Seewölfe 175 1
Roy Palmer 1.
Als der Sturm loswütete, klammerten sich die Kranken an Bord des Viermasters „Gran Grin“ ...
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Seewölfe 175 1
Roy Palmer 1.
Als der Sturm loswütete, klammerten sich die Kranken an Bord des Viermasters „Gran Grin“ am hölzernen Rand ihrer Kojen fest und kämpften darum, nicht von ihren schmutzigen Lagern gerissen zu werden. Es waren ausgemergelte, totenbleiche Gestalten ohne jegliche Hoffnung in den fiebrigen Augen. Sie stöhnten und schrien. Sie schrien nach ihren Müttern und Vätern, nach ihren Frauen und Kindern und nach der Heimat, die im Süden auf sie wartete, und sie schämten sich dessen nicht, denn Schnitter Tods Schreckensgestalt hatte neben ihren erbärmlichen Lagern bereits Posten bezogen. Im Süden, jenseits der Hölle und allen Leidens, lag die iberische Halbinsel, die sie so siegessicher verlassen hatten. Dort sprachen ihre Familien, nach denen sie flehten und um deren Hilfe sie stammelnd baten, vielleicht in diesem Augenblick vom grollen Triumph der Armada, denn sie konnten ja nicht wissen, was sich tatsächlich ereignet hatte. Juan Flores trug einen Kübel mit wäßriger, dampfender Suppe zum Mannschaftslogis im Vordeck der „Gran Grin“, aber er setzte diesen Behälter ab und bekreuzigte sich, ehe er hinter dem Koch Francisco Sampedro, der einen ähnlichen Kupferkessel schleppte, den düsteren, übelriechenden Raum betrat. Juan Flores stand im schwankenden Schiffsgang. Die Suppe drohte über den Rand des Kübels zu schwappen, aber Juan achtete nicht darauf, und es war ihm völlig egal, ob Tropfen der heißen Flüssigkeit seine nackten Füße trafen. Er bekreuzigte sich und murmelte: „Santa Maria, Madre de Dios, heilige Mutter Gottes im Himmel, steh uns bei.“ Schwindlig drohte ihm zu werden, aber er fing sich mit verbissener Miene, hievte seinen Kübel wieder hoch und stolperte ins Logis. Der Kapitän Pedro de Mendoza hatte Juan an diesem Spätnachmittag zum Kombüsendienst einteilen lassen, was in
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erster Linie bedeutete, die Kranken zu versorgen, und Juan Flores hatte sich fest vorgenommen, seine Arbeit wie ein Mann zu verstehen, trotz aller Widrigkeiten, nicht wie der linkische Moses, den er mit seinen achtzehn Jahren als der Jüngste an Bord eigentlich immer noch darstellte. Die Geschehnisse hatten vieles verändert in Juan Flores, der all das Erlebte immer noch bildhaft vor Augen hatte, der wußte, daß es sich unauslöschlich in sein Gedächtnis geprägt hatte. Er wollte ein Mann sein, ein harter Mann, der durch seine Verwegenheit der Hölle entging. Wenn nur nicht diese Schwächegefühle gewesen wären! Juan fühlte, wie seine Kniegelenke weich wurden, er strauchelte fast und drohte auf den schwankenden Planken im. Logis auszugleiten. Kalter Schweiß brach ihm aus. Die Tropfen bildeten Rinnsale, die über seinen Hals auf seinen Nacken und auf seine Brust flossen, und ihm war kalt, unglaublich kalt. Juan biß die Zähne zusammen. Er hielt die Balance, setzte den Kübel wieder ab und sah zu dem Koch Francisco Sampedro, der bei dem Feldscher angelangt war. Der Feldscher der „Gran Grin“ kniete neben dem Lager eines abgemagerten Kranken. Er hatte die grobe Decke der Koje zurückgeschlagen, betrachtete den Brustverband des Mannes und runzelte dabei die Stirn. Das Blut der Wunde hatte den Verband durchtränkt. und — wie Juan Flores durch das Schreien und Stöhnen der anderen und durch das Sturmbrausen hindurch zu vernehmen glaubte — der Kranke röchelte, als müsse er jeden Augenblick den Sprung über die düstere Schwelle an treten. Juan spürte ein Würgen in der Kehle, Übelkeit, die in ihm aufstieg, aber das war nicht das Schlimmste. Eine frostige Welle durchlief seinen Körper, und es wirbelte vor seinen Augen. Seine Knie drohten nachzugeben, er mußte sich an einem Balken festhalten, um nicht doch umzukippen.
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Die Kranken wälzten sich in ihren Kojen, einige hielten Näpfe und Mucks zu Juan hin ausgestreckt. Juan sah Sampedros auffordernden Blick. Der Koch hatte sich zu ihm umgewandt und winkte ihm jetzt zu. Juan wollte beginnen, mit einer Schöpfkelle Wassersuppe in die Näpfe der Kranken zu füllen — auch bei Sturm wurden Mahlzeiten ausgeteilt, sofern man von „Mahlzeiten“ an Bord dieses Unglücksschiffes überhaupt noch sprechen konnte. Aber Juan stutzte. Der Mann mit dem Brustverband — er hatte ihn erkannt. „Miguel“, hauchte er entsetzt. Miguel — ein junger Mann, der aus derselben Gegend wie er, Juan, stammte. Sie hatten während der Überfahrt von Spanien nach England Freundschaft geschlossen. Sie hatten Seite an Seite gearbeitet und gekämpft, und dann war Miguel von einem Eisensplitter getroffen und unter Deck gebracht worden. Tagelang war es Juan wie allen anderen Gesunden verboten gewesen, in das Lazarett hinunterzusteigen. Die Decksleute und Seesoldaten hatten in anderen Räumen des Viermasters ihre Lager aufgeschlagen oder an Oberdeck übernachtet. Erst jetzt kehrte Juan Flores hierher zurück — und fast hätte er den Freund nicht wiedererkannt. Der Blutverlust und das Fieber hatten Miguel geschwächt, aber es war noch mehr hinzugekommen: Skorbut, die Mangelkrankheit, die das Siechtum beschleunigte. Miguels Gesicht hatte sich fast völlig verwandelt, es war eine Fratze des Todes geworden. „Miguel!“ schrie Juan. Francisco Sampedro sprang auf. Der Feldscher begann zu fluchen. Sampedro eilte zu Juan hinüber, er hatte begriffen. Er war dagegen gewesen, daß der Junge diesen Dienst versah, aber Befehl war Befehl, und schon der geringste Einwand konnte als Versuch zur Meuterei ausgelegt werden. Die Deckenbalken des Logis' wölbten sich Juan entgegen. Die „Gran Grin“, schwer beschädigt, in der aufgewühlten See kaum noch zu manövrieren, krängte von Backbord nach Steuerbord, weil sie unter
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den verzweifelten Bemühungen des Rudergängers überstag ging und auf den anderen Bug drehte — ein Krachen dröhnte durch das Schiff. Juan fiel. rutschte ein Stück auf dem abschüssig werdenden Deck und prallte gegen einen Kojenpfosten. Die Kübel stürzten um, die heiße Wassersuppe ergoß sich auf die Planken. Die Kranken schrien nicht mehr, sie heulten gegen das Sturmtosen an und ließen ihrer Verzweiflung freien Lauf. Der Verlust der Nahrung trieb sie an den Rand des Wahnsinns. Fluchend lief der Feldscher zu einem wild gestikulierenden Mann hinüber und versuchte, ihn zu besänftigen, während Sampedro, der Koch, sich voll Mitleid über Juan Flores beugte. „Mir ist schlecht“, keuchte Juan. „Aber das geht gleich vorbei.“ „Du hast ja Fieber“, stellte der Koch entsetzt fest. „Ich habe kein Fieber ...“ „Ich werde dir etwas zu trinken geben, das hilft dir. Ich habe nur noch ein paar Tropfen davon, aber sie stärken deinen inneren Widerstand, glaub es mir“, sagte Sampedro. Widerstand? Männliche Kühnheit nach einer Schlacht wie dieser, die die Armada zerrieben, fast ganz vernichtet hatte? Plötzlich erschien es Juan absurd, noch länger den Hartgesottenen zu markieren. Es hatte ja doch alles keinen Zweck mehr. Die Gefechte — eine Reihe von furchtbaren, erniedrigenden Kämpfen, eine Niederlage nach der anderen. Das Ende der glorreichen, „unüberwindlichen“ Armada, der Untergang einer Idee ... Juans Vertrauen in die Macht seines Landes war mit jedem Schiff. das unter dem Beschuß der Engländer zerfetzt worden war, stärker erschüttert worden. Die Brander, ein Meer von Flammen, Panik — und dann die Flucht, dieser schier endlos erscheinende Weg durch die Nordsee nach Norden hinauf, um Schottland herum, an den Hebriden vorbei, an Irlands Westküste entlang — aber Spanien, Bilbao, das geliebte Baskenland lagen immer noch in unerreichbarer Ferne.
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Blessuren. Skorbut. Darmerkrankungen wie Typhus und Diarrhöe. Kein ausreichender Proviant mehr an Bord, und in den Fässern unter Deck faulte das Trinkwasser dahin. Jetzt, im Sturm, wuchs die Verzweiflung ins Grenzenlose. „Ich will sterben“, flüsterte Juan Flores. „Es ist das Beste, wenn wir alle sterben.“ Der Feldscher konnte die jammernden Kranken nicht beruhigen, er brüllte sie jetzt an, um sie einzuschüchtern. Die ,Gran Grin“ hob ihren Bug auf einem heranrollenden Breche?, wieder geriet das Logis in wilde Bewegung. Die Kupferkessel kollerten nach achtern und krachten gegen die Wand. Miguel fiel aus seiner Koje. Seine ausgemergelte Gestalt rutschte über die Planken. Juan hatte es gesehen, er richtete sich auf, streckte die Arme aus und fing den Freund auf. Er hielt Miguel fest und redete auf ihn ein, aber dann erstarrte er, denn er hatte festgestellt, daß er einen Toten in den Armen hielt. Mit einem Aufschrei ließ Juan ihn los. Er sprang auf und verließ torkelnd das Logis, fand durch den finsteren Gang den Weg zum Niedergang, stolperte die Stufen hoch, stürzte durchs Schott auf die Kuhl und ans Schanzkleid. Der Sturmwind heulte, ein neuer Brecher ergoß sich rauschend und gischtend über das Schiff. Juan Flores wehrte sich nicht dagegen, daß die Naturgewalt ihn packte, um ihn außenbords zu heben. Aber Hände, so stark wie Eisenklammern, hielten den 18jährigen plötzlich an den Schultern fest. Francisco Sampedro war Juan nachgeeilt und verhinderte es, daß der junge Mann seinem Leben selbst ein Ende bereitete. Er ließ Juan nicht mehr los, auch nicht, als der sich vornüberbeugte und spuckend und würgend der See opferte. Er zerrte ihn schließlich vom Schanzkleid fort, in die Kombüse, wo er ihm einen bitteren Trank aus einer kleinen Flasche einflößte. „Eins unserer letzten Medikamente“, sagte Sampedro. ..Es ist nicht mehr viel, aber es
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wird dir helfen, dein Fieber zu überstehen und deine Verzweiflung.“ Juan hatte die Hände vors Gesicht geschlagen. Ein trockenes Schluchzen schüttelte seinen Körper. Plötzlich aber riß er sich von Sampedro los, sprang auf und wollte wieder auf die Kuhl hinaus. Sampedro war schneller als er. In dem schwankenden Raum verstellte er ihm den Weg und rammte ihm die Faust unters Kinn. Juan prallte zurück, fiel auf den Rücken und blieb vor dem erloschenen Holzkohlenfeuer liegen, über dem ein mächtiger Kupferkessel an einer dicken Eisenkette hin- und herschwang. „Du wirst wieder auf die Beine kommen!“ brüllte Sampedro ihn an. „Du bist es deiner Familie schuldig, die zu Hause auf dich wartet! Du wirst keine Dummheiten mehr anstellen - das ist ein Befehl!“ Juan Flores richtete sich halb auf und schüttelte seine Benommenheit ein wenig ab. Er fühlte sich trotzdem noch elend, spürte Tränen in seinen Augen brennen, aber der Drang zur Selbstvernichtung war vorbei. „Ein Befehl“, antwortete er. „Si, Senor. Ich werde wieder gesund. Ich werde zu Hause allen erzählen, daß Miguel ein Held war, auf den jeder Baske stolz sein muß ...“ * Der schwere Sturm aus Südwest fegte an der irischen Westküste entlang. Der Wind orgelte und pfiff durch die Clew Bay, die sich südöstlich von Achill Head, dem westlichsten Küstenzipfel vom MayoCounty. erstreckte. Er leckte zornig über die dreimastige Galeone, die zweimastige Karacke und die kleineren Einmaster weg, die geschützt und gut vertäut im Hafen von Westport lagen. Er rüttelte an der Tür und an den Fenstern der Häuser, als verlange er. eingelassen zu werden, aber niemand war so töricht, auch nur einen Schritt ins Freie zu tun - einschließlich des beleibten Mannes, der im größten Gebäude von Westport hinter einem abgewetzten Eichenholzpult saß und seine beiden Besucher abschätzend musterte.
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Einer dieser Besucher war sehr groß. breitschultrig und schwarzhaarig. Das Auf fallende in seinem Gesicht waren die eisblauen Augen, die Verwegenheit und Intelligenz ausdrückten, und die Narbe, die von der Stirn aus über seine eine Gesichtshälfte Der andere Mann war von schlanker. geschmeidiger Gestalt, dunkelhaarig und dunkeläugig, und dem Akzent nach, mit dem er englisch sprach, weder ein waschechter Engländer noch ein Schotte noch ein Ire. "Philip Hasard Killigrew“, wiederholte der dicke Mann hinter dem Pult den Namen des schwarzhaarigen Riesen. Er heftete seinen Blick auf den anderen. „Und wie ist Ihr Name ?“ „Jean Ribault“, erwiderte der Franzose mit dem Anflug eines Lächelns. „Um gleich auf weitere mögliche Fragen einzugehen, werter Sir Richard Bingham - die Karacke, die Sie dort draußen sicher vertäut liegen sehen, heißt ,Le Vengeur', und ich bin mit Karl von Hutten zusammen ihr Eigner. Ich habe wie Mister Killigrew ein paar Mann als Deckswache an Bord zurückgelassen, der Rest der Crew hat die offenbar einzige Kneipe dieses idyllischen Städtchens aufgesucht, während wir Ihnen unsere Ehrerbietung erweisen. indem wir Sie sogleich besuchen -Sie, den Gouverneur von Westport.“ Hasard konnte sich ein Grinsen kaum verkneifen. Jean war für seine salbungsvollen Reden bekannt. Keiner außer ihm konnte jemandem so großartig Honig um den Bart schmieren- und ihn gleichzeitig auf den Arm nehmen. Daß Bingham nicht zu dem Schlag Menschen gehörte, mit denen man spontan Freundschaft schließen konnte, hatten Hasard und Jean auf den ersten Blick festgestellt. Bingham kratzte sich am Kopf. „,Le Vengeur', Ribault, von Hutten -mit diesen Namen kann ich nicht viel anfangen. Ich höre sie zum erstenmal, um ehrlich zu sein.“
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„Ehrlichkeit ist eine Tugend“, erwiderte Jean, wobei er den dicken Mann für alles andere als eine aufrichtige Natur hielt. „Etwas anderes ist es bei Ihnen, mein lieber Killigrew“, sagte Bingham. „Sie, Ihre Crew und die ‚Isabella VIII.' - mir ist da so allerlei zu Ohren gekommen. Man hat Sie doch den Seewolf getauft, nicht wahr?“ „Das ist richtig“, entgegnete Hasard. „Im englischen Mutterland sollen Sie wie ein Volksheld gefeiert werden.“ „Das würde ich nun nicht unbedingt behaupten“, erwiderte der Seewolf. Er dachte dabei besonders an die Versuche des sehr ehrenwerten Sir John Doughty, ihn aus dem Weg zu räumen. „Wie dem auch sei, es scheint so einiges im Gange zu sein, das mit den jüngsten Seegefechten im Kanal zu tun hat“, meinte Bingham. „Genaue Berichte darüber haben mich leider noch nicht erreicht, aber ich sehe die spanischen Schiffe, die hier vorbeisegeln, und ich kann mir meinen Reim darauf bilden, lieber Freund.“ Er begann, sich die Hände zu reiben. „Aber nun heraus mit der Sprache, womit kann ich Ihnen beiden behilflich sein, nachdem Sie in unserem gastlichen Hafen Schutz vor dem Sturm gesucht haben?“ Hasard griff in die Innentasche seiner Jacke, zog den Kaperbrief daraus hervor und überreichte ihn dem übergewichtigen Mann, der ihm von Sekunde zu Sekunde unsympathischer wurde. Richard Bingham nahm das Schreiben in Empfang und überflog die Zeilen mit seinem Blick. Sie lösten Hochachtung in ihm aus, er hob die Augenbrauen. Das königliche Siegel schließlich verlangte ihm seine ganze Ehrfurcht ab, er erhob sich, und es hätte nicht viel gefehlt, dann hätte er dem Seewolf gegenüber auch noch Haltung angenommen. Langsam wiederholte er einen der wichtigsten Sätze aus dem Dokument: „ ... und jeder englische Untertan ist gehalten, Sir Philip Hasard Killigrew und dessen Besatzung jede erdenkliche Hilfe und Unterstützung zu gewähren.“
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Er sah Hasard an. „Meine Loyalität gegenüber der Krone kennt keine Grenzen, Sir. Alles, was in meinen Kräften steht, werde ich für Sie tun. Absolute Pflichttreue, das ist auch die Devise von Sir William Fitzwilliam, dem Lord Deputy von Irland, meinem höchsten Vorgesetzten, dem ich direkt verantwortlich bin. Noch einmal, meine lieben Freunde, ich heiße Sie in meiner Eigenschaft als Gouverneur von Westport herzlichst in unserer Stadt willkommen.“ Er fügte noch einige Floskeln hinzu, die seine Hilfsbereitschaft unterstreichen sollten. aber nur Jean Ribault hörte ihm lächelnd zu. Hasard blickte durch Bingham hindurch und dachte dabei an den Namen, den dieser soeben erwähnt hatte. Fitzwilliam! Dieser sehr ehrenwerte, hochwohlgeborene Lord Deputy hatte eine ganz besondere Art, mit den Leuten umzuspringen, das betraf sowohl die Iren als auch die Spanier. Die Iren hatten wenig zu lachen unter Fitzwilliam, und ein spanischer Soldat auf frischem Boden, selbst ein Gefangener, war in Fitzwilliams' Augen ein zu großes Risiko, in jeder Hinsicht. Daher war jeder „Don“ auf jeden Fall aus dem Weg zu räumen. Wenn Bingham nun wirklich Fitzwilliams treu ergebener Diener war, so mußte er es auch strikt mit dessen Grundsätzen halten und als ihr „Vollzieher“ auftreten. Hasard taxierte den dicken Bingham noch einmal mit seinem Blick. Ja, das schien er wirklich zu sein: ein korrupter Beamter der königlich-englischen Besatzer. der aus den Iren herauspreßte, was es herauszupressen gab — und der dabei selbstverständlich in die eigene Tasche wirtschaftete. So was gab's nicht nur in Spanien und Portugal und in den Kolonien West- und Ostindiens, so was existierte traurigerweise eben auch daheim, im biederen England. Natürlich konnte man Bingham auch knapper und treffender als fetten Widerling bezeichnen. Ausgerechnet ein solcher Typ mußte ihnen hier. in Westport. wo sie zufällig und aus purer Notwendigkeit eingelaufen waren, begegnen! -
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Sir Richard Bingham hatte seinen vor Eigenlob triefenden Vortrag beendet und sah die Freunde nun erwartungsvoll an. Jean Ribault räusperte sich verhalten. Er überließ es Hasard, die Unterredung weiterzuführen. „Wir brauchen Proviant und Trinkwasser“, erklärte der Seewolf ohne Umschweife. „Sie werden sicherlich einiges von Ihren Vorräten erübrigen können. Sir. und wir werden es auf unsere Schiffe mannen Jassen, sobald der Sturm etwas nachläßt.“ Bingham legte den Kopf etwas' schief. „Noch heute nacht?“ „Vielleicht auch erst morgen früh“, erwiderte Hasard. „Wenn der Sturm nachläßt“, fügte Jean noch einmal lächelnd hinzu, für den Fall, daß Bingham besonders schwer von Begriff war. Bingham befeuchtete die Lippen mit der Zungenspitze und las noch einmal in dem von Elisabeth I. ausgefertigten Kaperbrief. Dann rollte er ihn zusammen und reichte ihn Hasard zurück. Hasard versenkte. das kostbare Stück Büttenpapier wieder in der Innentasche seiner Jacke. „Mein lieber Sir Hasard“, begann Bingham. „Oh. den ‚Sir’ können Sie ruhig weglassen“, sagte der Seewolf. „Nennen Sie mich auch weiterhin Mister Killigrew.“ „Aber Sie sind doch von Ihrer Majestät zum Ritter geschlagen worden, oder'?“ „Geht das aus dem Kaperbrief hervor?“ „Das nicht, aber - aber auch Drake erhielt einen solchen Kaperbrief und wurde gleichzeitig durch den Ritterschlag geadelt“. entgegnete Bingham, der unter dem forschenden Blick des Seewolfs irgendwie unruhig wurde. „Daraus schloß ich nun, daß ...“ „... daß auch unserem Seewolf diese Ehre zuteil geworden ist“, vollendete Jean Ribault, immer noch freundlich lächelnd, den Satz. „Und das hat auch seine Richtigkeit. Nur wollte Mister Killigrew durch seine Worte zum Ausdruck bringen, daß man sich unter Freunden auch mit einer gewissen Vertraulichkeit begegnen kann.“
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Binghams Blick huschte zu Jean hinüber. Sofort ging er auf dessen Äußerung ein. „Ja, „natürlich. Ich kann das nur begrüßen. Wir verstehen uns, Gentlemen. und das macht manches sehr viel einfacher, nicht wahr?“ „Ja“, sagte Hasard gedehnt. „Wir sind sozusagen unter uns.“ Er wollte jetzt wirklich wissen, auf was dieser schmierige Stadtgouverneur hinauswollte. „Reden Sie nur frei von der Leber weg, mein Freund.“ Der ehrenwerte Bingham begann sich wieder die Hände zu reiben. Ein Grinsen stahl sich in seine Züge. „Also, warum soll ich um den heißen Brei herumreden? Ich will Ihnen ein Geschäft vorschlagen, und ich schätze. Sie werden gern darauf eingehen. Eine Hand wäscht die andere, wie man sagt. und wir werden alle drei unseren Gewinn daraus schlagen.“ „So“, meinte Hasard. „Hat das ‚Geschäft' etwa mit den spanischen Schiffen zu tun, die Sie hier vorbeiziehen sehen?“ Bingham blickte höchst verwundert drein. „Ja. Wie haben Sie das so schnell 'rausgekriegt?“ 2. „Viel Scharfsinn gehört nicht dazu“, erwiderte Hasard. „Aber es wäre sehr nett von Ihnen, wenn Sie uns mitteilen würden, welchen Reim Sie sich auf das Auftauchen dieser Schiffe gebildet haben. Sie haben doch eben erwähnt, daß Sie von den Gefechten im Kanal schon vernommen haben.“ „Ja, ja. Also, das muß schon ein tolles Stück gewesen sein. Die Spanier hatten sich in den Köpf gesetzt, mit ihrer stolzen Armada eine Invasion auf der englischen Insel zu veranstalten. Habe ich recht?” „Stimmt“, erwiderte Hasard. Hai, dachte er dabei, Marodeur, elender Galgenstrick, ich weiß genau, was du vorhast, aber ich werde es dir nicht auf den Kopf zusagen, ich will es von dir hören. Strauchritter, dachte Jean Ribault, während er dem Dicken lächelnd in die Augen schaute, Schnapphahn, Küstenwolf,
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erbärmlicher Leichenfledderer, der Blitz soll dich treffen, daß du zerspringst. „Aber Lordadmiral Sir Howard von Effingham, der Oberbefehlshaber der englischen Flotte, hat diesen dreisten Angriff zurückgeschlagen, ja?“ fuhr Bingham fort. „Die Armada ist zerschlagen, ihre Reste irren um die Insel herum, nicht wahr? Wie ist denn die Sohlacht im einzelnen verlaufen? War das nicht ein Freudentanz für die englische Nation?“ „Wir haben das nicht so genau verfolgen können“, teilte Hasard ihm eher mürrisch mit. ,.Wir waren Statisten und haben kaum eingegriffen; während Lord Howard. Sir John Hawkins, Sir Martin Frobisher und Sir Francis Drake die Hauptaktionen leiteten.“ Das entsprach nun ganz und gar nicht der Wahrheit, aber Hasard hatte keine Lust, sich mit seinen Taten zu rühmen und dem Fettwanst die Einzelheiten der Schlacht gegen die Armada auf die Nase zu binden. „Ach so“, meinte Bingham. „Und warum segeln auch Sie jetzt um die Insel herum, bis an Irlands Küsten?“ Jean Ribault beugte sich ein wenig vor. „Na, nun raten Sie doch mal, vierter Richard.“ Bingham hob seine rechte Hand und stieß seinen wurstigen Zeigefinger in die Luft. „Ich hab's! Sie sind hinter den letzten spanischen Hunden her, um ihnen den Rest zu geben.“ „Gewissermaßen“. bestätigte Jean so freundlich wie möglich. Hasard griff jetzt nicht ein - bewußt nicht. Er wollte Bingham die Mission verschweigen. die er sich selbst gestellt hatte. Diese Mission lautete, den schiffbrüchigen Spaniern nach Möglichkeit zu helfen. Es war ein Gebot der Ritterlichkeit und der Fairneß, denn einen Gegner, der schon am Boden lag, trat man nicht auch noch mit den Füßen. So dachte Hasard. So dachte aber bei weitem nicht jeder englische Seemann und Kapitän, wie sich erwiesen hatte. Bingham nun zählte zu der übelsten Kategorie von Schnapphähnen und Profitgeiern. Hasard hätte ihm am liebsten
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eine geharnischte Antwort entgegengeschleudert, aber er brauchte den Proviant und das Trinkwasser wirklich, denn bei den Orkneys hatten sie mit ihren eigenen Schiffsvorräten verzweifelten Spaniern aus der Klemme geholfen. Der Seewolf hatte beschlossen, zum Schein auf Binghams schmutziges „Geschäft“ einzugehen. Genauso sah es auch Jean Ribault. Hasard kannte ihn lange genug, sie brauchten sich in vielen Dingen nicht erst lange abzustimmen, um denselben ' Weg zu beschreiten oder dieselbe Taktik zu wählen. Bingham ließ sich auf seinen Sitzplatz zurücksinken und bot auch Hasard und Jean durch eine großzügige Geste endlich an, sich hinzusetzen. Er strahlte plötzlich über sein pausbäckiges Gesicht, breitete die kurzen Arme aus und sagte: „Das trifft sich ja ausgezeichnet, meine lieben Freunde. Sie tun mir einen kleinen Gefallen, der auf einer Linie mit ihrem eigentlichen Vorhaben liegt, und ich stelle Ihnen dafür reichlich Proviant und Trinkwasser zur Verfügung.“ Er legte eine kleine Pause ein, ließ die Arme sinken, faltete die Hände über dem Bauch und erkundigte sich: „Nun, wie ist es? Werden wir handelseinig?“ Hasard überlegte, bevor er antwortete. Bingham war, nachdem er den Kaperbrief gelesen hatte, dazu verpflichtet, den Männern der „Isabella VIII.“ und der „Vengeur“ Hilfe zu leisten_ Hasard konnte leicht auf seine königlichen Privilegien pochen, die er jetzt genoß. Er konnte sein Recht ausspielen, und Bingham hatte keine Chance, ihn kalt. ,abfahren“ zu lassen. Aber, wie gesagt: Vielleicht war ein solches Verhalten nicht gerade taktisch klug. Vielleicht konnte man den Spaniern, die ihre grausige Odyssee um England und Irland herum fuhren, besser beistehen, wenn man diesen Fettwanst täuschte. Sir Richard Bingham indes meinte, diesen Killigrew und diesen Ribault durch sein Geschick zu nutzbaren und willfährigen Werkzeugen in seinen Händen machen zu können. Sie sollten ihm helfen, die an der
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Clew Bay und an Murrisk vorbeisegelnden halbwracken Spanier auszuplündern. Er war geradezu verrückt darauf. Und ihm standen fast die Tränen der Wut in den Augen, wenn er daran dachte, wie viele Spanier bereits an der Clew Bay vorbeigezogen waren, die eine leichte Beute für ihn hätten werden können. „Diese Spanier“, sagte er mit verschlagenem Gesichtsausdruck. „Wir ‚sollten sie nicht nur- versenken, damit sie ihr Heimatland nicht mehr wiedersehen, wir sollten ihnen auch wegnehmen, was sie noch an Bord ihrer Schiffe mitschleppen. Gentlemen, alles, was sie nach Spanien und Portugal zurückbringen, dient doch letztlich ihrem verfluchten König, diesem Philipp, wieder eine neue Flotte aufzubauen und auszurüsten. Habe ich recht?“ Diesmal war es Jean, der darauf erwiderte: „Sehr richtig, lieber Freund. Vom kriegstechnischen und vernunftmäßigen Standpunkt aus gesehen, ist dem, was Sie eben ausgesprochen haben, nur unter außergewöhnlichen Umständen eine gehörige Portion Schlauheit zu leugnen.“ „Wie?“ sagte Bingham verdutzt. „Ich meine, was Sie da über König Philipp II. von Spanien gesagt haben, Stimmt schon“, entgegnete Jean, ohne dem Dicken zu verraten, wie er über den .Rest seiner Worte dachte. So rechtfertigte Bingham also, was er plante - Spanien zu schaden, wo man konnte. Fehlte nur noch, daß er behauptete, er tue dies für seine Königin, der er treu ergeben sei. „Mit den wenigen kleinen Schiffen, die Sie im Hafen liegen haben, dürfte ein solches Unternehmen aber scheitern“, sagte nun der Seewolf. „Mit den Einmastern können Sie nur was anfangen, wenn Sie hervorragende Entermannschaften haben, Burschen, die weder Tod noch Teufel .fürchten und reiche Erfahrung im Kapern haben.“ Bingham rang die Hände. „Daran mangelt es mir ja gerade, Freunde. Keiner meiner Untergebenen ist kampferfahren genug, um
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so was leisten zu können. Meinen Sie denn, ich säße sonst noch hier herum?“ „Und die Iren?“ „Die irischen Bastarde sind dazu sowieso nicht zu gebrauchen“, sagte Bingham verächtlich. „Mit anderen Worten, nur Sie können das erledigen.“ Hasard schlug ein Bein über. „So viele spanische Schiffe wie möglich entern? Darüber läßt sich reden, denn das ist unsere Spezialität. Und wie sieht es mit unserem Anteil aus?“ „Proviant und Trinkwasser, reichlich ...“ „Ach. Und Sie glauben, damit begnügen wir uns?“ Bingham rutschte ein Stück auf seinem Stuhl vor und legte die Hände auf das blankgewetzte Pult. „Gold und Silber habt ihr Seewölfe auf euren Fahrten doch genug gerafft. Was ihr jetzt braucht, ist ausreichend gutes Essen, Wasser,' Wein, Bier, Whisky - ihr glaubt ja nicht, wie gut es um meine ganz privaten Vorräte bestellt ist.“ Doch, Hasard glaubte fest daran, daß Bingham sich gut eingedeckt hatte, denn wo man den Iren kein Geld und keine Wertsachen entreißen konnte, da nötigte man ihnen eben Naturalien ab. an denen man sich gütlich tun und mit denen man auch einen schwunghaften Tauschhandel betreiben konnte. „So?“ sagte Jean Ribault. „Habe ich richtig gehört? Sie haben auch Whisky? Etwa den echten irischen, der mit einem ,e' vor dem ,y' geschrieben wird: W-h-i-s-k-e-y?“ „Ja, den.“ Jean blickte zu Hasard. „Also, das sollten wir uns aber wirklich gut überlegen. Da ist doch einiges für uns drin, Hasard:' „Kann sein.“ Hasard spielte den Zögernden und feilschte noch eine Weile mit Bingham über die Mengen herum, die er forderte, obwohl er dem Dicken am liebsten zwei deftige Maulschellen verpaßt hätte. Endlich hatten sie eine „Einigung“ erlangt, und Hasard fragte: „Wann sollen wir denn mit dem Überfall auf spanische Schiffe beginnen?“
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„So schnell wie möglich-, erwiderte Bingham hastig. „Die Clew Bay ist übrigens ein ideales Versteck, aus dem man wie der Teufel über einen Feind herfallen kann. Sie brauchen bloß auf die verdammten Philipps zu warten, Freunde, und dann rupfen Sie sie, einen nach dem anderen.“ „Es stürmt“, erwiderte der Seewolf. „Und meine Männer sind hungrig. In der Kneipe von Westport können sie saufen und mit den Ladys scherzen, aber da gibt es nichts zu essen.“ „Meine Männer sind auch hungrig. Wie die Bären“, hieb Jean sogleich in dieselbe Kerbe. „Seit zwei Tagen haben sie nichts Vernünftiges mehr zwischen die Zähne gekriegt.“ „Und wer Hunger hat, kann nicht kämpfen“, erklärte der Seewolf. „Also sollten wir den Proviant, das Wasser und die übrigen Kleinigkeiten, die Sie, werter Richard, uns versprochen haben, so schnell wie möglich übernehmen.“ „Wenn der Sturm nachläßt, oder?“ fragte Bingham. „Am besten noch heute nacht“, sagte Hasard. „Und wenn es weiterhin stürmt?“ „Auch dann“, entgegnete Hasard und entblößte seine Zähne. „Meine Leute und die Männer Jean Ribaults werden schon nicht von der Gangway fallen, wenn sie Fässer und Kisten zur ‚Isabella' und zur ,Vengeur‘ hinübermannen. Je mehr Bier und Schnaps sie in Ihrer Spelunke die Kehlen hinunterstürzen, desto sturmfester wird ihr Gang.“ Er lachte. Jean lachte auch. Bingham fiel glucksend mit ein, dann erhob er sich und schüttelte den beiden spontan die Hände. Hasard und Jean wäre es lieber gewesen, voll in eine glitschige Nesselqualle zu packen als diesem Widerling die Hand zu drücken, aber sie taten auch das. Was tat man nicht alles zum Schein! „Ich werde alles Notwendige veranlassen“, sagte Sir Richard Bingham feierlich. „Und nun lassen Sie uns erst mal trinken - auf gute Geschäfte.“ Er kicherte, setzte sich wieder und zog aus dem untersten Fach
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seines Pultes eine leicht angestaubte Flasche hervor. Guter irischer Whiskey befand sich darin, zehn Jahre alt, ein edler Tropfen, den Bingham eigentlich für sich ganz persönlich aufgespart hatte. Zum Teufel mit allem Geiz, dachte er, das hier ist schon ein Opfer wert. * Der Sturm hielt an. Immer noch kämpfte die „Gran Grin“ mit ihm. Ihr Kapitän und ihre Besatzung entdeckten in den ihnen unbekannten Gewässern keine schützende. Bucht, in die sie verholen konnten. Dunkelheit und Regen hüllten das große Schiff ein, Brecher rollten donnernd gegen die Bordwände an und vergrößerten die Lecks. 1160 Tonnen groß war die „Gran Grin“, ein einst stolzes Schiff, wie es in dieser Größe und prachtvollen Bauweise nur selten vom Stapel gelassen wurde. Sie war das Vize-Flaggschiff aus dem Biskaya-Geschwader des Juan Martinez de Recalde, eine gut armierte ViermastHandelsgaleone. Aber von ihren vier Masten standen jetzt nur noch der vordere Besanmast und der Fockmast. Der achtere Besanmast war im Gefecht weggeschossen worden. Der vordere Besanmast war lateinergetakelt, an dem Fockmast bauschten und beutelten sich im zornigen Wind die beiden Rahsegel - Fock und Vormarssegel -, und zwischen diesen beiden Masten stand als Überrest des Großmastes ein unbrauchbarer, kläglicher Viertelstumpf. Die oberen drei Viertel waren samt Takelage und Segeln längst gekappt und schwammen nördlich der Orkney-Inseln. Und die Armierung? Es waren nur noch die Kanonen da, von denen sich die eine oder andere leicht aus ihren Brooktauen lösen konnte und dann als Geschoß quer über Deck rollen würde eine Gefahr für die letzten halbwegs gesunden und kräftigen Männer, die sich an Oberdeck hielten und verbissen die Manöver durchführten, gegen den
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Kolderstock drückten, der im Toben des Wetters zu. brechen drohte. Munition für die Kanonen befand sich nicht mehr an Bord, so daß sich die „Gran Grin“ bei der möglichen Konfrontation mit einem Gegner nicht auf ein Gefecht einlassen konnte. Die Besatzung - ursprünglich mit den Seesoldaten eintausendzweihundert Mann war auf etwa zweihundert Mann zusammengeschrumpft. Und von diesen zweihundert war der Großteil völlig unterernährt und: halbverdurstet, war im Kampf verwundet worden, litt an den gefürchteten Krankheiten Skorbut, Typhus. Diarrhöe. Der Feldscher fürchtete, daß sich auch die Cholera einschleichen würde, aber hierüber hatte er bisher nur mit Kapitän Pedro de Mendoza gesprochen, um die Verzweiflung an Bord nicht noch zu vergrößern. Pedro de Mendoza hatte die Offiziere in seiner Kapitänskammer im Achterkastell des Schiffes versammelt, hörte sich ihren kurzen Lagebericht an und fällte dann seine Entscheidung. Er hatte keine Karten von dem Seegebiet vor der Westküste Irlands. aber er brauchte sie dazu auch nicht. De Mendoza war ein fähiger Kapitän, vierzig Jahre alt, zäh wie Leder, tapfer und vor allem kein Leuteschinder. Reiche seemännische Erfahrung hatte er in Westindien gesammelt, mit diesem und mit anderen Schiffen, die der NeuspanienFlotte angehört und Gold und Silber aus der Neuen Welt nach Spanien transportiert hatten. Illusionen hatte er in einer Situation wie dieser nicht mehr. Die „Gran Grin“ war leck, und die Lecks waren mit Bordmitteln nur notdürftig abgedichtet. Die Besatzung hatte bis zum Äußersten gekämpft, aber jetzt war sie am Ende. Sie brauchte Ruhe, sie bräuchte Proviant. Wasser und ärztliche Versorgung. De Mendoza saß auf einem geschnitzten Holzgestühl hinter seinem reich verzierten Kapitänspult. Die Männer hatten ihn umringt und blickten besorgt und
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erwartungsvoll auf ihn hinunter. Ein Offizier fehlte bei dieser Besprechung – es war der zweite Offizier. der vor zwei Tagen seinen schweren Verletzungen erlegen war. Einer der vielen. Sie hatten den Zweiten mit seemännischen Ehren in dem ungastlichen. mörderischen Meer bestattet, wie sie danach immer wieder Tote den Fluten hatten übergeben müssen, so viele, daß sie sie am Ende nicht mehr gezählt hatten. In dieser Nacht hatte es Miguel, einen jungen baskischen Decksmann, getroffen, und auch jetzt, so wußte de Mendoza, hockte der Feldscher unten im Vordeck am Lager eines Todkranken, der das Morgengrauen nicht mehr erleben würde. Der Sturm packte und schüttelte das Schiff. Die Offiziere mußten sich am Pult und an Stützbalken festklammern, um nicht umgerissen zu werden. De Mendoza blickte seinen ersten Offizier Vega de la Torre an und sagte: „Solange der Wind noch aus Nordwest wehte, konnten wir unseren Kurs halten. Aber dem Sturm aus Südwest sind wir einfach nicht gewachsen, es ist ein Ding der Unmöglichkeit, weiter gegen ihn ankreuzen zu wollen. Daher meine Order: Wir gehen auf Kurs Nordost und laufen vor dem Sturm her. Ja, wir bewegen uns dorthin zurück, woher wir gekommen sind, aber in diesen sauren Apfel müssen wir beißen. Senores, wir versuchen, irgendwo unter einer Leeküste Schutz zu suchen.“ „Und wenn wir statt dessen auf ein Riff laufen?“ fragte de la Torre. „Dieses Risiko gehen wir ständig ein, so oder so”, erwiderte der Kapitän. „Oder haben Sie noch einen genauen Begriff davon, in welcher Wasserregion wir uns befinden?“ „Nein, Senor Capitan.“ „Sehen Sie. Soll ich Ihre Frage noch präziser beantworten? Wenn wir auflaufen, dann ist es das Ende für uns alle. Aber das wußten Sie doch schon, oder?“ De la Torre zeigte klar und sagte: „Sie, Sonor Capitan. Ich bitte um Verzeihung wegen meiner unangebrachten Bemerkung.
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Ich werde sofort alles Notwendige veranlassen.“' „In Ordnung“, entgegnete de Mendoza, und zum erstenmal seit langer Zeit spürte er Mutlosigkeit und Schwäche in sich aufsteigen. Wie lange konnte er auf das Durchhaltevermögen dieser Männer noch bauen? Verlangte er ihnen nicht Übermenschliches ab? War die Zeit nicht längst reif für eine Meuterei? Es ist die Müdigkeit, die dir so etwas vorgaukelt, sagte er sich im stillen. „Senor“, sagte de la Torre, der zur Tür gegangen war, sich jetzt aber noch einmal umwandte. „Senor, gestatten Sie mir noch ein Wort. Sie sollten sich zur Ruhe legen. Sie haben seit drei Tagen kein Auge mehr zugetan - oder seit vier Tagen?“ „Es sind mindestens vier Tage, Capitan-, sagte der Bootsmann. „Ich melde mich freiwillig zur Mittelwache mit dem Ersten, Senor.“ Plötzlich lächelte der Kapitän schwach. Am Horizont der Finsternis und Verdammnis erschien wieder ein schwacher Hoffnungsschimmer. Seine Männer - sie hielten doch noch voll zu ihm. „Ich danke Ihnen, Senores“, erwiderte er. „Und ich glaube, ich werde Ihr Angebot annehmen. Santa Madre de Dios, vielleicht haben wir nach dieser entsetzlichen Pechsträhne ja doch endlich Glück. Vielleicht finden wir Schutz und Hilfe. Vielleicht können wir den Iren, vor deren .Küsten wir uns befinden, wenigstens Trinkwässer und Nahrungsmittel abkaufen.“ „Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche'', sagte Luis de Bobadilla, der Geschwader-Zahlmeister, wie aus der Pistole geschossen. „Geld haben wir ja mehr als genug an Bord, Capitan. Falls die Bevölkerung dieser wilden Gegend uns nicht gerade freundlich gesonnen ist, wird sie doch die Augen weit aufsperren und sich vor Hilfsbereitschaft überschlagen, wenn wir ihr auch nur eine Handvoll Piaster oder Reales unter die Nase halten. Die Iren sollen bettelarme Hunde sein, habe ich gehört.“
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Luis de Bobadilla, ein untersetzter Mann mit vollem Gesicht und gerötetem Teint, hielt sich mit beiden Händen am Pult seines Kapitäns fest. Zuversichtlich lächelte er de Mendoza zu. De Mendoza begegnete seinem Blick. Dieser Zahlmeister - sah er nicht viel gesünder aus als die anderen Offiziere'? War die Tatsache, daß er bisher von seinem Leibesumfang kaum etwas eingebüßt hatte, wirklich einzig und allein darauf zurückzuführen, daß er über die enormen körperlichen Reserven verfügte, mit denen er sich immer brüstete? „Ja“, sagte de Mendoza etwas gedankenverloren. „Wir können wirklich froh sein, daß wir wenigstens die Kriegskasse des Biskaya-Geschwaders gerettet haben.“ „Die ja wohlverwahrt in deiner Kammer steht, nicht wahr, Luis?“ meinte der Bootsmann, bevor er zu de la Torre hinüberschritt und mit diesem die Kapitänskammer verließ. „Ja“, entgegnete de Bobadilla, während sie schon durch den schwankenden Achterdecksgang nach vorn gingen. „Ja, da steht sie sicher und wohlbehütet, und jeder kann es überprüfen, wenn er will.“ Die anderen Offiziere äußerten sich nicht dazu. Keiner konnte de Bobadilla besonders leiden, aber sie hatten andererseits auch keine Lust, mit ihm über die mehr oder weniger sorgfältige Verwahrung der Kriegskasse herumzudiskutieren. Sie waren alle zum Umfallen müde. Kapitän Pedro de Mendoza entließ die Männer, aber Luis de Bobadilla hielt er doch noch zurück. „Auf ein Wort, Zahlmeister“, sagte er. In diesem Augenblick erschien ein Mann der Deckswache unter dem Türpfosten der Kammer und meldete: „Senor, der Feldscher schickt mich. Der Kamerad, der im Logis im Sterben liegt, hat als letzte Bitte ausgesprochen, noch einmal mit Ihnen sprechen zu dürfen.“ De Mendoza erhob sich, gab sich einen inneren Ruck und ging, die
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Schiffsbewegungen durch Beinarbeit ausgleichend, zur Tür. „Verschieben wir unser Gespräch auf später“, sagte er zu de Bobadilla. „Das kann warten.“ „Ja, Senor. Gewiß, Senor“, entgegnete der Zahlmeister. Es kam ihm wirklich gelegen, daß der Sterbende im Vorschiff gerade in diesen Minuten seine letzten Atemzüge tat. 3. Platt vor dem Wind lief die „Gran Grin“ am frühen Morgen dieses Tages auf die Clew Bay zu, die sie vor Stunden bereits passiert hatte. Kapitän de Mendoza und die Reste seiner Mannschaft legten alle Hoffnung in diesen Kurswechsel. Sie schickten Gebete zum Himmel und flehten um Hilfe — und sie schienen erhört zu werden, denn sie fanden die ersehnte Leeküste schließlich wirklich. Diese Küste war das Nordostufer von Clare Island. Clare Island lag der Clew Bay vorgelagert, doch das wußten die Männer der „Gran Grin“ nicht. Sie konnten nicht einmal ermitteln, daß sie hinter einer Insel Schutz gesucht hatten, die Dämmerung, Gischt und Regen behinderten die Sicht. Achtzehn Meilen westlich von Westport lag die „Gran Grin“ nun. De la Torre und der Bootsmann hatten vom Achterdeck aus einen halbwegs sicheren und geschützten Platz gefunden, und hier machte der Viermaster mittels eines Notankers fest. Die Anker der Galeone waren vor Calais geblieben, als sie beim Angriff der Brander hatten gekappt werden müssen. Trossen wurden zum Land hin ausgefahren und um Felsen und knorrige Bäume gelegt, ein in der Sturmsee gleichsam selbstmörderisches Unternehmen. De la Torre leitete das Manöver, und einmal wurde die Jolle, in der er auf der Heckducht saß und die Ruderpinne hielt, gegen 17 einen Felsen geworfen, daß sie beinahe zerschellte. Mit der ramponierten, lecken Jolle konnten der erste Offizier und seine
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Rudermannschaft gerade noch zur „Gran Grin zurückpullen. Nach diesem Manöver fielen die Männer vor Erschöpfung fast um. Sampedro, der Koch, hatte eine Suppe zubereitet, die wieder größtenteils aus Wasser bestand, die die Männer aber dennoch gierig in sich hineinschlürften. Danach sanken sie in ihre Kojen oder legten sich einfach auf der Back zum Schlafen nieder. Vor dieser unbekannten Leeküste war die See zwar noch aufgewühlt, aber es bestand keine Gefahr mehr, durch Brecher über Bord gespült zu werden. Kapitän de Mendoza hatte den Seemann bestatten lassen, der in seiner Todesstunde nach ihm verlangt hatte. Jetzt kehrte er in seine Kammer zurück, um sich selbst etwas auszuruhen. Er mußte diese Gelegenheit wahrnehmen, es war seine Pflicht, neue Kraft zu schöpfen, denn später, bei Erwachen des Tages, wurde er wieder an Oberdeck gebraucht und mußte seinen Männern ein Vorbild sein - kein todmüder, total verbiesterter Kapitän, der kaum noch seine Entscheidungen treffen konnte. Er bereitete sich nicht die Mühe, sich zu entkleiden. In voller Montur sank er auf sein Lager. Vor dem Einschlafen dachte er an den Seemann, der jetzt auf dem Grund der See seine ewige Ruhe gefunden hatte. Wie er hatten auch viele andere Sterbende nach dem Kapitän verlangt – nach „ihrem“ Capitan, dem sie treu ergeben und verbunden gewesen waren. Kein materieller Reichtum konnte aufwiegen, was dieser Beweis ihrer absoluten Loyalität für de Mendoza bedeutet. Aber de Bobadilla - wie stand es mit dessen Treue und Redlichkeit? Verwaltete er die Kriegskasse wirklich so, wie man es von ihm verlangen mußte? War es nicht seltsam genug, daß er über so große „körperliche Reserven“ verfügte, während alle anderen - einschließlich seines Kapitäns - jetzt fast bis auf die Knochen abgemagert waren?
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Erst jetzt hatte de Mendoza Muße, darüber nachzusinnen. Erst jetzt wurde ihm richtig klar, daß da etwas faul sein mußte. Er beschloß, de Bobadilla auf den Zahn zu fühlen. Über diesem Gedanken schlummerte er ein. Vega de la Torre und der Bootsmann, der von allen nur Vallone genannt wurde, hatten die Ankerwache übernommen.. Es wurde Tag, und zu tun gab es vorläufig nichts mehr - nur das eine: neue Kraft schöpfen. Der Sturm hatte nur geringfügig nachgelassen und heulte mit fast ungebrochener Kraft weiter gegen die irische Westküste an. Gischt und Regenschwaden ließen keine Rundumsicht zu und kapselten die „Gran Grin“ von ihrer Umgebung ab. * Das umgekippte Heringsfaß lag vor der grauen Mauer der einzigen Kneipe von Westport. Wie diese Spelunke eigentlich richtig hieß, ließ sich nicht ermitteln, denn ein Schild gab es nicht mehr, nur noch die schmiedeeiserne Halterung davon, die den wüsten Sturmwinden offenbar über Jahrzehnte hinaus getrotzt hatte. Die Iren, die die Seewölfe und Jean Ribaults Männer in der Kneipe getroffen hatten, hatten verschiedene kernige DialektBezeichnungen für diesen Treffpunkt von Fischern, Beachcombern und Galgenstricken. Einige von diesen Wörtern schienen fast zärtlich gemeint zu sein, andere wieder waren unzweifelhaft die übelsten Schimpfwörter. Die Männer der „Isabella“ und der „Vengeur“ hatten etwa bis Mitternacht immer wieder versucht, dieses wilde Kauderwelsch der Iren zu übersetzen. Ein paar von Mutter Natur gut ausgestattete Mädchen hatten sich als Dolmetscherinnen versucht, es hatte eine Menge Spaß gegeben, aber wie die Kneipe hieß, hatten die Seewölfe und „Vengeur“-Männer trotzdem nicht herausgekriegt. Es gab möglicherweise hundert Dialekte in ganz Irland, vielleicht auch noch mehr, und
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weder Hasard noch Jean Ribault und Karl von Hutten hatten einen Iren in ihren Crews. Gordon McLinn. der Schotte von der „Vengeur“, konnte da auch nicht weiterhelfen, denn erstens war er kein Schnelldenker, sondern eher das Gegenteil davon, und zweitens bestand zwischen dem schottischen Denken, der schottischen Mentalität, den schottischen Dialekten und dem irischen Denken, Sein, Handeln und Sprechen ein so großer Unterschied wie zwischen den Sitten und Bräuchen der Araber und der Chinesen. So jedenfalls hatte es der Kutscher in dieser Nacht ausgedrückt, und der Kutscher, der ganz und gar nicht auf den Kopf gefallen war, mußte es ja schließlich wissen. Reines Englisch sprachen die Iren selbstverständlich nicht, denn das wäre schon schlimmer als eine Nestbeschmutzung gewesen. Wer sein Leben in Irland liebte, der sprach Dialekt. Dialekt sprachen auch die Mädchen, aber es gab eine Art von Zeitvertreib, bei der es nicht vieler Worte bedurfte, wo man sich auch nur mit Gesten auf Anhieb verstand. Schon als Dolmetscherinnen sehr hilfsbereit, hatten sich die kichernden Ladys nach einem gerüttelt Maß an Bier und Whiskey und gegen gute Bezahlung schließlich auch in anderer Hinsicht als sehr bereitwillig erwiesen. Im Obergeschoß der Kneipe von Westport gab es ein paar Kammern, die für Hilfsbedürftige und barmherzige Samariterinnen eingerichtet waren und stundenweise vermietet wurden. Da die Zahl der Dolmetscherinnen begrenzt war, hatte man um deren Gunst feilschen und buhlen müssen, und fast hätte es da noch Streit mit den hitzigen Iren gegeben. Viele hatten den Anschluß ganz einfach verpaßt und ihren Kummer darüber im Bier und Whiskey ersäuft. Einer von diesen vielen war Eric Winlow, der Koch der „Vengeur“. Seine Muskeln hatten den Schönen zwar mächtig imponiert, aber mit seiner Glatze war weitaus weniger Staat einzulegen, und schließlich hatte Roger
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Lutz, dieser Weiberheld, ihm glatt den Rang abgelaufen. Da hatte es auch nichts genutzt, daß Eric seine bratpfannengroßen Fäuste drohend geschüttelt hatte. Roger hatte nur darüber gelacht. Er wußte ganz genau, daß Eric ihm niemals auch nur einen einzigen Hieb verpassen würde. Mit Grand Couteau, Rogers Freund, hatte Eric sich dann aber doch fast in die Wolle gekriegt. Eingeschnappt hatte sich Winlow an einen Tisch zurückgezogen und noch mehr Bier und Whiskey in sich hineingeschüttet. Er wäre fast am Tisch eingeschlafen, aber der Wirt hatte die ganze Bande am Ende aus der Schankstube verwiesen. Und da Eric Winlow keine Lust verspürt hatte, an Bord der „Vengeur“ zurückzukehren, hatte er sich seufzend nach einem anderen „Bett“ umgesehen. Somit wären wir wieder bei dem Heringsfaß, das umgekippt vor der grauen Mauer der namenlose Kneipe lag. Winlow hatte sich in dem Faß verkrochen, ein schmollender Eremit, voll Weltverachtung, die Hände über dem Bauch gefaltet, die Beine an den Leib gezogen. Das Faß war geräumig genug für seine Körperfülle, und er hatte die Nacht soweit gut verbracht. Erst im Morgengrauen wurde er höchst unsanft geweckt. Der Sturmwind aus Südwest hatte das Faß beständig gegen das Mauerwerk der Spelunke gedrückt. Plötzlich aber spielte der Wettergott ver- rückt, vielleicht tanzte er höchstpersönlich um die Stätte des Lasters herum. Ein tückischer Fallwind griff nach dem Faß. Er hatte Kraft genug, es ein Stück von der Hausmauer fortzubewegen — und dieser Schub genügte schon. Leicht abschüssig war das Kopfsteinpflaster des Kais, der sich vor der Front der Kneipe erstreckte. Das Faß begann zu rollen und gewann immer mehr an Fahrt. Es näherte sich unaufhaltsam den gurgelnden und zischen Fluten der Clew Bay.
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Eric Winlow wachte auf und wollte aussteigen, aber irgendwie verklemmten sich seine Beine. Er steckte fest. Alles um ihn herum wirbelte wie verrückt, und das war noch schlimmer als der Vollrausch, den er soeben halb ausgeschlafen hatte. „He!“ brüllte er und: „Halt!“ Aber das nutzte nichts. Das Faß rumpelte über die Katzenköpfe und war am Rand der Kaimauer angelangt. Es kullerte darüber weg, schwebte für einen Moment in der Luft und sauste, den Naturgesetzen entsprechend, im freien Fall abwärts. „Himmel, Arsch“, tönte es aus dem Faß. „Ja, was, .zäum Teufel, ist denn hier eigentlich los? Ich…“ Mehr kriegte der gute Eric nicht heraus, denn sein Nachtlager klatschte ins Hafenwasser und riß ihn mit in die Tiefe. Eric sah, wie's dunkel wurde, er sah auch mit weit aufgerissenen Augen noch, wie das Wasser eindrang — dann schluckte er einen tüchtigen Schwall davon. Die Verzweiflung vollbringt oft Wunder. Erics verklemmte Beine kamen plötzlich frei, er strampelte und boxte, glitt aus dem verdammten Ding heraus, arbeitete wie ein Wilder, gewann Abstand zu dem Faß, das ihm paradoxerweise zu folgen schien — und dann nahm ihn die Auftriebskraft des Wassers mit an die Oberfläche. Japsend tauchte er auf. Er trat Wasser, spuckte einen Schwall von dem salzigen Naß aus, blickte sich um und sah zwei Dückdalben und eine Pier, auf die er zuhielt. Er versuchte, an einem der Pfähle hochzuklimmen, rutschte aber immer wieder wegen des dichten Algenbewuchses ab. Er fluchte entsetzlich, probierte es noch einmal, schaute dabei auf — und entdeckte ein wüstes, narbiges Gesicht, das sich über den Rand der Pier ihm entgegenschob. „Himmel, nein“, ächzte Jean Ribaults Schiffskoch. Er rutschte wieder ab, landete klatschend im Hafenbecken und schluckte um ein Haar erneut Wasser. „Ein Ungeheuer“, keuchte er. „Ein Monstrum. O Gott, ich bin schon in der Hölle gelandet.“
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„Bist du noch ganz dicht?“ sagte eine Stimme von oben. Irgendwie kam Eric diese Stimme bekannt vor. Er hielt sich an den Dalben fest, verengte die Augen und blickte noch einmal nach oben. Diesmal glaubte er Luke Morgan über sich zu erkennen, den kleinen dunkelblonden Mann aus der Seewolf -Crew. „Luke, bist du's?“ fragte er vorsichtig. „Sicher. Bist du blind, oder hast du Schlick auf den Augen? Mann, was ist denn mit dir passiert?“ Eric hatte das Faß rechts neben sich erspäht. Er hob einen Fuß aus dem Wasser, verpaßte dem verfluchten Ding einen Tritt und antwortete: „Nichts ist passiert. Wie ist es, hilfst du mir hier jetzt 'raus oder nicht?“ „Das wollte ich ja tun“, sagte Luke. Eric unternahm eine neue Turnübung, streckte die Hand nach Lukes Rechter aus und hievte sich auf die Pier. In der Endphase dieses Manövers sah es beinah so aus, als müsse Luke die Balance verlieren und zu dem Glatzkopf ins Hafenwasser stürzen, aber dann ging erstaunlicherweise doch alles gut. Eric Winlow richtete sich neben Luke auf und stieß einen grunzenden Laut der Erleichterung aus. Triefend naß stand er da in der rauhen irischen Septemberluft. Einem anderen an seiner Stelle wäre es sicher eisig kalt geworden. Nicht so Eric: Er kochte sozusagen vor Wut über das erlittene Mißgeschick. Sein Schädel schien zu glühen, jedenfalls hatte er dieses Gefühl. Luke sah an der Miene des glatzköpfigen Kochs, wie es in dessen Innerem arbeitete. Eine Weile standen sie so -da. Luke beobachtete Eric von der Seite, der Sturmwind zerzauste Lukes Haare und pfiff über Erics Glatze hinweg, als wolle er sie glattpolieren wie einen Brocken Marmor. Schließlich sagte Luke: „Tief Luft holen, Eric. Ist ja noch mal gut gegangen. Nimm's nicht so schwer. Kann doch jedem mal passieren. Schlimmer wär's gewesen, wenn du abgesoffen wärst.“
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„Tja. Was hätte ich dann wohl gemacht?“ brummelte Eric. „Gutes Fischfutter hättest du abgegeben.“ „He?“ „Vielleicht hätten sich Aale durch deine Leiche gefressen“, meinte Luke unbekümmert. „Hier in der Nähe mündet ein Fluß in die Bucht, und ich hab mir sagen lassen, die Aale wimmeln auch im Hafen von Westport 'rum und ...“ „Hör auf“, sagte Eric. Seine Stirn furchte sich drohend. „Hör bloß 'auf, mir kommt's gleich hoch.“ „Wieso bist du eigentlich in den Teich gefallen?“ erkundigte sich Luke. „Willst du das nicht endlich mal erzählen?“ „Wie, das hast du nicht mitgekriegt?“ „Nein, habe ich nicht.“ „Und die anderen?“ „Die auch nicht. Merkst du nicht, daß es immer noch regnet? Daß Nebelschleier über der Bucht und der Stadt hängen?“ Eric schaute Sich um. „Richtig. Mann, ich mit meinem Kater habe das gar nicht bemerkt. Ist das eine Milchsuppe heute früh! Man kann weiter spucken als gucken ...“ „Fein hast du das gesagt, und es reimt sich sogar“ erwiderte Luke Morgan. Eric musterte sein Gegenüber argwöhnisch. „Willst du mich auf den Arm nehmen?“ „Nein, will ich nicht. Ich will wissen, wie dir das passiert ist. Bist du ausgerutscht?“ Eric überlegte. Die Angelegenheit war ihm peinlich, aber keiner schien gesehen zu haben, wie das Faß von der Kneipe ins Hafenbecken rollte. Also konnte er ruhig ein wenig flunkern. „Das war so“, erklärte er. „Ich hatte mich zum Pennen in irgendeinen Keller verkrochen, aber dann wurde es hell. Ich wachte auf und kriegte einen Mordsschreck. Um bis zum Wecken rechtzeitig an Bord der ,Vengeur` zu sein, lief ich los, geriet wohl zu nah ans Wasser und wurde von einer Bö vom Kai gerissen. Dann ...“ „Dann hörten wir alle jemanden fluchen, und ich rannte los, um nachzusehen, was los ist“, sagte Luke.
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„Sehr richtig“, ertönte eine Stimme hinter seinem Rücken. „Und wenn du noch lange 'rumstehst und mit Winlow herumpalaverst wie ein Waschweib, statt uns bei der Arbeit zu helfen, Morgan, du Rübenschwein, ziehe ich dir deine Hammelbeine lang und die Haut in Streifen von deinem verdammten Affenarsch, kapiert?“ .Aye, Sir“, sagte Luke. Er brauchte sich nicht umzudrehen. um zu wissen, wer da hinter ihnen auf der Pier erschienen war, um nach dem Rechten zu sehen. Nur einer verfügte über eine so blumige Ausdrucksweise und einen so wunderbaren Wortschatz — Edwin Carberry, der Profos der „Isabella“. 4. Obwohl Eric Winlow nicht zu seiner Crew gehörte, ließ Carberry auch ihn nicht ungeschoren. „Winlow!“ brüllte er. Brüllen war bei ihm gleichbedeutend mit ganz normalem Sprechen. „Winlow, konntest du dir keinen besseren Augenblick aussuchen, um in die stinkende Brühe hier zu fallen? Bist du total besoffen?“ „Nicht mehr“, entgegnete der Glatzkopf. Carberry blickte angestrengt durch die Dunstschleier ins Hafenwasser und sah das Heringsfaß auf den Wellen schaukeln. „Ausgerutscht und 'reingekippt, was, wie? Und was ist das da?“ „Was denn?“ fragte- Luke scheinheilig. „Das da — das ist ja ein Faß“, polterte der Profos. „Was für ein Faß?“ erkundigte sich Eric, der seine ganze schöne Geschichte schon in die Brüche gehen sah. Luke, der längst begriffen hatte, was das Faß mit Eric zu tun hatte, leistete dem Glatzkopf Schützenhilfe: „Also, es ist so verdammt neblig hier, ich kann einfach kein Faß erkennen.“ „Ich auch nicht“, fügte Jean Ribaults Koch sofort hinzu. Carberry wandte sich ab. „Ihr könnt mir kreuzweise den Buckel 'runterrutschen“,
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sagte er. „Und jetzt folgt mir gefälligst, oder es gibt Ärger, und zwar mächtigen.“ Sie marschierten in Kiellinie hinter ihm her, und Eric grinste Luke zu. „Fast hätte ich's vergessen“, meinte er. „Vielen Dank für die Hilfe.“ „Gern geschehen“, erwiderte Luke Morgan. „Aber warum hast du dir so fürchterlich einen hinter die Binde gegossen, daß du jetzt noch halb blau bist?“ „Ach, das liegt alles nur an den Weibern“, klagte Eric. Er war gerade richtig in Fahrt und 'erzählte Luke freimütig, was sich an dem Tisch der Kneipe, an dem er gesessen hatte, abgespielt hatte. „Sieh mich doch mal an“, sagte Luke. „Was soll ich denn erst .sagen?' Mich läßt vorläufig auch die allerletzte Hafenhure abblitzen. Aber ich mache mir einfach nichts daraus. Nein, schön sah er nicht aus, das hatte Eric ja schon vom Hafenbecken aus deutlich zum Ausdruck gebracht. Lukes Gesicht war von Brandnarben verwüstet, denn bei dem Angriff der Brander auf die spanischen Schiffe vor Calais hatte er eins 'der Höllenschiffe gesteuert und war am schwersten verletzt worden. . Eric dachte darüber nach und befand, daß das Leben eigentlich doch noch seine schönen Seiten hatte, besonders nach einem morgendlichen Bad in der Clew Bay. Fast heiter erreichte er mit Carberry und Luke Morgan die Pier, an der die „Isabella VIII.“ und die „Vengeur“ fest vertäut lagen, und verfolgte halb belustigt, halb überrascht, wie die Kameraden Fässer und Kisten an Bord der Schiffe mannten. Fast schlafwandlerisch sicher bewegten sich die Männer über die Gangways auf die schwankende Galeone und Karacke, und ein sehr dicker, sehr unsympathischer Mensch stand etwas abseits und taxierte die harten Kerle mit seinem Blick. Der Seewolf, Jean Ribault und Karl von Hutten hielten sich in der Nähe des dicken Kerls auf. Sie schienen ziemlich vergnügt über irgendetwas mit ihm zu reden. „Was geht hier denn vor?“ sagte Eric Winlow. „Was sind das für Fässer und
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Kisten?“ Von Fässern hatte er genug, aber seine Neugier war doch geweckt, wenn der Anblick des Dicken ihm auch Unbehagen bereitete. Carberry war stehengeblieben. Er drehte sich zu Eric um und stemmte die Fäuste in die Seiten. „Noch mehr Fragen. Kombüsenhengst?“ „Ja. Wer ist der Fettwanst, und' wieso glotzt er unsere Leute so dämlich an'?“ Carberry tat einen Schritt, dann stand er ganz dicht vor Eric. Luke hatte sich unterdessen den anderen zugewandt und berichtete ihnen, daß er Eric aus dem Hafenbecken gezogen hätte, wobei er das Faß natürlich verschwieg. Die Seewölfe und die Männer der „Vengeur“ grinsten und blickten zu Carberry und Winlow, die sich wie feindselige Stiere gegenüberstanden. Über ihren Köpfen flatterte Sir John, der karmesinrote Aracanga. im Sturmwind. Es war wirklich ein ergötzliches Bild. Carberry blieb ganz ruhig. „Der Fettwanst ist Sir Richard Bingham, der sogenannte Stadtgouverneur in diesem elenden Nest. Hasard und Jean haben eine Flasche edlen irischen Whiskey mit ihm ausgesoffen, und dabei sind sie zum Schein auf einen miesen Kuhhandel eingegangen, den er ihnen vorgeschlagen hat. Dafür läßt der Hundesohn jetzt Proviant und Trinkwasser in rauhen Mengen springen, und außer dem Wasser auch noch ein paar andere Fässer, die ein Kombüsenhengst und Heringsbändiger wie du ganz besonders schätzen sollte.“ „Ach, sagte Eric. Sonst fehlten ihm die Worte. „Und jetzt schieb ab, Mister Winlow, und bereite deinen Männern ein ordentliches Frühstück, wie es sich für einen Kesselschwenker gehört. Ich weiß, ich habe dir eigentlich keine Befehle zu erteilen, Mister Winlow, aber ich rate dir trotzdem, so schnell wie möglich zum Dienst anzutreten, sonst rauht es im Schapp.“ Eric wußte, daß es gefährlich wurde, wenn Carberry jemand mit „Mister“ und mit seinem Nachnamen anredete, und er legte
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keinen Wert darauf, sich mit dem Profos der „Isabella“ zu streiten. Er hatte ohnehin ein schlechtes Gewissen - wegen der Sache mit dem Heringsfaß und seinem viel zu spätem Aufkreuzen. Schleunigst setzte er sich wieder in Marsch. Er nahm Roger Lutz, diesem Weiberheld, ein dickbäuchiges Faß ab, schleppte es mühelos über die Pier, balancierte es vom Laufsteg an Bord der „Vengeur“ und transportierte es in die Kombüse, von der es auch in die Vorratsräume der Zweimast-Karacke hinunterging. Er bugsierte das Faß in einen Vorratsraum und begegnete Jan Ranse und Piet Straaten, den beiden Holländern, die auch mit zugepackt hatten und gerade zwei Kisten auf die Planken stellten. Eric setzte sein Faß ab. Er brauchte nur daran zu schnuppern, um zu wissen, was darin schwappte: echter irischer Whiskey - W-hi-s-k-e-y. Plötzlich war seine Abneigung gegen Fässer dahin, und er dachte daran, daß man nach einer durchzechten Nacht wieder mit dem anfangen sollte, mit dem man aufgehört hatte. „Es ist auch Bier da“, meldete Jan Ranse. der Steuermann der „Vengeur“. „Und Wein“, ergänzte Piet Straaten, der Rudergänger. „Außerdem haben wir Schinken, Dauerwurst, Speckseiten, Fässer mit Mehl, Zucker und Salz, Eier, Brot, Frischgemüse, Weinkraut, Gänse, Hühner und Kaninchen.“ „Tot?“ fragte Eric. „Wer soll tot sein?“ stieß Jan Ranse verdutzt aus. „Die Gänse, Hühner und Kaninchen natürlich“, sagte der Glatzkopf. „Wer denn sonst?“ Die Holländer deuteten schweigend auf ein paar fix und fertig ausgenommene und gerupfte Tiere. die an einem der Deckenbalken aufgehängt worden waren. Piet und Jan grinsten, weil Eric sich darüber ärgerte, daß er die Biester nicht gleich entdeckt hatte: Dann grinste auch Eric, denn er vernahm aus dem Nebenraum deutliches Gegacker.
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„Tolle Vorräte“, sagte er. „Und auf der ‚Isabella' stopfen sie die Vorratskammern mit dem gleichen Zeug voll?“ „Darauf kannst du Gift nehmen, Eric“, sagte Roger Lutz, der soeben mit. einem dicken Packen auf der Schulter den Raum betreten hatte. „So“, meinte Winlow, indem er sich umdrehte. „Aber ich nehme lieber einen anständigen Whiskey zur Brust, wenn du's wissen willst. Und jetzt heize ich die Kombüsenfeuer an und bereite euch Kakerlaken ein Frühstück, von dem ihr schon lange. träumt.“ Er sah, wie Lutz, der Franzose, unter der Last schnaufte, und fügte hinzu: „Du scheinst es ja besonders nötig zu haben, dich zu stärken, Roger. Ist ja auch klar, bei dem Energieverlust von heute nacht.“ Eric hatte die Lacher auf seiner Seite. * Natürlich war etwas faul mit Luis de Bobadilla. Kapitän Pedro de Mendoza litt keineswegs unter Einbildungen. Aber noch lag de Mendoza in seiner Koje und holte nach, was er seit vier Tagen versäumt und eigentlich seit den Vorfällen vor Calais schon nicht mehr richtig getan hatte: Er schlief ein paar Stunden fest durch. De Bobadilla indessen war schon wieder auf den Beinen, ausgeruht, ziemlich munter und guter Dinge. Er war froh darüber, daß de Mendoza bisher keine Gelegenheit gefunden hatte, ihn genauer zu befragen. Aber er hatte auch keinerlei Zweifel, daß der Kapitän in Kürze entweder in seiner Kammer auftauchen oder ihn zu sich rufen würde, um ihm auf den Zahn zu fühlen und kräftig auf die Finger zu klopfen. Denn wenn erst genaue Recherchen angestellt wurden, konnte er, de Bobadilla, nicht mehr geheim halten, was er in den vergangenen Wochen immer wieder getan hatte. Kräftig in die Kriegskasse des BiskayaGeschwaders hatte er gelangt. Mit dem Proviantmeister Alvarez -nicht mit dem Koch Francisco Sampedro - hatte er ein Abkommen getroffen. Sie betrieben einen
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schwunghaften Handel mit Gütern, auf die sie beide eigentlich keinen Anspruch hatten. De Bobadilla schleppte Piaster und Reales zu Alvarez, Alvarez händigte ihm dafür Proviant aus, den er heimlich beiseite schaffte. Sie brauchten immer nur einen Zeitpunkt abzuwarten, in dem der Koch sie nicht beobachten konnte, denn der war ein aufrichtiger, ehrlicher Bursche. der alles für seine Kameraden tat und schmutzige Geschäfte haßte. De Bobadilla grinste. Sampedro, du Narr. dachte er. Wie konnte ein Mann so idiotisch sein und außer an seinen eigenen Vorteil auch noch an die Interessen der anderen denken! Man sah ja, wohin das führte - nach und nach würden alle krepieren, denn es gab keine Hoffnung auf Hilfe, auf Proviant, Trinkwasser, Medikamente - das alles war ein bloßer Traum. Selber essen macht fett, das war das Gebot der Stunde! Luis de Bobadilla war zur Zeit damit beschäftigt, in sein Wams und seine Kürbishosen Goldmünzen einzunähen. Er versah diese Arbeit mit großer Sorgfalt und zwang sich zur Ruhe. Noch hatte er Zeit. Frühestens nach Ablauf 'von zwei Glasen würde man de Mendoza wecken, soviel hatte er in Erfahrung gebracht. Dann aber würde er längst fertig sein mit seinen Vorbereitungen, um von Bord der „Gran Grin“ zu gehen. Er hatte die seiner Meinung nach sehr gesunde Absicht, dieses Totenschiff zu verlassen. Wann genau er „von der Fahne“ ging, wußte er noch nicht. Es hing in erster Linie davon ab, ob der Kapitän ihm mit seinen unbequemen Fragen zu Leibe rücken würde oder nicht. Vielleicht wurde de Mendoza wieder abgelenkt, vielleicht legte er in den frühen Morgenstunden auch größeren Wert darauf, das Land zu erkunden, vor dem sie lagen, als seinen Zahlmeister zur Rede zu stellen. De Bobadilla seufzte tief. Hoffen wir's, dachte er. Für sein Vorhaben wäre es sehr vorteilhaft, wenn der Kapitän zunächst einen
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Spähtrupp an Land schickte und erforschte, in welcher Gegend Irlands man sich befand. Das machte vieles leichter, de Bobadilla konnte dann mit ziemlich sicherer Orientierung von Bord gehen und seinen Weg über Land sicher wählen. Mit den Goldmünzen, die er mitgehen ließ, würde er sich den Weg zurück nach Spanien nach und nach freikaufen. Die Iren waren arme Hunde, wie er schon bei der Besprechung in der Kapitänskammer bemerkt hatte, für Geld und Gold taten sie sicherlich alles. Dafür begingen sie auch einen Mord und anderes mehr. De Bobadilla vertraute auf die Macht seines unrechtmäßig zusammengerafften Reichtums — auf sonst nichts. Als er mit dem Einnähen der Goldmünzen fertig war, stahl er sich aus seiner Kammer und schlich durch das Schiff. Er mied das Oberdeck, wo der erste Offizier de la Torre und der Bootsmann Vallone bei seinem Erscheinen sicherlich argwöhnisch geworden wären. Ihr Mißtrauen ihm gegenüber wuchs. Auch deswegen mußte er schleunigst zusehen, seinen Plan in die Tat umzusetzen. De Bobadilla mied aber auch das Mannschaftslogis, in dem die Kranken stöhnten und keuchten. Angewidert verzog er den Mund, preßte sich ein. weißes Taschentuch vors Gesicht und sah zu, daß er weiterkam. Der Hauch des Todes ging von diesem elenden Logis aus, der Raum war eine Brutstätte der Seuchen, man hätte ihn in Brand stecken sollen. De Bobadilla, -pirschte sich zur Kombüse — zum Stelldichein mit dem Proviantmeister. Seit den letzten zwei Wochen handhabten sie es so, jeden Tag, entweder abends oder morgens, und das Ganze hatte sich prächtig eingespielt. Immer, wenn der Koch Sampedro Freiwache hatte, päppelte Alvarez den Zahlmeister durch — gegen klingende Münze, versteht sich. Dies war die „hervorragende körperliche Kondition“ des Luis de Bobadilla, das Geheimnis seines gesunden, rosigen Aussehens. Wenn Sampedro Freiwache hatte, löste Alvarez ihn ab und wog — seit Beginn der
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Bordrationierung — die Rationen für den nächsten Tag ab. Alvarez deponierte sie in der Kombüse und schloß dann ab. In den letzten Tagen waren die Zuteilungen für Offiziere und Mannschaft immer sparsamer geworden, und abends gab es seit Tagen sowieso nur noch Wassersuppe. De Bobadilla traf im achteren Bereich des Vordecks-Mittelganges auf Alvarez. Fast schrak er zusammen, als er die Nähe des Proviantmeisters spürte. Er glaubte, Alvarez in der Dunkelheit des Ganges grinsen zu sehen. Die Stimme des Mannes klang denn auch tatsächlich ein wenig spöttisch. „Angst, mein lieber Luis? Das liegt am schlechten Gewissen, glaub es mir.“ „Das mußt du gerade sagen!“ „Vergiß nicht, daß du mich zu diesem krummen Handel angestiftet hast - ohne dich wäre ich auf so was nie verfallen.“ „Still“, zischte de Bobadilla. _Schweig doch: Wie leicht könnte man dich hören! Hast du die Ware mitgebracht?“ ,.Natürlich“, raunte Alvarez. „Sag bloß, du hast daran gezweifelt. Auf mich ist Verlaß, das weißt du doch. Alvarez läßt keinen im Stich.“ „Schon gut. Was hast du also mitgebracht?“ „Eine halbe Speckseite, zwei Salchichas, Würste, und Schiffszwieback, der noch nicht von den Würmern angegriffen ist. Ich kann dir sagen, es ist gar nicht so einfach, noch etwas aufzutreiben, das von diesem Ungeziefer unberührt geblieben ist und ...“ „Hör auf“, zischte der Zahlmeister ihm zu. „Ich kann das nicht hören, mir dreht sich der Magen um.“ „Empfindlich? Na, da staune ich aber“, sagte Alvarez höhnisch. „Dir wird das Lachen auch noch vergehen. Ich habe es satt und die Nase gestrichen voll von diesem gräßlichen Leben.“ „Du hättest an Land bleiben sollen, Luis“, murmelte der Proviantmeister. „Du bist für das harte Leben auf See nicht geschaffen. Entbehrungen, immer wieder Entbehrungen - und Krankheiten, damit muß man sich abfinden. Sei froh, daß sie
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dir bei Calais keine Kugel in den Bauch geschossen haben.“ „Hör jetzt endlich auf', raunte de Bobadilla. „Hast du nichts zu trinken besorgen können?“ „Schon. Eine kleine Flasche Rioja, von den allerletzten Beständen. Ein Juwel ist dieses Fläschchen, das sage ich dir.“ „Gib schon her!“ „Hast du das Geld mitgebracht?“ „Das ist doch selbstverständlich. Zehn Reales, wie üblich ...“ Alvarez schüttelte den Kopf. De Bobadilla konnte es jetzt, da sich seine Augen besser auf die Dunkelheit eingestellt hatten. deutlich wahrnehmen. „Tut mir leid“, wisperte der korrupte Proviantmeister. „Aber diesmal mußt du schon drauflegen - wegen des Weins. Den gebe ich sonst nicht her.“ „Müssen wir jetzt feilschen?“ „Ja, das müssen wir. Ich verlange zwei Piaster für alles. was ich hier im Segeltuchsack mitgebracht habe.“ De Bobadilla wollte aufbrausen. Zwei Piaster - das waren sechzehn Reales! Ein glatter Wucherpreis, wenn man bedachte. daß allein sechs Reales für den Wein bestimmt waren. Schon wollte er ablehnen, da besann er sich darauf, daß Alvarez ihn ja auch an den Kapitän verraten konnte. Gewiß, Alvarez konnte seine Hände dabei nicht in Unschuld waschen, denn de Bobadilla würde sieh nicht zurückhalten und ihn seinerseits belasten. Aber letztlich würde Alvarez geringer bestraft werden und besser dastehen als der Zahlmeister, denn ein Mann wie de Mendoza würde das, was de Bobadilla getan hatte, schlimmer bewerten. De Bobadilla war für ihn bislang der Vertrauensmann gewesen, der mehr als alle anderen an Bord seine Integrität zu wahren hatte. Nein, de Bobadilla durfte Alvarez nicht verärgern. Geiz war nicht angebracht, nicht jetzt. So leise wie möglich entgegnete de Bobadilla auf die Forderung des Proviantmeisters: „Ich biete dir zwölf Reales, das sind anderthalb Piaster.“ „Zu wenig.“
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„Dreizehn.” „Fünfzehn“, raunte Alvarez. Sie einigten sich auf vierzehn Reales. De Bobadilla zahlte, Alvarez händigte. ihm die Ware im Segeltuchsack aus. De Bobadilla wollte zu dem Verbindungsgang zurückschleichen, der ihn durch die Frachträume zum Achterschiff zurückführte, aber Alvarez hielt ihn plötzlich am Arm fest. „Stehenbleiben“, flüsterte er dem Zahlmeister ins Ohr. „Da war was. Ein .Geräusch. Es wäre schlecht, wenn einer der Narren aus dem Logis dich mit dem Sack vorbeischleichen sehen würde. Wir steigen beide nach oben. Ich haue mich auf der Back aufs Ohr, das ist mir lieber, als hier unten zu schlafen.“ „Und ich?“ „Du kannst mir ja Gesellschaft leisten, wenn du willst“, erwiderte Alvarez, ein rauher, zynischer Bursche, grinsend. „Ich will in meine Kammer zurück“, raunte de Bobadilla. „Aber de la Torre und Vallone entdecken mich, wenn ich über die Kuhl schleiche. Bis zur Back können sie vom Achterdeck aus wohl nicht sehen, aber ich habe keine Lust, in Sturm und Regen draußen auf Deck zu bleiben. Ich hole mir ja den feuchten Tod.“ „Was für ein Weichling du doch bist“, zischte Alvarez. De Bobadilla blickte sich um und überlegte, ob er nicht doch den Rückzug durchs Schiff antreten sollte. Aber die Sache war ihm nicht geheuer. Er entschloß sich, den unbequemeren Weg zu wählen, und nickte Alvarez zu. Dieser flüsterte: „Du kannst oben ja den Wachwechsel abwarten und dich bei der Gelegenheit zurück in deine Kammer stehlen.“ Luis de Bobadilla hielt dies für einen annehmbaren Vorschlag. Also schloß er sich Alvarez an, der den Niedergang hochschlich. das Schott öffnete und vorsichtig ins Freie spähte. Vom Morgengrauen war noch nicht viel zu bemerken. Ein dichter Vorhang aus Nebel, Gischt und Regen lag 'über dem Schiff. Der Regen hatte nachgelassen, es nieselte
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nur noch, aber dieses sprühfeine Wasser trug mit zu den schlechten Sichtverhältnissen bei. Alvarez bedeute seinem „Handelspartner“ durch eine Geste, daß die Luft rein war. Sie pirschten sich an Deck, schlossen das Schott, stiegen über den Steuerbordniedergang zur Back hinauf und duckten sich hinter die Schmuckbalustrade, die den Querabschluß zur Kuhl bildete. De la Torre und Vallone konnten sie vom Achterdeck aus - wo sie sich bereits seit einiger Zeit aufhielten -garantiert nicht sehen. Alvarez' Lager auf dem Vorkastell bestand aus einem zeltartigen Verschlag, den er aus gewachstem Segeltuch neben der Segellast aufgebaut hatte. De Bobadilla konnte nicht begreifen, wie man dort richtig schlafen konnte, gewisse Phänomene aus der Seefahrt und dem Bordleben würden ihm nie begreiflich werden. Alvarez grinste breit. „Also, ich krieche jetzt in meine Koje“, sagte er. „Bis zum Wecken sind's noch zwei Glasen, das will ich wahrnehmen. Ich habe zwar eigentlich Wache, aber meine Arbeit in der Kombüse habe ich erledigt, und ich sehe nicht ein, wieso ich tatenlos 'rumhängen soll. Gute Nacht, Amigo.“ „Guten Morgen“, murmelte de Bobadilla. Es war kalt, der Sturmwind zerrte an seiner Gestalt, und der Nieselregen machte sich bereits unangenehm auf seiner Perücke bemerkbar. Das Ganze ging ihm gründlich gegen den Strich, und er wollte bereits Anstalten treffen, ins Vordeck zurückzukehren. um doch den gewohnten Weg durchs Schiff zu wählen, da entdeckte er eine Gestalt auf der Kuhl. So tief wie möglich duckte sich de Bobadilla hinter die Balustrade. Er spähte zwischen zwei Taljen hindurch und erkannte Vega de la Torre, der über das schaukelnde Deck auf das Vorkastell zumarschierte. De Bobadilla wies Alvarez durch eine Gebärde auf seine Entdeckung hin. Alvarez preßte einen Fluch hervor, schob sich neben den Zahlmeister und raunte ihm
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zu: „Los, 'runter mit dir auf die Galionsplattform. Ich halte den Ersten schon auf. Weiß der Teufel, wieso der ausgerechnet jetzt hier aufkreuzt. Wegen mir kann er nicht mißtrauisch werden, ich hab ja sowieso Wache.“ 5. Im Mittelgang des Vorschiffs, nicht weit vom Eingang des Mannschaftslogis' entfernt, traf Francisco Sampedro mit dem verschlafen blinzelnden Juan Flores zusammen. „Wieso sind Sie denn schon auf?“ fragte Juan. „Haben wir beide nicht Freiwache, Senor Francisco?“ Schon“, erwiderte der Koch grimmig. „Aber ich bin eben durch Zufall Zeuge einer verdammten Schweinerei geworden. Eigentlich sollte ich dir davon nichts erzählen, aber ich habe eine solche Wut im Bauch — Himmel, ich kann einfach nicht schweigen.“ Leise berichtete er, daß er de Bobadilla und Alvarez bei ihrem heimlichen Handel beobachtet hatte. Nur ein paar Worte von dem, was sie gesprochen hatten, hatte er aufschnappen können, aber er hatte deutlich genug gesehen, wie Goldmünzen und Segeltuchsack den jeweiligen Besitzer gewechselt hatten. Und purer Zufall war es nicht, daß Sampedro den Kerlen auf die Schliche gekommen war. Der Koch hatte nämlich wie de Mendoza schon seit einiger Zeit den Verdacht, daß der Zahlmeister und der Proviantmeister „nicht ganz sauber“ waren. Jetzt hatte er sich die Gewißheit verschafft, und glaubte, vor Wut ersticken zu müssen wegen dieser Ungeheuerlichkeit. De Bobadilla schlug sich auf Kosten der gesamten Besatzung den Bauch voll und umging mittels Bestechung die Rationierung! „So eine Gemeinheit“, flüsterte Juan Flores. Er war fassungslos. „Ich glaube, die Kerle sind auf die Back geklettert“, zischte Sampedro. „Weißt du was? Ich verlasse das Vordeck durchs vordere Schott, steige von der
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Galionsplattform auf die Back und sage den Hunden mal gründlich meine Meinung. Wer weiß, wie lange die diese Sauerei schon betreiben.“ „Sollten wir nicht lieber Kapitän de Mendoza Meldung erstatten?“ „Nein. Ich erledige das allein. Auf meine Art.“ Köche an Bord von Schiffen genossen eine Sonderposition. Wenn sie ihr Fach verstanden und so ehrlich und hilfsbereit waren wie Francisco Sampedro, wurden sie von der Mannschaft geschätzt und geachtet wie ein Offizier. Daraus rührte nun Sampedros Überzeugung, die Dinge auf seine Weise bereinigen zu können. Angst vor Alvarez und de Bobadilla? Nein, die hatte er nicht. „Ich komme mit“, stieß Juan hastig hervor. „Sie brauchen doch Unterstützung, Senor Francisco - und vielleicht einen Zeugen.“ „Ach was. Leg dich wieder schlafen.“ „Senor ...“ „Das ist ein Befehl.“ „Ich bitte Sie darum, mitgehen zu dürfen.“ „Du bist krank, brauchst Ruhe und hast an Oberdeck nichts zu suchen“, sagte Sampedro beharrlich. „Es geht mir schon viel besser, dank der Medizin, die Sie mir gegeben haben. Das vergesse ich Ihnen nicht, Senor Francisco. Sie haben mir geholfen, jetzt helfe ich Ihnen.“ Sampedro mußte lächeln. trotz des Zorns, der in ihm gärte. „Juan, das rechne ich dir hoch an. Allein deine gute Absicht zählt für mich. Aber jetzt gehorche.“ „Ich kann es nicht zulassen, daß Ihnen was passiert“, versetzte der Junge. „Ich hätte das dann auf dem Gewissen, und ich schwör's Ihnen, Senor, ich würde mich wirklich in die See stürzen. Bezichtigen Sie mich ruhig der Meuterei, der Befehlsverweigerung, aber ich kann nicht gegen meine Natur an.“ Sampedro nickte. „Also gut. Komm. Du weckst mir sonst noch die ganze Mannschaft auf.“ Sie schlichen zum vorderen Backbordschott. Sampedro öffnete es behutsam. Der Sturmwind drückte dagegen
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und entriß ihm fast die Klinke, aber der Koch war auf der Hut und verhinderte, daß das Schott gegen die Wand des Vorkastells krachte. Juan Flores schlüpfte an Sampedro vorbei, und so war er der erste, der Luis de Bobadilla sah. Der Zahlmeister hatte sich auf der Steuerbordseite der Galionsplattform zusammengekauert und hielt den Segeltuchsack an sich gepreßt. Warum er hier hockte und nicht oben auf der Back. wußte Juan im selben Augenblick. denn er vernahm, wie Sampedro, die Stimmen, die von der Back ertönten. Durch das Heulen des Sturms war zu hören, wie der erste Offizier Vega de la Torre zu Alvarez sagte: „Alles in Ordnung hier vorn. Alvarez?“ „Aber sicher doch“. erwiderte der Proviantmeister. „Sonst hätte ich mich schon gemeldet. Was sollte wohl auch nicht in Ordnung sein? Wir können froh sein. daß wir dieses geschützte Plätzchen gefunden haben, nicht wahr?“ „War hier nicht eben ein zweiter Mann auf Back?“ „Hier? Ach wo „Vallone und ich meinten, eine zweite Gestalt gesehen zu haben“, sagte de la Torre unbeirrt. Francisco Sampedro hatte das Schott geschlossen und schritt neben Juan Flores über die Galionsplattform auf Luis de Bobadilla zu. Der begriff jetzt, daß Alvarez mit seiner Vorsicht nicht übertrieben hatte. Das Geräusch, das er unter Deck vernommen hatte, konnte nur von dem Koch oder dem Moses verursacht worden sein. Die beiden mußten mitgekriegt haben, was sich abgespielt hatte. Das ging eindeutig aus ihrer feindseligen Haltung hervor. De Bobadilla steckte in einer fürchterlichen Klemme. Auf die Back konnte er nicht klimmen, dort würde ihn de la Torre festhalten. Ins Vorkastell konnte er auch nicht mehr fliehen, dazu war es zu spät. Den Unschuldigen, überraschten mimen? Auch das zog nicht, es gab keine
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Rechtfertigungen, denn der Segeltuchsack in seinen Händen war Beweis genug. Sampedros und Flores sprachen kein Wort. Der Koch trat vor de Bobadilla hin. De Bobadilla wollte an den Gurt greifen und die Pistole zücken, aber er kriegte sie nur halb heraus. Sampedro schlug sie ihm aus der Hand. Oben auf der Back sagte Alvarez gerade: „Also ehrlich, Senor, da müssen Sie sich getäuscht haben. Ich bin hier vorn mutterseelenallein. An sich ist das sogar ein verdammt langweiliger Dienst hier. Ich wollte mich gerade unter mein Stück Segeltuch verziehen, wegen des Regens, und ...“ „Und ein Nickerchen halten?“ „Nein, das natürlich nicht.“ „Vallone ist fast sicher, in der zweiten Gestalt Luis de Bobadilla erkannt zu haben“, sagte de la Torre. Alvarez lachte gekünstelt und erwiderte: „Das ist aber wirklich ein guter Witz. Was sollte denn wohl der Zahlmeister bei dem ungemütlichen Wetter und in aller Herrgottsfrühe ausgerechnet hier suchen?“ „Das fragten wir uns auch ...“ De Bobadilla hatte die Fäuste gegen Sampedro gehoben und wollte auf ihn einschlagen. Der Koch spürte die Wut in sich überschäumen. Er hieb zurück, entriß dem beleibten mann den Segeltuchsack, schleuderte den Sack von sich und wehrte de Bobadillas erneuten Angriff ab. Juan Flores fing den Sack auf. Sampedro rammte dem Zahlmeister die Faust unters Kinn, bückte sich plötzlich und hievte den Mann, der jetzt erschlaffte, an den Beinen hoch. Juan Flores stockte der Atem. Nie hätte er geglaubt, daß der Koch zu einer solchen Tat fähig sei. Aber er begriff, was es war, das Francisco Sampedro so weit trieb: die unglaubliche Niedertracht de Bobadillas, die Selbstsucht, durch die er der Mannschaft die letzten Proviantreserven geraubt hatte. De Bobadilla flog außenbords. Klatschend landete er im Wasser, aber im Sturm hörten das weder de la Torre und Alvarez
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noch sonst jemand — außer Sampedro und dem Jungen natürlich. Mit den eingenähten Münzen in Wams und Hosen sank der Zahlmeister wie ein Stein. Die Fluten verschlangen ihn. Juan Flores wollte dem Mann einen Blick nachwerfen, aber Francisco Sampedro packte ihn am Arm und zog ihn mit sich zum Steuerbordschott der Back. Erst als sie sich im Inneren befanden, lehnte sich Sampedro schwer atmend gegen die Wand. Juan griff in den Segeltuchsack und zeigte vor, was de Bobadilla gegen klingende Münze von Alvarez erstanden hatte. Seine Miene war verbittert, denn er dachte daran, was wohl der arme Miguel darum gegeben hätte, vor seinem Tod noch einmal Salchichas zu essen oder Rioja-Wein zu trinken. „Die Spezialreserven des Proviantmeisters“, flüsterte Francisco Sampedro erregt. „Den Kerl würde ich mir gern auch noch kaufen.“ „Aber der Erste ...“ „Ich weiß, Juan. Keiner darf wissen, was mit de Bobadilla geschehen ist. Was immer er auf dem Kerbholz hatte, für mich hat es üble Folgen, wenn die Wahrheit herauskommt.“ „Ja, Senor Francisco“, raunte Juan. „Ich werde schweigen wie ein Grab. Sampedro atmete jetzt langsamer und regelmäßiger. Er begriff, daß er mit Alvarez kaum noch abrechnen konnte, er würde sich dabei zweifellos demaskieren. Totales Schweigen schien auch für ihn das beste zu sein. * Fünf Glasen später hatte der erste Offizier Vega de la Torre auf Kapitän Perdro de Mendozas Befehl hin einen Trupp von zwanzig bleichen, ausgemergelten Gestalten zusammengestellt, der zwei Aufgaben zu versehen hatte: Erstens sollte er unter der Leitung von de la Torre nach dem spurlos verschwundenen Luis de Bobadilla suchen, zweitens das Land erkunden, an dessen Küste man vertäut hatte.
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Zwei Boote lösten sich in der immer noch stürmischen See von der Bordwand der „Gran Grin“. Zehn Mann saßen auf den Duchten jeder Jolle und pullten zum Ufer. De la Torre war der erste Bootsführer, Vallone, der Bootsmann, der zweite. Sie hockten auf den Heckduchten und dirigierten die Jollen durch geschicktes Bedienen der Ruderpinnen zwischen tückischen Felsen hindurch in die donnernde Brandung. Allein das Landen war ein schwieriges, waghalsiges Unternehmen. De la Torres Boot kenterte beinah, nur wie durch ein Wunder schlug es nicht um. Vallones Boot wurde von einer Woge hochgehoben und auf den Kiesstrand geschmettert. Die leidgeprüften Männer fluchten, sprangen aus den Booten und zogen sie in Wind und Wasser aufs Land. Im Wasser war de Bobadilla nirgendwo zu entdecken gewesen, und Kapitän de Mendoza hatte nach einem Blick in die Kriegskasse des Geschwaders die berechtigte Behauptung aufgestellt, der Zahlmeister habe das Weite gesucht, man solle an Land nach ihm fahnden. Vega de la Torre. Vallone und die anderen Männer des Trupps suchten zunächst die Küste ab, ohne eine Spur von de Bobadilla zu entdecken. Auch stießen sie auf keine Bewohner der Gegend, die Uferregion lag wie ausgestorben da. „Wir steigen in die Felsen auf“, sagte de la Torre. Wenig später sollte er einsehen, daß dies ein tragischer Fehler war. Auf der Mitte eines ausgedehnten Plateaus, das sie auf der Höhe von rund einhundert Yards erreichten, wurden sie von einer Bande angegriffen, die ihnen zahlenmäßig weit überlegen war. Mindestens vierzig wilde, bärtige Kerle in abgerissener Kleidung fielen aus Verstecken über sie her. Nachdem die Männer der „Gran Grin“ die letzten Kugeln und das letzte Pulver verfeuert hatten, die noch in ihren Musketen, Arkebusen und Blunderbüchsen steckten, mußten sie sich auf einen mörderischen
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Nahkampf mit den Wegelagerern einlassen. „Kontakte mit der Bevölkerung aufnehmen“ – so hatte de Mendozas Befehl gelautet. Und so sah nun die bittere Praxis aus: keine Chance, mit den Iren zu verhandeln, keine Aussicht auf Proviant und Trinkwasser. Kapitän de Mendoza hatte die Kriegskasse, die de Bobadilla bislang verwaltet hatte, aber sie nutzte ihm nichts, er konnte mit dem Geld nicht kaufen, was seine Mannschaft und auch er so dringend benötigten. Keine Chance. Im Handgemenge auf dem Plateau hatten die Spanier das Nachsehen. Zu schwach, um sich auf die Dauer mit ihren Blankwaffen verteidigen zu können, fielen sie rasch, Mann um Mann. De la Torre, Vallone und eine kleine Restgruppe zogen sich fechtend immer weiter zurück. Der Anführer der johlenden Bande hieß Dubhdara Rua O'Malla und war der Inselhäuptling von Clare Island, aber das sollten de Mendoza und die letzten Überlebenden der Galeone erst sehr viel später erfahren. O'Malla drang auf Vallone ein, schlug dessen Verteidigung nieder und säbelte ihn zu Boden. De la Torre, rasend vor Wut, versuchte bis zu Vallone vorzudringen, aber zwei andere Iren versperrten ihm den Weg und setzten ihm selbst so hart zu, daß er beinah unterlag. Nur einen konnte er töten. Der andere stürzte, rappelte sich aber wieder auf, erhielt Verstärkung durch seine Kumpane und rückte mit ihnen erneut auf de la Torre zu. De la Torre hatte keine andere Wahl mehr, er mußte mit den drei letzten Soldaten den Rückzug antreten. O'Malla und dessen wilder Haufen verfolgte sie bei der Flucht zum Ufer hinunter, und voll Verzweiflung mußte Vega de la Torre erleben, wie noch zwei seiner Männer niedergemetzelt wurden. Fast gelang es dem ersten Offizier und seinem letzten Begleiter nicht, eine der Jollen klar zu kriegen. In nackter Todesangst schoben sie das Boot dann aber doch in die Brandung, warfen sich hinein und begannen zu pullen, während die
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O'Malla-Meute heranstürmte und Pfeile hinter ihnen herschoß. De la Torre und sein Begleiter entgingen diesen Pfeilen. Sie erreichten die „Gran Grin“ und sanken dort erschöpft auf die Planken der Kuhl. De la Torre berichtete, was sich ereignet hatte. Kapitän de Mendoza blickte erschüttert zum Ufer, zu den johlenden, fluchenden Kerlen, die das zweite Boot der Galeone umringt hatten. „Nach Calais dachte ich, es würde keinen schwärzeren Tag in Meinem Leben geben“, sagte er. „Aber nun ist er doch gekommen.“ „Senor“, meldete der Ausguck aus dem Vormars. „Die Hunde ziehen sich zurück.“ „Ja, sie verschwinden“, murmelte der Kapitän. „Aber sie werden wiederkommen. Irgendwann kriegen sie heraus, daß wir keine Munition für unsere Kanonen haben, um sie zu beschießen. Dann werden sie herüberpullen und zu entern versuchen. Sie wollen uns alle umbringen und an sich reißen, was das Schiff noch birgt.“ Er schwieg eine Weile, dann sagte er zu de la Torre gewandt: „Ich habe einen Fehler begangen. Ich hätte Ihnen Verstärkung schicken sollen, als wir die Musketenschüsse vernahmen, die Sie und Ihr Trupp auf dem Plateau abgaben.“ „Senor“, erwiderte de la Torre. „Wer hätte denn diese Verstärkung gebildet? Die Kranken etwa?“ „Wir“, sagte Francisco Sampedro und wies auf Juan Flores und einige andere Männer in seiner Nähe. „Womit wärt ihr denn zum Land gepullt?“ fragte de la Torre. „Mit dem dritten Boot etwa, das heute nacht leck geworden ist, als wir die Trossen und Leinen zum Land ausbrachten? Unterwegs abgesoffen wärt ihr, das ist die bittere Wahrheit. Nein, Senor Capitan, Sie dürfen sich keine Vorwürfe machen. Schicksal ist nun mal Schicksal. und wir stehen ihm hilflos gegenüber.“ „Kappen wir also die Trossen und lichten wir den Notanker“, sagte de Mendoza. „Wir, segeln an der Leeküste weiter — in der Hoffnung, irgendwo auf eine Siedlung
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und auf friedliche Menschen zu treffen. Es muß eine Lösung geben.“ De la Torre schüttelte den Kopf. „Senor, eins haben wir bei unserem Erkundungsgang herausgefunden: Wir liegen an einer Insel, und sie scheint nicht so groß zu sein, daß wir auf unterschiedliche Bevölkerungsgruppen hoffen dürfen. Mit anderen Worten, die Insel wird meiner Ansicht nach von diesen barbarischen Halbwilden beherrscht.“ Nach dieser niederschmetternden Nachricht ließ de Mendoza zum Land hin Posten aufziehen, weil er weitere Angriffe der Iren befürchtete. Mehr konnte er vorläufig nicht tun. Es war nicht sehr klug von de la Torre gewesen, vor versammelter Mannschaft preiszugeben, daß sie vor einer Insel lagen, aber andererseits konnte de Mendoza seinem Ersten diese Äußerung nach dem Gemetzel, dem er nur mit knapper Not entronnen war, auch nicht verübeln. De Mendoza hatte Mühe, seine aufkeimende Verzweiflung niederzukämpfen. Am späten Vormittag klarte es etwas auf, und erst jetzt erkannte der Ausguck, daß die Insel einer großen Bucht vorgelagert war. Pedro de Mendoza betrachtete diese Bucht im Osten durch sein Spektiv, dann fällte er seinen Entschluß. „Primero“, sagte er auf dem Achterdeck zu de la Torre, der dicht neben ihm stand. „Unternehmen wir einen letzten Versuch. Erkunden wir diese Bucht. vielleicht gibt es dort einen Ankerplatz, der sicherer ist. Wenn wir dort auch nicht die Hilfe finden, die wir brauchen, kämen wir auf jeden Fall von dieser dreimal verfluchten Insel weg.“ „Sechs Rudergasten genügen mir, Senor Capitan“, erwiderte de la Torre mit unbewegtem Gesicht. „Ich nehme Francisco Sampedro, Juan Flores und vier andere mit, die sich noch halbwegs aufrecht halten können.“ „Es ist unser letzter Versuch, de la Torre.“ „Ja, Capitan. Er bringt uns neue Hoffnung — oder den sicheren Tod.“ 6.
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Durch die nachlassende Dünung pullten sie in die Bucht. Sampedro saß dem ersten Offizier auf der Ducht gegenüber. und er dachte an das, was am frühen Morgen geschehen war. Er hatte erfahren, daß de la Torre nach seinem Dialog mit Alvarez an die vordere Balustrade der Back getreten war und auf die Galionsplattform hinuntergeschaut hatte. Das konnte nur Sekunden nach dem Verschwinden des Kochs und des Moses von der Plattform gewesen sein, um ein Haar hätte der Erste sie dort also entdeckt! Die Wahrheit beichten? Sampedro fragte sich, welchen Wert es hatte. Keiner weinte dem Geschwader Zahlmeister de Bobadilla eine Träne nach, auch de la Torre nicht. Gestand der Koch aber, so war der Offizier gezwungen, seinem Kapitän darüber Meldung zu erstatten und Sampedro bestrafen zu lassen. Juan Flores saß hinter Sampedro und blickte auf den Rücken des Mannes, während er sich mit dem Riemen abmühte. Der Koch war sein bester Kamerad geworden, und er, Juan, würde sich lieber totschlagen lassen, als den Mann zu verraten. Ein Baske hatte seinen ganz besonderen Stolz und Dickschädel. Juan hatte sich selbst ,amor proprio“ geschworen, das Gesetz der Selbsterhaltung bis zur äußersten Konsequenz. weil Francisco Sampedro es von ihm verlangte. Nie wieder würde er versuchen, seinem Leben selbst ein Ende zu setzen, aber er wußte, daß er es für den Koch und die anderen Kameraden opfern würde, falls das erforderlich sein würde. Was immer er tun konnte, um ihnen zu helfen — er würde es tun. Die Jolle gelangte in den Dunstschleiern, die noch zäh über weiten Bereichen der Bucht hingen, ans Ufer. De la Torre stieg als erster aus und blickte sich mißtrauisch nach allen Seiten um. Seine sechs Begleiter zogen unterdessen die Jolle an Land. „Ich glaube, weiter im Süden stehen Häuser“, sagte er plötzlich. „Juan, das Spektiv bitte.“
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Juan Flores reichte ihm das Rohr. Der Erste hob es vors Auge und spähte durch die Optik. „Eine Stadt“, stellte er fest. „Mit einem Hafen. Wir schleichen uns etwas näher heran und versuchen, Genaueres auszukundschaften. Ich möchte zumindest feststellen, ob in der Stadt zivilisiertere Menschen leben als auf der Insel, ehe ich an sie herantrete und mit Verhandlungen beginne.“ „Gott gebe, daß wir diesmal Glück haben“, sagte Francisco Sampedro. Sein Wunsch ging nicht in Erfüllung. Keine halbe Stunde später wurden sie zwei Meilen nördlich von Westport von Uniformierten gestellt, die als Reiterpatrouille des Gouverneurs Bingham einen Routineausflug unternommen hatten — und nun fündig wurden. Acht Mann, die ihre Musketen auf die Spanier „richteten... „Die Waffen weg“, befahl ihr Anführer, ein Lieutenant der Stadtgarde, der von Sir Richard Bingham bezüglich „umherschweifender irischer Rebellen und spanischer Bastarde“ seine präzisen Anweisungen erhalten hatte. De la Torre und seine sechs Männer befolgten den Befehl, denn sie hatten nicht die geringste Chance, sich mit ihren Säbeln und Schiffshauern gegen die Schußwaffen der Engländer zu behaupten. De la Torre beherrschte die englische Sprache recht gut. Er verstand nicht nur die barschen Rufe, mit denen die Reiter sie ,jetzt in die Stadt trieben, er begriff etwas später auch fast jedes Wort von dem, was der fette Mann in dem größten Gebäude Westports, der Stadtkommandantur und Verwaltung, zu ihnen sagte. Sir Richard Bingham — er betrachtete die sieben Jammergestalten mit angewiderter Miene und bedeutete den Gardisten, sie ja nicht zu nah an sein Pult heranzudirigieren. „Spanisches Lumpenpack, heruntergekommene Bastarde“, urteilte er. „Wer, 'zum Teufel, hat euch die Erlaubnis gegeben, hier frei herumzulaufen? Von welchem Schiff stammt ihr? Himmel, man muß diese stinkenden Hunde untersuchen lassen, denn es könnte sein, daß sie uns die
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Cholera nach Westport bringen. Wer seid ihr? Was wollt ihr?“ De la Torre war nicht so dumm, ihm auf englisch zu antworten. Er erkundigte sich vielmehr in seiner Muttersprache: „Versteht hier jemand Spanisch?“ „Lieutenant“, sagte Bingham. „Offenbar ist keiner von diesem Gesindel unserer Sprache mächtig. Holen Sie sofort einen Dolmetscher — und den Arzt, verdammt noch mal. Und daß mir sonst keiner in die Kommandantur kommt, verstanden?“ „Ja, Sir.“ Bingham wollte auf keinen Fall von diesem Killigrew, diesem Ribault oder einem ihrer Männer gestört werden, denn er rechnete damit, daß sie ihm kräftig ins Handwerk pfuschten, wenn Sie erst einmal mit ansahen, wie er mit solchen Gefangenen wie diesen umzuspringen pflegte. Obwohl er gegen die Spanier kämpfte, sollte dieser Seewolf ein ritterlicher Typ sein, und es konnte gut möglich sein, daß er und seine Kameraden mit so rüden Methoden, wie Bingham sie anwandte, nicht einverstanden waren. Killigrew, so schätzte der Gouverneur, war glatt in der Lage, ihm diese sieben Gefangenen wegzunehmen. Bingham hatte keine Skrupel, diese Burschen einzeln über die Klinge springen zu lassen, aber erst, wenn er von ihnen erfahren hatte, wo sich ihr Schiff befand und was es an Bord mitführte. Die Garde hatte zu berichten gewußt, daß weiter nördlich eine Jolle auf dem Ufer der Clew Bay liege, die nicht aussah wie eine englisches oder irisches Boot. Zweifellos waren die sieben spanischen Strolche mit dieser Jolle eingetroffen. Während der Lieutenant unterwegs war, um den Dolmetscher und den Arzt zu holen, wandte de la Torre sich an seine Begleiter. „Jetzt können wir noch reden, da hier ja niemand Spanisch versteht“, sagte er. „Kameraden, ich habe den Eindruck, wir sind vom Regen in die Traufe geraten. Meine Menschenkenntnis sagt mir, daß der dicke Kerl dort hinter dem Pult uns nur ausplündern will. Wir dürfen ihm nicht
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verraten, wo unser Schiff liegt — um keinen Preis.“ „Ruhe!“ rief Bingham. „Ich dulde nicht, daß ihr Hunde miteinander tuschelt!“ „Senor“, sagte Francisco Sampedro zu seinem ersten Offizier. „Der Fettwanst scheint seiner Uniform nach den englischen Besatzungstruppen in Irland anzugehören. Der wird auch nicht davor zurückschrecken, uns ins peinliche Verhör zu nehmen, schätze ich.“ „Hast du Angst davor?“ „Nein, ich nicht.“ „Madre de Dios“, stammelte Juan Flores. „Ruhe!“ brüllte Bingham. „Bringt diese Bastarde zum Schweigen!“ „Sir“, entgegnete ein Mann der Garde. „Sie verstehen uns doch nicht.“ „Legt mit den Musketen auf sie an, dann werden sie's schön kapieren!“ schrie der sehr ehrenwerte Sir Bingham, der mittlerweile bedenklich rot im Gesicht geworden war. Die Stadtgardisten hoben ihre Musketen und zielten auf die Köpfe der Spanier. Das wirkte. De la Torre, Sampedro, Flores und die anderen vier verstummten tatsächlich. Bingham musterte sie aus schmalen, wäßrigen Augen. Vielleicht hatten sie ihn hereingelegt. Vielleicht verstand einer von ihnen ja doch die englische Sprache. Aber auch das würde er bald herausfinden. Sehr schnell würde er sie zum Sprechen bringen. Oh, sie würden noch froh sein, ihm alles über sich und ihr Schiff beichten zu dürfen. Der Lieutenant kehrte mit dem Dolmetscher, einem hageren Asketen namens Harris, und dem Arzt von Westport. Doc Wheeler, zurück. Sir Richard Bingham gab den Männern knappe Anweisungen. Die Stadtgardisten hatten die Musketen inzwischen wieder sinken lassen, und der Arzt begann mit einer kurzen Untersuchung der Gefangenen, wobei Harris seine Worte übersetzte — beispielsweise: „Mund auf und Zunge 'raus!“ „Diese Männer leiden an Unterernährung und sind halb verdurstet“, verkündete Doctor Wheeler dann seine Diagnose.
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„Einige von ihnen sind dem Skorbut sehr, sehr nahe, aber Anzeichen von Cholera und anderen schweren Ansteckungskrankheiten kann ich nicht entdecken.“ De la Torre hatte auch dies verstanden und folgerte im stillen daraus, daß der Feldscher der „Gran Grin“, der seine Befürchtungen außer Kapitän de Mendoza nur ihm, de la Torre, anvertraut hatte, wahrscheinlich doch etwas übertrieben hatte. Noch schien der Hauch der Cholera nicht über der Galeone zu schweben, und das war ein winziger Lichtblick, denn die Mangelerscheinungen konnte man bei den leichteren Fällen auskurieren. De la Torre war drauf und dran, den Gouverneur und besonders den Arzt jetzt doch um Hilfe zu ersuchen, da sagte Bingham: „Sehr gut, wir brauchen also nicht um unsere Gemütlichkeit zu fürchten. Harris, erklären Sie diesen Elendsgestalten, daß ich sie in den Kerker werfe und der Folter aussetze, wenn sie nicht sofort verraten, wo ihr Schiff liegt und was sie an Bord haben.“ Harris tat sein Bestes, aber de la Torre und seine sechs Begleiter schwiegen eisern. Kein Wort war aus ihnen herauszubringen. „Führt sie ab“, ordnete Bingham vor Wut keuchend an. „Im Kerker hört man ihr Schreien nicht, wenn ich sie vom Foltermeister einer intensiven ,Behandlung' unterziehen lasse.“ Doc Wheeler wandte sich um und trat zu Bingham ans Pult. „Du solltest dir reiflich überlegen, wie du mit diesen Männern verfährst, Richard“, sagte er. „Sie haben ärztliche Hilfe bitter nötig.“ „Wie? Du würdest sie wirklich pflegen?“ „Sie sind völlig am Ende.“ „Warum stellen sie sich dann so verbohrt an? Die haben noch Reserven, das sind zähe Hunde, sage ich dir.“ „Trotzdem ...“ „Welches Gesetz schreibt mir vor, daß ich ihnen Beistand leisten muß?“ „Das Gesetz der Menschlichkeit, das Gesetz der Fairneß und Ritterlichkeit einem Feind gegenüber, der sich in unserer Hand befindet“, sagte der Arzt.
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Binghams Blick wurde feindselig. „Solche Gesetze kenne ich nicht. Hör zu, mein lieber Freund, bisher haben wir uns nie gestritten, und ich möchte, daß das auch weiterhin so bleibt, denn ich schätze dich wirklich und würde es bedauern, wenn du für immer aus Westport verschwinden würdest. Ein anderer Arzt an deiner Stelle — nein, das mag ich mir nicht vorstellen, mein lieber Wheeler. Würdest du so weit gehen, das Schicksal dieser spanischen Bastarde zu teilen? Du, der du eine Familie mit drei Kindern zu ernähren hast?“ Doctor Wheeler war bleich geworden. „Ich will nichts gesagt haben“, entgegnete er. * Nach dem üppigen „Frühstück“, das sowohl auf der „Isabella“ als auch auf der „Vengeur“ stattgefunden hatte, fühlten sich Hasard, Jean Ribault, Karl von Hutten und die beiden Crews so richtig faul und zufrieden. Alle blieben vorläufig an Bord ihrer Schiffe, denn wer in der Nacht die Kneipe besucht hatte, hatte jetzt keine Genehmigung zum Landurlaub und vorläufig auch kein Interesse mehr daran. Wer hingegen nachts die Ankerwache hatte schieben müssen und jetzt berechtigten Anspruch auf Ausgang hatte, verspürte ebenfalls keine Lust, sich umzutun und an Land auf die Pauke zu hauen. „Später vielleicht“, sagte Ben Brighton, der mit Big Old Shane, Ferris Tucker, Carberry, Old O'Flynn und Smoky beim Seewolf in der Kapitänskammer saß. Ben hatte die acht Glasen dauernde Mittelwache, die von Mitternacht bis vier Uhr morgens dauerte, mit Matt Davies, Jeff Bowie und Al Conroy zusammen durchgeführt. Jetzt streckte Ben auf seiner Sitzgelegenheit die Beine weit von sich und gähnte herzhaft. „Verzeihung, Sir“, sagte er. „Darf ich mich mal ein wenig gehenlassen? So gut habe ich seit mindestens zwei Wochen nicht mehr gefrühstückt.“ „Bitte, bitte“, entgegnete Hasard. „Du kannst dich auch in deine Koje packen,
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wenn du willst, es stünde dir rechtmäßig zu.“ „Nein, danke, darauf verzichte ich lieber.“ „Es ist wohl besser, wenn wir alle auf der Hut sind“, sagte nun Big Old Shane. „Diesem Bingham ist nicht über den Weg zu trauen. Der ist imstande und versucht, mit seiner Garde unsere Bordwachen zu überwältigen, sich seinen Proviant wiederzuholen und unsere Schiffsräume auszuplündern.“ „Viel ist bei uns doch nicht mehr zu holen, seit wir der Lissy unsere Schätze abgeliefert haben“, meinte Old Donegal Daniel O'Flynn. „Der würde schön dumm glotzen, der Fettwanst, wenn er unsere leeren Frachträume sehen würde.“ „Spielt keine Rolle“, sagte der Profos. „So ein Widerling wie Bingham ist zu allem fähig. Möchte wissen, was der jetzt in seinem alten Stinkstall, der Stadtkommandantur, ausbrütet.“ „Er will uns doch auf spanische Schiffe hetzen“, sagte Ferris Tucker. „Bestimmt ist er am Tüfteln, wie sich das am besten hinkriegen läßt, statt in seinem Bett zu liegen und zu schnarchen.“ „Eben deswegen habe ich ja Dan und Bill auf Erkundungsgang geschickt“, sagte Hasard. „Sie waren die einzigen, die Lust dazu hatten, sich ein wenig die Beine zu vertreten und hei der Gelegenheit in der Stadt herumzuspionieren.“ Carberry grinste. „Diese beiden Lausekerle sind doch bloß darauf aus, hinter Weiberröcken herzuspionieren. Stimmt's?“ Jemand klopfte an die Tür der Kapitänskammer, und Hasard hob den Kopf. „Herein.“ Unwillkürlich tasteten die Männer nach ihren Pistolen. Sollte sich jemand an Bord der „Isabella“ geschlichen haben? Das wäre ungeheuerlich! Aber nein, ein Eindringling hätte nicht angeklopft. In der Tat, es waren Dan O'Flynn und Bill, die jetzt eintraten und sich gleich dem Profos zuwandten: „Wir haben schon verstanden. was du gesagt hast, Mister Carberry“, erklärte Dan O'Flynn. „Aber du irrst dich. Wir haben unsere Pflicht erfüllt und herausgekriegt,
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daß der saubere Sir Richard Bingham Spanier gefangen hat.“ „Nun laßt mich mal raten“, sagte Hasard, während Carberry verdrießlich schnaufte. „Bestimmt handelt es sich um Schiffbrüchige.“ Bill nickte eifrig. „Sieben Mann. Es sind bis auf die Knochen abgemagerte Jammergestalten, hei deren Anblick einem ganz elend zumute wird. Wir haben nur gesehen, wie berittene Gardisten die Spanier in den Hof der Kommandantur getrieben haben, mehr nicht.“ „Aber als barmherziger Samariter wird Bingham sich bestimmt nicht aufführen“, fügte Dan O'Flynn hinzu. „Der Himmelhund-, sagte sein Vater. „Er wird aus ihnen 'rausprügeln, wo ihr Schiff liegt. Dann erscheint er bei uns und verlangt, auszulaufen und den Kahn zu entern.“ Der Seewolf war aufgestanden. „Solange warten wir aber nicht. Dan und Bill, ihr habt gute Arbeit geleistet. Männer, rafft euch trotz eurer vollen Bäuche auf und bereitet euch auf einen Besuch bei Bingham vor. Ich lasse es nicht zu, daß dieser Bastard hilflose, halbverhungerte Spanier foltert. Wir gehen jetzt zu Jean Ribault hinüber und unterrichten ihn über das, was Dan und Bill gesehen haben. Danach marschieren wir mit einem starken Trupp geradewegs zur Stadtkommandantur.“ 7. Dort hatte sich inzwischen einiges ereignet. Vega de la Torre und seine sechs Kameraden waren in die finsteren Kerkerzellen im Kellergewölbe des Gebäudes gesperrt worden, je zwei Mann in eine vergitterte Zelle, de la Torre in Einzelhaft. Gardisten hielten vor den Türen Wache. Dann erschienen eiligen Ganges Sir Richard Bingham, der hagere Harris und ein Koloß von Kerl mit einem etwas kleineren Gehilfen - der Foltermeister und sein Knecht. Doc Wheeler war auf Binghams Anordnung nach Hause zurückgekehrt, ein betroffener, unruhiger
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Mann, der von schwersten Gewissensbissen geplagt wurde. Bingham richtete über Harris noch einen Appell an die sieben Gefangenen: „Redet! Ihr befindet euch in der Gewalt des englischen Gouverneurs von Westport und habt die Pflicht, mir alles zu verraten. Wo ist euer Schiff? Wer ist euer Kapitän? Was habt ihr geladen? Was wolltet ihr am Ufer der Clew Bay auskundschaften?“ De la Torre trat an die Tür seiner Zelle und schloß die Finger um die dicken, rostigen Eisenstäbe. „Unser Schiff ist gesunken. Wir sind die einzigen Überlebenden“, erwiderte er. „Was sollen wir sonst noch berichten? Ich weiß es nicht. Tun Sie, was Sie nicht lassen können, Gouverneur.“ Harris übersetzte seine Worte, und Bingham ließ eine Reihe lästerlicher Verwünschungen vom Stapel. „Du Hund lügst!“ schrie er den spanischen Offizier an. „Aber das wirst du noch bereuen! Hinkle, nimm dir diesen frechen Hurensohn als ersten vor!“ Hinkle, der Foltermeister, trat mit seinem Gesellen auf de la Torres Zelle zu. Ein Gardist öffnete mit umständlichen Gesten die Verriegelung. „Etwas schneller, wenn ich bitten darf“, fuhr Bingham den Mann an. „Harris, sag den spanischen Hunden, daß sie zum letztenmal Gelegenheit haben, es sich zu überlegen. Danach kenne ich keine Gnade mehr.“ Harris tat seine Pflicht, aber die Spanier schwiegen. Hinkle und sein Gehilfe wollten sich Vega de la Torre greifen, der mit unbewegtem Gesicht in der jetzt offenen Zellentür stand, da geschah etwas Unerwartetes. Juan Flores klammerte sich an den Gitterstäben seines Verlieses fest und rief: „Nein, nicht, aufhören! Ich rede! Ich sage alles, was ich weiß!'` Harris übersetzte auch dies. Bingham stoppte seine Schergen durch eine herrische Gebärde, blickte zu Juan, überlegte kurz und befahl dann: „Den Kerl 'rauslassen. Wenn er schwindelt - was ich garantiert sehr schnell herausfinde -, lasse ich ihn standrechtlich erschießen.“
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Francisco Sampedro, der in derselben Zelle untergebracht war wie Juan Flores, versuchte den Moses zurückzuhalten. „Bist du wahnsinnig geworden?“ zischte er. „Ruhe!“ brüllte Bingham. „Schlagt diesen Hund zusammen, wenn er noch ein Wort sagt!“ Harris übersetzte auch dies, er war ein pedantischer, diensteifriger Untertan. Sampedro fuhr zurück, als zwei Stadtgardisten in drohender Haltung auf ihn zurückten. Er und die anderen mußten tatenlos zusehen, wie Juan Flores aus seiner kurzen Haft geholt und zu Bingham geführt wurde. Der hatte die Arme vor der fetten Brust verschränkt und sah den jungen Mann erwartungsvoll an. Nein, Juan hatte nicht einmal mit Sampedro besprochen, was er plante. Er wußte, daß der Koch der „Gran' Grin“ ihn daran gehindert hätte. Aber Juan hatte sich in den Kopf gesetzt, seine Kameraden vor dem peinlichen Verhör zu bewahren —und nicht nur das. Er hatte auch eine List ersonnen, mit der er Bingham und dessen Schergen gründlich hereinlegen konnte. Er, Juan, würde wahrscheinlich dabei vor die Hunde gehen, aber das war ihm völlig egal, denn er dachte an seinen Schwur. Juan sah den dicken Stadtgouverneur aus geröteten, brennenden Augen an. „Senor“, sagte er leise. „Wenn Sie mir und meinen Kameraden zu essen und zu trinken geben und uns verschonen, dann verrate ich wirklich alles — nicht nur, wo unser Schiff liegt, sondern noch viel mehr.“ Bingham lauschte Harris' Übersetzung, dann erwiderte er: „Ich lasse mich von diesem ausgemergelten Kastanienfresser doch nicht erpressen. Er muß so oder so ausspucken, was er weiß. Sag ihm das, Harris.“ „Sir“, mischte sich Hinkle ein. „Ich an Ihrer Stelle würde ihm genehmigen, was er verlangt. Was kostet es Sie denn schon? Wir sparen eine Menge Arbeit und Zeit — wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.“ Bingham wollte Hinkle zunächst barsch zurechtweisen, dann aber gab er dem
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Foltermeister recht und ließ Juan Flores zurück ins Erdgeschoß führen, wo er ihm in einem karg ausgestatteten Raum Brot, Wurst, Käse und Wasser auftischen ließ. Das gleiche ließ er auch de la Torre, Sampedro und den übrigen vier Gefangenen bringen. Die Spanier waren versucht, das Essen gegen die Kerkerwände zu schleudern und das Wasser zu verschütten, aber dann siegten doch Hunger und Durst, der Selbsterhaltungstrieb und die Gewißheit, daß sie gestärkt viel besser einen Ausbruchversuch unternehmen konnten, über die Wut, die sie wegen Juan Flores' „Verrat“ empfanden. In dem kahlen Raum des Erdgeschosses schlang Juan alles in sich hinein, was ein Bediensteter des Gouverneurs herzlos vor ihn hingeknallt hatte. Bingham saß auf einem Stuhl und verfolgte voll Abscheu, wie der junge Mann aß und trank. „Ein Tier, dachte Harris, der ergeben neben ihm stand, das wärst auch du Fettsack, wenn du gehungert und gedurstet hättest wie der Junge dort. Harris _hütete sich aber, es offen auszusprechen. Er hing am Leben und wollte nicht, daß er es wegen einer unüberlegten Äußerung jäh verlor. Juan Flores war am Ende seiner Mahlzeit angelangt. Seine Geschichte hatte er sich zurechtgelegt, und er blickte in gespielter Dankbarkeit zu Bingham hinüber, der ihm aufmunternd zunickte. „So, und nun leg mal schön los“, forderte Bingham ihn auf. „Deine Freunde sind auch versorgt worden. Der Foltermeister und sein Knecht haben keine Hand an sie gelegt. Ich habe also mein Wort gehalten. Pack aus, Junge.“ * Und Juan Flores legte los. Harris brauchte ihn nicht zweimal aufzufordern. Juan schluckte den letzten Bissen Brot gierig herunter und begann dann regelrecht zu schwadronieren. „ ,Gran Grin', so heißt unser Schiff; und es ist nicht gesunken, sondern liegt vor dem
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Ufer einer Insel, die dieser Bucht vorgelagert ist. Die ,Gran Grin` ist das Vize-Flaggschiff des BiskayaGeschwaders, Senor, jawohl, sie müßten mal sehen, was für ein schmuckes großes Schiff: 1160 Tonnen schwer. Sehr zugesetzt haben uns die Engländer bei Calais, dann sind wir auf unserer Reise rund um England und Irland in diesen Sturm geraten, der uns den Rest gegeben hat - und jetzt auch noch der Überfall der Inselbewohner - o Gott, es war das Allerschrecklichste, was ich je erlebt habe.“ Harris kam mit dem Übersetzen kaum nach. Als er an dem Punkt 'anlangte, der die halbwilden Inselbewohner betraf, hob Sir Richard Bingham unversehens die Hand. „Moment mal“, sagte er. „Das kann nur Dubhdara O'Malla mit seiner Bande gewesen sein. Hölle, wenn der auch auf das Schiff scharf ist, müssen wir uns beeilen. Dieser irische Hurensohn darf uns den dicken Brocken nicht wegschnappen, auf gar keinen Fall. Hölle und Teufel, ich habe schon immer gesagt, man müßte mit genügend Schiffen und Männern auf die Insel Clare übersetzen und es diesen Strandräubern gründlich besorgen. Hol's der Henker.“ „Sie sind sicher, daß es sich um die Insel Clare handelt, Sir?“ fragte Harris vorsichtig. „Kein Zweifel. Es kann keine andere sein. Nur auf Clare haust ein so tückisches Gesindel wie das, das unser Freund hier soeben beschrieben hat.“ Er musterte Juan Flores prüfend. Bisher hatte er nicht den Eindruck gehabt, daß der Bursche log. Die Angst vor der Folter schien ihm, dem Jüngsten der sieben, ja tief genug in den Knochen zu stecken. „Er soll jetzt schildern, was an möglichen Reichtümern ' auf der ,Gran Grin' liegt“, sagte Bingham. Harris' Übersetzung hin haspelte Juan das, was er sich beim Essen ausgedacht hatte, herunter. „Keine zweihundert Mann Besatzung haben wir mehr an Bord, und die meisten sind völlig entkräftet und
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krank. Oh, es sieht furchtbar aus auf unserem Schiff, aber wenigstens die Kriegskasse des Geschwaders hat unser Kapitän durch alle Kämpfe, Stürme und Entbehrungen retten können: die Kriegskasse mit fünfzigtausend Goldmünzen und fünfzigtausend Silbermünzen darin, Dublonen, Dukaten, Piaster. Reales und Escudos, so wahr ich hier sitze und Juan Flores heiße. In der Kammer des Zahlmeisters Luis de Bobadilla steht die wertvolle Truhe, ich habe es von unserem zweiten Offizier vernommen, der jetzt nicht mehr lebt. Viele sind gestorben, keiner hat gezählt, wie viele Leichen wir der See übergeben haben, aber die ‚hohen Herren sind noch am Leben, wie es ja meistens so ist.“ Binghams Gesicht hatte einen verklärten Ausdruck angenommen, jetzt, da er von den insgesamt hunderttausend Münzen der Kriegskasse vernommen hatte. Er lauschte den Erläuterungen seines Dolmetschers hingebungsvoll, unterbrach dann aber wieder. „Hohe Herren? Was für hohe Herren meint der Bursche?“ „Prinz Ascoli“, antwortete Juan auf Harris' Frage hin wie aus der Pistole geschossen. „Das ist einer von ihnen. Ein Bastardsohn des spanischen Königs, ja, ja, ein Sproß von Philipp II. das können Sie mir glauben. Es wurde streng geheim gehalten, wer er ist, aber wir Decksleute haben es schließlich doch erfahren. Tatsächlich gab es einen Prinzen von Ascoli, und er war auch der „Bastardsohn“ Philipps II. — und dieser Mann hatte die Armada auch wirklich bei der Überfahrt von Spanien nach England begleitet. Nur war er bereits nach dem englischen Branderangriff vor Calais mehr oder weniger zufällig zu dem Herzog von Parma gestoßen und hatte an dem weiteren Kampfgeschehen und der langen Fahrt um die Inseln herum keinen Anteil mehr. Was Juan Flores nicht einmal ahnte, was seine an den Haaren herbeigezogene Geschichte aber unverhofft zu bestätigen schien: Seit einiger Zeit hielt sich bei den Engländern in Irland hartnäckig das
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Gerücht, an Bord eines der spanischen Schiffe, die die Flucht um die Inseln herum angetreten hatten, segelte der Prinz von Ascoli mit. Juan trug noch dicker auf: „Und der zweite hohe Herr ist Medina Sidonia — der Herzog! Der General-Kapitän der Armada! In der Nordsee ist er extra deswegen auf unsere ,Gran Grin“ umgestiegen, weil er persönlich auf das Wohlergehen des Prinzen achten wollte, denn unser König, Senor, Seine Allerkatholischste Majestät Philipp II., hat dies dem Herzog besonders ans Herz gelegt.“ Bingham wurde es abwechselnd heiß und kalt. Das war ja geradezu ungeheuerlich. Die Kriegskasse, Ascoli, Medina Sidonia — einfach phänomenal! Er, Bingham, konnte nicht nur die Schatztruhe an sich reißen, er konnte auch die beiden Adligen gefangen nehmen und für ihre Freilassung von den Spaniern ein dickes Lösegeld erpressen! Nur war da als Gegenspieler dieser verdammte O'Malla. Man mußte ihm zuvorkommen. Bingham wollte neue Fragen an Juan stellen, aber in diesem Moment wurde an die Tür des Raumes geklopft. * Auf Binghams unfreundliche Aufforderung hin trat der Lieutenant der Stadtgarde ein,: „Sir“, sagte er. „Wir haben einen neuen Erkundungsritt unternommen, wie Sie es uns befohlen haben. Wir haben dabei zwar kein spanisches Schiff gesichtet, aber wir haben ...“ „Unwichtig. Ich weiß schon, wo das Schiff liegt“, fiel der Dicke ihm ins Wort. „Sir, wir haben aber eine männliche Leiche geborgen, die Sie sich unbedingt einmal anschauen sollten“, fuhr der Lieutenant fort. „Ich bitte Sie darum. Es handelt sich um einen Spanier, dessen Kleidung erstaunlich schwer ist. Er muß wie ein Stein gesunken sein, und es ist schon ein kleines Wunder, daß er nicht auf dem Grund der Bucht liegengeblieben ist,
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sondern nördlich der Stadt angeschwemmt wurde.“ Bingham horchte auf. Er erhob sich schwerfällig, winkte seinen Gardisten zu und erteilte auch Harris und Juan Flores die Order, ihn zu begleiten. Auf dem Hof war die Leiche behelfsmäßig aufgebahrt worden. Juan Flores brauchte nicht zweimal hinzusehen, um sie zu identifizieren. „Das ist Luis de Bobadilla, unser Zahlmeister“, erklärte er. „Er hat in der Nacht heimlich das Schiff verlassen und wollte sich wohl an Land retten, aber es ist ihm mißlungen.`“ „Zahlmeister“, wiederholte Bingham murmelnd auf Harris' Übersetzung hin. „Und er ist ihnen von der Fahne gegangen. Los, Lieutenant, rasch ein Messer her.“ Mit dem scharfen Messer des Lieutenants schlitzte Sir Richard Bingham die Kleidung des toten Mannes auf - und siehe da, Gold- und Silbermünzen fielen klirrend auf das Pflaster des Hofes. Das war der Beweis - Juan Flores hatte nicht gelogen, es gab diese Kriegskasse, de Bobadilla hatte selbst kräftig hineingelangt, um dann zu türmen. Auch der Rest der Erzählung dieses Burschen stimmt, folgerte Bingham daraus - und er taumelte fast, als er an die Pfründe dachte, die da winkten, an all den künftigen Reichtum. „Die Münzen aufsammeln“, ordnete er an. „Daß mir ja keiner was in die eigenen Taschen steckt. Lieutenant, Sie sind mir für die Vollständigkeit dieses bescheidenen kleinen Schatzes verantwortlich.“ „Ja, Sir. Zu Befehl, Sir.“ „Senor“, sagte Juan Flores. „Ich kann Sie zu unserem Schiff fahren, ich habe mir die Stelle, an der es liegt, genau gemerkt.“ Harris übersetzte es sofort, und Juan wartete gespannt auf die Reaktion des Dicken. Alles hing davon ab, denn Juan wollte, wenn er als Lotse im Schiff des Gouverneurs fungierte, mit allen Mitteln; die ihm zur Verfügung standen, dafür sorgen, daß dieses Schiff in der Bucht sank, daß keiner der Insassen jemals die „Gran Grin“ erreichte.
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Aber Bingham schüttelte den Kopf. „Nicht nötig“, sagte er. „Ich weiß ja, daß die Dons vor der Insel Clare vor Anker gegangen sind, und sie werden wohl die Leeküste gewählt haben - bei dem Sturm, der in der Nacht aus Südwest heranfegte. Nein, wir brauchen keinen Führer. Ich halte es außerdem für ein Risiko, den Burschen mitzunehmen. Er könnte seine Kameraden doch noch warnen.“ Er winkte zwei Gardisten zu. „Führt ihn ab. Steckt ihn zu den anderen in den Kerker. Wir brauchen ihn nicht mehr. Ich überlege mir noch, was ich mit den sieben Hunden anfange. Jetzt habe ich weitaus Wichtigeres zu tun.“ 8. Sir Richard Bingham suchte seine Amtsstube im vorderen Gebäudeteil auf, gefolgt vom Lieutenant, von Harris und vier Männern der Stadtgarde. Er wollte dem Lieutenant gerade die Anweisung geben, Killigrew und Ribault zu sich zu rufen, da sah er durch die Bleiglasfenster, wie der Seewolf und der Franzose an der Spitze einer starken Delegation auf die Kommandantur zumarschierten. „Was wollen die denn?“ fragte er sich verblüfft. „Na, ist ja egal. Es trifft sich sogar gut, daß sie schon da sind. Wir sparen Zeit.“ Er ließ sie eintreten und breitete, wie von einer wunderbaren Erscheinung überwältigt, die Arme aus, als Hasard und Jean dicht vor seinem abgewetzten Eichenpult standen. „Meine lieben Freunde“, sagte der ehrenwerte Sir Richard. „Ihre Stunde ist gekommen. Ich wünsche, daß Sie sich jetzt an Ihren Part unserer Vereinbarungen halten, verstehen Sie?“ Hasard fixierte Bingham und fragte sich, ob nicht die Stunde gekommen war, der ganzen Farce ein Ende zu bereiten. Jean Ribault lächelte mal wieder, aber der Rest der Männer von der „Isabella“ und der „Vengeur“ zeigte eisige Mienen. Carberry, der sich gerade den zeternden Sir John in den Wamsausschnitt stopfte, hätte
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furchtbar gern drei lange Schritte bis zu Binghams Pult getan, um dem unausstehlichen Kerl die Haut in Streifen abzuziehen. Hasard dachte an die sieben spanischen Gefangenen, aber auch an die Stadtgarde. Wenn er jetzt versuchte, bis zu den Spaniern vorzudringen, um sich ein Bild von ihrem Zustand zu verschaffen - oder gar, um sie herauszuhauen, dann hatte er die Garde gegen sich, und es würde zweifellos ein Blutbad geben. Der Wind blies wieder heftiger über die Bucht und den Hafen. Er ließ die Bleiglasfenster in der Kommandantur leise klirren und warf die Tür zu, die Smoky, der als letzter eingetreten war, offengelassen hatte. „Der Wind ist plötzlich auf West umgesprungen“, sagte Smoky. „Mann, wie der in die Bucht pfeift“, meinte Karl von Hutten nach einem Blick durch eins der Fenster. „Das gibt neuen Zunder“, murmelte Old O'Flynn. „Dicke Wolken ballen sich zusammen, es reißt nicht mehr auf - na, vielleicht ist das ja auch ganz gut so.“ Sir Richard Bingham kümmerte sich nicht um die Wetterverschlechterung. Er stützte die kurzen, dicken Finger auf das Pult. „Ich habe erfahren, daß bei Clare Island eine große spanische Galeone liegt“, sagte er. Mit zwei Kriegsschiffen Ihrer Königlichen Majestät dürfte es ja wohl eine Kleinigkeit sein, dieses Schiff, die ,Gran Grin', zu entern und nach Westport einzubringen.“ „Aber sicher doch“, entgegnete Hasard seelenruhig. „Bloß sollten Sie jetzt mal einen Blick nach draußen werfen, werter Freund.“ Er wies mit dem Daumen über die Schulter. „Bei diesem Wind ist es völlig ausgeschlossen, aus der Bucht zu kreuzen und die Insel anzusteuern, geschweige denn, die spanische Galeone zu entern. Tut mir leid. So gern ich mein Versprechen erfüllen würde - im Moment geht das wirklich nicht. Lieber Richard, das müssen Sie doch einsehen.“ Der „liebe Richard“ mußte ihm recht geben.
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„So ein Pech“, sagte er zähneknirschend. „Na schön, dann warten wir eben. Aber sobald das Wetter besser wird, laufen Sie zum sofortigen Angriff aus, nicht wahr?“ „Darauf können Sie sich verlassen“, versicherte Hasard ihm - nur lautete seine Auslegung dieses Unternehmens ganz anders, als Bingham annahm. Die Gefangenen des Gouverneurs stammten von der „Gran Grin“, soviel stand fest. In der kurzen Zeit seit ihrem Eintreffen konnten sie noch nicht gefoltert worden sein, zumindest hoffte der Seewolf es. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatten sie aus freien Stücken Auskunft über ihr Schiff gegeben. Bingham dachte an O'Malla und hoffte inständig, daß dieser irische Rebellenführer und Galgenstrick ebenfalls keine Gelegenheit dazu fand, bei dem neu lospeitschenden Sturm die spanische Viermast-Galeone zu entern. * Dubhdara Rua O'Malla hielt die „Gran Grin“ von der Insel Clare aus fortwährend unter Beobachtung. aber er traf keine Anstalten, überzusetzen und die letzten Männer an Bord des Schiffes niederzumetzeln. Das geschah nicht aus plötzlich aufkeimender Menschlichkeit, sondern aus einer sehr nüchternen Überlegung. O'Malla kannte den Gouverneur von Westport zur Genüge, und er konnte sich lebhaft vorstellen, daß Bingham erstens in Erfahrung gebracht hatte, daß die Galeone vor Clare Island vertäut hatte -und daß er zweitens vorhatte, den Segler wie ein schlachtreifes Huhn auszunehmen. O'Malla indes legte keinen großen Wert darauf, die Galeone zu erobern. Er wollte zwar keine Eindringlinge auf seiner Insel und war bereit, jeden auch noch so starkenLandetrupp -aus dem Hinterhalt zu überfallen und auszuplündern. So war er mit den Spaniern verfahren, die sich erdreistet hatten, in den Felsen herumzusteigen, aber ein Überfall auf die Galeone erschien ihm zu riskant wegen der
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vielen Kanonen, die er auf dem Oberdeck des Schiffes gezählt hatte, es würde zu große Verluste geben. Kurzum, O'Malla genügte es, wenn er seine Ruhe hatte. Den „dicken spanischen Brocken“ warf er dem englischen Besatzer Bingham gern zum Fraß vor. Und genau dazu bot sich der Weststurm an, der bis zum Nachmittag andauerte und auch zum Abend hin nicht nachließ. Ein prasselnder Regenguß ging auf die Insel und die Galeone nieder. O'Malla und vier seiner in Teerjacken gehüllten Kerle pirschten sich zu der Stelle, an dem die eine Jolle der „Gran Grin“ herrenlos liegengeblieben war. Es gelang ihnen, die Landtrossen zu kappen, ohne von Bord des Schiffes aus gesehen zu werden. „Das genügt“, sagte O'Malla grimmig, während der Regen von seiner Mütze aus gefettetem Leder in seinen Jackenkragen lief. „Der Rest erledigt sich von selbst. Fahrt zur Hölle, Spanier!“ Er sollte recht behalten. Der Notanker hielt noch knapp eine Stunde, dann brach ihn das schwere Schiff aus dem Grund. Langsam setzte sich die „Gran Grin“ in Bewegung und trieb vor dem Weststurm hilflos in die Clew Bay hinein. Es sollte ihre letzte Fahrt sein. Südlich der Newport Bay, einer kleineren Bucht im nordöstlichen Bereich der Clew Bay, erstreckten sich gut achtzig bis hundert Inseln und Inselchen dem Festland vorgelagert bis hinunter nach Westport. Es nutzte Kapitän Pedro de Mendoza nichts, daß er in höchster Not selbst nach dem Kolderstock griff. Bei der Heftigkeit des Sturmes war das schwere Schiff manövrierunfähig: Es wurde zwischen Inselklippen gepreßt, ohne daß sich das Unheil noch hinauszögern ließ. Ein einziger Schrei des Entsetzens gellte durch das Schiff. Es krachte und donnerte bis in die äußersten Verbände, knirschend brachen Planken der Außenhaut, rauschend drang das Wasser durch die sich vergrößernden Lecks ein. Die „Gran Grin“ blieb in ihrer Falle hängen. Die schweren anbrandenden
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Brecher setzten ihr Zerstörungswerk fort. Das Chaos an Bord war vollkommen, und jeder Versuch, die Lecks wenigstens notdürftig abzudichten, war völlig sinnlos. Kapitän de Mendoza riß es fast vom Achterdeck, nur im letzten Augenblick konnte er sich noch an einer Nagelbank festklammern. Unvollständig, teilweise zerfetzt waren die Manntaue, die über Deck gespannt worden waren, und es kam letztlich auf die Geistesgegenwart des einzelnen an, ob er sich noch auf dem Oberdeck des Viermasters hielt oder nicht. Achterdeck, Kuhl und Back hatten sich in eine abschüssige, glitschige, von brüllenden Wassermassen überspülte Rutschbahn verwandelt. De Mendoza sah einige seiner Männer außenbords fliegen, unter ihnen war auch Alvarez, der Proviantmeister. De Mendoza schrie seine Verzweiflung in die einsetzende Dunkelheit hinaus. Er arbeitete sich vom Achterdeck auf die Kuhl hinunter, kroch durch ein kaputtes Schott ins Achterkastell, stieg tiefer in sein Schiff hinunter und watete schließlich durch das Wasser, das knietief in den Frachträumen schwappte. So gelangte er bis ins Vorschiff, klomm auf den Stufen der Niedergänge ins Mannschaftslogis hinauf — und sah zu seinem Entsetzen, daß das Wasser auch hier durch mehrere Lecks rann. De Mendoza ging dem Feldscher zur Hand, der verbissen seine Arbeit an den Lagern der Sterbenskranken fortsetzte. „Es wird aufhören“, sagte de Mendoza. „Irgendwann muß es aufhören“, erwiderte der Feldscher. „Vielleicht haben de la Torre und die anderen Hilfe gefunden ...“ „Ja, vielleicht holen sie Hilfe.“ Sie führten die ganze Nacht hindurch die stumpfsinnigsten Reden, nur um sich selbst zu beweisen, daß das Leben noch eine letzte Barriere gegen den Tod bildete, der im Schiff nistete. Der Sturm und die Brecher sägten an der „Gran Grin“ herum, füllten sie mehr und mehr mit Wasser, zermürbten ihren Rumpf.
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Als Kapitän de Mendoza im Morgengrauen eine Zählung vornahm, befanden sich noch dreißig Männer an Bord des erbärmlichen Wracks —mehr nicht. Der andere Teil der Besatzung war entweder über Bord gerissen worden oder freiwillig gesprungen. Ja, de Mendozas vagen Berechnungen zufolge mußten sie sich in der Nähe des Festlandes befinden. Sie hatten am Vortag beim kurzen Aufklaren des Wetters ja die Ausmaße der Bucht gesehen. Viele seiner Männer mußten sich an die Möglichkeit geklammert haben, schwimmend ans Ufer der Clew Bay zu gelangen. Die Lage auf dem Schiff war hoffnungslos. Wie lange der Rumpf noch hielt, war fraglich. Rundum kochte die See, und der Versuch, an Planken oder anderen Trümmern festgekrallt das Festland zu erreichen, war nach de Mendozas Meinung glatter Selbstmord. Erst im Laufe des Vormittags beruhigte sich der Sturm allmählich. Apathisch hockten die letzten Männer der „Gran Grin“ auf dem zerborstenen Oberdeck. Fiebriger Glanz war in ihren Augen. Sie spähten müde zum Ufer, das sie im Osten ahnen konnten. Ein zerschlagener Haufen, unfähig zur Aktion, selbst Pedro de Mendoza war am Ende seiner Energien angelangt. „Wir könnten es jetzt wagen“, sagte er mit brüchiger Stimme zum Feldscher. „Wir könnten was wagen?“ „Uns an Rettungsmittel zu klammern:“ „Um uns zum Land treiben zu lassen?“ „Ja.“ „Ich fühle mich zu schwach dazu, Senor Capitan.“ „Wir verlassen das Schiff. Das ist ein Befehl“, sagte de Mendoza. „Senor“, erwiderte einer, der auf der untersten Stufe des Backbordniedergangs zum Vorkastell hockte. „Ich sterbe lieber hier.“ De Mendoza schaffte es nicht, die Leute aus ihrer Lethargie hochzureißen, jeder Versuch war sinnlos. Sie wollten in den letzten, langen Schlaf hinüberdämmern. Alles war ihnen gleichgültig. Die Grenzen
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ihres Leistungsvermögens waren schon seit einiger Zeit überschritten. Die Räume unter Deck standen jetzt fast bis zu den Deckenbalken voll Wasser. Die Proviantlast war abgesoffen, die letzten Trinkwasserfässer mit halb- fauligem Naß zerschlagen. Es war das Ende. 9. Als der Lieutenant in die Amtsstuben der Stadtkommandantur trat, hörte Sir Richard Bingham damit auf, sich über den Seewolf und dessen Kameraden zu ärgern. Killigrews und Ribaults Zögern, bei dem nachlassenden Sturm auszulaufen, dieses fortwährende Hinhalten — es war Bingham mittlerweile verdächtig geworden. War ihnen am Ende gar nicht daran gelegen, die „Gran Grin“ zu entern? Nun, wenn das der Fall war, dann würde er, Bingham, sich den Proviant schon irgendwie wiederholen, den er ihnen in seiner „grenzenlosen Großzügigkeit“ geschenkt hatte. „Sir“, sagte der Lieutenant. „Eine Reiterpatrouille hat zwischen den Klippen vor der Küste eine Galeone gesichtet. Zweifellos handelt es sich um einen Spanier.“ „Etwa gar um die ,Gran Grin`?“ „Sir, das wissen wir nicht. Es gibt keine Flagge, keine Schriftzeichen auf dem Rumpf, denen man auf die Distanz von zweihundert Yards entnehmen könnte, wie der Name des Schiffes sein könnte.“ „Egal. Die Hauptsache ist, daß der Kahn nicht vom Fleck fortkommt, Lieutenant, und daß wir die Gewißheit haben, an Bord keine gut bewaffneten, schlagkräftigen Philipps anzutreffen.` Der Lieutenant lachte auf. „Das ist ausgeschlossen, Sir — so, wie das Schiff aussieht. Es sitzt hoffnungslos fest, ich schwöre es Ihnen.“ In Bingham war für einen Moment der Verdacht aufgekeimt, bei der Galeone könnte es sich um ein intaktes Schiff der Armada handeln, dessen Besatzung eine Fahrrinne zwischen den Klippen hindurch
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entdeckt hatte. Es war eine Art fixe Idee der englischen Besatzer in Irland, spanische Truppen könnten von den Schiffen der Armada irgendwann gelandet werden, dort einen Brückenkopf bilden und dann damit beginnen, die Insel „aufzurollen“. Die alte Furcht, Irland könne spanisch und damit eine ständige Bedrohung Englands werden — Sir William Fitzwilliam hatte sie Bingham wie allen anderen Gouverneuren und sonstigen Untergebenen ausreichend eingetrichtert. Immer wieder tauchte auch vor Binghams geistigem Auge das Gespenst apokalyptischer spanischer Reiter auf, die über Irlands Boden jagten. Er verscheuchte dieses Bild aus seinen Gedanken. Viel lieber konzentrierte er sich auf das, was der Lieutenant ihm soeben gemeldet hatte. „Unsere Leute sagen, sie hätten an Land Leichen gefunden“, fuhr der Lieutenant jetzt in seinem Bericht fort. „Außerdem Trümmer von Planken, Spieren, Rahen, Segelfetzen — das sagt doch genug aus, nicht wahr, Sir?“ Bingham rieb sich die Hände. „Allerdings. Wir brauchen nicht einmal mehr die ‚Isabella' und die ,Vengeur', um uns diesen spanischen Segler einzuverleiben, Lieutenant. Wissen Sie schon, auf was ich hinauswill?“ „Ja, Sir. Wir bemannen unsere zwei Schaluppen und die kleinen Einmaster, die uns zur Verfügung stehen, segeln durch die Bucht und entern die Galeone.“ Seine Miene wurde plötzlich ernst. „Aber es befinden sich immer noch einige Dons an Bord des Schiffes, Sir, das dürfen wir nicht vergessen.“ „Himmel, Lieutenant, wir haben fünfzig gut bewaffnete Gardisten —die dürften doch wohl ausreichen, um diese elenden schiffbrüchigen Hidalgos über die Klinge springen zu lassen.“ „Gewiß, Sir. Soll ich auch den Hauptmann verständigen?“. Bingham hatte sich erhoben. „Sicher sollen Sie das, Sie Armleuchter. Liebe Güte, haben Sie etwa Angst vor dem
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bevorstehenden Einsatz, Mann? Ich will Ihnen was sagen: Wir werden einen strategischen Plan entwickeln — der Hauptmann und ich. Wir werden kämpfen, ohne Verluste zu haben. Was sagen Sie dazu?“ „Großartig“, entgegnete der Lieutenant ohne rechte Überzeugung. „Fein. Und nun schieben Sie erst mal ab und holen mir diesen spanischen Jüngling aus der Kerkerzelle — diesen Juan Flores. Ich nehme von Land aus eine Ortsbesichtigung vor und will den Burschen dabeihaben, um 'rauszukriegen, ob das wirklich die ‚Gran Grin' ist.“ * Juan Flores' Hoffnungen wurden zerstört. Er saß mit gebundenen Händen auf dem Sattel eines Pferdes und war in die Mitte eines zwanzigköpfigen Trupps genommen worden, an deren Spitze Bingham und der Hauptmann ritten. Der grobknochige Wallach, den man für Sir Richard Bingham gesattelt und gezäumt hatte, drohte unter der Last des Dicken fast zusammenzubrechen. Angesichts der grandiosen Reitkünste ihres Gouverneurs konnten sich die Soldaten das Lachen kaum verkneifen. Aber es war eine Illusion zu glauben, daß ihre Aufmerksamkeit deswegen nachließ. Die Gardisten behielten Juan scharf im Auge. Er hatte keine Chance, etwas zu unternehmen. Er konnte. fliehen noch irgendeine Kriegslist durchführen, die dem Reiterpulk Schaden zufügte. Ganz anders wäre es gewesen, wenn sie schon jetzt mit den Schaluppen und Einmastern zu den Klippen im Norden der Bucht aufgebrochen wären - da hätte Juan Flores gewußt, wie er Verwirrung hätte stiften können. Der Sturm lag in seinen letzten heftigen Zügen. Schon riß der Wolkenverhang auf, und hier und da drang streifiges Sonnenlicht durch. Am Strand vor den Klippen verhielt der Pulk, und Bingham ließ Juan Flores zu sich herüberdirigieren. Harris, der Dolmetscher,
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war auch wieder zugegen, er übersetzte Wort für Wort, was zwischen den beiden gesprochen wurde. „Das Wrack dort zwischen den Klippen ist das die einst so stolze ,Gran Grin'?“ erkundigte sich der Gouverneur. Juan wußte, daß es keinen Zweck hatte, jetzt, da er schon so viel preisgegeben hatte, noch etwas zu leugnen. „Ja, das ist sie“, erwiderte er. „Ein paar Gestalten winken herüber“, sagte Bingham. „Sieh sie dir an. Ist der Herzog dabei? Der Prinz? Kannst du sie sehen?“ Juan Flores zerriß es fast das Herz vor Kummer, als er durch ein Spektiv blicken mußte, das ihm der Lieutenant vors Auge hielt. Er sah den Kapitän Pedro de Mendoza und den Feldscher und schätzungsweise zwei Dutzend völlig ausgemergelte Gestalten am Schanzkleid der Galeone stehen und schwach gestikulieren. Sie hatten die Reiter gesichtet und hofften auf Hilfe. „Ich kann weder den Herzog noch den Prinzen entdecken“, sagte er wahrheitsgemäß. Bingham kaute ein wenig auf der Unterlippe herum, dann meinte er: „Egal. Vielleicht halten sie sich ja unter Deck auf. Für Medina Sidonia und den Prinzen Ascoli kriegen wir natürlich ein riesiges Lösegeld vom spanischen König. Aber für den Fall, daß sie tot sein sollten, bleibt uns immer noch die Kriegskasse des BiskayaGeschwaders mit den hunderttausend Gold- und Silbermünzen.“ „Was machen wir mit den Philipps?“ wollte der Hauptmann wissen - obwohl er die Antwort schon kannte. „Die servieren wir ab, außer Medina Sidonia und dem Prinzen Ascoli natürlich.“ „Und die sieben Gefangenen in der Stadtkommandantur?” „Da fragen Sie noch?“ „Sie werden standrechtlich er- schossen?“ „Standrechtlich, jawohl“, erwiderte der dicke Bingham grinsend. „Und jetzt lassen Sie uns zurück in den Hafen reiten. Dort setze ich Ihnen meinen strategisch perfekten Plan auseinander, und wir
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Roy Palmer bemannen die Schaluppen und Einmaster.“ Er fühlte sich ganz als Feldherr.
die
* Wieder im Hafen von Westport angelangt, hievte Bingham seine schwere, ungefüge Gestalt zunächst aus dem Sattel des Wallachs, dann gab er seine Befehle. Juan Flores wurde in den Kerker zurückgebracht. Plötzlich begann sich der junge Mann zu sträuben, aber das nutzte ihm auch nichts mehr. Brutal zerrten zwei Gardisten ihn fort. Bingham stolzierte auf dem Kai auf und ab, ließ die Schaluppen und die Einmaster bemannen und mit genügend Munition und Waffen versehen. Dabei schwafelte er von seinem großen Einsatz. „Schneid und ein unbeugsamer Wille, Umsicht und Tatkraft stehen am Beginn eines jeden großen Gefechts“; teilte er dem Hauptmann mit, der jetzt schon langsam am Verstand seines Gouverneurs zu zweifeln begann. „Die Umzingelung des Feindes, das Einkesseln, das rasche Zupacken mit eiserner Hand verwandeln den rauhen Krieg in Kunst“, fuhr Sir Richard Bingham fort. „Eine Kunst, die nicht jeder versteht. Man muß dazu geboren sein. Habe ich recht, Hauptmann?“ „Jawohl, Sir.“ „Lieutenant, meinen Degen!“ rief Bingham. „Und holen Sie mir auch zwei geladene Pistolen, damit ich mich allen Erfordernissen der Schlacht wie ein Mann stellen kann. Lieutenant, nun laufen Sie schon!“ Er wandte sich zu dem Hauptmann um. baute sich breitbeinig vor ihm auf und erklärte: „Die Kanonen der .Gran Grin' können nicht mehr feuern, mein Bester. Flores, dieser Dummkopf, hat mir auch das verraten: Es gibt keine Munition mehr an Bord der Galeone. Ist das nicht wunderbar? Und nun meine Strategie: Wir gehen mit den Schaluppen und den Einmastern auf Musketenschußentfernung an die Galeone
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der Spanier heran - von allen Seiten, versteht sich. Dann feuern wir.“ Der Hauptmann hob die Augenbrauen. „Und Medina Sidonia und der Prinz?“ „Die werden vorher selbstverständlich aufgefordert, das Schiff zu verlassen“, sagte Bingham, der sich bereits die Phase des Sieges bildhaft vorstellte. „Wenn sie dazu kein Beiboot mehr haben, stellen wir ihnen natürlich eins zu Verfügung. wir sind ja großzügig, was, Hauptmann?“ Er lachte. Der Hauptmann lachte mit, vor allen Dingen, weil er an die Dukaten, Dublonen und Piaster dachte, die in dieser sagenhaften Kriegskasse liegen sollten. „Und wenn wir die hochwohlgeborenen spanischen Bastarde erst haben, schiel3en wir den Rest der Philipps zusammen“, verkündete Bingham. Er sah sich nach allen Seiten um. Sie Menschen von Westport waren zusammengelaufen und wohnten diesem „grandiosen Schauspiel“ bei. Jawohl, sie huldigten ihm, dem Gouverneur Sir Richard Bingham, der das Zeug zum König hatte. „Ausrotten werden wir sie, und zwar im Handumdrehen!“ rief Bingham. Der Lieutenant kehrte zu ihm zurück und brachte ein Wehrgehänge mit einem verzierten Degen, das Bingham sich jetzt mit einiger Mühe um den dicken Bauch band. Anschließend schob er sich zwei Radschloßpistolen in den Gurt, deren Kolben Perlmuttereinlagen hatten. Die Schaluppen und die Einmaster waren jetzt so gut wie gefechtsbereit und klar zum Auslaufen. Bingham und sein Trupp schickten sich an, an Bord zu gehen. Ein niederträchtiger, gemeiner Plan war das Vorhaben des Gouverneurs - bar jeder Menschlichkeit. Aber Menschlichkeit, Ritterlichkeit. Fairneß waren Begriffe. die er nicht kannte, wie er schon Doctor Wheeler zu verstehen gegeben hatte, dem Arzt, der jetzt in der Menge stand und mit aufsteigender Wut verfolgte, was der fette Mann unternahm. Selbstverständlich dachte der sehr ehrenwerte Sir Richard nicht im Traum daran, sich aktiv am Kampfgeschehen zu beteiligen. Das alles überließ er lieber dem
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Hauptmann, dem Lieutenant und den Soldaten, die jetzt in die Schaluppen und Einmaster kletterten. O nein. Bingham gedachte nicht, seine wertvolle Haut auch nur ansatzweise zu Markte zu tragen. Nicht einen Kratzer wollte er kriegen, falls gekämpft wurde. Er würde sich 'brav - im Hintergrund halten und „die Schlacht“ leiten, wie sich das für einen genialen Feldherrn gehörte. Er war derart mit seinen Vorbereitungen beschäftigt, daß er nicht mehr verfolgte, was an Bord der „Isabella VIII.“ und der „Le Vengeur“ geschah. Er hätte besser daran getan, ein waches Auge auf die Schiffe zu werfen, denn die Seewölfe und die Männer der „Vengeur“ waren dabei, ihm einen dicken Strich durch die Rechnung zu ziehen. * Längst hatten Hasard, Jean Ribault und die anderen erkannt, was Bingham plante und in die Tat umzusetzen gedachte. Die letzte Bestätigung hatten sie ja jetzt von Bingham höchstpersönlich erhalten. Sie konnten von Bord ihrer Schiffe aus verfolgen, wie er auf dem Kai auf- und abstolzierte und seine großspurigen Reden schwang. „Sir“, sagte Carberry. „Ich bitte dich hiermit um die Genehmigung, den Hundesohn ungespitzt in die Pier rammen zu dürfen, an denen die Schaluppen und die anderen Scheißkähne liegen.“ „Abgelehnt. Ed“. erwiderte Hasard. „Himmel, warum dürfen wir denn nicht loslegen?“ fragte der Profos, der in diesem Augenblick. die Welt nicht mehr verstand. „Was hält uns denn noch? Der Fettsack hat eine Lektion verdient, denn er ist ein, Plünderer und Leuteschinder. Wenn die Lissy das wüßte, würde sie ihn köpfen lassen.“ „Ja.“ Hasard blickte zu Jean Ribault und Karl von Hutten hinüber, und die beiden grinsten ihm zu. „Ed“, fuhr der Seewolf fort. „Das ist alles völlig klar. Aber vergiß nicht die fünfzig Soldaten.“
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„Ach, die. Die brauchen wir doch nur mal scharf anzugucken, dann kippen sie von selbst ins Hafenbecken.“ „Ich will kein Blutvergießen. Außerdem darf unser vierköpfiger Trupp, der die sieben spanischen Gefangenen aus dem Kerker befreien soll, durch eine impulsive, unbedachte Handlung nicht gefährdet werden.“ „Aye, Sir“, sagte Carberry. Dann wandte er sich Old O'Flynn zu und fragte gedämpft: „Impulsiv, was ist das?“ „Das ist, wenn du vor Wut in den Teppich beißt, aus der Haut fährst oder den Großmast aus dem Kielschwein rupfst“, entgegnete der Alte grinsend. Hasard verließ die Kuhl und schritt über die Gangway auf die Pier, an der die beiden Schiffe fest vertäut lagen. Jean Ribault hatte sich gleichfalls in Bewegung gesetzt. Sie trafen sich auf der Mitte der Pier und marschierten über das Kopfsteinpflaster an der Hafenmauer direkt auf Sir Richard Bingham zu. „Mein lieber Richard“, sagte Hasard. „Wie ich sehe, scheinen Sie Großes vorzuhaben. Was ist geschehen? Haben die Spanier Irland überfallen?“ Bingham musterte den Seewolf in einer Mischung aus Hochmut und Geringschätzigkeit. Dies war gar nicht so einfach, denn er mußte zu Hasard aufschauen, weil er gut einen Kopf kleiner war. „Während ihr hier herumhängt und faulenzt, führen wir Krieg für England“, antwortete Bingham. „Die ‚Gran Grin' ist in die Clew Bay getrieben worden, und wir brechen jetzt auf, um uns die Dons zu kaufen.“ „Ach, richtig, die ,Gran Grin“', sagte Jean Ribault. „Die hatte ich schon fast vergessen ...“ „Es wäre besser gewesen, wenn Sie sich an unsere Vereinbarungen gehalten hätten“, zischte Bingham. „Dazu ist es noch nicht zu spät“, meinte Hasard. „Wir können sofort auslaufen, werter Richard, das Wetter läßt es jetzt zu.“
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Bingham hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Dieser verdammte Seewolf war drauf und dran, seine Pläne zu durchkreuzen. Jetzt, da die „Gran Grin“ so leicht zu kapern war, wollte er die Kerle von der „Isabella“ und der „Vengeur“ nicht mehr dabeihaben. Die waren imstande und schnappten ihm die spanischen Adligen und die Kriegskasse des BiskayaGeschwaders unter der Nase weg. „Die ,Gran Grin' übernehme ich“, sagte er daher fest entschlossen. „Sie beide hingegen sollten mit westlichem Kurs aus der Bucht kreuzen und nach weiteren spanischen Schiffen Ausschau halten. Da tauchen bestimmt noch mehr auf, das sagt mir mein Instinkt.“ „Einverstanden“, erwiderte Hasard. „Jean, werfen wir also die Leinen los.“ „In Ordnung, Hasard.“ Der Seewolf deutete einen Gruß zu Bingham an. „Viel Erfolg, Sir. Und Waidmannsheil.“ „Wie bitte?“ „Eine fette Jagdbeute wünschen wir“, sagte Jean Ribault. „Ja, ja, danke, schon gut'', erklärte der fette Gouverneur. Er drehte sich rasch wieder seinen Männern zu und rief: „Geht das nicht schneller? Beeilt euch, daß ihr alle an Bord kommt, ich will jetzt endlich auslaufen.“ Mit watschelndem Gang steuerte er über die Pier, in die Carberry ihn so gern gerammt hätte, auf die beiden Schaluppen und die vier Einmaster zu, die jetzt voll bemannt waren. Die Leinen wurden gelöst. Der Hauptmann und der Lieutenant mußten Bingham in die Führungsschaluppe, das „Flaggschiff“ der glorreichen Flotte, hineinhelfen. Dabei geriet die Schaluppe bedrohlich ins Schwanken. „Leinen los!“ ertönte auch das Kommando von der „Isabella“ und der „Vengeur“, aber dennoch ließen sich Hasard, Jean und ihre Kameraden mächtig Zeit. Ja, sie arbeiteten geradezu übertrieben langsam, und immer wieder schien es bei dem Ablegemanöver irgendwelche Schwierigkeiten zu geben.
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So lief Binghams „Flotte“ zuerst aus - und das war Hasards und Jeans volle Absicht. Sie warteten nämlich noch auf Big Old Shane, Ferris Tucker, Dan O'Flynn und den Kutscher - und auf die sieben Spanier aus dem Kerker der Stadtkommandantur. Daß die Spanier „standrechtlich erschossen“ werden sollten - mit anderen Worten: umgebracht -, hatten Hasards „Späher“ Dan und Bill nämlich längst herausgekriegt. 10. Shane, Ferris, Don und der Kutscher pirschten sich auf Umwegen an die Stadtkommandantur heran. Sie wähnten sich unbeobachtet, aber in einer düsteren Gasse trat ihnen plötzlich ein Mann in den Weg. „Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle“, sagte er. „Doctor Wheeler. Bitte hören Sie mich an.“ Shane wollte schon Anlauf nehmen und den Mann, den er für einen Spitzel Binghams hielt, durch einen gezielten Faustschlag zu Boden schicken, da bremste ihn der Kutscher. „Augenblick, Shane. Ich glaube nicht, daß der Mann feindselige Absichten hat.“ „Nur, weil er ein Quacksalber ist?“ zischte Ferris dem Kutscher zu. „Hör bloß auf.“ Sie schoben sich näher an Doc Wheeler heran, und dieser sprach hastig auf sie ein. „Ich weiß, daß der Seewolf nur zum Schein auf Binghams schmutzige Angebote eingegangen ist. Anders kann ich es mir jedenfalls nicht vorstellen. Und ich weiß auch, daß Sie, Gentlemen, jetzt die sieben spanischen Gefangenen aus dem unterirdischen Verlies der Kommandantur befreien wollen.“ „Also doch“, sagte Shane. „Doc, die Gentlemen müssen Sie leider mitnehmen, und Sie werden hübsch brav sein, ja?“ „So warten Sie doch. Ich will Ihnen helfen. Sie müssen mir glauben. Selbst konnte ich für die Spaniel nichts tun, weil Bingham mir gedroht hat, weil ich Familie habe ... Aber ich wehre mich trotzdem dagegen, daß er sich an wehrlosen, kranken,
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halbverhungerten Menschen vergreift. Ich kann Ihnen versichern, daß die Spanier nicht gefoltert worden sind, soviel ist mir bekannt. Und ich will Ihnen noch mehr sagen: Das Tor zum Hof der Kommandantur wird von zwei Soldaten bewacht. Es gibt aber noch einen Nebeneingang, den sie leicht öffnen können. Ich verrate Ihnen, wie das geht.“ „Das ist eine Falle“, murmelte Ferris Tucker. „Hölle und Teufel ...“ .“Noch etwas“, fuhr der Arzt fort. „Ich gebe Ihnen Medikamente für die armen Teufel mit. Ansteckende Krankheiten haben sie nicht, aber die Zähne werden ihnen ausfallen, ihre Augen werden sich entzünden, sie werden Ausschlag kriegen, wenn nicht sofort etwas für sie getan wird.“ Der Kutscher lächelte. „Ich habe selbst schon Arzneimittel bei mir, Sir, aber selbstverständlich greife ich gern zu, denn man kann ja nie genug Medikamente zur Verfügung haben.“ „Wie, Sie sind ...“ „Nur ein Feldscher, Sir.“ „Kutscher“, raunte Shane ihm zu. „Mensch, hör auf. Merkst .du denn nicht, was läuft?“ „Nein. Dieser Mann meint es ehrlich“, versicherte der Kutscher ihm. „Ich bin da völlig sicher.“ „Also, ich bin mit dem Kutscher einer Meinung“, sagte Dan O'Flynn. Genügend Menschenkenntnis hatte auch er. So aufrichtig, wie dieser Doc Wheeler sie anblickte, konnte sich kein Heuchler und Verräter verhalten. „Ihr werdet noch sehen, was ihr davon habt“, sagte Big Old Shane gedämpft. Er traute hier in Westport keinem über den Weg. Die Stadt war seiner Ansicht nach ein ausgesprochenes Halunkennest. Der Kutscher nahm die Medikamente von Doctor Wheeler entgegen und versenkte sie in einer ledernen Tasche, die er sich umgehängt hatte. Ei deutete eine kleine Verbeugung an. „Meinen herzlichen Dank, Sir. Wir wissen Ihre Hilfsbereitschaft zu schätzen und werden Sie immer in angenehmer Erinnerung behalten.“
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„Ich muß mich bedanken“, erwiderte der Arzt. „Verzeihen Sie, wenn ich nicht selbst an Ihrer Aktion teilnehme, aber ich muß in dieser Stadt leben. Mit meiner Frau. Mit meinen drei Kindern. Unter Binghams Knute. „Dafür haben wir volles Verständnis“, sagte der Kutscher. „Auf Wiedersehen, Sir.“ „Auf Wiedersehen - und viel Erfolg.“ Die vier von der „Isabella“ schlichen weiter: Doc Wheelers Gestalt verschmolz hinter ihnen mit dem Dunkel der Gasse. „Du mit deinen geschraubten Reden, Kutscher“, zischte Ferris Tucker. „Ich sehe ja ein, daß ihr beide, Dan und du, auch recht haben könntet, aber manchmal bringst du mich ganz schön in Wut mit deinem Gequatsche.“ Der Kutscher entgegnete darauf nichts. Es war die innere Anspannung vor dem Unternehmen, die Ferris und auch Shane ziemlich unwirsch werden ließ. Sie fühlten sich hauptsächlich verantwortlich für den Ausgang ihres Vorhabens, und das zehrte doch ein wenig an ihren Nerven. Sie schwiegen. Der Nebeneingang zum Hof der Kommandantur, den_ Doc Wheeler ihnen beschrieben hatte, existierte tatsächlich, und der Kutscher demonstrierte, daß er sich mit einigem Geschick auch auf genau die Weise öffnen ließ, die der Arzt ihm schnell mitgeteilt hatte. So huschten sie Sekunden später über den Hof, an den Stallungen vorbei und dann in den Haupttrakt des Gebäudes. Dan hatte bei seinen Erkundungsgängen durch die Stadt herausgefunden, daß der Kerker sich hier befand. Er hatte niedrige, vergitterte Fensteröffnungen in Fundamenthöhe entdeckt, die darauf schließen ließen, daß es ein Kellergewölbe gab. Waffen hatten die vier Männer reichlich von Bord der „Isabella“ mitgenommen und sich in die Gürtel gesteckt, aber, wie sooft, stellte sich auch diesmal wieder heraus, wie viel doch eine solide Handspake aus englischer Eiche wert war. Dem ersten Posten im Gebäudeinneren, der sich überrascht zu ihnen umdrehte, hieb
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Big Old Shane die Spake auf das Haupt. Der Gardist Sir Richard Binghams sackte zusammen, ohne sich mit einem Wort oder Laut über die rüde Behandlung zu beklagen. Shane; Ferris, Dan und der Kutscher pirschten weiter, fanden die Steintreppe, die gewunden in das Kellergewölbe hinabführte, und folgten ihrem Verlauf. Wenig später traten noch einmal die Spaken in Aktion. Diesmal knüppelten Shane, Ferris und Dan auf die zwei Wachtposten vor dem Zugang zum eigentlichen Kerker ein. Es war das Pech der Gardisten, daß sie keine Helme trugen. Der eine Soldat wollte seine Muskete in Anschlag bringen und abdrücken. Beinah wäre es ihm auch gelungen, was zur Folge gehabt hätte, daß sämtliche Wachen, die Bingham in seinem „Gouverneurspalast“ zurückgelassen hatte. zusammengelaufen wären und Shane, Ferris, Dan und dem Kutscher den Rückweg abgeschnitten hätten. Zwei oder drei Mann hätten genügt, um die Kellertreppe zu bewachen und den Männern der „Isabella“ die Hölle heiß zu machen; Gerade noch rechtzeitig verpaßte Big Old Shane dem Soldaten den entscheidenden Hieb. Ächzend sank auch dieser Mann zusammen. Er blieb reglos neben seinem Kameraden liegen. Der Kutscher hatte die Muskete aufgefangen, die dem Gardisten entglitten war. Behutsam löste er die Spannung des Hahnes und führte den Hahn mit dem Daumen in Sicherungsposition auf die Pfanne des Steinschlosses zurück. „Hast du auch nicht zu hart zugeschlagen?“ fragte Ferris den graubärtigen Riesen. Der Kutscher beugte sich über die Soldaten. Nach einer kurzen Untersuchung stellte er fest: „In Ordnung. Sie leben beide noch, sind nur bewußtlos.“ Ferris entnahm dem einen Gardisten ein Schlüsselbund und probierte an der Gittertür, die sie vom Verlies trennte, einen Schlüssel nach dem anderen aus. Dann hatte er den richtigen gefunden, und sie hasteten in den dunklen, feuchten Gang
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zwischen den Zellen, zu den sieben ausgemergelten Gestalten, die sie völlig entgeistert anblickten. Der erste Offizier Vega de la Torre staunte noch mehr, als er die fremden Männer in tadellosem Spanisch erklären hörte, was der Grund ihres Besuches sei, und was sie sonst noch vorhatten. Rasch waren die Zellentüren geöffnet. De la Torre standen die Tränen in den Augen, als er in den Gang hinaustaumelte, und er schämte sich dessen nicht. Er blickte zu Juan Flores, trat zu ihm, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte leise: ,.Du brauchst keine Gewissensbisse zu haben. Ich habe begriffen, warum du gesprochen hast. Du hast es zu unserem Besten getan — und für die Mannschaft an Bord der ,Gran Grin'.“ „Dennoch bin ich gescheitert“, erwiderte Juan bedrückt. Er hatte ihnen ja berichtet. daß die Galeone auf die Klippen gelaufen war — und was der Henker Bingham vorhatte. „He“, raunte Ferris Tucker ihnen zu. „Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Vorwärts. Wir müssen uns mächtig beeilen.“ Sie verließen den Kerker, hetzten die wuchtigen Treppenstufen hinauf und konnten die Kommandantur ungesehen durch die kleine Tür verlassen, die sie auch zum Eindringen benutzt hatten. Ebenso ungehindert gelangten sie zu der Pier, an der die „Isabella“ und die „Vengeur“ zum sofortigen Auslaufen warteten. „Kutscher“, sagte Shane etwas außer Atem, als sie an Bord geklettert waren und die Schiffe nebeneinander her in die Bucht hinausrauschten. „Du hattest also doch recht. Dieser Doc Wheeler hat uns nicht hereingelegt.“ Der Kutscher nickte. „Ich wette, er steht irgendwo in einem der Häuser dort hinter einem Fenster und beobachtet uns. Er darf jetzt aufatmen. Sein Gewissen ist rein.“ Er wandte sich zu den Spaniern um, die gerade vom Seewolf begrüßt wurden. „Senores“, sagte der Kutscher. „Bisher habe ich leider keine Gelegenheit gefunden, aber lassen Sie sich jetzt ein
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wenig Lebertran einflößen. Sie werden staunen, wie rasch der Ihnen wieder auf die Beine hilft.“ * Die „Isabella“ und die „Le Vengeur“ segelten nicht westwärts, wie Bingham es von ihren Kapitänen verlangt hatte. Sie rauschten hoch am Wind mit Backbordhalsen und auf Steuerbordbug liegend nordwärts zu den kleinen, dem Buchtufer vorgelagerten Inseln. Von Westport aus konnten sie nicht mehr beobachtet werden, denn die Stadt lag an einer kleinen Bucht, die nach Osten verlief - beide Schiffe befanden sich also für die Wache der Kommandantur, die jetzt das Verschwinden der Gefangenen bemerkt hatte, im toten Blickfeld. Das war gut so, denn auf diese Weise würde kein Bote lospreschen, um Bingham darüber zu unterrichten, daß die ..lieben Freunde“ zu ihm unterwegs waren. Das Wetter hatte sich beruhigt. Nur eine mäßige Dünung kräuselte das Wasser der Bucht. So war es selbstverständlich, daß Bill, der Ausguck, etwa eine halbe Stunde nach dem Auslaufen an Steuerbord der „Isabelle“ die „Flotte“ des Sir Richard Bingham sichtete, die sich viel dichter unter Land nach Norden bewegte. Ebenso selbstverständlich war es, daß auch Bingham die „Isabella“ und die „Vengeur“ erspähte. „Er wird sich die Haare raufen und mit den Zähnen knirschen“, sagte auf der „Vengeur“, die jetzt in Kiellinie hinter der „Isabella“ lief, Jean Ribault zu Karl von Husten. „Was meinst du, ob unser übergewichtiger Freund wohl ahnt, was wir vorhaben, oder ob er glaubt, wir hätten uns im Kurs geirrt?“ Karl lachte. Er hatte durchs Spektiv zu den beiden Schaluppen und den vier Einmastern hinübergeblickt und gesehen, daß vom „Flaggschiff“ des stolzen Verbandes aus signalisiert wurde. „Er gibt uns Zeichen. Wir sollen beidrehen.“
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„Husten werden wir dem was, nicht wahr, Sir?“ sagte auf der „Isabella“ Ed Carberry zum Seewolf. „Natürlich, Ed. Wir halten unter Vollzeug auf die ,Gran Grin' zu und erreichen sie so zeitig, daß Bingham nur noch das Nachsehen hat.“ „Man müßte ihm trotzdem noch eins auswischen.' „Das tun wir auch, Ed“, sagte der Seewolf. „Warte nur ab.“ * Kapitän Pedro de Mendoza glaubte zu träumen. Gaukelte der beginnende Wahn ihm Trugbilder vor? War diese Vision die letzte große seelische Qual, die er durchstehen mußte, ehe er zum Sprung über die düstere Schwelle ansetzte? Mit schwachen, zittrigen Knien stand er auf der Back seines zertrümmerten Schiffes und blickte zu der dreimastigen Galeone. Auffallend hoch waren ihre Masten, flach die Aufbauten, und auf dem Achterdeck glaubte der Spanier ein Ruderhaus zu erkennen. Ein Schnellsegler, dachte er. Die Galeone schob sich näher und näher heran, und nach Süden sicherte eine zweimastige Karacke, deren Lateinersegel von einer flinken, kundigen Mannschaft aufgegeit wurden. Auch die Galeone geite ihre Segel auf, und dann wurden zwei große Beiboote abgefiert und bemannt. Sie lösten sich von den Bordwänden der Galeone. Je sechs Rudergasten pullten sie mitten zwischen die Inselklippen - und dann wußte de Mendoza plötzlich, daß er keinem grausamen Traum erlegen war. In den Jollen erkannte er jetzt deutlich genug zwei seiner Männer - de la Torre und Francisco Sampedro. Mehr tot als lebendig sahen sie aus, wandelnde Skelette, aber sie konnten lachen, winken, rufen, die erlösende Nachricht überbringen. „Capitan! Wir haben es geschafft! Senor Capitan - El Lobo del Mar ist erschienen, um uns zu helfen!“
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Erlösung, ja, aber wenige Minuten später, als die Männer der Jollen zu ihm und den anderen an Bord der „Gran Grin“ kletterten, hatte de Mendoza doch wieder den Eindruck, vom Regen in die Traufe geraten zu sein. El Lobo del Mar, der Seewolf -der große Schwarzhaarige, der jetzt auf ihn zutrat, wer hatte von ihm nicht schon gehört? Spaniens Todfeind. Und dieser Mann sollte jetzt allen Ernstes vorhaben, ihm Beistand zu leisten, ihn und den letzten Rest der Mannschaft aus dieser tödlichen Klemme zu holen'? Hasard blieb vor de Mendoza stehen und streckte die Hand zum Gruß aus. „Sagen Sie nichts, Senor“, erklärte er in seinem tadellosen Spanisch. „Ich weiß auch so, was Sie denken. Der Feind wirft keinen rettenden Anker, nicht wahr? Ich gestehe, ich war mit dabei, auch vor Calais. Aber bei allem, was Sie über mich gehört haben, werden Sie nicht abstreiten können, daß ich auch für meine Fairneß bekannt bin. Sie und Ihre Besatzung sind in Not. Das keine Kriegssituation. Wir haben de la Torre und seine sechs Begleiter aus dem Kerker von Westport geholt. Wir bringen auch Sie von hier fort, ehe der korrupte, beutegierige Gouverneur Bingham Sie überfallen kann.“ De Mendoza erkannte die Ehrlichkeit in Hasards Worten. Er ergriff die dargebotene Hand und drückte sie. Seine Besatzung und er wurden von der „Isabella- übernommen, während Jean Ribault und Karl von Hutten mit der „Vengeur“ weiter nach Süden sicherten. De Mendoza ließ auch die Kriegskasse des Biskaya-Geschwaders bergen und auf die Galeone des Engländers bringen. Und wieder hatte er einen Grund, sich zu wundern, denn keiner der Seewölfe rührte die Truhe an. Wenig später segelten beide Schiffe westwärts. Die Spanier erhielten ihre erste Mahlzeit. und der Kutscher, von einigen Männern der Crew unterstützt, kümmerte sich auch um ihren gesundheitlichen Zustand. Er behandelte die Spanier „nicht nur mit Lebertran - es bedurfte weitaus
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mehr, um sie vor den Folgen ihrer großen Entbehrungen zu schützen. Die „Isabella“ und die Karacke verholten hinter Clare Island - auf Warteposition. Hier bot Kapitän de Menzoda dem Seewolf an: „Senor, übernehmen Sie die Kriegskasse. Ich überlasse sie Ihnen gern als Entgelt für das, was Sie für uns getan haben.“ Hasard lächelte. „Danke für das Angebot, aber ich muß es ablehnen. Wenn ich jemandem helfe, dann tue ich es nicht, weil ich mir davon Gewinn verspreche.“ „Ich wollte Sie nicht beleidigen.“ „Das tun Sie auch nicht-, sagte der Seewolf. „Aber ich lege großen Wert darauf, daß Sie die Kriegskasse mit nach Hause nehmen. Es ist Ihr Verdienst, Capitan, daß dieser Schatz erhalten geblieben ist, und Ihnen steht dafür eine Auszeichnung zu.“ „Darauf verzichte ich gern“, erwiderte der Spanier ernst. „Ich hätte tausendmal vorgezogen, meine Mannschaft beisammen halten zu können.“ „Sie haben keinen Grund, sich deswegen etwas vorzuwerfen.“ „Nein. Aber ich werde dies alles nie vergessen“, sagte de Mendoza. „Sollte .Spanien jemals wieder versuchen, England anzugreifen, so werde ich zum Deserteur, Senor Killigrew.“ * Der Angriff der Binghamschen „Flotte“, der rund eine Stunde später auf das Wrack der „Gran Grin“ erfolgte, stellte sich als völlige Pleite heraus. Kein Schuß fiel - auf wen sollten .die fünfzig Soldaten des ehrenwerten Sir Richard denn wohl auch feuern? „Die Ratten haben das Schiff verlassen“, sagte der Hauptmann. „Behalten Sie Ihre weisen Sprüche für sich!“ schrie Bingham ihn an. „Los, entern! Wir wollen doch mal sehen, wo sich die Hunde verkrochen haben!“ Er enterte selbstverständlich als letzter; was ihm bei seinem Leibesumfang erhebliche Mühe bereitete. Dann hatte er
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selbst Gelegenheit, sich davon zu überzeugen, daß sich auf dem Wrack keine Menschenseele mehr befand. Nichts, kein Prinz Ascoli, kein Herzog von Medina Sidonia, keine Kriegskasse des Biskaya-Geschwaders. Aus war der Traum von den unvorstellbaren Pfründen, den Erpressungsgeldern, dem Reichtum, in dem Bingham zu schwelgen gedachte. „Ungeheuerlich“, ächzte Bingham, nachdem er sich gründlich ausgetobt und geflucht hatte. „Ich kann mir das nicht erklären.“ „Ob Killigrew und Ribault dahinterstecken?“ sagte der Hauptmann der Garde. „Sie sind doch an uns vorbeigesegelt.“ „Aber dann haben sie westlichen Kurs genommen“, fuhr Bingham ihn an. „Außerdem hätten die Kerle es nie so schnell geschafft, diesen Kahn zu plündern und dann heimlich zu verschwinden. Ach, rutschen Sie mir doch den Buckel 'runter, Sie Idiot!“ Bingham blieb gar nichts anderes übrig: Er mußte unverrichteter Dinge und mit leeren Händen nach Westport zurückkehren. Hier wartete eine neue bittere Überraschung auf ihn. Die sieben spanischen Gefangenen waren verschwunden -spurlos. „Mein Gott, ich breche zusammen“, stöhnte Sir Richard Bingham, als ihm die Nachricht von den Soldaten überbracht wurde. Er hatte keineswegs übertrieben plötzlich mangelte es ihm wirklich an Luft, und er sackte auf der Pier zusammen. Vier Gardisten mußten den japsenden und jammernden Mann in die Kommandantur tragen. Doc Wheeler, der sich kurz darauf einfand und dem Dicken eine Flasche Riechsalz unter die Nase hielt, konnte sich, als er von Bingham, dem Hauptmann, dem Lieutenant und den Soldaten gerade nicht beobachtet wurde. ein schadenfrohes Lächeln nicht verkneifen. Bingham hatte noch nicht alles hinter sich eine weitere hübsche „Überraschung“ stand ihm noch bevor. *
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In der Nacht drangen die „Isabella“ und die „Le Vengeur“ wieder nach Westport vor. Der Seewolf wischte dem dicken Bingham noch einmal gründlich eins aus. zum Abschied sozusagen, wie er es seinem Profos versprochen hatte. Ein Stoßtrupp von insgesamt zehn Mann unter der Führung von Ben Brighton und Karl von Hutten drang bis an Land vor. Die Männer setzten Spaken und Belegnägel ein, überwältigten so die Wachtposten am Kai und auf den Piers und „vereinnahmten“ die beiden Schaluppen des Gouverneurs. Heimlich stahlen sich die Schiffe wieder aus dem Hafen, mit den Schaluppen im Schlepp. „Schade“, sagte Carberry. „Schade, daß ich Binghams Schreis nicht hören kann, wenn er erfährt, daß wir ihm auch noch die Schaluppen geklaut haben.' Hasard und Jean geleiteten die Spanier auf ihren Schiffen südwärts bis Fastnet Rock. In der Zwischenzeit faßten de Mendoza und seine letzten Männer wieder den nötigen Mut, den sie für die Heimreise nach Spanien brauchten. Die Schaluppen wurden bei Fastnet Rock mit allem ausgestattet, was sie brauchten - mit Proviant, Trinkwasser, Musketen und Munition. ja. sogar mit einigen Flaschen Wein und echtem irischen Whiskey. „Ja“. sagte de Mendoza, als Hasard noch einmal mit einem Beiboot der „Isabella“ zu der Schaluppe gepullt war, in der der Kapitän saß. „Wir werden die Heimat erreichen. Unsere Dankbarkeit kennt keine Grenzen, Senor Killigrew. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“ „Wenn Sie es nicht wissen, dann schweigen Sie“, entgegnete Hasard lächelnd. ..Kommen Sie, lassen Sie mich zu Ihnen an Bord. ich habe Ihnen Kartenmaterial mitgebracht und Kursanweisungen aufgezeichnet, die für Sie von größter Wichtigkeit sind.“ Er enterte in die Schaluppe auf und übergab de Mendoza das Material. Sie verabschiedeten sich als Freunde voneinander.
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Dann enterte der Seewolf wieder in seine Jolle ab und ließ sich zurück zur „Isabella“ pullen. Carberry, der mitgekommen war und als Bootssteurer fungierte, grinste über sein wüstes Narbengesicht. Hasard begegnete seinem Blick und sagte: „Wenn jemand einen guten Witz erzählt hat, dann laß mich hören, Ed. Du grinst ja wie ein Honigkuchenpferd.“ Carberry ließ die Pinne los, griff unter die Ducht und wuchtete etwas darunter hervor - eine Truhe. die Hasard verdammt bekannt erschien. Der Profos grinste jetzt wie zwei Honigkuchenpferde. „Die beste Beute, die wir je gemacht haben“, sagte er. „Weil sie nämlich ein Geschenk ist. O ja, das stimmt, Sir, wir haben die Kriegskasse nicht geklaut. Der nette Kapitän. de Mendoza hat sie zu uns in die Jolle heruntergeben lassen, als du ihm deine Karten und Aufzeichnungen an Bord der Schaluppe überreicht hast. Nein, nein, wir brauchen gar nicht erst zu versuchen, den Spaniern die Truhe zurückzugeben -sieh doch mal.“ Hasard blickte nach Süden. Carberry wies auf die Schaluppen, die jetzt die Segel gesetzt hatten und sich rasch entfernten. Sicher, man hätte sie einholen können, aber vielleicht hätte de Mendoza es als
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Beleidigung aufgefaßt, wenn Hasard ihm die Kriegskasse nachgeschleppt hätte. Spanier waren sehr eigen, wenn sie jemandem etwas schenkten. Als Hasard seine Überraschung verdaut hatte, sagte er: „Also, an dem Sprichwort ist doch was Wahres dran, Ed.“ „An welchem, wenn man fragen darf?“ „Daß die dümmsten Bauern die dicksten Kartoffeln haben ...“ Die Männer in der Jolle lachten einschließlich Ed Carberry. Sir John, über den Lärm empört, hob von der breiten Profosschulter ab und flog zur „Isabella VIII.“ hinüber. Er flatterte bis zum Großmars hinauf und setzte sich auf dessen Umrandung. Arwenack, der Schimpanse. der Bill Gesellschaft leistete, sah den Papagei feindselig an. „Kriegt euch bloß nicht in die Wolle, ihr beiden“, sagte Bill. „Grund zum Zanken besteht wirklich nicht. Wir segeln jetzt nämlich weiter und setzen Kurs auf Land's End ab. Und wißt ihr, wohin die Reise dann noch einmal geht? Nach Plymouth ...“ Sir John hob die Flügel ein wenig, wackelte mit dem Kopf und krächzte: „Arwenack. Ar-we-nack.“ Der Schimpanse gab nur ein beleidigtes Grunzen von sich.
ENDE