischen Denkens ist keinesfalls eine Linie, bei deren Überschreiten es zu einem totalen Umschalten kommt. Vielmehr ist der Übergang von der Dominanz und Kraft strategischen Denkens (in den frühen Phasen) zum Primat des finanziellen Denkens (in den späten Phasen) graduell. Entsprechend lautet unsere Schlussfolgerung für die vier Phasen: Die erste Phase (Position) wird vom strategischen Denken dominiert, finanzielle Rechnungen haben nur eine geringe Bedeutung. In der zweiten Phase (Entwickeln und Aufbauen) ist finanzielles Denken etwas wirksamer, doch das strategische Denken behält noch die Überhand. In der dritten Phase (Wachstum) gewinnen verschiedene Rechnungen und Kalküle an Kraft, doch gewisse Lücken verlangen immer noch strategische Überlegungen. In der vierten Phase (Ertrag) dominiert das finanzielle Denken, während strategische Argumente in ihrer Bedeutung stark zurückgedrängt sind.
3
Grenzen etablierter finanzieller Kriterien
Strategisches und finanzielles Denken haben in den vier Phasen unternehmerischen Geschehens infolgedessen unterschiedlich hohe Bedeutung. Sie
9
ergänzen sich, nirgendwo ließe sich das eine durch das andere völlig ersetzen. Allerdings variiert die Wirksamkeit und daher die Bedeutung. Das Denken in Finanzen wird letztlich durch die Märkte – Produktmärkte, Kapitalmärkte – von außen an die Unternehmung herangetragen. Eine jede Unternehmung bedient Personen, die „mit den Füßen abstimmen können“ und ist zugleich auf deren Geld angewiesen – gemeint sind Kunden und Finanziers. Keine Unternehmung kann sich über deren Wünsche hinwegsetzen und die Alternativen leugnen, die ihnen die Märkte bieten. Die Frage lautet, wie tief das durch diese Märkte vorgegebene Kalkül mit einem finanziellen Führungssystem auf die vorgelagerten Unternehmensbereiche übertragen werden kann. Nun, in der vierten Phase, und zuvor noch in der dritten, greifen finanzielle Kennzahlen und Kalkulationen durchaus. Doch eine weitere Übertragung auf die beiden ersten Phasen wird zunehmend schwierig. Der Versuch, die Finanzrechnung auch auf die ersten Phasen herunterzubrechen und dort zum alleinigen Kriterium zu erheben, scheitert aus mehreren Gründen: Generell haben wir den Grad an Komplexität und die Vielzahl von Interdependenzen erwähnt. Indessen lassen sich die Gründe präziser bestimmen: x
Vagheit der späteren finanziellen Wirkungen: Es gehört zum Wesen der Unternehmung, langfristige Festlegungen zu treffen – trotz allen Strebens nach Flexibilität. Die späteren Ergebnisse sind zum Entscheidungs- oder Investitionszeitpunkt nicht immer genau genug prognostizierbar. Sie bleiben vage. Das hängt nicht nur mit der Zeitspanne an sich und dem allgemeinen unternehmerischen Risiko zusammen, sondern vor allem mit der weiteren Ausgestaltung. Viele der frühen Entscheidungen und Investitionen schaffen Grundlagen für weitere Opportunitäten. Vielfach werden diese Opportunitäten als Real-Option in die Diskussion gebracht. Ob und in welcher Weise sie tatsächlich einmal ergriffen werden können, steht in den Sternen. Der finale Wertbeitrag einer langen Entwicklung ist daher in den frühen Phasen nicht abschätzbar.
x
Spillover-Effekte interner Ressourcen: Wichtig für die Wettbewerbsstärke einer Unternehmung sind interne Ressourcen. Viele dieser internen Ressourcen zeitigen so genannte Spillover-Effekte. Wie ein öffentliches Gut begünstigen sie andere Entwicklungen und Projekte innerhalb der Unternehmung. Vor allem ist damit das Wissen der Unternehmung gemeint. Jede Investition verwendet das in einer Unternehmung vorhandene Wissen und trägt wiederum zur Wissenserzeugung bei. Diese bidirektionalen Zusammenhänge werden in den üblichen Zahlungsreihen und Prognosen von Cashflows bei der Investitionsrechnung nicht korrekt erfasst. Denn die in Finanzrechnun-
10
gen angestrebte Abgrenzung funktioniert vom Prinzip her zwar bei privaten Gütern – sofern die Verrechnungspreise im Transfer Pricing korrekt bestimmt werden. Sie kann jedoch aufgrund des Öffentlichkeitscharakters der internen Ressourcen nicht bewerkstelligt werden. Wir erwähnen noch einen weiteren, dritten Punkt, der weder in der Literatur zum Finance noch von den Finanzabteilungen der Unternehmen ausreichend berücksichtigt wird. Dort wird immer wieder ein besonders enger Zusammenhang zwischen der extern im Finanzmarkt wahrgenommenen Rendite, die mit einem Kapitalengagement verbunden ist, und den einzelnen Maßnahmen der Unternehmung unterstellt. Doch dieser informatorische Zusammenhang ist weit loser und pauschaler. Der Grund liegt nicht in der Frage, ob die Bilanzpolitik es gestattet, ein geschöntes Bild zu zeichnen. Der Grund für den nur losen und pauschalen Zusammenhang zwischen der extern wahrgenommenen Rendite und der internen Mittelverwendung liegt in der internen Kapitalverfügbarkeit. Aufgrund der empirisch wie theoretisch begründeten Dominanz der Innenfinanzierung2 gibt es eine gewisse Trennung zwischen internen und externen Finanzmitteln. Innerhalb einer Unternehmung sind die relevanten Renditen eher durch die aktuell verfügbaren Mittel als durch die im äußeren Kapitalmarkt von Finanzinvestoren erwarteten Renditen bestimmt. Die Unternehmung ist zwar durch ein Prinzip finanzieller Nachhaltigkeit mit der Mittelverfügbarkeit im äußeren Kapitalmarkt verbunden, allerdings nur langfristig. Kurzfristig, im Augenblick, wird die interne Mittelverfügbarkeit bedeutsam. Folglich müssen die im Zusammenhang von Investitionsentscheidungen prognostizierten Zahlungsüberschüsse praktisch immer anders diskontiert werden, als es der Relation zwischen Rendite und Risiko entspricht, die im äußeren Kapitalmarkt gilt.3
4
Ergebnisse – für wen?
Was bietet Ihnen dieses Buch an Neuem? Erstens thematisieren wir mit dem strategischen und dem finanziellen Denken die heutigen Hauptströmungen betriebswirtschaftlicher Argumentation, stellen sie einander ge-
2
Unternehmen schütten jene Gelder, die den Abschreibungen entsprechen, nicht aus. Außerdem kommt es Jahr um Jahr zu einem gewissen Einbehalt von Teilen der Gewinne (die in barer Form vorliegen).
3
Diese wird meistens durch das Capital Asset Pricing Model (CAPM) beschrieben.
11
genüber und stellen dazu die als Best Practices geltenden Werkzeuge beider Lager dar. Es gibt zwar einige Bücher zum strategischen Denken und einige Bücher zum finanziellen Denken, doch ist uns keine Aufbereitung bekannt, die beide Denkweisen vereint. Die zweite Besonderheit unserer Darstellung ist die Phasensicht. Wir arbeiten die vier Phasen Position, Entwickeln und Aufbau, Wachstum und Ertrag als zeitlich und logisch aufeinander folgende Abschnitte unternehmerischen Geschehens heraus. So wird eine allgemeine Grundlage für unternehmerische Entscheidungen und generell die Erkenntnis der Situation und ihrer Besonderheiten geschaffen. Wir zeigen für die einzelnen Phasen erstens die jeweiligen Ressourcenentscheidungen, zweitens die Wahl der Partner der Unternehmung sowie drittens phasenspezifische Ansätze der Strategiebestimmung. Selbstverständlich strahlen die phasenspezifischen Besonderheiten ebenso auf die adäquate Erfolgsmessung aus. Drittens verdeutlicht unsere Argumentation, warum in den ersten Phasen Strategiedominanz verlangt wird und warum sich die dort zu treffenden Investitionsentscheidungen nicht mit einer Investitionsrechnung erledigen lassen. Hingegen bietet die zunehmende Kapitalmarktorientierung der dritten und vierten Phase das adäquate Instrumentarium, während sich dort das strategische Management der Wertorientierung unterordnet. Insgesamt kommt es in jeder Phase zu einer Ergänzung von strategischem und finanziellem Denken. Viertens gehen wir auf die jeweiligen Anforderungen ein, die der Unternehmer oder Manager mit seiner Persönlichkeit erfüllen muss: In der Phase 1 (Position) ist der Unternehmer die charismatische Führungspersönlichkeit mit positiver Ausstrahlung und Überzeugungskraft. In der Phase 2 (Entwickeln und Aufbauen) wirkt er als Coach. Bei der sich anschließenden Phase der Markteinführung sind klassische Managementfähigkeiten (Planung, Koordination) verlangt sowie eine integrierende Persönlichkeit, die verschiedenste Vertragsparteien gewinnen kann. Zudem muss der Unternehmer in der Phase 3 motivieren und kontrollieren. In der Phase 4 (Ertrag) muss der Unternehmer beweisen, dass er rechnen, optimieren und vielleicht auch „harte Entscheidungen“ durchsetzen kann. Anschließend wirkt der Unternehmer als Visionär und kann Shareholder wie Stakeholder überzeugen, ihn weiter zu begleiten und nicht den Exit zu suchen. Die „Vier Jahreszeiten“ zeigen zum Schluss des Buches, welche Situation sich auftut, wenn es nach Ertrag und Ernte nicht zu einem Neuanfang mit einer eventuell anders gewählter Positionierung kommen kann, wenn also der Investitionszyklus unterbrochen wird. Die Unternehmung
12
fällt dann in einen Zustand des Financial Distress, der eine Restrukturierung und andere heilende Maßnahmen verlangt.
5
Die Arbeit an und mit dem Buch
Welches ist nach der Theorie und aufgrund der Praxis ein erfolgreicher Weg, wenn die Strategie im Widerspruch zum Denken der Kapitalmärkte steht? – Mit dieser Frage wurden wir zwei Autoren in den verschiedenen Kontexten unserer beruflichen Sphären immer wieder konfrontiert. Vor Jahren wurde dazu in Zürich ein Symposium abgehalten, an dem Forscher und Unternehmensberater teilnahmen. In der Mehrheit vertraten sie die Ansicht, dass vom Prinzip her das Kapitalwertkriterium oder der DCF stets korrekt seien. Es sei allerdings schwierig (zum Beispiel bei Innovationen), die Cashflows „richtig“ zu prognostizieren, weil sie erst sehr viel später zu erwarten sind. Von daher erfahre der DCF eine praktische Beschränkung. Doch bleibe die „theoretische Korrektheit“. Auch heute noch vertreten viele Wissenschaftler, darunter besonders viele Vertreter des Gebiets der modernen Finance angelsächsischer Prägung, die Meinung, man solle das Denken der Kapitalmärkte tiefer in die Unternehmung hineintragen. Indessen zeigt die neuere Forschung, dass eine hinreichend genaue Prognose der Cashflows eben nicht nur an praktischen Schwierigkeiten scheitert. Vielmehr gibt es prinzipielle Gründe, weshalb vorteilhafte Investitionen gerade in den frühen Phasen nicht unbedingt einen positiven Barwert aufweisen – und deshalb nach den Spielregeln einer rein finanziellen Unternehmensführung abgelehnt würden. Diese Gründe – wir erwähnten das Wissen als innerhalb der Unternehmung erzeugtes und zur Verfügung stehendes öffentliches Gut sowie die nur langfristige Anbindung der Unternehmung an den Kapitalmarkt – werden jedoch übersehen, wenn keine Phaseneinteilung des unternehmerischen Geschehens vorgenommen wird. Es ist daher falsch (wie dies die Literatur zur Unternehmensbewertung suggeriert) die Unternehmung in einem permanenten Erntezustand zu sehen und alle Maßnahmen so zu beurteilen, als gehe es um eine Geldanlage im Kapitalmarkt. Diese Frage „stragisches oder finanzielles Denken?“ hat noch an Brisanz gewonnen, wenn man sich die Herausforderungen vergegenwärtigt, denen sich Unternehmungen heute stellen müssen: technologische Entwicklung, Globalisierung, Deregulierung und zunehmende Bedeutung der Kapitalmärkte – das Zusammenwirken dieser vier Treiber hat in den letzten zwei
13
Jahrzehnten zu einer noch nie da gewesenen Beschleunigung und Intensität des Wettbewerbs geführt. Die Dynamik und Komplexität der Umwelt haben enorm zugenommen, zugleich hat sich die von Unternehmen geforderte Reaktionsgeschwindigkeit vervielfacht. Diese Rahmenbedingungen machen die strategische Orientierung für Unternehmen zu einem schwierigen Unterfangen, sowohl was die Strategiefindung als auch was die Lebensdauer von Strategien anbelangt: Erfolgreiche Strategien erreichen heute schneller als früher ihr Verfallsdatum. Vor diesem Hintergrund kommt es für eine Unternehmung entscheidend darauf an, Opportunitäten schnell zu erkennen und zu ergreifen – selbst dann, wenn dafür die Strukturen des Unternehmens verändert und die strategische Richtung korrigiert werden müssen. Dies erfordert jedoch Mut zu Entscheidungen, deren Effekte nicht mehr langfristig auf den Euro durchgerechnet und nachgewiesen werden können. Angesichts der zunehmenden Komplexität und Dynamik der Umwelt stößt das klassische Planungs- und Entscheidungsinstrumentarium an seine Grenzen. Die typische – und Sicherheit vermittelnde – Planungskaskade mit einer bis zu zehnjährigen Zeitsperspektive der strategischen Planung, dem üblicherweise auf fünf Jahre ausgelegten Mittelfristplan und der operativen Planung sind nicht länger haltbar. Dies hat zur Folge, dass die strategische Planung – und damit letztendlich das gesamte Führungssystem – anders aufgesetzt werden muss: Noch stärker als früher kommt es auf eine dezentrale Ausrichtung von Strukturen an; sie sind die Voraussetzung, um Opportunitäten überhaupt zu erkennen. Die Bewältigung dieser neuen Herausforderung ist ein schwieriges Unterfangen: Es geht dabei schließlich nicht um abstrakte Gedankenspiele. Unternehmerische Entscheidungen haben reale Konsequenzen, die den Wohlstand vieler Menschen entweder mehren oder vernichten können. Insofern belässt es unser Buch nicht dabei, die Gegensätzlichkeit der beiden Lager des strategischen und finanziellen Denkens darzustellen. Vielmehr wollen wir aufzeigen, dass es beim unternehmerischen Denken nicht um einen „Entweder-oder-Antagonismus“ beider Ansätze geht. Sowohl die strategische als auch die finanzielle Sichtweise können der Entscheidungsfindung in der Unternehmensführung als Kompass dienen – vorausgesetzt man weiß, in welcher Phase sich das Unternehmen befindet.
Teil 2: Grundlagen
1
Markt oder Unternehmung?
Auf einen Blick: Der Markt und die Unternehmung sind zwei Formen wirtschaftlicher Kooperation. Was unterscheidet sie? Wo ist der Markt, wo die Unternehmung die leistungsfähigere Organisationsform? Der Markt funktioniert dort, wo möglicherweise parallel ablaufende Tauschhandlungen einer homogenen, in ihren Eigenschaften bekannten Ressource getätigt werden sollen. Er ist jedoch keine Einrichtung für sequenziell ablaufende, verschiedenartige Einzelschritte, die logisch oder zeitlich aufeinander folgen müssen. Hier kann die Unternehmung ihre Stärken ausspielen: Sie bringt mehrstufige Prozesse und längerfristige Allokationen zustande. Mit anderen Worten: Die Unternehmung tätigt Investitionen und wickelt sie ab.
1.1
Haushalten oder kooperieren
Wir beginnen unseren Weg in das Reich unternehmerischen Denkens mit einer Definition: Wirtschaften heißt, x
entweder mit Ressourcen haushälterisch umzugehen, wie es ARISTOTELES (384-322 v. Chr.) beschrieb, oder
x
vor dem Hintergrund des Einsatzes und der Transformation von Ressourcen mit anderen Personen zu kooperieren, wie es ADAM SMITH (1723-1790) lehrte.
Die haushälterische Weise ist jedermann geläufig, der auf eine einsame Bergwanderung geht. Man hat das Ziel vor Augen, kennt die verfügbaren Ressourcen wie die eigene Kraft, weiß um Gefahren und Risiken. Haushalten heißt, alles einzuteilen, nicht alles sofort zu verbrauchen, sparsam zu sein. Haushalten heißt weiter, vorsichtig zu sein und die eingegangenen Risiken so zu begrenzen, dass Rückschläge selbst getragen werden können. Denn auf zusätzliche Unterstützung oder Hilfe von außen darf man nicht hoffen. Es geht um die Selbstversorgung.1 Die haushälterische Vor-
1
Hierzu: KARL POLANYI: Aristoteles entdeckt die Volkswirtschaft, in: POLANYI (Hrsg.): Ökonomie und Gesellschaft, Frankfurt am Main 1979, S. 149-185. HANS CHRISTOPH BINSWANGER: Die Wachstumsspirale – Geld, Energie und
18
gehensweise ist erforderlich, wenn Kooperationen mit anderen Wirtschaftssubjekten ausscheiden und die betrachtete Wirtschaftseinheit ihr Ziel allein erreichen muss. Wer auf eine Expedition geht, nimmt alle Ressourcen selbst mit und teilt sie sparsam ein. Geld nützt in der Einsamkeit der Natur nichts. Wenn Ressourcen nicht marktfähig sind, ist für sie der haushälterische Umgang verlangt. Robinson Crusoe musste haushalten. Auch die Welt als Ganze sollte mit ihren nicht erneuerbaren Ressourcen haushälterisch umgehen. Wer im Notfall nicht auf Hilfe von außen hoffen kann, muss mit Risikomanagement erreichen, dass er auch im Worst Case überleben kann. Eine kleinere Unternehmung, die weder weiteres Eigenkapital noch Kredite von Banken erhält, muss einen haushälterischen Ansatz für ihre Kapitalverwendung einschlagen. Ein moderner Begriff für ein Wirtschaften nach diesen Prinzipien ist die Nachhaltigkeit. Sie weist darauf hin, dass ohne Unterstützung seitens Dritter der eingeschlagene Weg und die gewählte Geschwindigkeit bis zur Zielerreichung gleichmäßig durchgehalten werden können. Denn eine gleichförmige Bewegung ist stets ressourcensparender als ein ständiger Richtungswechsel mit Stop und Go. Nachhaltigkeit bei der Ressourcenverwendung und bei der Risikopolitik ist folglich ein Imperativ, wenn es sich bei der betrachteten Wirtschaftseinheit um die Welt als Ganze handelt. Der haushälterische oder nachhaltige Umgang mit Ressourcen für eine Wirtschaftseinheit wirkt unnötig restriktiv, wenn sich die betreffenden Ressourcen für einen Austausch mit anderen Wirtschaftseinheiten eignen. Eine Kooperation mit anderen Personen ist unter zwei Voraussetzungen möglich: 1.
Es gibt andere Wirtschaftssubjekte, die zu einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit bereit sind.
2.
Die Ressourcen eignen sich für eine interpersonelle und intertemporale Weitergabe.
In der überwältigenden Mehrzahl von Situationen sind beide Bedingungen erfüllt. Wir betrachten im Regelfall Wirtschaftseinheiten, die deutlich kleiner sind als die Welt als Ganze. Da bieten sich immer andere Wirtschaftssubjekte an, die für eine Zusammenarbeit in Frage kommen, etwa andere Unternehmungen als die gerade betrachtete Firma, andere Staaten, andere Generationen.
Imagination in der Dynamik des Marktprozesses. Metropolis-Verlag, Marburg 2006.
19
Oft sind diese anderen Einheiten zu einer Kooperation wirklich bereit. Die Möglichkeiten beginnen mit einem Tausch von Gütern (Naturaltausch) und gehen über eine gemeinsame Geld- und Kapitalwirtschaft bis hin zu sehr langfristigen Verträgen. Je dauerhafter eine Kooperation angelegt ist, desto mehr können sich die kooperierenden Seiten spezialisieren, wodurch letztlich alle Beteiligten Vorteile haben. Wenn hingegen die Kooperation unsicher ist oder immer wieder Störungen auftreten, wird sich keine Seite durch spezialisierende und irreversible Investitionen in eine Position vorwagen, in der sie bei einem Rückfall in die Selbstversorgung nur Nachteile hätte. Deshalb werden die Partner irgendwann nach Rahmenbedingungen streben, in denen die wirtschaftliche Kooperation auf Dauer und mit Verlässlichkeit ablaufen kann. Auf der Ebene von Nationen wird versucht, Handelsabkommen zu vertiefen und möglicherweise einheitliche Wirtschaftsräume zu schaffen. Auf der Ebene von Unternehmen kann ein Zusammenschluss zweier Firmen (Merger) in Erwägung gezogen werden. Man muss aber aufpassen: Eine Union wird zwar durch ihre „Starre“ verlässlich und erlaubt daher spezialisierende Investitionen und Spezialisierungsvorteile. Aber zugleich sinkt die innere Flexibilität der neu geschaffenen und größeren Einheit, externe Störungen elastisch aufzufangen. Die sinkende Fähigkeit zur „Risikoabfederung“ begrenzt die optimale Größe von Wirtschaftseinheiten. Diese generelle Erkenntnis wird immer wieder am Beispiel von Währungsunionen illustriert: Einige Autoren haben sich mit der optimalen Größe von Währungsräumen befasst. Zunächst ist der Vorteil einer Währungsunion zwischen zwei Ländern umso höher, je mehr sie durch Handel verbunden sind. ROBERT A. MUNDELL, der für seine Arbeiten 1999 den Nobelpreis erhielt, erkennt in der Volatilität der Währungsparitäten ein großes Hindernis für die Wohlfahrt. Von daher sollten Währungsräume möglichst groß sein. MUNDELL argumentierte, dass Währungsräume allerdings ihre optimale Größe überschritten haben, wenn dadurch die Weltwirtschaft keine Schocks mehr abfedern kann. Werden die Währungsräume größer, müssen andere Starrheiten aufgegeben werden. Hierzu empfahl er eine ausreichende Faktormobilität und flexible Arbeitsmärkte. Diese Gedanken sind anerkannt und wurden ausgebaut. Hinsichtlich des Absorbierens von Schocks zeigen Folgearbeiten, dass nicht allein eine hohe Faktormobilität förderlich ist. So wird bei einem größeren Währungsraum eine gewisse Elastizität bei den Institutionen empfohlen, zum Beispiel beim Staatshaushalt, um Schocks abzufedern.2
2
1. ROBERT A. MUNDELL: A Theory of Optimum Currency Areas. American Economic Review 51 (1961), S. 657-664. 2. RONALD MCKINNON: Optimum Currency Areas. American Economic Review 53 (1963), S. 717-724. 3. PAUL
20
Gelegentlich legt die eine oder andere Seite ohnehin Steine in den Weg zu einer tieferen wirtschaftlichen Integration. Das Maß, in dem jemand es vorzieht, für sich allein zu wirtschaften, und in dem eine Verzahnung der eigenen Aktivitäten mit denen anderer zugelassen wird, kann variieren. Unternehmen stehen immer wieder vor der Entscheidung, ob sie die Produktion von Komponenten selbst ausführen oder stattdessen diese als Vorleistungen von Dritten beziehen wollen. Neue Produkte und Produktideen können sowohl in einer eigenen Konstruktionsabteilung entwickelt oder von anderen Firmen gekauft werden. Das ist die Frage nach dem Outsourcing. Hier wird von einer Unternehmung die Frage gestellt, ob – bei Kooperation über den Markt – die Zulieferer nicht nur geringere Kosten haben, sondern auch hinsichtlich des technischen Fortschritts und bei anstehenden Innovationen der Partnerschaft kraftvolle Impulse geben. Unterschiedliche Geschwindigkeiten in der Weiterentwicklung können durchaus ein Hindernis für eine weitere Vertiefung der Kooperation darstellen. Einige „langsame“ Partner ziehen dann die Selbstversorgung vor. Zwar kommen sie durch Alleingang nicht in den Genuss von Spezialisierungsvorteilen, werden aber auch nicht durch den Markt zu einer Geschwindigkeit gedrängt, die sie überfordert. Für sich genommen, ist eine Ruhepause natürlich immer schön. Allerdings gilt zu beachten: Wer zwei Nachteile auf sich nimmt (Verzicht auf Spezialisierung, Schutz des langsameren Schritts), bleibt bald hoffnungslos zurück. Doch die Versuchung, sich für eine Ruhepause von einer Gruppe zu schneller Wanderer zu trennen, bleibt immer bestehen. Ist die betrachtete Wirtschaftseinheit ein Staat, so wird das Maß an Bereitschaft für eine zwischenstaatliche Kooperation oftmals über den Umfang von Kapitalverkehrskontrollen an eigene Bedürfnisse angepasst. Einige Länder sind hier sehr restriktiv, um die „wirtschaftliche Selbständigkeit“ und ihre „eigene Entwicklung“ zu bewahren (etwa Thailand), andere sind hingegen offen und sichern damit mehr Wohlstand für die Bürger (etwa Singapur). Ein Weiteres kommt hinzu: Die Bedingungen für die wirtschaftliche Kooperation, so sie denn von zwei (betrachteten) Partnern gleichermaßen gewünscht wird, sind Verhandlungssache. Jeder Vertrag hat explizite und implizite Elemente. Selbst bei offiziell bekundeter Bereitschaft zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit müssen wir uns von der Idee verabschieden, alle Partner hätten dieselbe Einstellung zur Fairness und niemand würde heimlich opportunistisch Vorteile für sich ergreifen. Das Recht, die Politik, DE GRAUWE: Economics of Monetary Union, 4. Auflage, New York 2000. 4. KLAUS ROSE und KARLHANS SAUERNHEIMER: Theorie der Außenwirtschaft. 14. Auflage, Vahlen, München 2006.
21
die Psychologie und nicht zuletzt Ethik, Religion und Moral zeigen uns nicht ohne Grund immer wieder die Vorteile, die für alle mit Tugenden wie Ehrlichkeit verbunden sind. Hinter diesen allgemeingültigen Wahrheiten steht die Tatsache, dass wirtschaftliche Kooperationen nicht nur aus klaren und expliziten Abmachungen bestehen, deren Einhaltung leicht überwacht werden kann. Viele implizite Vertragsbestandteile treten hinzu und sie werden – gerade weil sie nicht explizit sind – oftmals höchst unterschiedlich interpretiert. So kann es durchaus sein, dass wirtschaftliche Kooperationen letztlich auf Räume begrenzt bleiben, in denen eine übereinstimmende Kultur der Interpretation impliziter Vertragselemente anzutreffen ist. Auch die zweite Voraussetzung dürfen wir als meistens erfüllt betrachten. Besonders physische Ressourcen, standardisierte Güter und die Arbeitsleistung können zwischen Wirtschaftssubjekten weitergegeben werden. Zu einem guten Teil können auch die Zeitpunkte zwischen Verfügbarkeit und Verwendung auseinanderklaffen. Der Kauf von Material, der Kredit, der Verkauf von Produktionsergebnissen unterstreichen die große Bedeutung des Wirtschaftens als Kooperation zwischen Personen. Diese Personen können dabei – fast ohne Einschränkungen – als an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten lebend gedacht werden. Mit dem Wissen ist das hingegen anders. Zum Wissen und zum „Wissenskapital“ gehören nicht nur Kenntnisse, wie am besten produziert und abgesetzt wird. Zum Wissen gehören auch Signale, wie etwa die Bekanntheit oder die Marke. Abstrakte, nicht greifbare Vermögenspositionen (Assets) wie das Wissen sind meistens so fest in ihrer Umgebung verankert, dass sie isoliert für sich nicht so einfach transferiert werden können. Zudem: Nicht alles, was jemand weiß, kann für zukünftige Zeiten verfügbar gemacht werden. Zwar können Daten gespeichert werden, doch die Bedeutung des Wissens altert schnell mit der Mode und dem technischen Fortschritt. Beim Know-how in Konstruktion und Fertigung liegt diese Feststellung auf der Hand. Doch es trifft ebenso bei den anderen Formen von Wissenskapital zu. Man denke nur an den Aufwand, den Henkel über die Jahrzehnte hinweg betrieb, um die Marke Persil aktuell immer wieder mit neuem Leben zu erfüllen. Aufgrund seiner starken Verankerung in Ort und Zeit eignet sich das Wissen also weniger als Gegenstand in einer kooperativen Wirtschaftsbeziehung zwischen Personen. Auch für das Wissen ist daher in der Regel ein nachhaltiger, haushälterischer Ansatz verlangt. So wird eine Unternehmung bei ihren Kompetenzen einen nachhaltigen Ansatz für deren Pflege und Nutzung einschlagen.
22
Fazit: Über den bloßen Gütertausch hinaus erlaubt eine auf Dauer angelegte Kooperation spezialisierende Investitionen. Die Stabilität der kooperativen Beziehung verlangt eine festere Verzahnung, die bis zur Schaffung von Vereinigungen gehen kann. Allerdings stehen den Stabilisierungsvorteilen bei innerer Starrheit die Nachteile entgegen, dass Schocks und Krisen nicht elastisch aufgefangen werden können. Außerdem ist die optimale Größe einer Union durch den Aspekt begrenzt, dass die zusammenkommenden Partner in der Dynamik der Entwicklung (Innovationen) zur gleichen Geschwindigkeit fähig sein müssen. Und schließlich verlangen die impliziten Vertragselemente eine hinreichend übereinstimmende Kultur.
1.2
Hierarchie und Unternehmung
Die Tiefe der Verzahnung einer wirtschaftlichen Kooperation kann in Stufen differenziert werden (Abbildung 1-1). An den Extrema finden wir einerseits den sehr losen Markt und andererseits die Union. Ein Grundtyp einer solchen Union ist die Unternehmung. Sie hat eine eigene rechtliche Persönlichkeit, tritt also nach außen mit einer Stimme auf und geht Verträge mit Außenstehenden ein (indem sie mit der Firma unterschreibt). 1
Kooperation über den Markt: Alle benötigten Faktoren werden über Märkte bezogen und die Produkte werden über den Markt abgesetzt: • Keine Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen • Konzentration auf Kernkompetenzen
2
Ronald Coase: Die Benutzung des Marktes ist teuer. Transaktionen werden daher mit immer denselben Partnern durchgeführt. Es entsteht Vertrauen
3
Formierung einer Arbeitsgemeinschaft, die gegenüber Kunden als ARGE auftritt, wobei oftmals eine Partei die Rolle des Konsortialführers übernimmt
4
Armen Alchain: Um Hold up zu vermeiden, sind Langfristverträge notwendig. Die hohe vertikale Integration bleibt bestehen
5
Weiterentwicklung von Arbeitsgemeinschaften zu einer virtuellen Unternehmung. Die Partner investieren in die virtuelle Unternehmung
6
Übernahme/Akquisition/Merger/Union
Abbildung 1-1: Stufen der Intensität wirtschaftlicher Kooperation zwischen Markt und Union
23
Die Persönlichkeit „Unternehmung“ soll eine gewisse Lebensspanne haben, also zumindest eine gewisse Zeitdauer Bestand haben. Daher kann sie längerfristige Vorhaben und Verträge abwickeln und so den Rahmen bloßer Cash-and-Carry-Tauschhandlungen sprengen. Die Unternehmung kann folglich Vermögenspositionen aufbauen (und als ihr Eigentum schützen), während sie Verpflichtungen eingehen kann (aus denen sie sich natürlich nicht hinausstehlen kann). Die Vermögenspositionen sind vor allem Ergebnis von Investitionen, Verpflichtungen gehen auf Finanzierungen zurück. Durch die Einheitlichkeit der Unternehmung (eine Person) ist sie aber keine „lose“ Sammlung verschiedener Paare von Vermögensposition und Verpflichtung. Die Unternehmung ist nicht zerteilt. Die Verpflichtungen beziehen sich auf die Vermögenspositionen insgesamt und die Investitionen werden mit den Finanzierungen insgesamt ermöglicht. Die Unternehmung handelt, je nach Rechtsform, durch die Unternehmerpersönlichkeit oder durch ihre Organe, kurz: durch das Management. Wir können von einer einheitlichen Willensbildung ausgehen, die sich in allen Entscheidungen der Unternehmung ausdrückt. Damit hat die Unternehmung im Innern eine typisch hierarchische Führungsstruktur. Entscheidungen werden „vom Management“ getroffen und dann „umgesetzt“. Selbstverständlich werden dabei Personen, die sich mit ihrem Arbeitsvertrag in diese Ordnung einfügen, motiviert und als Menschen mit Würde behandelt. Doch letztlich werden Anweisungen getroffen und müssen befolgt werden. Die Hierarchie ist für Unternehmen durchaus zweckgerecht: Sie erhöht offensichtlich die Geschwindigkeit, mit der die Unternehmung (in einem dynamischen Umfeld) agieren und reagieren kann. Zweifellos wirken dabei gewisse Bindungen, die bei Gründung durch die Statuten oder durch die Wahl der Rechtsform etabliert werden. Beispielsweise kann dadurch ein Tätigkeitsfeld beschrieben und möglicherweise auch eine inhaltliche Zielsetzung vorgegeben werden. Die Rechtsform und allgemeine Gesetze für Unternehmen können auch regeln, ob und bei welchen Entscheidungen Mitarbeiter einzubinden sind. In Unternehmungen, die ursprünglich vom Staat gegründet worden sind, haben oftmals Vertreter der Regierung ein Vetorecht. Dennoch ist die Unternehmung – das Management – sehr frei in der Willensbildung und übernimmt folglich im Regelfall die Zielsetzung, die von den Gründern und von denjenigen erwartet werden, die sich an der Finanzierung der Vorhaben durch Risikokapital beteiligen. Dabei wird meist eine wirtschaftliche Zielsetzung dominant. Um sie zu erreichen, kommt die Unternehmung zu der für sie typischen, dynamischen Aktivität. Im Unternehmertum werden neue Tätigkeitsfelder aufgegriffen oder erschlossen, Arbeitsmöglichkeiten für Mitarbeiter geschaffen, Entwicklungen angegangen, Produkte hergestellt und Services
24
angeboten. SCHUMPETER – wir kommen auf diesen großen Ökonomen noch zu sprechen – sah im Unternehmer die tragende Kraft unserer Wirtschaftsordnung. Der überwiegende Teil unseres Wirtschaftslebens geht auf unternehmerische Tätigkeit zurück. OLIVER WILLIAMSON hat mit seinen wissenschaftlichen Untersuchungen gezeigt, wann die hierarchische Entscheidungsstruktur anderen Modellen der gemeinsamen Willensbildung überlegen ist. Insbesondere hat Williamson die Hierarchie mit dem Markt verglichen und das Konzept der Unternehmung als einer „Governance Structure“ entwickelt. In seiner Vertragstheorie spielen zwei Begriffe eine zentrale Rolle: x
Die Spezifizität der Assets (im Unterschied zu einer universellen Verwendbarkeit). Ganz klar: Vermögenspositionen mit einer hohen „Asset Specificity“ müssen völlig anders geschützt werden als ein Substanzwert, der überall gleich gute Verwendung finden kann.
x
Die Wirksamkeit von „Safeguards“, also von Maßnahmen, mit denen ein glaubhafter Vertrag geschlossen und die getroffenen Vereinbarungen tatsächlich eingehalten werden. Die Wirksamkeit von Safeguards wird zum einen durch die Unsicherheit und Dynamik bestimmt, die von außen einwirken. Zum anderen kommt es darauf an, ob und wie zweifelsfrei die externen Einflüsse – und von welcher Vertragsseite – beobachtet werden können. In der Vertragstheorie entstehen verschiedene Kombinationen hinsichtlich beider Begriffe und ihrer Ausprägungen, die in der Übersicht 1-1 dargestellt werden.
Mit dem Markt und der Unternehmung ist die Liste von Einrichtungen für das Wirtschaften nicht erschöpft. Verschiedene Kooperationsformen treten allein oder in Kombinationen seit Jahrhunderten immer wieder auf. Insgesamt bilden vier Organisationsformen die Grundlage: 1.
der Markt,
2.
die Unternehmung,
3.
der Staat mit seiner auf Regeln beruhenden Tätigkeit,
4.
die Partnerschaft (wie in Familien) mit einem deutlichen, durch implizite Kontrakte begründeten Zusammenhalt.
Achtung: Wenn in der Literatur die Unternehmung mit der Hierarchie assoziiert wird, so heißt das nicht, dass es in unseren heutigen Unternehmungen nicht auch marktwirtschaftliche Elemente oder Regeln geben würde. Doch bleibt die Hierarchie aufgrund des Willens des Unternehmers dominant. Er entscheidet mit seiner Unterschrift (Firma), welche Verträge
25
eingegangen werden und führt sie unter der Firma zusammen. Die Unternehmung ist ein Nexus von Verträgen.3 Ähnlich legt der Staat Rahmenbedingungen primär durch seine Gesetzgebung fest; gleichwohl finden sich auch im öffentlichen Bereich die anderen Koordinationsmechanismen. Dasselbe ist für eine Partnerschaft zu sagen. Bei ihr stehen die Empathie (zahlreiche implizite Kontrakte) und die Gemeinsamkeit der Willensbildung im Vordergrund. Dennoch wirken bei allen Partnerschaften auch, aber eben nachgeordnet, marktwirtschaftliche und hierarchische Elemente sowie Regeln.
1.3
Markt und Unternehmung – eine Gegenüberstellung
Der Markt ist die „leichteste“ Kooperationsform und führt daher zu „effizienten“ Allokationen. Interessanterweise ist der Markt als wirtschaftliche Kooperationsform historisch erst nach der Hierarchie, der Partnerschaft und dem Regelwerk entstanden.4 Das liegt wohl daran, dass gewisse Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit ein Markt überhaupt in Funktion gelangt: Vor Risiko des Marktversagens allem müssen die dort getauschten Güter Die frühen Arbeiten von GEORGE A. der Art und Qualität nach bekannt sein – AKERLOF, A. MICHAEL SPENCE und JOSEPH andernfalls kann sich kein schneller Handel STIGLITZ – die drei Forscher wurden 2001 vollziehen. Mit anderen Worten: Der Markt mit dem Nobelpreis ausgezeichnet – haeignet sich für die interpersonelle Übertraben gezeigt, dass auf einem Markt zwigung homogener Ressourcen standardisierschen Anbieter und Nachfrager nicht zu ter Art. Güterarten, die in ihren Eigenschafgroße Informationsunterschiede hinsichtten allgemein bekannt sind, sind jedoch erst lich der Qualität des gehandelten Guts beim Verlauf der Zeit entstanden. Deshalb hat stehen dürfen, weil es sonst zu Marktdas Wirtschaften historisch nicht mit den versagen kommt. Märkten begonnen, sondern mit der Partnerschaft und dem Staat. Aufgrund der Offenheit der Märkte ist es allen Personen möglich, mit einem persönlichen Angebot oder einer individuellen Nachfrage die eigenen
3
MASAHIKO AOKI, BO GUSTAFSSON und OLIVER WILLIAMSON: The Firm as a Nexus of Treaties. Sage Publications, London 1990.
4
RICHARD A. POSNER: Anthropology and Economics. Journal of Political Economy 88 (1980) 3, S. 608-616.
26
Vorstellungen einzubringen und so die persönliche Nützlichkeit auszudrücken. Auf diese Weise erzeugen Märkte mit den Preisen ein allgemein geteiltes Urteil über die Wertigkeit der Ressource. Das Lexikon definiert als wertvoll, was nach einem Prozess der gesellschaftlichen Entwicklung und Reife von der Mehrheit gewünscht wird. In einer von Märkten dominierten Wirtschaft ist daher der Wert einer Sache durch ihren Marktpreis gegeben. Angesichts dieser positiven Eigenschaften ist der moderne Ökonom geneigt, dem Markt den Vorzug unter allen Kooperationsformen zu geben: Das Marktgeschehen ist einfach, führt zu effizienten Allokationen und zeigt mit den Preisen die Wertigkeit als Zusammenfassung der Nützlichkeitsvorstellungen aller am Marktgeschehen Teilnehmenden. Aufgrund dieser Vorzüge spricht der Ökonom den anderen Kooperationsformen (Hierarchie, Partnerschaft, Regelwerk) erst in solchen Situationen eine Existenzberechtigung zu, in der es zu Marktversagen kommt. Diese Bemerkung ist für uns wichtig: Die Unternehmung (ebenso wie die anderen Einrichtungen) hat ihre Daseinsberechtigung und spielt ihre Stärken dort aus, wo der Markt Schwächen zeigt oder versagt. Der Markt funktioniert dort, wo möglicherweise parallel ablaufende, zahlreiche Tauschhandlungen einer und in ihren Eigenschaften bekannten homogenen Ressource bewerkstelligt werden sollen. Rohstoffe, Kreditverträge, Wertpapiere und Konsumgüter sind marktfähig. Der Markt kann gleichartige, parallel ablaufende Transaktionen bewerkstelligen. Er ist hingegen keine Einrichtung für sequentiell ablaufende, verschiedenartige Einzelschritte, die logisch oder zeitlich aufeinander folgen müssen. So bietet der Markt keine Einrichtung für Investitionen. Zwar können diese auf einem Markt angebahnt werden, doch die Durchführung von mehrstufigen oder längerfristigen Prozessen verlangt eine andere Kooperationsform. Ein Beispiel: Der Bau der 1.200 Kilometer langen Ostsee-Pipeline, durch die ab 2010 Erdgas direkt von Russland nach Deutschland strömen soll, war nur durch die Gründung der Betreibergesellschaft Nord Stream möglich. Mit einer bloßen Kooperation der beteiligten Partner hätte sich das Projekt nicht verwirklichen lassen. An dem Gemeinschaftsunternehmen Nord Stream sind der russische Energiekonzern Gazprom sowie die deutschen Konzerne E.ON und BASF beteiligt.
27
Auf einem Markt können zwar Aktien und Anrechte auf die Ergebnisse von Investitionen gehandelt werden. Doch nach dem Transfer eines Wertpapiers ist der Markt wieder geräumt und kann geschlossen werden. Die weitere Abwicklung der Investition, deren Anrechte zwischen Personen übertragen werden, geschieht hingegen in einer anderen wirtschaftlichen Einrichtung. Märkte verlieren ihre Kraft, wenn es eher um Transformationen von Ressourcen als um Transaktionen geht. Eine Transformation vollzieht sich in mehreren Schritten und in der Zeit. Wenn längere Sequenzen verschiedener Einzelschritte verlangt sind, sind Märkte nicht mehr dazu in der Lage, diese Zeit und Logik verlangenden Prozesse zu organisieren. In diesem Sinn eignen sich Märkte eher für kurzfristige als für langfristig stabile Allokationen. Märkte scheitern bei der Durchführung längerfristiger Vorhaben. Wenn ein Vorgang in verschiedenen Phasen abläuft, stößt der Markt an seine Grenze.5 Im Rahmen einer über den Markt ablaufenden Transaktion können durchaus noch gewisse Transformationen an dem Gut erfolgen, das getauscht wird, sofern sie einfach sind. Zu den einfachen Transformationen gehört die Teilung, also eine Mengentransformation. Ebenso kann ein Transport erfolgen oder eine kurzzeitige Lagerung, also eine Transformation des Ortes oder des Zeitpunktes der Übergabe. Oft werden solche Transformationen von Maklern oder Market-Makern vorgenommen, die das Marktgeschehen begünstigen. Gelegentlich nehmen diese Helfer und Intermediäre auch einfache Bündelungen vor, beispielsweise, indem sie das gehandelte Gut mit einer Information versehen, etwa mit einer Garantie. Einfache Transformationen und einfache Bündelungen werden noch dem Markt als Institution zugerechnet. Längerfristige Transformationen, mehrstufige Prozesse und komplexere Bündelungen kann ein Markt aber nicht mehr bewerkstelligen. Hierzu bedarf es anderer Kooperationsformen. Werden komplexere Bündelungen mehrerer Ressourcen verlangt, dann ist ein zentraler Koordinator nötig. Hier ist die Unternehmung gefordert. Märkte sind hingegen als Kooperationsform stark, wenn die Tauschhandlungen unkoordiniert und parallel ablaufen können, ohne dass eine zentrale Stelle tätig wird. ADAM SMITH spricht von der „unsichtbaren Hand“.
5
KENNETH J. ARROW: Wo Organisation endet – Management an den Grenzen des Machbaren. Gabler, Wiesbaden 1980.
28
Gegenstand der Tauschhandlungen auf einem Markt ist zudem kein öffentliches Gut, sondern ein privates. Das heißt: Mit der Übernahme seitens des Käufers muss es der Verkäufer abgeben. Der 1970 mit dem Nobelpreis geehrte PAUL A. SAMUELSON hat bewiesen, dass sich die Marktwirtschaft bei öffentlichen Gütern schwer tut. Denn der Einzelne kann, sobald ein öffentliches Gut von anderen geschaffen und bereitgestellt wird, nicht mehr vom Konsum ausgeschlossen werden, und sein Konsumieren würde auch die Nutzung des öffentlichen Guts durch andere nicht einschränken. Deshalb wartet jedermann zu und hofft auf einen Free Ride. Niemand ist bereit, für die Schaffung des öffentlichen Guts zu sorgen und dafür zu bezahlen. In einer Marktwirtschaft kommt es daher immer wieder zu einer Unterversorgung mit öffentlichen Gütern. Die Unternehmung spielt dort ihre Stärken aus, wo der Markt an die eben beschriebenen Grenzen kommt. x
Die Unternehmung bringt im Gegensatz zum Markt mehrstufige Prozesse und längerfristige Allokationen zustande, also aus einheitlicher Sicht koordinierte Sequenzen verschiedener Transformationsschritte. Mit anderen Worten: Die Unternehmung tätigt Investitionen und wickelt sie ab.
x
Die Unternehmung kann komplexere Bündelungen vornehmen, bei denen die Art der Kombination und die in die Kombination einzubeziehenden Ressourcen nicht auf Anhieb ersichtlich sind.
x
Der Unternehmung sind Aktivitäten möglich, die (innerhalb der Unternehmung) öffentliche Güter erzeugen und verwenden.
Die Unternehmung ist stark, wenn komplexere Bündelungen und ausgedehnte Sequenzen von Einzelschritten ablaufen müssen, wenn also längerfristige Zusammenfügungen verschiedenster Ressourcen und mehrstufige Prozesse verlangt sind und dabei öffentliche Güter entstehen und verwendet werden. Mit diesen Überlegungen wird dem Markt keine Schwäche zugeschrieben. Der Markt ist stark bei dem, was er kann: Er kann mit Leichtigkeit und Schnelle zahlreiche Tauschhandlungen mit privaten Gütern vollziehen, ohne dass eine zentrale Koordination oder Ablaufplanung vorgenommen werden muss. Es geht folglich um eine Grenze, die der Markt als Organisationsform vom Grundsatz her aufweist. Für wirtschaftliche Kooperationen jenseits der Grenze des Marktes müssen andere Organisationen geformt werden. Die für uns wichtigste ist die Unternehmung.
29
Ein Gut ist privat, wenn durch seinen Konsum oder seine Nutzung ausgeschlossen ist, dass auch andere Personen dieses Gut konsumieren oder nutzen. Ein Gut ist öffentlich, wenn der Konsum oder Nutzung durch Einzelne den Konsum oder die Nutzung durch andere nicht ausschließt. Private und öffentliche Güter sind Extrema. Viele Güter sind nicht rein privat, sondern zeigen positive Externalitäten: Die Nutzung durch eine Person stiftet auch noch im Umfeld einen gewissen Nutzen (etwa ein gepflegter Garten). Zudem gibt es Güter, die nicht rein öffentlich sind, weil ihre Inanspruchnahme negative Externalitäten erzeugt. So zeigt die Infrastruktur, etwa ein Straßennetz, die bekannten Überlasteffekte (Congestion). Auch besagen diese Überlegungen nicht, dass eine Unternehmung nun alle Funktionen selbst ausführen muss, die in einer langen und sich verzweigenden Kette von Prozessen auftreten. Der Vergleich zwischen Markt und Unternehmung sagt nicht, der Hersteller eines Autos müsse alle Komponenten selbst produzieren. Durch die Entfaltung der Märkte, die Entstehung von Unternehmensnetzwerken und andere Formen der Zusammenarbeit kann sich eine Unternehmung heute stark auf ihre Kernkompetenzen fokussieren. Doch selbst dann, wenn sie sich wirklich zentriert, führt sie in ihrem Kerngebiet immer noch komplexe Vorgänge aus. Andernfalls würde sie sich im Markt auflösen wie Zucker im Tee. MARKT
UNTERNEHMUNG
Parallele Transaktionen eines in sich homogenen Guts
Transformationen, also längere Sequenzen aufeinander folgender Einzelschritte
Abschluss des Marktgeschehens in kürzester Zeit
Abschluss in der längeren Frist
Allenfalls einfache Transformationen und einfache Bündelungen
Komplexe Transformationen und Bündelungen
Private Güter
Auch öffentliche Güter
Jeweils zwei Parteien
Einbindung mehrerer Parteien
Dezentrale Handlungen
Zentraler Koordinator (Unternehmer)
Übersicht 1-1: Gegenüberstellung von Markt und Unternehmung als zwei bedeutsamen Kooperationsformen
Unternehmen beginnen, wo der Markt endet, wie KENNETH ARROW sagt. Unternehmen stellen eine neue Form von Organisation dar, die anders ist und anderes zuwege bringen kann als Märkte. Dass es Unternehmen gibt,
30
Irrelevanztheoreme FRANCO MODIGLIANI (1918-2003) und MERTON H. MILLER (1923-2000) haben vor fünfzig Jahren Irrelevanztheoreme formuliert. Sie zeigen: Die Maßnahme eines Unternehmers oder Managers kann keinerlei zusätzlichen Wert bringen, wenn sie von den Marktteilnehmern selbst auch herbeigeführt werden könnte. Wer also eine Unternehmung gründet und das Unternehmensgeschehen auf einfache Transaktionen beschränkt, auf einfache Bündelungen, ohne dass öffentliche Güter hineinspielen, der kann damit keine Wertsteigerung erzielen. Zu leicht können die Marktteilnehmer die Ergebnisse einer solchen Unternehmung selbst herbeiführen. Die Unternehmung ist hingegen im Vorteil, wenn die von ihr erzeugten Produkte und Leistungen nicht durch einfache Transaktionen privater Güter möglich sind.
dass sie notwendig und für die Gesellschaft wünschenswert sind, ergibt sich demnach aus dem Unvermögen der Märkte, alle wirtschaftlich notwendigen Kooperationen zu vollziehen. Auch die Unternehmung hat ihre Grenze: Würde der Unternehmer nur das versuchen, was im Prinzip auch der Markt kann, so geriete er wegen der hohen Leistungsfähigkeit des Marktes schnell ins Hintertreffen. Um das zu schaffen, was im Markt als wertvoll angesehen wird, muss die Unternehmung längerfristige Allokationen, insbesondere Investitionen und komplexe Bündelungen unter Verwendung und Erzeugung von Ressourcen vornehmen, die im Innern der Unternehmung öffentlich sind. Wollte sie nur tun, was die Marktteilnehmer auch selbst erreichen können, wäre sie dem Markt unterlegen. Diese Feststellung ergibt sich aus der vorgeführten Unterscheidung der jeweiligen Stärken von Markt und Unternehmung. Es ergeben sich zwei Folgerungen:
1.
Die Unternehmung muss diejenigen öffentlichen Güter gegenüber dem äußeren Markt schützen, die bei ihren internen Kombinationen und Bündelungen verwendet werden (Fähigkeiten) und die bei ihren Aktivitäten entstehen (Wissen). Sie muss ein „Inneres“ der Unternehmung vom „Äußeren“, von den Märkten, unterscheiden.
2.
Sie muss im Inneren an vielen Stellen anders entscheiden, als dies den Teilnehmenden an den äußeren Märkten richtig erscheint. Denn würde sie in allen Einzelschritten genau nach den Wertvorstellungen im Markt vorgehen, käme es zu einer falschen Bewertung dieser öffentlichen Güter, von Fähigkeiten und Wissen.
1.4
Innere und äußere Schichten
Die wichtigsten Aussagen lauten erstens: Unternehmen können Ergebnisse bringen, die im Markt als wertvoll anerkannt werden, sofern sie dabei
31
Leistungen vollziehen, zu denen die Marktteilnehmer direkt und selbst nicht in der Lage sind. Das sind: x
Komplexere Bündelungen (Kombinationen) verschiedener Ressourcen unter Wirkung öffentlicher Güter – weil der Markt allenfalls einfache Bündelungen und den Tausch privater Güter zustande bringt.
x
Transformationen, also mehrstufige Prozesse und Sequenzen logisch wie zeitlich aufeinander folgender Schritte, kurz Investitionen und ihre wirtschaftliche Verwendung über die Zeit hinweg – weil der Markt allenfalls sehr einfache, aber keine längeren Transformationen bewerkstelligt.
Die wichtigste Aussage lautet zweitens: Eine gewisse Abgrenzung des unternehmerischen Geschehens gegenüber den Märkten ist aus diesen Gründen erforderlich: x
Die öffentlichen Güter der Unternehmung müssen geschützt werden.
x
Gerade solche Allokationen und Koordinationen müssen in der Unternehmung möglich werden, die aus Sicht der Marktteilnehmer anders getroffen werden sollten.
Die „Schutzhülle“ der Unternehmung muss also den direkten Nutzungszugriff auf die intra-öffentlichen Güter verhindern oder einschränken, und sie muss den Durchgriff von Entscheidungen abwehren.
Intra-öffentliche Güter Dabei handelt es sich um Ressourcen, die zwar innerhalb der Unternehmung öffentlich sind, aber nicht extern konsumiert bzw. genutzt werden sollen. Beispiele dafür sind in Wissensmanagementsystemen oder im Intranet gespeicherte Informationen. Auf sie haben die Mitarbeiter der Unternehmung Zugriff, aber die Weitergabe an Außenstehende ist untersagt. Zur Kategorie der intra-öffentlichen Güter können auch Shared Services gerechnet werden, etwa die IT- oder die Research-Abteilung.
Letzteres gilt vor allem bei jenen Schritten der Prozesskette, bei denen die öffentlichen Güter verwendet (Fähigkeiten) oder erzeugt (Wissen) werden. Das ist bei den früheren Schritten eher als bei den späteren der Fall, und zwar aus zwei Gründen: Bei den früheren Schritten steht die Schaffung von Potenzialen für die weiteren Schritte im Vordergrund, also die Erzeugung öffentlicher Güter, die von nachfolgenden Prozessschritten als Input verwendet werden können. Diese Potenziale werden in den frühen Schritten durch komplexe Bündelungen erzeugt, bei denen verschiedenste Ressourcen, insbesondere Wissen, also öffentliche Güter, einfließen.
32
Kurz: In den früheren Schritten werden öffentliche Güter erzeugt und verwendet. Bei den späteren Schritten stehen hingegen Veränderungen eher privater Güter im Mittelpunkt, die deshalb durchaus aus Sicht des Marktes beurteilt werden können. Auch die Ergebnisse der späteren Schritte sind als Output aus Sicht des Marktes gestaltbar. Aufgrund dessen erleichtert es die Analyse, innerhalb der „Schutzhülle der Unternehmung“ zwei Bereiche zu unterscheiden, nämlich innere und äußere Schichten. x
Die inneren Schichten umfassen die frühen Phasen und komplexen, firmenspezifischen Kombinationen.
x
Die äußeren Schichten umfassen spätere Phasen und Transformationen, die eher nach allgemein bekannten Prozessen ablaufen.
In den Bereichen, die den frühen Phasen und den inneren Schichten zuzurechnen sind, werden öffentliche Güter erzeugt (Potenziale) und verwendet (Wissen). Bei den späten Phasen und äußeren Schichten stehen Transformationsprozesse im Mittelpunkt, die vorwiegend mit privaten Gütern bewerkstelligt werden. Die frühen Phasen und die inneren Schichten verlangen vom Marktdenken unabhängige Entscheidungen, die späteren Phasen erfordern marktnahe Entscheidungen. So stößt man an eine grundsätzliche Schwelle, wenn ein finanzielles Führungssystem immer mehr nach innen differenziert und vertieft werden soll. Die finanzielle Führung versagt in den frühen Phasen und in den Bereichen, die zu den inneren Schichten gehören, wo komplexe Kombinationen unter Verwendung intra-öffentlicher Ressourcen (wie Kompetenz und Wissen) vorgenommen und geschaffen werden. Hingegen sollte das marktnahe Denken in den späteren Phasen und in den äußeren Schichten greifen, wo bei den Transformationen überwiegend private Güter als Input verwendet und als Output ausgebracht werden. So ist eine Phasenbetrachtung deshalb nützlich, weil die früheren Phasen und der „innere Kern“ unternehmerischen Geschehens am weitesten von dem entfernt sind, was der Markt direkt schaffen kann.
33 FRÜHE PHASEN UND INNERE SCHICHTEN
SPÄTE PHASEN UND ÄUSSERE SCHICHTEN
Komplexe Kombinationen
Transformationen
Unter Verwendung und Entstehung öffentlicher Güter
Überwiegend private Güter, nur geringe Involvierung öffentlicher Güter
Bedeutung unternehmensspezifischer Ressourcen
Nach allgemein bekannten Technologien
Entscheidung aufgrund der internen Zielsetzung (Strategie)
Entscheidung aufgrund der externen Wertvorstellungen (finanzielle Führung und Investitionsrechnung)
Übersicht 1-2: Zur Unterscheidung von inneren Schichten und äußeren Schichten
Hier, in den frühen Phasen und in den inneren Schichten, besteht daher die Möglichkeit der Grundlegung von Potenzialen für die spätere Ausbringung von Leistungen, die der Markt schätzt. In diesen Phasen und Kernbereichen muss sich der Unternehmer vom Marktdenken entfernen und seiner eigenen Sicht folgen, gerade um später Ergebnisse zu erzielen, die dann im Markt als wertvoll anerkannt werden. Wir werden vier Phasen betrachten. Die erste Phase der Positionierung schafft Potenziale für alle folgenden Phasen. Hier wird vor allem Wissen verwendet, um Potenziale zu generieren. In dieser frühen Phase stehen öffentliche Güter sowohl auf der Input- als auch auf der Outputseite. Es schließen sich als Zweites die Entwicklung und der Aufbau an. In dieser Phase werden vor allem unternehmensinterne öffentliche Güter, wiederum Wissen, dazu verwendet, ein durchaus privates Gut zu erzeugen: ein neues Produkt. Aufgrund der Involvierung öffentlicher Güter stoßen hier Finanzrechnungen an ihre Grenzen. Entscheidungen müssen daher mit einem Strategieansatz getroffen werden. Die dritte Phase beginnt mit der Produkteinführung und führt über die Marktdurchdringung zum Wachstum. Hier beginnt der Prozess der Transformation eines grundsätzlichen Wettbewerbvorteils in das wirtschaftliche Ergebnis, weshalb marktnähere Überlegungen gegenüber dem strategischen Denken immer mehr Gewicht erhalten. Gleichwohl sind noch Güter mit Öffentlichkeitscharakter beteiligt (und müssen aufgebaut werden), so etwa die Marke. In der vierten Phase dienen die Absatzbemühungen vollständig dazu, in wirtschaftlichen Erfolg umgewandelt zu werden. Die dabei zu treffenden Entscheidungen können praktisch allein aus Marktsicht getroffen werden.
34
1.5
Zusammenfassung
Unternehmen sind als Institution wirtschaftlicher Kooperation aus drei Gründen notwendig: 1.
Unternehmen bringen mit langfristig angelegtem Handeln (lange Sequenzen von Einzelschritten) Ergebnisse zuwege, die der Markt nicht schafft; denn Marktteilnehmern fehlt der langfristige Blick. Das Marktgeschehen ist auf den schnellen Vergleich, den Handel, auf Abschlüsse und auf Transaktionen fokussiert, nicht aber auf die Verwirklichung eines nachhaltigen Vorhabens.
2.
Unternehmungen bringen komplexere Bündelungen von Ressourcen zuwege. Märkte sind dazu nicht in der Lage. Der Markt hat seine Stärke bei einfachen Transaktionen und versagt bei komplexen Bündelungen.
3.
Unternehmen können Güter mit Öffentlichkeitscharakter verwenden und erzeugen. Auch mit der Allokation öffentlicher Güter stößt der Markt an seine Grenzen.
So geht die Wertschöpfung der Unternehmung darauf zurück, dass sie etwas leistet, was der Markt allein nicht zuwege bringt. Um die Grenzen des Marktes für die Wirtschaft als Ganze zu überwinden, muss der Unternehmer „sein eigenes Reich“ schaffen können, und er muss die Möglichkeit haben, aus seiner (langfristig angelegten, verschiedene Aspekte integrierenden) Perspektive heraus immer wieder Einzelentscheidungen im Innenbereich treffen zu können, die so vom Markt nicht verstanden werden. Viele Einzelentscheidungen des Unternehmers kann der Markt mit seinen vergleichsweise einfachen Vergleichen und seinem eher kurzfristigen Denken oft nicht nachvollziehen. Allerdings ist es zweckmäßig, Phasen und Schichten zu unterscheiden. In den frühen Phasen des unternehmerischen Geschehens muss bei Entscheidungen die interne Zielsetzung (Strategie) leiten. In den späten Phasen können Entscheidungen anhand von marktnahen Kalkulationen vorgenommen werden.
35
1.6
Literaturempfehlungen
1.
Erklärungen für die ökonomischen Kooperationsformen bietet: OLIVER E. WILLIAMSON: Die ökonomischen Institutionen des Kapitalismus. Verlag Mohr Siebeck, Tübingen 1990.
2.
Klassische Aufsätze: 1. RONALD H. COASE: The Nature of the Firm. Economica 4 (1937), S. 386-405. 2. ARMEN A. ALCHIAN UND HARALD DEMSETZ: Production, Information Costs, and Economic Organization. American Economic Review 62 (1972), S. 777-795. 3. MICHAEL C. JENSEN und W. H. MECKLING: Theory of the Firm: Managerial Behavior, Agency Costs and Ownership Structure. Journal of Financial Economics (1976) 3, S. 305-360. 4. EUGENE F. FAMA: Agency Problems and the theory of the firm. Journal of Political Economy 88 (1980), S. 288-307. 5. ROBIN MARRIS und DENNIS C. MUELLER: The Corporation, Competition, and the Invisible Hand. Journal of Economic Literature 18 (1980), S. 32-63. 6. SANFORD J. GROSSMAN und OLIVER D. HART: The costs and benefits of ownership: a theory of vertical and lateral integration. Journal of Political Economy 94 (1986) 4, S. 691-719. 7. SHERWIN ROSEN: Managerial Compensation, Control, and Investment; in: HORST SIEBERT (Hrsg.): Trends in Business Organization: Do Participation and Cooperation Increase Competitiveness? Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel. Verlag Mohr, Tübingen 1995, S. 143-158. 8. ROB GOFFEE und GARTH JONES: What Holds the Modern Company Together. Harvard Business Review (1996), S. 133-148.
2
Ressourcen
Auf einen Blick: Wir knüpfen an das letzte Kapitel an: Unternehmerisches Geschehen vollzieht sich in Stufen oder Phasen. Investitionen und Transformationsprozesse der späteren Phasen bauen auf Vorleistungen der früheren auf und sind durch diese Vorleistungen verknüpft. Der Zusammenhang geht auf nicht marktfähige Vorleistungen zurück sowie auf solche, die Externalitäten zeigen und wie ein öffentliches Gut von mehreren folgenden unternehmerischen Aktivitäten genutzt werden können (ohne sich dadurch zu verbrauchen).
2.1
Eine Ressourcen-Typologie
2.1.1
Zwei Merkmale
Unternehmerisches und überhaupt ökonomisches Geschehen vollzieht sich in Transformationsprozessen, die miteinander verknüpft sind. So haben jene Ressourcen zentrale Bedeutung, die bei den Transformationen als Input oder Output erscheinen und zwischen den verknüpften Prozessen weitergegeben werden. Der Begriff der Ressource ist sehr weit gefasst. Von der Schraube über die Versicherungsleistung und die Infrastruktur des Landes bis hin zum Wissen – es handelt sich stets um Ressourcen. Entscheidungen hängen natürlich stark vom Charakter der involvierten Ressourcen ab. Doch nach welchen Merkmalen sollte man Ressourcen in Kategorien einteilen? Wir suchen eine Typologie, die für die Frage nützlich ist, ob die im Zusammenhang mit der Ressource stehenden Entscheidungen aus einer strategischen oder eher aus einer finanziellen Perspektive zu treffen sind. Dabei erweisen sich zwei Merkmale als kraftvoll: x
Kann die Ressource von einer Unternehmung an die Außenwelt verkauft beziehungsweise von dort bezogen werden? Ist sie also marktfähig? Falls nicht, handelt es sich um eine rein unternehmensintern erzeugte und intern benötigte Ressource.
x
Handelt es sich bei der Ressource um ein privates oder um ein öffentliches Gut? Im ersten Fall wird durch die Ressourcenverwendung an einer Stelle verhindert, dass sie auch einer zweiten Stelle in der Unternehmung zur Verfügung gestellt werden kann. Im Fall des öffentli-
38
chen Guts kann die Ressource frei zur Verfügung gestellt und von allen genutzt werden, ohne dass jemand auszuschließen wäre. Warum sind diese beiden Merkmale für unsere Frage Strategie versus Finanzen so wichtig? Bei der Marktfähigkeit liegt die Antwort auf der Hand. Marktfähigkeit ist gegeben, wenn es für die Ressource einen lebendigen Austausch sowie einen regen Handel gibt und nicht nur vereinzelte Übergaben zwischen der Unternehmung und ihrer Außenwelt. Eine marktfähige Ressource hat somit einen Marktpreis. Daraus können schnell Kosten (wenn ein Kauf in Erwägung gezogen ist) oder Ertragsgrößen (bei einem Verkauf) hergeleitet werden. Bei marktfähigen Ressourcen bieten sich infolgedessen Kosten- und Finanzrechnungen an, um Entscheidungen zu unterstützen. Wer marktnah operiert, kommt unter Beobachtung der Marktpreise schnell zu richtigen Entscheidungen. Bei nicht marktfähigen Ressourcen ist es schon etwas schwieriger, ein kostenrechnerisches oder finanzielles Kalkül aufzustellen, weil Marktpreise fehlen. Dennoch kann es gelingen, interne Werte für die in Frage kommenden Ressourcen zu ermitteln. Sie werden als Transferpreise bezeichnet. Man versucht, die interne Nützlichkeit einer Ressource indirekt zu quantifizieren. Der interne Wert oder Transferpreis wird aus jenen Ergebnissen abgeleitet, die andere, in der Transformationskette folgende Stellen mit der Ressource erzielen können. Wenn beispielsweise eine Innovation, die in der Unternehmung mit gewissem Aufwand entwickelt werden könnte oder auch nicht, bei Verwendung in nachfolgenden Stellen wie Produktion und Absatz die dortigen Erträge um 1 Million Euro erhöhen würde, dann hat die Innovation einen internen Wert von maximal 1 Million Euro. Würde ihre Entwicklung mehr kosten, wäre es besser, darauf zu verzichten. Dieser Ansatz zur Quantifizierung – Ermittlung interner Bewertungen nicht marktfähiger Ressourcen aufgrund der finanziellen Zusatzerfolge, die durch sie in anderen, nachfolgenden Transformationsprozessen ermöglicht werden – erlaubt wiederum finanzielles Denken. Wir betrachten ihn in Teil 3, Kapitel 4 näher.
2.1.2
Privates Gut mit Externalitäten
Allerdings ist dieser indirekte Bewertungsansatz bereits etwas schwieriger, als wenn direkt auf einen Marktpreis zurückgegriffen werden kann. Zudem führt er nicht immer zu einer klaren und sinnvollen Bewertung der betreffenden Ressource. Wir greifen nochmals das Beispiel mit der Innovation auf und stellen uns vor, sie habe, über ihre Verwendung in Produktion und
39
Absatz hinausgehend, weitere positive Auswirkungen. So könnte, falls die Innovation entwickelt wird, das Image der Unternehmung steigen und man könnte in Zukunft vielleicht bessere Mitarbeiter gewinnen. Auch dürfte die Entwicklung späterer Innovation leichter fallen, wenn man mit einer schon begonnen hat. In diesem Fall ist die Innovation nicht mehr einfach ein privates Gut, das von der folgenden Stelle in Produktion und Absatz verbraucht wird. Vielmehr handelt es sich um eine Ressource mit positiven, externen Effekten. Ihr interner Wert dürfte daher größer sein als der auf eine Million Euro bezifferte Vorteil. Doch um wie viel höher, hängt von den Externalitäten ab – die sind jedoch nicht so leicht einzufangen und zu bewerten. Bei nicht marktfähigen Ressourcen (kein Marktpreis gegeben) kann daher ein finanzielles Führungssystem an seine Grenzen gelangen. Das ist besonders dann der Fall, wenn die Ressource über ihre direkte Verwendung und den Verbrauch in einer folgenden Stelle ausstrahlt, also Externalitäten hat. In solchen Situationen sind die aus einem finanziellen Führungssystem heruntergebrochenen Werte oder Transferpreise vage. Deshalb wird ein zusätzlicher Entscheidungsansatz benötigt, nämlich das strategische Denken. Im Abschnitt 2.2 werden wir den Gründen für Nicht-Marktfähigkeit nachgehen. Dort und in Kapitel 3 wird sich tatsächlich zeigen, dass die Grenzen für die Herleitung von Transferpreisen anhand der Gesetzmäßigkeiten des finanziellen Denkens mit dem Maß externer Effekte zusammenhängen, die mit der nicht marktfähigen Ressource verbunden sein können. Natürlich können die Externalitäten unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Sind sie sehr stark, dann kann die Ressource, ähnlich wie ein Potenzial oder ein öffentliches Gut, an vielen Stellen wirken und nützen, ohne sich dabei zu verbrauchen. In diesem Fall kann die interne Nützlichkeit eigentlich überhaupt nicht mehr quantifiziert werden, weil sie davon abhängt, welche Prozesse letztlich das Potenzial verwenden. Das dürfte höchst ungewiss sein. Somit sind bei einer nicht marktfähigen Ressource drei Situationen möglich: 1.
Es handelt sich um ein rein privates, aber nicht marktfähiges Gut. Es können interne Werte hergeleitet werden, weshalb das finanzielle und kostenrechnerische Denken für die zu treffenden Entscheidungen ausreicht (Beispiel: selbst entwickelte Software für eine interne Spezialaufgabe; die Software ist innerhalb der Unternehmung für andere Aufgaben nicht zu verwenden und wird auch nicht außerhalb verkauft).
2.
Die Ressource zeigt gewisse externe Effekte. Bewertungen sind nicht mehr genau genug ableitbar, weil sich die externen Effekte nicht „ein-
40
fangen und quantifizieren“ lassen. Deshalb weist der finanzielle Kalkül Unschärfe auf und muss durch strategische Überlegungen ergänzt werden (Beispiel: innovatives Produktionsverfahren für Produkt A, das vielleicht auf die Folgeprodukte B und C übertragen werden kann). 3.
Das nicht marktfähige und private Gut zeigt sehr starke externe Effekte. Verlässliche interne Werte können nicht mehr abgeleitet werden. Entscheidungen über die Ressource können folglich nicht mehr aufgrund von finanziellem Denken getroffen werden. Diese Lücke muss das strategische Denken füllen (Beispiel: interne Wissensplattform, die sehr wahrscheinlich zahlreiche Neuentwicklungen ermöglicht).
2.1.3
Öffentliches Gut
Wir kommen nochmals auf unsere beiden Merkmalsdimensionen – Marktfähigkeit, Öffentlichkeitscharakter – zurück. Auch die Frage, ob es sich um ein privates oder um ein öffentliches Gut handelt, ist dafür entscheidend, ob eher das strategische oder das finanzielle Denken greift. Bei öffentlichen Gütern können Dritte nicht (oder nur mit hohem Aufwand) von der Nutzung ausgeschlossen werden. Sie finden doch immer irgendwie Zugang. Ist das öffentliche Gut einmal geschaffen, dann hat es zudem wenig Sinn, andere von seiner Nutzung auszuschließen. Denn jene Stellen, für die es primär geschaffen wurde, werden in der Nutzung nicht behindert, selbst wenn das Gut noch von weiteren Personen oder Stellen genutzt wird. Von daher führt eine finanzielle Entscheidung über öffentliche Güter nicht zum Optimum. Über die Schwierigkeiten bei der Allokation öffentlicher Güter gibt es in der Finanzwissenschaft eine umfangreiche Literatur. Nicht einmal Umfragen greifen, um den von der Gesellschaft gewünschten Umfang öffentlicher Güter herauszufinden. Denn jeder Befragte befürchtet, dass er aufgrund seiner Äußerung und seiner Wünsche besteuert werden wird, um die Schaffung des öffentlichen Guts zu bezahlen. So wird jeder vorgeben, kein Interesse an dem Gut zu haben, wissend und hoffend, dass andere Personen für seine Bereitstellung sorgen und er selbst später ohnehin nicht vom Konsum ausgeschlossen werden wird. Das ist der in Abschnitt 2.2 angesprochene Free Ride. Bei öffentlichen Gütern sind daher andere Entscheidungsprinzipien verlangt. Die Lücke, die hier Finanzrechnungen lassen, können wiederum strategische Überlegungen schließen. Die Strategie muss in den Fällen
41
leiten, wo der Versuch, bei öffentlichen Gütern zu rechnen, an seine Grenzen stößt. Viele der unternehmerisch genutzten Ressourcen haben tatsächlich diesen Öffentlichkeitscharakter. Vor allem das Wissen gehört dazu. Dabei ist noch eine weitere Unterteilung dieser Ressourcengruppe angebracht. Einige der in der Unternehmung erzeugten öffentlichen Güter werden nicht nur allen Stellen innerhalb der Unternehmung angeboten, sondern darüber hinaus Interessierten außerhalb der Unternehmung zugänglich gemacht. Es sind gleichsam global-öffentliche Ressourcen. Ebenso könnten öffentliche Güter von externen Einrichtungen bereitgestellt und von der Unternehmung genutzt werden. Bei anderen Ressourcen mit Öffentlichkeitscharakter, die in der Unternehmung erzeugt und intern überall genutzt werden, möchte die Unternehmung hingegen verhindern, dass sie auch außerhalb genutzt werden können. Denn eine Nutzung des öffentlichen Guts außerhalb der Unternehmung würde seine interne Nützlichkeit zerstören. Beispiele dafür sind Betriebsgeheimnisse, etwa Entwicklungen, die einen Vorsprung sichern können – sofern nicht zu früh Nachahmer auf den Plan gerufen werden. In der Beziehung unternehmensintern zu unternehmensextern verhält sich das betreffende öffentliche Gut daher wie ein privates Gut. Wird es unternehmensextern verwendet, verliert es unternehmensintern seine Nützlichkeit. Unternehmensintern werden diese Ressourcen wie ein öffentliches Gut allen Stellen frei angeboten. Gegenüber der Außenwelt werden sie hingegen wie ein privates Gut geschützt. Es handelt sich dann um intra-öffentliche Ressourcen. In diese Kategorie fällt ein großer Teil des Wissens der Unternehmung.
2.1.4
Acht Typen von Ressourcen
Wie viele Typen von Ressourcen sind durch diese Unterscheidungen definiert? Zunächst gibt es private Güter, die marktfähig sind (1) und solche, die es nicht sind. Bei marktfähigen privaten Güter kann noch danach unterschieden werden, ob sie extern produziert und von der Unternehmung bei Bedarf gekauft werden (1A), oder ob sie intern produziert und (zum Teil) an die Außenwelt verkauft werden (1B). In beiden Fällen ist finanzielles Denken angebracht und genügt vollends. Wer marktnah operiert, kommt mit Marktpreisen zu richtigen Entscheidungen. Beispiele für solche privaten und marktfähigen Güter liegen auf der Hand: Material und Ener-
42
gie, als Vorleistungen von außen zugekauft, illustrieren den Ressourcentyp (1A). Standardisierte Zwischenprodukte, die gut im Markt verkauft werden können, bilden den Ressourcentyp (1B). Ein zweite Kategorie sind die nicht marktfähigen Ressourcen (2). Sie werden intern erzeugt und intern verbraucht. Gründe für die fehlende Marktfähigkeit und mit ihnen Beispiele werden wir im Folgeabschnitt 2.2 aufzeigen. Diese Kategorie von Ressourcen ist für das Thema unseres Buches – unternehmerisches Denken zwischen Strategie und Finanzen – besonders interessant. Denn einige der nicht marktfähigen Güter haben keine externen Effekte. Für sie können noch gut interne Werte oder Transferpreise bestimmt werden, sodass Kosten- und Finanzrechnungen greifen und völlig ausreichen (Typ 2A). Bei anderen nicht marktfähigen Gütern können hingegen interne Werte nur noch vage bestimmt werden, weil externe Effekte spürbar werden. Finanzrechnungen haben daher Unschärfe und müssen durch strategische Überlegungen ergänzt werden (Typ 2B). Bei einer dritten Untergruppe nicht marktfähiger Ressourcen können interne Werte überhaupt nicht mehr bestimmt werden, weil die externen Effekte sehr groß und weitreichend sind. Entscheidungen über solche Ressourcen müssen daher aus strategischer Sicht getroffen werden (2C). Eine dritte Kategorie von Ressourcen bilden solche, die sogar die Merkmale öffentliche Güter aufweisen (3). Hier haben wir drei Unterfälle betrachtet: Erstens der Typ intra-öffentlicher Güter (3A). Sie sind zwar intern öffentlich, aber ihr Zugriff von außen wird bewusst verhindert. In der Beziehung unternehmensintern zu unternehmensextern werden sie wie ein privates Gut geschützt. Hier greift finanzielles Denken nicht mehr und ein besonderes strategisches Vorgehen ist verlangt. Zweitens gibt es den Typ global-öffentlicher Güter, die intern geschaffen und freimütig auch der Außenwelt zur Verfügung gestellt werden (3B). Auch sie verlangen strategisches Denken. Drittens gibt es global-öffentliche Güter, die von einer externen Einrichtung geschaffen werden (3C).
43 KATEGORIE
RESSOURCENTYP
ENTSCHEIDUNG
1) Privates und marktfähiges Gut
A) Von außerhalb gekauft; Beispiel: Energie (Öl, Strom) B) Intern produziert und teils außerhalb verkauft; Beispiel: Software für die Organisationsabwicklung
Finanzrechnung Finanzrechnung
2) Nicht-marktfähiges, privates Gut, intern erzeugt und intern verbraucht
A) Keine Externalitäten: Interne Werte können genau bestimmt werden; Beispiel: tazites Wissen, personengebunden und kontext-spezifisch, somit schwer formalisierbar und kommunizierbar B) Gewisse Externalitäten: Interne Werte können nur unscharf ermittelt werden; Beispiel: unternehmensspezifischer Produktionsprozess, der gewisse Schadstoffemissionen bewirkt C) Starke Externalitäten: Interne Werte können nicht abgeleitet werden; Beispiel: Unternehmenskultur
Finanzrechnung
A) Intra-öffentliches Gut – intern erzeugt und intern nutzbar, nach außen geschützt; Beispiel: Know-how der Unternehmung B) Global-öffentliches Gut, intern erzeugt und sowohl intern wie extern zugänglich gemacht; Beispiel: publizierte Forschungsarbeiten C) Global-öffentliches Gut, außen erzeugt und auch innerhalb der Unternehmung nutzbar; Beispiel: Wissen und Können von Facharbeitern, das an Berufsschulen gelehrt wird
Strategie
3) Öffentliches Gut
Strategie und Finanzrechnung
Strategie
Strategie
Übersicht 2-1: Die Ressourcen-Typologie
Bei diesen acht Ressourcentypen sind Mischfälle der besseren Klarheit halber nicht eigens angeführt. Dennoch soll eine Kombination erwähnt werden. Sie verbindet ein an sich privates Gut mit einem öffentlichen. Beispiele sind Teile und Werkstücke, die zugleich Wissensträger sind. Hier könnte eine Kombination der Ressourcentypen (1B) und (3A) vorliegen. Komponenten, die zu schützendes Know-how tragen, werden nicht verkauft. Obwohl das Koppelgut in seiner ersten Dimension als privates Gut vielleicht eine hohe Marktfähigkeit zeigt, möchte die Unternehmung das damit verbundene Wissen oder die erkennbaren Innovationen – also das daran gekoppelte öffentliche Gut – nicht abgeben. Vereinfacht gesprochen handelt es sich um Ressourcen, die (aufgrund des an sie gebundenen öffentlichen Guts) starke Externalitäten zeigen. Viele Produkte zeigen dem Experten, sobald sie auseinandergenommen werden, ob der Hersteller über neue Konstruktionsverfahren verfügt. Oft lassen sie auch Rückschlüsse auf neue Prozesse zu, die bei der Produktion verwendet werden. Diese Kombination ähnelt daher dem Typ (2C). Ähnlich verhält es sich mit anderen Mischfällen, deren ausführliche Besprechung wir uns ersparen.
44
2.1.5
Zwischenfazit
Mit zwei Merkmalsdimensionen (Marktfähigkeit; privates oder öffentliches Gut) haben wir acht Ressourcentypen definiert und für jeden Typus argumentiert, ob das unternehmerische Denken eher von der Strategie oder den Finanzen beherrscht wird. Dabei sind drei Denkregimes deutlich geworden: rein finanzielles Denken, gemischt strategisches und finanzielles Denken, rein strategisches Denken. Im Hinblick auf diese drei Denkregimes können die acht Ressourcentypen (im Vergleich zu den Kategorien) noch etwas anders gruppiert werden, wie die nachstehende Tabelle festhält. RESSOURCENTYPEN
NEUGRUPPIERUNG
ENTSCHEIDUNG AUF BASIS
(1A), (1B) und (2A)
*
Finanzen
(2B)
**
Strategie und Finanzen
(2C), (3A) und (3B)
***
Strategie
Übersicht 2-2: Neugruppierung der Ressourcentypen im Hinblick auf das Denkregime
Wir werden diese Erkenntnis nun durch zwei Assoziationen ausbauen. x
Die eine Assoziation konzentriert sich auf den Zusammenhang zwischen dem Umfang und der Stärke von Externalitäten. Bei der Gruppe * gibt es keine oder nur geringe Externalitäten, bei der Gruppe ** sind sie spürbar, bei der Gruppe *** stark.
x
Die andere Assoziation lokalisiert das Ausmaß an Externalitäten bei den Transformationsprozessen. Diese Argumentation wird darauf hinauslaufen, dass die Ressourcen der Gruppe * (keine oder geringe Externalitäten) vorwiegend in späteren und äußeren Transformationsprozessen auftauchen. Ressourcen der Gruppe ** (spürbare Externalitäten) sind für die mittleren Phasen und Transformationsprozesse typisch. Ressourcen der Gruppe *** (starke Externalitäten) schließlich sind für die frühen Phasen und die inneren Transformationsprozesse relevant.
Wenn man beide Assoziationen zusammenführt, ergibt sich dieses Ergebnis: In den frühen Phasen und Innenbereichen unternehmerischer Transformationsprozesse greift allein die Strategie, in den mittleren Phasen kommen Strategie und Finanzen gemeinsam zum Tragen und in der späten
45
Phase und in den äußeren Bereichen wird das finanzielle Denken dominieren.
2.1.6
Entscheidung aufgrund von Strategie oder Finanzen?
Wir gehen nun in die beiden Assoziationen tiefer hinein. Die bisherige Betrachtung hat gezeigt, bei welchen Ressourcentypen man allein mit finanziellem Denken auskommt, nämlich bei der Gruppe der Ressourcentypen (1A), (1B) und bei (2A). Weiter wurde erkennbar, dass beim Ressourcentyp (2B) strategisches und finanzielles Denken zu kombinieren sind. Bei der Gruppe aus den Ressourcentypen (2C), (3A) und (3B) kommt dem strategischen Denken im Vergleich zu finanziellen Entscheidungsrechnungen die größere Bedeutung zu. Der Ressourcentyp (3C) wird uns keine größere Mühe bereiten. Damit haben wir die ursprünglich acht Ressourcentypen auf drei Gruppen von Ressourcentypen reduziert (Übersicht 2-2): Im Blick auf die Frage, wo finanzielles und wo strategisches Denken angebracht ist, sind mithin drei Denkregimes zu unterscheiden: x
Regime 1: Private und marktfähige Güter erlauben finanzielle Kalkulationen wie beim Typ (1A) und (1B). Gleiches gilt für nicht marktfähige private Güter ohne Externalitäten (2A).
x
Regime 2: Im Fall der Nicht-Marktfähigkeit gibt es intern erzeugte und genutzte Ressourcen, die gewisse Externalitäten aufweisen, sodass der Versuch, interne Werte herzuleiten, nur auf unklare und vage Ergebnisse führt. Daher greifen Finanzrechnungen nur zum Teil, weshalb ergänzend strategisches Denken verlangt wird (Typ 2B).
x
Regime 3: Nicht marktfähige private Güter mit starken Externalitäten (2C) sowie intra-öffentliche Ressourcen (3A) sprengen die Möglichkeiten der Finanzrechnung vollends und verlangen einen strategischen Ansatz. Ähnliches gilt für die global-öffentlichen Güter (3B).
Damit sind die acht Ressourcentypen auf die drei Denkregimes reduziert. Auf diese Weise ist abgesteckt, wo finanzielles Denken allein, eine sich ergänzende Parallelität von strategischem und finanziellem Denken oder strategisches Denken allein relevant ist. Die Frage entsteht, ob sich diese drei Denkregimes als Unternehmensbereiche näher „lokalisieren“ lassen. Es fällt auf, dass das erste Regime (finanzielles Denken) mit solchen privaten Gütern assoziiert ist, bei denen
46
Externalitäten keine große Rolle spielen. Das zweite Regime (strategisches und finanzielles Denken) wurde mit jenen Ressourcen in Verbindung gebracht, die gewisse Externalitäten zeigen. Das dritte Regime (strategisches Denken) ist für Ressourcen angezeigt, die starke Externalitäten oder sogar den Charakter öffentlicher Güter aufweisen. Die drei Denkregimes unterscheiden sich mithin vor allem hinsichtlich des Maßes an Externalitäten. Soweit die eine Assoziation. Damit entsteht als Anschlussfrage: Wo in den unternehmerischen Transformationsprozessen sind typischerweise starke beziehungsweise schwache Externalitäten anzutreffen? Hierzu die andere Assoziation: x
Wenn wir auf die Darstellung der verketteten Transformationen (Kapitel 2) zurückkommen, dann sind die frühen und inneren Phasen und Stufen unternehmerischen Geschehens solche Bereiche, in denen Grundlagen für das Folgende gelegt werden. Die dort geschaffenen Ressourcen haben infolgedessen starke Externalitäten bis hin zum Charakter öffentlicher Güter. Hier versagen folglich finanzielle Kalkulationen. Daher ist in diesen unternehmerischen Bereichen strategisches Denken verlangt und entfaltet seine Kraft.
x
In den mittleren Phasen oder Stufen dominieren nicht marktfähige Ressourcen und Güter, die teils einen privaten und teils einen öffentlichen Charakter aufweisen. In diesen Bereichen der unternehmerischen Prozesse wirken dementsprechend gewisse Externalitäten. Dort kommen folglich sowohl das finanzielle als auch das strategische Denken nebeneinander und in sich ergänzender Weise zum Einsatz.
x
In den späten und äußeren Phasen und Stufen haben die dortigen Ressourcen überwiegend den Charakter privater und marktfähiger Güter. In diesen unternehmerischen Bereichen greifen Finanzrechnungen. Wir werden in diesen äußeren und späten Bereichen unternehmerischer Transformationsprozesse die Dominanz des Denkens in finanziellen Kategorien finden.
47
WANN UND WO INNERHALB DER UNTERNEHMUNG
GRUND
UNTERNEHMERISCHE ENTSCHEIDUNGEN
Frühe Phasen und innere Schichten
Ressourcen mit starken Externalitäten sowie intraöffentlichem Charakter
Strategisches Denken
Mittlere Phasen und Transformationsprozesse
Nicht marktfähige Ressourcen mit gewissen Externalitäten
Strategisches und finanzielles Denken ergänzen sich
Späte Phasen und äußere Schichten
Keine Externalitäten oder marktfähige Ressourcen
Finanzielles Denken
Übersicht 2-3: Die Ressourcen-Typologie begründet, in welchen Phasen die drei Denkregimes Kraft entfalten
So ist durch die Ressourcen-Typologie eine Verbindung zwischen den Phasen und Stufen unternehmerischer Prozesse (Bereiche früh und innen, mittel, spät und außen) einerseits und der Art unternehmerischen Denkens (Strategie und Finanzen) andererseits vermittelt. Diese Assoziation erlaubt eine theoretische Antwort auf die Frage unseres Buches. Im Folgenden werden wir die Stufen und Phasen konkretisieren (und gelangen dabei auf die „Vier Jahreszeiten“ der Unternehmung). Es wird sich dann die jetzt gefundene theoretische Einsicht auch in praktischer Sicht bestätigen: In den frühen Phasen greift allein die Strategie, in den mittleren Phasen kommen Strategie und Finanzen zum Tragen und in der späten Phase wird das finanzielle Denken dominieren.
2.2
Fehlende Marktfähigkeit
2.2.1
Einführende Übersicht
In diesem Abschnitt greifen wir eine der drei Kategorien von Ressourcen auf, und zwar die des nicht marktfähigen privaten Gutes. Da es nicht marktfähig ist, kann das betrachtete Gut nicht von außen zugekauft werden; es muss daher intern geschaffen werden. Zudem kann die (intern geschaffene) Ressource nicht nach außen abgegeben werden. In der Ressourcentypologie (Übersicht 2-1) handelt es sich um die Kategorie (2) mit den
48
Untergruppen (2A), (2B) und (2C). Nicht-marktfähige Ressourcen sind für uns besonders deshalb interessant, weil sie auf alle drei Denkregimes (rein finanziell, strategisch und finanziell, rein strategisch) führen. Solche Ressourcen treten wie ausgeführt in den mittleren Phasen, Stufen und Transformationsprozessen der Unternehmung auf. Warum gibt es nicht marktfähige Ressourcen? Wodurch wird die Marktfähigkeit behindert? Vier Ursachen sind zu unterschieden: 1.
Die betreffende Ressource ist prinzipiell überall vorhanden, jedoch werden ein Tausch und ein Markt durch Transaktionskosten behindert.
2.
Die Ressource wird außerhalb der Unternehmung nicht verwendet, folglich gibt es für sie auch keinen Markt. Der Grund: Die Ressource weist eine hohe, unternehmensbezogene Spezifizität auf.
3.
Die Ressource ist zwar primär ein privates Gut, aber sekundär ein Informationsträger. Sie ist demnach eine Mischung aus privatem und öffentlichem Gut. Das öffentliche Gut muss aber nach außen geschützt werden. Der Grund könnte in Synergien liegen oder im Sachverhalt, dass die Ressource bei einer Abgabe nach außen internes Wissen verraten könnte.
4.
Hold up: Einzelne Marktteilnehmer durchbrechen das übliche Verhalten (Preisnehmer, Mengenanpasser) und verhalten sich gegenüber den anderen Akteuren strategisch – und nach deren Einschätzung – so stark egoistisch, dass sie von einem „Überfall“ sprechen.
2.2.2
Transaktionskosten
Die ersten beiden Gründe – Transaktionskosten und Spezifizität – werden in der Forschung stark beachtet. Wir erwähnten bereits, dass OLIVER WILLIAMSON in seiner Vertragstheorie die Spezifizität (neben der Problematik des Safeguarding) als Grund für die Existenz von Unternehmen erkannte (Kapitel 2). Das Argument, eine Ressource sei aufgrund von Transaktionskosten nicht marktfähig und konstituiere daher eine integrierte Unternehmung, geht auf RONALD H. COASE zurück. Er geht auf die Kosten ein, die mit der Nutzung des Marktes verbunden sind.
49
Die wichtigsten Transaktionskosten entstehen für die Suche nach Geschäftspartnern, das Aushandeln der Konditionen und den Vertragsabschluss, die Festlegung von Qualitätsstandards, technische Anpassungen, die Koordination der Übergabe und die Abwicklung der Zahlungsmodalitäten.1 Jede Marktnutzung ist mit solchen Transaktionskosten verbunden. Wenn sie hoch sind, dann findet es ein Akteur vorteilhaft, dauerhafte Arrangements mit ihm bekannten Partnern zu pflegen und Vertrauen aufzubauen. So reduzieren sie Such- und Verhandlungskosten. Es entstehen bilaterale Beziehungen, Gruppen und Netze vertrauensvoll und wiederkehrend zusammenarbeitender Partner. Zwar sind die im Kreis der Vertrauten ablaufenden Kooperationen dann etwas gegen die disziplinierende Kraft des Marktes geschützt und bergen gewisse „Ineffizienzen“. Doch den Kreis zu zerschlagen, um den Markt wirken zu lassen, hieße, die Transaktionskosten tragen zu müssen. Eine allerbeste (first best) Allokation scheidet aus, die Frage ist nur, für welche der in der Realität möglichen zweitbesten (second best) Allokationen man sich entscheidet. COASE sieht den Grund für die Existenz von Unternehmen in der internen Ersparnis, die mit dauerhaft gestalteten Transaktionen in einem solchen Netz möglich ist. Würden diese Netze zerfallen, dann müssten Märkte eingeschaltet werden – und deren Nutzung
1
Quellen der Innenfinanzierung Gelder, die zur Innenfinanzierung gehören, stammen aus zwei Quellen. Zum einen dürfen gewisse Einzahlungen, die der Unternehmung zufließen, nicht ausgeschüttet werden, weil sie nicht als Gewinn dargestellt werden. Das bekannteste Beispiel sind die durch den Umsatzprozess (bare Erlöse) zugeflossenen Gegenwerte der Abschreibungen, die (unbarer) Aufwand sind. Hinzu kommt die Möglichkeit, Gewinne einzubehalten. Eine Vorbereitung dafür ist der Bilanztrick, den Gewinn geringer auszuweisen, als er eigentlich ist – herbeigezaubert etwa durch „erhöhte“ Abschreibungen. Ähnlich wirken überdimensionierte Rückstellungen. Sodann können die Eigenkapitalgeber überzeugt werden, nicht den gesamten als Gewinn dargestellten Betrag zu entnehmen, da es „um die Zukunft“ der Unternehmung geht. Damit verfügt das Management über eine beträchtliche Kasse, die quasi ohne Kontrolle seitens der Anspruchsberechtigten für Investitionen verwendet werden kann.
1. LOUIS DE ALESSI: Property Rights, Transaction Costs, and X-Efficiency: An Essay in Economic Theory. American Economic Review 73 (1983) 1, S. 6481. 2. HARVEY LEIBENSTEIN: Aspects of the X-Efficiency Theory of the Firm. Bell Journal of Economics 6 (1975) 2, S. 580-606.
50
ist teuer. Auf diese Weise bilden sich integrierte Unternehmungen, innerhalb derer leicht und vertrauensvoll zusammengearbeitet werden kann. COASE sieht also zwei Bereiche: Dort, wo Transaktionskosten geringer sind, bilden sich Märkte. Dort, wo sie höher sind, entstehen Unternehmen.2 Wir können weiter feststellen: Das Vertrauen und die Offenheit gegenüber internen Stellen wirken wie ein öffentliches Gut. Seine Wirkung endet aber, wenn Transaktionen zwischen innen und außen anstehen. Mit der Herausbildung der Unterscheidung zwischen internen und externen Stellen entstehen weitere Widerstände der Zugehörigen gegen eine Kooperation mit Externen: Das Widerstreben, mit externen Anbietern ebenso leicht wie mit internen Stellen zu kooperieren, wird aus der Erfahrung geboren, dass in solchen Fällen immer Transaktionskosten entstehen, die anfangs unterschätzt werden. Das interne Vertrauen und die interne Offenheit für Transaktionen ist daher ein intra-öffentliches Gut. Vor allen anderen Beispielen für Transaktionskosten wollen wir das Risikokapital betrachten, also das Eigenkapital der Unternehmung. Es wirkt wie ein Paradoxon, dass Transaktionskosten beim Kapital auftreten können. Doch die interne und die externe Verfügbarkeit von Eigenkapital unterscheiden sich deutlich. Innerhalb der Unternehmung steht freies Eigenkapital durch Innenfinanzierung und durch die gelegentlichen Kapitalerhöhungen zur Verfügung. Bei der Innenfinanzierung denke man vor allem an die Gegenwerte der Abschreibungen. Diese Mittel sind intern verfügbar, doch werden sie eigentlich erst benötigt, wenn Ersatzinvestitionen getätigt werden. Diese Mittel bleiben bis dahin in der Unternehmung. Zwar könnten sie auf dem Geldmarkt und in Bonds angelegt werden, doch würde eine Anlage in ein Aktienportfolio von den Berechtigten als Fehlleistung des Managements interpretiert werden. Es gibt also Zeiten, in denen internes Kapital als Risikoträger gleichsam im Überfluss vorhanden ist, zumindest temporär. In diesen Zeiten sind selbst weniger rentable Investitionen vorteilhaft, auch wenn sie nicht die im externen Kapitalmarkt übliche Rendite aufweisen. Ebenso gibt es Zeiten, in denen Kapital als Risikoträger innerhalb der Unternehmung ausgesprochen knapp ist. Interner Kapitalbedarf kann nämlich nicht sofort und unmittelbar dadurch gedeckt werden, dass Eigenkapitalgeber angesprochen werden. Denn eine Eigenkapitalerhöhung ist ein komplizierter Prozess, der langer Vorbereitung bedarf. Somit gibt es Zeiten, in denen aufgrund der (temporären)
2
1. RONALD H. COASE: The Institutional Structure of Production. American Economic Review 82 (1992), S. 713-719. 2. RONALD H. COASE: The Nature of the Firm. Economica 4 (1937), S. 386-405.
51
Knappheit von Risikokapital selbst solche Investitionen verworfen werden müssen, welche die im externen Kapitalmarkt übliche Rendite aufweisen. Kurz: Eigenkapital ist eine Ressource, die innerhalb und außerhalb der Unternehmung verfügbar ist. Doch es gibt für sie Transaktionskosten. Sie bestehen einerseits darin, dass nicht jede Investition des Managements im äußeren Kapitalmarkt (zu der dort üblichen Rendite) akzeptiert wird. Andererseits sind sie darin begründet, dass Kapitalerhöhungen längerer Vorbereitungen bedürfen. Von daher kann der Preis oder Wert des Kapitals innerhalb wie außerhalb der Unternehmung unterschiedlich sein.3 Somit würden wir Eigenkapital als Ressourcentyp (2A) klassifizieren. Ohne eine Modellierung im Detail auszuführen, wird klar: Verfügt die Unternehmung gerade über umfangreiche Mittel, dann werden Vorhaben mit einer vergleichsweise geringen Rendite kalkuliert. Sind die intern verfügbaren Finanzmittel knapp, dann müssen Projekte und Investitionen eine vergleichsweise hohe Rendite bringen, um angenommen zu werden.
2.2.3
Technische Transaktionskosten
Die Höhe von Transaktionskosten kann sich mit der wirtschaftlichen Entwicklung verändern. So verringern sich durch Standardisierung technisch bedingte Transaktionskosten und die entsprechenden Ressourcen verändern ihren Typus von (2A) zur Kategorie (1). Technische Transaktionskosten sind in Anpassungen begründet, die vor Markttransaktionen vorzunehmen sind. Modifikationen sind meist aufwendig, was ein leichtes Marktgeschehen verhindert. Die Ressource ist intern ebenso wie extern vorhanden, doch gibt es sie in Varianten. Der Markt scheitert an Heterogenität. Technische Transaktionskosten haben früher eine große Rolle gespielt. Die Einzelstaaten haben bis vor kurzem – um merkantilistisch die heimische
3
R. GLENN HUBBARD: Capital-Market Imperfections and Investment. Journal of Economic Literature 36 (1998) 1, S. 193-225. OWEN A. LAMONT: Cash Flow and Investment. Evidence from Internal Capital Markets. Journal of Finance 52 (1997) 1, S. 83-109. 3. ROBERT H. GERTNER, DAVID S. SCHARFSTEIN und JEREMY C. STEIN: Internal versus External Capital Markets. Quarterly Journal of Economics 109 (1994) 4, S. 1211-1230. 4. OLIVER J. BLANCHARD, FLORENCIO LOPEZ-DE-SILANES und ANDREI SHLEIFER: What Do Firms Do with Cash Windfalls? Journal of Financial Economics 36 (1994) 3, S. 337-360. 5. TONI M. WHITED: Debt, Liquidity Constraints, and Corporate Investment: Evidence from Panel Data. Journal of Finance 47 (1992) 4, S. 1425-1460.
52
Wirtschaft zu schützen – für Konsumgüter technische Auflagen erlassen, durch die der Import entsprechender Güter aus dem Ausland behindert wurde: Der Stecker für das Elektrogerät hat daheim nicht gepasst, die Beleuchtung am Importauto war anders, als es der TÜV daheim verlangte. Die DVD hatte eine andere Norm als der Spieler zuhause. Dieselbe Situation, in der nur nach technischen Modifikationen ein Tausch hätte entstehen können, bestimmte auch die industrielle Fertigung. Zwischenprodukte, Teile und Komponenten waren in jeder Unternehmung speziell konstruiert, wenngleich die Konstruktion an sich nirgendwo Geheimnisse barg. So hatten die Komponenten identischer Funktion bei verschiedenen Produzenten besondere Merkmale, durch die sie nicht austauschbar waren. Jeder kennt das von den Ersatzteilen für das Auto. Kein Bremsklotz, kein Stoßdämpfer passte sowohl im VW als auch im Opel. Diese Situation war früher teils das Ergebnis von Eigenbrötelei, teils die Folge einer Überschätzung der Besonderheit von Teilen für die Differenzierung gegenüber den Kunden. Manche Unternehmung meinte, sie könne über den Verkauf von Ersatzteilen zusätzlichen Wert für sich generieren und gestaltete alle Komponenten als Unikum, um eine Monopolstellung zu erlangen. Mit aller Macht wurde versucht, eine Imitation von Ersatzteilen durch andere Hersteller zu unterbinden. Der Imageschaden bei Verbrauchern und die geringe Effizienz bei all diesen Spezialanfertigungen wurden damals übersehen. Das waren die Jahre langer, hoch integrierter Fertigungsstraßen und großer Zwischenlager in den Betrieben. Diese früheren Beispiele haben inzwischen keine große Bedeutung mehr. Die Staaten haben sich im Zuge des Abbaus von Zöllen und Handelsschranken geöffnet und in den Unternehmungen geht die Konstruktion überall nach den weltweit einheitlichen Prinzipien der Ingenieurwissenschaft vor. Es werden heutzutage bewusst Normen und Standardisierungen übernommen. Mit der Entwicklung der Weltwirtschaft wurden die Transformationsprozesse praktisch identisch. Best Practices, Normen und Standards lassen Märkte aufleben. Als Beispiele für diese Entwicklung lassen sich anführen: 1.
In der Kfz-Industrie gibt es viele Zulieferer, die mehrere Automobilhersteller zugleich beliefern.
2.
Beim Verkauf von Autos und den weiteren Dienstleistungen sind große Vertriebsfirmen mit riesigen Showrooms entstanden, die unterschiedliche Automarken führen.
3.
In der Telekommunikation sind die Schnittstellen standardisiert.
53
Wir können erkennen, dass es hinsichtlich der besprochenen technischen Hindernisse einen Wandel im Denken gab. Früher wurden sie aus strategischem Denken eigens errichtet, heute sind die Vorteile einer Marktwirtschaft anerkannt. Der Markt und Marktpreise erlauben finanzielles Denken. Die Entscheidungshilfen haben sich hier von der früheren Bedeutung der Strategie zu den Finanzen verschoben.
2.2.4
Spezifizität
Als zweite Ursache für Nicht-Marktfähigkeit wurde (nach den Transaktionskosten) die hohe Spezifizität erkannt. Hier ist die Ressource so ausgeprägt unternehmensspezifisch, dass sie außerhalb nirgendwo Nutzen stiften könnte. Sie findet nur bei unternehmensinternen Prozessen Verwendung. Bei einer unternehmensspezifischen Ressource kommt es nicht zu einem generellen Markt – selbst wenn die Ressource unter Kontrolle der Unternehmung von einem außenstehenden Zulieferanten hergestellt wird. Beispiel: Audi hat für spezifische Werkzeuge beim Karosseriebau einen eigenen Werkzeugbau in Györ (Ungarn) errichtet. Die Ressource ist vielleicht ein rein privates Gut. Sie ist dann nicht zugleich Träger eines an sie gebundenen öffentlichen Gutes. Deshalb darf die Ressource durchaus der Außenwelt gezeigt werden. Es werden keine Betriebsgeheimnisse verraten. Was begründet die Spezifizität? (Achtung: Wir sprechen nicht mehr von technischen Transaktionskosten und den Motiven, die früher zum Speziellen führte, um den Markt zu behindern.) Der erste Grund für Spezifizität ist deshalb die interne Spezialisierung auf die sonstigen Transformationsprozesse in der Unternehmung. Es muss also deutliche Spezialisierungsvorteile geben, die für die interne Schaffung und Verwendung firmenspezifischer Ressourcen sprechen. Ein zweiter, in der Praxis wichtiger Grund für Spezifizität ist die Dynamik des technischen Fortschritts. Eine Ressource kann durchaus marktfähig sein und zwischen Unternehmen transferiert werden. Die Marktfähigkeit bleibt erhalten, sofern der technische Forschritt bei den beteiligten Unternehmungen die gleiche Geschwindigkeit hat. Jede Unternehmung beachtet bei der Wahl von Zulieferern deren Fähigkeit, im technischen Fortschritt Schritt zu halten (oder sogar als Schrittmacher zu wirken). Die Marktfähigkeit geht verloren, wenn die im Umfeld der Unternehmung tätigen Dritten im technischen Fortschritt zu langsam sind. Die Unternehmung hat dann interne Ressourcen, die aufgrund ihrer Neuigkeit noch nicht im externen Markt verfügbar sind. Solche Innovationen können nicht von außen gekauft werden, wenngleich sie die Unternehmung an Dritte außerhalb
54
übertragen könnte. Es gibt jedenfalls keinen liquiden Markt, weshalb die innovative Ressource als nicht marktfähig zu bezeichnen ist. Hier liegen die Marktbarrieren in der Dynamik der Entwicklung neuer Ressourcen.
2.2.5
Synergien
Die dritte Ursache für Nicht-Marktfähigkeit (nach Transaktionskosten und Spezifizität) wurde mit Synergien überschrieben. Hier zeigt die betreffende Ressource den angesprochenen Kombinationscharakter. Sie hat einerseits den Charakter eines privaten, andererseits den eines öffentlichen Guts. Anders ausgedrückt: Die Ressource zeigt externe Effekte. Deshalb soll sie nicht an die Außenwelt abgegeben werden. Als Beispiel wurde innovatives Wissen angeführt, das sich dem Käufer bei einer Übernahme des Objektes öffnet. Die Unternehmung möchte es daher nicht nach außen abgeben. Warum kann man Innovationen nicht teuer verkaufen? Möglicherweise sind Außenstehende nicht in der Lage, einen Preis zu zahlen, der den Wert bei interner Verwendung übertrifft. Die Ressource ist vielleicht von ihrer Art her nicht firmenspezifisch, könnte also durchaus übertragen werden und findet außen Interessenten. Die Ressource hat indessen außen einen geringeren Wert als innerhalb der betrachteten Unternehmung. Der Grund liegt in den externen Effekten, die von der Ressource ausgehen. Während ihre Verwendung innerhalb der Unternehmung überdurchschnittliche Synergien zeigt, sind diese positiven Wirkungen bei Konkurrenten nur unterdurchschnittlich. Konkurrenten können folglich nicht hoch genug bieten, um die Ressource zu kaufen. Die Kostenstruktur kann dazu führen, dass die Ressource innerhalb der Unternehmung erzeugt und verwendet wird, während Wettbewerber auf eine eigene Erzeugung verzichten. Wir werden später ein Zahlenbeispiel dazu behandeln.
55
Exkurs Synergie: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile Der Begriff Synergie geht auf das altgriechische Wort „synergia“ zurück und bedeutet das Zusammenwirken im Sinne von sich gegenseitig fördern. Im ökonomischen Kontext spielen Synergien eine wichtige Rolle: Sie gelten als eines der zentralen Motive für Übernahmen und Fusionen. In der Literatur wird zwischen finanzwirtschaftlichen und realwirtschaftlichen Synergien unterschieden. Erstere betreffen vor allem die Besteuerung und die Finanzierung von Unternehmen. So lassen sich zum Beispiel im Rahmen eines Unternehmenszusammenschlusses durch die Möglichkeit der Verlustverrechnung steuerliche Vorteile erzielen; eine Bündelung der Kreditaufnahme kann die Finanzierungskosten senken. Realwirtschaftliche Synergien können sich im Bereich der Leistungserstellung und -vermarktung ergeben. Kostensynergien entstehen beispielsweise dadurch, dass Unternehmensfunktionen nur noch einmal vorgehalten werden müssen, oder durch die gemeinsame Nutzung einer Infrastruktur. Umsatzsynergien können sich ergeben, wenn zum Beispiel das Produkt des einen Unternehmens nach der Fusion über die Vertriebskanäle des anderen Unternehmens verkauft wird. Man kann es nicht oft genug betonen: Synergieeffekte sind potenzielle Vorteile und materialisieren sich nicht automatisch. Es kostet Mühe und Geld, Synergiepotenziale zu heben. Häufig werden die positiven Synergieeffekte auf der Kosten- und Umsatzseite überbewertet, im Gegenzug wird der Aufwand der Synergieerschließung in der Praxis oft unterschätzt. Diese Diskrepanz kann dazu führen, dass die Realität weit hinter den Erwartungen zurückbleibt, die die beteiligten Parteien an eine Fusion geknüpft hatten. Teilweise kommt es sogar zu negativen Synergieeffekten, das heißt, die Kosten der Integration (Angleichung unterschiedlicher Unternehmenskulturen, Anpassung der Produktportfolios, Koordinationsaufwand etc.) sind höher als die tatsächlich erzielbaren Kosteneinsparungen. Die Bewertung der Synergien ist von großer Bedeutung bei der Preisfindung im Rahmen von M&A-Transaktionen. Synergiebewertungen sind extrem wichtig, wenn der Wert des zu übernehmenden Unternehmens ermittelt wird. Insofern sollten im Rahmen des Due-Diligence-Prozesses im Vorfeld einer Akquisition Synergien – sowie das Tempo und der Aufwand, mit dem sie sich realisieren lassen – gründlich untersucht werden. So verringert sich das Risiko, dass der Käufer eine überhöhte Akquisitionsprämie zahlt.
56
2.2.6
Hold up
Als vierte Ursache für Nicht-Marktfähigkeit wurde eine Situation genannt, in der die eine oder andere Seite bei einem Tauschgeschäft im letzten Moment ein Verhalten an den Tag legt, das ein übliches Marktgeschehen verhindert. Bei Transaktionen gibt es neben klaren, expliziten Vertragselementen – das ist die Qualität, das der Preis, dann und dort wird vollzogen – immer Eventualsituationen, die nicht im Detail vertraglich geregelt sind. So wird bei den meisten Verträgen nicht geregelt, was im Fall geschehen sollte, wenn eine Seite in letzter Minute vom Vertrag zurücktreten möchte Abhängigkeit als Konflikt(selbst wenn die andere Seite dann bereits potenzial Vorbereitungen für die Vertragsausführung getroffen hat). Jeder kennt den Ärger, der ALCHIAN bringt ein Beispiel aus dem mit Stornierungen in letzter Minute verbunAutomobilbau, das sich seither immer den ist. wiederholt: Ein Fahrzeughersteller bezieht Teile (Motor, Chassis) von einem Zulieferer. So entsteht bereits ein Konflikt über die Preisfindung, weil häufig beide Parteien sehen, dass sie nicht in einer Marktbeziehung im eigentlichen Sinn stehen. Deshalb ist der Markt auch nicht in der Lage, den Interessenskonflikt zu schlichten. Stellt der Lieferant selbst Fahrzeuge her, verschärft sich der Konflikt, denn beide treten in diesem Fall gegenüber Kunden als Wettbewerber auf. Dann kann es dazu kommen, dass der Lieferant durch „Störungen“ die Produktion bei seinem Abnehmer behindern und so Druck ausüben kann. So haben einige Kunden des Busherstellers Kässbohrer den Einbau eines Motors von Mercedes gewünscht. Wie der Bushersteller klagte, kam es zu seinem Schaden immer wieder zu verspäteten Lieferungen seitens des Zulieferers. Nach ALCHIAN kommt es beim Hold up – also wenn der Lieferant zu viel Macht ausüben kann – zu einer Integration.
Ebenso kann durch Entwicklungen im Umfeld ein Zustand eintreten, an den man vorher nicht dachte, oder den man jedenfalls nicht im Detail vertraglich geregelt hat. So beispielsweise den Zustand, dass die Wirtschaft überraschend in eine Rezession gerät und das Verlangen der Vertragsausführung für eine Seite „unbillig“ wäre. Ein Kontingenzvertrag, der alle denkbaren Entwicklungen aufzeigt und für alle Zustände und Fälle Regelungen vorsieht, scheitert am Aufwand und an der Komplexität. So hat jeder Vertrag „Lücken“, und diese werden durch implizite Vertragselemente geschlossen, etwa das allgemein übliche kaufmännische Gebaren. Es ist aber nicht einklagbar, und überhaupt sind implizite Vertragselemente nicht präzise festgelegt. Sie werden im Zweifelsfall daher von den beiden Vertragspartnern unterschiedlich interpretiert. Das heißt: Für eine Seite unerwartet kommt es auf einmal zu einem Verhalten der anderen Vertragsseite, das als „unfair“ angesehen wird; dagegen betont die andere Vertragsseite, ihr Verhalten sei nicht vertragswidrig und daher nicht
57
verwerflich. Die betroffene Vertragsseite fühlt sich „überfallen“. Der amerikanische Forscher ARMEN A. ALCHIAN spricht daher von „Überfall“, von Hold up.4 Situationen, in denen Hold up befürchtet werden muss, behindern eindeutig das Marktgeschehen, auch wenn die Ressource transferierbar ist und, könnte man Kontingenzverträge aufstellen, Transaktionen über den Markt für beide Seiten vorteilhaft wären. ALCHIAN argumentiert, dass in Situationen mit einer Möglichkeit von Hold up sich die betroffene Seite nur dagegen schützen kann, indem sie Eigentum an der Ressource erwirbt und somit nicht mehr über einen durch Hold up gefährdeten Markt beziehen muss. So begründet auch Hold up die Nicht-Marktfähigkeit einer Ressource. Die Unternehmung wird sie intern produzieren oder bereithalten. Fazit der Diskussion der RessourcenKategorie (2) : Die Diskussion hat die Breite der Gründe illustriert, aus denen eine Ressource nicht marktfähig ist, selbst wenn generell die Standardisierungen und die Marktentwicklung vorangeschritten sind. Für die Entscheidungsrechnung müssen die internen Werte solcher Ressourcen – die Praktikabilität des Ansatzes unterstellt – ermittelt werden. Jedenfalls können sie nicht von externen Märkten übernommen werden. Interessanterweise kann der interne Wert einer Ressource sich in beiden Richtungen vom Außenwert unterscheiden. So hat eine firmenspezifische Ressource
4
Drei Forscher – zwei Fragen Die drei Wissenschaftler WILLIAMSON, COASE und ALCHIAN haben sich mit den Gründen für die Existenz von Unternehmen auseinandergesetzt. Zwei zentrale Fragen ihrer Arbeit lauten: Warum gibt es Unternehmungen? Worin besteht das Besondere einer Unternehmung? 1.
In der Vertragstheorie von WILLIAMSON verlangen Spezifizität und die Schwierigkeit beim Safeguarding die Hierarchie (also die Unternehmung). COASE geht von Transaktionskosten aus und zeigt, wie sie in Gebilden (Unternehmungen) dauerhafter und vertrauensvoller Kooperation im Vergleich zu Markttransaktionen reduziert werden. ALCHIAN erkennt, dass in komplexen und dynamischen Umgebungen stets die Gefahr von Hold up besteht, die nur durch Erwerb von Eigentum an der betreffenden Ressource bewältigt werden kann. So entstehen Gebilde, die Eigentum an Ressourcen haben.
2.
WILLIAMSON: Die Unternehmung ist ein Gebilde zur Ausschöpfung enormer Spezialisierungsvorteile. COASE: Die Unternehmung ist ein Gebilde zur dauerhaften und vertrauensvollen Kooperation. ALCHIAN: Die Unternehmung ist ein Gebilde zum Erwerb von Eigentum an Ressourcen.
1. ARMEN A. ALCHIAN und SUSAN WOODWARD: The Firm is Dead; Long Live the Firm. Journal of Economic Literature 26 (1988), S. 65-79. 2. ARMEN A. ALCHIAN und HARALD DEMSETZ: Production, Information Costs and Economic Organization. American Economic Review 62 (1972) 5, S. 777-795.
58
einen hohen internen Wert, aber keinen nennenswerten Außenwert. Eine neuartige Ressource hätte vermutlich einen beträchtlichen Außenwert – sofern sie dort verfügbar wäre. Des Weiteren ist interessant, dass die von COASE als Grund der Nicht-Marktfähigkeit angeführten Transaktionskosten durchaus von den Vertragsparteien errichtet werden – zumindest war das früher so. Interne Stellen möchten sich gegenüber einem Markt abschirmen. Externe Anbieter lassen sich immer wieder von kurzfristigem Egoismus (Hold up) verführen und zerstören damit langfristig die Möglichkeit einer Kooperation über einen Markt.
2.3
Öffentliches Gut
2.3.1
Wissen – Definition
Im Zentrum der Kategorie (3) von Ressourcen stehen öffentliche Güter. Allgemein gesprochen geht es hier um Infrastruktur, um Potenziale, um „Enabler“ und um Wissen. Die Ressourcen, die Output eines Abschnitts unternehmerischen Geschehens und Input eines Folgeabschnitts sind, können durchaus greifbare Güter (Tangibles) sein. In vielen Fällen handelt es sich um nicht greifbare Ressourcen (Intangibles), die wir summarisch als „Wissen“ bezeichnen und in diesem Abschnitt näher betrachten. Mit Wissen wird eine Menge von Informationen bezeichnet, die aufeinander bezogen sind und (dadurch) Bedeutung tragen, in sich stimmig sind (Kohärenz) und in einem gewissen Zusammenhang Gültigkeit besitzen. Die Definition zeigt erstens, dass Wissen enger (wenige Informationen) oder weiter (viele Informationen) gefasst sein kann. Zweitens wird Wissen durch den Zusammenhang definiert, für den es aufgrund seiner Gültigkeit dort gelingen kann, korrekte Aussagen zu treffen, und wo deshalb das Wissen Verwendung findet. In einer Talkshow mag das dort ausgedrückte wirtschaftswissenschaftliche Wissen ausreichen, überzeugen und „gültig“ sein. In einem anderen Zusammenhang, etwa dem eines Doktorandenseminars, wird die „Gültigkeit“ dieses Wissens vielleicht abgelehnt. Drittens hält die Definition fest, dass Wissen, gegeben durch konstituierende Informationen, an Träger gebunden ist. Stets sind physische Zeichen oder Konfigurationen zur Speicherung, Verarbeitung und Übertragung von In-
59
formationen nötig. Diese haben daher eine greifbare Umgebung, die sie tragen. x
Diese Umgebung kann direkt und eng auf die Funktion als Informationsträger zugeschnitten sein: Die das Wissen konstituierenden Informationen sind in Präsentationsunterlagen oder in Aufsätzen dargelegt, die im Tresor liegen oder in einer Datei gespeichert sind.
x
Gleichfalls kann die Umgebung weiter entwickelt sein und über die Funktionen des Informationsträgers hinaus weitere Rollen ausüben. Beispielsweise finden sich die Informationen im Gedächtnis mehrerer Personen und sind in verschiedensten Gesprächen entstanden, die in einem Forschungsteam ablaufen.
Zur Übergabe des Wissens genügt es im ersten Fall, die Berichte zu verkaufen, während im zweiten Fall vielleicht eine ganze Forschungseinrichtung unter neue Kontrolle gebracht werden müsste. Ob die Umgebung, an die das Wissen gebunden ist, nun enger (Papier) oder weiter (Team) ist, müssen wir nicht thematisieren. Wir betrachten das Wissen, die es konstituierenden Informationen und die Umgebung von Informationsträgern als Einheit. Das Wissen ist eine Ressource, die wie andere Ressourcen geschaffen werden muss und anschließend in Kombinationen und Transformationen Verwendung findet. Hinsichtlich der Wissenserzeugung sind keine Besonderheiten gegenüber anderen Ressourcen zu verzeichnen. Wissen kann einerseits das Ergebnis direkter Anstrengungen sein, also Output von Kombinationen und Transformationen, die eigens für die Wissenserzeugung vorgenommen werden. Beispiele sind die Produktentwicklung, der Aufbau einer Marke, die Pflege von Kundenbeziehungen. Andererseits entsteht Wissen auch als Abfallprodukt von Kombinationen und Prozessen, die einen anderen Zweck verfolgen. Learning by Doing sagen die einen, Übung macht den Meister die anderen. Dabei kann Wissen auch in einem ganz anderen Bereich entstehen. Immer wieder fallen bei der Forschung in komplexen Gebieten Produktideen und Patente ab, die weit vom Forschungsgegenstand entfernt sind.
2.3.2
Wissen – Verwendung
Was seine Verwendung betrifft, so weist Wissen hingegen deutliche Unterschiede zu anderen Ressourcen auf. Wir beginnen mit der Wissensverwendung bei Kombinationen und Transformationen innerhalb der Unternehmung. Dort wirkt es wie ein öffentliches Gut, ein intra-öffentliches
60
Gut: Durch die Verwendung des Wissens in einem Prozess wird es weder reduziert noch aufgebraucht. Es kann daher zusätzlich in weiteren Prozessen verwendet werden, die innerhalb der Unternehmung laufen. Diese Tatsache hat eine wichtige Konsequenz für die Bewertung interner Ressourcen: Der interne Wert (Transferpreis) des Wissens erhöht sich mit der Anzahl diverser Prozesse, die darauf zugreifen. Das Wissen wird als interne Ressource umso wertvoller, je öfter und je breiter es in der Unternehmung anschließend verwendet werden kann. Von daher wird eine Unternehmung der Tendenz nach mehr Aufwand für die Wissenserzeugung betreiben und ihre Wissensbasis ausbauen können, wenn das Wissen in mehreren Prozessen Verwendung finden kann (die Erträge erzielen). Auch wird eine Unternehmung tendenziell das Wissen eher behalten als verkaufen, wenn es intern mehrfache Verwendung findet (während es vielleicht bei einem Kaufinteressenten nur in einem einzigen Prozess Verwendung finden kann). Die mehrfache Wissensverwendung wirkt daher wie eine Synergie. Anders ausgedrückt: Synergien weisen darauf hin, dass Wissen mehrfach verwendet wird. Die Unternehmung darf sich daher nicht auf die Frage beschränken, welches Wissen sie irgendwo in einem Prozess (als Input) benötigt. Die für das Gesamtziel wichtige Frage lautet, was mit (vorhandenem) Wissen noch alles getan werden könnte. Es leitet sich die Empfehlung ab, Investitionen zu identifizieren, bei denen das vorhandene Wissen eingesetzt werden könnte. Selbstverständlich könnte das Wissen als intra-öffentliches Gut auch noch innerhalb einer Partnerschaft oder eines Netzes verwendet werden. Ein Beispiel: Die Marke, die von den Mitgliedern einer virtuellen Unternehmung aufgebaut wird, nützt ihnen allen. Der zweite Punkt bei der Wissensverwendung ist, dass es für die Unternehmung oftmals verloren geht, wenn es nach außen an Dritte abgegeben wird. Es wirkt in der Beziehung unternehmensintern versus unternehmensextern wie ein privates Gut. Der Verlust von Nützlichkeit kann durch einen Verkauf oder durch Diebstahl geschehen. In beiden Fällen wird das Wissen von Konkurrenten verwendet und verliert deshalb in aller Regel seine interne Nützlichkeit. Bei einer Übertragung verhält sich das Wissen wie ein privates Gut. Bei einem Verkauf oder einem Diebstahl geht das Wissen innerhalb der Unternehmung verloren. Um diesen Sachverhalt anzusprechen, haben wir den Ausdruck intra-öffentliches Gut geprägt.
61
2.3.3
Wissen und Investitionen
Für das Wissen müssen daher drei Wertgrößen betrachtet werden: 1.
Kosten, die mit seiner Schaffung entstehen.
2.
Der interne Wert des Wissens, der erheblich davon abhängt, ob es bei mehreren, letztlich Erlös bringenden Prozessen Verwendung finden kann – oder, damit äquivalent, ob es Synergien gibt.
3.
Der externe Wert des Wissens, der mit einem Verkauf an Konkurrenten erzielt werden könnte.
Wissen weist (zumindest) intern die Eigenschaft eines öffentlichen Gutes auf: Es verbraucht sich nicht, wenn es bei mehreren Prozessen eingesetzt wird. Die intra-öffentliche Eigenschaft drückt sich oft als Synergie aus: Das Wissen zeigt hier eine direkte positive Wirkung und erhöht zugleich dort die Produktivität eines anderen Prozesses. Dadurch erhält Wissen einen höheren inneren Wert, als wenn es nur die direkte Wirkung hätte und nur in einem einzigen Prozess eingesetzt werden könnte. Um den internen Wert von Ressourcen mit solchen Eigenschaften (wie Wissen) zu erhöhen, sollten möglichst viele nachfolgende Prozesse darauf zugreifen. Eventuell muss ein paralleles Ansetzen mehrerer Prozesse eigens herbeigeführt werden, um dieses intra-öffentliche Gut zur Geltung zu bringen. Wissen entsteht nicht allein durch Forschung und Entwicklung. Es fällt ebenso als Begleitprodukt wirtschaftlicher Tätigkeit ab. Anders ausgedrückt: Wer investiert und Investitionen wirtschaftlich einsetzt, der schafft dadurch neues Wissen. Insofern haben alle Aktivitäten, Prozesse und Investitionen, die neben ihren direkten Ergebnissen auch noch Wissen gleichsam als Nebenprodukt erzeugen, einen Zusatznutzen. Ähnliches gilt für andere Ressourcen mit Öffentlichkeitscharakter, die nicht als Wissen interpretiert werden können, beispielsweise für Potenziale, Realoptionen5 und Opportunitäten. 5
Generell versteht man unter Optionen Wahlrechte, bei denen der Inhaber die Möglichkeit hat, Entwicklungen abzuwarten, ehe er sich festlegt. Der Optionsinhaber wird dann selbstverständlich die für ihn günstigere Variante wählen. Bei Realoptionen bleibt der Inhaber flexibel und muss seine Produktionsstrukturen nicht bereits von vornherein festlegen. Vielmehr kann er äußere Entwicklungen abwarten und dann immer noch rechtzeitig reagieren. Wer über keine Realoptionen verfügt, muss sich früh festlegen und anschließend mit einer starren Struktur durchhalten. Von unvorhersehbaren Veränderungen ist er deshalb stärker betroffen, besonders wenn das Umfeld unsicher ist.
62 Investition 1 Investition 2
Wissensbasis
Investition 3 Investition 4 Investition 5 Investition 6
Abbildung 2-1: Veranschaulichung der Verwendung und Nährung einer Wissensbasis durch eine gewisse Gruppe von Investitionen
Wissen und Potenziale sollen also einerseits durch möglichst viele Aktivitäten, Prozesse und Investitionen aufgegriffen werden. Zudem sollen möglichst viele Investitionen laufen, die wiederum neues Wissen und neue Potenziale für die Unternehmung (als Nebenprodukt) erzeugen. Die Wirkungen führen in der logischen Abfolge von Abschnitten und Phasen auch wieder zurück. Der Kreis schließt sich: Das durch Folgeinvestitionen erzeugte Wissen (ein Nebenprodukt ihres wirtschaftlichen Einsatzes) fördert das Wissen und begünstigt dadurch wiederum die erste Investition und ihren wirtschaftlichen Einsatz. Auf diese Weise harmonieren Gruppen von Investitionen mit Wissen. (i) Das Wissen charakterisiert eine Gruppe von Investitionen, die es erzeugt, pflegt und vertieft. (ii) Zudem dient das Wissen dieser Gruppe von Investitionen als eine ihnen gemeinsame Basis und kann von ihnen wie ein öffentliches Gut genutzt werden. So legen die durch eine gemeinsame Wissensbasis bestimmten Investitionen in ihrer Gesamtheit diese Wissensbasis fest. Das Wissen bestimmt die zu ihm passenden Investitionen und die Investitionen bestimmen das Wissen. Die Korrespondenz besteht also nicht zwischen einer Investition und einer Information, sondern zwischen einer gewissen Gruppe von Investitionen und einem gewissen Wissensbereich. Die Gruppe von Investitionen und der Wissensbereich bedingen und definieren sich gegenseitig.
63
Gruppe von Investitionen = Wissensbasis der Unternehmung (3-1) Durch das unternehmerische Geschehen formt sich eine Wissensbasis. Diese bestimmt, bei welchen Aktivitäten und Investitionen sie nützliche Verwendung findet sowie durch welche Aktivitäten und Investitionen sie erhalten und ausgebaut wird.
Zusätzliche Vorteile Die Verbindung von Investitionen und Wissen strahlt auf die Beurteilung aus. Die Rentabilität einer Investition ergibt sich nicht allein aus direkten und in der Kalkulation erfassten finanziellen Wirkungen. Wenn eine Investition in jene Gruppe passt, die der Wissensbasis entspricht, dann entstehen zusätzliche Vorteile dadurch, dass sie entsprechendes Wissen erzeugt oder verwendet.
Die gegenseitige Festlegung von Wissensbasis und Investitionsgruppe kann im Einzelfall sehr eng sein. Im Extremfall könnten sich nur eine einzige Investition und eine Information entsprechen. Ebenso könnte es sein, dass die Investitionsgruppe und die Wissensbasis so groß sind, dass sie mehrere Unternehmungen umfassen. Dann werden diese Firmen ein Wissensnetzwerk begründen und pflegen.6 Auf diese Weise wird durch die Wechselwirkung zwischen Wissen und Investitionen die optimale Breite und Tiefe der Unternehmung bestimmt.
2.3.4
Arten des Wissens
Ein besonderer Punkt ist die Abgabe von Wissen nach außen. Wir wollen das untersuchen und betrachten dazu zwei Merkmale. Das erste Merkmal ist, ob das Wissen für externe Konkurrenten nützlich und daher wertvoll ist oder nicht. Beim zweiten Merkmal geht es darum, ob das Wissen bei einer Abgabe oder Bekanntgabe nach außen für interne Zwecke verloren ist oder dennoch seinen Wert behält. So entsteht eine Typologie: x
Allgemeinwissen (AWI)
x
Firmenspezifisches Wissen (FWI)
x
Standardisierungswissen (SWI)
x
Kommerzielles Wissen (KWI)
Allgemeinwissen (AWI): Wissen dieser Art ist für die Unternehmung kaum spezifisch und für eine eventuelle Verwendung in einem konkreten Prozess unternehmerischer Tätigkeit allgemein und in seiner Nützlichkeit vage.
6
ROLF CASPERS, NILS BICKHOFF und THOMAS BIEGER: Interorganisatorische Wissensnetzwerke – Mit Kooperationen zum Erfolg. Springer, Berlin 2004.
64
Allgemeinwissen hat intern wie extern (allein für sich genommen) nur geringen Wert. In der Regel wird es von der Unternehmung, die es erzeugt, gratis abgegeben und verbreitet. Mitarbeiter dürfen dieses Wissen in Fachzeitschriften publizieren, und der CEO teilt es in Vorträgen mit. Dieses Wissen ist gegenüber dem öffentlich bekannten Wissen (Schulwissen) durchaus neu. Gleichwohl kann damit niemand etwas direkt anfangen. Firmenspezifisches Wissen (FWI). Das Wissen ist nur für die Unternehmung selbst nützlich. Dies liegt daran, dass es so stark firmenspezifisch ist, dass es für Dritte keinen Wert hat. Bei Wissen dieser Kategorie erübrigt sich daher die Frage, ob es nach außen abgegeben werden soll. Es kann durchaus bekannt gemacht werden, doch ist es für Außenstehende uninteressant. Wird es publiziert, entstehen meistens langweilige Fachpublikationen. Standardisierungswissen (SWI). Dieses Wissen ist für die Unternehmung, die es produziert, bei einer rein internen Verwendung teilweise nützlich. Indessen entfaltet dieses Wissen für sie eine hohe Nützlichkeit, sofern es von Dritten anerkannt oder von anderen Unternehmen übernommen und ebenso umgesetzt wird. WISSEN
... IST EIN ÖFFENTLICHES GUT
... IST EIN PRIVATES GUT
... hat kaum Nutzenwirkungen für Außenstehende
Allgemeinwissen (AWI) – wird gern publiziert
Firmenspezifisches Wissen (FWI) – findet außen wenig Interesse
… positive oder negative Nutzenwirkungen für Außenstehende
Standardisierungswissen (SWI) – wird zugänglich gemacht; seine Verwendung wird gefördert
Kommerzielles Wissen (KWI) – wird geschützt
Übersicht 2-4: Die Typologie des Wissens im Hinblick auf eine Abgabe nach außen
Oft ist SWI für andere Unternehmen, die es übernehmen, selbst nützlich, ohne dass dadurch die Nützlichkeit für die erste Unternehmung verringert wird. Es geht hier um die Setzung von Standards, um Normierungen, die Platzierung neuer Typen und um Moden. Die Unternehmung wird Standardisierungswissen in technische Fachausschüsse einbringen und frühzeitig anderen mitteilen, damit sie folgen können. Oder sie wird dieses Wissen der Öffentlichkeit zeigen und jede Wissensübernahme fördern.
65
Wichtig ist die Platzierungskraft. So hat Daimler-Chrysler mit der Vorstellung der R-Klasse versucht, einen neuen Fahrzeugtyp zwischen Kombi und Sports Utility Vehicle zu etablieren. Der Erfolg hängt auch davon ab, ob Konkurrenten diesen neuen Fahrzeugtyp übernehmen. Das wichtigste Beispiel für SWI ist die Bekanntheit der Unternehmung und die Marke. Dieses Wissen kann andere Unternehmen draußen sogar benachteiligen. Deshalb wollen wir beim Standardisierungswissen festhalten, dass der Nutzen außenstehender Unternehmen betroffen ist – in vielen Fällen positiv, im Fall der Markenbildung auch negativ. Kommerzielles Wissen (KWI). Merkmal dieser Wissensart ist, dass der Prozess unternehmerischer Verwertung konkreter ist und vielleicht bieten sich auch mehrere solcher Prozesse an. Diese Prozesse sind aber nicht spezifisch an die Unternehmung gebunden, die das Wissen erzeugt; sie könnten ebenso von Dritten realisiert werden. Wissen dieser Art hat folglich kommerziellen Wert. Die Unternehmung muss entscheiden: Entweder wird das KWI von ihr selbst verwendet oder bewusst an einen Außenstehenden verkauft. Das KWI hat dabei den Charakter des extern-privaten Gutes. Gibt es die Unternehmung ab, kann sie es nicht mehr selbst nutzen. Aufgrund des kommerziellen Werts wird versucht, dieses Wissen zu stehlen. Die Unternehmung muss es daher in der frühen Phase durch Geheimhaltung schützen. Falls sich die Unternehmung nicht für einen Verkauf, sondern für die Eigenverwendung entscheidet, muss sie des Weiteren durch Patente oder Eile bei der Umsetzung den Wert erhalten. Das kommerzielle Wissen betrifft in jedem Fall den Nutzen der Konkurrenten. Das KWI hat für sie einen positiven Wert, falls sie es erhalten können und nutzen dürfen. Wenn es von der betrachteten Unternehmung verwendet wird, haben Konkurrenten möglicherweise Nachteile. Hier ein Überblick über die wesentlichen Merkmale der Wissensarten: x
Das Allgemeinwissen AWI hat für die Unternehmung einen positiven Wert, der jedoch in den meisten Fällen gering ist. Aufgrund des Charakters eines öffentlichen Guts kann dieses Wissen bekannt gemacht werden, ohne dass Schaden oder Nutzen für die Unternehmung entsteht. AWI müssen wir nicht weiter untersuchen.
x
Firmenspezifisches Wissen FWI hat intern Wert, ist aber außen nicht interessant. Die Unternehmung kann es – ebenso wie AWI – publik machen. Doch weil es aufgrund seines firmenspezifischen Charakters außerhalb wenig Nutzen stiftet, findet die Publikation kaum Beachtung. Letztlich bleibt es daher wie ein privates Gut in der Unternehmung. Dennoch handelt es sich bei FWI nicht um eine physische Ressource, die sich bei Verwendung in einem Prozess aufbraucht. FWI
66
kann als Wissen bei mehreren Transformationen eingesetzt werden, ohne dass sich die Verwendungen gegenseitig ausschließen. FWI ist ein intra-öffentliches Gut. Sein interner Wert entsteht als Summe der Nutzen aller internen Transformationen, die es verwenden. FWI zeigt gut den Doppelcharakter des Wissens: Es ist in der Außenbeziehung ein privates Gut und intern ein öffentliches Gut. x
Das Standardisierungswissen SWI hat große Bedeutung. Es zeitigt eine gewisse positive interne Wirkung, die sich verstärkt, falls das Wissen auch extern verwendet oder dort respektiert wird. Damit diese zusätzliche Wirkung eintritt, müssen indessen Vorgänge außerhalb der Unternehmung ablaufen. Die Unternehmung wird sich daher nicht nur bemühen, SWI zu schaffen. Sie wird für seine Promotion sorgen und die externen Vorgänge stimulieren.
x
Das kommerzielle Wissen KWI hat intern wie extern einen vielleicht sogar hohen Wert. Wenn es an einen Dritten abgegeben wird, verliert es den Wert für die betrachtete Unternehmung, genau wie ein externprivates Gut. Die Unternehmung wird zunächst versuchen, ihre Eigentumsrechte an KWI zu sichern (Geheimhaltung) und dann überlegen, ob es besser verkauft oder selbst genutzt werden soll.
Wichtig für die Entscheidungen der Unternehmung: Nicht jede Wissensart begründet die Notwendigkeit, es innerhalb der Unternehmung zu erzeugen und zu verwenden. Besonders kommerzielles Wissen ist in vielen Fällen marktfähig. Das firmenspezifische Wissen FWI ebenso wie das Standardisierungswissen SWI verlangen hingegen die interne Erzeugung (oder die Erzeugung unter Kontrolle der Unternehmung) sowie die interne Verwendung.
2.4
Zusammenfassung
Dieses Kapitel hat die Antwort auf die Frage „Strategie oder Finanzen“ fortgeführt. Wir haben zunächst mit zwei Merkmalen (Marktfähigkeit? Privates oder öffentliches Gut?) acht Ressourcentypen erzeugt. Im Hinblick auf die relevanten Entscheidungen wurden für sie drei Denkweisen als relevant erkannt: rein finanzielles Denken, strategisches und finanzielles Denken kombiniert, rein strategisches Denken. Auf diese Weise wurden drei Gruppen von Ressourcentypen mit diesen drei Denkregimes in Verbindung gebracht (siehe Abbildung 2-2).
67
Die Frage ist nun, welches Denkregime wo und wann bei den unternehmerischen Transformationsprozessen typischerweise die größte Bedeutung hat. Um dies zu klären, haben wir zwei Assoziationen aufgezeigt. Die eine Assoziation konzentriert sich auf den Zusammenhang mit den drei Ressourcengruppen und der Stärke von Externalitäten. Die andere Assoziation lokalisiert das Ausmaß von Externalitäten bei den Transformationsprozessen. Beide Assoziationen zusammenführend zeigt sich folgendes Ergebnis: In den frühen Phasen und inneren Schichten unternehmerischer Transformationsprozesse greift allein die Strategie, in den mittleren Phasen kommen Strategie und Finanzen gemeinsam zum Tragen; in der späten Phase und in den äußeren Schichten wird das finanzielle Denken dominieren. Eine weitere Erkenntnis brachte die Diskussion der Eigenschaften und Arten von Wissen. Wissen begünstigt Investitionen, und Investitionen pflegen das vorhandene Wissen oder lassen wiederum neues Wissen entstehen. Wir haben gesehen, dass die Korrespondenz dabei nicht zwischen einer Investition und einer Information besteht, sondern zwischen einer gewissen Gruppe von Investitionen und einem gewissen Wissensbereich. Die Gruppe von Investitionen und der Wissensbereich bedingen und definieren sich gegenseitig. Hiermit ist etwas über die optimale Größe und Breite einer Unternehmung gesagt.
2.5
Literaturempfehlungen
Eine umfassende Behandlung von Externalitäten: RICHARD CORNES: The Theory of Externalities, Public Goods, and Club Goods. 2. Auflage, Cambridge University Press, Cambridge 1996.
3
Transfer Pricing
Auf einen Blick: Unternehmerisches Geschehen vollzieht sich in Abschnitten und Phasen, die logisch oder zeitlich aufeinander folgen. Investitionen und die Produktion in späteren Abschnitten basieren auf den Vorleistungen der vorgelagerten Unternehmensteile. Die einzelnen Stufen sind durch diese Vorleistungen verknüpft. Aber wie finden die Abstimmungen zwischen den einzelnen Stufen statt, wie werden Bedarf und Effizienz von Stufe zu Stufe geplant, und welche Anreize gibt es für die einzelnen Stufen, optimal zusammenzuwirken? Auf diese Fragen sollen Verrechnungspreise eine Antwort geben.
3.1
Interne Leistungen
3.1.1
Rekapitulation
Innerhalb der Unternehmung laufen verkettete Transformationsprozesse ab. Dabei finden Ressourcen sowohl als Input als auch Outputs dieser Transformationsprozesse Verwendung. Wie im letzten Kapitel ausgeführt, unterscheiden sich die Ressourcen hinsichtlich verschiedener Merkmale wie nach dem Grad der Marktfähigkeit oder dem Ausmaß externer Effekte. Die Merkmale bestimmen letztlich, ob Entscheidungen über die Ressourcen nach rein finanziellem, nach strategischem und finanziellem beziehungsweise nach rein strategischem Denken zu treffen sind – das sind die drei Denkregimes, die wir identifiziert haben. Wir haben erkannt, dass vor allem der Grad von Externalitäten für die Wahl des Denkregimes maßgeblich ist. Bei einem rein privaten Gut sind die externen Effekte nicht vorhanden oder gering, bei vielen Ressourcen sind externe Effekte spürbar oder sogar stark. Bei einer Ressource, die den Charakter eines öffentlichen Guts hat, nimmt der Grad an Externalitäten gleichsam ein Maximum an. Rein private Güter erlauben finanzielles Denken. Ressourcen mit starken Externalitäten oder solche, die ein öffentliches Gut darstellen, verlangen strategisches Denken. Dazwischen – private Güter mit spürbaren Externalitäten – ist strategisches mit finanziellem Denken zu kombinieren. Am einfachsten sind Entscheidungen über Ressourcen, die marktfähig sind und extern gekauft oder verkauft werden können. Denn sie haben Markt-
70
preise. Ihre optimale Disposition und Allokation kann daher leicht mit Kalkulationen gefunden werden. Bei nicht marktfähigen Ressourcen – sie werden intern erzeugt und genutzt – stellt sich im Zusammenhang mit dem passenden Denkregime hingegen die Frage, ob (als Substitut für die fehlenden Marktpreise) interne Werte oder Transferpreise abgeleitet werden können. Der interne Wert oder Transferpreis wird aus jenen Ergebnissen abgeleitet, die andere, in der Transformationskette folgende Stellen mit der Ressource erzielen können. Außerdem spielt bei der Entscheidung eine Rolle, wie sich die eigenen Kosten verändern. x
Handelt es sich bei der nicht marktfähigen Ressource um ein privates Gut und gibt es in der Kette bis zum Verkauf des „veredelten“ Produkts jeweils einen klar bestimmten Prozess, so dürfte die Herleitung des inneren Werts keine besonderen Probleme bereiten. Hierzu bietet sich eine Rückwärtsrechnung: Die mit der Ressource erzielbaren Mehrergebnisse der folgenden Stelle(n) definieren inneren Wert dieser Ressource, wieder von eigenen Kosten abgesehen. In diesem Fall greift finanzielles Denken.
x
Zeigt das Gut hingegen externe Effekte oder hat sogar den Charakter eines öffentlichen oder intra-öffentlichen Guts, dann hängt der durch Rückwärtsrechnung bestimmte innere Wert stark davon ab, welche und wie viele der nachfolgenden Prozesse von den externen Effekten begünstigt werden oder das öffentliche Gut nutzen. Da dies nicht präzisierbar sein dürfte, sind die internen Werte nur vage oder überhaupt nicht bestimmt. Dann müssen andere Überlegungen ergänzend eingreifen, um diese Unschärfe des finanziellen Denkens zu verringern. Hier kommt die Strategie zum Tragen.
In diesem Abschnitt wollen wir uns der Frage zuwenden, wie innere Werte oder Transferpreise für nicht marktfähige Ressourcen hergeleitet werden können und wie genau (oder vage) sie bestimmbar sind.
3.1.2
Dezentrale Entscheidungsfindung
Die Frage der Herleitung innerer Werte oder Transferpreise wird seit langem unter dem Thema dezentraler Entscheidungsfindung untersucht. Die Situation wird so beschrieben: Der Output eines Transformationsprozesses der Unternehmung ist zugleich Input eines anderen Unternehmensteils. Es handelt sich um ein Zwischenprodukt. In unserer Terminologie soll es sich um eine nicht marktfähige Ressource handeln. Über Externalitäten ist zunächst nichts gesagt und am besten ist, damit zu beginnen, sich als Zwi-
71
schenprodukt ein privates Gut (ohne Externalitäten) vorzustellen. Die Frage lautet: Können die einzelnen Unternehmensteile unabhängig für sich über das Zwischenprodukt entscheiden? Kann die für die Gesamtunternehmung optimale Festlegung auch durch Entscheidungen zustande kommen, die dezentral in den einzelnen Abteilungen oder Stellen getroffen worden sind? Mit anderen Worten: x
Muss die (hierarchische) Leitung der Unternehmung eine simultane Optimierung aller Entscheidungen vornehmen, die in den verschiedenen Abteilungen zu treffen sind, um dann den zentral bestimmten optimalen Gesamtplan durch Anweisungen an die einzelnen Abteilungen umzusetzen?
x
Oder kann die Unternehmensleitung zugunsten einer mehr dezentralen Entscheidungsfindung auf eine zentrale Planung verzichten? In diesem Fall würden die einzelnen Abteilungen für sich entscheiden und dabei ihr jeweiliges Abteilungsziel verfolgen.
Ist Dezentralisierung möglich, dann kann eine dezentrale Entscheidungsfindung oder pretentiale Lenkung realisiert werden. Der Punkt ist der: Wie sollte die Zentrale die Rahmenbedingungen für die einzelnen Abteilungen festlegen, insbesondere die Parameter, welche deren Entscheidungsverhalten beeinflussen. Das Ziel wäre, dass trotz der ansonsten nicht abgesprochenen Optimierung in jedem Abschnitt insgesamt der Optimalplan der Unternehmung gefunden wird. Die vorzugebenden Parameter sind die Verrechnungspreise, die jede liefernde Abteilung oder jede Phase von der nachfolgenden Phase oder Abteilung erhält und die sie selbst für eventuell bezogene Vorleistungen zu zahlen hat. Wenn es möglich ist, korrekte Rechnungspreise für die genannten Vorleistungen zu finden, dann kann das finanzielle Gesamtziel (Ertrag, Wertschöpfung) so auf die Abteilungen und Phasen heruntergebrochen werden, dass die dort zu treffenden Entscheidungen anhand eines rein rechnerischen, finanziellen Kriteriums ermittelt werden können. In diesem Fall kann das finanzielle Denken von der Ebene der Gesamtunternehmung auf die hierarchisch untergeordneten Abteilungen oder Abschnitte heruntergebrochen werden. Es entsteht auf diese Weise ein bis in die unteren Ebenen und bis in die frühen Dispositionen reichendes finanzielles Führungssystem. Doch wenn es nicht gelingt, korrekte Verrechnungspreise zu bestimmen, dann müssen als Substitut andere Entscheidungshilfen entwickelt werden, um nicht wieder alles der Zentrale zuzuschieben. Eventuell kann ein strategischer Ansatz die Lücke füllen, die das finanzielle Führungssystem in diesem Fall lässt.
72
Früher wurde diese Thematik der pretentialen Lenkung allein auf die betriebliche Produktion bezogen. Die zwischen den einzelnen Betriebsabteilungen weitergegebenen Teile, Komponenten und Halbfabrikate sollten durch innerbetriebliche Verrechnungspreise bewertet werden. Die Leitidee war, die Transferpreise so festzulegen, dass die einzelnen Abteilungen in einem auf sich allein bezogenen Kalkül letztlich jene Produktionsmengen – die wichtigste Entscheidung für einen etablierten Betrieb – wählten, die zum Gesamtoptimum der Unternehmung führen. Heute dürfen wir die Unternehmung nicht mehr auf das Betreiben eines Fertigungsbetriebs reduzieren. Dennoch darf auch die moderne Unternehmung aus verschiedenen Subeinheiten zusammengesetzt betrachtet werden, die durch interne Vorleistungen miteinander verknüpft sind. Nur sind diese Vorleistungen nicht mehr Teile, Komponenten und Halbfabrikate, die in einem Betrieb von einer Stelle zur anderen gebracht werden. Bevor wir dieser Übertragung auf die heutigen Verhältnisse folgen, wollen wir die skizzierte Problematik – zentral oder dezentral – am Betrieb weiterverfolgen.
3.1.3
Eine einfache Rechnung
Eine einfache Rechenübung wird uns zu der Erkenntnis verhelfen, welche Bedeutung die Grenzkosten und welche die Vollkosten bei der Festlegung von Transferpreisen haben. Wir nehmen an, der Betrieb bestehe aus zwei Abteilungen A und B. x
Die Abteilung A kauft Input am Faktormarkt und produziert damit ein Zwischenprodukt in der Quantität x. Die Produktionskosten für die Erzeugung der Quantität x des Zwischenprodukts in der Abteilung A sind CA(x), einschließlich der Kosten für die Beschaffung der Faktoren.
x
Die Abteilung B übernimmt das Zwischenprodukt, veredelt es und setzt es im Produktmarkt ab. Dabei kann der Verkaufspreis p erzielt werden. Die Kosten der Abteilung B sind CB(x).
Die Zentrale möchte die Quantität x so bestimmen, dass die Gewinnfunktion ƒ(x) = p · x CA(x) CB(x)
(3-1)
ein Maximum annimmt. Selbstverständlich kommt es auf den Kostenverlauf an. Typischerweise gibt es in beiden Abteilungen A und B gewisse Fixkosten. Die variablen Kosten dürften anfangs konstant sein und nehmen dann, wenn die Menge immer näher an eine Kapazitätsgrenze kommt,
73
immer mehr zu. Ein Bild rufe einen solchen Kostenverlauf in Erinnerung. Es veranschaulicht den Kostenverlauf für die Abteilung A und – von ganz ähnlicher Form – für B. Folglich ist es auch der Typ des Verlaufs der Gesamtkosten. Kosten
C(x) Kapazitätsgrenze
Variable Kosten
Fixkosten
x
Quantität
Abbildung 3-1: Typischer Kostenverlauf
Die Bedingung für ein Optimum ist, dass die erste Ableitung der Gewinnfunktion (3-1) gleich Null ist. Dazu müssen insbesondere die beiden Kostenfunktionen nach der Quantität abgeleitet werden. Dabei entstehenden die Grenzkostenfunktionen CA'(x)und CB'(x). Die Ableitung der Gewinnfunktion (3-1) ist damit ƒ'(x) = p CA'(x) CB'(x). Folglich führt die Bedingung für ein Gewinnoptimum ƒ'(x) = 0 auf: p = CA'(x) + CB'(x)
(3-2)
Das bedeutet: Die Quantität x wird so eingestellt, dass der Preis p gleich den gesamten Grenzkosten CA'(x) + CB'(x) ist. Damit haben wir die sehr bekannte Regel Preis gleich Grenzkosten hergeleitet. Sie beschreibt das optimale Verhalten eines Mengenanpassers, der (anders als ein Monopolist) für sich keine Möglichkeit sieht, den Preis zu beeinflussen. Wir bezeichnen die durch (3-2) bestimmte optimale Quantität mit x*, also p = CA'(x*) + CB'(x*). Die hier erscheinenden Grenzkosten der beiden Abteilungen sind jetzt konkrete Zahlen und nicht mehr Funktionen. Wir schreiben für sie MCA und MCB, also MCA = CA'(x*) und MCB = CB'(x*), was an Marginal Cost erinnert. Jeder weiß: MCA ist die Änderung der in Abteilung A entstehenden Kosten in Euro, wenn die Quantität um eine Mengeneinheit variiert wird; MCB ist die Änderung der in Abteilung B
74
entstehenden Kosten, wenn die Quantität um eine Mengeneinheit variiert wird. Die Regel (3-2) nimmt mit diesen Bezeichnungen die Form an: p = MCA + MCB
(3-3)
So wird der Verkaufspreis p aufgeteilt. Man könnte also vom Grundsatz her – wir unterstellen, dass die Zentrale keine zusätzlichen Kosten verursacht – den gesamten Erlös p · x voll ausschöpfend auf die beiden Abteilungen verteilen: Die Abteilung A erhält MCA · x, die Abteilung B den Eurobetrag MCB · x. Wir gehen dabei nicht darauf ein, ob diese Erlösaufteilung ausreicht, die Kosten zu decken. Typischerweise sind die Grenzkosten etwas höher als die variablen Stückkosten, doch ob mit dieser Differenz die Fixkosten gedeckt werden, hängt von den näheren Umständen ab. Ob eine ganze Abteilung still gelegt wird, steht nicht zur Entscheidung. Es geht nur um die Entscheidung über die Quantität. Diese Aufteilung (3-2) läuft darauf hinaus, dass ein interner Verrechnungspreis für das Zwischenprodukt festgesetzt wird: Die Abteilung A erhält ihre Grenzkosten MCA für jede gelieferte Mengeneinheit vergütet, die Abteilung B muss diesen Transferpreis zahlen.
3.1.4
Interpretationen
Ist der Transferpreis MCA bekannt gegeben, dann wird jede der beiden Abteilungen für sich prüfen, ob die Anweisung der Zentrale, die Quantität x* zu produzieren, auch aus abteilungsegoistischer Sicht gutzuheißen ist. x
In der Tat möchte die Abteilung A bei egoistischer Sicht ihren Erlös g(x) = MCA · x – CA(x) maximieren. Über g'(x) = 0 kommt die Abteilung A für sich auf die Bedingung MCA = CA'(x). Sie würde also die Quantität x wählen, bei der MCA = CA'(x) gilt. Wegen MCA = CA'(x*) heißt das: Die Abteilung würde die Quantität x so wählen, dass CA'(x*) = CA'(x) gilt. Dazu würde sie sich für x = x* entscheiden. Sie würde demnach die Quantität genau so wählen, wie es das Gesamtoptimum der Unternehmung verlangt.
x
Ebenso die Abteilung B: Sie möchte aus abteilungsegoistischer Sicht ihren Erlös h(x) = p · x – MCA · x – CB(x) maximieren. Wegen p = MCA + MCB ist das gleich h(x) = MCB · x – CB(x). Die Abteilung B kommt auf die Bedingung h'(x) = 0. Das bedeutet MCB = CB'(x). Da die Größe MCB durch MCB = CB'(x*) definiert wurde, wird MCB = CB'(x) durch jene Quantität erfüllt, für die CB'(x*) = CB'(x) gilt. Das ist die Produktionsmenge x = x*. Die Abteilung B würde
75
sich, bei egoistischer Sicht, demnach ebenso für die Quantität x* entscheiden, die sich die Zentrale wünscht. Damit leistet der in Höhe der Grenzkosten der Lieferabteilung festgesetzte Transferpreis MCA das von der pretentialen Lenkung Gewünschte. Wir müssen an dieser Stelle vier Bemerkungen hinzufügen, durch die das Ergebnis genauer interpretiert wird. 1.
Bei den Grenzkosten MCA handelt es sich um den Wert der Grenzkostenfunktion CA'(.) an der Stelle x*, also MCA = CA'(x*). Die Quantität x* ist jene, für die das Gesamtoptimum der Unternehmung erreicht wird. Um den Transferpreis MCA zu bestimmen, muss man das Gesamtproblem schon gelöst haben. Die Schwierigkeit ist folglich die: Um das Gesamtproblem in dezentral und einfacher zu lösende Entscheidungsprobleme zu zerlegen, muss man die Lösung des Gesamtproblems kennen. Zahllose Theoretiker haben sich mit dieser „Zirkularproblematik“ befasst. In der Praxis kann der Gordische Knoten durch ein iteratives Vorgehen gelöst werden.
2.
Der in Höhe der Grenzkosten MCA = CA'(x*) festgesetzte Transferpreis entspricht – sofern die Kosten der Lieferabteilung nicht einfach mengenproportional sind – nicht den Vollkosten. Die Vollkosten sind CA(x*) / x*. Transferpreise in Höhe der Vollkosten führen bei dezentraler Entscheidungsfindung folglich im Allgemeinen nicht auf das Gesamtoptimum.
3.
Eine Variation der Quantität in der ersten Abteilung A verändert die Gewinnsituation der abnehmenden Abteilung B nicht. Denn wenn die Abteilung B zu einer leichten Abweichung von der Quantität x* gebracht wird, dann erhält sie zwar einen zusätzlichen Erlös entsprechend p – MCA (Verkaufspreis abzüglich Verrechnungspreis für die Vorleistung), hat aber auch eine Kostenänderung, die durch ihre Grenzkosten MCB beschrieben wird. Diese stimmt wegen (3-3) wiederum mit p – MCA überein. Wenn die Abteilung A also die Abteilung B mit der Frage anruft: „Welchen zusätzlichen Erfolg könnt ihr realisieren, wenn wir euch als Vorlage einige Mengeneinheiten mehr liefern?“ Dann würde die Abteilung B antworten „Keinen“. Von daher fließt kein in B erzielbarer Zusatzerfolg kalkulatorisch in die Bewertung des Zwischenprodukts ein.
4.
Diese Situation wäre hingegen anders, wenn die Abteilung A bereits an ihrer Kapazitätsgrenze operiert. Dann gilt im Allgemeinen p > MCA + MCB anstelle von (3-3). Eine Erhöhung der Quantität um eine Mengeneinheit, wäre sie überhaupt möglich, würde folglich eine
76
zusätzliche Erhöhung des Gesamtgewinns in Höhe von Ȝ = p – (MCA + MCB) > 0
(3-4)
bewirken. Die Größe Lambda stellt die so genannten Opportunitätskosten dar. Die Abteilung B hat also den Erlös p. Zieht man davon ihre Grenzkosten MCB und als Preis für die Vorleistung MCA ab, dann könnte sie bei Steigerung der Quantität pro Mengenerhöhung Ȝ zusätzlich einnehmen. Dieser denkbare Zusatzgewinn – er ist rein hypothetisch, weil die besagte Kapazitätsgrenze wirkt – kann auf die Abteilung A vorgerechnet werden. Man könnte dieser Abteilung neben ihren Grenzkosten MCA zusätzlich bis zu Ȝ geben, wenn es ihr doch gelänge, die Kapazitätsgrenze zu überwinden. Somit wird das Zwischenprodukt intern durch MCA + Ȝ bewertet. Das ist die Summe aus den Grenzkosten und den Opportunitätskosten. Letztere bewerten den Zusatzgewinn, den nachfolgende Stellen erzielen könnten. Allerdings ist zu sagen, dass die Ermittlung der Opportunitätskosten – wohlbekannt aus dem Operations Research – nur Situationen gelingt, die gemessen an der praktischen Wirklichkeit modellhaft einfach sind. Zudem entstehen auf einmal Motivationsprobleme: Jede Abteilung entdeckt, dass der Transferpreis erhöht wird (und zwar bis zu den Opportunitätskosten), sobald sie von Kapazitätsgrenzen und Lieferschwierigkeiten zu sprechen beginnt. Wenn die lokalen Informationen nicht von der Zentrale prüfbar sind, käme es bald zu einer „Kooperation“, in der jede Untereinheit die von ihr kontrollierte Menge verknappt, um in den Genuss höherer Transferpreise zu gelangen.
3.1.5
Transferpreise in Höhe der Grenzkosten
EUGEN SCHMALENBACH (1873-1955) hat bereits 1909 bemerkt: „Grenzkosten führen ein im Sinne des Betriebes erwünschtes Verhalten der Unterbetriebe automatisch herbei.“ Das Besondere dieser damaligen Erkenntnis ist, dass nicht Vollkosten das Gewünschte leisten. Verlangen die Unterbetriebe für die innerbetriebliche Leistung Vollkosten, dann kommt es zu einer insgesamt geringeren Leistungsabgabe.
77 Von außen bezogene Produktionsfaktoren
Unterbetrieb 1
Unterbetrieb 3
Output
Unterbetrieb 2 Innerbetriebliche Leistungen
Abbildung 3-2: SCHMALENBACH betrachtete einen Betrieb, dessen Struktur aufgrund von Investitionsentscheidungen gegeben ist. Jeder Unterbetrieb sollte die von anderen Unterbetrieben hergestellten Leistungen zu Grenzkosten beziehen können, während der von außen bezogene Input zu Marktpreisen vergütet wird. Wenn jeder Unterbetrieb die Differenz zwischen Leistungen und Kosten für sich maximiert, entsteht ein Optimum für den Gesamtbetrieb
Wie wir gesehen haben, ist die Aussage von SCHMALENBACH nach wie vor korrekt. Sie wurde allerdings unter Annahmen hergeleitet, die zwar gut auf den Betrieb zutreffen, weniger aber auf die Entscheidungen der modernen Unternehmung. Insbesondere liegt die Struktur des Betriebs durch vorangegangene Investitionsentscheidungen fest, die nicht weiter hinterfragt werden. In unserer Rechnung standen die Kostenfunktionen fest. Investitionsentscheidungen in den Unterbetrieben, durch die Kostenfunktionen erst determiniert werden, blieben in den frühen Untersuchungen außer Betracht. Es ging lediglich um eine Variation der Outputquantität. Zudem wäre der Schluss falsch, jeder Unterbetrieb könne allein für sich seine Grenzkosten ermitteln, wodurch die komplexe Gesamtplanung wirklich in kleinere, voneinander unabhängige Einzelplanungen zerfallen würde. Denn wenn Kapazitätsbeschränkungen aktiv werden, dann müssen die Grenzkosten wie gezeigt um die Opportunitätskosten erhöht werden, die sich aus der Kapazitätsbeschränkung ergeben. Opportunitätskosten können aber nicht vom einzelnen Unterbetrieb ermittelt werden, da sie sich aus den Gewinnmöglichkeiten der nachfolgenden Unterbetriebe ergeben, welche die Ressource abnehmen. Auf diese Weise verlangt die Berechnung der Opportunitätskosten wiederum die Kenntnis des optimalen Gesamtplans. Damit steht man wieder am Anfang (sofern kein iteratives Bestimmungsverfahren praktiziert wird).
78
3.1.6
Zur Praxis
Die Empfehlung der pretentialen Lenkung lief darauf hinaus, jedem Unterbetrieb zu gestatten, interne Ressourcen zu Transferpreisen zu beziehen und bei Abgabe den entsprechenden Transferpreis vereinnahmen zu können. Allerdings wird das Ergebnis der theoretischen Analyse, Grenzkosten statt Vollkosten zur Basis der Bewertung interner Ressourcen zu machen, in der Praxis vielfach abgelehnt. Zur Verdeutlichung betrachte man eine lineare Kostenfunktion. Das Produkt aus Quantität und Grenzpreis entspricht der Differenz zwischen Gesamtkosten und Fixkosten. Bei einer Festsetzung von Transferpreisen in Höhe der Grenzkosten bleiben die Fixkosten ungedeckt. Die liefernde Einheit würde es vorziehen, die Produktion ganz einzustellen – oder Außenstehende zu beliefern, was ihr jedoch verwehrt wird. Das wirkt einer dezentralen Motivation entgegen und zerstört Vertrauen. Durch geringe Transferpreise erscheinen die späteren Stellen „rentabel“ und die früheren Abteilungen wirken „unrentabel“ in den Vergleichen. In den modernen Produktionsverfahren hat man praktisch nur noch Fixkosten und fast keine nennenswerten Grenzkosten mehr. Handelt es sich bei der Ressource um ein öffentliches Gut, dann sind die Grenzkosten für eine zusätzliche Erzeugung und Abgabe einer Einheit praktisch gleich Null. Die liefernde Stelle hat in diesen Situationen nur noch Fixkosten. Sie muss aber das von ihr erzeugte (öffentliche) Gut allen anderen Unternehmensteilen gleichsam gratis zur Verfügung stellen. In der Tat erscheinen Einheiten, die solche Ressourcen erzeugen, bei den internen Abrechnungen als unrentabel. Alle anderen schätzen die Vorarbeiten, doch zahlen sie (theoretisch korrekterweise) wenig dafür. Der Punkt ist, dass bei der Aussage, Transferpreise in Höhe der Grenzkosten festzulegen, lediglich eine Optimierung über die als Variable betrachtete Quantität durchgeführt wurde. Die Möglichkeit, dass sich bei dezentraler Entscheidung eine Abteilung von sich aus stilllegt, wurde überhaupt nicht in die Analyse einbezogen. Andererseits können Opportunitätskosten sehr hoch sein. Eine Vergütung aufgrund von Opportunitätskosten nimmt unter Umständen sämtliche Erfolge von der abnehmenden Stelle weg. Dann wirken die späten Stellen „unrentabel“ und die früheren erscheinen in der Kalkulation als höchst „rentabel“. Wir hatten bereits die Wirkung angesprochen, dass frühe Stellen in den unternehmerischen Transformationsprozessen über Kapazitätsgrenzen berichten könnten, um den Transferpreis in die Höhe zu treiben.
79
Opportunitätskosten sind umstritten, wenn es um den (an sich theoretisch korrekten) Vorschlag geht, sie in Transferpreisen zu berücksichtigen. Noch ein Hinweis: Bei einer internationalen und multidivisionalen Unternehmung wurden früher Transferpreise für die Gewinnverlagerung gesetzt. Diese Praktiken werden heute durch die Richtlinien der Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD) eingeschränkt, nach denen das „arm's length principle“ maßgeblich ist. Es verpflichtet zu Transferpreisen in einer Höhe, wie sie von unabhängigen Parteien gefunden würden. Von daher werden die Erkenntnisse der dezentralen Planung in der Praxis nicht immer umgesetzt. Die Folge ist, dass die dezentralen Einheiten aufgrund einer eigenen finanziellen Kalkulation nicht das tun, was für die Unternehmung als Ganze optimal wäre.
Funktionen des Unternehmens nach Gutenberg Jedes Lehrbuch für Betriebswirtschaftlehre nimmt eine Einteilung des unternehmerischen Geschehens nach Abschnitten vor. So werden etwa die „Beschaffung von Faktoren”, die „Produktion” und der „Absatz” unterschieden, wie es ERICH GUTENBERG (1897-1984) tat. Diese Abschnitte wurden nicht in ihrer zeitlichen Abfolge betrachtet, sondern als Funktionen studiert. Eine auf das operative Geschäft sowie die Produktion und den Absatz konzentrierte Betrachtung wird der heutigen Wirklichkeit jedoch nicht mehr gerecht. Denn bevor Unternehmen produzieren und absetzen, müssen sie einige Vorbereitungen treffen, die ebenso in den Kranz der Entscheidungen eingeflochten sind: Dazu gehören die Innovation, die Konstruktion von Prototypen, die Organisation und vieles mehr, das nicht unter „Produktion” und „Absatz” fällt.
Als Fazit kann man daher festhalten: Der Ansatz, in Unterabteilungen mit finanziellem Denken zu Entscheidungen zu gelangen, die ein Gesamtoptimum konstituieren, ist letztlich auf private Güter beschränkt, bei denen weder Kapazitätsbeschränkungen noch externe Effekte zu berücksichtigen sind. In allen anderen Fällen sind kompliziertere Modelle verlangt, deren Ergebnisse jedoch nicht einmal qualitativ abgeschätzt werden können.
3.2
Zeitlich-logische Verknüpfung
3.2.1
Phasen des unternehmerischen Geschehens
Es entspricht dem Wesen der Unternehmung, dass die Unternehmensteile zeitlich und logisch aufeinander folgen. Die Unternehmensteile bzw. Abteilungen kann man auch als Abschnitte oder Phasen des unternehmerischen Geschehens bezeichnen. Jede Phase beliefert die folgende mit einer typischen Vorleistung.
80
Die Unternehmung tätigt in allen Phasen Investitionen und nimmt gewisse Kombinationen sowie Transformationen von Ressourcen vor. Alle diese Aktivitäten (Investitionen, Kombinationen, Transformationen) verlangen Entscheidungen. Die Unternehmung als Ganze müsste bei einer zentralen Entscheidungsfindung alle Unternehmensteile simultan im Auge haben – das ist bereits eine ungeheure informatorische Herausforderung an die Zentrale – und sie müsste unter Berücksichtigung der Abschnittsverknüpfungen im Hinblick auf das wirtschaftliche Gesamtziel für alle Bereiche und Phasen optimale Festlegungen treffen. Das ist eine gigantische Planungsaufgabe – die wohl zum Scheitern verurteilt ist – vermutlich aus denselben Gründen, die auch die seinerzeitigen sozialistischen Plansysteme versagen ließen und zum Kollaps der sowjetischen Wirtschaft geführt haben. Deshalb auch hier wieder die Frage: x
Muss die „Zentrale“ wirklich eine simultane Optimierung aller Entscheidungen vornehmen, die in der Unternehmung an den verschiedenen, verknüpften Phasen zu treffen sind, um anschließend den optimalen Gesamtplan durch entsprechende Anweisungen an die einzelnen Phasen umzusetzen?
x
Oder kann die Zentrale darauf zugunsten einer eher dezentralen Entscheidungsfindung verzichten? In diesem Fall würden die einzelnen Phasen für sich entscheiden und dabei ein Phasenziel verfolgen. Ist das möglich, kann eine dezentrale Entscheidungsfindung oder pretentiale Lenkung realisiert werden.
Der Punkt ist wieder der: Wie sollte die Zentrale die Rahmenbedingungen festlegen, insbesondere die Parameter, welche die Phasenziele beeinflussen, sodass trotz der ansonsten nicht abgesprochenen Optimierung in jeder Phase insgesamt der Optimalplan der Unternehmung gefunden wird? Die vorzugebenden Parameter sind die Transferpreise, die jeder Unternehmensteil vom nachfolgenden Unternehmensteil erhält und die er wiederum für Vorleistungen anderer Unternehmensteile bezahlen muss. Wenn es möglich ist, korrekte Rechnungspreise für die genannten Vorleistungen zu finden, dann kann das finanzielle Gesamtziel (Ertrag, Wertschöpfung) so auf die Phasen heruntergebrochen werden, dass die dort zu treffenden Entscheidungen anhand eines rein rechnerischen, finanziellen Kriteriums (wie etwa des Kapitalwerts) ermittelt werden können. Das finanzielle Denken kann in diesem Fall heruntergebrochen werden. Es entsteht ein bis in die unteren Ebenen und bis in die frühen Dispositionen reichendes finanzielles Führungssystem. Wenn es jedoch nicht gelingt, korrekte Verrechnungspreise zu bestimmen, dann müssen als Substitut
81
andere Entscheidungshilfen entwickelt werden. Vielleicht könnte ein strategischer Ansatz die Lücke füllen, die das finanzielle Führungssystem in diesem Fall lässt. In den nächsten Abschnitten werden wir uns eingehender mit den Methoden zur Entscheidungsfindung im unternehmerischen Geschehen sowie mit der Ermittlung der Transferpreise unter erschwerten Bedingungen befassen.
3.2.2
Aufstellung des Baums
Unternehmerisches Geschehen umfasst mehrstufige Entscheidungsprozesse. Achtung: Hier geht es weder um ein kybernetisches Modell der Unternehmung, noch um einen neuronalen Ansatz oder was auch immer. Wir betrachten nur eine Logik der Abfolge von Entscheidungen, Ressourcenkombinationen und Transformationsprozessen. Sie alle bilden das unternehmerische Geschehen. Um die Abfolge zu betonen, sprechen wir von einem mehrstufigen Prozess oder eben von einzelnen Abschnitten oder Phasen. Vom Grundsatz her kann die optimale Gesamtentscheidung – eine Kombination der auf den Stufen zu treffenden Einzelentscheidungen – mit einem mathematischen Modellansatz untersucht werden. Dazu muss man über alle Entscheidungsmöglichkeiten, Zusammenhänge und Wirkungen einen genauen Überblick haben – das ist sicher eine starke Idealisierung. Auf Basis dieser Kenntnis könnte ein Gesamtplan erstellt werden, der alle denkbaren Entwicklungen erfasst. Der Gesamtplan zeigt für jede Kombination der in den einzelnen Stufen möglichen Entscheidungsalternativen, wie sich das unternehmerische Geschehen weiter entwickeln und wie es ablaufen wird. Im Plan könnten sogar Verzweigungen vorgesehen werden, wenn durch externe Zufallseinflüsse die Entwicklung nicht eindeutig ist. Das wäre sicher eine gigantische Darstellungsaufgabe. Wäre sie vollbracht, könnte in einem anschließenden Optimierungsvorgang jene Entwicklung unternehmerischen Geschehens gesucht und bestimmt werden, die angesichts eventueller Nebenbedingungen den größtmöglichen Gesamterfolg im Sinn einer finanziellen Wertschöpfung bewirkt. Das ist der Optimierungsvorgang. Wenn dann klar ist, wie insgesamt für die Unternehmung zu entscheiden wäre, könnten für einzelnen Stufen kalkulatorische Rahmenbedingungen so geschaffen werden, dass die aufgrund der lokalen rechnerischen Bedingungen in den einzelnen Stufen getroffenen Einzelentscheidungen zum Gesamtoptimum der integ-
82
rierten Unternehmung führen. Dieser Vorgang ist mit dem „Herunterbrechen“ des finanziellen Führungssystems auf die einzelnen Abschnitte gemeint. Es ist zunächst eine Gesamtschau aller Entscheidungsmöglichkeiten, Zusammenhänge und Wirkungen verlangt, dann eine Gesamtoptimierung, um herauszufinden, wie in den einzelnen Abschnitten entschieden werden sollte. Sodann können in den einzelnen Abschnitten Kalkulationsgrundlagen geschaffen und Verrechnungspreise festgesetzt werden, sodass lokale Optimierungen in den einzelnen Abschnitten wiederum das Gesamtoptimum konstituieren. SCHRITTE
WAS IST ZU TUN?
Darstellungsaufgabe
Die logische und zeitliche Abfolge aller Entscheidungsmöglichkeiten, Zusammenhänge und Wirkungen darstellen
Optimierungsvorgang
Bestimmung jener Entwicklung unternehmerischen Geschehens, das angesichts eventueller Nebenbedingungen den größtmöglichen Gesamterfolg im Sinn einer finanziellen Wertschöpfung bewirkt
Herunterbrechen des finanziellen Führungssystems
Ermittlung kalkulatorischer Rahmenbedingungen (Verrechnungspreise interner Ressourcen) für jeden Abschnitt
Einzelentscheidungen in jedem Abschnitt für sich
Die lokalen Optima bilden zusammengenommen das Gesamtoptimum
Übersicht 3-1: Die Vorgehensweise für das „Herunterbrechen“ des finanziellen Oberziels auf die einzelnen Abschnitte unternehmerischen Geschehens
Man mag eine solche Vorgehensweise als Utopie eines Planers abtun, weil die Kenntnis aller Entscheidungsmöglichkeiten, Zusammenhänge und Wirkungen bereits zu Beginn des unternehmerischen Geschehens eine praxisferne Annahme ist. Auch kann die skizzierte Optimierung so komplex werden, dass sie trotz leistungsfähiger Computer nicht mehr zu bewältigen ist. Wichtig für uns ist indessen die Erkenntnis, dass dies vom Grundsatz her möglich ist – sofern nicht weitere Erschwernisse hinzutreten: Das finanzielle Gesamtziel kann auf die einzelnen Phasen heruntergebrochen werden, sodass dort aufgrund lokaler Informationen diejenige Einzelentscheidung mit Hilfe einer finanziellen Rechnung ermittelt werden kann, die einen Teil des globalen Optimums bildet. Die richtigen Entscheidungen in den einzelnen Abschnitten würden durch ein finanzielles Führungssystem
83
herbeigeführt werden, das in den lokalen Einheiten vor allem die Verrechnungspreise für interne Ressourcen vorgibt. Wenn das alles so funktionieren könnte, hätten die Ansätze des strategischen Managements keine Bedeutung mehr. Ungeachtet der Frage, ob die Vorgehensweise utopisch ist oder nicht, wollen wir ihr in einem Gedankenexperiment weiter folgen. Üblicherweise werden im Darstellungsvorgang die möglichen Verläufe und Entwicklungen in Abhängigkeit von den auf den verschiedenen Stufen zu treffenden Entscheidungen in einem Baum dargestellt. x
Die Wurzel ist der Start, der Beginn des mehrstufigen Prozesses, mit dem das unternehmerische Geschehen einsetzt.
x
Bei jeder Entscheidung gibt es den möglichen Alternativen entsprechend Verzweigungen.
x
Die Blätter, in denen die Zweige enden, stellen die finalen Ergebnisse dar, die auf dem Weg von der Wurzel zu ihnen erreicht werden.
Eine solche Baumdarstellung heißt extensive Form, weil sie alle Pfade und alle Ergebnisse zeigt. Der Pfad mit dem höchsten finanziellen Ergebnis ist klar der beste. Die Einzelentscheidungen (auf den verschiedenen Stufen), die zu treffen sind, damit sich das unternehmerische Geschehen nach diesem Pfad entwickelt, konstituieren also den optimalen Gesamtplan. Abgesehen von der Realitätsferne der Annahme vollständiger Kenntnis aller Details und Zusammenhänge und dem Postulat, dass mehrere zulässige Pfade zur Auswahl stehen, wollen wir unser Gedankenexperiment noch einige Minuten fortsetzen. Die Entscheidungen in den einzelnen Phasen sollen aufgrund einer auf die jeweilige Phase bezogenen und daher „isolierten“ oder „separierten“ Sicht optimiert werden. Wir nehmen also an, dass der Baum aufgestellt ist und mehrere Pfade möglich sind. Die Frage lautet, ob der insgesamt beste Pfad dadurch gefunden werden kann, dass an den einzelnen Verzweigungen Einzel-
Die schwierige Suche nach dem rechten Weg In der Praxis gibt es vielfach nicht einmal einen einzigen zulässigen Pfad von der Wurzel bis zu einem Blatt. Es ist eben nicht so, dass es zahlreiche Pfade gibt und der Unternehmer daraus auswählen kann. Denn in der Praxis werden von allen Seiten so viele Bedingungen gestellt, dass es oft keine einzige Sequenz von Entscheidungen gibt, bei der alle Nebenbedingungen erfüllt würden. Der Unternehmer muss dann mit den verschiedenen, die Bedingungen stellenden Gruppen über eine Abschwächung ihrer Forderungen verhandeln, um wenigstens einen einzigen gangbaren Weg von der Wurzel bis zu einem Blatt zu öffnen. Eine Auswahl aus mehreren Pfaden und die Optimierung ist schon aufgrund der Forderungen externer Gruppen eine Utopie. Nicht ohne Grund wirbt Raiffeisen mit dem Slogan: „Wir machen den Weg frei.“
84
entscheidungen getroffen werden, die aus der lokalen Sicht optimal sind. Wenn das möglich ist, dann kann das finanzielle Denken, also die Idee des Kapitalwerts und die Investitionsrechnung, auf die einzelnen Phasen heruntergebrochen werden und wir benötigen das strategische Denken von daher nicht. Nun bilden die Investitionen der einzelnen Abschnitte unternehmerischen Geschehens eine Kette. Investitionen in späteren Abschnitten bauen auf Investitionen in früheren Abschnitten auf. Was heißt das? In den frühen Abschnitten entstehen (als Ergebnis der dort getätigten Investitionen) gewisse Outputs, die als Inputs (für die Investitionen) in den folgenden Abschnitten Verwendung finden. Durch diese internen Ressourcen sind die Phasen des unternehmerischen Geschehens miteinander verbunden. Wir untersuchen nun, ob es durch solche, die Abschnitte und Phasen verbindenden internen Ressourcen – Output der Phase k und zugleich Input der Phase k + 1 – unmöglich wird, das Gesamtoptimum durch phasenspezifische Einzeloptima zu erzeugen. Mit anderen Worten: Verhindern es solche internen Ressourcen, das finanzielle Denken und die Investitionsrechnung auf die einzelnen Phasen herunterbrechen und dort in einer jeweils unabhängigen Weise anwenden zu können?
3.2.3
Zur Natur der Vorleistungen
Angesichts der Bedeutung der dezentralen Führung hat sich die Forschung stark ausgeweitet. Ein Hauptpunkt der Forschungen: Wenn ein Unterbetrieb, der liefert, nur die Grenzkosten vergütet erhält, ist er vielleicht geneigt zu schummeln. Das ist besonders dann der Fall, wenn es sich um ein öffentliches Gut handelt und die Grenzkosten der Einheit gleich Null sind. Dennoch hat der liefernde Unterbetrieb die Fixkosten und die Frage ist, wer diese übernimmt. So wurden in verschiedenen Arbeiten vor allem Motivationen untersucht, die sich bei Informationsunterschieden zwischen den Unterbetrieben ergeben. Auch wurden behavioristische Studien zum tatsächlichen Verhalten von Einheiten einer Unternehmung erstellt.1
1
Folgearbeiten sind in den siebziger und achtziger Jahren entstanden, als Produktionsbetriebe immer größer wurden und die Notwendigkeit dezentraler Führung offenkundig wurde. Damals ermöglichten die Erkenntnisse der mathematischen Programmierung eine formale Behandlung: 1. JOEL DEAN: De-
85
Mit diesem Blick kehren wir zu unserer Problembeschreibung zurück, in der die „Unterbetriebe“ – das sind bei uns die Abschnitte bzw. Phasen – durch Lieferung von Ressourcen in einer sequenziellen Abhängigkeit stehen. Auf den ersten Blick sind die in jeder einzelnen Stufe oder Phase anstehenden Entscheidungen nun nicht mehr voneinander unabhängig (wie es die Analyse von FISHER verlangt). Denn spätere Phasen verwenden Grundlagen, die in früheren Phasen gelegt worden sind. Doch diese Antwort wäre voreilig. Denn falls es sich bei allen diesen internen Ressourcen – Output der Phase k und zugleich Input der Phase k + 1 – um marktfähige Güter handelt, dann kann die Kette rechnerisch und auch in der Wirklichkeit ohne Nachteile für irgendjemanden zerlegt werden: Die einzelnen Abschnitte oder Phasen können für sich unabhängig entscheiden, rechnen und operieren. Jeder Abschnitt kann mit seinem Output, weil er marktfähig sind, den entsprechenden externen Markt beliefern; und er kann dem von ihm benötigten Input über den entsprechenden externen Markt beziehen. In diesem Fall sind die Opportunitätskosten bekannt: Wird eine Einheit nicht an den externen Markt geliefert, dann geht ihr Marktpreis verloren. Es wäre also im Fall der Marktfähigkeit der Zwischenleistungen nicht mehr erforderlich, die gesamte Kette von Phasen in einer Unternehmung zu beherbergen. Jedes Kettenglied kann eine eigene Unternehmung bilden und selbständig in ihrer Marktumgebung operieren. Die Kalkulation einer Phase kann unter dieser Bedingung – alle Ressourcen sind marktfähig – klar anhand derjenigen Preise vorgenommen werden, die in den betreffenden externen Märkten gelten. Die Unabhängigkeitsbedingung der FisherSeparation wäre erfüllt. Diese Zerlegung einer Wertschöpfungskette kann in der Praxis oft beobachtet werden, etwa beim Outsourcing. So erwerben die großen und bekannten pharmazeutischen Firmen (Novartis, Merck) Neuentwicklungen für Medikamente von kleineren biotechnologischen Firmen über einen Zwischenmarkt. Die biotechnologischen Firmen geben ihren Output, das centralization and Intracompany Pricing. Harvard Business Review 33 (1955), S. 65-74. 2. JACK HIRSHLEIFER: On the Economics of Transfer Pricing. Journal of Business 29 (1956), S. 172-184. 3. THEODORE GROVES: Incentives in Teams. Econometrica 41 (1973), S. 617-631. 4. HORST ALBACH: Innerbetriebliche Lenkpreise als Instrument dezentraler Unternehmensführung. Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung 26 (1974), S. 216-242. 5. LARS PETER JENNERGREN: Entscheidungsprozesse und Schummeln in einem Planungsproblem von Hirshleifer: Eine Übersicht. Zeitschrift für Betriebswirtschaft 52 (1982) 4, S. 370-380.
86
Neuprodukt ab, schon allein deshalb, weil sie die Phase Wachstum (Tests, Zulassung, Gewinnung von klinischen Abnehmern, Werbung, Marktdurchdringung) allein nicht bewältigen können. Hingegen haben die großen pharmazeutischen Unternehmungen diese Kraft und sind daher an einem Zukauf interessiert. Zwar verfügen sie selbst über eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilungen, indessen ist deren Output unsicher, weshalb externe Produktentwicklungen zugekauft werden.
3.2.4
Rückwärtsrechnung
Allerdings liegt es in der Natur der Unternehmung, dass einige oder sogar alle der internen Ressourcen – Output der Phase k und zugleich Input der Phase k + 1 – nicht marktfähig sind. Dafür können vielfältige Gründe bestehen. Der den internen Ressourcen entsprechende Markt kann zum Beispiel nicht entwickelt sein. Des Weiteren kann die fehlende Marktfähigkeit darin begründet sein, dass die Unternehmung die Ressourcen selbst behalten möchte, auch wenn es für sie in einem externen Markt Abnehmer geben sollte. Das dürfte sogar der Regelfall sein. Die internen Ressourcen sollen oder können dann weder von einer vorgelagerten Phase k nach außen abgegeben, noch von der nachgelagerten Phase k + 1 von außen bezogen werden. Sie haben daher auch keinen Marktpreis. Dennoch müssen die internen Ressourcen bewertet werden, um in jeder Phase kalkulieren zu können. Früher konnte man als Veranschaulichung solcher interner Ressourcen verschiedene Zwischenprodukte heranziehen, für die es wirklich keine Tauschhandlungen mit der Außenwelt gab, die als Marktgeschehen hätten bezeichnet werden können. Inzwischen haben sich die Märkte für Zwischenprodukte immer weiter entwickelt und die Standardisierung ist deutlich vorangeschritten. Zwischenprodukte im Sinne von Teilen und Halbfabrikaten sind heute sämtlich marktfähig. Indessen gilt das nicht für die internen Ressourcen, die wir als Potenziale, Produkte (Prototypen) und Kunden auffassen. Zur Illustration: Die in den frühen Abschnitten des unternehmerischen Geschehens auftretenden internen Ressourcen sind Potenziale, also Technologien, Opportunitäten oder Realoptionen. Sie sind unternehmensspezifisch, also nur innerhalb der Unternehmung verwendungsfähig. Bereits aufgrund dieser Spezifizität sind sie nicht marktfähig. Beispiel: Die Allianz AG führt in den Beitrittsländern der EU Sondierungen über Standorte, Kooperationen und mögliche Akquisitionen. Die Arbeitsergebnisse sind aufgrund der hohen Spezifizität nicht marktfähig.
87
Hinweis: Es kann neben nicht marktfähigen Ressourcen durchaus weiteren Input und Output zwischen den Phasen geben, die marktfähig sind. Doch letztere bereiten in den Entscheidungsrechnungen keine Probleme, weil sie regelmäßig anhand der Preise im externen Markt bewertet werden können. Wir müssen sie daher nicht mehr erwähnen. Durch die internen nicht marktfähigen Ressourcen entsteht aber eine Bewertungsproblematik, ohne deren Lösung die gesamte Kette nicht rechnerisch in Abschnitte zerlegt werden kann: x
In den späten Phasen (Wachstum, Ertrag) überwiegen als Output der dort ablaufenden Kombinations- und Transformationsprozesse solche Ergebnisse, die durchaus an den Markt abgegeben werden und von dort her mit Marktpreisen bewertet werden können. So bestimmen in den späten Phasen überwiegend die Konditionen in den äußeren Märkten die Rentabilität der Maßnahmen, Vorhaben und Investitionen.
x
In frühen Phasen des unternehmerischen Geschehens muss zur Kalkulation der dort möglichen Kombinations- und Transformationsprozesse das als positiver Output angerechnet werden, was als Input in folgenden Phasen Verwendung findet. Das sind überwiegend nicht marktfähige interne Ressourcen wie Potenziale und innovative Produkte, die kurz vor ihrer Markteinführung stehen. Die Vorteilhaftigkeit von Maßnahmen in diesen frühen Phasen hängt daher vor allem von diesen nicht marktfähigen Ressourcen ab, die in den jeweils folgenden Phasen nützlich sind. Diese Ressourcen finden, weil sie nicht marktfähig sind, nur unternehmensinterne Verwendung und können folglich nicht durch die Preise eines externen Marktes bewertet werden. Ihr Wert bestimmt sich für die phasenbezogenen Entscheidungsrechnungen rein „intern“ aufgrund der Nützlichkeit, die sie für die folgenden Phasen haben.
Die sequenzielle Abhängigkeit von Investitionen wird folglich durch nicht marktfähige Ressourcen begründet. Die skizzierte Abhängigkeit macht indessen eine Wertrechnung in den einzelnen Phasen noch nicht unmöglich. Sie kann, sofern alle Zusammenhänge modelliert werden können, mit der Dynamischen Optimierung gelöst werden. Sie liefert (in der Sprache von SCHMALENBACH) die Grenzkosten und Opportunitätskosten für den allgemeinen Fall. Die Dynamische Optimierung dient zur Ermittlung bestmöglicher Sequenzen von Einzelentscheidungen, deren Wirkungen logisch oder zeitlich verknüpft sind. Bei der Dynamischen Optimierung wird auf jeder Stufe nicht nur der jeweilige Stufenerfolg berücksichtigt, sondern auch der inter-
88
ne Wert der „Vorlage“, die für die nachfolgende Stufe geschaffen wird. Diese Vorlagen – es handelt sich in unserer Anwendung um die nichtmarktfähigen internen Ressourcen – werden in der Dynamischen Optimierung durch Zustände erfasst. Handelt es sich um mehrere Ressourcen, dann sind die Zustände mehrdimensionale Variable. Auf jeder Stufe entstehen durch die dort getroffene Einzelentscheidung also zwei Arten von Output. x
Die eine Ergebnisart (Output einer Stufe) kann direkt bewertet werden. Sie entspricht hier den an die verschiedenen Märkte abgegebenen marktfähigen Ressourcen, die durch ihre Marktpreise bewertet werden können.
x
Die andere Art von Ergebnis ist die Vorlage oder Zustandsänderung. In unserer Anwendung ist das die Erzeugung einer nicht marktfähigen Ressource. Der Wert dieser Zustände errechnet sich aus den Ergebnissen, die in der Folgestufe oder in den Folgestufen damit erzielt werden können.
Nur auf der letzten Stufe sind keine weiteren Vorlagen oder Zustandsänderungen mehr zu bewerten. Die optimalen Entscheidungen auf der letzten Stufe ergeben sich daher allein aus den im Markt erzielten Ergebnissen. In einer Rückwärtsrechnung kann dann der interne Wert der Zustände für die vorangehenden Stufen ermittelt werden. In der vorletzten Stufe können die Ressourcen anhand ihrer Profitabilität bewertet werden, die sie in der letzten Stufe haben. Diese Profitabilität legt die Verrechnungspreise fest. Die Entscheidungen in der vorletzten Stufe können nun in einer finanziellen Optimierungsrechnung ermittelt werden. Hierbei werden der Output, die Ressourcen, kalkulatorisch anhand der eben ermittelten Verrechnungspreise einbezogen. Zur Interpretation: Die Rückwärtsrechnung der Dynamischen Optimierung läuft wie ein großzügiger Vererbungsprozess ab. Die in einer Stufe k erreichten finanziellen Ergebnisse werden vollständig den Ressourcen oder Zuständen zugerechnet, die von der Stufe k – 1 als Vorlage für die Stufe k geschaffen werden. Im letzten Schritt der Rückwärtsrechnung sind der Output oder Ergebnisse der anfänglichen Stufen des Gesamtprozesses bewertet und mit dieser Bewertung folgt die optimale Entscheidungsfindung auf der ersten Stufe.
89
Der Grund: Wird auf einer frühen Stufe „etwas zu wenig gemacht“, dann verringern sich die gesamten folgenden Gewinnmöglichkeiten. Die Opportunitätskosten sind entsprechend hoch. Mit anderen Worten: Die Leistungsabgaben der frühen Stufen haben einen (ungeahnt hohen) Wert für die Gesamtunternehmung. Die Unternehmung rutscht in ein Suboptimum, wenn sie in den frühen Stufen spart. Die Dynamische Optimierung geht vor allem auf den Mathematiker RICHARD BELLMAN (1920-1984) zurück, auch wenn die Vorarbeiten in der Variationsrechnung geleistet wurden.2 Ein Zwischenfazit: Das unternehmerische Geschehen muss als in mehreren Stufen oder Phasen ablaufender, längerer Transformationsprozess gesehen werden. Die Stufen oder Phasen hängen zusammen, weil der Output einer Phase als Input einer nachgelagerten Phase dient. Ein einfacher Fall ist der, in dem die internen Ressourcen – Output der Phase k und zugleich Input der Phase k + 1 – marktfähig sind. In diesem Fall kann die Unternehmung rechnerisch und in Wirklichkeit zerlegt werden. Jede Phase bildet danach eine eigenständige Unternehmung. Probleme beim Herunterbrechen des Kapitalwert-Kriteriums sind indes zu vermuten, wenn die internen Ressourcen nicht marktfähig sind. Dann können die Werte des Outputs nicht aus den Preisen eines externen Marktes abgelesen werden. Dennoch ist auch dann noch eine Übertragung des finanziellen Denkens auf die einzelnen Phasen möglich – wenn einmal die praktischen Schwierigkeiten bei der Aufstellung des Baums aller Pfade ausgeklammert werden. Die auf den einzelnen Stufen für dort zu treffende Einzelentscheidungen benötigten internen Werte dieser Ressourcen können vom Grundsatz her mit Dynamischer Optimierung ermittelt werden.
3.2.5
Zur Praktikabilität
Das Bisherige darf so synthetisiert werden: Theoretisch gesehen macht es die logische und zeitliche Verknüpfung aufeinander folgender Phasen unternehmerischen Geschehens noch nicht unmöglich, die in den einzelnen Abschnitten zu treffenden Entscheidungen isoliert für sich und mit finanziellem Kalkül anzugehen.
2
DAVID G. LUENBERGER: Introduction to Dynamic Systems: Theory, Models, and Applications. Wiley & Sons, New York 1979.
90
Die Kette aufeinander folgender Abschnitte kann sogar zerfallen, sofern die Ressourcen, die den Zusammenhang der einzelnen Kettenglieder bewirken, rein private und marktfähige Güter sind. Etwas schwieriger wird es, wenn diese Ressourcen – Output einer vorgelagerten und Input einer nachfolgenden Stufe – nicht marktfähig sind. Dann muss die Dynamische Optimierung herangezogen werden, um sie intern zu bewerten. Diese internen Bewertungen fungieren dann wie Verrechnungspreise, und es sind anschließend wieder isolierte Entscheidungen auf den einzelnen Stufen möglich. Die lokalen Optima bilden ein Gesamtoptimum für die Unternehmung. Das ist aber eine rein theoretische Möglichkeit, und zwar aus drei Gründen: 1.
Es ist eine vollständige Kenntnis aller Zusammenhänge verlangt.
2.
Zur Bestimmung der benötigten internen Verrechnungspreise für die Ressourcen ist bei der Dynamischen Optimierung eine Rückwärtsrechnung über den gesamten Baum aller Verzweigungen notwendig. Man kann also erst auf den einzelnen Stufen entscheiden, nachdem die gesamte Dynamische Optimierung durchgeführt wurde. Wenn das geschehen ist, sind die Einzelentscheidungen ohnehin bekannt. Das ist sicher ein Dilemma.
3.
Eine zusätzliche Komplikation entsteht, wenn eine interne Ressource die Merkmale eines öffentlichen Guts (oder Synergien) aufweist. Dann ergibt sich bei der Rückwärtsrechnung der Wert dieser Ressource als Summe der Ergebnisse aller Prozesse, die auf sie zurückgreifen – und zugreifen können, weil sie dadurch nicht verbraucht wird. Insbesondere hängt der Wert dieser intra-öffentlichen Ressource von der Anzahl der Prozesse ab, die sie verwenden. Damit ist nun nicht eine Entscheidung innerhalb eines Baumes, sondern die Struktur des Baumes selbst angesprochen. In diesem Fall müssten Gruppen von Investitionen und Gruppen von Ressourcen betrachtet werden, die sich gegenseitig begünstigen – etwa eine gemeinsam genutzte und erzeugte Wissensbasis. Ihre Aufstellung sprengt die Möglichkeiten einer formalen Modellierung.
Damit ist selbst in einer reinen Gedankenwelt dem Herunterbrechen des finanziellen Kriteriums der Unternehmung auf ihre einzelnen Abschnitte eine Grenze gesetzt. Selbstverständlich kann man behaupten, es sei „theoretisch“ immer noch möglich, korrekte Transferpreise zu finden, und die
91
Fehler gingen stets auf eine „unkorrekte“ Umsetzung der Theorie in der Praxis zurück.3 Nun kann man beobachten, dass Ressourcen mit intra-öffentlichem Charakter besonders zwischen den früheren Phasen auftreten. In den späteren Abschnitten kann durchaus noch finanziell gedacht und entschieden werden, während bei den logisch und zeitlich vorgelagerten Entscheidungen aufgrund des intra-öffentlichen Charakters der dortigen Ressourcen (Wissen, Potenziale, Realoptionen) die finanzielle Sicht auch in der Theorie scheitert. Aus einer praktischen Sicht stößt der Versuch, das finanzielle Kriterium auf die einzelnen Abschnitte herunterzubrechen, noch früher an seine Grenzen. Zuerst wäre es hoffnungslos, den einer Dynamischen Optimierung zugrunde liegenden Entscheidungsbaum vollständig aufstellen zu wollen. Zwar dürfte es in späten Phasen leichter sein, die dort zu treffenden Entscheidungen formal zu beschreiben, doch gerade in den früheren Phasen sind die dann noch folgenden Entwicklungen zu langfristig und vage. Selbst wenn der Baum einigermaßen genau aufgestellt wäre, entstünden bei der Dynamischen Optimierung Fehler bei der Bewertung der internen Ressourcen (Zustände). Gemeint sind nicht Rechenfehler, sondern Fehler aufgrund unvollständiger Informationen und aufgrund von Prognosefehlern hinsichtlich der Kosten und Erlöse oder kurz der Cashflows. Auch wenn sie gering sein können, kumulieren sie in der Rückwärtsrechnung. In den ersten Abschnitten sind die Bewertungsfehler bei den internen Ressourcen daher größer als in den späteren Phasen. Von daher ist die Unterscheidung von Phasen wichtig (auf die wir im folgenden Abschnitt näher eingehen werden): Während eine Entscheidungsrechnung, eine Investitionsrechnung oder ein finanzielles Führungssystem in der Praxis für die späteren Phasen durchaus aufgestellt werden können, ist dies bei den früheren Phasen nicht mehr möglich. Dafür wurden drei Gründe genannt: 1. Interne Ressourcen mit Externalitäten, Synergien oder dem Charakter intra-öffentlicher Güter. 2. Die Unkenntnis aller Entwicklungsmöglichkeiten bereits zu Beginn des unternehmerischen Geschehens. 3. Bei der Rückwärtsrechnung kumulierte Fehler (bei den Prognosen der Cashflows).
3
So jedenfalls die Behauptung von PATRICK BARWISE, PAUL R. MARSH und ROBIN WENSLEY: Must Finance and Strategy Clash? Harvard Business Review, September 1989.
92
3.2.6
Vier Phasen
Wir haben uns in diesem Kapitel mit der Problematik der Bestimmung von Transferpreisen beschäftigt und sind zu dem Schluss gelangt, dass in den frühen Phasen des unternehmerischen Geschehens ein rein finanzielles Führungssystem als Richtschnur der dezentralen Entscheidungsfindung nicht praktikabel ist. Ein strategischer Ansatz sollte dieses Vakuum füllen. Wo verläuft die Grenze zwischen strategischem und finanziellem Denken? Für die Untersuchung dieser Frage hat sich eine Vier-Phasen-Typologie des unternehmerischen Geschehens als fruchtbar erwiesen. Wir unterscheiden für die Unternehmung vier Phasen: 4 1.
Die Unternehmung sucht sich die richtige Position und nimmt sie ein. Die Position schafft Potenziale, die als Vorleistung von der nachfolgenden zweiten Phase aufgegriffen werden.
2.
Die Unternehmung engagiert sich bei der Entfaltung dieser Potenziale, tätigt Innovationen und entwickelt Produkte und Prototypen. Diese Phase schafft Prototypen für Produkte und Services als Vorleistung für die nachfolgende, dritte Phase.
3.
Sie führt diese Prototypen als Produkte in den Markt ein, skaliert die Produktion und bewirkt Wachstum. Diese Phase erschließt den Markt und bringt gleichsam einen Kundenstamm als Vorleistung in die nachfolgende vierte Phase ein.
4.
Sie realisiert durch Absatz den wirtschaftlichen Erfolg und optimiert dazu die verschiedenen Einflussfaktoren auf den Ertrag und die finanziellen Rückflüsse aus dem Absatz.
4
Selbstverständlich kann eine große Unternehmung nicht nur einen dieser mehrstufigen Prozesse betreiben.
93 Wo platzieren, was vorbereiten?
Position
Wie forschen, was entwickeln?
Wie produzieren, wie absetzen?
Wachstum
Aufbau
Potenziale
Wie Werttreiber einsetzen
Produkte
Ertrag
Cash
Kunden
Interne Ressourcen
Abbildung 3-3: Die vier Phasen (von links nach rechts) mit den jeweiligen Entscheidungen (oben) und den internen Ressourcen, durch die sie zusammenhängen (unten)
3.3
Zusammenfassung
Ein sequenzielles Planungsproblem zerfällt, wenn für die zwischen den einzelnen Stufen weitergegebenen Ressourcen Werte gegeben sind, beispielsweise bei Marktfähigkeit durch die Preise. Sind die Ressourcen nicht marktfähig, versucht man, „interne Werte“ oder Transferpreise zu bestimmen. In einer einfachen Modellierung – Betriebsbereitschaft der Abteilungen nicht in Frage gestellt, privates Gut – können die Transferpreise in Höhe der Grenzkosten festgelegt werden. Bei Kapazitätsbeschränkungen kommen Opportunitätskosten hinzu. So lässt sich das eigentlich zentrale Entscheidungsproblem wieder in dezentrale Entscheidungen zerlegen. Allerdings sind Festlegungen von Transferpreisen in Höhe der Grenzkosten umstritten: Zum einen halten Praktiker dieVollkosten für relevanter als die Grenzkosten, zum anderen sind bei vielen modernen Transformationsstrukturen die Fixkosten hoch und die Grenzkosten gering. Zudem wird die Relevanz von Opportunitätskosten, denen stets etwas Künstliches anhaftet, abgelehnt. Hinzu kommt, dass sich die Opportunitätskosten in praktisch wichtigen Situationen nicht herleiten lassen, besonders in solchen Fällen, in denen die Ressource externe Effekte zeitigt. Wenn außerdem ein erheblicher Zeitraum zwischen den aufeinander folgenden Stufen oder Phasen verstreicht, dann ist in den frühen Phasen höchst unklar, wo und wie oft die geschaffene Ressource später Verwendung findet und wie rentabel diese Verwendung sein dürfte. In dieser Situation stößt die Idee, ein finanzielles Kalkulationssystem herunterzubrechen, an die Grenze ihrer Realisierbarkeit.
94
3.4
Literaturempfehlungen
Zwei Bücher: 1. Eine umfassende Darstellung der dezentralen Führung vor dem Hintergrund der Kosten- und Erlösrechnung ist in diesem Standardwerk enthalten: RALF EWERT und ALFRED WAGENHOFER: Interne Unternehmensrechnung. 6. Auflage, Springer, Berlin 2005. 2. DAVID G. LUENBERGER: Introduction to Dynamic Systems: Theory, Models, and Applications. Wiley & Sons, New York 1979. Das Buch verlangt etwas an Mathematikkenntnissen, ist aber klar und dadurch leicht verständlich. Die Darstellung der Methodik wird durch Skizzen wirtschaftlicher Anwendungen der mathematischen Systemtheorie ergänzt.
4
Strategisch denken!
Auf einen Blick: Das strategische Denken ist eine der Hauptströmungen betriebswirtschaftlicher Argumentation. Wir zeichnen die Geschichte und die Entwicklung des strategischen Managements nach und rekapitulieren dazu den Marketbased View, den Resource-based View, die Relational View und das St. Galler-Management-Modell. Es bleibt jedoch nicht bei der historischen Darstellung dieser Ansätze. In diesem Kapitel wird ausführlich auf die Herausforderungen eingegangen, denen sich die Unternehmensstrategie heute stellen muss: Technologischer Fortschritt, Globalisierung, Deregulierung sowie die zunehmende Bedeutung der Kapitalmärkte haben neue Rahmenbedingungen für die Unternehmen und damit auch für das strategische Management geschaffen.
4.1
Entwicklung und Ansätze des strategischen Managements
4.1.1
Was bedeutet „Strategie“?
„Strategia“ bezeichnete im antiken Griechenland „die Kunst der Heerführung“. Jahrhundertelang war der Begriff nur im militärischen Sprachgebrauch beheimatet, ehe er auf andere Bereiche erweitert wurde. Der preußische General und Militärschriftsteller CARL VON CLAUSEWITZ (1780-1831) hat in seinem Hauptwerk „Vom Kriege“ die Grundlagen dafür geschaffen, dass später strategische Elemente (zum Beispiel flexible Führung, Gefechtstaktik) auf die Wirtschaft übertragen werden konnten. Strategisches Denken weist – unabhängig vom konkreten Kontext seiner Anwendung – charakteristische Merkmale auf: Strategisches Denken stellt generell ein inhaltliches Ziel an den Anfang: Man möchte den Feind besiegen, die Kunden ansprechen, den Durchbruch schaffen, den Wandel erreichen. Die Strategie beantwortet die Fragen, wie, mit welchen Schritten und Aktionen, mit welchen Reaktionen auf zufällige Einflüsse sowie auf Maßnahmen von Dritten und von „Gegenspielern“ man das Ziel wohl am besten erreicht. x
Die Strategie ist ein Kontingenzplan, der die eigene Vorgehensweise in Abhängigkeit von Umweltzuständen, die eintreten könnten, und in
96
Abhängigkeit von denkbaren Aktionen anderer Personen entwickelt. Damit ist gemeint, dass die eigene Vorgehensweise nicht nur aus einem einzigen „Zug“ besteht, sondern Sequenzen von Maßnahmen darstellt. x
Die Strategie zeichnet die (bedingte) Vorgehensweise vom Grundsatz her, doch geht sie dabei nicht auf jedes Detail ein. Bei der konkreten Umsetzung einer Strategie sind daher zusätzliche Überlegungen für die Feinabstimmung zu treffen.
x
Die Strategie geht von einer Analyse der Situation, der Umwelt und der Wirkungszusammenhänge aus und entwickelt für sie eine differenzierte Sicht. Weiter geht sie auf die Komplexität und die Unsicherheit ein.
4.1.2
Die Anfänge des strategischen Managements
Der Strategiebegriff hielt erst in den vierziger Jahren Einzug in die Wirtschaftswissenschaften (siehe Kasten). Erst allmählich beschäftigte sich die Betriebswirtschaft in den darauffolgenden Jahrzehnten mit dem strategischen Denken. Der Begriff des strategischen Managements hat sich erst Anfangs der siebziger Jahre etabliert. Damals wurde nach Jahren des Wirtschaftswachstums und des weltweiten Absatzes von Massenprodukten eine Sättigung der Märkte erkennbar.1 Gleichzeitig sah man die Begrenztheit natürlicher Ressourcen und erkannte den bis dato verschwenderischen Umgang mit ihnen (Gründung des Club of Rome 1968). Angesichts dieser Veränderungen in der Welt und im Nachfrageverhalten der Menschen kamen die Unternehmungen mit dem hergebrachten mikroökonomischen Kalkül nicht mehr weiter. Denn die bis dahin verwendeten Modelle empfahlen für gewisse Typen von Produktionsfunktionen die Optimierung von
1
1. HANS H. HINTERHUBER: Strategische Unternehmungsführung – Strategisches Denken: Vision, Unternehmungspolitik, Strategie. 7. Auflage, Berlin 2004. 2. GÜNTER MÜLLER-STEWENS und CHRISTOPH LECHNER: Strategisches Management – Wie strategische Initiativen zum Wandel führen. 3. Auflage, Schäffer-Poeschel Verlag, Stuttgart 2005. 3. HENRY MINTZBERG: Strategy formation: Schools of thought; in: J. FREDERICKSON (Hrsg.): Perspektives on strategic management. Boston 1990, S. 105-235. 4. CYNTHIA A. MONTGOMERY und MICHAEL E. PORTER (Hrsg.): Strategy. Seeking and Securing Competitive Advantage. Harvard Business Press, Boston 1991. 5. MICHAEL E. PORTER: How competitive forces shape strategy. Harvard Business Review 57 (1979), S. 137-156.
97
Faktorkombinationen sowie die Erlöskalkulation anhand einer als gegeben betrachteten Preis-Absatz-Funktion. Das war angesichts der zunehmenden Komplexität und des Wandels der wirklichen Zusammenhänge zu eindimensional und mechanisch. Überblick: Der Strategiebegriff in der Wirtschaft 1.
JOHN VON NEUMANN und OSKAR MORGENSTERN (1944) verwenden den Strategiebegriff für die komplexen und bedingten Sequenzen einzelner Handlungen im Rahmen der von ihnen 1944 begründeten Spieltheorie.
2.
Immer wieder geht es um den Zusammenhang zwischen Strategie und Organisation: Für den chinesischen Philosophen SUN TZU (544-496 v.Chr.) ist die Strategie das Arbeitsergebnis einer Organisation. Hingegen betont ALFRED D. CHANDLER (1962), dass sich die Organisation der Strategie unterordnen müsse: „Structure follows Strategy.“ Das bedeutet: Wird die Strategie geändert, so sind Anpassungen in der Organisation der Unternehmung nötig.
3.
ANSOFF (1965) nimmt dem Strategiebegriff das Schöpferische des großen Geistes und rückt die Strategie in den Bereich handwerklicher Planung des mittleren Managements.
4.
KIRSCH (1977) charakterisiert die Strategie einer Unternehmung: Sie muss erstens aus lebensweltlichen Handlungsorientierungen bestehen, zweitens den Charakter von Prinzipien aufweisen, drittens im Zusammenhang mit Fähigkeiten stehen und viertens von der gesamten Unternehmung insofern getragen werden, als deren dominante Führungsgruppen die ersten drei Merkmale gemeinsam sehen und teilen.
5.
MINTZBERG definiert die Strategie durch das, wozu sie dient und klärt den Begriff durch fünf P: Die Strategie ist ein Plan, ein Denkspiel (Ploy), ein Muster (Pattern), sie beschreibt eine Position und bietet eine Perspektive.
In den siebziger Jahren wurde deutlich, dass sich die bisherigen Planungsansätze in der Unternehmensführung überlebt hatten: Langfristige Prognosen beruhten auf einer Fortschreibung des Status quo in der Zukunft. Quantitive Kennzahlensysteme, die die Vergangenheit abbildeten, spielten demnach eine zentrale Rolle. Diese Art der langfristigen Planung konnte aber nur so lange funktionieren, wie sich die Umwelt kontinuierlich entwickelte. Diese Prämissen waren jedoch spätestens Anfang der siebziger überholt, als die Ölkrise – und der daraus resultierende Ölpreis-Schock – und die neue Konkurrenz aus Japan, die auf die Weltmärkte drängte, den Unternehmen in den westlichen Industrieländern klar machten, dass die
98
Stabilität des Nachkriegswirtschaftsbooms ein für allemal vorbei war. Diese Veränderungen in ihrem Umfeld zwangen die Unternehmen dazu, althergebrachte Führungs- und Planungsinstrumente zu überdenken. Der Begriff „Strategie“ war auf dem Vormarsch – sowohl in die Managementliteratur als auch in die Chefetagen der Unternehmen. Bei der Suche nach den Grundlagen für den langfristigen Erfolg einer Unternehmung verschoben sich allmählich die Schwerpunkte: Der Blick war nun weniger in die Vergangenheit gerichtet, sondern in die Zukunft. Die Chancen und Risiken, die sie bereithält, sollten ebenso analysiert werden wie die Schwächen und Stärken des Unternehmens. Damit rückte automatisch das Umfeld des Unternehmens stärker ins Blickfeld. Durch diese Analyse – so die grundlegende Annahme der strategischen Planung – lassen sich die langfristigen Erfolgspotenziale einer Unternehmung ermitteln. Um diese Aufgabe systematisch anzugehen, wurde eine Reihe von Instrumente entwickelt: Die bekanntesten davon werden wir in diesem Abschnitt kurz charakterisieren.
SWOT-Analyse IGOR ANSOFF, einer der Begründer des strategischen Managements, entwickelte 1965 die Analyse von Stärken und Schwächen (SWOT). Im Akronym steht S für Strengths, W für Weaknesses, O für Opportunities und T für Threats (also für Bedrohungen und Risiken, denen die Unternehmung ausgesetzt ist). Die SWOT-Analyse kombiniert die Betrachtung der Unternehmung und ihrer Umwelt: Die Faktoren „S“ und „W“ unterliegen der Kontrolle und Steuerung der Unternehmung. Hingegen beziehen sich „O“ und „T“ auf „externe“ Faktoren, die allenfalls indirekt beeinflusst werden können. Die Hauptempfehlung der SWOT-Analyse lautet: Die Unternehmung muss in einer Umweltanalyse die externen Gegebenheiten im Detail erfassen und dementsprechend Chancen ergreifen und Risiken bewältigen. Sie kann dabei ihre Stärken ausspielen und muss auf ihre Schwachstellen achten. Damit die SWOT-Analyse mobilisierend wirkt, kommt es wesentlich auf die Reihenfolge an: Es empfiehlt sich, mit den Stärken zu beginnen und sich auf die Chancen zu konzentrieren – die Übergewichtung von Schwächen und Risiken führt leicht zu Frustration und Stagnation.
99 Umweltanalyse Unternehmensanalyse
CHANCEN (Opportunities)
GEFAHREN (Threats)
STÄRKEN (Strengths)
SO-Strategien: Stärken verwenden, um Chancen im Umfeld zu nutzen
ST-Strategien: Stärken verwenden, um externe Bedrohungen zu mildern
SCHWÄCHEN (Weaknesses)
WO-Strategien: An Chancen partizipieren und dadurch Schwächen beseitigen
WT-Strategien: Durch den Abbau interner Schwächen die Gefahren reduzieren
Abbildung 4-1: Die SWOT-Analyse von ANSOFF 1965, dargestellt nach MÜLLERSTEWENS/LECHNER (2005)
Erfahrungskurve Die Erfahrungskurve, die Ende der sechziger Jahre von der Boston Consulting Group (BCG) entwickelt und als Planungs- und Kontrollinstrument verkauft wurde, veranschaulicht den Zusammenhang zwischen Erfahrung und Effizienz: Je häufiger eine Aufgabe ausgeführt wird, desto stärker sinken die Kosten (siehe Abbildung 4-2). Wohlgemerkt: Der Rückgang der Kosten bei der Erhöhung der Produktionsmenge ist kein Automatismus. Die Aussage beruht auf der Prämisse von Lerneffekten und damit einhergehenden Steigerungen der Produktivität sowie auf der Realisierung der Economies of Scale. Als Implikation für die Strategiewahl lässt sich aus der Erfahrungskurve ableiten, dass eine Erhöhung des Marktanteils das Potenzial zur Kostensenkung in der Produktion birgt. Kosten pro Stück 100 -20%
90 80 70 60 50 0 100
200
300
Abbildung 4-2: Erfahrungskurve
500 400 600 Kumulierte Ausbringungsmenge
100
Portfolio-Analyse Die Grundidee der Portfolio-Analyse ist die kombinierte Betrachtung des Unternehmens und seiner Umwelt in einer zweidimensionalen Matrix. Diese Methodik sollte eine wesentlich realitätsgerechtere Beschreibung der Situation erlauben als die mikroökonomische Betrachtung der Größen Menge und Preis. Die einfachste und populärste Variante der Portfolio-Analyse ist die Marktwachstums-Marktanteils-Matrix, deren konzeptionelle Grundlagen die Erfahrungskurve bildet. Die Boston Consulting Group hat diese Matrix als Werkzeug entwickelt: Durch eine Charakterisierung ihrer Produkte im Absatzmarkt lässt sich der Ist-Zustand einer Unternehmung analysieren. Die Produkte werden anhand der beiden Merkmale relativer Marktanteil und Marktwachstum in einer zweidimensionalen Grafik positioniert. Der relative Marktanteil wird dabei als eigener Marktanteil geteilt durch den des stärksten Konkurrenten definiert. Vier typische Positionen werden identifiziert, so zum Beispiel die Melkkuh (Cash Cow) mit einem hohen Marktanteil und stagnierendem Marktwachstum. Je nach Matrixfeld lässt sich für jede Produktposition eine Normstrategie zuordnen (siehe Abbildung 4-3): Zum Beispiel Investitionen in vielversprechende „Fragezeichen“ oder „Stars“, Desinvestitionen bei „Armen Hunden“ oder Abschöpfen bei den „Melkkühen“. Es ist offensichtlich, dass diese Normstrategien bereits Empfehlungen für die finanzielle Steuerung der Unternehmung beinhalten und quasi eine Brücke zwischen strategischer und finanzieller Führung schlagen. Eine Erkenntnis, die ebenfalls aus der BCG-Matrix abzulesen ist, dass der Mix der Produktpositionen eine entscheidende Rolle spielt. Deshalb gilt die BCG-Matrix als Vorläufer einer Reihe von Portfolioansätzen, bei denen es auf die gegenseitige Ergänzung von Merkmalen ankommt.
101 Marktwachstum Überdurchschnittlich
Unterdurchschnittlich
Fragezeichen Handlungsanweisung: selektiv vorgehen
Stars Handlungsanweisung: fördern, investieren
Arme Hunde Handlungsanweisung: abbauen, liquidieren
Melkkühe Handlungsanweisung: Position halten und ernten
Schlechter als Hauptkonkurrent
Besser als Hauptkonkurrent
Relativer Marktanteil
Abbildung 4-3: Die BCG-Matrix mit den beiden Merkmalen Marktanteil und Marktwachstum dient dazu, die Stellung der vorhandenen Produkte im Absatzmarkt zu erkennen (in Anlehnung an HEDLEY 1977)
4.1.3
Weiterentwicklung: Market-based View
In den achtziger Jahren verstärkten sich jene Tendenzen, die sich bereits in den siebziger Jahren abgezeichnet hatten: Die Internationalisierung des Wirtschaftslebens schritt voran. Der Strukturwandel hatte die Industriestaaten erfasst, die Bedeutung des tertiären Sektors für die wirtschaftliche Entwicklung nahm stetig zu: Das Tempo auf dem Weg in die Dienstleistungsgesellschaft hatte sich erheblich gesteigert. Die Komplexität des Umfelds stieg, während die Unternehmen gleichzeitig einem immer stärkeren Wettbewerbsdruck ausgesetzt waren. Die Orientierung auf die Kundenseite wurde also immer wichtiger. Dementsprechend ändert sich die Blickrichtung im strategischen Management: Die Unternehmung wurde nun aus der Perspektive des Absatzmarktes betrachtet („outside in“). Er setzt die Regeln, die über Erfolg – oder Misserfolg – eines Unternehmens entscheiden. Grundlage des Market-based View ist das Structure-Conduct-Performance-Paradigma: Wettbewerbsvorteile (performance) werden durch die Branchenstruktur (industry structure) und das strategische Verhalten eines Unternehmens erklärt (conduct).
102
Porter MICHAEL PORTER ist der bekannteste Vertreter des marktorientierten Ansatzes. Der Harvard-Professor nennt fünf Einflussfaktoren für den Wettbewerb: 1.
Die Bedrohung existenter Anbieter durch neue Produzenten,
2.
den Preisdruck durch Substitutionsprodukte,
3.
die Verhandlungsstärke der Abnehmer,
4.
die Verhandlungsstärke der Lieferanten von Vorleistungen und
5.
den Grad der Rivalität und Aggressivität zwischen den vorhandenen Anbietern.
Diese Five Forces gehören heute zum Standardwerkzeug des strategischen Managements, wenn Prognosen über die zukünftige Marktsituation einer Unternehmung erstellt werden. Eine Schlussfolgerung PORTERS ist, dass sich die Unternehmung im Absatzmarkt gegenüber anderen Anbietern differenzieren soll. Denn durch Differenzierung wird die ansonsten eintretende Veränderung des Marktes zum vollkommenen Wettbewerb unterbunden. Dadurch bleibt die Marktform der monopolistischen Konkurrenz erhalten, die jedem Anbieter einen gewissen Handlungsspielraum gibt, vor allem beim Preis. Zur Erinnerung: Im vollkommenen Markt sind alle Marktteilnehmer reine Mengenanpasser; niemand hat Einfluss auf den Preis. PORTER weist zwei Wege für die Generierung eines Wettbewerbsvorteils: x
Die Unternehmung soll entweder nach geringeren Kosten (Kostenführerschaft) streben oder
x
nach höherwertigen Produktmerkmalen (Produktdifferenzierung).
Sie soll sich aber mutig für das eine oder andere entscheiden und nicht halbherzig vorgehen, weil „stuck in the middle“ die schlechteste Lösung sei. Wir wissen natürlich heute, dass eine Unternehmung nicht den Weg der Produktdifferenzierung einschlagen kann, ohne gleichzeitig an der Kostenseite zu arbeiten.
103 POTENZIELLE NEUE KONKURRENTEN Bedrohung durch neue Konkurrenten Verhandlungsmacht der Lieferanten
Wettbewerber in der Branche
LIEFERANTEN
ABNEHMER Rivalität unter den etablierten Unternehmen
Verhandlungsmacht der Abnehmer
Bedrohung durch Ersatzprodukte und -dienste
SUBSTITUTIONSANBIETER
Abbildung 4-4: Triebkräfte des Branchenwettbewerbs nach PORTER (1999)
4.1.4
Resource-based View (RBV)
Bald werden die Defizite der bisher erwähnten marktorientierten Strategien deutlich. Vor allem die einseitige Betrachtung des Absatzmarktes wurde kritisiert. Das Gebot zur Anpassung an eine gegebene Situation schien zunehmend als fatalistisch. Als weiteres Manko wurde die Orientierung an etablierten Branchen genannt und die damit einhergehende Gefahr, neu entstehende Märkte zu ignorieren. Unternehmen sollten Wettbewerbsvorteile nicht nur „draußen“ im Markt suchen, sondern in sich selbst: Die Unternehmung muss Gestaltungspotenziale haben, aktiv pflegen und wirtschaftlich einsetzen. Der Resource-based View wechselt also die Perspektive: „inside out“ statt „outside in“. Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht hier nicht um eine Nabelschau: Natürlich muss das Unternehmen bei der Konzentration auf die eigenen Ressourcen immer die Anforderungen des Marktes „mitdenken“. So entsteht die Frage, worin solche Gestaltungspotenziale begründet sind: Welche Faktoren generieren Wettbewerbsvorteile? Was kann die Unternehmung tun, um diese Faktoren zu fördern?
104
Penrose EDITH PENROSE (1914-1996) führt bereits 1959 den Erfolg einer Unternehmung auf die Qualität interner Ressourcen zurück. Sie lenkt damit den Blick auf die Produktion und die Beschaffungsmärkte für Produktionsfaktoren. Um Erfolge in den Absatzmärkten zu haben, müssen bereits auf vorgelagerten Stufen Wurzeln für Wettbewerbsvorteile vorhanden sein. PENROSE erkennt, dass sich die Ressourcenausstattung von Unternehmung zu Unternehmung unterscheidet. Diese Heterogenität der Ressourcen macht jede Unternehmung einzigartig. Die Unternehmung muss sich der Besonderheiten ihrer Ressourcen bewusst sein. Nur auf Basis dieser Erkenntnis kann sie diese entfalten und zur Geltung bringen, also in Wettbewerbsvorteile transformieren. So ist der Resource-based View (RBV) entstanden. Vereinfacht besagt er, dass jede Unternehmung über andere, also spezielle Ressourcen verfügt und dadurch im Verlauf der sich anschließenden Transformationen und Transaktionen Vorteile hat. Diese Sicht ist eng mit der Theorie des komparativen Vorteils von DAVID RICARDO (1772-1823) verwandt. Ricardo hatte geklärt, wie sich im Außenhandel Länder auf gewisse Ressourcen spezialisieren. Er erkannte, dass es nicht auf die absoluten Produktivitäten, sondern auf die relativen Produktivitäten ankommt. Eine Unternehmung wird sich daher auf jene Ressourcen und Transformationsprozesse fokussieren, bei denen sie in der Relation zu anderen Ressourcen und Transformationsprozessen besser dasteht als ihre Konkurrenten. JAY BARNEY hat diese Sicht 1991 wieder belebt. Sein Rat an das Management: Die Unternehmung soll ihre Besonderheit nicht nur erkennen, sondern einen passenden Plan entwickeln, wie und wobei die entsprechenden Ressourcen wirtschaftlich eingesetzt werden können. Wie bereits gesagt, werden Ressourcen im Rahmen des RBV als heterogen betrachtet. Es ist nicht so, wie in der neoklassischen Ökonomie angenommen, dass es einige wenige Ressourcenarten gibt (wie Land, Kapital und Arbeit) und sich die Unternehmungen lediglich hinsichtlich der jeweiligen Quantitäten unterscheiden, in der sie über diese ansonsten homogenen Ressourcen verfügen. In der Realität hat BMW nicht nur eine andere Anzahl von Beschäftigten als Fiat. Die Mitarbeiterschaft von BMW und von Fiat ist in ihrer Qualifikation und Motivation unterschiedlich. Heterogen sind weiter die Ge-
105
schichten der Unternehmungen, das jeweilige Ansehen im Arbeitsmarkt, das Image bei Kunden. Jede Marke ist anders. Am deutlichsten wird die Heterogenität beim Wissen als Ressource einer Unternehmung. Oftmals ist dieses Wissen verborgen oder implizit (tacit knowledge) wie unternehmensspezifische Werte und die Kultur. So führt der RBV schnell zur Bedeutung der Führung, der Motivation und der Kompetenzen.
Wissen
Kombination verschiedener Ressourcen zur Schaffung der Basis von Wettbewerbsvorteilen
Transformation in Wettbewerbsvorteile
Ummünzen in wirtschaftlichen Erfolg
Abbildung 4-5: Nach dem RBV müssen verschiedene seltene, unternehmensspezifische und nicht so leicht durch Markttransaktionen übertragbare Ressourcen zunächst kombiniert werden. Dabei werden die Wurzeln für spätere Wettbewerbsvorteile gelegt. Es schließt sich ein zweistufiger Transformationsprozess an, der zunächst zu Wettbewerbsvorteilen (aus Sicht der Kunden und Abnehmer) führt und sodann zur Realisation des wirtschaftlichen Ziels
Die drei zentralen Fragen des Resource-based View lauten: 1.
Welche Ressourcen können dauerhaft einen Wettbewerbsvorteil generieren?
2.
Wo (bei welchen Produkten) und auf welche Weise können diese Ressourcen wirtschaftlich eingesetzt werden?
3.
Wie können die Ressourcen erhalten, gepflegt, geschützt, weiterentwickelt werden?
Die auf diese zentralen Fragen im RBV gegebenen Antworten können so zusammengefasst werden: x
Die Ressourcen müssen Seltenheit haben und dürfen nicht in derselben Form bei anderen Unternehmen anzutreffen sein. Oftmals verlangt dies, dass die Ressourcen nicht marktfähig, sondern firmenspezifisch sind. Sie müssen daher in der Unternehmung mit einem Ansatz der Nachhaltigkeit entwickelt werden.
106 x
Verschiedene Ressourcen müssen kombiniert werden. Die Wurzeln für Wettbewerbsvorteile werden nicht durch eine Ressource allein gelegt. Sie entstehen aus der Verbindung verschiedener Ressourcen, insbesondere aus der Kombination von greifbaren Ressourcen (Tangibles) mit Wissen und Fähigkeiten (Intangibles).
x
Um die Erfolgswirksamkeit zu entfalten, müssen aus diesen Wurzeln mit einem Transformationsprozess Wettbewerbsvorteile aus Sicht der Kunden geschaffen werden (KIRSCH 1991).
x
Um die Ressourcen zu erhalten, müssen sie geschützt, gepflegt und weiterentwickelt werden. Hierbei sind so genannte dynamische Fähigkeiten verlangt.
Kurzum muss die Unternehmung nach dem Resource-based View diese drei Fragen beantworten: 1.
Was ist unser Gralsschatz? Es handelt sich um mehrere, einzigartige Ressourcen, die zu kombinieren sind. Eine einzelne Ressource nützt wenig. Die Ressourcen haben in ihrer Kombination einen Wert, der aus ihrer Verbundenheit in den Transformationsprozessen entsteht.
2.
Was können wir damit tun? Aus den Ergebnissen der Kombination müssen mit einem Transformationsprozess Wettbewerbsvorteile entstehen.
3.
Wie können wir den Schatz behalten? Indem wir an seiner Erneuerung arbeiten und dazu dynamische Fähigkeiten entwickeln.
Der RBV bleibt demnach nicht bei der Empfehlung stehen, die vorhandenen Alleinstellungsmerkmale zu erkennen, zu kombinieren, zu transformieren und einzusetzen. Vielmehr können und sollen die Ressourcen aufgebaut werden. Allerdings wäre ihr Erwerb über den Markt nicht einfach, denn oft muss bei diesen Ressourcen die Umgebung mitgekauft werden. Denn die Ressourcen weisen typischerweise komplexe Interdependenzen mit ihrer Umgebung auf und können daher nicht so einfach aus ihr gelöst werden, ohne dabei an Wert für den Kombinations- und Transformationsprozess zu verlieren.
Drucker Nach PETER DRUCKER (1909-2005) ist das Wissen die wesentlichste Ressource der modernen Unternehmung. Damit hat er den Weg zum Kernkompetenzansatz geebnet, der aus dem RBV durch Akzentuierung der Kompetenz als wichtigster Ressource hervorgeht. Beim Kernkompetenz-
107
ansatz werden die Ressourcen auf bestimmte Fähigkeiten des Unternehmens konzentriert. x
Diese Fähigkeiten oder Kompetenzen sollen wie ein unternehmensintern verfügbares öffentliches Gut für eine Mehrzahl von Prozessen der Produktion und Leistungsverwertung nützlich sein.
x
Die Unternehmung sollte allein über diese Fähigkeiten verfügen.
Als Unternehmensziel wird dann die Entwicklung von jenem Wissen abgeleitet, das der Unternehmung eine dauerhafte, einzigartige Fähigkeit verleiht. Selbstverständlich muss es sich um eine Kompetenz handeln, bei der die Unternehmung Absatzerfolg hat, um ein wertvolles Alleinstellungsmerkmal, eine Unique Selling Position (USP). Zusammenfassend: Der Resource-based View hat die Einengung des strategischen Blicks auf den Absatzmarkt überwunden, indem er auf jene Potenziale gelenkt wird, die Wettbewerbsvorteile begründen. Die Potenziale entstehen aus der Kombination mehrerer Ressourcen.
Was sind Ressourcen – einige Definitionen 1.
Für WERNERFELT (1984) sind Ressourcen alles, was „semi-permanently“ an die Unternehmung gebunden ist. Hier wird postuliert, dass die Ressourcen im RBV nicht von ihrer Umgebung gelöst werden können.
2.
BARNEY (1991) unterscheidet physische, menschliche und organisatorische Ressourcen, GRANT (1991) erwähnt finanzielle, technologische und reputationsbezogene Ressourcen, HALL (1993) trennt materielle und immaterielle Ressourcen.
3.
AMIT und SHOEMAKER (1993) sehen Ressourcen als Vorräte von Produktionsfaktoren, die von der Unternehmung kontrolliert werden – sie müssen sich nicht unbedingt in ihrem Eigentum befinden.
4.
SANCHES, HEENE und THOMAS (1996) definierten als Ressource, was nützlich ist, um auf äußere Chancen und Bedrohungen zu reagieren.
5.
PISANO und SHUEN (1997) fassen darunter Vermögen, das „firm-specific“ ist und nicht leicht imitiert werden kann.
6.
Diesem kleinen Review der Literatur wollen wir hinzuzufügen, dass es vor allem darauf ankommt, ob die Ressource innerhalb der Unternehmung einen privaten oder einen öffentlichen Charakter hat. Handelt es sich um ein privates Gut, so wird der Ressourcenvorrat bei jedem wirtschaftlichen Einsatz re-
108 duziert. Hingegen verbraucht sich die Ressource nicht, wenn sie den Charakter eines öffentlichen Gutes aufweist. In diesem Fall können mehrere Prozesse oder Investitionen auf sie zugreifen, ohne dass sie reduziert wird. Im Abschnitt 2.1.4 haben wir eine Ressourcentypologie entwickelt; sie definiert anhand verschiedener Kombinationen der Merkmale „öffentlich“, „nicht öffentlich“, „marktfähig“, „nicht marktfähig“ acht Arten von Ressourcen.
4.1.5
Vernetzungen
Relational View (RV) Bei dem Resource-based View stehen die Ressourcen, auf die es letztlich für die Kombination und Transformation zur Erzielung von Wettbewerbsvorteilen und Erfolgen ankommt, allein der betreffenden Unternehmung zur Verfügung. Die Alleinstellungsmerkmale sind in den Ressourcen begründet. Der RBV erfasst damit eine Unternehmung, die alle Kombinationen und Transformationen selbst abwickelt. Sie operiert für sich allein und tätigt über die verschiedenen Märkte mit außen stehenden Marktteilnehmern lediglich Tauschhandlungen. Hier sind der Arbeitsmarkt gemeint, der Kapitalmarkt sowie die Märkte für Produktionsfaktoren. Wenn die Unternehmung mit anderen Unternehmungen kooperiert, dann geschieht dies bei dem RBV lediglich über den Markt. Auch wenn sich solche Transaktionen wiederholen, können sie jederzeit beendet werden. Eine weitergehende Verbindung zwischen Unternehmungen wird nicht begründet. In Ergänzung zu solchen Tauschhandlungen haben in jüngster Zeit in der Wirtschaft dauerhafte Beziehungen zwischen Unternehmen an Bedeutung gewonnen. Die Idee dazu ist aus einer Arbeitsgemeinschaft (Arge) entstanden. Hier wird das Ziel der Arge in Teilziele zerlegt, und jedes Mitglied der Arge erfüllt sein Teilziel. Nun sind auch Kooperationen entstanden, die über ein Einzelgewerk hinaus Bestand haben, und bei der die Gruppe von Unternehmen gemeinsame Ziele entwickelt und sogar in die Verbindung investiert. Die Arbeitsgemeinschaft wächst dadurch zu einem Netzwerk oder einer virtuellen Unternehmung.2 2
1. RUTH STOCK-HOMBURG und MICHAEL GAITANIDES: Einflussgrößen des Teamerfolgs: Analyse der Interorganisationalität als Moderator. Die Unternehmung 60 (2006) 4, S. 265-279. 2. URBAN LAUPPER: Wertorientierte Netzwerksteuerung: Neue Werttreiber für Unternehmen in Wertschöpfungsnetzen. Bank- und finanzwirtschaftliche Forschungen 360. Verlag Haupt, Bern 2005. 3. NILS BICKHOFF, CHRISTIANE BÖHMER, GUIDO EILENBERGER, KARLWERNER HANSMANN, MARKUS NIGGEMANN, CHRISTIAN RINGLE, KLAUS
109
Indessen sind die Unternehmungen, die solche Beziehungen unterhalten, nicht notwendig für immer verbunden. Sie vermeiden den Weg einer Verschmelzung ebenso wie einen Beherrschungsvertrag. Die Beziehungen zwischen den Unternehmen sind natürlich nicht losgelöst von den Ressourcen zu sehen, besonders wenn von einzelnen Partnern Ressourcen in das Netz zur gemeinsamen Nutzung eingebracht werden und Investitionen erfolgen. Doch der wesentliche Faktor der Wettbewerbsvorteile liegt nun im Beziehungsnetz. Dieser neue Blick auf die kooperativen Beziehungen heißt Relational View (RV). Der RV ergänzt den Resource-based View. Market-based View (MBV) Identifikation von Kundenwünschen, deren Umsetzung und der Aufbau von Marktbarrieren gegen Konkurrenten führen zum Erfolg Resource-based View (RBV) Ressourcenheterogenität und Kernkompetenzen führen zum Erfolg
Schaffung von Wettbewerbsvorteilen
Langfristige Wertsteigerung
Relational View (RV) Neben Kernkompetenzen braucht eine Unternehmung ein Netzwerk, um erfolgreich zu sein
Abbildung 4-6: Drei strategische Sichtweisen, wie das inhaltliche Ziel der Wettbewerbsvorteile erreicht werden kann. Wettbewerbsvorteile sollten dann anschließend zu einer langfristigen Wertsteigerung führen
Im Mittelpunkt des Relational View stehen x
die beziehungsspezifischen Ressourcen sowie
x
die vertraglichen Regeln, nach denen sie in das Netz eingebracht und von den anderen Partnern genutzt werden.
Die beziehungsspezifischen Ressourcen werden als nicht private Güter betrachtet. Die Ressourcen haben innerhalb des Netzes Öffentlichkeitscharakter. Wenigstens zeigen sie positive Externalitäten. Denn andernfalls könnten sie als private Güter klar abgerechnet werden und würden keine Gemeinsamkeiten verlangen, die über Markttransaktionen hinausgehen. Die beziehungsspezifischen Ressourcen haben im Netz also den Charakter SPREMANN, GREGOR TJADEN: Mit Virtuellen Unternehmen zum Erfolg. Springer, Berlin 2003.
110
einer gemeinsam nutzbaren Infrastruktur, wie sie ein öffentliches Gut darstellt. So ist eine gemeinsame Wissensbasis, wie zum Beispiel der Aufbau einer Marke, Attribut des ganzen Netzes und nicht mehr einzelnen Partnern zurechenbar. Das St. Galler Management-Modell Alle strategischen Denkrichtungen haben die enge und abstrakte Sicht der sechziger Jahre hinter sich gelassen, nach der die Unternehmung durch eine Produktions- und eine Absatzfunktion beschrieben und mikroökonomisch analysiert werden kann. Diese hergebrachten Modelle werden ebenso durch ganzheitliche Sichtweisen überwunden, die an verschiedenen Forschungszentren gepflegt werden. Während die strategischen Ansätze bei einer Problemerkenntnis und einer differenzierten Situationsbeschreibung beginnen und daraus intuitiv richtige Handlungsanweisungen für ein konkretes Ziel (wie Erreichung von Wettbewerbsvorteilen, Beendigung einer Krise, Wandel) ableiten, dienen die ganzheitlichen Modelle der Forschung eher dazu, das allgemeine Verständnis über Einflussfaktoren, Zusammenhänge, Ziele und Anspruchsgruppen zu fördern. Ganzheitliche Darstellungen der Unternehmung und ihrer Umgebung helfen der Bildung von Verständnis bei Studierenden. Unter den holistischen Betrachtungen der Unternehmung und ihres Umfelds kommt dem St. Galler Management-Modell die wohl größte Bedeutung zu. Ausgehend vom Systemdenken und grundlegenden Arbeiten von HANS ULRICH (1919-1997) ist an der Universität St. Gallen eine ganzheitliche Perspektive der Unternehmung, ihrer Umgebung und ihrer Dynamik gereift. Grundlage ist ein Systembegriff, bei dem durch die Vernetzung der Elemente des Systems und deren Dynamik jene Komplexität entsteht, wie sie in der Wirklichkeit anzutreffen ist.
111 GESELLSCHAFT NATUR TECHNOLOGIE WIRTSCHAFT
IE G ST
ST
RA TE
UE NE G ÉR UN ER MI TI G OP UN R
Lieferanten
Kapitalgeber
RU KT UR EN KU LT UR
Konkurrenz
MANAGEMENTPROZESSE
Kunden
GESCHÄFTSPROZESSE UNTERSTÜTZUNGSPROZESSE RESSOURCEN
Staat
NORMEN UND WERTE
Mitarbeitende
ANLIEGEN UND INTERESSEN
Öffentlichkeit/ Medien/NGOs Umweltsphären Prozesse
Interaktionsthemen Ordnungsmomente
Entwicklungsmodi Anspruchsgruppen
Abbildung 4-7: Das St. Galler Management-Modell mit den Kernprozessen, Entwicklungsmodi, Ordnungsmomenten und Umweltsphären (Quelle: Universität St. Gallen 2006)
Das St. Galler Management-Modell führt sechs zentrale Begriffskategorien ein, um das System näher zu beschreiben: 1.
Umweltsphären,
2.
Anspruchsgruppen,
3.
Interaktionsthemen,
4.
Ordnungsmomente,
5.
Prozesse und
6.
Entwicklungsmodi.
Diese Begriffskategorien stellen mithin die Systemkomponenten dar. Zum Gegenstand des strategischen Managements wird die systematische Auseinandersetzung mit den Grundlagen für den langfristigen Erfolg einer Unternehmung erklärt. Es wird von einer Strategie verlangt, dass sie zu fünf Fragenkomplexen Auskunft gibt: 1.
Was ist unser Leistungsangebot?
2.
Wo liegt der Fokus unserer Wertschöpfung?
112
3.
Was sind unsere Kernkompetenzen?
4.
Wo liegen die Kooperationsfelder?
5.
Welche Anspruchsgruppen müssen wir berücksichtigen (Anliegen, Bedürfnisse und Kommunikationsformen)?
Mit diesem Katalog wird die Strategie im St. Galler Management-Modell viel umfassender gesehen. Es geht nicht mehr um eine Handlungsanweisung, die in einer konkreten Situation dazu verhilft, eine inhaltlich charakterisierbare Verbesserung zu erreichen. Im St. Galler Management-Modell ist die Strategie nicht nur eine Einzeltherapie für eine isoliert betrachtete Spezialsituation, sondern eine umfassende Vorgehensweise für alle Themen. STRATEGISCHES MANAGEMENT
ST. GALLER MANAGEMENTMODELL
Sammlung verschiedener Ansätze, die unter Kategorien wie MBV, RBV und RV gruppiert werden
Ganzheitliche Zusammenfassung des Gesamtsystems „Unternehmung“ in seiner Umgebung und Dynamik
Jede Strategie, die eine in ihrer Wirkung intuitiv richtige Handlung für eine konkrete Einzelsituation anstößt, um eine inhaltlich charakterisierte Verbesserung zu erreichen (Wandel, Marktdurchdringung, Differenzierung)
Die Konfiguration gibt umfassende, in sich schlüssige Antworten auf alle Gestaltungsfragen: Leistungsangebot, Wertschöpfung, Kernkompetenzen, Kooperationsfelder, Anspruchsgruppen
Übersicht 4-1: Gegenüberstellung von Strategiedenken und ganzheitlichem Denken
Die derart umfassend verstandene Strategie wird auch als Konfiguration bezeichnet. Eine Konfiguration muss in sich schlüssig sein, die in ihr enthaltenen Einzelantworten müssen harmonisch zusammenpassen. Eine Konfiguration (als umfassende Strategie) führt die Antworten auf die eben genannten fünf Themenkomplexe und die Ziele und Fähigkeiten kohärent zusammen.3 Hier wird erkennbar, dass das St. Galler Management-Modell den Themenkomplex der Leistungen (Absatzerfolg), des Resource-based View 3
1. ROLF DUBS, DIETER EULER, JOHANNES RÜEGG-STÜRM und CHRISTINA E. WYSS: Einführung in die Managementlehre 1, Verlag Haupt, Bern 2004, S. 83-85. 2. JOHANNES RÜEGG-STÜRM: Das neue St. Galler ManagementModell. Verlag Haupt, Bern 2002.
113
(Kernkompetenzen) und des Relational View (Kooperationsfelder) verbindet und die Integration sogar auf die Shareholder und Stakeholder ausdehnt. Das St. Galler Management-Modell schafft so eine übergeordnete Begrifflichkeit und bietet damit den Vorteil, einen allgemeinen Denkrahmen bereitzustellen, der Studierende dazu bringt, keinen Einflussfaktor und keine Wechselwirkung zu übersehen.
4.2
Herausforderungen für das strategische Management
4.2.1
Treiber der Veränderung
Das Umfeld für Unternehmen hat sich in den letzten Jahren massiv verändert. Vier Faktoren bzw. Treiber, die sich wechselseitig beeinflussen und verstärken, erhöhen die Umweltdynamik und machen die strategische Orientierung für Unternehmen schwieriger und notwendiger denn je: x
die technologische Entwicklung,
x
Globalisierung,
x
Deregulierung und Liberalisierung der Märkte,
x
zunehmende Bedeutung der internationalen Kapitalmärkte.
Technologische Entwicklung Die Informations- und Kommunikationstechnologie (IuK) hat in den letzten Jahren in vielen Branchen wie ein Katalysator für den technologischen Fortschritt gewirkt. Sie war – und ist – die Grundlage für viele Produktund Prozessinnovationen und hat die Voraussetzungen für neue Geschäftsmodelle geschaffen. Die Kosten für Information und Kommunikation sind stark zurückgegangen, gleichzeitig haben die Leistungsfähigkeit und die Verbreitung von Hard- und Software enorm zugenommen. So hat sich beispielsweise die Zahl der DSL-Kunden seit 2000 mehr als verfünffacht, während sich der DSL-Zugangspreis fast halbiert hat. Diese Entwicklung trägt erheblich zu einer Senkung der Transaktionskosten bei, was wiederum die Wachstumsmöglichkeiten von Unternehmen erheblich verbessert: Sie können expandieren und damit Größenvorteile nutzen, ohne Nachteile durch hohe Transaktionskosten in Kauf nehmen zu müssen. Zum anderen erleichtert leistungsfähige IuK-Technologie nicht nur das interne Wachstum von Unternehmen. Dank neuer Steuerungsmodelle können Un-
114
ternehmen ihre Wertschöpfung unter Einbeziehung externer Partner optimieren und dabei die Kontrolle über den Gesamtprozess behalten. Die rasante Entwicklung der IuK-Technologie hat zum „death of distance“ oder zu einer „space-time-compression“ geführt. Die Möglichkeit der unbegrenzten und schnellen Kommunikation hat die Bedeutung der geografischen Distanz schwinden lassen. Insofern ist die Leistungsfähigkeit der IuK-Technologie die „conditio sine qua non“ für das Funktionieren globaler Märkte und transnationaler Konzerne. Globalisierung Wirtschaftsbeziehungen über die Grenzen von Staaten oder Kontinenten hinweg gibt es schon seit Jahrhunderten. Aber heute haben die weltweiten wirtschaftlichen Beziehungen eine neue Qualität hinsichtlich ihrer Ausweitung und Intensität erlangt. Wir leben im Zeitalter der Globalisierung. Die internationalen Verflechtungen der Wirtschaft haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten enorm zugenommen. So ist das BIP weltweit seit 1985 um durchschnittlich 3% pro Jahr gewachsen. Unternehmen, die schneller und überdurchschnittlich wachsen wollten und wollen, haben keine andere Option als die Internationalisierung: Die Exporte wuchsen immerhin um 8,6% jährlich. Noch größeres Wachstum versprechen ausländische Direktinvestionen, deren durchschnittliche jährliche Wachstumsrate seit 1985 bei 12,1% liegt. Mehrere Faktoren haben diese Entwicklung der Globalisierung begünstigt: Einen entscheidenden Schub brachten politische Veränderungen mit sich: Der Zusammenbruch der Sowjetunion und anderer sozialistischer Länder markierte das Ende des „kalten Krieges“ und damit eines bipolaren Weltwirtschaftssystems. Die Transformationsstaaten der GUS und Mittel- und Osteuropas integrierten sich in den Welthandel. Die Volksrepublik China hat mit ihrem Kurs der marktwirtschaftlichen Öffnung ebenfalls eine Kehrtwende vollzogen und sich zu einem Schwergewicht der Weltwirtschaft entwickelt. Eine dynamische Entwicklung charakterisiert auch andere Wirtschaftsräume: Einige Länder Latein- und Südamerikas verzeichnen überdurchschnittliches Wachstum, ebenso die neu industrialisierten Staaten Ost- und Südostasiens. Neben dieser Veränderungen der geopolitischen Landkarte haben der Abbau von Handelsbarrieren sowie die Fortschritte der Informations- und Kommunikationstechnologie völlig neue Bedingungen für Unternehmen geschaffen. Internationalisierung ihrer Geschäfte bedeutet heute weit mehr als Ausdehnung ihrer Absatzmärkte: Es geht um die gesamte Wertschöpfungskette, die von der Beschaffung über die Produktion bis zum Vertrieb
115
längst nationalstaatliche Dimensionen hinter sich gelassen hat. Unternehmen können ihre Wertschöpfungskette um den ganzen Globus legen, was große Potenziale zur Reduzierung der Faktorkosten bietet, etwa bei der Beschaffung von Material (Stichwort: „Global Sourcing“) oder durch die Produktion an Standorten mit niedrigerem Lohnniveau. Diese erweiterten Spielräume schätzen die Unternehmen als positiven Effekt der Globalisierung. Deren Kehrseite wird jedoch eher als Bedrohung wahrgenommen: Auch Unternehmen aus anderen Regionen der Welt nutzen die neuen Möglichkeiten – und sind damit potenzielle Wettbewerber auf angestammten Märkten. Insofern muss sich mittlerweile jedes Unternehmen, egal ob Großkonzern oder Mittelständler, der Internationalisierung des wirtschaftlichen Geschehens stellen: Sei es „proaktiv“, um über die nationalen Grenzen hinweg zu wachsen, sei es „reaktiv“, wenn ausländische Wettbewerber in die Heimatmärkte des Unternehmens eindringen. In dem Maße, in dem die Weltwirtschaft zusammenwächst, steigt auch die Zahl der Wettbewerber – was entsprechenden Preisdruck bzw. Margenerosion zur Folge hat. So sind die Umsatzrenditen in einzelnen Branchen in den letzten zehn Jahren deutlich gesunken. Einerseits nimmt als Folge der skizzierten Entwicklungen die Wettbewerbsintensität – und damit der Kostendruck – für Unternehmen zu. Andererseits eröffnet die Globalisierung auch neue Möglichkeiten, zum Beispiel verbesserte Absatzchancen sowie Potenziale zur Senkung der Faktorkosten durch die optimale Konfiguration der Wertschöpfungskette. Liberalisierung/Deregulierung Eng mit der zunehmenden Globalisierung der Märkte verbunden ist der dritte Treiber, der die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in den letzten zwei Jahrzehnten gravierend verändert hat: die Deregulierung und Liberalisierung. Seit den achtziger Jahren haben die Regierungen der Präsidenten Carter und Reagan in den USA und der Premierministerin Thatcher in Großbritannien massiv damit begonnen, öffentliche Dienste wie Telekommunikation, Transport und Energieversorgung zu privatisieren. Dies löste eine Welle der Deregulierung und Liberalisierung aus, die nach und nach die meisten europäischen Länder erfasste. Durch den Rückzug des Staates als Eigentümer und/oder Monopolist, zum Beispiel von Post- und Transportdienstleistungen, sollten durch die neu entstandene Konkurrenzsituation Innovationen und Effektivität gefördert werden. Die Liberalisierung vormals monopolisierter nationaler Märkte war das Fanal für eine „Revolutionierung der Dienstleistungsbranchen“. Die Wachstumschancen (und natürlich im Umkehrschluss die Risiken für die
116
ehemaligen Monopolbetriebe) sind hier immens – dies gilt sowohl für neue Wettbewerber aus dem Inland als auch für ausländische Unternehmen. Wie sehr die Liberalisierung den Wettbewerb unter den Unternehmen in manchen Branchen treibt, wird anhand der Abbildung deutlich. Diese Entwicklung bei den Mobilfunkanbietern spiegelt sich in einem sinkenden Preisniveau wider – was wiederum zu abnehmenden Transaktionskosten führt. 1 4
1 7
3 8
5
11
16 14
15
23 18 6
Monopol
1994
Duopol
10
14
11
1992
13
8 16
1990
10
1996
1998
Drei Betreiber
13
5
4
4
2000
2002
2004
Vier oder mehr Betreiber
Abbildung 4-8: Wettbewerb in der Mobilinfrastruktur [Anzahl der OECD-Länder mit besonderer Wettbewerbssituation] (Quelle: OECD)
Zunehmende Bedeutung der internationalen Kapitalmärkte Deregulierung und Globalisierung hatten nicht nur erhebliche Konsequenzen für die Realwirtschaft, sondern haben auch die Kapitalmärkte nachhaltig beeinflusst. Um deren Entwicklung besser nachvollziehen zu können, hilft der Blick zurück auf das Verhältnis zwischen Realwirtschaft und Finanzwirtschaft: Noch bis etwa in die sechziger Jahre spielte die Finanzwirtschaft eine unterstützende Rolle gegenüber der Realwirtschaft, für deren reibungslosen Ablauf sie sorgte (Phase I). Unternehmen setzten stark auf die Innenfinanzierung, um Wachstum zu ermöglichen. Diese Quelle konnte jedoch nicht mehr ausreichen, als technischer Fortschritt und die Anfänge der Globalisierung den Kapitalbedarf der Wirtschaft steigen ließen. Der Handel an den Börsen nimmt zu, und die Finanzmärkte erleben einen Entwicklungsschub. Die Finanzwirtschaft hat sich von ihrer Rolle als „Dienerin“ der Realwirtschaft verabschiedet (Phase II). JOSEPH SCHUMPETER hat für dieses Entwicklungsstadium die Metapher vom Herrn und dem Hund entwickelt, die miteinander spazieren gehen: Der
117
Herr (Realwirtschaft) geht mit festem Schritt seinen Weg. Der Hund (Finanzwirtschaft) bleibt mal stehen und fällt zurück, mal springt er voraus. Der Kern dieses Gleichnisses: Letztlich gelangen doch beide gemeinsam ans Ziel. In Phase III kann dagegen nicht mehr vor einer Partnerschaft gesprochen werden: Die Realwirtschaft orientiert sich an den Signalen der Finanzwirtschaft, die nun die dominierende Rolle hat.4 Ein Indiz für die starke Entfaltung der Kapitalmärkte in den letzten Jahrzehnten ist die enorme Zunahme der Marktkapitalisierung, die Abbildung 4-9 zeigt. Wenn sich die Realwirtschaft an den Signalen der Finanzwirtschaft orientiert, hat dies für Unternehmen eine klare Konsequenz: Ihre Ergebnisse müssen sich an Marktrenditen messen lassen. Anders ausgedrückt: Keine Unternehmung – nicht einmal ein Familienbetrieb – kann heute noch eine Strategie einschlagen, die an den Kapitalmärkten vorbeiginge. Die Handlungen des Unternehmens bzw. die Entscheidungen seiner Führungsspitze sind primär an Wertsteigerung auszurichten.
Einflussreiche Investoren Kabel Deutschland soll sich von einem Infrastrukturanbieter zu einem führenden Anbieter von „Triple-Play-Diensten“ (Fernsehen, Radio, Internetanschlüsse und Telefonie über das Fernsehkabel) entwickeln – so das erklärte Ziel der Investmentgesellschaft Providence Equity Partners, die rund 88% der Anteile an Kabel Deutschland hält. Die Finanzinvestoren waren unzufrieden mit dem Tempo, mit dem das Unternehmen seine Ziele verfolgte. Im Mai 2007 kam es zu einem Wechsel an der Spitze: Adrian von Hammerstein löste den bisherigen Sprecher der Geschäftsführung ab.
Ein wichtiger Aspekt ist auch die veränderte Auch als René Obermann im November Rolle der Kapitalgeber: Agierten früher 2006 zum Vorstandsvorsitzenden der Investoren (meist) als reine Kapitalgeber für Deutschen Telekom berufen wurde, war die Pläne des Managements, üben sie heute die Beteiligungsgesellschaft Blackstone direkt oder indirekt viel stärkeren Einfluss nicht unbeteiligt. Unzufrieden über sinauf Politik und Strategie einer Unterneh- kende Gewinne, zählte sie zu den Mitmung aus. Diese Aussage trifft besonders gliedern des Aufsichtsrats, die auf die auf große Kapitalmarktinvestoren und Pri- Ablösung von Kai-Uwe Ricke drängte. vate-Equity-Gesellschaften zu, die auf den Finanzmärkten eine zunehmend wichtigere Rolle spielen: Im Jahr 2002 gab es in Deutschland 59 Private-Equity-Transaktionen mit einem Volumen 6,9 Mrd. Euro; 2006 waren es 186 Transaktionen mit einem Volumen von 186 Mrd. Euro.
4
KLAUS SPREMANN und PASCAL GANTENBEIN: Kapitalmärkte. Lucius & Lucius, Stuttgart 2005.
118
Die rege Aktivität von Private-Equity-Gesellschaften hat das Merger & Acquisition-Geschäft getrieben – was dazu geführt hat, dass die Preise für Unternehmen signifikant gestiegen und Akquisitionsprämien in astronomische Höhen geklettert sind. Ein Faktor, der diese Entwicklung begünstigt hat, waren die günstigen Kreditkonditionen. In der Regel finanzieren Investoren etwa 70% des Kaufpreises über Bankenkredite. In der jüngsten Vergangenheit waren die Banken bei der Vergabe solcher Kredite eher großzügig. Allerdings scheint sich die Stimmung nun gedreht zu haben, was der exorbitanten Preisentwicklung auf dem Markt für Firmenübernahmen entgegenwirken dürfte. 51.994 44.460 30.957 17.124 8.893
1990
1995
2000
2005
03/2007
Abbildung 4-9: Entwicklung der Marktkapitalisierung weltweit [Mrd. USD] (Quelle: World Federation of Exchanges, 2007)
4.2.2
Defizite der klassischen Strategieinstrumente
Technologische Entwicklung, Globalisierung, Deregulierung und zunehmende Bedeutung der Kapitalmärkte – das Zusammenwirken dieser vier Treiber hat zu einer bis dato noch nie dagewesenen Beschleunigung und Intensität des Wettbewerbs geführt. Die Dynamik und Komplexität der Umwelt nehmen zu, zugleich hat sich die von Unternehmen geforderte Reaktionsgeschwindigkeit vervielfacht. Diese Rahmenbedingungen machen die strategische Orientierung für Unternehmen zu einem schwierigen Unterfangen, sowohl was die Strategiefindung als auch was die Lebensdauer von Strategien anbelangt: Erfolgreiche Strategien erreichen heute schneller als früher ihr Verfallsdatum. Einst wurde eine Unternehmensstrategie auf zehn Jahre angelegt, heute vielleicht noch auf drei bis fünf Jahre.
119
Das klassische Strategieinstrumentarium ist heute nur noch bedingt tauglich; es basiert auf Prämissen, die inzwischen von der ökonomischen Realität eingeholt wurden. So wird von dynamischen Wachstumsmärkten mit hohen Wachstumsraten ausgegangen. Tatsächlich hat aber die Marktsättigung in den Industriestaaten ein hohes Niveau erreicht, was vor allem im Konsumgüterbereich sichtbar wird: In Deutschland kamen zum Beispiel nach Angaben des Statistischen Bundesamtes auf 100 Einwohner 98,5 Computer bzw. 126,5 Mobiltelfone. Die Folge dieser Entwicklung sind sinkende Umsatzrenditen (siehe Abbildung 4-10). 7,9 6,8 Unternehmensdienstleistungen 5,4 4,9 4,6
4,3 Maschinenbau 3,9 Metallverarbeitende Branche 3,8 Verarbeitender Sektor
3,0
1,3 Automobile 1990
2000
2001
2002
2003
Abbildung 4-10: Umsatzrenditen deutscher Unternehmen [%] (Quelle: Deutsche Bundesbank)
Anhand der Erfahrungskurve lässt sich illustrieren, dass klassische Strategieinstrumente unter den Bedingungen der Gegenwart mit Vorsicht anzuwenden und zu interpretieren sind. Die zentrale Aussage der Erfahrungskurve lautet: Je häufiger eine Aufgabe ausgeführt wird, desto mehr sinken die Kosten. Dieses Konzept der Erfahrungskurve greift vor allem bei homogenen Massenprodukten, die in großen Mengen hergestellt werden (können). Angesichts der Nachfrage nach Erzeugnissen, die die individuellen Bedürfnisse der Abnehmer berücksichtigen, ist die Zeit der homogenen Massenprodukte abgelaufen – zumindest in den westlichen Industriestaaten. Hinzu kommt die Verkürzung der Produktlebenszyklen. Sie hat zur Folge, dass die Kostensenkungspotenziale der Erfahrungskurve Theorie bleiben – ehe sie realisiert werden können, ist das Verfallsdatum des Produkts in vielen Fällen schon überschritten. Der Großteil der strategischen Planungsansätze hat in der Vergangenheit auf der Fiktion einer relativ stabilen und kontinuierlichen Entwicklung der Umfeldbedingungen aufgebaut. Diese Prämisse ist jedoch längst nicht mehr gegeben. Die Gegenwart – und erst recht die Zukunft – halten Überraschungen und Diskontinuitäten bereit. Die zunehmende Komplexität der
120
Umwelt führt dazu, dass bei der Strategiefindung wesentlich mehr Einflussgrößen zu beachten sind als früher, und verhindert die Fortschreibung konstanter Trends, aus denen die künftige Unternehmensstrategie abgeleitet werden könnte. Die „klassischen“ Zeitachsen der Unternehmensplanung – operative Planung ein Jahr, mittelfristige Planung zwei bis fünf Jahre, strategische Planung fünf bis zehn Jahre – lassen sich angesichts der erhöhten Komplexität und Dynamik des Umfelds nicht mehr aufrechterhalten. Auch eine vollständige Quantifizierung der Unternehmensziele ist unter diesen Bedingungen nicht möglich. Diese Einsicht in die Grenzen des „klassischen“ Instrumentariums der strategischen Planung fällt mitunter schwer: Der psychologische Vorzug der traditionellen Planungsphilosophien bzw. -instrumente bestand darin, dass die Quantifizierung von Unternehmenszielen binnen festgelegter Zeiträume ein Gefühl von Sicherheit vermitteln konnte – und zwar sowohl dem Management, den Beschäftigten als auch den Kapitalgebern. Mag diese Anmutung der Gewissheit auch häufig eine Illusion gewesen sein, so bot diese Fiktion doch Orientierung für die Zukunft. Nun haben wir die paradoxe Situation, dass die zunehmenden Komplexität das Bedürfnis nach Orientierung und Sicherheit einerseits wachsen lässt; andererseits führt ebendiese Komplexität zu einer größeren Ungewissheit und damit einhergehend zu einer größeren Verunsicherung der handelnden Akteure in den Unternehmen und auf den Kapitalmärkten. Diesen Widerspruch auszuhalten, zählt sicherlich zu den größten Herausforderungen für das Management. Die Lösung aus diesem Dilemma liegt sicherlich nicht in der Ausarbeitung verfeinerter Planungsinstrumente, um die Illusion der Gewissheit auf modernisiertem Niveau fortzusetzen. Es geht vielmehr darum, die Strukturen und die Kultur eines Unternehmens so zu gestalten, dass die Organisation die Fähigkeit und die Bereitschaft zum Wandel verinnerlicht. Das setzt eine Mentalität voraus, die mit Unsicherheit umgehen kann. Eine entscheidende Rolle spielen dabei verbindliche und verbindende Werte, die einem Unternehmen als Kompass dienen können. Das Management ist dabei als Rollenmodell gefordert und muss diese Werte vorleben. Gefordert sind hier Vertrauen und Mut, denn gerade auf diese Eigenschaften kommt es an, wenn Entscheidungen unter Unsicherheit zu treffen sind.
121
4.3
Zusammenfassung
Der Begriff des strategischen Managements hat sich Anfang der siebziger Jahre etabliert. Damals wurde nach den Jahren des Wirtschaftswachstums und des weltweiten Absatzes von Massenprodukten in den Industrieländern eine Sättigung der Märkte erkennbar; das Nachfrageverhalten hatte sich gewandelt. Diese Veränderung der Rahmenbedingungen machte die Grenzen der mikroökonomischen Modellierung zur Lösung der praktischen Aufgaben von Produktion und Absatz deutlich. Als Alternative wurde in der Management-Literatur und im Consulting das strategische Denken entwickelt. x
Die ersten Ansätze (SWOT, BCG-Matrix) verhalfen zu einer Erkenntnis der Marktposition und empfahlen eine Anpassung an die Absatzgegebenheiten.
x
PORTER empfiehlt die Differenzierung (wertvollere Produktmerkmale) oder die Kostenführerschaft (geringere Kosten).
x
Das strategische Marketing ergänzt das Paradigma der vier P zunächst durch die Lehre, viele Kunden anzusprechen. Heute liegt der Fokus auf wertvollen Kunden.
Die Einengung der Strategie auf den Absatzmarkt wird durch den Resource-based View (RBV) abgelöst. Hier wird der Blick auf Ressourcen innerhalb der Unternehmung gelenkt, die imstande sind, nachhaltig Wettbewerbsvorteile zu erzeugen. Nach DRUCKER ist das Wissen die wesentlichste Ressource der modernen Unternehmung. Damit hat DRUCKER den Weg zum Kernkompetenzansatz geebnet, der als Ausprägung des RBV anzusehen ist. Beim Kernkompetenzansatz werden die Ressourcen auf bestimmte Fähigkeiten des Unternehmens konzentriert. Diese Kernkompetenzen sollen wie ein unternehmensintern verfügbares öffentliches Gut für eine Mehrzahl von Prozessen der Produktion und Leistungsverwertung nützlich sein. Wenn die Unternehmung allein über diese Fähigkeiten verfügt, entsteht eine Unique Selling Position (USP). In jüngerer Zeit werden Unternehmensbeziehungen zu einer weiteren Quelle von Wettbewerbsvorteilen. Dieser Blick auf nützliche Beziehungen, virtuelle Unternehmungen und Netze bildet den Gegenstand des Relational View (RV). Als umfassende und ganzheitliche Grundlage des unternehmerischen Geschehens ist das St. Galler Management-Modell (ULRICH 1984, seither mehrere Erneuerungen) anerkannt. Nach diesem Modell muss eine Strate-
122
gie zu fünf Themenkomplexen Auskunft geben: 1. Leistungsangebot, 2. Fokus der Wertschöpfung, 3. Kernkompetenzen, 4. Kooperationsfelder, 5. Anspruchsgruppen (Anliegen, Bedürfnisse und Kommunikationsformen). Durch die Antworten in diesen fünf Themenkomplexen entsteht eine Konfiguration. Sie führt die Ziele und die Fähigkeiten kohärent zusammen. In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich das Umfeld für Unternehmen massiv verändert. Vier Faktoren, bzw. Treiber, die sich wechselseitig beeinflussen und verstärken, erhöhen die Dynamik und Komplexität der Umwelt und machen die strategische Orientierung für Unternehmen einerseits schwieriger, andererseits notwendiger denn je: technologische Entwicklung, Globalisierung, Deregulierung und Liberalisierung der Märkte sowie die zunehmende Bedeutung der internationalen Kapitalmärkte. Das Zusammenwirken dieser vier Treiber hat zu einer bis dato noch nie dagewesenen Beschleunigung und Intensität des Wettbewerbs geführt. Angesichts der enormen Dynamik und Komplexität hat sich die von den Unternehmen geforderte Reaktionsgeschwindigkeit vervielfacht. Das klassische Strategieinstrumantarium ist unter diesen veränderten Vorzeichen nur noch bedingt tauglich, denn einige Prämissen (beispielsweise dynamische Märkte mit hohen Wachstumsraten, relativ stabile und kontinuierliche Entwicklung des Umfelds) sind inzwischen obsolet.
4.4
Literaturempfehlungen
Vermutlich haben Sie schon das eine oder andere Buch von PORTER. Deshalb drei Empfehlungen für Werke, die von anderen Autoren verfasst sind: 1.
Wer eine umfassende Darstellung des strategischen Denkens sucht, findet sie in dem preisgekrönten Werk Strategisches Management von GÜNTER MÜLLER-STEWENS und CHRISTOPH LECHNER. Die 3. Auflage ist 2005 im Verlag Schäffer-Poeschel erschienen.
2.
Wer sich auf Marketing-Strategien konzentriert, wird fündig in: ALFRED KUß und TORSTEN TOMCZAK: Marketingplanung – Einführung in die marktorientierte Unternehmens- und Geschäftsfeldplanung. 3. Auflage, Gabler, Wiesbaden 2002.
3.
Wer am liebsten ein „kleines Büchlein“ (Text 92 Seiten) über die integrierte Managementlehre hätte, findet hier in sehr ansprechender Aufmachung das Gesuchte: JOHANNES RÜEGG-STÜRM. Das neue St. Galler Management-Modell. Verlag Haupt, Bern 2002.
5
Finanziell denken!
Auf einen Blick: Nachdem in Kapitel 4 das strategische Management rekapituliert wurde, zeigen wir nun die Grundzüge der Finanzperspektive auf. Im Kern des finanziellen Denkens stehen das Kapitalwert-Kriterium und die Beurteilung der Vorteilhaftigkeit eines Vorhabens anhand ihres Werts. Der Kapitalwert bildet ebenso die Grundlage für die Unternehmensbewertung: Der Wert der Unternehmung ist (bei beabsichtigter Fortführung) gleich der Summe aller diskontierten zukünftigen Zahlungsüberschüsse, die in den Verfügungsbereich der Anspruchsberechtigten kommen. Finanzielles Denken bedeutet, nach Möglichkeiten der Wertsteigerung zu suchen und die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen. Dabei kommt es allein auf den (finanziellen) Wert der erzeugten und erzielten Zahlungsüberschüsse an, während die inhaltlichen Aspekte der Vorhaben, die bei der strategischen Orientierung im Vordergrund stehen, in den Hintergrund treten.
5.1
Ein Minimum an Finanzmathematik
Wir rekapitulieren die Diskontierung: Wenn Geld mit dem Zinssatz oder der Rendite r angelegt werden kann, so ist es möglich, den heutigen Betrag X0 in den Geldbetrag der Höhe X1 = X0 + r · X0 = X0 · (1 + r) zu transformieren oder zu tauschen, der in einem Jahr fällig wird. Ein Betrag der Höhe X1, der in einem Jahr fällig ist, kann folglich in den heutigen Geldbetrag X0 = X1 / (1 + r) getauscht werden. Bei einer Rendite r = 10% ist beispielsweise der in einem Jahr fällige Betrag X1 = 400 Euro äquivalent zu dem heute fälligen Betrag X0 = 400 / 1,1 = 364 Euro. Mit der Umrechnung wird gleichzeitig der heutige Wert einer Zahlung ermittelt, die erst in der Zukunft fällig ist. Dieser rechnerische Vorgang heißt Diskontierung. Ganz ähnlich wird vorgegangen, wenn eine Fälligkeit in zwei oder mehr Jahren betrachtet wird. Der heutige Betrag in Höhe X0 kann über X1 = X0 · (1 + r) und X2 = X1 · (1 + r), zusammen X2 = X0 · (1 + r)2, in einen Betrag X2 getauscht werden, der in zwei Jahren fällig wird. Folglich kann der Betrag X2, der in zwei Jahren fällig ist, in einen heutigen Geldbetrag der Höhe X0 = X2 / (1 + r)2 getauscht werden. So hat, wieder
124
Die Wertadditivität und der Pizza-Bäcker
bei der Diskontrate r = 10%, der in zwei Jahren fällige Betrag X2 = 500 Euro den Wert X0 = 500 / 1,21 = 413 Euro.
Die Möglichkeit der Aufteilung eines Zahlungsstroms auf zwei Teile und die Feststellung, dass der Wert des Zahlungsstroms gleich der Summe der Werte der beiden Teil-Zahlungsströme ist, die Wertadditivität also, wird in Vorlesungen über Finance immer anhand der folgenden Geschichte erklärt: Ein Pizza-Bäcker fragt den Kunden, in wie viele Teile er die gekaufte Pizza schneiden soll. Der Kunde hat großen Hunger und möchte deshalb mehr Schnitte als sonst – aber die Menge ändert sich dadurch nicht. Ähnlich ist es in der Finance: Durch die Aufteilung von Zahlungsströmen ändert sich nicht der Gesamtwert.
Soweit zur Rekapitulation der Bestimmung des (heutigen) Werts einer zu einem zukünftigen Zeitpunkt fälligen Zahlung. Doch was wissen wir über den (heutigen) Wert einer ganzen Zahlungsreihe? Eine Eigenschaft, die in gut funktionierenden Märkten gilt, ist die Wertadditivität: Ein Güterbündel hat in einem gut funktionierenden Markt einen Gesamtpreis, der mit der Summe der Preise der einzelnen Komponenten des Güterbündels übereinstimmt – genau wie an der Kasse im Supermarkt. In Finanzmärkten gibt es weder „Mengenrabatt“ noch „Synergien“; ein Güterbündel ist nicht wertvoller als die Summe der Werte der Komponenten, aber auch nicht weniger wert. Das ist wichtig zu verstehen: Zwar können beispielsweise die Komponenten eines Portfolios Diversifikationseffekte zeigen, wodurch die Portfoliobildung vorteilhaft ist. Doch der Wert des Portfolios ist dennoch gleich der Summe der Werte der Komponenten und nicht höher. Betrachten wir eine einfache Zahlungsreihe, die aus zwei Zahlungen besteht, die in einem beziehungsweise zwei Jahren fällig sind. Aufgrund der Wertadditivität ist der Wert der Reihe von Zahlungen, bei der in einem Jahr X1 und in zwei Jahren X2 als Geldbeträge verfügbar sind, gleich X0
X1 X2 1 r (1 r ) 2
(5-1)
Eine Zahlungsreihe hat im gut funktionierenden Markt also einen Wert, der gleich der Summe der Werte der einzelnen Zahlungen ist (wobei diese Werte oder Barwerte wiederum durch Diskontierung bestimmt werden). Beispielsweise hat eine Zahlungsreihe, die in einem Jahr auf den Geldbetrag X1 = 400 und in zwei Jahren auf den Geldbetrag X2 = 500 Euro führt, beim Diskontsatz r = 10% den Wert X0 = 364 + 413 = 777 Euro. So verhelfen die Diskontierung und die Wertadditivität zu einer einfachen Formel für die Bewertung ganzer Reihen in Zukunft fälliger Zahlungen.
125
Wert, Barwert, Kapitalwert und Present Value (PV) sind Synonyme. Der Netto-Barwert oder Net-Present Value (NPV) ist gleich dem PV abzüglich einer heute möglicherweise fälligen Auszahlung, mit der die Anrechte auf die späteren Rückflüsse erworben werden. Wichtig beim NPV ist für die Rechenpraxis eine Vorzeichenkonvention: Auszahlungen werden als negative Zahlen, Einzahlungen als positive Zahlen dargestellt. Mit Z1, Z2, …, ZN sollen nun die Rückflüsse der Investition in den kommenden Jahren 1, 2, …, N bezeichnet werden; Z0 ist die anfängliche Auszahlung. Dabei werden nach der Vorzeichenkonvention erhaltene Rückflüsse durch positive Größen beschrieben, Auszahlungen und Geldabflüsse durch negative Zahlen. Aufgrund der Vorzeichenkonvention taucht kein Minuszeichen auf; alle diskontierten Zahlungen werden addiert. Mit r ist die Diskontrate bezeichnet; sie ist gleich der Rendite, mit der im Kapitalmarkt Mittel aufgenommen und angelegt werden können. So ist Zt / (1 + r)t der Barwert der in t Jahren fälligen Zahlung Zt. Der Barwert PV und der Nettobarwert NPV sind demnach so definiert: PV
NPV
5.2
Z1 Z2 ZN ... 1 r (1 r ) 2 (1 r ) N Z0
(5-2)
Z1 Z2 ZN ... 1 r (1 r ) 2 (1 r ) N
Fokus Zahlungswirkungen
Man ahnt schon: Beim finanziellen Denken wird auf die Zahlungen geachtet, die sofort und in der Zukunft mit Projekten, Vorhaben und Maßnahmen verbunden sind. Der Grund dafür liegt darin, dass letztlich ein „wirtschaftliches“ Ziel verfolgt wird. In unserer arbeitsteiligen Welt drückt sich der Erfolg der Wirtschaftstätigkeit daher in den Geldbeträgen aus, die als „Überschüsse“ den Berechtigten zur Verfügung stehen werden – entweder für Entnahmen oder für weitere Geldanlagen und Investitionen. Beim Fokus Zahlungswirkungen der Vorhaben treten zugegebenermassen inhaltliche Aspekte, wie sie beim strategischen Denken formuliert und betont werden, zurück. Beim finanziellen Denken wird versucht, gleichsam einen Schritt weiter zu blicken, um den finalen wirtschaftlichen Erfolg zu sehen, der sich „in klingender Münze“ zeigen soll. Die Frage lautet, wie nach der finanziellen Denkweise die möglichen Projekte, Vorhaben, Maßnahmen ausgewählt werden und wie daher die Vor-
126
haben in ihrer Kombination „aussehen“. Diese Entscheidung wird auch als Capital Budgeting angesprochen. Es ist deutlich geworden, dass hierbei vor allem Projekte, Vorhaben und Maßnahmen zu betrachten sind, die sich über die Zeit hinweg vollziehen, das heißt, Wirkungen über mehrere Jahre hinweg zeigen. Beim strategischen Denken werden diese Projekte, Vorhaben und Maßnahmen erstens anhand ihrer Inhalte sowie zweitens aufgrund ihrer Wirkungen hinsichtlich besonderer Ressourcen beurteilt. Das Augenmerk bei der Auswahl und Kombination liegt auf dem strategischen Fit. Es werden demnach in einer simultanen Entscheidung jene Vorhaben ausgewählt und kombiniert, die hinsichtlich der inhaltlichen Ziele, der Ressourcenwirkungen und des Zueinanderpassens eine vielversprechende Kombination bilden. Beim finanziellen Denken wird hingegen (allein) auf die entstehenden Zahlungswirkungen geachtet – weil es, wie gesagt, in der arbeitsteiligen Wirtschaft darauf ankommt, „Geld zu verdienen“. Das Capital Budgeting, die Auswahl und Kombination der möglichen Vorhaben, erfolgt also im finanziellen Denken aufgrund der heute und in Zukunft bewirkten Zahlungen. Dazu ist schon einmal verlangt, dass die zu betrachtenden Projekte, Vorhaben und Maßnahmen durch ihre jeweiligen Zahlungswirkungen beschrieben und eben als Zahlungsreihen aufgestellt werden können. Dass dies möglich ist, wird beim finanziellen Denken vorausgesetzt. Damit ist nicht gesagt, dass die zukünftigen Zahlungswirkungen immer leicht prognostiziert werden können. Doch auch beim strategischen Denken sind Schätzungen und Prognosen verlangt, und wer Entscheidungen trifft, steht generell vor der Aufgabe, Erwartungen hinsichtlich der Auswirkungen formulieren zu müssen. Die häufig mit solchen Prognosen verbundenen Schwierigkeiten sprechen aber nicht gegen das finanzielle Denken, weil es hierbei um eine Grundproblematik geht, die bei allen Entscheidungen auftaucht. Wir setzen also voraus, dass jedes mögliche Projekt, jedes Vorhaben und jede Maßnahme, die angenommen oder abgelehnt werden kann, durch eine Zahlungsreihe beschrieben ist. Des Weiteren wollen wir die schließlich der Entscheidung unterzogenen Vorhaben so definieren, dass die jeweiligen Zahlungswirkungen unabhängig davon sind, welche anderen Projekte, Vorhaben und Maßnahmen realisiert werden. Dadurch sind die Zahlungen, die ein Projekt A und ein Projekt B bewirken, genau gleich der Summe der von A und der von B bewirkten Zahlungen. Ist das nicht der Fall, gibt es beispielsweise zwischen diesen zwei Projekten A und B „technische“ Abhängigkeiten, dann
127
muss die zur Auswahl gestellte Menge von Entscheidungsalternativen anders formuliert werden. In einem Beispiel könnte man sich für drei „Vorhaben“ entscheiden. Das erste mögliche Vorhaben verwirklicht A, aber nicht B, das zweite B, aber nicht A, das dritte A und B. Mit dieser Vorbereitung stellt sich die Frage, wie die Zahlungsreihen der aufgestellten Vorhaben kombiniert werden sollen. Das aufgrund von Inhalten und Ressourcenwirkungen bestimmte Zueinanderpassen tritt wie gesagt als Auswahlkriterium in den Hintergrund, weil sich das finanzielle Denken auf die Zahlungsüberschüsse konzentriert. Mit der Auswahl und Kombination von Vorhaben werden daher nur (positive und negative) Geldbeträge – die in verschiedenen Jahren fällig sind, zusammengelegt. Geld stinkt nicht („pecunia non olet“), hat der römische Kaiser VESPASIAN bei Einführung der Latrinensteuer gewusst, die verschiedenen Quellen staatlicher Einnahmen einfach zusammengelegt und nicht weiter unterschieden. Genauso geschieht es im finanziellen Denken. Folglich kommt es nur auf die Summe der Zahlungen an, die von den angenommen Vorhaben insgesamt (zu den verschiedenen Zeitpunkten) erzeugt werden. Diese Summe, über die Jahre hinweg betrachtet, bildet wieder eine Zahlungsreihe. Zu jedem Zeitpunkt beschreibt sie die zu diesem Zeitpunkt fälligen (positiven und negativen) Zahlungen der angenommenen Vorhaben insgesamt. Die Entscheidung über Selektion und Kombination der möglichen Projekte, Vorhaben und Maßnahmen orientiert sich im finanziellen Denken folglich allein an der „Gestalt“ der durch die Kombinationen entstehenden Summenzahlungsreihen. Die Summe wird dabei für jedes Jahr über die dann bewirkten Zahlungen der angenommenen Vorhaben gebildet.
5.3
Die Auswahl der besten Summenzahlungsreihe
Natürlich entstehen durch verschiedene Kombinationen von Vorhaben verschiedene Summenzahlungsreihen. Doch welcher gebührt der Vorzug? Wissen wir die Antwort auf diese Frage, dann ist die Selektion und Kombination von Vorhaben festgelegt, das Capital Budgeting also gelöst. Selbstverständlich wird eine Summenzahlungsreihe (also eine Selektion und Kombination der möglichen Vorhaben) gewählt, die unter allen erreichbaren Summenzahlungsreihen den Berechtigten am meisten zusagt. Die Berechtigten sind die Eigenkapitalgeber (Aktionäre oder Gesellschafter). Sie haben die Ansprüche auf die Überschüsse und genau diese sind in der Summenzahlungsreihe beschrieben. Folglich müssten die Berechtigten
128
ihre Präferenzen formulieren und kundtun. Denn von ihren Präferenzen hängt ab, welche Summenzahlungsreihe ihnen den höchsten Nutzen bereitet. So betrachtet, dürfte bei der Selektion und Kombination möglicher Vorhaben wichtig sein, ob die Berechtigten einen geringeren, aber baldigen Zahlungsüberschuss wünschen, über den sie schnell verfügen können, oder ob sie eher einen höheren, aber späteren Zahlungsüberschuss bevorzugen und abwarten können. Damit ist die persönliche Zeitpräferenz der Berechtigten angesprochen. Angesichts des Risikos dürfte für die Auswahlentscheidung wichtig sein, ob die Berechtigten einen sicheren, aber vielleicht geringeren Überschuss oder eine unsichere Zahlung mit höherem Erwartungswert bevorzugen. Damit ist ihre die Risikopräferenz angesprochen. Unsere bisherige Argumentation führt also zu dem Ergebnis, dass sich zwar die Zahlungswirkungen der diversen Vorhaben addieren und auf diese Weise eine Summenzahlungsreihe entsteht, welche die gesamten Überschüsse zusammenfasst. Das war noch recht einfach. Doch die Entscheidung, welche der durch Selektion und Kombination von Projekten, Vorhaben und Maßnahmen möglichen Summenzahlungsreihen den höchsten Nutzen für die Berechtigten bringt, hängt von deren Präferenzen ab. Durch diesen Punkt wird das finanzielle Denken kompliziert. An dieser Stelle hat der amerikanische Geldtheoretiker IRVING FISHER gezeigt, dass eine große Vereinfachung möglich ist – sofern es einen Kapitalmarkt gibt. Unter dieser Voraussetzung hat FISHER zwei Aussagen bewiesen: 1.
1
Wenn es einen Kapitalmarkt gibt, dann müssen die genauen Präferenzen der Berechtigten nicht bekannt sein, um festzustellen, welche der Summenzahlungsreihen – gesamte Zahlungswirkungen der angenommenen Vorhaben – für die Berechtigten den höchsten Nutzen hat.1 Es ist jene der erzeugbaren Summenzahlungsreihen, die im Kapitalmarkt den höchsten Wert besitzt. Ein Manager kann also die Auswahlentscheidung treffen, durch die wirklich der Nutzen der Berechtigten maximiert wird, ohne deren Nutzenfunktion im Detail zu kennen. Der Manager muss lediglich die Konditionen im Kapital-
Es mag paradox erscheinen, dass man eine Nutzenfunktion nicht kennen muss, um für sie ein Maximum zu finden. Deshalb dieser Querverweis: Der Nutzen eines Beschenkten erhöht sich, wenn er mehr Geld bekommt. Für diese Aussage muss die genaue Gestalt der Nutzenfunktion nicht bekannt sein.
129
markt kennen, insbesondere die Renditen, mit denen zukünftige Zahlungen diskontiert werden. 2.
Um die Summenzahlungsreihe mit dem höchsten Wert zu finden, muss man keine komplizierte kombinatorische Aufgabe lösen. Die Summenzahlungsreihe mit dem höchsten Wert wird dadurch erreicht, dass bei jedem möglichen Vorhaben für sich untersucht wird, ob ihre Zahlungsreihe einen positiven Wert besitzt oder nicht. Das ist der zuvor erklärte Netto-Barwert. Die zunächst groß und komplex wirkende Entscheidung über die Auswahl und Kombination von Projekten, Vorhaben und Maßnahmen zerfällt also in Einzelprüfungen, von denen jede für sich genommen recht einfach ist.
Fazit: Das finanzielle Denken führt, sofern es einen Kapitalmarkt gibt, auf eine äußerst einfache Entscheidungsregel: Ungeachtet der Nutzenvorstellung der Berechtigten und ungeachtet der anderen Projekte und Maßnahmen ist ein zur Diskussion stehendes Vorhaben genau dann vorteilhaft, wenn sein Wert (Netto-Barwert der Zahlungsreihe des Vorhabens) positiv ist. Dieses Ergebnis von FISHER begründet die Bedeutung des Kapitalwerts sowie das Denken in (finanziellen) Werten und es erlaubt isolierte Einzelentscheidungen. Es muss keine kombinatorische Aufgabe in einer Simultanbetrachtung angegangen weden. Die Kernfrage lautet: Hat ein neues Vorhaben, wenn es für sich genommen wird, wenn also allein seine Zahlungswirkungen betrachtet werden, einen positiven Wert? Falls ja, wird es verwirklicht und den anderen Projekten und Maßnahmen hinzugefügt. Falls der Netto-Barwert der Zahlungsreihe negativ ist, wird das Vorhaben abgelehnt. Die Zahlungswirkungen der anderen Projekte und Maßnahmen sind dabei unwichtig. Es kommt allein auf den Netto-Barwert der Zahlungsreihe des zur Diskussion stehenden Vorhabens an. Unwichtig sind auch die Inhalte der Vorhaben, strategische Wirkungen und das Zusammenpassen. Unwichtig für die Entscheidung über ein Vorhaben ist schließlich auch die Präferenz der Berechtigten. Man muss sie beim finanziellen Denken nicht kennen.2
2
KLAUS SPREMANN: Finance. 3. Auflage, Oldenbourg Verlag, München 2007, Kapitel 4.
130
5.4
Fisher-Separation und Kapitalwert
FISHER hat also das generelle Entscheidungsverhalten begründet: In jedem Einzelfall eines möglichen Vorhabens wird geprüft, ob der Netto-Barwert seiner Zahlungsreihe positiv ist, ob NPC > 0 gilt. Durch diese recht einfach vorzunehmenden Einzelprüfungen entsteht ein Budget, das alle Investitionsprojekte, Vorhaben und Finanzierungsmaßnahmen umfasst, die zusammengenommen den höchsten Gesamtwert aufweisen, mithin zur Summenzahlungsreihe mit dem höchsten Wert führen. FISHER hat weiter gezeigt, dass diese Auswahlregel zu einem Nutzenmaximum der Berechtigten führt. Das Argument: Die Berechtigten können die ihnen zur Verfügung gestellte Summenzahlungsreihe verändern, indem sie Kapitalmarkttransaktionen wie Geldanlage oder Kreditaufnahme vornehmen. So können sie den Nutzen des dann entstehenden Einkommensstroms erhöhen. Das können die Berechtigten privat tun, ohne hierbei Unterstützung seitens des Managers zu benötigen. Im Ergebnis muss bei der Entscheidung über die möglichen Investitionsprojekte, Vorhaben und Maßnahmen die Nutzenfunktion der Berechtigten (Aktionäre, Gesellschafter) nicht bekannt sein. Diese Erkenntnis und die daraus folgende Vorgehensweise im Capital Budgeting – nehme genau jene Projekte und Maßnahmen an, deren NettoBarwert sich in einer Einzelprüfung als positiv erweist – wird als FisherSeparation bezeichnet. Zunächst ist das Revolutionäre an dieser Analyse des Capital Budgeting durch FISHER zu sehen. Bis dahin wurde über mögliche Vorhaben in der Praxis nach einem Ansatz entschieden, der auf JOEL DEAN (Capital Budgeting, New York 1951) zurückgeht: Die Investitionen und Maßnahmen wurden simultan ausgewählt, nicht separat (wie es die Fisher-Separation ermöglicht), und selbstverständlich war dabei die Präferenz des Unternehmers wichtig. Im Ansatz von DEAN wurde dazu die interne Rendite der Projekte und Maßnahmen herangezogen. Die Intuition stützt durchaus das Capital Budgeting nach DEAN: Erstens wird ein Unternehmer, der baldige Entnahmen schätzt, keine großen Investitionen tätigen, weil diese Auszahlungen verlangen. Zweitens kann ein Unternehmer, der jetzt kein Geld entnehmen möchte, hingegen langfristig investieren. Doch die Intuition ist falsch, sofern der Unternehmer jederzeit zum Marktzinssatz Gelder anlegen und Kredite aufnehmen kann: Erstens: Wenn er baldige Entnahmen wünscht, muss er deswegen nicht auf eine Investition verzichten, weil er diese extern finanzieren kann. Zweitens: Wenn der Unternehmer demnächst keine Entnahmen benötigt, sollte er nicht allein
131
deswegen langfristig investieren. Denn wenn die Investition nicht rentabel ist, wenn also NPV < 0 gilt, dann ist die Alternative vorzuziehen, überschüssige Zahlungsmittel im externen Kapitalmarkt anzulegen. Die Analyse des Capital Budgeting nach Fisher ist daher heute, wo sich inzwischen überall Kapitalmärkte entfaltet haben, die überzeugendere. Demzufolge ist allein der Netto-Barwert einer Investition dafür maßgebend, ob sie durchgeführt werden sollte oder nicht. Positive und negative Zahlungsüberschüsse lassen sich durch den Kapitalmarkt ausgleichen und der Unternehmer kann seinem Geschäft jenen Zahlungsstrom entnehmen, den er persönlich als Auszahlungen oder Dividenden wünscht.
Fisher’s Theorem Ein Theorem des Geldtheoretikers IRVING FISHER (1867-1947) besagt, der Unternehmer solle – unabhängig von seiner persönlichen Präferenz und Nutzenvorstellung – genaue jene Investitionsprojekte annehmen und jene Vorhaben realisieren, bei denen der Barwert der die Rückflüsse beschreibenden Zahlungsreihe die anfängliche Auszahlung übersteigt (positiver Netto-Barwert). Projekte mit einem negativen Netto-Barwert sollten hingegen grundsätzlich abgelehnt werden.
Mit der Analyse von Fisher wird deutlich, dass nicht nur einzelne Vorhaben einen Wert haben, der sich aus ihrer Zahlungsreihe errechnet. Auch eine ganze Unternehmung wird anhand der Zahlungsüberschüsse bewertet, die sie in den folgenden Jahren erwirtschaften und in den Verfügungsbereich der Berechtigten bringt – unabhängig davon, ob die Aktionäre oder Gesellschafter diese Gelder dann tatsächlich entnehmen oder das Management sie in ihrem Sinn anlegt.3 Der Wert einer Unternehmung oder eines Geschäftsbereichs (der als eigenständig angesehen oder rechnerisch abgegrenzt werden kann) ergibt sich demnach aus den Zeitpunkten, Höhen und Risiken der Zahlungsüberschüsse. Weitere Aspekte, selbst die inhaltliche Art der Wirtschaftstätigkeit, sind für die Bewertung eigentlich unwichtig – es sei denn, es handelt sich um Informationen, die etwas über die Höhen und Risiken der Zahlungsüberschüsse aussagen.
3
Genau dies halten die Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW) vom 9.12. 2004 fest (IDW ES 1 neue Folge). Siehe dazu auch den Artikel von SVEN BEYER und ANDREAS GAAR in Finanz Betrieb (2005) 4, S. 240-251.
132
5.5
Zwischenfazit
So wurde durch die Fisher-Separation die Bedeutung des Kapitalwerts als generelles Kriterium für die Vorteilhaftigkeitsfrage und die Bewertung herausgestellt. Wenn die Zinssätze (oder die risikogerechten Renditen) bekannt sind, zu denen im Kapitalmarkt Mittel aufgenommen oder angelegt werden können, dann ist es – ungeachtet der Nutzenfunktion eines Unternehmers – für ihn das Beste, genau jene Investitionen vorzunehmen, deren Kapitalwert positiv ist, und jene Projekte und Maßnahmen sind abzulehnen, deren Netto-Barwert negativ ist. Das bedeutet: Erstens erübrigt es sich, im Falle mehrerer möglicher Investitionsmöglichkeiten diese simultan zu betrachten. Isolierte Einzelentscheidungen führen zum Gesamtoptimum. Es wird für jedes Projekt im Einzelnen der jeweilige Kapitalwert berechnet. Die anderen Investitionsmöglichkeiten spielen dabei keine Rolle. Zweitens muss die Nutzenfunktion des Unternehmers nicht bekannt sein, um bestimmen zu können, welche der Investitionen für ihn vorteilhaft sind. Als Folge dieser Theorie von FISHER wird überall die Bewertung von Investitionen anhand des Bar- oder Kapitalwerts ihrer Zahlungsreihe empfohlen und praktiziert. Die Methodik wird auf alle Vorhaben, Maßnahmen und Projekte in einer Unternehmung übertragen. Jedes Vorhaben wird einer Einzelprüfung unterworfen: Ist der Kapitalwert (Netto-Barwert) positiv? Der Gesamterfolg einer Unternehmung wird als Summe der Wertbeiträge der Einzelinvestitionen angesehen. Deshalb kommt es darauf an, stets nach dem Kapitalwert-Kriterium vorzugehen. Diese Vorgehensweise verlangt weder ein Budgeting (Simultansicht) noch eine ganzheitliche Sicht verschiedener Merkmale. Investitionsentscheidungen sind zu reinen Kalkulationsaufgaben geworden, die das Management lösen kann, ohne dazu viel über die Eigentümer wissen zu müssen. Wir müssen uns indessen die wichtigsten Voraussetzungen der FisherSeparation vergegenwärtigen. 1.
Es wird die Existenz eines Kapitalmarktes unterstellt, das heißt, die jederzeitige Möglichkeit des Unternehmers, zur Marktrendite Mittel in beliebiger Höhe aufnehmen und anlegen zu können.
2.
Alle Ergebnisse der Investitionen sollen durch Zahlungsreihen beschrieben werden können. Damit wird erstens unterstellt, dass die Zahlungswirkungen prognostiziert werden können. Zweitens wird verlangt, dass sich alle Wirkungen ebenso wie alle bei dem Vorhaben oder Projekt benötigten Inputs durch Geldbeträge ausdrücken lassen.
133
3.
Die betrachteten Investitionen müssen voneinander unabhängig sein: Die Verwirklichung einer Investition darf nicht auf die Zahlungen ausstrahlen, die mit anderen Projekten verbunden sind.
FISHER hat in seiner Analyse das Risiko nicht berücksichtigt und die Diskontierung (der von ihm betrachteten sicheren Zahlungen) anhand des Marktzinssatzes vorgenommen. HARRY MARKOWITZ, JAMES TOBIN und WILLIAM SHARPE haben um 1960 mit der Modernen Portfoliotheorie gezeigt, ob und in welchem Umfang Investitionen in das Portfolio aufgenommen werden. Dabei kommt es neben der Rendite und dem Marktzinssatz auf das Risiko an. In diesem Licht wird im Allgemeinen auch bei Risiko eine Bewertung durch Diskontierung in der skizzierten, traditionellen Form vorgenommen, doch ist der Diskontsatz höher als der für sichere Anlagen geltende Zinssatz. Es gilt, eine Risikoprämie zu berücksichtigen.
5.6
Freie Cashflows
Das durch die Fisher-Separation begründete Kapitalwert-Kriterium wird in verschiedenen Varianten zur Unternehmensbewertung umgesetzt. Am weitesten verbreitet ist der Discounted Cash Flow (DCF). Hierbei werden die zu diskontierenden Zahlungen mit Freien Cashflows identifiziert. Wir wenden uns der grundlegenden Variante des DCF-Ansatzes zu, in der es um die Bewertung der Unternehmung für die Eigenkapitalgeber geht, den Equity Value. Zur Vereinfachung werden Fragen ausgeklammert, die sich aus der Kapitalstrukturierung und der Verwendung von Fremdkapital ergeben. So zum Beispiel der steuerliche Vorteil, der mit dem Einsatz von Fremdkapital verbunden ist. Der jetzt zu besprechende DCF-Ansatz bietet indes auch die Grundlage für Erweiterungen, auch für Bewertungsformeln, mit denen der Gesamtwert der Unternehmung (Entity Value) für die Eigen- und Fremdkapitalgeber bestimmt wird.
134
Unbarer Ertrag (Lieferung auf Ziel)
Cashflow
Gewinn
Barer Ertrag,
Unbarer Aufwand (Abschreibungen, Nettoerhöhung der Rückstellungen)
das heißt, mit Einzahlungen in derselben Periode verbunden (Absatz, Kunde zahlt in derselben Periode)
Barer Aufwand, das heißt, mit Auszahlungen in derselben Periode verbunden (Löhne, Zahlungen für Faktoren)
ERTRAG
AUFWAND
Abbildung 5-1: Bei der direkten Berechnung des Cashflows werden von allen baren Erträgen die baren Aufwendungen abgezogen. Bei der indirekten Berechnung werden zum Gewinn die unbaren Aufwendungen addiert (dies sind vor allem die Abschreibungen und die Nettoerhöhung der Rückstellungen) sowie die unbaren Erträge (Erhöhung der Kreditoren) subtrahiert
Die Cashflows sind durch Größen des Rechnungswesens definiert, weshalb sich der DCF als Bewertungsansatz gut für eine ganze Unternehmung oder einen selbständig abrechnenden Unternehmensbereich eignet, weniger vielleicht für ein einzelnes, kleineres Projekt. Der Cashflow eines Jahres entsteht aus den baren Erträgen (Verkaufserlöse) abzüglich der baren Aufwendungen (Löhne, Zahlungen für Vorleistungen) dieser Periode. Unbare Erträge (wie aktivierte Eigenleistungen oder der Verkauf mit Kreditgewährung an den Kunden) erhöhen den Cashflow nicht; unbare Aufwendungen (wie Abschreibungen und eine Netto-Erhöhung der Rückstellungen) reduzieren den Cashflow nicht. Cashflows unterscheiden sich daher von Gewinnen, wenn diese Komponenten enthalten, die im betrachteten Jahr nicht in barer Form vorliegen. Eine sehr vereinfachende Faustformel setzt die Cashflows gleich mit der Summe aus Gewinn und Abschreibungen. Die Prognose der Zahlungen zukünftiger Jahre, also der Cashflows, erfolgt auf Grundlage eines Plans der Unternehmung oder Geschäftseinheit. Der Plan beschreibt die Tätigkeit und die Maßnahmen und leitet daraus die Einzahlungen aus dem Verkauf von Leistungen sowie die Auszahlungen für Produktionsfaktoren ab. In aller Regel setzt der Plan gewisse Investitionen voraus, zum Beispiel Ersatzinvestitionen.
135
Maßnahmen
Planung der Geschäfte für die kommenden Jahre
Erwartete Cashflows Budgetierte Investitionen
Freie Cashflows
Ermittlung des Barwerts der Freien Cashflows
Abbildung 5-2: Die Freien Cashflows ergeben sich aus den Cashflows abzüglich der Auszahlungen für budgetierte Investitionen beziehungsweise zuzüglich der aus Desinvestitionen stammenden Einzahlungen
Bei der Prognose der Cashflows wird angenommen, dass diese geplanten oder budgetierten Investitionen realisiert werden. Werden die Auszahlungen für die geplanten Investitionen von den prognostizierten Cashflows abgezogen, entstehen die Freien Cashflows. Die Freien Cashflows werden also nicht mehr benötigt, um den Plan auszuführen. Sie könnten ausgeschüttet werden. Dennoch würde sich die Unternehmung oder Einheit, wie im Geschäftsplan vorhergezeichnet, weiterentwickeln. Die Freien Cashflows sind damit jene Zahlungsüberschüsse, die in den „Verfügungsbereich der Anspruchsberechtigten“ gelangen und daher den Wert der Unternehmung oder der Einheit bestimmen. Was geschieht mit den Freien Cashflows, was geschieht mit der Unternehmung in der Folgezeit?
136 Freier Cashflow der unverschuldeten Unternehmung Bare Erträge Absatzerlöse
E
Erträge aus Wertpapieren und Beteiligungen
+F
Löhne
-L
Zinsen
-Z
Bare Aufwendungen
Vorleistungen: Auszahlungen für Lieferanten, Materialkauf, -V Miete, Energieverbrauch, Versicherung, Lizenzen und Beratung Brutto-Cashflow
= BCF Steuern: Mehrwertsteuer, Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer
-S
Mit ihren Auszahlungen und den damit verbundenen späteren Einzahlungen (Früchten) in die Planung aufgenommene Käufe von Maschinen und Einrichtungen, Akquisitionen
-I
Cashflow Budgetierte Investitionen
= CF
Ebenso Desinvestitionen, also etwa der Verkauf von Grundstücken, Unternehmensteilen oder Beteiligungen Freier Cashflow
= FCF
Übersicht 5-1: Der Freie Cashflow einer unverschuldeten Unternehmung
Die Freien Cashflows könnten tatsächlich ausgeschüttet werden und dennoch würde die Unternehmung weiter bestehen und alle im Plan vorgesehenen Investitionen würden verwirklicht. Ob die Unternehmung dabei wächst oder schrumpft, hängt davon ab, wie viele Investitionen im Geschäftsplan vorgesehen sind. x
Sind sehr viele Investitionen budgetiert, dann wächst die Unternehmung selbst bei Vollausschüttung des Freien Cashflows; doch der Freie Cashflow ist dann auch sehr gering (weil die Auszahlungen für die vielen budgetierten Investitionen vom Cashflow abgezogen werden).
x
Werden hingegen nur wenige Investitionen geplant, dann kommt es vielleicht sogar dazu, dass die Unternehmung im Plan schrumpft – besonders wenn die budgetierten Investitionen nicht einmal den Altersprozess ausgleichen. Die Unternehmung schrumpft dann auch in Wirklichkeit, sofern die Freien Cashflows voll ausgeschüttet werden. Die Freien Cashflows sind in diesem Fall vergleichsweise hoch (weil wenige Investitionen budgetiert sind).
Die Überschüsse – präzisiert durch die Freien Cashflows – könnten von den Anspruchsberechtigten aber auch in der Unternehmung oder Einheit belassen werden. In ihrem Sinne kann dann das Management weitere In-
137
vestitionen tätigen, die über jene geplanten oder budgetierten hinausgehen, die bei der Prognose der Cashflows unterstellt werden und deren Auszahlungen den Unterschied zwischen Cashflows und Freien Cashflows ausmachen.
5.7
Das Capital Asset Pricing Model
Die Diskontierung der Freien Cashflows wird beim DCF mit einem Kapitalkostensatz vorgenommen. Er wird beim DCF mit jener Rendite gleichgesetzt, die im äußeren Finanzmarkt erwartet wird. Niemand kennt den Erwartungswert der zukünftigen Rendite ganz genau. Wie in anderen Wissensgebieten auch, unterstellt man, dass sich gegenüber der Vergangenheit grundsätzlich nicht so viel ändert und behilft sich für die Bestimmung der erwarteten Rendite mit einer Schätzung anhand historischer Realisationen der Rendite. Eine erwartungstreue Schätzung ist das arithmetische Mittel historischer Renditen, weshalb der arithmetische Durchschnitt der historischen Renditen zur Schätzung der Renditerwartung herangezogen wird (und nicht die geometrische Durchschnittsrendite). Für die nationalen Finanzmärkte als Ganze gibt es seit Jahrzehnten Aufzeichnungen. Dabei gibt es immer nationale Besonderheiten. So ist etwa der Durchschnitt deutscher Aktienrenditen durch das Wirtschaftswunder 1956-1961 im internationalen Vergleich ungewöhnlich hoch. Experten sehen es als gut begründet an, für die zukünftige Aktienrendite des Gesamtmarktes eine nominale Jahresrendite von etwa 10% zu erwarten. Die Renditen der einzelnen Gesellschaften weichen von diesen im Mittel über alle Unternehmungen zu erwartenden 10% nach oben und nach unten ab. Diese Prognoseunsicherheit manifestiert sich über die Jahre hinweg als Kurs- oder Renditeschwankung. Sie stellt, wenn wir die Möglichkeit der Diversifikation einmal zurückstellen, das Risiko für den Aktionär dar. Finanzinvestoren verlangen natürlich für das Risiko eine Kompensation, ohne die sie in sichere Kapitalanlagen ausweichen würden. Intuitiv einsichtig: Unternehmungen mit einem überdurchschnittlichen Risiko, mit überdurchschnittlichen Kurs- und Renditeschwankungen, lassen mehr als die eben genannte Marktrendite von 10% erwarten. Unternehmungen mit einem unterdurchschnittlichen Risiko lassen eine geringere Rendite erwarten. Der genaue quantitative Zusammenhang zwischen der bei einer einzelnen Unternehmung zu erwartenden Rendite und der Marktrendite (von 10%) wurde modelliert und intensiv untersucht. Das auf WILLIAM F. SHARPE
138
und andere zurückgehende Capital Asset Pricing Model (CAPM) ist eine einfache Beschreibung dieses Zusammenhangs. Trotz gewisser Kritik an seiner empirischen Gültigkeit beschreibt es den Zusammenhang zwischen der erwarteten Rendite und dem Risiko für die meisten Zwecke hinreichend genau. Seine Verwendung wird von vielen Anwendern als Best Practice betrachtet. Arithmetischer Durchschnitt der nominalen Jahresrenditen Aktien – Welt
10,2%
Geometrischer Durchschnitt der nominalen Renditen
8,8%
Standardabweichung der Jahresrenditen
16,9%
Varianz der Jahresrenditen
0,029
Bonds – Welt
5,0%
4,7%
8,7%
0,008
Aktien – USA
11,7%
9,7%
20,1%
0,040
Bonds – USA
5,2%
4,9%
8,2%
0,007
Aktien – UK
11,4%
9,6%
21,9%
0,048
Bonds – UK
6,0%
5,4%
12,4%
0,015
Aktien – CH
8,3%
6,7%
19,0%
0,036
Bonds – CH
5,1%
5,0%
4,8%
0,002
Aktien – D
14,5%
9,0%
36,4%
0,132
Bonds – D
4,9%
3,0%
13,5%
0,018
Übersicht 5-2: Für Aktien und Bonds, verschiedene Länder und die Jahre 19002003 werden der arithmetische und der geometrische Durchschnitt der Jahresrenditen sowie die Standardabweichung und die Varianz gezeigt. Die Daten für Deutschland sind ohne die Jahre 1922 und 1923 der Hyperinflation ermittelt. Deutschland wies aufgrund der beiden Weltkriege 1914-1918 und 1939-1945 sowie der Jahre des Wirtschaftswunders 1956 bis 1961 Besonderheiten auf. Die Schweizer Renditen liegen ein wenig unter denen von Großbritannien und den USA, doch war im Zeitraum 1900 bis 2003 die Inflation in Franken deutlich geringer als in anderen Ländern. Die realen Renditen sind in der Schweiz fast genauso hoch wie die realen Renditen in Großbritannien und den USA. Dennoch bleibt bei den realen Renditen ein kleiner Unterschied. Die Schweiz war frei von Krisen, und wohl aus diesem Grund sind die Renditen dort etwas geringer (Quelle: ELROY DIMSON, PAUL MARSH und MIKE STAUNTON: Global Investment Returns Yearbook 2004, London Business School)
139 UNTERNEHMUNG
1992-2005
2002-2005
Adidas
0,51
0,33
Allianz
1,17
1,76
Altana
0,36
0,38
BASF
0,75
0,74
BMW
0,84
0,66
Continental
0,77
0,75
DaimlerChrysler
1,03
0,82
Deutsche Bank
0,98
0,90
Deutsche Telekom
0,94
0,79
E.ON
0,51
0,47
Henkel
0,56
0,36
Infineon
1,96
1,69
Linde
0,67
0,79
Münchener Rück
1,06
1,71
RWE
0,60
0,67
SAP
1,25
1,68
Siemens
1,21
1,25
ThyssenKrupp
1,02
1,13
TUI
1,02
1,43
Volkswagen
0,91
0,83
Übersicht 5-3: Betas gegenüber dem DAX als Marktindex auf Basis der Monatsrenditen Januar 1992 bis Februar 2006 beziehungsweise Januar 2002 bis Februar 2006 (Quelle: Datastream)
Das CAPM konzentriert sich auf den Renditeunterschied zwischen der erwarteten Rendite und dem Zinssatz. Das ist die Risikoprämie. Das CAPM erklärt die von Unternehmung zu Unternehmung unterschiedliche Risikoprämie. Dazu geht es auf Diversifikationsmöglichkeiten ein und zeigt, wie das „Risiko“ zu messen ist, auf das es ankommt, wenn von einer risikogerechten Renditeerwartung gesprochen wird. Nach dem CAPM ist die Risikoprämie einer jeden einzelnen Unternehmung proportional zu ihrem Beta. Das Beta drückt das Risiko der Unternehmung aus, auf das die Teilnehmer im Kapitalmarkt achten. Das Beta entspricht dabei nicht genau dem Schwankungsrisiko, weil ein Teil der Kurs- oder Renditeschwankungen der betrachteten Unternehmung diversifiziert werden können, indem ein Portfolio gebildet wird. Das Beta misst das nicht mehr weiter diversifizierbare Risiko, also jenen Teil der Kurs- und Renditeschwankungen, der selbst in einem gut diversifizierten Portfolio noch verbleibt. Das ist das so genannte systematische Risiko der Investition oder der Unternehmung. Mit dem Beta wird dieses systematische Risiko der betrachteten Unternehmung oder Investition in Relation zum Risiko des ganzen Portfolios gesetzt. Dieses gut diversifizierte Portfolio wird als „Marktportfolio“ angesprochen, weil alle Marktteilnehmer bei
140
der Diversifikation auf dieses Portfolio kommen. Nochmals: Das Beta drückt das systematische Risiko einer Unternehmung oder einer Investition in Relation zum Risiko des Marktportfolios aus. Ein Beta größer als 1 deutet auf ein überdurchschnittliches Risiko der betrachteten Unternehmung hin. Ein Beta kleiner als 1 zeigt, dass die betreffende Unternehmung nur ein unterdurchschnittliches Risiko aufweist (das im Portfolio nach Diversifikation noch zu verzeichnen ist). Die Proportionalitätskonstante, die für alle Unternehmungen dieselbe ist, stimmt übrigens mit der Risikoprämie des Marktportfolios überein. Auf diese Weise hat eine Unternehmung mit einem Beta gleich 1 dieselbe Risikoprämie wie der Gesamtmarkt. Als Formel lautet das CAPM: Rk – Zinssatz = ȕk · (rM – Zinssatz)
(5-3)
Hier ist rK die im Kapitalmarkt erwartete Rendite der Unternehmung k und rk - Zinssatz ist folglich ihre Risikoprämie. Mit ȕk ist das Beta dieser Unternehmung bezeichnet. Weiter ist rM die mit dem Markt als Ganzem verbundene Renditeerwartung, die wir mit 10% schätzen. Die Risikoprämie des Marktes ist rM Zinssatz. Wenn wir weiter den Zinssatz mit 5% spezifizieren, dann können wir das CAPM in der Form rk – Zinssatz = ȕk · 5% notieren. Wie die empirische Kapitalmarktforschung zeigt, beträgt die Risikoprämie des Marktes als Ganzen etwa 5%. Leicht umformuliert erhalten wir für die erwartete Rendite oder die Kapitalkosten rk diese Formel: Kapitalkosten = Zinssatz + Beta · 5%
(5-4)
Für BASF als Gesamtunternehmung hätte man aufgrund von ȕBASF § 0,75 Kapitalkosten von rBASF = 5% + 0,75 · 5% = 8,75%. Doch wenn die BASF ein Projekt P plant, das ein Risiko hat, das mit dem der SAP vergleichbar ist, also ȕP § 1,5, dann hätte dieses Projekt Kapitalkosten von rP = 5% + 1,5 · 5% = 12,5%. Formal ist das Beta über die Standardabweichungen der Renditen und den Koeffizienten der Korrelation definiert. In der Praxis wird das Beta (etwa einer Aktiengesellschaft) empirisch geschätzt, beispielsweise aus den Renditen der letzten 52 Wochen, die mit der Aktienanlage und mit dem Marktindex verbunden waren. Bei solchen Schätzungen hat sich gezeigt, dass sich die Betas über den Zeitraum verändern können. Deshalb werden Ad-
141
justierungen vorgenommen.4 Gelegentlich werden auch Expertenurteile zur Festsetzung des Betas herangezogen, mit dem dann schließlich die Kapitalkosten (5-4) bestimmt werden. In gewissen Fällen kommen ohnehin nur Analogieschlüsse in Frage, um das Beta zu schätzen. Wichtig: Das Beta einer (ganzen) Unternehmung kann sich durchaus vom Beta eines Bereichs oder eines Projekts dieser Unternehmung unterscheiden. Jede Investition und jedes Projekt hat die ihrem eigenem Risiko entsprechenden Kapitalkosten. Das CAPM ist an sich ein theoretisches Modell, das sich aus den Annahmen der Modern Portfolio Theory (MPT) mathematisch ableiten lässt. Insofern ist es korrekt und im Rahmen der durch die Prämissen aufgespannten Deduktionen gültig. Damit ist aber noch nicht gesagt, ob das CAPM beziehungsweise die Prämissen der MPT das Geschehen an den wirklichen Kapitalmärkten gut beschreiben. Um herauszufinden, ob und wie genau das CAPM die Realität erfasst, wurden immer wieder empirische Untersuchungen durchgeführt. Dabei sind gewisse Widersprüchlichkeiten und Antinomien aufgetaucht. Jeder kennt „Kalendereffekte“. Allerdings war man sich über Jahrzehnte hinweg nicht sicher, ob diese und andere Widersprüchlichkeiten nur daran liegen, dass man bei der Spezifikation des im CAPM auftauchenden Marktportfolios oder Marktindex vielleicht Fehler beging. Immerhin hätte es trotz der Widersprüchlichkeiten sein können, dass das CAPM große empirische Gültigkeit besitzt, nur dass es eben nicht so leicht ist, den Marktindex richtig zu bestimmen und dabei immer wieder Fehler unterlaufen sind. So blieb bis vor kurzem unklar, ob man nun das CAPM als in der Wirklichkeit korrekte Beschreibung des Zusammenhangs zwischen der Renditeerwartung/den Kapitalkosten einer Investition und ihrem Risiko ansehen sollte oder nicht. FAMA und FRENCH kamen allerdings 1992 in einer viel beachteten Arbeit zu dem Schluss, dass das CAPM die Wirklichkeit der Kapitalmärkte nicht genau
4
1. MARSHALL E. BLUME: On the Assessment of Risk. Journal of Finance 26 (1971) 1, S. 1-10. 2. G. J. ALEXANDER UND N. L. CHERVANY: On the Estimation and Stability of Beta. Journal of Financial and Quantitative Analysis 15 (1980) 1, S. 123-137. 3. JÖRG SCHULTZ und HEINZ ZIMMERMANN: Risikoanalyse schweizerischer Aktien: Stabilität und Prognose von Betas. Finanzmarkt und Portfolio Management 3 (1989) 3, S. 196-209. 4. HANS JÖRG FRANTZMANN: Zur Messung des Marktrisikos deutscher Aktien. Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung 42 (1990) 1, S. 67-83.
142
genug beschreibe.5 Sie sind vor allem auf den Effekt eingegangen, dass kleinere Unternehmungen aufgrund ihrer historischen Renditen eine höhere Rendite erwarten lassen, als sich aufgrund ihres Betas nach dem CAPM ergibt. Letztlich muss dieser Schluss gezogen werden: Die Finanzinvestoren in den untersuchten Kapitalmärkten handeln nicht genau so, wie es die Modern Portfolio Theory (MPT) annimmt. Hierfür bieten sich wiederum zwei Erklärungen an. x
Einen Erklärungsansatz liefert die Behavioral Finance. Sie postuliert, dass sich Finanzinvestoren nicht an die MPT halten, weil Menschen nur über beschränkte Rationalität verfügen und ein Verhalten zeigen, auch Gruppenverhalten, das besser in der Psychologie als in der Ökonomie erklärt wird.
x
Ein anderer Erklärungsversuch hält an dem Bild der Ökonomie fest, dass die Finanzinvestoren vernünftig handeln oder zumindest die Absicht haben, rational zu entscheiden. Allerdings sind die in der MPT getroffenen Annahmen recht einfach. In Wirklichkeit sehen die Finanzinvestoren nicht nur das durch die Schwankungen des Marktindex und durch Beta beschriebene Risiko. Sie erkennen, dass es weitere Aspekte gibt, die sie beachten sollten. Dazu gehört beispielsweise ein zusätzliches, realwirtschaftliches Risiko. Folglich kommen im Kapitalmarkt Kursbildungen, Renditen und letztlich Renditeerwartungen zustande, die durch das Beta allein nicht perfekt erklärt werden können.6
Indessen sollen die darauf vorgenommenen Verfeinerungen der MPT nicht darüber hinwegtäuschen: Das CAPM ist eine für viele praktische Zwecke ausreichend gute Beschreibung des Zusammenhangs zwischen Kapitalkosten und Risiko.
5
EUGENE F. FAMA and KENNETH R. FRENCH: The cross-section of expected stock returns. Journal of Finance 47 (1992), S. 427-465.
6
1. JOHN H. COCHRANE: New Facts in Finance. Economic Perspectives XXIII (1999), S. 36-58. 2. MARTIN WALLMEIER: Determinanten erwarteter Renditen am deutschen Aktienmarkt – Eine empirische Untersuchung anhand ausgewählter Kennzahlen. Schmalenbach Business Review 52 (2000), S. 27-57. 3. KLAUS SPREMANN: Portfoliomanagement. 3. Auflage. Oldenbourg Verlag, München 2006.
143
5.8
Unternehmensbewertung
5.8.1
Die Formeln für den DCF
Mit diesen Vorbereitungen erweist sich der Wert W einer Unternehmung als gleich der Summe der durch Diskontierung auf den heutigen Zeitpunkt bezogenen Freien Cashflows, wie sie in allen zukünftigen Jahren erwartet werden: W
FCF1 FCF2 ... 1 r (1 r ) 2
f
¦ t 1
FCFt (1 r ) t
(5-5)
Achtung: Die Planung muss so vorgenommen werden, als ob die Freien Cashflows auch wirklich abfließen. Beispielsweise darf der Freie Cashflow FCF2 nicht so geplant werden, als ob FCF1 einbehalten würde – immer wieder eine Fehlerquelle in der Praxis. Zur Vereinfachung der Ermittlung dieser Summe (5-5) werden die Freien Cashflows nur für vielleicht die kommenden fünf Jahre im Detail prognostiziert. Auch der Freie Cashflow für das sechste Jahr, FCF6, wird noch aus dem Geschäftsplan abgeleitet. Ab dann wird eine gleichförmige Weiterentwicklung der weiteren Freien Cashflows unterstellt, wobei die Wachstumsrate g aus dem Geschäftsplan ermittelt wird – wiederum unter der Prämisse, dass die Freien Cashflows sämtlich abfließen. Die vereinfachende Annahme zum Wachstum lautet: FCF7 = FCF6 · (1 + g), FCF8 = FCF7 · (1 + g), …
(5-6)
So wird, aus derzeitiger Sicht, die Unternehmung in fünf Jahren diesen Wert haben: W5
FCF6 FCF7 FCF8 ... 1 r (1 r ) 2 (1 r ) 3
(5-7)
FCF6 FCF6 (1 g ) FCF6 (1 g ) 3 ... 1 r (1 r ) 2 (1 r ) 3 FCF6 rg
Dieser Wert W5 heißt Fortführungswert oder Continuing Value. Der in (55) definierte gesamte Wert der Unternehmung ist infolgedessen gleich der Summe der Barwerte der ersten fünf Freien Cashflows plus dem Barwert des Fortführungswerts:
144 W
FCF5 W5 FCF1 FCF2 ... 1 r (1 r ) 2 (1 r )5 (1 r )5 FCF5 FCF6 FCF1 FCF2 1 ... 1 r (1 r ) 2 (1 r )5 (1 r )5 r g
(5-8)
Zur Illustration ein Zahlenbeispiel: Ein Industrieller plant die Übernahme einer Unternehmung. Grundlage für die Bewertung ist der Geschäftsplan. Allerdings gibt es Meinungsverschiedenheiten zwischen Käufer und Verkäufer hinsichtlich der Interpretation der Zahlen. Der Kaufinteressent liest die Zahlen des Geschäftsplans so: In einem Jahr steht als Freier Cashflow 400 (alle Einheiten Tausend Euro) zur Verfügung, und unter der Annahme, dass dieser vollständig abfließt, stehen in zwei Jahren 500 und in drei Jahren 600 zur Verfügung. Ab dann wird der Freie Cashflow – immer unter der Annahme des Abflusses – in dieser Höhe 600 bleiben. Die Kapitalkosten für die Diskontierung sind 10%. Der Barwert des ersten Freien Cashflows ist 364, der des zweiten 413 Der Continuing Value W2 = FCF3 / (r – g) = 600 / 0,1 = 6.000. Der Barwert des Continuing Value ist W2 / (1+r)2 = 4.959 und der Unternehmenswert beträgt W = 364 + 413 + 4.959 = 5.736. Der Verkäufer sagt nun, die Rechnung sei falsch, weil ja niemand den gesamten Freien Cashflow entnehmen würde. Die Unternehmung werde daher in Wirklichkeit schneller wachsen. Der Verkäufer meint, der Freie Cashflow in einem Jahr sei zwar 400 wie oben, doch der in zwei Jahren sei bereits 530 und der in drei Jahren sogar schon 650, eben weil nur Dividenden in üblicher Höhe ausgeschüttet würden und eine gewisse Gewinnthesaurierung erfolge. Ab dann sollten die Freien Cashflows mit einer Rate von 6% jährlich wachsen. Der Barwert der Zahlungsreihe anhand dieser Angaben ist W = 364 + 438 + 13.430 = 14.232, doch das ist nicht der korrekte Unternehmenswert.
5.8.2
EBIT, Equity Value versus Entity Value
Oft werden die Freien Cashflows Planungen entnommen, die sich auf die Earnings Before Interest and Taxes EBIT beziehen. In der Praxis werden überall Geschäftspläne anhand der EBIT gestaltet. Deshalb betrachten wir den Zusammenhang zwischen FCF und EBIT. Wir schreiben: Gewinn = EBIT – Zinsen – Steuern
(5-9)
und wenden uns dem Unterschied zwischen dem Gewinn und dem Cashflow zu. Wenn wir zum Gewinn die unbaren Aufwendungen addieren und
145
die unbaren Erträge subtrahieren, entsteht der Cashflow. Wir nehmen die Abschreibungen als größten Repräsentanten dieser Korrekturen und können sie daher (vereinfacht) so notieren: Gewinn + Abschreibungen = Cashflow
(5-10)
Diese Gleichung (5-10) ist übrigens ganz korrekt, sofern wir unter „Abschreibungen“ alle unbaren Aufwendungen abzüglich aller unbaren Erträge verstehen. Die Beziehung oben in (5-9) eingesetzt erhalten wir: Cashflow – Abschreibungen = EBIT – Zinsen – Steuern
(5-11)
Angenommen, es werden Investitionen in Höhe der Abschreibungen budgetiert – genauer, in Höhe der unbaren Aufwendungen abzüglich aller unbaren Erträge. Das ist eine übliche Praxis. In diesem Fall Abschreibungen = Investitionen
(5-12)
entsteht aus (5-11) wegen der Definition FCF = Cashflow – Investitionen die Beziehung: FCF = EBIT – Zinsen – Steuern
(5-13)
Mitunter sollen nicht allein die Ansprüche der Eigenkapitalgeber bewertet werden, also der Equity Value der Unternehmung berechnet werden. Gesucht ist stattdessen der Enterprise Value oder Entity Value, der sich zugunsten aller Kapitalgeber errechnet – Eigen- und Fremdkapitalgeber zusammengefasst. Es wird dann analog vorgegangen, nur ist der Freie Cashflow FCF als „Zahlungsüberschuss“ durch die Summe aus Freiem Cashflow und den Zinszahlungen zu ersetzen, denn den Eigen- und Fremdkapitalgebern zusammen kommen nun als Zahlungsüberschuss die derart „erweiterten Freien Cashflows“ in Höhe FCF + Zinsen zu. Wir bezeichnen diese Größe mit FCF*, also FCF* = FCF + Zinsen. Achtung: In einigen Büchern, besonders in der US-amerikanischen Literatur, werden die erweiterten Freien Cashflows kurz wieder als „Freie Cashflows“ angesprochen. Um den Entity Value zu berechnen, müssen die erweiterten Freien Cashflows FCF* mit einem Kapitalkostensatz diskontiert werden, der den gewichteten Durchschnitt der Eigen- und Fremdkapitalkosten darstellt. Das sind die so genannten Weighted Average Cost of Capital WACC. Unter Verwendung von (5-13) können wir daher schreiben: Enterprise Value
EBIT 1 Steuern 1 EBIT 2 Steuern 2 ... (1 WACC )1 (1 WACC ) 2
(5-14)
146
In der Literatur wird vielfach noch T als Symbol für die Steuerquote eingeführt und EBIT – Steuern = EBIT (1–T) geschrieben. Achtung: Dann müsste sich die von der Unternehmung zu entrichtende Steuer auf den EBIT beziehen. Anders als die Gewinne unterliegen aber jene Wirtschaftsergebnisse, die den Fremdkapitalgebern als Zinsen zugewiesen werden, keiner Unternehmenssteuer. Wenn also T die Quote der Gewinnsteuer ist, dann sind die EBIT (1–T) der zukünftigen Jahre geringer als der eigentlich in (5-14) benötigte Ausdruck EBIT – Steuern. Dieser Unterschied kann aber dadurch kompensiert werden, indem die Kapitalkosten im Nenner von (5-14) auch geringer als die eigentlichen durchschnittlichen Kapitalkosten angesetzt werden. MILES und EZZELL haben hierfür 1980 eine Anpassung vorgeschlagen. Bezeichnen wir die Miles Ezzell Cost of Capital mit MECC, so gilt Enterprise Value
EBIT 1 (1 T ) EBIT 2 (1 T ) ... (1 MECC )1 (1 MECC ) 2
(5-15)
Hier noch die Formel für die Miles Ezzell Cost of Capital: MECC
rEK
FK T rFK EK FK
(5-16)
FK EK rFK (1 T ) rFK EK FK EK FK
Die Aussage des EBITDA Achtung: In der Praxis wird beim EBITDA der Gewinn auf den durch ordentliche Betriebstätigkeit entstehenden Gewinn eingeschränkt. Das Finanzergebnis und außerordentliche Betriebsereignisse bleiben also unberücksichtigt. Insbesondere werden sonstige Finanzierungsaufwendungen und Abschreibungen, die nicht der ordentlichen Betriebstätigkeit entsprechen, aus dem EBITDA herausgerechnet. Der Gewinn wird damit so bereinigt, dass gewisse Verluste verschleiert werden. Ein positiver EBITDA sagt daher nur: Wenn alles wie geplant abgelaufen wäre, dann hätten wir diesen Gewinn. Aufgrund finanzieller oder außerordentlicher Vorgänge kann die Unternehmung tatsächlich Verluste haben.
Dabei sind rEK die Eigenkapitalkosten und mit rFK sind die Fremdkapitalkosten bezeichnet. Achtung: In einigen Büchern sind die Miles Ezzell Cost of Capital wieder als „WACC“ bezeichnet. Gelegentlich werden in den Geschäftsplänen auch die NOPAT publiziert, die Net Operating Profits After Taxes. Selbstverständlich kann eine Bewertung auf das Betriebsgeschehen (Operations) konzentriert werden. In dieser Einengung gilt NOPAT = EBIT – Steuern. So folgt zunächst FCF = NOPAT. Diese Formel für die Freien Cashflows (aus Operations) wird meistens noch adjustiert. Anstatt der EBIT wird oft die Größe EBITDA (Earnings Before Interest, Taxes, Depreciation and Amortisation) verwendet, um die operative Ertragskraft auszudrücken.
147
In wörtlicher Übersetzung sollte diese Größe der Gewinn vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen auf Sachanlagen und Abschreibungen auf immaterielle Vermögensgegenstände darstellen, denn der englische Begriff „amortization“ bedeutet Abschreibung auf immaterielle Vermögensgegenstände und nicht „Amortisation“.
5.8.3
Entfaltung der Kapitalmärkte
Die erste Annahme der Fisher-Separation ist heute klar erfüllt. Die Kapitalmärkte haben sich in den letzten Jahrzehnten stark entfaltet. Unternehmer haben vielfältige Möglichkeiten, Mittel aufzunehmen und anzulegen. Das gilt besonders für die Großunternehmung, die praktisch unabhängig von einer Bank am Kapitalmarkt Anleihen ausgeben und dort ebenso Finanzanlagen tätigen kann. So strahlt das Geschehen an den Kapitalmärkten stark auf die Beurteilung von Unternehmen und Unternehmenseinheiten aus. Über diese Bewertungen hinaus bestimmen die Finanzmärkte zunehmend sogar die allgemeine Wertschätzung jedweder wirtschaftlicher Aktivität in der Gesellschaft. Ähnlich wie bei der Fisher-Separation theoretisch ausgeführt, wird auch in der Wirklichkeit das gesellschaftliche Leben in Einzelaktivitäten separiert und isoliert. Die immer wieder beschworene Gesamtsicht zerbricht de facto in die Wahrnehmung einzelner Opportunitäten. Viele Menschen bedauern, dass der frühere soziale Zusammenhalt in der Gesellschaft dabei zerfällt. Doch ist vor einer Verurteilung dieser Entwicklung zuzugeben, dass die Entfaltung und Ausdifferenzierung der Kapitalmärkte letztlich vom Wunsch der Marktteilnehmer (also von uns allen) getragen und getrieben wird. Vor allem ist unser aller Wunsch nach liquiden Anlagen und nach höherer Rendite eine treibende Kraft für die Entwicklung der Kapitalmärkte. So nimmt nicht wunder: Berichte über die Kursentwicklung von Wertpapieren ergänzen heute die Nachrichten aus Politik, Kultur und Sport. Oft treten sogar die Meldungen aus der Realwirtschaft hinter
Lieber Aktien statt Bonds Die Amerikaner lernten um 1970, als die Grenzen des Wachstums sichtbar wurden, dass ihre staatliche Rentenversicherung eine erhebliche private Ergänzung verlangen würde. Doch wie sollten sie private Ersparnisse anlegen? Ratgeber zogen historische Vergleiche: Auf lange Sicht schlugen Aktien Bonds. Die neuen Aktionäre legten nicht aus Liebe zur Unternehmung an, sondern weil argumentiert wurde, Aktien seien auch in Zukunft rentabler als Bonds. Die Rendite der Aktienanlage wurde so in den USA zur Grundlage der späteren Altersversorgung.
148
die über das Börsengeschehen zurück. Die neue Akzentsetzung in der Gesellschaft ist nicht ohne Wirkung auf das unternehmerische Geschehen geblieben. Die Manager der Publikumsgesellschaften versuchen, die verschiedenen Interessen auszugleichen. JACK WELCH, ehemaliger CEO von General Electric, spricht von den „Kunden, den Mitarbeitern und dem Kapital“. Auch andernorts wird in der Öffentlichkeit noch ein Koalitionsmodell beschworen. Doch in den letzten Jahrzehnten wurde den Managern bewusst, dass die Ergebnisse der Unternehmung letztlich von vielen allein auf die finanzielle Waage gelegt werden. Die erzielten Renditen müssen daher einem transparenten Vergleich im Kapitalmarkt standhalten. Kapital ist weltweit beweglich. Kapitalmärkte eröffnen den Anlegern schnell die Möglichkeit, mit den Füßen abzustimmen. Die Portfolioinvestoren sind zunehmend bereit, diese Bewegungsfreiheit zu nutzen – direkt oder über entsprechend gewählte Investmentfonds. Aktionäre artikulieren ihren Renditewunsch deutlicher als noch vor wenigen Jahrzehnten. Die Unternehmensverfassung regelt Verantwortlichkeiten. Shareholder sind bereit, Spitzenmanager als Advokaten für ihre Sache zu bezahlen, damit Unternehmen nach dem Gesichtspunkt der Schaffung finanzieller Werte ausgerichtet werden. Spitzenmanager bilden eine neue Gruppe von Intermediären. Sie treten zwischen die Unternehmung und die Anlegerschaft. Angesichts der Beweglichkeit der Aktionäre im offenen Kapitalmarkt ist die Unternehmung folglich gezwungen, die marktüblichen Renditeansprüche zu erfüllen. Dieses Faktum darf so kommentiert werden: Die Weltwirtschaft, die uns allen Brot und Arbeit gibt, diszipliniert uns gleichzeitig. NIETZSCHE, sicher kein Ökonom, sprach vom Zuckerbrot und der Peitsche. Selbst Staaten können sich auf Dauer nicht an der Realität der Finanzen vorbeimogeln, wenngleich das in einem einzelnen Jahr gelingen kann. Der Markt diszipliniert. Folglich muss die Unternehmung ihren Finanzinvestoren ein marktgerechtes Angebot machen, andernfalls würde sie auf ein Abstellgleis fahren und verfallen. Ist die Unternehmung wirklich so eng an den Aktionär gebunden? x
Auf kurze Sicht schaden fallende Aktienkurse einer Unternehmung nicht, doch mittelfristig schmälern sie deren Chancen.
x
Unternehmen mit wiederholt zurückbleibenden Renditen können keine Kapitalerhöhungen durchführen und bald erhalten sie keine Kredite mehr. Sie können nur durch einbehaltene Mittel wachsen, doch das ist zu wenig. Immerhin spiegeln die fallenden Aktienkurse die anhaltende Situation geringer Ergebnisse. Über die Zeit können
149
diese Unternehmungen daher nicht Schritt mit dem Wachstum in ihrer Branche halten. Sie werden relativ kleiner, versinken in der Bedeutungslosigkeit oder werden nach Übernahmen verwertet. Wirtschaftskritiker bedauern gelegentlich, dass ein Festhalten am Status quo anscheinend unmöglich ist. Doch Wachstum ist heute nur dort noch (das kritisierte) mengenmäßiges Wachstum, wo die Bevölkerung Mangel leidet. Sonst bedeutet Wachstum steigende Qualität in vielen Bereichen und daher letztlich ein besseres Leben. Die Finanzmärkte sehen heute einen Aktionär, der das Marktübliche fordert. Doch dabei ist er bis vor kurzem immer noch ein Anleger geblieben, der im Prinzip einen längerfristigen Horizont hat. Immerhin möchte der typische Finanzanleger – ein gut verdienender Angestellter – seine Mittel erst in einem oder zwei Jahrzehnten nutzen, um seine Rente oder Pension zu ergänzen. Die längerfristige Ausrichtung des Aktionärs bewirkt, dass er nicht aus kurzfristigem Egoismus die soziale Umgebung zerstören möchte. Shareholder und Stakeholder haben bisher immer noch einen Konsens gefunden. Die enorme Beweglichkeit der Finanzinvestoren und neue Konstruktionen an den Finanzmärkten haben jedoch diese Rücksichtnahme aufgegeben. Sie haben zum Entstehen von Long-Short-Positionen und von Hedge Funds geführt. Die „Heuschrecken“ drücken Wünsche nach Rendite und sofortiger Liquidität, die von den Finanzinvestoren ausgehen, kraftvoller aus und greifen mit Nachdruck direkt in die Unternehmenspolitik und in Investitionsentscheidungen ein. Damit sind die Finanzmärkte mit neuen Drohgebärden konfrontiert. Dagegen wirkt die Forderung nach marktgerechter Rendite der Shareholder artig vorgetragen. Diese jüngsten Entwicklungen zeigen, dass Unternehmer im Spannungsfeld verschiedener Märkte handeln, und dass das Marktgeschehen unterschiedlich stark von impliziten Kontrakten, auch von Sozialkontrakten, überlagert sein kann. Durch die Globalisierung werden auch die in einer Landeskultur begründeten impliziten Kontrakte zurückgedrängt. Dagegen durch Regulierung anzugehen, scheint indes gefährlich: Das Kind wird allzu leicht mit dem Bade ausgeschüttet. Wer Finanzmärkte zu stark reguliert, verliert Kapital. Genau wie ein Land, das den staatlichen Eingriff nicht begrenzt, auf einmal gewahr wird, dass die begabtesten Arbeitskräfte auswandern. Wir leben in einer offenen Welt. Sie bietet neue Möglichkeiten, die jedermann schätzt. Gleichzeitig verlangt sie die Disziplin, sich den Herausforderungen zu stellen. Es ist verständlich, dass auch die anderen Gruppen der Stakeholdern ihre Interessen artikulieren und wünschen, dass diese in die Zielsetzung der
150
Unternehmung einfließen. Der Zerfall früherer Zusammenhänge macht nicht einmal vor dem Individuum halt. Der Einzelne beklagt sich als Mitarbeiter bei seiner Gewerkschaft, setzt sich als Aktionäre auf der Hauptversammlung für mehr Rendite ein, verlangt mehr an staatlichen Förderungsleistungen und möchte als Mitglied des Bundes der Steuerzahler seine Last minimieren.
5.9
Zusammenfassung
5.9.1
Prinzipien des finanziellen Denkens
Eine auf FISHER zurückgehende Modellierung des Capital Budgeting betrachtet einen Unternehmer, der verschiedene Investitionen und Maßnahmen (in voneinander unabhängiger Weise) ergreifen kann und dabei zu einem Marktzinssatz Mittel auf einem externen Kapitalmarkt anlegen und aufnehmen kann. Die Analyse von FISHER zeigt, dass der Unternehmer – unabhängig davon, wie seine persönliche Zeitpräferenz ist – genau jene Investitionen tätigen sollte, deren Netto-Barwert positiv ist. Dieser als Fisher-Separation bezeichnete Sachverhalt begründet die Bedeutung des Kapitalwert-Kriteriums und bildet die Grundlage moderner finanzieller Führung. Finanziell Denken heißt daher, jedes Projekt und jede Maßnahme aufgrund ihres (finanziellen) Werts zu beurteilen. Die Gültigkeit der Fisher-Separation geht von Prämissen aus. Die Voraussetzung, dass eine Unternehmung Mittel im Kapitalmarkt aufnehmen und anlegen kann, ist heute überall gegeben, wobei die Großunternehmung dem Ideal der Modellwelt am nächsten kommt. Allerdings: Für den Mittelstand gibt es schon gewisse Hürden bei der Aufnahme von Eigenkapital, und Gründungskapital ist nirgends leicht zu erhalten. Das finanzielle Führungssystem wird so gestaltet, dass alle der Unternehmung möglichen Vorhaben durch ihre jeweiligen Zahlungswirkungen beschrieben werden, aus den Risiken ein Kapitalkostensatz bestimmt und der Netto-Barwert als Wertbeitrag des Vorhabens errechnet wird. Gegebenenfalls sind Abgrenzungen vorzunehmen, damit das Vorhaben wie eine unabhängige Einzelinvestition betrachtet werden kann. Die durch die Theorie begründete Handlungsmaxime verlangt, stets und in jedem Einzelfall nach dem Kapitalwert-Kriterium vorzugehen.
151
Damit sind die strategische und die finanzielle Sicht rekapituliert. Die Fronten sind gebildet, die Heere aufmarschiert, doch hat der Kampf nicht begonnen. In der Analyse von FISHER wird der Kapitalwert vor allem dazu verwendet, über die Investitionen innerhalb einer Unternehmung zu entscheiden. Die für den Unternehmer (oder die Aktionäre) erzeugte Wertschöpfung insgesamt ist gleich der Summe der Netto-Barwerte der in der Unternehmung ergriffenen Maßnahmen und der dort getätigten Investitionen. Die über alle Maßnahmen, Projekte und Investitionen gebildete Summe der Wertbeiträge wird maximiert, indem genau jene Maßnahmen ergriffen und jene Investitionen verwirklicht werden, die einen positiven Kapitalwert (NPV) haben. Die Handlungsmaxime lautet: x
Berechne für alle Vorhaben den jeweiligen Kapitalwert. Ist er positiv, wird das Vorhaben ergriffen, ist er negativ, wird es abgelehnt (Projekte mit einem Kapitalwert gleich Null haben keine Wirkung auf den Wohlstand der Anspruchsberechtigten).
x
Die Summe der Wertbeiträge nimmt hingegen nicht ihren größtmöglichen Wert an, wenn dann und wann aus irgendwelchen Gründen ein Projekt mit einem negativen NPV durchgeführt wird. Deshalb verlangt die aus der Fisher-Separation folgende Handlungsmaxime klar: Führe nie ein Vorhaben mit negativem NPV durch. Verzichte stets auf Projekte mit negativem Wertbeitrag. Ansonsten käme es zu einer Wertvernichtung.
x
Das finanzielle Kriterium muss also in jedem Einzelfall leiten und nicht nur „langfristig“.
5.9.2
Finanzielles Führungssystem
Inhalt des finanziellen Führungssystems ist die Berechnung des Kapitalwerts für ein jedes Vorhaben als Entscheidungsgrundlage. Das finanzielle Führungssystem muss diese Teilfragen beantworten: 1.
Wie kann ein Vorhaben inhaltlich beschrieben und abgegrenzt werden? Die Abgrenzung ergibt sich vor allem durch Sachverhalte, die von der zu treffenden Entscheidung unbeeinflusst sind. Sie ist aber nie ganz einfach, denn vielfach gibt es positive wie negative „Nebenwirkungen“ auf die Nachbarschaft (innerhalb der Unternehmung). Ähnliches gilt für Inputs, die vielleicht in der Unternehmung als „ge-
152
geben“ betrachtet und mitunter in ihrer Notwendigkeit für das Projekt übersehen werden. Auch sie müssen bei der Abgrenzung berücksichtigt werden (Transfer Pricing). 2.
Welche direkten und indirekten Zahlungswirkungen leiten sich aus der Projektbeschreibung und aus den Nebenwirkungen ab?
3.
Wie können die Risiken des Vorhabens eingeschätzt werden und welche Rendite würde folglich ein externer Finanzinvestor erwarten, der isoliert in das Vorhaben investieren und diese Investition seinem Portfolio beifügen könnte. Meistens muss das Beta durch Analogieschlüsse oder Expertenmeinungen bestimmt werden.
4.
Wie hoch ist der Kapitalwert des Vorhabens?
Durch ein finanzielles Führungssystem wird mithin die Idee der FisherSeparation auf die unteren Entscheidungsebenen heruntergebrochen. Allerdings ist zu beachten: Die Fisher-Separation setzt voraus, dass die diskutierten Vorhaben und Investitionen als voneinander unabhängige, selbständige Geldanlagen betrachtet werden dürfen. Es soll also unter ihnen weder technische Abhängigkeiten geben, noch sollen sie eine Interdependenz mit Ressourcen haben, die vielleicht gemeinsam genutzt werden oder die in der Zahlungsreihe nicht erfasst sind. Diese wichtige Einschränkung ist allgemein bekannt. Sie wird in einem finanziellen Führungssystem dadurch überwunden, dass Abgrenzungen vorgenommen und Interdependenzen mit Ressourcen durch interne Verrechnungspreise erfasst werden. In der Praxis hört man auch immer wieder über die Schwierigkeit, das jeweilige Beta des Vorhabens zu bestimmen. Hier helfen Analogien und Expertenurteile weiter. Auch wird gesagt, die Schätzung des Werts von Realoptionen, die im Zusammenhang mit einem Einzelvorhaben stehen, sei schwierig. Die Schaffung von Potenzialen, von Flexibilität sowie von Opportunitäten und Optionen ist sicher eine Herausforderung in jeder Investitionsrechnung. Trotz dieser gelegentlich großen praktischen Schwierigkeiten bei der Umsetzung wird von den Vertretern der finanziellen Führung auf die Gültigkeit des Grundprinzips hingewiesen: Der gesamte Wertbeitrag ist eine Summe aus den von den einzelnen Vorhaben erbrachten Wertbeiträgen. Die Summe wird nur dann möglichst groß, wenn in jedem Einzelfall (und nicht nur „langfristig“) nach dem KapitalwertKriterium vorgegangen wird.
153
5.10 Literaturempfehlungen 1.
Eine einfache Einführung in die Entstehungsgründe und Funktionsweise der Finanzmärkte bieten KLAUS SPREMANN und PASCAL GANTENBEIN in Kapitalmärkte, 2005 erschienen als UTB 2571 bei Lucius & Lucius, Stuttgart.
2.
Ein beliebtes Buch mit allen Grundbegriffen: ROBERT C. HIGGINS: Analysis for Financial Management. 6. Auflage, McGraw-Hill, New York 2001.
3.
Die finanzielle Denkweise, die Fisher-Separation, der DCF, das CAPM und die Konzepte zu EVA und RIM sowie die Weighted Average Cost of Capital (WACC) sind dargestellt in Finance von KLAUS SPREMANN; 3. Auflage, Oldenbourg Verlag, München 2007.
4.
Unter den englischsprachigen Lehrbüchern zur „Corporate Finance“ werden oft diese drei hervorgehoben: 1. RICHARD A. BREALEY und STEWART C. MYERS: Principles of Corporate Finance. 7. Auflage, McGraw-Hill, New York 2002. 2. ZVI BODIE, ALEX KANE und ALAN J. MARCUS: Investments. 6. Auflage, McGraw-Hill, New York 2004. 3. MARK GRINBLATT und SHERIDAN TITMAN: Financial Markets & Corporate Strategy. McGraw-Hill, New York 2001.
5.
Häufig zitierte Lehrbücher zur Unternehmensbewertung: 1. WOLFGANG BALLWIESER: Unternehmensbewertung. Prozeß, Methoden, Probleme. Schäffer-Poeschel, Stuttgart 2004. 2. ASWATH DAMODARAN: Damodaran on Valuation: Security Analysis for Investment and Corporate Finance. Wiley, New York 2005. 3. JOCHEN DRUKARCZYK und ANDREAS SCHÜLER: Unternehmensbewertung. Vahlen, München 2007. 4. THOMAS E. COPELAND, TIM KOLLER und JACK MURRIN: Unternehmenswert. Campus, Frankfurt 2002. 5. LUTZ KRUSCHWITZ und ANDREAS LÖFFLER: Discounted Cash Flow – A Theory of the Valuation of Firms. Wiley Finance, New York 2005. 6. CLAUDIO LODERER, PETRA JÖRG, KARL PICHLER, LUKAS ROTH und PIUS ZGRAGGEN: Handbuch der Bewertung. 4. Auflage, Nzz Libro, Zürich 2007. 7. VOLKER H. PEEMÖLLER: Praxishandbuch der Unternehmensbewertung. nwb Verlag, Herne 2004.
6.
Zahlenmaterial und Kapitalmarktdaten sowie historische Renditen zu Aktien und Renten verschiedener Länder sind für die letzten hundert Jahre hier zusammengetragen und analysiert: ELROY DIMSON, PAUL MARSH und MIKE STAUNTON: Triumph of the Optimists – 101 Years of Global Investment Returns. Princeton University Press, Princeton 2002.
Teil 3: Die vier Jahreszeiten
1
Grundlagen schaffen und Position bestimmen
Auf einen Blick: Dieses Kapitel behandelt die erste der vier Jahreszeiten: Wo will die Unternehmung überhaupt ihre Tätigkeit aufnehmen? Bei der Bestimmung der Position ist der geografische Ort nur eines von mehreren Positionsmerkmalen. Es kommt auch auf die Stellung der Unternehmung im komplexen Raum von Innovation, Technologie, Produktmarkt und Kundenwahrnehmung an. Wir werden zeigen, dass sich die Rahmenbedingungen für Entscheidungen zur Positionierung in den letzten Jahren gravierend verändert haben. Standortfaktoren sind nicht statisch, sondern dynamisch. Dies verlangt Unternehmen ein hohes Maß an Flexibilität ab – einschließlich der Fähigkeit, die eigene Position – wenn notwendig – neu zu bestimmen. Dementsprechend ausführlich gehen wir auf wichtige Aspekte des Positionswechsels ein, wie beispielsweise auf die Unternehmenstransformation und deren Finanzierung.
1.1
Überlegungen zum Standort
1.1.1
Grundsätzliches
Jedermann weiß, dass vor der Produktion und dem Absatz von Gütern erst Produktideen gefunden und innovative Prototypen entwickelt werden müssen. Hingegen wird meist übersehen, dass diese Phase des Aufbaus und der Entwicklung selbst wiederum auf Voraussetzungen basiert. Gemeint ist die Position: Wo will die Unternehmung überhaupt ihre Tätigkeit aufnehmen? Gefragt ist hier nach einer Antwort im übertragenen Sinn: Der geografische Ort ist nur eines von mehreren Positionsmerkmalen. Eine ebenso wichtige Rolle bei der Bestimmung der Position spielt die Stellung der Unternehmung im komplexen Raum von Innovation, Technologie, Produktmarkt und Kundenwahrnehmung. Die Entscheidungen darüber werden in der ersten Phase getroffen, genau wie der Bauer in der ersten Jahreszeit des Anbauzyklus festlegt, auf welchem Feld er was anbauen wird. Diese frühen Entscheidungen schaffen Potenziale.
158
Historischer Rückblick: Standorttheorien VON THÜNEN hat mit den nach ihm benannten Ringen die Distanz vom Zentrum als Kriterium für den Wert eines Standorts erkannt. Dass die Wahl des Standortes für einen Betrieb eine wichtige Vorentscheidung darstellt, thematisierte ALFRED WEBER 1909. Er sah den optimalen Standort eines industriellen Einzelbetriebs dort, wo die Transportkosten für die Materialbeschaffung minimiert werden. Der Ansatz von WEBER ist zwar ausschließlich auf diesen einen Faktor bezogen, der vor 100 Jahren sehr bedeutend war: Kohle und Erz mussten herbeigeschafft werden, und Wasser war zur Kühlung wichtig. Die räumliche Verfügbarkeit der Arbeitskräfte, des Wissens und auch die Orte des Absatzes wurden von WEBER ausgeklammert. Erst in weiteren Entwicklungen der Standorttheorie wurde die örtliche Verfügbarkeit von Wissen berücksichtigt. ALLAN PRED hat 1967 in einer verhaltenswissenschaftlichen Untersuchung die Multidimensionalität der Einflussfaktoren erkannt, die die Standortfrage bestimmen. Zudem hat er auf die mentalen und kulturellen Einflüsse bei der Standortwahl hingewiesen.
1.1.2
Vorläufer der heutigen Positionsbestimmung war die Standortplanung des Betriebs. Die erste – bekannte – Theorie des Standorts hat JOHANN HEINRICH VON THÜNEN entwickelt, einer der bedeutendsten deutschen Nationalökonomen des 19. Jahrhunderts. Im ersten Abschnitt dieses Kapitels stellen wir sein Modell der Thünen'schen Ringe vor. Eine weitere tragende Säule der Standorttheorie ist die spieltheoretische Bestimmung der Positionierung zweier Anbieter, die auf Harald Hotelling zurückgeht. Die Überlegungen des US-amerikanischen Statistikers sind immer noch gültig und haben praktische Implikationen, wie wir anhand der politischen Positionierung von Parteien im zweiten Abschnitt zeigen werden. Ein wesentliches Anliegen dieses Kapitels ist zu zeigen, dass sich die Rahmenbedingungen für Standortentscheidungen in den letzten Jahren dramatisch verändert haben. Die großen Treiber der Veränderung – technische Entwicklung, Globalisierung, Liberalisierung und Deregulierung der Märkte, zunehmende Bedeutung der Kapitalmärkte – wirken sich auch auf die Positionsbestimmung aus: Standortfaktoren – und die daraus resultierenden Standortentscheidungen – sind nicht länger statisch, sondern dynamisch. Dies verlangt Unternehmen bei der Positionierung einen hohen Grad an Flexibilität ab. Dazu gehören auch die Fähigkeit und die Bereitschaft, die eigene Position gegebenfalls zu verändern oder völlig neu zu bestimmen.
Von Thünen
Die erste ökonomische Theorie des Standorts hat JOHANN HEINRICH VON THÜNEN (1783-1850) entwickelt. In seinem „Isolierten Staat“ gibt es eine
159
Stadt, in der sich die Nachfrage nach Gütern konzentriert. Verschiedene landwirtschaftliche Betriebe produzieren die von den Städtern nachgefragten Güter wie Früchte, Getreide, Fleisch und Brennholz. Die Produzenten können über ihren Standort frei entscheiden. Alle Landwirte wollen natürlich in die Stadt gehen oder ganz nahe am Zentrum ihre Position einnehmen, um Transportkosten zu sparen. Diesen allgemeinen Vorteil bietet das Zentrum allen Produzenten, deshalb sind die Grundstückspreise dort hoch. Sie werden mit zunehmender Entfernung vom Zentrum geringer. Jeder einzelne Anbieter wird nun seine Transportkosten und den Platzbedarf, also die Kosten für Zentrumsnähe, abwägen. VON THÜNEN führt seine Modellbetrachtung fort und greift jene Produzenten heraus, die Getreide anbauen. Gehen sie näher an die Stadt heran, dann sinken zwar ihre Transportkosten, aber zugleich steigen die Grundstückskosten. Gehen sie weiter vom Zentrum weg, erhöhen sich die Transportkosten und die Grundstückskosten fallen. Mit einer Präzisierung der Einflussgrößen erkennt man: Es gibt eine optimale Distanz zum Zentrum, bei der für die Getreidehersteller die Differenz zwischen dem Ertrag und der Summe aus Grundstückskosten und Transportkosten maximal wird. Diese optimale Distanz hängt vom Ertrag pro Hektar ab. Weil sie annahmegemäß alle denselben Ertrag pro Hektar haben, siedeln folglich alle Getreidehersteller in dieser optimalen Distanz in einem Ring um das Zentrum. Ähnlich kalkulieren die Anbieter von Früchten, Fleisch oder Brennholz, nur liegen ihre Ringe, die Thünenschen Ringe, in anderen Entfernungen um die Stadt, weil sie andere Erträge pro Hektar haben. Jeder Ring beheimatet eine in sich homogene Wirtschaftsstruktur.
1.1.3
Hotelling
Ebenso berühmt ist eine spieltheoretische Bestimmung der Positionierung zweier Anbieter, die auf HARALD HOTELLING (1895-1973) zurückgeht. Auch sie unterstreicht die Attraktivität des Zentrums für Anbieter, selbst wenn für die Nachfrager dadurch eine suboptimale Situation entsteht.1 In einer seiner Modellierungen stellt Hotelling die Frage, wo sich im Spektrum zwischen linker und rechter politischer Gesinnung eine Partei positionieren würde, wenn sie sich als erste positionieren dürfte und sie das Ziel
1
HARALD HOTELLING: Stability in Competition. Economic Journal 39 (1929), 392, S. 41-57.
160
verfolgt, möglichst nahe an allen Wählern zu sein. Hotelling geht davon aus, dass die Wähler gleichmäßig über das Spektrum von links bis rechts verteilt sind. So liegt auf der Hand: Die betrachtete Partei findet ihre optimale Position genau in der Mitte. Auf diese Weise ist die Summe der Distanzen oder der Quadrate der Distanzen (die als relevanter angesehen werden) zwischen ihrer eigenen Position und denen aller Wähler am geringsten. Wird nun eine zweite Partei vor die Entscheidung gestellt, wo sie sich zwischen links und rechts positionieren will, wobei die erste Partei bereits im Zentrum Platz genommen hat, so wird sich die zweite Partei für eine Position direkt neben der Zentrumsposition der ersten Partei entscheiden. Entweder stellt sich die zweite Partei ein Minimum links von der ersten Partei auf. Dann steht sie praktisch der Hälfte aller Wähler näher als die erste Partei. Oder sie stellt sich ein Minimum rechts von der ersten Partei auf. Dann steht sie wiederum praktisch der Hälfte aller Wähler näher als die erste Partei. Im Ergebnis stehen beide Parteien genau in der Mitte eng beieinander. Summiert man die Distanzen aller Wählerpositionen zu „ihrer“ Partei, dann ist die Gesamtdistanz aber nicht geringer, als wenn es nur eine Partei geben würde. Im Hinblick auf die Summe aller Distanzen, also die insgesamt erreichte Wählernähe, wäre eine Positionierung der Parteien besser, bei denen sie etwas mehr nach links beziehungsweise rechts rücken. Doch wenn sich eine Partei weiter nach außen bewegen würde, um etwas näher an ihren extremen Wählern zu sein und die Distanz zu ihnen etwas zu verringern, dann kommt es sofort zu einem Nachrücken der anderen Partei, die dadurch mehr Wähler auf sich vereinen kann. Unter dieser Erkenntnis bleiben beide im Zentrum. Diese spieltheoretische Lösung ist stabil, ein Gleichgewicht. Gleichwohl ist es nicht die beste Positionierung der beiden Parteien, wenn die Summe der Distanzen aller Wähler zu ihrer jeweiligen Partei als Beurteilungsmaßstab herangezogen wird. Fazit: Der US-amerikanische Mathematiker und Statistiker beschreibt die Menge der möglichen Positionen, die eine politische Partei einnehmen kann, die Gerade zwischen den Punkten „links“ und „rechts“. Die Wähler sind auf dieser Strecke von links nach rechts gleich verteilt. Die erste politische Partei positioniert sich genau in der Mitte. Eine zweite Partei, die sich auch positionieren muss, wählt einen Platz ebenso in der Mitte, ent-
161
weder ein ganz klein wenig links oder rechts von der erstplatzierten Partei. Beide gehen in das Zentrum.2 links
rechts
Distanz links
rechts Position der ersten Partei genau in der Mitte
Distanz links
rechts Position der zweiten Partei (hier) etwas links zur Mitte
Position der ersten Partei genau in der Mitte
Abbildung 1-1: Oben ist das Spektrum der politischen Gesinnung zwischen links und rechts gezeigt, die Wähler (durch Punkte veranschaulicht), verteilen sich gleichmäßig. Mitte: Eine erste Partei wählt ihre Position im Zentrum und kann so die Summe der Distanzen zu allen Wählern minimieren. Unten: Wenn sich eine zweite Partei anschließend platziert, geht sie auch in das Zentrum. Wie illustriert, fühlt sich der zweite Wähler von links nun näher an der zweiten Partei
1.1.4
Standorttheorie heute
Standorttheorien liefern Erklärungsansätze für eine bestimmte Verteilung von Unternehmen und untersuchen die Faktoren, die diese Verteilung beeinflussen bzw. determinieren. Seit der Entstehung der Thünenschen Ringe hat sich das geo- und wirtschaftspolitische Gesicht der Erde natürlich erheblich verändert. Dementsprechend mussten sich auch die Standorttheorien weiterentwickeln. Statt der Nähe zum Verbraucher wurde die Nähe zur Quelle des Inputs thematisiert, also die Verfügbarkeit und die Transportkosten für Produktionsfaktoren und Arbeitskräfte unterschiedlicher Qualifikation. Die heutigen Standorttheorien berücksichtigen die Entfer-
2
WILHELM PFÄHLER und HARALD WIESE: Unternehmensstrategien im Wettbewerb – Eine spieltheoretische Analyse. 2. Auflage, Springer, Heidelberg 2005.
162
nung zu Beschaffungs- und Absatzmärkten gleichermaßen. Merkmale, die zur Beurteilung eines Standorts herangezogen werden, sind Nähe und Distanz zu Kunden und Lieferanten sowie zu Wettbewerbern, Infrastruktur, Steuern und Abgaben, Qualifikationsniveau und Verfügbarkeit der Arbeitskräfte. Anhand dieser Merkmale, die auch als Standortfaktoren bezeichnet werden, treffen Unternehmen ihre Standortentscheidungen – soweit zur Theorie. Grundsätzlich greift dieses Erklärungsmodell immer noch. Aber die Megatrends der Veränderung wie Dezentralisierung und Globalisierung, die in dem Kapitel „Strategisch denken“ bereits beschrieben wurden, brachten neue Aspekte in die Standortentscheidung und verschoben die Gewichtung einzelner Standortfaktoren: Die moderne Informations- und KommunikationstechChancen entdecken nologie reduziert die Bedeutung der räumund ergreifen lichen Distanz. Internet und globale Datennetze schaffen ein Gefühl von Nähe und Ein wesentlicher Aspekt bei der PositioUnmittelbarkeit selbst über Kontinente hinnierung eines Unternehmens ist die Entweg. Auch der Ausbau von Verkehrsnetzen deckung von Chancen. In seinem Buch lässt – zumindest die gefühlten – Entfernun„Innovation and entrepreneurship“ hat gen schrumpfen. Die deutlich gesunkenen PETER DRUCKER drei verschiedene KateTransaktionskosten tun ein Übriges, um gorien dieser Chancen beschrieben: diesen Trend zu beschleunigen. x Ineffizienzen in bestehenden Märkten,
Diese Entwicklung hat einerseits den globalen Wettbewerb verschärft. Andererseits hat sie Unternehmen neue Spielräume erdemografische Veränderungen, öffnet, auch bei ihren StandortentscheidunErfindungen, die neues Wissen hergen. Ein zentraler Aspekt dabei ist die Devorbringen. konstruktion von Wertschöpfungsketten: Unternehmungen können heute ihre Wertschöpfung sowohl national als auch international konfigurieren und damit ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern. Die Entscheidung, welche Bereiche der Wertschöpfungskette ein Unternehmen selbst abdeckt – und an welchem Standort – und welche es Geschäfts- bzw. Kooperationspartnern überlässt, ist dabei eine strategische Entscheidung. Die zunehmende Dynamik der Märkte bringt es mit sich, dass solche Entscheidungen über den Standort bzw. die Konfiguration der Wertschöpfungskette häufiger (und in kürzeren Abständen) anstehen als früher: Angesichts des verschärften Wettbewerbs kann es sich kein Unternehmen leisten, Kostenvorteile ungenutzt zu lassen, die sich etwa aus der Verlagerung von Arbeit in Niedriglohnländer ergeben. Unternehmen sind mobiler geworden. Sie sind eher bereit, den Standort zu wechseln, wenn ein neuer Standort bessere Kondi-
x maßgebliche soziale, politische oder x
163
tionen bietet, zum Beispiel niedrigere Steuern, niedrigere Arbeitskosten, Verfügbarkeit qualifizierter Mitarbeiter etc. Ein anderer wichtiger Aspekt bei der Standortwahl geht über die Optimierung der Kostenstruktur hinaus: Angesichts der zunehmenden Ressourcenknappheit gewinnt der strategische Wettbewerb um den Zugang zu Rohstoffen immer mehr an Bedeutung. Dies wird zum Beispiel deutlich am Ausbau des chinesischen Engagements in Afrika: Der Handel Chinas mit afrikanischen Staaten wuchs von 29,4 Mrd. US-Dollar im Jahr 2000 auf 40 Mrd. US-Dollar 2006. Nach den USA und Frankreich ist die Volksrepublik der drittgrößte Handelspartner des Kontinents. Das Motiv für Chinas verstärktes Engagement liegt auf der Hand: Die Expansion der chinesischen Wirtschaft ist auf Rohstoffimporte angewiesen. Ein großer Teil der chinesischen Investitionen in afrikanischen Ländern ist in Ölförderprojekte geflossen. In Nigeria, im Sudan und in Angola haben sich chinesische Vertragspartner die Rechte an der Ausbeutung von Ölfeldern gesichert. Im Gegenzug investieren sie in Infrastrukturprojekte, beispielsweise in den Ausbau der Verkehrswege oder der Energieversorgung. Der Standort ist allerdings mehr als ein physischer Ort. Position bedeutet auch die „Lage, in der sich jemand im Verhältnis zu einem anderen befindet“: Kundennähe ist heute nicht nur eine physische, sondern auch eine psychische Präsenz. Die Unternehmung muss sich in der Wahrnehmung und im Bewusstsein ihrer Partner richtig positionieren. Diese Präsenz wird nicht nur durch die Wahl des Ortes geprägt, sondern im Wesentlichen durch die Gestaltung der Marke und sonstiger Positionsmerkmale. Die Standortwahl heute führt also auch zu einer Position im Raum der Aufmerksamkeit und Wertschätzung verschiedener Partner. Dazu gehören nicht nur die Kunden und Abnehmer von Produkten in verschiedenen Segmenten. Die Unternehmung positioniert sich im Denken der Lieferanten, der Mitarbeiterschaft, in der Einschätzung der Stakeholder und schließlich auch in den Erwartungen der Finanzinvestoren.3 Die Unternehmung lernt so, dass sie nicht nur einen Standort hat. Sie hat einen Standort im Bewusstsein der Kunden und Kundinnen, eine gewisse Haltung gegenüber der Mitarbeiterschaft, eine Stellung gegenüber Lieferanten, ein Verhältnis gegenüber Stakeholdern und der Öffentlichkeit, eine
3
BUSSO GRABOW, DIETRICH HENKEL und BEATE HOLLBACH-GRÖMING: Weiche Standortfaktoren. Kohlhammer, Stuttgart 1995.
164
fünfte Haltung wiederum gegenüber Analysten und Finanzinvestoren. Eine Unternehmung hat in jedem dieser Märkte eine Position, die einmal näher am Zentrum, ein andermal entfernter vom Zentrum ist. In der heutigen Interpretation lauten die Erkenntnisse: x
Die Position ist Ergebnis einer frühen Investitionsentscheidung. Sie legt die Nähe zu benötigten Ressourcen, zu Vertragspartnern und zu Kunden fest und bestimmt Möglichkeiten und Kosten für einen Zugriff und Transaktionen.
x
Für jedes Einzelmerkmal ist die beste Position die im Zentrum, also direkt bei den Ressourcen und Vertragspartnern. Eine Positionierung im Zentrum ist teuer, weil alle dort hin wollen. Deshalb werden nur Unternehmen mit überdurchschnittlicher Positionsausbeute in das Zentrum gehen, solche mit unterdurchschnittlicher Positionsausbeute wählen eine zweitklassige Position.
1.1.5
In das Zentrum oder nicht?
Eine einfache Modellierung soll die Positionsentscheidung illustrieren. Wir betrachten N Unternehmungen, i = 1, 2,…, N. x
Sie stellen alle dasselbe Gut her und haben eine identische Kostenstruktur.
x
Aufgrund kleinerer Unterschiede haben sie aber verschiedene Absatzmengen qi. Wir nummerieren die Unternehmungen so, dass q1 ! q !…! qN. Die Absatzmengen bleiben im Folgenden unverändert.
x
Der einheitliche Verkaufspreis ist p und die einheitlichen Stückkosten sind c. Die Unternehmung i hat folglich den Gewinn Gi = (p – c) · qi.
Nun kann jede der Unternehmungen i = 1, 2,…, N wählen, ob sie sich durch ein Signal (Werbung, Zusatzservice, Aufbau einer Marke) differenzieren und somit besser positionieren sollte. Sie kann das Positionssignal in einer Stärke xi erzeugen und eine Signalstärke zwischen 0 und 100% wählen, 0 d xi d 1. Die Entscheidung für die Neupositionierung durch das Signal hat zwei Wirkungen: x
Es entstehen Signalkosten in Höhe K · xi.
165 x
Die Unternehmung i kann einen höheren Verkaufspreis erzielen, der für sie um die zusätzliche Marge von d · xi steigt.
Sowohl K als auch d sind für alle Unternehmungen gleich.4 Die Signalstärke drückt eine Position aus: xi = 1 ist als nahe beim oder „im Zentrum“ zu interpretieren, xi = 0 heißt irgendwo Platz zu nehmen, wo keine zusätzlichen Kosten für eine bessere Positionierung entstehen. Bei Entscheidungen zwischen diesen Extrema hat 1 – xi die Bedeutung einer Entfernung vom Zentrum. Die Unternehmung i wird optimalerweise ihre Position oder Signalstärke xi so bestimmen: Maximiere G i ( x i )
( p d xi c ) q i K xi
über 0 d x i d 1
(1-1)
Für die Optimierung können in der Gewinnfunktion Gi(xi) alle Terme weggelassen werden, die nicht von xi abhängen. So entsteht Gi0(xi) = d · xi ·qi – K · xi als durch die Position beeinflusster Gewinnteil. Zu maximieren ist demnach der Unterschied zwischen dem Produkt aus erzielter Zusatzmarge d · xi und Absatzmenge qi zu den Signalkosten K · xi. Die optimale Position oder Signalstärke liegt auf der Hand: x
Das Signal wird in der größtmöglichen Stärke xi = 1 (Position im Zentrum) genau dann erzeugt, wenn d ·qi t K.
x
Es wird in der geringsten Stärke xi = 0 (vom Zentrum entfernte Position) erzeugt, falls d ·qi K.
Es kommt also auf die Relation zwischen der durch Position im Zentrum erwirkten Zusatzmarge d und den Positionskosten pro Absatzeinheit K qi an. Wegen q1 ! q2 !…! qN sind die Positionskosten pro Absatzeinheit bei der Unternehmung 1 am geringsten und bei der Unternehmung N am höchsten: K q1 K q2 … K qN. Wie ist die Relation zwischen d und K qi bei der Unternehmung i einzuschätzen? Hier müssen drei Situationen unterschieden werden: 1.
4
Die im Zentrum erzielbare Zusatzmarge ist geringer als die Positionskosten pro Absatzeinheit bei der ersten Unternehmung, also
Unser Modell ist parallel zum Signalling entwickelt, wie es auf SPENCE 1973 zurückgeht. Bei uns variieren die Erträge aus dem Signalling über die Unternehmungen (weil die Absatzmengen unterschiedlich sind), während die Signalkosten für alle gleich sind. Bei SPENCE variieren die Signalkosten, während die Signalerträge gleich sind. MICHAEL SPENCE: Signaling in Retrospect and the Informational Structure of Markets. American Economic Review 92 (2002) 3, S. 434-459.
166
d K q1. Keine der Unternehmungen findet es interessant, sich für eine bessere Positionierung anzustrengen. 2.
Die im Zentrum erzielbare Zusatzmarge ist höher als die Positionskosten pro Absatzeinheit bei der letzten Unternehmung der Reihe, d ! K qN. Alle Unternehmungen werden sich im Zentrum positionieren.
3.
Die Zusatzmarge d liegt zwischen den Positionskosten pro Einheit der ersten und der letzten Unternehmung, K q1 ! d ! K qN. Dann wird die erste Unternehmung ins Zentrum gehen, während die letzte Unternehmung keine Kosten für eine Positionierung eingeht. Wie die Unternehmung i entscheidet, 1 i N, hängt von der Fallunterscheidung ab: Bei d t K qi geht sie ins Zentrum, bei d K qi unternimmt sie nichts.
Wir müssen diese drei Situationen näher kommentieren. Im ersten Fall handelt es sich um eine Position, die sich für keine Unternehmung einzunehmen auszahlt. Solche Positionierungsmöglichkeiten werden selten in der Öffentlichkeit beachtet, weil sie für niemanden in Frage kommen. Hier einige Beispiele zur Illustration: 1. Vor Jahren war die Situation auf dem Arbeitsmarkt von einem „war for talents“ weit entfernt. Kaum eine Unternehmung hielt es für lohnenswert, sich gegenüber begabten Absolventen und Absolventinnen eigens zu positionieren. 2. Langfristige Produktgarantien sind für die Unternehmung auch heute noch teuer, trotz allgemein gestiegener Qualität und Ausfallsicherheit. Deshalb wählen die Unternehmungen hier die gesetzliche Mindestgarantie; es ist für keinen Anbieter rentabel, darüber hinausgehende Gewährleistung zu bieten. Allerdings kann sich die erste Situation d K q1 ändern, beispielsweise dann, wenn die absatzstärkste Unternehmung ihren Absatz steigert und damit die Positionskosten pro Einheit senkt. Ebenso kann sich die erste Situation ändern, wenn die Signalkosten K geringer werden oder wenn, etwa aufgrund einer Mode, die durch die Position im Zentrum erwirkte Zusatzmarge d steigt. Die zweite Situation d ! K qN ist weithin bekannt. Alle Unternehmungen gehen in das Zentrum. So entsteht ein neuer Marktplatz oder ein neuer Standard. Die Kosten – gemeint sind die von der Absatzmenge unabhängigen Kosten K – für das Bremssystem ABS beispielsweise sind für die Erstentwicklung
167
durch Daimler-Benz hoch gewesen und haben sich dennoch für das Unternehmen aufgrund seiner hohen Absatzmenge gelohnt. Die mengenunabhängigen Kosten K sind für die anderen Automobilhersteller stark gesunken, weil es um eine Systemübernahme ging. Alsbald haben alle Automobilhersteller dieses Positionierungsmerkmal ABS übernommen. So ist ein neuer Standard entstanden. Allgemeiner technischer Fortschritt nimmt diesen Weg. In der zweiten Situation hat ein Differenzierungsmerkmal bereits seine Kraft verloren. In der weiteren Dynamik der Situation kann dann sogar der Fall eintreten, dass d sinkt, weil inzwischen alle Unternehmen das Merkmal übernommen haben. Dennoch geht der Weg des Fortschritts von einem einmal etablierten Standard nicht mehr zurück. Die dritte Situation ist die vielleicht interessanteste. Hier geht die erste Unternehmung sicher in das Zentrum und vielleicht folgen ihr die ersten m Unternehmungen dorthin, m N. Hingegen leisten die Unternehmungen i = m 1, m 2,…, N keine Anstrengungen, um eine bessere Positionierung zu erreichen. Die Unternehmung m ist im Sinn von d | K qm marginal. In dieser dritten Situation darf vermutet werden, dass die Größen d und K von m abhängen. Wenn m größer ist und mehr Unternehmungen in das Zentrum gehen, sinkt vielleicht d etwas (weil inzwischen schon mehrere Unternehmen das Positionierungsmerkmal haben) und gleichzeitig nimmt K etwas zu (weil die Position schon hinreichend besetzt ist und seine Einnahme dadurch teurer wird). So wirkt eine ökonomische Kraft, durch die m geringer wird. Sie verhindert, dass immer mehr Unternehmungen in das Zentrum gehen. Das Zentrum behält seine Exklusivität, es ist und bleibt die Position, die nur für eine oder einige wenige Unternehmungen in Frage kommt. Die dritte Situation ist somit stabil, wenn diese realitätsnahe Dynamik für d und K gilt. Oft verursacht die Positionierung Kosten, die zwar von der Distanz zum Zentrum abhängen, nicht aber von der Absatzmenge. Dann kann es aufgrund der Absatzmenge zu einer Marktdifferenzierung kommen: Wenige, absatzstarke Unternehmungen positionieren sich besser, und zwar ganz im Zentrum. Die anderen Unternehmungen gehen keine Positionierungskosten ein, auch wenn sich dadurch ihre Marge nicht verbessert. Die Position ist in dieser Modellierung ein intra-öffentliches Gut: Ungeachtet wie groß die Absatzmenge ist, kann es gleichsam von allen Absatzeinheiten nutzbringend verwendet werden, ohne sich dabei zu verbrau-
168
chen. Wie im letzten Kapitel ausgeführt, haben Investitionen in solche Ressourcen einen umso höheren Wert, je umfangreicher auf sie zugegriffen wird. Von daher sind es die absatzstarken Unternehmen und diejenigen mit vielfältigen und häufigen Kontakten, für die sich eine Positionsverbesserung lohnt. Wie wir gesehen haben, gilt es auch hier, Halbherzigkeit zu vermeiden. Wenn schon, dann gleich ins Zentrum.
1.2
Positionswechsel
1.2.1
Die klassischen Zyklen: Kondratieff
Die Position einer Unternehmung ist nicht für die Ewigkeit gedacht und in Stein gemeißelt: Die Welt verändert sich, in jeder Lage muss mit Strömungen gerechnet werden. Sie können stärker oder schwächer sein, und es versteht sich von selbst, dass Rückenwind angenehmer als Gegenwind ist. So ist eine jede Positionierung nicht allein aus ihrer derzeitigen „Nähe zum Zentrum“ zu beurteilen. Es kommt zusätzlich auf die Dynamik an. Die Dynamik hat viele Bezeichnungen: technischer Fortschritt, Moden, Zahn der Zeit. Hinter diesen Kategorien stehen Einzelkräfte, Treiber der Veränderung, Trends – deren Tragweite nicht alle Unternehmen rechtzeitig erkennen. Beispielsweise hatten viele Telekoms 1985 eine exzellente Position, doch manche haben die Digitalisierung und den Wunsch der Kunden nach Mobilität unterschätzt. Einige große Airlines, so die ehemalige Swissair, verkannten die Entwicklung zur Vernetzung. Ein Rückblick der Gewichte (Marktkapitalisierungen) von Sektoren vor 50 und vor 100 Jahren zeigt: Um 1900 waren Eisenbahnen (Anteil an der Gesamtkapitalisierung in England 49%), Banken und Finanzen (15%), Bergbau (7%) und die Textilindustrie (5%) wichtige Branchen. Im Jahr 1950 haben den größten Anteil, nämlich 23%, jene Sektoren, die 1900 noch klein waren, gefolgt von Tabak (13%), Versicherung (12%) und Brauereien (9%). Im Jahr 2000 ist der Anteil jener Sektoren, die 1900 klein waren, auf inzwischen 47% gestiegen. Es folgen Banken und Finanzen (17%), Telefon (14%), Einzelhandel (4%). In den USA sind alle Firmen, die 1900 zusammen einen Anteil der Marktkapitalisierung von 85% hatten, inzwischen praktisch verschwunden. Die großen Sektoren sind in den USA heute Informationstechnologie, Banken, Pharma, Telekommuni-
169
kation, Einzelhandel, Öl und Gas. Diese Branchen hatten 1900 und 1950 entweder gar kein oder nur ein geringes Gewicht.5 Einige günstige Sektoren der letzten Jahrzehnte: x
1965 die Elektrotechnik,
x
1975 der Maschinenbau,
x
1985 das Automobil,
x
1995 die Mobiltelefonie und
x
2005 die Energie.
Dieses Phänomen des Auf und Ab von Branchen wurde durch langfristige Investitionszyklen und Nachfrageverschiebungen erklärt. Veränderungen gehen selbstredend von Innovationen aus. Auch die Wahrscheinlichkeit von Innovationen ist von der Branche unabhängig.6 Die Entdeckung und Untersuchung langfristiger Investitionszyklen und Nachfrageverschiebungen geht auf NIKOLAI D. KONDRATIEFF (1892-1938) zurück. Der russische Wissenschaftler sieht etwa alle 40 bis 60 Jahre eine neue Basisinnovation, eine neue Schlüsseltechnologie, neue Grundrohstoffe und neue Organisationsformen aufkommen, die zu weltweiten Veränderungen führen und gleichzeitig einen Wirtschaftsschub auslösen – eine neue lange Konjunkturwelle beginnt. JOSEPH A. SCHUMPETER (18831950) nennt sie Kondratieff-Zyklus und erklärt die damit einhergehende Verdrängung der hergebrachten Unternehmungen, die „schöpferische Zerstörung“, zum Regelfall des kapitalistischen Systems.7 Der Begriff der „schöpferischen Zerstörung“ wurde zwar von Schumpeter popularisiert, stammt aber ursprünglich aus dem allgemeinen Konzept von Friedrich
5
ELROY DIMSON, PAUL MARSH und MIKE STAUNTON: Triumph of the Optimists – 101 Years of Global Investment Returns. Princeton University Press, Princeton, NJ 2002.
6
SCOTT A. SHANE: A General Theory of Entrepreneurship: The Individualopportunity Nexus. Edward Elgar, Cheltenham 2004.
7
1. LEO A. NEFIODOW: Der sechste Kontradieff – Wege zur Produktivität und Vollbeschäftigung im Zeitalter der Information. 5. Auflage, Rhein-SiegVerlag, Sankt Augustin 2006. 2. HANS THOMAS und LEO A. NEFIODOW: Kondratieffs Zyklen der Wirtschaft. Busse und Seewald, Herford 2002.
170
Nietzsche. Schumpeter betonte, dass Zerstörung keinesfalls ein Systemfehler sei, sondern notwendig, damit eine Neuordnung stattfinden könne.8 Alles zusammengenommen, gibt es zu jedem Zeitpunkt der Geschichte günstige und ungünstige Branchen für unternehmerische Vorhaben. Wer über Strömungen spricht, die den Wert einer Position verändern, folgt also am besten einer Brancheneinteilung. ZYKLUS
BEGINN
BASISINNOVATION
BRANCHE
K6
20xx
Psychosoziale Gesundheit
Gesundheit, WellnessImmobilien
K5
1990
Informationstechnik
Globalisierung, Kommunikation
K4
1950
Automobil
Automobil, Benzin, Straßenbau
K3
1900
Elektromotor und Chemie
Consumer Products
K2
1850
Eisenbahn
Eisenbahn, Stahlindustrie
K1
1800
Dampfmaschine
Bekleidung
Übersicht 1-1: Sechs identifizierte Kondratieff-Zyklen nach einer Bearbeitung durch LEO A. NEFIODOW
1.2.2
Organisches Wachstum
Wie kann die generelle Vorteilhaftigkeit einer Position im Hinblick auf branchenspezifische Strömungen gemessen werden? Wenn ein Schiff schneller vorankommt, als es der Motorleistung entspricht, dann wird es offenbar zusätzlich von einer Strömung getrieben. Wenn das Schiff langsamer als dem Motorantrieb nach vorankommt, dann muss es im Gewässer offenkundig eine Gegenströmung überwinden. Das Vorankommen einer Unternehmung lässt sich durch die jährliche Wertsteigerung messen. Ausgeschüttete Dividenden müssen dabei zur Wertsteigerung hinzugerechnet werden, um die gesamte Wertschöpfung zu erhalten. Das Vorankommen der Unternehmung wird so durch ihre Rendite R gemessen, die sie aus Sicht der Finanzmärkte aufweist:
8
JOSEPH SCHUMPETER: Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung; in: The American journal of economics and sociology, Vol. 61, No. 2, S. 405-437, 2002.
171
R
Marktwert
( t 1) Marktwert ( t ) Dividende Marktwert ( t )
(1-2)
Diese Rendite hängt mit dem Risiko der Unternehmung zusammen und steigt mit dem nicht mehr in einem Portfolio diversifizierbaren (systematischen) Risiko, das durch Beta gemessen wird. Der Zusammenhang zwischen der Rendite und dem Beta wird durch das CAPM beschrieben, vergleiche die Formeln in Kapitel 5, Teil 2. Die Motorleistung der Unternehmung identifizieren wir mit ihrem Gewinn, so wie er im Rechnungswesen festgestellt wird. Sicher hängt er noch von den Standards der Rechnungslegung ab, die vor allem bestimmen, wie viel aktiviert werden darf und wie viel abgeschrieben werden muss. Die meist auch als Earnings Yield EYD bezeichnete Gewinnrendite ist gleich dem Gewinn geteilt durch den Marktwert: EYD
Gewinn Marktwert ( t )
(1-3)
Hier wird eine Buchgröße in Relation zu einer Marktgröße gesetzt. Der Zusammenhang zwischen der Gewinnrendite EYD und der populären Kennzahl Return On Equity ROE wird durch die Relation zwischen Buchwert und Marktwert vermittelt, der sogenannten Book-To-Market-Ratio. Denn der ROE ist so definiert: ROE
Gewinn Buchwert
(1-4)
Folglich gilt: EYD
Gewinn Marktwert
ROE
Buchwert Marktwert
(1-5)
Wer sich ein wenig mit Aktien befasst, weiß nun: x
Die langfristige Aktienrendite (1-2) liegt im Mittel bei etwa 10%, eben bei Unternehmungen mit einem kleineren Beta etwas darunter, bei Unternehmungen mit einem höheren Beta etwas darüber.
x
Die Gewinnrendite (1-3) liegt hingegen bei vielleicht 6%. Wenn die Unternehmung dabei ein Book-To-Market-Ratio von 50% hat, dann ist der ROE = 12.
Die Gewinnrendite ist der Kehrwert des Kurs-Gewinn-Verhältnisses KGV.
172
EYD
Gewinn Marktwert
1 KGV
(1-6)
Das KGV liegt im Durchschnitt über alle börsengehandelten Unternehmungen und über die Zeit bei 17, weshalb die mittlere Gewinnrendite EYD = 1 17 | 6% beträgt. Das sind typische Zahlen. Die Unternehmung ist folglich ein Schiff, das langfristig gesehen um 10% im Jahr vorankommt, wobei der eigene Motor nur einen Vorschub von 6% leistet. Offensichtlich hat die Unternehmung ein Gewässer mit guter Grundströmung gewählt, die es 4% zusätzlich zur Motorleistung voranbringt. Was bedeutet das? Selbst wenn die Unternehmung ihre gesamten Gewinne ausschüttet, würde sie noch um 4% wachsen. Selbst wenn der Motor im Schiff nicht mehr die Schraube dreht, sondern einzig zur Elektrizitätsversorgung von Klimaanlage und Musikbox dient – kommt das Schiff noch 4% voran. Das sind attraktive Gewässer. Wir können diese Strömung als organisches Wachstum bezeichnen. Organisches Wachstum
R EYD
(1-7)
Der Unterschied zwischen der tatsächlichen Geschwindigkeit von 10% (Rendite) und dem Vortrieb des Motors von 6% (Gewinnrendite), also das organische Wachstum, kann daraus resultieren, dass die Motorkraft zu „konservativ“ eingeschätzt wird. Die Gewinnrendite hängt selbstverständlich davon ab, wie konservativ die Rechnungslegung ist. Zwei generelle Faktoren für organisches Wachstum: x
Bei einer konservativen Gewinnermittlung gibt es Aufwendungen, die nicht der Leistungserstellung in der Periode dienen, sondern die Leistungsmöglichkeit erhöhen und dennoch nicht aktiviert werden. Beispiele: 1. Arbeiten für Forschung und Entwicklung. 2. Abschreibungen: Einige Unternehmen nehmen Einmalabschreibungen vor. 3. Instandhaltung: Einige Unternehmen betreiben hier Aufwand und führen Arbeiten aus, die den Wert erhöhen.
x
Nominale Wertsteigerung durch Inflation und nicht aktivierte Wertzuwächse bei Positionen, mit denen die Unternehmung gut im aufwärts führenden Strom einer allgemeinen Entwicklung positioniert ist und ihre Optionen erhält und ausbaut.
Uns kommt es indessen nicht darauf an, ob das organische Wachstum nun genau 10% – 6% = 4% beträgt oder weniger. Die absolute Höhe ist unwichtig für die Frage, ob die gute Grundströmung in verschiedenen Gewässern anders verläuft.
173
BRANCHE
KGV
BEISPIELE
Biotech, Software, Technologie
über 30
Hilti 29, Logitech 40, Microsoft 43, Dell Computer 5
Pharma, Medizinaltechnologie
20 ... 30
Novartis 22, Roche 25
Konsumgüter, Lebensmittel, Dienstleistungen, Medien
18 ... 24
Givaudan 17, IBM 19, Publigroupe 23, Swatch Group 15
Banken, Versicherungen, Handel, Maschinen, Elektrotechnik, Chemie
12 ... 18
Bank Vontobel 15, Boeing 16, Citi Group 14, Ems Chemie 15, Luzerner KB 15, UBS 12, Sulzer 13, Vögele 11
Baugewerbe, Transporte, Stahl, Rohstoffe
6 ... 12
Holcim 10, Vetropack 10
Übersicht 1-2: Als typisch angesehene Kurs-Gewinn-Verhältnisse für fünf verschiedene Gruppen von Branchen (Quelle: SPREMANN: Modern Finance. Oldenbourg Verlag, München 2004, Kapitel 5)
Wichtig für eine Positionsentscheidung ist: Das organische Wachstum ist von Sektor zu Sektor unterschiedlich, und zwar aus zwei Gründen: 1.
Das Beta, das über das CAPM die Rendite R (oder die Gesamtgeschwindigkeit des Schiffs) bestimmt, darf durchaus als branchenabhängig gesehen werden.
2.
Ebenso ist die Gewinnrendite EYD (oder der Motorvorschub) branchenspezifisch. Denn die Gewinnrendite ist der Kehrwert des KursGewinn-Verhältnisses KGV, vergleiche (1-6), dessen Zahlenwerte branchenabhängig sind.
Sektor für Sektor können einerseits das branchenspezifische Beta und damit die Marktrendite sowie andererseits das KGV und daraus die typische Gewinnrendite ermittelt werden. Die Differenz ist das branchenspezifische organische Wachstum, also die Strömung, die unternehmerische Vorhaben begünstigt oder bremst. Wie gesagt, die absoluten Werte hängen vom Standard der Rechnungslegung ab. Weil die neueren Standards gegenüber den konservativen vielleicht zu einer Höhereinschätzung der Gewinne führen, ist bei ihnen das als organisch erscheinende Wachstum geringer. Ergebnis: Die Ergebnisgrößen des Rechnungswesens liefern im Vergleich zu den im Markt erwarteten Renditen nützliche Informationen darüber, welche „Positionen“ durch eine gute Grundströmung begünstigt oder im Branchenvergleich benachteiligt werden.
174 BRANCHE UND UNTERSTELLTE EIGENKAPITALRENDITE
EYD
R-EYD
Biotech, Software, Technologie
<3,3%
>6,7%
Pharma, Medizinaltechnologie: R | 9%
3,3% … 4,2%
4,8% … 5,7%
Konsumgüter, Lebensmittel, Dienstleistungen, Medien: R | 8%
4,2% … 5,6%
2,4% … 3,8%
Banken, Versicherungen, Handel, Maschinen, Elektrotechnik, Chemie: R | 7%
5,6% … 8,3%
-1,3% … 0,4%
Baugewerbe, Transporte, Stahl, Rohstoffe: R | 6%
8,3% … 17%
-10% … -2,3%
Übersicht 1-3: Die rechte Spalte zeigt typische Raten für das organische Wachstum. Für die in den beiden oberen Zeilen genannten Branchen wird durch die Preisbildung im Markt deutlich, dass ein hohes organisches Wachstum unterstellt wird. Für die Branchen in den beiden unteren Zeilen wird teilweise mit einem negativen organischen Wachstum gerechnet. Das heißt: Wenn in diesen Branchen die Gewinne vollständig ausgeschüttet werden und es keine außenfinanzierten Investitionen gibt, dann verfällt der Marktwert dieser Unternehmungen
1.2.3
Unternehmenstransformation
Die Veränderungsprozesse im Umfeld einer Unternehmung haben sich durch die eingangs erwähnten Treiber enorm beschleunigt. Diese Dynamik der Märkte verlangt den Unternehmen ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit ab, und zwar nicht nur im Sinne von Adaption an gegebene Bedingungen. Gefordert ist vielmehr der proaktive Umgang mit Veränderungen. Um die Metapher der Strömung wieder aufzugreifen: Das Unternehmen darf sich nicht treiben lassen und darauf warten, von einer günstigen Strömung erfasst zu werden. Es muss aktiv in Ertrag versprechende Gewässer navigieren – und gegebenenfalls kräftig rudern, um diese Ziele zu erreichen. Ist eine Unternehmung überhaupt dazu in der Lage, ihre Position, ihre Branche – oder noch weiter eingeschränkt, ihr Feld – zu ändern? Beginnen wir mit bekannten Beispielen: 1.
IBM hat sich vom Geschäft mit Hardware gelöst und zum Lösungsanbieter gewandelt.
2.
Nokia, früher ein finnischer Hersteller von Gummistiefeln, hat die Neuposition als Anbieter von Geräten der Mobiltelephonie gewagt
175
und ist damit zeitweise zur am stärksten kapitalisierten Unternehmung Europas gewachsen. 3.
Der Vorstand von Mannesmann hat 1999 entschieden, das Geschäft mit Stahlröhren aufzugeben und neu eine Position in der Telekommunikation einzunehmen.
4.
Der Wandel von Preussag (Eisenbahnschwellen, U-Boote, Feuerlöscher) zu TUI (Reisen) zwischen 2000 und 2002.
Strategie • Konzentrieren • Wachsen/ Investieren
Marketing • Produkte/Dienste • Systeme (Vertrieb etc.)
Führung • Motivation • Entlohnung
Ressourcen • Wissen • Finanzen
TRANSFORMATION
Prozess • Differenzieren • Zeit/Kosten
KOSTEN OPTIMIEREN
WETTBEWERBSFÄHIGKEIT VERBESSERN
Nach Jahren des Krisenmanagements sehen es immer mehr Manager als vordringlichste Aufgabe an, eine Weiterentwicklung durch Erneuerung und Wandel einzuschlagen. Geglückte Neupositionierungen haben eine Gemeinsamkeit, sie basieren auf dem Konzept der Transformation, das mit dem Instrumentarium des Change Management umgesetzt wird.
Struktur • Zentralisierung/ Dezentralisierung • Hierarchie-Straffung
Abbildung 1-2: Transformation als ganzheitliches Konzept
Transformation bezeichnet dabei die bewusste Entscheidung zur zielgerichteten Veränderung und grundlegenden Erneuerung, Änderungen des Geschäftsmodells eingeschlossen. Es geht also um weit mehr als die sukzessive Veränderung bestehender Prozesse. Der ganzheitliche Ansatz setzt an den wesentlichen Dimensionen des Unternehmens an: Positionierung am Markt, Strukturen und Prozessen sowie Führung und Verhalten der Mitarbeiter. Aus diesem Verständnis von Transformation ergibt sich zwingend, dass Change Management einen Bezug zur Unternehmensstrategie haben muss.
176
Eine Neupositionierung eines Unternehmens verlangt große Überzeugungskraft. Der Unternehmer oder das Management müssen über charismatische Fähigkeiten verfügen, um die Mitarbeiter für den neuen Kurs zu gewinnen. Die in jeder Organisation vorhandenen Beharrungstendenzen zu überwinden, ist kein leichtes Unterfangen. Es kann nur gelingen, wenn ein paar grundlegenden Spielregeln beachtet werden: x
Das Topmanagement des Unternehmens spielt die Schlüsselrolle im Transformationsprozess: Indem es die Ziele der angestrebten Transformation benennt, entwirft es eine Vision und setzt damit einen langfristig gültigen Orientierungspunkt. Gleichzeitig steht und fällt die Glaubwürdigkeit der angestrebten Veränderung mit dem Commitment des Topmanagements. Dazu gehören die umsichtige Planung und Vorbereitung des Transformationsprozesses, dessen aktive Begleitung sowie eine Vorbildfunktion.
x
Der Veränderungsprozess bedarf eines Zeitrahmens, den das Topmanagement festlegen muss. Bleibt die zeitliche Dimension zu vage, entsteht bei den Beteiligten allzu leicht der Eindruck, es handle sich um eine unendliche Geschichte.
x
Entscheidend für eine erfolgreiche Transformation des Unternehmens ist die Einbindung der Mitarbeiter. Die Möglichkeit zur Partizipation ist die Voraussetzung, sich aktiv und engagiert in Veränderungsprozesse einzubringen. Dementsprechend hoch ist der Stellenwert der Kommunikation, und zwar auf allen Ebenen des Unternehmens. Es gilt, Einsicht in die Notwendigkeit von Veränderungen zu wecken. Nur so entsteht die Motivation, den Wandel zu unterstützen und Verantwortung für diesen Prozess zu übernehmen.
x
Es reicht nicht aus, das Ziel des Transformationsprozesses zu benennen. Das Topmanagement steht auch in der Pflicht, die Reiseroute festzulegen. Dazu gehören die Vorgabe von Etappenzielen und die Festsetzung von Meilensteinen. Stets muss klar sein, wie Einzelschritte sich zum gesamten Veränderungsplan zusammenfügen.
Wir wollen nicht verhehlen, dass der Begriff des „Change Managements“ in einigen Unternehmen keinen guten Klang mehr hat. Nicht selten wurden unsystematische und halbherzige Veränderungsprogramme aufgelegt, mittendrin abgebrochen bzw. unter einem neuen wohlklingenden Titel fortgesetzt. Solche Erfahrungen haben die Bereitschaft der Mitarbeiter unterminiert, sich auf Transformationsprozesse einzulassen. Es sind immer wieder ähnliche Fehler, an denen Veränderungsprozesse scheitern:
177
1.
Statt eindeutige Ziele festzulegen (die auch quantitativ hinterlegt sind), wird nur ein Strohfeuer entfacht.
2.
Während des Transformationsprozesses wird keine konsistente Strategie verfolgt. Häufige Strategiewechsel verunsichern die Mitarbeiter und untergraben die Glaubwürdigkeit des Topmanagments.
3.
Der Transformationsprozess wird initiiert ohne eindeutiges Commitment des Topmanagements. Solange sich die Führungsspitze des Unternehmens jedoch bedeckt hält, bleibt unklar, wo Verlierer und Sieger der Veränderungen stehen werden.
Werden die skizzierten grundlegenden Spielregeln des Transformationsprozesses beachtet und die drei genannten Fehler vermieden, sind die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Neupositionierung einer Unternehmung geschaffen. Wichtig ist dabei, die im Lauf der Transformation erworbenen „change skills“ einer Organisation bewusst zu kultivieren – denn nichts ist so beständig wie der Wandel: Das Metaziel aller im Rahmen einer Transformation durchgeführten Maßnahmen ist es, die erforderliche Anpassungsfähigkeit im Wertesystem und im Handeln einer Organisation dauerhaft zu verankern.
1.2.4
Wie Abschreibungen verwenden?
Bei der Neupositionierung eines Unternehmens stellt sich nicht nur die Frage nach der optimalen Gestaltung des Transformationsprozesses, sondern auch nach der Finanzierung. Woher kommen die Mittel für die notwendigen Investitionen? Die wichtigste Quelle ist das Unternehmen selbst. Kern der Finanzierung des Wandels sind die Abschreibungen. x
Die Abschreibungsgegenwerte speisten früher die Kasse der Ingenieure und Betriebsleiter, die damit völlig selbstverständlich ohne weitere Diskussionen Ersatzinvestitionen vornehmen konnten. Sie fuhren auf die Messen und kauften immer wieder dieselben Geräte, nur in den neueren und aktuelleren Versionen. Sie hatten kein Interesse daran, vielleicht auch nicht den entsprechenden Überblick, einen NichtErsatz überhaupt in Erwägung zu ziehen. Zusätzlich zur Verwendung der Abschreibungswerte auf diese konservierende Weise legten sie Vorschläge für Erweiterungsinvestitionen vor, selbstverständlich immer in derselben Art, die dann mit Gewinneinbehalt zu finanzieren waren. Die Ziele waren unverkennbar: 1. Der Betriebserhalt in seiner historisch gewachsenen Struktur. 2. Die Erhöhung von Kapazität für eventuelle Nachfragespitzen, um in solchen Fällen Engpässe zu ver-
178
meiden. 3. Die Erhöhung der Sicherheit, um Betriebsstörungen zu verhindern. x
Die Abschreibungswerte sind nicht unerheblich. Wenn das Betriebsvermögen im Durchschnitt auf zehn Jahre abgeschrieben wird, dann könnte das Betriebsvermögen – wird es nicht in der eben beschriebenen Weise ersetzt – in zehn Jahren ganz woanders neu aufgebaut sein. Zusammen mit den Mitteln, die für Erweiterungsinvestitionen vorgesehen sind, mithin einbehaltenen Gewinnen, kann die Unternehmung vielleicht schon in sieben Jahren eine völlige Neuposition eingenommen haben, beispielsweise in einer neuen Branche. Die Geschwindigkeit kann noch erhöht werden, wenn das „Ausgleiten“ der Altunternehmung – keine Erweiterung mehr und Ersatzinvestitionen auf ein wirkliches Minimum reduziert – durch Verkauf von Betriebsteilen beschleunigt wird. So kann eine Unternehmung möglicherweise in drei Jahren ganz woanders neu errichtet sein.
Abgesehen von der Umlenkung der Abschreibungsgegenwerte gibt es anscheinend immer überall Möglichkeiten, den Kapitaleinsatz zu verringern, ohne die Prozesse und Funktionen einzuschränken. In einer gemeinsam mit der Universität Lausanne durchgeführten Studie von 200 börsennotierten westeuropäischen Unternehmungen aus 19 Branchen und mit einem Jahresumsatz von über einer Milliarde Euro gelangt Roland Berger Strategy Consultants zu dem Ergebnis, dass in diesen Unternehmen zusammen 420 Milliarden Euro an Kapital befreit werden können. Der Schlüssel liegt vor allem in einem Kapital sparenden Management der Vorräte mit einem Einsparungspotenzial von 45%. Wirksam kann Kapital auch bei den Vorräten (20%, den Forderungen gegenüber Kunden (16%) und den Verbindlichkeiten gegenüber Lieferanten (19%) befreit werden. Um Wandel zu finanzieren, können auch diese internen Finanzierungsquellen geöffnet werden. Im Durchschnitt verwenden die Unternehmungen 57 Cent operatives Kapital für 1 Euro Jahresumsatz. Doch diese Größe ist selbst innerhalb der Branchen breit gestreut; Firmen mit hoher Kapitalbindung verwenden mehr als das Zehnfache an Kapital im Vergleich zu Spitzenunternehmen. Die schlummernden „Cash-Reserven“ sind am größten in den Sektoren Strom, Maschinenbau, Chemie, InfoCom und Automobil.9
9
BURKHARD SCHWENKER und STEFAN BÖTZEL: Auf Wachstumskurs – Erfolg durch Expansion und Effizienzsteigerung. Springer, Berlin 2006, S. 112-120.
179
1.3
Konklusion zur ersten Jahreszeit
1.3.1
Zur Phasenidentifikation
Wie kann man herausfinden, ob sich eine Unternehmung oder ein Unternehmensbereich in der ersten Jahreszeit befindet? Die Bestimmung der Position unternehmerischer Vorhaben bildet die Grundlage für das Weitere. Entsprechend allgemein sind die in dieser Phase zu treffenden Überlegungen. Für die Positionsbestimmung müssen daher die allgemeine Philosophie der Unternehmung, die Mission und die Richtung überlegt und formuliert werden. 10 In einer sich anschließenden, konkreteren Ebene werden sodann die Art der Technologie, der Produktmarkt, die angestrebte Kundenwahrnehmung und andere Dimensionen von Merkmalen so gewählt, dass sie mit der grundlegenden Philosophie harmonieren. Der Dreierschritt führt von der Philosophie über die Strategie zur Struktur. Die Positionierung ist mit Kosten verbunden und sie verlangt bereits Investitionen, zum Teil sogar irreversible Investitionen. Die Fragen lauten: Wo sollen die weiteren Aktivitäten aufgenommen werden und in welche Richtung soll geblickt werden? Wo soll jetzt der Ausgangspunkt für den Beginn sein? Soll man sich im Zentrum der vieldimensionalen Welt von Technologie und Wahrnehmung platzieren, was recht teuer ist, oder genügt es, an der Peripherie zu bleiben? Soll man sich an die Spitze dynamischer Entwicklungen stellen oder genügt es, mit dabei sein? Welche weiteren Bewegungen wird die Unternehmung in diesem Raum vollziehen? In der ersten Jahreszeit geht es also um sehr frühe Investitionsentscheidungen. Zur Prüfung, ob sich eine Unternehmung oder ein Unternehmensbereich in dieser Positionierungsphase befindet, wird daher auf gewisse Merkmale geachtet, die auf die Orientierung hinweisen: Werden derzeit Kontakte geknüpft, um mögliche Partner für später zu finden oder die Machbarkeit eines Grobplans prüfen zu lassen? Wo laufen ScreeningAktivitäten? Auch sie sind ein Indiz dafür, dass sich das unternehmerische Denken auf die Positionsbestimmung konzentriert. Ein weiteres Indiz für die erste Jahreszeit sind vage Ideen, die in Denkschriften skizziert werden. Auch erste Geschäftspläne deuten auf die Positionsbestimmung hin.11
10
BJÖRN BJERKE: Understanding Entrepreneurship. Edward Elgar, Cheltenham 2007.
11
URS FUEGLISTALLER, CHRISTOPH MÜLLER und THIERRY VOLERY: Entrepreneurship. Gabler, Wiesbaden 2005.
180
In der Forschung wurde auch die Ausprägung innovativer Tätigkeit, gemessen durch die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung, zur Identifikation dieser grundlegenden Phase herangezogen. Ähnlich zeigen Schutzmaßnahmen für bestehende Patente, dass die Position gehalten und gefestigt werden soll. Die Phase der Positionsbestimmung lässt sich auch daran erkennen, dass gewisse interne Festlegungen getroffen werden: x
Die das Denken zusammenführende unternehmerische Persönlichkeit muss die Vision vorleben. Die Vision muss erkennbar sein.
x
Mitwirkende und eingebundene Dritte verlangen partizipative Sicherheit. Wer würde sich schon wirklich einsetzen, wenn nicht die Hoffnung genährt wird, später auch am Erfolg teilhaben zu können.
x
Kreativität, auch Innovation, muss vorbereitet werden. Signale für diesen Indikator sind die Lernkultur, das Feiern von Erfolgen, die Förderung von Kompetenz und die offene Kommunikation.
x
Bei alldem können operative Vorbereitungen unterstützen, so der Aufbau und die Pflege von Wissensdatenbanken, die klare Einbindung externer Beratung und die Integration von Kunden in den Prozess von Erneuerung und Positionsbestimmung. Auch solche Maßnahmen können daher als Anzeichen dafür gesehen werden, dass sich die Unternehmung oder der Unternehmensbereich in der ersten Jahreszeit, der Phase der Positionsbestimmung, befindet.
Die Übersicht 1-4 fasst die Indizien zusammen, dass sich das unternehmerische Denken in der Phase der Orientierung, der Positionsbestimmung, der Bildung von Partnerschaften und Teams befindet. Kulturelle Gegebenheiten
Lernkultur, Erfolgszelebrierung, Förderung der Dienstleistungskompetenz, offene Kommunikation
Strategische Gegebenheiten
Eingehen von Netzwerken, Entwicklung von Innovationskompetenz
Operative und prozessorale Gegebenheiten
Wissensdatenbanken, Einbezug externer Beratung, Integration von Kunden
Übersicht 1-4: Hinweise für die Positionsbestimmung in der ersten Jahreszeit
181
1.3.2
Fazit
Noch vor der Phase des Aufbauens und Entwickelns kommt die Jahreszeit der Positionsbestimmung: Wo soll eine Unternehmung ihre Tätigkeit aufnehmen? Früher erwartete man als Antwort auf diese Frage lediglich den Hinweis auf einen physischen Ort. Heute ist der geografische Ort nur eines von mehreren Positionsmerkmalen. Eine ebenso wichtige Rolle bei der Bestimmung der Position spielt die Stellung der Unternehmung im komplexen Raum von Innovation, Technologie, Produktmarkt und Kundenwahrnehmung. Standorttheorien liefern Erklärungen für eine bestimmte Verteilung von Unternehmen und untersuchen die Faktoren, die diese Verteilung beeinflussen bzw. determinieren. Die Theorie der Standorte ist alt, einst wurde sie ausschließlich aus Sicht der Transportkosten eines materialgewichtigten Betriebes gesehen. Später wurden auch andere Standortfaktoren einbezogen, etwa die Verfügbarkeit von Arbeitskräften oder die Höhe von Steuern und Abgaben. Die Rahmenbedingungen für Standortentscheidungen haben sich in den letzten Jahren dramatisch verändert. Die großen Treiber der Veränderung – technologische Entwicklung, Globalisierung, Liberalisierung und Deregulierung der Märkte sowie die zunehmende Bedeutung der Kapitalmärkte – wirken sich auf die Positionsbestimmung der Unternehmung aus: Standortfaktoren – und die daraus resultierenden Standortentscheidungen – sind nicht länger statisch, sondern dynamisch. Dies verlangt Unternehmen bei der Positionierung einen hohen Grad an Flexibilität ab. Dazu gehören auch die Fähigkeit und die Bereitschaft, die eigene Position gegebenfalls zu verändern oder völlig neu zu bestimmen Im Ergebnis verschiedener Modellansätze zur Positionsbestimmung steht diese Erkenntnis: 1. Die Unternehmung soll sich entweder genau im Zentrum platzieren oder keinen Aufwand für eine Positionierung übernehmen. 2. Die Unternehmung soll bei einer Neupositionierung auf die Dynamik achten: Wo gibt es eine gute Grundströmung, die den Vorschub erhöht? Eine weitere wichtige Erkenntnis: Eine Neupositionierung ist eine realistische Möglichkeit. Die Unternehmung hat Füße, sie kann sich verändern. Die Dynamik der Märkte zwingt die Unternehmen zur Anpassungsfähigkeit und zum kreativen Umgang mit neuen Rahmenbedingungen. Gefordert ist die Fähigkeit zur Transformation. Transformation bezeichnet dabei die bewusste Entscheidung zur zielgerichteten Veränderung und grundlegenden Erneuerung, Änderungen des Geschäftsmodells eingeschlossen. Die Finanzmittel für einen Positionswechsel können aus der Innenfinanzie-
182
rung stammen, vor allem aus einer Umlenkung der Gegenwerte der Abschreibungen in neue Gefilde. Insgesamt dominieren in dieser ersten Jahreszeit strategische Ansätze. So die Empfehlung, in das Zentrum zu gehen, auf die Strömungen zu achten oder den Wandel zu managen. Nur hier und da – etwa bei der Quantifizierung des organischen Wachstums – spielt das finanzielle Denken etwas hinein. Verlangt ist in dieser Phase das Charisma der Führungspersönlichkeit, nicht der Rechenstift des Controllers. Wir kommen daher zum Schluss, dass in dieser Phase die Entscheidungskriterien einen Punktesieg für das strategische Denken unterstreichen.
1.4
Literaturempfehlungen
1.
Die klassische Standortplanung verwendet Methoden der Linearen Optimierung. Wer daran Interesse hat, wird fündig in: ULRICH THONEMANN: Operations Management. Pearson Education, München 2005, Kapitel 3.
2.
Die spieltheoretischen Überlegungen zur Positionierung sind ausgezeichnet dargestellt in: WILHELM PFÄHLER und HARALD WIESE: Unternehmensstrategien im Wettbewerb – Eine spieltheoretische Analyse. 2. Auflage, Springer, Heidelberg 2005.
3.
KERSTIN STOLZENBERG: Change Management. Springer, Heidelberg 2006 – ein klar balanciertes Buch zu diesem wichtigen Thema für Praktiker mit zahlreichen Tipps.
4.
BURKHARD SCHWENKER und STEFAN BÖTZEL: Auf Wachstumskurs – Erfolg durch Expansion und Effizienzsteigerung. Springer, Berlin 2006, Kapitel 7.
2
Entwickeln und aufbauen
Auf einen Blick: Nach der Positionierung kommt die zweite Phase: die Innovation. Ideen werden geboren und in ein funktionsfähiges Produkt, einen Prototypen, transformiert, der im Markt aufgenommen werden kann. Diesen zweiten Abschnitt unternehmerischen Geschehens übernimmt der Entrepreneur. Kreativität und die Produktentwicklung verlangen ein besonderes, ermunterndes Umfeld. Doch vor der Weiterentwicklung einer Geschäftsidee steht die Selektion: Es gilt, eine Auswahl zu treffen. Bei der Selektion zeigen interne Märkte bessere Ergebnisse als die Auswahl anhand vorgegebener, starrer Kriterien. Bei allem muss der Entrepreneur dem Absatzmarkt entgegengehen und seine Entwicklungen nach dessen Erwartungen ausrichten. Hier unterstützt ihn zum Beispiel die Zielkostenrechnung (Target Costing).
2.1
Innovation
2.1.1
Zum Innovationsbegriff
In der ersten Phase unternehmerischen Geschehens wird (eine neue) Position bezogen, durch die gewisse Potenziale geschaffen werden.1 In der folgenden zweiten Phase gilt es, diese Leistungsmöglichkeiten und Reservoire aufzugreifen, damit mit ihrer generell unterstützenden Wirkung konkrete Konzepte, Produktideen und Prototypen geboren werden. Mit anderen Worten: Es geht um Innovation. Für das bessere Verständnis der Thematik ist es hilfreich, sich eingehender mit dem Innovationsbegriff auseinanderzusetzen und gängige Missverständnisse zu klären. Viele denken bei der Innovation zuerst an den Ausruf von ARCHIMEDES: Heureka – ich hab es gefunden! Wir neigen dazu, nur die Erfindung zu sehen und den Geistesblitz des schöpferischen Bastlers in der Garage zu loben. Aber die Invention und Innovation sind nicht dasselbe: Invention bedeutet das Generieren von neuem Wissen oder das Kombinieren von bekanntem Wissen zu neuartigen Problemlösungen. Innovation hingegen
1
Siehe auch Abbildung 3-3 in Teil II dieses Buches.
184
ist die Invention plus deren erfolgreiche produktive Umsetzung und vor allem deren Vermarktung als kommerziell verwertbare Problemlösung. Per definitionem bedeutet Innovation die Erzeugung und Umsetzung von Neuerungen. Vereinfacht ausgedrückt: Innovationen machen Geld aus Inventionen. Es wäre falsch, den Begriff der Innovation gegenständlich aufzufassen oder auf die Dimension des technischen Fortschritts einzuengen: Innovation ist mehr als neue Produkte oder neue Technologien – der Terminus erfasst vier Bereiche, wobei sich diese Innovationsarten allerdings nicht trennscharf voneinander abgrenzen lassen. In der Praxis wirkt sich eine Innovation häufig auf mehrere dieser Bereiche aus: x
Produkte und Dienstleistungen Hierzu zählen neue oder merklich verbesserte Produkte und Dienstleistungen, die ein Unternehmen auf den Markt gebracht hat. Solche Innovationen werden auch als Leistungsinnovation bezeichnet. Zum Beispiel ging der Innovationspreis der deutschen Wirtschaft 2006 in der Kategorie Mittelstand an die Varta Microbattery GmbH. Sie wurde für die Entwicklung von extrem flachen Batterien für die jüngste Generation von Nano-MP3-Playern ausgezeichnet.
x
Prozesse Prozessinnovation bedeutet, dass in einer Unternehmung neue oder merklich verbesserte Fertigungs- und Verfahrentechniken bzw. Verfahren zur Erbringung von Dienstleistungen eingeführt werden. Ein Beispiel dafür aus der Kreislaufwirtschaft: Bei der Müllsortierung übernehmen mit Sensoren ausgestattete Roboter die schmutzige Handarbeit: Die elektronischen Sortiermaschinen erkennen jede Stoffart nahezu ohne Fehler.
x
Wertschöpfungskette Dabei geht es um grundlegende Veränderungen an der Konfiguration der Wertschöpfungskette. Als Beispiel dafür lässt sich die Beziehung zwischen Automobilproduzenten und ihren Zulieferern anführen. Die Hersteller haben ihre Fertigungstiefe verringert und Teile ihrer Wertschöpfungskette an die Zulieferer ausgelagert, von denen sich viele zu Systemanbietern entwickelt haben: Durch eine zunehmende Integration einzelner Bauteile oder Komponenten zu gesamten Systemen (zum Beispiel Bremssysteme, Bordnetz-Systeme usw.) werden Zulieferer für die Automobilhersteller zu wichtigen Partnern mit einer festen Rolle in der Wertschöpfungskette.
x
Kundenpflege Dazu gehören alle neuen bzw. merklich verbesserten Maßnahmen,
185
die die Kundenbindung intensivieren. Zum Beispiel ist durch Customer Relationship Management (CRM) die Kundenpflege nicht nur auf den Verkaufsprozess an sich oder ausgewählte After-Sales-Services beschränkt.
2.1.2
Die Rolle des Entrepreneurs
In dieser zweiten Phase des unternehmerischen Geschehens ist eine Unternehmerpersönlichkeit verlangt, die es mit ihrem Team schafft, die Potenziale aufzugreifen und zu Innovationen zu führen. Dieser Unternehmer ist kreativ und ingeniös, inspiriert seine Mitarbeiter und ist dennoch zu einer Auswahl und zu Anpassungen fähig, die dem wirtschaftlichen Ziel Geltung verschaffen. Das ist der Entrepreneur. Der Entrepreneur muss dreierlei schaffen. Entrepreneurship Erstens muss er sich der Potenziale bewusst Entrepreneurship ist ein Prozess, der werden, welche ihm durch die Positionievon Individuen vorangetrieben wird, die rung als Vorlage dienen. Er muss bereit neue unternehmerische Chancen identisein, sie aufzugreifen. Ähnlich wie ein Safizieren, evaluieren und nutzen. Kreatimenkorn nur dann aufgehen kann, wenn es vität, Innovation und Entrepreneurship aus dem Boden Nährstoffe aufnimmt. sind untrennbar miteinander verbunden. Zweitens muss er Geschäftsideen entwickeln und konkretisieren können. Drittens muss er in der Lage sein, gewisse Ideen aufzugeben, wenn für sie keine wirtschaftliche Verwendung erkennbar wird – dieses Loslassen verlangt oft viel Kraft. Parallel dazu muss er Entwicklungen so steuern können, dass sie auf eine wirtschaftliche Umsetzung (oder ein Nachfragesegment) zugehen – und nicht daran vorbeilaufen. Der Entrepreneur ist also ein Innovator, der neue Ideen wirtschaftlich umsetzt. Doch die Ideen kommen nicht von ungefähr. Der Innovator muss den „Nährboden“ akzeptieren und aufgreifen können. Er darf nicht nach New York gehen und der Provinz nachtrauern, aus der er gekommen war. Sodann wird viel Kreativität, Beweglichkeit und ein gutes Auge verlangt. Die Wahrnehmung muss dem Entrepreneur zweierlei zu erkennen geben: Erstens und zu Beginn, welche Geschäftsideen es gibt. Zweitens und etwas später, wie eine Entwicklung draußen im Absatzmarkt eingeschätzt und daher bezahlt wird.
186
Selektion aus den erzeugten Geschäftsideen
Potenzial: Erkennen und aufgreifen
Anpassen: Wirtschaftlichkeit und Nachfrage Konzept, Produkt, Prototyp
Geschäftsideen erzeugen
Entwicklung
Abbildung 2-1: Der Entrepreneur ist bereit, die vorhandenen Potenziale aufzugreifen, Ideen zu erzeugen, daraus auszuwählen und die weitere Entwicklung im Hinblick auf wirtschaftliche Chancen zu steuern
2.1.3
Entwicklung und Skalierbarkeit
Nun sind viele neue Geschäftsideen recht „plastisch“ und können weiter geformt werden. Erst die weitere Formung und Ausgestaltung bestimmt, ob die Idee zu einem wirtschaftlichen Erfolg führen wird oder nicht. Zwischen der Idee (Erfindung, Entdeckung, kreativer Verbesserung von Vorhandenem) und dem marktfähigen Prototypen (eines neuen Produkts, Services, eines Verfahrens, einer Organisationsform) stehen oftmals recht aufwendige Arbeiten der Ausgestaltung, Entwicklung und Anpassung des Entrepreneurs und seines Teams: Die Idee muss technisch und organisatorisch konkretisiert werden. In Abbildung 2-1 zeigt der gekrümmte Pfeil das „Hinbiegen“. Die Innovation muss kalibriert, das heißt, auf einen Markt oder ein Marktsegment klar zugeschnitten werden, damit die Nachfrage getroffen wird. Diese Aufgaben verlangen eine disziplinierte Vorgehensweise. Untersuchungen zeigen, dass weniger der chaotisch-kreative Erfinder als der methodisch vorgehende Entwickler im Innovationsprozess gewinnt. Unter den methodischen Entwicklern sind jene besonders erfolgreich, die Kundenbedürfnisse erkennen und dafür Lösungen schaffen, die sich also auf den späteren Absatzmarkt einstellen. Diese Aussage wird durch eine Umfrage belegt, die Roland Berger Strategy Consultants und AIM unter den
187
führenden europäischen Konsumgüter-Herstellern durchgeführt haben: Innovationen erwiesen sich dann als überdurchschnittlich erfolgreich, wenn sie als Reaktion auf klar identifizierte Verbraucherbedürfnisse eingeführt wurden.2 Hat der Entrepreneur mit einer Idee beginnend eine Problemlösung für Kunden entwickelt, dann ist seine Arbeit getan. Die Markteinführung eines funktionierenden Prototyps, die dann erforderliche Verstärkung der Nachfrage und die weitere Marktdurchdringung in großen Volumina sind unternehmerische Funktionen, die andere Ressourcen und andere Denkweisen verlangen, als sie der Entrepreneur mitbringt. Oft fehlt dem Entrepreneur die Platzierungskraft für das Produkt im Markt und er muss schon aus diesem Grund die Markteinführung einer anderen Unternehmung oder einem anderen Unternehmensteil überlassen. Wir betrachten diese sich anschließenden unternehmerischen Funktionen deshalb als eine weitere, dritte Phase: die des Wachstums. Das Wachstum verlangt Produktion, Werbung und Planung, also Maßnahmen, die umfangreiche Finanzmittel und Managementfähigkeiten verlangen. Wenn der Entrepreneur auch solche Aktivitäten übernehmen will, haben die Innovationen eine höhere Wahrscheinlichkeit des Scheiterns – das haben Untersuchungen gezeigt. Die Phase Entrepreneurship endet mit der Übergabe eines marktfähigen Prototyps. Ziel des Entrepreneurship: Potenziale zu erkennen und sie aufgreifend Geschäftsideen zu erzeugen, die nach Selektion und einer technischorganisatorischen Entwicklung unter Anpassung und Kalibrierung an den Absatzmarkt grundsätzlich als wertvoll aufgenommen werden. Die Markteinführung, die Produktion in hoher Auflage, die Marktdurchdringung und das Absatzwachstum bilden hingegen das unternehmerische Geschehen in einer Folgephase. Auf das Entrepreneurship folgt also eine weitere (dritte) Phase, die des Wachstums, die den Entrepreneur nicht mehr verlangt. Dennoch wird der Entrepreneur nicht einfach einen von ihm entwickelten Prototyp übergeben, der allein zum Zweck der Übergabefähigkeit gebaut wurde und allein bei der Übergabe glänzt. Der Entrepreneur wird bei der Konstruktion und Entwicklung beachten, welche Anforderungen die Herstellung in großer
2
CURTIS R. CARLSON und WILLIAM W. WILMOT: Innovation – The Five Disciplines for Creating What Customers Want. Crown Business, New York 2006.
188
Stückzahl und der Absatz in einem größeren Markt während der Phase des Wachstums stellen werden. CARLSON und WILMOT (op. cit.) verlangen, dass die ganze Unternehmung die Innovation umschließt und Kundenwert schafft. Der Kundenwert ist ein Produkt aus Quantität und Zahlungsbereitschaft. Die Quantität darf nicht übersehen werden. Bereits bei der Transformation einer Idee in einen Prototyp, der ein Kundenproblem löst, müssen demnach Grundsätze befolgt werden, die Versuch und Irrtum eine Skalierung erleichtern und vorbereiten. Der Erfinder und Entwickler von PlastikbeEs ist schon ein Unterschied, ob der Koch im lag für Böden in Sporthallen als Ersatz für Fernsehen eine kulinarische Besonderheit für Kunsteis hat über fünfhundert Modifikatiozwei geladene Prominente zubereitet oder ob nen geschaffen und geprüft, bevor er er ein Hochzeitsmenü so zusammenstellt, überhaupt wusste, ob seine Idee gelingen dass es für 200 Gäste bereitet und gleichzeikann. Aus der Pharmaindustrie ist betig serviert werden kann. kannt, dass von Tausenden neuen Stoffen, die kreiert und auf ihre Wirksamkeit und auf Nebenwirkungen geprüft werden, nur einer die strengen Selektionskriterien passiert. Ähnlich ist es in anderen Industrien. In den Medien wird nur die erfolgreiche Innovation gezeigt, nicht die Parallelentwicklungen, die irgendwann abgebrochen werden mussten.
Ein weiterer Punkt bei der Skalierung ist die Frage, ob eine offene oder eine proprietäre Architektur gewählt wird. Eine Architektur ist offen, wenn alle Spezifikationen publik gemacht werden. Sie ist proprietär, wenn bekannte Konstruktionsprinzipien neben eigenen Gestaltungen verwendet werden, diese aber nicht publik gemacht werden. Der Vorteil offener Architekturen besteht bekanntlich darin, dass andere Unternehmungen die Möglichkeit haben, Zusatzprodukte zu schaffen und somit dem Kernprodukt nützlichere Verwendungen verleihen. Das Wachstum wird später beschleunigt. Sie haben den Nachteil, dass schnell Imitationen im Markt sind.
2.1.4
Entwicklung und Varianten
Im Vergleich mit den oftmals großen Produktions- und Absatzabteilungen wirken Unternehmensbereiche für die Produktentwicklung klein. Auch Firmen, die sich darauf spezialisieren, etwas auszutüfteln und die erste „Box“ zustande zu bringen, die dann etwa eine CD-Rom mit einer neuen Software enthält, sind deutlich kleiner als jene Unternehmen, die produzieren und den Markt bedienen. Man könnte daher vermuten, dass es eigentlich nicht so viel Aufwand verlangen kann, eine neue Geschäftsidee zu haben. Doch das ist falsch.
189
Man darf nicht verkennen, dass vor der Weiterentwicklung einer Geschäftsidee die Selektion steht. Die Selektion wird durch (wenigstens) drei Einflüsse bewirkt. Erstens gibt es Ideen, die sich von selbst als nicht realisierbar herausstellen, etwa bei der ersten systematischen und formalen Darstellung oder den ersten Versuchsaufbauten. Die erste Filterung erfolgt durch eine frühe Machbarkeitsstudie. Zweitens kommt es zu einer Projektselektion. Hier treffen Menschen die Entscheidung, welche der machbaren Geschäftsideen als Projekt weiterverfolgt und zu Produkten weiterentwickelt werden sollen oder nicht (wir werden in Abschnitt 2.3.2 interne Kapitalmärkte als eine Organisationsform zur Filterung von Projektideen besprechen). Die dritte Filterung ist der Markttest. Am Absatz wird schließlich abgelesen, welche Geschäftsideen eine hohe und welche nur geringe wirtschaftliche Performance haben. IDEE
GESCHÄFTSIDEE MACHBARKEIT PROJEKT PRODUKT
Erster Filter: Versuchsaufbau
Zweiter Filter: Projektselektion
Dritter Filter: Marktakzeptanz
Abbildung 2-2: Der Weg von der Idee bis zum Produkt als „Pipeline“ hat Trichterform, die sich stark verengt: Aus Hunderten von Geschäftsideen kann ein erfolgreiches Produkt entwickelt werden. Drei Filterungen wirken: die erste Machbarkeitsstudie, die Projektselektion und der Test der Marktakzeptanz
Dieser Sachverhalt wird üblicherweise als ein Trichter mit eingebauten Filtern dargestellt (siehe Abbildung 2-2). Oben ist der Trichter noch weit und viele Geschäftsideen können hineingegeben werden. Es folgen die drei Filterungen als Siebe, also die ersten technischen Prüfungen, zweitens die Projektselektion durch involvierte Menschen (interne Kapitalmärkte) und drittens der Test im Absatzmarkt. Das Verhältnis von der Anzahl ursprünglicher Geschäftsideen bis zum wirtschaftlichen Erfolg ist in vielen Bereichen 100 zu 1. Geschäftsideen, die spät im Markttest scheitern, erweisen sich entweder als technologisch zu kompliziert (Over Engineering), differenzieren sich zu
190
wenig von bereits existierenden Produkten (Me-too-Produkt), haben noch technische Schwächen und werden deshalb beiseite gelegt, oder es kam inzwischen zu einem Preisverfall im Produktmarkt und sie sind einfach zu teuer. Schließlich werden Schadstoffbelastungen oder juristische Probleme erst spät, bei Markteinführung, gesehen und verhindern dann den erhofften wirtschaftlichen Erfolg. All das bedeutet, dass mit jedem Prototyp und jedem Produktkonzept, das schließlich die Pipeline verlässt, aufgrund der vielen, gestoppten Geschäftsideen und Projektentwicklungen (über die dann niemand mehr spricht) ein großer Ressourcenverbrauch einhergeht. Wie können die Kosten wieder hereingeholt werden? Häufig reicht es nicht aus, eine derart teure Innovation in einem einzigen Konsumprodukt oder in einem Investitionsgut im Markt verwerten zu können. Man muss gleich mit einbeziehen, ob es das Konsumprodukte und auch das Industriegut in diversen Varianten und in Produktfamilien geben wird. Man denke etwa an das Spektrum, das vom Luxusauto für 100.000 Euro bis zum Einfachmodell für 5.000 Euro aufgespannt wird. Innovationen machen sich nur dann bezahlt, wenn sie in allen Varianten der Produktfamilie umgesetzt werden können. Es muss deshalb bereits bei der Entwicklung geplant werden, wie die Neuerung später in mehreren Segmenten zum Einsatz kommen kann, wissend, dass sie letztlich überall Verwendung finden wird und muss. Dazu gehört beispielsweise die Beantwortung der Frage, ob sich die Innovation in „abgespeckten“ Varianten umsetzen lässt.
2.1.5
Innovation als Wachstumsmotor
Innovation gehört zu den anerkannten Wachstumstreibern – diese Aussage gilt sowohl aus der volkswirtschaftlichen Perspektive als auch für Unternehmen. Der Zusammenhang zwischen Innovationsstärke und Wachstum lässt sich empirisch belegen. So sind Hochtechnologien der am schnellsten wachsende Wirtschaftszweig. Solche Hochtechnologien sind nichts anderes als die innovativsten Zweige einer Volkswirtschaft. Es gibt eine eindeutige Korrelation zwischen dem Wohlstand eines Landes und dessen Hochtechnologiestärke. Die enge Verzahnung zwischen Innovation und Wachstum zeigt sich auch auf der mikroökonomischen Ebene. Dies belegt eine Analyse des Zusammenhangs zwischen Innovationsausgaben und Umsatzplus, die exemplarisch im Technologiesektor durchgeführt wurde. Je stärker ein Unternehmen seine Ausgaben für Forschung und Entwicklung aufstockte, desto
191
besser war sein Markterfolg. Eine Studie in 16 OECD-Ländern hat außerdem die positiven Effekte quantifiziert, die eine Aufstockung der FuEAusgaben in der Privatwirtschaft auf die Volkswirtschaft hat: Erhöht die Privatwirtschaft ihre FuE-Ausgaben um 1%, dann steigt die Gesamtfaktorproduktivität des jeweiligen Landes um 0,13%. Umsatzwachstum seit 1995 [%]
EBIT-Wachstum seit 1995 [%]
500
500
400
400
300
300
200
200
100
100
0
0 0
200
400
600
Anstieg F+E-Ausgaben seit 1995 [%]
0
200
400
600
Anstieg F+E-Ausgaben seit 1995 [%]
Abbildung 2-3: Innovation als Quelle für überlegenes Wachstum und Spitzenrenditen
Für Unternehmen zählen Innovationen zu den wichtigsten Wachstumstreibern: So gelten etwa neue Produkte und Leistungsangebote als das durchschlagende Überzeugungs- und Differenzierungsargument am Markt, Prozessinnovationen senken die Kosten und verschaffen damit einen Vorsprung gegenüber den Wettbewerbern. Handelt es sich um eine Produkt- oder Dienstleistungsinnovation, kommt es für ein Unternehmen entscheidend darauf an, den 3-S-Prozess zu beherrschen. Zunächst zählt die Geschwindigkeit, mit der die Innovation auf den Markt kommt (speed). Je schneller, desto mehr First-Mover-Vorteile lassen sich erzielen. Diese dienen dazu, signifikante Marktanteile zu gewinnen (share), die dann wiederum in Skalenvorteile investiert werden (scale).
192
2.2
Umfeld und Wirkung – Geistesblitz und Umgebung
Die Innovation beginnt mit einer Erfindung oder der Erkenntnis einer Idee, die, wenigstens vage, eine wirtschaftliche Perspektive in sich trägt. x
Ein Erfinder schafft etwas Neues. Durch eine Erfindung tritt ein neues Verfahren zu Tage, eine neue Technologie, oder es wird eine neue Problemlösung aufgezeigt. Eine Erfindung führt zu etwas, das es bis dahin nicht gegeben hat (im Unterschied zu einer Entdeckung, die etwas Existentes zu Tage bringt).
x
Trotz der Neuschöpfung steht eine Erfindung stets mit Bekanntem in Zusammenhang. Bei einer Erfindung werden bekannte Materialien auf neue Weise bearbeitet oder in eine neue Kombination gebracht. Erfindung ist die Anwendung bekannter Gesetze der Natur oder der Ökonomie in bisher nicht vorgenommener Konstellation. Das „Neue sprengt die bisher nur kreislaufähnliche Bewegungsweise und ermöglicht die dynamische, sprunghafte Entwicklung.“3
Sieben Quellen innovativer Gelegenheiten PETER DRUCKER hat in seinem Werk Innovation and entrepreneurship (1985) deutlich gemacht, dass Innovation und Unternehmergeist sich nicht auf Hightech-Industrien beschränken. Auch in Lowtech-Branchen sind Innovationen möglich – und notwendig. Nach Drucker stammen innovative Ideen aus der systematischen Untersuchung der sieben Quellen innovativer Gelegenheiten: aus dem Unerwarteten, der Inkongruenz, den Prozessbedürfnissen, den Industrie- und Marktstrukturen, der Demografie, den Veränderungen in der Wahrnehmung und aus neuem Wissen.
3
Von den beiden Ingredienzien der Erfindung – dem schöpferischen Akt und der an sich bekannten Umgebung, deren Komponenten neuartig zusammengebracht werden – wird vielfach die erste Zutat überbetont. Die als zweite genannte Tatsache, dass sich die Erfindung in einer bekannten Umgebung abspielt, bleibt meistens ungewürdigt. Hingegen betont die Innovationsforschung gerade die Bindung der Erfindung an ihre Umgebung. So wurde entdeckt, dass gewisse Umgebungen die Erfindung begünstigen, während andere Umgebungen trotz zahlreicher Geistesblitze wenig Neues hervorbringen. In der Tat: Der schöpferische Akt für sich allein genommen verspricht noch keinen Geschäftserfolg; viele Erfinder sind arm gestorben. Doch wenn sich begabte Personen stärker und länger in einer fruchtbaren Umge-
JOSEPH A. SCHUMPETER: Der Prozess der schöpferischen Zerstörung, zitiert nach KLAUS HERDZINA: Wettbewerbstheorie, Köln 1975.
193
bung mit den Dingen dort auseinandersetzen, dann werden sie nicht nur Profis, sondern gelangen alsbald auch zu Neuem. Der Begriff der Erfindung wird in der Innovationsforschung daher um den der Entdeckung ergänzt. Die Literatur vermeidet geradezu den Begriff der Erfindung. Auch die kreative Veränderung von Vorhandenem hat in der Innovationsforschung einen höheren Stellenwert. Häufig entstehen Geschäftsideen bei einer Imitation oder einer Verbesserung, die an einer existierenden Innovation vorgenommen wird. Bei vielen Gütern und Diensten, die unser Leben komfortabel machen und die uns daher einiges wert sind, handelt es sich um das Ergebnis fortwährender Verbesserungen einer lang zurückliegenden und überall bekannten Erfindung. Oft sind es daher naheliegende (und daher eigentlich nicht einmal besonders kreative) Geschäftsideen, die größeren wirtschaftlichen Erfolg haben als die originären Erfindungen. Das deutlichste Beispiel ist der Aufschwung der japanischen Industrie in den siebziger Jahren. Die Praxis lehrt demnach, dass wirtschaftlich wertvolle Innovation vielfach weniger in der Umsetzung einer Erfindung als in der Weiterentwicklung von Imitationen liegen. Damit sollen Erfindungen nicht herabgewürdigt werden, weil sie vielfach ganz neue Wege und daher die Möglichkeit zu disruptiven Innovationen eröffnen. Entdeckungen weisen vielfach lediglich auf Produktverbesserungen in etablierten Märkten. Zusammenfassend gehen Innovationen darauf zurück: x
Erfindungen, darunter solche, die zu disruptiven Innovationen führen.
x
Entdeckungen – die Geschäftsidee als etwas, das es im Prinzip schon gibt. Man muss sie nur auf der Straße sehen und auflesen.
x
Imitationen mit Verbesserungen von Produkten in etablierten Märkten.
2.2.1
Fünf Faktoren
Der erste Schritt im Entrepreneurship ist also die Geschäftsidee oder eine technische Erfindung, Entdeckung oder verbesserte Imitation. Wie ausgeführt, ist die Geschäftsidee nicht allein ein Ergebnis von Nachdenken, Suchen und Basteln des Erfinders in der Garage. Fruchtbare Umstände müssen mit der Kreativität zusammenkommen. Deshalb wurde betont, dass ein Entrepreneur das vorhandene (in der ersten Phase geschaffene und durch die Position gegebene) Potenzial aufgreifen soll und nicht verkennen und ablehnen darf. Die Forschung hat solche Umstände untersucht und dabei
194
dies entdeckt: Das fruchtbarste Zentrum für den Erfinder oder Entdecker ist dort, wo 1.
vieles zusammenkommt (Komplexität),
2.
Wandel (Dynamik) stattfindet,
3.
produziert wird,
4.
es Menschen gibt, die mit kreativer, praktischer und analytischer Intelligenz schöpferische Funken haben und die durch „Schumpeter’sche“ Handlungsmotive „Siegerwillen“, „Kämpfenwollen“ und „Erfolghabenwollen“ getrieben sind,
5.
und es ihnen möglich ist, in einem heterogenen Kreis zu sprechen.
Der erste und zweite Punkt liegen auf der Hand. Eine komplexe, sich dynamisch verändernde Umgebung ist ergiebiger als ein leicht überblickbares, statisches Umfeld. Denn in einer solchen Umgebung verlieren einfache Regeln und alte Handlungsmuster ihre Kraft. Vielleicht geraten wir angesichts von Komplexität und Dynamik sogar in die Zwangslage, uns etwas Neues und Besseres einfallen lassen zu müssen. „Not macht erfinderisch“ weiß der Volksmund. Komplexität heißt, dass viele verschiedenartige Aspekte zusammenkommen, sich teils überlagern und teils Lücken lassen. So wird es schwierig, sich ein einfaches Bild der Lage, der Zusammenhänge und der einwirkenden Kräfte zu verschaffen. Einfaches und Bekanntes versagt. Komplexität hat also zur Folge, dass noch nicht alles durchschaut ist. Das unbekannte Terrain bietet Raum für neue Erkenntnisse. Oft entstehen bei Forschungsarbeiten in einem komplexen Arbeitsgebiet (ungeplante) Erfindungen und Entdeckungen, die sogar in einem ganz anderen Bereich nützlich sind. Zudem bietet Komplexität meist Möglichkeiten für Vereinfachungen, und auch die Vereinfachung kann eine Innovation darstellen. Dynamik heißt, dass die Umgebung beträchtlichen Veränderungen unterliegt. Alte Handlungsmuster greifen nicht mehr. Die Arten des dynamischen Wandels, die Geschäftsideen begünstigen, sind: x
Ökonomischer, sozialer oder demografischer Wandel (Beispiel: verfügbare Einkommen, ältere Menschen, Reisegewohnheiten, Bildung, Urbanisation),
x
neue Technologien (Beispiel: LCD und HD-TV, Breitband),
x
neue Absatzformen (Leasing, Shop in the Shop, Electronic Banking, Video on Demand, Erlebnisparks),
195 x
regulatorische und politische Änderungen.
Der Wandel als Geschäftsideen begünstigender Faktor heißt, dass der Entrepreneur am besten in einer dynamischen (und nicht in einer statischen Umgebung) seine Suche aufnimmt. Mehr als die Hälfte der am schnellsten wachsenden Unternehmen in den USA hat ihren Ausgangspunkt in einer Antwort auf neue Technologien, Änderungen bei den Gesetzen oder in der Mode genommen.4 Komplexität Dynamik Laufende Produktionsprozesse Kreative Menschen Kommunikation
Übersicht 2-1: Faktoren, die Innovationen begünstigen
Die dritte Erkenntnis – Produktion begünstigt Innovation – wird bei uns gelegentlich wie ein Geheimnis gehütet, weil die Produktion zu einem guten Teil abwandert. Doch es liegt auf der Hand: Wer arbeitet, bekommt Ideen, wie er seine Arbeit besser machen kann. Das gilt nicht nur für den Handwerker. Die Erzeugung von Ideen für Verbesserungen bei den Prozessen und bei den Produkten wird stark durch die Produktion begünstigt. Die Vorstellung, ein Land spezialisiere sich auf Blaupausen und ein anderes übernehme die Fertigung, geht völlig an dieser Wahrheit vorbei. Um 1965 haben zunächst die Japaner Produktideen aus Europa und Amerika übernommen. Anfangs wurden die Kopien belacht. Doch bald haben die Japaner zahlreiche Verbesserungen und Weiterentwicklungen selbst vorgenommen und sind in den entsprechenden Industriebereichen – Foto, Elektronik – zum Schrittmacher der Weiterentwicklung geworden. Viele meinten damals, die Foto- und Elektronikindustrie würde wieder nach Europa zurückkehren, sobald erst einmal die Löhne in Japan gestiegen seien. Doch das anfängliche Kopieren hat nicht nur zu einem Strom kleinerer Verbesserungen bei den Produkten und den Verfahren geführt, sondern zu tief und breit greifenden neuen Technologien. Ein Beispiel ist die Miniaturisierung, die ab 1970 von Japan ausging und erstmals durch den Walkman von Sony symbolisiert wurde. Japan war kein Einzelfall für den Zusammenhang zwischen Produktion und Innovation. Um 1980 hatte Tai4
AMAR V. BHIDE: The Origin and Evolution of New Businesses. Oxford University Press, New York 2000.
196
wan, bis nach dem Zweiten Weltkrieg ein armes Agrarland, mit dem Kopieren von Komponenten (Elektronik, Optik) begonnen und ist inzwischen unangefochtener Schrittmacher der technologischen Entwicklung im Bereich der Hardware. Heute wiederholt sich die Begünstigung von Innovationen durch die Produktion erneut, dieses Mal in China. Coffeeshop als Ideenbörse Die Computerforschung hat es in den USA sowohl an der Ostküste als auch an der Westküste gegeben. Die Firmen an der Ostküste erhielten viele Aufträge der Rüstungsindustrie und waren zur Geheimhaltung verpflichtet – die Informatiker verschiedener Unternehmungen durften nicht miteinander sprechen, „Job talk“ im Coffeeshop war strengstens verboten. Die Jungunternehmen in der Nähe von San Franzisko hatten keine militärisch bedeutsamen Aufträge und tauschten sich untereinander aus. So ist Silicon Valley an der Westküste entstanden. An der Ostküste gibt es keine nennenswerte Softwareentwicklung mehr.
Ein vierter Faktor, der Geschäftsideen begünstigt, ist der Geistesblitz des Menschen. Der Entrepreneur ist eine Person, keine Organisation: Die genannten Aktivitäten sind enger an einzelne Menschen gebunden, die sie voranbringen, als andere wirtschaftliche Aktivitäten. Andere Etappen des unternehmerischen Geschehens können eher von Gruppen und Gremien getragen werden als das Entrepreneurship. Dieser vierte Faktor gedeiht natürlich am besten auf dem Nährboden eines guten Schul- und Ausbildungssystems.
Die genannten vier Faktoren werden weiter begünstigt, wenn es zusätzlich eine heterogene Nachbarschaft gibt, die Innovationen und kreative Gespräche stützt. Der Industriepark ist das Paradebeispiel. Eine Umgebung von jungen Firmen, auch wenn sie sich mit verschiedenen Gegenständen befassen, hat sich in Untersuchungen stets als fruchtbarer herausgestellt als eine ältere, fest geformte Umgebung. Ebenso förderlich sind Unternehmungen in der Nachbarschaft, die selbst große Abteilungen für Forschung und Entwicklung unterhalten, oder Hochschulen. Forschung und Entwicklung findet in Teams statt, die sich in Forschungszentren ansiedeln müssen. Der Pizzabäcker, bei dem man sich trifft, ist nicht belanglos.
2.2.2
Makroklima
Die Aussage, dass bestimmte Umgebungen Innovationen begünstigen, gilt nicht nur für die mikroökonomische Dimension, also für die Umwelt innerhalb einer Unternehmung. Die Innovationsleistung wird auch von politischen und gesellschaftlichen Faktoren beeinflusst; die Werte und das Leistungsparadigma einer Gesellschaft sowie das Ausbildungssystem prä-
197
gen die Innovationskultur eines Standorts nicht unerheblich. Diese bestimmen das Makroklima für Innovationen. Will eine Volkswirtschaft Innovationen fördern, muss sie die erforderlichen finanziellen Ressourcen einsetzen. Es stimmt bedenklich, wenn Investitionen in das Wissen als Grundlage von Innovation vernachlässigt werden. Die so genannte FuE-Intensität, also der Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt, beträgt in Deutschland 2,5% und fällt damit geringer aus als in anderen wichtigen Volkswirtschaften wie den USA (2,68%) oder Japan (3,18%).5 Die wesentlichen Merkmale eines innovationsfördernden Makroklimas lassen sich anhand der „3 T“ beschreiben: Talent, Technologie, Toleranz.6 x
Talent: Zugespitzt formuliert, beginnt die Innovationsförderung im Kindergarten. Innovationen gedeihen nur auf der Grundlage einer exzellenten Ausbildung, deren Basis wiederum im Kindergarten und in der Grundschule gelegt wird. Insofern ist es dringend geboten, das System der schulischen Bildung so auszugestalten, dass Begabungen gefördert werden – unabhängig von sozialer Herkunft oder Nationalität der Schüler. Es geht aber nicht nur darum, innerhalb einer Volkswirtschaft „Talente“ zu entwickeln. Ein anderer Aspekt ist, inwieweit ein Standort in der Lage ist, Talente anzuziehen. Wissen ist mobil, und der Wettbewerb um fähige und kreative Köpfe wird längst global ausgetragen. Also müssen Bedingungen geschaffen werden, die für qualifizierte Arbeitskräfte im internationalen Vergleich attraktiv sind.
x
Technologie: Die wirtschaftliche Zukunft hochentwickelter Industrieländer hängt von ihrer technischen Innovationsfähigkeit ab und somit von den Berufsgruppen, die diese Innovationen vorantreiben. Dementsprechend sollte dem – vor allem in Deutschland – drohenden Nachwuchsmangel bei Naturwissenschaftlern, Ingenieuren und Informatikern aktiv entgegengewirkt werden. Dieses Ziel lässt sich nur durch konzertierte Aktionen von Unternehmen, Wissenschaft und Staat erreichen. Erwiesenermaßen spielt auch die Bildung von Clustern bei der Förderung des technologischen Fortschritts eine wichtige Rolle. Die Politik ist gefordert, das Umfeld für innovative Unterneh-
5
Angaben von 2005 nach Eurostat.
6
RICHARD FLORIDA beschreibt die Merkmale eines innovationsfördernden Umfelds in seinem Buch The rise of the creative class, Basic Books, New York 2004.
198
mensgründer zu verbessern, zum Beispiel durch unbürokratische Verfahren bei der Existenzgründung. x
Toleranz: Integraler Bestandteil eines innovationsfördernden Wertesystems ist die Offenheit für Neues. Dazu gehören das Respektieren unterschiedlicher Kulturen und das Gebot, niemanden wegen seiner Herkunft oder ethnischen Zugehörigkeit zu diskriminieren. Übrigens liegt gerade in dieser „diversity“ ein großer Standortvorteil Europas: Der „alte“ Kontinent mit einer Vielzahl unterschiedlicher Sprachen, Bildungs-, Steuer- und Rechtssysteme hat jahrhundertelange Erfahrung mit gelebter „diversity“. Unternehmen haben so gelernt, diese Vielfalt als Quelle der Kreativität zu nutzen. Gesellschaften oder Unternehmen, in denen Angst vor dem Unbekannten oder eine „Dashaben-wir-schon-immer-so-gemacht“-Mentalität herrschen, sind wahre Biotope der Stagnation. Kreativität als Grundlage von Ideen und Innovation kann in einem solchen Umfeld schlecht gedeihen.
2.2.3
Schumpeter versus Kirzner
Eine komplexe und dynamische Umwelt bedeutet, dass sie von der Allgemeinheit nicht in all ihren Facetten verstanden wird. Es ist eine Umgebung, über die es wenige Informationen gibt. Der Entrepreneur hat in dieser Konstellation nun einen Informationsvorsprung und kann ihn ausnutzen. Möglicherweise hat der Entrepreneur sogar die Kraft, die Umgebung zu beeinflussen. Je nachdem, ob man den Informationsvorsprung und die Gestaltungskraft des Entrepreneurs als groß oder als klein einschätzt, wird man zu SCHUMPETER oder zu KIRZNER geführt. Diese beiden großen Ökonomen haben den innovativen Unternehmer näher charakterisiert. JOSEPH A. SCHUMPETER (1883-1950) hat in seiner Analyse des Kapitalismus überaus innovative und grundlegende Neuerungen betrachtet. Sie strahlen kraftvoll aus und verschieben das ökonomische Gleichgewicht. Die Industriesektoren erhalten durch solche grundlegenden Innovationen eine andere Gewichtung. Ihren Ursprung haben diese Innovationen in völlig neuer Information, die zu neuem Wissen führt. Dem Entrepreneur gelingt der Schöpfungsakt des Erfinders und er verfügt praktisch allein über das neue Grundlagenwissen. Der Schumpeter-Unternehmer hat zudem das Vermögen, seine Ideen industriell umzusetzen, und ist so die treibende Kraft großer Umwälzungen. Er bewirkt fundamentale Änderungen in Wirtschaft und Gesellschaft. Neue Sektoren entstehen, alte fallen dem Niedergang anheim.
199
SCHUMPETER schwebt als innovativer Unternehmer die Verbindung von genialem Erfinder und großem Industriellem vor. Im kapitalistischen Prozess der „schöpferischen Zerstörung“ werden die nicht innovativen Unternehmungen verdrängt. WERNER VON SIEMENS und ALFRED KRUPP sind Beispiele für diese Kombination des Erfinders und Industriellen in einer Persönlichkeit. Wir bringen noch ein weiteres, Jahrtausende zurückliegendes Beispiel. Die alten Römer erfanden eine völlig neue Transporttechnologie. Sie legten Sümpfe trocken, bauten Strassen und errichteten Kastelle. Damit konnten sie Truppen und große Mengen von Waren bewegen. Entfernte Kolonien konnten an das römische Reich gebunden werden. Zuvor bewegten sich die Menschen nicht in großen Gruppen (es gab keine Straßen und am Ziel keine Nahrung), sondern sie zogen einzeln oder zu zweit über Bergrücken, schon um eventuelle Feinde frühzeitig auszumachen. In kleinen Gruppen durch Täler zu ziehen, war viel zu gefährlich. So konnte kein Warenhandel entstehen. So weit zu den fundamentalen und disruptiven Innovationen aufgrund neuen Wissens.7 Im kapitalistischen Prozess der „schöpferischen Zerstörung“ werden die nicht innovativen Unternehmungen verdrängt. Der Bestseller-Autor Tom Peters überschreibt in seinem Buch „Der Innovationskreis“ sogar ein Kapitel mit „Zerstörung ist cool“.8 Er plädiert dafür, Unternehmen eher zu „liqui-
Sony – die Innovatoren aus Japan „Wir müssen die Probleme vermeiden, die große Firmen befallen, indem wir Technologien selbst erfinden und einführen.“ Diesen Vorsatz formulierte Masaru Ibuka bei der Gründungsansprache seines Unternehmens im Frühjahr 1946. Sein Partner Akio Morita erinnert sich, was die beiden Ingenieure antrieb: „Wir wollten neue Produkte, neue, ausgeklügelte Funktionsprinzipien anbieten, also originelle Gebrauchsartikel auf den Markt bringen.“ (*) Die Firmengeschichte von Sony zeigt, wie diese Absichten der beiden Gründerväter verwirklicht wurden: mit dem ersten Taschentransistorradio weltweit, dem Walkman, der Playstation – um nur einige Beispiele für Innovationen zu nennen. Die Playstation war seinerzeit eine radikale Innovation, inzwischen wurde der Übergang zur inkrementellen Innovation vollzogen: Die Modelle werden kontinuierlich verbessert. Das Marktwachstum soll durch den Wettbewerbsvorteil erreicht werden. (*) zitiert nach CHIKAKO YAMAMOTO und GEORG BLUME: Aus Hassliebe zu Amerika, p. 202; in: UWE J. HEUSER und JOHN F. JUNGCLAUSSEN (Hrsg.): Schöpfer und Zerstörer. 3. Auflage, Rowohlt, Reinbek 2004, pp. 200-206.
7
Zahlreiche Beispiele für „disruptive“ Innovationen und den SchumpeterUnternehmer bringt CLAYTON M. CHRISTENSEN: The Innovator’s Dilemma. Reprint, HarperCollins Publishers, New York 2003.
8
TOM PETERS: Der Innovationskreis. Düsseldorf und München, 1998.
200
dieren“, als mit dem Versuch zu experimentieren, sie durch Strukturänderungen an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Im Unterschied zur Definition von SCHUMPETER betont ISRAEL M. KIRZNER in seinen Arbeiten (ab 1973) die wirtschaftliche Entwicklung durch kleinere Innovationen.9 Sie verschieben zwar nicht das ökonomische Gleichgewicht als Ganzes, setzen aber temporäre Nachfrage oder temporäre Überangebote in wirtschaftlichen Erfolg um. Ihren Ursprung haben diese Innovationen nicht in den großen Erfindungen und dem großen Wissensvorsprung, sondern in Entwicklungen, Verbesserungen und Modifikationen, die der Entrepreneur aufgrund eines teilweisen Wissensvorsprungs tätigt. Der Kirzner-Unternehmer ist die Feder der Ausgestaltung des Wirtschaftslebens durch die Schaffung differenzierter Produkte und Varianten. Er bestätigt durch seine Anreicherung mit neuen Varianten die Art und Weise, wie das Wirtschaften vor sich geht, ohne dieses dabei fundamental zu verändern. Eine Gegenüberstellung: 1.
Innovationen nach SCHUMPETER sind seltener, grundlegender und bedeutender. Nach KIRZNER sind sie häufiger und weniger fundamental.
2.
Der Unternehmer ist nach SCHUMPETER eine Person, die neue Faktorkombinationen am Absatzmarkt durchsetzt, nach KIRZNER jemand, der eine Unvollkommenheit des Absatzmarktes sieht und ausnutzt.
3.
Der Schumpeter-Unternehmer muss neues Wissen schaffen, der Kirzner-Unternehmer muss beobachten (sich Wissen aneignen) und Marktnischen sehen.
4.
Innovationen nach SCHUMPETER (Durchsetzung des Neuen) verlangen für die Verwirklichung eine Industrie oder eine große Forschungsabteilung. Für Innovation nach KIRZNER (Ausnutzung vorhandener Nischen) genügen eine Firma und ein Team.
5.
Innovationen nach SCHUMPETER setzen einen großen Ressourceneinsatz voraus und bergen daher beträchtliche Risiken. Innovationen
9
ISRAEL M. KIRZNER lehrt an der New York University und setzt die so genannte Österreichische Schule fort. Sie wurde von Denkern und Forschern wie CARL MENGER, EUGEN VON BOEHM-BAWERK, FRIEDRICH VON WIEDER, LUDWIG VON MISES und FRIEDRICH VON HAYEK begründet.
201
nach KIRZNER können mit geringeren Mitteln realisiert werden und sind deshalb weniger riskant. Notwendigerweise haben wir mit der Gegenüberstellung der Auffassungen von SCHUMPETER und von KIRZNER zwei pointierte Einstellungen zur Rolle des innovativen Unternehmers gezeichnet. Zahllose Innovationen und Geschäftsideen sind unverkennbar im Zwischenfeld zu sehen.10 Doch allen gemeinsam ist dies: Warum gibt es überhaupt die Möglichkeit, unternehmerisch tätig zu werden? Die Menschen haben Informationsunterschiede – besonders in einem komplexen und dynamischen Umfeld. Der Entrepreneur hat entweder grundlegend neues Wissen (SCHUMPETER) oder leicht neuere Informationen (KIRZNER) und kann diese durch Produkte ausdrücken. Die Bedeutung von Informationsunterschieden in der Wirtschaft wurde besonders durch VON HAYEK herausgearbeitet.11 Die Informationsunterschiede, die viele der Besonderheiten des Entrepreneurs gegenüber seiner Umgebung charakterisieren, wirken sich auch auf die Finanzierung aus. Die Vertragsverhandlungen zwischen dem Unternehmer und den Kapitalgebern unterscheiden sich in dieser zweiten Phase deutlich von denen der anderen Phasen. Zunächst scheiden Fremdfinanzierungen (etwa Bankkredite) aus, weil der Entrepreneur bei einem Scheitern keine substanziellen Vermögenswerte hat, die liquidiert werden könnten, um die Ansprüche von Gläubigern befriedigen zu können. Aber auch die Finanzierung mit Eigenkapital ist erschwert. Oft wird gesagt, das liege am „Risiko“, das in dieser Phase besonders hoch sei. Das mag sein. Doch der wichtigste Aspekt, der den Abschluss von Finanzierungen (mit Eigenkapital) erschwert, ist der Informationsunterschied, der definitionsgemäß zwischen dem Entrepreneur und den Kapitalgebern besteht. Von externen Risiken ist man im Geschäftsleben immer betroffen, und sie sind auch in anderen Bereichen gelegentlich hoch. Doch niemand ist bereit, mit einer Partei, die mehr weiß als man selbst, einen Vertrag zu schließen, mit dem Rechte, Pflichten und Erfolgsaufteilungen untereinander festgelegt werden.
10
1. ISRAEL M. KIRZNER: Entrepreneurial discovery and the competitive process: An Austrian approach. Journal of Economic Literature 25 (1997), S. 6085. 2. ISRAEL M. KIRZNER: Discovery and the Capitalist Process. University of Chicago Press, Chicago 1985. 3. JOSEPH A. SCHUMPETER: The Theory of Economic Development: An Inquiry into Profits, Capital Credit, Interest, and the Business Cycle. Harvard University Press, Cambridge MA, 1934.
11
FRIEDRICH A. VON HAYEK: The Use of Knowledge in Society. American Economic Review 35 (1945) 4, S. 519-530.
202
Dieser Nachteil asymmetrischer Information wird in der Praxis dadurch gemildert, dass sich nur noch solche Kapitalgeber anbieten, die über Fachkenntnisse verfügen. Das sind Business Angels, Venture Capitalists und Private-Equity-Partner. Sie alle knüpfen die Vergabe von Eigenkapital an beträchtliche Kontrollrechte, die nicht nur die finanziellen Resultate betreffen, sondern tief in die fachliche Tätigkeit des Entrepreneurs eingreifen. Sie können aufgrund ihres Fachwissens diese Kontrollrechte auch wirksam ausüben. So sind die Informationsunterschiede zwischen Entrepreneur und Finanzier geringer und der Abschluss von Finanzkontrakten somit leichter. Selbstverständlich gibt der auf externe Finanzierung angewiesene Entrepreneur damit einen gewissen Freiraum auf. Als neuer Entrepreneur fungiert das Paar aus dem Erfinder/Entwickler/Team-Coach und dem Finanzier, der mit fachlicher Expertise das unbeschwerte Erfinden sanft aber unbeugsam in die Richtung seiner finanziellen Interessen lenkt und dabei an die Möglichkeit eines lukrativen Exits denkt.
2.3
Entrepreneurship als Prozess
2.3.1
Sieben Schritte
Das Finden oder Aufdecken einer Geschäftsidee ist der erste Schritt im Entrepreneurship. Die Innovation muss sodann weiter entwickelt werden, wobei es um die technische und organisatorische Konkretisierung sowie die Kalibrierung im Hinblick auf den Absatzmarkt geht. Schließlich muss der Entrepreneur die finanzielle Belohnung seiner Entdeckungs- und Entwicklungsarbeit vorbereiten. Aufbau des Teams Einbindung möglicher Kunden Entwicklung und Konkretisierung der Idee
Kalibrierung und Zielkostenrechnung
Marktvorbereitung Kontaktaufbau zu Produzenten Erkundung gesetzlicher Restriktionen
Abbildung 2-4: Die sieben Schritte nach der Geschäftsidee
203
Insgesamt müssen von der Geschäftsidee bis zur Weitergabe der Arbeitsergebnisse und des Prototyps Einzelaktivitäten ausgeführt werden. Zu einem guten Teil können sie parallel erfolgen und sind auch miteinander verzahnt. 1. Erfindung oder Erkenntnis einer Geschäftsidee. 2. Teambildung: Zusammenbringen aller Ressourcen und Partner, um die Geschäftsidee in einem Team weiter entwickeln zu können. 3. Firmengründung: Schaffung eines Bereichs als Ort, organisatorischer und rechtlicher Rahmen für diese Entwicklungsarbeit. 4. Immer wieder während der Entwicklungsarbeiten: Auswahl der erfolgreichen Aspekte, Weglassen der wenig erfolgversprechenden Merkmale. 5. Anpassung und Kalibrierung im Hinblick auf ein Marktsegment. 6. Planung eines finanziell erfolgreichen Exits als Entrepreneur, Präsentation und Weitergabe des Prototyps an jemanden, der ihn in großem Umfang vermarkten kann. Insgesamt ist nach der Erkenntnis der Geschäftsidee ein Bündel von sieben Einzelaktivitäten verlangt: 1.
Aufbau des Teams: Während die Geschäftsidee im Kopf des Entrepreneurs ist, wird für die Entwicklung ein Team verlangt. So müssen Ressourcen – Personen, Wissen, Kapital – für die Entwicklung gewonnen und ein Rahmen (Firmengründung) geschaffen werden.
2.
Entwicklung als Konkretisierung: Im Team wird die Idee weiter zu einem Produkt (oder einem Service, Verfahren oder einer Organisation) entwickelt. Präsentationen müssen ausgearbeitet, Modelle gebaut, Experimente und Simulationen durchgeführt werden.
3.
Marktvorbereitung: Zwar wird der Absatzmarkt jetzt noch nicht entwickelt, aber erste Ankündigungen können helfen, das Potenzial abzuschätzen.
4.
Gesetze: Parallel dazu müssen Vorschriften erkundet werden, die als Einschränkung der Geschäftsidee und ihrer Umsetzung zu sehen sind: Gibt es schon einschlägige Patente? Welche Umweltauflagen sind zu beachten? Welcher Unfallschutz muss bei den Entwicklungsarbeiten beachtet werden? Welche Eigenschaften muss das Produkt hinsichtlich Sicherheit und Gewährleistung aufweisen? Viele Jungunternehmer müssen während der Entwicklungsarbeit schließen, weil sie sich nicht mit der Vielzahl von Bestimmungen auseinandergesetzt haben und sich zu sehr als Erfinder und Entwickler in einem rechtsfreien Raum sahen.
5.
Der Entrepreneur kann mögliche Kunden frühzeitig in den Entwicklungsprozess einbeziehen. Bei dieser Kommunikation werden die gewünschten Produktmerkmale deutlich. Gleichzeitig lernen Kunden, die Kostenseite der Produktentwicklung zu verstehen.
204
6.
Entwicklung als Kalibrierung: Die Entwicklungsarbeit wird zielgerecht auf einen Markt oder ein Marktsegment vorangetrieben. Eine solche Kalibrierung leistet zum Beispiel die Zielkostenrechnung (Target Costing).
7.
Schließlich muss der Entrepreneur, wenn seine Arbeit abgeschlossen und der Prototyp entwickelt ist, die Produktion und die Marktentwicklung einem anderen überlassen. Er wird frühzeitig mögliche Partner kontaktieren, um einen Verkauf seiner Leistung vorbereiten zu können.
Während die Idee im Kopf einer Person (oder im Gespräch zweier Personen) geboren wird, ist für diese sieben Zweige paralleler Entwicklungsarbeiten bereits ein gewisser Rahmen erforderlich, der einem Team Platz gibt. Die Vorhaben für die Umsetzung, Weiterentwicklung und Konkretisierung der ursprünglichen Idee verlangen Teamarbeit. Der Rahmen muss daher eine partnerschaftliche und offene Atmosphäre schaffen, die Teamarbeit begünstigt. Hierarchie und Bürokratie können die Kreativität bei der Entwicklung verhindern. Das Team muss eher mit weichen Organisationselementen geführt werden. In großen Unternehmungen ist den unterschiedlichen Führungskulturen Rechnung zu tragen, was oftmals eine deutliche räumliche Trennung verlangt. Trotz der Offenheit innerhalb des Rahmens muss aber das Wissen geschützt werden. Den Teammitgliedern muss bewusst werden, dass ihr Wissen kein persönlich verwertbares Gut ist, sondern den Kern der gemeinsamen Arbeit darstellt. Wichtig dafür ist, Informationen und Wissen in Kategorien einzuteilen: Nicht alles, was jemand weiß, muss der Geheimhaltung unterliegen. Manches Wissen entfaltet erst seine Kraft, wenn es mitgeteilt wird. Der Entrepreneur muss jedem Mitarbeiter die Unterschiede zwischen diesen beiden Kategorien deutlich machen, sodass alle wissen, wo bei Gesprächen die Grenzen zwischen Kommunikation und Verschwiegenheit verlaufen.
2.3.2
Interne Kapitalmärkte
Während der Entwicklungsarbeiten müssen immer wieder Entscheidungen getroffen werden, etwa wenn aus verschiedenen Varianten eine Auswahl getroffen werden muss. Wie zuvor überlegt, vollzieht sich der Prozess der Innovation in einer komplexen und dynamischen Umgebung, in der vergleichsweise wenig Wissen vorliegt. Da sich die Entwicklungsarbeiten in einem frühen Stadium befinden, ist folglich unklar, nach welchen Kriterien
205
die Entscheidungen überhaupt getroffen werden sollen. Obwohl der Entrepreneur einen gewissen Wissensvorsprung gegenüber der Allgemeinheit hat, kann er dennoch in einem frühen Stadium der Entwicklung nicht die erfolgreichste Variante seiner Innovation allein voraussehen. Von daher würde es wenig helfen, dem Entrepreneur zu raten, er solle die Kriterien aufstellen und seinem Team mitteilen, worauf es ankommt. In Situationen, in denen noch unklar ist, was später wichtig sein und im Markt geschätzt wird, muss man andere Menschen fragen (ohne sie in ihren Antworten zu beeinflussen). Das Nächstliegende ist eine Befragung der späteren Kundschaft, auf die der Entrepreneur zusteuert. Bei langen Entwicklungszeiten (wie es sie früher im Automobilbau gab) werden Kinder und Jugendliche angesprochen. Der Entwickler zeigt ihnen Phantomzeichnungen der möglichen Varianten. Die Kundenbefragung scheitert natürlich bei frühen Entwicklungsschritten, wo vielleicht noch nicht klar ist, welches Kundensegment später angesprochen werden kann. Dann muss der Entrepreneur Experten befragen, und die Experten sind die Mitglieder seines Entwicklungsteams. Solche Befragungen dienen also dazu, unter möglichen Varianten eine Auswahl zu treffen, ohne dass die Auswahlkriterien – wie wichtig sind die einzelnen Merkmale? – zuvor festgelegt worden wären. Das ist der Kerngedanke. x
Denn oft werden innerhalb von Unternehmen Entscheidungen getroffen, bei denen die Kriterien bereits feststehen. Jeder, der die Genehmigung für einen Projektvorschlag auf einem Formblatt beantragen soll, weiß, dass die vorgesetzte Stelle bereits klare Vorstellungen über die Wichtigkeit gewisser Merkmale hat. Die Gewichtung der Merkmale wird nicht in Frage gestellt. Das Formblatt stellt von oben strukturierte Fragen und zeigt die Punkte und deren Wichtigkeit. Die Spielregeln verlangen, dass die Fragen klar beantwortet werden; eine darüber hinausgehende, freie Kommunikation findet nicht statt. Es handelt sich um eine reine Top-down-Befragung.
x
Völlig anders liegt der Fall, wenn nicht nur aus den möglichen Varianten ausgewählt werden muss, sondern dazu noch eines von mehreren möglichen Bewertungskriterien festgelegt werden muss. Die Wichtigkeit der Merkmale steht nämlich noch nicht fest. Diese Leistung bewerkstelligt ein Markt. Nur der Markt als Organisationsform schafft es, unter Varianten zu wählen, wobei die Entscheidungskriterien völlig offen sind.
Der Markt wird umso mehr für die Auswahl von Projekten innerhalb einer Unternehmung vorgesehen, wenn die Einschätzung der Konsequenzen von Entscheidungen unklar ist und das Meinungsbild erst durch die Kommuni-
206
kation mehrerer Teilnehmer entsteht. Oft ist mit der Entscheidung über die Annahme oder Ablehnung eines Projektes eine Kapitalzuweisung verbunden. Das Befragungsdesign wird daher als Interner Kapitalmarkt (IKM) bezeichnet. Die Idee des IKM ist um 1965 aufgekommen und wird divisionalisierten Unternehmungen empfohlen. Zahlreiche Ausgestaltungen für dezentrale Verantwortung sind inzwischen praktiziert und untersucht.12 Wir halten an der Bezeichnung IKM fest, auch wenn hier kein Kapital zugewiesen wird. Ein Interner Kapitalmarkt (IKM) ist als Summe von durchaus wenig strukturierten und freien organisatorischen und kommunikativen Aktivitäten zu verstehen, die in einer Situation geringer Information die Einschätzungen mehrerer Personen vergleichend zusammenbringen und intern immer transparenter machen, sodass die Beurteilung und die Auswahl aus verschiedenen Varianten gefördert wird. Wie bei jedem Markt steht bei einem IKM die Informationserzeugung im Vordergrund. Der IKM ist offen für Informationen, die von unten kommen (bottom up). Wie in jedem anderen Markt auch muss den Mitwirkenden in Form und Inhalt große Freiheit hinsichtlich der Signale gegeben werden, die sie aussenden. Jede Konferenz, jedes Meeting unterstreicht die weite Verbreitung der Marktidee. Lediglich die Form der Höflichkeit wahrend, um nicht die menschlichen Grundlagen der Kommunikation zu zerstören, werden zunächst frei Kommentare abgegeben. Später werden sie zu Argumenten vertieft. Anschließend wird ein gemeinsamer Schluss gezogen und festgehalten. Je komplexer und dynamischer das Umfeld ist, desto weniger allgemeine Informationen sind vorhanden und desto wirksamer ist der interne Markt. Er wird auch zwischen Unternehmungen eingesetzt, wenn die Kriterien und Merkmalsgewichtungen unklar sind, so bei einem Peer Review.
12
1. ALAN M. RUGMAN: Inside the Multinationals 25th Anniversary Edition – The Economics of Internal Markets. Palgrave Macmillan, New York 2007. 2. WILLIAM E. HALAL, ALI GERANMAYEH und JOHN POUNDEHNAD: Internal markets – Bringing the power of free enterprise inside your organization. Wiley, New York 1993. 3. JAY W. FORRESTER: A new corporate design. Industrial Management Review 7 (1965) 1, S. 5-17.
207
2.3.3
Zielkostenrechnung
Die Zielkostenrechnung (Target Costing) kam in den siebziger Jahren im japanischen Management auf. Bis dahin haben die Unternehmungen die Produkte in der Reihenfolge von der Innovation bis zum Prototypen entwickelt. Die Konstrukteure und Ingenieure hatten die Eigenschaften festgelegt. Ein Ingenieur meinte damals: Wir bauen die besten xyz der Welt, warum sollten wir unsere Kunden fragen, was sie wünschen? Im Controlling wurden die sich daraus ergebenden Kosten ermittelt. Zusammen mit einem Gewinnzuschlag errechnete sich der Verkaufspreis. Erst dann sah man das Segment, das aufgrund der Produkteigenschaften und des Produktpreises in Frage kam. Diese Vorgehensweise war nicht nachteilig, weil bis in die siebziger Jahre die Nachfrage das Angebot überstieg. Die Marktsättigung, das Aufkommen neuer Wettbewerber und einige öffentliche Projekte mit klaren Zielen führten 1970 vor Augen, dass eine retrograde Vorgehensweise verlangt ist: Ausgangspunkt sind der Zielmarkt und die dort von den Kunden verlangten Produkteigenschaften. Ausgangspunkt ist weiter ein Preis, der unter Berücksichtigung der Produkteigenschaften, der Wettbewerbssituation und der Zahlungsbereitschaft in dem betreffenden Segment ermittelt werden kann. Aus den nun als gegeben zu betrachtenden Produkteigenschaften und dem Preis wird rückwärts gehend ermittelt, wie das Produkt zu konstruieren ist und was es kosten darf. Die Zielkostenrechnung ist daher auch eine Befragung, ähnlich wie der interne Markt. Nur werden nicht die internen und an der Entwicklung beteiligten Experten befragt, sondern die externen Kunden. Die Zielkostenrechnung bietet sich daher an, wenn das Kundensegment bereits feststeht. Die Informationserzeugung über interne Märkte bietet sich an, wenn externe Kunden noch nicht identifiziert sind. Der Entrepreneur muss daher eine wichtige Entscheidung bei der Informationsbeschaffung treffen: Bis wann oder bei welchen Entscheidungen verlässt er sich auf das intern (durch eine marktähnlich organisierte Diskussion) erzeugte Wissen in seinem Team und ab wann oder bei welchen Festlegungen rückt er die externe Meinung der späteren Kundschaft in den Vordergrund? Früher haben Verlage beispielsweise ein umfangreiches Lektorat beschäftigt und der Lektor hat entschieden, welcher Titel den Leserinnen und Lesern so nahe gebracht wird, dass er dann auch ein Erfolg wird. Heute drucken einige Verlage alles und der Markt entscheidet, welcher Titel eine
208
zweite Auflage erfährt. Einige Unternehmen gehen so weit, dass sie einer Politik der Ankündigung folgen. Die Produktentwicklung wird hier von den Nutzern selbst vorgenommen. Die Zielkostenrechnung beginnt mit einem Zielpreis (Target Price) und rechnet die Gewinnmarge (Target Profit) heraus. Hier ist das große Risiko zu beachten, das in der Markteinführung und der Marktakzeptanz liegt. Immer wieder enden Projekte als Flop, und das Floprisiko muss in die Kalkulation einfließen. So entstehen die (maximal) erlaubten Kosten (Allowable Costs). Es wird immer wieder berichtet, dass die Allowable Costs bereits in den frühen Phasen des Innovationsprozesses den Such- und Erkenntnisprozess leiten sollten und dass 85% der gesamten Kosten eines Produkts über den Lebenszyklus im ersten Zeitabschnitt determiniert werden. Jeder Entwickler neigt zur Perfektion und einige Prototypen kamen aufgrund von „Überentwicklung“ nie in die Fertigung.13 Hinsichtlich der Quelle der Informationen werden zum Teil x
die Kosten betrachtet, die konkurrierende Anbieter in jenem Marktsegment haben (Out-of-Competitor-Ansatz),
x
oder jene Kosten, welche die Unternehmung zwar heute noch nicht hat, die sie aber erreichen könnte, wenn sie ihre technischen und betriebswirtschaftlichen Potenziale voll ausschöpfen würde (Out-ofCompany-Ansatz).
Demnach wird als Vergleich entweder die Konkurrenz herangezogen, wie sie tatsächlich ist, oder die Unternehmung, so wie sie sein könnte. Mit der Ermittlung der erlaubten Kosten steht noch nicht fest, wie sie sich auf die Komponenten aufteilen dürfen, die in das Produkt einfließen. Wenn beispielsweise ein 100-Dollar-PC entwickelt werden soll oder ein 3000-Dollar-Auto, dann ist unklar, welcher Teil der erlaubten Kosten auf den Prozessor im Computer oder den Motor im Auto entfallen darf. Hier setzt ein Ringen zwischen den für die Komponenten verantwortlichen Entwicklern ein. Dieses Ringen ist ein Aufteilungsspiel, das unter gewissen technischen Restriktionen abläuft. Jedem Spieler ist bewusst, dass bei zu hoher Forderung alles scheitern kann. Aus der Theorie ist bekannt, dass die spieltheoretischen Lösungen davon abhängen, ob und welche impliziten Verträge über Seitenzahlungen möglich sind. Das heißt, Zugeständnisse werden möglich, weil sie auf andere Weise abgegolten werden.
13
WERNER SEIDENSCHWANZ: Target Costing – Marktorientiertes Zielkostenmanagement. 2. Auflage, Vahlen, München 1997.
209
Dadurch kommt der Verhandlungsprozess in Gang. COOPER spricht von einem neuen „Konzept unternehmerischer Herrschaft“, bei der die Mitarbeiter in einen durch interne Konkurrenz motivierenden Prozess der Selbstorganisation treten müssen.14 Ein Beispiel für dieses Ringen ist das Apollo-Programm der NASA. Hier ging es nicht um die Aufteilung eines finanziellen Budgets, sondern um die eines Gesamtgewichts, das die Rakete haben durfte, um einem Menschen die Reise zum Mond und zurück zu ermöglichen – sie gelang 1969. Die Verantwortlichen der einzelnen Komponenten (wie Pumpen, Brennkammer, Tanks) der Rakete haben sich bei ihren Treffen gegenseitig angeschrieen. Weniger durch Kooperation als durch Konfrontation kam eine zulässige Lösung zustande.
2.4
Konklusion zur zweiten Jahreszeit
2.4.1
Zur Phasenidentifikation
Nach der Positionierung folgt als zweite Jahreszeit die des Entwickelns und Aufbauens. Ideen werden in einen funktionsfähigen Prototyp übersetzt und im Rahmen eines Geschäftsplans zur Marktreife entwickelt. Der Visionär, der noch in der ersten Jahreszeit die Philosophie entwickelte, auf die (neue) Position wies und den Grobplan skizzierte, muss nun sein Team zur konkreten Innovationsarbeit motivieren. Die Innovation als Herzstück der Entrepreneurship-Phase kann wiederum in Teilschritte untergliedert werden: x
Der erste Schritt ist die Ideengenerierung, die zumindest teilweise bereits in der ersten Phase der Positionsbestimmung erfolgt oder dort vorbereitet wird.
x
Der zweite Schritt ist die Konversion, also die Umsetzung der Idee in einen Prototypen. Diese Konversion ist die Aufgabe des Entrepreneurs in einem engeren Sinn.
x
Der dritte Schritt ist die Diffusion von entwickelten Konzepten, die Ansprache von Schlüsselabnehmern und die Vorbereitung der sich anschließenden Wachstumsphase.
14
ROBIN COOPER: When Lean Enterprises Collide – Competing through Confrontation. Harvard Business School Press, Boston 1995.
210
Diese Unterteilung unserer zweiten Jahreszeit des Entwickelns und Aufbauens in die drei Teilschritte Ideengenerierung, Konversion und Diffusion ist deshalb wichtig, weil sie durch jeweils spezifische Merkmale identifizierbar sind. Der erste Schritt der Ideengenerierung kann innerhalb einer Unternehmenseinheit, zwischen mehreren Einheiten oder außerhalb geschehen. Hier sind die Indikatoren – ähnlich wie bei der Positionsbestimmung – die kulturellen, strategischen und operativen Gegebenheiten für die Ideenbestimmung. Also beispielsweise die Lernkultur, die Förderung von Innovationskompetenz und die Integration von Datenbanken. Im zweiten Schritt dominiert bereits die Auswahl, weil nicht alle Ideen weitergeführt werden können. Der dritte Schritt ist daran zu erkennen, dass vermehrt potenzielle Kunden angesprochen und eingebunden werden. Kulturelle Gegebenheiten
Teamgeist, offene Kommunikation, Lernkultur, Wissensmanagement ist vorhanden, Möglichkeit zur Verbindung von Technologie und Marketing
Strategische Gegebenheiten
Teil eines breiteren Forschungsprogramms, Vertrautheit mit Kunden, Vorhandensein von Referenzkunden
Operative und prozessorale Gegebenheiten
Projektmanagement, Wege zur Nutzung externer Ideen, ein gewisser Zeitdruck
Übersicht 2-2: Hinweise für die Positionsbestimmung in der zweiten Jahreszeit
Der Wechsel von der ersten Jahreszeit der Positionierung zu der des Entwickelns und Aufbauens zeigt sich in vielen Unternehmen durch die Übersetzung von unspezifischen und allgemeinen Ideen – der „Philosophie“ und der Absicht, so oder so wahrgenommen zu werden – in konkrete Geschäftspläne und einen marktreifen Prototypen. Das Signal ist die Parallelität der technischen Entwicklung und der konkreter werdenden betriebswirtschaftlichen Planung unter zunehmendem Einbezug der intendierten Kundschaft. Wieder können kulturelle, strategische, prozessorale Faktoren die Phase des Aufbauens und Entwickelns begünstigen, sodass ihr Vorhandensein als Indiz für das Vorliegen dieser zweiten Jahreszeit angesehen werden kann.15
15
URS FUEGLISTALLER, CHRISTOPH MÜLLER, THIERRY VOLERY: Entrepreneurship. Gabler, Wiesbaden 2005.
211
2.4.2
Fazit
Der Entrepreneur akzeptiert die Potenziale, die ihm seine Umgebung bieten. Auf diesem Nährboden findet er eine Geschäftsidee, entwickelt sie, passt sie auf Kundenwünsche an, beachtet dabei die Skalierungsmöglichkeiten für eine spätere Herstellung im großen Maßstab und den Zielpreis im angestrebten Marktsegment. Für diese Arbeiten gründet der Entrepreneur ein Team. Die erste Frage lautet, wo ein Entrepreneur aktiv werden sollte. Die Forschung zeigt, dass die fruchtbarsten Positionen in komplexen und dynamischen Umgebungen liegen und dort, wo bereits produziert wird. Es ist meist nicht die Erfindung, sondern eher die Entdeckung (eigentlich existenter) Möglichkeiten, die später den gewünschten Erfolg bringt. Auch (an sich geringfügige) Weiterentwicklungen oder Variationen von Imitationen verhelfen immer wieder zu guten Geschäftsmöglichkeiten. So entsteht die Frage, was eigentlich eine Innovation ist. SCHUMPETER und KIRZNER haben die Innovation ganz unterschiedlich definiert, doch beide sehen hinter dem innovativen Unternehmer einen Informationsvorsprung. Bei SCHUMPETER ist er fundamental, bei KIRZNER marginal. Generell sind beide in einem Umfeld tätig, in dem nicht alle Informationen (die sie erwerben) bereits bekannt sind. Der Informationsunterunterschied wirkt sich ebenso auf die Finanzierung aus. Der Entrepreneur weiß deutlich mehr als Kapitalgeber. Doch niemand ist bereit, mit einer Partei, die mehr weiß als man selbst, einen Vertrag zu schließen, mit dem Rechte, Pflichten und Erfolgsaufteilungen untereinander festgelegt werden. Dieser Nachteil asymmetrischer Information wird in der Praxis dadurch gemildert, dass sich für den Entrepreneur nur solche Kapitalgeber anbieten, die selbst Fachkenntnisse haben. Das sind Business Angels, Venture Capitalists und Private-Equity-Partner. Sie alle knüpfen die Vergabe von Eigenkapital an beträchtliche Kontrollrechte, die nicht nur die finanziellen Resultate betreffen, sondern tief in die fachliche Tätigkeit des Entrepreneurs eingreifen. Weil der Informationsunterschied zwischen seiner Umgebung und dem Entrepreneur dessen Wesensmerkmal ist, bewegt sich der Entrepreneur leichter in einem Bereich, wo ohnehin nicht viele Informationen auf dem Tisch liegen. Zudem muss der Entrepreneur immer wieder Entscheidungen treffen, bei denen auch er selbst nur vage Kenntnis hat. Das ist natürlich in einfacheren und statischen Umgebungen anders, in denen sich schon Schulkinder bestens auskennen. Die Entscheidungen des Entrepreneurs sind also unter mangelhafter Information zu treffen. Dann zählt jede (wei-
212
tere) Meinung. Wir haben zwei Ansätze für die Informationsbeschaffung besprochen, bei der andere Meinungen erkundet werden: die internen Märkte und die Zielkostenrechnung. Bei internen Märkten werden die Meinungen der internen und an der Entwicklung beteiligten Experten berücksichtigt. Bei der Zielkostenrechnung werden die Meinungen der späteren Abnehmer beachtet. Weil sich der Entrepreneur selbst noch im Nebel befindet, muss er andere fragen, was sie sehen. Doch er muss entscheiden, wann er seine eigenen Gefährten in der Innenwelt fragt und wann er die in der Außenwelt gemachten Beobachtungen stärker gewichtet. Es wäre verfehlt, wenn der Entrepreneur (wie in der ersten Jahreszeit verlangt) eine starke Führungspersönlichkeit wäre, die sich mit ihrer Vision festlegt. Der Entrepreneur muss die Mitglieder seines Teams dazu motivieren, selbst nach Möglichkeiten zu suchen und diese im Team zu kommunizieren. Er muss anregen und trotzdem ein offenes Ohr haben. Der Entrepreneur muss ein Coach für das Team sein. Andererseits muss der Entrepreneur sein Team an die Außensicht heranführen. Die Zielkostenrechnung zeigt, dass finanzielles Denken in der zweiten Jahreszeit zugenommen hat. Jedoch haben insgesamt in dieser zweiten Jahreszeit strategische Ansätze noch eine höhere Bedeutung als das „Rechnen“. So gelten die Empfehlungen, bei den Innovationen auf das Umfeld zu achten (es sollte komplex und dynamisch sein und sich in der Nähe von Produktionsprozessen befinden), das Team richtig zusammenzustellen und zu motivieren. Doch mit dem Hinweis, die Entwicklung am Ziel eines verkaufbaren Produkts auszurichten, kommt die Außensicht hinein – genau wie es bei der Übernahme der Bewertungen des äußeren Finanzmarktes geschieht. Ähnlich wirkt bei den internen Märkten ein Prinzip, das im Kapitalmarkt anzutreffen ist. Schließlich tragen auch die Finanziers ihr finanzielles Ziel hinein. Das unternehmerische Geschehen ist in dieser zweiten Phase infolgedessen bereits deutlicher von außen geleitet als in der ersten Phase. Wir kommen daher zu folgendem Schluss: In dieser zweiten Jahreszeit tragen die Entscheidungskriterien einen knappen Punktesieg für die strategischen Ansätze davon. Das finanzielle Denken hat jedoch aufgeholt und steigert mit jeder weiteren Phase unternehmerischer Aktivitäten seinen Stellenwert.
213
2.5
Literaturempfehlungen
1.
Ein Klassiker: PETER F. DRUCKER: Innovation and Entrepreneurship – Practice and Principles. Elsevier, Amsterdam 1985.
2.
Ein Werk, das neben einer systematischen Aufarbeitung zahlreiche Fallstudien enthält und so den Überblick verschafft: JÜRGEN HAUSCHILDT: Innovationsmanagement. 3. Auflage, Vahlen, München 2004.
3.
Eher ein Buch für das College, doch inhaltsreich und mit vielen Grafiken einladend gestaltet: ROBERT A. BARON und SCOTT A. SHANE: Entrepreneurship – A Process Perspective. Thomson, Mason 2005.
4.
OLIVER GASSMANN und CARMEN KOBE (Hrsg.): Management von Innovation und Risiko. 2. Auflage, Springer, Heidelberg 2006. Dieser Band bringt Einzelbeiträge zum Risikomanagement im Innovationsprozess.
5.
Ein Lehrbuch, dass die Finanzierungsthematik dieser Phase behandelt: JANET KIHOLM SMITH und RICHARD L. SMITH: Entrepreneurial Finance. 2. Auflage, Wiley, New York 2004.
6.
Wie werden Ideen präsentiert? BARBARA MINTO zeigt es in: Das Prinzip der Pyramide – Ideen klar, verständlich und erfolgreich kommunizieren. Pearson Studium, München 2005.
3
Wachstum managen
Auf einen Blick: In der Phase des Wachstums, der dritten Jahreszeit, müssen erhebliche Ressourcen in verschiedenen Richtungen eingesetzt werden. Diese Phase verlangt daher die Beschaffung, das Einsatzmanagement und die Koordination dieser Ressourcen. Da die Ressourcen angesichts der großen Aufgaben in dieser Phase knapp sind, kommt es auf Effizienz sowie auf die Ausschöpfung technologischer Möglichkeiten an, die durch Größen- und Verbundvorteile bestehen. Die Lösung dieser enormen Managementaufgaben wird durch Wirtschaftlichkeitsrechnungen unterstützt, weshalb ab dieser dritten Phase das finanzielle Denken das strategische Denken dominiert.
3.1
Vom Prototyp zum Markterfolg
3.1.1
Das Management von Ressourcen und Risiken
Die Phase des Entrepreneurs, die zweite Jahreszeit, war die der Innovation. Sie führte von der Idee zum Konzept, von der Geschäftsidee zum Prototypen oder zum Produkt. Der Prototyp oder das Produkt kann ein Konsumprodukt oder ein Investitionsgut sein, eine Technologie verkörpern oder ein Design zeigen, eine Vorgehensweise oder eine Organisationsform konkretisieren. Der Entrepreneur übergibt dieses Produkt an die Einheit, die das unternehmerische Geschehen in der sich anschließenden dritten Phase gestaltet und ausführt. Die dritte Phase ist die der Markteinführung, der Produktion in größerer Stückzahl, des Absatzes und der weiteren Marktentwicklung. Wir nennen diese dritte Phase oder Jahreszeit kurz die des Wachstums. Wachstum wird als eine in der Welt als wertvoll angesehene Erweiterung der Wirtschaftstätigkeit hinsichtlich Quantität und Qualität verstanden. Diese Art von Wachstum steigert den Wohlstand der Menschen. Für Unternehmen gilt der Wachstumsimperativ: Sie müssen wachsen und zwar nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ. Anders ausgedrückt: Sie müssen größer und besser werden. Profitables Wachstum ist das wichtigste Ziel des Managements, denn es ist sowohl Indikator für die Leis-
216
tungsstärke eines Unternehmens als auch die Basis für seinen zukünftigen Erfolg. Worin liegt der Zwang zum Wachstum begründet? x
Forderung nach Wertsteigerung: Steigende Cashflows sind nur durch Umsatzwachstum zu erreichen, da die Potenziale zur Kostensenkung aufgrund ständiger Optimierung weitgehend ausgereizt sind.
x
Economies of Scale: Skaleneffekte und -vorteile kapitalisieren sich nur bei hinreichender (Mindest-)Größe. Die Tendenz zu sinkenden Transaktionskosten begünstigt das Wachstum von Unternehmen immer stärker.
x
Steigender Druck auf die Margen: Bei zunehmend gesättigten Märkten sinken die Margen durch steigende Wettbewerbsintensität. Konstante Umsätze führen also zwangsläufig zu sinkenden Gewinnen. Gewinnsteigerung setzt also Umsatzwachstum voraus.
x
Attraktivität für Mitarbeiter: Exzellente Mitarbeiter kann nur gewinnen, wer gute Karriereperspektiven bietet. Ausgezeichnet qualifizierte Arbeitskräfte verlangen abwechslungsreiche und herausfordernde Projekte, Möglichkeiten, sich beruflich weiterzuentwickeln, sowie eine Bezahlung, die ihr Engagement angemessen honoriert. All dies können auf Dauer nur wachsende Unternehmen gewährleisten. Ressourcenmanagement
• Beschaffung, Allokation und Koordination diverser Ressourcen • Optimierung (Effizienz, Economies of Scale and Scope)
Risikomanagement
Zielgerechte Abstimmung von Pfad (Weite, Geschwindigkeit) und Ressourcenversorgung angesichts möglicher Rückschläge
Übersicht 3-1: Grundsätzliche Aufgaben in der Phase des Wachstums
Das Wachstum als die dritte Phase unternehmerischen Geschehens verlangt völlig andere Ressourcen als die vorangegangene zweite Phase: Dementsprechend ändern sich die Anforderungen an das Management. Wachstum setzt viel Kraft und Energie voraus: x
In der Phase des Wachstums müssen erhebliche Ressourcen in verschiedenen Richtungen eingesetzt werden. Hierzu sind die Beschaffung der Ressourcen, das Einsatzmanagement und die Koordination verlangt. Die Kommunikation mit externen Partnern muss gepflegt werden, damit sie sich eingebunden fühlen. Alle diese Aktivitäten müssen optimiert vorgenommen und untereinander abgestimmt werden. Das ist eine enorme Herausforderung für das Management, die eine integrierende Sicht verlangt. Dabei dürfte das strategische Denken im Vordergrund stehen.
217 x
x
Hinzu kommt, dass die Ressourcen aufgrund der expansiven Entwicklung des Unternehmens – Produktionsausweitung, Marktdurchdringung – immer knapp sind; deshalb kommen zwei Imperative hinzu: Das Ressourcenmanagement muss auf Effizienz achten und alle Möglichkeiten ausschöpfen, um Größen- und Verbundvorteile zu erzielen. Hierbei stützt sich das Management auf Rechnungen und quantitative Ansätze. Das finanzielle Denken gewinnt an Bedeutung. Besonderes Augenmerk in der Wachstumsphase gilt dem Risikomanagement. Gerade weil so viele Ressourcen für Wachstum eingesetzt werden müssen, können Rückschläge verheerende Auswirkungen haben. Das kommt immer wieder vor; es heißt dann, der Unternehmer habe sich „übernommen“.
Unterschätzte Risiken Es genügt nicht, wenn sich der Unternehmer im Wachstum als guter RessourcenManager erweist (Beschaffung, Allokation, Koordination, Optimierung). Er muss obendrein ein guter Risk-Manager sein. Leider wird die Bedeutung dieser zweiten Expertise immer wieder unterschätzt. Beispiel: Die Swissair ist letztlich in die Zahlungsunfähigkeit geraten, weil sie im Wettlauf um die besseren Positionen in Europa und der Welt eine ausgesprochen schnelle und weitreichende Expansionsstrategie durch Akquisitionen und Beteiligungen (Sabena, LTU, französische Gesellschaften) eingeschlagen hatte. Man wollte eine große, unabhängige Airline schaffen. Parallel dazu sollte eine Diversifikation in zusätzliche, nicht zyklische Geschäftsfelder vorgenommen werden. Die finanziellen Zuströme konnten diesen Wachstumspfad aus zwei Gründen nicht aufrechterhalten: Zum einen blieben die Kosten (Löhne für Piloten, Sanierungsbedarf bei Sabena) hoch. Zum anderen brachen nach dem Terrorangriff vom 11. September 2001 die Flugbuchungen ein. Am 2. Oktober 2001 kam es zum Grounding.
Wenn das Unternehmen in eine neue Phase eintritt, ändern sich auch die Anforderungen an die Rolle des Managers: In dieser dritten Phase ist weniger der Entrepreneur gefragt, der als Coach eines kleinen kreativen Teams agiert. Gefordert ist jetzt der „Macher“ und Planer sowie der zuverlässige Geschäfts- und Gesprächspartner für Zulieferer, Banken und Kunden. Die verlangte Effizienz und das Ausschöpfen von Größen- und Verbundvorteilen (Economies of Scale and Scope) setzen finanziell ausgerichtete Optimierungskalküle voraus, und für sie muss der Unternehmer Verständnis entwickeln. Soweit zu den Managementaufgaben, die sich auf die Ressourcenbeschaffung, die Allokation und die Koordination fokussieren. Darin integriert ist ein weiterer Aufgabenbereich: das Risikomanagements. Einen sicheren Wachstumspfad gibt es nicht. Zudem ist die Gleichung „Vorsicht = Sicherheit, Aggressivität = Risiko“ falsch. Einem vorsichtig angelegten und daher langsamen Wachstum droht zwar nicht die Gefahr, dass die Ressourcen knapp werden bzw. versiegen. Aber allzu vorsichtig
218
angelegtes Wachstum kann durch seine Langsamkeit das Gesamtvorhaben scheitern lassen. Wenn die Unternehmung dann schließlich in einen Markt eintritt, können dort die „Felle schon verteilt sein“. Das andere Extrem wäre ein aggressiv auf Schnelligkeit konzipierter Wachstumspfad. Hohe Geschwindigkeit und große Weite der Sicht dürften, wenn alles gut geht, zwar früh genug zu einem hoch gesteckten Ziel führen. Allerdings drohen Gefahren, falls die Ressourcenversorgung nicht nachkommt. Dann fühlt sich die „Front“ vom „Nachschub“ im Stich gelassen. Nicht wenige Expansionsprozesse Economies of Scale and haben durch falsch konzipierte GeschwinScope digkeiten zu Totalverlusten geführt. Wachstum wird belohnt – und zwar in Form von Größen- und Verbundvorteilen (Economies of Scale and Scope). Sie stellen Effizienzgewinne dar, wenn ein Unternehmen eine bestimmte (geschäftsabhängige) kritische Größe erreicht. Prinzipiell lassen sich Größenund Verbundvorteile auf jeder Stufe des Wertschöpfungsprozesses realisieren. Wird eine bestimmte Betriebsgröße überschritten, besteht das Risiko, dass die Größenvorteile von den so genannten Diseconomies of Scale aufgezehrt werden. Eine wesentliche Ursache dafür sind die Transaktionskosten, also die Aufwendungen für die Koordination wirtschaftlicher Aktivitäten. Sie spielen eine zentrale Rolle, um die Grenzen des rentablen Wachstums eines Unternehmen zu identifizieren: Mit zunehmender Betriebsgröße steigt der Koordinationsaufwand, bis er ab einem bestimmten Punkt die Größenvorteile konterkariert. Die Entwicklung der letzten Jahre hat gezeigt, dass die Transaktionskosten sinken. Dies führt dazu, dass Unternehmen heute in völlig neue Größendimensionen vorstoßen können und dabei Economies of Scale and Scope weitaus besser ausschöpfen können als früher.
In der Wachstumsphase sind also zwei große Aufgaben zu bewerkstelligen: Ressourcenmanagement (Beschaffung diverser Ressourcen) unter Einschluss von Optimierung (Effizienz, Economies of Scale and Scope) und Risikomanagement. Diese Aufgaben haben wir bisher nur in ihren Grundzügen beschrieben. Wenn man sie auf einer konkreteren Ebene betrachtet, sind sieben Aktivitäten zu erkennen, die man sich in einer zeitlichen Abfolge vorstellen kann: 1.
Platzierung: Anfangs muss eine hohe Platzierungskraft aufgebracht werden, damit die Markteinführung des Produkts gelingt und erste Absatzerfolge ermöglicht werden. Dieser erste Prozessschritt birgt bereits Risiken in sich. Wenn bei Meinungsführern keine Akzeptanz erreicht wird, kommt der ganze Absatzprozess ins Stocken.
2.
Werbung: Nach der Produkt-Platzierung und der ersten Markteinführung ist für die anstehende Marktdurchdringung kraftvoller Einsatz verlangt, um den Zielmarkt zu erreichen. Das ist vor allem eine Arbeit mit den Medien. Die Werbung verlangt hohen Aufwand. Eventuell muss der Absatz durch eine Marke unterstützt werden,
219
die, sofern sie nicht bereits vorhanden ist, zusätzlich aufzubauen ist. Später setzt vielleicht eine positive Rückkopplung im Absatzmarkt ein. Die Verkäufe beschleunigen sich durch Zeigeeffekte und größere Verbreitung. 3.
Produktion: Parallel zum zweiten Schritt wird wiederum Kraft benötigt, um die Produktion hochzufahren. Die Produktionskapazität muss intern geschaffen oder von externen Quellen eingebunden werden. Die technologischen Prozesse müssen so gestaltet werden, dass sie skalierbar sind. Das Produkt muss in eine Produktfamilie eingebettet werden, um den Spagat zwischen Massenfertigung und Individualisierung zu bewältigen.
4.
Distribution: Gleichzeitig sind Distributionskanäle zu schaffen. Hier ist eine ganze Infrastruktur vorausgesetzt, ein System: Wege, Knotenpunkte, Logistik müssen flächendeckend und in ihren Teilen integriert funktionieren.
5.
Service: Zudem stehen am Ende der Distributionskanäle Servicepunkte. Viele Produkte verlangen einen vor Ort zu erbringenden Service, der lokale Besonderheiten haben muss und die Individualisierung verstärkt. Früher ging es lediglich um Reparaturen, heute sind andere Dienstleistungen gefragt, die vor, bei und nach einem Kauf zu erbringen sind und echten Zusatznutzen schaffen.
6.
Konkurrenz: Zusätzlich müssen Widerstände überwunden werden, die durch die Wettbewerbssituation bestehen können. Beispielsweise müssen Einzelhändler überzeugt werden, das neue Produkt aufzunehmen und damit möglicherweise das Produkt eines anderen Anbieters zu ersetzen.
7.
Sättigung: Später im Verlauf des Absatzprozesses müssen alle weiteren Absatzmöglichkeiten gefunden und erschlossen werden. Faktoren, die die Sättigungsgrenze bestimmen, sind zu identifizieren und zu beeinflussen. Mitunter müssen in diesem späteren Verlauf des Absatzes Varianten für das Produkt gebildet, die Preise differenziert und die Sortimente modifiziert werden. Eine Cash Cow soll nicht nur gemolken werden und dann „auslaufen“. Eine gute Milchkuh wird auf der Weide gepflegt. Auch dieser Prozessschritt setzt Kraft und Größe der Einheit voraus.
220
3.1.2
Vom Kapital bis zum Talent – benötigte Ressourcen
Die angesprochenen Aufgaben sind umfangreich und komplex miteinander verzahnt: x
Der Unternehmer benötigt im Wachstum vergleichsweise viele und verschiedene Ressourcen. Er muss sie beschaffen, kontrollieren und koordiniert einsetzen.
x
Er muss die Ressourcen und die Stabsunterstützung haben, um an mehreren Fronten gleichzeitig kämpfen zu können. Die in verschiedene Richtungen gehenden Einsatzpläne müssen wirksam sein.
x
Er muss die Koordination und Integration des Ressourceneinsatzes bewerkstelligen (und dabei die Risiken beachten).
x
Aufgrund des enormen Ressourcenbedarfs sind die Ressourcen in dieser Wachstumsphase knapp, weshalb die Einsatzpläne und die Koordination auf Effizienz achten müssen.
Eine kurze Anmerkung zu den verschiedenen Richtungen des Ressourceneinsatzes: Eine erste Richtung der Kräfte zielt auf die Platzierung des neuen Produkts. Sie verlangt Größe und bereits im Vorfeld Kontaktpflege zu den Meinungsführern. In einer zweiten Richtung steht die notwendige Skalierung von Produktion und Distribution. Hierbei geht es nicht allein um die technischen Aspekte der Produktion, um das Betriebliche. Der Spagat zwischen Massenfertigung und Individualisierung des Produkts muss gemeistert werden. Außerdem muss Skalierung erreicht werden. Zur Effizienz müssen Größen- und Verbundvorteile verwirklicht werden. Wir sprechen vom Process Reengineering. In einer dritten Richtung stehen alle Aktivitäten der Kommunikation (Werbung, Marke). In einer vierten Richtung geht es um die Services und die Anstrengung, aus der ersten Verkaufswelle einen beständig und nachhaltig wachsenden Absatzstrom entstehen zu lassen. Stab: Der Unternehmer muss bei dieser enormen Einsatzplanungs- und Koordinationsaufgabe durch einen Stab unterstützt werden. Kein Mensch kann das allein. Viele der Aufgaben können mit klassischen Managementwerkzeugen gelöst werden: Es geht um Termine, Meetings, Verträge, Überwachung und Controlling. Hinzu kommen die Aufgaben im Risikomanagement und der Kontrolle des Kapitaleinsatzes. Zu den typischen Entscheidungen gehört beispielsweise „make or buy“ oder die Bestimmung des Grads der vertikalen Integration. Hinsichtlich der Breite (Ausschöpfen von Verbundvorteilen) stellt sich die Frage der horizontalen In-
221
tegration, die beispielsweise durch Akquisitionen erhöht werden kann. Der Stab muss sich folglich aus Personen zusammensetzen, die über eine klassische Ausbildung und Praxis verfügen sowie eventuell eine Stärke im Finanz- und Rechnungswesen oder in den Fächern Marketing und Organisation mitbringen.
CEO managt, setzt Effizienz durch, kommuniziert
Effiziente Einsatzplanung
Stab Einsatzplanung, Koordination
Koordination und Integration
Externe Partner (Lieferanten, Service)
Beschaffung von Ressourcen
Kapital
Kontaktpflege zu Meinungsführern und Platzierung des Produkts Skalierung von Produktion und Distribution
Kommunikation – Werbung und Markenbildung
Services und die sie bietende Mitarbeiterschaft
Abbildung 3-1: Vier Ressourcenarten (links) werden beschafft, koordiniert und ihr Einsatz wird für vier Richtungen von Aktivitäten (rechts) geplant
Talent: Der Unternehmer muss intern seinen Stab führen und sich gleichzeitig darauf verstehen, die externen Partner zu gewinnen und zu halten: Partner, die das Kapital geben, Vorleistungen produzieren, das Distributionsnetz betreiben, den Service übernehmen. Vor allem muss der Unternehmer in dieser Phase des Wachstums erstmals den Kunden gegenüber mit einer verbindlichen Leistungszusage auftreten. Kunden verlangen im Absatzmarkt zunehmend, dass sich diese Leistungszusage nicht allein auf ein für sie interessantes Bündel aus Produkt und Services bezieht. Besonders bei Herstellern von Konsumgütern erwarten die Konsumenten, dass die Unternehmung darüber hinaus Verantwortung übernimmt. Offensichtlich wird in der modernen Gesellschaft verlangt, dass die Unternehmungen zur Lösung jener Probleme in der Welt beitragen, die das politische System allein nicht mehr zu lösen vermag. Früher genügten hier eine Spende, das Sponsoring und die Ablehnung schädlicher Tätigkeiten. Heute soll der Unternehmer angesichts dieser Probleme eine deutlichere Haltung einnehmen, das Thema Verantwortung in seine Vision einbauen und diese Botschaft in Übereinstimmung mit dem Gesamtauftritt der Unternehmung und der Mitarbeiterschaft (Marke) bringen.
222 VIER RESSOURCEN
FUNKTION UND AUFGABE
Kapital
Risiko der Markteinführung tragen, Produktionskapazität finanzieren, Werbung und Markenaufbau als irreversible Investition
Externe Partner
Kapitalgeber, Zulieferer, Partner im Distributionsnetz, Partner für die Services
Stab und Management
Einsatzplanung von Produktion und Absatz, Koordination, Effizienzsteigerung angesichts knapper Ressourcen
Talent
Führung des Stabs und Balance mit externen Anspruchsgruppen; Risikomanagement
Übersicht 3-2: Die in der Phase des Wachstums benötigten Ressourcen und ihre Aufgaben und Funktionen weisen auf umfangreiche Managementaufgaben hin; die Ressourcenknappheit in dieser Phase verlangt Führungsinstrumente, mit denen die Einsatzplanung und die Koordination verbessert und die Effizienz gesteigert werden können
3.2
Individualisiertes Massenprodukt
3.2.1
Vier Entwicklungsstufen
Wenn die Meinungsführer gewonnen sind und die Markteinführung geschafft ist, kann die Durchdringung des eigentlichen Zielmarktes einsetzen. Mit zunehmender Absatzquantität tritt dann immer wieder ein Konflikt zu Tage. Die Unternehmung möchte einerseits Kostenvorteile durch Massenproduktion behalten, andererseits die Erlösvorteile einer höheren Individualität gewinnen. Die heutige Antwort auf diesen Zielkonflikt zwischen Kostenminimierung und Erlösmaximierung ist in vier Entwicklungsstufen gereift. x
Erste Entwicklungsstufe: Farbe, Verpackung, Duft Die früheste Antwort auf den Zielkonflikt lag in einem Massenprodukt, das in mehreren Varianten angeboten wird, die sich hinsichtlich einer Äußerlichkeit wie etwa der Farbgebung unterscheiden. Ähnlich wirken Varianten der Verpackung. So konnte Variantenvielfalt hergestellt werden, ohne die Kostenvorteile der Massenproduktion zu unterlaufen.
x
Zweite Entwicklungsstufe: Baukasten Die farbliche Unterscheidung oder das Anbieten mehrerer Skins ist mittlerweile angesichts des Wunsches nach Individualisierung unzu-
223
reichend. Bei Konsumgütern geht zudem ein Teil des Kundennutzens auf die Wahlhandlung in einer Erlebnis ausstrahlenden Verkaufswelt zurück. Wenn es lediglich Farbvarianten gibt, wird die Wahl des Kunden aber trivialisiert. So ist das Baukastensystem entstanden. Hier besteht das Produkt aus einem funktionsfähigen Kern, den der Kunde durch ein persönlich zusammengestelltes Portfolio von Zusatzelementen zum Produkt komplettiert. Der Kunde kauft ein Gesamterzeugnis, das in spürbarer Tiefe individualisiert ist und zugleich seine Meisterschaft (in der Portfolioselektion der Baukastenelemente) lobt. INDIVIDUALITÄT
ANGEBOT
BEISPIELE
Kunde soll auf Farben, Verpackungen und Düfte gefühlsmäßig ansprechen
Ein Erzeugnis wird in mit geringen Kosten variierbaren Äußerlichkeiten wie Farbe und Verpackung und Duftstoff angeboten
Kosmetika
Kunde soll sich mit verschiedenen Zusatzelementen auseinandersetzen und die von ihm zu treffende Auswahl als nützlich und als seine Individualität verstärkend erleben
Neu kommt das Baukastenprinzip hinzu: Unterscheidung von Produktkern und diversen Zusatzelementen
VW Golf 1990
Kunde soll zusätzlich innerhalb einer Produktfamilie mit erkennbaren Abstufungen das seiner Stellung und seinem Selbstbild passende Niveau wählen
Plattform, Produktkern, Zusatzelemente – Varianten im Produktkern und in der Plattform bilden eine Produktfamilie
Serien bei Automobilherstellern
Kunde soll vor allem die Services als dauerhafte Quelle seines Nutzens erleben
Plattform, Produktkern, Zusatzelemente und Services
Private Banking
Übersicht 3-3: Lösungen, um Kostenvorteile durch Massenproduktion zu behalten und gleichzeitig Erlösvorteile einer höheren Individualität zu realisieren x
Dritte Entwicklungsstufe: Produktfamilie und Baukästen Inzwischen genügt ein einziger Produktkern nicht mehr. Die Individualisierung verlangt mehrere Produktkerne, auf die wiederum Baukästen mit diversen Zusatzelementen aufsetzen. So mutiert das Produkt in eine ganze Produktfamilie. Dabei wird aus Kostenüberlegungen versucht, hinreichend viele Gemeinsamkeiten bei den Produktkernen der Familie zu erhalten. Diese Gemeinsamkeiten werden als Plattform bezeichnet. Eine einzige Plattform trägt daher die verschiedenen Produktkerne einer Produktfamilie und jeder Produktkern wird durch eine Auswahl aus dem Baukasten komplettiert. Hier hat der Unternehmer erhebliche Größenvorteile bei der Plattform. Möglicherweise bieten die einigen wenigen Produktkerne zudem gewisse Verbundvorteile. Die Individualisierung ist noch tiefer als beim ein-
224
fachen Baukastensystem, weil in der Ebene unterhalb der Zusatzelemente mehrere Produktkerne zur Verfügung stehen. x
Vierte Entwicklungsstufe: Produktfamilie, Baukästen und Services Im heutigen Vorgehen wird diese modulare Gestaltung einer Produktfamilie durch Services verzahnt. Dienstleistungen, die mit den Produkten zu einer Einheit zusammengebunden werden, erfolgen praktisch ausschließlich an den Punkten des Kundenkontakts. Hier steht die Beziehung zwischen Berater und Kunde im Mittelpunkt. Wie Untersuchungen zeigen, kann diese Beziehung aus zwei Gründen einen eigenen Wertbeitrag erzeugen: – Die Beziehung ist für den Kunden nützlich, wenn er durch einen Extra-Service eine „Seitenzahlung“ vom Berater erhält. Beispiele: Das Werbegeschenk oder die Einladung zu einem Event. Zum Teil werden solche Seitenzahlungen auch über Punktesysteme an den Kunden geleistet. Beispiele sind die Meilen für Vielflieger und Bonusprogramme, die mit einer Einkaufskarte verbunden sind. Die Extra-Services können bewirken, dass der Kunde nicht an die Konkurrenz verloren wird, weil er dann erst wieder nach einiger Zeit zu diesen kleinen Vergünstigungen kommt. Diese Services eignen sich zudem hervorragend für das Einbringen lokaler oder regionaler Besonderheiten. Dadurch können Nachteile überspielt werden, die mit der Internationalität eines Produkts aus dem Ausland und teils ungewohnten Lebensräumen verbunden sein können. – Neukunden können über viele Kommunikationskanäle gewonnen werden, dagegen wirkt für das Behalten von Kunden (Retention Marketing) erwiesenermaßen nur eines: der persönliche Kontakt. Dienstleistungen spielen daher eine sehr wichtige Rolle bei Anschlusskäufen.
Genügt bei der Produkteinführung vielleicht eine Variante, müssen also während der weiteren Marktdurchdringung konstruktive Modifikationen vorgenommen werden, um modulare Konzepte wie das von Plattform, Produktkern, Baukasten mit Zusatzelementen und Services zu verwirklichen.
3.2.2
Attribute und Zusatzdienste
Die Entscheidung über diese Module und ihr gegenseitiges Ineinandergreifen ist daher ein kritischer Moment in der Wachstumsphase. Hierbei ist
225
üblich, die in einer Familie erforderlichen Produktkerne und die Elemente der Baukästen begrifflich zunächst zusammenzufassen und als so genannte Attribute festzulegen. Die Unternehmung konzentriert sich somit zunächst auf die Auswahl der anzubietenden Attribute. Später, wenn die Menge der anzubietenden Attribute feststeht, wird die Trennlinie gezogen: Welche Aspekte der ausgewählten Attribute werden den Produktkernen zugerechnet, welche den Elementen der Baukästen. Zur Findung der Menge von Attributen, die schließlich angeboten werden sollen, wird ein Brainstorming mit Experten aus Produktion und Absatz sowie externen Fachleuten veranstaltet. Strategische Bedeutung der Attribute für die Unternehmung und ihre Marke
hoch
mittel
gering
gering
mittel
hoch
Finanzielle Bedeutung der Attribute (Erlöswirkung)
Abbildung 3-2: Die Positionierung der denkbaren Attribute anhand der beiden Merkmale Strategie und Finanzen
Solche Kreativitätstechniken lassen die grundsätzlich möglichen Attribute zu Tage treten. Sie werden sodann nach zwei Merkmalen beurteilt, mit denen die zentralen Fragen unseres Buches aufgegriffen werden. 1.
Wie passt das Attribut zur Marke und zum Auftreten der Unternehmung? Sind für das Attribut die vorhandenen Kompetenzen nützlich? Wenn man sich für das Attribut entscheidet – wird dadurch das Wissen der Unternehmung gepflegt und gemehrt?
2.
Welche Bedeutung hat das Attribut für den finanziellen Erfolg? Wie wird es von Kunden bewertet und bezahlt?
Wie immer in solchen Fällen werden kaum utopische Attribute zu finden sein, die sowohl strategisch passen als auch finanziell attraktiv sind. Es wird aber einige Attribute geben, die entweder hinsichtlich der Strategie oder der Finanzen herausragen. Sie kommen weiterhin in Betracht. Domi-
226
nierte Attribute, also solche, die hinsichtlich beider Merkmale eher unterlegen sind, werden ausgeschlossen. Die Menge der nicht dominierten Attribute wird nun dahingehend geprüft, welchen gemeinsamen Nenner sie haben. Auf diese Weise wird eine möglichst umfangreiche Plattform bestimmt, die als gemeinsame Basis aller ausgewählten Attribute dienen kann. Falls erforderlich, werden zwei oder drei Plattformen festgelegt, um die ausgewählten Attribute tragen zu können. Durch die Verwendung von einer oder einiger weniger Plattformen für die ganze Produktfamilie werden wiederum die Kostenvorteile der Massenproduktion ermöglicht.
16 individualisierte Produkte, bestehend aus einer der Plattformen A und B und der Wahl, welche der drei Attribute hinzugenommen werden
Plattform A Plattform B
Abbildung 3-3: Wenn zwei Plattformen Kombinationen von bis zu drei Attributen tragen können, entstehen 16 unterschiedliche Produktvarianten
Andererseits entstehen zahlreiche Kombinationen, sodass die für den Erlös förderliche Individualisierung hinreichend möglich ist. Wenn beispielsweise zwei Attribute zur Verfügung stehen, kann ein Kunde keines auswählen, das eine oder das andere oder beide zugleich. Er hat also bereits 4 = 22 Kombinationsmöglichkeiten. Bei drei Attributen hat der Kunde 8 = 23 Kombinationsmöglichkeiten und bei n Attributen 2n verschiedene Attributskombinationen. Wenn diese auf m Plattformen möglich sind, gibt es bereits m · 2n verschiedene Gesamterzeugnisse.
Individualiserte Produkte: Plattform und Attribute
Lokale Zusatzdienste
Erleben, Identifikation, Zufriedenheit
Abbildung 3-4: Die gewählten Attribute werden auf natürliche Weise mit lokalen Zusatzdiensten verwoben
227
Wenn die erste Frage beantwortet ist, welche Plattform oder welche Plattformen benötigt werden, um die Attribute zu tragen, wird eine zweite Frage gestellt: Welche Zusatzdienste könnten mit den Attributen verbunden werden? Denn die Beziehung zwischen Beratern und Kunden muss natürliche Anhaltspunkte haben, damit sie nicht als artifiziell abgelehnt wird. Ein Attribut ist gut, wenn es solche natürlichen Verzahnungen mit einem Service erlaubt. Auf diese Weise wird der lokale Extra-Service durch die angenommenen Attribute definiert. Das Bündel aus Produkt und Service soll einen höchstmöglichen Kundennutzen stiften. Für einen industriellen Kunden sind beim Service wohl eher Schnelligkeit und Zuverlässigkeit wichtig, für einen Konsumenten sind eher Aspekte nützlich, die Zufriedenheit in einer Erlebniswelt verschaffen. Die skizzierte Produktentwicklung wurde zunächst in der Automobilindustrie eine Best Practice. Sie wurde inzwischen auch in den anderen Sektoren übernommen und wird heute selbst für die Gestaltung von Dienstleistungsfamilien verwendet. Radikales Umdenken
3.2.3
Technologiesprünge
Technologiesprünge können durch Process Reengineering gefördert werden. Das Process Reengineering möchte die Unternehmung durch eine Neugestaltung aller Prozesse in Leistungserstellung und Administration mit Hilfe der Informationstechnologie revolutionieren. Process Reengineering beruht auf vier Leitlinien:1 1.
1
Man konzentriert sich auf die Prozesse und führt deshalb zunächst im Unternehmen eine Prozessorganisation ein. Die Betonung liegt dann nicht mehr auf Stellen oder Bereichen, son-
Unter dem Titel Reengineering the Corporation – A Manifesto for Business Revolution wurde 1993 von HAMMER und CHAMPY in Buchform ein Konzept zum radikalen Überdenken von Unternehmen und unternehmerischen Abläufen vorgestellt. Die Autoren lehnen einen inkrementalen Fortschritt im Sinn einer kontinuierlichen Verbesserung der Prozesse unter Beibehaltung bestehender Strukturen als unzureichend ab. Stattdessen werden Quantensprünge in den vier Kerngrößen Kosten, Qualität, Service und Zeit angestrebt. Für eine Optimierung innerhalb bestehender Strukturen werden hingegen das Kaizen-Management oder das Total-QualityManagement (TQM) empfohlen.
1. HENNING KAGERMANN und HUBERT ÖSTERLE: Geschäftsmodelle 2010. Wie CEOs Unternehmen transformieren. Frankfurter Allgemeine Buch, Frankfurt 2006. 2. HUBERT ÖSTERLE und ROBERT WINTER (Hrsg.): Business Engineering – Auf dem Weg zum Unternehmen des Informationszeitalters. 2. Auflage, Springer, Berlin 2003.
228
dern auf Abläufen. Prozesse sind definiert als Abfolge von Teilschritten und Aufgaben. Sie werden unterteilt in Kern- und Hilfsprozesse. 2.
Process Reengineering verlangt die konsequente Informatisierung der Unternehmensprozesse. Durch den größtmöglichen Einsatz von IT – in der Praxis wird eine Lösung mit Standardsoftware angestrebt – sollen Kosten- und Zeitvorteile erlangt werden.
3.
Die neuen Prozesse entstehen auf dem Reißbrett. Sie sollen so gefunden und gestaltet werden, dass unternehmensinterne oder externe Kunden besser bedient werden, beispielsweise durch kürzere Wartezeiten. Man sieht den Kundennutzen und den Verkauf als Quelle finanziellen Erfolgs an.
4.
Die erforderlichen Veränderungen müssen top down durchgesetzt werden. Die Reorganisation der Unternehmensprozesse wird durch ein Team mit klar festgelegten Aufgaben durchgeführt. Man darf nicht erwarten, dass von Mitarbeitenden, also bottom up, Vorschläge kommen, die den eigenen Arbeitsplatz in Frage stellen bzw. überflüssig machen.
Die Informationstechnik ist im Process Reengineering der Enabler für sprungartige Leistungssteigerungen. Um die Produktivität und Profitabilität zu steigern, sollen Unternehmen ihre gegenwärtige Ablauforganisation radikal in Frage stellen und einen kompletten Neuanfang wagen. Die Fragen lauten: Warum machen wir das überhaupt? Warum machen wir es auf die Art und Weise, wie wir es gegenwärtig tun? Wie würden wir vorgehen, wenn wir das Unternehmen von Grund auf neu aufbauen könnten?
3.3
Der Absatzprozess
3.3.1
Markteinführung
Der Absatz im Zielmarkt entwickelt sich über die Zeit hinweg. Kunden oder Konsumenten sind nicht homogen. Sie reagieren in unterschiedlicher Weise auf Größen, die sich im Zeitablauf ändern. Eine solche Variable ist der Preis, eine andere die zum Zeitpunkt t erreichte Marktdurchdringung, eine dritte die Werbung, eine vierte die Marke, eine fünfte die Sortimentsbreite. Die Käufer unterscheiden sich nach ihrer Reaktion auf diese Variablen. Es ist üblich, zwei Gruppen zu betrachten: Käufer, die zu frühen Käufen neigen, einerseits und andererseits solche, die eher anderen folgen
229
und auf die erreichte Verbreitung des Produkts positiv reagieren. Wenn die Marktdurchdringung beginnt, muss sich die Unternehmung also zunächst auf die Frühkäufer konzentrieren und dazu deren Informationsverhalten beachten: x
Der größte Teil der Frühkäufer achtet auf Meinungsführer sowie Personen, die Rat geben oder etwas vorführen (Promotoren).
x
Andere Frühkäufer achten auf Mitteilungen in den Medien (Werbung, Artikel, Berichte), und ein Teil reagiert besonders auf technische Daten, Tests oder ein Rating.
Die Unternehmung muss sich bewusst werden, welcher dieser Informationskanäle für das neue Produkt besonders erfolgversprechend ist. Handelt es sich dabei um Meinungsführer, dann muss sie zunächst die Meinungsführer überzeugen und gewinnen – und zwar ehe sie mit dem Produkt in den eigentlichen Zielmarkt geht: Meinungsführer wollen nämlich nicht erst dann angesprochen werden, wenn der Verkauf schon läuft. Erst wenn sich die Meinungsführer für das Produkt entscheiden, kann der Absatzprozess im eigentlichen Zielmarkt beginnen und vorangetrieben werden. Die Gewinnung von Meinungsführern kann indessen auch fehlschlagen. Deshalb verläuft die Markteinführung für die Unternehmung wie eine Prüfung, auf die man sich zwar vorbereiten, die man aber bei Nichtbestehen nicht so schnell wiederholen kann. Dadurch sind die vom Entrepreneur gelieferten Prototypen weniger wert als errechnet, wenn die Möglichkeit des Scheiterns der Markteinführung nicht kalkuliert wird.
Geste der Dankbarkeit Bekanntlich ist Mercedes der Name einer Tochter des Kaufmanns und Konsuls EMIL JELINEK (1853-1918), der bei dem Konstrukteur WILHELM MAYBACH (1846-1929) und der Daimler-Motoren-Aktiengesellschaft 36 Autos bestellt und in Cannes weiterverkauft hat.
Die Unternehmung zeigt ihr neues Produkt – zu diesem Zeitpunkt meist nur in einer einzigen Ausführung – also zunächst einigen wenigen Meinungsführern oder Multiplikatoren. Dies setzt voraus, dass man diese Gruppe identifiziert hat. Dann müssen Kontakte zu dieser Gruppe angebahnt und gepflegt werden. Vielleicht müssen auch Personen als Meinungsführer eigens „aufgebaut“ werden, um allfällige Prüfungen günstig zu beeinflussen. Wichtige Kunden aus dem eigentlichen Markt dürfen nicht dadurch verlorengehen, dass sie nicht in den Kreis der Meinungsführer einbezogen werden. Wer sind diese Meinungsführer? Investmentbanken wissen: Bei einer Emission von Wertpapieren geben private Investoren nur dann ihr Geld,
230
wenn sich institutionelle Investoren positiv aussprechen. Daher ist die Road Show bei institutionellen Investoren so wichtig. Bei haltbaren Konsumgütern sind die Meinungsführer häufig die Großhändler. Sie haben geradezu fürstlichen Einfluss. Bei Kleidung, die sich an ein breiteres Segment wendet, wirken Kundinnen und Kunden von Boutiquen als Meinungsführer. Für Pharmazeutik sind es die Chefärzte großer Kliniken. Kein Landarzt verwendet ein neues Medikament, wenn sich nicht zuvor der Chefarzt in der Großstadt dafür ausgesprochen hat. In einigen Fällen sind für die Promotorfunktion nicht unbedingt Personen verlangt. Events können Multiplikatoreffekte erzeugen oder verstärken. Gleiches gilt für Auftritte in den Medien. Doch fast immer muss vor dem Zutritt zum eigentlichen Zielmarkt eine Eintrittsbarriere überwunden werden. Man spricht von einer zweistufigen Kommunikation: Erst kontaktiert die Unternehmung die Meinungsführer, dann kommunizieren diese mit dem Absatzmarkt.
3.3.2
Markenbildung
Die Marke ist ein Leistungsversprechen der Unternehmung, ausgedrückt durch einen Firmennamen, ein Logo, ein Signal oder durch andere Handlungsgrundsätze für die Mitarbeitenden. Das Leistungsversprechen kann sich, wie früher üblich, enger auf ein Produkt oder eine Dienstleistung beziehen oder, wie heute praktiziert, die Vorhaben der Unternehmung insgesamt angesichts der in der modernen Gesellschaft zu bewältigenden Aufgaben ausdrücken. Das Leistungsversprechen reicht daher von in der Werbung angepriesenen Produkteigenschaften (Qualität, Eignung in der sozialen Umgebung) bis zur von der gesamten Unternehmung vorgelebten Einstellung gegenüber gesellschaftlichen Fragen (Ökologie, Dritte Welt, Globalisierung). Entsprechend kann die Zielgruppe der Marke, der das Leistungsversprechen gegeben wird, auf die Käuferschaft eingeengt sein oder die Gesellschaft als Ganze umfassen. Wenn die Verzahnung von Produkt und Dienstleistung um ein Leistungsversprechen ergänzt wird, erhöht sich der Wert. Bei jedem Versprechen stellt sich die Frage, ob es glaubhaft ist. Hier hilft ein Design, dass von der Pfandleihe her bekannt ist.
231
1.
Die Unternehmung hat durch die Marke direkte Vorteile. Im Hinblick auf den Absatz werden diese durch eine Erhöhung der Quantität und vor allem durch eine höhere Gewinnmarge ausgedrückt. Durch Vergleich des Preises ähnlicher No-Name-Produkte kann der Wert der Marke bestimmt werden. Außerdem errichtet die Marke Eintrittsbarrieren und vermindert somit die generelle Kraft, die in Richtung höherer Konkurrenz wirkt. Zu den weiteren Vorteilen einer Marke gehören positive Wirkungen gegenüber Kapitalgebern und Mitarbeitenden. Gegenüber der Mitarbeiterschaft verdeutlicht die Marke, welche Leistungen zu erbringen sind. Wird dieser Aspekt betont, wird von interner Markenführung gesprochen.
2.
Die Marke und ihre positiven Wirkungen können jedoch zerstört werden, wenn sich innerhalb des Adressatenkreises Gruppierungen bilden und durch Widerrede den Markenwert beeinträchtigen. Zwar haben die Zielgruppen selbst keinen wirtschaftlichen Vorteil, wenn sie die Aussage der Marke angreifen oder widerlegen, doch die Unternehmen erleiden einen Verlust bei ihrem abstrakten Vermögen. Die Marke wirkt also wie ein Pfand. Es wird den Zielgruppen übergeben und macht auf diese Weise das Leistungsversprechen glaubhaft.
In der Forschung werden die Gründe näher betrachtet, weshalb eine Marke dazu führt, dass es zu mehr Verkäufen kommt und dabei ein höherer Preis erzielt werden kann.
Mit dem Porsche zu Aldi – der hybride Konsument Im Marketing gibt es eine Binsenweisheit: ohne Zielgruppe keine erfolgreiche Werbung. Aber die Segmentierung potenzieller Kunden und die Bestimmung der Zielgruppen sind schwieriger geworden. Die Schemata von früher passen nicht mehr für den Kunden von heute: Der kauft mal beim Discounter, mal in der Edel-Boutique, mal bestellt er im Internet. Der hybride Konsument lässt sich nur schwer in die gängigen Segmente der Marketingfachleute pressen, weil er zwei gegensätzliche Konsummuster verfolgt: Einerseits ist er preisbewusst, andererseits markenorientiert. Dieses bipolare Konsumverhaltens macht die Markenpositionierung schwieriger.
x
Mit ihrer Aussage reduziert die Marke die Such- und Informationskosten der Nachfrager. Gerade in Umgebungen mit Qualitätsunsicherheit ist diese Orientierungsfunktion wichtig.
x
Dabei kann die Marke wirklichen Zusatznutzen generieren, wenn das Leistungsversprechen Aspekte enthält, die für den Nachfrager wichtig sind. Gerade weil viele Produkte in ihrer standardisierten Konstruktion und Produktion – alle Unternehmungen übernehmen Best Practices – übereinstimmende Grundfunktionen bieten, ist der Zusatznutzen wichtig. Er kann beispielsweise in einer Rücknahmegarantie bestehen, in erhöhter Haltbarkeit, schönerem Design und anderem.
232 x
Sodann können Marken eine identitätsstiftende Wirkung entfalten, indem sie das Selbstbild des Kunden verstärken. Stichworte zu dieser Identitätsfunktion sind Prestige, Lebensstil, Einstellung. Handelt es sich beim Kunden um eine Unternehmung, kann dessen eigene Marke begünstigt werden. So erhöht etwa ein Notebook-Hersteller mit „Intel inside“ das Ansehen seines eigenen Produkts. Ein weiteres Beispiel: In Positionierungen der Automarke Lexus wird Marc Levinson als Anbieter von Marken-Akustik erwähnt.
x
Aufgrund dieser drei Funktionen kann ein Kunde einen Markenartikel für sich letztlich günstiger finden als ein No-Name-Produkt. So entstehen Markteintrittsbarrieren für Anbieter, die noch keine Marke aufgebaut haben. Offenkundig setzen diese Wirkungen eine etwas präzisierte Formulierung des Leistungsversprechens und in seiner Kommunikation durch Zeichen ein einzigartiges Erscheinungsbild voraus.
x
Präzisierung und Einzigartigkeit verleihen der Marke Besonderheit. Durch diese Besonderheit können mehrere Marken direkt nebeneinander existieren. Audi, BMW, Mercedes und Lexus haben in nächster Nähe Vertretungen; dennoch sind sie durch ihre jeweiligen Leistungsversprechen klar zu unterscheiden. Die Differenzierung erfolgt also rein informatorisch, während sich die Autos nicht (oder kaum) unterscheiden müssen. Auf diese Weise können mehrere Unternehmen direkt in das Zentrum gehen, ohne sich dort auf die Füße zu treten. Jeder kann Best Practices übernehmen, wie beispielsweise eine modulare Produktkonstruktion. Unter Markenimage wird das Fremdbild der Marke verstanden, also die Wahrnehmung und Einschätzung des Leistungsversprechens durch die externen Zielgruppen. Ihm steht die Markenidentität gegenüber, das Selbstbild, das die Unternehmung mit der Formulierung des Leistungsversprechens zum Ausdruck bringt.
Die Markenidentität darf natürlich nicht schon zu Beginn zerbrechen. Sie muss deshalb in übereinstimmender Botschaft nach innen (Mitarbeiterschaft, Kundenberatung, Services) und nach außen (Medien) formuliert werden. Die Unternehmung darf ihre Mitarbeitenden keinesfalls mit dem Leistungsversprechen einer Zerreißprobe aussetzen. Die wesensprägenden Merkmale der Marke werden, sofern nicht vom Firmengründer vorgegeben, als Ergebnis eines Interaktionsprozesses gefunden und festgelegt. Dabei sind natürlich die Geschichte der Unterneh-
233
mung, ihre Kompetenzen und ihre Organisation wichtige Determinanten. Die Herkunft und die Kompetenz der Marke gehören daher klar zur Markenidentität. So enthält das Leistungsversprechen zwei Botschaften: 1.
Wer bin ich? Über welche Eigenschaften verfüge ich?
2.
Was biete ich an? Wie biete ich es an?
Nach ESCH werden damit die linke und die rechte Hirnhälfte der Personen in der Zielgruppe angesprochen.2 Bekanntlich sind in der linken Hirnhälfte diese Funktionen lokalisiert: die Sprache, das bewusste Ich, das analytische Denken, das Rechnen. Die rechte Hirnhälfte beherbergt das emotionale Fühlen, Phantasie und Intuition, die Symbolik, das ganzheitliche Denken und das Unterbewusstsein. Die Marke soll alle diese Funktionen des menschlichen Denkens und Fühlens ansprechen. Die so bestimmte Markenidentität wirkt sodann durch einen Vorgang der Positionierung und des Aufbaus der Wahrnehmung nach außen. Wichtig ist, dass nicht mit einer Positionierung begonnen wird, ehe die Markenidentität herausgearbeitet wurde. Später setzt ein Feedback ein: Die interne Markenidentität wird mit der Erkenntnis konfrontiert, ob und wie externe Zielgruppen das Leistungsversprechen verstehen. Die durch Positionierung und Feedback vermittelte Wechselwirkung zwischen Markenimage und Markenidentität bildet die Grundidee des identitätsorientierten Markenmanagements.3 Zur Positionierung können alle Informationskanäle ausgenutzt werden, die der Unternehmung auch sonst zur Verfügung stehen: 1.
Werbung in den Medien,
2.
Eigenschaften der Produkte (die selbst zum Träger der Marke werden),
3.
Verhalten der Mitarbeiterschaft (besonders der Personen, die in Beratung und Service tätig sind).
Der dritte Kanal bietet sich vor allem bei Dienstleistungen an. Neuen Mitarbeitern werden zunächst die inhaltlichen Aspekte des Leistungsversprechens der Marke erklärt. Sie erfahren in Form von Leitsätzen, was sie tun 2
FRANZ-RUDOLF ESCH: Strategie und Technik der Markenführung. 3. Auflage, Vahlen, München 2005.
3
CHRISTOPH BURMANN, HERIBERT MEFFERT und MARTIN KOERS (Hrsg.): Markenmanagement: Identitätsorientierte Markenführung und praktische Umsetzung. 2. Auflage, Gabler, Wiesbaden 2005.
234
müssen, um dieses Versprechen einzulösen. Später bilden sie ein Verständnis für den Zusammenhang zwischen Unternehmenserfolg und Marke. Die Mitarbeiter lernen, an die Marke zu glauben. Schließlich haben sie die Botschaft und das entsprechende Verhalten verinnerlicht und können die Marke glaubhaft vorleben. Der klassische Marketingmix (Produkt, Preis, Werbung und Distribution) wird somit durch die Mitarbeiterschaft ergänzt, die loyal zur Unternehmung steht und aus Überzeugung das Leistungsversprechen einlöst.
3.3.3
Marktdurchdringung
Der Prozess der Marktdurchdringung muss ähnlich wie die Position und Fahrt eines Schiffes immer wieder kontrolliert werden. Nur so können Instrumente wie beispielsweise der Preis gesteuert werden. Die Grundvorstellung ist, dass sich der Absatz pro Zeiteinheit nach der Markteinführung zunächst immer stärker beschleunigt. Später ist dann ein Sättigungsniveau erreicht, und der Absatz geht zurück. Verschiedene Modelle oder Prognosefunktionen eignen sich für die quantitative Beschreibung der Marktdurchdringung nach einem solchen S-förmigen Verlauf. Die Modelle haben ihren Ursprung in der Demografie und finden überall Anwendung, wenn es um das Wachstum von Populationen geht. Meistens wird die logistische Funktion oder eine Modifikation der logistischen Funktion verwendet. Zur Illustration dieser Modelle bringen wir eine Formulierung für diskrete Zeitpunkte t = 0, 1, 2, 3, …, zu denen der bis dahin erzielte Gesamtabsatz x(t) beobachtet wird. Diese Zeitpunkte repräsentieren eine Woche, einen Monat oder ein Quartal. Es soll sich um ein haltbares Produkt handeln; Ersatzkäufe finden nicht statt. Der Absatzprozess beginnt bei einer geringen Anfangsquantität, die wir mit Epsilon bezeichnen: x(0) = İ. Bis zum Beginn der Absatzperiode t ist dann insgesamt x(t) abgesetzt worden. In der Absatzperiode t kann die Quantität q(t )
a x ( t ) ( s x ( t ))
(3-1)
verkauft werden, sodass bis zum Ende dieser Periode (und bis Anfang der Folgeperiode) die Gesamtmenge x ( t 1)
x(t ) q (t )
abgesetzt ist.
(3-2)
235
Die Gleichung (3-1) drückt die genannten Merkmale aus: 1.
Der Absatz in einer Woche, einem Monat oder einem Quartal ist proportional zu der bisher abgesetzten Gesamtmenge, q(t) = a · x(t).
2.
Gleichzeitig ist der Wochen- oder Monatsabsatz proportional zum restlichen Marktpotenzial, q(t) = s – x(t); s ist das Sättigungsniveau des Marktes.
Marktdurchdringung [%] 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 0
5
10
15
20
Zeit von 0 bis 20 Perioden (Wochen, Monate oder Quartale)
Abbildung 3-5: Die Dynamik der Marktdurchdringung für drei Parameterwerte von a und Perioden bis t = 20. Die Marktdurchdringung zum Anfangszeitpunkt ist zu 10% angenommen. Erkennbar ist der typische S-förmige Verlauf. Der Wendepunkt wird bei einer Marktdurchdringung von 50% erreicht, das ist in der Periode 12 (a = 0,2), 8 (a = 0,3) und 5 (a = 0,5). Ab dann verlangsamt sich die weitere Marktdurchdringung
Werden (3-1) und (3-2) zusammengefasst, so ergibt sich als Dynamik der Markdurchdringung: x (t 1)
x (t ) q (t )
x (t ) a s x ( t ) a x 2 ( t )
(3-3)
(1 a s) x (t ) a x 2 (t )
Wird das Sättigungsniveau mit 100% identifiziert, also s = 1, dann folgt der prozentuale Gesamtabsatz der Dynamik: x ( t 1)
(1 a ) x ( t ) a x 2 ( t )
Das logistische Modell hat einige Erweiterungen erfahren:
(3-4)
236 x
FRANK M. BASS (University of Texas at Dallas) hat die Gleichung (33) für die Diffusion eines neuen Produkts im Jahr 1969 erweitert, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass es auch spontane Käufe gibt, die von der bereits erreichten Marktdurchdringung unabhängig sind: q (t )
a ( x ( t ) b ) ( s x ( t ))
(3-5)
x
Gleichfalls wurde berücksichtigt, dass der Bestand x(t) mit einer gewissen Rate verfällt, sodass Ersatzkäufe nötig sind. Hierzu wird die Absatzmenge der Periode t um d · x(t) erhöht. Ist diese Ausfallrate d hoch, wird der Fall eines nicht haltbaren Produkts erfasst.
x
Außerdem wurde die Marktdurchdringungsgeschwindigkeit a als vom Preis abhängig dargestellt, was die Herleitung optimaler dynamischer Preispolitiken erlaubt. In solchen Optimierungen ergibt sich immer einer der beiden folgenden Typen dynamischer Preispolitik, wobei es von der Konstellation abhängt, welcher letztlich der beste ist: Die eine der beiden optimalen Preispolitiken beginnt mit sehr hohen Preisen, auch wenn dadurch der anfängliche Absatz langsamer verläuft. Sie werden dann im Verlauf des Absatzprozesses reduziert (Abschöpfungspolitik). Die andere beginnt mit einem niedrigen Preis, um den Absatzprozess „in Gang“ zu bringen. Der Preis wird dann später erhöht (Penetrationspolitik).
x
Es sind auch Verallgemeinerungen studiert worden, bei denen die Wirkung der Preispolitik auf den Eintritt von Wettbewerbern analysiert wird.
Insgesamt können derartige Modellierungen mehrere Zwecke erfüllen. Die Unternehmung kann besser abschätzen, wie weit sie mit der Marktdurchdringung bereits vorangekommen ist. Sie kann den weiteren Absatz für einen mittel- und langfristigen Horizont besser prognostizieren und wird angeregt, nach Wegen zu suchen, die Geschwindigkeit und das Sättigungsniveau zu beeinflussen. Schließlich erhält die Unternehmung Hinweise für die Art der Preispolitik und die optimale Steuerung des Absatzprozesses.
3.3.4
Mitarbeiter und Incentives
Die immense Managementaufgabe in der Phase des Wachstums verlangt nicht nur die effiziente Einsatzplanung von Kapital. Besonderes Augenmerk ist den Menschen im Stab, in Produktion und Absatz sowie im Service zu schenken. Bürokratische und hierarchische Führungsgrundsätze
237
geraten schnell an ihre Grenze, weil die Mitarbeiter in einer schnelllebigen Welt mit laufend neuen Kundenwünschen flexibel handeln müssen. Sie sollten daher deutlich mehr Kompetenzen erhalten, als dies vor fünfzig Jahren für einen Produktionsbetrieb richtig war. Immer wieder wird hervorgehoben, dass heute eher dezentral als zentral geführt werden muss und die Mitarbeiter zu motivieren sind. Erlös
p·m*+u·(m-m*)
p·m*
p·m*-l·(m*-m)
m* Meldung und spätere Outputmenge
Abbildung 3-6: Veranschaulichung des Motivationsschemas der früheren Sowjetunion mit drei, verschiedenen Meldungen der Subeinheit entsprechenden Funktionen mit dachartigem Verlauf, die den Erlös in Abhängigkeit von der tatsächlichen Outputquantität zeigen
Selbst die frühere Sowjetunion – bekannt als rigide Planwirtschaft – kannte Motivationsschemata. Die Subeinheit, die eine Ressource zu liefern hatte, musste zu Beginn der Planungsperiode eine Quantität melden, die ihr möglich sein sollte. Hier wurde kein Druck ausgeübt, doch sollte die Subeinheit dazu gebracht werden, von sich aus einen realistischen Output zu melden. Wir bezeichnen die Meldung mit m*. Die Subeinheit erhielt dafür einen Planerlös in Höhe p · m* rechnerisch zugewiesen. Die tatsächliche Ausbringungsmenge, sie sei mit m bezeichnet, war natürlich meistens vom Soll m* verschieden. Hier sah das System nun Belohnungen und Strafen vor. x
War die tatsächliche Menge geringer als die Meldung, m m*, wurde der Subeinheit gegenüber dem Planerlös von p · m* nicht p · (m* – m) abgezogen, sondern etwas mehr und sie erhielt nur p · m* – l· (m* –
238
m) wobei der Strafabzug pro Mindereinheit l höher als der Preis festgesetzt wurde. x
War die tatsächliche Menge größer als die Meldung, m ! m*, dann wurde der Subeinheit der Planerlös p · m* nicht um p · (m – m*) erhöht, sondern nur um u· (m – m*), wobei u p. Insgesamt bezahlt die Zentrale der Subeinheit im Fall eines höheren Outputs p · m* + u· (m – m*).
Diese Entgeltfunktion ist in der grafischen Darstellung ein Dach, dessen First auf der durch den Preis p bestimmten Entlohnungsfunktion gleitet. Die Subeinheit ist motiviert, dieses Dach durch Meldung von m* so zu fixieren, dass ihre eigenen Erwartungen hinsichtlich m mit m* übereinstimmen. Inzwischen steht ein Fächer von Incentive-Schemata zur Verfügung. Sie haben einen gemeinsamen Grundgedanken: Den Mitarbeitern sollen Rahmenbedingungen gesetzt werden, die ihnen persönliche Vorteile geben, wenn sie ihr Verhalten in die gewünschte Richtung lenken. Die Mitarbeiter sollen sich quasi aus Eigennutz so verhalten, dass der Gesamterfolg steigt. Die persönlichen Vorteile müssen nicht notwendig monetärer Natur sein. Die Organisationsforschung hat gleichermaßen die Wirkung nicht monetärer Anreize geklärt.4 Unter dem Begriff der Prinzipal-Agenten-Beziehung werden Modelle subsumiert, die im Wesentlichen eine Delegation beschreiben: 1. Eine Person oder Partei, der Prinzipal, betraut eine andere Person oder Partei, den Agenten, mit einer Aufgabe. 2. Dabei kann der Prinzipal den Agenten nur unvollständig kontrollieren. 3. Gesucht ist eine Entgeltstruktur oder eine Form der Ergebnisbeteiligung, damit sich der Agent aus eigenem Interesse in einer Weise verhält, die den Zielen und Wünschen des Prinzipals möglichst weit entgegenkommt. Um die Delegation zu untersuchen, wurde früher unterstellt, dass der Auftraggeber vollständige Information über alle Handlungen des Auftragnehmers hat oder sich diese leicht beschaffen kann, beispielsweise durch entsprechende Kontrollen oder Berichterstattung. Dann könnten direkt Niveau und Art von Anstrengung und Einsatz des Agenten zum Gegenstand eines Vertrags gemacht werden. Agent und Prinzipal könnten Leistung und Gegenleistung frei vereinbaren.
4
MARTIN HILB: Integriertes Personal-Management. Ziele – Strategien – Instrumente. 14. Auflage, Luchterhand (Hermann), München 2005.
239
In der Realität ist die Annahme vollständiger Information selten gegeben. Deshalb werden Modelle gebildet, bei denen die eine Partei (Auftraggeber, Prinzipal) weder alle Handlungen noch die Anstrengung oder Qualifikation der anderen Partei (Auftragnehmer, Agent) kostenlos beobachten kann. Der Agent verfügt also über einen Handlungsspielraum, den der Prinzipal nicht überblicken kann. Die Besonderheit bei der PrinzipalAgenten-Beziehung ist also die asymmetrische Information. Der Agent hat eigene Ziele, beispielsweise hat er die individuellen Kosten vermehrter Anstrengung. Der Agent wird sich daher im Rahmen seines diskretionären Handlungsspielraums in einer Weise verhalten, die nicht unbedingt mit den Zielen des Prinzipals harmonieren muss. Der Prinzipal möchte die Entlohnungsstruktur so gestalten, dass sich der Agent, nun im eigenen Interesse, für etwas einsetzt, das den Zielen des Prinzipals entgegenkommt. In einer solchen Beziehung kostet die Motivation des Agenten; das heißt, der Prinzipal muss einen Verzicht leisten, erhält aber im Gegenzug eine Verhaltensweise, die deutlicher seinen Wünschen entspricht. Der Schlüssel liegt in einer Beteiligung des Agenten. Die Details können optimal bestimmt werden. Allerdings ist auch bei optimaler Anreizgestaltung nur eine zweitbeste Lösung erreicht. Die erstbeste wäre nach wie vor, dass Prinzipal und Agent einen genauen Vertrag über Leistung und Gegenleistung schließen. Doch das scheidet eben aus, weil die Vertragsausführung nicht zweifelsfrei geprüft werden könnte oder eine solche Prüfung zu teuer käme. Der Unterschied zwischen dem in einer erstbesten und einer zweitbesten Situation erreichbaren Ergebnis wird als Agency-Kosten bezeichnet.5
5
Literatur: 1. MICHAEL C. JENSEN und WILLIAM H. MECKLING: Theory of the firm: managerial behaviour, agency costs and ownership structures. Journal of Financial Economics 3 (1976), S. 305-360. 2. BENGT HOLMSTRÖM: Moral Hazard and Observability. Bell Journal of Economics 10 (1979), S. 74-91. 3. KLAUS SPREMANN: Agent and Principal; in: GÜNTER BAMBERG und KLAUS SPREMANN (Hrsg.): Agency Theory, Information, and Incentives. Springer Publisher, Berlin 1987, S. 3-38. 4. ALFRED WAGENHOFER: Anreizsystem in Agency-Modellen mit mehreren Aktionen. Die Betriebswirtschaft 56 (1996) 2, S. 155-165; 6. ROBERT GILLENKIRCH und LOUIS JOHN VELTHUIS: Lineare Anreizverträge für Manager bei systematischen und unsystematischen Risiken. Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung 49 (1997) 2, S. 121-139. 5. KLAUS SPREMANN: Reputation, Garantie, Information. Zeitschrift für Betriebswirtschaft 58 (1988) 5/6, S. 613-629. 6. WERNER NEUS: Ökonomische Agency-Theorie und Kapitalmarktgleichgewicht. Gabler, Wiesbaden 1989.
240
Von einem Motivationssystem wird gesprochen, wenn die wesentliche Gestaltungsüberlegung der Psychologie oder der Führungslehre entstammt, und nicht so sehr einem mikroökonomischen Modell, in der die zu motivierende Partei ein „seelenloser“ Maximierer ökonomischen Nutzens ist. Ein Motivationssystem ist also Teil des Personalführungssystems, wogegen ein Plan, Prämien zu zahlen, einen Bonus auszurichten oder Mitarbeiter und Führungskräfte zu beteiligen (Aktienoptionsprogramm) als Bestandteil der Kompensation betrachtet wird. Die beiden Ansätze sind unterschiedlich akzentuiert: x
Beim Anreizsystem stehen die soziale Anerkennung, das Lob und die Auszeichnung im Vordergrund, vielleicht der Wettbewerb und ein Incentiveprogramm.
x
Bei Prämien, bei einem Bonus und bei der Beteiligung stehen die materiellen Aspekte im Vordergrund.
Deshalb ergänzen sich beide Systeme, und sie müssen simultan und in gegenseitiger Abstimmung gestaltet werden. Beide Ansätze gehen von einem Grundverständnis darüber aus, wo und in welchen Aufgabenbereichen und auf welchen Ebenen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen einer Unternehmung motiviert werden können. Natürlich ist jeder für Lob und Anerkennung empfänglich, und selbstverständlich ist ein Bonus überall willkommen. Dennoch ist zu sehen, dass eine Motivation oder eine Beteiligung besonders in jenen Bereichen und Ebenen einer Unternehmung wichtig ist, wo Entscheidungen in komplexen Umgebungen anstehen und wo man sich eine Aufgabe entweder leicht machen kann oder sorgfältig und umfassend vorgehen könnte.
3.4
Verschiedene Wege zum Wachstum
Viele Wege führen zum Wachstum – in der Praxis haben Unternehmen mehrere Optionen, um ihre Wachstumsziele zu verwirklichen. Hierbei die richtige Entscheidung zu treffen, gehört zu den großen Herausforderungen, denen sich das Management stellen muss. Diese Entscheidung kann nicht ausschließlich anhand von finanzwirtschaftlichen Parametern getroffen werden. Der strategische Fit spielt eine ebenso wichtige Rolle. Da wir uns in diesem Abschnitt eingehender mit den zur Wahl stehenden Wachstumspfaden beschäftigen wollen, systematisieren wir die verschiedenen Optionen (siehe Abbildung 3-7).
241
organisch
Profitables Wachstum
• Produktentwicklung • Kundenentwicklung (alte/neue) • Globalisierung
Fusionen und Übernahmen extern
Joint Ventures Kooperationen Strategische Allianzen
Abbildung 3-7: Analytische Unterscheidung von Wachstumspfaden
3.4.1
Organisches Wachstum
Charakteristisch für internes oder organisches Wachstum ist, dass das Unternehmen aus eigener Kraft und auf Basis der eigenen Ressourcen expandiert. Streng interpretiert, geht internes Wachstum ohne Akquisition vonstatten; jedoch gelten kleinere Übernahmen, etwa der Kauf von Vertriebsorganisationen oder Fertigungsanlagen, in der Regel noch als Teil einer organischen Wachstumsstrategie. Internes Wachstum ist mit geringen Risiken verknüpft, bietet aber auch einen geringeren Hebel, vor allem bei zunehmender Größe des Unternehmens. Ein Beispiel soll zeigen, wie schwierig es für ein großes Unternehmen ist, die vom Kapitalmarkt geforderten Wachstumraten zu erreichen, die im Durchschnitt bei 7% liegen: Nehmen wir an, ein Unternehmen hat einen Gesamtumsatz von 50 Mrd. Euro. Ein Wachstumsziel von 7% pro Jahr bedeutet, dass im ersten Jahr 3,5 Mrd. Euro „dazuverdient“ werden müssen, im zweiten Jahr müsste der Umsatz um 3,745 Mrd. Euro wachsen und im dritten Jahr um 4,007 Mrd. Euro. Dieses Zahlenspiel macht deutlich, dass internes Wachstum ab einer bestimmten Größenordnung nicht mehr möglich ist. Generell lässt sich festhalten: Organisches Wachstum führt nur in Ausnahmefällen zu schnellen Wachstumsschüben.
3.4.2
Externes Wachstum
Organisches bzw. internes Wachstum kommt nicht in Frage, wenn die nötigen Ressourcen innerhalb eines Unternehmens nicht zur Verfügung
242
stehen bzw. ihr Aufbau zu lange dauert oder aus anderen Gründen nicht praktikabel ist. Dann bleibt für ein Unternehmen auf Expansionskurs nur der Ausweg des externen Wachstums. Hierzu zählen alle Strategien, die Wachstum durch die Nutzung von extern geschaffenen Ressourcen erreichen. Dabei lassen sich zwei Formen unterscheiden: Akquisitionen und Fusionen (Mergers & Acquisitions) sowie Kooperationen. Akquisitionen und Fusionen Durch Akquisitionen lassen sich schnelle, signifikante Wachstumsschübe erzielen. Dies bietet sich an, wenn neue Marktsegmente schnell erschlossen oder gesättigte Märkte konsolidiert werden sollen, eine Internationalisierung beabsichtigt ist oder wenn man eine vertikale oder horizontale Integration der Wertschöpfungskette anstrebt, etwa zur Verbesserung der Kostenposition. Auch der Erwerb einer etablierten Marke oder von Knowhow sind Argumente für die Option Wachstum durch Übernahme. Zwar bieten Übernahmen und Fusionen die Chance für sprunghaftes Wachstum, allerdings bergen sie auch beträchtliche Risiken. Hohe Akquisitionsprämien erhöhen den Zeitdruck bei der Hebung von Synergien; damit sie sich „rechnen“, müssen Synergien binnen ein bis zwei Jahren realisiert werden. Jedoch lässt sich die Integration unterschiedlicher Unternehmenskulturen – ein wesentlicher Faktor für den Erfolg von Fusionen – in diesem Zeitraum schwer bewerkstelligen. Dieser Widerspruch kann dazu führen, dass die hochfliegenden Wachstumspläne, die einige Unternehmen mit Akquisitionen und Fusionen verwirklichen wollen, zu Makulatur werden. Die zahlreichen Beispiele für gescheiterte Fusionen sprechen hier eine deutliche Sprache.
243
Euphorie, Depression, rationales Kalkül – die Entwicklung des M&A-Geschäfts Die neunziger Jahre galten als das Jahrzehnt der "Fusionitis": Nach einem kontinuierlichen Anstieg der Deals erreichte die Übernahmewelle im Jahr 2000 ihren (vorläufigen) Höhepunkt: Weltweit gab es damals rund 13.000 Fusionen. Die Preise für Firmenkäufe waren in astronomische Höhen geschnellt – ebenso die an die Firmenzusammenschlüsse geknüpften Erwartungen. Doch auf den Rausch des Hypes folgte Ernüchterung – und in vielen Fällen sogar ein handfester Kater. In der Euphorie wurden nämlich nicht selten die Risiken von Fusionen und Übernahmen unterschätzt und gravierende Fehler begangen: x Die hinter einer Fusion liegende Strategie war nicht zu Ende gedacht. x Die Kulturen der jeweiligen Unternehmen passten nicht zusammen. x Die ursprünglich erhofften Synergien ließen sich überhaupt nicht oder erst
nach langer Zeit realisieren, sodass die Akquisitionsprämie sich als viel zu hoch erwies. In Summe führten diese Fehler dazu, dass inzwischen mehr als die Hälfte aller Fusionen der neunziger Jahre als gescheitert gelten und immerhin zwei Drittel als hinter den Erwartungen zurückgeblieben. In vielen Fällen haben Fusionen den Unternehmenswert nicht wie erhofft nach oben getrieben, sondern in den Keller stürzen lassen. Als Reaktion auf diese Fehlschläge schlug das Pendel in die andere Richtung: Die Zahl der Fusionen ging nach der Jahrtausendwende zunächst drastisch zurück, sowohl was die Anzahl als auch was das Volumen der Deals betraf. Doch seit 2004 ziehen die Übernahmen wieder an, und zwar im großen Stil. Auffällig dabei ist auch, dass als Folge der Globalisierung die Zahl der grenzüberschreitenden Transaktionen zunimmt. Nach wie vor werden Fusionen von der Hoffnung auf Synergieeffekte, Erschließung neuer Märkte und daraus resultierendes Wachstum getragen. Aber die Herangehensweise der Unternehmen hat sich verändert: weniger Euphorie, mehr nüchternes Kalkül. Die Fehler der Vergangenheit wurden inzwischen analysiert, die entsprechenden Lehren daraus gezogen. Entscheidende Faktoren für den Erfolg von Akquisitionen sind: x
Die Akquisition muss sich in die übergeordnete Unternehmensstrategie einpassen.
x
Bei Synergien ist nicht nur deren absolute Höhe zu berücksichtigen, sondern auch die Zeitspanne, innerhalb derer sie sich realisieren lassen. Je höher die Akquisitionsprämie, desto schneller muss die Realisierung erfolgen.
x
Es empfiehlt sich, Alternativen zu einer Übernahme zu prüfen. Kooperationen können ähnliche Effekte haben – bei wesentlich geringerem Risiko.
244
Kooperationen Eine andere Form des externen Wachstums sind Kooperationen: Hier werden die externen Ressourcen zwar genutzt, aber nicht – wie bei Übernahmen oder Fusionen – in das eigene Unternehmen inkorporiert. Im Rahmen von Kooperationen arbeiten zwei oder mehr Unternehmen zusammen, um gemeinsam vereinbarte Ziele zu erreichen. Die Beteiligten bleiben rechtlich unabhängig; ihre wirtschaftliche Autonomie ist lediglich in den Bereichen eingeschränkt, in denen kooperiert wird. Eine Zusammenfassung der Unterschiede zwischen bzw. der Merkmale von Akquisitionen und Fusionen einerseits und Kooperationen andererseits bietet Übersicht 3-4. KATEGORIE
M&A
KOOPERATIONEN
Zeithorizont
dauerhaft
i.d.R. temporär
Flexibilität
niedrig
hoch
Organisatorische Eigenständigkeit
nein
ja
Anzahl Partner
i.d.R. zwei
kaum Begrenzungen
Kostenvorteile durch Restrukturierung
i.d.R.
schwierig, selten
Komplexität der Steuerung
niedrig (Hierarchie)
hoch
Begrenzung durch Regulierung
stark
schwach
Übersicht 3-4: Merkmale von Fusionen und Kooperationen im Vergleich
Kooperationen sind häufig die einzige Alternative zur Akquisition bzw. Fusion, wenn der Erwerb der avisierten Übernahmeobjekte unerschwinglich oder aus anderen Gründen nicht möglich ist, beispielsweise, weil das Wettbewerbsrecht die Akquisition verbietet. Da die Partner bei Kooperationen ihre rechtliche Selbständigkeit behalten und nur in Teilbereichen zusammenarbeiten, zeichnen sich Kooperationen durch eine hohe Flexibilität aus. Auch deshalb eignen sich Kooperationen besonders zur schnellen Erschließung neuer Märkte. Die rechtliche Selbständigkeit der Akteure hat noch den Vorteil, dass Kooperationen nur selten zu Konflikten mit dem Wettbewerbsrecht führen. Im Gegensatz zu Fusionen entfällt das Problem, zwei unterschiedliche Unternehmenskulturen zu verbinden.
245
Diesen Vorzügen von Kooperationen stehen allerdings Nachteile gegenüber, etwa unerwünschter Know-how-Transfer, Verlust von Wettbewerbsvorteilen oder die hohe Komplexität, aus der für die Beteiligten enorme Anforderungen an die Koordination resultieren können. Die rasanten Fortschritte der Informations- und Kommunikationstechnologie und das damit einhergehende Sinken der Transaktionskosten haben allerdings dazu geführt, dass sich die Steuerung von Kooperationen heute viel leichter handhaben lässt als noch vor einigen Jahren. Als Resultat dieser Entwicklung ist damit zu rechnen, dass die Zahl der Kooperationen weltweit zunimmt. Zur Renaissance dieser Form des externen Wachstums trägt sicherlich auch die weltwirtschaftliche Integration bei: Sinkende Handels- und Investitionsschranken verbunden mit wachsender Rechtssicherheit haben die Grundlage dafür geschaffen, dass sich Unternehmensbeziehungen über Ländergrenzen hinweg heute deutlich einfacher gestalten. Dementsprechend hat die Zahl der internationalen Kooperationen erheblich zugenommen. Formen von Kooperationen Nach dem rechtlichen Status kann man zwei unterschiedliche Formen der Kooperation unterscheiden: •
Joint Venture: Die an der Kooperation beteiligten Partner gründen ein rechtlich selbständiges Unternehmen, um die gemeinsamen Ziele zu verwirklichen.
•
Strategische Allianz: Bei dieser Form der Kooperation erfolgt keine Gründung einer rechtlich selbständigen Organisation. Die Zusammenarbeit wird durch Kooperationsabkommen mit unterschiedlichem Formalisierungsgrad geregelt und kann auf unterschiedlichen Stufen der Wertschöpfungskette stattfinden (zum Beispiel in der Forschung und Entwicklung, in der Produktion oder beim Vertrieb).
Horizontale und vertikale Kooperation Ein anderes Merkmal, nach dem sich die Kooperationsformen unterscheiden lassen, ist die Verortung in der Wertschöpfungskette. Bei horizontalen Kooperationsformen arbeiten Unternehmen derselben Wertschöpfungsstufe zusammen, indem sie komplementäre Kompetenzen nutzen und/oder ihre Kräfte bündeln. Dies ermöglicht ihnen unter anderem, sich auf eigene Kernkompetenzen zu konzentrieren, statt Ressourcen anderweitig zu investieren (etwa in den Ausbau von Vertriebsnetzen). Als weiteren Vorteil bieten komplementäre Kooperationen die Möglichkeit, durch die Expansion in neue Märkte schnell zu wachsen.
246
Bei vertikalen Kooperationen erfolgt die Zusammenarbeit zwischen vorbzw. nachgelagerten Wertschöpfungsstufen. Hier können zum Beispiel Vorleistungsproduzenten einen größeren Teil der Wertschöpfungskette abdecken – und damit ihre Verhandlungsposition gegenüber dem Endkunden stärken. Der gemeinsame Ausbau von Alleinstellungsmerkmalen könnte ihnen zudem eine bessere Wettbewerbsposition verschaffen. Durch die Kooperation von Endkunden und Zulieferern lassen sich Effizienz und Innovationspotenzial steigern, wie Beispiele aus der Automobilindustrie belegen.
3.5
Konklusion zur dritten Jahreszeit
3.5.1
Zur Phasenidentifikation
Ein deutlicher Indikator dafür, dass sich eine Unternehmung (oder ein Bereich einer multidivisionalen Unternehmung) in der dritten Jahreszeit, der des Wachstums, befindet, ist die einheitliche und klare Planung der Aktivitäten in Produktion, Absatz und Finanzierung. Sie wird durch ein strukturiertes Planungs- und Koordinationssystem unterstützt. Die Planung soll erstens wirken, effektiv sein. Termine müssen eingehalten werden. Die Durchsetzung der Pläne verlangt oft hierarchische Anweisungen. Zweitens soll die Planung Ressourcen sparen und zu Effizienz führen. So weisen solche Signale auf das Vorliegen der dritten Jahreszeit hin, die auf das Bemühen um Effizienz und Kostenkontrolle schließen lassen. Dazu gehören das Einhalten von Standards und das Streben nach Skalenerträgen. Um beides zu bewerkstelligen, sind in der Phase des Wachstums ausgebildete Manager in den gehobenen Positionen zu finden.6 Ein zweiter Indikator für das Vorliegen der Wachstumsphase ist das hohe Gewicht, das dem Marketing beigemessen wird. Das Marketing in dieser Phase unterstreicht das Neue, die Qualität. Eine Reihe empirischer Untersuchungen ist der Frage nachgegangen, welche Faktoren bei schnell wachsenden Unternehmungen immer wieder anzutreffen sind. Das Vorhandensein dieser gemeinsamen Wachstumsfaktoren ist ein drittes Indiz dafür, dass sich die Unternehmung in der Phase des Wachstums befindet.
6
BJÖRN BJERKE: Understanding Entrepreneurship. Edward Elgar, Cheltenham 2007.
247 Planung
Wirksam und effizient, Koordination der verschiedenen Ressourcen, die zusammenwirken müssen, Planung wirkt straff und streng, professionelle Manager in den Linienfunktionen
Produktion und Marketing
Neue Qualität erobert bislang nicht bedienten Markt, Marketing auf Qualität ausgerichtet
Externe Partner
Sie müssen gebunden werden, damit die Ressourcenversorgung sichergestellt bleibt, vor allem die Finanzierung; die Risiken sind hoch
Übersicht 3-5: Hinweise für die Positionsbestimmung in der Wachstumsphase
In der Untersuchung von HARRISON und TAYLOR sind fünf Faktoren als „typisch“ für das Wachstum anzusehen.7 Zum Teil wiederholen sie unsere ersten beiden Indikatoren – effektive und effiziente Planung sowie Marketing zur Unterstützung des Qualitätswettbewerbs. Dennoch soll die vollständige Liste der fünf Faktoren genannt werden: 1.
Qualität ist als Wettbewerbsfaktor wichtiger als der Preis.
2.
Die Unternehmung hat eine Marktnische besetzt und dominiert dort.
3.
Die Unternehmung befreit sich von angesammeltem „Fett“ und konzentriert sich auf ihre Kernkompetenzen, um die Effizienz zu steigern.
4.
Die Leitung übt eine straffe operative und finanzielle Kontrolle aus.
5.
Die Unternehmung hat die Kraft, laufend Produktverbesserungen vorzunehmen und „nachschieben“ zu können.
SMALLBONE und WYER sowie DAVIDSSON nennen weitere Faktoren, deren Vorliegen ebenso als Indiz dafür angesehen werden kann, dass sich die Unternehmung in der dritten Jahreszeit befindet:8 1.
Es gibt innerhalb der Unternehmung wiederkehrende Programme zur Erneuerung und Effizienzsteigerung.
7
JOHN HARRISON und BERNARD TAYLOR: Supergrowth Companies: Entrepreneurs in action. Butterworth-Heinemann, Oxford 1996.
8
DAVID SMALLBONE und PETER WYER: Growth and Development in the Small Firm; in: SARA CARTER und DYLAN JONES-EVANS (Hrsg.): Enterprise and Small Business. Principles, Practice and Policy. Prentice-Hall, Englewood Cliffs, NJ, 2000. PER DAVIDSSON: Researching Entrepreneurship. Springer, Boston/New York et al., 2004.
248
2.
Die Bereitschaft, Risiken einzugehen, ist hoch. Denn wie ausgeführt, verlangt das Wachstum sehr hohe, oft irreversible Investitionen. Sie zahlen sich erst aus, wenn der Markt wirklich im geplanten Umfang erobert werden kann. Gelingt das nicht, ist sehr viel verloren. Die enorme Risikobereitschaft ist daher Voraussetzung – und Indiz – für die dritte Jahreszeit.
3.5.2
Fazit
Unsere dritte Jahreszeit, die des Wachstums, verlangt einen hohen Ressourceneinsatz und konfrontiert das Management mit großen Aufgaben. Nicht ohne Grund widmet sich die überwiegende Mehrheit der Managementliteratur und der betriebswirtschaftlichen Lehrbücher den verschiedenen Problemen dieser Phase unternehmerischen Geschehens. Die Aktivitäten zielen in mehrere Richtungen – Produktion, Absatz, Aufbau einer Marke. Das verlangt allein schon für die Erstellung von Einsatzplänen und für die Koordination einen entsprechenden Stab von Mitarbeitern – sowie ausreichend Personen, die in der Produktion tätig sind oder Services erbringen. Weil Ressourcen in verschiedene Richtungen eingesetzt werden und parallel dazu der Ressourcenbedarf durch das Wachstum von Produktion und Absatz zunimmt, sind sie in dieser Phase immer knapp. Deshalb müssen alle Möglichkeiten für Effizienzsteigerungen identifiziert und genutzt werden. Außerdem gilt es, Größen- und Verbundvorteile auszuschöpfen. In der Praxis können Unternehmen zwischen mehreren Optionen wählen, um ihre Wachstumsziele zu verwirklichen. Beim organischen oder internen Wachstum expandieren Unternehmen aus eigener Kraft und auf der Basis ihrer eigenen Ressourcen. Organische Wachstumsstrategien sind in der Regel mit geringen Risiken verknüpft, bieten dafür jedoch auch einen geringeren Hebel. Zum externen Wachstum werden alle Strategien gezählt, die Wachstum durch die Nutzung von extern geschaffenen Ressourcen erreichen. Dabei lassen sich zwei Formen unterscheiden: Akquisitionen und Fusionen (Mergers & Acquisitions) sowie Kooperationen. Bei Kooperationen werden die externen Ressourcen zwar genutzt, aber nicht in die eigene Unternehmung inkorporiert. Was die Managementtechniken und die Entscheidungskriterien anbelangt, so gewinnt in dieser dritten Phase das Rechnen erheblich an Bedeutung. Das heißt nicht, dass das strategische Denken verdrängt oder ganz ersetzt
249
wäre. Doch insgesamt gesehen ist in dieser Phase das finanzielle Denken deshalb dominant geworden, weil quantitative Methoden der Managementwissenschaft kraftvoll die Steuerung, Koordination und Optimierung unterstützen. Wir kommen daher zum Schluss, dass in dieser dritten Jahreszeit die Entscheidungskriterien zu einem inzwischen überwiegenden Teil vom finanziellen Denken geprägt sind, dicht gefolgt von strategischen Ansätzen, die immer noch beträchtliche Bedeutung haben.
3.6
Literaturempfehlungen
1.
Ein Managementbuch zur Wachstumsphase: BURKHARD SCHWENKER UND STEFAN BÖTZLE: Auf Wachstumskurs – Erfolg durch Expansion und Effizienzsteigerung. Springer, Berlin 2006. Dieses Buch betont die Bedeutung von Größen- und Verbundvorteilen sowie der dezentralen Strukturen und es zeigt, wie Unternehmungen zu mehr Wachstum und Effizienz geführt werden können.
2.
Quantitative Methoden zur Steuerung, Koordination und Optimierung von Ressourcen werden im Operations Research studiert. Zwei Einführungen in das Gebiet: Wer sehen möchte, wie die Lösungsverfahren funktionieren: WOLFGANG DOMSCHKE und ANDREAS DREXL: Einführung in Operations Research. 6. Auflage, Springer, Berlin 2004. Fast ohne Mathematik: THEODOR ELLINGER, GÜNTER BEUERMANN und RAINER LEISTEN: Operations Research – Eine Einführung. 6. Auflage, Springer, Berlin 2003.
3.
Nun noch ein Buch, das den der Wirtschaft inhärenten Wachstumsdrang und Wachstumszwang darstellt und dabei auch manches kritische Wort findet: HANS CHRISTOPH BINSWANGER: Die Wachstumsspirale – Geld, Energie und Imagination in der Dynamik des Marktprozesses. Metropolis, Marburg 2006.
4
Ernten und neu beginnen
Auf einen Blick: In der vierten Phase müssen die Stellschrauben der Rentabilität optimal aufeinander abgestimmt werden. Preise, Kosten, Sortiment. Leverage und Outsourcing. Was macht man mit dem Geld? Die Wiedergeburt wird vorbereitet.
4.1
Gegenwart versus Zukunft
4.1.1
Balance
Die immensen Managementaufgaben in der dritten Phase, dem Wachstum, können jeden Unternehmer überfordern, denn er muss mehrere Herausforderungen gleichzeitig meistern: x
Er soll mit wirksamen Einsatzplänen Produktion und Absatz dynamisch voranbringen,
x
die dazu nötigen Ressourcen besorgen und externe Parteien gewinnen,
x
alles koordinieren,
x
die Mitarbeiterschaft motivieren,
x
mit der Positionierung der Marke ein Leistungsversprechen gegenüber der Kundschaft abgeben,
x
bei allem auf wirtschaftliche Effizienz achten und schließlich das Risiko beherrschen, auf dass man sich mit der Expansion nicht übernehme.
Mit einem Wort: In jeder Richtung sollte etwas geschehen, und von vielen Seiten werden Wünsche geäußert. Angesichts dieser vielfältigen Leistungen, die dem Management abverlangt werden, verwundert es nicht, wenn immer wieder einzelne Aufgaben zu kurz kommen. Deshalb drängen die Anspruchsgruppen und wollen ihre persönlichen Forderungen durchsetzen. Wer lauter schreit, bekommt mitunter mehr. Einige der Forderungen werden stärker und häufiger, andere schwächer und seltener artikuliert. Ein CEO bringt es auf den Punkt: „Den
252
Betriebsrat sehe ich jeden Tag, die Kunden jede Woche, die Banken alle Monate und die Aktionäre einmal im Jahr.“ So kann es durchaus dazu kommen, dass keine Balance besteht. Es gibt dann Gewinner, und es gibt Verlierer. Drei historische Beispiele für die Zuweisung von Ergebnissen gemeinsamen Wirtschaftens seien angeführt, die aus heutiger Sicht unausgewogen wirken: x
Während der Industrialisierung im 19. Jahrhundert mussten die Arbeiter unter elenden Verhältnissen schaffen. Die Grafikerin und Bildhauerin KÄTHE KOLLWITZ (1867-1945) legt in ihrem Zyklus „Ein Weberaufstand“ davon Zeugnis ab. Doch es gab auch Gewinner: Die merkantilistische Konstellation – Produktions- und Absatzförderung durch geringe Lohnkosten – vor 150 Jahren hat unser Land als Ganzes zur Industrienation entwickelt; es wurde ein Status erreicht, von dem wir noch heute zehren.
x
In den großen Jahren der Sowjetunion – 1957 hob eine Trägerrakete den Sputnik als ersten künstlichen Satelliten in eine Erdumlaufbahn und JURI GAGARIN (1934-1968) war der erste Mensch im Weltall – hatte die Bevölkerung in Russland das große Nachsehen beim Konsum. Die Qualität der Güter war gering, überall gab es Wartezeiten und Lieferengpässe. In ihrer Not versuchten die Menschen selbst unter Strafandrohungen, Güter aus dem Ausland in ihr Land zu schmuggeln. Doch andererseits entstand aus einem ehemals zaristischen Agrarland in wenigen Jahren eine industrielle und politische Weltmacht. Der rapide Aufstieg damals wurde mit dem Konsumverzicht der Menschen bezahlt.
x
In den siebziger und achtziger Jahren waren es in den USA die Kapitalgeber, die das Nachsehen hatten. Die Renditen waren gering, besonders wenn sie in Kaufkraft ausgedrückt werden. Ähnlich war es in anderen Ländern. In der Schweiz ist der Aktienindex nominal von 1968 (Jahresbeginn) bis 1978 nur um durchschnittlich 1,7% pro Jahr gestiegen – wogegen die sehr langfristig bestimmte nominale Aktienrendite bei 10% liegt. Der Bankier HERMANN ABS (1901-1994) bemerkte: „Der Aktionär ist dumm und frech – dumm, weil er sein Geld gegeben hat, frech, weil er nun eine Dividende verlangt.“ Der Zeitgeist hatte damals überall das Kapital auf die Seite der Verlierer gestellt. Gleichwohl gab es Gewinner: Die US-Wirtschaft konnte die ganze Welt durchdringen und dominiert heute noch die globale Wirtschaft.
253
4.1.2
Marktansprüche
Vielleicht ist man versucht, sich bei der Zuweisung und Verteilung des gesamten Wirtschaftserfolgs auf die drei Anspruchsgruppen Mitarbeiter, Kapital, Kunden zu konzentrieren. Allerdings ist dieser übliche Kreis zu eng gezogen. Man darf nicht die Schlussfolgerung ziehen, dass bei fehlender Balance stets innerhalb dieser Dreiergruppe einer verliert und ein anderer gewinnt. Wir müssen drei weitere „Gruppen“ einbeziehen, die an der Gesamtleistung der Unternehmung partizipieren. Sie sind überschrieben mit Steuern, Investitionen und Ineffizienz. x
Steuern: Erstens muss der Staat in seinen politischen Ansprüchen gesehen werden, zu denen inzwischen vermehrt die von ihm eingegangenen Verteilungsversprechen gehören.
x
Investitionen: Zweitens ist die Weiterentwicklung der Unternehmungen selbst zu nennen. Ein guter Teil der Gesamtleistung einer gesunden Unternehmung wird in ihre eigene Zukunft fließen.
x
Ineffizienz: Noch eine dritte „Senke“ für die erbrachten Leistungen ist zu nennen: Der Verlust durch Ineffizienz innerhalb der Unternehmung.
Auf der Verwendungsseite der Gesamtleistung der Unternehmung stehen daher zusammengenommen sechs Empfänger. Die Gesamtleistung fließt an: 1.
Mitarbeiter (Löhne und Gehälter),
2.
jene, die Finanzkapital überlassen (Dividende, Zinsen),
3.
Kunden (in Form von Qualität der Produkte und der Services),
4.
das Gemeinwesen, den Staat,
5.
ein Teil der Gesamtleistung wird für die Weiterentwicklung, Erhalt und Schaffung zukünftigen Leistungspotenzials investiert,
6.
ein Teil versickert in Ineffizienzen.
Eine Bemerkung zur letztgenannten Senke: Natürlich wird kein Manager berichten, die Gesamtleistung habe 100 Mio. Euro betragen, doch davon seien 20 Mio. Euro aufgrund seiner Koordinations- und Führungsschwäche gleich wieder versickert. Dennoch ist es förderlich, alle sechs Schienen zu sehen, auf denen die Gesamtleistung beziehungsweise die eigentlich mögliche Gesamtleistung wegfährt.
254
Mitarbeiterschaft
Löhne, Gehälter Kompensation
Kapital Dividende
Kunden
Steuern
Gesamtleistung der Unternehmung
Qualität der Produkte
Gemeinde, Land und Staat
Zukunft
Ineffizienzen
Wertsteigerung
Abbildung 4-1: Die drei Gruppen Mitarbeiter, Kapital, Kunden (links) werden für ihre jeweiligen Beiträge – Arbeit, Kapitalüberlassung in der Zeit und Tragen des Risikos, Bezahlen der Verkaufspreise für die Produkte und Dienste – kompensiert. Für das Kapital stellen die Dividenden allerdings nur eine teilweise Kompensation dar, weil die marktgerechte Rendite höher als die Dividendenrendite ist. Von daher erheben die Kapitalgeber Ansprüche auf zukünftige Leistungen. Sie drücken sich als Wertsteigerung aus
Auf drei der sechs Wege, und zwar auf denen, die zu den Mitarbeitern, zum Kapital und zu den Kunden führen, erhält die Unternehmung unmittelbar Feedback. Die genannten Anspruchsgruppen drücken aus, was sie erwarten. Die Märkte für Arbeit, für das Kapital und für die Produkte haben sich immer mehr entfaltet. Das Marktübliche definiert ein klares Niveau für die erwarteten Ansprüche. Wollte die Unternehmung der Mitarbeiterschaft weniger Lohn bieten oder der Kundschaft weniger Produktqualität und geringeren Service, dann käme es zu einem Exodus. Unternehmer oder Manager sind daher gezwungen, das Marktübliche genau zu beobachten und in ihre Kalkulationen einfließen zu lassen. Sie müssen kalkulieren, denn ohne Rechnung verblieben sie im Pauschalen und würden bald von einer Abstimmung mit den Füßen überrascht. Rechnungen und finanzielles Denken sind verlangt. Selbstverständlich würde auch der Staat reklamieren, wenn keine bzw. zu wenig Steuern bezahlt würden. Dennoch kann bei einem Rückgang der Gesamtleistung die eine oder andere Seite eher üppig oder mager bedient werden. Beispielsweise kann weniger investiert werden, ohne dass gleich alle Gruppen Widerstand leisten. Möglicherweise verzichtet im Krisenfall der Staat sogar auf eine Steuerforderung. Solche besonderen Zustände, in denen die Gesamtleistung zu gering ist, wollen wir nun untersuchen.
255
4.1.3
Krisen
Wir betrachten dazu unterschiedliche Ausprägungen der wirtschaftlichen Gesundheit einer Unternehmung. Zunächst wenden wir uns drei Krisenarten zu, ehe wir im nächsten Abschnitt auf die wünschenswerten Zustände ausreichender Gesamtleistung eingehen. Wir unterscheiden drei Kategorien von Krisen: wirkliche Notlage, schwere Krise und leichte Krise. Nachstehend sind diese drei Krisen charakterisiert. Eine wirkliche Notlage liegt vor, wenn die Leistungskraft nicht einmal dazu genügt, die Mitarbeiter zu entlohnen und die Produkte in ordentlicher Qualität zu liefern. In solchen Situationen erfährt die Unternehmung kaum Hilfe und wird in der Gesellschaft nicht mehr akzeptiert. Alle Parteien, die helfen könnten, halten sich zurück. In einer solchen Notlage kommt es zu einer Entmündigung des Managements. Entweder wird von den Kapitalgebern eine eingreifende Restrukturierung eingeleitet, es wirken Auflagen des Gläubigerschutzes (wie in den USA Chapter 11) oder es wird ein Konkurs beantragt. Der Staat gibt oft noch vor, sich um eine Auffanggesellschaft zu bemühen und Teile der Produktion fortzuführen, doch nach einiger Zeit wird man gewahr, dass die Übertragung von Rechten, Patenten und Vermögenspositionen nicht schnell genug vorgenommen werden kann. Interessanter ist eine schwere Krise, die keine Notlage im eben definierten Sinn darstellt. Wir wollen die schwere Krise so charakterisieren: Die Mitarbeitenden und die Kunden erhalten gerade das Marktübliche, aber keinen Deut mehr. Vielleicht werden sogar noch Dividenden gezahlt. Doch die Unternehmung hat damit ihre gesamte Leistungskraft erschöpft. Weder kann sie die Ansprüche des Staats erfüllen noch für die Zukunft vorsorgen und investieren. Wie kann es dazu kommen? Möglicherweise ist die Unternehmung in einem abträglichen Umfeld tätig und sollte sich besser zurückziehen. Doch die Rückführung von Kapazität konnte nicht umgesetzt werden, vielleicht weil es Widerstände gegen den Abbau von Arbeitsplätzen gab. Vielleicht wird aber auch durch Ineffizienzen über die Jahre hinweg zu viel Leistungskraft verbraucht. Zwei Gruppen sehen sich benachteiligt: die Kapitalgeber und der Staat. Früher hat man in einer solchen Krise des Weiteren an der Produktion oder am Produkt gespart, doch heute geht das in der offenen Weltwirtschaft nicht mehr. Die Arbeitnehmer zu einem Lohnverzicht zu bewegen, ist nirgendwo mehr möglich, und in einer Welt ohne Inflation gelingt auch nicht mehr die reale Lohnabsenkung bei Erhalt der nominalen Lohnhöhe.
256
Betrachten wir also die beiden Gruppen Kapitalgeber und Staat näher. Oft verzichtet der Staat bei einer schweren Krise auf seine Steuerforderung. Aufgrund geringer Gewinne fallen ohnehin wenig Steuern an. Es soll hier und da versteckte Subventionen geben, um Arbeitsplätze zu erhalten. Vielleicht ist der Staat mit dieser Lage nicht zufrieden, aber er wird nicht laut. So bleiben die Kapitalgeber. Sie erkennen den Mangel an Investitionstätigkeit. Die Dividende, die ihnen vielleicht noch zufließt, stellt nur einen Teil der marktgerechten Vergütung des Einsatzes von Risikokapital dar. Sie muss durch Wertsteigerungen ergänzt werden, sodass zusammen die sonst auch gebotene Rendite erreicht wird. Ohne Investitionen gibt es keine Wertsteigerung. Eine Zeitlang dachten einige Politiker, man könne in einer schweren Krise die Kapitalgeber dazu bewegen, auf ihre Rendite zu verzichten – was sofort einen Einbruch der Bewertungen zur Folge hatte. So etwas kann man machen und es wird auch gelegentlich versucht. Doch es gibt Spiele, die nur einmal im Leben gelingen. Spätestens im nächsten Fall werden sich alle Finanzinvestoren der Welt daran erinnern. Und wer finanziert dann das weitere Wirtschaftswachstum des Landes? Aus diesen Gründen hat in der gezeichneten schweren Krise oft der Staat beigegeben. Er stundet Steuern, richtet Subventionen aus oder leistet Unterstützungszahlungen im Rahmen einer „aktiven“ Industriepolitik. So kann die Unternehmung noch eine Weile fortbestehen. Eine sozialistische Regierung tut das, um Arbeitsplätze zu erhalten, eine kapitalistische, um einflussreiche Wählerkreise nicht zu vergraulen, eine stolze Regierung greift zur Industriepolitik, damit die Erzeugnisse des Landes weiterhin internationales Ansehen behalten. Man muss aber sehen, dass eine solche Unternehmung nicht mehr dazu in der Lage ist, aus eigener Kraft für die Zukunft vorzusorgen. Irgendwann wird allen Menschen in der Gesellschaft deutlich, dass der Erhalt einer wirtschaftlich kranken Industrie zwar den Status quo für einige Zeit stützt, der Verfall aber nur verschoben ist und alles früher oder später in einem Debakel enden wird. Einige der großen Industrieunternehmen, zum Beispiel in Italien, befinden sich seit Jahren in diesem Zustand. Ist ein Debakel so schlimm? Der Punkt ist dieser: Bei Reaktion auf die frühen Signale (Eigenkapitalrendite nicht marktgerecht) kann der Rückzug aus einem wirtschaftlich ungesunden Bereich geordnet erfolgen und Ineffizienzen können noch abgebaut werden. Zwar wird jede Restrukturierung von Tränen begleitet und es gibt auch gewisse Verluste, doch sie sind kontrollierbar. Wird der schleichende Niedergang hingegen übertüncht und wartet man das Eintreten des Deba-
257
kels ab, dann werden Vermögenspositionen zerstört, die bei einem geordneten Rückzug verwertbar gewesen wären. STATUS
WER ERHÄLT EINEN TEIL DER LEISTUNGEN?
HAT DIE UNTERNEHMUNG ZUKUNFT?
Notlage
Leistung reicht nicht einmal aus, Löhne zu zahlen und Produkte ordentlich auszubringen
Restrukturierung oder Konkurs
Schwere Krise
Mitarbeiter und Kunden erhalten das Marktübliche, Finanzinvestoren nur ein Minimum. Die Unternehmung zahlt aber keine Steuern und ist daher auf den Staat angewiesen
Bei Subventionen, die dem Erhalt dienen, wird der Status quo gestützt, bis es zu einem Debakel kommt
Leichte Krise
Mitarbeiter und Kunden erhalten das Marktübliche, der Staat erhält die Steuern, die Eigenkapitalgeber erhalten aber nur die Dividende, weil ...
... der Wert der Unternehmung langsamer steigt als für eine marktgerechte Kompensation der Eigenkapitalgeber verlangt ist. Vielleicht verfällt die Unternehmung sogar
Wirtschaftliche Gesundheit
Mitarbeiter und Kunden erhalten das Marktübliche, der Staat erhält die Steuern, die Eigenkapitalgeber erhalten die Dividende ...
... und zusätzlich eine Wertsteigerung, sodass die Summe aus Dividende und Wertsteigerung der marktüblichen Rendite entspricht. Alle Gruppen sind zufrieden (doch gleichzeitig ist niemand begeistert)
Kerngesunde Unternehmung
Mitarbeiter und Kunden erhalten das Marktübliche, der Staat erhält die Steuern, die Eigenkapitalgeber erhalten die Dividende ...
... und die zusätzliche Wertsteigerung ist höher als für die marktübliche Rendite verlangt, mit der Folge, dass die Unternehmung für alle Anspruchsgruppen weiterhin attraktiv bleibt
Übersicht 4-1: Die Zukunft als Puffer für unterschiedliche und schwankende Leistungskraft
Wir betrachten nun als dritten Zustand eine leichtere Krise: Die Gesamtleistung der Unternehmung reicht aus, Mitarbeiter und Kunden marktgerecht zu bedienen. Die Aktionäre erhalten eine Dividende und die Banken die vereinbarten Zinszahlungen. Der Staat erhält Steuern. Doch damit ist die Gesamtleistung ausgeschöpft. Das heißt: Die Unternehmung hat keine Mittel, um durch Investitionen ihre zukünftige Leistungskraft zu erhalten, geschweige denn, um sie auszubauen. Die Mitarbeiter sind zufrieden, die Kunden ebenso und auch die Politiker. Niemand weiß, wo die Welt in zwanzig Vergeblicher Rettungsversuch Jahren stehen wird. Wen kümmert der sanfDie österreichische Regierung wollte um te Verfall der Leistungskraft? Kann er nicht 1970 die heimische Stahlindustrie stützen, durch Sonntagsreden zugedeckt werden? doch nach einigen Jahren hatte sie dazu In einer solchen leichten Krise sind die Kapitalgeber, trotz der Dividendenzahlungen in üblicher Höhe, nicht zufrieden. Denn übliche Ausschüttungen oder Dividenden (etwa um 3% des eingesetzten Kapitals) stellen wie zuvor erwähnt keine marktgerechte Kompensation für die Kapi-
nicht mehr die Mittel. Der Zusammenbruch kam dann sehr schnell, und die industriellen Einheiten waren völlig wertlos. Am Ende war mehr verloren, als wenn die Signale frühzeitig beachtet worden wären und man einen kontrollierten Rückzug angetreten hätte.
258
talüberlassung und das Tragen der Risiken dar. Die marktübliche Rendite für Eigenkapital liegt, je nach Risiko, bei etwa 10%. Die Differenz zwischen der marktgerechten Rendite und der Dividendenrendite wird zwar nicht ausbezahlt, sie wird aber den Aktionären und Anteilseignern durch Wachstum und Wertsteigerungen in Aussicht gestellt. Die genannten 10% Renditeerwartung kommen daher so zustande: Die Unternehmen haben im Mittel und über viele Jahrzehnte hinweg ihren Aktionären eine Summe von Dividendenrendite und Kapitalwachstum in eben dieser Höhe von 10% geboten. Die Differenz zwischen der Eigenkapitalrendite und der typischen Dividendenrendite von 7% zeigt das im Durchschnitt erreichte (nominale) Kapitalwachstum der Unternehmungen. Nun gibt es durch die geschäftlichen und konjunkturellen Risiken stets gewisse Schwankungen, vor allem beim Kapitalwachstum. Die Eigenkapitalgeber sind bereit, diese Schwankungen hinzunehmen. Doch wenn die Finanzinvestoren erkennen, dass die Unternehmung keine Kraft für eine nachhaltige Weiterentwicklung hat, dann werden sie entweder in das Management Die Vorratskammer genau im Blick eingreifen und die Situation ändern oder sich Zwar werden die Finanzinvestoren in den von der Unternehmung trennen. Denn die Medien nicht immer vorteilhaft dargestellt, marktüblichen Renditeforderungen bleiben und viele gesellschaftliche Gruppen möchandernfalls unerfüllt. ten die Party ohne sie veranstalten. Doch alle sind sich bewusst, dass dies eine kurzfristige Haltung ist. Die Kapitalgeber sind die Kellermeister und werfen permanent ein Auge auf die Vorratskammer. Ein Wirt, der seine Gäste zwar in üblichem Umfang bedient, aber gleichwohl seine Vorräte argwöhnisch und haushälterisch überwacht, ist natürlich weniger populär als derjenige, der das Beste auftischt und Gedanken an die Zukunft zurückstellt.
Das Management wird selbstverständlich vermeiden wollen, dass die Eigenkapitalgeber entweder selbst massiv in die Geschäftsführung eingreifen und das Management ablösen oder immer mehr Anteile verkaufen und sich so verabschieden. Hierzu kann das Management versuchen, wider besseres Wissen das Bild einer rosigen Zukunft zu zeichnen. Wir kennen das: Es werden vom Management Vorhaben präsentiert, mit denen die Unternehmung in „Zukunftsmärkte“ geht. Doch bei realistischer Einschätzung werden die Übertreibungen sichtbar. Auch wenn noch alles Gegenwärtige läuft – Löhne werden gezahlt, Kunden erhalten gute Qualität, Steuern werden geleistet, es gibt Dividenden – erkennen die Kapitalgeber, dass ihre Ansprüche an die zukünftigen Leistungen nicht gedeckt sind. Die Kapitalgeber werden in dieser leichten Krise irgendwann damit beginnen zu retten, was zu retten ist. Der Wert der Unternehmung zerfällt, die Banken ziehen das Fremdkapital zurück. Bald gehen – selbst wenn Ge-
259
haltszahlungen nach wie vor laufen – die Mitarbeiter. Schließlich bleiben Kunden aus. Denn keine Anspruchsgruppe möchte bei einer Unternehmung bleiben, die sich nicht entwickelt.
4.1.4
Die „gesunde“ Unternehmung
Nach der Betrachtung dreier Krisenarten wenden wir uns nun dem Zustand wirtschaftlicher Gesundheit einer Unternehmung zu. Wir unterscheiden hierbei zwei Fälle: die gesunde und die kerngesunde Unternehmung. Die Leistungskraft einer wirtschaftlich gesunden Unternehmung reicht aus, um zwei wesentliche Anforderungen zu erfüllen: 1.
Löhne, Dividenden und Steuern können bezahlt werden, und die Qualität bei den Produkten stimmt.
2.
Die zukünftige Leistungsfähigkeit der Unternehmung wird so stark entfaltet, dass Kapitalgeber ihre marktüblichen Renditeansprüche erfüllt sehen.
Die Kapitalgeber lassen ihr Geld bei einer gesunden Unternehmung und geben dem Management Freiheit. Die Unternehmung verzeichnet ein Wertwachstum, das langfristig den Unterschied zwischen der marktgerechten Eigenkapitalrendite und der Dividende wettmacht. Nicht nur die Kapitalgeber sind zufrieden, alle anderen Gruppen bleiben gern bei einer Unternehmung, die Prosperität zeigt. Vielleicht gelingt es dem Management sogar, eine noch höhere Leistungskraft zu erzielen, als für die gerade marktübliche Bedienung aller Anspruchsgruppen erforderlich ist. Wir sprechen in diesem Fall von einer kerngesunden Unternehmung. Ein Volkswirt wird fragen, ob es überhaupt möglich ist, das Marktübliche zu übertreffen. Wie soll es in einer Welt, in der alle Faktoren und alle Ergebnisse marktgerecht entlohnt werden, möglich sein, ein zusätzliches Ergebnis herbeizuzaubern? Der Nationalökonom WILHELM KRELLE (1916-2004) hat hierzu bemerkt, dass dies nur gelingen kann, wenn einzelne Produktionsfaktoren aus Versehen oder beflissentlich übersehen werden oder als Input nicht marktgerecht bepreist ist. Für die Antwort müssen wir daher ein solches Schummeln ausschließen: x
So soll die Unternehmung keine impliziten Kontrakte eingehen dürfen, die sie dann doch nicht einlöst.
260 x
Sie darf keine unzureichende Produktqualität liefern und diesen Sachverhalt kaschieren.
x
Sie darf ihre Investitionen nicht rentabler darstellen, als sie sind.
x
Sie darf keine zusätzlichen Risiken eingehen und diese verbergen.
Wir unterstellen demnach eine Welt, in der ein vollkommenes und allumfassendes Marktgleichgewicht und volle Transparenz existiert. Warum, so nochmals die Frage, sollte es dann noch Möglichkeiten geben, ein ExtraErgebnis herbeizuzaubern? Es geht. Drei Möglichkeiten gibt es, um kerngesund zu werden: x
Erste Möglichkeit: Die Unternehmung schafft es, Ineffizienzen in einem Umfang auszumerzen, der über das hinausgeht, was sonst in den Märkten üblich ist. Gewisse Ineffizienzen gibt es überall. Die Unternehmung muss versuchen, bei Ressourceneinsatz, Optimierung und Koordination überdurchschnittlich gut zu sein. Das kann durch eine frühzeitige Übernahme von Best Practices gelingen, die Entschlackung organisatorischer Abläufe und Strukturen und die Verbesserung der Koordination, beispielsweise durch Aufbau von Vertrauen. Überdurchschnittliche Steigerung der Effizienz – Verbesserungen in Einsatzplanung, Optimierung, Koordination
Überdurchschnittliche Steigerung der Produktivität – Ausschöpfung von Wissen und Synergien
Überdurchschnittlicher Marktauftritt – Differenzierung und Marke
Abbildung 4-2: Die Finanzinvestoren bilden ihre Erwartungen anhand aller Unternehmungen. Um diese am Durchschnitt ausgerichteten Erwartungen zu übertreffen, muss die Unternehmung Überdurchschnittliches zuwege bringen x
Zweite Möglichkeit: Die Unternehmung schafft es, Ressourcen noch besser als (sonst üblich) produktiv zu verwenden. Die Chance dazu bieten Ressourcen, die den Charakter eines privat-öffentlichen Guts aufweisen (siehe Kapitel 1, Teil 3). Wenn eine Unternehmung beispielsweise Synergien besser ausschöpfen kann, als durch die Bewertung der entsprechenden Ressourcen im Finanzmarkt ausgedrückt wird, dann erzielt sie eine überdurchschnittliche Produktivität.
x
Dritte Möglichkeit: Die Unternehmung schafft es, die Gesetze des vollkommenen Marktes für sich zu mildern. Wir nehmen an, dass dazu die Möglichkeiten am ehesten in den Absatzmärkten bestehen. Die Unternehmung muss also für ihre Produkte Preise erzielen, die – ge-
261
messen am Marktüblichen – hoch sind. Das gelingt, wenn sie mit ihren Produkten den Markt in die Form monopolistischer Konkurrenz verändern kann. Den Weg dazu bieten neue und differenzierte Produkte. Die Unternehmung kann indessen auch in den anderen Märkten die sonst stets treibende Kraft in Richtung stärkeren Wettbewerbs senken. Gegenüber Zulieferern kann beispielsweise durch besondere Zuverlässigkeit Vertrauen geschaffen werden, das sich auszahlt. Auch gegenüber den Finanzinvestoren kann das Management mit überdurchschnittlichen Investors Relations Vorteile erringen. Soweit die guten Nachrichten: Es gibt drei Wege, und es handelt sich sogar um Wege, auf denen ohne Schummeln der Unternehmenswert schneller gesteigert werden kann, als von den Finanzinvestoren aufgrund ihrer Renditeerwartung erwartet, die sie aus einer Beobachtung der Gesamtheit der Unternehmungen ableiten. Die drei Wege lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1.
Die Unternehmung muss in überdurchschnittlichem Umfang Ineffizienzen verringern.
2.
Sie muss in überdurchschnittlichem Umfang Synergien ausschöpfen.
3.
Sie muss in überdurchschnittlichem Umfang innovative Produkte ausbringen.
Die schlechte Nachricht: Der dynamische Markt holt alle ein. Die anderen, nun unterdurchschnittlichen Unternehmen müssen und werden nachkommen. Deshalb sind die drei Rezepte ein Weg, kein Ziel. Man kommt nie an. Dennoch muss die Unternehmung auf diesen Wegen weitergehen. Wer hat die Vorteile von einer wirtschaftlich kerngesunden Unternehmung? Alle Gruppen. Wir bringen als Beispiel BMW. Die Mitarbeiter von BMW haben – über die marktüblichen Kompensationen hinaus – einen großen Vorteil davon, dass ihre Unternehmung in den letzten Jahrzehnten einen ungeahnten Aufschwung genommen hat. Die Sicherheit ihrer Arbeitsplätze hat zugenommen, es gibt mehr Lernmöglichkeiten und höhere Karrierechancen. Gleiches gilt für die Aktionäre, die eine höhere Rendite erhielten als im Gesamtmarkt. Die Banken freuen sich, dass ihre Kredite an BWM nicht nur vertragsgenau erfüllt worden sind, sondern dass sich das Geschäft immer mehr ausgeweitet hat. Schließlich haben auch die Kunden Vorteile von dem Aufschwung dieser Unternehmung. Wer vor zwanzig Jahren einen BWM 2002 (zu marktgerechten Konditionen) erwarb, kann ihn heute ausgezeichnet an Sammler verkaufen. Abgesehen davon hatten Stadt und Land, Zulieferer und andere Gruppen viele Vorteile
262
durch den Aufschwung dieser Unternehmung. Das Gerede, wer den „Mehrwert“ erhalte, erübrigt sich. In der Realität partizipieren alle.
4.1.5
Indikatoren
Die Diagnose des Zustands, in dem sich eine Unternehmung befindet, spielt eine extrem wichtige Rolle. Deshalb ist es von großer Wichtigkeit, die einzelnen Zustände präzise zu definieren, Abgrenzungskriterien festzulegen und ein ausgefeiltes Instrumentarium zur Diagnostik des jeweiligen Zustandes zu entwickeln. Auch wurden Kennzahlen auf ihre Kraft überprüft, zwischen den Zuständen unterscheiden (diskriminieren) zu können. Wir zeichnen die wichtigsten Forschungsrichtungen nach. WILLIAM H. BEAVER (1966) war einer der ersten, der (damals als Professor an der Stanford University) ein Kategorisierungsmodell entwickelte und empirisch kalibrierte.1 Er untersuchte, welche Werte Finanzkennzahlen annehmen müssten, damit eine Unternehmung der einen oder anderen Kategorie zugeordnet werden könne. Insbesondere wurde versucht, den Eintritt wirtschaftlicher Notlagen frühzeitig zu erkennen. Er betrachtete dreißig Kennzahlen und prüfte sie einzeln dahingehend, ob sie die „guten“ von den „schlechten“ Unternehmen trennen könnten (Single-Ratio-Modelle). Von den dreißig untersuchten Kennzahlen stellten sich diese drei als aussagekräftig heraus: Erstens die Kennzahl
Cashflow Fremdkapital
(4-1)
Sie ist bei einer gesunden Unternehmung vergleichsweise hoch (der Cashflow ist groß und das Fremdkapital eher gering). Die empirische Wahrscheinlichkeit, dass in den kommenden fünf Jahren eine Notsituation eintritt, erweist sich tatsächlich als umso geringer, je größer diese Kennzahl
1
1. WILLIAM H. BEAVER: Financial Ratios as Predictors of Failures. Journal of Accounting Research 5 (1966), S. 71-111. 2. WILLIAM H. BEAVER: Market Prices, Financial Ratios, and the Prediction of Failure. Journal of Accounting Research 7 (1968), S. 179-192. 3. Eine Übertragung auf den deutschsprachigen Raum geht auf PETER WEIBEL zurück: Die Aussagefähigkeit von Kriterien zur Bonitätsbeurteilung im Kreditgeschäft der Banken. Dissertation, Universität Zürich 1973. 4. RICHARD B. WHITAKER: The Early Stages of Financial Distress. Journal of Economics and Finance 23 (1999) 2, S. 123-133. 5. MATHIAS KAHL: Economic Distress, Financial Distress, and Dynamic Liquidation. Journal of Finance 57 (2002) 1, S. 135-168.
263
ist. Die zweitbeste Kennzahl zur Identifikation des Gesundheitszustandes ist der Return on Assets (ROA), der Gewinn in Relation zum gesamten Bilanzvermögen (das zugleich das gesamte Kapital ist): ROA
Gewinn Gesamtkapital
(4-2)
Die drittbeste Kennzahl drückt die Verschuldung aus: Fremdkapital Gesamtkapital
(4-3)
Je geringer sie ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass keine wirtschaftliche Notlage eintritt. Später wurden auch Modelle vorgeschlagen, die mehrere Kennzahlen linear kombinierten, so von ALTMAN (im ZScore-Modell) 1968 und von BAETGE.2 Das empirische Verfahren zur Bestimmung der Gewichte von Kennzahlen, durch die eine gute Diskriminanz der Gesundheitszustände erreicht wird, ist die Lineare Regression. OHLSON und SHUMWAY verwenden hingegen die logistische Regression.3 Solche Ansätze finden heute große Beachtung bei der Beurteilung von Kreditwürdigkeit und im Rating. HAUSCHILDT verdanken wir eine Vertiefung der Typologisierung von Unternehmenskrisen. So unterscheidet er beispielsweise „technologisch gefährdete Unternehmen“ und „Unternehmen mit unkontrolliertem Wachstum“.4
2
1. EDWART I. ALTMAN: Financial Ratios, Discriminant Analysis and the Predictability of Corporate Bankruptcy. Journal of Finance 23 (1968) 4, S. 589609. EDWART I. ALTMAN: Why business fail. Journal of Business Strategy 3 (1983) 4, S. 15-21. EDWART I. ALTMAN: Corporate Financial Distress and Bankruptcy: A Complete Guide to Predicting & Avoiding Distress and Profiting from Bankruptcy. 2. Auflage. Wiley, New York 1993. 2. JÖRG BAETGE: Die Früherkennung von Unternehmenskrisen anhand von Abschlusskennzahlen. Der Betrieb 44 (2002), S. 2281-2287.
3
JAMES OHLSON: Financial Ratios and the Probabilistic Prediction of Bankruptcy. Journal of Accounting Research 18 (1980) 1, S. 109-131. TYLER SHUMWAY: Forecasting Bankruptcy More Accurately: A Simple Hazard Model. Journal of Business 74 (2001) 1, S. 101-124.
4
JÜRGEN HAUSCHILDT, CHRISTIAN GRAPE und MARC SCHINDLER: Typologien von Unternehmenskrisen im Wandel. Die Betriebswirtschaft 66 (2006) 1, S. 725.
264
4.2
Wertorientierung
4.2.1
Wie die Zukunft beurteilen?
Bei der Diagnose der besprochenen Zustände ging es darum, wie die Zukunft der Unternehmung aussieht. Um die Metapher aufzugreifen: Füllt sich die Vorratskammer des Gastwirts oder leert sie sich? Mehrfach hatten wir betont, dass allein die Worte des Wirts für eine Prognose über die Zukunft der Unternehmung zu vage sind. Ein anerkanntes Messverfahren für den Bestand in der Vorratskammer ist verlangt. Wie kann ein solches Messverfahren aussehen? Klassischerweise wird man hier an das Accounting und die Bilanz denken. Mit dem Jahresabschluss wird der Gewinn errechnet. Der Gewinn entspricht demjenigen Teil der Gesamtleistung, der den Eigenkapitalgebern zugewiesen wird. Die Löhne sind als Aufwand bereits vor der Gewinnermittlung abgezogen worden und gleiches gilt für Zinszahlungen und Steuern. Dass die Kunden Produkte erhalten, drückt sich beispielsweise im Materialaufwand aus. Der Gewinn wird im Wesentlichen auf zwei Arten verwendet: Ein Teil fließt als Entnahme oder Dividende den Eigenkapitalgebern zu, der Rest wird einbehalten. Er erhöht das in der Bilanz ausgewiesene Eigenkapital – wobei für uns unerheblich ist, ob dieser thesaurierte Gewinnteil noch dahingehend unterteilt wird, ob er als Gewinnvortrag verstanden oder als Erhöhung von statuarischen oder gesetzlichen Reserven dargestellt wird. Obwohl die externe Rechnungslegung in vielerlei Hinsicht leistungsfähig ist, sind die Eigenkapitalgeber mit der Messmethode zukünftiger Leistungskraft nicht zufrieden. Jeder Grundkurs in Accounting zeigt die Schwachstellen: x
Die externe Rechnungslegung ist historisch (an Anschaffungskosten) orientiert.
x
Sie ist durch Bewertungsansätze und das Imparitätsprinzip auf die Informations- und Schutzbedürfnisse der Gläubiger ausgerichtet.
x
Die Bilanzauffassung ist statisch, was heißt, dass sie ein Bild des augenblicklichen Zustands liefert und nicht so sehr die Veränderungen dieses Zustands zeigt.
x
Außerdem orientiert sich die Bilanz an Vermögen und Schulden sowie an Erträgen und Aufwendungen, ohne für diese Positionen die Zahlungswirksamkeit in den Vordergrund zu rücken.
265
An diesen Punkten wird in der Forschung und in den Berufsverbänden gearbeitet. So wurde die statische Bilanzauffassung (Zustandsbild) bereits 1962 durch SCHMALENBACH in seinem Buch „Dynamische Bilanz“ in Frage gestellt. Inwieweit aktuellere, auf die augenblicklichen Marktpreise abzielende Bewertungen für die Positionen verwendet werden sollen, wird mit den Umstellungen auf das Prinzip des True and Fair View heutiger Rechnungslegungsstandards diskutiert (wie IAS, IFRS und US-GAAP). Trotz dieser Reformen des Rechnungswesens bleibt als ein für die Finanzinvestoren wichtiger Punkt die geringe Betonung der Zahlungswirksamkeit der Positionen. Der ungeschulte Bilanzleser übersieht, dass x
den Erträgen nicht in jedem Fall Geldbeträge entsprechen, die im Geschäftsjahr der Unternehmung zugeflossen sind. Denn vielleicht wurde nur das Warenlager gefüllt oder es wurden die Erzeugnisse mit einem langen Zahlungsziel verkauft;
x
eine (aktivierte) Zunahme der Vorräte – als Ertrag etwas Wünschenswertes – von Analysten als Krisensignal aufgefasst wird, weil sich Vorräte in unserer schnelllebigen Welt noch nie haben gut verkaufen lassen;
x
Abschreibungen – die als Aufwand eher etwas Unerwünschtes darstellen – auf der anderen Seite enorme Geldbeträge darstellen, die der Unternehmung zugeflossen sind (und sofort wohl für irgendwelche „Ersatzinvestitionen“ ausgegeben wurden, die nicht mehr ausfindig gemacht werden können);
x
einbehaltene Gewinne noch nicht bedeuten, dass sie für Investitionen verwendet werden, die wirklich die marktgerechte Rentabilität aufweisen.
Um unsere Metapher nochmals aufzugreifen: Der Gastwirt kann in seinen Keller gehen und prüfen, was die Schinken, Käselaibe und Weinflaschen seinerzeit gekostet haben. Der Unternehmer und erst recht der Eigenkapitalgeber möchte aber wissen, welches Geld man mit den Speisen in Zukunft verdienen kann und wann die Erlöse bar zufließen und für das Weitere zur Verfügung stehen.
266
4.2.2
Gewinne oder Cashflows
Ab 1980 hat sich immer mehr diese Erkenntnis durchgesetzt: Der buchhalterische Gewinn drückt nicht jene Aspekte der Leistungskraft aus, auf die es den Finanzinvestoren ankommt. Viel eher vermag das der Cashflow zu leisten. Die zukünftig möglichen Gewinne drücken den Unternehmenswert nicht in jenen Merkmalen aus, auf die es in Finanzmärkten ankommt. Viel eher sind das die zukünftig erzeugbaren Freien Cashflows. Die Bedeutungsverschiebung von den Gewinnen zu den Cashflows und von der Summe der Barwerte zukünftiger Gewinne hin zum DCF geht maßgeblich auf ALFRED RAPPAPORT zurück. Er hat in verschiedenen Publikationen eine Methodik für die Bewertung der zukünftigen Leistungsfähigkeit der Unternehmung entwickelt. Das Herausragende bestand in der Kombination dreier Ansätze, die jeweils für sich auch von anderen Forschern diskutiert worden sind. RAPPAPORT war indessen derjenige, der sie erstmals kombinierte:5 1.
Geschäftspläne und Budgets können für die kommenden Jahre fortgeschrieben werden, und aus ihnen können die Freien Cashflows ermittelt werden – das sind diejenigen Zahlungsüberschüsse, die den Wert begründen.
2.
Zur Bestimmung der Diskontrate wird das Capital Asset Pricing Model (siehe Kapitel 5, Teil 2) vorgeschlagen, das den Zusammenhang zwischen Risiko und der marktgerechten Risikoprämie quantifiziert.
3.
Die Wertformel zeigt die Faktoren, die den Wert beeinflussen. Mit der Lehre der Werttreiber wurde deutlich, wie und wodurch der Wert eines Vorhabens verändert werden kann, und wie stark der Unternehmenswert auf die Werttreiber reagiert.
5
Literatur: 1. ALFRED RAPPAPORT: Selecting Strategies that create shareholder value. Harvard Business Review 59 (1981), S. 139-149. 2. ALFRED RAPPAPORT: Creating Shareholder Value: The New Standard for Business Performance. Free Press, New York 1986. 3. ALFRED RAPPAPORT: Creating Shareholder Value: A Guide for Managers and Investors. Free Press, New York 1998. 4. EUGENE M. LERNER und ALFRED RAPPAPORT: Limit DCF in capital budgeting. Harvard Business Review 46 (1968) 5, S. 133-139.
267 Corporate Objective
Creating Shareholder Value
Valuation Components
Intangible Driven Earnings
Value Drivers
Intellectual Capital
Operating Cash-flow
Value Growth Duration
Shareholder Return: Dividends Capital Gain
Discount Rate
Dept
Sales Growth Operating Profit Margin Income Tax rate
Working Capital Investment Fixed Capital Investment
Operating
Investment
Cost of Capital
Financing
Abbildung 4-3: Die Werttreiber der DCF-Methode zusammen mit einer Erweiterung, die das intellektuelle Kapital darstellt, sowie jene Gewinne, die auf abstrakte Vermögenswerte zurückgehen (intangible driven earnings)
Dabei ist schon viel länger bekannt, worauf Finanzinvestoren achten. Der erste, der ein starkes Plädoyer für die Verwendung der Dividenden und nicht der Gewinne in der Praxis der Unternehmensbewertung aussprach, war ROBERT F. WIESE 1930: „The proper price of any security, whether a stock or bond, is the sum of all future income payments discounted at the current rate of interest in order to arrive at the present value6.“ Die Akzeptanz der Erkenntnis, dass eine Kapitalanlage genau so viel wert ist, wie sie an Geld in der Zukunft abwirft, darf WIESE zugesprochen werden. Wenige Jahre später, 1938, bemerkt JOHN BURR WILLIAMS in seiner Dissertation: „A stock is worth only what you can get out of it“, und zitiert ein Gedicht: Ein Farmer erklärt seinem Sohn, dass ein Obstgarten so viel Wert hat, wie das Obst, das er abgibt, und ein Bienenstock so viel wert ist, wie er Honig liefert (S. 57-58). Der Farmer, so WILLIAMS, begeht nicht den Fehler, seinem Sohn zu erklären, der Obstgarten solle anhand der Blütenpracht und der Bienenstock anhand des Summens der Bienen bewertet werden. Der Doktorvater von WILLIAMS, JOSEPH A. SCHUMPETER (1883-1950), hatte
6
ROBERT F. WIESE: Investing for True Values, Barron’s, 8. September 1930, S. 5.
268
seinen Schüler beauftragt, den „intrinsischen“ Wert der Unternehmung zu klären.7
4.2.3
Absatz, Leistungserstellung, Finanzen
In seiner vierten Phase wird das unternehmerische Geschehen auf Wertsteigerung getrimmt. Da die laufenden Absatzprozesse im Mittelpunkt des Phasengeschehens stehen, rückt der Blick vor allem auf das Produkt aus Quantität und Marge. Während in der dritten Phase, dem Wachstum, eher an die Quantität allein als an Quantität mal Marge gedacht wurde, muss nun der in Schwung gebrachte Markt sein Momentum in Ertrag transferieren. Wenn einmal der Freie Cashflow genauer betrachtet wird, so handelt es sich dabei im Wesentlichen um das Produkt aus Absatzquantität und Marge. Die wichtigsten Stellschrauben für den Freien Cashflow sind deshalb jene, die den Absatzbereich gestalten. KAPITALSTRUKTUR LEISTUNGSERSTELLUNG ABSATZMARKT
Abbildung 4-4: Die Wertorientierung hat drei Bereiche auf ihrer Agenda: den Absatz, die Leistungserstellung und die Finanzen
Der wichtigste Fokus ist dabei die Preis-Absatz-Funktion mit allen Variationsmöglichkeiten hinsichtlich Qualität, Service, Sortiment. Varianten der Kundensegmentierung und der Preisdifferenzierung werden durch Rechnungen bewertet. Das Augenmerk gebührt dem Erlösprozess. Viele Mitarbeiter neigen trotzdem dazu, sich hinter den inneren Prozessen zu verstecken. Dabei wird eine Selbstverständlichkeit übersehen: Die Unternehmung muss verkaufen.
7
Die Dissertation von JOHN BURR WILLIAMS, The Theory of Investment Value, wurde 1997 vom Verlagshaus Fraser in Burlington, Vermont, als Buch wieder aufgelegt.
269
Ein zweiter Fokus sind die Kosten für Produktion, Logistik, Materialwirtschaft und überhaupt der gesamte Leistungsbereich. In der Geschwindigkeit, die bei der Markteinführung verlangt ist, mussten viele Ressourcen unter eigene Kontrolle und Verfügungsgewalt gebracht werden, um schnell reagieren und kraftvoll handeln zu können. Jetzt gelangt die Unternehmung zunehmend in einen Zustand, in der die Ressourcen eher nach dem Kriterium ökonomischer Effizienz als nach dem der Verfügbarkeit und Kontrolle gemanagt werden können. Damit lebt auch hier das ökonomische Denken und Rechnen auf. Das Feld öffnet sich. Die Kalkulation entscheidet, welche weiteren Anbieter einen Teil der Leistungserstellung übernehmen können. Die Entscheidung „make or buy“ stellt sich in dieser vierten Phase immer häufiger. Allerdings ist der Bereich der Leistungserstellung durch ein klassisches, auf Kosten und Leistungen basiertes Controlling unzureichend abgebildet. Zunehmend müssen Unsicherheiten und Risiken berücksichtigt werden, beispielsweise solche durch Auftragsschwankungen. So muss der Leistungsbereich flexibel bleiben, auch wenn die kostenminimalen Konfigurationen oftmals die einer starren Produktionsstruktur sind. Die Flexibilität kann mit Ansätzen der Realoptionen rechnerisch bewertet werden, allerdings erlaubt der Optionsansatz aufgrund praktischer Probleme keine auf den Euro genaue Kalkulation. Doch er zeigt die prinzipielle Notwendigkeit, traditionelle Rechnungen im Controlling durch einen Wertansatz für Flexibilität zu modifizieren. Ein weiterer wichtiger Punkt bei der Leistungserstellung sind operationelle Risiken. Das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) schreibt den größeren Unternehmen die Schaffung eines Überwachungssystems für Risiken vor. Ein dritter Fokus ist die finanzielle Seite. Im Fine-Tuning kann die steuerliche Belastung der Unternehmung durch Abstimmung der Anteile von Fremd- und Eigenkapital optimiert werden. Hier können Alternativrechnungen die unternehmenspolitische Entscheidung vorbereiten. Der aus steuerlicher Sicht empfehlenswerte Einsatz von Fremdkapital beeinflusst andererseits auch das Rating. Banken kalkulieren bei Krediten und Finanzinvestoren bei Unternehmensanleihen heute wie Aktuare: Ausfallrisiken werden mit einem Risk-adjusted Pricing (RAP) in der Rentabilitätsrechnung berücksichtigt. Die Unternehmung darf infolgedessen die finanzielle Seite nicht allein anhand der Rendite festlegen. Vielmehr werden die Finanzen unter Beachtung von Rendite und Risiko gestaltet – Finanzinvestoren sehen nicht die Rendite, sondern die risikoadjustierte Rendite als Performance an. Immerhin werden bei der Unternehmensbewertung in
270
der DCF-Formel die Freien Cashflows (genauer die Erwartungswerte der zukünftigen Cashflows) mit einer Rendite diskontiert, welche die Unsicherheit dieser Freien Cashflows reflektiert. Leider werden bei der Gestaltung der Finanzen immer wieder Unwägbarkeiten übersehen. Es wird davon gesprochen, die Finanzseite sei „maßgeschneidert“. Auch eine Ritterrüstung wurde seinerzeit maßgeschneidert, doch war sie starr und hat den Ritter schon aufgrund des Gewichts unbeweglich gemacht. Auch die Finanzseite der Unternehmung soll Flexibilität erhalten, um Unwägbarkeiten „abfedern“ zu können. Viele Unternehmen gehen an die Grenze ihrer Verschuldungskapazität und haben dann keinerlei „Spielraum“ mehr. Was nützt eine optimierte Rendite-Risiko-Relation, wenn Optionen – neue Vorhaben könnten angegangen werden – aufgrund von Starrheiten beim Kapital nicht ausgeübt werden können? Schließlich noch ein gewichtiger Punkt: Alle Finanzverträge sind mit der Gestaltung der Corporate Governance verbunden. Hier kann es nicht das Ziel sein, jeden Einfluss abzuwehren. Das Ziel ist, förderliche Kommunikationen aufzubauen.
4.2.4
Kennzahlen und Programme
Die drei Stoßrichtungen des Wertmanagements – Absatz, Leistungserstellung, Finanzen – sind übrigens genau jene, die schon vor Jahren im Kennzahlensystem zum Return on equity betrachtet wurden. Vor fünfzig Jahren wurde im Kennzahlensystem von DuPont der ROE als Produkt dreier Unterkennzahlen dargestellt: erstens der Marge (Gewinn pro Umsatz), zweitens der Umschlagshäufigkeit (Umsatz geteilt durch Vermögen) und drittens einer finanziellen Kennzahl (Gesamtkapital in Relation zum Eigenkapital). Eigentlich eine recht moderne Denkweise; doch beim ROE beziehen sich alle Wertgrößen auf Buchgrößen, nicht auf Marktwerte: ROE
Gewinn Eigenkapital
Gewinn Umsatz Gesamtkapital Umsatz Vermögen Eigenkapital
(4-4)
Die Zerlegung zeigt: Der ROE fasst die Anstrengung dreier Abteilungen zusammen. 1.
Die Absatzabteilung sollte versuchen, die Gewinnmarge zu erhöhen, das heißt, bezogen auf den Umsatz möglichst viel zu verdienen.
2.
Die Produktionsabteilung sollte versuchen, die Durchlaufzeiten so zu verringern, dass, bezogen auf das Vermögen oder auf das Sachkapital
271
(die Maschinen und die Produktionskapazität) der Umsatz möglichst hoch wird. 3.
Die Finanzabteilung sollte versuchen, bezogen auf die (als beschränkt angesehenen) Eigenmittel soviel Kapital wie nur möglich durch Aufnahme von Fremdkapital zusammenzubringen. Dabei gilt die Bilanzgleichung: Vermögen = Gesamtkapital.
Angesichts dieser Fragen und Prüfungen werden Unternehmer und Manager bereits im Vorfeld für eine Haltung eintreten, mit der in der Unternehmung die Möglichkeiten zur Wertsteigerung erkannt und aufgegriffen werden. Der Punkt ist also nicht, eine Liste von Entscheidungsproblemen zu erstellen, für die dann eine Investitionsrechnung befohlen wird. Vielmehr kommt Drei Stoßrichtungen es darauf an, dass die Möglichkeiten zuDie technologische Wirklichkeit ist heute künftiger Leistungskraft in der Unternehanders als zur Hochblüte des ROE, als diemung nicht verschlampt werden. Diese se Kennzahl zur Grundlage eines ganzen Einstellung wird als Wertorientierung beSystems von Kennzahlen wurde. Vor allem zeichnet. aber ist der ROE eine an Buchgrößen ori-
Nicht allein die Kapitalgeber, sondern alle entierte Rendite. Doch es werden die drei Anspruchsgruppen werden erwarten, dass Richtungen klar gesehen, in die in der viersich die Unternehmung – selbstverständlich ten Phase die an Ertrag und Rendite orienunter Erfüllung ihrer Verpflichtungen und tierten Bemühungen gehen müssen: Abunter marktgerechter Vergütung einbezosatz, Produktion, Finanzen. gener Ressourcen – auf das Erfordernis konzentriert, zukünftige Leistungsmöglichkeiten zu entfalten. Die Wertorientierung lenkt den Blick auf die Stärkung der Prosperität. Die Wertorientierung ist mehr als das Rechenwerkzeug DCF. Solche Haltungen werden durch „Programme“ ausgedrückt, die in Schritten darstellen, wohin die Unternehmung kommen möchte. Hier werden immer wieder diese vier Punkte genannt: 1.
Klarheit über das Ziel: Die Wertentwicklung der Unternehmung. Die Zielerreichung wird gemessen und transparent kommuniziert.
2.
Öffnung des Blicks nach außen. Was sind Best Practices, welche Qualitätsstandards, welche Wünsche und Wertvorstellungen werden im Markt gepflegt?
3.
Schluss mit Ineffizienzen. Die Unternehmung bricht verkrustete Strukturen auf und gestaltet die eigene Organisation empfänglicher für Veränderungen. Flexibilität wird angestrebt.
4.
Die Unternehmung besinnt sich auf die eigenen, internen Kräfte. Sie sind zu mobilisieren. Die Unternehmung wird Mitarbeiter motivieren,
272
die interne Kommunikation fördern, aber sie wird dabei individuelle Leistungen deutlicher vergleichen. Konkrete Ausgestaltungen dieser vier Punkte finden sich in Wertsteigerungsprogrammen wie STAR (Deutschen Post) oder im 10-Punkte-Programm (Karstadt/Quelle). Eines der ersten Wertsteigerungsprogramme ist Six Sigma von General Electric, das wiederum auf Ansätze zurückgeht, die vor dreißig Jahren im japanischen Schiffbau aufkamen. Die Wertorientierung ist daher nicht einzig ein Beurteilungsverfahren zur Berechnung der Vorteilhaftigkeit von Maßnahmen in Bereichen, wo sich Cashflows planen und Risiken durch Beta messen lassen. Die Wertorientierung ist eine Grundhaltung, mit Ressourcen verantwortungsvoll umzugehen – wissend, dass es Anspruchsberechtigte gibt und sich die Welt verändert, dass Offenheit angezeigt ist und eigene Kräfte zu mobilisieren sind.
4.2.5
Economic Value Added
Die in einem Jahr erzielte Wertsteigerung kann theoretisch als Differenz der Werte der Unternehmung zu Jahresende und zu Jahresbeginn ermittelt werden, wobei noch um Dividendenausschüttungen zu korrigieren ist. In der Regel wird das ökonomische Jahresergebnis aber nicht als Differenz zweier DCF-Bewertungen dargestellt. Stattdessen wird eine Variante des Barwertkriteriums zugrunde gelegt, die so genannte Residualgewinne betrachtet. Die Residualgewinne ergeben nach gewissen Adjustierungen die Wertsteigerung. Der Ansatz ist seit über hundert Jahren bekannt und wurde in jüngster Zeit wiederbelebt: Die Beratungsfirma Stern Stewart & Co. nennt die Residualgewinne Economic Value Added (EVA). In der akademischen Welt wird diese Variante vor allem von KEN V. PEASNELL und JAMES A. OHLSON untersucht. Um das ökonomische Konzept zu verstehen, zerlege man die zu bewertende Unternehmung oder Einheit gedanklich und rechnerisch in zwei Teile. Zuvor wird das nicht betriebsnotwendige Vermögen der Unternehmung ausgesondert; wir gehen nicht mehr darauf ein. x
Der erste Unternehmensteil erhält das betrieblich notwendige Vermögen, tätigt aber keine Operationen. Der Wert dieses ersten Teils – er sei mit B bezeichnet – ist gleich dem bilanziellen Eigenkapital der Gesamtunternehmung.
273 x
Der zweite Unternehmensteil mietet dieses Vermögen und führt das unternehmerische Geschäft. Er kann dazu auch das Know-how und die Kundenbasis verwenden (das vielleicht nicht in der Bilanz angeführt ist).
Der Wert des zweiten Unternehmensteils ist der Goodwill, denn
Unternehmenswert
Buchwert Goodwill
(4-5)
Der zweite Teil erhält die gesamten Unternehmensgewinne. Sie sollen für das Jahr t mit Et bezeichnet werden. Der zweite Unternehmensteil muss an den ersten die Miete für das Betriebsvermögen zahlen. Die jährliche Miete errechnet sich, indem die marktübliche Rendite r auf den Buchwert B angewandt wird. Die Miete beträgt daher B · r. Der verbleibende Gewinnteil wird als Residualgewinn bezeichnet:
RI t
Et r B
(4-6)
Gelegentlich wird der Residualgewinn unter Verwendung des Return on Equity ROE = E / B ausgedrückt:
RI t
( ROE t r ) B
(4-7)
Der Residualgewinn in Relation zum Buchwert ist gleich der Differenz zwischen dem ROE und der marktüblichen Rendite r, RI / B = ROE – r. Der Wert des Goodwills, also der Wert des zweiten Unternehmensteils, ist demnach durch Residualeinkommen bestimmt. Der Goodwill ist die Summe der Barwerte aller zukünftigen Residualeinkommen. Der Wert der Gesamtunternehmung ist folglich gleich dem Buchwert (des betriebsnotwendigen Vermögens) plus der Summe der Barwerte aller zukünftigen Residualeinkommen: W
B
f
¦ t 1
RI t (1 r ) t
(4-8)
Die Bewertungsformel (4-8) heißt Residual Income Valuation (RIV). Im Zentrum dieses Konzepts steht der Residualgewinn. Er errechnet sich aus dem Gewinn abzüglich der Kapitalkosten (als Miete für das Betriebsvermögen). Diese Kapitalkosten stellen einen Benchmark für den Gewinn dar. Denn wenn der Residualgewinn eines Jahres positiv ist, dann übersteigt der Gewinn die auf das Betriebsvermögen bezogenen Kapitalkosten. Das bedeutet: Es gelingt dem Management mit dem Betriebsvermögen „mehr“ zu machen als einer Verzinsung des Bilanzkapitals mit der marktüblichen
274
Rendite (Miete) entspricht. Positive Residualgewinne sind in diesem Sinn als Outperformance interpretierbar, negative als Underperformance. Die RIV ist in der Praxis beliebt, weil sie wie eine Brücke zwischen dem Substanzwert und dem Ertragswert aussieht. Der Marktwert ist im RIV zunächst durch den Buchwert oder Substanzwert B gegeben. Hinzu kommen Erträge, deren Charakter im Unterschied zwischen den tatsächlichen Gewinnen und dem Zins auf den Buchwert besteht. Die RIV zeigt dabei einen ZusamResidualeinkommen menhang zwischen dem Accounting und Die Ursprünge dieses Bewertungsmodells Buchgrößen sowie der Marktbewertung auf. RIM gehen auf einen gewissen ROBERT Interessanterweise kommt es auf den StanHAMILTON zurück, der die Residualeindard der Rechnungslegung nicht an. kommen 1777 in seinem Lehrbuch „An Introduction to Merchandize“ dargestellt hatte. Der britische Volkswirt und Mitbegründer der Neoklassik ALFRED MARSHALL (1842-1924) bezeichnete 1898 die Residualeinkommen als „earnings of undertaking or management“. Die Verwendung des Residualeinkommens als Grundlage einer Unternehmensbewertung geht auf G. A. D. PREINREICH und auf KEN V. PEASNELL zurück. PREINREICH hatte 1936 klar erkannt und mit Hilfe von Grafiken erläutert, wie Goodwill mit Hilfe von Residualeinkommen gemessen werden kann. PEASNELL ist 1981 die mathematische Beschreibung im Rahmen des so genannten Clean Surplus Accounting zu verdanken. Seit 1995 ist das RIM durch Arbeiten von JAMES A. OHLSON erweitert worden, die OHLSON allein oder gemeinsam mit G. A. FELTHAM beziehungsweise mit X. ZHANG publiziert hat. In jüngster Zeit sind die Residualeinkommen zur Messung der Outperformance wieder aufgegriffen worden.
8
x
Wenn bei einer sehr konservativen Bilanzierung die Buchwerte eher gering ausfallen, dann sind die Residualeinkommen größer.
x
Wenn die Rechnungslegung hingegen eher höhere Buchwerte ausweist, dann sind die Residualeinkommen geringer. Das gleicht sich aus, weil der Unternehmenswert als Summe des Buchwerts und der diskontierten Residualeinkommen dargestellt wird.8
Von einer theoretischen Perspektive aus gesehen, gilt das RIV für jede Bewertung der Substanz, auch für einen ganz dummen Wertansatz. Beispielsweise gilt das RIV auch für die Festsetzung B = 0 und stimmt dann mit dem DCF überein. Die Zeitreihe der Gewinne E1, E2,…, En wird beim RIV einfach in zwei Zeitreihen zerlegt: In erstens die Mietzahlungen, die Jahr um Jahr die Höhe r · B haben, und in zweitens die Zeitreihe der Residualgewinne, die für das Jahr t eben Et – r · B betragen. Der Wert der ersten
JOCHEN ZIMMERMANN und JÖRG PROKOP: Unternehmensbewertung aus Sicht des Rechnungswesens. Wirtschaftswissenschaftliches Studium (2002) 5, S. 272-276.
275
Reihe – es handelt sich um eine unendliche Reihe von Zahlungen in stets der Höhe r · B, ist bekanntlich: f
¦ t 1
rB (1 r ) t
rB r
B
(4-9)
und der Wert der zweiten Zahlungsreihe ist die Summe der diskontierten Residualgewinne aller zukünftigen Jahre. Von daher gilt (4-8) stets, einfach aufgrund der Wertadditivität und ungeachtet, wie hoch B festgesetzt wird. In jüngster Zeit ist das Konzept von Stern Stewart & Co. aufgegriffen worden. Die Beratungsfirma bezeichnet das Residualeinkommen als EVA (Economic Value Added). Anstatt des Buchwerts B wird von „Invested Capital“ IC gesprochen, das indessen nicht zu Marktwerten, sondern zu Buchwerten angesetzt wird. Entsprechend wird anstelle des ROE der ROIC verwendet, der „Return on Invested Capital“. Mit der Unterscheidung zwischen dem Buchwert B und dem Invested Capital IC soll lediglich der Unterschied zwischen Eigen- und Fremdkapital ausgeklammert werden, außerdem wird das nicht betriebsnotwendige Vermögen nbV ausgesondert. Also: IC
B F rem dka pita l n bV
(4-10)
Der ROIC wird daher als NOPAT geteilt durch das IC verstanden, also als EBIT · (1 – Steuerquote), das heißt: ROIC
EBIT (1 Steuerquote ) IC
(4-11)
Deshalb ist r auch nicht die Eigenkapitalrendite der Unternehmung, sondern die Gesamtkapitalrendite, die von Eigen- und Fremdkapitalgebern zusammengefasst erwartet wird. Sie wird durch die Weighted Average Cost of Capital (WACC) ermittelt. Mit diesen Identifikationen RI = EVA, ROE # ROIC, r # WACC, B # IC, nimmt (4-7), die Definitionsgleichung für den Residualgewinn, diese in der Praxis recht bekannte Form an: EVA
( R O IC W A C C ) IC
(4-12)
Die Bewertung stützt sich nun auf die Summe der Barwerte aller zukünftigen EVA ab. Der Gesamtwert der Unternehmung (Entity Value) setzt sich aus drei Komponenten zusammen: 1. dem zuvor ausgesonderten nicht betriebsnotwendigen Vermögen, 2. dem Invested Capital, 3. dem Barwert
276
aller zukünftigen EVA. Um daraus den Wert zugunsten der Eigenkapitalgeber (Equity Value) zu erhalten, muss davon das Fremdkapital abgezogen werden. Um die Summe der Barwerte aller zukünftigen EVA möglichst groß zu machen, sollte der Return on Invested Capital die Kapitalkosten übersteigen und das Invested Capital sollte durch Wachstum zunehmen.
4.3
Fortführung versus Liquidation
Immer wieder stellt sich die Entscheidung, ob ein Betriebsteil, eine Division oder eine ganze Unternehmung fortgeführt oder liquidiert werden sollte. Diese Entscheidung ist sehr komplex und, wenn sie dann getroffen ist, schwierig in der Umsetzung. Wir wollen hier grundlegende Aspekte aufzeigen. In der Gesellschaft als Ganze sollte, wenn eine von zwei Möglichkeiten auszuwählen ist, die wertvollere gewählt werden – hierüber gibt es wohl einen Grundkonsens. Der Wert spiegelt die generelle Wünschbarkeit. In einer Marktwirtschaft drückt der Marktwert – also der Preis – aus, wie stark sich die Menschen eine Sache wünschen und auf welche anderen Dinge sie verzichten würden, um das Objekt zu erhalten. Der Wert einer Fortführung wird daher durch den Unternehmenswert W ausgedrückt, so wie er (unter der Prämisse der Fortführung) als Summe der Barwerte zukünftiger Zahlungsüberschüsse auf Basis eines Geschäftsplans berechnet wird. Die Marktbewertung der Unternehmung W unterscheiden wir vom bilanziellem Wert oder Buchwert B des Eigenkapitals. Der Unterschied W – B (im Falle einer Akquisition als Goodwill bezeichnet) ist im Regelfall positiv und Ausdruck der Tatsache, dass Vermögenspositionen vorhanden sind, die nicht in der Bilanz erscheinen: Wissen, Ideen, Geschäftspläne und eine gute Organisation. Bei der Entscheidung „Fortführung versus Liquidation“ kann jedenfalls W als Wert der Variante Fortführung angesehen werden. Wie hoch ist der Wert der Liquidation? In einer groben Betrachtung wollen wir den Buchwert B mit dem Wert der Variante der Liquidation gleichsetzen. Diese Gleichsetzung ist aus drei Gründen grob. 1.
Der bei Liquidation erzielbare Erlös hängt stark von der Variante und Zeitdauer des Prozesses ab, die Unternehmung zu beenden.
277
2.
Gerade bei Unternehmungen, die liquidiert werden, stellt sich oft heraus, dass die in den Büchern geführten Werte höher sind als Liquidationserlöse. Zum einen kann das auf Bilanzpolitik zurückgehen, mit der das Bild beschönigt wird, um den Eintritt der Krise hinauszuzögern. Zum andern kann die Krise der Unternehmung mit einem Tief der Branchenkonjunktur einhergehen, branchenspezifische Anlagen sind dann unverkäuflich.
3.
Bei einer Liquidation geht die Realoption verloren, bei einer Verbesserung des makroökonomischen Umfelds die unternehmerischen Funktionen (ohne Neugründung) schnell wieder aufnehmen zu können. Der Wert dieser Option ist umso größer, je volatiler das Umfeld ist. Die Entscheidung für eine Liquidation muss also berücksichtigen, dass auch diese Fortführungsoption aufgegeben ist. Der Wert der Variante „Liquidation“ ist daher geringer als der Liquidationserlös.
Mit diesen Bemerkungen wollen wir für die Erläuterung der grundsätzlichen Argumente mit der Annahme fortfahren, B sei der Wert einer Liquidation. Die Volkswirtschaft als Ganze wünscht infolgedessen, dass eine Unternehmung im Fall W ! B fortgeführt wird. Sie soll dann organisatorisch effizient genannt werden. Hingegen sollte eine Unternehmung mit W B liquidiert werden. Bei dieser Relation soll die Unternehmung als organisatorisch ineffizient bezeichnet werden.9 Auf der einzelwirtschaftlichen Ebene wird dieses Kriterium nicht unbedingt zur Realität. Es gibt Unternehmen, die aufgrund von W B liquidiert werden sollten oder die einen Unternehmensteil haben, der besser verkauft werden sollte (weil der Verkaufserlös den Wert eigener Fortführung übertrifft). Dennoch wird vom Management der Geschäftsplan wie gehabt fortgeführt und vielleicht haben die Eigenkapitalgeber nur geringen Einfluss auf das Management. Seitens der Fremdkapitalgeber ist die Fortführung möglich, weil die Unternehmung, auch wenn sie angesichts der Fortführung nicht besonders wertvoll ist, immer noch alle ihre Zahlungspflichten erfüllt. Bekanntlich setzt das klassische Konkursrecht die Fallunterscheidung hinsichtlich der organisatorischen Effizienz nicht durch. Das Konkursrecht
9
HANS NEUKOMM: Soll eine zahlungsunfähige Bank liquidiert werden? Quartalsheft der Schweizerischen Nationalbank (1992) 2, S. 180-194.
278
möchte jene Parteien schützen, mit denen der Unternehmer aus freien Stücken Verträge abgeschlossen hat: Mitarbeiter, Zulieferer, Banken. Kann die Firma die eingegangenen Zahlungsverpflichtungen aber nicht mehr erfüllen, dann wird dem Unternehmer das Verfügungsrecht entzogen und einem Konkursverwalter übertragen. Der versucht, die noch offenen Ansprüche zu befriedigen. Insolvent B < 0
Solvent B > 0
Organisatorisch effizient W>B
?
Organisatorisch ineffizient W
STOPP
?
Abbildung 4-5: Zwei Kriterien – organisatorische Effizienz und Solvenz – führen auf vier Zustände, in denen sich eine Unternehmung befinden kann. Organisatorisch effiziente Unternehmen sind oben, ineffiziente unten dargestellt. Solvente Unternehmen sind rechts, insolvente links dargestellt
Die Schlüssel im Konkursrecht sind die Zahlungsfähigkeit und die Solvenz. Während externe Personen leichter beobachten können, wenn die Unternehmung zahlungsunfähig geworden ist, kann ein Manager auch erkennen, ob die Unternehmung in bilanzieller Hinsicht überschuldet (insolvent) ist. Entsprechend sind die Auslöser definiert. Die Begriffe der Zahlungsfähigkeit und der Solvenz sind zudem assoziiert: Eine Unternehmung, die insolvent ist, wird kaum neue Gläubiger finden. Umgekehrt darf unterstellt werden, dass eine solvente Unternehmung, also eine nicht überschuldete Unternehmung, immer noch Kredit erhält. In Ergänzung dieser Annahme sei nur erwähnt, dass Banken bei der Kreditvergabe die Verschuldungskapazität heute aus dem Freien Cashflow errechnen. Der Unternehmer oder Manager kann das Unternehmen von Gläubigern unbehelligt fortführen, solange das bilanzielle Eigenkapital noch positiv ist, B ! 0. Tritt die Überschuldung B 0 ein, wird die Unternehmung „beendet“ im Sinn des Eingreifens eines Konkursverwalters.
279
Auf diese Weise müssen vier Zustände unterschieden werden: Die Unternehmung kann organisatorisch effizient oder nicht effizient sein. Gleichsam unabhängig davon kann sie solvent oder insolvent sein (Abbildung 46). Der Zustand, der organisatorische Effizienz mit Solvenz kombiniert, ist der einer Unternehmung, die aus Sicht der Gesellschaft als Ganze fortgeführt werden sollte und bei der die Fremdkapitalgeber gegen die Befugnisse des Unternehmers oder Managers keinen Einwand erheben. Selbstverständlich werden sich die Eigenkapitalgeber um Wertorientierung bemühen, und auch das werden die anderen Gruppen begrüßen. Jedenfalls wird die Unternehmung fortgeführt. Klar ist auch der Zustand, der organisatorische Ineffizienz mit Insolvenz verbindet. In diesem Zustand sollte eine Unternehmung aus Sicht der Volkswirtschaft liquidiert werden und die Fremdkapitalgeber werden ihr Recht ergreifen und eine Liquidation (über einen Konkurs) verlangen. Interessant sind die beiden verbleibenden Zustände. Wir wenden uns zunächst dem einer organisatorisch effizienten Unternehmung – sie sollte aus volkswirtschaftlicher Sicht fortgeführt werden – und insolventen Unternehmung zu – Fremdkapitalgeber neigen zum Konkursverfahren (Position links oben in Abbildung 4-6). Wissen, Markenname, Management sind an sich gut, aber die Zahlungsfähigkeit ist plötzlich in Frage gestellt. Wie konnte die Unternehmung in diesen Zustand gelangen? Offensichtlich hatte sie einen außerordentlichen Wertverlust auf einer Aktivposition oder es ist eine unvorhergesehene Verpflichtung entstanden, durch die Überschuldung B 0 eingetreten ist. Beispiele für das erstere sind Kursverluste bei Wertpapierbeständen, Forderungen (gegenüber Kunden) sind ausgefallen, Maschinen und Formen durch plötzliche Nachfrageänderungen sind obsolet geworden. Für das zweite sind die Fälle bekannt: Ein Asbestschaden tritt hervor, eine Produkthaftung führt zu Klagen. Die direkte Ursache ist Pech, ein operationeller Schaden, Unglück. Doch dahinter dürfte ein mangelhaftes oder falsch konzipiertes Risikomanagement stehen. In dieser Situation sollte Folgendes versucht werden: x
Die Fremdkapitalgeber dazu bringen, auf einen Konkurs zu verzichten (Moratorium). Eigenkapitalgeber können bewogen werden, neues Risikokapital zur Verfügung zu stellen.
x
Das Management bleibt unter zwei Auflagen im Amt: Erstens muss das Risikomanagement verbessert werden. Zweitens muss die Unternehmung eine Ertrags- und Risikopolitik einschlagen, die der neuen Kapitalstruktur und den Vereinbarungen des Moratoriums entspricht.
280
Ganz anders ist der Zustand einer organisatorisch ineffizienten Unternehmung (die aus volkswirtschaftlicher Sicht liquidiert werden sollte) und solventen Unternehmung (Fremdkapitalgeber leiten kein Konkursverfahren ein) zu beurteilen, siehe Position rechts unten in Abbildung 4-7. Hier haben sich das Wissen, der Markenname, das Management negativ entwickelt, aber die Zahlungsfähigkeit ist nicht in Frage gestellt. Viele Unternehmen in diesem Zustand unterhalten sogar gute Kreditbeziehungen zu Banken. Vielleicht haben sie sogar die Geschäftspolitik darauf abgestellt und planen „sichere“ Investitionen, die „reversibel“ sind, genau wie es Kreditgeber gerne sehen. Die Unternehmung kann bei ihren Mitarbeitern, Kunden, Banken und anderen gesellschaftlichen Gruppen gut angesehen sein. Die Eigenkapitalgeber sind hingegen unzufrieden, weil sie den Wertverfall der letzten Jahre erkennen. Produkthaftung, operationelles Risiko, Ausfall von Förderungen
Keine Kostenkontrolle, Zerfall der Marke, falsche Akquisition
Organisatorisch effizient W>B
Organisatorisch ineffizient W
An sich gutes Management, doch Unternehmung ist plötzlich überschuldet
STOPP Insolvent B < 0
Unternehmung hat irgendwann keinen höheren Wert im Vergleich zu Verkauf oder Liquidation
Solvent B > 0
Abbildung 4-6: Der Zustand der Insolvenz bei organisatorischer Effizienz (links oben) verlangt ein Moratorium, eine Reorganisation der Kapitalseite sowie eine Verbesserung des Risikomanagements. Der Zustand der organisatorischen Ineffizienz bei Solvenz verlangt eine Verbesserung der Corporate Governance, ein verbessertes Controlling, eine striktere Wertorientierung und dazu möglicherweise ein Auswechseln des Managements
Hier haben wir also einen Verfall der Differenz W – B, bei dem der Buchwert B durchaus stabil positiv bleiben kann. Mit anderen Worten: Das intellektuelle Kapital verliert an Wert. Meistens tritt dieser Verfall nicht plötzlich ein, sondern ist die Folge einer über Jahre hinweg verfehlten Geschäftspolitik. Sicher können auch äußere Entwicklungen einen Verfall der Differenz W – B und schließlich die Situation W B herbeiführen, so bei-
281
spielsweise Produktpiraterie oder Veränderungen im politischen Umfeld. Meistens ist der beschriebene Zustand aber eine Folge schlechten Managements, das zuwenig die Kosten kontrolliert, zu wenig wertorientiert ist und sich vielleicht mit falschen Akquisitionen und anderen Arten des Empire Building übernimmt. x
Wie konnte die Unternehmung in eine solche Situation hineingeraten? Erklärungsansätze könnten sein: Fehlen eines überlegenen Geschäftsplans, falsche Produkte, das Management hat seine Strategie nicht richtig kommuniziert, keine Kostenkontrolle, über Jahre hinweg falsche Investitionen.
x
Wie konnte es dazu kommen? Oft ist der CEO ein Star und die Corporate Governance ist allein auf ihn als populistische Person konzentriert. Ein schwacher Aufsichtsrat kann gegen das Management und seine Wirkung in den Medien nicht ankommen.
x
Was ist zu tun? Ein Ausweg wäre die Änderung der Strategie; allerdings verlangt dieser Schritt meist das Auswechseln des bisherigen Managements. Als wichtig und notwendig kann sich auch die Änderung der Corporate Governance erweisen. Eventuell kommt es zum Verkauf der Unternehmung, was in solchen Situationen oftmals auf eine feindliche Übernahme hinausläuft.
Ein letzter Blick soll sich auf den Zustand richten, der organisatorische Ineffizienz mit Insolvenz kombiniert. Wir betrachten also einen Zustand, in dem aus volkswirtschaftlicher Sicht nicht fortgeführt werden sollte und in dem die Unternehmung zahlungsunfähig ist – oder etwas allgemeiner ausgedrückt, sich im Financial Distress befindet. Beide der eben besprochenen „einfachen“ Krisenzustände können in dieses beklagenswerte Stadium der doppelten Krise übergehen. x
Die Sanierung schlägt fehl: Wenn im Zustand der organisatorischen Effizienz bei Insolvenz beispielsweise die Reorganisation des Kapitals nicht gut gelöst wurde und die Unternehmung vielleicht dadurch für die kommende Zeit „gelähmt“ ist, dann gleitet sie in die organisatorische Ineffizienz und damit in den doppelten Krisenzustand hinüber. Die Sanierung ist fehlgeschlagen. Vielleicht wird auch das Risikomanagement nicht verbessert und es geschieht ein zweiter Unfall, der dann nicht mehr verkraftet wird.
282 Produkthaftung, operationelles Risiko, Ausfall von Förderungen Keine Kostenkontrolle, Zerfall der Marke, falsche Akquisition
Organisatorisch effizient W>B
Organisatorisch ineffizient W
An sich gutes Management, doch Unternehmung ist plötzlich überschuldet
Unternehmung hat irgendwann keinen höheren Wert im Vergleich zu Verkauf oder Liquidation
STOPP
Keine gute Basis für Sanierung geschaffen
Insolvent B < 0
Solvent B > 0
Keine Änderung von Geschäftsplan und Management
Abbildung 4-7: Wenn die Reorganisation (des Kapitals) keine gute Basis für eine Sanierung legt, führt die Entwicklung nach unten. Wenn die Restrukturierung des Vermögens fehlschlägt, führt die Entwicklung nach links x
Die Restrukturierung gelingt nicht. Gleichermaßen kann der Zustand der Solvenz bei organisatorischer Ineffizienz (Position rechts unten) der Ausgangspunkt einer Verschlechterung hin zur Insolvenz sein. Angenommen, die Probleme, die zur organisatorischen Ineffizienz führten – falsche Strategie, schlechtes Management, zu hohe Kosten, falsche Akquisitionen, fehlende Wertorientierung – werden nicht gelöst. Die Restrukturierung schlägt fehl. Dann werden die Eigenkapitalgeber zunehmend ihre Anteile verkaufen. Auf einmal werden die Banken und Fremdkapitalgeber – und dann alle zugleich – vorsichtig. So gerät die Unternehmung in den Bereich der Zahlungsunfähigkeit.
4.4
Konklusion zur vierten Jahreszeit
4.4.1
Zur Phasenidentifikation
Die vierte Jahreszeit der Betonung von Rendite und Ertrag wird eingeläutet, sobald sich das Wachstum abflacht. Eine eher rückläufige Nachfrage, damit zusammenhängend geringere Produktionsmengen, also frei werdende Kapazitäten sind die ersten Anzeichen für das Vorliegen der vierten
283
Phase. Bei einer Betriebsbesichtigung sehen Schulklassen freie Flächen in den Gebäuden. Angesichts der zurückgehenden Umsatzerlöse spart die Unternehmung schnell an weiterer Innovation, Forschung und Entwicklung. Dennoch kann das in diesen Bereichen Geleistete noch beachtlich sein, weil die in den beiden vorangehenden Phasen getroffenen Arbeiten zum Teil noch späte Früchte tragen. Das Schwungrad Forschung und Entwicklung dreht sich noch. Die Unternehmensleitung gibt zwar der FuE-Abteilung noch gewisse Aufträge zur Betreuung der Produkte. Doch es geht dabei eher um Routine als um Kreativität und um Neues. So gelangt man bald zu dem Punkt, ab dem Produkte keine neueren Auflagen mehr erleben. Aus Kostenüberlegungen werden die Produkte immer weiter standardisiert. Die Differenzierung geht zurück. Die Massenherstellung nimmt zu. Die Erstkäufer, die sich in der dritten Phase des Wachstums noch an der Neuartigkeit und der hohen Qualität orientierten, sind inzwischen bedient. Sie tätigen allenfalls Ersatzkäufe. Die Unternehmung geht in der vierten Jahreszeit dazu über, durch sehr niedrige Preise neue Käuferschichten mit geringerer Zahlungsbereitschaft anzusprechen. Unter den Marketinginstrumenten wird die Politik dominant, Rabatte zu geben. Außerdem werden die Sortimente verändert; es gibt das Produkt nun in einer Großpackung für die Familie oder in Kombination mit Spielzeugen und anderen „Gadgets“. Überall begleitet ein Gewinnspiel den Absatzprozess. Die Ausgaben für Werbung gehen zurück. Trotz der Einsparungen bei der Werbung und bei den Produktionskosten (durch Standardisierung) stagnieren in dieser Phase die Gewinne, eben weil die Preise und die Mengen sinken. Die EBIT-Marge und damit die Rentabilität der Unternehmung oder des Unternehmensbereichs gehen zurück. Das eben verlangt besondere Überlegungen des Managements. Die Zielsetzung ist nun die Wertorientierung: Wie viel Kapital wird noch benötigt, wie hoch ist die Rendite und welche Risiken werden eingegangen? Ein weiteres Indiz für das Vorliegen der vierten Jahreszeit ist die Änderung der Produktions- und Organisationsstruktur. Einige vorgelagerte Teilaufgaben der Produktion können Betrieben übertragen werden, die sich in Ländern mit geringerem Lohniveau befinden. Die Organisation kann verflacht werden, weil die Routine vieles einfacher macht. Das bedeutet: Anstrengungen zur Innovation konzentrieren sich nicht auf die Schaffung neuer Produkte, sondern auf die Schaffung neuer Prozesse. Vor allem aber geht die Anzahl der Mitarbeiter zurück. Personen, die in der Phase des
284
Wachstums noch höherwertige Funktionen ausgeführt hatten, wandern in der vierten Jahreszeit ab.10 In Untersuchungen zur vierten Jahreszeit wurden sechs typische Indikatoren gefunden: 1.
Generell abnehmende Nachfrage mit der Folge von Überkapazität,
2.
wachsender Preiswettbewerb, weniger Qualitätswettbewerb,
3.
Konkurrenzunternehmen versuchen nicht mehr, neu in den Markt einzutreten,
4.
geringere Gewinnmargen,
5.
die Produktinnovation mutiert zur Prozessinnovation,
6.
Abbau von Arbeitsplätzen auf allen Hierarchieebenen.
ÜBERKAPAZITÄT MACHT SICH BEMERKBAR
ABSATZRÜCKGANG
Forschung und Entwicklung werden zurückgefahren
Weniger innovativ, stärker auf Routine der "Weiterpflege" bestehender Produkte fokussiert
Produktdifferenzierung fällt geringer aus
Standardisierung, Massenproduktion, Preiskampf, kein Markteintritt neuer Wettbewerber
Gewinne sinken
Kostenkontrolle, Ausgliederung von Teilfunktionen, Entlassungen, Abschaffung von Hierarchiestufen
Übersicht 4-2: Hinweise für die Positionsbestimmung in der vierten Jahreszeit
4.4.2
Fazit
Irgendwann mündet die Phase des Wachstums in die der Ernte. Der Unternehmer wird sich bewusst: Das Wachstum ist geschafft. Doch nun muss das Momentum in Erträge umgesetzt werden. Auch für die Ressourcen ist 10
LUCIO CASSIA, MICHAEL FATTORE und STEFANO PALEARI: Entrepreneurial Strategy. Emerging Businesses in Declining Industries. Edward Elgar, Cheltenham 2006. DOMINIQUE DEMOUGIN und CHRISTIAN SCHADE: An Economic Perspective on Entrepreneurial Decision Making. Duncker & Humblot, Berlin 2006.
285
ein neuer Stil des Managements verlangt. Die stürmische Zeit des Wachstums, in der Ressourcen kontrolliert werden mussten und Verfügungsmacht wichtig war, weicht einer Öffnung. Wo kann eine günstigere Lösung gefunden werden? „Make or buy“ und alle anderen Fragen werden auf einmal unter dem Gesichtspunkt der Rentabilität gestaltet, nicht mehr unter dem Druck, dass es gelingen muss. Die vierte Phase ist die des Rechnens. Hier kommt die Investitionsrechnung praktisch uneingeschränkt zum Einsatz. Das Gebot, Werte zu schaffen, kann aber nicht durch einen Taschenrechner erfüllt werden. Vielmehr ist eine Orientierung hin zur Schaffung von Werten verlangt. Programme werden aufgelegt. Sie enthalten im Wesentlichen vier Punkte: 1.
Die Wertentwicklung wird als Ziel bewusst gemacht.
2.
Der Blick nach außen wird geöffnet.
3.
Die eigene Organisation muss flexibel werden.
4.
Der Mut zur eigenen Kraft muss vorhanden sein.
In einigen Unternehmungen wird zur Performance-Messung nicht die Veränderung des DCF berechnet, sondern das Residualeinkommen herangezogen. Es vergleicht den Gewinn (nach Adjustierungen) mit den Kapitalkosten, die auf den Buchwert bezogen werden. Wir haben diese Rechentechnik besprochen und gezeigt, wie sie mit der Unternehmensbewertung zusammenhängt: Der Goodwill (Differenz zwischen Marktwert und Buchwert) ist gleich der Summe der Barwerte zukünftiger Residualeinkommen. Schließlich steht in dieser Phase die Entscheidung an zwischen Fortführung und Liquidation, also für eine Fortschreibung oder Änderung des Geschäftsplans. Hier muss danach unterschieden werden, ob eine Sanierung oder eine Restrukturierung angebracht ist. Die Besprechung dieser Aufgaben des Unternehmers hat zweifellos die Bedeutung des finanziellen Denkens in der vierten Phase erkennen lassen. Der Unternehmer muss in dieser Phase nicht mehr der Stratege und Koordinator sein, sondern vielmehr ein kühler Rechner, der zu harten Entscheidungen fähig ist. In der vierten Jahreszeit hat die Investitionsrechnung das Sagen, strategische Ansätze treten zurück.
286
4.5
Literaturempfehlungen
1.
Zum Wertsteigerungsprogramm „Six Sigma“ sind einige Bücher geschrieben worden. Unsere Empfehlung: CRAIG GYGI: Six Sigma for Dummies – Define, measure, analyze, improve, control – and get results. Wiley Publishing, New York 2005.
2.
Wer das Denken in verschiedenen Gesundheitszuständen aufgreifen möchte, greift vielleicht zu dem von JÜRGEN HAUSCHILDT und JENS LEKER herausgegebenem Buch: Krisendiagnose durch Bilanzanalyse. 2. Auflage, Verlag Otto Schmidt, Köln 2000.
3.
Für die Unternehmensbewertung selbst sei auf die im Internet verfügbaren und im Text zitierten IDW-Standards verwiesen: die Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen. Selbstverständlich gibt es eine Reihe von Lehrbüchern zur Unternehmensbewertung, darunter: JOCHEN DRUKARCZYK: Unternehmensbewertung. 5. Auflage, Vahlen, München 2006. WOLFGANG BALLWIESER: Unternehmensbewertung, Prozeß, Methoden, Probleme. Schäffer-Poeschel, Stuttgart 2005.
5
Nachwort zu den vier Jahreszeiten
5.1
Die Frage: strategisches oder finanzielles Denken?
Die Autoren dieses Buches haben Sie, liebe Leserin und lieber Leser, gerade mit den vier Jahreszeiten zu einer Phasenbetrachtung geführt und so zu einer Unterscheidung verschiedener Stadien im Zyklus des Lebens einer Unternehmung. Lebenszyklusmodelle sind indessen nicht neu. Vielerorts wird heute zur Beschreibung der Spezifika der unternehmerischen Vorgänge auf der Ebene von Produkten, von Unternehmungen und von ganzen Industrien der Zyklus des Gesamtlebens in einzelne Phasen unterteilt. Wir bieten gleich anschließend eine einführende Übersicht zu den Lebenszyklusmodellen. Indessen war es auch nicht die Hauptbotschaft dieses Buches, dass sich die Unternehmung in einem Lebenszyklus entwickelt, dass wir vier Phasen unterscheiden und sie als die vier Jahreszeiten der Unternehmung bezeichnen. Stattdessen behandelt das Buch die Perspektiven, die mit strategischem Denken einerseits und mit finanziellem Denken andererseits verbunden sind. Diese beiden Perspektiven beherrschen heute das unternehmerische Denken. Sie bestimmen die betriebswirtschaftlichen Forschungsarbeiten, die publiziert werden. Die beiden Perspektiven zeigen sich in den Lehrstühlen, die an den Universitäten geschaffen worden sind, um das Gebiet der allgemeinen Betriebswirtschaftslehre abzudecken. Die Sicht der Strategie und die der Finanzen bestimmen schließlich die Argumentationen, die in wichtige unternehmerische Entscheidungen einfließen. Wir haben begründet, dass diese beiden Perspektiven nicht immer zu ein und demselben Urteil führen. Unterschiedlich sind nicht nur der Ausgangspunkt, die Argumentation und die Fachsprache. Verschieden ist vielfach das Ergebnis, dem aus strategischer und aus finanzieller Sicht der Vorzug gebührt. Wir haben diese Gegensätzlichkeit aufgegriffen und gefragt, ob sie nicht dann und wann in eine Komplementarität münden kann, sodass sich dort strategisches und finanzielles Denken ergänzen können. In der Tat findet unsere Frage „Strategie oder Finanzen“ keine Antwort, die mit „entweder“ beginnt. Vielmehr ist unsere Antwort eine des „sowohl … als auch“, allerdings hängt die Gewichtung von strategischem und finanziellem Denken von gewissen Umständen ab.
288
Unsere Klärung der aufgeworfenen Frage mündete immer mehr in die Suche nach den Umständen, unter denen die „Strategie“ beziehungsweise die „Finanzen“ das größere Gewicht haben. Bei der genaueren Untersuchung aus theoretischer und praktischer Sicht wurde uns immer deutlicher, dass die Antwort auf die Frage nach dem Gewicht von „Strategie“ und „Finanzen“ weder mit dem Wirtschaftssektor zusammenhängt, in dem die Unternehmung tätig ist, noch von ihrer Größe abhängt und auch nicht von Daten des volkswirtschaftlichen Rahmens, also von landesspezifischen Bedingungen. Vielmehr erwies sich aufgrund der theoretischen Forschungen wie aufgrund der untersuchten Praxisfälle immer mehr die jeweilige Phase als die wichtigste Determinante der Gewichte, mit denen der strategische und der finanzielle Ansatz das unternehmerische Denken bestimmen. Wie ausgeführt, dominiert in den frühen Phasen das strategische Denken, während in den späten Phasen stärker das finanzielle Denken leitet. Von dieser Erkenntnis war es ein kleiner Schritt, vier Phasen zu unterschieden und sie als die vier Jahreszeiten der Unternehmung zu bezeichnen. Jetzt, nachdem dieses Buch geschrieben ist, steht für uns übrigens die erste Jahreszeit in einem überraschenden Licht. Denn vielfach wird bei Phasen im Lebenszyklus behauptet, dass alles mit der Innovation beginne, auf die sich die Phase des Wachstums anschließe und alles dann irgendwann in eine Phase der Rückbildung von Umsatz und Ertrag münde. Indessen ist das nicht richtig. Das Entwickeln und Aufbauen ist unsere zweite Phase. Davor stehen die der Schaffung von Grundlagen und die Bestimmung der Position. Diese Phase wird oft übersehen, und es wird so getan, als ob dort begonnen würde, wohin einen Schicksal oder Zufall verschlagen haben. Das ist falsch. Wir sind beweglich. Wir sollten überlegen, wie wir uns positionieren und welche Grundlagen durch die Wahl des Ortes im vieldimensionalen Raum von Technologie und Wahrnehmung geschaffen werden. Deshalb haben wir vier Phasen und nicht nur deren drei.
5.2
Lebenszykluskonzept als Schlüssel für die Frage
Auf jeden Fall haben wir das Lebenszyklusmodell nicht als Selbstzeck aufgegriffen, sondern weil es die Antwort auf die gestellte Frage vorbereitet: In der ersten Phase der Schaffung von Grundlagen und der Bestimmung der Position dominiert das strategische Denken. Wir haben begründet, weshalb das finanzielle Denken in nur ganz beschränktem Umfang Nützliches bietet. Zur Erinnerung: Zu viele in dieser ersten Jahreszeit ge-
289
schaffene Grundlagen haben den Charakter öffentlicher Güter, zumindest den Charakter von Gütern, die unternehmensintern öffentlich sind. Hinzu kommt, dass das finanzielle Führungssystem nicht so weit auf die ersten Aktivitäten heruntergebrochen werden kann. Der spätere Erfolg, obwohl angestrebt, lässt sich nicht zu diesem frühen Zeitpunkt quantifizieren. In unserer zweiten Phase, überschrieben mit „Entwickeln und aufbauen“, hat das strategische Denken noch immer größeres Gewicht im Vergleich zum finanziellen Denken. Doch das finanzielle Denken gewinnt in dieser zweiten Jahreszeit bereits an Bedeutung. Nicht jede Idee kann weiterverfolgt werden, eine Auswahl ist zu treffen. Auch wenn die Informationen über den späteren Erfolg noch spärlich sind, müssen Schätzungen der erhofften quantitativen Ergebnisse vorgenommen werden. Sie leiten bei der Auswahlentscheidung. Zudem sind Kalibrierungen vorzunehmen: Der Prototyp, Ergebnis der Konversion, muss im Hinblick auf das erreichbare Kundensegment abgestimmt werden. Auch bei der Kalibrierung können einige quantitative „Wirtschaftlichkeitsrechnungen“ helfen. Zunehmend entfaltet das finanzielle Denken seine Kraft. Die dritte Phase trägt bewusst den Titel „Wachstum managen“ und nicht nur „Wachstum“. Denn das „Management“ des Wachstums spielt, wie ausgeführt, die Schlüsselrolle. Eine immense Aufgabe der Planung und Koordination rückt in den Vordergrund. So liegt auf der Hand, dass die wirtschaftliche Ausrichtung der Planung, kurz das finanzielle Denken, mit dieser dritten Jahreszeit gegenüber dem strategischen Denken gewichtiger geworden ist. Dabei geht es nicht allein um die Kosten, die mit dem Ressourceneinsatz verbunden sind und mit den aus den Verkauferlösen stammenden Leistungen. Denn die Risiken sind in dieser Phase besonders hoch. Durch die Relation von Ergebnissen zu den Risiken, die dafür einzugehen sind, ist echtes finanzielles Denken verlangt. Abgesehen davon erschöpft sich das finanzielle Denken in dieser dritten Phase „Wachstum managen“ nicht in einer Rechenaufgabe. Die Planung, auch die rechnerische Planung und die Koordination, verlangt neben den quantitativen Planungsmodellen immer noch strategische Überlegungen. Indessen ist mit dem Eintritt in diese dritte Phase das Gewicht des strategischen Denkens geringer als das des finanziellen Denkens geworden. Die vierte Phase „Ernten und neu beginnen“ bringt neue Anforderungen. Der Markt ist zunehmend gesättigt, die Absatzzahlen gehen zurück. Mit der Politik günstiger Preise, verbunden mit geringeren Produktionskosten durch Ausgliederung und Übergang zur Massenproduktion, können breitere Käuferschichten angesprochen werden. Hier gibt es viele Entscheidungen zu treffen: Lohnt sich der weitere Einsatz von Forschung und Ent-
290
wicklung? Welche Kosteneinsparungen sind mit dem Übergang auf wenige Produktvarianten verbunden? Was kann durch weitere Standardisierung gewonnen werden? Solche Entscheidungen werden, wie der Volksmund weiß, mit dem Rechenstift getroffen. Das finanzielle Denken und das strikte Streben nach Wertsteigerung stehen im Vordergrund. Demgegenüber treten strategische Überlegungen deutlich zurück, ebenso wie der Blick ins Weite, der oftmals von Kritikern in dieser Phase vermisst wird. Indessen geht es, wie die Kapitelüberschrift ausdrückt, um das Einfahren der Ernte. Ohne Ernte im Herbst hat niemand im kommenden Frühjahr die Voraussetzungen für einen Neubeginn.
5.3
Andere Lebenszyklusmodelle
Wie gesagt, es war nicht unser Vorhaben, ein neues Lebenszyklusmodell zu entwickeln. Wir haben aber gesehen, dass das Lebenszyklusmodell den Schlüssel für die Beantwortung der Frage „Strategie oder Finanzen“ bietet, die wir in das Zentrum dieses Buches gerückt haben. Das Lebenszyklusmodell ist gleichsam ein „Abfallprodukt“ für die Thematisierung der beiden Perspektiven unternehmerischen Denkens. Nun, das Lebenszyklusmodell hat über diese „Nebenrolle“ hinausgehend bereits verschiedentlich Hauptrollen gespielt. Es wurde von mehreren Forschern aufgebracht. Denn das Lebenszykluskonzept, wie genau es im Einzelnen dargestellt wird, liefert eine Basis für den zeitlichen und logischen Ablauf der Dinge. Ist jemand in einer bestimmten Phase, so weiß man, was als nächstes kommt. Lebenszykluskonzepte erlauben also eine Prognose. Nicht immer können dabei die Jahre genau beziffert werden, die noch vergehen. Doch wenn das Leben in Phasen abläuft und man derzeit zum Beispiel in der dritten Phase ist, dann liegt auf der Hand: Die Zeit geht weiter – und mit ihr verschiedene andere Entwicklungen. Die als nächstes kommende Situation ist die der vierten Phase. So kann man sich darauf einstellen und sich vorbereiten. Die Grundlage für dermaßen natürliche Prognosen begründet die Faszination von allen Lebenszyklusmodellen. Nicht immer ist in solchen Abläufen die Zeit der einzige Faktor, der die Veränderungen treibt. Doch die Komplexität der Evolution kann, wenn die Zeit allein nicht genügt, vielfach auf einige wenige Faktoren oder Treiber beschränkt werden.1 Eine wichtige
1
LUCIO CASSIA, MICHAEL FATTORE und STEFANO PALEARI: Entrepreneurial Strategy. Emerging Businesses in Declining Industries. Edward Elgar, Cheltenham 2006.
291
Untersuchungsfrage im Zusammenhang eines Lebenszykluskonzeptes betrifft daher die Faktoren, die das „Uhrwerk“ antreiben und die Zeiger bewegen. Die ersten Lebenszykluskonzepte wurden dazu verwendet, den Verlauf des Produktabsatzes in der Zeit zu beschreiben. Entlang der Lebenszyklusphasen von Produkten kommen verschiedene Politiken und Instrumente des Marketings zum Einsatz und, parallel dazu, Fertigungsarten und Finanzierungsformen. Deshalb erklären der Absatz und die Änderung des Absatzes in der Zeit nicht nur, welcher Marketingmix gerade opportun ist. Das Absatzvolumen und die Absatzgeschwindigkeit treiben Veränderungen bei der Herstellung und bei der Finanzierung. Im Weiteren verändert sich auch die Organisation der Unternehmung. Auch die Organisationslehre geht heute davon aus, dass sich die Muster von Aufbau und Ablauforganisation sowie der Führungsstil über die Phasen hinweg verändern, um die jeweiligen Kontextanforderungen zu erfüllen. So werden die ursprünglich allein zur Prognose des Absatzverlaufs verwendeten Lebenszyklusmodelle durch entsprechende Ergänzungen zu Lebenszyklusmodellen der ganzen Unternehmung. Gleichwohl sind die Zeit und der Absatz die Treiber der Evolution. Große Bekanntheit hat das Fünf-Phasen-Modell von MILLER und FRIESEN erlangt.2 Es unterscheidet Geburt, Wachstum, Reife, Wiederaufleben und Verfall. Dieses Modell ist verschieden getestet worden, wobei die empirischen Studien bestätigt haben, dass es Phasenunterschiede gibt. So kann festgehalten werden, dass es tatsächlich unterschiedliche Muster gibt und eine Unternehmung im Verlauf der Zeit und mit zunehmendem Absatz dann und wann einen Wechsel des Musters vollzieht.3 Die späteren Lebenszyklusmodelle haben sich dann gleich auf die Unternehmung als Ganze (Technologie, Produktion, Absatz, Finanzen) und ihre Veränderung konzentriert.4 2
DANNY MILLER und PETER H. FRIESEN: Successful and unsuccessful phases of the corporate life cycle. Organization Studies, 4 (3) 1983, S. 339-356. DANNY MILLER UND PETER H. FRIESEN: A longitudinal study of the corporate life cycle. Management Science 30 (10) 1984, S. 1161-1183.
3
KEN MOORES und SUSANA YUEN: Management accounting systems and organizational configuration: a life-cycle perspective. Accounting, Organizations and Society, 26 (2001), S. 351-389.
4
DANNY MILLER: Towards a new contingency approach: the search for organizational gestalts. Journal of Management Studies, 18 (1) 1981, S. 1-26. KEN MOORES und SUSANA YUEN: Management accounting systems and organizational configuration: a life-cycle perspective. Accounting, Organizations and Society, 26 (2001), S. 351-389. LUCIO CASSIA, MICHAEL FATTORE und
292
Interessant sind die Unterschiede zwischen Autoren, die Lebenszyklusmodelle entwerfen, und jenen Forschern, die sie empirisch überprüfen. Die konzeptionellen Arbeiten entwerfen eine Typologie der Muster und bringen Argumente zum Ablauf. Die drei grundlegenden Punkte sind: Welche Phasen gibt es? Was passiert in den einzelnen Phasen? Wodurch wird der Übergang von einer Phase in die folgende ausgelöst und angetrieben? In die konzeptionelle Arbeit fließen allgemein anerkannte betriebswirtschaftliche Zusammenhänge ein. Empirische Studien prüfen hingegen, ob die jeweiligen externen Gegebenheiten und die postulierten Muster zueinander passen. Die Frage lautet: Besteht Konsistenz? Die empirischen Studien lassen aber den zeitlichen oder durch Faktoren getriebenen Ablauf und die Dynamik beiseite. Die empirischen Studien liefern daher Bestätigungen dieser Art: Unternehmungen, die sich in dieser oder jener Situation befinden, haben tatsächlich dieses oder jenes Muster in Produktion, Absatz, Organisation und Finanzen angewandt. Die empirischen Studien überprüfen aber nicht, ob die postulierte Dynamik im Lebenszyklus tatsächlich hinreichend oft in der Praxis verifizierbar ist. Das dürfte daran liegen, dass hierzu Langzeitstudien verlangt sind. Sie liegen zwar in Fallstudien vor, die meist zwei Phasen mit einem Übergang thematisieren, nicht aber den ganzen Ablauf über alle Phasen hinweg. Deshalb müssen wir Autoren uns auch auf unsere betriebswirtschaftliche Expertise zurückziehen und auf diverse Praxisfälle, aus deren Verarbeitung die vorangegangene Darstellung entstanden ist. Einen empirischen Test des Ablaufs als Ganzen gibt es indes nicht. Die Idee des Lebenszyklus ist nicht nur für Produkte und für Unternehmen ausgearbeitet worden. Einige Autoren wenden sich dem Industrielebenszyklus zu und bringen das dort dominante Design in Verbindung mit dem Produktlebenszyklus und dem Übergang von Innovation, Architektur und Qualität zu Massenproduktion und Routine der Produktverbesserung. Wenn ein Produkt neu in den Absatzmarkt gebracht wird, besteht noch ein großer Mangel an Informationen und dementsprechend Unsicherheit. Mit der Zeit kaufen Konsumenten verschiedene Ausführungen und Qualitätsstufen und sammeln Erfahrungen. Bald entstehen einige wenige Modelle und jedermann konzentriert sich auf die Auswahl des für ihn richtigen Modelltyps. Das lässt sich gut in der Automobilindustrie verifizieren. So entwickelt die Industrie als Ganze dominante Designs, die den Rang eines Marktstandards einnehmen. Sobald die dominanten Designs gefunden STEFANO PALEARI: Entrepreneurial Strategy. Emerging Businesses in Declining Industries. Edward Elgar, Cheltenham 2006.
293
sind, kann eine jede Firma entscheiden, welche Designs sie anbieten möchte. Jede Firma kann nun nach Größen- und Verbundvorteilen streben. Weitere Produktinnovationen sind dann nicht mehr verlangt, weil neue Varianten neben den dominanten Designs keinen Platz finden. Das heißt, die radikalen Innovationen der Anfangszeit werden durch inkrementelle Innovationen abgelöst. Die einzelnen Firmen in dieser Industrie gehen von der Produktinnovation auf die Prozessinnovation über.5 Beim Industrielebenszyklus werden meist diese vier Phasen unterschieden: Einführung, Wachstum, Reife, Degeneration. Betrachten wir diese Phasen näher: 1.
In der Einführungsphase konzentrieren sich die Firmen auf Produktinnovation. Die durchschnittlichen Preise sind hoch. Im weiteren Verlauf sinken die Preise immer mehr, die dominanten Designs bilden sich heraus und die Firmen gehen über zur Prozessinnovation.
2.
In der zweiten, der Wachstumsphase des Industrielebenszyklus, kämpfen die Unternehmen um Kapazitäten und Ressourcen für die Distribution der Produkte. Wer wird hier gewinnen, lautet die Frage.
3.
In der Reifephase der Industrie bleibt die Nachfrage nach Produkten stabil. Nur noch die dominanten Designs bestehen. Die Kunden sind besser informiert und stellen Preisvergleiche an. Durch die Konzentration auf wenige Designs und die Routine in Forschung und Entwicklung kann sich die Qualität der Produkte durchaus noch erhöhen. Die Produktion wird immer effizienter gestaltet, was die Rentabilität der Firmen stärkt. Die Wettbewerbsvorteile in dieser dritten Phase des Industriezyklus sind in den Größenvorteilen zu sehen, darunter in Lernkurveneffekten, in der Verfügbarkeit finanzieller Ressourcen und in der Möglichkeit, es durch Preisnachlässe neuen Konkurrenten zu erschweren, in den Markt einzutreten.
4.
In der Phase der Degeneration nimmt die Produktdifferenzierung weiter ab, gewisse der eben noch dominanten Designs verschwinden. Es kommt zu Überkapazitäten bei den Firmen, die versuchen, neue Käuferschichten zu aktivieren. Eventuell entstehen neue Geschäftsmodelle für den Vertrieb.6
5
WILLIAM J. ABERNATHY und JAMES M. UTTERBACK (1978): Patterns of industrial innovation. Technology Review, 80 (7) 1978, S. 40-47.
6
LUCIO CASSIA, MICHAEL FATTORE und STEFANO PALEARI: Entrepreneurial Strategy. Emerging Businesses in Declining Industries. Edward Elgar, Cheltenham 2006.
294
Nach diesem Blick auf Lebenszykluskonzepte auf den drei Ebenen Produktabsatz, Unternehmung und Industrie schließen wir den Kreis, indem wir die Frage der Nützlichkeit solcher Betrachtungen aufwerfen. Letztlich dient die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre (BWL) dazu, Entscheidungen verantwortungsvoll zu treffen. Das unternehmerische Geschehen kann und muss gestaltet werden. Allerdings ist dieses Geschehen komplex. Einzelne und isolierte mikroökonomische Betrachtungen können daher nur Teilaspekte klären. Sehr umfassende, alle Anspruchsgruppen berücksichtigende Betrachtungen bleiben naturgemäß recht allgemein. Wie also soll eine Allgemeine BWL aufgebaut werden? Die frühere Antwort bestand darin, Disziplinen zu lehren, so die Produktion, den Absatz, die Finanzen und die Organisation. Leider wird von diesen Disziplinen oft nicht gezeigt, wo sie mit den Nachbardisziplinen verwoben sind. Wir meinen, dass die Betrachtung von strategischem und finanziellem Denken eine fruchtbare neue Perspektive entfaltet. Da die Antwort auf die Gewichtung von Strategie und Finanzen, wie gezeigt, von der Phase abhängt, haben wir zugleich die typischen Muster dargestellt, in denen die Technik, das Geld und der Mensch in diesen unternehmerischen Situationen, den Jahreszeiten, verwoben sind.
Teil 4: Die Kunst der Balance – eine Schlussbemerkung
1
Das Spannungsfeld
1.1
Zwischen zwei Polen
Wir kommen auf die Grundthematik des Buches zurück: Sollte dem strategischen oder dem finanziellen Management Priorität gegeben werden? Zugegeben: Entscheidungen über Maßnahmen, Projekte und Investitionen sind gelegentlich sowohl in strategischer als auch in finanzieller Hinsicht vorteilhaft. Doch die hier und da angenommene Identität von Strategie und Wertsteigerung verschleiert nur das Problem: Die beiden Denkwelten gelangen nicht in jedem Fall zu übereinstimmenden Urteilen. Warum? x
Unternehmerisch denkende Persönlichkeiten heben die Entscheidungskraft hervor, die von der Mission der Unternehmung oder der Vision des Gründers ausgeht. Gleichzeitig betonen sie, dass jede Vision ein Querdenken oder Vordenken verlange. Visionäre schwimmen nicht mit dem Mainstream, sondern gehören zur Avantgarde. Und das heißt, dass das strategische Denken der herrschenden Mehrheitsmeinung zumeist widerspricht.
x
Bei einer Investitionsrechnung werden hingegen die finanziellen Ergebnisse aus einem Blickwinkel beurteilt, den die Mehrheit der Marktteilnehmer derzeit einnimmt. Marktkonformes Verhalten fordert stets die Anpassung an die augenblicklichen Mehrheitsverhältnisse, nicht aber Voraus- oder gar Querdenken.
Aus diesem Grunde ist die Übereinstimmung zwischen Strategie und der Sicht des Kapitalmarktes eher die Ausnahme denn die Regel. In diesem Buch haben wir den immer wieder zu Tage tretenden Gegensatz zwischen strategischem Management und finanzieller Unternehmensführung thematisiert. Wird er akut, so bietet dies in der Praxis oft genug Anlass zu Auseinandersetzungen und Grundsatzdebatten. Die Geschäftsleitung muss mühsam versuchen, einen Ausgleich zwischen den Advokaten beider Lager herbeizuführen. Oftmals interpretiert die Mitarbeiterschaft die angestrebte Angleichung der verschiedenen Argumente nur als Zögerlichkeit der Führungsebene. Das hemmt und schwächt. Die für Theorie wie Praxis wichtige Frage lautet daher: x
Sollte eine Unternehmung vom Grundsatz her jene Maßnahmen und Investitionen ergreifen, die der Strategie entsprechen (strategischer Fit)?
298 x
Oder sollte sie alle Maßnahmen und Investitionen anhand finanzieller Kennzahlen kalkulieren und jene ergreifen, deren Barwert der Rückflüsse oder der Discounted Cash Flow (DCF) die anfänglichen Auszahlungen übersteigt?
Anhänger des Vorrangs der Strategie möchten alle Einzelentscheidungen innerhalb der Unternehmung anhand eines inhaltlichen Masterplans treffen, der zuvor nach der Lehre des strategischen Managements aufgestellt wurde oder der inhaltlichen Mission des Unternehmensgründers entspricht. Für die Anhänger der strategischen Unternehmensführung hat der mit diesen Ansätzen bestimmte Masterplan Vorrang gegenüber der Investitionsrechnung und finanziellen Kennzahlen. Entscheidungen im Innern der Unternehmung werden so getroffen, dass sie der Strategie entsprechen (strategischer Fit), selbst wenn sie in einer Finanzrechnung nicht rentabel wirken: Ist eine Einzelentscheidung strategiekonform, so wird sie auch dann befürwortet, wenn sie nach den Kriterien unvorteilhaft erscheint, die auf den externen Kapitalmärkten vorherrschen. Auf diese Weise nehmen das strategische und das finanzielle Management zwei unterschiedliche Perspektiven ein: Finanzielles Denken bedeutet, nach Möglichkeiten der Wertsteigerung zu suchen und die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen. Dabei kommt es allein auf den (finanziellen) Wert der erzeugten und erzielten Zahlungsüberschüsse an, während die inhaltlichen Aspekte der Vorhaben, die bei der strategischen Orientierung im Vordergrund stehen, in den Hintergrund treten. Räumt man der strategischen Denkweise Priorität ein, muss die Strategie verbessert und ausgefeilt werden, während ein Ausbau des finanziellen Führungssystems irgendwann keinen zusätzlichen Nutzen für die zu treffenden unternehmerischen Entscheidungen bringt. Damit tritt die Außensicht aus der Perspektive der Kapitalmärkte zurück. Ab und zu entstehen Meinungsunterschiede zwischen dem Management und Finanzanalysten wie Investoren. Selbstverständlich kann das Management versuchen, durch Kommunikation mit den äußeren Anspruchsgruppen seine strategische Sichtweise zu begründen. Doch notfalls wird in Kauf genommen, dass der Börsenkurs sinkt. Anhänger der finanziellen Unternehmensführung übernehmen hingegen die Wünsche der Teilnehmer an den Kapitalmärkten als das ultimative Ziel der Unternehmung. Ungeachtet der Frage, was mit den Ergebnissen geschieht und wem sie zugute kommen, gilt eine normative Aussage: x
Die Unternehmung hat ein wirtschaftliches Ziel.
x
In einer arbeitsteiligen Geldwirtschaft soll sie also ein finanzielles Ergebnis bringen. Es wird durch die Wertschöpfung präzisiert.
299
Für die Teilnehmer im Kapitalmarkt und für Aktionäre ist ein Engagement bei einer Unternehmung eine finanzielle Investition. Ihr Wert ist grundsätzlich als Barwert zukünftiger Zahlungsüberschüsse darstellbar, eben als Kapitalwert. Das Kapitalwert-Kriterium kann auch als Discounted Cash Flow (DCF) oder als Economic Value Added (EVA) übersetzt werden. Alternativ bieten sich finanzielle Kenngrößen wie EBIT, ROI und ROE, um die Wertschöpfung erkennen zu können. Die Verfechter der Finanzsicht schreiben dem Kapitalwert universelle Bedeutung zu: Das Kriterium gilt für alle Bereiche und alle Stufen der Unternehmung. Ansätze zur strategischen Unternehmensführung sind bei einem Primat der Finanzperspektive nur insoweit nützlich, als sie im Sinne eines Brainstormings dazu verhelfen, verschiedene Geschäftspläne aufzustellen. Doch dann soll klar der Plan gewählt werden, der aus Sicht des Kapitalmarktes die höchste Wertschöpfung haben wird. Die Frage bei der Erfolgsbeurteilung lautet, wie sich der Unternehmenswert in einer Periode verändert. Der gesamte Wertbeitrag ist die Summe der Wertbeiträge der einzelnen Aktivitäten. Die Summe wird maximiert, indem genau jene Aktivitäten ergriffen werden, die in der Einzelbeurteilung einen positiven Wertbeitrag versprechen. Die verschiedenen Investitionen und Einzelmaßnahmen der Unternehmung können folglich isoliert für sich anhand ihres jeweiligen Wertbeitrags beurteilt werden. Die Vertreter der Finanzsicht möchten daher die im Kapitalmarkt vorherrschenden Werturteile tiefer in die Unternehmung hineintragen. Die Idee finanzieller Bewertung soll nicht nur für die Unternehmung als Ganze und für Unternehmensbereiche gelten, sondern auf einzelne Aktivitäten und untere Entscheidungsebenen übertragen werden. Alle Einzelentscheidungen innerhalb der Unternehmung sollen finanziell kalkulierbar werden. Hierzu muss das Wertziel auf die einzelnen Bereiche der Unternehmung differenziert und auf die unteren Stufen heruntergebrochen werden. Eventuell sind Abgrenzungen erforderlich. So ist wichtig, Transferpreise korrekt festzusetzen. Selbstverständlich müssen alle positiven Nebenwirkungen quantifiziert werden. Gleiches gilt für Optionen, die sich auftun. Auch darf der Zeithorizont nicht falsch spezifiziert werden. Dazu wird das finanzielle Instrumentarium als finanzielle Unternehmensführung ausgebaut und verfeinert.
300
1.
Eine erste Teilaufgabe des nach innen ausgebauten finanziellen Führungssystems verlangt, Einzelentscheidungen durch die ausgelösten Zahlungswirkungen darzustellen.
2.
Gibt es Interdependenzen, so werden Abgrenzungen vorgenommen. Vorleistungen müssen durch Transferpreise berücksichtigt werden.
3.
Alle weiteren, positiven wie negativen Nebenwirkungen müssen quantifiziert werden.
Eine zweite Teilaufgabe verlangt, die Kapitalkosten einer Maßnahme oder einer Investition zu bestimmen. Hierzu wird das Capital Asset Pricing Model (CAPM) herangezogen. Es zeigt als Formel die im äußeren Finanzmarkt gültige Relation zwischen der Renditeerwartung und dem Risiko. Das Risiko wird im CAPM durch das so genannte Beta gemessen. In jedem Fall, so das Postulat, sollte sich die Unternehmung gegenüber dem Kapitalmarkt öffnen.
1.2
Der Teufel im Detail
Sowohl die Vertreter des strategischen Managements als auch die der finanziellen Unternehmensführung sehen übereinstimmend in der Wertschaffung das ultimative Ziel der Unternehmung, auch wenn die Sprachregelung leicht unterschiedlich ist. x
Die Anhänger strategischer Führung sprechen vom „langfristigen Erfolg“ und betrachten die Schaffung der im Kapitalmarkt anerkannten Werte als langfristiges Ziel. Oft werden im strategischen Management inhaltliche Zwischen- und Unterziele genannt, von denen zu vermuten ist, dass sie zu einer nachhaltigen Wertentwicklung führen.
x
Demgegenüber gehen die Anhänger der finanziellen Führung davon aus, dass die Wertschaffung insgesamt eine Summe einzelner Wertbeiträge ist und daher in jedem Einzelfall auf einen positiven Wertbeitrag zu achten ist. Doch dieser feine Unterschied soll an dieser Stelle nicht vertieft werden.
Beide Gruppen erkennen des Weiteren die Nebenbedingungen für unternehmerisches Handeln in der modernen Welt an. Diese Nebenbedingungen verlangen beispielsweise von der Unternehmung, dass sie ethische Normen erfüllt und sich in der Gesellschaft hinsichtlich der wichtigen Denkströmungen (Frieden, Freiheit, Erhalt der Umwelt, Gleichberechtigung der Frau) vorbildlich verhält. Die Unternehmen erfüllen diese Erwartungen
301
zunehmend – schon weil sie sich andernfalls schaden würden. Beispielsweise kontrollieren immer mehr Unternehmungen die Einhaltung von Sozialstandards seitens ihrer Zulieferer, wie etwa den Verzicht auf Kinderarbeit. Sie befolgen über die gesetzlichen Maßnahmen hinaus die weithin in der Gesellschaft als wichtig erachteten Standards hinsichtlich der Umwelt. Vertreter des strategischen wie des finanziellen Denkens sehen übereinstimmend, dass nur geschaffene Werte Shareholdern wie Stakeholdern zugutekommen können. Mit einer Erfüllung und Berücksichtigung ihrer expliziten wie ihrer impliziten Verträge schafft die Unternehmung den Freiraum für die weitere Selbständigkeit. Bleiben implizite Verträge unerfüllt, nimmt die Unternehmung Schaden. In der obersten Zielsetzung gibt es kaum Unterschiede zwischen der strategischen und der finanziellen Planung. Gleiches gilt für die Nebenbedingungen in der modernen Gesellschaft. Hingegen unterscheiden sich die Befürworter des strategischen Managements von jenen der finanziellen Unternehmensführung bei der Schlussfolgerung, was die globale und ultimative Zielsetzung der Wertschaffung für alle vorangehenden Maßnahmen sowie wie für Entscheidungen auf den unteren Ebenen bedeutet. Der Teufel liegt im Detail. Die Strategen sehen Einzelentscheidungen als vorteilhaft an, wenn sie zur Strategie passen. In der finanziellen Führung werden Entscheidungen auf vorgelagerten und detaillierteren Stufen als vorteilhaft betrachtet, wenn sie anhand des Kapitalwertkriteriums rentabel sind.
1.3
In der Praxis: Grautöne statt Schwarz und Weiß
Die Fragestellung des Buches konzentriert sich auf diesen Punkt: Wird der angestrebte langfristige Erfolg oder die nachhaltige Wertschaffung am besten erreicht, indem die Einzelentscheidungen nach ihrem strategischen Fit oder nach ihrer Rentabilität ausgerichtet werden? Im realen Wirtschaftsleben vertreten Unternehmungen die folgenden Positionen: 1.
Einige Firmen bauen die interne Führung mit starker Dominanz der finanziellen Kriterien und Kennzahlen immer weiter aus. Es gibt keine Entscheidung zugunsten unrentabler Maßnahmen. Die Maxime
302
lautet, dass es ohne gute Beziehung zum Kapitalmarkt und zu den Banken kein Wachstum geben kann.
Zur Vorbeugung eines Missverständnisses Achtung: Bei diesem Spannungsfeld zwischen strategischer und finanzieller Führung geht es nicht um eine Wiederbelebung der Diskussion von „Shareholder versus Stakeholder“ aus den neunziger Jahren. Diese Auseinandersetzung ist heute weitgehend geklärt: In der modernen Gesellschaft ist ein Unternehmen denjenigen verpflichtet, mit denen sie ein Vertragsverhältnis eingegangen ist. Die Unternehmung hat mit vielen Partnern – Mitarbeiterschaft, Kunden, Lieferanten, Gemeinden – explizite wie implizite Verträge abgeschlossen. Selbstverständlich muss die Unternehmung nicht nur ihre expliziten Verpflichtungen erfüllen, sondern auch die impliziten Zusagen einhalten. Die Unternehmung darf die impliziten Verträge nicht einfach einseitig entwerten. Unser Thema in diesem Buch ist also nicht die Gegenüberstellung der Interessen von Shareholdern und Stakeholdern.
1.4
2.
Andere Unternehmen halten sich zwar oft an die Investitionsrechnung, lassen aber dennoch immer wieder Ausnahmen zu: In gewissen Bereichen und Situationen, so ist vom Management zu hören, würden sie dem Kapitalmarkt bewusst nicht folgen, sondern eigene Ziele in den Vordergrund rücken.
3.
Bei einer dritten Gruppe von Unternehmungen kann eine fast vollständige Abkehr vom „Quartalsdenken der Finanzmärkte“ beobachtet werden. Sie entziehen sich dem allgemeinen Druck, die „kurzfristige“ Sichtweise der Kapitalmärkte auch noch nach innen zu tragen. Oft suchen diese Aktiengesellschaften einen Großaktionär und ziehen ein Delisting in Erwägung.
Integrierende Ansätze, verdeckter Antagonismus
Zur Ergänzung erwähnen wir zwei Ansätze, die nicht wie wir den Unterschied Strategie oder Finanzen thematisieren und vertiefen, sondern beide Denkwelten gleichgewichtet zu integrieren versuchen, indem sie sie nebeneinander stellen. Der eine Ansatz ist die Balanced Scorecard, der andere der Navigator im Intellectual-Capital-Ansatz. Wir skizzieren diese Ansätze, gehen aber nicht mehr weiter auf sie ein, weil sie den Gegensatz zwischen strategischem und finanziellem Denken verdecken.
303
Die Balanced Scorecard (BSC) von KAPLAN und NORTON 1992 möchte das finanzielle und das strategische Denken gleichermaßen berücksichtigen, indem beide in ein Schema zusammengefasst werden.1 Die BSC entfaltet vier Perspektiven und drückt sie in Kennzahlen aus – eine Scorecard ist eine Punkteliste. Neben der finanzwirtschaftlichen Perspektive sind das die Kundenperspektive, die interne Prozessperspektive sowie die Lern- und Entwicklungsperspektive. 1.
Die finanzwirtschaftliche Perspektive führt auf die Leitfrage: Wie sollen wir gegenüber Teilhabern und Aktionären auftreten, um in der Finanzwelt Erfolg zu haben?
2.
Die Kundenperspektive führt auf die Leitfrage: Wie sollen wir gegenüber unseren Kunden auftreten, um unsere Vision zu verwirklichen?
3.
Die interne Prozessperspektive führt auf die Leitfrage: In welchen Geschäftsprozessen müssen wir die Besten sein, um unsere Teilhaber und Kunden zu befriedigen?
4.
Bei der Lern- und Entwicklungsperspektive ist es die Frage: Wie können wir unsere Veränderungs- und Wachstumspotenziale fördern, um unsere Vision zu verwirklichen? Finanzfokus
Kundenfokus
Humanfokus
Prozessfokus
Fokus: Erneurung und Innovation
Abbildung 1-1: Der Navigator zeigt die fünf Fokusbereiche und betont die zentrale Bedeutung des Humanfokus (Skandia Geschäftsbericht)
1
1. ROBERT S. KAPLAN und DAVID P. NORTON: Alignment – How to Apply the Balanced Scorecard to Corporate Strategy. Harvard Business School Press, Boston 2006. 2. ROBERT S. KAPLAN und DAVID P. NORTON: Translating Strategy into Action – The Balanced Scorecard, Harvard Business School Press, Boston 1996.
304
Die BSC soll die interne Transparenz fördern und zu Handlungen motivieren, die das Unternehmen begünstigen, auch wenn die finalen Wirkungen der Handlungen auf den Wert nicht direkt messbar sind. Ganz ähnlich versucht der Intellectual-Capital-Ansatz (ICA) eine Integration verschiedener Zieldimensionen, die nun nicht wie bei der Balanced Scorecard als Perspektiven bezeichnet werden, sondern als Fokusbereiche. Der ICA rückt das Humankapital in den Mittelpunkt. Eine Unternehmung soll ihr oberstes Ziel erreichen, indem Mitarbeiter zu unternehmerischem Denken geführt werden. Der ICA gibt ihnen mit dem Navigator einen Kompass an die Hand, um Eigeninitiativen in eine nützliche Richtung zu lenken. Insofern ist der ICA mehr als die BSC nicht nur ein Top-downProzess, sondern erlaubt einen Bottom-up-Prozess. Der Ansatz schließt die Mitarbeiterschaft, Kunden, Geschäftsbeziehungen und Allianzen, organisatorische Strukturen, Prozesse der Leistungserstellung und die Möglichkeiten und die Kraft zur Innovation (Renewal und Development) ein. Die computerunterstützte grafische Veranschaulichung und Interpretation der Zusammenhänge an jedem Arbeitsplatz ist für die Zukunft wirksamer und greift schneller als die traditionellen budgetorientierten und rechnerischen Planungsprozesse. Der ICA geht auf einen Aufsatz des Wirtschaftsjournalisten STEWART aus dem Jahr 1994 zurück. Weitere Vertreter des ICA sind EDVINSSON und MALONE sowie LEV.2
1.5
Phasenbetrachtung
Wir haben gezeigt, dass sich das unternehmerische Denken in Phasen vollzieht. In Anlehnung an die vier Jahreszeiten der Landwirtschaft – Wahl des Feldes, Aussaat, Wachstum und Reife, Ernte – haben wir auch für alle
2
Zu den Personen: 1. THOMAS A. STEWART (Mitglied des Board of Editors von Fortune) verfasste die am 3. Oktober 1994 in Fortune (S. 28-33 ) publizierte Cover Story Your Company’s Most Valuable Asset: Intellectual Capital. Von STEWART stammt auch das Buch: Intellectual Capital – The New Wealth of Organizations. Doubleday, New York 1997. 2. LEIF EDVINSSON, Direktor bei Skandia, hat zusammen mit MICHAEL MALONE ein Buch verfasst: LEIF EDVINSSON und MICHAEL S. MALONE: Intellectual Capital. Harper Business, 1997. 3. Zu den Forschern auf dem Gebiet des ICA zählt insbesondere BARUCH LEV, Professor an der New York University. BARUCH LEV: Intangibles – Management, Measurement, and Reporting. Washington 2001.
305
anderen Unternehmungen vier Phasen unterschieden. Es beginnt mit der Positionierung (erste Jahreszeit). Sie schafft Potenziale. Dann beginnt die Zeit des Entrepreneurs, der ein Konzept, ein Produkt, einen Prototypen entwickelt (zweite Jahreszeit). Anschließend wird produziert und abgesetzt. Diese Phase des Wachstums ist unsere dritte Jahreszeit. Zunehmend wandelt sich die Unternehmung und tritt in eine vierte Phase ein. Sie achtet auf Ertrag und Rendite. Warum ist diese Phasensicht wichtig für die Ausgangsfrage „Strategie oder Finanzen“? Das Herunterbrechen des finanziellen Kriteriums gelingt nicht bei den frühen Stufen, dort versagt das finanzielle Denken oder führt nur zu vagen Entscheidungen. Die Gründe hierfür sind in Teil 2 in Abschnitt 3.2.5 genannt: x
Interne Ressourcen mit Externalitäten, Synergien und intra-öffentliche Güter, die besonders in den frühen Phasen wirken, weniger in den späten,
x
die Unkenntnis aller Entwicklungsmöglichkeiten bereits zu Beginn des unternehmerischen Geschehens,
x
sich bei der Rückwärtsrechnung – nötig für die Bestimmung von Transferpreisen – kumulierende Fehler (bei den Prognosen der Cashflows), besonders in den frühen Phasen.
Die Lücke muss durch einen anderen Ansatz geschlossen werden, und dies ist der strategische Ansatz. Von daher greift das strategische Denken in den frühen Phasen, weil das finanzielle Denken erst in den späten Phasen Kraft entfaltet. PHASE UNTERNEHMERISCHEN GESCHEHENS
ENTSCHEIDUNG AUF GRUND VON ...
Position finden und einnehmen
... strategischen Überlegungen
Entwickeln und aufbauen
... strategischen und teils finanziellen Argumenten
Wachstum
... finanziellen und teils strategischen Argumenten
Ertrag und Rendite
... finanziellem Denken
Übersicht 1-1: Die Phasen des unternehmerischen Geschehens und ihre jeweiligen Entscheidungskriterien
Bei unserer Reise durch die vier Jahreszeiten der Unternehmung haben wir bereits angedeutet, dass jede Phase unterschiedliche Anforderungen an die
306
Persönlichkeit des Unternehmers stellt. Zur Erinnerung sind die Ergebnisse in einer Tabelle zusammengetragen.
PHASE UNTERNEHMERISCHEN GESCHEHENS
ROLLEN, DIE DER UNTERNEHMER ÜBERNEHMEN MUSS
Position finden und einnehmen
Charismatische Führungspersönlichkeit
Entwickeln und aufbauen
Coach und Teamleiter
Wachstum
Ressourcen-Manager und Risk-Manager
Ertrag und Rendite
Führt den Rechenstift – und schafft es, rechtzeitig den Aufbruch in ein neues Land auszurufen
Übersicht 1-2: Die Phasen des unternehmerischen Geschehens und die jeweilige Rolle des Unternehmers
2
Unternehmensführung im Spannungsfeld
Um eines gleich vorwegzunehmen: Die Kunst der Unternehmensführung besteht heute darin, die verschiedenen Phasen einer Unternehmung bzw. eines ihrer Teile zu koordinieren und zu gestalten. Das bedeutet für das Topmanagement, völlig verschiedene Anforderungen der Organisationsund Prozessgestaltung zu berücksichtigen sowie zwischen unterschiedlichen Führungspersönlichkeiten zu vermitteln. Allein diese Herausforderung zu bewältigen, wäre schon schwierig. Aber damit nicht genug: Die Führungsspitze des Unternehmens wird darüber hinaus mit immer höheren – und teilweise widersprüchlichen – Erwartungen ihres Umfelds konfrontiert. Dieses Umfeld hat sich in den letzten Jahren massiv verändert. Wie in Kapitel 4 (Teil 2) ausführlich beschrieben, sind dafür vor allem vier Faktoren verantwortlich: technologische Entwicklung, Globalisierung, Deregulierung und Liberalisierung sowie die zunehmende Bedeutung der internationalen Kapitalmärkte. Das Zusammenwirken dieser vier Treiber hat zu einer bis dato noch nie dagewesenen Beschleunigung und Intensität des Wettbewerbs geführt. Die Dynamik und Komplexität der Umwelt nehmen zu, zugleich hat sich die von Unternehmen geforderte Reaktionsgeschwindigkeit vervielfacht. Diese Rahmenbedingungen machen die strategische Orientierung für das Topmanagement zu einem schwierigen Unterfangen –
307
und sie führen dazu, dass der Druck auf die Führungskräfte in Unternehmen erheblich zugenommen hat. „In den Vorstandsetagen grassiert die Angst vorm Fliegen“, konstatiert das Manager Magazin in seiner Titelgeschichte der September-Ausgabe 2007. 1996 hatten die Vorstände eines Dax-Unternehmens ihre Funktion im Durchschnitt zehn Jahre lang inne. Ein Jahrzehnt später ist diese durchschnittliche Verweildauer auf sechs Jahre gesunken. In einigen Unternehmen dreht sich das Personalkarrussel für Führungskräfte noch viel schneller. Sicherlich ist diese neue Kultur des Heuerns und Feuerns auch eine Folge der bereits angesprochenen veränderten Rahmenbedingungen: Aufsichtsräte, Finanzmärkte und Medien sind kritischer und ungeduldiger geworden. Eine besondere Rolle spielen dabei institutionelle Investoren, die sich längst nicht mehr mit dem Part des passiven Geldgebers begnügen, sondern Einfluss auf die Unternehmenspolitik nehmen – und damit auch auf die Besetzung des Managements. Eine Studie, über die im August 2007 im Harvard Businessmanager berichtet wurde, kommt zu dem Schluss, dass „die Kriterien für die Auswahl von Top-Führungskräften immer mehr von Investoren und deren Organisationen bestimmt werden.“ Und diese institutionellen Anleger, darunter auch Private-Equity-Gesellschaften, haben ganz klare Vorstellungen, welche Qualitäten sie von Topmanagern erwarten: praktische Erfahrung, eine überzeugende Erfolgsbilanz, ein persönliches Netzwerk, strategische Erfahrung und die Shareholder-Perspektive. Kein Zweifel – die Luft an der Spitze von Unternehmen wird immer dünner. Was macht unter diesen anspruchsvollen Rahmenbedingungen eine gute Unternehmensführung aus? Das Finden der Balance zwischen strategischem und finanziellem Denken, die wir in unserem Buch anhand der Phaseneinteilung herausgearbeitet haben, ist sicherlich ein ganz wesentlicher Aspekt der erfolgreichen Unternehmensführung. Angesichts der zunehmenden Komplexität und Dynamik wird ein weiterer Faktor ausschlaggebend für den unternehmerischen Erfolg: Die Strukturen und die Kultur eines Unternehmens müssen so gestaltet werden, dass die Organisation die Fähigkeit und die Bereitschaft zum Wandel verinnerlicht. Nur dann kann sie auf Veränderungen ihrer Umwelt adäquat und rechtzeitig reagieren. Das setzt eine Mentalität voraus, die mit Unsicherheit umgehen kann. Eine entscheidende Rolle spielen dabei verbindliche und verbindende Werte, die einem Unternehmen als Kompass dienen können. Die Basis für eine gute Unternehmensführung ist deshalb eine klare Wertorientierung des Topmanagements. Dazu gehören aus unserer Sicht die
308
folgenden Kardinaltugenden, die Führungspersönlichkeiten auszeichnen sollten: x
Vertrauen – Dieser – teilweise unterschätzte – „weiche“ Faktor bildet die Grundlage erfolgreicher Unternehmensführung, indem er nach innen und außen wirkt. Der Glaube an die Leistungsbereitsschaft und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten zahlt sich in der Regel aus. Es gilt das Prinzip der „selffulfilling prophecy“: Wer Vertrauen in das Können und Wollen der Mitarbeiter setzt, dessen Erwartungen werden in der Regel gerechtfertigt. Vertrauen wirkt wie eine Initialzündung für einen dauerhaften Prozess sich selbst wiederholender Verstärkungen. Vertrauen schafft also Vertrauen. Diese Maxime gilt natürlich auch für die Beziehungen zu Stakeholdern.
x
Empathie – Die Bereitschaft und die Fähigkeit, sich in die Einstellung anderer Menschen einzufühlen, ist eine extrem wichtige Eigenschaft. Sie ist unabdingbare Voraussetzung für erfolgreiche Personalführung. Nur mit der Fähigkeit der Empathie ist es letztendlich möglich, das eigene Tun aus der Außenperspektive zu beobachten und zu beurteilen. Und genau darauf kommt es an, wenn man sein Unternehmen aus der Sicht des Marktes bzw. der Kunden betrachten will.
x
Integrität – Die geforderte Eigenschaft hat zwei Ebenen: Gerade vor dem Hintergrund der Korruptionsskandale, die in den letzten Jahren bekannt wurden, geht es erstens darum, die Gebote der Compliance einzuhalten. Anders ausgedrückt: Das Topmanagement muss alles in seiner Macht stehende tun, um die Rahmenbedingungen zu schaffen, dass sich alle im Unternehmen an Recht und Gesetz halten und sich ethisch korrekt verhalten. Zweitens geht es um eine persönliche Integrität, selbst diejenigen Spielregeln zu befolgen, die man anderen auferlegt hat.
x
Unternehmertum – Optimismus und die Bereitschaft, Risiken einzugehen, sind Qualitäten, die im Persönlichkeitsprofil eines Unternehmers nicht fehlen dürfen. Allerdings sind Optimismus und Wunschdenken zwei verschiedene Dinge: Sobald Optimismus blind für die Realität wird, führt er in den Selbstbetrug – und damit in eine gefährliche Sackgasse.
x
Mut – Das Management steht oft vor Entscheidungen mit weit reichenden Konsequenzen. Die Strategiefindung ist ein intensiver Diskussionsprozess, in dessen Verlauf unterschiedliche Positionen aufeinanderprallen. Nicht immer wird dabei ein Konsens erzielt. „Mut“ bedeutet für eine Führungspersönlichkeit die Erkenntnis, dass sie es
309
nicht allen recht machen kann. Sie muss den Dissens zulassen und aushalten – und dabei stets einen klaren Standpunkt vertreten. Auf dem Weg durch die vier Jahreszeiten der Unternehmung haben wir gezeigt, wie reichhaltig, faszinierend und spannend das unternehmerische Geschehen ist, wie es sich wandelt, und wie der Unternehmer immer neue Talente entwickeln und zeigen muss.
Teil 5: Fragen zur Lernkontrolle und Aufgaben
Teil 2: Grundlagen 1
Markt oder Unternehmung?
Fragen 1.
Welche Indikatoren beachtet WILLIAMSON in seiner Vertragstheorie?
2.
Nennen Sie vier Organisationsformen.
3.
Welche Besonderheiten prägen die Unternehmung?
4.
Wie wurden innere und äußere Schichten der Unternehmung unterschieden?
Antworten und Lösungen 1.
Grad an Asset Specificity, Möglichkeit zum Safeguarding (und als Drittes noch die Frage, ob Eigentum möglich ist).
2.
Der Markt, die Unternehmung, der Staat mit seiner auf Regeln beruhenden Tätigkeit, die Partnerschaft (wie in Familien) mit einem deutlichen, durch implizite Kontrakte begründeten Zusammenhalt.
3.
1. Sie hat als Rechtspersönlichkeit eine gewisse Lebensdauer und kann daher längerfristige Vorhaben angehen und finanzieren. 2. Sie folgt einer einheitlichen, hierarchischen Willensbildung. 3. Sie kann Vorhaben mit hoher Spezifizität angehen und auch unter Umständen operieren, in denen ansonsten ein Safeguarding unmöglich wäre.
4.
Die inneren Schichten umfassen die frühen Phasen und komplexen, firmenspezifischen Kombinationen. Die äußeren Schichten bestehen aus späteren Phasen und Transformationen, die eher nach allgemein bekannten Prozessen ablaufen.
2
Ressourcen
Fragen 1.
(a) Mit welchen beiden Merkmalen wurde die Ressourcen-Typologie aufgespannt?
314
(b) Auf welche drei Kategorien hat die Ressourcen-Typologie geführt? 2.
(a) Versagen bei nicht marktfähigen Gütern finanzielle Kalküle? (b) Wie ist der Zusammenhang zwischen Ressourcentypen und Denkregimes vermittelt?
3.
Wo und wann bei den unternehmerischen Transformationsprozessen finden sich starke Externalitäten und daher welche Denkregimes?
4.
(a) Was ist ein intra-öffentliches Gut? (b) Nennen Sie ein Beispiel.
5.
Wie ist Wissen definiert?
Antworten und Lösungen 1.
(a) Ist die Ressource marktfähig oder nicht? Handelt es sich bei der Ressource um ein privates oder um ein öffentliches Gut? (b) Kategorie (1) besteht aus privaten und marktfähigen Gütern. Kategorie (2) umfasst nicht marktfähige, private Güter, die intern erzeugt und verbraucht werden. Kategorie (3) besteht aus öffentlichen Gütern, siehe Übersicht 2-1 in Teil 2.
2.
(a) Nicht-marktfähige Ressourcen führen auf alle drei Denkregimes (rein finanziell, strategisch und finanziell, rein strategisch). (b) Es hängt vom Grad an Externalitäten ab, den die Ressourcen aufweisen. Typischerweise finden sich in den frühen Phasen starke Externalitäten, in den späten Phasen sind die Externalitäten typischerweise weniger stark.
3.
In frühen Phasen greift das strategische Denken, in den mittleren das strategische kombiniert mit finanziellem Denken und in den späten Phasen entfalten Finanzrechnungen ihre volle Kraft – siehe 2.1.6.
4.
Unternehmensintern werden intra-öffentlich Ressourcen frei wie ein öffentliches Gut allen Stellen angeboten. Gegenüber der Außenwelt werden sie hingegen wie ein privates Gut geschützt. Zu diesem Typus gehört ein großer Teil des Wissens der Unternehmung. Ein zweites Beispiel, ebenso im Text genannt, ist das Vertrauen, intern zu kooperieren.
5.
Wissen ist definiert durch: a. die Weite,
315
b.
den Zusammenhang, für den das Wissen aufgrund seiner Gültigkeit in dem betreffenden Bereich es gestattet, korrekte Aussagen zu treffen und daher dort Verwendung findet, die Träger, an die es gebunden ist.
c.
3
Transfer Pricing
Fragen 1.
Richtig oder falsch? (a) SCHMALENBACH meinte, Verrechnungspreise sollten sich an Grenzkosten und nicht an Vollkosten orientieren. (b) Die Gesamtkosten sind stets die Summe aus Fixkosten und variablen Kosten. (c) Die Grenzkosten liegen stets unter den Vollkosten einer Einheit. (d) Die Opportunitätskosten quantifizieren den Gewinn, den nachfolgende Stellen zusätzlich erwirtschaften könnten, sofern sie die betreffende Ressource in einer höheren Quantität erhalten und nutzen könnten.
2.
(a) Wie lauten die vier Phasen, die betrachtet werden? (b) Welche Entscheidungen sind dort zu treffen? (c) Welche Ressourcen werden von den Phasen erzeugt und dienen der jeweils folgenden Phase als Input?
3.
Was ist mit dieser Aussage im Test gemeint: „In der Praxis gibt es vielfach nicht einmal einen einzigen zulässigen Pfad von der Wurzel bis zu einem Blatt.“
4.
Welche drei Gründe wurden genannt, aus denen die Anwendung der Dynamischen Optimierung zur Ermittlung von internen Werten scheitert?
Antworten und Lösungen 1.
(a) richtig; (b) richtig; (c) falsch; (d) richtig.
2.
Vergleiche Abbildung 3-3.
3.
Siehe Abschnitt 3.2.2.
4.
Die in Abschnitt 3.2.5 genannten Gründe sind:
316
a.
Interne Ressourcen mit Externalitäten, Synergien oder dem Charakter intra-öffentlicher Güter, die Unkenntnis aller Entwicklungsmöglichkeiten bereits zu Beginn des unternehmerischen Geschehens, sich bei der Rückwärtsrechnung kumulierende Fehler.
b. c.
4
Strategisch denken!
Fragen 1.
Richtig oder falsch? (a) Oft wird die Strategie so bestimmt, dass sie die Vision des Unternehmensgründers als inhaltliches Ziel aufgreift. (b) Jede Strategie beginnt mit einer Analyse der Situation und der Wirkungszusammenhänge. (c) Die strategischen Handlungsanweisungen werden aus einem mikroökonomischen Kalkül anhand einer Preis-Absatzfunktion hergeleitet. (d) Im Kapitalmarkt werden Projekte und Vorhaben nach ihrem strategischen Fit beurteilt. (e) Die Ansätze des strategischen Managements sind auf die Absatzmärkte fokussiert.
2.
Was ist mit „Structure follows Strategy“ gemeint?
3.
Welches sind die zentralen Aussagen der drei Paradigmen des strategischen Marketings?
4.
Wo lokalisiert PENROSE die Ursachen für Vorteile im Wettbewerb?
5.
Zu welchen Aktivitäten drängt der Resource-based View?
6.
Wie ordnet sich der Begriff Unique Selling Position (USP) in das strategische Management ein?
7.
Inwiefern wird im St. Galler Management-Modell die Strategie umfassender gesehen?
Antworten und Lösungen 1.
(a) richtig; (b) richtig; (c) falsch; (d) falsch; (e) falsch.
317
2.
Immer wieder wurde der Zusammenhang zwischen Strategie und Organisation (Structure) thematisiert: CHANDLER betont (1962), dass sich die Organisation der Strategie unterordnen müsse: „Structure follows Strategy“. Wird die Strategie geändert, so sind Anpassungen in der Organisation der Unternehmung nötig (siehe 4.1.2).
3.
Erstes Paradigma: Die Vier P müssen im Zusammenhang gesehen und optimiert werden. Zweites Paradigma: Finde möglichst viele Abnehmer, weil bei der Produktion Skaleneffekte wirken und die Kosten stark degressiv verlaufen. Drittes Paradigma: Bilde dauerhafte Beziehungen zu Key Customers.
4.
PENROSE lenkt den Blick vom Marketing weg hin zur den Transformationsprozessen innerhalb der Unternehmung. Durch die Heterogenität der Ressourcen erhält jede Unternehmung Einmaligkeit. Die Unternehmung muss sich der Besonderheiten ihrer Ressourcen bewusst sein. Nur nach dieser Erkenntnis kann sie diese entfalten und zur Geltung bringen, das heißt, in Wettbewerbsvorteile transformieren.
5.
Mit dem Resource-based View wurde die Empfehlung (früherer strategischer Ansätze), sich an die Gegebenheiten anzupassen, durch das Gebot zur Aktivität ersetzt. Erstens: Aus den durch Kombination von Ressourcen geschaffenen Potenzialen sollen mit sich anschließenden Transformationsprozessen wirklich Wettbewerbsvorteile geschaffen werden. Zweitens: Die Ressourcen müssen aktiv gepflegt und erneuert werden, neue Ressourcen sind aufzubauen. Das verlangt dynamische Fähigkeiten.
6.
Mit dem Resource-based View werden Ressourcen betrachtet, die der Unternehmung eine dauerhafte, einzigartige Fähigkeit verleihen. Selbstverständlich muss es sich um eine Kompetenz handeln, bei der die Unternehmung Absatzerfolg hat, um ein wertvolles Alleinstellungsmerkmal. So wird eine Unique Selling Position (USP) erreicht.
7.
Es geht im St. Galler Management-Modell nicht um eine Handlungsanweisung, die in einer konkreten Situation dazu verhelfen soll, eine inhaltlich charakterisierbare Verbesserung zu erreichen. Im St. Galler Management-Modell wird die „Strategie“ nicht als Einzeltherapie für eine isoliert betrachtete Spezialsituation betrachtet, sondern als ein umfassendes Vorgehensprinzip für alle Themen. Dazu soll eine „Strategie“ zu diesen fünf Fragenkomplexen Auskunft geben: – Was ist unser Leistungsangebot? – Wo liegt der Fokus unserer Wertschöpfung? – Was sind unsere Kernkompetenzen? – Wo liegen die Kooperationsfelder?
318
Welche Anspruchsgruppen müssen wir berücksichtigen (Anliegen, Bedürfnisse und Kommunikationsformen)?
–
5
Finanziell denken!
Fragen 1.
Richtig oder falsch? (a) FISHER betrachtete Projekte, die voneinander unabhängig sind, also Ressourcen, die keine Externalitäten aufweisen. (b) Die Projekte werden bei Fisher durch Zahlungsreihen beschrieben, weil die Berechtigten und Entscheidungsträger letztlich ein finanzielles Motiv verfolgen. (c) Wenn der Kapitalmarkt gut funktioniert, dann haben alle Wertpapiere einen NPV gleich Null.
2.
Eine Zahlungsreihe verlangt heute zu ihrem Erwerb eine Auszahlung von 1500 Euro (X0 = –1500) und lässt in einem Jahr den Geldbetrag X1 = 400 als ersten Rückfluss erwarten, in zwei Jahren X2 = 500 und in drei Jahren X3 = 600 Euro. Der risikogerechte Diskontsatz sei mit r = 10% vorzunehmen. (a) Berechnen Sie den PV und den NPV. (b) Ist die Zahlungsreihe für den Erwerber vorteilhaft?
3.
(a) Der Zinssatz liege bei 3%, die Markt-Risikoprämie sei 5% wie in Formel (5-4). Ein Analyst ermittelt aus dem CAPM für die X-Aktie einen Return von 9%. Wie hoch ist das Beta dieser Aktie? (b) Sind die Kapitalkosten für alle Projekte einer Unternehmung identisch?
4.
Was sind die EBITDA?
5.
Welche Größe beschreibt besser die Freien Cashflows, die EBIT oder die EBITDA?
Antworten und Lösungen 1.
(a) richtig; (b) richtig; (c) richtig.
2.
(a) PV = 364 + 413 + 451 = 1228 Euro, NPV = -1500 + 1228 = -272 Euro. (b) Wegen NPV 0 ist sie für den Erwerber nachteilig.
319
3.
(a) Aus Kapitalkosten = Zinssatz + Beta · 5% und 9% = 3% + Beta · 5% folgt 6% = Beta · 5% und daraus Beta = 1,2. (b) Das Beta einer Unternehmung kann durchaus unterschiedlich sein vom Beta eines Unternehmensbereichs oder eines Projekts. Jede Investition hat die ihrem eigenem Risiko entsprechenden Kapitalkosten.
4.
EBITDA sind die Earnings Before Interest, Taxes, Depreciation and Amortisation. Sie drücken die operative Ertragskraft aus. In wörtlicher Übersetzung sollte diese Größe der Gewinn vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen auf Sachanlagen und Abschreibungen auf immaterielle Vermögensgegenstände darstellen, denn der englische Begriff „amortization“ bedeutet Abschreibung auf immaterielle Vermögensgegenstände – und nicht „Amortisation“.
5.
Für die einfache sprachliche Darstellung beschränken wie uns auf den Fall, dass der Gewinn gleich dem Cashflow plus die Abschreibungen ist. Unter der Bedingung, dass die Abschreibungen den budgetierten Investitionen sind, ist der Freie Cashflow, also der Cashflow abzüglich die Budgetierten Investitionen, gleich dem Gewinn. Dann ist der EBIT abzüglich Zinszahlungen und abzüglich Steuern gleich den Freien Cashflows. Die EBITDA harmonieren dann mit den Cashflows (aus operativer Tätigkeit) und nicht mit den Freien Cashflows.
320
Teil 3: Die vier Jahreszeiten 1
Grundlagen schaffen und Position bestimmen
Fragen 1.
Wann liegt der Thünensche Ring für eine Branche zentrumsnah?
2.
Führt das Standortspiel von HOTELLING auf ein gesamtwirtschaftliches Optimum?
3.
Die moderne Standortplanung untersucht Positionierungen in einem mehrdimensionalen Raum. Sind alle Dimensionen Kosten oder Ertragsgrößen?
4.
Welcher Kondratieff-Zyklus hat um 1990 die große Rolle gespielt?
5.
Wie ist das organische Wachstum definiert?
6.
Wie kann man erkennen, dass eine Unternehmung einen „Neuanfang“ sucht?
Antworten und Lösungen 1.
Wenn die auf die Flächeneinheit bezogene Ausbeute höher (und damit auch die Transportkosten, die Kosten größerer Distanz) höher ist, ist eine zentrumsnähere Position optimal.
2.
Nein. Ein gesamtwirtschaftliches Optimum bestünde in einer Verteilung der Positionen der Parteien, bei der die Summe aller Distanzen minimal wird. Hingegen ist im Spiel eine Positionierung stabil und daher Lösung, bei der alle beide Parteien in das Zentrum gehen.
3.
Nein, einige der vielen Dimensionen können emotionale Positionen betreffen.
4.
K5 mit der Basisinnovation der Informationstechnologie und der Kommunikationsbranche.
5.
Als Wachstum, das selbst dann noch möglich ist, wenn der Gewinn Jahr für Jahr voll ausgeschüttet wird, siehe Formel (1-7).
321
6.
2
Der Indikator liegt in einer völlig anderen Verwendung der Abschreibungsgegenwerte.
Entwickeln und aufbauen
Fragen 1.
Richtig oder falsch? (a) Für Innovationen ist eine komplexe, sich dynamisch verändernde Umgebung ergiebiger als ein leicht überblickbares statisches Umfeld. (b) Für SCHUMPETER ist zur Verwirklichung von Innovationen eine große Industrie mit wissenschaftlich tiefgehenden Forschungsabteilungen notwendig, während KIRZNER die Bedeutung einzelner Firmen und kleiner Teams zur Generierung von Innovation unterstreicht. (c) Interne Kapitalmärkte dienen der Auswahl von Projekten innerhalb einer Unternehmung und erhöhen durch wenig strukturierte und freie organisatorische und kommunikative Aktivitäten die Transparenz des Auswahlprozesses. (d) Die Instrumente „Interner Kapitalmarkt“ und „Zielkostenrechnung“ sind letztlich Ansätze zur Mitarbeiter- beziehungsweise Kundenbefragung. (e) Die Zielkostenrechnung gliedert sich in fünf Stufen: 1. Value Engineering, 2. Kaizen Costing, 3. Activity Based Costing, 4. Activity Based Management und 5. Just-in-time Process Engineering.
2.
Wie kann man erkennen, dass eine Unternehmung (mit einem Geschäftsbereich) sich gerade in der Phase des Entwickelns und Aufbauens befindet?
3.
(a) Nennen sie vier Faktoren, die Geschäftsideen begünstigen. (b) Fällt Ihnen noch ein fünfter Faktor ein?
4.
Was versteht man unter der Kalibrierung einer Geschäftsidee?
5.
Was haben die Definition der Innovation von Schumpeter und Kirzner gemein und welche Folgen ergeben sich daraus für die Finanzierung?
6.
Welche sieben Schritte folgen auf die Kreation der Geschäftsidee?
7.
Was sind und wodurch unterscheiden sich der Out-of-CompetitorAnsatz und der Out-of-Company-Ansatz?
322
Antworten und Lösungen 1.
(a) bis (d) sind richtig, (e) ist falsch.
2.
Indikatoren: a. Ideen sind vorhanden, auch Potenziale (die in der ersten Phase geschaffen worden sind), aber noch keine Produkte oder Prototypen. Es wird entwickelt, vielleicht sind Produkte angekündigt, aber sie sind noch nicht testbar. b. In der Einheit gibt es weniger Sachvermögen, dafür aber viel Wissen und einen Informationsvorsprung. c. Ein großer Teil der Arbeit des Entrepreneurs vollzieht sich in Teams: Teams, die Kunden befragen, Teams, die eine interne Vorauswahl treffen. d. Durch die gesuchte komplexe und dynamische Umgebung wirkt manches „chaotisch“. e. Das Finanzbudget ist auf die Ausgaben in der Entwicklung fokussiert, Einnahmen gibt es erst beim Exit. f. Die unternehmerische Leitung ist längst keine charismatische Führungspersönlichkeit mehr, sondern ein gesprächsbereiter Coach.
3.
(a) Eine Umgebung, in der erstens vieles zusammenkommt (Komplexität), zweitens Wandel (Dynamik) stattfindet, drittens produziert wird und es viertens Menschen gibt, die mit kreativer, praktischer und analytischer Intelligenz schöpferische Funken haben. (b) Der Technologiepark oder die Universität, in der Menschen verschiedener „Fakultäten“ zusammenkommen und sich austauschen können.
4.
Die Geschäftsidee zu kalibrieren heißt, sie auf einen Markt oder ein Marktsegment klar zuzuschneiden, damit die Nachfrage später wirklich getroffen wird. Die Kalibrierung verlangt eine disziplinierte Vorgehensweise. Untersuchungen zeigen, dass weniger der chaotischkreative Erfinder als der methodisch vorgehende Entwickler im Innovationsprozess gewinnt.
5.
Beide sehen den Wissens- und Informationsvorsprung des Entrepreneurs. Daher hat es ein Entrepreneur schwer, Finanziers für seine Vorhaben zu gewinnen, wenn diese nur über durchschnittliche Informationen verfügen. Diese Kapitalgeber bedingen sich tiefe Kontrollrechte aus und üben sie auch aus.
6.
Sieben Schritte: a. Aufbau des Teams,
323
b. c. d. e. f. g. 7.
3
Konkretisierung – von der Idee zum Prototypen, Marktvorbereitung, Check relevanter Gesetze, Frühe Einbindung von Key Customers, Kalibrierung, Kontaktierung möglicher Produzenten.
Beides sind Ansätze zur Informationsgewinnung für die Zielkostenrechnung. Wenn beim Target Costing die Kosten betrachtet werden, die konkurrierende Anbieter in jenem Marktsegment haben, dann liegt ein Out-of-Competitor-Ansatz vor. Wenn jene Kosten prognostiziert werden, welche die Unternehmung zwar heute noch nicht hat, die sie aber erreichen könnte, wenn sie ihre technischen und betriebswirtschaftlichen Potenziale voll ausschöpfen würde, dann wird ein Out-of-Company-Ansatz beschritten.
Wachstum managen
Fragen 1.
Richtig oder falsch? (a) Der Entrepreneur ist schon deshalb der beste Unternehmer für die Wachstumsphase, weil er das Produkt genau kennt. (b) Für das Wachstum ist das Ressourcen-Management wichtig, wogegen das Risk-Management in seiner Bedeutung zurücktritt. (c) Da im Wachstum verschiedenste Ressourcen zum Einsatz kommen, muss der Unternehmer integriert und folglich strategisch denken, wogegen das finanzielle Denken noch nicht greift. (d) Die in der Wachstumsphase zu bewältigenden Aufgaben beginnen mit der Produkt-Platzierung und führen bis zur Bewältigung der Probleme, die mit der Konkurrenz und der Marktsättigung verbunden sind. (e) Die (externen) Partner, zu denen der Unternehmer in der Wachstumsphase Kontakt aufbauen und pflegen muss, sind: Kapitalgeber, Zulieferer, Partner im Distributionsnetz, Partner für die Services.
2.
Wie kann man erkennen, dass eine Unternehmung (mit einem Geschäftsbereich) sich gerade in der Phase des Wachstums befindet?
3.
Auf welchen vier Leitlinien beruht das Process Reengineering?
4.
Eine Aufgabe zum Absatzprozess (Formeln 3-3 und 3-4). Heute, zu t = 1, ist die insgesamt abgesetzte Quantität x(1) = 10 (Millionen
324
Stück). In den nun kommenden Perioden werden q(1) = 2 und q(2) = 2,1 abgesetzt. (a) Ermitteln Sie den Proportionalitätsfaktor a und das Sättigungsniveau s. (b) Prognostizieren Sie q(3). 5.
Was wird (a) unter einer Marke, (b) dem Markenimage und (c) der Markenidentität verstanden?
6.
Werden in der Praxis Anreizsysteme oder eher Bonussysteme bevorzugt?
7.
(a) In welchen Situationen wäre es sinnvoll, Transferpreise mit der Idee des in der früheren Sowjetunion praktizierten Motivationsschemas zu kombinieren? (b) Worauf liefe eine solche Kombination hinaus?
Antworten und Lösungen 1.
(a) falsch; (b) falsch; (c) falsch; (d) richtig; (e) richtig.
2.
Viele Ressourcenarten, enormer Ressourceneinsatz, und gleichzeitig sind die Ressourcen immer knapp (und die oft übersehenen Risken) hoch. Alles kommt zur Blüte, viele externe Gruppen werden angesprochen mitzumachen, und doch droht die Gefahr, dass sich die Unternehmung übernimmt.
3.
Die vier Leitlinien des Process Reengineering sind: – Konzentration auf Prozesse, – größtmöglicher Einsatz von IT, – Design der Prozesse auf dem Reißbrett, – Umsetzung top down.
4.
A) Es folgt x(2) = 12. Die gesuchten Parameter müssen die beiden Gleichungen 2 = a · 10 · (s – 10) und 2,1 = a · 12 · (s – 12) erfüllen. Zur Bestimmung der Lösung kann man etwa mit dem Solver von Excel (der nur eine Zielvariable kennt) (2 – a ·10 · (s – 10))2 + ((2,1 – a ·12 · (s – 12))2 minimieren. Es folgt a = 0,0125 und s = 26. (b) Wegen x(3) = 14,1 und q(3) = a · x(3) · (s – x(3)) = 0,0125 · 14,1 · (26 – 14,1) = 2,1.
5.
(a) Die Marke ist ein Leistungsversprechen der Unternehmung, ausgedrückt durch einen Firmennamen, ein Logo, ein Signal oder durch Handlungen der Mitarbeitenden.
325
(b) Markenimage ist das Fremdbild der Marke, also die Wahrnehmung und Einschätzung des Leistungsversprechens durch externe Zielgruppen. (c) Die Markenidentität ist das Selbstbild, das die Unternehmung formuliert. 6.
Da sich beide Systeme ergänzen, müssen sie simultan und in gegenseitiger Abstimmung gestaltet werden und zum Einsatz gelangen.
7.
(a) Wenn bei Unsicherheit und asymmetrischer Information – nicht alle der Abteilung bekannten Informationen hat auch die Zentrale – eine Prinzipal-Agenten-Beziehung vorliegt. (b) Zunächst wird über geplante Mengen ein Konsens herbeigeführt. Dann werden Transferpreise (etwa in Höhe der Grenzkosten) ermittelt. Später wird abgerechnet: Bei geringerer ebenso wie bei höherer tatsächlicher Quantität ist der Transferpreis etwas geringer.
4
Ernten und neu beginnen
Fragen 1.
Richtig oder falsch? (a) Die dritte Phase übergibt der vierten Phase als Ressource gleichsam eine Kundenkartei, einen erschlossenen Markt. (b) In der vierten Phase muss durch ein „Feintuning“ mit verschiedenen „Stellschrauben“ die Wertschaffung optimiert werden. (c) RAPPAPORT hat in verschiednen Publikationen einen Ansatz für die Bewertung der zukünftigen Leistungsfähigkeit der Unternehmung entwickelt. (d) Hinter der Residual Income Valuation steht als ökonomisches Konzept die rechnerische Zerlegung des Werts der Unternehmung in das bilanzielle Eigenkapital und den Goodwill. (e) Die Differenz zwischen den Earnings und den Zinsen auf dem Buchwert der Unternehmung ist ihr Residualgewinn. (f) Die Summe der Barwerte aller historischen Residualgewinne ist der Wert des Goodwills.
2.
Wie kann man erkennen, dass eine Unternehmung (oder einer ihrer Geschäftsbereiche) sich gerade in der vierten Jahrszeit befindet, in der Phase von Ertrag und Rendite?
326
3.
Wie wurde die „leichte Krise“ bei der Besprechung von fünf „Gesundheitszuständen“ charakterisiert?
4.
Unterstellen Sie eine Welt, in der ein vollkommenes und allumfassendes Marktgleichgewicht und volle Transparenz existiert. Kann eine Unternehmung dann ein Extra-Ergebnis „herbeizaubern“?
5.
Welcher Erkenntnis hat WIESE 1930 zu Akzeptanz verholfen?
6.
Sind Substanzwerte oder Gewinne bei der Unternehmensbewertung unwichtig?
7.
(a) Wie kann es dazu kommen, dass eine organisatorisch-effiziente Unternehmung in die Insolvenz gerät? (b) Ist das Management an dieser Entwicklung schuld? (c) Was ist dann zu tun?
Antworten und Lösungen 1.
(a) bis (e) sind richtig. (f) ist falsch; richtig wäre: Die Summe der Barwerte aller zukünftigen Residualgewinne ist der Wert des Goodwills.
2.
Indikatoren, dass sich eine Unternehmung in der vierten Jahreszeit befindet: a. Die kraftvollere Expansion und das Denken in Wachstum, Umsatz und Marktdurchdringung sind einer kalkulierten Wertorientierung gewichen. b. Die Konfiguration und die Struktur der Unternehmung werden im Hinblick auf die finanzielle Orientierung ausgerichtet. c. Die Unternehmung wird vielleicht nicht mehr umsatzstärker, wohl aber ertragsstärker.
3.
Charakteristika der „leichten Krise“: a. Die Gesamtleistung der Unternehmung reicht aus, Mitarbeiter und Kunden marktgerecht zu bedienen. b. Die Aktionäre erhalten eine Dividende und die Banken die vereinbarten Zinszahlungen. c. Der Staat erhält Steuern. Doch damit ist die Gesamtleistung ausgeschöpft. Das heißt: Die Unternehmung hat keine Mittel, um ihre zukünftige Leistungskraft zu erhalten, geschweige denn, um sie auszubauen. Die Kapitalgeber sind trotz der Dividendenzahlungen nicht zufrieden, weil die Unternehmung keine Wertsteigerungen erfährt.
327
4.
Die gute Nachricht: Es ist möglich. Drei Rezepte: a. Die Unternehmung muss in überdurchschnittlichem Umfang Ineffizienzen verringern. b. Sie muss in überdurchschnittlichem Umfang Synergien ausschöpfen. c. Sie muss in überdurchschnittlichem Umfang innovative Produkte ausbringen. Die schlechte Nachricht: Der dynamische Markt holt alle ein. Andere, nun unterdurchschnittliche Unternehmen müssen und werden nachkommen. Deshalb sind die drei Rezepte ein Weg, kein Ziel. Man kommt nie an.
5.
Die Erkenntnis, dass eine Kapitalanlage genau so viel wert ist, wie sie an Geld in der Zukunft abwirft und deshalb der Unternehmenswert durch die zukünftigen Zahlungsüberschüsse oder Cashflows bestimmt ist.
6.
Substanzwerte oder Gewinne bestimmen zwar nicht direkt den Unternehmenswert, doch sie können dazu verhelfen, die zukünftigen Zahlungsüberschüsse, die den Wert direkt bestimmen, genauer zu prognostizieren.
7.
(a) Probleme bei der Produkthaftung, Schäden im Sinn des operationellen Risikos, Ausfall von Forderungen. (b) Es handelt sich eher um Pech als um ein Verschulden, doch hätte ein effektiveres Risikomanagement vielleicht die Insolvenz vermeiden können. (c) Wegen der organisatorischen Effizienz sollte aus gesamtwirtschaftlicher Sicht die Unternehmung fortgeführt werden. Dazu müssen sich Gläubiger und Eigenkapitalgeber über eine Neuordnung der Finanzen einigen. Eventuell muss das Risikomanagement verbessert werden.
Anhang
1
Personenverzeichnis
ARMEN A. ALCHIAN argumentiert, dass Hold up durch vertikale Integration und durch Eigentumserwerb gemildert werden kann (Teil 2, Abschnitt 2.2.6). IGOR ANSOFF entwickelt um 1965 die SWOT-Analyse (Teil 2, Abschnitt 4.1.2). ARISTOTELES (384-322 v. Chr.) ist mit seiner Lehre des Haushaltens angeführt. Die Wirtschaftseinheit versorgt sich selbst und muss die Ressourcen nach einem Ansatz der Nachhaltigkeit einteilen (Teil 2, Abschnitt 1.1). KENNETH J. ARROW (Nobelpreis 1972) hat in seinem Buch Limits of Organisations gezeigt, wo der Marktmechanismus seine Kraft verliert (Teil 2, Abschnitt 1.3). RICHARD BELLMAN (1920-1984), Mathematiker, ist mit der Rückwärtsrechnung und der Technik der Dynamischen Optimierung angeführt, die bei der Bestimmung interner Werte für nicht marktfähige Ressourcen eingesetzt werden. ALFRED D. CHANDLER betont (1962), dass sich die Organisation der Strategie unterordnen müsse: „Structure follows Strategy.“ Wird die Strategie geändert, so sind Anpassungen in der Organisation der Unternehmung nötig (Teil 2, Abschnitt 4.1.2). RONALD H. COASE (Nobelpreis 1991) argumentiert, dass Ressourcen aufgrund von Transaktionskosten an Marktfähigkeit verlieren. Transaktionskosten konstituieren daher eine integrierte Unternehmung (Teil 2, Abschnitt 2.2.2). JOEL DEAN ist für seinen klassischen Beitrag zum Capital Budgeting (1951) bei der Darstellung des finanziellen Denkens angeführt (Teil 2, Abschnitt 5.4).
332
PETER DRUCKER (1909-2005), Managementguru, stellt das Wissen als die wesentlichste Ressource der modernen Unternehmung dar (Teil 2, Abschnitt 4.1.4). IRVING FISHER (1867-1947) ist mit der nach ihm benannten Separation aufgenommen, die den Kapitalwert (einer Zahlungsreihe) als Entscheidungskriterium begründet (Teil 2, Abschnitt 5.4). ERICH GUTENBERG (1897-1984) hat die Betriebswirtschaftslehre durch zahlreiche Forschungen vorangebracht, vor allem auf dem Gebiet der Produktionsfunktion. Mit seinen drei Bänden, gegliedert nach Die Produktion, Der Absatz und Die Finanzen hat er das Lehrgebäude nach Funktionen gegliedert (Teil 2, Abschnitt 3.1.6). MICHAEL HAMMER und JAMES CHAMPY stellen 1993 ein Konzept zum radikalen Überdenken von Unternehmen und unternehmerischen Abläufen vor: Reengineering the Corporation – A Manifesto for Business Revolution (Teil 3, Abschnitt 3.2.3). HARALD HOTELLING (1895-1973), amerikanischer Statistiker und Ökonom, entwickelt eine spieltheoretische Analyse der Standortwahl (Teil 3, Abschnitt 1.1.3). ISRAEL M. KIRZNER betont in seinen Arbeiten (ab 1973) die wirtschaftliche Entwicklung durch kleinere Innovationen. Der Kirzner-Unternehmer schafft differenzierte Produkte und Varianten (Teil 3, Abschnitt 2.2.3). NIKOLAI D. KONDRATIEFF (1892-1938), russischer Wissenschaftler, entdeckt und untersucht langfristige Investitionszyklen und Nachfrageverschiebungen, die heute, SCHUMPETER folgend, als Kondratieff-Zyklen bezeichnet werden (Teil 3, Abschnitt 1.2.1). WILHELM KRELLE (1916-2004), deutscher Nationalökonom, ist mit seiner Überlegung angeführt, wie Skalenerträge erklärbar sind (Teil 3, Abschnitt 4.1.4).
333
FRANCO MODIGLIANI (1918-2003) und MERTON H. MILLER (1923-2000) haben vor fünfzig Jahren Irrelevanztheoreme formuliert. Sie zeigen: Die Maßnahme eines Unternehmers oder Managers kann keinerlei zusätzlichen Wert bringen, wenn sie von den Marktteilnehmern selbst auch herbeigeführt werden könnte. Beide Ökonomen erhielten den Nobelpreis, MODIGLIANI 1985 und MILLER 1990 (Teil 2, Abschnitt 1.3). ROBERT A. MUNDELL (Nobelpreis 1999) ist für seine Theorie der optimalen Größe von Währungsgebieten erwähnt (Teil 2, Abschnitt 1.1). EDITH PENROSE erklärt 1959 den Erfolg einer Unternehmung durch die Qualität interner Ressourcen und bereitet so den Resource-based View (RBV) im Strategischen Management vor (Teil 2, Abschnitt 4.1.4). MICHAEL E. PORTER ist eine weltweit anerkannte Autorität im Bereich des Strategischen Managements. PORTER leitet aus mikroökonomischen Modellen der Marktform monopolistischer Konkurrenz praktisch umsetzbare Empfehlungen für die Unternehmungen ab. Bekannt ist sein Rat, entweder den Weg der Differenzierung (wertvollere Produktmerkmale) oder den der Kostenführerschaft (geringere Kosten) zu gehen (Teil 2, Abschnitt 4.1.3). GABRIEL A. D. PREINREICH hat das Residualeinkommen als Grundlage einer Unternehmensbewertung postuliert und 1936 klar erkannt und mit Hilfe von Grafiken erläutert, wie Goodwill mit Hilfe von Residualeinkommen gemessen werden kann (Teil 3, Abschnitt 4.2.5). ALFRED RAPPAPORT hat durch verschiedene Aufsätze um 1980 für den Discounted-Cashflow-Ansatz argumentiert und zugleich gezeigt, mit welchen Werttreibern der Unternehmenswert beeinflusst werden kann (Teil 3, Abschnitt 4.2.2). DAVID RICARDO (1772-1823) hat geklärt, wie sich im Außenhandel Länder auf gewisse Ressourcen spezialisieren. Er erkannte, dass es nicht auf die absoluten Produktivitäten, sondern auf die relativen Produktivitäten ankommt (Teil 2, Abschnitt 4.1.4).
334
EUGEN SCHMALENBACH (1873-1955), der große Forscher und Begründer der wissenschaftlichen Betriebswirtschaftslehre in Deutschland, ist für seine Erkenntnis von 1909 erwähnt, dass Transferpreise gleich den Grenzkosten (und nicht den Vollkosten) gesetzt werden müssen (Teil 2, Abschnitt 3.1.5). Außerdem weisen wir auf sein Buch Dynamische Bilanz hin (Teil 3, Abschnitt 4.2.1). JOSEPH A. SCHUMPETER (1883-1950) hat in seiner Analyse des Kapitalismus überaus innovative und grundlegende Neuerungen betrachtet. Sie strahlen kraftvoll aus und verschieben das ökonomische Gleichgewicht. Der Schumpeter-Unternehmer verbindet den genialen Erfinder und großen Industriellen (Teil 3, Abschnitt 2.2.3). WILLIAM F. SHARPE hat parallel zu anderen Forschern das Capital Asset Pricing Model (CAPM) gefunden. Es beschreibt den Zusammenhang zwischen Renditeerwartung und Risiko im Kapitalmarkt. Sharpe erhielt 1990 den Nobelpreis. Wir haben das CAPM und das Beta in Teil 3, Kapitel 4, behandelt. ADAM SMITH (1723-1790) zeigte den Vorteil auf, der mit einer Tauschwirtschaft verbunden ist: Die Beteiligten können, jeder für sich, Spezialisierungsvorteile realisieren (Teil 2, Kapitel 1). JOHANN HEINRICH VON THÜNEN (1783-1850) entwickelt in seinem Isolierten Staat die erste ökonomische Standorttheorie. Im Ergebnis siedeln sich die Unternehmen diverser Branchen in den Thünenschen Ringen um das Zentrum an (Teil 3, Abschnitt 1.1.2). HANS ULRICH (1919-1997) hat eine ganzheitliche Perspektive der Unternehmung, ihrer Umgebung und ihrer Dynamik entfaltet. Grundlage ist der Systembegriff. Ulrich ist der Schöpfer des inzwischen erweiterten St. Galler Management-Modells (Teil 2, Abschnitt 4.1.5). ROBERT F. WIESE: Er hat 1930 der Erkenntnis, dass eine Kapitalanlage genau so viel wert ist, wie sie an Geld in der Zukunft abwirft, zu Akzeptanz in der Geschäftswelt verholfen (Teil 3, Abschnitt 4.2.2).
335
OLIVER E. WILLIAMSON charakterisiert in seiner Vertragstheorie die Unternehmung durch ihre hierarchische Governance, die bei Spezifizität und Unwirksamkeit externer Safeguards anderen Organisationsformen überlegen ist (Teil 2, Abschnitte 1.2, 1.3 und 2.2).
2
Glossar
Barwert – Als Barwert wird der heutige Wert zukünftig anfallender Zahlungen bezeichnet. Die Ermittlung des Barwerts (Synomyme: Kapitalwert, Present Value) erfolgt, indem die zukünftig anfallenden Zahlungen auf den heutigen Wert abgezinst (diskontiert) und aufaddiert werden. Beta – Das Beta misst das nicht mehr weiter diversifizierbare Risiko, also jenen Teil der Kurs- und Renditeschwankungen, der selbst in einem gut diversifizierten Portfolio noch verbleibt. Das ist das so genannte systematische Risiko der Investition oder der Unternehmung. Mit dem Beta wird dieses systematische Risiko der betrachteten Unternehmung oder Investition in Relation zum Risiko des Marktportfolios gesetzt. Ein Beta größer als 1 deutet auf ein überdurchschnittliches Risiko der betrachteten Unternehmung hin. Ein Beta kleiner als 1 zeigt, dass die betreffende Unternehmung nur ein unterdurchschnittliches Risiko aufweist. CAPM (Capital Asset Pricing Model) – Das Modell beschreibt den Zusammenhang zwischen der erwarteten Rendite und dem Risiko einer Anlage. Es konzentriert sich auf den Renditeunterschied zwischen der erwarteten Rendite und dem Zinssatz. Das ist die Risikoprämie. Das CAPM erklärt die von Unternehmung zu Unternehmung unterschiedliche Risikoprämie. Dazu geht es auf Diversifikationsmöglichkeiten ein und zeigt, wie das „Risiko“ zu messen ist, auf das es ankommt, wenn von einer risikogerechten Renditeerwartung gesprochen wird. Nach dem CAPM ist die Risikoprämie einer jeden einzelnen Unternehmung proportional zu ihrem Beta. Cashflow – Der Cashflow eines Jahres entsteht aus den baren Erträgen (Verkaufserlöse) abzüglich der baren Aufwendungen (Löhne, Zahlungen für Vorleistungen) dieser Periode. Unbare Erträge (wie aktivierte Eigenleistungen oder der Verkauf mit Kreditgewährung an den Kunden) erhöhen den Cashflow nicht; unbare Aufwendungen (wie Abschreibungen und eine Netto-Erhöhung der Rückstellungen) reduzieren den Cashflow nicht. Cashflows unterscheiden sich daher von Gewinnen, wenn diese Komponenten enthalten, die im betrachteten Jahr nicht in barer Form vorliegen. Eine sehr vereinfachende Faustformel setzt die Cashflows gleich mit der Summe aus Gewinn und Abschreibungen.
338
EBIT – Abkürzung für Earnings before Interest and Taxes, das sind die Gewinne vor Zinsaufwand und Steuerzahlung. Die EBIT drücken das Gesamtergebnis einer Unternehmung aus. EBITDA – Abkürzung für Earnings before Interest, Taxes, Depreciation and Amortisation, also Gewinn vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen auf Sachanlagen und Abschreibungen auf immaterielle Vermögensgegenstände. Wird oft verwendet, um die operative Ertragskraft einer Unternehmung auszudrücken. In der Praxis wird beim EBITDA der Gewinn auf den durch ordentliche Betriebstätigkeit entstehenden Gewinn eingeschränkt. Das Finanzergebnis und außerordentliche Betriebsereignisse bleiben also unberücksichtigt. Insbesondere werden sonstige Finanzierungsaufwendungen und Abschreibungen, die nicht der ordentlichen Betriebstätigkeit entsprechen, aus dem EBITDA herausgerechnet. Economies of Scale and Scope (EoS) – Größen- und Verbundvorteile, die eine Unternehmung auf verschiedenen Stufen ihres Wertschöpfungsprozesses realisieren kann. EoS stellen Effizienzgewinne dar, wenn eine Unternehmung eine bestimmte (geschäftsabhängige) kritische Größe erreicht. Entity Value – Gesamtwert einer Unternehmung für die Eigen- und Fremdkapitalgeber. Equity Value – Wert einer Unternehmung für die Eigenkapitalgeber. Financial Distress – angespannte Finanzlage aufgrund geringer Liquidität, oft verbunden mit einer hohen Verschuldung. Bei weiterer Verschlechterung kann der Financial Distress zur klaren Insolvenz bis hin zum Konkurs führen. Fisher-Separation – Das an sich verbundene Problem der Auswahl von Investitionen und Finanzierungen zerfällt, sofern es einen Kapitalmarkt gibt, in Einzelprüfungen. Für jedes Vorhaben wird (unabhängig von den Ergebnissen der Prüfungen für die anderen Projekte und Maßnahmen) geprüft, ob der Netto-Barwert der betreffenden Zahlungsreihe positiv ist (NPC > 0). Durch diese recht einfach vorzunehmenden Einzelprüfungen
339
entsteht ein Budget, das alle Investitionsprojekte, Vorhaben und Finanzierungsmaßnahmen umfasst, die zusammengenommen den höchsten Gesamtwert aufweisen, also zur Summenzahlungsreihe mit dem höchsten Wert führen. FISHER hat weiter gezeigt, dass diese Auswahlregel zu einem Nutzenmaximum für die Berechtigten führt. Diese Erkenntnis und die daraus folgende Vorgehensweise im Capital Budgeting – nehme genau jene Projekte und Maßnahmen an, deren Netto-Barwert sich in einer Einzelprüfung als positiv erweist – wird als Fisher-Separation bezeichnet. Freie Cashflows – Die Freien Cashflows ergeben sich aus den Cashflows abzüglich der Auszahlungen für budgetierte Investitionen beziehungsweise zuzüglich der aus Desinvestitionen stammenden Einzahlungen. Gut, intra-öffentliches – Darunter werden solche Ressourcen verstanden, die zwar innerhalb der Unternehmung öffentlich sind, aber nicht extern konsumiert bzw. genutzt werden sollen. Gut, öffentliches – Es unterscheidet sich vor allem durch zwei Merkmale von einem privaten Gut: Dritte können gar nicht oder nur mit hohem Aufwand von der Nutzung ausgeschlossen werden. Es herrscht Nicht-Rivalität bei der Nutzung bzw. beim Konsum: Ein öffentliches Gut kann von mehreren Personen oder Stellen genutzt werden, ohne dass es dabei zu Verschleiß oder Aufzehrung der Ressource kommt. Gut, privat – Ein Gut ist privat, wenn durch seinen Konsum oder seine Nutzung ausgeschlossen ist, dass auch andere Personen oder Stellen dieses Gut nutzen. Hedge Fund – Gepoolte Finanzinvestitionen, die von einem Manager unter geringen gesetzlichen Auflagen (hinsichtlich des Schutzes der Anleger) investiert werden. Der Manager hat einen großen Freiraum bei sehr geringer Kontrolle. Vielfach werden Leerverkäufe vorgenommen und eine ausgeprägt aktive Anlagepolitik eingeschlagen, oft unter Einsatz derivativer Instrumente.
340
Innovation – Neue oder merklich verbesserte Produkte und Dienstleistungen, die eine Unternehmung auf den Markt bringt. Innovation ist die produktive Umsetzung und Vermarktung einer Invention als kommerziell verwertbare Problemlösung. Insolvenz – Überschuldung. Die Verbindlichkeiten sind nicht mehr durch die Vermögenswerte (Aktiva) gedeckt. Die Insolvenz ist nicht zu verwechseln mit einer Illiquidität, der Unfähigkeit, Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Invention – Generieren von neuem Wissen oder das Kombinieren von bekanntem Wissen zu neuartigen Problemlösungen. Kalibrierung – Eine Geschäftsidee kalibrieren heißt, sie auf einen Markt oder auf ein Marktsegment klar zuzuschneiden, um die spätere Nachfrage sicherzustellen. Kapitalwert – Barwert zukünftiger Zahlungsüberschüsse. Das Kapitalwert-Kriterium kann auch als Discounted Cashflow (DCF) oder als Economic Value Added (EVA) übersetzt werden. Ressourcen – Mittel, die bei der Produktion von Gütern und Dienstleistungen verwendet werden. Ressourcen erscheinen bei den Transformationsprozessen des unternehmerischen Geschehens als Input oder Output, der zwischen den einzelnen Stufen der miteinander verknüpften Prozesse weitergegeben wird. Spezifität – Sie liegt dann vor, wenn eine Ressource in einem so hohen Grad unternehmensspezifisch ist, dass sie nur bei den internen Prozessen der betreffenden Unternehmung verwendet werden kann. Synergien – Der Begriff geht auf das altgriechische Wort „synergia“ zurück und bedeutet das Zusammenwirken im Sinne von sich gegenseitig fördern. Im ökonomischen Kontext spricht man von Synergieeffekten,
341
wenn durch die Zusammenarbeit von Unternehmen oder Unternehmensteilen Kosten- und/oder Effizienzvorteile zu erwarten sind. Transaktionskosten – Aufwendungen, die für Koordination wirtschaftlicher Aktivitäten anfallen. Mit zunehmender Größe einer Unternehmung steigt der Koordinationsaufwand, bis er ab einem bestimmten Punkt die Größenvorteile aufzehrt. Allerdings zeigt sich in den letzten Jahren – vor allem durch die Fortschritte der Informations- und Kommunkationstechnologie bedingt – eine Tendenz zu sinkenden Transaktionskosten. Die wichtigsten Transaktionskosten entstehen beispielsweise für die Suche nach Geschäftspartnern, das Aushandeln der Konditionen und den Vertragsabschluss, die Festlegung von Qualitätsstandards, Koordination der Übergabe und Abwicklung von Zahlungsmodalitäten. Transferpreise – Preise, die für die Bewertung von Ressourcen innerhalb einer Unternehmung festgesetzt werden. Durch die Festsetzung von Transferpreisen wird versucht, die interne Nützlichkeit einer Ressource indirekt zu quantifizieren. Der interne Wert oder Transferpreis wird aus jenen Ergebnissen abgeleitet, die andere, in der Kette der Leistungserstellung folgende Stellen in der Unternehmung mit der Ressource erzielen können. Wachstum, externes – Hierzu zählen alle Strategien einer Unternehmung, die Wachstum durch die Nutzung von extern geschaffenen Ressourcen erreichen. Dabei lassen sich zwei Formen unterscheiden: Akquisitionen und Fusionen (Mergers & Acquisitions) sowie Kooperationen. Wachstum, organisches – Charakteristisch für internes oder organisches Wachstum ist, dass das Unternehmen aus eigener Kraft und auf Basis der eigenen Ressourcen expandiert. Streng interpretiert, geht internes Wachstum ohne Akquisition vonstatten. Allerdings gelten kleinere Übernahmen, etwa der Kauf von Vertriebsorganisationen oder Fertigungsanlagen, in der Regel noch als Teil einer organischen Wachstumsstrategie. Wissen – Mit Wissen wird eine Menge von Informationen bezeichnet, die aufeinander bezogen sind und (dadurch) Bedeutung tragen, in sich stimmig sind (Kohärenz) und in einem gewissen Zusammenhang Gültigkeit besitzen. Diese Definition zeigt erstens, dass Wissen enger (wenige Informatio-
342
nen) oder weiter (viele Informationen) gefasst sein kann. Zweitens wird Wissen durch den Zusammenhang definiert, für den es aufgrund seiner Gültigkeit dort gelingen kann, korrekte Aussagen zu treffen. Drittens hält die Definition fest, dass Wissen, gegeben durch konstituierende Informationen, an Träger gebunden ist. Stets sind physische Zeichen oder Konfigurationen zur Speicherung, Verarbeitung und Übertragung von Informationen nötig. Zielkostenrechnung (Target Costing) – Retrograde Vorgehensweise bei der Entwicklung eines Produkts. Ausgangspunkte sind der Zielmarkt und die von den Kunden verlangten Produkteigenschaften sowie ein Preis, der unter Berücksichtigung der Wettbewerbssituation und der Zahlungsbereitschaft in dem betreffenden Segment ermittelt werden kann. Aus den nun als gegeben zu betrachteten Produkteigenschaften und dem Preis wird rückwärts gehend ermittelt, wie das Produkt zu konstruieren ist und was es kosten darf.
Die Autoren Dr. BURKHARD SCHWENKER, Jahrgang 1958, ist CEO von Roland Berger Strategy Consultants. Nach dem Studium der Mathematik und der Betriebswirtschaftslehre war er in Industrie und Wissenschaft tätig und begann im Dezember 1989 seine Beraterkarriere bei Roland Berger Strategy Consultants. 1992 wurde er zum Partner ernannt. Im Jahr 1994 übernahm er die Leitung des Kompetenzzentrums Corporate Development und wurde 1998 ins Executive Committee gewählt. Heute ist SCHWENKER Vorsitzender der weltweiten Geschäftsführung von Roland Berger Strategy Consultants. Er übernahm diese Funktion im Juli 2003 von Firmengründer ROLAND BERGER. SCHWENKER hält regelmäßig Vorlesungen und arbeitet in den Gremien mehrerer Business Schools und Universitäten mit. Er publiziert zu wirtschaftspolitischen Fragen und ist Verfasser von Fachpublikationen. Ein jüngstes Buch behandelt Wachstumsstrategien. Prof. Dr. KLAUS SPREMANN lehrt seit 1990 als Ordinarius an der Universität St. Gallen; zudem ist er Direktor am Schweizerischen Institut für Banken und Finanzen. Jahrgang 1947, studierte SPREMANN Mathematik an der Technischen Universität München: 1972 Dipl.-Math., 1973 Dr. rer. nat. Die Habilitation folgte 1975 an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Karlsruhe. Von 1977 bis 1990 war er Professor für Wirtschaftswissenschaften im Studiengang Wirtschaftsmathematik an der Universität Ulm. Gastprofessuren führten ihn nach Amerika und Asien. SPREMANN hat verschiedene Praxisprojekte durchgeführt, so über Transaktionsrisiken, Skalenerträge, Prozesskostenrechnung, Kapitalkosten.