Und das soll Leben sein Roman von Reiner Vial
Und das soll Leben sein © 2001 – Reiner Vial, Nachrodt-Wiblingwerde – All...
370 downloads
3308 Views
2MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Und das soll Leben sein Roman von Reiner Vial
Und das soll Leben sein © 2001 – Reiner Vial, Nachrodt-Wiblingwerde – Alle Rechte bleiben vorbehalten WICHTIG! Ich stelle diesen Roman auf meiner Homepage http://www.reiner-vial.de zum kostenlosen Download zur Verfügung. Dieser darf, ausschließlich unverändert und ungekürzt, auf Datenträger oder als Ausdruck beziehungsweise Kopie, grundsätzlich nur kostenlos, weitergegeben werden. Jede kommerzielle Verwendung und Wiedergabe in Publikationen aller Art, auf privaten wie gewerblichen Homepages und in elektronischen Medien ist nur nach meiner vorhergehenden Zustimmung und eventueller Honorarvereinbarung erlaubt. Dieses gilt sowohl für die vollständige wie auszugsweise Wiedergabe. Grundsätzlich muss immer auf meine Urheberschaft und meine Rechte hingewiesen werden! Bei jeder Verwendung oder Wiedergabe entgegen vorstehender Bedingungen, bei Verfälschung oder nur Veränderung der Texte sowie bei jeder Art des Diebstahls meines geistigen Eigentums, ganz oder teilweise, behalte ich mir sowohl straf- wie zivilrechtliche Schritte vor!
Zum Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis Hinweis: Die unterstrichenen Kapitelbezeichnungen (z.B. Kapitel 1 ) sind Hyperlinks. Wenn Sie hier klicken, gelangen Sie direkt auf die Seite, auf der das gewünschte Kapitel beginnt. Und das soll Leben sein.................................................... Vorwort Gestatten, mein Name ist Schröder................................... Kapitel 1 Schulte 3, Mariandel möchte fahren.................................. Kapitel 2 Schach am Abend, matt am Morgen.................................. Kapitel 3 Kann man im Goldenen Käfig leben................................... Kapitel 4 Niederschmetternde Überraschungen zum Geburtstag....... Kapitel 5 Untermieter in der eigenen Wohnung................................ Kapitel 6 Ein stilles Vater unser in der Moschee............................... Kapitel 7 Eine Familie, die keine mehr ist......................................... Kapitel 8 Der Blitzangriff des Sohnes der Dame .............................. Kapitel 9 Aschenputtel und der missratene Kronprinz....................... Kapitel 10 Chronik eines Hauches von Glück...................................... Kapitel 11 Fluktuation im glänzenden Reich der Kälte........................ Kapitel 12 Männliche Tränen zum Hochzeitstag................................. Kapitel 13 Adieu Vati, du bist so weit weg......................................... Kapitel 14 Wen Gott nicht will, den nimmt er nicht............................. Kapitel 15 Der Todesengel im Gewande Goldmanns........................... Kapitel 16 Rendezvous mit der eigenen Frau...................................... Kapitel 17 Geburtstagsfeier ohne Geburtstagskind.............................. Kapitel 18 Und noch eine Geburtstagspleite........................................ Kapitel 19 Maria Montessoris Erbinnen und die Mobbinglust.............. Kapitel 20 Wenn die Uhren abgelaufen sind........................................ Kapitel 21 Eine Kahnpartie zum Tag der Einheit................................. Kapitel 22 Alaaf, die Leute sind weg................................................... Kapitel 23 Mit Marianne in den Süden düsen....................................... Kapitel 24 Mutti, dieses ist dein erfüllter Traum.................................. Kapitel 25 Ein Millenniumsspektakel im falschen Jahr........................ Kapitel 26 Heimkehr ins richtige Leben............................................... Kapitel 27 Auch der Alltag kommt zurück........................................... Kapitel 28 Ein goldener Vogel im Frauenhaus..................................... Kapitel 29 Eine Abenteuergeschichte beginnt im Wirtschaftsteil........ Kapitel 30 Die Verlockungen des großen Geldes................................. Kapitel 31 Ein peinliches Geständnis................................................... Kapitel 32 Klettner auf einmal ganz anders.......................................... Kapitel 33 Du passt nicht ins Team..................................................... Kapitel 34 Wertvolles gibt es nur als Geschenk................................... Kapitel 35 Und wann sollen die Hochzeitsglocken läuten?................... Kapitel 36 Der Mensch ist zum Leben bestimmt.................................. Kapitel 37 Wenn eine Überraschung die andere jagt............................ Kapitel 38 Ein schneller und präziser Schwiegersohn........................... Kapitel 39 Auch ein Petrus kann Nein sagen....................................... Kapitel 40 Zum Vorwort
Zum Inhaltsverzeichnis
Vorwort Ich beginne jetzt zunächst einmal mit einer Wiederholung – so sieht dieses für die Leserinnen und Leser aus, die mein erstes, in dieser Form (kostenloser Roman im Internet) verfasstes Werk „Der Schwiegersohn auf Baluway“, gelesen haben. Gemach, es gibt ja auch noch Leute, die das zweite Buch, nämlich dieses, zuerst lesen. Auch die sollen wissen, was mich dazu bewegte, meine Werke in dieser Form anzubieten, denn ich wollte bestimmt nicht nach dem Bibelwort Perlen unter die Säue werfen. Hier also nochmals der 2. Vorwortabsatz aus dem vorangegangenen Roman: Ursprünglich wollte ich, wie viele vor mir auch, meine Werke konventionell über Verlage und Buchhandel „unters Volk streuen“. Dann gab es bei mir die Überlegung, dass für mich persönlich ein eventueller Erlös aus den Veröffentlichungen nicht vordergründig ist. Mein Anliegen ist es zum Nachdenken zu ermuntern, heiße Pro- und Contradiskussionen auszulösen und somit einen Beitrag zur Fortentwicklung der Gesellschaft zu leisten. Na ja, nennen Sie es ruhig missionarischen Eifer. Da kam ich auf den Gedanken, dass eine kostenlose Verteilung im Internet meinen Absichten möglicherweise eher näher kommt – und auch glaubhafter ist – als der herkömmliche Weg über Verlage. Natürlich kommt es letztlich darauf an, wie viele und welche Leute ich auf diesem Wege erreichen kann. Dieses weiß ich heute noch nicht; ich starte ja einen Versuch. Es wäre schön, wenn Sie sich durch Ihre freundliche Weiterempfehlung meiner Homepage und meiner Werke, an dem gelingen dieses Projektes beteiligen könnten. Diesbezüglich schon einmal vielen Dank im Voraus. Soweit die „Wiederholung“ und jetzt weiter mit dem ursprünglichen Vorwort zu dem Roman „Und das soll Leben sein?“: Leben; was ist das eigentlich? Um diese Frage beantwortet zu bekommen, blätterte ich einmal in diversen Lexika. Dort erfuhr ich, dass uns Naturwissenschaftler auf diese Frage erklären würden, dass Leben, eine Vielzahl von chemischen und physikalischen Vorgängen an einer Materie in einer bestimmten Zusammensetzung, die auf eine Erhaltung und Vermehrung dieser Materie hinauslaufen, sei. Diese Aussage ist, gleichgültig aus welcher Richtung wir diese Frage weiter angehen, unbestritten. Spannender wird es, wenn wir fragen ob sich dieses Leben allein aus den physikalischchemischen Gesetzen erklären lässt. Die überwiegende Mehrheit der modernen Naturwissenschaftler antwortet hierauf mit einem uneingeschränkten Ja. Also, alles nur Materie, nur Körper und sonst nichts? Die Vitalisten, von denen ich in den Nachschlagewerken erfuhr, schließen sich dieser Mehrheitsmeinung nicht an sondern gehen von einer dynamischen, übernatürlichen, also nicht körperlichen, Lebenskraft, die den Lebewesen innewohne, aus. Weiter kann man erfahren, dass religiös gebundene Biologen anstelle des Wortes Lebenskraft ein geistiges Prinzip, eine Gestalt, setzen würden. Hierbei handelt es sich doch offenbar um so etwas, was von Geisteswissenschaftler, also von Theologen und auch Philosophen, sofern diese von dem Leben des Menschen sprechen, Seele genannt wird. Wenn wir die Aussage von der Seele nicht nur auf die „Krönung der Schöpfung“, nicht nur auf den Menschen, sondern auf das Leben allgemein beziehen werden stark religiöse Zeitgenossen recht hitzig, denn die unsterbliche Seele von Tieren passt wohl auch nicht so recht in das Konzept. Aber wieso soll sich Leben von Leben unterscheiden? Nun, ich Reiner Vial, ordne mich weder bei den Natur- noch Geisteswissenschaftlern ein, ich bin kein Biologe und kein Philosoph. Ich muss auch zugeben, dass die nachgeschlagenen Antworten aus meiner Sicht im Grunde eigentlich nichts mit dem Inhalt meiner Frage zutun haben; ich habe hier ganz was anderes gemeint. Natürlich muss ich mir daher jetzt den Vorwurf, dass ich dann aber „wissenschaftlich“ inkorrekt gefragt hätte, gefallen lassen. Ja, ja, aber wenn ich richtig gefragt hätte wäre ich nicht mit der einen Zeile „Leben; was ist das eigentlich?“ ausgekommen. Dann hätte ich ein Fragenpaket voranstellen müssen. Ich hätte unter anderem fragen müssen, wie man Leben empfinden kann, wie uns unser Leben bewusst wird. Daraus folgert dann, ob wir dem was wir empfinden, dem was uns bewusst wird, einen Sinn zuordnen können. Und was bringt der zugeordnete Sinn für uns ganz persönlich, was bringt es für unseren Ego? Überspitzt könnte man meine Fragen in dem Satz zusammenfassen: „Warum leben wir überhaupt und was haben wir davon?“. Das wir nur des Lebens willens leben vermag mir nicht so recht einleuchten; zumindestens für mich möchte ich diesem doch einen höheren Stellenwert zuordnen. Dieses sind also die Fragen mit denen ich mich sehr oft beschäftige. Mal nur für mich alleine, ausschließlich in den stillen Kämmerchen meiner grauen Zellen, und mal mit anderen, im Familien- oder Freundeskreis. Nicht selten versuche ich mich mit Hilfe des Begriffes „Arbeit“ an die Antwort heranzutasten. Ich unterlasse dann die übliche Schönrederei und gehe davon aus, das Arbeiten beschwerlich ist und darüber hinaus noch die Zeit in Anspruch nimmt, die ich lieber für persönliche Interessen, für meine individuelle Entfaltung aufbringen würde. Arbeit ist nicht selten mit Stress, Ärger, Hektik und sehr häufig, insbesondere dann wenn es sich um überwiegend körperliche Arbeit handelt, mit Schmutz verbunden. Arbeit, gleichgültig ob geistige oder körperliche, kann den Körper und den Geist des Menschen überfordern und krank machen. Was um alles auf der Welt, veranlasst uns hinsichtlich dieser Faktoren dazu, die Arbeitslosigkeit zum Problem Nummer 1 zu machen? Warum sehen wir, wenn wir keine Arbeit haben dieses als schweren Schicksalsschlag an während wir gleichzeitig diejenigen beneiden, die so begütert sind, das sie an ihrer Stelle ihr Geld arbeiten lassen können und während dessen sich ausgelassen anderen Dingen zuwenden können?
Die Frage nach der Motivation zur Arbeit ist, wenn wir der Sache auf den Grund gehen, leicht zu beantworten. Uns allen geht es nicht, wie wir vordergründig sagen, um die Arbeit an und für sich sondern um das, was wir für diese im Gegenzug erhalten. Es geht uns also nicht um die Arbeit sondern um die Erlöse, den Lohn, daraus. Wir tauschen unsere Kraft und unsere Zeit zunächst einmal gegen die Mittel, mit denen wir die Dinge erstehen können, die wir der vorhandenen Materie zuführen müssen damit die diversen chemisch-physikalischen Vorgänge zum Erhalt und Vermehrung dieser ablaufen können. Wir benötigen also Geld oder zumindestens die Naturalien für unseren Lebensunterhalt. Dieses ist jedoch nicht nur die Nahrung sondern wir Menschen sind im Gegensatz zu anderen Lebewesen von unserer biologischen „Bauart“ so unvollkommen, das wir uns, wenn wir dauerhaft überleben wollen, gegen Witterung und Klima durch Bekleidung und Unterkunft schützen müssen. Wenn es uns alleine nur um dieses Existenznotwendige geht stehen wir allerdings auch nur auf der gleichen Stufe wie alle anderen Lebewesen auch. Selbst primitivstes Leben muss sich um den Erhalt seiner selbst mühen. Soweit also keine Vorrangsstellung für den Menschen. Menschliches Leben somit wie jedes andere x-beliebige Leben auch? Und das soll Leben sein? Um die ganze Sache zu vermenschlichen, um den Menschen auf einen höheren Rang zu bringen, bedarf es also mehr zum Leben. Wir brauchen etwas, dass wir auch geistige Zufriedenheit, Ausgefülltheit, Glück und andere Dinge empfinden können. Mit körperlicher Nahrung alleine ist uns nicht gedient, wir brauchen - genauso wichtig - auch geistige. Der Mensch lebt nicht vom Brot alleine. Was mir jetzt allerdings auf den ersten Blick paradox erscheint, ist, dass all die Dinge, die uns wirklich glücklich machen, die wir als „richtiges Leben“ empfinden, zwar scheinbar immer auch käuflich sind, jedoch nur dann wirklich ihren Zweck erfüllen, wenn man sie zum Nulltarif erhalten hat. Nehmen wir nur mal als Beispiel die Liebe. Auch die Liebe ist eine Ware, die in unterschiedlichsten Varianten und Spielarten gegen Tauschhilfsmittel, die wir Geld nennen, erhältlich ist. Wirklich, handelt es sich bei der käuflichen Ware tatsächlich um Liebe oder nur um die Sättigung beziehungsweise Befriedigung von, auf Grund chemisch-physikalischer Reaktionen entstandene Reizempfindungen, die sich dahingehend durch nichts von den Abläufen bei Hunden, Katzen oder Schweinen unterscheiden? Ist die wahre Liebe nicht ein geistiges Band, bestehend aus Zuneigung, Vertrauen und dem Bewusstsein füreinander da und bereit zu sein? Dieses ist doch eigentlich nicht erzwingbar, nicht gewollt herbei führbar? Was man aber nicht bewusst und gesteuert leisten oder herbeiführen kann, ist auch dann nicht erbringbar, wenn wir viel Geld dafür hinlegen. Und andererseits fällt einem Liebe, wenn der „Blitz eingeschlagen“ hat, einfach zu. Im Gegenteil, man kann, wenn man Geld mit ins Spiel bringt, die Flammen der Liebe im Keim durch materielle Begierlichkeiten und Gelüste ersticken. „Geld oder Liebe“ scheint eine echte Alternativfrage zu sein: Entweder bekomme ich Geld oder Liebe, beides zugleich ist wohl unmöglich. Jetzt könnten wir resümieren, das, wo einem doch die Werte, die ein menschliches Leben wirklich ausmachen, immer geschenkt zufallen, wir uns doch mit der Arbeit darauf beschränken könnten, das wir nur so viel erarbeiten, dass wir uns mit dem Lohn dafür nur die Dinge, die zur biologischen Existenz notwendig sind, beschaffen können und ansonsten lieber leben sollten. Wieder einmal benutze ich den Ein-Wort-Frage-Satz „Wirklich?“. Wie wirkt dann unser Umfeld, unsere Nachbarn, Anverwandte und Bekannte, auf uns? Die Anderen wohnen in schönen gutausgestatteten Häusern und man selber haust in einer viel zu kleinen alten Sozialwohnung die mit „Uraltplunder“ möbliert wurde. Die Andern erlauben sich einen Urlaub an der sonnigen Adria und man selber werkelt im schmuderigen Gewerbevorort, den man bewohnt weil man sich nichts besseres leisten kann, an seiner reparaturbedürftigen Habe, da man für eine eigentlich sinnvollere Neuinvestition kein Geld hat. Die anderen gehen in ein schickes Restaurant und man selber traut sich nicht einmal in die nächste Eckkneipe, weil man dort, wenn man ehrlich ist und sich nichts in die Tasche lügt, von den Mitmenschen, selbst wenn sie auf der gleichen Stufe wie man selber stehen, nach der ungehobelten Manier populistischer Politiker zum Faulenzer und Tagedieb abgestempelt wird. Wer unten ist, brauch sich hinsichtlich des Verlustes seiner Würde und infolge dessen seines Selbstwertgefühls keine Gedanken zu machen; dieses geschieht in solchen Fällen unaufhaltsam von alleine. In der löcherigen sozialen Hängematte verursacht jedes Schaukeln empfindliche Schmerzen. Und wieder frage ich: Und das soll Leben sein? Jetzt gibt es Zeitgenossen die das Sammeln von Tauschhilfsmitteln, korrekt gesprochen von Kapital, zum obersten Lebenszweck erkoren haben. Es sind zwar in den Industriestaaten nicht wenige Leute aber lange noch keine bedeutende Mehrheit. Trotzdem kann diese sehr lautstarke Minderheit mit ihrem Geld und ihrer Macht ihre Eigenvorteilsideologie zur Massenmeinung manipulieren. Diese sind es dann, die uns als einzigen Weg in eine mögliche Zukunft sogenannte Investitionsanreize zu ihren Gunsten suggerieren wollen. Diese Anreize sollen nach ihrer klassenkämpferischen Ideologie durch moderate Lohnabschlüsse, am besten Nullrunden, und durch Senkung von Lohnnebenkosten, finanziert durch Abbau des sozialen Netzes, realisiert werden. Mit anderen Worten: Damit derjenige, der bereits im Besitze eines riesigen Tauschhilfsmittelhaufens ist damit etwas für die Allgemeinheit sinnvolles anfängt soll ihm die Masse, die nur gerade mal ausreichende Mittel für die Aufrechterhaltung ihrer Existenz und bestenfalls ein Wenig mehr zum konsumieren hat, noch etwas abgeben. Ich interpretiere dieses immer so: „Leute ihr lebt um zu arbeiten, trennt euch von den Gedanken, dass ihr arbeitet um zu leben. Wir, die ‚Leister der Gesellschaft’ opfern uns gerne um für euch zu leben, ihr könnt dann derweil für uns arbeiten.“. Die Wirtschaft, das System, entwickelt sich zu einem primären Eigenleben und das menschliche Leben wird sekundär. Der Mensch dient der Wirtschaft und nicht, wie es nach meiner persönlichen Ansicht eigentlich sein müsste, die Wirtschaft dem Menschen. Alle guten Dinge sollen Drei sein und deshalb noch einmal die Frage „Und das soll Leben sein?“.
Aber beenden wir hier endgültig, also für den Rest des Buches, meine Hobbyphilosophie. Sie, liebe Leserin, lieber Leser erwarten ja in erster Linie eine interessante und unterhaltsame Erzählung und genau das möchte ich hier auch vorlegen. Aber – und das wollte ich mit meiner „Vorrede“ deutlich machen – habe ich keine Erzählung des Erzählens willens verfasst, sondern ich wollte in erster Line auch etwas damit sagen, etwas deutlich machen. Ich möchte zum Nachdenken anregen und vielleicht auch hier und da ein Wenig zu einer Veränderung beitragen. Hier im Vorwort wollte ich nur das Augenmerk auf das lenken, was mich als Leitthema beim Erzählen bewegte. Zur Erfüllung des selbstgesteckten Zieles erfand ich die Figur des Peter Schröders, den ich viel von mir selbst mitgegeben habe. Schröder, der sich mit mir nicht nur das Geburtsdatum, 11.09.46, und den Beruf, Schriftsetzermeister, teilt sondern auch die persönliche Sicht und Denkweise, erzählt uns diese Geschichte in Ichform. Allerdings ist das, was er erlebt hat, meiner Phantasie entsprungen und hat ansonsten nichts mit meiner Biografie gemein. Der Grund ist ganz einfach: Ich lasse meine Hauptperson allerlei intime und persönliche Details ausplaudern, die nach meiner Ansicht, nur ihm gehören, die schützenwert in seiner Privatsphäre verbleiben müssen und nicht Voyeuren vorgeworfen werden dürfen. Das Ausplaudern von Intimitäten aus meinem realen Leben ist ganz und gar gegen mein Naturell. Ich lege keinen Wert darauf, mich einem Tier im Zoo gleichzustellen. Und was ich für mich in Anspruch nehme gilt dann noch mehr für Andere; selbst dann, wenn wir von dem Grundrechtsanspruch auf den Schutz der Privatsphäre absehen. Damit habe ich so ganz nebenbei den obligatorischen Satz begründet, dass alle Personen und Ereignisse frei erfunden sind und jede Übereinstimmung oder Ähnlichkeit mit den Erlebnissen von lebenden oder verstorbenen Personen unbeabsichtigter Weise mehr als reiner Zufall sind. Den vorstehenden Absatz halte ich im Hinblick darauf, dass ich mich nicht im Reich der wilden Fantasie ausgetobt habe sondern mich durchgehend an realen Geschehnissen im wirklichen Leben orientiert habe, für außerordentlich wichtig. Feststeht, dass das was die fiktiven Familien Schröder und Klettner sowie andere Romanfiguren in dieser Erzählung erleben, noch nie irgendwo passiert ist. Also, wenn jemand ein Lieschen Müller oder ein Fritz Klein kennt, denen mal so was passiert ist, wie es an einzelnen Stellen innerhalb dieser Geschichte geschildert wurde, sollte er die Mutmaßung, dass ich diese Leute gekannt habe und jetzt deren wahres Erleben ausplaudere, ganz schnell verwerfen. So, den ganz wichtigen Punkt, dass ich niemandes Rechte verletzen wollte und es auch nach meinem besten Wissen und Gewissen auch nicht getan habe, haben wir jetzt abgehandelt. Nachdem wir vorher bereits die Frage nach dem, was es soll, beantwortet bekommen haben, ist alles geschrieben, was meines Erachtens in ein Vorwort gehört. Jetzt können wir uns ausschließlich der, hoffentlich von Ihnen als spannend empfunden Handlung zuwenden. Für mich, dem Autor Reiner Vial, heißt dieses jetzt, dass ich mich postwendend in die Hauptperson Peter Schröder, die sich im ersten Kapitel vorstellt, verwandele und ausschließlich nur noch ihn berichten lasse. Nachrodt-Wiblingwerde, im November 2001
Zum Kapitel 1
Zum Inhaltsverzeichnis
Gestatten, mein Name ist Schröder Nach alter Väter Sitte sollte man sich, wenn man in einem neuen Kreis eintritt, erst mal vorstellen. Ich möchte mit dieser Tradition nicht brechen und beginne deshalb hier dementsprechend mit: Gestatten, mein Name ist Schröder. Nein, nicht der Schröder, den man hier und in anderen Landen als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland kennt, sondern Peter Schröder, der am 11.09.1946 in dem kleinen Örtchen Bergdorf geboren wurde. Im Freundes- und Familienkreis nennt man mich Pepe. Diesen Kosenamen habe ich mir mal in meiner Jugendzeit, also in den „wilden“ 60er-Jahren, zugezogen und bin ihn, wie Sie jetzt feststellen können, nicht wieder losgeworden. Vielleicht sollte ich jetzt mal ein Lebenslauf in Prosa voranstellen, damit man dann, wenn es richtig losgeht, weiß mit wem man es da zu schaffen hat. Ich schrieb ja bereits, dass ich am 11. September des Jahres 1946 geboren bin. Der Wahnsinn des 2. Weltkrieges war gerade mal 16 Monate vorbei. Auch mein Vater gehörte zu den Horden, die im Namen Deutschland und seines Führers, einen ehemaligen pinselquälenden Wiener Stadtstreichers und 1. Weltkrieg-Gefreiten, wandalierend durch Europa gezogen waren. Na, na, liebe Ex-Wehrmachts-Angehörigen jetzt nicht gleich beleidigt sein weil man das Kind ungeschönt beim Namen nennt, wer weiß ob ich, wenn ich damals gelebt hätte, nicht auch zu dem Haufen gezählt hätte. Aus räumlicher und zeitlicher Distanz lässt sich immer gut mit Steine schmeißen – aber auch so etwas ist nicht die feine englische Art. Also, nachdem der Schwachsinn zu Ende war und halb Europa in Trümmern lag, kam mein Vater erst mal in britische Gefangenschaft. Auf jeden Fall hat man ihn in der Weihnachtszeit 1945 laufen gelassen und er muss dann, wenn ich vom 11. September 270 Tage rückwärts rechne, gleich zur Sache gegangen sein. Darüber kann ich mich nun beim besten Willen nicht beschweren, denn dieser Sache verdanke ich ja schließlich auch mein Leben. Ab diesen Zeitpunkt ging es dann munter weiter, bis ich 1953 mit einer, für heutige Verhältnisse kleinen Schultüte bei der evangelischen Volksschule zu Bergdorf antreten musste. Eigentlich ein Wunder, das man in den 8 Jahren überhaupt was gelernt hat, denn wenn ich heute das Gejammer höre, dass das Bildungsziel bei mehr als 25 Schülern in einer Klasse nicht erreicht werden kann, und ich bei der Gelegenheit daran denke, das wir im 5. Schuljahr, als einige in Richtung Realschule und Gymnasium davon gezogen waren, mit 37 Kindern eine „sehr kleine“ Klasse darstellten, vorher waren wir „nur“ 57 in einer Klasse. Frühere Lehrer waren gegenüber heutigen auch echte Allrounder: Von Religion über Deutsch und Rechnen bis zu Geschichte und Erdkunde hatten wir immer den gleichen Pauker. Und das ist die Generation die heutige Bankdirektoren, Toppmanager und Spitzenpolitiker stellt. Vielleicht ist das aber auch der Grund, warum das Denken abgeschafft zu sein scheint, denn die heutigen Spitzen von Politik und Wirtschaft haben das offensichtlich aus beschriebenen Gründen wohl nicht gelernt. Na ja, ich war letztendlich der Klassen Primus in der Volksschule. Da meine Eltern sich in den 50er-Jahren haben scheiden lassen und mein „alter Herr“ dabei auch noch mit seiner Schreinerei Pleite machte, war eben kein Geld für weitergehende Schulen da; schließlich musste man damals ja noch alle Schulbücher selbst zahlen und anfänglich galt es ja noch an den Gymnasien Schulgeld zu zücken. So absolvierte ich meinen Abgang 1961 noch aus der damals obersten achten Klasse. Berufsberater gab es auch damals schon und einer von diesen kam bei uns in der Schule vorbei. Beim Anblick meines Zeugnisse meinte dieser ich sei wohl zum Jünger Gutenbergs, sprich Schriftsetzer geboren und schickte mich mit meiner Mutter zur Buchdruckerei Hans Stolpe. Wo ich dann offiziell ab 1. April 1961 – damals endete das Schuljahr immer zu Ostern – als Lehrjunge in die Betriebshistorie eintrat. In Wirklichkeit war es jedoch am 4. wo ich erstmals am Setzkasten stand, den der Erste war Ostersamstag. Wenn ich heutzutage mal Berichte aus den wilden 60er-Jahren im Fernsehen zusehen bekomme, staune ich immer was in meiner Jugendzeit alles los war. Das liegt wohl daran, dass man heute natürlich nur das bringen kann, wo man damals auch eine Kamera daraufgehalten hat. Dieses waren in der Regel immer spektakuläre Highlights und nicht der nüchterne Alltag. Da aber über 90% des Lebens Alltag sind, verfälschen Rückblicke natürlich immer das wirkliche Leben einer Generation, je nach Standpunkt in eine negative oder positive Richtung. Also meine Jugendzeit war so simpel, dass ich an 4 Tagen in der Woche für jeweils 8 Stunden zur Buchdruckerei Stolpe ging, um mit den Winkelhaken in der Hand spiegelverkehrt zu lesende Lettern aneinander zu reihen. Einmal die Woche ging es dann nach Neuhausen in die Berufsschule. Und so vergingen dann flotte drei Jahre bis ich fröhlich verkünden konnte, ich sei Schriftsetzergehilfe und bekäme dann stolze 3,40 Mark in der Stunde. Auch meine Freizeit war eine entsprechende wilde Zeit. Des Montags bis Donnerstags war ich zuhause und habe entweder meiner Mutter beim Schwarzweißfernsehen Gesellschaft geleistet, ein Buch gelesen oder mir, meist unter Protest meiner Mutter, Platten angehört. Freitagsabends ging ich dann zur Jungenschaft des CVJM, was damals noch die Abkürzung für Christlicher Verein junger Männer war; heute steht ja an Stelle der Männer das Wort Menschen. Wenn ich am Wochenende nicht mit dem CVJM unterwegs war, traf man mich als Fan des TuS Bergdorf auf dem Sportplatz. Erst nach Vollendung meines 16. Lebensjahr gab es dann neue Nuancen. Ich ging dann erst mal für ein halbes Jahr zu einer Schulung bei der man so etwas wie „Lang, kurz, kurz“ oder „Seit’, Schritt, vor“ hören konnte. Richtig geraten: Ich besuchte eine Tanzschule und das waren dann meine ersten zielgerichteten Schritte auf das andere Geschlecht zu. Dadurch gab es auch am Wochenende eine spektakuläre Änderung in den Abläufen meines Lebens. Des Sonntags ging ich um 17 Uhr zum Tanztee im Saal der Gaststätte Hausmann, Diskotheken gab es zu jener Zeit noch
nicht, um mal zusehen, ob ich mir vielleicht die Frau meines Lebens hätte angeln können. Na, meine Frau habe ich jedoch damals noch nicht gefunden – wäre ja auch ein bisschen früh gewesen, denn die war zu jener Zeit erst Elf. 1965 gab es dann noch einen kräftigen Einschnitt in mein Leben. Ich musste mir ein seltsames graues Gewand anziehen und dann anderthalb Jahre planlos im Gelände herumlaufen. Damals mussten Wehrpflichtige noch stramme 18 Monate ihrer Lebenszeit für so etwas vergeuden. Aus meiner heutigen Sicht und meiner nicht nur neuzeitliche pazifistischen Auffassung habe ich damals einen der größten Fehler meines Lebens begangen. Damals gab es noch die Gewissensprüfungen um zu verhindern das naivere junge Leute zu etwas so schlimmen wie Kriegsdienstverweigerung neigen könnten. Ich ging den Weg des geringsten Widerstandes und ließ mich, eigentlich gegen mein Gewissen, zu dem Haufen ziehen. Mein mir damals fehlendes Rückgrat war mein Manko bei meinen späteren Diskussionen mit unserem Sohn Thomas. Ich konnte mich immer nur damit herausreden, dass die Bundeswehr damals einen ganz anderen Auftrag hatte. Damals diente der „Haufen“ nur der reinen Territorialverteidigung der Bundesrepublik Deutschland und nicht dazu als Hilfssheriff des Weltpolizisten USA in aller Welt, zum Beispiel auf dem Balkan, herumzuturnen. Wenn man heute in den Medien das verdrehte Bild von den 68er-Chaoten sieht, merkt man gar nichts mehr davon, dass es in Deutschland damals um diese Dinge, wie ich sie zuvor beschrieben habe, ging. Einerseits richtete sich der weltweite Jugendprotest gegen das grausame Morden in Vietnam. Die Amerikaner gaben vor im Namen von Demokratie und Freiheit zu kämpfen und in Wirklichkeit ging es darum, die auf Jalta der westlichen Hemisphäre zugesprochenen Märkte im Einflussbereich der westlichen Industriestaaten zu halten. Da entlauste man ganz einfach den vietnamesischen Dschungel mit Napalm und servierte den damaligen Televoyeuren in der Tagesschau dann Menschen, die wie Fackeln brannten. Aber auch in Deutschland ging es um Militarismus kontra Pazifismus. Die damalige große Koalition löste mit den Notstandsgesetzen die Alliierten Vorbehaltsrechte aus. Der erste Schritt in Richtung „überall mitmischen“ wurde damals vollzogen. Natürlich ging es damals auch um solche Dinge, wie dem Wagnis von mehr Demokratie. Und viele echte 68er, ich spreche hier von den Jungsozialisten, denen ich mich damals angeschlossen hatte, fanden auch ihre Vorbilder in der älteren Generation. Ich denke hier in erster Linie an Willy Brand, der in meinen Augen dank seiner Friedenspolitik der wahre Kanzler der Einheit ist – ich glaube nicht, dass es ohne Brand dazu gekommen wäre -, den man nachsagte er sei der „Zeus der Jusos“. Für den Friedensnobelpreisträger habe ich mich damals begeistert engagiert. Es ging auch um eine andere Bildungspolitik. Damals lief alles frontal ab: Vorne stand ein Indoktrinär und ihm gegenüber saß die Masse der Schüler und Studenten, die alles das kritiklos zu „fressen“ hatten – und sei es das dümmste Zeug gewesen. Unter den Talaren der Professoren fand man wirklich den Muff von tausend Jahren. Auch um Emanzipation ging es damals. Man darf nicht vergessen, dass es zu jener Zeit noch das sogenannte Haushaltsbestimmungsrecht gab. Der jeweilige Hauspascha durfte bestimmen ob seine Frau einer eigenständigen Arbeit nachgehen durfte oder nicht. Und wenn Frauen arbeiten gingen, bekamen sie für gleiche Arbeit dank Frauenlohngruppen dafür weniger Geld. Frauen durften nur Darlehn bis in maximaler Höhe von 3000 Mark und nur für Küchengeräte und –einrichtungen aufnehmen. Für alles andere benötigten sie, die Zustimmung ihres Haushaltungsvorstandes, was laut Gesetz und Meldeformular immer der Ehemann war. Ja, das waren damals die Themen, die wir als Jungsozialisten mit Doppelstrategie und dem langen Marsch durch die Instanzen anzugehen gedachten. Immer wenn heutzutage über die 68er berichtet wird bekomme ich davon kaum was mit. Meist zeigen sie die immer die gleiche Handvoll Chaoten in Berlin, Frankfurt und Hamburg und sonst fast nirgendwo gab. Da habe ich richtige Angst, das man die heutige Jugend in 20 bis 30 Jahren mal generell als glatzköpfige Idioten, die nur „Ausländer raus“ brüllen können, darstellt. Ach ja, von Castordemonstranten und Randale machenden Hooligans gibt es ja auch noch Fernsehaufnahmen, die dürften dann wohl auch immer vorgeführt werden. Nachträglich bestimmen immer Minderheiten das Bild einer Generation und die wahren Leistungen dieser Zeiten, die ja nicht so populistisch sind, fallen in den Nebel der Vergessenheit zurück. Aber verlassen wir mal die 60er und wenden uns dem Folgejahrzehnt zu. Mein persönliches Großereignis der Folgezeit begann mit einem kleinen Unfall, der jedoch für mich phänomenale Folgen bis in die heutige Zeit hatte. Mit meinem Opel Rekord 1700, meinen damaligen ganzen Stolz, hatte ich vor dem städtischen Kindergarten Bergdorf geparkt. Als ich zurück war und anfahren wollte, schoss eine junge Dame auf dem Klapprad vom Bürgersteig auf die Straße. Es wird wohl mehr der Schreck über mein plötzliches Anfahren gewesen sein, der sie zu Fall brachte, denn weder am Auto noch am Fahrrad waren Kratzer, die auf einen Zusammenstoß hindeuteten, zu finden. Die 1,51 Meter große, schlanke Dame mit brünetten Haaren und ehrlichen braunen Augen – wie ich das genau weiß; nicht wahr – ließ sich von mir helfen ihr Fahrrad in den Kindergarten, in dem sie als Erzieherin arbeitete, zu schieben und dann anschließend auch von mir nach Hause fahren. Das nutzte ich zu einer Verabredung mit der damals 20-jährigen; der folgte noch eine, und dann noch eine und dann ... . Und am 14. März 1972 war ich dann mit ihr beim Standesamt Bergdorf verabredete und seit dem heißt sie nicht mehr Katharina Haffner sondern mit Nachnamen Schröder, so wie ich, ihr angetrauter Mann. 15 Monate später, genau am 12. Juni 1974 kam dann unser Sohn Thomas, benannt nach dem Bruder des Herrn, zur Welt. An der Namensgebung ist erkennbar, dass wir beide, Katharina und ich, unsere Quellen im Protestantismus
gefunden haben. Damals waren wir zwar nicht die Superchristen aber trotzdem fand man uns mindestens einmal im Monat im Gottesdienst. Ich ging auch regelmäßig zu den Versammelungen meines CVJM und Katharina mischte auch bei einer Reihe Gemeindeaktivitäten mit. Als dann unsere Tochter am 27.11.1976 geboren wurde, bekam auch diese einen Namen in christlicher Tradition. Man hört es aus Christina ja auch richtig heraus. In den folgenden zwei Jahrzehnten gab es natürlich viele Höhepunkte und Tiefen, aber nichts davon wäre geeignet gewesen, dass man da ein Buch hätte schreiben müssen. Katharina ging, wenn es nicht gerade Urlaub oder Wochenende war, ihrem Dienst im Kindergarten nach und ich zur gleichen Zeit in die Druckerei. Beide erwiesen wir uns wenig flexibel und sehr betriebstreu. Sie war bis zum September 1998 im gleichen Kindergarten, zuletzt als stellvertretende Leiterin, tätig und ich machte in der Druckerei, in der ich zuletzt als Chef beschäftigt war, im August 1996 das Licht aus. Da komme ich gleich noch darauf zurück, jetzt gehe ich erst mal auf unsere beiden Kinder ein. Der Werdegang der beiden verlief zunächst, nur um 2 Jahre zeitlich versetzt, parallel. Erst turnten sie ein Wenig im Kindergarten herum, dem dann erst die Grundschule und dann die Gesamtschule, die beide mit dem Abitur abgeschlossen haben, folgten. Dann gingen die Wege unserer Kinder erheblich auseinander. Thomas war ein „Muttersöhnchen“ erster Klasse aber im Gegensatz zu ihr ein echtes Kind unserer Zeit. Er folgte gerne populistischen Flausen und musste alles haben, was einen die Medien als „in“ aufschwatzen. Er behauptet von sich er sei ein „linker Patriot“, was ja schon von vornherein Quatsch ist, denn links steht im Ursprung für Internationalisten und rechts für Nationalisten und für nichts anderes, nichts mehr und nichts weniger. Patriotismus steht für Vaterlandsliebe und somit für Nationalismus; ist also für Leute die ihre Muttersprache lieben rechts und kann gar nicht nach links verschoben werden. Er wollte immer Offizier werden und schlug, zu Katharinas und meinem Entsetzen, die entsprechende Laufbahn ein. Ich war darüber so sauer, dass ich mich überhaupt nicht für seine beruflichen Belange und seinem Werdegang interessiert habe. In der Regel kam er immer in Uniform nach Hause, was bei mir Unbehagen auslöste, welches man vielleicht bemerkt hat aber das ich mich groß darüber ausließ, - so war ich ja auch wieder nicht. Obwohl es mir grundsätzlich gegen den Strich ging, bin ich damals sogar zum Gelöbnis-Trallala erschienen. Anders Christina. In ihrer christlichen und sozialen Einstellung ganz die Mutter. Sie wollte unbedingt MedizinischTechnische Assistentin (MTA) werden und begann ihre Ausbildung in der Schwesternschule der „Krankenhäuser im Kreis Neuhausen GmbH“. Ein Dienst im Sanitätsdienst der Bundeswehr wäre für sie nie in Frage gekommen. Im Gegensatz zu ihren Bruder ging sie alle Dinge kritisch an. Sie brauchte kein Handy und kein Internet weil „alle“ anderen das auch haben, sondern hinterfragte immer Sinn und Nutzen. Sie ist aber dann auch nicht so weltfremd solche Dinge generell zu verteufeln und nicht zu nutzen, dieses allerdings aber immer ökonomisch und sachlich sinnvoll. Auch was die Dinge zwischen den Geschlechtern anbelangt erscheinen unsere Kinder wie Antipoden. Thomas hinterließ bei mir den Eindruck eines geschlechtlichen Neutrums, während Christina den Herren der Schöpfung auf geschlossener erschien. Bis zu jenem Vorfall, der maßgeblich zu unserer Geschichte gehört, lebte sie in Lebenspartnerschaft mit dem Lehrer Serret Yilmaz. Serrets Vater kam aus der Türkei und hat schon vor der Geburt seines Sohnes Serret die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen. Jetzt aber, wie schon angekündigt, zu meinem Weg über den Chef einer Druckerei in die Pleite. Dieser Weg ist durch meine Treue zu „meinem Herrn“ vorprogrammiert gewesen. Ende der 60er- und Anfang der 80er-Jahre gab es eine kleine Revolution im Grafischen Gewerbe. Seit Johannes Gänzfleisch zur Nieden genannt zum Gutenberg 1410 in Mainz den Druck mit der aus Blei, Zinn und Antimon gegossenen Letter eingeführt hatte, setzten seine Jünger immer die kompletten Druckformen aus Lettern (Buchstaben) und Blindmaterial zusammen und diese wurden dann im Buchdruck (Hochdruck) auf Papier gebracht. Nachdem die Berliner Schriftgießerei Hermann Berthold 1961in Amsterdam ihr erstes Fotosatzgerät „diatype“ verkauft hatte, setzte eine neue Entwicklung ein; erst langsam und dann immer schneller. Die Druckformen wurden nicht mehr in Blei zusammengebastelt sondern auf Film gebracht, das heißt der Satz wurde fotografiert. Jetzt war auch der Hochdruck nicht mehr das ideale Ausgabemedium sondern der über 100 Jahre vorher von dem Prager Alois Senefelder erfundene Flachdruck (Offsetdruck). Der Fotosatz ermöglichte auch den Siegeszug des Computers in den Druckereien. Bereits in den 70er-Jahren, also noch vor der Erfindung des PC durch IBM, zog die Elektronik ins Grafische Gewerbe ein. Eine solche Weiterentwicklung gilt es natürlich nicht zu beklagen. Und was soll es bringen, wenn man den Fortschritt aufhält. Mein, durch Betriebstreue eingekauftes Handicap war es, das der „alte Stolpe“ mein Lehrherr und Chef diese Entwicklung nicht mitmachte und nachvollzog. Als Stolpe dann 1994 im Alter von 82 Jahren starb, wäre es eigentlich richtig gewesen, den veralterten Laden einzustellen. Dieses lag nicht im Interesse der Erbengemeinschaft, Stolpes 4 Enkel und 3 Enkelinnen, und andererseits wäre dieses meinen beiden Kollegen und mir bitter aufgekommen. Wir Drei waren alle in der Nähe des 50. Lebensjahr und hatten allesamt keine Erfahrung in den Techniken, die heute gefragt sind. Gegenüber meinen Kollegen hatte ich noch den Vorteil, dass ich im Zuge meiner Vorbereitung auf meine Meisterprüfung, die ich 1991 bei der Handwerkskammer abgelegt habe, zumindestens Lehrgänge in modernen Satzund Drucktechniken absolviert hatte. Diese Meisterprüfung war dann der Auslöser, das aus allen Ecken auf mich eingeredet wurde, die Druckerei doch bitte weiter zu führen.
Natürlich ist Pepe Schröder kein Steinzeitkind und startete auch prompt mit der verspäteten Modernisierung des Ladens. Das hört sich zwar locker an, ist aber gar nicht so einfach und wenn man kein dickes Geldpolster hat sogar fast unmöglich. Fast alle Maschinen und Geräte mussten durch modernere ersetzt werden. Meine Mitarbeiter und auch ich selbst mussten geschult und trainiert werden. Der komplette Stehsatz musste durch neu erstellte Druckformen abgelöst werden. Das geht natürlich nicht von Heute auf Morgen, das braucht alles seine Zeit. Aber auch nicht vorhandenen Raum, denn der Platz, den wir für die Offsetmaschine Speedmaster benötigten war von der alten König & Bauer Schnellpresse belegt. Auf letztere kann aber erst verzichtet werden, wenn wirklich der letzte Bleisatz durch Offsetplatten ersetzt werden kann. Wenn einer von uns zur Schulung war, hätten wir eigentlich Aushilfen mit Zeitvertrag benötigt. Es gibt zwar genug Arbeitslose aber darunter keine, die eine benötigte entsprechende fachliche Qualifikation mit bringen. Also ließ sich nur durch Doppel- und Dreifachschichten ein Ausgleich schaffen – aber irgendwann muss man ja auch eine Mütze Schlaf nehmen, der Tag hat ja nur 24 Stunden und die Nacht. Zur gleichen Zeit musste ich auch einen Auftragsrückgang schlucken. Ein Teil unserer Kundschaft kam immer nur aus Anhänglichkeit zu ihrem alten Lieferanten Stolpe zu uns und gingen nach dessen Tod andere Wege oder versuchten sich selbst als PC-Typograf – Windows macht’s möglich. Zwar wird dann alles, was man an typografischen und ästhetischen Grundsätzen gelernt hat, erschlagen aber viele Leute sind mit selbsterstellten Geschmackstotschlägern glücklicher als mit typografisch und ästhetisch einwandfreien Drucksachen. Da man ja nicht allein auf der Welt ist, lässt sich der Rückzug dieser Treuekunden natürlich nicht im gleichen Maße durch Neukunden ersetzten. Immerhin lag der Umsatzrückgang im ersten Jahr bei zirka 10 Prozent. Für die Erledigung solcher Aufgaben braucht man natürlich einen dicken Haufen Geld. Und für Leute die dieses nicht haben sind ja, zumindestens von der Idee her, dann die Banken da – zumindestens ist es so in der Theorie. Also musste ich jetzt meine Erfahrungen mit den Erbsenzählern in den Banken, die ich heute nur noch Bankfiosis nenne, machen. Wenn ich die Zeit, die ich hinsichtlich Analysen, Prognosen und Gesprächen hinsichtlich Besicherung und Konditionen verbracht habe, angemessen bezahlt bekommen hätte, wäre es möglich gewesen auf die Kredite, für die ich den ganzen Plunder unternommen habe, zu verzichten. Ich musste auch feststellen was Bankfiosis für Fachidioten sind. Alles was mit ein Wenig fachlichen Hintergrund logisch erscheint aber nicht mit Taschenrechnerakrobatik als gewinnträchtig nachweisbar ist, will nicht in die Hirne von Bankern passen. Alles was ich erreichte waren viel zu knapp bemessene und viel zu kurzfristig laufende Kredite. Eigentlich hätten auch Dümmere wie Klein-Pepe den Zeitpunkt ausrechnen können wo dem Laden die Luft ausgeht. Nach wie vor bin ich davon überzeugt, das, wenn die Bankfiosis soviel Denkvermögen besessen hätten um meinem Konzept folgen zu können, 10 Jahre später ein gesundes Unternehmen dabei herausgekommen wäre. Aber was soll es, im August 1996 ging mir die Puste aus, der Pleitegeier hatte zugestoßen. Aus Bankfiosisicht natürlich nur Peanuts aber auf mich brach eine tolle Zeit herein. Der Gerichtsvollzieher wurde zum häufigsten Besucher in meiner Wohnung. Ganze Armeen von Rechtsanwälten fielen über mich her und erklärten mir im Juristendeutsch welche Mittel ihnen das BGB und die ZPO in die Hände gibt um einen geschunden Schuldner ganz in die Knie zu zwingen. Das aber nur in der Morgendämmerung der Insolvenz, also so im ersten halben Jahr. Dann wurden diese von den übelsten Schuldnerhäschern, den Inkassounternehmen, abgelöst. Nicht nur schriftlich sondern auch per Telefon wenden diese sich mit ihren dreisten Aussagen an die Schuldner. Für Inkassohiwis gibt es niemand der unfähig zu zahlen ist sondern keck unterstellen die in entwürdigenden Ton, dass man unwillig sei. An den Vergleichsvorschlägen der Inkassolümmel erkennt man, dass diese die Schuldner für total verblödet halten, wie sonst kann man Tilgungsvorschläge, die unter den jährlichen Zinsen liegen, unterbreiten? Da kann man ja bis an sein kühles Grab zahlen und zur Belohnung wachsen in der gleichen Zeit die Schulden noch kontinuierlich an. In einer solchen Situation wird immer gerne mit dem neuen Insolvenzrecht, dass es übrigens zu dem mich betreffenden Zeitpunkt noch nicht gab, argumentiert. In meinen Augen ein echter Papiertiger. Da muss man ein Wenig Geld, für einen insolventen Zeitgenossen in unerschwinglicher Höhe, für Rechtsanwälte, bei Geschäftsinsolvenzen sind ja Schuldnerberatungen nicht zuständig, zum Zwecke von Übereinkünften mit den Gläubigern und für Prozesskostenvorschüsse aufwenden und anschließend 7 Jahre Wohlverhalten zeigen. Was aber Wohlverhalten ist, wurde nur sehr schwabbelig formuliert, so dass es im Jahre 2005, wenn die ersten Schuldner ihre Zeit unterwürfig abgedient haben, noch einigen Stoff für die Medien geben wird. Da hat sich dann ein armer Tropf 7 Jahre lang einer Lohnpfändung unterzogen und dann wird man ihm sagen: „Hähä, das reicht aber zum Wohlverhalten nicht aus, du hättest ja ...“. man wird ja sehen, aber ich höre die Glocken schon läuten. Wie wirken sich Arbeitslosigkeit, Krankheit und andere nicht vorhersehbare Angelegenheit, wo beim Einkommen kein pfändbarer Teil mehr über bleibt, auf das sogenannte Wohlverhalten aus? Bewirken die eine Verlängerung der Folterfrist oder ist dann alles geplatzt, die 30jährige Verjährung hat man ohne juristischen Dreh, wie ich diese Insolvenzrecht bezeichnen möchte, ohnehin abzukriechen. Und in meinem Alter? Was macht es außer Gewissensbisse aus, ob ich ein verschuldeter oder schuldenfreier Rentner bin? Auf jeden Fall zog ich meine Konsequenz und sagte: „Ihr könnt mich mal Alle. Pfändet mal von meinem Arbeitslosengeld ab, was ihr könnt und ich lasse den lieben Gott einen guten Mann sein. Werde ich offiziell gefragt sage ich, ich wäre Hausmann und anderen Neugierigen erzähle ich was von Rentner. Und dann besucht mich mal in 30 Jahren im Altersheim und dann stoße ich mit euch auf die Verjährung an. Sollte ich dann allerdings das Zeitliche
gesegnet haben, habt ihr sogar hinsichtlich des Verjährungsschnäpschen Pech gehabt“. Mental war mein Interesse ein Wirtschaftsfaktor zu sein auf Null gesunken. Ich wollte jetzt nur Mensch sein und leben. Von August 1996 bis Januar 1998 betätigte ich mich als ehrenhafter Tagedieb. Aber derjenige, der mein Schicksal teilt oder so etwas ähnliches schon mal erlebt hat, weiß, das man dann ab und an das Gefühl hat, die Wände fielen einen auf den Kopf. Man fühlt sich nutzlos und ausrangiert. Man muss ja nicht gerade Pleitier sein um so was zu erleben, Arbeitslosigkeit führt ebenfalls dazu, dass man sich als menschlichen Abfall fühlt. Trotzdem kann ich nicht für Arbeit um jeden Preis plädieren, denn arbeiten zu einem Lohn, der mal gerade für die Existenz ausreicht und einen darüber hinaus trotzdem von gesellschaftlichen Leben ausschließt, ist ja noch demütigender wie ein Zwangshausmanndasein – Sklavendienst nur des Überlebenswillen. Schwarzarbeit ist im starken, fast kriminellen Maße, gesellschaftsschädigend und im Grunde ein Mitförderer von weiterer Arbeitslosigkeit, aber im gleichen Zuge oft für manchen armen Tropf die einzigste Möglichkeit sich in seinem Jammertal über Wasser zu halten. Also griff ich im Februar 1998 auch bei einem Mix aus Frondienst und Schwarzarbeit zu. Nachdem ich mir zuvor beim Straßenverkehrsamt einen Personenbeförderungsschein habe ausstellen lassen, setzte ich mich ab 2. Februar 1998 auf einen Bock, wie Taxifahrer zu ihrem Gefährt liebevoll sagen. Damit jetzt jeder weiß, was ich mit dem vorgenannten Mix meinte, eine kurze Erläuterung: Ich sollte als Aushilfstaxifahrer 20% vom Bruttofahrerlös, aber mindestens 8 Mark pro Stunde, cash auf der Hand erhalten. Offiziell war dieses als 630-Marks-Job deklariert. Wenn man sich aber jetzt überlegt, dass ich nach anfänglichen Tagesfahrten dann werktags Nacht für Nacht von 18 bis 6 Uhr gefahren bin, dann ergab dieses pro Woche 5 x 12 x 8 = 480 Mark. Ein Quartal hat 13 Wochen und so ergibt das wirkliche Monatseinkommen dann 480 x 13 : 3 = 2080 muntere Märklein. Ist wohl ein Bisschen mehr als 630 Mark – oder? Das ganze funktioniert dann nach dem Schema, dass der Taxiunternehmer nicht nur mich sonder eine ganze Reihe von Familienangehörigen und weiteren Aushilfsfahrer, die von gar nicht bis sehr wenig fahren, auf der Liste hat und auf die dann das, was ich zu viel verdient habe, verteilt wurde. Ist doch prima am Sozial-, Arbeits- und Finanzamt sowie an der Sozialversicherung und, wie in meinem Fall, an den Gläubigern vorbei. Wer glaubt, dass sich damit Taxiunternehmer eine goldene Nase verdienen lebt allerdings in einer anderen Welt, denn gerade in kleinstädtischen Gegenden können sich diese nur so über Wasser halten. Wollten sie alles korrekt machen, müssten sie von den Landkreisen fordern, dass die Gebühren in für Otto Normalverbraucher unerschwingliche Höhe geschraubt werden müssten – und das nützt wiederum niemanden, denn dann fährt keiner mehr. Okidoki Freunde, soweit mein Lebenslauf, der, je mehr es auf das Ende zu ging, immer ausführlicher wurde. Der Grund liegt einfach darin, das die Umstände – Pleite und Taxisklave – die nun folgende Geschichte, die ich jetzt erzählen will, erst ermöglichte. Wenn ich noch mal die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich die Druckerei nicht übernehmen und ganz was anderes machen. Aber eigentlich wäre ich dann um diese, teilweise sehr bösen Erfahrungen, ärmer aber ob es mir dann wirklich besser gegangen wäre weiß allein der große Zampano. Mit Sicherheit weiß man immer nur im Nachhinein wie Fehler hätten vermieden werden können, denn bei jeder Unternehmung ist man vorher von der Richtigkeit des eingeschlagenen Weges überzeugt. Nur Politiker machen, weil sie es für einen Sachzwang und für Diplomatie halten, vorsätzlich Fehler – aber ob sie solche auch als das ansehen was sie sind, muss auch in Abrede gestellt werden. Also Leute, dann legen wir jetzt mit der eigentlichen Geschichte los und legen dazu mal ein neues Kapitel auf.
Zum Kapitel 2
Zum Inhaltsverzeichnis
Schulte 3, Mariandel möchte fahren Taxifahrer ist ein Beruf in dem sich hierzulande viele Leute, sogar im Ministerrang oder mit akademischen Grad, aus eigenem Erleben versetzen können. Trotzdem gibt es in den Erfahrungen leichte Nuancen, denn unsere Studenten kurven mehr über großstädtischen Asphalt und Leute wie ich bevorzugen die „Schluchten der Kleinstadt“. In den Großstädten laufen einem die Leute an den Taxiständen, wenn man sich vom Warteplatz 33 auf Platz 1 vorgeschaukelt hat, automatisch zu. In den Kleinstädten steht man auf diesen Ständen alleine oder zu Zweit meistens nur rum und seine Fahrten bekommt man über Funk von den Zentralen übermittelt. Auch wer nur gelegentlich mal in einer Kleinstadt in so eine Kraftdroschke, wie Taxis in vielen amtlichen Papieren noch heißen, steigt hat schon mal mitgekriegt, dass die Kutschen sogenannte Rufnamen, die in der Regel aus dem Namen des Unternehmers und einer Zählziffer bestehen, hat. Ich fuhr damals den Wagen Nummer 3 des Taxiunternehmers Werner Schulte, folglich war der Ruf dem ich zu folgen pflegte dann „Schulte 3“. Dieses „Schulte 3“ empfand ich mal nervtötend und mal erlösend. Erlösend immer dann, wenn man über 2 Stunden gelangweilt am Stand rumgelümmelt hatte und plötzlich aus dem Lautsprecher „Schulte 3, einmal Gaststätte ‚Zum Wacholderspecht’“ hörte. Dann durfte man nämlich mal wieder eine Runde fahren. Meistens ließen sich so nicht mehr ganz standhafte Kneipenbesucher abholen und ... . Drei Punkte deshalb, weil es in solchen Fällen mehrere Möglichkeiten gab: Die einen hatten noch nicht genug und ließen sich zur nächsten Alkoholverabreichungsanstalt fahren. Anderen war es an diversen Innen und Außen gelegenen Körperstellen warm geworden und wollten dann in ein Etablissements, welches sie Gurke, Puff oder Villa Hemdhoch nannten. Die meisten wollten jedoch dahin, wo sie glaubten hinzugehören: nach Hause. Es ist nicht immer gerade erquickend, wenn man selbst sagenhafte 0,0 Promille im Blut hat und neben einen jemand sitzt, bei dem die Promille schon so viel wiegen, dass die Zunge inzwischen schon nicht mehr hochzukriegen ist. Die einen lallen albernes und die anderen aggressives Zeug und nichts kriegt man auf Grund unwilliger Zungen so richtig mit. Ein Paradoxum ist es, dass nach dem Personenbeförderungsgesetz volltrunkene Personen von der Beförderung auszuschließen sind und das Leute, die Gesetze eigentlich kennen müssten, ich meine Polizeihäuptlinge und Politiker, dazu aufrufen, dass man sich nach einem Gelage ein Taxi nehmen soll. Genau genommen rufen dann Polizeipräsidenten zum Rechtsbruch auf. Und was soll der arme Fahrer machen, wenn ein Sturztrunkener auf Bestellung eines Wirtes, auf dessen Anrufe man abgewiesen ist, heimwärts befördert werden soll? Also, angenehm ist Taxifahren gerade nicht aber Fahren ist immer besser als dumm rumstehen. Daher war in einem solchen Fall der Ruf „Schulte 3“ immer ganz erwünscht. Aber ich schrieb ja zuvor, dass so etwas auch nervtötend sein konnte. Tolle Zufälle wollten es, das 2 bis 3 Stunden niemand anrief und dann wollten innerhalb von 5 Minuten gleich 6 Leute auf einmal fahren. Dann kamen von der Zentrale solche tollen Sprüche: „Schulte 3, hast du schon aufgenommen?“, „Schulte 3, wo geht es denn hin? Ich habe noch so viel vorliegen.“, „Schulte 3, hast du schon mal gehört, dass das Pedal unten rechts zum Gas geben da ist? Tritt mal drauf.“, „Schulte 3, gib doch mal ein bisschen Stoff. Die Bullen blitzen gerade in Neuhausen; du hast also nichts zu befürchten.“, „Schulte 3, bist du immer noch nicht frei? Mach mal hin.“ und so weiter, und so weiter. In solchen Druckzeiten gibt es dann auch immer die ärgerlichen Verzögerungszeiten durch diverse Zeitgenossen. Da gibt es dann Leute, die zwar brandeilig ein Taxi zur Kneipe bestellt haben und sich dann aber nicht vom Tresen loslösen können. Andere bestehen dann auf den Tick, das Fahrtziel nicht zu nennen und einen dafür zum Ziel lotsen zu wollen. In Folge gibt es dann meistens Stadtrundfahrten mit anschließenden Streit um den Fahrpreis. Unangenehm sind auch die Typen, die mit großen Geldscheinen renommieren und damit dann Fahrten um drei Ecken bezahlen wollen. Schon aus Sicherheitsgründen ist aber jedem Taxifahrer anzuraten nicht so viel Wechselgeld mitzuführen, dass man auf so etwas rausgeben kann. Also bleibt einen nichts anderes, als den Scheinmatadoren die Fahrt auf Rechnung zu schreiben. Wenn man die Leute nicht gerade kennt, kämpft man mit dem Problem dass sich diese bitte ausweisen. Zur großen Not muss man dann zur Polizeiwache fahren, um die Personalien feststellen lassen. Na ja, und dann gibt es noch die Fahrgäste, auf die man hin und wieder trifft, bei denen das Frühstück sich erlaubt „Hubs, da bin ich wieder und das Bier habe ich gleich wieder mitgebracht“ zu sagen. Aber ich will jetzt nicht alles runterreden. Es gibt natürlich auch Fahrgäste, die man ganz gerne fährt. Dazu gehörte bei mir Frau Marianne Berghoff-Klettner, die Gattin des Industriemanagers Klettner, die hier am Rande von Bergdorf in einer Protzvilla wohnten. Frau Berghoff-Klettner wurde in unserem Jargon immer nur Mariandel genannt. So wie ich meinen Spitznamen von einem Uraltschlager – „War alle glücklich macht ist Pepe“ – hatte war es auch bei ihr das Mariandel aus dem Wachhauerlandl. Aus verschiedenen Gründen war ich immer richtig happy, wenn ich von der Zentrale „Schulte 3, Mariandel möchte fahren“ zu hören bekam. Wer fährt nicht gerne attraktive Mittvierzigerinnen. Augen und spezielle andere Körperteile freuten sich immer diese mit allen zugehörigen gutausgebauten Kurven an der Frau zu sehen zu bekommen. Dann gehörte sie zu den wenigen, weiblichen wie männlichen, Fahrgästen, denen nie eine Alkoholfahne voranflatterte. Grundsätzlich war sie höflich und in einer netten Art kameradschaftlich. Nur mit Intelligenz war sie wohl nicht so überproportioniert ausgestattet und meisten unterhielt sie sich über Sex und Erotik mit den Fahrern, aber grundsätzlich in einem gepflegteren Ton. Zwar benutzte sie eiskalt Worte wie Ficken oder Bumsen aber der Satzbau erweckte trotzdem nicht den Eindruck in der Gosse zu liegen. Wenn man sich mit ihr unterhielt, wurde es einen warm ums Herz und unter der Gürtellinie. Aus damaliger Sicht war sie mein angenehmster Fahrgast, was ich aber nachträglich, also aus der heutigen Position wo ich diese Zeilen niederschreibe, ins Gegenteil revidieren muss. Sie ist die Hauptperson in dem Drama, dass sich jetzt über zwei Jahre über meine Familie und mich abspielte.
Richtig los ging es im Juli 1998. Am vorangegangenen Sonntag, es war der 5.7., hatten wir im kleinen Familienkreis den Geburtstag meiner Frau gefeiert. Katharina konnte nun auch schon auf 47 Lenze zurückblicken. Am darauffolgenden Dienstag hieß es kurz nach Acht mal wieder „Schulte 3, Mariandel möchte fahren.“. Ich holte sie darauf vor der Villa Klettner ab. Beim Einsteigen äußerte sie ihren Wunsch, den ich so noch nicht gehört habe: „Hallo Pepe, ich hatte eben dein Chef am Ohr. Er wird dir gleich bestätigen, dass ich für heute dein letzter Fahrgast bin. Ich habe dich und deine Kutsche für den ganzen Abend gebucht. Dein Boss ...“. Jetzt wurde sie erst mal durch den Funklautsprecher unterbrochen. Werner Schulte rief mich von einem Taxiwagen aus an: „Schulte 3“ und nachdem ich korrekt geantwortete „Schulte 3 hört“ hatte ging es weiter: „N’abend Pepe, ich sitze jetzt auf der Eins und fahre mit. Du kannst jetzt abschalten und wenn du zurück bist, melde dich bitte sofort, ... dann kann ich noch eine Mütze Schlaf nehmen.“ Nach meiner Bestätigung mit „Okay Werner“ schaltete ich dann, wie geheißen, den Funk aus. „Siehst du“, fuhr Marianne fort, „das wollte ich dir gerade berichten. Allerdings weiß dein Boss nicht was ich vorhabe. Dazu möchte ich dich jetzt mal was fragen: Hast du schon mal Autosex gemacht?“. Irgendetwas ahnte ich jetzt schon, aber antwortete wahrheitsgemäß: „Ja, als junger Mann mit meiner Frau, als wir noch nicht verheiratet waren.“. „Dann hast du mir gegenüber einen Vorsprung.“, war sie jetzt wieder an der Reihe, „Ich hatte noch nie das Vergnügen, aber ich möchte mal ganz gerne. Wie wäre es? ... Möchtest du?“. Von ihrer direkten Art war ich da doch ein Wenig verblüfft aber irgendein Teufelchen riet mir: Mach es. Jetzt schalte ich zunächst mal die Uhr ein, denn nach der Beendigung der Fahrt muss ich ja meinem Chef irgendwas auf den Zettel schreiben. Abrechnen brauchte ich im Falle Marianne Berghoff-Klettner allerdings nie, denn alles was mit Klettner zusammen hing lief über Monatsrechnung. Von der Taxiuhr ging meine rechte Hand zum Zündschlüssel und währenddessen erlaubte ich mir die Frage: „Wo soll es denn hingehen? Ich glaube nicht, das hier der ideale Ort für ein Schäferstündchen ist“. Mit „Ach“, begann ihre Antwort: „Ich wollte auch nicht gleich zur Sache gehen und dann mit ‚fertig, erledigt’ zur Tagesordnung übergehen ... das ist ja langweilig. Ich möchte erst ein Wenig heiß laufen; so ein Wenig Kribbeln verspüren. Deshalb habe ich ja auch den Wagen den ganzen Abend, bis zirka Zwölf oder Eins gebucht. Du kannst hinfahren wo du willst, ... nimm irgendein Ausflugsgebiet außerhalb des Kreises Neuhausen. Du kannst gemütlich fahren und dabei plaudern wir uns ein Wenig heiß.“. So etwas hatte ich „treuer“ Ehemann und Familienvater noch nie erlebt und von ähnlichen Gegebenheiten hatte ich noch nie gehört. Aus brennender Neugierde fragte ich, während ich einfach der Straße nach losfuhr, mal nach ihren Beweggründen und bekam dann die Auskunft: „Das hängt ganz nüchtern damit zusammen, dass mein Göttergatte ein richtiger Sexmuffel ist und ich demgegenüber regelmäßig mal richtig was brauche. Er hat immer nur die Wirtschaft, Aktienkurse und weiteres trockenes Zeug im Kopf, was mich überhaupt nicht interessiert. Allerdings hat er das Geld, ohne dem ich mir nicht vorstellen kann, das man leben kann. Wir sind ja reife, vernünftige und moderne Menschen und haben dann schon vor der Hochzeit eine Vereinbarung getroffen. Unter der Bedingung, dass davon in der Öffentlichkeit nichts bekannt wird und ich immer wieder nach Hause zurückkomme, kann ich mir meine Partner aussuchen und mit denen so viel ficken wie ich will. Erst habe ich mir dann Callboys bestellt und die tatsächlich bei meinen Göttergatten abkassieren lassen. Das war mir auf die Dauer zu flach und dann bin ich dazu übergegangen mir ‚glücklich verheirate’ Ehemänner zu erobern. Das waren dann erstens meine Eroberungen und zweitens war ich sicher, dass die auch die Klappe halten würden. Also die Bedingung erfüllst du ja auch und deshalb kommst du auch heute zu deinem Vergnügen.“. Jetzt lachte sie erst mal bevor sie fortfuhr: „Aber dir zu Ehren muss ich jetzt auch sagen, dass ich nie den Erstbesten nehme. Die Kerls müssen mir schon gefallen ... und dieses tust du.“. „Wenn dein Mann ein sexuelles Neutrum ist, warum habt ihr dann überhaupt geheiratet?“, interessiertes es mich jetzt und bekam auch dafür eine Erklärung: „Ganz einfach, ich wollte reich sein und er war es. Er wollte einen stammhaltenden Erben und dazu brauchte er eine attraktive Frau, die er auch bei gesellschaftlichen Anlässen vorzeigen kann. Das war dann ich ... und einen Erben habe ich ihn auch in die Welt gesetzt, auch wenn es da den Schönheitsfehler gibt, dass er wider besseres Wissen behauptet der Vater zu sein. Da ich aber weiß wer der Vater meines Sohnes ist und ich dieses an die große Glocke hängen könnte, kann er mich auch nicht loswerden. ... Also, machen wir das Beste daraus.“. Jetzt musste ich doch einhaken: „Und was ist, wenn ich dieses jetzt an die berühmte Glocke hänge und das Ganze auf dem Marktplatz ausposaune?“. „Na, dann lernst du Dr. Wolfram, den Anwalt meines Göttergatten kennen. Dann siehst ganz bedrüppelt aus und alle Welt wird dich für ein Lügner halten.“, erwiderte sie lässig und ruhig. Ein ausgeklügeltes System, was gar nicht so selten sein dürfte. Die sogenannten Spitzenleute aus Politik, Wirtschaft, Sport und Kultur sind ja keine Überwesen sondern genauso Menschen aus Fleisch und Blut wie wir. Wie alle Lebewesen müssen sie Essen und Schlafen. Darüber hinaus haben alle ihre Neigungen und Triebe, die aber von Mensch zu Mensch anders sind. Der eine braucht Sex, der andere politische Auseinandersetzungen und wieder andere brauchen Roulette und Aktienkurse. Der eine brauch ab und zu ein auf die Nase und der andere ist froh wenn er sich verkriechen kann. Aber alles auf einmal kann niemand in Anspruch nehmen. Wenn jetzt so ein Spitzenpolitiker oder Wirtschaftslenker auf allen einschlägigen Hochzeiten tanzt, kann er ja unmöglich gleichzeitig seine auf Sex programmierte Frau glücklich machen. Wenn man im Fernsehen sieht, dass jemand den ganzen Morgen an einer Sitzung in Berlin teilgenommen hat, am frühen Nachmittag in Leipzig auf der Messe erscheint, im Laufe des weiteren Nachmittags mit Banken in Frankfurt konferiert, am frühen Abend einen Gast aus Amerika in Köln begrüßt und mit
ihm anschließend in Königswinter Essen geht und letztendlich am späteren Abend zu einer Talkshow in Hamburg erscheint kann er ja unmöglich zur gleichen Zeit in München Ehepflege betrieben haben. Da man bei verschiedenen Leuten an sieben Tagen in jeder Woche von so etwas mitbekommt, muss man sich fragen, was machen deren Frauen? Sitzen die als Heimchen am Herd und beten den ganzen Tag für das Wohlergehen ihrer Männer? Ich denke jetzt zwar an niemand Bestimmten aber irgendwie erscheint es mir logisch, das sehr viele Politiker- oder Managerehen nach dem Prinzip Klettner funktionieren. Aber während der Fahrt an jenem Sommerabend habe ich an diese Dinge genauso wenig gedacht wie an meine Familie. Dieses lag wohl an der erotisch prickelnden Plauderei die wir führten. Dabei ging bei mir innerlich und äußerlich einiges in Gipfelhöhe hoch, so dass ich richtig froh war als ich nach zirka einer Stunde Fahrt am Anfang eines Waldwirtschaftsweges in der Nähe einer Talsperre mit dem Auto zum Stehen kam. Was jetzt in der nächsten halben bis dreiviertel Stunde passierte, kann ich, wenn ich nicht den Eindruck eines Pornografen erwecken will, leider nicht niederschreiben. Als alles erledigt und ich wie sie erleichtert war, machte ich in meiner Seele eine vollkommen neue Entdeckung: Bis zu diesem Zeitpunkt waren alle meine Sinne im Meer der Erotik abgetaucht und jetzt war ich wieder über Wasser und wusste wer ich war. Jetzt war mir auf einmal wieder bewusst, dass ich Peter Schröder war, der verheiratet ist und zwei gerade mal erwachsene Kinder hat. Mit der Rückkehr in die reale Welt stellte sich auch ein zutiefst schlechtes Gewissen ein: Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich meine Frau betrogen. Typen wie ich, die 26 Jahre lang ihrer Frau die Treue halten sind zwar selten, aber die gibt es immer noch. Im ersten Moment dachte ich, dass so etwas wie heute nie wieder passieren dürfe. Im Nachhinein muss mich fragen, wie so es bei einem solchen eisernen Vorsatz noch am gleichen Abend passieren konnte, dass ich diesen wieder über Bord warf. Danach war allerdings das Eis gebrochen und das Gewissen trat immer mehr in den Hintergrund. Aber auch bei Marianne hatte sich ein Wandel vollzogen. Während sie vorher nur von Sex und Erotik sprach, kam sie jetzt darauf, dass sie Hunger hätte und wir uns eine Imbissbude oder eine Kneipe, in der es auch was zu essen gibt, suchen sollten. Die Wahl der Beköstigungsstätte setzte mich in Erstaunen und ich fragte erst mal, ob sie sich nicht vertan habe und ein Hotel beziehungsweise schickes Restaurant gemeint habe und bekam darauf eine weitere Lektion aus der Welt der Promis: „Ja meinst du, ich wolle bewusst den Kontrakt mit meinen Mann brechen? Wenn wir in einen besseren Laden kommen, werden wir auf Schritt und Tritt aus den Augenwinkeln beobachtet. Nirgendwo wirst du mehr begafft wie in Luxushotels und teueren Restaurants. Man will sehen was du an hast, wie du dich bewegst und mit wem du dich wie unterhältst. Im Gegensatz dazu sind die Leute in Kneipen und Currycontainern überwiegend mit sich selbst und ihren Gelüsten wie Essen und Trinken beschäftigt. Da in solchen Lokale jeder, vom Müllkutscher bis zum Bürgermeister, reinkommt, macht sich auch niemand Gedanken darüber wer du bist. In feinen Häusern überlegt aber jeder, wer du sein könntest und wo man dich schon mal gesehen hat ... und nicht selten fällt dann auch der richtige Groschen. Stell dir vor, der Bundeskanzler fährt in einem Taxi vor einer Imbissbude vor und schiebt sich einen Döner rein. Dann werden alle glauben, das der Kerl aber dem Kohl (zu der Zeit war er es noch) ähnlich sehe und der könne sich mal beim Fernsehen als Doppelgänger bewerben. Kommt aber jemand, der in der letzten Woche in so einer Talkshow zu Gast gewesen war aber ansonsten vollkommen unbekannt ist in ein Topprestaurant, dann wird er mit Sicherheit nicht nur von einer Person richtig zugeordnet.“. Sie hatte aber noch einen zweiten Grund warum ihr eine Imbissbude am Liebsten war: Sie hatte richtigen Hunger. In besseren Häusern bekommt man immer nur für viel Geld große, schick mit Essbaren dekorierte, Teller vorgesetzt. Das einzig Besondere an dieser Sache ist für einen Totalrealisten der tolle, überwiegend französische Name des Menüs. Aber auch diesbezüglich konnte mir Marianne eine plausibel Erklärung liefern: „Als ich zum Beispiel mit meinem Männe auf der Hannover Messe war, da hatten wir alle 3 Tage im 2-Stunden-Takt ein Essen. Das ging mit einem geschäftlichen zweiten Frühstück um 10 Uhr los, um Zwölf und um Zwei fanden dann immer Geschäftessen statt, zwischen Drei und Vier gab es dann ein geschäftliches Kaffeetrinken, um Sechs dann ein Geschäftsdinner, um Acht waren wir dann auf einem Empfang, der mit einem Essen begann und letztlich mussten wir dann zwischen Zehn und Mitternacht am Kalten Büffet teilnehmen. Wenn du dann immer was zum Sattessen kriegst, hast du die Wahl zwischen der Beleidigung von Koch und Gastgeber oder dem Platzen. Kosten muss das Ganze auch ein Wenig, denn man will ja seinem Gegenüber, von dem man ja geschäftlich was will, zeigen welche Wertschätzung man ihm beimisst. ... Jetzt habe ich aber Kohldampf und gehe dahin, wo man satt werden kann.“. Für Otto Normalverbrauche, so wie unsereiner, spielt natürlich der Preis eine Rolle, was aber bei Frauen wie Marianne, die so viel Geld zur Verfügung haben, dass sie nicht einmal wissen, was sie damit sinnvolles anfangen sollen, nicht einen einzigen Gedanken wert ist. Schon bei ihrem Mann, der dem Geld nachjagt, war das, wie ich später erfuhr, ganz schon ganz was anderes. Der ließ sich sogar ab und an vom Pizzaflitzer was bringen; nur um seinen Geiz zu befriedigen. Aber das er sich, wie jetzt seine Frau, selbst in ein solches Haus herabgelassen hätte, das war nicht sein Stil. Wer suchet der findet, so steht es schon in der Bibel. Und so fanden wir auch nach zirka 10 Minuten eine, zu einer Metzgerei gehörende Imbissstube. Sehr angenehm, das neben den Thekenraum, in dem man seine Speisen stehend einnehmen konnte, auch ein Raum mit sechs Tischen für je vier Personen befand. Dort nahmen wir dann, nach dem wir uns jeder ein Zigeunerschnitzel mit Pommes Frites und Salat bestellt hatten, am Fenster platz. Allerdings gingen beim Getränk unsere Bestellwünsche auseinander: Ich nahm ein Kelts, also ein alkoholfreies Bier, und sie sowohl ein Orangensaft wie ein Mineralwasser – das Wasser für den Durst, den Orangensaft zum Trinken. Wir bekamen wirkliche
Mordsportionen serviert mit denen wir auch noch einen Dritten bequem satt bekommen hätten. Nun dauert ein solches Essen natürlich ein Weilchen und diese Zeit, in der ich mir noch zwei weitere Kelts bestellte, nutzten wir zu einer Plauderei. Dabei stellte sich dann raus, dass Marianne eine ganze Menge von mir wusste. Sie kannten nicht nur meinen Beruf sondern die Berufe der ganzen Familie, sie wusste das meine Tochter Christina mit dem Lehrer Serret Yilmaz zusammen war und war auch über meine Pleite informiert. Zunächst nahm ich dieses wie es kam, aber dann wollte ich doch wissen, wie sie an dieses umfassende Informationspaket gekommen war. Ihre Antwort war einerseits simpel und zeigte andererseits, das ein Jeder im Leben sein Päckchen zu tragen hat. Bei der Geburt ihres Sohnes hatte sich herausgestellt, das Marianne an einer seltenen Stoffwechselkrankheit litt. Seitdem, muss sie in unregelmäßigen Abständen immer wieder einmal für ein paar Tage ins Krankenhaus. Da ist es unter anderem immer unsere Tochter, die sie dann pflegt. Zu Christina hatte sie eine engere Beziehung aufgebaut und so wussten die Frauen etwas mehr wie gewöhnlich voneinander. „Wenn Tina mal einen Verdacht hat, muss du alles in Abrede stellen,“, ermahnte sie mich, „denn die kennt mich natürlich auch ein Bisschen näher und deshalb brauchst du dir überhaupt keine Gedanken machen wo das herkommen könnte ... wir sind dann keinem ‚Stasi’ über den Weg gelaufen.“. Über dieses Gespräch war sie dann auf eine, aus ihrer Sicht glänzende Idee gekommen: „Hör mal Pepe, meinst du das Taxikutscher für dich das Richtige ist? Du könntest doch bei uns als Chauffeur arbeiten. Mein Männe wird das sicherlich auch offiziell auf 630-Marks-Basis machen und dir in Wirklichkeit bestimmt mehr zahlen als Olle Schröder.“. „Aber ihr habt doch einen Fahrer“ gab ich zu bedenken. Sie lachte und meinte: „Ja, für meinen Mann ... und ich muss immer Taxi fahren.“. „Dann dürfte uns aber der Verdacht meines Töchterchens aber mit Sicherheit treffen.“, wandte ich ein, worauf sie dann leicht lachend erwiderte: „Na, aber dann hoffentlich nicht unbegründet. ... Aber ich schätze das Tina Tolerant ist und sich im Gegenzug darüber freut, dass es ihrem Vater gut geht.“. Danach zählte sie einige Gründe auf, welche Vorteile für mich, meine Familie und auch für sie dabei rausspringen würden. Auf irgend eine Art gefiel mir das auch auf eine Art und Weise aber auf der anderen Seite hatte ich doch dumpfe komische Gefühle. Letztlich überredete sie mich doch so gekonnt, dass ich „Ja“ sagte. Nach meiner Zusage ging sie schon gleich an die Organisation: „Kannst du eigentlich Schach spielen?“. „Och joh, ... bis ich die Druckerei übernommen habe und keine Zeit mehr hatte, war ich im Schachclub Bergdorf. ... Wieso fragst du jetzt?“, bekam sie zur Antwort. „Ganz einfach,“ setzte sie zur Erwiderung an, „mein Oller ist, wenn er sich nicht mit Geschäften beschäftigt ganz vernarrt in Roulett, Pokern und Schach, dafür lässt er jede nackte Sexbombe liegen. Bei den beiden ersten Dingen kannst du nicht mithalten, aber beim Schach dürftest du wohl sein Mann sein. Ich kann dich natürlich nicht einstellen ... soweit habe ich es in seiner Liebe noch nicht gebracht – das macht er selbst. Dann könntest du dich, zum Beispiel nächsten Sonntagabend dich ihm beim Schach vorstellen. Wenn du ein einiger Maßen guter Schachmensch bist, hast du schon bei ihm gewonnen. ... Also, ist es abgemacht, dass ich dich für Sonntag zum Schach mit meinen Mann eingeladen habe?“. Langsam bekam ich das Gefühl, dass die Dame mit mir ein abgekartetes Spiel trieb. Denn es passte alles so lückenlos, denn das ihr Mann am kommenden Sonntag Zeit zum Schachspielen hatte, dürfte doch wohl auch kein unvorhersehbarer Zufall gewesen sein. Zugegeben hat sie dieses aber nie, auch später nicht. Auch als wir nach dem Essen wieder Richtung Bergdorf fuhren und am Hotel „Seeblick“ vorbeikamen sprach wieder einiges aus Mariannes Worten für eine vorher festgelegte Strategie. Wo wir hinfahren würden hatte sie ursprünglich nicht wissen können, denn das Fahrtziel hatte sie mir überlassen und jetzt fragte sie: „Wie heißt dieses Kaff eigentlich.“ „Waldstadt, wieso?“, antwortete ich knapp und bekam dann so wohl eine Erklärung wie eine Anweisung: „Hotel Seeblick in Waldstadt, das müssen wir uns merken, damit wir aus einem Munde sprechen wenn dein Boss wissen will, wo wir gewesen sind. Also habe mich in dem Hotel mit einer Freundin aus meiner Jugendzeit getroffen. Damit du nicht hin- und herkutschen musstest, habe ich den Wagen für den Abend mit Wartezeit geordert. Klingt doch logisch – oder?“. Nachdem wir uns auf dieses geeinigt hatten, erlitt sie offensichtlich einen Rückfall in die Zeit vor dem Essen. Jetzt sprach sie wieder verstärkt über erotische Dinge, die dann nach einer Viertelstunde in „Ich glaube ich könnte schon wieder. Wolltest du nicht ein Wenig parken und mit mir ein Verdauungsspaziergang machen?“ gipfelten. Es ist noch nicht lange her, dass ich mir auf Grund meiner Gewissenqualen „nie wieder“ geschworen hatte und jetzt war ich wieder schwupp dabei. Ich stellte den Wagen auf einem Seitenstreifen ab um mit ihr, eng ineinander gehakt in Richtung eines Waldrandes zu gehen. Kaum waren wir aus der Sichtweite entblößte ich ihren Oberkörper um, auch unter meiner Sichtkontrolle, ihre strammen Busen besser befummeln zu können. Na ja, und jetzt unterbreche ich am Besten aus Geschmacksgründen einmal die ausführliche Erzählung, denn was sich zuvor auf dem Beifahrersitz des Taxis abgespielt hatte lief jetzt in ähnlicher Weise auf dem Waldboden ab. Diesmal hatte ich nach der gegenseitigen Beglückung schon ein um einiges Nuancen besseres Gefühl wie vorhin im Wagen. Zwar meldete sich mein Gewissen immer noch, aber so quälend wie beim ersten Mal war es nicht mehr. Als wir wieder im Wagen saßen kam dann der Strategie letzter Teil: „Du hast aber ganz stramm was drauf, Pepe. Du könntest ja mal was für eine unterbefriedigte Frau tun. Sonntag, wenn alles mit meinem Männe erledigt ist, könnten wir aus einer Sommernacht eine Liebesnacht machen. Du brauchst keine Angst zu haben, mein Göttergatte ist froh wenn ich befriedigt bin oder werde und er in dieser Zeit seine Ruhe hat. Du wärest nicht der Erste, der sich mit mir Freuden teilt während er im Nebenzimmer schläft. ... Ich weiß auch schon was du deiner Frau erzählen kannst. Deine Tochter weiß, das ich kommenden Montag für zwei oder drei Tage in die Uniklinik nach München muss. Was sie nicht weiß, ist
das ich erst am späten Nachmittag da sein muss und das mich mein Männe, der geschäftlich da irgendwo in Bayern hin muss, mich mitnimmt. Da kannst du einfach sagen, dass ich dich zu diesem Zweck angeheuert habe. Du fährst natürlich mit einem unserem Wagen. Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn da was auffallen würde.“. Das ich in Folge nachträglicher Überlegung bis hier alles für eine wohl überlegte Strategie halte, habe ich jetzt ja bereits wiederholt geschrieben, aber woher wusste sie, das ich anbeißen würde? Dieses Frage habe ich mir schon öfters gestellt und dahingehend habe ich mir eine Theorie zurecht gelegt. Dazu aber erst einmal ein paar Voraussetzungen: Es ist eigentlich gar nicht so schwer seinen Gegenüber, wenn er noch nicht ganz verunmenschlicht ist, einzuschätzen. Sicher sollten nicht nur Taxifahrer sondern jeder Autofahrer in erster Linie auf den Straßenverkehr achten. Aber die Fahrgäste müssen ja ein- und aussteigen, ab und zu steht man vor einer roten Ampel oder anderen Hindernissen und auch sonst riskiert man ja diesen oder jenen Seitenblick. Und wo schaut man dahin? Auf die Knie oder wenn es geht ein Stück höher, auf den Busen oder wenn es geht in den Ausschnitt, auf den Nacken wenn er nicht gerade von den langen Haaren bedeckt ist? Wie reagiert man dann? Atmet man dann etwas schneller, etwas hechelnder? Klingt die Stimme ruhig bis gelangweilt oder aufgeregt zitternd? Und nicht nur Männer schauen auf bestimmte Frauendetails sondern umgekehrt läuft so etwas auch ab. Bequem kann man die Frauen nach den Proportionen eines männlichen Pos befragen, wenn sie diesen mal in engen Jeans, Badehose oder sonstiger Hinterteil betonender Kleidung gesehen haben. Meine Frau kann mich auch auf jeden Passanten aufmerksam machen, der beim Vorbeigehen keinen verschlossenen „Hosenstall“ nachweisen kann. Aber wenn sie ganz ehrlich ist, hat sie nicht in erster Linie auf dieses Bekleidungsdetail geachtet, sondern auf Anzeichen für Ausbeulungen, die mal stärker und mal weniger sein können, geachtet. Ich habe mal gelesen, dass unser Unterbewusstsein in der Lage ist, den Geruch von Körpersekreten unseres Gegenübers auf verschiedene Zustände wie Angst, Hilflosigkeit, Selbstbewusstsein aber auch „Bereitschaft“ auszuwerten. Dahingehend unterscheiden wir uns nicht von den anderen Kreaturen aus der Gattung Säugetier. Bis hier her ist alles logisch und nachvollziehbar. Da liegen ja offensichtlich auch die Hintergründe, warum sich Toppleute grundsätzlich in Bekleidung mit streng technokratischer Form, so ein Wenig entmenschlicht und überhöhend wirkend, zwängen. Ich meine diese Bankfiosiuniformen aus Nadelstreifenfetzen und dem, Krawatte genannten, Kehlefestschnürer. Sehr unbequem und von Hause her nicht zum Wohlfühlen geeignet, aber sehr schön um jede menschliche Regung zu verstecken und um auf den armen Tropf gegenüber bedrohlich zu wirken. Und dann die ganzen Duftwässerchen am Körper und in der Raumluft; scheinbar ist es schade, wenn man hinter der Maskerade einen Menschen entdecken könnte. Was also Mariandel und mich, der nicht in Spitzenlümmelgarderobe rumläuft, anbelangt war also klar, das ich ihr in der Zeit wo ich sie gefahren habe, mich oft genug dahingehend verraten hatte, dass ich für sie empfänglich war. Aber geistige Bereitschaft führt nicht automatisch zur tatsächlichen Handlung. Es gibt ja noch so etwas wie Selbstbewusstsein, Selbstbeherrschung und Eigenwillen. Wenn jemand seit über 26 Jahre treuer und häuslicher Ehemann ist, liegt die Vermutung, das er plumpen Anfechtungen widerstehen kann eigentlich näher als das Gegenteil. Jedoch führen ständige Demütigungen und gesellschaftliche Ausgrenzung doch dazu, dass das Ego ganz schön angekratzt wird. Und nach meinem Pleite musste ich so etwas genügend erfahren. Wie demütigend ist es, wenn man Arbeitplätze erhalten und/oder schaffen wollte, wenn man Steuern und Sozialversicherungen zahlen wollte, wenn man seinen Beitrag zum Bestand von Wirtschaft und Gesellschaft leisten wollte und Gläubiger und Inkassounternehmen einen mit wenig taktvollen Anschreiben vorwerfen ein Zahlungsunwilliger zu sein. Wenn einen mit empfindlichen Übeln gedroht wird. Wenn Bekannte, Freunde und sogar Familienangehörige einen, meist unbewusst und ungewollt, klar machen, dass man ein Versager ist. Wenn man zur eigenen Selbstbehauptung lügen muss und sei es nur, das man sagt man sei Hausmann aus Überzeugung und die Gattin würde wegen ihrer Selbstverwirklichung halber arbeiten. Wenn man dann, nur weil einen sonst der letzte Rest der Selbstwahrnehmung verloren geht, sich auf ein Taxi setzt, wo man dann, nicht von allen aber sehr vielen von Oben herab wie ein Lakai behandelt wird. Da ist das Ich, was man zum Gegensteuern benötigt, weg, da fällt man leichter um. Hatte Marianne Berghoff-Klettner, die ja von meiner Tochter Hintergründe wusste, in ihr Kalkül zum Zeitvertreib einer gelangweilten Millionärsgattin, die nirgendwo einer aus meiner Sicht sinnvollen Beschäftigung nachzugehen gedenkt, mit einbezogen? Ich weiß es nicht, ich kann nur nachträglich sagen, dass uns dieses allesamt später zum Verhängnis wurde. An dieser Stelle könnte ich eigentlich schon auf das nächste Kapitel überleiten, denn es passierte nichts Aufregendes mehr und alles Anmerkenswertes ist niedergeschrieben. Wir fuhren jetzt plaudernd zurück nach Bergdorf. Kurz vor der Ortsgrenze schaltete ich den Funk wieder ein und so war es dann möglich, als uns Werner Schulte auf seinen Wagen Nummer 1 kurz darauf begegnete, das ich den folgenden Funkspruch empfangen konnte: „Schulte 3. Bist du wieder im Land? Wirst du gleich frei oder dauert es noch ein Weilchen?“. Darauf funkte ich dann zurück: „Jau, ich kann mich gleich frei melden.“. Worauf dann „Ist ja prima, dann mache ich jetzt, wenn ich frei bin Schluss für heute und beteilige mich noch ein Wenig beim Matratzenhorchdienst. Und noch schöne Grüße an Frau Berghoff-Klettner.“. Zirka 5 Minuten später durfte ich dann noch mal kräftig mit meinem Fahrgast knutschen und war dann wirklich im Sinne des Fahrgastgeschäfts frei. Zwischen Eins und Zwei hatte ich noch drei kurze Fahrten. Es galt Schluckspechte von der Kneipe nach Hause zu befördern und stand mir dann bis zum Dienstschluss um 6 Uhr am Morgen auf dem Taxistand ein paar Pinne in den Bauch. Da hatte ich Gelegenheit auch über den Abend nachzudenken. Und siehe da, da war kaum noch was von Gewissensbissen zu spüren sondern es hatte mir sonderbarer Weise sogar irgendwo gefallen.
Schach am Abend, matt am Morgen In den Tagen nach meinem abenteuerlichen Ausflug mit Taxi- und Waldbodensex bis zu jenem projektierten Schachabend mit Big Klettner verliefen für den Pleitier und Taxidriver Peter Schröder, also für meines Vaters einzigen Sohn, im üblichen Rahmen ab. Meiner „Holden“ hatte ich im Beisein von Christina tatsächlich den Bären mit der „privaten Krankenfahrt“ nach München aufbinden können. Weil ich mir selbst in meinem Bewusstsein nicht ganz sicher war hatte ich alles im Konjunktiv gehalten, so dass ich ohne Gesichtsverlust einen Rückzug sowohl meiner- wie marianneseits hätte erklären können. Auch unser Töchterchen Tina schenkte offensichtlich der Lüge glauben, denn ihre einzige entsprechende Reaktion war, als wir mal alleine in unserem Wohnzimmer waren, eine gutgemeinte Warnung: „Papi pass auf, Frau Berghoff-Klettner ist nicht ganz kosha wenn sie mit Kerlen alleine ist ... aber sonst ist sie ganz in Ordnung.“. Mit Marianne selbst hatte ich nur noch einmal, am folgenden Freitag, Kontakt, das heißt, ich musste sie noch einmal fahren. Diesmal bekam ich die Fahrt aber nicht mit „Schulte 3, Mariandel möchte fahren“ sondern als ich zur Freitagsschicht antrat erfuhr ich von der Zentralisten: „Du kannst gleich eine Vorbestellung beim Salon Dagmar aufnehmen. Frau Klettner hat dich ausdrücklich gewünscht. ... Die mag dich wohl.“. Also holte ich sie bei ihrer Frisöse ab. Das ist zunächst nichts besonderes, denn ein bis zwei Mal in der Woche ließ sie sich von dort abholen. Na ja, wer es sich leisten kann und nichts anderes zu tun hat, kommt schon mal diesbezüglich in Übertreibung. Neu war nur, dass sie jetzt einen bestimmten Fahrer haben wollte, denn diese Marotte, die sich hinsichtlich Anschlussfahrten immer sehr ungünstig darstellen, war ihr eigentlich nicht zu eigen. Diesmal hatte sie ja auch einen erklärlichen Grund dafür: Sie wollte die Gelegenheit nutzen um nachzuhorchen, ob mit Sonntag alles klar sei und sie instruierte mich noch, pünktlich um 19:30 Uhr auf der Matte zu stehen. Nicht eine Minute eher und nicht eine Minute später; exakte Pünktlichkeit sei ein Tick ihres Mannes. Ansonsten war für diese Taxifahrt nur das Geknutschte beim Aussteigen unüblich. Den Sonntag erlebte ich dann tagsüber in einem Wechselbad aller möglichen Gefühle, während denen ich mich äußerlich gelassen geben musste. Einmal marterte mich mein schlechtes Gewissen, ein anderes Mal war es so eine erwartungsfrohe Erregung und dann war da noch eine unerklärbare Angst. So beteiligte ich mich auch nicht ausreichend intensiv am Familienleben wie es Sonntags, wenn alle Zuhause sind üblich sein sollte. So gab ich dann die Ausrede, das ich mich vor der längeren Nachtfahrt noch ein Wenig ausruhen wolle, vor um mich durch auf der Couch liegender und schlafend stellender Weise dem innerfamiliären Geschehen weitgehenst zu entziehen. Während ich die Couch belagerte gesellten sich zu den, durch mein Gewissen bedingten Gefühlen auch die erotisch bedingten. Ich stellte mir doch einige Situationen, die sich laut meiner Fantasie, in der kommenden Nacht ereignen könnten vor, was seltsamer Weise dann auch dazu führte, das ich paradoxer Weise, zeitweilig sogar sehr stark, nach Katharina begehrte. Kurz vor Sieben war es dann soweit, dass ich mich zu Fuß in Richtung der Klettner-Villa auf dem Weg machte. Auf dem Weg begleitete mich die Angst. Angst vor einer Demütigung die man mir eventuell zu ziehen wollte. Angst davor, dass ich diversen Erwartungshaltungen nicht entsprechen könnte. Angst davor dass meine Familie davon erfahren könnte. Angst vor Klettner, der statt Schach dann ganz was anderes mit mir spielen könnte. Angst vor mir selbst – und dieses aus diversen Gründen. Trotzdem trugen mich meine Füße rasch voran und ich stand schon um 19:21 Uhr vor dem Tor in der, dem Villagrundstück umgebenden Mauer. Bewusst des Hinweises, dass der Millionär einen akribischen Pünktlichkeitstick hat, ging ich erst mal für genau vier Minuten weiter um dann im gleichen Tempo zurückzukehren. So war es dann tatsächlich Punkt halb Acht als ich den Klingelknopf in der Mauer betätigte. „Ja bitte“, ertönte eine mir bis jetzt unbekannte weibliche Stimme auf der ich mich mit „Schröder, ich habe um 19:30 Uhr ein Termin mit Herrn Klettner“ meldete. Nachdem mir durch Summen signalisiert war, dass ich das Tor aufdrücken könne, dieses auch machte und eingetreten war, konnte ich sehen, dass die, etwa 30 m entfernte, Haustür geöffnet war und eine junge Dame, die offenbar mit mir zuvor via Gegensprechanlage konferiert hatte, heraustrat. Diese junge Dame war etwa im Alter meiner Tochter und diente im Haus Klettner als Haus- und, wie ich schon kurze Zeit später wusste, Lustmädchen für bestimmte ausgewählte Gäste des Herrn. Außer ihr gab es zu diesem Zeitpunkt noch einen Chauffeur und eine Köchin im Dienste der Herrschaften; letztere jedoch ausschließlich für das wofür sie eingestellt waren. Als ich dann direkt vor ihr stand reichte sie mir ihre Hand: „Hei Pepe, ich bin Verena. Wir sind ja jetzt Kollegen. Dann auf gute Zusammenarbeit. Der Alte erwartet dich im Esszimmer.“. Aus der Tatsache, das Verena bereits informiert war, konnte ich schließen, dass meine weitere Laufbahn in diesem Hause bereits beschlossene Sache war. Dieses war mir dann, als ich im Esszimmer begrüßt worden war, dann auch 100%-ig gewiss. Sowohl Klettner wie Marianne begrüßten mich höflich aber ohne jede Anzeichen von menschlicher Regung in korrekter Abendgarderobe. Er sprach mich korrekt mit „Herr Klettner“ und sie mit „Peter“ an; der Kosename Pepe war wohl jetzt nicht opportun. Der Tisch war bereits wie im Lehrbuch für Hotelfachkräfte vorgeschrieben gedeckt. Nachdem Verena die Anweisung erhalten hatte uns den Begrüßungscocktail zu servieren und wir am Tisch platz genommen hatten, kam Klettner mit einer technokratischen Kälte, wie ich sie noch nie erlebt hatte, zur Sache: „Herr Klettner, sie haben ja bereits mit meiner Gemahlin alles aushandeln können. Sie werden als ihr Fahrer, also insbesondere für meine Gattin, in unsere Dienste treten. Darüber hinaus werden sie mich bei ihr in Sachen ehelicher Verpflichtungen vertreten. Ich bedauere es zwar aber
ich finde kein Vergnügen an solchen urmenschlichen Trieben, aber meine Gattin ist wohl doch darauf angewiesen. Dieses setzt natürlich im beidseitigen Interesse Diskretion voraus. Damit ihnen dieses etwas leichter fällt, werde ich sie, obwohl ich sie als 630-Marks-Kraft verbuche, mit 5.000 Mark monatlich, Brutto für Netto entlohnen. Sollten sie aber glauben, sie könnten diese Vereinbarung unterlaufen, muss ich sie darauf aufmerksam machen, dass so etwas sehr unangenehme juristische Konsequenzen für sie haben könnte.“. Währenddessen war das Hausmädchen mit den Cocktails eingetreten und er hatte unbekümmert weiter gesprochen, was mir doch irgendwo peinlich ankam. Ich weiß nicht ob er das bemerkt hat aber er wendet sich dann zunächst an diese: „Verena, sie haben gehört, dass sie beide hier zu den gleichen Konditionen beschäftigt sind. Was sie für meine männliche Gäste darstellen, verkörpert Herr Schröder bei meiner Gemahlin. Dazu für sie der Hinweis: Herr Schröder ist für sie tabu und das gleiche gilt auch umgekehrt, es sei denn sie würden von meiner Gattin eine andere Anweisung erhalten.“. „Selbstverständlich, Herr Klettner. ... Soll ich jetzt mit dem Servieren beginnen.“, antwortete die Angesprochene. Und nach dem er mit „Ich bitte darum“ die Frage bejahte verschwand sie einstweilen aus dem Zimmer. Nun war ich wieder das Ziel seiner Ansprache: „Herr Schröder, ihnen wird noch eine weitere Aufgabe, die ich ihnen aber nicht gesondert in Bar entlohne, zu Teil. Ich zerstreue mich gerne bei einer Partie Schach und da sie sich auch bei der Königin der Unterhaltung auskennen, gehört es zu ihren Obliegenheiten mir als Partner zur Verfügung stehen. Da ich grundsätzlich eine kultivierte Atmosphäre schätze, räume ich ihnen gegenüber dem anderen Personal das Privileg ein, vor einem Schachabend mit uns zu dinieren.“. So hochnäsig und borniert hatte mich bisher noch niemand behandelte. Was für ein Überwesen glaubte denn dieser Klettner zu sein. Aus meiner Sicht zeigte er durch Hoffärtigkeit welches armseliges „Würstchen“ er in Wirklichkeit ist. Diese alles kam bei mir als eine brutale Direktheit herüber und die geringe Wertschätzung, die er mir entgegenbrachte, war unverkennbar. Trotz alle diesem erschien mir das Ganze wie eine Art Traumjob und stimmte dann auch ohne tiefere Überlegung zu. Allerdings hatte dieses seine Wirkung nicht verfehlt. Während des, etwa eine dreiviertel Stunde andauernden, sehr höfisch steif ablaufenden Essens, wagte ich selbst kein Thema anzusprechen und quittierte, immer nur in dem Fall wenn ich gefragt wurde, alle Dinge mit „Ja“ und „Amen“, obwohl ich meist anderer Ansicht wie der „hohe“ Herr war. Erst beim Abschlussaperitif meldet sich auch Marianne noch mal zur Sache: „Peter, wir haben über alles, nur nicht über dein Antrittsdatum gesprochen. Wegen meiner kann es Morgen in einer Woche, dann habe ich mich vom Klinikaufenthalt erholt und du hattest noch mal ein freies Wochenende, losgehen. Das ist zwar der Zwanzigste aber mein Gatte wird dir trotzdem den halben Monat entlohnen. ... Und die 200 Mark, die du morgen deiner Gattin vorlegst, sind außer der Reihe. So musst du morgen nur Herrn Schulte mitteilen, dass wir dich abgeworben haben.“. Sie sprach in so einem nüchtern Geschäftston, dass nichts darauf hindeutete, das ich mit der Dame anschließend noch eine flotte Nacht verbringen sollte. Gemeinsam mit dem Hausherrn begab ich mich dann für die folgenden zwei Stunden in sein Heiligtum, in dem ein sehr teueres Schachspiel mit handgeschnitzten Elfenbeinfiguren aufgebaut war und dort hatte ich drei sehr schwierige Partien, von der ich eine - die zweite - auch gewann, zu überstehen. Eine Unterhaltung, weder privat noch allgemein, kam nicht auf. Alles was gesprochen wurde bezog sich auf das jeweils laufende Spiel. Trotzdem konnte ich meinen Gastgeber genauestens kennen lernen. Offensichtlich drehte sich alles in seinem Hirn um Strategie. Gleichgültig ob sich dieses im Geschäft, im Privatbereich oder wie hier beim Schach abspielt. Strategie ist bei ihm eine hochgradige Sucht bei der er offensichtlich alle Formen menschlichen Lebens vergisst. Keine Gemütsregung, keine Empfindungen sind ihm anzumerken. Stets äußert er sich aristokratisch höfflich, kein menschlicher Unterton. Seine Bewegungen sind ausschließlich wohl überlegt und kontrolliert, seine Körpersprache verrät nichts von seinem Innenleben. So war er nicht nur an diesem Abend sondern ich habe ihn nie anders kennen gelernt. Sollte ich ihn mit kurzen Worten beschreiben, würde ich von einem gutfunktionierenden und dabei geschäftlich erfolgreichen Roboter sprechen. Also für mich wäre das nichts, dafür lebe ich zu gerne. Nach der dritten Partie betätigte der Hausherr den, offensichtlich für das Hausmädchen bestimmte Rufknopf. Aber nicht diese sondern seine Gattin erschien daraufhin: „Ich habe Verena schon um 21 Uhr freigegeben. Es war doch richtig, dass sie jetzt bis Freitag frei hat?“. „Ja, schon in Ordnung.“, erwiderte der Hausherr, „Ich wollte mich jetzt auch zur Ruhe begeben und überlasse dir jetzt Herrn Schröder. ... Es hat mich übrigens sehr gefreut, Herr Schröder. Sie sind ein vorzüglicher Schachspieler und ich sehe gerne unseren weiteren Partien entgegen.“. Marianne hakte sich bei mir ein und führte mich aus dem Zimmer heraus. Auf dem Flur verriet sie mir: „Du musst wirklich im Schach was drauf haben, Pepe, denn bei Hannsfrieder musst du wirklich schon fantastische Leistungen erbringen, bevor du ein Lob von ihm ernten kannst. Du machst wohl bei ihm eine Blitzstartkarriere.“. Und im Anschluss konnte ich das erste Lachen dieses Abends vernehmen. Marianne, die mir bis jetzt wie ein dressierter Zubehör erschien war auf einmal wieder das lockere Wesen, das ich vom Taxikutschen kannte. Auch als wir in ihr Zimmer traten, erschien mir eine umgekrempelte Welt. Alles im Haus wirkte seriös, steril und mit Millimetermaß und Wasserwaage aufgestellt. Ihr Zimmer erweckte auf Anhieb einen hellen lebensfrohen Eindruck. Ganz automatisch atmete ich mal kräftig durch. Und diese Luftholphase war noch nicht vollendens abgeschlossen als mir Marianne aufgelockert wie ein junges Mädchen um den Hals fiel und mir erst mal innige Küsse abverlangte. Eine so offensichtliche Schizophrenie wie in diesem Hause hatte ich bis zu jenem Abend noch nicht erlebt. Bis zum Eintritt
in dieses Zimmer empfand ich alles steif am Leben vorbeimarschierend; ein Museum für „modern life style“ und gleich hinter der Tür erfreuliches menschliches Leben. Und die Dame des Hauses verhielt sich entsprechend der Umgebung. Vor der Tür war sie die abgerichtete Herrin und hier im Inneren eine lebensfrohe Frau. „Ich liebe dich mein, Peterchen.“, tönte sie jetzt fröhlich klingend, „wäre ich nicht Marianne Berghoff-Klettner würde ich dich gleich bei deinem Weibchen ausspannen. Als du mich das erste Mal gefahren hast war ich gleich in dich verschossen. Es war Liebe auf den ersten Blick und ich wollte dich einfach haben. Und was Mariandel haben will, das kriegt sie auch.“. Jetzt hatte ich erstmalig mitbekommen, das Mariandel nicht nur ein Spitzname aus dem Milieu der Taxidriver war sondern ein Kosename der ihr bekannt war und von ihr auch akzeptiert wurde. Auf einmal spürte ich meine Sucht, ich verspürte Lungenschmacht. Obwohl ich in der Regel stündlich mindestens eine Zigarette rauche, hatte ich heute den ganzen Abend nicht geraucht. Der ganze entfremdete Flair hatte sogar meine Abhängigkeit vorrübergehend unterdrückt. Wie hatte ich das nur geschafft, drei harte Partien Schach ohne eine einziges Mal die Lunge zu teeren zu überstehen. Sonst zeigen sich bei mir unter diesen Voraussetzungen Konzentrationsschwächen und teilweise zittern sogar die Hände – und jetzt hatte ich alles problemlos überstanden. Zum ersten Mal war ich froh darüber, der kleine Pleitiers Pepe Schröder zu sein, den es vergönnt war leben zu dürfen. Um nichts in der Welt hätte ich mit dem Toppmann Klettner tauschen mögen. Also fragte ich jetzt, vielleicht etwas schüchtern klingend: „Mariandel, ich möchte mir erst mal richtig eine rauchen, meine Lunge geht schon auf Grundeis.“. „Na dann mal los, gib mir auch eine.“, tönte sie frohgemut zurück. Als ich ihr dann aber meine Packung Gauloises hinhielt, um ihr daraus eine Zigarette anzubieten, erklang entsetzt aus ihrem Munde: „Au weia, die Blauen. Die Torpedos sind doch zu hart für mich. Da nehme ich doch lieber meine eigenen.“. Und mit diesen Worten ging sie zu einem Sideboard um sich daraus eine Zigarette ihrer eigenen Marke zu holen. Nachdem wir uns unsere Glimmstängel angezündet hatten setzte sie sich mir gegenüber in ein Sessel. Ihr linkes Bein war in der Nähe der linken Lehne und das andere Bein klinkte sie über die rechte. Dank des hochgerutschten Rockes fiel genügend Licht zwischen ihre Schenkel, so dass ich rechts und links des Teils ihres Slippers, der die „Seligkeit“ abdeckte, einen Teil ihrer Schamhaare hervorlugen sah. Wenn ich bis jetzt den Zweck meines jetzigen Aufenthaltes in diesem Hause vergessen hätte, wäre ich wohl jetzt mit Macht daran erinnert worden. Ihrer Reaktion war zu entnehmen, das ihr das bewusst und gewollt war: „Schöne Aus ... ach besser Einsichten, nicht wahr? Am Dienstag hast du ja mitgekriegt, das ich immer erst auf so ein Bisschen warm laufen stehe. Da können wir ja schon mal damit anfangen. Aber dann bist du dran ... dann wird es heiß. Ich habe erstens ein Wenig Nachholbedarf und zweitens eine Fastenwoche vor mir. Daher werde ich dich heute Nacht ganz schön rannehmen. Heute Abend hast du Schach gespielt und morgen früh bis du matt. ... Aber habe mal keine Angst kleiner Pepe, das machen wir nicht immer so. Zwei oder drei Mal die Woche einmal richtig soll dann, wenn der erste Druck raus ist, genügen. Du musst ja auch noch zu Hause rann, sonst schöpft deine Katharina bestimmt Verdacht.“. Jetzt zog sie zwei Mal an ihrer Zigarette und setzte mit jetzt erotisch zitternder Stimme fort: „Wie macht ihr das denn so? ... Oder willst du nicht darüber sprechen?“. Das hatte ich schon am Dienstag gemerkt, dass sie sich gerne mit erotischen Reden und Berichten einstimmen lässt. Da ich aber auch eine diesbezügliche Vorliebe hatte, ließ ich mich verleiten und plauderte prompt, entgegen den Thesen aus der Gentlemanschule, frisch aus dem Schlafzimmer. Und sie revanchierte sich mit einem Bericht, wie sie ein paar Wochen zuvor vergeblich versucht hat, bei ihrem Gatten was zum Stehen zu bringen. Aber auch hier waren ihre Worte doch so gewählt, dass man ihnen keine Diffamierung hätte entnehmen können. Jetzt ist es für mich mal wieder an der Zeit, mich von der Ausführlichkeit zu verabschieden. Den Rest der Nacht erledige ich jetzt mal im oberflächlichen Schnelldurchgang. Wir waren etwa eine halbe Stunde in ihrem Zimmer zusammen als es erstmalig richtig zur Sache ging. Und dieses wiederholte sich dann im Stundentakt bis zirka 4:00 Uhr morgens. Ich hatte noch nie im Leben so oft hintereinander das Vergnügen und war daher hinsichtlich meiner Potenz selbst sehr überrascht. Offensichtlich spielten die geilen Reden und das Bewusstsein des Abenteuerlichen bei diesen Fähigkeiten eine große Rolle. Eine solche Nacht wiederholte sich auch nicht mehr. Auch der Hauch von Abenteuer verschwand zunehmenst und es erschien von mal zu mal normaler. Letztlich war es, wenn wir uns gemeinsam ins Bett begaben, nicht anders als lebten wir in einer alltäglichen Ehe. Wenn man mich jetzt im Nachhinein fragt, ob ich die Angelegenheit diesbezüglich für etwas Besonderes in meinem Leben erachte, muss ich eindeutig „Nein“ sagen, es ist auf keinen Fall einer Wiederholung wert. Wie bereits erwähnt schliefen wir gegen Vier, körperlich ermattet und in der Begierde befriedigt, tief und fest ein. Richtig hart empfanden wir dann auch um halb Acht das harte Türklopfen der Köchin, die dann durch die Tür rief: „Frau Berghoff-Klettner, ich sollte sie jetzt wecken.“. Zunächst wandte sich Marianne leise flüsternd an mich, der jetzt auch damit kämpfte die Augen auf zu bekommen, „So eine Scheiße“ und dann laut in Richtung Tür: „Ja Danke, Frau Neuhoff“. Danach erhob sie sich und stolzierte, so nackt wie sie war, in Richtung einer Seitentür, der ich bis jetzt noch keine Beachtung geschenkt hatte. Sie hatte die Klinke schon in der Hand als sie sich mir nochmals zuwandte und fragte: „Wollen wir gemeinsam duschen?“. Damit begann der sinnlichen Erotik letzter Teil für diese Wochenende. Wir wuschen uns gegenseitig mit den blanken Händen ganzkörperlich. Und der Rest war dann im Grunde normaler Alltag: Restliche Körperhygiene – jeder für sich, ankleiden und dann bestellte Marianne bei der Köchin das Frühstück auf ihr Zimmer. Den Zimmerservice erklärte sie mit einen im Hause Klettner typischen Grund: „Ich kann mich jetzt unten zu
meinem Mann setzen oder hier frühstücken. ... Ihm ist es egal. Aber gegenüber zu gestern Abend als du sein Schachpartner warst, bist du jetzt Personal. Dich würde er jetzt am Tisch nicht mehr dulden. Damit du nicht mit leeren Magen heimziehen musst, frühstücke ich jetzt mit dir hier.“. Na ja, es kann ja nicht jeder an des Herrn Tisch Platz nehmen; das wäre ja zu menschlich. Ziemlich zum Schluss des Frühstücks legte mir meine „Geliebte“ zwei Hundertmarkscheine auf den Tisch: „Versteh es nicht falsch mein Schatz, ich will dich nicht für deine Liebesdienste honorieren. Du bist mir viel mehr wert wie ein Callboy. Ich liebe dich wirklich ... das kannst du mir wirklich glauben. Aber genauso Wenig wie ich auf das Leben, das mir Hannsfrieder bietet, verzichten möchte, kann ich von dir verlangen, dass du deine Familie aufgibst. Und genau aus diesem Grunde brauchst du die Kröten als Alibi. Für mich bedeutet Geld überhaupt nichts. Hauptsache es ist da, wenn ich es brauche ... und das ist hier der Fall. Ich brauche um nichts zu kämpfen; es ist einfach da.“. „Ist schon klar, Mäuschen“, bestätigte ich und steckte die Scheine, noch nicht mal mit schlechtem Gewissen ein. Auch für mich hatte das Geld in seinem Ansehen unter meinem Schuldnerdasein verloren. Wenn mir jemand was von tollen Anlagen oder Alterssicherung erzählt, ist es stets meiner Höflichkeit zu verdanken, dass ich ihn nicht als Spinner abtue. Ich stelle immer fest, dass Geld mir kein Quäntchen mehr Lebensqualität geben kann – mein Kontrakt mit Mephisto ist erloschen. Aber im Gegensatz zu Marianne muss ich dem Gott Mammon noch kämpferische Aufmerksamkeit schenken; ich brauche dieses Geld genannte Tauschhilfsmittel zum Überleben und Dabeisein. Aber insbesondere nach dem ich diesen Humanoiden Klettner näher kennen gelernt habe sage ich immer: „Armer reicher Mann, gut das mir ein solches Schicksal erspart geblieben ist.“. Nach dem Frühstück trabte ich heimwärts und war nach dem Betreten der Wohnung alleine. Katharina war im Kindergarten, Christina im Krankenhaus und Thomas bei der Bundeswehr. Was sollte ich da anderes machen als mich schlafen zu legen. Ich war offensichtlich doch total ermattet und schlief fest bis zirka halb Fünf am Nachmittag. Sowohl meine Frau wie unsere Tochter waren bereits vom Dienst zurück als ich mich wieder unter den Wachen zurückmeldete. Ich nutzte dann die Zeit eines Nachmittagskaffees, den Katha gekocht hatte und mit Gebäck servierte, um ihnen die Kunde von meinem neuen Job, den ich ab 20. Juli antreten würde, „unterzujubeln“. Beide nahmen es mit Freuden zur Kenntnis. Nur Christina nutzte die Zeit, als Katharina mal kurz raus war, um ihren Verdacht loszuwerden: „Ich kenne Marianne ja ganz gut. ... Das beruht glaube ich auf Gegenseitigkeit. Ich glaube, dass ihr nicht nur zusammen ins Auto steigt. Aber was ich nicht weiß macht mich nicht heiß. ... Dazu habe ich auch kein Recht. Wenn du aber Mama wehtust, dann triffst du auch mich.“. Ich sagte nichts aber ich hatte verstanden. Um Sechs, wo ich wieder meinen Taxidienst antreten „musste“, wartete eine weitere unangenehme Angelegenheit auf mich: Ich musste Werner Schulte unterbreiten, dass ich ab der Folgewoche nicht mehr in seinen Diensten zu stehen gedachte. Auch in dieser Angelegenheit war Marianne in konsequenter Ausführung ihres Planes bereits tätig gewesen. Als ich pünktlich um 18 Uhr in der Zentrale zum Schichtwechsel erschien begrüßte mich Schulte: „Hallo Pepe, ich habe gehört, das mir ein guter Fahrer und eine gute Kundin gleichzeitig untreu werden wollen. Als ich am Samstagmorgen Frau Berghoff-Klettner gefahren habe beichtete sie mir doch glatt, dass ihr Mann ihr jetzt einen eigenen Chauffeur spendieren wolle und sie mir zu dem Zweck meinen besten Mann abwerben wolle. ... Na, war sie erfolgreich?“. Jetzt fiel mir dann doch einiges leichter: „Bitte entschuldige Werner, dass kam auch für mich ein Bisschen schnell und überraschend. Da hat sie letzten Dienstag, als ich sie ins Seeblick nach Waldstadt gefahren habe, mit angefangen ... und für mich springt bei leichterer Arbeit ein Tacken mehr bei raus. Nächsten Montag fange ich an.“. „Alles klar, Pepe, ich bin bestimmt der Letzte, der dir im Wege stehen würde.“, kam jetzt väterlich fürsorglich aus Werner Schulte heraus, „Nur eine dicke Bitte habe ich noch. Ich kann natürlich nicht ad hoc alles umorganisieren. Würdest du mir denn in dieser Woche noch in alter Frische zur Verfügung stehen.“. „Genau das hatte ich vor.“, konnte ich ihm ehrlich verkünden. Jetzt waren alle Dinge geregelt und die letzte Woche meines Taxifahrerdaseins war angebrochen. Letzte Woche im wahrsten Sinne des Wortes, denn ich werde freiwillig nie mehr im Leben das Lenkrad eines Taxis in die Hand nehmen.
Zum Kapitel 4
Zum Inhaltsverzeichnis
Kann man im Golden Käfig leben? Wovon hatte ich eigentlich geträumt als ich den Job im Hause Klettner annahm? Na, meine Vorstellungen vom Leben unterscheiden sich wohl nicht von der, wie sie der überwiegende Teil der Menschheit hat: Ich arbeite um zu Leben. Und dabei verdränge ich, wie die anderen auch, dass die Leute, die überflüssig viel Geld haben und sich damit die Macht kaufen können, die Aussage umgekehrt haben. Die humanoide Elite verkehrte diese in: Die Masse lebt um zu arbeiten. Arbeitslosigkeit lässt sich dadurch abbauen, wenn die Nichtbesitzenden erkennen, dass der Mensch vom Brot und vom Wasser allein leben kann. Wenn der „Mob“ bereit ist für Sklavenlohn Frondienste zu leisten, geht es der Wirtschaft gut, was heute nur noch an Aktienkursen und Unternehmenserfolgen und nicht mehr, wie richtig wäre, am Wohlergehen des Volkes gemessen wird. Schließlich ist die Wirtschaft für den Menschen da und nicht umgekehrt. Und der „Sozialabfall“, der sich nicht als Stiefelknecht oder Kofferträger einordnen lassen will, gehört halt zu den Drückebergern, die sich im großlöcherigen sozialen Netz schaukeln. Wie wäre es mal mit geregelten Arbeitsplätzen mit menschenwürdiger Entlohnung. Bekommt zwar den Aktienkursen nicht so gut, trägt aber enorm zum sozialen Frieden bei. Was die Entlohnung anging, konnte ich mich in meinem Fall nicht beschweren. Die war ja nun, abgesehen von der gemeinschaftsschädlichen Art und Weise, die allerdings von mir nicht nur toleriert sondern in meiner Situation als Pleitier in dieser Form sogar gewünscht war, auch mehr als angemessen. Der Betrag, den ich bar auf den Tisch legen konnte, überstieg sehr deutlich den Betrag, der bei meiner Frau von ihrer „ehrlichen“ Tätigkeit als stellvertretende Kindergartenleiterin übrig blieb. Dieses jedoch nicht aus dem Grunde weil ich als Fahrer eine gelangweilte Millionärsgattin durch die Landschaft gondelte sondern weil ich ihr bei jeder ihr passenden Gelegenheit als Lustknabe zur Verfügung zu stehen hatte. Das ist menschlich auch kein erhabenes Gefühl, wenn man sich bewusst ist ein Liebesdiener zu sein. Liebe, Sex und Eros werden zur käuflichen Ware – und diese Ware ist man selbst; kein Mensch mehr sondern man ist Objekt. Aber gibt es da in den Köpfen diverser Geldmenschen Unterschiede zwischen Nutten und Hurenböcken, sowie ich jetzt einer war, und „normalen“ Arbeitnehmer. In deren Köpfe handelt es sich bei Lohnabhängigen ja nicht um Menschen sondern um Objekte, die man unter dem Sammelbegriff „Faktor Arbeit“ zusammenfasst werden. Kostenfaktoren ohne Anspruch auf persönliche Entfaltung, ohne Recht auf eine eigene Lebensgestaltung. Die will man heuern und feuern können. Den will man nur so viel vom Ertrag mitgeben, das sie physisch als Faktor Arbeit, als Rädchen im Getriebe der Wirtschaft, funktionabel bleiben. Woher hat ein Nichtbesitzender eigentlich das Recht auf Menschenwürde? Zwar fühlte ich mich damals in dieser Richtung gedemütigt aber es war, weil ich dieses Schicksal offenbar mit der Mehrheit teile, nicht der Hauptgrund meine Unmutes. Der fußte viel mehr in meiner, von der Langweile der Marianne Berghoff-Klettner abhängigen Arbeitszeit und der „Von-Oben-Herab-Behandlung“ nicht nur ihres Ehegattens sondern von allen, die mit ihm zutun hatten. Insbesondere die Arbeitszeit wirkte sich auf mich zerstörerisch aus. Wenn ich mir das vorher richtig überlegt hätte, wäre mir klar gewesen, das man einen Herren- oder Damenfahrer nur dann gebrauchen kann, wenn man Aufgaben zu erledigen hat oder wenn die Herrschaften am gesellschaftlichen Leben teilhaben wollen. Aufgaben hatte eine Marianne Berghoff-Klettner, ein Vögelchen im Goldenen Käfig, so gut wie keine. Und wenn, dann bestand diese aus der repräsentativer Begleitung ihres Mannes und da war meist nicht ich, der Damenfahrer, sondern mein Kollege, der Herrenfahrer, zuständig. Dagegen findet die Teilhabe am Gesellschaftsleben meist immer dann statt, wenn die allermeisten Leute nicht durch Aufgaben, sprich durch Arbeit, verhindert sind. So kam es dann, das zu den Zeiten wo meine Familie, hier insbesondere Katharina, Thomas war ja beim Bund und Christina bei ihrem Serret, ihren geregelten Arbeiten nachkamen, ich in Klettnerdiensten nur sporadisch benötigt wurde. Des Abends und am Wochenende, also die Zeit, die ich mir besser mit meiner Frau vorstellen konnte, war ich dann nach den Gelüsten meiner Herrin fast vollkommen ausgebucht. Letztendlich traf ich meine Frau immer nur kurz in der Wohnung oder rein zufällig. Mit der Annahme dieses Jobs hatte ich mein Familienleben gänzlich verkauft. Dieses war ja auch zum Teil vorher, bei der nächtlichen Taxikutscherei, der Fall aber da hatte ich immerhin noch das Wochenende als etwas größeren Strohhalm. Werktags über den Tag benötigte Marianne meine Fahrbereitschaft zu Arztterminen, Frisör- beziehungsweise Boutiquebesuchen und anderen meist sporadischen Angelegenheiten, die ihr mal spontan einfielen und mal kurz vorher vereinbart waren. Bei Spontaneinfällen rief sie mich zu Hause an und ansonsten begab ich mich logischer Weise zum verabredeten Termin zur Villa Klettner. Es gab Wochen, wo ich tagsüber nur an einen oder zwei Tagen benötigt wurde und andere, wo ich Tag für Tag antreten musste. Die Tagschichten waren es dann, wo ich auch bezüglich der anderen Sache, weswegen ich „angestellt“ war, aktiv werden musste. Es ging schon am ersten Tag meines Klettner-Kuli-Daseins, also am 20. Juli 1998, los. Marianne hatte erst einen Arzttermin und anschließend ging sie in einer Boutique shoppen. Schon auf der „Heimfahrt“ schilderte sie mir die Raffinessen der Dessous die sie eingekauft hatte. Das Bemerkenswerte war allerdings, das sie sich diese nicht für sich selbst zugelegt hatte, sondern diese waren für das Hausmädchen Verena bestimmt. Und dazu wollte sie dann meine Meinung aus männlicher Sicht hören und deshalb sollte ich diese Sachen dann am Körper der Empfängerin begutachten. Sie hatte sich dieses als die von ihr geliebte Warmlaufphase ausgedacht. Als wir in ihrer heimischen Villa eingetrudelt waren bekam ich im Wohnzimmer meinen Platz auf der Couch zugewiesen. Ganz kurz verschwand
Marianne aus dem Raum und als sie wieder kam nahm sie ganz dicht neben mir Platz. Ihren rechten Arm legte sie um meinen Hals auf meine Schultern und ihre linke Hand legte sich auf eine Ausbeulung bei meinen Jeans. Und jetzt ging es los. Verena stolzierte, nur mit durchsichtiger Reizwäsche bekleidet herein und musste sich nach den Anweisungen Mariannes im Raume bewegen und sich praktisch vor mir exhibitionieren. Was sie auch in offensichtlich gewohnter Gelassenheit tat. Und zwischendurch kommentierte die Dame des Hauses was sie mit ihrer linken Hand zu spüren glaubte. So wurden uns dann nacheinander auch noch die fünf weiteren Garnitur, die Marianne erstanden hatte, vorgeführt. Nach der sechsten und letzten Vorführung begann Marianne mich langsam auszukleiden. Das Hausmädchen wurde erst zum Zeitpunkt, als ich bloß allem Textil im Raume stand, entlassen. Als Verena gerade den Raum verlassen hatte, entblößte sich auch Marianne blitzartig und wir trieben es zur Abwechselung mal auf den Teppich. Danach wurde ich dann, als wäre nichts Besonderes gewesen, bis zum Abend „beurlaubt“. Dieses habe ich jetzt mal ausführlich beschrieben, um zu zeigen, auf welcher Ebene sich so der Tag abspielte. Ich fungierte als Exklusivtaxifahrer und wenn ich schon mal da war, wurde ich zum Ausleben der erotischen Fantasien der Herrin gebraucht. Nicht selten wurde dabei auch Verena mit ins Geschehen mit einbezogen. Mal musste sie uns bedienen wenn wir es in der Badewanne trieben und ein anderes Mal musste sie uns, also Marianne und mich, ganzkörperlich mit einen kleinen Schwamm abwaschen. Im ersten Moment, im heißen Erosrausch, setzt in der Regel ja der Verstand aus aber jedes Mal danach empfand ich, wenn Verena einbezogen wurde, allertiefste Demütigung. Dieses war besonders schlimm, wenn mir das Alter des Mädchens bewusst wurde. Dann kam in mir immer die böse Vorstellung, es handele sich um meine eigene Tochter, auf und dann war ich immer fix und fertig. Schon nach kurzer Zeit war mir bewusst, dass es sich nicht, wie Marianne vorgab, um unbefriedigende Liebe seitens ihres Mannes und ihre Liebe zu mir handelt, sondern das es sich um das Vertreiben ihrer Langweile, zur Abwechselung mal auf prickelnde Art und Weise. Wäre es Liebe gewesen, dann hätte es keiner zuschauenden oder teilweise mitmischenden Verena bedurft. Liebenden kommt es darauf an, sich gegenseitig viel zu geben und nicht Spielchen unter der Regie eigener sexueller Fantasie zu treiben. Wäre es Liebe, käme ich ja auch mal zum Zuge, dann dürfte ich ja auch mal den Zeitpunkt anvisieren, dann dürfte ich ja auch mal Regie führen. Zärtlichkeit war bei ihr nur als Vorspiel, um die Erregungskurve hochzutreiben, opportun. Nie wurde ich von ihr nach meinen Wünschen und Vorstellungen gefragt, immer ordnete sie an, was abzulaufen hatte. Ganz eindeutig war ich für sie nur ein Objekt um ihre Langeweile zu vertreiben. Was sie sonst tagsüber trieb weiß nicht, da ich nach getanener Tat heimgeschickt wurde und dann auch immer brav abtrottete. Aber wie ihre Abende verliefen kann ich genauesten und detailliert beschreiben. Werktag für Werktag musste ich nachmittags zwischen Vier und Sechs antreten. Dann hatte ich immer erst so zwischen 100 und 300 Kilometer zu fahren. Ihr war es wichtig, das sie aus dem Kreis Neuhausen, wo sie viele Menschen kannten, heraus kam. Während der Fahrt unterhielt sie sich immer sehr kameradschaftlich mit mir, aber erotisch knisternd, wie damals bei der Taxifahrt nach Waldstadt, war es nie. Aber auch nicht persönlich verbindlich, wie es der Fall war, wenn ich mit Katharina unterwegs war. Unsere Gespräche waren eher mit der Kommunikation zwischen Taxifahrer und Fahrgast, den man zwar gut kennt aber zu dem man ansonsten keine nähere Beziehung hat, vergleichbar. Und die Gründe der Fahrten waren recht einfach und simpel, wie im richtigen Leben. Abseits von jeder Etikette wollte sie mal volkstümlich, in Imbissbuden oder Kneipen speisen. Da ging es dann um Currywurst mit Pommes, Döner Kebab, Gyros, Hamburger oder Zigeunerschnitzel. Dann ging es um Kinos mit ganz gewöhnlichen „Schinken“ im Programm oder um billige Varieteveranstaltungen. Wenn sich die Gelegenheit gab, gingen wir auf einen Jahrmarkt oder in einen Zirkus. Auch in Diskotheken für die reifere Jugend, die man auch „Ball der einsamen Herzen“ nennen könnte, begab sie sich mit mir. Dagegen waren Theater, Kabarett, Konzerte und Ausstellungen immer tabu, denn die hatte sie mit ihren Ehemann bei offiziellen Anlässen zu besuchen. Alles in Allem hatte alles nur ein Ziel und das war das Totschlagen von Zeit. Bei diesen Gelegenheiten war ich stets wie ein „alter“ Ehemann an ihrer Seite. Anders war das bei offiziellen Anlässen zu denen Frau Marianne Berghoff-Klettner als Gattin ihres Mannes eingeladen war oder zu denen sie von ihm beordert wurde. Anlässe zu denen sie ihrer selbst wegen eingeladen wurde oder zu die sie aus eigener Initiative erschien gab es nicht, wodurch sie wie ein Besitzstand, der bei Bedarf eingesetzt wurde, wirkte. Zu solchen Terminen war ich dann halt der Damenfahrer. Ich fuhr zu den Orten, wo diese Meetings stattfanden, fuhr dort vor und öffnete ihr selbstverständlich als wohlerzogener Büttel die Wagentür und nachdem sie ausgestiegen war begab ich mich, nachdem der Wagen auf seinen „Ehrenstellplatz“ geparkt war, entweder zu meines Gleichen oder hielt mich, wie es sich für niedriges Fußvolk gehört, mit gewisser Distanz beim allgemeine Fußvolk auf. Es kam ja darauf an, ob es ein Empfang war, bei denen auch andere sich für höher geboren haltende erschienen, oder ob ihr Mann sie mit der Schirmherrschaft von Jugendfußballturnieren oder ähnlichen Veranstaltungen beauftragt hatte. Bei letztgenannten Gelegenheiten war ich dann meist der einzigste Geldadelbedienstete und bewegte mich dann immer unauffällig unter dem gewöhnlichen Volk. Wenn wir zu offiziellen Terminen fuhren, kam es nur äußerst selten mal zu einer Unterhaltung. Meist saß die Dame neben mir und beschäftigte sich mit ihren Scripten, zum Beispiel mit der Liste der Leute die ihr über den Weg laufen könnten oder mit Notizen über den Veranstalter und/oder dem Anlass. Wenn sie mal bei einer Festivität ein paar Worte zu sprechen hatte, lass sie sich das, was ihr Mann vorgegeben hatte, zur Sicherheit noch drei Mal laut vor.
An Werktagen kam es höchst selten vor, dass Marianne zu solchen Sachen alleine dienstverpflichtet war. An diesen Tagen war sie immer nur das attraktive Anhängsel ihres Mannes. Im Grunde stellte sie an keinem Ort und zu keiner Zeit eine eigenständige Persönlichkeit da. Wenn sie an solchen Tagen als Toppmannanhang beordert war, hatte ich meist nur eine Zubringerfunktion, ich brachte sie lediglich an Orte, meistens zur Wolfhard AG, wo ihr Mann Vorstandsvorsitzender war, damit sie dort zusammen mit ihrem „Gebieter“ von meinem Kollegen, dem Herrenfahrer, aufgenommen werden konnte. Dafür waren der Samstag und der Sonntag von Vormittags bis zum Spätnachmittag voll von Damen-Solo-Terminen, zwischen denen es oft stressig wurde, denn mein Dienstherr hatte ja so einen Pünktlichkeitstick, dessen Beachtung auch zur Aufgabe der Dame, die er als Gattin engagiert hatte, gehörte. Auch der Samstagabend war immer mit offiziellen und halboffiziellen Anlässen gefüllt. Da zog es das Ehepaar Klettner mal ins Theater, mal ins Konzert, ein anderes Mal zu einer Ausstellung und zu Partys beziehungsweise Empfänge. Bei allen Dingen die außerhalb des Hauses stattfanden, war ich nur bei jedem zweiten Mal derjenige der daran glauben musste. Da hatte ich mich nämlich mit meinen Kollegen abzuwechseln. Dann fuhr ich auch nicht ihr rotes BMWCabriolet sondern des Herren Daimler aus der obersten Kategorie. Im Kulturfalle, also bei Theater, Konzert, Ausstellungen, hatte ich mich in Cafés, Kaffeestuben, Kantinen oder einem Bummel um vier Ecken aufzuhalten. Dieses beißt einen dann besonders, wenn einen das, was sich da vor den Augen der hochwohlgeborenen Herrschaft abläuft, auch persönlich interessiert. Aber welcher Geldprotz interessiert sich schon für die Menschen, die seine Koffer tragen. Und warum beschwere ich mich eigentlich? Ich habe doch Augen im Kopf und hätte so etwas aufgrund von Beobachtung am Rande von offiziellen Vorfahrten, wie man sie im Fernsehen sieht oder noch mehr aus persönlichen Miterleben, erahnen müsste. Man muss sich doch nur mal die Gesichter der Lakaien von Spitzenpromis merken, wenn man in der Tagesschau so eine Vorfahrshow sieht: Es sind immer die gleichen Wagenlenker, die da zu allen möglichen und unmöglichen Zeiten ihre Leutchen vorkutschen. Und dann muss man sich mal fragen, was die machen, wenn ihre Damen oder Herren da ihren „Oskar abturnen“. Na ja, auf so etwas achtet man als Betroffener; alle anderen achten dagegen doch in erster Linie nur auf den jeweiligen „Vortänzer“. Die Partys und Empfänge, oft ist zwischen den beiden Gattungen kein Unterschied, am Samstagabend bedürfen an dieser Stelle doch einer gesonderten Erwähnung. Wenn so etwas außerhalb der Villa Klettner stattfand wurde man, wenn man seine Herrschaften zum Ort des Geschehens gekutscht hatte, mit der Bitte sich bereitzuhalten entlassen. In dem Fall konnte man dann mit der Nobelkutsche heimfahren aber nichts unternehmen, denn es hätte ja immer sein können, das man sein Chefpaar hätte heimholen müssen. Dieses kam in meiner Zeit jedoch nie vor. Entweder bedienten sich die Klettners eines Taxis oder sie wurden von den Herrenkutschern der Gastgeber heimgebracht. Ob Taxi oder Gastgeberkarosse hing sehr oft vom Zustand der heimzubringenden Gäste ab. Es kann doch nicht sein was nicht sein darf. Und wenn dann mal so ein feiner Pinkel all zu stark Tankschiff gespielt hat und bis zum Stehkragen vollgelaufen ist, hat halt der Chauffeur des Gastgebers für diskrete Erledigung zu sorgen – über Taxifahrer könnte ja was an die Öffentlichkeit, der man einen Schein vorspielt, gelangen. Meine „Leutchen“ dürften wohl immer zur feineren Kategorie gehört haben. Er ist ganz und gar ein, dem Leben entrückter Roboter, der sich stets und ständig voll unter Kontrolle hat; der dürfte wohl nie auf eine menschliche Ebene absacken. Und sie war die bestens dressierte Dame an seiner Seite; ganz und gar eine Lady. Alkohol kann sie nicht gefährden, da sie im Bewusstsein ihrer Krankheit auch kleinste Tropfen verschmäht. Das ist bei solchen Anlässen aber nicht bei allen Leuten so. Ganz im Gegenteil, es dürfte wohl die größere Zahl der elitären Zeitgenossen sein, die, wenn sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit unter sich sind, den „schlechten“ Menschen herauskehren und den Bär tanzen lassen. Dieses kenne ich von den „kleinen Empfängen“ im Hause Klettner. Da mussten wir alle, Maria Neuhoff, die Köchin, Hermann Langhals, der Herrenfahrer, Verena Kock, das Hausmädchen und ich, der Damenfahrer, antreten und wenn wir nicht benötigt wurden in den Personalräumen aufhalten. Verena tat mir am Meisten leid. Nicht aus dem Grunde, weil sie die 8 bis maximal 12 Personen den ganzen Abend bedien musste während wir anderen uns mehr oder weniger lange ausruhen durften, sondern in ihren Verpflichtungen hinsichtlich Animation und Prostitution. Sie hatte eine „bestimmte“ Dienstkleidung, je nach Zusammensetzung der Gäste zu tragen. Am vollständigsten bekleidet war sie im kurzen schwarzen Dienstmädchenkleid, zu dem sie ein weißes Häubchen und Schürze sowie passende Stöckelschuhe zu tragen hatte. Das Kleid hatte allerdings den Gag, das es aus einem fast durchsichtigen, tüllähnlichen Stoff bestand. Darunter trug sie dann nur einen tangaknappen hellweißen BH und Slipper. Hellweiß deshalb, weil dieses unter dem Kleid am deutlichsten erkennbar war und auch auf den Rest der Frau aufmerksam machte. Bei besonderen Gästen war sie dann noch leichter bekleidet. Mal ließ man nur den BH und Schlipper weg und mal dann auch das Kleid, das heißt, das der Dress bestand nur aus Häubchen, Schürze und Stöckelschuh bestand. Aber auch der Schürze konnte es passieren, dass sie beim Bedienen nicht benötigt wurde. Die Bekleidungsordnung bestimmte der Herr des Hauses und ließ dabei auch keine Widerrede zu. Das arme Mädchen wurde ganz schön begrabscht und musste sich diese auf Weisung unseres Herrn auch gefallen lassen. Es war zwar nicht die Regel aber es kam auch ab und an vor, das sie einem Partygast, seltsamer Weise meist ältere, von 50 aufwärts, auch körperlich zu Diensten stehen musste. Ich hatte zu Verena ein ganz nettes, kollegiales oder auch väterliches Verhältnis. Während wir beide von den beiden anderen, also von Maria und Hermann, etwas distanziert betrachtet und behandelt wurden. Schließlich waren wir ja nicht alleine
das, was unsere offizielle Berufsbezeichnung ausdrückte, sondern Verena war für diese die Partynutte und ich der Lustknabe der Chefin. Als ich erstmalig bei einem solchen Empfang eingesetzt worden bin, Verena bediente an jenem Abend in der Dreierkombination Häubchen, Schürze und Stöckelschuhe, erfuhr ich, als das Hausmädchen mal eine Zigarettenpause einlegte, wie sie zu dieser Sache gekommen war und wovon sie träumte. Verena stammte aus ursprünglich geordneten Verhältnissen. Die Mutter, die mal mit Marianne Berghoff zur Schule gegangen war, wurde alkoholkrank und die Eltern ließen sich scheiden. Das Mädchen blieb bei ihrer Mutter und rutschte mit dieser ein Wenig die Treppe runter. Da trafen sie mal per Zufall Marianne, die Verena dann diese „Position“ offerierte. Sie sei selbst mal so angefangen und habe sich dabei mal den Klettner geangelt. Und von so einem Fisch an der, aus nackter Haut bestehenden, Angel träumte das Mädchen jetzt auch. Am Anfang sei ihr das Ganze furchtbar peinlich gewesen, aber laut ihren Worten gewöhnt man sich an alles, auch an so was. Ihr Auftreten wirkte auf die Gäste der Party, die meistens an dem, in einem großen Wintergarten gelegenen, Pool stattfanden, anregend und animierend. In kürzester Zeit tummelten sich so ermuntert die meisten weiblichen Gäste entweder nur mit einem Slipper bekleidet oder ganz ohne im Wasserbecken. Die Herren blieben diesbezüglich zwar mehr bedeckt aber waren mit ihren Fingern doch häufig an diversen Körperteilen der Damen, meistens jedoch nicht bei den eigenen, zu finden. Jedoch Gastgeber und Gastgeberin waren und blieben immer unantastbare Aristokraten. In den ersten beiden Stunden dieser Partys gab es, soweit ich ab und an Stichwortweise mitbekam, immer um mammonwissenschaftliche Themen. Es ging um Globalisierung, Liberalisierung, Deregulierung der Kapitalmärkte, Aktienkultur, Zuwachs und so weiter und so fort. Aber je mehr die Zeit fortschritt ging es jedoch ordinärer und zunehmenst vulgärer zu. Der Unterschied zwischen einer „Bumskneipe“ und einer Klettnerparty wurde immer geringer und letztlich ganz aufgehoben. Bei den Gästen kam der Mensch, allerdings von seiner negativeren Seite, durch. Jetzt haben wir fast alle sieben Tage der Woche, die sich in großer Monotonie auch Woche für Woche wiederholten, abgehandelt. Es fehlt nur noch der Sonntagabend, der auch, bis auf wenige Ausnahmen, wo Klettner extern gefordert war, nach dem gleichen Strickmuster ablief. Es war das, was ich bereits an meinem Vorstellungsabend erleben durfte. Immer trat ich Punkt halb Acht zum Dinner mit den Herrschaften an und verschwand anschließend mit dem Herrn in sein Schachstübchen. Je mehr ich mich auf diesen konsequenten Strategieumsetzer einstellte, um so mehr gelang es mir ihn mit urplötzlichen naiven Zügen so zu verblüffen, das er anschließend kein Konzept mehr fand und ich dann im Gegenzug meinerseits eine zum Erfolg führende Strategie aufbauen konnte. So war ich mehr und mehr erfolgreich. Mein Pech, dass der Herr immer weitere Revanchen forderte und es so dann auch mal Mitternacht oder später wurde. Eines hatte sich entscheidend gegenüber dem ersten Abend geändert: Grundsätzlich fragte mich Klettner zwischen den einzelnen Partien ob ich eine Pause für die Länge einer Gauloises wünschte, denn es läge ja auch in seinem Interesse, wenn ich meine Sucht zu Gunsten meiner Konzentration befriedigen würde. Na ja, immer wenn mehr als eine Stunde vergangen waren machte ich von diesem Angebot gebrauch und begab mich dann immer zum Zwecke der Suchtbesänftigung für zirka 5 Minuten auf die Terrasse vor dem großen Wohnzimmer. Als ich am zweiten Abend erstmalig dieses Angebot hörte wusste ich, dass die Kommunikation zwischen den Ehepartnern besser funktionierte als ich ursprünglich annehmen konnte. Dieses auch daher, das er bewusst den Markennamen „Gauloises“, von denen er ja ursprünglich nichts wissen konnte, an Stelle des Gattungsbegriffes „Zigaretten“ sagte. Big Klettner hielt also alle Fäden fest in der Hand. Noch eine weitere bedeutende Veränderung zum ersten Abend muss ich aufzeichnen: Sexus Lustus diente am ersten Abend nur als der Speck, mit dem man Mäuse fängt. Ab dem zweiten Abend war, weil ich seit meiner Pleite kein Privatwagen mehr zur Verfügung hatte, Taxi Schröder nach einer Schachpartie für mich zuständig. Die Taxiheimfahrt war auch nur ein Privileg für mich als Schachpartner des Herrn, ansonsten hatte ich mich nach dem abendlich beziehungsweise nächtlichen Dienst zu Fuß nach Hause zubegeben. Bei sehr ungünstiger Wetterlage hatte ich ja die Möglichkeit mir per eignem Handy ein Taxi zu bestellen und es aus dem Privatsäckel zu bezahlen. An den Sonntagabenden hatte ich nach dem Essen nur selten noch einen Kontakt zur Granddame des Hauses. Mit der Bezeichnung „Granddame“ habe ich auch ausgedrückt, auf welcher Ebene wir uns dann immer begegneten, wenn Klettner selbst zugegen war. Ich weiß jetzt nicht, ob der werte Leser das, was ich in diesem Kapitel beschrieben habe spannend findet. Das dürfte auch mehr oder weniger von dem jeweiligen persönlichen Standpunkt des Einzelnen abhängen. Wer selbst im Goldenen Käfig lebt, so fern man bei so etwas überhaupt von Leben sprechen kann, dürfte das ganze als normal und alltäglich ansehen. Er wird sich vielleicht darüber empören, das man dem Mob, der aus seiner Sicht verpflichtet ist an ihm, dem Leister in der Gesellschaft, hochzublicken, dieses zum „Fraße“ vorwirft. Dieser kann sich nicht vorstellen, das es Menschen gibt, die Geld zwar als existenznotwendiges Tauschhilfsmittel betrachten, diesem aber ansonsten keinen höheren Wert beimessen. Sicher übersteigt es auch dem Vorstellungsvermögen der Priesterschaft des Gottes Mammon, das ihre Ideale nur eine humanoide Existenz darstellen und nichts mit menschlichen Leben zu tun haben. Sie sind tot ob gleich sie leben. Für mich stellte sich, nachdem ich Einblick in den Golden Käfig erhalten habe, die Frage, ob man in diesem Käfig überhaupt leben kann. Muss man nicht, um in diesen gefangen gehalten zu werden, nicht vorher seine Seele verkaufen? Warum träumen nur so viele Menschen davon, in diese Seelengefangenschaft zu gelangen? Sicherlich
liegt das an der Propaganda., die zu Gunsten der Glaubensgemeinschaft der Mammonisten, durch die Medien verbreitet wird.
Zum Kapitel 5
Zum Inhaltsverzeichnis
Niederschmetternde Überraschungen zum Geburtstag Der 11. September ist ein ganz besonderer Tag in meinem Leben. Warum, ist so gut wie jedem, der meine Vorstellung gelesen hat, klar: An diesem Tage erblickte ich im Jahre 1946 das Licht der Welt. 52 Jahre später, also im Jahre 1998, waren dann die Grundmauern für das Unglück, das über meine Familie hereinbrechen sollte, vollendet. Wenn das bisherige Vorspiel ein Wenig nach Komödie aussah, ist das nun folgende unzweifelhaft in die Kategorie dramatische Tragödie einzuordnen. Im Jahre 1998 fiel mein Geburtstag auf einen Freitag und schon am vorhergehenden Montag sollte es richtig losgehen. Am vorrangegangenen Tag war ich, wie jetzt üblich, schachverpflichtet gewesen. Diesmal war es enorm anstrengend aber auf der anderen Seite auch triumphfinal. Erstmalig war es mir gelungen keine einzige Partie zu verlieren. Lediglich das letzte Spiel endete, vermutlich in Folge beidseitiger Ermüdung, Remis. Es war immerhin schon kurz vor Drei am Montagmorgen. Als ich dann eine halbe Stunde später, inzwischen zu Hause befindlich, unter die Bettdecke schlüpfen konnte, war ich dann so abgekämpft, dass ich sofort fest einschlief. So bekam ich an jenem Morgen nicht mit als Katharina sich zur Arbeit begab. Normalerweise hätte ich sie deshalb im frühesten Fall am Nachmittag zwischen Vier und Fünf, wenn sie von ihrem Dienst aus dem Kindergarten heimkehrte, erleben können. Aber an jenem Tage wurde ich kurz vor Neun von ihr mit den Worten „Pepelein, Schatzi, es ist was passiert“ geweckt. Als ich die Augen aufmachte stand sie vor meinem Bett, mit dem linken Arm, der in einem „dicken“ Verband, der in einer um den Hals gelegten Schlinge steckte. „Was ist passiert?“, fragte ich total erschrocken und sie antwortete mit einer weiteren, allerdings zu dieser Sache gehörenden Hiobsbotschaft: „Unser Golf ist auch vollkommen hin ... Ich glaube es ist ein Totalschaden. Und ich bin es in Schuld.“. Jetzt musste ich sie erst mal beruhigen und begann mit dem was sie als Letztes angeführt hatte: „Och, um die alte Karre brauchst du dir doch keine Gedanken zu machen. So wie die Molli jetzt ist ... oder besser gesagt war, hätten wir die doch ohnehin nicht durch den TÜV gekriegt ... und da hätten wir ja in zwei Monaten hingemusst. Für das Geld, was wir in die Rostlaube stecken müssten um die Plakette zu kriegen, bekommen wir ohnehin ein anderes Gefährt von dem uns der TÜV erst frühestens in zwei Jahren aber nicht der Gerichtsvollzieher scheiden kann. ... Viel wichtiger ist mir was mit meiner Katha passiert ist ... und ob anderen auch was passiert ist.“. Das mit unserer alten Kiste war noch nicht mal nur tröstend sondern sogar ehrlich gemeint. Immerhin war der Golf schon über 12 Jahre alt. Den hatten wir vor knapp 2 Jahren an unserer Stammtankstelle für 1.500 Mark gekauft. Bei besseren Objekten laufen wir ja grundsätzlich Gefahr, dass ein Gerichtsvollzieher glaubt, an der Lenksäule sei ein schöner Platz für einen Kuckuck. „Was soll es“, wird jetzt dieser oder jener großstädtische Häuserschluchtenbewohner sagen, „wofür sind denn öffentliche Verkehrsmittel da? So viel Verständnis können doch Schuldner aufbringen, das sie, bevor sie sich ein Gefährt zu legen, erst mal ihre Gläubiger befriedigen“. Aber das lässt sich leider nicht auf mehr ländlich strukturierte Gegenden 1:1 übertragen. Da sind zwar die Verwaltungsvorderen und ihre Zustimmer in den „Kommunalparlamenten“ stolz auf die 50 Buslinie die durch Kleinkleckersdorf führen aber sie unterschlagen dabei immer, das 40 dieser Linie nur werktags am Tag zwei Mal befahren werden und das zu Zeiten, dass Oma damit zum Arzt oder Friedhof kommt aber niemanden anderen dient. Man hat halt mobil zu sein, denn schließlich ist die Automobil- nach der Rüstungsindustrie der größte Wirtschaftszweig in bundesrepublikanischen Landen. Gegen alles, insbesondere gegen Kleinstrentner, Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger und Ausländer, darf man was sagen aber wehe man erhebt das Wort gegen des Bundes wilden Haufen (Bundeswehr) oder gegen die primären Gesundheitskiller mit stinkenden Abgasen auf vier Rädern (Autos). Aber zurück zum 7. September 1998, zurück zu meiner leicht lädierten Katharina. Also nach dem sie mir berichtet hatte, dass sie sich das Handgelenk angebrochen habe und niemand anderem was passiert sei, konnte sie mir einen Report vom Geschehen geben: „Als ich heute morgen zur Arbeit fuhr war ich mit den Gedanken bei ... Ach, das ist jetzt egal, es hatte mit uns zu tun. Auf jeden Fall war ich mit dem Kopf woanders. Als ich dann im Malerviertel von der Rubensstraße in die Dürerstraße ... dort ist ja rechts vor links ... einbiegen wollte, kam von Rechts dieser Goldmann, ... dieser CDU-Boss hier im Bergdorfer Rat, mit einem Affenzahn angerauscht. Ja, dann gab es einen großen Knall, ... was dann passierte kann ich gar nicht so richtig schildern ... und als ich wieder bei der Sache war stand ich auf der gegenüberliegenden Straßenseite zwischen Baum und Mauer.“. Ich nahm sie jetzt zärtlich und wegen ihrer Verletzung vorsichtig in den Arm und küsste sie auf die Wange: „Mäuschen, ist ja halb so tragisch. Jetzt dürftest du erst mal vier bis sechs Wochen krank geschrieben sein. Da machen wir Beide uns erst mal eine schöne Zeit, ... wir sind ja lange nicht mehr dazu gekommen. Freitag können wir dann ja auch richtig meinen Geburtstag feiern.“. „Genau das war es, was mich heute morgen beschäftigte.“, warf Katharina ein, „Seit du in den Diensten von Klettner bist, kommst du mir wie ein Bruder, mit dem ich in Wohngemeinschaft lebe, vor ... Mir ist so als wärest du gar nicht mein Mann. Immer wenn ich dich brauche bist du weg.“. Ich sagte noch „Ach mein Mäuschen“ und dann liebkosten wir uns und schmusten miteinander. Alles gipfelte dann im sogenannten ehelichen Verkehr. So was schönes hatte ich ja auch längere Zeit nicht erlebt; so was von Mensch zu Mensch, so ein inniges ineinander aufgehen. Mir war hundertprozentig bewusst, das Katharina die Frau ist, die ich liebe – auch noch nach über 26 Jahren. Wir beide wussten nicht, dass dieses das letzte Mal war, das wir glücklich sein durften, zumindestens bis ... na ja, wir wollen nicht vorgreifen.
Meine Herrin brauchte mich an diesem Montag tagsüber nicht, erst am Abend war ich wieder gefragt, und so konnten Katha und ich uns einen schönen harmonischen Tag gestalten. Der nächste Tag begann nicht so turbulent wie der Vortag, dafür traf an diesem ein weiterer deftiger Schlag meine Katharina. Gegen Zehn musste ich aus besonderem Anlass meine Fahrerpflicht bei Marianne erfüllen. Sie hatte Zahnschmerzen und ich musste sie zum zuständigen Arzt, der dann kurzen Prozess mit ihrem Weisheitszahn machte, fahren. Danach war der Dame dann auch weder nach erotischen Spielen noch nach was anderem. So konnte ich dann auch anschließend mit ihrem roten Flitzer heimkehren. Als ich in die Wohnung kam saß meine Frau tief enttäuscht und weinend auf der Couch. Vor ihr auf dem Tisch lag ein Niederlegungsurkunde genanntes Schreiben. Mit den Worten „So eine Scheiße“ reichte sie mir dieses an. Es handelte sich um ein Pfändungsprotokoll laut dem ihr Arbeitgeber, die Stadt Bergdorf, als Drittschuldner in Anspruch genommen wurde, also kurz um eine Lohnpfändung. Ein Inkassogeier, der einen Titel von einer Bank aufgekauft hatte, machte es wahr und ließ Katharina als Mitschuldnerin beziehungsweise Bürgin für meine Schulden aus der Druckereiunternehmung bluten. Es ist schon ein Kreuz: Da müht sich ein armer Tropf darum Arbeitsplätze zu erhalten und vielleicht auch weitere zu schaffen. Dann geht er zu den Banken, die sich rühmen Handwerk, Handel und Gewerbe und dabei insbesondere Existenzgründer zu fördern. Dann erzählen sie einen, das sie sogenanntes Risikokapital, also das was man zum Wirtschaften benötigt überhaupt nicht kreditieren können und Geld für Anlagen (Investitionen) nur ausreichend besichert bereitgestellt werden dürfen. Was man dann letztendlich erhält, ist zu wenig um einen Laden richtig zum Laufen zu bringen. Hinsichtlich der Besicherung hat in der Regel dann die Ehefrau des Unternehmers immer mit daran zu glauben, die muss dann als Mitschuldnerin oder Bürgin mitunterschreiben. Wenn es dann schief geht, steht sie im kurzen Hemd da, die Geier schlagen auch bei ihr zu. Jetzt hatte es also Katharina getroffen, die dann resignierend feststellte: „Das habe ich nun von deiner Scheiße. Auf dem Papier werde ich als stellvertretene Leiterin mit BAT IV b bezahlt und mit nach Hause nehmen darf ich dann soviel wie die Museumswächterin mit BAT IX. ... Und das soll dann motivieren. Da sollte man doch prompt alles hinschmeißen und Stütze kassieren. Was man sonst noch braucht kann man ja über Schwarzarbeit kassieren. ... Das Dramatische ist, das durch die Pfändung nicht einmal Zinsen und Gebühren eingetrieben werden. Deshalb muss ich bis zu meinem 65. Lebensjahr malochen und dann immer Aasgeier mitfüttern.“. Katharina war also vollkommen niedergeschmettert und kam immer wieder auf diese Sache zurück. Und trösten konnte ich sie kaum. Ganz im Gegenteil, unbewusst lag immer wieder der Vorwurf auf dem Tisch, warum ich damals diese „Dummheit“ überhaupt gemacht habe. So bestand an diesem Dienstag keine Möglichkeit die, trotz Unfall, glückliche Atmosphäre des Vortages wiederherzustellen. So war ich auf einer Seite recht froh, dass sich Marianne gegen Abend so von ihrem Weisheitszahnverlust erholte hatte, dass sie trotzdem auf Tour wollte. Offensichtlich der Ruhe, die sie sich den ganzen Tag über gegönnt hatte, besaß sie soviel Standfestigkeit, das wir erst gegen halb Drei nachts wieder zurück im Lande waren. Weil es so spät war, brauchte ich das Cabriolet nicht in die Garage zu setzen, sondern konnte dieses ausnahmsweise mal wieder mit nach Hause nehmen. Normalerweise, also wenn Katha nicht krankgeschrieben ist oder wenn sie nicht Urlaub hat, und ich später nach Hause gekommen war, ließ sie mich, wenn sie des Morgens zum Dienst ging, noch eine Runde schlafen. Damit ich nichts verpasste zog sie das Telefon von der TAE-Dose im Wohnzimmer und schloss es an der im Schlafzimmer wieder an. An diesem Mittwoch war sie, weil ihr die Schuldenseintreibungsmitteilung vom Vortage mächtig auf der Seele lag und ihr daher eine unruhige Nacht beschert hatte, früh aufgestanden und war mit dem Telefon so verfahren, wie sie es sonst nur macht wenn sie außer Haus ist. Nach dem Frühstück brach aus Verzweifelung und Wut bei ihr trotz angebrochenen Handgelenks der Putzteufel aus. Davon bekam ich, der noch den Schlaf des scheinbar Gerechten schlief, so gut wie gar nichts mit. So gegen Viertel vor Neun wurde ich dann durch das Klingeln des Telefons aus dem Schlaf geholt. Das wird wohl jeder kennen, wie das ist wenn man gerade die Augen aufgeschlagen hat: da ist das Denkvermögen noch nicht so auf vollen Touren programmiert. Und in diesem Tran drückte ich, wie ich es im Alleinseinfall mache, auf die Lautsprechertaste des Telefons um frei zu sprechen. Nachdem ich mich mit „Schröder“ gemeldet hatte erklang Mariannes, in diesem Fall erotisch klingende Stimme frei im Raum: „Hallo Pepe, ich bin mal wieder richtig heiß gelaufen und brauche ein kleines Stöpsgen. Kannst du in zirka einer Stunde hier sein?“. Unbekümmert antwortete ich: „Alles klar Mariandel, ich könnte eigentlich auch was gebrauchen. Ich bin so schnell wie möglich da.“. Jetzt legte ich durch erneutes Betätigen der Lautsprechertaste auf und war im Begriff aufzustehen. Da flog die Schlafzimmertür auf und hereinstürmte mein angetrautes Weibchen, das alles vor der Tür mitbekommen hatte: „Ach so ist das! Mein Mann gibt vor der Chefinnenfahrer zu sein und ist in Wirklichkeit deren Hurenbock. Die eigene Frau lässt er zuhause verkümmern und vögelt fröhlich mit so einer Millionärstussi rum. Macht das denn bei der Sau jedenfalls Spaß?“. Jetzt hatte ich furchtbar schlechte Karten. Es hatte ja keinen Zweck die Dinge zu leugnen, denn dann hätte sich Katharina auf den Arm genommen gefühlt – und das zu Recht. Also legte ich ein Geständnis ab und versuchte ihr die Dinge damit zu erklären, dass ich dieses nur mit der Motivation täte, damit wir eines Tages, Schulden hin und Schulden her, wieder ein normales gesellschaftliches Leben führen könnten, dass wir mal ohne schlechtes Gewissen Urlaub machen könnten. Und danach noch so ein paar Argumente in diese Richtung. Dann zeigte ich mich reumütig: „Klar
Mäuschen, das ist falsch was ich da mache. Das war dumm und unüberlegt. Bitte, bitte, verzeih mir meine große Schuld. Schließlich sind wir ja zirka 27 Jahre miteinander glücklich und ich habe nie eine andere Frau wie dich geliebt. ... Ich sehe mein Unrecht ein. Ich fahre jetzt hin und bringe ihr den Wagen. Anschließend gehe ich in der Taxizentrale vorbei und frage Werner Schulte ob ich wieder bei ihm fahren kann.“. „Ach Pepe, du bist alles was ich habe.“, begann Katharina ihre Erwiderung, „Wenn du der Tusnelda jetzt die Brocken schmeißst, soll wieder alles in Ordnung sein. Und mit dem Taxi lass mal, wir wollen erst mal richtig überlegen.“. Mit dem Vorsatz der „außerordentlichen Kündigung“ fuhr ich zur Klettner-Villa. Dort ankommen öffnete mir Verena, mit einem Minibademantel bekleidet, die Tür. „Heute flippt unsere Alte vollständig aus.“, berichtete mir das Mädchen auf dem Weg in eine Dachkammer, in der ich bis jetzt noch nicht gewesen war, „Sie hat sich ausgedacht, dass ich erst mal mit der Zunge Body painting bei dir machen soll ... natürlich wenn sie zuguckt. Das gilt auch danach wenn wir beide eine Runde ficken sollen ... Heute sollst du also bei mir eindringen. Dann will sie meine lesbische Mundharmonika spielen. Und zum Abschluss will sie es dann mit dir alleine treiben. ... Da hat mir der Ochse von Haupt eine Scheiße angedreht.“. Letzteres macht mich doch mehr als stutzig. Das mit Haupt nur der Betreiber einer, nicht gerade im besten Ruf stehenden Buch-, Video- und Zeitschriftenhandlung gemeint sein konnte, brauchte mir nicht extra erklärt werden. Aber was hatte das, was er Verena angedreht hatte, mit dem zutun, was Marianne durchzuspielen gedachte. Vom Hausmädchen erhielt ich jetzt die entsprechende Aufklärung: „Mit der Fantasie unserer Chefin ist es nicht so gut bestellt wie du denkst. Die brauch immer ein Drehbuch. Ich muss ihr immer bei Haupt so ein Pornoschinken besorgen und was ihr dann gefällt spielt sie dann mit uns ...“. Weiter kam sie nicht, denn unsere Gebieterin erschien im durchsichtigen Nachthemd mit nur einem Slipper, den man auch als Strick durch den Po hätte bezeichnen können, auf der Bildfläche. Spätestens jetzt hätte ich das totale Finale eröffnen müssen. Aber auf der einen Seite hatte ich Angst vor einem hysterischen Gekeife, was wohl mit Sicherheit gekommen wäre, und auf der anderen Seite hat sich meine sexuelle Neugierde in einen Vernunft totschlagenden Rausch gesteigert. Seltsamer Weise stand jetzt nicht Marianne im Zentrum meiner Begierde sondern das Mädchen Verena, mit der ich es heute zum ersten Mal in körperlicher Vollendung treiben sollte. Heute, zum Zeitpunkt meiner Niederschrift, frage ich mich immer wieder, welcher Teufel mich so tief in den Sumpf menschlicher oder gar tierischer Urtriebe gezogen hat. Da spielte ich, ohne selbst darauf zu kommen, für und mit einer verwöhnten und gelangweilten Millionärsgattin Pornopamfleete nach und dabei trieb ich es dann auch noch mit jungen Mädchen im Alter meiner Tochter, bei der mich vor kurzer Zeit noch überhaupt keine Erregung erfasst hätte. Und dabei vergaß ich meine Frau, die mir ein halbes Leben lang ihre Liebe und viel Glück geschenkt hatte, mit der ich harmonisierte und die ich als ein Stück von mir empfand. Ehrlich gesagt, auch nachträglich schäme ich mich noch so sehr, dass ich Schwierigkeiten habe anderen Leuten, insbesondere die Angehörigen des anderen Geschlechts, in die Augen zu sehen. Ich habe tatsächlich in meiner Klettnerzeit schweren Schaden an meiner Seele genommen, den ich mit dieser Niederschrift ein Wenig zu reparieren hoffe. Jetzt war ich nicht wie erwartet innerhalb einer Stunde wieder zu Hause sondern trudelte so erst kurz nach Zwei wieder ein. Jetzt brauchte ich keine großen Worte zu machen, es war doch wohl klar, dass ich mich als rückgratloses Weichtier erwiesen hatte und meiner perversen „Dienstverpflichtung“ nachgekommen war. Katharina war mit dem Ausräumen von Christinas ehemaligen Zimmer beschäftigt. Als ich so ein Wenig zerschlagen wortlos im Wohnungsflur stand richtete sie sich mit strengen Ton an mich: „Herr Peter Schröder. Ihnen dürfte wohl klar sein, das jetzt alles aus ist. Sie haben alles zerstört was für mich das Leben war. Fragen sie doch bitte ihre Lustrutsche ob sie ihnen in einem Kellerloch Asyl gewähren kann. Bis dahin können sie hier im Zimmer meiner Tochter, deren Erzeuger sie nun leider sind, hausen. Den Umzug führe ich, obwohl ich einen fast gebrochnen Arm habe, für sie aus, damit sie nicht in Versuchung kommen mit ihren schmutzigen Finger an meine Sachen zu gehen. Bekochen werde ich sie auch nicht mehr, aber bis zu ihren Auszug dürfen sie die Küche, jedoch nur während meiner Abwesenheit, mitbenutzen.“. Das waren zwar harte Worte aber sie waren für mich nachvollziehbar und ich konnte sie verstehen. Ich wusste nicht was ich jetzt machen sollte. Am Boden zerstört verließ ich die Wohnung, setzte mich in das Cabriolet der Frau Berghoff-Klettner und fuhr damit erst mal ziellos durch die Straßen von Bergdorf. Letztendlich parkte ich vor einer kleinen Kneipe am Stadtrand. Ich kannte diesen Laden, der nicht den besten Ruf hatte, aus meiner Taxifahrerzeit. Es handelte sich allerdings, wenn wir vom Bistro des Krankenhauses absehen, um die einzigste diesbezügliche Möglichkeit in dieser Gegend, wo man zu dieser Zeit hingehen kann. Alle anderen Kneipen, deren Zahl auch in den letzten beiden Jahrzehnten stark abgenommen hat, öffnen in der Regel erst um 5 Uhr nachmittags. Nun, was macht man in solchen Situation, in der Art wie ich mich jetzt in einer befand, wenn man solche Häuser aufsucht? Man säuft. Zwar hatte ich nicht die Absicht mich vollaufen zu lassen, denn das Alkohol keine Probleme löst sondern welche schafft war mir wohl bekannt, aber es geschah, weil in meinem abgesackten Gehirn nichts anderes aufkam. So war ich schon in einem reichlich benebelten Zustand als gegen Sieben mein Handy bimmelte. Am anderen Ende war Marianne: „Pepe, was ist denn los? Ich hatte gerade bei dir Zuhause deine Frau am Apparat. Die war aber gar nicht nett zu mir.“. Es muss sich wohl schon reichlich lallend angehört haben als ich ihr antwortete: „Mein Mäuschen hat heute morgen deinen Anruf mitgehört. Die weiß jetzt, was Ambo ist.“. Ihre Antwort hörte sich richtig beruhigend an: „Das wird schon wieder, Junge ... Immer nur Kopf hoch. Aber du scheinst ganz schön getankt zu haben. Wo bist du denn?“. Nachdem
ich ihr verraten hatte, wo ich mich an der Alkoholvernichtung durch Trinken beteiligte, bekam ich die Anweisung nicht wegzulaufen da man sich in Kürze um mich kümmern würde. Wer jetzt glaubt, die feine Damen hätte sich selbst herbemüht, hat sich getäuscht – so eine Lokalität liegt doch deutlich unter ihrem Niveau. Dafür stand eine Viertelstunde später Werner Schulte mit einem weiteren Fahrer neben mir: „Na komm Pepe, Hotte bringt jetzt Mariandel ihr Auto ... gib ihm schon mal den Schlüssel. Und ich fahr dich dann nach Hause, damit du dich ausschlafen kannst.“. Werner machte seine Sache gut, so dass ich ihm willig folgte. Im Taxi bekam ich dann einen Moralischen und plauderte heulend aus: „Mensch Werner, ich sitze ganz dick in der Scheiße. Ich fahre so nebenbei unser Mariandel. Aber das ist nicht meine Hauptaufgabe. Ich muss ihr den Hengst machen und ihr Alter steckt mir dafür 5 Riesen (Tausender) jeden Monat in die Tasche. Heute morgen hat meine Frau ... glaube mir ich liebe sie über alles, spitz gekriegt was ich wirklich mache. Und jetzt ist meine Ehe, die mir alles bedeutet, total im Eimer.“. Gelassen und beruhigend sagte mir Werner darauf: „Ist ja ein tolles Ding, das hätte ich unserem Mariandel und ihrem Alten gar nicht zugetraut. Aber du musst jetzt vernünftig sein. Zeige der Berghoff-Klettner die rote Karte. Du kannst nächste Woche bei mir wieder auf den Bock. Und dann sei mal ganz lieb zu deiner Katha und dann wird sich schon alles wieder einrenken. In jeder guten Ehe gibt es mal ein solches Gewitter ... und wenn die Ehe gut ist, geht es danach weiter. Uns ist so was auch schon passiert ... und danach waren wir erst recht glücklich.“. So hatte mir auch Werner Schulte den richtigen Weg aufgewiesen und erst hatte ich auch den Vorsatz die Wende einzuleiten – aber, aber ... . Damit war es schon am nächsten Nachmittag kurz nach Zwei vorbei. Katharina riss mich mit den Worten „Deine Freierin ist am Telefon!“ aus meiner Rauschausschlaferei. Mariannes Anliegen war mehr oder weniger simpel: „Hallo Pepe, heute brauche ich dich nicht. Sieh mal zu, dass du wieder auf 0,0 Promille kommst. Ich würde sagen, dann kommst du dann morgen so gegen Sechs.“. „Ach morgen passt es mir gar nicht, da habe ich Geburtstag.“, wandte ich ein und bekam gleich eine passende Antwort: „Ist doch prima, dann fahren wir nach Romansdorf und gehen ins Rosenparadies und feiern deinen Geburtstag ... aber ohne Alkohol. ... Oder passt dir das nicht?“. „Doch, doch, Rosenparadies, Romansdorf wäre schon das Richtige.“, bestätigte ich ihr unbekümmert der Tatsache, das Katharina mit versteinertem Gesicht im gleichen Raume stand. Und danach begab ich mich zum weiteren Promilleabbau wieder ins Bett. Die Tatsache, das Katha bei der Terminabsprache zugegen war, ließ meinen Geburtstagsabend lustig werden. Pünktlich um Sechs trat ich, mit einem schlechten Gewissen hinsichtlich meines Ausraster von Vorgestern, meinen Dienst in der Villa Klettner an. Es ging nicht gleich in das etwa 150 Kilometer entfernte Romansdorf sondern Marianne wollte mir erst mein Geburtstagsnümmerchen verpassen. Als Besonderheit bekam ich an diesem Tag erst eine Ganzkörpermassage durch die splitternackte „Masseuse“ Verena. Jetzt muss ich gestehen, dass ich dieses sogar angenehm und entspannend fand. Seltsamer Weise hätte ich es anschließend lieber mit dem Mädchen als mit der Dame getrieben, aber letztere hatte das Sagen. Frisch befriedigt fuhren wir dann gegen Sieben Richtung Romansdorf davon. Es ging jedoch nicht gleich ins Rosenparadies, einen Tanzschuppen für die reifere Jugend, sondern Marianne verspürte zunächst Hunger auf Gyros mit Pommes Frites, Krautsalat und Tsatsiki. So dass wir erst mal für zirka eine Dreiviertelstunde vor einem griechischen Imbiss parkten. So war es dann schon zirka halb Zehn als wir im Rosenparadies eintrafen und da hätte mich fast der Blitz erschlagen. Da saß doch meine Frau in Begleitung dieses Rainer Goldmann. Persönlich hatte ich ihn noch nie gesehen aber ich kannte ihn von zahlreichen Bildern auf der Lokalseite unserer Tageszeitung. Aber dort war er nicht nur auf Bildern sondern auch mit zahlreichen, aus meiner Sicht dusseligen, Leserbriefen vertreten. So ging es dieser Tage mal um Wandalismus auf den Kinderspielplätzen in Bergdorf. Sicher ein nicht nur leidiges, sondern auch für die Stadt teueres, Übel, dass durch Jugendliche, die nichts mit sich anzufangen wissen, ausgelöst wird. Genauso ist es richtig, das so etwas nach der Aufmerksamkeit der Bürger schreit, aber dann sind wohl in einem demokratischen Rechtsstaat Polizei und/oder Ordnungsamt zuständig. Aber unser Goldmann hält wohl nicht viel von rechtsstaatlichen Ordnungsprinzipien. Der ist wohl mehr für zackiges Law and Order, wie dieses in totalitären Systemen gebräuchlich ist. Der ruft doch prompt in einem Leserbrief dazu auf, das sich anständige Deutsche mit Zaunlatten bewaffnen sollen und, den meist ausländischen Jugendlichen mal zeigen sollten, was bei uns Sitte und Ordnung sei. In meinen Augen ein eindeutiger rassistischer Aufruf zur Lynchjustiz, aber dahingehend hört man nichts, Goldmann ist nach wie vor CDUFraktionsvorsitzender im Rat der Stadt Bergdorf. Na ja, diese schwarz vorgebende aber braun seiende Type saß da, eng und turtelnd neben meiner Frau, die ihn am Montag als ihren Unfallgegner kennen gelernt hatte. Zwar war mir klar, dass wir von Katha beobachtet wurden aber beide taten so als wären wir irgendwelche Nobodys, die man nicht unbedingt kennen muss. Soweit ich wusste kannten sich Marianne und Katharina nicht und so fragte ich meine Partnerin: „Mariandel, weiß du wer da vorne am Tisch 4 sitzt?“. Und prompt wurde ich von ihr verblüfft: „Ja, deine Frau, die jetzt mit dir gleich ziehen will und ihr Begleiter ist Herr Goldmann, der offensichtlich mal wieder Urlaub von seiner 6-köpfigen Familie nimmt.“. Jetzt war ich mir nicht sicher ob sie meine Frau wirklich erkannt hatte oder ob es ihr logischer Schluss aus meiner Frage war aber Goldmann kannte sie auf jeden Fall hundertprozentig. Ich hatte mir inzwischen abgewöhnt bei Marianne nachzuhaken, denn meistens bekam ich von ihr sowieso keine oder nur eine falsche Antwort. Gerne hätte ich jetzt, wenn es schon sein muss, gesagt, das die Anwesenheit meiner Frau und ihres heutigen Begleiters Marianne kalt gelassen hätte. Aber ganz
im Gegenteil: Während sie uns üblicher Weise den Eindruck eines nicht ganz frisch verliebten Ehepaares erwecken ließ, war sie heute ganz Dame und hielt diskret Distanz. Gerade so als wären wir Geschäftspartner, die nur zufällig zwei verschiedenen Geschlechtern angehörten. Wenn ich Marianne Berghoff-Klettner noch nicht richtig kannte, dann dürfte sich dieses an meinem Geburtstagsabend reichlich geändert haben. Die Frau sah nur sich selbst und ihre eigenen Interessen. Ich war für sie ein Objekt, ein Spielzeug, dass sie momentan nicht abgeben wollte. Meine Gefühle und Sorgen, der Mensch Peter Schröder, interessierte sie in keiner Weise. Als Katharina mal zur Toilette war und ich das Gleiche, in der Hoffnung sie auf den Flur mal ansprechen zu können, vorhatte bekam ich die gebieterische Anweisung sitzen zu bleiben. In keiner Weise hinterfragte sie ob sie sich mal vermittelnd betätigen solle und wenn ich mal im Gespräch auf so etwas zusteuerte bog sie auf ein anderes Thema ab. Von ihr kam nichts Tröstendes oder Ermunterndes. Was gingen Marianne schon Menschen an, vielleicht fand sie meinen kümmerlichen Zustand noch für unterhaltend, für etwas in ihrem Kampf gegen die eigene Langeweile. Gegen Elf verließ dann das Liebespaar Goldmann/Schröder Arm in Arm das Lokal und wir, die Chefin und ihr lustbringender Fahrer, ließen es dann noch Mitternacht werden. Da es in Strömen goss war es keine angenehme Rückfahrt und das, jetzt kumpelhafte, Gerede von Marianne unterhielt weniger aber nervte dafür um so mehr. So war ich recht froh, als ich die Kutsche in der Garage stehen hatte. Nach dem Vorfall von Mittwoch konnte ich kaum damit rechnen, den Wagen für den Heimweg benutzen zu können. Marianne sagte mir nur noch, dass ich am nächsten Morgen um Neun anzutreten hätte, da sie um Zehn in Neuhausen einen Termin habe, und verschwand dann mit einem „Guten Nacht“ in den Wohnbereich. Da blieb mir nichts anderes als mir mittels Handy ein Taxi zu bestellen. Weil ich mich gegenüber Werner Schulte doch ein Wenig blamiert fühlte, bemühte ich in dieser Nacht mal die Konkurrenz. Letztlich war es fast halb Drei als ich die Tür zu den eigenen vier Wänden aufschloss und eintrat. Wie ein Verlangen überkam mich der Wunsch ins Schlafzimmer zu stürmen, Katharina in den Arm zu nehmen und um Verzeihung zu flehen. Gesagt und getan – und das wurde dann im wahrsten Sinne für mich zu einer niederschmetternde Überraschung. Da lagen doch Katha und Goldmann vollkommen nackt praktisch aufeinander. Der Orgasmus musste wohl gerade abgeklungen sein, denn Goldmann war ruckzuck auf den Beinen und sprang mit den Worten „Männeken, Untermieter gehören auf ihr Zimmer. Soll ich dir Beine machen“ auf mich zu. Ich sagte noch „Hoppla, das ist doch wohl ein ...“ und weiter kam ich nicht, denn da wurde ich durch eine linke Gerade niedergeschmettert. Ich verlor allerdings nicht das Bewusstsein und bekam daher mit, wie mich der starke Kerl in Christinas Exzimmer trug und dort auf das Bett warf. Na ja, wie es jetzt in der Nacht nach meinem 52. Geburtstag aussieht, dürfte das Ende meiner Ehe besiegelt sein. Aber nichts desto trotz, ich wollte mich nicht damit abfinden, ich wollte kämpfen.
Zum Kapitel 6
Zum Inhaltsverzeichnis
Untermieter in der eigenen Wohnung Da saß nun Klein Pepe, wie ich mich oft narzisstisch selbst bezeichne, ganz schön in der Patsche. Da lag so ein Kerl in seinem Bett bei seiner Frau und er selbst im ehemaligen Mädchenzimmer seiner Tochter. Unternommen hätte er schon gerne etwas, aber mehrere Gründe sprachen dagegen wirklich etwas zu tun. Einer davon war recht handfest: Der Kerl, also dieser Goldmann, war ein ganzes Stück stärker als ich. Nicht jeder Mann ist gleich ein Wrestlingkämpfer und da hätte ich im Falle eines Falles ganz schön einstecken müssen. Und das ich nach dem Versuch einer Fremdkörperentfernung dann selbst vor der Tür sitzen würde hatte eine enorme Wahrscheinlichkeit. Jetzt wird sicher dieser oder jener argumentieren, dass ich doch keine Angst haben brauchte, ich hätte das Recht doch auf meiner Seite gehabt. Schließlich sei ich der Mieter und Goldmann hielt sich ungerechtfertigt in der Wohnung auf. Da werden sicherlich einige auch gleich das Wort „Hausfriedensbruch“ im Munde führen. Aber wie ist das mit dem Recht wirklich? Ist Katharina nicht auch Mitmieterin der Ehewohnung, hatten wir den Mietvertrag nicht damals gemeinsam unterschrieben? Aus ihrer Sicht hielt sich dieser Sonyboy nicht ungerechtfertigt in der Wohnung auf – sie hatte ihn ja schließlich wissentlich herein geholt, er hatte doch nirgendwo einen willenslosen Zustand bei meiner Frau ausgenutzt. Und war er der Verursacher dieser Situation? Das waren weder Katharina, die mir noch bis vor einigen Tagen treu war, noch dieser Kerl sondern das war alleine ich. Ich war es, der seine Frau vernachlässigt hatte und sich trotzdem jetzt gerne beschweren würde. Aber lassen wir mal das Wort „Recht“ bei Seite. Urteile dienen immer nur unchristlicher Genugtuung, Rache statt Vergebung, wie uns Christus dieses geboten hat. Außerdem bringt das, was da die Buchstabenpriester in Roben verkünden, in der Wirklichkeit keine Lösung sondern nur neuen Ärger und neue Probleme. Dann gibt es da noch den Faktor Zeit. Santa Justizia ist eine Schnecke und zur Problemlösungen braucht man in der Regel flotte Hirsche. Bis Richter mal zu einer Entscheidung kommen, haben sich die meisten Dinge ohne sich schon bereits in Wohlgefallen aufgelöst. Mit dem Rechtsweg hält man meist nur die schmutzigen Süppchen am Brodeln, was Genießbares kommt selten dabei heraus. Mein Fall ist da richtig typisch. Sicherlich hätte ich eine Untersagung, dass Goldmann unsere Wohnung nicht betreten darf, erwirken können und ihn dann im Missachtungsfall durch Ordnungshüter beseitigen lassen können. Aber hätte mir das in der Nacht nach meinem Geburtstag was genützt? Und hätte ich die Polizei gerufen ohne auf eine Unterlassung verweisen zu können, hätten die Ordnungshüter rechtsmäßiger Weise darauf verweisen müssen, dass es sich um eine Privatangelegenheit handelte und sie bei dieser nur bei Gefahr im Verzuge, das heißt Gefahr für Leib und Leben, eingreifen dürfen. Andernfalls müssten sie sich ja zu Schnellrichtern erheben und was dabei heraus kommen kann sollten wir Deutschen ja von Gestapo und Stasi kennen. Andererseits hätte Katharina, so wohl spontan in besagter Nacht, wie später auch auf dem Rechtsweg, die ganze Sache drehen können und mich im Sinne kämpferischer Feministinnen als gewalttätigen Ehemann darstellen können - und dann wäre ich draußen gewesen. Auf jeden Fall hätte jede rechtliche Unternehmung, sowohl in der betreffenden Nacht wie auch in der Folgezeit, zu etwas geführt, was weder Katharina zum dem Zeitpunkt, wie sie mir wesentlich später mal sagte, noch ich wollten. Unsere Wege wären wahrscheinlich unversöhnlich auseinander gegangen, diese Ehe wäre nicht mehr zu kitten gewesen. Einer von uns beiden hätte diese oder eine andere gemeinsame Wohnung für immer verlassen. Das Ergebnis wäre aber auch dann, wenn einer von uns das Handtuch geworfen hätte und freiwillig von dannen gezogen wäre, mit großer Sicherheit identisch gewesen. Dieses alles überlegte ich mir in jener Nacht und für mich stand fest, dass ich, komme was wolle, nicht weichen werde. Ich wollte um Katha, die ich nach wie vor für einen unverzichtbaren Teil meines Lebens hielt, kämpfen, damit ich mit ihr noch mal einen Neubeginn wagen konnte. Und so wurde ich dann so eine Art Untermieter in der eigenen Wohnung. In Normalzeiten, also wenn Katharina ihrem Dienst nachkommt, wäre es an Werktagen kein größeres Problem gewesen, denn wenn ich, abgesehen von „Privattaxifahrten“ und „Lustdiensten“ überwiegend zu Hause gewesen wäre, hätte man Katha im Kindergarten angetroffen. Und umgekehrt, wenn sie Abends Zeit für Häuslichkeit hat, wäre ich mit meiner Chefin irgendwo im weiteren Umkreis einem billigen Vergnügen nachgegangen. Aber jetzt? Da es nun schon ein Weilchen her ist, weiß ich ja konkret, dass meine Frau wegen ihres Armes ganze acht Wochen krankgeschrieben war. In der ersten Woche meines seltsamen Untermieterdaseins kam hinzu, dass sich meine „Gebieterin“ nicht sehr wohl fühlte und mich nur für zwei Arztfahrten benötigte, Abends fand überhaupt nichts statt. So hielten wir, also ich und meine inoffiziell von mir getrennt lebende Frau, uns ganzzeitig in der Wohnung auf, womit natürlich einige Situationen vorprogrammiert waren. Hinsichtlich von Wiederannährungsversuchen schien mir das damals zunächst ideal. Das mich Marianne am Montag nicht in Anspruch nehmen wollte, hatte ich bereits beim Sonntagsschach am Vorabend erfahren. Da war ich allerdings nicht in Form und verlor alle drei Partien und so konnte ich schon um halb Zehn gemeinsam mit Klettners Hausarzt die Villa verlassen. Also nutzte ich gleich den Montagmorgen für einen Annäherungsversuch. Gegen Neun saß Katharina in der Küche beim Frühstück. Mit „Darf ich mir jetzt auch was machen und mich dazu setzen?“ tastete ich mich schüchtern vor. Bei ihrer Antwort versuchte sie sowohl gelassen wie nüchtern energisch zu wirken: „Ja, das ist mir dahingehend, dass wir etwas Grundlegendes regeln müssen, ganz recht. Also setzen sie sich erst mal.“. Während ich mir mein Frühstücksgeschirr aufdeckte konterte ich erst mal hinsichtlich der Siezerei: „Entschuldige, aber ich finde das Sie nach einer so langen und doch überwiegend schönen Zeit, unabhängig von dem was jetzt ist, nicht so passend. Sollen
wir es nicht beim Du belassen?“. „Wenn du einsiehst, dass es nicht mehr so ist und sein kann wie es früher mal war und du daraus keine Ansprüche ableitest, habe ich nichts dagegen. Fällt mir auch leichter.“, erwiderte sie rein sachlich. Als ich dann nach dem Kaffeeeinschütten Platz genommen hatte, begann Katharina mit ihrem Statement: „Dass du den Bock deines Lebens geschossen hast ist dir hoffentlich klar. Ich weiß im Moment noch nicht ... das gebe ich ehrlich zu – was ich überhaupt will. Das es mit uns nicht so wie in der letzten Zeit weitergehen kann bedarf doch wohl keiner Diskussion. Erst reißt du uns mit deinem Unternehmerabenteuer mächtig rein und dann betätigst du dich als Befriediger von dummen Millionärsweibern. Hauptsache du hast deinen Spaß, dann kannst du ja deine Familie nach Belieben vernachlässigen. Ich denke, dass du deinen letzten Kredit verspielt hast ... Zwischen uns beiden ist es, so wie es derzeitig aussieht, aus. Das tut mir allerdings sehr weh, aber egal ...“. Jetzt legte sie eine Pause ein, um sich die Tränen aus den Augen zu wischen, bevor sie fort fuhr: „Und Rainer (Goldmann) ist natürlich auch nicht das was ich will ... es war halt der einzigste Mensch, der da war, als ich jemand brauchte. ... Der ist ja auch verheiratet und hat 4 Kinder ... und außerdem spinnt der ein bisschen. ... Vielleicht mache ich auch so ein Wenig auf freie Liebe, den ganz bin ich ja auch noch nicht vom Weltlichen ab, und halte mir ansonsten die Kerle vom Hals.“. „Und was sollen die Kinder dazu sagen?“, warf ich jetzt, allerdings etwas unüberlegt, ein und bekam auch gleich die passende Antwort: „Hast du denn danach gefragt? Dir ist doch klar das Tina wusste was du da mit der Klettnerschen treibst. Mir hat sie das jedenfalls ein paar Mal angedeutet. Ich wollte es nicht wahr haben, weil ich nicht glaubte, dass du wirklich ein so mieses Stück bist. Einen Seitensprung kann man ja verzeihen, aber so etwas ...“. Jetzt brach sie ab, denn sie konnte sich eines Tränenstromes nicht mehr erwehren. Als sie sich ein Wenig gefasst hatte, kam sie zur nüchternen Sache. Sie schlug vor, das wir bis zu dem Zeitpunkt, wo wir uns schlüssig sind was werden soll, unsere Ehe als so eine Art Wirtschaftsgemeinschaft betreiben sollten. Für mich sollte das Schlafzimmer und für sie Christinas Exzimmer tabu sein. Das Bad sollte nach Absprache genutzt werden und sie wünschte sich, für den Fall das Goldmann oder jemand anderes da sei, werktags ohne weitere Absprache die Hoheit im Wohnzimmer zu haben und diese sollte am Wochenende nach Absprache gelten. Etwas seltsam das Ganze aber es klang vernünftig und im Moment sah ich keine Chance was besseres rauszuholen – und ich konnte auf diese Art und Weise ja auch meine Möglichkeiten hinsichtlich meiner Wiedereinigungsziele waren. Dieses ist auf jeden Fall besser als wenn jemand auf Nimmerwiedersehen ausziehen würde. Nur ob das klappt, ist eine andere Frage. Ich habe noch nie vom Funktionieren solcher Modelle gehört; aber trotzdem sollte es mir einen Versuch wert sein. Mein ursprüngliches Anliegen, den ersten Schritt in Richtung erneuten Anfang, blieb bei diesem Gespräch natürlich auf der Strecke. Dafür hatten wir den Status Quo, die Voraussetzungen für ein Aneinander-Vorbei-Leben gelegt. Wir bewohnten eine Wohnung, wir lebten in einer Wirtschaftsgemeinschaft und trotzdem führte jeder sein eigenes Leben in dem der Andere kaum vorkam. Unser Leben teilten wir stattdessen mit Menschen, die an dem unserem gar nicht interessiert waren. Als Fahrer war ich Statussymbol des Millionärsehepaares Klettner, als Schachspieler war ich Sparringpartner des Strategen Hannsfrieder Klettner und als Sexpartner war ich Spielobjekt der verwöhnten Narzisse Marianne Berghoff-Klettner. Aber meiner Katharina ging es auch nicht viel besser. Sie diente einem Rainer Goldmann nur zur Abwechselung von seinem Ehealltag und der Bestätigung seines Maschosgefühls. Bis Ende Oktober hatte meine Frau kaum etwas von diesen Knaben. Innerhalb von 2 Wochen bekam sie ihn regelmäßig nur ein Mal und in Ausnahmen auch zwei Mal an ihre Seite – und dieses dann ausschließlich im Bett. Da ich in dieser Zeit, außer in der ersten Woche, grundsätzlich des Abends meine Lady durch die Gegend schaukelte, bekam ich von den Besuchen Goldmanns auch selten etwas mit. Wenn er kam war ich grundsätzlich nicht da und oft war er, wenn ich heimkehrte, schon wieder von dannen. Und selbst wenn er da war, bekam ich das nicht mit, denn ich suchte bei meiner nächtlichen Heimkehr, mich an das Schlafzimmerverbot haltend, sofort meine Untermieterkoje auf. In den frühen Morgenstunden, wenn er ging, genoss ich dann in der Regel noch meine letzten Schlafrunden. Die Gründe für die „genügsame“ Pflege der außerehelichen Beziehungen lagen in der vierfachen Anforderungen an diesen Herrn Goldmann in dieser Zeit. Neben seiner Familie und seiner Konkubine – meine Frau – hatte er noch einen Beruf. Er war Krankenpfleger im gleichen Krankenhaus, in der auch unsere Christina als Krankenschwester beschäftigt ist. In den Monaten September und Oktober 1998 hatte er auf eigenen Wunsch grundsätzlich Frühschicht, denn als wackerer Parteigänger wollte er seiner Truppe im Bundestagswahlkampf zur Seite stehen. Da musste er in umweltverschmutzender Weise die Landschaft mit Wahlplakaten, deren Aussagen oft noch hinter gutgemachter Produktwerbung zurückbleiben, verschandeln. Grausam, wie diese wenig sagenden Werbeschreier wild an alle möglichen Ecken aufgestellt oder aufgehangen werden. Wer sich von so etwas oder von albernen Telewahlspotts in seiner Wahlentscheidung beeinflussen lässt muss schon ein reichlich unpolitischer Mensch sein, der läuft ja wirklich Gefahr, Ariel vergeblich auf dem Wahlzettel zu suchen. An den Wochenenden stellen die Parteien dann in der Innenstädten Marktstände auf, an denen es neben haufenweise, meist anschließend ungelesen in die Papierkörbe wandernden oder gleich in die Landschaft flatternden, Werbemüll dann auch Luftballons, echte und unechte Rosen oder Nelken, Schnäpschen oder bei den Grünen auch Kondome gibt. Also bei diesen „hochpolitischen“ Aktionen durfte unser Goldmann natürlich nicht fehlen.
Und dann noch die zahlreichen Veranstaltungen, auf denen die rhetorisch geschulten Parteivorbeter den Leuten erzählen was sie hören wollen, auf denen Goldmann als Klappcour gefragt war. Bei solchen Jubeltreffen erfährt ja niemand etwas von den festen Vorsätzen, die Politiker umzusetzen gedenken, sondern nur das was Kügelchen beim Wahllotto, sprich Wähler, dazu bewegt ins richtige Loch zu fallen. Was die Leute, abgesehen vom gut honorierten Pöstchen, wirklich wollen erfährt man in der Regel immer erst nach der Wahl. Und dieses wird dann damit begründet, dass man das vorherige Geschwätz wirklich ernst gemeint habe aber Sachzwänge eben zu etwas anderem zwingen würden. Da sich meine diesbezüglichen Aussagen auf diesen Herrn Rainer Goldmann beziehen und dieser CDU-Fraktionsboss im Bergdorfer Rat ist, könnte man annehmen, ich würde dieses nur in die eine Richtung sagen. Aber nein, ich meine unsere politische Kaste insgesamt. Auch sonst gibt es, weder in der SPD noch bei der F.D.P. noch bei den Grünen, Worthalter, die sich gegenüber denen, die ihnen die Stimme gegeben haben, verpflichtet fühlen. Man stelle sich mal einen Theologen vor, der sich mit tiefgläubigen Dissertationen um eine Pfarrstelle bewirbt und anschließend von der Kanzel die Leute zum Kirchenaustritt aufruft. So kommen mir allerdings die meisten Politiker vor. Ich habe 1998 bei der Bundestagswahl bewusst nicht mitgespielt, das heißt, ich gehörte da schon zu der immer größer werdenden Zahl der Nichtwähler. Das war 98 für mich eine Premiere, denn bisher habe ich keinen Wahltag ausgelassen um bei der SPD mein Kreuzchen zu machen. Zur Zeiten Willy Brands warf ich mich genauso wie jetzt Goldmann ins Wahlkampfgetümmel. Aber jetzt sehe ich keine Alternativen mehr. Die Spitzenleute der SPD liegen doch auf dem gleichen neoliberalen Kurs, der eigentlich nur der F.D.P. von Hause her zugeschrieben werden kann, wie die der CDU. In meinen Augen macht nur die F.D.P. mit ihren wahren Grundsätzen und Vorhaben Wahlpropaganda – aber das ist doch leider nicht meine Linie. Als der damalige Ministerpräsident von Niedersachsen, vom Nachnamen her mein Namensvetter, zum Kanzlerkandidat gekürt wurde, bin ich aus der SPD ausgetreten. Zwar finde ich es politisch primitiv Wahlentscheidungen von einzelnen Personen abhängig zu machen, denn nach meiner Auffassung müssen, wenn es um eine Sache geht, Personen austauschbar sein – wenn dem Einzeln was passiert muss es in der Sache ja weitergehen können, die Welt darf nicht wegen eines Einzelnen untergehen -, aber diese Vorzeigepopulisten stehen doch für die Kräfte die hinter ihnen stehen – und das sind bei Schröder wie bei Kohl Industrie und Banken. Sicherlich, so dachte ich damals, wird Schröder wie Kohl das wirtschaftliche Wohlergehen an imaginären zurecht spekulierten Aktienkursen, Gewinnen der Konzerne und an Geldhaufen auf privaten Konten und nicht an der Zahl der Arbeitslosen, Sozialhilfeoder Arbeitslosenhilfeempfänger, Kleinstrentnern, der verfügbaren Masse der Familien oder an der sicheren Existenz von Kleinstbetrieben im Handwerk und Handel ausmachen. So haben wir in der Bundesrepublik inzwischen eine genauso schizophrene Wirtschaft wie in den USA. Oben ist es wunderbar, die Aktienkurse galoppieren ins Wolkenkuckucksheim und die privaten Tauschhilfsmittelhaufen wachsen ins Unermessliche und unten ist die Wirtschaftslage auf gut Deutsch gesagt beschissen. Wir haben inzwischen eine Parallelwirtschaft: Oben boomt es und unten herrscht Dauerrezession. Zuhause und im Dienstverhältnis bei Marianne gab es für mich in dieser Zeit dann keine weltbewegenden Änderungen mehr, was aber nicht heißen soll, dass grundsätzlich nichts mehr gravierendes passierte. Am Tag der deutschen Einheit gaben Klettners mal wieder einen Empfang. Zwar war nicht dieser, etwas willkürlich festgelegte Nationalfeiertag, der Anlass sondern eine erfolgreiche geschäftliche Unternehmung unseres Herrn. Dazu erschienen dann auch Herrschaften, die sich zwar geschäftlich aber privat nicht so gut kannten. Folglich lief diese Angelegenheit um einige Nuancen seriöser wie üblich ab. Verena bediente ausnahmsweise in einem netten Hausmädchendress, welches nicht auf Erotik getrimmt war. Zwischen Elf und Eins kamen Hermann Langhals und ich auch kräftig zum Einsatz, denn wir mussten alle Gäste entweder nach Hause oder ins Hotel fahren. Am nächsten Tag hatte ich bereits um 8 Uhr den nächsten Einsatz und den sogar auf des Herren Daimler – ich musste die Herrschaften zum Flughafen fahren, sie wurden an diesem Tag in London gebraucht. Da wurde mir erstmalig eine Bettkammer im Gartenhäuschen auf dem Grundstück der Villa Klettner angeboten und ich machte davon auch Gebrauch. In diesem Häuschen gab es drei Räume. Zwei kleine, die als Bettkammern, der einen regelmäßig von Verena und die andere jetzt von mir, genutzt wurden und einer größerer zum Kochen und für den Aufenthalt. Für Sanitärzwecke stand ein WC mit Dusche zur Verfügung. Diese Nacht verbrachte ich also mit dem Mädchen ansonsten unbeaufsichtigt unter einem Dach. Das veranlasste dann Verena auch zur verwunderten Feststellung: „Nanü nana, da hat man uns eingeschärft, dass wir nicht miteinander dürfen und jetzt sieht es nach einer Aufforderung zum Tanz aus.“. Ich wollte sie beruhigen als ich ihr antwortete: „Du brauchst aber trotzdem keine Angst zu haben, ich tue dir nichts.“. Sie hatte jedoch was anderes erwartet und antwortete zunächst „Schade“ und fuhr nach einer nachdenklichen Pause fort: „Verstehe mich bitte nicht falsch. Ich möchte nicht in erster Linie Sex von dir; es kommt mir nicht auf das Bumsen an. Wie auch, ... überlege doch mal den Altersunterschied zwischen uns beiden. Theoretisch, also vom Körperlichen her könntest du sogar mein Opa sein. Aber ich vermisse was, ... was heißt hier was, ich vermisse sehr, sehr viel. Ich möchte mal jemanden, so wie früher bei Mutti oder Vati in den Armen liegen. Ich möchte mal kuscheln und schmusen, ich möchte mal einen anderen warmen Körper an meinem spüren. Ich möchte mal, das mal jemand nett zu mir ist und mir keine Befehle gibt was ich für seine schmutzige Fantasie tun soll. Und ich möchte mich dafür mal mit dem gleichen revanchieren.“. Bei den Ausführungen des Mädchens waren meine Augen feucht geworden und ich nahm sie wie eine kleine Tochter auf meinen Schoß. Sie schlang ihre Arme um meinen Hals und legte, nachdem sie ihre Ausführung beendet hatte, ihren Kopf dicht an den meinen auf meinen Schultern und ich drückte sie fest, so wie ich es bei Christina gemacht habe wenn sie früher mal traurig war.
Nachdem wir so ein paar Minuten schweigend und auch irgendwo glücklich dagesessen hatten, war es mir auch mal nach einer Runde Philosophie: „Ach Mädchen, dir fehlt das Gleiche wie mir. Auch ich vermisse ein Bisschen Menschlichkeit, ein Wenig von dem was ich unter Leben verstehe. Wenn du den Leuten draußen erzählst, wie das hier in der Villa ist und wie hier das sogenannte Leben abläuft, sagen sie alle toll und wunderbar. Viele träumen dann davon im Lotto zu gewinnen um sich so was auch leisten zu können. Die Leute halten es für Glück aber ich weiß heute, dass es Unglück ist. Alles ist kalt und nur fürs Auge; in erster Linie für die Augen der anderen weil man den imponieren muss, da man sonst nichts zugeben hat. Alles was diese Leute an Werten besitzen befindet sich in teilweise kitschigen Gegenständen oder als nur Zahlen auf den Konten. Ein Selbstwertgefühl, einen Grund auf sich selbst stolz zu sein, kennen die Leute hier nicht. Diese Wertelosigkeit ersetzen sie durch den Zwang immer der Sieger zu sein und diesen neurotischen Trieb befriedigen sie in dem sie gedankenlos, unmenschlich und erbarmungslos gegen ihre Mitmenschen vorgehen. ... Hast du heute morgen in der Zeitung gelesen, dass unser Boss gejammert hat, dass die Lohnnebenkosten so hoch seien, dass sich wirtschaften bald in Deutschland nicht mehr lohnen würde und dass deshalb das soziale Netz dringend reformiert werden müsste. Dabei lohnt sich das Wirtschaften hier so sehr, das für ihn so viel dabei abfällt, dass er schon nicht mehr weiß, wie er es ausgeben soll..“. Jetzt merkte ich, wie ich abschweifte und legte deshalb erst mal eine Pause ein. Inzwischen hatte sich Verena von meinem Schoß erhoben und hatte damit begonnen, sich nachdenklich zu entkleiden. Ich fuhr noch mal fort: „Mir geht es genau so wie dir. Auch ich fühle mich beschissen und brauche nur ein kleines Stückchen Glück. Deshalb werde ich auch jetzt mit dir ins Bett gehen, mit dir kuscheln und schmusen.“. Als ich diese gesagte hatte schaute sie, die inzwischen vollkommen nackt war, mich glücklich lächelnd aber ansonsten wortlos an. Während ich mich selbst auskleidete fragte ich sie: „Du sagest mal, du machtest alles nur um dir auch einen Millionär zu angeln, damit es dir auch mal so gehe wie unserer Chefin. Bist du immer noch der Meinung?“. „Ach Pepe,“, stöhnte sie, „was ist richtig. So wie meine Eltern ... und auch du jetzt, gelebt haben beziehungsweise lebst, ist es ja auch nicht das Wahre. Und dabei gibt es viele denen es noch viel schlechter geht. Reich sein ist erst recht kein Leben. Was ist denn eigentlich richtig, was ist Leben?“. Auf diese Frage konnte ich ihr leider keine Antwort geben. Ich weiß heute nur, das Sozialneid das sinnloseste Gefühl der Menschheit ist. Je höher der Mensch kommt um so mehr entfernt er sich vom wirklichen Leben und je tiefer er rutscht um so mehr muss er um dieses kämpfen; beides deckt sich nicht mit dem Bild eines anstrebenswertes Ideals. So verbrachten wir die Nacht mit eng aneinander geschlungen nackten Körpern in ihrem Bett. Geschlechtsverkehr hatten wir in dieser Nacht nicht miteinander und trotzdem kamen wir uns am nächsten Morgen vollkommen befriedigt vor. Irgendwie empfanden wir in dieser Nacht ein Hauch von dem Glück, was uns beiden zur Zeit so sehr fehlte. Auf eine merkwürdige Weise empfand ich ab dieser Nacht eine Liebe zu Verena. „Merkwürdige Weise“ daher, weil dieses nicht so war wie zwischen Mann und Frau, also wie zwischen Katharina und mir, und auch nicht so etwas wie im Verhältnis zu Marianne, ein rein auf Kick und Orgasmus ausgerichtetes körperliches Spiel. Es war auch nicht so wie eine Liebe zwischen Vater und Tochter; irgendwie – ach ich weiß nicht. Ich weiß nur, dass ich dieses Mädchen liebte und zwar zu diesem Zeitpunkt mehr als jeden anderen Menschen auf der Welt. Ab dieser Nacht suchten wir noch einige Male diese Nische für ein kleines Glück in einer glücklosen Welt in gleicher Art und Weise wie in dieser Nacht auf. All zu oft konnte es nicht sein, denn ich musste die Gelegenheiten für eine Übernachtung im Gartenhäuschen suchen und unauffällig nutzen. Schließlich naschten wir beide nicht nur im ethischen, moralischen Sinne von verbotenen Früchten sondern unser Dienstherr hatte uns dieses ja bei meiner Einstellung strickt untersagt. Ich begründe es mit der Interesselosigkeit an Menschen, wie sie bei unserer Herrschaft vorlag, dass denen kein Licht aufging. Denen waren wir doch immer dann, wenn sie uns nicht nutzten wollten, doch so egal wie dem Pferd ein saftiges Steak. Natürlich hätten wir auch noch auf meinem Zimmer in meiner Wohnung technisch die Möglichkeit zu traulichen Stunden gehabt. Aber ob das meinem Untermieterdasein dienlich gewesen wäre? Ob so etwas mich meinem Ziel trotz allem mit Katharina wieder ins Reine zu kommen genützt hätte? Ich wusste nur eines: Durch die Liebe zu und von Verena wurde mir in jener Zeit die Menschlichkeit gegeben, die ich damals zum Überleben brauchte.
Zum Kapitel 7
Zum Inhaltsverzeichnis
Ein stilles Vater unser in der Moschee Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, das unsere Kinder Christina und Thomas bisher in meiner Niederschrift nur am Rande vorkamen. Das dürfte in erster Linie daran gelegen haben, das sowohl ich wie auch Katharina, um die sie sich ihr außerehelicher Lover jetzt ab November 1998 etwas mehr kümmerte, uns so sehr mit uns selbst beschäftigten, dass da kein Raum mehr für einen Gedanken an unsere inzwischen erwachsenen Kinder war. Jetzt griffen sie aber zunehmenst in das Geschehen ein und in starken Maße hatte da Rainer Goldmann seine Finger auch mit im Spiel. Am ersten Freitag im November, ich glaube es war der Sechste, bekam ich auf meinem Handy einen Anruf von Christina. Ihre Stimme klang so ein Wenig weinerlich: „Hallo Paps, hier ist Tina. Ich muss dich unbedingt sprechen. Kannst du Morgen oder Übermorgen mal zu uns kommen?“. Da am Folgetag die Klettners ab Nachmittag gemeinsam unterwegs waren und an diesem Samstag Hermann Langhals sie kutschen musste, konnte ich für den Samstag zusagen. Wir einigten uns also auf den Folgetag 19 Uhr. Ich freute mich richtig auf diesen Abend, denn es war bestimmt schon drei oder vier Monate her, dass ich mal länger als eine halbe Stunde mit unserer Tochter und ihrem Serret zusammengesessen hatte. Aber was ich von Tina zuhören bekam, ließ dann doch kein Glück aufkommen. Aber alles der Reihe nach. Pünktlich um Sieben drückte ich auf den Klingelknopf mit der Aufschrift „Yilmaz/Schröder" und sofort nach dem mir mittels Drücker die Tür geöffnet worden war sputete ich, den Aufzug missachtend, die Treppen hinauf in den dritten Stock. Christina sprang mir bereits im Flur entgegen und hängte sich an meinen Hals: „Vati, Vati, was bin ich froh, dass du gekommen bist.“. Das ließ nichts gutes ahnen; ihr Herz musste voll sein. Und das war es auch. Seit etwa einen Monat war sie im Krankenhaus einer Mobbingattacke ausgesetzt. Urheber dieser schmutzigen Kampagne war ein gewisser Rainer Goldmann, der „Freund“ ihrer Mutter. Begonnen hatte es an einem Sonntagnachmittag in unserer Wohnung, in der ich zur Zeit als eine Art Untermieter „hauste“. Ich war im Dienste von Marianne Berghoff-Klettner unterwegs, als Tina gemeinsam mit Serret zu Hause ein Besuch abstattete. Katharina war nicht alleine, sondern ihr Freund hatte sich mal ausnahmsweise am Sonntagnachmittag von seiner Familie gelöst und dafür meine Frau aufgesucht. Christina kannte er ja als seine Kollegin aus dem Krankenhaus aber Serret, von dessen Freundschaft zu unserer Tochter er bis dahin nichts wusste, war ihn bis dato unbekannt. Christina wurde von ihm freundlich begrüßt und Serret wurde von ihm wie Luft behandelt. Katharina versuchte ihrem Lover den Partner ihrer Tochter vorzustellen: „Rainer, das ist Serret, der Zukünftige unserer Tina.“. Mürrisch soll er „Freut mich“ geantwortet und dabei weggeschaut haben. Goldmann hat sich dann mit meiner Frau und meiner Tochter unterhalten und immer wenn Serret versuchte auch mal was zur Plauderei beizutragen, fiel ihm Goldmann ins Wort. Dann hatte Goldmann von der großen Gefahr durch die Islamisierung für unsere christlichabendländischen Kultur gesprochen. Dabei hat er sich „pausenlos“ im Stammtischjargon abfällig über türkische Mitbürger geäußert. Als Katha ihn darauf hinwies, das Serret von Geburt an deutscher Staatsbürger sei, kam von ihm der Kommentar: „Damals zur Zeiten des Vaterlandsverräters Fram (gemeint war Willy Brand) konnte sich auch jeder hergelaufene Fellache sich den Ehrentitel „Deutscher“ erschleichen. Kaufen konnten sie diesen ja nicht, denn die Kümmeltürken aus Anatolien hatten ja nichts, die sind ja zum Absahnen gekommen. Kommt her zu uns alle die ihr faul und träge seit, wir werden euch bereichern.“. In Christinas Bericht musste ich doch mal kommentierend einhaken: „Das mal Einzelne von Links nach Schräg denken, kann man leider nicht verhindern. Gegen Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens. Das aber so ein brauner Tor auf kommunaler Ebene Fraktionsvorsitzender bei einer demokratischen Partei werden und sein kann, ist mir unbegreiflich. Die bürgerliche CDU ist zwar leicht rechtslastig, aber so etwas wie dieser Goldmann ist mit Sicherheit nicht im Sinne der Partei. Aber was soll es, ich habe mal gelesen das über 10% der jugendlichen Mitglieder und Anhänger von SPD und DGB ausländerfeindliche und rechtslastige Ansichten haben. Öfters kommt mir unsere Gesellschaft extrem schizophren vor. Da labern sie auf großer Ebene pausenlos von Globalisierung und vor Ort vernageln sie den Globus mit den Brettern des plumpen Patriotismus. Was hat dieses Würstchen von Goldmann eigentlich dazu beigetragen, dass ihn seine Eltern hier zu Welt gebracht haben? Was würde der denn sagen, wenn seine Eltern Bhutus in Uganda gewesen wären. Die Ei- und Samenzelle, aus die er entstanden ist, konnten sich ja keine ‚anderen’ Träger aussuchen.“. Jetzt berichtete Christina weiter. Am nächsten Morgen erzählte er im Krankenhaus rum unsere Tochter sei ein Kanakenliebchen. Was Tina entsetzte war, dass er damit zwar bei der Mehrheit auf teils ehrliche und teils vordergründige Ablehnung gestoßen ist aber auch bei einer nicht kleinen Zahl von Leuten Zustimmung und Beifall erhalten hat – und dieses querbeet von Patienten über Pflegepersonal bis zu den Ärzten. In ihrer ersten Reaktion hat sie damit gekontert, dass er ein Ehebrecher sei. Dieses tat er dann damit ab, dass wohl niemand dumme kleine Mädchen, die mit Alis durch die Gegend laufen, ernst nehmen würde. Seitdem muss Tina im Krankenhaus Spießruten laufen. Immer wieder lässt man in ihrer Gegenwart dümmliche rassistische Bemerkungen fallen. Grundsätzlich wenn mal was schief läuft oder wenn etwas abhanden kommt, fragt man erst verdachtshalber bei ihr nach. Sie wird ständig direkt oder verdeckt beobachtet, was sie natürlich ganz fickerig macht – und dadurch häufen sich natürlich Fehler. „Unaufgefordert“ hat jetzt ihre Stationsschwester eine Beurteilung über sie geschrieben. Dazu sagte Christina jetzt: „Glaube mir Vati, was darin steht ist ungeheuerlich. Danach hat jede Grundschülerin mehr Ahnung von Krankenpflege
als ich. Ich werde als das totale Dummerchen ... ach das ist zu harmlos: Ich werde als stockdoof dargestellt.“. Mobbing läuft scheinbar immer nach dem gleichen Strickmuster ab: Jemand ohne soziale Kompetenz macht Stimmung gegen jemand und seines Gleichen folgen ihm mit sadistischer Freude. Dann wird das Opfer beobachtet, wodurch dann kleine Fehler nicht vermeidbar sind, und dann wird alles in sogenannten Beurteilungen oder Zeugnissen zusammen geschrieben. Was dabei heraus kommt, müsste eigentlich Zweifel an den fachlichen und sozialen Fähigkeiten des Unterschreibenden begründen. Aber leider ist es oft umgekehrt: Man bepflastert das Opfer mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen. Was unsere Tina jetzt zu berichten hatte schlug dem Fass den Boden aus. Thomas hatte sich, als er letztes Wochenende zuhause war, auf die Seite Goldmanns geschlagen. Da hat doch unser Sohn glatt behauptet, das wenn sich Hunde oder Katzen aus verschiedenen Rassen paaren, dabei Bastarde und Promenadenmischungen heraus kämen. Seine Alpträume wären es, Onkel über einen Bastard mit Ölaugen zu sein. Jetzt musste ich doch mal dazwischen fragen: „Was sagt denn Mutti dazu.“. „Nichts,“, kam die zunächst kurze und knappe Antwort, die sie nach tiefen Luft holen dann doch ergänzte: „Erst gestern packte sie aus. Sie sagte ihr sei jetzt alles egal, sie wüsste nicht mehr, was Richtig oder Falsch sei. Ihre Welt sei zusammengebrochen und alles woran sie geglaubt hätte wäre in unzählige Scherben zerfallen. Sterben wolle sie nicht, dafür sei sie noch zu jung, aber das Leben mache ihr keinen Spaß mehr. Ihr sei das alles nicht recht und es sei auch alles Falsch. Das Thomas immer mehr der Dummheit verfällt, wäre sogar ihr größter Schmerz. Sie habe aber keine Kraft mehr und wollte nur noch so dahinleben.“. Nach dieser Aussprache mit ihrer Mutter hatte Christina mich angerufen. Sie war der Meinung, dass ich der Dreh- und Angelpunkt sei; nur ich sei in der Lage alle aus der „Scheiße“ zu ziehen. Allerdings sah sie ein, dass ich im Moment selbst am Boden liegen würde und wohl nicht die Kraft hätte die Zustände von Heute auf Morgen zu ändern. Sie forderte mich, ohne etwas Konkretes anzusprechen, auf mir intensiv darüber Gedanken zu machen was ich tun könne und dann nichts unversucht zu lassen. Allerdings solle ich nichts überstürzen und Vorwürfe machte sie mir auch nicht. Dieses war der eine Anlass wozu sie mich eingeladen hatte, der andere deckte sich mit dem Grund warum sie tags zuvor Katharina aufgesuchte hatte. Am 15. November 1998 sollte Serrets Schwester Seval nach muslimischen Brauch in der Moschee in Neuhausen getraut werden. Anschließend wollte man noch ein Wenig im kleinen Kreis zusammen sitzen. Eine große Feier wollte man schon aus dem Grunde nicht machen, weil dieser Tag mit dem Volkstrauertag zusammenfiel. Zwar hatte niemand etwas mit diesem früheren „Heldengedenktag“ am Hut – ich übrigens auch nicht – aber man wollte nicht provozieren. Aus diesem Grunde wurden auch alle geladenen Gäste daraufhin gewiesen, dass man auf den üblichen Autokorso zur Abholung der Braut verzichten wolle. Auch Katharina und mich wollte man dazu einladen. Katha hatte unter Hinweis auf unsere derzeitige Situation sofort abgesagt. Ich jedoch wollte ein Zeichen setzen und auf jeden Fall erscheinen. Mein Vorsatz an der muslimischen Hochzeit teilzunehmen brachte mir auch einigen Ärger im Hause Klettner ein. Am Dienstag, als das Millionärspaar aus London zurück war, ließ sich Marianne zwecks Verschreibungen zu ihrem Arzt fahren. Dieses Gelegenheit nutzte ich gleich, um ihr mitzuteilen, dass ich für diesen Zweck auf jeden Fall am Fünfzehnten „Urlaub“ nehmen würde. Sie nahm dieses zunächst beiläufig zur Kenntnis und ich dachte schon die Sache wäre gelaufen. Aber an diesem Abend war der „große“ Klettner selbst zuhause und er bat mich um Sieben, als ich seine Madam zu den üblichen Abendtouren abholen wollte, zu sich in das mir wohlbekannte Schachzimmer. Erst dachte ich, dass er von seinem „Herrenrecht“ Gebrauch gemacht hätte und den Abend auf Strategietraining umdisponiert habe. Irgendwie freute ich mich schon, da ich eigentlich überhaupt keine Lust zum Fahren hatte. Aber ich sollte mich getäuscht haben, er wollte mir nur einen Vortrag halten: „Herr Schröder, meine Gemahlin berichtete mir, dass sie am Sonntag, dem 15. frei haben möchten. Ich habe keine Möglichkeiten und auch keine Absicht ihnen dieses zu verwehren, obwohl es mir etwas meine Planung durcheinander wirft, da unser Herr Langhals gerade an diesem Tage zum 70. Geburtstag seiner Schwester wollte. ... Na mal sehen, was wir da machen. Sie werden sicher verstehen, dass ich jetzt an sie appellieren möchte, sich diese Angelegenheit noch einmal zu überlegen. Da gibt es ja auch noch ein paar grundsätzliche Gedanken, die ich zumindestens mal geäußert haben möchte. Wir sind uns doch sicher darüber bewusst, das wir alles was wir haben und was wir sind unserer christlichen-abendländischen Kultur zu verdanken haben. Überall, wo sich der fundamentalistische Islamismus durchgesetzt hat, führte dieses zum Rückschritt in das Mittelalter ... Sehen sie sich doch nur einmal die Zustände im Iran oder Afghanistan an. Kemal Ata Türk hat seinen Landsleuten die Tür in die Neuzeit aufgestoßen, aber wenn die türkische Elite nicht aufpasst, wird es den Mullahs aus Anatolien bestimmt gelingen das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Sicherlich werden es die Fundamentalisten mit radikalen und terroristischen Aktionen schaffen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beschädigen. Aber auf dem Schleichweg über unsere Familien stellen sie doch eine erhebliche Gefahr für unsere Kultur, für unsere Sitten und Ordnungen, da. Unter den Schlagworten ‚multikulturelle Gesellschaft’ und ‚Integration’ machen sie sich, unterstützt von den roten und grünen Händlern von ‚Staatsbürgerschaften en gros’, an unsere Töchter heran und etablieren den Islam in unserer Gesellschaft. Wenn diese erst mal den kleinen Fingern haben, werden sie demnächst nicht nur die ganze Hand sondern den ganzen Menschen nehmen. Ich an ihrer Stelle würde nicht nur der orientalischen Hochzeit eine Absage erteilen sondern auch auf ihre werte Frau Tochter aufpassen.“
So, oder bessergesagt noch einen Tick schärfer, ging das noch eine Weile weiter. In der Grundaussage konnte ich keinen Unterschied zwischen dem Denken eines Herrn Goldmann und dem eines Herrn Klettner entdecken. Der einzigste Unterschied war nur die Form: Goldmann im plumpen Stammtischbrüderjargon und Klettner im gekünzelten elitären Stil. Aber Ausländerfeindlichkeit bleibt Ausländerfeindlichkeit, genau wie Rassismus auch Rassismus bleibt. Ehrlich gesagt habe ich oft Schwierigkeiten die substanziellen Unterschiede zwischen den feinklingenden demokratischen Aussagen bayerischer Politiker und dem Geblöke kahlköpfiger Straßenjungens zu entdecken. Vielleicht ist mir Letzteres noch angenehmer, da es tatsächlich ehrlicher und direkter ist. Im Grunde wollen ja beide das Gleiche: Ausländer raus. Unsere feinschwätzenden Politiker machen ja nur da eine Ausnahme, wo die „Fremden“ als Kulis in unserer Wirtschaft benötigt werden. Aber wenn die ihre Schuldigkeit getan haben, sollen sie aber wacker wieder verschwinden, denn schließlich glauben sie, dass das immer leerer werdende Boot voll sei. Zum Abschluss seiner tendenziösen Rede kam Klettner noch mal auf den 70. Geburtstag der Schwester meines Kollegen Hermann Langhals zu sprechen und appellierte diesbezüglich nochmals an mein Gewissen. Mit einem Trick habe ich unseren Herrenfahrer am nächsten Tag mal „ausgefragt“. Seltsamer Weise erfuhr ich von ihm, dass seine Schwester erst 66 Jahre alt wäre. Offensichtlich hatte unser Boss es versäumt, den Betreffenden vorher zu instruieren. Auf jeden Fall kam Hermann des Abends zu mir um sich dahingehend zu korrigieren, dass er in Gedanken gesagt hätte seine Schwester sei 66, in Wirklichkeit würde diese am 15. Siebzig. Ich kann allerdings Eins und Eins zusammenzählen und blieb dabei auf Sevals Hochzeit zu erscheinen. Klettner hätte ja, da ich beim ihm in Schwarzarbeiterdiensten stand, ohnehin keine Möglichkeit gehabt, irgend etwas dagegen zu unternehmen. Selbst auf meine Dienste danach verzichten zu wollen, kann er mir nicht androhen, da ich ja doch an, für ihn falschen Stellen, hätte etwas ausplaudern können. Also begab ich mich am Volkstrauertag zusammen mit Christina und Serret zur Moschee in Neuhausen. Es war doch irgendwo ein komisches Gefühl sich in etwas unbekanntes Neues zu begeben. Es war ähnlich wie eine Angst zu spüren aber Angst war es eigentlich nicht – ich kann es leider nicht anders beschreiben. Auf der Fahrt zur Moschee wusste ich noch nicht, dass ich mit diesem Gefühl nicht alleine war; Christina ging es, wie ich später erfuhr, genau so wie mir. Für sie wurde es noch beklemmender als wir vor dem Haus von einander getrennt wurden. Für Damen und Herren gab es einen separaten Eingang. Das waren nicht nur die Eingänge die voneinander getrennt waren, denn hinter den Verkaufsräumen, die mich an die Vertreibung der Händler aus dem Tempel durch Jesus erinnerten, befanden sich absolut voneinander getrennte Räumlichkeiten für Damen und Herren. Ich weiß nicht, aber ein bisschen ärgerlich war ich darüber, das uns Serret nicht ausführlicher eingeweiht hatte, schon. Über eine Treppe gelangten wir in den ersten Stock, wo es einen kleinen Stau gab, weil sich die vor uns hinaufgegangenen Herren die Schuhe auszogen. Da war ich allerdings darauf vorbereitet, denn ich wusste das Muslims einen Teppich grundsätzlich auf Strümpfen betreten. Viele in der Regel nur in der Moschee aber bei einigen strenggläubigen auch in den Privatwohnungen. Daher auch die Schuhsammlungen, die man hin und wieder vor den Wohnungstüren von Türken findet. Ich sehe allerdings keinen Grund darüber zu lästern, das man geweihte Räume und Wohnungen nicht mit Straßenschmutz verunreinigt; so wie es die Muslims halten spricht dieses für Achtung und Demut. Als ich jedoch auf Socken, mit den Schuhen in der Hand, vom Treppenhaus in den Flur zur Moschee einbog bekam ich aber doch so eine Art Schrecken. Links ging es zu den Sanitärräumen und vor dem Handwaschbecken standen einige Herren und wuschen sich die Füße. Auch dieses erinnert mich an eine neutestamentliche Textstelle, mit denen Muslim nun nichts zu schaffen haben: An die Fußwaschung vor dem Abendmahl. Sowohl der Händler am Eingang und jetzt die Fußwäscher lieferten mir den eindeutigen Hinweis auf den gemeinsamen Ursprung aller drei monotoistischen Religionen: Juden, Christen und Muslims. Alle verehren wir den gleichen Gott, gleichgültig ob wir ihn nur Gott oder Allah, Jehova beziehungsweise Elliah nennen. Gott der Schöpfer, der Allmächtige, der von Ewigkeit zu Ewigkeit herrscht und regiert wird von uns allen in gleicher Weise verehrt. Warum finden wir dann eigentlich keine gemeinsame Basis um miteinander von Bruder zu Bruder, von Schwester zu Schwester, zu reden? Warum fürchten wir den anderen, warum wollen wir ihn verdrängen und vertreiben? Hat uns unser Herr Jesus Christus nicht einen Missionsbefehl gegeben? Kann man mit Vertreibung, Schwertern und Bomben missionieren, oder geht das mittels aufeinander zu gehen, miteinander sprechen und vor allen Dingen überzeugen. Also, ich brauchte mir die Füße nicht zu waschen und drang, nachdem ich meine Schuhe in ein großes Regal gestellt hatte und mir die Stelle gemerkt hatte, in den Vorraum des großen Gebetsraum, in den ich durch die Fenster blicken konnte, vor. Jetzt wusste ich nicht mehr weiter und blieb dort still und andächtig stehen. Serret war durchgeschritten und kniete sich zu den anderen zirka 50, mit Plätzchenmützen bedeckten Herren. Alle knieten in eine Richtung; vermutlich in Richtung Mekka. Irgendjemand den ich nicht sah, rief monoton etwas, was sich in meinen Ohren leierig anhörte und was ich auch sprachlich nicht verstehen konnte. Ich vermute, das es arabisch war, kann diese aber nicht beschwören, da ich auch der türkischen Sprache nicht mächtig bin. Zwischenzeitig verbeugten sich die Herren, unverändert kniend, nach vorn. Zunächst ging ich davon aus, es handele sich um eine kurze Andacht vor der Trauung. Aber da hatte ich mich getäuscht, es handelte sich um das Mittagsgebet, welches sich über eine Stunde hinzog. Aber ich habe natürlich nicht die ganze Zeit so da gestanden, sondern nach etwa 2 Minuten kam ein älterer Herr auf mich zu und hieß mich mit leiser Stimme herzlich willkommen und bat mich mit ihm zukommen. Ich wurde in einen weiteren Vorraum des Gebetsraumes, in dem sich unter Bücherregalen an den Wänden zwei Sofas und eine Reihe
gepolsterter Lehnstühle befanden. Man bot mir Platz an und im Nu kam ein junger Mann und stellte ein kleines Tischen vor mir auf. Sehr bald wurde mir klar warum dieses. Mir wurde erst ein Gläschen Tee gereicht und dann durfte ich mir Würfelzucker nehmen. Es blieb nicht bei dem einen Tee, es wurde immer wieder nachgefragt und letztlich hatte ich dort still sitzend drei Gläschen getrunken. Als ich da so still saß kamen mir doch einige Gedanken: Ist es eigentlichen rechtens, dass ich hier sitze? Lästere ich damit nicht meiner eigenen Religion? Verspotte ich, während ich hier sitze nicht meinem Herrn und Erlöser? Müsste ich mich nicht gegenüber den sehr gläubigen Herren hier schämen? Wann war ich denn das letzte Mal in der Kirche? Und irgendwie war mir danach jetzt auch danach ein stilles Gebet, ein Vater unser, zu beten: Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name ... Dieses könnten alle hier unverändert mitsprechen, denn im Vater verehren wir alle den gleichen Gott ... Dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im Himmel so auch auf Erden ... Können dieses die Muslims eigentlich mitbeten oder verstehen sie unter dem Reich Gottes, dem ewigen Leben mit und in ihm was anderes? Ich weiß es nicht, ich habe noch mit niemanden darüber gesprochen ... Unser tägliches Brot gib uns heute ... Das könnten wir alle gemeinsam beten. So selbstverständlich wie uns dieses tägliche Brot, auch unter den Dächern der Armen, in unserer Gesellschaft vorkommt, so selbstverständlich ist das gar nicht. Die Mehrheit der Menschen hungert und das obwohl die Erde genug für uns alle bietet. Aber Menschen, die im Dienste des Gottes Mammon tätig sind haben diese Erde, die allein dem Herrn gehört, in Besitztümer aufgeteilt und schütten daraus lieber Nahrungsmittel zu Gunsten der Preisstabilität ins Meer als es mit den Armen zu teilen ... Und vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigern ... Das würde hier bestimmt niemand mitbeten. Das ist das Besondere am Christentum: Wie wir vergeben unseren Schuldigern. Das ist Feindes- und Nächstenliebe, keine Rache- und Vergeltungsgelüste. Nach den Worten unseres Herrn Jesus Christus die wesentlichste Voraussetzung für unsere eigene Erlösung. Das ist es, von dem wir überzeugen müssen, das ist es mit dem wir missionieren müssen. Aber machen wir das mittels Missachtung, Diskriminierung mit Rufen wie „Ausländer raus“ oder „Kampf der Islamisierung“. So gesehen, bin ich heute richtig hier. Ich signalisiere Gesprächsbereitschaft und zeige damit, dass ich meine Nächsten lieben will. ... Und führe uns nicht in Versuchung sondern erlöse uns von dem Bösen. ... Und das ist es, nach dem mir zur Zeit, in meiner persönlichen Situation an Meisten dürstet. Aber ich war mir in diesem Moment sicher, das ich nicht vergeblich auf Erlösung, auch aus meiner irdischen Situation, hoffen kann. Nur wann und wie, das weiß nur der Herr. ... Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit Amen. In meinem stillen Gebet war ich gerade beim Amen, als mich ein Herr ansprach, ob ich vielleicht einen Kaffee möchte und dazu könnten wir uns in einen anderen Raum begeben, in dem man sich auch ein Wenig unterhalten könnte. Ich folgte ihm bis zu dem Regal wo alle Schuhe standen und nahm jetzt neben dem Sanitärraum eine weitere Tür wahr, die zu einem Aufenthaltsraum, zu dem auch eine kleine Küche gehörte. Hier trafen wir auf etwa 10 Leute, unter ihnen auch der Bräutigam, die sich munter unterhielten. Ich weiß nicht, ob sie sich bereits vorher ausschließlich auf Deutsch unterhalten haben oder ob sie jetzt – mir zu Ehren – auf diese Sprache umstellten. Auf jeden Fall drückten alle ihre Freude und Dankbarkeit darüber aus, dass ich gekommen war. So selbstverständlich ist so etwas wohl nicht. „Endlich“, nach anderthalb Stunden wurde der Bräutigam – und natürlich auch alle anderen – gebeten, in den Raum zu kommen, in dem ich zuvor gesessen hatte. Aus dem Gebetsraum hörten wir eine Ansprache in türkischer Sprache und dann gingen einige Herrn, darunter die Väter der Braut und des Bräutigams nach vorne und zuletzt der Bräutigam und sagten ein paar kurze Worte, die ich nicht verstand. Da hatte ich raus, dass es sich um die Trauungszeremonie handelte, die bei den Muslims getrennt in unterschiedlichen Räumen stattfand. Für einen Christen eine etwas merkwürdige Zeremonie. Während dieser wurden im Raum Umschläge verteilt, in dem Geldscheine eingeführt wurden. Ich brauchte keinen, denn ich hatte bereits vorher eine (deutsche) Glückwunschkarte zur Hochzeit mit einem Hundertmarkschein gefüllt. In langer Reihe ging man nun Hände schüttelnd ein langes Spalier ab. Gegenüber dem Bräutigam und den Vätern der Brautleute war ein Tisch aufgebaut, auf denen dann die mit Geld oder Gold gefüllten Umschläge abgelegt wurden. Ich hatte das Gefühl, das sich die Angehörigen der Brautleute sich wirklich aufrichtig über meine Anwesenheit gefreut hatten. Die Gratulationskur war noch nicht beendet als lange Papierbahnen auf dem Boden ausgerollt wurden. Auf diesen wurden lange Brote, ähnlich einem Baguette, die mit Hammelhackfleisch gefüllt waren, ausgelegt. Für jeden Gast war ein Brot bestimmt. Dazu wurden große Schüsseln mit Salat, die mit den Fingern gegessen wurden, aufgestellt. Junge Leute gingen herum und reichten Dosen mit Cola und Fanta. Kniend wurden jetzt die Speisen eingenommen. Die meisten waren noch nicht fertig, als aus einem Lautsprecher ein Gebet erklang. Ich blieb einfach ruhig knien. Die anderen hielten ihre flachen Hände nach oben und führten diese nach dem Gebet vor ihr Gesicht und auf ihr Haupt. Schnell wurden jetzt die letzten Bissen eingenommen und im Nu hatten wir eine allgemeine Aufbruchstimmung. Wieder draußen auf der Straße freute ich mich erst mal eine Gauloises durch die Lungenflügel ziehen zu können. Damit schien ich nicht alleine zu sein, denn fast alle der zahlreichen entlang der Hausfront stehenden Herren dampfte ebenso inbrünstig wie ich. Wir standen hier aber nicht unserer Sucht halber sondern wir warteten auf die Frauen, die wir während der gesamten langen Zeit nicht zu Gesicht bekommen hatten. Auch Serret war noch im Inneren des Gebäudes, wie er mir vorher sagte, zum Zwecke des Aufräumens. Jetzt konnte ich mir frei von der Umgebung meine Gedanken machen. Ich hatte es doch zugegebener Maßen fremd und etwas beklemmend empfunden. Langsam wurde mir bewusst,
das Serret zwar Deutscher aber wie seine Väter Muslim war. Die Staatsangehörigkeit erschien mir jetzt nebensächlich und unbedeutend. Gleichgültig was im Pass steht können wir miteinander arbeiten, diskutieren und feiern – von Mensch zu Mensch. Das es was Besonderes ist ein Deutscher zu sein, kann ruhig als Boniertheit von Hagestolzen abgetan zu werden, zu mal niemand was dafür kann, es sei denn es handele sich um einen ehemaligen Türken oder eines ehemaligen Angehörigen eines anderem im Pass zugeordnetem Staates, die diese erworben haben. Ein Extürke mit deutscher Staatsangehörigkeit hat im Gegensatz zu denen, den diese bei der Geburt rein zufällig zugefallen ist, was dafür getan. Unüberbrückbar schienen mir jetzt aber die religiösen Gegensätze. Ich kann mir nicht vorstellen ein Muslim zu werden. Aber wie ist es umgekehrt? Ich glaube nicht, das Serret als Christ glücklich sein könnte, zumindestens nicht zum derzeitigen Zeitpunkt. Was ist mit Christina? War sie sich dieser Gegensätze, die Familien spalten können bewusst. Ist ihr klar, das sie in den Augen von Serret und seiner Familie eine Ungläubige ist? Führt dieses nicht zwangsläufig im Unterbewusstsein zu massiven Bekehrungsversuchen in beiden Richtungen, da ja ein jeder den Menschen an seiner Seite, den man liebt retten will? Für mich war klar, das wir alle, gleich welcher Religion in einem Staat, einer Firma, einem Haus oder in einem Verein gut zusammenleben und zusammen wirken können, es muss nur die Bereitschaft bestehen auf einander zuzugehen. Aber in einer Gemeinschaft wie Ehe und Familie funktioniert das nur, wenn einer oder beide ihr Ich, ihren Glauben, ihre Hoffnung oder traditionellen Bindungen aufgeben. Für mich stand fest, dass es galt sowohl Serret wie auch Christina vor dem Zusammenbruch ihrer Seele zu bewahren. Ich musste sie auseinander bringen – und das in Freundschaft und mit viel Toleranz. Aber zu diesem Zeitpunkt gab es schon jemanden, der die beiden trennen wollte – der Dummdeutsche Rainer Goldmann. Ein Mensch der die anderen nicht kennt und auch nicht kennen lernen will. Es durfte nicht sein, dass sich ein Kerl wie Goldmann, der andere verletzt und beschädigt, so etwas als Lorbeeren an seine schmutzige Fahne heften kann. Ich musste handeln, aber wie? Meine Probleme waren nicht kleiner geworden und die große Frage heißt: Werde ich mich diesen stellen oder lasse ich mich, wie es zur Zeit bei mir üblich ist, weiter vorbei in den nächsten Strudel reißen.
Zum Kapitel 8
Zum Inhaltsverzeichnis
Eine Familie, die keine mehr ist Mit der Durchsetzung meines freien Sonntags am 15. November 1998 hatte ich mich im Hause Klettner nicht gerade beliebt gemacht. Da das Ehepaar Klettner an diesem Sonntag lediglich am Morgen bei einer Volkstrauertagsveranstaltung in Bergdorf ihre Wichtigkeit durch Anwesenheit zu dokumentieren hatten und ansonsten einen häuslichen Sonntag machen wollte, war sowieso nur der Schachabend mit dem Herrn meiner Abwesenheit zum Opfer gefallen. Und bis auf Letzteres wäre dieser Tag vermutlich auch bei meinem Zugegensein nicht anders verlaufen. Also gab es nur einen minimalen praktischen Grund mir meinen eigenen Willen übel zunehmen. Der Hauptgrund ihres Ärgers dürfte es wohl sein, dass sich eine Majonette nicht als ein totes Stück Holz erwies sondern als ein biologische Wesen mit einem eigenen Leben und Willen. Dieser Tag und die Erkenntnis, die ich so eben niedergeschrieben habe, brachte mich auch zu einem Nachdenken über mein Handeln. Was machte ich da überhaupt? Warum ließ ich mich fröhlich kommandieren? Warum widersetze ich mich nie? Warum war ich nicht mehr Ich, warum war ich nicht mehr Peter Schröder sondern nur noch der Lakai Pepe? Alles nur wegen den schnöden 5.000 Mark in Monat, mit dem ich jetzt noch nicht mal was anzufangen wusste. Auf meinem, gegenüber Gläubigern und Finanzamt geheimen Konto dürften sich, wenn ich mein Novemberschwarzgeld erhalten habe, bald 15.000 Mark angesammelt haben. Was ist eigentlich unwürdiger: Keine Arbeit oder eine solche unter Verzicht auf eine eigenständige Persönlichkeit - ein Nobody mit Einkommen oder eine „arme“ Persönlichkeit? Auf jeden Fall hatte ich jetzt beschlossen wieder aufrecht zu gehen – und wenn Klettner mich feuert dann lebe ich eben. Schon am Morgen des darauffolgenden Dienstags muckte ich erstmalig kräftig auf. Ich hatte unser Mariandel zum Frisör gefahren und eine Stunde später wieder abgeholt. Auf der Rückfahrt kam sie dann mit ihrem, mir zunehmenst pervers erscheinenden Ansinnen: „Pepe, ich verspüre so ein Rühren. Gleich wird’s bei uns wieder heiß.“ Und da kam von mir dann eine Antwort, die sie wie die Faust aufs Auge getroffen haben muss: „Ich glaube nicht, ich bin nämlich nicht in Stimmung. Ich glaube, dass ich keinen hoch kriege.“. Da wurde sie richtig giftig und fauchte mich an. Von nun an stand eine bisher unbekannte Wand zwischen uns. Sie wurde ab diesem Zeitpunkt durchgehend mir gegenüber förmlicher aber sie verzichtete noch nicht ganz auf meine diesbezügliche Dienste. Jedoch trug sie ihre Begehren ab diesem Moment vorsichtiger vor und hatte ab und an auch meine Verweigerung zu akzeptieren. Ich nehme mal an, dass sie sich jetzt ernsthaft Gedanken über einen Sklaventausch gemacht hatte. Dieses war zwar ein Schritt in die richtige Richtung aber immer noch nicht das, was es sein musste. Immer noch fehlte mir die notwendige Konsequenz. Richtig wäre es gewesen, wenn ich alles geschmissen hätte und anstelle dessen das Ruder wieder hin die Hand genommen hätte. Vielleicht hätte ich da noch den jetzt immer dramatischer werdenden Rest abwenden können. Stattdessen begnügte ich mich mit kleinen halbherzigen Schritten. So auch am 27.11.98, an dem Tag als Christina ihren 22. Geburtstag feiern wollte. Tina hatte es fertig gebracht, dass wir alle, Katharina, Thomas, Servet, sie selbst und ich, uns gemeinsam aus diesem Anlass zusammenzusetzen bereit waren. Das war zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht selbstverständlich. Zwar sprach ich, sogar fast täglich, noch mit Katharina aber es ging dabei ausschließlich um technische, wirtschaftliche Dinge die den Haushalt oder, gerade im Moment, einen neuen Gebrauchtwagen betrafen – persönlich war es nie. Wenn wir dann zusammen an einer Geburtstagstafel sitzen, bleibt so etwas von Mensch zu Mensch aber zwangsläufig nicht aus. Also hatte ich mir ausgemalt, diese Gelegenheit zu nutzen um der versammelten Familie mitzuteilen, dass ich meine Dienste im Hause Klettner endgültig an den Nagel gehängt habe. Natürlich erwartete ich jetzt kein familiäres Wunder aber der Grundstein für eine Wetterbesserung wäre gelegt gewesen. Aber was machte ich in Wirklichkeit? Ich nahm mir lediglich für den Freitagabend frei und ansonsten blieb alles so wie es war. Als ich bei Christina eintraf war Katharina bereits anwesend. Dieses war kein Zufall, denn Tina arbeitete offensichtlich mit allen Tricks um die Ehe ihrer Eltern zu kitten. So hatte sie bei ihrer Einladung „versehentlich“ Katha einen, eine halbe Stunde zu frühen Zeitpunkt für den Start ihrer Runde angegeben. Dieses, um Katharina auf der zweisitzigen Couch zu platzieren. Christina kannte ihre Mutter genau: Im ersten Moment hat meine Frau gar nicht über die Bedeutung dieses Platzes nachgedacht und hat sich dort hingesetzt. Wäre sie gekommen, wenn ich bereits da gewesen wäre und dort gesessen hätte, dürfte sie mit Sicherheit „unauffällig“ woanders Platz genommen. Andersherum kam mir die Nähe zu Katharina mehr als gelegen. Als ich dann kam, saß sie bereits in der Falle und nahm es dann gelassen als ich von unserer Tochter den Platz an ihrer Seite zugewiesen bekam. Mit freundlichem Ton wollte sie dann etwas scherzhaft die Bedingungen gemeinsamer Couchbesetzung definieren: „Setz dich ruhig Peter; ich beiße nicht. Ich hoffe, dass du genauso zahm bist.“. Mit anderen Worten sollte das wohl heißen, dass ich ruhig aber schön züchtig neben ihr sitzen durfte und dabei keinen Annäherungsversuch unternehmen sollte. Der Ernst der Lage war bereits durch die Verwendung meines korrekten Vornamens verdeutlicht worden. Bei echten Scherzen in diese Richtung war ich in früheren Zeiten bei ihr nie der Peter sonder immer Pepe oder gar Pepelein. Ich hatte also verstanden und blieb neben ihr korrekt wie ein Fremder sitzen. Und dieses ist gar nicht so leicht, wenn die Nachbarin die Frau ist, die man immer noch über alle Dinge liebt, ist. Dann trug sich noch etwas vorab bei, was in normalen Zeiten ähnlich gefallen wäre. Thomas war noch nicht eingetroffen. Er hatte Christina schon vorher mitgeteilt, das er von seinem Standort Hildesheim erst so gegen Neun hier
eintreffen würde. Daran sollte sich dann jedoch das komplette Wochenende anschließen. Dazu äußerte Katha mir gegenüber: „Ach Peter, wenn gleich Tommy kommt, dann denkt ihr Beide doch hoffentlich daran, das Tina Geburtstag hat und wir miteinander plaudern wollen. Nicht das ihr euch wieder in die Haare geratet und niemanden anderes zu Wort kommen lasst.“. „Ach, ich denke nicht, das Tommy heute den üblichen Konfrontationskurs einschlagen wird.“, versuchte ich mich zu entschuldigen und bekam dazu den Dämpfer: „Ich will dir jetzt nichts, aber objektiv muss ich sagen, dass ihr euch da nicht sehr viel tut ... ihr seid euch doch beide sehr ähnlich. ... Aber wie sagte meine Mutter immer: Kinder kommen nicht auf andere Leute.“. Bis jetzt kann man sagen, das es abgesehen von Atmosphärischen eine ganz normale familiäre Zusammenkunft war, wie sie auch in früheren Zeiten im Hause Schröder ablief. Was sich jetzt mit meinem Geburttagsgeschenk geschah hing jedoch mit der gesamten derzeitigen Situation zusammen und war von mir strategisch angelegt. Als wir nach der Hochzeit von Serrets Schwester im kleinen Kreis zusammen saßen hatte ich erfahren, das Seval und ihr Mann die Weihnachtsferien dazu benutzen wollten, bei den Großmüttern in der Türkei ihre Aufwartung zu machen. Serret sollte sich als Chauffeur mit seinem Schwager ablösen. Dieses allerdings nicht nur aus rein praktischen Gründern sondern Serrets und Sevals beiden Omas, die in ihrem Alter nicht mehr glaubten, eine lange Reise nach Deutschland machen zu können, wollten auch mal ihren Enkel bei sich haben. Ich wusste, das Serret die Gelegenheit nutzen wollte Christina seinen Familienoberen – in türkischen Familien sind in innerfamiliären Angelegenheiten die ältesten Frauen, also Oma oder Uroma, die Oberhäupter – vorzustellen und deren Zustimmung zu der Verbindung zu „erkämpfen“. Ganz reibungslos dürfte dieses nicht ablaufen, obwohl, wie ich aus Gesprächen erfahren hatte, Serrets Oma väterlicherseits ein Deutschlandfan war. Dieses war dann, wie ich ja bereits am Ende des letzten Kapitels beschrieb, nun nicht mehr in meinem Sinne. Eine andere Sache machte mir damals große Sorgen: Wenn diese Type von Goldmann sich Weihnachten dafür entscheiden sollte, statt mit seiner Familie mit Katharina zu feiern, vielleicht sogar noch mit ihr verreisen würde, dürften möglicher Weise Fakten geschaffen werden, die dann das endgültige Aus begründen könnten. Auch dieses wollte ich verhindern. Aber ich wusste noch von einer dritten Angelegenheit, die ich mir jetzt zu Nutze mach wollte: Im Vorjahr wäre Tina gerne über Weihnachten und Neujahr in einen Skiurlaub nach Südtirol gefahren, konnte dieses aber aus finanziellen Gründen nicht. Jetzt sah mein Plan wie folgt aus: Ich hatte ja jede Menge unnutzes Geld. Jetzt konnte ich ihr den Urlaub schenken und noch mit gutem Taschengeld versüßen. Also buchte ich, mich ahnungslos stellend, für sie und Serret schon vorab diesen Urlaub. Ich kannte meine Tochter und wusste, das sie sich spontan riesig darüber freuen würde. Damit kommt dann Serret, der seine Familienangelegenheit nicht absagen konnte, in die Zange. Er hätte Christina wirklich schwer getroffen, wenn er sie zur Verweigerung der Annahme des „Geschenks“ hätte überreden müssen. Hätte er es versucht, wäre ein Keil zwischen die beiden getrieben worden und somit wäre es so oder so in meinem Sinne gewesen. Ich erwartete jedoch, dass er, wie er es dann auch tat, als Teil 1 wie von mir beabsichtigt gelaufen war, Christina drängte die Reise anzunehmen und vorschlagen würde statt ihm jemand anderes mitzunehmen. Was ich wollte habe ich auch getan: Ich schlug dann, bevor jemand anderes reagieren konnte, vor von Serret auf Katharina umzubuchen. Diese würde, wie ich vorher überlegte, zwar ablehnen aber da konnte ich mich wieder ganz auf die Intentionen meiner Tochter, die Goldmann hasste und uns wieder zusammenbringen wollte, verlassen. Die wirkte jetzt massiv auf Katha ein, der dann nichts anderes als zuzusagen blieb, da die Überraschte keine nachvollziehbare Ausrede parat hatte. So hatte ich dem Geburtstagskind etwas geschenkt, was ihr zwar voll zusagte, aber die Stimmung ihres Partners und meiner Frau voll und ganz herunter fuhr. Und was meine Person anbelangte war ich nach langer Zeit mal wieder der Winner. Tina freute sich allerdings so „riesig“, dass sie in ihrer Spontanität mich und Katharina gleichzeitig umarmte. Seit meiner Geburttagswoche kam ich jetzt erstmalig wieder zu einem Nahkontakt mit meiner Frau. Irgendwie wussten wir beide jetzt nicht recht was wir machen sollten. Katharina wechselte daraufhin den Platz und setzte sich in den eigentlich für Thomas bestimmten Sessel. Es sagte zwar niemand etwas aber es war zu spüren, dass alle verstanden hatten. Christina wird wohl ihre gutgemeinte und verständliche Reaktion bereut haben. Sie sah auf jeden Fall danach etwas betrübt aus. Richtig glücklich war nun wohl niemand mehr. Kurz darauf traf auch Thomas ein. Natürlich auch diesmal in voller Montur, das heißt er hatte es mal wieder unterlassen, sowohl in meinen wie auch in Kathas Sinne, sich vernünftig in Zivil zu schmeißen. Er nahm auch sofort neben mir auf der Couch Platz. Ich strengte jetzt meine grauen Zellen an, um ein Thema, das nicht zur Konfrontation führt zu finden, um dieses vorgreifend anzuschneiden. Wenn man so etwas ad hoc will, sich aber dieses vorher nicht überlegt hat, klappt es meistens nicht und so hatte Tommy dann wieder das erste Wort: „Na Mutti, was macht Rainer ... Ist übrigens eine gute Wahl, der Kerl hat was auf dem Kasten.“. Jetzt war ich einerseits eingeschnappt und zum anderen schwante mir, das jetzt möglicher Weise ein ernster Konflikt drohe. Deshalb entschuldigte ich mich gelogener Weise damit, das ich Herrn Klettner noch fahren müsse und verabschiedete mich. Christina begleitete mich noch bis zur Haustür, nahm mich dort im Arm und sagte: „Vati, das ist alles so schwierig. Ich glaube du hast es so gut gemeint wie ich aber es ist uns leider etwas aus den Händen gerutscht. Wir sind eben eine Familie, die keine mehr ist.“ Jetzt legte sie ihren Kopf auf meine Schultern und weinte ein paar Tränen. Als sie sich diese aus den Augen gewischt hatte, unterbreitete sie mir noch ein überraschendes Bekenntnis: „Vatilein, du hast mir mit der Reise noch einen zusätzlichen Gefallen, von dem du nichts wissen kannst, getan. Ich liebe Serret über alles und möchte ihn auf keinen
Fall verlieren. Aber wenn ich mit ihm jetzt in die Türkei gefahren wäre, hätte man mich in muslimischer Tradition in seine Familie eingefangen. So habe ich jetzt eine Chance, ... einen Aufschub erhalten, ihn davon zu überzeugen, dass wir nur weltlich ... nur standesamtlich oder ohne Trauschein zusammen leben können. Ich akzeptiere seinen Glauben ... aber Muslimin werde ich auf keinen Fall.“. Das war Honig auf meiner Seele, da es sich fast mit meinen Vorstellungen deckte. Zwar hatte ich nicht an eine säkularisierte Lebensform gedacht aber was den Islam anbelangte lag sie voll bei mir im Trend. Was sich dann noch auf der Geburtstagsfeier abspielte, erfuhr ich erst einige Tage später von Christina. Auch Katharina war sauer über Thomas Auftreten. Im Gegensatz zu mir hat sie ihn allerdings direkt darauf angesprochen. Sie hat ihm ordentlich die Meinung hinsichtlich seiner Provokation durch sein Auftreten in Uniform und dann auch in Hinsicht der Einmischung in ihre Angelegenheit gesagt. Die Situation ist dann hochgespult, worauf Katharina etwa eine viertel Stunde nach mir auch das Haus verlassen hat. Daraus ergab sich dann ein Streit unter den Geschwistern, in Folge der Tina dann ihren Bruder förmlich rausgeschmissen hat. Damit war ihre Geburttagsfeier und unsere letzte Familienzusammenkunft geplatzt. Danach sollten und konnten wir nicht mehr in dieser Runde zusammenkommen. Tina wollte einen Versuch unternehmen unsere Familie wieder zu kitten und ihr Bruder hatte dieses, sicherlich nicht aus böser Absicht sondern, so wie ich vermute, aus dem Gefühl um seine Anerkennung kämpfen zu müssen, vollendens in Scherben geschlagen. Ich war jedenfalls auf der Straße und wusste nicht was ich machen sollte. Bei Klettners hatte ich keine Aufgabe und nach Hause wollte ich noch nicht. So ging ich zunächst ziellos durch die Bergdorfer Straßen. Als ich dann so über die Neustädter Straße, unserer Einkaufsstraße schlenderte ertönte plötzlich eine mir wohl bekannte weibliche Stimme: „Hallo Pepe, ist die Geburttagsfeier schon zu ende?“. Da Klettners an jenem Abend gemeinsam im Theater waren hatte Verena auch frei und auch ihr war nichts anderes als ein Bummel durchs Städtchen eingefallen. Ich nahm unser Zusammentreffen zum Anlass, sie in das City-Bistro einzuladen. Dort haben wir dann über eine Stunde plaudernd zusammen gesessen und dann kam sie auf eine „verhängnisvolle“ Idee: „Pepe, ich hätte wirklich große Lust mit dir im Gartenhäuschen zu übernachten. Wie sieht es mit dir aus?“. Eigentlich hatte ich während unseres Gesprächs eine große Lust auf das Mädchen bekommen. Erstmalig war mir von vornherein auch nach einem Verkehr mit der jungen Verena. Daher sagte ich, sogar mit dem Geständnis meines Begehrens, zu. Also machten wir uns auch umgehend, Arm in Arm, auf dem Weg. Im Gartenhaus angekommen ging es gleich ins Bett und dann zur Sache. Wir hatten nicht daran gedacht, die Tür von innen zu verschließen. Dieses war nach Verenas Ansicht auch überhaupt nicht nötig, denn nach ihren Worten hatte sich hier her noch niemand aus dem „Herrenhaus“ verlaufen. Einmal ist immer das erste Mal und so waren wir gerade auf dem Höhepunkt, als Marianne urplötzlich im Raume stand. Sie hat uns vermutlich kommen sehen und war uns dann in diese Hausmädchenunterkunft gefolgt. Hysterisch legte sie plötzlich los: „Ach so ist das, deshalb ist der Herr letzte Zeit des Öfteren mal schlapp. Er verbumst seine Potenz mit dem Hausmädchen. ... Hat das mein Mann nicht strickt untersagt?“. „Du nimmst dir viel raus Mädchen,“, gab ich mehr als erbost zurück, „wir sind doch nicht euere Leibeignen. Wir haben ein Recht auf unser eigenes Leben ... was euch ein Scheißdreck angeht. Wenn es nach mir geht, dürft ihr euch ruhig einen anderen Bimbo suchen.“. Jetzt passierte etwas, was ich schon mal vor etwa zweieinhalbe Monaten bei Katharina erlebte hatte. Meine Gesprächspartnerin stieg vom sehr vertrauten Du auf Sie um: „Herr Schröder, sie werden auf einmal sehr aufsässig. Um sie aus der Scheiße zu holen waren wir gut genug und jetzt glauben sie eine dicke Lippe riskieren zu können. Wie sie wissen entscheidet hier im Hause mein Mann und deshalb kann ich jetzt nicht sagen, ob wir ihre Dienste noch benötigen oder nicht. Aber das sie jetzt schleunigst verschwinden müssen, verantworte ich jetzt mit meinem Hausrecht. Ich benötige sie über das Wochenende nicht und wenn sie Sonntag zum Schach erscheinen, werden sie weiteres von meinen Mann erfahren.“. Natürlich legte ich mich jetzt nicht weiter mit der Gebieterin an, zog mich an und trollte davon. Da hatte sich für mich noch mal eine Riesenchance aufgetan. Wenn ich am kommenden Sonntag nicht mehr erscheinen würde wäre es das Ende in Sachen Klettner gewesen. Was meine kaputte Familie anbelangte hätte ich, dank der heißen Luft, die Thomas abgelassen hatte, zum Kurswechsel ansetzen können. Aber was macht der Trottel von Peter Schröder? Er überlegt sich, dass er verdammt schlechte Karten hat, wenn ihm der Klettner sein Novembersold, das unter anderen bei den Weihnachtsreisen fest eingeplant war, vorenthält. Worauf hätte ich im Falle eines Falles eigentlich klagen können? Doch nur auf die schlappen 630 Mark, das einzige was fest vereinbart war. Das ist halt die schlechte Karte, die ein Schwarzarbeiter in den Händen halten. Und von wegen verpfeifen? Erstens wäre ich selbst mit dran gewesen und zweitens können sich Leute wie Klettner sich immer solche Rechtsverdreher leisten, die spielend aus einem X ein U machen. Wenn immer derjenige Recht bekommt, der sich den besten Anwalt leisten kann, können wir ja ruhig von Klassenjustiz sprechen. Im Bereich unserer zivilen Rechtspflege ist das doch leider sehr häufig der Fall. Also verbrachte ich zunächst das Wochenende Zuhause, also in der Familie, die keine mehr ist. Als ich kurz nach Elf nach Hause kam saßen Thomas und Katharina im Wohnzimmer. Eigentlich wollte ich gleich in meine Untermieterkoje verschwinden, aber Katharina bat mich doch kurz herein. „Treibst du es neuerdings schon mit sehr jungen Frauen?“,
fragte sie mit entrüstet klingender Stimme. Blitzartig überlegte ich mir, das Thomas mich und Verena umschlungener Weise gesehen haben könnte, denn aus der Klettner Villa dringt bekanntlich nichts nach draußen. Ich stellte mich gelassen: „Och, ich hatte das Hausmädchen von Klettners in der Stadt getroffen und habe mit ihr im City-Bistro zwei Kännchen Kaffee getrunken. Danach habe ich sie noch zu Fuß zur Villa gebracht ... sonst war da nichts. Meinst du ich würde mich mit Mädchen in Christinas Alter einlassen? Also bitte, ich baue viel Mist, aber so was ... .“. „Ihr ward aber ganz schön Arm in Arm, ... sogar so, dass ihr mich nicht vorbeifahren gesehen habt.“, warf Tommy jetzt ein. Jetzt konnte ich prima kontern: „Ja, so wie ich auch ab und an mit Tina über die Straße gehe. Verena ist ein nettes Mädchen. Und da sie sonst niemanden hat, spiele ich mal ganz gerne den Papa für sie. Was hast du denn daran zu beanstanden?“. Jetzt war es Katha, die sich zu Wort meldet: „Siehst du Thomas, bevor man mit Schlamm schmeißt sollte man sich doch sachkundig machen. Jetzt bitte ich dich heute zum dritten Mal: Steck deine Nase nicht immer in Angelegenheit, die dich nichts angehen.“. Sie sagte noch „Guten Nacht“ und verschwand in Richtung Schlafzimmer. Thomas setzte noch an, sich mit mir zu unterhalten. Ich unterbrach ihn jedoch: „Es tut mir leid mein Junge, aber ich bin sehr müde. Das gilt nicht nur für meinen momentanen körperlichen Zustand sondern auch für meine derzeitige seelische Verfassung. Ich kann im Moment überhaupt keinen Streit vertragen. ... Glaube mir, ich habe euch alle sehr lieb und ich wünschte mir ich könnte das Rad der Zeit zurückdrehen ... nur um ein paar Jahre. Zu einem Zeitpunkt als wir noch eine richtige Familie und glücklich waren. Aber unbarmherzig schreitet sie fort ... und so was nennt sich dann Leben.“. Tommy schwieg betroffen und ich ging nun auch auf mein Zimmer. Am nächsten Morgen fuhr unser Sohn dann, entgegen seiner ursprünglichen Absicht, wieder zurück nach Hildesheim. Irgendwo tat er, der momentan auch nicht wusste wo er Daheim war, mir leid. Katharina und ich verbrachte das Wochenende überwiegend in unserer Wohnung. Jedoch strickt aneinander vorbei lebend. Gesprochen haben wir fast nichts. Es ging nur mal um die Reinigung des Bades und um die Wohnzimmernutzung, wo der Fernseher stand. Ich habe ihr dieses meist überlassen und verbrachte die meiste Zeit lesend oder Radio hörend auf meinem Zimmer. Am Sonntagmorgen wollte ich mal zu einem Gespräch bei Katharina vorpreschen; sie ließ mich jedoch stehen und ging ins Schlafzimmer. Am Sonntagabend ging ich dann wieder meiner Aufgabe, die ich eigentlich gar nicht mehr wollte und die ich auch besser sein gelassen hätte, nach. Ich trat wieder um Punkt halb Acht zum Sonntagsschach bei Klettner an. Dieser ging nur ganz kurz und energisch auf die zurückliegenden Vorfälle ein: „Herr Schröder, ich kann leider nichts gegen die persönlichen Beziehungen meines Personals unternehmen; aber ich brauche dieses nicht unter meinem Dach zu dulden ... Somit erteile ich ihnen Hausverbot in der Gärtnerlonge.“. Damit war die Sache bei ihm abgehandelt. Bei einer Zigarettenpause, die ich während des Abends auf der Terrasse einlegte, wurde ich dann diesbezüglich noch von der Dame des Hauses angesprochen: „Pepe, ich möchte kein Aids kriegen. Entweder fickst du mit Verena oder mit mir. Solltest du dich für Verena entscheiden, bekommst du natürlich auch weniger Geld. Solltest du dich für mich entscheiden, dann solltest du, wenn ich diese Tage mal Lust habe, doch Kondome benutzen. Zur Sicherheit solltest du gleich morgen welche besorgen.“. Sie wartete keine Antwort oder Widerrede ab und verschwand im Haus – an diesem Abend habe ich sie nicht mehr gesehen. Nun wusste ich, was das Verkehrsverbot mit dem Mädchen für einen Hintergrund hatte. Madamchen hatte Angst vor Aids. In diesem Fall muss ich aber auch annehmen, das meine Ehe vorsätzlich zerstört wurde. Mich hatte man als Sklaven ja weitgehenst unter Kontrolle, denn man gestand mir ja kaum Freizeit zu. Der kleine Freiraum den ich hatte, bot kaum eine Chance zum Fremdgehen. Aber für einen kurzen ehelichen Kontakt hätte es aber allemal gereicht. Da zerstört man, ausschließlich dem Zweck der Bekämpfung der eigenen Langeweile durch Lustspiele dienend, das Leben anderer Menschen; rücksichts- und herzlos. Was aus Menschen wird, die man zu Grunde gerichtet hat, interessiert doch Millionäre nicht; Menschen sind die Looser und der Tauschhilfsmittelsammler der Winner.
Zum Kapitel 9
Zum Inhaltsverzeichnis
Der Blitzangriff des Sohnes der Dame Unser Umfeld und unsere Umwelt entwickelt sich stetig weiter, mal schneller und mal mit gemäßigtem Tempo. Grundsätzlich wird eine solche Entwicklung von den, sich modern dünkenden Menschen als Fortschritt bezeichnet. Was aber wirklich Fortschritt ist wird erst die Zukunft zeigen. So wie wir heute über die wissenschaftlichen, politischen und allgemeinen Ansichten vergangener Jahrhunderte lächeln oder den Kopf schütteln wird man auch in absehbarer Zeit über unsere Standpunkte schmunzeln. Wir brauchen ja gar nicht weit zu gehen, schon von einer zur folgenden Generation gibt es dieses Diskrepanzen. Meine Mitfünfziger werden dieses sicher aus zahlreichen Diskussionen mit ihren inzwischen Erwachsenen Kindern kennen. Was für uns die Vollendung, der absolute Fortschritt oder das beherrschende „Ding“ der Zukunft war ist für unsere Kinder der Schnee von Gestern, bei dem sie gar nicht verstehen können, das ihre Eltern so einen Firlefanz mitgemacht haben. Am Extremsten erlebte ich es ja immer mit unserem Sohn Thomas, der ein echtes Kind unserer Zeit war. Schon öfters habe ich ihm gesagt, das mit Sicherheit ihm seine Kinder dieses mal heimzahlen würden. Das meinte ich dann natürlich nicht böse sondern es war lediglich als logische Feststellung gedacht. Nicht selten gibt es im Zuge der Entwicklung die Erscheinung, dass sich etwas fast ganz oder teilweise in sein Gegenteil verkehrt und/oder das man, abgesehen von wenigen Experten, gar nicht mehr weiß, was die ursprüngliche Bedeutung ist oder war. Ein sehr deutliches Beispiel dafür sind die christlichen Feste. Wenn man eine Umfrage macht, was das höchste christliche Fest sei, Ostern oder Weihnachten, werden über 80% der Leute Weihnachten zum christlichen Hauptfest machen. Umgekehrt ist es aber richtig. Auferstehung und Erlösung sind der Kernpunkt christlichen Glaubens – und das wird Ostern gefeiert. Aber nicht nur in der Bedeutungszumessung sondern auch in der Art und Weise, wie wir die Feste begehen, hat es eine totale Verschiebung gegeben. An allen Ecken und Enden hören wir von der stillen Weihnachtszeit und dabei ist sie überall laut und plärrend. Auf den Weihnachtsmärkten, in den Kaufhäusern, Supermärkten und Medien werden wir zugedröhnt. Der Konsumgüterhandel erzielt die Spitzenumsätze des Jahres. Ursprünglich, also in der Urchristenheit, bereitete man sich still, bescheiden und demütig auf die Ankunft des Herrn auf Erden vor. Advent war ursprünglich eine Fastenzeit und heute ist es das Hochfest der Konsumgesellschaft, ein rein weltliches Hochfest zu Ehren des Gottes Mammon, dem man sich so gut wie nicht entziehen kann. Im Jahre 1998 erlebte ich diese Zeit im Dienste des Hauses Klettner oder spezieller gesagt im Dienste der Frau Marianne Berghoff-Klettner. Vor Weihnachten wich mein Dienst doch in wesentlichen Punkten von der übrigen Zeit ab. Ich war tagsüber doch mehr der offizielle Damenfahrer. Zwar hatte es meine Herrin nicht nötig sich in den Massenrummel zu schmeißen; wenn schon Konsumhuldigung, dann nutzte sie exklusivere Events für ausschließlich ausgewählte Leute mit einer großen Tauschhilfsmittelansammlung, auf deutsch: mit viel Geld. Aber da waren dann die ganzen Wohltätigkeitsshows, bei denen sie mittels Anwesenheit repräsentieren musste, die sowohl am Tage, werk- wie sonntags, wie des Abends stattfanden. In dieser Zeit war sie so ausgelastet, das es auch nicht zu sexuellen Spielchen, für die ich ja auch engagiert war, kam. Nur die sonntäglichen Schachabende, die mir hinsichtlich ihrer Kontinuität langsam langweilig wurden, blieben fester Bestandteil meines Dienstes. Abwechselung in dieser Eintönigkeit gab es dann ab dem 20. Dezember, einen Sonntag. An diesem Tag fuhr ich mit Marianne zum Flughafen um ihren Sohn, den Erben Klettners, der bisher in meiner Gegenwart immer nur am Rande erwähnt worden war, abzuholen. Einzig was ich wusste, war das er nicht Klettners leiblicher Sohn sein sollte. Aber bei meiner Herrin hatte ich ja nun zur Genüge erfahren, dass sie in einer Scheinwelt lebte und nicht alles was sie sagte auch mit der Realität vereinbar war. Sie sagte in der Regel immer das, womit sie etwas erreichen wollte oder so etwas, womit sie andere in ihrem Sinne beeinflussen wollte. Ich wusste also nicht, wie alt der Sohn war, was er machte und wo er in dieser Zeit steckte; ich hatte noch nicht einmal seinen Namen gehört. Erst auf der Fahrt zur Abholung erfuhr ich näheres von ihm. Marianne erzählte mir, das der jetzt 23-jährige Michael Klettner, das Leidwesen seines „Vaters“ sei. Der Junge sei verträumt und würde sich für alle möglichen Dinge, die nichts bringen, interessieren. Schon in der Schule habe sich gezeigt, dass er gut malen, singen und erzählen könne. Aber bei der Mathematik und anderen handfesten Dingen wäre er ein glatter Versager, immer habe es nur gerade mit Ach und Krach hingehauen. Im Stillen dachte ich mir, dass es wohl ein Fehler des großen Strategen Klettner gewesen sein könnte, auf nur einen möglichen Erben zu setzen. Michaels Stärken scheinen wohl insgesamt auf musischen und kreativen Gebiet ausgeprägt zu sein und dafür ist dann bei ihm alles unterentwickelt, was man als Finanzjongleur oder Wirtschaftslenker braucht. Aber diese waren dann wiederum die Voraussetzungen, die seine Eltern von ihm erwarten. Na ja, das ist halt das Pech für den großen Klettner. Wie mir seine Mutter dann weiter berichtete, blieb Big Klettner nichts anderes als den Burschen auf ein Internat zu stecken, wo er dann sein Abitur im zweiten Anlauf packte. Nach Mariannes Meinung war Michael nicht dumm und nicht faul, er war einfach verträumt und kein Mann dieser Welt. Klettners Superleid war, das Michael einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung stellen wollte. So ist halt die Welt: Ich wäre glücklich gewesen, wenn unser Thomas einen solchen Antrag gestellt hätte und Klettner wäre wohl happy gewesen, wenn sein Sohn wie meiner gedacht hätte. Aber ob so oder so hatte es keine Konsequenzen für Klettner junior, denn die Musterungskommission fand ihn für untauglich.
Natürlich werde ich bei solchen Leuten nie das Gefühl los, dass die auf undurchsichtigen Kanälen immer etwas nachhelfen. Man kann sich ja auch von „anerkannten“ Ärzten, mit denen sich Musterungsdoktoren nicht anlegen möchten, passende Atteste erkaufen. Schließlich sind Ärzte auch nur Menschen mit ihren diversen Schwächen. Jedenfalls konnte Michael nach seinem Abi gleich ans Studieren gehen; so jedenfalls nach dem Willen seines Familienoberhauptes. Alle guten Dinge sind drei und so studierte er nacheinander Betriebswirtschaft, Wirtschaftsinformatik und letztlich noch Politologie. Toll, wenn ein 23-jähriger auf so etwas verweisen kann. Das funktioniert aber nur, wenn man alles bereits im ersten Semester schmeißt. Der Junge will also absolut nicht in die Fußstapfen seines Vaters treten. Stattdessen bewarb er sich als Musiker im Orchester eines Provinztheaters und wurde dort hinsichtlich seiner guten Tenorstimme entdeckt. Nachdem er mal für einen erkrankten Sänger eingesprungen war, empfahl ihn sein Intendant sich als Opernsänger ausbilden zu lassen. Und das tat Michael nun auch gegen den Willen seines Vaters. Aus nachvollziehbaren Gründen befürchtete Marianne jetzt, das es über Weihnachten, das ihr Junge Zuhause feiern will, reichlich Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn gibt. Am Flughafen angekommen gab es dann erst mal ein Ereignis welches meine Chefin in einen Zustand der Verärgerung versetzte. Aus meiner Sicht geht sie im Grund keiner sinnvollen Beschäftigung nach sondern ist Tag für Tag immer wieder erneut bemüht, durch eine Reihe Aktivitäten zu verhindern, über den Sinn des Lebens nachzudenken. Mit anderen Worten: Die Dame besitzt neben jeder Menge Geld am meisten Zeit. Aber welche Tragödie; die Maschine, mit der ihr Sohn ankommen sollte, war auf der Anzeigentafel mit zirka 50 Minuten Verspätung ausgewiesen. Da hielt sie mir erst mal einen Vortrag darüber, das sie ihre Zeit nicht gestohlen habe und das auch die Fluggesellschaften immer unzuverlässiger würden. Ich dachte mir dazu, dass es doch egal sei wo man seine Zeit totschlägt. Meines Gleichen hätte ich dann mal den Hinweis gegeben, dass man so etwas auf interessante Art und Weise im Aussichtsraum des Airports, also von dem Raum, wo man sich das Treiben auf dem Rollfeld ansehen kann, machen könnte. Da meine Madame dieses wahrscheinlich unter ihrer „Würde“ ansehen würde, blieb mir dann nur entweder Shopping im Flughafenshop – natürlich nicht Duty Free, da wir ja nicht ausreisen wollten sondern da wo es so richtig schön teuer ist – oder das Restaurant vorzuschlagen. Sie entschied sich für Letzteres. Das war dann auch für mich eine Premiere. Normalerweise saß ich nur während ihrer abendlichen Langeweiletouren mit ihr in irgendwelchen Lokalitäten. In der Regel erweckten wir dann in unserem Verhalten den Eindruck eines „alten“ Ehepaares. Dieses hat dann zum Schluss die Folge gehabt, dass ich der Bedienung signalisierte, dass ich bezahlen wolle und dann die Rechnung, einschließlich Trinkgeld, ausglich. Wenn wir dann im Wagen saßen bekam ich den Betrag dann, gegebenenfalls auf den nächsten mit Scheinen zahlbaren Betrag aufgerundet – mit Kleingeld gab sich Marianne nie ab -, von ihr erstattet. Mit anderen Worten: Sie hatte zum Vergnügen die Klassenunterschiede zwischen Herrschaften und Bediensten aufgehoben und verhielt sich konform der Normalbürgerschicht. Jetzt im Flughafenrestaurant lief das aber anders, hier dokumentierte sie die „notwendige“ Distanz. Ich saß ihr gegenüber und durfte das von ihr mit vornehmen Ton für mich bestellte Kännchen Kaffe und einen Snack genießen. Abschließend glich sie dann die Rechnung mit einem Exemplar aus ihrem Plastikkartensortiment aus. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich nicht wissen ob dieses jetzt ein Zeichen für ein Ende der „kumpelhaften“ Ära, wie sie bis Mitte November bei unseren abendlichen Touren zu herrschen schien, oder situationsbedingt war. Zwar hatte sie ganz nett bei der Herfahrt mit mir über ihren Sohn gesprochen aber es waren ja auch Dinge, mit denen sie sich zum Beispiel auch mit Werner Schulte im Taxi hätte unterhalten können; ganz in die Tiefe ging es ja nicht. Da es beim Anflug ihres Sohnemannes keine weitere Verspätung gab, stand der junge Mann dann mit korrigierter Pünktlichkeit vor uns. Mutter und Sohn fielen sich in die Arme. Er mit den Wort „Mamiinka“ und sie mit „Erzengelchen“. Ich war richtig gerührt, zum ersten Mal erlebte ich Marianne jetzt richtig menschlich. Sie strich ihn über die Haare, küsste ihn und als sie wieder auseinander waren wurden ihre jetzt feuchten Augen sichtbar. Mir war jetzt bewusst, dass ich erstmalig den Menschen in ihr, der wohl doch noch nicht ganz abgestorben war, sah. Noch etwas war mir aufgefallen: Sie hatte den Kosenamen „Erzengelchen“ gebraucht. Ganz offensichtlich ist dieses eine Assoziation von seinem Namen auf den gleichnamigen Erzengel aus der Offenbarung des Johannes. So muss ihr, die ich für unreligiös und total verweltlicht einschätzte, der religiöse Ursprung des Namens bewusst gewesen sein. Auch der Junge wirkte im Gegensatz zu seinem „Vater“ menschlich und warm. Bei ihm war es jedoch nicht nur die Wiedersehensfreude sondern, wie ich im weiteren Verlauf erfreut registrieren konnte, der normale Wesenszug dieses netten Jungens. In einem Punkt kamen mir bei erster Ansicht des jungen Mannes dann wieder Zweifel an einer früheren Aussage von Marianne: Er glich doch sehr unserem Chef Hannsfrieder Klettner; nur der Vater wirkte kalt und unmenschlich und der Sohn warm und menschlich. Nachdem wir uns vorgestellt wurden, zog eine für Marianne heikle Situation herauf. Michael fragte seine Mutter: „Hast du irgendwelche Termine oder hast du Zeit?“. Zum ersten Mal sah ich, das auch eine Frau Berghoff-Klettner verlegen werden konnte. Offenbar ahnte sie was folgte und deshalb kam auch ihr „Eigentlich habe ich Zeit“ reichlich verunsichert aus ihr heraus. „Au fein, dann können wir ja erst mal bei Paps vorbeifahren“, tönte darauf der Jungscher. Jetzt musste ich naturgemäß ein paar Bauklötze staunen, denn gerade eben habe ich die Ähnlichkeit zwischen dem angeblichen Vater und dem Sohn festgestellt und jetzt hat er, offensichtlich zur Verlegenheit seiner Mutter den Wunsch zu seinem Paps zu fahren. Hätte er damit Klettner gemeint wären wir ja ohnehin zu ihm gefahren. Marianne war
augenscheinlich klar, das sie mir jetzt was erklären musste. Sie schaute mich mit menschlichen Augenschlag, so wie ein liebes Kind an, und sagte: „Pepe, ich hoffe du hältst, ... egal was vielleicht mal passiert den Mund.“. An dieser Stelle wurde sie von ihrem Sohn unterbrochen: „Mamiinka, entschuldige ... Hannsfrieder hat mir gesagt, Herr Schröder ... oder darf ich auch Pepe sagen? ... wäre dein Lover. Ich dachte er wüsste Bescheid.“. Das er zu mir Pepe sagen durfte hatte ich ihn mit freundlichen Kopfnicken bestätigt aber das Klettner in mir nicht seinen Kuli sondern den Geliebten seiner Frau sah, sorgte dann bei mir für eine erneute Verwunderung. Jetzt musste Marianne noch mehr erklären: „Erzengelchen, du haust mich ... sicher ohne es zu wollen, immer mehr in die Pfanne. Ich habe mich tatsächlich bis über beide Ohren in Pepe verknallt.“. Während sie fortfuhr wurde sie richtig rot: „Aber, ... das macht mir Hannsfrieder immer wieder klar ... wenn aus uns ein echtes Verhältnis wird fliege ich raus. Laut Ehevertrag erhalte ich dann von ihm Unterhaltszahlung in der Höhe, wie sie eine Stützeempfängerin vom Sozialamt kriegt. Das weist du ja. Da Pepe auch nichts hat säßen wir dann schön in der Scheiße. Ich habe es aber geschafft, das Pepe mich spazieren fahren darf und er ab und zu wie ein Callboy mit mir schlafen darf. ... Das weiß er aber selbst nicht.“. Jetzt wandte sie sich an mich: „Pepe, Geliebter bitte, bitte spiel mit ... Ich will auch ab sofort ehrlicher und netter zu dir sein.“. Jetzt fiel sie mir, ungeachtet der Öffentlichkeit auf dem Flughafen, in die Arme und gab mir einen dicken Kuss auf die Wange. Für mich stellte sich die Situation auf einmal ganz neu da: Die Dame liebte mich wirklich, was ich aber umgekehrt nicht behaupten konnte. Ganz schön schwierig. Aber die Aufklärungsstunde war noch nicht beendet und sie fuhr, jetzt an mich gewandt fort: „Michaels Opa war ein echtes Schwein. Ich stamme aus unteren Familienverhältnissen ... wir wohnten in einer Schlicht- und Einfachwohnung, sprich in einer Obdachlosenunterkunft. Und ich habe als junges Mädchen bei dem Alten als ungelernte Sekretärin gearbeitet. Das Wichtigste für ihn war wohl, das ich Kaffee kochen konnte und ich, immer wenn er mich vergewaltigt hatte, die Klappe hielt. Hannsfrieder hat noch einen Bruder: Hans-Hermann Klettner. Ein ganz toller Mann ... du wirst ihn ja gleich kennen lernen. Sein Schönheitsfehler ist, das er genau wie sein Sohn eigentlich gar nicht so recht in die Familie Klettner passt. ... Und noch ein Haken: Er ist katholischer Priester. ... Jetzt weißt du wer Michaels Paps ist. Derjenige, der sich als sein Vater ausgibt, ist impotent ... das war er schon immer, der hat noch nie einen hoch gekriegt. Aber das war der Star seines Alten, das war der Toppgeschäftsmann und Erbe des Alten. Da er selbst mal einen Erben braucht und sein Bruder aufgrund des Zölibats keinen haben darf, war es sogar in Hans-Hermanns und meinem Sinne, das ich Hannsfrieders Frau wurde. So wie Eliza in My fair Lady auf feine Dame getrimmt wurde, wurde ich dann zur echten Klettner gemacht. Mit dir Pepe, habe ich mir wieder ein Wenig Freiraum erkämpft ... Bitte, bitte, verlasse mich nie mehr.“. Jetzt war es für Klein Pepe „heiter“ geworden. Da war ich seit 26 Jahren mit einer Frau verheiratet, die ich, obwohl alles in Scherben zu liegen schien, noch immer über alle Dinge liebte. Aber eine Liebe genügt mir scheinbar nicht, denn da war noch eine junge Frau namens Verena, zu der ich vordergründig väterliche Liebe empfand, aber es muss, wenn ich an das Geschlechtliche denke, etwas darüber hinaus gehen. Jetzt nicht genug damit, da war dann noch diese Marianne, die mich wohl tatsächlich liebt und zu der ich, nach ihrer Offenbarung, auf einmal auch so etwas wie Liebe empfand. Und das Schlimme: Jede Liebe steht den jeweils beiden anderen im Wege. Aber nicht nur in meinem Seelenleben sondern sogar im wahren Leben muss ich das Chaos auflösen. Es kann nur mit einer weitergehen und das konnte laut einer Stimme im tiefsten Inneren meiner Seele nur Katharina, meine Frau sein. Aber die wollte mich zur Zeit nicht und mit den beiden Anderen hätte ich brechen müssen, was ich derzeitig nicht konnte. Da blieb nur ein stilles Gebet, das der Herr mir helfe. Marianne hakte sich jetzt bei uns beiden ein, ihren Sohn zur Rechten und mich zur Linken, und wir gingen Richtung Parkhaus. Für ausstehende müssen wir jetzt wie eine glückliche Familie ausgesehen haben. Da begehrte es Michael zu einem Geständnis: „Mamiinka, Pepe, entschuldigt, das ich euch in Verlegenheit gebracht habe. Jetzt gestehe ich sogar, das es Absicht war. Ich wusste von euch beiden aus zwei Kanälen. Einmal von Hannsfrieder ... das habe ich ja schon gesagt, und von Paps. Mam, ich wusste das du mit Pepe Kasperletheater spielst und bin der Überzeugung, dass ihr beide euch dabei selbst weh tut. Pepe allerdings aus dem Grund, weil er von nichts weiß. Aber nur wenn man zueinander ehrlich ist, kann man sich gegenseitig helfen. Und da ihr, nach meinen Gefühl beide Hilfe braucht, wollte ich euch zur Ehrlichkeit zwingen.“ „Schon gut mein Schatz,“, entgegnete Marianne, „ich denke, du hast es richtig gemacht und hoffe, das Pepe mir alte Natter verzeiht. ... Aber was anderes? Ich dachte., du wolltest Opernsänger werden und jetzt sieht es so aus, als wollest du Psychologe werden oder in die Fußstapfen deines Vaters treten. Was ist denn richtig?“. Diese Frage beantwortete er mit einem kräftigen und deutlichen: „Mein Leben gehört der Musik.“. Wir fuhren dann nach Romanstal, wo Pfarrer Klettner seine Gemeinde betreute. Kurz vor dem Ziel bat Marianne, die während dieser Fahrt auf der Rückbank saß, ihren Sohn sie bei dem Vater ihres Kindes zu entschuldigen. Erstens hatte sie jetzt keine Lust auf die Leviten, von wegen Ehebruch und so, und zum anderen hielt sie es für wichtig, jetzt ein paar Worte mit mir unter vier Augen zu sprechen. „Sicher, das kann ich erstens verstehen und zweitens meinem Paps erklären.“, quittierte der junge Mann. Dann wollte er noch wissen: „Ihr wollt aber doch wohl nicht im Auto sitzen bleiben – oder?“. „Nein, nein, wir gehen in den Dorfkrug.“, antwortete ihm Marianne und fuhr fort: „Ich schätze das dir heute erst mal eine Stunde reicht. Wir können ja dieser Tage noch mal zu Dritt zu deinem Paps fahren. Dann kommen
wir auch mit rein. Also wenn du dann fertig bist, komm doch bitte auch in den Krug. Wenn wir länger bleiben gibt es Zoff mit Hannsfrieder.“. Offensichtlich war Marianne erstmalig in dem Dorfkrug, denn der Bedienung, offensichtlich der Wirt selber, war nicht anzumerken, das er mit der Dame, die jetzt ganz dicht neben mir Platz nahm, irgendwie bekannt war. Meine Dame erkundigte sich: „Kann man bei ihnen auch was zu Essen bekommen.“. Nachdem der Wirt mit „Ich könnte ihnen Rotkohl mit Kartoffelklößen und Bratwurst anbieten“ geantwortet hatte, bestellten wir dieses neben unseren Getränken gleich zwei Mal. Jetzt hatte ich doch was auf dem Herzen was ich los werden musste: „Mariandel, warum hast du nur einen solchen Zirkus, mit dem du mir auch weh getan hast, aufgezogen. Da lässt du dir von Verena Pornohefte bringen und spielst dann mit mir und auch mit dem Mädchen die Szenen, die dir gefallen, nach?.“ Sie antwortete kleinlaut: „Ach Pepe, ich hätte es viel lieber, so wie im Taxi oder in der ersten Nacht, mit dir immer alleine gemacht und dann auch richtig geschmust und so. Aber da nicht sein konnte was nicht sein durfte, habe ich mir das eingeredet, wie es Hannsfrieder sieht: Das du nur ein Callboy bist. Um die Wahrheit vor mir selbst zu verbergen, habe ich die Szenen nachspielen wollen. ... Das solltest du eigentlich gar nicht wissen. Da hat Verena ja ganz schön gepetzt. Problemhaft wurde es für mich, als du dich dann mir verweigert hast und dann kurz drauf mit Verena im Bett lagst. Ich hätte mich vor Eifersucht selbst in Stücke reißen können.“. Jetzt unterbrach sie erst mal, da der Wirt servierte. Der Wirt hatte uns gerade wieder allein gelassen, da fuhr sie fort: „Vor lauter Eifersucht habe ich euch bei Hannsfrieder verpfiffen und der wollte euch beide feuern. Da bekam ich schwere Gewissensbisse, denn ich stehe bei beiden von euch tief in der Schuld ... und da musste ich das ganze Wochenende über das Arsch von meinen Mann wieder umstimmen. Dir habe ich deine Ehe zerstört und Verena habe ich praktisch zur Nutte gemacht, damit ich nicht selbst für diverse Freunde meines Mannes die Beine breit machen musste. Scheiße, wie ich mit euch umgehe ... aber versteht mich bitte auch. Als Kind bin ich von mein versoffenen Stiefvater und als junges Mädchen von dem alten fiesen Klettner vergewaltigt worden und jetzt bin ich nur ein Besitzstück seines verkommenen Sohnes. Am Liebsten würde ich gerne alles hinschmeißen und aus dem Haus stürmen. ... Aber wohin? ... Bitte glaube mir Pepelein, ... ich habe dich dauerhaft angelogen, aber bitte, bitte glaube mir trotzdem. Heute war alles die Wahrheit.“. Jetzt erschien mir Marianne richtig menschlich, mit Augen für ihre Mitmenschen. Wie ein Wesen, das Freud und Leid empfinden kann, wie eine lebende Kreatur. Bisher war sie mir immer wie ein biologisches Wesen, das in den Tag hinein existiert, vorgekommen. Das Erscheinen ihres Sohnes und sein diesbezüglich forsches Auftreten hat sie vollkommen aus der Bahn geworfen. Aber ist das so außergewöhnlich? Musste ich nicht auch erst mit meinem Druckereiabenteuer auf die Nase fallen bevor sich meine Augen wieder für die wirklichen Vorgänge öffneten? War ich nicht auch vorher in Beschaffung, Organisation und Besicherung eines fiktiven Lebensstandard aufgegangen? War ich nicht auch, wie der Apostel Paulus schrieb, tot ob wohl ich lebte? Entfernt man sich mit wachsenden Lebensstandard immer mehr vom realen Leben? Aber der Weg nach Oben ist relativ leicht, man muss nur die dazu notwendigen Mittel haben. Und die kann man gewinnen, ererben, erheiraten oder ergaunern. Nur mit Arbeitskommen kann das nicht so recht funktionieren, da der verfügbare Rahmen zu gering ist, um genügend Tauschhilfsmittel, namens D-Mark, Dollar, Yen oder Euro, zu häufeln. Alles andere, Auftreten und Artikulation, ist leicht erlernbar, wobei wesenskalte Menschen aufgrund ihrer aalglatten Erscheinung bevorteilt sind. Aber schnell kann man wieder unten auf der Ebene, die man im Wolkenkuckusheim verdrängt und verleugnet hat, sein. Es bedarf nur eines Windstosses in der Art eines Börsenchrashes, bei dem man fast alles verliert, einer Pleite, die die Existenz mitnimmt oder des Auftretens eines Menschen, der einen in die Vergangenheit holt - so wie jetzt hier Marianne von ihrem Sohn Michael. Im konkreten Fall bleibt nur die Frage wie lange der Schmerz des Sturzes nachwirkt, denn der große Absturz, der zu einer Wesensänderung führen könnte, war es bei meinem Mariandel ja noch nicht. Nun ich will mal etwas vorgreifen. Mariannes Umgang mit mir hatte sich ab diesem Moment geändert, sie behandelte mich nun wie einen Freund oder ... na ja, warten wir das nächste Kapitel ab. Jetzt könnte man sagen, das ich mich darüber eigentlich freuen könnte. Habe ich mich auch, aber leider war es genau dieses, das zum Verhängnis im nächsten dramatischen Jahr führen sollte. Hätte sie mich weiter wie ein Kuli behandelt, hätte ich, da ich es schon nicht mehr hinnehmen wollte, schon in Kürze das Handtuch geworfen und der Scheinwelt in der Villa Klettner den Rücken gekehrt, aber stattdessen fühlte ich mich in der Freundschaft mit Marianne wohl und diente ihr sogar mit ... na sagen wir Wohlwollen, Freude wäre doch ein Wenig zu hoch gegriffen. Aber jetzt mal schleunigst zurück zu unserem Geschehen des Tages, an dem wir Michael abholten. Fast pünktlich erschien er von seinem „zölibatären“ Vater zurück im Dorfkrug. Nachdem er die Grüße des Priesters an seine Exgeliebte und Mutter seines Sohnes ausgerichtet hatte wandte sich Michael an mich: „Pepe hast du mal Lust auf der Rückbank zu sitzen? Ich möchte Mamiinkas Kutsche auch mal fahren?“. Mir sollte es recht sein und da Marianne dem Wunsch ihres Sohnes Wohlwollen entgegenbrachte, hatte ich das seltsame Chauffeurserlebnis im „Dienstwagen“ gefahren zu werden. Während der ganzen Zeit unterhielten sich Mutter und Sohn über den derzeitigen Alltag eines künftigen Opernstars, das heißt, dass Marianne einiges aus dem Leben ihres Sohnemannes erfahren wollte. Auf dem Gelände der Villa Klettner in Bergdorf angekommen, konnte ich eine erste Erfahrung meines neuen Verhältnisses zu der Dame machen. Sie fragte mich: „Pepe, willst du dich ein Wenig ausruhen, damit du fit dafür bist,
meinen Mann zu zeigen, was Schachspielen heißt?. Gestern war es ja spät und deshalb kannst du dich ein Wenig in meinem Zimmer hinlegen ... damit du nicht wieder Dummheiten machst.“. Michael, der wie am Flughafen darauf bestand sein Gepäck selber zu tragen, begab sich gleich auf sein, in den letzten Jahren wenig genutztes Zimmer. Marianne ging dann mit mir zunächst mal auf ihr Zimmer. Dort angekommen begann sie sich gleich zu entkleiden aber gab mir dazu eine Erklärung: „Keine Angst, ich will mich jetzt eigentlich nur kurz duschen und andere Sachen anziehen. Alles anderen machen wir später.“. Trotzdem, als sie jetzt vollkommen nackt vor mir stand, fühlte ich das Bedürfnis sie einmal kräftig zu herzen und zu küssen – und diesem gab ich dann auch nach. Es war zwar nur ein kurzer Augenblick aber es war zum ersten Mal das ich den Ton angab und sie hatte es sogar gerne. Nach dem Duschen und der Wiederbekleidung fragte sie noch: „Möchtest du ein Cappuccino, Bier oder sonst was? Verena kann dir das gleich bringen.“. Da mir ein Cappuccino ganz recht war, äußerte ich diesen Wunsch bevor Mariandel den Raum verließ. Fünf Minuten darauf erschien Verena mit dem Cappuccino und der erstaunten Frage: „Mensch was ist denn hier los? Bist du befördert worden?“. Da ich darauf auch keine Antwort hatte, stellte ich lieber eine Gegenfrage: „Ich wollte aber nur einen Cappuccino, wofür ist denn der zweite?“. Während sie mir sagte der sei für den jungen Herrn Klettner verschwand sie auch wieder geschwind aus dem Zimmer. Nach etwa anderthalb Stunden kam Marianne wieder und verkündete mir, dass der Schachabend ausfalle, da es jede Menge Theater zwischen Hannsfrieder und Michael Klettner gegeben habe. Sie fragte mich, ob ich stattdessen mit ihr ausfahren möchte. Na ja, das war mir auf jeden Fall lieber als hier in irgendetwas hineingezogen zu werden. Da gab es noch eine Neuerung: Sie fragte mich ob ich einen Vorschlag hätte, wo wir hin sollten. Da ich lange nicht mehr im Theater war, schlug ich den Besuch von Humperdincks Märchenoper „Hänsel und Gretel“ im Neustädter Stadttheater vor. Ich erwartete jetzt eine Gegenrede aber stattdessen willigte sie freudig ein. Es kam nur: „Dann holen wir jetzt gleich 2 Karten und dann fahren wir erst mal ein Wenig spazieren. Einverstanden?“ Und los ging es. Dieses beiden Neuerung, also das ich ihr Zimmer mitnutzte und das auch ich mal was vorschlagen durfte, auch im Bett, wurden ab jetzt zum Standard; auch nach Eintritt einer Wiedernormalisierung. Ich schrieb ja schon: Wir waren Freunde geworden.
Zum Kapitel 10
Zum Inhaltsverzeichnis
Aschenputtel und der missratene Kronprinz Für mich begann nach jenem denkwürdigen 20. Dezember für ein paar Tage ein seltsames Untermieter-Doppelleben. Einmal bewohnte ich in der eigenen Wohnung das ehemalige Mädchenzimmer meiner Tochter und in der Villa Klettner teilte ich mir ein Zimmer mit der Dame des Hauses. Und von beiden machte ich Gebrauch, gerade so wie es beliebte. In der Nacht vom 20. auf den 21. teilte ich mir glücklich mit meinem Mariandel das Bett um mich danach mehr als die nächsten 24 Stunden in der ehelichen Wohnung aufzuhalten. Marianne benötigte mich nicht, da ihr Sohn als Chauffeur seiner Mutter fungieren wollte. Gegen Mittag des Zweiundzwanzigsten wurde ich dann in die Villa gerufen. Ich ging natürlich davon aus, dass ich als Fahrer benötigt würde. Dem war aber nicht so, denn der Herr des Hauses hatte mich her beordern lassen, um ein ernstes Wort mit mir oder besser gesagt mit uns zu reden. Erstmalig konnte ich jetzt in seinem klotzigen aber auf meine Augen kitschig wirkendem Büro Platz nehmen. Außer mir waren, wie andeutungsweise geschrieben, noch drei weitere Personen, Marianne, Michael und Verena, herbefohlen worden. Im Gegensatz zu mir hatten die anderen jedenfalls eine Ahnung um was es ging und deshalb wandte sich der „hohe“ Herr zunächst an meine Wenigkeit: „Herr Schröder, hier geht es eigentlich um eine Familienangelegenheit, die sie von der Sache her gar nichts angeht. Da meine Frau sie aber in unverantwortlicher Weise eingeweiht und einbezogen hat, muss ich ihr Schicksal von dem der anderen hier versammelten Herrschaften abhängig machen. Ich werde jetzt ihnen und den drei anderen hier versammelten Herrschaften unterbreiten, wie es ab sofort in meinem Hause weiter läuft. Wenn davon nur ein Tönchen in der Öffentlichkeit bekannt wird, sind alle hier versammelten Damen und Herren erledigt. Alle ihre Uhren sind dann hier im Haus abgelaufen und der Hahn, durch den sie alle ganz gut versorgt werden, bleibt für immer verschlossen. Dieses dürfte dann sogar noch das kleinste Übel sein mit dem sie rechnen müssen. ... Mehr möchte ich dazu jetzt nicht sagen.“. Jetzt schaute er Marianne mit scharfen Blick an und fuhr fort: „Mein sehr verehrter Vater hat dich aus der Gosse geholt. Sowohl dein leiblicher Vater wie dein Stiefvater waren Alkoholiker und deine Mutter Prostituierte. Dieses nur weil du dieses vielleicht schon vergessen hast. Hätte mein Vater dich nicht aus den Sumpf geholt, wärest du mit Sicherheit auf der gleichen Karrierebahn wie deine Mutter vorrangeschritten. Aufgrund der Tatsache, dass dich mein scheinheiliger Bruder geschwängert hat, bekamst du Familienanschluss, denn es dürfte doch wohl undenkbar sein, dass sich ein Klettner im Mob befindet. Andererseits bestand durch Michael die Möglichkeit, das alles was wir geschaffen haben, in Händen unserer Familie bleibt.“. Diese Aussagen, die ich für unerhört schmutzig und gemein empfand, bestätigen jedoch alles was ich, zumindestens seit letzten Sonntag, von Marianne wusste. Als nächstes nahm er Michael, seinen Pseudosohn, in Visier seines durchstechenden Blickes: „Aber leider hat sich unser kleiner Bastard nicht so wie es wünschenswert und notwendig wäre entwickelt. Hoffentlich ist er zumindestens dazu in der Lage, die Erbfolge durch Zeugung eines Enkels, wegen meiner auch Enkelin, zu sichern. Bei dessen Erziehung gehen wir dann jedoch keine Experimente ein. Ab Kindergartenalter werden wir für die Erziehung kompetente Institute und Personen bemühen. Da ich euch gestern bereits bei der Einübung des Zeugungsaktes erlebt hatte und du mir prompt sagtest Frau Kock (Verena) wäre die Frau deines Lebens, verpflichte ich euch jetzt dazu, mir ein Enkelkind zu zeugen. Wenn ich in den nächsten 12 Monaten nichts von einer Schwangerschaft von Frau Kock höre sind die Tage aller vier hier im Raum versammelten Personen gezählt. Morgen auf der Xmas-Party werde ich euere Verlobung bekannt geben. Marianne, ich erwarte von dir, dass du die Dame im angebrachten Umgang unterweist.“. Ich war richtig über das brutale Vorgehen dieses Herrn Klettners erschrocken. Auch Nummer Vier in unserer Sünderrunde, also Verena, wurde noch von ihm beschossen: „Frau Kock, als Hausmädchen können sie sich hier ab sofort als entlassen betrachten. Wie ich schon gerade schon zu meinem Sohn sagte, bin ich jedoch bereit sie als Schwiegertochter hier im Hause zu akzeptieren. Daher erlaube ich mir ab sofort sie Verena zu nennen und erwarte im Gegenzug, dass sie mich Vater nennen. Sie ziehen natürlich sofort aus der Gärtnerlonge aus und in das Zimmer meines Sohnes ein. Ich erwarte von ihnen unverzüglich angemessene Umgangsformen und –sprache. Sie werden verstehen, dass ich ihnen perverse beziehungsweise obszöne Bekleidung strickt untersage. Sie haben sich so zukleiden, wie es sich für die Schwiegertochter des Hauses gehört. Darüber unterhalten sie sich bitte gleich mit meiner Gattin, die ich sie bitte in einer halben Stunde aufzusuchen. Was ich von ihnen insgesamt erwarte, haben sie bereits eben gehört. – So, und jetzt kann unser Aschenputtel und mein missratener Kronprinz schon mal gehen“. Am Liebsten wäre ich zu diesem Zeitpunkt dem bornierten Affen an die Kehle gesprungen. Als die beiden jungen Leute den Raum verlassen hatten waren dann noch mal Marianne und ich dran. Ich wurde als Fahrer gefeuert und somit auch von seiner Lohnliste gestrichen. Er legte auch gleich den letzten Fünftausendmarksscheck für mich auf den Tisch. In Zukunft sollte mich seine Frau aus ihrem reichlich bemessen Budget entlohnen. Offiziell dürfe ich mich auch nicht mehr als Fahrer sondern nur als das, was ich wäre, sehen: Eine männliche Mätresse. Wie ich das meiner Familie klarmachen würde, wäre meine Angelegenheit. Im Hause würde ich mit seiner Frau zusammenwohnen, also auf Mariannes Zimmer. Er würde sich erlauben uns gemeinsam zu Gesellschaften im und außer Haus einzuladen und dabei erwarte er von uns kultiviertes Benehmen. Mit anderen
Worten: Er stimmte unserer Beziehung unter der Bedingung, dass er uns beliebig bloß stellen kann, zu. Und dann schmiss er uns auch förmlich raus. Als wir auf „unserem“ Zimmer ankamen sprach Marianne erstmalig an diesem Tag, bis jetzt war keiner von uns zu Wort gekommen, zu mir: „Dem Kerl haben sie doch irgendwo ins Gehirn geschissen ... aber anders herum, ist es für uns alle gar nicht so schlecht, was er von uns fordert. Zumindestens zunächst mal nicht. ... Und kommt Zeit, kommt Rat. Du bist vielleicht derjenige, der am beschissensten von uns dran ist, denn ich schätze, dass er dafür sorgen wird, dass deine Frau von deinem neuen Status hier erfährt. Na, wir werden sehen, da kommen wir schon durch. ... Einzig mein Erzengelchen und Verena dürften jetzt richtig glücklich sein. Die haben sich Hals über Kopf ineinander verliebt und sich prompt vom Alten erwischen lassen. Bisher konnte ich mich hier als Mutter des Kronprinzen halten und jetzt als mögliche Oma. ... Was soll es, wir werden alle älter.“. Und ich vernahm das erste Lachen dieses Tages. Dann schlug sie vor meine persönlichen Sachen, zu einem Zeitpunkt, an dem ich es für richtig halte, in mein neues Domizil zu holen. Mir stände ab sofort ihr Wagen nach meinem Gutdünken zur Verfügung, ich sei ja jetzt offiziell ihr Lover. Wirklich eine halbe Stunde nach dem der Familiendiktator es angeordnet hatte erschien Verena in unserem Zimmer. Nachdem sie wie früher in Hausmädchenmanier angeklopft hatte eröffnet sie mit: „Frau Berghoff-Klettner ich sollte ...“. Da wurde sie von Marianne unterbrochen: „Für dich bin ich entweder Marianne oder wenn du willst Mutti ... Letzteres ist mir sogar lieber.“. Jetzt schaute Verena etwas verlegen drein: „Also Mutti, ich sollte zu dir kommen.“. „Das ich dir Benehmen beibringen muss ist Quatsch.“, stellte Marianne fest, „Feine Dame spielen kannst du ja alleine. Aber ich kann dich mit ein paar Klamotten ausstatten. Bin zwar etwas dicker geworden aber ansonsten haben wir in etwa die gleiche Figur, da müsste dir einiges passen. Nach Weihnachten statte ich dann richtig aus. Ziehe dich schon mal aus, dass du was anprobieren kannst.“. Jetzt glaubte ich unterbrechen zu müssen: „Ich glaube, ich hole jetzt mal meine Sachen.“. Und danach machte ich mich erst mal davon. Auf der Fahrt in Richtung meiner häuslichen Gefilde dachte ich darüber nach, das alle Beteiligten alle anderen irgendwie in der Hand hatten. Ein Jeder wäre, wenn er einen anderen ans Messer lieferte selbst mit dran gewesen. Verena und ich haben im großen Umfang Schwarzarbeit geleistet. Das dieses teilweise in einer sittenwidrigen Weise geschah wollen wir mal als nebensächlich abhandeln, da es im Zuge anderer Dinge recht unerheblich ist. Bei mir kommt hinzu, dass ich vor weniger als 3 Jahren eine eidesstattliche Versicherung über mein Vermögen und meine Einkünfte geleistet habe. Damit hätte ich mich des Meineides schuldig gemacht. Würden mich jetzt Klettners anzeigen, würden sie sich selbst der Gewährung illegaler Beschäftigung und Hinterziehung von Steuern und Sozialabgaben bezichtigen. Marianne hat des persönlichen Vorteiles halber zugestimmt, dass ihr Sohn Michael dem falschen Vater zugeordnet wurde, damit die gesetzliche Erbfolge manipuliert werden kann. Selbst wenn wir von strafrechtlichen Angelegenheiten absehen, dürfte sie bei einem Auffliegen des Lügengebildes praktisch von einer oberen Einkommenssicht in die unterste abrutschen. Und Klettner ist derjenige, der die Fäden gesponnen hat und den man eine Menge Straftaten nachweisen könnte. Wenn die ganze Sache platzt, ist er seines Lebenszweck, möglichst viel vererben zu können, beraubt. Und Michael könnte wenn die Sache ruchbar wird seinen Traum vom Opernstar aufgeben, denn wer sollte sonst das Ganze finanzieren? Jetzt konnte Jeder Jeden erpressen. Und dabei waren alle, allerdings immer mit einem Wermutstropfen, sogar erfolgreich. Klettner hat, wenn das mit Verena und Michael klappt, die familiäre Erbfolge gerettet. Er läuft doch Gefahr durch ein gewolltes oder unabsichtliches Verplappern eines anderen Beteiligten in die Küche des Teufels zu geraten. Verena hat ihre Absicht sich einen Millionär zu angeln in die Tat umgesetzt, steht aber jetzt im Zugzwang einen Sohn gebären zu müssen. Marianne und Michael haben sich ihren Standard und ihre Privilegien als Millionärsfrau beziehungsweise –sohn gesichert, was aber dann platzt, wenn das mit dem Erbenkel nicht klappt. Es darf ja nicht ausgeschlossen werden, dass Klettner, wenn er sein scheinbar einzigstes Lebensziel nicht erreicht, im negativen Sinne aussteigt. Marianne hat sich zusätzlich den Wunsch erfüllen können, einen Mann, den sie liebt an ihrer Seite zu haben. Dafür muss sie ertragen, das sie vorgeführt wird und nicht mehr als die makellose Dame dasteht. Ich habe am Finanzamt und an Gläubigern vorbei recht gute Einkünfte – Cash auf die Tasche und durch das Leben mit meiner Geliebten einen gehobnen Standard, also ein Leben im goldenen Käfig. Mein Wermutstropfen ist, das ich dafür auf das Glück eines Lebens mit meiner geliebten Familie wohl verzichten muss. So ist der derzeitige Stand im Sinne aller und so auch keinem recht. Woran ich damals nicht dachte, war, dass derjenige der beschließt die Existenz im Königreich des Gottes Mammons aufzugeben um ins wirkliche Leben zurückzukehren, der einzigste ist, dem wirkliches Glück zuteil werden kann. Nicht Besitz sondern Leben ist das Glück. Zuhause wartet noch die Bewältigung eines weiteren Kunsttricks auf mich. Ich wollte doch tatsächlich körperlich fast vollständig ausziehen, das heißt, alle meine Sachen in Mariannes Zimmer innerhalb der Klettner-Villa bringen, offiziell und emotional wollte ich aber dort wohnen bleiben. Ich musste Katha was erklären; aber was? Als ich die Tür aufgeschlossen hatte und eingetreten war erwartete mich erst mal eine „freudige“ Überraschung. Katharina hatte gerade geduscht und wollte so wie Gott sie geschaffen hatte vom Badezimmer ins Schlafzimmer wechseln. Jetzt huschte sie nicht gleich weg sondern blieb stehen, da sie gedachte, die Blumen- und Wohnungspflege während ihres Urlaubes mit mir abzusprechen. Sie wollte zwar nicht das komplette Gespräch im Evaskostüm führen sondern mir nur den Hinweis „Peter, wir müssen noch darüber sprechen was hier zu tun ist ...Ich will mich nur schnell wieder anziehen.“ geben. Aber
trotzdem stand sie erst mal betrachtungsfähig nackt vor mir und das turnte mich sogar nach 26 Jahren immer noch an. Am liebsten hätte ich sie an diversen Stellen gestreichelt oder begrabscht – ich musste mich schon ganz schön beherrschen. Aber das von Katharina angeschnittene Thema vereinfachte jetzt auch nicht gerade mein Vorhaben. Als meine Frau dann im ordentlichen Dress wieder aus dem Schlafzimmer zurück war und wir uns im Wohnzimmer zusammensetzten versuchte ich es mit einer Mischung aus Lüge und geschönter Wahrheit: „Katha, ich erzähle dir ja nichts Neues, wenn ich dir sage, dass mich Frau Berghoff-Klettner fast rund um die Uhr in Anspruch nimmt. Man hat mir jetzt in der Villa ein Zimmer eingeräumt, wodurch mir dann einiges leichter fällt. Ich will jetzt meine Anziehsachen und so weiter dahin schaffen. Ich bleibe aber trotzdem hier wohnen und werde auch jeden Tag mal nachschauen was anliegt und ob alles beim Rechten ist. Dieses auch aus dem Grund, dass ich immer noch darauf hoffe, das die Zeit Wunden heilt und wir irgendwann mal wieder zusammenkommen, denn ich liebe dich immer noch.“. Ihre Antwort kam mit netter Stimme: „Ich weiß nicht genau ob ich dich immer noch liebe und ob ich noch mal mit dir leben möchte. Aber trotzdem bin ich mit der von dir vorgeschlagenen Lösung vorerst einverstanden, weil es bis jetzt ja einigermaßen lief und ich mir nach wie vor eine endgültige Lösung vorbehalten kann. ... Und ob du in der Villa oder hier in Christinas Zimmer rumlungerst macht ja keinen wesentlichen Unterschied“. Na ja, das lief ja besser als ich befürchtet hatte. Nachdem mich Katharina über alle die Dinge, die ich während ihrer Abwesenheit zu berücksichtigten hatte, aufgeklärt hatte, begann ich meine Sachen aus Christinas Zimmer und dem Bad in Koffer zu räumen. Da zwei der drei Koffer und die Reisetasche am nächsten Tag von den Damen meiner Familie benötigt wurden musste ich natürlich einmal hin- und herfahren. Dazwischen lernte ich einen neuen angenehmen Zug von Marianne kennen: Ich sollte alles ausräumen und aufs Bett packen und dann erst die Koffer zurück bringen. Als ich zurückkam hat meine „Geliebte“ alles sorgsam eingeräumt und führte mir dann dieses stolz vor. Erstens sollte ich die Sache begutachten und zweitens musste ich mich ja in meinen eigenen Sachen auskennen. Einen solchen Service hatte ich in der Zeit zwischen dem Bruch mit meiner Frau und diesem denkwürdigen 22. Dezember 1998 nicht mehr erlebt. Natürlich ging das Leben ab diesem Zeitpunkt bis zum Abend des Vierundzwanzigsten weiter und so geschah auch immer was. Aber nichts ist von einem solchen Interesse, dass ich es hier niedergeschrieben müsste. Vielleicht nur die Sache, das ich, wie verabredet, Katharina und Christina am Morgen des Dreiundzwanzigsten zu ihrem Reisebus gefahren habe. Interessant hier, das ich dazu nicht wie ursprünglich vorgesehen unseren neuen Gebrauchten benutzte sondern meinen „Dienstwagen“, also Mariannes rotes BMW-Cabriolet. Das veranlasste die, auf der Rückbank sitzende, Katharina zu Christina, die auf dem Beifahrersitz saß, eine spitze Bemerkung zu sagen: „Na, wir kommen immer weiter runter. Heutzutage fahren Männer ihre Frauen schon in den Luxusschlitten ihrer Konkubinen spazieren.“. Da ich keinen Streit wollte, überhörte ich dieses gefliessendlich. Was krumme Bemerkungen anbelangt, mussten Verena und ich auch einige Seitenhiebe unserer Exkollegen einstecken. Seit dem Mittag in des Herrns Büro gehörten wir während der höfisch rituellen Mahlzeiten an den Tisch der Herrschaft. König Klettner saß am Kopfende und an der rechten Seite saß das Pärchen Verena und Michael sowie denen gegenüber Marianne und ich. Bedient wurden wir von der Köchin Maria. Am Heilig Abend galt es im umgebauten Pool – das Wasser war ab- und der Boden hochgelassen und darüber war ein Teppich ausgerollt – den großen Weihnachtsbaum aufzustellen und mit allen möglichen Kitsch zu überladen. Da dieses Personalangelegenheit ist und ich nicht mehr dazu gehörte, musste Hermann alles alleine machen. Klar, dass das den beiden dieses nicht so passte. So ließen die beiden, wenn wir vorbei kamen, so manches Wörtlein zum Thema „Aschenputtel“ beziehungsweise „Hengst der Gnädigen“ fallen. Auch der hohe Herr betätigte sich als Lästermaul aber das betraf immer „seinen“ missratenen Sohn oder Kronprinz. Bei der Heilig-Abend-Party bekam ich dann mit, was es für Marianne und mich heißt, offiziell als außereheliche Liebhaber vorgeführt zu werden. Alle Leute sahen uns so an, das wir ihnen glatt ihre Gedanken hinsichtlich unserer Moral und unseres Charakters ansehen konnten. Dem ganzen Gehabe der Leute konnte man anmerken, dass sie sich über uns stehend düngten. Von allen Seiten wurden wir beobachtet. Ein perfektes gesellschaftliches Mobbing – und das von Leuten, die vermutlich selbst genug Dreck am Stecken haben. Ich dachte da an den Schlager – ist er nun von Udo Jürgens oder Reinhard May? – von dem ehrenwerten Haus. Jedoch Big Klettner profitierte von der Sache. Man sprach teilweise sogar das Lob ob seiner Toleranz und weltmännischen Überlegenheit offen aus. Marianne hielt sich den ganzen Abend dicht in meiner Nähe auf. Offensichtlich war ich für sie das, was sie für mich war: Ein Strohhalm in der Brandung. Was mir bei dieser Party recht komisch anmutete war der extrem andere Verlauf des Abends zu allen anderen Weihnachtsabenden, die ich bisher in meinem Leben miterlebt habe. Alle einundfünfzig Male vorher, verlief dieser familiär und ein Wenig besinnlich, mit einer christlichen Motivation im Hintergrund. Als unsere Kinder klein waren wurde Weihnachten mit einem Kindergottesdienst, in dem auch ein Krippenspiel aufgeführt wurde, eingeleitet und später wurde dieser durch die Christmette, die eine Stunde vor Mitternacht begann, ersetzt. Hier war alles anders; nichts besinnlich und nichts christlich. Kein Unterschied zu den Empfängen die das ganze Jahr über in langweiliger Kontinuität stattfanden. Die Gespräche unterschieden sich nicht von dem Gelaber wie zu jedem beliebigen Zeitpunkt im Jahr. Da war jede Menge Tratsch und Klatsch, einzig mit dem Ziel andere herabzuwürdigen. Bei den Damen meist nur
aus Spaß an der Freude und bei den Herren ging es in erster Linie darum, Konkurrenten aus ihrer Bahn zu hebeln. Ansonsten bestanden die Gespräche aus dem Nachbeten offizieller Meinungen aus den Arbeitgeber- und Industrieverbänden sowie einschlägiger Medienveröffentlichungen. In Stichworten kann man sagen, das es um den „bösen“ Finanzminister Oskar Lafontaine, dem Euro, um das sensible Wirtschaftsbarometer Börse und so weiter ging. Natürlich wurden auch kräftig Vorurteile, insbesondere über die Faulenzer in der sozialen Hängematte, also Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger, gedroschen. Wenn man sich so etwas anhört, muss man im Umkehrschluss annehmen, dass alle Beamten und Angestellten auf deutschen Sozialämtern kriminelle Staatssaboteure sind, denn was Stützeempfänger erhalten, muss ja von denen erst mal bewilligt worden sein. Und was Stütze Paul vom Amt, laut Vorurteilsdrescher bekommt, liegt massig über dem, was den Betroffenen laut Gesetzesgrundlage zusteht. Und da kommen mir fast die Tränen: Alles was in diese Sozialdusselei fließt, geht den Leistern in unserer Gesellschaft, sowie unserem Big Klettner, verloren. Ich beteiligte mich wohl weislich an keinem dieser Gespräche, auch wenn man mich ausnahmsweise oder versehentlich dazu einlud, denn ich wäre mir mit diesen Leuten aus der, der Wirklichkeit entrückten Oberschicht, bestimmt in die Haare geraten. Meine Gesprächspartner an diesem Abend waren ausschließlich Marianne, Verena und Michael und zwar in der geschätzten Verteilung von: Marianne 80%, Verena 15% und Michael den Rest. Wir sprachen fast immer nur von belanglosen Banalitäten und dieses aus dem eingestandenen Grund, das wir Angst davor hatten, jemand könne was aufschnappen, was wir dann eventuell negativ zu spüren bekommen hätten. Mir fiel auf, das Marianne immer wenn ich die Worte „Früher, Kindheit oder Jugendzeit“ gebrauchte, blitzartig auf ein anderes Thema überleitete. Das war natürlich nur anfangs, denn als ich dieses bemerkte, vermied ich solches natürlich. Später im Bett begründet mir Marianne ihr diesbezügliches Verhalten. In ihrer Kindheit sah es nicht rosig aus. Das Geld reichte mal gerade für einen Weihnachtsbaum und Fusel, das heißt Billigschnaps, für die Eltern; für ein Festessen oder Geschenke blieb nichts über. Wenn dann ihre Eltern genügend von ihrem Weihnachtssprit getankt hatten, wurde es dann handgreiflich. Ihre Eltern haben sich gegenseitig und dann die Kinder geschlagen. Weihnachten, als sie gerade 12 Jahre alt war, wurde sie von ihrem Stiefvater erstmalig vergewaltigt. Dieses nannte sie mir dann als Grund, warum sie sich, als sie gerade 20 war, an den alten Klettner verkauft hatte. Bei dieser Gelegenheit fiel mir auf, dass ich noch nicht mal den Geburtstag und das Alter meiner Geliebten wusste und fragte deshalb nach. „Ich bin ein Aprilscherz, am 1.4.54 bin ich geboren“ bekam ich darauf zur Antwort. Mariandel war also zirka 3 Jahre jünger als meine Frau und zwischen ihr und mir lagen zirka 7½ Jahre. Irgendwie brachte mir mein Gewissen meine Aussage zur Silberhochzeit, dass ich Katha nie wegen einer Jüngeren verlassen würde, in Erinnerung. Na ja, jetzt erst mal zurück zum Abend, dessen Höhepunkt die Verlobung von Aschenputtel mit dem missratenen Kronprinz sein sollte. Punkt 22 Uhr meldete sich der Hausherr durch ein akustische Signal zu Wort: „Meine Herrschaften, liebe Freundinnen und Freunde, darf ich mal für einen kurzen Augenblick ihre geschätzte Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen.“. Verena und Michael standen bereits zu seiner Rechten und er streckte jetzt seinen linken Arm in Richtung Marianne, die neben mir stand, und jetzt dem Wink willig folgte und zu ihm ging, bevor der Herr weiter sprach: „Meine Gattin und ich beehren uns, ihnen die Verlobung unseres Sohnes Michael mit Frau Verena Kock bekannt geben zu dürfen.“. An den Gesichtern der Gäste konnte man deutlich erkennen, wer im letzten Dreivierteljahr an Empfängen im Hause Klettner teilgenommen hatte und wer nicht. Den Stammgästen standen die Gedanken an das obszöne Hausmädchen, was man ja sogar nackedie und nackedei kannte, richtig auf die Stirn geschrieben. Mit einem Geknutsche unter dem vornehmen zurückhaltenden Geklatsche der Gäste und dem Verteilen von Kelchen mit sprudelnden Sekt durch die beiden, kurzfristig angemieteten Serviererinnen ging die Zeremonie zu Ende. Das war es: Kurz und schmerzlos. So gegen Eins löste sich die Versammlung zügig auf und ich war froh, diese überstanden zu haben. Die „Kinder“ kamen anschließend noch für ein halbes Stündchen mit auf unser Zimmer. Als erstes musste sich Verena Luft machen: „Gott sei Dank, das ist vorbei. ... Ich wäre ja am Liebsten im Boden versunken. Vielen merkte man an, dass sie mich als Hausmädchen nach Art des Hauses kannten. ... Übrigens habe ich Mischa alles erzählt, ihr braucht kein Blatt vor den Mund nehmen.“. „Ach mein Mädchen, alles, ... heißt das auch das, was mit uns war?“, stöhnte Marianne. Während Michael plötzlich die Ohren spitzte reagierte Verena doch schnell: „Mutti, ... ist doch klar, das er weiß das ihr dabei ward ... oder was meintest du?“. Das war wirklich recht clever und die Situation war gerettet. Jetzt wurde Marianne tröstend: „Ach, mein Schwiegertöchterchen, ... das bist du ja jetzt, ... nicht nur du wärest gerne im Boden versunken, ... wir auch. So schön ist unser Status hier im Hause auch nicht. Aber was soll es, ich hatte keine andere Wahl. Du hast ja von unserem Oberhaupt gehört, wo ich herkomme. Ich glaube, wir hatten in unserer Kindheit in etwa das gleiche Schicksal ... und deshalb freue ich mich für dich, denn mein Erzengelchen ist ein anderer Kerl wie sein Vater ... bei ihm wirst du es gut haben.“. Jetzt protestierte Michael: „Was heißt hier ‚anderer Kerl wie sein Vater’? Mein Vater ist ja nicht das Ekel hier im Hause sondern sein Bruder ... und das ist ein ganz toller Typ.“. Jetzt kam Verena zu dem Anliegen, weshalb sie zu uns gekommen waren: „Mutti, wir wollten morgen zu meiner richtigen Mutti ... oh, entschuldige ... Mischa weiß, das sie eine Säuferin ist, ... also da passiert nichts. Könnte Pepe uns da bitte hinfahren.“ Jetzt entschied Marianne: „Also ich bin deine Schwiegermutti und deine richtige Mutti bleibt deine richtige Mutti. ... Dieses zum Einen und zum Anderen ist doch klar, dass wir euch nicht nur hinfahren sondern auch wieder abholen. ... Nicht wahr Pepelein?“. Es war doch Ehrensache, dass ich dieses bestätigte.
Einschließlich des anschließenden Gesprächs im Bett, das ich ja bereits wiedergegeben habe, sind für mich nun alle Fronten geklärt. Alle stehen wir mit nackten Biografien voreinander. Wenn ich mir das so recht überlege, hatte ich von allen das glücklichste Schicksal aber zum Zufriedensein habe ich beim besten Willen keinen Grund. Nachdem Marianne in meinen Armen eingeschlafen war, sprach ich noch ein stilles Gebet: „Herr, ich weiß du liebst auch mich armen Sünder. Wenn ich mir was wünschen darf, dann möchte ich nächstes Jahr wieder so Weihnachten feiern wie früher. Amen“.
Zum Kapitel 11
Zum Inhaltsverzeichnis
Chronik eines Hauches von Glück Konsumorientierung heißt der Passivität den Vorrang einzuräumen. Die einzige Aktivität des Konsumenten besteht im Zahlen und Geschehen lassen. Statt im FC Kleinkleckersdorf selber Fußball zu spielen geht man lieber zum Zuschauen zu den Firmen Bayern München, Borussia Dortmund oder Schalke 04. Statt sich selbst zu bewegen, lässt man sich in den Freizeitparks in immer wilderen Karussells durch den Raum schaukeln. Statt sich eine eigene Meinung zu bilden klickt man sich diese aus dem Internet. Statt durch Spaziergänge körperliche und geistige Leistungsfähigkeiten aufrechtzuerhalten oder wieder aufzubauen schluckt man lieber Vitaminpräparate oder Energydrinks. Passivität macht auf die Dauer träge, immer Weniger ist der echte Konsument in der Lage mal selbst was in die Hand zu nehmen. Wenn dann mal vorrübergehend kein Konsumangebot besteht empfindet der konsumkranke Zeitgenosse eine unerträgliche und quälende Leere. Weihnachten ist eine solche Zeit in der das Konsumangebot traditionell erheblich zurück geschraubt wird, was bei vielen modernen Menschen dann zu Ausrastern führt. Mehr und mehr wird das Weihnachtsfest zur Hochzeit der Familienauseinandersetzungen bis hin zu Tragödien. Jede zweite Scheidung in unserem Lande findet ihren Auslöser an diesen Festtagen. Wer allerdings wie unser Freund Klettner einen genügend hohen Zahlenwert auf ein, seinem Namen zugeschriebenen Konto hat, kann natürlich Konsumebben übertünchen, zum Beispiel mit einer Xmas-Party, oder dieser „mageren“ Zeit entfliehen. So kommt auch die Tourismusbranche zum Jahresende auch zu immer besseren Umsätzen. Aber beides, Ruhe oder Unterhaltenlassen, ist ja nicht das Naturell eines Hannsfrieder Klettner. Er ist ja nur noch auf den ersten Blick ein Mensch. Bei näherer Betrachtung ist er ein biologischer Computer: Lesen, Speichern, Überrechnen und Wiedergeben. Das einzige Menschliche an seinem Wesen dient der Aufrechterhaltung seines Körpers: Ein wenig Bewegen, Essen und Schlafen. Sein einzigster Daseinszweck sind Spekulationen und Strategien. Dementsprechend handelte er auch Weihnachten 1998: Er flog am ersten Weihnachtstag in das gelobte Land der Mammonisten, deren oberste Gebot „Nach uns die Sintflut, Hauptsache die Kasse stimmt“ zu lauten scheint, um sich dort mit seines Gleichen zu treffen. Aus diesem Grund mussten seine Kulis, sorry, sein Personal, auch am Morgen des 1. Weihnachtstages antreten. Maria Neuhoff war für die Vorbereitung und bedienende Durchführung des Frühstücksritual des Herrn zuständig und Hermann Langhals musste ihn zu seinem Flieger bringen. Mit dem Argument, dass ich das machen könne war er nicht bei dem Herrscher über die Villa und den Menschen darin zum Zuge gekommen; ich stand nicht mehr auf seiner Lohnliste und befand mich stattdessen, aus seiner Sicht, im Besitzstand der ihm zugetrauten Frau. Zum Frühstücksritual mussten wir Vier natürlich auch erscheinen. Und dieses sogar pünktlich, denn bei einem Klettner läuft alles nach einem algorithmischen Schema ab, menschliche individuelle Zeiteinteilung und Tageslaufgestaltung hat keinen Platz in einer humanoiden Existenz. Also saßen wir von Acht bis kurz vor Neun auf unseren, uns zugeordneten Plätzen am Tisch des Herrn. Noch mal nahm Big Klettner den Versager Michael in die Mangel und ermahnte ihn an seine Zeugungspflicht zu denken. Marianne holte sich mal eine kräftige Abfuhr ein, als sie sich mal zugunsten ihres Sohnes einmischte. Verena und ich waren insgesamt die schweigenden Dabeisitzer. Letztendlich waren wir allesamt froh, als der Herr uns dann ins Leben entließ. Auf unserem Zimmer angekommen jauchzte Marianne „Jippi“ und zog sich dabei ihr Kleid über den Kopf. Dabei beließ sie es aber nicht, sondern entblätterte sich vollständig. Als dieses erledigt war sprang sie mit einem erneuten „Jippi“ ins Bett. Nach einem Roller vom Bauch auf den Rücken schaute sie mich an: „Und was ist mit dir?“. Verdutzt fragte ich: „Bist du so heiß gelaufen?“. „Das können wir, wenn du willst, auch machen.“, antwortete sie lachend, „Ich wollte es mir jetzt im Bett erst mal richtig gemütlich machen. Ich stehe erst heute Nachmittag, wenn wir mein Erzengelchen und Verena zu ihrer Mutti fahren, wieder auf.“ Das ließ ich mir nicht zwei Mal sagen, mal wieder richtig Mensch sein. Schwuppdiwupp war auch ich im Adamskostüm und jumpte zu meiner Geliebten ins Bett. Dies war der Zeitpunkt, als bedingt durch die Abwesenheit unseres Gebieters, vorrübergehend ein Hauch von Glück in diese ansonsten unbeseelten Villa einzog. Wir waren gerade beide im Bett als es an der Tür klopfte. Im ersten Moment glaubten wir, Michael oder Verena wollten etwas von uns und schlüpften deshalb bis kurz über den Bauchnabel unter die Decke bevor Marianne „Herein“ rief. Aber wir hatten uns geirrt, die Köchin trat ein und deshalb zog meine Bettnachbarin die Bettdecke noch weiter rauf, bis über ihre Busen. Man merkte es Maria an, dass sie sich ihr Teil, was aber ein Wenig von der Realität abwich, dachte. „Frau Berghoff-Klettner, ich würde ganz gerne mit ihnen den Ablauf über die Tage absprechen“ trug Maria ihr Anliegen vor. Darauf bekam sie schnell und kurz Mariannes diesbezügliche Planung zu hören: „Frau Neuhoff, sie haben doch auch eine Familie und möchten doch bestimmt mit denen Weihnachten feiern. Wollen sie nicht bis zum 2. Januar Urlaub machen. ... Mein Mann brauch davon nichts zu wissen, damit ihr Urlaubskonto nicht geschädigt wird. Am 2. wird es allerdings dann ein Bisschen stressiger für sie, denn wir kommen zwar alleine ganz gut zu recht aber wenn mein Mann am 3. wieder da ist, muss es so aussehen als wären sie die ganze Zeit da gewesen. ... Ich verspreche ihnen, dass wir kein Chaos anrichten werden aber um es so wie sie zu machen, habe ich doch zwei linke Hände. Sind sie einverstanden?“. Und wie einverstanden sie war. Sie strahlte über das ganze Gesicht und kam spontan aufs Bett zu,
wo sie Marianne umarmte: „Danke Frau Berghoff-Klettner. Sie sind doch die Beste.“. Da sieht man, wie einfach es ist mit ein Wenig Menschlichkeit andere Menschen glücklich zu machen. Maria war soeben fünf Minuten entschwunden als es schon wieder an der Tür klopfte. Diesmal erschien aber auf das „Herein“ jedoch eine erwartete Person, Verena. Sie erschien in einem Kimono-Morgenmantel, was darauf schließen lässt, dass die jungen Leute wohl ebenso wie wir reagiert hatten. Sie setzte sich auf unsere Bettkante und legte mit ihrer Frage los: „Mutti, ihr müsst uns heute Nachmittag nicht unbedingt fahren, das kann Mischa doch machen. Allerdings müsstest du uns dazu deinen Schlitten leihen.“. Marianne lachte und scherzte: „Was ist, wenn ich euch die Karre leihe und Pepe die dann braucht? ... Aber im Ernst: Ich dachte eigentlich, dass wir in der Zeit wo ihr bei deiner Mutti seit was essen wollten, ich habe nämlich Frau Neuhoff beurlaubt. ... Aber wenn ich es so sehe, könnten wir auch mal ein Stück zu Fuß gehen.“. Jetzt musste Verena zu diesen Dingen doch Stellung nehmen: „Also, wenn ihr unbedingt Essen gehen wollt, dann ist alles roger. Aber das müsst ihr nicht unbedingt, denn so’n Bisschen Kochen kann ich auch. Ich kann zwar keine Fein-Pinkel-Menüs wie Maria, ... nur normale Hausmannskost, aber da würde ich auch ganz gerne mal zeigen was ich kann.“. „Herrlich,“, jauchzte Marianne auf, „endlich kriege ich hier im Hause mal was Vernünftiges zu futtern. Abgemacht, du bist jetzt unsere Köchin und wir deine Helfer.“. Sie war vor Freude hochgehopst und dabei war die Bettdecke bis auf ihre Schenkelhöhe, bei mir war sie knapp an der Schamgrenze angelangt, gerutscht. Marianne zog sie schamhaft gleich wieder hoch, sogar bis über ihre Busen, die sie im Falle Verena vorher freigelassen hatte. Deshalb fügte sie jetzt noch an: „Entschuldigung Verena, das war unabsichtlich. Ansonsten schäme ich mich für die Sauereien, die ich vorher mit euch gemacht habe. Bitte verzeiht mir.“. Dazu musste ich mich dann aber auch noch äußern: „Ich glaube das muss ich auch sagen, ... zumindestens was Verena anbetrifft.“. Das Mädchen machte dann den richtigen Vorschlag: „Vergessen wir es und gehen normal miteinander um ... und nackt sein ist ja nicht schlimm. ... Bei der Gelegenheit fällt mir ein, im Keller ist doch eine Sauna. Dürfen wir die eigentlich benutzen.“. „Was wir dürfen oder nicht, weiß ich selbst nicht.“, war von Marianne zu erfahren, „Wenn jemand weiß, wie man die anschmeißt saunen wir einfach. Pepe, könntest du dich da mal drum kümmern?“. Jetzt schon gesagt, ich hatte zwar eine Vorstellung wie das funktionieren könnte aber habe dieses vorsichtshalber, aus Respektsangst vor Klettner, tunlichst abgestritten. Jetzt waren alle Weichen für eine Zeit im Hauch des Glücks gestellt und ich kann jetzt mal hier eine kleine Chronik zusammenstellen. Verena hatte bevor sie unser Zimmer verließ noch verkündet, dass sie sich umgehend über die Vorräte sachkundig machen wollte und wenn wir nichts dagegen hätten zwischen Zwölf und Eins Essen könnten. Nachdem sie das Zimmer verlassen hatten, machten wir uns eine nette Zeit im Bett: Wir balgten und flachsten miteinander, schmusten und kuschelten und ... na ja, sie wissen schon. Gegen halb Eins meldete sich anklopfender Weise Michael bei uns und teilte uns mit, das Essen sei fertig und schlug vor dieses in der Küche einzunehmen. Also versammelten wir uns an dem Ort, wo das Essen auch zubereitet worden war. Es gab Rindsrouladen mit Klößen und Rotkohl. Kein Festessen aber eines was wir gegen kein Chautebriand hätten eintauschen wollen. Erstmalig in meiner Zeit saßen jetzt alle hier im Hause locker am Tisch; Michael lümmelte sich sogar mit großer Freude dabei herum. Als das Geschirr in der Spülmaschine war verabschiedet sich das junge Paar zum Antrittsbesuch bei Verenas Mutter und wir, die wir bis jetzt nur mit unseren Morgenmänteln bekleidet waren, überlegten was wir nun weiterhin machen wollten. Ins Bett wollten wir nicht mehr. Daraus entwickelte sich ein toller Nachmittag. Wir haben herum getollt und gespielt wie die Kinder. Unter anderem spielten wir Verstecken im ganzen Haus und Fangen im Wohnzimmer. Wir haben gebalgt und gelacht. Leider war der Pool immer noch im wasserlosen Zustand, sonst hätte es auch noch Wasserspiele gegeben. Als die frisch verlobten kurz nach Sechs wieder eintrafen waren wir zu deren Verwunderung immer noch in Morgenmänteln und reichlich aus der Puste. Verena zaubert uns ein Abendbrot und während wir dieses einnahmen erfuhren wir, das deren Mutti zwar einiges an Alkohol im Bauch gehabt habe aber sehr lieb und nett gewesen sei. Michael bereute nicht sie kennen gelernt zu haben. Nach dem Abendessen begaben wir uns alle Vier zum Zwecke von Gesellschaftsspielen auf Michaels Zimmer. Dort war es gemütlicher als in dem kalt wirkenden Wohnzimmer. Michael fand durch Zufall seinen alten Wasserfarbenkasten, den ich mir auslieh als Marianne und ich um halb Elf auf unser Zimmer wechselten. Was ich damit wollte, erfuhr sie dort. Sie musste ihren Morgenmantel ablegen, damit ich mich als Bodypainter betätigen konnte. In Folge dessen musste sie kurz nach Elf noch in die Badewanne. Die Dusche wäre auch gegangen aber in der Wanne machte es mir mehr Spaß, mich dazu zugesellen. Am nächsten Morgen, also am 2. Weihnachtstag blieben wir erst mal bis Zehn im Bett. Dann zogen wir uns allerdings ausgehfähig an, weil ich auf den Gedanken gekommen war, die Gesellschaftsspiele aus meinem familiären Besitz leihweise bis zum 2. Januar in das Reich des Klettners zu holen. Mariandel begleitete mich nun erstmalig in meine eigene Wohnung und stellte darin wehmütig fest: „Ihr habt es schön gemütlich, nicht so klotzig und steril wie bei uns.“. Darauf nahm ich sie in meine Arme und küsste sie innig. Was ich von ihr bisher nicht kannte war, dass sie mich energisch von sich weg drückte: „Pepe, bitte nicht hier. Das ist das Reich auch deiner Frau, der ich schon genug antue, da müssen wir nicht unbedingt hier zur Sache gehen.“. Ein menschliches Mitfühlen und sich in jemand anderes zu versetzen hatte ich bei ihr noch nicht erlebt. Zu Mittag hatte uns Verena Hähnchenschenkel auf Reis und Gurkensalat bereitet. Sie entschuldigte sich mit „Ich muss leider das machen, wozu ich was gefunden haben. ... Ich hoffe es schmeckt euch trotzdem.“. „Was heißt hier trotzdem?
Es schmeckt mein Täubchen.“, tönte Michael. „Ich denke, wir fahren morgen mal was einkaufen. Dann zeige ich euch mal was ich für eine Köchin bin.“, verkündete das „Täubchen“ stolz und darein mischte sich Mariannes Jubel: „Jau, kannst du auch Eisbein mit Sauerkraut und Kartoffelpüree? Das wäre mal richtig dufte, denn das habe ich eine halbe Ewigkeit nicht mehr gegessen ... für Hannsfrieder ist das nicht standesgemäß.“. Aber jetzt musste ich mich aus einem kalendertechnischen Grund einschalten: „Wir müssen schon bis übermorgen warten, morgen ist Sonntag.“. „Auch egal, Hauptsache ich bekomme mal was Deftiges bevor unsere Majestät wieder im Lande weilt.“, fügte Mariandel zum Abschluss dieser Runde an. Nach dem Mittagessen unternahmen wir Vier einen Schneespaziergang, denn ausnahmsweise hatten wir mal wieder eine weiße Weihnacht, in den umliegenden Wald. Alle mussten wir feststellen, dass wir so etwas lange nicht mehr gemacht hatten. Marianne meinte ihr letzter Waldspaziergang läge bestimmt über 10 Jahre zurück. Ganz so lange war es bei mir noch nicht her. Erst letzten Ostern war ich mit Katharina, Christina und Serret zu einem solchen Bummel unterwegs. Es war herrlich, als ob ein Engelchen Pipi auf unsere Seele machen würde. Zweimal gab es zwischendurch eine Schneeballschlacht, ein Mal Jung gegen Alt und ein Mal Frauen gegen Männer. Verena und Michael betätigten sich zwischendurch als Schneemannbauer. Es war zwar erst Viertel vor Fünf als wir zurückkamen aber schon ziemlich dunkel; laut Kalender war die Sonne um 16:28 Uhr untergegangen. Wir hatten zwar nie empfunden richtig zu frieren aber sehnten uns trotzdem nach unserer Heimkehr nach einer warmen Dusche. So verschwanden beide Paare gleich auf ihre Zimmer und ich huschte gemeinsam mit Marianne unter das warmprasselnde Wasser. Mit bloßen Händen schäumte ich sie mit Duschgel am ganzen Körper ein. Zwischendurch musste ich ihr bekennen, heiß auf sie zu sein. Nachdem sie mir bestätigte, dass dieses auf Gegenseitigkeit beruhe, trieben wir es gleich unter Dusche. Danach konnte ich tatsächlich behaupten, dass ich nach einem Verkehr mit ihr rundherum, seelisch wie körperlich befriedigt war. Jetzt wollte ich nicht gleich zum weiteren Tagesgeschäft übergehen und deshalb legten wir uns nach dem Abtrocknen nackt auf die Bettdecke und küssten uns gegenseitig zärtlich an fast allen Stellen unserer nackten Körper. Dabei wurde es uns so wohlig, dass wir es gleich noch ein zweites Mal machten. Nach dem Abendessen beschäftigten wir uns mit Gesellschaftsspielen. Schach mag ja die Königin der Spiele sein, aber immer und immer wieder mit strategischer Verbissenheit ist auch nicht das Wahre. Dagegen waren „Das verrückte Labyrinth“, „Mensch ärgere dich nicht“ und „Monopoly“ im Kreis netter und lebhafter Menschen direkt die Erfüllung. Man muss ja nicht unbedingt gewinnen; „blöde“ Kommentare und flotte Sprüche lustiger Mitspieler sind mehr wert als ein Spielsieg. In Folge unserer Begeisterung bekamen wir auch an diesem Abend nicht mit, dass die Zeit davon flog. Mitternacht war schon längst vorbei als wir endgültig für den abgelaufen Tag zusammenpackten. Nennenswert ist noch wo und wie der Spielevent stattfand: Wir saßen in unserem Zimmer die ganze Zeit auf dem Teppich. Da hatten Marianne und ich es natürlich nicht weit ins Bett. Vorher nahmen wir uns auch noch das persönliche Recht auf Verzicht der Abendhygiene heraus. Der „gute“ Klettner wäre von seinem mamonistischen Glauben abgefallen wenn er mitgekriegt hätte, was sich in dieser Zeit an Leben in seiner Protzhütte abspielte. Am nächsten Morgen plauderten wir im Bett über frühere Zeiten und dabei ließ ich dann fallen, dass ich früher mindestens einmal im Monat in die Kirche gegangen sei. Darauf erfuhr ich zu meinem Erstaunen von der Frau an meiner Seite, dass sie früher im Kindergottesdienst und lange nach ihrer Konfirmation regelmäßig jeden Sonntag in die Kirche gegangen sei. Jetzt war ich etwas verduzt: „Ich dachte du wärst katholisch?“. „Nee,“ plauderte sie locker aus, „Klettners sind katholisch, ich bin wie du evangelisch. Allerdings musste ich auf Anordnung meines Gatten aus der Kirche austreten. Er wollte sich nicht von den ‚Fürsten der Großsekten’, wie er sagt, über Kirchensteuer abzocken lassen. ... Aber ich habe mal wieder richtig Bock auf einen Gottesdienst. Gehst du mit mir hin?“. Natürlich hatte ich Lust und so war der Morgen dem Kirchenbesuch gewidmet. Während des Gottesdienst war ich allerdings nicht ganz bei der Sache, denn immer wieder betete ich innerlich, das ich mir einen Weg wünschte, Katharina wieder zu bekommen und trotzdem Marianne behalten zu dürfen. Natürlich ist Gott nicht für solch irdische und vergängliche Dinge zuständig aber es spiegelte meinen derzeitigen Seelenzustand wieder – und dafür ist der Herr wirklich zuständig. Auch Marianne war die ganze Zeit andächtig und besinnlich. Nach dem wir die Kirche verlassen hatten sagte sie mir: „Das hat mir gut getan. Pepe, ich danke dir.“. Der Rest des Tages verlief kompatibel zum Vortag. Heute Mittag gab es Erbseneintopf mit Würstchen und als Nachttisch eine Quarkspeise. Was anderes hatte Verena absolut nicht mehr auftreiben können. Marianne stellte fest, dass dieses wohl ursprünglich als Personalkost für alle Fälle gedacht gewesen sein müsste, da so etwas wohl kaum auf den Tisch des Hausherrn gedurft hätte. Nach dem Essen ging es wieder in den Wald und Abends wurde wieder in Gesellschaft gespielt. Zwischendurch bemerkte mein Mariandel: „So glücklich wie im Moment war ich noch nie seit meiner Eheschließung. Komisch, als Kind und Jugendliche ist es mir echt dreckig gegangen aber trotz allem gab es doch ab und zu solche glücklichen Momente. Warum kann man nicht beides auf einmal haben, warum kann man nicht gleichzeitig reich und auch glücklich sein. Seitdem ich in Anführungsstrichen ‚reich’ bin war ich immer nur unglücklich. Der letzte Glücksmoment, den ich bis dieses Jahr Weihnachten erlebt habe, war damals mit dem Paps meines Erzengelchen.“. Und jetzt brach sie in Tränen aus und Michael nahm seine Mamiinka tröstend in die Arme. Aber nach dieser etwas wehmütigen Unterbrechung hellte die Stimmung wieder auf und es wurde ebenso spät wie am Vortage.
Am darauffolgenden Montag, dem 28.12.98, wurden wir bereits um halb Neun durch ein Klopfen an der Tür in den Tag gerufen. Michael erkundigte sich nach den Autoschlüsseln und den Kraftfahrzeugschein, denn er wollte mit seiner Verena zum Einkaufen fahren. Marianne erhob sich spontan um ihn diese zu geben. Jetzt zeigte sich mal wieder was ihr Sohn für ein ehrlicher und direkter Junge ist: „Mamiinka, sorry, jetzt sehe ich dich erstmalig richtig nackig. Du bist ja richtig schön, ich bin stolz auf dich.“. Jetzt wurde ihr bewusst, das sie unbedacht zu spontan aufgesprungen war und ich konnte auch etwas erstmalig an ihr sehen: Sie wurde richtig rot im Gesicht und man merkte ihr an, dass sie sich schämte. Das hätte ich noch vor 2 Wochen für unmöglich gehalten, ich hielt sie für abgebrüht und kalt. Ihr Erzengelchen bemerkte das auch und entschuldigte sich auch prompt artig bei seiner Mutter, die ihn jetzt ungeachtet ihrer Nacktheit kräftig in die Arme nahm. Aber dann huschte sie jedoch wieder geschwind ins Bett und unter die Decke. Als er den Raum wieder verlassen hatte sagte sie noch zu mir: „Mann, was ist mir das peinlich. ... Ich habe mir dabei wirklich nichts böses gedacht.“. Danach konnten wir jedoch bis Mittag im Bett bleiben. So deftig wie an diesem Mittag ging es wohl hier im Hause noch bei keiner Mahlzeit zu. Klettner hätte uns bestimmt gefragt, ob er unter die Schweine gefallen sei. Aber wir ließen heute beim Essen mal richtig die Seele baumeln. In Abänderung zu den Vortagen gingen aber nach dem Essen unsere Wege auseinander. Verena und Michael waren beim morgendlichen Einkauf auf ihre Lust auf einen Bummel durchs Städtchen gekommen. Marianne hatte dieser Tage in einem Prospekt etwas vom Wildpark in Waldstadt gelesen – und da wollte sie jetzt hin. Sie war noch nie in ihrem Leben in einer solchen Einrichtung. Ich hatte sie vorgewarnt, denn als wir, als unser Thomas gerade 14 war, mal da waren, hatte er verkündet, dass ihm das zu Wenig Action sei; da sei ja nichts los. Aber Marianne sagte mir am Spätnachmittag, als wir zurückfuhren, es sei großartig gewesen. Alle guten Dinge sind drei und so wurde auch am Montagabend wieder gespielt. Jetzt ist es natürlich langweilig, wenn ich am laufenden Meter schreibe, das wir bis Mittag im Bett blieben. Jetzt kann ich es ja kurz machen, dass sich daran bis Neujahr nichts änderte. Auch wenn ich hier fortwährend berichte, dass wir Mittags immer von Verena zubereitete Hausmannskost bekamen, wird niemand vom Hocker reißen. Das ging ebenfalls bis zum ersten Tag des neuen Jahres so weiter. Marianne kommentierte abschließend: „Schade, dass dieses erst mal vorbei ist, ab morgen gibt es wieder Feine-Leute-Frass.“. Der Dienstag war überhaupt kein Tag weltbewegender Ereignisse. Die beiden Jungscher hatten von Marianne erfahren wie schön es im Wildpark war und da wollten sie jetzt auch hin. Da Verena noch nie in ihrem Leben im Theater war, hatte ihr Verlobter sie für den Abend ins Neustädter Stadttheater eingeladen. Es wurde „Orpheus in der Unterwelt“ aufgeführt, was das Mädchen aber trotzdem total begeisterte. Marianne und ich vertrieben uns diesen Tag mal mit diesem und mal mit jenem. Oder mit anderen Worten: Wir gingen spazieren, unterhielten uns, tollten herum, schmusten miteinander oder nahmen uns auch mal ein Gesellschaftsspiel zu Zweit an die Hand. Auf jeden Fall waren wir rundherum glücklich und zufrieden. Was den Mittwoch und uns anbelangte könnte ich jetzt „dito“ sagen. Mariannes Sohn und Schwiegertochter hatten mal wieder was Neues drauf, wovon wir dann aber erst am Abend erfuhren. Das sie des Morgens was eingekauft hatten, bekamen wir „Langschläfer“ nicht mit. Nach dem Mittagessen verschwanden die beiden auf ihren Zimmer und waren erst zum Abendessen wieder von uns gesehen. Aber gegen Acht wurde uns dann stolz präsentiert was die beiden den ganzen Tag getrieben hatten. Ich wusste ja von meinem Mariandel, dass ihr Erzengelchen nicht nur auf dem Gebiet der Musik hochbegabt sei sondern dieses auch auf dem der Malerei ist. Nachdem wir auf deren Zimmer gebeten wurden sahen wir was sich Michael am Morgen zugelegt hatte: eine Staffelei. Das neue Bild war mit einem Badetuch abgedeckt. Bevor es enthüllt wurde fragte der Künstler erst mal sicherheitshalber: „Ihr seid doch nicht prüde?“. Jetzt ahnte ich schon was unter dem Tuch auf unsere Augen wartete: ein Akt unserer Verena. Und tatsächlich, ich hatte richtig geahnt. Aber mein Respekt, handwerklich war diese Radierung eine Meisterleistung. Auch ästhetisch eine Augenweide und hocherotisch; in keiner Weise pornografisch obszön. Ich dachte mir, dass der Junge, wenn es mit der Musik nicht klappt auf jeden Fall auf dem Gebiet der darstellenden Künste Karriere machen kann. Marianne war davon so begeistert, dass sie mit einer vorsichtigen Anfrage nicht hinter dem Berg halten konnte: „Erzengelchen, ich habe jetzt mal eine etwas peinliche Frage an dich. Ich bin deine Mutter und nicht irgendeine Frau. Deshalb ist mir die Frage jetzt ein bisschen komisch ... du bist mir doch nicht böse. Aber könntest du mich auch so malen. ... Fühl dich auf keinen Fall unter Druck gesetzt, du kannst ruhig Nein sagen.“. Er tat es aber nicht und vereinbarte sie tagsdrauf im Wohnzimmer malen zu wollen. Marianne wusste jetzt nicht recht ob sie richtig gehandelt hatte und wirkte mit ihrem leicht geröteten Gesicht einiger Maßen verschüchtert aus. Als wolle sie Halt suchen hielt sie sich an meiner Seite. Vor ein paar Tagen hatte diese „Dame“ auf mich noch ordinär verödet gewirkt und jetzt merkte ich dass sie trotz allem noch über eine Menge naturgebender menschlicher Empfindungen verfügte. Am nächsten Tag, dem Silvesternachmittag war es dann soweit. Nach dem Mittagessen, was allein Marianne nur morgenmantelbekleidet einnahm, ging die versammelte Mannschaft ins Wohnzimmer. Marianne wollte mich unbedingt dabei haben und Verena konnte man ja nicht die ganze Zeit sich allein überlassen. Schon während des Essens war das „Modell“ immer ruhiger geworden. Im Wohnzimmer, wo Michael schon seine Staffelei aufgebaut hatte, zog sie, nach dem abgesprochen war wie sie Modell liegen sollte, recht zögerlich ihren Morgenmantel aus. Sie legte sich lang auf den Teppich und kreuzte ihre Beine knapp über den Füßen. Um ihren, durch ein Kissen gestützten Kopf lag ein langer
Seidenschal, den sie mit der Hand, des rechten leicht angewinkelten Armes, festhielt. Zusammen mit dem Schal hielt sie eine künstliche rote Rose, dessen langer Stiel quer über ihren Bauch bis an das Schamdreieck heranreichend lag. Auf der linken Seite hing der Schal diagonal über ihre Schulter und die linke Hand war in Nabelhöhe auf ihren Bauch aufgelegt. So, und mit ihrem doch jetzt mädchenhaft verlegenen Gesicht, wirkte sie hocherotisch. Es wurde auch, wie ich anschließend begutachten konnte, ein „Superbild“. Unsere ehrlichen Zwischenkommentare trugen, wie sie mir, als wir am Abend unter uns waren, verriet, doch sehr zur Bekämpfung ihrer dauerhaft empfundenen Schamgefühle bei. Michael drückte immer wieder aus wie stolz er sei eine so schöne Mutter zu haben. Verena sprach stets ihren Wunsch aus, das wenn sie wie Marianne jetzt, doppelt so alt sei immer noch so gut aussehe wie ihre Schwiegermutter. Ich wies in größeren oder kleinen Abständen darauf hin, was ich für ein glücklicher Mann sei eine solch begehrenswerte Geliebte zu haben. Trotz und alle dem war Marianne froh als sie sich wieder erheben konnte. Sie zog ihren Morgenmantel gar nicht erst wieder an sondern schlug diesen über die Schultern und verließ eiligst den Raum. Am Abend war dann unsere Silvesterfeier angesagt. Natürlich hatten wir in den Tagen vorher beraten, wie wir diesen Tag begehen wollten. Entscheidend bei unserer Planung war unser persönliches Verhältnis zum Alkohol. Marianne durfte wegen ihrer Krankheit kein Alkohol zu sich nehmen, es könnte zu bedrohlichen Zuständen führen. Verena hatte Angst vor diesem körperfremden Gift. Der Grund lag bei ihrer abhängigen Mutter: Sie befürchtete, die Veranlagung zur Suchtkrankheit von ihr geerbt zu haben. Michael fürchtete einen Einfluss des Alkohols auf seine Stimme. Da blieb nur noch ich, der einem Bierchen oder einem Gläschen Wein nicht abgeneigt gegenüber steht. Schärfe Sachen kann ich allerdings auch nicht vertragen, da wird mir immer Übel und gegenüber anderen werde ich aggressiv. Außerdem ist bei mir, wenn ich zu viel getankt habe, der nächste Tag kaputt. Da Silvester landesweit das Hochfest der Schluckspechte ist, war bei einer externen Feier nicht auszuschließen, dass wir ab einem Zeitpunkt X einzig nüchtern unter Betrunkenen stehen. Das macht natürlich nicht gerade Spaß. So beschlossen wir unter uns in der Küche, andere Räume schienen uns ob ihrer Größe zu kalt, zu feiern. Verena hatte ein reichliches Fondue vorbereitet, bei dem wir fröhlich und locker plaudern wollten. Michael hatte seine Stereoanlage in der Küche aufgebaut und diese sorgte dann für die Beschallung durch CDs. Grundsätzlich handelte es um die leichtere Kost aus Michaels Jammre oder um Schlager, die auf Mariannes und meiner Wellenlänge lagen. Nur für Verena war diese Musik nicht das, was bisher zu ihrem Alltag gehörte – begeistert war sie trotzdem. Als die Versammlung gegen Zwei aufgehoben wurde waren wir alle der Meinung, dass es ein wunderbarer Abend war, der uns wahrscheinlich mehr gegeben habe als wenn wir ausgegangen wären. Den nächsten Tag, Neujahr, begingen wir noch mal so wie Weihnachten, also mit Spaziergehen am Nachmittag und am Abend mit Gesellschaftsspielen, die ich am nächsten Tag wieder ordnungsgemäß in meine eheliche Wohnung brachte. Am 2. Januar hatte uns, obwohl es ein Samstag war, dann der Alltag wieder. Die Köchin trat pünktlich ihren Dienst an und damit war ein Tagesablauf nach ihrem Dienstplan, streng nach der Uhr, wieder vorgegeben. Allerdings war es noch ein Wenig lockerer als bei Anwesenheit von Big Klettner aber es war nicht mehr das Leben wie in den Tagen zuvor. Am nächsten Tag, als gegen Mittag Hannsfrieder Klettner wieder eintraf, fiel dann die Klappe zum goldenen Käfig wieder ganz zu. Für eine kurze Zeit hatten wir gelebt, konnten unsere nächsten Mitmenschen empfinden und ein Hauch von Glück genießen. Keiner von uns hatte eine Maske auf, keiner hatte mit verlogener Diplomatie existiert, wir haben uns so gegeben wie wir waren. Auch später war zu hören, dass keiner von uns diese Zeit missen möchte. Ab jetzt war mir der Unterschied zwischen menschlichen Leben und humanoider Existenz voll bewusst. Jetzt hatte ich richtig erkannt, das ein richtiges menschliches Leben bei immer mehr irdischen Gütern, mit denen man sich umgibt, zunehmendst unmöglich wird. Aber nur im menschlichen Leben kann man wirklich Glück erfahren. Warum sagen wir da nicht einfach lieber glücklich als reich?
Zum Kapitel 12
Zum Inhaltsverzeichnis
Fluktuation im Reich der glänzenden Kälte Hohe Fluktuation und Krankenstände sowie geringere Produktivität pro Arbeitsstunde kosten sehr viel Geld und beuteln die Sozialversicherungen. Dieses aber den Arbeitnehmern zuzuschreiben ist schlicht gesagt Dummheit. Grundsätzlich muss dieses den Unternehmensleitern, also den Managern, angelastet werden, denn zur Unternehmnehmensleitung gehört unabdingbar und nicht zu letzt die Personalführung. Fluktuation, Krankheit und mangelnde Motivation sind schlechteste Zeugnisse für die Bosse, auch wenn sie dank Zahlenakrobatik Spekulatius Spekulantus dazu bewegen können, durch Aktienkauf die Kurse himmelwärts steigen zu lassen. Aktienkurse führen ja sowieso ein irrationales Eigenleben. Wie sonst kann der Kursanstieg ansonsten so katastrophal über der Steigerung bei der Wertschöpfung und Produktivität der betreffenden Unternehmen liegen? Langfristig wird sich nur am Produktionsergebnis zeigen was eine Firma wirklich wert ist – und dafür braucht man Menschen, die dieses überhaupt erst ermöglichen. Natürlich kann man nicht ausschließen, dass Menschen mal von leichteren oder schwereren Krankheiten getroffen werden, so dass in normalen Zeiten Krankenstände um die 3% praktisch unvermeidbar sind. Liegen diese aber regelmäßig höher stimmt etwas im Unternehmen nicht. Das Betriebsklima, das einzig und allein aus einer höheren Hierarchiestufe beeinflusst werden kann, dürfte so miserabel sein, dass die Leute auf der einen Seite tatsächlich echt psychosomatisch erkranken oder auf der anderen Seite jeden leichten Schnupfen zum Anlass nehmen, um sich einen gelben Schein ausstellen zu lassen, damit sie mal ein paar Tage dem betrieblichen „Mief“ entkommen können. Was die Arbeitsleistung anbelangt liegt eine ähnliche Logik vor. Wie soll denn jemand motiviert sein, dem man den Abbau seines Arbeitsplatz in Aussicht stellt, dem man erzählt er verdiene zu viel obwohl er mit dem, was er kriegt, nur schlecht aber nicht recht leben kann, dem man von Oben herab verdeutlicht, das er nur der Produktionsfaktor Arbeit ist? Wieso soll sich jemand, der nur als Kuli betrachtet und behandelt wird, sich für den Betrieb engagieren? Logisch auch, das Arbeitnehmer, die sich in ihrer Menschenwürde verletzt fühlen, sich von ungastlicher Stätte „abseilen“ wollen und dieses auch machen, wenn sie die Möglichkeit dazu haben. Zum Glück der sich Toppmanager nennenden, ansonsten trotteligen Zahlenakrobaten ist es mit den Abseilmöglichkeiten nicht immer so gut bestellt. Ein Tierarzt ist genauso Arzt wie der Zahnarzt aber den Hautarzt können beide nicht ersetzen. Genauso kann ein Bauingenieur kaum einen Maschinenbau- oder Elektronikingenieur ersetzen. Ein Schriftsetzer, wie ich, dürfte wohl kaum fachgerecht als Elektriker oder Heizungsmonteur arbeiten können. Und das ein Produktionshelfer einen Ingenieur ersetzen kann, dürfte wohl absolut ausgeschlossen sein. Umgekehrt muss man sich überlegen was ein Diplom-Volkswirt an den Dingen, die bisher sein Leben bedeuteten, aufgeben muss, wenn er die „zumutbare“ Stelle als Produktionshelfer annehmen muss. Und was nützt alle Flexibilität, wenn eine adäquate Stelle nur über 150 km entfernt zu kriegen ist, dieser Ort mit öffentlich Verkehrsmittel nur durch mehrstündige Reiseabenteuer zu erreichen sind, aber derzeitig kein Geld für ein Umzug oder PKW in der Familienkasse ist? Was ist, wenn man sich zukunftsoptimistisch ein Häuschen gebaut hat und, weil man in weiter Ferne wirkt, dieses nur als Wochenendhäuschen nutzen kann. Was ist, wenn Familien vernichtet werden, weil die Frau eine zumutbare Arbeit in Augsburg und der Mann in Flensburg findet? Das sind die Gründe, warum Toppmanagerunvermögen sich nicht immer so, wie es eigentlich logisch erscheint, in der Fluktuation wiederspiegelt. Was ich jetzt soeben nur im Hinblick auf größere, Manager geführte, Unternehmen geschrieben habe, gilt natürlich auch für vom Chef persönlich geführte kleine und kleinste Betriebe sowie für den Bereich der Hauswirtschaft. Nur die Minis haben das Pech, das ein schlecht behandelter Kuli dank der Mitbewerber auch mal was anderes bekommen und daher schon mal eher den Hut nehmen kann – und bei denen schlägt dann die Fluktuation voll durch. Die müssen dann öfters damit kämpfen, das nur Doppellinkshänder ihnen die Treue halten und alle anderen laufend ersetzt werden müssen. Das heißt suchen und finden, einarbeiten und so weiter – also tüchtig Geld reinstecken. Vielfach sind das die Jammerlätze, die tönen, dass man trotz hoher Arbeitslosigkeit kein Personal findet und dann mit der Weisheit von Stammtischstrategen behaupten, viele Arbeitslose wären nur faul und wollten gar nicht arbeiten. Die Hauswirtschaft in der Villa Klettner gehörte, wie man sich bei der Manier des Hausherrn vorstellen kann, zu den von hoher Fluktuationsrate gebeutelten „Unternehmungen“. Dieses kriegte ich, der ich ja auch erst seit knapp einem halben Jahr dabei war und der ich, bevor ich Mariandel auf dem Taxi kennen lernte, keinen Einblick in diese Sphäre hatte, dann auch erst Anfang 1999 richtig mit. Spätestens am 5. Januar, als ich gemeinsam mit Marianne das Paar Michael und Verena zum Flugplatz brachte, war die Stelle des Hausmädchens mehr als vakant. Bis zu diesem Tage griff sie, obwohl sie ja zur Schwiegertochter aufgestiegen war, noch manches mal hier und da helfend ein. Marianne, die während ihrer Ehe als Paradiesvögelchen im goldenen Käfig gehalten worden war, erwies sich auf diesem Gebiet als vollkommen untauglich. Erst jetzt wurde mir bewusst, das Verena neben der klassischen Tätigkeit als Hausmädchen und Partydirne auch gemeinsam mit der Köchin als Putzfrau und Managerin des Haushaltes fungierte. Mehr noch, denn was Terminabsprachen und –planung anbelangte war sie für Marianne so eine Art Privatsekretärin. Einen Tag vor ihrer Abreise in ihr, wie ich heute weiß, wirkliches Glück, war ich, weil Erzengelchen unbedingt noch mal den Chauffeur seiner Mamiinka spielen wollte, mal eine Stunde mit Verena alleine. Nein, nein, keine falschen Gedanken; wir haben uns nur unterhalten. Und dabei erfuhr ich dann mal mehr aus Verenas Vorleben. Ihr Vater hatte ein ursprünglich gutgehendes Maler- und Anstreichergeschäft, in dem ihre Mutter aktiv mitarbeitete. Die Mutter hatte
ursprünglich mal Bürokauffrau gelernt. Ihr Vater hatte aber den Hang zu Sausen mit seinen Kumpels und der Mutter, die da immer dabei war und die Veranlagung zur Alkoholabhängigkeit scheinbar von ihrem Vater geerbt hatte, wurde dieses zum Verhängnis: Sie wurde alkoholkrank. Familie und Betrieb gingen dabei in Trümmer und die Ehe wurde geschieden. Verena blieb bei ihrer Mutter, die kein Unterhalt von ihrem Exmann erhielt und wegen ihrer Krankheit auch keine Arbeit bekam. So lebte die beiden von der Sozialhilfe. Nachdem Verena die Hauptschule aus der Klasse 10b mit Qualifikation verlassen hatte, strampelte sie sich über 2 Jahre vergeblich nach einem Ausbildungsplatz ab. Oft stand sie schon vor dem Abschluss eines Vertrages, aber in allen Fällen hatte man ihr familiäres Umfeld hinterfragt oder hinterforscht und dann war es vorbei mit einer Ausbilderunterschrift. Letztlich fand sie bei einem Kaufmann in Neuhausen, der eine behinderte Frau und zwei Kinder hatte, eine Stelle als Haushaltshilfe. Im April 1998 war sie mit ihrer Mutter in Neuhausen unterwegs und trafen dabei Marianne, die mit ihrer Mutter zur Schule gegangen war. Verena erfuhr von dieser, dass das Millionärspaar händeringend nach einem Hausmädchen suchte. Was Marianne an Entlohnung bot lag deutlich über dem Saaler ihrer bisherigen Stelle. Von der Partynutte war dabei noch nicht die Rede. Davon erfuhr sie erst bei ihrem ersten Gespräch mit Big Klettner. Er verdoppelte Verenas Gage und weckte ihre Hoffnung sich einen Millionär angeln zu können. Dieser Teil ihrer Tätigkeit hat, wie sie mir dabei sagte, ihr moralisch immer schwer zu schaffen gemacht und ursprünglich wäre sie vor lauter Scham am Liebsten im Boden versunken. Knallhart hätte sie dann im Herbst noch die Tatsache getroffen, das Marianne sie in „unsere Sauereien“ einbezogen habe. Sie habe aber ein Ziel vor Augen gehabt und sich durchgebissen. Jetzt glaubte sie es geschafft zu haben. Das hatte sie auch, aber anders wie sie das am 4. Januar 1999 noch dachte. Sie hatte in Michael Klettner zwar ihr Glück aber keinen Millionär gefunden. Am Ende des Jahres 1999 war Verena zwar Frau Klettner und schwanger war sie auch aber Michael hatte sich von seinem Pseudovater gelöst und sich zu seinem richtigen bekannt. Seine Ausbildung zum Tenor stand kurz vor dem Abschluss und ein erstes Engagement, sogar bei einem namhaften Theater, hatte er auch schon. Michael und Verena wollten ihren eigenen Weg gehen und glücklich sein. Ich habe die beiden nach jenem 5. Januar nicht wieder gesehen. Aber ab Ende 2000, wo ich plötzlich wieder von den beiden hörte, erfuhr ich, was mit ihnen geschehen war. Ab diesem Zeitpunkt hatte ich dann sogar wieder gelegentlichen Kontakt per Telefon oder Ansichtskarte mit den Beiden. Daher weiß ich, das die Zwei heute mit ihrem kleinen Jungen auch ohne Klettners Millionen sehr glücklich sind – vielleicht gerade deshalb. Ein zweites Kind ist jetzt, Mitte 2001, inzwischen auch schon unterwegs. Mit diesem Vorausgriff verabschieden wir die Beiden jetzt aus unserer Geschichte; mit meinem Drama hatten sie danach nichts mehr zu tun. Von Marianne erfuhr ich dann, das sie während ihrer Ehe pro Jahr im Schnitt anderthalb Hausmädchen hatte. Also, eine Superfluktuationsrate. Dabei war dieser Job ursprünglich nicht mit dem des Partygirls gekoppelt und auch später nicht in jedem Fall. Nur wenig kam es vor, dass man die Jobinhaberin aufgrund ihrer mangelnden Fähigkeiten entlassen musste. In den meisten Fällen gingen die Mädchen wegen schamloser Ausnutzung, hier insbesondere zeitlich, wegen jobfremder Tätigkeit, hier insbesondere als Putzfrau, oder wegen unwürdiger Behandlung durch den Hausherrn. Oft fielen auch alle drei Gründe zusammen. Ebenfalls von Marianne erfuhr ich, dass es in Vergangenheit nur einmal der Fall gewesen ist, dass ein Hausmädchen, nachdem sie auch noch zum Partygirl umfunktioniert werden sollte, das Haus auf Nimmerwiedersehen verlassen hat. Das hing ganz offensichtlich mit Klettners Riechnase zusammen, wem so etwas antragbar war und wem nicht. Auf jeden Fall galt es in den Monaten Januar bis Ende April des Jahres 1999 einen Ersatz für Verena zu finden. Das die Köchin Maria Neuhoff so nebenbei und ohne Sondervergütung die offizielle Hausmädchentätigkeit mitbesetzen sollte und nun auch als alleinige Putzfrau dienen sollte, hatte dann in logischer Konsequenz zur Folge, dass auch deren Position neu zu besetzen war. Sie hatte sich umgeschaut und einen Job als Beiköchin im Christopherus-Hospital gefunden. Sie erledigte ihren Ausstand Mitte Januar telefonisch. Sie rief Klettner Samstagsmorgens an, dass sie nicht mehr antreten würde. Als ich später Maria mal im Städtchen traf berichtete sie mir, das der „Alte“ ganz schön geschnaubt und streng behauptet habe, das es so „rechtlich“ nicht gehe. Sie hat ihm darauf nur geantwortet, dass er wohl nicht die Absicht habe sich selbst der Gewährung illegaler Beschäftigung, Steuer- und Sozialversicherungshinterziehung anzeigen. Auch Maria war nur als 630-Marks-Kraft angestellt und bekam den Rest schwarz auf die Hand. Von allen 98er-Kulis war Maria am längsten in Klettners Diensten. Im Herbst 1997 war sie, nachdem sie das Restaurant, was sie mit ihrem Mann betrieben hatte, wegen zu hoher Steuerschulden aufgeben mussten, in der Villa angefangen. Ihre Motivation sich den Klettners zu unterwerfen war also irgendwie identisch mit meiner. Vor Marias Eintritt war die Position der Köchin eben so häufig besetzt worden wie die des Hausmädchens. So fehlten ab Ende Januar alle guten Geister, wie Köchin, Putzfrau, Hausmädchen und „Lustmädchen“ in der Villa. Diese Positionen ließen sich auch gar nicht so schnell wieder besetzen. Als erstes fand sich Anfang Februar eine Köchin ein. Eine 57-jährige Italienerin, die sich durch ein stattliche Leibesfülle auszeichnete. Mit ihrer Vorgängerin hatte sie sowohl den Vornamen Maria wie vorzügliche Kochkenntnisse gemeinsam. Anfänglich putzte und bediente sie auch im Hause. Aber nach knapp 14 Tagen merkte sie, das daraus ein Dauerzustand, den sie keinesfalls ausreichend honoriert bekam, werden könnte und kündigte unter Berufung auf ihre Probezeit von 3 auf 4 Uhr. Unmittelbar nach ihr trat eine weitere Dame in die Klettnerschen Hausdienste ein. Bogussia Lorenz, eine mit einem Deutschen verheiratete Polin, war
hinsichtlich ihres Äußeren natürlich nicht für perverse Dienste geeignet und Kochen und Bedienen konnte sie auch nicht. Sie wurde, aus der Not geboren, als Halbtagsputzfrau eingestellt. Von Montags bis Freitags erschien sie des Morgens um für Ordnung und Sauberkeit in der Villa zu sorgen. Sie brachte es auf den Rekord, bis Frühjahr 2000 in der Villa ausgehalten zu haben. Pünktlich zu Karneval stand ab 10. Februar auch wieder ein pornowilliges Hausmädchen zur Verfügung. Am darauffolgenden Samstag und an dem Rosenmontag, der in jenem Jahr auf den Siebzehnten fiel, gab es in der Villa Partys, bei der das üppigbusige Mädchen, nur mit Stöckelschuhen und Häubchen bekleidet, bediente. Diesmal war es Marianne die für weitere Fluktuation sorgte, denn ihr missfiel doch sehr, dass diese Dame sich überwiegend nur ordinär und obszön äußerte und bewegte. In ihrer Nachfolge trat Havar Özdemir in der Doppelfunktion als Köchin und Hausmädchen an. Den Beruf der Köchin hatte die 30-jährige, geschiedene Türkin, allerdings keine Kopftuchträgerin, mal erlernt und in dem Restaurant, wo sie gearbeitet hatte, auch das Servieren fachgerecht mitbekommen. Sie schielte auch nicht so arg auf geregelte Arbeitszeit und somit wäre sie unter Berücksichtigung der Tatsache, das man ja Partygirls anlassbezogen mieten kann, die Idealbesetzung gewesen. Aber Ostersamstag, der in diesem Jahr früh auf den 3. April fiel, kam es zu einem Vorfall, der für sie eine weitere Tätigkeit für Klettners unmöglich machte. Ein Partystammgast hatte beim Klettnerschen Osterempfang wohl nicht richtig gescheckt, das Havar nicht für den unsittlichen Teil geeignet und zuständig war und hat sie sexuell belästigt. Diese hat darauf schlagartig das Haus auf Nimmerwiedersehen verlassen. Nur mit einem höheren „Schmerzensgeld“ konnte sie Klettners Anwalt von einer Strafanzeige abbringen. Havars Nachfolgerin als Hausmädchen steht in einer ganz besonderen Beziehung zu mir und ist wesentlicher Bestandteil der Tragödie, die ich hier niederschreibe. Deshalb müssen wir ein Wenig abwarten, bis ich in der Historie soweit bin. Erst danach wurde auch erst wieder eine Köchin gefunden, deshalb brauchen wir hierauf auch zunächst mal nicht eingehen. Bleibt noch aus meiner Anfangszeit im Reich der glänzenden Kälte nur noch Hans-Hermann Langhals, der Fahrer, als Mitglied der Personalriege. Wenn ich jetzt schreibe, das Klettner seit fast acht Jahren sein Big Boss war, steht das nicht im Widerspruch zu meiner weiter oben stehenden Äußerung, das Maria Neuhoff am längsten in Klettnerschen Diensten stand. Hans-Hermann hatte vor seiner Herrenfahrerzeit, die er ab Februar 98 erlebte, als Fahrer bei der Firma, wo Klettner Vorstandsvorsitzender ist, gearbeitet. Als dann die Stelle des Vorstandschauffeurs ausgeschrieben war hat er sich, in der Hoffnung auf einen Aufstieg, darauf beworben. So war er auch in meiner Zeit der Einzigste der in einem arbeitsrechtlich ordentlichen Dienstverhältnis stand. Am 11. März 1999, das Datum weiß ich aus anderen Gründen, die ein Kapitel später folgen, noch genau, endet auch Hans-Hermanns Laufbahn bei Klettner privat. Für zwei Wochen war er mit unserem Herrn kreuz und quer in Deutschland, Belgien, den Niederlanden und der Schweiz unterwegs. Klettner überbrückte meistens die Distanzen mit dem Flugzeug und sein Kuli musste dann mit dem Wagen von einen Ort mit Flughafen zum nächsten rasen. Die Zeit war immer reichlich knapp bemessen und Hans-Hermann blieb gar nichts anderes als Geschwindigkeitsbegrenzung für sich ungültig zu erklären. Zweimal hatte er deshalb schon tief in sein Portomenais gegriffen um zu büßen und die Rechnung für zwei weitere Blitzaktionen, die er bemerkt hatte, durfte er per Post entgegensehen. Mit Klettner lag er sich daher ziemlich im Klimsch, weil sich dieser nichts davon annehmen wollte – zu verkehrswidrigen verhalten hätte er keine Anweisung gegeben. Also die Stimmung zwischen Herrn und Sklave war, als es zum endgültigen Vorfall am Morgen des 11. März kam, schon unter den Nullpunkt gerutscht. Hans-Hermann war schon fast 24 Stunden „auf den Beinen“ und davon die meiste Zeit hinter dem Lenkrad als sie morgens um 6:00 Uhr über die A45, die man auch Sauerlandlinie nennt, von Dortmund in das etwa 230 km entfernte Frankfurt rasen wollten. Schon um Acht hatte Big Klettner dort den nächsten Termin. Kurz vor dem Westhofener Kreuz, sie waren also noch nicht lange unterwegs, rauschten sie, wahrscheinlich in Folge eines Sekundenschlafes des Fahrers, in den Graben. Zum Glück konnten beide dem Schrott fast ohne Schrammen entsteigen. Nun, unter Menschen ist es in solchen Fällen üblich, dass man sich nach dem beidseitigen Befinden erkundigt, sich gegenseitig aufmuntert und sich dann gemeinsam um die Abwicklung am Unfallort kümmert. Na ja, Mensch war Klettner schon seit seiner Jugendzeit nicht mehr, sonst wäre es ja gar nicht dazu gekommen, denn ein Mensch knechtet keinen anderen an die Grenze physischer Leistungsfähigkeit. Klettner hatte aber nichts bessere zu tun, als seinem Fahrer Vorwürfe wegen der Zerstörung des „wertvollen“ Autos zu machen und ihn anzuweisen als aller erstes für ihn ein Taxi zu ordern. Da rastete unser armer Hans-Hermann, aus meiner Sicht vollkommen berechtigt, aus und streckte seinen humanoiden Chef mit einem kräftigen Faustschlag nieder. Nach seinem k.o.-Sieg machte sich Meister Langhals über die Böschung davon und kam mit dem Zug nach Hause. Deshalb hatte er sich in Folge sogar wegen Fahrerflucht zu verantworten. Natürlich erhielt er wegen tätlichen Übergriffes auf seinen Vorgesetzten auch postwendend seine außerordentliche Kündigung. Seitdem ist er arbeitslos und nach dem Vorfall sowie bei seinem Alter – deutlich über Fünfzig – dürfte er wohl auch nie mehr eine Arbeit bekommen. Klettner setzte ungeachtet dessen seine Geschäftsreise noch bis einschließlich 16. März fort. Für mich ist dieses das exemplarische Beispiel für die fürchterliche menschliche Kälte, die von diesem Mann ausging. Im gleichen Jahr hatte Hans-Hermann Langhals noch zwei Nachfolger auf der Position des Cheffahrers. Beide waren auf dem gleichen Wege wie er zu diesem Job gekommen. Deshalb blieb der Posten jeweils nicht lange unbesetzt. Aber der erste Langhals-
Nachfolger warf bereits im Sommer 99 das Handtuch, weil er die Ausbeutung und Behandlung durch seinen Chef nicht länger ertragen konnte und wollte. Insoweit ich mich selbst zum Personal der Villa zähle, muss ich die Abweichungen zu vorhergehenden Sklavenschicksalen mit dem etwas anderen Status begründen. Ich war der erste Besetzer der mir zugedachten Position; ich hatte keine Vorgänger. Meine Position war auch nicht mit hauswirtschaftlicher Notwendigkeit und auch nicht mit Statusrepräsentation zu begründen sondern sie wurzelte in den menschlichen und körperlichen Wünschen und Begehren der Hausherrin. Deshalb war ich nicht weniger Büttel oder Lakai wie die anderen auch. Ich lebte Anfang 1999 wie ein angeheuerter Ehemann der Millionärsgattin jedoch ohne sinnvolle Aufgabe. Mehr als alle anderen hatte ich an 7 Tagen in der Woche einen 24-Stunden-Job. Zwei Mal die Woche durfte ich mal kurz zu Erledigung meiner Familiengeschäfte „nach Hause“. Ich war zu jener Zeit dazu verurteilt im Reich der glänzenden Kälte zu leben – sofern man überhaupt von Leben sprechen kann.
Zum Kapitel 13
Zum Inhaltsverzeichnis
Männliche Tränen zum Hochzeitstag Bereits im vorangegangenen Kapitel habe ich auf zwei für dieses wesentliche Umstände hingewiesen. Der erste Punkt den ich jetzt aufgreife, ist die, das ich mein eigenes Familienleben praktisch gänzlich aufgegeben hatte. Zweimal in der Woche schaute ich nach ob Post eingegangen war und erledigte im Zuge dessen verschiedene anstehende Dinge. Was ich mit Katharina absprach fiel ebenfalls nur unter diese Dinge. Ich wusste nicht mehr was Katharina machte oder wie es ihr ging. Auf meine Frage nach Christina, Thomas oder Serret erfuhr ich immer nur das es denen gut ginge und ich beließ es dann auch dabei. Mit meinen Kindern selbst hatte ich bis zu dem Großereignis Ende April, von dem ich noch berichten werde, keinen Kontakt. Ich war in der Welt, die mein Leben war, ein Fremder geworden. Das Katharina die Scheidung ansprechen würde, schien mir letztlich nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Trotzdem war die Sehnsucht nach der heilen Welt, die ich verloren hatte, in meinem Inneren nicht geringer geworden sondern quälte mich nach wie vor in manch stillen Stunde. Sogar beim Geschlechtsverkehr mit Marianne überkamen mich zeitweise wehmütige Gedanken an meine Katha und meine Kinder, die ich nicht vergessen konnte. Das Zweite ist die Geschäftsreise, die Big Klettner von Montag, 1. März, bis einschließlich Dienstag, 17. März, unternahm. In diese Zeit fiel ja Hans-Hermanns letzter Tag im Dienste seines Ausbeuters. Nun war der Kater wieder mal aus dem Haus und die Mäuse konnten wieder tanzen. Marianne kam auf den Gedanken, wir hätten uns ein Frühlingsurlaub verdient und buchte uns einen solchen in Rovinij/Kroatien. Genauer gesagt sollte es nach Koversada am Limfjord gehen. Kenner der Gegend wissen, das es sich dabei um ein Eldorado für Nudisten handelt. Die hatten gerade zum 1. März Saisonstart und in Hinblick auf die Temperaturen, die selbst an der Adria um diese Zeit noch nicht auf dem höchsten Stand sind, dürfte nicht mit großem touristischen Überlauf zu rechnen sein. War es auch nicht; die Schar der hartgesottenen Nackedeis hielt sich in überschaubaren Rahmen. Das war von meinem Mariandel auch beabsichtigt. Sie war mal spitz darauf sich als Nackte unter Nackten in der Öffentlichkeit zu bewegen und dabei möglichst niemanden zu begegnen, der uns erkennen könnte. In letzterer Hinsicht sollte sie sich aber in verhängnisvoller Weise getäuscht haben. Aber alles der Reihe nach. Vorab will ich schon mal verraten, das es im Großen und Ganzen recht glückliche Tage waren. Zwar nicht auf dem hohen Level wie zu Weihnachten aber eine echte Erholung vom tristen „Millionärsalltag“. Um die Mittagszeiten konnten wir auch immer mit blanker Haut auf dem Gelände wandeln und uns an dem Anblick anderer Nackter erotisieren. Sind wir ruhig mal ehrlich, so abgebrüht, dass dieses in der Gemeinschaftssauna oder auf einem FKKGelände keine Rolle spielt, sind wir ja hoffentlich noch nicht. Aber in der meisten Zeit war es doch reichlich kühl oder sogar kalt, so dass wir recht froh waren, dass wir mit unserem roten Flitzer angereist und damit beweglich waren. Den Wagen brauchten wir schon aus den Gründen um uns zu beköstigen. Wir waren in einem Ferienbungalow untergebracht und hätten uns dort auch selbst beköstigen können, was aber bei Mariannes aber auch meinen Fähigkeiten auf eine Menge Handicaps gestoßen wäre. Das Restaurant auf dem Gelände Koversada war noch geschlossen. So fuhren wir um uns zu „beköstigen“ nach Rovinij, Porec, Pula oder sogar nach dem von hier am Weitesten entfernten Rijeka. Dabei kamen wir auch ein Wenig auf der Halbinsel Istrien herum. Jedoch einen größeren Ausflug haben wir auch unternommen. Mit einem Fährschiff fuhren wir von Pula nach Venedig, übernachten dort einmal und schipperten dann am nächsten Tag zurück. Da passierte dann die erste unliebsame Begegnung, die wir erst dann mitbekamen, als wir wieder zurück in Bergdorf waren. Ein freier Mitarbeiter eines heimischen Anzeigenblättchens, es nennt sich Stadtbote, hatte uns von der Rialtobrücke in einer Gondel gesehen und fotografiert. Auf dem Foto liegt Mariannes Kopf „verliebt“ auf meinen Schultern während ich sie unter den Achseln auf Busenhöhe umarme. Dazu hatte er dann in seinem Artikel gefragt, ob es in der Ehe des heimischen Millionärs kriseln würde, denn während er auf einer Geschäftsreise zwecks wichtiger Weichenstellung für sein Unternehmen wäre, befände sich seine Frau auf (wörtlich) „Verlobungsreise“ in Venedig. Davon erfuhren wir allerdings erst nach unserer Rückkehr. Nun, bei meiner Katharina, von der ich zu erst davon erfuhr, hat mich dieses um Meilen zurück geworfen. Als ich nach unserer Rückkehr zu meinen ersten „Familiengeschäftsbesuch“ zu Hause war, gratulierte mir Katha ironisch zur Verlobung und wies darauf hin, dass ich nicht vergessen sollte, dass so wohl ich wie meine Braut sich erst mal scheiden lassen müssten, bevor die Hochzeitsglocken läuten könnten. Bei ihren Worten hielt sie mir den Stadtboten vor die Nase. Und dieses just zu einem Zeitpunkt, wo ich ihr von mein Hochzeitstagmartyrium erzählen und auf Knien um Verzeihung bitten wollte. Da hatte mich doch ein Paparazzia vollkommen aus der Bahn geworfen. Am Abend des gleichen Tages bekam auch Marianne gehörig die Leviten gelesen und zwar von ihrem Mann. Der machte ihr erst mal deutlich, dass dieses ihre letzte Eskapade gewesen sei. Beim nächsten Mal würde er entsprechende Klauseln des Ehevertrages in die Wirklichkeit umsetzen. Für Marianne und mich bedeutete dieses bei unseren Auftritten in der Öffentlichkeit einen Rückfall in die Zeit von vor Weihnachten. Bei unseren „Ausfahrten“ übten wir dann doch wieder etwas zurückhaltende Distanz; mit der menschlichen Nähe war es auf „freier Wildbahn“ vorbei. Allerdings hat dieser Stadtbotentyp einen saftigen juristischen Dämpfer von Klettner erhalten. Der Stadtbote musste ein Schreiben von Klettners Anwalt als so eine Gegendarstellung veröffentlichen, dass das Bild ein rein zufälliger Moment sei und dieses nur möglich gewesen sei, da Frau Berghoff-Klettner, die sich geschäftlich in Absprache mit ihren Gatten
in Venedig aufgehalten habe, mit ihrem Privatsekretär einen freundschaftlichen Umgang pflege und der Paparazzia einen kurzen glücklichen Moment erwischt habe. Nähere Beziehungen zwischen ihr und mir beständen nicht. 14 Tage darauf musste ich es der Staatsanwaltschaft, die auf Grund der Bezeichnung „Privatsekretär“ gegen mich wegen des Verdachtes auf Meineid ermitteln wollte, wieder andersherum weiß machen. Da bedurfte es sogar auch Mariannes Aussage an Eides statt, dass ich ihr Geliebter sei und weder von ihr noch von ihrem Mann Gehalt beziehen würde. Aber weiter zu dem „Fotoheini“. Klettner hatte ihn auch erfolgreich auf Schmerzensgeld verklagt. Das zeigte sich aber erst 3 Monate später als das Amtsgericht soweit war. Der „Knabe“ redete sich mit der Freiheit der Berichterstattung und der Veröffentlichung von Bildmaterial mit Personen des öffentlichen Interesses heraus. Das Gericht belehrte ihn aber das beim Begriff „Personen im öffentlichen Interesse“ nach deutschem Recht sehr enge Grenzen zu beachten sind und das der grundgesetzlich garantierte Schutz der Privatsphäre absoluten Vorrang habe. In diesem Zusammenhang fällt mir ein, dass man dann Leute, die sich im Reality-TV, Schmutzmarke Big Brother, Titel geklaut aus dem Buch „1994“ von Orson Wells, prostituieren, im Hinblick auf die Grundrechte eigentlich bescheinigen müsste, das sie nicht wissen was sie tun. Manchmal frage ich mich, wie lange es noch dauert bis wir in den gleichen Sumpf wie die US-Medien, bei denen der Mammon weit höher als die Menschenwürde bewertet wird, „abgesoffen“ sind. Allerdings konnten wir auf Grund dieser „Presseveröffentlichung“ einem etwas übleren Gerücht innerhalb des Taxiunternehmens Schulte entgegen treten. Wir haben einfach einem Taxifahrer, der tatsächlich die Wahrheit sagte, als Lügner dargestellt und ihn mit Hilfe von Klettners Anwalt dazu bewegt, seine Aussage in Beisein von Werner Schulte, einer Reihe seiner Fahrer und uns als freierfunden darzustellen und sich zu entschuldigen. Wir behaupteten schlichtweg, dass wir wohl nicht gleichzeitig in Italien und Kroatien gewesen sein konnte. Das wir in Italien waren war ja durch den Stadtboten nur zu gut bekannt. Aber wir hatten ihn schon in Koversada gewarnt. Es war unsere zweite peinliche Begegnung in diesem „Urlaub“. Um die Mittagszeit gingen wir auf dem Nudistengelände „standesgemäß“ spazieren. Da ertönte plötzlich Hotte Grewes Stimme: „Mensch Pepe, das glaubt mir in Bergdorf niemand, das du mir mit Mariandel splinterfasernackt hier über den Weg gelaufen bist.“. Marianne konterte gleich: „Ich würde ihnen aber dringend raten niemanden etwas zu sagen, denn mein Mann und sein Anwalt sind da reichlich humorlos. ... Und starren sie mich bitte nicht so schamlos an.“. Auch ich erhärtete, in einer für Typen wie Grewe verständlicheren härteren Sprache, die mahnende Ansprache: „Hotte, ich weiß, dass du eine Klatschtante bist. Denke aber daran, dass dir in diesem Fall der Klatsch im Halse stecken bleiben könnte. ... Und jetzt glotz bitte Frau Berghoff-Klettner nicht mehr so an – oder hast du noch nie eine nackte Frau gesehen? Pass auf das dir hinterher keiner stehen bleibt und du dich dann blamierst.“. Er sagte nur noch „Arschloch“ und hat uns immer, wenn er uns in den Folgetagen über den Weg lief, tunlichst übersehen. Allerdings hatte Grewe das auch meiner Frau erzählt. Da diese sowohl 1975 wie auch 1982, zusammen mit mir und unseren damals noch kleinen Kindern in Istrien, genau gesagt in Porec Plava Laguna war, kannte sie natürlich die Möglichkeit an einem Tage von Pula nach Venedig – und sogar wieder zurückzukommen. Bei ihr konnte ich natürlich mit der Sache „nicht gleichzeitig“ keinen Blumentopf landen. Hotte muss übrigens sehr flott gewesen sein, denn Katharina präsentierte mir auch dieses in Verbindung mit den Verlobungsglückwünschen. Wer sonst noch was von diesem Quasselkopf erfahren hat weiß ich, vielleicht auch zum Glück, nicht. Also Mariannes Hoffnung, das wir in dieser frühen Jahreszeit anonym Urlaub machen konnten, hatte sich nicht erfüllt sondern hatte sich als Schuss nach hinten erwiesen. Alle guten Dinge sind drei, also gab es noch eine weitere Begegnung, die aber den Vorteil hatte, dass sie unseren Gegenüber genauso peinlich war wie uns und auch diese allen Grund hatten, diese Sache zu vertuschen. Diesmal fand die erste Begegnung nicht in unseren Naturkostümen statt sondern in so einem Landgasthaus an der Straße zwischen Rovinij und dem Gelände Koversada. Dieses Restaurant war während der ganzen Zeit unsere bevorzugte Speisestätte, da es hier zwar auch wie in den anderen Restaurants, die in dieser Zeit geöffnet hatten, außer Wiener Schnitzel fast ausschließlich Balkankost gab, aber in diesem Haus wesentlich variantenreicher und ansprechender wie bei anderen. Einen Abend betraten wir dieses Restaurant und ein Pärchen, das Arm in Arm auf sein Essen wartete, saß in Frontalrichtung zu Tür. Also fiel ihr Blick gleich auf uns und wir konnten uns auch nicht damit rausreden, sie nicht gesehen zu haben. Wäre für mich auch bedeutungslos gewesen, denn ich kannte sie bis jetzt noch nicht. Das beruhte auf Gegenseitigkeit, denn die Herrschaften kannten mich auch nicht. Dafür kannten sich Marianne und der Herr recht gut. Er nahm auch gleich einen Schritt nach vorne vor. Er erhob sich und kam auf Marianne zu: „Grüß Gott, Marianchen. Wollt ihr nicht an unserem Tisch Platz nehmen?“. Das Marianchen klang doch sehr vertraulich, so dass man unausweichlich auf eine längere und nähere Bekanntschaft schließen musste. Marianne erwiderte seinen Gruß: „Grüß dich Josef. Darf ich euch miteinander bekannt machen. Das ist Peter Schröder, mein Geliebter, und das ist Pfarrer Josef Köster, ein Kollege von Hans-Hermann (Michaels Vater). Wir betreiben Ehebruch und er hat das Zölibat vergessen.“. Dann lachte sie. Auf scherzhafte Art und Weise hatte sie die Fronten dahin geklärt, dass beide Seiten Grund für ein Verschweigen in der Heimat hatten. Dann wurden wir noch mit seiner Partnerin bekannt gemacht. Es handelt sich um Gracienne Waymann, eine geborene Belgierin, die mit einem Lehrer in Kösters früherer Gemeinde verheiratet war. Da musste mein Mariandel auch noch einen darauf setzen: „Jupp, du entsetzt mich immer mehr. Du bist nicht nur ein
Zölibatsbrecher sondern auch ein Ehe- und Fastensbrecher.“. An der Art und Weise ihrer Aussprache und am anschließenden Lachen merkten alle, dass dieses von ihr jedoch nur nett und freundlich gemeint war. Während des Essens erfuhren wir dann, das der irrläufige Pfarrer, was den Urlaubsort anbelangte, genauso falsch wie Marianne gedacht hatte. Auch er hatte vorher geglaubt, dass um diese Zeit keine hohe Wahrscheinlichkeit auf ein Bekanntentreffen bestand. Im Restaurant haben wir uns nett unterhalten und dabei tunlichst um jedes Thema, was irgendwie mit Religion oder Moral in Verbindung stehen könnte, einen großen Bogen gemacht. Der Grund dürfte auch für jedermann nachvollziehbar sein. Allerdings erteilte uns der Priester mit den Worten, dass es keine Übermenschen gäbe und wir allesamt nur klein, dumm und sündig seien, eine Verbalabsolution. Zu etwas fortgeschrittner Zeit gab es noch eine weitere Überraschung. Josef, inzwischen Duzten wir uns alle, merkte an: „Ich glaube wir müssen uns schon mal ein Taxi bestellen. Es wird wohl ein Moment dauern bis dieses hier ist.“. „Ach, das braucht ihr nicht. Wir sind mit den Wagen da und bringen euch in euere Unterkunft.“, bot Marianne an. Die Antwort „Ach danke nicht nötig, wir wollen euch keine Umstände machen“, wie sie jetzt von Josef kam, ist bei solchen Gelegenheiten eine übliche Höflichkeitsfloskel bei der meist jedoch das Gegenteil erwartet wird. Bei ihm klang es doch energischer als wolle er tatsächlich nicht von uns chauffiert werden. Marianne hakte aber noch mal nach: „Ihr wohnt sicher hier im Örtchen. Das ist ja gleich hier um die Ecke und wir versäumen wirklich nichts, wenn wir, bevor wir dann zum FKK-Gelände fahren, erst mal nach Rovinij reinfahren.“. Da war auf einmal das Eis gebrochen und sie wollten doch mitfahren. Einen Umweg brauchten wir auch nicht zu machen, denn Josef und Gracienne hatten ihr Domizil am gleichen Ort wie wir. Ja, ja, das nennt sich dann fleischlose Zeit. Wir haben uns dann, nachdem uns nun allen bewusst war, dass wir alle nicht Rechtes tun, zu einer Art Urlaubsclique zusammengeschlossen und am Rest der Tage fast alles gemeinsam unternommen. Vielleicht sollte ich noch erwähnen das sich Marianne und Josef schon länger kennen als ihr Erzengelchen alt ist. Michaels Vater und Köster waren Studienkollegen und Freunde. Unserem Urlaubspriester war auch bekannt, das der wahre Vater von Mariannes Sohn sein Kollege ist. Somit hatten wir hinsichtlich dieser Sachen keine Probleme und waren einfach nur Leute, die einen netten frühen Urlaub machten. Dahingehend stellte eigentlich nur die Begegnung mit der Quasselstrippe Grewe für uns etwas unangenehmes da, wo wir ja von dem Papprazzia zu diesem Zeitpunkt nichts wussten. Nur der Tag vor unserer Abreise war für meine Seele dann noch eine Tragödie, bei der ich froh war den Beistand des abwegigen Priesters zu haben. Schon der Vortag war verregnet und der Blick durchs Fenster versprach uns für diesen Tag nichts Besseres. Die beiläufige Mariannefrage „Der wievielte ist denn heute?“ stürzte mich dann, begünstigt durch das trübe Wetter, in ein tiefes seelisches Loch. „Sonntag, der 14.“, antwortete ich, „Heute vor 27 Jahren habe ich geheiratet.“. Dann liefen vor meinen Augen Bilder aus glücklichen Tagen ab. Ich dachte an die Momente wo mir Katha offenbarte schwanger zu sein. An die Tage, wo unsere Kinder geboren waren, als diese dann in den Kindergarten und später in die Schule kamen. Wie wir uns gefreut und gefeiert hatten als Katharina stellvertretende Kindergartenleiterin wurde. Wie meine Frau mir beigestanden und mich getröstet hatte, als es mit der Druckerei immer weiter bergab ging und es schließlich aus war. Ich dachte an Freud und Leid, was wir miteinander geteilt hatten. Ich dachte an unsere Silberhochzeit und mich schmerzte heute nicht bei ihr sein zu können. Mir wurde immer bewusster, das nicht Marianne sondern ausschließlich Katharina die Liebe meines Lebens war. Immer wieder bete ich still vor mich hin: „Lieber Gott, ich liebe Katharina und will sie wieder haben. Bitte, bitte helfe mir.“. Letztlich konnte ich mich nicht mehr halten und brach in Tränen aus. Marianne, die eindeutig meine innere Situation verstanden und bisher geschwiegen hatte, strich mir über die Haare und fragte: „Pepe, möchtest du mal für ein Stündchen alleine sein.“. Nachdem ich heulender Weise nur bejahend mit dem Kopf genickt hatte, verließ sie in Richtung des Köster-Bungalows unsere Unterkunft. Ich legte mich lang auf mein Bett und schlief dann darüber traurig ein. Ich dürfte wohl über zwei Stunden geschlafen haben. Als ich wieder erwachte saßen Marianne und Josef im Nebenraum, zu dem die Tür aufstand, am Tisch. Als sie merkten dass ich wach war, erklärte Marianne, während sie so tat als habe sie mein Erwachen nicht bemerkt, dass Gracienne jetzt eigentlich soweit sein müsse und sie mal kurz rüberspringen wolle. Das war natürlich nur ein Vorwand um mich mit Josef, der sich als Priester von Berufs wegen mit Seelenschmerz bestens auskennt, allein zu lassen. Der schaute darauf zu mir rüber und stellte sich bewusst überrascht: „Na alter Junge, wieder munter? Du bist wohl heute nicht so gut drauf. Kann ich was für dich tun?“. „Ach, mir geht’s beschissen.“, bekannte ich wahrheitsgemäß, „Heute ist mein 27. Hochzeitstag und ich liebe meine Frau noch so wie am ersten Tag. ... Und was alles so schwer macht, ist das ich Marianne auch liebe und auch ihr nicht weh tun will.“. Josef war inzwischen herein gekommen und hatte sich am Fußende auf die Bettkante gesetzt: „Ich weiß nicht ob es dich tröstet, wenn ich dir sage, dass es dir auf dieser Welt nicht allein so geht. Ich habe mal gedacht ich sei stark und wollte mein Leben dem Herrn und meinen Mitmenschen widmen. Ich habe damals den Stab über Hännes (Hans-Hermann Klettner) und Marianchen gebrochen und erkannte später auch die Liebe von Mann zu Frau ... und auch die Fleischeslust. Meine Freunde waren damals jung und frei und ich habe eine Ehe gebrochen. Kannst du dir vorstellen unter welchen Gewissensqualen ich leiden muss? Wir sind alle nur kleine schwache, unwissende und sündige Menschen. Gleichgültig ob wir Präsident, Manager, Arbeiter oder Priester sind. Ich kann dir nichts raten, da ich selbst
nicht weiß was richtig ist. Das weiß nur der Herr und ich kann nur darauf vertrauen, dass er es schon richten wird. Nur er weiß wozu es gut ist.“. Nach einer kleinen Pause fügte er „Oft tut es gut, wenn man sich richtig ausquatschen kann und einen jemand zuhört. Möchtest du mit mir sprechen?“ an. Irgendwie hatte er mein Bedürfnis richtig angesprochen und mich aufgefordert es auszuleben – also redete ich los. Fast eine Dreiviertelstunde redete ich mir alles was mir einfiel von der Seele und Josef hörte mir geduldig und verständnisvoll zu. Natürlich war anschließend nichts bereinigt aber mir war wesentlich leichter und wohler. Dann war ich es, der nach einer tiefen Verschnaufpause fragte: „Was machen eigentlich die Frauen? Sollten wir uns nicht zu ihnen gesellen?“. Ohne noch mal auf was anderes einzugehen meinte Josef: „Ja, wenn dir danach ist, gehen wir zu uns rüber.“. Was hatte Josef jetzt eigentlich gemacht um mich aus dem Tal der Trübsal zu holen? Eigentlich nicht viel. Er hatte mich nur zum Reden ermuntert und mir zugehört. Das war alles und es war richtig. Hätte an seiner Stelle jetzt ein Psychotherapeut gesessen hätte er bestimmt nach der Methode des Romanciers Siegmund Freud schmerzhaft in meiner Seele bis in die Kindheit meines Urgroßvaters gewühlt. Jetzt musste ich daran denken, dass ich mal in irgendeinem Magazin gelesen habe, das jeder Zweite während einer Psychotherapie einen leichten oder auch schweren Knacks kriegt und nur Wenigen von Psychologen wirklich geholfen wird. Theologen sollen dagegen eine hohe Erfolgsquote haben. Liegt das etwa daran, das Letzteres einfach nur zuhören können? Aber kann das nicht jeder? Wie bereits vereinbart gingen wir jetzt hinüber zu „unseren“ Frauen. Gracienne hat einiges an Snacks und diversen Appetithäppchen vorbereitet. „Wenn die Möglichkeit bestanden hätte, hätte ich jetzt auch noch ein Kuchen gebacken, aber so fortschrittlich ist man hier im Feriencamp noch nicht.“, teilte uns die Geliebte des Pfarrers mit. Die Drei hatten beschlossen, ein Wenig Abschied „zu feiern“ bevor wir am nächsten Morgen gen Heimat abdüsten. Wir saßen dann einen ganzen Nachmittag meist recht nett miteinander plaudernd beieinander. Obwohl ich mich dank Josefs Beistand um 2-stellige Prozentpunkte besser wie am Morgen fühlte, brach doch hin und wieder bei mir etwas Trübsal aus. Dieser Tag war die bisher härteste Marter seitdem ich meine Familie erst vernachlässigte und dann praktisch verließ. Im Laufe des Tages wuchs dann in mir der Plan gleich am folgenden Dienstag Katharina auf Knien um Verzeihung zu bitten. Wie wir schon wissen, darf ich mich bei einem Papprazzia bedanken, dass daraus nichts wurde. Am nächsten Tag, auf der Heimfahrt, kam Marianne noch mal vorsichtig auf meine Vortagsempfindungen zu sprechen. Ihr Anliegen hatte jedoch nichts mit einer Vergangenheitsaufbereitung sondern mit einer Weichenstellung für die nähere Zukunft zu tun. Daher fuhr sie fort: „Ich habe dir doch mal gesagt, dass ich ein Aprilscherzchen bin. Also ich werde in zirka 2 Wochen ganze 45 Jahre jung. Ursprünglich habe ich mal daran gedacht diesen Tag nur mit dir richtig zu feiern. Aber ich glaube das lassen wir lieber. Ich kann dir nicht verdenken, wenn du dann bei der Gelegenheit zwangsläufig an die Geburtstage deiner Frau und deiner Kinder erinnert wirst. Das tut dir dann wieder weh und ich möchte dir eigentlich nicht weh tun.“. Jetzt war ich neugierig und musste mal was nachfragen: „Wäre das denn möglich ... nur mit mir? Und andererseits frage ich mich, können wir denn überhaupt unter den Fittichen deines Gatten weg krabbeln?“. „Och, im Hause Klettner gibt es keine Geburtstage und keine Hochzeitstage, außer runde von Hannsfrieder ... die werden natürlich mit großem öffentlichen Trallala begangen.“, machte mich Marianne schlau, „Ansonsten, ... meine Geburtstage waren immer Tage wie alle anderen. Dabei sollten wir es auch belassen. ... Jetzt aber erst mal ein ganz anderes Thema: Fahr mal das nächste Rasthaus an, ich muss mal für kleine Mädchen.“. Und damit war das Thema abgeschlossen und wir konnten dem Alltag wieder entgegen fahren.
Zum Kapitel 14
Zum Inhaltsverzeichnis
Adieu Vati, du bist so weit weg Unser Leben spielt sich in Zyklen ab. Mal geht es bergab und mal bergauf. Allerdings sind die Auf- und Abkurven nicht symmetrisch aufzeichenbar. Mal geht es zwar kurzfristig und auch sanft abwärts und ein andermal ist es längerfristig dafür aber rasant. Für die Aufwärtsrichtung gilt das Gleiche aber einer rasanten Abfahrt kann ein nur allmählicher Aufstieg gegenüber stehen und auch hier ist der umgekehrte Fall möglich. Oft vergeht zwischen einer Abfahrt und dem Wiederaufstieg beziehungsweise einer weiteren Abfahrt ein längerer Zeitraum und mal geht es so schnell, dass man die Richtungsänderung erst mal gar nicht mitbekommt. Es gibt Zeiten wo lange nichts passiert und wieder andere wo ein Ereignis ein anderes ablöst bevor ersteres abgeschlossen ist. Wenn ich im Zuge dieser Philosophie das erste Drittel des Jahres 1999 betrachten sollte käme ich zu dem folgenden Schluss: Ganz eindeutig befinde ich mich seit zirka 3 Jahren auf einer Talfahrt. Aber in den ersten dreieinhalbe Monaten dieses Jahres lag eine kleine Verschnaufpause vor. Es ging weder weiter runter aber auf keinen Fall wieder rauf. Oder kurz gesagt: Es gab keine pepebewegenden und erst recht keine weltbewegenden Ereignisse. Aber dann, ab 21.4.99, es war ein Mittwoch, ging es wieder Schlag auf Schlag und wieder mit Höchstgeschwindigkeit weiter ins Tal. Am eben erwähnten Tag erhielt ich zum ersten Mal private Post in der Villa Klettner. Bogussia, die Putzfrau, hatte den Briefkasten an der Pforte geleert und übergab mir diesen Brief, der an Peter Schröder bei Marianne Berghoff-Klettner adressiert war, nach dem Frühstücksritual. Ein Absender war auf dem Umschlag nicht ausmachbar. Meine erste Reaktion hieß „Nanu“ und voller Neugierde riss ich den Umschlag gleich auf. Schon an der Handschrift erkannte ich auf Anhieb die Absenderin. Das war auf dem Umschlag nicht möglich, da es sich um eine schwer identifizierbare geometrische Druckschrift handelte. Die Absenderin war meine Tochter Christina. Nachdem Anlesen des Schreibens wurde ich sofort hektisch und panisch aktiv, was ich im nächsten Kapitel beschreiben werde. Um den werten Leser nicht zu verwirren, gebe ich jetzt folgend erst mal den vollständigen Brief in Abschrift wieder. Lieber Vati, wenn du diese Zeilen ließt werde ich wohl nicht mehr unter Euch Lebenden weilen. Heute Nacht ergreife ich die Flucht aus dieser Welt, die mir immer ungastlicher erscheint. Alles was für mich Leben bedeutete habe ich verloren und ich empfinde nur noch Schmerzen, bittere unertragbare Schmerzen. Ich will mich jetzt nur verabschieden und niemanden Vorwürfe machen, Ihr habt es ja alle selbst so schwer. Mir geht es nur um Euer Verständnis und darum, dass ihr mich auch nach meinem Weggang, nach meiner Flucht, lieb haben sollt. Diesen Schritt habe ich mir wohl überlegt und ist keine spontane Handlung wie bei den meisten Suizide, deshalb bin ich davon überzeugt, dass es auch klappen wird. Es ist auch kein Hilfeschrei, bei dem es mir nur darauf ankommt aus einer scheinbaren ausweglosen Situation gerettet zu werden. Somit bin ich mir sicher, dass ich, wenn Du dieses ließt, nicht mehr lebe. Also lese ruhig alles was ich Dir zuschreiben habe, du kannst mich sowieso nicht mehr retten. Ich bin so allein auf dieser Welt und alle die mich noch wahrnehmen fügen mir fürchterliche Schmerzen zu. Bevor ich mich verabschiede und endgültig gehe möchte ich Dir noch berichten, was Du nicht wissen kannst aber auf jeden Fall wissen solltest. Du kannst zum Beispiel nicht wissen, dass ich im Januar Dein Enkelkind umgebracht habe. Ich war schwanger und Serret der Vater. Als er im neuen Jahr aus der Türkei zurückkam haben wir uns fürchterlich gestritten. Ich habe ihm aber weder vor der Abtreibung noch hinterher gesagt, dass ich schwanger war. Auch Mutti wird, wenn sie morgen oder übermorgen meinen Brief, den ich eben geschrieben habe, erhält erstmals von dem Kind erfahren. Und Serret erfährt es, wenn nicht von Euch, nie im Leben. Also kann sich unser Streit nicht um unser Baby gehandelt haben – es war was anderes. Ich habe Serret heiß und innig geliebt. Was heißt „ich habe“; ich liebe ihn immer noch wie keinen anderen Mann auf der Welt. Er war immer nett und verständig und hat mir viele Wünsche von den Augen abgelesen. Immer war er zärtlich und lieb zu mir. Vor seiner Reise in die Heimat seiner Eltern hat es nie ein böses Wort zwischen uns gegeben. Wenn er sich mal was vorgenommen hatte und ich, weil ich nichts davon wusste, etwas anderes vorschlug oder vorhatte nahm er von seinem Wunsch abstand. Das war eigentlich das Einzigste vorüber wir uns jemals vorher auseinander gesetzt haben, weil ich das dann so auch nicht wollte. Er war stolz auf mich und ich auf ihn. Wir hatten so viele gemeinsame Interessen. Bis zuletzt hat mein Serret auch immer sehr, sehr viel von Dir gehalten und hat auch bei Mutti immer ein gutes Wort für Dich eingelegt. Ich hätte mir keinen besseren Mann vorstellen können. Was einzig zwischen uns stand ist, dass ich an den dreieinigen Gott glaube. Ich glaube an Gott dem Vater, der von Ewigkeit zu Ewigkeit lebt und regiert. Der diese Welt vom Staubkorn bis zum gewaltigsten Stern oder Planeten geschaffen hat. Der Gott, der der Vater aller Kreaturen ist, derjenige der uns nach seinem Bilde, dem unsterblichen Geist, geschaffen hat. Unser Körper wird vergehen und zu Staub verfallen aber unser Geist wird mit ihm bis in alle Ewigkeit in Frieden leben. Deshalb konnte ich mich auch zu meinem jetzigen Entschluss durchringen, denn meinen Körper kann ich umbringen und meine Seele von dieser irdischen Hülle befreien, aber ich werde leben und nicht sterben. Ich glaube an Jesus Christus, den Mensch gewordenen Teil des dreieinigen Gottes, unserem Erlöser. Er hat geduldig und in großer Liebe alle unsere Sünden, alle unsere Schuld auf sich genommen und hat uns das Zeichen gegeben: Du bist erlöst. Weil Jesus für mich gestorben ist, weiß ich auch, das ich jetzt wohl von dieser Erde gehen
werde aber nicht sterbe. Er hat auch für meine Morde an meinem Kind und an mich gesühnt. Ich glaube auch an den Heiligen Geist, dem Teil Gottes der in uns allen lebt und wirkt. Der uns das Bewusstsein an seine Existenz gibt. Der uns tröstet wenn wir Trost bedürfen, der uns Halt gibt wenn wir wegzurutschen drohen. Ja, ich glaube an Gott und weiß das er mir auch jetzt beistehen wird. Oft habe ich mit Serret über unseren Glauben gesprochen. Er hat sogar das Neue Testament von Matthäus über Markus und Lukas bis Johannes gelesen. Ich hatte den Eindruck ihn für Jesus Christus gewinnen zu können. Insbesondere war er schon von den christlichen Geboten der Nächsten- und Feindesliebe angetan. Als er aber aus der Türkei wiederkam war alles vorbei. Er bezichtigte mich eine Ungläubige zu sein und Gott zu lästern. Gott, oder Allah, ist ja das Gleiche, wäre so allmächtig, das er keine Nebengötter brauche. Jesus sei zwar ein von Allah gesandter Prophet aber nicht der Gottessohn gewesen. Darüber haben wir uns mehr und mehr gestritten. Ich hätte Dich oft gerne hinzugezogen, denn ich weiß, dass auch Du ein gläubiger Mensch bist aber Du warst so weit weg in einer anderen Welt. Das war aber nicht der Hauptgrund unseres Streites. Seine Familie hatte mir vorgeworfen seine Herkunft, seine Traditionen und seine Kultur zu missachten. Man warf mir vor ihn aus seiner Familie ausbrechen zu wollen. Seine Großmütter haben eine Türkin für ihn als Frau ausgewählt. Er hatte den Gedanken, dass er diese tatsächlich heiraten wolle und, da Allah ja keine Vielweiberei verbiete, mich als Zweitfrau halten wolle. Furchtbar war für mich die Vorstellung, dass er mit uns beiden Kinder zeugen wollte. Das was bei Dir nach langen Jahren eingetreten zu sein scheint – Mutti ist deine amtliche Hauptfrau und Marianne Deine Nebenfrau – wollte er von Anfang an, damit wollte er sein Leben begründen. Wie schön wäre es gewesen, wenn Du ihm aus Deiner Erfahrung hättest sagen können, was das bedeutet. So haben wir uns immer mehr gestritten und an einen Sonntag im Februar, als ich aus der Kirche kam, lag ein Zettel auf dem Tisch auf dem stand nur „Und tschüss, das war es.“. Alle seine Sachen hatte er mitgenommen. Wir haben nie wieder miteinander gesprochen, wir waren nie mehr zusammen und nur auf der Straße sind wir uns mal begegnet, wobei er so tat als würden wir uns nicht kennen. Ostern hat er in der Neustädter Moschee seine Türkin geheiratet. Ab dem Zeitpunkt unserer Trennung war ich beim rechten deutschen Mob, Marke Rainer Goldmann, und beim türkischen Pöbel das Gleiche. Baumann und Freunde nennen mich Kanakenliebchen und diverse türkische Jugendliche behandeln mich wie Freiwild. Sie pöbeln mich auf der Straße an und machen mir eindeutige Angebote. Sie begrabschen mich an der Brust am Po und sogar zwischen dem Schritt. Ich kann ruhig Hilfe rufen, es kümmert sich sowieso keiner darum; die einen aus Gleichgültigkeit und die anderen aus Angst. Nur ein einziges Mal wurde mir geholfen und wer mir da geholfen hat, das war ein Türke. Es handelt sich zwar nur um eine handvoll Idioten und immer die selben die da im Städtchen rumlungern – klar, denn die Meisten sind ja in Ordnung – aber die bereiten mir soviel Angst, dass ich mich gar nicht mehr raustraue. Ach Vati, wie habe ich gehofft, das Du mir helfen würdest. Bei Mutti bin ich seit dem Vorfall mit der Sau Goldmann auch nicht mehr gewesen. Jetzt muss ich allerdings sagen, dass Mutti bis jetzt auch nichts von der Sache weiß und auch erst, wenn sie meinen Abschiedsbrief in den Händen hält, davon erfährt. Es war Rosenmontag und offiziell war im Kindergarten auch des Mittags Schluss. Da war aber was passiert – was weiß ich allerdings nicht, weshalb Mutti erst kurz vor 3 zu Hause war. Um 2 traf ich aber schon, zusammen mit dem Schwein, zu Hause ein. Als wir zu zweit alleine in der Wohnung waren hat sich das Ferkel nackt ausgezogen, sich vor die Wohnzimmertür gestellt, damit ich nicht rauskam, und hat sich einen abgewichst. Als er gespritzt hatte sagte er „Pass auf was dir passiert, wenn du ein Wort darüber verlierst“ und hat mich fürchterlich geschlagen. Er hat mich aufgefordert ich solle mich ausziehen, aber ich konnte dem Bastard entkommen und flüchten. Ich bin nie wieder zu Mutti in die Wohnung gegangen. Immer wenn wir mal zusammen waren war das hier in meiner Wohnung. Goldmann hat auch Mutti schon geschlagen. Wie, warum und wie oft weiß ich nicht, da Mutti ansonsten nichts sagte. Mir war nur mal ein kräftiger Striemen vom Ohr bis an den Hals, mehr konnte ich nicht sehen da sie einen hochgeschlossenen Pulli trug, aufgefallen. Das war das einzigste Mal, dass Mutti zugab, dass dieses „ihr“ Rainer gewesen sei. Ich habe Mutti aufgefordert den Kerl rauszuschmeißen. Sie aber wurde böse und hat mir verboten mich in ihre Angelegenheiten einzumischen. Sie sagte mir, dass sie nicht mehr zu mir kommen würde wenn ich Dir etwas davon erzählen würde. Sie hat sich aber oft über diesen bösen Menschen bei mir ausgeweint. An ihn ist sie nur geraten, weil sie Dir „einen Schuss verpassen“ wollte. Du weißt ja, dass sie ihn damals bei ihrem Unfall kennen gelernt hatte. Vielleicht weiß Du auch, dass er sie dabei zu einem Techtelmechtel eingeladen hat. Sicher kennst Du Mutti so gut, dass sie dieses selbstverständlich abgelehnt hat. Sie hat ihm sogar ein Paar gescheuert. Als Du dann mit der Berghoff-Klettner aufgeflogen warst, wollte sie sich an Dir rächen und hat ihn angerufen, um seine Einladung nachträglich anzunehmen. Danach hat sich dann alles hochgeschaukelt und eine Ende der Tragödie, die uns letztlich alle vernichtet haben wird, ist nicht in Sicht.
In Südtirol habe ich jeden Tag mit Mutti über unsere Situation gesprochen. Sie berichtet mir, dass sie in der Heiligen Nacht geträumt habe mit dir glücklich in Spanien gewesen zu sein. Ich wäre auch dabei gewesen. Es wäre allerdings kein schöner Traum gewesen, da ich verletzt gewesen wäre und wir drei vergeblich nach Tommy gesucht hätten. Sie war davon überzeugt, dass die Träume, die man in dieser Nacht träumt auch in Erfüllung gehen. Sie wollte mit einem sogenannten Erfüllungszwang nachhelfen und bete sogar laufend zu Gott, er möge ihr diesen Traum so wie damals Josefs Traum erfüllen. Noch auf der Heimfahrt war sie davon überzeugt, dass Du uns mit Euerem Wagen abholen würdest, mit uns reingehen würdest und ihr erzählen würdest, das mit dem Weib, wie sie sagte, Schluss sein würde. Dann sollte es nach ihrem Willen wieder so werden wie früher. Als wir am Neumarkt in Neuhausen ankamen traf sie eine harte Enttäuschung: Du standest da mit der blöden Karre von der Alten. Sie hatte aber trotzdem ihre Hoffnung erst nicht aufgegeben und deshalb habe ich ihr auch nicht erzählt, dass ich weiß, dass ihr gar nicht mehr zusammen kommen könnt. Im Januar als Marianne das letzte Mal im Krankenhaus war haben wir beide uns richtig ausgesprochen. Ich wollte erst überhaupt nicht mit ihr sprechen. Als man mich aber in dieser Zeit mal so richtig fertig gemobbt hat, war ich froh, jemanden zu haben, bei dem ich mich ausweinen konnte. Auch sie hat geweint und mir letztlich alles erzählt. Ich weiß also von ihrem Erzengel Michael und seinem wahren Vater, dem katholischen Pfaffen. Aber ich weiß auch, dass sie Dich wirklich liebt. Sie sagte mir, dass sie sich, wenn sie Dich verliert, mit Alkohol zuschütten würde – und das ist bei ihrer Krankheit ihr sicherer Tod. Was Du bestimmt nicht weißt, ist das sie mit Hilfe ihres Bruders versucht ihren Mann zu erpressen. Sie will eine Million Mark haben, um mit Dir irgendwo auf eine karibische Insel zu verschwinden. Nach diesem Gespräch wusste ich, dass es fast unmöglich ist, dass sich Muttis Traum noch einmal bewahrheiten kann. Ich habe auch nichts gesagt, als Mutti darauf hoffte, das sich ihr Traum nach Deinem Urlaub in Jugoslawien was ändern würde. Seltsamer Weise kam die Hoffnung bei ihr auf, nachdem sie Euch im Stadtboten gesehen hatte. Sie hatte sich vorgenommen, Dich aufgrund der Veröffentlichung richtig in die Gebetsmühle zunehmen und glaubte Dich so gut zu kennen, dass Du sie dann um Verzeihung bitten würdest. Sie wollte sich erst zieren und dann aber letztlich doch nachgeben. Was mir jetzt aber komisch vorkommt ist, dass sie wusste, dass Du zum FKK in Jugoslawien und nicht in Venedig, wie auf dem Bild, warst. Die Antwort auf diese Frage werde ich mit Sicherheit in meinem Leben nicht mehr bekommen. Wo ich gerade dabei bin kann ich Dir auch erzählen, dass sie am 14. März, Euerem Hochzeitstag, bald 4 Stunden bei mir war und pausenlos geheult hat. Ich konnte sie mit nichts trösten. Da sagte sie mir, dass sie Dir trotz allem verzeihen würde wenn Du nur zurückkämst. Solltest Du aber diese Zeilen zum Anlass nehmen wieder mit Mutti ins Reine zukommen, denke aber daran, dass sich Marianne dann totsäuft. Und noch was, etwas viel Wichtigeres, solltest Du wissen: Tommy will uns, Mutti und mich, erschießen und sich dann selbst eine Kugel durch den Kopf jagen. Bei mir erübrigt sich das ja jetzt, aber denke bitte an die beiden anderen. Und denke daran, dass Tommy das absolut ernst gemeint haben könnte, denn auch dem geht es furchtbar dreckig. Ihr habt Euch zwar oft gestritten, aber Du warst immer das große Ass für Tommy. Du warst für ihn immer so eine Art Übervater. Du hättest ihn mal außerhalb des Hauses hören müssen, wie er über Dich sprach; was Du alles konntest. Damit ist er früher sogar öfters bei Lehrern angeeckt. Wenn die Lehrer irgendwelche Lehrbuchtexte wiedergaben und du hattest Dich dazu zuvor abweichend geäußert, dann ging Tommy auf die Barrikaden. Er erklärte das, was die Lehrer sagten für Quatsch und beharrte auf Deine Meinungen und Aussagen. Mit der Pubertät kam er aber in eine arge Situation Dir gegenüber. Weder mit Dir und noch Mutti hat er schon mal über seinen „kleinen Makel“ gesprochen. Er ist nämlich nicht „normal“, wie man immer so dumm sagt, veranlagt sondern er ist schwul. Ist Euch den tatsächlich noch nicht aufgefallen, dass er überhaupt kein Interesse an Mädchen hat? Was muss der arme Kerl darunter gelitten haben, seine natürlichen Wünsche und Anliegen nicht nur vor Euch sondern vor der Welt zu verbergen. Ich weiß es auch erst seit Kurzem. Da ist beim Bund etwas passiert, ich weiß allerdings nicht was es war, was ihm enorme Schwierigkeiten macht. Und da brauchte er einfach jemanden bei dem er sich ausweinen konnte. Wärest Du da gewesen, wärest Du das bestimmt gewesen und jetzt war ich es, weil kein anderer da war. Es hatte mich richtig gewundert, denn Goldmann hat Tommy schon so vereinnahmt, dass ich für ihn, obwohl ich seine Schwester bin, auch schon das Kanakenliebchen bin. Er drischt laufend des Affen dumme Phrasen wie „Ich bin stolz ein Deutscher zu sein“ – obwohl er doch gar nichts dafür kann – und „Deutschland den Deutschen.“. Er spricht von der großen drohen Gefahr durch die Islamisierung, die asiatische Völker in unserem Kulturland vorantreiben wollten. Alle kämen her weil sie nur unser Geld wollten und weiteren Schwachsinn. Ich habe Tommy dringend geraten mit Dir zu sprechen. Da hat er aber dann fürchterlich über Dich hergezogen. Zum Beispiel behauptet er, Du hättest uns alle mit Deinem Größenwahn mal Unternehmer zu sein ins Unglück gestürzt. Weil er sich von seinem Übervater abnabeln wollte ist er überhaupt zur Bundeswehr gegangen. Er fürchtete bei einem Studium zu versagen und dann vor Deinen Augen nicht mehr bestehen zu können. Einen Ausbildungsberuf wollte er auch nicht erlernen, da er mal mehr sein wollte wie Du. So blieb ihm nur die Offizierslaufbahn. Dabei konnte er dann auch beweisen, dass er eine eigene, von Dir abweichende Meinung hat, da Du ja heutzutage eine konsequente pazifistische Haltung hast. Dieses weiß auch Mutti – vielmehr ich weiß es von Mutti. Sie hat das Mitte letzten Jahres,
als Du noch Taxi fuhrst, erfahren. Da war Tommy mal besoffen und hatte einen Moralischen. Sie wollte mit Dir immer darüber reden; aber nicht zwischen Tür und Angel. Dann könnte, wie sie befürchtete, der Schuss nach hinten losgehen. Sie fürchtete, dass es möglicher Weise zu einem deftigen Streit führen könnte und dass dann alle Stricke endgültig reißen. Aber leider war nie die Möglichkeiten mit Dir zu sprechen – Du warst immer so weit weg. Jetzt habe ich schon so viel geschrieben und letztlich noch nicht mal den Hauptgrund für meinen bevorstehenden Weggang genannt. Aber alles was ich bisher schrieb musste ich einfach loswerden. Dabei wollte ich niemanden Vorwürfe machen, weder Dir noch Mutti noch Tommy und selbst Deiner Marianne nicht. Ich habe das Gefühl, dass man nur mit der Wahrheit und Ehrlichkeit, helfen kann. Lieber Vati, denke daran, dass Du im Moment nicht aus eigener Kraft helfen kannst. Du kannst Dir nicht selbst und allen anderen helfen. Du bist selbst schwer getroffen und liegst am Boden. Aber mein Wunsch ist es, in Dir die Bereitschaft sich helfen zu lassen geweckt zu haben. Wende Dich bitte, bitte an Menschen die Euch helfen können und wollen aber mach nichts, was einem von Euch Schaden könnte. Dieses schreibe ich auch in Hinblick auf Marianne Berghoff-Klettner. Sie ist zwar Millionärin aber ein sehr armer Mensch. Viele Sozialhilfeempfänger sind besser dran als sie; dieses sind freie Menschen und kein Besitzstand eines reichen Mannes. Wende Dich auch an den, der Dir zu allererst helfen kann und dieses auch will, weil er uns alle liebt: Bete zu Gott dem Herrn. Er wird Dir und allen anderen helfen. Das ist meine feste und ehrliche Überzeugung. Aber macht Euch keine Vorwürfe wenn Ihr mich zu Grabe bringt. Ihr seit es nicht, die mich zu meinen endgültigen Entschluss geführt habt. Ich kann das Mobbing im Krankenhaus nicht mehr ertragen. Mobbing ist so gemein und brutal. Ich bin meiner Würde beraubt worden, man hat mir das Rückgrat gebrochen. Auf keinen Fall möchte ich noch mal ins Städtische Krankenhaus. Da kann ich nicht mehr atmen. Man hat mich dazu gebracht, dass ich mich vor allen Menschen schäme, auch vor denen die ich nicht und die mich nicht kennen. Man hat mich so schlecht gemacht, als wäre ich zu dumm einen Eimer Wasser umzuschmeißen. Warum machen die Leute nur so etwas? Warum wird denen denn nicht bewusst, dass es sich nicht um kleine Scherze am Arbeitsplatz sondern brutale schwere Körperverletzung handelt. Körperliche Schmerzen kann man mit Alodan, Dipidolor, Dolantin, Valoron N und andere Opiate bekämpfen, linderen oder sogar stillen. Wenn körperliche Wunden heilen lässt der Schmerz nach und hört letztendlich ganz auf. Seelische Wunden heilen aber nur schwer oder gar nicht. Sie schmerzen mehr und gegen sie gibt es nur Mittel deren garantierte Nebenwirkung die Zerstörung der Persönlichkeit ist. Wer mal auf Psychopharmaka angewiesen war ist erledigt, er wird nie mehr derjenige sein, der er mal war. Das Schlimmste am Mobbing ist, dass dieses letztendlich den Menschen formt. Du stehst tatsächlich auf einmal in der Ecke in die man Dich gestellt hat. Wenn Du immer beobachtet wirst und man dir jeden kleinen Patzer verächtlich vorwirft werden die kleinen Patzer zur Normalität und große bleiben nicht aus. Du kannst Dir gar nicht vorstellen, was ich in der letzten Zeit für einen Scheiß gebaut habe. Das ich Verordnung verwechsele oder Proben, die ich ins Labor bringen soll, hinschmeiße ist bei mir schon an der Tagesordnung. Dabei werde ich zunehmend immer empfindungsunfähiger. Ich glaube ich könnte total nackt in der Stadt spazieren gehen ohne das sich in mir was rührt. Und nun Adieu Vati, du bist so weit weg. Behalte mich immer in Deinem Herzen und habe mich lieb. Lass mich immer Deine kleine Tochter, Deine liebe Tina sein. Spreche bitte ein Gebet für mich. Und nun endgültig Adieu, Deine Dich liebende Tina Soweit der abgeschriebene Brief Christinas. Natürlich habe ich ihn beim Eingang nicht gleich von A bis Z gelesen und natürlich auch nicht „ausgewertet“, denn ich geriet beim Anlesen in Panik und dann ... Ach, lesen wir diesbezüglich das nächste Kapitel. Bei einem späteren Überdenken des Briefes wackelten mir noch einmal kräftig die Knie. Ein langer Brief in einem Stiel der in der Regel 22-jährigen Menschen nicht zu eigen ist. Er ist konsequent sachlich gegliedert. Tina war eine Befürworterin der neuen deutschen Rechtschreibung und schrieb normalerweise Pronomen klein. Ich hatte jedoch mehrfach in Gesprächen meine Meinung, dass ich die Großschreibung von persönlichen Anreden in Briefen für einen für mich selbstverständlichen Akt der Höflichkeit halte. Das hatte meine Tochter akribisch in ihrem Brief beachtet. So etwas entsteht nicht spontan, so etwas schüttelt sich niemand aus dem Ärmel. Das war durchdacht und reiflich überlegt. In ein welches tiefes Tränental war sie gefallen. Auch wie dieser Brief auf mich wirkte ist sonderbar: Ich fühlte mich im höchsten Maße schuldig und gleichzeitig unschuldig. Ein solches Gefühl hatte ich bis jetzt noch nicht erlebt.
Zum Kapitel 15
Zum Inhaltsverzeichnis
Wen Gott nicht will, den nimmt er nicht Wer will es mir verübeln, dass ich beim Anlesen von Christinas Brief laut aufheulen musste. „Pepe, mein lieber Pepe, was ist denn?“, hörte ich Mariannes Stimme wie aus einer anderen Welt. Ich merkte wie sie mich fest in die Arme schloss und mich auf unser Zimmer führte, wo ich mich erst mal auf das Bett schmiss und mich richtig ausheulte. Dabei habe ich, wie ich später von Marianne erfuhr – selbst ist mir das gar nicht bewusst – immer wieder „Tina, kleine liebe Tina, geh nicht weg, bleib hier“ geschluchzt. Als ich langsam wieder zu mir kam fragte mich Marianne besorgt: „Was ist denn Pepe? Was ist mit Christina?“. „Die hat mir gestern diesen Brief geschrieben.“, berichtete ich mit schluchzender Stimme, „Wenn er ankommt, so schreibt sie, sei sie bereits tot. Sie will aus dem Leben scheiden. Da sie medizinische Vorkenntnisse besitzt, fürchte ich das alles zu spät ist.“. „Kannst Du jetzt überhaupt Auto fahren?“, fragte sie mit besorgter Stimme. Nachdem ich „Denke schon“ geantwortet hatte fuhr sie fort: „Dann fahr jetzt ... aber bitte vorsichtig, zu Christinas Wohnung. Vergesse bitte Dein Handy nicht. Ich werde versuchen Deine Frau zu erreichen und vorsichtig nachfragen, ob sie was weiß.“. Während ich mich fertig machte, hatte Marianne schon die Aufgabe, die sie sich vorgenommen hatte, erledigt. Sie hatte meine Frau auf Anhieb in unserer Wohnung erreicht. Was mir später erst bewusst wurde, dass die beiden zum erstenmal im Leben miteinander gesprochen hatten. Direkt erstaunlich wie vernünftig die beiden jetzt miteinander kommunizierten. Ich wollte, als ich merkte, dass die Verbindung zustande gekommen war, gleich an den Apparat aber Marianne wimmelte mich ab. Nachdem sie aufgelegt hatte sagte sie mit ruhiger Stimme: „Pepe, fahr zu Hause vorbei und hole Deine Frau ab. Christina lebt und liegt im Christopherus. Es soll ihr schon wieder ganz gut gehen. Deine Frau will mit Dir dort hinfahren.“. Dann gab mir meine Geliebte einen Kuss und ließ mich gehen. Als ich eine Viertelstunde später Katharina im Wagen sitzen hatte, erfuhr ich von ihr erst mal was passiert war. Als Christina ihre „Post“ erledigt hatte, kehrte sie in ihre Wohnung, in der sie jetzt sterben wollte, zurück. Dort trank sie eine Mixtur, die sie hätte sanft einschlafen und nicht mehr aufwachen lassen.“ Jetzt lassen wir Katha mal wörtlich berichten: „Wen Gott noch nicht will, den nimmt er nicht. So musste es passieren, dass im Hausflur ein kleines türkische Mädchen gestürzt war und sich dabei den Kopf aufgeschlagen hat. Die Leute haben gleich einen Krankenwagen und Tina, von der sie wussten, dass sie Krankenschwester ist, gerufen. Unsere ‚Kleine’ ist dann, so hilfsbereit wie sie ist, gleich zum verunglückten Mädchen gegangen und hat dabei zum Glück die Wohnungstür weit aufgelassen. Als die Krankenwagenfahrer kamen stand sie still, auf den Beinen wackelten, im Flur und verdrehte die Augen. Die Sanitäter haben gleich richtig gehandelt. Erstens haben sie sie, die nicht mehr auf Ansprechen reagierte, auch gleich mitgenommen ... und nicht nur sie sondern auch die Mülltüte aus ihrem Abfallbehälter. Einer von den beiden Sanitätern hatte einschlägige Erfahrung und wusste, dass man nur helfen kann, wenn man weiß was eine Selbstmörderin zu sich genommen hat. Man hat ihr dann im Christopherus den Magen ausgepumpt und ihren Körper entgiftet. Sie hat eine Bluttransfusion erhalten. ... Gleichgültig was zwischen uns beiden ist, hätte ich dich gleich informiert, wenn ich früher davon erfahren hätte. Das Christopherus hat aber eben erst angerufen ... ich war auch heute Nacht nicht zu Hause – und als ich aufgelegt hatte war dein ‚Liebchen’ am Apparat. Sie war ja ganz nett ... ein Vamp ist das bestimmt nicht. Allerdings weiß ich jetzt auch nicht mehr. Wir werden es ja gleich erfahren.“. Als wir im Krankenhaus eintrafen schlief Christina. Laut Arzt, mit dem wir gesprochen hatten, war sie sehr erschöpft und würde wohl lange in den Tag hineinschlafen. Es wäre insgesamt besser, wenn wir sie schlafen ließen und dann schlug er uns vor, es am Nachmittag noch mal zu versuchen. Also zogen wir unverrichteter Dinge wieder ab. Als ich Katharina wieder zuhause absetzte verabredete ich mich mit ihr für 2 Uhr wieder in unserer Wohnung. Wenn vorher etwas wäre wollten wir uns telefonisch miteinander verständigen. Vor Zwei war aber nichts und so traf ich dann überpünktlich zum verabredeten Zeitpunkt ein. Gerade in diesem Moment hatte das Krankenhaus bei Katha angerufen. Christina sei sehr unruhig und darauf habe man ihr noch mal etwas zum Schlafen gegeben. Es wäre wohl beidseitig besser, wenn wir an diesem Tag auf einen Besuch verzichten würden. Sie gaben uns diesbezüglich die Auskunft, dass sich ihre Unruhe eingestellt habe, als Tina erfahren hatte, dass ihre Eltern bald zu Besuch kämen. Es wäre wohl besser, wenn erst ein Psychologe mit ihr gesprochen habe, bevor wir kämen. Also standen wir jetzt da wie bestellt und nicht abgeholt. Ich hatte inzwischen Christinas Brief vollkommen gelesen und äußerte den Wunsch mit Katha jetzt reden zu dürfen. Das Gleiche kann ich jetzt von meiner Frau berichten. Auch sie hatte ihren Brief gelesen und sah Veranlassung mit mir zusprechen. Deshalb bat sie mich im Wohnzimmer Platz zu nehmen. Nur unsere Intuitionen zum Gespräch waren unterschiedlich. Ich wollte mich mit Katharina aussprechen und sie ... . Ach lassen wir sie selbst sprechen: „Pepe, du hast ja auch einen Abschiedsbrief von Tina erhalten und ich nehme mal an, dass sie darin genauso offen und ehrlich war wie in den Schreiben an mich.“. Ich unterbrach sie nicht sondern bestätigte mit einem Kopfnicken und ließ sie weiter sprechen: „Eine Konsequenz habe ich schon gezogen. ... Ich habe Rainer Goldmann im Krankenhaus angerufen und ihm gesagt, dass er sich bei mir nie wieder blicken lassen darf. Ich habe ihm gesagt, dass ich erst eine Nacht darüber schlafen möchte, bis ich entscheide, ob ich ihn anzeige.“. Bei diesem Punkt schöpfte ich Hoffnung und wollte mit meinem Anliegen beginnen. Sie ließ mich aber nicht zu Wort kommen und fuhr fort: „Lass mal, Pepe. Ich weiß, was du jetzt sagen willst. Aber daraus wird nichts. Wir beide haben uns mit zu viel Schuld beladen. Ich mache dir keine Vorwürfe ... ich bin es ja selbst gewesen, der dir den Weg zurück
verbaut hat. Wäre ich nicht so stur gewesen, wäre heute ...“. Jetzt ertränkten ihre Tränen ihre Worte. Ganz unwillkürlich hob ich, der ich ihr gegenüber saß, meine Hand und strich ihr über die Haare: „Ach Katha, du bist es bestimmt nicht gewesen. Das war alleine ich. Ich war der kleine Trotzkopf, der das Spielzeug, dass er am Meisten liebt, vollkommen zerstörte. ... Katha, ich liebe dich.“. Sie wischte sich ihre Tränen aus den Augen: „Pepe, ich liebe dich auch. Aber trotzdem kann es nie mehr so sein, wie es mal war. Wir haben verloren und müssen uns jetzt der Niederlage stellen. Bei allen anderen Dingen würden wir es nur schlimmer machen und immer mehr Leute mit reinreißen. Bisher glaubte ich, deine Eskapaden wären die Launen einer nicht ausgelasteten Millionärin. Heute weiß ich, dass deine Marianne selbst eine Frau ist, der es wirklich nicht so rosig geht wie es aussieht. Sie wird gequält und unterdrückt. Und du bist keine Laune von ihr sondern sie liebt dich wirklich. Du bist neben ihrem Sohn der einzigste Mensch den sie hat. ... Und ich kann sie verstehen, dass sie dich liebt, denn ...“. Und jetzt weinte sie erneut; auch mir war es irgendwo ganz rührig. Leise fuhr Katha jetzt fort: „So leid wie es mir tut, aber ich bin der Meinung, dass wir jetzt endgültig auseinander gehen sollten ... bevor wir noch weiteren, nicht wieder gut zumachenden Schaden anrichten. Wir sollten Freunde bleiben aber jetzt erst mal jeden Kontakt, der nicht unbedingt nötig ist, miteinander meiden, damit wir nicht durch die Gefühle, die wir ja immer noch für einander empfinden, in eine Falle tappen. Wenn du dich scheiden lassen möchtest, stehe ich dir nicht im Wege. Andersherum sehe ich im Moment dazu keine Notwendigkeit, denn ich werde mich wohl nie mehr im Leben an einen anderen binden. So gesehen wäre die Scheidung für mich sowieso nur ein formaler Akt, der nur gegebenenfalls bei unseren Kindern was auslöst, was wir nicht wollen. Sie sind zwar jetzt erwachsen aber die emotionalen Eltern-Kind-Bindungen sind unverändert stark.“. Jetzt musste ich sie doch mal unterbrechen: „Katha, auch ich werde nichts in Richtung Scheidung unternehmen. Im Übrigen hast du ja im Großen und Ganzen recht aber ich kann und will die Hoffnung nicht aufgeben. ... Vielleicht wird doch noch mal alles gut. Es gibt so viele Wunder auf der Welt. Warum sollte uns nicht auch mal ein klitzekleines davon erreichen.“. Nach einem nachdenklichen Kopfschütteln sagte sie dann dazu: „Ach Pepe, ich glaube nicht mehr, das aus uns noch mal was werden kann. Aber ich möchte hinsichtlich der Kinder noch was mit dir abklären. Ich bitte dich, dass du dich intensiv um Tina kümmerst und ich mache diese hinsichtlich Tommy. Dafür habe ich auch meine Gründe: Es war Rainer Goldmann, der Tina letztlich erledigt hat. ... Und der Dreckskerl ist doch wohl mir anzulasten. Daher nehme ich an, dass du mehr Zugang zu ihr hast. Andersherum ... und jetzt will ich dir nichts Böses, dürftest du im Moment für Tommy das rote Tuch sein. Es wäre besser, wenn du ihm gegenüber derzeitig Zurückhaltung übst.“. „Es schmerzt mich zwar aber ich muss dir leider recht geben.“. Nach einer nachdenklichen Pause musste ich doch noch was anhängen: „Katha, verstehe es jetzt bitte nicht falsch aber ich habe das Bedürfnis dich noch ein Mal in den Arm zunehmen, ein letztes Mal nach bald 28 Jahren, und zu küssen.“. Sie schaute erst auf den Tisch und nach ein kleiner Pause sagte sie: „Komisch, ... ich auch.“. Wir standen auf, umarmten und küssten uns und danach flossen bei uns die Tränen. Ein Ende nach einer so langen Zeit, einer Zeit die doch überwiegend aus glücklichen Momenten bestand. Am Nachmittag saß ich mit Marianne im Garten der Villa auf einer Bank zusammen. Auch hier sah ich es jetzt für angebracht ins Reine zu kommen: „Marianne, ... du hast sicherlich gesehen, dass Tina mir einen dicken Abschiedsbrief geschrieben hat?“. Sie unterbrach mich: „Sicher und mir ist auch klar, dass sie dir das erzählt hat, was sie Vertrauliches von mir weiß. ... Und ich habe jetzt ganz, ganz große Angst, dass ich dich verliere. Bitte, bitte Pepe lass mich jetzt nicht allein ... Obwohl ich dich ganz gut verstehen könnte, wenn du mir jetzt einen Kuss gäbest ... oder auch nicht – und Tschüss sagtest.“. „Nein, Mariandel“, erwiderte ich ihr, „ich lass dich nicht allein ... jetzt nicht. Aber bitte verzeih mir, dass ich dir dieses nicht für alle Zeiten versprechen kann. In diesem Fall ist es doch gut, dass niemand von uns in die Zukunft sehen kann. ... Aber ich bitte dich; stehe auch du mir bei und mache keine Dummheiten.“ Zum Zeichen dass sie verstanden hatte umarmte sie mich und küsste mich ganz zärtlich. Am nächsten Tag, konnten Katharina und ich Christina besuchen. Ihr sonst so fröhliches Gesicht wirkte kalt und ausdruckslos. Die Augen, die sonst immer so hoffnungsvoll leuchteten wirkten irgendwie erloschen. „Tina, Engelchen, wie geht es dir?“ eröffnete Katha das Gespräch. Fast abfällig sagte die Befragte nur „Gut“. Irgendwie wollte kein Gespräch aufkommen. Ich erinnerte mich an „unseren“ Hochzeitstag, wo mich Josef Köster nur dadurch, dass er mich ausreden ließ, aus dem tiefen Tal holte und wollte Christina zum Sprechen ermuntern. Mit „Ich habe euch doch alles geschrieben“ wimmelte sie dieses jedoch ab. Einzig die Mitteilung, dass Katharina Goldmann unter Androhung einer Strafanzeige in die „Wüste geschickt“ hatte ließ ein Wenig Freude bei ihr ersichtlich werden. Katharina und ich hatten uns am Tage zuvor vorgenommen sie jetzt über die „Kinderaufteilung“ aufzuklären. Dieses nahm sie uns aber vor ab, in dem sie sich an Katha wandte: „Mutti, sei mir nicht böse. Ich liebe dich und sage jetzt nicht das letzte Wort, aber wenn es mir schon nicht möglich ist, diese ungastliche Welt zu verlassen, dann möchte ich mich doch im Moment nur noch auf nur wenige Menschen und auf Fremde, die mich können wenn sie wollen, konzentrieren. Ich möchte im Moment nur mit einem von euch beiden zutun haben. Neben und in dir sehe ich immer den Verbrecher Goldmann. Das verstehst du doch bitte.“. Kathrina nickte und reichte ihr wortlos mit Tränen in den Augen die Hand. Dann reichte sie mir noch die Hand „Leb wohl, Pepe. Es war doch schön mit dir.“. Dann wischte sie sich die Tränen aus den Augen und verließ ohne weitere Worte den Raum. In einer melancholischen Art dachte ich an den Schlager „Dann fiel die Türe zu, zu Ende war mein schönstes Rendezvous“.
Katharina war soeben draußen, äußerte sich Christina dahingehend, dass sie Marianne zu sprechen wünsche und ich sie bitte holen möchte. Ich fand da jetzt nichts böses daran und kam dem Wunsch im Zuge eines Fürsorgetriebes sofort nach. Unmittelbar nach dem ich das Krankenhausgebäude verlassen hatte, setzte ich mein Handy in Gang und informierte Marianne schon vorab. Diese kam mir dann schon vor der Villa entgegen und so waren wir auch im Handumdrehen wieder zurück. Nachdem ich dann mit Marianne in Christinas Krankenzimmer eingetreten war, hellte sich ihr Gesicht ein Wenig auf: „Hei Marianne, ich freue mich, dass du gekommen bist. ... Vati, entschuldige, ich möchte mit Marianne alleine sprechen. Kannst du uns eine Weile allein lassen.“. Mit den Worten „Sicher doch mein Schatz, ich tue alles für dich“ verließ ich das Zimmer – und saß dann wie ein armer Tor über eine Stunde wartend auf dem Flur. Als Marianne dann wieder rauskam, hatte ich noch die Chance mich von meiner Tochter, die jetzt den Wunsch zu schlafen hatte, zu verabschieden. Jetzt tröstlich für mich waren ihre Worte: „Vati Tschüs, ab Morgen bleiben wir beide ja beieinander, dann können wir ja noch genug miteinander reden.“. Schon auf dem Flur ergriff Marianne das Wort: „Pepe, gibt es hier in Bergdorf eigentlich ein Café wo wir in Ruhe sprechen können.“. „Ja, gleich hier um die Ecke, die profitieren vom Christopherus.“, erwiderte ich, „Aber das wäre was Neues, wenn du mit mir hier in der Öffentlichkeit auftrittst ... Hast du daran gedacht?“. „Ja, Pepe,“, begann sie mit einem schweren Aufatmer, „mir ist mittlerweile fast alles scheiß egal. Ich würde mich jetzt sogar bei dir auf den Schoss setzen oder ...“. Sie umarmte mich und knutschte mich doch prompt in der Eingangshalle des Krankenhauses ab und danach fuhr sie fort: „Christina hat mir gesagt, dass du von meinem Erpressungsversuch weißt. Na ja, so ist es halt. Vielmehr müsste du von zwei Erpressungsversuchen wissen, denn dass ich mich totsaufen will, ist ja auch eine Erpressung – oder? Aber andersherum werde ich jetzt auch erpresst ... und zwar von Tina – und genau darüber will ich jetzt mit dir reden.“. Irgendwie war ich doch erschrocken, aber sie nahm mich kurz in den Arm um mich kurz an sich zu drücken und sagte: „Nicht so schlimm, Schatz.“. Im Café erfuhr ich dann, dass Christina nicht nur wusste, dass Marianne ihren Mann eine Million abpressen wollte um mit mir durchzubrennen sondern auch womit sie dieses machen wollte. Jetzt erfuhr ich von Marianne, dass Tina, wo man sie nicht hat von dannen ziehen lassen, sich jetzt an allen rächen will, auch an mich und an Marianne. Insbesondere soll Goldmann von ihrer Rache getroffen werden, aber was sie da vor hat, wollte sie Marianne nicht verraten. Mich jedoch wolle sie für alles demütigen was ich getan habe. Dazu wollte sie unbedingt in Verenas Nachfolge als Haus- und Lustmädchen treten. Das haute mich vom Hocker und ich äußerte ganz erregt: „Mensch, das kannst du doch nicht machen, Mensch das ist meine Tochter.“. Ich muss wohl etwas lauter gewesen sein, denn andere Gäste schauten zu uns herüber. Mariannes Antwort kam dagegen einige Nuancen leiser: „Leider, leider. Aber ich habe keine Wahl, denn Tina droht nicht nur damit, dass sie mich bei unserem Arsch verpfeift, sondern auch damit, dass sie dann, zu einem von ihr ausgewählten Zeitpunkt, einen weiteren, dann aber treffsicheren Selbstmord unternehmen will. Meine Güte, was mir passiert ist mir langsam Jacke wie Hose aber wenn Tina was passiert, das würde ich mir nie verzeihen. Und wenn wir sie auf dem scheiß Job im Hause haben, können wir jedenfalls auf sie aufpassen. ... Denke auch daran, dass deine Frau dir Tinas Tod nie verzeihen würde.“. Jetzt musste ich auch erkennen, dass sie auf dem ersten Blick recht hatte und wir überlegten tatsächlich über 2 Stunden ob wir einen Ausweg fänden – aber wir suchten vergebens. Der Zufall wollte es, dass der Herr über unser Unglück, Big Klettner, in seinem Reich war. Er musste in der Nacht bereits um 3 Uhr wieder raus, da er mit einen Flieger zu Geschäftverhandlungen in Nahost musste oder wollte. Ich legte mich, so traurig wie ich war, aufs Bett und grübelte über Auswege aus unserer Misere nach. Marianne begab sich in die Höhle des Löwens. Es dauerte anderthalb Stunden bis sie wieder erschien: „Alles klar, der Alte ist einverstanden. Tina soll auf Michaels Zimmer wohnen, was mir in diesem Fall auch lieber ist. Aber ich weiß nicht, wohl ist mir bei der ganzen Sache nicht.“. Sie legte sich ebenfalls vollkommen angezogen aufs Bett. Traurig nahmen wir uns in die Arme und schliefen ein. Wir müssen so fertig gewesen sein, dass wir, obwohl es zum Zeitpunkt, wo Marianne sich auch auf das Bett gelegt hatte, noch früh war, die ganze Nacht durchgeschlafen haben. Irgendwie müssen wir unbewusst des Nachts unter unsere Decken geschlüpft sein, aber ansonsten waren wir am nächsten Morgen, als zunächst ich kurz vor Sechs wach wurde, noch vollkommen angezogen. Da Big Klettner nicht vor Ort war konnte an diesem Fall das Frühstücksritual ausfallen. Für uns, die wir hier im Hause im Grunde die Aufgabe der Bewohner und Ab-und-zu-Befehls-Empfänger hatten, war so etwas immer eine Art von Freiheit und Abenteuer. Dann konnten wir uns den Tag immer nach individuellen und menschlichen Bedürfnissen und Ermessen einteilen. Kein abstrakter Zeitplan, der zum einen nur den genannten Selbstzweck hatte und zum anderen dafür sorgen sollte, dass es keine, für viele heutige Menschen unerträgliche Leerräume zum Stehen bleiben und zur Besinnung gab – man könnte ja die Unsinnigkeit seines Handelns durch Nachdenken feststellen können -, diktierte unsere existenziellen Abläufe. So konnten wir uns überlegen ob wir vor der Morgentoilette erst mal Frühstücken wollten, ob wir dieses Frühstück auf dem Zimmer oder in dem Raum für Mahlzeitenrituale einnehmen und ob wir während des Frühstückes ein Blick in die Zeitung werfen oder ob wir miteinander sprechen wollten. Eines war durch unsere außergewöhnliche Bettkultur der letzten Nacht vorgegeben: Heute mussten wir uns erst mal vor der Morgentoilette unserer Tageskleidung entledigen um nachher eine andere anzulegen. Wer immer zu abstrakten Abläufen gezwungen ist empfindet natürlich solche Freiräume richtig erleichternd.
Für mich gab es auch innerlich Erleichterung mit schwerwiegenden Wermutstropfen, die es dann nicht zuließen, dass auch Freude aufkommen konnte: Meine Tochter lebt und soll heute schon wieder aus dem Krankenhaus entlassen werden. Sie wird hier, in der für sie zur Zeit sichersten Umgebung, in meiner Nähe sein. Das sie als Hausmädchen einer halbwegs sinnvollen Tätigkeit nachgehen würde wäre ja auch nicht beanstandenswert gewesen. Das sie aber als Lustmädchen Schickimickis auf Klettners stereotypen Partys aufgeilen sollte, und das schon gleich erstmalig am folgenden Samstag, legte mir doch einen dicken Kloß auf den Hals. Dass das Ganze auch noch vor meinen Augen ablaufen sollte war mir fast unerträglich. Dann war es für mich natürlich auch erleichtern, dass diese Type von Goldmann meiner geliebten Frau nicht mehr an die Wäsche gehen konnte. Aber was nützte es mir, denn meine Frau hat mich, so wie es nach dem derzeitigen Stand aussieht, rausgeschmissen und sich wohl endgültig von mir getrennt. Ich wollte es immer noch nicht wahr haben. Die dritte von mir empfundene Erleichterung bezieht sich auf Marianne. Zum ersten Mal seit Bestehen unserer Beziehung war mir bewusst, dass sie nicht nur eine Frau die mich gebrauchte war sondern auch eine die mich brauchte. Aber der diesbezügliche Wermutstropfen war, dass diese Erkenntnis meine Fesseln hier im Golden Käfig eine Nuance stärker angezogen hatte. Diese Überlegungen stellte ich natürlich nicht nur zur Aufstehzeit sondern den ganzen Tag über an. Aber ansonsten hatten wir heute für Pardiesvöglchen außergewöhnlich viel zutun. Michaels Zimmer musste ausgeräumt werden. Christina sollte kurz vor Mittag aus dem Christopherus abgeholt werden. Dann war Tinas Umzug von ihrer Wohnung hier in die Villa vorgesehen. Dann musste sie von Marianne in ihre Hausmädchentätigkeit und diesbezüglich auch in die Räumlichkeiten der Villa, die ich bis heute noch nicht vollständig kenne, eingewiesen werden. Mein persönlicher Vorsatz war es auch jede Gelegenheit zu nutzen, sie von ihrer Lustmädchenbereitschaft abzubringen. Wenn alles nichts nutzt, bliebe Marianne dann nichts anderes, als Christina auch in Sachen Animation und Prostitution zu unterweisen. So wie jetzt beschrieben lief es dann auch tatsächlich ab; leider auch in Bezug auf die „Partypornogeschichte“. Auch der Samstag begann zunächst mal lässig, denn der Gebieter über toten Protz und den darin eingesperrten Menschen traf erst zwischen Zehn und Elf wieder in seinem Reich ein. Über Mittag lief dann das von ihm vorgeschriebene Hofzeremonielle ab und gegen Drei holte der Herrenfahrer das Millionärsehepaar zu externen Repräsentationen ab. Jetzt war ich mit meiner Tochter allein in diesem, von mir inzwischen als hässlich empfundenen, Kasten. Bisher war es noch nicht zu einem richtigen Gespräch zwischen uns beiden gekommen; immer wieder war sie mir ausgewichen. Mit der Befürchtung, dass es jetzt zu einem weiteren Ausweicher kommt, versuchte ich trotzdem zum Zwecke eines Vieraugengespräches an sie heranzukommen. Diesmal sagte sie mir zu meiner Freude und Überraschung: „Ja Vati, ich möchte auch mit dir reden. Lass mir aber eine Viertelstunde Zeit, dann komme ich auf euer Zimmer.“. In Vorfreude auf unser Gespräch wartete ich also auf mein Töchterchen. Aber welch ein Schreck als sie hereinkam. Sie hatte ihren Dress für den Höhepunkt des Abends angelegt. Es war von Klettner vorgesehen, dass sie zu Beginn des Abends im durchsichtigen Hausmädchenlook mit darunter befindlichen knappen leuchtenweißen Slipper und BH starten sollte. Zu einem Zeitpunkt X sollte erst mal der BH entfallen und zum Höhepunkt war dann vorgesehen, dass sie dann nur noch mit Serviererinnenhäubchen und Stöckelschuhen auftreten sollte. Und im letztgenannten Look stand sie nun vor mir. Seit ihrer Kindheit hatte ich meine Tochter nicht mehr nackt vor mir gesehen. So zwischen 8 und 10 wurde sie zunehmenst schamiger und prüder, insbesondere ihren Eltern gegenüber. Da haben wir nichts Schlimmes sondern eine normale und irgendwo auch vernünftige Entwicklung drin gesehen. Zum ersten Mal sah ich sie als hüllenlose reife Frau vor mir stehen. Das Einzige was mir auf Anhieb auffiel war der, im Gegensatz zu ihrer Mutter, recht üppige Busen aber ansonsten zwang mich irgendetwas in mir nicht richtig hinzusehen; da war eine instinktive Blockade aufgebaut. „Warum machst du das?“, fragte ich sie spontan. Locker als läge nichts Besonderes an antwortete sie: „Ich muss mich für heute Abend abhärten. Gegenüber den fremden Geldmöpsen heute Abend halte ich mich doch für abgebrüht genug, da macht mir alles nichts mehr aus. Aber du bist ein dickes Hemmnis für mich. Und damit ich dann nicht versehentlich ausflippe übe ich jetzt schon mal.“. Die Begründung war logisch aber das war nicht die Antwort die ich haben wollte und setzte deshalb nach: „Ach Tini, Mäuschen, das verstehe ich. Was meinst du wie es mir geht. Aber ich meinte mit meiner Frage jetzt nicht dein jetziges Auftreten sondern ich meinte es allgemein. Warum willst du hier unbedingt das Animiermädchen spielen?“. „Da sprichst du gerade das Richtige an.“, setzte sie jetzt vorwurfsvoll fort, „Packe dich doch mal an die eigene Nase und frage dich, warum du es machst. Hast du es nötig gehabt, hier den Lover abzugeben? Warum bist du nicht frühzeitig, als du merktest, das du auf dem falschen Dampfer warst ausgestiegen? Zumindestens ich habe dich, soweit ich konnte, gewarnt. Ich habe zu dir gehalten. Was bist du auf einmal so ein Waschlappen und nicht mehr der Mann, den ich als Vater verehrt habe? Ich mache das jetzt weil ich dir einen Spiegel vorhalten will und weil ich es allen, die zu meinem persönlichen Unglück beigetragen haben, zeigen will. Und da kann mich jetzt keiner von abbringen. Selbst wenn ich dafür meine Seele verkaufen muss, Gott wollte sie ja nicht.“. Ich musste erst einen Moment nachdenken bevor ich ihr antwortete: „Schatzi, was deine Seele anbelangt möchte ich dir wiedergeben was Mutti am Donnerstag gesagt hat: ‚Wen Gott noch nicht will, den nimmt er auch noch nicht.’. Du hast deine Aufgabe noch nicht erfüllt, die Zeit ist noch nicht reif. Aber warum willst du dich jetzt rächen? Das ist doch gar nicht deine Art, das ist nicht deine Natur. Du weißt doch, dass Rache immer wieder neue Wunden schlägt, immer neue Schmerzen bereitet und der Wegbereiter für neues Unglück und neue Ungerechtigkeit ist. Beten wir nicht im Vater unser, dass uns der Herr uns unsere Schuld, unter der Bedingung das wir diese auch unseren Schuldigern erlassen,
vergeben soll? Es heißt doch: ‚Und vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben unseren Schuldigern’. Rache zerstört und Vergebung befreit. So lange du nach Rache sinnst ist dein Herz schwer, du wirst dein Unglück, dass dich martert nicht los. Wenn du aber vergibst bist du frei, dein Kopf ist wieder empfänglich für neue Dinge ... und das sind dann die schönen, die zur Besserung deiner Lage beitragen.“. An ihrem Gesicht sah ich, dass ihr das irgendwo klar war aber sie trotzte zurück: „Das hört sich alles so gut an ... von wegen Vergebung. Aber andererseits denk doch daran, das christliche Politiker Strafgesetze bis hin zur Todesstrafe befürworten ... siehe konservative Amis, das Pfaffen mörderische Waffen und ihre Bediener segnen und Christen als Richter und Soldaten bereit sind Rache sogar bis in den Tod zu üben. Alle die Leute machen das ja nicht so ohne jedes Nachdenken. Die gehen doch davon aus, dass sie Mord und Totschlag, Menschenrechtsverletzungen beenden und in der Zukunft verhindern wollen. Sagen die Befürworter des ‚Klaps auf den Po’ nicht, dass sie dem Kind begreifen lehren wollen? Vielleicht ist das alttestamentliche ‚Auge um Auge, Zahn um Zahn’ gar nicht so schlecht?“. Jetzt hakte ich ein: „Das ‚Auge um Auge, Zahn um Zahn’ ist schlecht weil Jesus das gesagt hat. Er hat dir befohlen, deinen Nächsten zu lieben. Das Strafen behält sich Gott vor. ‚Richtet nicht, auf das ihr nicht gerichtet werdet’. Das Jesus für unsere Sünden gestorben ist, heißt nicht, das wir jetzt eine generelle Absolution haben. Nicht nur viele sondern alle sind berufen aber nur wenige sind ausgewählt. Gott verzeiht den Leuten, die an ihn glauben, ihre Sünden bekennen und sich mühen keine zu begehen, alles – sogar Mord. Siehe doch wie Jesus am Kreuz zu seinem Nachbarn, einem Mörder sagte, dass er mit ihm noch am gleichen Tage im Himmel sein würde – sein Glaube hat ihn in letzter Minute geholfen. Aber wer selbst Gott spielt und andere zum Tode verurteilt, wer Anklopfenden die Springerstiefel oder das Abschottungsrecht (Asylrecht) ins Gesicht tritt, wer Hungernde als Faulenzer, die das wirtschaftlich untragbare soziale Netz ausnutzen, beschimpft, der ist nicht zum Leben berufen, seine Seele stirbt schon vor seinem Körper. Er ist tot obwohl er lebt. Für alle anderen gilt aber, dass unser irdisches Dasein nur die Schwangerschaft des wirklichen Lebens ist. Rachegedanken töten, töten den Menschen voll und ganz; nicht nur seinen Körper. Er tötet nicht nur andere sondern letztlich sich selbst ... und letzteres gründlich: seinen Körper und seine Seele. Hier kannst du dann sagen: Wen Gott überhaupt nicht will, den nimmt er nie. Willst du das?“. Wir diskutierten noch über eine Stunde. Irgendwo hatte ich auch das Gefühl, das meine Worte bei ihr auch auf fruchtbaren Boden fielen. Aber im derzeitigen Moment änderte es nichts an der bitteren Realitäten. Der Abend verlief wie von Klettner geplant. In mir kämpften Trauer, Wut und Verzweifelung um die Vorrangstellung in meinem Bewusstsein.
Zum Kapitel 16
Zum Inhaltsverzeichnis
Der Todesengel im Gewande Goldmanns Ein altes Sprichwort sagt, dass der Krug so lange zum Brunnen geht bis er zerbricht. Es kommt vor, dass dieser Krug schon beim ersten Brunnengang zerbricht, aber das ist nicht die Regel sondern die seltene Ausnahme. Standard ist, dass sehr viele Gänge vor dem Zerbrechen liegen. Zum Beispiel liegen statisch vor jedem Führerscheinentzug über 150 Trunkenheitsfahrten. So ist es auch bei „kleinen“ Serienstraftaten wie zum Beispiel Laden- und Taschendiebstahl aber auch bei großen Verbrechen wie Drogenhandel oder Steuerhinterziehung. Ob Besoffenfahrer, kleiner Ganove oder Kapitalverbrecher werden die Täter von Tat zu Tat immer dreister. Eine seltsame Fügung ist es auch, dass die bösen Leutchen oft nicht mit den Dingen erwischt werden, die sie da regelmäßig gegen Recht und Gesetzt treiben, sondern der dumme Zufall lässt sie durch Banalitäten oder anderen Dingen, denen man sie ab und zu sogar zu Unrecht beschuldigt, auffliegen. Da kann unser Freund Rainer Goldmann, der sich jetzt, zur Zeit meiner Niederschrift, in einer Justizanstalt zur Verbüßung einer langjährigen Haftstrafe befindet, sicherlich ein Lied von singen. Den Stein hatte damals unsere auf Rache sinnende Tochter Christina ins Rollen gebracht. Schließlich war es Goldmann, der die böse Mobbingattacke gegen Tina gestartet und geschürt hatte. Obwohl Mobbing grundsätzlich eine schwere Körperverletzung, oft sogar mit Todesfolge, darstellt kann man dabei leider selten mit strafrechtlichen Mitteln was ausrichten, denn Dank des „Korpsgeistes“ des Mobs ist es fast unmöglich da etwas aufzuklären. In dieser Richtung hatte Christina, der Mobbing beinahe das Leben gekostet hätte, schlechte Karten. Andererseits sind aber der Exhibitionismus und die Körperverletzung an Christina durch Goldmann in unserer Wohnung am Rosenmontag schwere Straftaten, zu denen es aber keine Zeugen gibt. Da wir zu diesem Zeitpunkt bereits im Mai 1999 waren und Tina erst zu diesem Termin mit einer Anzeige rauskommt, dürfte die Sache hinsichtlich Glaubwürdigkeit nicht gerade auf sichere Beine stellen. Und Neonazi zu sein ist, wenn man sich dabei nichts anderes zu Schulden kommen lässt, auch keine Straftat. Im Hinblick darauf, dass man dann möglicher Weise jeden zehnten Deutschen verurteilen müsste, kann man so gesehen sogar von Glück sprechen. Also kurz gesagt, hatte sie eigentlich nur Wenig oder sogar nichts gegen ihren Erzfeind in den Händen. Nun kannte sie Goldmann nicht nur privat ganz gut sondern auch als Kollegen. Hüben wie drüben lässt er immer den Macho raushängen. Gegenüber dem anderen Geschlecht fällt bei ihm so manches Wort was man im Volksmund als Anmache bezeichnet aber streng genommen schon eine sexuelle Belästigung darstellt. Es kommt immer nur darauf an, wo die Empfängerin die Grenze ziehen will. Andererseits ist er auch nicht immer Herr seiner Hände und Missgriffe liegen bei ihm an der Tagesordnung. Zwar hat Christina im Städtischen Krankenhaus in dieser Richtung mal dieses oder jenes mitgekriegt aber für eine Anzeige hätte das, wenn es nicht von den Betroffenen kommt, nicht ausgereicht. Aber Tina war so verbohrt in ihre Rachegelüste, dass sie alle „kleinen“ Vorkommnisse gegenüber Patientinnen zu solchen Taten, deren Aufklärung im öffentlichen Interesse liegen muss, hoch stilisierte. Während ihrer Hausmädchentätigkeit – als Lustmädchen war sie bis zum Tage des Versandes ihrer Anzeige nur am ersten Abend eingesetzt worden – nutzte sie jede freie Zeit um ein umfangreiches Papier für die Staatsanwaltschaft zu erstellen. Ich habe das, obwohl ich sehr bemüht war sie nach ihrem Selbstmordversuch immer im Auge zu behalten, gar nicht so mitbekommen. Wenn so etwas auf dem Schreibtisch des Staatsanwaltes landet, muss er der Sache zumindestens soweit nachgehen, ob an der Sache was dran ist oder nicht. Sollte nichts dran sein, kann – Quatsch, muss er sogar – gegen denjenigen oder diejenige vorgehen, die oder der die Anzeige erstattet hat. Andere fälschlicherweise Straftaten zu bezichtigen ist selbst eine Straftat. Deshalb hätte ich, wenn ich von Christinas Tun was mitgekriegt hätte, mich dafür verwendet, dass das Papier nicht rausgegangen wäre. Lotterien, Roulette und Lotto leben davon, dass Treffer, zwar mal mit höherer und mal mit geringerer Wahrscheinlichkeit, möglich sind. Einen solchen Treffer hatte Christina gelandet. Schon ganz zu Beginn der Ermittlungen stieß die Staatsanwaltschaft auf einen „dicken Hund“. Eine Dame bestätigte von Goldmann nicht nur sexuell belästigt sondern sogar im Krankenbett vergewaltigt worden zu sein. Der noch dickere Brocken kam bei der Frage, warum die Vergewaltigte nicht selbst und gleich Anzeige erstattet habe, auf den Tisch. Die Dame wollte nach diesem Auslöser ihr Gewissen erleichtern und legte selbst ein Geständnis ab. Sie hatte Goldmann beauftragt erst ihren Vater und dann ihren Großvater umzubringen. Insgesamt hatte sie ihm dafür 50.000 Mark gezahlt. Der Vater war mit komplizierten Dünndarmverschlingungen ins Städtische Krankenhaus eingeliefert worden. Er hatte starke Schmerzen und bekam dagegen Dipidolor. Goldmann hatte der Infusionslösung was beigemengt was zu seinem Tod führte. Zur gleichen Zeit lag der 92-jährige Großvater der Dame im gleichen Krankenhaus. Auch er bekam von unserem Freund Goldmann etwas, was ihn sicher ins Jenseits brachte. Dadurch kam die Dame, ohne Umweg über ihrem Vater, zu einem trefflichen Erbe. Nach diesem Volltreffer galt Christina als sehr glaubwürdig und man quetschte die von Tina als Opfer benannten Damen etwas gründlicher aus und dieses führte tatsächlich dazu, das man Goldmann in drei weiteren Fällen der sexuellen Belästigung anklagen konnte. Aber auch in anderer Richtung forschte man nach und Rainer Goldmann gestand letztlich aktive „Sterbehilfe“ in vier Fällen. Diese hatten alle gemeinsam, das es sich um ältere Erblasser handelte, Goldmann kräftig abkassiert hatte und dass der Täter Schriftstücke nachweisen konnte, dass die Opfer den Wunsch nach „humaner Sterbehilfe“ selbst „beurkundet“ hatten. Die Ermittlung ergaben jedoch, das seitens der angehörigen Erben kräftig nachgeholfen worden war. Man hatte den sehr kranken alten Menschen eingeredet, dass sie
bei einem Weiterleben eine Belastung für ihre nächsten Angehörigen und andere werden würden und dass die Angehörigen sich dann möglicher Weise zurückziehen würden. Goldmann hat dann den Opfer weiß gemacht, dass sie nach Rückzug der Angehörigen einsam sterben müssten. Na ja, dann haben sie lieber unterschrieben, dass sie umgebracht werden wollten. Umfragen haben ergeben, dass es in der deutschen Bevölkerung eine Mehrheit für eine aktive Sterbehilfe gibt. Ob diese Leute auch bedacht haben, dass dann dieses Nachhelfen zum Regelfall werden könnte und sie gegebenenfalls als Erblasser selbst betroffen sein könnten. Nicht würdevoll Sterben sondern schnell vom Leben in den Tod wechseln – schnell und sicher dank Dr. kill. McAbsahn, Facharzt für Giftmord und Erbbeschleunigung. Bevor ich jetzt weiter berichtete, möchte ich nur um eventuelle Nachahmer von Christinas Lotterie-Anzeige-Methode von dieser Sache abzuhalten, erst mal erwähnen, dass auch Tina einen Dämpfer erhalten hat. Bei einem Verhör musste sie zugeben, dass sie alle möglichen Fälle, wo etwas mit sexueller Belästigung vorgekommen sein könnte, zusammengetragen und ausgeschmückt hatte. Im Normalfall hätte sie jetzt selbst vor dem Kadi erscheinen müssen und hätte gegebenenfalls selbst mit Haftstrafe rechnen müssen. Man hat ihr ihren Selbstmordversuch und das vorher an sie ergangene Mobbing zu Gute gehalten. Sie dürfte sich nach Ansicht der Staatsanwaltschaft in einer psychischen Ausnahmesituation befunden haben und deshalb wurde das Verfahren gegen sie gegen Zahlung einer, für Tina saftigen Geldbuße eingestellt. Also, liebe Leser, nicht mit nackten Finger auf unschuldige Leute zeigen. Übrigens das Mobbing hat Goldmann, der so etwas für ein „kleine Späßchen“ hielt, indirekt gestanden. Er hat davon bei seinen Vernehmungen berichtet und – sogar richtiger Weise – behauptet, sie habe das Ganze aus Rache „zusammen gesponnen“. Im Falle Goldmann führte eine Spur sogar in das Haus Klettner, sogar ganz nach oben zu Hannsfrieder Klettner. Um andere mittels Spritze oder Mixtur hinüber zu befördern braucht man Mittelchen, mit denen man auch in Krankenhäuser auf Grund gesetzlicher Vorgaben doch recht pingelig umgehen muss; alle Verordnungen müssen dokumentiert werden. Auch ein Goldmann kam an diese Gifte nicht so einfach heran und nach den Unterlagen fehlte auch nichts bei den Krankenhausbeständen. Er musste das Gift also aus anderen Quellen haben und mit ins Krankenhaus verbracht haben. So war es auch, er hatte dieses von einer Firma in den Niederlanden, bei der Klettner Großgesellschafter ist. Goldmann muss ja irgendwie auf diese hier unbekannte Firma gekommen sein. Da er von seiner „politischen Arbeit“ Klettner ganz gut kannte, liegt da ja eine Mutmaßung nahe. Aber auch bei den Leuten, die Aufträge zum „Helfen beim Sterben“ erteilt hatten, konnte man in allen vier Fällen gelegentliche Kontakte zu Klettner feststellen. Aber nachweisen konnte man diesem Kerl leider nichts. Dieses war auch nicht, wie sich später rausstellte, der Gegenstand von Mariannes Erpressung. Ab jetzt kann ich in meiner Niederschrift den Todesengel in Gewande Goldmanns vernachlässigen, denn diesbezüglich spielte der Exlover meiner Frau in unserer Familie nur noch dahingehend eine Rolle, dass Christina und auch Katharina ein paar Mal im Zuge der Ermittlungen und einmal vor Gericht als Zeuge gehört wurden. Im Wesentlichen ging es dabei um Goldmanns Einstellung und Verhalten sowie um Dinge, die die beiden mitbekommen haben. Goldmanns Taten spielten für unser Schicksal keine Rolle mehr, was man von den Nachwirkungen seines Eindringens in unsere Familie allerdings nicht sagen konnte. In Bezug auf Letzteres sollte er uns noch ein Weilchen beschäftigen. Ich hatte ja schon geschrieben, dass es in der Zeit zwischen Christinas Einstand und der Abgabe ihrer Anzeige am Tag vor Himmelfahrt, ich glaube es war der 12.5.99, sie in der Villa lediglich als ordnungsgemäßes Hausmädchen fungierte. „Ordnungsgemäß“ kann ich hier sogar doppeldeutig nutzen: Einmal wurden von ihr keine Tätigkeiten bei denen man was Böse unterstellen konnte angedient und andererseits machte sie ihre Sache wirklich perfekt. Sie trat sicher und freundlich gegen jedermann, sogar gegenüber dem Fiesling Klettner, auf. Das führte bei dem sogar zu der Überlegung Christina zum Vorzeigehausmädchen zu befördern, das heißt, das er schon überlegte sie nicht mehr als Lustmädchen einzusetzen. Es war aber Christina selbst die ihre diesbezügliche Chance vereitelte. Als Haus- und Lustmädchen wurde sie offiziell auf 630-Marks-Basis geführt und nach außen behauptete Klettner, das sie nur zu den Empfängen „dienen“ würde. Schwarz auf die Hand zahlte er aber wirklich ein „nettes“ Sümmchen. Soweit, dass er ihr bei „nur“ ordentlicher Hausmädchenarbeit mehr als Tariflohn zahlen wollte, ging seine Liebe aber nicht. Immerhin stellt ein tariflicher Bruttolohn von 3.000 Mark aufgrund von Lohnnebenkosten, Lohnfortzahlungen, Urlaub und Weihnachtsgeld letztendlich einen deutlich höherer Betrag von 5.000 Märklein cash und schwarz auf die Hand da. Und wenn man sowieso Steuern hinterzieht stellt die steuerliche Behandlung von Löhnen als Betriebsausgabe keinen großen Anreiz zur Ehrlichkeit da. Man schimpft zwar gerne über Schwarzarbeiter aber die eigentlichen Übeltäter sind diejenigen die ein armes Würstchen auf krumme Touren beschäftigen. Nicht der Nehmer von Schwarzarbeit ist der gesellschaftliche Parasit sondern in erster Linie der Geber. Tina beharrte aber auf ihren „Nettolohn“ und somit auf ihrer Animier- und Prostitutionstätigkeit. Auch Marianne war sehr um Christina, die noch weit von ihrem seelischen Normalzustand entfernt war, bemüht. So gingen beziehungsweise fuhren wir des Abends nie ohne Tina aus. So wirkten wir wie ein Elternpaar dass ihre erwachsene Tochter an die Leinen und ins Schlepptau genommen hatte. Wenn meine Tochter mal einen diesbezüglichen Wunsch, zum Beispiel zu einem bestimmten Film im Kino oder mal zu Theaterbesuch, geäußert hatte richteten wir uns selbstverständlich nach diesen. Aufgrund dieses und der Tatsache, dass wir mit ihr nicht bei jedem Trallala aufkreuzen wollten, wurde das Niveau unserer Abendausflüge, auch sehr zu meiner Freude, um einiges angehoben. Sam- und sonntags am Tage wie an den Samstagabenden war Marianne wie früher, ab und zu mit Gatten aber meist alleine, im Zuge ihrer Repräsentationsaufgaben unterwegs. Diese Zeit nutzen wir, Vater und Tochter, dann
zu Spaziergängen, Unterhaltungen oder gemeinsamen Fernsehen. An den Sonntagabenden, wenn ich mit dem Hausherrn, mittlerweile zu meinen Überdruss, Schach spielte, kümmerte sich Marianne um sie. Auch am Tage, wenn wir mal was im Städtchen zu erledigen hatten und wenn Tina dann allein in der Villa gewesen wäre, nahmen wir sie unter unseren Fittiche mit. So konnte sie auch ihre, in einen DIN-B-4-Umschlag befindliche Anzeige, die sie während der Leerläufe bei der Hausmädchentätigkeit geschrieben hatte, von uns unbemerkt auf die Reise schicken. In dieser Hinsicht machte ich meine mir von Katharina aufgegebene Schularbeit, mich intensiv um Tina zu kümmern, wirklich gut. Für Himmelfahrt, Klettner turnte mal wieder irgendwo in Europa rum, hatten wir, also Marianne, Christina und ich, uns einen Tagesausflug in ein Erholungsgebiet vorgenommen. Welches war bei der Planung vollkommen offen, weil wir es vom Wetter und der Verkehrslage abhängig machen wollten. Auch als wir an diesem Tag morgens um Neun starteten war noch nicht recht klar wo wir hin und wollten. Das Wetter war nicht gerade topp aber es sah so aus als wenn dieses sowohl in diese wie jene Richtung ändern könne. So starten wir zur Fahrt ins Blaue, wobei wir dann nach jeweiliger Vorbeifahrt und Wetterlage spontan entscheiden wollten. Wirtschaftsapperatchicks und Angehörige der Fungeneration können mit so Wenig Vorgaben oder Spaßkonsumplanung nicht viel anfangen, deshalb dürfte ein solche „Mal-SehnTour“ im Bereich des aktiven Lebens anzusiedeln sein. Es ist also was für Menschen und nichts für Wirtschaftslenker oder Konsumenten. Es hätte alles so schön sein können aber es kam mal, wie so oft im Leben, anders. Wir waren gerade mal etwas über eine Stunde unterwegs, als Marianne über Beschwerden klagte. Ihr ging es gar nicht so gut. Letztendlich traf dann Christina die Entscheidung, dass wir zur Villa zurückkehren sollten. Dort wollte sie sich dann um die Zubereitung einer leichteren Mahlzeit, die auch Marianne vertragen könne und die sie ein Wenig auf die Beine bringt, kümmern. Am Nachmittag könnten wir ja sehen, ob wir dann in Bergdorf und Umgebung etwas unternehmen könnten. Ich fand dieses ganz vernünftig und damit war Marianne, die nicht wollte das wir wegen ihr unsere Tour abbrechen, überstimmt. Es ging dann postwendend zurück gen Villa Klettner. In der Zeit wo sich Tina in der Küche sachkundig machte und anschließend ihr Bestes in Richtung Zubereitung gab unterhielt ich mich „ein Wenig“ mit Marianne. Sie hatte sich aufs Bett gelegt und ich saß auf diesem am Fußende. Wenn es einem nicht so gut geht schlägt so etwas auch oft aufs Gemüt. Dieses schien bei meiner Partnerin jetzt auch der Fall zu sein: „Pepe, hältst du mich eigentlich für egoistisch?“. Das konnte ich so nicht mit Ja oder Nein beantworten und musste doch jetzt etwas ausholen: „Wenn man sagen würde, du seiest krankhaft egoistisch, wie sehr viele Frauen auf deiner sozialen Ebene, dann würde man dir bitter Unrecht tun. Jeder Mensch braucht aber eine bestimmte Portion Egoismus um sich selbst zu behaupten und zum Überleben. So ist es normal, wenn man bei bestimmten Situation den Leuten ein bisschen mehr Egoismus wünschen müsste. ... So sehe ich es bei dir zum Beispiel im Verhältnis zu deinen Gatten. In anderen Situationen schwappt bei dir und anderen dann auch dieser Egoismus mal über. Also zu deiner Beruhigung: Du bist keine unnormale Egoistin. ... Siehst du, ich bin ehrlich und schmiere dir keinen Honig um den Bart.“. Zu meiner Beruhigung lächelte Marianne als sie fortsetzte: „Das hast du jetzt schön diplomatisch gesagt aber die Wahrheit ist anders. Ich bin sogar eine starke, krankhafte Egoistin. Ich will alles haben aber nie was geben. Ich will hier auf den Luxus der ‚Erbengebärin’ nicht verzichten obwohl er mir schon vielfach überdrüssig ist. Ich halte dich, obwohl du eigentlich einer Anderen gehörst, wie einen Leibeigenen. Ich sage dass ich dich liebe. Das tue ich auch, ... sogar heiß und innig. Richtig ist es aber, das man, wenn man jemand liebt, alles unternimmt damit er glücklich wird und nicht, wie ich, den Geliebten zu seinem Unglück in sein Besitzstand einreiht.“. Jetzt wurde es mir ein Wenig heikel und deshalb wollte ich das Gespräch jetzt abwimmeln: „Ach Mäuschen, dir geht es nicht gut und machst dir da ein paar dumme Gedanken. Da sprechen wir mal drüber, wenn es dir besser geht. Jetzt sollten wir ...“. An dieser Stelle fiel sie mir ins Wort: „Nein, nein, komm lass uns beim Thema bleiben. Mir geht es so schlecht, weil ich die letzte Zeit immer an diese Thema denken muss. Es wühlt mich auf und lässt mich immer kleiner und beschissener werden. ... Verstehe es jetzt nicht falsch, ich überlege ernsthaft dich für die Frau, der du wirklich gehörst, freizugeben. Ich habe schon überlegt, dir zusagen, deine Tochter zu nehmen und nach Hause zu gehen.“. Jetzt gab es eine Unterbrechung, da Tina mit ein paar Fragen eingetreten war. Nachdem Christina den Raum wieder verlassen hatte, kam ich erst mal mit meiner Neugierde heraus und fragte Marianne wie sie gerade zu diesem Zeitpunkt auf diese Gedanken kam. „Ich bin durch Tina darauf gekommen.“, begann sie ihre Ausführung, „Mir war auf einmal bewusst, das sie praktisch die einzigste Freundin ist, die ich habe. Das habe ich immer im Krankenhaus so empfunden und jetzt wo sie hier ist erst recht. Ich habe überhaupt nur wenig Menschen, die mich als Marianne, als lebende Frau, ernst nehmen. Neben dir und Tina sind das eigentlich nur mein Michael und Hans-Hermann, sein Vater, ... und hoffentlich vielleicht auch noch Verena. Alle anderen wollen gar nichts von mir sondern nur von dem was ich habe mitprofitieren. ... Oder ich bin halt genauso wie sie selbst eine Figur aus dem Wachsfigurenkabinett für sie. Als das mit Christina passierte kam ich zunehmend darauf, dass ich euch eigentlich Menschlichkeit schulde.“. Nach dem sie ihren Satz beendet hatte fragte ich nach: „Was würde denn mit dir passieren, wenn ich es jetzt wahrmachen würde, Christina an den Arm nähme und Tschüs sagen würde? Dann willst du dich doch totsaufen. Meinst du, das könnte ich verantworten?“. Marianne sah jetzt auf der einen Seite nachdenklich aus und auf
der anderen Seite lächelt sie: „Das hatte ich wirklich mal ernsthaft im Fall der Fälle vor. Aber Christinas Schicksal hat mich gelehrt, dass das nicht der Weg ist und sein kann. ... Was aus mir werden wird kann ich dir schwer beantworten. ... Also umbringen werde ich mich nicht und das Wahrscheinlichste ist, dass ich dann in dieser Schießbude wieder die gleiche Figur werde, die ich war, bevor ich auf euch traf. ... Möglich ist es auch, dass ich mich meinem Erzengelchen, dass sich abseilen will, anschließen werde. Also ich weiß nicht was aus mir wird. Ich weiß nur, dass ich mich nicht umbringe und euch auch nicht im Wege stehen werde.“. „Das hört sich so an, als wollest du mich jetzt loswerden. Oder wieso und warum sprichst du jetzt so?“, wollte ich jetzt wissen. Jetzt wurde sie aber deutlich energischer: „Quatsch, auf keinen Fall will ich euch loswerden, ... ganz im Gegenteil. Aber ich will euch jetzt nicht mehr wehtun. Was ich getan habe kann man sicher nie gut machen aber man kann versuchen, die Ordnung, so weit es geht, wieder ein Wenig herzustellen. Dein Platz neben deiner Frau, der von Herrn Goldmann vorübergehend belegt worden ist, ist wieder frei. Wenn du jetzt nicht handelst, ist der vielleicht für immer für dich belegt. Du musst dich doch jetzt nicht auf der Hacke rumdrehen und zu ihr laufen; das täte mir auch jetzt furchtbar weh, aber du kannst ja schon mal langsam in die Richtung, die du für richtig hältst, steuern. Aber du solltest nicht zu lange warten ... Wer weiß, plötzlich ist dieser Goldmann wieder da und dann ist es vielleicht für immer vorbei“. Das Goldmann nie wieder in unser Leben treten konnte wussten wir zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht. Von Christinas Anzeige hatten wir ja keine Kenntnis und davon, dass er ein Todesengel war, erst recht nicht. „Aber Katha hat sich von mir endgültig getrennt. Sie liebt mich zwar noch, will aber nie wieder mit mir zusammen sein.“, bekannte ich kleinmütig und traurig. „Das kann eine situationsbedingte Aussage sein.“, überlegte Marianne, „Aber was mir an euch beiden aufgefallen ist: Keiner von euch beiden, weder du noch deine Frau, kommt auf den Gedanken um den anderen zu kämpfen. Ihr lasst es einfach laufen oder macht Blödsinn. ... Übrigens, ich würde ja ganz gerne mal mit deiner Frau von Frau zu Frau sprechen.“. Jetzt lachte sie auf einmal und hing noch eine Nachbemerkung an: „Drei Mal Frau in einem Satz und immer noch sinnvoll. Das muss mir erst mal jemand nachmachen.“. Das die Beiden miteinander sprechen sollten, fand nicht auf Anhieb meine Zustimmung und wir diskutierten dahingehend ein Wenig hin und her. Erst kurz bevor Tina kam und uns fragte ob wir auf dem Zimmer oder woanders essen wollten, hatte Marianne mir meine Zustimmung abgerungen. Wir hatten entschieden, nicht im Zimmer sondern woanders, und zwar in der Küche, zu tafeln. Nach dem Essen bat uns Marianne um eine Auszeit von etwa einem Stündchen. Sie wollte sich laut ihrer Aussage mal ungestört etwas hinlegen. Es ist doch wohl selbstverständlich das wir ihrem Wunsch nachkamen. Etwa anderthalb Stunden später ahnte ich und zwei Tage später wusste ich, dass sie uns hinters Licht geführt hatte und gar nicht ans Schlafen gedacht hatte. So gegen 2 Uhr am Nachmittag erschien Marianne in der Küche, in der wir immer noch, nachdem wir gemeinsam abgeräumt hatten, unterhaltener Weise saßen. Marianne brachte uns die frohe Kunde, dass es ihr inzwischen deutlich besser ginge und schlug uns vor einen Spaziergang durch den, die Villa umgebenden Wald zu unternehmen. Als ich mich dann auf unserem Zimmer ausgehfähig machte fragte sie: „Pepe, kennst du den Heidekrug auf der Waßmannsheide?“. Sicher kannte ich diesen Krug in dem etwas abseits liegendem Bergdorfer Ortsteil. Dieses Ausflugslokal schlug Katharina immer gerne vor, wenn mir mal einfach nur so, also nicht groß mit Essen oder Programm, ausgehen wollten. Während ich Marianne dieses bestätigte schwante mir schon etwas, was durch ihre weitere Frage ausgebaut wurde: „Da habe ich Morgen Nachmittag um Drei einen Termin. Kannst du mich bis zur Schroerstraße fahren. Von da aus gehe ich zu Fuß ... und zurück werde ich gebracht.“. Aus meiner Antwort konnte die Fragerin sofort feststellen, dass ich durchblickte: „Von wegen der Rückfahrt ... Fürchtest du nicht, dass meine Frau meine Geliebte im Krug sitzen lässt?“. Bevor wir uns weiter unterhielten lachten wir beide erst mal. Ach, von Weiterunterhalten kann keine Rede sein, es war mehr oder weniger einseitig. Ich wollte Diverses zu den Vereinbarungen der Frauen wissen und bekam nur Auskunftsverweigerung zu spüren. Machen wir jetzt mal einen Sprung über 24 Stunden. Christina saß mit im Wagen als ich Marianne zur Schroerstraße fuhr und äußerte, als unser Fahrgast ausgestiegen war: „Jede Wette, die trifft sich mit Mutti im Heidekrug. ... Hoffentlich kratzen die sich jetzt nicht die Augen aus, dass haben nämlich beide trotz allem nicht verdient.“. Ich zuckte nur mit den Achseln und gab keinen Kommentar. Aber zu meiner Freude war unsere Tochter seit ihrem Selbstmordversuch erstmalig etwas zugänglicher geworden. Jetzt erfuhr ich auch was sie hinsichtlich Goldmann angestellt hatte aber sie bat mich, ich solle mich unwissend stellen. Ich versprach es ihr aber nicht ohne Äußerung meiner Bedenken in Hinsicht ob dieses richtig gewesen wäre. Jetzt wagte ich noch mal einen Vorstoß in Richtung ihrer Haus- und/oder Lustmädchentätigkeit. Ich nahm den nächsten Tag, wo wieder ein Klettner-Empfang stattfinden sollte, zum Anlass. Aber obwohl Tina mir gegenüber deutlich aufgeschlossener war, handelt ich mir eine Abfuhr ein. Mysteriös klingend äußerte Christina: „Mein Auftrag ist noch nicht erfüllt, die Zeit ist noch nicht reif.“. Insgesamt machte Tina an jenem Tag den seit langem besten Eindruck, so dass ich Mariannes Frage ob wir sie mal einen Abend allein lassen könnten, wahrheitsgemäß bejahen konnte. Aber das brachte mich auch zu der Frage, was Marianne vorhatte. Sie schaute verschämt, wie ein kleines Mädchen, zum Boden und sprach sehr leise: „Pepe, ich möchte heute noch mal mit allem Drum und Dran mit dir zusammen sein. ... Ich möchte noch einmal richtig glücklich sein. Ich habe das Gefühl, es wird das letzte Mal sein. Morgen früh wird dich deine Frau anrufen und dich für morgen Abend einladen. Ich habe ihr zwar gesagt, ich würde dir nichts verraten, deshalb stelle dich überrascht, aber ich bereite
dich mal vor. Heute Nachmittag habe ich sie überzeugen können, dass auch sie um dich kämpfen muss. Und jetzt will sie dich verführen und zurückfangen. Ich bin davon überzeugt, dass ihr das gelingen wird ... weil es ja auch dein brennender Wunsch ist. So wie ich das mitgekriegt habe, ist damit euere Angelegenheit wahrscheinlich noch nicht hundertprozentig bereinigt aber für mich ... das weiß ich, ist heute meine letzte Nacht in deinen Armen.“. Jetzt weinte sie und ich wollte ihr noch nicht einmal widersprechen. Und tatsächlich rief mich Katha gegen Zehn an. Sie sagte etwas mit mir besprechen zu müssen und fragte ob ich des Abends zu ihr kommen könnte. Ich sagte zu, ließ dabei aber nicht durchblicken, dass ich Bescheid wusste. Klettners waren an jenem Tag ganztags zuhause und Marianne nutzte die Gelegenheit um nach dem Mittagessenritual Christina und mich auf unser Zimmer zu einem Gespräch zu laden. Sie schaute Tina an und ich sah, dass dabei ihre Augen feucht waren: „Tina, das dürfte wohl das letzte Mal gewesen sein, dass dein Vater mit mir am Mittagstisch gesessen hat. Das heutige Abendessen dürfte der absolute Abschluss sein. Ich möchte dich jetzt fragen ob du vielleicht mit ihm gehen willst. Heute geht das allerdings noch nicht, über den Abend muss du noch durchhalten. Ich bin mir mit meinem Mann allerdings einig, dass du heute Abend ausschließlich in dem Dress, wo du damals beim letzten Empfang angefangen bist, auftrittst ... nackter Busen oder mehr ist heute nicht.“. Christina machte, wie am Vortag, einen aufgetauteren Eindruck aber erklärte, dass sie vorerst bei Marianne bleiben wolle. Letztlich bot Marianne noch Tina an, dass sie sich jederzeit für die „anständige“ Beschäftigung bei ihrem Mann einsetzen würde, gab ihr aber eine Chance dieses zu überdenken. Nach dem Abendessen machte ich mich dann für den abendlichen Besuch bei meiner Frau fertig. Zwischendurch kam Tina noch einmal herein. Sie nahm mich in den Arm und sagte: „Vati, ich wünsche dir alles Gute. Hoffentlich klappt es. Langsam glaube ich es: Es wird alles wieder okay. Ich will erst mal hier bleiben. Die Gründe erzähle ich dir, wenn ich weiß, dass es mit dir und Mutti endgültig wieder okay ist. ... Ich wollte nur noch sagen, dass ich Mutti und dich sehr, sehr lieb habe.“. Dann drückte sie noch einmal kräftig zu und lief mit „Tschüs Vati“ hinaus. Etwas später als ich fertig war und gehen wollte, kam Marianne in gleicher Weise wie vorhin Tina auf mich zu: „Adieu und leb wohl, Pepe. Es war schön mit dir und ich werde dich immer lieben.“. Etwas wehmütig war mir schon als ich die Villa verließ um zu Fuß nach Hause zu gehen.
Zum Kapitel 17
Zum Inhaltsverzeichnis
Rendezvous mit der eigenen Frau Es war schon ein komisches Gefühl als ich jetzt vor der Tür, hinter der ich mal zuhause und glücklich war, stand und anschellte; zu Wissen, das gleich die Frau, die ich immer noch liebte und begehrte, öffnen würde aber nicht wusste ob das Erhoffte in Erfüllung gehen würde. Just als sich die Tür öffnete, schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass ich vielleicht ein paar Blumen hätte mitbringen sollen. Wenn mich meine Erinnerung nicht täuschen war es in mir so wie damals bei unserer allerersten Verabredung. Jetzt stand Katharina vor mir und ihre braunen Augen waren irgendwie glücklich aussehend auf die meinigen gerichtet. Sie war beim Frisör gewesen und hatte sich eine kurze Frisur, die die Nackenpartie frei ließ, zugelegt. Auch das oberkörperbetonende T-Shirt war so geschnitten, das die nackten Schultern augenscheinlich blieben. Das T-Shirt betonte auch ihre Busen und die Knöspchen waren ausgeprägt. Als ich an ihr herunterschaute sah ich, dass sie nicht wie sonst zu Hause Jeans anhatte sondern einen Rock, der die Knie für den Zublick frei ließ. Der breite Gürtel unterstrich ihre schlanke Taille. Das „Luder“ wusste was mich „heiß“ machte und hatte alles dran gesetzt, sich so raus zu putzen, das bei mir gleich ein „Messer aufspringt“. Am Liebsten wäre ich gleich mit ihr ins Schlafzimmer durchgestartet aber taktvoll folgte ich ihr ins Wohnzimmer. Auf dem Tisch standen eine Flasche Rotwein, zwei Gläser und ein Schälchen mit Käsestückchen bereit. Die Gläser waren paarweise gegenüber der Couch angeordnet und neben dem, von der Couch aus gesehen, linken Glas lag der Weinflaschenentkorker bereitgelegt. Eine Kerze auf der Tischmitte brannte schon und sie hatte das Licht im Vitrinenschrank angemacht. Während sie „Setzt dich“ sagte schaltete sie das Raumlicht aus. Es war wie früher, wenn wir beide uns mal einen gemütlichen romantischen Abend machten. Ich setzte mich auch gleich dorthin wo der Öffner bereitlag und begann auch gleich mit der mir zu gedachten Tätigkeit der Weinflaschenöffnung. Währenddessen setzte sie sich zu meiner Rechten auf die Couch. Zum ersten Mal seit fast einem Dreivierteljahr saß ich so neben meiner geliebten Frau. Wer jetzt glaubt, ich könnte jetzt den Versöhnungsakt kontinuierlich weiterbeschreiben hat sich getäuscht. Katharina hatte am Telefon nicht ganz die Unwahrheit gesagt, es waren doch eine Reihe Probleme aufgelaufen und viele davon betrafen mich selbst. Ich hatte mich bis dahin noch nicht in die Villa umgemeldet und so waren alle an mich gerichteten Dinge, angenehme wie unangenehme, „Zuhause“ aufgelaufen. Dann war da das Problem, dass Thomas grundsätzlich seine Mutter am Telefon kurz und schnippisch abwimmelte und auch nicht nach Hause kam. Christina hatte weder ihre Arbeitsstelle noch ihre Wohnung gekündigt und jetzt gab es Ärger mit ihrem Arbeitgeber wie mit ihrem Vermieter. Tinas Wohnung musste auch noch geräumt werden. An unserem 12 Jahre alten Golf waren ein paar Reparaturen notwendig zu denen Katharina ein Wenig verfügbares Kleingeld fehlte. Ein Nachbar stellte ihr unkeusch und unverschämt nach. Mit einer Kollegin, einer Cousine Goldmanns, hatte sie Ärger gekriegt. Also, da war Einiges zu bereden, so das wir damit über eine Stunde beschäftigt waren. Ich gelobte alles in der Folgewoche in die Hand zu nehmen und so weit ich könnte, am Liebsten alles, erledigen wolle. In der ganzen Zeit hatten wir nur mäßig an unserem Wein genippt, was jetzt, wo alles „raus“ war, Katha auffiel. Sie nahm ihr Glas in die Hand um mir zuzuprosten: „Prost Pepe, ... ich brauche dich.“. Nachdem ich mit „Ich dich auch“ zurückgeprostet hatte, tranken wir erst einen Schluck und dann, nachdem wir auch die Gläser wieder hingestellt hatten, umarmte ich sie und wir küssten uns innig. Sie lächelte mich verführerisch an: „Das ich mich mit dir ganz gerne aussöhnen möchte, sollte dir Marianne eigentlich nicht verraten aber ich bin mir sicher, dass sie kein Wort gehalten hat ... ganz einfach schon aus dem Grunde, weil sie bestimmt von dir Abschied nehmen wollte; was ich voll und ganz verstehen kann. Und du standest eben vor der Tür wie ein junger Mann, der um Tinas Hand anhalten will. Und das ist ein Zeichen dafür, dass unsere Wünsche und Hoffnung offensichtlich beidseitig sind. Deshalb können wir ja jetzt direkt werden: Ich liebe dich und bitte dich wieder bei mir zu bleiben.“ „Das ist das Schönste was du mir seit langer Zeit gesagt hast.“, bekannte ich und wir fielen uns in die Arme, um eng aneinander gefügt unseren Freudentränen freien Lauf zu lassen. Wir saßen dicht beieinander und hielten uns fest in den Armen. Katharina erzählte mir jetzt was auf Himmelfahrt und am Tag danach gelaufen war. Marianne hatte, letztendlich erfolgreich, versucht mit Katharina telefonischen Kontakt aufzunehmen. Drei Mal hat Marianne im Grunde vergeblich angerufen; immer wieder hatte Katha aufgelegt. Beim vierten Mal konnte man deutlich vernehmen, das die Anruferin weinte und meine Frau hatte es jetzt nicht noch einmal fertig gebracht aufzulegen. Die tiefbetrübte Marianne hatte ihr Herz, das voller Selbstvorwürfe und Schuldbewusstsein war, ausgeschüttet. Zwischendurch wäre immer der Vorwurf „Warum kämpft ihr nicht für einander, warum lauft ihr vor einander weg“ rauszuhören gewesen. Wörtlich soll sie gesagt haben: „Bitte, bitte, verzeihen sie Pepe, er hat ja gar nichts getan. Ich habe ihn mir, als er aus verständlichen Gründen mal so schwach war, dass er sich nicht wehren konnte, einfach genommen. Das war Unrecht und gemein von mir. ... Ich bin alles in Schuld. Ich will jetzt dafür büßen, aber bitte, bitte vertragen sie sich wieder.“. Katharina hatte den Eindruck, das die Frau tief verzweifelt schien und hat ihr dann die Aussprache im Heidekrug vorgeschlagen. Am Freitagnachmittag haben sie dann, wie wir ja schon wissen, lange beieinander gesessen und haben sich ausgesprochen. Marianne hat immer wieder darauf hingewiesen, dass sie mich schweren Herzens freigeben würde wenn ich wieder nach Hause kommen könne. Sie war sicher, das ich richtig darauf brennen würde, heimkehren zu dürfen. Ich
würde nicht sie sondern nur meine Frau lieben. Katharina gedachte mich erst noch an der langen Leine zappeln zu lassen, aber dann doch letztlich nachzugeben. Darauf hat ihr Marianne gesagt: „Machen sie das lieber nicht. Auf der einen Seite bin ich da, der Pepe immer mehr von sie wegholt. Das mache ich nicht bewusst ... aber ich werde immer mehr abhängig von ihm. Ich möchte Schluss machen bevor ich es nicht es nicht mehr kann. Auf der anderen Seite sind auch sie nur ein Mensch aus Fleisch und Blut. Wissen sie was passiert wenn Herr Goldmann oder ein anderer zu ihnen zurückkommt. ... Machen sie es bitte und jetzt gleich, bevor wir alle nicht mehr anders können.“. Dieses hatte Katha dann eingesehen und Marianne verkündet mich einzuladen und zu verführen. Auch daraufhin hatte Marianne zur Eile aufgerufen und so war dann das Rendezvous, zu dem ich jetzt erschienen war, geplant worden. „Du willst mich also verführen.“, unterbrach ich sie mit lüsterner Stimme, „So wie du dich zurecht gemacht hast, ist dir das ja schon fast gelungen. Lass es uns jetzt doch mal genießen.“. Ich beugte mich über sie um sie zu küssen. Mit der linken Hand strich ich über ihren Busen. Noch war das Textil ihres T-Shirts zwischen der blanken Haut meiner Hand und ihres Busens. Deshalb machte ich zwischen zwei langen Küssen eine Pause um die Schnalle ihres Gürtels zu öffnen, damit Haut auf Haut kommen könnte. Da fragte Katha mit einem Lächeln und erotisch zitternder Stimme: „Hast du Nachholbedarf und willst mich jetzt im Hauruck flachlegen.“. „Nee, ein Bisschen genießen möchte ich schon aber ich bin richtig süchtig auf Liese und Lotte. Ich möchte mal fühlen ob sie immer noch so stramm sind.“, lüsterte ich zurück. Nun wer nicht weiß wer Liese und Lotte sind, den möchte ich verraten, das ich, als wir vor bald 28 Jahren frisch verliebt waren, ihren Busen diese Namen gegeben hatte: Der linke war Liese und der rechte Lotte. Katha kam mir jetzt in der Weise entgegen, dass sie sich ruckzuck ihren T-Shirt über den Kopf zog und mir dann ihren freien Oberkörper mit durchgedrückten Rücken, also Brust raus, präsentierte. Ich konnte noch schnell „Schön“ hauchen bevor ich sie küsste und dabei ihre wohlig anzufühlenden Busen streichelte. Als ich vom Küssen wieder absetzte sagte ich: „Hier bleibe ich jetzt, hier kriegt mich keiner wieder weg.“. Es ist doch seltsam, nun kannte ich diese Frau schon über mein halbes Leben lang. Ich hatte zwei, inzwischen schon erwachsene Kinder, mit ihr gezeugt. Selbst wenn wir nicht mal jede Woche miteinander Verkehr hatten summieren sich unsere Schäferstündchen auf über 1.000. Und ich war immer noch heiß auf sie. Da kommen meine „Vergnügen“ mit Marianne bei Weitem nicht ran, weder zahlenmäßig noch von der Intensität her, und trotzdem hatte ich bei meiner Geliebten mittlerweile das Gefühl des Alltäglichen. Es war bei Marianne lange nicht mehr so knisternd wie dieses immer noch bei Katharina der Fall ist. Bei meiner Geliebten wäre ich ab und an sogar froh gewesen wenn ich meine Ruhe gehabt hätte. Bei Marianne war es so, das fast alles von ihr ausging; ich spielte nur mit. Hier bei Katharina war es ein beidseitiges Zusammenwirken. Dafür habe ich ausschließlich die Erklärungen, das die geistigen Bande, die menschliche Verbundenheit, die maßgebliche Rolle spielen. In einer Verbindung von Mensch zu Mensch kann eine Liebe wohl ewig halten. Katha, die jetzt barbusig neben mir saß, hatte sich wieder unseres Weines besonnen und animierte erst mal wieder ein Gläserklingen. Dann bemerkte sie fragend: „Marianne, mit der ich dann das Du vereinbart habe, ist doch eigentlich ein ganz netter Mensch. Sie erschien mir richtig lieb.“. Da gedachte ich sie aufklären zu müssen: „So ist sie aber nur ab und zu, wenn sie selbst irgendwie getroffen wird. Dann kommt der Mensch, der in ihr noch nicht ganz abgestorben ist, durch. Diese Momente sind aber kurz. Schon durch die Umgebung fällt sie sehr schnell zurück in die Rolle eines Paradiesvögelchen im goldenen Käfig. Wer mal so viel Geld hat wie die Klettners braucht nicht mehr um die Erfüllung von Wünschen kämpfen sondern können alles sofort umsetzen. Da hat man keine Wünsche mehr, keine unerfüllbaren aber doch so schöne Träume mehr. Man kann sich fast alles nehmen was man haben will, Sachen wie Menschen. Scheinbar gibt es nichts Unerfüllbares mehr, man konsumiert, renommiert und schmeißt es weg. Da Träume und Hoffnungen wesentlicher und erhaltener Bestandteil des Lebens sind und diese Leute keine mehr haben, sind sie gezwungen mit einer Aktivität nach der anderen ihre natürlichen Sinne und Veranlagungen totschlagen. Die dürfen nicht mal stehen bleiben und nachdenken, weil ihnen dann ihr beschissenes, ödes Dasein ohne Träume, Hoffnungen und Kämpfe auffallen würde. Ich glaube die hat nur in wenigen Ausnahmesituationen den Menschen Peter Schröder gesehen, meist war ich das Objekt Pepe zu ihren Diensten. Ich weiß nicht, vielleicht hätte die mich eines Tages einfach weggeschmissen ... wie ein alter Topf den man nicht mehr braucht. Die Welt der ‚Reichen und Schönen’ sieht für Außenstehende so glitzernd und begehrenswert aus, in Wirklichkeit ist sie öd und leer. ... Auf jeden Fall bin ich froh, dass ich wieder nach Hause kommen durfte. Ich bin froh, dass die Käfigtür für mich ein Stückchen offen gelassen wurde.“. Und jetzt musste ich weinen; ich scheine doch ein Softi zu sein, der nahe am Wasser wohnt. Katharina nahm mich an ihre nackte Brust und strich mir über die Haare. In dieser angenehmen Lage erfuhr ich dann, dass Marianne selbst es ungefähr genauso sieht wie ich. Sie hatte Katharina bekannt, dass sie durch Christinas Schicksal im Moment aufgerüttelt sei. Sie wäre aber dazu verurteilt, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Das sie mal Klettners Frau geworden sei wäre ihr größter Fehler gewesen. Damals habe sie auch noch den naiven Traum vom glücklichen Leben in Luxus gehabt. Jetzt, nach einer so langen Zeit sähe sie sich nicht mehr in der Lage im realen Leben zu überleben. Sie hatte Katha zu bedenken gegeben, dass sie nur zwei Alternativen hätte: Entweder so weiter leben wie bisher, da würde sie mich möglicher Weise als Besitzstand, den sie nicht wieder rausrücken will, betrachten oder sie würde die Flucht aus ihrer Welt vornehmen, dazu brauche sie mich, an den sie sich des Überlebenswillen klammern müsse. Deshalb solle meine Frau nicht mehr lange zögern und sich das nehmen, was ihr gehöre.
Während Katharinas Ausführungen hatte ich ihre Knie betrachtet und legte jetzt meine linke Hand auf ihr linkes Knie und fuhr mit dieser jetzt über ihre Schenkel bis ich einige ihrer Schamhaare rechts und links des Slippers hervorlugen sah. „Wolltest du schon ins Bett oder trinken wir erst den Wein aus?“, fragte sie mit zärtlicher Stimme. Ich entschied mich für Letzteres und damit für noch ein Wenig Vorfreude, was auch im Sinne Kathas gewesen sein dürfte. Deshalb richtete ich mich auf und schüttete den restlichen Wein aus der Flasche in die Gläser. Katharina nutzte die Gelegenheit um mir zur Freude ihren Rock auszuziehen. Jetzt saß sie da, nur Slipper bekleidet – und ich hätte so zubeißen können. Da wurden meine Gedanken auf Christina, die wohl zur gleichen Zeit als Halbnackedei vor den Geldaffen rumtanzte, gelenkt. „Wenn ich nun auch noch wüsste, wie ich Tina wieder aus der Villa rausholen könnte, dann wäre die Welt fast in Ordnung.“, stellte ich nachdenklich in den Raum. In dieser Richtung wussten die Frauen mal wieder mehr als ich. Christina hatte Marianne ihr Gründe offenbart und diese hatte dann bei ihrem „Plausch“ mit Katharina „gepetzt“. Und ich erfuhr es jetzt aus dem Munde meiner Frau: „Unsere Tina muss erst mit dem erlittenen Mobbing fertig werden. In der Villa Klettner will sie dem Mob zeigen, was sie von ihm hält. Wie sie das dort machen will ist mir zwar schleierhaft aber sie hat die Vorstellung, dass sie das dort bewerkstelligen kann. Dann glaubt sie, ... wie Marianne sagte, eine soziale Aufgabe haben zu müssen. Jetzt glauben beide, Chefin und Mädchen, für einander da sein zu müssen. Und da ist noch ihre Riesenangst vor Rainer (Goldmann) ... Da kann ich sie hundertprozentig verstehen und den Schuh muss ich mir anziehen. Der Kerl ist nicht der Intelligenteste und hat eine enorme kriminelle Energie. Mit Achtung der Menschenwürde hat der nichts am Hut. Und den habe ich ins Haus geholt um dir eins auszuwischen und dann hatte ich selbst so viel Angst vor ihm, dass ich ihn nicht mehr laufen lassen konnte. Ich habe einen Pakt mit dem Teufel geschlossen.“. Und jetzt weinte Katha. Während mir nun meine fast nackte Frau weinender Weise in den Armen lag, versuchte ich sie zu trösten: „Ach Mädchen, durch den Absturz in das vermeintliche soziale Aus, nachdem ich mit der Druckerei hops gegangen bin, hat es Aussetzer bei unserem Verstand gegeben. Das ist normal, das geht anderen auch so. Da haben wir uns halt in die Klauen der falschen Leute geworfen. Weshalb musste ich Taxifahrer werden? Wäre ich niemals auf so einen Bock gestiegen wäre ich mit solchen Leuten wie Klettners nie in Berührung gekommen. Solche Leute übersehen ihre Mitmenschen glatt, ... die schweben doch viel zu hoch. Der Durchschnittsmensch ist doch für die in das Reich des Mephistos entschwebten nur ein Faktor: Kostenfaktor Arbeit, Sozialkostenfaktor oder Konsumfaktor. Die fragen doch laufend nach, ob Menschlichkeit überhaupt finanzierbar sei. Dabei gibt Finanzierung nur dann einen Sinn wenn es um Menschen geht. Wirtschaften der Wirtschaft halber ist doch die Massenidiotie unserer Zeit. Hat der Mensch der Wirtschaft oder die Wirtschaft dem Menschen zu dienen? ... Aber zurück zum Taxi. Dadurch war es möglich, dass ich das Paradiesvögelchen Marianne kennen lernte und die hat mich als ihr Spielzeug vereinnahmt. Dadurch, dass ich mich vereinnahmen ließ habe ich dir böse Schmerzen zugefügt ... und in deinem Schmerz bist du ohne es zu wollen an diesen Goldmann geraten. Das ist doch menschlich verständlich und das solltest du dir doch nicht zum Vorwurf machen. Wenn einer Schuld hat, dann bin ich das. Aber ich hatte keine böse Motivation; ich wollte nur unsere drei Arbeitsplätze in der Druckerei retten.“. Die nun entstandene Situation war genau umgekehrt wie kurze Zeit vorher. Katha hatte mir auf den Schoß geschaut und dabei eine Ausbeulung entdeckt. Daraufhin öffnete sie jetzt meinen Gürtel und zog, nach dem sie den Reisverschluss nach unten gezogen hatte, die Hose samt Slipper herunter. Jetzt half ich nach und zog diese Dinge über meine Füße aus. Mit den Worten „Oh je, weder den Wein noch ‚den’ können wir stehen lassen“ und mit zärtlichen Fingern begann sie mir Erleichterung zu verschaffen. So schön war es bei Marianne nie. Als ich voll befriedigt war und mich vom Lusthöhepunkt erholt hatte, stellte Katha fest: „Du hattest einen Orgasmus und ich fand es wunderbar. So ein Erlebnis hatte ich lange nicht mehr. Rainer galt immer nur Drauf und Kaputt; Hose runter und rein. Es war fast immer wie eine Vergewaltigung und danach war er dann eine schlappe Ziege.“. „Hast du denn dabei auch eine Befriedigung erhalten?“, fragte ich jetzt, wohl mehr aus sexueller Neugierde. „Wie denn, der war eben drin, da spritzte er los. Aber wenn du seine Klappe hörst ist er der größte Frauenbefriediger der Welt. Ich schätze mal, das alle Machos das, was ihnen an der richtigen Stelle fehlt, mit der Klappe kompensieren.“, verriet mir meine Frau jetzt. Nach einem weiteren Schluck Wein knüpfte Katharina an unser vorhergehendes Gespräch an: „Vorhin, ... vor unserem Zwischenspiel, hörte es sich so an, als wolltest du alle Schuld auf dich nehmen. Das brauchst du aber nicht. Wir sind alle irgendwo Schuld aber keiner von uns hatte dabei einen Vorsatz. Ich hätte dir nach dem Pleite mehr beistehen müssen. Ich hätte dir zeigen müssen was du wirklich bist. Du bist ein großartiger Kerl, den ich nicht missen möchte. Hätte ich dir dieses Selbstwertgefühl gegeben hättest du dich nie ein Taxi gesetzt. Und als das dann mit Marianne passiert war, hätte ich dir nicht die Tür vor der Nase zuschlagen dürfen. Hätte ich Rainer sausen gelassen und dich dahin gelassen, wo du hingehörst, wäre die Welt für uns bereits wieder in Ordnung.“. Nach dem letzten Schluck Wein versuchte ich aus unserem Gespräch ein Fazit zu ziehen: „Wir sollten uns überhaupt von dem Begriff Schuld trennen. Alle waren wir Treibholz im großen Strom. Dabei sind wir viel unter Wasser geschwommen, wir sind an vielen Klippen schmerzhaft angestoßen. Richtig leben kann man aber nur als stolzer Fels in der Brandung. Aber dafür hatte keiner von uns die Kraft. Deshalb sollten wir es dabei belassen und unseren Blick nach vorne richten.“. „Da hast du eindeutig recht,“, setzte Katha noch mal an, „aber trotzdem war und ist der Blick zurück immer wichtig. Denn wer sich erinnern will ist zum Wiederholen verurteilt.“.
Jetzt war allerdings der Zeitpunkt gekommen die Kerze auszublasen und ins Bett zugehen. Was sich dann hinter der geschlossenen Schlafzimmertür abspielte ist weder für diese Handlung noch allgemein von Bedeutung. Deshalb lasse ich es jetzt dabei, dass es sich um unser schönste Erlebnis nach langer Zeit handelte. Nach diesem Rendezvous mit der eigenen Frau war ich also wieder zuhause. Wie wunderbar wäre es jetzt wenn ich nun ein Kapitel auflegen könnte wie unsere Kinder in den Familienkreis heimfinden und dann mit „Da wir nicht gestorben sind, leben wir heute noch glücklich“ enden könnte. Da aber ein paar Seiten mehr, wie für ein Kapitel nötig, folgen ist erkennbar, dass es zu diesem Zeitpunkt noch nicht so weit war. Es folgte leider eine noch für uns alle harte und schmerzhafte Zeit. Der vorrangegangene Absatz ließt sich wie ein Kapitelende, aber auch hier habe ich noch was anzutragen. Das kann ich aber kurz und bündig machen. Am Sonntagmorgen rief ich kurz nach Zehn in der Villa, direkt auf Mariannes „Durchwahlnummer“ an. Unsere Christina war am Apparat und erzählte mir, dass sie beim Zusammenpacken meiner Sachen wäre. Marianne, die jetzt nicht mir sprechen wolle, würde ihr dabei helfen. Dabei käme alles in Koffer aus Mariannes Bestand, die sie mir anschließend schenken würde. Diese wolle man mir, so bald man fertig sei, mit einem Taxi schicken. Diesen Weg hatte man gewählt, da es Marianne an diesem Tage doch stark schmerzen würde mit mir zusammenzutreffen oder zu sprechen und Christina wollte nicht alleine bei uns zu Hause vorbeikommen. Allerdings gab sie dazu keine Erklärung ab und ich fragte auch nicht weiter nach. Kurz vor Mittag trafen dann die Koffer bei uns ein und am Nachmittag räumten Katha und ich dann – überwiegend ins Schlafzimmer, aus dem ich damals, kurz vor meinem Geburtstag, ausgesiedelt worden war - ein. Nun war ich endgültig wieder zuhause. Die beiden Folgewochen hätte ich in Normalzeiten als Alltag bezeichnet. Katharina ging ihren Kindergartendienst nach und ich machte mich an die Erledigungen der Aufgaben, die mir zu Beginn meines Rendezvous mit meiner Frau aufgetischt wurden. Nicht nur diese nahm ich im Angriff sondern auch alle Dinge, die im Laufe des letzten Jahres liegen geblieben waren. Wir empfanden es aber nicht als Alltag sondern als Glückszeit. Endlich waren wir wieder zusammen waren und nutzten auch jede erdenkliche Zeit um zu Turteln, sowie vor und zu Anfang unserer Ehe vor nun mehr als 27 Jahren. Ich habe ja schon mal meine kleine Philosophie von den Auf- und Abzyklen im Leben vorgestellt. Jetzt befanden wir uns eindeutig bei einem Aufschwung. Aber leider diente dieser auf der Achterbahn des Lebens nur zum Schwung holen für eine noch rasantere Talfahrt. Wir hatten die Grundebene tatsächlich noch nicht erreicht.
Zum Kapitel 18
Zum Inhaltsverzeichnis
Geburtstagsfeier ohne Geburtstagskind Wir leben in der Zeit von E-Mails beziehungsweise SMS, das heißt im Zeitalter der Schlagwortfetzerei. Bedingt durch technische Beschränkungen und dem Erstellungsaufwand für den Absender wird alles auf Kurz und Bündig komprimiert. Dabei bleiben oft nicht nur wesentliche Details auf der Strecke sondern komplette Inhalte werden sinnverkehrt und entstellt. Mit kurzen Schlagzeilen kann man natürlich nur das weitergeben, was man für wichtig hält. Und dieses ist grundsätzlich nur die Oberfläche. Da jedes Ding zwei Seiten hat kann man je nach dem Standpunkt des Betrachters eine andere Oberfläche sehen, was dann dazu führt, dass zwei Kontrahenten beide recht haben und keiner das Richtige sagt, weil sich niemand um den eigentlichen Kern kümmert. Ist die eine Seite eines Bleiobjektes vergoldet und die andere versilbert, hat sowohl der Oberflächenbetrachter der von Gold spricht wie derjenige der Silber sagt von seinem Standpunkt aus gesehen recht aber die Wahrheit, das es Blei ist, kennt keiner von ihnen. Denn um den wahren Sachverhalt zu erkennen, muss man sich schon intensiv mit der Sache beschäftigen. Andererseits bringt es recht Wenig wenn man mal einer Sache richtig auf den Grund gehen will, denn die „Kunst“ des Zuhörens wird immer mehr verlernt. Da begründen Rundfunk- und Fernsehanstalten ihre 2-minütige wenig informative Schlagwortverleserei anstelle von Nachrichten damit, dass kaum noch jemand länger als 2 ½ Minuten zuhören könne. Damit bereiten sie aber den Boden für verbreitetes Oberflächenwissen und gängigen Populismus. Dieses ist aber der Sargnagel ein jeder Kultur. In unserer Familie war es in erster Linie Thomas der eine Vorliebe für die „zackige“ Kürze, also für Schlagworte, hegte und sich andererseits des Zuhörens unwillig zeigte. Fast immer wenn wir miteinander „diskutierten“ unterbrach er spätestens nach dem zweiten Satz – und da war ich dann meist immer noch bei einer der beiden Oberflächen, von der es nur möglich ist auf den Kern vorzudringen. Mal fetzte er mir die andere Oberfläche entgegen und mal würgte er mit Worten wie „Früher, immer früher, das ist überholt, wir leben heute“ oder „Haaahaaa, immer das Gleiche, das hast du schon tausend Mal erzählt“ ab. Ich habe nun die Angewohnheit, dass ich, wenn mir jemand dazwischen trötert immer wieder von Vorne zu beginnen. Ich wechsele zwar die Worte, wiederhole dann aber die identischen Inhalte, wodurch dann im Gespräch mit Thomas aus einem kurzen Sachverhalt ein Abend füllendes Programm werden kann. Nach jeder Unterbrechung und Wiederholung steigt dann meine Aggressionskurve kontinuierlich an. Klar, das so etwas eine Entladung zur Folge hat. Das ist dann nicht mehr sachlich sondern nur die Wucht des Frust. Hört sich dann nach persönlichen Streit an und gerade den kann ich nicht ertragen. Im Grunde liebe ich meinen Sohn und bin überwiegend recht stolz auf ihn, aber trotzdem geraten wir uns bei allen möglichen Themen und Gelegenheiten in die Haare. Ich will dazu mal ein Beispiel geben: Thomas behauptet, das seiner Meinung nach Zivis Drückeberger sind. Ich setze dann dagegen, das Zivis in der Regel mehr über ihren Schritt nachgedacht hätten, da die meisten Soldaten der Einfachheit halber der Einberufung Folge leisten würden. Sicher trifft sowohl das, was Thomas sagt, als auch das, was ich sage, auf eine kleinere oder größere Zahl von Betroffenen zu. Richtig ist allerdings doch, dass sich eine Reihe von jungen Leuten bewusst in die eine wie andere Richtung entscheiden aber bei wieder anderen genau das vorliegt, was Thomas und ich gegensätzlich behaupten. So geht es zwischen uns beiden dann ein paar Mal hin und her, bis dann von mir „Früher, als es noch die Gewissensprüfungen gab“ kommt und Tommy mit den bereits erwähnten Satz „Früher, früher ...“ einkontert. Dann „platzt mir der Kragen“ und ich schimpfe los – unmotiviert und unqualifiziert. Umgekehrt gibt es eine solches Platzen natürlich auch. Solche Abläufe sind, wenn man sich an einem Tisch gegenüber sitzt, noch nachvollziehbar aber am Telefon können diese nicht funktionieren. Da hört man dann auf einmal einen Knacks und weg ist der andere. Aber wie kann man miteinander kommunizieren, wenn der eine in Hildesheim und der andere in Bergdorf ist? So hatte Katharina seit dem Vorfall mit Christina unheimliche Schwierigkeiten überhaupt an unseren Sohn heranzukommen und deshalb versuchte ich es ab dem Tage unserer Versöhnung ebenfalls emsig. Grundsätzlich war, wenn ich mehr als drei Worte sagen konnte und über ein 10-Sekunden-Telefonat hinaus kam, erst jemand anderes am Apparat gewesen; Thomas legte den Hörer immer gleich auf. Also es kam gar nicht erst zu der zuvor beschriebenen Schlagwortfetzerei. Natürlich kämpften wir nicht nur über Festnetz und Handy um die Aufmerksamkeit unseres Sohnes sondern auch nach alter Väter Sitte per Briefpost. Mindestens zwei Briefe mit mindestens drei Blatt beschriebenen DIN-A-4-Papier gingen von Bergdorf nach Hildesheim auf die Reise. Aber wir wissen nicht, ob sie überhaupt die lesende Aufmerksamkeit des Empfängers erreichten. Mir gegenüber dürfte dieses aus zwei Gründen erklärbar sein. Einmal waren da die regelmäßig im Streit endenden Diskussionen wie ich diese oben verschrieben habe und zum anderen gab er mir hinsichtlich meiner Pleite die Schuld daran, dass wir nicht so da standen wie „die Anderen“ – und ehrlich gesagt: das kann ich sogar verstehen. Aber wie so kam Katharina, seine Mutter, nicht mehr an ihm heran? Ich konnte mir das nur so zusammenreimen: Aus Christinas Abschiedsbrief wusste ich ja, dass er zu Bundeswehr gegangen war, um sich von mir, seinem „Übervater“ abzunabeln. Aber auch ohne Tinas Aussage habe ich es irgendwo gewusst. Er wollte mir durch eine Offizierskarriere zeigen, dass er eine von mir abweichende eigene Meinung habe und gleichzeitig zeigen was er kann. Ich jedoch strafte ihn mit pazifistischer Verachtung und sein Dienstgrad und so weiter waren mir absolut „wurst“. Da erschien dann dieser Goldmann auf der Bildfläche. Für diesen „rechten Feger“ war Thomas dann das Superass; bei ihm fand der „Supersoldat“ die Anerkennung, die er bei seinem Vater vermisste. Zu Goldmann hatte er eine starke emotionale Beziehung aufgebaut. Als dann die Sache mit Christina passiert war und Katharina dieser Type den Stuhl vor die Tür
setzte, waren bei unserem Sohn alle Drähte zu seinen Eltern heiß gelaufen und er brach auf die beschriebene Art und Weise mit uns. Das ich mit meiner Theorie gar nicht so falsch lag halte ich schon durch die Tatsache bewiesen, dass er, nachdem Goldmann mit seinen Straftaten, von denen ihm Katharina in ihren Briefen berichtet hatte und dieses auch mit Zeitungsausschnitten belegte, aufgeflogen war, auf einmal seiner Mutter wieder zugänglicher wurde. Danach, also so ab Anfang Juni, tauschte er auch mit mir mal wieder 3 bis 4 Sätze, was natürlich wesentlich mehr als nichts ist, am Telefon aus. Katha brachte es jetzt sogar auf Gespräche von 5 bis 10 Minuten Dauer. Für uns war das genau der richtige Zeitpunkt, denn am Samstag, den 12. Juni 1999, stand Tommys 25. Geburtstag auf dem Kalender. Katharina konnte ihn dazu bewegen, einem Heimat-Wochenend-Urlaub zuzusagen und sie gleichzeitig mit der Vorbereitung einer kleinen innerfamiliären Geburtstagsfeier zu beauftragen. Meine erst vor kurzem zurück gewonnene Frau war überglücklich und der Überzeugung, dass nun der Durchbruch zu den „alten Zeiten“, wo wir eine Familie und glücklich waren, gelungen sei. Hiervon profitierte ich dank ihrer guten Laune und der Zuwendung zärtlicher Liebe, die ich jetzt regelmäßig erfahren durfte. Nur ein Haar hatten wir noch in der Suppe und das war „die Gefangenschaft“ unserer Tochter Christina in der Villa des lebenden Computers Hannsfrieder Klettner und seiner Gattin Marianne Berghoff-Klettner. Genauer gesagt war dieses für Katha ein Haar aber für mich war es etwa ein Pfund Salz in der Suppe. Sie ging ja von einer normalen Hausmädchentätigkeit aus und ich wusste was da wirklich los war. Wobei ich die Partyanimation sogar noch der Kategorie harmlos zuordnen wollte. Aber irgendwie sagte so ein Männlein in mir, dass sich Marianne möglicher Weise wieder so einen „Hengst“, für den ich ursprünglich herhalten sollte, zugelegt hatte und Tina jetzt, wie Verena damals bei mir, kräftig mitmischen würde. Wenn dieses nicht bereits eingetreten ist, dann dürfte es nach meiner Überzeugung tatsächlich nur eine Frage der Zeit sein, bis es wieder richtig los geht. Natürlich wollte ich alles daran setzen, sie da raus zu holen. Aber die Telefonate mit ihr waren fast genauso schwierig wie die mit Thomas. Zwar legte sie nicht wie ihr Bruder gleich auf aber bedeutend mehr dabei auch nicht raus. Ich gebe jetzt mal ein typisches Gespräch mit ihr als Beispiel wieder. Damit ich mir die Einleitungen zur wörtlichen Rede sparen kann gebe ich jetzt in kursiver Schrift, das was Tina sagt wieder. In der Regel ist sie oder Bogussia am Telefon wenn man anruft. Wenn Christina dran ist läuft das so ab: „Hier bei Klettner, Christina Schröder am Apparat. Schönen guten Tag.“. „Tina, ich bin es Vati. Wie geht es dir mein Schatz?“. „Gut“. „Bist du mir böse oder ist was?“. „Nein, nein, es ist nichts.“ „Willst du nicht mit mir sprechen?“. „Doch, doch.“. „Kann ich was für dich tun? Hast du einen Wunsch?“. „Nein, Danke.“. „Wolltest du uns nicht mal besuchen?“. „Ich habe leider keine Zeit.“. „Ich glaube ich rufe lieber ein anderes Mal noch einmal an.“. „Ja, mach mal.“. „Tschüs mein Engel mach’s gut ... ich habe dich sehr lieb.“. „Tschüs Vati.“ Und dann legt sie auf. Und dabei sind die Gespräche mit mir ergiebiger als die mit Katha, denn ihrer Mutter sagt sie stets und ständig sie habe keine Zeit. Natürlich wollten wir unser „Töchterchen“ bei unserer Familienzusammenkunft, der ersten nach der missglückten anlässlich Tinas letzten Geburtstag, auch dabei haben. Bis zum Morgen des Mittwochs vor Thomas Geburtstag hatten wir uns diesbezüglich keinen Schritt vorwärts bewegt. „Rede doch mal mit Marianne.“, schlug mir Katha daraufhin vor und ich gab darauf zurück: „Meinst du, dass das gut ist? Wie wäre es, wenn ich dir ihre Handynummer gebe ... damit nicht Tina ‚dazwischen fuscht’ – und du mal mit ihr redest?“. Ganz wohl war es ihr dabei nicht, aber sie machte es. Marianne vereinbarte ein Treffen mit Katha – wieder im Heidekrug. Und so kam es am Nachmittag nun zum zweiten Treffen der beiden Frauen. Meine Befürchtungen, dass da ein „Hengst“ war, bei dem Tina mit ins pornografische Treiben einbezogen werden könnte, bekamen dadurch Nahrung, dass sie mit ihren roten Flitzer sowohl angefahren wie abgeholt wurde. Was für uns der eigentliche Anlass war hätte man auch leicht am Handy abwickeln können. Aber Marianne wollte auch gerne was zu meiner Person und unserer wieder auflebenden ehelichen Beziehung wissen. Für Katharina war das ein Zeichen dafür, dass Marianne mich tatsächlich geliebt habe und konnte ihre „Exnebenbuhlerin“ gut verstehen. Auf jeden Fall hatte die Unterredung, den von uns gewünschten Erfolg, noch am gleichen Abend erhielt ich einen Anruf von unserer Christina: „Hallo Vati. Ich habe jetzt zwar wenig Zeit. ... Du kennst es ja, Marianne will ausfahren. Aber Samstag bin ich um Sechs bei euch. Schöne Grüße an Mutti ... und sei vorher recht nett zu Tommy. Küsschen und Tschüs.“. Ich hätte vor Freude durchs heile Dach springen könne. Das war die Chance; jetzt kann ich mein Mädchen aus der Eroshölle der Millionärsgattin befreien. Ich stürzte auch gleich auf Katha zu, nahm sie fest in den Arm und schwenkte sie einmal im Halbkreis hin und her, wobei eine zirka 15 Jahre alte Standvase, die ich Katha mal mit Blumen zum Hochzeitstag geschenkt hatte, zu Bruch ging. „Macht nichts,“, kommentierte Katha, „Scherben bringen Glück ... Hauptsache wir sind glücklich.“. Plötzlich schlotterten mir doch die Knie, denn irgendetwas in meinem Unterbewusstsein sagte: „Hoffentlich habt ihr euch nicht zu früh gefreut.“. Aber für Katharina und für mich war es ein Anlass für einen gemütlichen Abend; für ein Tea for to. Auch am Freitagnachmittag saßen wir, das Ehepaar Schröder, in trauter Runde beieinander. Sehnlichst und bange warteten wir auf die Ankunft unseres Sohnes, der an diesem Tag erstmalig nach langer Zeit wieder Zuhause erscheinen wollte. Zwischen Fünf und Sechs trudelte er früher dann immer spätestens ein. Dann gab es meist das erste „Theater“
wegen seines Erscheinens in Uniform. Heute hatte ich mir vorgenommen, dass ich, wenn er in Montur erscheint, dieses sogar freundlich zur Kenntnis nehmen wollte. Ich hatte mich jetzt sogar nach dem Dienstgrad unseres Sohnes erkundigt und wollte es anerkennend würdigen, das er inzwischen Hauptmann ist. Er hat sich also stramm rangehalten. Zum ersten Mal erfuhr ich, dass er sich um eine Versetzung in eine andere Einheit beworben hatte um dort Kompaniechef zu werden. Da hat ihn ein Mitbewerber um diesen Posten dahingehend beschuldigt schwul zu sein und er hat sich dann auch dazu bekannt. Dadurch geriet er erst mal auf die „Warteliste“, denn zu Schulden kommen lassen hatte er sich nichts – schwul sein ist ja wohl keine Straftat. Das war also der Vorfall, den Tina in ihrem Abschiedsbrief erwähnt hatte. Aber ob schwul oder hetero, für Katha und für mich war es unser Sohn, den wir so oder so gerne haben. Mittlerweile hatten wir schon kurz vor Acht und er war immer noch nicht unter unseren Fittichen. Katha war bereits völlig aufgelöst und deshalb musste ich schon ans Telefon gehen als dieses schellte. Am anderen Ende meldete sich Thomas: „Hallo Vati, alter Schwede. Sorry, meine Kameraden haben mich nicht vom Hof gelassen und wollen mit mir rein feiern. Ich komme dann morgen mit dem Zug und vom Bahnhof aus kann ich ja Werner Schulte mal was zu verdienen geben. Also tschüs und prost.“. Danach war Katharina richtig erleichtert: „Gott sei Dank, es ist nichts passiert. Na ja, das er erst mal mit seinen Kameraden feiern will kann ich ja verstehen. ... Morgen kommt er ja. Und vernünftig ist er ja auch, wenn er getrunken hat kommt er halt mit dem Zug. ... Ist ja auch mein Sohn.“. Und dann lachte sie erst mal, woran ich erkennen konnte, dass dieser Abend, obwohl der erwartete Sohn nicht eingetroffen war, doch irgendwie gerettet war. Aber am nächsten Tag ging die Warterei vom Neuen los. Kommt er oder kommt er nicht. Kurz vor Sechs schellte wieder mal das Telefon. Diesmal ging Katha, obwohl sie nicht weniger aufgelöst wie am Vortage war, ans Telefon. Was ich aus ihren Antworten mitbekam, ließ mich auf Böse schließen. Unzweifelhaft war Thomas am anderen Ende und das in Hildesheim oder Umgebung; also weit weg von Bergdorf. Katharinas besorgte Worte und wie sie diese vortrug ließen keinen Zweifel daran, dass der „Junge“ kurz vor dem Zustand des Stockbesoffenseins zu stehen schien. Dabei muss er sich auch an- und abfällig über uns geäußert haben. Alles andere hat mir Katha, als sie sich an meiner Brust ausweinte, bestätigt aber Letzteres allerdings nicht. Ich vermied es auch, diesbezüglich nachzuhaken. Just in dem Moment als die Tränen flossen, schellte Tina an der Tür. Nachdem Christina eingetreten war ging sie erst mal spontan auf ihre Mutter zu um diese herzlich zu umarmen, wobei Tina natürlich Kathas verheultes Gesicht auffiel. Sie kombinierte gleich in die Richtung früherer Abläufe: „Wo ist mein Bruder, das Geburttagskind? Oder haben sich die Herren Schröder wieder so in der Wolle gehabt, dass Tommy wieder abgedüst ist?“ Und danach gab sie mir dann nüchtern und etwas kalt die Hand. Katharina erhob dann aber zu meiner Ehrenrettung das Wort: „Nein, Thomas ist schon das ganze Wochenende mit seinen Kumpels am Saufen und ist deshalb nicht gekommen. ... Ich weiß nicht, in unserer Familie gibt es sonst keinen Säufer und wieso macht Tommy das?“. Jetzt sah ich mich zur Ehrenrettung unseres Sohnes berufen und konnte damit auch gleich eine Begründung für mein Missfallen liefern: „Ach, ich glaube nicht das unser Junge ein Säufer ist. Das liegt alles nur an dem Umfeld, an den Eigenarten die Militär überall in der Welt mit sich bringt. Mit Weicheiern und Softis kann man keinen Krieg gewinnen, da müssen die jungen Leute schon auf harte Kerle, auf Macho, getrimmt werden. Jeder muss Angehöriger einer Elite sein. Da wird dir bei dem Fallschirmjägern eingehämmert, dass die Leute, die aus den Flugzeugen springen, die Elite seien. Bei den Pionieren sind es die Leute, die unter Feindbeschuss Brücken bauen können und bei den Panzern, wo unser Tommy ist, sind es diejenigen, die ihren eigenen eisernen Sarg durch die Gegend gondeln. Und in unserer Spaß- und Ellenbogengesellschaft sind dann thekenfeste stramme Kampftrinker in gewissen Kreisen auch Elite. Und ob Schütze Arsch oder Hauptmann sind sie alle nur junge Leute und Kinder unserer Gesellschaft ... und da gehört das Verstandzuschütten eben dazu. Und auf der anderen Seite, ... da wollen wir mal ganz ehrlich sein, fällt es Tommy, nach alledem was hier passiert ist, nicht leicht heim zu kommen und ‚Hurra, heile Welt’ zu rufen. ... Ich glaube, das wird schon werden. Ein Bisschen kenne ich ihn ja auch ... er ist ja schließlich auch mein Sohn.“ „Dann kann ich ja gleich wieder gehen?“, war dann Christinas erste Reaktion, „Vati, du hast doch meine Papiere im Krankenhaus abgeholt? Kannst du mir die jetzt bitte geben?“. Das Tina wieder gehen wollte missfiel mir natürlich enorm aber dass sie ihre Papiere haben wollte hätte mich beinah zum Jubelschrei veranlasst. Es war ein eindeutiges Zeichen für mich, dass Klettner sie nun als ordentliches Haus- und nicht mehr als Lustmädchen beschäftigen wollte. Aber ich brauchte erst mal nichts zu sagen, da dieses von Katharina übernommen wurde: „Vati, kriegt dir natürlich sofort die Papiere ... Bevor wir es nachher vergessen. Aber das du jetzt gehst kommt überhaupt nicht in Frage. Wir machen jetzt halt eine Geburttagsfeier ohne Geburtstagskind und du bist der wichtigste Gast. Wir sind ja überglücklich dich hier zu haben.“ Irgendwie schien Tina jetzt glücklich zu sein, dass sie so zum Bleiben aufgefordert worden ist. Nachdem ich die Papiere geholt und meiner Tochter bereit gelegt hatte, fragte ich nach: „Dann hat sich Big Klettner doch dazu durchgerungen dich ordentlich gegenüber Finanzamt und Sozialversicherung zu beschäftigen?.“ Jetzt erwartete ich eigentlich aus diversen Gründen nur eine positive Bestätigung ohne weitere Erläuterung aber Tina holte aus: „Ja, als der spitz bekommen hatte, dass ich den Wichser von Goldmann verpfiffen habe, hatte er kalte Füße bekommen ... ich könnte ihn ja auch hinsichtlich illegaler Beschäftigung und Zuhälterei verpfeifen. Da hat er mir die Pistole auf die Brust gesetzt: Entweder richtiges Hausmädchen oder raus. Finanziell stehe ich mich nicht viel schlechter als vorher, denn ich muss mich auch als Krankenschwester um Marianne kümmern, da es der in letzter Zeit gar nicht so
gut geht. Für Partysex bestellt er jetzt Callgirls.“. Diese ausführliche Antwort „haute“ meine Gattin natürlich um, denn zwei Dinge waren für sie vollkommen neu und in diesem Moment noch rätselhaft: Einmal das Christina Goldmann verpfiffen hat und andererseits die Geschichte mit dem Partysex. Wir mussten jetzt Katha reinen Wein, über den sie nicht gerade begeistert war, einschenken. Und prompt hing der Haussegen, zum ersten Mal nach meiner Heimkehr, etwas schief. Das Christina Goldmann angezeigt hatte, ging auch aus Katharinas Sicht in Ordnung; schließlich hasste sie diesen Kerl ja auch. Aber die Lustmädchengeschichte war beim besten Willen nicht nach ihren Geschmack. Und in der Richtung gab sie mir die Schuld, da ich das gar nicht hätte zulassen dürfen. Alle guten Dinge sind drei und deshalb gab es jetzt eine dritte Ehrenrettung, diesmal von Tina: „Mutti, mach Vati bitte keine Vorwürfe. In diesem Fall ist er wirklich unschuldig. Das war alleine ich und Vati hat das auch immer wieder verhindern wollen. Ich habe damit gedroht, dass ich meinen Selbstmord wiederhole; dann aber richtig. Vati wollte auf keinen Fall das ich mich umbringe und wollte mich auch immer aus der Villa rausholen. Deshalb sind auch unsere Beziehungen im Moment so kühl. Ich wollte nicht mehr nach Hause kommen damit Vati nicht auf mich einwirken kann. ... Dabei habe ich euch beide doch so lieb. Er hat dir nur nichts davon gesagt, damit du dich nicht aufregst und dir Sorgen machst. Aber es ist ja nichts passiert. Jetzt ist es eine ordentliche Arbeit wie jede andere auch. Und als Partygirl habe ich nur einmal fungiert. Da bin ich zwar nackt darum gesprungen, aber sonst ist nichts passiert. ... Frage Vati.“. Das Letzte hätte sie besser weg gelassen aber ansonsten war ich rehabilitiert und eine halbwegs harmonisierte Stimmung konnte nach und nach hergestellt werden. Als der Frieden wieder hergestellt war, folgten noch zwei Geständnisse von Tina. Jetzt rückte sie damit raus, dass sie Goldmann aufgrund beiläufiger Beobachtungen, Mutmaßungen und nach dem Lottoprinzip angezeigt habe. Sie habe das aber bereits am Vortage, zu der Zeit wo Marianne und Katharina zusammensaßen, gestanden. Jetzt habe sie selbst ein Verfahren am Hals, wo sie aber laut Kripo hinsichtlich der Umstände mit heiler Haut rauskäme. Wir sollten ihr diesbezüglich die Daumen halten. Das zweite Geständnis kann ich wörtlich wiedergeben: „Ach Vati, entschuldige, aber mit den Papieren bin ich, als ich kam, extra angefangen und hoffte, das du mich nach meiner Arbeit fragtest. Hättest du das nicht gemacht wäre ich ungefragt damit angefangen. Wo Goldmann jetzt verhaftet ist, brauche ich ja keine Angst mehr hier in Bergdorf zu haben. Da wollte ich reinen Tisch machen, damit ich auch öfters mal hier vorbeikommen kann. Ich liebe doch meine Eltern.“. Das hörten wir Eltern verständlicher Weise doch ganz gerne. Danach lief dann doch eine ruhige kleine Geburttagsfeier, bei der nur das Geburttagskind selbst fehlte, ab. Damals waren wir Drei der Meinung, dass sich die Angelegenheit mit Thomas auch noch regeln würde und wir inzwischen wieder auf dem richtigen Gleis wären. Wir hofften, dass es am 5. Juli, wenn Katharina Geburtstag hat, bestimmt schon ganz anders aussehen würde. Was jetzt noch nicht war, würde sich bestimmt dann erfüllen. Ich hatte mir im Laufe des Abends ein paar Bierchen getrunken und deshalb stand auch Katha parat als Christina um Elf gehen wollte um sie zur Villa zu fahren. Im Bett bekundete mir Katha: „Ich glaube langsam wird es wieder was ... und dann lassen wir es nicht wieder abgleiten.“ Das letzte Wort hatte ich an diesem Tage und damit bestätigte ich meiner Frau, dass ich der gleichen Meinung und Hoffnung sei wie sie.
Zum Kapitel 19
Zum Inhaltsverzeichnis
Und noch eine Geburtstagspleite Da gibt es das schöne Wort „Lebensplanung“ was in Wirklichkeit nur sprachlicher Nonsens ist, denn Planung heißt doch ganz einfach, dass man sich Ziele setzt und dann Eckdaten sowie einen zeitlichen Rahmen absteckt, wie man diese Ziel erreicht. Wir kennen das von Bau-, Reise-, Produktions- und anderen Planungen. Auch bei den zuletzt genannten Aufgaben ist es selten, dass man letztendlich feststellen kann das es keine größere oder kleinere Abweichungen vom Ursprungsplan zur Ausführung gab. Dass jedoch eine Lebensplanung bündig in Soll und Haben aufgeht ist so gut wie ausgeschlossen. Das hängt ganz einfach damit zusammen, dass wir nicht allein auf der Welt leben und uns tagtäglich, bewusst oder unbewusst, geplant oder zufällig, andere Menschen über den Weg laufen, das eingeplante Leute gar nicht oder anders als erwartet unsere Wege kreuzen. Oft können wir ein Teilziel aus dem Grunde nicht erreichen, weil ein anderer den wir dazu benötigen, ganz was anderes geplant hat und dann alles über den Haufen wirft. Wenn wir jetzt im Gegenzug sagen würden, dass wir dann alles sein lassen, uns keine Ziele mehr stecken, dann läuft gar nichts mehr. Alle lassen alles auf sich zukommen und keiner unternimmt etwas – Kismet, Schicksal. So ist man gezwungen, was zu planen, was mit großer Wahrscheinlichkeit gar nicht kommt. Davon konnte ich ja nun in den letzten Jahren ein Lied singen. Ursprünglich hatte ich mal geplant bis zum Rentenalter meine Brötchen als Schriftsetzer zu verdienen, aber dann vollzog sich der Wandel vom Blei- auf den Fotosatz und aus Treue zu meinem alten Chef habe ich den Schritt nicht mitvollzogen. Aber als mein Chef dann das Zeitliche segnete, war Ziel 1 schon mal geplatzt. Dann plante ich das Beste daraus zu machen, meinen Betrieb zu übernehmen, zu modernisieren und diesen bis zum Erreichen des Altenteils zu führen. Da spielten aber die Banken nicht mit und der Pleitegeier schlug zu. Na ja, dann war es wieder mal mein Ziel das Beste daraus zu machen und friedlich als Pleitier in Diensten meiner Familie zu leben. Was daraus geworden ist, darüber habe ich ja bis jetzt einen halben Roman geschrieben. Immer kam es anders als ich ursprünglich gedacht hatte. Wenn ich in dieser Hinsicht daran denke, dass es da Bestrebungen gibt die Rentenversicherung auf Kapitalversicherungen oder Immobilienanlagen umzustellen kann ich nur sagen: „Oh je, oh je, hoffentlich geht das gut. Dann dürfte doch so manches Mal die Alterssicherung den Bach der Zwangsvollstreckung herunterrauschen. Hoffentlich schafft man bis dahin die Stütze nicht ab, damit der Steuerzahler Schicksalsschläge ausgleichen kann oder wir führen die umgehende aktive Sterbehilfe für mittellose Rentner ein, ... ist ja humaner als elendig verhungern.“. Schon auf einer so kurzen Distanz von Tommys (12.6.) zu Kathas Geburtstag (5.7.) kann eine Planung schon reichlich durcheinander geraten. Da hatten wir uns das Ziel gesetzt, das was zu Thomas Geburtstag nicht geglückt war – das Kitten der Familienbande - dann endgültig auf Katharinas Geburtstag zu vollenden. Wir, die Eltern, waren inzwischen wieder miteinander verbunden, Christina hatte einen als ordentlich zu bezeichnenden Arbeitsplatz und sie wollte, weil der Mann vor dem sie Angst hatte hinter Schloss und Riegel war, regelmäßig innerhalb der elterlichen vier Wände erscheinen. Wo wir nur intensiv daran arbeiten mussten und selbstverständlich auch wollten, war das unser Sohnemann ebenfalls heim finden würde. Da sah auch alles gut aus. Katharina telefonierte täglich mit ihm und die Gespräche wurden zunehmenst länger. Dann, am Mittwoch nach seinem Geburtstag, war ein großes Teilziel erreicht: Er hatte den Wunsch mit mir zu sprechen. Ich ging mit den Worten „Hallo Herr Hauptmann, schon ein ganz schöne Karriere in jungen Jahren“ an den Apparat hatte schon halb gewonnen. Ich merkte sogar am Telefon wie er um 10 cm wuchs. Wir sprachen eine ganze Weile und er bekundete, das er recht froh darüber sei, dass jetzt mit Mutti und Vati alles wieder in Ordnung sei. Etwas zögerlich kam von ihm: „Vati, du weißt ja, dass ich schwul bin ... Was sagst du denn dazu.“. Da konnte ich ihm sogar mit meiner ehrlichen Meinung antworten: „Mensch Junge, frage ich dich wie du es findest, dass ich hetero bin? Gott hat dir diese Veranlagung mitgegeben. Willst du dem Schöpfungsfehler vorwerfen? Wenn du hier vorbeikommst um uns deinen festen Freund vorzustellen, werde ich den genauso behandeln als wenn Tina mit einem Schwiegersohnbewerber vor der Tür steht.“. Er freute sich über meine Ansicht und fügte noch an, dass er noch keinen festen Freund habe, worauf er von mir „Was nicht ist, kann ja noch werden“ zu hören bekam. Letztlich waren beide Seiten zufrieden und er verlangte dann noch mal nach Katharina um ihr sein Kommen fürs Wochenende anzukündigen. Dabei hat er noch daraufhingewiesen, dass er in Zivil erscheinen würde um mich nicht zu verärgern. Na ja, jetzt ist eitel Sonnenschein. Bereits am nächsten Tag konnte man diesem Ausspruch ein „Denkste“ anhängen. Zur Erledigung einer familiären Angelegenheit hatte man den U-Häftling Goldmann „ausgeführt“. Was das war, weiß ich natürlich nicht. Auf jeden Fall ist es ihm gelungen „lange Beine“ zu machen. Er tauchte dann vor dem Kindergarten, in dem Katharina stellvertretende Leiterin war, auf und wurde dort, von der Bergdorfer Polizei, die offensichtlich schnell und richtig reagiert hatte, in Empfang genommen. Man kann natürlich nur mutmaßen was er da wollte; gesagt hat er auf jeden Fall nichts. Es ist möglich, dass er bei Katha oder seiner Cousine, die auch in dem Kindergarten arbeitet, Unterschlupf suchen wollte. Es kann auch sein, dass er eine von beiden als Geisel nehmen wollte. Vielleicht wollte er sich auch an Katharina körperlich rächen. Passiert ist auf jeden Fall nichts. Für die Lokalpresse war das natürlich ein sogenanntes „gefundenes Fressen“ und diese schlachtete es dann am nächsten Tag halbseitig mit einer Reihe Mutmaßungen und auch Vorwürfen gegen Polizei und Justizvollzug insgesamt sowie gegen einzelne Beamte aus. Für uns nicht nur peinlich sondern ärgerlich war, dass in den Artikeln unserer beiden Lokalzeitungen dann von der Exgeliebten Katharina S. die in der Einrichtung arbeitet, die Rede war. Der Hinweis ist ja so weitgehend das es kaum von Bedeutung war, dass man Schröder mit S. abgekürzt hatte; alle die uns kannten wussten dann sowieso wer das war.
Zeitungslesen ist eine kaum gepflegte Tätigkeit in der Villa Klettner. Der Herr des Hauses ist zwar immer bestens informiert, da er lesen lässt und sich dann das für ihn Wichtigste zusammengefasst vortragen lässt. Na ja, über die Vorgehensweise von Big Klettner sollte man nicht lästern, da dieses, je nach Position eines Menschen, vernünftig und rationell ist. Aber seiner Gattin, unserem Mariandel, waren Zeitungen ein Fremdkörper und das wirkt sich dann auf ihr komplettes Umfeld aus. Als ich in ihrem Schlepptau war, habe ich immer nur sporadisch Zeitung gelesen und das war immer dann, wenn ich sie irgendwo hingefahren hatte und dann auf sie warten musste, zum Beispiel beim Arzt. Noch eine Voraussetzung musste erfüllt sein: Dort musste natürlich eine Zeitung ausliegen. So war es ein bisschen verwunderlich, dass Christina kurz nach Acht, das Klettnersche Frühstückshofzeremoniell musste wohl gerade beendet sein, anrief und sich auf die Artikel berief. Ich halte es für möglich, das Tina sich im Hinblick auf die Steine, die sie ins Rollen gebracht hatte, von Bogussia versorgen ließ. Tinas Sorge drehte sich natürlich erst mal um ihre Mutter. Sie wollte wissen, wie Katharina das aufgefasst und verarbeitet haben. Ich konnte sie wahrheitsgemäß trösten, dass meine Frau dieses wohl geärgert hat; sie dieses aber ansonsten gelassen genommen hat. Dann kam aber von unserer Tochter etwas, was zwar zu erwarten war aber wo ich hoffte, der Kelch könne an uns vorübergehen: „Vati, ... das kannst du doch sicher verstehen. Ich habe wieder große Angst vor dem Kerl und möchte deshalb doch nicht, wie ich erst sagte, jetzt wieder regelmäßig nach Hause kommen. Ich bleibe lieber hier. Hier kriegt er mich nicht.“. „Ach Mädchen,“, begann ich meine Antwort, „die Angst ist doch ganz unbegründet. Die passen doch jetzt wie ein Schießhund auf den auf, da gibt es mit 100%-iger Sicherheit keine Wiederholung mehr. Komm du mal ruhig. Am Wochenende ist auch Tommy hier und dann sind wir wieder komplett. Außerdem hole ich dich auch gerne ab.“. Die Antwort kam leise: „Mein Verstand sagt mir auch das ich keine Angst haben brauche aber in meinem Gefühl lähmt sie mich. ... Das wird sich bestimmt auch bald ändern, aber verzeih es mir bitte jetzt. Bringe es Mutti schonend bei und ich rufe dann nach der Tagesschau ... die ihr euch üblicher Weise immer anseht noch mal an. Tschüs bis dann. Ich habe euch sehr lieb.“. Nach meinem Schlusswort „Wir dich auch“ legten wir auf. Jetzt hatten wir den einen überzeugt wieder heimzufinden und da hat die andere keine Traute mehr. Und schwierig ist es am Telefon psychologische Überzeugungsarbeit zu leisten, denn in der Villa hatte ich keinen Zutritt mehr und kam so an sie persönlich nicht ran. Als ich am Nachmittag mit Katharina darüber sprach, wollte die es dann, nach den zwei erfolgreichen Kontakten mit ihrer „Exrivalin“ noch ein drittes Mal über Marianne Berghoff-Klettner versuchen. Diesmal lief es aber anders. Als Katharina sie auf ihrem Handy erreichte, machte die es kurz und bündig, und zwar sagte sie Katha in einem etwas barscheren Ton, dass sie keinen weiteren Kontakt mehr wünsche. Vielleicht um uns beiden eins auszuwischen, betonte sie, dass sie einen Ersatzmann an meiner Stelle gefunden habe und sie jetzt einen rigorosen Schlussstrich mit ihrer Pepevergangenheit ziehen wolle. Das mit dem Schlussstrich wäre glaubhaft gewesen, wenn nicht Tina, die sie ja unweigerlich an mich erinnern musste, in ihrem Umfeld gewesen wäre. Aber so oder so blieben uns dann tatsächlich nur die telefonischen Kontakte mit unserer Tochter. Auf jeden Fall erschien am Wochenende dann unser Sohn wieder auf der Bildfläche. Schon kurz nach Drei am Nachmittag stand er auf der Matte. Und das noch nicht mal als Hauptmann Schröder sondern als adretter Zivilist. Ganz eindeutig wertete ich dieses als ein Zeichen eines Aufeinanderzugehens des Sohnes auf den Vater. Im Gegenzug erkundigte ich mich erstmalig seit dem er bei dem Haufen ist, und das sind ja nun schon ein paar Jahre, nach seiner militärischen „Arbeit“. Ich hatte das Gefühl, dass wir uns gar nicht so sehr am Riemen reißen mussten, denn er schien froh in meiner Nähe zu sein und ich ihn in meiner Nähe zu haben. Die Einträchtigkeit zwischen Vater und Sohn war natürlich ein besonderes Erlebnis für Katha. Vom Nachmittag bis zum späten Abend hatten wir in Folge ein harmonisches Familienleben. Allerdings betonten alle Drei des Öfteren, dass es schön wäre, jetzt auch unsere Tina dabei zu haben. Am nächsten Tag kehrte dann wieder der Vater-Sohn-Alltag ein. Es gab wieder diese und jene, zum Streit verführende, hitzige Debatten. Was mich besonders wurmte war, dass er doch sehr viele Stammtischparolen des Rechtspopulisten Goldmann übernommen hatte. Jetzt kann ich aber nicht sagen, ob es nur Munition, die er gegen seinen Vater verschoss, war oder ob er es ernst meinte. Gegen das Ernstmeinen spricht unter anderem, dass er am 20. April eine, dem ehemaligen Wiener Stadtstreicher und Verführer der Deutschen gewidmete Veranstaltung hat auffliegen lassen und die „Kameradschaft“ hat zur Verantwortung ziehen lassen. Goldmann hätte bei dem Gelage bestimmt mitgefeiert. Allerdings hatten wir beide Hitzköpfe aus unserer Vergangenheit gelernt und gingen, schon deutlich bevor die Aggressionskurve höhere Gefilde anstrebte, dann wieder aufeinander zu und wechselten einvernehmlich das Thema. Ich würde mal sagen: Normale Vater-Sohn-Konflikte wie sie mal in guten Familien üblich sind. Am Samstagabend rief dann Christina an. Sie hatte ausreichend Zeit, da Klettners zu einem Empfang bei einem anderen „Stinkiepieff“, wie sie sagte, waren. Alleine war sie nicht, denn mein „Nachfolger“ leistete ihr Gesellschaft. Ehrlich gesagt, wohl war mir bei dieser Vorstellung nicht. Nachdem sie sowohl fünf Minuten mit mir so wie mit Katharina gesprochen hatte verlangte sie nach ihrem Bruderherz und dann lief die Strippe über eine Stunde heiß. Thomas berichtete sie dann etwas über ihren „Kollegen“, der den Job des Fahrers mit Beischlafverpflichtung bei Marianne Berghoff-Klettner übernommen hatte. Es handelte sich um den 30-jährigen Sascha Schulte. Ich kannte ihn nicht, aber
dafür hatte Thomas schon einiges von ihn gehört. Schulte, habe den Ruf einer besonders ausgeprägten Potenz und wäre trotz seiner jungen Jahre bereits das zweite Mal geschieden. Der und Tina war für Tommy auch keine berauschende Vorstellung. Was für uns aber besonders wichtig war, ist die Tatsache, dass Thomas seiner Schwester ein Wenig die Angst vor dem „bösen“ Goldmann hat ausreden können und sie in Erwägung zog vielleicht am nächsten Tag vorbei zu kommen. Daraus wurde allerdings nichts und so fuhr Thomas am Abend dann ohne ein Zusammentreffen mit seiner Schwester zurück zu des Vaterlands grauen Haufen. Katharina und ich hatten aber nach dem Telefonplausch der Geschwister Hoffnung geschöpft, dass es zum Geburtstag der Mutter am 5. Juli erstmalig wieder zu einer kompletten Familienrunde kommen könne. Was uns allerdings nicht so besonders behagte, war, dass dieser Tag in diesem Jahr auf ein Montag fiel. Thomas musste, das wussten wir bereits im Vorfeld, einen Kompaniechef, der glaubte Urlaub machen zu müssen, vertreten und werktags dürfte auch Christina höchst ungern von ihrer Herrin aus ihrem Herrschaftsbereich beurlaubt werden; das wusste ich ja selbst aus meiner Lakaienzeit im Klettnerreich. Wir mussten also in Betracht ziehen, am Wochenende nachzufeiern. Jetzt hatten wir zwei Mal zwei Aufgaben bei unseren Kindern zu bewältigen: Einmal mussten wir sie dazu bewegen, überhaupt zu kommen und zum anderen mussten die Termine abgestimmt werden. Also fassten wir zunächst den, dem Geburtstag folgenden Samstag ins Auge. Aber genau für dem 10. hatten die Klettners eine „Großveranstaltung“ in ihrem „Protzklotz“ terminisiert. Da wurde nicht nur Tina sondern sogar noch Aushilfspersonal benötigt. Sollte der lebende Roboter Klettner einen runden Geburtstag haben – ich wusste es nicht. Einen Tag vorher, am Freitag, funktionierte es bei Thomas nicht, da die Kompanie, wo er den Boss in Stellvertretung markieren sollte, erst an diesem Freitag von einer Übung zurückkam und Tommy nicht absehen konnte, wann er aus Hildesheim wegkam. Der Sonntag war dann auch wieder ausgeschlossen, da Thomas zum Geburtstag seiner Mutter unbedingt auch ein „Schlückchen“ trinken wollte und er dann mit dem Zug nicht mehr rechtzeitig zurück zu seinem Haufen kam. Also blieb letztendlich nur noch Samstag, der 17. Juli, also noch eine Woche später. Da, so war unser knallharter Vorsatz, sollte die Erneuerung unseres Familienglücks endgültig gelingen. Sollte ... . Katharina und ich hatten dem Wochenende vom 16. bis 18. Juli 1999 richtig entgegen gefiebert. Endlich sollte unter der dunkelsten Periode unserer Ehezeit ein dicker Schlussstrich gezogen werden. Als Katha kurz nach 16 Uhr vom Dienst kam „schnappte“ ich mir unseren Golf und fuhr noch mal zum Baumarkt um noch einige Dinge, die ich zum Tapezieren unserer Wohnung, was ab Montag der Folgewoche stattfinden sollte, einzukaufen. Auch dieses sollte im Zusammenhang mit unserem Neubeginn stehen, helle und frische Tapeten in unserer Wohnung sollten das äußere Zeichen der neuen Ära sein. Während meiner Zeit traf dann auch Thomas Zuhause ein. Zum ersten Mal seit dem Neustart vor einem Monat trat er wieder in Uniform, was Katharina auch nicht so gerne sah, an. Sie vertrat die Ansicht, dass Uniformen auf sie wie eine Zuordnung zu den Vollstreckern des staatlichen Gewaltmonopols wirke. Deren Sinn und Zweck wollte sie zwar nicht in Frage stellen aber sie fand es für unnötig, diese Obrigkeitssymbole in das zivile Leben und erst recht nicht in die Familien zu tragen. Das war aber nicht der Hintergrund des Streites der während meiner Abwesenheit zwischen Mutter und Sohn ausgebrochen war; diese Sache wirkte nur etwas verschärfend. Der eigentliche Grund war, das Thomas einen Brief von Goldmann erhalten hatte. Diese Type wirkte also, obwohl hinter Schloss und Riegel, immer noch unheilvoll in unsere Familie hinein. In seinem Brief beschuldigte mich der Knabe als Drahtzieher einer böswilligen Verleumdungskampagne gegen ihn, in der er zu Unrecht beschuldigt würde. Was anderes können man von einem linken Volksparasiten auch nicht erwarten. Christina beschuldigt er meine willige Helferin zu sein. Generell hielt Tommy den Brief für absoluten Blödsinn und hatte ihn auch gleich zerrissen. Er hatte seiner Mutter nur davon berichtet und bis da war alles glatt gelaufen. Dann setzte Thomas aber damit fort, dass an jedem Blödsinn ein Funke Wahrheit sei und das wäre in dem Brief dieser oder jener meine Weltanschauung betreffender Punkt. Unser Junge war wohl doch ein Wenig zu viel von Goldmanns brauner Stammtischstrategenideologie infiziert worden. Das hörte meine Frau dann aber doch nicht gerne und letztlich gab ein Wort das andere. Als ich dann vom erfolgreiche Einkauf wieder nach Hause kam stürmte mir Thomas brasselnd entgegen und verließ wütend das Haus. Als ich dann in die Wohnung kam stand da Katharina mit durch Tränenfluss verunreinigtem Gesicht und hielt, irgendwie triumphierend, Thomas Autoschlüssel in der Hand. Dann erfuhr ich erst mal vor allem anderen, dass er auf jeden Fall nicht abhauen könne. Kurz nach Acht stand dann Sohnemann reichlich betankt wieder auf der Matte und hatte einen Moralischen. Jetzt kullerten auch bei unserem 25-jährigen, jetzt auf wackelnden Beinen stehenden, Sohn die Tränen. Irgendwie stimmt mich so etwas dann auch immer sehr rührselig. Mutter und Sohn gingen aufeinander zu, umarmten sich und es folgte eine rührige, fast 10 Minuten dauernde Versöhnungsszene. Irgendwie hatte ich jetzt ein eigenartiges Mischgefühl aus Freude und Angst in mir. Freudig war ich darüber, dass nun doch die für den nächsten Tag geplante Geburttags- und Familienzusammenführungsfeier stattfinden konnte. Aber irgend so ein Männchen innerhalb meiner grauen Zellen sagte immer wieder „Pass auf, da passiert noch was“ und das machte mir Angst. Eine halbe Stunde später trat dann das ein, wovor mich mein Hirnmännchen warnen wollte. Christina rief turnusgemäß an, sprach erst ein paar Sätze mit Katharina und dann mit mir. Anschließend ließ sie sich dann ihren Bruder geben, womit jetzt das Unglück seinen Lauf nahm. Ich kann jetzt nur wiedergeben was unser angetrunkener Sohn ins Telefon
sprach und weiß nicht was von der anderen Seite kam. Aber was wir hörten war ausreichend: „Hör mal, Schwesterchen, auf Schloss Klettner gibt es auch so was primitives wie eine Blockhütte? ... Na ja, wie ich von Sabrina Schulte, der Exfrau deines Schwanzus Longus gehört habe, wohnst du ja mit der Type und machst pausenlos, wenn er nicht deine Chefin begatten muss, Hope-Hope-Reiter mit ihm. ... Goldmann hatte ja gar nicht so unrecht als er sagte du seiest eine Kanakenpfotze, du bist noch viel schlimmer, du lässt jeden Dorfköter drauf. ... Häh, aufgelegt.“. Jetzt könnte man annehmen, dass es jetzt explosionsartig zum Streit gekommen wäre aber Katha und ich waren so schockiert, dass wir uns von diesem Niederschlag erst mal erholen musste. Als 2 Minuten darauf das Telefon schellte und ich abhob hörte ich nur einem Satz aus Christinas Mund: „Das reicht. Ich habe kein Zuhause mehr. Leckt mich am Arsch.“ Und dann legte sie auf. Als ich mich später beruhigt hatte, war ich der Meinung, dass hier aus Tinas Mund Wut und Frust herüberkamen und letztendlich doch noch alles gut werden würde. Aber ich hatte mich leider, leider getäuscht: Christina hat diese Wohnung nie wieder betreten und wir haben auch nie wieder mit ihr in der Klettner Villa telefoniert. Jedoch sei dem Leser, der unsere Tina ein Wenig ins Herz geschlossen hat, gesagt, dass diese nicht heißt, dass wir nun unsere Tochter für immer verloren haben. Aber warten wir es ab. Langsam erholte sich auch Katharina wieder von ihrem Schock und teilte dann Vorwürfe in Richtung Sohnemann aus. Und dieses schaukelte sich dann wieder zu einem handfesten Streit hoch. In seinem Brasst wollte Thomas dann wieder nach Hildesheim rasen. Jetzt erwies es sich als glückliche Fügung, dass er am Nachmittag nach seinem Streit mit Katha seinen Autoschlüssel auf dem Küchentisch hat liegen lassen und dieser von seiner Mutter sichergestellt worden war. So blieb ihm nichts anderes als in elterlicher Obhut seinen Rausch auszuschlafen. Am nächsten Tag kam er dann kurz vor Mittag mit einem Doppelkater, körperlich wie seelisch, wieder auf die Beine. Insbesondere der Vorfall mit seiner Schwester belastete ihn schwer. Er versuchte mehrfach sie ans Telefon zu bekommen aber immer lief die Angelegenheit, obwohl zunächst immer Tina am anderen Ende abhob, ins Leere. Nach seinem vierten oder fünften Versuch etwas zusagen bekam er bei weiteren Anläufen nur noch Freizeichen zu hören. Dann beschloss er sich, wegen des Restalkohols zu Fuß, auf dem Wege zu Villa zu machen. Als er wieder da war, berichtete er, dass er dort fast eine halbe Stunde Alarm geschellt aber kein Lebenszeichen erfahren habe. Ich konnte ihn darüber aufklären, dass das Tor videoüberwacht sei und die Rufanlage leiser oder gar abgestellt werden könne. Dann ließ er sich Packpapier geben. Weil gerade nur noch ein passender Rest von der letzten ausgefallenen Weihnachten da war, bekam er das Festpapier von Katharina ausgehändigt. Dann schrieb er groß auf der weißen Rückseite „Tina, liebste Schwester, entschuldige!“. Dann erkundigte er sich noch bei mir wo die Kamera stecke und zog wieder los. Aber auch jetzt kam er mit keiner besseren Nachricht zurück. Im Laufe des Nachmittags versuchte ich mehrfach Kontakt mit unserer Tochter aufzunehmen. Immer meldete sie sich selbst mit „Hier bei Klettner, Christina Schröder am Apparat. Schönen guten Tag.“ und so bald ich ein Wort sagte wurde aufgelegt. Katha, die es auch zwei Mal versuchte, ging es auch nicht viel besser. So blieb uns nichts anderes übrig als uns am Abend ohne Tochter und deshalb etwas trübsinnig zusammen zu setzen. Das keine Stimmung aufkommen könne war uns von vornherein klar. So drehte sich dann auch gleich das erste Gespräch um den Vorfall vom Vortage. Während es in der Vergangenheit regelmäßig immer hitzige Wortgefechte zwischen Vater und Sohn gab, und zwischen Mutter und Sohn nur gelegentlich mal, war es an diesmal umgekehrt, es gab nun das dritte Mutter-Sohn-Gefecht an diesem Wochenende. Plötzlich sprang Thomas auf, packte wortlos seine Sachen zusammen und verließ mit Türknallen die Wohnung. Zwei Mal versuchte ich dazwischen zu gehen und ihm zum Dableiben zu bewegen, was aber nichts brachte. Dabei sah ich, wie dicke Tränen seine Backe runterkullerten. Er machte sich auf den Weg nach Hildesheim und wir beiden „Alten“ saßen da jetzt mit unserer Trauer und Wehmut. Lange hielt es uns an diesem Abend, an dem eigentlich eine Feier stattfinden sollte, nicht mehr auf den Beinen. Wir gingen schon früh ins Bett und fielen alsbald in einem Kummerschlaf. Das war jetzt in noch nicht mal einem Jahr die vierte Geburttagspleite. Unmittelbar vor meinem letztjährigen Geburtstag begann das familiäre Drama im Hause Schröder. Katharina hatte von meiner perversen Beschäftigung bei Marianne erfahren und in Folge dessen kam Goldmann ins Haus. Auf Christinas Geburtstag verdeutlichten Streitereien den „endgültigen“ Verfall unserer Familie. Thomas Geburtstag mussten wir ohne Geburttagskind feiern und jetzt noch diese Geburttagspleite. Katharina und ich beschlossen daraufhin, Geburtstage, oder vielmehr die zugehörigen Feiern, aus unserem Familienleben zu streichen. Unsere Aufgabe für die nächste Zeit sollte es ausschließlich sein, die jetzt entstanden Scherben wieder zusammenzufügen. Was uns unzählige fruchtlose Anrufe in Hildesheim und in der Villa Klettner sowie einen Haufen seitenlanger unbeantworteter Briefe in beiden Richtungen einbrachte. Die Familie, die wir schon fast wieder zusammen sahen, schien noch schlimmer zerbrochen als zuvor. Wir hatten uns einen Schritt nach vorne bewegen wollen und sind dann tatsächlich zwei Schritte rückwärts gedrängt worden. Jetzt könnte man sagen, dass in der Hauptsache wir, dass früher so glückliche Ehepaar, wieder vereint waren. Aber die belastende Geschichte mit unseren Kindern und die Probleme, die ich im nächsten Kapitel beschreibe, trieben manche dunkle Wolke über den Ehehimmel bis sich letztlich noch einmal die Höllenpforte für uns auftun sollte. Was ich gelernt habe und hier schon mal niederschreiben kann, ist, dass ein Neuanfang immer nur dann möglich ist, wenn man vorher die bösen Geister der Vergangenheit radikal vertreibt. Ohne diesem Exorzismus führt jeder Versuch eines Neubeginns immer noch eine Etage tiefer.
Maria Montessoris Erbinnen und die Mobbinglust Wenn man im Volksmund von dem Beruf, den auch meine Frau ausübt, spricht heißt es immer salopp Kindergärtnerin. Nur mit a statt mit ä hat diese Berufsbezeichnung als Lehnwort auch Einzug ins Amerikanische gefunden. Benutzt man diese Wort aber gegenüber den Ausüberinnen dieses Berufes gehen sie gleich auf die Barrikaden, denn sie legen wert darauf Erzieherinnen zu sein – da macht Katharina keine Ausnahme. Damit wird aber der verbreiteten Konsumentenassoziation, das man bei diesen die Kinder zum Zwecke der Erziehung abliefern könne, Vorschub geleistet. Sagen sie mal, wo lassen sie erziehen? Erziehung ist aber einzig und ausschließlich Aufgabe der Eltern. Kindergarten und Schule können da nur Unterstützung, insbesondere im Bereich der sozialen Kommunikation und des Sozialverhaltens, bieten. Man kann es sich nicht so leicht machen, dass Erziehung nur da stattfindet wo sie nur unterstützend oder gar nicht hingehört, das heißt in den Kindergarten, in die Schule oder vor dem Fernseher und diese Einrichtungen dann für Fehlentwicklung, die allein von den Eltern zu vertreten sind, verantwortlich gemacht werden. Daher gesehen ist mir das Wort Kindergärtnerin um einige Nuancen sympathischer als Erzieherin. Überhaupt sind moderne Kindergärten nach meinem Geschmack entgegen dem elitären Anspruch der Erzieherinnen sehr weit heruntergekommen. Sie sind auf der einen Seite zu Verwahranstalten, damit die Eltern arbeiten oder konsumieren können, und auf der anderen Seite zur pädagogischen Drillanstalt, die schnellstmöglich zur Schulreife führen soll, verkommen. Ganz im Gegensatz zu den Thesen der italienischen Ärztin und Pädagogin Maria Montessori, auf die sich die Erzieherinnen, heute zwar offiziell aber in Wirklichkeit nur noch theoretisch, stützen. Maria Montessori forderte der individuellen Entwicklung des Menschen freien Spielraum, im wahrsten Sinne, zu geben. Das freie Spiel, in dem sich die Kinder selbst, die Anderen und ihre Umwelt erforschen, entdecken und für sich nutzbar machen können, ist nach Montessori das A und O der Kindergartenarbeit. Freies Toben oder Wühlen in Pfützen ist erheblich wichtiger als genormte Spiele, die irgendein namhafter Populist als pädagogisch wertvoll bezeichnet hat. Irgendein Gebilde aus Lehm, Steinen und Stöcken geboren aus der Phantasie der Kinder, unter den sich Erwachsene fast gar nichts vorstellen können, fördern Kreativität und Innovation. Während exakt ausgeführte Bastelbogen lediglich den Umgang mit Werkzeugen drillen und dabei dem Verstand und dem Selbstbewusstsein der Kinder einen Dämpfer geben. Jeder, durchaus vorkommende Fehlschnitt ist eine Attacke gegen das kindliche Selbstverständnis und Selbstwertgefühl. Und wenn Erzieherinnen den Kindern was vorbasteln, was ja leider in vielen Kindergärten geschieht, dann sollte man das als schädliche Vorprogrammierung von Konsumidioten verstehen. Auch wenn Katharina auf die zu Irrtümern verleitende Berufsbezeichnung Erzieherin besteht, ist sie eine überzeugte Verfechterin der Montessori-Pädagogik, nicht nur im theoretischen Geschwafel sondern auch im praktischen Kindergartenalltag. Damit liegt sie konträr zur Massenmeinung in unserer heutigen Konsum- und Spaßgesellschaft, in der sehr oft das Denken abgeschafft zu sein scheint. Selbstverständlich führen abweichende Grundsätze zu Auseinandersetzungen mit Kolleginnen, einen männlichen Erzieher gibt es in ihrer Einrichtung nicht, und mit den konsumverwöhnten Eltern, denen irgendein Populist was ins Ohr geflüstert hat. Solange solche Auseinandersetzungen sachlich geführt werden und man sich anschließend hinsichtlich des gemeinsamen Vorgehens auf einen gangbaren Kompromiss einigt ist so etwas so gar noch positiv zu sehen, denn die Folge ist immer eine Fortentwicklung. Wenn aber jemand böse Absichten gegen die einzelne Abweichlerin hegt, kann man die abweichenden Meinungen als böse Waffe beim Mobbing einsetzen. Anna-Lena Pieper, eine Cousine von Rainer Goldmann und Gruppenerzieherin in der Städtischen Kindertagesstätte Bergdorf, hegte solche böse Absichten gegen Katharina. Goldmann war ihr Lieblingsvetter und mit ihm teilte sie auch den Glauben an diverse rechte Parolen. Katha hatte sich in der Vergangenheit schon öfters mit ihr auseinander gesetzt, da diese offensichtlich nicht die Arbeit erfunden hatte und regelmäßig jeden Monat zwei Mal für 2 bis 3 Tage krankfeierte. Das sah Katharina aber eher gelassen, was man aber in Hinsicht auf Anna-Lenas Äußerungen gegen und über Kinder ausländischer Herkunft oder aus unteren sozialen Schichten nicht sagen konnte. Da hatte Katha in ihrer Eigenschaft als stellvertretende Leiterin schon öfters einige ernste Worte mit der Dame reden müssen. Im Mai, als unsere Tochter Christina Anna-Lenas geliebten Vetter „ans Messer geliefert“ hatte, war es endgültig vorbei mit lustig, da inszenierte Frau Pieper dann Mobbingattacken gegen Katharina, die erst durchaus beherrschbar waren. Schließlich war Katharina seit bald 30 Jahren in dieser Einrichtung tätig, hatte zu den meisten Kolleginnen persönlich einen guten Draht und war immerhin in dem Haus die Vizechefin. Da kommt eine Mobbingqueen nicht gleich zum Zuge, aber steter Tropfen höhlt den Stein. In der Woche nach Katharinas geplatzten Geburtstagsfeier, aufgrund der sie ohnehin bereits psychisch geschwächt war, kam es dann zum ersten schmerzhaften Niederschlag in dieser Runde. Am Donnerstag, ich war noch eifrig mit unserer Wohnungsrenovierung beschäftigt, kam meine Frau völlig am Boden zerstört nach Hause. Sie begrüßte mich, äußerst gereizt wirkend, nur kurz und setzte sich an den Küchentisch auf dem sie ihre Arme kreuzte. Auf diese legte sie ihren Kopf und heulte los. Aus ihrem Schluchzen war deutlich erhebliche Erschöpfung vernehmbar. Nachdem ich mir die Hände gewaschen hatte ging ich zu ihr und strich ihr zärtlich über die Haare. Auf meine Frage was denn sei bekam ich
nur ein „Ach, hau ab“ zur Antwort. Jetzt musste ich erst mal zusehen, dass sie ein Wenig Fassung gewann und zu dem Zweck bereitete ich uns beiden erst mal je eine Tasse Capuccino, den sie auch dankbar annahm. Tatsächlich ging es ihr danach ein Wenig besser und sie holte ein zerknülltes Stück Papier aus der Tasche: „Da lese mal den Wisch“. Es war eine Kopie eines Schreibens, dass Eltern an das Amt gerichtet hatten. In dem beschwerten sie sich über Katha, das sie Kinder anschreie, Eltern schnippisch behandele, einen desinteressierten Eindruck mache und Arbeiten, wie „Schühchen schnüren“ an „Untergebene“ delegiere. Garniert war das Ganze mit ausgeschmückten Beispielen, deren ursprüngliche Ursachen Alltäglichkeiten waren, wie sie jedem Hin und Wieder mal unterlaufen. Die Superspitze war dann noch der Vorwurf, dass sie mit ihrem amoralischen Privatleben Gefahren für die Einrichtung heraufbeschwöre. Anna-Lena Pieper war es gelungen Eltern auf Katharina aufmerksam zu machen und gegen sie zu mobilisieren. Die Amtsleiterin hatte Katha bereits zum nächsten Tag, weil sie ab dem darauffolgenden Montag Urlaub hatte, in ihr Büro beordert. „Beruhige dich doch, das wirst du doch sicherlich gerade rücken können.“, sagte ich ihr nicht nur aus dem Grund weil ich sie beruhigen wollte sondern es stellte tatsächlich meine ehrliche Meinung da. Na ja, ganz so überzeugend wie ich mir mein Argument vorgestellt hatte kam es nicht rüber aber Alles in Allem schien mir doch der Aufregung die Spitze genommen zu sein. Um meine Frau insgesamt wieder „gebrauchsfertig“ auf die Beine zu bekommen, schlug ich ihr, trotz sommerlichen Wetters, ein warmes Bad vor. Weil sie es immer so gerne hatte bot ich ihr an, ihr den Rücken zu waschen und dabei zu massieren. Es lief ja erst wunderbar. Sie zog sich aus während ich das warme Wasser in die Wanne einließ. Dann legte sie sich hinein und entspannte erst mal richtig bevor sie eine Körperwäsche vornahm. Jetzt war ich mit meiner angekündigten Tätigkeit dran und hatte dabei den Eindruck, dass ihr Gemütsbarometer in Richtung Wohlempfinden ausschlug. Da schellte das Telefon und sollte letztlich alles wieder zu Nichte machen. Am anderen Ende war Thomas und wollte dringend seine Mutter sprechen. Da er wenig Zeit habe müsse das aber sofort sein. Katharina freute sich, dass sich unser Sohn nach dem Vorfall erstmalig meldete und ging so nackt und nass wie sie war ans Telefon. Fürsorglich schnappte ich mir das Badetuch und trocknete sie während des Telefonplausches ab. Erst hörte sich das Gespräch ganz gut an. Tommy tat alles was am Wochenende passiert war sehr leid und wollte, insbesondere das was mit Christina passiert war, wieder ins Lot bringen. Da er aber überhaupt nicht mit Christina in Verbindung kam, wollte er seine Mutter erstens bitten, im Falle einer Idee diese an ihm weiterzugeben und zweitens sollte sie, wenn Tina sich bei uns meldete, ein gutes Wort für ihn einlegen. Dabei gab dann ein Wort das andere und letztlich fiel Kathas Gemütszustand auf den Vorbadegenuss zurück. Da gibt es immer diese blöden Sprüche man solle Privat- und Arbeitsleben auseinander halten; aber wer kann sich schon alles aus den Rippen schwitzen. Grundsätzlich schädigen Mobbingleute nicht nur den Einzelnen sondern deren familiäres Umfeld gleich mit. Katha war „plötzlich“ so unbeherrscht, dass wir alle, Tina, Tommy und ich, von ihr als „Arschlöcher“ und anderes bezeichnet wurden. In Folge knallte Thomas den Hörer auf und war in den folgenden 2 Wochen dann nicht mehr für uns zu sprechen und ich griff mein Portomenais und stürmte dann in meiner „Anstreichermontur“ hinaus um mir ein paar Bierchen zu trinken. Allerdings erwähne ich zu meiner Ehrenrettung, dass ich mich nicht wie Thomas am Wochenende zugeschüttet habe. Freitags kommt Katharina in der Regel immer früher nach Hause; immer so um Zwei. Ich war an jenem Freitag felsenfest davon überzeugt, dass sich nach dem Gespräch mit der Amtsleiterin die Wogen geglättet hätten. Ich sollte mich getäuscht haben. Sie kam nicht um Zwei sondern um Drei und war noch aufgelöster wie am Vortage. Die Verspätung hing damit zusammen, dass sie beim Ausparken die Stoßstange einer Kollegin, und das war ausgerechnet Anna-Lena Pieper, touchiert hatte und diese daraus einen Riesentamtam gemacht hatte. Aber das war nicht der Grund ihrer Zerschlagenheit sondern vermutlich eine Folge dieser. Das Gespräch im Amt hatte nichts geglättet sondern eher aufgewühlt. Hier zeigte sich mal wieder ein Manko des öffentlichen Dienstes: Die Leute in den Führungsposition sind verwaltungsfachlich ja ganz gut qualifiziert, auf dem Gebiet von Menschenführung und –behandlung sind doch dagegen sehr viele Vorgesetzte absolute Blindflieger. Umgang mit Menschen und Personalführung wird im Bereich Verwaltung nicht gelehrt und abgeprüft, was zum Beispiel bei jeder denkbaren Handwerksmeisterausbildung beziehungsweise – prüfung vornehmlich geschieht. Mit ein Grund dafür, warum der Bereich des öffentlichen Dienstes beim Mobbing eine Spitzenposition einnimmt während dieses Phänomen in kleinen Handwerksbetrieben fast unbekannt ist. Bei letzteren spielt natürlich auch eine Rolle, das beim Mobbing durch Arbeitsausfälle und Fehlproduktionen sowie durch Imageverlust, wenn was nach Außen dringt, hohe Kosten entstehen, die in so anonymen Unternehmensgebilden, wie es Stadtverwaltungen nun mal sind, den Einzelnen gar nicht auffallen. Und Pleite machen kann der öffentliche Dienst ja auch nicht, weil man ja den Bürger hat, der beamtokratische Misswirtschaft über Steuern und Abgaben auszugleichen hat. Die Aufdeckung von Steuerverprassung durch den Bund der Steuerzahler und durch die Rechnungshöfe wird dann regelmäßig mit populistischen Interesse aber ohne jede Konsequenz zur Kenntnis genommen. Unternehmens- und Arbeitsplatzrisiko sind dahingehend leider ein Fremdwort im öffentlichen Dienst. So kam es dann, dass sich die Amtsleiterin an dem Mobbing quasi als Attackenführerin beteiligte. Sie hatte Katha mitgeteilt, dass sie den Eindruck habe, dass sie in letzter Zeit psychisch und physisch etwas mitgenommen sei. Das kann schon sein, aber da sie selbst mit der Angeschuldigten nur hin und wieder mal kurz zutun hatte, kann das nur ein Nachplappern von Behauptungen Dritter sein. Sie hielt es ja noch nicht mal für nötig, sich in einem persönlichen Gespräch selbst ein Bild zumachen. Sie habe ihre Kolleginnen angewiesen, sie im Auge zu behalten und in 3 Wochen,
wenn sie wieder aus dem Urlaub sei, wolle man darüber in einem „Teamgespräch“ reden. Nach etwa einer Viertelstunde war die Angelegenheit erledigt. Da sieht man, wie viel Geld der öffentliche Dienst für nichts und wieder nichts zur Verfügung hat. Für eine solche Sache, die man in der gleichen unqualifizierten Art auch telefonisch erledigen kann, lässt man dann stellvertretende Leiterinnen während der Dienstzeit im Rathaus antanzen. Was bei der Telekom 24 Pfennige gekostet hätte summiert sich dann auf schlappe 50 bis 60 Mark, aber darüber brauch ja kein Beamter nachzudenken. Auf jeden Fall weiß jeder, der nur mal ein klein Wenig an den Bereich Personalführung herangerochen hat, was die Folge ist. Alle Mitarbeiter, selbst wenn sie dem Opfer wohlgesonnen sind, schleichen auffällig oder unauffällig um das Beobachtungsobjekt herum um jede kleine Handbewegung und jeden Fußtritt zu beäugen. Verschiedene werden dieses von Prüfungen, wo dieses bewusst und mit Grund gemacht wird, her kennen. Man ist äußerst gespannt und nervlich gereizt. Bei Prüfungen ist das harmlos, denn nach kurzer Zeit, nach Erledigung der Aufgabe, ist es vorbei und zum anderen kann man sich mental entsprechend darauf einstellen. Beim Mobbing ist aber dieses Beobachtetwerden eine zermürbende, menschenunwürdige Dauerbelastung. Zumal man auch noch davon ausgehen kann, dass kein Beobachter neutral sein kann und zusätzlich einige von ihnen dem „Objekt“ noch negativ gesonnen sind. Der Supermensch, bei dem sich dann unter diesem Beobachtungsdruck nicht Patzer und Fehler häufen, der muss erst noch geboren werden. Verschiedene Arbeitsgerichte haben daher zum Beispiel bei Videobeobachtung eindeutig ein Mobbing als erwiesen angesehen. Dazu kommen persönliche Diffamierungen, die man bei solchen Gelegenheiten ertragen muss, denn über die Patzer wird sich unterhalten und diese werden dann noch Dritten, zum Beispiel Kindergarteneltern, zugetragen. Also kleiner Tipp an alle, denen nach Mobbing gelüstet, sorgt dafür das euer Opfer beobachtet wird – übersteht kein Mensch, es sei denn, sein IQ läge unter seiner Schuhgröße und ihm deshalb alles so am Gesäß vorbeiziehen könne. So etwas schwitzt sich niemand aus den Rippen; so was nimmt man mit nach Hause. Und dann gibt es immer zwei Möglichkeiten: Entweder verkriechen sich die Mobbingopfer, wirken introvertiert, oder sie sind aggressiv geladen und gereizt. Meine Katharina gehört zur zweiten Gattungen. Während dieser Zeit hatten wir täglich mindestens einmal Streit, meist aus nichtigem Anlass. Da störten sie zum Beispiel ein Paar Staubkörnchen und schon polterte sie los: „Mensch, was machst du eigentlich nur den ganzen Tag? Kannst du nicht mal den Staubsauger zur Hand nehmen? Muss denn alles an mir hängen bleiben?“. Auch Sex fand bei uns in dieser Zeit nicht statt. Die ganze Atmosphäre ließ ein buchstäblich jede Lust vergehen. Wenn Thomas mal anrief – er versuchte doch öfters zu uns zurückzufinden – bekam er oft schon gleich zu Beginn eine patzige Abfuhr: „Du rufst auch immer im falschen Augenblick an“ oder ähnliche nicht zum Plausch einladende Formulierungen. Da sind sich Katharina und Christina mal in der Innenstadt begegnet. Statt einer umsichtigen Erklärung für den Vorfall an jenem unglückseligen Samstag bekam Tina nur Vorwürfe zu hören und ließ darauf ihre Mutter einfach stehen. Das war natürlich Gift für unser neuerwachtes Ehe- und Familienglück. Wie ich ja schon beschrieb standen wir ja, insbesondere in der Beziehung zu unseren Kindern, noch auf etwas wackeligen Beinen. Aber statt an der Festigung zu arbeiten brachten uns die privaten Nachwehen des Mobbings am Arbeitsplatz immer mehr ins Wanken und irgendwie lagen wir inzwischen weiter zurück als vor meiner Rückkehr. Am liebsten wäre ich in den Kindergarten und ins Amt gegangen und hätte dort mal gerne mit der Faust auf den Tisch geschlagen. Ebenso gerne hätte ich den Mobberin erklärt, dass das Wort Mobbing von Mob, was so viel wie Pöbel heißt, kommt. Danach hätte ich aber gar nicht erst zu Katha, die das natürlich nicht wollte, zurückkommen dürfen. Andererseits gab es für mich manche Überlegung ob ich nicht doch wieder ausziehen sollte. Also kurz: Es war eine grausame Zeit. Am Dienstag, den 17. August 1999, hoffte sowohl Katharina wie auch ich auf ein Ende der schlimmen Zeit. Die Amtsleiterin war wieder aus dem Urlaub zurück und wollte am Nachmittag an einer sogenannten turnusmäßigen Teambesprechung im Kindergarten teilnehmen. Gelegentliche, konzentrierte Besprechungen im Mitarbeiterkreis über grundlegende Dinge sind ja äußerst sinnvoll, aber was da 14-tägig im Kindergarten zelebriert wurde, war in meinen Augen echte Steuergeldverprassung. Da saßen nun alle zwei Wochen alle zehn Mitarbeiterinnen des Kindergartens, Stundensatz zirka 60 Mark, für zwei Stunden zusammen und bekakelnd kleinkarierte Dinge wie Urlaubsplan, Vertretungen, immer wieder Öffnungszeiten und Dienstpläne oder betätigten sich mit dem „Waschen schmutziger Wäsche“. Wer rechnen kann wird feststellen, das diese Erzieherinnenkränzchen dem Steuerzahler runde 25.000 muntere Märklein im Jahr kosten. Bei diesem Kränzchen sollte dann abschließend über Kathas Fall gesprochen werden. Schon das ganze Wochenende vorher haben wir uns darüber unterhalten welche Argumente kommen könnten und wie Katha denen begegnen könnte. Aber ich hätte nicht mit Katha tauschen mögen; im Chor hat man über sie hergezogen. Man hatte eine Beurteilung über sie geschrieben und die war vernichtend. Wer die lass konnte nicht davon ausgehen, dass es sich bei Katharina um eine gestandene Frau, Mutter von zwei inzwischen erwachsenen Kindern mit über 30 Jahren Berufserfahrung handelte und die man förmlich mal richtig gebeten hatte, die stellvertretene Leitung zu übernehmen. Im Folgejahr, wenn die jetzige Leiterin in Rente geht, sollte sie an die Spitze des Kindergarten aufsteigen. Nach der im Mob erstellten Beurteilung hat sie keine Ahnung von Kindern und kein Verständnis dafür, arbeitet unwillig und unkonzentriert, hat keinen blasen Schimmer von Kindergartenpädagogik und ist ein Horror für alle Eltern. Für jeden Menschen mit ein Wenig Intellekt ist so etwas allenfalls eine Verleumdung aber für die Amtsleiterin, die sich mit SPD- und ÖTV-Mitgliedsbuch sowie mit
den Ellebogen hochgeschleimt hat, war das, was jeder Experte für unmöglich halten würde, aber absolut glaubhaft. Ihrer Meinung nach war Katharina psychologisch geschädigt und ordnete Kraft erträumter Kompetenz und selbst verliehenen Amtes an, Katha solle zu einem konflikteinredenden Abzocker, sprich Psychotherapeuten, gehen. Und das, wo Katharina wie ich, Psychotherapie nicht nur für Firlefanz sondern sogar für gefährlich halten, denn wir kennen einige Leute, die mit momentanen Problemen in eine solche Therapie gegangen sind und mit einem Klaps wieder herausgekommen sind. Da es sich bei dem Kindergarten um eine ganzjährig geöffnete Einrichtung handelte, war es möglich, das Katha in der Ferienzeit keinen Urlaub genommen hatte, und jetzt sollte sie 3 bis 4 Wochen in Urlaub gehen und diese Zeit für besagte Therapie nutzen. Beides lehnte Katha ab, da es für diese Anordnungen keine Rechtsgrundlage gäbe. Daraufhin wurde sie „vorübergehend“ von ihren Aufgaben als stellvertretende Leiterin entbunden und sollte jetzt als Zweitkraft in einer Gruppe beobachtet werden, was natürlich auch nirgendwo mit Rechtsgrundlagen begründet werden kann. 14 Tage darauf wollte sie wieder zum Teamkränzchen erscheinen und hören, ob sich Besserung zeige. Damit war also nichts erledigt sondern die Mobbingattacke um einige Grade verschärft. Mir fielen die starken Parallelen zu Christinas Leidenszeit im Krankenhaus, die letztlich der Hauptgrund für ihren Selbstmordversuch waren, auf. Das Katharina dieses nicht überstehen konnte war mir von vornherein klar. Jetzt kam erschwerend hinzu, dass wir noch ein drittes, davon zwei jetzt zur gleichen Zeit, Opfer des Mobs in der Familie hatten: Unseren Thomas. Auch in der Bundeswehr haben sich ja in diversen Bereichen Mobbingkämpfer gesucht und gefunden; das ist ja inzwischen hinlänglich bekannt. Tommy und seine inzwischen bei der Truppe allseits bekannte homosexuelle Neigung machte ihn natürlich zum begehrten Zielobjekt der Spaßsadisten, wie man Mobber auch ruhig nennen darf. Ich erfuhr von diesen Dingen, die ich allerdings irgendwo schon befürchtet hatte, am gleichen Tag als am Nachmittag die, als Teambesprechung getarnte, gemeinsame Draufschlagaktion des Erzieherinnenmobs im Kindergarten stattfand. Katharina war, so fertig wie sie war, schon früh ins Bett gegangen als Thomas anrief. Fast eine Stunde habe ich mit unserem zermürbten Sohn gesprochen. Aus so einem, aus meiner Sicht irrealen, Treueverhältnis zur Bundesrepublik Deutschland, was er ja mal gelobt hatte, berichtete er mir keine Einzelheiten. Diese überholte Treue- und Pflichtdusselei sowie Korpsgeist in den meisten öffentlichen Bereichen macht nicht nur den Kampf gegen Mobbing sondern auch gegen Korruption und Fils so schwer. Man beruft sich immer so gerne auf unsere freiheitlich demokratische Grundordnung. Demokratie findet aber nur mit weitgehender Transparenz und gegenseitiger Kontrolle statt. Wer von Nestbeschmutzern spricht und anderen das Recht zur Kritik und negativen Meinung abspricht hat sich als Antidemokrat entlarvt. Wenn alle so denken, sind Wahlen nur noch Demokratismus, die auf keinen Fall das Gefasel von einer freiheitlich demokratischen Grundordnung rechtfertigen. So erfuhr ich von unserem Jungen nur das er gemobbt wurde aber keine Einzelheiten. Nur aus Bemerkungen wie „Es wäre schön, wenn mir die Gnade des Sterbens zuteil werden würde“ und andere, die auf verlorenen Lebenswillen schließen ließen, konnte ich merken, das es sehr schlimm sein musste. Dazu kam bei Thomas das er mehr und mehr zum Alkohol griff obwohl ihm bewusst war, dass dieser nirgendwo hilft sondern alles nur viel schlimmer macht. Kleinlaut bekannte er, dass die Vorfälle um den Geburtstag der Mutter wohl eindeutig mit diesem Hintergrund zu sehen seien und bat mich doch ihm zu helfen. Ein großes Wort „ihm zu helfen“, was entsprechend meiner persönlichen Einstellung und der Liebe zu unserem Sohn auch zu meinem festen Vorsatz wurde. Aber wie? Ich bin ja selbst als Einzelner klein und schwach. Eindeutig bin ich dabei auf die Mithilfe anderer, die den Betroffenen nahe stehen, angewiesen. So brauchte ich um Thomas zu helfen auch Katha und umgekehrt. Aber da liegt ja ein Riesenproblem: Wenn Katharina von Tommys Depressionen erfährt flippt sie möglicher Weise aus und ist dann eventuell ein Grad schlimmer als er davon betroffen. Würde ich Thomas von den Problemen seiner Mutter berichten, könnte sich persönlicher Schmerz in Weltschmerz wandeln und die Suizidabsicht würde dann möglicher Weise sofort in die Tat umgesetzt. Jetzt musste ich, so sah ich es, die Probleme von Mutter und Sohn vor den beiden gegenseitig „geheim“ halten. Nur Christina schien mir als meine Mitstreiterin geeignet; aber wie sollte ich an sie herankommen? War sie wirklich geeignet? Schließlich war sie ja selbst als gemobbtes Wrack abgesunken. War sie inzwischen so gefestigt das die beiden anderen von ihr profitieren konnten? Welche Einflüsse, insbesondere die von diesem Sascha Schulte, wirkten jetzt auf sie ein? Fragen über Fragen. Ich beschloss unserer Tina einen langen Brief, in dem ich sie bei ihrem sozialen Engagement und ihren, eigentlich doch recht starken Bindungen an ihre Familie „packen“ wollte. Damit Katharina davon nichts mit bekam suchte ich mir den nächsten Vormittag als Briefautorenstündchen aus. Auch jetzt hatte ich die Rechnung ohne den unglücklichen Zufall gemacht. Um halb Zwölf schellte es und meine Frau stand vor der Tür. Sie hatte den gleichen Arm wie damals bei ihrem Unfall mit Goldmann in einem Verband. Am Morgen hatte die 25-jährige Gruppenerzieherin, der Katha nun als Zweitkraft zugeordnet war, angeordnet sie solle die Fenster im Gruppenraum putzen um dann auf die Scheiben Fensterbilder anzubringen. Ich finde so etwas als eine Ungeheuerlichkeit einer „dummen Göre“ gegenüber einer reiferen und erfahrenen Frau, die zu dem offiziell immer noch deren Vorgesetzte war. Aber Mobbing macht wohl alles möglich und Katha machte sich tatsächlich an die Arbeit. Dabei wurde dann noch nicht mal eine Sicherheitsleiter eingesetzt sondern Katharina stellte sich auf die Fensterbank, die durch Abtropfungen beim Scheibenputzen feucht geworden war. Sie rutschte aus, fiel von der Fensterbank auf die Erde und brach sich dabei das Handgelenk was damals nach ihrem Unfall angeknackst war. Im ersten Moment war ich, als sie zuhause war, sogar noch froh darüber, denn so war sie erst mal für zirka ein Vierteljahr raus aus der Mobbinggeschichte und die Zeit soll ja ab und zu auch solche
Wunden heilen. Vielleicht, so dachte ich, hat in der Zeit der Mob ein anderes Opfer gefunden und Katharina ist dann auf „natürlichen“ Wege raus aus der Geschichte. Ob an meiner Hoffnungstheorie was dran ist, konnte ich nicht feststellen, da Katharina nie wieder Dienst in dieser Einrichtung und bei dem Dienstherrn tun sollte. Nach ein paar häuslichen Handreichungen, die ich für meine Frau unternahm war es ihre größte Sorge, dass unser Auto noch vor dem Kindergarten, wo auch der berühmte gelbe Schein hin musste, stand. Sie ließ nicht eher locker bis ich mich zur Erledigung ihres Wunsches auf die Beine machte. Jedoch hat sie mir mindestens zehn Mal eingebläut mich mit niemanden im Kindergarten anzulegen, so zutun als wüsste ich von nichts und nur den Schein abzugeben. Ich befolgte dann auch streng ihre Wünsche und Anweisungen. Zum Brief schreiben hatte ich mir vor ihrem Eintreffen Christinas ehemaliges Zimmer ausgesucht und dort ließ ich, weil ich alles andere zunächst für vordinglicher hielt, alles so liegen und stehen wie es war. Das hätte ich besser nicht getan, denn während meiner Abwesenheit betrat Katha zufällig Tinas Zimmer und sah was ich da machte. So gab es dann nach meiner Rückkehr ein kleines „Zimmertheater“. „Was geht Christina das an was man mit mir macht.“, schimpfte sie unter anderem, „Lass doch das Mädchen daraus! Und was ist da mit Thomas? Warum weiß ich nichts davon?“. Na ja, bis in den Abend gab es dann, teilweise recht unfreundliche, Diskussionen, bei der letztlich der angefangene Brief in kleinen Schnippeln im Abfalleimer landet. Infolge dessen bewegte sich in Hinblick auf unsere Kinder in der nächsten Zeit überhaupt nichts. In der gleichen Zeit gab es nur geringfügige Besserungen an Katharinas Gemütszustand und die dürften ausschließlich darauf zurückzuführen sein, dass wir doch diesen oder jenen Moment für einen erfrischenden Spaziergang nutzen konnten. Praktisch traten wir jedoch im tiefen Tal auf der Stelle.
Zum Kapitel 21
Zum Inhaltsverzeichnis
Wenn die Uhren abgelaufen sind Eigentlich hätten wir am 11. September 1999, ein Samstag, zwei Geburtstage feiern können: Einmal blickte ich auf 53 Jahre auf dieser Erde zurück und zum Anderen hatte der Höhepunkt unserer Familientragödie seinen ersten Jahrestag. Aber Ersteres wollten wir nicht mehr feiern und Zweiteres feiern alle anderen bestimmt auch nicht. Trotzdem setzten wir uns bereits am Nachmittag um Fünf zu Dritt zu einer gemütlichen Runde zusammen. Zu Dritt deshalb weil Thomas ab diesem Tage 3 Wochen Urlaub hatte und zu unserer Freude beschlossen hatte, diesen Zuhause zu verbringen. Dieses war nach alledem was in den Vorwochen passiert war ein Glücksgefühl für Katharina und mich. Dieses hat sicherlich bei Katha auch mit dazu beigetragen, dass sie sich nach den Leiden der letzten Zeit sich endlich mal wieder so halbwegs fühlte. Leider blieb Christina noch weiterhin in der Klettner-Villa verschanzt aber ich wertete es als Pluszeichen, das des Morgens auf meinem Handy die SMS „Herzlichen Glückwunsch, Vati“ eingegangen war. So kam doch tatsächlich bei mir so eine Art Geburtstagslaune auf. So begann unsere kleine Runde eigentlich den Umständen entsprechend fröhlich und ich wollte auch alles daran setzen, dass es bei dieser Stimmung bliebe. Aber das erwies sich doch als äußerst schwierig. Wenn ich mal einen Witz los werden wollte, kamen, auch wenn ich davon überzeugt war das es sich um etwas aus neuerer Zeit handelte, Thomas Kommentare wie „Immer die gleichen Witze, die ich schon gehört habe als ich im Kindergarten war“ oder „Wo ist denn da der Witz? Soll ich jetzt lachen?“. Erzählte ich mal ein Döneken aus meinem Leben folgte: „Das hast du ja schon tausend Mal erzählt. Ich kann es langsam nicht mehr hören.“. Erzählte ich mal was Neues aus Sport und Unterhaltung kam „Na und, was wolltest du damit sagen?“. Wollte ich mal wertungsfrei was von früher, also nichts aus dem persönlichen Bereich, berichten kam: „Ach du mit deinem Früher, da kannst du dir heute nichts mehr für kaufen.“. Nachdem ich so über eine Stunde als Alleinunterhalter versucht hatte zu einem Plausch, der von unserer derzeitigen Situation ein Wenig ablenken sollte, zukommen war ich ob der abfälligen Abfuhren so sauer, dass ich den Beiden am liebsten ein abgewandeltes Zitat aus Götz von Berlichingen entgegen geschleudert hätte und von dannen gezogen wäre. Nur das Verständnis für die Leiden der beiden und mein diesbezügliches Schuldbewusstsein hielten mich, mittlerweile absolut mürrisch, in diesem Kreis. Katharina hat während der ganzen Zeit so gut wie gar nichts gesagt. Man muss sich mal vorstellen, was in mir vorging. Bei allem Verständnis für die Situation der anderen fühlte ich mich mehr und mehr auf dem Schlips getreten. Ganz allmählich zog in mir das Gefühl, jetzt das Opfer zu sein, auf. Zunehmend wurde ich immer gereizter und aggressiver. Just in diesen Moment wechselte Thomas auf bestimmte Reizthemen über. Da hieß es dann, das Boot sei voll und es könnten ja nicht alle nach Deutschland kommen damit wir sie durchfütterten. Türken, von denen die meisten aus Anatolien kämen, und Polen hätte eine andere Vorstellung von Sauberkeit und Ordnung, die mit den unseren nicht vereinbar wären und wie man denn so etwas integrieren wolle. Jugendliche Türken und Russen, mit letzteren sind Aussiedlerkinder gemeint, wären von Geburt an kriminell und hätten nichts bessere zu tun als an den Straßenecken zu stehen und mit Drogen zu dealen. Letztlich rastete ich aus und sprach das Machtwort: „Hör endlich mit den scheiß Phantasien der Leute, die am Stammtisch ihren Verstand im Alkohol ertränkt haben, auf. Ich will die Parolen rechter Schwachköpfe nicht hören. Rassismus und überspitzter Nationalismus sind in meinen Augen eine Steigerung von Schwachsinn.". Na ja, jetzt war Tommy zunächst einsichtig, entschuldigte sich und wechselte zu einem belanglosen Thema über. Es dauerte aber nicht lange bis das nächste Thema, mit dem man mich hoch starten kann, auf den Tisch kam. Jetzt sprach er sich für aktive Sterbehilfe aus. Nicht nur das, er befürwortete sogar die Euthanasie lebensunwerter Existenzen und beließ es dabei nicht „nur“ bei Behinderten sondern weitete dieses, was ich schon pervers genug empfinde, auch noch auf den sozialen Bereich aus. Im gleichen Atemzug befürwortete er dann auch noch die Todesstrafe. Der Themenkreis umfasste also alles was man Populistisches im braunen Sudelsumpf finden kann. Unweigerlich kam er auch auf Goldmann, den er als wackeren Deutschen, den man leider Unrecht antäte, zu sprechen. Ich wusste, dass es sich in keinem Punkt um Thomas ehrliche Meinung handelte sondern es kam alles heraus um mich zu treffen, um mich abzustrafen. Sogar gegen sich selbst ging er vor indem er forderte, das man alle schwulen Schweine aufhängen müsse. Während der ganzen Zeit trank er wechselweise ein Glas Bier und ein Pinnchen Weizenkorn, den er selbst mit gebracht hatte. Der arme Junge muss vollkommen fertig gewesen sein. Aber andererseits wird auch mich jeder, der keine Nerven wie Stahlseile hat oder der nicht anstelle des Gehirns einen biologischen Speicher hat, verstehen können. Ich verlor vollkommen meine Fassung. Es entbrannte ein unmotiviertes und keinesfalls mehr sinnvolles Wortgefecht, dessen Inhalt ich wegen der Worte aus der untersten Vulgärsprache hier nicht wiedergeben kann, und eskalierte mit immer höherer Geschwindigkeit. Voller Wut sprang ich dann plötzlich auf und schmetterte meinen Sohn „Am Liebsten möchte ich dir Schmackes ein paar in die Fresse hauen“ an den Kopf. Was ich nur in meiner Wut herausschrie führte Thomas körperlich aus. Er sprang auf und holte zu einem rechten Haken aus ... Und mehr weiß ich von diesem Tag nicht mehr. Bewusst merkte ich erst im Laufe des Sonntagvormittag wieder was los war und dieses waren dann die schwersten Stunden meines bisherigen Lebens. Ich befand mich zweifellos in einem Krankenhaus, aber ob es das Städtische oder das Christopherus war, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht – es war das Christopherus. Ich spürte das ich einen Verband am Kopf hatte und verspürte dort ... na sagen wir einen Druck, von Schmerz zu reden wäre ein Wenig
übertrieben. Erst später bemerkte ich, dass mir auch zwei Zähne fehlten. Später erfuhr ich, dass Thomas mich mit einem Schlag gegen das Kinn niedergestreckt hatte. Bei diesem klassischen Knock Out habe ich dann meine Zähne verloren und anschließend bin ich hinten rüber gegen die Kante des Wohnzimmerschrankes gefallen, wobei eine große Platzwunde am Hinterkopf entstand. Diese Wunde wurde genäht und danach wäre es eigentlich nur eine Frage der Zeit gewesen, bis ich wieder bewusst am Leben hätte teilnehmen können. Als es fast soweit war, traf eine Nachricht ein, nach der die Ärzte es für angebracht hielten mir ein Mittel zugeben, dass ich erst mal die Nacht durchschlafe. Nachdem eine Schwester am Sonntagmorgen festgestellt hatte dass ich wieder in dieser Welt war holte sie den Stationsarzt und was der mir zusagen hatte war fürchterlich: „Herr Schröder, wie geht es ihnen? Ich denke es müsste wieder besser sein.“. Nachdem ich seine Frage bejaht hatte fuhr er fort: „Herr Schröder, sie müssen jetzt ganz gefasst sein. Es ist gestern etwas passiert. ... Ihr Sohn hatte einen Unfall auf der Autobahn.“. „Was ist mit Tommy?“, fuhr ich dazwischen und es kam eine Ahnung in mir hoch und ich fragte weiter: „Ist er tot?“. Der Arzt fasste mir beruhigend auf die Schultern und hatte wohl den Eindruck, dass er jetzt nichts mehr zusagen brauchte und fügte nur noch ruhig „Mein Beileid“ an. Wie ich schon geschrieben habe bin ich ein Softi und habe nahe dem Wasser gebaut. Ich heulte los wie ein kleines Kind. Als ich mich ausgeheult hatte, fragte ich den Arzt, der die gesamte Zeit bei mir ausgeharrt hatte: „Darf ich nach Hause? ... Ich glaube ich halte das hier nicht aus.“. Mit ruhiger Stimme antwortete dieser: „Ich glaube nicht, dass dieses in ihrer Situation jetzt gut wäre. Außerdem ist es möglich, dass sie eine Gehirnerschütterung haben. Deshalb möchten wir sie noch ein Wenig beobachten. Wir geben jetzt ihrer Gattin Bescheid und bis die kommt, wird ihnen Schwester Natalie ein Wenig Gesellschaft leisten.“. Die Schwester saß über eine Stunde bei mir aber die erwartete Katharina kam nicht. Es kam überhaupt niemand, auch Christina nicht. Schließlich sah der Arzt keine andere Möglichkeit als mich doch aus dem Krankenhaus zu entlassen, ich würde es ohnehin nicht aushalten. Katha hatte sich nicht gemeldet und Tina hat es strickt abgelehnt zu kommen. Da mir niemand frische Wäsche und einen sauberen Anzug vorbeibrachte blieb mir nichts anderes als in blutverschmierten Sachen im Taxi nach Hause zu fahren. Meine Hoffnung, dass ich jetzt Katharina, die vielleicht aus verständlichem Schmerz das Telefon nicht abhob, in unserer Wohnung antreffen würde, erfüllten sich leider nicht. Nicht nur Katha befand sich nicht in der Wohnung sondern auch fast alle ihrer persönlichen Sachen waren aus dieser entnommen. Nur auf dem Küchentisch fand ich einen Zettel: „Peter, jetzt reicht es. Ich gehe für immer. Du brauchst mich nicht zu suchen, da ich hier nie wieder herkomme. Katharina“. Das war ein derber Schlag: Der Sohn tot, die Frau verschwunden und die Tochter wollte nichts mit uns zutun haben. Zum ersten Mal stand ich in meinem Leben alleine da und wusste nichts mit mir anzufangen. In meiner Trübsal entfernte ich mich seelisch immer mehr von der Wirklichkeit. Ich weiß nicht wie lange ich da stumpfsinnig grübelnd gesessen hatte. Da faltete ich die Hände und betete: „Herr Gott unser aller Vater, was habe ich nur getan? Vergebe mir alle meine Sünden und nimm mich auf in dein Reich. Amen“ Ich stand auf und ging zum Fenster um aus diesem herauszuspringen – wir wohnen im 3. Stock. Als ich das Fenster geöffnet hatte, verließen mich meine Sinne und als ich wieder zu mir kam, war ich wieder in dem Krankenzimmer, aus dem ich des Mittags legal „entwichen“ war. Ein Nachbar hatte beobachtet wie ich dass Fenster geöffnet hatte und da mit blutverschmierten Sachen stand und schwankte. Über Notruf 112 hatte er die Feuerwehr gerufen, bei deren Eintreffen war ich bereits bewusstlos umgefallen. Ich hatte tatsächlich eine schwere Gehirnerschütterung und wahrscheinlich hat dann die psychische Belastung ihr Übriges getan. Nachdem ich im Krankenhaus wieder zu mir gekommen war, wurde ich erst mal verlegt. Ich kam als Nummer 4 auf ein Vierbettzimmer. Begründet hat mir diese Verlegung niemand aber ich kann mir schon denken, warum man mich nicht allein lassen wollte. Da ich weder große Neigung zu Plaudereien mit meinen Bettnachbarn noch zum Fernsehen hatte, hatte ich dann viel Zeit zum Grübeln. Jeder meiner gedachten Sätze begann mit dem Wort „Warum“. Jetzt würde es reichlich verwirren, wenn ich meine Gedanken, die von Links nach Quer und immer wieder auf den Abgrund führten, hier auflisten würde. Aber nicht nur die Leserverwirrung lässt mich dieses jetzt unterschlagen sondern auch die Sache, dass ich heute, nach einiger Zeit, mein Sinnesgewirr auch nicht mehr ordnungsgemäß in eine sinnvolle Reihenfolge bekomme. Einige meiner Gedanken waren zudem reichlich abstrakt und andere hatten mit der Sache und unserer Situation gar nichts zu tun. Und es war eine Menge was da durch die Windungen meiner grauen Zellen jagte, denn nach meinem Gefühl hatte ich eine schlaflose Nacht. Ob ich wirklich überhaupt nicht geschlafen habe kann ich allerdings nicht mit Bestimmtheit sagen. An dieser Stelle ist es vielleicht angebracht, dass ich erst mal erzähle was in der Zeit zwischen meinem Niederschlag und meinem Erwachen im Krankenhaus alles passiert war; zumal die derzeitige Situation dadurch verständlicher wird. Dieses kann natürlich nur auf der Basis der Dinge geschehen, die ich später, teilweise sogar wesentlich später, erfuhr. Als mich Thomas niedergeschlagen hatte und ich sowohl blutend wie bewusstlos auf dem Boden lag, schrie Katharina in Panik heraus: „Mein Gott Tommy, was hast du gemacht? Du hast deinen Vater erschlagen.“. Der Junge stand dann erst wie angewurzelt und kreidebleich da. Plötzlich sprang er spontan zum Telefon und wählte die Nummer 110 und tönte in den Hörer: „Thomas Schröder, Feldstraße 29. Kommen sie schnell, ich habe meinen Vater umgebracht“. Nachdem er aufgelegt hatte stürzte er aus dem Haus, setzte sich in seinen Wagen und brauste davon. Bereits eine halbe Stunde später war er auf der Autobahn. Er raste mit sehr hoher Geschwindigkeit und überholte auf riskante Art und
Weise vor ihm fahrende Fahrzeuge sowohl links wie rechts und sogar über den Standstreifen. Bei einem solchen Manöver verlor er die Gewalt über das Fahrzeug und prallte frontal gegen einen Brückenpfeiler. Das war so heftig, dass sich die Leute, die zuerst am Unfallort waren sich gewundert haben, dass der Fahrer zu dem Zeitpunkt noch lebte. Mit einem Rettungshubschrauber sollte er in eine Klinik gebracht werden. Während des Transportes ist er dann verstorben. Katharina wusste später nicht mehr was sie alles in der Zeit zwischen Thomas „Flucht“ und dem zweiten Eintreffen der Polizei gemacht hat. In der Zwischenzeit war ich dann auch mit dem Rettungswagen abtransportiert worden. Ich soll in der Zeit wach und ansprechbar gewesen sein, woran ich mich allerdings später nicht mehr erinnern konnte. Zwischen dem Vorfall und dem zweiten Polizeibesuch lag nicht mal eine Stunde. Katha wollte gerade das Haus verlassen als ihr die Polizei die Todesnachricht überbrachte. Daraufhin hat sie erst mal in der Villa angerufen und da sie mit „Tommy ist tot“ begonnen hatte, fand sie auch Gehör bei Christina. Sie hat dann erfahren, dass die Gründe, warum Tina nicht mehr kam, weniger bei uns sondern in der Villa lägen. Wie ich dann später erfuhr wurde unsere Tochter mit Erpressung und Gewaltandrohung, insbesondere durch diesen Sascha Schulte in der Villa gehalten. Koste es was es wolle, unsere Tochter wollte sich jetzt darüber hinwegsetzen und zu ihrer Mutter kommen. Dann nahm das Unheil aber wieder seinen Lauf. Katharina schob Tina für alles die Schuld zu und putzte unsere, in Wirklichkeit unschuldige Tochter furchtbar runter. Die sagte dann nur schluchzend: „Jetzt sind alle Bande gerissen, ihr seht mich nie mehr wieder.“. Danach ging Katha hinunter und setzte sich in unseren Golf und fuhr zum Christopherus und erkundigte sich dort nach meinem Zustand und hinterließ dort dann auch die Hiobsbotschaft vom Tode unseres Sohnes. Die Ärzte hielten es daraufhin für richtig mir etwas zu geben damit ich erst mal eine Nacht durchschlafe. Katharina ging mit dem Versprechen am nächsten Morgen wiederzukommen. Als sie dann wieder im Wagen saß fuhr sie aber nicht nach Hause sondern planlos durch die Gegend. Während ihrer Irrfahrt kam sie auf die Idee alles verloren zu haben, alles was sie liebte und was ihr Leben war. Ihr Sohn war tot. Ihre Tochter hatte sich von ihr losgesagt. Und ihren Beruf, der für sie eine echte Berufung war, sie war gerne Erzieherin, hatte sie durch Mobbing verloren. Sie war sicher diesen nie mehr mit Begeisterung und notwendigen Einsatz ausüben zu können. Und dann war da noch ich, ihr Pepe, den sie glaubte noch nicht wieder richtig zurückgewonnen zu haben und jetzt möglicher Weise endgültig zu verloren zu haben. Sie war nun der Überzeugung, dass sie in dieser Welt nichts verloren habe, aber sterben wollte sie nicht. Die einzigste Konsequenz die sie daraus ziehen konnte war, das sie jetzt einen radikalen Schlussstrich ziehen und in einer „anderen“ Welt neu beginnen müsse. Sie fuhr nach Hause, packte ihre Sachen, schrieb den bereits erwähnten Zettel und verschwand. Da lag ich nun mutterseeelenalleine im Krankenhaus und müsste doch eigentlich so viel tun. Früher, vor meiner Pleite, hatten wir einige Freunde und Verwandte, auf die ich jetzt hätte zurückgreifen könne. Dieses hatten sich noch nicht mal von uns abgeseilt sondern nach der Pleite hatten wir uns rar gemacht. Wir befürchteten nicht mehr mithalten zu können. Dieses sowohl im Bereich des gesellschaftlichen Umganges, man kann sich ja nicht immer nur einladen lassen sondern man muss ab und an ja auch der Gastgeber sein, wie auch im Bereich der Gesprächsinhalte, wer nimmt schon einen Looser ernst. Dann gibt es in jeder Gesellschaft immer so eine Art Renommierleute, die sich auf der einen Seite mächtig was in die Tasche protzen und auf der anderen Seite den Schwächeren vorwerfen an ihrer eigenen Misere selbst Schuld zu sein. Den Schwachen wird dann vorgeworfen, dass sie mit ihrer selbstverschuldeten Hilfebedürftigkeit die anderen beuteln würden. Dann spielte auch noch unsere eigene Scham eine Rolle, wir wollten nicht als Pleitiers auf dem Präsentierteller sitzen. Und jetzt, jetzt brauchte ich jemand aber da war offensichtlich niemand mehr. Letzteres war ein Irrtum und diesmal schreibe ich ganz offen: Zum Glück. Am Montagmorgen erschien unerwartet Albert Haffner, Katharinas Onkel, im Krankenhaus. Onkel Albert, der immerhin schon auf 72 Lenze in seinem Leben zurückblicken kann ist der jüngere Bruder meines Schwiegervaters und auch Christinas Taufpate. Er hatte von seinem Patenkind gehört was los war und erschien sofort auf der Bildfläche. Was in diesem Fall enorm zur Besserung meines Seelenempfindens beitrug war die Tatsache, dass es Tina offensichtlich nicht egal war, was mit ihren Eltern war und deshalb darüber nachgesonnen hatte wie sie zur Hilfe beitragen konnte. Onkel Albert ist ein pensionierter Beamter und lief jetzt in Höchstform auf und kümmerte sich um so gut wie alles. Er setzte sich mit dem Sozialdienst der Bundeswehr, dem Beerdigungsinstitut und was es sonst noch gab in Verbindung. Er erledigte alles, ich brauchte nur zu unterschreiben. Letzteres führte ihn am Montag und an den beiden folgenden Tagen mehrfach in mein Krankenzimmer. Er meldet bei der Polizei Katharina als vermisst und besorgte mir aus unserer Wohnung frische Anziehsachen. Der Mann war echt perfekt und weiß gar nicht wie ich ihm danken soll. Ohne ihn wäre ich nicht klargekommen. Am Nachmittag des Montags erhielt ich dann noch einen Besuch von jemand mit dem ich früher sehr oft zu tun hatte aber um den ich, wenn ich von meinem weihnachtlichen Besuch mit Marianne in der Kirche absehe, im letzten Jahr einen großen Bogen gemacht habe: Karsten Rüffert, unser Gemeindepfarrer. Das Gespräch mit ihm begann ich, nach der allgemeinen Begrüßung, mit dem von mir in den letzten beiden Tagen am häufigsten gedachten Wort: „Warum nur? Was haben wir nur getan, dass Gott uns so straft? Warum musste Thomas sterben? Warum verlassen mich meine Frau und meine Tochter? ... Ich habe sie ja alle so lieb, auch Tommy.“. Nachdenklich antwortete er mir: „Warum, immer wieder warum. Diese Frage kann ich dir nicht beantworten, dass weiß Gott alleine. Nur eines weiß ich mit Gewissheit Gott will euch nicht strafen, dafür liebt er euch zu sehr und er wird auch immer bei euch bleiben. Aber mit deiner Frage nach dem Warum stehst du nicht alleine. Selbst ich frage mich das sehr oft. Ich tröste mich immer damit, dass durch die
ganze Bibel hindurch, Altes wie Neues Testament, immer wieder Leute gelitten haben aber gerade denen galt die Verheißung, die frohe Botschaft. Während Leute, die auf der Sonnenseite des irdischen Lebens leben nie was verheißen wurde, eher das Gegenteil. Denke zum Beispiel nur an den reichen Kornbauer. Ich habe mir da so eine kleine Theorie festgelegt, ... ich weiß aber nicht ob sie richtig ist: Vielen Leuten geht es nur so gut, weil sie nur dieses kurze und ‚beschissene’ irdische Leben haben, alle anderen müssen durch die Geburtswehen des richtigen, des ewigen Lebens.“. Ein Warum musste ich doch noch los werden: „Warum gerade Thomas? Er ist doch noch so jung. 25 ist doch kein Alter?“. „Ja, Peter“, begann Karsten Rüffert, „wir haben alle unterschiedliche Vorgaben auf den Lebensuhren und nur Gott weiß wann diese abgelaufen sind. Und das ist gut so. Denke nur an Martin Luther, der, wenn er wüsste das morgen die Welt untergehen würde, heute noch einen Apfelbaum pflanzen und ein Kind zeugen würde. Der eine Mensch stirbt wenn er noch nicht geboren ist und der andere wird über 100 und alle kriegen, wie die Arbeiter im Weinberg, den gleichen Lohn. Vielleicht ist es sogar eine Gnade wenn man nicht so lange leben muss. ... Wer kennt schon Gottes Ratschluss.“ Alle guten Dinge sind Drei und ich setzte noch mal nach: „Warum müssen wir überhaupt erst durch das Tor des Todes? Wäre es nicht einfacher, gleich im Ewigen Leben geboren zu werden?“. Auch hierauf versuchte der Pastor eine Antwort: „Gäbe es kein Sterben gäbe es kein neues Leben. Alles auf dieser Erde muss vergehen, damit es Platz für Neues schafft. Und bestehendes Leben nährt sich vom vergangenen. So ist das Gebären und Sterben eine Fortsetzung des Schöpfungsakt. Du fragtest eben warum wir durch das Tor des Todes müssen? Vielleicht weil wir, bevor wir wirklich leben können, erst durch eine Entwicklungsebene schreiten müssen. Wie vor der Geburt. Erst befinden wir uns in einer engen Gebärmutter mit kaum Bewegungsspielraum, im Fruchtwasser, in dem, wenn wir dann schon durch Mund und Nase atmen würden, ertrinken würden. Dann müssen wir unter Schmerzen für Mutter und Kind durch die Scheide auf diese Welt. Stell dir vor, dass dieser Vergleich 100%ig stimmt. Wie großartig ist das Leben außerhalb des Mutterleibes; wie grandios muss dann das wahre Leben, zu dem wir uns hier ja nur im Schwangerschaftsstadium befinden, dann erst sein.“. Wir sprachen noch eine ganze Weile miteinander. Das ganze Gespräch war wie ich es eben beschrieben habe: Nie hatte er eine konkrete Antwort, nie ein Patentrezept. Er konnte mir immer nur das sagen, was er glaubte – er wusste eigentlich nichts. Dieses hatte mal ein Konfirmand, wie er mir erzählte, treffend ausgedrückt: „Alles was man behauptet und nicht beweisen kann ist dummes Zeug. Alles was man beweisen kann ist Wissen. Und alles was kein dummes Zeug ist aber was man trotzdem nicht beweisen kann ist Glauben.“. Trotzdem hatte dieses Gespräch viel für mich gebracht: Meine Fragen quälten mich weniger, das Flämmchen Hoffnung flackerte wieder und ich schöpfte neuen Mut. Irgendwie war ich jetzt überzeugt was tun zu müssen, damit Katharina endgültig wieder an meine Seite zurückkehrt und auch unsere Tochter dem Leben zurückgewonnen wird. Unseren Thomas konnte ich nicht wieder ins Leben zurückholen aber in meinem Herzen wollte ich ihn doch als meinen Sohn bewahren. Ich glaubte auch ein Versäumnis meinerseits erkannt zu haben: Ich hatte in den letzten Jahren Gott zu Wenig um Beistand gebeten und daher fehlte es mir an der notwendigen Kraft. Allein das um den Beistand bitten – Beten – ist der Energydrink fürs Leben. Am Donnerstag morgen wurde Thomas beerdigt. Da wurde ich zu einem Gewissensproblem für die mich behandelnden Ärzte. Meine doch sehr schwere Gehirnerschütterung – vermutlich hatte es auch noch eine kleinere Gehirnblutung gegeben - und mein noch etwas labiler Allgemeinzustand ließen aus ärztlicher Sicht keinen „Ausgang“ zu. Aber wer will es einem Vater verweigern zur Beerdingung seines Sohnes zu gehen. So ließen sie mich in Begleitung von Onkel Albert mit dem Versprechen sofort wieder zu kommen an der Trauerfeier teilnehmen. Als wir in der Friedhofskapelle ankamen saß dort Christina in einem eigentlich hübschen schwarzen Kleid in der ersten Reihe. Wir setzen uns neben sie und, obwohl es in solchen Räumen nicht schicklich ist, begrüßte sie mich mit einem Wangenkuss und flüstert „Guten Tag, Vati“ zu. Vielleicht hätten wir heute schon wieder etwas näher zusammen gekommen können, wenn ich nicht während der Trauerfeier wieder bewusstlos geworden wäre. Onkel Albert brachte mich daraufhin postwendend wieder zurück ins Krankenhaus, wo ich dann noch weitere 14 Tage verbringen musste. Was mich Alles in Allem sehr traurig stimmte war das Katharina nicht erschienen war. Wenn ich mal Karsten Rüfferts Beispiel von den Uhren aufgreifen darf hieß dieses für mich jetzt, das entweder die Uhr unserer Familie gänzlich abgelaufen war oder die Stunde für die endgültige Lösung noch nicht gekommen war. Am Nachmittag des Beerdigungstag erhielt ich Besuch von gleich zwei Pfarrern. Karsten hatte Thomas ehemaligen Standortpfarrer, der aus Anlass von Thomas Beerdigung nach Bergdorf gekommen war, mitgebracht. Dieser konnte mir dann berichten was mit, in und um Tommy geschehen war. Ich erfuhr, dass auch der Standortpfarrer Thomas für einen sehr gläubigen Menschen hielt und die beiden oft miteinander zutun hatten. Auch dem Standortpfarrer hatte Tommy gestanden, dass die Hauptmotivation für seine Verpflichtung darin lag, das er was leisten wollte worauf seine Eltern stolz sein sollten. Allerdings habe er in der Bundeswehr nicht das gefunden, was er sich vorher darunter vorgestellt hatte. Das heißt aber nicht, dass es sich bei Thomas doch um einen verirrten Pazifisten in Uniform handelte, er war schon im Gegensatz zu mir von der Richtigkeit der Bundeswehr überzeugt aber sie war nicht das, was er wollte. Oft haben die beiden darüber gesprochen, ob Thomas sein Abschied nehmen sollte um Theologie zu studieren. Schon sehr früh hatte er sich gegenüber dem Standortpfarrer hinsichtlich seiner Homosexualität geoutet. Da lagen seine eigentlichen Probleme, die später zu seinem Verhängnis wurden. Immer mehr baute sich in ihm auf, dass er nicht ungeliebt und ohne zu lieben sterben wollte aber weder in der Bundeswehr noch in der Kirche ein Platz für Schwule sei. Dieser Komplex hätte sich in ihm so gesteigert, das er letztlich allen die er liebte weh tat und immer wieder seinen
Verstand durch Alkohol abzuschalten versuchte. Auch gegenüber dem Standortpfarrer, mit dem er eigentlich befreundet war, wurde er zunehmend gehässiger. Direkt paradox erschien es dem Pfarrer, dass er Leute die er absolut nicht leiden konnte als Waffe gegen die einsetzte die er mochte und liebte. So hat er dem Standortpfarrer dann einen Scientologen als Vorbild vorgehalten. Was ich jetzt trotz allem doch ein Bisschen wohl empfand war, dass ich doch jetzt Hintergründe, die mir bis jetzt verborgen geblieben waren, kannte. Andererseits warf ich mir vor, mich nicht richtig mit dem Jungen beschäftigt zu haben, ihm zu Wenig offene Ohren geschenkt zu haben. Aber hätte ich ihm helfen können? Hätte ich nicht genauso zu sehen müssen wie dieser Standortpfarrer, zu dem Thomas doch zunächst eine große Vertrauensbasis aufgebaut hatte? Gerade aus dem Letzten, was der „Besucher“ erzählte, konnte ich schließen das uns unser Junge sehr geliebt hat. So wie er dem Pfarrer den Scientologen vorgehalten hat, hielt er uns Goldmann vor. Wenn die Beobachtungen des Militärgeistlichen zutreffen, dann hat er die Type, die er gegen mich verwandte, nicht gemocht. Sicherlich hätte dieses auch alles Katha in ihrem Schmerz geholfen und so nahm ich mir vor, sobald ich Katharina gefunden habe, ihr diese Gespräch wiederzugeben. Während der 14 Tage, die ich jetzt noch im Krankenhaus lag, bekam ich Tag für Tag für mindestens eine Stunde Besuch von Onkel Albert. Er hat ein Häuschen im Bergdorfer Ortsteil Waßmannsheide, in dem er seit dem Tode von Tante Hermine alleine wohnt. Sein Sohn Karl-Herman, der das Haus einmal erben wird, lebt mit seiner Familie in der Nähe von Hamburg und hat dort eine Eigentumswohnung. Onkel Albert schlug mir vor, doch zu ihm ins Haus zu ziehen. Ich könnte ja mit Katharina in der Wohnung, in der Karl-Hermann bis zu den Zeitpunkt wo er in Hamburg seinen Toppjob bekam wohnte, einziehen. Dann wäre er auch nicht mehr so alleine und hätte dann jemand der sich dann auch mal ein Wenig um Haus und Garten kümmern würde. Unser Vorteil sei dann die Miete: Er wollte nur 500 Mark von uns haben wollte. Meinen Einwand, dass ich diese doch mit Katha besprechen müsse, tat er erstens mit der Überzeugung, dass wir sie in den nächsten Tagen sicher finden und fragen könnten ab und außerdem würde es ja noch nicht brennen, da ich hinsichtlich der Kündigungsfrist der jetzigen Wohnung dort sowieso noch bis Jahresende Miete zahlen müsste – und bis dahin glaubte er das dann wirklich alles mit Katha wieder in „Butter“ sei. Er kommentierte: „Schließlich ist sie eine Haffner. Die sind erstens treu und gehen zweitens nicht verloren.“. Dieses konnte ich ihn allerdings aus den bisherigen Erfahrungen mit der Familie meiner Frau bestätigen. Auch Onkel Albert war jetzt ein Beweiß dafür. Nur mit ihrem Bruder stand Katharina seit Jahr und Tag auf dem Kriegsfuss, von dem wusste ich momentan nicht wo er abgeblieben war. Aber die Überredungskünste des Onkels wirkten und ich sagte letztendlich zu. Buchstäblich am letzten Septembertag, nämlich am 30., holte mich dann Onkel Albert vom Krankenhaus ab. In der Zeit, wo ich dort im Bett gelegen habe, gab es doch wichtige Weichenstellungen. Ich hatte nicht nur eine neue Wohnung sondern auch neuen Mut und neue Hoffnung. Dahingehend glaubte ich, jetzt auch neue Kraft zu haben. Eine weitere Wende hatte sich in mir vollzogen: Ich war der Meinung zu meinem alten naiven christlichen Glauben zurückgefunden zu haben und war dann davon überzeugt, dass mir dieser helfen würde. Kurz, auch wenn es sonst noch keine Anzeichen dafür gab, glaubte ich in der Nähe des Tunnelendes zu sein; bald würde es wieder hell werden.
Zum Kapitel 22
Zum Inhaltsverzeichnis
Eine Kahnpartie zum Tag der Einheit Heimgekehrt aus dem Krankenhaus galt meine erste Sorge und mein erstes Handeln meinen beiden „Mädchen“. Als ich eben unsere Wohnung betreten hatte war mein erster Gang zum Telefon. Mein erster Anruf ging zur Bergdorfer Polizeistation um mich danach zu erkundigen, ob die von Onkel Albert aufgegebene Vermisstenanzeige bezüglich Katharina bereits was ergeben habe. Da bekam ich eine Antwort von der Sorte, die ich so sehr ‚liebe’: „Leider kann ich ihnen nichts weiter dazu sagen. Wir haben keine Rückmeldung. Aber sind sie mal beruhigt, wenn was Schlimmes passiert wäre, hätten sie bestimmt schon davon gehört. Bewahren sie bitte Geduld, es ist alles ordnungsgemäß in die Wege geleitet.“. Was heißt da, dass alles ordnungsgemäß in die Wege geleitet sei? Das klingt nach dem alten beamtokratischen Grundsatz: Aktendeckel auf, Vorgang rein, Akte wieder zu und jetzt warten bis sich die Angelegenheit von selbst erledigt. Wenn dann von anderer Seite, wie in Katharinas Kindergarten, solche Sprüche wie „Akten kann man liegen lassen“ kommen, ist der Mensch, der hinter der Akte steht, zur eigenen Schicksalsbewältigung abgelegt, aber alles hat seine Ordnung. Warum macht man nicht Mitdenken und Mitfühlen zur Pflicht eines Beamten oder versteckt sich das bereits im Wort „pflichtgemäßes Ermessen“ und die Schreibtischbesetzer verstehen das nur nicht richtig. Na ja, dabei musste ich es belassen, denn für alles Weitere bin ich ja leider zu ohnmächtig. Der zweite Anruf ging in Richtung Villa Klettner. Es nahm nicht wie üblich und erwartet Christina ab sondern ich hatte die Herrin am Apparat. Nach dem ich mich gemeldet und nach unserer Tochter verlangt hatte, antwortet Marianne mit einer Stimme, die zu Besorgnis Anlass geben könnte: „Hallo Pepe, erst mal mein Beileid. Deine Tochter ist leider unterwegs. Ich glaube aber auch nicht, dass sie, wenn sie hier wäre, mit dir sprechen würde. Hier ist es nicht mehr so wie früher ... Ich weiß nicht wie es weiter gehen soll. Aber bitte Pepe, tut mir ein Gefallen und rufe hier nicht mehr an; dadurch wird alles nur schlimmer.“. Und dann legte sie auf. Dann wählte ich Tinas Handynummer an und erfuhr über das Ansageband, dass der Teilnehmer nicht mehr erreichbar wäre. Verschiedene spätere Anrufversuche in der Villa verliefen immer nach dem gleichen Schema: Unmittelbar nach dem ich mich gemeldet hatte wurde auf der anderen Seite aufgelegt. Ich wusste noch nicht mal wer auf der anderen Seite das Gespräch entgegen genommen hatte. Die dritte Aufgabe an meinem Entlasstag war das Unterschreiben meiner Wohnungskündigung zum Jahresende. Diese hatte Onkel Albert, der geduldig im Wohnzimmer das Ende meiner Telefonitis abwartete, bereits vorbereitet und er stellte diese dann anschließend gleich persönlich bei unserem Vermieter zu. Noch mal muss ich dem Onkel meiner Frau eine große Belobigung aussprechen, denn er kümmerte sich um mich als sei ich sein eigener derzeitig hilfloser Sohn. Nach der Kündigungszustellung kam er mit zwei Jägerschnitzel mit Pommes und Salat zurück. Diese hatte er auf meinen Wunsch in einer Imbissbude geholt obwohl Fast-Food-Restaurationen nicht zu den Häusern gehören, die er, wenn er alleine wäre, aufsuchen würde. Nachdem wir uns gesättigt hatten, blieb er den ganzen Nachmittag bei mir, um mich beim Überlegen und telefonischen Abfragen, wo Katharina abgeblieben sein könnte zu unterstützen. Sie musste irgendwo wo sie sich auskannte und auch mit Hilfe rechnen konnte sein, denn nach meinen Schätzungen hatte sie allerhöchstens 500 Mark mitgenommen. Und damit kommt man nicht sehr weit, insbesondere dann nicht, wenn sich das Ganze über bald drei Wochen hinzieht. Aber nirgendwo ein Lebenszeichen von meiner Frau. Auch während des folgenden Wochenendes befand ich mich behütet unter Albert Haffners Fittichen. Er sagte mir ganz offen, dass er Angst habe dass mir einerseits was passieren könne und andererseits dass ich „Dummheiten“ machen könne. Hinter seinem Eifer steckte sicherlich auch das Problem, dass man bei vielen älteren Leuten feststellen kann: Offiziell hatte er keine „richtige“ Aufgabe mehr. Die Arbeit, die er früher machte, wird heute von jüngeren ausgeführt. Seit dem Tode seiner Frau Hermine und dem Wegzug der Familie seines Sohnes hatte er keine nahestehenden Leute, die er ver- und/oder umsorgen konnte. In meiner Person hatte er jetzt eine Aufgabe gefunden, in die er sich voll hineinsteigern kann. Da liegt natürlich eine große Gefahr drin, denn bei seinem ganzen Umsorgen kann es passieren, dass ich meine Freiheit und Eigenständigkeit verliere. Das könnte eines Tages mal zu einem solchen Loslösungsprozess, wie wir diesen aus der Jugendzeit zwischen Eltern und Kinder kennen, führen. Und so etwas läuft in der Regel nicht ganz schmerzlos ab. Dieses Wochenende jedoch war mir der mich bemutternde Onkel ganz recht und ich verbrachte das komplette Wochenende bei ihm auf der Waßmannsheide. Der Sonntag war nicht nur dieses für sich sondern er war auch noch Doppelfeiertag. Morgens in der Kirche feierten wir das Erntedankfest und in der ganzen Republik bejubelte man die Deutsche Einheit. Mit diesem Tag habe ich persönlich nicht gerade das Meiste am Hut. Sicher ist das Ende einer Diktatur, so wie es das ehemalige SED-Regime in der DDR war, der Sieg von Freiheit und Demokratie ein Grund zum Feiern. Aber die Deutsche Einheit? Wenn man sich mal die unterschiedlichen Gebilde, die sich im Laufe der Geschichte Deutschland nannten und die darin befindliche ethnische und kulturelle Mischung, ein Schmelztiegel im Herzen Europas, ansieht kann man nur skeptisch fragen: „Einheit von was?“. Das bringt nur die Leute, die stolz sind ein Deutscher zu sein und nicht wissen warum, auf den Plan um alles was sich innerhalb der gezogenen Grenzen befindet zu glorifizieren. Pathos anstelle von Vernunft. Ich würde ja auch nichts dagegen sagen, wenn nicht die gleichen Leute, die diesen willkürlichen Feiertag am 3. Oktober aus der Taufe gehoben haben, den Buß- und Bettag dem Gott Mammon geopfert hätten. Anstelle des christlichen Feiertages hätte man doch den chauvinistischen Jubeltag der Wirtschaft zur Kompensierung der Kosten für die Pflegeversicherung zur Umlenkung in Gewinne und Dividenden vorwerfen können.
Aber beim Bußtag geht es ja nur um christliche, kulturelle Werte und beim Tag der Deutschen Einheit unterschwellig ja um so etwas wie „Deutschland, Deutschland über ...“. Jetzt muss ich noch von einer Eigenart, die nicht nur Onkel Albert zu eigen ist, berichten. Immer wenn er nach Hause kommt schaltet er den Fernseher ein, nimmt eine Durchschaltung vor und lässt diesen dann auf einen Programm, was ihm augenblicklich gefiel, als Dauerberieselung laufen. Sprach man ihn auf die Energieverschwendung an bekam man „Ach, die modernen Geräte verbrauchen ja kaum was“ zur Antwort. Irgendwo glaubte ich da den jugendlichen Albert drin zu sehen, da die Leute in seinem Alter eher geizig daran gehen und sein Ausspruch wohl mehr bei der Mannschaft U25 (unter 25 Jahre) anzusiedeln ist. So lief die „bunte Kiste“ dann auch am 3. Oktober 1999 den ganzen Tag. So zwischen Acht und Neun schaute ich mal so nebenbei dahin. Es lief so ein Bericht wie die Leute in verschiedenen Regionen Deutschlands den Tag der Einheit verbracht hatten. Unter anderem kamen Bilder aus dem Spreewald und dort waren dann Leute zusehen, die dort eine Kahnpartie in Lübenau machten. Auf einmal stockte mir der Atem und als ich Luft geholt hatte tönte ich: „Guck mal Onkel Albert, da ist Hans Herrmann mit Familie und Katha ist auch dabei!“. Meine Frau hatte sich also zu ihren Bruder „geflüchtet“. Darauf war ich bei der ganzen „Fandung“ nicht gekommen. Die Geschwister lebten eigentlich aneinander vorbei. Sie waren sich nicht böse aber jeder ging seine eigenen Wege ohne sich an das andere Geschwisterteil zu stören. Ich glaube seit 10 Jahren, seit dem Tode von Katharinas Mutter, haben wir wohl zu gut wie keinen Kontakt miteinander gehabt. Daher hatte ich bei meiner Durchfragerei nicht an ihn gedacht. „Wo steckt Hans Hermann jetzt eigentlich?“, wollte Onkel Albert wissen. „Och, das muss irgendwo bei den Ossis sein. Da wollte er unter die Existenzgründer gehen. Dort wollte er ein Autohaus bauen oder kaufen. ... War ja ganz vernünftig die Subvention ‚Aufbau Ost’ mitzunehmen. ... Aber du bringst mich ja auf einen Gedanken, da komm ich ja an Katha ran.“. „Ich rufe jetzt mal Karl Hermann an.“, führte Onkel Albert jetzt aus, „Die beiden Vettern haben es immer gut miteinander gekonnt. Mein Junge ist ja auch Pate bei Hans Hermanns Ältesten.“. Da war mir doch etwas Seltsames aufgefallen: „Sage mal Onkel Albert, Hans Hermann und Karl Hermann ... Zwei Mal Hermann ist doch wohl kein Zufall?“. „Nee, mein Junge,“, startete er seine Antwort, „sowohl deine Schwiegermutter wie meine Frau waren Fans ihres Schwiegervaters Hermann Haffner und so sollten dann auch ihre Söhne heißen. Damit nicht zwei in gleicher Generation und in gleicher Familie mit absolut identischen Namen rumlaufen haben wir Brüder uns auf die Zusätze Hans und Karl geeignet. Wer zu erst kam war Hans Hermann und das war halt dein Schwager.“. Ich empfand diese Sache als eine richtig nette Story, die eigentlich für einen Familienzusammenhalt spricht. Gesagt getan, Onkel Albert rief seinen Sohnemann an. Es dauert eine ganze Weile, denn die beiden hatten sich einiges zu erzählen. Aber was mich betraf war dieser Anruf ganz erfolgreich: Karl Hermann wusste natürlich, dass sich das Autohaus Haffner vor den Toren von Cottbus befand. Er hatte sowohl die Privatnummer wie die Durchwahl zum Chef in der Firma. Ich hätte am Liebsten gleich dort angerufen, aber Onkel Albert hielt es für besser, wenn ich mir erst mal meinen Schwager zu einem Zeitpunkt packe wo meine Frau nicht in Reichweite ist und andererseits kann dieses bei der jetzt etwas späteren Stunde, inzwischen hatten wir halb Zehn, möglicher Weise, auf dem falschen Kanal landen. Da dürfte er erst mal recht haben und einen weiteren Fehler wollte ich jetzt nicht mehr machen. Also geduldete ich mich, obwohl es schwer fiel. Da mein Gastgeber an diesem Abend keine Lust mehr zum Auto fahren hatte, es mir zu Fuß bis zur Feldstraße zu weit schien und mir das Geld für ein Taxi zuschade war übernachtete ich kurzer Hand auf der Waßmannsheide. Als ich dann später in meinem Bett, das ich mir auf der Couch bereitet hatte, lag rotierten meine Gedanken mal wieder um meine beiden „Mädchen“. Nach meinem Gefühl aber nicht so wirr und chaotisch wie bisher sondern erstmalig seit langem wieder ein Wenig logisch und analytisch. Was ich mir an diesem Abend dachte stellte sich später auch als sehr weitgehend als richtig da. Ich überlegte was eine Mutter, die ihren Sohn sehr geliebt hat, dazu bringt nicht einmal an dessen Beerdigung teilzunehmen. Was könnte sie dazu getrieben haben mich praktisch bei Nacht und Nebel zu verlassen, insbesondere in dem Moment wo ich ihrer Hilfe bedurfte, obwohl eigentlich die Signale für eine weiter fortgesetzte Partnerschaft auf „Freie Fahrt“ standen? Sie muss vollkommen „fertig“, psychisch ganz am Ende sein. Im Grunde verhält sie sich wie eine Selbstmörderin, die ihre Person in Seele und Körper aufgeteilt hat und den Körper, ihre biologische Existenz, weiterleben lässt. Wie sie sich verhält beziehungsweise verhielt lässt nicht darauf schließen, dass sie auf Einfälle, die sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen haben, reagiert hat sondern da muss langsam was gewachsen sein. Als Indiz hierfür sah ich die Tatsache, dass wir seit dem Tode von Kathas Mutter so gut wie keinen Kontakt mit ihren Bruder hatten und nur ungefähr wussten wo er steckte. Trotzdem hat ihn Katharina auf Anhieb gefunden. Wichtig waren jetzt meine Folgerung die ich aus diesen Überlegung zog. Wenn ich jetzt dort anrufe pralle ich möglicher Weise auf eine sowohl unsichtbare wie unerklärbare Mauer. Andererseits könnte ich mir Onkel Alberts Auto leihen und mich körperlich nach Cottbus begeben, aber da löse ich vielleicht spontane Situationen aus, die uns später allen wieder leid tun. Ist es vielleicht richtig Onkel Albert vorzuschicken? Nicht damit er dass erledigt was meine Aufgabe ist sondern damit er sondiert was wirklich anliegt. Mit Insiderwissen kann ich dann wohl nach Lösungen suchen und wer sucht, der findet auch. Also schmiedete ich einen konkreten Plan und der besagte dass ich am nächsten Morgen diesbezüglich mit Onkel Albert sprechen wollte, insbesondere auch um ihn in die Richtung unter einen Vorwand eine Stippvisite in Cottbus zu machen zu bewegen.
Der nächste Punkt meiner spätabendlichen Denkerei galt unserer Tochter Christina, wo mir auch nicht alles kosha erschien. Die Angst vor ihrem Erzfeind Goldmann konnte nicht mehr der Grund für ihr Verhalten sein, dafür war inzwischen zu viel Wasser den Rhein heruntergeflossen. Sicher, da gab es Gründe in ihrem Elternhaus aber waren diese für sie so schwerwiegend, dass sie sich, entgegen ihren natürlichen Veranlagungen, von uns so endgültig lossagt? Wie verträgt sich dann so etwas mit der Begrüßung bei der Trauerfeier? Da musste was anderes sein. Gründe, die möglicher Weise hinter den Mauern der Villa Klettner liegen. Insbesondere das Telefongespräch, das ich nach meiner Krankenhausentlassung mit Marianne führte, lässt dahingehend auf einiges schließen. Wenn ich weiter kommen wollte musste ich wissen was da los war. Aber wie komme ich in diese „verbotene Welt“? Ich musste an jemanden herankommen, der Zugang ins Innere der Villa hat und denjenigen nach seinen Eindrücken oder gegebenenfalls nach Indizien befragen. Da fiel mir jetzt ad hoc nur Bogussia Lorenz, die Halbtagsputzfrau, ein. All zu große Hoffnung auf eine Klärung wollte ich mir aber nicht machen, da sie ja nur werktags des Morgens in der Villa war und da spielte sich normalerweise dort noch nicht das Allergrößte ab. Aber der Versuch sollte es mir wert sein. Also ging ich am nächsten Morgen gezielt ans Werk. Zunächst rief ich bei der Polizei an um die Vermisstenanzeige zurückzunehmen. Na ja, freundlich war der Beamte am anderen Ende nicht, eher etwas ungehörig. Aber irgendwo war mir das dann egal, Hauptsache aus der Richtung wird mir dann nicht zufällig bei meinem Vorgehen ins Handwerk gepfuscht. Und dann talkte ich mit Onkel Albert in dem am Vorabend angedachten Sinn. Da lief Albert Haffner direkt zur Höchstform auf. Er hatte als Kind eine Tante in Senftenberg, was da in der Nähe von Cottbus liegt. Bei dieser war er dann Ende der 30er-Jahre und zu Beginn des Krieges mal öfters, bis die dann 1942 an Krebs verstarb. Eigentlich verbindet ihn jetzt mit der Gegend nichts mehr aber trotzdem kann man ja vorgeben, dass er jetzt als Pensionär mal sehen will, was aus den Stätten seiner Kindheit geworden ist. Dann will er „rein zufällig“ bei dem Autohaus seines Neffen vorbeikommen. Wenn er dann Hans Hermann zufassen gekriegt hat, will er vor Ort entscheiden, wie er weiter verfahren will. Ideal wäre es, wenn er seine Nichte gleich mit heimbringen könnte aber das sollte nicht um jeden Preis geschehen. Das Wichtigste sollte sein, das wir überhaupt wussten was Sache ist. Den angefangenen Tag wollte er für seine Reisevorbereitungen nutzen und gleich am nächsten Tag in aller Frühe losfahren. Da er nicht wusste wann er zurückkommen würde und ich nicht vor lauter Ungeduld verschmachtete wollte er mich zwischendurch in günstigen Momenten telefonisch informieren. Damit ich dann nicht während der ganzen Zeit in meiner Wohnung festsitze wollte er, was sonst gar nicht nach seinem Geschmack war, doch die aus seiner Sicht überteuerte Möglichkeit nutzen und gleich meine Handynummer wählen. Da ich seinen Vorschlag prima fand, galt die Sache als abgemacht. Nach unserem Gespräch fuhr Onkel Albert dann zur Sparkasse um dort mit dem finanziellen Teil seiner Reisevorbereitung zu treffen. Bei der Gelegenheit nahm er mich dann bis zu unserer „Nochwohnung“ mit. Während der Fahrt empfahl er mir eventuelle freie Zeit für Umzugsvorbereitungen zu nutzen aber mir zwischendurch immer genügend Ruhe zu gönnen, denn so wacker schien ich aus seiner Sicht noch nicht auf den Beinen zu sein. Ab dem Folgetag habe ich mich auch an seinen Rat gehalten; heute jedoch war erst mal die Putzmamsell aus dem Hause Klettner eingeplant. Allerdings hatte es noch ein Wenig Zeit bis sie mir nach ihrem mittäglichen Dienstschluss auf ihrem Fußweg von der Villa nach Hause „zufällig über den Weg laufen“ sollte. So saß ich erst mal zu Hause und konnte auf das Anklingeln des Postboten reagieren. Er hatte zwei Sendungen, die er nicht einfach dem Briefkasten hätte übergeben können. Das erste war eine Niederlegungsurkunde, die mir, wenn ich es nicht bereits wüsste, einen Anhaltspunkt gegeben hätte, wo ich nach Katharina hätte suchen können. Sie war auf der A2 bei Magdeburg in einem Baustellenbereich mit 20 km/h zu viel geblitzt worden. Das Zweite war ein „Einschreiben mit Rückschein, persönlich“ von der Stadt Bergdorf an Katha. Es dürfte bestimmt etwas arbeitsrechtliches gewesen sein. Das kann ich natürlich nicht sagen, da ich ja nicht Katharina Schröder, persönlich, bin. Dem Postboten erklärte ich, dass mich meine Frau verlassen hätte und ich momentan nicht wüsste wo sie sich aufhält – das stimmte ja sogar bis zum Vorabend. Also musste dieser Brief zurück zum Absender. Aber jetzt zu meinem Ausspionieren von „Villageheimnissen“ über die Putzfrau. Ich hatte bei meinem Versuch Bogussia „zufällig“ über den Weg zu laufen Glück und bekam von ihr sogar einiges an Neuigkeiten mit. Kurz nach meinem Auszug aus der Villa sei der Bruder von Madam, wie sich Bogussia ausdrückte, erschienen. Was er wollte und was er gemacht hat, wusste die Putzfrau natürlich nicht. Ich persönlich vermutete, dass dieses mit Mariannes Erpressung, von der damals die Rede war, zutun hatte. Auf jeden Fall muss einiges los gewesen sein, denn seit dieser Zeit frühstückt der Herr grundsätzlich alleine und Bogussia hat in letzter Zeit nicht mitgekriegt, dass das Ehepaar Klettner miteinander gesprochen habe. Danach sei dann dieser Sascha Schulte, den Bogussia für ein Sadisten hält, aufgetaucht. Mit Marianne habe der aus ihrer Sicht wohl nichts sondern er mache den Eindruck als sei er der Aufpasser von Madame, der es in letzter Zeit sehr schlecht gehe. „Entweder säuft die oder nimmt Drogen“, mutmaßte Bogussia. Unsere Christina wohnt in der Gärtnerlonge mit dem Knaben zusammen. Was die beiden miteinander haben, hat Bogussia auch noch nicht mitbekommen; nur das Tina mächtig von Schulte kommandiert wird. Was außerhalb ihrer Dienstzeit und am Wochenende in der Villa los war entzog sich Bogussias Kenntnis, da sie zu diesen Zeiten nie da war und in ihrer Gegenwart so gut wie nie gesprochen wird. Jetzt hatte ich ja eine Menge erfahren aber die Zahl der Rätsel, die für mich offen standen, hat sich dadurch nicht verringert. Jetzt wusste ich nur, dass sich da was abspielte, was nicht den rechten Dingen zuzuordnen ist. Ich überlegte mir in Folge, wie ich zu mehr Information kommen könne. Zu meiner Überraschung bekam ich nach Onkel Alberts
Rückkehr unerwartet aber auch zu meinem Schrecken weitere Informationen. Zwischen den Vorgängen in der Villa, Thomas Verhalten am 11.9. und Katharinas Verschwinden gab es einen unmittelbaren Zusammenhang. Tommy war in der Nacht vom 10. auf den 11. September in die Villa eingedrungen. Er war also nicht, wie wir annahmen, erst am Morgen des Elften angereist. Ihm ist es dabei auch gelungen bis Christina vorzudringen und konnte auch mit ihr sprechen. Dabei hat sie ihrem Bruder von dunklen Geschäften Klettners, in die auch Goldmann verwickelt war, berichtet. Um was es sich dabei handelte lag zu dem Zeitpunkt, von dem ich hier berichte, noch hinter einem dicken grauen Schleier – von Tina erfuhren wir es nicht und Thomas konnten wir nicht mehr fragen. Marianne wollte ihren Mann über ihren Bruder erpressen. Unglücklicherweise wurde Klettners Schwager erst tätig, als bekannt war, dass Tina Goldmann angezeigt hatte. Jetzt glaubte Klettner, dass seine Frau auf dem Umweg Goldmann - Katharina – Christina davon erfahren habe und setzte die Damen deshalb unter Druck. Sascha Schulte wurde als Aufpasser für diese engagiert. Tina, die aber tatsächlich von nichts wusste, äußerte gegenüber Thomas den Verdacht, dass Marianne ihr Wissen über mich oder Katharina erhalten haben müsste und sie jetzt darunter leiden müsste. Das erklärt doch irgendwo plausibel das Verhalten unserer Kinder, die im Vorfeld ja schon von unserer Familiengeschichte und die an ihnen begangenen Mobbingtaten angeschlagen waren. Und dieses führte dann zum tragischen Finale am Tage meines Geburtstages. Das wussten Katharina und ich natürlich nicht, als wir uns zu Dritt zusammensetzten. Katha erfuhr davon, als sie Christina die Todesnachricht telefonisch übermitteln wollte. Wie ich schon früher schrieb wollte sich Tina dann trotzt Erpressung und Androhungen aus der Villa absetzen. Während des Gespräches muss bei Katharina der Glühpfaden durchgebrannt sein und sie warf unserer Tochter dann vor, doch die Initiatorin des ganzen Unglücks zu sein. Die Folge kennen wir: Tina hängt unglücklich in der Villa und Katha in Cottbus. Und ich nehme mal an, dass sich in die Verzweifelung der beiden jede Menge Angst gemischt hat. Nach Onkel Alberts Bericht, den er aus Cottbus mitgebracht hatte, kannte ich jetzt den Punkt woran ich arbeiten musste, um meine Familie wieder an meine Seite zu bekommen. Allerdings wollte ich nichts überstürzen sondern ganz gezielt vorgehen – aber leider wusste ich nicht wie. Ich konnte mich nur damit trösten, dass mit der Zeit auch Rat kommen müsste und ... was für mich ja auch wieder maßgebliche Bedeutung erhalten hatte: Beten. Dieses war eine wichtige Erkenntnis die Onkel Albert, als er am Samstagmittag zurückkam, mitgebracht hatte. Er war an jenem Dienstag wie geplant vorgegangen und mit der Vorwandlüge „Senftenberg“ kurz nach Mittag im Autohaus seines Neffen aufgetaucht. Hans Hermann vermutete natürlich, dass er eigentlich bewusst wegen Katharina erschienen war und nahm seinem Onkel auch nicht das „Wie ist die hier?“ ab. Aber Alles in Allem nahm er dann, sogar mit aufrichtiger Freude, Onkel Albert als zweiten Gast, neben Katharina, in sein Haus auf. Dort trafen dann auch Onkel und Nichte, die übrigens auch das Gleiche glaubte wie ihr Bruder, zusammen. Katharina vermittelte auf ihn einen körperlich wie seelisch schlechten Zustand. Sie sei aber bei Hans Herrmanns Frau in den allerbesten Händen und daher sollte ich sie getrost noch ein Weilchen in Cottbus lassen. Nach Onkel Alberts Ansicht wäre es sogar besser wenn ich erst mal den Oktober verstreichen ließ bevor ich dort via Telefon vorstellig werden würde. Für mich wichtig war, das niemand, auch nicht Katharina, etwas gegen mich hatten. Im Gegenteil, Katha hat sich sehr ausführlich bei Onkel Albert über mich und mein Wohlbefinden erkundigt und aus seiner Sicht schien es ihr gut zutun, dass ich schon wieder, natürlich den Umständen entsprechend, ganz gut auf den Beinen stände. So was ist ja kein Zeichen für eine endgültig erloschene Liebe. Auch unseren Umzug hatte Onkel Albert soweit wie möglich abklären können. Katharina tat so, als ob es ihr, weil sie unsere gemeinsame Wohnung hier nicht mehr als ihr Zuhause ansah, nichts anginge. Erklärte aber trotzdem, dass ihr der Umzug im Falle eines Falles doch ganz recht sei. Also forcierte ich auch in den nächsten Tagen meine diesbezüglichen Aktivitäten und zog am 23.10.99, ein Samstag, dann endgültig von der Feldstraße zur Waßmannsheide. Für mich erfreulich, das mein alter Vermieter bereits ab Anfang November, allerdings nicht genau ab dem Ersten, einen Nachmieter hatte und mir dann kulanter Weise die restliche Miete erlassen hatte. Mit den Behörden, sprich mit der Stadt Bergdorf, hatte ich aber dann erhebliche Probleme. Sowohl Katharina wie auch Christina waren noch unter der Adresse Feldstraße 29 gemeldet und ich wollte sie, entsprechend meiner Hoffnung, auch mit nach Waßmannsheide melden. Ich musste schon den ehemaligen Beamten Albert Haffner bemühen, um das reibungslos über die Bühne zu kriegen; aber es klappte dann auch ohne Schmu und Tricks. Aber was die Stadt Bergdorf anbelangt, kann ich noch von einem viel größerem Ärger berichten. Dieses war immerhin der Arbeitgeber von Katharina und der wollte sie jetzt, weil sie weder gelbe Scheine ablieferte noch zur Arbeit erschienen war, „feuern“. Dieses ist aus der Sichtweise Kathas, wie ich von Onkel Albert weiß, kein umwerfendes Problem, denn sie ist letztendlich froh der Mobbinghölle entkommen zu sein. Aber was sollte ich jetzt machen, meine Frau reagierte auf Nichts – sie ließ einfach alles laufen wie es lief. Wenn man sich so Fernsehfilme ansieht, wo die Leute im Galopp Partner, Wohnungen und Arbeitgeber wechseln, kann man annehmen, jeder könnte so leben wie er lustig ist. Steckt man aber im Detail merkt man wie kompliziert alles ist und wie ein Behörden ganz schön in Trapp halten können. Und dank beamtokratischer Berufsauffassung dauert natürlich alles immer viel länger als nötig und wirtschaftlich sinnvoll. Dahingehend sah ich Probleme hinsichtlich meines Lebensunterhaltes auf mich zukommen. Da ich bisher offiziell von dem pfändungsfreien Teil des Einkommens
meiner Frau mitlebte hatte ich mit Arbeitsamt, Sozialamt und Wohngeldamt nichts zutun. Aber jetzt? Und das dann alles auch im Hinblick auf die verschwundene Frau und nicht erreichbare Tochter. Noch hatte ich ja heimlich angesammeltes Guthaben aus meiner Zeit als Sklave Mariannes aber auch diese Quelle kann nicht ewig sprudeln. Ich nahm mir jedoch vor, möglichst lange davon zu leben, das heißt bis knapp vor dem Geiz sparsam zu sein, damit ich bis zum Tag X, wo ich „meine Mädchen“ wieder um mich scharen kann, durchhalte. So hockte ich stets und ständig zu Hause und nahm jede Gelegenheit, mich auf Kosten von Onkel Albert beköstigen oder unterhalten zu lassen, wahr – ich war also ein dankbarer Gast. Am Tag nach dem Umzug, also am Sonntag, den 24. Oktober, telefonierte ich, natürlich auf Kosten von Onkel Albert, erstmalig mit Katharina. Um dieses Gespräch ohne Einleitungen weitergeben zu können, benutze ich mal wieder den Kunstgriff mit der kursiven Schrift, und zwar immer dann, wenn Katharina spricht. Ich begann dieses Gespräch: „Hallo Katha, Mäuschen, wie geht es dir?“. „Nicht so gut. Ich weiß nicht, ich glaube nicht das da noch mal was raus wird.“. „Ach Katha, lass doch den Kopf nicht hängen. Wir kriegen das bestimmt schon wieder hin.“. „Was willst du denn wieder hinkriegen. Meinst du wir könnten unseren Jungen wieder zum Leben erwecken. Ich fürchte unser Mädchen werden sie auch noch umbringen. Wie willst du das dann wieder kriegen? Du hast deinen Beruf verloren, ich jetzt auch. Ach Pepe, da wird nichts mehr raus.“. „Mäuschen du warst doch früher immer so optimistisch. Von deinem Optimismus hast du mir immer so viel abgegeben. Du hast mir soviel Kraft gegeben. Immer wenn wir an einem Strick gezogen haben waren wir unschlagbar. Man konnte uns erst was anhaben, als wir getrennte Wege gingen. Aber das war ich, du bist unschuldig. Gebe mir doch bitte eine Chance das wieder gutzumachen.“. „Darauf habe ich schon vor einem halben Jahr gehofft ... und wir sind nur tiefer reingerutscht. Pepe, bitte entschuldige, ich möchte jetzt auflegen. Tschüs, aber ich lie...“. Und dann gab es einen Knacks, denn sie hatte aufgelegt. Ich habe noch mal am 31. Oktober angerufen aber da hat sich Katharina dann jeden weiteren Anruf verbeten und das wollte ich, um keine Fehler zu machen, vorerst auch akzeptieren wollen.
Zum Kapitel 23
Zum Inhaltsverzeichnis
Alaaf, die Leute sind weg Seit jeher lassen sich diejenigen die Oben sitzen, sprich diejenigen die die Macht haben, ungern was sagen, denn in menschentypischer Borniertheit setzen sie Macht mit Weisheit gleich. Ausschließlich wenn es nach ihrer Meinung dumm und plump, so das sie selbst und andere darüber lachen können, herüber kommt lässt man Kritik zu. Dann ist es ja leichter, die unbequeme Wahrheit als dummes Zeug vom Tisch zu wischen. Aber Vorsicht, wenn es zu deutlich wird, legen Betroffene Satire gerne als Beleidigung aus und gehen dann so dagegen vor, als habe man Klartext gesprochen. So was nennt sich dann Narrenfreiheit, die auch von Karnevalisten gerne in Anspruch genommen wird. Zur Zeit der napoleonischen Besetzung des Rheinlands schleuderten die Karnevalisten ihren Besetzern gerne den Leitsatz der französischen Revolution von 1789 „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“, also auf Französisch „Liberté, Égalité, Fraternité“, den diese Feudalisten gar nicht gerne hörten, entgegen. Geradeaus gesprochen wäre das eine gefährliche Angelegenheit gewesen und deshalb nahm man die Gleichheit aus der Mitte nach vorne, also „Égalité, Liberté, Fraternité“, und kürzte dieses ab, also daraus wurde ELF, die heilige Zahl des rheinischen Karnevals. Seitdem beginnt alles karnevalistisches immer 11 Minuten nach X und dem ganzen Hallotrias sitzt der Elferrat vor. Zur Zeit der Rheinlandbesetzung rückte auch der Beginn der närrischen Zeit, die Insider die 5. Jahreszeit nennen, auch deutlich nach vorne. Früher feierte man diese Gaudi nur in der Vorfastenzeit zwischen dem Ende der Weihnachtszeit und der Fastnacht, also passend zu den römischen Saturnalien, die mit der Buße in Sack und Asche endeten. Aber warum hätten sich die besetzen rheinischen Narren die größte Häufung ihrer heiligen Zahl im Kalender entgehen lassen sollen. Also seit ein paar Jahren mehr, als zwei Jahrhunderte haben, geht es am 11.11. um 11:11 Uhr los. 1999, also in dem Jahr in dessen Jahreszahl auch 9 x 11 versteckt waren, fiel dieser Tag auf einen Donnerstag. Nun, unser Bergdorf liegt nicht im Rheinland und seit jeher stellen die Protestanten hier die Bevölkerungsmehrheit. Da ist der 11.11. ein Tag wie alle anderen auch, also keiner mit einer besonderen Bedeutung. Das heißt aber nicht, dass es immer wieder, nicht nur aus dem Rheinland zugewanderte Leute gibt, die bei solchen Gelegenheiten beim rheinischen Trallala mitmischen wollen. Ein solcher zu sein gab auch Sascha Schulte, der Haremswächter in der Villa Klettner, vor. So genehmigte er Marianne und Christina anlässlich dieses Tages, ohne Wissen des Bosses Big Klettner, einen Tag Freiheit. Zu Dritt fuhren sie dann in die Hauptstadt der rheinischen Narrheit, nach Köln um dort den Zeitpunkt „Elf Uhr Elf“ am „Alte Markt“ zu erleben. Sie parkten an einem markanten Ort und vereinbarten, falls sie sich im Trubel aus den Augen verlieren würden, sich hier zu einem Zeitpunkt X zu treffen. X muss ich sagen, weil ich nicht dabei war, aber es muss zwischen Mittag und Zwei gelegen haben. Es kam wie es kommen musste. Sie verloren sich natürlich aus den Augen und Marianne musste alleine zum Treffpunkt zurück, wo sie dann auch überpünktlich eintraf. Aber sie fand dort weder ihr rotes Cabriolet, noch Sascha und auch Christina war weit und breit nicht zusehen. Die beiden hatten sich offensichtlich abgesetzt und unserem Mariandel blieb nichts anderes übrig, als sich im Taxi, für eine stolze dreistellige Summe, in heimische Gefilde bringen zu lassen. Ich weiß nicht ob sie gleich bei der Feststellung des Verschwindens der beiden ihren Mann mit „Alaaf, die Leute sind weg“ angerufen hat, aber, für ein Donnerstag ungewöhnlich, war der große Hannsfrieder Klettner am Nachmittag in seiner Villa und stellte dann den Rest fest. Von solchen Sachen habe ich in der Regel nichts oder nur wenig erfahren. Aber heute war es anders. Da war etwas passiert, das sogar Katharina im fernen Cottbus davon erfuhr. Die Fernsehanstalten strahlten in ihren abendlichen Nachrichtensendungen ein Pärchenfoto von Sascha und Christina aus und dazu war zu hören: „Gesucht werden der 31jährige Sascha Schulte und seine 23-jährige Begleiterin Christina Schröder aus Bergdorf. Die Beiden sind vermutlich in Begleitung des 42-jährigen Volker Berghoff aus Neuhausen. Die Gesuchten haben aus der Villa ihres Dienstherrn Bargeld und Wertgegenstände im Werte von mehr als einer halben Million Mark entwendet und versuchen sich wahrscheinlich ins benachbarte Ausland abzusetzen.“. Jetzt folgte eine Beschreibung des Trios und des Wagens, mit dem sie unterwegs waren. Zum Abschluss gab es noch eine Warnung: „Vorsicht, der gesuchte Volker Berghoff neigt zu Gewalttätigkeiten und macht gegebenenfalls auch von Schusswaffen Gebrauch.“. Natürlich haute mich die Mitteilung, dass meine Tochter eine Gangsterbraut ist, vollkommen vom Hocker. Jetzt war mir natürlich auch nicht nach „Alaaf, die Leute sind weg“, was ich aber auf jeden Fall gesagt hätte, wenn sie „nur“ dem Herrschaftsbereich der Klettners entflohen wären. Nach einer kurzen Zeit, die gerade mal zur Verarbeitung eines Schrecks und zum Luftholen reichte, rief mich Onkel Albert an sein Telefon. Am anderen Ende der Leitung war Katharina. Zum ersten Mal seit ihrem „Verschwinden“ hatte sie das Bedürfnis mich zu sprechen. Mit aufgeregter Stimme sagte sie: „Pepe, was ist das denn schon wieder? Nimmt das dann kein Ende? Unsere ‚kleine’ Tina eine Verbrecherin; das glaube ich nicht.“. „Ich auch nicht.“, antwortete ich ihr aus Überzeugung, „Das wird sich alles noch richtig herausstellen. Unsere Tochter macht so etwas nicht. Aber ich habe jetzt Angst, das ihr was passiert ist. Ich glaube, das Tina damit nichts zutun hat. Aber gerade dann besteht ja die Gefahr das die beiden Gangster ihr was angetan haben.“. Es dauerte jetzt einen Moment bis Katha weitersprach: „Von dem Schulte habe ich ja schon gehört. Aber wer ist dieser Berghoff, der ja der gefährlichere sein soll?“. Da stutzte ich jetzt auch, denn den Namen Volker Berghoff hatte ich auch noch nicht gehört. Jedoch ließ sich durch einen 1:1Vergleich, sprich Namensvergleich Volker Berghoff zu Marianne Berghoff-Klettner, sofort die richtige Antwort finden: „Wenn mich nicht alles täuscht, ist das der Bruder von Marianne. Sollte mich nicht wundern, wenn Marianne dann letztendlich noch selbst mit von der Partie wäre.“. Ganz nachdenklich und etwas leise kam von Katharina: „Scheint ja eine feine Sippschaft zu sein.“. Und nach einer kleinen Pause setzte sie fort: „Wie es jetzt aussieht werden wir wohl nie
wieder zusammen kommen, die Gräben werden immer breiter und tiefer. Aber trotzdem ist es mir als Mutter nicht egal, was mit meinem Kind ist. Wenn du was Neues hörst rufe mich bitte sofort an.“ Und dann setzte sie noch eifrig aufgeregt „Aber komm bitte nicht her“ hinzu. Ich versprach ihr aufrichtig sie zu informieren und halbherzig nicht zu kommen und danach verabschiedeten wir uns und legten auf. Ich war gerade im Begriff den Raum zu verlassen als das Telefon schon wieder schellte. Da ich annahm, dass es möglicher Weise noch einmal Katha war, wartete ich erst mal ab, bis Onkel Albert abgenommen hatte. Das war auch gut so, denn es war zwar nicht Katharina aber der Anruf war trotzdem für mich. Es war Marianne, die sich erkundigen wollte ob ich was von Christina und ihren derzeitigen Aufenthaltsort wüsste. Das konnte ich nur Verneinen, denn ich hatte ja selbst erst vor nicht mal einer halben Stunde durchs Fernsehen erfahren, dass die Leute weg waren. Von dem karnevalistischen Hintergrund, den ich in diesem Kapitel schon weiter oben berichtet habe, wusste ich bis zu diesem Moment auch noch nichts; den erfuhr ich jetzt erst aus Mariannes Mund. Nach ihrem Bericht rutschte mir dann, der hier schon zwei Mal erwähnte Flappsus „Alaaf, die Leute sind weg“ raus. Zu recht empörte sich Marianne: „Findest du das gut? Ich kann jedenfalls nicht darüber lachen.“. Ich entschuldigte mich damit, dass ich jetzt auch ein Wenig daneben sei und mir der Spruch so raus gerutscht sei. Sie akzeptierte die Entschuldigung aber kam dann doch zu einem abrupten Ende. Ihr Mann käme gerade ins Haus und sie würde am nächsten Tag noch mal anrufen. Alle Dinge sind Drei. Ich war gerade wieder in meiner Wohnung als es an der Haustür schellte. Wieder wollte sich eine Dame, diese war dann eine Beamtin der Kriminalpolizei, bei mir erkundigen ob ich was zum Verbleib meiner Tochter sagen konnte. Zum dritten Mal musste ich eine Negativauskunft geben. Auch jetzt wurde mir aufgetragen mich zu melden, wenn ich was hören sollte. Allerdings war das nicht alles, was die Kripo-Dame wissen wollte. Sie erkundigte sich auch nach dem Aufenthaltsort von Katharina. Sie wollte wissen ob wir im Rheinland Verwandtschaft oder Bekannte haben. Und letztlich ging es um Tinas Fremdsprachenkenntnis und eventuelle Vorlieben ihrerseits für Auslandsaufenthalte. Diese Fragerei ging mir doch ein Wenig an den Kragen und ich empörte mich: „Das hört sich ja so an als ob sie meine Tochter verdächtigten die Bandenchefin zu sein und ich glaube eher, dass sie unfreiwillig darein gezogen worden ist.“. Ich wollte noch sagen, dass ich meine Tochter kennen würde und ich ihr so etwas nicht zutraute. Sie hatte mich aber unterbrochen: „Entschuldigung Herr Schröder, aber ich will in keiner Weise ihre Tochter beschuldigen. Von dem, was ich aus den Akten von den beiden Herren weiß, nehme ich sogar stark an, dass sie recht haben. Aber einerseits ist es auch denkbar, dass die Herren Beziehungen und Kenntnisse ihrer Tochter ausnutzen und andererseits bin ich als Beamtin, so lange ich keinen Gegenbeweis habe, verpflichtet auch der Spur, die ich für am Wenigsten wahrscheinlich halte, nachzugehen.“. Das erschien mir einleuchtend und so bekam sie dann auch die gewünschten Auskünfte von mir. In den nächsten Tagen hörte ich von allen drei Damen auf gut Deutsch: Nichts. Marianne rief, obwohl sie dieses zum Abschluss unsere Gespräches gesagt hatte, am nächsten Morgen und auch später nicht an. Und ich sah keine Veranlassung sie anzurufen. Dagegen hätte ich jede Menge Veranlassung gehabt Katharina anzurufen aber da habe ich es aus dem Grunde nicht gemacht, damit ich nicht ihre Hoffnungen beim Gang zum Telefon mit meinen ersten Worten zerstören musste. Schließlich war sie immer noch psychisch vollkommen am Boden und der neuerliche Vorfall dürfte kein Beitrag zur Besserung ihres Zustandes gewesen. Bei diesen Überlegungen merkte ich, wie sehr ich meine Frau immer noch liebte. Letztlich genügten der Kripo offensichtlich meine Auskünfte vom ersten Tag der laufenden Karnevalssession. Diesbezüglich Neues erfuhr ich, wie andere, weniger beteiligte Leute, nur aus der Zeitung. Mariannes roten Flitzer hatte man schon am nächsten Morgen in Bergisch-Gladbach, nahe von Köln, verlassen aufgefunden. Offensichtlich hatten sie das Fahrzeug gewechselt. Man vermutet, dass das Trio mit einem unwahrscheinlichen Leihwagen aus der Mittelklasse weiter „gereist“ war. Ein Mann, auf den die Beschreibung von Mariannes Bruder passt, hatte diesen unter dem Namen Lutz Walther in Bergdorf angemietet und am Folgetag bei einer Vertretung dieser Autovermietung in Puttgarden abgegeben. Jetzt vermutete man, dass sich die Drei nach Skandinavien abgesetzt haben, wo jetzt mittels Interpol nach ihnen gefahndet werden soll. Über eine Woche später, an dem Samstag vor dem Ewigkeitssonntag, den man im Volksmund Totensonntag nennt, kann man weitere interessante Details zu diesem Fall den Zeitungen entnehmen. Man hatte in Neuhausen die Wohnung Berghoffs durchsucht und dabei Unterlagen über den Handel mit Designerdrogen gefunden. Die Ware erhielt er von dem seit längerer Zeit inhaftierten Rainer Goldmann, also aus einer Quelle, die seit Mai ausgetrocknet war. Über Mittelsmänner in Berlin, Pinneberg und Oldenburg/Oldenburg sowie Puttgarden wurden diese in Diskotheken und ähnliche Einrichtung an die Technoszene vertrieben. Man schätzt das Berghoff dabei eine 6-stellige Summe verdienen konnte. Er hatte akribisch über alle Vorgänge Buch geführt. Während er dabei aus den Ortsnamen keinen Hehl gemacht hatte, sind darin die Namen der Mittelsmänner noch nicht einmal in Abkürzungen erwähnt. Was sicherlich den einschlägigen Behören in den genannten Städten noch einiges an Arbeit bescheren wird. Hinsichtlich der ausgetrockneten Quellen muss er zunehmenst unter Druck geraten sein. Wie und was geht aus den Presseveröffentlichungen nicht hervor. Einige gefundene Notizen deuten daraufhin, dass es nach Goldmanns Verhaftung einzig noch mit Puttgarden einen regen Verkehr gegeben haben soll. Dort soll Berghoff auch ein Bankkonto unterhalten haben.
Am darauffolgenden Montag erschien praktisch ein Fortsetzungsroman. Berghoff hatte in Puttgarden eine Freundin, die seit dem 12. November verschwunden war. Ihr Fahrzeug, einen älteren Daimler, hat man inzwischen im Parkhaus des Flughafens Frankfurt gefunden. Kommissar Zufall hatte beim Auffinden des Wagens geholfen. Ein anderer Parker hatte beim Ausparken den Daimler versehentlich beschädigt und der Fahrer gehörte nicht zu denjenigen, die sich mit „Nichts gemerkt“ davon machten. Mittlerweile muss man die „Hoffnung“ das Trio, zu dem leider auch meine Tochter gehörte, in Skandinavien zufinden aufgeben. Die Überprüfung von Passagierlisten am Frankfurter Flughafen hatten bis zu dem Zeitpunkt noch zu keinem Ergebnis geführt. Da ich hier aber keinen Krimi sondern meine Familiengeschichte niederschreiben will, kann ich ja doch schon mal schreiben, was sich in dieser Zeit wirklich abspielte. Da ich kein Hellseher bin, muss ich gestehen, dass ich alles auch wesentlich später erfahren habe. Sascha Schulte und unsere Christina hatten sich tatsächlich vorsätzlich von Marianne abgesetzt und waren nach Bergisch-Gladbach gefahren. Tina war im Wesentlichen ahnungslos. Schulte hatte ihr weißgemacht, dass sie sich mal einen „Jux in Freiheit“ machen wollten. Als sie dann in Bergisch-Gladbach von Mariannes Wagen in einen älteren Wagen, zugelassen auf Volker Berghoff, umsteigen wollten schöpfte Christina Verdacht und wollte nicht mehr mitspielen. Da zwang sie Schulte, einer Entführung gleich, einzusteigen und mitzufahren. Sie fuhren nach Frankfurt, wo sie auf Berghoff, der allein zur Endabwicklung seiner Geschäfte nach Puttgarden gefahren war, warteten. Berghoff hatte für die 3 Personen und für sein Fahrzeug gefälschte Papiere und Kennzeichen beschafft. Aus Christina Schröder war Stefanie Köpf, die mit Hendrik Köpf alias Sascha Schulte verheiratet war, geworden und musste jetzt unfreiwillig mit den beiden Herren weiterreisen. Die Dame aus Puttgarden hat sie nie zu Gesicht bekommen. Die war, ebenfalls mit falschen Papieren, alleine mit dem Flugzeug in eine ganz andere Richtung „entflogen“. So verlief sich dann die Spur der Herrschaften bis ... Sorry, aber das wollen wir noch ein Wenig abwarten. „Und wie geht es sonst?“, ist so eine gängige Höflichkeitsfloskel auf die kaum einer eine Antwort oder bestenfalls nur „Danke gut“ erwartet. Ausnahmsweise möchte ich an dieser Stelle mal ungefragt und halbwegs ausführlich darauf antworten. Also, wie ging es mir in dieser Zeit? Das mich die ganze Geschichte um die „Gangsterbraut“, die meine Tochter war, aufregte und mitnahm, brauche ich wohl nicht zu erzählen. Schlimm ist bei solchen Gelegenheiten immer, wenn man sich als ein solcherlei Betroffener in der Öffentlichkeit zeigt. Dann wird man von allen Leuten die man kennt oder die glauben einen zu kennen angequatscht. Von den einen plump und direkt, von anderen feinzüngig und hinterhältig. Jeder möchte neue oder nur zusätzliche Information entweder zur Befriedigung ihres Voyeurismus oder als Munition zur Verbreitungsschlacht von Sensationen haben. Kommt man an zusammenstehenden Leuten, die partout keinen Grund, mit dem sie jemanden ansprechen könnten, finden, vorbei merkt man förmlich wie es dann heißt: „Guck mal, da ist der Vater von der ...“. Aus allen Reden klingt eine Vorabverurteilung heraus. Ja, wenn unsere Gerichte die Medien und ihre kritiklosen Verkonsumierer zur Jury machen würden, wären wir ein Volk aus Straftätern. Sensation geht vor Gerechtigkeit, Populismus vor Vernunft. Ein Glück, dass ich mich im Zuge meiner Überlebensübung namens „äußerster Sparsamkeit“ nur selten, also nur wenn es unbedingt notwendig war, aus dem Haus begab. Mein Problem mit meiner Frau habe ich ja hinreichend geschildert. Damals, als die Sache mit Marianne war, gab es ja nachvollziehbare Gründe, die in erster Linie in meiner Person zu suchen waren, für eine Trennung. Aber jetzt? Zwischen Katharina und mir war ja direkt nichts gewesen und hinsichtlich der Vorgänge der letzten Zeit gab es beidseitig keine Schuldzuweisungen. Dass ich sie nach wie vor liebte wusste ich und dass sie mich umgekehrt auch liebte spürte ich. Was in aller Welt ließ uns da nicht zusammenkommen? Sicher kann man nur zueinander kommen wenn man aufeinander zugeht und miteinander spricht. Katharina konnte dieses aufgrund des seelischen Schadens, an dessen Auskurieren sie durch die neuerlichen Vorgänge gehindert war, nicht und ich machte es aus Angst, ihr zuschaden nicht. Und so war die Pattsituation, dass wir pausenlos aneinander dachten aber nichts unternahmen, gegeben. Also, außer dem Telefongespräch am Abend des letzten Geschehens hatte ich keinen direkten Kontakt mit ihr. Lediglich Onkel Albert erkundete sich regelmäßig, mindestens drei Mal in der Woche, nach Katharina. Immer mit dem gleichen Ergebnis: Es ging ihr nicht besser aber auch nicht schlechter. Bewegen tat sich aber absolut nichts. Apropos Onkel Albert, er war in dieser Zeit der einzigste Mensch mit dem ich regelmäßig und ausführlich kommunizierte. Um mich abzulenken erzählte er viel von früher und verlief sich da zunehmendst in Wiederholungen. Eigentlich war es ja nicht, wie bei vielen älteren Leuten, seine Art vom Hölzchen aufs Stöckchen zukommen, von Adam und Eva bis Methusalem zu berichten, aber irgendwie spielte sich das mehr und mehr bei ihm jetzt auch ein. Ehrlich gesagt wirkt so etwas mit der Zeit richtig nervig. Vielleicht ist hier auch einer der Gründe zu suchen, dass viele ältere Menschen immer mehr vereinsamen. Jüngere Leute versuchen ganz einfach durch Fernbleiben einem solchen Nerven zu entgehen. Schön ist das allerdings nicht. Nicht alles was man nachvollziehen kann muss man auch gleich als richtig anerkennen. Besser wäre es alle mal diesem sich stets wiederholenden Redefluss älterer Menschen durch eigene Wortbeiträge zu begegnen. Eigentlich hat man als Mensch, der Mitten im Leben steht, dazu jede Menge Gelegenheit, denn im Gegensatz zu den älteren kommt man zwangsläufig täglich mit anderen Menschen in Kontakt und das führt unweigerlich zu täglich neuen Erlebnissen und Eindrücken. Mit Sicherheit erfahren auch ältere Leute lieber etwas Neues als im eigenen Erinnerungsschatz zu suchen, nur damit Kommunikation stattfindet und sie nicht allein sind. Aber gute Vorsätze hin und her, bei meinem derzeitigen Gemütszustand war ich gar nicht in der Lage diese Theorie in die Praxis umzusetzen.
Die Tätigkeit, die ich neben der Kommunikation mit Onkel Albert, am Meisten unternahm war Lesen. Unter anderem hatte ich mir das Buch „Mein Herz schlägt links“ von Oskar Lafontaine vorgenommen. Hinsichtlich meines übrigen Gefühlslebens war dieses hinsichtlich lesen, verstehen und verarbeiten etwas mühseliger wie früher aber ich genoss dieses Buch, da es mir praktisch aus meiner politischen Seele spricht. Persönlich bin ich stolz darauf, in meiner Auffassung ein sozialdemokratischer Traditionalist zu sein. Den populistischen Liberalismus, den man hinter den Phrasen „Neue Mitte“ und „Globalisierung“ verschleiert, halte ich langfristig für schädlich, sowohl volkswirtschaftlich wie sozial. Ich war ehemals aus einer christlichen Überzeugung in die SPD eingetreten. Christliche Werte, wie ich sie insbesondere aus der Bergpredigt herleite, sah ich am ehesten im Godesberger Programm, dem Grundsatzprogramm der SPD, vertreten. 1997 bin ich aus dem Verein ausgetreten, da ich mich in einer Partei wie alle anderen auch, die nur, wie ihre Konkurrenten auch, von sich behaupten die Bessermacher zu sein, nicht mehr vertreten fühle. Wenn ich sage „wie alle anderen auch“ ist es nur konsequent, wenn ich alle Telestars, denen die Vorgaben der Wirtschaft wichtiger sind als der Volkswille und dessen Wohl, meiner Stimme für unwürdig halte. Und deshalb bin ich sowohl bei der Bundestagswahl 1998 wie bei der Europawahl 1999 zuhause, sorry bei Marianne, geblieben. Ich bin also unschuldig und so lange es sowieso Einer von Gleichen wird kann man ja nichts falsch machen, gleichgültig ob man wählt oder nicht. Ich habe so gar eine Idee wie man Steuergelder sparen kann: Wahlen ausfallen lassen, Pöstchen auslosen. Aber da ich sehr viel Zeit hatte, las ich natürlich nicht nur das Buch von Lafontaine sondern eine Reihe anderer Dinge, meist aus der Gattung leichtere Kost. Wenn Einem der Kopf nach anderen Dingen steht lassen sich Dinge, bei denen man so gut wie gar nicht denken muss, leichter verkonsumieren. Also hat Trivialliteratur durchaus seinen Sinn. Was man hinsichtlich Fernsehen nicht sagen kann. Aber das machte ich selbst praktisch nur für die Tagesschau und/oder die Tagesthemen an und bei Onkel Albert lief die „bunte Kiste“ ohnehin nur als akustisch und visueller Background, an den man sich schnell gewöhnt. Dieser Trott „ein Tag wie der vorgehende und folgende“ wurde ausschließlich am Sonntagmorgen durchbrochen. Seit meiner Krankenhausentlassung ging ich Sonntag für Sonntag regelmäßig in den Gottesdienst der evangelischreformierten Kirche in Bergdorf. Grundsätzlich war, wenn ich rein ging, mein Kopf voller Sorgen und mein Herz schwer; wenn ich rauskam hatte ich zwar immer noch Sorgen aber alles ließ sich doch wesentlich leichter ertragen. Ich weiß nicht, irgendwie fühlte ich mich nicht so allein und einsam. Immer war es auch ein Quell der Hoffnung, immer war ich nach dem Gottesdienst der Überzeugung, dass sich das Blatt bald wenden würde. Letztlich war ich der Überzeugung, dass das Nächste was ich von Katha oder Tina hören würde, gleichgültig ob diese Nachricht gut oder schlecht sein würde, der Beginn einer neuen besseren Zeit sein würde. Rationell begründen kann ich dieses nicht aber letztlich glaubte ich tatsächlich daran.
Zum Kapitel 24
Zum Inhaltsverzeichnis
Mit Marianne in den Süden düsen Zu den übelsten Gefühlen die wir Menschen erfahren müssen, gehört das der Ohnmacht. Das heißt, nicht zu wissen was Sache ist und läuft, nichts unternehmen zu können und nur auf einen ungewissen Ablauf warten zu können. Zwischen dem 11. November und dem 6. Dezember jenes für mich bösen Jahres 1999 blieb mir nichts anderes als eine solche Ohnmacht zu empfinden – und es wurde von Tag zu Tag schwerer. Durch die Nennung der Daten habe ich aber jetzt schon durch die Hintertür offenbart, dass am Nikolaustag 1999 Bewegung in die Sache kam. Allerdings konnte ich diesen Tag nicht als Jubeltag in meinem Gedächtnis speichern. Das Gegenteil, Tragik und Dramatik, herrschte vor. Es begann damit, dass es kurz nach Mittag bei mir schellte und als ich die Tür geöffnet hatte die Dame von der Kripo, die mich bereits am Tage des Geschehens aufgesucht hatte, davor stand und darum bat eintreten zu dürfen. Sie begann mit einer guten Nachricht, der eine Reihe nicht so schöner oder gar sehr übler Mitteilungen folgte. Man wusste, wo Christina war ... und da endet die gute Nachricht. Christina lag schwer misshandelt und verletzt in einer Klinik in der spanischen Stadt Barcelona. Am frühen Morgen hatte man sie am Rande der Autobahn, die entlang der Costa Brava führt, in einem Graben aufgefunden. Die Mitteilung, das aber keine Lebensgefahr bestehe, war jetzt aber ein Wenig Schock mindernd. Diese Informationen, die mir von der Beamtin von der Kriminalpolizei vorsichtig und mit viel Fingerspitzengefühl überbracht wurde, hat mich doch sehr getroffen, so dass ich aus der Erinnerung keine Details mehr wiedergeben kann. Das gilt auch für das anschließende Telefongespräch welches ich mit Katharina in Cottbus führte. Da kam erschwerend hinzu, dass ich im Gegensatz zu Polizisten hinsichtlich der Übermittlung von Schreckensmeldungen weder eine Unterweisung erhalten habe noch Erfahrung habe. Ich weiß nur noch, dass Katha dabei leise und bedächtig antwortete und das deren Aussagen trotz der bedächtigen Aussprache mehr oder weniger verwirrt erschienen. Letztlich weiß ich nur noch, dass ich versprach mich um Tina zu kümmern und von Barcelona aus meine Frau auf dem Laufenden zu halten. Nachdem ich ein Wenig zur Ruhe gekommen war stellte ich fest, dass ich da möglicher Weise zu viel versprochen habe. Das Saldo meines Kontos hatte sich doch bereits erheblich nach unten bewegt. Für eine Reise nach Spanien, bewahre noch für ein paar Tage Aufenthalt dort, reichte es hinten und vorne nicht. Da gab es ja auch noch das Konto von Katharina, zu dem auch ich zeichnungsberechtigt war. Während unserer Ehe hat es zwischen uns beiden immer so ein Vertrauensverhältnis gegeben, dass wir fast alles von einander wussten und uns auch bei diversen Dingen, wie zum Beispiel bei der Kontoführung, gegenseitig bevollmächtigten. Aber von diesen Vollmachten haben wir aber nie ohne vorheriges Wissen des jeweils anderen Gebrauch gemacht. Im fraglichen Moment wusste ich auch nicht mal wie viel Kapitel sie noch verfügbar hatte und in der derzeitigen Situation wollte ich sie auch diesbezüglich nicht ansprechen. Dann war da noch Onkel Albert. Sollte ich den ansprechen und mir was leihen? Wenn alle Stricke reißen würde mir wohl nichts anderes übrig bleiben. Nach meinem Pleite dürften mir gewerbliche „Pumpstationen“ wie Banken wohl nichts rüberreichen. Ein Anruf bei der Schufa löst dann bei jedem pflichtbewussten Bankfiosi Kopfschütteln aus. Aber jetzt wollte ich erst mal einen anderen Weg gehen. Ich wollte jemand ansprechen, der selbst einiges Interesse daran haben könnte mit Christina zu sprechen und andererseits so viel Geld hat, dass er sich ständig darüber Gedanken machen muss, wie er es ausgeben kann. „Er“ ist jetzt nur salopp geschrieben denn korrekt müsste es „sie“ heißen. Und jetzt ist unschwer zu erraten, dass ich in diesem Augenblick an Marianne Berghoff-Klettner dachte. Gedacht, geplant und ausgeführt. Ich rief bei Marianne an und bekam nicht einmal die von mir eingeplante Abfuhr. Sie wusste offenbar auch schon Bescheid und startete ganz direkt: „Grüß dich Pepe, du wolltest wohl mit mir gen Süden düsen.“ Jetzt war ich ob des Sarkasmussees etwas baff aber bekam auch unaufgefordert eine entschuldigende Erklärung: „So, jetzt sind wir quitt. Ich habe mich über deinen blöden Satz ‚Alaaf, die Leute sind weg’ doch ein Wenig mehr aufgeregt wie du glaubst; insbesondere weil ich von meinem ‚Göttergatten’ damals eine Menge anderer Dinge mehr zu hören gekriegt habe. Aber jetzt im Ernst: Du möchtest jetzt zu deiner Tochter und brauchst meine Hilfe. Dahingehend hast du Glück, dass ich auch Interesse habe mit Tina zu sprechen. Erstens geht es ja auch um meinen Bruder und zweitens um meine Absicherung in meiner Nach-Klettner-Zeit.“. Letzteres verstand ich bei dem Anruf noch nicht aber ich ließ sie weiter sprechen: „Also ich fliege nach Barcelona und nehme dich gerne mit. Aber vorher müsstest du was für uns machen. Mein Mann pfeift mir in diesem Fall etwas, wenn ich seine Sekretärin mit den Reiseformalien beauftragen will. Diese Abfuhr habe ich übrigens gerade schon erhalten. Deshalb nehme dir ein Taxi und komm hier her, damit ich dich mit Kapital ausstatten kann. Danach gehst du ins Reisebüro buchst Flug und Hotel für uns. Wenn du den Termin kennst kannst du ja gleich eine Flughafenfahrt bei Taxi Schulte vorbestellen. ... Ach so, ich kann mir vorstellen, dass es dir nicht schnell genug gehen kann. Deshalb gleich die Bremse: Wir fliegen frühestensfalls morgen Vormittag ... Eher packe ich es nicht und du wahrscheinlich auch nicht.“. Es dürfte klar sein, dass ich mit allen einverstanden war, denn es war ja mehr als ich erhofft hatte. Auf dem Wege in Onkel Alberts Wohnung, um mir von seinem Telefon ein Taxi zu bestellen, überlegte ich mir, dass es Katharina beruhigen würde wenn sie mit Bestimmtheit wüsste, das ich zu unserer Tochter reisen würde und andererseits hielt ich es für richtig, um späteren Missverständnissen vorzubeugen, ihr Vorab zusagen dass ich mit meiner diesbezüglichen Sponsorin Marianne in den Süden düsen würde aber dass ich ansonsten mit der Frau nichts anderes mehr habe. Ich war
auf Alberts Telefon angewiesen, da ich mich aus Kostengründen noch zu keinen eigenen Anschluss durchgerungen habe. Nach dem ich meinen ursprünglichen Handyvertrag aufgekündigt hatte, wollte ich mir ein Pre-Paint-Vertrag besorgen; aber dieses hatte ich bis heute noch nicht in die Tat umgesetzt. Einen neuen Handyvertrag dürfte ich wohl dank Schufa nicht bekommen. Also war ich jetzt bei Onkel Albert und sprach noch mal mit Cottbus. Katharina hörte überwiegend zu und sagte wenig aber an dem Wenigen merkte ich, dass mein Vorgehen doch auch in ihrem Sinne lag. Als Albert Haffner von meinem Anliegen erfuhr konnte ich auf einen Anruf beim Taxiunternehmen verzichten, denn er ließ sich nicht ausreden mich zu fahren. Er wartete vor der Villa, da er auf keinen Fall mit rein kommen wollte. So stand ich erstmalig nach fast einem halben Jahr Marianne direkt und allein gegenüber. Irgendwie schien sie mir ein Wenig gealtert zu sein, was aber auch daran gelegen haben kann, dass ich sie jetzt mit anderen Augen ansah. Ich konnte mir gar nicht mehr vorstellen mit ihr mal was gehabt zu haben. Nach meinem Empfinden hielt sie keinen Vergleich mit meiner Frau stand. Andererseits hielt ich es auch für möglich, dass die „Alterung“ mit dem schlechten Gesundheitszustand, den sie in letzter Zeit gehabt haben soll, zusammenhängen könnte. Deshalb fragte ich teils auch Neugierde aber auch teils aus Mitgefühl: „Ich habe gehört, dass es dir letzte Zeit gesundheitlich nicht besonders gegangen sein soll. Geht es dir denn inzwischen wieder besser?“. Sie antwortete nicht direkt sondern fragte erst mal was scheinbar ganz anderes: „Kannst du dir vorstellen, ... aber jetzt sorry, ich will dir jetzt nichts, ... dass deine Tochter sadomasochistisch verlangt ist?“. Erstaunt aber wahrheitsgemäß antwortete ich: „Ich habe meine Tochter natürlich nicht sexuell getestet und dahingehend weder was gehört noch gemerkt. Also kann ich es nicht mit Bestimmtheit ausschließen ... aber eigentlich nicht.“. „Ob sie masochistisch ist kann ich auch nicht sagen,“, setzte Marianne jetzt fort, „aber sadistisch ist sie auf jeden Fall und Sascha ist auf jeden Fall Sadomaso. Und wenn dir die Beiden, das was sie mir zugefügt haben, angetan hätten, wärest auch du in dauerhafter Tiefform gewesen.“. Ich konnte es nicht glauben aber um nicht meine „Reisepläne“ zu gefährden beließ ich es jetzt erst mal dabei. Der Rest lief jetzt wie gedacht. Ich bekam das Geld, nahm die Buchungen vor und am nächsten Morgen ging es los. Von Bergdorf zum Flughafen fuhr uns der Boss des Taxiunternehmens Werner Schulte selbst. Während der Fahrt hatten wir die „komische“ Situation, dass alle drei im Wagen sitzende Personen peinlichen Fragen und Antworten aus dem Wege gehen wollten aber es auch nicht zu einer Schweigefahrt kommen lassen wollten. So wurde dann sporadisch und meisten ohne Zusammenhang zum Vorherigen etwas Belangloses gesagt, worauf die beiden anderen mit ein paar passenden Worten und sonst nichts antworteten. Ich glaube, dass dieses für uns alle eine sehr schwerliche Unterhaltung war. Erst nach dem Einchecken am Flughafen kam es dann zwischen Marianne und mir wieder zu einem halbwegs vernünftigen Gespräch, welches wir später im Flugzeug fortsetzten. Da erfuhr ich dann, was sich bis zum „Tage des Verbrechens“, wie Marianne sagte, sich in der Villa abgespielt hat. Erst war es ganz normal: Marianne die Herrin ohne Fahrer und Christina das Hausmädchen ohne Sexverpflichtung. Dann erschien Volker Berghoff nach Rücksprache mit seiner Schwester, um von Klettner die Scheidung zu verlangen. Aber mit der Abspeisung laut Ehevertrag wollten sie sich nicht zu Frieden geben sondern man verlangte 300.000 Mark plus den gesamten Schmuck im Werte von über 200.000 Mark, den Marianne im Laufe der Ehe erhalten hatte. Das ist genau das, was am 11.11.99 dann entwendet wurde. Natürlich hielt Klettner davon überhaupt nichts, worauf Berghoff etwas auf den Tisch gelegt hatte, bei dem es Klettner dann doch mulmig wurde. Mit anderen Worten Berghoff erpresste seinen Schwager. Allerdings behauptete Marianne jetzt, dass sie nicht wisse, womit dieses geschehe. Auf einmal sei ihr Bruder wieder verschwunden gewesen und dafür habe der, von Klettner selbst engagierte Schulte, nicht verwandt mit dem gleichnamigen Taxiunternehmer, auf der Matte gestanden. Offiziell war er als mein Nachfolger engagiert gewesen aber der hat sofort den Spieß rumgedreht. Nicht die Chefin bestimmte wo es lang ging, sondern Schulte kommandierte mit Rückendeckung von Big Klettner alle anderen. Marianne und Christina wurde für den Fall, dass sie weglaufen oder zu Dritten was sagen mit körperlichen Schäden bis zum Tod gedroht. Diese Drohungen kamen von Schulte und immer wenn Marianne ihren Mann darauf ansprach, hat der dieses als Hirngespinst abgetan. Schon am ersten Tag mussten Schulte und Christina in der Gärtnerlonge zusammenziehen. Fast täglich sei es zu sadomasochistischen Dreierspielchen gekommen, bei dem Tina meistens die Domina hätte abgeben müssen. Schlimm sei es immer gewesen, wenn Schulte Christina im Anschluss rausgeschickt hat. Dann hätte sie von ihm fürchterlich Prügel erhalten, worauf ihr labiler Gesundheitszustand zurückzuführen gewesen sei, und dabei habe er immer betont, dass dieses Streicheleinheiten gegenüber dem seien, was sie erwarte wenn sie Dummheiten mache. Ins Krankenhaus wäre sie die ganze Zeit nicht gekommen, auch nicht wegen ihrer Stoffwechselkrankheit, und Tina habe sie „ersatzärztlich“ behandelt. Unter vier Augen habe Christina allerdings immer wieder gesagt: „Tut mir leid Marianne. Ich bin nicht so aber ich kann nicht anders.“. Jetzt fragt ich natürlich: „Ja hör mal Marianne, warum packst du jetzt nicht aus und bereitest dem Schrecken ein Ende?“. „Ja,“, antwortete sie, „das wird auch in Kürze der Fall sein. Aber im Moment kann ich nur Sascha Schulte und deine Tochter anschuldigen aber dem Hauptübeltäter, meinen Mann nichts beweisen. Da ich aber dann nichts kriege und möglicher Weise auf Stütze angewiesen bin, will ich erst mal meine ‚Alterssicherung’, meinen Schmuck, den ich dann verhökern kann, wieder haben. Dann kann ich mich von Bergdorf absetzen und gegebenenfalls meinem Kerl eins reinwürgen.“. Ab diesen Punkt war bei ihr ihre „Alterssicherung“ das Hauptthema. Mehr und mehr kam ich jetzt dahinter, dass es ihr bei dieser Reise nach Spanien nicht um die Menschen, also um Christina oder ihren Bruder, sondern um ihren Schmuck ging. Mir wurde zunehmend bewusst, dass sie von Christina lediglich etwas über den
Verbleib ihres Schmuckes und am Liebsten sogar von ihr die Rückgabe haben wollte. Dieses tat mir als Vater, der sich um seine Tochter sorgte, doch irgendwie weh. Auf der anderen Seite war ich doch neugierig, woher sie ihre Annahme holte, der Schmuck sei noch da und deshalb fragte ich: „Glaubst du, der Schmuck wäre noch da?“. Allerdings war ihre Antwort plausibel: „Ich gehe mal davon aus, dass wir es nicht mit organisierten Berufsverbrechern zutun haben. Und was meinst du, wie schwierig es für einen Amateur ist, höherwertigen Schmuck abzusetzen? Wenn einer Schmuck klauen will, dann muss er sich vorher um einen professionellen Hehler kümmern, denn jeder Juwelier der seinen Laden und Beruf behalten will, stellt bei höherwertigen Schmuck sicher, das es sich nicht um heiße Ware handelt. Und was soll’s es bringen, wenn du so etwas in dunklen Kaschemmen für Trinkgeld verjubelst?“. In Barcelona angekommen suchten wir zunächst das gebuchte Hotel auf um unsere Koffer abzustellen und danach fuhren wir gleich mit dem Taxi in die Klinik, in der Christina lag. Da handelte sich Marianne erst mal eine Abfuhr ein: Man wollte und ließ sie nicht zu Tina, die auf einer Intensivstation lag, durch. Lediglich mir den Vater räumte man dieses Recht ein. Allerdings kam ich nicht postwendend zu ihr sondern ich wurde zunächst in eine Art Besprechungsraum gebeten; auch hier ohne Marianne. Zwei Damen, eine Ärztin und eine Dolmetscherin, und ein Herr, ein höherer Polizeibeamter, wollten mich zunächst mal informieren. Mir persönlich war natürlich erst mal Tinas Gesundheitszustand wichtig. Das wurde von meinen Gegenüber offensichtlich auch so eingeschätzt und so war erst mal die Ärztin dran. Sie erklärte mir die Verletzungen sehr genau und brachte mir schonend bei, dass es sich im Großen und Ganzen um Folgen eines sadomasochistischen Exzesse handelte. Da so etwas von Marianne vorher schon angesprochen worden war, wühlte das Ganze doch sehr tief in mir. Erst zwei Tage später, erfuhr ich so nach und nach, wie es sich diesbezüglich bei Christina wirklich verhielt. Richtig ist, dass Schulte ein Sadomasochist ist – Mariannes Bruder allerdings auch – und sie von Anfang an von ihm mit Androhung von empfindlichen Übeln, nicht nur für sie, zu diversen Praktiken gezwungen worden ist. Allerdings hat Christina in der Villa Klettner nie die „Opferrolle“ spielen müssen sondern immer die Domina. Nicht nur ihn musste sie „quälen“ sondern Marianne auch. Aus Angst hat sie das gemacht was man von ihr verlangte und es hat ihr selbst sehr weh getan. Sie meinte mal, dass es in diesem Zusammenhang ganz gut gewesen wäre, das sie als Krankenschwester doch einiges zusehen bekommen habe, was ihr letztendlich ein Durchhalten ermöglicht hat. Erstmalig in Lorret de Mar, wo die drei eine Unterschlupf hatten, war sie in die „Opferrolle“ gezwungen worden. Beide Männer haben sich brutal an sie vergangen. Berghoff soll gesagt haben: „Komm die Alte können wir jetzt richtig zischen, die kriegt anschließend sowieso die Klappe nicht mehr auf.“. Die Ärztin vertrat bei unserem ersten Gespräch die Ansicht, dass man ihre Verletzungen gut medizinisch habe behandeln können und sie auch in absehbarer körperlich einiger Maßen wieder hergestellt sein würde. Die psychischen Verletzungen seien vermutlich allerdings so erheblich, dass sie möglicher Weise ein Leben lang darunter leiden müsse. Als überzeugte Katholikin war sie der Meinung, dass es ganz gut wäre, wenn Christina später im Glauben halt finden würde. Sie versprach mir für unsere Tochter zu beten, was mir als gläubigen Christen auch ganz gut tat. Nach der Ärztin war Senior Salvador Costa, wie sich der Polizeioffizier vorstellte, an der Reihe. Für mich beruhigend erfuhr ich, dass Christina offensichtlich von Berghoff entführt worden sei und mit der Sache im Übrigen nichts zutun habe. Natürlich habe man sie bei ihrem derzeitigen Zustand noch nicht verhören können und wisse von ihr nur das, was sie von sich aus gesagt habe. Allerdings reiche das, was man von ihr gehört habe, um sich irgendwo sicher zu sein, dass sie weder von dem Raub noch was von ihrem derzeitigen genauen Aufenthaltsort wisse. Lediglich dass sie in der Nacht vom 5. auf den 6. Dezember 1999 durch die Hölle musste ist ihr absolut klar. Wie sie von der Unterkunft in Lorret an den Rand der Autobahn kurz vor Barcelona gekommen ist weiß sie nicht. Sie glaubt in der Unterkunft gefunden worden zu sein. Tatsächlich hatte ein LKW-Fahrer gesehen, wie „etwas“ aus einem deutschen PKW geworfen wurde, was auch ein Mensch gewesen sein könnte. Über Handy oder CB-Funk hat dieser die Polizei verständigen lassen. Da schaltete sich noch mal die Ärztin ein und sagte, das es wohl im letzten Moment gewesen sei, wo man sie gefunden habe. Aufgrund ihres Blutverlustes habe Tina ohne ärztliche Hilfe wohl nur noch wenig Zeit zum Leben gehabt. Von Herrn Costa erfuhr ich dann, dass Berghoff in der Gegend kein Unbekannter sei. Seine Bekannte oder Lebenspartnerin, die in Norddeutschland lebe, käme aus Lorret. Er sei schon öfters dort gewesen und unterhalte Kontakte zu Kunst- und Schmuckhehlerkreisen. Man beobachte ihn schon länger, aber man habe bis jetzt weder ihm noch seinem Umfeld was nachweisen können. Jetzt endlich war es soweit, ich konnte zu meiner Tochter. Es ist doch eine deprimierende Angelegenheit, wenn man in einen grünen Kittel schlüpfen muss, sich die Hände mit Sakrotan reinigen muss und dann über Schleusen in einem Raum kommt in dem die geliebte Tochter an Apparate angeschlossen liegt. Als ich kam schlief sie ruhig und man bot mir einen Platz neben ihrem Bett an. Als hätte sie gemerkt, dass ich gekommen war, schlug sie die Augen auf und schaute mich an. Auf ihrem Gesicht zog ein Lächeln auf und sie sagte leise: „Vati, Vatilein, wo ist Mutti?“. Man merkte, dass ihr das Sprechen schwer fiel und da ich sie nicht aufregen wollte antwortete ich spontan: „Die kommt noch, ... die ist noch nicht da.“. Mit so einer Art prophetischer Stimme erwiderte sie: „Ich weiß, ... jetzt wird alles gut.“. Dann lächelt sie noch mal und ich hatte das Gefühl sie würde jeden Moment wieder einschlafen. Ich hatte mich nicht getäuscht, etwa 5 Minuten später schlief sie wieder. Ich bin noch eine halbe Stunde bei ihr geblieben. Das Pflegepersonal hätte mich bestimmt noch eine Weile sitzen lassen, aber ich erhob mich aus eigener Veranlassung. Im Schleusenvorraum traf ich dann die Dolmetscherin noch mal an. Ich erfuhr jetzt, dass sie extra für Christina im Dienste
sowohl der Mediziner wie der Kriminalisten tätig sei und vor Ort erreichbar sei. Wenn ich fragen hätte könnte ich mich jederzeit an sie wenden. Nach einer Rückfrage bei einer Krankenschwester fuhr sie fort: „Ihre Tochter hat im Moment noch Mittel gegen Schmerzen und etwas zur Beruhigung erhalten. Deshalb schläft sie noch sehr viel. Heute werden sie wohl wenig Gelegenheit haben mit ihr zu sprechen. Deshalb sehen sie sich ruhig ein Wenig Barcelona an ... es ist eine sehr schöne Stadt. Morgen wird es schon besser gehen, da die Mittel jetzt ein Wenig zurückgefahren werden.“. Ich war doch ein Wenig beruhigter und das Flämmchen Hoffnung begann wieder zu glimmen. Zurück im Besucherwarteraum traf ich auf die ungeduldige Marianne. Es war vorher für mich alles so schnell gegangen, dass wir weiter nichts verabredet hatten und so war ihr nur das Warten geblieben. „Na und, hat sie was gesagt?“, wollte sie wissen. „Nein, sie hat sich nur gefreut mich zu sehen und dann nach ihrer Mutter gefragt“, antwortete ich wahrheitsgemäß. „Sonst nichts?“, setzte Marianne noch mal enttäuscht nach und bekam „Nein, nichts“ zur Antwort. Jetzt wollte sie wissen ob ich von anderer Seite was gehört habe und ich berichtet ihr von dem Vorgespräch mit dem Polizeioffizier und der Ärztin. An ihrer mürrischen Prütteligkeit merkte man, dass ihr das Ganze nicht so schmeckte. Sie drückte es dann auch ganz direkt aus: „Das hört sich so an, als sei deine Tochter das Unschuldslamm und Volker der Pate. Das liegt nur daran, dass er schon mal im Knast war. Einmal Täter immer Täter. Aber es dürfte doch ein Unterschied sein ob jemand keine Schlägerei auslassen kann oder ob er so etwas macht. Und mein Schmuck verhökern, ... das würde er nie machen.“. Auf jeden Fall gab sie nicht auf und startete das, was man mir empfohlen hatte, nämlich eine Stadtrundfahrt. Mich zog es zurück ins Hotel und auf dem Zimmer angekommen hatte ich nichts Wichtigeres zutun, als erst mal in Cottbus anzurufen. Katha hörte sich meinen Bericht ohne große Zwischenfragen und Bemerkungen an. Zum Schluss sagte sie: „Ein ganz klein Wenig bin ich beruhigt aber halte mich bitte auf dem Laufen. ... Mal sehen was ist.“. Nach der Erledigung dieser Pflicht, was es nach meiner persönlichen Auffassung war, packte ich meine Sachen aus und legte mich aufs Bett. Darüber war ich eingeschlafen und erst am Abend, so gegen Sieben, wurde ich von Marianne, die mit mir dinieren wollte, geweckt. Dieser Abend verlief so wie in alten Zeiten als ich noch Mariandel zu ihren abendlichen Ausflügen kutschierte. Themen, die mit der Geschichte die uns nach Barcelona gebracht hatten, kamen nicht auf den Tisch. Es war wohl eine beidseitige Rücksichtnahme, die uns zur diesbezüglichen Zurückhaltung riet. Man merkte aber an zwischenzeitigen geistigen Abwesenheiten und Versprecher, das sich meine Gedanken um Christina und ihre sich um ihren Schmuck drehten. Wenn ich nicht damit hätte rechnen müssen, dass sie mich vielleicht aus Verärgerung hier sitzen lässt, hätte ich sie bestimmt gefragt, wo man eine solche Gefühlskälte hernehmen kann, dass, wenn da ein Mensch leidet, seine Klunker in den Vordergrund stellen kann. Was ich an diesem Abend tatsächlich als absolute Spitze empfand war das sie sogar das Thema Sex ansprechen konnte. Diesbezüglich hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt gute vier Monate ohne diesem leben können und trotzdem an diesem Abend keinen Nerv jetzt aktiv zu werden – und mit Marianne schon gar nicht. Zum Glück hatte ich, der ich ja mit der Buchung beauftragt war, schön sittsam ein Zimmer für Marianne und eins für mich gebucht. Bei der Buchung lagen meine Gedanken jedoch vordergründig bei Katharina. Wenn die wider Erwarten auftauchen sollte wollte ich zweifelsfrei mit weißer Weste dastehen. Um allen aus dem Wege zu gehen preschte ich jetzt vor: „Marianne, bist du mir böse wenn wir jetzt ins Hotel gehen. Ich bin kaputt wie tausend Steinebrecher. ... Ich könnte im Stehen einschlafen.“. Na ja, Marianne hatte Verständnis und ich kam mit heiler Haut davon. Am nächsten Morgen trafen wir uns dann wieder zum Frühstück im Hotel. Heute trafen wir aber klare Verabredungen. Marianne wollte sich weiter die Stadt ansehen und ich wollte möglichst viel Zeit meiner Tochter widmen. Erst am Abend wollten wir uns wieder zu einem gemeinsamen Essen treffen. Persönlich empfand ich es ein Wenig pervers oder besser gesagt pietätlos, das Marianne mir während des Frühstückes drei Mal auftrug mich nach dem Verbleib ihres Schmuckes bei Tina zu erkundigen. Nach dem Frühstück gingen wir also getrennte Wege. An diesem Tag konnte ich dann zwei längere Gespräche mit Tina führen. Im ersten Gespräch berichtete sie mir alles das, was ich bereits aus anderen Munde gehört hatte. Von mir erfuhr sie, allerdings in Zustimmung des in Begleitung der Dolmetscherin mit anwesenden Polizeioffizier, erstmalig dass sie mit einer halben Million in Bar und Schmuck unterwegs waren. Damit stand schon fest, dass ich des Abends Marianne nichts Gewünschtes mitteilen konnte. Auf die Sadomasoangelegenheit kamen wir, auch im Hinblick auf die allgegenwärtige Dolmetscherin an diesem Tag nicht zu sprechen. Unser zweites Gespräch war dann in erster Linie familiär. Tina war felsenfest der Meinung, dass ihre Mutter auch noch kommen würde und ich wagte ihr nicht zu widersprechen. Sie war der Meinung, dass jetzt der Zeitpunkt, wo sich alles zum Guten wendet, gekommen sei. Sie habe für diese Annahme feste Beweise, die sie mir verraten würde, wenn es so weit sei. Ihren jetzigen Optimismus hielt ich für heilsam und tat so, als stimmte ich ihr voll zu und versteckte tunlichst meine Skepsis. Mir fiel auf, dass von einer befürchteten psychischen Störung nichts zu spüren war und sprach darauf kurz bevor ich ging noch mal die Ärztin an. Sie riet jedoch dazu, dass ich mich nicht zu früh freuen solle, denn im ersten Moment könne ihr das Ganze, was mit ihr geschehen sei, selbst noch nicht bewusst und erfassbar sein und andererseits könne dieses auch im Zusammenhang mit den Mitteln stehen, die sie bekommen habe. Aber jeder Mensch sei anders, jeder Mensch sei ein unverwechselbares Unikat und vielleicht hätten wir mit Gottes Hilfe das große Glück, dass sie alles gut verarbeitet und überstehe. Uns bliebe nur das Beten. Und ich freute mich, dass unsere Welt doch offensichtlich gläubiger ist, als das oberflächlich gesehen den Anschein hat.
Auch an diesem Tage berichtete ich gleich nach Cottbus, was an diesem Tage war. Heute gab es jedoch eine Reihe Rückfragen seitens meiner Frau; sie war aufgeschlossen wie seit Anfang September nicht mehr. Unter anderem erkundigte sie sich nach dem Hotel wo ich untergebracht war, um mich im Fall eines Falles erreichen zu können. Am Abend traf ich mich dann wie verabredet mit Marianne. Da hatte ich jetzt das umgekehrte Gefühl. Sie wirkte verschlossen und mürrisch. An diesem Abend war sie es, die früh ins Hotel und ins Bett wollte. Auch am Morgen des 9. Dezember trafen wir uns beim Frühstück. Sie sprach kaum etwas und begründet es damit, dass sie sich nicht so wohl fühle. An diesem Morgen bekam ich keine Order nach ihrem Schmuck zu forschen und wertete es als Zeichen der Einsicht. Der Tag im Krankenhaus verlief jedoch ähnlich wie am Vortag ab. Heute kam Tina jedoch auch auf die Zeit in der Villa Klettner zu sprechen. Von sich aus sprach sie die sadomasochistischen „Spiele“ an und versicherte mir, dass sie nicht so veranlagt sei und sehr darunter gelitten habe. Es habe ihr als Domina mehr wehgetan als die brutalen Schweinereien, die die Kerle mit ihr in Lorett gemacht hätten. Durch die körperlichen Schmerzen sei doch ihr Bewusstsein abgeschaltet gewesen und wenn sie jetzt nicht auf der Intensivstation wäre, würde sie es für einen bösen Traum halten. In der Villa wäre aber alles bei vollem Bewusstsein und Verstand abgelaufen. Wenn es auch bei ihr nicht mit körperlichen Schmerzen verbunden gewesen wäre, habe ihr alles sehr, sehr weh getan. Alles in Allem befürchtete ich an jenem Tag doch, dass sie einen seelischen Knacks abbekommen habe. Die größten Schläge des Tages trafen mich jedoch im Hotel. Wieder rief ich in Cottbus an. Dort bekam ich aber nicht meine Frau zu sprechen. Mein Schwager bekundet mir, dass er mir nicht sagen dürfe wo Katharina sei aber ich solle mir auf keinen Fall Gedanken machen. Das war leichter gesagt wie getan. Aber der „dickste Hammer“ folgte noch. Als sich Marianne um halb Acht immer noch nicht gemeldet hatte, obwohl wir doch um Sieben verabredet waren, ging ich zu ihrem Zimmer und klopfte an. Als ich keine Reaktion mitbekam ging ich zur Rezeption um mich dort nach ihr zu erkundigen und bekam folgenden Zettel ausgehändigt: „Hei Pepe, tut mir leid, ich kann hier doch nichts erreichen und bin abgereist. Gruß Marianne.“. Oh, da stand ich nun, fernab der Heimat mit nur rund 200 Mark in der Tasche. Am gleichen Ort meine arme verletzte Tochter, die mir nicht helfen konnte und ich nicht ihr. Und in Cottbus meine Frau, die offensichtlich nicht mit mir sprechen wollte, obwohl sich am Vortag doch alles so gut wie nie angehört hatte. Und dann die Frau, von der ich mir eigentlich Hilfe erwartet hatte, hat sich wieder mal als eigenbrötlerisch und selbstsüchtig erwiesen und hat mich einfach sitzen lassen. Ich ging auf mein Zimmer und heulte bitterlich und betete inbrünstig. An diesem Abend durfte ich mal wieder erfahren, das Gebete Wunder wirken können. Aber mehr dazu im nächsten Kapitel.
Zum Kapitel 25
Zum Inhaltsverzeichnis
Mutti, dieses ist dein erfüllter Traum Beten scheint mir das einzig wirksame psychologische Heilmittel zu sein. Wenn man mal so richtig gebetet hat ist das so als hätte man in einem stinkigen und miefigen Zimmer, in den man zu ersticken drohte, gesessen hätte und dann das Fenster weit aufgerissen, damit warme frische Frühlingsluft hereinströmt. Man hat das, was einen schwer auf der Seele lag herunterreden oder auch nur herunterdenken können. Beten muss ja nicht laut und mit vielen Worten erfolgen. Alles erscheint dann in diesem Moment viel leichter. Plötzlich kann man sein Schicksal tragen, dann kommt Hoffnung auf. Man weiß auf einmal, das selbst das verworrenste Labyrinth einen Ausgang hat – man muss ihn nur suchen. Und das Gebet gibt einen die Kraft zu diesem Suchen. Ich bin der Überzeugung, dass wenn wir den Menschen das Beten beibringen können, es möglich sein wird den ganzen, Psychotherapie genannten, Klimbim und Hokuspokus abzuschaffen. Wer vom Psychotherapeuten kommt kennt seine bisher unbekannten aber vom Therapeuten entdeckten Komplexe und kann dank dieser Leute ein Leben lang mit ihnen kämpfen. Wer aber gebetet hat, ist diese Belastung los und kann sich dem Leben zu wenden. Einziges Problem: Was machen wir mit den Leuten, die absolut nicht glauben wollen? Als atheistischer Priester hat der Psychologe doch irgendwo einen Sinn, meines Erachtens nur da, aber ohne Gott sind die Erfolgsaussichten tatsächlich nicht sehr hoch anzusiedeln; nur Gott ist der Weg. So etwas erlebte ich auch am 9. Dezember 1999 als mich Marianne Berghoff-Klettner, mit nur zirka 200 Mark in der Tasche, in der katalanischen Hauptstadt Barcelona hat sitzen lassen. Erst heulte ich – sorry, so etwas können auch Männer und ich stehe dazu -, dann heulte und betete ich und zu guter Letzt betete ich nur noch inbrünstig. Als ich zum Schluss „Amen“ sagte, war es mir wohler und leichter. Ich wartete nicht auf den Sack Geld der jetzt vom Himmel fallen könnte sondern war mir bewusst, was tun zu müssen, wozu ich jetzt die Kraft hatte. Dieses was „tun müssen“ sollte laut meinem ersten Plan so aussehen: Erst mal gründlich das Gesicht waschen, damit ich nicht durch die Spuren meiner Verzweifelung die falschen Leute oder auch nur falschen Gedanken Dritter auf den Plan rufe. Dann muss ich erst mal etwas für meine biologische Existenz unternehmen, denn außer dem Frühstück hatte ich heute noch nichts zu mir genommen. Dieses heißt mit anderen Worten, dass ich erst mal ein Häppchen essen gehen wollte. Zwar nicht so groß und pompös wie mit Marianne aber immerhin so, dass ich bei Kräften bleibe. Danach sollte ein Anruf auf der Waßmannsheide in Bergdorf fällig sein. Dort hatte ich in Onkel Albert einen Ansprechpartner, der, selbst wenn er mir nicht direkt helfen kann, doch für mich in Richtung Hilfe was oder sogar viel unternehmen. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg und folglich wird es auch klappen. Öfters ist es aber auch so, dass es Gott nicht dabei belässt einen am Boden liegenden Menschen wieder aufzurichten sondern das er mit einem „Wunder“ gleich direkt eingreift. Allerdings sollte man nicht mit dieser Erwartungshaltung beten, denn das wäre einen Handel mit Gott versuchen, Zug um Zug. Weil ich bete hat mir Gott zu geben – aber auf so etwas lässt er sich nicht ein. Aber an diesem Tage sollte mir mein Glaube zum Wunder verhelfen. Ich ging ins Bad und wusch mir, so wie ich es mir vorgenommen hatte, das Gesicht. Während ich mir das soeben gewaschene Gesicht abtrocknete hörte ich wie es an der Tür klopfte und jemand ohne meine Rückmeldung abzuwarten eintrat. Dann hörte ich meinen Spitznamen „Pepe“ fragend ausgesprochen. Die Stimme kannte ich und ließ spontan das Handtuch fallen um „Katha“ zu rufen. Ich stürmte aus dem Badezimmer und sie in die entgegengesetzte Richtung. Wir fielen uns in die Arme und drückten uns als wollten wir uns zerbrechen. Eine echte Überraschung wegen der mein Schwager, der es wirklich gut gemeint hatte, nicht sagen wollte wo meine Frau steckte – ich würde es ja in Kürze erfahren. Katharina wusste alles schon am Vortag und hat deshalb nach dem Hotel, wo man mich erreichen kann, gefragt. Als wir nach unserer Drückerei und anschließender Knutscherei wieder zu Luft kamen, drückte Katha das aus, was wir eigentlichen hätten von Anfang an berücksichtigen sollen: „Ach Pepe, was sind wir doch blöd. Heißt es nicht ‚Wer kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft hat schon verloren’? Von unserer Familie hat nur einer gekämpft und das war Tommy, der aber leider verloren hat. Er hat verloren weil wir nicht mitgekämpft haben. Du bist stehen geblieben und ich bin weggelaufen. Wie eine Ratte; husch in den Kanal. Weil wir selbst jetzt noch nicht kämpfen sind wir schon wieder im Begriff zu verlieren. Das soll sich ab sofort ändern. Ich will kämpfen und dich als Mitstreiter haben. Wir beide gehören zusammen. Was Gott zusammengefügt hat soll der Mensch nicht scheiden. Ich bleibe bei dir, wie eine Klette ... du kriegst mich nicht wieder los.“. Während ihrer Worte wurden bei uns beiden schon wieder mal die Tränendrüsen aktiv und die Tränen kullerten aus unseren Augenwinkel die Backe herunter. Jetzt wusste ich, dass wir begriffen hatten und die Zeitenwende angebrochen war. Wir holten Katharinas, noch auf dem Flur stehenden, Koffer rein und Katha begann unmittelbar mit dem Auspacken. Während ich meiner in Bewegung befindlichen Frau zuschaute rührte sich doch was in mir; ich spürte ein sexuelles Begehren. Welch ein Unterschied zu Marianne mit der ich doch in den letzten Tagen länger zusammen war und nichts dergleichen verspürte – eher das Gegenteil. Und nun meine Frau? Die ist noch keine 10 Minuten mit mir im gleichen Raum und schon geht’s los, obwohl wir es schon bald seit 3 Jahrzehnten miteinander haben. Irgendwo ist da mehr als ein rein körperliches Begehren; da ist ein unsichtbares Band. Auch bei der Betrachtungsweise gibt es bedeutende Unterschiede: Während mir bei Marianne nach nur einem halben Jahr eine gewisse Alterung auffiel, schien mir Katharina jung geblieben zu sein. Ich erkannte in ihr immer noch das junge Mädchen, mit der ich damals vor dem Kindergarten den Auto-Fahrrad-Unfall hatte. Katha gehörte zu mir und darauf war ich stolz.
Nach dem Auspacken wollte sie noch schnell unter die Dusche springen und begann daher gleich mit dem Auskleiden, was ich mir als erotischen Genuss nicht entgehen ließ. Sie erzählte mir dabei wie es zu ihrer für mich unerwarteten Reise kam. Die Geschwister Katharina und Hans Hermann Haffner hatten ein Leben lang so einen, offensichtlich auf Eifersucht begründeten, geschwisterlichen Zwist. Als Kinder und Jugendliche trugen sie diesen in Zankereien aus und als Erwachsene gingen sie dann ihre eigene Wege ohne groß vom Dasein des anderen Geschwisterteils Kenntnis zu nehmen. Aber Streit im Sinne von ernsteren Auseinandersetzungen hatten sie nie. Aber wie ein unsichtbares Band hielt sie irgendetwas, was sie in größerer Not zu erst aneinander denken ließ, zusammen. Was ich bisher nicht wusste, das Hans Hermann vor etwa 3 Jahren ein größeres Problem hatte und deshalb bei Katharina aufgetaucht war; daher wusste sie auch wo er steckte. Sie konnte ihm helfen, ich hatte es nicht einmal mitbekommen und sie hat es sogar mir gegenüber vertraulich behandelt. Selbst heute, wo ich diese niederschreibe, weiß ich noch nicht um was es sich dabei handelte. Umgekehrt war jetzt Katharina zu allererst zu ihrem Bruder gegangen. Der hat sie aufgenommen und eine ganze Menge zu ihrer Wiederaufrüstung unternommen. Was mich nicht nur freute sondern auch ehrte war, wie ich später erfuhr, dass mir mein Schwager in dieser Zeit auch immer „die Stange gehalten“ hat. Am Nikolaustag als die Geschichte mit Christina in Spanien bekannt wurde, verspürte Katha dann doch ein Wenig Druck mit uns zusammen zu sein. Gesagt hat sie nichts aber ihr Bruder hatte es doch intuitiv vernommen. Kurzerhand hat er ihr jetzt nicht nur diese Reise nach Barcelona „aufgeschwatzt“ sondern sogar auch spendiert. Mehr noch, er hat sie mit Kapital ausgestattet, dass sie auch für mich und gegebenenfalls für Christina sorgen konnte. Er hatte seiner Schwester aufgetragen Marianne von uns abzukoppeln und sie gegebenenfalls nach Hause zu schicken. Aus seiner Sicht war sie der Schlüssel zu unseren Unglück und wenn wir den nicht ablegten kämen wir nie raus. Jetzt muss ich sagen, dass er doch weitgehendst recht hatte. Sobald wir wieder zurück in Bergdorf sind will uns die Haffner-Familie besuchen. Anreisen wollen sie mit zwei Autos und zurück nur mit einen. Sprich sie wollen unser Auto, was Hans Hermann inzwischen auf Vordermann gebracht hat, einschließlich Katharinas Sachen überführen. Es ist doch verständlich, dass ich jetzt glaubte, Weihnachten sei um ein paar Tage nach vorne verlegt worden. Inzwischen war Katha frisch geduscht und auch in ein neues Outfit geschlüpft. Da ich ihr die ganze Zeit nicht nur zugehört sondern auch zugesehen hatte, wuchs auch eine gewisse Vorfreude auf die kommende Nacht in mir. Ich sage jetzt vorab schon mal, das es schön war und belasse es ansonsten dabei. Jetzt ging ich erst mal stolz mit meiner Frau Essen. Auf dem Wege machten wir erst mal an der Rezeption halt, um Katha, die sich zuvor bereits kurz gemeldet hatte, jetzt auch formell anzumelden. Der Chefrezeptionär übergab mir dabei einen Scheck über 5.000 Mark, den Frau Berghoff-Klettner zu meinen Gunsten bei ihm hinterlegt hatte. Also, so ganz auf und davon gemacht hatte sie sich nicht. Ich hinterließ diesen, nach Rücksprache mit Katha, zur Safedeponierung an der Rezeption. Auf Katharinas Vorschlag wollten wir hiervon keinen Gebrauch machen und ihr diesen, wenn wir wieder in Bergdorf sind, mit ein paar netten Dankesworten per Brief zurückreichen. Wenn ich sie auch nicht verstehen kann, man sollte sie aber doch nicht schlechter machen wie sie in Wirklichkeit ist. So, jetzt ist alles was, man als wichtig bezeichnen könnte, erzählt und wir können gleich einen Zeitsprung auf den nächsten Tag, so gegen Zehn Uhr morgens, als ich erstmals gemeinsam mit Katha unsere Christina besuchte, unternehmen. Setzen wir gleich da an, wo wir gemeinsam Arm in Arm in grünen Kittel bei Tina ins Zimmer traten. Unsere Tochter schaute erst normal und dann ruckartig erstaunt in unsere Richtung. Ihr Gesicht hellte sich auf und die Augen leuchteten. Ich hatte noch nie vorher eine so deutliche Übertragung des Inneren auf das Äußere im positiven Moment erlebt. Bisher immer, meist bei Kindern, nur in der umgekehrten Richtung, wo aus lachenden dann weinenden Gesichter wurden. Richtig jauchzend hörte sich ihr Ausruf „Mutti, Mutti, da bist du ja. Ich habe es gewusst. Mutti, dieses ist dein erfüllter Traum.“ an. Katha und ich sahen uns erst ganz verdutzt an und bekamen dann die Aufklärung: „Ja Mutti, weiß du nicht mehr. Letztes Jahr Weihnachten hast du geträumt wir drei wären in Spanien glücklich und dann für immer wieder vereint. Ich war etwas lädiert und du hast leider vergeblich nach Tommy gesucht. Und nun, ... was ist jetzt? Sind wir in Spanien glücklich vereint und ich zur Zeit ein Wenig lädiert? Damals sagtest du, dass das, was man in der Heiligen Nacht träumt eine Gabe Gottes wäre die auch erfüllt würde. So wie damals bei Josef in Ägypten mit den sieben fetten und sieben mageren Jahren.“. Katharina ergänzte jetzt nur noch: „Jetzt entsinne mich und du hast ja wirklich recht. Aber eines hast du falsch verstanden. Ich habe nicht generell von Traumerfüllung gesprochen ... das wäre ja esoterischer Blödsinn, sondern ganz speziell von meinem Traum. Ich hatte das Gefühl, dass das was ich in dieser Nacht geträumt habe auch in Erfüllung geht. Und mein Gefühl hat mich nicht getäuscht, es war eine Gabe Gottes.“. Danach umarmten sich „meine beiden Mädchen“ erst mal herzig, soweit dieses bei Tinas Verletzungen und den Schnüren an denen sie angeschlossen war überhaupt ging. Man sagt immer, Männer wären überwiegend rationell und Frauen emotionell veranlagt. Wenn ich aber sehe, was sich die Herren der Schöpfung von Politikussen, Managern und insbesondere auch Anlageberatern aufschwatzen lassen oder wenn sie sich im Sport für, nur den Namen nach ortsbezogenen ansonsten international besetzten, Fußball- oder Eishockeyshowtruppen begeistern und ereifern können, bin ich der Meinung, dass da weniger Ratio und viel, viel Emotion mit von der Partie ist. Andererseits muss man echt staunen wie viele Frauen „ihren“ Haushalt im wahrsten Sinne des Wortes, mit kleinsten Details vom silbernen Löffel, den Tante Erna vor 22 ½ Jahren mal geschenkt hat, bis zur vergessenen Mausefall auf dem Dachboden und alle Zu- und Abgänge sowohl im Bar- wie Sachbereich, im Griff
haben, muss ich den Damen wirklich eine Riesenportion Ratio bestätigten. Jetzt habe ich extra die klassischen Bereiche, die den Menschen geschlechterweise andressiert werden, angesprochen um zu verdeutlichen, das wir unabhängig vom Geschlecht den Menschen gleiche Portionen von Ratio und Emotionen zutrauen sollten. Viele Frauen denken weitaus rationeller wie die meisten Männer und andersherum können nicht wenige „Kerle“ ein weitaus umfangreichreiches emotionales Gefühlsleben wie die Überzahl der Damen vorzeigen. Ich komme an dieser Stelle auf meine kleine privatphilosophische Betrachtung, da es nach etwa einer halben, überwiegend gefühlsbetont abgelaufenen, Stunde erstmalig, dank Katharina, zur Ratio überging. Katha hatte daran gedacht, dass unsere Tochter weder Kleidung noch sonst eine persönliche Grundausstattung vor Ort hatte. Ihr war es aufgegangen, dass es recht nützlich wäre, wenn unsere Tina hier in Barcelona eine der deutschen Sprache mächtigen anwaltliche Vertretung hätte. Das unsere Tochter derzeitig keine Möglichkeit hatte ihre Gedanken von sich und ihrer Situation abzulenken, sprich keine Lektüre oder Dinge mit denen sie sich auch im Bett liegender Weise beschäftigen kann, hatte, kam auch erst jetzt durch meine Frau auf den Tisch. Jetzt muss ich allerdings zu meiner Entschuldigung sagen, dass mir solche Gedanken vor dem Eintreffen von Katharina auch Wenig genutzt hätten, denn ich war von dem „Millionärsweibchen“ Marianne, die im Laufe ihrer Ehe zur dahinlebenden Frau ohne eigene, die Ratio fordernde, Aufgabe getrimmt worden war, angewiesen. Deren Interesse lagen ja nicht im Bereich des Lebens, sprich der Menschen, sondern im Bereich des Existierens mit toten Dingen, denen man irgendeinen Wert zugemessen hat, sprich bei ihrem Schmuckgedöns. Wie hätte ich die, von solchen, jetzt von Katharina angesprochenen, Notwendigkeiten überzeugen können? Mehr und mehr komme ich dahinter, dass Marianne schon lange ihr eigenständiges Leben verwirkt hat; ohne Pomp, Protz und Mammon dürfte die wohl kaum überlebensfähig sein. Katha hat sich, was ich jetzt feststellte, mit Notizblock und Schreibzeug ausgestattet und begann in Absprache mit Tina die Notwendigkeit abzuchecken. Sie nahm auch gleich die organisatorische Planung vor. Fürs Erste galt, dass sie in Barcelona einkaufen wollte und mir wurde als erste Aufgabe die Heranziehung eines Anwalts zugewiesen. Mir half mal wieder der Zufall in Form der zwischendurch mal anwesenden Dolmetscherin, die sich just im passenden Moment eingemischt hatte. Dabei musste mir auffallen, wie wenig ich mich mit meinen Gegenüber beschäftigt hatte. Bisher habe ich sie immer in Sieform unter ihren Vornamen Montserrat, mit dem sie sich vorgesellt hatte, angesprochen. Hätte ich mal mehr nachgehakt wäre mir mit Sicherheit an ihrem Doppelnachnamen was aufgefallen. Sie hieß vollständig Montserrat Costa-Weber, also ein teils spanischer, teils deutscher Nachname. Des Rätsellösung war, dass ihr Vater ein spanischer Anwalt war, der mit einer deutschen Fremdsprachenkorrespondentin verheiratet war. Sie selbst hatte in Münster/Westfalen Medizin studiert und war hier in der Klinik als Assistenzärztin auf der Gynäkologie beschäftigt. Als Tina eingeliefert wurde kam ihr Cousin, unser Polizeioffizier, auf den Gedanken Frau Dr. Montserrat Costa-Weber vorrübergehend als persönliche Betreuerin für Tina, also sowohl im Dienste der Ermittlung wie im Dienste der Medizin einzusetzen. Jetzt wunderte es mich eigentlich nicht mehr, dass die Ausführungen der Ärztin so perfekt rüberkamen. Ich hatte beim ersten Gespräch den Eindruck, das bei der Übersetzung viel mehr gesagt wurde als ursprünglich aus dem Munde der Ärztin kam. Dafür gab es eine eindeutige Erklärung: Die zuständige Ärztin, eine Chirurgin hatte mit der Gynäkologin, von der ich glaubte sie wäre Dolmetscherin, zusammengearbeitet und die beiden haben sich nur verständigt was sie mir wie sagen wollten und dabei die Hierarchie beachtet. Klar, was ich jetzt als Zufall bezeichnete: Frau Dr. Costa-Weber, die ich ab diesem Moment nicht mehr mit Montserrat ansprach, gab mir die Empfehlung ihren Vater den Rechtsanwalt Dr. Alberto Costa aufzusuchen. Nachdem mich Frau Dr. Costa-Weber bei ihrem Vater angemeldet hatte begab ich mich gleich zu ihm. Als ich in die große, modern ausgestattete Kanzlei kam bekam ich erst mal einen gehörigen Schrecken. Solche Leute sind bestimmt nicht preiswert und ich der kleine Pepe Schröder ein Habenichts. Als ich dann dem etwa 60-jährigen gutaussehenden und mit einer sehr beruhigenden Stimme ausgestatten Anwalt gegenüber saß wurde mir zunehmend wohler. Dr. Costa war Strafverteidiger und „der Experte“ in Sachen Straftaten mit Beteiligung von Ausländern. Er hatte gute Kontakte zu Botschaften und Konsulaten. Seine Frau war, als er in Madrid studierte, dort bei der deutschen Botschaft beschäftigt. Was man auch nicht bei jedem renommierten Anwalt findet ist sein großes soziales Engagement. Er ermunterte mich ihn ruhig zu beauftragen, einen Vorschuss brauchte ich nicht zu zahlen und er wollte mir alles anschließend in Rechnung stellen, was ich dann nach und nach, je nach meiner persönlichen wirtschaftlichen Leistungskraft bezahlen könne. Diese Vereinbarung schloss er dann mit den Worten: „Wenn sie überhaupt nichts zahlen, dann muss ich nicht verhungern. Aber glauben sie mir dass ich eine Menge Menschenkenntnis besitze und sie gehören zu den Menschen, die sich aus moralischen und ethischen Antrieb verpflichtet fühlen, mir mein Honorar zukommen zu lassen.“. Um es vorweg zu nehmen: Er bekam sein vollständiges Honorar – und das sogar schon vor unserer Abreise. Das Geld stammte nicht von mir sondern von Marianne. Ich hatte ihren Scheck dafür verwendet. Dabei hatte ich nicht mal ein schlechtes Gewissen, denn erstens war der „Schaden“ in erster Linie von ihr angerichtet worden und zum anderen, war sie eine Frau, die sich über solche Peanuts keine Gedanken machte, denn sonst hätte sie diesen bei ihrer Abreise in Verärgerung diesen Scheck auch nicht hinterlegt. Katharina hatte zwar diesbezügliche Bedenken, stimmte aber dem Vorgehen letztendlich doch zu. Nach den Einstiegsformalitäten ging es dann zur Sache. Ich brauchte ihm so gut wie gar nichts zu dem Fall erzählen. Von seiner Tochter und seinen Neffen war er bereits bestens informiert. Das die Beiden im Familienkreis geplaudert hatten war zwar Formaljuristisch in Hinblick auf ihre Dienststellung nicht korrekt aber eigentlich vielerorts nicht
unüblich und kam mir jetzt sehr zu Gute. Dr. Costa erklärte mir dann allerlei juristische Details, die ich als „Unwissender“ nur in laienhafter Kurzfassung wiedergeben kann: Bei Christina läge vor, das sie aufgrund einer in Deutschland begangenen Straftat per internationalen Haftbefehl gesucht und proforma festgenommen worden sei. Vermutlich sei sie aber keine Täterin sondern als Opfer in die Straftat hineingezogen worden. Gleichzeitig sei sie auf spanischen Rechtsgebiet Opfer einer Straftat geworden. Alles in Allem könnte das, auch im Hinblick auf die sehr langsam arbeitenden internationalen Behörden, sehr lange dauern. Ein Jahr und mehr könnten dabei ins Land ziehen. Seine Aufgabe sah Dr. Costa darin, das Christina schon sehr bald, unmittelbar nach ihrer weitgehenden gesundheitlichen Wiederherstellung, als quasi freie Frau Spanien verlassen kann. Er zeigte sich sehr zuversichtlich, dass ihm dieses gelänge. So bald unsere Tochter nicht mehr auf der Intensivstation liegt, wollte er bei ihr persönlich vorsprechen. Aber nicht nur ich war erfolgreich sondern auch Katha war mit ihren Besorgung, bis auf ein paar Kleinigkeiten, zum Finale gekommen. Aufgrund der Zeit, die alles in Anspruch genommen hatte, kamen wir erst am späteren Nachmittag wieder zu Christina. Jetzt hatten wir nur etwa eine, in zwei Halbzeiten aufgeteilte, Stunde. In der ersten Halbzeit ging es um unsere Besorgungen und Erledigungen, damit auch Tina auf dem Stand der Dinge war. Und dann folgte noch ein allgemeines Gespräch. Was mir dann im Laufe des Abends auffiel war, dass wir allesamt zum ersten Mal seit langer Zeit nicht vergangenheitsbezogen mit unseren Schicksal haderten sondern zukunftsorientiert an Problemlösungen herangingen. Jetzt fiel noch nichts Konkretes, nichts war ausführlich sondern nur mal so angedacht, aber erstmalig schienen wir auf dem richtigen Wege „aus dem Sumpf“ zu sein. In der Folgezeit, während Christina noch im Krankenhaus lag, wurde alles ausführlicher und konkreter und damit der Kurs der Schröders wieder nach oben gelenkt. Diese Tendenz fand auch bei unserem abendlichen Essen ihren Niederschlag. Wir hatten uns ein nettes preiswertes Restaurant, in dem man auch gut sitzen konnte, ausgesucht. Das Essen war gut und im Gegensatz zu schicken Etablissements gab es auch überreichlich. Wir wurden also rund herum satt. Es muss ja nicht immer vom Feinsten sein und so tat es für uns auch eine Literkaraffe roten spanischen Tafelweins, bei dem wir uns, bis der letzte Tropfen gemundet hatte, auch gut unterhielten. Unsere Gespräche am Nachmittag drehten sich um unsere gemeinsame Zukunft, welche Schritte wir gegebenenfalls in die Wege leiten wollten und das wir gelernt hatten, dass wir nur mit gegenseitigen Vertrauen zueinander halten müssen, wenn wir nicht gleich über den nächsten Stolperstein fallen wollen. Die bisherigen diesbezüglichen Steine hakten wir als erledigt und momentan wenig nützlich ab. So kamen wir dann übereinstimmend zu dem Schluss, das jetzt tatsächlich die Grenze zu einer neuen gemeinsamen Zeit überschritten sei. Im Nachhinein kann ich sagen, dass wir noch nicht einmal unrecht hatten. Es gab zwar noch einige derbe Schläge, die wir einzustecken hatten aber bis zum heutigen Tage haben wir uns nicht mehr niederschlagen lassen. Ich hätte nichts dagegen gehabt, mir noch eine zweite Karaffe Rotwein mit Katharina zu teilen aber die hatte was anderes im Sinn: „Pepe, ich weiß jetzt nicht ob es an einem Nachholbedarf oder am Klima liegt, aber ich bin heiß gelaufen. Am Liebsten läge ich jetzt mit dir im Bett und würde mit dir so ... Du weißt ja, nicht direkt bumsen sondern streicheln, abküssen und so. Das kannst du immer so gut, ... ehrlich. Ich hätte auch richtig Lust ...“. Na ja, jetzt wurde es ausführlicher und das überlasse ich jetzt mal der Fantasie des Lesers. Auf jeden Fall übertrug Katharina so viel Hitze auf mich, dass ich mit gleichen Hitzegraden auf ihrer Wellenlänge lag und nicht schnell genug zur folgenden Liebesnacht kam. Es war sehr schön und wir genossen es unbelastet. Letzteres ist der Grund warum ich es überhaupt erwähne: Unbelastete und unbeschwerte körperliche Liebe, so wie in dieser Nacht, hatte es zwischen Katharina und mir seit vor meiner Taxizeit nicht mehr gegeben. Immer gab es irgendetwas, was da hinein wirkte. Auch daran merkte man, das nun unsere Zeit auferstanden war und ich möchte sie auch nie wieder untergehen lassen. Die zurückgekehrte Harmonie bei ihren Eltern wirkte sich auch enorm positiv auf Christina aus. Der Heilungsprozess wurde sichtbar nachvollziehbar und sie baute richtig gehend auf. Bereits am Montag der darauffolgenden Woche konnte man sie aus der Intensivstation verlegen. Die Behörden schlossen bei Tina sowohl eine Fluchtgefahr wie eine Gefährdung aus, so das nichts gegen eine Verlegung auf eine offene Station in dieser Klinik sprach. Gleich drei Gründe waren es, weshalb man sie auf die Gynäkologie verlegte. Erstens konnte sie dort Verbindung mit Frau Dr. Costa-Weber, zu der sie bereits ein Vertrauensverhältnis aufgebaut hatte, halten. Zweitens hatte unsere Tochter auch Verletzungen im Vaginalbereich, wo die Gyno nun am meisten für zuständig war. Letztendlich konnte sie dort auf einem Zweibettzimmer mit einer netten, in Spanien lebenden Deutschen, zusammengelegt werden. Also, alles optimal. Was sich dann allerdings erst mit der Zeit zeigte, aber damals schon in Ansätzen erkennbar war, ist die glückliche Tatsache, das Christina die ganze Angelegenheit psychisch erstaunlich gut verarbeitet und gemeistert hat. Heute ist ihr so gut wie gar nichts mehr anzumerken. Schon wenige Zeit später zeigte sie sich psychisch belastbar oder machen wir es kurz: Ein Schaden, der sie an der Meisterung ihres Lebens hindern würde hat sie nicht davongetragen. Da dürfte aber nicht nur die wieder gefestigte Ehe von Katharina und Peter Schröder Anteil daran haben sondern auch ihre naive Religiosität, die sie mit zunehmender Fröhlichkeit erlebte und pflegte. Sie sagte später selbst einmal: „Wahrlich, mein Glaube hat mir geholfen und auf diesen möchte ich nie verzichten.“. Vielleicht ging auch diesbezüglich eine Wirkung auf uns über. Heute bekenne ich immer wieder, dass Gott in uns allen und für uns alle segensreich gewirkt hat – wir haben uns gegenseitig aufgebaut.
Eigentlich war „unsere Mission“ in Spanien erfüllt und wir hätten uns ins heimische Bergdorf begeben können. Allerdings hätte dieses den Supernachteil gehabt, dass unsere Tochter keinen Besuch erhalten hätte. Da die „Vorräte“ meiner Frau, mit der sie ihr Bruder ausgestattet hatte, auch auf Grund unseres sparsamen Umgangs mit Geld, ausreichten und die Feiertage bevorstanden, beschlossen wir noch bis ins neue Jahr im katalanischen Barcelona zu bleiben. Natürlich haben wir nicht den ganzen Tag bei unserer Tochter verbracht sondern zwischendurch auch zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln diese Hafenstadt erkundet. Die Stadt ist ja sehr schön. Eine Städtereise dorthin kann ich nur empfehlen. Aber immer dort leben möchten wir nicht; das hängt aber mehr damit zusammen, dass wir Schröders keine Stadtmenschen sind.
Zum Kapitel 26
Zum Inhaltsverzeichnis
Ein Millenniumsspektakel im falschen Jahr Nach dem „Wunder vom 9. Dezember“ ging es bei Christina im Supertempo aufwärts. Zu Weihnachten 1999 war ihr Klinikaufenthalt mit dem bei einer Kur vergleichbar. Tina war auf den Beinen und konnte sich frei in der Klinik bewegen. Sie kam mit uns in die Cafeteria, in andere Aufenthaltsräume und in den zur Klinik gehörenden Park. Ihre Hoffnung und Zukunftsgläubigkeit wuchs von Tag zu Tag und vertrieb die tiefschwarzen Wolken der jüngsten Vergangenheit. Man konnte sogar von einem gewissen Optimismus und einer Art Fröhlichkeit sprechen. Oft hatte ich den Eindruck, dass man sagen konnte, das unsere Tochter langsam wieder die „alte“ wäre. In Anbetracht dessen was in 1999 passiert war ein nicht nur kleines Wunder. Zwei Tage vor Weihnachten war ihre deutsche Bettnachbarin entlassen worden und so hatte sie über das Fest ein Zimmer für sich alleine. Frau Dr. Costa-Weber hatte ihr einen künstlichen Weihnachtsbaum und eine Lichterkette besorgt, der in ihrem Krankenzimmer aufgestellt wurde. Hier feierten wir eine stille, familiäre Weihnacht; fast wie Zuhause. Christina brachte es auf den Nenner: „Wenn wir zusammen und verbunden sind, dann ist es egal wo wir auf dieser Erde sind ... es ist einfach nur schön.“. Am Tage nach Weihnachten bekam sie dann eine neue Nachbarin; eine Spanierin in Christinas Alter. Diese konnte sehr gut Englisch und auch ein Wenig Deutsch. Auf jeden Fall stand einer Verständigung zwischen den beiden jungen Frauen nichts im Wege. Nun war es so, dass Tina einen fast gesundeten Zustand hatte und ihre Bettnachbarin dagegen bettlägerig war. Bei unserer Tochter kam dann die gelernte Krankenschwester durch und sie betätigte sich als Privatpflegerin für ihre „Mitkranke“. Von dieser erfuhr sie dann von bestimmten Sehenswürdigkeiten in Barcelona, die wir uns ansehen sollten. Da waren der Tibitabo, die Kathedrale der heiligen Familie von Emilio Gaudi, die große Stierkampfarena, das Stadiongelände des CF Barcelona, der Nachbau des Schiffes Santa Maria mit dem Cristobal Colon, den man bei uns unter seinem italienischen Namen Christoph Kolumbus kennt, Westindien, sprich Amerika, entdeckte und, und, ... . Natürlich konnten wir nicht alles in vollständiger Ausführlichkeit besichtigen aber hatten, da wir täglich Bericht erstatten mussten, neben den täglichen Besuchen bei unserer Tochter eine Aufgabe. Ich bin ja ganz ehrlich, das ich Ganztagsaufenthalte bei unserer Tochter mehr als stressig empfunden hätte – und Tina wollte so etwas auch gar nicht. Der Abend und die Nacht waren ausschließlich der Pflege und dem Genuss unserer wiedererwachten Ehe gewidmet. Das abendliche, in der Regel 2 bis 3 Stunden dauernde, Abendessen war unsere Hauptmahlzeit, da wir den Tag mit einem kräftigen Frühstück, das wir ja schließlich mit dem nicht niedrigen Hotelpreis mitgezahlt hatten, und gegen Mittag gab es dann ein oder zwei Schnitten, die wir vom Frühstücksbüfett abgezweigt hatten, und des Abends ging es dann, wie soeben geschrieben, richtig zur Sache. Diese erledigten wir nicht im Hotel sondern wir suchten uns Restaurants, die neben Ambiente auch noch den Kriterien Reichhaltigkeit und Preiswertigkeit entsprachen. Grundsätzlich war uns die Befriedigung des Bedürfnisse und der Notwendigkeit der Nahrungsaufnahme nicht unwichtig aber nicht die Hauptsache. Im Vordergrund stand die gesellige Kommunikation. Wie früher waren wieder redselig geworden. Was wir nicht alles zu erzählen und zu diskutieren hatten. Natürlich gab es nicht nur eine Wiederholung. Aber man hörte dem Anderen zu, wir nahmen uns gegenseitig ernst und schenkten uns Aufmerksamkeit. Ein Abend war dieses sogar unser Leitthema. Sollte das Geheimnis einer guten Partnerschaft im Mund und in den Ohren liegen? Begründen Reden und Zuhören das Band des Zusammenhaltes? Früher vor meiner Pleite war fast jede Minute, die wir zusammen waren mit „Gequatsche“ ausgefüllt – und wir waren glücklich. Nach der Pleite verringerte sich die Zahl der Gespräche kontinuierlich und war während meiner Zeit als Taxifahrer auf das eben Notwendige abgesackt. Unser Zusammenhalt war nicht mehr gegeben und das Unglück nahm seinen Lauf. Aber jetzt war die glückliche Zeit einer redseligen Partnerschaft aus ihrem Dornröschenschlaf wach geküsst worden und wir wollten sie nicht wieder einschlafen lassen. Wir sprachen nicht nur über Dinge, die uns direkt in unserem Leben berührten sondern oft auch über allgemeine Themen wie das Millenniumsspektakel des Jahres 1999. Das lateinische Wort für einen Zeitraum von tausend Jahren hat, soweit ich mich entsinnen kann, im deutschen Sprachgebrauch nie eine große Rolle gespielt. Als Gebrauchswort kannte ich es eigentlich bis zu diesem Zeitpunkt nur aus Aufsätzen von Historikern und Theologen. Auf einmal schien es das gängigste Substantiv der Deutschen zu sein. In jeder Werbung und in allen Medienberichten, gleichgültig ob ernsthaft oder nur unterhaltend, gleichgültig ob niveauvoll gehoben oder oberflächlich flach, tauchte es fast wie ein Unwort auf. Aber nie im richtigen Zusammenhang. Es ging schon damit los, das von „dem“ Millennium gesprochen wurde. Ich habe mir im jenen Jahr oft den „Spaß“ erlaubt, dass ich „Welches Jahrtausend“ zurückfragte wenn jemand unpräzise und flapsig von dem Millennium sprach. Da fehlte nämlich immer ein Numerale. Wenn wir vom ablaufenden sprechen muss es „das 2. Millennium“ heißen und meinen wir das kommende dann ist „das 3.“ richtig. Jetzt will ich nicht als Erbsenzähler gelten wenn ich sage, dass dieses immer noch nicht präzise war, denn „unserer Zeitrechnung“ gehört auch noch dazu. Schließlich leben wir nach julianischer, chinesischer, jüdischer, islamischer und anderer Zeitrechnungen in ganz anderen Millennien. Aber was noch viel schlimmer war: Man wollte den sogenannten Millenniumswechsel vom zweiten auf das dritte Jahrtausend feiern bevor das zweite abgelaufen ist. Zwischen 0:00 Uhr des 1.1. im Jahre 0 und 24:00 Uhr des 31,12. im Jahres 1999 sind erst eintausendneunhundertneunundneunzig, in Zahlen 1999, Jahre vergangen. Auf 2000 Jahre seit Beginn unserer Zeitrechnung können wir erst am 31.12.2000 zurückblicken. So ist der erste Tag des dritten
Millenniums erst der 1.1.2001. Sollte der Millenniumswechselwahn etwa ein Zeichen für die „totale Verblödung der Massen“ sein. Besonders schlimm das Leute, die sich selbst zur Elite erhöhen, wie Politiker, Manager und – oh Schreck – sogar Wissenschaftler vollen Ernstes einen solchen Blödsinn labern. Das Millenniumsspektakel fand also im falschen Jahr statt. Meines Erachtens lagen Mystiker und Esoteriker, die diesem Millenniumswechsel Besonderheiten zudichteten, noch weiter von Gut und Böse entfernt. Wie kann ein zufällig gewähltes Datum irgendwie eine Bedeutung auf den Ablauf dieser Welt haben. Papst Gregor hat sich bei der Festlegung der Geburt Christi tatsächlich um 4 bis 7 Jahre vertan. Dann kommt noch hinzu, dass der Jahresbeginn zuvor von den Römern aus politischen Gründen vom Frühlingsanfang, vom Fest des Gottes Mars, auf den jetzigen Zeitpunkt, dem Fest des Gottes Janus, verschoben wurde und auf diesen „Schiebetag“ legte dann Gregor auch den Beginn seiner Zeitrechnung fest. Seit wann richtet sich das Universum nach von Menschen mit Willkür und Irrtümern festgelegten Daten? In jenem Jahr gab es noch ein, für „Nachdenker“ unverständliches Spektakelum und das nannte sich „Millenniumsbug“. Dieses wurde von den „Medienschockern“ dann richtig ausgeschlachtet. Von der Mikrowelle bis zu Atomkraftwerken sollten explodieren können. Fahrstühle sollten stecken bleiben und Stromnetze ausfallen. Und alles dieses nur weil die Speicher in der Elektronik nur 2-stellig dimensioniert seien und die internen Zähler dann von 99 auf die unmögliche 00 umspringen würden. Vollkommen unverständlich ist mir, das da Informatiker und Elektroniker mitzogen, wo doch schon jeder der eine Maus bewegen kann um damit im Internet rumzuklickern behauptet ein Computerexperte zu sein und stolz erklärt, dass diese „Wunderkisten“ binär arbeiten. Nach Binärrechnung ist die höchste Zahl, die ich mit einem Byte, also einstellig, rechnen kann 255 (binär beginnt man bei 0 und so haben wir 8²-1 = 255). Folglich gehen interne 1stellige Speicher nicht von 99 auf 00 sondern 100 oder korrekt von 1100011 auf 1100100 – also nichts Besonderes. Und wenn ich den, sich Journalisten nennenden Schwätzern glauben soll sind die internen Speicher 2-stellig, was logischer Weise 2 Byte heißt. Oh je, dann haben wir noch lange Zeit. Ob es da überhaupt noch Menschen gibt? Die höchste 2-stellige Binärzahl (2 Byte = 16 Bit) ist 16² -1 = 65.535. Wenn jetzt bei diesem ominösen Millenniumsbug Toppleute, die es mit Sicherheit besser wussten, mitmischten kann ich mir nur vorstellen, dass diese auch wussten, das man mit irrationaler Angst gute Geschäfte machen kann und einfach nur abzocken wollten. Na ja, hinterher rausreden kann man sich ja immer und das es beim Ablauf der Anwendungssoftware zu Fehlern kommen konnte ist ein anderes Thema. Natürlich ist jemand der am 1.1.01 geboren ist am 1.1.00 trotz seines 99. Geburtstages noch nicht auf der Welt aber trotzdem fliegt deshalb kein binärgesteuertes Atomkraftwerk in Luft. Das sind zwei Paar Schuh. Aber wer hat das schon beim 99er-Millenniumsspektakel gemerkt? Jetzt habe ich diese ganze Geschichte in Aufsatz- beziehungsweise Vortragsform gebracht. So haben wir uns natürlich nicht unterhalten. Das ging halt locker von Mann zu Frau und von Frau zu Mann. Aber im Fazit waren wir uns einig: Dank unseres Aufenthaltes in Spanien waren wir diesbezüglich besser dran als die Daheimgebliebenen. Wir hatten, zumindestens was den Dezember anbelangte, alles nur aus den deutschen Medien und von den seit Weihnachten einfliegenden „Germanen“ vernehmen müssen. Ob die Spanier genauso verrückt an die Sache herangingen oder ob wir dieses, weil wir der Sprache unkundig waren, einfach nur nicht mitkriegten können wir schlecht sagen, da ja unser Denken im Großen und Ganzen von anderen Dingen beherrscht war. Eines hatten wir nur mitgekriegt: Alle Landsleute, die in den letzten Tagen in dem Hotel, in dem wir wohnten, eingezogen waren, nannten als Anreisegrund, dass sie den Millenniumswechsel in Barcelona feiern wollten. Einer sagte, er wolle in der Stadt ins neue Jahrtausend starten aus der Kolumbus in die neue Welt aufgebrochen sei. Na ja, wenn es ihm Spaß macht sein Geld so unter die Leute zu bringen, dann soll er es ruhig machen. Uns stand allerdings nicht der Sinn nach einer Teilnahme an dem Trallala und deshalb beschlossen wir, uns, da man bei dem zu erwartenden Lärm und Rummel im Hotel sowieso nicht schlafen kann uns in diesem ein, den Umständen entsprechendes, ruhiges Plätzchen zu suchen und uns dort ein oder zwei Fläschen Wein zu genehmigen. An der vom Hotel angebotenen Silvestergala wollten wir auf keinen Fall teilnehmen. Es ging ja eigentlich an jenem 31.12.1999 gut los. Wir hatten ausnahmsweise bereits am Spätnachmittag, während wir unsere Christina besuchten, in der Cafeteria der Klinik zusammen mit unserer Tochter gespeist. Es war zwar nicht das, was wir in den letzten Tagen an Abendessen gewohnt waren, auch nicht so reichhaltig und erst recht nicht so preiswert, aber es war das erste Mal seit langer Zeit das wir Eltern mit unserer Tochter zu einem gemeinsamen Mal zusammen saßen – und so empfanden wir es einfach umwerfend und toll. Damit es uns nicht all zu früh nach einem Schläfchen gelüstete verbrachten wir den ersten Teil des Silvesterabends schmusender Weise auf unserem Hotelzimmer. So gegen Zehn begaben wir uns nach unten und fanden unweit der Rezeption so ein Plätzchen wie wir uns das gedacht hatten. Und ein schöner spanischer Rotwein konnte uns auch kredenz werden. Es war fast besser als wir uns das gedacht hatten und außer einem dumpfen Bumbum bekamen wir an dieser Stelle vom Millenniumsklamauk nichts mit. Es wäre so schön gewesen, wenn nicht kurz nach Elf ein Ehepaar, so um die Sechzig, auf uns zugesteuert gekommen wäre. Irgendwie kam mir dieser Herr bekannt vor; ich wusste zuerst nur nicht, wo ich ihn hin stecken sollte und umgekehrt war es genau so. Das war dann der Vorwand mit dem sie sich näherten: „Entschuldigen sie vielmals, ... sie sind doch auch Deutsche? ... irgendwie kommen sie mir bekannt vor. Darf ich mal fragen wo sie herkommen.“. „Wir kommen aus Bergdorf, das liegt bei ...“ und weiter kam ich mit meiner Antwort nicht, denn der Herr fiel mir ins Wort: „Ach, dann kennen wir uns wirklich. Wir kommen aus Neuweiler ... Das ist ja nur 30 Kilometer von Bergdorf entfernt. Gestatten, meine Name ist Mühlheims und das ist meine Gattin. ... Dürfen wir uns einen Augenblick zu ihnen setzen?“. Ich bot ihm die beiden freien Plätze an und stellte uns ebenfalls vor. Ich sollte an diesem Abend wieder mal die
Quittung dafür kriegen das ich nicht die Wahrheit sagte. Hätte ich ehrlich gesagt, dass wir lieber unter uns geblieben wären, hätte ich mir das „dumme Gequassel“ von diesem Herrn, den ich inzwischen als gelegentlichen Klettnerpartygast identifiziert hatte, ersparen können. Er palaverte von der endlich in Deutschland erwachten Aktienkultur, von den enormen Zukunftsperspektiven der IT-Branche und anderen Dingen, die mich, der ich dem Mammon skeptisch gegenüberstehe, mehr als nur langweilten. Offensichtlich habe ich Herrn Mühlheims dadurch verärgert, dass ich ihm diverse „Fakten“, die er von den führenden Analysten deutscher Banken abgeleitet haben wollte, als Pyramidensystem entlarvte. Ich halte Aussagen über zweistellige Zuwachsraten schon daher als unseriös, da jeder Viertklässler, der Zins- und Zinseszinsrechnung gehabt hat, ersehen vermag das solcher Zuwachs in einem Zeitraum zwischen 5 bis 15 Jahren selbst dann zu einer Marktsättigung führt, wenn wir jeden gerade Geborene wie den soeben Sterbenden als möglichen Konsumenten miteinrechnen. Und das Ganze auch nur dann wenn die Bevölkerungszahl mindestens stabil bleibt. Hinsichtlich Letzterem ist aber eher das Gegenteil Realität: Nicht nur in Deutschland sondern in allen Industriestaaten dezimiert sich die Bevölkerung kontinuierlich. Soll dann gegebenenfalls Erneuerungsbedarf beim Zuwachs den Erstbeschaffungsbedarf ersetzen muss man mir erst mal erklären, wo die Massenkaufkraft herkommen soll, die als Voraussetzung für so etwas unerlässlich ist. Nach meinen Rechnungen sind Lohnerhöhungen von 5% jährlich ein Minimum dafür, dass die Rechnung aufgehen kann. Aber erstaunlicher Weise reden die gleichen Utopisten mit ihren ins Wolkenkuckucksheim reichenden Zahlen gleichzeitig von Lohnzurückhaltung und moderaten Lohnabschlüssen. Seltsamer Weise sind diese Unfugbehaupter keine schon leicht angesäuselten Stammtischbrüder sondern Banker, Manager, Politiker und andere sich für die Eliten haltende Kurzstreckendenker. Langfristig gehen diese wohl von dem Grundsatz „Nach mir die Sintflut“ aus. Na ja, dieser Mühlheims scheint auch kein Mensch zusein, bei dem das Denken vor dem Nachplappern steht. Offensichtlich war es jemand der glaubte, Denken wäre ein Sport der weder seinem fülligen Leib noch seinen Bankkonto zuträglich wäre. Kurz, er war so ein Typ, den windigen Anlageberater mit 2-stelligen Gewinnversprechen um die Hälfte ihres Vermögens bringen können. Mit dem Worten „mindestens 15 Prozent“ lässt sich sein Gehirn abschalten. Ich sagte ihm natürlich was ich von seinen Aussagen hielt; allerdings nicht so direkt und ehrlich wie hier. Auf jeden Fall wirkte er zunehmendst verschnupfter und aggressiver. Inzwischen war auch bei ihm der Groschen gefallen, wo er mich hin stecken sollte: Er hatte mich inzwischen als ehemaligen Lover von Frau Marianne BerghoffKlettner, der Frau seines Freundes Hannsfrieder Klettner, identifiziert. Um zu kontern begann er zunächst mit verdeckten Anspielungen auf meine Person und wurde zunehmenst deutlicher. Letztendlich sagte er dann offen und direkt was er von Marianne und mir zu wissen glaubte. Katharina machte ihn mehrfach höflich aber bestimmt darauf aufmerksam, dass wir lieber alleine unter uns wären. Das überhörte dieser Herr, den es offensichtlich zunehmend Freude machte mich vor seiner und meiner Frau zu demaskieren, tunlichst als sei er taub. Mir schien allerdings als würde er mit seinem Gerede seinem Weibe eine Freude bereiten, denn ich sah mich mehr und mehr ihren spöttischen, verlogene Moral vortäuschenden, von Obenherabblicken ausgesetzt. Als dann die silvestertypische Mitternachtsgaudi begann war unsere Runde erst mal aufgehoben. Katha und ich waren nun der Hoffnung das diese endgültig war. Wir sollten uns aber getäuscht haben. Zwischen Viertel und Zwanzig nach Mitternacht hatten wir die Beiden wieder „am Hals“. Diesmal lief es auf den finalen Höhepunkt hinaus. Er „posaunte“ los: „Sagen sie mal Herr Schröder, war nicht ihre reizende Tochter auch bei Klettners beschäftigt? Hat sie uns nicht seinerzeit als bezaubernde Venus bedient? Wirklich flott diese perfekt geformten Brüste. Was habe ich gehört? Sie soll sich ihr Honorar in Höhe eines halben Milliönchen selbst fest gesetzt haben und sich dann klamm heimlich davon gemacht haben.?“. Jetzt war ich doch reichlich verärgert und sagte ihm jetzt direkt meine Meinung: „Herr Mühlheims, ich glaube sie gehen wesentlich zu weit und stecken ihre Nase in Sachen, die sie nichts angehen. Ich möchte sie bitten jetzt zu gehen und uns allein zulassen.“. Ich weiß heute nicht mehr was er antwortete aber es brachte mich erst recht in Rage. Ich sprang auf und sagte noch mal barsch und bestimmend: „Bitte gehen sie jetzt Herr Mühlheims.“. Da grinste er mich nur höhnisch und frech an wodurch ich meine Beherrschung gänzlich verlor und ihm eine kräftig schallende Ohrfeige verpasste. Das rief, wie es nicht anders zu erwarten war, das „gewichtige“ Hotelpersonal auf den Plan. Logischer Weise war ich das Ziel ihres Missfallens. Ich schätze mal „Pi mal Daumen“, das ich auch dann deren Ziel gewesen wäre, wenn ich der Empfänger der Ohrfeige gewesen wäre, denn Mühlheims bezahlte großzügig mit seinem guten Namen und seinem Plastikkartensortiment, zumindestens gehörte er dieser Kaste solcher Geldverehrer an, und ich bezahlte immer in bar und zählte das Wechselgeld grundsätzlich nach. Ich verstehe es ja, wenn einen das Hemd näher als die Hose ist und man geschäftlich den Besserzahler, Gerechtigkeit hin und Gerechtigkeit her, bevorzugt. Die Leute haben ja die, Diplomatie genannte, hohe Schule der Verlogenheit absolviert und blieben durchaus freundlich aber machten doch unmissverständlich klar, das unser Auszug am Folgetag ganz im Sinne des Hauses läge. Katharina sah die Angelegenheit locker und brachte dieses wie folgt auf dem Wege zum Zimmer auf den Nenner: „Mensch Pepe, ich habe noch nie gesehen, dass du jemanden ein Paar getafelt hast. Aber das erste Mal war auch gleich ein richtiges Mal. Es war mir ein Hochgenuss wie sich deine Finger auf der Backe dieses Döspaddels abbildeten.“. Ich unterbrach sie kurz auf scherzhafte Art und Weise: „Ich entdecke auch einen neuen Zug an dir ... du befürwortest Gewalt.“. Wir lachten beide, woran man sehen kann, das wir das Ganze nicht auf die schwere Schulter genommen hatte, was auch aus Kathas weiteren Worten herauszuhören war: „Alles hat eine gute und eine schlechte Seite. Die schlechte Seite ist hier, dass wir
heute ... inzwischen haben wir ja den 1.1.2000 – ausziehen müssen. Das heißt, aus dem Etablissement das deine ehemalige ‚Biene’ ausgesucht hat. Aber die gute Seite ist, das es hier nicht gerade billig ist und wir haben die Chance, uns eine preiswertere ‚Hütte’ zu suchen. Dann brauchen wir nicht schon am Dritten (unser bis jetzt vorgesehener Rückreisetermin) heimwärts ziehen sondern können vielleicht noch bis zum Zehnten, also eine Woche länger, bleiben. Der Bescheidene hat eben mehr vom Leben und unserer Tina wird es freuen.“. Auf dem Zimmer angekommen begann Katha gleich mit dem Entkleiden. Sie hatte schon den Oberkörper frei als sie mir den Vorschlag „Dann ziehen wir eben ins Paradies ... auf spanisch ‚El Paraíso’“ machte und dann lachte sie mal wieder fröhlich. Inzwischen war sie blank wie Eva vor dem Sündenfall. Deshalb antwortete ich: „Ich kann jetzt das Paradies schauen aber wie ich darein ziehen soll ist mir schleierhaft. Ich kann nur was rein ...“. „Na, na, das du an so etwas immer zuerst denken muss.“, unterbrach meine Holde mit einem charmanten Lächeln, „aber ich dachte an ein kleines, sauber aussehendes Hotel in der Nähe der Klinik.“. „Woher weißt du denn, dass es ‚El Paraíso’ und auf Deutsch das Paradies heißt?“, wollte ich jetzt wissen. „Och, da bin ich diese Tage mal vorbeikommen und habe mich bei der Gelegenheit nach den Preisen erkundigt.“, fuhr Katha fort, „Ich hatte so den Gedanken noch eine Woche dranzuhängen. Als ich mich erkundigt hatte stand hinter der Rezeption eine sehr nette Dame, die auch sehr gut Deutsch sprach und mir den Hotelnamen übersetzt hat. Die bieten nicht nur Übernachtung und Frühstück sondern auch ein allabendliches Büfett, was sich laut Beschreibung ganz toll anhörte, innerhalb eines Inklusivpreis; so eine Art Halbpension. Und das fast zum halben Preis wie hier.“. „Dann nichts wie hin, hoffentlich ist noch was frei.“, sagte ich noch und dann schnappte ich mir meine Frau, die mich, so nackt wie so vor mir stand, nun genügend heiß gemacht hatte, zum „Abschlussnummerchen“ im Luxushotel. Als der Morgen anbrach - oder ehrlicher Weise so gegen Acht am Neujahrsmorgen - begaben wir uns, wie bisher immer, zum Frühstück. Vorher gab ich noch an der Rezeption Bescheid, dass man mir unsere Rechnung fertig machen sollten, da wir anschließend ausziehen wollten. Wir hatten zwar im El Paraíso noch nicht nachgefragt aber den Mutigen gehört die Welt. Nach dem Frühstück, was wir noch mal ausgiebig genossen – schließlich mussten wir ja auch richtiges Geld dafür da lassen -, holten wir unsere Koffer vom Zimmer, bezahlten und schnappten uns ein, vor dem Hotel bereitstehendes Taxi und strebten mit dem direkt ins Paradies. Wir hatten Glück, da konnten wir tatsächlich unterkommen. Es war sauber und preiswert. Das freundliche Personal sprach durch die Bank ein paar Worte Deutsch und des Abends stellte sich heraus, das wir dank des reichhaltigen Büfetts uns abwechselungsreich ohne aufwendige Restaurantsuche ernähren konnten. Da bewahrheitete sich mal wieder das Gut mit Teuer nicht unbedingt zusammen hängt. Im vorhergehenden Hotel sah alles protziger aus aber von der Leistung war es doch um einiges schlechter als unser neues Domizil. Das ‚El Paraíso’ bot einfach mehr zum ehrlichen Preis. Unmittelbar nach dem Einzug und dem Wiederauspacken der Koffer begaben wir uns zu Christina. Als wir auf ihr Zimmer kamen trafen wir dort auch Frau Dr. Costa-Weber an und Tina empfing uns, als würde ihr ein Stein vom Herzen fallen, mit den Worten: „Da seid ihr ja, Gott sei Dank.“. Sie hatte in unserem Exhotel angerufen und dort erfahren, das wir ausgezogen seien. Katha erklärte ihr dann: „Ach, nicht so tragisch Mäuschen. Wir hatten uns gestern Abend darüber unterhalten ob wir noch eine Woche länger bleiben wollten. Und haben uns deshalb ein preiswerteres Hotel, sogar direkt hier in der Nähe gesucht. Da wir ohnehin jetzt kommen wollten haben wir dir nicht extra vorher Bescheid gegeben.“. Ich fand die Erklärung für gut und ausreichend, von dieser Type namens Mühlheims brauchte Tina, die die Nachricht von der Verlängerungswoche mit einem Jauchzer aufnahm, ja nichts erfahren. Aber für uns war es ungewöhnlich, das Christina nicht abwarten konnte bis wir da waren und uns anrufen wollte. Na ja, sie hatte ja auch allen Grund, um sich über eine andere gute Nachricht zu freuen. Frau Dr. Costa-Weber hatte ihr diese Supernachricht überbracht. Aus medizinischer Sicht konnte sie aus dem Krankenhaus entlassen werden. Nun war nur noch eine ambulante Nachbehandlung notwendig. Herr Dr. Costa, also der Vater unserer Ärztin hatte bei den Ermittlungs- und Justizbehörden erreicht, das sie sich unter der Auflage, sich morgens und abends zu melden, als fast freie Frau in Barcelona bewegen durfte. Jetzt war aber erstens Neujahr und zweitens Samstag – und so musste sich Tina noch bis Montag gedulden. Aber was sind in einem solchen Fall schon 2 Tage? Man spricht oft vom Vertrauensverhältnis des Patienten zum Arzt aber umgekehrt gibt es das auch. Tinas Ärztin hatte so viel Vertrauen in ihre Patientin, dass sie es auf ihre Verantwortung nahm und ihr schon über den ganzen Tag freien Ausgang gab. Nur abends um Neun sollte sie wieder da sein. Und so war Neujahr dann der erste urlaubsähnliche Tag der Familie Schröder in Spanien. Da Tina überpünktlich bereits um halb Neun zurück war sprach auch nichts gegen eine Wiederholung am nächsten Tag. Des Montags war dann der große lange, erwartete Tag: Tina quasi gesund und frei und zusammen mit ihren Eltern. Um 10:00 Uhr des Morgens hatte Christina einen 3-fach-Costa-Besuch. Der Polizeioffizier Costa hatte die Aufgabe die offizielle Mitteilung über ihre „Freilassung mit Auflagen“ zuzustellen. Rechtsanwalt Costa, sein Onkel, wollte in Rechtsvertretung unserer Tochter dabei sein und noch dieses oder jenes erläuternde Wort dazu sagen. Und letztlich seine Tochter Dr. Montserrat Costa-Weber, heute wieder in Doppelfunktion als Ärztin und Dolmetscherin, die auch aus medizinischer Sicht Tina noch dieses und jenes mit auf den Weg geben wollte. Mit dem Anwalt hatten wir verabredet, dass wir, die Eltern der „Sünderin“, nicht im Krankenhaus erscheinen würden sondern ab halb Elf in seiner Kanzlei, in die er Tina mitbringen wollte, auf ihn warten wollten. Wir hatten ohnehin
ursprünglich für 10:00 Uhr einen Termin mit ihm vereinbart gehabt, da wir uns, nach erster Planung, am Nachmittag dieses Tages wieder in Richtung Deutschland begeben wollten aber zuvor wollten wir unsere „Geschäftsbeziehung“ erledigt wissen. Anwalt und Mandantin trafen zwar nicht ganz pünktlich ein aber um Viertel nach Elf konnte Familie Schröder nun endgültig in eine Art Urlaubswoche starten. Wir hatten unserer Tochter im El Paraíso das Zimmer direkt neben dem unseren reservieren lassen und nachdem sie dort eingezogen war begann nun wirklich noch eine schöne Woche, die wir mit Spaziergängen, Besichtigungen und gemütlichen wie gesprächigen abendlichen Dinner füllten. Es kam mir wie früher vor, als unsere Tochter als Kind gemeinsam mit uns, Urlaube und Wochenende verbrachte. Irgendwie kam bei Christina auch zwischendurch immer mal wieder das fröhliche, naive Kind durch. Diese Woche verbuche ich unter den glücklichen Stunden.
Zum Kapitel 27
Zum Inhaltsverzeichnis
Heimkehr ins richtige Leben Abschied ist, gleichgültig ob für kurze Zeit oder für immer, eine rührselige Angelegenheit. Genau aus diesem Grund war das abendliche Dinner am Sonntag, den 9. Januar 2000, eine etwas melancholische Angelegenheit. Wir hatten unsere Zugfahrkarten Barcelona-Bergdorf bereits in den Taschen und Katharina hatte bis auf wenige Teile unsere Koffer bereits gepackt. Erstmalig konnte ich nach langer Zeit mal wieder von diesem Reisevorbereitungsservice meiner Frau Gebrauch machen. Am nächsten Tag sollten uns unsere Wege dann wieder zurück nach Hause führen. Katharina würde dann erstmalig in unsere „neue“ Wohnung bei Onkel Albert ziehen. Unsere Christina musste noch ein Weilchen in Barcelona verbleiben. Dr. Costa schätzte zwar, dass sie in zwei oder höchstens vier Wochen auch wieder in ihre Heimat könne aber einen bestimmten Termin konnte er uns nicht nennen. Zwar wollten wir erst am nächsten Tag um Zwei einen Bus besteigen, der uns zu dem, in Terbes wartenden Zug nach Paris bringen sollte, und hätten dann noch genügend Zeit gehabt um eine morgendliche Abschiedsrunde zu zelebrieren, aber das abendliche Dinner lockte uns dann dank des passerenden Rahmens doch eher zur offiziellen „Feierstunde“. Hätten wir gewusst, welche Konsequenzen sich aus dem ergaben was uns Dr. Costa, während wir des Nachmittags unterwegs waren, an der Rezeption hinterlegt hatte, hätten wir natürlich umdisponiert – aber sorry, ich will jetzt nicht vorgreifen. Aus der Nachricht des Anwaltes ging hervor, dass sich einer der beiden Täter in Madrid der Polizei gestellt habe und außerdem eine aus juristischer Sicht positive Nachricht aus Deutschland eingetroffen sei. Christina möge sich den nächsten Tag bitte für Polizei und Justiz freihalten und er würde sie persönlich bereits um 8:00 Uhr im Hotel an der Rezeption abholen. Ich sah in dieser Mitteilung eher was Negatives, nämlich das unsere Tochter am Folgetag mal wieder richtig durch die Behördenmühlen müsse und die beiden Damen des Hauses Schröders tendierten in die andere, positivere Richtung, nämlich das sich dieses nach einem sich nähernden Ende von Christinas „Zwangsaufenthalt“ anhöre. Das beide Seiten recht hatten konnten wir an jenem Abend allerdings nicht wissen. Ausschließlich, das ab dem nächsten frühen Nachmittag eine 20-stündige Reise auf uns wartete, erst am Dienstag um 10:00 Uhr Vormittags sollten wir uns wieder in Bergdorf befinden, war gewiss. Es wäre schneller und vielleicht auch bequemer mit dem Flugzeug gegangen aber wir wollten, da ja im Grunde niemand auf uns wartete, die Preisdifferenz zwischen Flugzeug und Bahn auf dem Konto „Eingespartes“ verbuchen. Alles in Allem war dieser „Abschiedsabend“ eine nette Angelegenheit, an dem sich auch das Haus mit der Spende einer guten Flasche Wein beteiligt hatte. In so kleineren Häusern ist eben alles deutlich menschlicher und persönlicher und nicht so seriös knöchern und nur diplomatisch freundlich wie in so großen schicken Einrichtungen. Lebende Menschlichkeit ist eben immer preisgünstiger als toter Pomp. Menschlichkeit bekommt man oft geschenkt aber hinter jedem toten Gegenstand steckt jemand der daran verdienen will. Am nächsten Morgen wurde dann unsere Christina pünktlich um Acht von ihrem Anwalt abgeholt. Wir gingen davon aus, dass wir uns im Laufe des Vormittages noch mal sehen würden und daher beließen wir es bei Kurzabschiedsformeln wie zum Beispiel „Tschüss Mäuschen, bis später.“. Aber dieses war ein ganz dicker Irrtum. Kurz nach Zehn rief Tina an, dass es wohl keinen Zweck hätte auf sie zu warten, denn möglicher Weise ginge der ganze Tag drauf. Sie wünschte uns eine gute Heimfahrt und sagte in einen überzeugten Urton: „Ich denke, dass wir uns im Laufe der Woche in Bergdorf wieder sehn“. Katharina, die den Anruf entgegengenommen hatte, antwortete: „Ja, Tina das wäre zu schön. Also toi, toi, toi.“. Und so reisten wir dann ohne weitere persönliche Rücksprache mit unserer Tochter ab. Was machen Leute wie Katha und Pepe Schröder wenn sie sich auf einer Reise fast rund um die Uhr befinden? Natürlich, sich unterhalten und sich unterhalten und sich unterhalten ... . Natürlich sind wir nicht so eigenbrötlerisch, das wir uns abkapseln und sich nur untereinander unterhalten. Aber zwischen Barcelona und Paris hatten wir zwar Mitreisende aber keine mit denen wir uns hätten unterhalten können. Diese sprachen entweder Spanisch oder Französisch und kein Deutsch und wir sprechen Deutsch und zur Not ein Bisschen Englisch aber dafür die anderen Sprachen nicht. Erst ab Paris Nordbahnhof hatten wir mehr Glück mit einer unserer Mitreisenden. Eine holländische Studentin, ich schätze sie etwa in Christinas Alter, war einerseits neben ihrer Muttersprache auch der deutschen und französischen Sprache mächtig und andererseits lustig und fröhlich. So ging es dann zwischen Paris Nord und Köln richtig munter zu. „Nun,“, so kann der werte Leser fragen, „worüber habt ihr euch denn bis Paris unterhalten?“. Ganz einfach, über Gott und die Welt – und das fast im wahrsten Sinne des Wortes. Unter anderen wollte Katha wissen: „Was meinst du denn Pepe; was ist nach deiner Meinung Leben?“. Ich überlegte und führte aus: „Erst mal ist Leben die biologische Existenz zwischen Geburt und Tod. Jetzt kann man dieses je nach ethischer Auffassung auf den Zeitraum von der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle bis zur totalen Verwesung ausdehnen. Ich glaube aber das dieses Philosophen und Theologen nicht ausreicht. ... Mir übrigens auch nicht. Aber ich muss einmal ausholen. Was ist ein Mensch und was ist ein Humanoid? Letzterer strebt immer nach wirtschaftlichen Erfolg, Popularität, will immer richtig funktionieren und hat dann keine Auge mehr für die Schönheit der Welt, keine Augen mehr für seinen Nächsten. Der Humanoid ist tot ob wohl er lebt, er existiert biologisch, verdient Geld, das er entweder sammelt oder verkonsumiert es. Der Mensch lebt. Er empfindet Freude, Leid, Schmerz, Glück, er hat erfüllte und unerfüllte Träume, kann genießen, empfindet allein beim Betrachten der Natur Spaß, kann fühlen und mitfühlen. Das ist aus meiner Sicht Leben. ... Und dazu brauchst du noch nicht mal viel Geld, das Leben und das Meiste was du dazu brauchst bekommst du von Gott geschenkt.“. Jetzt saß
Katharina ein Wenig nachdenklich da und dann definierte sie das, was mit uns derzeitig geschah: „Ja Schatz, wenn wir es so betrachten sind wir jetzt bei der Heimkehr ins richtige Leben. ... Da meine ich jetzt nicht nur unsere derzeitige Reise sondern alles ringsherum; alles was jetzt mit uns geschieht.“. „Was du gerade sagtest ... Heimkehr ins richtige Leben ... halte ich für eine treffende Bezeichnung.“, antwortete ich ihr, „Und ich hoffe, das wir uns nie mehr von einem Teufelchen verleiten lassen, es jemals wieder zu verlassen.“. Dieses Beispiel habe ich jetzt aus zwei Gründen niedergeschrieben: Ein Mal als ein Lesemuster zu der Art der Themen über die und mit denen wir uns unterhielten und zum Anderen, ist es der Leitgedanke, der mich dazu bewegte, diese wohl dramatischste Episode meines Lebens in Buchform niederzuschreiben. Jetzt aber zurück zu dem Geschehen während - oder besser gesagt nach - unserer Rückreise nach Bergdorf. „Nach“ ist deshalb besser weil sich auf der Reise wohl eine Menge ereignete, aber nicht so etwas weshalb man in der Regel zu einem Buch greift. Aber als wir am Morgen des 11. Januars 2000 um Zehn am Bergdorfer Bahnhof ankamen überschlugen sich wieder die erzählenswerten Ereignisse. Die erste Überraschung war der auf dem Bahnsteig stehende und auf uns wartende Onkel Albert. Langsam werde ich jetzt ein wundergläubiger Mensch, denn welche Intuition hat ihn jetzt pünktlich auf uns warten lassen. Weder Katha noch ich hatten in den letzten Tagen mit ihm telefoniert. Wir hatten ihm keinen Tag und somit auch nicht die genaue Zugankunft mitgeteilt. Wie und warum kam er jetzt hier her? „Grüß Dich Onkel Albert. Wie kommt du hierher? Woher weißt du das wir jetzt kommen?“, brach das Staunen aus Katharina heraus bevor sie ihm in die Arme fiel. Für sie war es jetzt das erste Mal nach über einem Jahr, dass sie den Bruder ihres Vaters sah. Als er bei mir auf der Bildfläche erschien war sie ja nach Cottbus „abgedüst“ und erst jetzt über den „Umweg“ Barcelona heimgekehrt. Bei der Gelegenheit flossen sowohl bei Katha wie bei Onkel Albert ein paar Freudentränen und ich hatte damit zu kämpfen, diese daneben stehender Weise nicht auch laufen zu lassen. In einem selbstverständlichen Ton antwortete er: „Von meinem Patenkind ... von Christina natürlich.“. Und jetzt begrüßte er auch mich ganz herzlich daheim. „Hast du mit Tina telefoniert? Was hat sie gesagt?“, wollte Katharina jetzt wissen, worauf der Befragte beruhigend antwortet: „Na kommt erst mal nach Hause, wir müssen ja hier nicht den Verkehr aufhalten. Nur eines vorab: Es ist alles Super ... oder wie sagt man heute?“. Mehr zum Thema Christina und seinem Wissen konnten wir dem älteren Herrn auch nicht auf der Fahrt zur Waßmannsheide entlocken. Vor „unserem“ Haus stiegen Katha und ich zunächst aus dem Wagen ihres Onkels aus und beugten uns gemeinsam über den Kofferraum um unsere sieben Sachen herauszunehmen. In diesem Moment erklang von der Haustür Christinas Stimme: „Kann ich euch beim Tragen helfen?“. Wir waren beide so überrascht, das wir förmlich hochschossen und uns den Kopf unter der Kofferraumhaube stießen. Dem „Aua“ aus zwei Elternmünder schloss sich ein Sympathie-Aua aus dem Munde der Tochter an, die dann ergänzte: „Sorry, tut mir leid, ich wollte euch nicht erschrecken.“. „Mensch TinaMäuschen, wo kommst du denn her?“, rutschte es mir, dem überglücklichen Vater, aus dem Munde. Und in dem kecken Ton, den ich schon früher immer an ihr liebte, antwortete sie: „Na jetzt aus dem Haus. Ich bin schon seit gestern da. Fliegen ist eben schneller als Eisenbahnfahren. Gestern hat man mich kurz vor Sechs in Barcelona ins Flugzeug gesetzt und die hiesigen Bullen in Zivil haben mich am Flughafen abgeholt und freundlicher Weise hier abgesetzt. Auf der Fahrt haben sie mir dann gesagt, dass ich mich nicht mehr zwei Mal täglich in Barcelona sondern nur noch einmal pro Tag hier auf der Polizeistation melden muss. Also bis auf weiteres ... der Staatsanwalt gibt mir Bescheid ob ich überhaupt noch regelmäßig antanzen muss.“. Ich brauche wohl jetzt nicht extra zu schreiben, dass wir überglücklich waren. Während uns Onkel Albert vom Bahnhof abholte hatte Tina Kaffee gekocht und den Tisch für ein erstes oder zweites Frühstück gedeckt. Wir haben uns nur kurz die Hände gewaschen und dann am Tisch platz genommen, denn schließlich waren wir unheimlich gespannt, was uns Tina zum Ablauf des Vortages zu berichten hatte. Bereits zwischen Weihnachten und Neujahr war man sich seitens der hiesigen Staatsanwalt aufgrund der hier gelaufenen Ermittlungen und den Vorfällen in Spanien sicher, dass Berghoff der eigentliche Täter war und man bei Schulte von einer Mittäterschaft ausgehen könne. Aber gegen Tina konnte man letztlich keinen handfesten Verdacht mehr vortragen sondern man musste bei ihr davon ausgehen, dass sie ein Tatopfer sei. Alles sprach dafür, das sie entführt worden sei. Daher hatte man zunächst mal die Aussetzung des gegen Tina ausgestellten Haftbefehls beantragt. Auf informellen Weg hatten davon auch die Spanier Kenntnis erhalten aber die mussten erstens abwarten, bis die ganze Geschichte auf dem längeren internationalen Wege offiziell bei ihnen eintraf und andererseits ging es ja auch noch um in Spanien begangene Straftaten, bei denen Tina das Opfer war. Der Anwalt Dr. Costa wusste seit Mitte der vergangenen Woche von alledem und versuchte jetzt die Angelegenheit für Christina dadurch zu beschleunigen, dass er die spanischen Behörden dazu bewegen wollte nicht abzuwarten bis sie offiziell von der Aussetzung des Haftbefehls erfahren sondern unsere Tochter unverzüglich der deutschen Justiz, entsprechend der ursprünglichen deutschen Forderung, überstellen. Er hatte das kalkuliert was letztendlich auch kam: Die Spanier sollten Tina in ein Flugzeug setzen und den Deutschen blieb dann nichts anderes übrig als sie dort abzuholen und sie, gegebenenfalls zunächst mit Auflagen, laufen zu lassen. Am 9. Januar hatte sich Sascha Schneider in Madrid der Polizei gestellt und hat praktisch Tinas bisherige Aussagen nicht nur bestätigt sondern sogar mit wichtigen
Details, die ihre Unschuld beweisen, ergänzt. Da sah Dr. Costa seine große anwaltliche Chance gekommen und handelte mit dem Ergebnis, das wir heute morgen erleben durften. Christina berichtete in dieser für uns glücklichen Stunde, was sie über Sascha Schulte und den Tathergang erfahren hatte. Ich reichere es jetzt bei meiner Niederschrift ein Wenig mit den Dingen an, die man erst später erfuhr an, damit der Krimi, soweit er nicht mehr die Familie Schröder, von der ich ja berichten will, direkt betrifft, abschließen kann. Der Drahtzieher war tatsächlich Mariannes Bruder Volker Berghoff, der schon eine ganz „nette“ kriminelle Karriere hinter sich gebracht hatte. So ein „Nur-bei-Schlägereien-Mitmischer“, wie seine Schwester sagte und vielleicht auch glaubte, war er nun wirklich nicht. Unter anderem hatte er ein florierendes Netz zur Verteilung von Designer-Drogen und dem Handel mit Hehlerwaren vom Schmuck über wertvolle Teppiche bis zu Kunstgegenständen aufgebaut. Maßgeblich daran beteiligt war seine spanische Freundin. Nach Weihnachten 1998 wollte seine Schwester aus dem Haus Klettner „ausbrechen“ und sich dabei nicht mit den ihr laut Ehevertrag zustehenden Almosen zufrieden geben. Sie bat ihren Bruder um Hilfe. Er sollte Klettner erpressen damit sie vor ihren Auszug aus der Villa zumindestens ihren Schmuck als „Alterssicherung“ sicherstellen konnte. Die Angelegenheiten mit denen er Klettner erpressen sollte haben aber mit dieser Angelegenheit von der ich hier berichte nichts zu tun und deshalb spare ich mir diese Sachen bis zu dem Zeitpunkt auf, wo diese Ding uns Schröders wieder anbelangten. Marianne hatte von diesem Erpressungsversuch auch der damals schwer gemobbten Christina im Krankenhaus berichtet – aber ohne Tina dabei zu offenbaren was Gegenstand dieser Erpressung war. Berghoff ging ursprünglich nicht auf Mariannes Bitte ein, denn ihm war im Hinblick auf seine „laufenden Geschäfte“ nicht an einen Zusammenprall mit Klettner gelegen. Dieses änderte sich aber als Rainer Goldmann, seine ausschließliche Bezugsquelle für Designerdrogen, auf Grund des Steines, den Tina ins Rollen gebracht hatte, verhaftet wurde. Seine Quelle war versiegt und seine Abnehmer gehörten nicht gerade zur freundlichsten Gattung der Menschheit. Er wollte sich mit seiner Freundin absetzen und dazu fehlte ihm aber nach seiner Meinung noch etwas „Kleingeld“. Da besann er sich des Weihnachtswunsches seiner Schwester, aber nicht zu ihren sondern ausschließlich zu seinen Gunsten, und startete die Klettner-Erpressung. Allerdings war er dem Format eines Big Klettner nicht gewachsen und die Sache scheiterte. In seiner Frau und unserer Tochter sah Klettner die Mitwisserrinnen Berghoffs und da er nach Außen alles unbemerkt belassen wollte, musste er diese einschüchtern und in Schach halten. Zu diesem Zweck engagierte er den als Sadist berüchtigten Sascha Schröder, dem man allerdings nachsagte, dass er vor schwerer Körperverletzung oder weitergehenden Schritten zurückschreckte. Für Klettner also genau das Maß an Sadismus um die Damen in die Zange zunehmen und dabei nicht in Gefahr zukommen, mal durch die Mordkommission in seinem Reich gestört zu werden. Was Klettner nicht wusste war, dass sich Schulte und Berghoff aus Sadomasokreisen kannten und auch zu jener Zeit reichlich Kontakt zueinander hatten. Das nutzte Mariannes Bruder zu seinem finalen Plan. Jetzt gibt es noch ein paar Rätsel: Wieso deponierte Klettner im September 99 ausgerechnet den in der Erpressung geforderten Betrag und den Schmuck im Haussafe seiner Villa; warum blieb dieses nicht im Schließfach des Banktresors? Woher kannte Berghoff Standort und Kombination des Haustresors, die er an Schulte weitergegeben hatte? Auf jeden Fall wies Berghoff Anfang November Schulte in seine Aufgabe ein. Er sollte am 11.11.99 den Tresor leerräumen, den Inhalt mitnehmen und dann die Damen in Köln beim Karnevalsstart aussetzen. Nach erfolgter Aussetzung sollte er in Bergisch-Gladbach das Fahrzeug wechseln, nach Frankfurt fahren und dort auf Berghoff warten. Schulte machte fast alles was ihm aufgetragen wurde, nur was Christina, in die er sich nach seinen Worten verliebt haben will, anbelangte wich er vom Berghoff-Plan ab und nahm die völlig ahnungslose mit. In Bergisch-Gladbach hatte er dann das Problem, das Tina nun durchschaute das etwas „faul“ war und aussteigen wollte. Da sie nach seiner Meinung aber bereits zuviel mitgekriegt hatte blieb ihm nichts anderes als Tina zu entführen. Berghoff, der während dieser Zeit zur Schlussabwicklung seiner „Geschäfte“ nach Puttgarden gefahren war, erfuhr, nachdem er seine Freundin in Frankfurt in einen Flieger nach Argentinien gesetzt hatte, von Schultes Eigenmächtigkeit hinsichtlich Tina und musste seinen Plan ändern. Ursprünglich wollte er alleine mit falschen Papieren und Schultes Auto nach Spanien entschwinden; seinen Kumpanen Sascha wollte er nach Übergabe der Sachen aus Klettners Safe in Frankfurt „vergessen“. Nach Lorret de Mar zur Geldwäsche und Absatz des Schmuckes musste er, aus seiner Sicht, auf jeden Fall. Er änderte seinen Plan, besorgte auch falsche Papiere für die Beiden und nahm sie unfreiwillig mit. Dieses unfreiwillig galt jetzt auch für Schulte, der lieber die ihm zugesagten 100.000 Mark gehabt hätte und dann mit Christina verschwunden wäre. Allerdings setzte Berghoff ihm gegenüber nicht Gewalt als Druckmittel ein sondern er köderte ihn damit, dass er sein „Honorar“ erst später bekommen würde. In Lorret wollte er die Beiden, wenn seine „Angelegenheiten“ erledigt waren, endgültig sitzen lassen. Damit Schulte und Christina nicht bevor auch er in einer Maschine nach Argentinien saß Wind machten, setzte er die beiden kontinuierlich unter Drogen und Sascha Schulte zusätzlich unter Alkohol. Der Drogeneinfluss dürfte bei Schulte dazu geführt haben, dass sich bei ihm seine sadistischen Gelüste zum Exzess steigerten und dürfte auch andererseits bei Tina dazu beigetragen haben, dass sie den Ritt durch die Hölle überstehen konnte. Auf jeden Fall sprachen beide von erheblichen Bewusstseinsstörungen und Tina konnte so unmenschliche Schmerzen, sogar mit nur verschwommenen unkonkreten Erinnerungen, überstehen. Der Vorfall vom 5. Dezember, an der Berghoff dann offensichtlich triebbedingt
aktiv beteiligt war, führte zu einer erneuten Planänderung. Mariannes Bruder wollte am Abend des 6. Dezembers von Barcelona nach Argentinien fliegen. Jetzt, wo nach seiner Einschätzung Tina „draufgegangen“ war, schien ihm Abflugsort und –zeit zu heiß; er brauchte einen Vorsprung vor den Fahndern. Deshalb disponierte er um und wollte mit der nächsten erreichbaren Maschine ab Madrid fliegen. Wieder einmal erwies sich Schulte als der unberechenbare Teil in Berghoffs Plänen. Schulte hinderte Berghoff an der Flucht und verlangte stattdessen Tina in ein Krankenhaus zu bringen. Er hoffte, dass sie noch lebte und wollte nicht an einem Mord Schuld sein. Wieder blieb Berghoff nichts anderes, als Beide mitzunehmen. Auf der Autobahn hat er dann, während Schulte fuhr, Tina mit den Hinweis sie sei tot aus den Wagen geworfen. Was seitdem mit Tina passierte wissen wir ja. Die beiden „Herren“ fuhren dann weiter bis Madrid. In einer billigen Vorortpension stiegen sie ab. Berghoff hinterließ Schulte zirka 1.000 Mark und verließ ihn um was Wichtiges zu erledigen. Eine Woche später wollte er zurück sein. Das Wichtige war der Flug nach Argentinien und aus der Woche wurde dann doch bedeutend mehr. Erst im November 2000 wurde Berghoff zusammen mit seiner Partnerin in Argentinien verhaftet. Schulte saß aber im Dezember 1999 in Madrid und sein Tausender war schnell aufgebraucht, im Wagen war schon am zweiten Tag seines Aufenthaltes kaum noch ein Tropfen Sprit und eine sonstige Habe hatte er nicht dabei. Bis zum 9. Januar 2000 schleppte er sich irgendwie dadurch aber dann war er fertig; sogar fix und fertig, total erledigt. Nach der Devise „lieber Lebenslänglich als im Dreck verrecken“ stellte er sich der Polizei und legte ein umfassendes Geständnis ab. Sein Geständnis hatte dann Tinas Heimkehr ins richtige Leben enorm beschleunigt. So war es möglich, dass wir jetzt im trauten Kreise hier auf der Waßmannsheide sitzen konnten. Richtig heimgekehrt ist man jedoch immer erst nachdem man seine Sachen ausgepackt und eingeordnet sowie sich auf den Alltag eingestellt beziehungsweise eingerichtet hat. Es ist klar, das Letzteres in unserem Fall nicht von Heute auf Morgen ging; dafür werden wir wohl noch einige Zeit benötigen. Aber auch Ersteres war bei uns nicht wie nach einem normalen Urlaub zu erledigen. Sowohl Katharina wie auch Christina waren zu jenem Zeitpunkt erstmalig in unserer „neuen“ Wohnung. Ich war ja während Katharina in Cottbus und Christina in der Villa Klettner war alleine umgezogen. An ihren damaligen Aufenthaltsorten befanden sich fast vollständig auch deren persönliche Sachen und diese mussten erst mal herangeschafft werden bevor wir ans Auspacken und Einordnen gehen konnten. Was Katharina anbelangte war es ein leichtes Spiel. Sie rief in Cottbus an und postwendend kündigte unsere Schwägerin den Besuch der Familie Haffner für das nächste Wochenende an. Zu diesem Anlass mussten wir noch einiges organisieren, denn wir wollten unseren Gästen dann auch den Dank für Alles das, was sie für uns getan haben, bekunden. Im Falle Christina sah die Rückholung ihrer persönlichen Habe nicht so leicht und so angenehm aus. Man musste erst in der Gärtnerlonge innerhalb des Villengeländes gelangen und dort war ihre Habe zusammen mit den Sachen Sascha Schultes, auf die auch noch die Polizei ihr Auge hatte. Das „Häuschen“ war versiegelt, wie ich durch einen Anruf bei der sehr mürrisch antwortenden Marianne erfuhr. Es bedurfte also der Rücksprache mit der hiesigen Kriminalpolizei und da insbesondere mit der für diesen Fall zuständigen Frau Hahne. Das ist die Dame mit der ich damals, als der Fall begann, bereits zutun hatte. In der damaligen Aufregung hatte ich mir ihren Namen nicht weiter verinnerlicht und musste mich jetzt, um nicht unhöflich zu erscheinen, zu ihr vortasten. Frau Hahne war sofort bereit am Folgetag mit uns in die Villa zufahren und übernahm auch gleich unsere Anmeldung bei Frau Berghoff-Klettner. Christina hätte dort ohne Weiteres auch alleine hingekonnt, legte aber trotzdem gesteigerten Wert darauf, dass ich sie begleitete. Also erschienen wir am nächsten Morgen um Elf zu Viert, Frau Hahne mit einem weiteren Mitarbeiter, Christina und ich, vor der Villa. Der technische Ablauf ist kurz beschrieben: Marianne ließ uns ein und nach einer kurzen förmlichen Begrüßung konnten wir ohne die Dame des Hauses zur Gärtnerlonge. Frau Hahne brach das Siegel und schloss die Tür auf und Tina konnte gleich mit dem Zusammensuchen und Packen ihrer Sachen beginnen. Frau Hahne erlaubte sich freundlich Fragen zu diesen oder jenen Dinge, auch bezüglich des verbleibenden Schulte- oder auch Hauseigentum, zu stellen. Nach etwas mehr als einer halben Stunde war die Angelegenheit erledigt und der Kripobeamte half mir Tinas Sachen zu dem zivilen Polizeifahrzeug zu tragen. Tina kam zusammen mit Frau Hahne, die anschließend die Tür wieder abgeschlossen und mit einem neuen Siegel versehen hatte. Am Tor angekommen ließ sie uns noch mal alleine um sich noch von Marianne zu verabschieden. Soweit der technische Ablauf. Was sich allerdings menschlich und atmosphärisch abspielte war weitaus dramatischer. Je näher der Zeitpunkt, an dem uns Frau Hahne abholen wollte, heranrückte wurde unseres Tina immer ruhiger, abwesender und zurückgezogener; als ob sich eine Wand in ihr aufbaute. Nach meiner Einschätzung wirkte die Vorstellung an den zentralen Ort ihres Leidens zurückkehren zu müssen auf sie wie ein eingestürztes Haus unter dem sie verschüttet war. Später in der Villa übertrug auch Marianne, als sie uns bei der Begrüßung gegenüber stand, ein gespenstisches Bild. Obwohl sie adrett wie immer gekleidet und äußerst gepflegt war, wirkte sie heruntergekommen und zerstört. Sie schaute bei der Begrüßung niemanden in die Augen und als sie Tina begrüßte war ihr Gesicht sogar in eine andere Richtung gerichtet. Die am ganzen Körper zitternde Christina kann das gar nicht gemerkt haben, denn auch sie hatte ihr Blickfeld nicht auf die ihr gegenüberstehende Marianne gerichtet. Man sagt zwar Händedruck aber von Druck kann, als die beiden sich die Hände reichten, nicht die Rede sein. Die gegenseitig dargereichten Hände fuhren auch ein Wenig suchend im Luftraum vor den Beiden herum. Auch in mir war eine Unruhe in Gang gesetzt worden und auch ich hatte bei der Begrüßung von Marianne einige Schwierigkeiten.
Ab dem Ausstieg aus dem Wagen bis in die Gärtnerlonge hielt sich Tina sehr dicht an meiner Person. Ab und zu rempelten wir uns wie zwei Betrunkene, die auf entgegengesetzter Seite Schlagseite haben, an. Christina, die insgesamt noch nicht ihre frühere frische Hautfarbe erreicht hatte, wirkte noch bleicher, fast leichenblass. In der Gärtnerlonge angekommen fragte sie etwas ängstlich Frau Hahne ob die Außentür geschlossen werden dürfe. Als ihr Mitarbeiter daraufhin die Tür geschlossen hatte verwandelte sich ihr Zittern in hektische Aktivität. Mit wenig Ratio raffte sie ihre Sachen zusammen und wirkte, wenn Frau Hahne sie mal was fragte, wie ein aufgescheuchtes Reh. Sie brauchte gar nicht zu sagen, dass ihre Gedanken „Bloß schnell hier wieder raus“ waren, denn man merkte es. Beim Verlassen der Gärtnerlonge hing sie, wie bei der Ankunft, wieder dicht an mir. Frau Hahne war offensichtlich das ganze Drum und Dran nicht verborgen geblieben und hat wahrscheinlich deshalb auch die Verabschiedung von Marianne alleine übernommen. Mit jedem Meter, den wir uns im Wagen von der Villa entfernten, nahm die Zitterfrequenz bei Tina ab. Es dauerte allerdings noch bis zum Nachmittag bis unsere Tochter wieder ihren munteren Normalzustand erreicht hatte. So ganz spurlos war doch wohl nicht alles an ihr vorrübergezogen; da war doch eine Menge hängen geblieben. Ganz schmerzfrei ist scheinbar auch eine Heimkehr ins richtige Leben nicht. Das merkte man auch im Laufe der Woche zwischen Katharina und mir. Ich war natürlich auf meine Art im Hauruckverfahren in die Wohnung auf der Waßmannsheide eingezogen. Da war noch manches umzustellen. Früher hätte Katharina einfach zugepackt oder mich gebeten dieses zu erledigen. Jetzt brauchte sie immer eine ganze Weile bis sie sich selbst zu ihrer eigenen Vorstellung bekannte. Sie überlegte erst hin und her ob sie mich bei einer Änderung irgendwie treffen könnte und ob nicht alles so bleiben könnte wie ich es aufgestellt hatte. Mir fiel immer auf wie ihr Blick mehrfach langsam auf das zu ändernde Objekt wanderte und dann ruckartig in eine andere Richtung schoss. Immer wenn mir dieses auffiel kämpfte ich mit den Alternativen „Fragen oder Gleichzupacken“. Falls ich mich zunächst für Letzteres entschied versuchte ich statt zu fragen immer krampfhaft Kathas Wünsche zu erahnen. Meine entsprechenden Intuitionen kann ich allerdings überhaupt nicht erklären. Besonders schlimm wurde es auch, wenn Katharina auf etwas stieß was sie stärker an Tommy erinnert. Seit Thomas Tod war sie ja erstmalig in unserem ehelichen Haushalt. Immer dann wandte sie ihr Gesicht von mir ab und wechselte in einen anderen Raum, ganz offensichtlich um ihren Schmerz und ihre Tränen vor mir zu verbergen. In diesen Momenten zog dann ein schwergewichtiges Gefühl auch in mir auf. Etwas diesbezügliches wegzuschmeißen brachten wir beide nicht fertig. Obwohl wir nichts dergleichen sagten, wussten wir aber gegenseitig unsere Gedanken voneinander. Am Freitag, so gegen Mittag, hatten wir, so wie es nachträglich in meinen Erinnerung aussieht, die diesbezüglichen Hürden weitgehendst genommen. Gerade rechtzeitig zur Anreise meiner Schwägerin und meines Schwagers. Rita traf zu erst in unserem Golf ein. Ich traute meinen Augen nicht, was Hans Werner aus unserem Wägelchen gemacht hatte. Später sagte ich ihm: „Mann, den muss ich aber jetzt gut vor dem Gerichtsvollzieher verstecken, sonst meint der noch, da könnte man ein paar Märklein zu Gunsten von Inkassogeiern abzweigen.“. Ein so warmes und verbundenes Verhältnis, wie an diesem Wochenende, hatte ich noch nie zu meinem Schwager; wir waren richtig Kumpels, wie man im Ruhrgebiet so schön sagt, geworden. Rita kam mir früher immer etwas affektiert vor, jetzt empfand ich sie als richtig nette Frau. Die ganze Angelegenheit hatte uns augenscheinlich richtig fest im Familienverbund zusammengeschweißt. Auch heute, wo ich diese Zeilen schreibe, besteht immer noch das Superverhältnis zwischen den Haffners in Cottbus und den Schröders in Bergdorf. Zwischen Katha und Hans Werner hatte sich ein Verhältnis wie im Märchen „Brüderchen und Schwesterchen“ entwickelt. Es war eine wahre Freude beide nebeneinander zu sehen. Dadurch bekam Tina des Öfteren Probleme. Sie zog sich dann still zurück. Einmal bin ich ihr bei einem solchen Anlass nachgegangen und traf sie nach dem Anklopfen weinend an. „Was hast du denn Mäuschen?“, fragte ich sie und bekam zur Antwort: „Ach Vati, wenn ich Mutti und Onkel Hans so lieb beieinander sehe, bin ich immer ganz traurig, das dieses zwischen mir und Thomas nie so sein kann.“. Ich sagte darauf, weil mir jetzt auch das Herz sehr schwer war, nichts. Aber eines wusste ich jetzt: Tommy ist zwar gestorben aber in unseren Herzen wird er immer weiter leben. Nach dem die Haffners wieder abgereist waren, gestand Tina auch ihrer Mutter ihren Schmerz, den sie beim Anblick der Geschwisterliebe empfunden hatte, worauf ihr Katha dann das sagte, was ich in Zukunft auch als einen meiner Leitsprüche beherzigen will: „Weil wir das Leben verachteten musste unser Junge sterben. Aber gerade deshalb sind wir verpflichtet zu leben: richtig, gemeinsam und einander liebend. Wir sind es unserem Tommy schuldig. Jetzt aus Trauer, Schmerz, Wut oder Rache auszusteigen würde er uns nie verzeihen. Sein Tod ist für uns die Verpflichtung zum Leben.“.
Zum Kapitel 28
Zum Inhaltsverzeichnis
Auch der Alltag kommt zurück Was ist Alltag und was ist Sonntag? Wenn man auf den Kalender blickt ist diese Frage schnell beantwortet: Was auf diesem rot gedruckt ist trägt ja sogar den Namen Sonntag und alles was schwarz gedruckt ist heißt Alltag und dazwischen befindet sich der Zwitter Samstag. Frage ich aber nach dem Wesen des Alltages wird es schon komplizierter. Da sagen die Einen, dass am Alltag die Geschäfte geöffnet und am Sonntag geschlossen sind. Na, da müssen Gastwirte, Kiosksbesitzer, Vergnügungsparkbetreiber, Tankstellen und so weiter irgendwo was verkehrt verstanden haben. Und nach Ansicht der liberalen Anhänger des Gottes Mammon sollte man diese Trennung auf dem Altar einer ausufernden Wirtschaft opfern. Da schreien aber die religiös motivierten Damen und Herren laut auf, denn für sie ist der Sonntag der Tag des Herrn. Findet bei denen denn Glaube nur am letzten Wochentag statt? Im Alltag kann ich windige Geschäfte machen, Andere ausnehmen und übervorteilen, besser Geld zählen als beten und am Sonntag verschaffe ich mir Absolution. Sorry, aus meinem Munde spricht jetzt etwas protestantische Prüderie; aber auf die bin ich tatsächlich sehr stolz. Wenn jetzt andere sagen, das der Alltag der Arbeit und der Sonntag der Ruhe diene sind meistens sowohl Christen wie Mammonisten zufrieden. Aber was hat die Hetze von Ausflugsziel zu Veranstaltungsort, der Zwang an Aktionen und Veranstaltungen teilnehmen zu müssen mit Ruhe zu tun? Jetzt versuche ich einfach mal eine Definition nach meiner Art. Alles was der Existenz dient ist Alltag und alles was dem Leben gewidmet ist das andere. Alles was ich gegenüber Dritten mit „Du musst“ oder „Du solltest“ einleiten kann ist Alltag und wenn ich sagen kann „Du kannst“ oder „Du darfst“ ist es das andere. Natürlich kann man nach Politikerart auch durch geschickte Wortwahl die Sache im Sinn verkehren: Du musst ausruhen. Du solltest mal ausspannen. Du kannst jeden Morgen antreten. Du darfst arbeiten. Na ja, dann belassen wir es mal dabei, dass ich für mich persönlich alles das, kalender- und tageszeittunabhängig, was irgendwo nur notwendig ist um in dieser Gesellschaft oder seinem Umwelt zu existieren Alltag ist. Dazu gehören dann Behördengänge, Einkaufen, Putzen, Zahlen und Einnehmen genauso wie Gerichtsvollzieherbesuche oder Arztkonsultationen. Kurz gesagt, alles was nicht außergewöhnlich sondern Normalität ohne besonderen Tatch für mein seelisches Empfinden für mein Leben ist. Diesen Alltag empfindet man mal mehr und mal weniger. In letzter Zeit war ja bei uns fast alles unter der Kategorie „Außergewöhnlich“, also nicht im meinen eben genannten Sinne als Alltag zu verbuchen. Aber ab der dritten Woche des Jahres 2000 kam der Alltag dann doch mehr und mehr zurück. Die Alltäglichkeit die wohl die meisten Menschen überwiegend beschäftigt ist die Beschaffung der Mittel, die man sowohl für seine Existenz wie für sein Leben benötigt; sprich der Geldbeschaffung. Für uns, den Schröders, ergab sich ja die Situation, dass wir alle Drei dem „Schicksal der Arbeitslosigkeit“ ausgesetzt waren. Lassen wir mal diese in Anführungsstriche gesetzte Sonntagsredenfloskel und sagen lieber, dass keiner von uns eine Arbeit hatte. Es kommt immer darauf an wer und wo man in einem solchen Fall ist. Ist man der Erbe eines großen Tauschhilfsmittelsammlers (Tauschhilfsmittel = Erklärung des Wortes „Geld“ im ursprünglichen Sinne) oder ein Millionärsweibchen ist das schick und nachstrebenswert; ist man dagegen kein Erbnehmer oder nicht beim Ehegatten Mittrittbrettfahrer ist man ein Faulenzer und Nichtstuer. Aber was soll es, warum hat man sich gerade die und nicht die anderen Eltern ausgesucht? Jetzt gibt es natürlich eine spannende Frage: Brauch man eigentlich Arbeit? So gesehen eigentlich nicht aber Einkommen oder Einkünfte sind unerlässlich um in dieser Gesellschaft zu existieren und vielleicht auch noch ein Bisschen zum Leben nützlich. Da man diese notwendigen Dinge im Regelfall nur in Gegenleistung gegen Arbeit kriegt, bleibt einen nichts anderes als das anzustreben auf was man bei einer anderen Ausgangssituation auch verzichten könnte. Diese Ironie nur für die Leute aus Politik und Wirtschaft, die meinen das Arbeit um jeden Preis die erste Priorität habe. Für die Menschen hat das Ergebnis der Arbeit Priorität und somit ist die Forderung einer Lohnzurückhaltung unter dem Niveau des zum Leben notwendigen Maßes nur zum Zwecke der Beschäftigung eine kaltschnäuzige Frechheit und das insbesondere dann, wenn es der Investitionsanreiz genannten Kapitalkonzentration auf den Konten Einzelner, vielleicht noch tagestehlender Milliardenerben, dienen soll. Aber jetzt von den Philosophien Marke Pepe Schröder zurück zu dem Geschehen um die Familie Schröder, von dem hier berichtet wird. An dem Sonntagabend als Katharinas Bruder mit seiner Frau wieder in die Lausitz entschwand setzten wir uns mal zu einem Kassensturz zusammen. Da fange ich gleich mal bei mir selbst an. Bis zum 6. Dezember hatte ich mein Leben mit dem sparsamen Umgang mit dem Häuflein, was sich dank meiner Dienste an und mit Marianne Berghoff-Klettner angesammelt hat, sowie mit den gelegentlichen Kleinigkeiten, die mir Onkel Albert zugewandt hatte, mein Leben bestritten. Und ab jenen Nikolaustag des Jahres 1999 bin ich erst von Marianne und dann über meine Frau von meinem Schwager gesponsert worden. Wegen Letztgenanntem war der schlappe Rest von etwas über 2.000 Mark, mit dem ich mich ins neue Jahr retten wollte, noch vorhanden. Auch Katharina sah noch glänzend aus. Da sie sich weder aus der Krankheit meldete noch zum Dienst antrat hatte man sie natürlich „gefeuert“. In Anbetracht dessen was ihr passiert war, war sie darüber nicht mal böse oder traurig. Aber bis Ende des Jahres – man hatte ihr zum 31.12.99 gekündigt – war ihr Gehalt förmlich und korrekt eingetrudelt. Da sie aber praktisch seit dem 12. September von ihrem Bruder gesponsert worden war wies ihr Konto ein Guthaben von zirka 15.000 Mark auf. Unsere Tochter war gegenüber uns direkt supervermögend. Von Mai bis Oktober hatte sie gut bei Klettner verdient und nichts ausgeben können und im November, nach dem „Karnevalsraub“, wurde sie mit einer dicken Abfindung entlassen und brauchte nichts auszugeben, da dieses entweder die „Gangster“ oder die Bundesrepublik Deutschland, allerdings
nur in Vorleistung, für sie machten. So hatten sich zirka 40.000 Mark auf ihrem Konto gehäuft. Theoretisch standen uns zusammen dann, wenn wir ein Jahr lang auf dieses Kapital hätten zurückgreifen können beziehungsweise wollten, fast 5.000 Mark pro Monat zur Verfügung. Wir mussten allerdings auch mit höheren Rückforderungen von „Papa Staat“ rechnen, da alles das, was die Krankenkasse nicht ausgleicht vom Verbrechensopfer ausgeglichen werden muss und das hat dann meistens die Last sich seine Auslagen von den Tätern zurückzuholen – und da ist dann in den meisten Fällen nichts zu holen. Nichts ist umsonst, nicht mal sterben oder einem Verbrechen zum Opfer zu fallen. Also sollten zu dem Zweck der „Opferzusatzstrafe“ erst mal 20.000 muntere Märklein auf ein spezielles Sparkonto zurückgestellt werden. Wir beschlossen das, was dann übrig bleibt auf irgendeine Art und Weise Katharinas Bruder als Anerkennung zukommen zu lassen. Katharinas Geld und meine Restbestände wollten wir dann, damit es der Optik der Inkassogeier entzogen ist, auf Christinas Konto deponieren und davon so lange es nötig ist leben. Sollte was über bleiben, war dieses als Startkapital für ein neues Leben unserer Tochter bestimmt. Ihren Einwand, dass wir uns auch einen Urlaub verdient hätten, taten wir damit ab, das wir ja lange genug in Spanien gewesen seien. Abgesehen von Krankenhausbesuchen sei dieses ja wie Urlaub gewesen. Die „Kassensturzaktion“ hatte den Sinn unser Vorgehen in Richtung Arbeitsamt zu planen. Es musste sich ja bei der Arbeitsvermittlung gestellt und auch ein Antrag auf Arbeitslosengeld abgegeben werden. Unser Vermögen war ja nun doch zu klein, dass wir jetzt wegen Wohlstandes schließen und uns auf eine sonnige Insel zurückziehen konnten. Aber entsprechend der Umstände war auch nicht damit zu rechnen, dass auf Anhieb die Taler von der Bundesanstalt gleich munter auf unsere Konten plätschern würden sondern es dürfte, gleichgültig wer von uns erscheint, erst mal eine Sperrzeit angesagt sein. Diese konnte uns jetzt nicht schocken und zur Stütze brauchten wir ja dank unserer „Rücklagen“ in diesem Falle auch nicht zu gehen. Also konnten wir der entsprechenden Behördenmühle beruhigt entgegen sehen. Ich schreibe immer so locker „wir“, aber eigentlich handelte es sich beim Thema Arbeit und Arbeitsamt nur um die beiden „Mädchen“, denn ich, der Hauptverfolgte der Inkassogeier, sollte und wollte bei der Hausmann genannten Tätigkeit des Tagediebes bleiben. Der Grund war 2000 wie 1996 der gleiche. Im Hinblick auf Besteuerung, gleichgültig ob Steuerklassen IV/IV oder III/V, der Sozialversicherung, sprich Familienmitversicherung oder jeder für sich, der Lohnpfändung sowie dem Aufwand um anständig zur Arbeit zu kommen, hätten wir, also Katharina und ich, unseren verfügbaren Rahmen um 200 bis 500 Mark gekürzt. Dank beider Arbeit hätten wir netto weniger zur Verfügung gehabt als wenn nur einer von uns antritt. Folglich konnte also, wie eben geschrieben, nur einer von uns beiden zulangen und das sollte im Hinblick auf die Altersversorgung derjenige machen, bei dem letztlich mehr Rente rausspringt. Das war eindeutig Katharina deren Versicherungsverlauf kontinuierlicher als der meinige war und bei ihr spielt ja auch noch die Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes eine Rolle. Wenn man mich fragt, ob ich bei der Einstellung kein schlechtes Gewissen habe, muss ich bekennen, dass ich laut „Nein“ sagen kann. Meine Einsichtsfähigkeit reicht nämlich nur soweit, dass ich einen Betrieb, mit dem drei Familien ihr Auskommen hatten und wo vielleicht noch 2 oder 3 weitere Arbeitsplätze schaffbar gewesen wären, retten wollte und das mich die Banken mit zu knapper Bemessung der Kreditmittel und viel zu kurzen Laufzeiten praktisch „platt“ gemacht hatten. Deren Vorteil war, dass die geplatzten Kredite ihren Abschreibungen zu Gute kamen und sich die Titel prima an ihre Inkassotöchter, die jetzt nicht die Schulden eintreiben sondern Umsatz machen wollen, verkaufen ließen. Wenn man die Gewinne der Banken sieht, brauch man sich auch keine Gedanken darüber zu machen, das man mit seinem Verhalten einen Armen trifft. Jede Minute, die ich mit diesbezüglichen schuldbewussten Überlegen verbringe ist nicht anderes als vergeudete Lebenszeit. Christina hat natürlich nichts mit den Dingen, die aus meiner Druckereipleite folgerten, zu schaffen. Ganz im Gegenteil, wir hätten theoretisch die Möglichkeit gehabt, wenn der „Herr mit dem Kuckuck“, so wie man früher scherzhaft die Gerichtsvollzieher nannte, glaubt er könne bei uns etwas zur Pfändung vorsehen zu können, dieses zum Eigentum unserer mit im Haushalt lebenden Tochter zu erklären und dieses somit vor einem Zugriffs zusichern. Aber wie geschrieben, alles nur theoretisch, denn wenn man nicht gerade eine Luxuswohnungsausstattung oder einen Super-PC beziehungsweise –Fernseher hat wird ein Gerichtsvollzieher kaum etwas anderes machen als das Pfändungsprotokoll ausfüllen und unterschreiben lassen. Wo wir schon gerade beim Thema sind kann ich ja hier kurz berichten, das ich von allen mich verfolgenden Inkassounternehmen um die Weihnachtszeit 1999 und Anfang 2000 blaue Briefe erhielt und nur einmal der Gerichtsvollzieher vorsprach. Dieses war offenbar durch unsere Wohnungsummeldung ausgelöst worden; abgesehen davon, dass es „Geier“ gibt, die das jährlich um diese Zeit machen. Man sollte sich aber hüten in irgendeiner Weise auf das Geschrieb eines Schuldnerhäschers zu antworten, denn die Antworten sind verjährungsunterbrechend. Dann verlängert sich das Schuldenziel über den 30-Jahres-Zeitraum hinaus bis ans kühle Grab. Nun, wenn der Herr mit dem Kuckuck kommt, ist das eine Verjährungsunterbrechung die man nicht verhindern kann. Aber bevor der kommt muss der Gläubiger erst mal ein Gebührenvorschuss leisten und wenn dann der Schuldner nicht zahlen kann, dürfte gutes Geld dem schlechten hinterher geschickt worden sein. Bei mir war also alles klar, ich blieb das was ich war: ein arbeitvermeidender Pleitier. Ich musste nur versprechen, das ich nicht wieder so Zampanostückchen wie Taxifahren oder Mariannebeglücken machen würde. Anders bei Katharina, die noch mal eine Runde auflegen wollte. Die hatte nur Probleme mit ihrem Beruf. Die Mobbingattacke, die sie erdulden musste, und die langläufige Auffassung über Konsumidiotenerziehung hatten ihren Zuspruch zu ihrem ehemaligen Traumjob ins Gegenteil verkehrt. Wörtlich sagte sie: „Wenn ich mir vorstelle, das ich bis ins Rentenalter ...
also noch mehr als 15 Jahre – die verwöhnten Blagen von Alleskonsumierern bekaspern muss wackeln mir so die Knie, dass ich umzufallen drohe. Ich glaube das schaffe ich nicht mehr.“ Auf der anderen Seite gab es eine Reihe guter Gründe warum sie im öffentlichen Dienst bleiben wollte. Leider ist der Beruf der Erzieherin so „spezialisiert“, das da Variationen nicht auf Anhieb sichtbar scheinen. Das konnte man auch bei den sogenannten Bemühungen des Arbeitsamtes feststellen, denn denen fiel auch nichts Besonderes ein. Abgesehen davon hatten sie ihr momentan auch nichts auf dem angestammten Gebiet anzubieten. Ab und zu sind aber Bekanntschaften auch ganz nützlich. So kannte Katha eine Dame, die ihre ganze Freizeit als kämpferische Feministin verbrachte. Bei ihr fand das „Naturgesetz der Gegenseitigkeit“ wieder eine Bestätigung: Weil sie so eine aggressive Emanze war machten die Männer einen Bogen um sie und weil die Männer einen Bogen um sie machten wurde sie immer mehr zur Powerfeministin. Diese Dame war natürlich eine der Hauptmatadorinnen der Frauenhausinitiative in Neuhausen. Über diese bekam Katharina einen Job in der Einrichtung in der arme und geschundene Frauen Schutz vor ihren Vergewaltigern finden. Zum 1. April 2000 begann sie dort als Betreuerin. Meine ironische Schreibweise von vorhin ist darauf zurück zuführen, dass ich heute, wo ich diese Zeilen schreibe, bereits weiß was dabei heraus kam. Aber wieder einmal gilt dass ich nicht vorgreifen möchte. Christina war rein formal in der besten Lage. Ihr letzter Arbeitgeber, unser Freund Klettner, hatte für die Zeit von Juni bis November 1999 für sie Sozialversicherung bezahlt und hat sie dann von sich aus, ohne ihre Mitwirkung, gekündigt weil aus seiner Sicht, wie er offiziell bekundete, eine weitere Zusammenarbeit auf Grund des Vorfalles, den Tina allerdings laut seinen Worten nicht zu vertreten habe, nicht zumutbar wäre. So hätte sie auch von Anfang an Arbeitslosengeld kriegen können; ihre Speerfrist war lediglich mit der „hohen“ Abfindung begründet. Sie war im Städtischen Krankenhaus genau wie Katha im Kindergarten übel gemobbt worden aber im Gegensatz zu ihrer Mutter hatte dieses zwar zu einem Horror gegenüber ihrem Arbeitgeber nicht aber gegenüber ihrem Beruf geführt. Und so wollte sie weiter als Karbolmäuschen, wie man früher Krankenschwestern bekoste, arbeiten. Es muss wohl an den „komischen“ Dienstzeiten und der etwas dürftigen Bezahlung liegen, dass es auf diesem Gebiet auch jede Menge offener Stellen gab. Theoretisch hätte sie sofort im Christopherus, dem katholischen Krankenhaus hier in Bergdorf, anfangen können, aber einerseits war ihr ein Dienst in ihrer Heimatstadt nicht so sympathisch und andererseits wollte sie unter Hinweis auf das erlittene erst noch ein Wenig Luft holen. Und so nahm sie dann eine Stelle im evangelischen Bethanien-Krankenhaus in Neuhausen zum 1. März 2000 an. Hinsichtlich unserer erwachsenen Tochter und unserer nicht allzu großen Wohnung wirft sich natürlich auch die Frage nach einer eigenen Wohnung für Tina auf. Die meisten Damen ihres Alters, gleichgültig ob schon verheiratet oder in einer Partnerschaft lebend beziehungsweise noch Single, leben in ihren eigenen vier Wänden. Mit einer Partnerschaft in absehbarer Zeit dürfte nach den schrecklichen Erfahrungen mit den Kerls bei unserer Christina nicht zu rechnen sein. Ich gebe ja zu, dass ich oft mit Besorgnis daran dachte, dass ihre fürchterlichen Erlebnisse dazu führen könnten, das sie zu einer männerfeindlichen Einzelgängerin werden würde. So ein klein Bisschen spielte, das will ich durchaus eingestehen, dabei eine Rolle, dass ich auch mal ganz gerne ein richtiger Opa werden möchte. Hauptgrund ist aber meine Überzeugung, dass der Mensch als Gemeinschaftswesen geschaffen wurde und sich nicht zum Alleinsein eignete. Die meisten Menschen die sich in jungen Jahren für eine egoistische Lebensweise – und das ist das Singlesein allemal – entscheiden werden mit dem Älterwerden Probleme in Richtung Einsamkeit bekommen. Selbst in jungen Jahren kann, wenn es mal nicht so eben auf der Lebensbahn zugeht, das Fehlen eines Partners ein belastendes Manko sein. Aber jetzt wollte Christina erst mal in ihrem Elternhaus bleiben, was nach meiner Überzeugung für beide Seiten, also auch für uns, sogar das Richtige war. Wer mir in diesem Kapitel bis jetzt gefolgt ist, wird sich jetzt wohl entrüsten, das es hier wenig spannend zugeht, alles nur Normalität, alles nur Alltag. Sicher, wenn wir unsere Geschichte mit der Heimkehr ins Leben hätten abschließen wollen, wäre alles was ich hier geschrieben habe sogar überflüssig gewesen. Ich hätte einfach sagen können, dass auch der Alltag zurückgekommen sei. Aber noch fehlen ein paar Episoden aus der Zeit, die ich mit der Frage „Und das soll Leben sein“ überschreiben könnte. Die hier genannten Alltagsangelegenheiten, insbesondere Christina im Krankenhaus, Katharina im Frauenhaus und alle gemeinsam auf der Waßmannsheide, spielen als Voraussetzung zur weiteren Handlung eine Rolle – und deshalb dieses Kurzkapitel, bei dem man auch ein Wenig von der Dramatik Luft holen kann; just so, wie wir es in diesen Tagen auch machten. Wenn ich jetzt vom Alltag berichtet habe will auch noch ein paar Sätze zum Sonntag in der Familie Schröder niederlegen. Man hat vielleicht an verschiedenen Stellen gemerkt, dass sich in all den weltlichen Wirren unsere Religiosität steigerte. Alle hatten wir ein Bedürfnis nach dem Wort und nach Gemeinde. Wir hatten erkannt das im größten Lebenssturm Gott uns bei ihm einen sicheren Ort bietet. Jetzt mag mancher sagen, wie man, wenn Gott ein soviel zugefügt hat, noch an ihn glauben kann. Aber sorry, es war doch nicht Gott der uns was zufügte, das waren wir einerseits selbst und andererseits die Menschen denen wir uns aus eigener Entscheidung zugewandt haben. Gott hat den Menschen mit Verstand, eigenen Willen und eigener Entscheidungskompetenz geschaffen. Diese Welt ist nicht das Spielzeug eines großen Geistes, das er nach jeweiliger Laune ablaufen lässt. Das Meiste was auf Erden geschieht sind wir Menschen selbst. Wir können nicht Gott für alles verantwortlich machen; wir müssen selbst Verantwortung tragen. Aber Gott ist ein gerechter Herr und greift ein. Dieses Eingreifen habe ich besonders stark beim Erscheinen von Mariannes Erzengelchen, bei Tinas Rettung durch ein Kinderunfall in ihrem Haus und als ich mich alleingelassen in Barcelona fühlte empfunden. Sicher war dieses noch an vielen anderen Punkten der Episode der Fall; es ist mir
wahrscheinlich nur nicht so bewusst. Grundsätzlich muss ich aber sagen, das sein Eingreifen für mich wunderbar war und ich danke ihm aus ganzem Herzen dafür. Aus dieser Motivation heraus war es uns von nun an Sonntag für Sonntag ein starkes Bedürfnis am Gottesdienst unserer evangelisch-reformierten Gemeinde teilzunehmen. Dieses galt auch für Katharina und Christina und so konnte man uns jeden Sonntag auf den Kirchenbänken zu Dritt antreffen. Das Schöne daran war für uns auch unser gemeinsames Auftreten. Wie war ich glücklich in der Mitte zwischen Frau und Tochter in der Kirche zu sitzen. Schön am Gottesdienst war auch das Abschalten der Alltagsgedanken und die dadurch geschöpfte Kraft und Erholung. Heute, wo ich diese Zeilen schreibe ist die Gemeinde unser zentraler Lebensmittelpunkt und ich glaube das sie dieses auch bleiben wird. Aber bis dahin haben wir noch ein Stück Weges vor uns und ich möchte Sie, liebe Leserin, lieber Leser einladen, mich auf diesem zu begleiten.
Zum Kapitel 29
Zum Inhaltsverzeichnis
Ein goldener Vogel im Frauenhaus Einen Tag vor der Altweiberfastnacht begann auch in beruflicher Hinsicht für Christina wieder der Alltag. Diesen karnevalistischen Tag, der in unserer Region fast unbedeutend ist, stellte ich eben bewusst heraus, denn ich hätte auch vom Mittwoch, den 1. März 2000, schreiben können. Der Auftakt der diesjährigen langen Karnevalssession war ja, wie wir ja wissen, der Tag als Tinas Entführungstragödie begann. Naturgemäß kommen einen bei solchen Gelegenheiten, insbesondere dann wenn man diesbezüglichen Meldungen und Berichten in den Medien nicht ausweichen kann, dumpfe Erinnerungen hoch. Das war Katharina und mir auch in diesen Tagen deutlich anzumerken. Aber erstaunlicher Weise konnten wir dergleichen bei unserer Tochter, der Hauptbetroffenen, nicht feststellen. War dieses den Eindrücken auf ihrer neuen Arbeitsstelle im Bethanien oder einer fast perfekten Verdrängung zu verdanken? Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall blühte Tina ab dem Tage des Beginns ihrer neuen Tätigkeit förmlich auf und wir bekamen den Eindruck, dass sie wieder die „alte“ Christina, wie sie mal vor zwei Jahren war, sei. Ihre kecke Fröhlichkeit war wieder da, als sei gar nichts gewesen. Auch nette und charmante junge Herren fielen ihr wieder ins Auge, was man an dieser oder jenen schwärmenden Bemerkung feststellen konnte. Für mich wird es immer ein Wunder bleiben, wie Christina ihre schweren Erlebnisse so schnell und geradezu perfekt verarbeitet hatte. Obwohl es Tina von uns allen am Härtesten getroffen hatte, war sie von uns allen am weitesten von der Tragödie entfernt. Katharina und ich taten uns da doch deutlich schwerer. Dahingehend gibt es ja die Leute, die den Komplex haben, dass schwerere Erlebnis, wenn überhaupt, nur äußerst schwer und nach langer Therapie überwindbar wären. Leider übertragen diese diesen Komplex dann immer wieder auf Betroffene. Zu diesen Leuten zählte ganz eindeutig Hannelore Haupt, die Leiterin des Neuhausener Frauenhaus, in dem Katharina am 3. April – der offizielle Dienstbeginn, der 1. April 2000, fiel auf einen Samstag – ihren Job als Betreuerin antrat. Die Leiterin war insgesamt in den Augen meiner Frau eine besondere Type. Bei der gab es keine Männer sondern nur Vergewaltiger. Die Frauen, die im Haus Zuflucht fanden waren ihren Vergewaltigern entkommen und wenn sie zu ihren Männer zurückgingen, dann gingen sie wieder zu ihren Vergewaltigern zurück. Erhebliche Probleme bekam die Dame, wenn man mal Handwerker ins Haus gelassen werden musste, denn dann befürchtete sie Schlimmste durch die potentiellen Vergewaltiger, die in die Schutzbastion geschundener Frauen eingelassen werden mussten. Bereits in der ersten Woche geriet sich Katharina diesbezüglich mit ihrer Chefin in die Haare, als sie bekundete, das sie eine solche Ausdrucksweise nicht gut heißen würde, denn weder ihr Mann – also ich -, noch ihr Bruder, noch die meisten anderen Männer die sie kenne gehörten zu dieser Gattung, die es wohl gebe aber die mit Sicherheit keine Mehrheit bilden würden. Sie habe auch noch keinen Mann kennen gelernt, der jede Frau als Betthupferl diffamieren würde, was ja umgekehrt das Gleiche wäre. Frau Haupt reagierte darauf als sei Katha eine Art Nestbeschmutzerin. Außer dieser Sache erfuhr ich damals keine Interna aus dem Frauenhaus obwohl zwischen mir und meiner Frau das alte langjährige Vertrauensverhältnis, bei dem es auch möglich war „Dienstgeheimnisse“ auszutauschen, schon längst wieder erwacht war. Aber am Abend des 17. Aprils, einen Montag, brachte sie so viel Neuigkeiten mit nach Haus, das sie mir einfach berichten musste: „Mensch Pepe, halt dich fest. Rate mal wer gestern ins Frauenhaus eingezogen ist.“. Wie sollte ich das raten können und so musste sie mir einen Tipp geben: „Mensch Peterchen, mit der Dame hattest du zu meinem Verdruss schon mehr als dein Vergnügen.“. Jetzt war alles klar und staunend purzelte „Was, Marianne im Frauenhaus? Wie das?“ aus mir heraus. „Ja, die ist gestern eingezogen.“, fuhr Katha fort, „Sie sagt ihr Mann habe sie fürchterlich verdroschen und da sei sie, ohne etwas mitzunehmen geflohen.“. Das machte mich doch etwas stutzig: „Also, die Story glaube ich nicht so ganz. Persönlich halte ich Klettner für bösartig und brutal. Ich habe ja lange genug mit ihm essen und Schach spielen müssen. Aber dass er sich selbst die Hände schmutzig macht, ... also dass er draufhaut, halte ich fast für ausgeschlossen. Und so schätzt ihn Tina auch ein ... das weiß ich 100%-ig“. „Aber was sollen wir denn machen, wir müssen ihr ja einfach glauben.“, resümierte Katharina. Jetzt brannte mir jedoch eine Frage unter den Nägeln: „Wie hat sie denn reagiert als sie dich sah ... oder war sie vorgewarnt?“. Katha befriedigte sofort meine Neugierde: „Also die anderen derzeitigen Bewohnerinnen hatten ihr erzählt, dass es eine Betreuerin namens Katharina gäbe, die sich auch vornehmlich um die Kinder kümmere. Da es im Haus üblich ist, dass sich alle einschließlich auch der Mitarbeiterinnen mit Vornamen ansprechen kannte natürlich keine meinen Nachnamen. Als ich heute Morgen kam, stand sie plötzlich mit erstaunten Augen und offenen Mund vor mir und als sie zu sich gekommen war sagte sie erstaunt: ‚Ach du bist das, Katharina?’. Danach stand sie ganz traurig da und war eingeschüchtert wie ein kleines Mädchen, dem ihr Hündchen davon gelaufen ist. Sie hat sich dann mühsam sprechender Weise nach dir und Tina erkundigt und ist dann mit ein paar kullernden Tränen auf ihr Zimmer gegangen. Später war ich mit ihr in der Kleiderkammer, so wie es bei uns heißt, damit sie außer den Sachen die sie anhatte, was anprobieren und mitnehmen konnte. Sie hatte bei der Gelegenheit den Oberkörper frei und da sah ich so einen Striemen, wie von einem Ledergürtel, auf ihren Rücken. Nach meiner Einschätzung verlief der von oben nach unten, so dass sie sich diesen auch wie ein mittelalterlichen Büßer selbst zugefügt haben kann. ... Das nur zu deiner Einschätzung oder Meinung von wegen Klettner. Aber ich meine so oder so, ist ja bei allen egal ob das stimmt was sie sagen oder nicht. Die Frauen, die sich an unser Nottelefon wenden müssen ja nichts beweisen, wenn sie bei uns Schutz suchen ... Wir sind ja keine Richter und man kann ja nicht durch akribische Nachforschungen einer wirklich bedrohten Frau die Hilfe verweigern.“. Da musste ich ihr erstens recht geben und zweitens aufrichtig bekunden, dass ich dahingehend auch beim besten Willen nichts vorhatte. Es war nur reine Neugierde und eine persönliche Meinungsäußerung. Ansonsten konnte Katharina nur noch
berichten, dass Hannelore Haupt am Nachmittag mit Marianne zum Rechtsanwalt gefahren sei und zu dem Zeitpunkt, wo sie Feierabend hatte, noch nicht zurück gewesen waren. Am nächsten Abend konnte ich dann mehr zu dieser Angelegenheit erfahren. Wenn Frauen ins Frauenhaus kommen wendet man sich in der Regel hinsichtlich der Versorgung und der Kosten an das Sozialamt. Bei so einen golden Vogel wie Marianne dürfte das aber wohl nicht der ganz richtige Ansprechpartner sein. Deshalb hatte man sich in ihrem Falle an einen Bergdorfer Anwalt gewandt. Das Frauenhaus arbeitet in der Regel mit einer Neuhausener Anwältin zusammen aber man wollte keine unnütze Spur legen. Ich muss schon sagen, dass man hatte sich tatsächlich etwas bei dieser Sache gedacht. Der Anwalt hat dann gleich telefonischen Kontakt mit Big Klettner aufgenommen. Dieser hat gleich die Übersendung eines größeren Schecks zugesagt und im Übrigen an seinen „Justiziar“ verwiesen. Offensichtlich wollte der große Mann kein Aufsehen erregen und handelte nach der Devise, dass man mit Geld und dem richtigen Rechtsverdreher alles regeln kann. Soweit das, was Katharina in der Teambesprechung von Hannelore Haupt zu dieser Sache erfahren hatte. Marianne selbst hielt sich stets bedeckt und sprach bis zu diesem Tag kaum mit anderen Mitbewohnerinnen, was aber nach Kathas Ansicht eventuell auch mit einer Art von Sozialdünkel zutun haben konnte. Abgesehen von Hannelore sei sie gegenüber Katharina noch am gesprächigsten gewesen. Aber auch da wären nur mehr oder weniger Belanglosigkeiten gefallen. Unter anderem hatte sie Katha aufgetragen, mich und Tina zu grüßen. Da hat ihr Katharina im Hinblick auf ihre Dienstpflichten erklärt, dass wir nichts von ihren Aufenthalt wissen dürften, was Marianne dann mit „Dann später, wenn ich hier raus bin. Dann kann wohl niemand was dagegen haben weil ich es dir ja selbst aufgetragen habe“ quittierte. Ein alter lockerer Spruch heißt: Alle guten Dinge sind Drei. Das ist kein naturwissenschaftliches Gesetz und muss folglich auch nicht immer stimmen. Aber im anstehenden Fall war es so, dass Katharina auch am dritten Abend in dieser Woche etwas von meinem „Exsündenfall“ zu berichten wusste. Am Mittwoch war Marianne gegenüber Katha etwas wärmer geworden. Jetzt weiß ich nicht, ob es mit dem unmittelbar bevorstehenden Osterfest zutun hatte, dass die Neuhausener Einrichtung ausnahmsweise nicht vollbelegt war und das in dieser Woche keine Frauen mit Kinder dort „wohnten“. Auf jeden Fall konnte es die Mitarbeiterinnen des Hauses etwas ruhiger angehen lassen. Und da haben dann Marianne und Katharina eine ganze Zeit zusammen gesessen und „geplaudert“. So erfuhr dann meine Frau, dass Marianne gedachte bereits nach Ostern nicht mehr im Haus zu sein. Auch bei dieser Gelegenheit zeigte sich dann woran dieses „goldene Vögelchen“ immer zu erst denkt: ans Geld. Sie hoffte voll und ganz das der Scheck ihres Mannes beim Anwalt inzwischen gekommen sei und das dann ihr die Zeit reiche um dieses auf ein neues Konto, von der ihr Mann nichts wissen sollte, einzuzahlen und gleich einen Teil in Bar mitnehmen zu können. Wenn ich so an unsere Art, also an die der Schröders, denke, wäre das bei uns sicherlich der letzte Punkt unserer Überlegungen gewesen. Da zeigt sich der wesentliche Unterschied zwischen Menschen in den unterschiedlichen Welten aus menschlichen Leben und mamonistischer Existenz. Katharina erfuhr, dass Michael, Mariannes Erzengelchen, und Verena über Ostern kommen und sie abholen wollten. Verena hätte es schon beim telefonischen Vorgespräch übernommen Mariannes persönlichen Sachen aus der Villa zu holen und dann wollte „unsere Lady“ zu ihrem Sohn ziehen. Marianne gestand meiner Katha, dass „keine müde Mark“ und „ihre Klamotten“ der Grund waren warum sie erst mal ins Frauenhaus gegangen war, ansonsten wäre sie bereits bei „ihren Kindern“. Bei dieser Gelegenheit kam mir dann ein Gedanke: „Ich könnte mir vorstellen, dass Marianne Kontakt mit ihrem Bruder hatte. Das würde auch den Striemen auf ihrem Rücken erklären ... der ist im Gegensatz zu Klettner so, dem Kerl würde ich so etwas zutrauen. Bei ihrem Bruder ist sie abgeblitzt und kam dann anschließend nicht mehr in die Villa. Da ist sie dann erst mal mangels Masse ins Frauenhaus gegangen.“. Ich habe ja schon früher geschrieben, dass Berghoff in Argentinien war und somit ist jetzt klar, dass meine Mutmaßung falsch war. Aber diese Annahme löste dann aber bei Katha was aus: „Mein Gott, ja. So könnte es gewesen sein, denn es spricht doch alles dafür das du recht hast. Aber Tina, ... Tina ist dann ja gefährdet. Wer kann denn sagen, dass dieser Psychopath, wenn er hier in der Gegend ist, sich nicht an sie ran macht und ihr was antut. ... Ich fahre gleich nach Neuhausen und hole sie vom Krankenhaus ab.“. Im ersten Moment gefiel mir Katharinas Vorschlag. Aber nach ein paar Überlegungen kamen mir doch Bedenken: „Katha, ich glaube es ist besser wenn du unsere ‚Kleine’ nicht abholst. Sie kommt ja mit öffentlichen Verkehrsmitteln und da scheint sie mir doch relativ sicher zu sein. Wir sind hier im Kreis Neuhausen und nicht in Chikago. Und ihre Freizeit, also auch über Ostern, verbringt sie in letzter Zeit immer mit uns. Wenn dann was passiert, können wir es auch nicht verhindern ... ein Restrisiko bleibt immer. Aber wenn wir jetzt was sagen versetzen wir sie nur in unnötige Panik. Unser Tina-Mäuschen ist so fantastisch über die ganze Sache hinweggekommen ... und alles das könnte dann auf einmal kaputt sein. Ich würde vorschlagen, dass wir zu Gott beten und ihm vertrauen. Ich bin mir sicher das da nichts passiert.“. Das wir, wenn wir was sagen würden, eine Panikreaktion bei Christina auslösen könnten leuchte Katharina ein – deshalb starte sie nun auch nicht zum Abholen – aber ruhiger wurde sie jetzt auf keinen Fall. Erst eine Überraschung, mit der unsere Tochter auftrumpfte als sie nach Hause kam, rettete die Nachtruhe meiner Frau. Nach der üblichen Begrüßung, wie immer wenn sie nach Hause kam, fragte Tina ganz keck: „Na Mutti, was macht denn unsere Freundin Marianne so? Die ist doch jetzt bei euch.“. Vollkommen erstaunt fragt Katharina zurück: „Wie kommst du denn darauf? Wer hat dir denn was erzählt?“. Und jetzt konnte Christina uns die Neuigkeiten, die sie
erfahren hatte, berichten: „Bei uns auf der Unfall ... da habe ich bis jetzt eigentlich wenig mit zu tun gehabt – liegt so eine Type, den sich Marianne als ‚Vati- und Sascha-Nachfolger’ geangelt haben soll. Der wollte sich offensichtlich mit Marianne davon machen und ist aufmüpfig gegen Klettner aufgetreten. Der soll nur seinen Ledergürtel aus der Hose gezogen und die beiden rausgeprügelt haben. ... Ehrlich gesagt, hätte ich dem Klettner gar nicht zugetraut. Die sind dann mit Mariannes Karre geflohen. Bis kurz vor Neuhausen sind sie gekommen; da hat er den Schlitten vor einem Baum gesetzt. Er war schwer verletzt und ist bei uns eingeliefert worden, aber Marianne war futsch. Heute habe ich gehört, dass sie nach dem Unfall zu euch abgedüst sein soll.“. Diese Story war schlüssig und erklärte auch den Striemen auf dem Rücken von Marianne. Dieses war für uns jetzt eine wirklich gute Nachricht, denn jetzt konnten wir davon ausgehen, dass an meinen Befürchtungen in Richtung Berghoff nichts war und der sich wahrscheinlich, wie man zu dieser Zeit richtig vermutete, nach Südamerika abgesetzt hatte. Also demnach war unsere Tochter doch sicher. Mit dem Hintergrundwissen konnte Katha dann am nächsten Tag mehr aus unserer „Freundin“ herausholen. Marianne packte meiner Frau gegenüber aus. Sie konnte es mit ihrem Mann nicht mehr aushalten, zumal dieser ihr jetzt vorwirft, dass sie aus einer schwerkriminellen Familie stamme. Nun wollte sie zu ihrem Sohn, ihrer Schwiegertochter und deren Kleinen. Ihr Problem sei aber, dass sie in der Zeit als Millionärsgattin alle praktischen Fähigkeiten, die man eigentlich zum Leben gebraucht verlernt hab. Und letztendlich wollte sie auch nicht ihrem Erzengelchen auf der Pelle liegen. Also konnte sie nicht einfach abhauen sondern sie brauchte noch eine Kapitaldecke von ihrem Mann, der aber nichts rausrücken wollte und sie stattdessen immer auf den Ehevertrag verwies. Kurzerhand machte sich Marianne auf einem Empfang, bei denen die Klettners zu Gast waren, an diesen Herrn, der jetzt im Bethanien liegt, heran und hat diesen um Hilfe gebeten. Und den Rest kennen wir ja inzwischen. Dieses Gespräch zwischen den Frauen fand am Morgen des Gründonnerstages statt. Des Nachmittags war Marianne unterwegs. Wir nehmen an, das der Klettner-Scheck beim Anwalt eingetroffen war und Marianne jetzt alles in ihrem Sinne abwickelte. Ostersamstag verließ sie dann auch das Frauenhaus und so hat Katharina, die über Ostern keinen Dienst hatte, sie dann auch nicht mehr persönlich wieder gesehen. Wir waren in jener Zeit der Meinung, dass damit die dunkelste Episode unseres Lebens endgültig für uns abgeschlossen sei und wir jetzt persönlich nirgendwo mehr mit einbezogen würden. Aber man soll sich ja bekanntlich nicht zu früh freuen. Aber bei diesen weiteren Dingen, die noch auf uns warteten, sind wir in der Geschichte ja noch nicht. An jenem Donnerstag sollten jedoch noch des Abends zwei Tina-Überraschungen auf uns warten. Mit Ablauf des nächsten Tages, dem Karfreitag, wollten wir laut unseren ursprünglichen Absichten gemeinsam Ostern feiern. Aber das, was wir uns für die Festtage vorgenommen hatten, wurde dann durch Christina doch ein Wenig umgekrempelt. Jetzt aber mal der Reihe nach: Es ist schon ein Weilchen her, dass sich unsere Tochter in ihrem „ersten“ Leben von ihrem Eltern abgenabelt hatte. Seit ihrer „zweiten Geburt“ in Barcelona, also am Tage der Rückkehr Katharinas in unser Leben, hing sie aber irgendwie wieder an unserer, oder präziser gesagt an Kathas Nabelschnur und eine erneute Abnabelung schien uns derzeitig nicht in erreichbarer Nähe zu liegen. Sie wohnte bei uns zu Haus, wo sie so gut wie alle Zeit außerhalb des Dienstes verbrachte. Wenn wir ausgingen war sie derzeitig immer mit dabei. Dieses berücksichtigend hatten wir auch den Ablauf der folgenden Ostertage angedacht. Vom akribischen Planen hielten wir allerdings aufgrund unserer Erfahrung mit den Vorgaben, die man sich selbst gegeben hat, so gut wie nichts mehr. Als Christina jetzt vom Dienst nach Hause kam erkundigte sie sich erst mal bei Katha nach dem „goldenen Vogel“ im Frauenhaus. Auch sie hatte inzwischen von den wahren Hintergründen, der „Austreibung aus der Villa“, erfahren und wollte uns jetzt dieses als Neuigkeit unterbreiten. Ihre Informationen hatte sie von einer Kollegin die auf der Unfallstation arbeitete. Diese Kollegin war dann für sie das Stichwort um auf die Überraschung Nummer Eins überzuleiten: „Übrigens, Anita, ... so heißt die Kollegin von der Unfall, zieht mit ihrem Freund zusammen. Ihr Zimmer im Schwesternheim wird dadurch frei und ich kann dieses dann übernehmen. ... Also Anfang nächsten Monats ziehe ich, wenn eurerseits nichts dagegen spricht, hier aus ... dann habt ihr wieder platz für euch.“. Jetzt müsste man eigentlich, wo es sich nun um die zweite Abnabelung unserer Tochter handelt, annehmen dass Katharina diese Mitteilung mit Gelassenheit aufnehmen würde. Aber wie damals, als sie mit Serret Yilmaz zusammenzog, kamen bei Katha jetzt wieder mütterliche Sorgen und Bedenken hoch. Ich erlaubte mir, doch mal mit meiner „Weisheit“ dazwischen zugehen: „Ja, ja, die Jungen werden flügge und fliegen aus dem Nest. Aber die Bande die die Jungen mit ihrer Mutter verbanden bleiben bestehen und die ‚Alte’ will diese absolut nicht locker lassen.“. „Ach Quatsch,“, empörte sich Katharina, „unser Tina-Mäuschen ist alt genug um ihre eigenen Wege zu gehen. Aber ich darf mir doch wohl noch Gedanken machen, ob nach allem, was passiert ist, dabei alles glatt über die Bühne geht. Ich fühle mich doch ein Wenig für unsere Tochter verantwortlich, was ja wohl nicht böse sein kann.“. Tina selbst brachte es dann aber auf einen Nenner: „Wenn ich aus irgendeinem Grund mal wieder vorrübergehend zu euch ziehe, dann würde prompt das dritte Mal das Mutterherz aus dir sprechen. Dieses finde ich wirklich toll, denn dadurch weiß ich, das ich tatsächlich immer zu euch gehören werde ... aber trotzdem Mutti, Vati hat ganz recht; du kannst die Zügel ruhig mal wieder loslassen. Ich komme schon klar, schließlich habe ich ja von euch gelernt, wie man auf eigenen Beinen stehen kann.“. Wegen eines im nächsten Monat bevorstehenden Auszuges aus dem Elternhaus hätten wir ja keine neuen Ideen hinsichtlich des Ablaufes der Osterfeiertage entwickeln brauchen, denn noch wohnte Tina ja bei uns. Folglich muss noch eine weitere Überraschung mit im Spiele gewesen sein. Diese ließ Christina jetzt stehenden Fußes folgen: „Apropos Zügel los lassen: Seit ihr mir böse, wenn ich Samstagabend nicht mit zum Osterfeuer auf Gut Beißheim
komme? Mich hat Wolfgang Schneider, das ist ein ganz netter Kollege, zu einem Tanzabend anlässlich der Neuhausener Osterkirmes eingeladen.“. Jetzt war natürlich die Überraschung auch bei mir groß. Alle die üblen Dinge, die ihr im letzten Jahr von Männern zugefügt wurden hatten offensichtlich keine nachhaltigen Spuren hinterlassen. Tina war überraschend schnell wieder zu einem, für eine junge Frau, natürlichen Leben zurückgekehrt. Nachdem ich meine Zustimmung bekundet hatte – Katha fiel das Jasagen etwas schwerer als mir – schloss unsere Tochter gleich an, dass sie Ostersonntag und –montag, dann mit diesem und anderen Kollegen ganz gerne zur Kirmes wollte. Damit war letztlich klar, das Vater und Mutter Schröder Ostern alleine in ehelicher Zweisamkeit feiern durften. Später sprach ich in so einer Art leicht sentimentaler Erinnerinnung mit Katha über diesen Abend und wir waren der Meinung, dass es in diesem Moment so war, als wäre ein negativer Teil unseres Leben ausgeklammert worden und das es ab jenen Gründonnerstag, scheinbar ohne besonderen Übergang, scheinbar so normal weiterlief wie zuvor. Zwei Punkte, die von der ursprünglichen in die korrigierte Planung übergegangen waren, wurden auch so in die Tat umgesetzt: Karfreitag und Ostersonntag wollten wir zu Dritt am Gottesdienst teilnehmen – und dieses haben wir uns auch nicht nehmen lassen. Bei allen anderen Dingen machte uns dann hinsichtlich unserer zweiten Planfassung das Wetter einen Strich durch die Rechnung. Jetzt wird dieser oder jener sagen: Komisch, ich habe Ostern 2000 eigentlich als eine vorsommerliche und gar nicht regnerische Zeit in Erinnerung. Wie kann euch da das Wetter ein Strich durch die Rechnung gemacht haben? Darauf kann ich nur sagen, dass genau dieses es war, was uns einen Strich durch die Rechnung machte. Wenn man wissen will warum, gehört die Kenntnis, dass Onkel Alberts Häuschen auf der Waßmannsheide direkt am Waldrand liegt und ein klitzekleiner Teil dieses Waldes noch auf das eingefriedete und im Grundbuch Onkel Albert zugeordnetem Stückchen Erde fällt, dazu. Dank einer Schwerzugänglichkeit und dann noch derzeitig umzäunter Schonung ist man dort auch noch absolut ungestört. Und was kann bei einem Supersommerwetter da besseres machen als sich dort niederzulassen und die Seele baumeln lassen. Alles was Mund und Magen begehren sowie alles womit man sich außer dem Erholen und Ausruhen sonst noch beschäftigen will, ist schnell aus der Wohnung dorthin geschafft. Was des weiteren noch zur paradiesischen Idylle beitrug war die Tatsache, dass Onkel Albert über Ostern die Familie seines Sohnes besuchte. Katha und ich waren hier also so allein wie einst Adam und Eva im Garten Eden. Das brachte Katharina auf den „netten“ Gedanken, das wir ebenso wie damals die ersten Menschen uns im Schöpfungsgewand im Garten bewegen könnten. Und mir persönlich gefiel der Gedanke textilfrei die Natur, insbesondere auch die meiner Frau, zu bewundern und zu genießen doch ganz gut. Natürlich verführt eine solche Atmosphäre zum Schmusen und auch mal zu ein Bisschen mehr. Bei einem Schmusevergnügen, verbunden mit einer erotischen Plauderei, kam mir Verdacht, dass sich Katharina und Marianne im Frauenhaus auch über andere Dinge unterhalten haben mussten. Als ich nämlich Katha, zugegebener Weise im Zuge meiner eigenen „heißen Gedanken“, nach ihren erotischen Ideen befragte erzählte sie mir, dass sie sich vorstelle mit mir Sex im Auto zu haben und schilderte mir dann praktisch das, was damals mit Marianne im Taxi abgelaufen war. Dieses kann natürlich Zufall gewesen sein, aber aus der Tatsache dass Katha meine Reaktion genau beobachtete schloss ich doch, nicht ganz zu Unrecht, auf eine gewollte Aktion. Daraus ergibt sich die Frage, warum Marianne diese Intimstündchen gegenüber meiner Frau ausplauderte und warum Letztere mir dieses jetzt als ihre Phantasie wiedergab. Damals, zu Ostern, stellte sich mir das Rätsel so wie ich es gerade wiedergegeben habe. Ein paar Wochen später bekam ich dann, ohne jemals nachgefragt zu haben, die Aufklärung. Katharina hatte sich mal an einem Tag über das Verhalten verschiedener Frauen im Frauenhaus aufgeregt. Da ärgerte sie sich unter anderem darüber, dass es ab und zu dazu käme, dass die Frauen beisammen säßen und sich dann gegenseitig, wie pubertierende Jugendliche was vorrenommierten, indem sie sich erzählten was sie mit Männern Geiles erlebt hatten. So etwas wäre dann auch in der Zeit passiert als Marianne im Frauenhaus war und diese habe dann eine Story erzählt wie sie einen Taxifahrer verführt habe. Messerscharf hatte Katha kombiniert, dass, wenn die Geschichte wahr wäre, nur ich der Verführte gewesen sein konnte. Aber die Vorstellung dass ich derjenige war führte bei dem Hintergrund, dass meine Frau ja wusste das ich mit Marianne scharfen Sex hatte – es war ja der Grund unseres „Ärgers“ -, nicht dazu, das sie mir jetzt böse war sondern umgekehrt regte es ihre eigene erotische Phantasie an. Sie gab dieses am Osternachmittag an mich in dieser Form weiter um zu checken, ob Marianne erstens von mir sprach und zweitens die Wahrheit sagte sowie insbesondere auch um ihre eigene erotische Stimmung einzuheizen. Bis dato hatte ich Marianne für eine Frau gehalten, die sowohl genießt und auch leidet aber anschließend höflich schweigt. Nun die große Schweigerin, wie ich vermutete war sie dann wirklich nicht, eher das Gegenteil. Dieses ist ja auch der Grund warum unsere Geschichte nicht an dieser Stelle endet sondern das Ostern 2000 den Beginn des nicht undramatischen zweiten Teils markiert.
Zum Kapitel 30
Zum Inhaltsverzeichnis
Eine Abenteuergeschichte beginnt im Wirtschaftsteil Es gibt Leute, die halten den Wirtschaftsteil der Tageszeitungen für eine äußerst spannende und interessante Lektüre. Ich dagegen gehöre zu den Zeitgenossen, die den Inhalt solcher Seiten als weniger wichtig und eher uninteressant einstufen. Das liegt grundsätzlich an der jeweiligen Ausgangssituation. Wenn ich riesige Tauschhilfsmittelhaufen – Geld ist ja im Prinzip und von der Grundidee nichts anderes als ein Tauschhilfsmittel – ererbt oder ergaunert habe und ich nichts anderes damit anfangen kann als am Spekulantenroulett teilzunehmen, ist das was im Wirtschaftsteil abgehandelt wird natürlich mit einem Nervenkitzel und kickgebender Begierde verbunden. Wer mit seinen Tauschhilfsmitteln mal gerade über die Runden kommt, so wie unser einer, kann diese Empfindung weder in Wollustnoch Alpträumen nachvollziehen. In den Jahren 1999 und 2000 hatten die Wirtschaftsteile jedoch auch einen Boom bei den Leuten, für die ein Wirtschaftsteil bisher nur als Trägermaterial für Werbeanzeigen und ansonsten lediglich bestenfalls noch zu entsorgendes Altpapier darstellten. Ausgelöst durch eine Hypermarketingaktion zur Ausgabe der T-Aktien waren wir auf einmal ein Volk von Börsenspezialisten. Wirtschaftsjournalisten feierten die in Deutschland „endlich“ erwachte Aktienkultur. Zwar wussten die Wenigsten, dass eine Aktie keine Anlage sondern eher das Gegenteil, ein Risiko- und Spekulationspapier, ist und durchschauten auch nicht die Tatsache, dass Kurse von Großanlegern mit einem Einstieg im bestimmten Moment nach oben gezockt werden können. Wenn die Kleinanleger mit ihren naiven Grundrechenkenntnissen einsteigen zeigen sie sich als willige Kulis der Powerzocker und helfen mit ihrem Einstieg im falschen Moment den Kurs in Richtung Mond zu treiben. Beim Punkt X springen dann die großen Profispekulanten mit Supergewinnen ab und der Kurs rauscht nach unten. Dem kleinen Gernegroß wackeln die Knie und er stößt jetzt seine handvoll Aktien unter Einstandspreis ab und schon ist die perfekte Umverteilung von Unten nach Oben gelungen. Wenn man Otto Normaleinkommensbezieher sagte, er solle die Finger von populären Kurshimmelstürmern und vom Neuen Markt lassen und dieses den Börsenprofis überlassen, erntete man Anno 2000 nicht nur unverständliches Kopfschütteln sondern oft sogar Beleidigungen und Beschimpfungen. Alle sahen nur die nach Oben galoppierende Kurse, die 2stellige Gewinne verhießen, aber von Grundkenntnissen wie dem Zusammenhängen von soliden Kursen zur Wertschöpfung und zum Produktivitätsfaktor, die maßgeblich den wahren Wert eines jeden Unternehmens darstellen, hatte noch niemand gehört. Ein Papier, dass durch Shareholder-Value, so nennt man Strategien zum Hochpokern durch institutionelle und private Großanleger, auf ein Kursniveau oberhalb der Wertschöpfung kommt ist für Kleinaktionäre unsolide und mittelfristig gefährlich. Aber genau auf diese Werte rauschten in 2000 die Aktienkonsumenten, die sich besser auf konservative, solide verzinste Anlagen gelegt hätten, ab. Na ja, so lasen damals viele Leute die Zeitungsseite Wirtschaft, die letztendlich gar nicht verstanden was da stand. Wer träumt nicht davon mal ein großer Mann oder eine große Frau zu sein. Dann gibt es Leute, die den Wirtschaftsteil in 2 bis 3 Minuten querlesen ob sie da zufällig etwas finden was sie persönlich mit irgendetwas verbindet, zum Beispiel nach Namen von Personen, die sie mal persönlich kennen gelernt haben, oder von Unternehmen, mit denen sie mal was zutun hatten oder die sie aus der Nachbarschaft kennen. Zu diesen Typen muss ich mich auch zählen. So war es am Freitag, den 12. Mai 2000, dann auch. Ich kann mich an das Datum noch genau entsinnen weil ich bewusst nach dem ausnahmsweise ausführlichem Studium eines Artikels auf den Kalender schaute ob es wirklich der Zwölfte und nicht Freitag der Dreizehnte, mit dem ja bekanntlich ein bisschen Aberglaubenzirkus gemacht wird, war. Da stachen mir in einem 2-Spalter die Namen Wolfhard AG, bei der der ebenfalls im Artikel erwähnte Hannsfrieder Klettner Vorstandsvorsitzender war, sowie der Name Mühlheims, mein Millenniumswidersacher, sofort ins Auge. Da war die Rede davon, dass der Vorstandsvorsitzende Klettner des im Bereich des Maschinen- und Apparatebaues für die chemische Industrie tätigen Unternehmens, das seit einiger Zeit rote Zahlen schreibt, wegen Steuerhinterziehung und Bilanzfälschung angezeigt worden sei. Nach bisher unbestätigten Berichten soll die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen Klettner und auch gegen den Aufsichtsratvorsitzenden Mühlheims aufgenommen haben. Man sei auf gewisse Unregelmäßigkeiten gestoßen. Für den Nachmittag dieses Freitags sei eine gemeinsame Krisensitzung von Vorstand und Aufsichtsrat der Wolfhard AG einberufen worden. Meinen ersten Verdacht, dass Marianne die Sache durch eine Anzeige ausgelöst habe, verwarf ich dann sofort wieder, denn erstens hatte sie nach meiner Einschätzung nicht das „Format“ um solche Sachen überhaupt erfassen zu können und zweitens dürfte ihr Mann ihr wohl kaum einen Einblick in solche Sachen gewährt haben. Deshalb war ich total überrascht als ich am Folgetag sowohl auf der Wirtschafts- wie auf der Boulevardseite von dieser Geschichte lesen konnte und auf der zweitgenannten Seite dann die Rede davon war, dass die von Klettner getrennt lebende Ehefrau die Anzeige aus Verärgerung darüber, das sie mit einer aus ihrer Sicht unzureichenden Abfindung in 6-stelliger Höhe abgespeist werden sollte, erstattet habe. Aus dem Wirtschaftsteil war dann zu entnehmen, dass an der ganzen Sache offensichtlich doch was dran sei, da Klettner vorläufig beurlaubt und der Aufsichtsratsvorsitzende Mühlheims abberufen worden sei. Auch über das Wochenende sollten weitere Krisensitzungen stattfinden. Sollte ich das bisherige Millionärsweibchen so sehr unterschätzt haben? Hatte sie tatsächlich mehr drauf als ich ihr zutraute? Bei solchen Angelegenheiten schmeißen doch oft Staatsanwaltschaften und Finanzämter das Handtuch weil sie bei einer solchen Finanzakrobatik nicht durchblicken und so was soll ganz locker von Marianne rübergekommen sein? Meine diesbezüglichen Fragen bildeten dann am Nachmittag den Tenor des Gespräches welches ich mit Christina,
die seit einigen Tagen im Schwesternwohnheim wohnt und uns an diesem Samstagnachmittag besuchte, führte. Ich fragte Tina zunächst ob sie von der Sache gelesen oder gehört habe und als sie das verneinte drückte ich ihr die Zeitung mit der Frage ob sie dieses „unserer“ Marianne zutrauen würde in die Hand. Nach dem Artikelstudium konnte mir unsere Tochter einen Anstoß in die richtige Richtung geben: „Das sind bestimmt die Sachen mit denen Marianne ihren Kerl erpressen wollte. Als sie mir damals im Städtischen (Krankenhaus) von ihrem Vorhaben erzählte erwähnte sie, dass es da einen Insider gäbe, der auf das scharf wäre was Klettner als sein Besitzstand betrachtete. Der wollte sowohl Marianne als auch den Posten ihres Angetrauten. Dieser würde sie mit Material füttern und sie habe ihm versprochen sich bei Erfolg in sein Bett zulegen. Das wäre aber körperlich ein solcher Fiesling, dass sie da in Traum nicht dran denken würde. Ich glaube wir müssen jetzt auf einen Frauenschreck, der sich bei der Wolfhard AG als Vorstand bewirbt, achten ... Dann wissen wir von wem das letztlich kommt.“. „Ganz einleuchtend ist mir das Ganze immer noch nicht.“, fuhr ich grübelnd fort, „Überlege dir mal welche Zeit zwischen dem Erpressungsvorhaben und heute liegt. Wenn es wirklich damit zusammenhängt dürften doch die damaligen Spuren total verwischt sein. Dafür dürfte der Stratege Klettner doch inzwischen gesorgt haben. Und andererseits ist es mir dann vollkommen unerklärlich warum Berghoff damals bei Klettner abblitzte ... das Eisen muss doch für Big Klettner viel zu heiß gewesen sein. Und warum hat der hohe Herr dann dich mit eingesperrt? Dein Wissen kann doch nicht größer als meins gewesen sein ... und warum habe ich dann den Kerl nicht zu spüren gekriegt?“. Jetzt musste auch Tina ein Wenig nachdenken bevor sie ihr Denken offenbaren konnte: „Wer weiß in welcher Angelegenheit Berghoff seinen Schwager erpresste? Wer sagt denn, dass es sich wirklich um diese Sache handelte? Wenn das was anderes war ist es doch durchaus denkbar, dass ich unbewusst irgendwo Mitwisserin bin. Andererseits würde das erklären warum jetzt ein Jahr keine Bewegung in Sache kam. Marianne war ja praktisch in der Villa isoliert und hatte fast nur mit uns Kontakt. Auf Empfängen stand sie ja unter Aufsicht ihres Gebieters. Was ist, wenn diese Type die bei uns auf der Unfall lag ihr Informant ist? Da habe ich mich überhaupt schon gewundert, denn der Kerl ist zwar kein Frauenschreck aber in keiner Weise ein Typ auf den Marianne abfliegt.“. „Das ist einerseits logisch aber andererseits dumm von den Kerl, denn wenn er selbst in Erscheinung tritt, kann er sich doch den Vorstandsposten abschminken, denn mit öffentlichem ‚Singen’ erweckt man nirgendwo Vertrauen.“, setzte ich meine diesbezüglichen Überlegungen auf unsere Unterhaltung. Damit schlossen wir auch für jenen Samstag unser Thema um Klettner ab. Christina war durch diese Unterhaltung bis jetzt noch nicht dazu gekommen uns mitzuteilen, dass sie uns bereits kurz nach Fünf wieder verlassen wollte. Der Grund war, dass sie für den Abend auf eine Fete eines jungen netten Kollegen eingeladen war. Da sie uns innerhalb eines Monats den dritten Namen eines „jungen netten Kollegens“ nannte erlaubte ich mir doch mal eine hintergründig väterlichbesorgte Frage: „Entschuldigung Mäuschen, ich glaube du hast in letzter Zeit einen etwas größeren Verschleiß an jungen Männern. Oder täusche ich mich da?“. Ihre Antwort war nicht nur plausibel sondern war auch Öl auf den väterlichen Stolz: „Och Vati, ein Vampir bin ich noch nicht. Ich habe nur das Problem, das so eine handvoll netter Kerls hinter mir her sind und ich mich für kein ‚Einzelexemplar’ entscheiden kann. Ich glaube, dass ich in Kürze mal eine Entscheidung treffen muss, denn ich bin ja noch nicht vom weltlichen ab ... ich bin ja noch keine Dreißig.“. An dieser Stelle lachte sie erst mal und fuhr dann fort: „Wenn immer andere dabei sind, also wir zu mehreren sind, kann sich ja auf besagtem Gebiet nichts abspielen. Aber in den Verdacht eine Bettdurchreiche zu sein möchte ich auf keinen Fall kommen ... Dann sage ich lieber selbst ist die Frau.“. Und jetzt schloss sie mit lautem Lachen ab. Man konnte es Katharina im Gesicht ansehen, dass ihr die Wortwahl ihrer Tochter gar nicht passte aber die getroffene Aussage ganz in ihrem Sinne lag. Aber bevor sich Katha äußern konnte kam ich erst mal mit dem Spruch von anno tobak: „Drum prüfe wer sich ewig bindet ob sich nicht noch was besseres findet“ und nahm meiner Frau damit den weiteren Wind aus den Segeln. An jenem Samstag ahnten wir noch nicht, welch ein großes Plus Tinas derzeitig, noch ein Wenig abwartende Haltung darstellte, denn bereits des Montags erschien in den Tageszeitungen nicht nur etwas über den Manager Klettner sondern auch etwas aus seinem privaten Umfeld. Und was läge da näher, dass die Schreiberlinge als erstes den Fall, der ab dem 11.11.99 seinen verhängnisvollen Lauf nahm, hoch kochten. Schon im ersten Bericht wurde sein damaliges Hausmädchen, welches jetzt wieder als Krankenschwester arbeitet, mit Namen Christina S. erwähnt. Wenn es jetzt nur die geringste Gelegenheit, die man Tina hätte entlasten können, gegeben hätte wäre, entsprechend unseren Erfahrungen, bestimmt die nächste üble Mobbingattacke fällig gewesen. So galt sie jedoch als fröhliches und freundliches Mitglied des Pflegepersonals, welches bis jetzt nur Freundinnen und Freunde im Kollegenkreis hatte. Und Männergeschichten hatte es ja seit dem Beginn ihrer Tätigkeit im Bethanien auch noch nicht gegeben. Ein weiteres Plus was sie sich jetzt zu Gute rechnen durfte war, dass sie zum Start bei ihrem neuen Arbeitgeber von sich aus ungeschminkt zu ihrer Vergangenheit gestanden hatte. Die auf dem Tisch liegende wahre Version, die von Tina selbst stammte, ließ wenig Platz für Gerüchte. Ich kann schon mal vorab sagen, dass sie im Bethanien zu keiner Zeit von Vorgesetzten oder Kollegen zu einer Mobbingrunde auserkoren wurde; was aber nicht heißt, dass es nicht doch noch mal unangenehm werden sollte. Das war bei Katharina im Frauenhaus doch etwas anders. Schon an diesem Montag hatte Hannelore Haupt meine Frau, nach dem sie die Zeitung gelesen hatte, angesprochen: „Jetzt fällt es mir wie Schuppen von den Augen, jetzt weiß ich auch warum du als Einzigste es gut mit dieser Marianne konntest. Die Krankenschwester Christina S., von der heute in
der Zeitung die Rede ist, ist doch deine Tochter. Warum regst du dich eigentlich auf, wenn ich die Dreckskerle Vergewaltiger nenne. Deine eigene Tochter wäre doch, wenn ich mich richtig entsinne in Folge von Vergewaltigung bald drauf gegangen. ... Ich meine, ich hätte ein ganz gutes Gedächtnis. Da war doch vorher auch mal was mit einem Sterbehelfer, der vermutlich auch dich und deine Tochter vergewaltigt hat.“. Katha, die noch keine Zeitung gelesen hatte, traf der Vorstoß ihrer Chefin wie der Blitz aus heiteren Himmel; sie konnte sich aber sofort vorstellen woher jetzt der Wind blies. Für mich tröstlich war es am Abend, als sie mir von dem Vorfall berichtete, gleich für mich glaubhaft bekundete: „Aber keine Angst Pepe, ich habe gelernt. Diesmal lasse ich mich nicht in die Ecke treiben. Jetzt zeige ich mich als kantiger Klotz und lasse mich unter Hinweis auf eine nicht bestandene Probezeit feuern. Da unser Polster vom Jahresanfang immer noch ganz stattlich aussieht, werden wir es wohl ein Weilchen mit dem Arbeitslosengeld aushalten. Meinen Job, der mir ohnehin keinen Spaß macht, kann man mir nehmen aber meine Würde und mein Glück, also das was das Leben ausmacht nicht mehr. ... In der Richtung habe ich genug bitteres Lehrgeld zahlen müssen.“. Katha hatte die Lage also erfasst und wusste, was auf sie zu kam. Was die Klettner-Geschichte selbst anging erfuhr man das Interessanteste am Montagabend aus den Nachrichten von Rundfunk und Fernsehen. Es gab den Verdacht, dass es im großen Umfang Scheingeschäfte und Kapitalschiebereien zwischen der Wolfhard AG und kleineren Chemie- beziehungsweise Handelsunternehmen in der Bundesrepublik Deutschland und dem benachbarten Ausland gegeben hat. An allen kleineren Unternehmen, alle in der Rechtsform einer GmbH, sollten der Vorstandsvorsitzende Klettner und/oder der Aufsichtsratvorsitzende Mühlheims als Hauptgesellschafter beteiligt gewesen sein. Gewinne sollen von dort am Fiskus vorbei in Steueroasen transferiert worden sein. Die Staatsanwaltschaft hatte Hausdurchsuchungen in der Aktiengesellschaft, den beteiligten GmbHs und in den Privathäusern Klettner und Mühlheims durchgeführt. Einzelheiten wollte die Staatsanwaltschaft am nächsten Morgen bekannt geben. Am Montagabend sollte eine Sitzung von Vorstand und Aufsichtsrat der Wolfhard AG sowie deren Gläubiger- und Hausbanken stattfinden. Der Handel mit Wolfhard-Aktien am Einheitsmarkt sollte an der Börse am nächsten Tag ausgesetzt werden. Langsam war ich der Überzeugung, das eine spannende Abenteuergeschichte im Wirtschaftsteil begonnen hatte. Ab dem Dienstag lief dann die Story zweigleisig weiter. Im Wirtschaftsteil ging es dann vornehmlich um die Schäden die für den Staat, den Aktionären und den Arbeitnehmern durch diese Sachen entstanden. Unter anderem hatte die Wolfhard AG einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt und mehr und mehr rückten bei den Wirtschaftlern die Rettung des Unternehmens, also des Kapitals, und zumindestens den Worten nach, der Arbeitsplätze in den Vordergrund. Letzteres glaube ich persönlich den Banken und Großaktionären nicht immer so ganz. Auf den Boulevardseiten ging es dann mehr um die Kriminellen und ihre Opfer, wobei bei den Ausführungen der Haudrufreporter nicht immer zu unterscheiden ist wer Täter oder Opfer ist, Hauptsache es fließt auflagenfördernd „Blut“. Am ersten zweigleisigen Tag kamen wir Schröders ja noch mit heiler Haut davon. Das wir, also Christina und ich – Katharina war noch weit außen vor, eventuell gemeint sein konnten wussten wir ja auch nur, weil es unser eigenes Schicksal war. Es war von den, vom Hausherrn engagierten, Liebhabern der Millionärsgattin und von Hausmädchen, die auf den Partys freizügig „dienten“ die Rede. Andererseits war von illustreren Gästen die Rede, die wir beim Lesen nicht sofort zuordnen konnten weil wir uns die Leute, weil sie uns gar nicht interessierten, auch nicht so verinnerlicht hatten. Und die andere „Front“ hat in uns ja auch nie Menschen sondern nur Objekte gesehen, so das wir zu dieser Truppe so gut wie keine Kontakte aufgebaut hatten, wollten oder konnten. Ehrlich gesagt, da war auch niemand mit dem ich gerne näher zusammengekommen wäre; alle ziemlich steif und borniert, zumindestens mir gegenüber. Aber auch Christina schwant allerlei Unheil was da noch über uns hereinbrechen könnte und suchte und aus diesem Grunde am Dienstagabend außerplanmäßig auf. Wenn wir etwas gelernt hatten, dann war es das, dass wir innerhalb der Familie an einem Strick ziehen mussten und das so etwas nur funktioniert, wenn man miteinander spricht. Es galt bei uns jetzt, dass wir für den Fall der Fälle eine gemeinsame Grundlinie festlegten und besprachen was zutun sei, wenn es plötzlich in eine unerwartete Richtung geht. Wir hatten jetzt keine Hoffnung mehr, das unsere Namen und Schandtaten nicht in den nächsten Tagen öffentlich gehandelt würden. Tina ging alles an diesem Abend locker und fröhlich an. So posaunte sie unter anderem: „Na Vati, hast du Mutti schon alles gebeichtet oder erfährt sie demnächst aus der Zeitung noch neue Züge ihres Göttergatten? Aber Mutti, denk daran, Generalabsolution ist Generalabsolution, du kannst jetzt nicht nachträglich kleine Sünden wieder ausschließen.“. Sich selbst schloss sie auch nicht aus: „Ja, ja, bald bin ich für meine Verruchtheit berühmt, dann kann ich meine Memoarien für viel Geld an einen Erotikverleger verjubeln.“. Das machte mich doch nachdenklich: „Mäuschen, ist das bei dir heute Galgenhumor oder machst du dir selbst etwas vor?“. Hierauf gestand sie ganz ehrlich, dass sie schon ein Wenig Angst vor dem Kommenden habe. Sie wisse aber jetzt, dass es nicht mehr so schlimm werden könnte wie es bis jetzt war und dass sie nicht mehr davon laufen würde. Sie wolle sogar alles, soweit es geht, mit einer Portion Humor nehmen. Sie schlug jetzt ein Treuebündnis vor, demnach wir uns bei allen Dingen, gleichgültig was sei, erst mal zusammensetzen sollten und uns unser gegenseitiges Vertrauen nicht ausreden lassen sollten. Da wir unabhängig voneinander das gleiche Ziel hatten brauchten wir nicht lange über diese Sache debattieren. Aus meiner Sicht waren wir jetzt für alles gewappnet und brauchten nur noch „Kopf hoch und durch“ zu sagen. Jetzt waren wir gewappnet und dann passierte am Mittwoch ... nichts. Die Berichterstattung drehte sich am besagten Tag in erster Linie um das angerichtete Schlamassel um die Wolfhard AG. So nebenbei fiel noch, dass sich inzwischen
auch niederländische Behörden in die Angelegenheit eingeschaltet hätten, da diese bei drei Unternehmen, die mehrheitlich im Besitz von Hannsfrieder Klettner wären, schon längere Zeit Unregelmäßigkeiten vermuteten. Und von da kam dann prompt die Meldung, die dann für den Rest der Woche alles was sich Boulevard nannte beherrschen sollte. In einer Schlankheitspillenfabrik, nahe dem friesischen Heerenven, wurden neben Schlankheitspillen auch unerlaubte Mittel für die Schweine- beziehungsweise Rindermast und Designerdrogen hergestellt. Worüber man zu recht den Kopf schütteln konnte ist die Tatsache, dass dieses schon seit über 3 Jahren geschah und in diesem Unternehmen über 30 Mitarbeiter, die laut Medienberichte sogar über ihr Handeln bescheid wussten, beschäftigt wurden. Und bis zu diesem Zeitpunkt soll noch nichts ruchbar geworden sein? Sehr merkwürdig! Aber nicht genug mit der Herstellung dieses Zeuges sondern man betätigte sich dort auch als Ex- und Importeur. Man importierte Mittel, die in Deutschland unter das Betäubungsmittelgesetz fallen um diese als Schlankheitsmittel deklariert an dunkle Bezugsquellen in Deutschland zu exportieren. Der Wert der illegal hergestellten und gehandelten Waren sollte deutlich höher als der ausgewiesene Umsatz sein. Und jetzt zu allem das Tollste: Laut Zeitungsberichten will der „Firmenboss“, also Big Klettner, nichts von den Nebengeschäften dieses Unternehmens gewusst haben, dieses soll allein zu Lasten des belgischen Geschäftsführers Hendrik van Impe, der sich abgesetzt haben sollte, gegangen sein. Uns war es natürlich mehr als recht, dass man die Sensationslust der Leute mit solchen Dingen, bei denen aus unserer Sicht, wir Schröders außen vor waren, befriedigte. Dieses war uns angenehmer als das Lüften der Geheimnisse, die bisher von den Villamauern verdeckt waren. Da bestimmte Angelegenheiten nach ein paar Tagen uninteressant für eine Sensationen konsumierende Masse wird und sich dann die „Wild Writer“ von den Boulevardpamphleten und ihre locker mit der Menschenwürde umgehenden Kollegen von den Teleberieselern auf ihre nächsten Opfer stürzen, hofften wir schon, der Kelch könne an uns vorüber ziehen. Aber bereits das, was in den Wochendausgaben stand, bereitete unseren Träumen ein schnelles Ende. Da wurden auch in anderer Hinsicht unsere Erwartungen gekippt. Wir waren ursprünglich fest davon überzeugt, dass Christina und ich wegen unserer Abenteuer in der Villa die maßgebliche Beute der Sensationsschreiberlinge sein würden. Deren erstes Opfer in unserer Familie war aber wider Erwaten Katharina. Wieder bewahrheitete sich Wilhelm Buschs Spruch „Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.“. Eine Spur führte von Heerenven nach Bergdorf. Eine von zirka 20 „dunklen“ Bezugsquellen an die die holländische Firma Betäubungsmittel und Designerdrogen unter dem Titel „Schlankheitsmittel“ vertrieb war die Briefkastenvertriebsfirma „Natascha Friedemann, Alles für die Gesundheit und Fitness“. Diese Natascha Friedemann hat noch niemand kennen gelernt und die Firma ist in so einer Art bewohnbaren Gartenhäuschen in einer Schrebergartenanlage am Rande der Waßmannsheide. Besitzer dieses Gartens war ein gewisser Rainer Goldmann, der dieses Grundstück außer für seine nicht aktenkundige Firma noch für Schäferstündchen mit seiner Geliebten nutzte. Als die Polizei das inzwischen leicht verwildernde Gartenhäuschen durchsuchte fanden sie neben dem Drogenrest, der damals bei seiner Festnahme noch liegen geblieben war, noch ein kleines Hobbyfotolabor und eine Reihe Aktfotos seiner Geliebten sowie noch unentwickelte Filme, die aber alle die gleichen Motive wie die gefundenen Bilder hatten. Es wurde zwar der Name der Geliebten nicht genannt aber fast jeder hier in Bergdorf wusste, dass es sich um meine Katharina handelte. An diesem Morgen hatte Katha vor mir diesen Teil der Zeitung gelesen, ich hatte mir erst die Seiten Politik und Lokales vorgenommen. Nach dem Studium des besagten Artikels wirkte Katharina verstört und etwas spontan sagte sie: „Das ist ja direkt hinterhältig. Da waren nicht nur meine Bilder sondern auch in gleicher Anzahl die von ihm.“. Da ich noch nicht wusste was Sache war reagierte ich etwas verdutzt, legte meinen Zeitungsteil bei Seite und fragte kurz: „Was ist denn auf einmal, Schatz?“. Darauf schaute sie mich erschrocken mit weit auf gerissenen Augen an und dann kam kleinlaut: „Ach Pepe, mein Engel, ich habe dir bis jetzt noch nicht alles gebeichtet. Aber gerade die Kleinigkeiten kochen jetzt hoch.“. Mit „Da lies“ gab sie mir die Zeitung, stand auf und ging zu ihrem Kleiderschrank. Beim Lesen des Artikels bekam ich dann auch Herzpochen, denn auch ich hatte Katharina noch nicht alles gesagt: Verena hatte ich in Beichten glatt unterschlagen. Ich wusste jetzt, dass ich auch dieses schleunigst beichten musste, wenn wir nicht wieder in solche Situationen wie im Vorjahr kommen sollten. Als Katha zurückkam legte sie mir wortlos mit verschämten Gesicht ein paar Fotos auf den Tisch. Obwohl es heiße Bilder, die noch nicht mal schlecht gemacht worden waren sondern eine Menge Erotik ausstrahlten, blätterte ich diese, um meine Frau nicht weiter zu demütigen, nur mal schnell durch. „Kannst ruhig genauer hinsehen,“, begann sie jetzt mit reumütiger Stimme, „wenn du die siehst macht mir das nichts aus. Aber wenn ich mir vorstelle, dass sich die Kripoleute und vielleicht Pressefritzen daran aufgegeilt haben, könnte ich glatt in den Boden versinken. Ich wollte dir nichts davon erzählen um dir nicht weh zu tun. Und habe im Stillen gehofft, dass es nie rauskommt.“. Wie bereits geschrieben war nun die Gelegenheit gekommen, auch meine Verenabeichte loszuwerden: „Katha Mäuschen, ebenfalls aus dem Grund dir nicht wehzutun, habe ich dir auch noch nicht alles gesagt. Damit du von dieser Geschichte nicht auf diese Weise erfährst wie ich jetzt von den Bildern will ich sie dir jetzt beichten. Es ist allerdings schwer, da es aus meiner Sicht nicht so harmlos ist wie deine Bildergeschichte. Hoffentlich bis du mir anschließend nicht böse.“. Und dann folgte in der nächsten halben Stunde meine Verenabeichte. Ich berichte sowohl von dem Abspielen von Szenen aus der Pornoliteratur zu Dritt sowie von meinem Alleingang mit dem Mädchen. Was Katharina echt entsetzte war Verenas Alter; es entsprach ja dem unserer Tochter. Ihr etwas in Richtung „unter Druck“ vormachen konnte ich nicht, da der Alleingang ja dafür sprach, dass es mir doch irgendwo Spaß gemacht hatte. Aber dann brachte
Katha es auf den, in diesem Moment entscheidenden Punkt: „Wir haben uns alle wie bekloppte Schweine benommen. Ich glaube niemand von uns kann eine logische Erklärung für sein Handeln liefern. Wenn wir jetzt anfangen uns gegenseitig vorzuwerfen, dass das Handeln des anderen viel schlimmer als das eigene sei, richten wir nur einen riesigen, nicht mehr kittbaren Scherbenhaufen an. Meine Träume drehen sich im Moment darum, dass wir beide gemeinsam alt werden ... das ist mein sehnlichster Wunsch. Du bist wirklich alles für mich. Deshalb fahren wir jetzt wirklich besser, wenn wir uns an das halten, was wir im ‚Vater unser’ beten.“. Für den christlich nicht so bewanderten Leser erwähne ich das wir im Vater unser „und vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“ beten. Nach meinen Erfahrungen ist das himmelhoch besser als Aufrechnung und Rache, die im Grunde nur neues Leid und Schmerz aber nie Friede und Ruhe bringen, wie das die Befürworter des staatlichen Mordens, sprich der Todesstrafe, behaupten. Also stimmte ich jetzt meiner Frau voll zu und man spürte sogar postwendend, dass sich die Wogen, die an jenen Morgen über uns hereingebrochen waren, zusehenst glätteten. Am Samstagnachmittag kam, wie seit ihrem Umzug in Schwesternheim üblich, unser „Mäuschen“, also unsere Tochter, zu Besuch. Dieses Wochenende wollte sie in Gänze bei uns verbringen. Wegen der mehr und mehr im Umlauf befindlichen Geschichten aus dem „Dunstkreis“ Klettners hatte sie es, um Gerede vorzubeugen, vorgezogen keine Einladungen anzunehmen. Sie wirkte ähnlich fröhlich wie an den sonstigen Wochenenden, so das wir annahmen sie habe die Zeitung nicht gelesen. Katha, der es am Meisten unter den Nägeln brannte, fragte deshalb auch wenige Minuten nach ihrem Eintreffen: „Hast du heute morgen im ...“. Weiter kam sie nicht, denn Christina gab, ohne die Frage zu Ende gehört zu haben, die richtige Antwort: „Jau, Goldmanns Bilderchen hat man gefunden. Da brauchst du dich aber nicht zu schämen, denn auf denen siehst du verführerisch aus.“. „Kennst du die Bilder denn?“, staunte Katharina. „Die hat mir Goldmann, die alte Sau, schon gezeigt als die Sache ganz frisch war. Wer weiß, wem er die noch gezeigt hat.“, gab die Befragte zur Antwort und schloss ihre eigene Beichte gleich an: „Was dir passiert ist, kann mir auch noch passieren. Vati war wohl, als wir meine Sachen aus der Villa holten, mit den Gedanken ganz woanders sonst hätte er die beiden Poster mit seiner nackigen Tochter in der Longe bestimmt bemerkt. Die sind aber super harmlos gegenüber denen die in Klettners Büro lagern und bei Empfängen ausgehangen wurden. Die sind nämlich absolut pornografisch. Man hat in meine Scheide fotografiert oder mich beim Masturbieren aufgenommen. Boh, jetzt ist es raus bevor es in der Zeitung steht. Ich habe immer überlegt, wie ich euch das beibringen sollte. ... Übrigens, das gebe ich ehrlich zu, zu den Aufnahmen hat mich niemand gezwungen sondern da habe ich, nachdem man mich gefragt hatte, freiwillig mitgemacht.“. „So, jetzt weiß fast jeder alles vom anderen und fast nichts kann uns mehr überraschen.“, begann ich jetzt, „Das ‚Fast’, was ich jetzt zwei Mal gebraucht habe bezieht sich darauf, dass auch bei mir was war, was ich nicht ausplaudern wollte und erst heute morgen Mutti gebeichtet habe. Da war nämlich nicht nur Ma...“. Weiter kam ich jetzt auch nicht, denn unsere Tochter war wohl wirklich bestens informiert und tönte dazwischen: „Ja, nicht nur Marianne sondern auch Verena hatte die Ehre mit meinen Vati. Stimmst? Aber du lässt doch wohl nicht irgendwann Mutti in Stich und brennst mit einer Jüngeren durch?“. „Ich schätze, dass das Marianne ausgeplaudert hat.“, resümierte ich jetzt und das wurde mir dann auch prompt bestätigt. Was ich früher nicht für möglich gehalten hätte war, dass das Paradiesvögelchen es tatsächlich im Klatschen auch mit Waschweibern aufnehmen konnte. Das dürfte aber auch noch üble Aussichten für Big Klettner darstellen. Insbesondere wenn ich da an seine Impotenz und die Identität seines Sohnes denke. Noch eine bis zu jenen Tag unter uns unausgesprochene Angelegenheit kam an diesen Nachmittag zur Sprache. Da es ein wunderschöner warmer Vorsommertag war, gingen wir wieder in jenen Teil des Gartens, der auch dem Wald zugeschrieben werden könnte. Selbst Onkel Albert brauchten wir nicht zufürchten, da dieser mit seinem Pensionärsverein auf Tour war. Eben dort angekommen begann sich Tina bis auf den Slipper zu entkleiden. Das entsetzte Gesicht Katharinas hätte man fotografieren müssen, denn es dürfte sich so schnell auch nicht mehr wiederholen. Da konnte Christina auch noch ihre Meinung, die sie unbedingt loswerden wollte, an den Mann bringen: „Was ist Mutti? Ich wollte nur streifenlos braun werden. Wenn ich jetzt nicht meine Tage hätte würde ich das Höschen auch noch ausziehen. Ihr seid doch wohl nicht prüde? Ihr könnt wenn ihr wollt auch FKK machen, mich stört es nicht ... eher das Gegenteil, denn dann komme ich mir nicht so komprimiert vor.“. „Na ja, prüde sind wir nicht,“, gab Katha darauf zur Kenntnis, „aber dein plötzliches Vorpreschen haut mich ehrlich gesagt doch ein Wenig vom Hocker. Früher warst du uns gegenüber doch ganz anders und ...“. Jetzt unterbrach Tina: „Ach, ausschließlich in dieser Angelegenheit kann es nicht mehr so wie früher sein. Meine Prüderie euch gegenüber beruhte darauf, dass sich in meinen Kopf ein Bild von geschlechtslosen Idealeltern gebildet hatte und ich mich irgendwo schämte selbst ein geschlechtliches Wesen zu sein. Also, so habe ich es jedenfalls ab meiner Pubertät empfunden. Irgendwo hatte sich bei mir das Gespinst aufgebaut, dass ihr nach dem Zeugen euerer Kinder euch vom Weltlichen verabschiedet hättet. Aber durch euere Eskapaden mit Marianne und Verena auf der einen und Goldmann auf der anderen Seite wurde mir klar, dass ihr noch lange nicht trocken seid und ich mich überhaupt nicht wie beim Sündenfall schämen muss. ... Also nun macht schon und zieht euch aus. Ihr macht es doch, wie ich euch einschätze, gerne“. Katharina begann, erstens um ihre Tochter nicht zu komprimentieren, zweitens um nicht als prüde dazustehen und drittens auch aus ein Wenig eigenem erotischen Empfinden, sich, wie von Tina vorgeschlagen, vollständig zu entkleiden. An der Bräunung im Höschen- und BH-Bereich konnte Tina gleich ersehen, dass es nicht das erste Mal war. Mich törnte zwar auch die Erotik an aber ich machte aber keine Anstalten, dem Beispiel „meiner Mädchen“ zu folgen,
wodurch ich gleich bei Beiden eine Reaktion auslöste. Tina verkündete lachend: „Vati, ist dir keiner gewachsen oder bist du ein schamiger Spanner?“ und Katha bemerkte: „Na was ist Pepe? Denk doch daran, dass wir alle nur Menschen sind. Was Männer beim Anblick nackter Frauen empfinden, empfinden umgekehrt auch Frauen gegenüber Männer. So ist es auch im Verhältnis Eltern zu Kindern und umgekehrt. Aber eines ist mir bei dir klar, du siehst Tina mit anderen Augen als es bei Verena war an und umgekehrt wird Tina bestimmt nicht das empfinden was Verena beim Anblick deines Pos und Schwänzchen empfunden hat. Ihr seid ja nicht pervers. Also los Hose runter.“. Als das raus war lachte sie erleichtert und ich wagte es jetzt auch zaghaft mich zu entblößen. Jetzt stand sich also die Familie Schröder in allen Punkten nackt gegenüber: körperlich, empfindungsmäßig, geistig und mit unseren bisherigen intimen Erlebnissen. So etwas ist in einem solchen Umfang nicht unbedingt überlebenswichtig aber in einer solchen Situation, in der wir uns befanden, recht hilfreich. Wie einst Adam und Eva vor dem Sündenfall standen wir uns offen, ehrlich und ohne verheimlichtes Detail gegenüber. Wir konnten nun absolut von nichts mehr überrascht werden und hatten so weder einen Grund noch Anlass zu Intoleranz und Misstrauen. Da liegt vielleicht das Geheimnis dafür, dass wir nicht nur gut sondern letztendlich gestärkt aus den Dingen, die jetzt noch auf uns zu kamen, hervorgingen. Jetzt standen wir noch am Beginn des zweiten Aktes unseres Dramas. Die Familie Schröder war bis jetzt nur am Rande berührt worden. Aber das es nicht da bei bleiben würde, war für uns so sicher wie das Amen in der Kirche.
Zum Kapitel 31
Zum Inhaltsverzeichnis
Die Verlockungen des großen Geldes Heute in Zeiten des puren Materialismus sind die Leute bereit alle Werte gegen Mammon einzutauschen. Sie verhökern ihre Ehre, Würde und Ideale. Und nicht nur ihre eigenen sondern auch die ihres Partners, ihrer Familie oder Gemeinschaft. Wie sonst ist es erklärlich, dass man sich wochenlang vor laufenden Kameras prostituiert wie in Sendungen vom Typ „Big Brother“, „Girl-Camp“, „Big Diet“, „Ich heirate einen Millionär“ und anderen mit RealityFormat benannten Tiefstniveauprogrammen. Man muss sich oft fragen wer primitiver ist, die Macher solcher Sendungen oder die Leute, die sich als Ausstellungsobjekte in einen Container sperren lassen. Aber auch an anderen Stellen sind Menschen bereit gegen Money das preis zu geben, was ihre Person ausmacht. Ich denke da an die Dummlaberschau oder (neudeutsch) Talkshow genannten öffentlichen Vorführungen des Innen- und Intimlebens. Auch die Schreiberlinge der Schmier- oder (offiziell) Boulevardpresse machen sich die Lust auf Verkauf der eigenen Würde zunutze und bieten Geld für ausgeplauderte schmutzige Wäsche. Wenn dann Einzelne so wenig Rückgrat besitzen und die Dinge, die eigentlich zu ihrer geschützten Privatsphäre gehören, einer Meute von Voyeuren zum Fraß vorwerfen, fällt dieses jedoch unbestreitbar unter ihr Selbstbestimmungsrecht. Das man dabei aber billigend in Kauf nimmt, dass die Grundrechte Dritter, gleichgültig ob Täter, Opfer, Zeuge, Beteiligter, Zuschauer oder nur zufällig Anwesender, auf dem Altar des Populismus opfert ist aus meiner Sicht nicht hinnehmbar. Wie erschreckend ist es, das im gelobten Land des Gottes Mammon, in den USA, der Schutz der Grundrechte von Opfern und Zeugen so wenig zählt und man öffentliche Schauprozesse, vom Mord bis zur Ehescheidung, im Fernsehen bringt. Richter als Talkmaster für eine Herde von Gaffern, die nur auf eins warten: „Rübe ab“. Tief sind wir gesunken; geht es noch tiefer? Na ja Leute, irgendwo muss man sich auch mal auf emotioneller Weise Luft machen. Dieses gilt insbesondere dann, wenn ich daran denke was sich Ende Mai 2000 auch unter Reinzerrung meiner Familie, also der Schröders, ereignete. Am Montag, ich glaube es war der Zweiundzwanzigste, kam Katharina von ihrem Dienst im Frauenhaus nach Hause und hatte mir viel zu berichten. Montags kommen verschiedene Magazine und Regenbogenblättchen auf den Markt. Eine Bewohnerin des Hauses hatte sich von der, sie bemutternden Hannelore Haupt, ein solches Herz-SchmerzBlättchen, über das sie sich gleich querlesender Weise hermachte, mitbringen lassen. Ein Artikel fand ihre besondere Aufmerksamkeit. Bei ihr dauert das Lesen offensichtlich etwas länger und daher war fast eine Dreiviertelstunde vergangen bis sie nach getaner Tat die „Vollversammlung der Bewohnerinnen“ zum gemeinsamen Artikelstudium einberufen konnte. Eine Bewohnerin, offensichtlich diejenige die des Lesens am Mächtigsten war, las den anderen, hinter ihr kauernden Damen vor. Der Aufenthalt hinter dem Rücken hatte wohl den Grund, dass man gleich die passenden Bildchen betrachten konnte. Nach einer Stunde war auch diese Sitzung zu Ende und dann wurden auch die Betreuerinnen, außer Katha, in die Superstory eingeweiht. Das man meine Frau ausschloss hatte seinen Grund darin, dass man sie als eine Hauptperson im schmutzigen Spiel identifiziert hatte und jetzt waren alle stolz, so eine „Berühmtheit“ zu kennen. Katharina hatte wohl mitbekommen um was es ging aber mehr auch nicht, da alle Gespräche an diesem Tag hinter ihren Rücken abliefen. Offiziell tat sie so, als ließe sie das Ganze irgendwo kalt. Sie hatte beim Mobbing im Kindergarten gelernt, das man dem Mob nie eine verwundbare Stelle zeigen darf; nur so entkommt man einer leftzenden Meute. Also kaufte sie sich dieses Blättchen, dass ihr unter normalen Umständen keinen Pfennig wert gewesen wäre, auf dem Nachhauseweg. Nach ihrer kurzen Einleitung lasen wir jetzt gemeinsam den besagten Artikel. Nur der Einfachheit halber lass ich vor während Katha sich bei mir seitlich eingekuschelt hatte. Es handelte sich um eine Inhaltsangabe zu einen Buch, das offensichtlich derzeitig noch ein Ghostwriter im Namen von Marianne Berghoff-Klettner schreibt. Worum es sich handelt brauche ich hier nicht wiederzugeben, denn das habe ich in den vorhergehenden Kapiteln ausführlicher und wahrheitsgemäßer niedergeschrieben. In dem Artikel stand die gleiche Story, wie ich diese bisher behandelt habe. Nur das die Blättchenfassung an diversen Stellen sensationell ausgeschmückt war und dann alles das, was die Autorin betraf, in einer auf die Tränendrüsen drückenden Art geschönt war. Natürlich waren die Namen sogenannter Dritter geändert. So hieß ich zum Beispiel Pepe Kanzler. Das erste ist mein wirklicher Kosename und das zweite lässt eine Assoziation auf den Nachnamen Schröder zu. Bei Katharina hatte man es sich einfach gemacht und nur den leichtgeänderten Vornamen der Tochter zur Mutter ausgetauscht. So wurde aus Katharina dann einfach eine Christine. Und bei Christina blieb es dann bei ihren Kosenamen Tina. So wussten jetzt alle, die sich das Blatt zu Gemüte geführt hatten, dass ich in erster Linie den impotenten Millionär Klettner im Bett vertreten hatte. Meine Leistungsfähigkeit hatte ich vor Beginn meiner Tätigkeit der Dame in einem Taxi am Waldesrand bewiesen. In diesem Zusammenhang konnte man auch erfahren, dass der Herr über Millionen schon immer „Luft im Spind“ hatte und auch bei der Zeugung seines Erbens sich von einem katholischen Priester hat vertreten lassen. Was mich betraf ist noch zu erwähnen, dass ich so sexhungrig war, dass ich gleich die Schwiegertochter des Hauses – dass sie eigentlich Hausmädchen war wurde mit keiner Silbe erwähnt – mitvernaschte. Meine Frau vergnügte sich in dieser Zeit ersatzweise mit einen inzwischen verurteilten Todesengel. Als „Madam“ meine Ehe „gekittet“ hatte, trat meine Tochter in ihre Dienst und verschaffte sich bei Klettner Nebeneinkünfte mit Pornofotos und sexuellen Diensten bei den Gästen. Der Rest, der uns betrifft entspricht dann weitgehendst der Wahrheit. Die Frauenhausbewohnerin, die sich die Zeitung hat besorgen lassen, wohnt seit nunmehr 3 Monaten in dieser Einrichtung und hatte so auch zu Ostern Marianne, die sie jetzt auf einem Pressefoto wieder erkannte, kennen gelernt.
Da in der Einleitung stand, dass die arme geschundene Marianne nach Prügel durch ihren Mann erst ins Frauenhaus flüchteten musste und dort die inzwischen in diesem Hause als Betreuerin arbeitende Frau ihres Exbeglückers wiedertraf, war jeder Dame im Haus ohne Zweifel sofort klar, das Katharina unverwechselbar identisch mit Christine Kanzler war. Nach meiner Vorlesung kommentierte Katha erstaunlich gelassen: „Au weia, jetzt sind wir ja berühmt. Ich wusste ja schon immer, das mein Pepe ein toller Hengst ist“. „Tut dir das denn gar nicht weh?“, wollte ich jetzt von ihr wissen. „Doch, ... sehr sogar. Aber was wollen wir machen. Federn die der Wind verweht hat kann niemand mehr einsammeln. Das Zeug ist jetzt millionenfach gelesen worden und wird aber in unserer schnelllebigen Zeit bald vergessen sein. Dagegen etwas zu unternehmen ist ja ohnehin nur ‚Rechtsanwälte bereichern’, die verlorene Ehre der Schröders können nur wir selbst mit unserem eigenen Rückgrat wieder errichten.“, antwortete sie mir leise und bedächtig. „Im Grunde hast du Recht,“, fuhr ich ebenfalls bedächtig fort, „aber was machen wir jetzt und hier? Wie soll es bei dir im Frauenhaus laufen?“. Auch hier bekam ich jetzt die richtige Antwort: „Och, da werde ich ohnehin nicht alt und mobben lasse ich mich nicht mehr. Ich bleibe dabei: Kopf hoch und durch ... und das ganze an deiner Seite mein Schatz.“. Jetzt wollte Katharina erst mal zur Erholung ein Bad nehmen. Sie saß gerade in der Wanne als unsere Tochter zu einer außerordentlichen Visite eintraf. Als sie ins Wohnzimmer kam, sah sie das Blättchen auf dem Tisch liegen und tönte: „Na ja, siehst du, dann kann ich unsere Story auch mal lesen. Im Krankenhauskiosk war das Klatschblatt heute ausnahmsweise mal ausverkauft. Alle kennen Klettner und zusätzlich hat sich wie ein Lauffeuer im Hause herumgesprochen, dass ich die flotte Maid Tina bin.“. Jetzt fragte ich auch unsere Tochter was sie jetzt erwarte: „Eigentlich genau das, worüber wir uns bis jetzt mehrfach unterhalten haben. Und ich will auch so verfahren wie wir es uns vorgenommen haben. Damit ich ein Zeichen setze, dass sich für mich nichts geändert hat, bin ich heute Abend hier mal außer der Reihe angetanzt.“. Dann beichtete sie noch, dass sie jetzt damit rechnen müsse, das wieder Mobbingversuche gestartet würden. Diesmal wollte sie aber, wie ihre Mutter auch, sich denen kantig widersetzen. Nur nicht den anderen zeigen wo es wehtut. Irgendwie wäre das Personal im Bethanien anders wie im Städtischen. Man habe sie freundlich und direkt angesprochen. Dann hat sie bekundet, dass da tatsächlich was dran gewesen sei aber nicht so „sensationell“ wie es dort geschrieben stünde. Das hätten alle akzeptiert und wären so, als sei nichts gewesen, zur Tagesordnung übergegangen. Nur einzelne Patienten könnten es nicht lassen, ihren Senf dazu zu geben. Sie glaubte, dass da noch einiges auf sie zukommen würde. Als Christina nun endlich auch mal dazu kam den Artikel zu lesen war inzwischen auch Katharina, im Gefühl entspannt zu sein, dem Bade entstiegen. Da sie anschließend noch im Schlafzimmer die Wäsche wechseln wollte, kam sie erst mal so wie Gott sie geschaffen hatte im Wohnzimmer vorbei um ihr Töchterchen zu begrüßen. So schnell wie sich Katha das gedacht hatte war sie allerdings nicht wieder draußen. Tina berichtete ihr erst mal was heute im großlettrigen Tagesboulevardblatt stand. Klettner habe seine Frau mit einem kleineren 6-stelligen Betrag abspeisen wollen. Da habe sie sich das, was sie sich vorstellte von einem Verlag geholt, bei dem demnächst ihr Buch erscheinen soll. Der Verlag habe sich auch die Filmrechte gesichert. Mit den Worten „Das wird ja was geben: Arnold Schwarzenegger als Pepe Schröder und Dolly Buster als seine Frau“ entschwand meine momentan nackte Frau jetzt endgültig ins Schlafzimmer und Christina kam endlich zum Studium des Artikels. Was mir in dieser Situation am Besten gefiel war, dass meine beiden Mädels jetzt offensichtlich den Humor behielten. Dieses zeigte sich auch im weiteren Verlauf dieses Abends, den ich im Nachhinein sogar als gemütlich bezeichnen kann. Nun Marianne brauchte Geld und hat es von Boulevardschmierfinken bekommen. Auch ich brauchte Geld und hätte es aus gleicher Quelle kriegen können. Schon am nächsten Morgen bekam ich Besuch und sah mich plötzlich auch der Verlockung des großen Geldes ausgesetzt. Da wir immer noch kein Telefon hatten und mich auch niemand unter dem Eintrag Albert Haffner suchte, musste dieser Pressefritze in Begleitung einer ordinär aufgedonnerten Kunstblondine halt unangemeldet erscheinen. Er stellte sich als Harp A. Kentucky – oder so ähnlich, ich habe mir den Kunstnamen nicht so verinnerlicht - vor. Es klang aber gut und ebenso auch der Name der Agentur: MultiMediaPress . Auch für den Agenturnamen würde ich jetzt keine Hand ins Feuer legen. Nur die Verunglimpfung der deutschen Grammatik, die man mit logotyper Schreibweise abtut, also die Großschreibung eines Buchstabens, in diesem Fall sogar zwei, in einem Wort ist 100%-ig bei mir hängen geblieben. Auf jeden Fall klang alles schön Neudeutsch oder Pitschenenglisch, also so richtig werbemäßig chic. Ich bin mir allerdings sicher, das auf seinem Geburtsschein ganz was anderes steht. Die unter einem Chemiegemälde versteckte Dame, die unsere Wohnung unter einer Dunstglocke orientalischer Wohlgerüche versteckte, wurde mir als seine Assistentin, die offenbar nur einen Vornamen, ich glaube Jannett, hatte vorgestellt. Also, meiner jetzigen Beschreibung kann man entnehmen, dass die beiden auf Toppmodern gestylt waren und mir diese, vielleicht gerade deshalb, recht unsympathisch waren. Der Herr erwies sich als perfekter Klinkenputzer, nur das er mir kein Staubsauger verkaufen sondern mir Stichworte, aus die man eine tolle Story machen konnte, abkaufen wollte. Nachdem er gegangen war und ich ohne dem Background seines Dauergequatsches nachdenken konnte, war mir klar, dass er nur meinen Namen als Legitimation und ansonsten nur Stichworte haben wollte. Im Übrigen sah es so aus als wolle er eine Mafia-Story schreiben, in dem Hannsfrieder Klettner der impotente und damit geschlechtslose Pate sein sollte. Mir war offensichtlich die Rolle des beglückenden Haremswächter bei zwei Damen – Ehefrau und Schwiegertochter – zugeteilt worden. Die Mafiosos fürs Schmutzige sollten Goldmann, Berghoff und Sascha Schulte sein. Meine Frau war für ihn die Gangsterbraut Goldmanns und meine
Tochter die arme Sklavin Schultes. Entschuldigung, was ich jetzt geschrieben habe ist ein Wenig überspitzt und damit wäre der Knabe bei mir auch sofort abgeblitzt, aber die Tendenz des Gespräches ging ganz in die Richtung des Niedergeschriebenen. Um keine Verwirrung anzurichten spare ich mir an dieser Stelle mal die reale Wiedergabe des „Gesprächs“. Die Anführungsstriche bei „Gesprächs“ habe ich jetzt mit voller Absicht gesetzt, denn der Herr sprach fast unentwegt alleine und ich konnte immer nur mal Halbsätze dazwischen pflücken. Dieses ist übrigens eine Art, die in mir die Aggressionskurve steil nach oben steigen lässt und daher standen die Herrschaften kurz vor einen Rausschmiss. Ich führe dieses darauf zurück, dass man mich ja nur vom Hörensagen kannte und man mich offensichtlich falsch eingeschätzt hat, da man in solchen Unternehmen mit allen Wassern der Psychomassage und Demagogie gewaschen ist und mir, wenn man mich kannte hätte, bestimmt einen anderen Typen von Auf- oder Abschwatzer geschickt hätte. Was mir an jenem Tag seltsam vorkam war, dass der Medienheini die eigentliche Sache „Scheingeschäfte, Verschiebung von Gewinnen und Steuerhinterziehung“ als mehr oder weniger belanglos bei Seite schob und stattdessen die Dinge, die für die Allgemeinheit im Grunde nicht uninteressant aber höchst unbedeutend sind, ganz oben anstellte. Die Sache mit dem holländischen „Pillenladen“ und die internen Geschehnisse innerhalb der Villa Klettner waren für ihn das ganz heiße Eisen. Dem Knaben ging es kaum um den, bis vor Kurzem noch in Wirtschaftskreisen und Politik hochgelobten Manager Hannsfrieder Klettner sondern um den impotenten Paten einer Drogenmafia gleichen Namens. Mühlheims und die Banker, die bei den Wirtschaftsstraftaten eine wesentliche Rolle spielten, waren für ihn Nebenpersonen, die man, wenn überhaupt, nur wenn es der Story dient, erwähnen musste. Die interessanten Personen waren für ihn normale Kriminelle wie Rainer Goldmann und Volker Berghoff. Meine und Katharinas Bettabenteuer und die „ausgelassenen“ Partys in der Villa waren für ihn bedeutsamer als die Gefährdung von über tausend Arbeitsplätzen in der Wolfhard AG und dem „Klettner-Mühlheims-GmbH-Imperium“. Das was ich vorher zu wissen glaubte wurde jetzt als Tatsache bestätigt: Die Masse interessiert sich brennend für Mord, Totschlag und Porno aber die Dinge in Politik und Wirtschaft, die den Einzelnen oft nachhaltig anbelangen, sind nur maximal eine Schlagzeile wert. Und die Medien, deren Ziel es ist durch Verkauf von Werbung kräftig abzusahnen, geht es kaum um gesellschaftskritischen beziehungsweise –begleitendem Journalismus sondern um die Befriedigung primitiven Voyeurismus. Letzteres bringt Quote und/oder Auflage. Schlägt den niemanden das Gewissen, wenn es durch Überfütterung mit „sensationellen“ Belanglosigkeiten zur Volksverdummung kommt. „Halt du sie dumm, dann können wir sie gemeinsam ausnehmen“, sagte der Politiker zum Medienzar. Normaler Weise wäre das Ganze kein Thema für meines Vaters Sohn gewesen wenn da nicht die böse Verlockung des großen Geldes gewesen wäre; Mephisto und Dr. Faust ließen grüßen. Für relativ wenig, wie Exklusivrechte mit meinen Namen und Stichworte, bot der Medienagent einen für mich riesigen Tauschhilfsmittelhaufen. Damit hätte ich mir mit einen Schlag meine Verfolger, also die Inkassogeier, vom Halse schaffen können. Dann wäre immer noch ausreichend Kapital für einen erfolgsversprechenden Ortswechsel gewesen. Fernab vom Kreis Neuhausen, fern von Bergdorf und der Villa Klettner sind wir unauffällige Alltagsmenschen, die ihre Ruhe haben und ihr kleines Glück pflegen können. Unsere Mitleidenschaften im zweiten Teil der Klettner-Story ist ja nur auf die räumliche Nähe, auf Bekanntschaften und Zuordnungsmöglichkeiten zurückzuführen. Weit weg, wo uns kaum jemand oder niemand kennt, finden wir unsere Ruhe. Und wen schädige ich denn, der nicht ohnehin in anderer Weise schon ausreichend betroffen und „berüchtigt“ ist? Mein innerer Schweinehund erzählte mir immer wieder, das ich doch nicht auf Leute, die auf mich ja auch keine Rücksicht genommen haben und mich schädigten, Rücksicht nehmen sollten. Einen Tag vorher hätte ich noch bestritten, dass mich die Verlockung des großen Geldes in solche Gewissensnöte hätten bringen können. So kam es, dass ich nicht gleich Nein sagte und die Leute rausschmiss sondern mir Bedenkzeit bis zum nächsten Tag erbat um erst mal alles mit meiner Frau besprechen zu können. Der Knabe von der Medienagentur fuchtelte mir immer mit einem sogenannten Vorvertrag, damit ich nicht an die Konkurrenz verkaufe, vor der Nase herum aber so schnell unterschreibt ein Pepe Schröder heute nichts mehr. Vor allen war das ein recht umfangreiches Papier was ich im Beisein dieser Quasselstrippe kaum hätte vollständig studieren können und bei so einen verschleiernden Juristendeutsch bedarf es zudem noch einer gründlicheren Prüfung, die ich beim besten Willen nicht am Wohnzimmertisch vornehmen kann. Für mich war so etwas gleichbedeutend mit Haustürgeschäften oder dubiosen Internethandel mit www.schickername.com, wo das zur Homepage gehörende Unternehmen in einer vernetzten Scheinwelt versteckt ist und das man, wenn die mit einer Kreditkartennummer, zu die sie gekommen sind, fröhlich damit Schindluder treiben, an keinem Ort der Welt verklagen kann; also, von solchen Dingen, von dem ich schon von jeher die Finger gelassen habe. Meine Einstellung passte den Besuchern überhaupt nicht aber sie mussten sich mit meinem Wort, dass ich an keinen anderen „veräußern werde“, zufrieden geben. Na ja, sie waren halt moderne Menschen und in der Moderne werden zwar viele Worte gemacht aber kaum eins zählt noch was. Politiker vor und nach der Wahl sind ja hierfür der beste Beweis. Am Abend sprach ich dann die ganze Angelegenheit mit Katharina durch. Auch bei ihr stand das Geld im ersten Moment für Schuldenbezahlen und dann weit, weit weg. Und deshalb konnte auch sie sich der ungeheuren Verlockung nicht sofort widersetzen. Geschlagene drei Stunden diskutieren wir dieses Thema mit allen Für und Wider hin und her. Dabei war immer klar, dass wir so etwas aus unserem weltanschaulichen Standpunkt nicht mittragen konnten und wir damit ein Stück unserer Würde zu Markte tragen würden. Aber der Anreiz von allen Übeln weit weg zu sein und auf so eine „familiäre Insel der Glückseligkeit“ gelangen zu können beflügelte unseren inneren Dreckskerl immer wieder uns
zu raten, uns in eine schwabbelige Qualquappe zu verwandeln. Jetzt kann ich an dieser Stelle nicht das ganze Gespräch, zu mal es sich nicht nur einmal im Kreise drehte, wiedergeben aber das Fazit will ich der werten Leserschaft nicht vorenthalten: Wir haben unser Rückgrat nicht abmontiert und sind aufrecht stehen geblieben. Beide waren wir der Meinung das man in erster Linie vor Gott und dann vor sich selbst bestehen muss. Lieber am Ende des Lebens auf eine erfüllte Zeit, in der man sich selbst achten konnte, zurückblicken, als ohne größere innere Werte als Treibholz im großen Strom zu schwimmen. Man merkt hier, dass unsere christliche Überzeugung federführend bei unserer Entscheidung war. Wir erteilten den Medien und dem großen Geld jetzt und in der Folgezeit – es traten in Folge noch so zwei Heinis bei uns auf – eine Abfuhr; wir standen zu unserer Person, zu unserem Ich. Diese Entscheidung hat uns übrigens in der Folgezeit viel Kraft gegeben, denn unser diesbezüglicher Stolz beflügelte uns immer wieder. Geld und Leben sind halt zwei verschiedene Dinge, die nicht immer miteinander vereinbar sind. Erst nach Abschluss unserer soeben beschriebenen Diskussion kam ich dazu Katharina zu fragen wie es an diesem Tag im Frauenhaus gelaufen sei. Da berichte sie mir, dass sie seltsamer Weise den Eindruck gewonnen habe, dass die Bewohnerinnen mehrheitlich mannstoll und sexversessen seien. Man hatte Katha sogar direkt nach der Länge und Standfestigkeit meines Penis und die Zeit bis zum Orgasmus gefragt. Sie folgerten, dass jemand der als Beglücker eines prominenten Millionärsweibchen beschäftigt wird schon eine Menge drauf haben muss. Katharina glaubte, dass die Damen auf sie richtig neidisch gewesen wären, weil sie einen solchen Hyperhengst im Bett habe. Natürlich tat Katha alles mit einen Scherz ab und fühlte sich durch diese Sachen nicht besonders in ihrem Wohlempfinden beeinträchtigt. Seltsam empfand sie insbesondere, dass das Verhalten der Damen nicht gerade für arme von ihren Vergewaltigern geschundene Frauen spricht; die müssten doch eigentlich die Nase von den Kerls voll haben. Ganz im Gegensatz dazu die Ansichten des Teams, also der Mitarbeiterin. Nach Kathas Auffassung handelt es sich bei denen durch die Bank um Poweremanzen auf Psychotrip. Die hatten an jenen Tag in Katharina dann auch mehr eine psychisch schwer misshandelte Frau gesehen, die am besten bis zu dem Zeitpunkt wo ein Platz in der Klapsmühle frei wird im Frauenhaus von der Betreuerin zur Bewohnerin wechseln sollte. Die Empfehlung einer Psychotherapie kannte Katha allerdings schon aus der Zeit des Mobbings im Kindergarten. Dank des Psychoticks, insbesondere auch der Leiterin Hannelore Haupt, lief nach Ansicht Katharina der Zug unaufhaltsam wieder in Richtung Mobbing - aber der sollte jetzt ohne sie abfahren. Sie brachte es schlicht auf einen Nenner: „Stell dich schon mal darauf ein, dass du mich nach dem 30.6. wieder den ganzen Tag am Halse hast ... über die Probezeit komme ich bestimmt nicht hinaus. Nur aufgrund des Paragraphen 119 im Arbeits-Förderungs-Gesetz erledige ich jetzt nicht selbst die Arbeit von Hannelore und kündige mich selbst.“. Wie es im Krankenhaus bei Tina gelaufen war konnte ich an diesem Abend nicht abfragen, da musste ich mich schon einen Tag gedulden. Da war es allerdings interessanter, denn offenbar können nicht alle Leuten den bisher in diesem Kapitel beschriebenen Verlockungen widerstehen. Ganz im Gegenteil, da meldeten sich Leute auf die, den Umständen entsprechend, die Medien nicht von selbst gekommen sein können, um ihr Wissen kundzutun. Möglicher Weise gibt es sogar Leute die aus wichtigtuerischen Gründen sogar kostenfrei, nur in der Hoffnung mit dem Applaus der Voyeure belohnt zu werden, laut „Hier“ schreien. Auf jeden Fall beriefen sich die Boulevardschmierer am Mittwoch auf eine Dame, deren Namen mir nichts sagte und die ich, da kein Bild von ihr dabei war, so auch nicht zuordnen konnte. Sie berichtete von den Vorgängen auf den Klettner-Empfängen, bei der in der Regel nur die „Creme der Oberschicht“ vertreten gewesen wäre. Aus eigenem Erleben kann ich sagen, dass die Sache mehr als reichlich ausgeschmückt worden war. Nur einen ganz dicken Fehler enthielt die Story: Alles was die „Informantin“ von Verena berichtete hatte sie Tina zugeschrieben. Also was zu meiner und Verenas Zeit geschah, war Zeit versetzt worden. Entweder hatte die Dame die Geschichte vorsätzlich gedreht oder hat sich nach der Devise „Was nicht sein darf, kann nicht sein“ einfach nur getäuscht, weil ihr der Aufstieg von der Partydirne zur Schwiegertochter doch etwas unwahrscheinlich erschien. So polterte Christina, als sie am Abend zu uns kam auch gleich los: „Man das finde ich ja direkt zum Kotzen. Da erfindet irgend so eine Idiotin eine Pornogeschichte und dichtet mir diese an.“. Ich musste sie erst mal aufklären: „Die hat nichts erfunden aber die hat die Personen verwechselt. Das warst nicht du sondern Verena aber ansonsten handelt es sich um eine ausgeschmückte Wahrheit.“. Jetzt wurde Christina richtig blass: „Mann oh Mann, da habe ich sogar ein Bisschen Glück im Unglück gehabt. Ich hatte mich damals allen ernstes bereit erklärt, alles das zu machen was Verena auch gemacht hat. Ich dachte immer, dass es, wo sie doch später die Schwiegertochter wurde, nicht so schlimm gewesen sein konnte. Sind denn Marianne und ihr Männe nicht vor Scham in den Boden versunken als sie vor versammelter Freiermannschaft die Verlobung ihres Lustmädchens mit ihrem Sohn bekannt gaben?“. Nachdem dieses abgeklärt war ging es um die Frage, ob wir was unternehmen sollten und wenn ja, was. Das ist nämlich nicht ganz einfach, denn wenn man alles in Bausch und Bogen abstreitet taucht bestimmt jemand auf, der einen doch was nachweisen kann. Sagt man, dieses war nicht ich sondern ich habe jenes gemacht, liefert man sich selbst ans Messer. Denn wenn nichts stimmt, das was man selbst zugegeben hat, kann man später nicht mehr wegleugnen. Letztlich einigten wir uns auf: „Ach Schwamm drüber, irgendwann sind auch über diese Sachen Gänseblümchen gewachsen. Solche Promis, dass man sich in 10 Jahren noch groß an uns entsinnt sind wir ja auch nicht. Dahingehend haben sogar Leute, die sich als historische Persönlichkeiten einschätzen, Schwierigkeiten, da sie möglicher Weise in ein oder zwei Jahrzehnten nur noch eine Quizfrage darstellen“. Diese Aussage traf unser hauptbetroffenes Töchterchen höchst persönlich.
Nach dem wir die „erotische Verwechselungsstory“ abgehandelt hatten konnten wir zu den Dingen um den Dienst im Krankenhaus kommen. Bei Christina war es genau umgekehrt wie bei ihrer Mutter. Während Katharina aufgrund ihrer Bekanntschaft zu den potentesten Männern im näheren und weiteren Umkreis, mit einem war sie sogar verheiratet, im Ansehen und der Gunst ihrer Klientinnen, sprich den Frauenhausbewohnerinnen, stieg war Tina das Ziel lockeren Patientenmobbings. Wenn sie in ein Krankenzimmer kam wurde sie gefragt wann die volldurchsichtige Schwesterntracht aus der Wäsche käme oder ob sie alles zur Entnahme der Spermaprobe mitgebracht hätte. Ein Knabe hatte dabei dann sein vermeintliches Edelteil vor ihr entblößt. Da hat sich Christina erlaubt genau hinzusehen und kommentiert, dass sie mit solchen Kleinteilen nicht so einen großen Wirbel machen würde, sie wäre andere Kaliber gewohnt. Dieses ist überhaupt die Taktik mit der sie den Anwürfen begegnete: Sie zeigte sich überlegen und erhaben, aber bleibt dabei immer noch freundlich während sie ganz energisch so gut wie niemanden an sich herankommen lässt. Aber das war es, was Kollegen und Vorgesetzte imponierte. Ihre menschliche Überlegenheit ließ sie im Ansehen der Mitarbeiter wachsen. Das ist wiederum bei Katha genau umgekehrt. Ihre Kolleginnen führen ihre Art auf einen psychologischen Knacks zurück und haben schon mächtig zur Mobbingattacke mobil gemacht. Meine Beiden hatten aber zum Glück auch ein paar hilfreiche Gemeinsamkeiten. Sie hatten aus den Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit gelernt. Einerseits konnten sie jetzt nach der Devise „Das geht mir ja am Popo vorbei“ wegbeziehungsweise einstecken und auch zum Dienstschluss die Jalousien runterziehen. Dadurch waren sie in ihrer Freizeit zu meiner Freude trotz allem noch muntere und aufgeschlossene Wesen. Lediglich Christina hatte Probleme mit dem Werben netter junger Männer. Laut ihren Emotionen hätte sie diesen oder jenem gerne nachgegeben aber ihr Verstand verbot ihr dieses vorerst strickt. Auch das „Konsequenzen ziehen wollen“ war beiden gemeinsam. Katha wollte nach dem Probezeitabschuss erst mal gelassen Arbeitslosengeld beziehen und Christina wollte sich auf Stellenausschreibungen in Arztpraxen bewerben – aber alles in Ruhe, da sie niemand hetzt. Tina war aufgefallen, dass in letzter Zeit Ärzte verstärkt Krankenschwestern als Sprechstundenhilfen anwerben wollen. Unsere Tochter sah dort zwei Vorteile: Erstens gibt es in einer Arztpraxis keine den ganzen Tag im Bett liegende Patienten, denen dann nichts besseres einfällt, als das Pflegepersonal und junge Ärztinnen zu foppen und andererseits bieten Sprechstunden eine geregelte Arbeitszeit. Allerdings konnte sie sich hinsichtlich Letzterem im Bethanien allerdings auch nicht beschweren. So, bis hier her habe ich in tagebuchähnlicher Form von den jüngsten Ereignissen berichtet. Würde ich so weiter machen würden sich die Wiederholungen bis zur Langeweile häufen und deshalb ist mal wieder eine zusammenfassende Kurzfassung angesagt. Dann fange ich mal mit der für den Wirtschaftsteil relevanten Sache an, weil ich diese entsprechende Berichterstattung damit hier abschließen kann. Für die Wolfhard AG wurde ein Sanierungskonzept erarbeitet und die Aktiengesellschaft wurde letztlich gerettet. Auch hier zahlten mal wieder Arbeitnehmer die Zeche für die Dummheit der Bosse, denn über 200 Arbeitsplätze gingen letztendlich verloren. Gegen Klettner, Mühlheims und ein paar Banker wird weiterhin, auch zur Zeit meiner Niederschrift noch, wegen Untreue und Steuerhinterziehung ermittelt. Bekanntlich dauert so etwas bei einer so schwierigen Materien immer ein Bisschen länger. Klettner und Mühlheims haben eine Unternehmensberatung mit der Veräußerung ihrer Anteile an den GmbHs beauftragt. Erwähnenswert ist noch, dass die beiden Millionäre größere Geldbeträge hinterlegen mussten. Einmal als Kaution, um auf freien Fuß zu bleiben, und einmal als Sicherheit zur Abdeckung der hinterzogenen Steuern. Zahlungskräftige Immobilieninteressenten können sich inzwischen auch bei einem Makler nach der Klettner-Villa erkundigen. Und damit ist jetzt der Wirtschaftsteil für uns endgültig erledigt. Im Boulevardteil blieb es noch etwa 14 Tage so munter wie ich es beschrieben hatte aber viel Neues gab es nicht mehr. Nach den besagten zwei Wochen wendeten sich die überregionalen Medien anderen Dingen zu. Ich weiß jetzt nicht, ob es sich für die großen Storyaufkäufer gelohnt hat aber ab etwa Mitte Juni waren die Quellen, die ich als Verlockungen des großen Geldes bezeichnete, versiegt. Da hätte ich nichts mehr für meinen unbedeutenden Namen und meine indiskreten Stichworte bekommen. Was dabei sogar komisch anmutet ist, das Goldmann plötzlich Bewegung in eine Sache brachte, worauf der Medienfuzzi, als er bei mir war, eigentlich aus war. Jetzt interessierte es aber außer der Kripo, die dann auch wieder bei uns vorstellig wurde, scheinbar niemand mehr. Allerdings wurde dann Big Klettner, bei dem ich vorher den Eindruck hatte als täte er so als ob ihm das Ganze gar nichts anginge, auch uns gegenüber recht munter. Aber sparen wir uns das für ein weiteres Kapitel auf. Die Steine, die im Kranken- und im Frauenhaus inzwischen ins Rollen gebracht wurden, konnte allerdings keiner aufhalten. Sie ließen sich noch nicht mal bremsen sondern die beschleunigten sogar noch ein Wenig. Aber auch dieser Sache will ich mich noch gesondert und ausführlich widmen. An dieser Stelle können wir jedoch mit der Feststellung, das Sensationen schnell abstürzende Senkrechtstarter sind, erst mal abschließen. Nichts ist so uninteressant wie die Sensation von Gestern.
Zum Kapitel 32
Zum Inhaltsverzeichnis
Ein peinliches Geständnis In den letzten beiden Jahren waren Geburtstage im Hause Schröder immer unter die Rubrik „unglücklich bis tragisch“ gefallen und wie es jetzt im Juni und Juli 2000 aussah sollte es wohl bei der Gleichung „Geburtstage gleich Schicksalstage“ bleiben. Der erste solcher Tage in diesen beiden Monaten war der Pfingstmontag. An diesem Tag hätte unser Thomas, wenn er nicht letztes Jahr auf meinem Geburtstag verunglückt wäre, auf ein weiteres Lebensjahr zurückblicken können. Es dürfte wohl ein jeder verstehen, das an einem solchen Tag bei Eltern Erinnerungen und Trauer hochkommen. Katharina und ich waren an diesem 12. Juni 2000 sehr aufgekratzt und teilweise lagen unsere Nerven äußerst blank. So kam es an diesem Tage zum ersten handfesten Ehekrach seit ihrem wundersamen Erscheinen in Barcelona. Da kamen dann doch, obwohl wir uns versprochen hatten, dass wir dieses nie mehr machen wollten, wieder Dinge auf den Tisch über die wir uns eigentlich gegenseitig Absolution erteilt hatten. Katha warf mir nun doch mein intimes Verhältnis zu dem Hausmädchen Verena vor und ich konterte mit den Pornobildern die in Goldmanns Gartenhaus entstanden. Bis zu jenem Tage hatte ich mir diese besagten Bildchen, die mir jetzt im Zuge der Auseinandersetzung vorgeschleudert wurden, noch nicht genau betrachtet. Seltsamer Weise wirkten die Bilder meiner Streitlust zunächst entgegen, denn alle Bilder hatten eher mit Erotik als mit Pornografie zutun. Sie „turnten“ mich so an, dass ich am Liebsten das Streitbeil begraben hätte und mit ihr ins Bett gekrochen wäre. Aber mit einem Schlag war dann doch wieder alles vorbei. Ein Bild, was mir zunächst aufgrund eines leichtabweichenden Formates auffiel, zeigte Katha und Goldmann vollkommen nackt neben einander liegend; er mit gesteiftem Glied. Die Position des Fotoapparates konnte unmöglich auf einem Stativ gewesen sein, da muss eine dritte Person mit im Spiel gewesen sein. Auch Katharina hatte den Stapel nach dem innerehelichen Bekannt werden noch nicht genau gesichtet und war jetzt so überrascht wie entsetzt darüber, dass dieses Bild noch dabei war. Sie wurde richtig kleinlaut und weinte; so dass es mir doch das Herz erweichte und ich sie aus einem inneren Zwang zärtlich in die Arme nehmen musste. Jetzt erinnerte sie sich und auch mich daran, das wir uns doch alles vergeben und gemeinsam alt werden wollten. Aber eine Beichte musste sie noch loswerden: Dieses Bild war das letzte von insgesamt zehn Bildern die im Gegensatz zu allen anderen mit einer Sofortbildkamera entstanden waren – daher auch das leicht abweichende Format. Sofortbildkamera heißt aber auch, dass es von diesen Bildern keine weiteren Kopien gibt. Aufgenommen hatte diese Bilder ein holländischer Freund Goldmanns; womit diese ganze Fotogeschichte erst losging. Der Holländer war mit einer ganzen Kofferraumladung von Paketen in Goldmanns Gartenhäuschen, in das sich Katha und Goldmann zu einem Schäferstündchen zurückgezogen hatten, erschienen. Katharina ist sich nicht sicher ob die Tür unverschlossen war oder ob der Holländer ein Schlüssel gehabt habe, aber auf jeden Fall trat der plötzliche Besucher ein als Katha sich gerade des letzten Kleidungsstück entledigt hatte. Dieser war frechbegeistert und forderte die beiden auf ihm eine tolle Nummer vorzuführen und ging nach dieser Aufforderung erst mal wieder zu seinen Wagen um weitere Pakete hereinzuholen. Natürlich wollte Katharina nicht mitspielen und sich sofort wieder anziehen. Unter Tränen bat Goldmann flehentlich Katha um ihr Mitspielen, da der Mann gefährlich sei und auch Goldmann in anderer Angelegenheit in der Hand habe. Letztlich gab sie nach und sie übten einen Geschlechtsverkehr vor den Augen des ungebeten Gastes, der davon Bilder mit seiner Sofortbildkamera schoss, aus. Nach dem Akt zeigte der Privatpaparazzia den Beiden seine Bilder und bot Katha an, sie könne diese haben, wenn sie ihm „Einen“ blasen würde; was dann auch, allerdings mit einer starken Ekelempfindung seitens Katharina, geschah. Jedoch bekam nicht Katharina sondern Goldmann die Bilder. Dieser, selbst Fotoamateur mit kleinem Hobbylabor, nutzte dann den Besitz der Bilder um Katharina zu einer ganzen Serie, von allerdings gutgemachten Aktbildern, zu überreden. Wenn ich statt überreden nötigen geschrieben hätte, wäre diese auch im juristischen Sinne nicht falsch gewesen. Zu Weihnachten bekam Katharina die komplette Serie und dazu auch die Bilder des Holländers. Bei Letzteren war sie allerdings der Meinung alle sofort vernichtet zu haben. Das letzte Bild aus dieser Serie hatte sie übersehen und dieses konnte mir so auch an jenem Pfingstmontag in die Hände fallen. Jetzt lag wirklich der allerletzte Punkt, den es noch zu offenbaren gab auf den Tisch, wie ich es insbesondere auch aus heutiger Sicht sagen muss. Danach kam von niemanden von uns, auch nicht von Christina, etwas was die anderen noch nicht wussten. Aber in der Nachbetrachtung muss ich sagen, dass es an jenem 12. Juni gut war, dass Katha diese Sache noch verheimlicht hatte, denn diese Angelegenheit schockierte uns beide und deshalb kamen wir dann auch wieder zur Besinnung und gruben eifrigst das Streitbeil ganz tief ein. Zwar trauerten wir an diesem Tage noch um unseren Sohn aber die eheliche Harmonie war nach diesem Vorfall wieder hergestellt. Jetzt kann diese Leserin oder jener Leser sagen, dass solche unwetterähnlichen Zwischentiefs in den besten Familien vorkommen und dieses somit gar nicht erwähnenswert gewesen wäre. So hätte ich es auch gesehen, wenn ich nicht besagten Holländer, wie ich ausgerechnet am Tage von Kathas 49. Geburtstag, also am 5. Juli 2000, erfuhr, auch gekannt hätte und das indirekt mit ihm meine Tage im Dienste der Kripo eingeleitet wurden. Aber alles der Reihe nach. Jetzt habe ich auch schon verraten, dass Katharinas Geburtstag ebenfalls in die Serie unserer Schicksalstage fiel. Dieser Mittwoch verlief nach einer „ehelich zelebrierten“ Gratulation am Morgen wie ein ganz normaler Alltag. Katharina verließ das Haus zum Dienst im Frauenhaus und ich betätigte mich nach Erledigung von ein Wenig Hausarbeit in Onkel Alberts Diensten im Garten. Am Nachmittag kam Katha mit einer seltsamen Mischung aus Verärgerung und
Amüsement nach Hause. Sie hatte sich mit ihrer Chefin gestritten. Der Anlass und der Streitverlauf wären, wenn nicht meine Frau betroffen gewesen wäre, mehr als nur einen kräftigen Lacher wert gewesen. Katharina ärgerte sich auch mehr über die immer kürzen Zeiträume zwischen zwei Streiten und das man sie selbst auf ihren Geburtstag nicht in Ruhe lassen könne, als über die Sache über die man sich gefetzt hatte. Aber ich habe ja bereits in einem vorhergehenden Kapitel erwähnt, dass sowohl Katha wie auch Tina es inzwischen gelernt hatten bei ihrer Heimkehr vom Dienst die Jalousien vor der schmutzigen Welt herunterzulassen. So bestand kein Zweifel daran, das wir jetzt wie wir uns dieses schon Vortags vorgenommen hatten, zur Feier des Tages gemeinsam, duschen würden und in frische Bekleidung schlüpfen wollten und danach zum „Dinner for two“ entschwinden würden. Aber ganz reibungslos sollte dieses dann auch nicht vonstatten gehen. Beinahe wären wir schon auf dem Wege ins Restaurant gewesen als es an der Türe klingelte. Ein Herr, etwa in meinem Alter, stand vor der Tür und stellte sich als Hauptkommissar Bernd Kaufmann von einer Sonderkommission, kurz Soko, der Kripo vor. Herr Kaufmann erkundigte sich ganz höflich ob er mal kurz stören dürfte. „Meine Frau hat heute Geburtstag und wir sind gerade im Begriff aus diesem Anlass zum Essen zu gehen.“, setzte ich ihm entgegen, „Daher sind sie uns bitte nicht böse, wenn wir, falls es etwas länger dauern sollte, um eine Vertagung auf Morgen bitten.“. Daraufhin reichte Kaufmann Katha seine Hand entgegen um ihr zu gratulieren. Nach den Glückwünschen fuhr er fort: „Ach, entschuldigen sie, es lag wirklich nicht in meiner Absicht ihnen jetzt den Abend zu verderben. Ich möchte sie nur bitten, sich mal dieses Bild anzusehen und mir zusagen, ob sie diesem Herrn schon mal begegnet sind. Alles andere können wir in der Tat auf Morgen oder Übermorgen verschieben. Da machen wir dann einen Termin ... ich richte mich ganz nach ihnen.“. Er reichte mir ein Bild, welches ich nun in den Händen hielt aber Katharina antwortete spontan an meiner Stelle: „Ja, dass ist der Holländer der mich zum Geschlechtsakt mit Goldmann gezwungen und dann die Bilder gemacht hat.“. Das war jetzt eine Variante, die auch für unseren Hauptkommissar neu war: „Was, sie kennen Hendrik van Impe auch?“. Da wurde Katharina „verdammt“ verlegen und lief richtig rot, fast wie eine Tomate, an. Es war so wie bei einem kleinen Schulmädchen dass sich bei ihrer ersten großen Liebe in Flagranti ertappt fühlt. Ihr war in diesem Augenblick bewusst, sich jetzt verplappert zu haben. Damit hatte Katha ungewollt doch zu einer Verzögerung beim Ablauf des Abends gesorgt, denn es lag jetzt sogar in ihrem Bedürfnis auch dem Kommissar die Geschichte, die ich seit Pfingstmontag kannte, zu gestehen. Eigentlich wollte Herr Kaufmann nur von mir wissen ob ich den Herrn kannte. Und ob ich den kannte: Es handelte sich um einen häufigeren Gast auf den Klettner Empfängen und als Verena noch nicht die Schwiegertochter des Hauses Klettner war musste diese in der Regel diesem immer zu Diensten stehen. Verena sagte mal, dass der wohl glaube sie wäre Monika Lewinsky. Eine entsprechende Erfahrung hatte ja auch meine Frau mit diesem Knaben machen müssen. Die Frage, ob ich wisse um wen es sich handele, konnte ich nur deshalb beantworten weil dem Kripomann der Name Hendrik van Impe rausgerutscht war und mir inzwischen eingefallen war, das Ende Mai/Anfang Juni auf dem Höhepunkt der Klettnergeschichte in der Boulevardpresse von ihm als den verschwundenen Geschäftsführer des holländischen Drogenladens die Rede war. Vorher hat mir der Name jedoch nichts gesagt. Aber das traf auf fast alle „Klettnerfreunde“ zu, da diese für mich bei Weitem nicht die Bedeutung, die sie sich selbst zugedachten, hatten. Für diesen Abend war unser Herr Kaufmann zunächst mal mehr als zufrieden und wollte uns nicht länger von unserem Geburtstagsdinner abhalten. Nachdem er sich mit uns beiden für den nächsten Abend bei uns verabredete hatte, verabschiedete er sich freundlich von uns und wir konnten dem nachkommen, was wir uns vorgenommen hatten, nämlich zum Geburtstagsdinner aufbrechen. Unsere Wege an diesem Geburtstagsabend führten uns in die „Sakarya“, einem türkischen Restaurant in Neuhausen. Ursprünglich war am Tage zuvor verabredet worden, dass Christina dort zu uns stoßen sollte. Das „zu uns stoßen“ musste Dank des unvorhersehbaren Kripobesuches ins Gegenteil verkehrt werden, da Tina zwischenzeitig schon am Treffpunkt eingetroffen war, so gar früher als geplant, da sie von einer Kollegin dorthin chauffiert worden war. Dank unserer Handys konnten aber mögliche Aufregungen abgewendet werden. Unsere Fahrt von der Waßmannsheide nach Neuhausen konnte das Geburtstagskind dazu nutzen, um auch noch was loswerden: „Mann Pepe, was ist mir das peinlich, dass mir diese Sache mit Goldmann und van Impe vor dem Kripomann rausgerutscht ist. Ich glaube, dass ich mich noch nie so geschämt habe wie eben bei dieser Sache. ... Aber egal, weg ist weg, aus und vorbei. Diesbezüglich will ich jetzt ganz was anderes. Tina weiß natürlich auch bis jetzt nichts von meiner pornografischen Vorführung im Gartenhaus und es wäre ganz schön, wenn es dabei bleiben würde.“. „Ist doch klar mein Engel,“, begann ich meine zusagende Antwort, „ich würde sogar sagen, dass wir es insgesamt dabei belassen. Wir sprechen von Gott und die Welt und lassen so was wie Klettner, Goldmann, Kripo und so weiter einfach aus. Ist ohnehin alles kein Thema was einem Geburtstagsessen den angemessenen Rahmen verleiht“. Katha schaute mich von der Seite an und gab ihrer Skepsis Ausdruck: „Glaubst du, dass wir das durchhalten können? Erstens müssen wir damit rechnen das unser ahnungsloses Mäuschen auf das Thema zu sprechen kommt und zweitens brodelt in mir ... in dir sicherlich auch - die Spekulationslust was jetzt auf einmal wieder los ist und was wir damit zu tun haben. Mir schwant mal wieder Schreckliches.“. Eigentlich konnte ich da meiner Frau nicht widersprechen; sie hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Und so kam es dann auch, dass nach etwa einer halben Stunde Zusammensitzen das Thema auf der Tagesordnung stand. Wieder mal überraschte uns unsere Tochter mit dem, was sie mehr wusste als wir. Sie war es nämlich, die die Angelegenheit auf den Tisch brachte: „Übrigens, ihr habt mir am Handy zwar gesagt, euch sei was dazwischen gekommen und ihr würdet
etwas später kommen aber was das war habt ihr mir nicht gesagt. Es kann sein, dass es mich auch nichts angeht aber darf ich mal raten? Da war doch bestimmt die Kripo wegen der Klettner-Berghoff-Goldmann-Impe-Bande, also der Drogenmaffia, bei euch, oder?“ Katha und ich schauten uns wie vom Blitz getroffen verwundert an und „Woher weißt du das denn schon wieder?“ sprudelte aus mir heraus. „Ganz einfach,“, setzte Tina lässig an, „ein gewisser Herr Neumann von der Kripo war heute Nachmittag bei mir im Krankenhaus und wir haben uns über eine Stunde unterhalten. Der Anlass war, dass sich erst Big Klettner verplappert und dann Goldmann gesungen hat. Klettner behauptet von dem Drogengeschäft der Herren Goldmann und Impe nichts gewusst zu haben. Er würde diesen Holländer ... der ist aber in Wirklichkeit Belgier – nur flüchtig kennen und für seine Berufung als Geschäftsführer wäre dieser andere Knabe, ich glaube der heißt Mühlheims, für zuständig gewesen. Da ist der große Klettner auch eine ganze Weile bei geblieben, bis er plötzlich, ohne das ihm diesbezüglich was vorgehalten wurde, seinen Schwager, also Volker Berghoff, im Zusammenhang mit van Impes Drogen erwähnte. Auf das drauffolgende Nachhaken der Kripo hat dann Klettner behauptet, sein Schwager habe von einem Drogenlager in Goldmanns Garten erfahren und auf Grund der Lieferungen aus einer Firma, die ihm mitgehöre, darauf geschlossen das der große Herr mit im Rennen sei. Und in dieser Richtung habe ihn Berghoff zu erpressen versucht. Ursprünglich will Klettner vermutet haben, dass Berghoff über Goldmann zu Mutti oder mir und dann über Berghoffs Schwester Marianne, Klettner davongelaufene Frau, davon erfahren habe. Das Berghoff selbst mit im Boot saß habe er erst erfahren als die Ermittlungen in meiner Sache liefen.“ „Da kann was dran sein,“, warf ich dazwischen, „denn das würde ja auch Klettners Vorgehen gegen dich und Marianne erklären.“. „Ja,“, fuhr Christina fort, „könnte es, aber es war anders. Aus irgendeinen Grund fühlte sich jetzt unser Knastologe Goldmann in die Enge getrieben und plauderte eine schlüssigere Version aus.“ An dieser Stelle beende ich mal die wörtliche Rede und fasse Goldmanns Geständnis, was sich später sogar als wahr erweisen sollte, mal kurz in Prosa zusammen. Dann kann ich alles im chronologischen Zusammenhang, auch unter Verwendung erst später bekannt gewordenen Fakten, berichten. Klettner war nicht nur wissend sondern zusammen mit Mühlheims der Kopf der Bande. Er kannte den Belgier van Impe, der von Hause her Chemiker ist, schon lange Jahre. Van Impe war ein „höheres Tier“ in einer pharmazeutischen Fabrik in Belgien, welches gute Geschäftsbeziehungen zur Wolfhard AG unterhielt. Dieser „gute Mann“ hatte das Manko sehr triebhaft zu sein. Oder anders gesagt, er passte in das Klischee, das Hannelore Haupt, die Frauenhauschefin, von Männern hatte: Er war ein Vergewaltiger. Als er sich mal bei einer Geschäftsreise einen „Fehltritt“ bei Klettners Sekretärin geleistet hatte, nahm sich Klettner der Sache an und sorgte für die Verschleierung der Geschichte. Anschließend trat unser wackere Chemiker dann ganz in die Dienste des damaligen Wolfhard-Bosses und produzierte in Holland die Dinge, die erstens Abhängige, zweitens Chemie-Schweine-Mäster und drittens Engelsmacher glücklich machen und das Gespann Klettner/Mühlheims sahnte ab. Auf der anderen Seite gab es auch ein innigeres Verhältnis zwischen Goldmann und Klettner beziehungsweise Mühlheims als diese zunächst zugeben wollte. Zunächst ging es den Millionären um die Beeinflussung kommunalpolitischer Entscheidungen und faulen Baugenehmigungen; natürlich an Recht und Gesetz vorbei. So flossen dann Schmiergelder an lokale Politiker und Verwaltungsspitzen. Natürlich machten sich die Herren dabei nicht selbst die Hände schmutzig sondern wickelten solche Sachen über Goldmann ab, den sie als Schwachstelle im heimischen kommunalpolitischen Umfeld ausgemacht hatten. Als dann eine Dame aus Millionärskreisen der Ansicht war ihr Großvater und auch ihr Vater hätten inzwischen bereits ausreichend lange auf ihrem Erbe gelebt, konnte man Goldmann in seiner Eigenschaft als Krankenpfleger für die Lösung des Problems engagieren – es wurde also Goldmanns erste aktive „Sterbehilfe“, von der ich ja schon früher berichtet habe. Damit das Ganze nicht durch fehlende Mittel in der Krankenhausapotheke alles aufflog bekam Goldmann den Stoff für die Jenseitsbeförderung von van Impe. Was jetzt Klettner wirklich nicht wusste wurde ihm letztlich zum Verhängnis: Auch Volker Berghoff und Hendrik van Impe kannten sich bestens, sie waren quasi verschwägert. Van Impes Schwester war mit dem Bruder von Berghoffs spanischen Lebensgefährtin verheiratet. Berghoff hatte aus Knastzeiten Absatzkanäle für Designerdrogen und van Impe konnte „Traumstoffe“ in Klettners Labore herstellen. Nur Berghoff persönlich stand bei seinem Schwager nicht hoch im Kurs und deshalb musste er einen Strohmann als Generaldealer finden. Also schlug van Impe gegenüber Klettner und Mühlheims eben diesen Goldmann, den er zwar nicht als Intelligenzbestie aber mit einer Menge schweigender Ganovenehre einschätzte, vor. Dank dessen dunklen Wegen in der heimischen Verwaltung ging die Gewerbeanmeldung der Firma „Natascha Friedemann, Alles für die Gesundheit und Fitness“ unter seiner Gartenhausadresse unauffällig und unbeanstandet durch. Jetzt hatte man eine Anschrift die man sorglos auf alle für den Lieferverkehr mit Schlankheitspillen wichtigen Papiere setzen konnte. Klettner und Mühlheims glaubten tatsächlich dass Goldmann selbst der Großdealer sei; das seine „Firma“ nur ein Zwischenlager für Berghoff war, haben sie erst erfahren, als das Kind bereits im Brunnen lag. Dieser Zeitpunkt war gekommen als Tina mit ihrer denkwürdigen Anzeige den Goldmannstein ins Rollen gebracht hatte. Damit war für van Impe und Berghoff der Kanal über das berüchtigte Gartenhäuschen versiegt. Kurz entschlossen trat Berghoff an Klettner heran um an Goldmanns Stelle einzuspringen. Also, eine Erpressung war gar nicht beabsichtigt aber das Ehepaar Klettner glaubte dieses, allerdings aus unterschiedlichen Gründen. Klettner wollte jetzt vermutlich Berghoffs Informationsquelle, zu der in erster Linie aus seiner Sicht wohl Tina und Marianne gehören mussten, in Schach halten. Aber wieder einmal hatte er den Bock zum Gärtner gemacht. Auch Schulte und Berghoff
kannten sich, und zwar aus der heimischen Sodomasoszene. Und was jetzt passierte wissen wir ja bereits aus früheren Kapiteln. Natürlich war unser Kripomann Bernd Kaufmann kein Waschweib und hat unserer Christina nicht alles das, was ich eben berichtete, erzählt sondern er hat Tina nur die, ihm in diesem „Verhör“ wichtig erscheinenden Punkte aus beiden Aussagen berichtet und nachgefragt, was diese dazu wusste. Das was er sagte war allerdings so viel, dass wir Insider uns daraus allerdings ein umfassendes und annähernd richtiges Bild vom Hintergrund machen konnten. Das Problem für Kripo und Staatsanwaltschaft war allerdings, dass man jetzt ein Geständnis von Goldmann und eine nicht unwahrscheinliche Aussage von Klettner aber keine Beweise, weder in die eine noch die andere Richtung, hatte und die Hauptpersonen in diesem Krimi, Volker Berghoff und van Impe, zu diesem Zeitpunkt nicht „auffindbar“ waren. Deren Hoffnung war es jetzt, dass Tina oder ich etwas Verwertbares mitgekriegt haben und insbesondere das wir Leute aus Klettners Umkreis benennen könnten, die eventuell was zur Tataufklärung beitragen können oder ein Indiz für die Richtigkeit der einen oder der anderen Aussage sein könnten. Alles hätte allerdings keinen Sinn ergeben, wenn eine engere Verbindung zwischen van Impe zu Klettner und Goldmann nicht bestanden hätte. Daher ging dann auch die erste Frage genau in diese Richtung. Diese war allerdings ein Treffer, denn sowohl Tina wie auch ich erkannten van Impe als Stammgast auf Klettnerpartys. Und der Zufall wollte es, dass Katha auch was zu der Verbindung dieses merkwürdigen Herrn zu Goldmann sagen konnte. Also, schon dieses sprach für die Richtigkeit von Goldmanns Geständnis und gegen Klettners Aussage, denn Klettner stritt immer noch beharrlich ab Hendrik van Impe näher gekannt zu haben. Bereits am Abend oder besser gesagt am Spätnachmittag nach dem Geburtstag meiner „besseren Hälfte“ hatten wir dann wieder das Vergnügen mit dem Herrn von der Soko. Bei dieser Gelegenheit wendete er sich zuerst an Katha, die am Vortage noch gar nicht auf seinem Plan stand: „Frau Schröder, ihr Zusammentreffen mit Herrn van Impe im Goldmannschen Gartenhaus könnte bei den Ermittlungen und gegebenenfalls in einer späteren Verhandlung eine wichtige Rolle spielen. Aber ich verstehe durchaus, dass die Umstände damals, von denen sie ja, wie sie gestern schon sagten, ihrem Gatten berichtet haben, für sie doch sehr peinlich sind und deshalb sichere ich ihnen auch im Namen der Staatsanwaltschaft, mit denen habe ich diesbezüglich heute morgen gesprochen, und meinen Mitarbeiter höchstmögliche Diskretion zu. ... Schließlich sind wir darauf angewiesen, dass uns immer wieder Leute von wichtigen Angelegenheiten berichten; auch wenn diese für sie mehr als peinlich ... oder sagen wir besser komprimentierend sind. Wenn es sich umgehen lässt werden wir, das versteht sich von selbst, auch auf einer Verwendung ihrer Aussage verzichten. Aber um eines möchte ich sie bitten: Überlegen sie mal scharf mit welchen Leuten sie in Begleitung von Goldmann zusammengetroffen sind und welche Angelegenheiten ihnen vielleicht merkwürdig erschienen. Jedes Detail, auch wenn es auf den ersten Blick unwesentlich erscheint, könnte wichtig sein. Wenn ihnen etwas einfällt setzen sie sich bitte sofort mit mir in Verbindung ... Ich gebe ihnen mal meine Karte. Wenn sie mich nicht bei der hiesigen Dienststelle der Kripo erreichen nutzen sie bitte die Handynummer auf der Karte. Wenn ihnen jetzt im Moment nichts diesbezügliches einfällt will ich sie jetzt auch nicht weiter belästigen und mich ausschließlich mit ihrem Mann unterhalten.“. Nicht nur Katharina sondern auch ich verstanden Letzteres als eine Art hinauskomplimentieren und deshalb wies ich daraufhin, dass wir uns nach dem, für uns sehr üblen, Lebensabschnitt bis in kleinste Detail ausgesprochen hätten und keine Geheimnisse mehr vor einander hätten und Katha aus meiner Sicht ruhig dabei bleiben könnte. Diese jedoch erklärte dass sie ohnehin ihrem Onkel, gleichzeitig unser Hauswirt, versprochen hätte etwas in seinem Haushalt zu erledigen, was sie jetzt ja wohl machen könne. Was die Sache anbelangte glaubte sie nicht, dass sie noch mehr zur Sache beitragen könne, da sie sich mit Goldmann eigentlich nie in die Öffentlichkeit begeben habe und sich fast alles in unserer damaligen Wohnung oder im besagten Gartenhaus abgespielt habe und außer mit Angehörigen der Familie Schröder sei man mit niemanden sonst zusammengetroffen. Auf Befragen von Herrn Kaufmann beschrieb sie noch die Pakete, die van Impe damals angeliefert hatte und erklärte solche, alle eins wie das andere, hätten ständig, mal mehr mal weniger, im Gartenhaus gelagert. Dann fiel ihr noch ein, das Goldmann nach jenen Vorfall die Tür immer von Innen verschloss und dann den Schlüssel quer zum Schloss stecken ließ. Einmal, als sie im Gartenhaus zusammen waren, wäre die dort hängende batteriegetriebene Uhr stehen geblieben und nach einem Blick auf die Armbanduhr wäre Goldmann hypernervös geworden und er hätte auf ein sofortiges Verlassen des „Liebesnestes“ gedrängt. Katharina hatte das Gefühl, dass dort jeden Moment etwas geschehen sollte was sie nicht mitbekommen dürfe. Damals nahm sie an, dass Goldmann wieder mit diesem „Holländer“ rechnen würde. Unser Ermittler fand diese Dinge, die Katha eigentlich aus ihrer Sicht nur am Rande erwähnte doch höchst interessant, aber danach war meine Beste dann wirklich entlassen. Ich kann jetzt schon mal verraten, das Katharina auch später nichts Neues mehr zur Sache beitragen konnte. An dieser Stelle endete jetzt die Story um Katharinas peinliches Geständnis aber für mich liefen jetzt die Tage im Dienste der Kripo auf Hochtouren, aber auch Klettner stand plötzlich wieder bei mir auf der Matte. Wenn ich jetzt chronologisch mal von Klettner und dann von meiner „Mitarbeit“ bei der Kripo berichten würde liefe ich Gefahr, eine total verwirrende Niederschrift anzufertigen, wobei dann die Geschichte mit der Kripo für den Gesamtzusammenhang fast unwesentlich erscheinen würde. Deshalb gebe ich noch kurz bekannt um was es, insbesondere in der folgenden Woche, ging und lege für die neuerlichen Erlebnisse mit Big Klettner ein neues Kapitel auf.
Unserem Herrn Kaufmann und seinen Mitarbeitern ging es im Wesentlichen darum mit welchen Leuten ich im und außerhalb des Hauses Klettner zusammengetroffen bin. Auch was mir an den Einzelnen aufgefallen ist und wie sich diese Herrschaften unter- und zueinander verhalten haben lag im Interesse der Ermittler. Vor allen Dingen interessierte auch wie oft und unter welchen Umständen Klettner, van Impe und Mühlheims während meiner Zeit in der Villa zusammen getroffen sind und was ich dabei beobachtet habe. Auch nach Volker Berghoff, den ich allerdings nie persönlich getroffen habe, wurde gefragt. Mir wurden Bilder von Personen vorgelegt bei denen ich überlegen sollte ob ich denen schon mal begegnete wäre. Als ich, der ich natürlich nicht über einzelne Tatbestände und Zusammenhänge aufgeklärt wurde, mal nachfragte inwieweit einzelne Personen, bei denen ich mir keinen Zusammenhang mit Sache vorstellen konnte, von Interesse seien wurde ich nur dahin aufgeklärt, dass tatsächlich diese Leute vermutlich gar nichts mit der Sache zu tun haben aber trotzdem Aufschlüsse darüber zuließen wann man sich wo in welchen Kreisen bewegt hätte und dieses könne dann wieder ein Hinweis auf das tatsächliche Geschehen sein; also nichts wäre unwichtig. Andererseits ging es ja auch um Korruption und Schmiergelder und nicht nur um die Drogenangelegenheit. Aber Weiteres erfuhr ich aus für mich nachvollziehbaren Gründen nicht. Dabei ging natürlich eine Menge Zeit drauf. Von Montag bis Mittwoch und am Freitag in der Woche, die mit dem 10. Juni 2000 begann, war ich täglich vier bis fünf Stunden bei der Dienststelle der Kripo so dass es schon fast nach einem Vollzeitjob aus. Letztere Aussage gilt um so mehr, wenn ich überlege, das ich die Zeit, die ich um das erneute Auftreten Klettners, welche ich in enger Absprache mit der Kripo aufbrachte, noch hinzurechnen müsste. Aber mir ging es nicht alleine so. Auch Christina wurde genauso stark eingespannt, so dass man fast sagen konnte, das sie kaum Gelegenheit hatte ihren eigentlichem Dienst als Krankenschwester nachzukommen. Tina wurde auch recht umfangreich zu den Geschehnissen um Schulte und Berghoff befragt. Während bei meinen Befragungen alles was mit Sexus Lustus zutun hat eher nebensächlich erschien, wurde unsere Tochter da doch sehr intensiv nach befragt. Dieses war für sie teilweise auch recht peinlich aber sie war, genauso wie ich, gegenüber der Kriminalpolizei recht kooperativ. Wir waren uns darüber einig, dass es uns nicht um Rache an den Tätern oder um Lust auf Abstrafung dieser ging sondern wir glaubten – und das gilt auch heute noch – hierdurch unsere „böse“ Zeit bereinigen und abschließen zu können. Mit anderen Worten: Wir wollten uns die bitterbösen Geister aus der Vergangenheit vom Halse schaffen.
Zum Kapitel 33
Zum Inhaltsverzeichnis
Klettner auf einmal ganz anders Fast ein ganzes Jahr konnte ich den Millionär Hannsfrieder Klettner aus allererster Nähe erleben aber einen Menschen gleichen Namens bin ich noch nicht begegnet. Ich kenne ihn als biologisch funktionierende Figur ohne menschliches Mitempfinden und ohne jegliche Anteilnahme am Schicksal anderer. Immer korrekt und geschniegelt verpackt. Die Knoten seiner zahlreichen, öfters am Tag gewechselten, Krawatten wirkten immer mit maschineller Präzision gestylt und wiedernatürlich symmetrisch. Von seinen Hemden, die immer wirkten als habe sie ein preußischer Mustergardist appellfähig gemacht, konnte man meist nur das sehen, was zwischen den beiden Jackettseiten vorne offen blieb, denn die Momente wo er sein Jackett mal ablegte hatten äußersten Seltenheitswert. Seine Anzüge wirkten immer wie gerade für Modezeitschriftenaufnahmen präpariert und das Jackett war, wie eben schon geschrieben, selbst bei größter Hitze offensichtlich nicht zum Ablegen geeignet. Machen wir es kurz: Nichts an diesem Herrn wirkte natürlich und menschlich. So wie die Klamotten die er am Körper hatte war auch der Plunder mit dem er sich umgab. In der Villa war alles exakt aufgestellt, wie am Reisbrett geplant und mit Messgeräten und Wasserwaage angeordnet. Natürlich wirkte alles echt, nichts vergoldet, alles wie Holz und nichts roch nach Furnier, und superteuer und auf dem ersten Blick irgendwie neidisch begeisternd. Aber nichts ließ irgendwo ein Indiz auf menschliches Leben zu, alles war steril und tot. Aber auch der Mensch Klettner selbst wirkte künstlich und allgoritmisch programmiert. Wenn er etwas sagte, wirkte es grundsätzlich entweder diplomatisch verlogen oder strategisch gezielt. Emulsionen wie Freude und Leid waren bei ihm nie nachvollziehbar. Seine Körperbewegungen und –haltung schienen angedrillt und stets überlegt zu sein, nichts war spontan und natürlich. Bei Gesprächen schaute er einen, immer wenn er sprach, stur und durchbohrend in die Augen, als wolle er einen mit Blicken in die Knie zwingen. Dabei konnte man kein Wimperzuckern oder sonstige Regungen in seinem Gesicht erkennen, als handele es sich bei ihm um eine Maske. Wenn er mal ein Lächeln vortäuschte merkte man die Täuschung an der fehlenden Wärme des übrigen Gesichtsausdrucks. Wenn man umgekehrt ihm im Gespräch was sagte gab es hinsichtlich seiner Blickrichtung zwei Möglichkeiten: Entweder schaute er einen weiter in die Augen, wobei man dann immer das Gefühl hatte, dass er zwar die Worte speicherte aber während dessen eine Antwortstrategie erarbeitete und ansonsten dem „Geschwätz“ des Gegenübers keine Bedeutung beimaß. Die andere Variante war, dass er mit seinen Augen einen bestimmten Punkt im Raum anfixierte und damit zum Ausdruck brachte, dass sein Gesprächspartner ihm die Zeit stehle. Also er besaß alle Eigenschaften eines Toppmanager genannten Roboters, der nur aus dem Grunde existiert, damit jemand die technokratischen Abläufe um die Wirtschaft und Politik erfolgreich organisiert. Nun im Juli 2000, dem Zeitpunkt wo sein mafiöse Wirken mehr und mehr offenbar wurde, konnte ich Klettner auf einmal ganz anders wie bisher erleben, aber menschlicher war er dadurch auch nicht geworden. Am 7.7.2000, einem Freitag, kam ich das erste Mal nach meinem Auszug aus der Villa wieder mit ihm in Berührung. Ich erhielt einen handschriftlichen Brief wie ich ihn von früher als Notiz genannte Anweisung kannte. So was gab es auch, wenn er einen etwas, was nicht für die Ohren einer Diktat schreibenden Tippse bestimmt war, mitteilen wollte. Er schrieb immer so eine Art Normschrift; alles Großbuchstaben. Auf dem ersten Blick sah es immer so aus, als würde er immer von rechts unten nach links oben schreiben. Es gibt so eine graphologische These, dass Leute die so schreiben aus ihrer Person energisch nach oben streben. Man musste Klettners Briefe aber nur so legen, dass die Zeilen aus der Sicht des Betrachters waagerecht standen, dann fiel einen auf, dass das Papier bei der Niederschrift genauso gelegen haben muss; da war dann nichts mehr von energisch nach oben streben, das war nur eine technokratisch exakte Vortäuschung des „Strebertums eines Erfolgreichen“. Klettner schrieb mir im diplomatischen Schmusestil, dass er bedauere, dass alles so gekommen sei und insbesondere das meine Familie so arg in Mitleidenschaft gezogen worden sei. Sollte er jetzt auf einmal einsichtig geworden sein und jetzt nur so teilnahmslos „kondolieren“ weil er es einfach nicht anders konnte? Er drückte dann aus, dass er sich mit mir, vielleicht bei einer Partie Schach, aussprechen wollte und lud mich dazu für den Samstagnachmittag in ein Haus am Rande von Neuweiler ein. Ehrlich gesagt, dazu hatte ich überhaupt keine Lust und hätte den Schrieb auch zunächst mal zu den Akten gelegt, wenn nicht just in dem Moment wo ich den Brief gelesen hatte Herr Kaufmann von der Kripo auf meinen, mit einer Prepaintkarte bestücktem, Handy angerufen hätte. Kaufmann war neben Onkel Albert der einzigste Nichtschröder der die Nummer kannte. Ich berichtete ihm von dem Brief den ich so eben erhalten hatte und gleich hatte er diesbezüglich etwas für „Klein Pepe“ auf Lager: „Herr Schröder sie können jetzt die Sache ganz einfach ignorieren und vergessen. Aber ihr Freund Klettner wird es ihnen bestimmt nicht gleichtun sondern er wird sich dann zunehmendst massiv an sie wenden. Für den geht es jetzt um allerhand oder man könnte sagen um alles. Alles was da auf dem Gebiet Wirtschaftskriminalität gelaufen ist können sie in die Reihe der berühmten Fälle wie Baulöwe Schneider, Peter Graf oder andere einordnen. Da kommt man relativ gut und mit nur geringer, oft sogar kaum spürbarer, gesellschaftlicher Ächtung wieder raus. Da kann man sich immer noch auf ein fettes ‚Altenteil’ freuen. Wenn wir ihm aber die Dinge, um die es uns jetzt geht, nachweisen können, droht sogar lebenslänglich und sollte er nach zirka 15 Jahren mal wieder auf freien Fuß kommen ist er ein gewöhnlicher Krimineller, mit dem bestimmte Kreise, in die er sich gerne bewegt, nichts mehr zu tun haben wollen. Möglicherweise ist dann auch sein Vermögen fast oder ganz aufgeschmolzen. Also jetzt wissen sie bestimmt, was der Herr von ihnen will – oder?“.
„Sicher, er will mich einsülzen.“, antwortete ich locker bevor Herr Kaufmann fortfuhr: „Einsülzen hört sich etwas gelinde an. Er will sie einerseits zum Schweigen und andererseits zur Falschaussage bewegen. Üblicher Weise läuft dieses mit Zuckerbrot und Peitsche. Er wird ihnen auf der einen Seite den Himmel, für den Fall, dass sie mitspielen, anbieten und auf der anderen Seite die Hölle versprechen, wenn sie sich widersetzen. Für uns ist jetzt höchst wichtig die Details, die er von ihnen will, zu kennen, denn die bringen uns Meilen auf der Strecke zur Aufklärung voran. Aber wir ...“. An dieser Stelle unterbrach ich meinen Gesprächspartner erst einmal: „Es wäre also in ihrem Interesse, wenn ich der Einladung Folge leisten würde?“. „Nicht so schnell Herr Schröder,“, fuhr der Kripomann jetzt fort, „ich wollte ihnen gerade noch sagen, das nur wenige, meist naive, Leute sich vom versprochen Himmel betören lassen. Man ist sich in der Regel darüber klar, dass man unausweichlich selbst straffällig wird und ich oder meine Kollegen bei solchen Angelegenheiten sehr schnell zugreifen und dann löst sich der Himmel immer in Wolken auf. Die Hölle ist aber ein erhebliches Risiko. In der überwiegenden Zahl der Fälle passiert nichts, denn die bösen Buben wiesen ja hundertprozentig, dass sie sich so selbst in unsere ... bildlich gesprochen – Todesfalle begeben. Danach haben wir sie. Aber leider passiert es aber auch, insbesondere wenn die Leute nicht eng und vertrauensvoll mit uns zusammen arbeiten, dass nach der Devise ‚jetzt ist ja ohnehin alles vorbei’ was Schlimmeres passiert. Wir haben keine Möglichkeiten jemand dazu zu überreden ein solches Risiko einzugehen. ... Und 99% meiner Kollegen wollen dieses, genau wie ich, auch nicht.“. „Sie brauchen mich nicht zu überreden,“, war ich jetzt wieder an der Reihe, „ich weiß, dass meine Familie und ich nur Ruhe und Frieden finden wenn wir mit ihnen zusammenarbeiten. Ich nehme die Einladung an“. „Brrr, nicht so schnell.“, meldete sich Herr Kaufmann jetzt wieder, „Wenn sie jetzt ohne Weiteres zusagen riecht unser Freund Klettner Lunte ... was nicht ganz ungefährlich für sie ist. Der dürfte einkalkuliert haben, dass sie auf seine Einladung gar nicht reagieren. Er wird bestimmt etwas unternehmen um seiner Einladung Nachdruck zu verleihen. Da er unter erheblichen Zeitdruck steht, haben sie sogar im Vorfeld, eventuell sogar schon heute, mit etwas aus dieser Richtung zu erwarten. Wenn sie jetzt wirklich der Meinung sind, dass sie unser Lockvogel sein wollen, dann sollten sie jetzt abwarten und so bald sie etwas hören oder merken umgehend bei mir anrufen. Dann können wir auf der einen Seite überlegen wie wir weiter verfahren und ich kann dann etwas zu ihrer Sicherheit veranlassen. Aber verstehen sie bitte, dass ich ihnen diese Sicherheitsmaßnahmen nicht verrate, denn es ist menschlich, dass man unter psychischen Druck schon mal nach einem Rettungsring Ausschau hält und den damit ungewollt verrät. Vertrauen sie mir dahingehend, dass ich alles, was ich machen kann auch unternehme.“. Jetzt hatte ich mal wieder was gelernt, denn in den Fernsehkrimis läuft es immer so ab als würde die Kripo mit ihren Lockvögeln alles bis ins kleinste Detail durchsprechen. Ich brauchte in der Tat nicht lange zu warten bis sich etwas in die zu erwartende Richtung ergab. Katharina nutzte ihre Mittagspause um mich anzurufen. Da war am Vorabend eine Dame aus Neuweiler im Frauenhaus eingezogen. Sie hatte angegeben ihr Mann habe mit Geschäftsfreunden, die aus ihrer Ansicht nicht so ganz astrein wären, zusammen gesessen und diese hätten kräftig gebechert. Bei solchen Gelegenheiten sei sie in der Vergangenheit schon öfters von ihrem Mann zu einem Geschlechtsverkehr mit einem seiner Freunde gezwungen worden. Um einer Wiederholung vorzubeugen habe sie ihren Mann die Scheidung angedroht und der habe darauf erklärt sie umbringen zu wollen. Da sie so etwas ihrem Mann zutraue und große Angst habe sei sie ins Frauenhaus geflüchtet. Am Morgen hatte diese Katha zur Seite genommen und ihr gesagt, dass sie gelogen habe. Ihr Mann habe vielmehr mit Leuten zusammen gesessen, die davon berichtet hätten einen gewissen Herrn Schröder, dessen Frau im Frauenhaus arbeiten solle, umbringen zu wollen, falls er einer bestimmten Einladung nicht nachkäme. Sie habe dann überlegt, wie sie uns, die wir wohl offensichtlich gemeint seien, warnen könne. Problem sei jedoch, dass sie, weil sie „singen“ würde, tatsächlich Angst vor diesen Kerlen habe und deshalb ins Frauenhaus geflüchtet sei. Ich beruhigte Katharina, dass da nichts Schlimmes dran sei und Herr Kaufmann schon mit mir darüber gesprochen habe. Mehr wollte ich ihr dann berichten wenn sie vom Dienst nach Hause kommt. Dazu hatte ich allerdings nicht sofort die Gelegenheit, da ich mir erst mal unser Auto schnappen musste um zum Bethanien zu fahren, wo es galt unsere Tochter abzuholen. Ihr hatte ein anonymer Anrufer auf der Station gesteckt, dass sie nach ihrem Dienst gekidnappt werden sollte und erst dann freigelassen werden sollte wenn ich eine Partie Schach gespielt habe. Als ich unserem Mann bei der Kripo, also Herrn Kaufmann, davon berichtete, meinte dieser, dass er keine große Gefahr sehen würde, da es sich mit Sicherheit um einen gut inszenierten Bluff seitens Klettners handle um mich zu ihm zu nötigen. Ich solle erstens unsere Tochter durch persönliche Abholung vom Krankenhaus nach Hause holen und dort soll sie dann bleiben, mindestens bis zu dem Zeitpunkt wo ich zweitens von Klettner heimkehrte. Der Hauptkommissar steckte mir noch, dass das Haus wo ich mich des Samstags in Neuweiler einfinden soll einem gewissen Wolfgang Steinmar, dessen Frau sich ins Frauenhaus begeben habe, gehöre. Aber weder an der einen noch an der anderen von Frau Steinmar erzählten Geschichte sei etwas dran, denn das Mülheims seine außereheliche Tochter, die ihm in der Vergangenheit oft bei krummen Touren nützlich gewesen sei, solchen Gefahren aussetze würde wohl niemand glauben der den Hintergrund kennt. Also holte ich Christina ab und war eigentlich gespannt darauf ob irgendetwas auffälliges passieren würde. Angst hatte ich aber keine, denn ich vertraute Herrn Kaufmann, dass man erstens für unsere Sicherheit sorgen würde und zweitens Klettner zwar bluffte aber auf keinen Fall etwas unternehmen würde was ihm sofort den Hals brechen würde. Als Tina, die ich von der Station abgeholt und auch übers Schwesternheim begleitet hatte, und ich in der Eingangshalle waren,
zuckte unsere Tochter plötzlich wie vom Blitz getroffen zusammen „Da ist der Eunuch“ und zeigte auf einen blonden Hünen der vor der Eingangstür stand. Sie berichtet mir dann, dass sie diesen Herren aus der Villa Klettner kenne. Seinen Spitznamen habe er von seiner ächzend hohen Stimme, was allerdings auf eine Kehlkopfverletzung zurückzuführen sei. Mit seiner Potenz habe das wohl nichts zutun, denn der Knabe arbeite als Callboy, sowohl als Frauen- wie Schwulenbeglücker. Auf Empfehlung Schultes war er für diese Zwecke zu Klettnerpartys engagiert worden. Also mir „rutschte das Herz auch ein Wenig in die Hose“, denn der Kerl hatte etwas furchterregendes in seinen Körpermaßen auszuweisen. Als wir draußen an ihm vorbeikamen sprach er Christina an: „Hei Tina Baby, ich wollte dich eigentlich zu einer Spritztour einladen. Aber wenn dich der liebe Papi ...“. Mehr sagte er nicht und verschwand von der Bildfläche. Jetzt bräuchte ich gar nicht zu sagen, dass die Ereignisse des Tages das beherrschende Abendthema in unserem Familienkreis waren, denn ein Jeder würde es für unnatürlich halten, wenn dieses nicht der Fall gewesen wäre. Tina brachte das, was wir jetzt alle empfanden, mit nachdenklicher Stimme auf einen Nenner: „Komisch, das sieht alles nicht nach Klettner aus. Das ist doch alles viel zu plump, wie aus einem Fließbandkrimi aus dem Vorabendprogramm. Früher wäre der bei solchen Sachen gar nicht selbst in Erscheinung getreten, da hätte er seine Hiwis und Seilschaften gehabt. Wenn man nach dem Stress des ersten Augenblicks mal ruhig überlegt ist doch alles so durchschaubar und wenig beängstigend. Natürlich habe ich mich erschrocken als da plötzlich der Eunuch stand, aber im Grunde ist der hier in der Gegend als der Depp bekannt, der für Geld fast alles macht aber keiner Fliege was zu Leide. Für Entführungen wäre der wegen seiner auffälligen Statur und krächzenden Stimme absolut ungeeignet, das wäre ja so, als würde er sich sein eigenes Fandungsfoto umhängen wenn er über den Markt geht. Und dann diese Tussi im Frauenhaus. Wenn man für so etwas die etwas dämliche Tochter seines Komplizen einsetzt, sieht doch ein Blinder mit dem Krückstock was auf der Tagesordnung steht. Das ist doch alles plump, oder noch treffender gesagt dumm, dass ich es gar nicht für möglich halte, dass das von Klettner kommt. Der ist ja auf einmal ganz anders, ... nicht mehr der hohe Herr, der überlegene Stratege sondern eher der einfallslose Dorfganove.“. Katharina meinte dazu, dass es gerade das sei was ihr Sorgen mache. Vielleicht wäre ja gerade das banale Vorgehen eine für uns ausgelegte böse Falle. Wir wären sicher gut beraten wenn wir die Augen aufhalten würden. Katharinas Skepsis lag mir im „Hinterstübchen“ als ich am Samstagnachmittag um Vier vor dem, doch recht schmucken Einfamilienhaus in der Karl-Heymann-Straße in Neuweiler stand. Man muss wohl, was früher unter der Würde von Leuten im Hause Klettner gelegen hätte, hinter Fenstervorhängen gestanden und auf mich gewartet haben, denn ich brauchte gar nicht zu klingen. Ich war gerade da als eine mit einem Kopftuch und einem langem schwarzen Gewand vollkommen vermummte Türkin die Tür öffnete und mir holprig zu rief: „Kommen sie ... bitte.“. So was, Klettner war zwar ein Mann der Umgang mit Leuten aus allen Herren Ländern pflegte aber konservativ religiöse Muslimminen gehörten jedoch nie zu solchen Personen; die waren doch wohl mehr von seinen Kreisen ausgeschlossen. Ich glaubte schon an einen Irrtum, wenn mich der „Gastgeber“ nicht gleich selbst hinter der Tür begrüßt hätte. Auch dieses eine Überraschung, denn einem Gast entgegen zugehen lag früher weit unterhalb der Klettnerschen Würde. Ich wurde in ein Wohnzimmer geführt, dass man nicht gerade als billig ausgestattet betrachten konnte aber das doch deutlich unterhalb der Preiskategorie des Plunders in der Villa lag. Noch während des Eintretens fragte mich Klettner: „Sie möchten doch sicher einen Kaffee, wertester Herr Schröder oder darf ich ihnen etwas anderes anbieten, vielleicht einen Tee oder einen Saft?“. Seinen bornierten beziehungsweise affektierten Ausdruck hatte er also immer noch. Das mag aber daran gelegen haben, dass er wohl gar nicht anders konnte. Nachdem ich ihm meinen Kaffeewunsch bestätigt hatte, wandte er sich an die Türkin: „Havar würden sie uns bitte den Kaffee servieren?“. Und mir zugewandt fuhr er fort: „Sollten wir uns bei diesem Wetter nicht ein Wenig auf die Terrasse setzen?“. Auch dieses war für ein neuer Zug an Big Klettner, denn ich kann mich nicht entsinnen, dass er mal in meiner Gegenwart dem Wetter Beachtung geschenkt und dann für Freiluftaktivitäten plädiert hätte. Mir war das allerdings ganz recht und so nahmen wir an dem weißen runden, offensichtlich aus einem Gartencenter stammenden Tisch platz und ließen uns dort den Kaffee servieren. Nun konnte dann der Vortrag des Herrn vor dem aufmerksam Einmannpublikum zelebriert werden. In einer für ihn untypischen Art und Weise drückte er erst mal auf die Tränendrüse. Er erzählte mir wie er im frühkindlichen Alter bei einem „schrecklichen“ Autounfall seine Potenz verloren habe, wie er immer das Opfer von Spott gewesen sei und wie er sich durchbeißen musste. Ursprünglich sei sein Bruder dafür auserkoren gewesen dass, was sich sein Vater hart erarbeitet habe, fortzuführen und er habe immer die zweite Geige gespielt. Er habe immer hart ran gemusst, sich aber dann letztlich doch durchgeboxt. Und so weiter und so fort. Weder damals noch heute glaube ich ihm ein Wort aber das war nicht neu, denn der Kerl war für mich immer ein Muster für Verlogen- und Falschheit. Aber dieser Eindruck kann auch von meiner persönlichen Ideologie, dass Bankenchefs, Toppmanager und Spitzenpolitiker mit intellektuell polierten Worten regelmäßig potenzierten Schwachsinn kaschieren, getrübt gewesen zu sein. Wie damals, als ich noch der Lustknabe seiner inzwischen ihm davongelaufenen Gattin war, hörte ich ihm fast nur zu. Lediglich wenn sich der Wortklang nach einer Frage anhörte, waren von mir als Antwort gedachte Ein- oder Zweiwortsätze zu hören. Als er bei der Durchgeboxtaussage angekommen war und dieses noch durch die Feststellung, dass er sehr viele Neider habe, ergänzt hatte, kam er dann endlich zur Sache. Erst nach bald einer dreiviertel Stunde Gerede fand er den Dreh zu
dem weshalb er mich überhaupt zu sprechen wünschte. Im Einzelnen dürften Details für Leser uninteressant sein und deshalb fasse ich den Tenor der ebenfalls zirka eine dreiviertel Stunde dauernden Rede zusammen. Ich sollte bestimmte Partystammgäste überhaupt nicht kennen. Ich sollte bestreiten, dass Hendrik van Impe mehr als einmal auf einer Party war und Mühlheims sollte ich bei diesen Anlässen auch nicht begegnet sein. Dafür sollte ich aber der Kripo von Zusammenkünften Mariannes mit ihrem Bruder und van Impe, zu der ich meine damalige Geliebte gefahren hätte, berichten. Marianne selbst sollte ich als eine unglaubwürdige Intergrantin, die auch meine Tochter bestochen habe, darstellen. Die Tinabestechung wäre dadurch geplatzt, dass er die Übergabe von zirka einer halben Millionen in Schmuck und Bargeld vereitelt habe. Ich sollte vermuten, dass es sich um das gehandelt habe, was sich im November Schulte und Berghoff angeeignet haben. Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus, wie blöd dieser Kerl, den ich für einen großen Strategen gehalten hatte, in Wirklichkeit eigentlich war. Wer sollte das von ihm zusammen gesponnene Zeug eigentlich glauben und für wie „benagelt“ hielt der mich, dass ich durch Falschaussage meine eigene, von mir geliebte, Tochter in den Bereich einer Mittäterschaft bringen würde. Allerdings wäre so etwas, wenn ich dem Gott Mammon verfallen wäre, sicher denkbar gewesen, denn er bot mir mehr als eine Million muntere Märklein auf einem Schweizer Nummernkonto an. Von Auszahlungstermin und -modalität war noch nicht die Rede; dazu wollte er sich in der darauffolgenden Woche äußern. Also, alles in Allem hatte ich meine Zeit, die ich lieber mit meinen Mädchen, sprich mit Katha und Tina, verbracht hätte, für mehr als dummes Zeug vergeuden müssen. Aber dann sorgte ein erotisches Intermezzo für eine brisante Abwechselung. Havar kam und erkundigte sich „Noch Kaffee ... bitte“ und bekam von Klettner die Antwort „Nein, lieber Nackedie und Nackedei.“. Mir erklärte er dann, dass diese Dame gerne und gut strippen würde und könne – und so etwas würde mir, wie er mich kenne, doch sicherlich gefallen. Er hatte noch nicht ausgesprochen als sich die Dame neben mir postierte und irgendwelche, in orgastische Ekstase deutende, Körperbewegungen ausführte. Sie griff meine Hände führte sie zur Schnalle ihres Taillengürtels; ganz eindeutig damit ich diese öffnete, was ich dann zugebener Weise auch tat. „Zieh ... bitte“, sagte sie mir und forderte mich so auf ihr den Gürtel vom Körper zuziehen. Erst jetzt erkannte ich, das der Gürtel mit dem, nur umgelegten, langen Rock festverbunden war und ich die Dame damit unten freilegte. Unter dem Rock befand sich nur noch ein mehr als knappes Tangahöschen. Jetzt war sie oben noch total verhüllt und unten praktisch nur noch mit „einem Strick“ bekleidet. Jetzt ließ sie mich einen langen Reisverschluss auf der Rückseite ihres Oberteils öffnen und zog dieses über ihre Schultern so dass ihr weißer BH, ebenfalls vom Typ Tanga, der ihren üppigen Busen äußerst notdürftig hielt, freigelegt wurde. Nach meiner Ansicht muss bei den Busen mit Silikon nachgeholfen worden sein, denn diese Havar war spindeldürr, wie ein Modell, und der Busen ließ eher auf ein vollrundes Mütterchen schließen. Solche Paradoxen werden selten oder nie von der Natur angerichtet. Wieder einmal führte die Dame meine Hand, und zwar zu ihrem Kopftuch, und deutete mir an ich möge dieses zwischen den, immer noch Tanga geschmückten, Busen nach unten ziehen. Dadurch wurden dann ihre schulterlangen, wirklich sehr schönen schwarze Haare freigegeben. Sie schüttelte wild mit ihren Kopf, so dass die Haare erotisierend durch die Lüfte schwebten und diese legten sie dann anschließend über ihre Busen. Jetzt wurden meine Hände zum dritten Mal geführt. Diesmal ging es unter die Haare auf ihren Busen wo ich den Tanga-BH, den sie selbst zwischenzeitlich hinten enthakte, halten sollte. Sie zuckte zurück und wirbelte erneut mit ihren Haaren, so dass sie nun voll barbusig neben mir stand. Nachdem sie sich nun ihres Oberteils endgültig über den Kopf entledigt hatte schmiegte sie sich, jetzt nur noch Tangahöschen bekleidet, seitlich an mich. Na ja, das letzte Kleidungsstück fiel auch noch bevor sie sich rückwärts auf meinen Schoss setzte. Zum Finale drehte sie ihren Oberkörper und legte die Arme um meinen Hals und knutschte mich ab. So bekam ich auch nicht mit, wie dieser Herr mit dem Fotoapparat in der Hand, frontal gegenüber der Terrasse in den kleinen Garten kam. Ich wurde auf ihn erst aufmerksam als er „Alles paletti Chef, das Ding ist gelaufen“ tönte. Die Havar genannte Dame machte sich an das Einsammeln ihrer Utensilien und Klettner meldete sich wieder zu Wort: „Mein lieber Herr Schröder, ich muss ihnen zu meinem Bedauern mitteilen, dass dieser werte Herr, der soeben ins Haus gegangen ist, seinen Drang nach gelungen Farbfotografien nicht unterdrücken konnte. Wenn nun diese Aufnahmen in die Hände von Fräulein Havars Familie gelangen, muss man ja echt Angst um sie haben. Sie haben ja sicherlich schon von den moralischen Auffassungen der Südländer, insbesondere der muslimischen Bevölkerung, gehört. Aber ich glaube dass ich meine Beziehungen für sie verwenden kann und sie da nichts zu befürchten haben. Voraussetzung ist allerdings, dass sie alles das beherzigen, was ich ihnen heute erzählt habe. Übrigens, ich möchte sie noch für Montagabend um 20:30 Uhr in das Restaurant ‚Le Papillon’ in Neuhausen einladen. Sie werden mir doch sicherlich gerne bei einem kleinen französischen Imbiss berichten, wie es bei der Hilfsbehörde der Staatsanwaltschaft gelaufen ist. Vergessen sie es aber nicht ... denken sie an die Familie unserer reizenden Havar. Und jetzt bitte ich sie mich zu entschuldigen, ich hätte ja gerne noch eine Partie Schach mit ihnen gespielt aber leider zwingt mich noch ein unaufschiebbarer Termin sie um Vertagung zu bitten.“. Sprach es und ging von dannen. An seiner Stelle erschien nun eine rotblonde Dame, die mich nun schleunigst hinauskomplimentierte. Da hatte doch unser Kommissar Kaufmann recht gehabt: Zuckerbrot und Peitsche. Allerdings wusste ich nicht was ich davon halten sollte. Irgendwie tendierte ich in die Richtung die ganze Sache nicht ernst nehmen zu können aber irgendwie konnte ich auch ein seltsames Gefühl, dass auch mit ein Bisschen Angst gemischt war, nicht verleugnen. Das legte sich, als ich gerade mit unserem Wagen die Straße verlassen hatte und mich unser Kripokontaktmann auf meinem
Handy angerufen hatte. Da nur meine Familie und eben dieser Herr Kaufmann diese Nummer kannten dachte ich mir, es könnte was Wichtiges sein und fuhr deshalb, während ich abnahm, erst mal rechts ran. Damals war ja das Handytelefonieren am Steuer noch nicht Bußgeld bedroht aber ich empfand es einfach unbequem zu fahren und zu telefonieren. Am anderen Ende war also unser Mann von der Kripo: „Guten Abend Herr Schröder. Da sehen sie mal wie gut wir auf sie aufpassen. Sie haben gerade das Haus verlassen und schon rufe ich sie an. Ich gehe mal davon aus, dass ihnen die Striptease-Show mit ‚Suleika aus dem Harem’, so nennt sich doch diese junge Dame, die eigentlich Petra heißt und keinen Tropfen türkisches Blut in sich hat, mit Künstlernamen. Also, ich gehe mal davon aus dass Klettner und/oder das Ehepaar Steinmar ... andere Personen waren während ihres Besuches nicht im Haus, ihnen mit dieser Suleika, die im Nachtclub Candlelight in Neuweiler auftritt, Angst machen wollten. ... Dahingehend kann ich mir aufgrund meiner Erfahrungen und Fantasie schon etwas ausmalen. Ich gehe jetzt einfach mal davon aus, dass die Dame wenig gesprochen hat, da sie an ihrem doch recht ordinären Sächsisch sofort den Bluff erkannt hätten. Sie brauchen sich also um nichts Sorgen zu machen und wir können jetzt erst mal ins Wochenende starten und sie können mir ja Montagmorgen berichten was gelaufen ist.“. Wir wechselten noch ein paar nette Worte und verabschiedeten uns ins Wochenende. Ich fand es gut, dass er mich gleich angerufen hatte, denn ich war nicht nur erleichtert sondern sogar etwas amüsiert. Aus dem großen Klettner war ein zahnloser Papiertiger geworden, dessen großartige Aktionen nur mehr oder weniger wie alberne Streiche aussahen. Zu Hause musste ich dann erst mal meine, allerdings äußerst passiven Sünden beichten. Ich weiß es nicht bestimmt, aber ich glaube ein Wenig Eifersucht klang schon mit als Katharina, nach dem ich von der Show der Havar alias Suleika alias Petra berichtet hatte, „Ich hoffe es hat meinem Pepe noch ein Bisschen Spaß gemacht“ kommentierte. Mir war es auf jeden Fall wichtig, kein neues erotisch Geheimnis vor meiner Frau zu haben. Ich fühlte mich diesbezüglich nicht nur unschuldig sondern ich glaube es objektiv gesehen auch zu sein. Katha fiel dann auch noch auf, dass die rotblonde Dame, der sie am Freitag im Frauenhaus begegnete war, sich inzwischen offensichtlich zu ihrem Vergewaltiger, wie Hannelore Haupt sagen würde, zurück begeben habe. Da hatte sie auffallend recht und was sie jetzt noch nicht wusste, war, dass diese Begegnung dann entscheidenden Einfluss auf ihre Karriere im Frauenhaus haben sollte. Aber soweit sind wir an dieser Stelle noch nicht, hier berichte ich erst mal weiter, was ich noch mit dem ganz anderen, dem inzwischen wie ein alberner Junge wirkenden, Little Klettner erleben durfte. Ernst konnte ich diesen Mann nun wirklich nicht mehr nehmen. Nach einem dann noch insgesamt harmonisch verlaufenen Restwochenende, bei dem das Thema Klettner nur ab und an auf die Tagesordnung kam, trat ich dann am Montag zum vereinbarten Termin bei der Kripo an. Zunächst berichtete ich Herrn Kaufmann über das, was im Hause Steinmar gelaufen war. Ruhig und gelassen zog der Kripomann sein Fazit: „Alles was Herr Klettner ihnen aufgetragen hat ergibt in der Sache wenig Sinn. Es riecht förmlich danach, dass es sein ausschließliches Ziel ist ihre Glaubwürdigkeit zu ramponieren und gleichzeitig seine Frau mit reinzuziehen. Dann gibt auch die billige Räuberpistole, die er Freitag und Samstag aufgezogen hat, einen Sinn. Er setzt einfach darauf, dass ihnen keiner diese Geschichte abnimmt. Wenn er Erfolg haben würde, wären sie und auch ihre Tochter, die sie ja längere Zeit innerhalb seiner vier Wände, in naher Beziehung zu seiner Gattin, gelebt haben, für uns praktisch unbrauchbar und wir kommen, solange wir Berghoff oder van Impe noch nicht haben keinen Schritt weiter. Selbst wenn er davon ausgeht, dass wir die beiden Flüchtigen früher oder später festnehmen können, gewinnt er doch für ihn wichtige Zeit für Verschleierung und Verdunklung. Eines dürfte klar sein, sie haben von ihm weder eine Million auf einem Nummernkonto zu erwarten noch irgendetwas in Richtung von einer Blutrache zu befürchten. Ich schätze mal, dass er, wenn er sich auf der richtigen Spur glaubt, sie kontaktmäßig in der Versenkung verschwinden lässt. Aus diesem Grunde wäre es ganz nett, wenn sie noch eine kurze Zeit mitspielen würden. Ich schlage mal vor., dass sie heute Abend zu der Verabredung gehen und ihm erzählen, dass sie den Blödsinn wie verabredet loswerden wollten und wir ihnen nicht glauben wollten. Wir wären verärgert gewesen und hätten ihnen mit strafrechtlichen Konsequenzen gedroht. Wäre ganz interessant zu wissen, ob dann seinerseits noch ein Schritt erfolgt und wenn ja, welcher.“. Aus meiner Sicht schien mir jetzt, dass wenn die Kaufmannschen Schlussfolgerungen richtig wären, sich Klettner in Wirklichkeit gar nicht geändert hat – immer noch der eiskalte Stratege. Also führten mich meine Wege am Abend ins „Le Papillon“. Tatsächlich traf ich meinem „Partner“ dort an und er ließ sich bei der Menüwahl auch in keiner Weise lumpen. Während des Gespräches, welches er in dem von ihm gewohnten bornierten Ton mit verlogener diplomatischer Freundlichkeit, führte ging es nur knappe zehn Minuten um das was des Morgens bei der Kripo gelaufen war. Dieses beantwortete ich ihm sogar von mir aus so, wie es mir Herr Kaufmann vorgeschlagen hatte. Aber er reagiert darauf als sei es ihm fast gleichgültig. Interessanter war dann das Hauptthema des Abends, was ich unseren Herrn Klettner so aus nachvollziehbaren Gründen auf keinen Fall abkaufen wollte: Sex und Eros. Er wollte wissen, ob es mir Spaß machen würde mit Havar, die ja eine exotische Ausstrahlung habe, zu schlafen. Dann wollte er wissen was ich mit seiner Frau und Verena erlebt habe, was ich allerdings nach der Devise „Der Kavalier genießt und schweigt“ abtat. Dann kam er auf unsere Tochter, die ja nicht ganz ohne sei, zu sprechen. Ich empfand es als absolute Frechheit, dass er mir von erotischen Exessen unserer Tochter berichtete, bei denen er zum Teil zugeschaut haben will. Dabei seien auch Fotos entstanden, die er mir jetzt vorlegte. Sonderlich bei den Fotos war, das auf allen Bildern, auf denen mehrere Personen zu sehen waren, Christina nie dabei war und anderseits Tina in pornografischer Pose immer allein auf den Bildern war. Ganz offensichtlich handelte es sich um die auch zu Postern verarbeiteten Bilder, von denen Christina berichtet hatte. Man kann sich vorstellen, dass sich bei mir, dem Vater,
einiges an Ekel regte als ich diese Bilder sah. Als Zeichen seines „guten Willens“ überließ mir Klettner die Bilder und die zugehörigen Negative. Danach war dann der Montagabend gelaufen. Klettner hatte sich verabschiedet ohne einen weiteren Termin mit mir auszumachen. Den einzigen Sinn, den ich in dieser Geschichte sah, war das Klettner mich ganz offensichtlich gegen meine Tochter ausspielen wollte. So sah es auch Herr Kaufmann, den ich am nächsten Tag von dieser Schmutzangelegenheit berichtete. Die Bilder habe ich dem Kripomann aus eigener Scham und Pietät allerdings nicht gezeigt. Wenn ich es getan hätte, hätte sich vielleicht schon an diesem Tage eine ganz andere Sichtweise ergeben, da seitens der Kripo Frau Steinmar als die andere weibliche Hauptperson identifiziert hätte, was mir bei meiner durch Ekel gefärbten Betrachtung bis da nicht aufgefallen war. So dauerte es noch bis Mittwoch, bis sich diese Angelegenheit rundete. An diesem Tage lag der „Soko Klettner“ die Anzeige, die Mühlheims uneheliche Tochter, Frau Steinmar, in Neuweiler erstattet hatte, vor. Laut der Anzeige hatte Frau Steinmar ohne Wissen ihres Mannes und Vaters an, von Marianne Berghoff-Klettner veranstaltete Orgien in der Villa Klettner teilgenommen. Immer mit von der Partie sei Christina gewesen. Dabei seien auch eindeutige Fotos entstanden und die zugehörigen Negative befänden sich in Tinas Händen. Unsere Tochter habe seit Anfang des Jahres, so etwa ab Februar oder März, laufend Beträge von einer bis dreieinhalbe Tausend Mark von ihr erpresst. Als Beweis legte sie dazu Kontoauszüge vor, bei denen Auszahlungen in entsprechender Höhe ausgewiesen waren. Sie habe sich die Erpresserin vom Halse schaffen wollen und daher mit Herrn Klettner, dem Freund ihres Vaters, gesprochen. Dieser habe erst mit Christina gesprochen; sie glaube dieses sei telefonisch geschehen. In Folge der Kontaktaufnahme seien furchterregende Typen bei ihr aufgetaucht und sie sei in ihrer „Not“ ins Frauenhaus geflohen. Zu ihrem Schrecken wäre sie dort auf Katharina getroffen, die ihr dann klar gemacht habe, dass ihr diese „Flucht“ nichts nutze und sie solle lieber zahlen. Herr Klettner hätte mich angeschrieben und inzwischen zweimal mit mir gesprochen. Herr Klettner wäre sogar soweit gegangen, dass er für mich auf meine Forderung eine Prostituierte engagiert habe, die es im Hause Steinmar mit mir getrieben habe. Das hätte nichts genutzt, denn am Morgen des Dienstags hätte ihr Mann ein anonymen Brief mit drei Bildern aus Tinas Besitz im Hausbriefkasten vorgefunden. Ihre wäre nun nichts anderes übriggeblieben als ihren Mann alles zu gestehen und der habe ihr nachdrücklich zur Anzeige geraten. Nun hatte sich für mich die Auffassung, dass Klettner auf einmal ganz anders sei, in Luft aufgelöst. Wieder einmal war ein echter Klettnerplan abgelaufen. Denn was jetzt eingetreten war resümierte Herr Kaufmann mit: „Ja, diese Runde hat Klettner leider eindeutig gewonnen. Alles was wir jetzt aufgrund ihrer Aussage beziehungsweise der ihrer Tochter oder Frau unternehmen zerreißt ein guter Strafverteidiger in der Luft und löst es dann in Wohlgefallen auf. Uns bleibt jetzt offensichtlich nichts anderes mehr als auf die Ergreifung von Berghoff und van Impe zu hoffen und zu warten. Und diese Zeit wird ein Herr Hannsfrieder Klettner in seinem Sinne zu nutzen wissen. Aber trotzdem, Herr Schröder, führen wir das, was wir in dieser Woche begonnen haben, heute und eventuell noch am Freitag zu Ende. Dann haben sie mit großer Wahrscheinlichkeit erst mal Ruhe vor den beiden Ks ... Klettner und Kriminalpolizei.“. Jetzt bin ich an dem Punkt angelangt wo ich mit den Worten „Er hatte recht“ das Kapitel schließen kann.
Zum Kapitel 34
Zum Inhaltsverzeichnis
Du passt nicht ins Team Ich habe im vorrangegangen Kapitel angedeutet, dass mit Mühlheims unehelicher Tochter im Frauenhaus auch der Anfang vom Ende der dortigen Tätigkeit meiner Frau gesetzt war. Wenn mit der Kripo keine Vertraulichkeit vereinbart und gehalten worden wäre oder die Presse von der Geschichte „Wind bekommen“ hätte, könnte ich alles was mit Kathas Frauenhaus-Tätigkeits-Ende zu schaffen hat, mit einem Absatz abhandeln – die Gründe wären klar gewesen. So schlicht und einfach lief aber dieses Finale einer Probezeit nicht ab; es war ein Wenig interessanter. Etwa zehn Minuten nach ihrem Dienstantritt am Montag, dem 10. Juli 2000, wurde meine „Holde“ von Hannelore Haupt, ihrer Chefin, angesprochen: „Du sag mal Katharina, mir kommt da etwas höchst komisch vor. Ich habe am Freitag gesehen wie Steffi (Steinmar) mit dir gesprochen hat. Es sah nicht gerade freundschaftlich aus. Danach ist Steffi verschwunden und inzwischen weiß ich, dass sie sich wieder zu ihrem Vergewaltiger zurück begeben hat. Du musst verstehen, dass ich mir so meine Gedanken mache und ich muss jetzt darauf bestehen, dass du mir sagst, um was es ging. Mit der Bemerkung, dass es mich nichts angehe, lasse ich mich jetzt nicht abspeisen.“. Katharina war allerdings durch mein Wochenendabenteuer gewarnt und für diesen Fall präpariert: „Ach, ich wollte so wie so gleich mit dir sprechen. Diese Tussi ist eigentlich unter einem falschen Vorwand hier hergekommen. Die ist mit Klettner verwandt und wollte wohl in ähnlicher Weise wie Marianne abstauben ... das nehme ich auf jeden Fall an. Die fürchtete wohl, dass ich sie, weil ich sie mal in Begleitung von Marianne und unserer Christina getroffen habe, wieder erkennen würde. Das wäre wahrscheinlich auch irgendwann der Fall gewesen aber bis zu dem bestimmten Zeitpunkt am Freitag war das noch nicht der Fall. Sie hat mich nur angemacht ich solle die Klappe halten und ich habe ihr diesbezüglich nur erwidert, was sie von mir halte, mir wäre es doch egal ob und warum sie hier im Hause wäre. Das ist alles.“. Darauf ist die Frauenhausleiterin fast ausgerastet: „Bist du denn noch ganz bei Trost, das hättest du mir sofort sagen müssen. Es kann zwar sein das du recht hast und Steffi unter falschem Vorwand hier war. Aber es kann doch genau so gut auch sein, dass die doch die Wahrheit gesagt hat und jetzt aus Angst, dass es durch dich noch viel schlimmer werden könnte, wieder zurückgegangen ist. Dann bist du, wenn sie von ihren Vergewaltigern fertig gemacht wird, voll verantwortlich. Liebe Frau, über diese Sache ist jetzt noch nicht das letzte Wort gesprochen. ... Wir sprechen uns noch.“. Und dann ist Hannelore wutschnaubend davon gejagt. Die Leiterin des Hauses kam dann als Katharina sich ihre unbezahlte Mittagspause gönnte wie versprochen auf die Angelegenheit zurück. In einem fürsorglich klingenden Ton sprach sie Katha an: „Hör mal Katharina, darf ich mal ein ganz offenes Wort mit dir reden?“. Und ohne auf eine Antwort zu warten fuhr sie fort: „Nach allem, was du und deine arme Tochter in den letzten Jahren mit den Kerls, ... Vergewaltiger hörst du ja nicht gerne – durchgemacht habt, kann ich deine ... entschuldige bitte den harten Ausdruck ... höchst sonderbare Verhaltensweise ja verstehen. Aber glaube mir, das sich daraus für unsere Bewohnerinnen, die alle ein schweres Schicksal hinter sich haben, unübersehbare Gefahren ergeben können.“ Jetzt wurde sie von Katha energisch unterbrochen: „Was heißt hier, dass ‚alle ein schweres Schicksal hinter sich haben’? Wenn du die Augen aufmachst trifft dieses nur auf jede dritte oder höchstens zweite Frau hier im Hause zu. Der Rest hatte andere Gründe wie: Beschaffung einer Sozialwohnung, Stütze anzapfen, Flucht vor der Räumung nach Zwangsversteigerung, Erpressung von Sorgerecht und andersherum Entledigung der lästigen eigenen Kinder und, und, und. Dann gibt es noch die, die eigentlich ihre Männer meist mit Psychoterror aber auch mit körperlicher Gewalt gemartert haben und dann durch Abrauschen ins Frauenhaus den Spieß rumdrehen wollen. Du hast den Hang, Täterinnen zu Opfern zu machen weil du eine fanatische Männerfeindin bist. Aber ob du mit deiner Einstellung der Gesellschaft wirklich einen Dienst erweist wage ich zu bezweifeln.“. Jetzt rastete Hannelore völlig aus: „Das ist doch wohl die Höhe! Du stellst unsere Arbeit in Zweifel obwohl gerade du es besser wissen möchtest. Gerade du bist auch diejenige hier, die immer wieder betont Christin zu sein, aber von deiner Verpflichtung deiner Nächsten zu helfen willst du nicht wissen.“. „Da musst du etwas ganz falsch verstanden haben.“, hakte Katha jetzt wieder ein, „Ich stelle auf keinen Fall Einrichtungen wie dieses Frauenhaus in Frage. Für die, die ganz berechtigt hier herkommen, ist es oft sogar lebensrettend, dass es solche Häuser gibt. Aber das rechtfertigt noch lange nicht Frauen deines Schlages dieses als Waffe generell gegen die verhassten Männer einzusetzen. Ich kenne sowohl bösartige, gewalttätige Männer und Frauen ... das Und kannst du dick unterstreichen – wie hervorragende, nette Frauen und Männer. Ich gehe davon aus, dass alle Menschen gleichgültig ob Mann oder Frau, ob arm oder reich, dumm oder gescheit, vor Gott gleich sind. Ich bin dafür dass Jedem oder Jeder, gleichgültig was sie gemacht oder nicht gemacht haben, Hilfe bekommen sollen, wenn sie diese bedürfen. Aber meinst du, dass das Bemuttern, was direkt zum Hinlegen in der sozialen Hängematte verleitet, Hilfe ist? Glaubst du nicht, dass den Frauen mehr damit geholfen wäre, wenn man sie dazu anleitet sich selbst wieder auf die eigenen Hinterbeine zu stellen. Glaubst du nicht, dass es besser wäre, statt die Männer gleich einseitig vorzuverurteilen, die Probleme so zu analysieren, dass man auch, eventuell Mann und Frau Wege zur Vergebung, Versöhnung und zur gemeinsamen Bewältigung des Lebens aufzeigen sollte. ... Das kann ja gerade ich sagen, der ich auch schon mal so down gewesen bin, dass ich, wenn ich an so Leute wie dich geraten wäre, dass Glück, was mein Leben bedeutet, verloren hätte.“. Katharina hätte noch „stundenlang“ weiter reden können wenn sie nicht barsch unterbrochen worden wäre: „Na gut, ich sehe schon du bist uneinsichtig und so kann man auch nicht damit rechnen, dass du ehrenhaft selbst die Konsequenzen ziehst. Dann muss ich eben mit Herrn Jasper die Angelegenheit besprechen.“.
Der erwähnte Herr Jasper ist Geschäftsführer der Arbeiter-Wohlfahrt im Kreis Neuhausen, Trägerin des Frauenhauses, und somit der oberste Boss des Ladens. Für Katha stand fest, was das heißen sollte und bot Hannelore an, gleich mitzukommen. Diese machte von dem Angebot keinen Gebrauch und ging, im gleichen Maße, schnippisch wie wütend von dannen. Aber, wie meistens im Leben, ging es jetzt nicht so gradlinig wie Hannelore Haupt sich das im ersten Moment gewünscht hätte, denn Herr Jasper hatte gerade seine diesjährige Grippe genommen und ohne diesen hatte niemand in der AWo ausreichend Kompetenz um in Personalangelegenheiten zu entscheiden. So bekam Katharina noch eine Galgenfrist von einer Woche. Am Abend, bevor ich zu meinen Treffen mit Klettner ging, sagte sie mir noch, dass sie noch nie im Leben in so starken Maße Freude und Enttäuschung zur gleichen Zeit empfunden habe. Sie freute sich über die Verärgerung ihrer Chefin ob dieses Missgeschicks, also klassische Schadensfreude, und andererseits empfand sie Enttäuschung darüber, dass sie so wohl oder übel noch eine Woche in diesem „Laden“ antreten musste. Jetzt kann man sich denken, wie die Woche verlaufen wäre, wenn es sich nicht um meine Katharina gehandelt hätte. Ganz einfach Demütigung und Erniedrigungen, kurz Mobbing, waren vorprogrammiert. Katha hatte da jedoch Erfahrung und hatte aus diesen gelernt, das heißt, dass sie den Spieß umdrehte. Wenn ihr von ihrer Chefin oder ihren beiden Kolleginnen eine Arbeit in Richtung Putzen oder Aufräumen – typisch für Mobbing - angetragen wurde, sagte sie stets schnippisch und stereotyp: „Mach es doch selbst, dass steht nicht als meine Aufgabe in meinem Vertrag.“. Wenn man ihr beim Dienst an und mit den Frauen beziehungsweise deren Kinder dazwischenfunkte, bedankte sie sich stets für das Einräumen der unerwarteten Pause. Wenn die anderen vor Wut und Aufregung laut wurden, empfahl sie diesen Baldriantropfen. Ich muss schon sagen, das meine Frau wirklich eine, von mir bisher ungekannte, Gehässigkeit in sich hat, denn die ganze Geschichte machte ihrer inneren Schweinehündin, um es mal feministisch auszudrücken, sogar noch Spaß. Allerdings kann man ihr Vorgehen nicht generell als Antimobbingmittel empfehlen, denn so etwas bringt tatsächlich nur was, wenn man auf seinen Rausschmiss wartet und nur wegen der Speerzeit nach Paragraph 119 AFG nicht selbst kündigen will. Und dieses auch nur dann, wenn man sich noch in einer vereinbarten Kündigungszeit befindet. Und letztlich noch eine Warnung: Man muss schon sehr hart gesotten sein, wenn nicht doch diese oder jenes im Inneren des Einzelnen hängen bleibt – aber besser wie eine Leidensschaft als Mobbingopfer ist es jedoch auf jeden Fall. Nun, nachdem es am Dienstag noch diverse Vorfälle Schlag auf Schlag kamen, wurde es von Tag zu Tag immer ruhiger, bis sie letztlich am Freitag Narrenfreiheit hatte. Diesem Tag folgte dann erst mal ein schönes Wochenende im wahrsten Sinne des Wortes. Wir hatten das Gefühl, das wir die Klettnergeschichte einstweilen und das Frauenhaus endgültig hinter uns gebracht hätten. Ursprünglich hatten Katha und ich auch viel Liebe, so mit gemeinsamen duschen und mehr, im Bett und in unserer Gartenecke eingeplant. Von unserer Gemütslage wären wir auch dahingehend gut drauf gewesen. Aber da machte uns Tina einen Strich durch die Rechnung. Sie wollte ursprünglich übers Wochenende mit einer, aus dem Rheinland stammenden Kollegin zum Schützenfest nach Düsseldorf fahren. Aber diese Kollegin war auf der Treppe ausgerutscht und lag nun mit einem gebrochenen Bein in dem Krankenhaus, wo sie normaler Weise als Krankenschwester Dienst tat. Also zog es unsere Tochter vor, besagtes Wochenende mit uns zu verbringen. Worüber wir allerdings nicht böse waren, nur unsere ehelichen Sexpläne mussten wir aus verständlichen Gründen vertagen. Für Christina erwies es sich letztlich als sogar große Glück, dass sie dieses Wochenende zu Hause war. Aber darüber berichte ich gleich mehr; jetzt erst mal weiter mit dem Bericht von Kathas Ende im Frauenhaus Neuhausen. Siegessicher, das heißt in Erwartung ihrer sofortigen Kündigung, ging Katharina die neue Woche an. Mit ausgesprochen glücklichem Gesichtsausdruck saß sie am Frühstückstisch und tönte: „Während auf dem Kalender der längste Tag (Sommeranfang) heraufzieht blicke ich den kürzesten Arbeitstag entgegen. Um Acht ist der offizielle Start angesagt und um Neun sitzt Jasper, wenn er nicht verschlafen hat, in seinem Dienstkämmerlein. Unser Hannelörchen wird ihn dann gleich mit den Schandtaten der bösen Katharina überfallen. Ich denke dann, dass ich mich dann ein halbes Stündchen später zum Arbeitsamt begeben kann um schon mal die Hängemattenversorgung anzustoßen. Spätestens Elf bin ich wieder hier und dann holen wir das nach, wo wir am Wochenende dank Tinas ausgefallener Schützenfestreise nicht zu kommen sind. Also heute musst du ran mein Schatz.“. Das klingt wie Galgenhumor aber Galgen können wir ruhig wieder streichen, denn ich war davon überzeugt, dass es sich um den Ausdruck ihrer großen Erleichterung handelte. Aber wieder einmal bewies sich, dass Katha nicht mit hellseherischen Fähigkeiten ausgestattet ist; es kam nämlich wieder mal anders. Pünktlich um Acht stand Katha auf der Matte aber Hannelore war nicht da. „Hoffentlich wurde die heute nicht von einer Grippe oder anderen Krankenurlaub begründenden Dingen getroffen.“, schoss ihr als allererstes durch den Kopf. Von den Kolleginnen, die sie in der vergangenen Woche so liebevoll behandelte hatte, konnte sie ja aus nachvollziehbaren nun keine Auskunft erwarten. Daraus ergab sich dann das Problem, ob sie sich jetzt noch ein Wenig nützlich betätigen oder nur einen guten Eindruck machen sollte. Sie entschied sich für einen Mittelweg und spielte mit den drei Kindern, einem Zwillingspärchen – Mädchen - im Alter von acht und einem Jungen im Alter von neun Jahren, die zu einer derzeitigen Bewohnerin des Hauses gehörten. Da ihre beiden Kolleginnen, außer beim Eintreffen „Guten Morgen“, nichts zu ihr sagten, entwickelte sich daraus ein langer Spielvormittag. Auch um Elf, wo sie ja vorher schon glaubte wieder zu Hause zu sein, war von ihrer Chefin noch nichts zu sehn und zu hören. Sie hatte sogar die Ehre um halb Eins noch mal eine Mittagspause machen zu dürfen, die sie dann prompt bis kurz nach halb
Zwei ausdehnte. Das war der Zeitpunkt wo sie dann endlich ihre Chefin zu Gesicht bekam. Man kann wohl nachvollziehen, dass Kathas ursprüngliche Fröhlichkeit inzwischen auf ein alltägliches Normalmaß abgesunken war. Was Hannelore Haupt an diesem Morgen alles „getrieben“ hat, kann Katha natürlich nicht sagen, man hat es ihr nicht verraten, aber am Büro der AWo muss sie vorbeigekommen sein, denn sie hatte das ersehnte, von Jasper unterschriebene, Kündigungsschreiben mitgebracht. Es war ein kurz und knapp gehaltener Schrieb, in der man ihr unter Hinweis auf die Probezeit ohne weitere Begründung mitteilte, dass man sich entschlossen habe das Arbeitsverhältnis mit ihr aufzulösen und man wünsche ihr für die Zukunft viel Glück. Hannelore überreichte ihr dieses mit den Worten: „Du kannst dir denken was dieses ist. Falls du einen Grund wissen möchtest kann ich dir sagen: Du passt nicht ins Team.“. Katharina war der Meinung, darauf antworten zu müssen: „Normalerweise ist der verbale Satz ‚Du passt nicht in das Team’ so gut wie nichts sagend und hält keiner Auseinandersetzung vor einem Arbeitsgericht stand. Eine Begründung wäre es, wenn man sagt, warum derjenige nicht ins Team passt. Aber die kannst du dir schenken, dass weiß ich selber. Während ihr generell die Männer hasst, liebe ich meinen Mann und kenne viele nette Kerls, zum Beispiel meinen Bruder, meinen Onkel, mein Vater war ebenfalls super und, und. Während ihr die Frauen in eurem Kampf gegen das andere verhasste Geschlecht missbraucht, wollte ich ihnen helfen. Während ihr an den Hokuspokus namens Psychologie glaubt, glaube ich an Gott und an Jesus Christus. Wir passen wirklich nicht zusammen. Du hast hundertprozentig recht, ich passe wirklich nicht in ein Team von Poweremanzen. Aber belassen wir es ruhig dabei, der Zug ist jetzt endgültig abgefahren.“. Jetzt kann Katha nicht sagen ob der Abschied von ihrer Exchefin und Kolleginnen wegen ihres Schlusskommentars so frostig ausfiel oder ob das ohnehin der Fall gewesen wäre, auf jeden Fall war sie, nach dem man ihr von der Verabschiedung von den Bewohnerinnen nachdrücklich „abgeraten“ hatte, mit dem Gefühl dort nicht mehr reinzugehen, nach fünf Minuten vor der Tür des Hauses. Um diese Zeit fiel dann auch der Arbeitsamtsbesuch flach. Da diese Behörde in Neuhausen außer Donnerstags nur bis 14 Uhr geöffnet hat, konnte Katharina die Angelegenheit auf den nächsten Tag vertagen und unser Wägelchen gleich in Richtung Bergdorf lenken. Wie sie mir bei ihrer „verspäteten“ Heimkehr, gleich nach dem Schließen der Tür, verriet, sollte es aber bei der geplanten „Liebe bis zur Erschöpfung“ bleiben. Aber wieder einmal war es Tina die unser gelüstiges Vorhaben durchkreuzte. Katha hatte gerade ihren Report vom Vormittag beendet als es schellte. Vor der Tür stand, munter und fröhlich aufgelegt, unsere Tochter, die gleich nach dem Öffnen tönte: „Ich war gerade bei dem neuen Frauenarzt Dr. Heuer ... ihr wisst ja, der hat am letzten Ersten die Praxis von seinem Vater übernommen. Und denkt euch ...“. Weiter kam sie nicht, denn Katha sprach das aus, was Müttern immer dann durch den Kopf geht, wenn ihre Töchter so beschwingt vom Frauenarzt kommen: „Mein Gott, bist du schwanger?“. „Quatsch,“, setzte Katha belustigt aber empört tuend fort, „wer sollte mich denn geschwängert haben, wo ich doch die ganze Zeit unter der Obhut von Papa und Mama gewesen bin? Krank bin ich auch nicht, ... dann wäre ich ja auch nicht so glücklich. Nee, ich habe zum 1. Oktober einen neuen Job; dann bin ich die Sprechstundenhilfe von Dr. Bernd Heuer. Und mein Gefühl sagt mir irgendwie, ... da kann ich mir beim besten Willen gar nicht helfen, dass dieser der Job meines Lebens sein wird.“. Ich will ja nicht zu weit vorgreifen, verrate aber schon mal, dass sie ihr Gefühl tatsächlich nicht getäuscht hat. An dieser Stelle kann ich jetzt das Geheimnis um das Glück aufgrund der geplatzten Wochenendreise verraten: Tina hatte in der Wochenendausgabe unserer Lokalzeitung, auf der Bergdorfer Seite gelesen, dass der junge Dr. Heuer die Praxis von seinem Vater übernommen habe und derzeitig Maria Lemmer noch der gute Geist in der Sprechstunde sei. Diese Dame, die der eigentliche Anlass des Artikels war, sollte auch im örtlichen Roten Kreuz fast unersetzbar sein. Sie würde Ende September in den Ruhestand treten und Dr. Heuer hoffe bis dahin einen vollwertigen Ersatz für sie zu finden. Kurzerhand hatte Tina ihre Bewerbungsunterlagen zusammengestellt und der Einfachheit halber gleich an dem Morgen, als ihre Mutter „gefeuert“ wurde, dazu genutzt, um bei ihrem Chef in Spe, wie man jetzt sagen kann, vorzusprechen. „Woher wusstest du eigentlich, dass ich schon zu Hause bin?“, wollte Katharina jetzt wissen, „Ich bin nämlich gerade mal 10 Minuten vor dir eingetroffen.“. Da gab es dann gleich den nächsten Begeisterungsausbruch bei unserer Tina: „Das trifft sich ja elefantös, denn dann habt ihr ja noch nicht gegessen. Ich fand es nämlich schon schade, dass ich euch nicht wegen meines Nachtdienstes zur Feier des Tages zum Chinesen einladen konnte. Es muss ja nicht des Abends sein, dass geht doch auch jetzt. Der Chinese hat ja werktags von Elf des Morgens bis Elf des Abends durchgehend auf. Übrigens, dass du da bist habe ich nicht gewusst aber geahnt, ... deine Feuerung hat also geklappt. Aber sei mir bitte nicht böse, wenn ich dir jetzt verraten muss, dass ich neben einer Mutter auch noch ein Väterlein, bei dem ich meine Freude auspacken kann, habe.“. Jetzt hatte sie also alles an Information auf einmal ausgepackt und wir waren auf dem neuesten Stand der Dinge. Und was die Sache mit den Chinesen anbelangt muss ich noch sagen, dass wir uns natürlich gerne von unserer Tochter einladen ließen. Jetzt stellte sich Tina etwas betrübt – die Verstellung konnte man ihrem verschmitzten Gesicht ansehen: „Jetzt habe ich aber noch ein ganz dickes Problem ... Ich weiß nicht, ob wir das lösen können. Ich werde diese Woche schon mal kündigen. Da ich laut Papier noch in der Probezeit bin brauchte ich eigentlich keine Frist einhalten aber da ich nette Kolleginnen und Kollegen sowie gleichartige Vorgesetzte habe, finde ich es meinerseits fairer und das ich bis zum 30. August noch weitermachen kann, steht außer allen Zweifel. ... Aber im September mache ich eine Runde blau. Aber das ist nicht mein Problem, das ist vielmehr, dass meine Wohnung an den Job gekoppelt ist. Da weiß ich ja nicht, wo ich
mein müdes Haupt hinlegen soll. Glaubt ihr, dass mich meine Eltern schon wieder mal beherbergen können, sonst habe ich das sonderbare Problem, dass ich zwar nicht arbeits- aber dafür obdachlos bin.“. Diese Formulierung gefiel Katha so gut, dass sie lauthals lachen musste. Danach gab sie dann eine ebenso scherzhafte Formulierung von sich: „Ja, ja, was haben deine armen Eltern nur verbrochen, dass sie ihre Tochter trotz mehrfacher Anläufe nicht loskriegen können. ... Ist doch klar, Mädchen, dass du wieder bei uns einziehst, das bedarf doch keiner Frage.“. Und so schien alles geregelt; es schien nicht nur so, sondern es war so. Beim Essen gab es bei uns dann auch so eine Art Premiere. Während der etwa zwei Stunden kamen nicht einmal Worte wie Hannsfrieder Klettner, Mühlheims, Marianne Berghoff-Klettner, Volker Berghoff, Rainer Goldmann, Sascha Schulte und wie die ganzen Pappenheimer hießen auf den Tisch. Wer dem Gespräch folgte konnte annehmen als hätten wir die ganze, soeben hinter uns gebrachte Zeit ausgeklammert. Dieser Eindruck konnte auch durch die Verhaltensweise unserer Tochter verstärkt werden. Durch die Vorfälle der letzten beiden Jahre war sie sichtbar gereift und wirkte in letzter Zeit grundsätzlich wie eine gestandene Frau. Jetzt war sie wieder rückverwandelt, wie eine liebenswerte Jugendliche, ein Wenig albern und lebenslustig. So verkündete sie dann auch: „Ich glaube ich laufe langsam Gefahr eine alte Jungfer an Mamis Rockzipfel zu werden. Ich muss mich jetzt doch mal dafür interessieren was da am Markt an brauchbaren Männern rumgockelt.“ Und solchen Aussagen, von denen es an diesem Nachmittag mehrere gab, folgten dann grundsätzlich befreite und unbeschwerte Lacher. Auch Katharina wirkte auf einmal nicht mehr wie die Frau, der das Leben einige Nackenschläge verpasst hatte, sondern sie war wieder das fröhliche Wesen, was ich doch so sehr, über alle anderen Dinge liebte. Möglich ist, dass auch ich wieder ganz anders war, aber so etwas lässt sich immer schwer an der eigenen Person feststellen. Wenn ich ein Fazit dieses Nachmittags ziehen sollte würde ich sagen, dass die neue, offensichtlich bessere Zeit für uns endgültig angebrochen zu sein schien. Am Abend, als wir Tina am Bethanien abgesetzt und selbst heim gekehrt waren, gestand mir Katharina: „Mann jetzt bin ich aber bis zum Verglühen heiß gelaufen. Jetzt müssen wir endlich mit der Sache, die wir seit Freitag vor uns herschieben, loslegen.“. Während sie dieses tönte, hatte sie schon ihren Pulli und ihr Unterhemd über den Kopf gezogen. Da klingelte schon wieder mal ein Bote der neuen Zeit an der Tür und Katha musste ihre, für mich bloßgelegten, Brüste erst mal wieder unter den soeben abgelegten Sachen „verstecken“. Ich weiß nicht, was Karsten Rüffert, unser Pastor, gedacht oder gesagt hätte, wenn er meine bessere Hälfte in dem Outfit, den sie zum Zeitpunkt als er klingelte hatte, angetroffen hätte. Jetzt kam er mit den Worten: „Hallo Leute, ich glaube da was zu haben was euch interessieren könnte und da ich damit nicht bis Sonntag ... wenn ihr zum Gottesdienst kommt, warten wollte, habe ich beschlossen euch gleich auf die Pelle zurücken.“. Aber jetzt nahm er erst mal im Wohnzimmer Platz und ließ sich von Katha einen Kaffee anbieten. Während Katharina den Kaffee frisch zubereitete wollte ich schon mal wissen was anlag. „Wart es ab Petrus,“ vertröste mich Karsten, „dass betrifft deine Frau genauso oder vielleicht sogar noch mehr wie dich.“. Da hatte er zum ersten Mal mir gegenüber den biblischen Ursprung meines Vornamens Peter benutzt, was er ab jetzt häufiger und zuletzt immer tat. Das gefiel letztlich auch Katha so gut, dass sie neben Schatz, Schatzi und Maus jetzt auch Petrus in die Möglichkeiten der Anrede ihres Mannes aufnahm. Zum heutigen Zeitpunkt, also jetzt wo ich diese Zeilen niederschreibe, ist der „alte“ Spitzname Pepe fast ausgestorben, aus Pepe ist Petrus geworden. Ich nehme auch dieses als Übergang von unserem alten zum neuen Leben, welches mit diesem 17. Juli 2000 endgültig begonnen hatte. Als der Kaffee auf dem Tisch stand konnte unser Pastor endlich mit seiner Botschaft loslegen: „Also Leutchen, ihr wisst ja von Hermann Kollerts Lungenbeschwerden. Vielleicht wisst ihr auch, dass meine Schwester im Breisgau ... ich sage immer Schwarzwald – verheiratet ist. Mein Schwager ist ‚Pfaffe’ so wie ich und benötigt ab dem neuen Kirchenjahr, also ab ersten Advent, eine neue Küsterin, Küster oder Küsterpaar. Da, auch nach Ansicht des Arztes, die Luft im Schwarzwald unserem Hermann besser bekommt, habe ich Hermann und Beate vorgeschlagen, ... und die Beiden haben sich auch postwendend da unten beworben. Heute am frühen Nachmittag bekam ich einen Anruf aus Freiburg bei dem mir mein lieber Schwager mitteilte sein Presphyterium hätte zugestimmt. ... Und jetzt stehen wir dann praktisch schon ab 1. November ohne die Kollerts da. Es hat sich so ergeben, dass wir heute um Vier die letzte Presphyteriumssitzung, bevor alle auf Ferientour sind, hatten. Es ging eigentlich um letzte Absprachen hinsichtlich der Renovierungsarbeiten im Kindergarten, die ja in den Ferien stattfinden sollen. Da konnte ich dann auch gleich unser Küsterproblem zur Sprache bringen. Einstimmig waren wir der Meinung ihr wäret die Richtigen. Da Petrus mir kürzlich mal erzählte, dass so etwas für euch bestimmt was wäre, auch zu den gleichen Konditionen wie Beate und Hermann: eine volle und eine halbe Stelle, bin ich jetzt gleich nach der Sitzung zu euch geeilt. Ihr müsst euch praktisch nur noch bewerben, dann bekommt ihr den Zuschlag. Übrigens, wer von euch auf die halbe und wer auf die volle will, müsst ihr unter euch ausmachen; da halten wir uns raus. Und noch was: Ihr wollt doch wohl die schöne Wohnung in denen die Kollerts jetzt wohnen nicht leer stehen lassen; das wäre nun wirklich zu schade.“. Katharina standen Mund und Augen offen: „Mensch Karsten, da bin ich am Morgen aus meiner ungeliebten Stellung im Frauenhaus geflogen und bekomme des Abends, dass, was wir uns dieser Tage noch, als für uns maßgeschneiderten Traumjob bezeichneten, ... du kennst ja unsere Situation, angeboten. Und das just am gleichen Tag wo auch unsere Tina glaubt ihren zukünftigen Traumjob gefunden zu haben. Heute morgen hat man mir gesagt ich würde nicht ins Team passen und am Abend lädt man mich ein mit meinen Schatz ein Team zu bilden. Das ist ja ein richtiges Wunder.“. „Na,
na, na,“, meldete sich jetzt der Theologe in Karsten Rüffert zu Wort, „mit den Wundern wollen wir mal sparsam umgehen. Aber was ich mir gut vorstellen kann ist, dass euch Gott mit einer Berufung helfen will. Aber auch das sollten wir ihm mal überlassen, dafür sind wir viel zu klein.“. Sowohl Katharina wie auch ich sagten sowohl zum Job wie zur Wohnung zu und versprachen unsere offizielle Bewerbung am nächsten Sonntag zum Gottesdienst mitzubringen. Wo Karsten schon mal da war nutzten wir den Rest des Abends zu einem Klönabend, wie man im norddeutschen Raum so schön sagt. Noch ganze zwei Stunden saßen wir noch mit unserem Pfarrer zusammen, bis auch dem einfiel, dass er ebenfalls eine Frau, die zuhause auf ihn wartete, hatte. Ich brachte Karsten noch bis vor die Haustür und als ich zurückkam erlebte ich noch mal eine Überraschung. Katharina stand splitterfasernackt in der Wohnzimmertür und flüsterte mit erotisch zitternder Stimme: „Jetzt kommt aber nichts mehr dazwischen; jetzt geht es los.“. Jetzt sage ich nur noch, dass hieraus die erste Liebesnacht im endgültig neuen Leben wurde und ich deshalb jetzt seriös mit Schweigen das Kapitel beende.
Zum Kapitel 35
Zum Inhaltsverzeichnis
Wertvolles gibt es nur als Geschenk Die letzten zwei Wochen waren eine ereignisgeballte Zeit. Auf allen uns berührenden Schauplätzen ergaben sich einzelne Höhepunkte praktisch die Hand. So etwas ist nicht ungewöhnlich und wird im Volksmund damit abgetan, dass, wenn mal was kommt, alles auf einmal kommt. Da ich die letzten Geschehnisse für hoch interessant und für den Fortgang unserer Geschichte für wichtig hielt, aber meine Leserschaft nicht verwirren wollte, hielt ich es für angebracht die Ereignisse der letzten 14 Tage auf drei Kapitel aufteilen. Zum Glück geht es im Leben nicht immer so brisant und rasant zu und daher kommt es, dass kürzere Hochdruckphasen von längeren, kontinuierlich verlaufenden Zeiten abgelöst werden. In einen solchen Abschnitt, den ich eigentlich nur zum Verständnis des chronologischen Ablaufs in ein Kapitel fassen kann, waren wir ab Ende Juli bis praktisch Ende Oktober 2000 gelandet. Für mich, der ich seit dem Pleite meiner Druckerei amtlich immer und in jenem Jahr auch praktisch Hausmann war, ergab sich nach den aufregenden Tagen zwischen Klettner und Kripo jetzt die neue Situation, dass ich noch vor Ablauf des Jahres wieder in einer „echten“ Halbtagsstelle stecken würde. Selbstverständlich machte ich mir keine Illusionen und wusste, dass die Kirche nicht gerade der sozialste Arbeitgeber ist und sich daher Halbtag nur auf die Bezahlung bezieht. Vom Tätigkeitsumfang kommt es bei der „Firma“ meist auf mehr als einem Full-Time-Job heraus. Was nicht mit Lohn abgedeckt wird fällt dann unter das Mäntelchen Brüderlichkeit. Das ist mir aber praktisch egal, denn Geld spielt bei mir, seit dem ich von Inkassogeiern verfolgt werde, eine sonderbare Rolle. Erst konnte ich trotz allem nicht vom Mammon lassen aber dabei nicht einsehen, dass das Meiste nicht in meiner Tasche sondern in der von Pleitiershäschern landete. Dabei bin ich durch mein Verschulden, so wie ich es heute sehe, in die Sachen gerutscht, die so viel Unheil und Leid in meine Familie gebracht haben. Jetzt weiß ich, dass ich Geld nur zur Aufrechterhaltung meiner Existenz benötige und mein Leben nur mit der sinnvollen Ausfüllung der Zeit bereichern kann. Also ist Geld für mich im Grunde nur eine existenznotwendige Nebensache; fürs wirkliche Leben ist es doch mehr unbedeutend. Mit diesen Ansichten gehe ich kongruent mit denen meiner Frau. Auch Katharina glaubt durch Überbewertung des Tauschhilfsmittels Geld sehr viel verloren zu haben. Der schmerzlichste Verlust ist der Tod unseres, von uns doch sehr geliebten, Sohnes Thomas. Dann hat Katharina auch noch ihren Beruf als Erzieherin, der für sie mehr als ein Job war, verloren. Und beinahe hätte sie alles was für sie Leben bedeutet, ihre Familie, verloren. Auch wenn wir uns in dem Umfeld, in dem wir uns befanden, umsehen, zeigt sich dass das Geld, wenn man es überbewertet, im Grunde mehr schadet als nutzt. Da sind zum Beispiel die Leute Klettner, Mühlheims, Goldmann und Berghoff die ihre Seele an den Gott Mammon verkauften. Sie sind kalt, unmenschlich und letztlich kriminell geworden; wahre Freude können sie wohl nicht mehr empfinden. Dann gibt es dann noch Marianne Berghoff-Klettner, die ihr Leben auf dem Altar des Goldenen Kalbes opferte. Ihr wurden wenig oder keine Liebe, Freundschaft und Mitgefühl zu Teil. Im Grunde ist sie eine arme einsame Frau. Wie oft hört man, dass Toppleute unserer Zeit, wenn sie aus Krankheitsgründen oder weil sie im mamonistischen Spiel ausgesondert wurden und nicht mehr von Termin zu Termin hecheln können, wenn sie sich nicht mehr an Kursen und Bilanzkurven einnebelnd berauschen können, vereinsamen und sich letztlich selbst überdrüssig werden. Wir, die Familie Schröder, hatten jetzt aber endgültig gelernt. Nun wollten wir uns durch nichts davon abbringen lassen, dass wir sogenannte Werte nur noch daran messen wollten, was es uns an menschlichen Erleben bringt. Dem Empfinden von Liebe, Freundschaft und menschlichen Kontakten sowie dem Genießen der Natur und der Freude an den Kreaturen rechneten wir dabei den absolut höchsten Wert zu, während Reichtum und Wohlstand uns als das erschienen, auf was wir ohne einen Verlust zu empfinden, verzichten könnten. Jetzt wird dieser oder jener sagen: „Aha, Aussteiger.“. Wir sehen es eher umgekehrt und halten uns für Einsteiger, für Einsteiger in das wahre Leben. Von einer humanoiden Existenz wollten wir in ein menschliches Leben wechseln. Allerdings bringt der Totalausstieg, also wenn man unter die Berber geht und sich mit Betteln und von Obdachlosentagegeld über Wasser hält, absolut nichts sondern nur das Gegenteil. Der Überlebenskampf ist natürlich auch nicht mit dem Begriff Leben vereinbar. So sahen wir unserer Tätigkeit als Küsterehepaar in der evangelisch-reformierten Kirchengemeinde mit großer Freude entgegen. Als „guter Geist“ im Haus und Hof bei der Kirche, dem Gemeindehaus, dem Kindergarten und im Pfarrhaus, das neben der Pfarrerwohnung, um die sich die Rüfferts ruhig selber kümmern sollen, auch das Gemeindebüro beherbergte, würden wir wohl nie über Langeweile aus Arbeitsmangel klagen müssen. Dank der zahlreichen Gemeindekreise wie CVJM, Frauenhilfe, Männerkreis, Bibelrunde, Jugend- und Kinderaktivgruppen und, und, war der Kontakt und der Umgang mit anderen Menschen unausweichlich. Die Gottesdienste sowie zahlreiche Feste, ich nenne nur mal Gemeinde- und Adventfeier, versprachen uns Erbauung, Freude und Spaß. Kurz gesagt, wir sahen dem entgegen was uns ausfüllen sollte und das der Lohn nicht gerade das war, was Mammonisten für ein Prädikat eines guten Jobs halten, war für uns so unwichtig wie nur was; zumal uns ja voraussichtlich auch von dem „Wenigen“, was wir bekommen sollten, sogar noch gehörig abgepfändet wird. Unser künftiger Job schien also für uns maßgeschneidert. Aber jetzt hatten wir erst mal so eine Art Urlaub. Zwar waren ich offiziell, wie schon geschrieben, als Hausmann und Katha als Arbeitslosengeldempfängerin „tätig“ aber wie könnte man unsere Zeit bis zum 1. November ansonsten treffender als mit Urlaub bezeichnen. Abgesehen vom Haushalt hatten wir kaum Verpflichtungen. Da in der besagten Zeit weder von Klettner noch von der Kripo was kam, hatte ich keine
Verpflichtungen, während Katha nur ab und zu beim Arbeitsamt „antanzen“ musste. Dabei hätte sie sich beinahe mal gegenüber einem „erbsenzählenden“ Beamten verplappert. Sie hatte die Auskunft, dass man zur Zeit nichts vorliegen habe was man ihr vermitteln könne, mit den Worten „Och, ist ja nicht schlimm, ich fange sowieso am 1.11. als Küsterin bei der Kirchengemeinde an“ quittiert. Dieses hatte der Schreibtischquäler dann als „nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen“ gewertet und wollte deshalb Katharina die paar, Arbeitslosengeld genannten „Kröten“ streichen. Na gut und schön, meine Katha gehört also, wenn ich meinem Namensvetter im Bundeskanzleramt glauben darf, zu den Faulenzerinnen, was ihr allerdings kein schlechtes Gewissen bereitete. Im Sommer 2000 hatte Katharina dann auch mal eine außergewöhnliche Pflicht: Sie musste, wie Christina auch, im Falle Goldmann als Zeuge vor Gericht erscheinen. Für die beiden „Mädchen“ war es mal eine aufregende Abwechselung aber das ist kein Grund für mich, hier groß die Leserinnen und Leser mit Einzelheiten zu langweilen. Es gab Ende August noch einen aufregenden Tag für meine Frau und mich, der einiges an Nervenkitzel kostete. Das war der Tag, an dem das Presphyterium offiziell über unsere Küsterbewerbungen entscheiden sollten. Da man sich praktisch schon im Vorfeld für uns, die wir auch die einzigsten Bewerber waren, entschieden hatte, war die Entscheidung nur noch eine reine Formsache die in weniger als fünf Minuten abgehandelt werden konnte. Aber trotzdem, je näher die Entscheidung kam um so mehr kam die Angst, dass doch noch etwas schief gehen könnte, in uns auf und strapazierte unsere Nerven. Da halfen auch Karsten Rüfferts mal spaßigen und mal beruhigenden Worte auch nicht viel. Aber es kam wie es kommen musste, wir bekamen natürlich unsere Jobs. Vor der nun gefallenen Entscheidung hatten wir Onkel Albert zwar erzählt, dass wir uns für diese Tätigkeit beworben hätten und das dieses mit einer Wohnung verbunden sei; verschwiegen dabei aber tunlichst, dass wir eigentlich Job und Wohnung im Grunde schon zu 99% in der Tasche hatten. Jetzt mussten wir ihn aber mit der nackten Tatsache, dass wir Ende Oktober ausziehen würden, konfontrieren. Zu unserem Erstaunen war, eigentlich hinter unserem Rücken, schon was gelaufen, was jetzt die Sache beidseitig leicht machte. Christina konnte, obwohl ihr Dienst im BethanienKrankenhaus bereits Mitte September offiziell endete – arbeiten brauchte sie nur bis zum 1. September, einem Freitag; der Rest war Urlaub – noch bis zum 30. Oktober im Schwesternheim wohnen bleiben. Diese hatte mir ihrem Patenonkel ausgehandelt, dass sie nach unserem Auszug die Wohnung übernimmt. Auf Onkel Alberts unverbindliche Frage, ob auch mit männlichen Zuwachs zu rechnen sei, hatte Tina ihm geantwortet, dass sie sich mit ihrem Freund einig sei, dass sie bis zur, allerdings noch nicht absehbaren, Hochzeit erst mal ihre eigene Wohnung behalten wolle und anschließend würde sich die Frage nicht stellen, denn der habe ein eigenes Haus. Das machte uns doch sehr stutzig, da uns bis zu diesem Zeitpunkt, also vor Ende August, kein infrage kommender junger Mann an Tinas Seite aufgefallen war. Aber das Tina immer weniger Zeit bei uns verbrachte, war uns jedoch nicht entgangen. So hatten wir uns vorgenommen, unsere Tochter bei ihrem nächsten Besuch freundlich durch die Hintertür danach mal zu fragen. Aber bevor es dazu kam erledigte dieses der Zufall für uns. Als wir an einem Samstag, es war der 2. September, in dem Wald, an dessen Rand die Waßmannsheide lag, spazieren gingen, kam uns in einer Wegbiegung ein Pärchen entgegen. Es war unsere Tochter im Arm eines, ihr gegenüber etwas älteren Mannes. Ich schätzte den Altersunterschied auf 5 bis 7 Jahre und lag damit gar nicht so falsch, denn 6 Jahre trennt die beiden. Christina zuckte erst ein Wenig überrascht zusammen, kam aber dann fröhlich auf uns zu: „Darf ich euch Bernd vorstellen“ und an ihm gewandt: „Bernd, das sind meine Mutti und mein Vati.“. Jetzt schoss ich gleich ins Schwarze: „Entschuldige, ich kann doch deinen Freund nicht vom ersten Augenblick an duzten.“. „Doch, doch,“, meldete sich der junge Mann darauf zu Wort, „das können und dürfen sie schon. Aber sie möchten sicherlich gerne wissen, mit wem sie es zu tun haben ... Mein Name ist Bernd Heuer.“. Jetzt rutschte Katha spontan „Doch wohl nicht Dr. Bernd Heuer, Tinas künftiger Chef?“ raus und bekam die Antwort: „Doch der bin ich. Es war Liebe auf den ersten Blick. Als Chrisi bei mir in die Praxis kam, wusste ich sofort, das ist deine künftige Frau.“. „Ich auch“, fügte Christina noch hauchend an. Bei der Aussage meines „Schwiegersohns in Spe“ fiel mir auf, dass nicht nur aus Pepe ein Petrus geworden worden war sondern aus Tina war nun Chrisi geworden. Auch in diesem Fall war es so, dass sich der neue Name in Folge, auch bei Freunden und in der Familie, durchsetzte. Während dieser Begrüßung war Tina wohl die einzigste, die auf ihre Mutter geachtet hatte, denn sie sagte plötzlich: „Mutti, was ist, ist dir nicht gut?“. Jetzt merkten auch wir Männer, dass Katharina da wie angewurzelt, mit bleichem Gesicht und rot angelaufenen Hals stand. Mit etwas zittriger Stimme antwortete sie: „Ach nichts, ... lass mal, ... ach was, ich sage mal die Wahrheit. Herr Dr. Heuer, ich habe mich für Mittwoch bei ihnen zur Krebsvorsorge und ... ach, ist ja egal, angemeldet. Und ...“. Jetzt wurde sie von Christina unterbrochen: „Mutti, Bernd ist Arzt, da brauchst du dich doch nicht zu schämen.“. Jetzt wurde unsere Tochter aber von ihrem Begleiter unterbrochen: „Na lass mal Chrisi, das kann ich voll verstehen. Meiner Mutter wäre genauso, die käme auch nicht zu mir, ... die hat aber zum Glück unseren Paps. Wenn deine Mutter, weil es ihr peinlich ist statt zu mir zu kommen, zu einem Kollegen geht, bin ich ihr bestimmt nicht böse.“ Etwas gefasster nahm jetzt Katharina dazu selbst Stellung: „Ach lasst mal, ich muss mich nur ein Bisschen überwinden, denn jetzt ist Dr. Heuer nicht irgend ein Arzt sondern auch der Freund meiner Tochter. Ich bin ja ehrlich, dass ich mich dahingehend jetzt etwas schäme. In meinem Kopf ist doch jetzt auch, dass dein Freund mir die Brust abtastet oder in die Scheide sieht, ... das muss ich doch auch erst mal verdauen. Aber mir ist klar, Herr Dr. Heuer ist Arzt und da ist das, ... na sagen wir normal. Also ich komme Mittwoch.“. Später gestand mir Katha, dass nicht nur die normale Krebsvorsorge für ihre Scham sorgte sondern sie hatte sich ursprünglich angemeldet, weil nun schon zum
dritten Mal ihre Periode ausgeblieben war; sprich: Es war nicht auszuschließen, dass die Wechseljahre ihrer Menstruation inzwischen ein Ende bereitet hatten. Wir wollten die Beiden aber nicht aufhalten und setzten nach einem kurzen netten Wortwechsel zur Verabschiedung an. Die Beiden ließen sich jedoch nicht „abschütteln“ und spazierten dann gemeinsam mit uns weiter. Natürlich hielt Dr. Heuer unsere Tochter auch weiterhin im Arm. Aus meiner Sicht wirkte das Paar wie für einander geschaffen; die passen irgendwie gut zusammen. So kam es dann nach zirka einer halben Stunde zu einer weiteren überraschenden Begegnung. Uns kam ein Ehepaar, etwa in unserem Alter, entgegen und der Herr rief gleich erfreut: „Ah ja Bernie, daher weht der Wind. Deshalb hast du mir Christina, unsere beste Schwester, weggeschnappt. Aber da du sie offensichtlich in die Familie einbringen willst, glaube ich jetzt sogar, dass ich mich jetzt darüber freuen muss.“. Natürlich wurden wir jetzt miteinander bekannt gemacht. Es handelt sich um Dr. Kraft, Chefarzt im Bethanien-Krankenhaus, und seiner Frau. Auch für Tina war es neu, dass Dr. Kraft auch Bernd Heuers leiblicher Onkel war; es war der Bruder von Dr. Heuers Mutter. Dr. Kraft verriet uns dann, dass er jetzt auch glaube, das sich auch Familiengeschichte wiederholen könne. Seine Schwester hätte den gleichen Beruf wie Christina gehabt. Die und sein Schwager hätten sich auch Hals über Kopf ineinander verliebt als sich Bernds Mutter bei dem „alten“ Dr. Heuer als Sprechstundenhilfe beworben hätte. Na ja, dann wäre es auf der einen Seite schnell gegangen, ein knappes halbes Jahr später wäre seine Schwester Frau Heuer gewesen, aber auf der anderen Seite hätte es etwas länger gedauert: Erst 5 Jahre später wäre dann der kleine Bernd da gewesen.“. Auch das Ehepaar Kraft begleitete uns noch ein Weilchen und wir haben uns noch nett unterhalten. Als Katha und ich später alleine waren, erlaubte ich mir die Feststellung: „Wenn jetzt noch der alte Dr. Heuer mit Frau vorbeigekommen wären, hätte Tina ihre neue Familie komplett gehabt.“. Am nächsten Tag fuhren Katha und ich, wie im letzten halben Jahr jeden Sonntag, zum Gottesdienst. Sehr häufig gesellte sich Tina, wenn sie nicht ohnehin schon mit uns gekommen war, dann ebenfalls zu uns. So war es auch an diesem Sonntag. Diesmal kam sie aber nicht alleine sondern sie hatte ihre Freund, den wir am Vortag als solchen kennen gelernt hatten, gleich mitgebracht. Dabei fiel mir dann auf, dass ich ihn auch schon als gelegentlichen Gottesdienstbesucher vom Ansehen her kannte. An der Begrüßung von Pastor und Arzt, die sich mit Bernd und Karsten anredeten, stellte ich fest, das ich mich dahingehend nicht täuschte. Also diesbezüglich lagen wir auf gleicher Wellenlänge. Im Anschluss an den Gottesdienst, es war ja der erste nach unserer offiziellen Berufung zum Küsterpaar, wollten Katharina und ich noch ein paar Worte mit den Kollerts und Rüfferts wechseln. Aber bevor es dazu kam, erhielten wir noch die Mitteilung, das uns das Paar Tina und Bernd zum Essen eingeladen hatte und wir gegen halb Eins durch diese von zu Hause abgeholt würden. Na ja, als es soweit war, erfuhren wir, dass die beiden diese Einladung sowieso schon vorher geplant hatten und der Zufall ihnen die Überraschung gestohlen habe. Der Plan, uns für diesen Sonntag einzuladen, sei entstanden, als Tina erfahren habe das Onkel Albert sie in dieser Angelegenheit verpetzt habe. Wäre der Verrat nicht gewesen, hätte man noch bis nach dem 1. Oktober, also bis nach dem offiziellen Dienstantritt Tinas in Bernds Praxis, gewartet. Da es gerecht zugehen sollte, wären am kommenden Sonntag seine Eltern dran. Und jetzt kam Christina auf einen Punkt, der noch unbedingt auszuräumen war: „Vati, wo wir gerade von nächsten Sonntag sprechen: Du hast ja einen Tag später Geburtstag. Wolltest du uns denn nicht zur Feier des Tages einladen?“. „Ach, weißt du,“, begann ich, der ich auch die Geburtstagspleiten der beiden letzten Jahre im Hinterstübchen hatte, „leider ist der 11. September nicht nur mein 54. Geburtstag sondern auch Tommys 1. Todestag, da kann ...“. Weiter kam ich nicht, denn Tina hatte sich wohl darauf präpariert: „Vati, dass mit Tommy tut mir auch sehr weh und auch ich trauere um meinen Bruder. Wir hatten uns, obwohl wir uns früher fast täglich mindestens einmal in den Haaren hatten, doch sehr lieb. Aber das Leben geht weiter und du wirst an diesem Tag noch hoffentlich viele Geburtstage haben. Soll ich jetzt auf die Geburtstage meines Vatis verzichten, sollen deshalb mal unsere Kinder einen geburtstagslosen Opa haben und soll deshalb Mutti nicht mit ihren Mann diesen Tag begehen dürfen? Wenn wir Tommy fragen könnten, wäre der mit Sicherheit der Meinung, dass wir auch deinen Geburtstag feiern müssen.“. Als Tina geendet hatte fügte Katha noch an: „Siehst du Petrus, deine Tochter hat mal wieder hundertprozentig recht.“. Bei dieser Gelegenheit hat übrigens Tina meinen neuen Spitznamen erstmalig bewusst mitbekommen. So kam es dann, dass wir tatsächlich meinen Geburtstag mit einem feierlichen Essen beginnen. Allerdings waren Katha und ich des Morgens am Grab unseres Sohnes und wir schämen uns auch nicht der Tränen, die dort flossen. Sonderbar war, dass wir beide nach dem Friedhofsbesuch das Gefühl hatten, Thomas habe mit uns gesprochen und hätte uns gesagt, dass es richtig sei meinen Geburtstag festlich zu begehen. Dadurch ergab es sich, dass wir genau zwei Jahre nach dem Tag, wo es richtig losging und ein Jahr nach dem tragischen Höhepunkt der Passion, erstmalig wieder in harmonischer Geburtstagsrunde zusammen saßen. Wir sind nicht ausgegangen sondern haben uns zum Fondue um den festlich gedeckten Tisch in Onkel Alberts Wohnzimmer versammelt. Außer Tina und Bernd war also auch Onkel Albert unser Gast; räumlich gesehen war er ja praktisch sogar der Gastgeber. Ich schreibe immer locker Bernd, wenn von Dr. Heuer die Rede ist, und das hängt jetzt noch nicht mal mit der zeitlichen Distanz zur Niederschrift zusammen sondern so nannte ich ihn auch auf seinen ausdrücklichen Wunsch seit seiner sonntäglichen Einladung. Aber auch wir bestanden auf Gegenseitigkeit und so sind wir für ihn Katharina und Peter, inzwischen auch Petrus und Katha. Was zu vermerken ist, ist das dieses tatsächlich seit über zwei Jahren das erste harmonische Fest einer doch nun wieder sehr glücklichen Familie war. Ganz unbestritten sind wir nun endlich auf dem Weg nach oben.
Jetzt habe ich schon von allen nennenswerten Highlights des Sommers 2000 berichtete. Ich weiß jetzt nicht, ob wir Tinas ersten Arbeitstag bei ihrem Bernie noch erwähnen müssen. Die Spannung, die hiermit verbunden gewesen wäre, war ja nun inzwischen raus. Ansonsten gibt es noch zu berichten, dass wir sogar zweimal in diesem Sommer Besuch aus Cottbus bekamen. Kathas Bruder hatte uns mit Familie wochenendweiße auf dem Weg in und aus dem Urlaub die „Ehre“ gegeben. Einmal war auch Onkel Alberts Sohn, Katharinas Vetter, mit seiner Frau bei uns im Haus; aber der Besuch galt eher seinem Vater aber wir waren ebenfalls einbezogen und hatten uns auch darüber gefreut. Wenn ich jetzt noch berichte, das Katharina und ich einmal von Freitagsmittag bis Sonntagabend eine Bustour nach Berlin unternommen haben, sind alle Sommergroßereignisse der Familie Schröder aufgezählt. Aber die vielen kleinen Ereignisse, die das eigentliche Leben ausmachen, will ich aber auf keinen Fall unerwähnt lassen. Das waren unter anderem die vielen Spaziergänge, die wir bei gutem beziehungsweise sogar bei nur halbwegs stabilen Wetter in der näheren oder weiteren Umgebung unternahmen. Wir genossen es über Waldwege zu schlendern und dabei, als seien wir allein auf der Welt, niemanden zu begegnen. Wie erquicklich waren die zahlreichen Plaudereien und Diskussionen, die ich mit Katha führte. Erstaunlich, was wir uns nach all den Jahren noch zu berichten hatten. Oft saßen wir auch auf einer sonnigen Bank und ließen ganz einfach die Seele baumeln. Es gab auch eine Anzahl von Regentagen, insbesondere ab Mitte August häuften sich diese mehr und mehr. Dann blieben wir zu Hause und spielten Mensch ärgere dich nicht, Elfer raus, Halma, Dame, Mühle und andere Gesellschaftsspiele, die auch zu Zweit eine Menge Spaß machen. Oft turtelten und schmusten wir auch wie ein junges, frisch verliebtes Paar. Ich gebe ja zu, dass es in der Regel dabei auch unausweichlich zum Sex kam. Oft saßen wir mit Onkel Albert, entweder bei ihm oder auch bei uns, bei einem preiswerten aber leckeren Tischwein zusammen. So etwas machten wir jedoch auch zu zweit, was uns dann regelmäßig zum Kuschelsex verleitete. Alles in Allem: Es war einfach schön. Bei einer solchen Gelegenheit, also bei einem Weinstündchen zu Zweit, sagte Katha mal nachdenklich: „Ist dir schon mal aufgefallen, dass wirklich Wertvolles, wie Leben, Gesundheit, Freundschaft, Liebe, Glück und so weiter nirgendwo käuflich sind? Selbst der reichste Mann der Welt kann für all sein Geld immer nur einen vorgetäuschten Schein, einen Trug, davon kaufen. Wertvolles gibt es nur als Geschenk. Und seltsamer Weise werden dir diese Geschenke verwehrt, wenn du nach Ruhm, Reichtum und materiellen Dingen strebst. Und dann kommt noch hinzu, das Ruhm und Reichtum im Grunde schnell vergänglich sind. Ins Grab kann man nichts mitnehmen. Und um irdischen Protz zu kriegen, gehen viele sogar den Weg in die Kriminalität. Ich habe mich entschieden: Ich will das Wertvolle, was man nur geschenkt bekommt.“. Ich glaube, dass sich bei uns beiden die gleiche Philosophie unabhängig voneinander entwickelt hatte.
Zum Kapitel 36
Zum Inhaltsverzeichnis
Und wann sollen die Hochzeitsglocken läuten? Im Laufe des Monats Oktober 2000 verbrachten Katharina und ich die meiste Zeit auf dem Gelände unseres künftigen Brötchengebers, also in und um der Kirche. Der Grund war einleuchtend: Hermann und Maria Kollert würden am Anfang der letzten vollen Oktoberwoche gen Freiburg entschwinden, was dann einen sehr harten Übergang bedeutet hätte: Wir wären nach einer küsterlosen Woche in das eiskalte Wasser gestürzt. Also die Kollerts wiesen uns in so allerlei Dinge, die wir wissen und können sollten, ein. Zwischendurch stand dann mal Karsten Rüffert mit den Worten: „Sonderbar, ihr beiden ackert hier bereits als wäre der 1. November schon Vergangenheit und keiner sagt was davon, dass ‚Kirchen’ dafür eigentlich auch Silberlinge rausrücken müsste“ auf der Matte. „Ach lass mal Karsten,“, versuchte ich sein schlechtes Gewissen zu trösten, „wir machen das ja vollkommen freiwillig, damit wir nicht plötzlich wie ein Ochse vorm Berg stehen. ... Und die Hauptarbeit machen jetzt tatsächlich ja noch Hermann und Maria.“. „Passt auf Leute, ich mache euch mal ein Vorschlag.“, setzte unser Pfarrer jetzt mit seinem eigentlichen Anliegen fort, „Ich war eben im Büro des Kirchenkreises. Da war auch Hans Weber von der Diakonie und der erzählte mir, dass da in Neuweiler ein Ehepaar ins Ausland verzogen sei und die Diakonie jetzt deren Haus, was schon verkauft ist, räumen müsste. Alle Sachen sollen noch sehr gut und fast neu sein. Da ihr jetzt ja zu uns zieht, habe ich mir gedacht, dass alles was ihr gebrauchen könnt statt ins Möbellager hierher transportiert werden könnte. Euer Töchterchen wird sich bestimmt auch freuen, denn wenn ihr euch da eindeckt, könnt ihr ihr eine eingerichtete Wohnung übergeben. Und wenn ich das dann aus der Gemeindekasse ausgleichen darf, sind wir quitt und mein Gewissen ist wieder beruhigt.“. Wie es so ist, wollten wir zwar sehr gerne aber glaubten uns erst mal zieren zu müssen. Wie immer, wenn es so ist, wird dann doch letztlich Ja gesagt. Also vereinbarte Karsten mit uns, dass er uns am Nachmittag mit seinem Wagen nach Neuweiler fahren wollte und wir uns dort die Sache ansehen sollten. Die Leute von der Diakonie wollten dann am 24., also einen Tag nach dem Auszug der Kollerts, die Räumungsarbeiten durchführen und könnten bei der Gelegenheit alles nach Bergdorf bringen und gleich wieder aufbauen. Das passte mal wieder wie der „Popo auf dem Eimer“. Als wir losfuhren wurde ich durch Karstens Frage „Petrus, weißt du zufällig wo die Karl-Heymann-Straße in Neuweiler ist?“ wieder gedanklich in die verwegene Vergangenheit versetzt, denn es handelt sich genau um die Straße, in der mir die vermeintliche Türkin Havar den Strip aus drei Tüchern und einem Tanga vorführte. Als wir letztlich vor Ort ankamen stellte ich fest, dass es sich nicht nur um die zutreffende Straße sondern sogar um das betreffende Haus handelte. Wie damals hielt man auch heute nach uns Ausschau, allerdings nicht hinter der Gardine sondern vor der Haustür. Auch war es heute nicht Big Klettner sondern Herr Weber von der Diakonie der auf uns wartete. Wir entschieden uns, das Wohnzimmer, das Schlafzimmer, die Einbauküche und ein als Büro verwendbares Gästezimmer komplett zu nehmen – und waren damit auch komplett ausgestattet. Am Abend als ich mit meiner „Besten“ alleine im Wohnzimmer saß, wir warteten auf Tina, die wir wegen der neuen Situation, sprich Übergabe einer komplett ausgestatten Wohnung, so gegen Acht her gebeten hatten, erlaubte ich mir das Späßchen: „Denk dir, in unserem künftigen Wohnzimmer bin ich schon mal gewesen. Eigentlich wollte ich dort eine Partie Schach spielen, bekam dann aber einen Hauch von orientalischer Erotik auf der Terrasse serviert.“ „Was,“, begann Katha, sich empört stellend aber lachend, „das war also die konspirative Wohnung in der du mit dem Paten Klettner zusammengetroffen bist? ... Ist ja wirklich seltsam wie man laufend dem Kollegen Zufall über den Weg läuft. Aber sage mal, was macht eigentlich diese ganze Sippschaft um Klettner und was ist aus seinen Moneten wohl geworden? Ist dir auch schon aufgefallen, dass wir seit dem Beginn meines Superurlaubes nicht über diesen Heini und seine Freunde gesprochen haben, ... zumindestens nicht das ich es wüsste?“. „So ist es mein Schatz,“, gab ich jetzt zum Besten, „wenn uns unser ahnungsloser Pastor heute nicht in die Höhle des Löwen geführt hätte, wäre ich glatt Gefahr gelaufen, einen Abschnitt meines Lebens hinter den Nebelschwaden des Vergessens verschwinden zu sehen. Aber durch diesen Zufall ist in mir so ein Gefühl erwachsen, als würden wir schon sehr bald wieder was von den Leuten hören. Aber dieses Gefühl sagt mir, dass uns das Ganze dann kaum ankratzt.“. Schon kurze Zeit darauf vermutete Katharina hellseherische Fähigkeiten bei mir. Aber bis dahin werden noch ein paar Tage vergehen, jetzt kam erst mal Christina zu uns und hatte ihren Bernie gleich mitgebracht. Jetzt kann man sich denken, was als Thema Nummer Eins als Gespräch auf den Tisch kam: Natürlich die Herkunft unserer „neuen“ Möbel, die tatsächlich um einige Grade besser als die vorhandenen waren. Selbstverständlich fiel auch dabei der Name Klettner und Katha wiederholte noch einmal ihre Erkenntnis, dass zuvor der Name in unserem ständigen Wortschatz ausradiert schien. Christina brachte dieses zunächst auf einen nüchtern Grund: „Ja Leutchen, ist doch logo. Wenn ihr auf so eine Art und Weise auf etwas stoßt was im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Knaben steht, macht so ein Männchen in euerem Oberstübchen klick und der Name des Typen fällt aus euerem Mund.“. Übrigens, an dieser Ausdrucksweise erkannte man auch die zurückgewonnene jugendliche, mädchenhafte Art unserer Tochter, die aber ihren Bernd, wie er selbst sagte, besonders gut an ihr gefiel. Katharina fühlte sich missverstanden und erklärte, dass es ihr nicht auf das plötzliche Wiederauftreten des Namens in unseren Unterhaltungen gegangen sei sondern vielmehr um die Tatsache, dass wir in der letzten, harmonisch verlaufenen Zeit, keinen Gedanken an diese Leute und die damit verbundenen üblen Erlebnisse verschwendet hätten. Jetzt war bei Tina auch der Groschen gefallen: „Jau, ihr habt ja recht. Es ist schon komisch, dass mir so Erlebnisse aus meiner Schulzeit näher im Gedächtnis liegen als das, was in den letzten zwei Jahren passiert ist. Es wird doch wohl
noch nicht soweit sein, dass ich mich mal langsam nach einer Alzheimer-Selbsthilfegruppe umsehen muss.“. Da sprang ihr Bernd aber gleich „tröstend“ zur Seite: „Chrissie mein Schatz, da brauchst du dir beim besten Willen keine Sorgen zu machen. Diese Sache spricht für euere positive, auf die Zukunft ausgerichtete Grundauffassung. Stell’ dir mal dein Gehirn, ein echtes Wunderwerk, wie einen gutsortierten Karteikasten vor. Dieser Karteikasten ist ein solches Superding, das er das Sortieren automatisch selbst übernimmt. Natürlich stellt der die Akten, die laufend gebraucht werden vorne an und das, was eventuell vergessen werden kann oder sollte, ganz nach hinten. Wäre es jetzt umgekehrt, also das ihr eine rückwärtsgewandte negative Einstellung hättet, dann wären die schwarzen Akten ganz vorne. Die Folge wäre, dass ihr euch in Verzweiflung, Rachegedanken und Zukunftsangst aufbröseln würdet. Was du gerade von deinem Gedächtnis erzähltest, ist nur die Wiedergabe der Ordnung in deinem Karteikasten. Und das ist gut so, denn so bist du meine Traumfrau. Du siehst gut aus, hast ein fröhliches, offenes Wesen und bist dabei intelligent und selbstbewusst. Eine ‚Schrulle’ die immer nur darüber jammert was man ihr angetan hat, die ihr Denken nicht für das verwendet was sie für sich tun kann sondern nur über das, was sie anderen aus Rache antun kann, und die bei allem Neuen gleich sagt, dass es sowieso schief geht, wollte ich beim besten Willen nie haben.“. Bei diesen Ausführungen ging mir auf einmal ein Licht auf. Schon zu dem Zeitpunkt, als ich 1996 die veralterte Druckerei übernahm und mit den Banktrotteln verhandeln musste, machte sich mehr und mehr eine negative Einstellung bei mir breit und „die Karre fuhr immer tiefer in den Dreck“. Just in dem Moment als Katha in Barcelona erschien drehte sich die Geschichte. Mir war bewusst geworden, das mein Glück und meine Zukunft Katharina hieß. Genau ab diesem Moment ging es wieder bergauf. Ich hatte neuerdings sogar das Gefühl, dass alles besser als früher sei. Einen ganz gravierenden Punkt sehe ich da noch: Früher stand meine Existenz im Vordergrund und heute ist es mein Leben, wobei es fast unglaublich ist, dass ich so lebensorientiert sogar besser existieren kann. Aber wäre ich existenzorientiert könnte ich bestenfalls nur so dahin leben kann. Für mich ist es jetzt klar: Das Leben hat die absolute Priorität. Jetzt haben wir allerdings den Abend nicht mit philosophieren verbracht sondern es ging, wie vorgesehen, um die Übergabe unserer komplett eingerichteten Wohnung an Tina. Die war natürlich vollbegeistert diese zu bekommen und kommentierte zwischendurch: „Ist ja elefantös, dann brauche ich bis zur Hochzeit meine wertvolle Zeit nicht in Möbelhäusern verplempern. Wenn ihr jetzt noch den Hausrat drauflegt, ist alles okidoki.“. Letzterer Wunsch ging natürlich einen Schritt zu weit, denn auch wir hatten nur eine hausratlose Wohnungseinrichtungen erhalten aber dieses oder jenes konnte Tina ihrer Mutter im Laufe des Abends doch abhandeln. Jetzt war alles perfekt geregelt und der problemlose Umzug konnte starten. Als es letztendlich soweit war, fiel uns doch noch ein Haken, den wir in unserer Euphorie total vergessen hatten, auf. Am Montag, 23. Oktober, stand eine Möbelspedition vor dem Gemeindehaus um die Habe der Kollerts in den Schwarzwald zu kutschieren und einen Tag drauf stand da der LKW der Diakonie um unsere Wohnung aufzubauen. Wie sollte man da renovieren; die Nacht dazwischen dürfte wohl für eine solche Aktion nicht ausreichen. Aber was sollte es, Herman Kollert hatte erst vor knapp einem Jahr die komplette Wohnung renoviert und deshalb war es auch nicht von höchster Notwendigkeit – und einen schlechten Geschmack haben die Kollerts auch nicht gehabt. Deshalb lief das dann nach der Devise „Möbel raus und Möbel rein“ ab. Lediglich unseren Hausrat mussten wir mit dem eigenen PKW, allerdings in mehreren Fahrten, spedieren. Bedingt durch den Umzug ergab sich auch, dass wir eine Woche vor dem im Arbeitsvertrag genannten Termin richtig „küstern“ mussten. Dafür hatten wir gleich an unserem ersten offiziellen Arbeitstag frei, denn Allerheiligen ist bekanntlich auch für evangelische Pastöre ein echter Feiertag und wenn der Pfarrer nichts macht brauch auch der Küster nicht ran. Aber was soll es, wir waren ja mit den Möbeln und deren Spedition aus unserer Sicht mehr als ausreichend honoriert worden. So waren wir am 7. November, es handelte sich um einen Dienstag, schon so gut eingearbeitet, dass wir mit fast null Anweisungen und Hinweisen alleine auf dem Kirchenkomplex handeln konnten. An diesem Dienstag war ursprünglich für 10 Uhr eine Trauung angesetzt. Zwischen Tür und Angel hatte mir Karsten Rüffert am Vorabend etwas von einer Terminverschiebung berichtet. Jetzt hatte ich, wie es schon mal vorkommt, am Morgen die Grübelei: „Was war das denn noch mal? Viertel vor oder viertel nach Elf?“. Also begab ich mich zu Karsten um ihn die Frage, die im Laufe des Monats noch von jemanden anderen im anderen Zusammenhang gestellt wurde, zu werfen: „Wann sollen die Hochzeitsglocken läuten?“. Als ich in seinem Büro kam, wo er sich gerade schon mal mit den ersten Arbeiten zur nächsten Sonntagspredigt beschäftigtete, empfing er mich, bevor ich ihm die Frage stellen konnte, mit den Worten: „Du hast wohl gerade Nachrichten gehört. Da kam ja gerade die Meldung, dass man die Herren Berghoff und van Impe in Argentinien gefasst hat. Wenn ich mich recht entsinne, hattest du mit denen doch auch schon zu schaffen.“. „Na ja, ich weniger“, begann ich meine Antwort, „Tina hatte da wohl eher das Missvergnügen. Die darf sich dann ja jetzt, wenn die beiden Knaben in den nächsten Tagen hier wieder eintreffen, auf häufigere Kontakte mit rückfragenden Kripobeamte freuen.“. Mit „in den nächsten Tag“ lag ich, was ich zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht wissen konnte, schwer daneben. Die beiden Herren waren nicht etwa auf Grund eines deutschen Fandungsersuchen gefasst worden sondern die hatten in Argentinien das fortgesetzt, wo sie in Deutschland beziehungsweise Holland aufgehört hatten: Sie hatten dort eine Produktion und zugehörigen Vertrieb für Aufpuschmittel und Designerdrogen aufgezogen und deshalb hatte man sie verhaftet. Diese Geschichte liegt natürlich im primären argentinischen Interesse und deshalb
mussten sie erst mal mit dem argentinischen Knast vorlieb nehmen. Wie ich gehört habe, dürfte es aber sehr im Interesse der Beiden gelegen haben nach Deutschland abgeschoben zu werden, denn gegenüber argentinischen Haftbedingungen sollen deutsche Gefängnisse echte Luxuspensionen sein. Bei van Impe kam ja noch hinzu, dass er belgischer Staatsbürger ist und seine Straftaten eigentlich in den Niederlanden begangen hatte. Also setzte jetzt eine intensive Aktivität auf höchster diplomatischer Ebene an aber auf die „Vögelchen“ musste man noch eine Weile warten. Neben den beiden Vertretern des männlichen Geschlechtes hätte man hier ja auch gerne Berghoffs Lebenspartnerin, die sich auch dort aufhielt. Bei der schien es sogar noch schwieriger, denn die war spanische Staatsbürgerin und hatte sich offiziell in Argentinien nichts zu schulden kommen lassen. Also, diese Geschichte sollte noch Monate in Anspruch nehmen. Dadurch hatte unser Held Klettner natürlich weitere Zeit für seine Verschleierungs- und Verdunkelungstätigkeiten gewonnen. Da er aber nicht genau wusste, ob nicht doch plötzlich ein Flugzeug mit seinen „Kumpanen“ landen würde, musste er schon zusehen möglichst schnell zum Abschluss zu kommen. Ich konnte mir jedoch beim besten Willen nicht vorstellen, dass er im Rahmen dieser Aufgabe noch mal mit uns in Verbindung treten würde. Was wir wussten haben wir der Kripo gesagt, was Klettner auch weiß, und das er von uns Hilfe erwarten könne, dürfte er selbst im Traum nicht erwartet haben. So war ich doch verwundert, als ich den Knaben, ich glaube es war am Elften, an der Strippe hatte. Seit dem wir in der Küsterwohnung sind haben wir auch wieder einen Festnetzanschluss, wofür mein Handy nun aber meist ausgeschaltet in der Ecke liegt; ich leide ja nicht an Erreichbarkeitswahn. Also mein „Freund“ meldete sich in seinem gewohnt affigen Ton: „Guten Tag liebster Herr Schröder. Hier ist Klettner. Ich würde gerne mal mit ihnen sprechen.“. Na ja, Petrus Schröder kann bei Bedarf auch stur und zickig sein und deshalb legte ich mit den Worten „Ich aber nicht“ wieder auf. Später erfuhr ich, dass er schon am Abend vorher in der Praxis Dr. Heuer angerufen hatte und von Tina ähnlich abgefertigt wurde. Sie hatte „Ich habe keine Zeit für sie“ gesagt und dann aufgelegt. Weil wir aufgelegt hatten, wussten wir an jenem Wochenende auch nicht was er von uns wollte. Vor ihm hatten wir Ruhe aber nicht vor unserer Neugierde. Wohl aus diesem Grunde hörte sich Tina auch sein „Gesülze“ an, als er Montag, etwa eine halbe Stunde nach der Vormittagssprechstunde, wieder in der Praxis anrief. Bei der Gelegenheit stellte sich heraus, das er absolut nichts von mir wollte, außer die Privatnummer von Tina; just aus dem Grunde, weil sie am Abend zuvor einfach aufgelegt hatte. Als Christina mir dieses erzählte, stellte ich fest: „Warum sülzte der Knabe dann mit mein ‚lieber Herr Schröder’? Dass ich ein ‚lieber Herr’ bin weiß ich doch besser als er, aber ich bin nicht seiner. Und warum kann der Knabe nicht direkt fragen, warum kommt der denn auf den diplomatischen Schleichwegen? Auf die direkte Frage hätte ich ihm sogar ehrlich geantwortet dass du keinen Privatanschluss hast.“. Was uns dann noch mehr ins Erstaunen brachte, war was er wirklich wollte. Unter dem Vorwand, es wäre in seinen Unterlagen etwas durcheinander gekommen und er müsse jetzt die Personalunterlagen in Ordnung bringen, wollte er das genaue Geburtsdatum von Sascha Schulte und von ihr wissen. Tina hatte ihm, weil es für sie keinen Sinn ergab, die Auskunft verweigert. Letztlich folgerte ich: „Ich weiß nicht, für uns ist die Sache sinnlos aber für die Kripo kann das ganz anders aussehen. Wir sollten es unseren Herrn Kaufmann mal erzählen.“. Gesagt und getan, ich rief dort an. Herr Kaufmann war nicht da aber seine Kollegin war daran sehr interessiert und fragte: „Ich könnte jetzt nachsehen, aber es geht im Moment schneller wenn sie mir die Daten verraten.“ Mit dem Geburtstag unserer Tochter konnte ich selbstverständlich sofort dienen und hinsichtlich Schultes Geburtstag musste ich Tina fragen, die aber diesbezüglich auch überfragt war. Darauf erhielt ich dann vom anderen Ende die Auskunft: „Nicht schlimm, wir schauen in den Akten nach. Sie haben uns sehr geholfen, vielen Dank.“. Dann verabschiedete sie sich und legte auf. In Folge waren wir jetzt genauso klug wie zuvor und mussten immer noch mit dem Kameraden Neugierde kämpfen. Einen Tag später, am Mittwoch, bekam Tina dann doch noch eine Aufklärung. Des Nachmittags erschien jemand von der Kripo mit einem Köfferchen bei ihr auf der Waßmannsheide. Im Köfferchen befanden sich Arzneimittel und der Beamte wollte jetzt von Tina wissen, welche Mittel Frau Berghoff-Klettner davon regelmäßig oder auch gelegentlich gebraucht habe und woher sie diese während Tinas Zeit in der Villa bezogen habe. Des weiteren wurde sie gefragt, ob sie immer „überwacht“ habe ob Marianne die Mittel auch selbst genommen habe. Nun, Tina war bei der Einnahme der Arznei, außer bei zwei oder drei Ausnahmen, nie anwesend und die Beschaffung dieser sei Angelegenheit von Sascha Schulte gewesen. Und dann waren da noch ein Tagebuch und ein Fotoalbum, zu der Tina gefragt wurde, ob sie diese schon mal gesehen habe – sie hatte diese Dinge noch nie gesehen. Anschließend wurde Christina dann doch ein Bisschen schlau gemacht. Im Koffer befand sich der Inhalt eines kleinen Tresors in Mariannes Zimmer. Ursprünglich war dieser für Mariannes Schmuck bestimmt gewesen, aber diente später, nach dem Big Klettner den Schmuck in die eigene Obhut genommen hatte, nur noch für ihr Tagebuch. In diesen Tresor hatte Marianne später zu Schultes Zeiten auch ihre Arzneimittel gelegt, weil sie befürchtete, ihr Mann wolle sie umbringen und Schulte würde die Arznei nicht aus der Apotheke holen sondern von ihrem Mann erhalten. Damit hatte sie sogar ins Schwarze getroffen, denn ein Mittel war aus van Impes Produktion und hätte bei regelmäßiger Einnahme auch zum Tode geführt. Dass es ihr in jener Zeit so schlecht ging, war aber nicht auf die Einnahme sondern auf das Gegenteil zurückzuführen: Sie hatte in dieser Zeit keine Arznei genommen.
Marianne hatte dieses der Kriminalpolizei mitgeteilt und die mussten wohl oder übel, weil ihnen der zuständige Richter den Durchsuchungsbefehl verweigerte, sich korrekt über den Hausherrn, also Klettner, Zutritt verschaffen. Da stand man dann vor dem Problem, den Zahlencode zum Öffnen nicht zu kennen und gewaltsames Öffnen hätte man nur mit Zustimmung des dabei anwesenden Klettners gedurft, der dieses jedoch wohl aus gutem Grunde verweigerte. Eine Rückfrage bei Marianne nutzte auch nichts, da sie angab der Code wäre zuletzt 11091946, also mein Geburtstag, gewesen – und der war es nun offensichtlich nicht mehr. Kürzlich hatte Klettner erfahren, dass es Sascha Schulte kurz vor dem 11.11.1999 gelungen war den Ursprungscode zu knacken und zu verändern. Klettner hat sich als mögliche Kombination auch Tinas Geburtstag oder den des Übeltäters denken können, alles andere war bisher fehlgeschlagen. Es ist anzunehmen, dass er wahrscheinlich nur das van-Impe-Gift gegen Originalarznei austauschen wollte, um dann die Unschuld vom Lande zu spielen. Also die ganze Angelegenheit stand, so wie sie sich jetzt darstellte, offensichtlich nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Festnahme des Duos in Argentinien. Jetzt blieb für mich nur noch eine Frage: „Wieso hat die Kripobeamtin sofort auf das Richtige, Tinas Geburtstag als Code, geschlossen als Tina anrief, da doch zwischen dem Öffnungsversuch der Kripo und dem neuerlichen Munterwerden von Klettner doch, so wie es sich anhörte, ein paar Wochen lagen. Aber weshalb sollte die Kripo uns Opfer oder Zeugen auch in ihre Arbeit einweihen. So gesehen ging uns das ja auch nichts an. Im Nachhinein muss ich sagen, dass der neuerliche Kontakt mit dem entseelten Diener des Gottes Mammon Hannsfrieder Klettner, eine neue Dimension für uns darstellte. Bisher hatten wir gegenüber diesem Herrn immer eine Art negativen Respekt, man kann schon von Angst sprechen. Jetzt war es für uns mehr oder weniger nur eine nebensächliche Episode in unserem Alltag. Bisher reagierten wir immer aus der Furcht vor dem, was es für uns für nachteilige Konsequenzen geben könne, jetzt war pure Neugierde unsere Motivation. Und diese Neugierde reute uns sogar ein Wenig, da wir das absolute Ignorieren Klettners und seines „Wurstelns“ jetzt für richtiger hielten. Was ich besonders schön an unserem neuen Denken finde, ist das wir praktisch alles als vergeben und vergessen betrachteten. Statt Rache- und Sühnegedanken herrschten bei uns jetzt Lebenslust und Optimismus vor. Uns war es egal was Klettner und Freunde zu erwarten hatten, Hauptsache wir haben möglichst da nichts mehr mit zu tun. So gingen wir dann, ohne weitere Gedanken an diese Geschichte zu verschwenden, unserem Alltag, der uns ausfüllte, nach. Christina in der Praxis ihres Bernds und wir, Katharina und ich, im Bereich der evangelisch-reformierten Kirchengemeinde. Im Laufe des Novembers sollte noch ein außergewöhnlicher Tag auf uns warten: Christinas 24. Geburtstag. In diesem Jahr fiel er auf einen Montag. Da war es für uns zunächst verwunderlich, das Christina für diesen Tag wohl Großes plante. Sie hatte den kleinen Gesellschaftsraum mit Namen „Jagdstübchen“ im Heidekrug auf der Waßmannsheide für den Abend des 27. Novembers reservieren lassen. Dann hat sie uns angewiesen, uns für den nächsten Tag nicht allzu viel vorzunehmen; Bernd habe an dem Tag auch seine Praxis geschlossen. Letztlich gab sie uns noch bekannt, dass sie bei Taxi Schulte einen Wagen, der uns zu dieser Feier holen sollte, für halb Acht vorbestellt habe. Ein Jahr später hätten wir uns vielleicht da keine besonderen Gedanken darüber gemacht, da 25, 50, 75 und 100 ein besonderen Rang bei den Jubiläumszahlen haben – und es wäre in 2001 folglich ihr 25. Geburtstag gewesen. Jetzt war dieses doch ein Wenig denkwürdig und Katharina und ich hatten daher auch gleich einen Verdacht in die richtige Richtung. Als wir im Heidekrug ankamen fühlten wir uns auch dahin bestätigt, nämlich außer uns waren auch noch Bernds Eltern geladen worden. Folglich saßen drei Paare an einem festlich gedeckten Tisch. Wir waren alle feierlich angezogen, da ja Bernd und seine Chrissie wussten und die Elternpaare eine an Gewissheit grenzende Ahnung hatten, was das Ganze zu bedeuten hatte. Also war nach dem gegenseitigen Vorstellen und dem Plausch zum Warmwerden niemand überrascht als sich Bernd erhob und mit feierlichen Worten verkündete: „Liebe Katharina, lieber Peter, lieber Paps, liebe Mami, wir sind heute hier in erster Linie zusammengekommen um meinem Goldschatz, meiner über alles geliebten Chrissie, zur ihrem 24. Geburtstag zu gratulieren. Aber wir nehmen dieses auch zum Anlass euch mit einer tollen Nachricht zu überraschen: Hiermit erlaube ich mir euch offiziell unsere Verlobung bekannt zu geben.“. Danach nahm er zwei schmucke Schächtelchen aus seiner rechten Jacketttasche, entnahm diesen Ringe und steckte zunächst einen Tina und dann den anderen sich selbst an den Ringfinger der linken Hand. Jetzt nahmen sich beide in die Arme und küssten sich innig. Als die beiden von einander gelassen hatten gab es dann allseitige Umarmungen und so - so wie man es halt von solchen Anlässen kennt. Jetzt wollte auch Dr. Heuer senior ein paar Worte an die kleine Gesellschaft richten: „Liebe Chrissie herzlich willkommen als unsere Schwiegertochter. Ich weiß nicht, ob ihr wisst, dass die Mama und ich genau wie ihr zusammen gekommen sind. Auch sie kam zu mir um bei mir der gute Geist der Praxis zu werden und ich wusste sofort, dass ist deine Frau, dass ist das Glück deines Lebens. Bei uns beiden war es richtig und wahr und ich weiß auch, dass auch dieses auf euch zutreffen wird. Und Bernie, ... wenn es anders herum gewesen wäre, du der Vater und ich der Sohn, hätte ich mir auch Chrissie geschnappt. Anni nimm es mir jetzt nicht übel und reiche gleich die Scheidung ein, weil ich jetzt gestehe, dass ich auch gleich, als ich sie sah, in unsere Schwiegertochter verliebt war, ich kann also unseren Sohn mehr als nur verstehen. Bevor ich jetzt Prost sage muss ich aber noch eine Frage loswerden: Wann sollen die Hochzeitsglocken läuten. ... Und jetzt Prost.“.
Friedrich Heuers Frage nach den Hochzeitsglocken war wohl scherzhaft gemeint, wurde aber von Tina für alle überraschend beantwortet: „Ja Leutchen, wenn wir uns auf meinen Geburtstag verloben können wir doch auf Bernies Geburtstag heiraten. Also stellt euch darauf ein, dass ihr nächsten Monat am 30. schon wieder auf einer Familienfeier antreten müsst. Um dann die nächste Frage, wann ihr Omas und Opas seit, gleich vorweg zunehmen: So lange wie ihr, liebe Anna und lieber Friedrich, euch dafür genommen habt, wollen wir uns nicht nehmen. Auch euch, lieber Vati, liebe Mutti, wollen wir nicht nachahmen; wir wollen ein ‚Tückchen’ schneller sein. Im nächsten Jahr wollen wir uns ein passenden Termin ausgucken. Ich denke doch, dass wir ja in der Familie genügend Kompetenz haben, solche Angelegenheiten nicht dem Zufall zu überlassen.“. Eine solche konkrete Planung hatten wir nicht erwartet und waren daher allerseits mehr als nur ein Wenig baff. Katha war dann noch richtig gerührt, als ihr Bernd und Tina verrieten, dass ihr erstes Kind, wenn es ein Junge wäre, Thomas Peter, in Anlehnung an ihren Vater und Bruder, und falls es ein Mädchen sei Anna Katharina, in Anlehnung an die Omas, heißen sollte. Etwas schuldbewusst wandte sich Tina an ihren Schwiegervater: „Du bist jetzt der einzigste, der in der Planung nicht bedacht wurde aber wir beiden glauben, dass Friedrich doch ein Wenig altdeutsch klingt.“. Er verstand es und sagte: „Ich hätte euch auch dringend davon abgeraten aus einem neuen Erdenbürger einen alten Fritz zu machen.“. Nach all den Ansprachen fühlte ich mich auch zu einer solchen aufgerufen: „Meine lieben Kinder, wie ich jetzt auch Bernd einschließend sagen kann, und verehrte Frau Heuer, verehrter Herr Dr. ...“. Weiter kam ich nicht, denn Vater Heuer unterbrach mich erst: „Stopp, jetzt müssen wir uns erst mal auf die Konventionen einigen. Ich bin der Friedrich, aber sagt mal ruhig Fritz zu mir und dass ist meine Anni, was von Anna abgeleitet ist. Katharina kenne ich ja als meine ehemalige Patientin und du bist der Peter, wie ich erfahren habe. Also erst mal Prost, liebe Katharina und Prost, lieber Peter.“. Katharina war etwas verlegen geworden und sagte etwas schüchtern: „Ja, Tina, wer hätte das gedacht, dass der Mann der dich auf die Welt gebracht hat, mal dein Schwiegervater werden würde. Aber entschuldigt, für mich ist es jetzt etwas schwer meinen Arzt jetzt mit Fritz anzureden, aber ich werde mir Mühe geben.“. Während der ersten Stunde hörte man von ihrer Seite des Öfteren mal: „Herr Doktor, ... äh, ich meine Fritz“, was sich aber im Laufe des Abends, der noch bis halb Zwei des Nachts dauerte, dann immer mehr glättete. Zwischen den Elternpaaren Heuer und Schröder hatte sich da eine wirklich gute Freundschaft aufgetan. Auch heute noch, wo ich diese Zeilen schreibe, sind wir Heuers und Schröders sehr oft zusammen. Jetzt spiele ich auch an zwei Tagen im Monat wieder zwei bis drei Partien Schach. Im Gegensatz zu Klettner war Fritz ein angenehmer Gegner. Für ihn spielen Strategie und Sieg keine größere Rolle als einen Unterhaltungswert. Wir sitzen auch nicht verbissen und verkniffen über dem Schachbrett sondern wir diskutieren und plaudern dabei über Gott und die Welt. Nun, Fritz Heuer gehört nun gerade nicht zu den minderbemittelten Zeitgenossen. Auch er bewohnt ein Haus, was sich vom Durchschnitt nach oben hin abhebt. Aber im Gegensatz zu Big Klettner wertet er Wohlstand in keiner Weise als Lebenszweck, sondern er freut sich über das Leben und genießt den offenen Kontakt zu anderen Menschen. Er meint, das Geld vieles leichter und angenehmer macht, aber der stetige Kampf um dieses vernichtend sei. Und da liegen wir nun voll auf gleicher Linie. Katharina und Anna haben ein ganz besonderes Verhältnis zu einander entwickelt. Die beiden wirken wie ein Schwesternpärchen aus dem Bilderbuch. Ich habe schon zu Katha gesagt: „Was würdest du machen, wenn du deine große Schwester nicht hättest?“. Wir Männer sahen dieses allerdings auch mit einem bisschen Skepsis, denn ein solches Großmütterpärchen ist nicht selten eine Belastung für junge Eltern; da sind kleine Konflikte vorprogrammiert. Aber wir setzten da doch vertrauensvoll auf unsere Kinder: Christina und Bernd hatten nach unserer Einschätzung genügend Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen um zu aufdringliche Omas in ihre Schranken verweisen zu können. Aber noch war es ja nicht so weit, zum Zeitpunkt, an dem jetzt diese Geschichte handelt, stand erst mal eine Hochzeit bevor. Aber dazu mehr im nächsten Kapitel.
Zum Kapitel 37
Zum Inhaltsverzeichnis
Der Mensch ist zum Leben bestimmt Die Adventszeit wird immer so schön als stille Zeit bezeichnet und ist in Wirklichkeit vielfach laut und hektisch. Das erlebt man insbesondere in den Innenstädten, dort in den Kaufhäusern und auf den Weihnachtsmärkten. In allen möglichen Veranstaltungsorten wie Stadt- und Mehrzweckhallen sowie Theatern und anderen Sälen jagt eine Weihnachtsaufführung oder -feier die andere. Aber auch in den Kirchengemeinden, wo man ja die Herkunft und Bedeutung aus der stillen Vorbereitung auf die Ankunft des Herrn – es war ursprünglich eine Fastenzeit – kennen müsste, erreicht der Trubel seinen Höhepunkt. CVJM, Frauenhilfe und Männerkreis, Kirchenchor und andere wollen ihre Adventsfeier im Gemeindesaal abhalten. Auch im Kindergarten entwickelt sich hektischer Wirbel bei Erzieherinnen und Eltern, wo die Kinder einfach mitgerissen werden. Weihnachtsrummel und –aktivität überall; unausweichlich für Jedermann. Was wäre in dieser Zeit der Gottesdienst ohne den über den Altarraum hängenden Adventkranz, der dann just zu Heilig Abend durch große Weihnachtsbäume, rechts und links vom Altar angebracht, ersetzt werden muss. Für Küster und Hausmeister ist dieses eine Zeit in der man arbeitsmäßig innerhalb 4 Wochen mehr gefordert wird wie sonst in einem ganzen Vierteljahr. Allerdings konnten Katha und ich dieses im Dezember 2000 noch nicht so beurteilen, denn wir waren ja noch echte Frischlinge im Dienste der Kirche und Gemeinde. Trotz allem fanden wir tatsächlich noch mal für zwei Stunden Zeit um auf Bernds und Christinas Einladung deren künftiges Heim zu besichtigen. Bis vor einem halben Jahr war hier, in dem schmucken Einfamilienhaus am Bergdorfer Stadtrand, noch der „alte Fritz“, Bernds Vater, der Hausherr. Dieser hatte sich aber eine kleinere Doppelhaushälfte auf der Waßmannsheide, was er als Alterssitz für „handhabbarer“ hielt, zugelegt und so konnte sein Sohn in seine Fußstapfen im bisherigen „Häuschen“ treten. Als ich dieses schmucke Häuschen mit dem kleinen Vorgarten betrat, stellte ich fest, dass die Einrichtung zwar von gehobener Qualität war aber in keiner Weise den Eindruck einer sterilen Musterausstellung, sowie die Ausstattung in der Villa Klettner, vermittelte. Man merkte, dass hier wirklich Menschen lebten. Auf meine neugierige Rückfrage nach der Größe der Wohnfläche bekam ich dann zur Auskunft, dass es sich um 255 m² handeln solle. Das veranlasste Katharina dann zur Frage, ob sie gedächten sich ein Hausmädchen oder mindestens eine Putzhilfe zu nehmen. Dieses verneinte Tina keck: „Ja weißt du, selbst ist die Frau. Was Anna konnte kann ich auch. Und wenn ich mal nicht kann, dann gibt es da noch so etwas wie einen Mann ... irgendwie muss es für die ja auch eine Nutzanwendung geben. Und., wenn wir tatsächlich beide mal nicht können, gibt es zwei Damen namens Katharina und Anna ... die reißen sich förmlich darum für mich einspringen zu können.“. Wie üblich nach solchen Aussagen lachte sie in ihrer netten mädchenhaften Art. Bevor Katha zum Protest anheben konnte glätte Bernd die Wogen: „Na, na, Chrissie, wir wollen nicht in voremanzipatorische Zeiten zurückfallen; den Haushalt machen wir, wie vereinbart und wie dieses bei meinen Eltern üblich war, gemeinsam. Und wenn jetzt jemand argumentiert, wir wären im Hinblick auf die Praxis viel unterwegs, kann ich nur dagegen setzen, dass dann ja auch proportional weniger im Haushalt anfällt.“. Eines muss ich jetzt, auch ein Wenig stolz, feststellen: Einen Dünkel wie andere Leute in seiner Einkommenssicht hat unser Schwiegersohn auch heute noch nicht. Er ist durch und durch ein Mensch und kein existierendes biologische Objekt. Wie in Klettners Villa gab es auch in Bernds Haus einen Schwimmingpool, dieser jedoch nicht Glas umgeben vor der Terrasse sondern im Keller. Allerdings auch in viel bescheideneren Maßen: Vielleicht 4 x 5 m und keine 2 m tief. Zum Zeitpunkt unseres ersten Besuches enthielt das Becken auch kein Wasser. Bernd erklärte uns dazu, das stehendes Wasser, was ja ohne laufende Umwälzpumpe immer gegeben sei, erstens kalt und zweitens unhygienisch sei. Da sie im Moment nicht zum „Planschen“ kämen und ansonsten die Anlage nur unnütz Geld schlucken würde, wäre der Pool derzeitig nicht betriebsbereit. Zum Pool gehörte auch eine kleine Sauna. Katha schaute interessiert hinein und fragte: „Passen da auch vier Leute rein?“. „Liegend bestimmt nicht,“, antwortetet Bernd, „aber sitzend müsste für uns Vier gerade mal Platz sein. Zur Not können die Männer die Frauen auf ihren Schoß nehmen, natürlich jeder die seine“. „Dann können wir die Angelegenheit doch gleich mal testen“, schlug Katharina spontan vor. Tina und ich standen da und schauten meine Frau höchst erstaunt an. Dieses blieb ihr natürlich nicht verborgen und tönte locker: „Wieso, ist doch nichts dabei. Wir kennen uns doch und außerdem ist Bernd sogar mein Arzt.“. Bevor wir da jetzt darauf eingehen konnten erklärte Bernd, dass er mit dem Wunsch nach einem Saunabad wirklich nicht hätte rechnen können, sonst hätte er schon alles vorbereitet; er hätte dann sogar Wasser in den Pool gelassen. Tina sprach bei dieser Gelegenheit das aus, was auch ich jetzt dachte: „Mutti, als du das erste Mal bei Bernie zur Untersuchung warst hattest du Hemmungen wie eine Klosterschülerin und jetzt möchtest du dich auf einmal nur ‚Just for Fun’ im Evaskostüm präsentieren. Wie soll ich das verstehen? Du hast doch wohl nicht ...“. Katha wirkte etwas ertappt und gestand: „Hmm, ich bin ja Jahre lang zu Bernds Vater gegangen und habe dabei nie was in Richtung Sex und der damit verbundenen Scham empfunden. Er war halt für mich kein Mann sondern er war halt mein Frauenarzt. Als ich dann von euerer Verbindung erfuhr, war da nicht einfach nur der Arzt Dr. Heuer sondern auch ein Mann, der Mann Bernd Heuer an deiner Seite. Da waren zum ersten Mal in Verbindung mit Frauenarzt auch erotische Dinge mit im Spiel; da ein Mann und ich eine Frau, dem ich Zublick in meinem intimsten Bereich gewähren sollten. Ich weiß das ist irrational, aber das war da auf einmal. ... Aber das hat mit jetzt überhaupt nicht zu tun. Jetzt hatte ich nur an ein Saunabad gedacht .... und das wirklich nur aus Spaß, denn zum richtigen Saunen fehlt uns heute doch bestimmt eine Menge Zeit – oder?“.
Jetzt sprang ihr Bernd zur Seite: „Das mit der Sauna habe ich jetzt auch als Spaß und nicht anders verstanden. So habe ich doch auch geantwortet. Und was deine damalige Untersuchung anbelangt muss ich auch was gestehen. Auch für mich war es nicht wie sonst üblich. In der Regel interessiere ich mich nicht für die Ästhetik einer Frauenbrust oder für das wohlige Gefühl, was man empfinden kann, wenn man eine solche in der Hand hat; also in der Regel denke ich an nichts was mit Sexualität oder gar mehr zu tun hat. Chrissie ist bis jetzt die einzigste Ausnahme und soll es auch für immer bleiben. Mein Interesse liegt ausschließlich bei der Beschaffenheit des Gewebes, ob da Knoten sind und so weiter. Bei dir Katharina war es schon ein Bisschen anders als bei anderen Frauen. Du bist Chrissies Mutter und in dir sah ich meinen Schatz in etwa 20 Jahren. Dich habe ich, entgegen allen anderen, auch mit erotischen Augen betrachtet. Aber jetzt brauch hier keiner Angst zu haben, in diese bestimmte Richtung gibt es auf dieser Welt nur eine Frau für mich – und das ist Chrissie. Du kannst also unbesorgt meine Patientin bleiben“. Katharina beteuerte, dass sie das auch bleiben würde und sowohl Tina wie auch ich hatten dahingehend keine Bedenken. Bei dieser Gelegenheit fragte ich dann Bernd: „Du bist doch sicher Frauenarzt geworden, weil dein Vater dein großes Vorbild war. Das du es geworden bist, nur weil du die Praxis übernehmen musstest, kann ich mir bei dir eigentlich nicht vorstellen.“. „Du hast recht, Peter.“, bekam ich zur Antwort, „Aber es war nicht Vaters Beruf sondern seine Einstellung die für mich das Leitbild waren. Für ihm war und ist es immer noch das Größte, wenn er Menschen helfen kann ... das könnte man allerdings auch als Arzt aller beliebigen Fachrichtungen. Aber für uns ist weit darüber hinaus die Geburt eines Menschen das Größte auf der Welt, der Beweis für Gottes unendliche Liebe zu den Menschen. Und die Fachrichtung Gynäkologie und Geburtshilfe gibt uns die Möglichkeit bei der Entstehung neuen Lebens mitwirken zu dürfen. Für mich ist es wirklich das Größte, das ist meine Berufung.“. Was ich eigentlich immer vermutete war mir nun bestätigt worden: Bernd war Arzt aus Berufung und christlicher Überzeugung. An seiner Seite würde Tina gut aufgehoben sein. Als wir uns nach dem Rundgang durch das Haus im Wohnzimmer zusammensetzten, hatte ich dann doch noch eine Frage an den Frauenarzt: „Sage mal Bernd, du sagtest unten, dass die Geburt eines Menschen der Beweis für Gottes unendliche Liebe sei. Was machst du, wenn eine Frau zum Zwecke der Abtreibung zu dir kommt?“. „Diese Frage von dir hatte ich eben schon erwartet.“, begann Bernd, „Im Leben läuft nichts so ohne Anfechtung wie im Paradies vor dem Sündenfall ab. Meine unumstößliche Grundauffassung ist, dass der Mensch mit der befruchteten Eizelle beginnt und das der Mensch zum Leben bestimmt ist. Meine christliche Überzeugung sagt mir, dass eine Abtreibung Sünde ist. Auch für mich stellt eine Abtreibung die Vernichtung werdenden menschlichen Lebens, also ein Töten, da. Aber Jemanden, der dringend Hilfe benötigt, abzuweisen und ihn in seinem Leid und seinen Konflikten allein zu lassen ist zumindestens eine ebenso große Sünde und wenn der Mensch an diesen Konflikten zu Grunde geht ist das sogar aus meiner Sicht eine noch größere Sünde. Ich bin also gezwungen den Frauen, die mit dem Hilfeschrei ‚Ich möchte abtreiben’ zu mir kommen, zu helfen. Ideal ist natürlich, wenn ich der betreffenden Frau den entscheidenden Rat zur Lösung ihrer Konflikte geben kann und sie das Kind dann doch zur Welt bringt. Würde ich nicht auch die negative Seite meines Berufes in Kauf nehmen, würde ich mich als schäbiger Egoist vorkommen, der sein eigenes Seelenheil über die Nächstenliebe, dem Gebot den anderen zu helfen, stellt. Lässt nicht der gute Hirte sein Leben für die Schafe? Geht nicht die Hilfe, der ich meiner Nächsten zuteil werden lassen muss über mein eigenes Seelenheil. Und den fanatischen katholischen Klerikalen muss ich diesbezüglich das Jesuszitat ‚Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein’ entgegensetzen. Dieses sage ich jetzt auch ohne Hinblick auf die Behauptung aus bösen Mäulern, dass es eine große Zahl von Frauen gibt, die von Priestern geschwängert wurden und auf indirekten Rat eines Bischofs abtreiben mussten.“. Tina saß in dieser Zeit zunehmenst geknickter neben ihrem Bräutigam. Als ich das Thema anschnitt hatte ich nicht daran gedacht, dass auch Christina schon eine Abtreibung hinter sich hatte und jetzt offensichtlich einige heiße Tropfen Öl auf ihre geschundene Seele tröpfelten. Als Bernd die Betroffenheit seiner Braut merkte nahm er sie erst mal kräftig und tröstend in seine Arme und sagte ihr „Ach Chrissie meine Süße. Es tut mir wirklich leid, ich wollte dich nicht treffen“ bevor er sie innig vor unseren Augen küsste. Bei dieser Gelegenheit merkten Katha und ich, dass unser Schwiegersohn auch die dunklen Schatten aus Tinas Vergangenheit kannte. Nicht nur Christina sondern auch wir wussten aus unserer Erfahrung, dass, wenn man sich im übertragenen Sinne vollkommen nackt gegenüber dem Anderen hinstellt, ihm nichts, womit man später konfrontiert werden könnte, verheimlicht, die besten Voraussetzungen für eine unantastbare, unangreifbare Partnerschaft schafft. Das war ja die große Lehre, die wir aus dem Drama, das nun endgültig hinter uns zu liegen scheint, gezogen haben. Zum Zeitpunkt unserer „Hausbesichtigung“ waren wir richtig froh, feststellen zu können, dass Tina und Bernd offensichtlich gleich die richtige Basis für eine standhafte Partnerschaft geschaffen hatten. Später erfuhren wir mal, dass sich die Beiden schon in der aller ersten Zeit, wo sie sich gerade mal eben gekannt haben, alle Schatten und Sünden aus ihren Vorleben gestanden hatten. Natürlich gab es da auch dunkele Flecken in Bernds Vorleben, wie bei jedem anderen Menschen auch, die Tina kannte aber uns selbstverständlich nichts angehen; also kann ich diese natürlich auch hier nicht wiedergeben. Nach dem Kussintermezzo lenkte Bernd auf ein anderes Thema über: „Chrissie, hast du deinen Eltern schon von deinem Onkel erzählt?“. „Au jau, das ist ein echter Klöpper, das muss ich euch unbedingt erzählen.“, begann jetzt unsere Tochter mit einem wieder strahlendem Gesicht, „Ich hatte doch mit Onkel Albert ausgehandelt, dass ich bis zur Hochzeit die Wohnung bei ihm behalten wollte. Ich hatte damals schon ein schlechtes Gewissen, weil ich, auch im
Gegensatz zu euch, ja schon wusste, dass dieses nicht in sehr weiter Ferne lag. Na ja, Onkel Albert kannte ab dem Tage nach meinen Geburtstag den genauen Termin und ich hatte mords Hemmungen jetzt mit ihm über das Thema Wohnung beziehungsweise Ende meines ‚Mietverhältnis’ zu sprechen. Und oh Schreck, oh Graus, er kam sofort am 28. selbst auf das Thema zu sprechen. Aber nicht etwa enttäuscht darüber, dass er dann wieder alleine im Hause sei sondern eher das Gegenteil. Könnt ihr euch denken was amba ist?“. Nach dem Katha und ich den Kopf geschüttelt hatten fuhr sie fort: „Denkt euch, der alte Albert Haffner ist offensichtlich im dritten Frühling und wandelt offenbar wieder auf Freiersfüßen. Er hatte eine nette Dame aus dem Seniorenheim kennen gelernt. Die ist drei Jahre jünger wie er und offensichtlich eine Traumfrau für ihn, da kann ich beim besten Willen nicht mithalten. ... Auf jeden Fall schwärmt er so von ihr. Seine Elisabeth wurde von ihren Kindern praktisch im Altersheim abgeliefert. Sie hat, wie Onkel Albert erzählte, eigentlich gar nicht dahin gewollt aber ihre Kinder haben so lange auf sie eingeredet, dass es für sie das Beste sei, bis sie sich diesem Druck gebeugt habe. Danach bekam sie dann noch zweimal im Jahr kurzen Besuch von den Kindern und ihren Enkeln ... einmal zum Geburtstag und dann zu Weihnachten. Das wären dann immer sehr kurze Angelegenheiten gewesen. Wenn die Enkel das Abzocken erledigt hätten, dauerte es dann immer höchstens zehn Minuten bis wieder alle von dannen wären. Mutter hat ihre Schuldigkeit getan, jetzt kann sie auch flugs gehen. Onkel Albert ist davon überzeugt, dass sein Elisabetchen noch zu jung und zu lebenslustig für das Altersheim sei. Jetzt will er sie in sein Heim aufnehmen. Aber mein guter Onkel Albert ist doch irgendwo zu konservativ für eine Lebensabschnittspartnerschaft die andere auf Anhieb erkennen könnten und will ihr eine eigene Wohnung, sprich meine jetzige, geben.“. Jetzt schaute sie ihren Bernie an und fragte amüsiert: „Meinst du, die beiden treiben es miteinander oder stehen die über den Dingen?“. Der Befragte lachte und antwortete: „Jetzt kann ich dir zwar nicht aus Erfahrung sondern nur theoretisch antworten, denn zur Erfahrung fehlen mir nur ein paar Jahrzehnte. Aber weder Amor noch Sexus werden dich, da kannst du so alt wie Methusalem werden, mal in Ruhe lassen. Es sei denn, ein Unfall oder eine Operation würden einen negativen Einfluss auf die hormonelle Steuerung nehmen. Lust und Liebe gehören zum Leben und ich habe heute schon bei anderer Gelegenheit gesagt, dass der Mensch zum Leben bestimmt ist.“. Bei dieser Gelegenheit fiel mir dann eine Frage zum Meister Klettner ein, die ich aber zunächst einmal bis zum Ende von Tinas Bericht zurückstellen musste. Also fuhr Tina jetzt fort: „Nun Onkel Albert schacherte mit mir gleich um die Einrichtung. Also, es liegt doch wohl auch in euerem Interesse, schließlich war es ja mal euere Einrichtung, wenn ich sie ihm geschenkt habe. Das war übrigens ein Kampf, den Onkel Albert wollte mir immer eine Gegenleistung dafür bieten und nicht verstehen, dass er schon so viel für uns getan habe, das wir ihm dieses wohl nie wieder gutmachen können. ... Ach Mutti, bei der Gelegenheit noch was zu dem Hausrat, den ich dir abgehandelt habe. Das war ja nur, weil ich doch irgendwie in meiner Wohnung über die Runden kommen musste und mir für die kurze Zeit nichts mehr selbst kaufen wollte. Hier komme ich ja in einen toppeingerichteten Haushalt; ich lande ja in einem gemachten Nest. Möchtest du die Sachen wieder haben?“. „Nicht alles, aber wenn ich dieses oder jenes wieder hätte, wäre es nicht schlecht. Da können wir uns ja dieser Tage mal in deiner Nochwohnung drüber unterhalten.“, bekam Tina jetzt von ihrer Mutter zur Antwort und damit war endgültig alles geklärt. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen wo ich dem Mediziner in der Familie meine, eben zurückgestellte Frage stellen konnte: „Bernd, du sagtest vorhin, dass Unfälle oder Operationen negativen Einfluss auf die hormonelle Steuerung nehmen können. Ist es jetzt möglich, dass die Art Klettners mit seiner Impotenz zusammenhängt?“. Bernd antwortete spontan: „Ganz eindeutig Nein! Du musst nämlich unterscheiden: Liebe und Erotik, im Sinne von ästhetischem Empfinden, unterliegen einer geistigen Steuerung und dagegen unterliegen Trieb und Rausch der hormonellen Steuerung. Was jetzt die Liebe zwischen Mann und Frau anbelangt spielt der Trieb, zu mindestens zunächst, natürlich auch eine Rolle, denn den ersten Kontakt nimmt man mit den Augen auf. Als ich Chrissie das erste Mal sah, war auch mein erster Gedanke, dass ich es mit ihr treiben möchte. Entschuldigt meine Ehrlichkeit aber es regte sich tatsächlich etwas bei mir. Dem folgte aber postwendend ein geistiger Kontakt. Da war auf einmal Liebe, die, so sehe ich es jedenfalls, auch dann noch Bestand haben wird, wenn aus einem Grund ... Gott möge es verhindern, die Hormone den Trieb nicht mehr anregen können. Und was die Liebe zu Gott, Vater, Mutter und überhaupt zu den Mitmenschen wie auch der übrigen Kreatur anbelangt, besteht überhaupt kein Zusammenhang zwischen Potenz und Liebe. Also, dass dieser Mensch ein solcher Widerling ist, hat mit der, sicherlich tragischen körperlichen Sache nichts zu tun; da gibt es absolut keinen Zusammenhang.“. Jetzt schaltete sich auch Katharina in unseren philosophischen Zirkel ein: „Ich glaube dass die Seele der eigentliche Mensch, der nach dem Bilde Gottes geschaffen wurde, ist. Unser Körper ist nur die irdische Hülle. Bei dieser Gelegenheit macht es dann auch keinen Unterschied ob du Mann oder Frau bist, denn das ist nur deine irdische, vergängliche Hülle. Für Gott gab es weder einen Anfang noch wird es für ihn ein Ende geben; er ist von Ewigkeit zu Ewigkeit. Und so wie er, kann auch die Seele, der eigentliche Mensch ewig leben. Gott hat den Menschen aber nicht als Spielzeug oder als Majonette geschaffen sondern hat ihm mit einem eigenen Willen und eigener Verantwortung ausgestattet. So ist der Mensch in der Lage sich selbst für immer zu töten, sich selbst endgültig auszuradieren. Dann ist nach einem irdischen Dasein einfach Schluss, nichts mehr ... du wirst zu Staub und Asche und sonst nichts mehr. Und die Seele stirbt wenn du sie mit allen möglichen irdischen, materiellen Dingen zuschüttest. Wenn du nur noch an
Wohlstand und vergänglichen Zeitvertreib denken kannst, ist da kein Platz mehr für Gott und deine Mitmenschen – und ohne die bist du tot, mausetot für immer und ewig.“. Nachdenklich setzte Tina nach: „So gesehen müssten wir eigentlich Mitgefühl mit dem armen Klettner empfinden, denn ich befürchte, dass der schon so tot ist, dass der durch nichts, auch nicht durch ein Wunder, wieder erweckt werden kann.“. Wie beim letzten Mal, als wir an Klettner dachten, gab es auch diesmal wieder in Folge einen entsprechenden Kontakt. Diesmal hatten wir schon am nächsten Tag einen Schreiben mit dem Absender „Klettner“ bei der Post. Aber diesmal stand da als Vorname nicht Hannsfrieder sondern Verena. Der Brief war an unsere alte Anschrift in Bergdorf, also noch nicht einmal an die Waßmannsheide, adressiert und wurde uns trotzdem hierher, in unsere Küsterwohnung, nachgesandt. Verena berichtete mir kurz wie es ihnen inzwischen ergangen war. Ich habe ja schon, als ich von unserer letzten Begegnung berichtete, niedergeschrieben, dass sich Michael und Verena von Big Klettner losgesagt haben und inzwischen auch Familienzuwachs, einen Jungen, hatten. Auch, dass sich Marianne bei ihnen befindet wissen wir ja bereits aus der Geschichte. Und um die ging es im traurigen Hauptteil des Briefes, den ich hier einmal wörtlich wiedergeben möchte: „Marianne geht es gar nicht gut. Sie liegt auf der Intensivstation und die Ärzte haben kaum noch Hoffnung, dass sie diese jemals wieder verlassen wird. Auch sie weiß, das sie nur noch wenig Zeit zum Leben hat. Gerne hätte sie Euch selbst geschrieben, aber sie kann es nicht mehr und hat mich gebeten es für sie zumachen und an Euch zu schreiben. Sie sagt, das sie selbst nicht wüsste ob sie jemals geliebt habe oder geliebt worden sei; sie habe nie wohl richtige Freundschaft empfunden und empfangen. Die einzigsten Menschen, die ihr jemals nahe gewesen seien, sei neben ihrem Erzengelchen, meinem Michael, und mir nur Ihr, Tina und Du Pepe gewesen. Sie weiß, dass sie Euch sehr viel Leid und Schmerz zugefügt hat und bereut dieses sehr. Sie bitte Euch beide und Deine Frau, Ihr möchtet ihr vergeben und verzeihen. Jetzt hat sie noch eine ganz große Bitte an Dich Pepe: Marianne weiß, das Du ein frommer Mann bist. Du möchtest bitte für sie beten und ist davon überzeugt, dass sie dann in Frieden sterben könne.“. Soweit Verenas Brief. Am 23. Dezember 2000 starb Marianne Berghoff-Klettner. Sie war nur 46 Jahre alt geworden und hat von ihrem Leben nur oberflächlichen Glanz gehabt. Als ich am Weihnachtsabend mit Katharina ihrer gedachte fragte sie mich: „Wenn ich an diese Frau denke muss ich unwillkürlich fragen: Und das soll Leben sein?“. Nach Kathas Meinung hätte Marianne trotz allem was besseres verdient gehabt. In ihrem tiefsten Inneren wäre sie doch irgendwo ein lieber, netter Mensch, der auch ab und an zutage gekommen wäre. Beide waren wir der Meinung, das Gott auch Marianne bei ihren Namen gerufen hat und auch sie sein ist.
Zum Kapitel 38
Zum Inhaltsverzeichnis
Wenn eine Überraschung die andere jagt Während meiner Kindheit stellte das Weihnachtsfest immer eine für mich ganz aufregende Angelegenheit da. Wie andere Kinder auch, hatte ich natürlich hunderttausend Wünsche und nach jedem Bummel durchs Städtchen kamen etliche hinzu. Aber an Stelle der neuen Begehrlichkeiten wurden dann ursprünglich heißgewünschte Sachen schlicht wieder vergessen. Falls mir meine Erinnerungen keinen Streich spielen, lag dieses überwiegend daran, dass die Ziele der Wunschträume bei Weitem nicht so unikat waren wie sie mir heute scheinen. Heute dreht sich alles nur um PCs und Internet, Handys mit und ohne Schnickschnack sowie Fernsehen und CD-Player – und anderes ist nur noch „Och joh“. Spielzeug ist nur für die Kleinsten und dann sind diese so angelegt, dass mit ihnen nur in einer sturen einmal festgelegten Form gespielt werden kann; Fantasie ist nicht mehr gefragt. Bücher sind heute allenfalls dekorative Beigaben. So erklärt es sich, dass in den 50er-Jahren jede Bescherung voller Überraschungen steckte. Man wusste wirklich nicht, was ein das „Christkind“ zugedacht hatte; man hatte sich ja auf nichts, was nur gut und teuer ist, verbindlich festgelegt. Heutige Bescherrungen sind in den meisten Fällen lediglich, so kommt es mir jedenfalls vor, Austauschorgien von Waren im gleichen Wert. Wehe wenn das PC-Zubehörteil, was ich laut vorheriger Absprache zu schenken habe, nur 495 Mark gekostet hat und dagegen das Handy, was ich im Gegenzug erhalte, stolze 499 Mark, also erstaunliche 4 Mark mehr, zu Buche schlug. In einem solchen Fall muss ich mindestens eine viermarkwertige CD drauflegen. Warum schafft man jetzt nicht, was logisch wäre, die Schenkzeremonien ab und ersetzt diese durch eine Präsentationsshow der Dinge, die man sich zu Weihnachten zugelegt hat. So würden viele Missverständnisse und Ärger von vornherein vermieden und der Beschaffungsstress wäre der gleiche. Letzterer wäre nur dadurch gelindert, dass man sich die Überlegung „Was hat er noch mal gesagt“ sparen könnte. Wie bei dem, aus meiner Sicht, im krassen Widerspruch zum christlichen Ursprung stehenden, verweltlichten Weihnachts- und Kommerzfest geht es auch bei Hochzeiten zu. Der einzigste Unterschied ist, dass es die Geschenke nicht auf Austauschbasis gibt sondern dass dieser Akt scheinbar eine Einbahnstraße darstellt, denn der Gegenseitigkeitsgedanke ist auch hier vorhanden und ist nur auf eine etwas langfristigere Distanz angelegt. Für den Schenker ist klar, dass auch in seiner Familie mal was droht, dass die anderen dann zwingt dem Kommerz zu huldigen. Da gibt es Taufen, Konfirmationen, runde Geburtstage, Jubiläen und, und. Und wehe wenn der jetzt Beschenkte, nicht bereit ist, einen festvorgegebenen Wunsch in mindestens dem gleichen Wert, wie man jetzt selbst gegeben hat, zu erfüllen. Im Dezember 2000 standen in den Familien Heuer und Schröder nun beide Feste, nur lediglich durch 6 Tage getrennt, ins Haus. Ein Geschenkdienst zu Weihnachten ließen wir im Hinblick auf das zweite Fest schon mal auf beiden Seiten ausfallen. Wir Schröders hatten, als zuvor die Welt für uns noch in Ordnung war, sowieso schon immer anstelle des Handels mit sogenannten Geschenken immer nur kleine, echte Überraschungen ausgetauscht – nichts war abgesprochen, niemand schaute auf den Wert aber dafür haben wir uns immer riesig gefreut. Und bei den Heuers war es üblich gewesen, dass man sich, nur in der engsten Familie, gemeinsame Wünsche erfüllte. Das sah dann etwa so aus, dass man, wenn man im September feststellte, das mal ein neues Wohnzimmer gut wäre, nicht im Oktober zur Tat schritt sondern dieses auf Dezember verschob. So hatten wir auf beiden Seiten bei der diesjährigen Weihnacht hinsichtlich des Geschenkrausches auch keine Entzugserscheinungen. Was die Hochzeit anbelangte hatten Bernd und Christina in ihrem Einladungsschreiben vorgebeugt. In dem hieß es wörtlich: „Bitte bedenkt, dass wir schon alles haben, was wir uns im Moment wünschen könnten. Die größte Freude die Ihr uns machen könnt, ist Euer persönliches Erscheinen und Euere vom Herzen kommenden Glückwünsche. Von Glück, Freundschaft und Liebe kann man nie genug bekommen.“. Durch die Blume hatten die beiden also gesagt: „Behaltet euer Geld welches ihr für Geschenke ausgeben würdet, bringt uns lieber aufrichtig euere Freundschaft entgegen; das ist uns wirklich viel mehr wert.“. Vielleicht war gerade dieses der transspirituelle Auslöser dafür, dass zur Hochzeit unserer „Kinder“ eine Überraschung die andere jagte und diese mich jetzt veranlassen dem Hochzeitsfest ein besonderes Kapitel zu widmen. Es ging schon am Morgen des Vortages los. Aufgrund des Arbeitsaufwandes, den wir in der Kirchengemeinde anlässlich des Weihnachtsfestes hatten, war Katharina bis jetzt noch nicht dazu gekommen, die Hausratsangelegenheit, die mit Tina bei unserer Hausbesichtigung besprochen worden war, zu erledigen. An jenem 29. Dezember, also fünf Minuten vor Toresschluss, sollte dieses dann doch erledigt werden. Bernd, der aus besonderen Anlass seine Praxis vom 23. Dezember bis 6. Januar geschlossen hielt, chauffierte die beiden Damen also auf die Waßmannsheide. Während die Damen noch mal alle Schubladen aufzogen und alle Schränke öffneten um nach den Kriterien „Erinnerungsstück, wird noch gebraucht und Sperrmüll“ zu sortieren., saß Bernd in einem Sessel und schaute erotisch vergnüglich, falls die Damen im Wohnzimmer auftauchten, den Körperbewegungen seiner künftigen Frau zu – so hatte er mir diese Sache auf jeden Fall später berichtet. Da kam dann plötzlich Onkel Albert hereingeschossen. Vor Aufregung hatte er sogar das Anklopfen vergessen: „Christina, Christina, ein Anruf aus Spanien für dich. Komm schnell.“. Wo Onkel Albert so aufgeregt war übertrug sich das auf Tina und sie stürmte gleich los. Sie war gerade mal zwei Minuten an Onkel Alberts Anschluss als ihre Stimme durch das Treppenhaus schallte: „Bernie, kannst du mal runtergesprungen kommen?“. Ganz wörtlich nahm er diese Bitte dann doch nicht, das heißt, dass er nicht sprang sondern anstelle einer Sprungmöglichkeit das Treppenhaus benutzte, aber ansonsten reagierte er ebenfalls prompt.
Am anderen Ende der Leitung war Frau Dr. Montserrat Costa-Weber, die Gynäkologin, die vor einem Jahr in Barcelona als Christinas Ärztin und Dolmetscherin fungiert hatte. Tina war der spanischen Ärztin in guter Erinnerung geblieben und diese interessierte sich nun dafür wie es ihr inzwischen gegangen ist und insbesondere auch momentan ging. Sie nahm die Tatsache, dass sie damals einen Arztbericht in deutscher Sprache abgefasst habe und ihn bis jetzt, mangels Arztanschrift, noch nicht zustellen konnte, zum Vorwand um unter der Nummer, die ich ihr damals, als ich noch nicht wusste das Tina sogar vor uns wieder in Deutschland eintreffen würde, für den Fall der Fälle mal gegeben hatte, anzurufen. Der Termin ihres Anrufes war also reiner Zufall und da dieser unerwartet erfolgte eine echte Überraschung. Sie hatte zunächst Tina gefragt wie es ihr ginge und die hatte, keck wie sie ist, geantwortet dass es ihr im Moment superprächtig ginge. Aber das könne ihr Frauenarzt, den sie am nächsten Tag heiraten wolle, ihr fachlich fundierter bestätigen. Und postwendend rief sie ihren Bräutigam hinzu. Da diese Mitteilung auch für Frau Dr. Costa-Weber eine bombige Überraschung war, ließ sie sich das Gespräch sehr teuer kommen, denn es dauerte in Folge fast eine dreiviertel Stunde bis auf beiden Seiten aufgelegt wurde. Nun, ich war nicht dabei und kann auch so keine weiteren Einzelheiten zu und von dem Gespräch berichten. Es gab jedoch auch noch ein Nachspiel: Am 2. Januar stellte ein Paketdienst ein Paket mit 6 Flaschen erlesenen spanischen Rotwein sowie einer tollen Glückwunschkarte zu und eine Woche später war auch der Arztbrief auf dem normalen Postweg in Bernds Praxis eingetroffen. Die zweite Überraschung an diesem Tage war zwar nicht gerade tragisch aber doch im Gegensatz zur ersten zunächst etwas unerfreulich. Christina hatte sich ihr Brautkleid in einer Boutique in Neuhausen gekauft. Da noch kleinere Änderungen vorgenommen werden sollten, nahm sie dieses, nachdem sie es ausgesucht, anprobiert und gekauft hatte, nicht gleich mit sondern ließ es sich nachliefern. Dieses sollte dann am Nachmittag des Tages vor dem Fest so gegen Vier geschehen. Da passierte es; eine Mitarbeiterin der Boutique kam mit ihrem Kleinwagen vor Bernds Eigenheim vorgefahren und wollte rückwärts einparken. Da kam ein sich smart vorkommender junger Mann, also so eine Type die das Denken auf ein noch nicht mal ausreichendes Maß einschränkt hat, angebraust. Er kam nicht nur angebraust sondern war so unaufmerksam, das er ungebremst in den Kleinwagen „bretterte“. Nach einem lauten Knall vernahm man dann nur noch das dröhnende Techno-Bumbum aus seinen Gehörschädigern. Er selbst saß noch ein weiteres Weilchen hinter dem Steuer seines sportwagenmäßig getunten Altwagens und hielt seine Stirn, die dank seines Nichtangeschnalltseins gegen die Frontscheibe geschlagen war. Unserer Brautkleidlieferantin war zum Glück dabei nichts passiert. Aber dafür hatte der Inhalt ihres Kofferraumes, darunter Tinas Brautkleid, doch einiges abgekriegt. Jetzt blieb nur noch eins: Ab nach Neuhausen und ein anderes Brautkleid aussuchen. Da Katha und Anna im Zuge anderer Vorbereitung unterwegs waren und Bernd das Kleid erst vor der Trauung als Überraschung zu sehen bekommen sollte, blieb nichts anderes, dass ich, der Brautvater, die Fahrt zur Boutique durchführen musste. Das Schwerste was ich während der Fahrt zu erledigen hatte war die Beruhigung meiner, durch diesen Vorfall vollkommen „haspelig“ gewordenen Tochter. Beim Betreten der Boutique gab es dann ein Ereignis, dass in ihr zunächst eine Art von Entsetzen hervorrief. Als wir gerade eingetreten waren, tönte die attraktive Boutiquebesitzerin in meinem Alter begeistert: „Hei Pepe, altes Haus, gibt es dich auch noch?“. Prompt und spontan antwortete ich in gleicher Art und Weise: „Mensch Babsi, das ist ja eine Überraschung.“. Was Tina in diesem Augenblick gedacht hat, konnte man ihrem entsetzten Gesicht ansehen. Deshalb klärten wir sie auch spornstreichs auf: Babara Fleischer, genannt Babsi, und ich waren zusammen zur Schule gegangen. Damals war sie mal sehr hinter mir her, aber da sie damals noch nicht ihre heutige Attraktivität hatte, sah ich mich lieber weiter um. Vor etwa zehn Jahren waren wir uns auf einem Klassentreffen letztmalig begegnet und freuten uns nun hinsichtlich des unerwarteten Treffens. Viel unterhalten konnten wir uns jedoch nicht, da sie sich natürlich darum kümmern musste, das Tina trotz des Malheurs ein tolles Brautkleid bekam. Es war dann doch noch wie ein Glücksfall: Schon das zweite Kleid gefiel Christina sogar besser als das ursprüngliche, geändert werden musste diesmal auch nichts mehr und nach meiner Auffassung sah Tina darin wunderschön und sexy aus. Letzteres fand Bernd am nächsten Morgen auch – und darauf kam es ja an. Man sagt im Volksmund, dass alle guten Dinge Drei seien und so gab es an diesem Tag noch eine dritte überraschende Begegnung. Früher feierte man grundsätzlich am Vorabend der Hochzeit den Polterabend. Hinsichtlich des Riesenrummels, den man heute um dieses Fest veranstalt, obwohl gleichzeitig die Ehezeiten immer kürzer werden, rückte der Polterabend zeitlich immer weiter nach vorne aber auch nach hinten. Da habe ich schon von Polterabenden gehört, die zwei Monate nach der offiziellen Eheschließung veranstaltet wurden, weil der Termin besser in den Kalender der, zur Fun-Generation gehörenden Freunde passte. Bernd und Tina glaubten festgestellt zu haben, dass die Ehen, die mit einen Superpolterabend und einem Großfest am Tage der Trauung starten, fast immer diejenigen sind, die nicht über das dritte Jahr hinauskommen. Komischer Weise ist mir auch schon aufgefallen, dass Angelegenheiten, die zu ihrem Start an die ganz große Glocke gehangen werden oft schon nach kurzer Zeit zur kümmerlichen Ernüchterung führen, aber das mag auch daran liegen, dass einen so etwas nach Paukenschlägen und Donnerschlag eher auffällt. Die große Gaudi zu Beginn der Ehe hielten die Brautleute Bernd und Tina aus vorbeschriebenen Gründen also für ein schlechtes Omen im Hinblick auf die Dauer und Größe des Glücks. Deshalb wollten sie alles im kleinen Rahmen halten. Zum Polterabend wollten sie nur ihre Eltern und Onkels, nebst Begleitung, dabei haben. Bei Dr. Kraft war klar, dass er mit seiner Frau, also Bernds Tante, erscheinen würde. Aber ob Onkel Albert seine Elisabeth mitbringen würde, wurde zwar von den Brautleuten gehofft, aber nicht gewusst.
Nein, nein, ich will jetzt nicht die Tatsache, dass Onkel Albert seine Angebetete mitbrachte als Überraschung darstellen sondern das die, von Albert Haffner auserwählte, sich als eine solche entpuppte. Als die Dame an Onkel Alberts Seite die Jagdstube des Heidekrugs betrat, tönten sowohl Bernd wie Tina synchron: „Ach, Frau Riedschläger, was für eine Überraschung.“. Elisabeth Riedschläger war bis zu ihrer Pensionierung Grundschullehrerin in Bergdorf und beide, also sowohl Bernd wie Christina, waren bei ihr zur Schule gegangen. Natürlich aufgrund des Altersunterschiedes Zeit versetzt, denn Tina kam erst in die Grundschule nach dem Bernd diese in Richtung Gymnasium verlassen hatte. Einen Onkel, der aber auch dazu gehört, habe ich bist jetzt noch nicht erwähnt und das ist Hans-Werner Haffner, Kathas Bruder. Natürlich zählte er auch mit meiner Schwägerin zum auserwählten Kreis der geladenen Gäste. Der traf allerdings etwa erst eine halbe Stunde nach Onkel Albert und Elisabeth Riedschläger ein. Auch er kannte, genau wie Katha und ich, Alberts Begleiterin als Lehrerin seiner Kinder. So war es dann letztlich nicht verwunderlich, dass sich ausgerechnet am Polterabend unserer Kinder fast aller Gesprächsstoff um deren Kindertage rankte. Ein Bisschen neidisch bewunderte ich das Gedächtnis der älteren Dame, denn nach einem nur kleinen Denkanstoß berichtete sie von den Dingen die nun fast 20 Jahre und zum Teil länger her sind als wären sie erst gestern passiert. Im Großen und Ganzen war es ein schöner Abend. Nur zwei oder drei Mal gab es ein nachdenkliches Intermezzo bei Katharina, wobei sie sich dann auch mal Tränen aus den Augenwinkeln wischte. Sie brauchte mir nichts zu sagen, denn ich wusste, dass dieses im Zusammenhang mit den Erinnerungen an unseren Tommy, die bei einer solchen Gelegenheit zwangsläufig aufkommen, geschah. Auch mir selbst war in diesem Zusammenhang ein Wenig wehmütig. Trotzdem muss ich sagen, dass Katha und ich insgesamt diesen Abend doch als einen schönen und glücklichen empfanden. Am nächsten Morgen ging es dann richtig mit der Festivität los. Um 9:30 Uhr sollte der offizielle Akt im Standesamt Bergdorf und eine Stunde später in unserer evangelisch-reformierten Kirche stattfinden. Um 9:00 Uhr hatten wir uns, wie Heuers auch, in Bernds Haus zur „Abholung der Brautleute“ verabredete. Wie es, bei solchen Gelegenheiten üblich ist, waren wir vor lauter Aufregung bereits eine viertel Stunde vor der Zeit eingetroffen und trafen auf so eine Art kopflose Hektik. Na ja, jeder der mal mindestens einmal geheiratet hat, wird so etwas aus eigener Erfahrung kennen. Ob es beim zweiten Mal gelassener zugeht kann ich nicht sagen, da ich es noch nicht so weit gebracht habe und es eigentlich auch nicht bringen will. Auf jeden Fall trafen wir pünktlich im Rathaus ein und beim Reingehen fiel uns nichts Außergewöhnliches auf. Nach knapp 20 Minuten, der Standesbeamte machte es schön feierlich, konnte mir Tina in ihrer Art verkünden: „Siehst du Vati, jetzt gibt es eine Schröder weniger und eine Heuer mehr. Auf jeden Fall kann mich jetzt niemand mehr fragen, ob ich mit dem Bundeskanzler verwandt oder gar verheiratet wäre.“. Und jetzt erklang ihr typischer Lacher zum ersten Mal aus dem Munde einer verheirateten Frau. Als wir jetzt durch die Rathaustür wieder nach draußen kamen, erblickten wir dort acht Karbolmäuschen, wie man früher sagte, und zwei Pfleger in frisch gewaschener und geschniegelter Dienstmontur. Wenn es sich dabei um Tinas Exkolleginnen aus dem Bethanien gehandelt hätte wäre jetzt wohl niemand ins Grübeln gekommen. Aber von denen war weit und breit nichts zu sehen. Die hier versammelten Herrschaften waren dem Städtischen Krankenhaus, also der Institution in der Christina beinahe zugrunde gemobbt worden wäre, zuzurechnen. Es gab auch nicht gleich ein großer Hallo sondern die älteste unter den Schwester, Tinas ehemalige Öse (Fachwort für Stationsschwester), ging mit einem großen Präsentkorb und mit einem etwas ernsteren Gesicht, das so eine Art beklemmender Angst verriet, auf Tina zu: „Liebe Christina, wir haben dir so viel Unrecht angetan. Wir waren so gemein zu dir, ... wir waren echte Schweine. Jetzt flehen wir dich an: Bitte verzeih uns.“. Die Öse konnte gerade noch den Korb in Sicherheit hinstellen, bevor sie in Tinas Arme eingeschlossen wurde. Während sich die beiden Damen kräftig umarmten, wobei auch ein paar Rührungstränen flossen, setzte nun bei den anderen das übliche Hurra und Hallo ein. Vollkommen gerührt sagte Tina in meine und Bernds Richtung: „Damit habe ich nicht gerechnet, dass ist tatsächlich eine echte Überraschung.“. Zum Glück hatte Fritz Heuer einige Flaschen Sekt und etliche Kelche vorsorglich in sein Kofferraum gepackt und so stand einen Umtrunk vor dem Standesamt auch nichts im Wege. Diese Angelegenheit brachte dann Tinas Draht zum Städtischen wieder auf Glanz, was hinsichtlich Bernds Beruf sicherlich nicht zu verachten war beziehungsweise ist. Die zweite Überraschung des Hochzeitstages wartete in der Kirche, wo die Trauung jetzt, aufgrund des Geschehens vor dem Rathaus, mit einer halbstündigen Verspätung stattfinden sollte, auf das Brautpaar und uns. Die Kirche war rappelvoll, wie man es sonst nur zu Heilig Abend erlebt. Neben den Polterabendgästen waren jetzt familienseitig auch noch die kompletten Familien von Hans Werner und Karl Werner Haffner sowie ein Vetter und zwei Cousinen von Bernd, ebenfalls mit kompletter Familie hinzugestoßen. Im Bethanien wurde wohl zu diesem Zeitpunkt nur ein Notdienst geschoben, denn alles was an Ärzten, Schwestern und Pflegern entbehrlich schien hatte sich in der Kirche eingefunden. Das auch der Chefarzt da war versteht sich von selbst, denn Dr. Kraft war ja schließlich Bernds Onkel, der schon auf dem Polterabend dabei gewesen war. Nicht genug damit: Ich glaube es waren noch nie so viel Ärztinnen und Ärzte auf einmal in dieser Kirche, denn eine Vielzahl von Bernds ehemaligen Kommilitoninnen und Kommilitonen, die jetzt selbst praktizieren oder in Krankenhäusern arbeiten, waren aus diesem Anlass erschienen. Des weiteren traf man dort noch eine Reihe Leute aus der Gemeinde, insbesondere jüngere, die in Verbindung mit Tina standen, sowie ehemalige und auch noch jetzige Freundinnen und Freunde des Brautpaares sowie auch eine Anzahl nur Neugieriger. Natürlich waren auch die Damen und Herren von der Lokalpresse erschienen, denn wenn der Junior eines alteingesessenen Arztes heiratet, ist das schon einen Artikel mit Bild auf der Lokalseite unseres kleinen Nestes, wo in der Regel sonst nicht das Allermeiste passiert, wert.
Ein solcher Aufmarsch war nicht nur für uns sondern auch für unseren Pastor, der sich plötzlich als echtes Organisationstalent erwies, eine echte Überraschung. Ursprünglich war Karsten Rüffert der Meinung, das uns seine Frau aus Anlass der Trauung von des Küsters Töchterlein in unserem Job vertreten könnte. Kann und konnte sie natürlich auch. Als er dann den sich abzeichnenden Aufmarsch feststellte, engagierte er einen in der Nähe wohnenden jüngeren Presphyter, gleichzeitig CVJM-Leiter in unserer Gemeinde, zu deren Unterstützung. Als Fritz Heuer wegen der Verspätung anrief, informierte er den Vater des Bräutigams von dem Massenauflauf und sprach mit diesem ab, dass er den Wirt, der nebenanliegenden Schankwirtschaft zwecks Getränke flott mache. Auf Fritz Bitte, orderte Karsten dann noch eine größere Fuhre Imbiss bei einem Partyservice, wo die Familien Heuer und Kraft so gelegentliche Großkunden sind. Die müssen allerdings bei dem Aufwand ganz schön ins Schwitzen gekommen sein. Und da man all die Leute auch noch irgendwo unterkommen mussten erteilte der Pfarrer seiner Frau auch zusätzlich noch die Schlüsselgewalt zum Öffnen des Gemeindesaals, den allerdings am nächsten Tag das Küsterehepaar, sprich die Brauteltern, also wir, selbst wieder flott machen mussten. Naturgemäß dauert es, selbst wenn alle beteiligten Parteien eine stramme Gangart vorlegen, immer ein ganzes Weilchen bis es so ist, wie es sein sollte; alles brauch halt seine Zeit. Durch die Verspätung vor dem Rathaus war schon mal eine halbe Vorbereitungsstunde gewonnen worden, die restliche Zeit verschaffte Karsten den guten Geistern dadurch, dass er den Traugottesdienst in die Länge zog. Dank seiner Art überzeugend und interessant zu predigen sowie aufgrund des Mitziehens unserer Organistin, die so auch mal zeigen konnte was sie alles drauf hatte, fiel keinem was auf und alle sagten: „Was war das schön. So eine tolle Trauung haben wir noch nicht erlebt. Man merkt richtig, das der Küster dem Pastor nahe steht.“. Dank der unvorhergesehenen „Großveranstaltung“ verzögerte sich der, ursprünglich für 12:00 Uhr angesetzte, Beginn der geplanten innerfamiliären Hochzeitsfeier im Heidekrug um ganze zweieinhalbe Stunden auf halb Drei. Da der, nun erweiterte Familienkreis nicht in die Jagdstube gepasst hätte, hatten wir kurzerhand das komplette Restaurant für eine Geschlossene Gesellschaft in Beschlag genommen. Wir hätten natürlich auch unseren Gemeindesaal für die Feier „anmieten“ können, aber das wollten wir schon allein aus der Personalunion Brauteltern und Küster nicht, da wir in unserer Eigenschaft als Letztere dann auch für die Wiederherstellung der Betriebsbereitschaft im Saal verantwortlich gewesen wären. Hätten wir geahnt, dass der Andrang zur Trauung unserer Kinder, unseren Absicht einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte, dann ... Na ja, vielleicht hätten wir uns selbst auch in diesem Fall für den Heidekrug entschieden. Während des Mittagsessens zur Nachmittagskaffeezeit saßen wir an einer hufeisenförmig angeordneten Tafel. In der Mitte war das junge Paar platziert und neben diesen deren Eltern. Also so wie es in innovativer Weise bei jeder offiziellen Feier der Fall ist. Bernds Nachbarin zur Linken war seine Mutter und zur Rechten seine Frau, und rechts neben der saß dann ich, der Vater. Während des Essens wandte sich Tina flüstern an mich: „Hörst du, Väterchen, es herrscht eine gefräßige Stille.“. Just wegen dieser bekamen auch andere das Geflüster mit und plötzlich gab es dann ein Gelächter, wobei dann die am Weitesten von uns sitzenden nicht wussten warum das Ganze jetzt geschah. Aber unsere Tochter ist keine Heimlichtuerin und wiederholte natürlich ihren Spruch jetzt für alle hörbar. Nun konnten jedenfalls alle mal richtig lachen. Dieses verleitete die liebe Verwandtschaft dann auch zu neuen Plaudereien und an die Stelle der gefräßigen Stille trat jetzt das allseits bekannte allgemeine Volksgemurmel. Auch Tina unterhielt sich jetzt mal links mit ihrem Gemahl und mal rechts mit mir. Ihr Thema, mit dem sie sowohl ihren Frischangetrauten wie auch mich beschäftigte, waren die unerwarteten Begegnungen des Vortages und des Morgens. Sie schwärmte davon, dass man sie in Barcelona gemocht hat und man sich noch an sie erinnere, dass sie nicht einfach ein Fall, eine Patientin, eine Nummer gewesen sei. Sie freute sich darüber, dass sie für ihre Grundschullehrerin eine Schülerin war die ihr bis heute in Erinnerung geblieben ist und sie nicht einfach ein Kind war, was mal die Schule durchlaufen hat, also das sie keine statische Zahl im Leben einer Lehrerin war. Einfach toll fand sie es, das ehemalige Mitschüler, gemeint waren Babsi und ich, die sich jahrelang nicht gesehen haben und ihren eigenen Weg gegangen sind, sich auf einmal so begegnen, als hätten sie gestern noch im gleichen Klassenzimmer gesessen. Richtig rührig sprach sie davon, dass ihre ehemaligen Kolleginnen und Kollegen nicht einfach verdrängt haben, was damals geschah sondern dieses aufgearbeitet hatten und nun aufrichtig um Verzeihung baten. Dieses sogar bei einer Gelegenheit, wo sie sich leicht eine höhnische und spöttische Abfuhr hätten einhandeln können. Und die vielen Menschen in der Kirche, die nicht als Voyeure, nicht der Sensation halber gekommen seien sondern wegen ihnen, die sie ja nun keine „richtigen“ Prominenten sind. Tina resümierte: „Man hat leider oft den Eindruck, dass alles auf dieser Welt nur rein sachlich, rein materiell abläuft. Es sieht oft so aus als wären alle Menschen Egoisten, dessen wichtigster Körperteil nicht der Kopf sondern der Ellebogen ist. Die Begegnungen gestern und heute, die überwiegend sogar nur zufällig mit meinem Hochzeitstag zusammen fielen, zeigen mir jedoch, dass es doch immer noch mehr gibt: Echte Menschen und echtes Leben. Das ist wunderbar. Das waren echte Überraschungen, die ich nie vergessen werde.“. Ihr Gespräch mit uns, oder sagen wir besser ihre begeisterten Ausführungen, nahmen natürlich eine gewisse Zeit in Anspruch. Und während diesem Zeitraums stellten die Gäste mehr und mehr ihre eigenen Gespräche ein um der überschwänglich, mit leuchtenden Augen, erzählenden Braut zuzuhören. Sie stand auf einmal im Mittelpunkt, wie es bei einer solchen Gelegenheit eigentlich sein sollte. Jetzt, wo bereits abgeräumt war, meldete sich Hans Hermann, mein Schwager, zu Wort: „Ach Christinchen, das ist dir jetzt nur alles im Zusammenhang mit deiner Hochzeit besonders
aufgefallen. Aber echtes Leben kannst du jeden Tag, jede Stunde und jede Minute erleben. Man muss nur die Augen aufmachen und nicht immer die Augen auf Geschäftsvorgänge und auf seinen Vermögensstand richten, weil dann die Aufmerksamkeit und Konzentration auf das Nüchterne und Sachliche ausgerichtet sind. Sicher, das muss sein, denn irgendwie muss es ja weitergehen. Aber man kann auch mal die Akten bei Seite legen, den PC runterfahren, das Handy mit der bekannten Nummer in die Schublade legen und das Büro abschließen, dann stehst du mitten im Leben. Wenn du dann in den Leuten nicht nur die vorhandenen oder möglichen Konkurrenten, Geschäftspartner, Kunden oder Mitarbeiter siehst, dann stellst du fest, das es Menschen sind, die leben. Jede Minute eine Überraschung ... Aber Quatsch jetzt, sonst kriegen wir zwar den Nobelpreis für Philosophie und aber verpassen deshalb ganz deine Hochzeit. Und wegen der habe ich die Weltreise aus dem Ossiland hierher unternommen. Prost Leute.“. Das dieses ausgerechnet aus dem Munde meines Schwagers kam, zähle ich jetzt einfach mit zu den Überraschungen des Tages, denn ich kannte ihn eigentlich als nüchternen Geschäftsmann. Eigentlich als so einen Gegenpart zu meiner Katharina. Jetzt stellte ich fest, dass sich die beiden Geschwister doch ähnlicher waren als ich bislang glaubte. Dieses fiel auch Tina auf, die zu mir sagte: „Ich glaube Onkel Hans und Mutti haben die gleiche Erziehung genossen.“. Hierauf erfolgte natürlich ihr bekannter „Mädchenlacher“ während ihr Mann, jetzt zärtlich einen Ellenbogen zu spüren bekam und dieser anschließend aufgefordert wurde: „Los Göttergatte, jetzt sorge mal für Stimmung.“. Der ließ sich nicht zwei Mal auffordern, bat seinen Vater eine CD mit einem Wiener Walzer aufzulegen und fasste seine Frau an den Arm. Ihr Einwand, dass sie keinen Walzer könne, nutzte ihr nichts, sie musste mit ihm im Dreivierteltakt den Tanz eröffnen. In Folge gab es dann noch eine schöne Feier, die noch bis kurz nach Zwei in der Nacht andauerte. Wegen der späten Stunde verwundert es auch nicht, dass Katha und ich zu Silvester erst nach dem Mittagessen begannen auf dem Kirchengelände gemächlich die Ordnung wieder herzustellen. Man merkte wohl das am Vortage hier eine größere Menschenansammlung stattgefunden hatte aber trotzdem war nicht viel zutun, denn es hatten sich offensichtlich alle wie „wohl erzogene“ Zeitgenossen verhalten. Am Abend setzte ich mich mit Katharina noch zu einem Fläschen Wein zusammen. Wir sinnierten darüber wie unterschiedlich und abwechselungsreich das Leben sein kann. Welch ein krasser Unterschied zum Vorjahr. Das Jahresende 2000 war für uns das absolute Gegenteil zu dem von 1999. Wer hätte das gedacht, dass das wirkliche Ende des zweiten Millenniums für uns so glücklich verlaufen würde.
Zum Kapitel 39
Zum Inhaltsverzeichnis
Ein schneller und präziser Schwiegersohn „Nanu, nach dem Happy End geht es noch einmal weiter?“, wird jetzt dieser oder jene sagen. Zugegeben das vorhergehende Kapitel ließt sich wie das glückliche Ende einer Geschichte und ich hätte es mit den Gebrüder Grimm halten können und mit „und wenn sie noch nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute“ die letzten Tastenanschläge an meinen PC ausführen können. Sicher, die große Dramatik ist aus der Familiengeschichte der Schröders raus aber noch ist die Geschichte noch nicht rund, noch stehen ein paar Punkte offen, die vielleicht diesen oder jene noch interessieren könnten. Also sagte sich der Pepe, aus dem ein Petrus geworden war, dann eröffnen wir halt noch eine weitere Datei. Meine eben getroffene Aussage, das aus einem Pepe ein Petrus geworden sei, hört sich so an, wie das aus einem Saulus ein Paulus geworden wäre. Dann könnte man fragen: „Nanu Peter Schröder, bist du und deine Katharina vom Weltlichen ab?“. Dazu muss ich allerdings gestehen, dass dieses nicht der Fall ist. Wir stehen zwar im Diensten der Kirche sind aber deshalb nicht gleich in die nur reingeistliche, entkörperlichte Sphäre entrückt. Das wir noch nicht ganz vergeistigt waren, zeichnete sich schon am 7. Januar dieses Jahres besonders deutlich ab. Es war ein Sonntag, ein Tag nach dem Epiphaniasfest. Nachdem wir kurz vor Mittag die letzte Hand an unserer nachgottesdienstlichen Arbeit angelegt hatten, die Kirche abgeschlossen war und wir uns in den Bereich unserer eigenen vier Wände begeben hatten, sagte mir Katha mit einer seltsam zitternden Stimme: „Mann, was ich bin ich spitz; ich glaube ich habe es sehr nötig.“. Diese Aussage hatte ich zunächst noch nicht mal ernst gemeint und deshalb antwortete ich freundlich lachend und dieses ebenfalls nicht ernst meinend: „Na und, was hindert uns daran. Im Moment hast du nur ein Bisschen zu viel an.“. Das ließ sich Katha nicht zweimal sagen und schwuppdiwupp war sie oben ohne und einen Augenblick später ganz ohne. Sie muss wirklich großen Druck gehabt haben, denn im Nu hatte sie die Schnalle meines Hosengürtels geöffnet und hatte alles auf einmal nach unten gezogen. „Stopp mal, Petrus“, könnte mir jetzt ein Jugendschutz besorgter Leser zurufen, „das brauchst du uns jetzt nicht im Detail zu schildern.“. Aber keine Sorge, das könnte ich auch nicht, denn weiter sind wir bei dieser Gelegenheit auch nicht gekommen, denn jetzt passierte etwas, was es mir später auch ermöglichte, mich daran zu erinnern, dass es der erste Sonntag des Jahres 2001 war. In der Kirche gab es plötzlich einen fürchterlichen Knall und dann konnte man so etwas wie einen Hilfeschrei hören. Klar, dass ich mich blitzartig wieder in meiner Hose befand und hinüber zur Kirche stürmte. Karsten Rüffert war einen Schlag schneller als ich, der musste wohl nicht erst die Hose hochziehen, und lief vor mir. An der Kirchentür musste er jedoch auf mich warten, denn ich hatte im Gegensatz zu ihm die Kirchenschlüssel in der Tasche. Während ich die Tür aufschloss kümmerte sich Karsten um eine ältere Dame, die zu Tode erschrocken auf dem kleinen Weg stand. Diese war es auch, die nach dem Knall um Hilfe gerufen hatte. Als ich die Tür aufgeschlossen hatte, kam uns die Ursache oder vielmehr der Urheber des Knalles mit bleichen Büßergesicht schon entgegen. Ein Konfirmand hatte mit anderen eine Wette abgeschlossen, dass er sich in der Kirche einschließen lassen würde. Als Katha und ich die nachgottesdienstliche Ordnung hergestellt hatten, sagte ich Katha, dass ich die Heizung auf 12 Grad eingestellt habe und, falls nichts dazwischen käme, diese erst Samstagabend wieder hochfahren müsse, da in dieser Woche nichts anläge. Dieses hatte unserem Schlingel dann doch den letzten Mut geraubt. Statt sich gleich zu melden, wo wir noch vor Ort waren, wartete er bis ich abgeschlossen hatte und wir von dannen waren. Er versuchte sich bemerkbar zu machen aber wurde offenbar von niemanden gehört. Das die Dame, die er fürchterlich erschrocken hatte, doch was gehört hatte und diese sich erst mal schlau machen wollte ob sie sich nicht getäuscht habe, bevor sie zum Pastor gehen wollte, konnte er von drinnen ja nicht mitbekommen. Beim Griff in seine Hosetasche kam unserem Bürschen der ihm erlösende Gedanke. Silvester war noch nicht lange her und von dem Böllertag hatte er sich noch ein paar Kracher zurückgelegt. Drei von ihnen hatte er sich in die Tasche gesteckt, um damit seinen Schabernack auf dem Wege von der Kirche nach Hause zu treiben. Um jetzt, in seiner Angst eine Woche in der kalten Kirche verbringen zu müssen, auf sich aufmerksam machen zu könne, hatte er alle drei auf einmal vor dem Altar gezündet – und dann tat die Akustik der Kirche ihr Übriges. Karsten hat dem Jungen zwar auf seine Art und Weise die Leviten gelesen aber ansonsten hakten wir diese Geschichte unter Jungendstreich, also bei den harmlosen Gegebenheiten, ab. Da uns der Knabe gestanden hatte, das er sich zuvor auf der Empore versteckt hatte, stand für mich fest, dass ich ab diesen Tag vor dem Abschließen der Kirche auch dort erst mal nach dem Rechten sehen würde. Als ich nach diesem Vorfall wieder zurück in die Wohnung kam stellte ich fest, dass Katha immer noch in dem Aufzug war wie zum Zeitpunkt als ich rausstürzte. Sie saß vollkommen nackt am Telefon. In diesem Moment dachte ich mit Erschrecken daran, was jetzt gewesen wäre, wenn ich Karsten oder jemand anderes mitgebracht hätte – oh, oh armes Katharinchen. Allerdings hatte auch Katha zunächst die Absicht, sich anzuziehen um anschließend auch rüber zur Kirche zukommen. Da hatte aber das Telefon geläutet und dem hatte sie zunächst den Vorrang gegeben. Am anderen Ende war eine gewisse Frau Christina Heuer, sprich unsere Tochter Tina. Irgendwie hatte Katharina auch auf einen solchen Anruf schon gewartet, denn seit der Hochzeit mit ihrem Göttergatten war dieses ihr erster Kontakt mit uns oder präziser: mit ihrer Mutter, denn am Telefon blieb für mich dem Vater meist nur ein gegenseitiges „Schöne Grüße“. Das dieses jetzt der erste Mutter-Tochter-Kontakt war hatte nicht etwa den Grund, dass es Streit oder das es sonst etwas zwischen dem jungen Paar und den Eltern gegeben hatte sondern es war ganz schlicht und einfach normal, dass die jungen Leute jetzt ihren eigenen Weg gehen würden. Man kann ja nicht ewig an Mamas Rockzipfel hängen; so etwas bekommt keiner Ehe besonders gut. Liebe, um ihre verheiraten Kinder bemühte Mütter sind in der Regel die ersten und letzten Sargnägel für die Ehe ihres Nachwuchses.
Ich weiß nicht ob es an Katharinas erotisierter Spannung lag, dass sie immer wieder auf die Sauna und den kleinen Pool in dem Häuschen von Bernd - und jetzt auch im übertragenen Sinne seiner Frau Tina - zu sprechen kam. Dass sie, wie sie mir danach immer weiß machen wollte, nicht an Sex gedacht habe sondern nur Spaß machen wollte, konnte ich ihr so recht nicht abkaufen. Dieses gilt, ehrlich gesagt, sogar bis zum heutigen Tage. Ob Tina in ähnlicher Weise gedacht hat, weiß ich nicht, aber sie ließ sich das Versprechen, dass, wenn die Anlage mal betriebsbereit sei, uns zu einem gemeinsamen Saunagang einladen würde, ablocken. Was wir jetzt natürlich nicht ahnen konnten, dass dieses Saunabad für uns zum ersten Highlight des Jahres 2001 werden sollte. Aber alles schön säuberlich der Reihe nach. An jenem Sonntag musste ich nach dem Telefongespräch erst mal mit meiner Frau aufs Bett und danach gingen erst mal drei weitere Wochen, ausgefüllt mit einem Küsteralltag, ins Land. Tinas Sonntagsmittagsanrufe, mit einer Dauer von bis zu einer Stunde, wurden so nach und nach zur Regel aber im Gegenzug dazu hatten wir unsere Tochter und unseren Schwiegersohn im ganzen Monat Januar nicht einmal persönlich zu Gesicht bekommen. Damit habe ich jetzt auch verraten, dass die Beiden in dieser Zeit auch nicht zu den fleißigsten Gottesdienstbesuchern gehörten. Scheinbar gibt es tatsächlich keine Regel ohne Ausnahme und so waren sie übereingekommen, dass sie doch im Regelfall einmal im Monat zur Kirche gehen wollten. Ich finde, das ist vielmehr als bei den Leuten, die ihre Gemeinde nur vom Kirchensteuerabzug kennen und auch wesentlich besser als das Verhalten der Leute, die Sonntag für Sonntag zur Kirche rasen um sich damit die sakramentale Eintrittskarte für den Himmel erwerben wollen aber so leben, als sei das Wort nur dazu bestimmt, dass der Pastor etwas mehr als Halleluja und Amen sagen kann. Aber lassen wir das mal, ich will hier unsere Geschichte erzählen und nicht pharisäerisch heucheln und nicht mit dem ungewaschenen Finger auf Andere zeigen. Im Januar des Jahres, in dem ich diese Story niederschreibe, also kurz im Januar 2001, hatten sich „unsere Kinder“ den letzten Sonntag im Monat für ihren Kirchenbesuch ausgeguckt. An diesem Tage wurde dann das Tochter-MutterTelefonat durch eine Einladung zum Restaurantbesuch ersetzt. Dieses ist seit dem die Regel: Einmal im Monat gehen wir mit Bernd und Christina zum Sonntagsmittagsessen. Das trifft sich sehr gut, denn die Sonntagsvormittage, die mit Gottesdiensten gefüllt sind, was ja bei Katha und mir außerhalb des Urlaubes immer der Fall ist, eignen sich wenig für die großartige Zubereitung von Speisen. Sonntags war bei uns Eintopftag und dieser kam dann schließlich ausschließlich aus der Dose. Allerdings sah das bei dem jungen Ehepaar Heuer etwas anders aus. Werktäglich hatten sie vormittags Sprechstunde, samstags wurde eingekauft und letztlich hatten sie den Sonntag für ihre Kochkünste. Das genossen sie sogar und bereiteten gemeinsam die aufwendigsten Speisen zu. Das machte ihnen Spaß und dabei waren sie glücklich. Natürlich waren die Beiden auch gerecht. Was für die Eltern der Frau gilt, muss auch für die Eltern des Mannes gelten. Nur hierzu nutzten sie eine andere Gelegenheit. Einmal im Monat setzten sich die beiden Ärzte, also der „Frischling“ Bernd und der erfahrene Fritz zu einem Gedanken- und Erkenntnisaustausch zusammen. Sie glaubten, dass diese ganz im Interesse der Patientinnen läge. Viele von ihnen kannte der „alte Fritz“ ja schon seit Jahren und im Alltag kommt immer wieder mal was „Neues“ vor, bei denen einen ein Erfahrenerer fast immer den Tipp in die richtige Richtung geben kann. So sehe ich das Vorgehen der beiden Ärzte auch als goldrichtig an. Dieses findet in der Regel an einem Mittwochnachmittag, wo offiziell keine Nachmittagssprechstunde abgehalten wird, statt. Diesen Tag nehmen sie dann zum Anlass für einen anschließenden Restaurantbesuch mit Frauen. So, wie ich es jetzt eben beschrieben habe, war es bis vor Kurzem, bis August 2001, die Regel im Umgang der Alten mit den Jungen oder besser gesagt umgekehrt. Im September mussten aus nachvollziehbaren Gründen die Spielregeln leicht geändert werden. Ob sich daraus ein neuer Standard entwickelt weiß ich jetzt noch nicht, da in dem Moment wo ich diese Zeilen tippe, besagter neunter Monat noch nicht rum ist. Dazu aber gleich mehr, jetzt erst mal zurück zum Beginn dieses Jahres. Neben den kontinuierlichen Standardabläufen gab es natürlich auch sporadische Abweichungen. Die erste dieser Art wurde uns bereits bei unserem ersten Sonntagsessen offeriert. Tina verkündete während des Essens: „Mutti, dein Traum vom nackten Schwiegersohn kann jetzt in Erfüllung gehen. Bernie hat aus bestimmten Gründen unsere Schwitz- und Planschanlage gestern wieder in den Zustand der Betriebsbereitschaft versetzt und Mittwochnachmittag kommt ihr dann, um sie mit uns wieder einzuweihen.“. Das Tina jetzt ihren Lacher anhing brauche ich jetzt eigentlich gar nicht zu schreiben, aber das Katha verlegen wurde ... Na ja, vielleicht das auch nicht, denn man kann sich denken, dass sie sich beim Hinweis auf den nackten Schwiegersohn ein Wenig in ihrem erotischen Denken ertappt fühlte. Alle Ausflüchte, dass es ja nur Spaß gewesen sei, halfen jetzt meiner Holden nichts mehr, die Einladung war verbindlich. Als wir dann am 31. Januar zum Ort des Geschehens fuhren merkte ich Katha eindeutig an, dass sie sich jetzt gar nicht sowohl in ihrer Haut fühlte – sie war gar nicht so gesprächig wie üblich. Im Heim der jungen Eheleute angekommen wurden wir zunächst zum Kaffee ins Wohnzimmer gebeten. Dann wurde es aber ernst: Tina war kurz hinausgegangen und kam mit einem Stapel Bade- und Handtücher wieder rein und stellte die Frage: „Wollt ihr euch hier ausziehen? ... Wir gehen dann ins Schlafzimmer. Oder können wir das unten gemeinsam erledigen?“. Bernd fügte noch an: „Unten scheint es mir sinnvoller zu sein.“. Damit hatte er Katharinas „Hier“ übersprochen und sie fügte sich, gehemmt wie ein junges Mädchen beim ersten Zungenkuss, in ihr Schicksal. Am Ort des Geschehens angekommen
entkleideten sich alle, außer Katha, wie das eben so üblich ist: Nicht triebhaft schnell und nicht schamhaft langsam. Nur meine bessere Hälfte ließ es angehen, als müsse sie vor dem Ablegen eines jeden Kleidungsstückes krampfhaft ihre Erinnerungen hinsichtlich des Vorgehens bemühen. So kam es, dass, als wir schon von allen Textilien befreit waren, Katha immer noch von ihrer Unterwäsche bedeckt war. Jetzt schritt Bernd ein: „Mutti, was ist? Wir kennen uns doch alle, da brauchst du dich doch nicht zu schämen.“. Was an dieser Aussage bemerkenswert war, ist das Bernd jetzt erstmalig seine Schwiegermutter nicht mit Vornamen sondern sie so wie seine Frau mit Mutti angesprochen hatte. Die Angesprochene setzte sich erst mal mit übereinandergeschlagenen Oberschenkel, auf die sie ihren kinnhaltenden Arm aufstützte, hin und murmelte: „Ach, das war doch nur Spaß ... Jetzt schäme ich mich wirklich.“. „Mutti,“, begann Bernd jetzt, „du brauchst dich doch nicht zu schämen. Wenn man mal einen nackten Körper, insbesondere dann, wenn er dem jeweils anderen Geschlecht zuzuordnen ist, sehen möchte, ist das ganz normal und nicht verwerflich. Anders herum ist so ein Bisschen Exhibitionismus auch dem Menschen von Gott beigegeben worden. Also beide Angelegenheiten sind kein Grund für eine Scham. Was Moralisten daraus gemacht haben, ist im Grunde jenseits von Gut und Böse. Erotik spielt sich ja auf einer Ebene ab, die das Besondere am Menschen darstellt ... auf der geistigen Ebene. Das Körperliche steht auf einen ganz anderem Blatt. Das Triebhafte ist sogar primitivsten Tieren zu eigen und daher find ich auch, dass die Leute die quer durch die Landschaft bumsen ihre Menschlichkeit unter dem Scheffel stellen und damit die Menschenwürde verletzen. Aber sich gegenseitig mit erotisierten Augen zu betrachten, ist aus meiner Sicht nicht nur prickelnd, sondern überaus menschlich. Und nur Mensch sein zählt im Leben.“. Er stellte sich jetzt in Front vor sie hin und fügte noch an: „Dann schau mal, gefällt dir mein Penis ... und dann ziehe dich aus, damit ich deine gutgeformten Busen ... das habe ich ja schon bereits feststellen können – betrachten kann.“. Damit hatte er bei Katha offensichtlich ins Schwarze getroffen. Sie schaute, mit nicht gerade erfreutem Gesicht, auf das Attribut seiner Männlichkeit und zog sich blitzartig ihr Unterhemd über den Kopf. Als sie dann, ohne ihre Augen von seinem Penis abzuwenden, genauso schnell ihren Slipper heruntergezogen hatte, mischte sich Tina ein: „Mutti, wenn ich dich mal einen Moment vom Besten meines Mannes ablenken darf, dann solltest du mal hierher schauen und sagen ob dir was auffällt.“. Dabei fuhr sie sich mit ihrer flachen Hand über den Bauch. „Chrissie Mäuschen,“, wendete Bernd jetzt ein, „als wissender Fachmann kann man sehr wohl schon was erkennen, aber für unwissende Laien ist es noch ein Wenig zu früh.“. Katharina hatte wohl auf Anhieb richtig verstanden. Sie stand auf einmal locker da und dabei schien ihr Gesicht wieder freundlich und locker, wie heute überhaupt noch nicht an diesem Tage, während sie spontan erstaunt fragte: „Sage bloß, du bist schwanger?“. Unsere Tochter sagte nichts sondern nickte nur bejahend mit einem strahlenden Gesicht. Dafür meldete sich aber Bernd: „Ja, wir haben schon ein Wenig vorgearbeitet. Mit anderen Worten wir waren schon vor der Hochzeit ein Wenig aktiv. Das hatte seinen bestimmten Grund: Chrissie brachte aus meiner ärztlichen Sichtweise die biologischen Voraussetzungen dafür mit, dass der Geburtstag ihres Vaters gleichzeitig der ihres ersten Kindes sein könnte. Wir waren uns einig, dass wir damit dem unglücklicherweise belasteten 11. September wieder den Rang geben könnten, den er für euch haben sollte.“. In diesem Moment flossen nicht nur bei Katha sondern auch bei mir ein paar Rührungstränen. Aber unser Schwiegersohn war mit seinen Ausführungen noch nicht zu Ende: „Nun, ob das auf den Tag genau klappt liegt in Gottes Hand; wir können nur das Beste dafür geben das es klappen könnte. Also dürfen wir natürlich nicht enttäuschst sein, wenn es der 7. ist und auch nicht wenn es der 15., ist. Übrigens, um sicher zugehen, dass ich nicht von meinem Wunschdenken getäuscht werde habe ich letzten Freitag Chrissie durch Paps untersuchen lassen. Er hat meine Diagnose bestätigt ... auch die, dass es so aussieht und auch wahrscheinlich ist, dass ihr zwei Enkelinnen oder Enkel auf einen Schlag bekommt. Es sieht nach zwei Föten aus.“. Jetzt sprudelte die Überraschung und Freude auch aus mir heraus: „Mann, was habe ich für einen schnellen und präzisen Schwiegersohn. Erledigte die Schule vom i-Männchen bis zum Abiturienten in einem Durchmarsch, studiert ohne nur eine Ehrenrunde Medizin und übernimmt nach so ein Bisschen Assistenzarztzeit die Praxis vom Papa. Weil er sich keine Zeit nahm, stellt er seine künftige Frau unmittelbar nach der Praxisübernahme als Sprechstundenhilfe ein und schwängert sie noch vor der Hochzeit gleich im Doppelpack.“. Damit hatte ich praktisch in drei Sätzen seinen kompletten Lebenslauf wiedergegeben. Ich hatte noch „Junge, Junge wenn du in diesem rasanten Tempo weitermachst, ....“ angefügt und bekam zur Antwort: „Keine Angst, Vati, ich verstehe unter Leben, dass ich immer das mache was mir Freude macht und was mich ausfüllt. Bis jetzt war das zum großen Teil Lernen und dann in Paps Fußstapfen treten. Jetzt dreht sich aber das Ganze in Richtung der besten und bezaubersten Frau der Welt ... eurer Tochter. Und noch dieses Jahr dürften da noch wahrscheinlich zwei Würmchen hinzukommen, die schon aus dem Grunde, weil sie eine so wunderbare Mutter haben, die nettesten Kinder auf dieser Erde sein werden. Also Vati, du wirst sehen mein Elan richtet sich jetzt zu 80% auf meine Familie und zu 20% auf meinen Beruf ... und dann habe ich alles, was ich zum Leben brauche. Und Mutti, ich weiß, dass sich das nie ändern wird und das weiß ich weil ich dich kenne. Chrissie hat so viel von dir, nicht nur äußerlich sondern auch vom Intellekt und Wesen. Daher weiß ich auch, dass ich meine Maus immer über alle Dinge lieben muss.“. Da hatte er was erreicht, sowohl Katha wie auch ich konnten nicht mehr zurückhalten und weinten vor lauter Rührung. Bei mir spielte jetzt auch noch mit, dass so eben auch ich - so aus meiner Sicht - von ihm mit der vertraulichsten und schönsten Anrede für einen Mann „Vati“ bedacht worden bin. Bei der Ansicht ihrer heulenden Eltern und nach einer solchen überschwänglichen Liebeserklärung, konnte sich auch Tina nicht mehr zurückhalten und schloss sich uns in gleicher Weise an. Ursprünglich glaubte ich noch, es könnte ein normaler Saunagang wie in einer
öffentlichen Einrichtung werden. Na ja, so wie wir jetzt gefühlsmäßig angeheizt waren konnte daraus nichts mehr werden. Nach einem wirklich kurzem Saunagang und einem Sprung in den Pool zogen wir uns wieder an und verbrachten den Nachmittag lieber in einer glücklichen Runde im Wohnzimmer. Die Anlage hatte Bernd übrigens „angeschmissen“, weil es, laut ihm, fast nichts Besseres für Schwangere und werdende Kinder gäbe, als regelmäßiges Schwimmen und Wassergymnastik. Katharina schien nach diesem Mittwoch von ihren erotischen Träumen hinsichtlich der Sauna und ihres Schwiegersohnes kuriert zu sein. Sie hat seit dem nichts mehr in diese Richtung geäußert. Auch von den jungen Leuten kam nichts mehr in diese Richtung; sie nutzten offensichtlich ihr Reich intim für sich. Damit haben wir dann auch alles was mit Erotik zu schaffen hat in meinem Erlebnisbericht erledigt. Auch die Teilnahme der künftigen Großeltern an der frauenärztlichen Untersuchung der werdenden Mutter Ende Mai hatte nichts mit dem, was lüsterne Leser möglicher Weise erwarten, zutun. Es war ja streng genommen keine Untersuchung sondern Bernd nutzte nur sein Ultraschallgerät um uns zu zeigen, worauf wir uns freuen durften. Zwar lag Christina unten ohne auf dem Stuhl aber der Bereich, der für Geitlinge interessant ist, war mit einem grünen Tuch dezent abgedeckt. Lediglich der blanke Bauch, wie er einen auch von dickleibigen Damen, die nicht vom Bikini lassen können, präsentiert wird, war offenbar. Ich glaube, ich war der Einzigste in der Runde, der noch nie Ultraschall live erlebt hatte. Aber was soll’s, es war auch für mich ganz eindeutig zu sehen, das werden mal zwei sein. Mit Bernds Unterstützung konnte ich an dem einen Embryo ein Schnippelchen ausmachen und an dem anderem nicht. Sollte sich der Wunsch der Beiden nach einem Mädchen und einem Jungen auf einen Schlag erledigen? Inzwischen ist wieder ein Wenig Zeit ins Land geflossen. Am 1. August fing eine neue Sprechstundenhilfe in der Praxis von Dr. Bernd Heuer an und wurde in den beiden folgenden Wochen noch von unserer Tochter angelernt. Allerdings ist das Wort „angelernt“ im Hinblick auf die 45-jährige Frau Schnietz etwas mehr als übertrieben. Es handelte sich um eine erfahrene Kraft von der umgekehrt Tina noch einiges lernen konnte. Sie hatte bisher in der Sprechstunde von Dr. Podlewsky, einen inzwischen schon 67-jährigen Frauenarzt in Neuhausen, der seine Praxis mangels Nachfolger einstellte, gearbeitet. Tina brauchte also Frau Schnietz nur die praxisinternen Verstecke zu zeigen und auf Eigenarten ihres Mannes und seiner Patientinnen aufmerksam machen und konnte dann beruhigt in den „Mutterschutz“ gehen. Wann Christina wieder an ihren „Arbeitsplatz“ zurückkehrt ist derzeitig noch nicht abzusehen. Allerdings, das sie mal wieder in Aktion tritt ist für sie beschlossene Sachen. Aber ob der Zeitpunkt erreicht ist, wenn der Nachwuchs in den Kindergarten, oder wenn er in die Schule kommt, steht bei ihr oder ihrem Mann noch in den Sternen. Selbstverständlich sind Bernd und Tina recht froh darüber, dass sie erstens so finanziell abgesichert und zweitens auch unternehmerisch unabhängig sind, dass sie unabhängig von äußeren Zwängen diese Fragen ihrer Lebensgestaltung entscheiden können. Nur eins kommt für Tina nicht in Frage: Sie will nicht in die Ecke „Küche, Kinder, Kirche“ gedrängt werden, aber das hat sie bei ihrem Mann auch nicht zu befürchten. Während unsere Kinder es aus unserer Sicht auf der beruflichen Seite augenscheinlich richtig machten, erlaubten wir uns im Juli und August einen echten Fehler. Der Hintergrund lag aber in erster Linie bei der Schwangerschaft unserer Tochter und der Besorgnis Katharinas. Sie sorgte sich zwar nicht darum, dass etwas schief gehen könne, da glaubte sie unsere Tina bei ihrem Mann und auch bei ihrem Schwiegervater in den besten Händen, aber das gerade bei Zwillingsgeburten ein etwas früherer Zeitpunkt, so etwa ab dem siebten Monat, noch nicht mal die Ausnahme wären, ließ sie in ihren Gedanken nicht in Ruhe. Kathas Sorge war nun, dass die Enkelkinder ankämen, wenn wir gerade in diesem Moment weit weg vom Schuss sind. Mit anderen Worten: Wir hatten zwar Urlaub, sinnvoller Weise in den großen Ferien, aber blieben beharrlich am Ort unseres Wirkens. Wer mal in Küster- oder Hausmeistertätigkeiten reingerochen oder die nur beobachtet hat, weiß was das bedeutet. Täglich lag was an, wo man mal kurz Hand anlegen musste und vor, während und nach den sonntäglichen Gottesdiensten war es so, als hätten wir überhaupt kein Urlaub. Wir hätten, um davor sicher zu sein, zumindestens im nächsten Dorf ein Zelt aufschlagen müssen. Na ja, nachher ist man immer schlauer; im nächsten Jahr wollen wir dann, gleichgültig was ist, deutlich „vom Acker reiten“. Jetzt, in 2001, bleibt uns nur der Trost, das wir in den Herbstferien an einer einwöchigen Gemeindefahrt teilnehmen und zumindestens für diese Zeit mal einen Tapetenwechsel verspüren können. Aber keine Angst, meine Katha und ich sind uns unseres Berufes nicht überdrüssig sondern sehen in ihm immer noch die Erfüllung. Eine Einschätzung, die entsprechend meiner jetzigen Erkenntnis auch in Zukunft bestand haben wird. Jetzt, Ende September, muss ich sagen, dass der Urlaubsverzicht, den ich im vorhergehenden Absatz beschrieb, unnütz war. Nichts geschah in Richtung der Geburt unserer Enkelkinder. So sah es sogar auch am Morgen meines Geburtstages, den eigentlich voraus berechneten Termin, aus. Abgesehen von unserer dunklen Zeit war es erstmalig in unserer Ehe passiert, dass Katha mir nicht gleich nach dem Aufwachen gratulierte. Erst als sie im Bad war, während ich den Kaffee aufsetzte, rief sie mir zu: „Ach Petrus, mein bestes Stück, nur das Allerbeste zu deinem Fünfundfünfzigsten.“. Während unseres Frühstücks verschwendete meine Frau immer nur kurz mal einen Blick für ihr Geburtstagskind; die meiste Zeit hatte sie das Telefon im Auge. Meine Worte „Ach Mädchen, was bist du so hibbelig. Wer sagt denn, dass die Beiden heute kommen. Bernd hat doch schon ein paar Mal gesagt, dass einige Tage später auch ganz normal sind. Und passieren kann doch eigentlich nichts, unser Tina Mäuschen ist doch wirklich in den besten Händen“ trösteten sie in keiner Weise. Allerdings bekam ich hierauf ein logische Antwort: „Ich weiß, aber irgend so ein Männchen in mir sagt, das heute was passiert. Ach Männe, verstehe bitte, ich kann jetzt nicht anders. Es ist auch
hinsichtlich deines Geburtstages nicht bös gemeint.“. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, auch in meinem Inneren kratzte so eine freudige Erwartung an meiner Seele. Auch ich war nicht weit von Kathas Zustand entfernt. Ich täuschte lediglich nur eine größere Gelassenheit vor. Gegen Acht machte ich mich auf den Weg hinüber zur Kirche, während Katha noch erst mal schnell bei Bernd anrufen wollte. Um Zehn sollte in unserer Kirche eine Trauung stattfinden und ich wollte, weil wir vorher noch zum Friedhof zu Tommy wollten, dort schon mal alles vorbereiten. Dieses natürlich auch für den Fall, dass doch etwas in Richtung unserer Erwartungen passieren würde und in diesem Fall die Frau unseres Pastors, wie übrigens schon vorher spekulativ abgesprochen, aus dem Stand einspringen müsste. Als ich die Haustür geöffnet hatte stand plötzlich unser Schwiegersohn vor mir: „Guten Morgen Vati, ich wollte nur mal kurz gratulieren. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.“. Mich freundlich anlachend reichte er mir die Hand und sagte erst mal weiter nichts. Ich muss wohl enttäuscht drein geschaut haben, denn ich hatte ja eigentlich was anderes erwartet. Da setzte er noch mal an: „Ich bin noch nicht fertig; ich muss drei Mal gratulieren. Herzlichen Glückwunsch zur Geburt deines Enkels Peter Thomas und herzlichen Glückwunsch zur Geburt deiner Enkelin Anna Katharina. Heute morgen um Vier war es so weit, aber wir dachten, dass wir euch ruhig ausschlafen lassen sollten damit ihr für diesen, unser aller Tag, gerüstet seit.“. Das war es, darauf hatte ich gewartet und deshalb rief ich jetzt mit jubelnder Stimme zur Wohnung hinauf: „Katha, Katha, Maus! Komm schnell, unsere Enkelkinder sind da! Bernd steht hier!“. Katharina stellte daraufhin einen neuen Rekord auf. Das letzte Wort war noch nicht verhallt da war sie auch schon bei uns und fiel, vor Glück weinend, unserem Schwiegersohn in die Arme. Mein Jubelschrei war auch im Pfarrhaus zu vernehmen und so kam Karsten auch gleich mit Frau zu uns. Er im weißen Hemd und Jeans, sie im Morgenmantel und beide in Hausschuhen. Meine laute Stimme hatte sie beim Frühstück erwischt und sie hatten es sich nicht nehmen lassen, spornstreichs zur Gratulation zu eilen. Karsten hing seinen Glückwünschen gleich eine Dienstanweisung an: „So ihr Beiden, heute habt ihr Sonderurlaub. Wir wollen mal zeigen, dass wir zur Not auch mal ohne Euch auskommen können.“. Somit war alles klar und wir konnten wieder hinauf in die Wohnung um uns noch ausgehfähig umzuziehen. Bernd berichtet derweil, dass alles sehr schnell gegangen sei. Kurz nach Drei habe Tina ihn wegen der ersten Wehen geweckt. Er habe dann noch mal kurz nachgesehen und wäre dann gleich mit ihr ins Städtische gefahren. Obwohl er und sein Vater „Fachleute“ sind hatten sie der Geburt im Kreißsaal gegenüber einer Hausgeburt den Vorzug gegeben. Punkt Vier hätte dann Anna Katharina ihr Köpfchen ins Leben gesteckt und ein paar Minuten später war Peter Thomas auch da. „Die Weiber haben es üblicher Weise ja immer eiliger“, scherzte er. Ich weiß nicht, ob es sich von selbst versteht, dass Bernd auch der Arzt war, der die Geburt seiner eigenen Kinder leitete; auf jeden Fall war das in dieser Angelegenheit der Fall gewesen. Gegen halb Sieben hatte er im Krankenhaus alles was mit Arzt und gerade gewordener Vater sowie mit treusorgenden Ehemann zusammenhängt erst mal erledigt. Dann war er zunächst mal zu seinen Eltern gefahren. Dieses tat er nicht nur als „guter Sohn“ sondern auch in seiner Eigenschaft als praktizierender Arzt. Heute wollte sich der ansonsten pflichtbewusste Bernd von seinem Vater vertreten lassen und hatte daher noch einiges mit ihm abzusprechen. Hinsichtlich des genau geplanten und eingehaltenen Geburtstermins musste ich Bernd noch mein Lob aussprechen und wiederholte noch mal das, was ich im sinngemäß schon im Januar gesagt habe: „Mensch Bernd, du bist nicht nur ein schneller sondern auch ein äußerst präziser Schwiegersohn. Mein Kompliment.“. Im Anschluss nahm uns Bernd in seinem Wagen mit. Es ging erst bei ihm zuhause vorbei, wo er sich ein Wenig frisch machte und umzog. Auch danach ging es nicht gleich zu Christina ins Krankenhaus sondern er bestand darauf, dass wir erst mal, so wie wir es uns zuvor vorgenommen hatten, Thomas Grab besuchten. Es wird wohl jeder verstehen, dass wir dort auch wieder, wie im Vorjahr und am 12. Juni, zu seinem Geburtstag, sehr traurig und wehmütig waren. Diesmal war es jedoch etwas anders als bei den vorherigen Malen. Bernd stand zwischen uns und hielt uns in je einem Arm. Er sprach zu uns, nicht wie ein Frauenarzt sondern eher wie ein guter Pfarrer: „Warum und weshalb etwas passiert weiß nur Gott. Ich weiß nur, das alles was Gott macht gut und richtig ist ... auch wenn wir das nicht so sehen können. Noch etwas weiß ich: Mein Schwager lebt. Er lebt bei Gott und in euren Herzen und da wird er ewig leben. Sicher ist für den so lebenden Thomas heute auch ein Freudentag; ein Tag an dem neues hoffnungsvolles Leben beginnt. Wir sollten ihm jetzt auch zur Geburt seiner Nichte und seines Neffens gratulieren.“. Ich weiß jetzt nicht, ob ich jemals zuvor schon mal tröstendere Worte vernommen habe, aber auf jeden Fall war Katha und mir nach diesem Grabbesuch doch einiges leichter ums Herz. Wie man gerade lesen konnte, hatten wir in Bernd auch einen gläubigen Christen als Schwiegersohn gefunden. Das ist dann gleich eine Gelegenheit zwischendurch mal die Frage zu stellen, wann dann die Taufe stattfinden soll. Aber gerade unser reformierte Glaube ist es, dass ich da nichts weiteres zu sagen kann. Wir, also auch Bernd und Tina, sind fest davon überzeugt, das vor einer Taufe das feste Bekenntnis zum dreieinigen Gott stehen muss und dieses von den Säuglingen nicht erbracht werden kann. Dieses Sakrament als Freifahrtschein in den Himmel zu betrachten heißt aus unserer Sicht es sich viel zu leicht zu machen. So etwas ist eher weltlich; eben mal am Taufbecken das ewige Leben zum Aktionspreis kaufen. Mir kommt sakramentales Denken immer so vor, als verspotte man Gott als einen Krämer mit dem man schachern könne. Ich glaube, das gerade unschuldige Kinder auch nichts weiteres benötigen um zu Gott zu gelangen. Von ihrer Seele haben materielle Dinge, Reichtum und irdischer Ruhm noch kein Besitz ergriffen; ihre Seele lebt wie sie ewig leben wird. So verstehe ich auch die Jesusaussage: „Wenn ihr nicht unschuldig seid wie die Kinder,
könnt ihr nicht ins Himmelreich kommen“. Einzig nützlich scheint mir das Taufversprechen der Eltern und der Paten vor Gott und der Gemeinde. Das Versprechen vor Gott gebe ich in meinem Herzen ab, dazu bedarf es keiner Tauffeier. Und was das Versprechen vor der Gemeinde anbelangt müssen dieses die Eltern entscheiden. Und Bernd und Tina, die im Übrigen genauso denken wie Katharina und ich, haben sich bis zum heutigen Tage, also wo ich diese Zeilen tippe, dazu noch nicht geäußert. Dieser 11. September, war für uns also zunächst ein Tag des Glücks, wie er aber schon milliardenfach auch von anderen erlebt wurde. Leider wurde dieser Tag dann doch noch von tragischen Ereignissen überschattet: dem Terroranschlag auf das WTC New York und dem Pentagon in Washington. Man möge mir bitte verzeihen, dass ich hier jetzt an dieser Stelle auf dieses schreckliche Ereignis nicht eingehen möchte, denn in unserer Geschichte ist dieses jetzt das Happy End. Aber trotzdem wollte ich noch ein allerletztes Kapitel auflegen um die Sache abzurunden, um Aufklärung darüber zu geben was vielleicht noch gefragt werden könnte. Zum Beispiel: Was wurde aus Klettner, Mühlheims, Berghoff und van Impe? Warum habe ich diese Geschichte eigentlich niedergeschrieben? Wie ist das mit meinen Schulden und wie kann ich damit leben? Also, es folgen noch ein paar kurze Dinge, allerdings nichts Ausführliches mehr. Wer will, kann also noch mal auf ein weiteres Kapitel umblättern. Nur noch ein paar Seiten und dann ist wirklich Schluss. Anmerkung des Autors: Dieses Buch wurde bereits Anfang August 2001 fertig gestellt und der letzte Absatz, der in der Ursprungsfassung ein noch pointiertes Happy End darstellte wurde von mir jetzt Ende November 2001 hinsichtlich der tatsächlichen Ereignisse vom 11.09.01 überarbeitet und gekürzt. Aber im Großen und Ganzen ist es jedoch beim ursprünglichen Inhalt geblieben.
Zum Kapitel 40
Zum Inhaltsverzeichnis
Auch ein Petrus kann Nein sagen In letzter Zeit hört man hin und wieder, dass die Generation der Erben angetreten sei. Wenn man dann in der Zeitung auf den Seiten oder unter den Stichworten „Ratgeber“ und/oder „Recht“ nachließt, bekommt man die Erbengenerationsaussage bestätigt. Meine Güte, was gibt es nicht für eine Menge Zank und Streit um das was andere zusammengerafft haben und nicht mit ins Grab nehmen konnten. Aus meiner „gefärbten“ Anschauung heraus scheinen Erbschaften die Rache verstorbener Humanoide an ihre noch existierenden Nachfahren zu sein. Die Worte „Berliner Testament“, „Alleinerbe“, „Pflichtteil“ und „Pflichtteilausgleich“ gehören schon, so mein Eindruck, zu den meistgebrauchtesten Worten der deutschen Sprache und immer steht Familienkrieg dahinter. Da sind dann uneheliche beziehungsweise angeheiratete Kinder oder leibliche Nachfahren aus Vorehen, die aus der Sicht der leiblichen oder angeheirateten Nachfolger aus letztbestehenden Gemeinschaften, ungerechtfertigter Weise mitabsahnen sollen. Und, und, immer nur Streitereien um das, wofür man selbst nichts geleistet hat. Vielfach richte sich der Zorn der Erben auch gegen den „bösen“ Staat, der sich erdreiste, auf Vermögen, auf die der Erblasser bereits Einkommenssteuer gezahlt hat noch Erbschaftssteuer zu erheben. Dann fällt immer das, auf dem ersten Blick logische Argument, dass bereits versteuertes Kapital noch einmal versteuert werden soll. Die Aussage scheint richtig zu sein aber ist bei näherem Hinsehen mehr als falsch. Ersetzen wir mal die Worte Erblasser und Erbe durch Händler und Kunde. Wenn der Kunde sein Einkommen aus einem ordentlichen Arbeitsverhältnis erhalten hat, ist das Kapital im Zuge des Lohnsteuerabzuges bereits versteuert. Warum soll denn jetzt der Händler auf den Erlös, sprich auf das gleiche Kapital, noch einmal Steuern zahlen; es ist ja bereits alles versteuert. Dieses Gedankenspielchen könnten wir Spaßes halber solange treiben bis niemand mehr Steuern zahlen muss. Man kann davon ausgehen, dass auf jedem im Umlauf befindliche Pfennig, oder künftig Cent, bereits irgendwo Steuern gezahlt worden ist. Warum dann überhaupt noch mal? Ein Erbe erzielt Einkommen beziehungsweise erwirbt ein Vermögen, an dem er die Allgemeinheit, die die infrastrukturellen Voraussetzung dafür, das es das Vermögen überhaupt geben kann, geschaffen hat, vor dem Abzug der Erbschaftssteuer noch nicht beteiligt hat – und er selbst hat, wie ich ja schon bereits schrieb, überhaupt nichts dafür geleistet. Also ich plädiere hier „ausnahmsweise“ mal für die Auffassung des Staates: Die Erbschaftssteuer halte ich persönlich für richtig und gerecht. Eine Erbschaft kann aber auch böse Überraschungen mit sich bringen. Da sind dann erstens die Nachlassverbindlichkeiten wie letzte Rechnungen, Miete, Beerdigungskosten und so weiter aber auch Schulden. Es wird oft so naiv gesagt, das man Schulden nicht vererben oder erben könne. Dieses stimmt aber nur im Grundsatz ansonsten übernimmt man einen Nachlass mit Aktiva und Passiva. Also, wenn das Erbe noch mit Schulden belastet ist hat man diese als Erbnehmer, gleichgültig ob diese Lasten das geerbte Guthaben übersteigen oder nicht, mit am Hals. Da hat man bis jetzt fröhlich als Arbeitnehmer und Mieter gelebt und weiß plötzlich nicht, wie man die Annuitätsraten auf die Grundschulden, die auf dem geerbten Häuschen lasten, aufbringen soll. Wenn jetzt die Veräußerung oder eine Versteigerung nicht den Erlös bringen, dass man damit alle Schulden auslösen oder auf den Erwerber übertragen kann, darf man als Strafe dafür, dass man bei der Annahme eines Erbes nicht Nein gesagt hat, auch noch die Restschulden abtragen. Jetzt wird sich diese oder jener fragen, wie ich ausgerechnet jetzt zu meinem Gedankenspielchen um das Erben und das Erblassen komme. Ganz einfach: Anfang dieses Jahres waren Christina und ich auch in einem Testament bedacht worden. Es fällt eigentlich nicht schwer zu raten, wer die Erblasserin war: Es war Marianne Berghoff-Klettner, die dieses offensichtlich als Wiedergutmachung verstanden wissen wollte. Anfang Februar wurde ich zusammen mit meiner Tochter zu dem Rechtsanwalt und Notar Dr. Hauber in Neuhausen, der von Michael Klettner, natürlich der Haupterbe, und seinem Anwalt beauftragt worden war die Angelegenheit mit uns zu klären und zu erledigen, bestellt. Nun, viel hatte Marianne im Grunde jetzt nicht mehr zu vererben – sorry, für den kleinen Mann wäre es trotzdem doch noch ein stolze Sümmchen gewesen; es ist halt alles relativ. Aber das, was ihr geblieben war, bestand ausschließlich aus der Abfindung, die sie von ihrem Ex erhalten hatte. Laut ihrem „Letzten Willen“ sollten Michael und Verena zwei und Tina und ich ein Drittel davon erhalten. Ob Klettner oder Volker Berghoff darauf noch laut Gesetz Pflichtteilansprüche gehabt haben kann ich nicht sagen, denn ich erwarte ansonsten weder was zu erben noch habe ich was zu vererben und interessiere mich somit auch nicht dafür was Politiker, Beamte und Juristen diesbezüglich ausgeklügelt haben. Nun, für Tina war sofort alles klar: Sie sagte „Nein“, das heißt, dass sie das Erbe ohne lange zu überlegen von vornherein nicht annahm. Sie war der Meinung mit ihrem Mann und ihrer Familie alles zu haben was sie zum Leben braucht – und schlecht versorgt war sie ja ehrlich gesagt nun auch wirklich nicht. Aber auch Petrus kann Nein sagen. So lange ich meine, wohl bis zu meinem Lebensende beständigen Schulden aus dem Druckereiabenteuer habe, kann ich im Grunde das Kapital aus solchen offiziellen „Geschäften“ nicht anders verwerten als es den Inkassogeiern in die nie stopfbare Tasche zu stecken. Und diese Erbschaft war zu klein, um sich diese lästigen Vögelchen für immer und ewig mit einem Vergleich vom Hals zu schaffen. Auch bei Annahme des Erbes wären mir Gerichtsvollzieherbesuche und Lohnpfändungen, wie sie mich wieder ab März und Katharina ab Mai trafen, gewiss. Was soll’s, nach meinem jetzigen Standpunkt brauche ich nur so viel Geld, dass ich das Notwendige für meine Existenz damit bestreiten kann; zum Leben brauche ich was anderes, vor allen die Dinge, die nichts kosten. Was man zum Leben braucht bekommt man grundsätzlich nur geschenkt. Aber darüber habe ich mich ja schon an anderer Stelle ausgelassen. Hier ist jetzt nur
wichtig, das sowohl Tina wie auch ich die Erbschaft ausschlugen. Dr. Hauber setzte ein Schriftstück an das zuständige Nachlassgericht auf, wir unterschrieben es, er beglaubigte dieses als Notar und damit war diese Angelegenheit dann erledigt. Auch Katharina und Bernd waren der Meinung, dass ihre jeweiligen Ehepartner in dieser Geschichte richtig gehandelt hätten. Katha stellte dazu fest, das Michael und Verena das Geld sicherlich dringender für ihre Zukunft benötigten wie wir und wer weiß schon, was der „Junge“ noch von seinem Vater, der eigentlich gar nicht seiner ist, noch zu erwarten hat; möglicher Weise sogar nichts mehr. Damit hatte sie wohl auch hundertprozentig recht. Michael Klettner nahm unsere Ablehnung zu seinen Gunsten aber nicht einfach nur dankend zur Kenntnis sondern hatte das Bedürfnis sich erkenntlich zu zeigen. Deshalb rief er mich 14 Tage später an: „Hallo Pepe, hier ist Michael. Du und deine Tochter hättet das Erbe ruhig annehmen dürfen. Schließlich habt ihr es euch verdient und es war ja auch Mamminkas ehrlicher und fester Wille. So sehen es auf jeden Fall Verena ... von der ich übrigens schön grüßen soll ... und ich die Sache.“. Hier unterbrach ich ihn und erläuterte ihm unsere Beweggründe, dem dann eine kurze Diskussion, ob wir nicht lieber doch annehmen sollten, folgte. Aber ich blieb standhaft bei meinem Nein. Letztlich gab Michael auf und führte aus: „Pepe, erstens freue ich mich darüber, dass deine Familie wieder glücklich werden konnte und ich wünsche euch von Herzen, dass dieses bis in alle Ewigkeit so bleiben wird. Andererseits gestehe ich dir auch, dass uns euerer Verzicht tatsächlich hilft uns eine sichere und von der Klettner-Bande unabhängige Zukunft zu schaffen. Es gibt mir unter anderem auch die Möglichkeit, wenn jetzt mein Papiervater sterben sollte, im Hinblick auf eine Erbschaft auch Nein sagen zu können. Dahingehend muss ich mich ganz, ganz herzlich bei euch Beiden bedanken. Aber bitte gestatte mir eins: Ich möchte dir ... und das sage ich von Herzen, eine Freude bereiten. Was kann ich für dich tun?“. Das war jetzt eine schwer zu beantwortende Frage. Einerseits fiel mir auf Anhieb nichts Treffendes ein und andererseits hatte ich Probleme wo ich den Geldwert meines Wunsches ansiedeln sollte. Setze ich ihn zu hoch an hole ich mich selbst von dem Sockel, auf den ich jetzt für Michael stehe, und setze ich ihn zu niedrig an, dann fühlt er sich deshalb möglicher Weise veralbert. Und fragen, was ich ihm wert sei, wollte ich nun auch nicht und deshalb sagte ich zunächst: „Ach, Michael, mir fällt im Moment gar nichts ein. Ist aber auch nicht nötig. Wenn es euch gut geht, reicht mir das auch voll und ganz.“. Jetzt erinnerte sich Michael daran, dass ich damals, als wir zusammen Weihnachten feierten, mal aus meiner Sicht über Sinn und Unsinn eines PC gesprochen habe. Auslöser waren unsere damaligen Gesellschaftsspiele. Ich fand, das Hervorragende und Einmalige an den Spielen sei das gemeinsame Erleben, die „blöde“ Quatscherei, die dabei erfolgt und die teils ausgelassenen Reaktionen der Mitspieler. Das könne einen ein PC auch dann nicht bieten, wenn der Mitspieler neben einen am gleichen Monitor sitzen würde. Einen Mitspieler via Netz maß ich die gleiche geringe Bedeutung wie dem virtuellen Männchen im PC zu. Also Spiele am PC fand und finde ich durch die Bank langweilig und regelrecht zur Vereinsamung anreizend. Michael fragte mich damals, also Weihnachten 1999, ob ich dann den einzigsten Computernutzen im Internet sehen würde. Darauf erklärte ich ihm, dass ich die derzeitige überschwängliche Euphorie im Hinblick auf das Internet nicht verstehen könnte. Sicherlich hat dieser riesige weltweite Katalog beziehungsweise diese riesige Datenbank, mit Wissen, Halbwissen und Falschinformationen gleichermaßen, viele nützliche Vorzüge. Homebanking und elektronische Versandwarenbestellungen bieten eine Menge Vorteile gegenüber herkömmlichen Methoden auf Papier und mit den langen Postwegen. Aber dass ich deshalb von einer Revolution sprechen würde und mich wegen so Wenig gleich in den siebten Begeisterungshimmel beamen würde – dafür wäre das Ganze für mich viel zu nüchtern, viel zu alltäglich. Damals sagte ich, dass ich, falls ich einen PC hätte, wohl das Internet gezielt für dieses oder jenes nutzen würde aber wahrscheinlich nicht zeittotschlagender Weise darin surfen oder mit Anonymics, Phantomen oder gar Elisa-Programmen, chatten würde. Das gilt auch heute noch für mich: Kommunikation ist eine Angelegenheit von Menschen zu Mensch, dazwischen möchte ich kein unbeseeltes Netz, keine Software und keine Elektronik geschaltet wissen. Lieber mit dem lebendigen Nachbarn über belanglose Dinge plaudern als mit anonymen, vielleicht nur virtuellen Partnern über Hochgeistiges oder Wichtiges diskutieren. Damals fragte mich Marianne ob ich denn einen PC für mich als nur wenig nützlich ansehen würde oder ob auch ich bei der Kiste was sehen würde, an dem ich mich erfreuen könnte. Da dachte ich an meinen ursprünglichen Beruf, den des Schriftsetzers. Ich schwärmte dann richtig davon, wie ich diesen für kreative Gestaltungen, nur just for fun und nur für mich nutzen würde. Wie ich das Schächtelchen für Niederschriften gebrauchen würde. Wenn mir das Herz voll wäre, würde ich mir alles von der Seele schreiben und wenn ich ganz oben wäre würde ich Jubelaufsätze schreiben. Kurz gesagt, ich äußerte mich, sogar ein Wenig begeistert, in die Richtung, dass ich mich mit kreativen Tätigkeiten an einem solchen „Spielzeug“ entspannen würde. Aber das gälte, wie ich damals sagte, immer nur dann, wenn ich keine anderen Menschen um mich herum hätte, denn die virtuelle Welt wäre nur ein unwirklicher Schein vom Leben; es wäre keine Realität sondern nur ein Pseudodabeisein. Trotzdem würde ich die Nutzung eines PC als einen netten Zeitvertreib für Zeiten des Alleinseins erachten, es wäre in der Tat immer besser als nur zu grübeln. Das ich mal den PC beruflich nutzen könnte, hielt und halte ich für mich persönlich in meiner Situation und im Hinblick auf mein Alter praktisch für ausgeschlossen. Jetzt am Telefon fragte mich Michael: „Pepe, glaubst du immer noch, dass du mit einem PC deine einsamen Stunden ... oder sagen wir besser die Minuten deines Alleinseins, kreativ ausfüllen könntest. Und hättest du Spaß an einem PC.“.
„Ach Michael,“, antwortete ich ihm, „das Zeug ist doch viel zu teuer. Und wenn ich da so eine Kiste stehen hätte, käme der Kuckuckmann (damit meine ich einen Gerichtsvollzieher) womöglich noch auf die Idee mir das Dingen wieder wegzunehmen.“. „Aber nicht, wenn der nachweislich deiner Tochter gehört und sie ihn dir leihweise zur Verfügung gestellt hat.“, warf jetzt mein Gesprächspartner ein. Nun unterbreitete er den Vorschlag, der drei Wochen später in die Tat umgesetzt worden war. Er erwarb bei einem PC-Händler in seiner Nähe, der auch einen Versandhandel betreibt, ein Schächtelchen mit allen Drum und Dran, plus einen Tintenspritzer und einem Flachbettscanner, auf den Namen Christina Heuer und bezahlte diesen vor Ort in Bar. Wenn dieser bei Tina eintreffe solle sie die, auf ihren Namen lautenden Lieferpapiere kopieren, eine Bestätigung für Jedermann das Alles ihr unveräußerliches Eigentum sei unterschreiben und mir dann alles aushändigen. Sorry, das hört sich so an, als habe sich Michael diese „Hinterhältigkeiten“ einfallen lassen und mir vorgeschlagen. Damit würde ich ihm jetzt ein Wenig Unrecht antun, denn er schlug lediglich vor, das Ding auf Tinas Namen zu kaufen, die Gerichtsvollzieheraustrickserei kam von mir, dem zahlungsunlustigen Lebemann. Seit dem 28. Februar 2001, es war in diesem Jahr der Aschermittwoch, steht mein Superkistchen in dem kombinierten Büro und Besucherzimmer unserer Küsterwohnung. Ich habe mich dann erst einmal mäuschenpixelklickender Weise in die Windows genannte Klicki-Bunti-Welt „eingespielt“. Mein Kommentar: „Na ja, ganz schön aber bei Weitem nicht so umwerfend revolutionär wie die Freakies und Yuppies weltentrückt behaupten. Ich bleibe mal lieber auf den Teppich und überlasse die Jubelarien den Anderen“. Am Abend darauf, Katha war zwar im Hause, aber offiziell beim Frauenkreis, nahm ich mir dann das Textverarbeitungsprogramm „Word 2000“ zur Brust. Da ich nicht „Alle meine Enten“ vorwärts und rückwärts schreiben wollte, tipperte ich die Überschrift „Gestatten mein Name ist Schröder“. Jetzt weiß jeder, der mir von Anfang bis hierher gefolgt ist, dass ich am 1. März 2001 den Grundstein zu meinem Buch „Und das soll Leben sein“ legte. Heute ist wieder ein Donnerstag, es ist der 27. September dieses Jahres 2001. Auch heute ist Katharina wieder zu ihrem Frauenkreis und auch jetzt sitze ich wieder vor meinem PC-chen, den ich als Dank für die Ablehnung von Mariannes Erbe erhalten habe, und weiß jetzt nicht, ob behaupt jemand diese Zeilen zu lesen bekommt. Vieles in diesem Buch ist doch zu intim, viel zu indiskret ... Nee, so etwas kann man nicht veröffentlichen. Damit würde ich doch meine von mir über alles geliebten „Mädchen“, meine Frau Katharina und meine Tochter Christina, zu sehr bloß stellen. Andererseits würde ich das machen, was ich so sehr verabscheue: Ich würde alles Geschehene aufkochen und einer voyaristischen Meute vorwerfen, das heißt in Folge selbst wieder am Leben vorbei existieren. Aber, liebe Katha, du wirst wohl die Einzigste sein die diese Zeilen jemals zu lesen bekommt, ganz umsonst war diese Schreibe nun wirklich nicht. Es ist mein Bekenntnis zum wahren Leben, mein Bekenntnis meiner Liebe zu Dir. Es ist das Bekenntnis zu meinem Glauben, mein Bekenntnis zu Gott. Vieles ist mir während dieser Niederschrift klar geworden. Insbesondere bin ich jetzt davon überzeugt, den Unterschied zwischen einer humanoiden Existenz und dem menschlichem Leben zu kennen. Irgendwo und irgendwie ahnte ich ja immer schon, das Ruhm, Reichtum, Macht und Erfolg nichts mit dem wahren Leben zu tun haben, jetzt weiß ich es ganz gewiss. Dieses ist mir bei meiner Niederschrift und dem Nachdenken darüber was ich da schreibe zur Überzeugung gewachsen. Du weißt, das ich kein Nihilist bin und nirgendwo bestreite, das wirtschaftliches und politische Handeln, sprich die Organisation unseres menschlichen Zusammenlebens, unerlässlich sind, aber ich habe inzwischen erkannt, dass, wenn ich dieses nur notwendige Handeln zum Selbstzweck erhebe und dieser Sache dann den Menschen unterordne, der Welt die Lebensqualität, die absoluten Werte, raube. Jetzt weiß ich, - diese Überlegung ist mir bei meiner Niederschrift gekommen - dass alles das, was uns die Medien Tag für Tag an politischer und wirtschaftlicher Propaganda einsuggerieren wollen, nichts mit Zukunft zu schaffen hat. Denn was nützt all der Wohlstand, wenn er nicht dem Menschen dient? Zukunft ergibt für uns nur einen Sinn wenn sie direkt auf die Fortentwicklung und den Bestand menschlichen Lebens ausgerichtet ist. Wenn Einzelne häufeln, haben dieses nichts davon, denn unter dem Tauschmittelhaufen vergraben sie ihr eigene Leben, so wie zum Beispiel auch dieser Herr Klettner. Und andere Menschen haben erst recht nichts von den dicken Haufen auf den Konten biologischer, entmenschlichter Computer. Diesen Sommer habe ich mal in unserer Tageszeitung gelesen, das Oskar Lafontaine gesagt haben soll, das Wohlstand wie Mist wäre. Wenn alles auf einem Haufen läge dann würde er stinken und weit verteilt würde er aber reichlich Ernte bringen. Ich sage dazu: Recht hat er. Wer Geld und Vermögen häufelt baut emsig am Turm zu Babel. Schon aus statischen Gründen, das heißt, aus der Not derjenigen, die deshalb nicht ausreichend zum Leben haben oder nur aus purem Sozialneid derjenigen, denen auch nach so viel begierdet, wird dieser Turm ins Wanken kommen und über kurz oder lang einstürzen. Danach wird nichts mehr mit der Zaubersache „Globalisierung“ sein, dann versucht sich jeder nach der Devise „klein aber mein“ vor dem anderen abzuschotten, das heißt: regulieren und nochmals regulieren. Der Turmbau zu Babel ist keine Geschichte von etwas was einmal zu alttestamentlichen Zeiten war, sondern es ist eine Prophetie auf ein Ereignis, was wohl in nicht all zu ferner Zeit eintreten wird. Aber liebe Katha, lass mich jetzt bei den letzten noch zu schreibenden Zeilen so verfahren, wie ich es bis eben gemacht habe: Lass mich so weiter schreiben, als sei alles für eine breite, fremde Leserschaft geschrieben. Das hängt ganz einfach damit zusammen, dass ich irgendwo die fixe Vorstellung habe, ordnungsgemäß abschließen zu wollen. Ich will noch alle Punkte, für die sich fremde Dritte, die erst durch mein Buch von diesen Ereignissen erfahren haben, noch interessieren könnten, mit dem letzten Stand des Wissens niederschreiben will. Und welche Form der Erzählung sollte
ich Dir gegenüber, die ja alles selber weiß, sonst wählen? Ich kann ja nicht einen jeden Absatz mit „Wie Du ja selber weißt, ...“ beginnen. Also jetzt zum Abschluss, zu dem was aus Big Klettner und den sonstigen Typen aus dem anderen, uns mittlerweile so fremden Leben geworden ist. Der Erste der hinter Schloss und Riegel saß hieß Rainer Goldmann. Im Großen und Ganzen habe ich ja geschrieben was es an berichtenswerten, uns betreffenden Angelegenheiten in Verbindung mit ihm gab. Nur von seinem Prozess im letzten Herbst, bei denen sowohl Katha wie auch Tina als Zeugen „antanzen“ mussten habe ich nicht berichtet. Warum auch, auf unser Leben hatte dieses so gut wie keine Auswirkungen und ist daher für diese Geschichte mehr oder weniger belanglos. Rainer Goldmann wurde zu 12 Jahren „Staatspensionsaufenthalt„ verurteilt. Aber in diesem Zusammenhang muss ich leider juristisch bewanderte Leser ein Wenig enttäuschen: die Urteilsbegründung habe ich mir nicht zu Gemüte geführt. Jetzt kann man vielleicht noch fragen, ob jemand von uns Angst vor einer eventuellen Rache, die nach seiner Entlassung oder bei einem eventuellen Ausbruch erfolgen könnte, hat. Wieso eigentlich? Tina hat zwar damals auf fragwürdige aber durchaus nachvollziehbarer Weise den Stein ins Rollen gebracht aber zu den Dingen, die zu seiner Verurteilung führten, konnte und hat sie nichts beigetragen können. Genauso viel oder so wenig wie Katha, die zwar mal seine „Geliebte“ war aber außer dem Zusammentreffen mit Hendrik van Impe nichts aus dem Leben und von dem Tun des „Knaben“ hat berichten können. Dahingehend sehe ich absolut keine dunklen Wolken auf uns zukommen; in unseren alltäglichen Gedanken ist der Name Rainer Goldmann inzwischen fast ausradiert. Der Zweite der hinter Gitter kam war Sascha Schulte, der doch auch künftig noch diverse Auftritte in Christinas Alpträumen haben dürfte. Aber zum Glück, und dafür sind wir unserem Gott zu viel Dank verpflichtet, hat unsere Tochter die Angelegenheit fast wie ein Wunder so gut wie vollständig auf- und verarbeiten können. Dieser Bursche wurde schon Ende März 2000 von Spanien nach Deutschland ausgeliefert – oder heißt das richtig überstellt; ist aber eigentlich auch egal. Den hat es danach dann schwer getroffen. Im Sommer letzten Jahres stellte man bei ihm einen Gehirntumor fest. Die intensive ärztliche Behandlung konnte sein Leben nicht mehr retten, im Januar 2001 verstarb Sascha Schulte somit eines natürlichen Todes. Auch Volker Berghoff und Hendrik van Impe weilen nicht mehr unter den Lebenden. Sie waren in Argentinien, wo ihnen zunächst der Prozess gemacht werden sollte, inhaftiert. Ihnen war es gelungen einen Aufseher als Geisel zu nehmen und ein Fluchtfahrzeug zu erpressen. Bei der wilden Flucht vor der, sie verfolgenden Polizei sind sie auf einer schlecht gesicherten Brücke von der Fahrbahn abgekommen und in eine Schlucht gestürzt. Van Impe und die Geisel waren sofort tot und Berghoff verstarb drei Wochen später an seinen schweren Verletzungen. Es scheint so, als kämen in meiner Geschichte jetzt mehr Tote als im wildesten Actionkrimi vor, denn ich habe noch jemanden, der nicht mehr unter den Lebenden weilt, zu vermelden. Unsere negative Hauptperson Hannsfrieder Klettner ist auch vor wenigen Tagen aus dem Leben geschieden. In diesem Zusammenhang fragt momentan nicht nur die Boulevardpresse ob die Ermittlungsbehörden versagt haben. Hinsichtlich ihrer Wirtschaftsstraftaten befanden sich Klettner und Mühlheims immer noch gegen hohe Kaution auf freien Fuß und was die Maffiastory anbelangte hatten die Ermittler zu wenig oder gar nichts in der Hand um damit etwas vor Santa Justitia gegen die Beiden auszurichten. Da wäre es wichtig gewesen an die „Typen“ in Argentinien heranzukommen. Da diese aber nicht mehr unter den Lebenden weilten und die argentinischen Behörden im Interesse ihrer eigenen Angelegenheiten zuvor nichts zur Aufklärung der deutschen Geschichte unternommen hatten, hätte den deutschen Bestraffungsfanatikern diesbezüglich nur noch der Zufall helfen können. Lediglich Korruption gesellte sich noch zu den nachgewiesen Dingen wie Steuerhinterziehung, Bilanzfälschung, Gewinnverschiebung, Untreue und so weiter. Vor einem Monat, also Ende August 2001, gelang es dem Ehepaar Mühlheims von der Bildfläche zu verschwinden, das heißt, sich an einen unbekannten Ort abzusetzen. Natürlich eine Riesenschlappe für die Ermittler, dass so ein dicker Fisch praktisch vor ihren Augen abtauchen konnte. Aber nicht genug damit: Mühlheims hatte die Zeit genutzt um riesige Geldbeträge ins Ausland zu verschieben, dort zu „waschen“ und dann, aus derzeitiger Sicht, auf Nimmerwiedersehen verschwinden zu lassen. Im ersten Augenblick wurde vermutet auch Klettner sei auf und davon. Aber zwei Tage, nach dem man das Verschwinden der „Schlimmlinge“ festgestellt hatte, wurde Klettner in der Badewanne eines Hotels in Thüringen gefunden. Mit einer Verlängerungsschnur hatte er – oder vielleicht auch jemand anders – fließenden Strom in das Badewasser, in das er sich legte oder bereits lag, geleitet. Das Ganze klingt so ähnlich wie ein prominenter Fall, der sich vor Jahren in Genf ereignete. Doch bei näheren Hinsehen ist hier doch einiges ganz anders. Klettner lag nackt in der Wanne und das Wasser soll den Eindruck erweckt haben, als sei schon ein großer Teil der Körperwäsche erledigt gewesen. Die Verlängerungsschnur soll nach zugeworfen ausgesehen haben. Also deutet dieses mit großer Wahrscheinlichkeit auf einen Mord hin. Aber es gibt keinen Hinweis auf irgendeinen möglichen Täter. Nur Mühlheims kann es nicht gewesen sein, denn der hatte nach Erkenntnissen der Kripo zum Todeszeitpunkt nachweislich Deutschland schon längst verlassen. Es handelt sich also um eine mysteriöse Angelegenheit aus der man einen tollen Krimi entwickeln könnte. Mit unserer Geschichte, also der der Familie Schröder, hat das aber nichts zutun und deshalb belassen wir es jetzt hier einfach dabei.
Was zum jetzigen Zeitpunkt feststeht ist die Tatsache, dass es nach dem derzeitigen Stand keinerlei Verfahren geben wird, bei denen ein Mitglied meiner Familie von Bedeutung sein könnte beziehungsweise zu dem wir irgendetwas beitragen könnten. Vielleicht kriegt man eines Tages Mühlheims, aber welche Bedeutung sollte dieses für Katha, Tina oder mich haben? In unser Leben ist endlich wieder Ruhe und Frieden eingekehrt und wir werden alles daran setzen, dass es auch dabei bleibt. Jetzt könnte man resümieren, das Gottes Mühlen Gerechtigkeit gemahlen hätten. Dem Gedanken möchte ich aber energisch wiedersprechen. Wir können den Allmächtigen nicht soweit erniedrigen, dass wir ihn als Schiedsrichter für unseren irdischen Kleinkram bemühen. Alles was passierte geschah ausschließlich aus menschlichen Handeln und wurde aus menschlichen Wirren und Willen geboren. Nur mit unserer Denkweise bestimmten wir wohin der Zug fuhr. Grundsätzlich, wenn wir materialisch auf irdische Güter und weltlichen Existenzialismus schauten, wurden unsere Gedanken finster und wir handelten wider dem, was wir heute unter Leben verstehen. Im Gegensatz dazu war es immer dann, wenn uns der Andere, wahre Freundschaft und echte Liebe wichtiger wie Geld, Konsum und Befriedigung von irdischen Wünschen, Gelüsten und Trieben waren, hell in unserem Inneren. Dann empfanden wir tatsächlich Glück und Freude, dann war es das, was wir in unseren Sehnsüchten erwartet haben. Reichtum macht süchtig auf mehr und damit unzufrieden. Ruhm bringt uns auf höchste Gipfel, auf denen wir letztlich dann einsam stehen – alle Menschen sind unter uns und können uns nicht mehr erreichen. Macht zwingt uns zum Kampf diese zu erhalten und macht auf Dauer unsere Gefühle kalt und herzlos – Mächtige werden gefürchtet aber nie geachtet. Und was bedeutet das, wenn eines Tages die Lebensuhr abläuft und wir die meiste Zeit unserer biologischen Existenz unzufrieden, einsam und gefürchtet verbracht haben? Wir haben dann das größte Geschenk Gottes, das Leben, achtlos vergeudet und Sakramente hin und Sakramente her, eine tote Seele wird auch nach dem irdischen Tod nicht mehr zum Leben erweckt. Jetzt, im Moment haben wir den 27. September 2001 und es ist kurz nach 22:00 Uhr. Noch ist Katharina, die Frau, die nicht nur mein Leben bedeutet sondern die auch mein Leben darstellt, unten im Gemeindesaal bei ihrem Frauenkreis. Es kann sich nur noch um ein paar Minuten handeln, bis sie hier wieder bei ihrem Petrus, der sich aus einem Pepe entwickelt hat, auftaucht. Der heutige Abend soll der letzte sein, an dem ich mich mit dem Drama, aus dem ich meine jetzige Lebenslehre gezogen habe, beschäftige – ab sofort wird nur noch gelebt. Sicherlich wird es in Zukunft noch diesen oder jenen Nackenschlag geben, so etwas ist einfach unvermeidbar, aber umwerfen kann uns wahrscheinlich nichts mehr, denn wir haben gelernt; sehr viel gelernt. So, jetzt gehe ich noch mit der Maus auf das Diskettensymbol um diese Datei abzuspeichern und danach gilt für das gesamte „Werk“ endgültig: Schluss, Aus und Finito. --- ENDE ---