H. G. Francis
Band 15
Teuflische Überraschung Rex Corda ist auf der Suche nach seinen verschollenen Geschwistern. Es ...
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H. G. Francis
Band 15
Teuflische Überraschung Rex Corda ist auf der Suche nach seinen verschollenen Geschwistern. Es ist ungeheuer wichtig für die Erde, daß er sie findet. Kim und Velda Corda tragen das Geheimnis um eine Entdeckung von größter Tragweite in sich. Walter Beckett, der geniale Wissenschaftler, der bei der Landung der Laktonen auf der Erde getötet wurde, hat sein Vermächtnis auf Rex Corda und seine beiden Geschwister verteilt. Es ruht in Hypnoblocks in ihrem Unterbewußtsein. Die Laktonen sind auf der Jagd nach diesem Wissen. Sie wollen es an sich reißen, bevor Corda es für die Erde sichern kann. Deshalb beorderte Jakto Javan den „Zeitagenten“ Ko-Mont an Bord der WALTER BECKETT! Die Spur des laktonischen Raumschiffes, daß Kim und Velda Corda von der Erde entführte, endete im Doppelsonnen-System Gamma Virginis. Auf dem fünften Planeten dieses Systems erlebt Rex Corda eine herbe Enttäu-
schung. Seine Geschwister befinden sich nicht in dem Teil des abgestürzten Raumschiffes, das er dort vorfindet. Die WALTER BECKETT fliegt den 6. Planeten des Systems an. Niemand ahnt, was auf sie zukommt. Erst als es schon viel zu spät ist, kommt einigen von ihnen die Erkenntnis. Die gesamte Mannschaft gerät in den Bann der „Sirenen von Morgh". Nur zwei Männer können sich gegen den magischen Einfluß wehren - Rex Corda und der laktonische Agent Ko-Mont. Sie stehen allein im Kampf gegen einen Planeten, der nicht weniger teuflische Überraschungen zu bieten hat als der 5. Planet, die Welt der Ledervögel. Auf der Suche nach seinen Geschwistern taumelt Rex Corda in den Malstrom verzehrender Mächte, die alle Vorteile auf ihrer Seite haben. Den Kampf gegen diese Welt aufzunehmen, erscheint völlig aussichtslos.
Die wichtigsten Personen: Rex Corda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . kämpft gegen den Bann der „Sirenen" Ko-Mont . . . . . . . . . . . . . der „Zeitagent" sieht sich am Ziel seiner Pläne Kim Corda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . wird zum Gegner der „Sirenen" Frenko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . sein Freund, bleibt an seiner Seite Velda Corda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . die Schwester Rex Cordas Ga-Venga . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . verliebt sich
Muru blieb wie gelähmt stehen! Schockartig brach die entsetzliche Erkenntnis über sie herein. Sie wollte es nicht glauben! Im ersten Schrecken suchte sie den Kontakt mit dem kraftspendenden Super-Ego, verband sich mit ihm und aktivierte die Schwebesohlen. In rasender Eile floh sie in die Nacht hinaus. Der brüllende Sturm peitschte ihr die Kleider um den Leib. Der kalte Regen trommelte auf ihre dunkle Haut. Muru sah starr nach vorn. Sie achtete nicht auf die beiden Männer, die entsetzt über die Felder flohen, als sie sie sahen. Muru war erschüttert bis in die Grundfesten ihrer Seele. Sie hatte eine Entdeckung gemacht, an deren Wahrheitsgehalt sie nicht glauben konnte. Es widersprach einfach dem Naturgesetz, daß ein männliches Wesen eine Super-Ego-Potenz hatte. Und die Naturgesetze waren noch nie auf Morgh gebrochen worden. Ihr Entsetzen riß den Himmel auf. Heiße Blitze zuckten aus der Höhe herab. Krachend schlugen sie in den Boden ein. Muru sah in der nahen Stadt zwei Häuser aufflammen. Sie lachte schrill. Die Stadt hatte die Strafe verdient. Sie hatte ein Monster in ihre Mauern aufgenommen. Sie verharrte jetzt endlich auf der Stelle. In etwa einem halben Meter Höhe schwebte sie über die Straße, die nach Süden zu den Blauen Wäldern führte. Unter den beiden handtellergroßen Sohlen, die ihre Kraft aus dem Super-Ego bezogen, wallten dünne Nebelschleier. Muru brauchte sich kaum noch auf die Sohlen zu konzentrieren. Ihr Geist nahm die Kraft schon instinktiv auf und leitete sie fast unbewußt weiter. Zwei Häuser waren wirklich zu wenig!
Muru entblößte ihre weißen Zähne. Ihr kreischendes Lachen übertönte den Sturm. Zornerfüllt entriß die dem Super-Ego weitere Energien. Wieder und wieder riß der Himmel auf. Immer wieder zuckten die gleißenden Blitze aus den dichten Wolken herab. Sie schlugen mit grausamer Gewalt in der kleinen Stadt ein. Obwohl es wie aus Eimern regnete, ging ein Haus nach dem anderen in Flammen auf. Das Feuermeer wurde größer und größer. Muru kannte keine Grenzen in ihrem Zorn. Sie hoffte inbrünstig, daß sie das Monster treffen würde, das sich in der Stadt eingenistet hatte. Es mußte vernichtet werden! Sie ließ sich etwas absinken, so daß sie nicht mehr so hoch über dem Boden schwebte. Obwohl ihr Zorn noch unvermindert war, zügelte sie ihre Zerstörungswut. Zehn Zentimeter über dem Boden dahingleitend, näherte sie sich der Stadt abermals. Der Regen versiegte. Die Flammen prasselten hoch auf. Es war, als ob das Feuer jetzt befreit aufatmete, um sich richtig auszutoben. Muru zog ihr flammendrotes Kopftuch etwas weiter über die Stirn, damit die vier kleinen Höcker verhüllt waren, die sie als Sirene kennzeichneten. Je näher sie der Stadt kam, desto besser erkannte sie, daß die Einwohner flohen. Eine Karawane wälzte sich auf der nördlichen Straße, die durch die Alten Wälder führte, davon. Muru lachte verächtlich, als sie die knatternden Ungeheuer sah, die den ganzen Stolz der modernen Technik bildeten. Verglichen mit ihren Sohlen waren diese von Explosionsmotoren getriebenen Fahrzeuge wahrhaftig der Ausdruck größter Primitivität! Die Sirene näherte sich der Stadt noch weiter. Und dann fühlte sie es plötzlich wieder.
Es war ein kraftvoller junger Geist, der in der Stadt weilte. Er war voller gefährlicher Elastizität. Er kam näher! Muru glitt hinter einen mächtigen Baum. Die Nacht umhüllte sie. Langsam kroch das donnernde, krachende Ungeheuer näher, auf dem die Männer, Frauen und Kinder der Stadt kauerten. Es war ein einzelnes Fahrzeug, jedoch so groß, daß mehr als zwanzig Personen darauf Platz genommen hatten. Ein einzelner Junge rannte hinter dem Fahrzeug her, dessen Motor ständig krachte und donnerte, als ob er auseinanderbrechen wollte. Der Junge erreichte das Fahrzeug. „Kim! Kim!" schrie er. Ein blasser Junge mit erstaunlich heller Hautfarbe beugte sich über die Stange, die rund um das Fahrzeug führte. Muru stöhnte auf. Sie wußte sofort, daß dies das Ungeheuer war. „Frenko!" schrie das Monster. „Frenko!" Der Morgh-Junge schnellte sich auf das stinkende, krachende Fahrzeug. Muru begriff mit schmerzhafter Plötzlichkeit. Der Blaßhäutige war kein Morgh. Er war mit dem Ding gekommen, das aus den Wolken gefallen war. Er mußte sterben! Sie durfte keine Zeit verlieren. Je eher er stirbt, desto besser ist es, dachte sie. * Kim Corda wischte sich den Regen aus den Augen, um Frenko besser erkennen zu können. Der Morgh gestikulierte umständlich. Kim versuchte, seine Schwester in der Dunkelheit zu erkennen. Aber das war unmöglich. Zu viele Morghs hockten auf diesem Ungeheuer von einem Fahrzeug, das die Morghs mit lächerli-
chem Stolz als die Krönung ihrer Technik betrachteten. Kim grinste vergnügt. Er packte seinen eingeborenen Freund am Ellenbogen und zog ihn zu sich herüber. „Was ist los?" schrie er. Frenko sprudelte eine Serie unverständlicher Worte heraus, die er mit heftigen Gesten begleitete. Aber Kim begriff nicht. Erst als Frenko mühsam den Namen Velda herauswürgte, wurde der Terraner wach. „Was ist mit Velda?" schrie er. Die Antwort Frenkos ging in dem Krachen der Auspuffexplosionen unter, als das primitive Fahrzeug der Morghs den sanften Hang hinaufkletterte. Frenko zeigte aufgeregt zu der brennenden Stadt hinüber. Kim begann zu ahnen, daß wirklich etwas nicht stimmte. Er sprang auf und kletterte ohne Rücksicht auf das Gezeter der älteren Frauen nach vorn. Er packte das Mädchen bei den Schultern, das er für seine Schwester hielt. Kreischend drehte es sich um. Das Mädchen hatte alles, was auf Morgh als schön galt. Sie hatte große, grüne vorquellende Augen, einen tiefroten Teint und eine riesige Hakennase, die wie ein Geierschnabel unter ihrer niedrigen Stirn hervorbrach. Sie verbreitete einen intensiven Geruch nach Kitz-Pah, diesem Gesträuch, das Kim so haßte. Ein Morgh hätte sich auf der Stelle in das Mädchen verliebt. Kim fuhr entsetzt zurück. „Wo ist Velda?" schrie er wie wild. Frenko wies auf die brennende Stadt, die jetzt gerade zwischen den Hügeln versank. Das Auto beschleunigte rasch, da eine tief ins Tal führende Straße eine höhere Geschwindigkeit erlaubte. „Los! 'runter hier." Kim gab Frenko einen Stoß. Aber das war gar nicht nötig. Der Morgh-Junge
hüpfte wie ein Frosch von dem Wagen. Er knallte dumpf auf die ungepflasterte Straße. Kim sprang wesentlich geschickter ab. Er kam weich auf, überschlug sich, landete dann auf den Füßen und eilte zu seinem Freund, der flach auf dem Weg lag. „He, Frenko, was ist mit dir?" Der Junge richtete sich langsam auf. Vorsichtig tastend glitten seine kleinen Hände über die knochigen Beine. Ein dünnes Grinsen stahl sich über seine hageren Wangen. Er nickte — eine Geste, die er seinem blassen Freund abgesehen hatte. „Alles okay, Frenko?" fragte Kim. Frenko grinste breit. Abermals nickte er. Kim winkte dem Wagen nach. Er lachte. „Fahrt ohne mich!" schrie er übermütig. „Ich laufe lieber auf mei..." Der Rest seiner Worte blieb ihm im Halse stecken. Der Himmel spaltete sich. Ein weißer Blitz zuckte herab. Er schmetterte genau in das primitive Auto. Fast im gleichen Augenblick explodierte der Tank. Eine rote Glutwolke rollte über die Straße. Zwei weitere Blitze jagten aus dem Dunkeln herab. Sie zuckten abermals in den Feuerball auf der Straße hinein. Kim konnte es deutlich sehen. Er wandte sich erschauernd ab. Frenko stand direkt hinter ihm. Jetzt sah Kim sein Gesicht. Die grünen Augen quollen unnatürlich weit hervor. An den Mundbewegungen konnte Kim erkennen, daß Frenko schrie. Die donnernden Explosionen übertönten alle Worte. Kim fuhr herum. Und jetzt sah er es auch. Dicht über den Flammenball hinweg schwebte eine Mädchengestalt, die schillernd bunte Kleider trug. Das rote Gesicht glänzte vor diabolischer Freude.
* Das brünette Mädchen schüttelte heftig den Kopf. „Ich denke gar nicht daran, von hier zu verschwinden!" sagte sie entschieden. „Das Wrack des Raumschiffes liegt nur einige Kilometer von hier entfernt. Wenn man uns also sucht, wird man uns hier suchen. Deshalb bleibe ich hier! Da können Sie sagen, was Sie wollen!" Der Laktone trat ärgerlich nach dem Wharr. Das Tier kreischte wütend auf und stürzte sich auf die Frucht, an der es gerade herumgebissen hatte. Offensichtlich glaubte der Wharr, der Laktone wollte sie ihm wegnehmen. „Verstehen Sie doch, Miß Corda", fuhr der Laktone in akzentfreiem "Englisch fort. „Wir sind hier in größter Gefahr. Der Tann sagte, in den nächsten Wochen werden hier die Karawanen der Morghs durchziehen. Die Morghs werden die Stadt überschwemmen. Der Tann betonte, es wäre alle vier Jahre das gleiche. Die Morghs nehmen keine Rücksicht. Wenn sie etwas finden, was ihnen gefällt, dann werden sie es mitnehmen." Velda verzog ihren Mund. Ihre Augen blitzten spöttisch auf. „Dann brauchen Sie keine Angst zu haben, daß Sie mitgenommen werden", sagte sie. Der Laktone sprang auf. Er ging mit wuchtigen Schritten zu dem hohen Bleiglasfenster hinüber und zog es krachend zu. Draußen rauschte der Regen sintflutartig herab. „Ich bin für Sie verantwortlich, und Sie werden mir folgen!" versetzte der Laktone bestimmt. „Es ist mir gleich, ob es Ihnen paßt oder nicht!" Velda Corda schüttelte den Kopf. „Über mein Schicksal bestimme ich! Nicht Sie!"
Der Laktone lachte dunkel auf. „Was sind Sie denn ohne uns?" „Schiffbrüchig! Ob Sie dabei sind oder nicht — ich bin schiffbrüchig! Gestrandet auf dieser Welt durch Ihre Schuld. Sie hätten mich nicht von der Erde verschleppen sollen." „Das ist jetzt vorbei. Sie sollten sich damit abfinden, daß diese Tatsachen nicht mehr zu ändern sind! Wichtig ist allein, daß wir Morgh wieder verlassen können." Die Tür ging auf. Ein Morgh kam herein. Er musterte sie mit großen grünen Augen. Seine dreifingrige Hand zeigte auf den Laktonen. Die Finger drehten sich zur Tür hin. Die Geste war eindeutig. „Verschwinden Sie, Laktone! Das soll es wohl heißen!" lächelte Velda. Der Laktone ging zur Tür. In diesem Augenblick blitzte es auf. Fast gleichzeitig kam der rollende Donner. Der Tann eilte zum Fenster. Er stieß es auf. Ein heiserer Fluch sprang über seine Lippen. Velda sah, daß zwei Häuser in der Nähe brannten. Sie stand auf, um ebenfalls zum Fenster zu gehen. Als sie dort war, blitzte es abermals. Und wieder gingen einige Häuser in Flammen auf. Der Morgh knallte das Fenster zu. Er sah erregt aus. Er winkte ab, als der Laktone etwas sagen wollte. Er verließ den Raum eilig. Der Laktone schnaubte verächtlich. „Es scheint Schwierigkeiten zu geben", sagte er abfällig. „Der Tann scheint zu befürchten, daß die Sirenen ihm das Feuer auf den Kopf geschickt haben!" „Und wenn es stimmt?" fragte Velda schnippisch. Der Laktone starrte sie wütend an. Er packte ihr Handgelenk, riß sie an sich, preßte ihr die Hand auf den Mund und schleppte sie aus dem Raum. Das
Mädchen wehrte sich mit aller Kraft, doch umsonst. Gegen die stählernen Muskeln eines Laktonen wäre der kräftigste Terraner nicht angekommen. Der Laktone schleppte das Mädchen eine schmale Holztreppe hinunter. Unten stieß er eine Tür auf. Velda erkannte im Dunkeln mehrere Houms. Die dreibeinigen Reittiere der Morghs standen bewegungslos in dem strömenden Regen. Das Wasser lief in langen Bächen aus ihrem zottigen Fell. Mehrere Laktonen standen bei den Tieren. Ein Blitz schlug keine dreißig Meter von ihnen entfernt in einem Holzhaus ein, das zu dem ausgedehnten Gebäudekomplex des fürstlichen Hofes gehörte. Auch dieses Haus brannte sofort. Obwohl der Regen aus dem aufgewühlten Himmel herabpeitschte, entwickelte sich das Feuer unheimlich schnell. Jetzt endlich konnte Velda die Hand über ihrem Mund wegstoßen. „Wo ist Kim?" keuchte sie erschöpft. Der Laktone fluchte. „Wir müssen ihn haben!" schrie ein anderer Laktone. Velda sah sich erregt um. Ihr fiel auf, daß die Zahl der Raumfahrer sehr klein war. Über hundert Laktonen hatten das Wrack verlassen, das auf diesem Planeten gestrandet war. Aber hier im Hof warteten höchstens dreißig Laktonen. Irgend jemand stieß sie zu einem Houm. Das riesige Tier sank auf den Boden. Ein Laktone sprang auf den Rücken der Pelzkugel. Er riß das Mädchen mit hinauf. Die Blitze zuckten jetzt unaufhörlich auf die brennende Stadt herab. Velda erkannte Scharen von Morghs, die in wilder Panik durch die angrenzenden Straßen tobten. „Sie verlassen alle die Stadt!" schrie der Laktone, der sie hielt. „Wollen Sie da wirklich hierbleiben?" „Wo ist Kim?" Der Laktone antwortete nicht. Er stieß einen gellenden Schrei aus. Der Houm sprang auf, machte einen hefti-
gen Satz, der sie fast von seinem Rükken geschleudert hätte, und raste dann mit weiten, weichen Sprüngen davon. Velda Corda klammerte sich an das zottige Fell. Der Regen peitschte ihr ins Gesicht. Sie versuchte, sich von dem Tier fallen zu lassen, aber der Laktone hielt sie mit eisernem Griff. * Ga-Venga, der Kynother, zeigte auf den Holografen. „Dies hier, Mr. Haick, ist die Erde!" sagte er zu dem jungen Atomwissenschaftler, der sich zusammen mit ihm in der astronomischen Abteilung des Hantelraumers „Walter Beckett" aufhielt. John Haick beugte sich interessiert vor. Das winzige Lichtpünktchen war kaum noch auszumachen. 34 Lichtjahre trennte das Flaggschiff der terranischen Flotte von der Erde. Die „Walter Beckett" hatte soeben den fünften Planeten des Sonnensystems Gamma Virginis verlassen. Der Planet hatte mit allen Waffen, die die Natur ihm in die Hand gab, gegen die Männer der „Walter Beckett" gekämpft. Es war ihnen gelungen, die Hälfte der Besatzung eines laktonischen Raumschiffes, das in diesem System verunglückte, zu bergen. Ko-Mont lehnte sich in seinem bequemen Pneumosessel zurück. Mit einem spöttischen Lächeln auf den festen Lippen beobachtete er die Szene im astronomischen Bezirk, die ihm sein Holograf exakt übertrug. Ko-Mont, der Zeitspäher, war sich ganz sicher, daß niemand an Bord des Raumschiffes „Walter Beckett" wußte, was wirklich gespielt wurde. Der Laktone schaltete den Holografen ab. Er erhob sich und ging mit langsamen Schritten in den kleinen Nebenraum hinüber, in dem die Köstlichkeiten
der galaktischen Küche auf ihn warteten. Die Zunge fuhr ihm flink über die Oberlippe, die eine rote Kerbe zeigte wie die des Lithaloniers Percip, der an der Seite der Terraner kämpfte. Ko-Mont war über alles informiert, was in der „Walter Beckett" geschah. Ein ausgeklügeltes Kommunikationssystem verband ihn mit den Brennpunkten des Schiffes. Der Lakton-Agent wußte, daß Rex Corda, der Repräsentant der Erde, den Befehl gegeben hatte, den sechsten Planeten des Systems anzusteuern. Für Ko-Mont bedeutete das, daß ein neuer Einsatz bevorstand. Bis zur Landung hatte er noch einige Stunden Zeit. Diese Zeit wollte er nutzen, um sich ausreichend vorzubereiten. Also ging Ko-Mont den Katalog galaktischer Delikatessen durch. Er entschied sich für Koltoa-Schnecken, die er allerdings in den Gehäusen von Simmar-Muscheln dünstete, da er die Kombination dieser beiden Delikatessen über alles schätzte. Da Ko-Mont der Ansicht war, gute Arbeit geleistet zu haben, gönnte er sich eine etwas größere Portion als zunächst geplant. Während er die Mahlzeit sorgfältig zubereitete, hatte er Gelegenheit, alles noch einmal zu überdenken. Er lobte das taktische Genie des Schento Jakto Javan, während er die entsprechende Kräutersauce aus exotischen Krautern vom Rande der Galaxis in kleine Schälchen füllte. Jakto Javan hatte zweifelsohne einen außerordentlich geschickten Weg gewählt, als er auf eine Suchexpedition verzichtete, die die Geschwister Rex Cordas aufspüren sollte. Javan war der Ansicht, es sei viel besser, Corda selbst suchen zu lassen. Das würde ihn zwangsläufig zu seinen Geschwistern führen — also zu der Zusammenführung der drei Einheiten, die das Vermächtnis des Wissenschaftlers Walter
Beckett beinhalteten. Ko-Mont lächelte genüßlich, als er die Koltoa-Schnecken aß. Er war der Überzeugung, daß ihm das Essen ausgezeichnet geglückt war. Der Terraner Beckett war äußerst geschickt vorgegangen, als er seine Entdeckung hinterließ. Er verteilte das Wissen auf die drei Gehirne der Cordas. Er pflanzte jedem von ihnen hypnotisch einen Teil ein. Die Laktonen, die den Cordas das Wissen entreißen wollten, mußten feststellen, daß der hypnotische Block stärker war. Sie brauchten alle drei Gehirne, um das gesamte Wissen zu erhalten. Aber war es nötig, deshalb eine kostspielige Expedition zu starten? Jakto Javan hatte einen anderen Weg gewählt. Da die Laktonen das Raumschiff ohnehin überarbeiteten, setzten sie eine kleine Zelle ein, die sie so geschickt unterbrachten, daß die Terraner keine Chance hatten, sie in dem riesigen Schiff zu finden. In diese Zelle setzten sie ihren Agenten Ko-Mont, der nicht nur ein Feinschmecker, sondern auch ein Spitzenkönner seines Fachs als Geheimagent war. Sie versetzten ihn um eine zehntausendstel Sekunde in die Zukunft und hoben ihn damit aus der für Corda geltenden Zeitebene heraus. Folglich war Ko-Mont für Corda nicht zu entdecken. Der Zeitspäher konnte frei und ungehindert arbeiten. Doch seine Arbeit war schwierig. Jakto Javan hatte nur ein Interesse: Das Vermächtnis Walter Becketts zu erhalten. Um dieses Ziel zu erreichen, mußte Corda seine Geschwister finden. Ko-Mont mußte ihn beschützen. Ein toter Rex Corda brachte keinen Nutzen. Aber Corda durfte auch nichts von der Anwesenheit des Zeitspähers an Bord des Schiffes merken. Nun — da war Ko-Mont ganz sicher — es gab wohl keinen Zweifel mehr darüber, daß Corda sehr viel ahnte.
Ko-Mont schob diesen Gedanken schnell zur Seite, da er angetan war, den kulinarischen Genuß etwas zu mindern. Von seinem Platz aus schaltete er zum Holografenschirm in der Zentrale um. Er erkannte Rex Corda, der vor dem Hauptholografen stand. Auf dem Schirm zeichnete sich der sechste Planet des Doppelsonnensystems Gamma Virginis ab. Ko-Mont runzelte die Stirn, während er sich die letzte Schnecke zwischen die Zähne schob, um sie langsam vergehen zu lassen. Er hatte plötzlich ein eigenartiges Gefühl in der Magengegend. Und das kam mit Sicherheit nicht von den Schnecken. Der sechste Planet strahlte etwas Unheimliches aus. Ko-Mont ahnte, daß es diesmal Schwierigkeiten geben würde, die größer waren als alles, was vorhergegangen war. Er versuchte, das den Genuß störende Gefühl mit einem Schluck Tsatat herunterzuspülen, aber diesmal half der Saft der fleischfressenden Pflanze von einem Planeten mit extremer Dichte nichts. Das unangenehme Gefühl blieb. Ko-Mont schaltete den Holografen aus und lehnte sich zurück. Er schob sich ein wenig Kenni in den Mund. Der scharfwürzige, gummiartige Stengel beschleunigte seine Gedanken. Und trotzdem ... * „Yaaar! Yaaar!" gellten die wilden Schreie. Kim und sein Freund Frenko drückten sich ängstlich in die Büsche am Rande der regenfeuchten Straße. Sekunden später raste die Meute bereits heran. Kim erkannte nur wenig in dem zuk-
kenden, unsteten Licht der lodernden Stadt. Auf den Houms, den Kugelkolossen, die die Morghs als Reittiere benutzten, hockten dürre, abenteuerliche Gestalten. Sie trugen weite Hüte mit wehenden Federbüschen. Der Stoff auf ihren Schultern blähte sich ballonförmig aus. Doch der herabklatschende Regen drückte die Wölbungen immer wieder ein, so daß man darunter die hageren Gestalten erkennen konnte. „Sie kommen aus dem Süden!" rief Frenko aufgeregt. „Sie dürfen uns nicht erwischen, sonst sind wir verloren!" Er richtete sich vorsichtig auf und zog seinen Freund, der von den Sternen gekommen war, tiefer in die Büsche. Es war Yolander, dessen Fruchtbälle krachend platzten, wenn die Jungen sie berührten. Dünne Fruchtpfeile schossen mehrere Meter in die Luft, wobei sie flauschige Wolle aus sich herauspreßten. Bei trockenem Wetter hätte der Wind die Pollen weit über das Land getragen. Jetzt schmetterte der Regen sie wieder in die Büsche zurück. Frenko achtete sorfältig darauf, daß sein Freund Kim nicht zu nahe an die Büsche kam. Es war außerordentlich schmerzhaft, wenn die Pfeile unter die Haut stachen. Das Stampfen und Trommeln der harten Hufe der Houms wurde immer lauter. Es mußte ein Riesentrupp sein, der über die Straße nach Westen jagte. Frenko und Kim erreichten eine kleine Lichtung. Endlich hörte es auf zu regnen. Der schwere Duft der fremdartigen Pflanzen wehte zu ihnen heran. Jetzt erhob sich Somd, die erste der beiden Sonnen des Systems. Die ersten roten Strahlen schossen in langen Bahnen durch das Land. Es wurde sehr schnell hell. „Wohin wollen die Männer, Frenko?" Der Morgh sah ihn traurig an. Seine großen Augen schlossen sich. Gestenreich versuchte er Kim klarzumachen, daß er seine Worte nicht verstanden
hatte. Kim deutete auf die Straße, von der jetzt nur noch vereinzelt die Laute kamen, die von der Wildheit der Männer berichteten. Frenko begann jetzt, Grashalme, die er ausrupfte, vorsichtig gegeneinander zu verlegen. Er zeichnete ein einfaches Muster, das Kim die allgemeine Richtung anzeigte, in die die Männer zogen. Es schien gar nichts Besonderes für Frenko zu sein, daß die Männer vorbeizogen. Frenko schien sich auch nicht sehr darüber aufzuregen, daß seine Heimatstadt abbrannte. Er hatte einen seltsamen Glanz in den grünen Augen, wenn er von der Richtung sprach, in die die Männer zogen. Jetzt erst fiel Kim auf, daß auch die meisten Flüchtlinge aus der Stadt diese Richtung eingeschlagen hatten. Er sprang auf. Er brauchte Frenko nichts zu sagen. Er verstand sich auch ohne viele Worte mit ihm. Er wollte seine Schwester finden. Noch hatte er eine Chance. Noch mußte sie in der Nähe sein. In einer Woche sah vielleicht alles anders aus. Die beiden Jungen eilten weiter. Der Morgh lief immer vor dem Terraner her. Sie hielten sich an den Verlauf der Straße und kämpften sich so langsam an die brennende Stadt heran. Kim, der sich erstaunlich frisch fühlte, achtete kaum auf die vielen fremdartigen Eindrücke dieser Welt, die so außerordentlich weit von der Erde entfernt war. Zu zahlreich war das Ungewöhnliche. Die Vielzahl der Eindrücke zwang Kim, sich auf weniges zu konzentrieren. Er wählte die Suche nach seiner Schwester und drängte alles zur Seite, was ihm jetzt als nicht so wichtig erschien. Nach zwei Stunden erreichten sie den Stadtrand. Der große Regen war vorüber. Der Brand hatte sich ausgetobt.
Nur noch kleine Flammen tanzten über der vernichteten Stadt. Langsam drangen sie in die glutheißen Trümmer vor. Ihre feuchten Kleider trockneten schnell. Frenko erwies sich als außerordentlich geschickt. Er machte die besten Wege aus, auf denen die Hitze am erträglichsten war, und wählte dabei doch den schnellsten Weg zum Palast des Tann. Als sie sich ihm bis auf wenige hundert Meter genähert hatten, warf sich der Morgh-Junge plötzlich zu Boden. Er riß Kim mit sich. Kim robbte sich nach vorn, um besser sehen zu können, was Frenko so erschreckt hatte. Kim hatte keine Angst. Sein sommersprossiges Gesicht glühte vor Eifer. Überrascht riß er die Augen auf, als er das Mädchen sah. Es war selbst für eine Morgh nach seinen Begriffen schön. Es hatte tiefschwarzes Haar und ein ebenmäßiges, schmales Gesicht. Es war keineswegs hager und dürr wie fast alle MorghMädchen. Es machte einen frischen Eindruck. Lange wallende Kleider hüllten das Mädchen ein. Es sprach mit einem Morgh, der sich seltsam benahm. Kim beobachtete diesen Mann mit verwunderte Miene. Er kicherte ein wenig, weil ihm die ängstlichen Gebärden des Mannes übertrieben vorkamen. Der Morgh hockte auf dem Boden und preßte die dürren Hände vor das Gesicht. Er sah nicht auf zu dem Mädchen, das vor ihm stand und zu ihm sprach. Nur ab und zu rief er etwas. Das Mädchen strich sich mit dem Handrücken über die von Schweiß feuchte Stirn. Kim erschrak. Er sah etwas, was er bisher an noch keinem Mädchen auf Morgh bemerkt hatte. Das Mädchen hatte vier kleine
Höcker auf der Stirn. Sie sahen aus wie verkümmerte Hörner. Frenko biß sich die Lippen blutig. Kim schüttelte den Kopf. Behutsam faßte er nach dem Arm des Freundes. Frenko erschrak so sehr, daß er laut aufschrie. Das Mädchen mit den Hörnern auf der Stirn wirbelte herum. Die bunten Kleider flogen wie tanzende Schleier. Kim erschauerte unter dem kalten Blick aus den Augen des Mädchens. Plötzlich erhob sie sich in die Luft. Unter den wirbelnden Röcken sah Kim die zierlichen Füße. Das Mädchen schwebte in etwa einem Meter Höhe auf die beiden Jungen zu. Frenko preßte voller Furcht sein Gesicht auf den aschebedeckten Boden. * Velda gab den sinnlosen Widerstand auf, als sie merkte, daß die Laktonen die Houms in Richtung auf das abgestürzte Wrack trieben. Die Reittiere der Morghs rannten mit sehr großer Geschwindigkeit über das ebene Land. Als die Sonne sich am nächsten Morgen über den Horizont schob, konnte Velda das zerrissene Wrack des abgestürzten Raumriesen bereits erkennen. Sie sah aber auch, daß zahlreiche Lagerfeuer bei dem Wrack brannten. Sofort schwenkten die Laktonen ab. Sie ritten auf ein nahes Gehölz zu, in dem Velda blau blühende Büsche erkannte. „Nein! Nein!" rief sie. „Nicht dorthin! Der Tann hat mich ausdrücklich vor diesen Büschen gewarnt!" Der Laktone knurrte etwas, das sie nicht verstand. Sie kämpfte wieder mit ihm. „So hören Sie doch! Die blauen Büsche bringen uns um!" Jetzt endlich verlangsamte sich der
rasende Lauf des Houms. Der Laktone gab seinen Begleitern ein Zeichen. Die Gruppe schwenkte noch stärker ab. Ein Hohlweg öffnete sich vor ihnen. Sie stürmten hinein. Je weiter sie in den Weg eindrangen, desto mehr öffnete er sich zu einem kleinen Tal, in dessen Mittelpunkt ein dunkler See schimmerte. Die Houms stampften lautlos durch das türkis erscheinende Gras zu dem See hinunter. Ihre Schritte verlangsamten sich mehr und mehr. Zwanzig Meter vor dem See blieben die zottigen Kugeln stehen. Einige Laktonen fluchten. Einige sprangen ab, vertraten sich die Beine und gingen zu Fuß an den See heran. Velda fühlte etwas Unheimliches, das auf sie zukroch. Sie wollte die Laktonen warnen, doch da griff es schon nach ihr. Sie lachte leise. Der Laktone sah sie verwundert an. Doch seine Überraschung hielt nur wenige Augenblicke an, dann schwang er sich von dem Houm und ging zu dem See hinunter. Velda ließ sich ins Gras fallen. Sie wälzte sich hin und her. Sie war zufrieden — und müde. Die Augen fielen ihr zu. Sie sah nicht mehr, daß der Laktone, auf dessen Houm sie geritten war, plötzlich taumelnd stehenblieb. Er rieb sich die Stirn. Ein lautloses Lachen erschütterte seine Schultern. Er setzte sich auf seine Hacken. Er begann mit spitzen Lippen zu pfeifen. Ein Offizier, der weiter hinten am Hohlweg stand, bellte einen scharfen Befehl. Doch niemand befolgte ihn. Einer der Laktonen nach dem anderen sank ins Gras. Einer nach dem anderen schlief ein. Schließlich auch der Offizier, der es trotz größter Willensanstrengung nicht schaffte, sich aus dem Tal zurückzuziehen. Der „See" erhob sich. Seine Ober-
fläche zeigte plötzlich kleine Blasen, die sich eifrig hin und her bewegten. Sie wölbte sich, schob sich höher und höher. Ein Wesen, das aussah wie ein blaugrauer, flacher Pilz kroch langsam durch das Gras auf den Laktonen zu, der dem „See" am nächsten gewesen war. Zunächst waren nur zahlreiche Füße im Zentrum der Unterseite des Tieres zu sehen, jetzt aber schossen weitere Füße an den Rändern dessen, was eben noch wie die Oberfläche eines kleinen Sees ausgesehen hatte, heraus. Schneller und schneller bewegte sich das Tier. Es erreichte den ersten Laktonen, kroch über ihn hinweg und ließ sich fallen. Die wie Wasser schimmernde Oberfläche wölbte sich noch stärker. Als das seltsame Wesen sich nach einigen Minuten wieder auf die dünnen Beine erhob, war von dem Laktonen nur noch die Kleidung zu finden, die im Gras zurückblieb. Das gefräßige Tier schob sich sanft schaukelnd auf die schlafende Velda Corda zu. Es waren nur wenige Meter, die der Mörder zurückzulegen hatte. Das war schnell geschafft! * Muru hatte das Gefühl, plötzlich im Eis zu stehen. Deutlich spürte sie die parapsychischen Ströme, die von dem männlichen Wesen kamen. Sie taumelte unter der Wucht der Erkenntnis, daß das männliche Wesen ihrem Angriff entkommen war. Obwohl sie das Fahrzeug, in dem er sich aufgehalten hatte, mit mehreren Blitzen zertrümmerte, lebte er noch. Sie achtete nicht mehr auf den Morgh, der wie von Sinnen über den Platz raste, um aus ihrer Nähe zu fliehen. Sie sah nur dieses blasse Gesicht des Fremdlings. Sie wußte sofort, daß er nicht von Morgh war.
Noch nie war ein Wesen wie dieses auf Morgh gewesen. Sie schwang sich hoch und näherte sich ihm schwebend. Sie war fest davon überzeugt, daß er vor Schreck starr sein würde, wenn sie sich so zeigte. Doch zu ihrem Entsetzen mußte sie feststellen, daß der Junge lachte. Er packte den Morgh, der neben ihm kauerte, im Genick und drückte dessen Gesicht fest in die heiße Asche. Er schrie etwas, das Muru nicht verstand. Fieberhaft tastete sie nach dem Super-Ego, aus dem sie Kraft schöpfen konnte. Die Konzentration lenkte sie ein wenig ab, während sie sich auf den Jungen stürzte, der in ihren Augen ein Monster war, da er über Fähigkeiten verfügte, die sonst den Frauen dieser Welt vorbehalten waren. Er hatte das Talent, mit dem Super-Ego Kontakt aufzunehmen. Muru griff in ihren Ärmel. Sie zog das lange Opfermesser. Jetzt war sie fest entschlossen, den Jungen zu töten. Es mußte sein, wenn sie verhindern wollte, daß das heilige Privileg gebrochen wurde. Dem SuperEgo durften nur Frauen angehören. „Verdammte Hexe!" schrie der schwarzhaarige Junge. Er sprang auf die Füße. Nun doch einigermaßen erregt, sah er dem Mädchen entgegen, in dessen zarter Hand der Dolch blinkte. Frenko sah schreckensbleich auf die Gehörnte. Er schrie, als er das Messer sah. Kim kämpfte das Verlangen, sich umzudrehen und zu fliehen, mannhaft nieder. Er wußte, daß er dann verloren war. Die Schwebende würde sich von hinten auf ihn werfen und ihm den Dolch in den Leib stoßen. Kim ging der Morgh-Sirene entschlossen entgegen. Sie war nur noch fünf Meter von ihm entfernt, als er den Stein entdeckte, der zwischen ihnen lag. Er rannte los. Mit einem geschickten
Hechtsprung stürzte er sich auf den Stein. Er packte ihn, warf sich noch auf dem Boden liegend herum und schleuderte den Stein mit aller Kraft nach dem Mädchen. Die Morgh-Sirene wollte sich gerade in diesem Augenblick über ihn werfen, um ihm den Dolch zu geben. Der Stein traf sie voll an der Stirn. Sie schrie auf und warf die Arme nach oben. Ihre Knie knickten ein. Sie schwebte noch immer in einem halben Meter Höhe. Jetzt fiel sie herunter. Sie schlug mit dem Hinterkopf auf den Boden. Und das betäubte sie endgültig. Sie blieb still liegen. Frenko wimmerte furchtsam. „Komm, wir verschwinden!" zischte Kim. Er zog seinen Freund hoch. Doch dann fiel ihm etwas ein. Er lief zu dem bewußtlosen Mädchen, faßte ihre Füße und sah sie sich an. Er lächelte zufrieden, als er die kleinen Metallscheiben sah. Er hatte etwas blinken sehen. Und jetzt sah er seine Vermutung bestätigt. Die Scheiben waren so groß wie der Handteller eines erwachsenen Mannes. Kleine Klammern drückten sie an die Füße des Mädchens. Kim zog die Scheiben ab und drückte sie sich selbst unter die Sohlen. Frenko schrie entsetzt auf, als sein Freund sich in die Luft erhob. Kim jubelte. Er stieg bis in drei Meter Höhe empor. Dort verlor er fast das Gleichgewicht. Er ruderte heftig mit den Armen, um nicht von den tragenden Sohlen herabzufallen. Doch er hielt sich noch. Frenko starrte wie benommen auf den Freund, der über ihn hinwegflog. Jetzt landete Kim sanft neben ihm. Begeistert schlug er seinem auf Morgh geborenen Freund auf die Schulter. „Mensch, Frenko! Das ist ein Spaß! Komm!"
* Er umklammerte ihn. Er erwartete einfach, daß die Sohlen ihn jetzt hochheben sollten. Sie taten es. Kims Geist tastete nach dem SuperEgo. Er bekam unmittelbaren Kontakt. Die Kraft übertrug sich auf die Sohlen — und er flog. Er hatte keine Vorstellung davon, woher die Sohlen ihre Kraft bezogen. Er hatte nur ein Spielzeug gefunden. Frenko klammerte sich wie ein Ertrinkender an seinen Freund. Seine sonst dunkelrote Haut verfärbte sich ungemein stark. Frenko nahm eine fast hellrote Farbe an. Seine intensiv grünen Augen quollen weit aus den Höhlen. Er würgte und stammelte. „Da — paß auf!" schrie Kim begeistert. Er zeigte auf das Mädchen, das aus der Ohnmacht erwachte. Die Gehörnte sprang plötzlich auf. Sie stampfte mit den Füßen auf den Boden. Völlig benommen starrte sie auf die beiden Jungen, die in drei Meter Höhe über ihr schwebten und sich langsam von ihr entfernten. Sie streckte die Arme nach ihnen aus. Aber sosehr sie sich auch konzentrierte, sie konnte sich nicht vom Boden erheben. Die aufsteigende Hitze aus den Trümmern der Stadt vertrieb die zarten Nebelschleier, die sonst unter den Sohlen wehten. Kim hatte jetzt nur einen Wunsch. Er wollte sich so schnell wie möglich den Palast ansehen. Ungemein schnell trieb er auf das abgebrannte Gebäude zu. Die Morgh-Sirene folgte ihm mit tiefdunklem Gesicht und vor Haß flammenden Augen. Frenko wimmerte angstvoll. Er wußte genau, daß die Sirene sich grausam rächen würde. Kim Corda beachtete das Mädchen
gar nicht. Er sah nicht einmal hin, als sie versuchte, ihn mit Steinen zu treffen. Er wünschte sich in etwas größere Höhe — und stieg an. In aller Ruhe durchsuchte er die Trümmer des Palastes aus sicherer Höhe. Schließlich war er ganz sicher, daß seine Schwester nicht mehr dort war. Er winkte der Morgh-Sirene spöttisch zu und glitt über die Trümmer davon. Er flog so schnell, daß das Mädchen ihm nicht folgen konnte. Frenko stöhnte. Er wies auf die dunkle Wolkenfront, die sich rasend schnell näherte. An der Oberseite der Wolken glänzten gelbe Streifen. Kim lachte sorglos. Er fürchtete sich nicht vor dem Sturm. Doch dann raste das Unwetter heran. Es packte die beiden Jungen mitten in der Luft und schleuderte sie mit urweltlicher Gewalt über die Stadt hinweg. Wie aus unendlicher Ferne hörte Kim das schrille Triumphgeschrei der Sirene, die durch die Trümmer rannte. Frenko benahm sich, als ob ihn der Verstand verlassen habe. Von Minute zu Minute wurde es schwieriger für Kim, das Gleichgewicht zu halten. * Das Super-Ego umlagerte den strahlenden Stein, der sich über den kostbaren Tüchern hob. Die Kraft floß unaufhörlich vom Stein in die Sinne des Super-Egos. Die Sinne formten sie für ihre Zwecke um und verschenkten sie an die Dienerinnen, die jetzt die ganze Welt durcheilten. Die Null-Periode näherte sich. Die vierundzwanzig Sirenen, die das Super-Ego bildeten, betrachteten die Entwicklung voller Sorge. Diesmal kostete es besonders viel Kraft, die Scharen zum Tempel zu rufen. Das SuperEgo erfuhr von seinen Dienerinnen,
ohne daß diese es wußten, was auf dem Planeten geschah. Es gab kein so vollkommenes Kommunikationssystem in der Technik. Doch alles schwächte sich ab. Der große Kristall, der im Zentrum des dunklen Tempels lagerte, verlor an Glanz. Es war zu früh. Es würde noch zu lange dauern, bis so viele Morghs im Tal versammelt waren, daß der Energieausgleich ausreichende Formen annahm. Das Super-Ego wußte, daß es mit den zahlreichen ungewöhnlichen Dingen zusammenhing, die über den Planeten hereingekommen waren. Zu Anfang hatte das Ding, das von den Sternen kam, die Sirenen von Morgh mit heißem Jubel erfüllt. Sie erhofften sich einen zweiten Kristall, der ihre Macht verdoppeln würde. Doch es gab keinen Kristall im Innern des Metallgebildes, das — in rötliche Glut getaucht — auf Morgh herabstürzte. Dafür gab es zahlreiche Männer, die über mehr Wissen verfügten, als das Super-Ego für vorteilhaft hielt. Doch es konnte nicht verhindern, daß die Tann sich der Männer bemächtigten, um von ihnen die Geheimnisse der Technik zu erfahren. Es störte das Super-Ego ungemein in seiner Konzentration, daß es nicht wußte, ob es gelungen war, das technische Wissen zu vergrößern. Die Unsicherheit erhöhte den Energieverbrauch. Die Krise vertiefte sich. Und dann kam jener Zwischenfall mit Muru. Er löste gelindes Entsetzen beim Super-Ego aus, da dieses Ereignis die Grundfesten der gesellschaftlichen Ordnung zerstören mußte. Die Sirenen von Morgh gerieten in heißen Zorn, als sie feststellen mußten, daß jenes männliche Wesen dem Kristall Kraft entzog. Sie konnten es
nicht verhindern. Sie durften das SuperEgo nicht lösen, um die zahllosen Sirenen nicht zu entmachten. Sie mußten es dulden, daß das männliche Wesen die Macht der Sirenen benutzte, um sie zu verhöhnen. Es gab keine Diskussion im SuperEgo. Das war nicht nötig. Man einigte sich ohne ein Wort. Kim mußte sterben. * Die Horde raste mit wildem Geschrei durch die Hohlgasse heran. Die Männer des Tann trieben die Houms zu höchster Eile an. An der Spitze ritt der Morgh, der von Kim und Velda den Namen Smoke erhalten hatte. Er war der Herrscher über die kleine Stadt. Seine Krieger rissen die langen, schweren Büchsen an die Schulter. Dumpfer Donner rollte durch das kleine Tal, als sie auf das Tier feuerten, das sich gierig auf Velda Corda zuschob. Die schwerkalibrigen Kugeln klatschten in den weichen Leib des Ungeheuers, das aussah wie ein harmloser kleiner Tümpel, wenn es sich auf den Boden legte. Das Tier warf sich herum. Plötzlich entwickelte es eine erstaunliche Geschwindigkeit. Die kleinen Beine trommelten über den weichen Boden. Immer wieder feuerten die Krieger, die sich feuchte Tücher vor den Mund preßten, um sich vor den gefährlichen Ausdünstungen des Mörders zu schützen. Obwohl die großen Bleikugeln ununterbrochen in den Leib des Monsters klatschten, war diesem die Verletzung nicht anzumerken. Es brach krachend in die dichten Büsche am Rande des Tales ein und verschwand. Der Tann zügelte sein Houm. Die mächtige Kugel blieb stehen. Das dreibeinige Tier kratzte sich mit einem Bein
an der Vorderseite und schnaubte dunkel. Der Tann sprang herab, indem er beide Beine zur gleichen Seite hinüberlegte und sich herabrutschen ließ. Mit langen Schritten begab er sich zu Velda hinüber und nahm sie auf. Doch jetzt kam das Mädchen schon wieder zu sich. Es schlug die Augen auf, lächelte und befreite sich sanft. Die Laktonen erwachten aus ihrer Ohnmacht. Sie warfen verwirrte Blicke auf die Stelle, an der vorher das gewesen war, was sie für einen See gehalten hatten. Dann bemerkten sie die Kleider des Laktonen, der dem Mörder zum Opfer gefallen war. Unruhig liefen sie hinüber, betasteten die Kleider und warfen mißtrauische Blicke auf den Tann. Ihre Hände schoben sich zu den Hüften — doch dort hingen keine Waffen mehr! Die Strahler waren in den Reittaschen der Morgns verschwunden. Der Tann zeigte auf den Hohlweg. Velda nickte. Das Reittier des Tann ließ sich auf den Boden sinken. Velda packte das zottige Fell und zog sich in den Sattel. Langsam setzte sich das Tier in Bewegung. Der Tann ließ sich ein Houm von einem seiner Krieger geben. Die Laktonen sahen sich vergeblich nach ihren Reittieren um. Sie waren verschwunden. Der Tann bellte einige Befehle. Die Morghs trieben die Laktonen zusammen, obwohl sie heftig gegen diese Behandlung protestierten. Die Morghs kümmerten sich nicht darum. Sie sorgten dafür, daß die Laktonen eng beisammen blieben und dem Tann gemeinsam folgten. Schon bald stand fest, daß der Tann sie zu dem Wrackteil des abgestürzten Lakton-Kreuzers führen wollte. Velda konnte die Zelte sehen, an denen die Soldaten und die Flüchtlinge aus der abgebrannten Stadt lagerten. Wie
üblich, wenn sie sich sehen ließen, gaben die Laktonen und das Mädchen den Morghs Anlaß zu hitzigen Diskussionen. Die Flüchtlinge strömten am Zelt des Tann zusammen, um die Besucher von den Sternen neugierig anzustarren. Velda bemerkte, daß es überall an und in dem Wrack von Morghs wimmelte. Das Teilstück war dreihundert Meter lang und hatte einen Durchmesser von fast einhundert Metern. In dem gewaltigen MetallplastKoloß gab es unzählige Dinge für die Morghs, die für diese von nahezu unersetzlichem Wert waren, während die Laktonen gleichgültig über sie hinwegsahen. Jetzt jedoch begann die laktonische Mannschaft heftig gegen die Plünderung zu protestieren. Doch niemand verstand sie. Die Sprachschwierigkeiten waren noch zu groß. Velda, die sich wirklich bemüht hatte, etwas von der äußerst schwierigen Sprache der Morghs zu lernen, kannte erst ein paar Wörter. Das reichte jedoch längst nicht aus, um dem Tann zu erklären, was die Laktonen verlangten, zumal Velda auch die Laktonen kaum verstand. Schließlich stürzte sich einer der Laktonen in das Wrack. Er kam nach einer vollen Stunde mit einem Raumanzug wieder. Mit vor Zorn bebenden Händen baute er ein kleines Gerät daraus aus. Velda erkannte einen der automatischen Dolmetscher wieder, die die Laktonen hin und wieder benutzten. Sie bemerkte, daß der Laktone das Gerät die ganze Zeit über eingeschaltet hatte. Es nahm alles auf, was in seiner Nähe gesprochen wurde. Schließlich drückte der Laktone einen kleinen Knopf an der Seite. Ein Lämpchen, das bisher gelb geleuchtet hatte, wechselte seine Farbe in ein sanftes Blau über. „Ich verlange, daß deine Leute aus dem Wrack verschwinden!" schrie der
Laktone wütend. Das Gerät übersetzte blechern. Der Tann zeigte ein höchst verblüfftes Gesicht. Er trank von einem grünlichen Saft und verschluckte sich jetzt. Er hustete ausgiebig und verlangte dann zu wissen, um was für eine Erfindung es sich bei dem Gerät handelte. Der Laktone wiederholte seine Worte. Da beugte sich der Tann blitzschnell vor und riß ihm den automatischen Dolmetscher aus den Händen. Er schrie seinen Kriegern etwas zu. Die Morghs fielen in hellen Scharen über die Laktonen her. Die Schiffbrüchigen wehrten sich verzweifelt, aber gegen diese Übermacht waren sie völlig hilflos. Die Masse der Leiber erdrückte sie förmlich. Als sich das dichte Knäuel aus Menschenleibern löste, blieben die Laktonen auf dem Boden liegen — mit festen Stricken gefesselt. Der Tann schrie einige Befehle. Die Morghs nahmen die Gefesselten auf und trugen sie weg. Velda konnte nicht erkennen, wohin sie geführt wurden. Der Tann wandte ihr seine Aufmerksamkeit zu. Er lächelte und sagte einige Worte. Velda verstand sie nicht. Sie wollte antworten, doch in diesem Augenblick zeichnete sich größte Bestürzung auf dem Gesicht des Tann ab. Sein Blick glitt über sie hinweg. Velda fuhr herum. Über die Berge kam eine Schar von kriegerisch gekleideten Männern heran. Sie fuhren auf Zweirädern. Velda hörte das typische Krachen und Donnern der einfachen Motoren. Die Gruppe kam direkt aus der Sonne. Somd stand bereits tief über dem Horizont. Jetzt zog Pay herauf, um den Tag zu verdoppeln. Velda hatte sich an diesen Rhythmus bereits gewöhnt, seit sie auf Morgh war. Hier hatte der Tag
einundzwanzig Stunden und die Nacht fünf. Aber auch dann war es nicht wirklich dunkel, jedenfalls nicht so dunkel, wie es auf der fernen Erde sein konnte. Im Gesicht des Tann zeigte sich tiefe Sorge ab. Immer lauter wurde das Krachen der Motorräder, die in rascher Fahrt näher kamen. Jetzt konnte Velda schon sehen, daß die Männer ihre Gewehre quer vor sich über die Beine gelegt hatten. In den höher gelegenen Abteilungen des Wracks erhob sich wütendes Geschrei. Hier und dort krachten Gewehre. Der Tann unternahm nichts, um den Lärm zu unterbinden. Er gab Velda einen befehlenden Wink, sich in das Zelt zurückzuziehen. Sie beeilte sich nicht übermäßig. Die Ereignisse interessierten sie viel zu sehr. Ihr fiel auf, daß auch dieser Trupp aus den südlichen Regionen kam und nach Norden zog. Es war nicht das erste Mal, daß sie eine solche Bewegung beobachtete. Schon dreimal zogen ähnliche Gruppen an der Stadt des Tann vorbei. Sie alle wählten die Straßen nach Norden. Was gab es im Norden, das die Massen anzog? Plötzlich fühlte sie einen scharfen Stich im Kopf, als ob sich ihr eine spitze Nadel mit plötzlicher Gewalt ins Hirn grub. Sie blieb erschreckt stehen und griff nach ihrem Kopf. Langsam drehte sie sich um. Und da sah sie, daß sich ein Mädchen aus der Deckung der Motorradfahrer erhob. Von dem unbestimmten Gefühl einer Gefahr getrieben, versteckte Velda sich hinter dem Zelt des Tann, aber sie beobachtete weiter, was geschah. Das Mädchen schien zu wachsen. Jetzt hoben sich ihre Hüften über die Köpfe der Männer hinweg! Velda preßte die Hände an die Schläfen. Die Schmerzen wurden immer heftiger. Sie
fühlte, daß von diesem dunkelhäutigen Mädchen etwas ausging, das auch sie beeinflußte. Es war, als ob es eine bestimmte Kraft gäbe, die sie verbinde. Velda war jedoch nicht glücklich über dieses Spannungsverhältnis. Im Gegenteil — es beunruhigte sie. Jetzt erhob sich das Mädchen vollends über die Köpfe der Ankömmlinge. Es schwebte frei in der Luft. Es lächelte, und ihre großen grünen Augen schienen jeden Winkel des Lagers zu erfassen. Velda fiel auf, daß die Morghs ungewöhnlich still geworden waren. Selbst der Tann wirkte plötzlich klein und unscheinbar. Doch das schwebende Mädchen hatte für niemanden ein Auge. Es glitt direkt auf das Zelt des Tann zu. Velda wußte sich entdeckt. Die Blicke aus den grünen Augen galten nur ihr. Sie erschrak. Ihre Hände tasteten nach einer Waffe. Sie hatte keine. Sie fühlte die Feindschaft, die von diesem Mädchen ausging. Die Schwebende lächelte, aber es waren nur die Lippen, die Freundlichkeit behaupteten. Die Augen waren kalt wie gefrorene Steine. Langsam senkte sich das schwebende Mädchen herab. Zwei Meter vor Velda setzte es die zierlichen Füße auf den Boden. Jetzt entdeckte Velda die vier kleinen Höcker auf der Stirn des Mädchens. Die Fremde streckte die Hand aus. * Die „Walter Beckett", das Flaggschiff der kleinen terranischen Flotte, schwenkte in eine Kreisbahn um den sechsten Planeten der Doppelsonnen Gamma Virginis ein. Die beiden Laktonen Percip und Bekoval lenkten das Schiff, das einst in die Reihen der orathonischen Flotten gehört
hatte. Die beiden Laktonen kannten sich ausgezeichnet mit diesem Schiffstyp aus. Um ihnen die Arbeit zu erleichtern, hatten die laktonischen Spezialisten, die das Schiff überholten, alle Aufschriften entfernt und sie durch neue ersetzt, die in laktonisch und englisch gehalten waren. Rex Corda und John Haick standen hinter den beiden Laktonen. Sie beobachteten den großen Holografen, der ein wirklichkeitsgetreues Bild der Außenwelt übermittelte. In aller Deutlichkeit zeichnete sich der erdähnliche Planet unter ihnen ab. Der sechste Planet teilte sich in zwölf Kontinente etwa der gleichen Größe auf. wobei die kontinentale Hauptmasse auf der nördlichen Halbkugel lag. Wie die einlaufenden Meßergebnisse mitteilten, war die Atmosphäre des Planeten ebenfalls erdähnlich. Sie konnten sich auf dem Planeten frei bewegen, sie benötigten keine Raumanzüge. Die Schwerkraft war geringfügig höher als auf der Erde. „Ein außerordentlich günstiger Planet, wenn hier der zweite Teil des Schiffes abgestürzt sein sollte!" versetzte Percip ruhig. „Unsere Freunde hätten gute Chancen, hier ohne große Mühe zu überleben. Ich glaube, sie hätten es leichter als auf Rakna!" „Mag sein!" antwortete Corda kurz. Er wurde das ausgeprägte Gefühl des Unbehagens nicht los. das ihn befallen hatte, als sie sich diesem Planeten näherten. „Energie-Ortung läuft!" meldete ein Laktone, der die Tasterstation leitete. „Keine hochentwickelte Technik. Bewohnter Planet. Geringfügige radioaktive Strahlung." Rex Corda staunte. Er stellte sich vor, wie sich die riesige laktonische Flotte der Erde genähert hatte. Während des Anfluges mochten ähnliche Daten bei den Raumschiffen angelaufen sein, ähn-
liche Kommentare waren abgegeben worden. Wie hatten die Laktonen sich über die Erde geäußert? Keine hochentwickelte Technik? „Landung wird nach bisherigen Ergebnissen als gefahrlos angesehen. Keine gefährlichen Abwehrreaktionen zu befürchten!" Percip und Bekoval sprachen leise miteinander. Der Planet wanderte langsam unter ihnen weg. Corda konnte unzählige Einzelheiten erkennen. Die Atmosphäre war erstaunlich klar. „Ortung! Ortung!" kam die kühle Stimme aus der Tasterstation. Das Bild auf dem Holografen schwenkte herum. Gleichzeitig wuchs es sehr stark an. Corda konnte die blitzenden Metallteile eines riesigen Wracks erkennen. „Nähere Angaben bitte", murmelte Percip. „Ist es das gesuchte Schiff?" Es dauerte einige Minuten. Dann meldete sich die unbeteiligte Stimme wieder: „Bei dem georteten Objekt handelt es sich nicht um das gesuchte Wrack. Das Objekt weist ein zu hohes Alter auf. Die Schiffshülle besteht aus einer noch unbekannten Legierung. Abmessungen weichen vom gesuchten Schiffstyp ab!" Verblüfft sahen sich die Männer auf der Station an. Sollte ein zweites Raumschiff auf diesem Planeten gestrandet sein? Rex Corda biß sich auf die Lippen. Das Unbehagen vertiefte sich. Er wurde das Gefühl der heraufziehenden Gefahr nicht los, so sehr er sich auch dagegen sträubte. Etwas Feindseliges ging von diesem Planeten aus. Er fühlte es. „Das Wrack strahlt geringfügige Radioaktivität ab", kam die Stimme aus der Taster-Station abermals. Jetzt vibrierte sie jedoch vor Erregung. „Im Schiffinnern besteht ein außerordentlich hohes Energiepotential!"
Bekoval beugte sich vor. „Wie alt ist das Wrack?" „Genaue Daten liegen noch nicht vor!" „Geben Sie eine Schätzung!" bellte der Laktone erregt. „Wir schätzen das Alter des Wracks auf mehrere tausend Jahre." * Als die Glut in dem aufkommenden Sturm hell aufflammte, beruhigte die Sirene die aufgeregten Luftmassen sofort wieder. Kim steuerte die tragenden Sohlen entschlossen über einen langgestreckten Gebäudekomplex hinweg, der immer noch rot glühte. Dahinter zog sich eine schmale Straße entlang. Der Junge ließ sich auf die Straße herabsinken, gab Frenko frei und riß sich die Metallsohlen von den Füßen. „Komm, Frenko!" schrie er. „Schnell!" Soviel verstand der Junge. Er rannte an der Seite Kims die Straße entlang. Die Sirene, die ihre Sohlen eingebüßt hatte, konnte die brennenden Trümmer nicht überfliegen. Sie mußte sich mühsam einen Weg suchen. Es war erstaunlich, was der Junge leistete. Kim Corda hatte keine Vorstellung von den Zusammenhängen. Er handelte eigentlich ohne Überlegung, nur seinem Gefühl folgend. Und er handelte richtig. Immer deutlicher wurde die Spannung, die auf dieser Welt herrschte, für ihn spürbar. Zunächst war er sich nicht darüber klar gewesen, was sie eigentlich bedeutete. Er hatte auch nicht darüber nachgedacht. Zu bunt und zu abwechslungsreich war das Leben auf diesem Planeten. Aber jetzt änderte sich alles doch etwas, da er sich von diesem seltsamen Wesen verfolgt wußte, das vier kleine Höcker auf der Stirn trug. Es waren
Hörner, die kaum anderthalb Zentimeter hoch waren und so dick wie der Finger eines Erwachsenen. Kim Corda hatte so etwas nie bei anderen Frauen der Morghs beobachtet. Allein das Aussehen hob das Mädchen deshalb schon aus der Masse der anderen heraus. Kim Corda überlegte, während er an der Seite seines Freundes die Straße entlanglief. Dafür paßte Frenko auf. Immer wieder warf er seinem gleichaltrigen Freund bewundernde Blicke zu. Jetzt war er über den ersten Schreck hinweg. Er merkte, daß die Sirene ihnen doch nicht so folgen konnte, wie er zu Anfang befürchtet hatte. Er merkte, daß die Sirene hilflos wie alle Mädchen — die er kannte — wurde, wenn sie die tragenden Sohlen nicht hatte. Der Zauber der Sirenen versank. Frenko kicherte. Er schlug seinem Freund auf die Schulter. Kim Corda grinste zurück. Aber sein Lachen war nicht so unbefangen wie das Frenkos. Kim fühlte die heranrückende Gefahr körperlich. Er war überrascht und bestürzt darüber, daß er genau wußte, wo das Mädchen sich befand, dem er die Sohlen abgenommen hatte. Irgendein Gefühl in seinem Kopf, das nicht schmerzte, aber auch nicht angenehm war, sagte ihm, wo die Gehörnte war. Es war eine gewisse Spannung vorhanden. Der Druck zeigte ihm die Richtung an, in der das Mädchen sich bewegte. Doch das war es nicht, was ihn am heftigsten erregte. Es gab noch zwei andere Spannungspunkte. Einer davon war nördlich — er mußte dort sein, wohin die Scharen zogen, die die Stadt passiert hatten. Der andere Spannungspunkt war westlich davon. Von ihm ging eine gewisse Beruhigung aus. Frenko stieß einen schrillen Schrei aus. Er stürzte sich jubelnd nach vorn, warf sich lang auf den Bauch und langte
mit den Armen unter die Eisenplatte eines Wasserabflusses am Rande der Straße. Kim Corda hörte ein lautes Bellen. Er lachte. Frenko zerrte einen faustgroßen, knallroten Frosch aus dem Silo hervor. Er preßte das Tier fest an seine Wange. „Lom-to!" lachte er. „Lom-to!" „Komm! Weiter!" rief Kim erregt. Er fühlte, daß das Mädchen sich ihnen plötzlich schnell näherte. Hatte es die Spur gefunden? „Wohin?" schrie Frenko. Er sprach das englische Wort richtig aus. Kim Corda überlegte einen kurzen Augenblick. Dann zeigte er nach Westen! Er wollte zu dem Spannungspunkt, vom dem die Beruhigung ausging. Kim fühlte, daß alles andere keinen Sinn hatte. Die Gehörnte würde keine Ruhe geben, sie würde ihnen folgen, solange sie konnte. Vielleicht würde sie irgendwann ihre Drohung wahrmachen — vielleicht würde sie nicht nur drohen mit dem Dolch — sondern zustoßen! Der rote Frosch bellte laut. Er blähte sich auf, bis er kugelrund wie ein Fußball war. Seine grünen Augen funkelten vor Vergnügen. Er war offensichtlich zufrieden darüber, daß sein Freund ihn wiedergefunden hatte. Sie liefen in größter Hast zwischen zwei schwelenden Häusern hindurch, als sie das Knattern eines Autos hörten. Kim wußte sofort, daß das Mädchen das Fahrzeug benutzte, um ihnen schneller folgen zu können. Er versuchte, in eine Seitenstraße abzubiegen. Ein eisiger Schreck überfiel ihn, als er erkannte, daß sie in eine brennende Sackgasse gelaufen waren. Blitzschnell schnallte er sich die Metallsohlen unter die Füße. Der donnernde Krach ließ ihn rechtzeitig aufsehen. Ein hochbeiniges Auto brach funkensprühend durch die Trümmer. Das Mädchen stand aufrecht
darin. Es schrie auf die beiden finsteren Männer ein, die hinter der geborstenen Scheibe hockten. Kim starrte direkt in den Lauf eines primitiven Maschinengewehrs. Er hörte das mörderische Rattern und fühlte die Kugeln an sich vorbeisausen. * Velda Corda wußte nicht, was sie tun sollte. Sie hatte nur ein Ziel. Diesen Planeten wieder zu verlassen! Sie wollte überleben. Und sie war fest davon überzeugt, daß in naher Zukunft jemand erscheinen würde, der sie von dieser geheimnisvollen Welt abholen würde. Die Sirene streckte die Hand aus. Velda Corda schüttelte den Kopf. Sie dachte nicht daran, dem Mädchen zu folgen. Hinter der Schwebenden tauchte der Tann auf. Sein Teint war eigentümlich hell. Das sonst so dunkle Rot seiner Haut hatte helle Flecken. In seinen Augen flackerte die Angst. Er hantierte an dem von dem Laktonen erbeuteten automatischen Dolmetscher herum. „Sie sollen ihr folgen!" kam es blechern aus dem Gerät. Der Tann zuckte erschrocken zusammen, als er die Stimme hörte. „Was will sie von mir! Sagen Sie ihr, sie soll verschwinden! Sonst werde ich sie vertreiben!" Der Tann stieß einen erschreckten Laut aus, als die übersetzten Worte Veldas aus dem Übersetzer kamen. Er preßte seine Hände um das Gerät, um zu verhindern, daß das Mädchen es hörte. Doch die Gehörnte vernahm alles. „Ich werde das Volk des Tann restlos vernichten!" drohte sie. „Ich werde es so zerschmettern, wie meine Schwester die Stadt zerschlagen hat!" Velda hörte mit seitlich geneigtem
Kopf zu. Sie konnte kaum begreifen, was das Mädchen sagte. Ihre Augen suchten den Tann, der die Gehörnte mit abergläubischer Scheu betrachtete. „Du wirst zu meinen Schwestern gehören", sagte das Mädchen. „Wir sind die Sirenen von Morgh. Uns gehört diese Welt. Wir schöpfen unsere Kraft aus dem göttlichen Kristall, der die Quelle des Lebens ist!" Velda Corda hätte lachen mögen, wenn sie nicht gespürt hätte, daß die Sirene an das glaubte, was sie sagte. Sie hatte gesehen, wie die Bewohner des Planeten reagierten, wenn sich eine Sirene ihnen näherte. In den vergangenen Wochen hatte sie immer wieder geheimnisvolle Andeutungen über die Sirenen gehört. Es hieß, die Sirenen seien auf der ruhelosen Suche nach dem Unbekannten. Ab und zu passiere es, daß ein Mädchen aus dem Volk plötzlich verschwinde. Es hieß, es seien die Sirenen gewesen, die die Mädchen entführten. „Das geht mich nichts an", sagte sie fest. „Ich gehöre nicht auf diese Welt. Ich warte, daß ich abgeholt werde. Geh!" Sie bemühte sich, freundlich zu sein. Doch dann sah sie den abgrundtiefen Haß in den grünen Augen des Mädchens aufleuchten. Sie erschrak. Nie zuvor hatte sie solchen Haß gesehen. Plötzlich hielt die Gehörnte einen langen Dolch in der Hand. Das Metall blitzte gleißend auf. Die Klinge zuckte auf den Leib Veldas zu. Alles ging rasend schnell. Velda reagierte instinktiv. Sie packte das Handgelenk der Sirene, riß es zur Seite, so wie sie es tausendfach im Sportklub geübt hatte, und schleuderte die Gehörnte in den Sand. Ein Entsetzensschrei brach über die Lippen der Morghs, die die Szene genau beobachtet hatten.
Die Sirene sprang blitzschnell auf die Füße. Im gleichen Augenblick schwebte sie empor. In drei Meter Höhe — unerreichbar für Velda — verharrte sie. Der Wind spielte mit ihren farbenprächtigen Röcken. Sie hielt die Dolchklinge zwischen den Fingerspitzen. Langsam wippte die elastische Klinge. „Du mußt sterben", sagte sie. „Ebenso wie dein Bruder sterben mußte!" Der Arm fuhr hoch. Die Klinge blitzte hell auf. Velda Corda stand wie gelähmt. Sie sah nicht mehr, was geschah. Ihr Bruder tot! Sie wollte es nicht glauben! Als sie die Blicke zu der schwebenden Sirene hob, sauste der Messerarm mit tödlicher Präzision herab! * Ga-Venga, der Kynother, stieß das Schott zur Kommandozentrale auf. Er sah sich in dem Saal um, in dem zehn Laktonen und acht laktonische Arbeitsroboter an den zahlreichen Geräten saßen. Unaufhörlich trafen die Meßergebnisse ein. „Das Meßergebnis muß falsch sein!" rief Bekoval. „Das Schiff kann unmöglich schon so lange dort unten liegen und trotzdem noch eine so hohe Energiereserve haben!" Percip, der Lithalonier, rief etwas dazwischen, aber niemand verstand ihn. Niemand achtete auf ihn. Rex Corda fühlte, wie es ihn kalt überlief, als er Ga-Venga singen hörte. Er fuhr herum. Mit ihm drehten sich alle um, die auf der Kommandobrücke arbeiteten. Der zwergenhafte Kynother lehnte am Schott, streckte die Arme aus und sang mit überschwenglicher Fröhlichkeit einen englischen Schlager, den er irgendwo auf der Erde aufgeschnappt hatte.
„Ga-Venga!" brüllte Bekoval wütend. Der Kynother strich sich mit großartiger Gebärde über sein blaues Haar, drückte die schmale Brust noch ein wenig weiter heraus, holte tief Luft und sang ein Lied in einer fremden Sprache. Er sang noch ein bißchen lauter als zuvor. Rex Corda ging zu ihm hinüber. „Still!" forderte er Ga-Venga brach abrupt ab. „Es ist eine Schande!" schnaubte er empört. „Haben Sie überhaupt kein Kunstverständnis, Mr. Corda?" „Du kannst singen, wo du willst — nur nicht hier!" „Warum eigentlich nicht?" fragte Percip. Er trällerte einige Takte des Liedes vor sich hin, das Ga-Venga zuletzt gesungen hatte. „Es ist doch ganz hübsch, nicht?" „Seid ihr verrückt geworden?" stöhnte Corda. „Was ist denn los?" Bekoval klatschte sich kreischend auf die Knie. Er lachte wie ein Narr. Die anderen Laktonen kicherten. Ga-Venga begann wieder zu singen. „Schluß jetzt!" brüllte Corda zornig. Er packte Percip bei den Schultern und stieß ihn hart in seinen Sitz zurück. Doch Percip lachte nur. Er lachte so sehr, daß ihm Tränen in die Augen traten. „Na — dann laßt uns doch landen!" lachte er. „Auf gar keinen Fall!" rief Corda entsetzt. „Ja, warum eigentlich nicht?" freute sich Bekoval. Bevor Corda ihn hindern konnte, beugte er sich vor und warf mehrere Hebel herum. Seine Finger huschten blitzschnell über zahlreiche Tasten, die er drückte. John Haick tippte Corda auf die Schulter. Corda drehte sich um. Er sah, daß John vergnügt in sich hineinlachte. John
lachte nie laut. Wenn er seinen Spaß hatte, dann amüsierte er sich auf seine Weise. Jetzt klapperte er mit den Sohlen auf dem Boden. Er machte eine Reihe von Steppschritten. Dabei schnippte er vergnügt mit den Fingern. Corda sagte nichts mehr. Er fror. Er bemerkte, daß der Raumer zur Landung ansetzte. Er stürzte zum Steuerpult. Seine Blicke glitten wie von Sinnen über die Instrumente. Er wollte die Landung aufhalten, doch schon auf den ersten Blick mußte er erkennen, daß er nicht dazu in der Lage war. Er drehte sich um. Die Kommandobrücke glich einem Irrenhaus. Da fühlte Corda plötzlich, wie das Unheimliche auch nach ihm tastete. Er wehrte sich sofort dagegen. Das Fremde zog sich zurück. Aber es blieb vorhanden. Warum griff jetzt der Unbekannte nicht ein? Dies war kein Katastrophenfall, schlimmer als alles, was sich auf Rakna, dem fünften Planeten dieses Systems, ereignet hatte. Hier ging es um den Bestand des Schiffes! Oder unterlag der Unbekannte auch den Einflüssen? * Ko-Mont, der Zeitspäher, schob die Schälchen mit den Silkat-Saucen zur Seite. Er verschluckte sich fast an den feinen Fleischstückchen, an denen er gerade kaute. Er wollte seinen Augen nicht trauen. Das, was auf der Kommandobrücke passierte, konnte unmöglich den Tatsachen entsprechen! Schnell, aber ohne Hast, schaltete Ko-Mont die zahlreichen Kontrollinstrumente ein, die ihn mit allen Informationen über das Schiff versorgen konnten, wenn er sie
brauchte. Sinnend betrachtete er die nunmehr ständig einlaufenden Ergebnisse. Es war alles normal. Es gab nicht die geringste Begründung für das seltsame Verhalten der Besatzung. Seine Beobachtungsgeräte teilten ihm aber auch mit, daß nicht nur auf der Kommandobrücke gesungen und getanzt wurde — überall, wo sich Laktonen und Terraner befanden, wurde ausgiebig gefeiert. Auch die gerade Geretteten von Rakna benahmen sich nicht anders. Ko-Mont erhob sich ärgerlich. Er schluckte eine kleine rote Tablette, die die überschüssigen Kalorien, die er während des Essens aufgenommen hatte, wieder ausgleichen sollten. Ko-Mont war ein leidenschaftlicher Esser, er hätte es sich aber nie verziehen, wenn er auch nur ein Gramm zugenommen hätte. Er schaltete sorgfältig an einer Instrumententafel und beobachtete dann auf einem kleinen Holografen, wie sich einer seiner Spezialroboter aus seinem Versteck löste. Er verfolgte den Roboter bis in die Mannschaftsquartiere. Dort entnahm der Roboter einem von Rakna geretteten Laktonen eine Blutprobe. Das konnte der Roboter tun, ohne daß sich der Laktone wehrte oder auch nur wunderte. Mit dem Blut kehrte der Roboter in den Teil des Schiffes zurück, in dem sich Ko-Mont in seinem Zeitversteck befand. Ein sanftes Summen von einer anderen Kontrolltafel zeigte Ko-Mont an, daß der Hantelraumer zur Landung ansetzte. Ko-Mont kümmerte sich nicht darum. Das Wrack war geortet worden — also war die Landung notwendig. Die Umstände, unter denen sie erfolgte, waren ihm gleichgültig. Es dauerte genau 15 Minuten, bis er
das Blut untersucht hatte. Die Analyse ergab keine Abweichung vom Normalbild. Das Blut gab keinen Aufschluß darüber, was mit der Besatzung der „Walter Beckett" geschehen war. Nun wurde Ko-Mont doch unruhig. * Kim Corda ließ sich gedankenschnell fallen. Er wußte nicht, wie er sich vor den Kugeln aus den wild krachenden Büchsen der Morghs retten sollte. Die klobigen Bleistücke klatschten neben ihm in den Boden. Eine heiße Schramme zog sich über seine Schulter. Frenko schrie in höchster Qual. Da kam Kim ein Gedanke, der ihm im ersten Augenblick völlig unsinnig vorkam. Ohne jedoch über Sinn oder Unsinn dieses Gedankens nachzudenken, verwirklichte er ihn. Es ging um Bruchteile von Sekunden. Das primitive Maschinengewehr schleuderte Bleistück auf Bleistück auf die beiden Jungen. Es war mehr als ein Wunder, daß noch keines getroffen hatte. Kim hatte oft genug Tränen über die primitiven Waffen der Morghs gelacht. Jetzt war ihm ganz und gar nicht zum Lachen zumute. Er packte die Metallsohlen, die er der Sirene abgenommen hatte, und schleuderte sie blitzschnell unter das Auto. Der heiße Wunsch steuerte die kleinen Platten. Kim riß die geballte Energie des Super-Ego an sich und lenkte sie in die kleinen Scheiben. Das geschah nicht bewußt. Der Junge war sich nicht klar darüber, was er tat. Er folgte nur seinem Wunsch. Und er hatte Erfolg. Die kleinen Platten rasten krachend gegen die Unterseite des Autos und schleuderten es hoch. Der Wagen überschlug sich. Die beiden Männer und die
Sirene retteten sich mit gewagten Sprüngen. Sie kugelten in die glimmende Asche hinein. Kim und Frenko aber rasten an ihnen vorbei. Sie tauchten zwischen den qualmenden Trümmerstücken unter, bevor die Männer und das Mädchen noch wußten, was geschah. Kim zögerte keinen Augenblick, als er sich für die Richtung entschied, in die sie fliehen mußten. Er floh nach Westen, dorthin, wo das ihm angenehme Spannungspotential ruhte. Schnell hatten sie die Stadt verlassen. Frenko preßte seinen roten Frosch an die Brust. Seine Augen strahlten. Immer wieder schlug er Kim auf die Schulter und lachte. Er schien sich diebisch darüber zu freuen, daß Kim der Sirene einen solchen Streich spielen konnte. Kim mochte nicht so ganz an der Freude teilhaben. Er befürchtete, daß der Gehörnten gelingen könnte, die Schwebescheiben wieder an sich zu bringen. Und dann würde sie ihnen folgen! * Kim rannte zu der Straße hinüber, die nach Westen führte. Sie erreichten den mit einem dunklen Material überzogenen Weg, als aus Osten eine Karawane herankam. Sie bemerkten sie erst sehr spät. Die Karawane hatte die brennende Stadt umfahren und näherte sich ihnen jetzt mit sehr hoher Geschwindigkeit. Frenko schrie entsetzt auf, als er sie sah. Er versuchte, seinen Freund von der Straße wegzuziehen, um mit ihm in dem dichten Wald Sicherheit zu finden. Aber es war schon zu spät. Dies war die erste vollmotorisierte Karawane, die Kim sah. Die langbärtigen Morghs kauerten singend und lachend auf ihren blau gestrichenen Automobilen.
Blau — das schien die Lieblingsfarbe dieses Volkes zu sein. Nicht nur die Autos waren blau, auch die Kleider der Frauen und die Gewänder der Männer hatten überwiegend blaue Farben in allen Schattierungen. Kim und Frenko wollten gerade in dem Gehölz untertauchen, als ein Gefährt an ihnen vorbeidonnerte, das sehr große Ähnlichkeit mit einem der altmodischen Rennwagen des 19. Jahrhunderts auf Terra hatte. Auf dem knatternden Gestell hockte ein bärtiger, grinsender Riese, der eine dickbauchige Flasche in den Händen hielt. Er nahm einen kräftigen Schluck aus dieser Flasche, lachte und winkte den Flüchtlingen. Kim hatte keine Lust, sich lange mit ihm einzulassen. Er rechnete damit, daß die Sirene jeden Augenblick irgendwo auftauchte und Rache üben würde. Er packte Frenko am Arm und zerrte ihn zur Seite. Ein Revolver mit trichterartiger Mündung krachte donnernd hinter ihnen auf. Frenko schrie leise. Er preßte sich die linke Hand gegen die Hüfte. Kim sah, daß er sehr stark blutete. Jetzt rollte die Karawane heran. Grölende, betrunkene Männer sprangen von den Autos. Sie feuerten ihre Gewehre in die Luft ab oder machten sich einen Spaß daraus, neben die Füße der fliehenden Jungen zu schießen. Der Bärtige allerdings rannte mit großen Sprüngen hinter Frenko und Kim her. Er schrie auf sie ein und drohte ihnen mit seinem Revolver. Kim und Frenko liefen um ihr Leben. Frenko taumelte bei jedem Schritt. Er stöhnte qualvoll. Kim warf ihm besorgte Blicke zu. Aber Frenko hielt durch. Er tat, als ob nichts geschehen sei, und rannte weiter. Doch sie waren zu langsam. Je tiefer sie in den Wald eindrangen, desto näher kam ihnen der Riese.
Kim sah sich immer häufiger um. Die blaue Kleidung schlotterte komisch um die dürre Gestalt des Morgh. Unter anderen Umständen hätte Kim wahrscheinlich gelacht. Jetzt konnte er es nicht. Er beobachtete, wie der Lange seinen Revolver lud. „Schnell, Frenko! Er schießt gleich!" schrie er. Sein hagerer Freund sah ihn mit gequälten Augen an. Das rote Blut lief ihm die Beine hinunter. Frenko sah völlig erschöpft aus. Er konnte nicht mehr. Der Riese brüllte etwas. Kim sah sich um. Der Revolver tanzte in der Hand des Betrunkenen. Ein wildes Lachen geisterte über die Lippen des Morgh. Kim warf sich gegen Frenko. Er schleuderte ihn zu Boden. Der Schuß krachte. Die Kugel zischte haarscharf an ihnen vorbei. Kim sprang auf. Er versuchte, Frenko hochzuziehen. Doch sein Freund schüttelte den Kopf. Er preßte beide Hände auf die verletzte Hüfte. „Komm, Frenko!" Das grausame Lachen riß Kim Corda herum. Der dürre Riese wankte heran. Er lud seinen Revolver abermals. „Du wolltest nicht hören, wie?" lachte er. Er zielte auf Frenko. Nur dieser verstand die Worte. Kim zog sich erbleichend zurück. Die Revolvermündung schwenkte zu ihm herum. Der Riese brüllte etwas. Kim fand es besser, wenn er stehenblieb. Der Revolver zielte jetzt auf Frenko. Der Junge verzog das Gesicht. Seine Hand glitt unter sein helles Hemd. Kim sah etwas Rotes auftauchen. Frenko schrie. Dann wirbelte Lom-to durch die Luft. Entsetzt brüllte der betrunkene Riese auf. Der rote Frosch klatschte ihm gegen die Kehle.
Im gleichen Augenblick brach er zusammen. Er wälzte sich auf dem Rücken herum. Er lag ganz still. Frenko schluchzte. Er stemmte sich mühsam hoch und taumelte auf Kim zu. „Willst du Lom-to nicht mitnehmen?" stammelte der Junge. Frenko verstand nur den Namen. Er schüttelte den Kopf. Sein tiefrotes Gesicht überzog sich mit einem ungesunden Grau. Kim warf einen Blick auf den reglos im Gras liegenden Mann. Lom-to hatte sich aufgeblasen. Er glich einem knallroten Fußball. Jetzt plötzlich stieß er sich ab, rollte zur Seite und sackte in sich zusammen. Zu zwei Seiten hin wuchsen ihm schmale Flügel heraus, die er kräftig auf und ab schlug. Kim lachte unsicher. Doch dann ging alles blitzschnell. Lom-to, der Frosch, veränderte sich in rasendem Tempo. Die Metamorphose verlief so schnell wie in einem Trickfilm, in dem alles viel zu schnell im Vergleich zu den gewohnten Eindrükken ablief. Dünne weiße Härchen schossen überall aus dem Körper des Frosches. Die Flügel verloren mehr und mehr von ihrer Farbe, wurden immer durchsichtiger und immer schneller in der Bewegung. Es dauerte nur Minuten, bis aus dem roten Frosch ein weißhaariger Ball mit vier hauchdünnen Hautflügeln geworden war. Ein feuerroter Schnabel wucherte zuletzt aus dem weißen Flausch heraus. Sirrend erhob sich der Ball, um langsam zwischen den Bäumen zu verschwinden. Das, was von Lom-to geblieben war, flog noch äußerst unbeholfen. Kim Corda ging zu dem Morgh hinüber, der sie verfolgt hatte. Er beugte sich über ihn. Auf der Kehle des Mannes zeichnete sich ein großer blauer Fleck ab, der
aussah wie eine blutunterlaufene Prellung. Der Morgh atmete nur sehr schwach. Frenko zupfte seinen Freund von Terra am Arm. Er winkte ihm schwach. Kim stützte Frenko und schleppte sich mit ihm davon. Sekunden später schon erhob sich wütendes Gebrüll, wo sie den Mann zurückgelassen hatten. Sie hörten krachende Schüsse und das schrille Jaulen von Wharrs. Kim biß sich verzweifelt auf die Lippen. Die Wharrs nahmen auf Morgh den Platz ein, den auf der Erde die Hunde innehatten. Wharrs waren ebenso lang wie ein Schäferhund, hatten aber nicht nur vier Beine, sondern mindestens zwanzig Beinpaare, die den Wharrs ungeheure Geschwindigkeit verleihen konnten. Frenko schüttelte immer wieder den Kopf. Er hatte keine Hoffnung mehr. Da die Horde ihnen Wharrs auf die Spur hetzte, hatten sie nicht die geringste Chance zu entkommen. * Ein Schuß krachte. Velda Corda starrte noch immer auf das Messer, das jeden Augenblick auf sie herabkommen mußte. Es kam, aber es wirbelte weit an ihr vorbei. Die Sirene hielt sich den Arm. Ihr Gesicht verfärbte sich. Ihr Mund war weit geöffnet. Velda vermutete, daß sie schrie. Zu hören war nichts. Der Tann taumelte heran. Er hielt ein Gewehr in den Händen. Aus der Mündung kräuselte sich blauer Rauch. Die Morghs schrien! Der Lärm übertönte alles. Velda glaubte, daß noch weitere Schüsse krachten. Aber sie war sich dessen nicht sicher. Alles ging auch viel zu schnell. Sie sah nur, daß Blut
aus dem Arm der Sirene lief. Plötzlich schoß das gehörnte Mädchen in die Höhe. In etwa dreißig Meter Höhe verharrte sie in der Luft. Totenstille senkte sich über die Menge im Schatten des laktonischen Wracks. Die kreischende Stimme der Sirene klang wie die Ankündigung des Todes. Da riß der Tann abermals sein Gewehr hoch. Er zielte kurz und schoß. Doch diesmal traf er das Mädchen nicht. Wieder gellten die Schreie der Morghs zu der Sirene auf. Eine ungeheure Erregung packte die Menge. Die Sirene floh. Sie raste bis zu den jagenden Wolken empor und verschwand im dichten Dunst. Dutzende Schüsse krachten. Und wieder wurde es still. Die rothäutigen Morghs zogen sich scheu vor dem Mädchen zurück, das schuld war an dem Zwischenfall, der so ungeheuerlich war, daß die Morghs wie in Trance handelten. Sie schienen von einem Massengeist erfaßt, der sie einheitlich lenkte. Doch jetzt eilten etwa zwanzig Krieger zu dem Tann. Sie hielten die schweren Büchsen in den Händen, auf die die Morghs so stolz waren. Sie feuerten Schüsse daraus ab. Velda hörte die schweren Geschosse gegen die Metallplastwand des Wracks klatschen. „Wir müssen weg hier!" keuchte der Tann, und der automatische Dolmetscher übersetzte. „Es wird nicht lange mehr dauern, bis es hier von Sirenen wimmelt. Dann sind wir verloren." „Aber wohin?" rief Velda. „Wo könnte man Sicherheit vor den Sirenen finden?" Ein Morgh trat an den Tann heran. Für die Begriffe dieser Rasse war er ein wahrhaftiger Riese. Er war fast zwei Meter groß, und seine Schultern trugen feste Muskeln. Auch sein Gesicht war voller. Seine grünen Augen blitzten verschmitzt. „Tann, es gibt noch das alte Heilig-
tum!" schrie er. Der Tann zuckte zusammen. Ein vorsichtiges Lächeln glitt über seine Züge. Er nickte langsam. „Ja!" rief er. „Ich weiß, wohin wir gehen werden!" „Wohin?" Er schüttelte den Kopf. „Es ist das alte Heiligtum. Mehr weiß ich auch nicht!" sagte er unsicher. „Es liegt dort, bei Pay!" Er zeigte auf die untergehende Sonne Pay. „Wie es heißt, haben die Sirenen keine Macht im alten Heiligtum. Dort wären Sie sicher vor ihnen!" Er schrie einige Kommandos. Seine Krieger brüllten begeistert. Sie sprangen auf die Houms. Auch der Tann näherte sich einem Reittier. Er blieb davor stehen und begann zu seinem Volk zu reden. Er sprach zehn Minuten. Velda verstand nicht alles, da die Übersetzung des automatischen Dolmetschers oft in dem begeisterten Geschrei der Morghs unterging. Sie hörte jedoch heraus, daß die Sirenen nicht beliebt waren. Die Morghs fürchteten sie, und sie haßten sie. Immer wieder kamen die Sirenen in die Städte der Morghs und holten kleine Mädchen heraus. Die Eltern sahen sie nie wieder. Es kam nicht oft vor, jedoch immer noch so häufig, daß die Eltern in ständiger Angst lebten, solange ihr Kind noch nicht drei Jahre alt war. Velda konnte sich jedoch keinen Reim darauf machen, was diese Kindesentführungen zu bedeuten hatten. Die Sirenen mußten einen Grund haben, wenn sie es taten. Aber welchen? Sie atmete erleichtert auf, als sie sah, daß alle anwesenden Morghs nach und nach ihre Sachen aufnahmen und an den Houms festbanden. Einige warfen die Motoren ihrer Autos an. Ein mörderischer Lärm erhob sich. Die Morghs machten sich zum Auf-
bruch bereit. Die Karawane setzte sich eine halbe Stunde später in Richtung Westen in Bewegung. Auch die Neuankömmlinge, die auf Motorrädern fuhren, schlossen sich ihnen an. Velda ritt auf einem Houm neben dem Tann. Dieser frönte zufrieden seiner größten Leidenschaft, derentwegen Kim ihm den spöttischen Namen Smoke gegeben hatte. Ein Diener hatte dem Tann einen flachen Kasten gereicht. In diesem wuchsen kleine Blumen mit blauen Blütenkelchen. Verzückt roch der Tann an den Blüten. Velda blieb etwas zurück. Sie kannte den Geruch dieser Blumen, der so scharf und beizend war, daß sie ihn nicht ertragen konnte. Sie wußte, daß es noch schlimmer werden würde. Smoke begann jetzt, eine Blüte nach der anderen abzuknicken. Dabei ringelte sich ein zarter blauer Rauch aus den Blüten. Velda blieb noch weiter zurück, um die Dünste nicht riechen zu müssen. Der Duft war so scharf und beizend, daß dem Tann die Tränen ausbrachen. Smoke schnaufte beglückt. Er sah sich mit tränenden Augen nach Velda um und winkte ihr großmütig. Sie aber winkte scheu ab. Sie verzichtete gern auf diesen Genuß. Sie merkte, daß der Tann betroffen die Mundwinkel herabzog. Um ihn nicht noch mehr zu beleidigen, hieb sie ihrem Houm die Hakken kräftig in die Seiten und ritt zu Tann. „Seht doch!" rief sie. „Die Leute folgen uns nicht mehr! Sie reiten alle nach Norden!" Der Tann kreischte voller Zorn. Er schleuderte die Blumen zur Seite und riß seinen Houm herum. Das Ende der Karawane war abgeschwenkt. Die Morghs zogen nicht mehr nach Westen. Ihr Ziel lag offensichtlich im Norden. „Warum tun sie das?" fragte Velda.
Smoke trommelte wütend mit den Fäusten auf das dichte Fell seines Reittieres — aber er tat nichts, um den Ausfall der Morghs zu verhindern. Er starrte den Morghs nach, die nach Norden zogen. Es wurden immer mehr. Jetzt waren es schon mehrere Tausend. Fünf Minuten beobachtete der Tann. Dann wanderten schon annähernd zehntausend Morghs nach Norden. Smoke begann wütend zu fluchen. Er feuerte sein Gewehr in die Luft und schrie seinen Kriegern heisere Befehle zu. Die Soldaten schwärmten aus, umkreisten die noch etwa zwanzigtausend Morghs, die dem Tann noch folgten, und versuchten, sie zu größerer Eile anzutreiben. Aber je mehr Mühe sie sich gaben, desto mehr Morghs bogen nach Norden ab. Eine geheimnisvolle Kraft schien sie dorthin zu lenken. Obwohl die Morghs vor wenigen Augenblicken noch über diejenigen gelacht hatten, die abschwenkten, trotteten sie jetzt in die gleiche Richtung. Velda konnte nicht begreifen, was geschah. Sie beobachtete, daß sogar die Krieger mit abschwenkten. In Minutenschnelle schmolz das Häuflein des Tann dahin. Smoke blieb jetzt auf der Stelle. Er klammerte sich an seinen Houm und starrte den Abtrünnigen nach, die dem geheimnisvollen Ruf aus Norden folgten. Nach etwa einer Stunde, in der der Tann kein Wort gesprochen hatte, drängten sich nur noch dreißig Männer um den Tann. Smoke seufzte tief auf. Er sah sich um und rief den Männern einen ruhigen Befehl zu. Der kleine Trupp setzte sich in Richtung Westen in Bewegung, während mehr als vierzigtausend Morghs nach Norden zogen. „Sie lassen sie einfach ziehen?"
fragte Velda Corda. Der Tann wartete ruhig ab, bis der Dolmetscher übersetzte, dann nickte er bedächtig vor sich hin. „Es hätte keinen Sinn, sie halten zu wollen'', erklärte er. „Es ist alle vier Jahre das gleiche. Wir sind dann nicht mehr wir selbst. Ein anderer bestimmt dann über uns." „Und Sie? Und diese Soldaten? Warum gehen Sie nicht nach Norden?" „Schweigen Sie!" keuchte der Tann erregt. „Es ist mühsam genug für uns, dem Ruf nicht zu folgen!" Velda erschrak. Erst jetzt erkannte sie, weshalb die Männer so gequält aussahen, weshalb sie keinen Blick nach Norden warfen. Es war nicht, weil sie zornig waren über die Morghs, die sie verlassen hatten. Sie wagten es nicht, nach Norden zu sehen, weil sie um ihr Ich fürchteten. Velda versuchte, den geheimnisvollen Ruf zu hören. Sie horchte in sich hinein. Aber sie hörte nichts. Der Ruf galt ihr nicht. Einer der Soldaten stöhnte gequält auf. Erschreckt beobachtete Velda, daß sein Houm wie von selbst nach Norden abschwenkte. Sie sah, daß die Schultern des Kriegers wie im Krampf zuckten. Aber er wich nicht von dem eingeschlagenen Kurs ab. Er ritt nach Norden! * „Los doch! Los doch!" schrie Kim Corda. Frenko war jedoch völlig erschöpft. Er benötigte dringend eine Erholungspause. Doch sie konnten sie sich wiederum wegen der Verfolger nicht leisten. Die ersten Schüsse krachten. Das heiße Blei zerschmetterte die Rinde einiger naher Bäume.
Kim, für den die Flucht aus der brennenden Stadt zunächst nicht mehr als ein aufregendes Abenteuer war, hatte längst keinen Spaß mehr an der Jagd. Er wußte, daß es ernst war. Die Wharrs jaulten nervtötend. Über die Schulter zurücksehend, sah er die „Spürhunde" der Morghs durch das hohe Gras heran jagen. Die klugen Augen blitzten vor Jagdeifer. Da schrie Frenko plötzlich auf. Kim zuckte erschreckt zusammen. Doch Frenko lachte. Er wies nach vorn. Kim versuchte, das Dickicht mit seinen Blicken zu durchdringen. Zunächst gelang es ihm nicht, doch nach einigen weiteren Schritten sah auch er den Fluß. Er hörte das Wasser in seinem Bett rauschen. Frenko brach durch die Büsche. Jetzt war er es, der seinen Freund vorantrieb. Sie hasteten am Ufer des reißenden Flusses entlang. Kim entdeckte eine schmale Holzbrücke, die über das Wasser führte. Die Wharrs schnappten nach ihren Beinen, als sie die Brücke erreichten und über das Holz stolperten. Frenko zerrte am Arm seines terranischen Freundes. Er zeigte auf das Wasser. Kim entdeckte ein langes Floß, das in rasender Fahrt durch die Fluten schoß. Durch Gesten deutete Frenko an, was er vorhatte. Kim versuchte jetzt, die nach ihren Beinen beißenden Wharrs zurückzujagen. Er war erstaunt über die sonst so harmlosen und possierlichen Tiere, von deren freundschaftlichem Charakter er bisher immer überzeugt gewesen war. Er drängte die Tiere mit lauten Schreien und vorsichtigen Tritten zurück. Er wollte sie nicht verletzen. Doch sie ließen sich kaum verjagen. Sie versuchten, mit hohen Sprüngen seine Kehle zu erreichen. Und jetzt mußte er schon einige Boxhiebe austeilen, wenn
er die wütende Meute zurückhalten wollte. Da peitschten auch schon die ersten Schüsse auf. Kim Corda sah, wie das Holz der Brücke wegsplitterte. Er fühlte einen leichten Schlag an seiner Schulter. Als er hinsah, bemerkte er, daß sein Hemd zerrissen war. Dunkles Blut quoll heraus. Frenko schrie. Kim sah sich vorsichtig um, nachdem er die Wharrs einen Meter weit zurückgetrieben hatte. Frenko hockte taumelnd auf der Brüstung der Brücke. Unter ihm schoß das Floß heran. Frenko winkte ihm — und sprang in die Tiefe. Kim zögerte nicht lange, er wirbelte herum und hechtete über die Brücke. Er fiel drei Meter tief und prallte hart auf die feuchten Baumstämme. Benommen blieb er liegen. Die Brücke verschwand rasend schnell aus seinem Blickfeld. Er hörte noch einige Schüsse, hörte das Blei dicht neben sich in das Holz des Floßes schlagen — dann wurde es dunkel um ihn. * Rex Corda versuchte alles, was er tun konnte, um den Absturz der „Walter Beckett" auf den sechsten Planeten, des Sonnensystems Gamma Virginis zu verhindern. Es war alles umsonst. Immer mehr Besatzungsmitglieder erschienen auf der Kommandobrücke. Sie sangen und tanzten ausgelassen. Sie klatschten wie die Kinder in die Hände, als sie auf dem Holografen die rasend schnell näherkommende Oberfläche des Planeten sahen. Schließlich ließ sich Corda bleich auf den freigewordenen Kommandantensessel sinken. Percip tanzte einen närrischen Tanz im Kreise der Laktonen, die ihn klatschend umringten. Rex Corda lehnte sich vor. Er kon-
zentrierte sich. Und diesesmal fühlte er es. Es war wie ein leises Singen, das von dem Planeten kam. Es war ein Lockruf, der ihn hinabrief. Corda lachte kopfschüttelnd. Er erhob sich. Seine Augen sahen auf den Holografen. Er entdeckte das laktonische Wrack und daneben einen kilometerlangen Zug aus Menschen und Tieren. Neben dem Wrack brannten Tausende Feuer. Es überfiel ihn wie eine eiskalte Dusche. Schlagartig war er wieder Herr seiner selbst. Er wühlte sich durch die Männer, die die Kommandozentrale in ein Tollhaus verwandelten. Er stieß sie hart zur Seite, wenn sie ihn halten wollten. Er konnte sie nicht beeindrucken. Als er die Tür erreichte, ging ein Ruck durch das Schiff. Corda blieb überrascht stehen. Seine Blicke glitten zum Holografen. Die Landschaft raste nicht mehr unter dem Schirm vorbei. Das Raumschiff flog ruhig in die Atmosphäre des Planeten ein. Die Automatik hatte das Kommando übernommen. Corda verengte nachdenklich die Augen. Oder war es wieder jener unbekannte Faktor, der immer dann eingriff, wenn dem Schiff Gefanr drohte? Was würde X nach der Landung unternehmen? Rex Corda verließ die Kommandobrücke. Er eilte durch die leeren Gänge zum zentralen Gravo-Schacht und ließ sich in das abwärts tragende Feld fallen. Er war entschlossen, die Schleusen so zu verriegeln, daß die Besatzung sie nicht mehr öffnen konnte. Geschickt sprang er aus dem Schacht in den Gang Hinein, der zur Hauptschleuse führte. Er sah sich um. Niemand war zu sehen.
Ungehindert erreichte er die Schleuse. Die breiten Flügel des Schleusenraumes standen offen. Corda betrachtete die komplizierten Schalttafeln an der Seite der Schleusenöffnung. Wo war die Sperre? Percip hatte kurz nach der Übernahme des Schiffes durch die Erdregierung behauptet, es sei eine Vorrichtung eingebaut, die sämtliche Schleusen des Schiffes für fast fünfzig Stunden verriegelte. Wenn die kontrollierende Elektronik eingeschaltet werde, so könne keine Gewalt die Schleusen öffnen, solange das Zeitschloß wirksam sei. Corda zwang sich zur Ruhe. Er wußte, daß er nicht mehr viel Zeit hatte. Er mußte das Schloß finden, sonst bestand die Gefahr, daß die gesamte Besatzung das Schiff in ihrem Freudentaumel verließ. Er sagte sich, daß eine so wichtige Schaltung sorgfältig abgesichert sein müsse, damit sie nicht versehentlich ausgelöst werden könne. Er ging Abschnitt für Abschnitt der Kontrolltafel durch. Er prüfte jede Schaltung sorgfältig, um nichts zu übersehen. Es dauerte genau sieben Minuten, bis er die entscheidende Sperre fand. Das Siegel war so geschickt angebracht, daß es leicht zu übersehen war. Doch die Schaltung ließ sich auf gar keinen Fall versehentlich aktivieren. Es erforderte eine Sonderschaltung, das Siegel zu erbrechen. Rex Corda legte einige Hebel um. Die Elektronik aktivierte sich. Das Siegel zeigte Auflöseerscheinungen. Es ging sehr langsam, so als wolle die Elektronik noch Zeit zur Überlegung lassen. Ungeduldig schnippte Corda mit den Fingern. Hinter ihm schnippte jemand in gleicher Weise. Corda fuhr herum. Hinter ihm stand Bekoval und grinste
ihn freundlich an. Er zeigte ihm seine prächtigen roten Zähne. „Das wollen Sie doch wohl nicht tun, Sir!" lächelte Bekoval. „Sie wollen uns doch wohl nicht alle einschließen?" Rex Corda wich vorsichtig zurück. Er wußte, wie gefährlich Bekoval werden konnte. Seine Hand glitt zur Waffe. Bekoval schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. „Das würde ich aber nicht tun, Sir!" lächelte er und folgte Corda mit geschmeidigen Schritten. Rex Corda versuchte, den Strahler zu ziehen. Die Faust Bekovals sauste herab. Wie ein Hammer knallte sie unter das Kinn Cordas. Diesem Schlag war keine Macht der Welt gewachsen. Die überragende Kraft des Laktonen schleuderte Corda in abgrundtiefe Bewußtlosigkeit. Bekoval betrachtete die Tafel, schüttelte vorwurfsvoll den Kopf, zog seinen Strahler und adjustierte ihn auf minimale Leistung. Ein nadeldünner Glutstrahl fraß sich in das Metall der Schalttafel und schmolz hinweg, was dazu dienen konnte, die „Walter Beckett" zu verriegeln. Zufrieden lächelnd wandte Bekoval sich ab. Der massige Laktone klatschte die Hände fröhlich zusammen und sprang mit einem grotesken Satz in den GravoSchacht zurück. * Smoke, der Tann über fast vierzigtausend Morghs, hielt sein Houm an. Velda Corda hielt neben ihm. Sie standen am Rande einer Schlucht, die schnurgerade nach Süden führte. Sie war kilometerweit einzusehen. Eine breite befestigte Straße kam von Süden herauf. „Das ist einer der Haupthandelswe-
ge", erklärte der Tann stolz. „Wir haben sie mit dem Tann von Ekrat und dem Tann von Silto zusammen gebaut. Es hat viele Jahre gedauert, bis es geschafft war." Velda war froh, daß ihnen jetzt ein elektronischer Dolmetscher zur Verfügung stand. Sie wußte, daß die Laktonen bisher nicht zum Wrack zurückkehren durften und daß sie deshalb bis jetzt auf ein solches Gerät verzichten mußten. Der Tann schwebte in der ständigen Furcht, ein benachbarter Fürst könnte ihm die Laktonen entführen und sie dazu bringen, ihnen Wunderwaffen zu entwickeln, mit denen sie einen Krieg beginnen konnten. „Wo sind die Laktonen geblieben?" forschte Velda. „Was wollen Sie tun, um Ihr Versprechen wahrzumachen?" „Welches Versprechen?" „Sie haben mir versprochen, nach meinem Bruder zu suchen!" erinnerte Velda. „Er ist tot!" „Ich glaube nicht daran!" Der Tann seufzte. „Ich werde mir alle Mühe geben", beteuerte er. „Aber die Zeiten sind schlimm. Alles zieht nach Norden. Sehen Sie, dort kommen die von Ekrat und die von Silto!" Jetzt erkannte auch Velda die Karawane, die sich von Süden heraufwälzte. Es mußten Zehntausende sein, die dort kamen. Sie kamen auf Automobilen und auf Houms. Diese mächtigen Pelzkugeln schienen das vorherrschende Reittier auf Morgh zu sein. Die großen Tiere konnten sich außerordentlich schnell auf ihren drei Beinen bewegen. Ihr drei Meter durchmessender Kugelleib konnte große Lasten tragen. „Wohin ziehen sie alle?" forschte Velda. „Nach Norden!" antwortete der Tann lakonisch. „Zu dem großen Heiligtum!" „Wo sind die Laktonen?" Der Tann
grinste. Er zog eine kleine blaue Blume aus seiner Satteltasche und hielt sie sich unter die Nase. Der scharfe, beizende Geruch vertrieb Velda. Sie hatte den Tann mittlerweile im Verdacht, daß er genau wußte, wie er sich unbequeme Fragen vom Halse halten konnte. Der Tann winkte seinen Leuten. „Schnell!" rief er. „Wir wollen hinüber, bevor die Horden hier sind!" Er lenkte seinen Houm am Rande der Schlucht entlang, die fast tausend Meter senkrecht abfiel. Notgedrungen mußte Velda ihm folgen. Mit großer Sorge beobachtete sie das Wetter. Tiefschwarze Wolken zogen herauf. Sie konnte erkennen, daß es im Süden regnete. Vereinzelte Blitze zuckten auf. Sie fühlte ein eigentümliches Ziehen im Hinterkopf. War das wieder jener geheimnisvolle Einfluß der Sirenen? Sie stemmte sich dagegen. Es verschwand. Doch sie sah, wie Smoke, der Tann, und seine Leute offensichtlich gegen den Druck kämpften. Immer wieder schien es so, als wollten sie ihre Reittiere nach Norden lenken. Da öffnete sich der Weg vor ihnen, der in die Tiefe führte. Der Tann trieb seine Leute hinein. Langsam wurde es dunkel. Die kurze Nacht zog herauf. Als sie den Grund der Schlucht erreichten, leuchteten bei der heranziehenden Karawane die Scheinwerfer der Automobile auf. Sie trieben die Houms an, um die dunkle Schlucht schnell zu durchqueren. Als sie den schmalen Pfad erreichten, der auf der anderen Seite der Schlucht nach oben führte, waren die beiden Sonnen Morghs hinter dem Horizont versunken. Die felsigen Wände der Schlucht leuchteten phosphoreszierend. Das grünliche Licht ließ die Felsbrocken, die im Wege lagen, besonders bizarr er-
scheinen. Die Morghs wurden plötzlich sehr still. Kein Wort fiel. Velda sah sich furchtlos um. Die Erscheinung interessierte sie außerordentlich. Sie war so mit der Betrachtung der Wände beschäftigt, daß sie die beiden Sirenen zu spät sah, die den Weg vor und hinter ihnen absperrten. Die Sirenen hielten metallene Stäbe in den Händen, die sie über die Köpfe erhoben. „Bleibt stehen!" riefen sie. Velda zuckte erschreckt zusammen. Die beiden Sirenen waren älter als diejenigen, die sie bisher gesehen hatte. Grauweißes Haar flatterte um ihre hageren Schultern. Die grünen Augen leuchteten unheimlich in dem grünlichen Licht. Die Morghs schrien furchtsam auf. Sie saßen in einer Falle, aus der sie nicht entkommen konnten, wenn kein Wunder geschah. * Als Kim zu sich kam, sah er eine Stadt auf sich zuspringen. Es war eine große Stadt, mit gelben spitzen Häusern und kleinen bunten Fenstern. Gewaltige Mauern türmten sich vor der Stadt auf. Ein spindeldürrer Mann, der nur einen Lendenschurz trug, balancierte über die glitschigen Baumstämme zu dem Jungen heran, der sich mühsam aufrichtete. Kim sah sich voller Verwirrung um. Für einige Sekunden wußte er überhaupt nicht, wo er war und wie er auf die Stämme gekommen war. Doch dann erinnerte er sich. Er sprang auf die Füße, bevor der Dürre im Lendenschurz bei ihm war. Doch er hatte nicht mit der Tücke des Floßes gerechnet. Er rutschte aus — und fiel dem Dürren direkt in die zupackenden Arme. Beruhigend sprach der Morgh auf ihn
ein. Kim starrte unter den Knochenarmen des Morghs hindurch auf die Stadt. Rasend schnell schossen die Mauern auf das Floß zu. Ein dumpfes Donnern drängte ihn fester an den Dürren, der ihn auf das Floß herabdrückte. Er preßte Kim fest gegen das Holz. Im nächsten Augenblick schon rauschte ein spitzes Stahlgitter über sie hinweg. Das Floß fing sich in weiten elastischen Netzen. Der rasende Flug über die tobenden Schnellen des Flusses war vorbei. Verwirrt richtete Kim Corda sich auf. Jetzt behinderte ihn der Dürre nicht mehr. Er hatte Kim nur vor den messerscharfen Spitzen des Scherengitters bewahren wollen. Zurückschauend erschrak Kim. Die Spitzen drohten nur einen Meter über dem Wasser. Wenn er gestanden hätte, dann wäre er aufgespießt worden. Eine helle Stimme rief ihn. Er drehte sich um. Frenko holperte über die glatten Stämme heran. Seine Seite war rot von Blut. Aber Frenko grinste über das ganze Gesicht. Er kam zu dem Terraner heran und drückte seinen Arm. Er wies auf die Mauer, die den Fluß dämmte. Bewaffnete Morghs standen dort. Sie trugen schwarze, enganliegende Kampfanzüge mit blitzenden Gürtelschnallen und polierten Schußwaffen. Auf den Köpfen tanzten die weißen Federbüsche von großen Vögeln. Sie hatten die Federn mit silbern schimmernden Schnallen am Kopf befestigt. Kim fühlte keine Erleichterung angesichts der so stark bewaffneten Männer. Doch Frenko machte einen zufriedenen Eindruck. Zusammen mit dem Dürren, mit dem er lebhafte Worte wechselte, führte er seinen Freund zur Kaimauer, half ihm hinauf und ging mit ihm auf die Soldaten zu. Er sprach lachend auf sie ein. Doch
niemand erwiderte sein Lachen. Der größte von den Soldaten packte Frenko am Arm. Er wies auf seine noch immer blutende Hüfte und sprach beruhigend auf ihn ein. Ein zweiter Soldat kam hinzu. Sie hoben Frenko auf den Arm, obwohl er sich lebhaft wehrte und heftig auf sie einschrie. Sie lachten und führten ihn weg. Auch der Dürre war plötzlich verschwunden. Kim fand sich mit den Soldaten allein an dem Fluß. Niemand kümmerte sich um ihn. Er sah sich um. Er konnte in weiter Ferne das andere Tor sehen, das dem Fluß Durchgang durch die Mauer gewährte. Dort reichten die Stahlspeere bis in das Wasser hinein. Deutlich war zu erkennen, wie das Wasser schäumte. Die Häuser zogen sich am Fluß entlang. An ihren Mauern waren die Netze befestigt, mit denen die Stämme aufgefangen worden waren. Kim stand auf einem kleinen Platz. Vor den Häusern standen einfache Zweiräder, die einen klobigen Motor zwischen den Rädern hatten. Zahlreiche Morghs sahen aus den Fenstern. Sie lachten und sprachen aufgeregt miteinander. Kim fiel auf, daß die meisten von ihnen aßen. Die untergehende Sonne ließ die hellen Zähne der Morghs weiß aufblitzen. Eine schmale Gasse führte zu einem besonders großen Gebäude hinauf. In den breiten Fenstern dieses Hauses spiegelte sich die untergehende Sonne Pay. Ein kleiner unscheinbarer Morgh kam von dort oben herab. Er trug eine weiße Peitsche in der Hand. Er schlug sich damit bei jedem Schritt gegen die dürren Schenkel. Er war ganz in Weiß gekleidet. Nur eine Kette stach von seiner Kleidung ab. Es war eine handbreite Kette, die aussah, als ob sie aus kirschroten Korallen sei.
Kim wußte nicht, wohin er gehen sollte. Er wollte Frenko nachgehen, aber die Soldaten versperrten ihm lächelnd den Weg. Also zuckte er die Achseln und ließ sich auf den runden Steinen an der Kaimauer nieder. Er starrte trübe auf die vorbeischießenden Fluten. Mit leichten Schritten kam der kleine Morgh zu ihm heran. Er tippte ihm mit der Peitsche auf die Schulter. „Komm mit, mein Sohn!" sagte er auf englisch. Kim fuhr wie von der Tarantel gestochen herum. Aus weiten Augen starrte er den Weißen an. Seine stammelnden Lippen brachten keinen verständlichen Ton heraus. Der Kleine drehte sich um und marschierte mit selbstsicheren Schritten wieder den Berg hinauf, der zu dem großen Gebäude führte. Die Soldaten gaben Kim einen befehlenden Wink. Er folgte dem Weißen. * „Hier wirst du bleiben!" sagte der Kleine, als Kim ihn an der Tür zu dem Gebäude einholte. Kim lauschte den Worten aufmerksam nach. Er grinste. „Aha!" sagte er. „Dachte ich es mir doch! Sie haben einen elektronischen Übersetzer!" Der Weiße grinste vergnügt zurück. „Ich wußte, daß ich Sie nicht täuschen kann, mein Sohn!" Kim registrierte mit einiger Befriedigung, daß der Weiße ihn nun nicht mehr duzte. Er betrat das Haus, als der Kleine ihm die Tür öffnete. Er kam in eine kleine Vorhalle, wie er sie vom Hof des Tann kannte, den er Smoke genannt hatte. Der Boden bestand aus bunten geschliffenen Steinen. An den getäfelten Wänden hingen Bilder, die Porträts von Morghs zeigten. Allerdings waren sie in Farben gehalten, die Kim nicht sehr zusagten.
Durch den Raum ging es in einen zweiten, kleineren. An der Decke brannte elektrisches Licht. Das war nicht überraschend. Smokes Stadt erlebte gerade die ersten Experimente mit der Elektrizität. Hier war man offensichtlich schon weiter. Kim achtete nicht sonderlich auf das Inventar des Raumes. Er hatte nur Augen für den schwergewichtigen untersetzten Laktonen, der zwischen Bergen von Metalldrähten, Wicklungen, Kästen, Glasbirnen, Metallscheiben und stiften, Kurbeln und Rädchen hockte und an einem bis jetzt noch nicht erkennbaren Gerät bastelte. Jetzt sah der Laktone auf. Er bemerkte Kim, verengte die Augen und stieß dann ein höhnisches, meckerndes Lachen aus. „Haben Sie dich auch erwischt, Bürschchen!" brüllte er. „Du Narr, warum bist du nicht gerannt, was die Beine tragen?" Kim wunderte sich, daß der Laktone englisch sprach, schob jedoch alle Fragen darüber zunächst zur Seite, weil er sich sagte, dies sei das Unwichtigste aller Probleme. „Warum sollte ich laufen, Laktone?" Der Laktone schlug die Hände dröhnend zusammen. „Weil du hier das niedrigste Arbeitstier der ganzen Stadt bist!" schrie er. Er packte einen kleinen Metallkasten und schleuderte ihn voller Wucht auf Kim. Der Junge wich geschickt aus, doch schon in der ersten Bewegung merkte er, daß der Wurf nicht ihm galt, sondern dem Weißen. Hinter ihm schlug die Tür zu. Er war allein mit dem Laktonen. Er ging zu ihm hinüber. „Was wird hier eigentlich gespielt, Laktone?" Der Massige schnaubte ärgerlich. „Setz dich hin, Corda!" „Du weißt, wer ich bin?"
„Welcher Laktone wüßte das 'nicht! Dir gilt doch die ganze Aufregung, Junge! Bist du noch immer nicht dahintergekommen, daß wir dich, deine Schwester und deinen Bruder mit allen Mitteln in Sicherheit bringen wollten?" „Dann geht es also immer noch urn die Sache, die Beckett, mein Onkel, mir erzählt hat?" „Er war nicht dein Onkel, nur ein guter Bekannter!" knurrte der Laktone mürrisch. „Ja — ja, es geht darum. Aber davon haben diese Barbaren keine Ahnung!" „Was wollen die Morghs von uns?" „Was schon!" schrie der Laktone zornig. Er schleuderte das Gerät, an dem er bisher gebaut hatte, mit einer zornigen Geste an die getäfelte Wand, wo es zerschellte. „Sie wollen genau das, was ihr Terraner auch von uns wollt! Wissen!" Kim Corda lächelte. „Wie bist du überhaupt hierhergekommen, Laktone?" „Als das Wrack abstürzte, bin ich herausgeschleudert worden. Ich trug einen Schutzanzug. Deshalb konnte ich sicher landen. Diese Burschen gabelten mich auf und schleppten mich hierher. Hier stecke ich nun seit Monaten." Er lachte höhnisch auf. „Ich bin schon in die Geschichte der Stadt eingegangen!" grinste er. „Man hat zwei Jahrestage nach mir benannt, weil ich die Elektrizität für sie erfunden habe und weil ich ihnen beigebracht habe, wie man sich gegen die verfluchten Sirenen schützen kann!" Kim fuhr erregt vor. „Man kann sich gegen sie schützen?" „Natürlich!" „Wie? Das verstehe ich nicht!" „Paß auf, Junge! Hier auf diesem verfluchten Planeten gibt es zwei energetische Schwerpunkte. Einer liegt im Norden von hier, der andere im Westen. Beide sind meßbar. Ich habe sie ange-
peilt. Es ist ein außerordentlich hohes Energiepotential vorhanden. Woher das kommt, weiß ich noch nicht. Das alles stimmt mit der hier bestehenden Zivilisationsstufe nicht überein." Er machte eine kleine Pause und schüttelte verwirrt den Kopf. „Ich habe festgestellt, daß der Energiepol im Westen dem im Norden ständig Energie absaugt. Das Potential im Norden wird immer schwächer!" „Was hat das mit den Sirenen zu tun?" warf Kim ein. „Warte ab, Wicht!" knurrte der Gefangene. „Die Sirenen haben kleine Schwebeplatten!" Kim wollte einwerfen, daß er das schon wußte, aber er hielt seine Worte noch rechtzeitig zurück. Er wollte den Laktonen nicht verärgern. „Diese Platten können unmöglich von diesen Leuten hier entwickelt worden sein. Es ist noch nicht einmal uns gelungen, Gravitationsmechanismen auf so kleinem Raum unterzubringen." „Die Platten erzeugen also ein Gravitationsfeld?" „Du hast es erraten, du kleines Genie!" grinste der Laktone. „Und die Energie für dieses Feld beziehen die Sirenen von dem nördlichen Kraftfeld, von dorther, wohin im Augenblick alle Morghs wandern, die man nicht anbindet. Wie die Sirenen sich die Energie holen, ist mir noch schleierhaft. Jedenfalls ist es mir gelungen, einen kleinen Störsender zu bauen. Er schaltet die Gravitationsplättchen aus. Folge: die Sirenen fallen herunter!" Er lachte laut auf und schlug sich amüsiert auf die breiten Schenkel. „Das war ein Spaß, Sohn! Das hättest du sehen sollen! Die Sirenen wollten die Leute des Tann aus der Stadt treiben. Ich habe sie alle auf die Nase fliegen lassen!" Er hustete kurz, verschluckte sich,
hustete kräftiger und wischte sich über die breite Nase. „Ich hätte das nicht tun dürfen!" murmelte er ärgerlich. „Und warum nicht?" „Der Tann läßt mich seitdem nicht mehr frei. Die Sirenen waren für die Morghs die höchste Macht. Da ich nun noch mächtiger war als die Sirenen und die Morghs mich in der Hand haben, zwingen sie mich, ihnen alle möglichen technischen Geräte zu bauen, diese Narren!" „Und warum tust du das, Laktone?" „Warum?" brüllte der Massige wütend. „Weil ich nicht verhungern will! Deshalb! Und jetzt scher dich weg! Ich habe zu tun!" Kim grinste. Er marschierte zur Tür und wollte sie öffnen. Es ging nicht. Sie war fest verriegelt. Der Laktone lachte. „Jetzt geht es dir wie mir! Ich stelle mir nur vor, daß inzwischen ein Hilfsschiff eintrifft, das die anderen abholt. Wenn wir Pech haben, sitzen wir in hundert Jahren noch hier!" „Ich nicht!" Der Laktone winkte ab. „Wir kennen Fälle, in denen Laktonen über hundertfünfzig Planetenjahre verschollen waren, bis sie durch einen Zufall geborgen werden konnten. Also rege dich nicht auf! Erfinde lieber etwas, das den Morghs Freude macht!" * Voller abergläubischer Scheu wichen die Morghs zurück. Die beiden alten Sirenen warfen ihnen einige befehlende Worte zu. Widerspruchslos kletterten die Morghs von ihren Houms und stiegen in eine schmale Spalte ein, die seitlich in den schimmernden Fels führte. Die beiden Sirenen sanken herab. Vor und hinter Velda kamen sie auf den Boden.
Die Sirene, die direkt vor Velda stand, schrie einen Befehl. Der Tann kehrte zurück. Mit zitternden Händen legte er den kleinen Übersetzer vor der Sirene auf den Boden. Velda Corda trat blitzschnell vor. Bevor die Sirene nach dem Gerät greifen konnte, hatte Velda es schon an sich genommen. Sie kümmerte sich nicht um die empörten Schreie der beiden Frauen. Sie schaltete das Gerät, das sie von den Laktonen kannte, ein. „Was wollt ihr von mir? Weshalb verfolgt ihr mich?" Die beiden Sirenen traten ganz dicht an das Mädchen heran, das ihnen unerschrocken in die Augen sah. „Setz dich!" Velda zuckte die Achseln gleichmütig und setzte sich auf den Boden. Die beiden Frauen ließen sich dicht vor ihr nieder. Mit flammenden Augen starrten sie sie an. Velda bemerkte, daß die Höcker auf ihren Stirnen aschgrau waren und etwas länger als die der jungen Sirene. Die Pupillen der grünen Augen waren ungewöhnlich groß. Etwas ungemein Zwingendes ging von diesen Augen aus. „Du störst das Gleichgewicht", sagte eine der beiden. Sie trug ein gelbes Tuch auf den Schultern, während die andere eines von roter Farbe gewählt hatte. „Schon lange spüren wir deine Anwesenheit. Wir konnten dich nicht finden. Du mußt in den Tempel gehen und dich einordnen — oder sterben!" Velda überlegte krampfhaft. Sie hatte keine Furcht vor den Sirenen. Sie dachte nicht daran, in ihnen etwas Übernatürliches zu sehen. Für sie waren es Frauen wie andere auch. Sie war fest davon überzeugt, daß die Sirenen sich eine noch unbekannte Technik zunutze machten, um das primitive Volk zu täuschen. Velda suchte nach einem Ausweg. Sie wollte sich in nichts einordnen, weil
sie fürchtete, daß sie ihr eigenes Ich auf diesem Wege verlieren würde. Sie wollte nur überleben, bis die Expedition kam und sie herausholte. Sie durfte kein Risiko eingehen. Das Wissen, das ihr hypnotisch eingepflanzt worden war, war zu wichtig. Sie wußte es nicht, aber sie ahnte es. Zu lange hatten die Laktonen sie untersucht. Immer wieder hatten sie gefragt. Velda konnte aus diesem Verhalten nur einen Schluß ziehen. Die Erfindung Walter Becketts mußte wirklich ungewöhnlich sein, wenn sie so wichtig war, daß selbst die Laktonen darum kämpften. „In was muß ich mich einordnen?" fragte Velda. „Du wirst dich uns anpassen. Du wirst Dienerin des großen Steines werden!" Verwirrt lauschte Velda den Worten nach. Sie prüfte den elektronischen Dolmetscher, konnte aber keinen Fehler feststellen. Er war so geschaltet, wie er sein sollte. „Warum ich? Was ist Besonderes an mir?" „Du hast die Fähigkeit, mit dem großen Stein zu sprechen", antwortete die Sirene geheimnisvoll. Velda schüttelte den Kopf. Nichts klärte sich. Statt dessen wurde alles immer geheimnisvoller und dunkler für sie. Sie wußte nicht mehr, was sie von den Worten der Sirenen halten sollte. Sie beobachtete die beiden Gehörnten, die sie mit scharfen Blicken musterten. Was meinten die Frauen? Was bedeutete es, wenn sie davon sprachen, daß sie mit dem „Stein" sprechen konnte? Velda kam zu dem Schluß, daß es sich um rein geistige Kräfte handeln mußte, mit denen die Morghs beeinflußt wurden, mit denen die Macht der Sirenen begründet wyrde. Wie Schuppen fiel es ihr von den Augen.
Wenn auch sie mit dem „Stein sprechen" konnte, hieß das, daß sie von ihm die geistige Energie beziehen konnte, die sie benötigte, um den verhängnisvollen Ruf von Norden zu brechen? Sie sprang auf. „Geht!" sagte sie entschlossen. „Ich werde euch nicht folgen!" „So stirb!" Die beiden hoben die Arme. Velda versuchte es. Sie konzentrierte sich auf jenes geheimnisvolle Etwas im Norden. Sie erschrak, als sie den schmerzenden Zug in ihrem Hinterkopf fühlte. Sie empfand den Energiepol wie einen Schrei aus Norden. Die Sirenen schrien bestürzt auf. Sie starrten auf ihre Füße. Sie hoben die Röcke und betasteten ihre Sohlen. Immer wieder warfen sie Velda verwirrte und zornige Blicke zu. „Verschwindet!" lachte das Mädchen. „Lauft!" Aus dem Felsspalt erscholl ein breites Lachen. Smoke kam hervor. Er rief etwas. Es dauerte etwas länger, bis der elektronische Übersetzer die Worte ins Englische übertrug. „Schert euch zum Teufel!" rief der Tann. „Hier habt ihr nichts mehr zu suchen!" Die alten Sirenen standen wie starr. Sie konnten nicht begreifen, daß sie plötzlich ohne Macht waren. Eine Welt brach für sie zusammen. Die Verbindung zu dem Energiepotential im Norden war erloschen. Sie waren nur noch ganz gewöhnliche Frauen mit etwas ungewöhnlichen Höckern auf den Köpfen. Velda fühlte den westlichen Energiepol genauso deutlich wie den nördlichen. „Wir sollten uns beeilen!" rief sie Smoke zu. „Weit kann es nicht mehr sein bis zu unserem Ziel!" Die beiden Sirenen schoben sich still
an dem Mädchen vorbei. Sie versuchten nicht mehr, ihre schreckliche Drohung wahrzumachen, aber in ihren Augen loderte der Haß. Das Verhalten Velda Cordas war schlimmer für sie als alles andere, was sie sich vorstellen konnten. Es konnte kein größeres Verbrechen geben, als eine Sirene so zu demütigen. * Kim Corda steckte die Hände in die Hosentaschen. „Ich habe keine Lust, den Rest meines Lebens hier zu verbringen", sagte er. „Ich will 'raus!" „Das möchten noch sehr viel mehr Leute, Kleiner! Der Tann dieser Stadt ist ein Genie! Er hat seine Leute fest in der Hand. Die hohen Mauern sorgen dafür, daß niemand hinaus kann." „Er läßt auch seine eigenen Leute nicht 'raus?" „Er denkt gar nicht daran. Er hat es mir erklärt. Er sagte, alle vier Jahre treiben die Sirenen die Morghs nach Norden. Er sagt, er selbst sei schon oft dort gewesen. Er weiß jedoch nicht, was dort geschieht. Er weiß nur, daß er jedesmal, wenn er dort war, hinterher sehr lange sehr krank und erschöpft war. Er sagt, es sei, als ob die Sirenen allen Leuten das Leben absaugten! Und um das zu verhindern, sperrt er seine Leute eben ein. Sie vermauern alles, so daß sie nicht 'rauskönnen. Sie schließen sich selbst ein! Glaub mir, Kleiner, viele von den Morghs würden sehr gern flüchten, aber es geht einfach nicht. Die einzige Möglichkeit wäre, gegen den Fluß zu schwimmen. Aber das ist völlig unmöglich. Da kommt niemand durch. Finde dich damit ab, hier wirst du alt!" Kim trat wütend mit dem Fuß gegen die Tür. Er konnte und wollte nicht glauben, daß er den Rest seines Lebens in dieser Stadt verbringen sollte.
Die Tür öffnete sich. Frenko humpelte herein. „Frenko!" Der Junge sah ihn mit großen Augen an. Er trug braune Hosen aus einem groben Stoff, der ihm locker um die dürren Beine flatterte, und ein zerschlissenes gelbes Hemd, das am Kragen offen war. Die Füße waren nackt. „Bitte, Herr?" fragte er in englischer Sprache. „Frenko, ich ..." Der Junge sah ihn verständnislos an. Kim Corda schüttelte wie benommen den Kopf. Er sah zu dem Laktonen hinüber, der gleichmütig grinste. „Bin ich denn hier im Irrenhaus?" schimpfte Kim. Er rüttelte den Morghjungen an den Schultern. „Kennst du mich nicht mehr?" Frenko sah ihn erstaunt an. Er stieß einige unverständliche Worte in der Sprache der Morghs aus, die Kim nur wie aus weiter Ferne hörte. Niedergeschlagen ging Kim zu einem groben Holzblock hinüber und setzte sich. Frenko fragte etwas. Der Laktone nickte und zeigte auch auf Kim. Der Junge zog sich zurück. Kim hörte das Schloß zuschnappen. Wenig später kam er wieder. Er brachte zwei Glasbecher mit einem farblosen Getränk. Er stellte es vor den Laktonen hin und verschwand abermals. Ohne Worte. Ohne ein Zeichen für Kim. Er kannte Kim nicht mehr. Frenkos Augen sahen einfach durch ihn hindurch. * Frenko eilte die schmalen Treppen hinauf, die zur Spitze des höchsten Turmes in der Stadt führten. Alle acht Stufen öffnete sich ein winziges Fenster, das ihm einen Blick auf die Häuser der Stadt gewährte. Der Junge staunte über die Technik der Morghs
dieser Stadt. Sie waren der seiner Stadt weit voraus. Lag das nur daran, daß der Laktone bei ihnen war und ihnen — gezwungenermaßen — half? Frenko erreichte die Spitze des Turmes. Er schob sich durch eine kleine Eisenluke auf die kleine Aussichtsplattform hinaus und richtete sich auf. Er lehnte sich gegen die Brüstung und zog fröstelnd die Schultern an den Kopf. Er wunderte sich, daß es so kalt war. Pay und Somd, die beiden Sonnen, krochen über den Horizont heraus. Sie hätten mehr Licht und mehr Wärme für diese Jahreszeit spenden sollen. Es war zu kalt. Frenkos Gedanken kehrten wieder zu den Morghs dieser Stadt zurück. Er starrte nach unten. Tief unter sich sah er die Männer der Stadt mit Arbeiten beschäftigt. Er selbst spürte den Zug nach Norden. Der Wunsch, über die hohen Mauern zu springen und diesem Ruf zu folgen, wurde immer stärker. Frenko fühlte eine ausgelassene Fröhlichkeit in sich aufsteigen, je mehr er an das Land im Norden dachte. Es war schön dort und warm. Die Leute waren lustig und ausgelassen. Frenko zuckte zusammen. Woher wußte er das? Er war noch nie im Norden gewesen. Oder wenn er jemals dort war, dann hatte er keine Erinnerung daran. Er blinzelte in die beiden hellen Sonnen. Blauer Dunst lag über dem Fluß, der schäumend in die Stadt schoß und alles hineinschleuderte, was nicht Rechtzeitig auf die Ufer sprang. Täuschte er sich — oder schimmerten die Ufer wirklich weiß? So weiß, als ob dort Eis wäre? Er lachte verkrampft. Das war unmöglich! Eis zu dieser Jahreszeit hatte es noch nie gegeben! Er schlug die Arme um seinen hageren Leib, um sich zu wärmen. Ihn fror.
Er führte es auf die Höhe und den kalten Wind zurück. Das erschien ihm durchaus nicht ungewöhnlich. Eilig kletterte er wieder in die Luke und eilte die Treppen hinab. Eines war sicher! Ganz sicher! Aus dieser Stadt zu fliehen war völlig unmöglich! Wenig später schlich er sich aus dem großen Haus des Tann. Niemand bemerkte ihn, und niemand hielt ihn auf. Er eilte durch die erwachenden Straßen, stahl sich eine kleine Frucht an einem Stand, der für wenige Augenblicke unbewacht war, und stillte seinen Hunger. Er strebte zu den Mauern hin, die die Stadt umspannten. Als er sie erreichte, blieb er betroffen stehen. Die Mauern waren tatsächlich so hoch, daß nur der Turm auf dem Hause des Tann sie überragte. Die Seiten der Mauern waren mit glasigem Gestein überzogen, das glatt poliert war. Es war so blank, daß sich die Häuser darin spiegelten. Frenkos Finger glitten über das Material. Es fühlte sich glatt und schlüpfrig an. Niemand konnte diese Mauern erklettern. Sie waren nicht zu überwinden. * Das Super-Ego war im höchsten Maße beunruhigt. Die störenden Faktoren auf Morgh machten sich immer stärker bemerkbar. Die Existenz von Kim und Velda Corda auf dieser Welt rüttelte an den Festen der Zivilisation auf Morgh. Auf der Welt drohte eine neue turbulente Zeit zu beginnen, in der die Sirenen nur noch eine untergeordnete Rolle spielten. Das Super-Ego — gebildet aus einem Kreis von vierundzwanzig erfahrenen Sirenen, die sich bei den Händen hielten und in inniger Verbindung mit dem
Kristall standen — beobachtete die Entwicklung mit größter Sorge. Einige Hoffnungsschimmer gab es. Man hatte eine neue Waffe gefunden, mit der man einen aufsässigen Tann schlagen konnte. Der Beschluß war jetzt endgültig. Kim und Velda Corda durften auf gar keinen Fall überleben. Alle Berechnungen und Überlegungen führten zu dem gleichen Schluß. Die dominierende Rolle, die die Sirenen innerhalb der Morgh-Kultur spielten, war zum Untergang verurteilt, wenn Kim und Velda Corda überlebten. An ihnen brach sich die Macht der Sirenen. Ihr Beispiel verleitete die Morghs zu offenem Aufstand. Zur großen Beruhigung des SuperEgo trafen jetzt die ersten Karawanen im großen Tal ein. Einige Hunderttausend Morghs ließen sich an den sanften Hängen nieder. Sie schlugen ihre Zelte auf. Die Lagerfeuer flammten auf. Ausgelassenes Leben herrschte an den Rändern des großen Tals. Der Kristall belebte sich. Der energetische Kreis, auf dem die Morgh-Kultur basierte, begann die entstandenen Lücken zu schließen. Jetzt gewann das Super-Ego an neuer Kraft. Es begann, die ihm gestellten Aufgaben der Vernichtung mit neuer Energie aufzunehmen . .. * Frenko war wieder auf dem Turm. Aus ganz engen Augen blinzelte er gegen den eisigen Sturm, der von Osten kam. Winzige Eiskristalle peitschten gegen seine Haut. Er konnte es nicht fassen. Das Land überzog sich mit einer weißen Decke. Die Temperaturen fielen unter den Gefrierpunkt! Der Fluß bewegte sich langsamer. An seinen Ufern türmten sich schillernde Eisklumpen. Frenko hastete die Treppen hinunter.
Er warf die warme Decke ab, mit der er sich geschützt hatte, nahm ein Tablett mit zwei Gläsern auf und schlüpfte in den Arbeitsraum. Kim und der Laktone sahen ihn überrascht an. „Jetzt schon?" knurrte der Laktone. „Was willst du?" Frenkos Blicke glitten über die Wände. Erstaunt verfolgte Kim das vorsichtige Gebahren seines Freundes, der ihn plötzlich nicht mehr kannte. Da entdeckte er plötzlich die beiden kleinen Löcher in der Wand. Sie waren genauso weit auseinander, wie Augen auseinanderzustehen pflegen! Doch Frenko schien der Meinung zu sein, sie seien unbeobachtet. Er glitt zu dem Laktonen hinüber und flüsterte ihm erregt etwas zu. Der Laktone pfiff überrascht. „He, Kleiner! Komm her!" Kim kam zu den beiden herüber. Frenko blinzelte ihm lächelnd zu. Erleichtert atmete der Terraner auf. Er drückte seinem Freund den Arm. „Was ist los?" „Die Sirenen rächen sich! Sie wollen den Tann erledigen und seine Leute mit aller Gewalt aus der Stadt treiben!" „Wie?" „Sie haben ihm den Winter auf den Hals geschickt!" Kim sah den Laktonen und Frenko erstaunt an. „Und? Was hat das zu bedeuten? Ist das ungewöhnlich?" „Ungewöhnlich? Der Winter sollte erst in zweihundert Planetentagen kommen. Er platzt mitten in die wärmste Jahreszeit! Das können nur die Sirenen angerichtet haben!" „Wie schaffen die das? Das ist doch unmöglich!" „Unmöglich nicht, mein Junge", erklärte der Laktone. „Die Sirenen sind Meister in der Wetterbeeinflussung. Es ist ihr wichtigstes Machtinstrument, mit
dem sie strafen und belohnen. Solange es diese eigenartige Kultur gibt, beherrschen die Sirenen ihr Fach. Soviel habe ich schon aus den Morghs herausholen können, seitdem ich hier bin. Ich traue den Sirenen also auch zu, daß sie einen Winter machen!" „Und jetzt?" „Jetzt wird der Tann irgendwann zu uns kommen und uns um Rat fragen! Allein schafft er es nicht! Die Stadt ist nicht auf einen Winter vorbereitet!" „Und was unternehmen wir?" „Uns geht das nichts an!" Er zeigte auf das komplizierte Gebilde, an dem er arbeitete. „Seit Wochen versuche ich schon, eine Gravo-Platte zu bauen. Ich glaube, ich bin jetzt bald soweit!" „Eine Gravo-Platte?" rief Kim überrascht. „Das heißt, damit könnten wir dann über die Mauer?" Der Laktone grinste breit. „Wenn das nicht klappt, können wir immer noch übers Eis gehen, mein Sohn! Wenn der Fluß zugefroren ist, gibt es einen Weg nach draußen!" Sie hörten ein Geräusch. Frenko nahm sein Tablett hastig auf und verließ den Raum. In der Tür begegnete er dem Tann, der gemütlich grinste. Kim verengte mißtrauisch die Augen. Weshalb ließ er Frenko zu ihnen? Wußte er nicht, daß sie zusammengehörten? Oder benutzte er Frenko, um sie in eine Falle zu locken? * Smoke verschenkte keine Zeit. Er ahnte, daß sie sich das nicht leisten konnten. Die beiden alten Sirenen waren kaum verschwunden, da schwangen sie sich auch schon auf die Houms, um sie zu höchster Eile anzutreiben. Die Nacht wurde dunkler und undurchdringlicher. Die Soldaten beschwerten sich immer häufiger darüber, daß es ungewöhnlich kalt war. Auch
Velda spürte den eisigen Wind, der von Osten kam. Ab und zu hörten sie aus der Ferne die Schreie von Morghs. Sie kamen aus rauhen Männerkehlen. Niemand sprach darüber. Sie alle taten, als wüßten sie nicht, was das zu bedeuten hatte. Aber sie wußten es alle. Es waren Krieger aus der Karawane, die von den Sirenen auf sie gehetzt wurden. Smoke trieb die kleine Gruppe immer wieder zur Eile an. Der Wind wurde kälter. Gegen Morgen, als Somd sich über den Horizont schob, war der Himmel glasklar und von erschreckender Kälte. Velda sah immer öfter zurück. Sie ritten über flaches Steppengebiet, aus dem vereinzelte grau-grüne Baum- und Buschinseln emporschössen. Das gelbe Gras war hart und scharf. Doch es schien den Houms nichts auszumachen. Sie warfen ihre drei Beine mit unermüdlicher Regelmäßigkeit nach vorn. Zwei Stunden nach dem Aufgang der Sonne Somd erhob sich auch Pay. Sie wirkte eigentümlich grün, als sie sich aus der Steppe erhob. Der Tann warf immer wieder besorgte Blicke zum Himmel. Velda fror. Ihre Kleidung bestand nur aus einer einfachen Sportkombination, wie sie sie getragen hatte, als die Laktonen sie aus Miami in Nordamerika entführt hatten. Die Laktonen hatten ihr nicht viel Kleidung zum Wechseln gegeben. Der eisige Wind ließ sie erschauern. Als sie die dichte Kette der HoumReiter hinter ihnen ausmachte, begann es zu hageln. Nußgroße Hagelstücke peitschten über das Land. Rasend schnell hatte sich der Himmel von Morgh überzogen. Große schwarze Sturmvögel flogen dicht über dem Boden. Sie flüchteten sich auf die Bauminseln, in denen sie Schutz finden konnten.
In dem dichten Hagel verlor Velda die Verfolger aus den Augen. Sie hoffte, daß auch diese ihre Spur verlieren würden. Sie preßten sich Tücher vor das Gesicht, um sich vor dem Hagelsturm zu schützen. Aber auch das half bald nichts mehr. Als sie an einer verlassenen Farm vorbeikamen, gab der Tann den Befehl, dort Schutz zu suchen. Velda atmete erleichtert auf. Für einen Augenblick vergaß sie die Verfolger, die Mordboten der Sirenen. Sie flüchtete sich mit den anderen in das niedrige Gebäude, das ganz aus Holz bestand. Die Hagelstükke knallten ratternd gegen die Bleiglasscheiben, die diesem Bombardement jedoch mühelos standhielten. Velda hatte nicht darauf geachtet, was mit den Houms, ihren Reittieren, geschah. Sie eilte zu einem Fenster, um sich davon zu überzeugen, daß die wertvollen Tiere ebenfalls in Sicherheit gebracht wurden. Doch die Houms sorgten auf ihre Art für ihre Sicherheit. Sie rollten sich zu Kugeln zusammen. Sie zogen die langen Beine an den Leib. Die drei Meter hohen Kugeln rollten vor dem Hagel her über das Land. Die jagenden Böen trieben sie hin und her. „So etwas hat es noch nicht gegeben!" keuchte Smoke erschöpft. „Es wird Zeit, daß die Herrschaft der Sirenen gebrochen wird!" Velda sah ihn erstaunt an. „Wünschen Sie das wirklich, Smoke, oder sagen Sie das jetzt nur aus einer Laune heraus?" Der Tann lachte bitter auf. „Sie saugen uns aus! Sie leben auf unsere Kosten! Sie sind Schmarotzer!" Für einen Augenblick beruhigte sich der Sturm. Die Wolken rissen auf. Velda konnte ein Stück blauen Himmels sehen. Ein Hantelraumer schwebte in kaum zweitausend Meter Höhe über sie hin-
weg. Auf dem breiten Verbindungsstück zwischen den in den Sonnen blitzenden Kugeln stand eine Schrift, die Velda sofort entziffern konnte: „Walter Beckett". Velda schrie gellend auf. Sie fuhr herum. Der Tann stürzte zum Fenster. „Was gibt es?" knallte seine erregte Frage aus dem elektronischen Dolmetscher. Die Wolken hatten sich geschlossen. Dichter Schnee trieb über das Land. Velda starrte wie von Sinnen in den Himmel. „Sie dürfen uns nicht verpassen!" stammelte sie. „Sie dürfen nicht abfliegen, ohne uns gefunden zu haben!" * Frenko hüllte sich fest in die warmen Kleider, die er sich angelegt hatte. Die Stadt versank unter einem dichten Schneeschleier. Der Fluß war erstarrt. Doch Frenko konnte trotz des dichten Schneetreibens vom Turm aus erkennen, daß der Tann Wachmannschaften am Fluß aufgestellt hatte. Außerdem schien das Gitter jetzt bis auf das Eis herabzureichen. Wieder fiel Frenko auf, daß die Sehnsucht, nach Norden zu ziehen, hier oben auf dem Turm wesentlich stärker war als in der Stadt. Schirmten die Mauern gegen die Sucht ab? Die Häuser trugen schon eine Schneedecke, die höher als zwei Meter war. Auf den Straßen zeigte sich niemand mehr. Vereinzelt kräuselten sich Rauchfäden aus den schmalen Schornsteinen der Häuser. Aber das war selten. Es gab nicht viel, was die Morghs verheizen konnten, um ein wenig Wärme zu erzeugen. Die Sirenen hatten dem Tann den geschicktesten Tiefschlag versetzt, den sie
hätten wählen können. Frenko quälte sich mit steifen Gliedern in den Turm zurück. Er schlich nach unten. Doch jetzt konnte er nicht zu den Gefangenen kommen. Zwei kräftige Wachen standen vor der Tür, die zudem mit einem kräftigen Schloß abgesichert war. Gerade in diesem Augenblick erschien der Tann in Begleitung zweier breitschultriger Riesen. Im Vergleich zu den anderen Morghs waren es wahre Kolosse, auf der Erde hätten sie jedoch nicht minder dürr gewirkt als der Durchschnitt der Bevölkerung. Die Wachen öffneten die Tür. Der Tann trat ein. Seine Leibwache blieb bei ihm. Sie trugen großkalibrige Gewehre. Frenko kauerte sich nachdenklich auf die Wendeltreppe. Doch blitzschnell kam ihm die Idee. Wenn die Leibwächter beim Tann waren und alle drei zu den Gefangenen gingen, dann konnte sich niemand bei dem heimlichen Spionauge aufhalten. Er stahl sich die Treppe hinunter und schlüpfte in den Salon des Tann. Er wußte genau, wo er den schmalen Gang zu suchen hatte. Zufällig war er einmal Zeuge gewesen, wie sich der Tann in den Gang schob, um die Gefangenen zu belauschen. Frenko drückte also die Täfelung in der hinteren Ecke des Salons zur Seite und schob sich in den Gang. Mit drei Schritten war er an dem Spion. Er preßte sein Gesicht dagegen und spähte in den Raum, in dem sich der Laktone und Kim aufhielten. Doch er kam zu spät. Gerade verließen der Tann und seine Leibwächter wieder den Raum. Der Laktone und Kim standen betroffen an der Tür. Sie sahen sich sehr besorgt an. Frenko biß sich ärgerlich auf die Lippen, huschte in den Salon zurück, schloß die Täfelung, nahm sein Tablett und eilte beflissen auf den Vorraum hinaus, wo er dem Tann begegnete.
Dieser warf ihm nur einen gleichgültigen Blick zu. „Bring den beiden etwas Warmes zu trinken!" befahl er. Frenko brauchte einige Zeit, um eine warme Brühe aus der Küche zu bekommen. Die Wachen öffneten ihm die Tür. Eine harte Hand packte ihn. „Los! Schrei!" zischte der Laktone. Frenko fuhr herum und stieß die Tür wieder auf. „Schnell! Helft!" keuchte er. Die Wachen stürzten herein. Sie liefen genau in die Fäuste des Laktonen, der sie mit trockenen Schlägen niederstreckte. Der Laktone eilte zu dem Gerät, das er gebaut hatte. Es war eine kleine Platte, deren Seiten mit komplizierten Gebilden übersät waren. Auch an der Unterseite klebten zahlreiche Geräte. Jetzt schaltete er hastig. Es gab einige krachende elektrische Entladungen, die Kim erbleichen ließen. Dann jedoch erhob sich die Platte taumelnd. Der Laktone packte sie an der Kante und zog sie hastig hinter sich her. „Schnell jetzt! Wir haben keine Zeit zu verlieren!" Sie hasteten zur Tür, an der die beiden bewußtlosen Wachen lagen. Kim achtete genau darauf, welche Schaltungen der Laktone an den vier kleinen Hebeln vornahm, mit dem die primitive Platte besetzt war. Frenko eilte voran. Er lief zu einer schmalen Tür hinüber, stieß sie auf und kehrte fast augenblicklich mit einem dicken Bündel Kleidung wieder. Sie streiften sie sich über. „Wie kommen wir 'raus?" „Nur durch den Turm!" erklärte Frenko. „Alle anderen Ausgänge werden scharf bewacht!" Er zeigte ihnen den Aufgang. Der Laktone steuerte die schwebende Platte hinein. Kim verschloß die Tür zu ihrem Gefängnis mit dem schweren Schloß
und nahm den Schlüssel mit, bevor er den beiden anderen nachlief. Als sie den Turm halb hinaufgeklettert waren, erschollen unten die lauten Alarmrufe. Ein Summer dröhnte dumpf durch das Haus. Ein Gewehr krachte. „Beeilung!" keuchte Frenko. Sie liefen, so schnell sie konnten. Schneller ging es nicht, weil die Treppe zu schmal war und die Platte so breit. Doch als die ersten Schritte unter ihnen über die Stufen polterten, erreichten sie die Plattform. Der Laktone sprang auf seine GravoPlatte. Vorsichtig zog er die beiden Jungen hinauf. Kim grinste unternehmungslustig. Sein von Sommersprossen übersätes Gesicht strahlte vor Vergnügen. Er zog sich die Mütze, die Frenko ihm gegeben hatte, tief ins Gesicht. „Wir werden es ihnen schon zeigen!" lachte er. Sie klammerten sich aneinander. Sanft hob sich die Platte. Sie schwankte im scharfen Wind. Der Schnee stob über die drei Flüchtlinge hinweg. Tief unter ihnen lag die Stadt in ihren erstarrten Mauern. Der dicke Schnee ließ kaum noch die Konturen der Häuser erkennen. Frenko schrie. „Dorthin!" er zeigte nach Norden. Der Laktone lachte überschwenglich. Er richtete sich hoch auf. Die GravoPlatte taumelte über die Häuser hinweg. Sie schwebten in fast fünfzig Meter Höhe auf die Mauer zu. „Setzen Sie sich doch!" schrie Kim. Der Laktone und Frenko waren wie von Sinnen. Auch Kim spürte jenen Lockruf aus dem Norden, aber er wehrte ihn mühelos ab. Die Platte beschleunigte scharf. Kim klammerte sich an die Kante. Er kauerte sich ganz tief hin. Voller Angst beobachtete er das Verhalten Frenkos und das des Laktonen. Beide schienen den Verstand verloren zu haben. Sie lachten.
Der Laktone sang. Er winkte übermütig zu den Morghs hinüber, die jetzt erst auf der Brüstung des Turmes erschienen. „Schneller! Laktone! Schneller!" „Halt den Mund, Junge! Ich habe hier das Sagen, klar?" Er gab Kim einen Fußtritt, der den Jungen um ein Haar von der Plattform geschleudert hätte. Frenko lachte. Er faßte es als Scherz auf. Er schlug dem Laktonen auf die Schulter, wobei er sich mächtig recken mußte, um sie zu erreichen. Die Krone der Mauer glitt auf sie zu. Zwei, drei Meter trennten sie noch von dort. Da peitschte ein Schuß am Turm auf. Der Laktone warf die Arme hoch. Kim Corda sah voller Entsetzen, daß sich ein tiefrotes Loch auf seiner Stirn ausbreitete. Der Laktone taumelte. Seine Augen starrten ins Leere. Kim versuchte, den Mann zu halten, doch vergeblich. Der Laktone drehte sich um sich selbst und stürzte lautlos über die Kante der Platte in die Tiefe. Kim sah, daß er mit der Schulter auf einen Schornstein aufschlug und dann im Schnee versank. Wie benommen klammerte er sich an die Platte. Frenko sackte ernüchtert in sich zusammen. Seine grünen Augen waren voller Schrecken auf die Männer am Turm gerichtet. Kim tat das einzige, was sie jetzt noch retten konnte — er schaltete die Gravitationsmechanik der Platte hoch, so daß sie scharf beschleunigte. Sie glitten über die Mauerkrone hinweg. Lachend sprang Frenko auf. Er winkte höhnisch zu den Morghs hinüber, die in der Stadt zurückblieben. Unter dem Einfluß der Sirenen begann Frenko zu toben. Die Platte taumelte heftig. Der Wind zerrte an ihren Klei-
dern. Der Schnee blieb auf dem Eisen liegen. Die Platte wurde von Sekunde zu Sekunde glatter und tückischer. Kim Corda schrie seinen Freund an, um ihn zur Vernunft zu bringen. Umsonst. Frenko begann, auf der Platte zu tanzen. Sie befanden sich noch immer in zwanzig Meter Höhe. Kim ließ die Platte schnell absinken, um sich und seinen Freund in Sicherheit zu bringen. Als sie noch fünfzehn Meter hoch waren, sprang Frenko wie ein Frosch in die Höhe. Kreischend vor Vergnügen schlug er Füße und Hände zugleich zusammen. Sein Pech war, daß ausgerechnet in diesem Augenblick eine scharfe Bö kam, die die Platte um zwei Meter zur Seite schleuderte. Als Frenko mit den Füßen wieder herabkam, konnte er sie nicht mehr auf die Platte setzen. Er schrie entsetzt auf und sauste, sich überschlagend, in die Tiefe. * Rex Corda betastete sein Kinn. Es war dick und geschwollen. Es fühlte sich an, als ob der ganze Kiefer zersplittert wäre. Bekoval hatte hart und entschlossen zugeschlagen. Corda wälzte sich stöhnend herum und stemmte sich hoch. Vor seinen Augen drehten sich flirrende Schleier, die er kaum durchdringen konnte. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die kühle Panzerplastwand und atmete mehrmals tief durch. „Geht es Ihnen besser, Sir?" fragte eine Stimme. Corda zuckte zusammen. Die Stimme klang so normal, daß sie ihm — nach den Ereignissen der letzten Stunden — schon unwirklich erschien. Er riß die Augen auf.
Vor der Schleuse standen zwei Roboter. Es waren laktonische Kampfroboter der AA-2-Klasse. Sie ragten bis in zwei Meter Höhe empor. Ihre zylindrischen Körper blitzten metallisch kalt. Eine dichte Kette von Aufnahmeobjektiven zog sich um die Oberkante der ohne Kopf gebauten Roboter. Die verschiedenen Öffnungen für die Kampfwaffen standen offen. Rex Corda atmete erleichtert auf. X — der Unbekannte — hatte eingegriffen. Er sperrte die Schleusen ab, dann konnte es nicht mehr ganz so schlimm werden, wie er zunächst befürchtet hatte. „Ihr sorgt dafür, daß niemand das Schiff verläßt", sagte Corda. „Die Besatzung ist nicht im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte. Sie kann eine befehlsgültige Entscheidung treffen!" „Wir sind informiert, Sir. Wir wünschen Ihnen gute Besserung!" Rex Corda lächelte verzerrt. „Höflich seid ihr auch noch! Hm", stöhnte er. „Danke!" Taumelnd schleppte er sich den Gang entlang. Die Benommenheit wich nur langsam. Beim Gravo-Schacht leuchtete ein eingeschalteter Holograf auf. Corda konnte auf den Planeten hinabsehen. Er bemerkte nur dichte graue Wolken — Winterwolken. Das Schiff befand sich noch immer auf gleicher Höhe wie zuvor. Es schien so, als umkreise es diese Welt einmal in dieser Höhe, bevor es zur Landung ansetze. Die Wolken brachen auf. Corda sah auf sommerlich gelbes Land hinab. Ein langgestreckter Fluß schlängelte sich in vielen Windungen durch ein riesiges Tal. Das Hantelraumschiff setzte zur Landung an. Aus dem Gravo-Schacht kam das Lachen und Singen der Mannschaft, die
sich zum Ausschleusen bereit machte. Corda lächelte. Er war gespannt, wie sich das Weitere entwickeln würde. Würde der Unbekannte es schaffen, die Besatzung im Schiff zu behalten? * Velda Corda beruhigte sich rasch. Sie sagte sich, eine Suchexpedition, die 34 Lichtjahre weit fliegt, werde sich nicht so schnell wieder von einer Welt zurückziehen. Sie dachte im Augenblick nicht daran, wie groß das Gebiet war, das die „Walter Beckett" abzusuchen hatte. Sie wandte sich vom Fenster ab. „Es beginnt zu schneien", sagte sie. „Sollten wir nicht lieber weiterreiten?" Der Tann nickte. Er schnüffelte an einer kleinen blauen Blume. Für einige Zeit schien er nicht ansprechbar zu sein. Velda wollte ihn erst darauf aufmerksam machen, wie gefährlich ihre Situation war, dann aber sagte sie sich, daß der Tann die Ablenkung ganz dringend brauchte, um nicht dem Lockruf der Sirenen zu verfallen. Auch die anderen Krieger lenkten sich mit unwichtigen Beschäftigungen ab. Einer von ihnen, ein bärtiger rauhbeiniger Kerl, kam aus dem Nebenzimmer wieder. Er hielt einen schimmernden Metallstab von Armeslänge in den Händen. Der Stab hatte nur einen Durchmesser von knapp drei Zentimetern. „Seien Sie vorsichtig!" rief Velda. Doch der Rauhbeinige verstand sie nicht. Er richtete das Rohr unwillkürlich auf das Mädchen. Velda sah den grünen Kristall am Ende des Stabes aufglimmen. Sie ließ sich blitzschnell fallen. In dem nächsten Sekundenbruchteil schoß ein grünlicher Strahl über sie hinweg. Es gab einen ohrenbetäubenden Krach — und die Vorderfront des Hauses
brach zusammen. Der Schnee wirbelte ins Haus. Smoke, der Tann, sprang auf den Krieger zu und entriß ihm den Stab. Velda erhob sich schreckensbleich. „Woher haben Sie ihn?" fragte sie erregt. Der Rauhbeinige zuckte die Schultern. Er war ebenso erschrocken wie die anderen auch. Velda bemerkte, daß seine Unterlippe zitterte. Er zeigte auf den Nebenraum. Velda ging hinüber. Doch es gab nichts Besonderes zu sehen. Auf einem niedrigen Schrank lag eine flache Schale. Die Blumen, die darum herumlagen, ließen Velda vermuten, daß die Strahlwaffe dort gelegen hatte. Sie kehrte zum Tann zurück, der die Waffe noch immer in den Händen hielt. „Rufen Sie die Houms", empfahl Velda. „Wir müssen weiter. Die Verfolger werden jetzt bald kommen!" Sie streckte die Hände aus. Vorsichtig legte der Morgh die Waffe hinein. Sein sonst so tiefrotes Gesicht sah plötzlich nicht mehr so gesund aus. Seine Blicke irrten immer wieder zu der breiten Lücke hinüber, die die Waffe ins Haus gerissen hatte. Velda nahm die Waffe vorsichtig an sich, während einer der Krieger eine wie ein Fragezeichen geformte Flöte an die Lippen setzte und schrille Laute damit erzeugte. Die Houms sprangen plötzlich auf und eilten mit weiten Sprüngen auf die Farm zu. Velda schüttelte nachdenklich den Kopf, als sie den Strahler genauer betrachtete. Eine solche Waffe hatte sie bei den Laktonen nicht gesehen. Die Laktonen hatten ihr auch einige Orathonwaffen gezeigt. Auch die hatten ein ganz anderes Aussehen. Wie kam diese Waffe hierher? Wer hatte sie entwickelt? Waren es die gleichen gewesen, die auch die Gravitationsplättchen konstru-
iert hatten, die die Sirenen unter den Füßen trugen? Oder hatte Morgh schon einmal eine technische Blütezeit erlebt, die dann — vielleicht durch einen Atomkrieg — beendet wurde? Stammten daher vielleicht auch die Mutationen, die sich im Kreis der Sirenen sammelten? Fragen über Fragen, die jetzt noch keine Antwort finden konnten. Wahrscheinlich befand sich diese Waffe schon seit Jahrzehnten — vielleicht seit Jahrhunderten im Besitz dieser Farmersfamilie, die jetzt nach Norden gezogen war. Die Houms standen bereit. Velda schlang die schützenden Tücher, die der Tann ihr gab, um den Kopf und ging hinaus, um sich auf ihr Reittier zu schwingen. Vorsichtig behielt sie die gefundene Waffe in den Händen. „Schnell! Sie kommen!" rief der Tann. Velda sah sich um. Aus einem nahen Wäldchen brachen die Verfolger. Sie schwangen ihre primitiven Gewehre über den Köpfen. Velda trieb ihren Houm an. Sie stürmten durch den hohen Schnee, der die Steppe bedeckte. Soviel Schnee in kurzer Zeit gefallen war, sowenig hielt er sich. Der Boden war zu warm. Er behinderte sie nicht übermäßig. Minuten später schon hörte es auf zu schneien. Jetzt kamen die Verfolger schneller voran. Sie rückten auf. * Im ersten Augenblick wußte Kim Corda überhaupt nicht, was er tun sollte. Er starrte seinem Freund nach, der im dichten Schnee verschwand. Er hörte seinen Schrei und glaubte ihn verloren. Dann hantierte er hastig an den Hebeln, mit denen der getötete Laktone die Plattform gesteuert hatte. Langsam senkte sie sich.
Kim warf sich flach auf den Bauch und schob den Kopf über die Kante. Bald konnte er Frenko sehen, der im Schnee lag und alle viere von sich streckte. Kim sprang von seinem primitiven Fahrzeug und rüttelte Frenko. „Frenko!" schrie er verzweifelt. „Steh auf!" Der Junge drehte ihm langsam den Kopf zu — und grinste. Er lag in einer tiefen Schneeverwehung, die seinen Fall aufgehalten hatte. „Das hätte leicht schiefgehen können", murmelte er, doch Kim verstand ihn nicht. Corda half ihm auf und schob ihn auf die Plattform. Frenko schien plötzlich unabhängig von dem Ruf, der aus Norden kam. Er legte keinen Protest ein, als Kim die Plattform um die Stadt herumsteuerte und dann genau nach Westen flog. Der Junge hielt sich dicht über dem Boden, weil hier der Einfluß des Windes nicht so stark war. Es fiel Kim leichter, in dieser Höhe den Kurs zu halten. Es dauerte fast eine Stunde, bis es aufhörte zu schneien. Dann brachen plötzlich die Sonnen durch. Kim hob die Platte etwas an und flog über einen kleinen Wald hinweg. „Da!" schrie Frenko verwirrt. Er zeigte auf das Land, das jenseits des Waldes lag. Dort gab es keinen Schnee und keinen Winter. Scheu sah Frenko zu seinem terranischen Freund hinüber. Dann glitt sein Blick nach Norden. Kim faßte seinen Arm. „Die Sirenen können viel, Frenko, aber wir können auch einiges!" sagte er fest. Frenko sah ihn mit großen grünen Augen an und antwortete nicht. Er verstand die Worte seines Freundes nicht, da sie keinen Dolmetscher hatten. Zwar
kannte er einige englische Worte, aber viel zuwenig, um sich mit Kim unterhalten zu können. Die Sonnen wärmten sie jetzt rasch durch. Der Schnee schmolz in Minutenschnelle ab. Weit in der Ferne erkannte Kim etwas metallisch Blitzendes. Er sah es nur funkeln, konnte jedoch noch keine Einzelheiten erkennen. Er wußte jedoch plötzlich, daß er seinem Ziel nahe war. Frenko kramte in seinen Taschen. Kim sah ihm interessiert zu, während die Gravo-Platte mit hoher Geschwindigkeit nach Westen flog. Es dauerte eine Weile, bis Frenko einen kleinen Gegenstand herausbrachte, der aussah wie ein schlanker Schreibstift. An seiner spitz auslaufenden Seite befanden sich vier scharfe Zacken, die seitlich herausragten. Mit großen fragenden Augen reichte Frenko den Stift seinem Freund hinüber. Kim nahm ihn und drehte ihn unsicher in den Fingern. Er wußte nichts damit anzufangen. Er wollte ihn erst wegwerfen, behielt ihn dann jedoch, da er Frenko nicht verletzen wollte. „Wo hast du ihn gefunden, Frenko?" Er mußte seine Frage dreimal wiederholen, bevor der Morgh antwortete. Eierklärte Kim umständlich, daß er den Stift in dem Arbeitszimmer des Tann gefunden hatte. Dort habe der Stift als Schmuck gelegen. Frenko bedeutete Kim, daß er den Stift einstecken solle. Zögernd folgte der Terraner dem Wunsch seines außerirdischen Freundes. Als er die Blicke hob, sah er die drei Sirenen, die hoch über ihnen schwebten. Die Frauen starrten zu ihnen herab. Kim machte Frenko aufmerksam. Frenko erschrak heftig. Er zeigte auf etwas, das hinter Kim war. Der Junge drehte sich um. Unwillkürlich schrie er laut auf, als er das Furcht-
bare sah, das da auf sie zukam. * Velda trieb ihren Houm zu höchster Eile an. Das Land war ganz flach. Die Tiere konnten schnell laufen. Allmählich verschwanden die letzten Schneeflecken. Der Boden strahlte Wärme aus. Die Wolken verzogen sich. Velda versuchte den Hantelraumer, der den Namen „Walter Beckett" trug, ausfindig zu machen. Doch sie suchte vergeblich. Das Raumschiff war über sie hinweggeflogen. Es war nicht mehr zu sehen. Immer häufiger schossen die Verfolger auf die Flüchtenden. Die Kugeln jaulten ihnen gefährlich nahe um die Köpfe. Velda entschloß sich schließlich zu einem Experiment. Sie drehte sich vorsichtig auf ihrem Houm um, hob den gefundenen Strahler, zielte damit jedoch nicht auf die Verfolger, sondern auf den Boden. Sie wählte eine Stelle aus, die auf der halben Strecke zwischen ihr und den Verfolgern war. Sie schoß. Der grüne Strahl zischte fingerdick aus dem Rohr. Um die Abstrahlöffnung glühte die ionisierte Luft weiß auf. Das grüne Feuer schlug in den Boden. Mit krachender Explosion schnellte sich die aufreißende Steppe empor. Die Fetzen flogen bis in zehn Meter Höhe, dort verwehten sie in feinem Staub. Die Verfolger blieben verblüfft zurück. Betroffen wichen sie dem mächtigen Trichter aus, der sich plötzlich vor ihnen öffnete. Velda schrie triumphierend auf. Sie schwang das Rohr über ihrem Kopf und trieb ihr Reittier an, um Anschluß an ihre Freunde zu finden. Ein bißchen Boden hatte sie doch verloren.
Der Tann grinste sie erfreut an, als sie neben ihm auftauchte. Er zeigte auf die Strahlwaffe und verdrehte verzückt die Augen. Velda lachte. Die Leistung dieser Waffe war tatsächlich verblüffend. Dann jedoch zeigte der Tann nach vorn. Sie bogen um eine niedrige Buschinsel. Velda schrie auf. In einigen Kilometern Entfernung erhob sich ein metallisches Etwas, das eine majestätische Kraft ausstrahlte. Es sah aus wie ein durchgeschnittener Würfel, wie eine besonders breit angelegte Pyramide. Ein dunkler Riß von erheblicher Breite zog sich von der Spitze bis zur Basis hinab. Er wies darauf hin, daß dieses Metallbauwerk schwere Beschädigungen hinnehmen mußte. „Was ist das?" Der Tann hob die Arme. „Ich weiß es nicht", brüllte er, um den Wind und das Dröhnen der Hufe zu übertönen. „Es ist einfach das Heiligtum. Wir müssen aufpassen! Es ist nicht leicht, bis dahin vorzudringen! Die Sirenen passen auf!" Velda sah den Tann verwundert an. Sie fühlte das Energiepotential, das von diesem Bauwerk ausging. Es war anders als das im Norden. Es wirkte vertrauenerweckend. Es war nicht wie dieser Lockruf, es war anders, ganz anders. Es vermittelte einfach nur das Gefühl unermeßlicher Kraft und Sicherheit. Ein Warnschrei machte sie aufmerksam. Sie sahen sich um. Die Verfolger trieben ihre Houms zu Höchstleistungen an. Sie versuchten, die Flüchtenden mit aller Macht zu erreichen. Der Himmel bezog sich wieder. Es wurde drückend heiß. Nach der schneidenden Kälte, mit der sie noch vor kurzer Zeit kämpfen mußten, wirkte diese Schwüle besonders kräfteraubend.
Schwer ging ihnen der Atem über die Lippen. „Das gibt noch ein Gewitter!" sagte der Tann. Velda erschrak. Eine schreckliche Ahnung befiel sie. „Schneller!" schrie sie. „Wir müssen dort sein, bevor das Gewitter kommt!" Hastig drehte sie sich um und schoß abermals zwischen sich und den Jägern auf den Boden. Wieder riß der grüne Strahl die Steppe auf. Wieder entstand ein Krater, den die anderen umreiten mußten. Aber diesmal waren sie nicht mehr so verwirrt wie zuvor. Der erste Blitz zuckte herab. Die Houms wurden unsicher. Sie schwankten und versuchten auszubrechen. Der krachende Donner ließ Velda zusammenfahren. Zwei Blitze zuckten kurz nacheinander herab. Der erste spaltete einen einsamen Baum, der in ihrer Nähe auf der Steppe stand. Der Baum brannte sofort. Der andere Blitz schlug harmlos in den Boden. Doch dann kam ein Blitz, der einen Morgh traf. Er schmetterte ihn und sein Houm grausam zu Boden. Velda suchte mit fiebrigen Augen den Himmel über sich ab. Sie wußte, daß irgendwo die Sirenen sein mußten. Sie wußte, daß die Sirenen die Blitze zu lenken versuchten. Sie wußte, daß die Sirenen sie mit Blitzen erschlagen wollten. Wieder krachten zwei Blitze herab. Wieder schmetterte einer von ihnen einen Morgh und sein Tier zu Boden. Der Tann schrie wie von Sinnen. Er schlug mit den Fäusten auf sein Houm ein, das seine letzte Kraft gab und wild über die Ebene stürmte. Velda kauerte sich fest an das Tier, sie klammerte sich an das zottige Fell. Ihre Augen suchten noch immer. Da plötzlich entdeckte sie drei Sire-
nen. Sie schwebten sehr, sehr hoch, schon in den Wolken. Velda hob den Strahler, zielte notdürftig und drückte den kleinen Hebel, mit dem sie die Waffe auslösen konnte. Zischend raste das Grün hinauf. Doch es erreichte die Sirenen nicht. Jetzt kam Blitz auf Blitz. Das metallene Bauwerk, das aussah wie eine stumpfe Pyramide, kam rasend schnell näher. Schnell genug? An seiner Spitze züngelten die hellen Flammen elektrischer Entladungen. Wieder und wieder schoß Velda mit der gefundenen Waffe auf die Sirenen. Doch es reichte einfach nicht. Die grüne Vernichtung sprang nicht bis in die Wolken hinauf. Ungehindert konnten die Sirenen die Blitze nach ihnen schleudern. Bündelweise zuckte es herab. Die Wolken verdunkelten die Steppe, aber die Blitze schufen ein grelles Flackerlicht des Todes. Wieder brach ein Houm zusammen. Eine heiße Flamme zuckte an der Stelle auf. Sekunden später peitschten dicht neben Velda zwei Blitze herunter. Sie krachten in einen Baum, den sie zu ihrem Glück gerade in diesem Augenblick passierte. Dann jagten sie auf die letzten zwei Kilometer Strecke bis zu dem Bauwerk. Velda merkte, daß sie sich verschätzt hatte. Sie hatte die Strecke zunächst als viel kleiner angesehen, weil sie die Größenverhältnisse nicht kannte. Jetzt konnte sie die Bäume sehen, die am Fuße des Metallenen standen. Jetzt kannte sie die Entfernung. Auf diesem Stück wuchs kein Baum und kein Strauch, nichts, was höher war als die Reiter. Auf dieser Strecke mußten sich die Blitze automatisch ihr Ziel suchen.
Velda glaubte, das teuflische Lachen der Sirenen zu hören. * Eine vergnügte Horde stolperte aus dem Gravo-Schacht. An der Spitze marschierte Ga-Venga, der Kynother. Flammend rot leuchtete der Brustkeil seiner Uniform. Hinter ihm lachte John Haick, der Atomwissenschaftler. Dann kamen die anderen, die zur Besatzung gehörten. Nur Percip und Bekoval fehlten. Das hätte Corda eigentlich mißtrauisch und aufmerksamer machen sollen. Aber er hoffte im ersten Augenblick, die beiden Laktonen hätten sich von dem Lockruf befreien können, der die Mannschaft der „Walter Beckett" in diesen Zustand freudiger Taumelei versetzt hatte. Er wich zurück, weil er wußte, daß er die Männer nicht aufhalten konnte. John Haick stürzte sich auf ihn, umarmte ihn und lachte. „Komm mit, alter Freund", schrie er überschwenglich. „Wir müssen das Ereignis unserer Landung feiern!" „Okay, John", versetzte Corda ruhig. „Aber im Schiff, nicht draußen! Kennst du die Verhältnisse draußen, weißt du, ob du dich draußen ohne Schutzanzug aufhalten kannst? Niemand von euch hat die Atmosphäre geprüft." John Haick starrte mit leeren Augen an ihm vorbei. Rex Corda seufzte. Er stieß den Freund von sich ab, wobei er darauf achtete, daß John nicht fiel. Haick taumelte in die Gruppe der anderen, die jetzt dicht vor den Schleusen stehenblieb. „Überall das gleiche, Corda!" kreischte Ga-Venga in ungewohnt hohen Tönen. „Keine Schleuse ist unbesetzt! Die Roboter sollen uns durchlassen!" Corda löste sich von der Wand, an
der er gelehnt hatte. Er wußte, daß er nicht mit der Mannschaft diskutieren konnte. Er suchte nur nach einer Möglichkeit, das Raumschiff wieder zu starten, damit es sich genügend weit von diesem Planeten wieder entfernen konnte. Er wollte in den Gravo-Lift steigen. Über die Köpfe der Mannschaft hinweg erkannte er die Kolosse der laktonischen Wachroboter, die die Schleuse abschirmten. Er war davon überzeugt, daß sie äußerstenfalls mit Schockwaffen schießen würden. Plötzlich öffnete sich ein Schott über den Robotern. Die Projektoren von zwei Strahlwaffen schoben sich durch die kleinen Öffnungen. Corda schrie eine Warnung. Es war zu spät. Die unsichtbaren Schützen feuerten. Die Glutwelle fauchte auf die Roboter herab und vernichtete sie augenblicklich. Die Mannschaft flutete zum GravoSchacht zurück, um sich vor der Glutwelle zu retten. Die Temperaturen stiegen ruckartig an, doch blieben sie beim Gravo-Schacht noch in erträglichen Grenzen, da die leistungsfähigen Ventilatoren schlagartig einsetzten und kalte Luft in den Gang pumpten. Schaumlöscher schleuderten Berge von zitterndem Schaum über die Robotreste und erstickten den Brand. Rex Corda biß sich auf die Lippen. Erbittert sprang er in den Schacht. Er wußte, daß er die Mannschaft nicht mehr aufhalten konnte. Während er in dem Feld aufwärts glitt, holte ihn das süßliche Gas ein. Vor seinen Augen flimmerte es. Mühsam schnappte er nach Luft. Dunkle Reifen routierten über seinen Sinnen. Rasch trug ihn das Gravo-Feld nach oben. Er entrann dem betäubenden Gas. Je höher er stieg, desto klarer wurden seine Sinne. „Danke — X!" sagte er und schwang
sich auf der Höhe der Kommandobrücke aus dem Schacht. Wie benommen blieb er stehen, als er die beiden Kolosse auf sich zuwanken sah. Die beiden Laktonen trugen Raumanzüge. In ihren Händen glänzten SuperStrahler, die schwersten Handfeuerwaffen, die die Laktonen kannten. Stur marschierten Percip und Bekoval an Rex Corda vorbei. Sie grinsten ihn durch die Transparentscheiben ihrer Raumanzüge an, unterbrachen ihren Marsch jedoch nicht für den Bruchteil einer Sekunde. Sie stürzten in den Schacht. Corda stöhnte verzweifelt. Auch mit einem Gas war diesen Männern nicht beizukommen. Hatte X, der Unbekannte, verloren? * Verzweifelt sah sich Kim Corda nach einer Waffe um — aber es gab keine. Der Laktone hatte seine Waffe — wenn er eine gehabt hatte — mit in den Tod genommen. Mit ruhigen langsamen Flügelschlägen ruderte der riesige Vogel auf sie zu. Er kam von oben aus den Wolken. Er war größer als alle Vögel, die Kim jemals gesehen hatte. Seine Spannweite betrug wenigstens fünf Meter. Ein äußerst scharfer Geierschnabel wies ihn als Raubvogel aus. Der Vogel war feuerrot, und er hatte giftig-gelbe Ringe um die Augen, die grünes Feuer zu sprühen schienen. Frenko klammerte sich furchtsam an Kim. Die beiden Jungen kauerten sich auf die gravitationsmechanische Platte, die sie mit hoher Geschwindigkeit auf das Metallene zu trug. Näher und näher kam der mächtige Vogel. Kim starrte zornbebend zu den Sirenen herauf, die jetzt tiefer herabschwebten, um das zu erwartende
Schauspiel der Vernichtung besser beobachten zu können. Kim bemerkte, daß jenseits des Metallenen, das vor ihnen aus der Ebene wuchs, ein Gewitter tobte. Er sah die Blitze dicht auf dicht aus den dunklen Wolken herabpeitschen. Jetzt war der Vogel bis auf fünf Meter heran. Er riß den scharfen Schnabel auf und stieß zischende Laute aus, die voller Bosheit waren. Langsam schoben sich die scharfen Krallen aus dem Gefieder. Sie streckten sich bereits nach der Platte aus. Kim Corda beobachtete den Vogel genau, während er fieberhaft überlegte, wie er ihn besiegen konnte. Er kam zu dem Schluß, daß es einfach unmöglich für sie war, den Angreifer zu vernichten. Sie konnten ihn nur immer wieder überlisten — wenn sie Glück hatten. Vielleicht konnten sie sich dann irgendwann irgendwohin retten. Frenko sprang mutig auf. Er klammerte seine dürren Finger um einen spitzen Nagel. Das war seine Waffe. „Setz dich!" zischte Kim. Er zerrte am Arm des Freundes. Der gefährliche Schnabel des Raubvogels schwebte jetzt kaum zwei Meter über ihnen. Kim fühlte den heißen Schlag seines Herzens. Jeden Moment mußte der Vogel zuschlagen. Er achtete auf alles, was ihm den Angriff anzeigen konnte. Da plötzlich legte der Raubvogel die Flügel eng an den mächtigen Leib. Gleichzeitig fiel er wie ein Stein auf die beiden Jungen herab. Kim schaltete blitzschnell. Die Platte stoppte so abrupt, daß es Frenko fast herabgeschleudert hätte. Mit einem gellenden Wutschrei stürzte der rote Vogel an der Gravo-Platte vorbei in die Tiefe. Kim hielt Frenko mit der linken fest und schaltete hastig mit der rechten
Hand. Mit einem harten Ruck schoß die Platte nach vorn, auf das zu, was Kim jetzt als Metallpyramide erkannte. Von diesem Metallberg ging jenes Gefühl aus, das ihn hierhergelenkt hatte. Tief unter ihnen holte der Raubvogel zu einem erneuten Angriff aus. Diesmal bewegten sich seine Flügel schneller und zorniger. Kim bemerkte, daß die drei Sirenen sich aus der Höhe herabstürzten. Da fiel ihm ein, was der Laktone gesagt hatte, der sterben mußte, weil er dem betäubenden Lockruf der Sirenen folgen wollte. „Ich habe einen Stör-Sender gebaut!" hatte er gesagt. „Die Sirenen fielen herab, weil die Gravo-Platten nicht mehr funktionierten!" Kim Corda glaubte, das amüsierte Lachen des Riesen noch in seinen Ohren zu haben. Er selbst hatte die Platten benutzt! Er hatte also Einfluß darauf! Sollte er sie nicht auch stören können, so wie der laktonische Riese? Kim versuchte, sich auf das für ihn Unbestimmbare zu konzentrieren. Er fühlte die Kraft, die aus Norden kam, die rief und gleichzeitig den Sirenen die Macht gab, die sie benötigten. Kim versuchte, einen Zipfel der Macht zu erfassen. Er taumelte unter dem Ansturm der mentalen Energie, die über ihn hereinbrach. Voller Schrecken gab er den Kontakt sofort wieder auf. Er hörte noch die Schreie der drei Sirenen, die kopfüber in die Tiefe stürzten. Doch jetzt fingen sie sich wieder. Deutlich konnte Kim erkennen, wie ihre Füße Kraft gewannen und die Sirenen sich wieder aufrichteten. Der Sturz hatte die Sirenen fast getötet. Er hatte sie fast bis auf den Boden herabgeführt. Jetzt schwebten sie kaum noch zwanzig Meter über der Steppe,
also noch unter der Gravo-Plattform, auf der die Jungen sich zu retten suchten. Frenko, der längst nicht alles verstand, aber vieles ahnte, schrie vor Entzücken und klatschte sich in die Hände. Er gönnte den Sirenen jede nur mögliche Niederlage. Für die wenigen Augenblicke, die der Sturz gedauert hatte, war der Vogel aus der Kontrolle der Sirenen geglitten. Er stürzte sich jetzt auf diese herab. Kim Corda schrie überrascht auf. Er glaubte sich schon gerettet. Doch er hatte die Routine der Gehörnten unterschätzt. Die Schwebenden verloren die Nerven nicht. Sie zwangen den Raubvogel unter ihre Kontrolle zurück, bevor er seine Fänge in ihre Leiber schlagen konnte. Sie setzten zur erneuten Jagd auf die beiden Jungen an. Und sie waren so vorsichtig, sich auf den Boden der Steppe herabzulassen, damit sie nicht abermals überlistet werden konnten. Jetzt bedauerte Kim, daß er den Kontakt mit der Macht aus dem Norden nicht etwas länger beibehalten hatte. Er wußte nicht, wie er sich vor dem erneuten Angriff schützen sollte. * Velda kam nicht auf den Gedanken, die Sirenen in ähnlicher Weise zu entmachten, wie es ihr Bruder zur gleichen Zeit tat. Inmitten der unaufhörlich herabjagenden Blitze verlor sie für einen Augenblick die Übersicht. Innerhalb weniger Minuten hatte der Tann Smoke sechs Männer und sechs Houms verloren. Jetzt trieben die Soldaten ihre Tiere nicht mehr so energisch voran. Velda hatte den Eindruck, als würden die Soldaten am liebsten umkehren, um ihr Heil in der Flucht zu suchen. Da stieß ihr Houm mit einem Fuß in
den Bau eines Tieres, das sich seine Höhle im Boden der Steppe errichtet hatte. Veldas Houm brach auf der Stelle zusammen und schleuderte das Mädchen weit von sich. Velda hatte Glück. Sie fiel so günstig, daß sie sich über die Schulter abrollen konnte und sofort wieder auf den Beinen stand. Sie wollte zu ihrem Houm zurück. Doch gerade jetzt peitschte ein Blitz in den Houm und tötete ihn auf der Stelle. Velda warf sich herum und floh zu Fuß weiter. Der Tann und seine restlichen vier Krieger hatten nichts bemerkt. Sie ritten schreiend, um die Tiere anzutreiben, auf den Metallkoloß zu. Da erkannte Velda, daß es ein Feld gab, in dem Ruhe herrschte. Nur auf der Spitze der Metallpyramide loderten die Blitze, aber rund um das Bauwerk herum schlug kein Blitz ein. Eine Kuppel schien sich dort zu erheben. Ein eisiger Schreck fuhr ihr in die Glieder. Stand dort ein Schutz- oder Prallschirm, wie ihn auch die Laktonen kannten? Dann waren sie alle verloren! Dann mußte der Tann mit seinen Leuten jeden Augenblick gegen eine unsichtbare Wand rennen. Unwillkürlich hielt Velda den Atem an, als der Tann die unsichtbare Grenze erreichte, die Grenze, die auch Velda nur ahnen konnte. Der Tann passierte sie ungehindert! Triumphierend schrie Velda auf. Sie ahnte mehr als sie wußte, daß dort Sicherheit war. Sie rannte los. Immer wieder sah sie zu den drei Sirenen empor. Es schien fast so, als hätten diese sie im Augenblick aus den Augen verloren. Die Blitze schlugen nicht in ihrer Nähe ein. Da gellte ein dreifacher Schrei aus der Höhe herab. Velda sah, daß eine der Sirenen auf sie zeigte. Noch zehn Meter.
Der Tann hielt hinter der Grenze an. Voller Sorge sah er zu Velda zurück. Auch seine Soldaten ritten nicht mehr weiter. Sie schienen sich sicher zu fühlen. Velda verzichtete darauf, Umwege zu machen. Sie wußte, daß sie hier keinem Blitz ausweichen konnte. * Kim Corda versuchte, es durch Schnelligkeit zu schaffen. Er beschleunigte so scharf, wie er konnte. Leider erreichte die Platte auch dann noch keine Geschwindigkeit, die die des Vogels übertraf. Aber es genügte, ihnen für einige Minuten Erholung zu gönnen. Kim steuerte die Platte immer höher und höher. Er bemerkte, daß es dem Vogel schwerfiel, Höhe zu gewinnen. Das konnte er ausnutzen. Er sah zu dem Metallenen hinüber. Und plötzlich begriff er. „Frenko!" schrie er. Er war wie von Sinnen. „Frenko! Das ist doch ein Raumschiff! Siehst du die Antriebsdüsen nicht!" Frenko verstand immer noch nicht. Inzwischen war Kim auch wieder unsicher geworden. Das, was er für Antriebsdüsen gehalten hatte, sah plötzlich doch ganz anders aus. Es waren riesige Spiralscheiben, die von einem transparenten Material überzogen waren. Doch Antriebsaggregate? „Verdammt, ja! Das ist ein Raumschiff!" brüllte Kim Corda. Frenko zerrte an seinem Arm und machte ihn darauf aufmerksam, daß der Raubvogel sie überholt hatte. Er flog jetzt mit rauschenden Flügelschlägen über ihnen und stierte mit haßerfüllten Augen auf sie herab. Kim erschauerte. Er drückte die Plattform rasch in die Tiefe. Der Vogel folgte. Er legte die Flügel
an und stürzte ihnen nach. „Festhalten!" schrie Kim. Schneller und schneller wurde der Sturz. Frenko klammerte sich angstvoll an ihn. Zwei Meter über ihnen hing der rote Vogel. Kim Corda biß die Zähne zusammen. Er wollte die Entscheidung erzwingen. Er wollte es jetzt darauf ankommen lassen, weil er keine andere Hoffnung als diese mehr hatte. Zwanzig Meter noch bis zum Boden. Jetzt noch zehn — noch fünf ... Kim warf die Hebel herum. Die Plattform beschleunigte und zog wieder hoch. Die harten Krallen des Raubvogels knallten kreischend gegen die hintere Kante. Sie taumelten heftig. Frenko schrie. Kim Corda aber starrte triumphierend in die Tiefe. Der Raubvogel hatte die Flügel nicht mehr rechtzeitig ausbreiten können. Wie ein Stein war er auf den Boden geprallt. Er bewegte sich nicht mehr! Kim sah seinen Freund stolz an. Wenige Meter über dem Boden flog die Plattform dahin. Sie näherte sich dem, was Kim als Raumschiff erkannt hatte. Am Fuße des Kolosses setzte Kim die Platte ab. Weit von ihnen entfernt schwebten die Sirenen in den Wolken. Sie bewegten sich nicht. Dunkel hoben sie sich von dem aufhellenden Himmel ab. „Hm, auf dieser Seite scheint es nicht 'reinzugehen!" murmelte Kim, der die Plattform verlassen hatte. Er schob Frenko wieder hinauf. Der Morgh grinste zufrieden. Langsam flogen sie um das Raumschiff herum. Kim Corda war fest davon überzeugt, daß es ein Raumschiff war. Es war abgestürzt, auch davon war er überzeugt. Die hohen Erdwälle an der Basis des Kolosses wiesen darauf hin, daß dieser sich in die Erde gewühlt hatte.
„Es ist ein Raumschiff, Frenko! Ganz bestimmt!" rief Kim. Er riß seine Augen plötzlich auf. Er packte seinen Freund an der Schulter. „Frenko, wenn dies ein Raumschiff ist und eine solche Kraft von hier ausgeht, ebenso wie von dem aus dem Norden, dann muß doch das im Norden auch ein Raumschiff sein — oder?" Frenko lächelte über den Eifer seines Freundes. Er verstand ihn nicht. Der vierzehnjährige Terraner legte den Zeigefinger gewitzt an die Nase. „Oder das im Norden ist ein Teil von dem hier!" schloß er seine Überlegungen und nickte kräftig dazu. * Rex Corda wußte, daß er vorläufig nichts tun konnte. Er ging in die Kommandozentrale und setzte sich in den Sitz des Kommandanten. Ein Holograf übermittelte ihm ein Bild von der Schleuse. Alle Männer lagen bewußtlos am Boden. Gerade jetzt marschierten Percip und Bekoval mit dröhnenden Schritten an den Ohnmächtigen vorbei. Sie öffneten die Schleusen und drückten sie langsam auf. Nach und nach schleppten sie die anderen in die Schleusenkammer. Sie nahmen immer zwei Mann zugleich. Alles ging blitzschnell. Vergeblich wartete Rex Corda darauf, daß der unbekannte Faktor an Bord der „Walter Beckett" noch einmal eingriff. * Ko-Mont kaute genüßlich an einer Fischsuppe, die er aus einer Spezialkonserve genommen hatte. Er aß die erlesensten Fische eines Wasser-Planeten aus dem Zentrum der Galaxis. Er war sich des außerordentlichen Genusses
bewußt. Es störte ihn nur ein wenig, daß er dabei den Holografen beobachten mußte. Er hatte sich lange überlegt, was er noch unternehmen sollte, nachdem seine beiden Spezialroboter von den beiden Laktonen Percip und Bekoval zusammengeschossen worden waren und nachdem auch der Gaseingriff vergeblich blieb. Er beobachtete, wie die beiden durch den Raumanzug geschützten Laktonen die Bewußtlosen in die Schleuse schleppten. Er empfand die Situation als die Bestätigung seiner Niederlage. Deshalb auch das unverhältnismäßig teure Essen, das ihm etwas Trost geben sollte. Ko-Mont, der Zeitspäher, der in dem Spezialversteck im Mittelstück des Hantelraumers „Walter Beckett" steckte, beschloß, jetzt erst einmal nichts mehr zu unternehmen. Er wollte erst einmal in Erfahrung bringen, was eigentlich auf dieser Welt gespielt wurde. Er wußte, daß sich zwei Wracks auf dieser Welt befanden. Waren beide Schiffe nur zufällig gestrandet — oder waren beide unter gleichen Umständen gelandet wie die „Walter Beckett"? Nun, Ko-Mont fühlte sich einigermaßen sicher. Er befand sich auf einer anderen Zeitebene. Denen der anderen Zeitebene würde es nie gelingen, jene zehntausendstel Sekunde zu überwinden, um die er ihnen gegenüber in die Zukunft versetzt war. Ko-Mont war der Ansicht, daß er eine reelle Chance hatte, die Geschwister Corda doch noch für Lakton zu reservieren. Er glaubte fest daran, daß sich Lakton bald im Besitz jenes Geheimnisses befinden würde, das die Kriegsführung innerhalb der Galaxis
entscheidend beeinflussen könnte. * Velda Corda lief um ihr Leben. Jeden Augenblick konnte ein Blitz neben ihr einschlagen oder sie erschlagen. Da sprang der Tann von seinem Houm. Er schrie dem Tier etwas zu und schlug mit Fäusten gegen seine Beine. Das Reittier hetzte los. Es lief Velda mit wirbelnden Beinen entgegen. Velda schrie erschreckt auf. Sie fürchtete, das Tier würde sie überrennen. Sie wich ein wenig zur Seite aus. Da krachten die Blitze herab, mit denen die Sirenen das Mädchen zu vernichten suchten. Sie schmetterten den Houm des Tann nieder. Die verkohlende Pelzkugel rollte dumpf über den Steppenboden. Velda aber taumelte unverletzt in die Zone, in der die Sirenen überraschenderweise machtlos waren. Velda ließ sich erschöpft ins Steppengras sinken, um für einen Augenblick Atem zu schöpfen. Lächelnd kam der Tann zu ihr. „Es war sehr knapp, Velda, aber hier sind wir sicher. Die Sirenen können hier nichts gegen uns ausrichten! Sehen Sie, sie haben sich schon zurückgezogen!" Er zeigte zu den Wolken hinauf. Die bunten Frauengestalten waren tatsächlich verschwunden. Auch die Houmreiter, die sie verfolgt hatten, ließen sich nicht mehr sehen Wahrscheinlich schwenkten sie nach Norden ab, um dem Lockruf zu folgen. „Kommen Sie!" sagte der Tann. „Ich möchte Ihnen etwas zeigen!" Velda erhob sich. „Ich glaube, ich sehe furchtbar aus!" seufzte sie und machte den Versuch, ihr volles Haar zu ordnen. Der Tann sah sie einigermaßen verständnislos an. Da ließ sie ein wilder Schrei herum-
fahren. Eine kleine Schwebeplatte schoß auf sie zu. Zwei winkende Jungen standen darauf. Velda lief den beiden entgegen. Wenig später schon riß sie ihren Bruder an sich. Sie fuhr ihm lachend mit den Fingern durch das Haar. Kim räusperte sich kräftig, löste sich sanft aus den Armen seiner Schwester und sah sich verlegen nach den MorghKriegern um. „Ja", sagte er ein wenig zu mürrisch. „Ja also, es freut mich, daß ihr es auch geschafft habt. Das hier ist mein Freund Frenko." Kim begann zu strahlen. Seine VerleT genheit löste sich. Er klopfte seinem Freund auf die Schulter. „Ihm habt ihr es überhaupt zu verdanken, daß ich hier bin", fuhr Kim gewichtig fort. Kim verstand es nicht so recht, daß sich die Aufmerksamkeit schon so schnell wieder von ihm abwandte, als der Tann ungeduldig erklärte, er wolle Velda nun endlich etwas zeigen. Der Tann führte sie jetzt zu dem Raumschiff, das er nur „das Geheimnis" nannte. So übersetzte die Elektronik seine Worte. Velda nahm daher an, daß er es wirklich so meinte. Frenko und Kim folgten dem Trupp mißvergnüglich. Ihnen wäre es doch lieber gewesen, wenn sie etwas länger im Mittelpunkt gewesen wären. Der Tann ging zu dem Metallenen hinüber, das für Kim eindeutig als Raumschiff identifiziert war. Der Junge hatte überhaupt keinen Zweifel. Smoke benutzte den breiten Riß, der über die Metallwand führte, als Einstieg. Mit einiger Spannung folgten ihm die anderen. Smoke kletterte mühsam in dem Spalt, der sich mit angeflogenem Staub und Sand gefüllt hatte, aufwärts. Immer wieder rutschten sie an der glatten Fläche ab.
Kim entdeckte plötzlich zu seiner rechten Seite die klaren Linien eines Quadrates. Er kletterte hinter Frenko als letzter im Spalt aufwärts. Überrascht verharrte er auf der Stelle. Er lehnte sich etwas über das Metall und tastete die Linie ab. Er kratzte etwas Sand zur Seite und öffnete die Fuge. Überlegend klammerte er sich an das Metall. Eine Fuge an der Seite eines Raumschiffes, die ein Quadrat umlief — was konnte das zu bedeuten haben? Er tastete seine Taschen ab. Er fand den kleinen Stift, den Frenko aus dem Arbeitszimmer des Tann in der eingeschneiten Stadt mitgenommen hatte. Mit der Spitze dieses Stiftes konnte er die Fuge besser säubern. Frenko hing wenige Meter über ihm im Spalt und sah ihm interessiert zu. Die anderen kletterten weiter oben auf eine größere Öffnung zu. Da entdeckte Kim am Ende der Fuge, genau an der Ecke des Quadrates, eine kleine Öffnung. Er rutschte im Spalt herunter. Er zögerte keine Sekunde. Entschlossen drückte er den Stift in die Öffnung und drehte ihn heftig hin und her. Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals, als das Gerät sich tatsächlich drehen ließ. Frenko stieß einen Schrei aus. Mit bebender Hand zeigte er auf das Quadrat. Die Panzerwand schüttelte sich heftig. In den Fugen knirschte es deutlich. Unter dem Metall lief ein unbekanntes Gerät brummend an. Kim lachte schallend, als sich das Quadrat plötzlich hob — und zur Seite wegklappte. Darunter öffnete sich ein länglicher Raum, in dem Kim sofort eine Schleuse erkannte. Die anderen kletterten nicht mehr weiter. Sie starrten völlig verwirrt zu den Jungen hinab, die eifrig winkend in
die Schleuse stiegen. Kaum waren sie in dem Raum, als Kim eine ähnliche Öffnung wie an der Außenseite entdeckte. Er stieß den „Schlüssel" hinein und drehte. Das Schott schloß sich brummend. Kim schlug sich vor Vergnügen auf die Schenkel. Frenko grinste mehr aus Bewunderung für Kim als aus Freude. Er hielt sich auffällig nahe an den Terraner, der nicht zu merken schien, wie unbehaglich Frenko zumute war. Kim öffnete das hintere Schleusenschott, nachdem er sich vorsichtig dagegen abgesichert hatte, daß er nicht über den schrägen Boden in eine unbekannte Tiefe abrutschen konnte. Noch konnte er ausreichend sehen. Es fiel ihm gar nicht einmal auf, daß die Wände in der Schleuse aus sich selbst heraus leuchteten. Deshalb kam er auch gar nicht auf den Gedanken, es könne im Inneren dieses Schiffes anders sein als in der Schleuse. Kim wurde nicht enttäuscht. Als das Schott zurückwich, konnten sie in eine runde Halle hinabsteigen, deren niedrige Wände aus schimmernden Kristallen bestanden. Lautlos schloß sich das Schleusenschott hinter den Jungen. Kim ließ sich auf den Bauch sinken und hangelte sich zu einem halboffenen Schott auf seiner rechten Seite hinüber. Er konnte sich dabei an einem dünnen Rohr festhalten, das am Sockel der Wand entlanglief. Frenko folgte ihm aufgeregt. Sie glitten in einen ebenfalls erstaunlich niedrigen Gang hinein, der an der linken Seite ein blitzendes Gitter führte. Darunter lag ein handbreiter leuchtender Streifen, der den Gang erhellte. Die Jungen konnten hier aufrecht gehen, daß sie nicht abstürzen konnten, wenn sie abrutschten. Frenko zischte aufgeregt. Er zeigte
nach vorn. Kim kauerte sich an den Boden und horchte. Wispernde Stimmen glitten durch die toten Gänge des abgestürzten Raumschiffes. Frenko schob sich an Kim vorbei und kletterte voraus. Geräuschlos schlichen sich die Jungen zum nächsten Schott. Frenko spähte durch einen kleinen Spalt hindurch. Ein fröhliches Lächeln huschte über seine hageren Züge. Er winkte Kim zu sich heran. „Lom-to!" flüsterte er. Er wich etwas zur Seite und ließ Kim durch die Öffnung sehen. Sechs ausgewachsene, tiefrote Frösche kauerten in der Mitte des angrenzenden kreisrunden Raumes. Ihre feuchten Leiber glänzten in dem matten Licht, das aus den Wänden kam. Zwischen ihnen und dem Schott krochen Dutzende junger Frösche herum, deren Haut noch wesentlich heller war. Frenko ließ Kirn eine Weile durch die Öffnung sehen, dann jedoch schob er ihn sanft zur Seite. Er winkte ihm beruhigend zu und bat ihn gleichzeitig um Aufmerksamkeit. „Vorsicht!" murmelte er. Dieses Wort gehörte zu dem kleinen Sprachschatz englischer Worte. Er schob das Schott ein wenig weiter auf, überprüfte vorsichtig den Abstand zu den großen Fröschen und schlüpfte dann in den Raum. Mit zwei blitzschnellen Sätzen erreichte er die kleinen Frösche, packte einen und wirbelte herum. Kim schrie auf, als die großen Frösche zum Sprung ansetzten. Frenko sprang zur Seite. Ein fußballgroßer Frosch klatschte an der Stelle auf den Boden, an der Frenko eben noch gewesen war. Der Junge schnellte sich mit einem gewagten Satz durch das halboffene Schott zu Kim hin. Kim schmetterte das Schott zu.
Strahlend vor Freude hielt er den kleinen roten Frosch hoch, der aufgeregt schnatterte und die weit vorquellenden Augen heftig verdrehte. Frenko deutete auf das jetzt geschlossene Schott. „Vorsicht!" mahnte er mit ernstem Gesicht. „Vorsicht!" Er winkte Kim und eilte mit ihm zur Schleuse zurück, um jetzt auf der anderen Seite der „Kristallhalle", wie Kim den Raum hinter der Schleuse nannte, einen Durchbruch zu versuchen. * Velda Corda stürzte erregt zu dem sich schließenden Quadrat in dem Metallpanzer zurück. Doch sie kam zu spät. Das Schleusentor schloß sich, bevor sie Kim zurückrufen konnte. Smoke, der Tann, rief ihr beruhigende Worte zu. „Lassen Sie nur, Velda", sagte er, als sie zu ihm kam. „Die Jungen werden bald wieder zu uns stoßen. Unter uns gibt es sehr viele Räume, die alle miteinander in Verbindung stehen!" „Ist dieses ein Raumschiff? Ein Wrack?" Der Tann lächelte höflich. „Ich weiß nicht, was das ist, ein Raumschiff", antwortete er. „Aber sicherlich haben Sie recht!" Velda fühlte sich keineswegs beruhigt. Sie konnte sich vorstellen, daß es nicht ganz gefahrlos war, in das Wrack einzudringen. Überall konnten Gefahren lauern. Als sie die große Öffnung erreichten, sah Velda zurück. Ihre Blicke glitten über die Steppe. Dicht unter dem Horizont entdeckte sie eine Karawane, die nach Norden zog wie alle Karawanen, die sie vorher gesehen hatte. In der Nähe des Wracks, aber jenseits jener geheimnisvollen Grenze, die die Sirenen entmachtete, bemerkte sie einige bunt gekleidete Männer, die neben ihren Houms auf dem Boden hockten und zum Wrack herübersahen.
„Kommen Sie, Velda!" rief der Tann. Sie wandte sich um und stieg die letzten Meter hoch. Jetzt konnte sie die Ränder der großen Öffnung besser sehen. Sie beugte sich darüber und fuhr mit den Fingerspitzen über das Metall. Es sah so aus, als wäre es geschmolzen und dann plötzlich wieder erstarrt. Die große Lücke in der sonst makellosen Wand konnte durch eine Explosion aufgerissen worden sein. Jetzt stieg sie hinter dem Tann und den Kriegern ins Schiff. Dichte Sträucher wucherten in dem Spalt. Velda bemerkte, daß sogar Bäume Fuß gefaßt hatten. Irgend jemand hatte sie jedoch gefällt. Jetzt waren nur noch die mächtigen Stümpfe zu sehen. Sie glitten eine Schräge hinunter. Velda konnte sich an dicken Lederstricken festhalten, die an den Wänden hingen. Der Tann öffnete einen derben Bretterverschlag, der eine tiefschwarze Schrift trug. Sie war offensichtlich in das Holz eingebrannt worden. Velda fragte den Tann, was die Schrift bedeutete. Er lächelte und hob die Hände, um anzudeuten, daß er es nicht genau wisse. „Die Schrift ist sehr alt", sagte er. „Unsere Sprache ist heute anders. Ungefähr bedeutet die Schrift: Man hüte das Heilige und bewahre es vor unbefugtem Leben!" Velda runzelte die Stirn. „Und was bedeutet es?" Wieder lächelte der Tann verlegen. „Ich habe es so verstanden, daß wir Tiere und Pflanzen daran hindern sollen, in dies hier einzudringen. Wenn Pflanzen bis in diese Gänge hineinwachsen würden und Tiere sich dort drinnen ansiedelten, dann würde bald der Verfall einsetzen. Deshalb halten wir alles sehr sauber und entfernen alles, was nicht hineingehört!" Veldas Verwunderung stieg. Immer deutlicher wurde sie sich dessen
bewußt, daß der Tann sich hier gut auskannte. Er war also nicht zum erstenmal hier. „Sie waren schon oft hier?" „Warten Sie bitte!" sagte er. Sie durchschritten ein primitives Holztor und kamen in eine kleine Kammer. Hier achtete der Tann darauf, daß sie ihre Füße sorgfältig säuberten, damit kein Schmutz in das Schiff getragen wurde. Danach erst ließ er sie durch einen zweiten Holzverschlag ins Schiff. Velda staunte über die blitzenden Wände des langgestreckten Raumes, in den sie kamen. Die Wände leuchteten aus sich selbst heraus. Auf dem Boden dehnten sich die niedrigen Schienen eines Gleises, auf dem ein sehr langer und offensichtlich sehr komplizierter Schlitten stand. Am Ende des Raumes erhob sich ein halb zerstörtes Gerüst, unter dem Velda die Kammern eines Elevators erkennen konnte. Doch der Tann ließ ihr jetzt keine Zeit, sich umzusehen. Er zog sich durch einen abzweigenden Gang zu einem breiten Schacht hin, der schräg in die Tiefe führte. Velda sah die kleinen Sprossen an den gegenüberliegenden Seiten des Schachtes. Unter den Sprossen leuchtete eine helle Bahn, die in die endlose Tiefe hinabstürzte. Sie erleuchteten den Schacht schwach, aber hell genug, so daß die Sprossen der Leitern zu erkennen waren. „Wir müssen hinunter!" sagte der Tann. „Ist das unbedingt jetzt notwendig?" „Es ist nicht unbedingt jetzt notwendig", sagte er. „Aber es wäre schön, wenn wir jetzt absteigen könnten!" „Also gut", seufzte Velda. Zwei Krieger stiegen zuerst in den Schacht hinein, dann folgte Velda und darauf kam der Tann mit den anderen Soldaten. Velda fühlte sich matt und erschöpft nach der Hetzjagd zu diesem Schiff hin.
Sie wünschte, der Tann hätte ihr eine kleine Pause gegönnt. Da er ihr aber so entscheidend geholfen hatte, mochte sie ihm seine Bitte jetzt nicht ablehnen. Also kletterte sie. Zu Anfang zählte sie die Sprossen der in die Metallplastwand eingelassenen Leiter noch, doch sehr bald gab sie es auf. Sie warf hin und wieder einen Blick nach oben, wo die Öffnung des Schachtes immer kleiner und kleiner wurde, bis sie sich schließlich soweit zusammengezogen hatte, daß sie nur noch als abschließender Punkt erkennbar war. Da endlich rief der Tann seinen Soldaten etwas zu. Da der elektronische Dolmetscher nicht eingeschaltet war, verstand Velda nichts. Aber das war auch gar nicht notwendig. Die Krieger schwangen sich in einen abzweigenden Gang, der nur sehr matt erleuchtet war. Velda konnte die Morghs nur noch als Schatten gegen die glimmenden Wände ausmachen. Sie halfen dem Mädchen aus dem Schacht. Velda fühlte, daß ihre Knie zitterten, aber sie wollte es nicht zugeben. Als der Tann also gleich an ihr vorbeiging, folgte sie ihm. Sie dachte voller Sorge an Kim und Frenko, von denen sie nichts mehr gehört hatte, seitdem diese in die Schleuse gekrochen waren. * Kim zuckte heftig zusammen, als er das dumpfe Patschen hörte. Er blieb stehen und horchte. Jetzt wurde auch Frenko aufmerksam. Er drückte seinen jungen Lom-to fest an seine Brust und streichelte den flachen Kopf des Frosches mit den Fingerspitzen. Da hörte er es auch. Er zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Unter seinen Augen bildeten sich graue Halbmonde der
Angst. Er taumelte zurück. Seine Hände tasteten nach den Wänden. „Frenko?" rief Kim entsetzt. „Was ist das?" Der Morgh fuhr herum und lief davon. Kim folgte ihm zunächst langsam. Doch dann hörte er wieder das Patschen. Es klang, als ob jemand ein nasses Tuch auf den Boden schlage. Kim fühlte, wie sich ihm die Nackenhaare aufrichteten. Mit immer größerer Hast folgte er Frenko. Allmählich wurde die leichte Krümmung erkennbar, die der Gang einnahm, um das gesamte Schiff zu umkreisen. Überall wiesen verschlossene Schotts auf Seitengänge und Seitenräume hin. Zwischenschotts sperrten ihnen immer wieder den Weg ab. Frenko fand den Öffnungsmechanismus mit traumwandlerischer Sicherheit. Die Angst verlieh ihm unerhörte Kräfte. Er stemmte sich gegen die Schotts, wenn sie sich aus den Schlössern lösten, und wuchtete sie zur Seite. Kim holte ihn bald ein. „Frenko?" forschte er. Er hielt den Morgh an der Schulter fest. „Frenko! Was ist das?" Der Junge stammelte etwas, das Kim nicht verstand. „Warte jetzt!" sagte Kim entschlossen. Er hielt den Freund am Arm fest. „Sinnlose Flucht hilft überhaupt nichts!" Er horchte nach hinten. Das Patschen folgte ihnen. Aber es war noch weit entfernt. „Wir kommen hier nicht weiter. Wir versuchen, einen Weg nach oben oder unten zu finden!" Frenko verstand ihn nicht, aber seine Angst verlor sich etwas, da die Stimme Kims fest und selbstsicher geklungen hatte. Kim wandte sich einem der nächsten Seitenschotts zu. Es war leicht zu öffnen. Es führte auf einen Gang, der
wie aus Glas war. Er war rund. Die Wände ließen das Licht durch. Darunter waren milchig dunkle Gegenstände zu erkennen, die zu der Maschinenausrüstung des Schiffes gehören mochten. Kim verriegelte jetzt das letzte Zwischenschott auf dem Gang ganz fest, schob Frenko in den gläsernen Gang, verschloß auch dieses Schott, und ging dann voran. Der Gang führte in eine Sackgasse. So schien es, als sie zwanzig Meter vor seinem Ende waren. Vor ihnen schien der Gang im milchigen Nichts zu enden. Frenko schluchzte trocken auf. Kim wollte es nicht glauben, daß sie sich selbst gefangen hatten. Er ging bis zum Ende des Ganges, und plötzlich schob sich eine Wand zur Seite. Kim lachte zufrieden. Frenko kam zu ihm. Sie sahen in eine langgestreckte Halle, die voller Maschinen war, die wie hilflose Ungeheuer auf dem Boden hockten und auf den Impuls warteten, der sie zum Leben erweckte. Wieder einmal fiel Kim auf, daß keine auffälligen Zerstörungen zu erkennen waren. Alles sah so aus, als wäre es gerade eben erst verlassen worden, nicht aber so, als läge das Schiff schon seit Jahren hier. Kim ahnte in diesen Augenblicken noch nicht, daß es nicht nur um einige Jahre ging, sondern um wesentlich mehr. Frenko zuckte zusammen, als das Patschen plötzlich wieder zu hören war. Es kam aus dem milchigen Gang. Ärgerlich schmetterte Kim das Schott zu, dessen Öffnungsmechanismus von der Maschinenhalle aus gut einzusehen war. „Komm!" Sie liefen in die Halle hinein, bis das Patschen plötzlich auch hier war. Sie blieben stehen und sahen sich um. Sie konnten nicht erkennen, von wo
es kam und wer es verursachte. Sie hörten es nur. Es klang so gleichmäßig wie fallende Wassertropfen aus einem Wasserhahn. Es ertönte mit zermürbender Regelmäßigkeit. Nichts, absolut nichts schien das aufhalten zu können, das das Patschen verursachte . * Smoke, der Tann, blieb vor einem besonders breiten Schott stehen. Es trug eine kräftige rote Schrift, die aus völlig unbekannten Buchstaben bestand. Der Tann richtete sich etwas höher auf, bevor er das Schott — das nur angelehnt war — aufdrückte. Eine kleine Halle öffnete sich vor ihnen. Sie glich einem gläsernen Palast, einem aus sich selbst heraus strahlenden Gewölbe. Im Mittelpunkt der Halle ruhte ein großes, hufeisenförmiges Gebilde, das türkisfarben glänzte. Von diesem Gebilde aus liefen unendlich viele, hauchdünne Drähte, die in dem transparenten Material eingebettet waren, zu den Wänden des Gewölbes. Hier mündeten die Drähte in eigentümlich geformte Spiralen aus einem schneeweißen Material, das sich an den Wänden hochzog, um sich am höchsten Punkt des Gewölbes mit allen anderen Spiralen zu treffen. Dieser Punkt lag genau über dem Hufeisen. Der Tann winkte Velda Corda. Das schlanke Mädchen ging an den Soldaten vorbei in das Gewölbe hinein. Der Tann stand vor dem hufeisenförmigen Gebilde. Es war so groß, daß ein ausgewachsener Mann bequem darin hätte liegen können. Im Hufeisen gab es eine kleine Vertiefung, über der sich kugelförmig kleine Metallschirme wie gespreizte Hände wölbten. Einige dieser Schirme wiesen Kratzer auf und waren verbogen. Das deutete
darauf hin, daß etwas in diesem kugelförmigen Raum gelegen hatte, der von den Schirmen gebildet wurde — etwas, das so groß war wie ein Menschenkopf. Jetzt lag etwas anderes dort — ein kleines Buch. Braunes Leder, das alt und abgegriffen war, schützte es. Der Tann kniete vor dem Hufeisen nieder und zog das Buch mit den Fingerspitzen vorsichtig heraus. Er lächelte, als er sich erhob. „Was ist das?" fragte Velda. „Hier sind meine Aufzeichnungen, die meines Vaters und die von dessen Vater!" Er setzte sich auf den Rand des Hufeisens und forderte auch Velda auf, sich zu setzen. Auch die Soldaten nahmen Platz. Sie setzten sich einfach auf den Boden. Erwartungsvoll sahen sie auf ihren Tann. „Das Geheimnisvolle" — der Tann wies mit einer kreisenden Bewegung auf das Schiff — „gibt es schon lange. Solange wie es Morghs auf dieser Welt gibt. Meine Vorfahren haben alle vier Jahre hier Sicherheit gesucht und gefunden. Wenn die großen Karawanen nach Norden zogen, dann kamen sie hierher. Sie fühlten den Sog nicht mehr. Der Lockruf verhallte. Sie schrieben nieder, was geschah. Sie schrieben auch auf, was sie vorfanden, wenn sie in ihre Stadt zurückkehrten!" Der Tann lächelte wehmütig. „Sie fanden immer nur ein Volk, das krank und elend war. Wenn die Morghs aus dem Norden zurückkehrten, dann wußten sie nichts mehr. Sie hatten keine Erinnerung an das, was geschehen war. Und sie hatten auch vieles von dem vergessen, was sie vorher mühsam gelernt hatten. Es war alle vier Jahre das gleiche." Er machte eine kleine Pause, in der er einen seiner Zuhörer nach dem anderen sinnend ansah. Velda folgte dem überraschenden Vortrag mit großer
Spannung. Soviel hatte sie schon erfaßt, daß es alle vier Jahre einen tiefen Bruch in der technischen und kulturellen Entwicklung von Morgh gegeben hatte. Es war erstaunlich, daß die Morghs dann überhaupt soweit gekommen waren. „Wir wissen nicht, warum dieses Große hier Schutz bietet. Wir wissen nicht, warum die Sirenen hier machtlos sind, warum ihr Lockruf hier nicht ertönt. Wir wissen nur, daß es so ist." Sein Gesicht glühte zornig. „Dies hier ist die Zelle, in der die Idee zum Kampf gegen die Sirenen geboren wurde", fuhr er mit erregter Stimme fort. „Ich habe schon oft hier gesessen, das alte Buch gelesen und überlegt, wie ich die Macht der Sirenen brechen könnte. Es ist mir bisher nicht eingefallen. Ich habe welche von ihnen getötet, weil sie versuchten, mich zu töten, wenn ich dies hier verließ. Sie beobachten mich. Sie schickten mir schlechtes Wetter. Sie verbreiten Lügen gegen mich. Jetzt haben sie meine Stadt vernichtet und abgebrannt. Da ich mich auf Ihre Seite geschlagen habe, Velda, bin ich endgültig verloren. Es gibt jetzt nur noch eine Möglichkeit: Die Herrschaft der Sirenen muß gebrochen werden, weil sie es sind, die auf Kosten aller leben. Uns würde es besser gehen, wenn die Sirenen uns nicht alle vier Jahre das Leben aussaugen würden." „Und was wollen Sie tun, um die Sirenen zu entmachten?" Der Tann breitete die Arme aus. „Ich werde auf Ihre Hilfe hoffen, Velda! Die Zeit ist günstig. Die Sirenen müssen sich auf die Morghs im Norden konzentrieren. Sie können sich jetzt nicht mehr mit uns beschäftigen!" „Ich hatte große Mühe, die Angriffe der Sirenen zu überleben!" erinnerte Velda. Der Tann winkte ab. Er zeigte auf das Hufeisen.
„Alle vier Jahre, wenn die Morghs im Norden sind, dann verändert sich die Farbe dieses Gebildes", erklärte er. „Jetzt ist es noch so, doch bald wird es stumpf grau werden. Dann wird es vier Jahre dauern, bis es seine alte Farbe wiedergewonnen hat. Das geht ganz langsam und allmählich. Wenn es grau geworden ist, dann erlischt auch das Licht. Erst langsam und allmählich erhellt es sich wieder. Am hellsten ist es jetzt, kurz vor der Zeit, in der es völlig erlischt!" Velda schüttelte wie benommen den Kopf. Sie konnte noch nicht erkennen, wie die Zusammenhänge waren. Noch ging alles wirr durcheinander. Sie begriff zunächst einmal nur, daß sie bald im Dunkeln sitzen würde. Und das gefiel ihr nicht besonders. * Frenko und Kim hasteten schwitzend durch die Maschinenhalle. Sie strebten auf ein dunkles Tor am anderen Ende der Halle zu. Dabei hatten sie das Gefühl, als klebe das Patschen an ihren Füßen. Es kam immer schneller näher, obwohl sich der unheimliche Rhythmus nicht veränderte. Sie stürzten sich in den dunklen Gang, der sich hinter dem Tor auftat. Er war wesentlich höher und breiter als die Gänge, die sie zuvor gesehen hatten. Am Ende leuchtete es hell. „Ich glaube, jetzt haben wir es geschafft!" rief Kim und klatschte seine flache Hand Frenko auf die Schulter. Der Morgh sah ihn gehetzt an. Ein Zug tiefer Resignation grub sich in sein Gesicht. Hinter ihnen ertönte das Patschen immer lauter. Kim warf einen kurzen Blick auf Lom-to, den jungen Frosch. Er hockte jetzt wippend auf der hageren Schulter
Frenkos und sah zurück, dorthin, wo das Patschen erklang. Kim blieb ruckartig stehen. „Frenko!" schrie er. Der Morgh blieb stehen. Er taumelte schwach auf den Beinen. „Leg den Lom-to weg!" forderte Kim. Er wußte jetzt, woher das Patschen kam. Frenko begriff nicht alles, aber er hatte das Wort Lom-to gehört. Er schüttelte den Kopf. Kim wies in die Richtung, aus. der die ominösen Geräusche kamen. „Lom-to!" sagte er heftig. Frenko nickte. Kim zeigte auf den roten Frosch auf der Schulter Frenkos und bedeutete dem Morgh mit Gesten, er möge den Frosch absetzen. Frenko schüttelte traurig den Kopf. Er griff vorsichtig nach dem Frosch und hob ihn ein wenig an. Voller Entsetzen bemerkte Kirn, daß ein hauchdünner Faden von der Kehle Lom-tos auf die Schulter Frenkos führte. Er taumelte unter der Erkenntnis, daß die beiden biologisch verbunden waren. Lebten sie in Symbiose miteinander? Immer näher und näher kam das Patschen. Kim drängte seinen Freund weiter. Frenko taumelte immer stärker. Er stützte sich immer wieder gegen die Wand. Es fiel ihm sichtlich schwer, sich auf dem schrägen Boden zu bewegen. Doch die Lage des Schiffes schloß jede Erleichterung für sie völlig aus. Plötzlich schrie Frenko auf. Er zeigte nach vorn. Kim eilte an ihm vorbei. Er blieb an der scharfen Kante stehen, die an dem Schacht abschloß. Der Schacht führte steil in die Tiefe. Links und rechts von ihnen waren Leitersprossen in den Schacht
eingelassen. Aber sie waren so weit von ihnen entfernt, daß sie sie nicht erreichen konnten. Nur ein todesmutiger Sprung hätte sie zu diesen Sprossen hinübergeführt. Frenko stöhnte. Kim drehte sich ahnungsvoll um. Zehn Meter von ihnen entfernt hockte ein großer roter Frosch auf dem Boden. Er glotzte sie aus großen vorquellenden Augen haßerfüllt an. Seine Zunge fuhr immer wieder zischend zwischen den Lippen hervor. Kim dachte an den Mann von der Karawane, der sie verfolgt hatte. Frenko hatte ihm seinen Lom-to an den Hals geschleudert. Der Morgh war auf der Stelle zusammengebrochen. Tot? Er zuckte heftig zusammen, als plötzlich eine Sirene hinter dem Frosch auftauchte. Er erkannte sie sofort wieder. Es war jene, der er in der brennenden Stadt die Schwebesohlen abgenommen hatte. Ihre Augen strahlten mindestens ebensoviel Haß und Mordwillen aus wie die Augen des Frosches. Patsch! Nur noch sieben Meter trennten sie. Patsch! Hinter ihnen der endlose Abgrund, der sichere Vernichtung bedeutete. Fieberhaft suchte Kim nach einer Rettungsmöglichkeit. Er konnte keine finden, weil es keine gab. Die Sirene konnte ihre Absicht, den Terraner zu töten, in aller Ruhe durchführen. Niemand würde sie hindern. Patsch! Nur noch vier Meter! Der Frosch starrte jedoch nicht Frenko an, wie Kim erwartet hatte. Die großen, bösen Augen sahen nur Kim. Frenko stammelte unverständliche Worte vor sich hin. Kim sah, wie sein Freund sich den jungen Frosch von der Schulter riß. Im gleichen Augenblick fuhr Frenko so heftig zusammen, daß Kim glaubte, er werde auf der Stelle zusammenbrechen.
Frenko schleuderte den jungen Frosch mit einem Schmerzenslaut in den Abgrund hinein. Seine Hand tastete nach dem Arm Kims. Der Terraner fühlte, daß die Hand kalt und trocken war. Sie war so kalt, daß Kim fröstelte. Patsch! Zweieinhalb Meter noch. Der mächtige Leib atmete heftig. Jetzt sah Kim, daß der Frosch kleine spitze Zähne hatte. Die Sirene lachte schrill. Tief kauerte sich der Frosch an den Boden. Jetzt mußte der Sprung kommen. * Kim schnellte sich zur Seite. Er hoffte, daß der Frosch dadurch an ihm vorbei ins Leere springen würde. Doch der Frosch sprang nicht. Er preßte die Lippen wie in lautlosem Gelächter zusammen und spannte sich erneut zum Sprung. Er starrte Kim feindselig an. Kim wußte genau, daß ihm der Sprung gelten würde. Und er wußte auch, daß er sich niemals so schnell bewegen konnte, daß der Frosch getäuscht wurde. Die Sirene schrie etwas. Der Frosch sprang! Kim riß entsetzt die Hände hoch. Er wollte sich zur Seite werfen, doch die Füße rutschten ihm weg. Er wußte, daß der Frosch ihn mit tödlicher Sicherheit treffen würde.
gekommen war, um sie abzuholen. Sie verstand es, dem Tann zu erläutern, was ein Raumschiff war. „Dieses Schiff hat mehr Macht als alle Sirenen auf dieser Welt zusammengenommen!" rief Velda mit glühenden Wangen. „Wenn es uns gelingt, es auf uns aufmerksam zu machen, dann können wir vielleicht etwas ausrichten!" „Es wird Zeit", nickte der Tann, der noch wenig Begeisterung zeigte. „Die Sirenen haben schon einige Städte vernichtet, weil die Morghs versuchten, sich dem Lockruf zu entziehen. Sie morden, wenn es ihr Vorteil ist. Sie tun alles, um ihre Macht zu erhalten, und sie vernichten jeden, der sich ihnen entgegenstellt!" Er preßte seine Hände vor das Gesicht. „Es wäre schön, wenn die Leute von dem Raumschiff uns helfen könnten. Ich fürchte nur, daß sie dem Ruf der Sirenen ebenso folgen werden wie alle Morghs auf dieser Welt!" Velda sah ihn ungläubig an. „Sie zweifeln?" fragte sie. „Sie glauben wirklich, die Leute von der ,Walter Beckett' könnten von den Sirenen beeinflußt werden? Niemals, Smoke, niemals!" Ein markerschütternder Schrei jagte durch die Gänge des Raumschiffes. Er trieb die Männer und das Mädchen hoch. „Kim!" hauchte Velda entsetzt. *
* Velda Corda sprang auf. „Die Walter Beckett!" rief sie erregt. »Das Raumschiff, das ich gesehen habe!" „Ich verstehe nicht!" murmelte der Tann. Mit hastigen Worten erklärte sie, daß sie das Raumschiff gesehen hatte, das
Rex Corda, der einsame Mann auf der Kommandobrücke der „Walter Beckett", sah auf den großen Holografen vor sich. Das Raumschiff stand auf einer weiten Ebene an den Ufern eines Flusses, der sich kurvenreich nach Süden schlängelte. Er fühlte das Fremde, das sich an seinen Geist heranarbeitete. Er wehrte es
ab. Einige Male kam er in Versuchung, dem Fremden weniger Widerstand entgegenzusetzen, um es besser kennenlernen zu können. Doch dann zwang er sich, jedes mögliche Risiko auszuschalten. Die Bewußtlosen kamen zu sich. Rex Corda konnte auf dem Holografen erkennen, wie sich einer nach dem anderen erhob. Sie taumelten noch ein wenig, aber sie erholten sich schnell. Bekoval und Percip überwachten sie alle mit angeschlagenen Strahlwaffen schwersten Kalibers. Niemand störte sich daran, daß Bekoval und Percip so stark bewaffnet waren. Langsam formierten die Männer sich. Ga-Venga, der Kynother, wirbelte immer aufgeregter um sie herum. Seinem Gesicht war anzusehen, daß er sich königlich amüsierte. Als der letzte Mann sich vom Boden erhoben hatte, setzte sich die Kolonne in Bewegung. Die Männer marschierten vergnügter Stimmung nach Süden — genau auf die sieben Frauengestalten zu, die in diesem Augenblick hinter einigen flachen Hügeln hervorkamen. Rex Corda beugte sich überrascht vor. Er justierte den Holografen. Das Bild sprang auf ihn zu. Deutlich konnte er jetzt die sieben Frauengestalten erkennen. Sie hatten eine tiefrote Haut, große grüne Augen, und auf der Stirn trugen sie vier kleine Höcker, die aussahen wie die Ansätze zu Hörnern. Überraschend für Corda war, daß die Frauen schwebten. Deutlich konnte er ihre Füße erkennen. Sie schwebten mehr als einen Meter über dem Boden. Und unter ihren Füßen wallte feiner Nebel wie der schwelende Rauch eines erloschenen Feuers. Jetzt erreichte die Kolonne die sieben Frauen. Sie stoppte. Die Frauen hoben die Arme. Sie zeigten nach Norden.
Langsam schwenkte der Trupp um. Corda konnte die lachenden Gesichter seiner Männer sehen und die stumpfen leeren Augen. Ga-Venga tänzelte um eine überaus dürre Frau herum, die ihm jedoch nicht den Gefallen tat, wenigstens auf den Boden herabzukommen, um den riesigen Größenunterschied ein wenig zu mildern. Rex Corda fühlte den starken mentalen Strom, der von den Frauen ausging. Er fühlte ihn auch gegen sich selbst anbranden, aber er konnte ihm widerstehen. Er blockte sich gegen den teuflisehen Einfluß ab. Nachdenklich beobachtete er, wie seine Mannschaft in Begleitung der sieben schwebenden Frauen im Norden zwischen den Hügeln verschwand. Corda wußte, daß er jetzt noch nichts tun konnte. Es half ihm überhaupt nichts, wenn er die Männer gewaltsam ins Schiff zurückholte. Er mußte die Ursachen für den totalen Zusammenbruch der Disziplin erst kennenlernen. Dann konnte er damit beginnen, sie zu beseitigen. Er mußte den verhängnisvollen Bann brechen, den die Gehörnten auf die Männer, Terraner wie Laktonen, ausübten. Mit sehr gemischten Gefühlen erhob er sich aus seinem Sitz. Er fragte sich, wie X sich jetzt verhalten würde. X meldete sich nicht mehr. Hatte auch er das Schiff verlassen? Verbarg sich gar kein Unbekannter an Bord? War einer der Männer der Besatzung jene Kraft gewesen, die eingegriffen hatte, um die „Walter Beckett' vor dem Untergang zu bewahren? * Als Kim sich schon verloren sah, zuckte der Fuß Frenkos hoch. Er traf den Frosch mitten im Sprung. Er lenkte
ihn über Kim hinweg. Der Frosch blähte sich wütend auf, doch damit konnte er nichts mehr ändern. Er segelte über die Kante hinweg in den Schacht hinein. Wie ein roter Blitz verschwand ei in der Tiefe. Frenko lachte meckernd. Doch die Sirene zeigte sich nicht beeindruckt. Sie blitzte die Jungen siegessicher an. Patsch! Kim schlug die Hände stöhnend vor das Gesicht. Er konnte es nicht glauben, daß sich die Gefahr, der sie gerade eben entwichen zu sein glaubten, jetzt wieder vor ihnen erhob. Patsch! Patsch! Frenko taumelte auf die Sirene zu. Sie schnellte sich ihm geschmeidig entgegen, stieß ihm ihre Hände vor die Brust. Frenko warf die Arme hoch. Er war zu schwach, zu ausgelaugt, um sie noch aufhalten zu können. Haltlos taumelte er auf den Abgrund zu. Aber Kim paßte auf. Er warf sich gegen den Morgh und brachte ihn zu Fall. Frenko rutschte bis dicht vor die Kante und blieb liegen. Patsch! Kim sah den Frosch drei Meter hinter der Sirene auftauchen. Patsch! Er war nicht allein. Ein zweiter folgte ihm auf den Fersen. In kurzen Sprüngen schnellten sie sich heran. Sie hatten nur Augen für die Jungen. Die Sirene schienen sie nicht zu bemerken. Jetzt wußte Kim auch, woran sich die Mörderfrösche, wie er sie in Gedanken nannte, orientierten. Von Frenko ging ein etwas süßlicher Geruch aus, der sich verstärkt hatte, seitdem er sich von dem Lom-to getrennt hatte. Patsch! Patsch! Die Frösche hüpften an der Sirene vorbei. Frenko stand auf. Er stützte sich an
der Wand ab, weil er zu schwach war, um sich auf den Beinen zu halten. Vier Meter noch bis zum Tod! Kim überlegte, ob es nicht sinnvoller wäre, einen Durchbruch zu versuchen, aber er konnte diese Idee nicht mehr verwirklichen. Die Sprünge der Frösche wurden länger. Und schneller. Vor Kims Augen taumelte es. Ein betäubender Geruch drang auf ihn ein. Er sah die Frösche wie rote Flecke. Der erste sprang! Kim duckte sich ab. Es wäre umsonst gewesen — wenn Frenko sich nicht auf den Frosch geworfen hätte. Er warf sich in den Sprung, packte den Frosch mit beiden Händen und schleuderte ihn in den grundlosen Schacht hinein. Kim sah, daß der Frosch Frenko an der Hand verletzt hatte. Die Sirene schrie zornig auf. Sie lief auf Frenko zu. Der zweite Frosch sprang. Kim war wie von Sinnen. Er wollte nicht, daß Frenko abermals nach dem Frosch griff, aber er konnte es nicht verhindern. Frenko merkte, daß Kim sich über den Frosch werfen wollte. Mit unmenschlicher Energie schnellte er sich hoch. Der springende Frosch knallte dumpf gegen den nackten Hals Frenkos. Der Morgh brach wie vom Blitz gefällt zusammen. Doch er war noch gegenwärtig genug, den Frosch zu packen und den beiden anderen nachzuwerfen. Jaulend verschwand das Tier in dem Schacht. „Frenko!" stammelte Kim. Er stürzte sich auf seinen Freund, dessen Gesicht sich erschreckend verfärbte. Frenko sah Kim mit großen traurigen Augen an. Die Augen Frenkos brachen. Er sah nicht mehr, daß die Sirene sich über Kim beugte, um ihm das Messer ins Herz zu stoßen.
* Velda war wie von Sinnen. Sie kletterte die Sprossen an dem schrägen Schacht hinauf, als ahnte sie, daß es um Sekunden ging. Sie hatte nur den Schrei ihres Bruders gehört. Sie wußte nicht, was sich hoch über ihr abspielte. Aber sie ahnte, daß er in tödlicher Gefahr schwebte. Sie kannte ihren Bruder gut genug. Der Tann folgte ihr nicht minder erregt. Er mühte sich ab, dem geschickten Mädchen zu folgen, das sich mit der Geschmeidigkeit eines wilden Tieres die in den Schacht eingelassene Leiter hochkämpfte. Velda schrie auf ihn ein, wenn er ein wenig zurückblieb. Smoke wiederum trieb seine Leibwache an, die Mühe hatte, das Tempo zu halten. Da segelte ein jaulender roter Frosch an ihnen vorbei. Smoke brüllte vor Wut. Und jetzt schnellte er sich so hastig voran, daß Velda alle Mühe hatte, den Abstand zu halten. Die nächsten beiden Frösche, die herunterkamen, sah sie selbst. Sie bemerkte auch, von wo sie kamen. „Kim! Kim!" rief sie. Keine Stimme antwortete. Velda fühlte die Anstrengung plötzlich. Sie fühlte, daß die Kräfte spontan nachließen. Sie wußte, daß sie nur noch ein paar Meter zu überwinden hatte. Diese aber fielen ihr am schwersten. Jetzt sah sie die Sirene, die sich an ihren Bruder heranschlich, den Dolch in der Hand. Die Gehörnte befand sich auf der anderen Seite des Schachtes. Sie war nur über die gegenüberliegende Leiter zu erreichen. Sollten sie zusehen müssen, wie Kim ermordet wurde? „Nein!" schrie Velda. „Tun Sie das nicht! Tun Sie es nicht!"
Das dunkelhäutige Mädchen drohte mit dem Dolch. Kim sah auf. Seine Augen waren stumpf und leer. Er begriff nichts von dem, was um ihn herum geschah. „Kim! Kim! Paß auf!" warnte Velda. Ihr Bruder sah und hörte nichts. Wie gelähmt drehte er den Kopf. Seine Augen lagen unter einem milchigen Schleier, der keine Wahrnehmung durchließ. Da beugte sich die Sirene über Kim. Velda schrie gellend auf. Instinktiv hob Kim die Arme. Jetzt, in letzter Sekunde, da es viel zu spät war, merkte er, was geschah. Er sah den spitzen Dolch und versuchte auszuweichen. Der Schuß krachte so laut im Schacht, daß Velda fast von der Leiter gestürzt wäre. Sekundenlang begriff sie überhaupt nichts. Sie starrte auf die Sirene, die sich wieder aufrichtete. Der Dolch fiel ihr aus der erschlaffenden Hand. Das gehörnte Mädchen preßte sich die linke Hand auf den Leib. Wankend näherte sie sich dem Abgrund. Der Tann schoß abermals. Ein furchtbarer Schlag traf die Sirene. Er schleuderte sie zurück. Sie prallte gegen Kim, der in seinem Schrecken aufspringen wollte. Unbeabsichtigt stieß er das Mädchen zurück. Es rutschte über die Kante des Abgrunds und folgte den Fröschen, die sie als Mordinstrument benutzt hatte. Kim sank stöhnend in sich zusammen. Er preßte die heiße Stirn auf die stille Hand seines ermordeten Freundes. Plötzlich stöhnte Smoke, der Tann, dumpf auf. Velda, die sich um ihren Bruder kümmern wollte, sah ihn überrascht an. Die großen Augen des Tanns sprühten vor Haß und Zorn. „Sie müssen verschwinden!" keuchte er. Die elektronische Übersetzungsmaschine übertrug seine Worte ins Englische. „Die Sirenen müssen verschwin-
den!" Velda nickte. Sie verstand nicht, wie der Tann seine Worte im Augenblick meinte. Doch da zog Smoke seine dreifingrige Hand von der Stirn des toten Jungen zurück. Velda hielt den Atem an. Sie blinzelte, weil sie ihren Augen nicht trauen wollte. Doch alles blieb so, wie sie es sah. Die obere Seite der kantig abschließenden Stirn Frenkos veränderte ihre Farbe sehr schnell an vier kleinen Stellen. Velda kniete sich neben dem Tann nieder, da er ihr durch eine Geste zu verstehen gab, daß sie zusehen sollte. Plötzlich platzte die Haut des Jungen auf. Vier kleine Höcker schoben sich durch die Haut heraus. Sie wuchsen innerhalb weniger Minuten bis auf eine Höhe von fast anderthalb Zentimetern an. Der Tann strich mit den Fingerspitzen über die Höcker. „Ich wußte, daß es sie gibt", versetzte er leise. „Es mußte einfach so sein!" Velda sah ihn fragend an. „Ich habe mir nie erklären können, warum es immer nur weibliche Gehörnte gab. Es gibt auch keine vernünftige Erklärung dafür. Es mußte auch männliche geben!" „Dies ist der erste Junge, der Höcker hat?" fragte Velda überrascht. Der Tann schüttelte den Kopf. „Es ist der erste, den ich sehe", betonte er. „Es gibt sicherlich viele von ihnen!" „Und warum treten sie nicht in Erscheinung?" „Ich weiß es nicht! Ich vermute, daß die Sirenen sie durch irgend etwas in der Entwicklung hemmen!"
Kim Corda kam zu ihnen. Seine Hand legte sich über die Stirn ies Freundes. „Lom-to!" sagte er. Er öffnete das Hemd Frenkos und zog es zur Seite, so daß die linke Schulter entblößt wurde. Der Faden, der Frenko mit dem Frosch verbunden hatte, war noch zu sehen. Die Schulter schimmerte blaß und grau. Smoke erhob sich, während Kim erklärte, was der Faden zu bedeuten hatte und was er gesehen hatte. „Ich glaube, ich verstehe jetzt", sagte er. „Lom-to, das heißt soviel wie unbezwingbar, unüberwindlich. Fast alle Jungen unseres Volkes haben irgendwann einen dieser Frösche. Aber die meisten haben ihn nur ganz kurze Zeit, Es gilt als besondere Leistung, wenn ein Junge ihn länger behält, besonders in dem Alter, in dem dieser Junge jetzt war. Ein Lom-to gilt als Symbol der Unbesiegbarkeit, weil die Jungen, die einen Lom-to gerade in diesem Alter an sich binden können, später nur in Ausnahmefällen von ausgewachsenen Lomtos getötet werden können. Erwachsene, die nur für kurze Zeit einen dieser Frösche hatten, sterben. Sie geben vermutlich ihre Lebensenergie an den Frosch ab, da in solchen Fällen stets seine Verwandlung eingeleitet wird." „Wenn es so ist, wie Sie sagen", warf Kim ein, „dann sind die Lom-tos Schmarotzer, die Frenko gerade dann die meiste Kraft stahlen, wenn er sie am nötigsten brauchte!" Der Tann nickte ernst.
ENDE
Mutaras letzter Kampf Band 7 Rex Corda konnte vier der fünf Supertransmitter der Featherheads zerschlagen. Damit ist der Flotte der gefiederten Invasoren fast die gesamte Versorgungsbasis entzogen. Doch das genügt noch immer nicht, die Versorgung der Flotte wirklich lahmzulegen Das Organisationsgenie der Orathonen leitet den Strom der Beutegüter über einen einzigen Supertransmitter ab. Der Transmitter steht auf dem Ozark Plateau in Nordamerika. Sigam Agelon, der Flottenkommandeur der Orathonen, kennt das Ziel der Rebellen. Er läßt sich nicht täuschen. Er befiehlt den Ausbau des Transmitters zur Super-Festung Rex Corda aber sucht nach einem Weg, mit dem Terra-Jet an die Erdoberfläche zurückzukehren, ohne von den Orathonen geortet zu werden. Gibt es diesen Weg überhaupt? Und wenn es ihn gibt, womit soll Corda dann den Transmitter angreifen? Tod für Terra Band 8 Die Orathonen haben die Erde verlassen, nachdem sie sie systematisch geplündert hatten, um ihre Flotte auf den Tag der großen Auseinandersetzung mit den Laktonen auszustatten. Jetzt ist der Tag gekommen! Die Lakton-Flotte steht vor dem Sonnensystem Sie muß jetzt angreifen, nachdem es Rex Corda gelungen ist, die fünf Supertransmitter, die die Basis des orathonischen Versorgungssystems bildeten, zu zerschlagen. Sigam Agelon, der Flottenkommandeur der Orathonen, hat den Befehl gegeben, die Erde zu vernichten. Er will sich den Rücken für die entscheidende Schlacht mit den Laktonen freihalten. Der Vernichtungsbefehl Sigam Agelons droht, unseren Planeten in die Nacht der Ewigkeif zu schleudern. Die Falle im Kosmos Band 9 Der Abgrund öffnet sich vor der Erde. Die gigantischen Flotten der Laktonen und der Orathonen prallen in dem kleinen Raum des Sol-Systems aufeinander. Diese eine Schlacht kann den fast fünftausendjährigen galaktischen Krieg entscheiden. Gelingt es der orathonischen Fiotte unter der Leitung von Sigam Agelon, die Laktonen über Terra zu schlagen, dann ist Lakton so geschwächt, daß es dem Moloch Orathon vollends zum Opfer fallen muß! In einer solchen Situation, in der es um das Schicksal eines unvorstellbar großen galaktischen Reiches geht, denkt niemand daran, sich Sorgen um die Erde zu machen. Rex Corda steht allein zwischen den kämpfenden Riesen. Er wirft sich mit ganzer Energie in den Kampf, um den Laktonen von der Erde aus zu helfen. Kann aber die Kraft eines einzelnen Mannes ausreichen, die machtvollen Orathonen zu schwächen? Fast sieht es so aus Rex Corda hat keine Wahl. Wenn die Erde leben soll, dann müssen die Laktqnen siegen. Auch Lakton weiß, was die Stunde geschlagen hat. Es schickt einen Mann an die Front, der die Laktonen in einen Begeisterungstaumel versetzt. Seine Persönlichkeit reißt die erschöpften Männer mit. Aber Jakto Javan geht es nicht nur um das Schicksal Laktons. Er weiß, daß Sigam Agelon der Herr über die orathonische Flotte ist. Diesen Gegner zu besiegen, bedeutet ihm noch mehr als das Schicksal des laktonischen Reiches! Jakto Javan kennt die Erde nicht. Terra ist für ihn irgendein Planet unter vielen Tausenden, die er gesehen hat. Der Schento Javan wird die Erde opfern, wenn er dadurch einen Sieg über Sigam Agelon erringen kann! Nur ein Mann tritt ihm entgegen, entschlossen, die Erde zu retten - Rex Corda. Doch auch er gerät in „Die Falle im Kosmos". Terras Chance wird unendlich klein.