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Kösel
ISBN 3-466-36563-5 © 2001 by Kösel-Verlag GmbH &Co., München Printed in Germany. Alle Rechte vorbehalten Druck und Bindung: Pustet, Regensburg Umschlag: Kaselow Design, München Umschlagmotiv: Mauritius/Age l 2 3 4 5 • 05 04 03 02 01 Gedruckt auf umweltfreundlich hergestelltem Werkdruckpapier (säurefrei und chlorfrei gebleicht)
Inhalt
Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . l
Drei Anfragen: Mensch - Tier Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.1 Was haben Christen mit Tieren zu tun? . . . . . . .
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22
1.1.1 Märtyrer: Wilde Bestien und fromme Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22
1.1.2 Die Tierschutzbewegung . . . . . . . . . . . . . . . .
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1.1.3 Ein Wort zur Menschentheologie . . . . . . . . .
33
1.2 Ist Gott Vegetarier? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
l .2. l Rezepte aus der Bibel »Vorsicht: Fundamentalismus!« . . . . . . . . . .
42
1.2.2 Was steht in der Bibel? . . . . . . . . . . . . . . . . .
44
1.2.3 War Jesus Vegetarier? . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52
1.2.4 Haben Tiere eine Seele?. . . . . . . . . . . . . . . . .
55
1.2.5 Was ist mit den Tieropfern in der Bibel? . . .
63
1.2.6 Ist das Friedensreich nur eine fromme Utopie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68
1.3 Können es andere besser? . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1.3.1 Der lateinisch sprechende Hund. Eine Erzählung aus den Anden . . . . . . . . . . .
72
1.3.2 Heilige Kühe und heilige Affen . . . . . . . . . .
79
1.3.3 Ein »heißes Eisen«: Das Tier im Judentum . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
1.3.4 Zivilisationsprobleme: Muslime in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . .
96
2 Auf der Suche nach christlicher Spiritualität
101
2.1 Erinnerung an ein christliches Modell: Heilige und Tiere .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
102
2.1.1 Einige alternative Heiligengeschichten .. . . .
105
2.1.2 Einige Regeln im Umgang mit Heiligenlegenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
111
2.1.3 Heilige und Tiere - Eine spirituelle Zoologie
121
2.2 Eine veränderte Spiritualität .. . . . . . . . . . . . . . . .
134
2.2.1 Sind wir ein Teil der Erde? . . . . . . . . . . . . . .
134
2.2.2 Kommunikation mit Wesen . . . . . . . . . . . . . .
138
2.2.3 Was Spiritualität bedeuten könnte .. . . . . . . .
154
2.3 Tiere in die Kirche Einige praktische Veränderungen . . . . . . . . . . . .
165
2.3.1 Der Hund neben der Kanzel .. . . . . . . . . . . . .
165
2.3.2 Tiergottesdienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
173
2.3.3 Tier-Liturgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
180
2.3.4 Tod, Trauer, Abschied - auch vom Tier . . . .
185
2.3.5 Eine Kirche für Menschen und Tiere . . . . . .
193
2.3.6 Rezepte für Gemeindefeste ohne Totschlag. .
200
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
210
Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
214
Einleitung Vor einiger Zeit beschäftigte sich eine Radiosendung mit der Frage, ob Männer weinen dürfen, ob es gesellschaftlich erlaubt ist, wenn Männer Schwäche zeigen. Es wurden Beispiele genannt, die deutlich machen, dass diese Frage nicht so eindeutig zu beantworten ist: Einem Gouverneur in den Vereinigten Staaten kostete sein Weinen in den späten Siebzigerjahren die politische Karriere, während es bei dem amerikanischen Präsidenten Bill Clinton durchaus als Zeichen von Stärke gedeutet wurde. Ich fand die Frage interessant, denn dahinter verbirgt sich ein starker gesellschaftlicher Bewusstseinswandel, der nur vordergründig mit dem Hinweis auf Veränderungen in der Rollensituation erklärt werden kann. In den westlichen Gesellschaften hat sich seit den Siebzigerjahren sehr viel in Bewegung gesetzt, das sich nach außen in veränderten Verhaltensweisen zeigt. All das lässt sich aber nur schwer auf einen Punkt bringen. In der Euphorie der späten Siebzigerjahre sprach man vom beginnenden Zeitalter des Wassermanns: »Love and Peace and Understanding« (aus dem Musical: »Hair«). Heute sollten wir mit Etiketten und Begrifflichkeiten vorsichtiger sein. 9
Diese Vorsicht sollte aber nicht den Blick trüben für die Realität und die Radikalität der Veränderungen. Einem bisher wenig beachteten Moment dieses Bewusstseinsprozesses geht dieses Buch nach, nämlich dem der Veränderung der Einstellung des Menschen zu den nicht-menschlichen Wesen. Ausdruck dieses Beziehungswandels ist der enorme Aufwand und die innere Betroffenheit, mit der Menschen sich im Tierschutz engagieren. Dem Argument der Straße, dass diese Menschen »komisch« seien oder sich stattdessen lieber für den Menschenschutz einsetzen sollten, muss mit dem evangelischen Theologen Karl Barth entgegengehalten werden: »Es ist wohl kein Zufall, dass die Stimmen, die sich in dieser Richtung vernehmen lassen, in der Regel etwas Bizarres, ja Wildes an sich haben: Es wird damit zusammenhängen, dass wir uns an der Grenze des Sagbaren und Tubaren befinden.«1 Im Verhältnis der Wesen zueinander zeigt sich etwas von dem letzten Geheimnis, vor dem alle Geschaffenen stehen. Es ist wichtig, diesen Veränderungen nachzuspüren, denn sie geben uns wichtige Hinweise auf den Weg zum Geheimnis des Lebens. Gerade heute, nach der Neuentdeckung von Natur und der Verantwortung des Menschen für Luft, Wasser und Erde gehen viele Menschen verstärkt auf die nicht-menschlichen Lebewesen zu. Dass dies ein spiritueller und geistgeleiteter Vorgang ist, versucht dieses Buch zu skizzieren. Nun gibt es viele Bücher über Tiere und Menschen. Es gibt auch imposante theologische und ethische Deutungen des Mensch-Tier-Verhältnisses - oft in Vergessenheit geraten, wie zum Beispiel das Werk Albert Schweizers. Auch andere spirituelle Autorinnen und Autoren haben sich dazu geäußert: Joseph Bernhart, Erich Grässer, Gotthard Teutsch, Eugen Drewermann, Günter Altner. Es fällt auf, dass ihr Anliegen gerade in der Theologie und in den Kirchen nicht ernst genommen wurde, weil eine Blickverengung die theologische Reflexion stumpf und dumpf gemacht hatte. Und diese Blickverengung, eine Art von geistigem 10
»grauen Star« dauert noch an. Diese Engführung des Blicks umfasst vieles: die Nichtbeachtung der Lebewesen in den Kirchen, die Bedenken- und Geistlosigkeit, mit der Theologie auf den Menschen, und zwar noch dazu in ihrer europäischen Spielart, ausgerichtet wird. Erst allmählich weitet sich der Blick und man beginnt zaghaft zu erkennen, dass Schöpfung und Erlösung viel universaler aufzufassen sind. Eine Folge solch reduzierter Theologie ist die große Blindheit gegenüber den gegenwärtigen spirituellen Erfahrungen vieler Menschen. Dabei betreffen »spirituelle Erfahrungen« nicht notwendig das Außeralltägliche, Besondere, »Mystische«. Mindestens ebenso bedeutsam wie religiöse Spitzenerfahrungen sind Erfahrungen von Veränderungen, die sich vollziehen, wenn Menschen entdecken, dass sie in einem universalen Zusammenhang mit allem Geschaffenen stehen und wenn sie fragen, was diese Erkenntnis für das alltägliche Leben bedeutet. Diesen Menschen ist dieses Buch gewidmet. Es fragt nach Veränderungen im Umgang mit Lebewesen und nach Möglichkeiten eines reiferen und freieren Verhältnisses auf der Basis christlicher Überzeugungen. Es will auch ein klein wenig die trösten, die sich seit Jahren und Jahrzehnten dafür einsetzen, dass Tiere in den Kirchen und in der Theologie vorkommen. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Ich habe persönlich sehr oft mit Menschen zu tun gehabt, die nicht verstehen konnten, warum Kirchenleute, Theologinnen und Theologen sich nicht um unsere Mitgeschwister kümmern, warum diejenigen, die sich dafür einsetzen, sozusagen an der Pforte des Pfarrhauses für ihr Engagement verlacht werden. Eine Dame berichtete mir vor einiger Zeit folgende symptomatische Szene: An einem Stand auf dem Kirchentag in Hamburg sei sie mit einer protestantischen Bischöfin ins Gespräch gekommen. Es sei dann auch um Tiere gegangen. Woraufhin die Bischöfin das Gespräch mit dem spöttischen Hinweis abgebrochen habe, dass sie nicht sicher sei, ob Tiere eine Seele hätten. Sowohl der Spott als auch die Sachaussage haben der Dame keine Ruhe gelas11
sen. Sie schrieb der Bischöfin nach dem Kirchentag einen langen Brief. Woraufhin sie eine sehr knapp gehaltene Antwort erhielt mit dem Kernsatz: »Die Bischöfin überlege derzeit, ob man Tieren eine Seele zusprechen könne und ob dies im Einklang mit der christlichen Theologie stehe.« Jeder, der Kontakt mit Tieren hat, braucht die Antwort der Bischöfin nicht mehr. Er oder sie weiß, dass Tiere eine Seele haben, und weiß auch um die entsetzlichen Grausamkeiten, die daraus entstanden sind, dass man Gottes Geschöpfen die Seele abgesprochen hat. Ein veränderter Umgang mit Lebewesen bildet den Ausgangspunkt für eine neue spirituelle Offenheit. In ihm zeigt sich eine neue Form von Spiritualität. Wer mit Wesen umgeht, ist dem unverbindlichen Gerede über »Schöpfung«, »Schöpfungsverantwortung« usw. entzogen. Er oder sie wendet den Blick weg von einem abstrakten Naturbegriff, diesem typischen Produkt unserer abendländischen Mentalitätsgeschichte und öffnet die Augen für das jeweilige individuelle Wesen mit seinen subjekthaften Eigenschaften: einen Willen zum Leben, der sich nicht von unserem Lebenswillen unterscheidet, seine Individualität, seine Seele, die mit allen geschaffenen Seelen in Verbindung steht. Diese Spiritualität legt Weltflucht, die Wegwendung von allem Geschaffenen, Irdischen, Fleischlichen ab. Viele theologische Darstellungen von Spiritualität in den letzten Jahrhunderten durchzieht diese Gleichsetzung von Welt und Sünde, von der man sich eben abwenden müsse. Auch neuere Äußerungen kirchlicher Vertreter sind nicht frei von einer zumindest missverständlichen Auffassung von Schöpfung. Diese alte Spiritualität möchte die Welt überwinden. Leiden wird zum Ausweis der Richtigkeit; Opfer bis hin zur Aufopferung des eigenen Selbst stellen den Königsweg zu Gott dar. Spiritualität steht in einem deutlichen Gegenüber zu Welt und Erdhaftigkeit. Eine solche spirituelle Ausrichtung stellt eine Vereinseitigung christlicher Spiritualität dar und führt zu einer weltlosen, ausgebluteten Geistigkeit. 12
Der Weg zu Gott führt aber über das Geschaffene. Nicht umsonst wissen alle großen Gestalten und Zeugen des Glaubens darum, dass die ewige Wahrheit Gottes in den Geschöpfen liegt. Zum Geschaffenen gehört unser Leib - genauso wie Tiere. Es war schwierig, in der christlichen Tradition mit dieser Tatsache umzugehen. Aus Mitgeschöpfen wurden im Laufe der Zeit reißende Bestien, aus der Sonderstellung des Menschen als Statthalter Gottes wurde ein umfassender Herrschaftsanspruch des Menschen, aus von Gott geschaffenen Wesen wurden bloße Körper und Maschinen. Die Tiere verschwanden aus dem Bereich der Spiritualität genauso wie die Sensibilität für den anderen Menschen und für sich selbst. Aus dem realen Menschen wurde ein leibloses Wesen, das dann (natürlich) auch keine Verbindungen zu anderen Wesen aus Fleisch hat. Das Fleisch musste bekämpft werden. Es war schlecht. Man stellte sich vor, dass Gott Armut, Kreuzigungen, Demütigungen, Leiden, Opfer liebt, kurzum alles, was uns vom wirklichen Leben abschneidet. Es wäre interessant, dieser Frage genauer nachzugehen, denn immerhin besteht die zentrale christliche Gottesvorstellung darin, dass Gott in Jesus Christus Fleisch wird, lateinisch: »incarnatio« (Inkarnation)2. Tiere als Mitwesen anzusehen, Beziehungen mit ihnen einzugehen hält uns eine Tür zur neuen Spiritualität offen - zur Verbindung mit allen Wesen. Eine neue Inkarnation ist, wenn sich der Mensch in dieser Verbindung erfährt, sie fühlt, sich intuitiv diesen Kommunikationen und Interaktionen öffnet. Diese neue Sicht stellt nicht zuletzt eine Heiligung der Welt und des Alltäglichen dar. Spiritualität ist dann kein Fliehen von der Welt, sondern ein Gegenwärtigsein in der Welt. Zu diesem Gegenwärtigsein in der Welt gehört aber vor allem das Bewusstsein der vielen Beziehungen zu allen Wesen, die es noch zu entdecken und entwickeln gilt. Wir stehen hier erst am Anfang einer neuen Geschichte des Miteinanders aller Lebewesen. 13
Der heilige Bonaventura, einer der Großen in der westlichen Tradition, hat diese Haltung so umschrieben: »Die Wesen der sinnlichen Welt bezeichnen die unsichtbaren Attribute Gottes, weil Gott der Ursprung, das Urbild und das Ziel jedes Geschöpfs ist, jede Wirkung so Zeichen dieser Herkunft ist, ein Abbild des Urbilds und der Weg zum Ziel... jedes Geschöpf ist durch seine Art Bildnis und Gestalt der ewigen Weisheit. Öffnet darum die Augen, macht die Ohren eures Geistes wachsam, öffnet eure Lippen und bereitet euer Herz, um in allen Geschöpfen euren Gott zu sehen, zu hören, zu preisen, zu lieben, zu verehren und zu verherrlichen...«3 Diese Spiritualität nimmt ernst, was sie fühlt, dass nämlich in allem Geschaffenen etwas von der ewigen Herrlichkeit Gottes aufleuchtet und dass wir Menschen diese Erfahrung zurückweisen. Die Veränderung in der Haltung setzt voraus, dass der angerufene Mensch bereit ist, mit anderen Wesen in Kontakt zu treten, mit ihnen eine Beziehung einzugehen. Was bedeutet es, eine Beziehung zu haben? Beziehungen können vieles sein. Es gibt aber zwei grundsätzlich unterschiedliche Arten, wie sich Wesen aufeinander beziehen: im Sinne eines Objekts und im Sinne eines Subjekts. Ein Objekt ist letztlich etwas, das dem Zugriff des Subjektes ausgeliefert, unterworfen ist. Das Objekt wird behandelt. Wie in einem Satz unserer eigenen Sprache ist immer das Subjekt das eigentlich Entscheidende. Was geschieht, wenn wir Menschen gegenübertreten? Nach der Kindheit werden andere Menschen zunehmend zu Objekten des eigenen Selbst. Um in einer Gesellschaft voranzukommen, muss das Subjekt über die Fähigkeit verfügen, andere Menschen für seine Bedürfnisse einzusetzen. Wir nennen dies auch Manipulation. Wenn wir darüber nachdenken, stellen wir fest, dass in einem solchen Umgang mit anderen Menschen etwas nicht richtig läuft, uns vielleicht etwas stört. Jeder Mensch trägt ein inneres Bild in sich, das jenseits dieser Subjekt-Objekt-Beziehung liegt. Man könnte dieses Jenseitige »Liebe« nennen. Es stellt sich selten 14
ein, verschwindet manchmal fast. In seinem Kern besteht es darin, dass ich erkenne, dass mir ein anderes Ich mit denselben Interessen, Ansprüchen, Rechten gegenübersteht. Erst diese Erkenntnis erlaubt mir, mit einem anderen wirklich zu sprechen. In jedem Sprechen setze ich voraus, dass die Welt, die der andere ist, ähnlich aufgebaut ist wie meine, dass wir mit bestimmten Ausdrücken unserer Sprache etwas Ähnliches meinen: das Auto da vorn, jenes Buch usw. In einem solchen Verhältnis wird jeder mehr; denn dem jeweils anderen wird ein größerer Raum geschaffen, in den hinein er sich entwickeln kann. Ein äußeres Zeichen für eine Beziehung ist der Name. Wer vom anderen den Namen weiß, ist in eine Beziehung zu einem Subjekt eingetreten. Es gab über den weitaus längsten Teil der menschlichen Entwicklungsgeschichte eine solche Art von Beziehung zum nicht-menschlichen Leben, wie viele Jägergesellschaften zeigen: Menschen fühlen sich anderen Wesen verbunden und zwar ähnlich wie sie mit anderen Menschen verbunden sind. Deshalb bedarf es komplizierter Rituale, um zum Beispiel die Seele des getöteten Bären zu besänftigen. Der Bison wird vorher um Entschuldigung gebeten, dass er getötet wird. Ihm wird versprochen, dass alle seine Teile dafür verwendet werden, um das Überleben des Clans zu sichern. Auch mit dem bedrohenden Tier wird gesprochen. Die Wölfe werden gebeten, vom Dorf wegzubleiben. Der Mensch ahnt intuitiv, dass er mit anderen Wesen Bestandteil eines größeren Gesamtzusammenhanges ist. Diese Beziehung veränderte sich zunehmend, wenngleich in langen Wellen, als Tiere domestiziert wurden: der Hund vor etwa 14.000 Jahren, die Rinder und Pferde. Vor allem die Tiere, die zum festen Bestand in der Nahrung wurden, waren davon besonders betroffen: Schweine, Ziegen, Schafe, später auch Rinder. Eine vollständige Trennung domestizierter Tiere und wilder Tiere wurde erst in der modernen Intensivtierhaltung erreicht. - Doch: Noch immer werden Rentiere im nördlichen Europa durch Salz zum Menschen zurückgelockt, ähnlich wie das wilde Rind bei den 15
indischen Ureinwohnern. Durch den täglichen Kontakt über einen längeren Zeitraum hinweg gibt es während dieser Zeiten zwar noch die Beziehung, den Tieren werden Namen gegeben, aber sie werden dennoch immer mehr zu Objekten, wenngleich in einem fragilen Gleichgewicht, das in seinen letzten Resten eine Ahnung der verloren gegangenen Verbindung erahnen lässt: »Der Schnee knirschte, die tonnige Jolanthe erschien, leicht schwankend... Großvater führte mit beruhigendem Rezitativ und mit streichelnder Hand; eine hofeigene Prozession mythischen Schweinseins; ein ganzes lebendes Schwein erfüllte mit seinem Sein noch einmal gebieterisch den Raum... Das Messer stach zu. Das Blut sprudelte aus der geöffneten Kreatur und rauchte, sobald der Frost es streifte. Todesschreie gellten in die winterweiße Morgenstarre des Dorfes hinein. Jeder hörte, was geschah. Plötzlich wurde das Schwarz der sich plusternden Krähen auf bedrohliche Weise im Geäst roher Reifbäume sichtbar. Jeder hütete sich, das verendende Wesen zu bedauern, hieße das doch, wie Großvater sagte, den baldigen eigenen harten Tod heraufzubeschwören. Er und der Schlachter prosteten sich mit dem ersten Köm zu, dem Ehrenschluck. Der Scharfrichter murmelte dabei, als er das Glas absetzte, in Richtung seines Opfers: >Dat is as dat is, wat mutt dat mutt!<«4 Mit der Intensivierung der Tierhaltung im 19. Jahrhundert änderte sich diese Situation; das vorläufige traurige Ende dieser »Zivilisation« haben wir mit der gegenwärtigen »Tierproduktion« vor uns. Hinzu kam die immer stärkere Verstädterung in Europa bei gleichzeitiger Verelendung weiter Bevölkerungskreise. Natur wird immer mehr zu einem Fremden, zu einem Anderen. Und die Wesen dieser Welt werden immer mehr zu Objekten, zu Benutzungs- und Schauobjekten. Der Zoo ist eine Geburt des späten 19. Jahrhunderts. Aber es melden sich auch nachdenkliche Stimmen zur Grausamkeit dieses Verhältnisses. Die Stunde des modernen 16
Tierschutzes ist gekommen, zuerst ganz eindeutig im Sinne eines Menschenschutzes: Der Mensch verroht innerlich, wenn er Tiere roh behandelt. Im 20. Jahrhundert setzt sich dann das Bewusstsein immer stärker durch, dass Tiere unveräußerliche Rechte haben, ganz ähnlich der Vorstellung der Menschenrechte. Aber erst seit wenigen Jahren ist ein kleiner Perspektivenwechsel im Gange. Menschen, die sich berufsmäßig mit Tieren beschäftigen, sie erforschen, ihr Verhalten studieren, stellen fest, dass die Beobachtungsgegenstände plötzlich zu eigenen Subjekten werden. Wale, Affen, Vögel, Hunde treten in Kontakt mit Menschen. Sie zeigen einen ausgeprägten Willen und scheinen etwas von dem für sie aufgeschlossenen Menschen zu wollen. Wir wissen nicht genau, was sie wollen, aber auf jeden Fall wollen sie die Beziehung und sie sind in einem hohen Maße bereit, sich auf eine solche Beziehung einzulassen, wenn das fremde zweibeinige Wesen seine aggressive und ängstliche Haltung ablegt. Es ist, denke ich, an der Zeit, Beziehungen einzugehen, und zwar zu allen Wesen. Das hat mit »Tierschutz« zunächst weniger zu tun, denn Tierschutz kann sehr verschiedene Motive haben und stellt nicht immer das einzelne Wesen in den Mittelpunkt. Vor allen Dingen geht es darum, die eigene Beziehungsfähigkeit über das gegenwärtige Stadium des Menschseins hinaus zu entwickeln. »Das missing link zwischen Affe und Mensch sind wir« (Konrad Lorenz). Beziehungen zwischen Wesen bestehen aus Kommunikationen. Das kann wie bei Menschen über Sprachlaute gehen. Es gibt aber sehr viele verschiedene und andere Formen von Kommunikation. Kommunikation ist weit mehr als der Austausch von Signalen. Im Verhältnis zum Tier sind das eigene Gefühl und die Sensibilität für die momentane Stimmungslage die wichtigste Grundlage von Kommunikationen. Wie genau spürt ein Tier diese Emotionen und die innere Seelenlage, von der wir selbst kaum etwas wissen? Ich zum Beispiel habe mir angewöhnt, erst auf unsere Hunde und den Kater (wenn er denn da ist) zu schauen, bevor ich an den Schreibtisch gehe, um 17
etwas für mich Wichtiges aufzuschreiben. Das hat sich über die Jahre hinweg zu einer sehr guten Übung entwickelt und ich akzeptiere, wenn mir die Blicke und das Verhalten der Tiere signalisieren, dass etwas in mir noch nicht so geklärt ist, dass ich es schriftlich fixieren könnte. Diese Beziehungen machen alle reicher, die sich darauf einlassen. Zu jeder Beziehung gehört dann auch der Abschied, gerade bei Wesen, die mit uns sehr nahe zusammenwohnen und in der Regel sehr viel eher sterben. Viele Menschen spüren, dass eine wirklich gelebte Beziehung nicht mit dem Tod »erledigt« ist und sind tief verletzt, wenn dieses Wesen wie Hausmüll entsorgt wird. Tod, Trauer, Abschied gehören ebenso zur Suche nach einer neuen Spiritualität. Die eben skizzierte veränderte Spiritualität fängt mit Suchbewegungen im Alltag an. Es sollen Wege des Umgangs mit Lebewesen geschaffen werden, die der Tatsache, dass sie, wie wir Menschen, von Gott geschaffen wurden, Rechnung tragen. Eine Spiritualität der Mitgeschöpflichkeit kann sich dann auch nicht um die Frage herumdrücken, wie Leid bei anderen Lebewesen vermindert werden kann. Das Tierleid in der gegenwärtigen Situation wird besonders durch den bedenkenlosen Umgang mit Lebensmitteln und den gewaltigen Fleischkonsum der Menschen in den nördlichen Industriegesellschaften ausgelöst. Jedes Gramm Fleisch weniger, das verzehrt wird, führt eine kleine Wegstrecke weiter zu Gott. Ich sage nicht, dass ein Vegetarier darum schon der Erlösung näher sei. So einfach ist die Sache nicht. Es kann sein, dass gerade der auf das Fleisch Verzichtende sich mit der irrtümlichen Annahme trösten will, er sei aus sich selbst heraus besser. Das führt zu einer Selbstüberhöhung und macht letztlich hart. Ich kann mit einer solchen Selbstgerechtigkeit nichts anfangen, und keine der mächtigen Glaubens- und Traditionslinien der Menschheit kann das. Aber es ist unumgänglich, sich Rechenschaft darüber abzulegen, mit welchen Kosten und mit wie viel Leid das Essen, das vor 18
mir steht, belastet ist. In christlichen Kreisen sollte es beispielsweise mittlerweile kein Thema mehr sein, dass man auf einem Gemeindefest klare Zeichen setzt: Müllreduzierung, Trennung der Wertstoffe gehören ebenso dazu wie der Verzicht auf Fleisch aus Intensivtierhaltung und von Tieren, die mit einer hohen Wahrscheinlichkeit vor ihrem Tod noch auf einer der unsäglichen Tiertransporte quer durch Europa gequält wurden. Nach wie vor erschüttert mich die gnadenlose Unbedenklichkeit, mit der Würste auf kirchlichen Gemeindefesten zum selbstverständlichen Essensangebot gehören. Ich sehe vor mir einen Zeitungsartikel aus der Kirchenzeitung des Bistums Hildesheim mit der Überschrift: »Die >Gemeindesau< hilft beim Sparen für die neue Sakristei«. Man hat die Sau Auguste ein Jahr lang gemästet, um sie dann zu schlachten. Der Erlös dieses »Schlachtessens« soll dem Neubau einer Sakristei dienen. Der Artikel lobt die Findigkeit in Zeiten knapper Kassen. Das Bild zeigt im Vordergrund das große Schwein und im Hintergrund vier ältere Männer (der Pfarrer ist darunter). Kein Satz dieses Artikels lässt ein Bewusstsein von der Obszönität dieses Plans auch nur ahnen. Ich weiß nicht, ob diese Sakristei inzwischen gebaut wurde. Ich selbst würde mich nicht gerne an einer solchen mit Blut erkauften Stätte auf die heilige Liturgie vorbereiten. Damit nun aber niemand vor der Verlegenheit steht: »Was können wir denn dann überhaupt noch christlich vertreten?«, habe ich einige Rezepte für Kirchenfeste ohne Mord und Totschlag ans Ende dieses Buches gesetzt. Ich würde mich freuen, wenn möglichst viele Gemeinden das Thema einer in der heutigen Situation vertretbaren Verpflegung auf Gemeindefesten aufgreifen würden. Jede kleinste Diskussion erfüllt hier schon einen Zweck. Ich vertraue darauf, dass sie in jenem Geist geführt wird, der die gesamte Schöpfung heilt und beseelt. Bei aller Nüchternheit in der Wahrnehmung und in der Darstellung kann unser Thema nicht verhandelt werden, ohne Hoffnung spirituell zu stärken. Zeichen dieser Hoffnung sind die vie19
len Lernwege, die Menschen in den letzten Jahren gegangen sind und mir auch mitgeteilt haben. Ich habe lange gebraucht, um zu verstehen und selbst zu lernen, dass die vielen Wege der Beziehungen zu allen Wesen spirituelle Aufbrüche darstellen. Meine Frau Cornelia hat das immer schon gewusst. Sie hat mir das Herz geöffnet für die vielen Gestalten der Liebe, die sich in unserer Umgebung zeigen und sich mitteilen möchten. Auch meine Töchter Anna, Agnes, Nora und Lydia haben ihren gewichtigen Anteil an diesem Lernprozess. Und ich glaube, dass in den vergangenen zwanzig Jahren kein Tag ohne ein zumindest winziges Lernergebnis in Sachen Lebewesen-Spiritualität geblieben ist. Michael Blanke danke ich, dass er mich gegen meinen anfänglichen Widerstand in die theologische und kirchliche Auseinandersetzung um Lebewesen hineingezogen hat. Wesentliche Impulse verdankt dieses Buch auch den vielen Vorarbeiten von Gotthard Teutsch, dem großen Förderer der Tierethik-Diskussion in Deutschland. Auch dem Lektor des Kösel-Verlages, Winfried Nonhoff, sei hier aus ganzem Herzen gedankt. Er hat nicht locker gelassen, bis dieses Buch geschrieben war. Ich wünsche mir Spaß beim Lesen, Kritik und Anregungen und freue mich über die Resonanz-Wellen, die mein Stein des Anstoßes auf der scheinbar ruhigen Oberfläche gegenwärtiger Spiritualität hoffentlich erzeugen wird.
Drei Anfragen: Mensch TierReligion
1.1. Was haben Christen mit Tieren zu tun? 1.1.1 Märtyrer: Wilde Bestien und fromme Menschen Eusebius von Caesarea über Tierhetzen auf Märtyrer »Wir haben die lebendigste Erinnerung an die leuchtenden Blutzeugen in Palästina, auch jene zu Tyrus in Phönizien. Welchen Augenzeugen hätte es nicht erschüttert: diese unzähligen Peitschenhiebe, die Standhaftigkeit dieser wahrhaft bewundernswerten Streiter für den Glauben, der Kampf dieser eben noch Gepeitschten mit menschenfräßigen Bestien, das Losstürzen der Panther, Bären, wilden Eber und Stiere, die man mit Feuer und Eisen hetzte, aber auch die erstaunliche Geduld dieser edlen Tiere. Ich selbst habe solchen Schauspielen angewohnt und die göttliche Macht Jesu Christi, unseres Erlösers, als gegenwärtige in seinen Blutzeugen wirksam gesehen. Denn die gierigen Bestien getrauten sich lange Zeit nicht, die Leiber der Gottgeliebten zu berühren, ja sich nur zu nähern. Sie rannten umgekehrt gegen die andern an, die sie am Rande der Arena her mit ihren Reizungen antrieben, und nur die heiligen Kämpfer, die nackt dastanden und in die Hände klatschten, um die Tiere auf sich zu ziehen (denn so war ihnen befohlen), rührten sie überhaupt nicht an. Und wenn sie wirklich einmal auf sie losgingen, so wichen sie, wie von einer höheren Macht abgeschlagen, wieder zurück. So ging es zum Staunen der Zuschauer geraume Zeit fort, denn wenn das erste Tier seinen Märtyrer nicht angriff, so hetzte man ein zweites und drittes auf ihn. Ergreifend war die unbeugsame Seelenstärke dieser Heiligen und die Heldenkraft, die in den jugendlichen Körpern wohnte. Man sah dort einen jungen Menschen von noch nicht zwanzig Jahren: ohne Fesseln stand er da, mit kreuzförmig ausgestreckten Armen, aus hellem Geiste sprach er langsam sein Gebet zu Gott, 22
ohne sich von der Stelle zu rühren, auf der er stand - und doch schnaubten Bär und Panther Wut und Tod gegen ihn und packten schon sein Fleisch, aber ich weiß nicht, wie durch geheime Gotteskraft sperrte sich ihr Rachen, und sie gingen wieder zurück. Andere von den Fünfen sah man, die einem aufgereizten Stier hingeworfen waren: der aber schleuderte wohl die Anhetzenden mit den Hörnern in die Luft, zerriss sie und ließ Halbtote zurück, die man wegtragen musste, den Heiligen aber vermochte er, auch wenn er wild und drohend auf sie ansetzte, nicht einmal nahe zu kommen, stampfte mit den Füßen, fuhr mit den Hörnern hierhin und dorthin und kehrte sich, durch die Brandeisen hinter ihm rasend geworden, von den Menschen heiligen Sinnes rückwärts nach der Gegenseite, sodass man, weil er den Märtyrern auch nicht das geringste Leid zufügte, andere Tiere auf sie losließ. Schließlich aber wurden sie nach mannigfachen Martern alle mit dem Schwert enthauptet und, statt der Erde eines Grabes, den Wogen des Meeres übergeben. So also war es mit dem Kampfe der jungen Ägypter zu Tyrus, die in Leiden ihre Religion bewiesen.«
Der historische Kern dieser Erzählung ist schwierig zu bestimmen. Und wir wissen auch nicht genau, ob Eusebius (265-339 n. Chr.), der dies alles im damals üblichen Berichtsstil schreibt, tatsächlich bei den Vorgängen anwesend war und sie beobachtet hat. Jedenfalls stellen Kämpfe von Tieren gegen Menschen in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten eine »normale« römische Unterhaltung dar. Sie spiegeln die Ideologie des römischen Reiches, das über alles, zuletzt auch über die Natur siegen kann. Öffentliche Spiele folgen dieser Dramaturgie: Erst kämpft Tier gegen Tier, dann Tier gegen Mensch, danach Mensch gegen Mensch. Mosaike in der Römervilla in Bad Kreuznach aus der Mitte des zweiten Jahrhunderts nach Christus zeigen dies plastisch. Wir müssen uns vor Augen halten, dass der christliche Glaube durch die Entscheidung des Kaisers Konstantin aus einer verfolgten Sekte zu einer Staatsreligion wurde. Dabei änderte sich seine 23
Gestalt ganz wesentlich. Vor allem wird das persönliche Ergriffensein, das Zeugnis, die eigene Gnadenerfahrung, die eigene Spiritualität immer unwichtiger. Bedeutender wird der öffentliche Kultus, der damit den älteren römischen Kaiserkult ablöst. Christliche Religion ist spätestens ab diesem Zeitpunkt nicht mehr von der profanen Geschichte des Abendlands zu trennen. In gewisser Weise ist europäische Geschichte Kirchengeschichte. Erst die französische Revolution trennt diese Verbindung. Christen leben eben nicht außerhalb der Gesellschaft. Diese heute triviale Aussage gilt aber weitaus stärker vor der Neuzeit. Denn da ist die tragende Weltanschauung unlösbar verschmolzen mit einer bestimmten religiösen Ausformung christlichen Gedankengutes. Was davon authentische Glaubensvorstellung sei, welche Teile falsch interpretiert oder zumindest sehr zeitbedingt gesehen wurden, kann an dieser Stelle weitgehend unentschieden bleiben. Es geht hier weder um eine pauschale Schönfärbung eines historischen Vorgangs noch um die weit verbreitete Schwarzmalerei. Aber der Zusammenhang Tiere und Christen verdient doch einige Worte, denn er ist untrennbar eingewoben in die Entstehung 24
der abendländischen Gesellschaften und Kulturen. Die Geschichte der abendländischen Zivilisation lässt sich nach zwei Polen hin ausfalten, deren Nähe häufig übersehen wird. Den einen Pol bildet die Zähmung der äußeren Natur, die immer mehr ihren Schrecken verliert, bis sich das Mensch-Natur-Verhältnis nahezu umkehrt. War es in der Geschichte des Menschengeschlechts eher so, dass das Überleben des Menschen fraglich schien, ist es heute so, dass viele Naturwesen (Tiere und Pflanzen) von der Ausrottung bedroht sind.
Eugen Drewermann, der tödliche Fortschritt ...der (abendländische) Mensch ist mit der äußeren Natur gerade so verfahren, wie er mit sich selbst verfuhr, und es war ein und derselbe Vorgang, das »Tierische«, Triebhafte in der eigenen Psyche auszurotten und in der äußeren Natur alles scheinbar »Wilde« und »Unbeherrschte« zu vernichten. In gewissem Sinne wird man sogar die These wagen können, dass in der Zerstörung der Natur durch die abendländische Technologie nur die innere Verwüstung des abendländischen, christlichen Menschen nach außen verlagert wurde.
Hand in Hand damit ging eine zunehmende »Zivilisierung« des Menschen und seiner inneren Natur. Vielleicht ist es in gewisser Weise ähnlich der Zähmung der äußeren Natur zu sehen, dass diese innere Natur jetzt bedroht ist. Manchmal scheint es zwar so, dass diese Zähmung des Menschen nicht sehr weit gegangen sei, und dass das Tierische, Animalische, Instinkthafte zumindest noch in greifbarer Nähe unseres Selbst ruht. Das Bewusstsein davon oder auch nur die Vermutung einer solchen Nähe ängstigen. Und wie bei jeder Art von krankhafter Angst ist dies umso schlimmer, je weniger wir diese Nähe des Menschen zu seinen Verwandten, den nicht menschlichen Lebewesen, wahrhaben wollen. 25
Der gute Hirt. Mosaik in den Calixtus-Katakomben.
Es gab Zeiten, in denen der religiös sich selbst bewusste Mensch diese innere Nähe zu anderen Wesen als Quelle der Kraft nutzen konnte. Schamanistische Riten kennen diesen Zusammenhang, der in Europa im Volk wohl erst durch die flächige Vernichtung weiser Frauen im Zeitalter der Hexenverfolgungen endgültig aufgelöst wurde. Tiere belehren vor dieser Zeit den Menschen, manchmal sogar über das Wesen der Erlösung, wie in einigen indianischen Mythen. Auch im frühen vorkonstantinischen Christentum ist dieser Zusammenhang greifbar, etwa dort, wo Orpheus, dem nachgesagt wird, mit den Tieren reden zu können, auf Mosaiken, etwa in den Calixtus Katakomben, dem guten Hirten Jesus ähnlich dargestellt wird. Die Zivilisierung des Menschen zerstört diesen Zusammenhang, löst den Menschen aus seiner engen Beziehung zum Tier und dämonisiert es. Es wird zur »reißenden Bestie«, wo die eigentliche Bestie immer wieder nur der Mensch ist. Da das Christentum die bestimmende gesellschaftliche Kraft in Europa ist, ist es natürlich auch an diesem Zivilisationsvorgang beteiligt. Aber die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft folgt nicht einem einlinigen Schema. Es gibt Brüche; gerade in der Entwicklung der christlichen Spiritualität treffen wir auf diese Ränder, diesen Gegensatz zur Mehrheit und zur bestimmenden Meinung. Einer dieser Brüche zeigt sich in dem Bewusstsein, dass der wirkliche Heilige sich in einem gnadenhaften Zustand befindet, der die äußere Natur verwandelt. Er ist geradezu das Gegenbild zu dem vor allem im katholischen Bereich lange gepflegten Bild des Frommen, der alle Triebe in sich abtöten will, bildlich gesprochen: das Tier in sich töten will, und gerade dadurch nicht frei von der Natur wird, sondern sich immer mehr verstrickt in seine Triebe. Diesen Spuren werde ich in einem eigenen Kapitel nachgehen. Bei Eusebius findet sich bereits das Erstaunen darüber, dass die von ihm geschilderten Märtyrer »durch geheime Gotteskraft« die wilden Tiere dazu bringen, ihnen nichts zu tun. Dieser Text stammt eben aus jener frühen Zeit, der prägenden Zeit für die erste 27
Christenheit, in der diese neue Religion verfolgt wurde und nur deshalb überlebt hat, weil Menschen dem Impuls des »Mehr« und »Über« über die vorhandenen, sichtbaren Dinge hinaus getraut haben. In diesem Zutrauen steckt eine ungeheure Kraft. Sie ist so groß, dass das Gesetz der Gewalt in der Natur außer Kraft gesetzt wird. Sie setzt auch die Herrschaftsordnung der Römer und ihr Weltbild - Tier gegen Tier, Tier gegen Mensch, Mensch gegen Mensch - außer Kraft. Max Horkheimer, Notizen 1950-1969 »Indem man den tierischen Räuber zur >Bestie< stempelt, schlägt man draußen mit abgefeimter Brutalität, was man drinnen in sich selbst nicht ausrotten kann, das Vor-Zivilisatorische. Es kommt darüber hinaus in dem bestialischen Hass gegen den Wolf aber noch weiter zum Ausdruck, dass man den eigenen Fraß, dem die Schafe ausschließlich vorbehalten bleiben sollen, insgeheim als die grauenvolle Praxis empfindet, die sie wirklich ist... Der eigene Widerwille gegen den Mord am Beschützten, gegen den Verkauf an den Schlächter, ist in die untersten seelischen Schichten verstoßen und steigt in der Wut gegen den illegalen Fresser, der so viel harmloser ist als der verräterische Hirte selbst, mit blutunterlaufenen Augen herauf. Im Mord am Wolf bringt man das eigene Gewissen zum Schweigen.«
Eusebius ist der Ideologie der Reichskirche so verhaftet, dass er keine Erklärung mehr für das Geschehen hat: »aber ich weiß nicht, wie durch geheime Gotteskraft sperrte sich ihr [der wilden Tiere, G.K.] Rachen, und sie gingen wieder zurück«. Das äußere als Wunder wahrgenommene Geschehen wird sehr viel wichtiger als der spirituell viel bedeutsamere Vorgang, dass fromme Menschen mit wilden Bestien so in Verbindung stehen, dass diese ihnen nichts tun. Eusebius ist das Martyrertum, das Einstehen für die Botschaft bis in den Tod, für seine Verteidigung des christlichen Glaubens als konstantinische Reichstheologie wichtiger als 28
die Frage nach dem göttlichen Geist, der sich in dem Geschehen zeigt. Wir haben jenes Modell des Mensch-Tier-Verhältnisses vor uns, das uns bis in unsere Tage hinein bestimmt. Christen und Tiere gehören in diesem Modell zwei Gemeinschaften an: Christen als Menschen dem Gottesstaat und Tiere dem Reich der Natur, des Anti-Christlichen, Triebhaften und Fleischlichen, dem Reich des Satans. Wilde Bestien und fromme Menschen stehen sich in Feindschaft gegenüber.
1.1.2 Die Tierschutzbewegung Auszug aus dem Biberacher Gesangbuch von 1802 »Die Thiere, deren Herr du bist, (erwäg es Mensch, erwäg es Christ!) sind auch des Ganzen Glieder: Der Schöpfung Bürgerrecht verlieh Gott ihnen auch: o blick auf sie Nicht mit Verachtung nieder! Sie, Wunder auch von Gottes Hand, durch ihren Bau dir nah verwandt, durch eingepflanzte Triebe: verraten oft des Denkens Spur, sind treue Kinder der Natur, genießen ihre Liebe... Du kannst, was deine Hand gemacht, was dein Verstand hervorgebracht, wenn dirs gefällt, zernichten. Das Thier ist ein Geschöpf von Gott; Giebst du muthwillig ihm den Tod, wird dich sein Schöpfer richten. 29
Nicht alle Menschen mochten sich dieser das Mittelalter und die Neuzeit bestimmenden Vorstellung beugen, dass andere nicht-menschliche Lebewesen nur dazu bestimmt seien, im günstigsten Fall unter der Verfügung des Menschen zu stehen. Einer der wesentlichsten Ausgangspunkte für die moderne Tierschutzbewegung sind christlich orientierte Kreise. Die Pietisten in Deutschland entdecken Lebewesen als Thema ihrer Spiritualität. Ein interessantes Beispiel in diesem Zusammenhang bietet das Biberacher Gesangbuch von 1802 mit einer eigenen Rubrik: »Pflichtgemäßes Betragen gegen die Tiere, Pflanzen und Bäume«.1 Religiöse Menschen waren maßgeblich an der Gründung des ersten Tierschutzvereins in England 1824 beteiligt (Gesellschaft zur Verhütung von Grausamkeit an Tieren). 1821 wurde ebenfalls in England ein Tierschutzgesetz verabschiedet, wobei es in erster Linie darum ging, den Menschen zu erziehen. Man war sich darüber im Klaren, dass Gewalt gegenüber Tieren die sittliche Erziehung des Menschen negativ beeinflusst. Von heute aus gesehen, ging es also weniger um Tier- als um Menschenschutz. In Deutschland wurde 1837 in Stuttgart der erste deutsche Tierschutzverein gegründet, vorbereitet von Pfarrer Christian Adam Dann und Pfarrer Albert Knapp, beide dem pietistischen Gedankengut stark verpflichtet. Ab 1838 wurden in verschiedenen deutschen Ländern, allen voran Sachsen, Tierschutzbestimmungen eingeführt. Nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 wurden diese Einzelbestimmungen vereinheitlicht. So wurde 1879 Tierquälerei unter Strafe gestellt. Im Mittelpunkt stand dabei wiederum der Mensch und noch nicht genügend das Leiden der Tiere. Tierquälerei wurde verboten, wenn sie in der Öffentlichkeit geschah und dadurch die Empfindsamkeit der Beobachter durch den Anblick des Tierleids herausgefordert wurde. 1933 wurde dann ein eigenes Tierschutzgesetz formuliert und unter der Nazi-Regierung verabschiedet. Im Mittelpunkt stand nun nicht mehr wie früher ein Tierschutz um der Menschen, son30
dern um der Tiere willen. Allerdings wurde dieses Gesetz, das in seinen Grundzügen bereits Jahre vorher vorlag, zu einem antisemitischen Propagandagesetz. In einem Kommentar von 1934 heißt es dazu: »Auch im Volke ist das Verlangen nach verstärktem Schutz der Tiere und nach Anerkennung ihres Rechts auf gerechte und anständige Behandlung seit langer Zeit lebendig, denn das deutsche Volk besitzt von jeher eine große Tierliebe und ist sich der hohen ethischen Verpflichtung gegenüber dem Tier immer bewusst gewesen.« In diesem Zusammenhang bedeutet dieser Kommentar unzweideutig: andere Völker, vor allem das jüdische besitzen keine solche Tierliebe! Man kann vereinfachend sagen, dass die moderne Tierschutzbewegung nicht möglich gewesen wäre ohne den Einfluss von überzeugten Christen. Das soll nicht bedeuten, dass die Begründungen, mit denen Tierschutz auch in christlichen Kreisen betrieben wurde, jeweils »christlicher« oder »spiritueller« gewesen wären als Begründungen anderer engagierter Menschen. Aber es fällt auf, dass bestimmte Zusammenhänge immer wieder in regelmäßigen Abständen auftauchen, nicht wirklich thematisiert werden und dann von vorläufig aktuelleren Themen verdrängt werden. Ich vermute, dass sich etwa die Gesamtgeschichte des Pietismus mit seinen moderneren Richtungen im anglo-amerikanischen Bereich sehr gut unter dem Aspekt von »Schöpfung und Tierschutz« schreiben ließe. Der Gründer der Methodisten, John Wesley, setzte sich in der Mitte des 18. Jahrhunderts bereits ganz engagiert für Tiere ein und sah Unsterblichkeit keineswegs nur auf den Menschen beschränkt. Allerdings sind diese Zusammenhänge weitgehend unaufgearbeitet. Heute ist die Verbindung zwischen (engagierten) Christen und Tierschützern ausgesprochen gespannt. Es gibt gerade bei Menschen, die sensibler auf das Leid aller Wesen reagieren, tiefe und tiefste Verletzungen durch das Verhalten von Amtsträgern, Kirchenleitungen, Pfarrern, Bischöfen. Es existiert nur in Ansät31
zen ein wirkliches Gespräch zwischen beiden Seiten. Die Kirche wird verdächtigt, die gegenwärtigen Praktiken des Umgangs vor allem mit Nutztieren zu ignorieren und keine klaren Worte zu finden. Tierschützer werden von Kirchenkreisen häufig als überspannte, neurotische Menschen abgetan. Tief sitzt vor allem die Vorstellung, dass, wer sich für Tiere engagiere, diese Energie vom bedürftigen Menschen abziehe. Aber ein solches Vorurteil geht fehl. Es verkennt, dass Erbarmen, Gnade, Friedfertigkeit, Liebe unteilbar sind und nicht an der Oberkante eines Speisezettels enden. Noch immer vertraue ich darauf, dass die jüdisch-christliche Botschaft vom Gottesreich, das ganz nahe gerückt ist, die gesamte Schöpfung umfasst und nicht nur den Menschen. Das heißt aber im Gegenzug, dass die vor allem human-ethische Engführung der Theologie aufgebrochen werden muss. Dies kann letztlich nur gelingen, wenn in einer gemeinsamen Anstrengung der Raum für den Geist geschaffen wird. Eine solche Haltung, die Raum schaffen will, ins Offene treten will, wird im Folgenden »Spiritualität« genannt. Sie bildet die Folie, vor der Wege gesucht werden, wie die Beziehung von Tier und Mensch heute weiterentwickelt werden könnte.
John Wesley, Gründer der Methodisten: Die ganze (Tier-)Schöpfung wird dann wiederhergestellt werden. Dann - in jenen Tagen - wird alle Nichtigkeit, denen sie jetzt ausgesetzt sind, zerstört werden... Als Ausgleich für das, was sie einst litten, unter der Sklaverei der Zerstörung, werden sie dann, wenn Gott »das Antlitz der Erde erneuert« hat, den zerstörbaren Körper in einen unzerstörbaren gewandelt hat, nach ihrem Stande das Glück sehen, das ihnen zusteht, ungetrübt, ohne Unterbrechung und ohne Ende.
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1.1.3 Ein Wort zur Menschentheologie Viele Menschen fragen immer wieder an, warum sich die gegenwärtige Theologie nur am Rande mit dem Verhältnis von Tier und Mensch beschäftigt. Ich habe einmal auf eine solche Frage geantwortet: »Weil damit keine theologischen Lehrstühle besetzt werden!«4 Ich will die Aussage nicht zurücknehmen, aber die Gründe liegen natürlich tiefer, als sich in einem kurzen Satz sagen lässt. Es hilft, wenn man sich die gegenwärtige Theologie wie eine Landkarte vorstellt. Da gibt es verschiedene Kontinente. Die einen sind weiter von anderen entfernt, andere sind uns näher. Bei manchen merkt man kaum, wo der eine aufhört und der andere beginnt (Europa und Asien). Es gibt größere und kleinere Kontinente. Und auch diese Kontinente sind untereinander noch einmal gegliedert. Wir sehen geographische Gliederungen: Berge, Täler, Flüsse, Seen, das Meer; aber auch politische Untergliederungen: Staaten. Manche dieser Staaten sind ganz organisch gewachsen, zwar in vielen Kriegen und Kämpfen, trotzdem in einer gewissen Folgerichtigkeit wie etwa die meisten Nationalstaaten in Europa. Aber wir erkennen auch die Kehrseite, etwa in Afrika, wo die Kolonialmächte per Anordnung Linien über das ganze Land gezogen haben und so das Land und das Volk unter sich verteilt haben. All das findet sich auch in der Theologie. Die gegenwärtige Theologie ist eurozentrisch. »Eurozentrisch« heißt, dass die meisten Christen bei uns (der nördlichen Erdhalbkugel) glauben, sie seien der Nabel der Welt und ihre eigenen kulturellen und religiösen Verhaltensmuster und Glaubensüberzeugungen seien die allein richtigen. Das ist - in geschichtlicher Perspektive - eine gewaltige Dummheit. Denn unsere eigene Kultur (wir rechnen jetzt einmal die amerikanische hinzu) ist in einem im Grunde genommen sehr kurzen Prozess zu dem geworden, was sie heute ist. Wir können solche Schnittpunkte etwa im 16. Jahr33
hundert und mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert ansetzen. Auch die verschiedenen bei uns vorherrschenden Gestalten von Theologie und kirchlicher Organisation haben sich in diesem Zeitrahmen entwickelt: die Wiederentdeckung der Bibel als Fundament des Glaubens gegen alle menschlichen Verzerrungen durch Martin Luther und die Reformatoren; die Neubesinnungen und Neuordnungen innerhalb der katholischen Theologie und Kirche als Antwort auf den Protestantismus. Das Zeitalter der Spaltungen und harten Fraktionen hallt noch nach, verblasst aber allmählich und Menschen suchen nach Dialogmöglichkeiten. Trotz dieser Ausgangslage ist nicht im Blick, was sich in anderen, besonders den südlichen Weltgegenden tut. Die meisten Christen leben heute schon im Süden der Welt, mit stark zunehmender Tendenz. Sie wählen sich ein Christentum aus, das mit unseren etwas behäbigen bürokratischen Strukturen wenig zu tun hat. Pfingstlerische und charismatische Gruppierungen sind stark im Aufwind. Die meisten Kirchenleute und Theologen sehen vielleicht diese Veränderungen, aber sie wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Es fehlt ein Verständnis für die jeweilig ganz andere Kultur, Lebensweise und Religion. Trotzdem werden immer noch theologische Traktate verfasst, in denen etwas Grundlegendes über Gott und die Welt gesagt wird, ohne dass die konkreten anderen Lebens- und Denkbedingungen beachtet werden. Das ist schade. Eine solche Einstellung verhindert, von anderen zu lernen, nach ihren Wegen des Lebens zu fragen und sich selbst anfragen zu lassen. Die gegenwärtige Theologie ist anthropozentrisch (ausschließlich auf den Menschen konzentriert): Breiteste Teile der Kirchen und Christen tun so, als ginge es in der jüdisch-christlichen Glaubenstradition nur um das Heil des Menschen. Das letzte gewaltige Aufsteigen (Aufbäumen) einer solchen Art von Theologie haben wir in den verschiedenen Spielarten protestantischer Theologie 34
bis in die Achtzigerjahre dieses Jahrhunderts vor uns: ein gewaltiges Aufgebot von Denkern, die sich um einen Teil der theologischen Lehre des Paulus sammeln, nämlich den Gedanken der »Rechtfertigung« (Der Mensch wird nicht durch Werke, die er selbst vollbringt, sondern allein von Gott her erlöst [»gerechtfertigt«]). Dieser Rechtfertigungsgedanke ist theologisch weiterführend und an sich nicht problematisch. In der Praxis führt er aber zur fatalen Konsequenz, dass alles, was außerhalb der moralischen Reichweite des Menschen liegt, eigentlich ohne Bedeutung ist. Was zählt, ist nur die Gott-Mensch-Beziehung. Welt, vielleicht sogar die »schlechte Welt« bleibt hier ohne Bedeutung, genauso wie die nicht-menschlichen Geschöpfe, wie die Natur überhaupt. Dieselbe Tradition wird sich dieser gewaltigen Schieflage zunehmend bewusst. »Ökologisch-theologische« Gedanken sind zuerst protestantische Kinder gewesen. Ein Besuch bei den Benediktinern. Im Rahmen eines Ausbildungswochenendes besuchten wir mit einer Gruppe das Vespergebet (18.00 Uhr) in der Benediktinerabtei Münsterschwarzach. Beeindruckend war der Einzug der etwa achtzig in schwarze Habits gekleideten Brüder, die dann anfingen, das Chorgebet zu beten. Ich hatte Schwierigkeiten, dieser Liturgie, die im Wesentlichen aus gesungenen Psalmen besteht, akustisch zu folgen. Nach dem Gottesdienst schubste mich ein Kursteilnehmer an und sagte: »Hast du mitbekommen, wie für die Tiere gebetete wurde?« Nein - ich hatte nicht. Daraufhin sagte er: »Na, die Benediktiner haben den alten Psalmvers gebetet, dass Gott sich auch aller Tiere und aller Geschöpfe erbarmen möge.« Die Fürbitte für die Tiere ist fester Bestandteil ihres Gebetes.
Nun soll das nicht heißen, dass katholische oder orthodoxe Theologen und Christen hier weiter wären. Auch hier ist die Theologie auf den Menschen konzentriert, jedoch ohne die eigenen Traditionen zu beachten oder zu kennen. Im Bereich der orthodoxen Kir35
chen ist es theoretisch ganz unstrittig, dass etwa die Tiere in das Erlösungswerk mit hineingehören. Praktisch hat dies aber keine Konsequenzen. In der katholischen und orthodoxen Theologie ist hier Entwicklungshilfe gefordert. Allerdings hat es solche Entwicklungshilfe schwer, weil Vorurteile tief sitzen und viele Menschen regelrecht persönlich beleidigt sind, wenn ihnen zugemutet wird, dass Gott auch der Vater aller Tiere ist und damit streng genommen Tiere unsere Geschwister sind. Ein Besucher eines Gottesdienstes, ein älterer Herr, fasste mich einmal nach einer Predigt im Vorbeigehen am Arm und sagte: »Herr Diakon, ich habe nichts gegen das, was sie in der Predigt über Tierschutz gesagt haben. Trotzdem bin ich nicht der Bruder ihres Hundes!« Ich glaube, da kommen wir an den neuralgischen Punkt, der wehtut. Zurück zu unserer Landkarte: Stellen wir uns vor, der Eurozentrismus bilde die Längengrade und der Anthropozentrismus die Breitengrade. Innerhalb dieses Koordinatensystems liegt ein theologischer Globus mit dem Anspruch, die ganze Welt vermessen zu können. Zuerst wird Amerika, Asien, zuletzt Australien »entdeckt«. »Entdecken« ist selbst schon ein verräterischer Begriff. Suggeriert er doch, etwas sei unbekannt und käme jetzt ans Licht. Für die Völker und Menschen Nordamerikas war ihr Land nicht unbekannt, es brauchte nicht »entdeckt« zu werden. Nur aus der Sicht des herrschen wollenden Europäers ging es um »Entdeckung«. Entdeckung bedeutet Inbesitznahme, Ausbeutung, Bildung von Kolonien für das eigene Land, Versklavung von Mensch und Tier. Auch die Mayas in Südamerika kannten beispielsweise ihr Land, es musste ihnen nicht entdeckt werden. Der »Prozess der Zivilisation«, von heute aus müssten wir besser sagen, der Ausbreitung der Barbarei ging weiter: Als letzter Kontinent wurde Australien »entdeckt«. Die Siedler und Sträflinge, überwiegend Männer, betraten das Land. Was stellten sie 36
fest? Es ist, von den Küstenregionen abgesehen, im Prinzip Steppe und Halbsteppe; es ist eigentlich unbewohnt. Die Siedler konnten sich nicht vorstellen, dass diese merkwürdigen Wesen, noch dazu tief schwarz, die in diesem Land herumwandern, Menschen sein sollen. Die australischen Ureinwohner (die Aborigines) bauen keine Häuser, sie haben keine Tempel (enttäuschend, weil man nichts zum Plündern vorfindet), sie haben noch nicht einmal eine vernünftige Religion, keine heiligen Schriften, keine erkennbaren Kulturmanifeste. Was schließt der Europäer daraus? Da Gott ihm die unbeschränkte Herrschaft über alles übertragen hat (so haben die Priester und Pfarrer zu Hause immer die ersten Abschnitte der Bibel verstanden und den Menschen entsprechend gepredigt), ist er auch berechtigt, zu töten, zu versklaven, auszubeuten, wie es ihm gerade passt. Ich erinnere mich gut an eine protestantische südkoreanische Theologin, die 1993 auf der Weltvollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Seoul (Korea) einen protestantisch-schamanistischen Gottesdienst zelebrierte. Schwarze Männer mit großen Trommeln, sie selbst im Vordergrund, ein Ritual praktizierend. Was war das? Eine weiß gekleidete Schamanin? Oder Priesterin? War das noch evangelische, christliche Liturgie? Der Aufschrei und das Ringen nach Worten von Seiten der westlichen Kirchenvertreter war groß. Die Theologie baut sich ganz ähnlich auf. Sie geht von Europa aus, erobert dann fremde Länder. Die katholische Theologie der spanischen Konquistadoren hat sich lange und intensiv mit der Frage beschäftigt, inwieweit man von den Wesen in Lateinamerika als Menschen sprechen kann. (Es gab natürlich Ausnahmen: die Linie vom spanischen Dominkanermönch Bartolomé de las Casas bis zum ermordeten salvadorianischen Bischof Oskar Romero). Und dieser Rassismus ist noch lange nicht zu Ende. Selbst in höchsten kirchlichen Kreisen hält sich eine Mentalität, die Afrikanern zum Beispiel erst dann theologische Würde einräumt, 37
wenn sie vollständig den kulturellen Gepflogenheiten der römischen Hemisphäre entsprechen. Vorher wird nicht einmal der ugandischen Bischofskonferenz erlaubt, die Hochgebete in die eigene Landessprache zu übersetzen. Ein afrikanischer Theologe hat zu mir einmal am Rande einer Tagung gesagt: »Wir haben zwar inzwischen schwarze Bischöfe, die haben aber weiße Köpfe!« Etwas aber kommt in Fluss. Zum einen werden die Stimmen der Christinnen und Christen aus anderen Kulturen stärker. Verwundert stehen wir ein wenig altbacken europäisch da und sehen, dass dort etwas lebendig bleibt und sich immer wieder in neuen Formen als Leben erschafft, was bei uns irgendwo auf dem Weg in die Strukturen ausdörrt: Heiliger Geist. Manchmal geradezu erschrocken stehen wir vor einer Fremdartigkeit, Andersgestaltigkeit und Kraft, die sich nicht in die europäische Geographie einfügen will. Mit den Breitengraden (dem Anthropozentrismus) ist es so ähnlich. Er bildet eine typisch europäische Form der Theologie heraus, die nur auf den Menschen schaut. Hier ist eine radikale Umkehr der Werte gefordert. Nachdem allmählich alle Menschen in der Theologie angekommen sind, auch die Schwarzen, die Ureinwohner in Australien, die Frauen, muss jetzt auch die nicht-menschliche Schöpfung hereingelassen werden. Dazu gehört der Blick auf das jeweils konkrete einzelne Tier und dessen »Subjekt-Sein«. Ihm kommt unveräußerliche Würde und Gerechtigkeit zu: »suum cuique«, jedem das Seine. Jedes einzelne Tier ist nicht nur nicht Objekt meines Willens, mit dem ich tun kann, was ich will. Das Tier ist auch keine Veredelungsmaschine auf dem Weg des Nahrungsmittels vom gentechnisch veränderten Mais hin zum Magen des Menschen (so der Vorsitzende einer hessischen Raiffeisengenossenschaft in einem Rundfunkinterview). Dieses so leicht dahingesagte »Subjekt-Sein« greift tief in alltägliche Strukturen ein: Erschrocken hat mich eine ältere Dame 38
nach einer kirchlichen Veranstaltung gefragt: »Ja, kann man denn dann überhaupt noch Fleisch essen?« - Dieses Subjekt-Sein erfordert eine Wende in der Perspektive. Nur Mut, wir haben diese Möglichkeit einer Wende, einer Perspektivenveränderung, sie erfordert aber einen wachen Blick und ein gläubiges Herz. Sie muss unsere Verhärtungen auflösen für Wege des Geistes, den Gott uns eingießen will. »Heilige« sind für mich beständige Beispiele, wie das geht: ein Modell für das Mensch-Tier-Verhältnis, das übrigens so etwas wie ein kulturelles »Universale« darstellt: Wir finden ähnliche Berichte, etwa vom Sprechen des Tieres mit den Menschen, der gegenseitigen Hilfe, des Erbarmens in allen Kulturen (außer in den Hybridkulturen der großen Agglomerationen und Städte). Was das Subjekt-Subjekt-Verhältnis angeht, bewegen wir uns noch auf einer nur human-ethischen Ebene. Jener Perspektivenwechsel stimmt ärgerlich, wirkt beängstigend, bricht mit alten Gewohnheiten: Man muss zum Beispiel bestimmte Routinen auch von kirchlichen Gemeindefesten hinterfragen (die Bockwurst und das Spanferkel auf dem Grill, bei dessen Verzehr sich alle so heimelig fühlen). Gar nicht einfach! Aber solches Umdenken wird selbst noch einmal eine Vorstufe zu einer anderen Theologie: zu einer umfassenden Erlösungstheologie.
Leonhard Ragaz, evangelischer Theologe, 1942 Nicht Gott oder der echte Mensch, der ein Schützer und Erlöser der Natur sein sollte, ist mehr Herr der Natur, sondern die Technik. Sie ist der Moloch geworden, der Himmel und Erde, Wasser und Luft beherrscht... Wir haben ganz allgemein die heilige Scheu vor der Natur verloren, der Bauer nicht weniger als der Städter. Wir beuten die Natur aus, vergewaltigen sie, zerstören sie in unserer gottlosen Gier und Brutalität - und werden dafür, wenn keine Wandlung eintritt, mit dem Tod und Untergang bezahlen. 39
Es geht nicht nur um »Schöpfung«. Der Gedanke der Schöpfung hält fest, dass wir selbst Geschaffene sind, dass wir uns nicht selbst gemacht haben und dass wir auch andere Wesen nicht machen. Der Gedanke der Schöpfung bewahrt aber auch, dass wir mit allen anderen Wesen in einem Schöpfungszusammenhang stehen, also von Gott aus gesehen Geschwister sind. Seit den Achtzigerjahren dieses Jahrhunderts, spät genug, aber immerhin, entdecken Theologinnen und Theologen, dass die Terra Australis incognita, dass die Schöpfung Welt umfasst, dass es also nicht immer nur und ausschließlich um die Ethik des Menschen in Bezug auf andere Menschen geht, sondern dass auf diesem Schöpfungskontinent auch noch andere Wesen wohnen, denen gegenüber wir uns solidarisch verhalten müssen: Die Erde mit ihren vielfachen Erscheinungen, die ökologischen Zusammenhänge, der respektvolle Umgang mit Wasser, Bodenschätzen, Luft, den Ressourcen - all das kommt in den Blick. Doch der Schöpfungsgedanke muss aus christlicher (und jüdischer) Sicht um die Dimension der Erlösung ergänzt werden. Dem Menschen kommt hier eine besondere Verantwortung zu, weil er Stellvertreter Gottes auf Erden ist. Die amerikanische Rockgruppe »The Doors« hat in den siebziger Jahren in ihrem Song »When the music's over« formuliert: »Was haben sie (die Menschen) mit der Erde gemacht, vergewaltigt und geplündert, getreten und ausgeraubt. Pfähle in die Erde gerammt wie Messer in die Seite.«
Um diese klar zu sehen, müssen wir auch spirituell erfahren, dass Schöpfung und Erlösung ganz eng zusammengehören. Ich sage »spirituell erfahren«, weil ich nicht meine, dass es nur damit getan ist, einen Satz zu formulieren oder Ja zu einer solchen Formulierung zu sagen. Jetzt, heute, hier, an dem relativen Ende der Ausdehnungs-, leider auch Eroberungsgeschichte des Chris40
tentums besteht die theologische Aufgabe in einer spirituellen Achtsamkeit gegenüber den Aufgaben unserer Stellvertretung Gottes. Die Bibel drückt dies mit den Worten aus: »Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich« (Gen 1,26) und »Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie« (Gen l ,27). Der Alttestamentler Erich Zenger legt schlüssig dar, dass dieser Satz im Zusammenhang mit der Paradies-Erzählung der Bibel steht: »Gott, der Herr, nahm also den Menschen und setzte ihn in den Garten von Eden, damit er ihn bebaue und hüte« (Gen 2,15). Der Mensch ist nicht deswegen Abbild Gottes, weil der Mensch wie Gott aussieht. Er ist aber auch nicht deshalb Gottes Abbild, weil er über Vernunft oder gar den freien Willen verfügt (wie dies die mittelalterliche Theologie gesehen hat). Er ist deswegen Abbild Gottes, weil er Gottes guten Schöpfungswillen fortführen und umsetzen soll. Das bedeutet im Klartext: Der Mensch ist Abbild Gottes, wenn er dieser Verpflichtung nachkommt. Wenn er seinen Auftrag verrät, entfernt er sich von seinem göttlichen Ursprung. Er verrät den Auftrag, wenn er tötet, ausbeutet, beherrscht, unterjocht. Das Entfernen vom göttlichen Auftrag bedeutet: »Sünde«. Aber wir kennen nicht nur die Entfernung von Gott, sondern auch das Zugehen auf Gott in der Erfüllung dieses Auftrags: bewahren, schützen, hegen. Dann jedoch entledigt sich der Mensch einer reinen Menschentheologie und Gott denkt und redet wieder durch ihn (das meint ganz ursprünglich »theo-logie«).
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1.2 Ist Gott Vegetarier? 1.2.1 Rezepte aus der Bibel »Vorsicht: Fundamentalismus!« Die meisten Menschen, die ich kenne, gehen im Grunde genommen fundamentalistisch an die Bibel heran. Das ist verständlich. Ähnlich wie die Muslime schauen sie auf die Bibel als letzt verbindliches Wort Gottes. Sie wird gehandhabt wie ein Kochrezept. Habe ich eine Frage, schaue ich hinein und erhalte eine Antwort. Wie gesagt, ein solcher Umgang ist verständlich. Jeder von uns braucht Verlässlichkeiten und Sicherheiten, etwas, nach dem das Leben ausgerichtet und eingerichtet werden kann. Warum also nicht die Bibel? Ich finde, es gibt Dürftigeres, auf das Menschen vertrauen. Das Ganze hat aber bei genauerem Hinsehen mehrere Haken. Der größte davon ist, dass die Aussagen der Bibel nicht immer sehr eindeutig sind. Man muss sie interpretieren und erleben: »Was bedeutet es, dass Gott die Welt in sieben Tagen geschaffen hat?« »Was bedeutet das Bild vom himmlischen Jerusalem am Ende der Bibel?« - Manchmal denkt jemand, dass alle Aussagen direkt verstehbar seien. Das geht aber auch im alltäglichen Leben oft nicht gut. Unsere alltäglichen Missverständnisse sind das beste Beispiel dafür. Hinzu kommt, dass Aussagen der Bibel sich auch direkt widersprechen. Die vier Evangelisten überliefern beispielsweise drei verschiedene Versionen der letzten Worte Jesu am Kreuz. Es gibt zwei verschiedene Schöpfungsberichte. Oder: Auf die Frage, welche Tiere mit Noah in die Arche gehen, finden wir verschiedene Antworten. Wir wissen mittlerweile relativ genau, wie diese Widersprüche zu erklären sind. Jedes Dokument der Bibel ist von verschie42
denen Menschen verfasst und überarbeitet worden; hinsichtlich dieser Entstehungs-»Schichten« der Bibel herrscht bei den Fachwissenschaftlern eine gewisse Einigkeit. Damit ist aber die Frage nach der Deutung und Bedeutung dieser Stellen immer noch offen. Immerhin gehen ja Juden, Christen und auch Muslime mit der Bibel als einem Buch um, in dem Gott sich den Menschen mitgeteilt hat. Das gerät bei den Spitzfindigkeiten in der Diskussion von Fachtheologen manchmal aus dem Auge. Da werden alle bedeutsamen Dinge arg relativ, vorläufig, vereinzelt. Sie fügen sich häufig nicht mehr zu einem sinnvollen Ganzen. Gehe ich naiv an dieses Grunddokument des christlichen Glaubens heran und argumentiere gar damit, komme ich in die Schwierigkeit, dass ich zu den meisten Stellen auch das genaue Gegenstück finden kann. Je nach Standpunkt schwächt der eine dieses, der andere jenes ab. Der Prozess der kritischen und auch selbstkritischen Auseinandersetzung mit der Bibel ist für jemanden, der christlich glaubt, gar nicht zu umgehen. Aber nicht alle haben die Mittel für eine solche Auseinandersetzung an der Hand. Vielleicht wollen sie auch nicht überlegen, weil lieb gewordene Annahmen hinterfragt werden. So machte sich ein Bibelwissenschaftler ein regelrechtes Vergnügen daraus, immer vor dem Weihnachtsfest seine »Weihnachtsvorlesung« zu halten. Darin räumte er mit den Mythen um das Weihnachtsfest auf. Ein Student erzählte mir einmal direkt nach einer solchen Vorlesung: »Haben Sie das gewusst? Die Geburt Jesu, die Kindheitsgeschichten, die drei Weisen aus dem Morgenland, Ochs und Esel an der Krippe, der Kindermord - alles erstunken und erlogen!« Er war sehr aufgebracht. Natürlich wusste ich das, aber die persönliche Betroffenheit, mit der er das mir gegenüber geäußert hat, hat mich noch lange beschäftigt. Wie dem auch sei, wenn man sich diese Auseinandersetzung erspart und einfach so glauben will, wie es dasteht, landet man immer beim »Fundamentalismus«. Der Fundamentalist möchte sich 43
die Diskussion, das Vorläufige einer Deutung, die Beteiligung des Menschen an der göttlichen Offenbarung ersparen. Es entzieht ihm die »Fundamente«, wenn er sich eingestehen muss, dass es Widersprüche und vieles Unverständliche gibt. »Gott kann sich doch nicht widersprechen oder irren!« Auf was soll er dann sein Leben setzen? »Vorsicht: Fundamentalismus« müsste eigentlich vor und über allen Versuchen stehen, einzelne Sätze der Bibel für eine Argumentation zu benutzen. Das gilt auch für die Auseinandersetzung um Tiere in der Bibel. Eine Tierschützerin sagte mir einmal: »Es wäre halt schön, wenn wir wirklich wüssten, dass Jesus kein Fleisch gegessen hat«. Ich gab ihr damals zur Antwort: »Was würde uns das nützen?« Wenn ein warmes Herz (Barmherzigkeit) für das Tier nicht da ist, würde uns auch das Wort des Meisters nichts nützen. Tierschützer zaubern dann manchmal neue Evangelienfunde hervor, die belegen sollen, dass Jesus Vegetarier war. Aber selbst wenn diese »neuen« und »wahren« Evangelien authentisch wären, das Problem »Fundamentalismus« würde damit immer noch weiter bestehen. Wenn wir daher eine Bestandsaufnahme von dem machen, was in der Bibel zu unserem Thema steht, müssen wir uns diese Gefahren immer vor Augen halten.
1.2.2 Was steht in der Bibel? Sehr oft ist die Meinung zu hören, dass die Bibel sich zwar mit dem Menschen und seinem Verhältnis zu Gott beschäftige. Aber darin hätten Tiere keinen Platz. Nun belehrt uns bereits ein erster oberflächlicher Blick in das Alte Testament, dass diese Einschätzung nicht stimmt. Fast auf jeder Seite kommen Tiere vor und mit zum Teil sehr anschaulichen Tierbeschreibungen. Tiere wurden ganz genau beobachtet. 44
Über das Verhältnis Tier-Mensch und die Stellung des Menschen in der Schöpfung nachzudenken, ist den Juden so wichtig, dass sie die Bibel damit anfangen lassen. Wir wollen auch so vorgehen. Natürlich ist der Mensch (hebräisch: »Adam«) Vegetarier, sogar ein ganz strenger. Er darf nur von den Samen der Pflanzen essen, wie die Tiere auch: Gen 1,29: »Dann sprach Gott: Hiermit übergebe ich euch alle Pflanzen auf der ganzen Erde, die Samen tragen, und alle Bäume mit samenhaltigen Früchten. Euch sollen sie zur Nahrung dienen.«
Das ist sozusagen die von Gott gewollte Speiseordnung. Nun passiert etwas: Der Mensch sündigt und mit seiner Sünde kommt in die gute Schöpfung Gewalt, Entzweiung, das Böse. Auf die Übertretung der göttlichen Ordnung folgen: Feindschaft, Mühsal, Schmerzen, Arbeit im Schweiße des Angesichts und am Ende der Tod, der den Menschen dem Staub der Erde gleichmacht (nach Gen 3,14-20). Die Bibel sieht es also so, dass der Mensch sich die ganze Suppe selbst einbrockt, an der wir täglich löffeln: Gewalt, Streit, Tod, Missgunst, Neid. Die Tiere sind von diesem Verhalten des Menschen mitbetroffen. Nachdem der Mensch versagt hat, entsteht Gewalt und Blut fließt. Wir kennen die Geschichte von Kain und Abel (Gen 4,1-16). Nach der ersten berichteten Tötung eines Tieres durch Abel wird dieser wiederum von Kain getötet. Ab diesem Zeitpunkt herrscht die Sünde in der Welt, von der alle betroffen sind: Menschen, Tiere, Pflanzen, die Erde. Alles ist mit dem göttlichen Willen entzweit. (Seit dem Ende des 20. Jahrhundert hat unsere Zivilisation erkannt, dass dies tatsächlich so ist, und begonnen, dies unter dem Begriff »Ökologische Bedrohung« kritisch zu durchdenken.) Wichtig: Mit einem Menschen kommt die Sünde in die Welt. (Das sollten wir uns merken, wenn wir später den Apostel Paulus in dieser Sache verstehen wollen.) Diese ganze Unordnung geht so weit, dass in der Bibel Gott überlegt, ob er mit dem »Spuk« Schluss machen soll: 45
Gen 6,7: »Der Herr sagte: Ich will den Menschen, den ich erschaffen habe, vom Erdboden vertilgen, mit ihm auch das Vieh, die Kriechtiere und die Vögel des Himmels, denn es reut mich, sie gemacht zu haben.«
Nur Noah findet Gnade vor seinen Augen. Und Noah rettet auch die Tiere in die Arche. Wieder ist es ein Mensch, von dem die Rettung der Lebewesen abhängt. Der Mensch hat eine herausgehobene Stellung im Schöpfungswerk. Denn er muss die Schöpfung Gottes als dessen Stellvertreter weiterführen. Wie er das tut? Zum Beispiel durch die Namensgebung. Der Mensch soll den Tieren ihre Namen geben (Gen 2,19). Er soll sie benennen. Wir dürfen dabei nicht an eine beliebige Auswahl von irgendwelchen Worten denken. »Namen« steht hier gleichbedeutend für »Wesen«. Der Mensch hat die Fähigkeit, diese Wesen zu erkennen und deswegen einen Namen zu vergeben. Das ist eine ganz alte Menschheitsvorstellung: Wer den Namen kennt, besitzt die Seele des anderen (z.B. im Märchen »Rumpelstilzchen«). Hat der Mensch damit auch Gewalt über das Tier? Schauen wir uns die Stelle an, die diese Frage aufgreift: Gen 1,28: »Gott segnete sie, und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar, und vermehret euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch, und herrschet über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen.« Irgendwie übt er schon Gewalt und Herrschaft aus. Früher war ganz klar, was damit gemeint sei: Der Mensch hat unbeschränkte Macht über die gesamte geschaffene Welt, ob es um den Umgang mit der Erde und ihren Bodenschätzen, mit den Pflanzen oder um das Töten von Tieren geht. Alles das konnte man aus dieser Stelle herauslesen. Die beiden in diesem Zusammenhang verwendeten hebräischen Worte radah und kabas sind nicht so eindeutig. Sie bezeichnen das, was der Hirt mit der Herde macht und was der Bauer mit der Erde. Diese sorgende und bewahrende Grundhaltung und die dazu passende göttliche Grundordnung zeigt sich in vielen Teilen 46
des Ersten Testaments. Wer diese Grundordnung und diese Grundhaltungen bejaht, ist ein »Gerechter«. Wer sein Leben, seine ethischen und religiösen Grundlagen auf Gott hin ausrichtet, erkennt die Seele seines Tieres. Er weiß, was es will und braucht (Spr 12,10). Er hält die rechte Ordnung Gottes in der Welt ein. Zu dieser richtigen Ordnung gehört auch die Vermeidung von Tierleid. Durch diese Ordnung haben Tiere sogar Rechte: Der Ochse hat das Recht, sich an der neuen Ernte sattzufressen: - »Du sollst dem Ochsen zum Dreschen keinen Maulkorb anlegen« (Deut 25,4). Rechte sind immer etwas Gegenseitiges. Und wer dieses gegenseitige Rechtsverhältnis einhält, ist ein »Gerechter« (hebr.: »zaddik«). Der »Gerechte« übt Gerechtigkeit, indem er ein warmes Herz hat (»Barmherzigkeit«): So wäre es hartherzig und ungerecht, das Zicklein in der Milch der eigenen Mutter zu kochen (Ex 23,19b). Denn die Mutterkuh bleibt ihrem Kind möglicherweise noch über dessen Tod hinaus verbunden. Deswegen weint sie auch, wenn ihr das Kind weggenommen wird, wie dieses Bild aus Ägypten zeigt.
»Die weinende Kuh«, ein in Ägypten weit verbreitetes Motiv. Relief auf dem Sarg der Kauit, 11. Dynastie. Museum Kairo.
Überhaupt muss auf die besondere Beziehung des Neugeborenen zum Muttertier Rücksicht genommen werden. Jakob muss Esau langsam nachfolgen, weil er sich um seine säugenden Muttertiere sorgt, die nicht so schnell gehen können (Gen 33,13). Diese Weisheit gilt nicht nur für die menschliche Ebene: Auch der göttliche Hirte kümmert sich um die säugenden Muttertiere in besonderer Weise (Jes 40,11; PS 78,71). Selbst die Speise- und Reinheitsvorschriften Israels sind durchaus im Sinne der Schonung von Lebewesen zu verstehen (Dtn 14; Lev 11). Der Kreis der Tiere, die für den frommen Juden verzehrbar sind, ist sehr eng gezogen. Das gilt besonders dann, wenn das heimische Land verlassen werden muss. Eine herausragende Rolle spielen Tiere dann aber im endzeitlichen Geschehen, etwa beim Propheten Jesaja. Darauf will ich eigens eingehen (s. u. 1.2.4). Sie stehen in einem direkten Kontakt zu Gott und übermitteln den göttlichen Willen da, wo die Menschen ihn nicht mehr direkt verstehen. Tiere sind im strengen Sinne Engel. Sie übermitteln die göttliche Botschaft, was auch erklärt, warum die Verfasser der biblischen Schriften die Tiere so genau beobachten. Als die Philister die Bundeslade von Israel erbeutet hatten (9. vorchristliches Jahrhundert) und es darauf dem ganzen Land schlecht geht (eine Pestepidemie), fragen sie sich, ob die Bundeslade im Land bleiben darf. Daraufhin raten ihnen die eigenen Priester und Wahrsager, zwei Mutterkühe vor den Wagen mit der Bundeslade zu spannen. Den Kühen sollen die Kälber weggenommen werden. Wenn die Tiere ihrem Mutterinstinkt nicht folgen und in die andere Richtung, zu den Israeliten laufen, dann wissen die Philister, dass die Hand Gottes sie treffen wolle, falls nicht, dann war die Pestepidemie ein Zufall (nach l Sam 6). Die Priester der Philister vertrauen darauf, dass sich Gott darin zeigt, wenn der Instinkt der Mutterkuh, zu den Kälbern zurückzulaufen, außer Kraft gesetzt ist. Gott offenbart sich im Verhalten der Tiere. 48
Etwas ganz Ähnliches stößt dem Propheten Bileam zu. Er macht sich auf den Weg nach Moab, um im Auftrag des moabitischen Königs das Volk Israel zu bannen (zu verzaubern). Gott stellt sich ihm in den Weg. Bileam sieht Gott nicht. Aber die Eselin, auf der er reitet, sieht Gott. Sie hält an und lässt sich auch durch Schläge nicht zum Weitergehen bewegen. Und dann redet die Eselin mit Bileam und legt ihm Gottes Willen offen. Gott spricht durch den Mund eines Tieres (nach Num 22,22-35). Hinter all dem steht die sehr alte religiöse Vorstellung, dass der Mensch aus dem Verhalten der Tiere Gottes Botschaften lesen kann, wenn er sie nur genau genug beobachtet. Dieses sorgfältige Schauen öffnet einen Weg zu dem ansonsten verborgenen und geheimnisvollen Willen Gottes. Aber das Verhältnis des Menschen zum Tier in der Bibel ist nicht eindimensional. Erinnern wir uns noch einmal an unser Rezept: »Vorsicht - Fundamentalismus«. Es finden sich viele verschiedene Denkansätze. Die Behandlung des Tieres ist auch der Hirten- und Bauerngesellschaft, die die Lebenswelt der Bibel darstellt, angepasst. Es finden sich neben eindeutigen Barmherzigkeitsvorschriften und den Hinweisen auf Schonung des Lebewesens ebenso Anleitungen zu Schlachtopfern, d.h. zur Tötung in einem großen Maßstab (Brand- und Speiseopfer im Buch Leviticus). Diese Tötung und die damit verbundenen Vorschriften, etwa die jüdische Vorschrift des betäubungslosen Schächtens, stellen immer wieder ein Problem dar. Trotzdem drängt insgesamt eine andere Linie in den Vordergrund. Sie legt Wert darauf, mit dem göttlichen Willen in Verbindung zu stehen. Wenn schon der Mensch das nicht mehr allgemein weiß, dann bedarf es eben besonderer Gestalten, die diesen Willen Gottes kundtun: die Propheten. Gerade die Propheten setzen sich ausführlich mit den Opfern auseinander. Sie wissen, dass Gott nicht die Tötung will, damit sich der Mensch von Schuld freiwaschen kann, sondern dass Gott ein »reines Herz« des Menschen will. Die angekündigte Wiederherstellung des göttlichen Willens schafft die 49
Opfer ab. Wir sehen uns das aber später bei dem Propheten Jesaja noch einmal genauer an, weil hier auch die Messias-Vorstellung ins Spiel kommt, die in christlicher Sicht wichtig ist. Wie steht es mit all dem im Neuen Testament? Es ist sinnvoll, zwei Gruppen von Schriften im Neuen Testament zu unterscheiden: die Briefe, vor allem die des Paulus an verschiedene Gemeinden, und die Evangelien. Die Evangelien sind wesentlich später entstanden als diese Briefe und sie stellen bewusst gestaltete Dichtungen dar, während der Briefcharakter bei Paulus noch deutlich spürbar ist. Paulus steht auch den Traditionen des Ersten Testaments insgesamt näher als die Verfasser der Evangelien Markus, Matthäus, Lukas und Johannes. Jeder zweite Satz stellt im Prinzip einen Kommentar zu einer Bibelstelle aus dem Ersten Testament dar. Im Zusammenhang mit Tieren fällt uns eine Stelle im Römerbrief, da durchaus nicht isoliert, auf. In diesem Brief an die römische Gemeinde (wahrscheinlich verfasst zwischen dem Jahr 56 und 58 n. Chr.) stellt Paulus die wesentlichen Punkte seiner Theologie vor. Er beschäftigt sich mit der Veränderung, die, seiner Ansicht nach, in der christlichen Gemeinde geschehen wird, wenn in ihr die Welt verwandelt wird. Natürlich muss er dann erklären, was er darunter versteht und warum es gerade dieser Jesus Christus ist, auf den er sich bezieht. Dabei benutzt er - der sonst immer fest auf den jüdischen Grundlagen aufbaut - eine ganz neue Argumentation: »Wie durch einen Menschen (Adam) Sünde und Tod in die Welt gekommen ist, so hat ein Mensch (Jesus Christus) Gerechtigkeit und Leben gebracht«. (Röm 5,12-21)
Danach beschreibt er dieses neue Leben, das Christus durch den Heiligen Geist verleiht. Die Getauften haben Anteil an Christi Tod erhalten und sind so zu einem neuen Leben mit ihm erstanden, ein Leben, das frei ist und die Herrschaft der Sünde nicht mehr zu fürchten braucht. Durch den Geist Gottes wird der Mensch (zur Tochter und) zum Sohn und Erben der künftigen 50
Herrlichkeit gemacht. Er ist Statthalter Gottes auf Erden. Vor allem kommt diesem veränderten Menschen die Aufgabe der Welterlösung zu. »Denn das sehnsüchtige Harren der Schöpfung wartet auf die Offenbarung der Söhne Gottes. Denn die Schöpfung ist der Nichtigkeit unterworfen worden - nicht freiwillig, sondern durch den, der sie unterworfen hat -, auf Hoffnung hin, dass auch selbst die Schöpfung von der Knechtschaft der Vergänglichkeit frei gemacht werden wird zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes.« (Röm 8,19-21)
Die gesamte Schöpfung ist der Vergeblichkeit unterworfen. Sie ist von jenem ersten Versagen Adams mitbetroffen. So sieht das Paulus und mit ihm selbstverständlich die biblische Tradition. Auch für Paulus ist die nicht-menschliche Schöpfung von der Situation und dem Handeln des Menschen mitbetroffen. Er wendet das Ganze dann allerdings positiv: Durch Jesus Christus kann im Menschen wieder die Erlösung der Schöpfung offenbar werden. Es ist sogar so, dass die Schöpfung selbst auf diese Erlösung sehnsüchtig und hoffnungsvoll wartet. Das ist keine Spielerei. Paulus ist hier sehr streng in der Sprache. An keiner Stelle ist zu erkennen, dass Paulus hier etwa nur an den Menschen denkt. »Erlösung«, d.h. auch ganz ausdrücklich »Erlösung« der Schöpfung durch den Menschen (Söhne und Töchter Gottes). Ganz eindeutig wird ausgesagt, dass die gesamte Schöpfung an der Erlösung des Menschen teilhat. Die Schöpfung macht von sich aus Mitteilung über dieses Gespanntsein, sie deutet die Verbundenheit mit unserem Wesen und das gemeinsame Warten auf die Erlösung an. Tiere gehören also in den Horizont der christlichen Erlösungsvorstellung mit hinein.5 Natürlich hatte meine Tochter Recht, als sie damals nach dem Tod unseres Meerschweinchens Knorpel mit Tränen feststellte: »Der Knorpel ist jetzt im Meerschweinchen-Himmel!« - Ich glaube, Paulus meint das auch. 51
1.2.3 War Jesus Vegetarier? Jesus steht ganz in der jüdischen Tradition. Das machen viele Stellen des Neuen Testaments deutlich. Selbstverständlich gelten für ihn die »Weisungen Gottes« (die Tora des Juden). Dazu gehören auch die Ernährungsvorschriften. Sie machen einen wesentlichen Teil der jüdischen »Kaschrut« (Reinheitsvorschriften) aus. Es findet sich kein Hinweis in den Evangelien, dass Jesus sich außerhalb dieser Ordnung gestellt hat. Überhaupt ist interessant, einmal zu fragen, was Jesus eigentlich gegessen hat. War er Vegetarier? Wieder sei erst einmal an unsere Regel: »Vorsicht: Fundamentalismus!« erinnert. Wir wissen es nicht. Aber wir haben ein paar indirekte Hinweise. Bei der Speisung der Fünftausend (Mt 14,13-21) segnet Jesus zwar die fünf Brote und zwei Fische. Als das eigentliche Wunder geschieht, wird aber nichts mehr von Fischen berichtet: »...und alle aßen und wurden satt. Als die Jünger die übrig gebliebenen Brotstücke einsammelten, wurden zwölf Körbe voll.«
Hat Jesus mitgegessen? - Fisch isst er überhaupt nur an einer Stelle: Lk 24,36-43. Da ist er aber bereits auferstanden und muss die Zweifel zerstreuen, dass er ein Geist sei. Matthäus, Markus und Johannes wissen gar nichts davon, dass Jesus Fisch gegessen habe. Brot ja. Zusammen mit Wein bei einem gemeinsamen Mahl: Das ist das zentrale Kultsymbol der späteren Christen, die Eucharistie. Und ob es sich bei diesem letzten Abendmahl um ein Pessahmahl der Juden handelte, ist nicht ganz klar. Da wäre nämlich in Erinnerung an den Auszug aus Ägypten eine Vorschrift einzuhalten gewesen, ein Lamm zu schlachten. Johannes meint: »vor dem Pessachfest« (der Vorabend mit dem Seder-Mahl gehört aber nach jüdischer Denkvorstellung bereits zum Tag dazu). Bei Matthäus wird zwar dieses Mahl als Pesachmahl bezeichnet, das die Freunde Jesu vorbereiten sollen, beim Mahl selbst aber spricht Je52
sus den Segen nur über Brot und Wein. Ein geschlachtetes Lamm taucht hier nicht mehr auf (Mt 26-20-29) - genau wie bei Markus (Mk 14,12-27) und Lukas (Lk 22,7-23). Die beiden Letzteren wissen sogar von einem Mann, in dessen Haus das Mahl gehalten wird und dem die Jünger folgen sollen. Dieser Mann wird daran erkannt, dass er einen Wasserkrug trägt. Doch Vorsicht: Dies ist ein Bericht aus Palästina und nicht aus einem Vorort von Frankfurt, Berlin oder Hamburg. Im Orient trägt ein Mann kein Wasser. Das ist reine Frauensache. Die Einzigen, die davon eine Ausnahme machten, sind die Essener - und die sind aus Gründen kultischer Reinheit sehr strenge Vegetarier. Wenn Jesus in einem solchen Haus das letzte Abendmahl feierte, ist es unwahrscheinlich, dass ein getötetes Tier dabei verzehrt worden sein soll. Wie gesagt: sehr indirekte Hinweise. Allerdings würde es zum Erlöser der Welt nach jüdischer Denkvorstellung eigentlich nicht passen, dass er Gottes Schöpfung dadurch erlösen will, dass er sich an der Tötung von Lebewesen direkt oder indirekt beteiligt. Schwierig auch die direkte Frage nach dem Verhältnis Jesu zu den Tieren. Immerhin gibt es einige interessante indirekte Bemerkungen, z.B. das Ende der Versuchungsgeschichte bei Markus: Jesus weilte 40 Tage in der Wüste, vom Satan versucht; er lebte mit den wilden Tieren zusammen, und die Engel bedienten ihn (Mk 1,13). Frühere Bibelausleger glaubten, dass hier die lebensbedrohliche Situation in der Wüste geschildert wird, um die Versuchung Jesu in einem deutlicheren Lichte erscheinen zu lassen. Im Grunde wäre das ein kleiner poetischer Kunstgriff. »Zusammenleben mit den Tieren« ist aber ein altes Motiv. Wer mit den Tieren zusammenleben kann, bei dem hat sich Gottes Gnade direkt gezeigt. Nach Meinung des Evangelisten ist dies ein Zeichen der in der Person Jesu angebrochenen endgültigen Heilszeit. Eine besondere Beziehung hat Jesus zu den Propheten. Er tritt mit einer ähnlichen göttlichen Vollmacht auf. Matthäus berichtet 53
von der Reinigung des Tempels durch Jesus. Den Vorraum zum Tempel, den er da reinigt, dürfen wir uns nicht gerade wie eine moderne Kirche vorstellen. Es ist in Wirklichkeit ein riesiger Handelsplatz, auf dem getauscht und gekauft wird, unter anderem die Opfertiere. Von diesen Opfertieren wird nur der geringere Teil ganz verbrannt. Von den meisten Tieren aber wird nur ein Teil verbrannt und der größere Teil dient zur Nahrung und wird dem »Opfernden« wieder zurückgegeben. Eigentlich reinigt Jesus das jüdische Schlachthaus. Wie sagten die Propheten:... »Eure fetten Heilsopfer will ich nicht sehen, ...sondern das Recht ströme wie Wasser, die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach« (Am 5, 22 und 24). In der Johannes-Apokalypse findet sich ein Fülle von Tierbildern und -Symbolen. Sowohl der göttliche Bereich als auch der Bereich des Bösen werden jeweils mit Tieren symbolisiert: Jesus Christus ist das »geschlachtete Lamm«, der Feind das Tier aus dem Abgrund. Es geht in diesem letzten Buch der Bibel um die Herrschaft Gottes, also um das, was passieren wird, wenn sich das, was Jesus durch sich angekündigt hatte, vollständig erfüllt. Natürlich dürfen bei den Hinweisen auf das Endheil die Tiere nicht fehlen. Und das Tier »Lamm« steht im Mittelpunkt des Geschehens, bis zuletzt, wo im himmlischen Jerusalem der Thron Gottes und des Lammes aufgerichtet ist (Apk 22,1). Das Lamm ist Jesus Christus selbst. Das Lamm zerreißt den Schuldzusammenhang der Menschen und ist in der Lage, das versiegelte Buch zu öffnen. Damit treibt es die geschichtlichen Ereignisse voran in ihre entscheidende Phase (Apk 5). Gott zeigt sich dem Seher (dem Verfasser der Apokalypse) zuerst umgeben von Tieren: Apk 4,6b-8: »Und in der Mitte, rings um den Thron, waren vier Lebewesen voller Augen, vorn und hinten. Das erste Lebewesen glich einem Löwen, das zweite einem Stier, das dritte sah aus wie ein Mensch, das vierte glich einem fliegenden Adler.« 54
Und sie sind es auch, die zuerst »dem, der auf dem Thron sitzt ...Herrlichkeit und Ehre und Dank erweisen«. Erst danach folgen die Menschen (»vierundzwanzig Älteste«). Johannes steht in einer Linie mit Paulus, wenn er meint, dass die Befreiung von der Sünde, die Erlösung schon jetzt in der Welt geschieht, wenn die Gemeinde die Herrschaft Gottes über die Welt jetzt schon anerkennt und vertritt. Diese Herrschaft Gottes, die in der Zukunft den ganzen Kosmos erfüllen wird, wird jetzt schon auf der Erde inmitten aller satanischen Weltmächte in der Gemeinde der Christen sichtbar. Die Apokalypse ist hier sehr konkret und knüpft direkt an die Anfangs Vorstellung der Bibel an: Die gesamte Schöpfung ist gut geschaffen, aber von der Schuld des Menschen mitbetroffen. Der Mensch hat jedoch auch die Mittel an der Hand, das zu ändern.
1.2.4 Haben Tiere eine Seele? Man kann es sich natürlich einfach machen. Dann hängt die Antwort auf die Frage danach, ob Tiere eine Seele haben, davon ab, was jemand unter Seele versteht. Je nach Definition kann dann dem Tier die Seele entweder zu- oder abgesprochen werden. Wir wollen die Frage aber so stellen, wie sie in der Geschichte des Tier-Mensch-Verhältnisses gestellt wurde. Denn je nach Antwort wird eine grundlegende Entscheidung darüber getroffen, ob man mit Tieren machen kann, was man will, ob sie Rechte haben, oder in das Erlösungswerk mit hineingehören. Wir wollen einen kleinen Weg in dieser Geschichte der Seele zusammen gehen. Der Seelenbegriff ergibt sich in der griechischen Denktradition aus einer im Grunde genommen ganz alltäglichen Beobachtung: Ich erlebe mich als Mensch andauernd in Bewegung; selbst wenn ich ruhe, schlägt mein Herz weiter, ich kann meinen Puls fühlen, mein Atem läuft immer weiter. Alles an 55
mir ist Bewegung. Mit dieser dauernden Bewegung sind auch wechselnde Zustände im Raum verbunden. Ich stehe auf, setze mich, strecke die Beine aus, bewege meine Arme, bemerke, dass ich etwas angestrengt atme, weil ich aufgeregt bin, mein Herz rast, dann geht es wieder ruhiger usw. Wer sich diese körperliche Befindlichkeit klarmacht und über die pausenlosen Veränderungen nachdenkt, kann zu dem Ergebnis kommen, dass irgendein Prinzip die Grundlage dieser Veränderungen bildet. Irgendetwas treibt mich an, veranlasst mich zu diesem oder jenem. Nun ist eine Entscheidung fällig. Ich kann diesen Bewegungsantrieb als etwas zur Materie Gehöriges betrachten oder es als etwas Unkörperliches ansehen. Ich kann dann behaupten, dass alle meine Handlungen bewusst von meinem Ichzentrum oder einem Geistzentrum in mir gesteuert sind. Diese zwei möglichen theoretischen Entscheidungen waren auch die Grundentscheidungen der griechischen Philosophie in der Frage nach der Seele; sie tauchen bereits sehr früh auf. Auf der einen Seite steht der griechische Philosoph Plato. Er nimmt an, dass das, was alles antreibt, die »Seele« (griech.: »psyché«), in allen Bewegungen immer vorhanden ist und im Grunde genommen nie zerstört werden kann. Das ist für ihn sehr wichtig. Plato wendet sich damit bewusst gegen ältere Vorstellungen, die sich die Seele als etwas Materielles, wenngleich im Unterschied zum Körper als etwas ganz Feinstoffliches denken. »Nein«, sagt Plato, »die Seele ist geistig«. Sie ist damit nicht zerstörbar, nicht sterblich und auch nicht auf eine bestimmte Dauer, etwa die Gegenwart, beschränkt. Die Seele ist vor dem Leib da; es gibt sie vor der Erschaffung des Körpers (sie ist präexistent). Und die vielen existierenden Seelen sind darüber hinaus miteinander verbunden. »Seele« ist nicht etwas Einzelnes, vom anderen Getrenntes. Jede Seele aller sich bewegenden Wesen ist zugleich der Ausdruck für die alles durchdringende Seele, die Weltseele. Hier zeigt sich ein geistiges Prinzip, das in allen Dingen und Wesen vorhanden ist. Nun versucht Plato aber auch, verschiedene Ebenen der Seele 56
zu unterscheiden. Die Seele besteht aus drei Teilen: der Vernunft, dem Mut und der Begierde. Die Vernunft wohnt im Haupt, der Mut zwischen Hals und Zwerchfell und die Begierde zwischen Zwerchfell und Nabel. Der Mensch besitzt alle drei Seelenteile, das Tier nur Mut und Begierde, die Pflanze ausschließlich die Begierde. Die Seele des Tieres und die der Pflanze werden von Plato ausdrücklich mit einbegriffen, wenngleich in dieser Abstufung. Auf der Welt leben zwar einzelne Seelen, die aber nur vorläufig einzelne sind. Sie kehren nach dem Tod des Körpers wieder zu Gott zurück. Vieles von dem, was Plato unter »Seele« versteht, ist gespeist aus älteren Seelenvorstellungen, z.B. der Gedanke, dass die an sich unsterbliche Seele durch verschiedene Körper wandern kann (Seelenwanderung, griech.: metempsychosis) oder die Vorstellung vom Leib als irdischem Gefängnis für die eigentlich unsterbliche Seele; auch die Sehnsucht aller Seelen nach der Rückkehr zu der einen Weltseele oder zu dem, der diese Seelen geschaffen hat. Diese Vorstellung greift auf alte religiöse Vorstellungen von Pythagoras und seinen Schülern zurück. Aristoteles, der große Schüler und Gegner des Plato, sieht die Bewegungsvorgänge ebenso. Er bringt sie ebenfalls in einen Zusammenhang mit der Seele, kommt aber zu anderen Ergebnissen. Aus den Beobachtungen der Natur schließt Aristoteles, dass die Seele zugleich mit dem gesamten Wesen entsteht, also nicht wie bei Plato vorher schon existiert. Die Seele wird »verdiesseitigt«. »Seele« ist für Aristoteles die Grundlage des pflanzlichen, des tierischen und des geistigen Lebens. Und die Seele ist zweigeteilt: Ein Teil der Seele ist vernunftbegabt, ein anderer vernunftlos. Was im vernunftlosen Teil der Seele (sagen wir einmal: den unteren Teil) allen Lebewesen gemeinsam sei, ist etwa die Tatsache des Lebens überhaupt, d.h. dessen, was zur Ernährung und zum Wachstum dient. Der obere Teil entspricht dem, was wir vielleicht umgangssprachlich »Vernunft« nennen. Aber dazwischen muss auch noch etwas angenommen werden, was beide Teile wie57
derum miteinander verbindet. Dieser Teil der Seele scheint auch vernunftlos zu sein, aber in gewisser Weise doch an der Vernunft teilzuhaben. Aristoteles verweist darauf, dass wir zum Beispiel einen beherrschten Menschen wegen dieser Beherrschung loben. Er liefert sich nicht einfach seinen Gefühlen aus. Das bedeutet aber, dass wir zugeben, dass es neben der Vernunftseele (ganz oben) und der reinen Lebensseele (ganz unten) noch einen Teil gibt, der mit der Vernunft verbunden ist, und sei es so, dass die Vernunft mit ihm kämpfen muss: Trieb oder Gefühl gegen Vernunft. Was will Aristoteles mit dieser Seelenlehre? Aristoteles hat seiner Ansicht nach damit eine Möglichkeit gefunden, wie er die gesamte uns umgebende Natur einteilen kann: je nach Anteil an der Vernunft. Es gibt höhere und niedrigere Stufen des Lebendigen, je nach Anteil an der Vernunft. Die Pflanzen haben eine Lebensseele (eine vegetative Seele). Tiere stehen in dieser Ordnung höher, weil sie auch physisch in Bewegung sind, offensichtlich Dinge begehren, etwas »wollen«. Der Mensch wiederum teilt mit Pflanzen und Tieren diese Seelenanteile, allerdings ist ihm die Stufe der Vernunft exklusiv vorbehalten. »Seele« hat in diesem System die Funktion eines Unterscheidungskriteriums für die Natur. Plato hatte ethische und religiöse Interessen. Ihm ging es darum, den Zusammenhang zwischen der einzelnen Seele, der Möglichkeit zur Erkenntnis (des Guten) und der Weltseele herauszuarbeiten. Weder Plato noch Aristoteles würden bestreiten, dass Tiere eine Seele haben, wenngleich beide vehement bestreiten würden, dass die Tiere über Vernunft verfügen. Bei beiden ist zumindest die Vernunftseele unsterblich. Allerdings verzichtet Aristoteles im Unterschied zu Plato auf eine religiöse Begründung. Irgendeine starke Ausgrenzung und Unterdrückung von Tieren, die Rechtfertigung etwa von Quälerei oder die Reduzierung auf Fleischmaschinen, sind bei beiden nicht spürbar. Diese Situation ändert sich allerdings unter dem Einfluss christlicher Systematisierungen. Vor allem steht jetzt die Frage 58
nach der Erlösung im Vordergrund. Diese Frage hatten die Griechen nicht vor Augen. Thomas von Aquin (1225 -1274) bestreitet nicht, dass die Tiere eine Seele haben, ganz einig mit Aristoteles. Wichtig ist für ihn aber die Feststellung, dass die Tiere keine unsterbliche Seele haben, d.h. sie sind im Unterschied zum Menschen nicht für die Ewigkeit geschaffen.6 Warum ist das jetzt plötzlich wichtig? Thomas sieht in den Tieren keine Vernunft am Werk und das heißt für ihn, kein Vermögen nach einem Streben zu immer währendem Sein, sondern nur ein Streben, sich gemäß ihrer Art zu erhalten. Mit dem Tod des Wesens stirbt auch dessen Seele. Thomas beruft sich hier einerseits auf die Bibel (Lev 17,11: »Die Seele des Fleisches ist im Blute«), andererseits auf die Autorität des Augustinus: »Wir glauben, dass allein der Mensch eine substanzielle, das heißt durch sich lebendige Seele besitzt, während die Seelen der Tiere mit den Körpern zugrunde gehen«. Aurelius Augustinus (354-430), Bischof in Nordafrika und Kirchenvater, hatte dies deswegen so scharf betont, um sich gegen Origenes abzugrenzen. Das Kapitel 17 im 21. Buch des »Gottesstaates« wendet sich deutlich gegen die von Origenes vertretene Lehre einer Wiedergeburt. Origenes (185 bis ca. 245 n. Chr.) hatte die Auffassung vertreten, dass die an sich unsterbliche Seele von Gott in die Körperlichkeit versetzt wird, um sich zu bewähren, also eine Art göttlicher Pädagogik. Nach bestandener Prüfung kann sie wieder in die ursprüngliche Reinheit und Einheit mit Gott zurückkehren. Gelingt ihr diese Prüfung nicht, muss sie zurückkehren, möglicherweise als Tier. Origenes hat keine Schwierigkeit, alle Wesen, Menschen und Tiere miteinander verbunden zu denken, weil er davon ausgeht, dass Gottes Wirken sich nicht auf den Menschen und die Geschichte beschränkt, sondern auch Herrschaft über die Natur ist. Für Augustinus ist nur der Mensch von Gott erwählt und nur er wird auch von ihm gerettet. Man könnte etwas überspitzt formulieren, der Gott des Augustinus herrscht nur über die menschliche Geschichte, nicht aber über die Natur. Diese Zweiteilung hat ganz gewaltige Konsequenzen. In der Neu59
zeit wird sie über die Reformation noch verschärft. Luther war Augustinermönch und mit den Werken des Augustinus bestens vertraut. Er schärft die Lehre von der ausschließlichen Gnadenerwählung des Menschen noch einmal ein. Tiere, Pflanzen, die Welt kommen hier nicht mehr vor. Wir stoßen auf ganz grundlegende philosophische und theologische Positionen. Sie sind aber auch nur solche. Es geht um Überlegungen in einem grundsätzlichen Bereich, bei Plato und Aristoteles um philosophische Gedanken, bei Thomas von Aquin um die systematische Durchdringung der Grundlagen des christlichen Glaubens. Aus keiner dieser Positionen lässt sich eine direkte Verfügung des Menschen über das andere Lebewesen herauslesen. Das eigentliche Problem wird erst in der Neuzeit mit der beginnenden Mechanisierung und einer vollständigen Veränderung des bisher gemeinsamen Menschheitswissens vollständig deutlich. Und hier zeigt dann auch die Vorstellung eines Gottes, dessen Erlösungswirken sich nicht mehr auf die ganze Natur bezieht, seine eigentliche Wirkung. Rene Descartes (1596-1650) formuliert ganz »modern« das Seelenproblem der Antike vollständig um. Es ist für ihn ausgemacht, dass es nur zwei Arten von Dingen in der Welt gibt: Dinge, die sich im Raum ausbreiten (denken wir an irgendetwas in unserem Raum, der Stuhl, auf dem ich sitze oder der Tisch) und andere Dinge, die denkend sind und keine Ausdehnung im Raum haben. Der Mensch ist »res cogitans« (denkendes Seiendes), der Körper des Menschen gehört zu den »res extensa« (ausgedehntes Seiendes) und erstreckt sich wie andere Dinge auch in den Raum hinein. Körper sind für Descartes Maschinen. Muskeln, Sehnen, und Knochen des Körpers spielen mechanisch zusammen und wirken auf andere Dinge im Raum ein. Natürlich erweckt eine solche Vorstellung, dass etwas Lebendiges wie eine Maschine funktioniert, Vorbehalte. Aber Descartes zerstreut diese Bedenken mit dem Hinweis auf die Fortschritte der Mechanik: 60
»Das Gesagte wird denen keineswegs seltsam vorkommen, die wissen, wie viele verschiedenartige Automaten oder bewegungsfähige Maschinen die Geschicklichkeit der Menschen zustande bringen kann, wobei sie nur recht wenige Stücke verwenden.«7 Descartes verzichtet bei seiner Erklärung von Bewegungen darauf, ein Prinzip, eine zugrunde liegende Seele anzunehmen. Die in dieser Zeit vielfach erfundenen Uhren und Automaten beweisen scheinbar seine Theorie. Descartes muss nicht mehr auf eine Seelentheorie zurückgreifen, wenn er erklären will, wie Bewegungen entstehen. Er braucht nur noch eine Maschinentheorie. Nun benötigt er noch den Beweis der reinen mechanischen Körperhaftigkeit von Tieren. Tiere haben keine Vernunft, denn sie können sich ja nicht unterhalten (das weiß ja jeder!), sind also kein denkendes Seiendes (res cogitans), sondern sind Dinge im Raum (res extensa) und damit ähnlich wie eine Maschine zu sehen. Voilà: Die Seele ist abgeschafft. Damit wird der Weg frei für eine umfassende Analyse der Leiber und der Tiere. Mit Descartes hebt das bis heute noch nicht beendete Zeitalter der Tierversuche an. Tiere stehen als Maschinen dem Menschen beliebig zur Verfügung. Sie können im Prinzip nicht leiden, da sie keine Seele haben. Sie haben auch nichts mit der Erlösung zu tun. Dies ist der Auftakt für eine Reihe von 61
Diskussionen um den Status des Tieres im Vergleich zu dem des Menschen. Denn von der Beantwortung dieser Frage hängt ab, wer der Mensch ist und vor allem was seine Aufgabe im Ganzen der Natur ist. Die Konfliktlinie verläuft so: Wenn Tiere eine Seele hätten (Seele im Sinne des cartesischen res-cogitans-Begriffes), dann wäre der herausgehobene Status der Menschenseele in Gefahr. Und dann müssten theologisch unliebsame Fragen nach dem jenseitigen Leben der Tiere aufgeworfen werden. »Sind Tiere vielleicht ähnlich unsterblich wie Menschen?« Andererseits wäre auch die Besonderheit des Menschen in Frage gestellt, wenn die Tiere keine Seele hätten. Denn die Tiere sind ja in vielen Tätigkeiten dem Menschen ähnlich. »Wenn Tiere keine Seele haben, haben Menschen vielleicht auch keine!« Diese Überlegungen werden bis in die Gegenwart weitergeführt. So gibt es im 18. und 19. Jahrhundert anhaltende Diskussionen um die Tierseele und besonders um die Frage, ob der Mensch dem Tier gegenüber moralische Pflichten habe. Der Arzt Johann Unzer schreibt anno 1769 zur Rechtfertigung des Fleischkonsums: »Allein, da wir doch ein für alle Mal allesammt Fleisch essen, und niemand den Anfang wird machen wollen, es abzuschaffen, so ist es billig, zu beweisen, dass wir daran nicht unrecht thun. So ist es eingeführt! Es giebt Gewohnheiten unter den Menschen, die sie durchaus nicht ändern wollen, sie mögen nun recht oder unrecht seyn. Dafür sind die Gelehrten, dass sie darthun müssen, dass alle diese Gewohnheiten recht sind: und weil nichts leichter ist, als jemanden von etwas zu überzeugen, wozu er überzeugt seyn will, so sind diese Beweise beynahe die glücklichsten, die jemals der menschliche Verstand geführt hat.«8 Das Problem besteht letztlich darin, dass der Mensch in moralische Schwierigkeiten kommt, wenn er sich darauf verständigt, dass das Tier eine unsterbliche und vernunftbegabte Seele habe. In diesem Dilemma befindet sich der Philosoph G. F. Meier im 62
Jahre 1749, der den Tieren eine unsterbliche und verständige Seele zuspricht, sich jetzt vor dem Problem einer Rechtfertigung des Leidens und der Tötung von Tieren sieht. Er löst dieses Problem, indem er auf Leibniz' Rechtfertigung Gottes angesichts des Übels in der Welt (das so genannte Theodizeeproblem) zurückgreift: »Die Natur tut nichts ohne Nutzen. Folglich muss der Tod der Thiere, seine nützlichsten Folgen, in den Seelen der Thiere haben. Nimmt man also an, dass die Seelen der Thiere durch den Tod an Verstand und Vernunft zunehmen: so wird ihnen alles das Uebel, so sie bey ihrem Tode ausstehen, reichlich ersetzt. Gott ist ein gütiger Vater aller seiner Geschöpfe; und es ist in Wahrheit eine anstößige Sache, wenn man sieht, wie viel thausend Thiere, die keine Strafe verwürckt haben, alle Augenblicke mit den größten Schmerzen sterben müssen. Gewinnen sie nun durch den Tod so viel: so ist das der Güte und der allgemeinen Liebe Gottes gemäß, dass durch diese einzige Betrachtung meine Meinung annehmungswürdig wird. Den Thieren kann keine größere Wohlthat widerfahren, als wenn sie getödtet werden.«9 Welch verschlungene Pfade des menschlichen Denkens, um zu rechtfertigen, was offensichtlich ein nicht aufhebbares Unrecht ist!
1.2.5 Was ist mit den Tieropfern in der Bibel? Es gibt Tieropfer im Alten Testament. Es lassen sich auch Spuren von Menschenopfern nachweisen, wie etwa in der sehr alten Geschichte von Abrahams Opfer (Gen 22). Isaak, Abrahams Sohn wird verschont und anstelle des Menschenopfers ein Tieropfer eingesetzt. Interessant ist allerdings, dass Abraham am Ende der Geschichte ohne seinen Sohn Isaak vom Berg herabkommt. Hat er Isaak doch geopfert? Auf jeden Fall ist das Opfer des Lebens ei63
nes Wesens eine scheinbar ganz dauerhafte Einrichtung in der Bibel. Noch die mittelalterliche Theologie und der Volksglaube bis in die Gegenwart deuten den Tod Jesu am Kreuz als Sühneopfer, um den Vater mit der Menschheit zu versöhnen, ganz dieser historisch alten Tradition entsprechend. Es scheint damit eine tiefe Wirklichkeit angesprochen zu sein, sonst hätte sich dieses Thema nicht so lange halten können. Erst die gegenwärtige westliche Theologie löst sich allmählich und mit vielen Geburtswehen von dieser Opfervorstellung. Wir betreten mit der Frage nach den Kult- und Sühneopfern ein schwieriges Gebiet. Sie sind nicht wegzudiskutieren und stellen einen erheblichen Teil der priesterlichen Kultvorschriften dar. Opfer gehören zur normalen Kultpraxis Alt-Israels, besonders im Jerusalemer Tempelkult. Aber es lassen sich auch viele Hinweise, besonders bei den Propheten finden, die diese Praxis kritisieren: Jes 66,3: »Man opfert Rinder — und erschlägt Menschen; man opfert Schafe - und erwürgt Hunde... wie diese Menschen ihre eigenen Wege wählen, und an ihren Götterbildern Gefallen haben, so wähle ich für sie die Strafe aus und bringe über sie Schrecken.«
Diese vielen verschiedenen Hinweise sind von der jeweiligen historischen Situation her zu verstehen. Wir bemerken in einer frühen Phase Opfer, die an verschiedenen Orten dargebracht wurden - ohne Hilfe von Priestern oder ganz genau geregelten Opferungsvorschriften, und ebenso nach der Zentralisierung des Opferkults in Jerusalem ein genau geregeltes und ausgeklügeltes System von Vorschriften und Anweisungen mit dem Ziel einer Versöhnung mit Gott. Opfer sind keine Spezialität Israels. Sie lassen sich in praktisch allen Kulturen nachweisen. Deshalb kennen wir auch verschiedene Theorien, die den jeweiligen Sinn solcher Opfer erklären sollen. Im Fall von Israel geht es sicher ganz stark um die Gemeinschaft und deren Beziehung zu Jahwe, den »Bund«. Trotz 64
der Zusage Gottes zum Menschen bleiben die Menschen aufgrund ihrer eigenen Schuld nicht in diesem Bundesverhältnis. Die Menschen vergehen sich, sie beachten Vorschriften nicht und fallen damit von Gott ab, laden Sünde auf sich. Es gibt aber die Möglichkeit, sich mittels eines Opfers zu entsühnen. Der zentrale Tag, an dem dies geschieht, ist der Versöhnungstag (Jom Kippur). Lev 16 beschreibt den Vorgang. Zuerst bringt der Hohepriester ein Opfer dar, um sich zu entsühnen, danach für die Priester und danach für das ganze Volk. Nur an diesem Tag darf er das Zentrum des Heiligtums (das Innere der Stiftshütte, später in Jerusalem des Tempels) betreten. Wenn er alles entsühnt hat, soll er einen Bock nehmen, beide Hände auf den Kopf des lebenden Bocks legen und laut die Sünden der Israeliten bekannt machen. Dann wird der Bock in die Wüste getrieben. Man hat ihm alle Sünden aufgeladen. Wir kennen diesen Bock noch als »Sündenbock«. Jede Gemeinschaft muss von Zeit zu Zeit ihr Gewaltpotenzial senken und sich von zerstörerischen Elementen befreien. Sie tut dies, indem sie Gewalt auf andere überträgt (René Girard). Die Geschichte ist voll von solchen Übertragungen. Vorurteile und Fremdenhass, die panische Angst des Menschen vor dem Anderen und Wilden speisen sich aus dieser Quelle. Immer wieder auftauchende Verfolgungen und Pogrome gegen Juden, Roma und Sinti, aber auch Menschen mit anderer Wert- und Moralordnung lassen sich so deuten. Diese Aggressionsübertragung bildet zugleich den Ausgangspunkt für eine menschliche Gemeinschaft. Die Gemeinschaft bildet sich dadurch, dass sie sich abgrenzt, im Fall von Israel von der Wildnis und den dort wohnenden anderen Völkern, dem Platz der Unordnung und Ungesetzlichkeit. Es ist wichtig, die durch die Sünde in Unordnung geratene Ordnung wiederherzustellen. Dadurch bedarf es eines Opfers: Beim Opfer handelt sich also um eine Institutionalisierung und Regelung von Gewalt, die - wenn sie nicht geregelt wird - blindlings und mit größeren Folgen zuschlägt. 65
Man kann sich natürlich über diese Theorie - wie über jede andere - streiten. Aber Gewalt und Aggression sind eine Realität unserer Welt. Und sie wird weder dadurch aus der Welt geschafft, dass man die Gewalt nicht ansieht oder sie theologisch wegerklärt. Die grundlegendste Form, mit diesem Gewaltpotenzial umzugehen, war die Übertragung von Gewalt auf das Tier, eine Art Blitzableitung auf das Andere, Fremde. Es wäre interessant, an dieser Stelle einmal der Frage nachzugehen, ob diese Blitzableiterfunktion nicht der eigentliche Grund für die Jagd (der Männer) auf Tiere war. Denn für die Ernährung spielen Jagdtiere außer in Randbereichen der Zivilisation - wie etwa in den Inuit-Kulturen (»Eskimos«) - schon seit vielen Zehntausenden von Jahren eine immer geringer werdende Rolle. Der Mensch ernährt sich seit dieser Zeit von dem, was um das Haus herum wächst oder was er auf seinen Wanderungen findet. Seit dieser Zeit gibt es aber auch die Legende von der Notwendigkeit der Jagd. Und am Beginn des 21. Jahrhunderts nach Christus finden sich immer neue Mythologisierungen für diese Schlachtungsart. Irgendwo hier scheint der Grund für Tieropfer zu liegen. Die biblischen Autoren drücken dies so aus: Wegen der scheinbar unausrottbaren Gewalt erlaubt Gott nach dem Sündenfall Tieropfer, sozusagen ein Kompromiss für die gefallenen Gottessöhne und -töchter, allerdings nicht irgendwie, sondern genau geregelt. Tiertötung soll nicht zu einer Steigerung von Gewalt führen, sondern zu deren Verminderung. Wo diese Erwartung sich nicht erfüllt, ist das Opfer sinnlos: Psalm 51,18-19: »Schlachtopfer willst du nicht, ich würde sie dir geben, an Brandopfern hast du kein Gefallen. Das Opfer, das Gott wohlgefällt, ist ein zerknirschter Geist, ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verschmähen.«
Ein solches Opfer ist sogar gotteslästerlich: 66
Jes 1,10-17: »Die Widder, die ihr als Opfer verbrennt, und das Fett eurer Rinder habe ich satt; das Blut der Stiere, der Lämmer und Böcke ist mir zuwider... Bringt mir nicht länger sinnlose Gaben, Rauchopfer, die mir ein Gräuel sind... Wenn ihr auch noch so viel betet, ich höre es nicht. Eure Hände sind voller Blut... Hört auf, vor meinen Augen Böses zu tun! Lernt, Gutes zu tun! Sorgt für das Recht! Helft den Unterdrückten! Verschafft den Waisen Recht, tretet ein für die Witwen!«
Diese Feststellung ist wichtig und sie erlaubt es, in den Opfern und dem Töten nicht etwas zu sehen, was Gott von sich aus fordert, sondern was in der menschlichen Schwäche begründet ist. Der Umkehrschluss ist ebenso zulässig: Wo der Mensch andere Wege findet, mit der Gewalt, der Aggression und der Sünde umzugehen, sind solche Opfer nicht mehr notwendig. Historisch sind alle drei großen abrahamitischen Religionen diesen Weg gegangen. Die Tempelopfer im Judentum enden mit der Zerstörung des Tempels im Jahre 70 n. Chr. Für die Christen wurde die Vorstellung von Jesus als (einzigem) Opferlamm immer wichtiger. Er hat die Sünden der Welt auf sich genommen, wie dies die christlichen Liturgien in der Welt immer wieder bekennen. Der Islam kennt noch das Tieropfer: Am Ende der Pilgerfahrt nach Mekka (der Hadj), oder des Festes zum Andenken an Abrahams Bereitschaft, seinen Sohn Isaak zu opfern (Eid el Adha). Immer handelt es sich um rituelle Schlachtungen mit anschließender Speisung, also nicht um ein Rauch- oder Ganzopfer (wie dies zum Teil im alten Israel üblich war). Falls man der Opfertheorie von Girard folgt, könnte man sagen, an die Stelle der menschlichen Gewalt tritt die Gewalt gegen Tiere. Sie wäre dann eine naturgesetzliche Notwendigkeit für den Frieden in der menschlichen Gesellschaft. Deswegen betonen und bejahen Teile des Alten Testaments auch Tieropfer. Sie sind aber nicht der Weisheit letzter Schluss.
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1.2.6 Ist das Friedensreich nur eine fromme Utopie? Das Tier-Mensch-Verhältnis steht im Ersten wie im Neuen Testament in einem engen Zusammenhang mit der Erlösung. Diese ist aus christlicher Sicht ganz gekoppelt an und konzentriert auf Jesus. Dies hat die Apokalypse deutlich gemacht. Dabei knüpft sie an sehr alte Vorstellungen an, die den Anfang mit dem guten Ende verknüpfen. Die berühmteste und möglicherweise wirkmächtigste dieser Vorstellungen lesen wir in der Ankündigung des Friedensreichs durch den Propheten Jesaja. Sie stellt auch eine Brücke zum Verständnis der Tier-Mensch-Beziehung im
Edward Hicks (1780-1849), Das Königreich des Friedens, um 1830. Öl auf Leinwand. New York State, Historical Association, Cooperstown/NY.
Neuen Testament dar. Jesaja kündigt in seinem 11. Kapitel (Verse 1-10) einen zukünftigen idealen Herrscher an. Dieser Herrscher hat sehr umfangreiche Kompetenzen. Vor allem ist er Garant des Friedens. »Frieden« (hebr. salom) ist etwas sehr Weitgehendes. Es bedeutet die Übereinstimmung aller Verhältnisse mit dem göttlichen Willen. Ein solcher Zustand des salom meint selbstverständlich auch den Frieden mit dem Tierreich: »Und der Wolf wird beim Lamm weilen und der Leopard beim Böckchen lagern. Das Kalb und der Junglöwe und das Mastvieh werden zusammen sein, und ein kleiner Junge wird sie treiben. Kuh und Bärin werden miteinander weiden, ihre Jungen werden zusammen lagern. Und der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind. Und der Säugling wird spielen an dem Loch der Viper und das entwöhnte Kind seine Hand ausstrecken nach der Höhle der Otter.«
Na und? - Als aufgeklärte Menschen wissen wir doch, dass damit eigentlich gar nicht ein friedliches Beisammenleben von Tier und Mensch gemeint sein kann. Das ganze stelle »nur« eine Metapher dar. Warum? Weil natürlich Löwen schon aus Gründen des Verdauungstrakts kein Gras und kein Stroh fressen können. - Ist damit die Geschichte jedoch für uns vollständig erklärt? Das Bild vom friedlichen Beieinander von Tier und Mensch sagt aus, dass die Welt von ihrer Heillosigkeit genesen kann, wenn der König als Statthalter der Gottheit seines Amtes waltet. Diese Vorstellung ist uns auch in unserem Kulturkreis bekannt: In den Legenden um die Suche nach dem heiligen Gral wird alles wieder gesund, wenn der König gesundet ist... Wo liegt die Bedeutung jener Bilder? Können Löwen Gras fressen und auf die Tötung anderer Beutetiere verzichten? Oft wurde versucht, den offenkundigen Widerspruch zwischen der scheinbar feststehenden Naturordnung, in der getötet wird, und den an69
Ein kollegiales Geplänkel: Ein Kollege, mit dem ich schon seit Jahren in einer Arbeitsgruppe zusammenarbeitete, wollte mich neulich etwas foppen. Er weiß natürlich, dass ich mich mit dem Thema Tier befasse, und er erzählt mir, er habe einen Bericht von Sikhs in Nordindien gesehen. »Stell dir mal vor«, sagte er, »die bringen es sogar fertig, Löwen irgendwie vegetarisch zu ernähren« und er lachte über diese für ihn groteske Vorstellung. Ich fragte zurück: »Wie ging's denn den Löwen?« »Naja, eigentlich nicht schlecht, sie lagen halt nur etwas schlapp und kraftlos herum.« Darauf bemerkte ich: »H., weißt du, Löwen liegen in jedem Fall fast die ganze Zeit herum. Nur bei Tierfilmen rennen sie die ganze Zeit durch die Gegend.« Mein Kollege hatte geglaubt, dass der Grund für das, wie er sagte, »faul herumliegen« in der fleischlosen Ernähung zu suchen sei. Ich weiß nicht, ob das der Grund ist, aber Löwen sind - egal bei welcher Ernährung Meister des Faulenzens.
schaulichen Beschreibungen von Jesaja zu entschärfen. Der Text wurde bildlich gedeutet, so als ginge es im Grunde genommen gar nicht um Tiere, sondern um das Verhältnis Israels zu den umgebenden Völkern. Noch Martin Buber versuchte es auf diese Weise. Im Text selbst gibt es keinen Hinweis auf eine solche Deutung. Jesaja selbst stellt sogar noch deutlicher fest: Man wird nichts Böses tun, noch verderblich handeln auf meinem ganzen heiligen Berg (Vers 9). Es wird nichts Böses mehr geben, weder unter den Menschen noch unter den Tieren. Das ganze stellt auch keine Einzelaussage dar. Bei Jesaja findet sich eine andere Stelle, die ganz ähnlich lautet: 70
»Wolf und Lamm weiden zusammen, der Löwe frisst Stroh wie das Rind (...) Man tut nichts Böses mehr und begeht kein Verbrechen auf meinem ganzen heiligen Berg, spricht der Herr.« (Jes 65,25)
Mittlerweile wissen wir, dass diese späte Jesaja-Stelle von einem anderen Verfasser stammen muss, der viel später gelebt hat. Aber auch diesem ist dieses Friedensreich sehr wichtig. Unbedingte Voraussetzung dieser salom-Ordnung ist die Erkenntnis des Herrn - ein Glaubensakt. Wenn diese anerkannt wird, wird Friede das ganze Land erfüllen. Friede wird jedem zuteil werden, wie Wasser das Meer bedeckt. Die Verwirklichung der göttlichen Ordnung gewinnt Gestalt in einer neuen Ordnung in allen Bereichen des Lebens. Diese neue Ordnung hebt alle gewalttätigen Bestandteile der Wirklichkeit in die Allgegenwart Gottes hinein auf. Wenn Theologie redlich bleiben will, dann kann sie dieser Grundvorstellung, dass Gottes Ordnung auch die Verhältnisse in der Natur auf den Kopf stellt, nicht entgehen. Wir müssen diese Vorstellung als eine mögliche aufrechterhalten. Aber es gibt Einwände: Es ist einfacher, Glauben als etwas Innerliches, rein Psychologisches zu betrachten. Oder man reduziert Glauben auf bestimmte ethische Grundhaltungen und -einstellungen. Jene Vision heute aber zu vertreten, ist natürlich schwierig. Vor allem erfordert sie einen veränderten Umgang mit Spiritualität. Was sie im Einzelnen bedeuten kann, soll später (Teil 2) erläutert werden. Für den oder die Verfasser stellt die Aussage von der Verwandlung auch des Tier-Mensch-Verhältnisses ein Leitmotiv prophetischer Theologie dar.
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1.3. Können es andere besser? 1.3.1 Der lateinisch sprechende Hund. Eine Erzählung aus den Anden1
Eines Tages ging der Herr mit seinem Hund aus, um einen weiten Spaziergang zu machen. Da tauchte plötzlich eine Schlange vor dem Herrn auf. Die Schlange kroch in ein Erdloch. Da bedeckte der Herr das Loch und sagte: »Ich will die Schlange in der Spalte zudecken. Was für ein schlechtes Zeichen, dass sie uns über den Weg gekrochen ist!« Der Hund aber merkte sich genau, was gemacht wurde. Dann kehrten sie nach Hause zurück. Nach einer langen Zeit wurde der Herr ernsthaft krank. Er wurde von vielen Ärzten und von vielen Yatiris (einheimischen Heilkundigen) behandelt. Alle Arten von Medizin probierte er aus, aber keiner der Ärzte konnte den Herrn heilen. Da sagte er: »Was kann ich jetzt noch tun? Ich habe viele Behandlungsarten versucht und es ist kein Geld mehr übrig. Was soll ich tun?« Er war sehr unglücklich, er und seine Frau und die Familie. In dieser Situation kam ein Mann an, um den Herrn zu besuchen. Der Hund des Herrn empfing ihn und redete mit ihm zuerst in Latein, da dieser Hund lateinisch sprach. Der Besucher redete auch lateinisch. Der Hund sagte dies in Latein: »Mein Herr ist sehr krank«, sagte er. Darauf fragte der Mann: 72
»Wie wurde er krank?« Der Hund sagte: »Eines Tages machte er einen weiten Spaziergang und sah eine Schlange vor sich auf der Straße. Die Schlange kroch in ein Loch und wir bedeckten das Loch mit einem Stein. Das war der Grund, warum er krank wurde. Und sie waren nicht imstande, das herauszufinden.« Alles das sagte der Hund in Latein zu ihm und der Mann verstand Latein. So redeten sie. Jetzt fragte der Mann den Hund, Und der Hund antwortete: »Sehr gut, wir können gehen. Der Schlange kann es nicht gut gehen, daher ist mein Meister krank.« So sprach der Hund: »Also gehen wir. Ich will zuerst deinen Herrn sprechen.« »O.k., sage ihm das«, antwortete der Hund. Der Mann sprach zu dem Herrn. »Hallo, Herr.« »Hallo«, sagte der Kranke. »Was war der Grund für deine Krankheit«? »Das ist es ja gerade. Ich frage dich, was meine Schuld gewesen sein könnte. Mir geht es überhaupt nicht gut.« So sprach er. Und der Mann sagte zu dem Herrn: »Ich will dich heilen.« »Wenn du das tatsächlich könntest! Ich wurde von vielen Ärzten behandelt. Niemand war in der Lage, mich zu heilen« So sprach der Herr zu dem Mann. Darauf entgegnete der Mann: »Kannst du mir etwas Milch geben? Wir werden sehen, ob wir dir helfen können«, sagte er zu dem Herrn. Und der Herr sprach:
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»Wir wollen sehen, Mama, gib dem Mann etwas Milch. Vielleicht wird er mich heilen.« So sagte er zu seiner Frau. Die Frau gab dem Mann die Milch. Und dann ging er mit dem Hund weg. Der Hund sprach: »Ich kenne den Platz, wo er die Schlange eingesperrt hat. Ich werde dich gerade dahin führen.« So sagte er. Dann gingen der Mann und der Hund so schnell sie konnten über die Steppe (Pampa), bis sie diesen Platz erreicht hatten. »Es ist hier, wo mein Herr die Schlange eingesperrt hat«, sagte der Hund. Darauf sagte der Mann: »Wir wollen nachsehen.« Er rollte den Stein von dem Erdloch weg. Die Schlange war da, aber bereits sehr ausgetrocknet und in einem erbärmlichen Zustand, dem Tode nahe. Und der Mann gab der Schlange ein bisschen Milch. Die Schlange trank die Mich gierig und sofort ging es ihr besser. Dann sagte der Mann zu dem Hund: »Sieh dir das an! Es geht ihm gut! Ich bin sicher, dass es deinem Herrn jetzt auch besser geht.« »Das hoffe ich«, sagte der Hund. Sie redeten in Latein und rannten den ganzen Weg zum Haus des Herrn zurück. Dem Herrn ging es tatsächlich besser. »O mein Herr, wie hast du mich geheilt? Ich fühle mich viel besser.« Während er dies sagte, stand er aus dem Bett auf. »Danke, werter Herr, wie hast du mich geheilt? Ich fühle mich wieder wohl, jetzt geht es mir gut. Ich kann überallhin gehen.« So sagte er zu ihm. Und danach sprach er zu seiner Frau: »Das ist der Mann, der weiß, wie man heilt! Aber ich habe so viel Geld für die Yatiri und die Ärzte verschwendet,
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dass ich keines mehr habe, um ihn für die Heilung zu bezahlen.« Seine Frau antwortete: »Sicherlich ist dieser Mann Gottes Sohn! Das ist der Grund, warum er dich geheilt hat, ohne dich nur zu berühren.« »Gut, Mann, was kann ich tun? Lass uns alle Ärzte und auch die Yatiri holen. Lass uns alle versammeln. Sattle sofort mein Pferd. Ich werde es dem Mann geben, der mich geheilt hat und ich werde ihm mehr Geld geben. Auf diese Weise werden die Ärzte und die Yatiri überzeugt, dass ich geheilt wurde. Haben sie es geschafft, mich zu heilen? Diese Ärzte und die Yatiri müssen mir all das Geld zurückbringen, das ich ihnen gezahlt habe. Es soll nicht für mich sein; es soll für jenen Mann sein. Dann werde ich es ihm im Angesicht von jenen geben.« So sprach er. »Dir sei Dank«, antwortete der Mann. Und er sprach mit dem Hund in Latein. Der Herr verstand die lateinische Sprache des Hundes nicht, noch verstand er, dass der Mann auch in Latein sprach. Der Mann und der Hund redeten über alles, geradeso wie menschliche Wesen. Als der Herr die Ärzte und die Yatiri zusammengeholt hatte, sagte er zu ihnen: »Wisst ihr, wie ich geheilt wurde? Jeder von euch hat mich behandelt, aber wurde ich gesund? Ihr habt mich betrogen! Jetzt gebt diesem Mann, jeder von euch. Gebt zurück, was immer ich euch gegeben habe. Es soll nicht für mich sein, sondern für diesen Mann. Ich bin ganz gesund, ich war in einem Augenblick geheilt. Ich werde ihm sogar mehr geben.« So erledigte er alles. Und der Mann, der mit dem Hund in Latein gesprochen hatte, ging mit seinem Pferd weg, mit dem Geld und mit dem Essen. Danach war der Herr ein sehr glücklicher Mann.
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(Anmerkung: Manchmal dient diese Geschichte zum Lachen, zu anderen Zeiten dient sie dem Nachdenken.) In einem Zimmer der Frankfurter Universität hatte Domingo Llangue diese Geschichte erzählt und er hatte hinzugefügt, dass das Entscheidende aus seiner Sicht die »reciprocidad« zwischen Tier und Mensch sei. »Reciprocidad« ist schwierig wiederzugeben. Es ist mehr gemeint, als das Fremdwort »Reziprozität« hergibt. Es existiert eine tief liegende Gewissheit von Verbundenheit, Interaktion, Abhängigkeit aller Wesen voneinander: in der Vorstellungswelt der lateinamerikanischen wie der nordamerikanischen Ureinwohner auf weit mehr bezogen als nur die Welt der Lebewesen. Berge zählen ebenso dazu wie Pflanzen. Zu diesem feinen System von Verbindungslinien gehören bestimmte Kommunikationsformen: Gespräche, Gebete, Rituale, Vorschriften. Das, was in der abendländischen Bewusstseinsform »Natur« heißt, »Umwelt« des Menschen, auf den Menschen allein bezogen, ist in dieser spirituellen Tradition ein geistiges Netz mit einem fragilen Gleichgewicht. Was jeweils getan werden kann und darf, wird genau geregelt. Diese andine Philosophie ist keineswegs tot. Es scheint eher so zu sein, dass sie ihre Lebendigkeit und Wirksamkeit heute zu uns herüberträgt. Dies hängt wesentlich daran, dass für das Indiovolk der Aymara nicht die Rolle des Beobachters das Entscheidende ist, sondern die Errichtung einer Beziehung. Wer einen anderen, ein nicht-menschliches Lebewesen, einen Stein beobachtet, stellt eine Verbindung zu ihm her. Die Geschichte des lateinisch sprechenden Hundes erzählt davon, wie ein Mann diese Beziehung zerstört und wie ein Hund hilft, diese Beziehung wieder einzurichten. Beziehung bedeutet hier anzuerkennen, dass jedes Element der Wirklichkeit einen angestammten Platz hat, eine vorgegebene Harmonie. Der Mensch erhält diese Harmonie, indem er eine Beziehung des Respekts zu diesen Wesen und Dingen aufbaut. Die Geschichte zeigt, wie sich ein Mann gegen diese Ord76
nung verhält. Er hat die grundlegenden Lehren seiner eigenen Tradition vergessen. Im Volksglauben der Aymara (und anderer südamerikanischer Indiovölker) hat die Schlange eine herausgehobene Bedeutung. Sie nimmt heilende Funktionen wahr, sie symbolisiert die Lebenskraft und ihr Auftauchen ist demzufolge ein gutes Omen. Der Mann in der Geschichte will die Schlange töten, indem er sie in ein Loch einsperrt. Diese Verweigerung gegenüber den eigenen Traditionen führt zu Krankheit, die auch kein Arzt oder Heiler kurieren kann. Der Hund benimmt sich demgegenüber so, wie sich ein Mensch verhalten sollte. Er beobachtet das Einsperren der Schlange, ist besorgt über den Zustand seines Herrn, spricht mit dem geheimnisvollen Fremden. Krankheit - so weiß er - hat damit zu tun, ob die Lebenskraft (die Schlange) eingesperrt ist. In der Aymara Sprache ist Krankheit: »katja«, gleichbedeutend mit »eingesperrt-sein«. Gesundheit kann erst dann wiederhergestellt werden, wenn die Lebenskraft befreit ist. Auch der erkrankte Mann hat noch eine Ahnung von diesem Grundverhältnis, indem er den Fremden fragt, wo er sich falsch verhalten hätte. Interessant ist das »lateinisch Reden« des Hundes. Latein steht für die Sprache, die der Mann nicht versteht, ist die Sprache, in der natürliche Ordnung und spirituelle Ordnung sich aufeinander beziehen. Es ist auch die Sprache einer nicht-menschlichen Kommunikation zwischen Tieren und Menschen und Tieren und Tieren. Die lateinische Sprache umschreibt für die Aymara ein Geheimnis, meint eine nicht-verstehbare Sprache. Weil aber Sprache etwas so Bedeutsames für den Menschen ist, wird das Fehlen des Verstehens ein Mangel. Zugleich aber bedeutet das Nicht-Verstehen nicht, dass Tiere über keine Kommunikation verfügten. Sie können sich sehr wohl unterhalten und mit Gott in Verbindung treten - aber eben auf »Latein«. Der Hund bedeutet in der Aymara-Symbolik den Begleiter der Seelen in die Ewigkeit. Der Haushund ist nicht nur ein getreuer Begleiter des Menschen (und ein guter Beobachter, wie übri77
gens jeder Hundehalter weiß), er steht in einer besonderen Beziehung zum Inneren, zur Seele des Menschen. In der Aymara-Tradition gibt es ein Verbot, Tiere ohne Grund zu quälen. Weil sie sich nicht selbst verteidigen und den Tierquäler anklagen können, rufen sie Gott um Hilfe. Außerdem kennt der Aymara die Bedürfnisse der Tiere, mit denen er umgeht. Jedes Tier verdient Respekt und Sorge, unabhängig davon, ob es ein »höher« oder »niedriger« entwickeltes Tier ist. Eingegriffen werden darf in diesen Naturschutzzusammenhang nur dann, wenn es für die menschlichen Bedürfnisse unabdingbar ist. Ich will noch einmal auf »Reziprozität« zurückkommen. Heilung geschieht in dieser Geschichte dann, wenn die wechselseitige Beziehung (die Reziprozität) wiederhergestellt wird. Die Schlange wird befreit und von dem Fremden wieder aufgepäppelt. Im gleichen Maße, wie dies geschieht, wird auch der Mensch wieder heil. Dies ist ganz grundlegend. Auch das Wohlergehen der gesamten Gesellschaft hängt davon ab, dass die Balance zwischen allen Wesen beachtet wird und sie bei einer Störung wiederhergestellt wird. Gerechtigkeit als Ausgleich ist dann verwirklicht, wenn das Gesetz der wechselseitigen Reziprozität beachtet wird. Diese Vorstellungen unterscheiden die Aymara von den typisch westlichen Denkstilen und Lebensweisen. Nach der Aymara-Kosmologie ist die physische Welt aufs Engste mit den sozialen Beziehungen verflochten. Alles, was ist, hat zunächst auch die Berechtigung zu existieren. In dieser Tradition sind Menschen, auch wenn sie eine besondere Verantwortung für die gesamte Schöpfung haben, keineswegs die absoluten Herrscher über alle Kreaturen. Sie haben sich an die vorgegebene Ordnung zu halten, ihr mit Respekt zu begegnen. Dies gilt auch und besonders für die scheinbar niedrigeren Formen des nicht-menschlichen Lebens.
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1.3.2 Heilige Kühe und heilige Affen Alle Religionen, die eine Art von zyklischem Zeitbewusstsein kennen, also von einer immer wieder neuen Verwandlung aller Wesen in einem Kreislauf ausgehen, tun sich leicht zu begründen, warum man einem Tier nichts Böses antun soll. Denn es könnte früher ein Mensch gewesen sein, der sich vergangen hatte und zur Strafe in ein Tier verwandelt wurde. Wir kennen etwa aus dem indischen Bereich sehr viele Erzählungen, die dieses Gestaltwechseln in mythologischer, märchenhafter Form erläutern. Aber es handelt sich hier keineswegs nur um abendlichen Erzählstoff für Kinder. Die Durchlässigkeit der gesamten Weltordnung und ihrer Wesen ist ein grundlegendes Motiv im hinduistischen Bereich (in Sanskrit: samsâra, d.h. Wiedergeburt, Kreislauf, Wandelwelt). Sie wird verbunden mit der Lehre von der Auswirkung der Tat:
Affentempel in Benares
»Erfahrt also in Gänze und gemäß der Ordnung, in welchen Mutterschoß die Seele hier in dieser Welt eingeht und (in Folge) welcher Taten. Diejenigen, die Todsünden begangen haben, werden, nachdem sie eine lange Reihe von Jahren in schrecklichen Höllen zugebracht und (die Strafen) abgebüßt haben, wieder geboren wie folgt: Der Mörder eines Brahmanen geht in den Mutterschoß von Hunden, Schweinen, Eseln, Kamelen, Kühen, Ziegen, Schafen, Hirschen oder Vögeln... ein. Der Brahmane, der Alkohol trinkt, geht in den von Würmern, Regenwürmern oder Insekten, von Vögeln, die sich von Exkrementen nähren, oder von Schädlingen ein ... wenn man einen Hirsch oder einen Elefanten stiehlt, wird man ein Wolf; ein Pferd, ein Tiger; Früchte und Wurzeln, ein Affe; wenn man eine Frau stiehlt, ein Bär; Wasser, ein schwarz-weißer Kuckuck...«1 Dies ist nur ein Ausschnitt aus der Aufzählung. Aber diese genau geregelte Strafe und Sühnevorstellung, volkstümlich vielleicht in der Vorstellung, man verspeise als Fleischesser einen gestorbenen Verwandten, gibt nur einen Teil der ethischen Grundeinstellung wieder. Sie ist notwendig zu ergänzen mit einer Vorstellung, die sich etwa um die Zeit der Geburt Christi in Indien durchsetzt: die »ahimsa«. Mahatma Gandhi hat den Begriff mit »non-violence«, Gewaltlosigkeit, übersetzt: wohl auch von der Wortbedeutung und der Wichtigkeit dieser Vorstellung her eine zu ungenaue Übersetzung. Besser wäre wohl zu sagen: »Nichtvorhandensein des Tötungswillens«. Dies stellt ein hohes religiöses Ideal dar. In der vedischen Zeit (1500-200 v. Chr.) existiert als notwendiges Opfer das eines Tiers. Das so genannte Purusha-Lied beschreibt die Opferung des Riesenmenschen Purusha, aus dessen Gliedern alle Wesen hervorgegangen sind. Die gängige Opferpraxis dürfte hier Pate gestanden haben: »Als Opfertier ward auf der Streu geweiht, der Purusha, der vorher war entstanden... Aus ihm als ganz verbranntem Opfertier; Floss ab mit Schmalz gemischter Opferseim; Daraus schuf man die Tiere in der Luft; Und die im Walde leben und daheim; Aus 80
ihm als ganz verbranntem Opfertier; Die Hymnen und Gesänge sind entstanden, Aus ihm die Prunklieder allesamt und was an Opfersprüchen ist vorhanden.«2 Ganz gewandelt dann das Gesetz des Manu, das bereits das Prinzip der Ablehnung des Willens zum Töten (ahimsa) einschärft: Der Brahmane soll, außer in Notfällen, einen solchen Lebenswandel führen, dass er den Geschöpfen keinen oder den möglichst geringsten Schaden zufügt. Wenn die Zeit der weltlichen Pflichten erfüllt ist, soll er zum Asketen werden, er soll sich in den Wald zurückziehen, sich mit Kräutern, Früchten und Reis ernähren, er soll gütig und gesammelt sein, geben ohne zu nehmen und mit allen Wesen Mitleid haben. Das bedeutet eine vegetarische Lebensweise. Fleisch zu essen bedeutet für den frommen Hindu so viel wie Aas essen. Ganz so streng ist Buddha offensichtlich nicht. Für ihn reicht es, dass die Speise, die dem Mönch gereicht wird, nicht für den Mönch getötet wurde. Der Jainismus hingegen
Straßenszene in Delhi
betont sehr stark den Zusammenhang zwischen ahimsa und der Seelenwanderungslehre und der Betonung der guten Taten. Alles steht in einem Zusammenhang zum asketischen Gedanken, dem eigentlichen Mittel, um diese Welt befreit zu verlassen. Tierverehrung hat in Indien eine lange Tradition, die viel älter ist als das, was wir im Westen heute als »Hinduismus« bezeichnen. Die Verehrung der Tiere hat ihre Wurzeln in einer landwirtschaftlich ausgerichteten Kultur, in der die Kuh zum Überleben unbedingt notwendig war. In einer Wirtschaft, die nur Rinder als Hilfen für den Menschen in der Landwirtschaft kennt, werden diese essenziell für das Leben selbst. Sie geben Milch für die Kinder. Milch ist der Ausgangspunkt für eine Reihe anderer Erzeugnisse: Butter, Jogurt, Milchprodukte. Rinder sind in diesen Lebens- und Wirtschaftskreislauf perfekt ökologisch eingepasst. Rinder sind wie alle Tiere Teil der geschaffenen Natur, deshalb sind sie - wie alle Wesen - verehrungswürdig. Kühe repräsentieren so für den Hindu die ganze Schöpfung, genau wie alle Säugetiere, Fische oder Vögel. Auf einer anderen Ebene, die sich mit der Entwicklung der religiösen Vorstellungen im indischen Bereich erst ganz langsam herausbildet, symbolisieren Kühe die Dauerhaftigkeit des Lebens über den Tod hinaus. Sie sind Sinnbilder für die Seele, die Gefühle, den Geist und sie stellen den Menschen die religiös bedeutsame Haltung des Gebens vor Augen, ohne mehr zu nehmen als eben Gras. Die Kuh gibt her, so wie die Seele immer mehr hergibt, als zu erhalten. In der westlichen, besonders der deutschen Literatur wird immer wieder auf die besondere Freundlichkeit der Inder Tieren gegenüber hingewiesen. Doch für den Nicht-Asketen, also die deutliche Mehrheit der Bevölkerung, stellt Fleischgenuss kein religiöses Tabu dar. Man kann zwar sagen, je höher die Kaste, desto mehr wird Wert auf eine fleischlose Ernährung gelegt. Aber hier gibt es auch starke lokale Unterschiede. So weit die Theorie. Was ist mit der Praxis? Im Westen besonders bekannt geworden ist die kultische Verehrung der Kuh in In82
dien. Kühe werden nicht angerührt, ihnen darf kein Leid geschehen: Dies jedoch zulasten von Menschen. Natürlich dürfen Kühe auch nicht getötet werden, jedenfalls offiziell. Wir wissen aus der Alltagspraxis, dass genau diese religiöse Verehrung im Grunde genommen einen Tierschutz für Kühe stark behindert. Nicht erlaubt ist, eine Kuh zu schlachten, auch dann nicht, wenn Euthanasie bei einem unaufhebbaren Leiden die tierwürdigere Entscheidung wäre. In der Praxis herrscht häufig eine große Missachtung gegenüber dem Leid der Tiere vor, auch wenn die religiösen hinduistischen Gesetze scheinbar befolgt werden. Aber diese religiöse Haltung den Tieren gegenüber ist meistens genauso wenig in den Alltag hinein umgesetzt wie in anderen Teilen der Erde. Das Schlachten von Rindern stellt gegenwärtig in der indischen Gesellschaft ein Problem dar. Es werden immer mehr Kühe getötet; aber darüber wird nicht gerne in der Öffentlichkeit geredet, weil man befürchtet, religiöse Gefühle zu verletzen. Es breitet sich eine auch in den Industriegesellschaften weit verbreitete Doppelmoral aus. Unter dem Schatten dieses öffentlichen Schweigens haben Schlachthäuser und Tiertransporte längst ihren Weg nach Indien gefunden. Von dem idyllischen Bild des Kühe und Tiere liebenden Inders, das noch aus der Zeit Mahatma Gandhis stammt, scheint gegenwärtig nicht mehr viel übrig zu bleiben. So schreibt die Präsidentin der Tierschutzorganisation PETA, Ingrid Newkirk, die selbst ihre Kindheit in Indien verbracht hatte, über einen Besuch im heutigen Indien: »Als ich in Indien aufwuchs, gab es überall Bilder von glücklichen Kühen. Nicht, als ob sie es einfach gehabt hätten, aber es war der Rest von Gandhis Verehrung des Lebens. Heute, unter starkem westlichen Einfluss, ist davon nichts mehr zu spüren. Ich fand ein blühendes Fleisch- und Ledergewerbe vor, das Hunger, Durst, Schläge, gebrochene Knochen und grausames Schlachten bedeutet. Es gibt keine einzelnen Verursacher dieses Leidens: Hindus, Muslime, Christen und Jains sind beteiligt.« Als Folge der gesellschaftlichen Veränderungen in den letz83
ten Jahren wird das gesetzliche Verbot der Rinderschlachtung in Indien heute nicht mehr beachtet. Auch Grausamkeiten gegen Tiere werden durch einen korrupten Polizeiapparat nicht mehr verfolgt. Eine »moderne« Entwicklung hat stattgefunden. Der Kernbestand der indischen Religion, der Gedanke der allumfassenden »ahimsa«, der in der Zeit Mahatma Gandhis zu einer gesellschaftlich prägenden Kraft wurde, verliert in einem raschen Prozess an Einfluss. Das heutige Indien ist auch aufgrund des Hungers und der tiefen gesellschaftlichen Armut weit entfernt vom Mitleid für Tiere.
1.3.3. Ein »heißes Eisen«: Das Tier im Judentum Drei Dinge stehen für mich außer Frage: 1. Die jüdische Religion kennt eine der am weitesten entwickelten traditionellen Ethiken für den Umgang mit dem Tier. 2. Diese Ethik wird heute durch ein fundamentalistisches Verständnis der biblischen Vorschriften zur Tötung von Tieren unterlaufen. 3. Es nützt nichts, sich der Diskussion zu entziehen, weil man in Rechnung stellt, dass Antisemitismus und Tierschutz gerade in Deutschland spätestens seit der Weimarer Republik eine enge Verbindung eingegangen sind. Als AKUT (Aktion Kirche und Tiere) im Herbst 1998 zu einem Studientag über das Tier in der jüdischen Weisung aufrief, hagelte es Proteste und Austritte. Etwas verwirrt stand der Veranstalter vor dieser Situation. Ein Kenner der Szene meinte dazu: »Das hättet ihr wissen müssen, was ihr da lostretet, wir haben uns immer davor herumgedrückt, uns mit dem Thema zu beschäftigen.« 84
Nach einer Podiumsdiskussion in Frankfurt hatte ich Gelegenheit, mit einem führenden Mitglied der jüdischen Gemeinde in Frankfurt zu sprechen. Ich fragte ihn nach seiner Meinung dazu, dass viele Menschen die jüdische Form des Schlachtens, die Schechita, ablehnen. Er meinte lakonisch: »Alles Antisemitismus.« Ich muss gestehen, dass ich darauf keine Antwort mehr parat hatte. Sollte es stimmen, dass jeder, der diese Qual der Tiere vor Augen hat, automatisch ein Antisemit ist? Eine zweite Antwort: Eine bekannte jüdische Theologin sagte bei einem Arbeitstreffen auf die gleiche Frage: »Alles Heuchelei. Warum kümmert ihr euch um die paar geschächteten Rinder im Vergleich zu euren Millionen Schlachttieren. Wollen Sie mir etwa sagen, dass deren Tod immer schmerzfreier sei als die sehr genau geregelte Methode des Schächtens?« (Sie hatte für sich selbst übrigens den Schluss gezogen, vegetarisch zu leben, dies sei für sie als Jüdin heute die angemessenste Lebensweise) Natürlich hatte sie wegen der Zahlen Recht. Jeder Direktor eines Schlachthauses weiß aus eigener Erfahrung, dass selbst bei einer vorausgehenden Betäubung eine große Anzahl von Tieren erheblichen Leiden und Schmerzen bei der Tötung ausgesetzt ist, weil durch die Fließbandarbeit die Methoden häufig versagen: Elektrozangen werden nicht richtig, der Bolzenschussapparat wird nicht sachgemäß angesetzt und die Schlachtungsvorgänge werden auch nicht laufend von Amtstierärzten überwacht. Aber man kann Leid nicht einfach verrechnen. Die Frage muss trotzdem gestellt werden, welches Leid das Schächten beim einzelnen Tier tatsächlich hervorruft und welche Konsequenzen in unserer Gesellschaft daraus zu ziehen sind. Das Schächten steht in einem größeren religiösen Zusammenhang und sollte nicht isoliert betrachtet werden. Ich gehe davon aus, dass sich aus diesem letztlich religiös-spirituellen Zusammenhang durchaus etwas für eine christliche Spiritualität im Umgang mit dem Tier lernen lässt. 85
Die Nahrungsaufnahme gehört grundlegend zu unserem Leben. Ohne Nahrung gibt es kein Weiter- und Überleben. Da die Aufnahme von Nahrung beim Menschen überwiegend in einer Gemeinschaft, Gruppe, Familie geschieht, ist die Art, was und wie ich esse immer zugleich ein Symbol für die eigene Stellung in der Welt, in der Gemeinschaft. Es war zum Beispiel in unserem Kulturraum früher üblich, dass der männliche Haushaltsvorstand zuerst sein Essen erhielt und die größte Portion. Dahinter stand die Vorstellung, dass er die wichtigste Person für die Ernährung des gesamten Haushaltes sei. Zugleich symbolisiert diese Art der Essens-Reihenfolge auch eine Familien und Gesellschaftsordnung: patriarchal, klar hierarchisch aufgebaut und am Mann orientiert. Was man isst, welche Zutaten man verwendet, ob ein Nahrungsmittel angemessener ist als ein anderes, wurde entweder von der Einkommenslage oder dem persönlichen Geschmack entschieden. Innerhalb unserer westlichen Glaubens- und Kulturtradition haben sich lediglich Mönche von Zeit zu Zeit hierüber Gedanken gemacht. So lehnt das Mönchstum von seinen Anfängen mit den Wüstenvätern des 3. und 4. Jahrhunderts n. Chr. den Genuss von Fleisch wie überhaupt jeden übermäßigen Genuss ab, weil sie darin die Gefahr sahen, dass der Mönch (der Mensch) die Triebe und Sehnsüchte absolut setzt und sich nur daran ausrichtet. Man mag das von heute aus gesehen beurteilen, wie man will; immerhin war ein starkes Bewusstsein davon vorhanden, dass es keineswegs gleichgültig ist, was man isst und wie man isst: »Der Mensch ist, was er isst«. Dieses Mönchtum war aber in unserer Gesellschaft im Grund genommen immer nur eine Randerscheinung und die ursprünglichen Regeln wurden und werden auch dort nicht immer so konsequent beachtet. An der Wiege der westlichen Zivilisation und der sie symbolisierenden Religion, des Christentums, steht der Entschluss, sich von den Rechtsvorschriften des Judentums einschließlich der Reinheitsordnung zu verabschieden. Es mag reli86
giöse Gründe hierfür geben. Paulus behandelt das an mehreren Stellen ausführlicher, aber ich möchte das hier nicht ausbreiten. Ich möchte eher den Blick darauf lenken, was bei diesen ganzen Veränderungen auf der Strecke geblieben ist. Dazu schauen wir zuerst nach den jüdischen Speisegesetzen. Weil Nahrungsaufnahme so wichtig ist, gehören diese Essensvorschriften zu den zwingendsten jüdischen Regelungen. Sie sind jeweils aus der Tora (den ersten fünf Büchern Mose im Alten Testament) begründet. Ich gebe einige prägnante Aussagen wieder: Lev 11,2-8 (= 3. Buch Mose): »Sag den Israeliten: Das sind die Tiere, die ihr von allem Vieh auf der Erden essen dürft: Alle Tiere, die gespaltene Klauen haben, Paarzeher sind und wiederkäuen, dürft ihr essen. Jedoch dürft ihr von den Tieren, die wiederkäuen und gespaltene Klauen haben, folgende nicht essen: Ihr sollt für unrein halten das Kamel, weil es zwar wiederkäut, aber keine gespaltenen Klauen hat; Ihr sollt für unrein halten den Klippdachs, weil er zwar wiederkäut, aber keine gespaltenen Klauen hat; Ihr sollt für unrein halten den Hasen, weil er zwar wiederkäut, aber keine gespaltenen Klauen hat; ihr sollt für unrein halten das Wildschwein, weil es zwar gespaltenen Klauen hat und Paarzeher ist, aber nicht wiederkäut. Ihr dürft von ihrem Fleisch nicht essen und ihr Aas nicht berühren. Ihr sollt sie für unrein halten.«
Das sind sozusagen die von Natur aus reinen bzw. unreinen Tiere. Aber selbst bei den grundsätzlich reinen Tieren gibt es Ausnahmen. Ein Tier kann unrein sein, d.h. es darf nicht verzehrt werden (hebr.: »trefah«), wenn es verletzt ist, wenn die Speiseröhre durchbohrt oder die Luftröhre zerrissen ist, wenn die Hirnhaut oder das Herz verletzt sind, wenn der größere Teil seiner Außenhaut durchbohrt ist, wenn das Tier so geschädigt ist, dass es aus eigener Kraft die nächsten 12 Monate nicht überleben würde. Diese Aufzählung geht noch weiter. Aber nicht nur die Tierart, die gegessen werden darf, wird festgelegt, sonder auch die Zubereitung. So darf z.B. Milch nicht mit Fleisch bei der Zuberei87
tung zusammenkommen. Dies bedeutet die Umsetzung des Barmherzigkeitsgebotes: »Das sollst ein Böcklein nicht in der Milch der Mutter kochen« (Ex 23,19 = 2. Buche Mose). Es wäre aus der Sicht des Juden ungehörig grausam, ein geschlachtetes Junges in der Milch der eigenen Mutter zu kochen. Und nachdem man einer Milch nicht ansieht, woher sie kommt, muss verhindert werden, dass der Mensch unbeabsichtigt grausam gegenüber dem Lebewesen ist. Darüber hinaus gilt ein allgemeines Verbot des Genusses von Blut. Lev 17,10-14: »Jeder Mann aus dem Haus Israel oder jeder Fremde in eurer Mitte, der irgendwie Blut genießt, gegen einen solchen werde ich mein Angesicht wenden und ihn aus der Mitte seines Volkes ausmerzen. Die Lebenskraft des Fleisches sitzt nämlich im Blut. Dieses Blut habe ich euch gegeben, damit ihr auf dem Altar für eurer Leben die Sühne vollzieht; Denn das Blut ist es, das für ein Leben sühnt. Deshalb habe ich zu den Israeliten gesagt: Niemand unter euch darf Blut genießen, auch der Fremde, der in eurer Mitte lebt, darf kein Blut genießen. Jeder unter den Israeliten oder der Fremde in eurer Mitte, der Wild oder für den Genuss erlaubte Vögel erlegt, muss das Blut ausfließen lassen und es mit Erde bedecken. Denn das Leben aller Wesen aus Fleisch ist das Blut, das darin ist. Ich habe zu den Israeliten gesagt: Das Blut irgendeines Wesens aus Fleisch dürft ihr nicht genießen; denn das Leben aller Wesen aus Fleisch ist ihr Blut. Jeder, der es genießt, soll ausgemerzt werden.«
Man kann natürlich sagen, dass die alte Vorstellung, man könne das Blut entfernen, indem man ein Lebewesen ausbluten lässt, prinzipiell falsch ist, da sich im Fleisch selbst und überall im Körper noch Blut befindet, auch wenn es scheinbar ausgeblutet ist. Nach dieser älteren Vorstellungswelt werden wohl Fleisch und Blut als zwei Substanzen angesehen, die man säuberlich trennen kann. Wir wissen heute, dass das nicht geht. Aber es handelt sich 88
hier um eine Beobachtung und nicht um eine mikroskopische Untersuchung. Auf jeden Fall liegt hier eine sehr wichtige Bestimmung vor, wie das dreimalige Einschärfen dieser Regel zeigt. Ich frage jetzt zuerst nach der praktischen Auswirkung: Könnte man diese Regel auf unsere Kultur übertragen, würden weite Teile der Ernährung durch Tiere wegfallen. Es wäre auch nicht möglich, Tiere über einen längeren Zeitraum so zu transportieren, dass sie eher tot als lebendig im Schlachthaus ankommen. Sehr viele Tiere dürften überhaupt nicht verzehrt werden. Die Jagd, wie wir sie kennen, gäbe es nicht. (Israel kennt nur die Erlaubnis zur Selbstverteidigung gegenüber wilden Tieren, nicht aber die Vorstellung von Jagden zum Freizeit-»Vergnügen« oder für den Speisezettel.) Auch die industrielle Tötung von Tieren wäre nur eingeschränkt möglich, da dann nicht sichergestellt wäre, ob die Tiere tatsächlich gemäß diesen Vorschriften getötet wurden. Auch die Kontrolle der Nahrung nach diesen Vorschriften wäre hilfreich: Jogurt darf dann eben keine Gelatine aus dem Gebein von BSE-verseuchten Rindern enthalten und es dürfte auch keine Brühe verwendet werden, bei der nicht klar ist, welche Bestandteile darin sind. Kehren wir vom Reich der Fantasie in die wirkliche Welt zurück. Wenn wir uns wach ansehen, wie heutige Juden etwa in Israel mit diesen Weisungen umgehen, wird schwerlich ein total verschiedener Umgang mit Lebewesen erkennbar sein. Auch in Israel existieren Massentierhaltung, Legebatterien, industrielle Tötung. Hier ist kein nennenswerter Unterschied zu anderen westlichen Zivilisationen. Und grundsätzlich gilt, dass Gesetze und Vorschriften im Allgemeinen dann aufgeschrieben werden, wenn sie nicht beachtet werden. Wenn es keinen Diebstahl gibt, braucht man nicht aufzuschreiben: »Du sollst nicht stehlen«! Welchen Sinn haben solche Vorschriften? Verschiedene Versuche werden unternommen, diese Regeln zu erklären. Der gängigste ist die Zugrundelegung hygienischer Vorschriften: Es sei schwierig, unter den Bedingungen des Orients Schweinefleisch 89
ohne Kühlung aufzubewahren. Der Entzug von Blut macht das Rindfleisch haltbarer. Andere Erklärungen bevorzugen etwa die Vorstellung einer ökologischen Ordnung. Danach würde bei Einhaltung der Regeln die Natur in einem organischen Gleichgewicht stehen. Schweine passen nicht in das ökologische System dieser Landschaft, da sie zum Ausgleich ihrer Körpertemperatur sich suhlen müssen. Steht zu wenig Wasser zur Verfügung, tun sie das zur Not im eigenen Kot und Urin, was sie wiederum anfälliger für alle möglichen Infektionskrankheiten macht. Aus gegenwärtiger jüdischer Sicht sind solche Erklärungen wohl nicht direkt falsch, verfehlen aber den eigentlichen Sinn. Denn deren Sinn liege im Religiösen. Indem der Mensch sich aktiv mit seiner Nahrung beschäftigt, muss er permanent entscheiden, ob diese oder jene Speise einem höheren als seinem eigenen Willen entspricht. Dadurch wird selbst der alleralltäglichste Vorgang wie das Zu-sich-Nehmen von Speisen zu einer fortwährenden Anerkennung dessen, der diese Vorschriften erlassen hat, zu einer Art Gebet ohne Worte. Die Reinheits- und Speisegebote sollen den Menschen darüber hinaus zivilisieren. Er soll nicht blindlings einem Trieb folgen und ohne Bedacht etwas in sich hineinstopfen. Damit sondern sie ihn vom Tierreich ab. Sie sondern den Juden aber auch von dem Rest der Menschheit ab, die diese Gebote nicht befolgen. Jüngere Jüdinnen und Juden berichten immer wieder davon, wie sie bei einem gemeinsamen Essen mit Nicht-Juden aufpassen müssen, was angeboten wird. Es käme immer wieder zu Diskussionen, man müsste erklären. Die Lebensweise hebt sich damit stark von anderen ab. Für Juden ist dieses permanente Fremd- oder Anderssein zugleich ein Hinweis auf die herausgehobene Funktion des jüdischen Volkes als Priestervolk. Moral und Ethik sind für uns prinzipiell nachvollziehbar, ein anderer Glaube streng genommen nicht. Auf jeden Fall ist sinnvoll zu beachten, was man jeweils isst. Wer weiß bei uns schon, was alles in unserer Nahrung steckt, und wer kann die Frage wirk90
lich beantworten, ob das alles für unser leibliches (und seelisches) Wohl zuträglich ist. Konsequenzen für die Natur hat aber auch, in welchem Umfang wir etwa Fleisch zu uns nehmen, denn damit wird eine ganze Kette und Ursachen und Wirkungen in Gang gesetzt. So weit zu Ethik und Moral der jüdischen Reinheits- und Speisevorschriften. Der religiöse Sinn dagegen ist für uns schwieriger zu verstehen, besonders dann, wenn es um die zentrale Frage des in der rabbinischen Tradition vorgeschriebenen Schächtens von Tieren geht. Das Schächten bildet die Hauptauseinandersetzungslinie. Das ist schade, weil so die Weite und grundsätzliche Bedeutung der jüdischen Tierethik nicht beachtet wird. Der Tanz ums goldene Kalb Recht drastisch sieht Carlos Mesters, ein brasilianischer Theologe, diesen Zusammenhang, wenn er beschreibt, dass in Brasilien große Dschungelflächen gerodet werden, um Weideflächen für Rinder zu schaffen, die für den Export bestimmt sind. Es handele sich um einen »Tanz ums goldene Kalb« wie im Alten Testament (Exodus 32), da alles diesen Interessen untergeordnet werde: Die Menschen, die vertrieben werden, die Natur...
In Deutschland ist die Ausgangslage so, dass vom Tierschutzgesetz her Wirbeltiere, besonders Säugetiere nur nach vorhergehender Betäubung getötet werden dürfen. Diese Betäubung geschieht entweder mittels eines Bolzenschussapparates oder Elektrozangen. Die Betäubung lehnen orthodoxe Juden ab, denn sie stehe nicht im Einklang mit der Weisung Gottes (Tora). Nun ist allein durch das hohe Alter der Reinheitsordnung verständlich, dass Vorschriften über die Betäubung fehlen - es gab sie damals noch nicht. Heute kennen wir aber Betäubungsmethoden. Hier befinden wir uns in einem grundlegenden Dilemma. Die meisten Menschen gehen davon aus, dass ein Tod mit Betäubung »humaner« 91
sei als ein solcher ohne. Dazu müssen wir aber wissen, dass unter den Bedingungen moderner Schlachthöfe, dem Stress, der Akkordarbeit, diese Betäubung nicht immer wirkt. Wir wissen auch sehr wenig von den psychischen Vorgängen nach dieser Betäubung, wenn Schweine etwa nach dem Auftrennen der Halsschlagader sterben. Bei uns regelt keine Bestimmung, dass etwa ein nicht sachgemäß getötetes Tier nicht mehr für den Verzehr zugelassen werden könne. Solche Bestimmungen gibt es aber im Judentum. Der Schochet, der die jüdische Schlachtung ausführt, ist in besonderer Weise ausgebildet, er ist ein besonders religiöser Mann und arbeitet im Auftrag des Rabbiners. Mittlerweile wird etwa in Amerika durch Drehvorrichtungen das Rind in einen kurzzeitigen Schockzustand versetzt, innerhalb dessen dann der Schächtschnitt angebracht wird. Das erklärte Ziel des Schächtens ist, eine möglichst schonende Art der Tötung für das Tier zu erreichen. Das war zu den klassischen Zeiten des Judentums sicher fortschrittlich, wenn man sich die Tötungsmethoden der anderen Völker anschaut. Allerdings wäre dieser Sinn möglicherweise heute noch einmal neu durchzubuchstabieren. Es könnte sein, dass beim Verbot der Betäubung ein fundamentalistisches Grundverständnis der Weisung Gottes vorliegt, das sich im Grunde genommen nur am Rande um das Wohl der Tiere kümmert. Dies zeigt sich an den Auseinandersetzungen um moderne »Tierproduktion«, die es natürlich in Israel genauso gibt wie in anderen Industriestaaten, als Folge eines stark gestiegenen Fleischkonsums. Der Talmud warnt noch davor: »Die Torah lehrt uns eine Lebensregel, indem sie sagt, dass ein Mensch nicht Fleisch essen soll so viel sein Herz gelüstet, sondern er soll nur gelegentlich und sparsam essen.«4 Aber was bedeutet eine solche Warnung in Zeiten des Wohlstands und der zunehmenden Bedeutungslosigkeit dieser Lebensregel auch in Israel? Nun wird gegen diese Praxis der Tiertötung schon sehr lange protestiert. Dieser Protest ist eng mit antisemitischen Bestrebungen verbunden, sodass am Ende gar nicht mehr zwischen Tier92
schutz und Antisemitismus unterschieden werden kann. Besonders negativ hat sich hierbei die Propaganda der Nazis ausgewirkt, die nach wie vor das Modell für die weit verbreitete Vorstellung des Schächtvorgangs darstellt.5 Zwei Filme wirkten hier sehr weit reichend und negativ: »Jud Süß« und »Der ewige Jude«. »Jud Süß«, ein Film des auch nach dem 2. Weltkrieg tätigen Regisseurs Veit Harlan, baute auf einem historischen Stoff auf. Es ging um die problematische Rolle des Joseph Süß Oppenheimer, eines Finanzberaters des württembergischen Herzogs Karl Alexander in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Die Geschichte war bereits mehrfach bearbeitet worden (z.B. von Lion Feuchtwanger) und bekannt. In der Gesamtmontage werden erkennbar alle gängigen Stereotype des Antisemitismus - unter anderem die Grausamkeit der Juden gegenüber allen Geschöpfen (am Beispiel des Schächtens) bedient. Die Handlung des Filmes beschreibt den verhängnisvollen Einfluss des Juden auf den Herzog und die Ausbeutung des württembergischen Volkes. Das Drama erreicht seinen Höhepunkt in der Vergewaltigung der »arischen« Heldin und der »sühnenden« Hinrichtung des Juden. Der »Ewige Jude« war nach den Vorstellungen Hitlers und Goebbels als Ergänzung zu »Jud Süß« gedacht. Als »Dokumentarfilm« sollte er dem deutschen Volk glaubhafte Argumente zur »Minderwertigkeit« der jüdischen Rasse liefern. In geschickten Kombinationen von Dokumentaraufnahmen und Trickfilmen werden Juden mit Ratten verglichen und die jüdische Grausamkeit ebenfalls anhand blutiger Schächtszenen gezeigt. »Jud Süß« und »Der Ewige Jude« verdankten ihren propagandistischen Erfolg einer Gemeinsamkeit: Sie bedienten sich beide aller antisemitischen Stereotypen, die in der Geschichte des Antisemitismus greifbar waren. Das reichte von dem Vorwurf der religiösen Kindesopferung (Ritualmord) bis zur Vorstellung einer jüdischen Weltverschwörung. Diese vielen Vorurteile wurden durch das Medium Film geschickt dargestellt und damit bildhaft greifbar. »Jud Süß« und »Der Ewige Jude« wurden wiederholt 93
Polizei- und Wehrmachtseinheiten sowie KZ-Wachpersonal vorgeführt und halfen auf ihre Weise mit, die Hemmschwelle für Gewalt gegenüber jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern zu senken. Interessant ist, dass die Kombination Antisemitismus-Tierschutz auch heute noch wirkt. Als »Der Ewige Jude« im Oktober 1999 im Zuge eines Publizistikseminars an der Technischen Universität Berlin gezeigt wurde, diskutierte das Publikum nicht über die Propagandawirkung des Filmes, sondern man stritt sich um die angeblich bestialische Grausamkeit der jüdischen Schächtsitte. Dies war die gleiche Wirkung, die der Film bereits 1940 ausübte. Es scheint so zu sein, dass man sich der beabsichtigten Gesamtwirkung nur sehr schwer entziehen kann. Tierschutzbewegung und Antisemitismus sind in Deutschland, Österreich, der Schweiz von Anfang an eine sehr enge Bindung eingegangen. Das erschwert zusammen mit den historischen Erfahrungen, die gerade Juden nicht überspringen können, die Diskussion um das Schächten. Hilfreich wäre hier allein ein interreligiöser Dialog. Dieser steht aber gegenwärtig vor unüberwindlichen Schwierigkeiten. Zunächst besteht nur eine sehr geringe Gesprächsbereitschaft. Jede orthodoxe religiöse Ausrichtung ist in erster Linie daran interessiert, den bisherigen Bestand von religiösen Riten und Vorstellungen zu sichern. Dies gilt besonders für Vorschriften, die religiös so zentral sind wie die Speisegesetze bei Juden. Hier soll gerade nichts verändert werden - aus Respekt Gott gegenüber. Am anderen Pol stehen als mögliche Dialogpartner christliche Kirchen, Gemeinschaften und deren Theologien. Das Christentum hat sich sehr schnell aus einer jüdischen Sekte unter strenger Einhaltung aller jüdischen Vorschriften in eine Religionsgemeinschaft verwandelt, die sich sehr weitgehend den jeweiligen kulturellen Bräuchen angepasst hat - besonders was die Riten und auch die Vorschriften für das alltägliche Leben angeht. Lediglich der Katholizismus war bis in die Zeit nach 1945 noch bestrebt, hier 94
ein wenig zu regulieren (es gab freitags kein Fleisch, sondern Fisch als Erinnerung an das Leiden und Sterben Jesu). Für das Heidenchristentum (also die heutige Gestalt des Christentums) galt: »Freiheit vom Gesetz«. Wenn aber nicht mehr das göttliche Wort den Umgang mit den Mitgeschöpfen reguliert, was tritt dann an diese Stelle? Christliche Theologie hat bis in die Achtzigerjahre gebraucht, um überhaupt »Welt« und »Schöpfung« als Gegenstand der Theologie zu entdecken. Erst seit wenigen Jahren werden (wenngleich wachsweiche) ethische Formulierungen über den Umgang des Menschen mit dem Tier vorgelegt. Hilfreich und die Verhältnismäßigkeit gerade in der interkulturellen Schlachtdiskussion wahrend sind einige Zahlen. Im Falle der jüdischen betäubungslosen Schechita in Deutschland geht es um weniger als 800 Tiere pro Jahr, von denen die hier lebenden Juden aus religiösen Gründen wiederum nur die Hälfte des Fleisches zu sich nehmen dürfen. Die andere Hälfte des Schechita-Fleisches kommt in den nicht-jüdischen Markt. Millionen von Schweinen und Rindern kommen aber durch Tötung in (»christlichen«?) Schlachthäusern um, nach einem »Leben« in Intensivhaltung und einem unwürdigen Transport. Welche religiösen Menschen haben sich um diese Zustände gekümmert? Wo sind entschiedene Worte von Kirchenleitungen und Gemeinden? Wo findet eine Auseinandersetzung darüber statt, ob die Jagd auf Tiere ethisch vertretbar ist? All dies ist der religiösen Ethik des Judentums alles andere als egal und sehr weitgehend geregelt. Trotz aller religiösen Differenz sind hier noch einige christliche Vorleistungen nötig, bevor ein Dialog um die Schechita auf einer vergleichbaren Ebene geführt werden kann. Das Eisen des Schächtens bleibt nichtsdestotrotz heiß. Vor allem wird es fälschlicherweise häufig mit dem rituellen Schlachten im Islam in Verbindung gebracht. Hier ist die Lage aber eine andere:
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1.3.4 Zivilisationsprobleme: Muslime in Deutschland Das Thema der betäubungslosen Schlachtung stellt sich auch den Muslimen. Wäre die betäubungslose Halal-Schlachtung in Deutschland zugelassen, dann wäre ein Markt für ca. eine Million Moslems vorhanden. Wie soll man mit diesem Problem umgehen? Aus einem offenen Brief des islamischen Zentrums Karlsruhe an deutsche Tierschutzvereine vom 4. März 2000 von Dr. Nadeem Elyas (Vorsitzender): »Alle wesentlichen islamischen Gruppierungen Deutschlands haben bisher immer wieder ihre sorgfältig geprüfte Glaubensüberzeugung zum Ausdruck gebracht, nach der die betäubungslose Schächtung als wesentlicher Bestandteil unserer Religionsausübung zwingend vorgeschrieben ist und zum lebendigen Inhalt unseres Glaubens gehört. Wir sind ebenfalls davon überzeugt, dass unsere Art der Schlachtung die humanste ist. (...) Eine vorherige Betäubung bringt nur eine unnötige zusätzliche Qual für das Tier mit sich. Wir sehen unsere rituelle Schlachtung in einem größeren Zusammenhang eines weiterreichenden Tierschutzes. Die Tiere sind nach islamischer Lehre die Mitgeschöpfe des Menschen und müssen dementsprechend auch mit Würde behandelt werden. Dazu gehören beispielsweise die Probleme der artgerechten Tierhaltung, der Tierversuche und der Tiertransporte. Für das betäubungslose islamische Schlachten, das nach unserer festen Glaubensüberzeugung uns zwingend vorgeschrieben ist, können wir folgende Voraussetzungen und Vorschriften zusammenfassen: • Das Tier ist ein Mitgeschöpf (deswegen haben wir auch den Beschluss des Parlaments begrüßt, auch im deutschen Gesetz das Tier nicht als eine Sache sondern endlich als Mitgeschöpf anzuerkennen). 96
•
Ein Tier muss artgerecht gehalten werden. Eine industrielle Tier-Massenproduktion lehnen wir genauso ab, wie inhumane Transporte lebender Tiere. • Die Schlachtung habe betäubungslos zu geschehen. Die Art der islamischen Schlachtung: • Das Tier darf nicht zusehen, wie ein anderes geschlachtet wird. • Die Fesseln des Tieres dürfen nicht vollständig sein; wenigstens ein Bein muss frei bleiben. • Das Tier muss vorher getränkt, gefüttert und beruhigt werden. • Vor der Schlachtung muss ein Gebet über dem Tier gesprochen werden. • Das Messer muss sehr scharf sein und keine Scharten aufweisen. • Der Schnitt muss sofort die Halsschlagader und die Luftröhre durchtrennen, damit der Tod schnellstens eintritt und das Leiden des Tiers auf ein Minimum beschränkt bleibt. (...) Wir hoffen, dass Sie für unsere Glaubensüberzeugung Verständnis aufbringen, wie auch wir die Glaubensüberzeugungen anderer achten. Wir sind uns ja in den Grundsätzen des Tierschutzes einig. Wir möchten Sie darum bitten, sich auch in unsere Lage hineinzuversetzen und unsere Argumentation zu verstehen. Ein Miteinander ist ja keine Einbahnstraße. Es liegt uns fern, die Brücken zwischen uns und anderen Teilen der Gesellschaft abzureißen. Neben unserem Anliegen als Tierschützer, die wir aufgrund unserer Religion sein müssen, hoffen wir auch aus unserer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung auf eine konstruktive Zusammenarbeit mit allen.« Ich spreche hier von »Schlachten«, weil der Muslim andere Voraussetzungen hat als der gläubige Jude. Immer wieder kommt es zu Schwierigkeiten gerade in diesem Bereich. Es sind weit mehr 97
Tiere durch die Schlachtungsmethoden des Islam auch in Deutschland betroffen, als dies von jüdischer Seite aus der Fall ist. Ein Teil des Problems entstand daraus, dass im Unterschied zum Judentum das betäubungslose Schlachten im Islam seit 1995 nicht mehr als eine religiös zwingende Vorschrift angesehen wird. Damit waren die jeweiligen Amtstierärzte gezwungen, diese Art des Schlachtens zu verbieten. Man betrieb in der Folge eine intensive Aufklärungsarbeit über die Elektrokurzzeitbetäubung. Der »Erfolg« war gemischt. Ein betroffener Tierarzt schildert seine zwiespältigen Erfahrungen: »Erst beim Opfertag 1999 konnte eine allgemeine Akzeptanz des Betäubungsverfahrens beobachtet werden, wahrscheinlich aber nur dann, wenn die Aufsichtsbehörde vor Ort war (...)« Im Islam ist es eine selbstverständliche Überzeugung, dass jede Form der Quälerei unvereinbar mit dem Gebot der Barmherzigkeit sei. Trotzdem stellt es bis heute im Bewusstsein der Gläubigen kein Problem dar, Tiere zu töten oder sie nach den jeweiligen Bedürfnissen der Menschen zu benutzen. Das Schächten im Judentum stand in einem engen Zusammenhang mit der Vorstellung des Blutes als Sitz der Seele, über das allein Gott verfügen dürfe. Der Islam kennt diese Begründung nicht mehr. Die Vorschrift des Blutentzugs beim Schlachten wird hygienisch und theologisch begründet. Blut ist unrein und es handelt sich um eine im Koran bezeugte religiöse Vorschrift des Propheten Mohammed. Das ist hier wichtig. »Islam« bezeichnet als Begriff die bedingungslose Hingabe an Gott. Die Vorschriften des Koran und der Hadith (Sammlungen von Sprüchen des Propheten und Beispielerzählungen) müssen befolgt werden. Der Islam sieht sich selbst als eine leichte Lehre. Die Vorschriften sollen den Menschen nicht durch zu viele Lasten und komplizierte Vorschriften einschränken, sondern es ihm im Gegenteil leicht machen, den Vorschriften Gottes zu folgen. Es gibt Bestimmungen für eine Schlachtung im Einklang mit der Scharia, aber diese werden nicht so streng gehandhabt wie im Judentum. 98
Zwar sehen viele Rechtsschulen auch den Akt der rituellen Tötung eines Tieres als Verehrung Gottes, aber einfach deswegen, weil alles, was der gläubige Muslim tut, der höheren Ehre Gottes dient. Die eindeutig religiösen Handlungen, die zu einem solchen Schlachten gehören, z.B. die Anrufung Gottes über dem Schlachttier (tasmiya) und die Ausrichtung des Tieres nach Mekka, werden nur von wenigen islamischen Richtungen als absolut verpflichtend angesehen (bei diesen können diese Verpflichtungen aber nicht aufgehoben werden). Der Islam bietet ein breites Spektrum von verschiedenen Richtungen, die sich allerdings - trotz aller Unterschiede - als eine Familie (die Umma) fühlen. Das gilt auch für die Frage, wie zwingend im Islam die Forderung nach dem betäubungslosen Schlachten eingehalten werden muss. Im Hintergrund steht hier, dass das Schlachttier unversehrt sein muss. Es ist dem Muslim verboten, Aas zu essen. Das wäre eine Beleidigung Gottes. Aas wäre jedes Tier, das bereits vor dem Schlachtvorgang getötet worden wäre oder im Sterben läge. Die Frage stellt sich für die Muslime nun auf der Ebene: Bedeutet die Betäubung, etwa durch Elektroschocks eine Tötung oder ist das Tier danach noch lebendig? Hier gibt es verschiedene Einschätzungen. Es hängt allerdings sehr viel von der Überzeugungsarbeit der Fachleute ab. Allerdings: Dieser schonende Umgang mit dem Tier denkt nicht vom Tier her, sondern allein von der Verehrung Gottes her. Neuere ethische oder jüdisch/christliche Ansätze, die versuchen, den Schutz des Tieres aus dessen eigenem, inneren Wert als Geschöpf zu begründen, sind dem Islam fremd, außerhalb seines religiösen Ansatzes. Das bedeutet aber auf keinen Fall, dass die alltägliche Tötungspraxis in eher christlich geprägten Ländern besser sei, markiert aber eine Kulturgrenze, die jeder beachten muss, der in ein Gespräch mit Muslimen über Tierschutz eintritt. Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Beobachtung des Amtsveterinärs Riethmüller, der auf eine sehr lange Praxis im Umgang mit Muslimen zurückblicken kann: 99
»Der Umgang mit den Tieren, sowohl bei den alltäglichen Schlachtungen, als auch besonders an den Opfertagen, unterschied sich ganz wesentlich von den Gepflogenheiten in den >christlichen< Schlachthäusern. Die Tiere erlangten durch manuelle Behutsamkeit, durch ruhiges und demütiges Verhalten der Menschen und durch das Gebet eine eigene Würde. Es entstand keine Herabwürdigung und Anonymisierung des Schlachttieres wie es in den kommerziellen hiesigen Schlachthäusern geschieht.«8 Im Verhältnis zu Muslimen steht man vor der Aufgabe, einen respektvollen Dialog zu führen. Dieser Dialog muss wissen, dass es im Islam viele verschiedene Richtungen gibt und dass es sehr wohl Möglichkeiten gibt zu überzeugen. Hier wird eine weitreichende Aufklärungsarbeit notwendig. Ich sehe allerdings nicht, wie diese Aufklärungsarbeit von jemandem geleistet werden soll, der keinen Zugang zu den religiösen und spirituellen Kernströmungen des Islam hat. Insofern stellt sich auch ein solcher Dialog als religiöses Problem dar.
Auf der Suche nach christlicher Spiritualität
2.1 Erinnerungen an ein christliches Modell: Heilige und Tiere Was sagte mir meine Tochter: »Mit Heiligen kann heute niemand mehr etwas anfangen. Sogar im Religionsunterricht hat sich der Lehrer darum herumgedrückt.« Wir gehen nicht mehr mit den Heiligen und ihren Geschichten um. Es gibt eine Berührungsangst im Umgang mit Legenden und Geschichten von Heiligen. Es widerspricht vielleicht einem »postmodernen« Zeitgeist, sich mit Erzählungen aufzuhalten, die einer kritischen Betrachtungsweise nicht standhalten. Im Bereich der evangelischen Theologie ist eine solche Abwehr gut verständlich. Den Reformatoren ging es ja gerade darum, die ganzen mittelalterlichen Übermalungen des christlichen Glaubens wegzunehmen, um die ursprüngliche Schicht wieder sichtbar zu machen. Keine Frage, dass der Protestantismus eine heilsame Korrektur des im Mittelalter immer mehr aus den Fugen geratenden Umgangs mit Heiligen, Reliquien, Ablässen darstellt. Dass das Kind vielleicht mit dem Bade ausgeschüttet wurde, zeigt sich daran, dass immer wieder Anläufe zu einem evangelischen Heiligenverständnis unternommen wurden (z.B. die vielen populären Heiligen-Bücher von Walter Nigg). Wirklich verändert wurde aber dadurch im evangelischen Bereich bis zur Stunde nichts. Wie sieht es katholischerseits aus? Hier waren Heiligengeschichten gerade im 19. und 20. Jahrhundert ein hervorragendes Erziehungsmittel. Auf der einen Seite kannten wir für Glaubens102
Rembrandt, Studie zu einer Radierung, die 1653 entstand. Hieronymus sitzt vor seiner Klause und ist in die heilige Schrift vertieft. Neben ihm der Löwe, nach der Legende sein ständiger Begleiter.
Unterweisungen die Katechismen, die in bündiger Form versuchten, die zentralen Inhalte des katholischen Glaubens in einem Frage- und -Antwort-Schema zu formulieren. Auf der anderen Seite lieferten die Heiligengeschichten anschauliche Modelle dafür, was mit diesen doch recht abstrakten Sätzen gemeint sein könnte. Heilige lieferten die Modelle für das tägliche Leben. Sie boten Orientierung und zeigten, wie sich Menschen verhalten sollten. Während dieser Zeit kam es unter der Hand zu einer Umgestaltung dieser Heiligenlegenden. Aus vielen Geschichten wurde das Anstößige entfernt. Aus dem Löwen des heiligen Hieronymus wird zum Beispiel eine Fabel, wie ein vorbildlicher Mensch zu leben hat: Er hat seine Triebe zu zähmen (Löwe = Trieb) und das Beste wäre, wenn er als Mönch leben könnte. In den Siebzigerjahren treten Heilige in der religiösen Unterweisung an den Rand. Dabei spielen sie jedoch in der Frömmigkeit immer noch eine wichtige Rolle. Für die katholische Kirche bleiben Heilige ein wichtiges Thema, auch wenn die theologische Beschäftigung damit eher selten ist. So besteht die Möglichkeit, durch förmlich genau geregelte Heiligsprechungsprozesse das Besondere, das einen Menschen umgibt, noch einmal, Jahre nach seinem Tod, ins Gespräch zu bringen. Ein tiefes menschliches Bedürfnis wird damit aufgegriffen: Jemand, der sich immer wieder um Gerechtigkeit und die Erfüllung seiner ihm von Gott zugedachten Aufgabe bemüht hat, kann mit dem Tod nicht einfach nicht mehr sein. Er spielt immer noch eine Rolle im öffentlichen Bewusstsein. Die Frömmigkeit schafft so immer neue Heilige. Das salvadorianische Volk zum Beispiel verehrt den getöteten Bischof von San Salvador, Oskar Romero, als Heiligen. In Kulturen außerhalb des engeren europäischen Raumes spielen solche Gestalten eine gewichtige Vorbild- und Führungsrolle: so im tibetischen Lamaismus, so die Tradition heiliger Männer im Hinduismus 104
(sadhus) oder im Buddhismus (Bhodisattvas). Aus anderen Kulturen, etwa den afrikanischen, wissen wir, dass die Verehrung der Ahnen ähnlich motiviert ist. Der Glaube braucht Legenden. Die göttliche Gegenwart wird dort bildlich gestaltet.
2.1.1 Einige alternative Heiligengeschichten1 Makarius von Alexandrien und die Hyäne Der heilige Makarius saß in seiner Zelle, als eine Hyäne an die Tür kam, ihr Junges im Maul, und klopfte. Makarius hörte das Pochen, dachte, es sei ein Mitbruder, der zu ihm komme und ging zur Tür. Als er die Tür geöffnet hatte, sah er die Hyäne. Erstaunt fragte er: »Was willst du hier?« Die Hyäne aber nahm ihr Junges ins Maul und streckte es Makarius hin. Der nahm das Junge und betrachtete es genau. Da sah er, dass das Junge blind war. Da nahm er es und seufzte, spuckte ihm ins Gesicht und berührte es mit seinem Finger an den Augen. Da sah das Junge wieder, verlangte nach der Zitze der Mutter und saugte. Danach gingen beide weg. Am nächsten Tag blieb die Hyäne aus. Als sie aber danach zu Makarius kam, hatte sie in ihrem Maul ein Schaffell mit dicker Wolle und von einem offensichtlich gerade getöteten Schaf. Wiederum pochte sie an die Tür. Makarius sah die Hyäne und sagte zu ihr: »Wo bist du gewesen? Wo hättest du
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das gefunden, wenn du nicht ein Schaf gefressen hättest? Was du mir da bringst, kommt vom Unrecht - das nehme ich nicht.« Die Hyäne senkte ihren Kopf, beugte die Pfoten, dass sie kniete und legte das Schaffell Makarius bittend zu Füßen. Er sagte: »Ich habe dir doch gesagt, dass ich es nicht nehme außer du versprichst mir: Ich will nicht den Armen kränken und ihm seine Schafe fressen.« Sie machte viele Bewegungen mit ihrem Kopf, auf und nieder, als wenn sie's ihm verspräche. Noch einmal wiederholte er und sagte: » - außer du versprichst mir, ich will kein lebendes Wesen töten, aber von heut an wirst du keine Beute fressen, wenn sie nicht tot ist. Wenn du in Not bist, suchst und nichts findest, komm hierher, und ich werde dir Brot geben. Von Stund an verletze keine Kreatur.« Die Hyäne sah ihn an, als ob sie es ihm verspräche. Und Makarius verstand in seinem Herzen die Meinung Gottes, der den Tieren Verständnis gibt als Vorwurf gegen uns selbst. Da gab er Gott die Ehre, der den Tieren Verständnis gibt, und sang zu Gott, der immerdar der Lebendige ist, denn die Seele weiß, was Würde ist. Er sagte: »Ich gebe die Ehre dir, o Gott, der du mit Daniel warst in den Zähnen des Löwen, der du Verständnis gabst den Tieren: Du auch hast dieser Hyäne Verständnis gegeben und du hast meiner nicht vergessen: Du hast mich ja verstehen lassen, dass dieses hier dein Werk und deine Lehre ist.« Und Makarius nahm von der Hyäne das Fell und sie ging weg. Von Zeit zu Zeit kam sie wieder, um ihn zu sehen.
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Wenn sie kein Futter finden konnte, kam sie zu ihm, und er gab ihr einen Laib Brot. Das tat sie öfters. Makarius schlief auf dem Fell sein Leben lang. Und ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen. Vor seinem Tode vermachte er es der seligen Melania, als sie ihn besuchte. Sie besaß es als ein treues Andenken an ihn bis an ihr Ende.
Franziskus und die Vögel Eine relativ bekannte Geschichte ist die von Franziskus, der den Vögeln predigt. Franziskus trifft eines Tages bei seiner Wanderung durch das Tal von Spoleto eine Vogelschar: Tauben, Krähen, Elstern. Als er die Vögel erblickt, läuft er fröhlich auf sie zu und lässt seine Gefährten hinter sich. (Dem Verfasser der Geschichte ist nicht ganz wohl dabei, deshalb fügt er einen erklärenden Zusatz bei: »Der Diener Gottes aber war ein Mensch von großer Glut, und mit der Erquickung der Liebenden empfand er innig auch die Kreatur unterhalb von Mensch und Geist«.) Wie auch immer, Franziskus schert sich nicht um das, was die Leute denken könnten. Er sieht den Vögeln an, dass sie auf ihn warteten, und grüßt sie. Die Vögel bleiben ruhig und er trägt ihnen das Wort Gottes vor: »Meine Brüder Vögel, ihr müsst euren Schöpfer kräftig loben und müsst ihn immer lieben! Euch hat er zur Kleidung den Flaum gegeben und Federn zum Fliegen und alles, was 107
ihr sonst noch braucht. Er hat euch zum Adel unter seinen Geschöpfen erhoben und in der reinen Luft eure Wohnung bereitet. Ihr säet nicht, ihr erntet nicht, und dennoch sorgt er und waltet über euch, ohne dass ihr viel Kummer hättet. (Vorsichtig vermerkt der Verfasser, dies hätte Franziskus »mit anderem« den Vögeln gesagt. Allzu theologisch kommt die Rede daher.) Franziskus selbst habe erzählt, dass die Vögel sich wie Zuhörer benommen hätten: die Hälse gestreckt, die Flügel gedehnt, die Schnäbel aufgesperrt und auf ihn schauend. Er segnet sie und erlaubt ihnen, wegzufliegen. Ab diesem Zeitpunkt gehört die Predigt zu den Tieren zu seiner selbstverständlichen Verkündigungspraxis. Die Geschichte endet: »Kein Tag verging, an dem er nicht die Willfährigkeit der Geschöpfe sah, wenn er den Namen des Erlösers angerufen hatte«.
Sicherlich merkt man diesen Geschichten ihr Alter an. Beide sind überarbeitet, um den anstößigen Kern sanft zu umkleiden. Denn die Vorgänge überschreiten die Grenze zwischen dem, was wir uns als »normal« im Umgang mit Tieren vorstellen können und einer veränderten Wirklichkeit. In dieser »anderen« Wirklichkeit wird möglich, was vorher undenkbar schien: Die Tiere verhalten sich tatsächlich so, wie Jesaja das für das Friedensreich geschildert hatte. Eine jüngere Geschichte, die allerdings immer noch um diese Friedenstradition weiß, ist die Geschichte von Don Bosco und seinem »Grauen«. Die Deutung, der Rahmen wird der Geschichte vorangestellt: Gott bedient sich der Tiere zur Verteidigung und zum Wohl seiner Diener. Mit einem solchen Bekenntnis schließt die Geschichte auch. 108
Don Bosco ist abends öfters unterwegs und die Straßen sind gefährlich. Eines Abends gesellt sich ihm ein großer Hund zu, vor dem er zunächst erschrickt. Kein Wunder: Der Hund wird beschrieben als etwa einen Meter hoch, mit der Gestalt eines Wolfs, einer langen Schnauze, steifen Ohren und grauem Fell. Ein in der Dunkelheit bestimmt erschreckender Anblick. So muss das Don Bosco empfunden haben, aber er tritt auf den Hund zu und liebkost ihn, was der sich auch gefallen lässt. Und »der Graue« begleitet ihn von da ab immer dann, wenn er alleine ist oder in Gefahr. So schützt er ihn wiederholt vor Angriffen auf sein Leben. Von mehreren Angreifern bedroht, weiß Don Bosco eines Tages keinen Ausweg, als ihm plötzlich der Graue zur Seite steht.
In diesem Augenblick sprang, wie vom Himmel geschickt, der Graue hervor, an die Seite Don Boscos, bellte und heulte vor Wut, sprang wie rasend hin und her, sodass die Schurken vor Entsetzen und Angst, in Stücke gerissen zu werden, Don Bosco anflehten, den Hund zu beruhigen und an sich zu nehmen. Einer nach dem andern verschwanden sie und ließen den Priester seines Weges gehen. Nun wich der Graue nicht mehr von seiner Seite, bis das Oratorium erreicht war.2
Von diesem Grauen ist nicht bekannt, woher er kommt, wem er gehört, obwohl er Gegenstand von Nachforschungen gewesen sei. Hinzu kommt, dass an ihm etwas ist, was ihn über die Normalität hinaus hebt. Manchmal nimmt nur Don Bosco den Hund wahr, etwa wenn der ihn hindert, über die Schwelle des Hauses nach draußen zu gehen, was sich nachträglich immer als positiv erweist. 109
Einmal ruft Don Bosco, der in Gefahr ist, in einem Stoßgebet aus: »Ach wär nur mein Grauer da«, als sich dieser unvermittelt zeigt, ihn beschützt und nach Hause begleitet, dort aber plötzlich und unerklärbar verschwindet. Don Bosco selbst sieht in dem Tier ein Werkzeug der Vorsehung, weshalb es ihm scheinbar auch nicht so wichtig ist, zu wissen, woher das Tier stammt. Der Verfasser der Geschichte räumt ein, dass sich das Ganze wie ein Fabel anhöre und fühlt sich dabei unwohl. Die Geschichte schließt mit dem zu Beginn angedeuteten theologischen Bekenntnis: Was uns betrifft, so halten wir es für erlaubt und der Wahrheit angemessen, zu glauben, dass Gott in seiner väterlichen Güte sich eines Tieres, das das Sinnbild der Treue ist, bedienen wollte, um einem Manne beizustehen, der die Wut seiner Feinde herausforderte und sich den schwersten Gefahren aussetzte, weil er sich selbst, seine Jugend, seinen Nächsten in der Treue zu Gott und zur Kirche erhalten wollte.3
Makarius »erkennt« bei dem Tier ein Verständnis, das geradezu ein Vorwurf an den Menschen und dessen Unverständigkeit ist. Franziskus »entdeckt« die Tiere als zusätzliche Adressaten der frohen Botschaft, indem sein Herz für sie aufgeht. Für Don Bosco stellt der Graue ein Werkzeug Gottes dar, um ihn zu beschützen. Gerade an der letzten Geschichte wird deutlich, wie die Grenzen der Normalität überschritten und deren Regeln auch verletzt werden. Den Verfassern ist dies klar und sie haben ihre je eigenen Erklärungsmuster: Entschuldigung (so bei Franziskus), asketische Weisheit (bei Makarius), bei Don Bosco der Appell an die Zuhörer, dass es erlaubt sei zu glauben, dass Gott sich eines Tieres bediene. 110
Je näher solche Erzählungen an die Gegenwart rücken, desto stärker wird die Erklärungsnot. Die Zeit, vor solchen Geschehnissen mit den staunenden Augen eines Kindes zu verharren, scheint endgültig vorbei zu sein. Was heißt das aber für solche Geschichten? Vergisst man sie besser? Oder unterwirft man sie einer radikalen Entmythologisierung? Oder gibt es doch einen Wirklichkeitszugewinn im Umgang mit solchen Geschichten? Mich beschleicht bei solchen aufgeklärten Vorgehensweisen immer der Verdacht, dass »nicht sein kann, was nicht sein darf«. Die entzauberte Welt darf keine Zaubermomente mehr enthalten. Es darf nur das Realität sein, was sich den Bedingungen einer normalen (naturwissenschaftlich vermittelten) Sichtweise beugt. Wenn im Umgang mit diesen Geschichten einige Regeln berücksichtigt werden, dann spüren wir besser ihren Zauber auch für uns:
2.1.2 Einige Regeln im Umgang mit Heiligenlegenden Regel 1: Um was geht es? - Es geht um einen personalen Umgang mit der Wirklichkeit! Es gibt verschiedene Wirklichkeitsebenen. Wir gehen ganz selbstverständlich von zweierlei aus: Diese Wirklichkeit ist einfach. Sie ist jedem zugänglich. Jeder hat Anteil an ihr. Sie bildet die Grundlage dafür, dass ich mich überhaupt mit jemandem anderen verständigen kann. Wenn wir nicht von Gleichem reden würden, hätte Verständigung keinen Sinn. Aber wir wissen auch, dass die Wirklichkeit des anderen nicht die meine ist. Dinge werden anders gesehen, weil der andere nicht die gleichen Erfahrungen gemacht hat wie ich und weil er etwas anderes will als ich. Vielleicht will er ja den Horizont des Selbstverständlichen aufreißen und auf etwas Neues zeigen. Dazu wird das Selbstverständli111
che zugunsten des rein Möglichen überschritten. Diesen Bereich nennen wir »Fantasie« und gestehen ihn den Kindern zu. Ab irgendeinem Punkt in der Entwicklung wirkt diese Fantasie aber dann doch störend. Schulkinder werden gemaßregelt, wenn sie »träumen« anstatt aufzupassen. Doch was ist der Inhalt dieser Fantasien? Es geht um einen Umgang mit der Wirklichkeit, der das Personale in allen Dingen erfassen will: Bäume und Tiere reden, Steine sind plötzlich nicht mehr tot, alles steht mit allem in Verbindung, alles scheint plötzlich möglich, die Welt ist bevölkert von Wesen, manche geistiger, lichter, andere körperhafter. Wir sind (als Erwachsene) geneigt, diesen Umgang mit Wirklichkeit abzutun: »Träume sind Schäume«. Es gibt nur, was es gibt. Dabei stimmt gerade das nicht. Wer anders sehen lernt, für den verschieben sich die Selbstverständlichkeiten. Solche Fantasien stellen einen kreativen Umgang mit Wirklichkeit dar, der in der Wirklichkeit das personale Wahre erfassen will, nicht eine scheinbare naturwissenschaftliche Beschreibung. Was bedeutet die naturwissenschaftliche Erklärung eines Naturereignisses gegenüber dem sich darin offenbarenden Wesen, so wird jetzt gefragt.
...die Alte, die mit ihrem Enkelkinde die letzten Ähren gelesen hat, zeigt in die Lüfte: Siehst du die Marienfäden? Die Muttergottes hat sie gesponnen! Die Ahne glaubt es, und hörte sie, was die Gelehrten davon wissen, ihr Glaube wäre ihr lieber, und gegen das Auge eines Kindes, das gläubig dem Gespinst der himmlischen Frau nachsieht, wäre der Blick des aufgeklärten wie ein erlöschender Funke.4
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Auch bei der Begegnung zwischen Tieren und Heiligen geht es nicht um Naturwissenschaft. Es geht um eine Wesenserkenntnis, die einen personalen Zug trägt. Im Tier schaut mich ein Wesen an, und ich schaue ein Wesen an. Dieses wechselseitige Hinsehen, Einander-Ansehen öffnet die Starrheit der Wirklichkeit und offenbart einen weiten Bereich von Möglichkeiten, die möglich sein könnten, wenn ich sie zuließe. Die Kunst vollzieht diesen Übergang von einer ersten (gemeinsamen) Realitätswahrnehmung hin zu einem kreativen Umgang mit dieser Wirklichkeit. Ein Beispiel für diesen Grundzusammenhang ist das Gedicht: »Der Panther. Im Jardin des Plantes« von Rainer Maria Rilke (1903):
Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe so müd geworden, dass er nichts mehr hält. Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe Und hinter tausend Stäben keine Welt. Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, der sich im allerkleinsten Kreise dreht, ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, in der betäubt ein großer Wille steht. Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille Sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein, geht durch der Glieder angespannte Stille und hört im Herzen auf zu sein.
Was ließe sich aus naturwissenschaftlicher Sicht hier nicht alles einwenden? Woher weiß Rilke, was der Panther empfindet? Wie sieht der Panther? Was macht er mit dem Gesehenen? Kann man von einem Bild sprechen, das in den Panther hineingeht und im Herzen aufhört zu sein? Ist das überhaupt eine gültige Interpretation oder wird hier nur etwas in einen Vorgang hineinfantasiert? 113
Gewöhnlich gehen wir an ein Gedicht nicht mit solchen Fragen heran. Wir gestehen zu, dass uns ein Dichter gerade wegen einer gegenüber dem Normalen veränderten Sichtweise etwas Tieferes über die Wirklichkeit mitteilt. Und wir sind bereit, das Erhabene einer solchen Mitteilung in uns nachklingen zu lassen. Wie bei Heiligenlegenden steht auch hier diese Begegnung im Mittelpunkt. Das Gedicht teilt uns nicht eine Information mit, sondern lässt uns in einer Sprachgestalt die Kraft mitspüren, von der der Panther angetrieben wird, den Willen, um den der Panther kreist, und die Hemmung dieses Willens: Er, in dem dieser Wille Fleisch angenommen hat, kann hinter den engen Stäben sich nur um sich selbst drehen. Ein Bild tiefster Verzweiflung, weswegen auch das aufgenommene Bild an der Stelle aufhört zu sein, an der es eigentlich leben sollte: im Herzen. Das »Im-Kreis-Drehen« ist auch umgangssprachlich die Beschreibung einer ausweglosen Situation. Die Wirklichkeit, die Rilke hier beschreibt, trennt sich von der vordergründigen Wahrnehmung des gaffenden, sensationslüsternen, diesem Wesen gegenüberstehenden Beobachter und geht eine Beziehung ein. Diese Beziehung zerreißt das Selbstverständliche und eröffnet zugleich eine neue Wirklichkeit. Auch in jener Zeit, in der ich noch nicht viel über Tierschutz nachgedacht hatte, fiel mir bei jedem Käfig mit Raubtieren dieses Gedicht ein. Regel 2: Wie geschieht das? Es werden verschiedene Sprachebenen verwendet! Wenn wir Sprache benutzen, bezeichnen wir etwas durch etwas anderes. Wir wissen aber auch: Es gibt dann immer noch eine Differenz zu dem zu Bezeichnenden. Der Satz: »Das Schwein ist ein schmutziges Tier, das sieht man bereits am Namen« stimmt nicht. (Natürlich sind Schweine nicht schmutzig, sondern reinlich, wenn man sie nicht in Intensivtierhaltungen einsperrt.) Das Wesen, das wir im Deutschen mit »Schwein« bezeichnen, heißt zum Beispiel 114
in der englischen Sprache »pig«. Der Begriff, den wir also gebrauchen, ist von einer Vereinbarung in der jeweiligen Kultur abhängig. Es gibt immer einen Unterschied zwischen dem Wort, das wir benutzen, und der Sache oder dem Lebewesen, das wir mit diesem Lautgebilde bezeichnen. Um diesen Abstand zwischen dem Bezeichneten und der Bezeichnung zu überwinden, benötigen wir Hilfskonstruktionen. Die häufigste Hilfskonstruktion ist der Vergleich: Etwas Unbekanntes wird mit einem Bekannten verglichen. Ein Vergleich setzt etwas miteinander in Beziehung, das zunächst einmal gar nichts miteinander zu tun hat. Poetische Vergleiche haben immer eine solche Struktur. Der Verliebte sagt zur Geliebten: »Deine Augen sind so blau wie die Tiefe des Meeres.« Er will vielleicht sagen: Wenn ich dich ansehe, fühle ich etwas Tiefes und Unergründliches, das mein Herz berührt. Der Liebende drückt darin sein Grundverhältnis zur Geliebten aus. Er möchte, dass das, was ihn berührt und im Grunde genommen nicht in Worte zu fassen ist, bei der Geliebten ankommt, von ihr verstanden wird. In den Heiligengeschichten ist es ganz ähnlich. Etwas, was nicht in Worte zu fassen ist, wird mit Worten geschildert. Das Geheimnis, das sich für einen Moment geöffnet hat und dem ein Mensch auf seine eigene Weise geantwortet hat, lässt sich nicht einfachhin und klar bezeichnen. Wir haben auch in der Theologie dafür keine Begriffe. Wir brauchen Hilfskonstruktionen. Eine sehr häufige Hilfskonstruktion der Heiligengeschichten ist die Kommunikation mit dem Tier. Darin drückt sich ein tiefes Geheimnis aus, das von der verstehenden Verbindung zwischen allen Lebewesen etwas weiß. Durch die Erzählung selbst rückt dieses Geheimnis in der Form von Handlungen näher: Die Hyäne bringt Makarius zum Dank ein Fell. Vögel hören Franziskus zu, weil dieser wiederum von Liebe zu diesen Vögeln gepackt ist. Auch für Don Bosco ist es im Grunde genommen selbstverständlich, dass für seinen Schutz gesorgt wird und dass 115
er auch versteht, was der Graue jeweils von ihm will. Damit überwindet die Legende zwar die Distanz nicht, aber sie stellt eine Sprachebene her, auf der uns das Geheimnis begegnen kann. In den Tieren begegnet Gott selber diesen Menschen, sie sind seine Boten. Göttliche Mitteilung begegnet menschlichen Verstehensmöglichkeiten. Regel 3: Warum wird es erzählt? - Heiligengeschichten haben eine spirituelle Absicht! Heiligengeschichten erzählen Vorgänge, in denen normale Regeln nicht mehr gelten. Die scheinbar natürliche Ordnung der Dinge wird außer Kraft gesetzt. Es gelten jetzt eben göttliche Regeln. Die Menschen sollen auf diese hin erzogen werden. Dieser Punkt ist sehr wichtig. Mit dem Raster, mit dem der moderne Mensch an solche Geschichten herangeht, fragt er nach dem Realitätsgehalt, so wie eben unsere Zivilisation Wirklichkeit versteht: Ist das wirklich so passiert? (Er meint: »Hätte ich das so beobachten können, wenn ich daneben gestanden hätte?«) Aber er ist sich des Problems nicht bewusst, dass eine solche Realitätsauffassung nur eine von mehreren möglichen ist. Wo ist eigentlich in unserer Zivilisation die Erkenntnis aufgehoben, dass wir von unseren Beobachtungen getäuscht werden können? Dass der Blick, mit dem ich etwas ansehe, bereits ein geformter, ein zivilisierter, durch Elternhaus, Schule, Gesellschaft geformter Blick ist? Dass dieser Blick das sieht, was er aufgrund dieser Vorformung sehen will ( und kann) und nicht sieht, was er nicht sehen will? Mein Hund Wanja zum Beispiel lacht. Er ist eine Schnauzer-Labrador-und-sonst-noch-was-Mischung. Und wenn ich länger als einen Tag weg war, stürzt er sich auf mich und zieht die Lefzen nach oben. Wanja sieht dann zwar mit seinem schwarzen Fell eher wie der Hund von Baskerville aus als ein lachendes Wesen, aber der gesamte Ausdruck seines Körpers, das Benehmen, das Wedeln mit dem Schwanz, steht insgesamt für diese Freude 116
über das Wiedersehen. Ich bin immer ganz erstaunt, wenn Leute das bezweifeln, wenn sie sagen: Ein Hund lache nicht. Ich bin dann irritiert, weil ich das ganze Benehmen von Wanja überhaupt nicht anders als ein Lachen deuten kann. Warum sagen Menschen, dass mein Hund nicht lachen könne? - Der Prozess der Zivilisierung und Rationalisierung des Menschen in den technologischen Zivilisationen des Nordens hat eine weitgehende innere Loslösung des Menschen aus der Natur zur Grundlage. Die Natur wird entzaubert und diese »Entzauberung« (M. Weber) stellt die Grundlage der Industrialisierung dar. Wenn der Fluss ein lebendiges Wesen ist, kann ich ihn nicht ohne weiteres »benutzen«, mit industriellen Abwässern verschmutzen, seinen Lauf in eine Röhre zwängen, Flussauen zuschütten und Ähnliches. Neben dem direkt Fühlbaren, Messbaren und technisch Umgestaltbaren darf es also nichts geben. Sonst wäre der Prozess der Industrialisierung empfindlich gestört. Dieser Prozess der Zivilisierung verband sich eng mit dem Christentum, jedenfalls in seiner römisch-germanischen Spielart. Zu Beginn der Germanenmission fällt Bonifatius - ganz dieser Logik folgend - die heilige Eiche Ygdrassil, den Wohnort der Naturgötter. Die wirtschaftlichen Verhältnisse erzeugen dann im Laufe einer tausendjährigen Geschichte jenes Bewusstsein, das für die moderne Produktions- und Lebensweise notwendig ist: Erziehungs- und Bildungsprozesse kommen dazu, Lehrer und Hochschullehrer sorgen für allgemeine Bildung, Pfarrer und Priester sorgen für moralische Erziehung. Es kommt zu einem Diktat der durch diese Zivilisationsbrille angeschauten Wirklichkeit. So »wirtschaftlich effektiv« ein solcher Umgang mit Natur sein mag, er schränkt die Freiheitsmöglichkeiten des Menschen auch ein. Jenseits von Naturgesetzen gibt es keine alternative Weltsicht, Wirklichkeit, Wahrheit. Bei Widersprüchen ist allenfalls das Naturgesetz noch nicht richtig erkannt. Das engt ein und macht die Einsicht des Herzens, die alleine das Wesentliche 117
sieht, unmöglich. Das Wahre kann nur mit dem Herz erblickt werden (Antoine de Saint-Exupéry). Aber die Beziehung dieses Wahren zum Sichtbaren muss gedeutet werden. Sie ist und war jedoch noch nie ein-deutig und ein für alle mal zu entscheiden. Um diese Deutung geht es den Erzählern der Legenden. Beobachtbare Geschichte wird in eine Beziehung zu Gottes Geschichte gesetzt. Geschaffen wird ein sakraler Kreis: von der Schöpfung über die Offenbarung zur Erlösung. Der Kreis schließt sich: vom Zielpunkt einer Schöpfung der Welt als heiliger Ordnung des Friedens über die Verfallsgeschichte, in der jeder mit jedem kämpft, bis hin zum einstigen Ausgangs- bzw. Zielpunkt bei Gott (also jener Kreis, den wir bereits bei Jesaja gesehen hatten). In diesem göttlichen Kreis entfalten sich jene Erzählstücke, mit denen die Zuhörer biblisch »erzogen« werden sollen. Wir stoßen auf biblische Motive, aus dem Volk selbst gestaltet, in dessen Sprache, vereinfacht, erzählt, aber deshalb sicher nicht weniger »wahr« als andere Erkenntnisse aus der Bibel. Es gibt eine Theologie der Legende, die sich in vielen Splittern zeigt, aber weit entfernt ist von einem theologischen System. Josef Bernhart hatte in den dreißiger Jahren schon einmal über diese Theologie der Heiligenlegende nachgedacht; über jene (kleinen) Reflexionen und Deutungen, die in den Geschichten auftauchen: Wenn Markulf also einen flüchtenden Hasen im Ärmel seiner Kutte gegen die Meute schützt, so handelt er als Stellvertreter dessen, der Mensch und Vieh erlöst. Charilef, mächtig über einen unbändigen Stier, erfüllt das Wort des Eliphas im Buch Job (5,17) vom Gerechten: »die wilden Tiere werden mit dir befreundet sein«.5
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Dem Abt Kentigern, der einen Wolf zur Strafe dafür, dass er ihm den pflügenden Hirsch zerrissen hat, mit einem Befehlswort selber an den Pflug zwingt, legt der Beschreiber eine erklärende Anrede an die betroffenen Zuschauer in den Mund: »Warum macht das Wort euch erstaunen? Glaubt mir, bevor der Mensch von seinem Schöpfer abtrünnig wurde, gehorchten ihm nicht nur die Tiere, auch die Elemente. Jetzt aber nach dem Falle, da alles sich in Feindlichkeit verkehrt hat, ist es das Gewöhnliche, dass der Löwe zerreißt, der Wolf verschlingt, die Schlange verwundet, das Wasser hinunterzieht, das Feuer in Asche legt, die Luft verwesen macht, die Erde oft eisenhart geworden Hungersnot anrichtet - und die Höhe des täglichen Übels: dass der Mensch nicht nur gegen den Menschen, sondern in der Sünde an sich selber freiweg auch gegen sich selber wütet. Aber weil die Heiligen zumeist in wahrer Unschuld und reinem Gehorsam, in Heiligkeit, Liebe, Glauben und Gerechtigkeit vor dem Herrn vollkommen befunden werden, gewinnen sie gleichsam vom Herrn zurück das alte Recht und die natürliche Herrschaft (...) wenn sie den Tieren und den Elementen, der Krankheit und dem Tode gebieten.«6
Es ist interessant, in diesen Zusammenhang sich die Frage nach dem Verhältnis von Tieren und Heiligen noch einmal zu stellen. Wenn wir etwa an den Sonnengesang des hl. Franziskus denken: »Gelobt seist du, Herr, mit deinen Geschöpfen«, dann bedeutet dies nicht einfach einfach nur ein Lob des Schöpfers, sondern zugleich ein Lob des Erlösers: »Der Kosmos preist also nicht einfach seinen Schöpfer, sondern auch den Erlöser, >das Lamm<. In diesem Faktum gründet 119
dann die Möglichkeit einer Predigt an Vögel und Fische. Das gilt es zu verstehen, dass ein solcher Gesang wie etwa der Sonnengesang des heiligen Franz nicht eine Entgleisung des Glaubens in das Poetische darstellt, dass er nicht seine Wurzel in irgendeiner mystischen Naturreligion hat, sondern dass der hl. Franz zu singen - fast möchte man sagen: zu tönen - beginnt, weil... die Gnade des Gekreuzigten die letzte Tiefe seiner Kreatürlichkeit geweckt hat, sodass er nicht nur als jener Sünder dasteht, dem Erbarmung widerfahren ist, sondern auch als diese armselige - dem Esel zugewandte - Kreatur, die keine andere Möglichkeit mehr hat, als im Lobpreise Gottes zu verströmen.« Die Einheit von Schöpfung und Erlösung wird ganz besonders deutlich, wenn wir uns etwa auch die Apokalypse des Johannes anschauen. Wie bei Paulus im Römerbrief (Kap. 8,19-22) ist auch die gesamte Apokalypse geprägt von der Vorstellung einer alles durchdringenden Erlösung. Dem Herrn, dem »Lamm, das aussah wie geschlachtet« auf dem himmlischen Thron, d.h. dem Erlöser ruft die ganze Schöpfung im Himmel und auf der Erde zu, dass ihm die Macht, das Lob, die Ehre und die Herrlichkeit gebühre in Ewigkeit (Offb 5). Die Heiligenlegenden sind durchdrungen von einem manchmal klareren, manchmal undeutlicheren Bewusstsein davon, dass sich in der Gegenwart des Gerechten die ihm anvertrauten Menschen und Tiere ändern, sich Gewaltverhältnisse lösen, »Erlösung«, geschieht. Sie verweisen auf etwas, was auch Christen gerade heute immer öfter abhanden kommt: das Vertrauen und die Hoffnung darauf, dass Erlösung tatsächlich geschieht, dass sie greifbar wird in unserem eigenen Verhalten. Insofern sind Erzählungen von Heiligen überhaupt kein Thema nur einer engen konfessionellen (katholischen) Tradition. Sie stellen - vielleicht utopisch - vor Augen, auf was unsere Mütter und Väter in der christlichen Tradition immer vertraut haben: dass Erlösung geschieht, dass das Reich Gottes nahe ist und dass wir selbst als Menschen einen Anteil daran haben und die Verantwor120
tung dafür übernehmen dürfen, dass sich die Dinge verändern. Im Vertrauen auf die Gegenwart Gottes ist dieser nahe. Alles wird sich dann ändern. Menschen und Tiere werden so friedlich und gerecht miteinander umgehen können, wie sein Plan dies vorgesehen hat.
2.1.3 Heilige und TiereEine spirituelle Zoologie Es ist vielfach nicht bekannt, dass es eine ganze Reihe von Erzählungen gibt, die vom vertrauten Umgang heiliger Frauen und Männer mit Tieren berichten. Heiligengeschichten unterlagen zwar im 19. und 20. Jahrhundert einer Säuberungswelle, in der alles »Tierische« ausgemerzt wurde. Heiligengeschichten bewahrten jedoch in ihrer Eigenart auch Erfahrungen von Erlösung, Verwandlung, Veränderung, spiritueller Kommunikation. Sie waren gekennzeichnet von der Herzenshaltung der Barmherzigkeit und entfalteten Vorstellungen der Verbundenheit aller Wesen. Man sollte sie neu lesen lernen. Dann wird man ein facettenreiches Bild christlicher Spiritualität entdecken. Vielen Christen ist diese Erinnerung verloren gegangen. Ihr »Christentum« ist Spiegelbild einer eng geführten, nur auf den Menschen bezogenen Erlösungsvorstellung. Christlicher Glaube traut sich in einer solchen Perspektive nicht mehr viel zu. Er taugt gerade noch zu einer ethisch-moralischen Erziehung von Menschen, sieht sich aber außerstande, Welt- und Naturverhältnisse neu zu sehen und traut sich nicht zu, Motor von umfassenden Veränderungsprozessen zu sein. Die von mir zusammengestellte »spirituelle Zoologie« zeigt exemplarisch, dass die Volksfrömmigkeit sehr wohl immer wusste, dass Tiere eine wichtige Rolle in der Spiritualität spielen. Dieses Wissen ist keineswegs nur auf den heiligen Franziskus beschränkt, von dem eine Fülle von Begegnungen mit Tieren be121
richtet wird. Ochs und Esel an der Krippe Jesu sind seine »Erfindung«. Aber er steht nicht alleine. Viele Heilige schützen Tiere. Diese sind abhängig vom barmherzigen Menschen, treten aber andererseits auch von sich aus in Kontakt mit Menschen, machen ihn auf Dinge aufmerksam und stellen den Kontakt zu Gott her. Tiere spiegeln innere Verhältnisse und sind eine sichere Richtschnur dafür, ob Menschen sich auf einem göttlichen Weg befinden: »Der Gerechte weiß, was sein Tier braucht und will, hart (nichtwissend) ist das Herz der Frevler« (Spr 12,10). Diese Zusammenstellung folgt im Wesentlichen den Pionierarbeiten von Joseph Bernhart (»Heilige und Tiere«, abgek.: HT und »Die unbeweinte Kreatur«, abgek.: UK).8
Auch in der Ikonografie der othodoxen Kirche ist das Motiv »Heilige und Tiere« gut bekannt, hier die Märtyrer Boris und Gleb (11. Jh).
Heilige(r) Ägidius Einsiedler in der Provence zur Zeit des westgotischen Stammesreiches in Gallien; gest. 721.
Albert Er lebte im 12. Jh. als Eremit des Kamaldulenserordens. 27 Jahre verbrachte er auf dem Berg Toricelli. Arno
Bassianus Bischof von Lodi (sudostl. von Mailand); um 378-413.
Tier(e) Eines Tages, als die Hetzjagd des gotischen Königs m diese Gegend drang, trieben die Hunde das Wild auf, und einer der Pfeile, die man aufs Geratewohl durch das Dickicht sandte, verletzte Ägidius, zu dem die Hindin sich geflüchtet hatte. Der König trat hervor, überrascht vom Anblick des blutenden Greises, der den Hals des Tieres umfangen hielt. (UK, 172)
Hirschkuh
Als ein Hase von Jägern verfolgt wurde, fluchtete er sich zu Albert. Dieser versteckte ihn im Ärmel seiner Kutte, bis die Jäger abgezogen waren, und ließ ihn wieder frei. (HT, 161)
Hase
Sogar die kleinsten Flügler erschienen in der Dienstbarkeit der Heiligen: so die Schmeißfliege, die dem heiligen Arno ein Teilchen der Hostie von der Patene raubt und auf sein Gebet hin summend wiederbringt. (UK, 177)
Fliege
Eine Hirschkuh mit zwei Böcklein wurde von Jägern bedrängt. Bassianus befahl der Hirschkuh unerschrocken zu ihm zu kommen und er streichelte sie. So mussten die Jäger von dem Tier ablassen. (HT, 70-72)
Hirschkuh
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Heilige(r)
Tier(e) Einmal, als eine Eidergans ihre Brut gegen die See hinführte, fiel ein Junges herab in eine Felsspalte. Die Mutter senkte sich nieder und betrachtete es mit Lauten des Schmerzes. Dann kehrte sie zu Bartholomäus zurück und zupfte ihn an seinem Kleide, bis er aufstand in der Meinung, sie suche vielleicht ihr Nest an dem Platze, an dem er saß. Doch sie fuhr fort, an seinem Gewand zu zerren, und er verstand, dass sie ihn zur Hilfe nötig habe. Er ging mit ihr bis an die Stelle des Unfalles, stieg in den Spalt hinab und brachte das eingeklemmte Junge der Mutter heil zurück, die nun erfreut mit den Flügeln schlug und mit dem Befreiten ins Wasser ging. (UK, 171f.)
Eidergans
Basilius
Ich selbst sah einen Ochsen weinen, dem sein Weide- und Jochgefährte gestorben war. (HT, 40)
Ochs
Brigida von Kildare
Die heilige Brigida rief zu sich die Wildenten, die sich im nahen See tummeln. Sie kommen herbeigeflogen, lassen sich kosen und fliegen wieder weg. Daraufhin lobte sie den unsichtbaren Schöpfer für seine sichtbare Kreatur. (HT, 81)
Wildenten
Ein Hirsch hielt dem Heiligen das Buch mit seinem Geweih, wenn dieser las. (HT, 99)
Hirsch
Bartholomäus von Whitby Priester, Mönch, dann Einsiedler auf einer Insel an der Ostküste Nordenglands; gest. 1193.
453-523. Gründete das Kloster Kildare in Leinster. Patronin Irlands. Cainnic Abt in Mittelirland, der 599 starb. 124
Tier(e)
Heilige(r) Coloman Einsiedler auf einem Berge in Leistner, später in Ulster; er starb 610.
Cuthbert Benediktermönch und Volksprediger, Nationalheiliger der angelsächsischen und keltischen Kirche; gest. 687. Franz von Assisi
Coloman war ein Freund der evangelischen Armut. Er besaß lediglich einen Hahn, eine Maus und eine Fliege. Der Hahn sollte ihn nachts zum Lobgebet wecken, die Maus hielt ihn von allzu langen Ruhepausen ab und die Fliege setzte sich auf die Zeile des Kodex, auf der er seine Lektüre unterbrach, um sie später lückenlos fortzusetzen. (HT, 96-98)
Hahn, Maus, Fliege
Der heilige Cuthbert betete nachts im Freien. Eines Nachts stieg er ins Meer, um dort sein Gebet zu verrichten. Als er im Morgengrauen an der Küste in die Knie sank, kamen zwei Otter aus dem Meer, begannen mit ihrem Atemhauche seine Füße zu wärmen und trockneten sie mit ihrem Pelz. (HT, 142-144)
Otter
Franziskus durchwanderte das Tal von Spoleto, als er eine große Schar Vögel erblickte. Sie blieben ruhig sitzen, als ob sie auf ihn warteten. Vor Freude hielt er ihnen eine Predigt: »Meine Brüder Vögel, ihr müsst euren Schöpfer kräftig loben und müsst ihn immer lieben! Euch hat er zur Kleidung den Flaum gegeben und Federn zum Fliegen und alles, was ihr sonst noch braucht. Er hat euch zum Adel unter seinen Geschöpfen erhoben und in der reinen Luft eure Wohnung bereitet. Ihr säet nicht, ihr erntet nicht, und dennoch sorgt er und waltet über
Vögel
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Heilige(r)
Hilarich von Gaza
Tier(e) euch, ohne dass ihr viel Kummer hättet.« Die Vögel hörten ihm aufmerksam zu. Er ging mitten unter ihnen herum und segnete sie mit dem Kreuzzeichen. (HT, 188f.) Franziskus, der Bruder aller Dinge, der das verschüchterte Häschen an die Brust drückt, Lämmer von der Schlachtung loskauft und die Vögel zum Lob Gottes ermuntert. (UK, 175) Das Grillchen, das vor der Zelle des heiligen Franziskus einen Feigenbaum und seinen Befehl zum Lobsingen auf den Schöpfer je und je mit munterem Gezirp erfüllt. (UK, 177)
Häschen Lämmer Vögel Grille
Ein wütend gewordenes baktrisches Kamel, schäumend und brüllend, wird von dreißig Männern an Stricken vor den frommen Mann gezerrt. Er befiehlt, das Tier loszulassen, geht ihm allein entgegen und steht mit ausgestreckter Hand vor ihm. Das Tier stürzt auf ihn los, fällt aber plötzlich nieder und lässt zum Erstaunen aller, die von ferne zusehen, den Kopf hängen. (UK, 174)
Kamel
Ida von Löwen Hinwieder fühlte sich die mystisch begnadete Zisterzienserin Ida von Die ZisterzienLöwen (gest. um 1300) zu den Fiserin und Myschen hingezogen. Als sie einst am stikerin in Ufer eines Teiches hingebückt LinRosendael bei nen wusch, kamen, wie von guter Mecheln ist um Speise angelockt, Fische aus dem 1300 gestorben. Grund herauf und umschwammen
126
Fische
Heilige(r)
Tier(e) sie, gleichwie mit munterem Tanze ehrend. Sie strichen schmeichelnd an ihren Fingern hin und dachten nicht an Flucht, obschon die Jungfrau den einen und anderen haschte, fasste und liebkoste. (UK, 176f. ebenso: HT, 196) Die heilige Ida wohnte im Freien einer Messfeier bei. Als sie sich zu einsam fühlte, wünschte sie sich die herumlaufenden Hühner herbei. Sogleich sammelten sich alle Hühner und liefen zu ihr. Als in der Kirche das Evangelium gesungen war, gab Ida den Hühnern die Erlaubnis fortzugehen, und sofort kehrten sie an ihren gewohnten Platz zurück. (HT, 197f.)
Hühner
Jakob von Tarantas Er missionierte im 5. Jh. im savoyischen Gebiet.
Ein Bär zerfleischte einen Ochsen, der gerade Holz für eine neue Basilika zog. Daraufhin befahl Jakob dem Bär nun selbst das Joch zu nehmen, um die Arbeit, die er verhindert hat, zu verrichten. So zog der Bär den Balken an die Baustelle. (HT, 75-77)
Bär
Joseph von Cupertino
Wenn er Bäume bestieg, um sich dort der ungestörten Betrachtung hinzugeben, so geschah es oft, dass er mit Vögeln, besonders Stieglitzen, in vertrautesten Verkehr kam furchtlos ließen sie sich von ihm greifen und von seiner Hand geschehen, was er wollte. Wenn er im Garten bei der kleinen Kapelle, wo er Messe zu lesen pflegte, sich
Stieglitz
1603-1663 bei Ancona. Kapuzinerbruder, dann Franziskaner (Minorit), 1628 Priester.
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Heilige(r)
Tier(e) bisweilen dem Lesen und Betrachten hingab, umflogen sie ihn singend und schäkernd ohne jegliches Misstrauen; und wenn er ihnen zurief: »Singt, ihr Vöglein, singt recht lustig und habt keine Sorge, dass es mich verdrieße!«, so erhoben sie ihre Stimme noch höher und sangen noch lieblicher. (UK, 179)
Jutta (selig)
Am Fenster der seligen Jutta sitzen bei ihrem Sterben Vögel jeder Gattung und singen, bis die Todesglocke läutet. (UK, 181)
Kevin
Kevin lebte in einem einsamen Tal. Täglich kam eine Herde von Kühen auf die Weide, wobei eine immer zu Kevin lief und ihm Milch gab. Auch abends auf dem Hof gab diese Kuh besonders viel Milch, sodass man sich fragte, was mit der Kuh geschehen sei. (HT, 112f.) Als sich Kevin in der Fastenzeit in die Einsamkeit zurückzog und mit ausgestreckten Armen betete, streckte er eine Hand durch das Fenster. Da setzte sich eine Amsel darauf und legte in die warme Hand ein Ei, als sei es ein Nest. (HT, 118)
Der Gründer und Abt von Glendalough (südlich von Dublin) starb 618.
Kolumkille Irischer Mönch, der viele Klöster gründete, er starb 597. 128
Kurz vor dem Tod von Kolumkille kam ein weißes Pferd und weinte in seinen Schoß, denn es spürte, dass er bald sterben würde. (HT, 92-95)
Vögel
Kuh
Amsel weißes Pferd
Heilige(r) Kronan Er wirkte um 600 in Mittelirland, in dem schon vom hl. Patrick christianisierten Gebiet. Kyaran Um 480 gründete er im mittelirischen Ossory ein Kloster und war dort Abt und Bischof; er starb um 530.
Launomar Zunächst Priester in Chartres, dann Einsiedler; er stirbt um 590. Moedogh Im 7. Jh. Bischof von Ferns in Irland.
Tier(e) Als der heilige Kronan im Frühling die Egge selbst über das Feld zog, da er weder Ochs noch ROSS hatte, liefen zwei Pferde zu ihm, um ihm zu helfen. (HT, 125)
Rosse
Nachdem Kyrian im Wald als Einsiedler leben wollte, gesellte sich ein Eber zu ihm, um sein Schüler zu sein. Weitere Tiere folgten: Fuchs, Dachs, Wolf und eine Hirschkuh. Eines Tages stahl der Fuchs die Schuhe des Kyrian, um sie zu fressen. Kyrian schickte den Dachs los, um den Fuchs zurückzuholen. Als sie beide zurück waren, bat der Fuchs um seine Lossprechung. (HT, 82-85)
Eber,
Der heilige Launomar schützte eine Hirschkuh vor einigen Wölfen, die sie jagten. Daraufhin begleitete die Hirschkuh den Heiligen in sein Bethaus und kehrte erst zwei Stunden später in die Wildnis zurück. (HT.102)
Hirschkuh
Ein Hirsch, der von Hunden verfolgt wurde, stand plötzlich vor Sankt Moedogh und suchte Schutz. Der Gottesmann warf ihm seinen Mantel über das Geweih. Als die Hunde kamen, hielten sie den Hirsch für ein Standbild und kehrten um. Der Hirsch warf den Mantel ab und ging frei von dannen. (HT, 107)
Hirsch
Fuchs
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Heilige(r) Moling Wegen seiner seherischen Gabe einer der »Vier Propheten Islands«; er starb um 697.
Molua Um 554 bis 609 (?); Abt und Stifter vieler Klöster in der Grafschaft Leinster.
Nennoka Sie starb 486 als Äbtissin des von ihr gegründeten Klosters Pleumeur unweit der bretonischen Küste.
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Tier(e) Der heilige Bischof war in der Stadt Ferns. Er sagte die Ankunft von unbekannten Gästen voraus, die sich noch niemals bei den Menschen aufgehalten haben. Bald kam vom Wald her ein Rudel Füchse, um den Bischof zu besuchen. Kein Hund und kein Mensch tat den Füchsen etwas, als diese durch die Stadt liefen. Sie blieben eine Nacht, wurden köstlich bewirtet und brachen am nächsten Morgen wieder auf. (HT, 129f.)
Füchse
Auf einem Spaziergang sah Molua Wölfe, die vor Hunger heulten. Aus Mitleid rief er sie zu sich nach Hause, ließ ein Kalb schlachten und kochen und behandelte sie in aller Menschlichkeit. So tat er es Jahr um Jahr. Als Dank bewachten die Wölfe die Schafherde des Mannes und schützten sie vor anderen Wölfen und Dieben. (HT, 80)
Wölfe
Ein besonders schöner Hirsch wurde von Jägern gejagt. Der Hirsch sah keinen Ausweg mehr und flüchtete sich vor Erschöpfung in die Kirche und legte sich zahm der heiligen Jungfrau zu Füßen. Die Jäger empfanden dies als ein Wunder, verweilten noch im Kloster und der Hirsch kam unversehrt davon. (HT, 78f.)
Hirsch
Heilige(r) Pachomius 292-346. Verlässt den aufgezwungenen Soldatenstand und lässt sich taufen. Baut 320 am rechten Nilufer ein Kloster. Rosa von Lima
Tier(e) So fest war das Vertrauen des Heiligen auf Gott geworden, so erhaben seine Hoffnung, dass er oft auf Schlangen und Skorpione trat, ja dass ihn Krokodile, wenn er gerade den Fluss überqueren musste, ans andere Ufer trugen und an der Stelle absetzten, wohin er es befohlen hatte. (HT, 51)
Krokodile
Sie hatte sich im Garten ihrer Mutter eine enge Zelle gebaut, und die Feuchtigkeit des Bodens und der Schatten der Bäume lockten Schwärme von Schnacken an. Alle Wände waren damit bedeckt, in den Fenstern war ein beständiges Ausund Einfliegen, die Hütte ertönte vom Summen der Tiere, deren keines aber die Jungfrau, wenn sie zugegen war, berührte. Kam dann die Mutter oder sonst jemand, sie aufzusuchen, so fiel die Brut über die Eintretenden her, um ihr Blut zu saugen. Auf die Verwunderung, dass Rosa unbehelligt blieb, erwiderte sie lächelnd: »Als ich mich hier wohnlich niederließ, schloss ich einen Freundschaftsbund mit den Mücken, dass sie mir in nichts beschwerlich würden, so wie ich selbst ihnen nichts Böses wollte; also wohnen wir in Eintracht hier und wirken tapfer zusammen
Schnaken, Mücken
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Heilige(r)
Tier(e) zum Lobe des Schöpfers.« In Wahrheit, sooft die Jungfrau in der Morgendämmerung ihre Zelle betrat, rief sie ihnen zu: »Eja., Freunde, auf zum Lobe Gottes!« Sogleich begannen sie mit lindem Einklang ein Surren, im Kreise sich zusammenschließend, ließen sie ihr Geschwirr in eins erklingen, und ihre Ordnung war so wohlgestellt, als ob sie unter einem Führer ordentliche Chöre bildeten. War das vorüber, dann flogen sie aus zu ihrer Nahrung, des Abends aber nach der Heimkehr wiederholten sie auf Befehl der Herrin denselben Sang, bis Rosas Zuruf sie zum Verstummen brachte und dem Gebot der Ruhe unterwarf. (UK, 177f.)
Theon(as) Im 4. Jh. Mönch in der oberägyptischen Thebais.
Theresia vom Kinde Jesu
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Theon wandert nächtlich in Begleitung wilder Tiere, die er aus seinem Ziehbrunnen zu tränken pflegte, durch die Wüste. (174) Um seine Hütte sah man »viele Spuren von Büffeln, Wildziegen, Waldeseln und all den Tieren, die immer ihm Freude waren.« (HT, 56)
wilde
Als die Fliegen sie quälten, sagte sie: »Sie sind meine einzigen Feinde, und da der liebe Gott einschärft, den Feinden zu verzeihen, freue ich mich dieser Gelegenheit. Das ist der Grund, weshalb ich sie stets verschone.« (UK, 183)
Fliegen
Tiere
Heilige(r) Torellus Er lebte von 1202 bis 1282 und gehörte dem Orden der Vallombrosaner an. Werburga Sie stammt aus dem Königshaus der Mercier, wurde Nonne und später Äbtissin von Ely (in der Grafschaft Cambridge). Sie starb Anfang des 8. Jh.
Tier(e) Ein Hahn flog Torellus auf die Schulter und krähte dreimal. Nach langem Überlegen, was dies bedeuten könne, deutete er es als Ruf an seine Seele, gab sein ganzes Vermögen weg und verließ die Stadt Puppio, um im Kleid der niederen Laienbrüder in der Einsamkeit der Wälder zu leben. (HT, 191f.)
Hahn
Eines Tages kamen Wildgänse auf das Landgut der heiligen Werburga und fraßen das Korn auf den Feldern. Als Werburga davon hörte, schalt sie die Vögel für den Raub an anderer Leute Sachen und befahl ihnen, das Weite zu suchen. Sogleich erhoben sich die Gänse in die Luft und wurden in dieser Gegend nicht mehr gesehen. (HT, 131f.)
Wildgänse
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2.2 Eine veränderte Spiritualität 2.2.1 Sind wir ein Teil der Erde? In den Achtzigerjahren wurde eine Rede berühmt, die von dem Chief der Duwamish-Indianer Seattle, stammen sollte. In dieser weit verbreiteten Rede wird eine grundlegende spirituelle Erkenntnis der Ureinwohner in poetischer Form vorgetragen:
»Jeder Teil dieser Erde ist meinem Volk heilig, jede glitzernde Tannennadel, jeder Strand, jeder Nebel in den dunklen Wäldern, jede Lichtung, jedes summende Insekt ist heilig, in den Gedanken und Erfahrungen meines Volkes... Unsere Toten vergessen diese wunderbare Erde nie, denn sie ist des roten Mannes Mutter. Wir sind ein Teil der Erde, und sie ist ein Teil von uns. Die duftenden Blumen sind unsere Schwestern, die Rehe, das Pferd, der große Adler - sind unsere Brüder.«
Die Aufregung bestand darin, dass hier ein Indianer - bereits vor über hundert Jahren - auf Probleme hingewiesen haben sollte, die erst seit den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts wirklich ins Bewusstsein drangen: dass Menschen Teil eines umfassenderen Systems sind, das sie nicht einfach nach Belieben manipulieren und ausbeuten können; dass Tiere Brüder und Schwestern der Menschen sind. Eine bittere Pille nach all den Jahrhunderten, in denen sich die »Krone der Schöpfung«, der Mensch, auf dem sicheren Weg zur Herrschaft über alles: die Natur, die Tiere, die 134
Pflanzen, sogar den Weltraum wähnte. Die emotionale Betroffenheit führte allmählich dem kollektiven Bewusstsein vor, dass der gewaltigste menschheitsprägende Mythos von innen heraus an Kraft verlor: die Erzählung von der Moderne mit ihren Wurzeln in der griechischen Weltdeutung, die Vorstellung, dass alles sich zum Besseren entwickle, dass Technik dieses Gefährt sei, auf dem der Mensch, sich erhebend über die Natur und die Welt der Tiere gradlinig in ein goldenes Zeitalter fahre. Nun - die Rede wurde nie so gehalten. Was wir als historisches Material kennen, sind Notizen von einem Treffen zwischen Chief Seattle und Vertretern der Regierung der Vereinigten Staaten. Der Präsident der Vereinigten Staaten machte den Duwamish das Angebot, ihr Land den weißen Siedlern zu verkaufen und sie in ein Reservat umzusiedeln. Die Regierung versprach, den Indianern 150.000 Dollar zu zahlen. Das Geld wurde nicht bezahlt, die Indianer aber wurden in ein Reservat umgesiedelt. Die Duwamish starben dann in kurzer Zeit aus - eine der vielen Tragödien einheimischer Völker. Bei dem Treffen im Jahr 1854 machte sich ein des Duwamish-Dialekts nicht mächtiger Übersetzer, Dr. Henry A. Smith, Notizen und veröffentlichte eine überarbeitete Version davon im Jahr 1887 in einer Tageszeitung mit der Überschrift: »Chief Seattle. Ein Gentleman durch Instinkt«. Diese (vielleicht teilweise originale) Rede unterscheidet sich von den anderen gut gemeinten Fälschungen in einem wichtigen Punkt: Seattle scheint es darum zu gehen, die Verbindung zu den Ahnen und zu der eigenen Geschichte des Volkes, die mit diesem Land verknüpft ist, nicht zu zerstören; er will trotz eines möglichen Verkaufs an die Regierung in Washington sicherstellen, dass der Zugang seines Volkes zu den lebendigen Erinnerungen gewährleistet wird. Land, Bäume, Tiere, sind Teil eines umfassenden Gedächtnisses, einer umfassenden Erinnerung, die sich nicht auf das Hier und Jetzt beschränkt. Auch die Toten sind nicht einfach begraben, sondern mit diesem Land verbunden und werden, so die Weissagung, in die Städte der Weißen zurückkehren. Ich habe diesen Teil der Rede übersetzt: 135
Ein paar Monde noch, einige Winter, und keiner der Nachkommen der einst mächtigen Herren über dieses Land, die einst über es wandelten oder in glücklichen Heimen wohnten, beschützt vom Großen Geist, werden zurückkommen, um über den Gräbern eines Volkes zu klagen, weit mächtiger als eures. Aber warum sollte ich das unzeitige Schicksal meiner Leute beklagen? Stamm folgt Stamm, Nation folgt auf Nation, wie die Wellen des Meeres. Es ist die Ordnung der Natur, und Bedauern ist nutzlos. Die Zeit eures Niedergangs mag weit weg sein, aber sie wird sicher kommen, denn selbst der Weiße Mann, dessen Gott mit ihm geht und zu ihm redet wie ein Freund, kann der gemeinsamen Bestimmung nicht entgehen. Vielleicht sind wir dann trotzdem Brüder. Wir werden sehen. Wir werden unsere Entscheidung treffen und es euch wissen lassen. Aber falls wir euer Angebot annehmen, mache ich hier und heute zur Bedingung, dass wir niemals daran gehindert werden, zu jeder Zeit die Gräber unserer Ahnen, Freunde, Kinder zu besuchen. Jeder Teil dieser Erde ist in der Einschätzung meines Volkes heilig. Jeder Hügel, jedes Tal, jede Ebene und jeder Tümpel ist übersät mit schmerzhaften oder glücklichen Erinnerungen aus all jenen längst vergangenen Tagen. Selbst die Steine, die stumm und tot am Meeresrand in der Sonne verschmachten, erzittern vor Erinnerungen herausragender Ereignisse, die mit dem Leben meines Volkes verbunden sind. Selbst der Staub, auf dem ihr hier steht, antwortet deren Fußtritten liebevoller, als er dies bei euch tut. Denn er ist erfüllt mit dem Blut unserer Ahnen, und unsere Fußsohlen sind sich dieser liebenden Berührung bewusst... Und wenn der letzte Rote Mann verschwunden sein wird und die Erinnerung an meinen Stamm eine Mär für den Weißen Mann sein wird, werden diese Gefilde mit den unsichtbaren Toten
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meines Clans schwingen. Wenn eure Kindeskinder dann sich allein wähnen auf dem Feld, im Geschäft, auf der Straße oder in der Stille der pfadlosen Wälder, werden sie in Wirklichkeit nicht allein sein. Auf der ganzen Erde gibt es keinen Platz, der für die Einsamkeit bestimmt ist. Nachts, wenn die Straßen eurer Städte und Ortschaften schweigen und ihr sie verödet wähnt, werden Scharen von zurückkehrenden Landbesitzern dieses wunderbare Land füllen. Der Weiße Mann wird nie allein sein. Lass ihn gerecht sein und mein Volk freundlich behandeln, denn die Toten haben ihre Macht.1
Sind Menschen ein Teil der Erde? Was will Seattle (mit allen textkritischen Einschränkungen) dem Weißen Mann mitteilen? Kommunikation mit allen Wesen endet nicht an der Schwelle der sichtbaren Welt. Auch unsere eigenen Erinnerungen nehmen verschiedene Formen an. Wer sich nur auf die zweidimensionale Welt des Sichtbaren, Fühlbaren und Schmeckbaren verlässt, lebt eingeschränkt. Bereits der weiße Übersetzer dieser Ansprache war beeindruckt von der Mächtigkeit, mit der diese Botschaft vorgetragen wurde. Es sei eine Stimme gewesen, die das ganze Tal wie ein Donner erfüllt habe. Seattle scheint von einem ähnlichen Grundverhältnis des Menschen zu nicht menschlichen Wesen auszugehen, wie wir das von den australischen Ureinwohnern oder anderen Völkern kennen. Hier steht alles in einem engen Zusammenhang, alles ist aufeinander verwiesen, jede Handlung hat ihre Bedeutung, alles ist geprägt von einem tiefen Bewusstsein dieses Netzes aus Leben. »Seele«, »Geist«, »Sprache«, westliche Begriffe sind nicht nur dem Menschen vorbehalten. Durch die gesamte Welt, mit allen sichtbaren und unsichtbaren Dimensionen, ziehen sich diese Verbindungen. Diese Verbindungen können entdeckt werden; 137
wir können uns mit den nicht-menschlichen Wesen in Verbindung setzen. Eine solche Grundhaltung könnte man »Spiritualität« nennen. Ein klein wenig schreckt mich der Begriff, weil er in einer griechisch-christlichen Bewusstseinstradition steht, die zugunsten der einen Beziehung Mensch - Gott gerne die vielen anderen Beziehungen Mensch - Wesen vergaß. Diese Beziehungen sollen im Folgenden mit dem modernen Begriff »Kommunikation« gekennzeichnet werden.
2.2.2 Kommunikation mit Wesen In einem langen Zivilisationsprozess hat der Mensch, vor allem in den okzidentalen Kulturen, eine scharfe Trennungslinie zum Tierreich geschaffen. Das hängt wohl wesentlich mit einer Erkenntnis zusammen, die der Psychologe Sigmund Freud so formuliert: Der Mensch kann nur eine Zivilisation schaffen, also einen stabilen Verbund, in dem Menschen über Generationen hinweg leben, sich gegenseitig bestärken, Nahrung wie Sinndeutungsmuster bereitstellen können, wenn er es schafft, seine Triebe zu reduzieren. Das gelingt aber im Grunde genommen nur sehr unvollkommen. Gefühle hat man nicht im Griff. Ich weiß nicht, mit welchem Gefühl ich morgen früh mein Bett verlasse, ich nehme nur aufgrund meiner langen Erfahrung an, dass dieses Gefühl nicht allzu aggressiv oder negativ sein wird. Eine hundertprozentige Garantie dafür gibt es nicht. Das Tier lebt nicht triebreduziert. Das erschreckt. Es führt auf einer tiefen Ebene dem Menschen, der mit einem Tier zusammenlebt, vor Augen, dass auch in seinem Inneren ein unbekanntes Land liegt, dessen Ränder er gar nicht genau kennt oder kennen will. Nicht schwierig ist, viele Ansätze in Philosophie und Theologie als Versuche zu sehen, mit diesem Unverfügbaren, sich 138
nicht meinem Herrschaftsanspruch Unterordnenden umzugehen, es zu zähmen, zu »zivilisieren«. Mit der Einrichtung der Vernunft wurde eine Mauer zwischen Mensch und Nicht-Mensch aufgerichtet. Lange Zeit weitgehend plausibel, hat diese aber auch den Blick des Menschen begrenzt. Die Mauer bröckelt nun mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit. Es tauchen praktisch täglich neue Erkenntnisse darüber auf, dass auch Tiere ein hochdifferenziertes Kommunikationssystem besitzen; aber sie kommunizieren weniger wie Menschen über die Erzeugung recht komplizierter Lautgebilde in Kehlkopf und Mund: Körperhaltungen sind bei den meisten Tierarten wichtiger als Lautgeräusche. Aber wir kennen heute auch bekannte Ausnahmen: Von Delphinen wissen wir, dass sie sich mit verschiedenen Pfeiftönen verständigen, unter Wasser eine gute Art der Kommunikation, da das Wasser Geräusche im oberen Frequenzbereich weit trägt. Vögel verständigen sich untereinander mit Tönen, und ob die Ultraschallgeräusche von Fledermäusen nur der Orientierung im Raum dienen oder auch eine Form von Unterhaltung darstellen, wissen wir nicht. Einem sehr interessanten Vorgang begegnen wir in der Entdeckung einer Verständigungsmöglichkeit mit Schimpansen. Wir wissen, dass der Kehlkopf bei Affen anders konstruiert ist als beim Menschen und dass das Gehirn nur etwa ein Drittel der Größe des menschlichen Gehirns hat. Auch die Muskel- und Nervenstränge, die zum Kehlkopf und Mundbereich führen, sind nicht ähnlich hoch entwickelt wie beim Menschen (übrigens sind sie das bei Delphinen). Deswegen können Affen über Stimmbänder, Kehlkopf und Mund schon aus physiologischen Gründen nicht so miteinander reden, wie Menschen das können. Sie können allerdings Worte und Begriffe von Menschen verstehen. Aber auch manche Menschen haben damit physische Schwierigkeiten: Menschen, die taub geboren werden oder gehörlos sind. Man hatte lange Jahrzehnte äußerst geringe Erfolge, die Verstän139
digung von taubstumm Geborenen an die Kommunikationsformen der anderen hörenden und sprechenden Menschen anzupassen. Aber Gehörlose können sehr wohl und sehr differenziert kommunizieren: über Gesten und Gebärden. Das ist zwar für die anderen etwas gewöhnungsbedürftig, funktioniert aber prächtig und sogar international. Schimpansen können einfache Gesten benutzen, um sich mit dem Menschen zu verständigen. Die Ergebnisse eines solchen Ansatzes sind verblüffend. Bestimmte Schimpansen können sich sehr präzise ausdrücken, indem sie Fingerpositionen einsetzen. Sie drücken ihre Bedürfnisse aus, benennen Gegenstände, Handlungen und sogar Gefühle. Erhebliche Fortschritte im Bereich der Kommunikation über die Grenzen der jeweiligen Art hinaus sind festzustellen. John Lilly, ein amerikanischer Biologe, hat auf einer sehr wissenschaftlichen Basis die Kommunikation zwischen Delphinen und vor allen Dingen zwischen Delphinen und Menschen untersucht. Interessant sind seine ersten Begegnungen mit Walen; er berichtet von einer Begegnung mit einem Beluga-Wal in einem Laboratorium: »Der Beluga-Wal sah aus wie Caspar, der freundliche Geist rein weiß mit einem biegsamen Hals und einem lebhaften Mienenspiel. Ich hatte das Gefühl, dass ich selbst eine außerordentliche Gegenwart wahrnahm und wiederum von dieser Gegenwart wahrgenommen wurde. Ich war gleichzeitig sprachlos und versuchte, diese vielen Informationen, die ich in dieser Situation erhielt, irgendwie in den Mustern vergangener Erfahrungen unterzubringen. Irgendwie transzendierte das die menschliche Erfahrung und berührte tief liegende unbekannte Geheimnisse. Es geschahen einige wenige ewige Momente des Erkennens... die Frequenz zwischen uns war wie in einem hell erleuchteten Tunnel des Glücklichseins. Alles andere um mich herum verschwamm in diesem weißen Licht, das mein inneres Wesen durchflutete und entspannte.«3 140
Lilly weiß natürlich als nüchterner Wissenschaftler, dass dieser Moment aus etwas anderem als einem Forschungsprogramm der Verständigung zwischen Mensch und Wal besteht. Dies rührt an ein ganz anderes Problem: Die Sprache, die wir benutzen und sprechen, wuchs in einem historischen Prozess. Vieles spricht für die Annahme, dass die Nutzung von Sprache zur Verständigung in menschlicher Weise, d.h. der Erzeugung von zusammenhängenden Klanggebilden mittels eines Zusammenspiels von Kehlkopf, Mund und Stimmbändern in einem Frequenzbereich zwischen 300 Hertz und 2.500 Hertz wiederum auch die Entwicklung von Gehirn und ganzem Menschen beeinflusst hat. Wir stehen am Ende eines langen Prozesses, der irgendwie vor ca. l Million Jahren begann und von dem wir praktisch nichts wissen können, außer dass er uns dazu geführt hat, dass wir uns, die Welt und andere Wesen heute so sehen, wie wir sie sehen. Ein Problem, das sich im Laufe dieser Sprachentwicklung ergeben hat: Mit niemandem außer dem Menschen können wir auf diese Weise reden. Es gibt durchaus zwischen anderen nichtmenschlichen Tieren Verständigung. Interessanterweise schneiden auch Affen bei Versuchen zur Kommunikation zwischen verschiedenen Spezies ähnlich schlecht ab wie der Mensch: Sie verstehen andere Tiere nicht. Ungeheuer schwierig ist, aus diesen Mustern des Denkens, der Logik, der Sprache, der Kultur und der Weltanschauung auszusteigen. Ich lasse offen, ob das überhaupt funktioniert, weil von der Erfahrung des Einzelnen abhängt, ob er eine Beschreibung wie die von John Lilly nachvollziehen kann und etwas Ähnliches kennt: das deutliche Bewusstsein, dass etwas an mich herangetreten ist und ich in etwas stehe, das jenseits dieser handwerklichen, möglicherweise engen Logik menschlicher Verständigung liegt. Wir dürfen annehmen, dass die meisten menschlichen Sprachen einen sehr viel weitergehenden Austausch von Informationen erlauben. 141
Wissenschaftliche Untersuchungen stellen fest, dass das für die Sprache so wichtige Gehirn bei Menschen und Walen ähnlich aufgebaut ist: vergleichbar groß und mit einem sehr hohen Anteil an nicht benutzter Gehirnmasse. Das bedeutet für das Sprachvermögen sehr viel. Die bisher untersuchten Walarten benutzen Klangmuster zur Unterwasserverständigung in menschenähnlicher Weise: Das Verhalten der anderen wird beeinflusst. Die Sprache der Wale besteht aus Klangbildern, »Sounds«. In der Luft beanspruchen Wale, besonders Delphine ihr Atemloch, um durch Klangfolgen mit dem Menschen in Kontakt zu treten; diese liegen in einem Frequenzbereich, der etwa dem der menschlichen Sprache entspricht. Allerdings sind Delphine wesentlich schneller in der Verarbeitung akustischer Signale. Wir verfertigen Sätze zur Verständigung, also recht lange akustische Gebilde, und wir benötigen noch einmal Zeit, um zu verstehen. Man hört beispielweise beim Buch auf zu lesen, um einen kurzen Moment über die Bedeutung des Gelesenen nachzudenken. Dieser Kommunikationsfluss ist bei Delphinen anders gestaltet. Eine ganz andere Art von Kommunikation beschreibt Paracelsus (1493-1541). Paracelsus' Welt lebt von einem Ineinander von äußerer und innerer Welt. Ganz selbstverständlich ist ihm die christliche Vorstellung, dass alles von Gott geschaffen sei und dass diese Urkraft auch heute noch alles durchdringe. Das, was wir als Seele bezeichnen, sei eine Verdichtung der Urmaterie. Solange die Seele an den materiellen Körper gebunden sei, bedarf sie des Geistes (des Verstands), um sich zu äußern. Der Astralkörper, der die Verbindung zu den Sternen darstellt, ist im Zustand des Wachseins fest mit dem materiellen Körper verbunden. Im Schlaf jedoch kann sich dieser Astralkörper lösen und mit allen immateriellen Kräften mitschwingen. Das, was wir »Traum« nennen, geschieht: Bilder, tiefe Einsichten, Symbole, aber auch scheinbar Zufälliges. All dies hängt von der Art des Schlafes ab. Bei leichtem Schlaf reagiert der Mensch noch auf äußere Eindrücke: Kälte 142
erzeugt Bilder von Schnee und Eis. Im tiefen Schlaf ist die Seele passiv und dringt durch zu nicht mehr zufälligen Eindrücken: Wahrträume tauchen auf, wirklich vergangene, gegenwärtige und zukünftige Episoden. Nur wenige Menschen sind in der Lage, mit diesen Bildern umzugehen, sie auch nur wahrzunehmen oder gar zu deuten. Künstler oder Dichter können das. Wir können hier nicht die Einzelheiten und die Bedeutung dieses Ansatzes diskutieren. Sehr weit entfernt von neueren Ergebnissen der Traumforschung scheinen sie nicht zu sein, so sehr uns vielleicht die Formulierung im Einzelnen fremdartig und altertümlich erscheinen mag. Interessant ist, dass Paracelsus dieses Vermögen einer Verbindung zu überzeitlichen Ereignissen ohne Ablenkung von äußeren Eindrücken auch bei Tieren sieht. Er verweist etwa auf Hähne, die das zukünftige Wetter vorhersagen, auf einen Pfau, der den Tod seines Herrn anzeigt. Deswegen soll der Mensch auch auf die Tiere achten, die mit ihm zusammenwohnen, besonders dann, wenn sie sich anders als sonst benehmen: »Das ist aber euch allen wohl zu wissen, dass ihr der Tiere, die bei euch wohnen, wohl Acht habt auf ihren Brauch, wie derselbige täglich sei, und auf die Veränderung solches Brauches. Also auch in den Rossen solche Auguria sind, die da wittern den Geist bei ihnen, Zauberei, Hexerei und was dergleichen mehr sind, das haben sie an Geruch und Gesicht. Die Hunde auch, wie die Rosse, sehens und hörens, aber witterns nicht. Die Hühner, sonderlich der Hahn, hören alle Dinge im Schlaf, wittern und sehen aber nichts ... Ein Hund, so gegen seine Natur heulet anders und mehr denn hündisch, bedeutet auch in seinem Hause eine Leiche oder ein anderes Unglück ... In solcher Gestalt wirkt das Gestirn in den Raben, Störchen, Schwalben und Spatzen, nicht allein im Menschen.« Paracelsus kann zu seiner Zeit voraussetzen, dass die meisten Menschen, für die er schreibt, diese oder ähnliche Phänomene einer besonderen Beziehung des Tiers zur Natur, zum Schicksal 143
kennen. Er sucht nach einer plausiblen Erklärung dieser Phänomene. Ob der Weg, den Paracelsus einschlägt, für uns heute noch schlüssig ist, mag offen bleiben. Aber die Phänomene gibt es sehr wohl und sie sind ein Teil des unbekannten Landes, dem sich die Wissenschaften nur sehr ungern annähern. Einer, der diese Scheu nicht kennt, ist der Biologe Rupert Sheldrake. Ihm war wichtig, den engen Wissenschaftsbetrieb zu verlassen. So fordert er in seinem Buch: »Sieben Experimente, die die Welt verändern könnten«, dazu auf, ihm Beispiele zu berichten, die diesen Kommunikationszusammenhang belegen. In diesem Buch sind einige Belege zusammengetragen, so einer aus dem Buch des Biologen William Long, How Animals Talk (1919), wo dieser vom Verhalten seines Hundes Don berichtet, als er selbst ins Internat kam: »Ich ließ Don sehr ungern zurück, wenn ich wieder zur Schule musste; und er schien immer zu wissen, wann ich wieder einmal auf dem Weg nach Hause war. Monatelang hielt er sich beim Haus auf und gehorchte meiner Mutter, die eigentlich nie einen Hund hatte haben wollen, aufs Wort. Aber an dem Tag, wo man mich erwartete, verließ er das Grundstück, auch wenn es ihm verboten wurde, und suchte eine kleine Anhöhe hinter dem Heckenweg auf, von wo aus er die Hauptstraße überblicken konnte. Und um welche Zeit ich auch ankommen mochte, mittags oder um Mitternacht, immer traf ich ihn dort wartend an. Einmal brach ich von meinem Schulort auf, ohne mich daheim anzukündigen. An dem Tag konnte meine Mutter Don nicht finden und rief ihn vergeblich. Einige Stunden später, als er nach vielem Rufen immer noch nicht erschienen war und sogar sein Mittagessen versäumte, ging meine Mutter auf die Suche und fand ihn erwartungsvoll an seinem Aussichtspunkt ausharrend ... Ohne den geringsten Zweifel, dass mein Zimmer bald gebraucht würde, ging sie wieder ins Haus und traf die Vorbereitungen. Hätte der Hund sich öfter dort oben herumgetrieben, so hätte man einen Zufallstreffer in der Sache sehen können; aber er hielt sich dort nur an Tagen auf, an de144
nen man mich erwartete. Einmal wurde beobachtet, dass er seinen Posten wenige Minuten nach der Abfahrt meines Zuges in der fernen Stadt einnahm. Anscheinend wusste er, wann ich nach Hause aufbrach.«5 Ich glaube nicht, dass mein Schwiegervater sich mit Rupert Sheldrake beschäftigt hat, aber er berichtete mir wiederholt, dass die beiden Katzen im Haus der Mutter ihn immer wieder am Bahnhof abgeholt hätten, wenn er nach Hause gekommen sei und zwar auch dann, wenn er mitten in der Nacht oder ganz unvorhergesehen angereist sei. Er habe sich darüber immer gefreut. Ein Freund von mir erzählte mir nach einer tiefen Krise in seiner Beziehung: »Manchmal wünschte ich mir, dass andere Menschen Hunde wären.« Auf meine erstaunte Rückfrage meinte er: »Bei einem Hund siehst du schon am Schwanzwedeln bei der Begrüßung, wie er sich freut, dass du da bist. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie mir das im Augenblick wichtig ist. Heimzukommen und zu sehen, dass sich da jemand wirklich nur darüber freut, dass du da bist.«
Aber wie läuft diese Art von Kommunikation ab? Vonseiten der Biologie sind in dieser Hinsicht wenig Hilfen zu erwarten. Solche Kommunikationen wurden immer eher in den Bereich des Paranormalen eingeordnet, ein von der Wissenschaft aus gesehen anrüchiges Gebiet. Sheldrake verweist darauf, dass Experimente in diesem Bereich häufig deswegen nicht durchgeführt werden, weil sie das vorherrschende bequeme kulturelle Einverständnis zwischen einem engen Vernunftbegriff und einem mechanistischen Weltbild zumindest infrage stellen. Hinzu kommt, dass das Verhältnis zum Haustier häufig tabuisiert wird. Man pflegt oder erlebt es, redet aber nicht darüber. Vielleicht steckt dahinter das Unbehagen an dem Doppelspiel, das unsere Kultur mit Tieren treibt. Auf der einen Seite leben laut Schätzung etwa 48 Millionen Haushunde und 27 Millionen Katzen in den USA, für die 10 Milliarden Dollar für Futter und Tierarzt ausgegeben werden. Diese Haustie145
re werden geliebt, umhegt, betrauert. Auf der anderen Seite stehen die vielen »Nutz«-Tiere, die ohne jedes Erbarmen »produziert« und »vernutzt« werden. Ihnen steht noch nicht einmal das Recht auf einen eigenen Namen zu. Vorurteile gegen den engen Umgang mit dem Tier stehen in einer langen Tradition: Hexen wurde immer eine enge Beziehung mit Tieren, vor allem Katzen und Raben nachgesagt. Beispiele für Kommunikationen kennen wir sehr viele, ein wissenschaftlich akzeptierter Nachweis der Mechanismen dieser Kommunikation liegt nicht vor. Mittlerweile werden aber sogar Methoden entwickelt, wie Menschen sich mit Haustieren »telepathisch« verständigen können. So beschreibt etwa Penelope Smith in ihrem Buch »Gespräche mit Tieren« ein solches Schulungsprogramm.6 Ein wirkliches Erklärungsmuster steht damit noch immer nicht zur Verfügung. Dies wäre aber nicht nur für die Biologie von Belang, sondern beträfe das menschliche Grundverhältnis zur nicht-menschlichen Natur. Martin Buber hat in seinem Grundlagenwerk »Ich und Du« versucht, den Bereich der menschlichen Beziehungen auszuleuchten. Er beschäftigt sich auch mit dem zunächst erstaunlichen Tatbestand, dass das »Du« eines Menschen keineswegs nur ein anderer Mensch ist, sondern auch Dinge und Wesen in der Natur. Wenn wir einem Menschen gegenübertreten, gehen wir eine Beziehung mit ihm ein, die wechselseitig ist. Wir können, da der andere auch ein Mensch ist, daraus schließen, dass auch er uns dieses »Du« gewährt. Eine gelungene Beziehung besteht in diesem wechselseitigen Gewähren. Symptomatisch ist zum Beispiel der Blick des Menschen. Wenn ein Dichter Liebe beschreibt über zwei Blicke, die sich nicht voneinander losreißen können, dann ist genau diese ausgeglichene Beziehung gemeint: Ich gewähre dir das Du, so wie du es mir gegenüber einräumst.
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»Ich sehe zuweilen in die Augen einer Hauskatze. Das domestizierte Tier hat nicht etwa von uns, wie wir uns zuweilen einbilden, die Gabe des wahrhaft sprechendem Blicks empfangen, sondern nur - um den Preis der elementaren Unbefangenheit die Befähigung, ihn uns Untieren zuzuwenden. Wobei nun aber in ihn, in seiner Morgendämmerung und noch in seinen Aufgang, ein Etwas aus Staunen und Frage gekommen ist, das dem ursprünglichen, in all seiner Bangigkeit, doch wohl gänzlich fehlt. Diese Katze begann ihren Blick unbestreitbar damit, mich mit dem unter dem Anhauch meines Blicks aufglimmenden zu fragen: >Kann das sein, dass du mich meinst? Willst du wirklich nicht bloß, dass ich dir Spaße vormache? Gehe ich dich an? Bin ich dir da? Bin ich da? Was ist das da von dir her? Was ist das an mir? Was ist das?< (Martin Buber, Ich und Du, 99)
Wie kann es aber sein - so Buber weiter -, dass auch in der Natur uns Wesen und Dinge in einer solchen Gegenseitigkeit begegnen? Tiere hat der Mensch »gezähmt«, d.h. er hat sie gezwungen, auf ihn einzugehen. Er verlangt vom Tier, etwa vom Hund, eine aktive Erwiderung seiner Handlungen, seiner Annäherung und Anrede. Und Tiere sind in dieser Hinsicht sehr schlau (ähnlich wie Kinder): Sie können eine geheucheltes von einem wirklichen Gefühl unterscheiden. Aber auch außerhalb des Zähmungsbezirks findet so etwas statt: Es gibt Menschen, die in sich eine Partnerschaft zum Tier tragen.7 Zwar fehlen dem Tier die Grundworte: »Ich - Du«, aber so etwas wie eine Vorstufe dieses Prozesses der Gegenseitigkeit existiert.
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Franz Werfel, Blick der Kreatur Du streichelst den großen guten Hund. Durchdringe, sprachst du, seinen Augengrund Und deute mir die ungeheure Trauer, die uns umfängt mit leiderstarrter Dauer. Wenn Engel tief in Menschenaugen schaun Gab ich zur Antwort - unter edlen Brau'n, So werden sie bestürzt dasselbe fragen Und weg sich wenden, weil sie's nicht ertragen.
Jeder weiß davon, der in die Augen eines Tieres schaut. Diese Augen sprechen eine Sprache, allerdings eine geheimnisvolle, eine, die sich dem Menschen nicht so erschließt wie die Sprache anderer Menschen. Ihr Inhalt durchbricht die reine Ich-Ding-Beziehung, die »Es-Welt«. Etwas Personhaftes leuchtet für einen Augenblick auf und verschwindet wieder. Immerhin gibt es sie, diese Durchbrechung unserer auf die Wahrnehmung anderer Wesen als Dinge gerichteten Sinne. Aber vieles kann diesen Panzer der Dinglichkeit nicht durchstoßen. Buber sieht darin einen Fortschritt, wenn aus den betrachteten Dingen ein Lebendiges hervorkommt. Denn jetzt wird eine Beziehung eingegangen. Aber diese ist nicht dauerhaft: Aus dem Du in der Beziehung kann wieder ein Ding werden. Die Beziehung zu einer Pflanze will Martin Buber anders erklären, denn eine Pflanze kann unser Wollen nicht erwidern. Aber: Auch die lebende Ganzheit etwa eines Baumes offenbart demjenigen, der »du« zu diesem Baum sagt, ein antwortendes »Du«. »Unsere Denkgewohnheiten erschweren uns die Einsicht, dass hier, durch unser Verhalten erweckt, vom Seienden her etwas uns entgegen aufleuchtet.«8 Eine solche Einsicht, das wusste schon Goethe, ist demjenigen von vornherein verschlossen, der sich mit dem reduzierenden Blick des analysierenden Wissenschaftlers dem Baum nähert. Dass bei Pflanze und Tier in der Be148
ziehung zum Menschen etwas Unterschiedliches passiert, ist aus sich heraus verständlich. Aber vielleicht liegt hier nur ein kleiner gradueller Unterschied vor? Mittlerweile haben wir sehr viele Hinweise auf Kommunikation zwischen Pflanzen und Menschen. Ein Teil dieser gegenseitigen Kontaktaufnahme und Beeinflussung lässt sich sogar wissenschaftlich dokumentieren und in Versuchen nachstellen. Rainer Holbe berichtet in seinem Buch »Mitgeschöpfe« von einem Experiment der Fachhochschule Weihenstephan, bei dem 150 Freizeitgärtner je sechs Tomatensetzlinge erhielten. Sie sollten - so die Anweisung, drei davon »mit viel Liebe, gutem Zureden und wohl wollenden Gedanken« bedenken, die anderen drei nur versorgen und gießen. Das Ergebnis war, dass die besonders geliebten Pflanzen deutlich mehr Früchte trugen als die anderen. Meine Großmutter, inzwischen verstorben, bat vor einigen Jahren meine Frau, ihre beiden Clivienstöcke, sehr große Gewächse, doch mit sich zu nehmen und weiter zu betreuen. Ihr Kommentar dazu war: »Den Pflanzen geht es bei mir jetzt nicht mehr gut. Ich glaube, dass sie spüren, dass ich alt bin, und ich will nicht, dass die Pflanzen sterben. Bei dir können sie leben.« Eine der Clivien steht in meinem Arbeitszimmer. Sie hat mehrere Ableger produziert und wächst und gedeiht weiter. Ich möchte hier eine kleine autobiografische Begebenheit erzählen: Auf Anregung einer befreundeten Ärztin fuhren wir mit deren Familie zusammen in den Schwarzwald für ein verlängertes Wochenende. Wir befanden uns in dieser Zeit in einer sehr schwierigen Situation, denn drei unserer Kinder hatten eine sehr starke Neurodermitis-Erkrankung. Meine Frau und ich waren am Ende unserer Kräfte und es bestand keine reale Aussicht, dass sich der Zustand unserer Kinder verbessern würde. Ich fand in der Nähe des Titisees ein altes Haus. Als 149
wir ankamen, fühlten wir uns wie in einer Filmkulisse: Ein herrschaftliches Fachwerkhaus, gebaut wohl kurz nach der Jahrhundertwende mit einer riesigen Eingangshalle, an deren Rand die Treppe zu den oberen Stockwerken entlang führte. Das Haus war nicht mehr in einem erstklassigen Zustand. Die vielen Vermietungen, für die es offenkundig nicht geschaffen war, zeigten ihre Spuren: im Zustand des Holzes, der Treppen, der Tapeten, im Geruch. Aber wir alle fühlten uns sofort heimisch. Beim Hereintragen der Koffer hatte ich draußen im Hof mehrere alte Bäume bemerkt, aber eben nur so im Vorbeigehen. Wir setzten uns dann - es war später Nachmittag und das Licht ließ merklich nach - zusammen, um gemeinsam zu essen. Beim Essen selbst war mir nicht wohl. Mir war schwindelig und ich bekam starke, pochende Kopfschmerzen. Es fühlte sich nach einer Migräne an, etwas, was ich bis zu diesem Zeitpunkt nicht kannte. Ich bat unsere Freundin, mir ein Mittel gegen diesen trommelnden Schmerz zu geben. Sie schaute mich an und sagte mit einer Stimme wie von weither: »Ich kann dir nichts geben. Das ist ein Weg, den du selbst gehen musst.« Ich war nicht mehr fähig, für oder gegen etwas zu argumentieren, ging schwerfällig die Treppe hoch und legte mich in meinen Kleidern ins Bett. Mein Zustand verschlimmerte sich zusehends. Zu den rasenden Kopfschmerzen erhöhte sich Puls und Blutdruck fühlbar. So lag ich apathisch im Zimmer, als ich plötzlich das Gefühl hatte, ich würde sterben. Auch dies hatte ich vorher noch nicht erlebt. Deutlich bewegte ich mich aus meinem Körper heraus und mit jedem Vorrücken wurde der Zustand leichter erträglich: die Angst, die gehetzten Gedanken, die sich überschlagenden Bilder. Alles wurde ruhig und wich der Vorstellung, dass es zu Ende sei. Ab irgendei-
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nem Punkt in diesem Geschehen verließ mich aber diese selbstverständliche Bewegung aus der Welt hinaus und es bildete sich in mir, zunächst wortlos, dann immer deutlicher und zuletzt in menschlicher Sprache der Satz: »Du wirst jetzt zu der Zeder draußen gehen und sie um Hilfe bitten.« Ich stand auf und schleppte mich auf den Gang hinaus, vorbei an meiner Frau, die sehr irritiert war, vorbei an den Kindern die Treppe hinunter in den Hof. Tatsächlich: Da stand sie: eine Zeder, sehr groß, sehr alt. Ich ging auf sie zu, umarmte sie und blieb so einige Zeit stehen. Ich weiß wirklich nicht mehr, wie lange dieser Zustand anhielt. Dann sprach ich innerlich mit der Zeder: »Bitte hilf mir, ich habe keine Kraft mehr, ich weiß nicht mehr weiter.« Dann fiel mir noch ein Satz aus dem Hohenlied der Bibel ein: »Stark wie die Zedern des Libanon sind die Beine meines Geliebten«. Ich hatte keine Reserven mehr, um über diesen Zusammenhang nachzudenken. Als ich diese wenigen Worte formuliert hatte, wurde es merklich dunkel und stiller um mich her. Ich fühlte mich, als ob ich in dem Baum war. Er sagte zu mir: »Fühl die Wurzel, wie weit sie hinabgeht.« Ich stieg die Wurzel hinab, sah die Erde um die Wurzel sich dunkel ausbreiten und spürte, wie etwas Helles von unten nach oben zog, in leicht spiraligen Bewegungen. Als ich zur Oberfläche zurückkam, hörte ich die Aufforderung: »Schau nach oben und sieh, wie weit ich in den Himmel rage, meine Äste ausbreite.« Mit der Aufforderung hatte ich innerlich dieses Bild vor mir: Äste, dunkelgrün, um einen Stamm herum gruppiert, in einen blauen Himmel hinaufsteigend. Die ganze Zeit über hatte ich die Augen geschlossen. Ich entspannte mich, der Schmerz im Kopf ließ nach, die Angst entfernte sich, ich öffnete die Augen, etwas benommen und geblendet. Die Lebensangst war weg, ich kehrte in die Welt zurück.
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Rabindranath Tagore, Auge in Auge Oft wundere ich mich, wie verborgen liegen des Erkennens Grenzen zwischen Mensch und Tier, dessen Herz keine gesprochene Sprache kennt. Durch welches erste Paradies in einem fernen Schöpfungsmorgen lief der schlichte Pfad, auf dem sich ihre Herzen trafen? Jene Spuren ihres treuen Schreitens sind nicht verwischt, wenn auch ihre Verwandtschaft vergessen ist. Doch plötzlich zu irgendeiner wortlosen Musik erwacht das dunkle Erinnern, und das Tier blickt in des Menschen Antlitz mit zärtlichem Vertrauen, und der Mensch schaut nieder in seine Augen mit erfreuter Zuneigung. Es scheint, dass die zwei Freunde sich in Masken treffen und kaum einander kennen unter der Verkleidung.
Es ist schwierig, solche Vorgänge exakt zu deuten. Ich habe selbst erst in einem längeren Prozess entdecken müssen, wie ich damit umgehen kann. Das aber steht hier nicht zur Frage. Ich scheue mich, von der Substanz des Geschehenen her, das Ganze einfach als Projektion aus mir selbst heraus anzusehen. Die Stimme, die Bilder, die Kraft, das alles hatte mit diesem Baum zu tun. Dieser Baum hat mit mir gesprochen. Ich habe ihm nur insofern geantwortet, als ich mich auf das Spiel eingelassen habe. In der damaligen Situation hatte ich allerdings keine Wahl. Der Baum hat mir übrigens wirklich geholfen. In der Zwischenzeit weiß ich, dass das Dargestellte nichts Außergewöhnliches ist. Viele Menschen berichten solche Vorfälle. Wir wissen von Kulturen, dass die Kommunikation mit anderen nicht-menschlichen Wesen »normal« ist. Menschen aus diesen Kulturen sind immer wieder erstaunt, dass die westliche Zivilisation nur die sprachlich-lautliche oder schriftliche Kommunikation wirklich anerkennt. Selbst gehörlosen Menschen wurde versucht, das Sprechen beizubringen, weil eine andere Kommunikation, etwa über Gesten, gesellschaftlich nicht salonfähig war. 152
Trotz vieler Beispiele aus der Gegenwart: Ich glaube nicht, dass heute die Kommunikation mit anderen Wesen salonfähiger wäre. Dr. Doolittle bleibt eine Kindergeschichte ebenso wie das Urmel aus dem Eis der Augsburger Puppenkiste. Und die Philosophie tut das Übrige, um nachzuweisen, dass eine solche Kommunikation bereits von den Denkvoraussetzungen her unmöglich ist. Ludwig Wittgenstein, der bedeutende amerikanische Philosoph österreichischer Herkunft, meinte 1953: »Wenn ein Löwe sprechen könnte, so würden wir ihn nicht verstehen«, denn unser Sprachvermögen hängt eng an dem, was man als »Kultur« bezeichnet: Sitten, Begriffe und Bedeutungen, so eng miteinander verwoben, dass sie uns den Übertritt und den Ausgriff auf andere Existenzformen verunmöglichen. Thomas Nagel, ebenfalls ein amerikanischer Philosoph, beantwortet die Frage: »Wie ist das, eine Fledermaus zu sein?« mit der ebenso lakonischen Antwort: »Wir werden es nie wissen«. Fledermäuse orientieren sich beim Fliegen durch eine Art von Echopeilung. Sie stoßen für uns unhörbare Schreie aus und aus den zurückkommenden Lautgebilden schließen sie auf den Abstand. Ihre Welt besteht aus durch diese Laute strukturierten Landschaften. Unsere Welt sieht anders aus. Sie besteht aus der Kombination vieler Sinneswahrnehmungen: manche besser entwickelt (wir sehen besser als Hunde), manche schlechter (aber wir riechen sehr viel ungenauer). Wenn Verständnis Worte voraussetzt, die Gegenstände und Verhältnisse in der Welt repräsentieren, die mittels unseres Sprechapparates gebildet und aufgrund deren Bedeutung in einem längeren Prozess angeeignet werden, hat diese Position ihr Recht. Sie hat aber dann zu den vielfältigen anderen Kommunikationsformen nichts zu sagen. Vor allem kann sie viele Phänomene in der Mensch-Nicht-Mensch-Beziehung nicht erklären.
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2.2.3 Was Spiritualität bedeuten könnte Spiritualität wird oft verwechselt mit Ethik oder der Aufforderung, ein anderes »Ethos« zu entwickeln. Zwar ist verständlich und notwendig, wenn Theologinnen und Theologen Kritik an der gegenwärtigen Gesellschaft üben: besonders bei Fragestellungen, die sich mit den Zusammenhängen auf unserer Erde beschäftigen, etwa der »Ökologie«. Aber zu beachten ist, dass die Bewegung der modernen Zivilisation, geschaffen durch Menschen, wiederum selbst einen bestimmten Typus Mensch hervorbringt. Dieser hat sich einer langen, Generationen von Menschen dauernden Selbsterziehung unterworfen mit dem Ziel, sich von den Einschränkungen eines traditionellen Gottesbegriffs frei zu machen. Dabei wurde ein Deal, ein metaphysisches Geschäft mit »Gott« abgeschlossen: Gott wurde seit der Renaissance immer mehr als der »Allmächtige« gesehen, der mit der Welt macht, was er will. Deswegen auch das Erschrecken von Leibniz, der sich im Angesicht des Erdbebens von Lissabon und seinen Opfern fragt, wie die Güte Gottes mit seiner Allmacht zu vereinen sei. Die Fragestellung von Leibniz ist auch heute noch interessant: »Woher wissen wir denn, dass die Glückseligkeit des Menschen der alleinige Hauptzweck der Welt sei? Der göttliche Weltzweck geht nicht auf einen Teil, sondern auf das Ganze der Schöpfung, und dieser Weltzweck darf nicht den Ansprüchen eines Teiles der Geschöpfe, seien es auch die höchststehenden, geopfert werden.« Um sich gegen den allmächtigen Gott zu behaupten, setzen sich Vorstellungen einer ähnlichen Machtfülle des Menschen durch: Der Mensch wird zur »Krone der Schöpfung«. Aus einem im Verbund mit allem Geschaffenen lebenden Wesen wird ein selbstherrlicher Herrscher, dem am Ende nichts mehr unmöglich zu sein scheint. Der allmächtige Gott konnte dieser Selbsterhöhung des Menschen nicht lange widerstehen: Aus ihm wird eine abstrakte Denkfigur, jenseits der Welt, in diese Welt nicht direkt 154
eingreifend. Auch dieser denkerische Ort wird ihm entrissen, als sich moderne naturwissenschaftliche Vorstellungen daranmachen, die Wirkweise der Natur ohne die »Hypothese Gott« zu erklären. Der Mensch, »Gottes Ebenbild auf Erden«, entspricht diesem allmächtigen Gott. Wie dieser kann er tun und lassen, was er will. Francis Bacon formuliert das zu Beginn der Neuzeit so: »Wissen ist Macht«. Gegen eine solche Betrachtungsweise wenden sich zahlreiche theologische und ethische Ansätze seit den Achtzigerjahren. Auf der Basis dieser Ablehnung ist die wohl bedeutendste Bewegung auf dem Boden der christlichen Theologie entstanden ist: »Der konziliare Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung«. Die Vertreter der Kirchen haben 1983 in Vancouver zu einem »konziliaren Prozess« aufgerufen. Es geht darum, in einer dramatischen Weltsituation den erkennbaren Fehlentwicklungen: Schöpfungszerstörung, Bedrohungen des Friedens und der internationalen Gerechtigkeit entgegenzutreten. Im Hintergrund steht das Gefühl, dass es dabei um zentrale Fragen des Glaubens selbst geht: »Beten wir angesichts der Ansammlung gigantischer Macht in den Händen von immer weniger Menschen den Götzen der Macht an? Wer ist, was sagt uns der in der Bibel bezeugte Gott angesichts dieser Situation? Sollen wir denen folgen, die meinen, er habe nichts mit Politik zu tun?« Von hier aus können verschiedene Optionen im Umgang mit der Macht, der Naturzerstörung entwickelt werden. Mit solchen ethischen Vorsätzen, Regeln, Optionen und Postulaten befinden wir uns in einem zwar wichtigen Vorhof des Tempels, aber noch nicht im Allerheiligsten selbst. Dieser innerste Bereich kann nur von dem betreten werden, dem der Eintritt gewährt wird. Es handelt sich im Letzten um ein Geschehen, das außerhalb der Verfügung des Menschen liegt. Das heißt aber nicht, dass es nicht Bedingungen und Möglichkeiten gäbe, eine veränderte Spiritualität 155
auf den Weg zu bringen: Dies aber ist - realistisch betrachtet - ein langes Lernwerk und setzt an bei den Beziehungen zu anderen Wesen. Der Mensch braucht das Tier ebenso wie er den anderen Menschen braucht und auf alles angewiesen ist, was ihn beeinflusst. Diesem universalen Beeinflussungsprozess ist jeder ausgesetzt, ob er ihn anerkennt oder nicht. Im Anerkennen aber und in dem Sich-bewußt-Machen dieses Beziehungsgeschehens liegen Möglichkeiten zur Gestaltung und zur Veränderung. Wenn wir selbst das schon nicht wissen, unser Körper und unser Unterbewusstsein wissen sehr wohl, dass wir Tiere brauchen. (Ich glaube, dass das auch umgekehrt gilt. Ich verstehe die Aussage des Apostels Paulus im 8. Kapitel des Römerbriefs, dass die Schöpfung auf das Erscheinen der Söhne und Töchter Gottes warte, in diesem Sinn.)
Tiere helfen Menschen e.V. Seit einigen Jahren gibt es den Verein »Tiere helfen Menschen e.V.«, der Menschen mit Tieren auch in der Therapie helfen will. Allein die Anwesenheit eines Tieres im selben Raum führt zur Senkung des Blutdrucks und Verringerung von Stressempfindungen bei Versuchspersonen. Tiere fragen nicht nach Behinderungen oder sozialen Problemen, sie beantworten direkt Liebe und Fürsorge, die ihnen entgegengebracht wird. Der Verein »Tiere helfen Menschen e.V.« organisiert Besuche von ehrenamtlichen Mitgliedern mit ihren Tieren, vor allem Hunden, in Alten-, Kinder- oder Behindertenheimen. Ausführlichere Informationen beim Vorsitzenden des Vereins, Graham Ford, Münchener Straße 14, 97204 Höchberg. Tel. 0931-4042120, Fax 0931-4042121, E-mail thmev@aol com; im Internet: http //www.members.aol.com/thmev
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Zu: Ein Kuscheltier für Kosmas (Leserbrief in: »Sozialcourage«, N. 2/3 2000) »Ich arbeite als Egotherapeutin in der Rehabilitierungseinrichtung Maria in der Drucht in Duisburg mit psychisch beeinträchtigten Menschen. Nach einer mehrmonatigen Vorbereitungsphase und gründlicher Auswahl ergänzt die Labradorhündin Lucy seit Dezember 1999 das therapeutische Angebot unserer Einrichtung. Lucy nimmt die Bewohner(innen) so wie sie sind uneingeschränkt an, begegnet ihnen mit Freundlichkeit und Freude. Sie bietet Gesprächsanlass, der Körperkontakt führt zur Entspannung, das Spiel verführt zur Bewegung. Im Umgang mit der Hündin müssen Regeln eingehalten werden. Was einigen Bewohnern sonst schwer fällt, ist hier kein Problem. Resümee: Die Arbeit -jeden Sonntagmorgen Hundetraining - hat sich gelohnt wegen der Lebensfreude, die Lucy in den Arbeitsalltag bringt, und von der sie uns allen abgibt.«
Wir wissen mittlerweile deutlich, wie Haustiere auf den Menschen wirken: Bei älteren Patienten und Patientinnen etwa in Altersheimen senkt bereits die Anwesenheit eines Tieres den Blutdruck erheblich, der Muskeltonus verändert sich, die gesamte Stimmungslage wird ausgeglichener. Altersheime und Seniorenwohnanlagen ziehen daraus erste Konsequenzen. Tiere werden dort nach Absprache zugelassen, was vor einigen Jahrzehnten gar nicht denkbar gewesen wäre. Solche Effekte sind mittlerweile sogar wissenschaftlich erforscht. Gerade Hunde brechen Isolationen auf, sie regen zu Kommunikation an und helfen, die Lebensqualität zu verbessern. Sie steigern das Erinnerungsvermögen, erfüllen das Bedürfnis nach Zärtlichkeiten, stellen überhaupt positive Gefühle her. Selbst bei tiefer greifenden Depressionen helfen sie. Tiere lenken allgemein von den Sorgen und Ängsten der Menschen ab. Fest etabliert sind mittlerweile Hundebesuchsdienste. In Deutschland existiert dafür sogar eine eigene Organisation. 157
Grundsätzlich kann eine Beziehung nur zwischen ebenbürtigen Partnerinnen und Partnern bestehen. Alles andere vollzieht sich mehr oder minder als verschleierte Formen von Macht. Nun könnten alle »klassischen« Argumente dagegen eingewendet werden, dies auf das Mensch-Tier-Verhältnis zu übertragen: Zwischen Tier und Mensch herrsche immer eine prinzipielle Ungleichheit (Asymmetrie): Herr - Knecht, die mindestens im Verhältnis zu den Haustieren offenkundig zu sein scheint. Der Mensch verfüge bis ins Letzte über diese Tiere - bis in den Tod hinein. Beim Verhältnis zu anderen Menschen scheine das ganz anders zu sein. - Ist es das wirklich? Eine vollständige Ausgeglichenheit zwischen Menschen gibt es in der Wirklichkeit nicht, sie ist ein anzustrebender Grenzwert, der real nie erreicht wird. Beziehungen zwischen Menschen verlaufen immer unausgeglichen; wir erfahren oben und unten, Macht und Ohnmacht, Herr und Knecht. Das ist aber noch kein Grund zum Verzweifeln. Denn wir wissen im Grunde genommen sehr wenig darüber, wer in einer Beziehung welche Pole besetzt. Und solche Beziehungen verändern sich. Aus einer zeitlebens unterdrückten Frau (so sah es jedenfalls von außen aus) wird etwa nach dem Schlaganfall des Ehemannes ein lebenslustiges und lebenstüchtiges Wesen, das mit einer erstaunlichen Leichtigkeit und Kraft alles für das Leben Notwendige regelt. Jetzt erscheint plötzlich der Mann als derjenige in der Beziehung, über den verfügt und geherrscht wird. Wie es »wirklich« ist, werden wir von außen kaum je erfahren. Ich denke, dass wir diese Erkenntnisse durchaus auf die Beziehung zu Tieren übertragen können. Für die vielen Beispiele der Kommunikation zwischen Lebewesen erschließt sich damit eine andere, eine spirituelle Ebene. Einige Ansätze setzen neben das nicht aufzulösende prinzipielle Ungleichgewicht eine andere Form der Beziehung. Diese Reziprozität wird in einem therapeutischen Prozess durch die Präsenz, das »gegenwärtig Sein«, die Achtsamkeit des Therapeuten (der Therapeutin) hergestellt. 158
Achtsamkeit, Präsenz bedeutet dabei keineswegs die völlige Annahme des anderen. Es wird immer wieder zu Störungen kommen. Aber Präsenz beinhaltet, sich trotz dieser Störungen als in einem gemeinsamen Beziehungsgeschehen befindlich zu begreifen und dieses Geschehen nicht zu verlassen. Dieses gemeinsame Beziehungsfeld stellt einen Resonanzraum dar, in dem die eigene Gegenwart die Gegenwart des anderen ermöglicht. Diese gegenseitige Ermöglichung des Daseins setzt einen Entwicklungsprozess in Gang. Er erweist sich recht bald als Stufe einer Leiter, die aus dem individuellen und vom anderen abgegrenzten Zustand in einen Zustand des Überpersönlichen (des Transpersonalen) führt. Die an dieser Beziehung Teilnehmenden sind Teil einer größeren Kraft ebenso wie diese Kraft im Prozess selbst geschaffen wurde. Dabei werden von den Beteiligten jeweils unterschiedliche Energien eingebracht. Wir kennen so etwas als »Atmosphäre«, die in einem Raum herrscht. Diese Atmosphäre kann angenehm oder unangenehm, positiv oder negativ, »geladen« oder entspannt sein. Die Atmosphäre ist Ausdruck der jeweiligen Befindlichkeit der an diesem Feld Beteiligten. Sie hängt nicht vom Bewusstsein der Beteiligten ab. Wann treten Individuen miteinander in Beziehung? - Wir bestimmen diesen Akt des In-Beziehung-Tretens als Handlung. Es bedarf eines Impulses, der mindestens von einem der möglichen Beteiligten ausgehen muss. Das können ganz unterschiedliche Impulse sein. Worte sind hier nur einer dieser Impulse. Wie nicht-menschliche Wesen, so treten auch Menschen über Gestik, Mimik, Bewegung, Klänge, Gerüche, Farben miteinander in Beziehung. Es gibt auch die schwer zu beschreibenden Phänomene einer Ausstrahlung jenseits jener sinnlichen Bereiche: eine Aura, ein »Zauber«, sympathische Energien. Eine Beziehung kann abgelehnt werden. Wer auf diese Impulse nicht eingehen kann oder will, verlässt an dieser Stelle das gemeinsame Feld. 159
Falls beide Beteiligten sich individuell entschieden haben, in diesem Feld präsent zu sein, wird Kommunikation prinzipiell möglich und damit entwickelt sich eine Beziehung. Je länger eine solche Präsenz von den Beteiligten aufrechterhalten wird, desto mehr beeinflussen sich die Beteiligten. Es kann sein, dass nicht mehr exakt zu trennen ist, welcher Impuls von wem genau kommt. Auch ein außenstehender Beobachter hätte hier Schwierigkeiten. Einzelwesen werden in ein kommunikatives Geschehen einbezogen, das Feldcharakter trägt. Dieses entstandene Feld beeinflusst wiederum die Beteiligten. In diesem Feld wird eine Kraft wirksam, die durch die Aktivitäten der Beteiligten hergestellt wird, in diesen aber nicht aufgeht. Interessant ist in diesem Zusammenhang, wenn ein Beteiligter die strategische Ebene verlässt. In der Meditation wird so etwas als Gefühl der Leere oder der Lösung vom kleinen Ich beschrieben. Es ist schwierig nachzuvollziehen für den, der es noch nicht kennen gelernt hat. Denn die allermeisten Handlungen von Menschen sind durch Gründe bestimmt, die etwas mit der eigenen Persönlichkeit, deren Defiziten, aber auch Absichten, Plänen, dem eigenen Willen zu tun haben. Vielleicht suche ich Bestätigung durch den anderen oder Ablenkung, Hilfe usw. Der Zustand ist wohl am besten damit vergleichbar, wenn im Anschauen eines neugeborenen Kindes für einen (oft winzig kleinen) Augenblick alle eigenen Wünsche, Absichten zu einem Nichts zusammenfallen angesichts dieses Lebewesens vor mir. In diesem Zustand absichtsloser Präsenz schiebt sich spürbar über den aktuellen Zustand eine andere Erlebnis- (oder Existenz-)weise, die nur sehr bedingt ihren Grund in meiner eigenen Person hat. Das Gefühl weiß, dass es in diesem Augenblick Teil eines größeren Ganzen ist, eines liebenden Willens, von etwas, das wohlwollend auf die eigene Person blickt. Wie könnte ein solcher Prozess weitergehen? Wir folgen hier Ausführungen aus neueren Psychotherapieforschungen (allerdings stark vereinfacht).10 160
In diesem Zustand des Gegenwärtigseins kann der überpersönliche Raum als Kraftquelle für den Therapeuten genutzt werden; es wird aber zugleich dem anderen ermöglicht, diesen Präsenzzustand zu erreichen. Der Klient kann sich in einem solchen Raum, in dem erst sich die Grundhaltungen von Empathie (Hineinfühlen in den anderen), Akzeptanz (Annehmen des anderen), Kongruenz (in Übereinstimmung mit den eigenen Gefühlen sein) vollständig realisieren lassen, schrittweise auf sich selbst konzentrieren (in seine Mitte kommen). Dadurch wird auch für ihn dieses überpersönliche Feld wirksam. Alle Beteiligten erweitern in einem solchen Geschehen ihre Möglichkeiten, ihr Entwicklungs- und Beziehungspotenzial und stellen sich als Gestalter und Gestaltete der formenden Tendenz zur Verfügung. Spiritualität besteht in ihrem Kern immer aus einer Grundhaltung der Achtsamkeit, des Gegenwärtigseins, des Hörens auf... Der sinnliche Vorgang des Hörens kann die Haltung wahrscheinlich am besten beschreiben. Denn Hören kann im Unterschied zu den anderen Sinnen weniger von innen heraus beeinflusst werden; es ist sehr empfindlich gegenüber den Reizen, die als von außen kommend empfunden werden, weil Hören in einer gespannten Erwartung gegenüber Tönen lebt. Man kann sich nicht gegen starken Lärm abgrenzen, außer man nimmt technische Mittel zu Hilfe. Wahrnehmungen von Manifestationen des Göttlichen werden oft beschrieben als ein Hören. Und das Göttliche fordert den Menschen auf: »Höre...«. Das zentrale Glaubensbekenntnis Israels und das im Judentum mit Abstand am häufigsten benutzte Gebet ist das »Sch'ma Israel«. Es stellt eine Aufforderung dar, auf den Gott der Geschichte und der Natur zu hören: »Höre Israel! Jahwe, unser Gott, Jahwe ist einzig. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft.« (Dtn 6, 4-5) Auch auf Gebote und Weisungen ist zu hören. Und genau wie beim akustischen Hören geht es bei diesem Vorgang um etwas, 161
was auch bedrohlich sein kann. Wir erschrecken durch nichts mehr als durch plötzliche, unzeitige, nicht erwartete Geräusche. Beim Gleiten in den Schlaf wird der Mensch sogar noch extrem empfänglicher für Geräusche. Der Gehörsinn wird geöffnet, während Riechen, Sehen, Tasten sich bereits von der Außenwelt zurückgezogen haben. Deshalb ist auch die Furcht die angemessene innere Haltung gegenüber jedem möglichen Hinweis der Gottheit. Der Mensch, der nicht fürchtet, also nicht in dieser inneren Spannung und Erwartung lebt, von der er nicht weiß, ob damit nicht etwas Bedrohliches ausgelöst wird, kann auch nicht in diesem Sinn hören. Es ist interessant, dass wir nach einer langen Phase entkörperlichter Theologie und Spiritualität von der Therapieerfahrung lernen können, was es heißt, achtsam zu sein, zu hören und vor allen Dingen, wie dieser Prozess alle Beteiligten verändert. Dieses Potenzial zur Veränderung bezieht sich auf weit mehr als die Änderung individueller oder kollektiver Gewohnheiten und Einstellungen. Das wäre noch der Bereich des Ethischen, das Ethos. Hier geht es auch um umfassendere Veränderungen, die über eine Einstellungsänderung in der Behandlung von Tieren hinausgehen. Wie also kann eine spirituelle Haltung etabliert werden, die darum weiß, dass der einzelne Mensch stets zugleich empfangend und zugleich gebend ist; die darum weiß, dass genauso wie alle Wesen und Reiche, Gestirne, Steine, Pflanzen, Tiere, Menschen auf den Einzelnen Einfluss haben, dies umgekehrt auch gilt? Wer nur der direkten Arbeit in der Welt ausgeliefert ist, wird sich nicht für die Botschaften der Wesen um ihn herum interessieren. Er bleibt aber auch von dem Impuls, der im Grunde genommen alle religiösen Traditionen durchzieht, einschließlich der jüdisch-christlichen, abgesperrt. Er hat sich selbst verschlossen und nimmt nicht mehr am gemeinsamen Werk Gottes teil. Es gibt hier noch viel zu tun, vor allem auch auf lebenspraktischer Ebene. Formen müssen gefunden werden, wie eine solche Spiritualität alltäglich gelebt werden kann. Die vielen Bruchstücke dazu müssen 162
versammelt und zusammengeführt werden. Der Alltag muss geheiligt werden, wie dies der auf deutschem Boden ausgerottete und getötete Chassidismus gewusst hatte und wie es die großen chassidischen Meister gelehrt haben. Lebenspraxis im direkten Umgang mit dem Tier, das mit mir lebt und nicht nebenher mitleben will, gehört unabdingbar dazu. Deswegen gehören Tiere auch in die Kirche. Eine eher bildliche Entsprechung, die bei weitem nicht so theoretisch formuliert ist, finde ich in der nebenstehenden Grafik aus kabbalistischer Tradition. Das Bild wird so beschrieben: Die Arbeit des Kabbalisten Inmitten der vier Elemente stehend, die mineralischen, pflanzlichen und tierischen Reiche zur Linken, die Werke der Menschheit zur Rechten, erhebt der in die Gewänder der Seele und des Geistes gekleidete Kabbalist die Hände zu einer zugleich empfangenden und austeilenden Geste, während er die Position des Königreiches einnimmt in einem Baum, der sich zusammensetzt aus Mond, Sonne und Planeten. Über dem Sternenzelt und den Welten der Engel und Erzengel mit Metatron an ihrer Spitze schwebt das Strahlen des Göttlichen.12
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Geradezu visionär wird beschrieben, was der Mensch tun soll und wobei ihn alle Wesen unterstützen. Ich bin überzeugt: Man muss sich nur helfen lassen wollen und das Gefühl, das diesem Prozess vorausgeht, nicht von vornherein als Sentimentalität verdächtigen. Dass es gerade im Bereich des Mensch-Tier-Verhältnisses so viel Licht und Schatten gibt, ist klar. Emotionen kochen über. Aber wie sollte es auch anders sein, wenn es denn stimmt, dass hier an einem Grundpfeiler einer neuen Spiritualität gearbeitet wird?
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2.3 Tiere in die Kirche Einige praktische Veränderungen 2.3.1 Der Hund neben der Kanzel Werner Bergengruen, Der Hund in der Kirche1 Wie gedacht ich jenes Tags der Worte, die das Weib aus Kanaan gesprochen: »Fressen doch die Hündlein von den Brocken, die von ihrer Herren Tische fallen!« In der dörflich geschmückten Kirche betete der Priester am Altare: »Dieses reine, unbefleckte Opfer, milder Vater, wollest du segnen!« Durch die Stille, die der Bitte folgte, klang ein dünnes, trippelndes Bewegen von der Tür, im Rücken der Gemeinde, zaghaft erst, verlegen, dann geschwinder. Viele Augen wandten sich zur Seite. Manche Fromme runzelte die Stirne, gern bereit, ein Ärgernis zu nehmen. Auf den schwarz und weiß geschachten Fliesen kam ein kleiner Hund auf kurzen Beinen flink den Mittelgang entlang gelaufen, missgefärbt und haarig wie ein Wollknäuel, aber drollig, jung und voller Neugier. Tief am Boden lag die schwarze Nase, witternd, schnuppernd suchte er die Richtung. Er verhielt, er hob die rechte Pfote eingewinkelt an, er hob die Ohren und mit freudigem Kläffen schoss er schräge ganz nach vorne zu den linken Bänken, wo gedrängt die kleinen Mädchen knieten. Ihrer eine, sonntäglich gekleidet, siebenjährig, schlank und schmalgesichtig, ward von jäher Röte überflutet, und behänd den dunkelbraunen Scheitel neigte sie über ihr Gebetbuch.
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Doch nun stießen sie die Nachbarinnen kichernd an, voll Eifer und nicht ohne eine kleine heilige Schadenfreude. Selig, dass die Herrin er gefunden mit dem Stummelschwänzchen munter wedelnd, suchte durch Gewirr der Kinderfüße sich der Hund zu ihr hindurchzuzwängen. Kein Verlangen half mehr, und die Kleine zitternd fast und nicht mehr fern den Tränen, schnellte auf und schob sich widerwillig durch die Reihe, schon den Hund im Arme, knickste in des Hochaltares Richtung und begann geschwind zur Tür zu flüchten auf den schwarz und weiß geschachten Fliesen. Und ein Sonnenstrahl fiel durch das bunte Fenster und beglänzte ihre Haare und das rote, glühende Gesichtchen. Doch noch war der Ausgang nicht gewonnen, als das Glöcklein hell zur Wandlung schellte. Alle knieten. Und das Kind hielt inne, wandte sich, und mit gesenktem Scheitel ging es hurtig in die Knie nieder. Sorglich mit der Linken hielt die Kleine eng den Hund gepresst an ihre Brüstchen und bekreuzte gläubig mit der Rechten sich und ihn. Da lächelte am Pfeiler fromm der Löwe Hieronymi. Das Getier der heiligen Geschichte, dieses schneller, jenes erst mit Zögern, schwer verstehend, wie es manches Art ist, tats ihm nach auf Bildern und Altären überall. Es hoben an zu lächeln Ochs und Esel und der Fisch des Jonas, Lucä Stier und des Johannes Adler, Hund und Hirsch des heiligen Hubertus, Martins Pferd und des Georgius Streithengst, Lamm und Taube, endlich die gekrümmte Schlange am Fuß der Gottesmutter. Aus der Orgel aber stieg verstohlen silberhell ein winziges Gelächter, tropfte perlte, wenigen vernehmlich. Doch dann scholl sie auf und rief mit Jauchzen: »Lobt Ihn, alle Kreatur«.
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Eine Predigt mit Hund neben der Kanzel
Die Predigt wurde am 11. März 1999 in der Pfarrkirche Kleinostheim bei Aschaffenburg im Rahmen eines Fastengottesdienstes von mir gehalten. Mein Hund »Wanja«, ein schwarzer mittelgroßer Mischlingsrüde lag neben dem Ambo auf dem Boden (auf einer Decke). Während der Predigt erhob er sich einige Male, um sich zu drehen und dann wieder anders hinzulegen, das gleiche Verhalten, das er zu Hause auch zeigt, wenn es ihm gut geht und er sich wohl in seiner Umgebung fühlt. Die Gottesdienstbesucher waren zwar über diesen unangekündigten Mit-Prediger irritiert, zum Teil auch belustigt, fanden aber die Teilnahme des Hundes akzeptabel und dem Thema angemessen. Es gab lediglich eine sehr negative Reaktion nach dem Gottesdienst von einer älteren Dame, die es ganz unmöglich fand, dass man eine katholische Kirche durch die Anwesenheit eines Hundes entheilige. Den Ausgangspunkt der Predigt bildete folgende Stelle aus dem Markusevangelium (Mk 1,9-13): In jenen Tagen kam Jesus aus Nazaret in Galiläa und ließ sich von Johannes im Jordan taufen. Und als er aus dem Wasser stieg, sah er, dass der Himmel sich öffnete und der Geist wie eine Taube auf ihn herabkam. Und eine Stimme aus dem Himmel sprach: Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden. Danach trieb der Geist Jesus in die Wüste. Dort bliebt Jesus vierzig Tage lang und wurde vom Satan in Versuchung geführt. Er lebte bei den wilden Tieren, und die Engel dienten ihm.
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Predigt: Man kann natürlich geteilter Meinung darüber sein, ob Tiere in die Kirche gehören. Das ist sicher kein »artgerechter« Ort, sondern ein Haus, in dem Menschen zusammenkommen, um zu beten und zu arbeiten, zu feiern und Gottesdienste abzuhalten. Warum ich heute trotzdem hier vor Ihnen mit meinem Hund stehe, will ich Ihnen erklären. Zunächst einmal, darf ich vorstellen: Das ist Wanja, ein Mischlingsrüde, der zusammen mit unserem Kater »Lutz« bei uns im Haus lebt. Es ist unser erster Hund; und wenn er auch manchmal sehr anstrengend ist, lieben ihn meine Familie und ich. Wir haben sowohl in der Lesung als auch im Evangelium etwas von Tieren gehört. Nun könnte man ja auf dem Standpunkt stehen, dass Tiere und die frohe Botschaft überhaupt nichts miteinander zu tun haben. Nur vordergründig - denke ich - hätte der, der so etwas behauptet - auch Recht. Denn: • Wir haben uns daran gewöhnt, als Abbild Gottes ganz unvergleichlich in der gesamten Schöpfung dazustehen, weil wir Vernunft haben, einen freien Willen, weil wir Kulturgüter schaffen können, weil wir miteinander sprechen können, weil wir lieben können. • Wir haben uns auch deswegen daran gewöhnt, weil »Tiere« genauso wie die andere Natur und die ganze Schöpfung über einen sehr, sehr langen Zeitraum nie ein Thema in der Kirche und in der Theologie waren. • Außerdem wurde ihnen die Seele aberkannt, und das geschieht immer noch, auch von Theologen und Kirchenmenschen.
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Dabei ist es doch so, dass jeder, der mit Tieren zu tun hat, weiß, dass das so alles nicht stimmen kann. Man braucht eigentlich bloß genau hinzusehen, um zu wissen und zu spüren, dass Tiere eine Seele haben. Es gibt einen Kontakt zwischen ihnen und uns. Ich könnte Ihnen da eine ganze Menge Geschichten von Wanja und auch von unserem Kater Lutz erzählen. Die Tiere spüren auch ganz genau, was mit uns selbst los ist, noch bevor wir das selbst wissen. So bin ich mittlerweile ganz hellhörig, wenn ich am Schreibtisch sitze und arbeite und der Hund oder die Katze benehmen sich auffällig. Ich bin auch ganz vorsichtig, wenn Wanja einen Menschen nicht mag. Und ich kann mich auf sein Gefühl auch dann verlassen, wenn er einen Menschen mag. Eine solche Einstellung ist eigentlich für meine Familie selbstverständlich. Das ist übrigens auch für andere Kulturen klar. Ich habe mich darüber gerade mit dem ehemaligen Generalvikar der Diözese Puno in Peru, Domingo Llanque, einem Indio, unterhalten. Auch die Afrikaner, die uns an der Uni besuchen, bestätigen mir das. Nur bei uns hier in der westlichen Zivilisation, in unserer Gesellschaft, in unserer Kirche sieht das anders aus. Da sind die Tiere nicht vorhanden. Was uns fehlt, wenn uns die Tiere fehlen, will ich kurz andeuten. Insgesamt hatte es gut angefangen. In den frühen christlichen Gemeinden geht es z.B. darum, was Erlösung heißt. Was heißt das eigentlich, haben sich die Menschen gefragt, wenn wir immer wieder beten und bekennen, wir sind durch Christus erlöst! Sind wir das, nur die Menschen, oder die ganze Schöpfung, alles das, was von Gott geschaffen wurde und was durch die Sünde der Menschen verderbt ist? Es gab da heftige Auseinandersetzungen, mit dem Ergebnis, dass in den
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ersten nachchristlichen Jahrhunderten festgehalten wurde: Die ganze Schöpfung gehört dazu. In diesem Jesus von Nazareth ist etwas geschehen, was die ganze entzweite Schöpfung mit sich vereint und zum Vater zurückkommen lässt natürlich auch die Tiere, natürlich auch die Pflanzen, alle sichtbaren und unsichtbaren Wesen. In ihm ist alles erschaffen, in ihm ist alles erlöst, wie das der wunderbare Kolosserhymnus (Kol 1,12-20) ganz licht- und hoheitsvoll bekennt. Alles ist darin enthalten, Gottes Heilswillen umfasst alles, in Jesus ist das geschehen. Natürlich haben sich die Menschen schon damals gefragt, was bedeutet das eigentlich? Was von Gott geschaffen ist, hat etwas von ihm mitbekommen, das Leben. Das Leben äußert sich im Atmen (hebr. ruach). Dieses Atmen verbindet alle Lebewesen miteinander. Alle atmen eine Luft, sagt der Prediger Salomonis. Deshalb haben alle einen Anteil an Gott, und alle haben einen Anteil an Christus. Die Seele ist das, was sie, was wir von Gott erhalten haben. Und was bedeutet es, wenn Tiere Seelen haben? Ich will Ihnen einige Zeugnisse aus unserer Geschichte sagen, die für sich sprechen: Natürlich waren die großen Zeugen unseres Glaubens davon überzeugt, dass alle Lebewesen Gottes Geschöpfe sind, dass alle Geschöpfe im Willen Gottes enthalten sind, dass sie alle zu einem guten, erlösten Ende bestimmt sind. Alle waren überzeugt, dass dieses Angebot Gottes in seinem Sohn für uns bedeutet, dass wir unser Leben ändern müssen. Unser geändertes Leben ist die Antwort auf Gott. Dazu gehört z.B. der Gewaltverzicht. Das Quälen und Töten von Tieren stellt Gewalt dar. Die Zerstörung der Natur wegen kurzfristigem Profit, die verschmutzte Luft, Tiere, die kreuz und quer durch Europa gefahren werden, nur weil die
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Besitzer und Händler dann von der Europäischen Gemeinschaft Subventionen bekommen, all das stellt Gewalt dar. Und das muss geändert werden. Und die Kirchenväter konnten sich einfach nicht vorstellen, dass die Tötung von Lebewesen ohne Not mit Jesus und dem Gotteswillen übereinstimmt. Es gibt eine endlose Fülle von Zeugnissen heiliger Frauen und Männer, die ein besonderes Verhältnis zum Tier hatten. Das Beispiel Franziskus kennen wir ja alle. Aber auch viele andere pflegten dieses besondere Verhältnis. Das alles ist uns verloren gegangen. Auch die Christen haben in den allgemeinen Chor derjenigen mit eingestimmt, die gesagt haben, dass Tiere keine Seele haben. Sie hätten es eigentlich besser wissen müssen, wenn sie oder wir nur die Augen aufgemacht hätten. Deshalb müssen wir auch der Schöpfung in der Kirche einen Platz schaffen. Deshalb müssen wir allen Mitgeschöpfen einen Platz schaffen. Weil die Kirche auch ein Symbol für alles das ist, was Gott geschaffen hat. Sie stellt das Haus der Schöpfung dar. Das heißt im griechischen »oikos«, Haus, davon kommt das Wort, das wir alle kennen, weil wir es tagtäglich hören: »Ökologie«. Kirche als Symbol für die Schöpfung meint aber nicht nur das, was ist, was wir hier vorfinden, sondern auch die neue Schöpfung, ein neues Haus, ein himmlisches Haus, ein himmlisches Jerusalem, einen »neuen Himmel und eine neue Erde« (Apk 21,1), »Gottes Wohnung unter den Menschen« (Apk 21,3). Der Seher Johannes meint von diesem Zustand: »Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen« (Apk 21,4). Die Kirche, jede Kirche ist ein Symbol für diese neue Schöpfung, in der die Wesen miteinander versöhnt sein wer-
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den, wenn sie nicht mehr gegeneinander kämpfen, wenn sie sich nicht mehr gegenseitig töten und fressen, einander Gewalt antun. Jesus Christus will, dass wir in ihm sind. Die Kirche als Haus der Schöpfung ist ein Zeichen, das uns daran erinnern will, dass Frieden und Versöhnung möglich sind zwischen allen Lebewesen, auch wenn es draußen im Moment nicht so aussieht, dass wir in Christus sein können. Ich glaube, dass jeder von uns an dem Ort, wo er steht, etwas dafür tun kann, dass wir uns ein klein wenig in diese Richtung bewegen. Und ich glaube, dass das viel damit zu tun hat, wie wir uns alltäglich verhalten, ob und wie wir z.B. Gewalt anwenden, ob wir zulassen, dass gequält und getötet wird, ob wir uns selbst öffnen, etwas weichherziger werden. Die Liebe zu den Wesen ist unteilbar, da können wir nicht so tun, als gehörte jenes dazu und ein anderes nicht. Die Hindus sagen zu dieser Haltung: »ahimsa«, so etwas gibt es in allen Religionen, so etwas gibt es auch bei uns. Das ist ein freies Angebot auf Verwirklichung des Gotteswillens und der Liebe. Aus der Sicht des christlichen Glaubens ist es gerade diese Botschaft der Barmherzigkeit, der »Warmherzigkeit«, auf die es ankommt. Zur Kirche und in die Kirche gehört gerade das und gehören gerade die, die vielleicht woanders in der Welt nicht so gut angesehen sind. Wir haben unsere Türen aufgemacht für die ganze Welt, wir müssen sie jetzt aufmachen für alle jene, die keine eigene Stimme haben, überall auf der Welt. Und deshalb gehören die Tiere auch in unsere Kirche. Aber - wie gesagt - man kann natürlich geteilter Meinung sein, ob man deswegen Tiere mit in die Kirche und in die Gottesdienste nehmen soll. Nur dürfen wir sie bei dem, was wir tun, was wir denken, was wir uns vornehmen, nicht vergessen.
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2.3.2 Tiergottesdienste Gottesdienste mit Tieren stellen eine Möglichkeit dar, die Trennung zwischen Menschen und Tieren in der Kirche wenigstens punktuell aufzuheben. Die katholische Tradition kennt immer schon die liturgische Form des Tiersegens, der wie jeder andere Segen auch einen kleinen und stark verkürzten Gottesdienst darstellt. Jede Segenshandlung ist eine dramaturgische Handlung zwischen mehreren Personen. Meistens wird unter Verwendung einer feststehenden Formel und feststehender Gesten an die Gegenwart Gottes erinnert und den Anwesenden diese Gegenwart zugesprochen. Der Segen erinnert an den von Gott gewünschten Bund mit dem Menschen und mit allen Lebewesen und daran, dass dieses Angebot Gottes ohne jede Bedingung gilt. Ziel der Segnung ist die Wiederherstellung des durch die menschliche Sünde gestörten Bundes mit Gott. Wenn diese Gemeinschaft Schöpfer - Geschöpf anerkannt wird, geschieht eine positive Veränderung des Menschen sowie der mit ihm in Verbindung stehenden Welt. In der Begrifflichkeit des Glaubens nennen wir diesen Vorgang »Heil« oder »Heilung«. Segnung kann nach katholischer Vorstellung auf alles von Gott Geschaffene bezogen werden. Es können sowohl Menschen wie auch Tiere und unbelebte Gegenstände gesegnet werden. Es gibt keinen theologischen Grund, den Segen auf den Menschen zu beschränken. Wie läuft eine Segnung ab? Sie kann kulturell und dramaturgisch sehr unterschiedlich gestaltet sein. Wie bei jeder Kommunikation muss auch hier der Verständnishorizont aller Beteiligten berücksichtigt werden. Deshalb weichen einzelne Segensformeln voneinander ab. Unveränderliches Muster ist jedoch die trinitarische Gestaltung der Grundformel: »Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes«. Solche Segensgottesdienste bilden im Prinzip die Grundstruktur für Tiergottesdienste. Das folgende Formular beschreibt 173
einen solchen Ablauf. Es handelt sich um einen Gottesdienst mit Tieren, der am 15. September 1996 im ZDF ausgestrahlt wurde und dessen Liturgie von dem evangelischen Pfarrer Michael Blanke und mir gemeinsam entwickelt wurde. Aber es gibt keine prinzipiellen Einschränkungen für die Gestaltung eines solchen Gottesdienstes. Insofern stellt diese Liturgie nur einen Vorschlag dar:
Tiergottesdienst
Beginn:
Gemeindelied EG 324, 1-2: »Ich singe dir mit Herz und Mund«
Begrüßung:
Pfarrer
Lied:
Gemeinde
Hinführung zum Thema:
Pfarrer
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Überleitung zum Kyrie:
(Pfarrer) Wir alle tun Unrecht. Wir üben Gewalt aus, wo uns Frieden aufgetragen ist. Wir wollen nicht sehen und nicht erkennen, dass wir in Christus eine neue Schöpfung sind. Wir verweigern uns der guten Nachricht Jesu von der Befreiung für alle. Wir verschließen uns der Liebe Gottes, die für alle Lebewesen gilt. Als sündige Menschen brauchen wir einen Weggefährten, der uns die göttliche Richtung zeigt.
Kyrie:
(Pfarrer): Unser Herr Jesus Christus! Du bist das Licht der Welt. Du bist die Quelle der Kraft und der Weisheit. Du warst, bevor alles geschaffen wurde. In dich hinein soll alles erlöst werden. Zu dir rufen wir um das Offenbarwerden deiner Gnade. Herr Jesus Christus! Du bist der Sohn des lebendigen Gottes und der Vermittler für einen neuen Bund zwischen Gott und allen Lebewesen. Herr, erbarme dich! Christus, unser Herr! Du hast unser Versagen und unsere Schuld gegen uns selbst, gegen unsere Mitmenschen und gegen unsere Mitgeschöpfe auf dich genommen und sie bis in den Tod hinein getragen. Du hast die Wirklichkeit der Liebe zur Welt, zu Pflanze, Tier und Mensch über deinen Tod hinaus getragen und bist aus der Finsternis des Todes in das helle Licht deiner Gemeinde auferstanden. Christus, erbarme dich! Herr Jesus Christus, du bist die Hoffnung aller Unterdrückten, aller Lebewesen, die in der Knechtschaft von Sünde und Leid leben. Du bist die Hoffnung aller Tiere, aller Menschen und der ganzen Erde. Du willst mit deiner Wahrheit inmitten unseres Versagens offenbar werden und von uns erkannt werden. Du willst alles, was lebt, befreien. Herr, erbarme dich!
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Gloria:
(Pfarrer) Der allmächtige Gott, der sich in Gemeinschaft mit dem Sohn und dem Heiligen Geist gezeigt hat und heute in unserer Mitte ist, wird uns von unseren Verfehlungen und Sünden befreien. Er wird uns ein offenes Ohr und ein reines Herz geben, damit wir von ganzer Seele ohne Zorn und Groll an diesem Gottesdienst teilnehmen können. Darum: Ehre sei Gott in der Höhe! Es schließt sich ein Glorialied an.
Gebet:
(Pfarrer und Gemeinde im Wechsel) Psalm 36: »Herr, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist und deine Wahrheit, so weit die Wolken gehen...«
Schriftlesung:
(Pfarrer) Kohelet, Kapitel 3, Verse 18-21, unterbrochen von Liedstrophen: »Es geht dem Menschen wie dem Vieh...«, komponiert von Peter Janssens)
Predigt:
(Pfarrer)
Lied:
»Morgens schon...« (komponiert von Peter Janssens)
Kurzansprache:
Eine Aktivistin aus der Tierschutzszene berichtet von ihren Erfahrungen mit der Begleitung von Tiertransporten. Ein Küster berichtet von seinen Erfahrungen mit einer »Hubertusmesse«, deren Ablauf er durch das Abstellen der Lautsprecheranlage störte.
Fürbitten:
(Pfarrer) Wir wollen gemeinsam beten zu Gott, unserem Schöpfer und Erlöser: • Für alle armen Menschen und Tiere, für alle, denen das Notwendigste zum Leben fehlt; für alle, die nicht genug zu essen haben und nicht genügend geliebt werden; für alle, die in Armut, Elend und Verzweiflung leben müssen.
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Vaterunser:
Gib ihnen Menschen zur Seite, die helfen, ihre Not zu vermindern und ihre Armut zu beseitigen. • Für alle kranken Tiere und Menschen. Schenke ihnen Linderung und Trost. Gib uns Vertrauen und eine lange Geduld, dass wir nicht aus eigener Bequemlichkeit den Tod statt des Leben für die uns anvertrauten Wesen wählen. Gib allen kranken Lebewesen Kraft, ihre Prüfungen und ihr Leid zu bestehen. • Für alle alten Menschen und Tiere. Lass sie die Kraft der Gemeinschaft und das Lebens spüren. Zeige ihnen durch uns, dass sie auch dann zu uns gehören, wenn sie nicht mehr unseren Leistungsanforderungen und unseren gesellschaftlichen Maßstäben an Kraft und Schönheit entsprechen. (im Wechsel)
Gemeinde:
Vater unser im Himmel,
Pfarrer:
geheiligt werde dein Name.
Gemeinde:
Geheiligt werde dein Name
Pfarrer:
in jedem Geschöpf, dem du das Leben geschenkt hast.
Gemeinde:
Dein Reich komme
Pfarrer:
zu den Tieren, denen im Reich des Menschen täglich Unrecht geschieht.
Gemeinde:
Dein Wille geschehe
Pfarrer:
in der Ehrfurcht vor allem, was lebt,
Gemeinde:
wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute,
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Pfarrer:
das Brot der Bescheidenheit und nicht der Ausbeutung,
Gemeinde:
und vergib uns unsere Schuld
Pfarrer:
an unseren älteren Geschwistern, den Tieren,
Gemeinde:
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern,
Pfarrer:
die uns verachten, weil wir für die Tiere eintreten.
Gemeinde:
Und führe uns nicht in Versuchung
Pfarrer:
deine Geschöpfe unseren Bedürfnissen anzupassen,
Gemeinde:
sondern erlöse uns von dem Bösen,
Pfarrer:
das uns von deinen Geschöpfen und damit von dir trennt.
Gemeinde:
Denn dein ist das Reich
Pfarrer:
der Schöpfung
Gemeinde:
und die Kraft
Pfarrer:
der Auferstehung
Gemeinde:
und die Herrlichkeit
Pfarrer:
der Kinder Gottes
Gemeinde:
in Ewigkeit. Amen.
Lied:
(Gemeinde)
Segen:
(Pfarrer) Der Schöpfer sagt: »Ich will ... einen Bund machen mit den Tieren auf dem Felde,
178
mit den Vögeln unter dem Himmel und mit dem Gewürm auf Erden« Mit dieser Hoffnung machen wir uns auf den Weg. Das Versprechen des Schöpfergottes begleitet uns. Er segnet alles, was lebt, mit Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Sein Segen gilt Tieren und Menschen. Es segne euch der Schöpfer Gott, der leidende, auferstandene Sohn, und der heilige Geist des gemeinsamen Atems. (Amen) Lied:
»Es ist die Liebe zum Leben...« (komponiert von Peter Janssens)
Übrigens wurde die Sendung von ca. 710.000 Zuschauern gesehen. Tiergottesdienste sind insgesamt nichts mehr Außergewöhnliches. Segnungen von Haustieren gibt es an vielen Orten. Jeder, dem das Thema ein Anliegen ist, und der so etwas in seiner näheren Umgebung noch nicht selbst erlebt hat, sollte die zuständigen Pfarrerinnen und Pfarrer darauf ansprechen. Manchmal kommt die Frage, wie das denn mit Tieren in der Kirche sei: Wie benehmen die sich dann? Ich habe bei Tiergottesdiensten durchweg positive Erfahrungen gemacht. Tiere spüren von sich aus den Ernst der Situation, die Sammlung, diese andere Aura eines Gottesdienstes und werden tatsächlich friedlicher. Vielleicht kommt ja in diesen Gottesdiensten auch etwas von der ursprünglichen friedlichen Planung dieser Welt in Gang. Wer weiß? »Es steht in Verbindung der Gläubige mit der Seele seines Tieres, der Frevler aber hat sich verhärtet« (am Sinn orientierte Übersetzung von Sprichwörter 12,10).
179
2.3.3 Tier-Liturgie Eucharistisches Gebet2 Priester
Der Geist Gottes sei mit uns.
Alle
Und mit der ganzen Schöpfung.
Priester
Lasst uns preisen den Schöpfer.
Alle
Und ihm danken für die wunderbare Welt.
Priester
Lasst uns in Einheit mit der ganzen Schöpfung ihm ein Loblied singen.
Alle
Alles, was Atem hat, lobe den Herrn.
Priester
Gott, Vater aller Wesen, in deinen Händen hältst du Himmel und Erde. Alles kommt aus deinem Schöpferwillen - du hast es erschaffen als vollkommenes Zeichen deiner ewigen Gnade. Was du uns als Aufgabe übergeben hast, hat durch unsere Schuld seine Unschuld verloren und ist verletzt durch unsere Sünde. Der Mensch hat deinen Willen missachtet, Licht zu Dunkel gewandelt und dem Bösen in der Welt Raum gegeben. Aber du hast dich nicht abgewendet. Dein Bund, den du mit allen Wesen geschlossen hast, steht fest. Deinen Sohn hast du uns gesandt, uns und alle Schöpfung zu erlösen von Leid und Tod. Wir aber weisen dein Heilswerk zurück und verleugnen deinen Geist in uns. So wollen wir gemeinsam beten, dass dieser Geist uns heute erneuern möge und zurecht rücke, was in uns und in allen Wesen nicht stimmt.
Der Priester nimmt Brot und Wein und spricht:
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Heiliger Vater! Nimm an die Gaben von Brot und Wein, Zeichen der verlorenen und wiedererlangten Schöpfung in deinem Sohn Sende deinen heiligen Geist auf sie herab, auf dass sie uns werden Fleisch und Blut deines Sohnes, unseres Herrn, der jeden und alles aus deiner Liebe heraus wandelt. Er trägt uns auf, dieses Geheimnis zu feiern Denn in der Nacht, als er verraten wurde und aus freiem Willen sich dem Leiden unterwarf, nahm er das Brot und sagte: DIES IST MEIN LEIB. Danach nahm er ebenso den Kelch mit Wein und sagte: DIES IST MEIN BLUT, für euch und für alle vergossen als Vorgeschmack der himmlischen Herrlichkeit, die du allen bereiten wirst, wenn die ganze Schöpfung durch deine Gnade im heiligen Geist gewandelt und erlöst sein wird Erfüllt mit dieser Hoffnung und deiner Gnade bringen wir dir, du ewig heiliger Schöpfer, Erhalter und Erlöser des Universums unser Danklied dar und stimmen ein mit allen Engeln und Heiligen in den Lobgesang deiner Geschöpfe von deiner göttlichen Herrlichkeit
Alle
Heilig, Heilig, Heilig bist du Gott, allmächtiger Vater. Himmel und Erde sind voll von deiner Herrlichkeit. Hoch gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn. Hosianna in der Höhe.
Fürbitten
Eine »kleine« aber wichtige Möglichkeit, das Thema Tiere in Erinnerung zu rufen und zu halten, sind regelmäßige Fürbitten. Es wäre wünschenswert, wenn diese zum festen Bestand des sonntäglichen Fürbittgebetes gehören würden. Sie hätten damit eine Statthalterfunktion für die Tiere. 181
P:
Herr Jesus Christus, durch dich und in dir ist alles geschaffen und wird immer wieder neu geschaffen. Zu dir wollen wir unsere Bitten tragen:
L:
Für alle Menschen, die unter Gewalt und Unterdrückung leiden. Stelle du ihnen Menschen zur Seite, die sie in ihrer Not nicht allein lassen.
Alle:
Wir bitten dich, erhöre uns.
L:
Für alle Lebewesen, die unter der Ausbeutung der gesamten Schöpfung leiden. Schenke ihnen durch uns deine Liebe und dein Erbarmen. Wir bitten dich, erhöre uns.
L:
Für alle, die Verantwortung im öffentlichen Bereich tragen und für alle Verantwortlichen in Staat und Kirche. Schenke ihnen den Mut, sich für mehr Gerechtigkeit, Vertrauen und Liebe zugunsten aller Lebewesen einzusetzen. Wir bitten dich, erhöre uns.
L:
Für uns selbst. Schenke uns ein offenes Auge und ein offenes Herz, um die Botschaften zu hören, die von dir kommen. Wir bitten dich, erhöre uns.
P:
Denn du bist es, auf den wir vertrauen, der uns und alles geschaffen hat, der uns zuerst geliebt hat und in alle Ewigkeit weiter lieben wird. Darum bitten wir durch Christus, unseren Herrn.
Alle:
Amen.
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Für ein Tierbegräbnis Lesung: Priester
Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde ist vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabgekommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Seht, die Wohnung Gottes unter den Menschen! Er wird in ihrer Mitte wohnen, und sie werden sein Volk sein: und er, Gott, wird bei ihnen sein. Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war ist vergangen. Er, der auf dem Thron saß, sprach: Seht, ich mache alles neu. Und er sagte zu mir: Sie sind in Erfüllung gegangen. Ich bin das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende. (Offb 21,l-6a) Jesus Christus ist Anfang und Ende, Alpha und Omega.
Alle
Er, der alles Geschaffene erlöst.
Priester
Jesus Christus ist Anfang und Ende, Alpha und Omega,
Alle
die Quelle und die Bestimmung allen Lebens.
Priester
Jesus Christus ist Anfang und Ende, Alpha und Omega,
Alle
der die Wunden aller leidenden Wesen heilt.
Priester
Jesus Christus ist Anfang und Ende, Alpha und Omega,
Alle
der alles in seine Freude hinein verwandeln wird.
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Priester
Der heilige Johannes sah einen neuen Himmel und eine neue Erde, Räume ohne Schmerz und ohne Trauer. Der heilige Paulus schrieb, dass die Leiden der jetzigen Zeit nichts sein werden im Vergleich zu dem, was uns in Christus erwarte. Diese Hoffnung ist das Erbe, das wir auch in dieser Stunde für alle Lebewesen bewahren. Wir trauern nicht ohne Hoffnung auf Erlösung. Denn derselbe, der alles geschaffen, will alles durch seine Liebe erlösen.
Alle
Jesus Christus ist Anfang und Ende, Alpha und Omega, Erlöser der Welt. In Christus wird die Schöpfung auferweckt werden. Beim Begräbnis / bei der Einäscherung:
Priester
Gottes Liebe spricht zu mir durch die Vögel und Flüsse... (Thomas Merton)
Heiliger Vater. Dein Sohn Jesus Christus hat uns gelehrt, dass nicht ein einziger kleiner Vogel von dir vergessen wird. Wir bitten dich: Erinnere dich unseres Freundes (N.N.), dessen Leben gesegnet war durch das Geschenk deines heiligen Geistes und dessen Leben unter uns beendet ist. Nimm an (N.N.), den wir in deine Hände übergeben. Habe Erbarmen mit diesem unschuldigen Wesen, dessen Leben wie unseres auch mit Leiden und Schmerz belastetet war und bereite ihm/ihr einen Platz bei dir. Ewiger Vater, wir wissen, dass nichts uns trennen kann von deiner Liebe und dass wir in deiner Liebe wieder vereint sein werden mit allen, um die wir jetzt trauern. 184
Darum bitten wir durch Christus Jesus, deinen Sohn, der mit dir lebt und herrscht in alle Ewigkeit. Alle
Amen. Schlussgebet:
Priester
Gott, vor dir kommen Generationen und gehen, nicht zählbare Scharen von Wesen leben und sterben. Befreie uns von der Hoffnungslosigkeit und helfe uns, an deine verwandelnde Kraft in der Liebe zu glauben. Wir beten um die Gnade an die Botschaft deines Sohnes von der allumfassenden Liebe und Befreiung aller Wesen in deinem Reich zu glauben: in einem neuen Himmel und auf einer neuen Erde. Durch Jesus Christus, der Anfang und Ende, Alpha und Omega ist, der den Tod überwunden und uns die Hoffnung auf ein ewiges Leben gegeben hat.
Alle
Amen.
2.3.4 Tod, Trauer, Abschied auch vom Tier Vielleicht sind Sie etwas erstaunt über diese liturgischen Vorschläge, gerade was den Abschied von einem geliebten Gefährten angeht. Doch warum sollten wir in der gegenwärtigen Bewusstseinslage mit dem Thema Tod und Trauer »neutral« umgehen? Mit jedem endgültigen Abschied steht ein Letztes auf dem Spiel: Eine Beziehung wird gewaltsam abgerissen, und eine Lücke tut sich auf. Frühere Zeiten kannten wohl den Schmerz beim Tod eines nahe stehenden Wesens nicht in dieser Form. Vielleicht gehörte der 185
Tod »normaler« zum Leben: - Die Lebenserwartung war deutlich kürzer, die Sterblichkeit bei Säuglingen lag sehr hoch und nicht selbstverständlich war, dass ein Lebewesen überhaupt längere Zeit lebt. Hinzu kam ein relativ weit verbreitetes religiöses Vertrauen in das Jenseits, das den Abschied erträglich machte. Die Bedingungen heute haben sich geändert. Der Tod des Menschen wird immer mehr hinausgezögert und wenn er eintritt, wird dies vor den Angehörigen und Freunden verborgen gehalten: hinter den Mauern und Glasfenstern von Intensivstationen in Krankenhäusern. Dadurch verändert sich insgesamt die Stellung des Menschen zum Tod. Tod und Krankheit werden verdrängt. Sie stellen »Betriebsunfälle« dar, von denen jeder hofft, dass sie gerade ihn nicht treffen. Wir leben in der irrigen Vorstellung, dass immer nur jemand anderer stirbt. Alle Lebewesen eint das Band des Lebendigen. Zu diesem universalen Band gehört - so betonten wir immer wieder - auch die Möglichkeit einer Beziehung. Diese Beziehungsfähigkeit ist in einer technisch-industriellen Zivilisation erheblich eingeschränkt. Denn eine Beziehung verlangt auch die Zeit, einem anderen, Fremden gegenüberzutreten und ihm Raum zu geben. Dazu muss die Begrenzung unseres Horizontes durch Zwecke und Ziele durchbrochen werden. Es setzt im Grunde genommen schon eine innere Veränderung des Bewusstseins und des Standpunktes voraus, sich auf eine Beziehung mit ihren vielen Eventualitäten, Freiheitsmomenten, Veränderungen, dem nicht steuerbaren Spiel von Freiheiten einzulassen. Wird aber diese Beziehung aufgenommen, werden die Grenzen des Ich, der Sozialisation, Erziehung, Gesellschaft gelockert, entsteht Freiheit und eine andere Wirklichkeit, die Wirklichkeit der Liebe. Ich persönlich glaube, dass bereits vorher etwas geschehen sein muss, bis der Mensch in eine wirkliche Beziehung eintritt. Man kann das theologisch »Gnade« nennen. Es ist sicher einfach, diesen Gedankengang auf den Menschen zu übertragen. Dürfen wir das Verhältnis eines Menschen zu ei186
nem Tier ähnlich sehen? Ein Theologe, der sich lange mit Trauerprozessen auseinander gesetzt hat, sagte in einem Gespräch zu mir: »Trauer ist Trauer. Es geht um ganz ähnliche Prozesse, die sich bei Trauernden abspielen, ob es nun um den Verlust eines nahe stehenden Menschen oder eines anderen Wesens geht. Insofern sehe ich keinen Grund, warum man mit der Trauer um ein Tier anders umgehen sollte.« Das Einzige, was man allerdings noch bedenken möge, fügte er hinzu, sei der weitgehende Verlust von Trauerkultur in allen zivilisierten Ländern. In welchem Verhältnis stehe dieser Niedergang einer Kultur des Schmerzes und Leids auf der einen Seite und einer anwachsenden Trauerkultur um Heimtiere? Im Gespräch haben wir die Frage offen gelassen. Kann man beides in Verbindung bringen? Stimmt die oft gehörte These, dass Menschen sich von anderen Menschen ab- und dafür einem Tier zuwenden? Sicherlich kommt verschärfend beim Mensch-Tier-Verhältnis etwas hinzu, was beim Menschen - mit guten Gründen - tabuisiert wird: die Euthanasie. Ein Lebewesen, das mit uns gelebt hat, stirbt selten »einfach so«. Seine Lebenskräfte lassen erkennbar nach, die notwendigen Behandlungen durch Ärzte steigern sich, es stellt sich die Frage einer Verantwortlichkeit über das Leben hinaus. Und diese Frage ist nicht mit einer klaren Grenze oder einer eindeutigen Aussage zu erledigen. Eine Freundin von uns hatte einen Hund, der längere Zeit bereits an einem bösartigen Leberkarzinom litt. Sie ließ ihn immer wieder behandeln, zuerst von einem konventionell arbeitenden Tierarzt, später von einem Tierheilpraktiker. Der Zustand des Hundes verbesserte sich über kurze Phasen, aber es war recht gut erkennbar, dass der Sterbeprozess schon eingesetzt hatte. Eines Abends rief die Freundin ganz aufgelöst bei uns an und fragte, was sie jetzt nur tun solle, der Zustand habe sich wieder verschlimmert; sie schilderte die Symptome; der Tierarzt habe dringend eine Euthanasie angeraten. Sie selbst könne aber diese Entscheidung nicht 187
treffen. Meine Frau führte ein längeres Gespräch mit ihr und sagte dann: »Lass doch innerlich den Hund los und frage ihn, was er will!« Am nächsten Abend rief sie wieder an und schilderte bis ins Detail, was sie getan habe. Sie habe den Hund auf den Arm genommen, ihn persönlich angesprochen und ihm gesagt, dass sie ihn nicht auf der Erde halten möchte. Sie gebe ihn frei und er könne tun, was er wolle. Daraufhin (sie sprach sehr ernst und bewegt) habe sie der Hund angesehen, ihr ganz tief ins Innere geschaut. Sie habe gemerkt, wie nah sie sich in diesem Moment waren. Er habe noch mehrmals tief geatmet und dann einfach aufgehört zu leben. Außer, dass der Tod natürlich nie etwas Schönes sei, sei das ein ganz bewegender Augenblick für sie gewesen. Sie wisse jetzt, dass es ihm woanders besser gehe. Sie bedankte sich dann noch bei meiner Frau für den Ratschlag. Wir gehen Beziehungen auf ganz verschiedenen Ebenen und mit ganz verschiedenen Qualitäten ein. Keiner wird dies bezweifeln. Es gibt Menschen, die mir sehr nahe stehen und solche, die mich wenig berühren, die weit weg von mir sind. Meine Frau, meine Kinder stehen mir so nahe, dass es fast besser wäre, zu sagen, sie sind ein Teil von mir. Aber auch Freundinnen und Freunde, die zu diesem Leben, das ich führe, gehören, bilden einen Teil von mir. Es ist manchmal nicht einfach zu sagen, wie nahe einem Menschen wirklich stehen. Als Mensch bin ich nur in der Lage, mit einer überschaubaren Zahl von Menschen in eine Beziehung zu treten, die dieses Wort auch verdient. Wir fühlen Beziehungslosigkeit, wenn wir Nachrichten über Unglücksfälle im Fernsehen sehen oder in der Zeitung davon lesen. Die Beziehung zu meinem Hund ist eine Fleisch gewordene Liebe. Diese Beziehung steht nahe bei mir. Ich habe laufend damit zu tun. Und selbst wenn ich nicht will, weil es mir zu viel ist, weil ich müde oder schlecht gelaunt bin: Der Hund will immer. Das Erstaunliche an diesem wahrscheinlich ältesten Begleiter des Menschen ist, dass seine Gefühle sich zwar auch verändern, aber davon die Kontaktaufnahme mit mir nicht betroffen ist. 188
Nun kann man aber Beziehungen auch nicht gegeneinander ausspielen. Kinder fragen manchmal ungläubig, magst du sie mehr oder mich? Und sie misstrauen der Antwort, man habe als Eltern alle gleich lieb. Die Liebe zu Kindern verändert sich. Das hängt vielleicht damit zusammen, wie sehr einen Kinder brauchen. Mal ist es die eine, die mich braucht, in einer anderen Lebensphase die andere. Elternliebe lässt sich nie so ganz von dem Verantwortlichsein und der Sorge um die Kinder trennen. Und Probleme schaffen Verbindungen. Im Kern steckt aber hinter jener Frage nach der Elternliebe die Vorstellung, dass Liebe eine bestimmte Größe hat: Je mehr Menschen da sind, die man liebt, desto weniger fällt für einen selber ab. Das stimmt und stimmt nicht. Natürlich haben wir nur begrenzt Zeit. Und wenn ich den Abend mit bestimmten Menschen verbringen will und mit ihnen auch noch sprechen will, dann kann ich das eben mit anderen nicht tun. Und wer vier Kinder hat (wie ich), hat eben für das einzelne Kind viel weniger Zeit, als wenn nur ein Kind da wäre. Aber auf der anderen Seite kann das Herz im Laufe der Zeit auch immer größer werden, sodass mehr Liebe hineinpasst. Wie sieht das mit Menschen aus, die eine Beziehung zu einem Tier eingehen? (Ich will davon jede übliche Form von Tiernutzung absetzen.) Ziehen sie diese Liebesenergie von anderen Menschen ab? Ist das Tier ein Ersatz für Mangel an Sozialbeziehungen? Ein Klischee im Umgang mit Trauer und Tod bei Tieren ist nicht auszurotten. Man denkt dabei an eine alte, verbitterte Rentnerin, die mit ihrem Dackel spazieren geht. Sie redet mit diesem Dackel, weil sie sonst keinen Menschen mehr hat. Die Realität spricht gegen dieses Bild. Sehr viele Familien mit Kindern halten Haustiere. Man schätzt, dass in privaten Haushalten etwa sechs Millionen Katzen, fünf Millionen Hunde und 3,8 Millionen kleinere Heimtiere gehalten werden. Viele Kinder haben in ihrer Kinderzeit zumindest einmal einen Kontakt zu einem Haustier gehabt. Gegen jede Erfahrung spricht, dass Tiere hier hauptsächlich einen »Ersatz« für Menschen darstellten. 189
Sinnvoller wäre es sicher, von einer andersartigen Beziehung zu sprechen. Aber ist nicht jede Beziehung zu einem Wesen etwas Besonderes?
Alfred Schütz, Begründer der Wissenssoziologie, über seinen Hund »Rover« »Im >Allgemeinen< zeigt mein Irischer Setter Rover alle Charakteristika, die der Typ >Hund< nach all meinen früheren Erfahrungen impliziert. Was jedoch gerade er mit anderen Hunden gemein hat, ist für mich belanglos. Ich erblicke in ihm meinen Freund und Begleiter Rover, der als solcher unter allen anderen Irischen Settern ausgezeichnet ist, mit denen er bestimmte typische Eigenarten der Erscheinung und des Verhaltens teilt. Ohne besonderen Anlass werde ich Rover nicht als Säugetier, als Lebewesen, als Gegenstand der Außenwelt betrachten, obwohl ich weiß, das er all dies auch ist.«
Wer sich auf Wesen einlässt, ist ein größerer Mensch. Er hat mehr von seinem Menschsein zugelassen als andere. Er gewinnt mehr - und hat mehr zu verlieren. Einer dieser Verluste ist der Tod. Deshalb hat dieser Mensch das Recht zu trauern. Wir wissen aus der Psychologie, dass Trauern ein notwendiger Vorgang ist. Er verhilft zu einer inneren Distanzierung. Wirkliche Trauer überbrückt die Schwelle des Todes, indem sie das gestorbene Wesen und dessen Gegenwart in dem Trauernden ernst nimmt. Innere Gestalten sind dauerhafter, als dies unser Alltagsbewusstsein uns vorgaukelt. Wir vergessen vieles, aber im Laufe der Zeit melden sich gerade die vergessenen und abgedrängten Teile wieder zu Wort. Trauern bedeutet sich aktiv diesem Vergegenwärtigungsvorgang zu stellen. Nicht im Vergessen liegt die Lösung, sondern im Erinnern. Erfahrungen eines Tierarztes mit der Trauer um das gestorbene Mitwesen lassen eine ähnliche Struktur erkennen wie die Trau190
erarbeit um den Verlust eines nahe stehenden Menschen: Zunächst will der Mensch den Todesvorgang nicht wahrhaben. Dies ist umso problematischer, sobald eine aktive Entscheidung ansteht, das Tier zu töten. Dieser Phase folgt der Zorn über den Tod, danach wird verhandelt, gefolgt von einer tiefen Depression. Nach diesen vier Phasen folgt die eigentliche Trauer als innere Zustimmung zu diesem Tod.3 Diesem Ablauf stehen aber häufig äußere Bedenken gegenüber: Ist es nicht verschroben, in dieser Weise um ein Tier zu trauern? Wird damit der Abstand zwischen Mensch und Tier nicht ungerechterweise verkleinert? Wird nicht das Tier vermenschlicht? - Bei diesen Fragen wird häufig nicht die sehr viel aktivere Rolle im Trauerprozess, die der Mensch beim Tiertod einnimmt, beachtet: die Entscheidung über die Euthanasie und häufig die Begleitung in den Tod hinein. Beides Wege, die es beim Tod des Angehörigen nicht gibt. Die Begleitung in den Tod durch einen Angehörigen findet in der Regel nicht mehr statt und manchmal sehen sogar auch Geistliche hierin keine Aufgabe mehr. Deswegen sollten Möglichkeiten gefunden werden, wie die betroffenen Menschen sich in Würde von ihrem Mitbewohner verabschieden können. Dies ist kein einmaliger Vorgang, sondern ein zyklischer, immer wiederkehrender. Manchmal scheint die Trauer ausgestanden, aber häufig kehrt die Trauerbewegung, die aktive Erinnerung an das andere Wesen wieder, verändert zwar, aber dennoch wirklich. Ein Mensch ist dann krank, wenn er nicht über diese Fähigkeit zur Erinnerung verfügt oder diese Erinnerung nicht zulassen kann. Trauer muss gepflegt werden, gerade wenn man will, dass das Leben weitergeht. Nun brauchen wir Orte, an denen eine solche Trauer- und Erinnerungsarbeit geleistet werden kann. Es spielt sich nicht alles nur in unserem Inneren ab. Für den Menschen akzeptieren wir diese Tatsache und legen Friedhöfe an. Diese Trauerkultur ist so alt wie die Menschheit. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass bei Ausgrabungen von Siedlungen, die z.T. 14.000 Jahre alt 191
sind, auch Gräber von Hunden gefunden wurden. Also gab es wohl auch ein Bewusstsein davon, dass das Wesen, das dem Menschen Gefährte war, auch in diese Trauerkultur hineingehört. Die Tierkörperbeseitigung stellt eine Missachtung dieser Beziehung dar. Besonders Besitzer von Großtieren (etwa Pferden) leiden sehr stark darunter, dass das Wesen, das ein Gesicht und Augen hatte, das gefühlt hatte und bis in jede Faser des Körpers ein individuelles Wesen war, nun in einer großen Mühle zusammen mit anderen Tierkadavern zermahlen werden soll. Die Alternative stellt eine rituelle Tierbestattung dar. Diese Möglichkeiten und Formen des Umgangs mit der Trauer bieten in jeder Hinsicht einen Zugewinn. Unter bestimmten Umständen ist erlaubt, Kleintiere im eigenen Garten beizusetzen. Meine Kinder haben bei den kleineren Tieren, die wir hatten, immer auf dieser Form bestanden. Als vor einiger Zeit die Landschildkröte unserer jüngsten Tochter eingeschläfert werden musste, bestand Lydia darauf, dass ich ein zeremonielles Begräbnis durchführte. Ich habe ein tiefes Loch gegraben, die Schildkröte hineingelegt und kurz für sie und alle Tiere auf der Welt, die in der Hand des Menschen sind, gebetet. Aber es gibt auch Tierfriedhöfe (ca. 70 in Deutschland), ein Tierkrematorium, und etwa 20 Tierbestatter.4 Die Form der Bestattungen und der Ablauf richten sich nach den Wünschen der Auftraggeber. Gesetzlich verboten ist eine Verwendung der Symbolik von Religionsgemeinschaften. Kirchen tun sich in der Regel schwer mit einem derartigen Umgang mit dem Tod von Lebewesen. Zu sehr sind sie bestimmt von dem Abstand zwischen der Menschenwelt und der Welt der Tiere. Zu wenig können Kirchen selbstkritisch erkennen, dass sie damit nur einem historischen Prozess folgen, der im Grunde die gemeinsame Wurzel alles Lebendigen verkennt, weil er sonst die Umwelt nicht so ausbeuten könnte, wie er dies tut. Dennoch: Es ist nicht einzusehen, warum nicht die Sorge um Trauernde im Mittelpunkt stehen sollte, unabhängig davon, um 192
was getrauert wird. Wir treten auch nicht einem Menschen gegenüber und sagen ihm: »Stell dich nicht so an, wenn deine über neunzigjährige Großmutter gestorben ist. Sie hatte ein langes Leben und der Tod hat sie von ihrem Leiden erlöst. Du hast eigentlich kein Recht zu trauern.« Trauer steht in sich und lässt sich nicht von außen nach der Qualität der Beziehung befragen, um die getrauert wird. Warum sollte dies nicht auch für die Trauer um das Tier gelten? Trauerriten beziehen sich überwiegend auf die Hinterbliebenen. Wir sind uns im Bereich der großen Religionen einig, dass der Verstorbene nach seinem endgültigen Tod unseres Beistands nicht mehr bedarf. Wir haben keine schlüssigen theologischen Gründe anzunehmen, dass Gebete für Verstorbene diese retten, denn dies würde im Gegenzug bedeuten, dass wir uns an einen wankelmütigen, nicht-liebenden Gott wenden, der sich überdies durch das Hersagen von rituellen Sätzen beeinflussen ließe. Was wir jedoch als Aufgabe vor uns haben, ist die Sorge und der Zuspruch um diejenigen, die trauern. Gerade im Umgang mit Menschen, die um ihren nicht-menschlichen Gefährten trauern, besteht Bedarf an rituellen Formen dieser Trauer. Warum kann nicht ein evangelischer Pastor, ein katholischer oder orthodoxer Priester am Grab eines Tieres zusammen mit den Trauernden stehen und dieses Leid mittragen?
2.3.5 Eine Kirche für Menschen und Tiere Am 18. April 1986 kamen etwa 250 Menschen zusammen, um gemeinsam einen Gottesdienst vor den Werktoren der Frankfurter Firma Hoechst zu feiern. In diesem Gottesdienst sollte der Leiden der Labortiere gedacht werden. Es sollte darauf aufmerksam gemacht werden, was sich hinter den Toren in den Labors an Leid abspielt. Ziel war die Aktivierung der Öffentlichkeit. »Hoechst, 193
erbarme dich!« war das Motto dieses Gottesdienstes und gleichzeitig das thematische Leitmotiv für die Liturgie. Den Beteiligten, voran den Initiatoren, dem evangelischen Pfarrerehepaar Christa und Michael Blanke aus Glauberg in Mittelhessen, war natürlich klar, dass ein solches Vorhaben nicht ohne Konfrontation mit den Betroffenen abgehen könne, die dann auch tatsächlich eintrat. Das Resultat spricht trotz der Konfrontation für sich: Die Tierversuche bei Hoechst wurden insgesamt erheblich eingeschränkt und die Haltungsbedingungen für Labortiere wurden wesentlich verbessert. Der Beginn dieses Dialoges verlief allerdings alles andere als ermutigend. Einige Wochen nach diesem Gottesdienst fand ein Gespräch mit Hoechster Mitarbeitern sowie einigen Pfarrern aus der Umgebung statt. Die Kritik der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter war zum Teil so stark emotional gefärbt, dass eine fruchtbare Auseinandersetzung undenkbar erschien. Trotz des eher entmutigenden Anfangs fand ein weiteres Gespräch 1989 statt, eine Fortsetzung des Dialoges. Das Thema selbst war aber ab diesem Zeitpunkt in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses gerückt. Nach dem ersten größeren Tiergottesdienst vor den Toren der Hoechst AG wurde dem Ehepaar Blanke ermöglicht, im Rahmen der evangelischen Fernseharbeit einen Gottesdienst zum Thema »Tier« durchzuführen. Im Juli 1988 fand dieser Gottesdienst statt. Tiere sollten ausdrücklich in die Liturgie integriert werden. Im April greifen dann die ersten Zeitschriften das Thema auf: »Hängebauchschwein im Gottesdienst - erster Tiergottesdienst im ZDF«. Das ganze Projekt wurde zu einem öffentlichen Ereignis und zu einem Politikum. Auf der einen Seite standen die Interessen der Medien. Die Spannbreite der Veröffentlichungen reichte dabei von seriöser Journalistik bis zur Sensationsmache. Auf der anderen Seite stand die Arbeit an den Texten und der Vorbereitung des Gottesdienstes von vornherein im Konfliktfeld massiver wirtschaftlicher und, beeinflusst davon, auch kirchlicher Interessen, wie Michael Blanke erklärt: 194
»Im Lied >Bück dich für den Wurm< müssen wir die Strophen über das Fleischessen und das Pelzkaufen weglassen; von der >Endlösung<, die wir für die Schöpfung vorbereiten und schon durchführen, dürfen wir nicht reden und auch nicht von >Tier-KZs<, obwohl ja schon Martin Niemöller diesen Ausdruck ungestraft verwendet hat. Wir merken, wie wir zwischen die Mühlsteine mächtiger Interessengruppen geraten sind: Die Pelzindustrie hat uns aufs Korn genommen und hat bei der EKD Druck und Angst gemacht.« Eine theologische Form hatte die Arbeit für und mit den Tieren bereits vorher gefunden. Im April 1988 wurde das Glauberger Schuldbekenntnis veröffentlicht, in dem ein Zusammenhang zwischen unserem Handeln und dem Leid der Tiere aus theologischer Sicht und in der Form eines rituellen Schuldbekenntnisses formuliert wird. Innerhalb kurzer Zeit schlossen sich diesem Aufruf 70 Theologinnen und Theologen, hauptsächlich aus dem Bereich der EKD an. Bis heute steigt die Zahl der Unterzeichner kontinuierlich an. Die Resonanz auf die Verbreitung des Schuldbekenntnisses und auf den Fernsehgottesdienst war bemerkenswert. Es mussten hunderte von Briefen beantwortet werden, die inhaltlich und organisatorisch die Möglichkeiten des kleinen Pfarrbüros in Glauberg bald überschritten hatten. Auf der einen Seite musste man den vielen inhaltlichen und pastoralen Fragen und Anfragen nachgehen, auf der anderen Seite häuften sich Anfragen nach Materialien, Gottesdiensttexten, Liedern, liturgischen Konzepten. Aus der organisatorischen Notwendigkeit heraus entstand dann AKUT (Abkürzung für »Aktion Kirche und Tiere«), die zunächst als eine Art von Verkaufsladen fungierte. Nach kurzer Zeit wurde AKUT als ein eingetragener Verein etabliert und ist in der Zwischenzeit mit Regionalgruppen sowohl bundesweit als auch im angrenzenden Ausland (Niederlande, Schweiz, Österreich) etab195
liert. Die Zahl der deutschen Mitglieder bewegt sich jetzt bei 600. Der Verein ist gemeinnützig und ist Mitglied im Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau. Dies drückt eine der programmatischen Grundoptionen von AKUT aus.
Glauberger Schuldbekenntnis Wir bekennen vor Gott, dem Schöpfer der Tiere, und vor unseren Mitmenschen: Wir haben als Christen versagt, weil wir in unserem Glauben die Tiere vergessen haben. Wir waren als Theologen nicht bereit, lebensfeindlichen Tendenzen in Naturwissenschaft und Philosophie die Theologie der Schöpfung entgegenzuhalten. Wir haben den diakonischen Auftrag Jesu verraten und unseren geringsten Brüdern, den Tieren, nicht gedient. Wir hatten als Pfarrer Angst, Tieren in unseren Kirchen und Gemeinden Raum zu geben. Wir waren als Kirche taub für das Seufzen der misshandelten und ausgebeuteten Kreatur.« Glauberg, Frühjahr 1988
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Etwa ab dem Jahre 1990 verließ AKUT Glauberg in Mittelhessen. Es entstanden erste internationale Kontakte. Im Jahr 1991 nahm AKUT offiziell am Evangelischen Kirchentag in Hannover teil. AKUT war die einzige Gruppe auf diesem Kirchentag, die sich aus einer christlichen Grundhaltung heraus für Tiere als Mitgeschöpfe konkret engagierte. In dieser Zeit folgen auch mehrere Auftritte von Christa und Michael Blanke im Fernsehen, im Magazin »Kontexte« unter der Moderation von Wolf-Rüdiger Schmidt, 1991 und 1992 bei einem Podiumsgespräch mit Landwirtschaftsminister Kiechle. Das Thema zog damit - wenngleich langsam - weitere Kreise im kirchlichen und theologischen Bereich. Insgesamt ist sicher die Tendenz festzustellen, dass die Akzeptanz des Themas: »Tiere in der Kirche« zunimmt. Es werden immer häufiger von allen Konfessionen Gottesdienste mit Tieren gefeiert und die Irritationen und das völlige Unverständnis des Anfanges sind weitgehend überwunden. Auch zeigen sich innerhalb der Kirchen erste Tendenzen zur theologischen Bearbeitung des Themas. So hat die Kirchensynode der Evangelischen Kirche Hessen-Nassau am 2.7.1995 mit großer Mehrheit eine Erklärung verabschiedet, in der das mitgeschöpfliche Verhältnis von Tier und Mensch ausdrücklich eingeklagt wurde. In der Resolution heißt es, dass der biblische Herrschaftsauftrag eine verantwortliche Fürsorge für die Mitgeschöpfe einschließe. Es müsse eine Haltung gegenüber Tieren eingeübt werden, die darauf verzichte, Leiden mittelbar oder unmittelbar zu erzeugen und Gewalt auf das »unumgänglich notwendige Maß« zu begrenzen. Wichtig ist, dass in dieser Resolution auch konkrete Schritte aufgezeigt werden: »Wir meinen, dass nicht-artgerechte Tierhaltung Sünde ist, nämlich tiefe Verletzung der Mitgeschöpflichkeit. Entsprechend sind die Bedingungen von Haltung, Transport und Schlachtung zu gestalten.« Die Resolution wird zur Zeit konkretisiert und umgesetzt. Es sind dies klare Zeichen einer beginnenden Besinnung auf die Ver197
antwortung des Menschen für das Tier über konfessionelle Grenzen hinweg. So ist AKUT ökumenisch ausgerichtet. Wir wirken in beide Kirchen hinein. Ich selbst bin katholischer Diakon und zur Zeit 1. Vorsitzender des Vereins. Der Sitz von AKUT ist mittlerweile nicht mehr Glauberg, sondern Frankfurt, was auf seine Weise auch die Veränderungen spiegelt. Gegenwärtig bereitet AKUT die Schaffung eines internationalen spirituellen Zentrums für Tier und Mensch vor. Es ist daran gedacht, einen Ort zu suchen, an dem Mensch und Tier zusammenleben können. Die Vision, die dahintersteht, ist die von einem nicht-ausbeuterischen Zusammenleben aller Lebewesen über alle Konfessions- und Kulturgrenzen hinweg, in einem umfassenden ökumenischen Sinn. In diesem Zentrum sollen auch Tiere leben, die durch Aufkauf vor dem Tod bewahrt wurden. Ein Ort für Tagungen, Weiterbildungen, Treffen, aber auch zur Erholung und für eine spirituelle Neubesinnung soll entstehen. Eine weitere wichtige Aktion von AKUT war seit 1996 die Begleitung von Schlachtvieh-Transporten, die Aktion TTT unter dem Motto: »Europa, erbarme dich«. AKUT protestierte mit der Begleitung solcher Todestransporte durch Freiwilligen-Teams von der deutschen Grenze bis zum Schlachthof gegen die skandalösen Transporte von Tieren über lange Distanzen, um EG-Subventionen zu erhalten (so werden zum Beispiel alte Pferde aus Polen nach Frankreich gefahren, um dort dann geschlachtet zu werden). Inzwischen wurden bereits hunderte solcher Viehtransporte begleitet und die Reaktionen in der Öffentlichkeit sind verständnisvoll. Intuitiv ist vielen Menschen der Skandal des Tiertransportes als letzter, sinnloser Quälerei der geschundenen Gottesgeschöpfe bewusst, auch wenn sie den ganzen Umfang dieser Quälerei heute gar nicht kennen. Die Aktion stellt auf ihre Art einen Erfolg dar. Die Aktivitäten intensivierten sich so sehr, dass es notwendig wurde, diese Initiative organisatorisch auf eigene Beine zu stellen. »Animals' Angels«, so der Name des neuen Trägers, trennte sich 1998 von AKUT. 198
Theologisch wird es in der nächsten Zeit für die AKUT-Arbeit sicher notwendig werden, verstärkt an Umsetzungen der theologischen Anliegen zu gehen. Es wird notwendig sein, dass über Formen der Elementarisierung des theologischen Tierschutzgedankens für den Religionsunterricht nachgedacht wird, etwa im Rahmen einer Konkretisierung des Schöpfungsaspektes der gegenwärtigen Lehrpläne. Hier öffnet sich sicher noch ein weites Feld an Tätigkeiten. AKUT versteht sich als Anreger, Unterstützer und Moderator einer Theologie, die konkret und handlungsorientiert ist und die Grenzen konfessioneller Engführungen hinter sich lässt. Wir alle - Tier und Mensch - gehören zur selben Arche Schöpfung. Wir werden gemeinsam überleben oder zugrunde gehen. Wir müssen auch kirchlich weiterkommen. So fanden verschiedene Gespräche mit Kirchenleitungen und AKUT statt. In einigen Punkten zeigen sich zwar kontroverse Standpunkte, auf der anderen Seite eröffnen sich aber auch neue Wege. AKUT wird hier Hilfestellungen und Gesprächsmöglichkeiten anbieten, damit auch auf der Umsetzungsebene Fortschritte erzielt werden können. Es wurde eine Arbeitsgruppe »Tiere als Mitgeschöpfe« bei der EKHN (Evangelische Kirche in Hessen und Nassau) eingerichtet mit dem Ziel, Arbeitshilfen zu erstellen, Empfehlungen an kirchliche Einrichtungen zu richten über die Verwendung von Produkten aus artgerechter Tierhaltung, Informationen über herkömmliche und alternative Vermarktungsmöglichkeiten für landwirtschaftliche Produkte zu sammeln und Kontakt mit Einrichtungen und Personen anderer Kirchen herzustellen. Die Anschrift: Aktion Kirche und Tiere - AKUT e. V. Postfach 102004 44720 Bochum Tel. 0234-640 4495 / Fax 0234-65608 E-mail:
[email protected]
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2.3.6 Rezepte für Gemeindefeste ohne Totschlag »Der Mensch ist, was er isst«. An keiner Stelle dieses Buches habe ich einen Hinweis darauf gegeben, wie ich mich persönlich ernähre. Ich will dies auch jetzt nicht tun. Aber ich meine, dass die Art und Weise, wie christliche Gemeinden sich in der Öffentlichkeit darstellen, immer zugleich ein Ausweis für die innere Haltung, den »Engel«, der Gemeinde bildet. Aus diesem Grund sind die Speisen, die wir etwa auf Gemeindefesten reichen, wesentlich im Zusammenhang mit unserer Spiritualität zu sehen. Nachdem ein häufiges Argument für die Speisekarte auf solchen Festen die Machbarkeit ist und wir in unserer kulturellen Tradition nicht auf ein so weites und selbstverständliches Reservoir von Rezepten ohne getötete Tiere zurückgreifen können, habe ich hier einige Rezepte zusammengestellt, die erprobt sind, die sich für das Kochen auch an Festen eignen und die vor allem gut schmecken. Ich danke Angelika Zech-Stadlinger und Thomas Stadlinger aus Nürnberg für die Hinweise. Natürlich müssen die Mengenangaben je nach Situation vor Ort überprüft werden.
Kartoffel-Lauch-Suppe
350 g mehlige Kartoffeln 1 StangePorree 80 g Butter 250 ml Gemüsebrühe 100 g Käse Bavaria Blue
Salz
Weißer Pfeffer frisch gemahlen Muskatnuss gerieben Schnittlauch fein geschnitten
200
Kartoffeln schälen, waschen, würfeln. Porree klein schneiden. Butter zerlassen, beide Zutaten darin andünsten. Gemüsebrühe dazugießen, zum Kochen bringen, in 10-15 Minuten gar kochen, pürieren, durch ein Sieb streichen. Käse entrinden, zerdrücken, mit in die Suppe geben, unter Rühren 2-3 Minuten schwach kochen. Gewürze zugeben. Tipp:
Geröstetes Brot dazu reichen!
Grüne-Bohnen-Eintopf
750 g grüne Bohnen 500 g Kartoffeln Zwiebeln, Bohnenkraut, Petersilie, Dill, Salz, Pfeffer 50 g Fett 1/2 l Brühe saurer Rahm Weinessig
Die Bohnen schief stückeln. Die Kartoffeln bis auf 2 Stück in mittlere Würfel schneiden, diese beiden fein raffeln. Die grob gewürfelten Zwiebeln im heißen Fett bei mittlerer Hitze gut bräunen. Dann mit der Brühe ablöschen, die Bohnen und geraffelten Kartoffeln beigeben, mit etwas Salz, Pfeffer, Bohnenkraut, Petersilie, Dill und 201
3 Esslöffel Weinessig würzen. Obenauf die gewürfelten Kartoffeln geben. Topf schließen und garen. Abschmecken, saure Sahne unterziehen, nochmals kurz aufkochen lassen. Zuletzt Bohnenkraut entfernen, in vorgewärmter Schüssel anrichten und mit gehackter Petersilie überstreuen.
Grillen - Tipps und Tricks Beim Anheizen mit Bröckelkohle beginnen, erst wenn diese kräftig durchgeglüht ist, länger brennende Briketts darüber verteilen und auch diese vor dem eigentlichen Grillen wieder gut durchglühen lassen. Das Grillgut kann »gesund«, das heißt in Alufolie gegrillt werden, oder »weniger gesund«, dafür aber mit dem echten Grillaroma direkt auf dem Rost. Man kann auch einen Mittelweg wählen und Grillschalen oder mit einer Gabel eingestochene Alufolie verwenden. Dies hat außerdem den Vorteil, dass empfindliches, leicht bröckelndes Grillgut und kleine Gemüseteile nicht in die Glut fallen können. Getreidebratlinge und Getreidebällchen sollten in der Pfanne vorgebraten sein, sonst fallen sie zu leicht auseinander. Für Grillen auf die Schnelle bzw. als alternatives Angebot für Nichtvegetarier eignen sich vegetarische Schnitzel, Grillburger, vegetarische Bällchen und vegetarisches Cordon bleu der Firma »Just Natural«. (Das Cordon bleu wegen des Käses tiefgefroren auf den Rost legen.) Zur Abrundung und Ergänzung reicht man pikante Dips und Soßen, Brot, Baguette und bunte Salate. Eine Fülle weiterer vegetarischer Grillvorschläge (über die folgenden hinaus) sind zu finden in dem kleinen Taschenbuch von Jutta Grimm, Vegetarisch grillen, pala-Verlag. 202
Gegrilltes Brot an Holzstöckchen
200 g Weizenvollkornmehl 100 g Roggenvollkornmehl 1/2 Päckchen Trockenhefe 200 ml Wasser reichlich 60-75 g Butter oder Margarine 1/2 Teelöffel Salz 1 Teelöffel Sauerteig Brotgewürze (als Fertigmischung oder einzeln: Fenchel, Kümmel, Anis, Koriander) 8 dickere Stöckchen aus frischem (!), entrindetem Holz
Das Mehl in eine Schüssel geben und einen Teil davon mit der Hefe und einem Teil des lauwarmen Wassers anrühren. Fett, Salz, Sauerteig und die Brotgewürze so am Rand verteilen, dass sie nicht direkt mit der Hefemischung in Berührung kommen. An einem warmen Ort abgedeckt ca. 15 Minuten gehen lassen (der Teig sollte sich relativ feucht und leicht glitschig anfühlen.) Wenn der Vorteig aufgegangen ist, alles gründlich miteinander verkneten und nochmals abgedeckt an einem warmen Ort gehen lassen. Teig erneut durchkneten und gehen lassen. Dann den Teig (elastisch und nur leicht klebrig) zusammenkneten und zu 8 etwa l cm dicken Rollen ausrollen. Diese Teigwürste spiralförmig um die Holzstöckchen rollen, gut festdrücken und ziemlich rasch - unter ständigem Drehen - über der Glut grillen. Tipp: Dieses Rezept wird gerne von Kindern »in die Hand genommen«.
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Gegrillte Roquefort-Birnen
4 Birnen 50 g Butter 100 g Roquefort Schwarzer Pfeffer Zitronensaft
Birnen halbieren und Kerngehäuse herausschneiden. Mit der flachen Seite auf einem geölten Rost 3-5 Minuten grillen. Butter und Roquefortkäse mit einer Gabel zu einer cremigen Masse verrühren, mit frisch gemahlenem schwarzen Pfeffer und Zitronensaft abschmecken. Birnenhälften wenden, Masse einfüllen und nochmals 3 Minuten grillen.
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Vollkornpizza
Teig:
400 g Weizen frisch und fein gemahlen
20 g Hefe 200 ccm Wasser lauwarm 1/2 Teelöffel Salz 50 ccm Öl (Sonnenblumen- oder Olivenöl)
Belag: 500 g Tomaten oder 1 Packung passierte Tomaten Champignons, Paprika, Lauch, Zucchini Salz, Pfeffer, Oregano, Knoblauch 200 g geriebener Käse
Den Weizen fein mahlen. Hefe in lauwarmem Wasser auflösen. Mehl und Salz vermischen und in das Hefewasser einrühren. Wenn das ganze Mehl befeuchtet ist das Öl zugeben. Den Teig gut durchkneten, abdecken und an einem warmen Ort ca. 20 Minuten gehen lassen. Nochmals gut durchkneten und in ca. 8 Stücke teilen. Jedes Teil zu einer Kugel formen, diese mit dem Handballen flach drücken und auf ein gefettetes Backblech setzen. Die Tomatensoße kräftig mit Salz, Pfeffer, Oregano und Knoblauch abschmecken und auf den Teig geben. Das übrige Gemüse putzen, zerkleinern, gleichmäßig auf der Pizza verteilen. Mit geriebenem Käse bestreuen. Das Blech auf die unterste Schiene in den vorgeheizten Backofen schieben und die Pizza bei 200 °C etwa 25 Minuten backen.
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Cheeseburger
1/2 l Gemüsebrühe 50 g ganzer Grünkern 80 g Grünkern grob geschrotet 1 Ei 40 g Walnüsse gehackt 50 g Käse gerieben 1 Zwiebel fein gehackt 1 Bund Petersilie gehackt 6 Esslöffel Semmelbrösel 1 Teelöffel Oregano Salz Pfeffer Butterfett zum Braten 8 Vollkornbrötchen 40 g Butter 8 Scheiben Käse 3 Esslöffel Kräuterquark für die Soße 3 Esslöffel Mayonnaise 2 Tomaten in Scheiben 2 Gewürzgurken in Scheiben als Belag 1 Zwiebel in Ringen
Gemüsebrühe in einem Topf zum Kochen bringen, die ganzen Körner hineingeben und 10 Minuten köcheln lassen. Dann Grünkernschrot dazugeben und weitere 20 Minuten köcheln lassen. Masse etwas auskühlen lassen, die übrigen Zutaten hinzufügen und gut vermischen. Mit nassen Händen 8 flache Fladen formen und in der Pfanne von beiden Seiten braten, bis sie knusprig braun sind. Die Vollkornbrötchen aufschneiden, die untere Hälfte mit etwas But206
ter bestreichen und jeweils mit einem Grünkernfladen sowie mit einer Scheibe Käse belegen. Das Ganze unter den vorgeheizten Grill geben, bis der Käse zu schmelzen beginnt. In der Zwischenzeit Quark und Mayonnaise zu einer Soße verrühren. Die Cheeseburger nach Belieben mit den Tomaten, Gurken und Zwiebeln belegen und mit etwas Soße verfeinern. Obere Brötchenhälfte auflegen und servieren. Tipp: Zum Garnieren eignen sich auch Ananas oder anderes Saftiges sehr gut.
Grünkern-Gemüse-Frikadellen
200 g Grünkernschrot 1/2 l Gemüsebrühe 2 Stangen Lauch 2 Stück Zwiebeln 150 g Mohren 2-3 Eier 1 Bund Kräuter 2 Esslöffel Sojasoße Öl Salz Pfeffer
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Grünkern in der Brühe erhitzen, zum Kochen bringen und 15 Minuten bei schwacher Hitze ausquellen lassen. Lauch in dünne Scheiben schneiden, Zwiebeln und Möhren fein würfeln. Die Hälfte des Gemüses in 2 Esslöffel Öl glasig braten. Kräuter mit dem gebratenen Gemüse und den Eiern unter den Grünkernbrei mischen. Mit Salz und Pfeffer abschmecken, zu Frikadellen formen und auf beiden Seiten goldbraun braten. Das restliche Gemüse mit den Frikadellen braten. Die Bratlinge aus der Pfanne nehmen, das Gemüse mit Sojasoße und eventuell mit 2 Esslöffel Weißwein würzen und noch fertig garen. Tipp: Dazu schmecken Gurkensalat und Petersilienkartoffeln. Die Bratlinge kann man auch wie Hamburger essen.
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Brot aus jesuanischer Zeit
250 g feines Weizenvollkornmehl 1/2 Teelöffel Meersalz 2-3 Teelöffel kalt gespresstes Olivenöl 100 ml lauwarmes Wasser
Das Vollkornmehl wird mit dem Salz, dem Olivenöl und dem Wasser verrührt und durchgeknetet. Es entsteht ein fester Teig, der nach dem Durchkneten noch eine Stunde ruhen sollte. Der Teig wird in zwanzig Teile geteilt und diese werden dann auf einem bemehlten Brett zu Fladen ausgerollt. Gebacken werden diese Fladen in der Pfanne mit nicht zu viel Öl bei mittlerer Hitze 1-2 Minuten. Diese Fladen entsprechen einer sehr alten Tradition der Zubereitung von Brot. Es werden keine Treibmittel dazugegeben. Das Brot ist nicht gesäuert und kann sehr schnell zubereitet werden. Ein biblischer Hinweis auf dieses Brot findet sich bereits beim Auszug der Israeliten aus Ägypten (Ex 12,15): »Sieben Tage lang sollt ihr ungesäuertes Brot essen. Gleich am ersten Tag schafft den Sauerteig aus euren Häusern!«
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Anmerkungen Einleitung 1
Karl Barth, Kirchliche Dogmatik, Zollikon-Zürich 1957, Bd. III, 4., 398 2 Diese Vorstellung macht sehr vielen Menschen Schwierigkeiten und gehört vielleicht gerade wegen dieser intellektuellen Schwierigkeiten als paradoxer Begriff zum Kernbestand christlicher Spiritualität. Aber das ist nicht das eigentliche Thema des Buches. 3 Bonaventura, Itinerarium mentis in Deum 4 Karl August Groskreutz, Der Schnauzenkuss, eine Anatomie der Schweine-Menschen, Leipzig 1996, 70-71
1.1 Was haben Christen mit Tieren zu tun? 1 Zu diesem Zusammenhang: Gotthard M. Teutsch, Soziologie und Ethik der Lebewesen, Frankfurt 1975, 165-168, und sein Lexikon der Tierschutzethik, Artikel: »Tierschutz«, Göttingen 1987 2 Zit. nach: Sambraus, H. H. [1997], Geschichte des Tierschutzes, in: Das Buch vom Tierschutz, hg. von H. H. Sambraus und A. Steiger, Stuttgart, 9 3 John Wesley, Sermons on Several Occasions; Predigt »The General Deliverance« 4 Wiedergegeben bei Franz Alt, Der ökologische Jesus, 240
1.2 Ist Gott Vegetarier? l
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Vgl. den insgesamt sehr instruktiven Beitrag zur neueren Wirkungsgeschichte des dominium terrae von H. Baranzke/H. Lamberty-Zielinski, Lynn White und das dominium terrae (Gen l,28b). Ein Beitrag zu einer doppelten Wirkungsgeschichte, in: Biblische Notizen, H. 76 (1995), 32-61)
2 K. Koch, Gestaltet die Erde, doch heget das Leben! Einige Klarstellungen zum dominium terrae in Gen l (1983). Vgl. auch: H. Kessler, Das Stöhnen der Natur, Düsseldorf 1990, 63f. 3 So urteilt G. Liedke, in:. »Tier-Ethik« - Biblische Perspektiven. Ein Bericht, in: Janowski, a.a.O., 215: »Man hat immer wieder versucht, hygienische oder religiöse Gründe für die Unreinheit namhaft zu machen. Es bleibt dabei aber ein unerklärbarer Rest. Der religiöse Gesichtspunkt etwa - um den Monotheismus zu schützen, habe man Tiere, die Fremdgöttern heilig waren, für unrein erklärt scheitert daran, dass keines der hier aufgeführten Tiere - vom Schwein in den späten Synkretismen abgesehen - in den Religionen des alten Orient eine beachtenswerte Rolle spielte. Umgekehrt aber waren Tiere, die in Israel als rein und kultfähig galten, sehr wohl Sakraltiere fremder Götter: die Kuh der ägyptischen Hathor, der Widder des Amun und Chnum in Ägypten, der Stier des kanaanäischen Baal usw.« 4 Vgl. H. Rheinz, »Und schont die Seele der Tiere«. Tier und Tierschutz im Judentum, in: W.-R. Schmidt, Geliebte und andere Tiere im Judentum, Christentum und Islam, Gütersloh 1996, 65-87 5 Karl Barth arbeitet diesen Zusammenhang in seinem ersten Kommentar zum Römerbrief prophetisch klar heraus. Vgl. K. Barth, Der Römerbrief (Erste Fassung) 1919, hg. von H. Schmidt, Zürich 1985 6 Thomas von Aquin, Summa contra gentiles, II, Kap. 82 7 Descartes, Discours, 16 8 H. W. Ingensiep, Tierseele und tierethische Argumentationen in der deutschen philosophischen Literatur des 18. Jahrhunderts, in: NTM, 41996, 103-118, 106 9 G. F. Meier, Versuch eines neuen Lehrgebäudes von den Seelen der Thiere, Halle 1749, zit. nach: Ingensiep, Tierseele, 109
1.3 Können es andere besser? 1 Zit. nach L. Renou, Der Hinduismus, Stuttgart 1985, 138/139 2 Zit. nach L. Renou, Der Hinduismus, Stuttgart 1985, 73 3 In: »Hinduism Today«, Ausgabe Mai/Juni 2000 4 Rabbiner Ahron Daum, Halacha aktuell, Bd. II, Frankfurt am Main 1992, 403 211
5 Brumme, Martin Fritz: »Mit dem Blutkult der Juden ist endgültig in Deutschland Schluss zu machen«. Anmerkungen zur Entwicklung der Anti-Schächt-Bewegung. In: Michael Hubenstorf, u.a. (Hg.): Medizingeschichte und Gesellschaftskritik. Festschrift für Gerhard Baader. Husum 1997, 378-397 6 Hinweise aus Internet: http://www.shoah.de; Literatur: Stefan Mannes, Anitsemitismus im nationalsozialistischen Propagandafilm »Der ewige Jude« und »Jud Süß«, Köln 1999 7 Heike Baranzke, Erstes Treffen des AKUT-Arbeitskreises Tiertheologie und Tierethik (AKTE), http://www.dike.de/akut/AKUTe/news03.htm
8 a.a.O.
2.1 Erinnerungen an ein christliches Modell: Heilige und Tiere 1 Nacherzählt nach Joseph Bernhart: Heilige und Tiere, München 1937 und vorsichtig von mir modernisiert. 2 Bernhart, Heilige und Tiere, 208/209 3 Bernhart, Heilige und Tiere, 218 4 Bernhart, Heilige und Tiere, 11 5 Bernhart, Heilige und Tiere, 23 6 Bernhart, Heilige und Tiere, 24 7 Vgl. Erik Peterson, Das Buch von den Engeln, Leipzig 1935, 97 8 Zitate nach Joseph Bernhart, Die unbeweinte Kreatur, 2. Aufl. Weißenborn 1987 und J. Bernhart, Heilige und Tiere, München 1937; Johannes Metzler hat mir freundlicherweise bei der Zusammenstellung geholfen.
2.2 Eine veränderte Spiritualität 1 Übersetzt nach: http://www.chiefseattle.com/history/chiefseattle/speech 2 Gardner, R.A./Gardner, B.T., »Teaching Sign Language to aChimpanzee«, in: Science, vol. 165 (1969), 664-672 3 John C. Lilly, Communication between Man and Dolphin, New York 1978 212
4 Paracelsus, zit. nach: Paracelsus: Mikrokosmos und Makrokosmos, hg. von Helmut Werner, München 1989, 58 5 Wiedergegeben in: Rupert Sheldrake, Sieben Experimente, die die Welt verändern könnten. Anstiftung zur Revolutionierung des wissenschaftlichen Denkens, Bern u.a. 1994, 24-25 6 Smith, Penelope, Gespräche mit Tieren. Dt. von Annette GabrielReinecke, Frankfurt am Main 1995 7 Martin Buber, Ich und Du, in: Das dialogische Prinzip, Heidelberg 1984, 124-125 8 Buber, Ich und Du, 125 9 Duchrow/Liedke, Schalom. Der Schöpfung Befreiung, den Menschen Gerechtigkeit, den Völkern Frieden, 9 10 Hiltrud Gruber, Horst Gruber und Elfriede M. Ederer, Das kreative Feld personaler Begegnungen: Erlebnisorientierter Workshop zum Feldbegriff und dessen Querverbindungen zum Ansatz von Carl Rogers, Handout Workshop 24.2.2000, Salzburg; das Manuskript verweist auf umfangreiche weitere Literatur. 11 Norbert Lohfink, Höre Israel, Düsseldorf 1965, 34-54 12 Bild und Beschreibung aus: Z'ev ben Shimon Halevi, Lebendige Kabbalah, Anleitung und Übungen zur praktischen Arbeit im Alltag, München (Kösel-Verlag), 1989, 6
2.3 Tiere in die Kirche - Einige praktische Veränderungen 1 Werner Bergengruen, Die heile Welt. Gedichte. Nymphenburger Verlagsanstalt, München 1950, 117-119 2 In freier Anlehnung an Andrew Linzey, Animal Rites. Liturgies of Animal Care, SCM Press London 1999, 44-47 3 Der Tierarzt U.M. Dürr in: »Du und das Tier« 6/1988 4 Kontakt über: Bundesverband der Tierbestatter (BVT), Hartmut Gläser (1. Vorsitzender), Haddamshäuser Str. 33, 35041 Marburg; Tel./Fax 06421/36669, E-mail:
[email protected] www.bvt 5 Glauberger Schuldbekenntnis deutsch mit aktueller Unterzeichnerliste, AKUT e.V. Materialversand, Postfach 10 20 04, 44720 Bochum
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Quellenverzeichnis Bilder 24 Gladiatoren-Mosaiken. Römische Villa, Bad Kreuznach (Tierkampf: Tiger mit Wildesel; Kampf: Bestiarius mit Keiler; Gladiatorenkampf: Thraeces) - 26 Kösel-Archiv - 47 Aus: Wolf, Die Kunst Ägyptens. Gestalt und Geschichte. Stuttgart 1957, S. 357 - 79/81 Aus: Diaserie »Der Hinduismus«. Jünger Verlag, Offenbach/Frankfurt, Nr. 39 (Affentempel Benares)/36 (Kuh in Delhi) - 103 Ev. Zentralbildkammer Bielefeld 122 Aus: Ikonenmotive mit Tieren. Peter & Paul AG, Vaduz -163 Aus: Z'ev ben Shimon Halevi, Lebendige Kabbalah. Anleitung und Übungen zur praktischen Arbeit im Alltag. Kösel-Verlag, München 1984, S. 6 174 © idea-bild
Texte 147 Aus: Martin Buber, Ich und Du. © Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh - 148 Aus: Franz Werfel, Gesammelte Werke. Das Lyrische Werk, hrsg. von Adolf D. Klarmann. © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 1967 -152 Aus: Gotthard M. Teusch (Hrsg.), Da Tiere eine Seele haben. Kreuz Verlag, Stuttgart 1987 - 165 Aus: Werner Bergengruen, »Gestern fuhr ich Fische fangen...«. Hundert Gedichte, hrsg. von N. Luise Hackelsberger. © 1992 by Arche Verlag AG, Raabe + Vitali, Zürich