Teufel an Bord von William Garnett
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Teufel an Bord von William Garnett
Die 36 Sträflinge können es nicht glauben: sie sind endlich frei! Doch schon naht ein neues Unheil. Der Teufel an Bord heißt Bombarde, und er erobert sich brutal die Gewalt über die ›San Mateo‹. Philip Hasard Killigrew und seine treuen Männer müssen klein beigeben. Bevor es zu der entscheidenden Auseinandersetzung kommt, müssen die Männer der ›San Mateo‹ ihren Machtkampf vergessen. Am Horizont tauchen zwei Galeeren auf, und ihre kriegerische Absicht ist unverkennbar. Bombarde sieht seine Chance. Er verlangt Waffen für seine Rabauken, und er weiß, daß nur der Seewolf sie ihm geben kann ...
1. Philip Hasard Killigrew starrte über das Schanzkleid der ›San Mateo‹ hinweg zur spanischen Küste, die nur noch als vager, unregelmäßiger Zacken am östlichen Horizont zu erkennen war. Dann wandte er sich um und trat neben Ben Brighton und Ferris Tucker, die an der Balustrade des Achterdecks standen und in die Kuhl des Schiffes hinabblickten. Die Galeerensträflinge, die sie zusammen mit den elf Männern der ehemaligen ›Isabella‹ von der Galeere ›Tortuga‹ geholt hatten, standen am Backbordschanzkleid und sprachen erregt miteinander. »Die Sache gefällt mir gar nicht«, sagte Ben Brighton leise.
»Ich denke auch, daß wir mit den Brüdern noch Ärger kriegen«, sagte Hasard, ohne die Gruppe aus den Augen zu lassen. »Wir hätten sie auf der verdammten Galeere lassen sollen«, sagte Ferris Tucker, und keiner der beiden anderen widersprach ihm, obwohl es ihnen ohne die Mithilfe dieser sechsunddreißig Männer wahrscheinlich nicht gelungen wäre, die ›San Mateo‹ zu entern und zu kapern. Die Dons an Bord des Schiffes hatten keinerlei Verdacht geschöpft, als die Galeere am Vormittag dieses Maitages 1577 von Sevilla her auf die Reede von San Lucar gelaufen war und längsseits der Galeone festgemacht hatte. Schließlich wurde die ›Tortuga‹ erwartet, um die wertvolle Silberladung des Schiffes zu übernehmen und zu den Lagerhäusern des Hafens zu bringen. Nur diesem Überraschungsmoment war es zuzuschreiben, daß die Eroberung der ›San Mateo‹ so relativ einfach und fast unblutig verlief. Der Capitan und dreiundzwanzig Mann der Besatzung hatten den kurzen Kampf überlebt und waren jetzt in der Vorpiek eingesperrt. Aber die Dons waren das kleinste von Hasards Problemen. Das dringlichere war die Frage, was die sechsunddreißig Männer planten, die in der Kuhl zusammenstanden und sich leise miteinander unterhielten. Ab und zu, wenn einer der Männer in der Erregung lauter sprach, verstand er ein paar zusammenhanglose Worte, spanische Worte. Die wenigsten unter ihnen waren nach ihrem Aussehen Spanier, dachte Hasard. Es war ein buntes Gemisch fast aller Nationalitäten am Mittelmeer: Portugiesen, Griechen, Sizilianer, Venezier, Ägypter, Nordafrikaner, dazu ein paar Niederländer und Neger. Die Spanier und ein guter Teil der anderen waren gewöhnliche Kriminelle, Gewaltverbrecher, Strolche, die anderen aber nur Menschen, die aus religiösen oder anderen Gründen dem Absolutismus von Krone und Altar unbequem geworden
waren. Hasard beobachtete, daß diese Gruppe sich mehr oder weniger von den Kriminellen absonderte. Sie hielten sich am äußersten Rand der Gruppe auf, hörten zwar zu, aber beteiligten sich nicht an der Debatte. Hasard versuchte, sich die einzelnen Gesicher der Männer einzuprägen, um später zu wissen, wer zum harten Kern der Sträflinge gehörte und wer die Mitläufer waren, die Abwartenden, die Neutralen. »Dan!« rief er halblaut. »Sir?« Der sechzehnjährige Dan O’Flynn, durch die dreimonatige Schinderei auf der spanischen Galeere noch magerer geworden, trat seitlich neben Hasard. »Sag den Männern, sie sollen zusammenbleiben und hole die Leute, die noch in der Kuhl oder auf dem Vorschiff sind, auf das Achterdeck.« »Dicke Luft?«
Hasard nickte. »Wahrscheinlich.«
Dan wollte lostraben, doch Hasard hielt ihn zurück.
»Aber möglichst unauffällig. Die Burschen da unten brauchen
nicht zu merken, daß wir etwas wittern.« »Aye, aye. Sir.« Dan schlenderte gemächtlich zum Niedergang und stieg hinunter. Etwa zwanzig der Burschen waren wirklich gefährlich, überlegte Hasard. Zwanzig gegen dreizehn. Und natürlich hatten gerade die Kriminellen unter den Galeerensträflingen die Schinderei und den Hunger besser überstanden als die anderen. Sie hatten eine geschlossene Einheit gebildet, die sich gegenseitig Vorteile zuschob - auf Kosten der Außenseiter, der »Renegaten« und der »Feinde«, zu denen natürlich ganz besonders die gefangenen Engländer gehört hatten. Selbst in der Hölle wird es noch Menschen zweiter Klasse geben, dachte Hasard, genau wie es sogar unter den
Verdammten der spanischen Galeeren Herren und Untertanen gab. Hasard wandte sich um und blickte von einem der Geretteten zum anderen. Sie waren die »Neuen« auf der Galeere gewesen, die Knechte der Alteingesessenen, und an ihnen hatten die drei Monate Schinderei, Brutalität und Hunger am meisten gezehrt. Keiner von ihnen war voll einsatzfähig - bis auf Dan O’Flynn und Batuti. Bei dem kleinen Dan war es seine Jugend, die ihn die Strapazen leichter hatte überstehen lassen als die anderen, bei dem riesigen Neger Batuti seine robuste, unverdorbene Natur. Batuti grinste, als er den Blick seines Kapitäns auf sich ruhen fühlte. »Gut, wieder sein alles zusammen auf eigene Schiff wie früher, Sir.« »Mit dem eigenen Schiff wollen wir noch nicht zu sicher sein, Batuti«, sagte Hasard und deutete mit dem Kopf auf die Gruppe der ehemaligen Sträflinge, die immer wieder rasche, verstohlene Blicke zum Achterdeck warfen. »Batuti verstehen. Werden schon schaffen diese Banditen.« Aber seine Worte klangen nicht sehr überzeugend, und auch er warf zweifelnde Blicke auf die anderen Männer. Nicht einer von ihnen war so richtig auf den Beinen. Sie lehnten und hockten um den Besanmast, am Schanzkleid, an der Balustrade. Der Kutscher, ehemaliger Koch und Feldscher der ›Isabella‹ lag sogar ausgestreckt an Deck, die Augen fest geschlossen. Er war von der Konstitution her der schwächste Mann der Crew, und als eingefleischter Landlubber hatte er sich nur langsam an das harte Leben auf See gewöhnen können. Ferris Tucker, der Schiffszimmermann, besaß eine eiserne Konstitution. Aber dennoch stützte er sich schwer auf die Balustrade, als er neben Hasard stehend zur Kuhl hinunterstarrte.
Matt Davies saß an das achtere Schanzkleid gelehnt und bearbeitete seine rechte Hand mit einem Schleifstein. Matts rechte Hand bestand aus einer Lederprothese, aus der ein spitz zugeschliffener Haken ragte. Die Spanier hatten ihm den Haken zuerst abnehmen wollen, dann aber eingesehen, daß er mit einer Hand kein vollwertiger Rudersklave sein würde. Während der drei Monate war der Eisenhaken jedoch stumpf und rostig geworden, und Matt bearbeitete ihn seit Stunden mit Feile, Öllappen und Schleifstein, um den alten Glanz und die gewohnte Schärfe wiederherzustellen. »Nicht einschlafen, Smoky«, sagte Hasard leise zu dem dunkelhaarigen Mann, der mit dem Rücken an den Besanmast gelehnt saß und dessen Kopf immer wieder herabsank. »Tut mir leid, Sir«, sagte Smoky und riß sich spürbar zusammen. Hasard tat es leid, ihm und den anderen jetzt keine wirkliche Ruhe gönnen zu können. Denn auch die Männer, die neben ihm hockten, der blonde Schwede Stenmark, Blacky und Gary Andrews, konnten kaum noch die Augen offenhalten vor Erschöpfung. Selbst der Rudergänger Pete Ballie, der auch hier am Kolderstock stand, und Al Conroy, der Stückmeister der abgesoffenen ›Isabella‹, würden noch einige Zeit brauchen, um die Strapazen der letzten drei Monate zu überwinden. Das war keine sehr wirksame Streitmacht gegen die Männer auf der Kuhl, auch wenn sie fast die Hälfte von denen nicht voll einsetzen sollten. Aber selbst das war nicht sicher. Die wertvolle Ladung von Silberbarren im Bauch der ›San Mateo‹ konnte auch den Anständigsten unter ihnen reizen, sich auf die Seite der Strolche zu schlagen. Nur einen wirklichen Vorteil konnte Hasard für sich und seine Männer verbuchen: die Waffen- und Pulverkammer der ›San Mateo‹ befand sich im Achterkastell. Wenn es zu einer Auseinandersetzung kommen sollte - und daran bestand nach
seiner Einschätzung der Lage kaum noch ein Zweifel -, waren sie den anderen überlegen. »Al«, sagte Hasard leise zu dem Geschützführer, der neben ihm an der Balustrade lehnte. »Geh in die Waffenkammer und lade die Handfeuerwaffen.« Al Conroy nickte. »Daran hätte ich eigentlich selbst denken müssen, Sir.« Er wandte sich zum Gehen, blieb dann aber noch einmal stehen. »Ich werde auch ein paar Kugeln und Pulver für die Drehbassen mitbringen.« »Gute Idee«, sagte Hasard. Unwillkürlich griff er nach der sächsischen Reiterpistole, die in seinem Gürtel steckte. Er und Ben Brighton waren im Moment die einzigen, die bewaffnet waren. Die vier Drehbassen auf dem Achterkastell der ›San Mateo‹ würden ihnen die wirklich entscheidende Überlegenheit verleihen, wenn es hart auf hart kommen sollte. In diesem Fall war es ein Glücksumstand, daß sich auf dem Bugkastell keine Kanonen befanden, die von den Sträflingen eingesetzt werden konnten. Bei einem Gefecht mit anderen Schiffen aber konnte sich dieser Umstand als tödlich erweisen. Und bis nach Plymouth war es noch eine verdammt lange Strecke. Allerdings würden sie dafür nicht so lange brauchen wie mit der alten ›Isabella‹. Die ›San Mateo‹ war erheblich ranker gebaut als die abgesoffene Galeone. Sie war länger als die ›Isabella‹ und hatte acht Kanonen auf jeder Schiffsseite. Hasard blickte wieder nach Osten, nach der Küste, die immer noch wie ein Schemen auf der Kimm lag. An sich hatte er so lange nach Westnordwest laufen wollen, bis die Küste Spaniens ganz außer Sicht war, und erst dann wollte er auf Nordkurs gehen. Aber die Situation ließ es ihm richtiger erscheinen, den Kurs allmählich und ohne Segelmanöver zu ändern. »Abfallen bis auf Nordwest«, sagte er zu Pete Ballie. »Abfallen auf Nordwest«, wiederholte Pete und legte etwas
Ruder. Hasard warf einen kurzen Blick auf die Segel, als die ›San Mateo‹ um zweiundzwanzig Kompaßgrade nach Norden schwang. Der Schatten des Großmastes drehte sich wie der Zeiger einer Sonnenuhr über das Deck. Das Gemurmel der Männer in der Kuhl wurde lauter, erregter, ein paar von ihnen deuteten auf den wandernden Schatten des Großmastes, andere blickten zur Sonne hoch, um nach ihrem Stand die Richtungsänderung abzuschätzen. »Nordwest liegt an«, sagte Pete Ballie ruhig. Hasard nickte schweigend. Er sah, wie sich ein Mann aus der Gruppe löste. Das heißt, er stürmte heraus und stieß die anderen zur Seite. Hasard kannte den Mann. Auf der Galeere hatten ihn die anderen Bombarde genannt. Er war der Schlagmann der ›Tortuga‹ gewesen, der Herrscher in der Hierarchie der Geknechteten. Bombarde machte seinem Spitznamen alle Ehre. Er war ein kleiner, untersetzter Kerl mit kurzen, stämmigen Beinen und einem kugelförmigen Kopf. Seine kurzgeschorenen, weißblonden Haare klebten verfilzt an seinem runden Schädel, die zerfetzten Lumpen, die er trug, gaben sonnenbraune Haut frei, unter der sich dicke Muskelstränge abzeichneten. Er war ein wüster, heimtückischer Kerl, mehrfacher Mörder, als Seemann der Barbaresken, der nordafrikanischen Freibeuter, in die Hand der Spanier gefallen. »Engländer!« rief er mit einer dröhnenden, herrischen Stimme, als er auf den Niedergang zustürzte. »Ich muß mit Ihnen sprechen.« Hasard warf einen raschen Blick zu den anderen Männern seiner Besatzung. Sie waren noch genauso erschöpft wie zuvor, aber davon merkte man jetzt nicht mehr viel. Jeder von ihnen wußte, daß es jetzt auf ihn ankam, auf jeden einzelnen. »Verdammt, wo bleibt Al mit den Waffen«, sagte Dan
O’Flynn leise. »Was brauchen Waffen, wenn haben Batuti«, sagte der schwarze Riese beruhigend. »Nicht machen in Hose vor Angst, kleines O’Flynn.« »Paß bloß auf, daß bei dir die Hose nicht voll wird«, sagte Dan mit seiner kieksigen Stimme. »Bei deinem dicken Hintern wäre das viel schlimmer.« Bombarde enterte den Niedergang hoch und trat auf Hasard zu. Die anderen Männer in der Kuhl drängten näher heran, um nichts zu versäumen. »Was ist los?« Hasard trat dem Mann in den Weg und blickte ihn herrisch an. Manchmal wirkten solche Einschüchterungen, aber er war sicher, daß Bombarde davon nicht beeindruckt sein würde. Und sein Gefühl täuschte ihn nicht. Bombarde baute sich in einer fast unverschämten, impertinenten Haltung vor ihm auf und sagte: »Welchen Kurs steuern Sie?« Hasard antwortete nicht. Bombarde warf wieder einen kurzen Blick zur Sonne. »Nordwest oder Nord, glaube ich. Kurs auf England.« Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. »Allerdings«, sagte Hasard und blickte an Bombarde vorbei zu den anderen, die immer näher an den Niedergang herantraten. Jetzt sah er, daß ein paar von ihnen Knüppel und Belegnägel in den Händen hielten. »Batuti, Dan, sichert den Niedergang!« rief er den beiden Kräftigsten unter seinen Männern zu. O’Flynn und der riesige Neger traten schweigend hinter Bombarde an das obere Ende des Niedergangs. An ihnen würde niemand vorbei auf das Achterdeck steigen. Bombarde verfolgte die Sicherheitsmaßnahme mit einem verächtlichen Lächeln. »Ich verlange, daß Sie sofort auf Südkurs gehen«, sagte er zu Hasard. »Sie haben gar nichts zu verlangen«, sagte Hasard hart.
»Verschwinden Sie, bevor ich Sie hinunterwerfe.« »Das möchte ich erst mal sehen«, sagte Bombarde drohend, trat aber doch vorsichtig ein paar Schritte zurück. »Aufpassen, Leute!« rief er dann den anderen zu. Hasard wußte endgültig, daß eine Machtprobe unvermeidlich war. Die Männer auf der Kuhl drängten näher, ein paar von ihnen schwangen drohend Belegnägel und Knüppel. »Laß dich nicht einschüchtern, Bombarde!« »Zeig dem Kerl, wer hier was zu sagen hat!« »Der will uns doch nur um das Silber bescheißen!« Das war das Stichwort, mit dem sich die wahren Absichten von Bombarde und seinen Genossen verrieten, das Stichwort, das Hasard erwartet hatte. Bombarde war ein Pirat der nordafrikanischen Küste gewesen, ein Mann mit Verbindungen in den arabischen Häfen. Er wußte, was die Silberladung der ›San Mateo‹ in Algier bringen würde und hatte den anderen Männern vorgeschwärmt, daß sie wie die Fürsten leben könnten, wenn es ihnen gelingen würde, die Galeone in ihre Gewalt zu bringen und die Engländer in den Bach zu werfen. Das heißt, dies natürlich erst vor Erreichen der Küste. Bis dahin brauchte man sie noch, da sich unter den Kriminellen kein einziger Seemann befand, und auch Bombarde selbst, der nur vor dem Mast gefahren war, besaß naturgemäß keinerlei navigatorische Kenntnisse. »Sie haben zehn Sekunden, hier zu verschwinden, Bombarde«, sagte Hasard kalt und trat einen Schritt auf den untersetzten Mann zu. Bombarde wich diesmal nicht zurück. Die Haltung seiner Männer und die anfeuernden Zurufe schienen ihm Mut gemacht zu haben. »Und Sie haben zehn Sekunden Zeit, sich zu überlegen, daß wir dreimal so viele Männer sind wie Sie. Ihre Leute können kaum noch einen Besenstiel gerade in die Luft halten.«
Wieder ertönte von unten zustimmendes Gemurmel, und Hasard merkte sich genau die Männer, die jetzt drohend Knüppel schwangen und auf Batuti und Dan O’Flynn zudrängten. »Hol den Kerl da runter, Bombarde!« »Sehr richtig! Sag ihm, wer hier der Herr ist!« »Das Schiff gehört uns!« »Klar! Schließlich haben wir es erobert und nicht die elf Engländer! Die konnten sich doch kaum auf den Beinen halten!« Hasard blickte den weißblonden Burschen mit den hellen, tückischen Fischaugen prüfend an. Ein harter, kräftiger Mann, dachte er. Aber doch kein wirklich gefährlicher Gegner, was die physische Kraft betraf. Weitaus gefährlicher war seine kriminelle Intelligenz. Bombarde wußte genau, wie er seine Männer packen konnte. Sie hatten zwei Jahre und länger auf der Galeere geschuftet und gedarbt, mit schweren Ketten an ihre Ruderbänke geschmiedet. Sie waren ausgehungert und gierig nach Leben, nach all den Genüssen, die man ihnen so lange verwehrt hatte. Und der Silberschatz der ›San Mateo‹ war der Schlüssel dazu. Wahrscheinlich hatte ihnen Bombarde in glühenden Farben geschildert, welche Freuden auf sie warteten, wenn es ihnen gelang, die Galeone in ihren Besitz zu bringen. Die Silberladung hatten sie in Gedanken schon in Algier verscheuert, und dann würden sie alles nachholen, was sie in den Jahren der Sklaverei versäumt hatten. Sie würden saufen, sie würden huren, sie würden sich von braunhäutigen Sklavinnen bedienen lassen, vielleicht auch von ein paar weißen, von glutäugigen Kaukasierinnen oder gut gerundeten Türkinnen. Sie würden leben, endlich leben, aus dem vollen heraus, wenn es ihnen gelang, die Engländer zu überwältigen »Ich verlange, daß Sie das Schiff mir und meinen Männern übergeben und sich meinem Kommando unterstellen«, sagte
Bombarde mit einem unverschämten Grinsen und trat einen Schritt auf Hasard zu. »Sie werden uns nach Algier bringen, damit wir die Silberladung dort verhökern können.« Er schwieg einen Moment und blickte Hasard abwartend an. Hasard antwortete nicht. Er überlegte fieberhaft, wie seine Chancen standen, wie er trotz der Überlegenheit von Bombarde die Herrschaft über das Schiff behalten konnte. »Ich verlange Antwort«, sagte Bombarde scharf. »Sonst werden wir uns unser Recht selbst nehmen!« Hasard spürte eine kochende Wut in sich aufsteigen. Seine Faust krachte unter Bombardes Kinn und schleuderte ihn über die Balustrade auf das Deck der Kuhl.
2. Wie eine Meute wütender Köter stürzten sich Bombardes Kumpane auf den Niedergang, um das Achterdeck zu entern. Batuti wehrte die ersten Knüppelhiebe mit seinen muskulösen Unterarmen ab, packte einen der Angreifer, einen semmelblonden Hünen, und schleuderte ihn breitseits auf die anderen. Der Blonde mähte eine breite Schneise in die Phalanx der Angreifer, die sich jedoch sofort wieder schloß. Brüllend und fluchend drängten andere nach. »Rache für Bombarde!« »Schickt die Bastarde zur Hölle!« »Silberdiebe!« »Die wollen uns nur um unseren Anteil bescheißen!« Dan O’Flynn wurde von zwei oder drei der Männer zu Boden gerissen. Er spürte einen harten Tritt in die Rippen und ihm wurde schwarz vor Augen. In der nächsten Sekunde fühlte er, wie er emporgerissen wurde, und Batuti sagte: »Kleines O’Flynn jetzt nicht schlafen. Erst noch bißchen prügeln.«
Hasard schickte einen Neger, der an Batuti und O’Flynn vorbei auf das Achterdeck gestürmt war, mit einem Hammerschlag auf den Kopf wieder nach unten. Dann sprang er ihm nach, mitten unter die Angreifer. Smoky und Matt Davies sprangen ihrem Kapitän nach. Matt stieß dabei einen wilden, heiseren Schrei aus, und schon im Aufsprung krallte sich der neugeschliffene Haken seiner Unterarmprothese in die Schulter eines der Angreifer. Smoky wurde von drei, vier Männern sofort wahrgenommen. Noch bevor er sich aufrichten konnte, trafen ihn mehrere harte Schläge ins Gesicht und in den Leib, und er sackte bewußtlos zusammen. Hasard sah ein Messer aufblitzen. Verdammt, die haben den Spaniern ein paar Stecheisen abgenommen, dachte er wütend, als er dem Stich auswich und den Mann, einen kleinen, kraushaarigen Kerl mit schmierigem Bart und tückischen Augen, an sich heranriß. Der Kerl war so klein, daß er ihm den Kinnhaken mit dem Knie verpassen konnte. »Kapitän! Achtung!« Hasard fuhr herum. Bombarde stand wieder auf den Füßen und sprang den Seewolf von hinten an, einen Belegnagel in der Hand. Mit einem ärgerlichen Knurren stürzte sich Hasard auf den Seeräuber. Aber der wich ihm aus und stieß zwei seiner Männer auf Hasard zu. Er hatte anscheinend erkannt, daß mit dem Seewolf nicht zu spaßen war, daß er in ihm einen harten, überlegenen Gegner gefunden hatte, den er nicht durch persönliche Konfrontation, sondern höchstens durch die zahlenmäßige Überlegenheit seiner Horde oder durch eine Liste besiegen konnte. Hasard rammte die beiden Männer, die Bombarde auf ihn zugeschleudert hatte, mit den Köpfen zusammen und stieß die bewußtlosen Körper von sich, in den Weg von einem halben Dutzend anderen, die sich auf ihn stürzen wollten.
Ein Körper knallte dicht vor seinen Füßen auf Deck. Seine Männer auf dem Achterkastell hatten einen der Banditen, dem es gelungen war, den Niedergang hinaufzuentern, in die niederen Regionen zurückbefördert. »Entschuldigung, Sir«, hörte Hasard Blackys Stimme von oben. Und dann landete ein zweiter Bandit direkt auf dem anderen. »War nicht beabsichtigt.« Hasard grinste. Solange seine Männer so guter Laune waren, würden sie mit Bombarde und seinen Kerlen fertig werden. Ein Schuß krachte vom Achterdeck, und ein Mann, der sich von hinten auf Hasard hatte stürzen wollen, brach zusammen. Wieder knallte es. Aber diesmal aus der anderen Richtung, und Hasard sah, wie Batuti einem von Bombardes Männern die noch rauchende Pistole aus der Hand riß und ihm den Lauf über den kahlen Schädel zog. Ein Messer blitzte, und der Stahl schlitzte Hasards rechten Ärmel auf. Er trat dem Mann in den Unterleib. »Wird lange haben keine Freude an kleine Mädchen«, kommentierte Batuti grinsend und hieb einem anderen seine riesige Faust auf den Kopf, als ob er ihn wie einen Nagel ins Deck treiben wollte. Hasard hatte für zwei, drei Sekunden etwas Luft und warf einen raschen Blick zum Achterdeck hinauf. Ein gutes halbes Dutzend Banditen drängte den Niedergang hoch und wurde von Ferris Tucker, Blacky, Stenmark und Gary Andrews abgewehrt. Sogar der Kutscher hatte sich aufgerafft. Er war zwar zu schwach, um wirklich mitzumischen stand aber, zwei langläufige Pistolen in den Händen, sozusagen als Eingreifreserve bereit. Die Waffen verrieten Hasard, daß Al Conroy auch wieder erschienen sein mußte. Er konnte ihn jedoch nirgends entdecken. Wahrscheinlich beschäftigte er sich mit den Drehbassen. Wieder segelte einer der Angreifer von oben herunter und riß
die nachfolgenden Männer vom Niedergang weg. Jetzt waren schon sieben von Bombardes Männern zu Boden gegangen. Von den Engländern war nur Smoky ausgefallen, der dicht am Fuß des Niedergangs lag, neben drei von Bombardes Leuten. Hasard sah, wie ein pockennarbiger Araber, der hinter ein paar anderen Männern am Boden lag, vorsichtig nach seinem krummen Dolch griff und die Augen einen Spalt öffnete. Hasard stieß ein paar der Kämpfenden zur Seite und wollte sich auf ihn stürzen. Aber bevor er ihn erreicht hatte, sprang der Mann auf und stürzte sich von hinten auf Batuti. Hasard hatte nicht einmal mehr Zeit, ihn zu warnen, bevor die gebogene Klinge herabfuhr. Es mußte irgendein Urinstinkt gewesen sein, der den riesigen Neger warnte und ihn herumwirbeln ließ. So grub sich die zustoßende Klinge nicht in Batutis Rücken, sondern nur in seinen Oberarm. Mit einem grollenden Wutschrei packte Batuti den Araber beim Messerarm und schleuderte ihn über Bord. Im selben Augenblick traf ihn ein Belegnagel auf seinen wolligen Schädel, und er sackte zusammen. Jeden anderen Menschen hätte dieser Schlag getötet. Batuti ging nur in die Knie und schüttelte ein paar Mal seinen blutenden Kopf, um die Benommenheit zu vertreiben. Doch diese Sekunden des Wegtretens hätten ihn fast das Leben gekostet. Gerade noch rechtzeitig entdeckte Hasard einen Mann, der mit seinem krankhaft bleichen Gesicht wie ein Albino wirkte. Er hatte aus nur sechs Fuß Entfernung eine Pistole auf Batutis Kopf gerichtet. Hasard schnellte sich ab und schleuderte sich über das Deck auf den Kerl zu. Er umklammerte dessen Beine und riß sie ihm unter dem Körper weg, als der Mann abdrückte. Die Kugel pfiff über Batutis Kopf und riß einem anderen Banditen, der sich auf Batuti stürzen wollte, das halbe Gesicht weg. »Zurück!« hörte Hasard Bombarde schreien. »Kampf abbrechen!«
Die Banditen wichen zum Hauptmast zurück. Einer von ihnen versuchte, die an Deck gefallene Pistole aufzunehmen. Dan O’Flynn stieß sie mit dem Fuß Hasard zu, der sie aufnahm und auf das Achterdeck warf. Hasard blieb ein paar Sekunden abwartend stehen, um sicherzugehen, daß Bombardes Rückzugsbefehl keine Finte war. »Bildet euch nur nicht ein, daß wir aufgeben!« rief der weißblonde Bandit wütend herüber. »Wir holen uns die Galeone und das Silber! Und wenn ihr alle dabei drauf geht!« »Bis jetzt sieht es so aus, als ob von euch eine Menge draufgehen!« rief Dan O’Flynn und deutete auf die drei Toten und sieben oder acht Bewußtlosen, die an Deck lagen. »Wollen wir sie nicht über Bord hieven?« wandte er sich dann an Hasard. »Die sollen ihre Toten selbst wegschaffen«, sagte Hasard hart. »Ich meine, auch die anderen, die nur weggetreten sind.« »Wir sind keine Mörder, Dan.« »Aber es wären dann sieben weniger, mit denen wir uns herumschlagen müssen, wenn der Tanz wieder beginnt.« »Hast du Angst, Dan?« »Ich? Angst?« Dan O’Flynn blinzelte aus dem linken Auge, das zusehends zuschwoll. »Von mir aus könnte es den ganzen Nachmittag so weitergehen.« »Den Wunsch wird man dir sicher erfüllen«, sagte Hasard. Er blickte zu den Männern um Bombarde hinüber. Sie hatten fast die gleiche Gruppierung wie zuvor: Bombarde war das Zentrum, und um ihn herum scharte sich der »harte Kern« der Banditen. Aber jetzt hielten die »Neutralen« einen deutlicheren Abstand als vorher. Der Rückzug Bombardes schien ihnen den Rücken gestärkt zu haben. Vorher hatten sie aus Furcht vor Vergeltung zumindest noch eine gewisse Zugehörigkeit zu den Verbrechern demonstriert,
und auch bei dem Kampf wenigstens so getan, als ob sie mitmischen wollten - wenngleich keiner von ihnen wirklich eingegriffen hatte. Nur diesem Umstand war es zuzuschreiben, daß es den zahlenmäßig unterlegenen und von der dreimonatigen Sklaverei geschwächten Engländern gelungen war, den Angriff abzuwehren. Und der planlosen, jeder taktischen Konzeption mangelnden Schlägermethoden dieses wüst zusammengewürfelten Haufens, der hier aber einer geschlossenen, kampferprobten Einheit gegenüberstand. Hasard stieß einen Bewußtlosen, der quer über Smokys Körper lag, mit dem Fuß beiseite und nahm den reglosen Smoky auf seine Arme. »Zurück auf das Achterdeck«, sagte er zu Dan O’Flynn und Batuti, der sich das Blut von seinem wolligen Schädel wischte. »Der Kutscher soll dir die Platzwunde gleich verbinden, Batuti«, sagte er zu dem Schwarzen, als er mit Smoky auf den Armen zum Niedergang schritt. »Geht’s denn einigermaßen?« »Einigermaßen geht«, sagte der Neger mit einem Grinsen, das nicht ganz so fröhlich wirkte wie sonst. »Nur ist dicker Schwarm Hummeln in Batutis Kopf, nein, nicht Hummeln, Hornissennest in Kopf, brummt so.« »Gegen Hornissen hilft eine Pütz Seewasser«, sagte Hasard und schob den bewußtlosen Smoky die Stufen hinauf, wo er von Blacky und Ben Brighton in Empfang genommen wurde. »Der Kutscher soll sich gleich um ihn kümmern.« »Der Kutscher hat hier schon genug zu tun«, sagte Ben Brighton. »Ferris Tucker hat es ziemlich schlimm erwischt. Messerstich in der linken Schulter.« »Das war der Kerl, den ich dir vor die Füße gelegt habe«, setzte Blacky hinzu. Hasard trat schon zu Tucker, der an den Besanmast gelehnt an Deck saß.
»Laßt Bombarde nicht aus den Augen, Ben!« rief Hasard Brighton über die Schulter zu. »Der Bastard ist zu jeder Schweinerei fähig.« »Keine Sorge.« Ferris Tuckers zerfetztes Hemd war auf der ganzen linken Seite von Blut durchtränkt. Der Kutscher kniete neben ihm und versuchte, das immer noch rinnende Blut mit Fetzen des eigenen Hemdes zum Stehen zu bringen. Beide Ärmel und einen breiten Streifen des unteren Randes hatte er bereits verbraucht, und der Rest sah aus wie eine Weste, eine ziemlich kurz geratene Weste sogar, die einen breiten Streifen Bauch und Rücken freilegte. Hasard erkannte sofort, daß die Wunde nicht lebensgefährlich war, und das war ihm das wichtigste. Aber der unter dem Schlüsselbein eingedrungene Stahl hatte offensichtlich ein größeres Blutgefäß verletzt, und Ferris Tucker hatte ziemlich viel Blut verloren. Das bedeutete natürlich, daß er vorerst nicht mehr einsatzfähig war. »Tut mir leid, Hasard«, sagte er entschuldigend, »daß es gerade jetzt passieren mußte, da du jeden Mann brauchst.« »Wie ist das denn passiert?« Hasard hockte sich neben Tucker auf den Boden. »War meine eigene Schuld. Habe nicht aufgepaßt.« Er verzog schmerzhaft das Gesicht, als der Kutscher ihm einen dreckigen Hemdstreifen tief in die Wunde preßte. »Zwei von den Burschen sind aufs Achterdeck geentert, und einer von ihnen griff Blacky von hinten mit einem Belegnagel an. Ich packte den Kerl beim Arm und riß ihn zurück, und dabei ... Mann! Kannst du nicht etwas vorsichtiger sein?« schrie er den Kutscher an. »Ein Mensch ist doch kein Stück Holz!« Hasard blickte den Kutscher an, der verlegen beide Arme hängen ließ. Er erkannte, daß sich der arme Kerl kaum noch aufrecht halten konnte. »Ich verarzte Ferris weiter«, sagte er zu ihm. »Kümmere du
dich um Batuti und Smoky.« Er löste den blutgetränkten Lumpen von Tuckers Schulterwunde. »Moment«. Er hielt den Kutscher noch zurück, und als der stehenblieb und sich fragend umblickte, riß er ihm einen weiteren Streifen vom Hemdrand. Jetzt stand der Kutscher fast völlig im Freien. »Es ist ja warm«, sagte Hasard tröstend. »Und wenn dir kalt wird, holst du dir von den gefangenen Dons eine Jacke oder so was. Die brauchen im Moment nichts.« Hasard ballte den abgefetzten Streifen zusammen und verzog die Nase vor dem durchdringenden Schweißgeruch, der daraus emporstieg. Seit der Gefangennahme vor drei Monaten hatten der Kutscher und die anderen Männer der ›Isabella‹ ihre Sachen ununterbrochen am Leib getragen. »Ist schon so gut wie neu«, sagte er tröstend zu Ferris Tucker. Das war zwar maßlos übertrieben, aber zumindest strömte das Blut nicht mehr aus der Stichwunde, sondern sickerte nur noch heraus. »Wenn es weh tut, beiß ich die Zähne zusammen«, sagte Ferris Tucker und versuchte ein Grinsen, das ihm etwas ausrutschte. Hasard drückte den stinkenden Fetzen auf die Wunde. »Halt mal fest«, sagte er, riß einen Streifen von Tuckers Hemd ab und band damit den Stoffballen auf der Wunde fest. »So, das dürfte fürs erste reichen«, sagte er als er sich aufrichtete. Im selben Augenblick klatschte ihm eine Ladung kalten Meerwassers ins Gesicht. »Verzeihung«, sagte Dan O’Flynn grinsend und ließ die Segeltuchpütz, die er in den Händen hielt, an Deck fallen. »Ich mußte den alten Batuti eben von seinen Hornissen befreien.« Der riesige Neger schüttelte den wassertriefenden Kopf wie ein Hund, der aus dem Wasser steigt. »Na, sind die Hornissen weg?« fragte Dan O’Flynn. »Nicht ganz. Aber sind keine Hornissen mehr, sondern nur
noch kleine Bienen.« »Gegen Bienen ist Meerwasser auch gut«, sagte Dan O’Flynn und holte mit der Pütz neues Wasser hoch. Hasard trat neben Ben Brighton. »Wie sieht’s aus?« fragte er leise. »Die Burschen scheinen irgendeine Schweinerei zu planen«, antwortete Brighton. »Das kann ich mir vorstellen«, sagte Hasard und blickte aufmerksam zu Bombarde und seinen Männern hinüber. Bombarde sprach eifrig auf sie ein und deutete immer wieder zum Achterdeck hinauf. Die Blicke der Männer folgten seiner deutenden Hand, und Hasard sah, daß ein paar von ihnen nickten. Jetzt hatte Bombarde den Kapitän entdeckt. Er starrte ihn ein paar Sekunden verschlagen an, dann schrie er: »Ich hoffe, Sie haben jetzt eingesehen, daß Ihr Widerstand sinnlos ist! Seien Sie vernünftig, und übergeben Sie uns das Schiff! Ich bin auch bereit, das Silber gerecht mit Ihnen zu teilen!« Ein höhnisches Gelächter von Hasards Männern antwortete ihm. Der Seewolf schaute ihn nur verächtlich an. »Was sagen Sie zu meinem Vorschlag, Killigrew?« Bombarde stieß ein paar seiner Männer mit einer herrischen, brutalen Bewegung zur Seite und trat zwei Schritte vor. »Das Silber wird nach Plymouth gebracht«, sagte Hasard entschieden. »Wenn ihr uns dabei helft, werde ich mich bei Kapitän Drake dafür einsetzen, daß ihr einen gerechten Anteil empfangt und eure Freiheit behaltet. Wenn nicht, habt ihr Pech gehabt und trefft in Eisen gelegt in Plymouth ein. Die Entscheidung liegt bei euch.« »Habgieriger Hund!« schrie Bombarde, außer sich vor Wut. Aber Sekunden später hatte seine eiskalte Intelligenz wieder die Oberhand. »Hört zu, Engländer!« rief er zu den Männern auf dem Achterdeck hinauf. »Laßt euch von diesem Piraten nicht
einseifen. Was habt ihr davon, wenn ihr uns Widerstand leistet? Die meisten von euch werden dabei über die Klinge springen und ...« »Bis jetzt sind ein paar von euch über die Klinge gesprungen!« schrie Dan O’Flynn Bombarde zu und deutete auf das Deck der Kuhl. Die Banditen, die nur bewußtlos geschlagen worden waren, hatten sich inzwischen weggeschleppt. Nur die drei Toten blieben zurück. »Und euer Oberbandit sorgt nicht einmal dafür, daß sie über Bord kommen!« Ein paar der Männer um Bombarde wollten an ihm vorbei, um die Toten wegzuräumen. Bombarde rief sie zurück. Er hatte jetzt Wichtigeres vor, als sich um ein paar Tote zu kümmern. »Und was habt ihr davon, falls es euch wirklich gelingen sollte, uns in Schach zu halten - was natürlich völlig unmöglich ist«, setzte er höhnisch hinzu. »Euer sauberer Kapitän wird Schiff und Silber diesem Drake abliefern und dafür eine dicke Prämie einstreichen. Und was kriegt ihr? Einen Dreck!« Er trat noch einen Schritt vor. »Ich biete euch einen gerechten Anteil an der Beute.« »Was du einen gerechten Anteil nennst, kann ich mir vorstellen!« rief Blacky und spuckte ihm vor die Füße. »Ihr erhaltet genau den gleichen Anteil von der Beute wie jeder von uns, wenn ihr mir euren Kapitän ausliefert!« rief Bombarde und starrte die Männer an, die an der Balustrade lehnten. Wieder antwortete ihm nur ein höhnisches Gelächter. »Steck dir doch das Silber in den Hintern!« »Und schön tief! Wir helfen dir gern dabei!« »Scher dich doch zum Teufel!« Al Conroy trat hinter Hasard, eine Pistole in der Hand. »Soll ich ihm eine verpassen?« sagte er leise. »Er steht gerade so schön günstig.« Hasard schüttelte den Kopf. »Wir sind keine Mörder«, sagte
er zum zweiten Male an diesem Nachmittag. Er wußte, daß dieser Edelmut falsch war, besonders einem so heimtückischen und niederträchtigen Gegner gegenüber, wie Bombarde es war. Aber er konnte nun einmal nicht aus seiner Haut heraus. »Nein, Al«, sagte er. »Aber sorge auf alle Fälle dafür, daß Handfeuerwaffen bereitliegen.« »Sind bereit. Und alle vier Drehbassen sind mit Kettenkugeln und gehacktem Blei geladen. Wenn wir den Burschen nur eine Ladung damit verpassen, ist der ganze Spuk vorbei. Dann haben wir die Kerle vom Hals - eine Ladung Kettenkugeln und gehacktes Blei genügen.« »Es bleibt bei meinem Nein«, sagte Hasard und blickte zu den anderen hinüber. Bombarde war wieder zwischen die Banditen getreten und sprach erregt auf sie ein. Hasard wußte, daß der zweite Angriff nicht mehr lange auf sich warten lassen würde. »Außerdem brauchen wir die Leute, Al. Wir sind nur dreizehn Mann, und davon ist ein Teil so geschwächt, daß sie kaum mit anpacken können. Du siehst doch selbst, daß eine ganze Reihe der Galeerensklaven sich von Bombarde fernhält. Wenn es uns gelingt, diese Männer für uns zu gewinnen ...« Ein Schuß krachte, und Hasard hörte die Kugel dicht an seinem Gesicht vorbeisausen. Al Conroy riß seine Pistole hoch und drückte ab. Der Bandit, der auf Hasard geschossen hatte, brach tot zusammen. »Verdammt, die haben noch immer Waffen«, sagte Hasard wütend. »Ich dachte, sie hätten nur die beiden, die wir vorhin erwischt haben.« »Aufpassen!« Al Conroy stieß Hasard zur Seite. Aus der Deckung seiner Leute heraus hatte Bombarde ein Messer nach dem Seewolf geschleudert, das ihn bestimmt getroffen hätte, wäre nicht Al Conroy schneller gewesen. Die Banditen hatten sich ein paar Schritte zurückgezogen. Ein paar von ihnen duckten sich hinter den Hauptmast und andere
Deckungen in Erwartung von Hasards Gegenschlag. Sie wußten schließlich, daß die Engländer Schußwaffen hatten und waren sicher, daß sie die Waffen auch einsetzen würden. »Soll ich ihnen jetzt einen überbraten«, fragte Al Conroy hoffnungsvoll. »Verdammt, nein!« erwiderte Hasard. Aber er zögerte etwas, bevor er es sagte, und seine rechte Hand hatte unwillkürlich nach dem Griff der sächsischen Reiterpistole gegriffen, die in seinem Gürtel steckte. Einer seiner Männer schleuderte eine schwere Spake nach dem Haufen der Banditen. Sie mußte irgend jemanden treffen, und sie tat es auch, wie der heisere Aufschrei verriet. »Aufhören!« sagte Hasard verärgert, ohne sich umzusehen. Er konnte die Wut seiner Männer verstehen, und er war stolz darauf, daß sie durch die Angriffe auf ihn ausgelöst worden war. Aber er wußte noch nicht, ob es gut war, den Gegner zu reizen, ihn zu einer unbesonnenen Handlung herauszufordern. Eins war ihm jetzt klar: Bombarde war intelligent genug, um zu erkennen, daß die englische Crew ein ernstzunehmender Gegner war, den man nicht einfach überrollen konnte. Bombarde wußte jetzt, daß er einen taktischen Plan entwickeln mußte, um die Engländer zu besiegen, und es sah so aus, als hoffte er, mit ihnen fertig zu werden, indem er ihn, Hasard, ausschaltete. Seine verbrecherische Intelligenz hatte ganz richtig erkannt, daß er, der Kapitän, Mittelpunkt und Zusammenhalt der Crew war, daß die Engländer zumindest einen großen Teil ihrer Kampfkraft verlieren würden, wenn es ihm gelang, ihren Führer auszuschalten. »Ben«, sagte Hasard halblaut, ohne sich umzudrehen. »Ja?« Ben Brighton trat neben ihn an die Balustrade. »Was schlägst du vor?« fragte Hasard, den Blick auf die Banditen gerichtet. Der Haufen hatte sich etwas aufgelöst. Nach dem Pistolenschuß waren einige der Banditen in Deckung gegangen, und die »Neutralen« hatten ihren Abstand
von den anderen vorsichtig vergrößert. »Ich meine, wir sollten unsere günstigere Position hier oben ausnutzen«, sagte Ben Brighton. »Wenn die Hälfte von uns mit Handspaken und Belegnägeln bereitsteht, um alles abzuwehren, was den Niedergang heraufstürmt, liegt die Hälfte von den Burschen an Deck, bevor sie merken, was lost ist.« Hasard nickte. Genau das hatte er auch vorgehabt. Der Ausfall auf das Deck der Kuhl war notwendig gewesen, um Dan O’Flynn und Batuti zu Hilfe zu kommen, hatte jedoch ihre Position unnötig geschwächt. »Und was soll die andere Hälfte tun?« fragte er. »Die steht mit Pistolen bereit für den Fall, daß einer der Burschen wieder auf den Gedanken verfallen sollte, auf dich zu ballern.« »Richtig, Ben. Aber ich glaube, dafür reichen drei Männer. Die anderen könnte man zu einer Art Sonderaufgabe verwenden.« Er blickte sich kurz um. Die meisten der Männer benutzten die Pause, um ihre angeschlagenen Kräfte zu erholen. Sie lagen und hockten um den Besanmast und am Schanzkleid. Smoky hatte, noch immer halb groggy, den Kopf in beide Hände gestützt. Dan O’Flynn kühlte sein zugeschwollenes Auge mit einem nassen Lappen. Ferris Tucker schien zu schlafen, und der Kutscher lag ausgestreckt wie ein Toter hinter dem Backbord-Schanzkleid. Drei seiner Männer fielen also völlig aus. Blieben Dan O’Flynn, Batuti, Ben Brighton und er selbst, die voll einsatzfähig waren, und sechs bedingt verwendungsfähig. Für seine »Sonderaufgabe« brauchte er eigentlich mindestens zwei ausgesucht harte Kämpfer. Aber er konnte die beiden anderen Gruppen nicht ganz von den wirklich einsatzfähigen Männern entblößen. Sein Blick fiel auf Batuti, dessen angeschlagener Kopf mit einem durchbluteten Fetzen umwickelt war. Er sah aus wie ein turbangeschmückter Inder.
»Was treibt der Hornissenschwarm, Batuti?« erkundigte sich Hasard, weil er wissen wollte, ob er dem Neger die Aufgabe zumuten konnte, für die er ihn vorgesehen hatte. »Hornissen verschwunden, wurden kleine Bienen, und nach zweiter Pütz Wasser auch Bienen verschwunden, jetzt nur noch hundert Fliegen in Batutis Kopf.« »Vielleicht solltest du dir mit einer dritten Pütz auch die Fliegen vertreiben lassen«, schlug Hasard vor. »Kleines O’Flynn noch vier oder fünf Pützen auf Batutis Kopf gekippt, aber Fliegen wollen nicht weg. Ist aber nicht schlimm«, sagte er grinsend hinzu. »Ganz Afrika voll mit Fliegen, ist Batuti dran gewöhnt.« Hasard nickte ihm zu. Diesen harten Naturburschen konnte wirklich nichts umwerfen. »Du bleibst bei mir, Batuti, verstanden?« »Aye, aye, Sir. Bei Sir bleiben.« Hasard wandte sich wieder an Ben Brighton. »Teile den Rest der Männer in zwei Gruppen. Die kräftigsten stehen mit Handspaken und Knüppeln bereit, wenn die Kerle entern, drei oder vier andere decken sie und uns mit Pistolen.« »Und?« Der Bootsmann blickte Hasard fragend an. »Mich und Batuti, Ben. Wir werden versuchen, den Spieß umzudrehen und unsererseits die harten Nüsse aus dem Haufen herauspicken.« »Du willst dir Bombarde schnappen?« Brighton starrte ihn ungläubig an. »Zu zweit?« »Zu dritt. Batuti zählt für zwei normale Männer.« Ben Brighton nickte, aber nicht sehr überzeugt. »Nimm wenigstens mich mit, Hasard.« Hasard schüttelte den Kopf. »Ich brauche hier oben einen Mann, der denken und entscheiden kann.« »Dann nimm Blacky mit oder Dan oder ...« Hasard lächelte, ein wenig bitter. »Na, Ben? Oder wen?« Ben Brighton schwieg.
»Ich kann nicht nur halbe Krüppel hier oben zurücklassen, Ben«, sagte Hasard. »Du brauchst zumindest ein paar Männer, auf die du dich verlassen kannst.« »Verlassen kann ich mich auf jeden einzelnen unserer Männer«, sagte Ben Brighton dickköpfig. »Du weißt genau, wie ich das meine, Ben.« Hasard blickte zu dem Haufen um Bombarde hinüber. »Ich habe das Gefühl, daß es bald losgehen wird. Sorge dafür, daß alle Männer Spaken oder irgendwelche andere Schlagwaffen haben.« »Aye, aye.« Ben Brighton zog ab, und Hasard sah ihm an, daß ihm einiges gar nicht paßte. »Batuti«, wandte sich Hasard an den riesigen Neger, der neben ihm an der Balustrade lehnte. »Sir?« »Wir werden versuchen, Bombarde zu fassen, wenn es losgeht, verstanden?« »Batuti immer verstehen. Aber warum warten, bis geht los? Warum nicht gleich hingehen und schnappen Bandit Bombarde? Batuti erledigt das allein. Soll ich ihm brechen Kreuz und machen Kleinholz aus Rückgrat?« Hasard schüttelte den Kopf. »Ich will ihn lebend haben.« Wahrscheinlich brach der ganze Widerstand der Banditen zusammen, sobald ihnen der Anführer genommen war. Aber es war auch denkbar, daß ein anderer die Lücke füllen würde. Eine Schiffsladung Silberbarren war Grund genug, um einen hohen Einsatz zu wagen. Und dann war es gut, Bombarde als Geisel und Faustpfand zu haben. »Also gut, lebend.« Batuti schüttelte den Kopf. Er würde diesen Weißen niemals verstehen. Ein Feind war ein Feind, und den tötete man, das war doch eine klare Sache. Daß man ihn dann nicht auch noch verspeiste, ließ er sich zur Not noch gefallen. Es war zwar reine Verschwendung, und erst ein satter Rülpser nach dem Festmahl gab einem die befriedigende Gewißheit, den Feind ganz und endgültig beseitigt zu haben,
aber wenn die Weißen meinten, daß sich so was nicht schickt, nun gut. Aber warum sollte man einen Feind nicht wenigstens umbringen? Im Gefecht ja, und jetzt nein. Wo blieb da die Logik? »Gut, Sir. Ich hole lebend, wenn muß sein. Jetzt gleich, ja?« Wieder schüttelte Hasard den Kopf. »Nein, wir warten, bis die Männer angreifen. Dann sind die meisten von ihnen beschäftigt, und wir können das Überraschungsmoment ...«
3. Hasard duckte sich instinktiv, als er ein leises Zischen hörte. Dicht über seinem Kopf surrte ein gefiederter Pfeil auf das Achterdeck und schlug in den Besanmast. »Verdammt«, fluchte er. Und gerade hatte er von dem Überraschungsmoment gesprochen. Wieder sauste ein Pfeil über das Achterdeck, und jetzt stürmten Bombarde und seine Männer auf den Niedergang zu. Das heißt, nur Bombardes Männer stürmten. Er selbst hielt sich mehr im Hintergrund. »Achtung Männer!« rief Ben Brighton. Er war als erster am Niedergang und ließ dem ersten der Banditen den Belegnagel auf den Schädel sausen. Hasard verpaßte einem anderen, der sich seitlich von ihm über die Balustrade schwang, einen Kinnhaken, der ihn in die Kuhl zurückschleuderte. Wieder surrte ein Pfeil über das Achterdeck, und ein Aufschrei verriet, daß er getroffen hatte. Erst jetzt entdeckte Hasard den Schützen, der hinter dem Großmast in Deckung stand und einen neuen Pfeil auf die Sehne legte. Es war ein riesiger Bogen, erkannte Hasard, als er seine Pistole herausriß. Wahrscheinlich ein Indianerbogen, den sich
einer der Dons als Souvenir mitgenommen hatte. »Nicht schießen, Sir! Bogen gut für Batuti!« Ehe Hasard es verhindern konnte, hatte sich der Neger über die Balustrade geschwungen und sprang auf das Deck der Kuhl. »Hierbleiben!« schrie Hasard ihm nach, obgleich er wußte, daß er nichts mehr ändern konnte. In gewissen Situationen blieb Batuti eben immer ein Wilder, unberechenbar wie ein Kind, das plötzlich ein Spielzeug sieht und es sofort begehrt. Der Mann hinter dem Hauptmast hatte den Bogen gespannt und wollte den Pfeil gerade fliegen lassen, als er den riesigen Neger auf sich zustürmen sah. Gleichzeitig bemerkte ihn auch Bombarde, der sich seine »Geheimwaffe« auf keinen Fall nehmen lassen wollte, holte sein Messer aus dem Gürtel und stürzte sich von hinten auf Batuti. Gegen zwei bewaffnete Gegner war auch der bärenstarke Gambia-Neger hilflos, wußte Hasard. Er zielte auf die Brust des Bogenschützen und drückte ab. Die Kugel schleuderte den Mann rückwärts an Deck, der Pfeil fuhr steil nach oben und durchbohrte das Großsegel. Noch bevor der Getroffene auf Deck krachte, hatte sich Hasard über das Geländer der Balustrade geschwungen und landete ein paar Yards hinter Bombarde. Der Pirat fuhr überrascht herum, als er den dumpfen Laut hörte, mit dem Hasard auf Deck landete. Blitzschnell huschte sein Blick von Hasard zu Batuti. Er wußte, daß er in die Falle gelaufen war. »Zu mir, Leute!« rief er, als er langsam, Schritt für Schritt, zur Backbordseite zurückwich, wo sich die Männer, die sich bereits an dem ersten Sturm auf das Achterdeck nicht beteiligt hatten, aufhielten. Sie hielten wohl auch von diesem Unternehmen nicht viel und zogen sich immer weiter nach achtern zurück.
»Feiglinge! Verräter!« zischte Bombarde wütend. »Euch werde ich mir merken!« Er ging immer weiter zurück und warf dabei sein langes, gerades Messer von einer Hand in die andere. Hasard zog ebenfalls sein Messer, obwohl er wußte, daß es verdammt gefährlich war, sich mit diesem berufsmäßigen Killer, der die Kunst des Messerkampfes in den Häfen Nordafrikas und Südfrankreichs gelernt hatte, auf seinem Gebiet zu messen. Batuti war ein wenig nach achtern ausgewichen und versuchte, Bombarde in den Rücken zu gelangen. Aber diese Tricks kannte der Bandit auswendig. Die hatte er schon im Kindergarten gelernt. Er wich nach der Backbordseite aus und näherte sich mit jedem Schritt Hasard, ohne einen der beiden Gegner aus den Augen zu lassen. Er wollte Zeit gewinnen und im entscheidenden Augenblick zuschlagen, erkannte Hasard. Die Ereignisse schienen ihm recht zu geben. »Hinter dir, Sir!« rief Batuti plötzlich. Hasard fuhr herum. Drei, vier von Bombardes Männern lösten sich aus dem Knäuel, das den Niedergang hinaufdrängte, und stürzten sich auf ihn. Zwei Schüsse krachten fast gleichzeitig. Einer der Angreifer brach tot zusammen, ein zweiter sackte mit einem Oberschenkelschuß an Deck. Der dritte hielt es für gesünder, sich wieder auf das Entern des Achterdecks zu konzentrieren, obwohl auch dieses Unternehmen ziemlich verlustreich war. Fast ein Dutzend Männer lag bewußtlos oder stöhnend zu Füßen des Niedergangs an Deck. »Nicht auf Bombarde schießen!« rief Hasard warnend. »Ich will ihn lebend haben!« »Das könnte dir so passen!« zischte der weißblonde Pirat wütend und stürzte sich auf Hasard. Im selben Augenblick krachte ein Schuß, und die Kugel flog
dicht über seinen Kopf weg. Bombarde warf einen raschen Blick auf das Achterdeck und sah drei oder vier Männer mit schußbereiten Pistolen hinter der Balustrade stehen. »Feiglinge!« schrie er wütend und zog sich wieder zurück. »Für einen ehrlichen Messerkampf habt ihr keinen Mut, was?« »Angenommen«, sagte Hasard nach kurzem Überlegen. Wenn er sich diesem Banditen stellte, würden seine Männer geschont werden. »Pfeif deine Kerle zurück, dann können wir ...« Er schwieg überrascht, weil plötzlich die Segel gegen die Masten klatschten. Der leichte Südostwind, der sie ohnehin nur langsam vorangetrieben hatte, war plötzlich ganz eingeschlafen, und die ›San Mateo‹ begann in dem fast unbewegten Wasser zu dümpeln. »Galeere achteraus!« schrie Dan O’Flynns Stimme vom Achterdeck. »Nein, zwei Galeeren!« korrigierte er sich sofort. »Halten auf uns zu!« Die scharfen Augen des Jungen hatten wieder einmal etwas erkannt, was die anderen nur als einen vagen Schatten wahrzunehmen vermochten. Bombarde stürzte an das Schanzkleid und starrte nach achtern. »Soll das ein Trick sein?« fragte er dann wütend. »Willst du dich vor dem Zweikampf drücken?« Hasard sah, wie sich Batuti von hinten Bombarde näherte, die riesigen Pranken ausgestreckt, um sie um den Hals des. Banditen zu legen. »Nein, Batuti!« sagte Hasard scharf. Bombarde war herumgefahren, das Messer stoßbereit. Jetzt blickte er unsicher von einem zum anderen. »Pfeif deine Männer zurück«, wiederholte Hasard. »Wenn es wirklich ein Irrtum sein sollte, können wir nachher weiterkämpfen.« »Aber es bleibt dabei, wir kämpfen mit Messern,
verstanden?« »Von mir aus auch mit Tauenden«, sagte Hasard ungeduldig. »Ruf deine Männer zurück! Batuti, hol mir ein Fernrohr.« Hasard hielt es für richtiger, sich nicht von Bombarde zu entfernen und auf das Achterdeck zu gehen. Es hätte zu sehr wie ein Rückzug gewirkt. Auch, daß er Batuti nach oben schickte und allein und ohne jeden Schutz zwischen Bombarde und seinen Männern zurückblieb, war eine sehr bewußte Geste. Er sah an dem spekulativen Ausdruck in Bombardes Gesicht, daß der jetzt mit sich kämpfte, ob er diese sicher einmalige Gelegenheit wahrnehmen sollte, Hasard in seine Gewalt zu bringen. Aber er ließ es. Vielleicht aus eigenen Überlegungen, vielleicht auch nur, weil Dan O’Flynn jetzt rief: »Es sind Kriegsgaleeren! Segeln rasch näher!« Diese Meldung war es, die die Haltung von Bombarde und seinen Männern endgültig veränderte. Sie vergaßen, daß sie den Silberschatz der ›San Mateo‹ und die Galeone selbst erobern wollten. Beides hatten die Dons auf den beiden Galeonen ebenfalls vor. Was den ehemaligen Sklaven blühen würde, wenn sie je wieder in die Hände der Spanier fielen, konnten sich auch die Dümmsten unter ihnen sehr gut ausmalen. »Ich schlage eine Art Burgfrieden vor«, sagte Hasard jetzt. Bombarde blickte zu den beiden Punkten am Horizont hinüber. »Erst mal sehen, ob es wirklich Kriegsgaleeren sind«, sagte er, noch immer mißtrauisch. »In Ordnung«, erwiderte Hasard knapp und wartete auf Batuti. Als der Neger den Niedergang herunterstieg, das Glas in der Hand, nahm es Hasard ihm ab, zog es auseinander und setzte es an sein rechtes Auge. Deutlich erkannte er die schlanken Rümpfe der beiden Schiffe, die langen Ruder, die sie mit raschen Schlägen auf die ›San Mateo‹ zutrieben, die Drehbassen auf Bug und Heck. Schweigend reichte er das Glas
Bombarde. Der riß es ihm mit einer heftigen Bewegung aus der Hand und starrte zu den beiden Schiffen hinüber. Dann setzte er es ab, schob es wütend zusammen und sagte: »Scheißflaute.« »Zum ersten Mal heute bin ich ganz deiner Meinung«, sagte Hasard trocken. »Aber bei dem schwachen Südostwind hätten wir den beiden sowieso nicht weglaufen können.« Bombarde starrte wütend zu den beiden Galeeren hinaus. »Ich kenne den Typ«, sagte er dann. »Je drei Drehbassen auf Bug und Heck.« Er blickte Hasard mit seinen Fischaugen an. »Also gut, vertagen wir alles andere auf später. Weglaufen könnt ihr uns hier ja nicht.« »Das war auch nicht unsere Absicht. Mein Glas, bitte.« Hasard streckte die Hand aus. Bombarde gab es ihm. »Aber unsere Abmachung bleibt. Wir beide kämpfen mit dem Messer um Schiff und Ladung, sobald wir mit den Burschen fertig sind.« »Falls wir mit ihnen fertig werden«, schränkte Hasard ein. Die ›San Mateo‹ verfügte zwar über die stärkeren Kanonen, je acht Vierpfünder pro Breitseite, aber nur im Heck Drehbassen. Die Back war völlig ohne Armierung. Und bewegungslos wie das Schiff in der Windstille war, brauchten die Dons nur vom Bug her anzugreifen und ihnen die Takelage herunterzuschießen oder ein paar Löcher in die Wasserlinie zu verpassen. Gut, Bombarde«, sagt Hasard. »Ich verlange, daß du und deine Männer sich meinem Kommando unterstellen und meine Befehle bedingungslos ausführen, klar.« Bombarde zögerte. »In Ordnung«, sagte er dann widerstrebend. »Ist ja nur vorübergehend. Und für diesen Job bist du wirklich der bessere Mann. Aber wenn wir kämpfen sollen, brauchen wir Waffen. Sag deinen Leuten, daß wir Musketen und Pistolen brauchen. Und jede Menge Munition.« Diesmal war es Hasard, der zögerte.
Er war sich völlig im klaren, daß Bombarde und seine Banditen diese Notwendigkeit, ihnen Waffen geben zu müssen, für sich ausnutzen würden, sobald die Gefahr überwunden war. Aber zunächst einmal mußte sie überwunden werden, und das war nur mit Hilfe von Bombardes Haufen möglich - wenn überhaupt. »In Ordnung.« Er wandte sich abrupt ab und stieg aufs Achterdeck. »Gib Waffen an Bombardes Männer aus«, sagte er zu Al Conroy. »Aber, Sir ...« »Tu, was ich dir sage!« fuhr Hasard ihn ungeduldig an. »Und wenn du damit fertig bist, machst du die Kanonen schußklar. Sieh zu, ob unter dem Gesindel ein paar Leute sind, die wenigstens eine Lunte auf ein Zündloch drücken können.« »Aye, aye, Sir.« Al Conroy zog ab, aber er war nicht sehr glücklich.
»Galeeren scheren nach Backbord und Steuerbord aus!« meldete Dan O’Flynn. Er hockte jetzt wieder auf seinem angestammten Platz im Großmast. »Entfernung etwa zwei Meilen!« Jetzt waren die beiden Schiffe auch für alle anderen deutlich erkennbar. Durch das Glas sah Hasard Einzelheiten: es waren sechzigriemige Fahrzeuge. Außer den Drehbassen auf Bug und Heck erkannte Hasard nun auch mehrere Relingsbüchsen. Von den Rudersklaven, die die langen, schweren Riemen im schnellen Takt bewegen, war nichts zu sehen. Dafür aber waren auf den schmalen Laufgängen an der Backbord- und Steuerbordseite die typischen Helme der spanischen Soldaten deutlich zu erkennen. Hin und wieder würde das Licht der Nachmittagssonne von einem Brustpanzer reflektiert, und Hasard sah, wie einige der
Männer hinter dem Schanzkleid bereits in Stellung gingen und an ihren Musketen hantierten. Ben Brighton trat neben ihn. »AI hat Waffen an alle Männer Bombardes ausgegen«, meldete er. »Aber ich weiß nicht, ob das richtig war.« »Das wird sich zeigen«, erwiderte Hasard und blickte zu den Männern Bombardes hinüber, die sich wie immer eng beieinander hielten - eine Art Rudelinstinkt dieser Banditen, dachte er - und die Musketen und Pistolen luden. Sehr wohl war ihm auch nicht bei dem Gedanken, diesem Pack jetzt noch mehr als vorher ausgeliefert zu sein. Aber es gab wirklich keine andere Möglichkeit, um zunächst einmal mit den Dons fertig zu werden. »Ben«, sagte er leise, »ein paar von unseren Männern sollen die Drehbassen besetzen.« »Dann fallen vier Mann unter Deck bei den Kanonen aus«, gab Ben Brighton zu bedenken. »Ich weiß.« Hasard schaute nachdenklich zu den beiden Galeeren hinüber, die weit auseinanderscherend von achtern aufliefen. »Vielleicht genügen zwei Männer.« Daß war immerhin ein Kompromiß. »Zum Einsatz werden die Dinger ohnehin nicht kommen. Ich will nur, daß sie bewacht werden. Wie gesagt, zwei Mann, und wenn einer von Bombardes Leuten sich den anderen Drehbassen nähert, sollen sie ihn rücksichtslos zusammenschießen.« »Aye, aye, Sir.« Endlich wieder ein Befehl, den Ben Brighton mit voller Zustimmung folgen konnte. »Aber unauffällig, Ben. Wir können uns jetzt keine Auseinandersetzungen mit den anderen leisten. Noch nicht.« »Verstehe.« »Und kehr sofort zurück, wenn du die beiden Leute instruiert hast.« Hasard warf einen kurzen Blick über das Achterdeck. Bombarde und ein gutes halbes Dutzend seiner Männer waren
jetzt heraufgekommen und standen unweit von ihm am Backbordschanzkleid. Anscheinend wollte Bombarde damit demonstrieren, daß auch er zu den Leuten gehörte, die hier an Bord etwas zu sagen hatten. Na, sollte er. Zunächst waren ihm die beiden spanischen Galeeren wichtiger als dieser nordafrikanische Bandit. Die Galeeren waren weit nach beiden Seiten auseinandergelaufen, um sich außerhalb der Reichweite der gefährlichen Breitseiten vor die ›San Mateo‹ zu setzen und sie von vorn anzugreifen. Die Dons kannten die Galeone schließlich besser als er, und sie wußten auch genau, wo ihre schwache Stelle war. Ein Angriff von vorn mußte für die ›San Mateo‹ tödlich sein. Er mußte eine Möglichkeit finden, um die Breitseiten zum Einsatz zu bringen. »Befehl ausgeführt«, sagte Ben Brighton und trat neben ihn. Hasard nickte. »Siehst du, was die Dons vorhaben?« fragte er. »Klar. Sie werden zu beiden Seiten vorbeilaufen, etwa eine halbe Meile voraus wenden und dann vom Bug her längsseits kommen, um zu entern.« Hasard nickte wieder. »Und gegen ausgebildete Soldaten, auch wenn’s nur Spanier sind, haben wir mit unseren halbverhungerten Männern und Bombardes Pack keine Chance.« »Dir wird schon etwas einfallen«, sagte Ben Brighton vertrauensvoll. »Dir fällt doch immer etwas ein.« Trotz der verdammt ernsten Situation mußte Hasard über dieses fast kindliche Vertrauen Ben Brightons lächeln. Aber Ben hatte völlig recht. Ihm war etwas eingefallen, und es war wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, die drohende Katastrophe abzuwenden. »Wir werden das arrogante Selbstvertrauen der Dons ausnutzen und ihnen eine kleine Überraschung bieten. Sie kennen die San Mateo und wissen, daß sich keine Kanone auf
der Back befinden.« »Haben Kanone vorn«, sagte Batuti grinsend. »Ist Batuti Kanone.« Er hielt Hasard den indianischen Langbogen, den er dem Banditen abgenommen hatte, vor das Gesicht. »Batuti schon herstellen Brandpfeile. Diese Bogen schießen zweihundert Yards, vielleicht mehr. Werden Dons Augen aufreißen, wenn doch Kanone im Bug und Galeere brennt.« »Sehr gut, Batuti.« Hasard schlug dem Neger anerkennend auf die Schulter. An diese Möglichkeit hatte er nicht gedacht. Sie würde sicher nicht entscheidend sein, konnte aber durchaus dazu beitragen, die Verwirrung der Dons noch zu vergößern. Er blickte dem schwarzen Riesen nach, als dieser sich am Steuerbordschanzkleid niederhockte und Lappen um die Spitzen eines Bündels von Pfeilen wickelte. Hasard wandte sich wieder Ben Brighton zu. »Die Dons verlassen sich darauf, daß wir ohne Wind manövrierunfähig sind und hilflos herumschwabbern.« Er grinste. »Aber wir werden ihnen eine Breitseite zeigen.« Ben Brighton starrte Hasard überrascht an. Aber nur ein paar Sekunden. Dann kapierte er, was der Seewolf vorhatte. »Mit Riemen, natürlich!« Hasard nickte, immer noch grinsend. »Wir werden auch ein bißchen Galeere spielen, Ben. Wir bringen das Heck herum und können sie dann mit einer Breitseite und zwei Drehbassen Feuer nehmen.« »Ich wußte doch, daß dir wieder was einfallen wird, Sir«, sagte Ben Brighton begeistert. »Ich laß sofort die Riemen ausbringen.« Er trabte davon. Wie fast alle Schiffe der damaligen Zeit war auch die ›San Mateo‹ mit mehreren überlangen Riemen ausgerüstet, um in Häfen und bei Flaute manövrieren zu können. Die beiden spanischen Galeeren waren jetzt so weit vorausgelaufen, daß die Dons nicht mehr beobachten konnten, wie der Bootsmann alle sechs Riemen der Galeone an der achteren
Backbordgalerie auslegen ließ. Hasard trat einen Schritt auf Bombarde zu. »Ich brauche zwölf von deinen Männern.« »Wozu?« fragte Bombarde mißtrauisch. »Zum Pullen.« Mit wenigen Sätzen erklärte Hasard dem Banditen, was er vorhatte. »Nimm gefälligst deine eigenen Leute dazu. Wir sind nicht dazu da, für euch die Dreckarbeiten zu erledigen.« Philip Hasard Killigrew biß die Zähne aufeinander, um nicht die Ruhe zu verlieren. »Meine Männer werden an den Kanonen gebraucht, außerdem sind deine Leute nicht so geschwächt wie meine.« Der weißblonde Bandit grinste höhnisch und zuckte mit den Schultern. »Dein Bier.« Er schien völlig vergessen zu haben, daß sie, wörtlich genommen, im selben Boot saßen, daß es auch ihm an den Kragen gehen würde, wenn es den Dons gelang, die ›San Mateo‹ zu entern. »Hör zu, Bombarde.« Hasard warf einen raschen Blick zu den beiden Galeeren, die jetzt eine knappe halbe Meile vor dem Bug der Galeone wendeten. Es war keine Zeit mehr für Argumente. Bombarde schien zu ahnen, daß Hasards Geduld am Ende war. Grinsend zog er die Pistole aus dem Gürtel. »Keine Dummheiten, Killigrew.« Er wollte den Hahn spannen. Aber dazu kam er nicht mehr. Batuti hatte sich unbemerkt hinter ihn gemogelt, als der Disput begonnen hatte, und jetzt krachte seine geballte Faust auf den weißblonden Schädel Bombardes. Der furchtbare Hammerschlag warf ihn bewußtlos an Deck. »Bombarde für eine Weile schlafen, Sir«, kommentierte Batuti und nahm die Pistole auf. »Wer schläft, braucht kein Schießeisen.« Hasard nickte ihm kurz zu. »Geh jetzt auf die Back und spiel Kanone, Batuti.« Ein kurzer Blick auf die beiden rasch näher
rückenden Galeeren. »In spätestens zehn Minuten geht der Zauber los.« »Aye, aye, Sir.« Grinsend nahm der Neger Bogen und Brandpfeile auf und stieg den Niedergang hinunter. »Smoky!« »Sir?« »Nimm dir zwölf von Bombardes Männern und stell sie an die Riemen. Auf mein Kommando werdet ihr ...« »Bombarde hat gesagt, wir brauchen eure Dreckarbeiten nicht zu tun«, unterbrach einer der Banditen. Wortlos trat Hasard auf ihn zu und schlug ihm einen kurzen Haken ins Gesicht. Er fühlte, wie das Nasenbein unter dem Schlag brach, Blut rann dem Mann über das Gesicht und tropfte an Deck. Mit einem erstickten Schrei sackte er zusammen. Hasard wandte sich den anderen zu. »Ist noch jemand der Meinung, daß Bombarde hier etwas zu bestimmen hat?« fragte er kalt. Die Banditen blickten einander unsicher an, dann sagte einer: »Los, Leute, hat keinen Zweck.« Widerwillig und betont langsam setzten sie sich in Bewegung. »Aber das wirst du büßen«, sagte einer im Vorbeigehen zu Hasard. »Wenn wir hier das Kommando haben, werden wir dich ...« Hasard schlug zu. Es war nur ein kurzer, trockener Nierenhaken. Er konnte sich keine weiteren Ausfälle mehr leisten. Aber der Mann krümmte sich vor Schmerzen und hastete weiter. »Schneller! Wollt ihr wohl laufen!« Smoky trat einem der Männer in den Hintern, und Hasard knallte einem anderen die Faust ins Genick. Ein paar Sekunden später standen zwölf Banditen an den schweren Riemen, an jedem zwei. »Smoky!« rief Hasard. »Auf mein Kommando werdet ihr
euch in die Riemen legen, was das Zeug hält. Wir müssen die Backbordbreitseite so rasch auf die Dons zudrehen, daß die erst merken, was los ist, wenn ihnen die Kugeln um die Ohren fliegen.« »Aye, aye«, sagte Smoky grinsend. »Ich sorge schon dafür, daß die Burschen spuren. Verlaß dich drauf.« Und Hasard wußte, daß er sich wirklich auf Smoky verlassen konnte. Gerade heute würde er mit besonderem Vergnügen zuschlagen, um sich dafür zu rächen, daß ein paar der Banditen ihn zu Boden gestreckt hatten. Hasard wandte sich Ben Brighton zu. »Ben, sage Al Conroy Bescheid, daß er nur die Backbordkanonen zu besetzen braucht. Jedenfalls vorläufig. Er soll feuern lassen, sobald die Backbordseite weit genug herum ist« Er warf einen raschen Blick auf die beiden Backborddrehbassen, an denen der blonde Stenmark und Gary Andrews standen. »Ihr wartet mit dem Feuern, bis die Breitseite zum Tragen kommt.« Aye, aye!« Hasard blickte voraus zu den beiden Galeeren. Sie hatten sich auf eine gute Viertelmeile genähert. Die Riemen gingen in raschem Takt auf und nieder, in perfektem Gleichmaß. In zwei, drei Minuten würden die beiden Schiffe in Reichweite der Kanonen sein. Sein Blick wanderte über die schlaff an den Rahen hängenden Segel zum Himmel hoch. Er war strahlend blau und klar. Nur im Südosten zog eine graue Wolkenwand herauf, die Wind versprach. Aber das konnte noch eine Weile dauern.
4. Der Takt der Riemen schien sich noch zu steigern. Die beiden Galeeren schoben hohe Bugwellen vor sich her wie weiße, gischtende Schnurrbärte.
Die ›San Mateo‹ dümpelte mit dem Bug nach Norden, hatte also die Sonne im Rücken, ein winziger Vorteil. »Backbordkanonen feuerbereit«, rief Al Conroy herauf. »Bugkanone Batuti feuerbereit!« äffte der Neger ihn grinsend nach und deutete auf den Langbogen in seiner Hand. Neben sich hatte er griffbereit zwei Dutzend Pfeile mit Läppern umwickelt, die er jetzt mit Öl übergoß. In einem Messingbecken flackerte ein Holzkohlenfeuer, mit dem er die Pfeile vor dem Abschuß in Brand stecken würde. »Entfernung fünfhundert Yards!« schrie Dan O’Flynn aus dem Großmast. »Komm runter, Dan!« rief Hasard zu ihm hinauf. Er hatte, wie immer, das Gefühl, dieses halbe Kind vor allen Gefahren schützen zu müssen. »Smoky!« »Ja?« »Herum mit dem Heck!« »Aye, aye!« Smoky schlug dem zunächststehenden Banditen die Faust in den Nacken. »Hol weg! Hol weg! Wollt ihr euch wohl mehr ins Zeug legen, ihr Arschgeigen! Hol weg! Achtung, Sir!« unterbrach er sich plötzlich. Hasard fuhr herum. Bombarde war wieder zu sich gekommen und wollte sich auf ihn stürzen. Der Seewolf ließ ihn gegen eine Gerade laufen, und er ging zu Boden. Hasard riß ihn noch einmal hoch und verpaßte ihm einen Kinnhaken, von dem er sich nicht so rasch erholen würde. »Hol weg! Hol weg!« hörte er wieder die Kommandos Smokys. Langsam schwenkte das Heck der Galeone herum. Anscheinend hatten die zwölf Banditen endlich kapiert, daß es auch um ihr Leben ging, wenn sie nicht spurten. Mit aller Kraft stemmten sie sich in die schweren Riemen und zogen das Heck nach Backbord, den Bug nach Steuerbord. Bevor die Breitseite auf die beiden Galeeren gerichtet war,
schnellte Batuti den ersten Brandpfeil von der Sehne des riesigen Bogens. Nur ein Riese wie er hatte die Kraft, ihn so weit zu spannen. Der brennende Pfeil raste auf die Backbord voraus näher kommende Galeere zu. Treffer! Spanische Soldaten stürzten aus ihren Deckungen und schlugen mit nassen Tüchern auf die rasch um sich greifenden Flammen. Es gelang ihnen auch, sie zu löschen, Aber damit war nichts erreicht. Inzwischen waren drei weitere Brandpfeile in das Deck eingeschlagen, und Batuti schoß immer weiter, so rasch er die Pfeile auf die Bogensehne legen konnte. Pfeil um Pfeil wurde auf die Flammenbahn geschickt. Batuti stand wie ein schwarzer Feuergott auf der Back der ›San Mateo‹. Er hatte wirklich nicht übertrieben, als er behauptet hatte, die Bugkanone der Galeone zu sein. Die Spanier sprangen wie aufgescheuchte Ameisen an Deck hin und her und klatschten nasse Fetzen auf die entstehenden Brände, aber es waren nicht genug Männer und nicht genug nasse Tücher, um der ständig neuen Flammen Herr zu werden. Mittschiffs hatte sich ein Brandherd jetzt so weit ausbreiten können, daß die Flammen deckshoch emporschlugen. Die Riemen gerieten aus dem Takt. Eine gutes halbes Dutzend hing mittschiffs ins Wasser. Die Rudersklaven waren von panischer Angst gepackt worden, als Hitze, Rauch und Flammen in ihr Deck drangen. Dreihundert Yards! Zweihundertfünfzig! Das Heck war herum, die Backbordbreitseite wies jetzt auf die beiden Galeeren. »Auf Riemen!« rief Hasard den Männern am Heck zu. Gleichzeitig krachten die acht Kanonen der Backbordbreitseite. Treffer! Kettenkugeln und gehacktes Blei fuhren in die Galeere, die rechts voraus lag. Holzteile wirbelten durch die Luft. Die
Galeere scherte aus dem Kurs, die Riemen krebsten durcheinander, an Bord begann der berühmte Zustand. Die andere Galeere, auf der sich der Brand immer weiter ausbreitete, wurde hastig nach Steuerbord abgedreht, um dem vernichtenden Feuer der ›San Mateo‹ zu entkommen. Aber es war zu spät. Stenmark und Gary Andrews, die an den beiden Drehbassen der Backbordseite standen, hatten ihr Feuer zurückgehalten, um in Reserve zu bleiben, bis Al Conroys Kanonen wieder geladen waren. Jetzt krachten sie fast gleichzeitig, und ihre Ladung von Kettenkugeln und gehacktem Blei fuhr in die Bordwand der Galeere. »Feuer!« Jetzt war auch die Batterie Al Conroys wieder dabei, und die acht Rohre der Backbordseite brüllten zum zweiten Male auf. Der zweite Segen ging voll in die Steuerbordwand der Galeere, auf die noch immer Batutis Brandpfeile zischten. Deutlich war jetzt das Brüllen der angeketteten Rudersklaven zu hören. Sie wußten, daß sie in wenigen Minuten dran glauben mußten, es war nur noch die Frage, ob sie verbrennen oder ertrinken würden. Batuti schoß noch einen letzten Pfeil in die brennende Galeere, dann nahm er Zielwechsel vor. Es ist wirklich unbezahlbar, dachte Hasard, als er die ersten Brandpfeile in die andere Galeere einschlagen sah. Jetzt war Dan O’Flynn, den Hasard aus dem Großmars vertrieben hatte, bei ihm auf der Back und reichte ihm die im Holzkohlenfeuer angezündeten Brandpfeile zu. Dadurch konnte Batuti die Schußfolge fast verdoppeln. Pfeil auf Pfeil raste in dichter Folge ins Holz. Sie trafen vorn, mittschiffs und achtern. Die Spanier wußten nicht, was sie zuerst tun sollten, wegpullen oder die überall auflammenden Brände löschen. An irgendwelche Kampfhandlungen war gar nicht zu denken. Nicht ein einziger Schuß war bisher aus den Drehbassen und
Relingsbüchsen gefallen. »Feuer!« Die dritte Breitseite fetzte in die Bordwand der Galeere. Jetzt begannen auch hier die Rudersklaven zu schreien. Aus dem Batteriedeck hörte Hasard die Befehle Al Conroys und Ben Brightons, lautes Fluchen und gelegentlich einen schmerzhaften Aufschrei, wenn einer der beiden den Banditen, die ihnen Hilfestellung gaben, kräftig in den Hintern traten. Bombardes Leute waren zu keiner wirklichen Arbeit zu gebrauchen, aber sie mußten Pulverfässer und schwere Kugeln schleppen, daß ihnen die Schwarte krachte. »Wollt ihr wohl zupacken, ihr faulen Säcke!« fuhr Al Conroy sie an, und wieder landete ein Fußtritt oder ein Faustschlag. »Ihr glaubt wohl, hier sei heute Feiertag! Feuer!« Wieder krachten die acht Backbordkanonen. »Wo bleibt das Pulver für Nummer sechs! Seht ihr nicht, daß da drüben keine Kugeln mehr sind?« Und als die Rohre geladen waren und die Bombarde-Leute sich erschöpft und schweißgebadet gegen die Wand lehnten: »Und wer soll die Kanonen ausrennen, ihr Saftsäcke? Vielleicht der heilige Geist?« Wieder hagelte es Tritte und Fausthiebe. Es war ein Hexenkessel unter Deck, und mancher der Banditen wäre jetzt froh gewesen, wieder einigermaßen gemütlich auf der Ruderbank einer Galeere angekettet zu sein. Ein lautes Krachen ließ die Bordwand erzittern. »Da ist was in die Luft geflogen«, sagte einer der BombardeMänner und starrte ängstlich zum Niedergang. Ja, es war etwas in die Luft geflogen, aber nicht auf der ›San Mateo‹, sondern auf der Galeere, die Backbord voraus lag. Auf dem brennenden, bewegungslos dümpelnden Wrack, dessen Riemen schlaff ins Wasser hingen, hatten die Flammen das Pulvermagazin erreicht und es in die Luft gejagt. Sie sackte achtern rasch weg, ihr Bug stieg steil hoch, und das
verzweifelte Schreien der angeketteten Rudersklaven gellte noch lauter. Hasard biß die Zähne aufeinander. Wenn an jedem Riemen nur zwei Männer hingen, wurden jetzt einhundertzwanzig Männer erbarmungslos in die Tiefe gerissen und wie Ratten ersäuft, ein furchtbarer Tod. Aber doch noch gnädiger, als wenn sie in den Flammen verbrannt wären. Das Schreien der Männer wurde schwächer und schwächer, je mehr die Galeere wegsackte. Nur noch der Bug ragte steil aufgerichtet aus dem Wasser. Die Galeere hing an der Luftblase in den Räumen des Vorderkastells. Dicke Blasen blubberten empor, als das nachdrängende Wasser die Luft herauspreßte. Fast abrupt schoß der Bug rückwärts in die Tiefe. »Feuer!« schrie Al Conroy, und wieder brüllten die Kanonen der Backbordseite auf. Aber die Salve lag zu kurz. Auf der anderen Galeere hatte man eingesehen, daß jeder weitere Kampf - falls man das einseitige Abschlachten des anderen Schiffes überhaupt einen Kampf nennen konnte - sinnlos geworden war, und pullte mit aller Kraft nach Osten. Angeschlagen und an mehreren Stellen brennend krebste die Galeere in Richtung Küste. Die Dons hatten nur noch zwei Dinge im Kopf: sich möglichst rasch und so weit wie möglich von der feuerspeienden ›San Mateo‹ zu entfernen und die Brände an Bord zu löschen, bevor sie Löcher in die Bordwände brannten. Al Conroy schickte der fliehenden Galeere noch eine Salve nach. Aber das war nur als Salut gemeint, treffen konnten sie auf diese Entfernung nicht mehr. Unter den Männern an Bord der ›San Mateo‹ brach ein ungeheurer Jubel aus. Auch die Männer Bombardes stimmten darin ein, denn schließlich war es auch um ihre Haut gegangen. In der Euphorie des Sieges und der Erleichterung kam sogar eine Art Kameradschaft zwischen den beiden Parteien zustande, fast eine Verbrüderung.
Aber Hasard sah schon ein Stück voraus und wußte, daß sich die Fronten sehr bald wieder verhärten würden, wenn er nicht bis dahin etwas unternommen hatte. »Stenmark!« rief er leise. Der blonde Schwede trabte von der Drehbasse auf ihn zu. Hasard deutete mit einer Kopfbewegung auf Bombarde, der bewußtlos vor der Balustrade neben dem Niedergang lag. »Bring ihn in die hintere Kammer des Achterkastells, die neben meiner Kammer liegt und riegele ihn ein.« Hasard wußte, daß er die momentane Begeisterung ausnutzen mußte, wenn er Bombarde ausschalten wollte. Stenmark nickte schweigend, warf sich den bewußtlosen Banditen über die Schulter und verschwand. Hasard blickte nach Osten. Die zweite Galeere war schon ein ganzes Stück entfernt und im flirrenden Sonnenlicht nur noch als vager Umriß zu erkennen, als dunkler Punkt mit rudernden Krebsfüßen, aus dem eine dunkle Qualmwolke senkrecht zum Himmel stieg. Doch plötzlich schien der Rauchpilz umzuknicken und wurde nach Westen weggeweht. Und Sekunden später erreichte die erste Bö der Wetterfront die ›San Mateo‹. Hasard spürte einen kalten Luftzug im Gesicht, und dann fuhr der Wind in die Segel, blähte sie und erweckte das tote Schiff mit neuem Leben. »Der Wind!« schrien die Männer erlöst. »Der Wind ist wieder da!«
5. Philip Hasard Killigrew blickte zu den prall gefüllten Segeln hoch und grinste glücklich. Für einen Seemann gab es außer mörderischen Orkanen, die für jedes Schiff den Tod bedeuten konnten, nichts Schlimmeres als eine Flaute, in der das Schiff
ohne Fahrt, mit schlaff hängenden Segeln, manövrierunfähig auf der Dünung schwabberte. »Frage Kurs?« Pete Ballie hatte während der ganzen Zeit am Kolderstock gestanden, für den Fall, daß der Wind plötzlich einsetzte. »Nordwest, wie gehabt«, sagte Hasard, ohne zu zögern. Und mit dieser Frage Pete Bailies traten all die Probleme wieder an ihn heran, die von der Hektik des Kampfes und der Begeisterung des Sieges verdrängt worden waren. »Ben«, sagte er halblaut und wandte sich um. Aber Ben Brighton war nicht auf dem Achterdeck. »Ben ist noch unten bei Al«, sagte Blacky, der gerade dabei war, das Rohr der Drehbasse auszuwischen. Dieser Anblick gab Hasard eine Idee. »Blacky, geh ins Batteriedeck und hole Ben.« »Aye, aye.« Blacky wollte schon antraben. »Moment noch. Anschließend bleibst du bei Al Conroy, und ihr sorgt dafür, daß die Bombarde-Leute, die da unten sind, ordentlich zu tun haben - Rohre auswischen und fetten, Kanonen festzurren, Kugeln und Pulver verstauen, na, euch wird schon was einfallen.« »Aye, aye.« Diesmal blieb Blacky stehen. »Na, was denn noch? Bist du noch nicht unterwegs?« Blacky drehte sich um und trabte zum Niedergang. »Wie man’s macht, ist es verkehrt«, murmelte er. Hasard warf einen Blick über das Schiff. Auf der Back kippte Batuti gerade die Holzkohle aus dem Messingbecken über Bord. Es zischte, als sie das Wasser berührte, und eine leichte, weiße Dampfwolke stieg über der Bugwelle auf. Dan O’Flynn hatte sich den riesigen Bogen und die restlichen Brandpfeile unter den Arm geklemmt und stieg damit den Niedergang des Vorderkastells hinunter. Auf dem Deck der Kuhl hatten sich die meisten von
Bombardes Männern in kleinen Gruppen zusammgengefunden. Nach der Ausschaltung des Anführers waren die Fronten noch klarer als zuvor, der Abstand zwischen den Banditen und den Feinden der spanischen Krone noch schärfer. Die meisten Männer waren von den Anstrengungen des Seegefechtes erschöpft und ruhten sich aus. Hier und da aber standen sie in kleinen Gruppen zusammen und sprachen miteinander. Und genau das war es, was Hasard auf jeden Fall verhindern wollte. »Matt!« rief er dem Mann mit der geschliffenen Hakenprothese zu. »Sir?« Matt Davies stieß sich vom Besanmast ab, an dem er gelehnt hatte, und ging auf seinen Kapitän zu. Langsamer als sonst und mit schlurfenden Schritten. Aber das konnte ihm niemand verdenken. Die Männer waren alle ziemlich am Ende, und eben deshalb waren gewisse Maßnahmen notwendig. »Matt, ich möchte, daß die Männer da unten alle beschäftigt werden. Ich sehe nicht ein, daß unsere Leute die ganze Arbeit tun und diese Burschen nur herumlungern.« »Aye, aye.« »Das gilt vor allem für die Leute, die jetzt noch Kraft genug haben, lange Reden zu halten.« »Aye, aye.« Matt Davies grinste amüsiert. »Verstehe, Sir.« Hasard scheuchte ihn mit einer Handbewegung auf den Weg. »Kutscher!« »Ja?« Der Kutscher hockte neben Ferris Tucker am Backbordschanzkleid des Achterdecks und stemmte sich schwerfällig hoch. »Bleib sitzen«, sagte Hasard und trat auf ihn zu. Der Kutscher war wirklich am meisten mitgenommen. »Wie geht es Ferris?« Hasard kniete sich neben den verwundeten Zimmermann. »Er schläft.« »Das sehe ich selbst.« Ferris Tucker lag ausgestreckt an Deck. Durch die dunklen Bartstoppeln wirkte sein Gesicht noch blasser als es wirklich
war. Er hatte eine Menge Blut verloren, aber zumindest schien sich die Wunde jetzt geschlossen zu haben. Der Fetzen, mit dem Hasard sie verbunden hatte, war zwar durchblutet, aber das Blut war dunkelbraun getrocknet. »Es wird eine Weile dauern, bis er wieder auf den Beinen ist«, sagte der Kutscher, »so zehn bis vierzehn Tage mindestens.« Hasard nickte schweigend. Ausgerechnet jetzt, da er jeden Mann brauchte, um das Schiff nach England zurückzubringen. Er konnte nur hoffen, daß unterwegs nichts passierte, für das er den Schiffszimmermann brauchte. »Ich wollte ihn schon nach unten bringen«, sagte der Kutscher und fuhr mit der Hand über sein vor Erschöpfung schweißnasses Gesicht, »aber für mich allein war er zu schwer, und die anderen waren beschäftigt ...« »Schon gut«, sagte Hasard. »Laß ihn hier oben schlafen, bis er aufwacht. Hier ist die Luft ohnehin besser als der Mief im Logis.« »Jawohl, Sir.« An das seemännische »Aye, aye« hatte sich der ehemalige Kutsscher, der von einer Preßgang an Bord geschleppt worden war, bis heute nicht gewöhnen können. »Hast du schon die Lebensmittelvorräte an Bord überprüfen können?« fragte Hasard. »Nein«. Der Kutscher wich dem Blick seines Kapitäns verlegen aus. »Aber ich werde sofort ...« Er wollte sich wieder hochstemmen. »Laß nur, jetzt kann das auch ein anderer tun.« Unfreiwillig hatte Hasard das Wort »jetzt« betont. Wenn er auch einsah, daß der Kutscher wirklich mit seiner Kraft am Ende war, so wäre es doch seine Aufgabe als Koch gewesen, sich davon zu überzeugen, was an Eßbarem und an Trinkwasser an Bord war. Und Pflichtvergessenheit war etwas, das Hasard auf den Tod haßte. So wie er von sich selbst mehr als die Pflicht verlangte, erwartete er von jedem seiner Männer, daß sie ihre Aufgaben
gründlich und pünktlich erfüllten. »Ruh dich nur aus, und paß auf Ferris auf.« »Jawohl, Sir«, sagte der Kutscher leise. »Aber ich kann doch selbst ...« »Schon gut.« Hasard trat zu dem blonden Stenmark, der an der Steuerbord-Drehbasse lehnte und nach achtern über die See blickte. »Die Gallere qualmt noch immer«, sagte er grinsend und deutete auf eine schwache, dunkle Rauchfahne, die über der östlichen Kimm stand. Die Galeere selbst war schon hinter dem Horizont verschwunden. »Stenmark, sieh nach, wie es mit den Vorräten an Bord steht. Ich will wissen, ob wir ohne Landfall nach Plymouth laufen können oder nicht. Wenn es irgend geht, möchte ich eine Landung vermeiden.« »Aye, aye.« »Und die Spanier willst du mitnehmen?« Ben Brighton war erschienen. »Die gehören mit zur Beute«, sagte Hasard grinsend. »Lösegeld?« fragte Ben Brighton. Hasard schüttelte den Kopf. »Ich möchte, daß die vierundzwanzig Dons gegen englische Gefangene ausgetauscht werden. Ihr seid mit Sicherheit nicht die einzigen von unseren Leuten gewesen, die auf spanischen Galeeren als Sklaven fuhren.« Er wandte sich wieder an Stenmark. »Denke daran, daß wir rund siebzig Mann an Bord sind, wir sind dreizehn ...« »Keine sehr glückliche Zahl«, murmelte der etwas abergläubische Schwede finster. Hasard hielt es für richtig, die Zwischenbemerkung zu überhören. »... dazu vierundzwanzig Spanier und rund dreißig von Bombardes Männern.« Er wußte nicht genau, wie viele im Kampf gegen die Männer der ›Isabella‹ gefallen waren, und es interessierte ihn auch nicht.
»Aye, aye, Sir.« »Achte besonders auf die Trinkwasservorräte. Wenn es sein muß, setzen wir die Dons auf Viertelrationen, sie tun ja sowieso nichts, aber wenn das Wasser nicht reicht, müssen wir doch irgendwo anlaufen.« »Aye, aye.« Stenmark schlurfte zum Niedergang. Ben Brighton blickte ihm kurz nach, dann wandte er sich Hasard zu. »Du wolltest mich sprechen?« Hasard nickte. »Du wirst dafür sorgen, daß die Männer ihre Waffen abgeben und sie ins Magazin einschließen.« »Die Waffen?« Ben Brighton starrte ihn verblüfft und erschrocken an. »Unsere Männer?« »Alle Männer«, sagte Hasard und beobachtete, wie Matt Davies die Leute Bombardes auf der Kuhl umherscheuchte. Er ließ Taue aufschießen, Belegnägel, die als Schlaginstrumente zweckentfremdet worden waren, wieder in die Nagelbänke zurückstecken, und ein halbes Dutzend Männer war dabei, die Blutflecken und andere Spuren des Kampfes von den Decksplanken zu schrubben. »Ich kann nicht nur Bombardes Männer entwaffnen. Das würde einen Aufstand geben. Wir sind den Burschen zahlenmäßig unterlegen und müssen deshalb diplomatisch vorgehen, Ben.« Ben Brighton nickte, blickte auf die sächsische Reiterpistole in Hasards Gürtel und griff dann an die eigene Waffe. Hasard lächelte. »Das gilt natürlich nur für die Mannschaften. Wir beiden behalten selbstverständlich unsere Waffen.« Ben Brighton atmete erleichtert auf. In seinem ganzen Leben hatte er noch niemals eine Waffe freiwillig hergegeben, und ohne seine Pistole hätte er sich nackt gefühlt. »Ich bezweifle, daß diese Banditen sich die Schießeisen einfach so abnehmen lassen«, sagte er zweifelnd. »Einfach so, nicht«, gab Hasard grinsend zu. »Das ist ja der Grund, warum ich sie so umherscheuchen lasse.« Er deutete in
die Kuhl. »Einmal vertreibt ihnen die Arbeit dumme Gedanken, und außerdem werden sie ziemlich geschafft. In einer halben Stunde haben sie nur noch den Wunsch, sich irgendwo hinhauen zu können.« Ben Brighton nickte verstehend. »Und dann?« »Sieh mal da runter«, sagte Hasard und deutete mit dem Kopf zur Kuhl hinunter. Ben Brighton tat es, dann blickte er den Seewolf fragend an. »Die Waffen, Ben«, sagte Hasard. »Kein Mensch schleppt eine Muskete oder Pistole mit sich herum, wenn er das Deck schrubbt oder Kanonenrohre putzt.« Ben Brighton nickte. Jetzt begriff er, was Hasard meinte. Die Männer hatten ihre Waffen zumeist abgelegt. Musketen lagen auf Taurollen, lehnten an Schanzkleid, am Großmast. Ein knappes Dutzend Pistolen war an Deck abgelegt worden. Nur ein paar der erfahrensten Banditen hatten sich auch bei der Arbeit nicht von ihren Schießeisen getrennt. »Eine unordentliche Bande«, sagte Ben Brighton angewidert. »Zu unserem Glück.« Hasard grinste. »Wir werden jetzt drei Männer nach unten schicken und die Waffen einsammeln lassen, die herumliegen, und dann von den anderen die Herausgabe ihrer Eisen verlangen.« Er winkte Batuti und Dan O’Flynn, die gerade den Niedergang heraufstiegen. »Yes, Sir?« Batuti baute sich vor Hasard auf. Dan O’Flynn, der noch immer Bogen und Pfeile unter den rechten Arm geklemmt hielt, blickte ihn aus dem nicht zugeschwollenen Auge an. »Das Ding wird morgen schön blau anlaufen, Dan«, sagte Hasard grinsend und deutete auf den Bluterguß in Dans rechtem Auge. »Und dann gelb und grün, die ganze Farbskala, ich weiß.« Dan war nicht besonders guter Laune. Das zugeschwollene Auge tat wirklich verdammt weh. Vor allem war er wütend
darauf, daß er nicht aufgepaßt und dieses Ding erwischt hatte. »Du brauchst gar nicht so dämlich zu grinsen«, fuhr er Batuti an. »Dir haben sie noch ein viel besseres Ding verpaßt.« Er deutete auf Batutis verbundenen Kopf. »Aber nicht in Auge«, sagte der Neger. »Kopf ist hart und kriegt keine bunten Farben. Und Auge von Batuti auch nicht. Schwarze Haut ist Tarnfarbe, bleibt immer schön schwarz, auch wenn Batuti dreckig oder kriegt Schlag in Fresse, immer schön schwarz.« »Jetzt hört mal auf zu palavern, ihr beiden«, sagte Ben Brighton scharf. »Ihr habt doch gehört, daß der Kapitän etwas von euch will.« »Entschuldigen, Sir«, sagte Batuti zu Hasard und versuchte, das auf seinem Gesicht eingewachsene Grinsen zu unterdrücken. »Aber Batuti hat Zunge, die immer wegläuft, muß laufen und laufen und laufen wie Gazelle wenn hungriger Löwe auftaucht.« »Dann sieh nur zu, daß der Löwe die Gazelle nicht mal erwischt«, sagte Hasard und hatte Mühe, ein amüsiertes Lächeln zu unterdrücken. »Paßt jetzt genau auf, ihr beiden. Ihr werdet in die Kuhl hinuntersteigen und alle herumliegenden Waffen einsammeln.« Batuti nickte schweigend. Dan O’Flynn nickte auch, aber er sagte: »Ob die sich das gefallen lassen? Wir sind unbewaffnet, und die Banditen ...« »Mit der ersten Pistole oder Muskete, die du aufsammelst, bist du bewaffnet, Dan«, sagte Hasard. »Außerdem ist es Absicht, daß ich zwei unbewaffnete Männer schicke.« »Aber wenn die uns vorher erwischen ?« »Nun hör auf mit Rede, kleines O’Flynn«, sagte Batuti und stieß ihm in die Seite. »Du hast doch gehört, wie hat Kapitän gesagt, Löwe holt kleines Gazelle.« »Außerdem stellen Ben und ich uns oben an die Balustrade und passen auf. Und wir haben Waffen.«
»Aye, Aye.« Dan O’Flynn folgte Batuti zum Niedergang, aber er schnitt kein sehr glückliches Gesicht. Die vergangenen Strapazen und das schmerzende Auge hatte seine optimistische Frechheit doch stark gedämpft. »Los, Ben«, sagte Hasard, als die beiden den Niedergang erreicht hatten und hinabstiegen. Sie traten an die Balustrade. Hasard rückte seine Reiterpistole im Gürtel zu recht und spannte den Hahn. Ben Brighton folgte seinem Beispiel. »Geh zur Backbordseite hinüber, Ben«, sagte Hasard, »dann haben wir die Burschen im Kreuzfeuer, wenn es Krawall geben sollte.« Ben Brighton nickte schweigend. Er öffnete den Mund, als ob er etwas sagen wollte, ließ es dann aber, anscheinend weil er einsah, daß es keinen Sinn hatte. »Und dann fängst du an, Matt Davies und die BombardeCrew zusammenzuscheißen, von wegen Faulheit und daß hier kein Schlaraffenland ist und so weiter.« Ben Brighton wollte Hasard fragen, wozu das gut sein sollte, aber er verkniff sich auch diese Frage. »Mit dem Fluchen habe ich es nicht so. Mir fehlt da das richtige Vokabularium«, sagte er nur. »Denke nur an den alten Edwin Carberry, den Profos der ›Marygold‹«, sagte Hasard, »dann triffst du schon den richtigen Ton.« Hasard sah, daß Batuti und Dan O’Flynn fast den Teil der Kuhl erreicht hatten, in dem die Mehrzahl der Männer arbeitete. »Beeil dich, Ben.« Er gab Brighton einen leichten Rippenstoß. Noch auf dem Weg zur Steuerbordseite des Achterdecks begann Ben Brighton seine Carberry-Imitation. »He, Matt!« schrie er ungewohnt laut. »Was ist denn los mit dir? Warum treibst du diese Affenärsche nicht ein bißchen an? Ihr glaubt wohl, ihr könntet heute feiern, was, wie?«
Matt Davies starrte entgeistert zum Achterdeck herauf. In diesem Ton hatte der Bootsmann noch nie gesprochen, und schon gar nicht mit ihm. »Sag mal, bei dir ist wohl ein Tampen ...« »Wirst du wohl deine verdammte Schnauze halten, du Hurensohn? Ich lasse dich an den Mast binden und mit der Neunschwänzigen bearbeiten, wenn du nicht dafür sorgst, daß diese Banditen schneller arbeiten.« Er mußte sich räuspern, weil das ungewohnte Schreien seine Kehle rauh werden ließ. »Das soll sauber sein, ihr Drecksäue?« Er deutete auf eine Stelle des Decks an Backbord, als er sah, daß Batuti und Dan an Backbord mit dem Einsammeln der Waffen begonnen hatten. »In England sind Misthaufen sauberer als dieses Deck. Ihr glaubt wohl, nur weil dies mal ein spanisches Schiff war, könnt ihr den ganzen Scheißdreck ...« »He, da klaut einer unsere Waffen!« schrie einer der Männer auf spanisch und deutete auf Batuti und Dan O’Flynn. Batuti hatte gerade die letzte Muskete aufgesammelt und hielt ein halbes Dutzend davon wie eine Ladung Holzknüppel auf den Armen. Der kleine Dan hatte sich auf die leichteren Pistolen konzentriert. »Die Hunde wollen uns in die Pfanne hauen!« schrie ein anderer, riß eine Pistole aus dem Gürtel und spannte den Hahn. »Hau die Waffen an Deck, oder ich verpasse dir ein Stück Blei!« Batuti ließ die Musketen fallen - bis auf eine. Und Dans Pistolen krachten an Deck. Aber er behielt sicherheitshalber zwei davon in den Händen. Auf dem Achterdeck zeigten Hasard und Brighton ihre Waffen und richteten sie auf die Banditen in der Kuhl »Halt! Keine Bewegung!« rief Hasard hart. Die Männer, die nach ihren Pistolen und Messern greifen wollten, erstarrten mitten in der Bewegung. Unsicher blickten sie zu den beiden Männern auf dem Achterdeck hoch, sahen
Batuti und Dan an, die die Mündungen ihrer Waffen auf sie richteten. »Pistole weg!« sagte Hasard zu dem Mann, der sein Eisen auf Batuti und Dan gerichtet hielt. Der Mann zögerte. Aber bevor er zu einem Entschluß gelangen konnte, war Matt Davies bei ihm. »Hast du nicht gehört, was der Kapitän gesagt hat?« Der angeschliffene Stahlhaken schlug dem Banditen die Pistole aus der Hand. Daß der Stahl dabei auch ein Loch durch Haut und Muskeln riß, was sein Pech. Er schrie auf und preßte die blutende Hand an die Brust. Matt Davies hob die an Deck gefallene Waffe auf und steckte sie in den Gürtel. Hasard mußte ein zufriedenes Grinsen unterdrücken Diese unbeabsichtigte Demonstration kam ihm überaus gelegen. Jetzt wußten die Bombarde-Männer, daß sie es ernst meinten. »Hört zu, Männer«, sagte er mit entschlossener, energischer Stimme. Die Männer starrten zu ihm herauf, die meisten erwartungsvoll, in nur wenigen Gesichtern sah er Wut oder Haß. »Ich habe angeordnet, daß alle Waffen wieder abgegeben und ins Magazin zurückgebracht werden.« »Alle Waffen? Auch die Ihrer Leute?« rief einer der Bombarde-Männer. »Auch die meiner Leute«, sagte Hasard bestimmt. »Niemand außer mir und meinem Bootsmann wird eine Schußwaffe haben.« Lautes Gemurmel drang aus der Kuhl herauf, teils wütend und aufgebracht, aber zum größten Teil zustimmend, stellte Hasard fest. Er hatte sich nicht getäuscht. Durch die Ausschaltung Bombardes war der harte Kern seiner Banditen, der nur eine Minorität darstellte, von den anderen isoliert und verunsichert worden. Sonst wäre es ihm nie gelungen, fast zwei Dutzend Männer zu entwaffnen. »Waffen ablegen und über Deck Batuti zuschleudern!« sagte
er jetzt. Es waren nur drei oder vier, die ihre Pistolen bei der Arbeit bei sich behalten hatten, und sie zogen sie jetzt ohne Widerrede aus dem Gürtel und stießen sie über Deck auf Batuti zu. »Bringt das Zeug in die Waffenkammer und kehrt dann zurück - unbewaffnet.« Die Leute sollten sehen, daß er zu seinem Wort stand. Er brauchte sie, zumindestens einen Teil von ihnen. Als Batuti, Dan O’Flynn und Matt Davies die Waffen aufgehoben hatten und forttrugen, entspannte er den Hahn seiner Pistole, steckte sie in den Gürtel zurück und stieg den Niedergang hinab. Er trat auf die Bombarde-Männer zu, die sich jetzt unsicher näher zusammengeschlossen hatten, und sagte: »Wir segeln nach England.« Er legte eine Pause ein, um möglichen Widerspruch herauszufordern und die betreffenden Männer sofort von den anderen zu isolieren. Aber niemand erwiderte etwas. »Ich habe euch vor wenigen Stunden gesagt, daß es an euch liegt, wie ihr dieses Schiff in Plymouth verlassen werdet, als freie Männer oder als Gefangene. Von jetzt an werde ich jeden Widerstand als Meuterei betrachten und entsprechend bestrafen. An der Rah ist eine Menge Platz, und mir ist es egal, wer von euch daran aufgehängt wird.« Wieder schwieg er kurz, um seine Worte wirken zu lassen, und blickte den zunächststehenden Männern fest in die Augen. Keiner rührte sich. »Genauso werde ich aber auch die von euch belohnen, die uns helfen, dieses Schiff und seine Ladung nach England zu segeln. Wer Lust hat, ganz bei uns zu bleiben, für den findet sich auch ein Platz auf der ›San Mateo‹ oder einem anderen von Kapitän Drakes Schiffen. Also, überlegt es euch - und überlegt es euch gut.« Er wandte sich um und ging Batuti, O’Flynn und Davies entgegen, die gerade aus dem Magazin zurückkehrten. »Matt, du gehst zum Magazin zurück und paßt auf, daß keiner
auf den Gedanken verfällt, sich selbst zu bedienen. Ihr beiden«, er nickte Batuti und Dan O’Flynn zu, »geht ins Batteriedeck und holt euch die Waffen der restlichen Leute. Es sind nur noch zwölf oder so. Al Conroy und Blacky sind da, um euch zu helfen.« »Nicht nötig. Erledigt Batuti allein.« »Dann solltet ihr zu viert wirklich keine Schwierigkeiten haben«, sagte Hasard rasch. »Also los, ab mit euch.« Als die drei Männer verschwunden waren, stieg er den Niedergang hinauf, lehnte sich an der Steuerbordseite des Achterdecks an die Balustrade und blickte zu den BombardeMännern hinunter. Sie standen wieder in kleinen Gruppen zusammen, sprachen miteinander, manche ruhig und gelassen, andere heftig und offensichtlich hetzend. Es war ihm klar, daß er nicht alle diese Männer dafür gewinnen konnte, sich zu ihm zu bekennen und mit seiner Crew zusammenzuarbeiten. Aber er war sicher, daß wenigstens zehn oder ein Dutzend von ihnen sich dazu bereit finden würden, aus Gewinnsucht, mit der Gewißheit, wenigstens einen gerechten Anteil an der Silberladung zu erhalten, wenn sie auf seine Seite traten, oder aus Abenteuerlust. Ein paar wenige vielleicht sogar aus Überzeugung oder um einen Strich unter ihre kriminelle Vergangenheit zu ziehen. Ihm konnten die Motive egal sein. Er war nur daran interessiert, seine Mannschaft zu verstärken. Philip Hasard Killigrew hatte seit der Zeit, als Kapitän Drake ihm die erste Prise anvertraut hatte, eine Menge dazugelernt. Bisher war er immer mit Unterbemannung gesegelt, und besonders für die ›San Mateo‹ waren dreizehn Mann - er selbst und Ben Brighton eingeschlossen - einfach zu wenig. Die Galeone war das, was man »schiffig« nannte, gegen die alte ›Isabella‹ geradezu rank, aber dennoch voll seetüchtig. Aber sie wollte voll ausgesegelt werden, mit allen Tüchern, die
sie je nach Wind vertrug. Der handige Wind, der sich in der Wolkenbank im Südosten angekündigt hatte, würde nicht mehr lange auf sich warten lassen. Und dann würde er erheblich mehr Männer brauchen, um das Schiff zu segeln und alles herauszuholen, was in ihm steckte.
6. Der vierte Tag nach der Flucht. Der Wind hatte laufend aufgefrischt. Dies und Stenmarks Mitteilung, daß sie genügend Vorräte an Bord hatten, um bei strenger Einteilung ohne Landfall bis Plymouth auszukommen, hatten Hasard dazu veranlaßt, die ›San Mateo‹ auf Biegen und Brechen voranzuknüppeln. Am späten Vormittag war an Steuerbord Kap Sao Vincente aufgetaucht, und als sie es passiert hatten, war Hasard von Nordwest- auf Nordkurs gegangen. Auf diesem Kurs würden sie bleiben, bis die französische Küste passiert war, dann würde die ›San Mateo‹ zum letzten Mal Kurs ändern, in Richtung Plymouth. Aber bis dahin waren es noch ein weiter Weg und eine verdammte Menge Atlantik, und vor Kap Finisterre würden sie kein Land mehr sehen, nicht einmal eine Felsenklippe, auf der bestenfalls ein paar Seevögel hausten. Bis dahin würden sie völlig allein sein in der endlosen Wasserwüste des Atlantik, allein mit dem scharfen Südostwind und den gischtenden Brechern, die gegen die ›San Mateo‹ anliefen und immer wieder die Kuhl überspülten. Hasard war während der vergangenen vier Tage kaum aus den Kleidern gekommen - wenn man die Fetzen, die er und seine Männer trugen, noch so nennen konnte. Obwohl die Situation an Bord wider Erwarten unter Kontrolle war, hatte er lange nicht daran glauben können, daß die Bombarde-Männer
sich so widerstandslos in ihr Schicksal ergeben würden und jederzeit auf irgendeine Gemeinheit, irgendeine Hinterhältigkeit lauerten. Die Silberladung, die spanische Konquistadoren in Südamerika erbeutet hatten, war eine zu große Versuchung, als daß nicht wenigstens eine Handvoll der Bombarde-Leute versuchen sollten, sie in ihren Besitz zu bringen. Ja, es war nur noch eine Handvoll, die gefährlich werden konnte. Die ganze Gruppe der nichtkriminellen Ex-Sklaven und auch ein Teil der wirklichen Banditen hatten seine Aufforderung befolgt und sich bereit erklärt, bei der Schiffsarbeit zu helfen. Nur neun Männer hatten ihm erklärt, sie dächten nicht daran, für ihn die Dreckarbeit zu tun. Nur neun, aber sie waren die gefährlichsten, der harte Kern von Bombardes Banditen. Deshalb die Wachsamkeit Hasards, deshalb die ständige Alarmbereitschaft, die ihm keine Zeit zu wirklicher Ruhe ließ. Erst jetzt, am Abend des vierten Tages, sah er ein, daß sein Mißtrauen doch ungerechtfertigt gewesen war. Falls die neun Bombarde-Leute wirklich den Plan gehabt haben sollten, das Schiff in ihre Hand zu bringen, hätten sie mit Sicherheit nicht gewartet, bis ein guter Teil der Strecke nach England hinter ihnen lag und die Route nach Algier um so länger geworden war. Kap Sao Vincente war für Hasard eine Art Wegmarke, die das Ende der gefährlichen Strecke kennzeichnete. Kurz vor acht erschienen Ben Brighton und Stenmark auf dem Achterdeck, um ihn und den Rudergänger Pete Ballie abzulösen. »Du solltest dir wirklich mal etwas Ruhe gönnen«, sagte der Bootsmann vorwurfsvoll. »Du bist seit vier Tagen fast ununterbrochen auf den Beinen.« »Du hast recht, Ben.« Hasard klopfte seiner Nummer Eins kameradschaftlich auf die Schulter. »Weck mich um Mitternacht zur Ablösung.«
»Aye, aye, Sir«, sagte Ben Brighton und wußte schon jetzt, daß er es nicht tun würde. Er würde zwei Wachen gehen und den Kapitän wenigstens einmal acht Stunden lang schlafen lassen. »Gute Wache, Ben«, sagte Hasard und ging zum Niedergang. »Gute Nacht, Hasard.« Aber bevor der Seewolf sich in seine Kammer zurückzog, unternahm er noch einmal eine Runde durch das Schiff. Trotz aller Beruhigungsversuche, obwohl ihm die Logik sagte, daß er weder von Bombardes Männern noch von ihm selbst etwas zu befürchten hatte, blieb eine nagende Unruhe in ihm. Er schritt über das Deck der Kuhl. Seit sie die Biskaya und die wärmeren Breiten verlassen hatten, hielt sich keiner der Männer mehr nachts an Deck auf. Lieber drängten sie sich im Mief des überbelegten Logis, als daß sie im scharfen, kalten Wind froren. Nur neben dem Niedergang der Vorderkastells sah er einen Schatten. Ein Mann hockte dort, in eine Decke gewickelt, und döste vor sich hin. Er hob den Kopf, als er Hasard auf sich zukommen hörte. »Ferris«, sagte Hasard überrascht. »Was tust du denn um diese Zeit an Deck?« Ferris Tucker stützte die Arme auf, um aufzustehen. »Bleib sitzen«, sagte Hasard rasch und hielt ihn an der Schulter fest. »Warum bist du nicht in der Koje? Ich habe dir doch gesagt, du sollst dich schonen.« Der Schiffszimmermann grinste verlegen. »Ich bin doch schon wieder fast in Ordnung, Mann.« »Aber eben nur fast. Warum schläfst du nicht wie die anderen?« Wieder das verlegene Grinsen. »Ich habe in den letzten drei Tagen so viel geschlafen, daß ich überhaupt nicht müde bin.« Hasard blickte Ferris Tucker prüfend an. »Ein Seemann kann überall und zu jeder Zeit schlafen, Ferris«, sagte er betont leise.
»Das ist eins der ersten Dinge, die man an Bord lernt: man nutzt jede Gelegenheit, eine Mütze voll Schlaf zu nehmen, weil man nicht weiß, wann wieder eine Gelegenheit dazu ist.« Der Zimmermann grinste nicht mehr. Er blickte an Hasard vorbei auf das Meer hinaus, dessen Gischtstreifen im Licht des Halbmonds leuchteten. »Was ist los, Ferris?« fragte Hasard, immer noch leise, aber mit der ihm eigenen Schärfe, die dem anderen sagte, daß er sich nicht mit Ausflüchten zufrieden geben würde. »Es ist - es ist so eng vorn. Ich meine, mit den ... anderen Leuten ...« »Und?« Hasard war plötzlich hellwach. Ferris Tucker blickte auf. »Nichts weiter, wirklich nicht. Ich fühle mich nur nicht wohl bei Bombardes Banditen, das ist alles.« »Die meisten stehen doch auf unserer Seite.« Noch nie war er sich dessen so unsicher gewesen wie jetzt, in diesem Augenblick. »Ich spreche von den anderen, die sich geweigert haben, mitzuhelfen.« Er schien jetzt zu merken, daß Hasard sich ernsthafte Gedanken über diese Sache machte und fügte rasch hinzu: »Es ist wirklich nichts. Ich meine, sie tun nichts, was man ...« »Sie versuchen auch nicht, die anderen aufzuwiegeln?« unterbrach Hasard. »Nein. Ich sagte doch, sie tun nichts. Aber sie gehören einfach nicht zu uns, und wenn man auf so engem Raum zusammen haust, muß man sich mit den anderen gut verstehen, wie auf der alten ›Isabella‹, verstehst du, was ich meine, Hasard?« Hasard nickte. Er verstand nur zu gut. Wenn Dutzende von Männern, wie es auf den damaligen Schiffen üblich und unumgänglich war, wie Sardinen in ihrem Logis zusammengepfercht waren, konnte schon ein einziger
Außenseiter eine Katastrophe auslösen. Die ›Isabella‹ war ein glückhaftes Schiff gewesen, eben weil er und seine Männer einander so ausgezeichnet verstanden hatten, weil es niemals einen falschen Ton zwischen ihnen gegeben hatte. Und er fragte sich ernsthaft, ob die ›San Mateo‹ wohl auch ein glückhaftes Schiff werden würde. »Es ist sicher nur, weil ich zuviel geschlafen habe«, sagte Ferris Tucker. »und jetzt nicht einschlafen kann.« »Versuche es trotzdem«, sagte Hasard. »Gute Nacht, Ferris.« »Gute Nacht, Hasard.« Der Seewolf wandte sich ab und ging weiter. Ob er die zwölf Männer zu den gefangenen Spaniern sperren sollte? überlegte er ernsthaft, und vielleicht auch Bombarde, um alle tatsächlichen und potentiellen Gegner zusammen zu haben? Nein, das wäre unmenschlich und unklug, entschied er. Die vierundzwanzig Spanier hausten schon jetzt noch enger zusammengedrängt als die Besatzung, wenn er die anderen zwölf Männer dazusperrte, würde es unweigerlich zu unerträglichen Spannungen kommen, die sich in Aggressionen entladen mußten. Besonders wenn er den gewalttätigen und intelligenten Bombarde dazusperrte, der diesen Aggressionen Richtung und Ziel geben würde. In der Kombüse brannte noch Licht, und als er die Tür des engen Schapps aufstieß, sah er den Kutscher vor dem lodernden Herdfeuer stehen und in dem großen Kessel rühren. Er mußte dazu ständig hin und her hüpfen, weil der an einer Kette aufgehängte Kessel mit dem Stampfen und Dümpeln des Schiffes nach allen vier Richtungen schwang. »Ich koche schon den Reis für morgen vor«, erklärte er. »Sieht aus, als ob das Wetter noch schlechter wird, und dann brauche ich ihn nur aufzuwärmen.« Hasard nickte. »Gute Idee, Kutscher. Haben die Gefangenen schon ihre Abendration erhalten?« »Halbe Rationen, wie du befohlen hast. Das Fluchen der
Dons hättest du hören sollen.« »Ich kann es mir vorstellen«, sagte Hasard lächelnd. Halbe Rationen bedeutete die Hälfte von dem, was er und die Mannschaft erhielt, und auch für die gab es nicht so viel, wie schwer arbeitende Männer, die noch dazu durch die Strapazen der Gefangenschaft entkräftet waren, gebraucht hätten. Fluchen konnten die Dons seinetwegen, bis sich die Spanten bogen, aber er mußte verhindern, daß eine Hungerrevolte ausbrach. »Gib ihnen von jetzt an jeden Abend einen halben Becher Wein, Kutscher«, ordnete er an. »Aber wirklich nur einen halben Becher.« Betrunken konnten sie noch rascher renitentwerden. »Aye, aye. Von dem Zeug haben die Dons ja immer einen genügenden Vorrat an Bord.« Hasard nickte dem Kutscher zu und ging zum Achterschiff zurück. Bevor er in seine Kammer trat, kontrollierte er noch die Tür der hinteren Kammer, in der er Bombarde gefangen gesetzt hatte. Sicherheitshalber hatte er die Tür mit Vierzollnägeln vernageln und ein kleines, quadratisches Loch in das Holz sägen lassen, gerade groß genug, um den Eßnapf und den Wasserkrug durchreichen zu können, und selbst diese Öffnung war mit einer stabilen Holzklappe verschlossen. Hasard nickte befriedigt. Dieses Gefängnis würde Bombarde erst dann verlassen, wenn Tucker die tief eingeschlagenen Vierzöller wieder herauszog. Und das würde er erst in Plymouth tun. Hasard betrat seine Kammer und drehte den Docht der Lampe ein wenig höher. Dann tat er zweierlei, das er sich angewöhnt hatte, seit er mit Bombardes Banditen auf diesem Schiff war: er schob den Türriegel vor, und er zog seine Pistole aus dem Gürtel, spannte sie und legte sie auf den winzigen Tisch neben dem Kopfende der Koje. Dann warf er sich angezogen auf die zerwühlten Decken. Trotz der hundert Gedanken, die ihm durch den Kopf
schossen, forderte sein erschöpfter Körper sein Recht. Knapp zehn Minuten später war er eingeschlafen. Er schlief so fest, daß er nichts von dem leisen Geräusch hörte, als eine Planke gegenüber seiner Koje herausgehoben wurde und eine blasse Hand mit langen, schmutzverklebten Nägeln hindurchgriff.
7. Für Bombarde waren die vergangenen vier Tage weniger ereignisreich verlaufen als für die Crew der ›San Mateo‹, allerdings auch weniger anstrengend. Als er nach dem Abschlag des Angriffs der beiden spanischen Galeeren und dem Hieb durch Killigrew wieder zu sich gekommen war, hatte er zunächst eine ganze Weile gebraucht, um wieder einen klaren Kopf zu kriegen. Dieser große Kerl, den sie den Seewolf nannten, schrieb schon eine verdammt gute Handschrift, mußte er widerstrebend anerkennen. Dann hatte er mit Fäusten und Füßen gegen die starke Bohlentür geschlagen und gebrüllt. Nicht aus unbeherrschter Wut, dazu war er viel zu eiskalt und zu intelligent. Er hatte gehofft, daß sein Toben dazu führen könnte, ihn wieder freizulassen. Noch war ihm ja nicht eröffnet worden, daß Killigrew beabsichtigte, ihn bis nach Plymouth in dieser Kammer gefangenzuhalten. Außerdem hatte er mit diesem Toben in der Vergangenheit sehr oft guten Erfolg gehabt. Selbst unter den Sklavenantreibern der Spanier hatte es Menschen gegeben, die entweder aus Humanitätsduselei seine Wünsche erfüllt hatten, oder andere, denen es einfach bequemer und nervenschonender erschienen war, wenn sie nachgaben. Aber auf diesem Schiff gab es keine der beiden Kategorien, erfuhr er schon eine halbe Stunde später. Er hatte sich bereits
heiser gebrüllt, als er endlich das Knarren einer Tür hörte und dann näher kommende Schritte. Ein triumphierendes Grinsen war über sein Gesicht gezogen, aber er hatte seine Vorstellung nicht abgebrochen, sondern nur noch lauter getrommelt und geschrien, obgleich seine Stimme bereits heiser war. Dann hörte er den schweren Riegel zur Seite knirschen und stellte sich erwartungsvoll sprungbereit. Vielleicht war es einer seiner Leute, der ihn herausholen wollte, vielleicht war es einer der schwächlichsten Burschen von Killigrews Crew, den er mit einem Schlag erledigen konnte. Es war Killigrew selbst. Und hinter dem Kapitän erkannte Bombarde einen riesigen, dunkeln Schatten. Der verdammte Nigger, der mich als erster zusammengeschlagen hat, dachte er wütend. »Was willst du?« fragte Hasard Kuhl. Was ich will? Dir in deine dreckige Visage springen, dir die Därme aus dem Bauch reißen, dachte Bombarde wütend. Aber er sah keine Möglichkeit dazu, diesen Wunsch zu verwirklichen, und er wußte, daß er bei dem Seewolf mit Gewalt und Drohungen nichts erreichen würde. Deshalb versuchte er es auf die humorvolle Masche. »Gut, Sie haben gewonnen, Kapitän«, sagte er und blickte Hasard mit einem plump-vertraulichen Grinsen an. »Nun lassen Sie mich wieder raus.« Hasard blickte ein paar Sekunden in das blasse Gesicht, auf dem die weißblonden Bartstoppeln in dem Halbdunkel der Kammer kaum zu erkennen waren. »Du kommst nicht mehr heraus, Bombarde«, sagte er dann ruhig. »Sie können mich doch nicht ...« »Ich habe dich gewarnt«, unterbrach Hasard kalt, »nicht nur einmal, sondern wiederholt. Du hattest die Wahl, entweder mit uns oder gegen uns nach England zu segeln. Du hast dich
gegen uns entschieden, also mußt du auch die Folgen tragen.« Das Grinsen auf Bombardes Gesicht war erloschen. »Sie hatten versprochen, mit mir zu kämpfen, mit Messern.« Unwillkürlich griff er nach der Stelle, an der gewöhnlich seine Waffe zu stecken pflegte. Natürlich war sie nicht mehr da. »Wollen Sie Ihr Wort brechen?« »Keineswegs«, antwortete Hasard kühl. »Du sollst deinen Kampf haben.« »Gut.« Bombarde hatte Mühe, ein triumphierendes Grinsen zu unterdrücken. Mit dem Messer war er unbesiegbar. In allen Mittelmeerhäfen war er als Messerkämpfer bekannt und gefürchtet. Die Silberladung würde doch noch in seinen Besitz gelangen. »Und wann kann es losgehen?« fragte er begierig. »Ich bin bereit, jederzeit.« »Aber ich nicht«, sagte Hasard. »Ich habe jetzt zu tun, dieses Schiff nach England zu bringen.« »Wollen Sie sich drücken?« Die fahlen Fischaugen Bombardes starrten Hasard drohend an. »Ich habe dir mein Wort gegeben und dir eben bestätigt, daß ich es halten werde. Sobald ich Zeit dazu habe.« »Und wann? Wann?« Bombarde öffnete und schloß seine Hände vor Erregung. »Sobald wir in Plymouth eingelaufen sind«, sagte Hasard. »Dann habe ich wieder Zeit für solche Mätzchen, vorher nicht.« Bombarde beugte sich vor, als ob er sich auf Hasard stürzen wollte, und Batuti trat unwillkürlich einen Schritt vor. »Du Hund!« Bombardes Stimme war ein heiseres Flüstern, seine Augen funkelten vor Wut. »Du erbärmlicher, dreckiger Feigling. Ich werde dir ...« Weiter kam er nicht, weil Hasard ihm den Rest der Worte in den Hals zurückschlug. Nur mit dem Handrücken, so wie man einem unverschämten Schiffsjungen eine schmiert. Aber der
Schlag war doch stark genug, um den unvorbereiteten Bombarde an die gegenüberliegende Wand zu schleudern. Und bevor er wieder auf den Füßen war, krachte die schwere Bohlentür zu, und er hörte, wie der Riegel vorgeschoben wurde. »Ihr feigen Hunde, ihr Saubande, ihr Seeräubergesindel!« brüllte er in hilfloser Wut. Aber er hörte sofort wieder auf, weil er wußte, daß es sinnlos war. Mit Toben würde er hier nichts erreichen, erkannte er. Aber er wollte heraus. »Ich werde hier herauskommen«, sagte er leise. »Kein Gefängnis hat Bombarde jemals halten können. Ich werde das Schiff und die Silberladung in meinen Besitz bringen. Und dann kannst du was erleben, Killigrew, dann wirst du für deine verdammte Arroganz büßen. Bevor ich dich umbringe, wirst du mir die dreckigen Füße ablecken, das schwöre ich dir.« Bombarde war ein erfahrener Ausbrecher. Er wußte, daß es zwei Möglichkeiten gab, auszubrechen: durch Hilfe von außen oder durch Eigeninitiative. Er war sicher, daß ihn seine Leute nicht im Stich lassen würden, daß sie ihn herausholen würden, sobald sich eine Gelegenheit dazu bot. Aber auf diese Gelegenheit konnte und wollte er sich nicht verlassen. Er begann, sein Gefängnis systematisch zu untersuchen. Der Raum war drei Schritte lang und knapp vier Schritte breit. Eine Längswand war die Bordwand, in der sich ein winziges, vergittertes Bullauge befand. Viel zu klein, um daraus zu entwischen. Und selbst wenn es ihm gelingen sollte, das Gitter herauszubrechen und das Bullauge zu vergrößern, was dann? Er konnte nur ins Meer springen. An der glatten Bordwand würde er nicht hinaufkommen. Es sei denn, er hätte einen Komplitzen auf dem Achterdeck. Mal sehen. Vielleicht. Die Seitenwand wurde in ihrer ganzen Länge von der Koje eingenommen. Darunter befand sich eine große Lade. Bombarde zog sie auf. Der Muff, den er sofort einatmete,
drang aus einem Bündel zusammengeknüllter, dreckiger Plünnen. Wahrscheinlich hatte mal einer von den spanischen Offizieren hier gehaust. Auf den Plünnen lag eine angekohlte Maiskolbenpfeife. Der Senor schien sich in der Neuen Welt das Laster des Tabakrauchens angewöhnt zu haben. Die Frontwand mit der Tür bestand aus dicken Bohlen. Ohne Werkzeug war da nichts zu machen. Die andere Wand, an der sich ein schmales Bord befand, schien nicht ganz so solide, keine Bohlen, sondern nur senkrecht verlaufende Planken. Aber das nutzte ihm nichts. Bombarde warf sich auf die Koje und schloß die Augen. Er hatte sich umgesehen und festgestellt, daß von innen nichts zu schaffen war. Bombarde war ein kühler Rechner, der seine Kräfte nicht sinnlos verbrauchte. Außerdem würde er sie sehr bald brauchen.
8. »Ist das alles?« sagte er wütend, als Stenmark ihm am Abend das Essen brachte, und starrte auf das Stück knochenharten Schiffszwieback und zwei Zwiebeln, die der blonde Schwede ihm reichen wollte. »Halbe Ration von der unseren«, sagte Stenmark. »Also, nimmst du das Zeug nun, oder soll ich es an Deck schmeißen?« Bombarde war beim Zurückschnappen des Riegels dicht an die Tür getreten und warf einen raschen Blick auf den engen Gang hinaus. Kein Mensch war zu sehen, die an Deck führende Tür stand offen. Ohne jede Vorwarnung holte er aus, um Stenmark einen kurzen Haken unter das Kinn zu schmettern und an ihm vorbeizustürzen. Aber der Schwede hatte etwas Ähnliches erwartet. Er bog nur den Oberkörper zur Seite und stellte ein Bein vor. Bombarde stolperte darüber und krachte mit dem
Kopf gegen die Gangwand. Bevor er sich von der momentanen Benommenheit erholt hatte, fühlte er sich am Kragen gepackt und flog in hohem Bogen in die Kammer zurück. Schweigend warf der wortkarge Schwede den Zwieback und die beiden Zwiebeln hinter ihm her und schlug die Tür zu. Am nächsten Morgen wartete Bombarde vergebens auf das Öffnen der Tür, als sich Schritte näherten und davor stehenblieben. Dann hörte er kräftige Hammerschläge. Die Bastarde nagelten die verdammte Tür zu! »He. Was soll das?« schrie er wütend. »Wollt ihr mich hier drin verrecken lassen?« Inzwischen war er so weit, daß er diesem Killigrew alles zutraute, und zum ersten Male in seinem Leben hatte Bombarde ehrliche Todesangst. »Halt die Schnauze.« Die Stimme kannte er. Das war der Kleine, dieser Bengel, an dem Killigrew besonders zu hängen schien. Noch ein letzter, besonders kräftiger Schlag, dann hörte das Hämmern auf. Statt dessen vernahm er nun ein knirschendes Geräusch, und ein paar Minuten später fuhr die Spitze eines breiten Zimmermannsbohrers durch den oberen Teil der Tür, wurde zurückgezogen und neu angesetzt, viermal, bis die Ecken eines knapp ein Fuß großen Quadrats zu erkennen waren. Jetzt wußte Bombarde, was sie vorhatten. Sie wollten dort ein Loch sägen, durch das sie das Fressen hereinwerfen konnten wie bei einem Tierkäfig im Wanderzirkus. Er wollte aufbrüllen vor Wut, ließ es dann aber, weil es sinnlos war, und verfolgte die hin und her fahrende Stichsäge, die sich von einem Bohrloch zum anderen durch die Bohlen fraß. Unwillkürlich hob er die Hand, um nach dem stählernen Sägeblatt zu greifen, sich ein langes Stück davon abzubrechen. Wenn er nur ein zehn Zoll langes Ende dieser Säge in seinen Besitz bringen konnte, waren alle seine Sorgen gelöst. Mit dem
Ding konnte er sich ein Loch in die Wand schneiden, er konnte es als Waffe gebrauchen, er konnte ... Er konnte nichts damit anfangen, erkannte er. Weil sie es ihm nicht lassen würden. Er ließ die Hand sinken. Aber die Versuchung blieb, und er starrte auf das hin und her fahrende Sägeblatt, bis das Holzquadrat herausgetrennt war und ihm zu Füßen fiel. »Gib das Holz raus«, sagte Dan O’Flynn. Er hätte einen Nagel hineintreiben und es festhalten sollen, dachte er jetzt. Aber er war eben kein Zimmermann, und Ferris Tucker war noch zu schwach, um diese Arbeit übernehmen zu können. »Hör zu, Junge.« Bombarde drückte sein Gesicht dicht an die herausgetrennte Öffnung. »Willst du mir einen Gefallen tun?« »Ich kann dir in die Fresse spucken, wenn es dir Spaß macht«, sagte Dan O’Flynn mit seiner kieksigen Stimmbruchstimme. Bombarde unterdrückte seine Wut. »Du sollst es auch nicht umsonst tun, Junge«, schmeichelte er. »Wer etwas für mich tut, fährt nicht schlecht dabei, da kannst du meine Leute fragen.« »Von denen hab ich aber einiges anderes gehört«, sagte Dan, während er sich bückte und das abgestellte Brett aufhob, das als Klappe dienen sollte. »Jedenfalls von denen, die jetzt bei uns mitmischen.« Bombarde schwieg ein paar Sekunden. Also doch. Und er konnte sich auch denken, wer diese Verräter waren. Die konnten was erleben, wenn er erst wieder hier heraus war. Dan hatte inzwischen die angeschlagenen Scharniere der Klappe überprüft und kramte in seiner Hosentasche nach weiteren Vierzöllern. »Kannst du nicht einem von meinen Männern bestellen, er soll mich mal besuchen?« sagte Bombarde und versuchte sein freundlichstes Lächeln an Dan. Aber es prallte ab. »Ich habe dir eben schon gesagt, was ich dich kann«, erwiderte Dan und knallte die Klappe vor die
Öffnung. Wieder dröhnten Hammerschläge, als die Scharniere mit Vierzöllern befestigt wurden, dann folgte noch die schwere Krampe für den Riegel. Fertig. Bombarde ballte wütend die Hände, als er Dans Schritte und dann das Zuschlagen einer Tür hörte. »Na warte«, murmelte er finster, »du stehst von jetzt an auch auf der Liste meiner besonderen Freunde.« Sein Blick fiel auf das herausgesägte Holzquadrat. Durch sein Reden hatte er immerhin erreicht, daß der Junge es vergessen hatte. Bombarde hob es auf und wog es prüfend in der Hand. Dicke, solide Bohlen. Wenn man damit jemandem einen Scheitel zog? Unsinn, damit war es jetzt endgültig vorbei, seit sie ihn eingenagelt hatten. Er ließ sich mutlos auf den Rand der Koje fallen und drehte das nutzlose Holzstück zwischen den Händen. Dann stutzte er, hielt es näher an die Augen, sprang auf und drehte das Holz in dem schmalen Lichtstrahl, der durch das winzige Bulleye fiel. Ja, er hatte sich nicht geirrt. Das Quadrat bestand nicht aus einem Stück, sondern im letzten Winkel befand sich der Zusammenstoß zweier Bohlen. Wenn es ihm gelang, die Nahtstelle zu teilen, ergab der schmale Teil einen handlichen Hebel, eine kurze Brechstange. Er war schon dabei, das Brett auf die Kante der offenen Lade zu schlagen, und nach knapp fünf Minuten hatte er die Nutund Federverbindung der beiden Bohlen zerschlagen. Er umklammerte den schmaleren Holzteil mit der Hand. Irgend etwas würde sich damit anfangen lassen, wußte er, er brauchte nur noch zu überlegen, was. Die Erleuchtung kam ihm an diesem Abend. Es war kurz vor Sonnenuntergang, man hatte ihm gerade sein Fressen durch die Klappe hereingeworfen, und er saß auf dem Kojenrand und kaute mißlaunig an dem harten Zwieback herum, als er plötzlich leise Stimmen hörte. Bombarde hielt mitten in der Kaubewegung inne und
lauschte. Ja, Stimmen, zwei Männer, die miteinander sprachen, in der Nachbarkammer. Bombarde ließ den Zwieback auf die Koje fallen, ging zur gegenüberliegenden Wand und preßte sein Ohr an das Holz. Er konnte nicht verstehen, was gesprochen wurde, aber er erkannte deutlich eine der beiden Stimmen: es war Killigrew. Die andere schien die des Bootsmanns zu sein, aber da war er nicht sicher. In dieser Nacht schlief Bombarde nur sehr wenig. Zunächst lag er eine Weile auf der Koje und starrte zu dem engen Bullauge hinüber, hinter dem die Sonne am westlichen Horizont verglühte. Wahrscheinlich gehörte die Nachbarkammer diesem verdammten Killigrew, überlegte er. Sah dem Burschen ähnlich. Damit er ihn auch nachts bewachen konnte. Wahrscheinlich hatte er eine Pistole griffbereit liegen, und wenn er auch nur ein verdächtiges Geräusch hörte, knallte er los. »Scheiße«, murmelte Bombarde. Doch dann weiteten sich seine fahlen Augen, und er richtete sich erregt auf. Von wegen Scheiße. Ein Glückszufall war das, der Schlüssel zu seiner Freiheit. Er hätte es beinahe nicht erkannt. Der Kapitän in der Nachbarkammer und der kurze Holzknüppel, beides an einem Tag. Er konnte es kaum fassen, daß ein Mensch innerhalb weniger Stunden so viel Schwein haben konnte. Bombarde vergaß den Rest seines Zwiebacks, stürzte zur gegenüberliegenden Wand und preßte wieder das Ohr an das Holz. Nichts. Kein Reden, kein Geräusch. Killigrew schien wieder an Deck zu sein. Ausgezeichnet. Bombarde klopfte gegen das Holz, erst sehr behutsam und vorsichtig, und als auch dann alles ruhig blieb etwas kräftiger. Ja, er hatte recht gehabt. Keine Bohlen, sondern nur Planken. Auch ziemlich solide, aber da mußte etwas zu schaffen sein, mit Geduld und einem Hartholzknüppel.
Diese Nacht verbrachte er damit, ein Ende des kurzen Knüppels von zwei Seiten anzuschleifen. Es war eine Sauarbeit, und er wetzte mehr von den weicheren Decksplanken ab als von dem Holzende. Aber kurz vor Morgengrauen hatte er es geschafft, ein Ende des Knüppels hatte jetzt eine etwa fingerdicke Kante. Erschöpft und mit schmerzenden Armmuskeln ließ Bombarde sich auf die Koje fallen. Er hörte nicht, als nach Tagesanbruch jemand die Klappe öffnete und ihm sein Essen hereinwarf. Gegen acht Uhr war Bombarde wieder wach. Nachdem er hastig den hereingeworfenen Fraß heruntergeschlungen hatte, begann er, die Trennwand zwischen den beiden Kammern genau zu untersuchen. Zwischen der dritten und der vierten Planke von der Wand war der Stoß nicht sehr sauber gearbeitet, und der Ritz war breit genug, um das angeschrägte Ende seines Knüppels hineinpressen zu können. Vorsichtig, immer wieder lauschend, begann er, den Ritz zu verbreitern und eine der Planken herauszustemmen. Ein paarmal mußte er seine Arbeit unterbrechen, als er hörte, daß jemand, wahrscheinlich Killigrew, die Kammer betrat. Glücklicherweise schien der Seewolf aber so viel zu tun zu haben, daß er sich immer nur eine oder höchstens zwei Stunden Ruhe gönnen konnte. Dennoch dauerte es zwei volle Tage, bis Bombarde merkte, daß sich die dritte Planke allmählich lockerte, und erst am Vormittag des vierten Tages auf See gelang es ihm, sie vorsichtig herauszulösen. Der Rest war dann eine Sache von knapp zwei Stunden. Und es wäre noch rascher gegangen, wenn Bombarde nicht ständig die Tür der Kapitänskammer und die Klappe in seiner Tür hätte im Auge behalten müssen. Das war sein Glück. Denn trotz seiner Aufmerksamkeit und Vorsicht wäre er einmal um ein Haar erwischt worden. Er hatte die zweite Planke aus dem Verband gelöst und
arbeitete gerade an der dritten, als er auf dem Gang Schritte zu hören glaubte. Hastig drückte er die beiden Planken wieder in den Verband, und eine Sekunde später hörte er, wie in der Nebenkammer die Tür geöffnet wurde. Bombarde lehnte sich mit dem Rücken fest gegen die gelockerten Planken und lauschte. Er spürte, wie sein Herz hämmerte und konnte vor Erregung kaum atmen, und das war ihm in seinem Leben nur sehr selten passiert. Er wußte nicht, was er tun würde, wenn der Mann nebenan Spuren seiner Tätigkeit entdecken sollte, jetzt, da er sich der Freiheit und dem Silberschatz so nahe wußte. Aber es geschah nichts. Wenige Minuten später hörte er, wie die Tür zugeschlagen wurde. Anscheinend hatte Killigrew nur etwas aus seiner Kammer geholt und war wieder gegangen. Dennoch wartete Bombarde noch über fünf Minuten, bis er es wagte, eine der gelösten Planken wieder vorsichtig herauszuheben und einen Blick in die Nachbarkammer zu werfen. Nichts. Kein Mensch. Erst jetzt atmete er richtig auf und arbeitete weiter, noch behutsamer, noch vorsichtiger als bisher, und kurz bevor man ihn das Mittagessen - diesmal eine Schüssel Reis mit Zwiebeln - brachte, hatte er es geschafft. Er schlang den dürftigen Fraß in sich hinein, und dieses Mal war es ihm gleichgültig. Er wußte ja, daß er spätestens morgen alles fordern konnte, was er wollte. Und nicht nur, was das Essen betraf. Bombarde überzeugte sich noch einmal, daß die drei gelösten Planken einigermaßen fest saßen und nicht von selbst herausfallen konnten. Dann setzte er sich auf den Kojenrand und wartete. »Auch ein Seewolf muß einmal schlafen«, murmelte er grinsend. »Und dann ...« Seine Hand tastete unwillkürlich nach dem kurzen Knüppel, den er griffbereit neben sich liegen hatte. Seine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Mehrmals
horte er an diesem Nachmittag nebenan die Tür gehen, aber Killigrew oder wer immer die Kammer betrat, schien nur etwas holen oder ablegen zu wollen, jedenfalls vernahm Bombarde kurz darauf, daß er die Kammer wieder verließ. Die Sonne sank auf den Horizont, und ihr blutrotes Licht fiel durch das winzige Bullauge herein. Es wurde dunkel. »Verdammt, wann kommt der Kerl denn nun endlich«, murmelte Bombarde wütend und ungeduldig. »Der kann doch nicht ewig auf den Beinen sein.« Erst Stunden später, nach Bombardes Schätzung mußte es nach acht oder fast neun Uhr sein, hörte er wieder die Tür klappen und fast unmittelbar darauf das leise Knarren der Koje, als sich jemand, offensichtlich todmüde, darauffallen ließ. Gut so, dachte Bombarde zufrieden, je müder, desto besser, und er wünschte Killigrew einen recht tiefen, festen Schlaf. Dennoch wartete er noch über eine Stunde, bis er sich zum Handeln entschloß. Zu vieles konnte geschehen, was er nicht voraussehen konnte: vielleicht hatte Killigrew sich nur für eine kurze Zeit hingelegt, um sich auszuruhen, vielleicht erschien jemand, um mit ihm zu sprechen oder ihn wieder auf das Achterdeck zurückzuholen. Es stand zu viel auf dem Spiel, um jetzt durch Ungeduld oder eine unüberlegte Handlung alles zu riskieren. Bombarde stand an der Plankenwand, das Ohr an das Holz gepreßt, und lauschte. Nichts, kein Geräusch. Er hielt den Atem an, als er die erste Planke herauslöste. Jetzt hörte er deutlich einen Laut, ein leises Schnarchen. Durch den schmalen Spalt blickte er in die Nachbarkammer. Eine Lampe brannte mit heruntergedrehtem Docht. In dem matten Licht sah er Killigrew auf der Koje liegen, tief im Erschöpfungsschlaf. Auf dem kleinen Bord neben der Koje lag griffbereit die Pistole des Kapitäns. Griffbereit für mich, dachte er zufrieden, als er seine Hand durch den Spalt streckte und die
beiden anderen Planken lautlos heraushob.
9. Seine nackten Füße verursachten nicht das leiseste Geräusch, als er auf Zehenspitzen zur anderen Seite der Kammer schlich, an der sich die Koje befand. Er hatte den kurzen Holzknüppel schlagbereit in der Faust, seine Augen waren gierig auf Killigrews Reiterpistole gerichtet. Killigrew lag auf der Seite, das Gesicht zur Wand gekehrt und schlief wie ein Toter. Als Bombarde sicher war, daß sein Opfer nicht mehr schneller reagieren konnte als er, sprang er auf die Koje zu, ließ im Sprung den Knüppel fallen und riß die Pistole vom Bordbrett. Trotz seiner tiefen Erschöpfung schreckte Hasard durch das Geräusch aus dem Schlaf. Er war sofort hellwach, erkannte den Angreifer und schnellte mit vorgestreckten Händen auf ihn zu. Aber es war zu spät. Er spürte einen harten Schlag auf seinem Kopf, als der schwere Lauf der Reiterpistole ihn traf, und dann versank er in ein tiefes Dunkel. Bombarde grinste zufrieden und überzeugte sich, daß er den Schlag richtig dosiert hatte, daß Killigrew für einige Zeit weggetreten war, aber nicht tot. Er brauchte ihn lebend, wenn sein Plan klappen sollte. Ein toter Seewolf war kein Faustpfand mehr. Ja, er lebte noch, stellte Bombarde erleichtert fest. Er sprang zur Tür und vergewisserte sich, ob der Riegel vorgeschoben war. Jetzt folgten die kritischen Minuten, in denen ihn auf keinen Fall jemand stören durfte. Er stieg in seine eigene Kammer zurück, riß die hinterlassenen Klamotten des früheren Bewohners aus der Lade, zerfetzte sie zu soliden Streifen und fesselte Hasard
damit. Er tat das sehr umsichtig und mit unverkennbarer Routine: die Hände auf den Rücken, und die Fessel so stark angezogen, daß sich das Blut etwas staute. Selbst wenn es Killigrew gelingen sollte, sich zu befreien, würden seine Hände über eine Minute lang gefühl- und wirkungslos sein. Auch in den Beinen sorgte eine stramme Fessel für Blutstau. Außerdem band er sie noch am inneren Kojenende fest. Er war gerade damit fertig, als er merkte, daß Killigrew wieder zum Bewußtsein erwachte. Es blieb ihm gerade noch Zeit, ihm einen Knebel zwischen die Zähne zu schieben, um ihn am Schreien zu hindern. Mit dem Bewußtsein kehrte schlagartig auch die Erinnerung zurück, und Hasard wollte sich von der Koje schnellen. Als er den Widerstand der Fesseln an Armen und Beinen spürte, den ekligen Geschmack des dreckigen Fetzens in seinem Mund, spannte er seine gewaltigen Muskeln an, um die Fesseln zu sprengen. »Nichts zu machen, Killigrew«, hörte er eine höhnische Stimme. »Im Fesseln bin ich Meister.« Aber Bombarde war doch vorsichtshalber bis zur Tür zurückgewichen und richtete die Reiterpistole auf Hasard. Ihm war alles andere als wohl, als er zusah, wie der Seewolf immer wieder versuchte, die Fesseln zu sprengen, wie er seine ganze Kraft dazu einsetzte, bis die Adern aus der Haut traten. Erst als er einsah, daß mit Kraft nichts zu ändern war, gab er es auf und starrte Bombarde an. Bombarde atmete erleichtert auf und ließ die Pistole sinken »So ändern sich die Zeiten«, sagte er höhnisch, blieb aber sicherheitshalber noch immer in gehörigem Abstand bei der Tür stehen. »Das Schiff und die Ladung gehören jetzt wieder mir.« Er grinste breit. »Wenn du keinen Knebel im Maul hättest, würdest du mich jetzt sicher fragen, wieso ich das so bestimmt behaupten kann, was? Aber das sage ich dir nicht. Du wirst dich jetzt in christlicher Geduld üben. Ich habe auch
verdammt lange geduldig sein müssen in dem Loch. Aber eins kannst du jetzt schon wissen: in spätestens drei Stunden geht dieser Kahn auf Südkurs, Richtung Algier. Wetten?« Aber er hätte die Wette verloren. Als es auf Mitternacht zuging, dem Zeitpunkt der Wachablösung, stellte er sich einen Hocker seitlich zwischen Tür und Koje, so daß er mit der Pistole sowohl Hasard als auch den Eintretenden in Schach halten konnte. »So, noch ein paar Minuten, dann ist alles geritzt«, sagte er grinsend zu Hasard. Dann stand er hastig auf. »Verdammt, beinahe hätte ich vergessen, den verdammten Riegel aufzuziehen. Du schließt dich sicher niemals ein, so wie ich dich kenne. Dann wären die Burschen am Ende mißtrauisch geworden.« Er zog den Riegel zurück. Er sah, wie Hasard krampfhafte Schluckbewegungen machte. »Bißchen unangenehm, der Knebel, was? Man kriegt einen trockenen Hals mit der Zeit, und ein Stück dreckige Unterhose von einem Don ist sicher auch nicht jedermanns Geschmack. Aber das ist bald vorbei. Sobald jemand erscheint, um dich zu wecken, kann das Ding raus. Verdammt, jetzt müßte doch bald jemand aufkreuzen!« setzte er hinzu. Diese Warterei zerrte an seinen Nerven. Er wurde fast verrückt, als Stunde um Stunde verging, ohne daß sich jemand meldete. Sollten die Leute den Braten gerochen haben? Sollte sein so sauber eingefädelter Plan am Ende doch noch scheitern? Bombarde tigerte nervös in der Kammer auf und ab Am liebsten hätte er geschrien und getobt. Aber das getraute er sich nicht. Genausowenig wie er dem immer dringender werdenden Verlangen nachgeben konnte, den Seewolf die Fresse zu polieren, als er den amüsierten Ausdruck in dessen Augen sah. Dabei war Philip Hasard Killigrew alles andere als amüsiert. Er wußte, was Bombarde vorhatte: Er wollte ihn als Geisel
benutzen, um seine Crew zu erpressen. Er wußte auch, daß seine Männer alles tun würden, um das Leben ihres Kapitäns zu retten, so wie Hasard immer und zu jeder Zeit alles für seine Männer getan hatte und tun würde. Hasard starrte den immer nervöser werdenden Bombarde an und amüsierte sich im stillen über dessen Nervosität. Mit einem Satz hätte er ihm erklären können, warum um Mitternacht niemand erschienen war, um ihn aufs Achterdeck zu holen: Ben Brighton wollte, daß er einmal wieder richtig ausschlief und ging die Mitternachtswache für ihn. Aber diesen Akt von Rücksicht und Kameradschaft hätte ein Mann wie Bombarde niemals verstanden. Leider nutzte dieses Wissen Hasard wenig, und es war nicht einmal ein Trost in seiner Lage. Während Bombarde seine Nerven verschließ, zermarterte er sich den Kopf nach einem Ausweg. Er konnte sich nicht damit abfinden, diesem Banditen Schiff und Ladung kampflos zu überlassen. Es ging ja noch um viel mehr als ein paar Tonnen Silber, es ging um das Leben seiner Männer und um ihre und seine Erhaltung als eingespielte Kampfeinheit der Königin von England. Aber so lange und gründlich er auch nachdachte, es gab keinen Ausweg, solange Bombarde ihm die Pistole an den Kopf setzen konnte. Wenn es nicht jemandem gelang, ihm die Pistole abzuluchsen. Schritte auf dem Gang, näher kommende Schritte. Bombarde stieß vor Erregung den Hocker um, als er aufsprang und sich seitlich hinter die Tür stellte. »Ruhe!« zischte er, als ob er Hasard zutraute, selbst mit Knebel noch schreien zu können. Die Schritte hielten vor der Tür, dann wurde die Klinke vorsichtig heruntergedrückt und die Tür auf gestoßen. »Sir?« Der blonde Stenmark trat in die Kammer. Im matten Licht der Lampe erkannte er erst nach Sekunden, daß der Kapitän gefesselt und geknebelt auf der Koje lag,
Sekunden zu spät. »Keine Bewegung!« sagte eine Stimme hinter ihm. Stenmark fuhr herum, erkannte Bombarde und wollte sich auf ihn stürzen. Bombarde stieß einen Fluch aus und schlug ihn mit dem Pistolenlauf nieder. »Idiot«, zischte er wütend, und ihm war selbst nicht klar, ob er den Blonden meinte oder sich selbst. Er drückte die Tür zu und begann hastig, Stenmark zu fesseln. Ein Segen, daß der Don reichlich Plünnen in der Lade hinterlassen hatte, dachte er dabei. Sonst würde er jetzt ganz schön auf Stützen stehen. »So, und jetzt warten wir auf Nummer zwei«, sagte er dann zu Hasard. »Hoffentlich ist der nicht genauso voreilig wie dieser hier.« Er stieß den bewußtlosen Stenmark mit dem Fuß an. »Du fragst dich jetzt sicher, warum ich ihn nicht abgeknallt habe, was? Nicht aus Angst vor dem Krach. Und auch nicht aus Menschenliebe. Ich brauche ihn noch, ihn und dich und alle anderen. Meine Leute sind zum Teil ganz brauchbare Banditen, aber Seeleute sind sie nicht. Mit denen würde ich vielleicht irgendwo am Arsch der Welt landen, aber niemals in Algier. Lebensversicherung, für mich und für euch, das ist alles.« Er grinste überlegen. Hasard starrte auf die Tür und fragte sich, wen Ben als nächsten schicken würde, wenn Stenmark nicht zurückkehrte, und ob er merken würde, daß etwas faul war. Und ob Bombarde begriffen hatte, daß ihn ein sehr schwerer Fehler unterlaufen war, oder ob er ihn wiederholen würde. Wenn ja, dann bestand eine reelle Chance, ihn zu überwältigen. Bombarde hatte es begriffen. Als wenige Minuten später wieder Schritte über den Gang dröhnten, stellte er sich nicht hinter die Tür, sondern trat an die Koje und drückte Hasard die Mündung der Pistole an die Schläfe. Noch bevor Ben Brighton einen Schritt in die Kammer getan hatte, sagte Bombarde: »Keine falsche Bewegung, sonst hat der
Seewolf ein Loch im Kopf!« Ben Brighton erfaßte die Situation mit einem Blick. Betont langsam trat er noch einen Schritt vor, um die Tür hinter sich zu schließen. Wenn jemand jetzt zufällig vorbeiging und sah, was los war, konnte er sofort einen Rettungsversuch unternehmen und dabei Hasards Leben gefärden. »Was willst du?« fragte Ben Brighton ruhig, nachdem er sich überzeugt hatte, daß Hasard noch lebte. »Na also.« Bombarde grinste zufrieden. »Dieser Ton gefällt mir schon besser. Es geht eben nichts über eine kleine Erpressung, wie?« »Was du hier tust, ist Meuterei«, sagte Ben Brighton hart. »Und du weißt, was darauf steht.« Bombardes Grinsen erlosch, und seine Fischaugen starrten den Bootsmann drohend an. »Jetzt bin ich hier der Kapitän, und auf Meuterei steht der Tod. Sein Tod.« Er preßte die Pistolenmündung hart an Hasards Schläfe. »Dann bist du auch erledigt«, versuchte Brighton, ihn einzuschüchtern. »Damit kannst du mich nicht fangen«, sagte Bombarde höhnisch. »Ich weiß genau, daß euch ein lebender Killigrew zehnmal mehr wert ist als ein toter Bombarde.« »Tausendmal. Und selbst das wäre noch eine Untertreibung.« Ben Brighton blickte Bombarde abschätzend an und maß die Entfernung zwischen seinem Standpunkt und ihm. Nein, es hatte keinen Sinn. Vielleicht konnte er es schaffen, aber es war zu riskant. »Also, was willst du für die Freiheit unseres Kapitäns?« Jetzt zog das überlegene Grinsen wieder über Bombardes fahles Gesicht. »Von seiner Freiheit war vorerst gar nicht die Rede. Die kriegt er erst wieder, wenn ihr eine Weile schön brav gewesen seid. Vorerst einmal solltest du fragen: was willst du für sein Leben. Hier meine Antwort: Wenn das Schiff nicht in spätestens zehn Minuten auf Südkurs liegt, hat er ein Loch im
Kopf, klar?« Ben Brighton blickte von Bombarde zu Hasard. Hasard nickte als Zeichen dafür, daß im Augenblick nicht an Widerstand zu denken war. »Gut. Wir gehen auf Südkurs«, sagte Ben Brighton widerwillig. »Na also«, sagte Bombarde grinsend. Dann wurde sein Gesicht wieder hart. »Aber versucht nicht, mich anzuschmieren. Ich verstehe zwar nicht viel von der Seefahrt, aber ich weiß immerhin, wo die Sonne stehen muß, wenn wir nach Süden segeln. Falls ich jemals etwas Faules riechen sollte ...« »... hat der Seewolf ein Loch im Kopf, ich weiß. Du langweilst mich allmählich mit deinen Sprüchen. Laß dir doch mal was anderes einfallen.« Ben Brighton wandte sich zum Gehen. »Halt! Glaubst du etwa, das sei alles? Nur eine kleine Kursänderung für euren geliebten Kapitän?« Ben Brighton blickte ihn schweigend an. »Sobald das Schiff auf Südkurs liegt, schickst du mir einen von deinen Leuten herunter. Den kleinen Lümmel wirst du schicken - mit einem Hammer und einer Handvoll Vierzollnägel. »Man darf das doch nicht so unordentlich lassen, nicht wahr? Und etwas zu essen soll er auch mitbringen, aber etwas Richtiges. Schiffszwieback, Reis und Zwiebeln hängen mir zum Hals heraus. Und eine Flasche von dem spanischen Wein. Nimm diesen Kerl mit, wenn du gehst.« Er stieß den bewußtlosen Stenmark mit dem Fuß an. »Na los, auf was wartest du noch?« Schweigend lud sich Ben Brighton den gefesselten Stenmark auf die Schulter und verließ die Kammer. »Zehn Minuten, klar?« rief Bombarde ihm nach, dann sprang er zur Tür, drückte sie zu und schob den Riegel vor. »So, und jetzt können wir auch den Knebel wieder
herausnehmen«, sagte er und trat grinsend auf Hasard zu. »Na, das ist wie Weihnachten, was?« sagte er, als er Hasard von dem dreckigen Fetzen befreit hatte. »Und jetzt rede mit mir. Mir ist langweilig.« Philip Hasard Killigrew spuckte ihm vor die Füße.
10. Die zwölf Männer des Seewolfs standen und hockten auf dem Achterdeck. Sie hatten sich um den Kolderstock versammelt, damit auch der Rudergänger - es war Gary Andrews’ Wache an der Besprechung teilnehmen konnte. Dies war eine Sache, die jeden einzelnen von ihnen betraf, hatte Ben Brighton entschieden. Jetzt stand die Sonne bereits hoch über der Kimm. Die anfängliche Erregung über Bombardes Schachzug war nüchterner, sachlicher Überlegung gewichen, wie man den Kapitän befreien konnte, ohne sein Leben zu gefährden. Aber obwohl fast jeder irgendeinen mehr oder weniger verwegenen Rettungsplan vortrug, wurden alle schließlich als undurchführbar oder zu gefährlich wieder verworfen. »Hat keinen Zweck, weiter zu grübeln, Leute«, sagte Ben Brighton schließlich und blinzelte müde in die Sonne, die jetzt an Backbord stand, seit das Schiff auf Gegenkurs gegangen war. »Mit Gewalt läßt sich so was nicht hinkriegen. Wir werden von jetzt an die Augen und Ohren offenhalten. Ich erwarte von euch, daß ihr Tag und Nacht darüber nachdenkt, wie wir unseren Kapitän da herauspauken können. Denkt daran, daß er euch von der ›Tortuga‹ heruntergeholt hat. Jetzt sind wir dran, etwas für ihn zu tun.« Die Männer rührten sich nicht. Keiner von ihnen wollte sich damit abfinden, nichts, absolut nichts unternehmen zu können,
um dem Seewolf zu helfen. »Wenn wir ihn wenigstens mal aus der Kammer locken könnten«, ließ Blacky sein Wunschdenken laut werden. Batuti schüttelte den wolligen Kopf. »Das Kerl nicht kommt raus. Sitzt in Kammer wie Löwe mit frisch geschlagener Beute.« Ben Brighton nickte. »Batuti hat völlig recht«, sagte er. »Dieser Bastard ist leider zu intelligent, sich eine Blöße zu geben.« Er hatte erkannt, daß Bombarde ein eiskaltes Spiel spielte und seinen Einsatz durch nichts und niemanden gefährden lassen wollte. Deshalb der Alleingang, bei dem er nicht einmal seine Anhänger einsetzte. Batutis Vergleich war sehr treffend: Bombarde hockte wie ein Löwe über seiner Beute und wußte genau, daß er ihrer und seiner nur sicher war, solange er die Höhle nicht verließ. Sie würden einen anderen Weg finden müssen.
Ben Brightons Vermutung war völlig richtig: Bombarde rührte sich nicht aus der Kammer heraus. Er hatte noch am selben Morgen die drei Planken mit Vierzollnägeln wieder befestigt, so daß es nur einen Zugang gab, den er ständig im Auge behalten konnte. Auch sonst hatte er alle nur erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen ergriffen. Er wußte, wenn Ben Brighton und die anderen etwas unternehmen würden, mußten sie versuchen, ihn im Schlaf zu erwischen. Also würde er auf dem Hocker schlafen, den er sich jetzt im günstigsten Winkel zwischen Tür und Hasards Koje an die Trennwand geschoben hatte. Aber als er am Abend dieses ersten Tages in Freiheit eingeschlafen war, rutschte ihm der Hocker unter dem Hintern weg und er krachte zu Boden. Fluchend sprang er auf und schrie aus dem Bullauge nach
Dan O’Flynn. Da es eine Weile dauerte, bis der Junge erschien, stauchte er ihn zusammen und hätte ihm bestimmt auch eine geschmiert, wenn er sich getraut hätte, Dan so nahe zu geraten. Er sah die mühsam beherrschte Wut in den Augen des Jungen. Dan war noch nicht so erwachsen, daß er seine Gefühle beherrschen konnte. Daher war er unberechenbar und gefährlich. »Bring mir noch ein paar Nägel«, sagte Bombarde schließlich. »Und einen dünnen Tampen mit ‘ner Glocke oder irgendwas, das laut scheppert. Ich habe keine Lust mehr, mir die Kehle heiser zu schreien, wenn ich was will. Ab morgen wird gescheppert, und wenn du in zwei Minuten nicht hier bist ...« »... hat der Kapitän ein Loch im Kopf, ich weiß.« »Dein Kopf würde mit einem Loch vielleicht auch ganz hübsch wirken«, sagte Bombarde grinsend. »Verschwinde.« Dan O’Flynn blieb noch ein paar Sekunden stehen. »Kann ich etwas für dich tun, Sir?« Hasard schüttelte ungeduldig den Kopf. »Hast du nicht gehört, was ich dir gesagt habe?« Bombarde schwang den rechten Fuß zurück, als ob er nach Dan treten wollte, und Hasard hoffte, daß er es wirklich tun würde. Aber der Bandit hielt sich im letzten Moment zurück. Er wußte, daß er sich damit eine villeicht tödliche Blöße geben würde. Dan stöhnte beinahe vor Enttäuschung, als Bombarde einen Schritt zurücktrat. »Das hätte dir so gepaßt, was?« Der Bandit grinste höhnisch. »Hau ab!« Als Dan kurz darauf mit Nägeln und einer Glocke am Tampen zurückkehrte, sagte Bombarde: »Stell die Glocke neben die Tür.« Er wartete, bis Dan es getan hatte. Dann nahm er den zweipfündigen Hammer auf, den er zurückbehalten hatte. Er wog ihn ein paar Sekunden lang zögernd in der Hand. Das
Ding in der Hand dieses Jungen konnte verdammt gefährlich sein. Ein gutgezielter Wurf, und er war erledigt. »Bevor du triffst, ist dein Kapitän hin«, sagte er warnend, als er sich auf den Kojenrand setzte und Hasard die Pistolenmündung an die Schläfe drückte. Dann stieß er den Hammer mit dem Fuß in Richtung Tür. »Nagle die Beine von dem Hocker an Deck fest«, sagte er zu Dan. »Das Ding rutscht immer weg, wenn ich pennen will.« Dan O’Flynn hob den Hammer auf und wog ihn prüfend in der Hand. »Keine Dummheiten, Dan«, sagte Hasard und blickte Dan in die Augen. »Denk lieber ein bißchen nach.« Als er die Verwirrung im Gesicht des Jungen sah, fügte er hinzu: »Nicht jetzt, dazu ist später genügend Zeit.« »Aye, aye, Sir.« Dan begriff kein Wort, aber er gehorchte seinem Kapitän wie immer. Schweigend kniete er sich neben den Hocker, nahm die Nägel aus der Tasche und hob den Hammer. »Paß auf, daß du den Hocker nicht verschiebst, Dan«, sagte Hasard und versuchte, den höhnischen Klang seiner Stimme überzeugend hinzukriegen. »Mister Bombarde ist darin sehr eigen. Der Hocker muß in einem genauen Winkel stehen, damit er mich und die Tür gleichzeitig kontrollieren kann. Genau einen Fuß von der Wand entfernt. Wir wollen doch, das Mister Bombarde bequem schlafen kann, nicht wahr?« Bombarde grinste. »Mir scheint, als ob du allmählich vernünftig würdest, Killigrew. Wurde auch Zeit. Wenn dein Verstand noch ein bißchen mehr auftaut, könnte sogar was aus dir werden. Einen guten Skipper könnte ich gebrauchen.« Er fuhr Dan O’Flynn an: »Na, was glotzt du mich so an! Hast du nicht gehört, was dein Kapitän dir gesagt hat!« Dan begriff überhaupt nichts mehr. Es war doch unmöglich, daß sein Kapitän sich irgendwie mit diesem miesen Banditen einlassen konnte. In den höhnisch vorgetragenen Worten mußte
irgendein versteckter Sinn liegen, irgendeine Botschaft. Aber er begriff sie nicht. Schweigend begann er, die vier Füße des Hockers an Deck festzunageln. »Na also«, sagte Bombarde befriedigt, als Dan sich aufrichtete. »Ich glaube, du kannst ein ganz williges Bürschchen sein, wenn man dich richtig anfaßt.« Er grinste Dan an. »Zurück zur Tür.« Als Dan zwei Schritte zurückgegangen war, ging Bombarde zu dem Hocker und rüttelte daran. Die Vierzöller hielten ihn unverrückbar fest. »Du bist wirklich brauchbar, Kleiner«, sagte Bombarde. »Ab morgen werde ich klingeln, wenn ich etwas haben will. Dann wirst du hier antraben, verstanden? Ich will keinen anderen sehen als dich.« Er vollführte eine Bewegung, als ob er ein Insekt verscheuchen wollte. »Verschwinde!« Dan O’Flynn warf Hasard noch einen unsicheren Blick zu. »Gute Nacht, Sir«, sagte er dann und zog die Tür auf. »Bis morgen, du Kröte«, sagte Bombarde, als er den Riegel vorschob.
Die Lagebesprechung fand wie immer am Kolderstock auf dem Achterdeck statt. Dan war so aufgeregt, daß er fast geheult hätte. »Ich hatte so gehofft, dieser Bastard würde mir in den Arsch treten. Ich hätte seinen verdammten Fuß gepackt und ihn an Deck geknallt und ...« »Für ›hätte‹ gibt der Trödler nichts«, unterbrach Ben Brighton mit ruhiger Stimme. »Der gerissene Hund hat also nicht nach dir getreten. Und dann?« »Dann hat er verlangt, daß ich ihm den Hocker an Deck festnagele, damit er bequem pennen kann, ohne den Kapitän und die Tür aus dem Auge zu lassen.«
»Das erscheint mir zwar recht schwierig, wenn man die Klüsen geschlossen hat«, sagte Ben Brighton amüsiert, »aber dennoch. Und dann?« »Dann passierte etwas sehr Merkwürdiges«, fuhr Dan O’Flynn fort. »Der Kapitän sagte mir, ich sollte den Hocker genauso stehen lassen, wie Bombarde ihn hingestellt hätte, damit er es recht bequem habe. Begreift ihr das?« »War sicher nur eine ironische Bemerkung«, sagte Smoky nach einer Weile. Ben Brighton schüttelte den Kopf. »Der Seewolf macht keine ironischen Bemerkungen. Wenn er etwas sagt, liegt ein bestimmter Sinn darin.« »Aber was für ein Sinn?« sagte Stenmark erregt und griff nach der taubeneigroßen Beule, die Bombarde ihm gestern geschlagen hatte. Ben Brighton blickte von einem der Männer zum anderen. Zu Pete Ballie am Ruder, dem Kutscher, der noch immer nicht ganz dabei war, Matt Davies, der nachdenklich seine Prothese massierte, Ferris Tucker, Gary Andrews, Blacky, Dan O’Flynn, Smoky, Al Conroy, schweigsam und nachdenklich wie immer, zu Batuti, dessen fröhliches Grinsen sie seit gestern vermißten, und dem blonden Stenmark. Sie hielten alle die Köpfe gesenkt und starrten schweigend vor sich hin, als schämten sie sich, jetzt, da es darauf ankam, für ihren Kapitän etwas zu tun, nicht einmal eine Idee zu haben, wie man ihn befreien konnte. »Dan«, sagte Ben Brighton ruhig, »ich bin sicher, daß Hasard uns irgendeine Botschaft zuspielen, wollte, daß irgendein verborgener Sinn in seinen Worten liegt. Versuche, dir die Szene noch einmal ganz genau vor Augen zu führen, in allen Einzelheiten. Was hat der Kapitän gesagt? Gib uns noch einmal den genauen Wortlaut.« Der kleine Dan O’Flynn stützte den Kopf in die Hände und schloß die Augen, um sich konzentrieren zu können. Und es gelang ihm auch, die vergangenen Erlebnisse in sein
Gedächtnis zurückzurufen. »Er sagte: ›Keine Dummheiten, Dan. Denk lieber ein bißchen nach.‹» Die anderen Männer starrten ihn so gespannt und mit angehaltenem Atem an wie gläubige Geisterseher, die den Offenbarungen eines Mediums lauschen. »Er sagte: ›Du darfst den Hocker nicht verschieben, Dan. Mister Bombarde ist darin sehr eigen. Der Hocker muß in einem genauen Winkel stehen, damit er mich und die Tür gleichzeitig kontrollieren kann. Genau einen Fuß von der Wand entfernt ...‹« »Das wissen wir doch alles schon«, sagte Blacky ungeduldig. »Kannst du uns nicht etwas Neues ...« »Halt’s Maul, Blacky!« fuhr Ben Brighton ihn an. Dann wandte er sich an Dan O’Flynn. »Und weiter?« Dan hatte sich wieder aufgerichtet. »Weiter nichts. Er sagte nur noch: ›Wir wollen doch alle, daß Mister Bombarde gut schlafen kann.‹ Versteht ihr das?« Wieder die ratlosen Blicke von einem zum anderen. Bis Ferris Tucker in seiner langsamen, bedächtigen Art sagte: »Genau einen Fuß von der Wand entfernt, hat er gesagt, Dan?« Und als der Junge nickte: »Er will uns eine Ortsbeschreibung geben, uns genau sagen, wo Bombardes Hocker unverrückbar steht, wo er schläft.« Eine ganze Weile herrschte Schweigen. »Mensch«, sagte dann Stenmark leise, fast ehrfürchtig. »Also gut«, fuhr Batuti ihn ungeduldig an. »Nun wissen, wo Löwe hockt in Höhle. Und was?« Ben Brighton blickte nachdenklich zum Bild des Großen Bären hinauf, das ihnen so lange die Richtung in die Heimat gewiesen hatte und jetzt über dem Heck stand. »Der Kapitän hat uns damit sagen wollen, daß wir auf die gleiche Weise in seine Kammer vordringen sollen wie Bombarde, aus einem anderen Raum - und zwar von unten.«
»Das ist doch Mist«, sagte Smoky ungeduldig. »Wie sollen wir denn von unten an diesen Mistkerl heran? Wir könnten höchstens eine Ladung Pulver zünden und alle beide damit hochjagen. Oder eine Drehbasse runterbringen und den ganzen Laden ...« »Keine Drehbasse«, unterbrach Ferris Tucker mit ruhiger Stimme. »Aber eine Muskete.« »Und wie willst du eine Bleikugel durch die Decksplanken jagen?« fragte Smoky ironisch. »Man könnte ein Loch bohren, genau unter dem Stuhl.« »Mensch, Ferris!« Ben Brighton sprang,auf und schlug ihm begeistert auf die Schulter. Es war die verwundete Stelle, und Ferris Tucker verzog das Gesicht vor Schmerz. »Das ist es, was der Kapitän uns mitteilen wollte«, fuhr Ben Brighton fort. »Wir müssen den genauen Standort des Hockers wissen.« Er wandte sich an O’Flynn. »Dan, das wirst du übernehmen.« »Das weiß ich auch so«, sagte Dan O’Flynn selbstsicher. »Das Ding steht einen Fuß von der Trennwand und ungefähr vier Fuß von der Tür entfernt.« »Genau habe ich gesagt«, bremste ihn Ben Brighton, »nicht ungefähr.« »In Ordnung.« Dan O’Flynn stand mürrisch auf. Er vertrug es noch nicht, wenn man seiner kindlichen Begeisterung einen Dämpfer aufsetzte. »Wie genau darf’s denn sein? Genügen Zoll, oder hättest du es gern noch kleiner?« »Du weißt genau, wie ich es meine, Dan.« Jetzt, da es um den Kapitän ging, hatte Ben Brighton keinen Sinn für irgendwelche Kindereien. »Wir müssen sicher sein, daß die Kugel genau sitzt und Bombarde nicht nur am Bein ankratzt.« »Gut, gut, ich kriege das schon hin, wenn er das nächste Mal nach mir schreit.« »Ab jetzt klingelt der feine Herr«, sagte Smoky grinsend.
11.
Er klingelte ein gutes Dutzend mal im Laufe des nächsten Tages, weil ihn das neue Spielzeug Spaß bereitete, und weil er es genoß, in einer Machtposition zu sein und andere Leute auf Trab halten und schikanieren zu können. Der Kutscher tobte und fluchte, wenn Dan O’Flynn immer wieder in der Kombüse aufkreuzte, um ihm die neuesten Wünsche Bombardes zu übermitteln. »Schade, daß wir kein Gift an Bord haben«, sagte er zu Ben Brighton, als der zu ihm in die Kombüse trat. »Du vergißt, daß er immer dem Kapitän etwas davon gibt, bevor er sich selbst bedient«, sagte Ben Brighton. »Was will er denn jetzt schon wieder?« Der Kutscher hob den Deckel vom Topf. »Irisch Stew. Das ist unser letztes Salzfleisch, und sonst ist auch nicht mehr viel da. Wenn das so weitergeht, sind wir in vier Tagen am Ende.« »Es geht nicht mehr lange so weiter«, sagte Ben Brighton ruhig, »so oder so.« Er blieb in der Nähe der Kombüse, bis Dan erschien, um das Essen in die Kapitänskammer zu bringen. »Du weißt, was du zu tun hast, Dan«, sagte er leise. »Denk daran, daß jetzt alles von dir abhängt.« Dan nickte schweigend, nahm die Schüssel mit dem Stew in beide Hände und sagte zu dem Kutscher: »Klemm mir noch eine Flasche Wein unter den Arm.« »Wozu denn Wein? Er hat doch gar keinen verlangt?« »Halt den Sabbel und tu, was ich dir sage.« Der Kutscher zuckte mit den Schultern und maulte etwas vor sich hin, als er eine Flasche holte und sie Dan O’Flynn unter den rechten Arm schob. »Unter den anderen, du Idiot«, fuhr Dan ihn an. »Als ob das nicht egal wäre.«
»Ist es eben nicht«, sagte Dan O’Flynn fast giftig und schob ab. »Jetzt fängt der auch schon an, durchzudrehen«, sagte der Kutscher kopfschüttelnd, als er ihm nachblickte. »Eine Flasche Wein, die gar nicht bestellt ist, und dann unter den linken Arm. Der tickt doch nicht richtig, Ben.« Der Bootsmann zog nachdenklich die Brauen zusammen. »Dan tickt richtiger als wir alle zusammen, Kutscher«, sagte er leise. »Hoffentlich ...«
Der kleine Dan merkte, daß seine Hände zitterten, als er den Pott mit Bombardes Stew über den Gang trug und vor der Kammertür stehenblieb. Sein Plan war so simpel und so durchsichtig, daß Bombarde ihn durchschauen mußte. Kein Mensch konnte so dämlich sein, um nicht zu merken, was er mit dem plumpen Manöver beabsichtigte. Er atmete einmal tief durch, bevor er anklopfte. »Wer ist da?« hörte er Bombardes Stimme. »Dan. Ich bringe das Stew.« »Bist du allem?« Diese Frage stellte Bombarde jedesmal. »Ja.« »Gut. In fünf Sekunden kommst du herein.« Auch das war Routine. Das gab Bombarde reichlich Zeit, um die Tür aufzuriegeln und sich wieder auf seinen Hocker zu setzen. Dan hörte den Riegel zurückschnappen und wartete, bevor er die Tür mit dem rechten Ellenbogen aufdrückte. »Wo bleibst du denn so lange«, fuhr ihn Bombarde sofort an. »Kann der verdammte Koch nicht mal ein einfaches Stew ...« Er sprang auf, als Dan O’Flynn die Tür mit dem linken Ellenbogen zudrücken wollte und sich dabei so ungeschickt anstellte, daß die Weinflasche unter seinem Arm herausrutschte und splitternd an Deck knallte, und zwar genau zwischen
Hocker und Tür. »Verdammter Trottel! Kannst du nicht aufpassen?« Bombarde hielt die Pistole auf Dans Kopf gerichtet. »Entschuldige, kann ja mal passieren«, maulte Dan und stellte die Schüssel mit dem Stew zu Boden. »Ich bring den Dreck gleich wieder weg.« »Ich sollte dich als Putzlappen benutzen, um das Zeug aufzuwischen«, sagte Bombarde giftig. »Na, auf was wartest du noch?« Dan mimte trotziges Schweigen, als er sein zerfetztes Hemd auszog und sich auf den Boden kniete. »Erst den Riegel vor, du Idiot! Wenigstens das solltest du inzwischen gelernt haben!« Plötzlich trat ein mißtrauischer Ausdruck in Bombardes bleiches Gesicht. »Sag mal, war dieser Unfall etwa nur ein Trick, um die Tür offenzulassen?« Er trat vorsichtig zwei Schritte zurück, und Dan sah, wie sich sein Finger um den Abzug der Pistole krümmte. »Laß den Jungen in Ruhe«, sagte Hasard ruhig. »Dan, schieb den Riegel vor und sieh zu, daß du den Dreck wegräumst.« »Aye, aye, Sir.« Dan verriegelte die Tür, und Bombardes Haltung entspannte sich. Aber das Mißtrauen blieb. Aufmerksam verfolgte er jede Bewegung Dans, als dieser mit den Händen die Scherben auflas, in seine Tasche gleiten ließ und dann den vergossenen Rotwein mit seinem Hemd aufwischte. Dan fühlte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Nicht wegen der Arbeit, sondern weil er sicher war, daß Bombarde seine Methode sehr merkwürdig finden mußte. Welcher normale Seemann wischt denn etwas auf, indem er den Fetzen nur auf den Boden drückt und dabei eine Hand neben die andere legt. Dreizehn, vierzehn, fünfzehn - und eine halbe zwischen Hockerbeinen und Tür. »Hör mal, du Wanze«, hörte er Bombardes Stimme. »Was soll diese Fummelei?«
Dan blickte auf und versuchte, ein dämliches Gesicht zu schneiden. »Wieso Fummelei?« Es mußte ja so kommen. Er hatte gewußt, daß Bombarde ihn durchschauen würde. »Nicht einmal das Feudeln hast du bei Killigrew gelernt«, sagte Bombarde höhnisch. »Da drüben ist auch noch Dreck. Hast du keine Augen im Kopf?« »Hab’s wohl übersehen«, sagte Dan O’Flynn mürrisch und rutschte auf den Knien näher zum Hocker. »Himmelarsch« jetzt wischt er den Mist auch noch breit!« Dan O’Flynn hatte die letzte Weinlache hinter den Hocker gefeudelt. Und weil Dan jetzt auf Händen und Knien ziemlich wehrlos war, trat er ihm kräftig in den Hintern. Dan fiel nach vorn über, in die Weinlache zwischen Hocker und Wand, und er mußte sich mehrmals vom Boden abstemmen, um sich wieder aufzurichten. Vier Handbreiten und ein bißchen, registrierte er dabei. Und fünfzehneinhalb bis zur Tür. »Na, was ist?« Bombarde blickte höhnisch grinsend von O’Flynn zu Hasard. »Kein Protest? Keine wilden Drohungen? Anscheinend habe ich euch jetzt schön weichgeklopft, was? Kein Widerstand mehr, der Saft ist raus, wie?« Er lachte triumphierend. »Aber das schaffe ich immer. Auch ein Seewolf ist Bombarde auf die Dauer nicht gewachsen.« Das triefende Hemd in der Hand schlurfte Dan O’Flynn zur Tür, ohne Hasard oder Bombarde anzusehen. »Halt!« rief Bombarde ihn zurück. »Wer hat dir erlaubt, zu gehen?« Wieder richtete er die Pistole auf den Jungen. Er schien sich an der Waffe festzuhalten wie ein Lahmer an einer Krücke. Dan wandte sich um und blickte ihn mit stumpfen Augen an wie ein geprügeltes Tier. »Verschwinde«, sagte Bombarde. »Ich will in Ruhe essen. Und unser Killigrew hat sicher auch Hunger auf ein paar
Probehappen, nicht wahr?« Dan riegelte die Tür auf. »In einer halben Stunde marschierst du wieder an und brinst mir eine Flasche Wein. Und wehe, du läßt sie wieder fallen.« Als Dan auf dem Gang war und hörte, wie der Riegel von innen vorgeschoben wurde, änderte sich seine Haltung schlagartig. Er richtete sich auf und starrte wütend auf die Tür. Dann ging er mit raschen, energischen Schritten den Gang entlang. »Fünfzehneinhalb und vier und ein bißchen - fünfzehneinhalb und vier und ein bißchen«, murmelte er dabei ununterbrochen vor sich hin, um die Zahlen auf keinen Fall zu vergessen. Und es klang wie eine Beschwörungsformel.
»Fünfzehn und eine halbe«, sagte Ferris Tucker und zog den zweiten Kreidestrich an Deck. Dan O’Flynn richtete sich auf. Jetzt kam es ihm ziemlich albern vor, an Deck zu knien und eine Hand neben die andere zu legen. Aber jetzt waren beide Maße mit Kreidestrichen an Deck festgelegt. »Wir müssen noch die Maße des Hockers dazurechnen«, gab er zu bedenken. »Glaubt du, ich bin von gestern?« sagte Ferris Tucker ruhig und verlängerte die beiden von Dan O’Flynn abgemessenen Stücke um den Halbmesser eines Hockers. Batuti blickte interessiert und etwas verbiestert auf die knapp ein Fuß lange Anstückelung. »So kleine Hocker nicht geben«, protestierte er dann. »Engländer manchmal haben komische Sachen - wie Stühle gerade groß genug für halbe Arsch. Aber diese ist nicht einmal halbe Arsch, ist nur gut für Hälfte von Batuti halbe Arsch.« »Angeber, so breit ist dein Hemd nun auch wieder nicht«,
sagte Blacke grinsend. »Außerdem ist das nur die Hälfte vom Stuhl, klar?« Batuti setzte sein Gehirn in Gang, und als er den Sinn der Sache begriff, strahlte er wie ein Leuchtfeuer. »Batuti klar, Blacky. Halbe Hocker, damit Kugel gehen mitten in Hintern von Bombarde.« »Hoffentlich nicht nur in den«, murmelte Ben Brighton leise. Ferris Tucker hatte bereits zwei schmale Latten bereitgelegt, die er jetzt an den beiden Meßstrecken anzeichnete und dann entsprechend kürzte. Dann klemmte er sich die beiden zugeschnittenen Stücke unter den Arm, steckte sich ein Stück Kreide hinter das rechte Ohr und ging auf den unter Deck führenden Niedergang zu. Dan, Blacky und Pete Ballie wollten sich ihm anschließen, aber Ben Brighton hielt sie zurück. »Ich verstehe, daß ihr dabei sein wollt, Jungens«, sagte Ben Brighton, »aber je weniger von uns dabei sind, desto geringer die Gefahr, daß irgendeiner Unrat wittert.« »Wieso sollte einer Unrat wittern?« protestierte Smoky unwillig. »Erstens könnte es auffallen, wenn zu viele von uns vom Oberdeck verschwinden«, erklärte Ben Brighton geduldig, »und zweitens hängt alles davon ab, daß die Sache völlig lautlos über die Bühne geht.« Widerwillig blieben die drei zurück, als Ben Brighton und Ferris Tucker unter Deck verschwanden. Im Halbdunkel eines Ganges, der unter dem oberen verlief, blieben sie stehen und versuchten sich zu orientieren. »Ein Glück, daß die Stützbalken durchlaufen, sonst könnten wir es niemals finden«, sagte Ferris Tucker leise. »Hier muß es sein.« Sie traten in eine Kammer, die unter der Kapitänskammer zu liegen schien, und blickten sich um. »Ja, wir sind richtig«, sagte Ben Brighton triumphierend und deutete zu den Deckenplanken hoch. »Dan hat es für uns genau
markiert.« Ferris Tuckers Blick folgte dem Finger Brightons, und er sah dunkle Flecken an den Ritzen der Planken. Dans Trick mit dem verschütteten Wein war schon genial. Die Decke war niedrig genug, um sie mit ausgestreckten Händen erreichen zu können. Ferris Tucker legte seine beiden Meßlatten nacheinander an und zog an ihren Enden einen Querstrich mit Kreide. Das Endergebnis war ein Kreuz, um dessen Schnittpunkt er nun einen Kreis von zwei Inch Durchmesser zog. »So, das war’s«, sagte er aufatmend. »Den Rest könnt ihr mir überlassen. Wie lange habe ich Zeit, um das Loch zu bohren?« »Bis Gibraltar brauchen wir ungefähr noch drei Tage. Aber die Arbeit kann jemand anders tun. Du bist noch längst nicht wieder richtig auf dem Damm. Ich werde Blacky Bescheid sagen.« »Ich erledige das selbst«, sagte Ferris Tucker bestimmt. »Das ist meine Arbeit.« Ben Brighton blickte ihn zweifelnd an. »Meinst du, daß du wirklich schon kräftig genug dazu bist? Denke daran, daß das Leben unseres Kapitäns auf dem Spiel steht.« »Eben«, sagte der Schiffszimmermann ruhig. »Eine ungeschickte Bewegung, das leiseste Geräusch, und Bombarde merkt, was los ist.« Er trat auf den Gang hinaus. »Nein, Ben, das kann mir niemand abnehmen.« Eine halbe Stunde später war Ferris Tucker in die Kammer eingezogen. In einer Ecke lagen ein paar Decken, daneben stand eine Kanne Wasser, so daß er seinen Arbeitsplatz eigentlich nur zum Essen verlassen mußte. Jetzt stand er auf einem stabilen Schemel, den großen Zweizollbohrer in den Händen, und begann ihn vorsichtig zu drehen. Er wußte, daß es eine elende Plackerei werden würde. Die gerade oberflächlich vernarbte Wunde in der Schulter
schmerzte bei jeder Bewegung, und der schwere Bohrer kam ihm wie ein Bleigewicht vor, besonders, weil er ihn nur sehr langsam und vorsichtig drehen durfte, um kein Geräusch zu verursachen. Immer wieder mußte er Pausen einlegen, um seine schwachen Kräfte zu sparen. Die Arbeitsphasen zwischen den Pausen wurden von Mal zu Mal kürzer. Nach knapp drei Stunden wurde ihm vor Erschöpfung schwarz vor Augen. Er konnte gerade noch vom Hocker steigen, um zu verhindern, daß er ohnmächtig wurde und krachend an Deck schlug. Dennoch veranstaltete er einen ziemlichen Krach, als er vom Hocker torkelte und sich auf seine Decken fallen ließ.
12. »Was war das?« Bombarde griff nach der Pistole, als er aus einem leichten Dämmerschlaf schreckte. Hasard blickte ihn nur schweigend an. Er hatte von Anfang an geschwiegen und mit Bombarde nur gesprochen, wenn es unumgänglich war. »Sag bloß, du hast nichts gehört.« Bombarde ging wie ein aufgestörter Tiger hin und her, legte sein Ohr an die Wände und lauschte. »Ich wette, das war nebenan.« Er deutete auf die Trennwand, hinter der die Kammer lag, in der man ihn gefangengehalten hatte. »Die Tür ist zugenagelt«, erinnerte ihn Hasard. Natürlich hatte er das Geräusch gehört und konnte sich auch denken, wodurch es verursacht worden war. »Nägel kann man wieder herausziehen«, erklärte Bombarde mißtrauisch. »Aber ich sage dir, wenn deine Leute irgendeine Schweinerei planen ...« Wieder die Drohbewegung mit der Pistole zu Hasards Kopf. Ihm fiel wirklich nichts anderes ein.
»Du kannst ja hinausgehen und nachsehen«, sagte Hasard kühl. Bombarde starrte ihn an. Dann verzog sich sein breites Gesicht zu einem hämischen Grinsen. »Das könnte dir so passen, was? Damit ich dich aus den Augen lasse, wie? Jetzt begreife ich, was ihr vorhabt!« Er trat dicht an die Koje und starrte Hasard an. »Das ist nur ein Trick, um mich nervös zu machen. Ich soll rausgehen und nachsehen, was nebenan los ist. Und draußen stehen deine Leute schon bereit, um mich zu kassieren. Aber da müssen sie bei Bombarde früher aufstehen, verstehst du! Von mir aus können sie Krach schlagen, bis die ganze Bude zusammenfällt. Mich lockt keiner hier raus. Solange ich dich vor der Pistole habe, bin ich sicher.« Wieder die Geste mit der Waffe zu Hasards Kopf. »Hier kriegt mich keiner raus - uns beide nicht«, fügte er hinzu.
»Geht’s noch, Ferris?« sagte Ben Brighton leise, als er kurz vor Mitternacht in den Raum trat, der unter der Kapitänskammer lag. Ferris Tucker kletterte schwerfällig vom Hocker, legte den schweren Bohrer vorsichtig auf die Decke, um jedes Geräusch zu vermeiden, und setzte sich dann selbst neben sein Werkzeug. Sein Gesicht war schweißnaß, die Haut grau, und unter den Augen sah Ben dunkle Schatten. »Soll ich nicht doch jemand anderen holen?« fragte er besorgt. Ferris Tucker massierte vorsichtig seine verletzte Schulter, und als er einmal zu heftig zudrückte, verzog er das Gesicht. Aber er schüttelte den Kopf. »Laß nur, Ben, ich halte schon durch. Keiner soll mal sagen können, der alte Ferris Tucker habe schlappgemacht, als sein Kapitän in der Patsche saß.«
Ben Brighton nickte schweigend. Er wußte, daß es sinnlos war, ihn überreden zu wollen. Ferris hatte einen verdammten Dickschädel. Wenn der sich mal etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte nichts auf der Welt ihn wieder davon abbringen. »Und jetzt schieb ab, ich habe zu tun«, sagte Ferris fast grob zu Ben Brighton, erhob sich stöhnend und hob den schweren Bohrer wieder auf. »In Ordnung«, sagte der Bootsmann wiederstrebend. Im Hinausgehen steckte er einen Finger in das breite Loch, das Ferris in die harten Planken gebohrt hatte. Kaum ein halber Zoll tief nach einem ganzen Tag harter Arbeit. »Wie lange wirst du noch brauchen?« erkundigte er sich. »Zwei Tage ungefähr. Aber wenn du weiter hier herumstehst und mich von der Arbeit abhältst, kann’s auch erheblich länger dauern.« Ben Brighton grinste, als er den Raum verließ. Solange der alte Ferris noch grob werden konnte, war er noch längst nicht am Ende. »Ich sag dem Kutscher, er soll dir was zu essen bringen«, sagte er, bevor er die Tür hinter sich schloß. Der Kutscher war noch wach und sah Ben, als er auf die offene Tür der Kombüse zutrat. Ben erfuhr auch sofort den Grund für die ungewohnte Aktivität. »Dicke Luft, Ben«, sagte der Kutscher aufgeregt, sowie Ben die Kombüse betreten hatte. »Ich habe dich schon überall gesucht.« Ben Brighton blickte den Kutscher aus zusammengekniffenen Augen an. »Dicke Luft? Was ist passiert?« »Passiert ist eigentlich noch nichts. Aber es kann bald was passieren.« »Was kann passieren? Mein Gott, laß dir doch nicht jedes Wort einzeln aus dem Hals leiern«, sagte Ben Brighton ungeduldig. »Die Brüder haben gespannt, daß irgend etwas faul ist«, sagte der Kutscher leise, nach einem vorsichtigen, fast ängstlichen
Blick zur offenen Tür, als ob er Lauscher fürchtete. »Vorhin waren zwei von ihnen hier und wollten mich ausfragen, was anliegt, wegen Kurswechsel und so, warum sich der Kapitän seit Tagen nicht mehr sehen läßt und so weiter.« ›Die Brüder‹, wußte Ben Brighton, waren die Handvoll Banditen, die sich stur geweigert hatten, bei der Arbeit mitzuhelfen, und anscheinend die Hoffnung, sich doch noch an dem Silberschatz bereichern zu können, noch nicht ganz aufgegeben hatten. Es war eins der schwersten Probleme gewesen, die Veränderung der Situation vor ihnen geheimzuhalten. Glücklicherweise hatte Bombarde ihnen dabei unbezahlbare Hilfe geleistet, als er sich entschlossen hatte, den Coup im Alleingang durchzuziehen und seine Männer nicht einzusetzen. So hatte er den Kurswechsel mit einem Befehl Kapitän Killigrews erklären können, über dessen Grund dieser niemandem Rechenschaft schuldig war. Aber er konnte natürlich nicht verhindern, daß sie darüber nachdachten und nach einer Erklärung suchten. Anscheinend war ihnen jetzt aufgefallen, daß der Kapitän seit mehreren Tagen nicht mehr in Erscheinung getreten war, und wenn sie die richtigen Schlüsse daraus zogen, konnte es wirklich verdammt dicke Luft geben. »Was hast du ihnen gesagt?« fragte Ben Brighton. Er hatte auch für diesen Fall Vorkehrungen getroffen und den Männern aufgetragen, die Abwesenheit des Kapitäns damit zu begründen, daß er nach den Strapazen von Befreiung und Flucht eine längere Ruhepause brauchte. Aber diese Ausrede würde ihnen jetzt niemand mehr abnehmen. »Ich habe gesagt, daß Kapitän Killigrew krank sei, Fieber und so, und ihnen ein paar lateinische Brocken an den Kopf geworfen. So was beeindruckt immer«, setzte er hinzu. »Und als Beweis habe ich auf die dicken Mahlzeiten hingewiesen, die Dan immer zu diesem blonden Bastard schleppen muß. Ich
habe gesagt, es sei Krankenkost für den Kapitän, damit er wieder auf die Beine kommt.« »Gut gemacht, Kutscher«, sagte Ben Brighton anerkennend. »Meinst du, sie haben es dir abgekauft?« Der Kutscher zuckte mit den Schultern. »Hellseher bin ich nicht, Ben. Aber im Moment schien es sie zufriedenzustellen.« Im Moment vielleicht, überlegte Ben Brighton. Aber sie würden lange und gründlich darüber nachdenken, und vielleicht ein Haar in der Suppe finden. Vielleicht würden sie sogar versuchen, sich mit dem nach ihrer Meinung noch immer eingesperrten Bombarde in Verbindung zu setzen. Sie brauchten ja nur die unverschlossene Tür aufzudrücken, die zu den Kammern des Achterdecks führte, den Gang entlangzugehen und an alle Türen zu klopfen. Wenn sie die Wahrheit erfuhren, dann war die Suppe am kochen. »Kutscher, geh nach vorn ins Logis und hol Batuti oder irgendeinen von unseren Leuten heraus. Ich will, daß von jetzt ab ständig jemand vor dem Kammergang Wache steht. Er muß verhindern, daß irgend jemand dort eindringt, mit Gewalt, wenn es sein muß.« Der Kutscher nickte erleichtert. Er war immer froh, wenn er eine Verantwortung auf jemanden übertragen konnte, der besser damit fertig wurde. An der Tür blieb er noch einmal stehen und wandte sich um. »Ich denke, das sollte Batuti allein tun, Ben. Selbst wenn der mit dem Rücken an der Tür pennt, kommt da keiner vorbei.« »Schon gut, Kutscher. Nun geh schon.« Ben Brighton war gereizt und ungeduldig, was sonst gar nicht in seiner Art lag, aber die Belastung der letzten Tage hatte auch ihn ziemlich geschafft. Außerdem waren seine Gedanken bereits weit vorausgeeilt. Das offene Mißtrauen der Banditen hatte die Lage verdammt ungünstig verändert. Jetzt war höchste Eile geboten, bevor einer der Brüder die richtigen Schlüsse zog. Vor allem aber mußte Ben jetzt Vorkehrungen für eine solche
Entwicklung treffen. Als der Kutscher mit Batuti erschien und Ben dem Neger seine Anweisungen gegeben hatte, sagte er zu dem Kutscher: »Wir beide haben jetzt noch eine Menge zu tun.« Der Kutscher schien nicht sehr begeistert von der Aussicht, aber er nickte schweigend und blickte Ben Brighton fragend an. »Als erstes brauchen wir Decken, Mäntel oder so was, wie du es eben findest. Das bringst du zur Tür vom Kammergang.« »Wo Batuti Wache schiebt?« »Ja, natürlich. Und dort wartest du auf mich.« Ohne eine Antwort abzuwarten, nahm Ben Brighton die Lampe auf und ging nach achtern. Er betrat die Waffenkammer, holte drei Musketen, überzeugte sich, daß sie geladen waren und trat zur Tür. Nachdem er sich gründlich umgesehen und vergewissert hatte, daß niemand ihn beobachtete, ging er mit raschen, lautlosen Schritten auf Batuti zu, der mit dem Rücken an der Tür des Kammergangs gelehnt an Deck saß. »Halt fest«, flüsterte Ben Brighton und drückte ihm die drei Musketen in die Arme. Batuti starrte ihn verblüfft an und wollte etwas fragen. »Mund halten«, flüsterte Ben hastig und ging wieder in die Waffenkammer zurück. Dieses Mal hängte er sich ein halbes Dutzend Pulverflaschen um, steckte sich die Taschen voller Kugeln und nahm vier Pistolen in die Hände. Auch diese Last trug er zu Batuti, legte alles neben die Tür und sagte leise: »Paß auf, daß niemand etwas von dem Zeug sieht.« »Wie denn?« Der Schwarze starrte ihn fragend an. »Soll sich Batuti setzen mit Hintern darauf?« »Keine schlechte Idee, breit genug ist er ja dazu«, sagte Ben Brighton grinsend. Achselzuckend rutschte Batuti einen Yard weiter, so daß die Pistolen und die Munition hinter seinem breiten Kreuz
verschwanden. Dann stellte er auch die drei Musketen aufrecht hinter seinem Rücken. »Nicht so laut!« zischte Ben Brighton wütend. »Wenn der Kerl uns hört!« Batuti beeindruckte das nicht besonders. »Soll ich so sitzen ganze Nacht?« fragte er unwirsch. »Musketen verdammt hart für Batutis Rücken.« »Im Busch hast du immer auf Daunendecken geschlafen, wie?« fragte Ben Brighton schärfer, als er es vorgehabt hatte. Und auch lauter. »Decken nicht«, sagte Batuti ungerührt, »aber Grasmatten und Felle sind mehr weich als verdammte Musketen. Und fette Frau ist noch weicher als ... Einer kommt!« unterbrach er seine Erinnerungen und preßte seinen Rücken fester gegen das Arsenal, das er hinter seinem breiten Oberkörper verbarg. Ben Brighton war herumgefahren und starrte die dunkle Gestalt an, die langsam über die Kuhl auf sie zuging. Dann entspannte er sich wieder. »Es ist der Kutscher«, sagte er beruhigend. »Leise«, flüsterte er dem Kutscher zu, als er sich ihnen näherte. »Mach mal leise mit dem Zeug«, maulte der Kutscher, als er einen Arm voll Zeug, das er, vor die Brust gedrückt, herangeschleppt hatte, an Deck fallen ließ. »Du kannst jetzt verschwinden«, sagte Ben Brighton versöhnlich. »Den Rest schaffe ich allein.« »Ich helfe dir aber gern«, sagte der Kutscher, nicht ganz ehrlich. »Wenn du mich brauchst ...« »Geh schlafen, Kutscher.« Bei dem, war Ben jetzt vorhatte, war er ihm nur im Weg. »In Ordnung.« Der Kutscher schlurfte nach vorn, auf die Back zu. Ben Brighton öffnete die Tür, die zum Kammergang führte. Vorsichtig, Zoll um Zoll, zog er sie auf. Als die von der
salzhaltigen Seeluft angerosteten Angeln einmal etwas quietschten, hielt er sofort inne und lauschte. Aber Bombarde schien nichts gehört zu haben. Es blieb alles ruhig. Ben Brighton öffnete die Tür nur so weit, daß er hindurchschlüpfen konnte. Bevor er das tat, zog er die Stiefel aus und nahm die zerfetzten Decken, die der Kutscher irgendwo zusammengeklaubt hatte, auf die Arme. Dann schlich er auf Zehenspitzen den dunklen Gang entlang, bis etwa einen Yard hinter die Tür der Kapitänskammer, in der Bombarde den Seewolf gefangenhielt. Dort ließ er sich auf Hände und Knie nieder und begann systematisch, einen geräuschdämpfenden Teppich auf den Boden zu legen, indem er die Decken, eine an die andere, auf den Boden breitete, so daß nur auf der Backbordseite ein schmaler Streifen nackter Decksplanken übrigblieb. Ab und zu knackte es im trockenen Holz der Decksplanken, und jedes Mal verharrte Ben Brighton regungslos und lauschte. Aber Bombarde schien es nicht zu hören. Oder das Knacken alarmierte ihn nicht. Das Holz in den Schiffen knackte und knarrte häufig, auch ohne daß es eine erkennbare Ursache hatte. Als Ben die letzte Decke bis zur Tür ausgebreitet hatte, flüsterteer: »Batuti.« »Ja, Ben?« ertönte es ebenso leise zurück. »Die Waffen, eine nach der anderen. Zuerst die Musketen.« Ohne sich vom Platz zu rühren, griff der riesige Neger hinter sich, nahm einen der schweren Schießprügel und reichte ihn Ben zu. Der Bootsmann legte ihn lautlos auf die Decke, gleich hinter der Tür, und dann die beiden anderen daneben. »Jetzt die Pistolen.« Auch sie wurden hintereinander an die Steuerbordwand des Ganges auf die Decken gelegt, dann auch die Pulverflaschen und die Kugeln.
Als Ben wieder an Deck zurücktrat und die Tür vorsichtig zudrückte, atmete er erleichtert auf. Wenn einer von Bombardes Männern sie bei diesem Geschäft überrascht hätte, wäre die schönste Meuterei ausgebrochen. »Wozu Waffen?« fragte Batuti, als er sich wieder mit seinem breiten Kreuz vor die Tür setzte. »Wir brauchen sie, um den Kapitän zu befreien«, sagte Ben Brighton knapp. »Gut. Batuti passen auf, daß niemand kommt herein in Gang. Batuti bleiben hier Tag und Nacht.« »In Ordnung, Batuti.« Ben Brighton klopfte ihm auf die Schulter, bevor er auf das Achterdeck zurückging. Er sollte eigentlich schlafen gehen, überlegte er. Er war todmüde. Aber er wußte, daß er keinen Schlaf finden würde. Hatte er an alles gedacht? überlegte er, als er sich an das Schanzkleid lehnte, gewohnheitsmäßig einen Blick zu den Segeln hinauf warf und dann auf die dunkle See starrte. Bis vor einer Stunde hatte er sich etwas gehenlassen, erkannte er, hatte zu eingleisig gedacht und gehandelt, ganz auf Ferris Tuckers Plan konzentriert, Bombarde aus dem unteren Raum zu erledigen. Er hatte weder an die weiteren Schritte von Hasards Befreiung gedacht, noch an die Möglichkeit, daß Bombardes Männer ihm in die Suppe spucken konnten jedenfalls nicht konkret. Er war eben kein Seewolf, und darum war der viel jüngere Philip Hasard Killigrew auch der Kapitän und er der Bootsmann. Aber er hatte jetzt getan, was er konnte. Die Waffen waren an Ort und Stelle, um den Kapitän zu befreien, und um die Back in eine feuerspeiende Festung zu verwandeln, falls Bombardes Banditen etwas unternehmen sollten. Die Decken würden ihre Schritte unhörbar werden lassen, wenn sie sich vor der Tür der Kapitänskammer versammelten, um einzubrechen. Wenn Ferris Tucker soweit war. Er widerstand der Versuchung, unter Deck zu gehen, um zu
sehen, wie weit er gekommen war, und ihn anzutreiben. Er wußte, Ferris würde alles tun, was in seinen Kräften stand. Aber da eben lag der Haken: er hatte nicht mehr allzu viel Kraft.
13. Ferris Tucker war wirklich am Ende seiner Kraft. Er lag auf seinen Decken, den Bohrer neben sich, und sein Atem kam in flachen, kurzen Stößen. Immer öfter mußte er sich hinlegen, um nicht vom Hocker zu fallen, und er sank sofort in einen tiefen Dämmerzustand. Es war kein Schlaf, es war eine Art Bewußtlosigkeit, aus der ihn nur sein eiserner Wille nach wenigen Minuten, oder auch nach über einer Stunde, wieder herausriß. Es war wieder dunkel geworden, der Abend des nächsten Tages war angebrochen. Des wievielten Tages, seit er hier unten stand und ein Loch in die dicken, harten Decksplanken bohrte? Er wußte es nicht mehr. Er hatte das Gefühl, seit ewigen Zeiten auf dem Hocker zu stehen und den schweren Bohrer über den Kopf zu heben, und daß es noch eine Ewigkeit dauern würde, bis er damit aufhören durfte. Er kletterte auf den Hocker und blieb einen Augenblick reglos stehen. Nicht einmal den Luxus eines Stöhnens konnte er sich leisten. Das Loch war jetzt über eineinhalb Zoll tief. Nur eine dünne Holzschicht trennte ihn von dem Hocker, auf dem Bombarde die meiste Zeit des Tages und die ganze Nacht zu sitzen pflegte. Jetzt mußte auch das leiseste Geräusch in die obere Kammer dringen. Jetzt mußte Ferris noch vorsichtiger, noch langsamer, noch behutsamer arbeiten, und fast ohne Druck. Wenn er den kritischen Augenblick verpaßte, in dem nur noch eine papierdünne Holzschicht stehenblieb, wenn der Bohrer
durchstieß und Bombarde ihn plötzlich durch die Decksplanken schießen sah, war alle Arbeit umsonst. Und die wahrscheinlich einzige Chance, den Kapitän zu befreien, war vertan. Zehn Minuten später trat Ben Brighton lautlos herein und blickte Ferris Tucker fragend an. »Ein paar Stunden noch, schätze ich«, sagte der Zimmermann flüsternd. »Jedenfalls heute nacht, das ist ganz sicher.« Ben Brighton nahm die Lampe und leuchtete in das zwei Zoll breite Loch in den Deckenplanken. Er wußte nicht genau, wie dick das Holz war, aber soviel war sicher: viel war nicht mehr da. Ferris hatte recht: in ein paar Stunden spätestens. Er nickte Ferris Tucker schweigend zu und ging wieder. Es wurde Zeit, die letzten Vorbereitungen zu treffen. Er ging den Niedergang hinauf an Oberdeck und winkte Dan O’Flynn heran, der Batuti vor der Tür des Kammergangs Gesellschaft leistete. »Hol Blacky und Smoky her, aber schnell.« »Geht klar, Ben.« Dan setzte sich in Richtung Back in Bewegung. Ben Brighton ging wieder in die Waffenkammer. Die Dons hatten ein ziemlich reichhaltiges Arsenal an Bord, und Ben suchte sich wieder eine von den Musketen heraus. Diesmal verwendete er ganz besondere Sorgfalt bei der Auswahl und nahm sich eine Donnerbüchse mit einem mehr als daumenstarken Lauf und einer ebenso stabilen Wandung. Der würde jetzt eine Menge aushalten müssen, überlegte Ben, während er eine beängstigende Menge Pulver hineinkippte und mit einem Pfropfen feststampfte. Anschließend folgte eine genauso überschwere Ladung von gehacktem Blei, und den Abschluß bildeten zwei Bleikugeln. Ben wollte und durfte kein Risiko eingehen. Wenn eine Kugel Bombarde verfehlen sollte, würde ihn die zweite treffen, und wenn auch die danebenging, war schon die Ladung
Hackblei da, um ihm den Rest zu geben. Als er, die geladene Muskete in der Hand, an Oberdeck trat, hörte er eine Stimme rufen: »Da ist ja der Bootsmann! Der soll uns sagen, was los ist!« Die elf Banditen Bombardes standen vor der Tür des Kammergangs, die von Batuti, Smoky, Blacky, Stenmark und Dan O’Flynn abgeschirmt wurde. »Wir lassen uns nicht mehr länger an der Nase herumführen!« schrie jetzt ein anderer. »Wir wollen endlich wissen, was hier gespielt wird!« Ben Brighton war dankbar für die Dunkelheit, die es ihm erlaubte, die Muskete rasch hinter eine aufgeschossene Taurolle zu legen. »Was ist hier los?« fuhr er die Bombarde-Männer an. »Was wollt ihr!« »Wir wollen wissen, wieso wir wieder auf Südkurs gegangen sind und wo der Kapitän steckt!« »Ich habe euch doch schon zehnmal vorgekaut, daß er krank ist«, sagte Dan O’Flynn wütend, und es sah aus, als wollte er sich im Alleingang auf die elf Männer stürzen. »Keine Keilerei, Dan«, sagte Ben Brighton hart. Genau das konnte er jetzt am wenigsten brauchen. Jeder Lärm mußte Bombarde alarmieren, zumindest hellhörig werden lassen, und was dann passierte, war nicht abzusehen. Zumindest würde ihr sorgsam vorbereiteter Befreiungsplan platzen, wenn Bombarde durch den Lärm aufgeschreckt wurde. »Das sind doch alles faule Ausreden.« Einer der Männer trat in drohender Haltung auf Ben zu. »Weißt du, was ich glaube? Ich glaube, ihr habt den Kapitän heimlich über Bord gehievt, weil er das Silber für sich haben wollte. Stimmt’s? Das ist auch der Grund, warum Bombarde sich nicht mehr sehen läßt. Der hockt jetzt in der Kapitänskammer und dirigiert den Laden klammheimlich, weil er uns ausschalten will. Aber
da hat er sich schwer verrechnet, der feine Herr! Wir verlangen unseren Anteil, und den werden wir uns auch holen, so oder so!« Die anderen murmelten beifällig, als er schwieg. Ben Brighton brannte die Zeit auf den Nägeln. Dennoch wartete er mit unbewegtem Gesicht, bis das Gemurmel abgeklungen war, um nicht zu laut sprechen zu müssen. »Kapitän Killigrew lebt und ist an Bord«, sagte er dann ruhig. »Darauf gebe ich euch mein Wort.« »Wir scheißen auf dein Wort!« schrie der Sprecher der Bombarde-Männer wieder. »Warum verkriecht er sich dann? Warum haben wir ihn seit Tagen nicht mehr gesehen?« »Der Kapitän ist krank und ...« »Kein Mensch ist so krank, daß er nicht mal für ein paar Minuten an Deck erscheinen kann.« »Er wird an Deck erscheinen«, sagte Ben Brighton hart. »Wann? Hol ihn heraus, oder du hast wirklich eine Meuterei am Hals!« Ben Brighton blickte von einem der Banditen zum anderen. »Der Kapitän wird in zwei Stunden an Deck sein«, sagte er bestimmt. »Wieso erst in zwei Stunden?« sagte der Mann mißtrau-isch. »Warum nicht gleich?« »Weil unser Kapitän sich nicht von euch vorschreiben läßt, was er zu tun hat.« Der Mann starrte Ben Brighton eine Weile drohend an, und Ben befürchtete ernsthaft, er würde eine Auseinandersetzung suchen. Dann entspannte er seine Muskeln und sagte: »Also gut, in zwei Stunden. Aber wenn der Kapitän dann nicht vor uns steht ...« »Er wird hier sein«, sagte Ben Brighton bestimmt. »Aber ich weiß nicht, ob es euch nicht leid tun wird, darauf bestanden zu haben. Und jetzt haut ab.« »In Ordnung«, sagte der Bandit widerwillig. »Aber in genau
zwei Stunden sind wir wieder hier. Nicht eine Minute später. Kommt, Leute.« Ben Brighton wartete, bis sie außer Hörweite waren, dann sagte er rasch: »Es ist soweit, Männer. Batuti, Dan und Blacky, ihr geht jetzt hinein, greift euch ein paar von den Waffen, die im Gang liegen und wartet vor der Tür der Kapitänskammer. Aber leise. Der Kerl darf keinen Laut hören.« »In Ordnung, Ben«, sagte Dan O’Flynn beruhigend. »Um diese Zeit pennt der immer, da hört er so leicht nichts. Es müßte schon einen ziemlich lauten Krach geben.« »Darauf könnt ihr euch verlassen«, sagte Ben Brighton ernst. »Und sowie es knallt, schlagt ihr die Tür ein und gebt ihm den Rest. Alles klar?« Die drei Männer nickten schweigend. Selbst Batuti war sich des Ernstes der Stunde bewußt und hielt sein loses Mundwerk im Zaum. »Und was tun wir?« fragte Stenmark, offensichtlich enttäuscht, vom Mittelpunkt des Geschehens ausgeschlossen zi1 sein. »Ihr werdet hier draußen Wache schieben und dafür sorgen, daß keiner von den anderen Burschen uns stört. Laßt die Tür offen, wenn die anderen drei im Gang sind. Wenn es nicht anders geht, greift ihr euch die übriggebliebenen Waffen und knallt dazwischen. Aber wirklich nur, wenn es sein muß. Wir müssen jeden Krach verhindern, klar?« »Klar, Ben«, sagte Stenmark ohne große Begeisterung, und Smoky nickte schweigend. »Also ab mit euch«, sagte der Bootsmann zu den drei anderen. »Und zieht die Stiefel aus, damit ihr nicht solchen Krach macht.« Er wandte sich um, ging zu der Taurolle, hinter der er die Muskete versteckt hatte, nahm sie auf und stieg den Niedergang zum Zwischendeck hinunter. »Noch fünf Minuten«, sagte Ferris Tucker kaum hörbar und
deutete nach oben. Er saß zusammengesunken auf dem Hocker und blickte Ben aus dunkel geränderten Augen an. Ben Brighton hätte diesen Mann, dessen Körper nur noch von Nerven und einem eisernen Willen aufrecht gehalten wurde, am liebsten für die nächsten drei Tage in die Koje geschickt. Und es kam ihn verdammt hart an, ihn jetzt auch noch antreiben zu müssen, ihm nicht einmal noch ein paar Minuten Ruhe gönnen zu können. »Weiter, Ferris. Wir haben nicht mehr viel Zeit.« Er starrte nach oben in das Loch. Es war jetzt fast durch. Aber noch immer war die Holzschicht so dick, daß nicht der kleinste Lichtschimmer hindurchschien. Es würde länger dauern als nur fünf Minuten. Batuti, Dan O’Flynn und Blacky hockten auf den Decken, die Ben auf dem Gang ausgebreitet hatte und starrten auf die Tür der Kapitänskammer, durch deren Ritzen matter Lichtschein herausfiel. Blacky und Dan hielten schußbereite Pistolen in den Händen. Batuti war ohne Waffe. Er hockte halb aufgerichtet auf den Fersen, die Hände aufs Deck gestützt wie ein startbereiter Urwaldaffe, um sich sofort mit seinem ganzen Gewicht und seiner ganzen, riesigen Muskelkraft gegen die Kammertür zu werfen und sie aufzusprengen. »Der Riegel sitzt links, ungefähr in Schulterhöhe«, flüsterte Dan O’Flynn ihm fast unhörbar zu. »Ich weiß.« Hört auf zu quatschen«, wisperte Blacky nervös. »Leck mich am Arsch«, flüsterte Dan. Sie warteten.
Philip Hasard Killigrew lag mit halbgeschlossenen Augen auf der Koje, das Gesicht Bombarde zugewandt, der auf dem
Hocker saß und schlief oder auch nur döste, jedenfalls hatte er die fahlen Fischaugen geschlossen. Hasard hörte ein kaum wahrnehmbares, schabendes Geräusch, das sofort, wie erschrocken, wieder verstummte. Er wußte, woher es kam und was es bedeutete. Schließlich hatte er Dan selbst den Tip gegeben, was die Männer tun sollten, und er wußte auch, daß es jetzt jede Minute losgehen würde Er fluchte lautlos, daß er überhaupt nichts zu seiner Befreiung beisteuern konnte, daß er hier hilflos wie ein zusammengeschnürtes Stück Vieh auf die Befreiung warten mußte, eine für ihn völlig ungewohnte Situation. Tag und Nacht, wann immer er sich unbeobachtet glaubte, hatte er versucht, seine Fesseln zu sprengen, aber die zusammengedrehten Leinenfetzen waren fest wie Hanfstricke Bombarde hatte sich täglich mehrmals überzeugt, daß sie noch so fest saßen, um seine Blutzirkulation abzuklemmen. und bevor er einschlief, hatte er die Knoten noch mit einem kräftigen Guß Wasser befeuchtet, damit das Gewebe aufquoll. »Glaub nur nicht, daß ich schlafe«, sagte Bombarde jetzt, ohne die Augen zu öffnen. »Die paar Stunden kann ich noch wach bleiben, damit auf keinen Fall etwas passiert. Morgen früh dürften wir auf der Höhe von Gibraltar sein. Dann gehen wir auf Ostkurs und sind noch vor Mittag in Algier. Dann verkitsche ich das Silber«, er öffnete die fahlen Augen und grinste, »und dich, Killigrew. Ich glaube, du wirst eine ganze Menge einbringen, wenn ich dich beim Sklavenmarkt auf den Auktionsblock stelle.« Er schloß die Augen wieder, aber das zufriedene Grinsen blieb auf seinem Gesicht.
Smoky und Stenmark sahen sie aus dem Schatten des Bugkastells auf sich zurücken, die elf Männer Bombardes. Und
dieses Mal hatten sie sich mit Belegnägeln und Knüppeln bewaffnet. Ohne ein Wort zu wechseln, traten die beiden ihnen entgegen. »Was wollt ihr?« fragte Smoky hart und blickte von einem zum anderen. »Den Kapitän - oder Bombarde - oder alle beide«, sagte der Wortführer der Bande. »Die zwei Stunden sind noch nicht abgelaufen«, erwiderte Stenmark und musterte die Männer prüfend. Die Leute waren von dem Kerl mit der großen Klappe aufgehetzt worden und schienen entschlossen, ihren Willen durchzusetzen, mit allen Mitteln. »Wir lassen uns nicht die Bedingungen diktieren«, sagte der Wortführer jetzt und trat einen Schritt auf Stenmark zu, den Knüppel in der Hand federnd. »Wir wollen wissen, was hier gespielt wird, und zwar sofort.« Stenmark wußte, daß vor allem dieser Mann gefährlich war und daß er sich ihm stellen mußte. Er trat einen Schritt auf ihn zu und riß sein Messer heraus. »Dann mußt du aber vorher mit uns fertig werden«, sagte er hart. »Bevor wir nicht am Boden liegen, kommt ihr da nicht rein.« Der Bandit lachte höhnisch. »Du bist wohl lebensmüde, Mann. »Wir sind elf Mann. Was wollt ihr zwei ...« »Drei«, sagte eine Stimme, und der Kutscher trat neben Stenmark und Smoky. »Und wir sind auch noch da.« Sie tauchten plötzlich aus dem Dunkel auf und stellten sich neben die drei Männer. Es waren die Leute, die sich bereit erklärt hatten, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Die Männer, die sie bis jetzt zwar irgendwie geduldet, aber nicht wirklich akzeptiert hatten. Jetzt, in diesen entscheidenden Minuten, als sie sich wie selbstverständlich neben die Männer des Seewolfes stellten und mit ihnen gegen die anderen eine Front bildeten, wurden sie zu echten Mitgliedern der Crew, zu Kameraden.
»Hau ab, Stinker«, sagte einer von ihnen zu dem Mann mit der großen Schnauze. »Du hast uns lange genug gepiesackt, als wir auf der Galeere waren.« Der Bandit stieß einen Fluch aus und spuckte dem Mann vor die Füße. »Los, verschwinde«, sagte Stenmark und hob das Messer. »Ihr seht doch, daß es sinnlos ist. Gegen uns alle habt ihr keine Chance.« »Wir bleiben hier«, sagte der Bandit, den sie Stinker nannten. »Wir rühren uns nicht von der Stelle, bis der Kapitän erscheint. Wenn er zur vereinbarten Zeit nicht da ist, gibt es Zunder. Und wenn wir den ganzen Kahn in die Luft jagen müßten.« Stenmark zuckte nur mit den Schultern. Sie standen einander schweigend gegenüber, die elf Banditen und die Männer der Besatzung, die den Zugang zu den Kammern wie eine geschlossene Mauer abschirmten.
14. »Ich glaube, jetzt haben wir es.« Ferris Tucker ließ den schweren Bohrer sinken, und er wäre ihm fast aus der Hand gefallen, wenn Ben Brighton nicht rechtzeitig zugepackt hätte. Dann mußte er dem Zimmermann auch noch vom Hocker helfen. Ferris war wirklich am Ende. Jetzt schaffte es auch sein Wille nicht mehr, den ausgepumpten Körper aufrecht zu halten. Wie eine Marionette sank er, von Ben gestützt, auf die Decken und blieb reglos liegen. Ben Brighton trat zum Hocker zurück und starrte zu den angebohrten Planken hoch. Nur noch eine hauchdünne Holzschicht trennte sie von der Kapitänskammer und Bombarde. Ferris hat völlig recht gehabt, dachte er. Solche Maßarbeit konnte nur ein Fachmann wie er leisten. Jeder andere wäre mit dem schweren Bohrer durch die nur hautdünne
Holzschicht gestoßen und hätte den ganzen Plan platzen lassen. Ben Brighton nahm die geladene Muskete auf und steckte ihren Lauf probeweise vorsichtig in das Bohrloch. Auch darin Maßarbeit. Er paßte genau hinein. »Jetzt halte die Daumen, Ferris«, flüsterte Ben Brighton. Aber Tucker hörte ihn nicht. Er war weggetreten. Ben Brighton atmete einmal tief durch. Dann stieß er den Musketenlauf mit aller Kraft in das Bohrloch und drückte ab ...
Hasard hörte ein leises, brechendes Geräusch, und im selben Augenblick drang ein Musketenlauf unter Bombardes Hocker aus den Decksplanken. Bombarde hatte das Geräusch auch gehört. Er sprang auf und schrie: »Was ist ...« Der Rest der Frage erstarb in einem ungeheuren Krachen. Ein grellroter Feuerstrahl schoß aus dem Rohr, und Bombardes Körper schien sich in der Flamme aufzulösen. Er platzte einfach auseinander und war nicht mehr da. Im selben Moment wurde die Tür auf gerammt, und Batuti wurde von der Wucht seines Stoßes an die gegenüberliegende Wand katapultiert. Dicht hinter ihm stürzten Blacky und Dan O’Flynn mit schußbereiten Pistolen in die Kammer, sprangen schützend vor Hasard, und ihre Blicke suchten Bombarde. Als Blacky sah, was von ihm Übriggeblieben war, murmelte er nur erschüttert: »Ach du meine Fresse ...« Dan O’Flynn sagte gar nichts. Er wurde nur grün im Gesicht und kotzte auf den Brei von Fleischfetzen, Blut, Gedärm und Knochensplittern, die Bens geballte Ladung aus dem Banditen gemacht hatte. Ein anderes Teil klebte an der Decke und kleckerte langsam an Deck zurück. »Schneidet mich endlich los, verdammt noch mal«, sagte
Hasard härter, als es nötig war, um den Männern den Schock zu nehmen. »Kotzen könnt ihr später.« »Batuti nicht kotzen«, protestierte der Neger, zückte sein Messer und zerschnitt Hasards Fesseln. »Nur kleines O’Flynn fällt gutes Essen aus Gesicht.« »Besonders gesund siehst du auch nicht gerade aus.« Dan O’Flynn riß sich zusammen und bemühte sich, nicht auf die Reste von Bombarde zu blicken. »Ich habe gar nicht gewußt, daß auch Neger grün im Gesicht werden können.« Hasard setzte sich auf und begann, die blutleeren Handgelenke zu massieren. Plötzlich wurden seine Augen starr und er deutete auf die Stelle, an der Bombardes Hocker gestanden hatte. »Seht euch mal das an«, sagte er und deutete auf die zerfetzten Reste der angenagelten Hockerbeine. Zwischen ihnen ragte ein auseinandergetriebener Eisenpilz aus dem Deck. Die Wucht der Explosion hatte das Musketenrohr zerrissen und auseinandergefetzt. »Kümmert euch um den Mann, der das Ding abgezogen hat. Vielleicht hat ihn der Rückstoß umgelegt.« »Hat er nicht, Sir.« Ben Brighton trat ein und grinste Hasard an. Aber er grinste nicht lange. Auch ihm verursachte der Anblick der mit Bombardes Resten bespritzten Kabine ein flaues Gefühl im Magen. »Wenn es geht«, sagte er rasch, »solltest du mal schnell an Deck steigen. Die Bombarde-Leute scheinen große Sehnsucht nach dir zu haben.« Mit kurzen Worten berichtete er von der Situation an Deck, die sich seit dem Krachen des Schusses noch zugespitzt hatte. »Mit Vergnügen«, sagte Hasard und stand auf. Ein paar Sekunden stand er ziemlich unsicher auf den Beinen, und ein stechender Schmerz in den Füßen ließ ihn das Gesicht verziehen, als das Blut in die so lange abgeschnürten Adern strömte. »Wenn die Herren mich sehen wollen, dürfen wir sie
nicht länger warten lassen. Kommt, Männer.« Er trat als erster durch die aufgesprengte Tür, gefolgt von Ben Brighton, Batuti, Blacky und Dan O’Flynn. Zusammen traten sie auch aus dem Gang an Deck. Das erregte Gemurmel der Männer verstummte, als sie den Kapitän heraustreten sahen. »Danke«, sagte Hasard leise zu seinen Männern, die jetzt nach beiden Seiten auswichen, um ihn hindurchzulassen. Hasard trat auf die elf Banditen zu, die jetzt unsicher ein paar Schritte zurückwichen. »Ich habe gehört, ihr wolltet mit mir sprechen?« Er blickte den Wortführer der Bande mit seinen harten, blauen Augen an. »Also, was wollt ihr.« Der Mann versuchte, dem Blick Hasards standzuhalten, mußte es aber nach wenigen Sekunden aufgeben. »Wir dachten. Sie wären vielleicht tot«, sagte er ausweichend und versuchte, seinen Knüppel hinter dem Rücken zu verstecken. »Und Bombarde ...« »Kleine Verwechslung: Bombarde ist tot, und da ihr euch so um ihn sorgt, könnt ihr ihn gleich aus meiner Kammer räumen. In einer Stunde ist die Bude pieksauber, klar?« Die elf Männer blickten einander an, murmelten etwas vor sich hin, aber dann ließen sie ihre Schlagwaffen an Deck fallen und schlurften an Hasard vorbei auf die Tür zu. Hasard grinste, als er ihnen nachblickte. »Batuti.« »Sir?« Der Neger hatte sein fröhliches, breites Grinsen wiedergefunden. »Du wirst dafür sorgen, daß die Brüder gründlich arbeiten. Du kannst das ruhig mit etwas Nachdruck tun. Hier draußen hört man nicht, wenn mal einer schreit.« »In Ordnung, Sir.« Batuti trabte grinsend ab. »Was steht ihr noch alle herum und glotzt mich an?« sagte Hasard zu den anderen Männern. »Warum seid ihr noch nicht oben in den Wanten zum Segelmanöver? Oder soll ich den
Kahn mit stehendem Zeug auf Gegenkurs bringen?« Sie stoben auseinander und enterten lachend und fluchend auf. Der Seewolf drückte Ben Brighton die Hand und sagte: »Erinnere mich daran, mich gelegentlich bei Dir zu bedanken, Ben.« »Wofür denn?« Ben Brighton grinste zurück. »Aber wenn du mir in Plymouth mal ein Bier kaufen willst, habe ich nichts dagegen.« »Ein ganzes Faß, Ben.« Er blickte zu den Rahen hoch. »Neuer Kurs Nordwest! Klar zum Wenden!« Weg von Gibraltar und wieder mit Kurs auf England.
Trotz der verlängerten Reise gelang es Hasard, ohne Landfall nach Plymouth zu segeln. Das war dem kräftigen Südostwind zu verdanken, der die ranke Galeone rasch vorantrieb, und dem Umstand, daß sie einer italienischen Handels-Karavelle begegneten, deren Kapitän sich nach einem Blick auf den Silberbarren, den Hasard als Entgelt anbot, und nach einem etwas längeren auf die Kanonen der ›San Mateo‹ bereit erklärte, ihnen eine größere Menge Proviant und Wasser abzutreten. Zwei Wochen später, Anfang Juni 1577, lief die ›San Mateo‹ in den Hafen von Plymouth ein. Philip Hasard Killigrew ließ die Galeone längsseits der ›Marygold‹ vertäuen und meldete Kapitän Drake die Befreiung seiner Männer aus der spanischen Sklaverei sowie die Wegnahme einer Galeone samt Besatzung und Silberladung.
Hasard gab sich alle Mühe, so rasch wie möglich von der ›Marygold‹ wegzukommen, weil er seinen Männern versprochen hatte, ihre Befreiung und Heimkehr mit ihnen in der »Bloody Mary« zu feiern. Aber Kapitän Francis Drake wollte natürlich einen ausführlichen Bericht über seine spanischen Abenteuer. So hatten Hasards Männer schon einen erheblichen Vorsprung, als er in die dunkle, verqualmte Kneipe trat, und die Luft war bereits ziemlich dick, und nicht nur von Bierdunst und Tabakrauch. Der dicke Nathaniel Plymson watschelte sofort auf ihn zu, rang die fetten Hände und sagte: »Gott sei Dank, daß Sie da sind, Kapitän. Sie müssen verhindern, daß wieder eine Schlägerei stattfindet wie beim letzten Mal, als Ihre Männer mir die ganze Kneipe kurz und klein geschlagen haben. Ich bitte Sie ...« »Bei Aufregung hilft nur Bier«, sagte Hasard, schob den Dicken zur Seite und peilte die Lage. Sah nicht schlecht aus für seine Leute, und da konnte man gleich mal sehen, was die Neuen wert waren. Neben Ben Brighton saß ein Besoffener, den Kopf in einer Bierlache und schnarchte. »Hallo, Ben«, sagte Hasard, hob das Ende der Bank an, daß der Besoffene zu Boden rutschte, und setzte sich neben den Bootsmann. »Hallo, Sir!« Ben Brighton grinste mit schon leicht alkoholisierten Augen. »Gute Stimmung hier, was?« »Wird sicher bald noch munterer«, meinte Hasard. Der dicke Wirt brachte einen großen Krug Bier angeschleppt. »Soll das ein Witz sein?« fuhr Hasard ihn an. »Wenn ich für meine Männer Bier bestelle, meine ich natürlich ein Faß und keinen Napf!« »Aber ich habe doch nur noch zwei.«
»Dann roll die beiden Dinger her. Meinem Bootsmann habe ich auch ein Faß versprochen.« »Aber die anderen Gäste ...« »Scheiß auf die anderen Gäste!« krähte der kleine Dan O’Flynn, riß dem Dicken den Krug aus der Hand und kippte ihm den Inhalt über die Glatze. »Wenn unser Kapitän sagt, er will zwei Fässer, dann wirst du gefälligst zwei Fässer ...« Den Rest mußte er verschlucken, weil ihn in dem Augenblick ein Fußtritt ins Kreuz traf. »Na also«, sagte Philip Hasard Killigrew mit einem zufriedenen Grinsen, kippte den Tisch samt Biergläsern auf ein halbes Dutzend Männer und sprang auf. »Dann wollen wir mal wieder.« Als der Morgen graute, hockte der feiste Nathaniel Plymson trübsinnig zwischen den zerschlagenen Resten seiner Kneipe und nuckelte an der einzigen Whiskyflasche, die nicht in Trümmer gegangen war. »Sie sind wieder ...«, er rülpste laut, » ... wieder da, der Seewolf und seine Halsabschneider!« Und dann sank er um und schnarchte zwischen Glassplittern, Bierlachen, zertrümmerten Stühlen und heruntergebrannten Kerzen ... . ENDE
Blitzende Klingen von Davis J. Harbord
Fünf Schiffe laufen aus dem Hafen von Plymouth aus.
Angeblich dient ihre Fahrt dem Handel mit anderen Ländern.
Nur wenige Männer an Bord der Schiffe wissen, daß sie zur größten Kaperfahrt in der Geschichte Englands unterwegs sind. Die lange Fahrt beginnt für Philip Hasard Killigrew und seine Männer mit einem gewaltigen Sturm im winterlichen Atlantik. Als bekannt wird, daß die Fahrt der fünf Schiffe durch die gefährliche Magellanstraße führen soll, brechen an Bord Meutereien aus. Für den Seewolf beginnt eine Reise in die Hölle ...