Studenten und Gelehrte Students and Scholars
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Education and Society i...
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Studenten und Gelehrte Students and Scholars
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Education and Society in the Middle Ages and Renaissance Editors
Jürgen Miethke (Heidelberg) William J. Courtenay (Madison) Jeremy Catto (Oxford) Jacques Verger (Paris)
VOLUME 32
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Studenten und Gelehrte Students and Scholars Studien zur Sozial- und Kulturgeschichte deutscher Universitäten im Mittelalter A social and cultural history of German medieval universities
Rainer Christoph Schwinges
LEIDEN • BOSTON 2008
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This book is printed on acid-free paper. A C.I.P. record for this book is available from the Library of Congress.
ISSN 0926-6070 ISBN 978 90 04 16425 3 Copyright 2008 by Koninklijke Brill NV, Leiden, The Netherlands. Koninklijke Brill NV incorporates the imprints Brill, Hotei Publishing, IDC Publishers, Martinus Nijhoff Publishers and VSP. All rights reserved. No part of this publication may be reproduced, translated, stored in a retrieval system, or transmitted in any form or by any means, electronic, mechanical, photocopying, recording or otherwise, without prior written permission from the publisher. Brill has made all reasonable efforts to trace all right holders to any copyrighted material used in this work. In cases where these efforts have not been successful the publisher welcomes communications from copyright holders, so that the appropriate acknowledgements can be made in future editions, and to settle other permission matters. Authorization to photocopy items for internal or personal use is granted by Koninklijke Brill NV provided that the appropriate fees are paid directly to The Copyright Clearance Center, 222 Rosewood Drive, Suite 910, Danvers, MA 01923, USA. Fees are subject to change. printed in the netherlands
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INHALTSVERZEICHNIS Vorwort .......................................................................................
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TEIL I
DIE UNIVERSITÄT The Medieval German University: Transformation and Innovation ...............................................................................
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Genossenschaft und Herrschaft in der Universität der Vormoderne vom 12. bis 15. Jahrhundert .............................
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Von Fundationen, Dotationen, Geld und grossem Mangel ......
35
Resultate und Stand der Universitätsgeschichte des Mittelalters vornehmlich im deutschen Sprachraum – einige gänzlich subjektive Bemerkungen ................................
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TEIL II
FREQUENZ, REKRUTIERUNG UND MIGRATION Universitätsbesuch im Reich vom 14. zum 16. Jahrhundert: Wachstum und Konjunkturen ................................................
87
Migration und Austausch: Studentenwanderungen im Deutschen Reich des späten Mittelalters ...............................
119
Französische Studenten im spätmittelalterlichen Reich .............
135
Franken in der deutschen Universitätslandschaft des späten Mittelalters ..............................................................................
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inhaltsverzeichnis
On Recruitment in German Universities from the Fourteenth to Sixteenth Centuries ............................................................
191
Erfurts Universitätsbesucher im 15. Jahrhundert: Frequenz und räumliche Herkunft .........................................................
215
TEIL III
ORDO DIFFERENCIE: GRUPPEN, SCHICHTEN, STÄNDE Pauperes an deutschen Universitäten des 15. Jahrhunderts ......
237
Studentische Kleingruppen im späten Mittelalter .....................
265
Pfaffen und Laien in der deutschen Universität des späten Mittelalters ..............................................................................
301
Die Universität als sozialer Ort des Adels im deutschen Spätmittelalter .........................................................................
317
TEIL IV
UNIVERSITÄTSKULTUR UND STUDENTISCHES LEBEN Sozialgeschichtliche Aspekte spätmittelalterlicher Studentenbursen in Deutschland ...........................................
341
University Colleges in Late Medieval Europe ...........................
389
Admission ....................................................................................
401
Student education, student life ...................................................
431
Mit Mückensenf und Hellschepoff. Fest und Freizeit in der Universität des Mittelalters (14. bis 16. Jahrhundert) ............
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inhaltsverzeichnis
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TEIL V
STUDIUM, KARRIERE UND PROFILE Karrieremuster. Zur sozialen Rolle der Gelehrten im Reich des 14. bis 16. Jahrhunderts. Eine Einführung ...........
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Stiefel, Wams und Studium oder: Wozu hat man einen geistlichen Onkel? Aus Notizen des Kölner Studenten Gerhard von Wieringen aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts .....................................................................
529
Zur Professionalisierung gelehrter Tätigkeit im deutschen Spätmittelalter .........................................................................
553
Das Reich im gelehrten Europa. Ein Essay aus personengeschichtlicher Perspektive .......................................
579
Die Artistenfakultät und ihre Bakkalare 1392–1521 .................
609
Innovationsräume und Universitäten in der älteren deutschen Vormoderne ...........................................................
637
Register .......................................................................................
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VORWORT Dies ist ein Buch über Studenten und Gelehrte des deutschen und europäischen Mittelalters im Zeitraum vom 12. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts. Es bietet eine Sammlung von Arbeiten aus nahezu drei Jahrzehnten, in denen ich vor allem sozial- und später auch kulturgeschichtlich ausgerichtete Forschungen zur Universität sowie den in ihr und durch sie handelnden Personen habe mitgestalten können. Insofern ist dieses Buch auch ein wissenschaftshistorisches Dokument der universitäts- und bildungssozialgeschichtlichen Forschung des deutschsprachigen Raumes. Ausgehend von der schlichten, aber merkwürdig leicht verdrängbaren Tatsache, dass Universität und Gesellschaft zu jeder Zeit aufeinander bezogen sind, Universität immer ein Teil der Gesellschaft ist und den öffentlichen Raum so gut wie jeder andere seiner Teilnehmer besetzt, geht es vielfach darum, die Spielregeln des zeitgenössischen Lebens zu erfahren und auch die mittelalterliche Universität trotz der ihr eigenen Rang- und Ordnungssysteme als „societal community“ sichtbar zu machen. Das hat seinen Sinn in den Fragen nach dem Woher und Wohin, nach Akzeptanz und Wirkung der seit 1200 im lateinischen Europa, im Raum der römischen Papstkirche entstehenden Institution „Universität“, in der Wissen neu aufbereitet und durch Universitätsbesucher auch über die Kirche hinaus verfügbar gemacht worden ist. Wissens- und Bildungsprozesse begannen allmählich zu greifen, Transfers quer durch Europa, auch wenn zunächst nicht alle Länder und Regionen in gleicher Weise beteiligt waren. Der Vorsprung des Westens und Südens, namentlich Frankreichs und Italiens, sollte noch lange über das Mittelalter hinaus anhalten. Mit der Gründung der Prager, der Wiener, der Heidelberger, der Kölner und der Erfurter Universität, um nur die Gründungen vor 1400 zu nennen, begann indessen im Römisch-deutschen Reich und bald darüber hinaus in Nord- und Mittelosteuropa ein auch quantitativ starker Universitätsbesuch, eine stetig wachsende Besucherfrequenz. Man sieht in ihr gemeinhin Prozesse der Akademisierung, der Verwissenschaftlichung und Bürokratisierung des öffentlichen Lebens, sowohl der Königs- und Fürstenhöfe als auch der städtischen Verwaltungen und insbesondere der Kirche. Seit Prag, Wien, Heidelberg wurde
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vorwort
akademische Bildung nicht mehr nur von aussen geholt, sondern erstmals im engeren Kontext des römisch-deutschen Reiches selbst erzeugt. Mit der steigenden Zahl von Studierenden und Absolventen erhöhte sich in der Gesellschaft der Angebotsdruck von Akademikern, für dessen Lösung es vor 1500 allerdings weder Bedarf noch angemessene Nachfrage gab, jedenfalls nicht in dem Rahmen, den eine weitgehend traditionale, ständisch gegliederte Gesellschaft zu bieten vermochte. Die deutschen Universitäten erschienen vergleichsweise spät in der europäischen Bildungslandschaft, brachten dafür aber durch Verschmelzung der west- und südeuropäischen Erfahrungen einen eigenen Typus von Universität hervor, die „klassisch“ werdende, bis ins 20. Jahrhundert stabile Vier-Fakultäten-Universität mit ihrem überbordenden Anteil artistisch-philosophischer Studierender. Dies profilierte die deutschen Universitäten deutlich anders als die älteren, juristisch und medizinisch orientierten Universitäten des europäischen Südens und Südwestens. Unter den vielen Folgen dieser unterschiedlichen Profilierung ist eine für den Forscher besonders günstige zu finden: die grosse Fülle des deutschen Quellenmaterials, so dass es nahe liegt, empirische Studien über die Universitäten des alten Reiches als exemplarisch aufzufassen. Denn nirgends in Europa kann man so viel über so viele Universitätsbesucher, Studenten und Gelehrte, in Erfahrung bringen wie gerade hier, wie gerade aus den andernorts nicht oder nicht in gleicher Weise überlieferten Personalschriften der allgemeinen Rektoratsmatrikeln, der Fakultätsakten, der Promotionsverzeichnisse, der Nations- und Rechnungsbücher. Bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts aufsummiert findet man darin die Namen und Grunddaten von rund 300’000 Personen. Um diesen Quellenreichtum auszuschöpfen sind qualitative und quantitative Konzepte und Methoden notwendig, wie sie in der Prosopographie oder der historischen Personenforschung vorliegen. Ihr fühle ich mich nach wie vor verpflichtet, auch wenn ich gelegentlich anders zugegriffen habe. Im Mittelpunkt meines Interesses stehen grundsätzlich die handelnden Personen, Universitätsbesucher aller Art, Studenten und Absolventen, Promovierte und Nichtpromovierte, graduierte Gelehrte, Magister und Professoren, so jedoch, dass zugleich, wo immer möglich, ihr soziales Umfeld, ihre Familien, Gruppen und Netzwerke, Freundschaften und Genossenschaften mitberücksichtigt werden. Längere Zeit kreisten meine Arbeiten im Sinne von „Input-Studien“ um den Zugang zu Universitäten, um Wachstumsfragen, Grössenordnungen, räumliche und soziale Herkunft bzw. Einzugsbereiche, Migrationen und sozialräumliche Hintergründe, um Universitätsprofile oder um
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vorwort
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die Schnittstellen zwischen gesellschaftlicher und universitärer Rangordnung. In jüngerer Zeit traten vermehrt „Output-Studien“ hinzu, in denen die persönlichen Chancen, auf Grund des Universitätsbesuchs Karriere zu machen, ebenso ausgeleuchtet werden wie die soziale und kulturelle Wirkung, die Studenten und Gelehrte als Wissensträger und Experten in verschiedenen Berufsfeldern ihrer jeweiligen Lebensräume entfalten konnten. Letztlich geht es in allem um den Beitrag der mittelalterlichen Universität zur Grundlegung der neuzeitlichen Wissensgesellschaft. Meine aktuellen Bemühungen kann man unter www.rag-online.org erfahren. Angesichts dieser Interessenlage lassen sich die hier versammelten 25 Schriften fünf verschiedenen Themenfeldern zuordnen, freilich ohne dass diese streng voneinander zu trennen wären. Das erste Feld, „Die Universität“ betitelt, bietet samt einer Bestandsaufnahme zur deutschen Universitätsgeschichte eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit den verschiedenen Typen von Universität in Europa zwischen Genossenschaft und Herrschaft, zwischen Transformation und Innovation, und verfolgt über die Gründungen hinaus die schwierigen Phasen der Finanzierung, die ohne das Wirken kleiner Gruppen nirgendwo zu meistern gewesen wären. „Frequenz, Rekrutierung und Migration“ heisst das zweite Themenfeld, in dem es sowohl aus der Perspektive des Reiches als auch einzelner Räume und Universitätsstädte um das Frequenzwachstum der Immatrikulationen unter konjunkturellen Bedingungen geht und ferner um den Aufbau universitärer Einzugsräume bzw. spezifischer Rekrutierungs- und Migrationsräume der Universitätsbesucher. Dabei zeigen sich je nach Sozialverhalten der Migranten starke Ungleichheiten zwischen den Räumen, aber auch zwischen ganzen Universitäts- und Bildungslandschaften in Europa, namentlich zwischen Deutschland und Frankreich. Das dritte Themenfeld, „Ordo differencie: Gruppen, Schichten, Stände“ lenkt den Blick auf die innere soziale Ordnung der Universitäten des Reiches, die eine betonte Unterschiedsordnung war, in der jeder Besucher den seinem gesellschaftlichen Rang entsprechenden Platz zugewiesen erhielt, in der die Kleingruppe ein ebenso stabiles Element des Universitätslebens war wie der Klerus und die Ränder der Gemeinschaft von den armen bis zu den adligen Scholaren. Dabei zeigen sich Barrieren, sowohl zwischen den Fakultäten (Artisten – Juristen) als vor allem auch im Kreise der an den deutschen Universitäten besonders zahlreichen pauperes scholares, die durch amor scientiae allein nicht aufzubrechen gewesen sind. Um „Universitätskultur und studentisches Leben“ geht es im
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vorwort
vierten Themenfeld. Behandelt werden Zulassungsvorgänge rund um die Immatrikulation, die Bildung von Magisterfamilien in Kollegien und Studentenhäusern, die Ausprägung europäischer Studententypen sowie der studentische und magistrale Alltag in Studium und Freizeit. Das fünfte Feld schliesslich zeigt Zusammenhänge zwischen „Studium, Karriere und Profilen“ auf, entwirft bestimmte Karrieremuster und klärt deren Möglichkeiten ab, wobei eine glückliche Überlieferung einen Blick in das Notiz- und Rechnungsbüchlein eines ehemaligen Studenten aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts gestattet. Ferner werden Professionalisierungstendenzen verfolgt, das allmähliche, um 1500 noch kaum abgeschlossene Heranwachsen von graduierten Gelehrten als konkurrenzlosen akademischen Experten. Da fragt sich, wie das Reich im gelehrten Europa positioniert war und was es in Entwicklungszusammenhängen bedeuten mochte, dass die deutschen Universitäten zu mehr als 80 Prozent Artisten-Universitäten waren. Grund genug daher, sich auch die „Produktion“ einer Artistenfakultät näher anzusehen und die deutschen Universitäten insgesamt mit Innovationsräumen zu konfrontieren. Bis auf notwendige Zitieranpassungen und das Weglassen verschiedener Abbildungen ist in allen Beiträgen die Form der Erstveröffentlichung beibehalten worden. Meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Marie-Claude Schöpfer Pfaffen, Thomas Schwitter und Janine Frey, habe ich für die redaktionelle Unterstützung und die Registererstellung sehr herzlich zu danken, ebenso den Herausgebern, namentlich Professor Jürgen Miethke, für die Aufnahme meiner Schriften in die Reihe „Education and Society in the Middle Ages and Renaissance“. Bern, im Juli 2007
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TEIL I
DIE UNIVERSITÄT
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THE MEDIEVAL GERMAN UNIVERSITY: TRANSFORMATION AND INNOVATION* At the time of the founding of the University of Prague in 1348, the first university in the Holy Roman Empire, 23 universities already existed on the continent, nine of which were in Italy and eight in France. At the eve of the Reformation the correspondance to the older vehicles of academic culture appeared to be successful, at least as far as the number of functional universities was concerned. France counted 14, Italy 12, the Iberian Peninsula 10, and now the Empire 17 universities: Prague, Vienna, and Heidelberg, Cologne and Erfurt, Leipzig, Rostock and Louvain, Greifswald, Freiburg and Basle, Trier and Ingolstadt, Mainz and Tübingen, Wittenberg, and Frankfurt on Oder. All of them were founded between 1348 and 1506. The quantities, however, did not allow themselves to be simply converted into qualities. Furthermore, at the | end of the Middle Ages one could not talk about a balance 376 in the sense of an equality of rank. Very different university worlds still existed in Europe. The universities of the Empire were late, but in no sense ‘delayed phenomena’ which would have to search all the more rapidly for correspondance to the ‘older siblings’. In reality such a correspondance was not even possible. The haste of the former and the lagging behind of the latter allowed two fundamentally different university-historical epochs to arise, an older universal and a younger particular epoch; and medieval Europe was already able to thank them for three different types of universities. All three of them had the same name universitas, which keep alive the oath-taking, corporative origins, but they each filled out the name differently with different contents according to time, space, and self-awareness in the three medieval centuries between 1200 and 1500. German universities entered the picture late but thereby also as new types.
* In: Paedagogica Historica. International Journal of the History of Education 34 (1998), pp. 375–388.
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The universities of the older, universal epoch from the 12th to the 14th centuries developed under a universal conception which was realized exclusively in western and southern Europe, above all in France and Italy. Conception and epochs were universal, since the legitimizing powers were universal powers, the Holy Roman Empire and, even to a greater extent, the Roman papacy. The universities belonging to this epoch still appeared rather independent as either one, two or multiple faculty universities, as law universities, medical universities, liberal arts-medical universities, liberal arts-theological-medical universities; and even the later classic emergent four subject university already existed early, for example in Paris with, however, a fundamental difference toward later development: the men of arts alone organized and dominated here the university, in which the remaining subject groups appeared as mere appendages. Above all, however, subject-related and social major emphasizes were linked together. Through this the universities were differently shaped, most lastingly and, at any single time, type-formingly in Bologna and Paris. The former represented the southern, mainly Italian-southern French elite university of both those lawyers approaching power and those accustom to it. The latter stood for the western, northern French (and also partly English) liberal arts-theological university which was, to put it in overstated terms, an ‘university for everyone’. When the older conception broke apart in the course of the 14th century – accelerated through the Great Schism of the Roman church in 1378 – in the younger, particular epoch increasingly stronger territorial or national powers replaced those of the original universalism. The new conception was now determined by kings and princes, as well as in some regions by city authorities. The result was a new, third type of university which now united the classically developed Four-faculty university (i.e., law, medicine, theology, and liberal arts) in a common organization under one roof. The real university history of medieval Germany began at this particular stage and in the four faculty form. 377 | The University of Prague of 1348 formed to a certain extent the turning point of the transition from the universal to the particular epoch. It was at the same time the measure of the ability to strikingly integrate the older university types of Paris and Bologna into a new form, a form which up to the time had neither existed nor been tested elsewhere. Prague did not, however, pass this first test. The binding together of the socially incompatible groups of the noble-acting aristocratic lawyer milieu with those of the other socially and subject-related groupings
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did not function or still not yet. The majority of the people attending the University of Prague was not composed of the elite lawyers, but rather for the most part of lower ranging theologians and above all of the socially diffuse men of arts. Because of their constant low numbers, men of medicine or doctors were not important and would also never be important in the future of the universities of the late medieval Holy Roman Empire. At the same time uncertainties arose with respect to the leadership of the university over the succession of the rectors. Social barriers – legitimized through status and privileges – stood in the way of the expected formal under-ordering among the masters of arts. Within the one studium Pragense, however, one could not at the same time carry out ‘Parisian’ transactions and think ‘Bolognese’. Such a dualism would have – unimpeded and outside of royal or princely control – lead to social and constitutional conflicts. In the year 1372 the lawyers distanced themselves formally from the others. They founded a separate universitas dominorum juristarum/canonistarum, elected a separate rector, and managed their own college. Already from its relationship, this university of the Prague gentlemen also brought to the light of day a powerful self-awareness (like the French or Italian universities of the gentlemen law students) in comparison to the faded liberal arts-theological-medical university. The standard of the stadium – surveyed by its chancellor, the archbishop of Prague – remained as the only common denominator. Without this affiliation of both of the universitates to the papal privileged, universal institution of the studium Pragense, one would not have been able to survive in the academic world of Old Europe. Prague remained with its secession an experiment, a typical product of the transition or transformation which, however, already carried the new and innovative in itself. In the end the integration of the very completely nonhomogeneous personal associations or faculties was successful especially through the action of the comparatively modern territorial-state or nation-state. From this, the resulting new university type, the German type, was its university. From the beginning on it was under the control of the ruling grounder and founder, the state lord and his dynasty, his heirs and descendants. This counted also for the several cities or municipal leadership groups which founded universities in a no-less-ruling manner and in connection with economical interests – in Cologne, Erfurt, and Basle. For them, it was not a question of general educational policy, but rather of prestige as top priority and | 378 then secondly of the administrative personnel for the courts, churches,
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and cities; these were, however, very secondary and in very modest quantities. German universities were thus under an enormous centralization pressure from the very beginning on. They were forced to endure to greater extents the apparent further occurring milieu differences and tensions between the high-ranking lawyers and the other university members in one single university than their siblings in western and southern Europe. Neither in Vienna, which in the narrowest sense was the oldest Landesuniversität (state university) in Germany, nor in Tübingen as the youngest before the change toward the 16th century, were dualistic, successive endeavors ever again allowed. What existed in terms of ‘distancing behavior’, and that was definitely not negligible, was able to still manifest itself only legally from the authorities in a symbolic transaction – for example in the academic dress and headgear, in the sitting order, or the procession order. With of all of these the universities of the Empire differentiated themselves greatly from those in western and southern Europe, even still more from the contemporary, although in the meanwhile the universities of France, England, and Italy had also become considerably political objects since the open and simple beginnings of the 12th and 13th centuries. Each new location of studies was understandably differently created each time around in terms of its power structures or social environment than in either Paris or Bologna. Wherever in Europe the creation universitas went, it received another, individual history due to outside pressure and influence in addition to internal compulsion toward adaptability each time. The history of German universities was and remained, however, tied to the ruling powers, above all to the territorial ruling lord, his court, and his state. The right to found universities was just as clear an expression of the right to rule as the right to build castles, found cities, or found churches or cloisters. Just as with them, the lord conducted with his university substantial political endeavors, ruled in it, and maintained it completely available in the sense of personnel politics for control and government. For the lord, the university with its prebendal and paid teaching chairs was simply in principle a convenient possibility for him to acquire his servants and learned councilors, just like the collegiate church. This was like this from the beginning on, even when it was not equally recognizable at the same time, and some princely councilors, experts, and founding rectors like Marsilius of Inghen in Heidelberg or Heinrich Rubenow in Greifswald apparently had free rein. Those
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out of Paris, Bologna or from elsewhere inherited corporative freedoms of the universitas did not stand in the way of that, just as little like the handed-down institutional and associated powers of offices and function, of nations, colleges and faculties, just as little like the academic dignities and titles, the formulas of the foundation charters and statuts, the seals and scepters and the whole terminology. They were adapted to German conditions and territorially-politically interpreted from both the lord’s point of view as well as the university’s, at times both stronger and | weaker, according to the interests, will, and power disposition of the 379 lord. There was no place for autonomy in such interconnections. The term would have been anyway an anachronism; it reflects more the ideal of the classical German university of the 19th century rather than the medieval reality, even when this allowed the corporative universitas a certain, contractual freedom of movement granted within the charter of its establishment. What, however, looked like on parchment or in formal transactions in Paris or Bologna, was not the case. No founder of an university could permit either Paris, Orléans or Oxford, Bologna or Padua, together with their social and scientific reputations, to be created anew in Heidelberg or Vienna, Leipzig, Tübingen or Basle; only the formula was transferable. This was, however, important enough. Due to comprehensible reasons, it served for the legitimation of the new universities within the sphere of the existing ones and thus fulfilled similar functions like the privileges of the universal powers, the pope and the emperor. The ruling constellation now determined with complete resolution that future university system of the Holy Roman Empire would either be territorialized or regionalized. There was no longer an alternative toward regional existence in the political and social proximity of the ruling lord or municipal authorities; the territorialization of the Empire, the juridification of the state authority, and the power of the individual large cities were too far advanced, so that ‘free groups’ of teachers and/or students could not have had once again a chance like in Paris or Bologna, not even with the help of the pope or the emperor. The universal powers, for the time being still the pope, and then increasingly more and more the emperor since the second half of the 15th century – paralleling the retreat of the pope out of German history – safe guarded with its privileges still only the general recognition of a university and its formal equal ranking with the others in terms of teaching license, examinations, and academic titles were concerned. This recognition was especially indisputable in the Old Empire as long
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as it existed (until 1806). Every establishment without such a privilege – in the pre- as well as in the post-reformation time – would have undoubtedly cost the university its position and thereby its existence. The University of Prague was forced to experience already early on what a loss of recognition meant: When the Council of Constance (1414–1418) withdrew the university’s privileges under the charge of Hussite heresy, it lost its higher faculties, sank back to the level of an liberal arts-school and was thus eliminated for a long time out of the German as well as the European university history. Conversely, the most powerful papal or imperial privilege remained admittedly a wonderful privilege, as long as it was not embodied with political life by a state lord or municipal council and its environment. Wherever the lord failed (e.g., wherever he died too early without having socially secured his university founding in the regional and local environments), the university could not thrive or even not survive. For example, the Holy Roman Empire suffered such a fate in the first foundings in Vienna (1365–1384) and in Würzburg (1402–1411). | The territorial structure of the Empire, which was so decisive for 380 the differentness of German universities in Europe, was also the more important reason for its later appearance. It could not have been a question of powerlessness of German bishops or the failure of returning German students from Italy or France, or even of a low intellectual level in Germany – given the important cathedral and collegiate schools in Bamberg, Cologne, Hildesheim, Magdeburg or Erfurt; and the nonetheless important studia generalia of the mendicant orders in Cologne and Erfurt. The princely authority had to at first reasonably educate itself for a start in established territories. The universal empire of the Hohenstaufen clashing with the universal papacy was not very much interested in local education matters; it disturbed only universal privileges like the clerical concurrence or founded like Emperor Frederic II, as king of Sicily, a state university in Naples. After the fall of the Staufer dynasty the subsequent Roman-German kings as new Hausmacht-kings were too occupied in maintaining their positions, whereas the future state lords committed themselves as subsequent driving powers of German history toward the optimization of their rights to rule and the completion of their lands; the universities also contributed a building block toward this. Unlike the princes, however, the emperor and the Holy Empire never seized the initiative; due to constitutional reasons they were not even
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capable of doing so. Although the Empire of the late Middle Ages had many of the characteristics of a state, it was only underway toward becoming a modern state; it was troubled by constitutional problems, of which the problem of the crisis-laden ruling continuity (i.e., the Roman-German king/emperor was elected, and it could always result in a double election and change of dynasty) and the problem of centrality (i.e., the empire did not possess a capital city) were the most serious in comparison to other states in Europe. A royal-imperial university or a Reichsuniversität could have thus never been created. Aside from the several decades in which Prague, as the unique university in the Empire, fulfilled a definite focal-point function, a center in the Holy Roman Empire had never existed which would have been comparable to the role of Paris. Prague was, however, principally before all of its other facets, the university of the Luxemburgian dynasty in the kingdom of Bohemia. This was finally also the reason why the first university of the Empire originated in Prague and not, as one would have expected, in Cologne, although Cologne had much better organizational and intellectual prerequisites than Prague. Albertus Magnus and his student, Thomas Aquinas, taught in the Colognian studium generale of the Dominican friars as well as John Duns Scotus in that of the Franciscan friars. However, these early blossoms of the mendicant schools were equally little effective on university foundings. This was also the case with the political constellation on the Rhine, where the free city of Cologne and its former lord, the archbishop-elector, together with his high noble church, were integrated into nearly the total powers of the region and were also hostilely opposed to one another. Thus the university went to Prague | because – due to genealogical coincidences – a successful, future 381 major dynasty like the House of Luxemburg had its principal power base in Bohemia and its center in Prague, and because in a convenient moment an educated prince like Charles of Luxemburg, elector of the Empire, king of Bohemia, Holy Roman king and future Emperor as Charles IV, was capable of asserting himself. In addition, he also had experience in Italy and France and was able to arrange for wide-reaching university privileges to be given by the pope, Clement VI, who had been moreover his teacher as Petrus Rogerii in Paris. They introduced to the Luxemburgian dynasty, their new central domain Bohemia, and their residence Prague a hard-to-overestimate prestige in the Empire and in Europe. Charles was already systematically in the process of
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building up Prague as a royal residence; toward this goal counted both the elevation of the Praguian bishopric to the archbishopric in the year 1346 as well as the founding of the university two years later. What Luxemburg had prestigeously started would also be adopted very soon by the competitors in the Empire. As of 1506 all the large dynasties, the secular and clerical prince-electors, and the more important princes of the Empire had their universities, or at least access to an university in the nearby surroundings. The next powerful houses with claims to the throne began things. In 1365 the House of Habsburg established under Duke Rudolf IV the University of Vienna and renewed it under Duke Albrecht III in 1384, with at the time a granted theological faculty; political pressure on the popes of the Schism made this possible. In 1460 Freiburg im Breisgau entered the picture as Habsburgian Landesuniversität for the so called Austrian Vorlande. The House of Wittelsbach, at the time the elector-count-palatine line from the Rhine, founded Heidelberg under Ruprecht I in its principal location (1386). The Bavarian line of the Wittelsbacher followed first decades later under Duke Louis IX of Lowerbavaria-Landshut, who received in 1459 a privilege from Pope Pius II for a university in his former residence in Ingolstadt; however, the teaching of classes could not begin before 1472. Ingolstadt is the origin of the present-day University of Munich. In the year 1388 – but still after the three large houses – followed the Free City of Cologne. For the first time it seemed that the fact of an affiliation to an European leadership region on the Lower Rhine and the educational tradition in this moreover politically settled situation had had an effect. After arrangements had been made, the Colognian archbishop-elector and his territory would also be able to benefit from the university in the future. Several years later (1392) the Thüringian city of Erfurt opened its university. Erfurt, located in the territory of the archbishop-elector of Mainz, was a ‘half autonomous’ city, striving for independence, like that of Cologne. The archbishop-elector had also thus university access for all parts of his state. Not too much would have been missing and Erfurt would have anteceded Cologne. A papal privilege was already granted in 1379; however, in the Great Schism one bet on the ‘wrong horse’, namely the pope in Avignon, whereas the 382 largest | part of the Empire, above all east of the Rhine, went to the Roman obedience. Only first after ten years was Erfurt able to repair its political calculation mistake and act out its reputation as a school city full of tradition. The Mainzian elector himself founded in the person
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of Archbishop Diether II of Isenburg in 1476/77 the second university of his territory in Mainz. Mainz, the once again subjugated, formerly free city, now was build up as the residential city, not lastly also with the help of the university. In the early summer of 1409, when the Holy Roman and Bohemian King Wenceslas intervened in the already long smoldering social but also nationalisticly-colored conflict between the Praguian university nations and acted in favor of the indigenous Bohemian nation, over 400 professors and students left Prague out of protest against this socalled ‘Decree of Kutna Hora’, wandered away into the neighboring margravate of Meissen, and gathered in Leipzig. The local ruling lords, Margrave Frederic the ‘Streitbare’ and his brother William, reacted immediately, when also certainly with due consideration and not completely spontaneously, as it appeared to be from the perspective of the secession. They obtained with suspicious expediency a papal privilege and opened a university in the same year. Thus the House of Wettin, which had acquired the territory, the duke title, and the electoral dignity of Saxony in the year 1422, also had its university. In the division of the house in 1485 into an elector line (Ernestian) and a duke line (Albertian), Leipzig remained with the latter, so that the electors of Saxony saw themselves forced to found their own university in Wittenberg 1502. The archbishop of Trier and the margrave of Brandenburg were the last electors who founded an university. In the case of Trier, however, the municipal council had seized the initiative and bought the papal founding bull of 1454 from its city and ruling state lord, the Archbishop John II of Baden, in order to open under its own control the university in 1473. The House of Hohenzollern, which was only in the margravate of Brandenburg since 1417, needed nearly the entire 15th century in order to assert themselves against the Markian nobles and subjugate the cities. Plans for a Brandenburgian Landesuniversität in Frankfurt on Oder existed already for a long time; also the emperor now threaten the last elector without an university to found one. It could, however, only come into existence in 1506 under the elector Joachim I. Beneath the level of the electors and large dynasties important princes of the Empire and city authorities also founded universities: The Mecklenburgian duke house was responsible for the founding of the University of Rostock in 1419 in northern Middle Germany; the House of Burgundy as dukes of Brabant founded the University of Louvain in 1426 in the northwest of the Empire. After 1477, at the
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transfer of Burgundy to the House of Habsburg, Louvain became under King Maximilian the Landesuniversität (state university) of the Habsburgian Netherlands. In 1456 the dukes of Pommern (line Wolgast), who were in competition with Mecklenburg, founded their university in Greifswald. This university was already planned as of 1428 and nearly 383 almost existed when the | University of Rostock, during the interdiction over the city of 1437–1443, was moved to Greifswald. Finally, Tübingen, founded in 1477 by the Earl Eberhard ‘im Barte’ of Württemberg, was the Landesuniversität of the largest earldom of the Empire, before it was elevated by the emperor to a dukedom in 1495. The only university without considerable territorial backgrounds – apart from the small prince-bishopric of Basle and apart from the connection to the Swiss Confederation after 1500 – was the University of Basle, which was opened in 1460, and remained a city university like Cologne and Erfurt. It was to bring a good reputation to the city reminiscent of the flourishing University of the Council of Basle (1432–1449) and, above all, economical usefulness. The territorial structure of the Empire, which differentiated it so completely from other European countries in terms of its governmental constitution, also finally explains the growing number of universities. Already around 1500 one counted in the Holy Roman Empire north of the Alps more corporations than in the classically leading countries. This leading position based upon numbers would also not be conceded due to confessional stipulations until toward the end of the Old Empire at the beginning of the 19th century. At times over 40 universities existed, and no larger clerical or secular territorial state could have done without them in the sphere of the others. Landesuniversitäten – state universities were in this respect all linked together to the fate of their states. When up to 24 universities were closed at the end of the Old Empire, this did not take place because Germany would have been either over established or provincialized, nor because one would have gotten in each other’s way or would have even become mentally inflexible. It took place because the sponsoring states disappeared for the most part into larger governmental entities in the course of the Napoleonic new division of Europe. No one had stood in the way of others. Occurrences of exchanges of masters and students probably must have taken place between Heidelberg, Cologne, and Louvain, between Freiburg and Tübingen, Freiburg and Basle, Erfurt and Rostock; however, no university took students away from another one as a result of direct competition. As
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state universities, they drew principally their educational reserves from their own states; and as if by itself afterwards the behavior of the students geared itself to it, long before comparably modern states like the Burgundian-Habsburgian Netherlands or Bavaria thought that they had to impose either laws or bans concerning matriculation toward the end of the 15th century. In the early modern era the larger states like Prussia, Saxony, Bavaria, and Austria forbid, putatively in response to the interests of the state, the movement of indigenous students to foreign universities and linked the conferment of a post in the state with studies and obtainment of an academic title at the state university. Therefore also the smallest universities, sometimes true miniature institutions with not even 50 new matriculations per year, made sense. They stood simply in the service of their state and their state lord, but not as top priority in the higher service for education and science. | The latter, from medieval-ruling perspective rather a secondary 384 effect, initiated one of the long-term, most successfully innovative and compensative occurrences in Germany. Since Prague and the subsequent German universities, a learned education could be for the first time not only acquired outside of, but also within the borders of the Empire. This possibility would be surprisingly strongly utilized in Germany. Apart from the early years of the crisis, during which each university had to continuously search for social acceptance at both its geographical location and in the region, the number of university students in the Empire constantly increased since the second half of the 14th century as seen as a whole. One speaks of a strong trend of the Reichsfrequenz (R. C. Schwinges) which means the addition of frequencies of matriculations of all universities of the Empire. Added up until into the beginning of the 16th century, nearly a quarter of a million people (exclusively men) must had been inscribed in the matriculation books of German universities. Between the years 1385 and 1505 exactly 204 832 matriculations are verified; most of the people actually studied. This number is especially significant when compared to the background of the general development of the population. As a result of the Black Death, which swept in waves every five to ten years over the Empire, the population decreased drastically between 1348 and c. 1450, then stagnated, and rose gradually only again in the last quarter of the 15th century. University attendance and population development proceeded accordingly for decades in opposite directions. The average rate of growth of the Reichsfrequenz attained significantly 1,75 percent per year between 1385 and 1505 despite the overwhelming depressive
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demography. Thus the proportion of the attendance of universities to the population of the Empire was significantly over proportioned. For example, Nuremberg, one of the medieval German large cities, had around the year 1500 some 35 000 inhabitants and thus a quarter percent of the population of the Empire. It also supplied nearly four times as many students in the named time period than one would have expected based upon its portion of the population. However, the numbers of university attendances did not simply continue to steadily increase, however, as the rate of grow would suggest. One can observe many different strong acceleration phases or surges of growth. In order to attain namely the triple starting point frequency of the basis year 1400, a period of 40 years was required; in order to attain this once again thrice over, 70 additional years were necessary, even though the number of German universities had nearly doubled in this time frame. Since the 1480s, long before the deep cleft which the period of the Reformation would bring, the growth of the Reichsfrequenz came to a halt. This occurred, however, at a very high level and approximately at the same time, since the population slowly increased once again. The universities of the Empire from Louvain to Vienna, from Rostock to Basle, at which yearly between 2 500 to 3 000 new people attended classes, already created a large surplus of academically educated individuals; however, there was no need whatsoever for such 385 a supply either at the royal or princely | courts or in the cities, schools, offices, law courts, or at the prebend system of the German church. As long as the universities were still a means of ruling in the first place, and the idea of the common benefit first only gradually began to present itself, the need did not allow itself to be influenced. The frequentative situation at the end of the 15th century can be described as the first crisis of overcrowding of German universities. This large number of from up to 3 000 new matriculants per year was one of the most interesting and earliest results of the balancing-out development. The participants were definitely unaware of this, since one had understandably little awareness of positive developments at all. This was, however, not the case for the negative developments, because through them the existence of universities could be occasionally endangered. Nevertheless, through the variety of yearly new people attending university something like a ‘market-supply pressure’ was created for local princes, cities, and churches. This accelerated a modernization in the Empire and the territories at the change of the 15th to 16th centuries, a real time of transition, transformation, and innovation.
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What happened here quantitatively can be compared thoroughly in its importance with the general emergence of education in Germany in the 19th century. Several of the older universities, which are still in existence today and which have developed into academic large enterprises (e.g., Cologne, Vienna, Heidelberg, Leipzig, Tübingen, Freiburg), had their largest frequentative successes first in the 15th century and then only once again in the 19th and 20th centuries. Admittedly – one could hardly talk about balance in a qualitative view. Unlike in western and southern Europe, where very often the higher faculties dominated, often before the law faculties, German universities educated up to 80 or more percent men of liberal arts; only 10 to 15 percent were allotted to lawyers, the majority still canonists; the rest was split between the theologians and medical doctors. The exact significance of this fact is still admittedly a largely unanswered question in German research. Consequently, the social, scientific, and societal results which arose out of this variable distribution also need to be considered. This is especially true of the already purely quantitative dominance of the men of arts at all of the German universities. Several questions are only now being raised in order to stimulate new studies. For example, questions concerning the innovative potential of university-educated individuals of the most widely differing levels of competence, or concerning the correlation of the history of scientific and academic effectiveness; and lastly, connected with the latter, questions concerning the cultural and social achievement of German universities of the late Middle Ages. Bibliography | Boehm, Laetitia and Rainer A. Müller (Ed.), Universitäten und Hochschulen in 386 Deutschland, Österreich und der Schweiz, Düsseldorf 1983. Boehm, Laetitia, Geschichtsdenken, Bildungsgeschichte, Wissenschaftsorganisation. Ausgewählte Aufsätze von Laetitia Boehm anlässlich ihres 65. Geburtstages, ed. by Gert Melville, Rainer A. Müller, and Winfried Müller (Historische Forschungen 56), Berlin 1996. Bonjour, Edgar, Die Universität Basel von den Anfängen bis zur Gegenwart 1460–1960, Basle 21971. De Ridder-Symoens, Hilde (Ed.), A History of the University in Europe I: Universities in the Middle Ages, Cambridge 21994. Denifle, Heinrich, Die Entstehung der Universitäten des Mittelalters bis 1400, Berlin 1885 (Reprint Graz 1956). Doeberl, Max (Ed.): Das akademische Deutschland, vol. 1: Die deutschen Hochschulen in ihrer Geschichte, Berlin 1930.
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GENOSSENSCHAFT UND HERRSCHAFT IN DER UNIVERSITÄT DER VORMODERNE VOM 12. BIS 15. JAHRHUNDERT* Genossenschaft und Herrschaft waren die tragenden Säulen der mittelalterlichen, vormodernen Gesellschaften des westlichen, papstkirchlichen und auch konfessionellen Europa. Im Prinzip kann man das gesamte Kräftespiel in einer Gesellschaft nebst ihren Strukturen, ihr gesamtes politisches, soziales, kulturelles und ökonomisches Leben auf diese beiden Säulen reduzieren. Was immer eine Gesellschaft betraf, betraf zugleich das Verhältnis zwischen Genossenschaft und Herrschaft – und dies galt wie für jeden Teil der Gesellschaft, so auch für die Universität. Diese Aussage impliziert, dass keine Universität – wo auch immer in Europa, heute wie damals – in ‘Einsamkeit und Freiheit’ über der Gesellschaft schwebte, vielmehr ausnahmslos deren Bestandteil war. Dass man dies – fast etwas Banales – noch heute betonen muss, hängt mit der besonderen Forschungsdiskussion in der deutschsprachigen Universitätsgeschichtsschreibung zusammen, in der eine wirkungsmächtige historische Idealisierung der Universität, vermeintlich aus dem Geist der klassischen deutschen Universität des 19. und 20. Jahrhunderts heraus, lange Zeit hinderlich gewesen ist für einen adäquaten und vor allem anachronismusfreien Zugang zur Universität der Vormoderne. Neuere sozial- und | kulturgeschichtliche Arbeiten des letzten Jahrzehnts 79 haben jedoch eine Wende eingeleitet und wieder für Anschluss an die ausserdeutsche Forschung gesorgt1. Zwischen Genossenschaft und Herrschaft waren die Universitäten von Anfang an vielen inneren wie äusseren Kräften ausgesetzt. Dies hat in Europa drei verschiedene Typen von Universität hervorgebracht – mit einer Langzeitwirkung von Jahrhunderten: den Pariser,
* In: Entwicklung und Realisierung des Genossenschaftsgedankens vom Mittelalter bis zur Gegenwart, hg. vom Historischen Verein Bayerischer Genossenschaften (Schriftenreihe zur Genossenschaftsgeschichte 2), München: Bayerischer Raiffeisen- und Volksbanken-Verlag 2000, S. 78–94. 1 Rainer Christoph Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert. Studien zur Sozialgeschichte des alten Reiches, Stuttgart 1986, S. 2ff., 446. Zur Diskussion zusammenfassend Michael Borgolte, Sozialgeschichte des Mittelalters. Eine Forschungsbilanz nach der deutschen Einheit, München 1996, S. 373–384.
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den Bologneser und den sogenannten deutschen Typ. Diese drei Typen seien im Folgenden unter dem Leitthema des Verhältnisses zwischen Genossenschaft und Herrschaft behandelt, ungeachtet einmal der verschiedenen Filiationen und Differenzierungen, denen sie in Europa unterworfen waren. Der Pariser Typ Der Pariser Typ entstand wie der Bologneser in der ersten Expansionsphase Europas seit dem 12. Jahrhundert. Stichworte wie Bevölkerungsvermehrung, Mobilität, Siedlungsbewegung, Urbanisierung, Verkehrswirtschaft kennzeichnen die äusseren Rahmenbedingungen, Kirchenreform, neue Orden und religiöse Bewegungen, Aneignung oder Neuaneignung antiken Wissens und antiker Bildung in Jurisprudenz, Medizin und Philosophie, neue Denkformen und Mentalitäten im Stolz auf eigene geistige Leistungen kennzeichnen die inneren Rahmenbedingungen. Wer unter diesen Bedingungen lernen wollte, musste wandern, wer lehren wollte ebenfalls. Die Zentren des Bildungsaufschwungs lagen allesamt in den Städten der wirtschaftlich früh entwickelten und politisch bedeutsamen Regionen im nördlichen Frankreich und in Oberitalien. Für Theologie und Philosophie bzw. die artes liberales war Frankreich die in Europa herausragende Bildungs- und Schullandschaft. In Städten wie 80 Laon, Reims, Orléans, Tours, | Chartres, Poitiers und ganz besonders in Paris konzentrierten sich die Ereignisse. Hier entwickelte sich in ersten Formen ein wissenschaftlicher Unterricht für viele, im Prinzip ein Unterricht für jedermann, durch den die Exklusivität der Ausbildung des geistlichen Nachwuchses allmählich aufgebrochen wurde2.
2 Dazu in Auswahl: Heinrich Denifle, Die Entstehung der Universitäten des Mittelalters bis 1400, Berlin 1885 (Ndr. Graz 1956), passim; Jacques Verger, Les universités au moyen âge, Paris 1973, S. 9–36; ders. (Hg.), Histoire des universités en France, Toulouse 1986, S. 19–33; ders., Grundlagen, in: Rüegg, Walter. (Hg.), Geschichte der Universität in Europa, 2 Bde, München 1993, hier: Band I: Mittelalter, S. 49–80; Allan Balfour Cobban, The Medieval Universities: Their Development and Organization, London 1975, S. 75–95; Peter Weimar (Hg.), Die Renaissance der Wissenschaften im 12. Jahrhundert, Zürich 1981; Robert Louis Benson and Giles Constable (Hg.), Renaissance and Renewal in the Twelfth Century, Cambridge Mass. 1982; Stephen C. Ferruolo, The Origins of the University. The Schools of Paris and Their Critics, 1100–1215, Stanford 1985; André Tuilier, Histoire de l’Université de Paris et de la Sorbonne, Tome I, Des origins à Richelieu, Paris 1994, S. 29–39.
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In diesem System des Unterrichts für viele agierten Lehrer, magistri, gleichsam als freie Bildungs-Unternehmer, die ihrem Anhang Wissen und Methodik (die Scholastik) verkauften und von Honoraren lebten, wie es das Beispiel des berühmten Petrus Abaelardus zeigen mag3. Solche um ihre Lehrer gescharte Personengemeinschaften nannte man im 12. Jh. sectae, scholae oder familiae. Diese waren weder örtlich fixierte noch institutionell gesicherte, vielmehr äusserst mobile Gemeinschaften. Sie entstanden und wuchsen, wanderten und lösten sich wieder auf, entsprechend dem Rang, dem Prestige, der Anziehungskraft des Lehrers. Sie waren krisenanfällig und konfliktträchtig, konkurrenzierten einander und provozierten andere, den Bischof und seine Geistlichkeit, den König, seine Polizei und die Bevölkerung und existierten nicht zuletzt auch als Fremde in der Fremde unter nahezu anarchischen Konditionen oder in “Verhältnissen der Desorganisation”, wie man bezüglich des allgemeinen Entstehens von Einungen, Gilden, Schwurverbänden gesagt hat4. | Seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert fanden diese Personenge- 81 meinschaften, scholae oder Magisterfamilien, geboren gewissermassen aus Krisen und dem Ausfechten von Gegensätzen, Schritt für Schritt zu einer neuen Organisationsform zusammen, die sich um 1200 als universitas verstand. Der Gleichlaut von Universitas – Universität darf freilich nicht zu einer bei Universitätsjubileen gerne beschworenen Kontinuität, eher Scheinkontinuität, verleiten; denn am Anfang meinte das Wort universitas einfach eine Personengruppe, eine Gemeinschaft, eine Bruderschaft oder Genossenschaft. Die zeitgenössischen Juristen verstanden darunter eine Gruppe, die sich eine Satzung, ein Statut gab, die einen bestimmten Zweck verfolgte, auch ein eigenes Bewusstsein von sich selbst hatte und die sich damit von anderen Gruppen unterschied. Der Begriff stand daher nie für sich allein, sondern bedurfte stets einer gruppenspezifischen Präzisierung5. Er meinte dann korrekt zum Beispiel mit universitas civium eine städtische Bürgergemeinde 3
u.ö.
Jacques Le Goff, Die Intellektuellen im Mittelalter, Stuttgart 1986, S. 40–54,
4 So Lujo Brentano, zitiert in dem für unser Thema auch sonst einschlägigen Artikel von Otto Gerhard Oexle, Alteuropäische Voraussetzungen des Bildungsbürgertums – Universitäten, Gelehrte und Studierte, in: Werner Conze und Jürgen Kocka (Hg.), Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert, Teil I: Bildungssystem und Professionalisierung in internationalen Vergleichen, Stuttgart 1985, S. 29–78, hier S. 42. 5 Grundlegend: Pierre Michaud-Quantin, Universitas. Expressions du mouvement communautaire dans le moyen âge latin, Paris 1970. Für die Universitäten Olga Weijers, Terminologie des universités au XIIIe siècle, Rom 1987, S. 15–45.
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oder mit universitas clericorum eine Klerikergemeinschaft an irgendeiner Kirche oder mit universitas magistrorum et scholarium einen Verbund von Lehrern und Schülern. Am Ende wird auch die Örtlichkeit präzisiert, so dass die künftige Universität Paris um die Mitte des 13. Jahrhunderts urkunds- und siegeloffiziell universitas magistrorum et scholarium studii Parisiensis heisst, die Genossenschaft der Lehrer und Schüler, die das studium, d. h. die eigentliche Einrichtung des Lehrens und Lernens, zu Paris trägt6. Was uns heute nicht mehr zugänglich ist, die Unterscheidung von Personenverband und Institution, war der älteren Vormoderne absolut geläufig. Die universitäre Genossenschaft adaptierte um 1200 freilich, wie dies auch andere universitates taten, eine ältere Form der Gruppenbil82 dung in Europa, nämlich die | conjuratio, die geschworene Einung, den Schwurverband oder die Eidgenossenschaft. Solche Gruppen entstanden durch freien Zusammenschluss der Beteiligten, vertraglich und eidlich gesichert, zu Schutz und Hilfe untereinander und zu selbstgesetztem, positiven Recht. Die Universität als geschworene Gemeinschaft war gewiss etwas qualitativ Neues, allerdings nur insofern, als zum ersten Mal die Sozialform der Einung auch auf den Bereich von Bildung und Wissenschaft übergegriffen hatte. Die Form selbst entstammte der agrarischen Welt des frühen Mittelalters und wurde seit dem 11./12. Jahrhundert vor allem im städtischen Milieu, bei der Entstehung der Stadtkommunen sowie in den Gilden und Verbänden der Kaufleute und Handwerker vielfältig konkretisiert. Diesem Vorbild folgte die Universität und zeigte damit in aller Klarheit, dass sie keine Wurzeln in der Antike oder in anderen Kulturen, namentlich im Islam hatte, wie oft behauptet wird, sondern ein spezifisch urbanes, stadtbürgerliches Phänomen der europäischen Geschichte, zumal des westeuropäischen Mittelalters war7. Beim Zusammenschluss der verschiedenen Magisterfamilien und Schulen zu einer geschworenen universitas ging es um das Durchsetzen von magistralen Interessen gegenüber anderslautenden der örtlichen Gewalten. Insofern ist die Entstehungsgeschichte der Pariser Universität in der Tat eine Krisen- und Konfliktgeschichte, eine Geschichte des
Verger, Universités en France (wie Anm. 2), S. 28ff. Vgl. Otto Gerhard Oexle, Die mittelalterlichen Gilden: ihre Selbstdeutung und ihr Beitrag zur Formung sozialer Strukturen, in: Albert Zimmermann (Hg.), Soziale Ordnungen im Selbstverständnis des Mittelalters (Miscellanea Mediaevalia XII/1), Berlin 1979, S. 203–226; ders., Voraussetzungen (wie Anm. 4), S. 30–36. 6 7
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Ausfechtens von Gegensätzen, durchaus zwischen genossenschaftlichen und herrschaftlichen Prinzipien8. Auf der einen Seite stand die geistliche Gewalt, der Bischof von Paris, der die Jurisdiktion über sämtliche Lehrende und Lernende in der Stadt verlangte, und der Kanzler oder Scholaster der Kathedrale von Notre Dame, der gleichsam als Schulaufsichtsbehörde das kirchliche Bildungsmonopol | sowie Unterricht 83 und Bildungsinhalte zu überwachen und zu reglementieren trachtete. Das hiess in der täglichen Praxis, dass der Kanzler im Auftrag des Bischofs die Lehrbefugnis erteilte, die licentia docendi an neue Lehrer der artes liberales, der Theologie, der Rechte und der Medizin. Problematisch war dabei nicht sein Erteilungsrecht als solches, problematisch und konfliktträchtig war vielmehr die Frage, wer die magistri kreierte, der Kanzler oder die universitas magistrorum. Neben der geistlichen sieht man gemeinhin die weltliche Gewalt der Bürger von Paris und der königlichen Polizei. Es ging um Auseinandersetzungen über den Schutz und den rechtlichen Status der Magister und Scholaren in fremder Umgebung bei Streitigkeiten mit der Bevölkerung und dem Stadtkommandanten, dem Prévôt. Der König von Frankreich, Philipp II. August, war im Jahre 1200 jedoch nicht gewillt oder sah keine Notwendigkeit, eine aktive Rolle gegenüber Magistern und Scholaren zu spielen; er überliess die Sorge für die Disziplin der Pariser Kirche und überwies die Gesamtheit der Schulen in deren Rechtskreis bzw. an das bischöfliche Gericht, gleichgültig ob Betroffene Kleriker oder Laien waren. Demgegenüber kann man den Standpunkt der vereinigten Schulen in drei wesentlichen Punkten zusammenfassen9: Zum einen verlangte man ein eigenes Rekrutierungs- bzw. Kooptationsrecht, um selbst und nicht der Kanzler von Notre Dame darüber zu befinden, wer als Lehrer und potentieller Konkurrent als Bildungsunternehmer eine neue Schule eröffnen dürfe. Zum anderen forderte man wie jede andere Einung das Recht, sich selbst Statuten geben zu können und eine eigene Unterrichtsorganisation in gegenseitiger Hilfe der Magister aufzubauen. Dies implizierte auch ein eigenes Sanktions- und Exklusionsrecht, um den Gehorsam gegenüber den Statuten kontrollieren und missliebige
8 Zum Folgenden insbesondere die Arbeiten von Verger, Cobban, Ferruolo, Tuilier (wie Anm. 2) und die ältere (1934), wichtige Arbeit von Gaines Post, Parisian Masters as a Corporation 1200–1246, in: ders., Studies in Medieval Legal Thought, Princeton 1964, S. 27–60. 9 Vgl. Verger, Universités au moyen âge (wie Anm. 2), S. 34f.
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Personen entlassen zu können. Und zum dritten bestand man auf dem 84 Recht der freien Wahl seiner Vertreter und | Repräsentanten, der
Prokuratoren und Rektoren, gegenüber den weltlichen und geistlichen Autoritäten. Im Interessenkonflikt mit den Pariser Gewalten hätten Magister und Scholaren indessen kaum obsiegt, hätten sie sich nicht in ganz bezeichnender Weise traditional-alteuropäisch verhalten. Man konnte einer Gewalt nur dadurch auf Dauer entkommen, indem man sich einer höheren Gewalt unterstellte und ihren Schutz erlangte. Der französische König hatte in dieser Hinsicht nur lokale Funktionen oder flankierende Massnahmen beizusteuern. Die einzige Autorität, die gleichzeitig globalen Schutz gewähren und lokale Gewalten einigermassen in Schach halten konnte, war der Papst. Sich an ihn zu wenden, war der einzig konsequente und erfolgversprechende Schachzug im politischen Gefüge der Zeit. Als der Papst akzeptierte und seine Privilegien erteilte, war die Existenz der neuen Genossenschaft gesichert, auch wenn dafür fast fünf Jahrzehnte bis um 1250, und alles andere als konfliktfreie Jahrzehnte, benötigt wurden10. Ortsbischof und Kanzler behielten zwar ihre Aufsichtsfunktionen, jedoch unter Kontrolle des Papstes, der eigens einen unabhängigen Wächter der Universitätsprivilegien ernannte. Fortan wird es bis zur Reformation keine Universität in Europa geben, die ohne die Mitwirkung des Papstes gegründet, geschweige denn künftig ausgekommen wäre. Mit der Rückendeckung des Papsttums konnte sich der Schwurverband Universität schon sehr bald ein druckvolles, kollektives Handeln erlauben. Probates Mittel bei schweren Verstössen gegen die Privilegien war die Sezession, der Auszug der Magister und Scholaren aus der Universitätsstadt. Paris war 1229 davon betroffen. Vor allem Engländer und Deutsche kehrten in ihre Heimat zurück, andere zogen nach Angers und nach Orléans, wieder andere nach Toulouse, wo neue universitates entstanden. Auch in Italien und Spanien bildeten sich in dieser Frühzeit Exodus-Universitäten, und selbst Cambridge entstand 85 1208 durch Auszug aus Oxford. | “Man könnte also sagen, dass sich die Universität in der Wahrnehmung und Durchsetzung ihrer genossenschaftlichen Autonomie selbst verbreitet hat”, in entscheidender Weise aber gestützt auf das Papsttum, das diese Form der libertas scholastica,
10 Tuilier, Paris (wie Anm. 2), S. 41–67; Paolo Nardi, Die Hochschulträger, in: Rüegg, Geschichte (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 87–96.
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der genossenschaftlichen Freiheit und Freizügigkeit in der Selbstbestimmung, ausdrücklich auch als Freiheit zum Lehrboykott und zur Sezession privilegierte11. Der Bologneser Typ Dieser Typ, die sogenannte Studenten- oder Scholarenuniversität, wird gern als Alternative zur Pariser Magisteruniversität gesehen, weil Studenten die Initiative zur Bildung der universitas in Bologna ergriffen hatten; doch ist dabei wegen des diffusen mittelalterlichen Studentenbegriffs Vorsicht geboten und insbesondere seine soziale Dimension zu beachten12. Während man sich in Paris im Milieu von Artisten-Philosophen und Theologen aufhielt, hatte man es in Bologna wie auch anderen oberitalienischen Rechtsschulen mit gelehrten Juristen und Rechtspraktikern zu tun, mit Leuten, die Römisches Recht, Kaiserrecht studierten, glossierten, lehrten und anwendeten. Infolgedessen waren die Entstehungsprämissen der beiden Universitätstypen schon jeweils andere. Während sich die Pariser Magister in der universitas eine eigene Organsiationsform gegeben hatten und sie nachträglich erst durch die hohen Gewalten von Papst und König sanktionieren liessen, scheint es in Bologna umgekehrt verlaufen zu sein. Am Anfang stand hier eine kaiserliche Authentica, das berühmte Schutzprivileg Habita Kaiser Friedrichs I. Barbarossa aus dem Jahre 1155, das paradoxerweise aber gar nicht speziell für Bologna erlassen wurde. Weder der Kaiser noch seine Berater, die rechtsgelehrten Bologneser | Doktoren und Schulun- 86 ternehmer hatten die Absicht, ein Modell für eine künftige Universität zu entwerfen. Es ging vielmehr um den allgemeinen Schutz derer, die um des Studierens willen unterwegs waren, um den Schutz vor Übergriffen und Willkür der Behörden und die Exemption der fremden Studenten aus der städtischen Jurisdiktion. Dennoch kann dieses universal gehaltene Privileg am Anfang der Entstehungsgeschichte der Bologneser Universität stehen. In Paris organisierte man sich in sozialer 11 Zitat nach Oexle: Voraussetzungen (wie Anm. 4), S. 47. Zu den „Exodus-Universitäten“ Denifle (wie Anm. 2). Die entsprechende Privilegierung in der berühmten Bulle Parens scientiarum Papst Gregors IX. vom April 1231 für Paris, in: Henrich Denifle und Emile Chatelain (Hg.), Chartularium Universitatis Parisiensis I, Paris 1891 (Ndr. Brüssel 1964), Nr. 79, S. 136ff. 12 Zum Studentenbegriff vgl. Rainer Christoph Schwinges, Der Student in der Universität, in: Rüegg (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 181–187.
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Spontaneität, in Bologna – im Milieu der Juristen vielleicht nur allzu verständlich – im “Schlagschatten eines Gesetzes”13. Die blosse Existenz des kaiserlichen Gesetzes förderte nachhaltig den Zusammenhalt und das Selbstbewusstsein einer Gruppe in der Stadt, nämlich die Gemeinschaft der hier fremden Studenten, förderte und beschleunigte durch die privilegierte Sonderstellung zugleich aber auch das Konfliktpotential gegenüber der Kommune und gegenüber den Magistern, die hier Doktoren hiessen. So war die Bologneser Entstehungsgeschichte in ähnlicher Weise als Krisen- und Konfliktgeschichte angelegt wie die von Paris14. Im Beziehungsfeld von Stadt, Studenten und Doktoren hatten letztere eindeutig die schwächste Position inne. Sie waren als Schulunternehmer auf Honorarbasis völlig von ihren Schülern abhängig, waren einander Marktkonkurrenten und so noch um 1200 nicht in der Lage – anders als die Pariser Magister – auch nur rudimentäre Formen einer Doktorengenossenschaft zu bilden. Abhängig 87 waren sie freilich auch von der Stadt, die die ökonomische | Potenz der Schulen zwar durchaus zu schätzen wusste, Doktoren des römischen Rechts aber per se als Kaiserliche verdächtigte, als Ghibellinen mit einem politischen Schlagwort der Zeit, sie kontrollierte und sehr bemüht war, erfolgreich im ausgehenden 12. Jahrhundert, sie durch Residenzeid und Einbürgerung ein für allemal an die Stadt zu binden. So waren die studentischen Gruppen im wesentlichen auf sich allein gestellt, um dem kaiserlichen Privileg in der Stadt Geltung und sich selbst Recht und Sicherheit zu verschaffen. An die Stelle der doktoralen
13 Winfried Stelzer, Zum Scholarenprivileg Friedrich Barbarossas (Authentica „Habita“), in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 34 (1978), S. 123–165 (mit Edition). 14 Zur Frühzeit Bolognas und zum Folgenden John Kenneth Hyde, Commune, University, and Society in Early Medieval Bologna, in: John Wesley Baldwin und Richard A. Goldthwaite, (Hg.), Universities in Politics, Baltimore/London 1972, S. 17–46; Verger, Universités au moyen âge (wie Anm. 2), S. 36–41, passim; Cobban: Medieval Universities (wie Anm. 2), S. 48–74; Girolamo Arnaldi (Hg.), Le origini dell’ Università, Bologna 1974; ders., L’Università di Bologna, in: Gian Paolo Brizzi und Jacques Verger (Hg.), Le Università dell’Europa. La nascita delle Università, Milano 1990, S. 85–115; Manlio Bellomo, Saggio sull’Università nell’età del diritto comune, Catania 1979; Walter Steffen, Die studentische Autonomie im mittelalterlichen Bologna Eine Untersuchung über die Stellung der Studenten und ihrer Universitas gegenüber Professoren und Stadtregierung im 13./14. Jahrhundert, Bern 1981, S. 43–75, passim; Helmut G. Walther, Die Anfänge des Rechtsstudiums und die kommunale Welt Italiens im Hochmittelalter, in: Johannes Fried (Hg.), Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters, Sigmaringen 1986, S. 121–162; Ovidio Capitani (Hg.), L’Università a Bologna. Personaggi, momenti e luoghi dall’origini all XVI. secolo, Bologna 1987.
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societates oder comitivae, die zusehends an Bedeutung verloren, traten jetzt eigene studentische societates, genossenschaftliche Interessenverbände auf der Grundlage der Landsmannschaften, der sog. nationes, die allesamt als geschworene Einungen bald unter der zusammenfassenden Bezeichnung universitates fungierten. Die besondere geographische und politische Situation Bolognas liess dabei gleich zwei studentische Genossenschaften entstehen: die universitas citramontana, die Gemeinschaft aller Italiener mit Ausnahme der Bolognesen, die als Stadtbürger nicht mitorganisiert wurden, und die universitas ultramontana, die Gemeinschaft aller Nichtitaliener. An der Spitze dieser Universitäten erschienen bereits in den 1190er Jahren zwei gewählte Repräsentanten, Rektoren, die im Auftrag der beiden universitates scholarium ohne Rücksicht auf die Doktoren mit der Stadt über ihre Forderungen verhandelten. Es waren dies im Prinzip die gleichen wie in Paris: Rechtssicherheit, Statutenrecht, Wahlrecht und Sezessionsrecht, mit einer Ausnahme, durch die die Bedürfnisse der Studenten als Bildungsabnehmer gesondert formuliert wurden. Was den Pariser Magistern das Selbstrekrutierungsrecht, war den Bologneser Studenten das Mitbestimmungsrecht im Lehrbetrieb, in dem man mitplanen und einen Unterricht verlangen wollte, der sein Geld wert war. So wie in Paris liessen sich die genossenschaftlichen Forderungen und Rechte auch in Bologna nicht von heute auf morgen gegen die herrschaftlichen Prinzipien durchsetzen. Um die Jahrhundertwende begann eine Zeit der Turbulenzen, einmal | schwelender, einmal offener 88 Konflikte, und die Doktoren opponierten gemeinsam mit der Stadt. Als man die Selbstverwaltung zu beschränken suchte und schliesslich sogar von den Studentenrektoren, stellvertretend für ihre universitates, ebenso wie von den Doktoren den Residenzeid verlangte, den Verzicht also auf das Sezessionsrecht, wandten sich auch die Bologneser Studenten an die höhere Instanz und versicherten sich der privilegierenden Unterstützung des Papstes (Honorius III)15. So vollzog sich die abschliessende Entwicklung der Universität und ihrer libertates scholarium in den 20er Jahren des 13. Jhts unter der Kontrolle des Papstkirche. Dass nun im Gegensatz zur Pariser Magisteruniversität in Bologna Universitäten mit studentischer Selbstverwaltung entstehen konnten, hatte seinen Grund in erster Linie – wie schon angedeutet – in der
15 Steffen: Autonomie (wie Anm. 14), S. 53ff.; Nardi, Hochschulträger (wie Anm. 10), S. 89f.
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unterschiedlichen sozialen Verfasstheit der beiden Typen. Anders als in Paris waren die Studenten Bolognas in aller Regel keine Jugendlichen, die ihren Magistern bereitwillig die Organisation überliessen, sondern bereits gestandene Erwachsene. Vom Alter her waren die Bologneser Studenten den Pariser Magistern ebenbürtig; hier stand man auf gleicher Stufe, was den Organisationselan jeweils über Jahrzehnte hinweg erklären hilft. Hinzu kam aber – und damit hört jede Ebenbürtigkeit auf, dass viele der Bologneser Studenten vor allem nordalpiner Herkunft Angehörige von reichen, oft adeligen, politisch durchsetzungsund herrschaftsfähigen Familien waren. Alter, Status und Stand gaben ihnen mehr Reife, sicheres Auftreten und den nötigen Nachdruck in den Verhandlungen mit der Kommune und den Doktoren. Im übrigen waren sie Juristen, die kommende Verwaltungselite, und als solche schon als Scholaren weit abgesetzt vom Massenmilieu der Artisten und Theologen des Pariser Typs16. Der Deutsche Typ 89 | Er ist jünger als Paris und Bologna, kommt spät, aber nicht verspätet
im europäischen Vergleich, sondern gehört einer jüngeren und gänzlich anders gelagerten Epoche der europäischen Universitätsgeschichte an. Paris und Bologna entstanden in der universalen Epoche des 12. bis 14. Jahrhunderts unter universaler Konzeption, so benannt, weil die legitimierenden Kräfte universale Kräfte waren, der römisch-deutsche Kaiser, vor allem aber der Papst. Bologna stand in dieser Zeit als Typus für die südliche, in der Hauptsache italienisch-südfranzösische elitäre Juristen-Universität, Paris für die westliche Artisten-Theologen-Universität, die – nur wenig überspitzt gesagt – die ‘Jedermann-Universität’ war. Als die ältere Konzeption im Laufe des 14. Jahrhunderts zerbrach – beschleunigt durch das Schisma der Papstkirche von 1378 – traten in der jüngeren, partikularen Epoche immer stärker territoriale oder nationale Kräfte an die Stelle des ursprünglichen Universalismus17.
16 Steffen: Autonomie (wie Anm. 14), S. 82ff.; Jürg Schmutz, Juristen für das Reich. Die deutschen Rechtsstudenten an der Universität Bologna 1265–1425 (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 2), Basel 1999. 17 Robert Norman Swanson, Universities, Academics, and the Great Schism, Cambridge 1979.
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Jetzt bestimmten sie – Könige und Fürsten, hier und da auch städtische Obrigkeiten – die neue Konzeption. Die Folge war ein neuer, dritter Universitätstypus, die klassisch gewordene Vier-Fakultäten-Universität, die Juristen, Mediziner, Theologen und Artisten in einer gemeinsamen Organisation unter einem Dach vereinigte. In diesem partikularen Stadium und in der Vierer-Form begann die eigentliche Universitätsgeschichte des mittelalterlichen, vormodernen Deutschland18. | Die Prager Universität von 1348 bildete gewissermassen die Dreh- 90 scheibe im Übergang von der universalen zur partikularen Epoche. Sie war zugleich der Prüfstein für die Fähigkeit, die älteren Universitätstypen Pariser und Bologneser Prägung in einer neuen Form zu integrieren, einer Form, die bisdahin noch nirgends vorhanden und ausprobiert worden war. Prag sollte diese erste Prüfung nicht bestehen. Das Zusammenbinden sozial unverträglicher Gemeinschaften, des vornehmen, adelsverwandten Juristenmilieus mit dem anderer sozialer und fachlicher Gruppierungen funktionierte noch nicht. Man konnte nicht zur gleichen Zeit innerhalb des einen studium Pragense ‘pariserisch’ handeln und ‘bolognesisch’ denken oder umgekehrt. Ein solcher Dualismus musste – ungebremst und ausserhalb fürstenstaatlicher Kontrolle – zu sozialen und konstitutionellen Konflikten führen. Im Jahre 1372 trennten sich die Juristen förmlich von den übrigen, gründeten eine eigene universitas dominorum juristarum oder canonistarum, wählten einen eigenen Rektor und betrieben ihr eigenes Collegium. Prag blieb mit seiner Sezession ein Experiment, ein typisches Produkt des Übergangs,
18 Vgl. hierzu und zum Folgenden meine früheren Texte: Rainer Christoph Schwinges, Le Università nei Territori dell’Impero, in: Brizzi und Verger (wie Anm. 14), S. 221–255; ders., The Medieval German University: Transformation and Innovation, in: Paedagogica Historica 34 (1998), S. 375–388; ders., Prestige und gemeiner Nutzen. Universitätsgründungen im deutschen Spätmittelalter, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 21 (1998), S. 5–17; ders., Universitätsbesucher (wie Anm. 1), passim; ferner auch Ernst Schubert, Motive und Probleme deutscher Universitätsgründungen des 15. Jahrhunderts, in: P. Baumgart und N. Hammerstein (Hg.), Beiträge zu Problemen deutscher Universitätsgründungen der frühen Neuzeit, Nendeln 1978, S. 13–74; Peter Moraw, Aspekte und Dimensionen älterer deutscher Universitätsgeschichte, in: Peter Moraw und Volker Press (Hg.), Academia Gissensis. Beiträge zur älteren Giessener Universitätsgeschichte, Marburg 1982, S. 1–43; Frank Rexroth, Deutsche Universitätsstiftungen von Prag bis Köln. Die Intentionen des Stifters und die Wege und Chancen ihrer Verwirklichung im spätmittelalterlichen deutschen Territorialstaat, Köln/Weimar/Wien 1992; Sönke Lorenz (Hg.), Attempto – oder wie stiftet man eine Universität. Die Universitätsgründungen der sogenannten zweiten Gründungswelle im Vergleich, Stuttgart 1999.
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das jedoch das Neue bereits in sich trug19. Am Ende ist die Integration der so gänzlich inhomogenen Personenverbände gerade durch den Zugriff des vergleichsweise modernen Territorialstaates gelungen. Der daraus resultierende neue Universitätstyp, der ‘deutsche Typ’, war seine Universität. Von Anfang an war sie dem Willen des herrschaftlichen Gründers und Stifters, des Landesherrn und seiner Dynastie, seiner Erben und Nachfahren unterworfen. Das gilt auch für die wenigen 91 Städte bzw. städtischen Führungsgruppen, | die in nicht minder herrschaftlicher Manier und in Verbindung mit ökonomischen Interessen Universitäten gründeten – in Köln, Erfurt und Basel. Es ging ihnen dabei nicht um eine allgemeine Bildungspolitik, sondern in erster Linie um Prestige und dann auch um Verwaltungspersonal für die Höfe, die Kirchen und Städte, dies jedoch deutlich nachrangig und in zunächst sehr bescheidenem Masse. So standen die deutschen Universitäten von Anfang an unter einem hohen Zentralisierungsdruck. Stärker als ihre Schwestern im Westen und Süden Europas wurden sie gezwungen, die selbstverständlich weiterbestehenden Milieuunterschiede und Spannungen zwischen den vornehmen Juristen und den anderen Universitätsangehörigen in nur einer universitas auszuhalten. Was an Distanziertheit vorhanden war, und das war durchaus nicht wenig, konnte sich von obrigkeitswegen nur noch in einem symbolischen Handeln legal äussern – zum Beispiel in der akademischen Kleidung und Kopfbedeckung, in der Sitzordnung oder der Prozessionsordnung20. Mit alledem unterschieden sich die Universitäten des römisch-deutschen Reiches von denen im westlichen und südlichen Europa, selbst noch von den zeitgenössischen, obgleich auch die Universitäten Frankreichs, Englands und Italiens seit den weichen Anfängen des 12./13. Jahrhunderts inzwischen und erst recht im Laufe des 16. Jahrhunderts beachtlich institutionalisiert und politisch überformt worden waren21.
19 Ferdinand Seibt, Von Prag bis Rostock. Zur Gründung der Universitäten in Mitteleuropa, in: Festschrift für Walter Schlesinger, 2 Bde., Köln/Wien 1973, hier: Bd. 1, S. 406–426; Peter Moraw, Die Universität Prag im Mittelalter. Grundzüge ihrer Geschichte im europäischen Zusammenhang, in: Die Universität zu Prag (Schriften der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste 7), München 1986, S. 9–134; ders., Die Prager Universitäten des Mittelalters. Perspektiven von gestern und von heute, in: Spannungen und Widersprüche. Gedenkschrift für Frantisek Graus, Sigmaringen 1992, S. 109–123. 20 Schwinges: Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 367f., 465–486. 21 Vgl. z.B. Jacques Verger, The University of Paris at the End of the Hundred Years’ War, in: Baldwin und Goldthwaite (wie Anm. 14), S. 47–78; Cobban (wie Anm. 2), S. 90ff.; Swanson (wie Anm. 17), S. 206.
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Die Geschichte der deutschen Universitäten war und blieb jedoch an die Herrschaft gebunden, vor allem an den Territorialherrn, seinen Hof und seinen Staat. Universitäten zu stiften sollte ein ebenso klarer Ausdruck von Herrenrecht werden wie Burgen zu bauen, Städte zu gründen oder Kirchen und Klöster zu stiften. Wie mit ihnen, so trieb der Herr auch mit seiner Universität handfeste Politik, regierte in sie hinein und hielt sie sich verfügbar, durchaus im Sinne von herrschaftlicher | und landesstaatlicher Personalpolitik. Denn für den Herrn war 92 die Universität mit ihren bepfründeten und besoldeten Lehrstühlen eine prinzipiell ebenso bequeme Möglichkeit, seine Diener und gelehrten Räte zu versorgen, wie die Kollegiatkirche. Den Anfang machten bezeichnenderweise die drei grossen königsfähigen Dynastien des deutschen Spätmittelalters, die Luxemburger, Habsburger und Wittelsbacher in Prag, Wien und Heidelberg. Mächtige reichsfürstliche Häuser wie die von Sachsen, Mecklenburg, Brabant, Bayern und Brandenburg und bedeutende grosse Städte wie Köln, Erfurt und Basel schlossen sich an. Bis 1506 verfügten alle sieben Kurfürsten des Reiches über ihre Universität oder hatten zumindest für ihre Länder Zugang zu einer Universität in unmittelbarer und politisch erträglicher Nähe. Der Wille des Herrn galt so von Anfang an, auch wenn es nicht überall gleichzeitig und gleich deutlich erkennbar wurde. Die aus Paris, Bologna oder anderswoher übernommenen genossenschaftlichen Freiheiten der universitas standen dem nicht entgegen, so wenig wie die institutionellen und verbandlichen Formen der Ämter und Funktionen, der Nationen, Kollegien und Fakultäten, so wenig wie die akademischen Würden und Titel, die Formeln der Stiftungsurkunden und der Statuten, die Siegel und Zepter und die ganze Terminologie. Sie wurden den deutschen Verhältnissen angepasst und territorial interpretiert, von Herrenseite wie von Universitätsseite, einmal stärker, einmal schwächer, je nach Interesse, Willen und Machtlage des Herrn. Für Autonomie war in solchen Zusammenhängen kein Platz mehr. Der Begriff wäre ohnehin ein Anachronismus; er spiegelt eher die Ideale der ‘klassischen’ deutschen Universität des 19. und frühen 20. Jahrhunderts (oder schon wieder heutige Hoffnungen oder Befürchtungen) als die mittelalterlichvormoderne Wirklichkeit, auch wenn diese eine gewisse, vertraglich im Stiftungsrecht gesicherte Bewegungsfreiheit der universitas zuliess. Vermeintliche Freiräume wiesen eher auf dynastische Zufälle oder Krisen des werdenden Landesstaates hin als auf irgendetwas anderes. Was in den Stiftungsbriefen nach Paris oder Bologna und nach deren genossenschaftlicher Autonomie aussah, hatte längst eine | andere Wirklichkeit 93
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erfahren22. Der Eid des neuen Universitätsbesuchers vor dem Rektor galt nie diesem allein und der Gemeinschaft, sondern zugleich auch dem Landesfürsten und dem Nutzen seines Hauses. Rektor- und andere Wahlen waren vor politischen Eingriffen nie gefeit, und selbst in das alte Selbstrekrutierungsrecht konnte spätestens im ausgehenden Mittelalter jederzeit eingegriffen werden23. Wirklich übertragbar war eigentlich nur das Formale. Das allerdings war wichtig genug; es diente aus begreiflichen Gründen der Legitimation der neugegründeten Universitäten im Kreis der bestehenden und erfüllte damit ähnliche Funktionen wie die Privilegien der universalen Mächte, Papst und Kaiser. Die herrschaftliche Konstellation bestimmte nun mit aller Entschiedenheit, dass die künftige Universitätslandschaft des deutschen Reiches eine territorialisierte bzw. regionalisierte sein würde. Zur regionalen Existenz in der politischen und sozialen Nähe des Landesherrn oder der städtischen Obrigkeit gab es keine Alternative mehr; die Territorialisierung des Reiches, die Verrechtlichung der Landesherrschaft und die Macht einzelner grosser Städte waren zu weit fortgeschritten, als dass noch einmal ‘freie Gruppen’ von Magistern oder Scholaren eine Chance wie in Paris oder Bologna gehabt hätten, auch nicht mit Hilfe des Papstes oder des Kaisers. Die universalen Mächte, zunächst noch der Papst, dann seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts mehr und mehr auch der Kaiser, sicherten mit ihren Privilegien nur noch die allgemeine Anerkennung einer Universität und ihre formale Gleichrangigkeit mit den anderen, was Lehrerlaubnis, Examina und Graduierungen betraf. Diese Anerkennung war allerdings im alten Reich, solange es bestand (bis 1806), unverzichtbar. Jede landesherrliche Gründung ohne ein solches Privileg – in vor- wie in nachreformatorischer Zeit – hätte unweigerlich den Universitätsrang und damit die Existenz gekostet. Die 94 Prager Universität hat früh schon | spüren müssen, was ein Anerkennungsverlust bedeutete: Als das Konzil von Konstanz (1414–1418) der Universität unter der Anklage hussitischer Ketzerei die Privilegien entzog (1417), verlor sie die höheren Fakultäten, sank auf das Niveau einer Artistenschule zurück und schied so für lange Zeit aus der deutschen
Vgl. Moraw, Aspekte (wie Anm. 18), S. 9ff. Rainer Christoph Schwinges, Rektorwahlen. Ein Beitrag zur Verfassungs-, Sozialund Universitätsgeschichte des alten Reiches im 15. Jahrhundert, Sigmaringen 1992, S. 11ff.; ders., Prestige (wie Anm. 18), S. 14; Fritz Hufen, Über das Verhältnis der deutschen Territorialstaaten zu ihren Landesuniversitäten im alten Reich, Diss. masch. München 1955. 22 23
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wie europäischen Universitätsgeschichte aus24. Umgekehrt blieb freilich auch das schönste päpstliche oder kaiserliche Privileg, zum Beispiel in Lüneburg und Regensburg, ein totes Privileg, solange es nicht durch die Herrschaft, einen Landesfürsten oder städtischen Rat und deren Umgebung, mit politischem Leben gefüllt wurde. Wo der Landesherr scheiterte, das heisst auch, wo er zu früh starb, ohne seine Gründung in der regionalen und lokalen Umwelt sozial verankert zu haben, wie zum Beispiel im frühen Wien und Würzburg, da konnte auch die Universität als Genossenschaft der Lehrenden und Lernenden nicht gedeihen bzw. gar nicht überleben25. Herrschaft und Genossenschaft mussten einander auf Dauer ergänzen.
24 Moraw: Aspekte (wie Anm. 18), S. 11f.; ders., Universität zu Prag (wie Anm. 19), S. 119f. 25 Sönke Lorenz, Fehlgeschlagen, gescheitert, erfolglos. Vergebliche Versuche von Universitätsgründungen in Regensburg, Lüneburg, Breslau und Pforzheim, in: Lorenz, Attempto (wie Anm. 18), S. 7–18.
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VON FUNDATIONEN, DOTATIONEN, GELD UND GROSSEM MANGEL* Ulrich von Hutten, der fränkische Reichsritter und Humanist, hatte eine klare, wenn auch nicht sehr schmeichelhafte Vorstellung von den Magistern und Professoren seiner Zeit, insbesondere von denen der Artisten-Fakultäten. Hutten in der Rolle eines Dunkelmanns verhöhnte sie als gefrässige Hungerleider, als armselige Kreaturen, wohin man blicke. Einmal sei ein ihm bekannter Magister der Universität zu Leipzig zusammen mit seinem Rektor als Vertreter der Universität zur Hochzeit Herzog Heinrichs des Frommen von Sachsen geladen gewesen (1512). Bei Tisch hätten es sich beide herrlich schmecken lassen; und darüber hinaus habe der erwähnte Magister in unbeobachteten Augenblicken das eine oder andere von den Speisen, Hühnchen und Wein, in Töpfe geschafft, die zuvor unter seinem Stuhle bereit gestellt worden seien. Sein Famulus habe dann diese Töpfe unter seinem langen akademischen Talar unbemerkt hinausbringen müssen. “Das tat ich”, so habe der Magister später erzählt, “damit seine Magnifizenz, unser Herr Rektor, und ich unterwegs etwas zu essen hätten.” “O heilige Dorothea”, habe er ausgerufen, “wenn Ihr damals bei uns auf dem Wege gewesen wäret, als wir wieder gen Leipzig zogen, welch ein angenehmes Leben, welch einen guten Tag hätten wir uns gemacht. Ich ass noch zwei volle Tage nachher von den Überbleibseln, denn wir konnten unterwegs nicht alles verzehren”1. Wenn auch Satire im Spiel war und ein wenig Naserümpfen des Adelsmannes, so war die Geschichte doch gut erfunden. Nichts scheint in den Quellen des 14. bis 18. Jahrhunderts besser bezeugt zu sein als der ewige | Hunger der Magister und Professoren, die Gier nach Kol- 176 leggeldern und Prüfungsgebühren, die Freude an Schmaus und Trunk
* In: Rainer Christoph Schwinges (Hg.), Finanzierung von Universität und Wissenschaft in Vergangenheit und Gegenwart (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte [VGUW] 6), Basel: Schwabe Verlag 2005, S. 175–193. 1 Nach Friedrich Schulze und Paul Ssymank, Das deutsche Studententum von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, Leipzig 21910 (Ndr. München 1932), S. 74, beruhend auf: Briefe der Dunkelmänner, vollständige Ausgabe, übersetzt von Wilhelm Binder, revidiert von Peter Amelung, München 1964, S. 102f.
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und die alltägliche Sorge darum bei jeder sich bietenden Gelegen-heit – von den zahlreichen Universitätsfesten zugunsten grosser und kleiner Heiliger, geistlicher und weltlicher Patrone bis den Immatrikulations-, Depositions- und Promotionsfeiern der Studierenden, die ihre Professoren dazu einzuladen hatten. Das sogenannte manuale scholarium, ein Einführungsbüchlein ins studentische Leben aus dem Umkreis der Universität Heidelberg von 1480, enthielt gleich korrekte Einladungsformulare zum Abschreiben: “Reverendi magistri, viri magnae dignitatis ac scientiae, hochgeehrte und hochgelehrte Herren! N. N. bittet Euer Hochwohlgeboren auf den nächsten Tag zu einem Schmause und er wird stets bereitwilligst das Seine tun, sich in allen Dingen Euer Hochwohlgeboren gefällig zu erweisen2.” Angesichts solcher Nachrichten, die man aus ganz Europa zusammentragen kann, wird es niemanden wundern, wenn man behauptet, der Professor sei in der historischen Dimension seiner heutigen Existenz erst dann wirklich entstanden, als und weil er bezahlt werden musste, so Peter Moraw in der Diskussion, und weil sich unter fiskalischem Druck die Notwendigkeit von Vereinheitlichungen ergab3. In der Tat, Universitätsfinanzierung scheint gleichbedeutend mit Professorenfinanzierung gewesen zu sein, ob nördlich oder südlich der Alpen. Die Beiträge aus der gesamten Vormoderne boten zahlreiche Belege. Sobald man einmal eine halbwegs ordentliche Liste der Universitätsausgaben einsehen konnte, angelegt – kaum allerdings vor dem 16. Jahrhundert – von königlichen, landesfürstlichen oder städtischen Kommissionen, schienen mehr als 80 Prozent der Ausgaben für den Lohn der Lehrenden reserviert zu sein. Das klingt nach System, ist es aber nicht, eher das Gegenteil, das Zögerliche, die Unregelmässigkeit im Ausbezahlen, das Ausbleiben des Lohns. System hatte offenbar nur der Mangel, womit wir in den Konsequenzen wieder bei Hutten wären und uns im Kreis gedreht hätten. Versuchen wir einen Weg hinauszufinden, gestützt durch einige Kriterien, die folgerdermassen benannt seien: 1. Subsistenz: Geld und Geldeswerte; 2. Partner mit Pfründe, Kollegplatz und Salär; 3. Kleingruppen und drei Universitätstypen; 4. Auf dem Weg zur planvollen Finanz.
2 Manuale Scholarium qui studentium universitates aggredi ac postea in eis proficere instituunt, in: Friedrich Zarncke, Die deutschen Universitäten im Mittelalter, Bd. 1, Leipzig 1857, S. 1–48, hier: S. 46f. 3 Vgl. auch Peter Moraw, Der deutsche Professor vom 14. bis zum 20. Jahrhundert, in: Alexander von Humboldt-Magazin 72 (1998), S. 15–26.
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Subsistenz: Geld und Geldeswerte | Dreh- und Angelpunkt jeder Existenz in Universitäten und Kollegien 177 war das Geld oder ein Gegenwert an Sachen und Naturalien. Geld und Geldeswerte sind das Kernthema, sind Konstante oder – wie einführend formuliert wurde – ein ‘Dauerbrenner’ im gesellschaftlichen Umgang mit der Universität. Bildung und Wissenschaft, Lehre und Forschung kosten Geld, aber sie sollen, damals wie heute, möglichst nichts kosten. Scire volunt omnes, mercedem solvere nemo, so brachte es bereits der Bologneser Jurist Odofredo Denari († 1265) auf den Punkt, der damals seine Studenten meinte, deren Zahlungsmoral zu wünschen übrig liess4. Schwankten die Zahlungen, gleichgültig woher, oder fielen sie zeitweise ganz aus, so traf das die Existenz der Lehrenden unmittelbar und bei allzu geringem Status höchst empfindlich. Das Ausmass der Lebenshaltungskosten des Universitätspersonals und ähnlich auch der Studierenden unter diesen und anderen Krisenbedingungen ist für keinen der europäischen Universitätsräume über punktuelle Deskription hinaus auch nur annähernd bekannt5. Weder kennt man vergleichsrelevante Zahlen von Universitätsangehörigen zu bestimmten Zeitabschnitten noch deren Einkommen, Bedarf, Konsumniveau und Konsumverhalten. Und allein, ohne Vernetzung mit entsprechenden Daten der allgemeinen Wirtschafts- und Finanzgeschichte, aus Konjunktur und Preisentwicklung, so pointierte zu Recht Jacques Verger, wird man auch nicht zu endgültig befriedigenden Ergebnissen kommen6. Universität war immer schon ein gesellschaftliches Phänomen. Professoren, Magister und Scholaren nahmen am Markt teil und teilten den Markt trotz einiger akademischer Privilegien vor allem mit ihren städtischen Zeitgenossen. So wie bei diesen gab es auch im Rahmen der Universität beträchtliche Einkommensunterschiede, nicht nur auf Grund natürlicher Tatbestände, des Lebensalters beziehungsweise des Alters in studio, sondern auch nach status in studio, nach Grad, Funktion 4 Andrea Romano, Dall’ Università degli Studi: Modelli di finanziamento delle Università italiane fra medioevo ed età moderna, in: Schwinges, Finazierung (wie Anm. *), S. 33–56. 5 Allgemein sei hingewiesen auf die entsprechenden Kapitel zur Lebenshaltung in: Walter Rüegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa, Bd. 1: Mittelalter, München 1993, Bd. 2: Von der Reformation bis zur Französischen Revolution 1500–1800, München 1996. 6 Jacques Verger, Besoins et ressources financières des universités et des collèges en France et en Angleterre des origines à 1800, in: Schwinges, Finanzierung (wie Anm. *), S. 15–32.
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und Fakultät, nach Lage der Universität in ‘reichen’ oder ‘armen’ Ländern und später auch nach Konfession und ‘Jesuitenbudget’. Hörergeld, Saläre und Pfründrenditen variierten in Europa von Süd nach Nord und von West nach Ost, von Rechtsprofessoren zu Artistenmagistern, von Regenten und ‘Bildungsunternehmern’ in Kollegien und Studentenhäusern zum ‘angestellten’ Lehrpersonal. Und riesige Unterschiede 178 bemerkt man nicht zuletzt in der | Universitätsbesucherschaft, von den adligen Standesstudenten bis zu den scholares pauperes und den aus ihnen rekrutierten Magistern. In gleicher Weise bemass sich auch der persönliche Bedarf in riesiger Bandbreite. Die überwiegende Mehrheit der Universitätsangehörigen hatte zwar, soweit sie dem Klerikerstande angehörte, nur für sich allein aufzukommen, doch mit zunehmender Laisierung seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts und vermehrter Ehefreudigkeit auch unter Klerikern unterhalb des Diakonats (clerici uxorati) beziehungsweise nach der Reformation im Pfarrerstand, trat die Sorge für ‘Weib und Kind’, für eine Familie hinzu. Am frühesten, bereits anfangs des 14. Jahrhunderts, traten verheiratete Professoren, in der Regel Juristen und Mediziner, in Italien, Spanien und Südfrankreich auf. Wie auch immer, man musste Lebenshaltungs- und Studienkosten bestreiten, hatte für Wohnung, Haushaltsgeräte, Truhen und Betten, für Beleuchtung, Öl und Kerzen, für Kleidung, Schuhwerk und Ernährung aufzukommen, für Examenskosten auf dem graduierten Weg der akademischen Hierarchie, für Codices und Bücher, Pergament, Papier, Federn, Messer und Tinte, für Krankheitskosten, Arzt und Medizin, für Kneipen und Vergnügungen, und so weiter, und nicht zuletzt für religiöse Investitionen aller Art. Um solchen Bedarf zu decken, war man auf vielfältigste Einkommensarten und verschiedenste Quellen angewiesen. Man könnte von einem ‘Nebenerwerbssystem’ sprechen, wenn es einen Haupterwerb aus der Lehrtätigkeit überhaupt vor dem 18. oder gar 19. Jahrhundert irgendwo, punktuell ausgenommen schon im mittelalterlichen Italien7 wirklich gegeben hätte. Mehrgleisigkeit war normal und unterschied sich in nichts von den Gepflogenheiten ausserhalb der Universität in Handel und Gewerbe. Es ging letzten Endes hier wie dort nicht um Finanzierung, sondern um Subsistenz. So hatte man Einnahmen oder Zusatzeinnahmen in Naturalien oder Geld aus Kirchendienst, Predigt und Seelsorge, aus Renten und Zinsen, aus Gastwirtschaft und Her-
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berge, aus Vermietungen von Wohnraum und Bettstatt, aus Import und Verkauf von Lebensmitteln und Getränken, aus landwirtschaftlicher Mitarbeit, aber selbstredend auch aus milieuverwandten Tätigkeiten, aus Schulunternehmen und Unterricht, aus dem Kopieren von Büchern und Texten, dem Schreiben von Briefen und Urkunden und schliesslich auch aus der medizinischen Praxis sowie aus juristischen, gutachterlichen und beratenden Tätigkeiten in Kanzleien, an Höfen und Gerichten. Viele werden auch in den Genuss der Erträge aus frommen Stiftungen aller Art gekommen sein; und für sicher nicht wenige blieben Familie und Verwandtschaft der letzte Garant der | akademischen 179 Existenz8. Zur Überbrückung momentaner Engpässe konnte man auch Kredite zu günstigen Bedingungen aufnehmen, seriös vermittelt durch die Universität bei offiziell anerkannten Kaufleuten und Bankiers am Ort. Früheste Beispiele stammen aus England (Oxford), Frankreich und Italien. Von sich aus hatte die Universität der Vormoderne keinerlei Möglichkeit, um auszugleichen und Lebensunterhalt und Lehrtätigkeit ihrer Magister und Doktoren selbst zu honorieren. Das gilt für die Universität als Ganzes wie auch für ihre Teileinheiten, Fakultäten und Nationen. Dazu fehlten ihnen nicht nur die Ressourcen, sie waren dazu auch gar nicht eingerichtet. Rektoren und Rezeptoren legten zwar Rechnung, aber ohne jede Haushaltsgrundlage, wie es denn auch auf Seiten der Könige, der Landesfürsten und der Universitätsstädte als potentiellen Geldgebern keinen feststehenden, jährlich etwa wiederkehrenden Budgetposten gab. Nur die Idee eines Haushalts wurde schon früh einmal formuliert, verknüpft mit universitätseigener Anlagepolitik, etwa durch den Wiener Theologen Heinrich von Langenstein9, und immer wieder wurden Haushalts- und Finanzierungspläne entworfen10, nicht nur für
8 Als Beispiel: Rainer Christoph Schwinges, Stiefel, Wams und Studium oder: Wozu hat man einen geistlichen Onkel. Aus Notizen des Kölner Studenten Gerhard von Wieringen aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, in: Paul-Joachim Heinig et al. (Hg.), Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw, Berlin 2000, S. 543–563. 9 Christian Hesse, Pfründen, Herrschaften und Gebühren. Zu Möglicheiten spätmittelalterlicher Universitätsfinanzierung im Alten Reich, in: Schwinges, Finanzierung (wie Anm.*), S. 57–86; Kurt Mühlberger, Finanzielle Aspekte der Universitätsreformen Ferdinands I. in Wien (1521–1564), in: Schwinges, Finanzierung (wie Anm. *), S. 115–142. 10 Ebd.
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die Jesuitenhochschulen11, sondern auch – mit freilich schwindender Realität – für die Landesuniversitäten, wofür Beispiele von Irland über Frankreich und Österreich bis nach Sizilien vorgestellt wurden. Einnahmen hatten Universitäten und ihre Teileinheiten gleich ihrem Personal aus den verschiedensten Quellen. Neben den ‘öffentlichen Zuwendungen’ aus den Fundationen und Dotationen, die als Sockelbeträge gelten könnten, falls sie auch realiter und halbwegs regelmässig zugeflossen wären, sammelten sich in den archae vor allem Immatrikulations-, Inrotulations- und Promotionsgebühren, Strafgelder aus Verstössen gegen die Statuten, Leihgebühren für Scholarentrachten, Unterrichtsgelder und Kollekten zu verschiedensten Anlässen, auch für sakrale und profane Feiern, hier und da Mieteinnahmen aus eigenen Liegenschaften, ferner Zeugnis- und Beurkundungsgebühren und hin und wieder auch Stiftungen und Spenden, darunter jene in propinam, die man von vornehmen Standesstudenten zur Aufbesserung von Küche und Keller des Rektors und seiner Umgebung erwartete. Hinzu kamen Sachwerte und Sachspenden, Lebensmittel, Wein und Bier, Wachs und 180 Holz oder auch die typischen Examensgeschenke | für Rektor, Dekan, Pedell und Professoren, Handschuhe zum Beispiel oder Birette und Einladungen zu Schmäusen und Trinkgelagen. Solche Aufzählungen könnten dazu verleiten, an sprudelnde Einnahmen und einen insgesamt guten Ertrag zu denken, doch weit gefehlt: Abgesehen davon, dass grosse Universitäten wie Paris und Wien, Pavia oder Köln und Löwen mit ein- bis zweitausend Studierenden bereits im 15. Jahrhundert, begreiflicherweise höhere Einnahmen erzielten als die vielen, mehrheitlich kleinen Universitäten in Europa, wies doch der Inhalt der Rechnungsbücher insgesamt sehr bescheidene Summen aus. Es reichte gerade, um die notwendigsten Ausgaben zu tätigen. Subsistenzwirtschaft blieb Subsistenzwirtschaft, ein Kampf gegen den ständigen Mangel, auch dann, wenn die eine oder andere Universität oder Fakultät Rücklagen bilden und sogar als Kreditgeber auftreten konnte, manchmal selbst für den eigenen Landesherrn oder die städtische Obrigkeit12. Nur mit Mühe gelang es, die laufenden Kosten zu bestreiten – für die allgemeine Verwaltung, für die Rechtsdienste, die Boten- und Gesandtschaftsdienste, für religiöse Angelegenheiten und nicht zuletzt für das
11 Rainer A. Müller, Zur Finanzierung der Kollegien und Hochschulen der oberdeutschen Ordensprovinz der Societas Jesu in der frühen Neuzeit, in: Schwinges, Finanzierung (wie Anm. *), S. 143–173. 12 Hesse, Pfründen (wie Anm. 9).
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Bau- und Instandhaltungswesen. So fehlten schlichtweg die Mittel für das Personal. Und ohne gelegentliche, zusätzliche Spenden hätte man wohl den Erfordernissen neuzeitlicher Entwicklungen nicht entsprechen und für Neubauten (Zentralgebäude seit dem 16. Jahrhundert), Bücher und Bibliotheksausstattungen, Instrumente, Sammlungen, botanische Gärten oder anatomische Theater nicht besorgt sein können. Partner mit Pfründe, Kollegplatz und Salär Universitäten waren schon immer ein Teil ihrer Umwelt, waren nicht herausgehoben, sondern mittenhinein plaziert; und mehr noch, sie gehorchten und folgten ihrer Umwelt mangels Alternative, so dass Subsistenzwirtschaft auf allen Ebenen, bei den Institutionen wie bei den Personen als völlig normal erschien. Niemand hätte sich in der Vormoderne daran grundsätzlich gestört. Doch gerade das Leben nach Subsistenzprinzip strebte nach Rückhalt, nach einer verlässlichen “Aussenhaut”13. Möglicherweise hatte man dies schon mitten im Entstehungsprozess der Universität in Paris um 1200 bemerkt, vielleicht nicht in aller Konsequenz, aber doch in der richtigen Richtung, als die neue universitas magistrorum et scholarium nach einem Garanten suchte. Die einzige Autorität, die gleichzeitig universalen Schutz gewähren und lokale Gewalten einigermassen in Schach halten konnte, war der Papst. Sich an ihn zu wenden, war damals der einzig konsequente und erfolgversprechende Schachzug im politischen Gefüge der Zeit. Als der Papst akzeptierte und seine Privilegien erteilte, war die Existenz der neuen universitas auf lange Dauer | gesichert. Denn mit ihm hatte sie 181 nicht nur Privilegien und Satzungsrecht erworben, sondern für ihre Mitglieder auch grundsätzlichen Zugang zum Pfründengebäude der römischen Kirche. Die Pfründe, die heute manchmal – aber das ist ein klarer Anachronismus – ein wenig negativ konnotiert wird, war eine der genialsten Kulturleistungen und Erfindungen des europäischen Mittelalters. Pfründe meint ein festes Einkommen in Geld und Naturalien, das mit einer kirchlichen Position, aber kaum mit einer kirchlichen Aufgabe verbunden gewesen ist. Damit war Abkömmlichkeit im Spiel, etwas
13 Notker Hammerstein, Epilog, in: Schwinges, Finanzierung (wie Anm. *), S. 565–583.
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fundamental Entscheidendes für jede gehobene Lebensart. Nun zog die Pfründe auch ins akademische Milieu ein und schien Entlastung, ein Stück Freiheit von der täglichen Sorge, jedenfalls etwas Angemessenes zu bringen14. Mit ihr entstand vor allem der Lehrstuhl des Ordinarius. Sie wurde seine Ausstattung, eine Dom- oder Chorherrenpfründe, Pfarr- oder Predigerpfründe oder gleich Mehreres zusammen. Seit dem ausgehenden Mittelalter durften auch Nichtkleriker (zunächst Mediziner) davon profitieren. Damit das funktionierte, musste die römische Kirche freilich insgesamt mitspielen, musste zum ‘Subsistenzpartner’ der Universitäten werden und sie in gewisser Weise an den Erträgen von Vermögen und Produktion beteiligen. Wenn die Päpste nur schon – was im Interesse von Lehre und Studium jedoch zwingend war – bepfründete Universitätslehrer und Scholaren von der Residenzpflicht an ihren mitunter vom Universitätsort weit entfernten Kirchen entbanden, so bedeutete dies, ihre Kirchen zugunsten der Universität zu besteuern. Dass dies nicht immer konfliktfrei war und lokale Gegenwehr provozieren konnte, sei wenigstens am Rande erwähnt. Diese Partnerschaft mit der Universität, korrekter eigentlich mit ihrem Personal, ist bis ins 18. Jahrhundert sowohl in katholischen als im Prinzip auch trotz Reformation und Säkularisierungen in nichtkatholischen Ländern intakt geblieben. Sie war ein ‘Erfolgsmodell’ und einer der wesentlichen Gründe dafür, dass man vormoderne Universitätsfinanzierung mit Professorenfinanzierung gleichsetzen konnte. Besonderen Anteil am Erfolg hatte das avignonesische Papsttum des 14. Jahrhunderts, das auch sonst für seine modern anmutenden Leistungen in der kurialen Verwaltung, vor allem der Fiskalverwaltung bekannt geworden 182 ist. Seine energische | und systematische Pfründenpolitik zugunsten der Studien und der Arbeit der Universitätslehrer überdauerte das Grosse Schisma von 1378 und die entsprechenden Obödienzkrisen, so dass die jüngeren Universitätsgründungen des nordalpinen Raumes in Mittel-, Nord- und Ostmitteleuropa von Anfang an schon vom Pfründensystem so profitieren konnten wie ihre älteren ‘Schwestern’ im Westen und Süden. Erfolg oder Scheitern einer Gründung konnte jetzt sogar davon abhängen, ob es gelang, rechtzeitig und in ausreichender Zahl, angemes-
14 Siehe Peter Moraw, Stiftspfründen als Elemente des Bildungswesens im spätmittelalterlichen Reich, in: Irene Crusius (Hg.), Studien zum weltlichen Kollegiatstift in Deutschland (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 114), Göttingen 1995, S. 270–297.
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sene Pfründen zu erhalten. Eine ähnliche Politik personaler Subsistenz der Studien betrieben auch die vier grossen, wissenschaftlich orientierten Bettelorden, ebenso wie die traditionellen Orden der Benediktiner und Zisterzienser. Für manchen werdenden Universitätslehrer, vor allem Theologen, war der Ordenseintritt eine willkommene Alternative, um sich einen lebenslänglichen Unterhalt zu sichern. Ebenfalls Partner der Universitäten waren die weltlichen Kräfte, Könige, Fürsten und städtische Obrigkeiten. Aber sie standen auf weiten Strecken der Vormoderne – wenn man für den Moment von Italien absieht – in ihrer Bedeutung als tragende oder nur mittragende Financiers weit hinter der römischen Pfründenkirche zurück. Allen gemein war der Rückgriff auf das Kirchenvermögen beziehungsweise seine Erträge. Herren und Obrigkeiten nutzten das kirchliche Angebot und sammelten Universitätspfründen, um ihre akademischen und professoralen Diener zu entlohnen, ohne in die eigene Schatulle greifen zu müssen. Kaiser Karl IV., König von Böhmen, hat dies als erster im Reich an seiner Prager Universitätsstiftung von 1348 gezeigt, folgte dabei aber nur den königlichen Vorbildern in Frankreich. Eine Universität zu haben, bedeutete in erster Linie, Prestige für Dynastie und Städte zu gewinnen, welches man im Kreis der anderen Herren gerne akzeptierte. Und gerne schöpfte man akademische Experten ab, nachdem sie ausgebildet und graduiert waren, ohne vorher in gleicher Weise wie die Kirche investiert zu haben15. Auch dies scheint ein langfristiges Muster bildungspolitischen Verhaltens zu sein. Was die eigenen Leistungen betrifft, so hielten sich die Herren – der ‘Staat’ – noch lange Zeit sehr zurück. Gründung hiess nie auch Finanzierung16. Von den Universitätsstiftungen der Territorialfürsten hatten die Seelen ihrer Vor- und Nachfahren vermutlich mehr als die lebenden Universitätsangehörigen. Die in den schönen Stiftungsbriefen zugesagten | Mittel blieben oft aus, schwankten heftig im Ertrag oder 183 waren für sich genommen unzureichend, so dass niemand wirklich mit ihnen rechnen konnte. Die berühmte Maut von Ybbs an der Donau, die vielbeschriebene Fundation der österreichischen Landesherren für die Wiener Universität beziehungsweise das collegium ducale, war lange Siehe Rainer C. Schwinges, Zur Professionalisierung gelehrter Tätigkeit im deutschen Spätmittelalter, in: Hartmut Boockmann et al. (Hg.), Recht und Verfassung im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, Tl. 2: Bericht über Kolloquien der Kommission zur Erforschung des Spätmittelalters. 1996–1997, Göttingen 2001, S. 473–493, auch in diesem Band. 16 Hesse, Pfründen (wie Anm. 9). 15
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Zeit eine mitunter sehr trockene Quelle17. Ohne die Kirche wäre Universität im fiskalischen Sinne nicht möglich gewesen. Man kann zwar nicht erkennen, wie hoch die Universität im fürstlichen oder städtischen Haushalt budgetiert war, das lässt die Organisation der älteren Finanzverwaltung nicht zu; doch weisen Schätzungen für Basel und Köln auf höchstens ein bis zwei Prozent hin. Und in Leipzig spendete der Kurfürst seinem Weinkeller sechsmal mehr, als er der Universität jährlich aus seiner Schatulle ausrichten liess18. Erst nach 1500 scheinen die verschiedenen Herrschaften und Obrigkeiten in Frankreich, England und im Reich bereit gewesen zu sein, nicht nur gelegentlich und zugunsten ausgesuchter Experten und nicht nur indirekt durch bestimmte Fiskalprivilegien am Universitätsort, sondern direkt und vor allem regelmässig den Professoren ihrer Universitäten Saläre oder wenigstens Teilsaläre ausrichten zu lassen. Bezeichnenderweise ging in Frankreich etwa der Herzog von Burgund voran, dann erst folgten ihm die Könige und andere Herren19; im wesentlichen aber waren es die Städte, wie anderswo auch in Europa, die anscheinend eher begriffen hatten, dass man seine Professoren bezahlen musste, wollte man den Bedarf an akademisch versiertem Personal konkretisieren. Im urbanen Milieu des europäischen Südens, in Italien und Spanien, hatte man diesen Weg schon längst eingeschlagen. Seit dem 13. Jahrhundert war es zum Beispiel in den grossen Universitätsstädten Bologna, Padua, Pavia, üblich geworden, mit den Doktoren, Juristen und Medizinern in erster Linie, Verträge abzuschliessen und sie für ihre akademische Tätigkeit direkt zu entschädigen, unbenommen der Einnahmen aus den Zahlungen der Scholaren. Diese Mischform aus Salär und Kollekte, aus öffentlicher und privater Bezahlung scheint das typische Lohnsystem in Italiens Universitäten gewesen zu sein20. Wie weit das der Realität entsprochen hat, ist jedoch offen, doch scheint eine Finanzierung allein aus öffentlichen Mitteln eher selten gewesen – mit Ausnahme Kaiser Friedrichs II. Universität in Neapel – und nur besonders hochrangigen Gelehrten zugestanden worden zu sein. Dagegen spielte das kirchliche Pfründenwesen im Süden eine sehr viel geringere Rolle als im gesamten nordalpinen Raum. Zum einen war die Laienbildung, eine Laienkultur in allen aussertheologischen
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Mühlberger, Finanzielle Aspekte (wie Anm. 9). Hesse, Pfründen (wie Anm. 9). Verger, Besoins (wie Anm 6). Romano, Università (wie Anm. 4).
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und kanonistischen Disziplinen seit der Spätantike relativ ungebrochen vorhanden, | zum anderen war die urbane Welt Italiens früher und 184 sehr viel stärker auf den Markt und die Selbstverständlichkeit bezahlter Arbeit eingestellt, und zum dritten war Italien trotz oder gerade wegen der erheblich grösseren Zahl an Bischofssitzen als etwa in Frankreich oder im Reich sehr viel geringer pro Kirche mit Grund und Boden und entsprechenden Produktionsmöglichkeiten ausgestattet. So fehlten natürlich auch die pfründbasierten, angemessenen Positionen für Professoren. Es passt ins Bild, dass die Kirche auch nur in wenigen, eher kuriosen Fällen herangezogen wurde21, wenn einmal der Stadtklerus von Novara zu Abgaben für die Doktoren von Pavia aufgefordert oder der Zehnte einer ganzen Diözese, wie im kastilischen Palencia auf Befehl König Alfons des Weisen, zugunsten der Universität eingefordert wurde. Die städtische Professur mit vertraglich vereinbartem Einkommen war also die typische Antwort des Südens auf die Lohnfrage. Zögerlich und sehr viel später wurde sie auch weiter nördlich gehört und umgesetzt, zugleich – so in Frankreich und England – mit der Einrichtung von königlichen oder – auch im Reich – fürstlichen, regulär finanzierten Lehrstühlen, besetzt freilich zumeist mit den ohnehin prestigereichen Juristen und allenfalls Medizinern. Durchgesetzt hat sich dieser Typ im Norden in der gesamten Vormoderne allerdings nicht. Hier blieb das Angebot der Pfründenkirche für alle Beteiligten viel zu attraktiv, um nicht in jedem Falle zuzugreifen, wie das auch im Falle Schottlands zu bemerken war22. Herren, Städte und Universitäten konnten sich nämlich kirchliche Pfründen auf mehrfache Weise zunutze machen. Christian Hesse hat in seinem Beitrag drei Varianten unterschieden23: 1. die direkte Befründung von Universitätslehrern mit sogenannten Lektoralpräbenden; 2. die Inkorporierung von Pfründenerträgen (etwa die der Universitätsstifte) in Fonds, aus denen dann Professoren finanziert wurden, Fonds, denen auch die Beiträge der Herren und Städte oder auch privater Stifter und Spender zuflossen, Zölle, Maut, Steuern, Renten, Dotationen sowie eigene und fremde Einkünfte aus Grundherrschaften; 3. die vollständige Kapitalisierung
Ebd. Helga Robinson-Hammerstein und Shona Vance, The Reformation and University Finance in Ireland and Scotland, in: Schwinges, Finanzierung (wie Anm. *), S. 87–114. 23 Hesse, Pfründen (wie Anm. 9). 21
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der Pfründen, die den Grundstock des Universitätsvermögens bildeten; sie konnten als Posten in der Stadtkasse geführt werden24. Eine besondere Partnerschaft mit der Universität begründeten die Fundatoren des Kollegs, jener stiftskirchenähnlichen, kollegialen Lebens185 form | einer Gruppe von Studenten und Graduierten verschiedener Disziplinen, für die in fortgeschrittener Phase der Bautyp Kollegium entstand. In seiner entwickelten Gestalt prägte dieser Typ das innere wie äussere Bild der Universität entscheidend, zunächst und besonders zahlreich in West- und Südeuropa (Prototyp ‘Sorbonne’ in Paris), sodann auch seit dem Übergang zum 15. Jahrhundert im übrigen Europa. Als Stifter sah man Könige und Königinnen, Päpste, Bischöfe, vermögende Prälaten, hohe Amtsleute, Räte und reich gewordene Professoren (Juristen und Mediziner), während Adel und Kaufleute sich merklich noch zurückhielten. Erst in der jüngeren Vormoderne sollten sich einige herausragende Personen stärker engagieren, in Frankreich und England, im Reich, insbesondere auch bei Gründungsversuchen oder ‘Auffrischungen’ in Irland und Schottland25. Kollegien wurden bei optimalen Voraussetzungen mit Grund- und Hausbesitz und festverzinslichem Grundkapital ausgestattet und erhielten Erträge aus Renten, Zinsen, Mieten und Pachten aus städtischen Liegenschaften wie aus grundherrschaftlichen Domänen. Hinzustiftungen und weitere Dotationen mochten die Erträge im Laufe der Zeit beträchtlich vermehren. Willkommen waren besondere Privilegien, die noch über die allgemeinen Universitätsprivilegien am Ort hinausgingen, zum Beispiel solche, die ein günstiges Wirtschaften durch eigene Herstellung oder zollfreie Einfuhr von Brot, Fleisch, Bier und Wein ermöglichten. Und ebenfalls willkommen waren vor allem in England die commoners, die zahlenden Gäste. Von alledem profitierten die Kolleggenossen wie Stipendiaten. Sie erhielten freie Kost und Logis, Zuschüsse zur Bekleidung sowie die sogenannte Burse, ein wöchentliches Handgeld. Die Grösse der Kollegien beziehungsweise die Anzahl der Kollegiaten richtete sich nach dem Stiftungsvolumen und den zukünftigen Dotationen und nicht
24 Siehe etwa die Beispiele für Löwen und Basel: Jacques Paquet, Salaires et prébendes des professeurs de l’Université de Louvain au XVe siècle (Studia Universitatis ‘Lovanium’, Faculté de Philosophie et Lettres 2), Léopoldville 1958; Josef Rosen, Die Universität Basel im Staatshaushalt 1460–1535. Die Gehälter der Dozenten, in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 72 (1972), S. 137–219. 25 Verger, Besoins (wie Anm. 6); Mühlberger, Finanzielle Aspekte (wie Anm. 9); Robinson-Hammerstein/Vance, Reformation (wie Anm. 22).
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zuletzt nach den mitunter ‘schicksalhaften Bedingungen’ vormoderner Agrargesellschaften. Einen eigenen Weg, dies sei ergänzend zu den Beiträgen betont, schlugen die Kollegien im Reich nebst Böhmen und Polen ein. Zwar waren auch die hiesigen Kollegiaten mehrheitlich Fachstudenten der Rechte, Theologie oder Medizin wie viele ihrer europäischen Kommilitonen, doch wurden sie von Anfang an durch die landesfürstlichen oder städtischen Universitätsgründer, die zugleich Stifter der meisten Kollegien waren, als Lehrkräfte der Artistenfakultät herangezogen. Der Kollegiat, der zumindest den Grad eines Magister Artium besass, war magister regens und damit ein Professor der Artisten; sein Platz war die Frühform des Lehrstuhls dieser Fakultät, sein Stipendium folglich eine Vergütung seiner Lehrtätigkeit. Dieser ‘Kollegialprofessor’ konnte, musste aber nicht weiterstudieren. Manche blieben ihr Leben lang in Prager, Krakauer, Wiener, Heidelberger, Erfurter, Leipziger oder Basler Kollegien sitzen, ohne | sich je auf den Weg des Fachstudiums und 186 weiterer Examina gemacht zu haben26. So wichtig und unverzichtbar die partnerschaftliche ‘Aussenhaut’ der Universität gewesen ist, so unübersehbar und fast beängstigend ‘dünn’ ist sie erschienen. Unisono vermitteln die Beiträge diesen Eindruck, ob man nun die Pfründenwirtschaft oder Stiftungen und Dotationen für Kollegien oder sonstige Zuwendungen, selbst die modern wirkenden Saläre und jesuitischen Budgets im Auge hat. Alles stand zunächst einmal grundsätzlich zur Disposition, stand nur auf Pergament oder dem sprichwörtlich geduldigen Papier. Für die Zeitgenossen war das Alltag. Jeder wusste, dass, wer etwas haben, wer Pfründe, Kollegiatur oder ein Salär geniessen wollte, seinen Anspruch daran auch durchsetzen musste. Universitäts- und Kollegstiftungen, Pfründenzuweisungen, Dotationen aller Art waren erst einmal nur ‘Initialzündungen’, deren Energie rasch verpuffen konnte. Das Hauptproblem war schlicht und einfach, ans Geld zu kommen. Pfründen waren nicht immer sofort verfügbar, andere Pfründenanwärter oder die Erben der Stifter, nicht zu vergessen auch Gutsverwalter, Pächter und Bauern konnten Ansprüche erheben oder Einsprüche einlegen, und sich dann Prozesse vor Gericht oder gar an der römischen Kurie ‘ewig’ hinziehen. Das kostete viel Geld. Ohne einen weiteren Kranz von Dotationen, ohne Zugewinne 26 Siehe Rainer C. Schwinges, University Colleges in Late Medieval Europe, in: Wim P. Blockmans und Wolfram Fischer (Hg.), The Making of Europe, Bd. 2: Centres of Invention, Danburry CT 1994, S. 33–44, auch in diesem Band.
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aller Art, und – vielleicht wichtiger, um über eine ‘Eröffnungskrise’ hinwegzukommen – ohne ‘Investitionskredite’ durch Fürsten, Städte und einzelne Bürger, auch Professoren selbst, ohne Bündelung aller Kräfte in Mitunternehmerschaft wäre es in vielen Fällen wohl bei einer Initiale geblieben27. Dr. jur. Heinrich Rubenow, Professor und Bürgermeister von Greifswald, primus fundator universitatis an Stelle des Landesfürsten, mag nur ein besonders prominentes Beispiel solch mitunternehmerischer und überdies erfolgreicher Aktivitäten gewesen sein. Zu bedenken war schliesslich nichts weniger als die Zukunft, zumal der Universitätsalltag und damit auch der Einkommensalltag der Universitätslehrer durchgehend den vielfältigsten Krisen und Belastungen ausgesetzt war, vor allem Kriegen, Epidemien und den Wechsellagen der vormodernen Wirtschaft, den ständig zwischen Mangel und Fülle schwankenden Werten der Naturaleinkünfte. Die schöne Lektoralpräbende oder die Kollegiatur konnte plötzlich nichts mehr wert sein, und selbst das schöne Salär eines Bologneser oder Paduaner Juristen konnte erheblich schrumpfen, wenn die entsprechenden Erträge aus der Salz- oder der 187 Warenverkehrssteuer | hinter den Erwartungen zurückblieben. Halbwegs Sicherheit bot da nur die für wenig institutionalisierte Verhältnisse ohnehin typische Mischfinanzierung28. Kleingruppen und drei Universitätstypen Universitäten hatten strenggenommen nur den Namen und die Ursprungsidee des genossenschaftlichen Schwurverbandes gemeinsam, jede aber ihre eigene Situation, eigene Umgebung, eigens Leben. Finanzgeschichte wird sich daher für jede einzelne Universität jeweils anders darstellen. Dennoch sind gewisse Grundmuster zu erkennen. Eines der wichtigsten, wie es die Formen der Subsistenz und der Partnerschaft bereits nahelegten, ist der Umstand, dass die Universität der Vormoderne gleich welchen Typs in Europa eine Universität der kleinen Gruppe gewesen ist, einer privilegierten, korporativ verfassten kleinen Gemeinschaft. Mögen auch über tausend Studierende gleichzeitig am Ort gewesen sein, die Lehrstühle waren wenige, die Magister- und Doktorenkollegien hatten wenige Plätze, die Verhältnisse insgesamt überschaubar,
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Hesse, Pfründen (wie Anm. 9). Verger, Besoins (wie Anm. 6); Mühlberger, Finanzielle Aspekte (wie Anm. 9).
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die wenigen Kräfte von aussen, aus Kirche, Herrschaft und Stadt involviert. Man war unter sich, und diese fast familiäre Nähe bestimmte letztlich das Finanzgebaren. Es war bescheiden, aber angemessen und entsprach dem Bedürfnis der Kleingruppe und ihrer in der damaligen Gesellschaft noch bescheidenen sozialen und kulturellen Rolle29. In diese Zusammenhänge sind die Mangelkrisen einzuordnen. Gleichwohl ergaben sich Differenzierungen. Selbst die Universität der kleinen Gruppe war vielen inneren wie äusseren Kräften und entsprechenden Erwartungen ausgesetzt, auf die man zu verschiedenen Zeiten auch verschieden reagierte. Modell- oder typenartig geschah dies in Europa auf dreifache Weise, so dass man gemeinhin einen Pariser, einen Bologneser und einen ‘deutschen’ Typ unterscheiden kann – auch im Hinblick auf eine je eigene Finanzgeschichte. Eine künftige moderne Wirtschafts- und Finanzgeschichte der Universitäten müsste das berücksichtigen30. Es hatte jeweils nämlich ganz andere Voraussetzungen und enorme Konsequenzen, | ob man es nur mit 188 Juristen-Universitäten oder Mediziner-Artisten-Universitäten zu tun bekam oder zugleich mit Artisten, Theologen, Medizinern und Juristen in den klassisch gewordenen Vier-Fakultäten-Universitäten. Denn diese fachlichen Ausrichtungen verbanden sich so sehr mit sozialen Schwerpunkten, dass die Universitäten dadurch sehr unterschiedliche Profile davontrugen, am nachhaltigsten und jeweils typenbildend in Bologna und Paris. Der eine Typ stand für die südliche, in der Hauptsache italienisch-südfranzösische, elitäre Universität der herrschaftsnahen Juristen und Mediziner, der andere für die westliche, nordfranzösische (und zum Teil auch englische) Artisten-Theologen-Universität, die demgegenüber eine Universität ‘für jedermann’ war. Daraus resultierten verschiedene soziale Verfasstheiten. Anders als in Paris waren die Studenten Bolognas in aller Regel keine Jugendlichen, die ihren Lehrern bereitwillig die Organisation überliessen, sondern bereits gestandene Erwachsene. Hinzu kam, dass viele der Studenten am Typ Bologna Angehörige von reichen, oft adeligen oder adelsnahen, politisch durchsetzungsfähigen
Verger, Besoins (wie Anm. 6). Auch zum Folgenden: Rainer C. Schwinges, Le Università nei territori dell’Impero, in: Gian Paolo Brizzi und Jacques Verger (Hg.), Le Università dell’Europa: La Nascita delle Università, Mailand 1990, S. 221–255; ders., Genossenschaft und Herrschaft in der vormodernen Universität, in: Entwicklung und Realisierung des Genossenschaftsgedankens vom Mittelalter bis zur Gegenwart, hg. vom Historischen Verein bayerischer Genossenschaften (Schriftenreihe zur Genossenschaftsgeschichte 2), München 2000, S. 78–94. 29 30
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Familien waren. Alter, Status und Stand gaben ihnen mehr Reife, sicheres Auftreten und den nötigen Nachdruck in den Verhandlungen mit der Kommune und ihren Doktoren. Im übrigen waren viele von ihnen Juristen, die kommende Verwaltungselite, und als solche schon weit abgesetzt vom sozial eher diffusen Milieu der Artisten und Theologen des Pariser Typs. Sie brachten Geld ins Land, waren im allgemeinen boni pagatores31, verlangten dafür aber akademische Qualität. Nun waren daran die Kommunen ebenfalls interessiert, banden Spitzenkräfte an sich und zahlten in Ergänzung der studentischen Kollekte entsprechende Saläre. Da die Doktorenkollegien zumindest bis um 1500 noch Kleingruppen waren, blieben die Ausgaben für beide Seiten überschaubar. Als im 14. und 15. Jahrhundert Universitäten auch in Mitteleuropa und nördlich wie östlich angrenzenden Regionen gegründet wurden, waren viele Entscheidungen bereits gefallen und die früheren genossenschaftlichen Formen längst herrschaftlich überformt. Es entstand ein dritter Universitätstyp, der ‘deutsche Typ’ der Vier-FakultätenUniversität, der Juristen, Mediziner, Theologen und Artisten in einer gemeinsamen Organisation unter einem Dach vereinigte. Das hatte anfangs durchaus kritische, konfliktträchtige Konsequenzen. Das Zusammenbinden sozial unverträglicher Gemeinschaften, des vornehmen Juristenmilieus mit dem anderer sozialer und fachlicher Gruppierungen funktionierte noch nicht, wie sich das an den 1372 wiedergetrennten Prager Universitäten zeigen sollte. Man konnte nicht zur gleichen Zeit ‘pariserisch’ handeln und ‘bolognesisch’ denken oder umgekehrt. Am Ende gelang die Integration der inhomogenen Personenverbände nur durch herrscherlichen Willen. An ihn blieb dieser Universitätstyp 189 ohnehin gebunden. Universitäten zu gründen sollte | ein ebenso klarer Ausdruck von Herrenrecht werden wie Burgen zu bauen, Städte zu gründen oder Kirchen und Klöstern zu stiften. Wie mit ihnen, so trieb der Herr auch mit seiner Universität handfeste Politik, regierte in sie hinein und hielt sie sich verfügbar. Problematisch war nur, dass solche Prestigeobjekte, die vor 1500 mehr dem Nutzen der Dynastie als dem bonum commune galten, nicht allein oder gar nicht hätten finanziert werden können, wenn nicht das Pfründengebäude der Kirche gleichsam öffentlich zugänglich gewesen wäre. Denn Herren aller Art, auch den städtischen Obrigkeiten, war es höchst willkommen, die Universität wie eine Stiftskirche behandeln und die kleine Gruppe der Professo-
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Romano, Università (wie Anm. 4).
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ren darin wie Diener und Räte, Freunde und Vertraute versorgen zu können. Zwar blieb die alte Hierarchie auch in der Pfründen- und Lohnstruktur erhalten: Artisten wurden am geringsten, Juristen und gelegentlich Theologen am höchsten bezahlt, doch insgesamt erlebte der ‘deutsche Typ’ eine Anpassung nach unten. Er war nämlich vor allem eine Artisten-Universität mit gering bezahlten Magistern und einer ziemlich hohen Frequenz von pauperes. Dass diejenigen Universitätsbesucher, die brav ihr Soll bezahlten, schon allgemein divites genannt wurden, lässt tief blicken. Immerhin war auf diese Weise das meiste Geld in der Universitätskasse ‘Artistengeld’. Auf dem Weg zur planvollen Finanz Die Universität der Vormoderne war, was das Geld betraf, im wesentlichen auf sich allein gestellt und hatte den Mangel selbst zu verwalten. Pfründen, Renten, Steuern, Fonds und Anweisungen aller Art waren zwar vorhanden, mussten aber zu Geld gemacht werden. Die Wiener Universität – aber das gilt für alle anderen auch – hatte bis weit ins 18. Jahrhundert hinein eine Holschuld32. Niemanden konnte diese Lage zufrieden stellen. Einzelne herausragende Köpfe begannen daher schon relativ früh, über eine Systematisierung der finanziellen Verhältnisse nachzudenken, so etwa der oben schon erwähnte Heinrich von Langenstein, von Paris her vielleicht Bequemeres gewohnt, in einer Denkschrift von 1388 (de stabiliendo studio Wiennensi), in der er zwar auf Impulse des Landesfürsten, vor allem aber auf Eigeninitiative der Universität setzte. Manch einer war in der Lage, ökonomisches Wissen in die Universität hineinzutragen, wie der Jurist und Ingolstädter Professor Peter Baumgartner, auf den Christian Hesse aufmerksam machte33. Baumgartner, der einer Wasserburger Getreidehändlerfamilie entstammte und dessen Bruder Rentmeister war, entwickelte mit Salbuch und Kammerstatuten so etwas wie eine Strategie zur rationellen Bewirtschaftung des Vermögens und der Einnahmen. Hier und da, im Reich von Süden nach Norden fortschreitend, seien erste Schritte von dezentraler zu zentraler Finanzverwaltung getan, Improvisation und Subsistenz durch Planung abgelöst und Voraussetzungen | für eine 190
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Mühlberger, Finanzielle Aspekte (wie Anm. 9). Hesse, Pfründen (wie Anm. 9).
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künftige Budgetierung geschaffen worden34. Mehr oder weniger war das europäischer Zustand35. Genutzt hat das freilich wenig, ebenso wenig wie die grossangelegte reformatio nova Ferdinands I. von 1554, die den Druck von über 30 Jahren Finanzmisere an der Wiener Universität brauchte, um überhaupt zu Stande zu kommen. Unter einem landesfürstlichen Superintendenten sollte ‘guter Wille’ in Handeln umgesetzt werden, freilich ohne die landesfürstliche Kasse direkt zu belasten. Nach wie vor verhielt man sich auch in der frühen Neuzeit sehr mittelalterlich und bediente sich in protestantischen wie katholischen Ländern des Kirchenguts und seiner Erträge. Und sehr mittelalterlich war es, damit in erster Linie die Personalkosten zu decken, während bei allen übrigen Kosten, der Infrastruktur zum Beispiel, die Universität sich selbst überlassen blieb. Zinsanweisungen auf landesfürstliche Ämter standen zumeist auf Papier. Am Ende, so Kurt Mühlberger, sei die Reform eigentlich gescheitert. Der Staat habe sich zwar überall eingemischt, Zusagen jedoch zu 65 Prozent nicht eingehalten, die Sanierung der Finanzen mithin nicht erreicht36. Kaum anders war es im nördlichen Europa, in Schottland und Irland. Man frage sich, wie die dortigen Universitäten überhaupt das 16. Jahrhundert überstanden und das 17. erreicht haben37. Auch hier war der Kirche die Schlüsselfunktion im Finanzwesen zugewiesen, woran sich in Schottland seit dem späten Mittelalter nichts geändert hatte, auch nicht nach der Reformation der 1560er Jahre. Das Parlament diskutierte zwar die Probleme, setzte eine Visitationskommission ein, aber fand keine Lösung, die über traditionelle Wege hinausgewiesen hätte. Erst mit Hilfe des Königs (New Foundation of King’s College Aberdeen 1583) und einer weiteren College-Stiftung konnte man das Erbe sichern, allerdings nur durch Beschränkung auf ‘protestantische Bedürfnisse’, Artes und Theologie, um den Preis also einer Anpassung nach unten. Vielleicht fehlte es jetzt um 1600 an einer so weitsichtigen Persönlichkeit wie sie Bischof William Elphinstone (ca. 1431–1514) gewesen war, der Bildung bereits als eine öffentliche Aufgabe (bonum commune) betrachtet und sich
Ebd. Vgl. Rüegg, Geschichte (wie Anm. 5), Bd. 2: Notker Hammerstein, Die Hochschulträger, S. 105–137; Hilde de Ridder-Symoens, Organisation und Ausstattung, S. 139–179. 36 Mühlberger, Finanzielle Aspekte (wie Anm. 9). 37 Robinson-Hammerstein/Vance, Reformation (wie Anm. 22). 34 35
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sehr planvoll eines Netzwerks von lokalen Unterstützern, auch Laien, versichert hatte, um trotz kritischer Haltung seines dazu belasteten Pfarrklerus die Universität in Aberdeen zu gründen und gleich selbst Old Aberdeen, King’s College beizusteuern. | 191 In Irland dagegen konnte man auf keine mittelalterliche Universitätsstiftung zurückgreifen. Ihr Fehlen machte sich in dem Augenblick sehr stark bemerkbar, als man für die ‘neue Gesellschaft’ nach den Reformationen Heinrichs VIII. und Elisabeths I. eine irische Universität für notwendig hielt. Getragen werden sollte sie von den Iren, Parlament und ‘politischer Nation’, unter Einbindung der englischen Siedler und des Königtums. Doch dieses hielt sich zurück und verwies auf den traditionellen Weg über die Kirche. Alle Pläne scheiterten zunächst an einem grossen lack of interest jenseits humanistisch-puritanischer Ideale38, auch weil der Kreis potenter Donatoren in Irland viel zu klein war, und ohne das inspirierende Beispiel des Königtums wollte sich kaum jemand auf die Sache einlassen. Dass überhaupt etwas zu Stande kam, zunächst Trinity College Dublin seit 1592, hatte dann mit der Idee von einer ‘neuen Gesellschaft’ nichts mehr zu tun, sondern lag ganz eindeutig an den alten unwiderstehlichen sozialen Regeln der kleinen Gruppe, die in der ganzen Vormoderne Universität veranstaltete: Trinity College, obgleich durch die City of Dublin mit den Liegenschaften des reichen Augustinerkloster All Hallows ausgestattet, gehörte als Korporation praktisch wenigen Dubliner Familien, die auch gleich selbst einen beträchtlichen Teil der Plätze vom Propst über die Fellows bis zu den Scholaren besetzten. Doch wie in Schottland war es am Ende die Krone, die durch etatistische Interventionen und neue Landzuweisungen das Überleben im nächsten Jahrhundert sicherte. Während überall die Wege von der alten Subsistenzwirtschaft zur planvollen Universitätsfinanzierung noch sehr gewunden und vage verliefen, scheint sich durch den Zugriff der Jesuiten in den katholischen Ländern seit der Mitte des 16. Jahrhunderts eine recht modern anmutende Finanzverwaltung etabliert zu haben. In der Tat hatte die Idee, eine Universität wie ein Fugger’sches Kontor mit qualifizierten Führungspersonen zu führen39, mit rectores oeconomiae sint periti, etwas sehr Bestechendes an sich. Effizienz durch Kompetenz, Sparsamkeit und Kontrolle war als Leitidee verinnerlicht. Der Gegenreformation durch
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Ebd. Rainer A. Müller, Finanzierung (wie Anm. 10).
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ein mehrstufiges Bildungskonzept aufzuhelfen, Kurse an Kollegien anzubieten, diese insgesamt oder einzelne Professuren an Landesuniversitäten zu übernehmen oder gleich ganze philosophische und theologische Fakultäten und nicht zuletzt eigene SJ-Universitäten zu gründen und für diese Unternehmungen ein eigenes Finanzmodell mit vorbildlicher Rechnungslegung, Kapitalverzinsung und Risikokalkulation für Einund Ausgaben vorzusehen, das alles zeugt von enormer strategischer Weitsicht. Sie geht auf Ignatius selbst zurück. Doch Rainer Müller hat völlig Recht, die Konsequenzen gleich zu Beginn seines Beitrags mit zu bedenken40. Nicht, dass nicht auch das jesuitische Finanzmodell 192 den Wechsellagen der Wirtschaft vom type | ancien unterlegen hätte, wie das am Beispiel der 1549 gegründeten Universität zu Dillingen gut zu beobachten war, die 1803 dennoch so gut dastand, dass sie aus wirtschaftlichen Gründen nicht hätte aufgehoben werden müssen. Man hatte wie überall die lokale und regionale Besonderheit des Standorts bedacht und Einiges zur Minimierung der konjunkturellen und monetären Schwankungen getan. Vielmehr verursachte die Tatsache, dass die SJ zu wesentlichen Teilen die Universitäten trug und damit landesstaatlichen Eingriffen Grenzen setzte, am Ende ein Problem. Sie verzögerte die Integration der Universitätsfinanzen in die Landesetats, die in evangelischen und protestantischen Ländern bereits auf bestem Wege war, und liess damit im ausgehenden 18. Jahrhundert einen gewissen Rückstand in der universitären Haushaltsentwicklung eintreten. Nur in Italien war es wie üblich wieder einmal anders, wie Andrea Romano am Beispiel der 1548 gegründeten Universität von Messina, der spanischen Landesuniversität für Sizilien, Kalabrien, Griechenland und die benachbarten Inseln, zeigen konnte41. Hier traf das ‘moderne’ ideologische und fiskalische Instrumentarium der SJ auf die ‘alte’ Praxis italienischer Stadtuniversitäten, für ihren Anteil an Fonds und Professorensalären auch mitreden zu wollen, selbst auf dem empfindlichen Terrain der philosophischen und theologischen Fakultäten und der Rektorenwahlen. Der Kompromiss brauchte lange, vermittelt schliesslich 1591 durch König Philipp II., verschaffte aber der Stadt im Sinne der im Süden traditionellen, Laizität betonenden öffentlichen Gewalt gewisse Vorteile. Während die SJ die Schulen, ihr Collegium, die Artes und die Theologie betrieben, kümmerte sich fortan der Stadtrat oder Senat
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Ebd. Romano, Università (wie Anm. 4).
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auch fiskalisch um die medizinische und juristische Fakultät, übernahm die Kanzlerschaft, setzte den Rektor ein und behauptete die Mehrheit in einer ständigen Kontrollkommission. Auf diese Weise ist Messina eine starke Universität im südlichen Europa geworden. *
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Am Ende dieses Überblicks, der von Geld und grossem Mangel handelte, von Subsistenz und Partnerschaft und einer kleinen Gruppe, die sich immerfort zu bemühen schien, wenn kein anderer Plan vorhanden war, sich am eigenen Schopfe aus dem Sumpfe zu ziehen, müsste man sich wirklich nur noch wundern, dass die Universität überhaupt ihre Vormoderne überlebt hat. Und Ulrich von Hutten würde vermutlich auch am Ende des 18. Jahrhunderts noch zu sarkastischer Satire neigen. So gesehen ist die universitäre Finanzgeschichte eigentlich eine Erfolgsgeschichte, auch wenn sich ihre Prinzipien hinter der Fülle der Details zu verstecken scheinen, bis auf mindestens eines, dass sich aus der Tiefe des Mittelalters | der Moderne vererbt hat: keinerlei 193 Berührungsängste zu haben beim Erschliessen und Handhaben von Finanzquellen.
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RESULTATE UND STAND DER UNIVERSITÄTSGESCHICHTE DES MITTELALTERS VORNEHMLICH IM DEUTSCHEN SPRACHRAUM – EINIGE GÄNZLICH SUBJEKTIVE BEMERKUNGEN* Die Aufgabe, die mir die Veranstalter dieser Tagung übertragen haben, über Resultate und Stand der mittelalterlichen Universitätsgeschichte zu referieren, kann ich nur subjektiv auswählend bewältigen1. Das liegt nicht in erster Linie daran, dass auch die mittelalterliche Universitätsgeschichte ein sehr weites Feld geworden ist, mit unterschiedlichstem Bewuchs in der Mitte wie an den Rändern, so dass man seine Fülle in der üblich bemessenen Länge eines Beitrags nicht unterbringen könnte2; es liegt vielmehr und mit grösserem Nachdruck daran, dass mein Interesse an der Universitätsgeschichte ein sehr spezifisches ist, noch dazu eines, das sich in keiner Weise auf das gesamte Feld erstreckt, sondern auf zentrale Themen, damit die Universität dort hingestellt werden kann, wohin sie gehört, mitten hinein nämlich in die Gesellschaft und in ihre politisch-ökonomische, soziale und kulturelle Lebenswelt und deren Wandel3. Universitätsgeschichte interessiert mich nur in ihrer relationalen und dynamischen Gestalt, gerade auch – ich zitiere mit einem * In: „Mensch – Wissenschaft – Magie“. Mitteilungen der Österreichischen Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte 20 (2000), S. 97–119. 1 Die Vortragsform vom ÖGW-Symposion in Wien am 9./10. November 2000 wird im Wesentlichen beibehalten. 2 Die wichtigsten Bibliographien und Literaturberichte bei Walter Rüegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa, Bd. 1, Mittelalter, München 1993, S. 79; ders. (Hg.), Geschichte der Universität in Europa, Bd. 2: Von der Reformation bis zur Französischen Revolution 1500–1800, München 1996, S. 100; zu ergänzen durch den Literaturbericht von Katherine Walsh, Zwischen Institution und Privatinitiative: Universitäre und außeruniversitäre Wissenschaftspflege an der Wende zur Neuzeit, in: Innsbrucker Historische Studien 14/15 (1994) S. 247–349. Wertvoll der forschungshistorische Überblick von Frank Rexroth, Deutsche Universitätsstiftungen von Prag bis Köln (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 34), Köln/Wien 1992, S. 11–44. – Weiteres in speziellen Zeitschriften und Informationsschriften wie z.B. Paedagogica Historica. International Journal of the History of Education 1 (1961) ff.; History of Universities 1 (1981) ff.; History of Education 1 (1982) ff.; Jahrbuch der Historischen Bildungsforschung 1 (1993) ff.; Nieuwsbrief Universiteitsgeschiedenis – Lettre d’information sur l’histoire des universités 1 (1995) ff.; Annali di storia delle università italiane 1 (1997) ff.; Jahrbuch für Universitätsgeschichte 1 (1998) ff. 3 So vertreten u. a. in: Rainer C. Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert. Studien zur Sozialgeschichte des Alten Reiches (Veröffentlichungen
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gewissen Genuss Rudolf Stichweh – um der Langeweile zu entgehen, die einen oft bei der Lektüre universitätsgeschichtlicher Untersuchungen befalle, ob der selbstgenügsamen institutionellen Wirklichkeit, als 98 welche sie dort erscheine4. Nun war diese | Ansicht schon 1996 ein wenig überrissen, als sie in einer Besprechung von Sammelwerken zur politischen und institutionellen Geschichte der Universitäten geäussert wurde, war aber insofern berechtigt, als sie des weiteren mit Nachdruck forderte, die Universität konsequent in den Kontext ihrer Umwelt einzuordnen, Universitätsgeschichte also nicht isoliert von der Sozialund Kulturgeschichte, der Geistes- und Wissenschaftsgeschichte ihrer Zeit zu betreiben. Die Forderung war allerdings nicht mehr neu; im Grunde war sie ein Kurzreferat zur jüngeren Wissenschaftsgeschichte der Universitätsgeschichte. Seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts bemerkt man nämlich immer wieder Anläufe – zunächst freilich vor allem im nichtdeutschen Sprachraum – ‘Universität und Gesellschaft’ oder Variationen davon zum Teil schon im Titel der Werke zusammenzubringen und dieser Konjunktion auch inhaltlich zu entsprechen; das gilt nicht nur für die moderne, sondern auch für die vormoderne und die mittelalterliche Universitätsgeschichte5. Dass es mit der Umsetzung etwas länger des Instituts für europäische Geschichte Mainz, Abteilung Universalgeschichte 123: Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches 6), Stuttgart 1986. 4 Rudolf Stichweh, Neuere Arbeiten zur Universitätsgeschichte, in: Rechtshistorisches Journal 15 (1996) S. 126–136, 127. 5 In exemplarischer Auswahl für das Mittelalter: Les Universités Europeénnes du XIVe au XVIIIe Siècle. Aspects et Problèmes. Actes du Colloque Internationale à l’Occasion du VIe Centenaire de l’Université Jagelonne de Cracovie 6.–8. Mai 1964, Genève 1967; Laetitia Boehm, Libertas Scholastica und Negotium scholare – Entstehung und Sozialprestige des Akademischen Standes im Mittelalter, in: Hellmuth Rössler und Günther Franz (Hg.), Universität und Gelehrtenstand 1400–1800 (Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit 4), Limburg 1970, S. 15–61; Hugh F. Kearney, Scholars and Gentlemen. Universities and Society in Pre-Industrial Britain 1500–1700, London 1970; John W. Baldwin und Richard A. Goldthwaite (Hg.), Universities in Politics: Case Studies from the Late Middle Ages and Early Modern Period, Baltimore, London 1972; Jacques Verger, Les Universités au Moyen Age, Paris 1973 (Ndr. 1999); Richard L. Kagan, Students and Society in Early Modern Spain, Baltimore, London 1974; Lawrence Stone (Hg.), The University in Society, 2 Bde., Princeton 1974–1975; Rainer A. Müller, Universität und Adel. Eine soziostrukturelle Studie zur Geschichte der bayerischen Landesuniversität Ingolstadt 1472–1648 (Ludovico Maximilianea Universität Ingolstadt – Landshut – München, Forschungen und Quellen, Forschungen 7), Berlin 1974; Alan B. Cobban, The Medieval Universities: Their Development and Organization, London 1975; Peter Moraw, Zur Sozialgeschichte der deutschen Universität im späten Mittelalter, in: Giessener Universitätsblätter 8 (1975) S. 44–60; Jozef Ijsewijn, Jacques Paquet (Hg.), Universities in the Late Middle Ages (Mediaevalia Lovanensia, series I, studia 6), Louvain 1978; Hans-Werner Prahl, Sozialgeschichte des
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dauerte, lag und liegt | zum Teil noch immer an zwei fundamentalen 99 Hürden in der europäischen Universitätslandschaft, zum einen am weitgehenden Fehlen gerade jener Quellen, die es ermöglichen würden, den gegenseitigen sozialen Bezug zwischen Universität und Gesellschaft in der notwendigen Tiefe und Dichte nachzuzeichnen, und zum anderen an einem wirkungsmächtigen Forschungsdiktat, gerade dort, wo es den Quellen nach möglich wäre. Letzteres betrifft im wesentlichen den Raum des römisch-deutschen Reiches und die deutschsprachige Universitätsgeschichtsschreibung. Diese hatte sich nämlich selbst Schranken errichtet, indem sie ihren Gegenstand im amor scientiae isolierte, den Status der handelnden Personen weitgehend aussperrte und eine Kontinuität beschwor, die
Hochschulwesens, München 1978; Hilde de Ridder-Symoens, Universiteitsgeschiedenis als bron voor sociale geschiedenis, in: Tijdschrift voor sociale geschiedenis 10 (1978) S. 87–115; Università e società nei secoli XII–XVI. Atti del nono convegno internazionale di studio tenuto a Pistoia nei giorni 20–25 settembre 1979, Pistoia 1982; Peter Moraw, Aspekte und Dimensionen älterer deutscher Universitätsgeschichte, in: Peter Moraw, Volker Press (Hg.), Academia Gissensis. Beiträge zur älteren Gießener Universitätsgeschichte, Marburg 1982, S. 1–43; Johannes Fried (Hg.), Studium und Gesellschaft im Mittelalter (Schriften der Monumenta Germaniae Historica 29), Stuttgart 1983; Université et cité: à la recherche du passé, CRE-Information 62,2, Genève 1983; Jacques Verger, L’Histoire sociale des universités à la fin du Moyen Age: Problèmes, sources, méthodes (à propos des universités du Midi de la France), in: Siegfried Hoyer, Werner Fläschendräger (Hg.), Die Geschichte der Universitäten und ihre Erforschung, Leipzig 1984, S. 37–53; J. M. Kittelson und P. M. Transue (Hg.), Rebirth, Reform and Resilience. Universities in Transition 1300–1700, Columbus/Ohio 1984; Otto G. Oexle, Alteuropäische Voraussetzungen des Bildungsbürgertums – Universitäten, Gelehrte und Studierte, in: Werner Conze, Jürgen Kocka (Hg.), Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert, Teil I: Bildungssystem und Professionalisierung im internationalen Vergleich, Stuttgart 1985, S. 29–78; Johannes Fried (Hg.), Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters (Voträge und Forschungen 30), Sigmaringen 1986; Rainer C. Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 3); Dominique Julia, Jacques Revel, Roger Chartier (Hg.), Les Universités europeénnes du XVIe au XVIIIe siècles. Histoire sociale des populations étudiantes, 2 Bde., Paris 1986, 1989; Jacques Verger (Hg.), Histoire des Universités en France, Toulouse 1986; Daniel Poirion (Hg.), Milieux universitaires et mentalité urbaine au Moyen Age. Colloque du département d’études médiévales de Paris-Sorbonne et de l’université de Bonn (Cultures et civilisations médiévales 6), Paris 1987; Kurt Mühlberger, Thomas Maisel (Hg.), Aspekte der Bildungs- und Universitätsgeschichte (Schriftenreihe des Universitätsarchivs der Universität Wien 7), Wien 1993; Universitates e Università. Atti del Convegno, Bologna 16–21 novembre 1987, Bologna 1995; Christoph Fuchs, Dives, pauper, nobilis, magister, frater, clericus. Sozialgeschichtliche Untersuchungen über Heidelberger Universitätsbesucher des Spätmittelalters (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 5), Leiden 1995; Alan B. Cobban, English University Life in the Middle Ages, London 1999; William J. Courtenay, Jürgen Miethke (Hg.), Universities and Schooling in Medieval Society (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 10), Leiden 2000.
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ohne Wandel auszukommen schien. Vor allem die Thesen Herbert Grundmanns in seiner Schrift ‘Vom Ursprung der Universität im Mittelalter’ von 1957 (und danach mehrfach wieder aufgelegt) festigten die Barrieren bis in die jüngste Zeit6. Für Grundmann, der u.a. als Präsident der Monumenta Germaniae Historica einer der angesehensten und einflussreichsten Historiker seiner Generation war, gehörte es “zu den ganz aussergewöhnlich, fast einzigartig” zu nennenden Tatsachen, “dass sich Männer des Adels mit Bürger- und Bauernsöhnen, Reiche und Arme, Vornehme und Namenlose unterschiedslos zu einer Gemeinschaft, einer Korporation, einer ‘Universitas’ verbanden, in der es keine Vorrechte der Geburt gab”. Die Universitäten hätten gerade in ihren mittelalterlichen Anfängen alle soziale Schichten, Stände und Klassen gleicherweise und gleichberechtigt beteiligt und sie durch ein gemeinsames Ziel zu einer ganz neuartigen Gemeinschaft vereinigt. 100 Für diese Gemeinschaft seien “weder die Bedürfnisse | der Berufsausbildung oder der Allgemeinbildung noch staatliche, kirchliche oder sozialökonomische Impulse und Motive” primär und konstitutiv gewesen, “sondern das gelehrte, wissenschaftliche Interesse, das Wissen- und Erkennenwollen7.” Grundmann hatte diese Thesen 1956 in den damaligen DDR-Universitäten Jena und Leipzig vorgetragen, gewiss in ebenso polemischer und wissenschaftspolitischer Absicht gegen den sozialistischen Dirigismus wie aus bestgemeintem Kontinuitätsbedürfnis und Selbstbewusstsein eines Vertreters der – freilich idealisierten – deutschen Universität Humboldtscher Prägung; insofern betrieb auch er hier Ideologie8. Nun wirkten diese Thesen aber nicht dort, wo sie sollten9, sondern im Westen und hier leider so, dass sie längere Zeit sehr hinderlich gewesen sind für einen adäquaten, anachronismusfreien Zugang zur Universität des MitHerbert Grundmann, Vom Ursprung der Universität im Mittelalter, Darmstadt 1976 (Unveränderter Nachdruck der 2. Auflage Berlin 1960; zuerst: erschienen als Berichte über die Verhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-historische Klasse, Band 103 – Heft 2, Berlin 1957). 7 Grundmann, Ursprung (wie Anm. 6), S. 17–20. 8 Das hat aus gänzlich anderem Blickwinkel auch einer der ersten Rezensenten kritisch angemerkt, Wolfram von den Steinen in: Historische Zeitschrift 186 (1958) S. 117. 9 Die Kritik der ostdeutschen Historiker nahm diejenige der westdeutschen im Kern – es ist nicht fair, sie allein auf die ideologische Färbung zu reduzieren – bereits vorweg, vgl. z.B. Siegfried Hoyer, Die Gründung der Universität Leipzig und Probleme ihrer Frühzeit. In: Karl-Marx-Universität Leipzig 1409–1959. Beiträge zur Universitätsgeschichte Band 1, Leipzig 1959, S. 1–33, 30; Gerhard Zschäbitz, Staat und Universität Leipzig zur Zeit der Reformation, ebd. S. 34–67, 35f. 6
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telalters, zu ihren Besuchern und zu deren Wirkungsgeschichte. Neuere, vor allem sozial- und auch kulturgeschichtlich orientierte Arbeiten der letzten beiden Jahrzehnte haben jedoch eine Wende herbeigeführt. Die Kritik an Grundmann, dessen Abhandlung im übrigen eine vorzügliche Einführung in die Entstehungsgeschichte der europäischen Universitäten ist und bleibt, hat sich in jenen Punkten heute durchgesetzt, woran im Verein mit Peter Classen, Rainer A. Müller und Peter Moraw, um nur einige zu nennen, wohl auch ich selbst einigen Anteil hatte10. Nicht durchgedrungen ist dagegen der respektable Versuch von Arno Seifert, die ‘Grundmann-These’ gleichsam als “soziales System” zu retten11. Gleichwohl steht die These nach wie vor im Raum, und kaum eine jüngere Abhandlung zur universitätshistorischen Forschungsgeschichte verzichtet darauf, die Debatte – begreiflicherweise mit unterschiedlicher Gewichtung – zu referieren, weder Frank Rexroth beispielsweise noch Michael Borgolte noch Christoph Fuchs noch Hartmut Boockmann in seiner postum erschienenen deutschen Universitätsgeschichte12. Breit akzeptiert, soweit ich sehe, kann ich heute | sagen und mich nach 101 1986 eigentlich nur wiederholen, dass die deutschen Universitäten des späten Mittelalters – so wie die übrigen in Europa – keine aus der Welt evakuierten sozialen Freiräume für litterati waren, keine isolierten Bildungsgemeinschaften, die nur durch das Medium Wissenschaft mit der Aussenwelt kommunizierten, sondern stets getreue Spiegelbilder der sie umgebenden, am ehesten städtischen Gesellschaft. Niemand, der eine Universität besuchte, gab deswegen ‘an der Pforte’ seinen Status auf, sondern trug ihn und den seiner Herkunftsfamilie wie in jede Personengemeinschaft so auch in die Universität, um ihn dort zu behaupten oder im Rahmen dessen, was sozial möglich und zulässig war, zu verändern. Allerdings zeigte sich dieser Rahmen noch als karg Peter Classen, Die Hohen Schulen und die Gesellschaft im 12. Jahrhundert, in: Archiv für Kulturgeschichte 48 (1966) S. 155–180, 157; wieder abgedruckt in: Ders., Studium und Gesellschaft (wie Anm. 5), S. 1–26, 4; Müller, Universität und Adel (wie Anm. 5), S. 144f.; Moraw, Sozialgeschichte (wie Anm. 5), S. 50f.; Schwinges, Universitätsbesucher (wie Anm. 3), S. 2–5 u.ö. 11 Arno Seifert, Studium als soziales System, in: Johannes Fried (Hg.), Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters, Sigmaringen 1986, S. 601–619. 12 Rexroth, Universitätsstiftungen (wie Anm. 2), S. 35–44; Michael Borgolte, Sozialgeschichte des Mittelalters. Eine Forschungsbilanz nach der deutschen Einheit (Historische Zeitschrift, Beiheft 22), München 1996, S. 373–384, beide referieren die Kontroverse ausführlich; Fuchs, Dives (wie Anm. 5), S. 1f.; Hartmut Boockmann, Wissen und Widerstand. Geschichte der deutschen Universität. Mit einem Nachwort von Wolf Jobst Siedler, Berlin 1999, S. 9–11. 10
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bemessen. Kurzum: Universitäten waren zwar überschaubare, aber dennoch gesellschaftlich organisierte Gemeinschaften13. Ein solches Modell hat begreiflicherweise erhebliche Konsequenzen für jede Art des Umgangs mit der mittelalterlichen Universität, gleichviel ob es unter institutionen-, sozial-, kultur- oder bildungs- und wissenschaftshistorischen Aspekten geschieht. Jede Analyse der Universität oder nur ihrer Teileinheiten (Fakultäten, Kollegien, Studentenhäuser, Nationen), ihrer Stifter und ihrer Träger, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Hochschullandschaft, der Vielzahl ihrer Besucher, Magister und Scholaren und deren nachuniversitärer Zukunft, und nicht zuletzt auch ihres wissenschaftlichen Handelns, jede Analyse wird notgedrungen eine Ungleichheitsanalyse sein. Mit dieser vornehmlich sozialhistorischen Ausrichtung hat die deutschsprachige Forschung längst wieder Anschluss sowohl an die eigene Tradition14 als auch an die internationale Forschung gefunden und zum Teil sogar für mehr als nur Anschluss gesorgt. Davon zeugen inzwischen Gemeinschaftswerke wie die von der europäischen Rektorenkonferenz angeregte History of the University in Europe, die bisher in zwei Bänden zu Mittelalter und früher Neuzeit auch in deutscher Sprache erschienen ist, das mehrbändige Unternehmen Le Università dell’Europa oder das gleichfalls mehrbändige Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, dessen erster Band im späteren Mittelalter ein102 setzt15. Davon zeugen aber | auch einige exemplarische Darstellungen wie Rainer A. Müllers ‘Universität und Adel’ sowie seine ‘Geschichte der Universität’, die Kölner Universitätsgeschichte von Erich Meuthen, die Geschichte der Kölner Bursen von Götz-Rüdiger Tewes, die Artikelserie Peter Moraws über Prag, einige meiner Studien zu deutschen
Schwinges, Universitätsbesucher (wie Anm. 3), S. 341ff. Für diese mögen stehen: Friedrich Paulsen, Organisation und Lebensordnung der deutschen Universitäten im Mittelalter, in: Historische Zeitschrift 45 (1881) S. 385–440; ders., Geschichte des gelehrten Unterrichts, Bd. 1, Leipzig 3. Auflage 1919 (Ndr. 1932, 1960); Franz Eulenburg, Die Frequenz der deutschen Universitäten von ihrer Gründung bis zur Gegenwart, Leipzig 1904 (Ndr. Berlin 1994); Friedrich Schulze, Paul Ssymank, Das deutsche Studententum von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, Leipzig 21910 (Ndr. München 1932). 15 Walter Rüegg (Hg.), A History of the University in Europe, vol. 1: Universities in the Middle Ages, ed. by Hilde de Ridder-Symoens, Cambridge 1992 (2. ed. 1994); vol. 2: Universities in Early Modern Europe (1500–1800), ed. by Hilde de Ridder-Symoens, Cambridge 1996; die deutsche Version hg. von Walter Rüegg (wie Anm. 2). – Gian Paolo Brizzi, Jacques Verger (Hg.), Le università dell’Europa, 6 Bde., Cinisello Balsamo 1990–1995. – Notker Hammerstein (Hg.), Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 1: 15. bis 17. Jahrhundert. Von der Renaissance und der Reformation bis zum Ende der Glaubenskämpfe, München 1996. 13
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Universitätsbesuchern oder die schon erwähnte Universitätsgeschichte Hartmut Boockmanns, wenigstens in ihrem Mittelalterteil, auch wenn sie insgesamt unvollendet geblieben ist16. Hinzufügen wird man ferner Frank Rexroths ‘Deutsche Universitätsstiftungen’ sowie Wolfgang Eric Wagners Buch über ‘Universitätsstift und Kollegium’, die beide die oft so stark politik- und verfassungsstatisch orientierte Gründungsgeschichte von Universitäten, wie sie teilweise noch im Sammelband von Sönke Lorenz aufscheint, durch Analysen des Kräftepiels aller Beteiligten im Stiftungszusammenhang auf kräftige Weise konterkariert haben17.
Rainer A. Müller, Universität und Adel (wie Anm. 5); ders., Geschichte der Universität. Von der mittelalterlichen universitas zur deutschen Hochschule, München 1990; Erich Meuthen, Kölner Universitätsgeschichte, Bd. 1: Die alte Universität, Köln/Wien 1988; Götz-Rüder Tewes, Die Bursen der Kölner Artisten-Fakultät bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, Köln/Wien 1993; Peter Moraw, Die Juristenuniversität in Prag (1372–1419), verfassungs- und sozialgeschichtlich betrachtet., in: Johannes Fried (Hg.), Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters, Sigmaringen 1986, S. 439–486; ders., Die Universität Prag im Mittelalter – Grundzüge ihrer Geschichte im europäischen Zusammenhang, in: Schriften der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste 7 (1986) S. 9–134; ders., Die Prager Universitäten des Mittelalters, in: Susanna Burghartz et al. (Hg.), Spannungen und Widersprüche. Gedenkschrift für František Graus, Sigmaringen 1992, S. 109–123; ders., Schlesien und die mittelalterlichen Universitäten in Prag, in: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 34 (1993) S. 55–72; ders., Die Prager Universitäten des Mittelalters im europäischen Zusammenhang, in: Schriften der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste 20 (1999) S. 97–129; ders., Das älteste Prager Universitätssiegel in neuem Licht, ebd. S. 131–151; ders., Prag. Die älteste Universität in Mitteleuropa, in: Alexander Demandt (Hg.), Stätten des Geistes. Große Universitäten Europas von der Antike bis zur Gegenwart, Köln/Wien 1999, S. 127–146; Rainer Christoph Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 3); ders., Sozialgeschichtliche Aspekte spätmittelalterlicher Studentenbursen in Deutschland, in: Johannes Fried (Hg.), Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters, Sigmaringen 1986, S. 527–564; ders., Rektorwahlen. Ein Beitrag zur Verfassungs-, Sozial- und Universitätsgeschichte des Alten Reiches im 15. Jahrhundert (Vorträge und Forschungen, Sonderband 38), Sigmaringen 1992; ders., Franken in der deutschen Universitätslandschaft des späten Mittelalters, in: Hans-Albert Steger und Hans Hopfinger (Hg.), Die Universität in der Welt – die Welt in der Universität, Neustadt an der Aisch 1994, S. 1–26; ders., Genossenschaft und Herrschaft in der vormodernen Universität., in: Entwicklung und Realisierung des Genossenschaftsgedankens vom Mittelalter bis zur Gegenwart, hg. vom Historischen Verein bayerischer Genossenschaften (Schriftenreihe zur Genossenschaftsgeschichte 2), München 2000, S. 78–94; Hartmut Boockmann, Wissen (wie Anm. 12). 17 Frank Rexroth, Universitätsstiftungen (wie Anm. 2); Wolfgang E. Wagner, Universitätsstift und Kollegium in Prag, Wien und Heidelberg. Eine vergleichende Untersuchung spätmittelalterlicher Stiftungen im Spannungsfeld von Herrschaft und Genossenschaft, Berlin 1999; Sönke Lorenz (Hg.), Attempto – oder wie stiftet man eine Universität. Die Universitätsgründungen der sogenannten zweiten Gründungswelle im Vergleich (Contubernium 50), Stuttgart 1999. 16
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| Wer freilich heute von Resultaten und Stand der universitätshistorischen Forschung spricht, muss auch von den Quellen reden, von Matrikeln und verwandtem Personalschrifttum sowie von den Bemühungen, dieses analytisch zu durchdringen und auszuwerten. Damit komme ich zur oben genannten zweiten Hürde, die nun nicht im deutschsprachigen, sondern im übrigen europäischen Raum steht, was sich indessen für die deutsche Forschung als überaus positiv und erfreulich auswirken könnte, vorausgesetzt, sie fällt nicht in die älteren Muster zurück, sondern bleibt noch ein wenig bei ihrer gegenwärtigen, sozial- und kulturgeschichtlichen Prägung. Zunächst sei der besondere Quellentyp oder Zeugnischarakter der allgemeinen Matrikeln des späten Mittelalters, des 14. bis 16. Jahrhunderts behandelt, sodann möchte ich der Frage nachgehen, wo es im Europa dieser Zeit Matrikeln gegeben hat, ‘Matrikelgeographie’ also betreiben, zum dritten seien bestimmte Forschungsschwerpunkte bei der Auswertung herausgestellt, um dann zum Schluss einen Ausblick auf noch zu Leistendes zu geben. I Die Matrikel ist das wichtigste historische Zeugnis, das zentrale Schriftgut der Lebensform Universität18. Generationen von Besuchern, die lebenden und verstorbenen Mitglieder der Korporation, finden sich in einem solchen Buch verzeichnet, das in der Regel album, registrum oder matricula heisst, und hunderttausende von Namen allein schon in vorreformatorischer Zeit erfasst. Manche Universität war stolz darauf, den jeweils hundersten oder tausendsten Besucher besonders zu vermerken. Matrikeln sind serielle Grossquellen, die man in Umfang und Bedeutung wohl nur mit den päpstlichen Registerserien oder mit den ausdifferenzierten Stadtbüchern, den Bürger- und Steuerbüchern der städtischen Kommunen vergleichen kann. Es sind die Verzeichnisse all jener Personen, die mit und nicht selten auch ohne Studium die akademischen Privilegien am Universitätsort zu geniessen trachteten und dies unter Statutenzwang zu dokumentieren hatten: Graduierte und Ungraduierte, Studenten und Professoren, Bakkalaureen, Lizentiaten, Magister, Doktoren, Familienangehörige und Bedienstete, später auch
18 Die eindringlichste Studie bietet Jacques Paquet, Les matricules universitaires (Typologie des sources du moyen âge occidental 65), Turnhout 1992.
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Universitätsverwandte wie Buchdrucker, Sprach- und Tanzlehrer, Fechtmeister und Mechaniker, Bader und Apotheker, Notare und Schreiber, Köche, Musiker und Pedelle und nicht zuletzt auch die Honoratioren des städtischen, territorialen und kirchlichen Umfeldes, Minderjährige und Volljährige vom Säugling bis zum Greis – allesamt jedoch vor dem Ausgang des 18. Jahrhunderts von wenigen Ausnahmen abgesehen nur männlichen Geschlechts, was nicht heisst, dass nicht im Umkreis der Universität und der Nähe ihrer handelnden Personen gelehrte Damen gleichsam von Standes wegen dazugehörten19. Eingeschrieben sind sie alle – wenn man einmal von der vollständigsten Matrikel ausgeht – mit Vornamen und Familiennamen, Herkunftsort und Stand, Protektion und Fakultät, Tagesdatum und Bemerkungen zur Gebührenleistung. | Wie man dieser Aufzählung anmerkt, waren die spätmittelalter- 104 lichen Universitäten trotz gewisser Entwicklungsunterschiede in den einzelnen europäischen Ländern von grundsätzlich offener Verfassung. Praktisch gab es weder Zulassungsbeschränkungen noch besondere Berechtigungen. Selbst Illegitimität war kein Problem, solange man nicht zum Magister artium oder höher promoviert werden wollte20. Auch der Universitätsbesuch im engeren Sinne als Studentenexistenz war an keinerlei Vorbedingungen geknüpft – weder an schulische Vorbildung oder einen gewissen Bildungsstandard noch an eine bestimmte soziale, sprachliche oder räumliche Herkunft. Das lag zum einen daran, dass das Mittelalter kein aufeinander bezogenes Bildungssystem kannte, zum anderen aber und wesentlicher am eigenartigen Erscheinungsbild der Universität dieser Zeit als einer nicht wie später im Laufe der frühen Neuzeit immer mehr anstaltlich organisierten, sondern eher personenverbandlich organisierten Gemeinschaft – ganz im Sinne der geschworenen universitas. Die um den Lehrer gescharte Gemeinschaft der Studierenden und anderer mehr, die schola oder familia des Magisters oder Doktors und Professors bildete den Kern des Universitätslebens21. Dies ist bei der Auseinandersetzung mit den Matrikeln der älteren Zeit besonders zu beachten.
19 Dazu jetzt Andrea von Hülsen-Esch, Frauen an der Universität? Überlegungen anläßlich einer Gegenüberstellung von mittelalterlichen Bildzeugnissen und Texten, in: Zeitschrift für Historische Forschung 24 (1997) S. 315–346. 20 Rainer C. Schwinges, Die Zulassung zur Universität, in: Walter Rüegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa, Bd. 1, Mittelalter, München 1993, S. 161–180, 161. 21 Schwinges, ebd. S. 162–165; ders., Genossenschaft (wie Anm. 16), S. 80ff., auch zum folgenden.
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Universitätsbesuch und Studentwerden hiess damit zunächst einmal nichts anderes, als den Anschluss an den Magister und seine familia, seine Klientel zu suchen. Abstrakte Zugangs- oder Zulassungsregeln waren dort eben nicht notwendig, wo es auf personenverbandliche, mithin soziale Kontakte ankam, und diese wurden seit der frühesten Zeit (in Paris um 1215) zur Pflicht gemacht. So war bei der grundsätzlichen Offenheit der Hohen Schulen für jederman die Bindung an den Magister das letzten Endes einzige, ernsthafte Kriterium der Aufnahme in die Universität – trotz der im Laufe des Spätmittelalters strenger werdenden Vorschriften, die mit der Führung des Matrikelbuches und der Immatrikulationspflicht, nicht zuletzt im Aufsichtsinteresse der Obrigkeit, einhergingen. Durch die Immatrikulation wurde der Anschluss an den Magister indessen universitätsöffentlich und rechtlich gesichert; durch sie wurde der neue Student oder Universitätsverwandte membrum universitatis im vollen Sinne, Mitglied der universitären Privilegiengemeinschaft. Die Immatrikulation umfasste die Ableistung eines Immatrikulationseides, eines Gehorsamseides gegenüber Rektor und Statuten, die ordnungsgemässe Entrichtung von Immatrikulationsgebühren sowie die namentliche Eintragung in das dazu eigens angelegte Matrikelbuch, das zugleich das Schwur- und Zahlungsverhalten jeder einzelnen inskribierten Person zu dokumentieren hatte. Zur Unterscheidung von anderen Typen, von den partikularen Fakultätsmatrikeln, Kolleg- oder Nationsmatrikeln, die der Obhut der Dekane, Pröpste und Prokuratoren anvertraut war, sollte man es Allgemeine Universitätsmatrikel oder besser noch Rektoratsmatrikel nennen. Die Führung dieser Matrikel gehörte zu den vornehmsten persönlichen Amtspflichten der Rektoren; und zusammen mit Zepter 105 | Siegel und Statutenbüchern war auch die matricula universitatis das Amts- und Würdezeichen des jeweiligen Rektors. Eine Reihe von Rektoratsmatrikeln sind als Reinschriften erhalten, oft als reich illuminierte und kostbar gestaltete Pergamentcodices, so zum Beispiel die älteren Erfurter, Leipziger und Basler Matrikeln22,
22 Ulrich Mittelstädt, Spätmittelalterliche Erfurter Buchmalerei. Die Illuminationen der Universitätsmatrikel, in: Beiträge zur Erfurter Kunstgeschichte (Kleine Schriften des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt 3), Erfurt 1999, S. 23–28; Georg Erler (Hg.), Die Matrikel der Universität Leipzig, Bd. 1, Leipzig 1895, S. XIII–XXX; Paul Leonhard Ganz, Die Miniaturen der Basler Universitätsmatrikel, Basel/Stuttgart 1960; im Überblick auch Astrik L. Gabriel, The Significance of the Book in Medieval University Coats of Arms, in: ders., Garlandia. Studies in the History of the Mediaeval University, Notre Dame/Frankfurt am Main 1969, S. 79–82.
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haben also bereits einen längeren Herstellungsprozess durchlaufen, was für die Beurteilung des Quellentyps bzw. seines Zeugnischarakters von grösster Bedeutung ist. In vermutlich allen matrikelführenden Universitäten wurden die Namen der Besucher samt ihres Zahlungs- und Schwurverhaltens zunächst auf Zettel aufgenommen oder in Protomatrikel (H. G. Wackernagel) eingetragen. Entscheidend für die Namensabfolge war hier schlicht das Tagesdatum der Immatrikulation, des mehr oder weniger zufälligen Erscheinens auf dem Rektorat23. Nun war die mittelalterliche Universität kein herausgehobener und isolierter Tempel der Weisen, wie wir gehört haben, sondern ein Kind ihrer Zeit, ein Spiegelbild ihrer Umwelt. Alle Universitätsbesucher wussten sehr wohl, dass auch ihre Gemeinschaft so wie jede andere Formation der Gesellschaft durch eine ‘Unterschieds-Ordnung’ geregelt wurde und öffentlich sichtbar werden musste. In Basel sprach man um 1465 in Anlehnung an das vornehme, juristisch geprägte Klima Italiens, aber auch an die kurmainzische Universität im thüringischen Erfurt, dem direkten statutarischen und personellen Pendant Basels, von einem ordo differencie. In der genauen und geziemenden Beachtung des persönlichen Ranges der Universitätsangehörigen sah man geradezu eine Garantie für den Bestand der Hochschule, weil keine Gemeinschaft ohne ein solches Regelwerk vernünftigerweise existieren könne – quia nulla universitas poterit alia racione subsistere, nisi magnus eam differencie regulat ordo24. Man dachte dabei keineswegs nur an die interne Differenzierung nach Fakultäten und Graduierten, sondern gerade auch an die externe, die mit jeder einzelnen Immatrikulation unvermeidlich verknüpft war. Lokationsordnungen, offizielle rangabhängige Platzzuweisungen, gab es für die verschiedensten Gelegenheiten der Innen- und Aussendarstellung, für die Plazierung in den | Supplikenrotuli an den Papst 106 und nicht zuletzt auch für die Reihenfolge der Examinierten in einer merkwürdigen Mischung von Status und Leistung25. 23 Zur Matrikelproduktion Paquet, Matricules (wie Anm. 18), S. 50ff. sowie die meisten Einleitungen der bei Paquet S. 101ff. verzeichneten Matrikeleditionen, z.B. sehr ausführlich Erler, Leipzig (wie Anm. 22); zuletzt Ulrich Rasche, Über die deutschen, insbesondere über die Jenaer Universitätsmatrikeln, in: Genealogie 25 (2000/2001), S. 29–46, 84–109. 24 Zitat aus dem unedierten Basler Liber statutorum (UniArchiv Basel A1), zur Sache Schwinges, Universitätsbesucher (wie Anm. 3), S. 344ff. 25 Jürg Schmutz, Erfolg oder Misserfolg? Die Supplikenrotuli der Universitäten Köln und Heidelberg 1389–1425 als Instrumente der Studienfinanzierung, in: Zeitschrift für Historische Forschung 23 (1996) S. 145–167. – Schwinges, Universitätsbesucher (wie Anm. 3), S. 355–360; exemplarisch: Rainer Christoph Schwinges, Klaus Wriedt et al.
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Alle diese Ordnungen antworteten auf das ausgeprägte Bedürfnis der adeligen und bürgerlichen, klerikalen und laikalen Zeitgenossen, ständisch und schichtspezifisch zu denken, und sich voneinander abzugrenzen. Die Reinschriften der Rektoratsmatrikeln kamen diesem Bedürfnis weit entgegen. Erfurt und Basel sind auch in dieser Beziehung sehr schöne Beispiele für die Umsetzung des ordo differencie, der unausgesprochen aber auch anderswo von Wien bis Löwen zu finden ist. Die Reihung der Besuchernamen entspricht (oft bis weit ins 17. Jahrhundert) nicht mehr der zufälligen Immatrikulation nach Tagen und Monaten, sondern einer sozialen Hierarchie, die für die Reinschrift nach dem Gutdünken des jeweiligen Rektors für die Zeit seines Rektorats formuliert worden war. Jedes Rektorat, beinahe jede Seite der Matrikel wurde damit zu einem sozialen Zeugnis umgeschrieben, zu einem Dokument auch für Profil und Prestige der Hohen Schule insgesamt. So finden sich die Adeligen der Vormoderne, die hohe Domund Stiftsgeistlichkeit, Würdenträger und bürgerliche Wohlhabende (die sog. divites) in der Regel immer zuerst immatrikuliert, die sog. pauperes, die mittellosen und vor allem beziehungslosen armen Scholaren – um nur die sozialen Extreme zu nennen – zuletzt, am Ende der jeweiligen Rektoratsliste26. II Man könnte denken, Rektoratsmatrikeln seien so alt wie die Universitäten selbst und es gäbe sie seit Paris und Bologna um 1200 in ganz Europa. Dies ist nicht der Fall; die Matrikelgeographie ist daher recht einseitig. Die ersten allgemeinen Matrikeln entstanden im ausgehenden 14. und im Laufe des 15. Jahrhunderts, und zwar fast ausschliesslich an den Universitäten des alten Reiches und seiner nördlichen und östlichen Nachbarn, beginnend mit der Juristen-Universität zu Prag im Jahre 1372. Matrikeln führte man ferner – aufgezählt in der Reihenfolge ihrer Gründung – in Wien, Heidelberg, Köln und Erfurt, in Leipzig,
(Hg.), Das Bakkalarenregister der Artistenfakultät der Universität Erfurt 1392–1521 (Registrum baccalariorum de facultate arcium universitatis studii Erffordensis existencium), Stuttgart/Jena 1995. 26 Eindrücklich z.B. in: Johann Christian Hermann Weissenborn (Hg.), Acten der Erfurter Universität, Bd. 1, Halle 1881; dazu Schwinges, Universitätsbesucher (wie Anm. 3), S. 373ff.
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Rostock und Löwen, in Greifswald, Freiburg und Basel, in Ingolstadt, Trier, Mainz und Tübingen, in Wittenberg seit 1502 und in Frankfurt an der Oder seit 1506, um nur noch die letzten vor der Reformation gegründeten Hohen Schulen zu nennen. Sie alle waren Universitäten der Kurfürsten und einiger bedeutender Landesfürsten und Städte innerhalb des römisch-deutschen Reiches. Hinzu kamen lediglich noch Krakau und St. Andrews in Schottland, Universitäten, die in engen personellen Beziehungen zu Prag oder Wien, Köln oder Erfurt, Rostock oder Leipzig standen. Demgegenüber | fehlte die matricula universitatis in 107 so gut wie allen west- und südeuropäischen Universitäten, von England über Frankreich und Italien bis Spanien und Portugal27. Und dies ist die angesprochene Hürde. Die Konjunktion ‘Universität und Gesellschaft’ – wenn man sie nicht abstrakt, sondern über die beteiligten Menschen herstellen will – lässt sich ausserhalb des alten Reiches im späten Mittelalter nur relativ beschränkt bewerkstelligen. Die Immatrikulation in dafür eigens vorgesehene Matrikelbücher war also im wesentlichen eine deutsche Angelegenheit im Rahmen des Reiches. Sie korrespondiert mit der gegenüber Frankreich, England und Italien späteren, dafür aber anderen und neuen Entwicklung eines deutschen Universitätstyps, mit der vom Landesherrn oder städtischen Obrigkeit erzwungenen Vier-Fakultäten-Universität, die anders als die südeuropäischen Juristen- und Medizineruniversitäten und die lockeren Fakultäts-Verbindungen von Paris von Anfang an unter einem herrschaftlichen Druck stand28. Der deutsche Universitätstyp war dem Willen des Gründers und Stifters unterworfen; und dies sollte auch künftig in der engen Bindung an die Herrschaft so bleiben. Der Spielraum, den manche Universitäten bzw. ihre führenden Kräfte als Personenverband im genossenschaftlichen Sinne gelegentlich hatten, spricht nicht dagegen. Manche Herren, beginnend mit Kaiser Karl IV. als König von Böhmen für seine Landesuniversität in Prag, verlangten beim Immatrikulationseid auch einen Treueschwur gegenüber der Dynastie. Die Immatrikulation 27 Paquet, Matricules (wie Anm. 18), S. 16–20; Schwinges, Zulassung (wie Anm. 20), S. 166ff. Für einen Überblick über die vorhandenen Matrikeln siehe Paquet, ebd. S. 100–111, und Eva Giessler-Wirsig, Johanna Böhm-Klein, Universitäts- und Hochschulmatrikeln, in: Wolfgang Ribbe und Eckart Henning (Hg.), Taschenbuch für Familiengeschichtsforschung, Neustadt an der Aisch 111995, S. 235–269. 28 Schwinges, Genossenschaft (wie Anm. 16), S. 89–94; ders., Prestige und gemeiner Nutzen. Universitätsgründungen im deutschen Spätmittelalter, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 21 (1998) S. 1–13; ders., The Medieval German University: Transformation and Innovation, in: Paedagogica Historica 34 (1998) S. 375–388, auch in diesem Band. Siehe auch die Arbeiten in Anm. 17.
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dokumentiert hier den bereits fortgeschrittenen Zustand der Verrechtlichung der universitas auf dem Wege zu einer Institution, wie sie den zukunftsstarken Landesuniversitäten und den Kontrollbedürfnissen ihrer Führungsspitzen und Träger wohl am ehesten entsprochen hat. Der administrative Akt der Immatrikulation durch den Rektor gehörte jener neuen Epoche der europäischen Universitätsgeschichte an, die den nationalen und territorialen Kräften vorbehalten sein sollte. Die Universitätsrektoren der älteren, universalen oder papstgeleiteten Epoche haben dagegen nie eigene, allgemeine Matrikeln geführt, weder in Italien noch in Frankreich, Iberien oder England, obwohl in manchen Universitätsstatuten schon seit dem frühen 14. Jahrhundert die inregistratio zum Aufgabenkreis des Rektors gezählt wurde; und auch ihre Nachfolger haben es bis an die Schwelle der Neuzeit nicht getan, zweifellos aufgrund der überkommenen, überaus zähen, sozialen und kleinteiligen Organisationsformen in Magisterfamilien, Kollegien und den Verbänden der Universitätsnationen, wo es überdies auch der förmlichen Eidesleistung gar nicht bedurfte. Einzige, aber bezeichnende Ausnahmen sind der Liber receptorum der päpstlichen Universität zu Avignon in der Zeit des Grossen Schismas, eine matrikelähnliche 108 | Aufzeichnung über die Gebührenzahlung der Studenten, sowie die Matrikel der englischen Universität auf französischem Boden in Caen seit 1487, vergleichsweise also ausserordentlich spät, wo sich das Kontrollbedürfnis Englands aber überdeutlich niedergeschlagen hat29. In den süd- und westeuropäischen Universitäten, die aus der älteren, universalen Zeit hervorgingen, war das Immatrikulieren von Anfang an Sache der einzelnen Magister und Doktoren oder der studentischen nationes. Magister fertigten Namenslisten ihrer Klientel an, die sie ihrer Fakultät zu übergeben hatten, woraus sich früher oder später – wohl um die Mitte des 14. Jahrhunderts – eigene Fakultätsmatrikeln entwickelten. In den Juristen-Universitäten vor allem Italiens (Bologna, Padua, Pavia, u.a.), aber auch Frankreichs (etwa in Orléans und Angers) übernahmen die studentischen nationes getreu ihren sozialen Verfassungsformen die Immatrikulation ihrer künftigen Mitglieder selbst. Die Prokuratoren der einzelnen Universitätsnationen amteten so wie anderswo die Magister und später die Rektoren. Das älteste Register dieser Art und zugleich
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bedeutendste für Mittel-, Ost- und Nordeuropa ist die Matricula nationis Germanicae von Bologna, die seit 1289 geführt wurde30. Die wichtigsten und in der Regel vollständigsten Aufzeichnungen über Universitätsbesuche fanden sich künftig in den Rektoratsmatrikeln. Die erste des ‘neuen’ Typs war vielleicht die verlorene matricula der Prager Artisten-Theologen-Mediziner-Universität – falls sie als solche wirklich existiert haben sollte; denn das einzig erhaltene Fragment betrifft ausschliesslich die sächsische Nation. Wie dem auch sei: Die 1372 angelegte Matrikel der Prager Juristen-Universität ist heute die älteste erhaltene Rektoratsmatrikel Europas31. Dass man aber in Prag die ersten allgemeinen Matrikeln führte, wird kein Zufall gewesen sein. Das Studium Pragense von 1348 lag nämlich im Übergang von der universalen zur nationalen Epoche der europäischen Universitätsgeschichte. Erst im Laufe des 16. Jahrhunderts verbreiteten sich schliesslich die Rektoratsmatrikeln als zentrale Dokumentationen des täglichen Neuzugangs in ganz Europa. Bezeichnend ist hier das Beispiel der vermutlich ältesten erhaltenen Rektoratsmatrikel Italiens, der Matrikel von Perugia. Sie wurde zwar im Jahre 1487 angelegt, aber die Inskriptionen begannen erst 1511. Überdies zeigt der Vergleich allein schon mit der Matrikel der Deutschen Nation zu Perugia, die eine ungleich reichere Namensfülle enthält als das zentrale Buch der Universität, wie sehr und wie lange noch die ‘ältere’ Form, die einfach die gewohntere soziale Umgebung repräsentierte, die ‘neuere’ gesamtadministrative Form bedrängte | 109 oder gar nicht erst zum Zuge kommen liess32. Nachzuprüfen bliebe noch, ob der im Reich rundweg verlangte persönliche Immatrikulationseid bei der Anlage der deutschen Rektoratsmatrikeln sowie der deutschen Nationsmatrikeln im Ausland eine Rolle spielte, und ob umgekehrt seine vielleicht geringere Bedeutung und Beachtung vor
30 Acta Nationis Germanicae Universitatis Bononiensis (1289–1543), ed. Ernestus Friedlaender, Carolus Malagola, Berlin 1887 (Nachdruck Bologna 1988); fortgeführt als: M. Luisa Accorsi und Claudia Zonta (Hg.), La matricola – Die Matrikel 1573–1602, 1707–1727 (Natio germanica Bononiae 1), Bologna 1999; vgl. hier die Einleitungen und Stefan Oswald, Die Natio Germanica. Fünfhundert Jahre Deutsches Studentenleben in Bologna – La Nazione germanica. Cinquecento anni di vita studentesca tedesca a Bologna (Acta germanica 7), Bologna 1996. 31 Vgl. Ferdinand Doelle, Ein Fragment der verlorengegangenen Prager Universitätsmatrikel aus dem 14. Jahrhundert, in: Studi e Testi 39 (1924) S. 88–102. – Juristenmatrikel in: Monumenta Historica Universitatis Carolo-Ferdinandeae Pragensis II, Prag 1834. 32 Fritz Weigle, Die Matrikel der Deutschen Nation in Perugia, Tübingen 1956, S. 7, 13ff.
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allem im romanischen Raum Europas die Nichtanlage solch zentralen Schriftguts zur Folge hatte33 – parallel zur Erscheinung bei den Neubürgerbüchern oder Bürgereidbüchern der deutschen Städte, die es auch nur im Reich, sonst aber vor dem 16. Jahrhundert fast nirgends in Europa gegeben hat34. III Matrikeln mit ihren scheinbar endlosen Namenslisten, serielle Grossquellen mit 95 Prozent und mehr zunächst völlig unbekannten Personen aus der Vergangenheit, sind auf den ersten Blick ein sehr sprödes Material, das auf Fragen nicht von allein und unmittelbar antwortet. Man muss es zum Sprechen bringen; freilich nicht isoliert nach der Art ‘Studenten aus X an der Universität Y’ oder in minimalistischer Rückschrittlichkeit, die sich neuerdings in der Dissertation von Uwe Alschner über den Universitätsbesuch im frühneuzeitlichen Helmstedt “Matrikelimmanenz” oder “pragmatische Matrikelforschung” nennt und prompt kaum Neues beizutragen hat35. Dass es auch anders geht, zeigt die aus derselben Schule stammende Arbeit von Matthias Asche über Rostock36. Man muss vielmehr, wenn man relevant forschen und die Universität damit ernsthaft als gesellschaftliche Grösse behandeln will, auch die Matrikeln und ihr verwandtes Schriftgut (Dekanatsbücher, 33 Schwinges, Zulassung (wie Anm.), S. 170–172; Jürgen Miethke, Der Eid an der mittelalterlichen Universität. Formen seines Gebrauchs, Funktionen einer Institution, in: Paolo Prodi (Hg.), Glaube und Eid. Treueformeln, Glaubensbekenntnisse und Sozialdisziplinierung zwischen Mittelalter und Neuzeit (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 28), München 1993, S. 49–67 (betr. zumeist Heidelberg). 34 Rainer C. Schwinges, Bürgermigration im Alten Reich des 14. bis 16. Jahrhunderts, in: Hans-Jörg Gilomen et al. (Hg.), Migration in die Städte – Migrations vers les villes, Zürich 2000, S. 17–37, 24f.; ders. (Hg.), Neubürger im späten Mittelalter. Migration und Austausch in der Städtelandschaft des Alten Reiches (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 25), Berlin 2001. 35 Uwe Alschner, Universitätsbesuch in Helmstedt 1576–1810. Modell einer Matrikelanalyse am Beispiel einer norddeutschen Universität (Beihefte zum Braunschweigischen Jahrbuch 15), Braunschweig 1998. Ein weiterer schwerer Einwand gegen diese Arbeit betrifft die Zufallsstichprobe, die zwar statistisch korrekt, aber historisch ein Flop ist, da sie das gewachsene soziale Netzwerk eines Matrikelkorpus, z.B. die vielen Kleingruppen und Partnerschaften der Besucher, völlig zerreisst; dies wenigstens noch untersucht zu haben, wäre auch ‘Matrikelimmanenz’ gewesen. 36 Matthias Asche, Von der reichen hansischen Bürgeruniversität zur armen mecklenburgischen Landeshochschule. Das regionale und soziale Besucherprofil der Universitäten Rostock und Bützow in der Frühen Neuzeit (1500–1800) (Contubernium. Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 52), Stuttgart 2000.
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Promotionslisten etc.) konsequent mit den Überlieferungen in Kirche, Stadt und Land konfrontierten. Dies grundsätzlich zu können, ist nämlich der Vorteil, den die personengeschichtlich gut dokumentierten Universitäten des alten Reiches bieten. Man muss dabei nur | bereit 110 sein, über eine Universität hinaus vergleichend zu arbeiten und Universitäten als Teile eines Systems zu begreifen. Das hat übrigens auch Herbert Grundmann schon so gesehen und für wichtig gehalten. Denn – ich zitiere mich selbst aus meinem Buch von 1986 – “man kennt eine Universität erst dann richtig, wenn man sie alle kennt”; und diesen Satz kann man nicht umkehren37. Würde man die deutsche Universitätsgeschichte rein chronologisch betrachten, so könnte man selbstverständlich nicht umhin, zuerst auf Frankreich und Italien mit ihren europawichtigen Zentren für Theologie und Philosophie in Paris, für Rechtswesen und Medizin in Bologna, Padua oder Pavia zu weisen. Die deutschen, rund 150 Jahre späteren Ereignisse würde man demgegenüber nicht gerade in den Vordergrund stellen können. Der Vorsprung des “älteren Europa” (Peter Moraw) hat vermutlich dazu geführt, dass aus diesem Teil der Welt kaum jemand den Fuss in deutsche Universitäten setzte, ganz anders eben als in der Gegenrichtung. Sieht man aber in sozial- und bildungsgeschichtlicher Absicht auf die immatrikulierten deutschen Universitätsbesucher im In- und Ausland und darauf, was sie als Absolventen der Theologie, des weltlichen und kirchlichen Rechts, der Medizin und der Artes liberales wirklich studiert, geistig aufgenommen und in der Gesellschaft getan und bewirkt haben, dann kann man den deutschsprachigen Raum sehr wohl in den Mittelpunkt sogar europäischen Interesses rücken. Denn nirgendwo in Europa lässt sich so viel über so viele studierte und gelehrte Personen des Mittelalters in Erfahrung bringen wie gerade hier – eine Aussage allerdings ohne jede qualitative Wertung. Das unterstreicht auch Jacques Verger, der selbst vor wenigen Jahren ein grundgelehrtes und sehr gescheites, gleichwohl notgedrungen essayhaftes Buch über ‘Les gens de savoir en Europe’ geschrieben hat38.
37 Grundmann, Ursprung (wie Anm. 6), S. 9ff.; Schwinges, Universitätsbesucher (wie Anm. 3), S. 10. 38 Jacques Verger, Les gens de savoir en Europe à la fin du Moyen Age, Paris 1997; Programmatisches dazu ders., Les universités médiévales: interèt et limites d’une histoire quantitative. Notes à propos d’une enquête sur les universités du Midi de la France à la fin du Moyen Age, in: Julia, Revel, Chartier, Universités europeénnes (wie Anm. 5), Bd. 2, S. 9–24; ders., Peut-on faire un prosopographie des professeurs des universités françaises à la fin du Moyen Age?, in: Mélanges de l’Ecole française de
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Es bedeutet etwas sehr Fundamentales für die deutsche und mindestens die mitteleuropäische Geschichte, dass rund 300 000 Universitätsbesucher aus 17 Universitäten zwischen dem ausgehenden 14. und der Mitte des 16. Jahrhunderts bereitgestanden und die Tatsache der Existenz von Universitäten im Reich wie auch immer für sich genutzt haben. Besondere Forschungsschwerpunkte im Umgang mit den allgemeinen Matrikeln und den verwandten Quellen der Fakultäten und Nationen im In- und Ausland sind daher zum Beispiel Frequenzanalysen, Versuche, die Frage zu beantworten, welche Faktoren und Prozesse den Hochschulzugang, das Auf und Ab der Immatrikulationen im Laufe der Zeit gesteuert haben. Nur schon zu wissen, dass zwischen ca. 1450 und 1515 jährlich fast 2 500 bis 3 000 neue Immatrikulationen an den Universitäten des römisch-deutschen Reiches stattfanden, 111 ist von enormer | Wichtigkeit für die Beurteilung des möglicherweise langfristig karrierehaften Eindringens und Wirkens von akademisch gebildeten Generationen in eine sich mehr und mehr verfestigende Gesellschaft bzw. des Eindringens von Wissenschaft und bestimmten wissenschaftlichen Methoden unterschiedlichster Kompetenzstufen in ebendieselbe Gesellschaft39. Ein anderer Schwerpunkt betrifft die räumliche Rekrutierung. Erfolgreiche Universitäten, schon mittelalterliche, erkennt man daran, dass es ihnen gelang, die unmittelbare Region, einen nahen Kernraum sehr stark zu mobilisieren, um sich eine spezifische regionale Existenz zu sichern. Erst von hier aus konnte man zu einer gewissen, mehr oder weniger ausgedehnten Überregionalisierung schreiten. Genaugenommen gab es zur regionalen Existenz, das heisst auch zur politischen und sozialen Nähe des Landesfürsten und seines Hofes oder der städtischen Obrigkeit und ihren Apparaten samt den zugehörigen Kirchen gar keine Rome. Moyen Age, Temps modernes 100 (1988) S. 55–62; ders., Les professeurs des universités françaises à la fin du Moyen Age, in: ders., Les universités françaises au Moyen Age (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 7), Leiden 1995, S. 174–198. 39 Für das Spätmittelalter Schwinges, Universitätsbesucher (wie Anm. 3), S. 11–220, und weitere Arbeiten, zuletzt ders., On Recruitment in German Universities from the Fourteenth to Sixteenth Centuries, in: Universities and Schooling in Medieval Society, hg. von William J. Courtenay, Jürgen Miethke, Leiden 2000, S. 32–48, auch in diesem Band; für die nachmittelalterliche, aber kaum problemabweichende Zeit noch immer mangels spezieller Studien Eulenburg, Frequenz (wie Anm. 14), und neuerdings weiterführend Asche, Rostock (wie Anm. 36), S. 160–233, und Ulrich Rasche, Umbrüche – Zur Frequenz der Universität Jena im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert., in: Gerhard Müller et al. (Hg.), Die Universität Jena. Tradition und Innovation um 1800, Stuttgart 2001, S. 79–134.
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Alternative. Als Landesuniversitäten – den Begriff kann man im Reich durchaus schon für das spätere Mittelalter verwenden – schöpften sie die Bildungsreserven vornehmlich aus dem eigenen Land oder dem eigenen städtischen Einflussraum, und wie von selbst richtete sich das Verhalten der Universitätsbesucher als Regionalverhalten danach aus40. Ein dritter Schwerpunkt betrifft in gleichsam klassischem sozialgeschichtlichem Zugriff die soziale Herkunft der Besucher und damit auch Sozialstruktur und Sozialprofil der besuchten Universitäten. ‘Dives, Pauper, Nobilis, Magister, Frater, Clericus’, der Haupttitel der Arbeit von Christoph Fuchs über die Heidelberger Universitätsbesucher von 1386–1450, zeigt die Breite an, die man mindestens hier, grob gesagt zwischen Arm und Reich, erwarten kann41. Um sie richtig einzuordnen, | bedarf es jedoch der Verknüpfung mit den beiden oben genannten 112 Schwerpunkten. Trotz aller frequentiellen Variationen waren nämlich räumliche und soziale Herkunft der beteiligten Personen aufs engste verflochten, ein Tatbestand, den ich als Sozialraum bezeichnet habe. Definiert ist dieser durch den persönlichen Rang sowie durch die Lage von Studien-, Herkunfts- und Karriereorten respektive Wirkungsorten zueinander42. Soziale Vorteile und Vorteile, die einfach aus der Nähe erwuchsen, gingen dabei vielfach eine fruchtbare Symbiose ein, schon in der Universität während des Studiums, und vieles spricht dafür, dass das auf dem weiteren Lebensweg auch so blieb. Die wirklich wichtigen Entscheidungen fielen in der Nähe, wo nicht zuletzt auch die bekannten sozialen Netzwerke florierten, die Bindungen an Herren und Familien, an Verwandtschaft, Freundschaft und Landsmannschaft, an Haus- und Tischgenossenschaft43. Anders gesagt: Die Regionalität in
40 Neben Schwinges, Universitätsbesucher (wie Anm. 3), S. 221–260, vgl. etwa noch ders., Rektorwahlen (wie Anm. 16), S. 65 u.ö.; ders., Erfurts Universitätsbesucher im 15. Jahrhundert: Frequenz und räumliche Herkunft., in: Erfurt. Geschichte und Gegenwart, hg. von Ulman Weiß, Weimar 1995, S. 207–222. – Am Berner Historischen Institut (Abt. Mittelalter) entsteht derzeit ein Atlaswerk der Einzugsräume der deutschen Universitäten von den Anfängen bis 1550, das neben den ‘regionalen Existenzen’ v.a. auch das Zusammenspiel der Räume, das Abgrenzen oder gegenseitige Durchdringen demonstrieren und zugleich prosopographische Informationen verarbeiten wird. 41 Fuchs, Dives (wie Anm. 5). Im Überblick jetzt Hilde de Ridder-Symoens, Rich Men, Poor Men: Social Stratification and Social Representation at the University (13th–16th centuries), in: Wim P. Blockmans und Antheun Janse (Hg.), Showing Status. Representation of Social Positions in the Late Middle Ages (Medieval Texts and Cultures of Northern Europe 2), Turnhout 1999, S. 159–176. 42 Zum Konzept Schwinges, Universitätsbesucher (wie Anm. 3), S. 493–496 u.ö. 43 Ebd., passim; exemplarisch: Peter Moraw, Heidelberg: Universität, Hof und Stadt im ausgehenden Mittelalter, in: Bernd Moeller et al. (Hg.), Studien zum städtischen
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diesem sozialräumlichen Sinne bedingte in hohem Masse jede Art von Mobilität, die räumliche wie die soziale Mobilität. Dies muss besonders beachtet werden, wenn – meistens viel zu rasch und ungeprüft – vom sozialen Aufstieg durch Bildung die Rede ist. Alles, was darüber hinaus ging, was die Kategorie der Nähe und Kleinräumigkeit durchbrach, wozu schon die erstaunlich geringen Universitätswechsel im Reich und vor allem die italienischen und französischen Bildungsreisen gehören mochten, war etwas Besonderes und steht im dringenden Verdacht, ein Herrenverhalten zu sein mit entsprechend grösseren Sozialchancen, analog zum weitergespannten Horizont des Adels. Es war eben absolut nicht gleichgültig, im Studium wie auf dem späteren Lebensweg, wer man war, woher man kam, wo man studierte und – das kommt noch vehement hinzu – was man studierte. Es war nicht gleichgültig, ob man sich nur im Milieu von Artisten und Theologen bewegte oder in dem der Mediziner und ganz besonders dem der Juristen, der stets vornehmsten Gruppe der Universität. Es war im Anschluss daran auch nicht gleichgültig, bei aller regionalen Gebundenheit, ob man, etwas pointiert gesagt, ‘Adelsuniversitäten’ oder ‘Armutsuniversitäten’ besuchte. Ich habe versucht, diese Situation in fünf verschiedenen (Ideal-)Typen von Universitätsbesuchern in Reich und Europa zu bündeln – vom sozial diffusen artistischen jungen simplex (so im Selbstverständnis der Universität) über den adeligen oder adelsnahen Standesstudenten bis zur professionalisierten 113 juristischen Fachperson44. | Inzwischen ist die empirische Basis durch viele neuere Studien so ausgeweitet worden, dass der typologische Bildungswesen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Philologisch-Historische Klasse, 3, Folge 137), Göttingen 1983, S. 524–552; Matthias Nuding, Die Universität, der Hof und die Stadt um die Wende zum 15. Jahrhundert: Fragen an die ältesten Heidelberger Rektoratsakten, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 146 (1998) S. 197–248; Rainer Christoph Schwinges, Stiefel, Wams und Studium oder: Wozu hat man einen geistlichen Onkel. Aus Notizen des Kölner Studenten Gerhard von Wieringen aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, in: Paul-Joachim Heinig et al. (Hg.), Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw, Berlin 2000, S. 543–563, auch in diesem Band. 44 Rainer Christoph Schwinges, Der Student in der Universität, in: Walter Rüegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa, Bd. 1, Mittelalter, München 1993, S. 181–223, 182–187 (engl. Version wie Anm. 15); teils nuanciert ders., Französische Studenten im spätmittelalterlichen Reich, in: Michel Parisse (Hg), Les échanges universitaires franco-allemands du Moyen Age au XXe s. Actes du Colloque de Göttingen, Mission Historique Française en Allemagne, 3–5 novembre 1988, Paris 1991, S. 37–54, 46ff., auch in diesem Band, und ders., Europäische Studenten im späten Mittelalter, in: Alexander Patschovsky, Horst Rabe (Hg.). Die Universität in Alteuropa, Konstanz 1994, S. 129–146, 131ff.
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Entwurf sicher verfeinert und die sozialen und kulturellen Unebenheiten im europäischen und innerdeutschen Universitätssystem nebst umgebenden Gesellschaften noch deutlicher herausgearbeitet werden könnten. Erwähnt seien, ausgehend von Universitäten, ‘Abnehmerregionen’ oder Expertengruppen, die Sammelbände ‘Gelehrte im Reich’, ‘Artisten und Philosophen’ sowie Universities & Schooling45, die schon einmal genannten Arbeiten von Christoph Fuchs für Heidelberg und Matthias Asche für Rostock46, das Buch von Achim Link über Greifswald47, die Studien über Universität und Universitätsbesuche in Wien von Ingrid Matschinegg, Kurt Mühlberger und Thomas Maisel nebst den nun konzentriert zugänglichen älteren Studien von Paul Uiblein48, die Arbeiten über Österreicher | an italienischen Universitäten der 114 frühen Neuzeit von Ingrid Matschinegg49, über die Wiener Juristen des 15. Jahrhunderts von Beat Immenhauser und über die Bildung im Hochstift Eichstätt von Franz Heiler als Vertreter der Eichstätter
45 Rainer C. Schwinges (Hg.), Gelehrte im Reich. Studien zur Sozial- und Wirkungsgeschichte akademischer Eliten des 14. bis 16. Jahrhunderts (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 18), Berlin 1996; ders. (Hg.), Artisten und Philosophen. Wissenschafts- und Wirkungsgeschichte einer Fakultät vom 13. bis zum 19. Jahrhundert (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 1), Basel 1999; William J. Courtenay und Jürgen Miethke (Hg.), Universities & Schooling in Medieval Society (wie Anm. 5). 46 Fuchs, Dives (wie Anm. 5); Asche, Rostock (wie Anm. 36). 47 Achim Link, Auf dem Weg zur Landesuniversität. Studien zur Herkunft spätmittelalterlicher Studenten am Beispiel Greifswald (1456–1524) (Beiträge zur Geschichte der Universität Greifswald 1), Stuttgart 2000. 48 Thomas Maisel, Ingrid Matschinegg, Albert Müller, Universitätsbesuch in Wien 1377–1554). Offene Probleme und Forschungsstrategien, in: Harald Dickerhof (Hg.), Bildungs- und schulgeschichtliche Studien zu Spätmittelalter, Reformation und konfessionellem Zeitalter (Wissensliteratur im Mittelalter 19), Wiesbaden 1994, S. 53–62; Kurt Mühlberger und Thomas Maisel (Hg.), Aspekte der Bildungs- und Universitätsgeschichte, 16. bis 19. Jahrhundert (Schriftenreihe des Universitätsarchivs der Universität Wien 7), Wien 1993; als wichtiger Grundlagenbeitrag auch Kurt Mühlberger (Hg.), Archivpraxis und Historische Forschung. Mitteleuropäische Universitäts- und Hochschularchive (Schriftenreihe des Universitätsarchivs der Universität Wien 6), Wien 1992; Thomas Maisel, Problems of Reconstructing the ‘Milieu’ of the Artist Faculty of the University of Vienna (15th/16th Century), in: Gerhard Jaritz et al. (Hg.), The Art of Communication, Graz 1999, S. 450–459; Paul Uiblein, Die Universität Wien im Mittelalter, hg. von Kurt Mühlberger und Karl Kadletz (Schriftenreihe des Universitätsarchivs der Universität Wien 11), Wien 1999; ders., Mittelalterliches Studium an der Wiener Artistenfakultät (Schriftenreihe des Universitätsarchivs der Universität Wien 4), Wien2 1995. 49 Ingrid Matschinegg, Österreicher als Universitätsbesucher in Italien (1500–1630). Regionale und soziale Herkunft – Karrieren – Prosopographie, Diss. Graz 1999 (erschienen als Jus commune, Sonderband).
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Gruppe um Harald Dickerhof und Rainer A. Müller50. Erwähnt seien ferner, soweit sie nicht in den genannten Sammelbänden zu finden sind, die studien- und berufsbezogenen Arbeiten von Christian Hesse, Martin Kintzinger, Peter Moraw, Klaus Wriedt und der ‘BiographienGruppe’ um Laetitia Boehm51, und noch einmal Beat Immenhauser, der Herkunft, Studium und Karrieren der Universitätsbesucher aus der Diözese Konstanz, der grössten des Reiches im ausgehenden Mittelalter 115 untersucht52, | sowie die Berner Dissertation von Jürg Schmutz über
50 Beat Immenhauser, Wiener Juristen. Studien zur Sozialgeschichte der Juristen an der Universität Wien von 1402 bis 1519, Phil.-hist. Lizentiatsarbeit, Bern 1996; ders., Wiener Juristen. Zur Sozialgeschichte der juristischen Besucherschaft der Universität Wien von 1402 bis 1519, in: Mitteilungen der Österreichischen Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte 17 (1997) S. 61–102; ders., Iudex id est rex. Formen der Selbstwahrnehmung gelehrter Juristen im späten Mittelalter, in: Stefan Kwiatkowski und Janusz Mallek (Hg.), Ständische und religiöse Identitäten in Mittelalter und früher Neuzeit, Torún 1998, S. 43–61 – Franz Heiler, Bildung im Hochstift Eichstätt zwischen Spätmittelalter und katholischer Konfessionalisierung, Wiesbaden 1998; Dickerhof (wie Anm. 48). 51 Christian Hesse, Verwaltungspersonal und Verwaltungspraxis. Die Territorien Hessen und Württemberg, in: Ulrich Pfister et al. (Hg.), Sozialdisziplinierung – Verfahren – Bürokraten. Entstehung und Entwicklung der modernen Verwaltung, Basel 1999, S. 29–41; ders., Amt und Pfründe. Geistliche in der hessischen Landesverwaltung, in: František Šmahel (Hg.), Geist, Gesellschaft, Kirche im 13.–16. Jahrhundert (Colloquia mediaevalia Pragensia 1), Prag 1999, S. 263–277. – Martin Kintzinger, Studens Artium, Rector Parochiae und Magister Scolarum im Reich des 15. Jahrhunderts. Studium und Versorgungschancen der Artisten zwischen Kirche und Gesellschaft, in: Zeitschrift für Historische Forschung 26 (1999) S. 1–41; ders., Phisicien de Monseigneur de Bourgoingne. Leibärzte und Heilkunst am spätmittelalterlichen Fürstenhof, in: Francia. Forschungen zur westeuropäischen Geschichte 27 (2000), S. 89–116; ders., Status Medicorum. Mediziner in der städtischen Gesellschaft des 14. bis 16. Jahrhunderts, in: Peter Johanek (Hg.), Städtisches Gesundheits- und Fürsorgewesen vor 1800, Köln/Wien 2000, S. 63–91. – Peter Moraw, Der Lebensweg der Studenten, in: Walter Rüegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa, Bd. 1: Mittelalter, München 1993, S. 225–254; ders., Vom Lebensweg des deutschen Professors, in: Forschung. Mitteilung der DFG 1988 Heft 4, S. 1–12; ders., Der deutsche Professor vom 14. bis zum 20. Jahrhundert, in: Alexander von Humboldt-Magazin 72 (1998) S. 15–26. – Klaus Wriedt, Bürgertum und Studium in Norddeutschland während des Spätmittelalters, in: Fried, Schulen und Studium (wie Anm. 5), S. 487–525; ders., Universitätsbesucher und graduierte Amtsträger zwischen Nord- und Süddeutschland, in: Werner Paravicini (Hg.), Nord und Süd in der deutschen Geschichte des Mittelalters, Sigmaringen 1990, S. 193–201; ders., Studienförderung und Studienstiftungen in norddeutschen Städten (14.–16. Jahrhundert), in: Heinz Duchhardt (Hg.), Stadt und Universität, Köln/Wien 1993, S. 33–49; ders. und Schwinges, Bakkalarenregister (wie Anm. 25). – Laetitia Boehm, Winfried Müller et al. (Hg.), Biographisches Lexikon der Ludwig-MaximiliansUniversität, Teil 1: Ingolstadt-Landshut 1472–1826. Mit einem Beitrag von Christoph Schöner, Die „magistri regentes“ der Artistenfakultät 1472–1526 (Ludovico Maximilianea, Forschungen und Quellen 18), Berlin 1998. 52 Beat Immenhauser, Studium und Karriere im Bistum Konstanz von 1460 bis 1550, Diss. phil. Bern; ders., Universitätsbesucher der Diözese Konstanz von 1460 bis 1550:
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die deutschen Bolognabesucher von 1265 bis 1425, die unter dem Titel ‘Juristen für das Reich’ erschienen ist53. Dieses Buch ist zugleich eine partielle Neubearbeitung des berühmten Knod’schen Indexes zu den Acta nationis Germanicae im genannten Zeitaum, wobei allein in der Zeit vor Beginn der deutschen Nationsmatrikel Bolognas, also von 1265 bis 1289, über 1 000 Studierende mehr nachgewiesen werden, als bisher bekannt gewesen sind. Es versteht sich, dass die Geschichte der Beziehungen zu Bologna neu bedacht werden muss. Ein vierter Schwerpunkt betrifft den auffallend unterschiedlichen Fakultätsbesuch innerhalb und zwischen den einzelnen Universitäten des Reiches, sowie zwischen ihnen und den Universitäten des übrigen Europa – sowohl nach schieren Frequenzen als auch nach sozialen Qualitäten. Im Gegensatz etwa zu den süd- und westeuropäischen Juristen-Zentren rekrutierten die deutschen Universitäten ihre Besucher zu 80, manche zu 90 und mehr Prozent als Artisten, waren also fast reine Artistenschulen, wie Wien zum Beispiel mit ca. 85 Prozent; die Restprozente fielen zum grösseren Teil noch auf Juristen, zum kleineren auf Theologen und auf verschwindend wenige Mediziner. Man darf dies in keiner Diskussion um die Wirkung und Leistung der Universität und der gelehrten Tätigkeiten ausser Acht lassen, denn die Unterschiede wurden auch von Akzeptanzproblemen in Universität und Gesellschaft begleitet54. Herkunft, Studium und Karriere, in: František Šmahel (Hg.), Geist, Gesellschaft, Kirche im 13.–16. Jahrhundert (Colloquia mediaevalia Pragensia 1), Prag 1999, S. 289–301. 53 Jürg Schmutz, Juristen für das Reich. Die deutschen Rechtsstudenten an der Universität Bologna 1265–1425 (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 2), 2 Bde., Basel 2000; zuvor ders., Notariatsakten als prosopographische Quelle für die Universitätsgeschichte. Ein Neuansatz zur Auswertung der Memoriali del Comune von Bologna, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 76 (1996) S. 125–146. 54 Peter Moraw, Das spätmittelalterliche Universitätssystem in Europa – sozialgeschichtlich betrachtet, in: Horst Brunner und Norbert R. Wolf (Hg.), Wissensliteratur im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, Wiesbaden 1993, S. 9–25; ders., Einheit und Vielfalt der Universitäten im alten Europa, in: Patschovsky und Rabe, Alteuropa (wie Anm. 44), S. 11–27; Harald Dickerhoff, Europäische Traditionen und ‘Deutscher Universitätsraum’. Formen und Phasen akademischer Kommunikation, in: Hans Pohl (Hg.), Die Bedeutung der Kommunikation für Wirtschaft und Gesellschaft, Stuttgart 1989, S. 173–198; Schwinges, Universitätsbesucher (wie Anm. 3), S. 465–486; ders., Student (wie Anm. 44), S. 195ff.; ders. Transformation (wie Anm. 28); Jacques Verger, Géographie universitaire et mobilité étudiante au moyen âge: quelques remarques, in: Agostino Paravicini Bagliani (Hg.), Ecoles et vie intellectuelle à Lausanne au moyen âge, Lausanne 1987, S. 9–24. – Frank Rexroth, Finis scientie nostre est regere. Normenkonflikte zwischen Juristen und Nichtjuristen an den spätmittelalterlichen Universitäten Köln und Basel, in: Zeitschrift für Historische Forschung 21 (1994)
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| Wie anders hier das Reich war, zeigt sich insbesondere auch an der Radikalität der Nichtbesuche von deutschen Universitäten, zum Beispiel aus Frankreich und Italien; das eine wie das andere muss man erklären. Als hätte es einen nichtüberschreitbaren Graben gegeben, studierten Franzosen und Italiener nicht jenseits des Rheins bzw. der Alpen; nur einige wenige Professoren und mehrheitlich juristische Fachstudenten verirrten sich dorthin, die meisten freilich kaum für lange, wenn sie nicht im Exil verbleiben mussten. Franzosen hatten an der Besucherschaft der deutschen Universitäten des 15. Jahrhunderts einen Anteil von gerade einmal 0,3 Prozent, und das auch konsequent nur an den Universitäten entlang der Rheinachse von Löwen und Köln bis Freiburg und Basel, die nach Peter Moraw ohnehin zum westorientierten ‘älteren Europa’ zählte55. Demgegenüber sind Deutsche bekanntlich in beträchtlicher Zahl in Frankreich und Italien gewesen56. Drastischer kann man das Gefälle universitären und wissenschaftlichen Ansehens nicht ausdrücken: Was auf dem Gründungspergament in vollendeter Formalität wie Paris oder Bologna aussah, war es inhaltlich noch lange nicht. Was an gegenseitigem Austausch vorhanden war, von dem oft recht abstrakt ohne Basis bei den handelnden Personen geredet wird, beschränkte sich auf den Austausch unter kleinen Eliten. Uns muss aber ganz besonders interessieren, was auch unterhalb dieser Eliten
S. 315–344; Martin Kintzinger, Die Artisten im Streit der Fakultäten. Vom Nutzen der Wissenschaft zwischen Mittelalter und Moderne, in: Jahrbuch für Universitätsgeschichte 4 (2001) S. 177–194. 55 Schwinges, Französische Studenten (wie Anm. 44); ders., Le Università nei territori dell’Impero, in: Brizzi und Verger (Hg.), Università dell’Europa Vol. 1 (wie Anm. 15), S. 221–255, 221ff. – Peter Moraw, Über Entwicklungsunterschiede und Entwicklungsausgleich im deutschen und europäischen Mittelalter, in: Uwe Bestmann et al. (Hg.), Hochfinanz – Wirtschaftsräume – Innovationen. Festschrift für Wolfgang von Stromer, Bd. 2, Trier 1987, S. 583–622 (wieder in: ders., Über König und Reich. Aufsätze zur deutschen Verfassungsgeschichte des späten Mittelalters, Sigmaringen 1995, S. 293–320). 56 Exemplarisch: Agostino Sottili, Università e cultura. Studi sui rapporti italo-tedeschi nell’età del lumanesimo, Goldbach 1993; ders., Ehemalige Studenten italienischer Renaissance-Universitäten: ihre Karrieren und ihre soziale Rolle, in: Gelehrte im Reich (wie Anm. 45), S. 41–74; ders. (Hg.), Lauree Pavesi nella seconda metà del ’400, 2 Bde., Bologna/Milano 1995, 1997; Werner Maleczek, Deutsche Studenten an Universitäten in Italien, in: Siegfried de Rachewiltz, Josef Riedmann (Hg.), Kommunikation und Mobilität im Mittelalter. Begegnungen zwischen dem Süden und der Mitte Europas (11.–14. Jahrhundert), Sigmaringen 1995, S. 77–113; Schmutz, Juristen (wie Anm. 53); Matschinegg, Österreicher (wie Anm. 49). – Mineo Tanaka, La nation anglo-allemande de l’université de Paris à la fin du moyen âge, Paris 1990; Hilde de Ridder-Symoens, Mobilität, in: Walter Rüegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa, Bd. 1: Mittelalter, München 1993, S. 255–275.
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geschehen ist; denn ein grosser Teil der gesellschaftlichen Bildungsentwicklung und ihrer Wirkung, wenn nicht der grössere, wurde von ‘subelitären’ Universitätsabsolventen getragen. Scharf formuliert könnte man sagen: Deutsches Wissen sei in erster Linie Artistenwissen. Doch ist hier noch viel an Forschung und vor allem an Erklärungsarbeit zu tun; damit kann ich zum letzten Punkt überleiten: Ausblick auf noch zu Leistendes. IV Auch dieser Ausblick ist wie der ganze Bericht nur auswählend und will ganz und gar nicht dem Gesamtfeld der mittelalterlichen Universitätsgeschichte gerecht werden. Unser Interesse konzentriert sich in der Folge des bisher Beschriebenen auf ein | Gebilde, das die Aufgaben, die sich 117 aus den oben behandelten Forschungsschwerpunkten ergeben, bündeln könnte: ein Repertorium Academicum Germanicum (RAG ) als personengeschichtliche Grundlage einer künftigen Gelehrtengeschichte und nicht minder Geschichte des Wissens im römisch-deutschen Reich des späten Mittelalters zwischen etwa 1250 und 1550. Ein solches Repertorium, das bereits in Angriff genommen worden ist57, widmet sich den graduierten Gelehrten des Alten Reiches in der akademischen Hierarchie von den Magistern der Artes an ‘aufwärts’ über die Bakkalare und Lizentiaten bis zu den Doktoren der Theologie, der beiden Rechte und der Medizin. Es mag einmal mit seinen geschätzen rund 35 000 Personen dem besseren Verständnis von Wirkung und Leistung der mittelalterlichen deutschen Universitäten dienen und darüber hinaus ihres Beitrags zur Professionalisierung bestimmter Teile der Gesellschaft58. Das RAG wird seit Anfang 2001 im Auftrag der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften an den Standorten Bern und Giessen unter Leitung von Rainer C. Schwinges und Peter Moraw erarbeitet. Es wird vom Schweizerischen Nationalfonds und der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. – Einen Bericht dazu gibt es in Christian Hesse, Repertorium Academicum Germanicum, in: Peter Csendes (Hg.), Stadt und Prosopographie. Zur quellenmäßigen Erforschung von Personen und sozialen Gruppen in der Stadt des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit (Forschungen zur Geschichte der Städte und Märkte Österreichs 6), Wien 2002, S. 109–116. 58 Zur Problematik im Vergleich C. H. Clough (Hg.), Profession, Vocation and Culture in Later Medieval England, Liverpool 1982; Rainer C. Schwinges, Zur Professionalisierung gelehrter Tätigkeit im deutschen Spätmittelalter, in: Hartmut Boockmann et al. (Hg.), Recht und Verfassung im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, Teil 2, Göttingen 2001, S. 473–493. 57
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Innerhalb des alten Reiches sind von den Personen her die juristischen Experten im Dienste des Königs und der deutschen Fürsten sowie einzelner Landschaften und Städte bisher noch am besten dokumentiert, von der Geographie her sind es die alten Führungslandschaften im Südwesten, am unteren Niederrhein und im Hanseraum59. Für die 118 gelehrten Theologen und Mediziner existieren hingegen ausserhalb | der engeren universitäts- und fakultätsgeschichtlichen Literatur kaum vergleichbare Vorarbeiten60. Man wird auf die allgemeine ordens-,
59 Zu nennen sind zum Beispiel (in zeitlicher Abfolge) Arbeiten und Sammelwerke von Sven Stelling-Michaud, Les juristes suisses à Bologne (1255–1330), Genf 1960; Heinz Lieberich, Die gelehrten Räte. Staat und Juristen in Baiern in der Frühzeit der Rezeption, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 27 (1965) S. 120–189; Hilde de Ridder-Symoens et al., Premier livre des procurateurs de la nation germanique de l’ancienne Université d’Orléans 1444–1546: Biographies des étudiants, 2 Bde., Leiden 1978, 1980; dies., Milieu social, études universitaires et carrière des conseillers au Conseil de Brabant 1430–1600, in: Recht en instellingen in de Oude Nederlanden tijdens de middeleeuwen en de nieuwe tijd. Liber Amicorum Jan Buntinx, Leuven 1981, S. 257–301; Klaus Wriedt, Das gelehrte Personal in der Verwaltung und Diplomatie der Hansestädte, in: Hansische Geschichtsblätter 96 (1978) S. 15–37; ders., Gelehrte in Gesellschaft, Kirche und Verwaltung norddeutscher Städte, in: Gelehrte im Reich (wie Anm. 45), S. 437–452; Dietmar Willoweit, Das juristische Studium in Heidelberg und die Lizentiaten der Juristenfakultät von 1386 bis 1436, in: Semper apertus. Sechshundert Jahre Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg 1386–1986, 6 Bde., Berlin 1985, hier: Bd. 1, S. 85–135; ders., Juristen im mittelalterlichen Franken. Ausbreitung und Profil einer neuen Elite, in: Gelehrte im Reich (wie Anm. 45), S. 225–267; ders. (Hg.), Die Entstehung des öffentlichen Strafrechts. Bestandsaufnahme eines europäischen Forschungsproblems, Köln/Wien 1999; Peter Moraw, Gelehrte Juristen im Dienst der deutschen Könige des späten Mittelalters (1273–1493), in: Roman Schnur (Hg.), Die Rolle der Juristen bei der Entstehung des modernen Staates, Berlin 1986, S. 77–147; Dieter Stievermann, Die gelehrten Juristen der Herrschaft Württemberg im 15. Jahrhundert, ebd. S. 229–271; Ferdinand Elsener, Studien zur Rezeption des gelehrten Rechts, Sigmaringen 1989; Rainer A. Müller, Zur Akademisierung des Hofrates. Beamtenkarrieren im Herzogtum Bayern 1450–1650, in: Gelehrte im Reich (wie Anm. 45), S. 291–307; Urs Martin Zahnd, Studium und Kanzlei. Der Bildungsweg von Stadt- und Ratsschreibern in eidgenössischen Städten des ausgehenden Mittelalters, ebd. S. 453–476; Ingrid Männl, Die gelehrten Juristen im Dienst der Territorialherren im Norden und Nordosten des Reiches von 1250 bis 1440, ebd. S. 269–290; dies., Gelehrte Juristen im Dienst der deutschen Territorialherren am Beispiel von Kurmainz (1250–1449), in: Hartmut Boockmann et al. (Hg.), Recht und Verfassung im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, Teil 1, Göttingen 1998, S. 185–198; Paul-Joachim Heinig, Gelehrte Juristen im Dienst der römisch-deutschen Könige des 15. Jahrhunderts, ebd. S. 167–184; ders., Kaiser Friedrich III. (1440–1493). Hof, Regierung und Politik, 3 Teile, Köln/Wien 1997; Immenhauser, Juristen (wie Anm. 50); Kenneth H. Marcus, The Politics of Power. Elites of an Early Modern State in Germany, Mainz 1999; Heinz Noflatscher, Räte und Herrscher. Politische Eliten an den Habsburgerhöfen der österreichischen Länder 1480–1530, Mainz 1999; Schmutz, Juristen (wie Anm. 53). 60 Siehe aber z.B. Jürgen Miethke, Karrierechancen eines Theologiestudiums im späteren Mittelalter, in: Gelehrte im Reich (wie Anm. 45), S. 181–209; Bernard Vogler, Rekrutierung, Ausbildung und soziale Verflechtung: Karrieremuster evangelischer
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bistums-, pfarr- und stiftsgeschichtliche Literatur zurückgreifen müssen, darunter auf einige, auch modernen prosopographischen Ansprüchen genügende Stiftsmonographien aus dem Umkreis der Germania oder Helvetia Sacra, die der Universitätsausbildung Beachtung geschenkt haben; allerdings muss man gewärtigen, dass die grosse Mehrheit der Stiftsherren eher juristische oder artistische als theologische Studien und Graduierungen aufzuweisen hatte61. Recht unübersichtlich ist die Lage noch bei den | gelehrten Artisten, selbst bei Inhabern des Magistergra- 119 des62. Für die Gelehrten aller Kompetenzstufen sei schliesslich noch auf das biographische Material im ‘Verfasserlexikon’ hingewiesen, dessen allgemeine Bedeutung man auch für unsere Fragen nutzen kann63. Mit einer Geschichte der graduierten Gelehrten – auf der Basis einer bisher unerreichten prosopographischen Vollständigkeit – könnte man jetzt ernsthaft versuchen, aus der engeren Universitätsgeschichte herauszutreten, die punktuellen, allenfalls regional- und jubiläengebundenen Antworten zu bündeln und sich zugleich den zentralen Fragen der allgemeinen Geschichtswissenschaft zu stellen. Solche Fragen gelten dann trotz Mittelalter auch den aktuellsten von Heute: zum Beispiel dem
Geistlichkeit, in: Archiv für Reformationsgeschichte 85 (1994) S. 225–233. – Markus Bernhardt, Gelehrte Mediziner des späten Mittelalters: Köln 1388–1520. Zugang und Studium, in: Gelehrte im Reich (wie Anm. 45), S. 113–134; Cay-Rüdiger Prüll, Die „Karriere“ der Heilkundigen an der Kölner Universität zwischen 1389 und 1520, ebd. S. 135–158; Kintzinger, Studens Artium (wie Anm. 51). Siehe allgemein auch Nancy G. Siraisi, Medieval and Early Renaissance Medicine. An Introduction to Knowledge and Practice, Chicago/London 1990. 61 Vgl. z. B. Andreas Meyer, Zürich und Rom. Ordentliche Kollation und päpstliche Provision am Frau- und Grossmünster 1316–1523, Tübingen 1986; Gerhard Fouquet, Das Speyerer Domkapitel im späten Mittelalter (ca. 1350–1540), Mainz 1987; Josef Pilvousek, Die Prälaten des Kollegiatstiftes St. Marien in Erfurt von 1400–1455, Leipzig 1988; Christian Hesse, St. Mauritius in Zofingen. Verfassungs- und sozialgeschichtliche Aspekte eines mittelalterlichen Chorherrenstiftes, Aarau 1992; Helène Millet (Hg.), I canonici al servizio dello Stato in Europa, secoli XIII–XVI, Ferrara/Modena 1992; dies. und Peter Moraw, Clerics in the State, in: Wolfgang Reinhard (Hg.), Power Elites and State Building, Oxford 1996, S. 173–188; Peter Moraw, Stiftspfründen als Elemente des Bildungswesens im spätmittelalterlichen Reich, in: Irene Crusius (Hg.), Studien zum weltlichen Kollegiatstift in Deutschland, Göttingen 1995, S. 270–297; Béatrice Wiggenhauser, Klerikale Karrieren. Das ländliche Chorherrenstift Embrach und seine Mitglieder, Zürich 1997. 62 Gute Einblicke verschaffen die Arbeiten von Götz-Rüdiger Tewes, Bursen (wie Anm. 16), Martin Kintzinger (wie Anm. 51, 54), Klaus Wriedt (wie Anm. 25, 51, 59) und Christoph Schöner (wie Anm. 51) sowie der Sammelband „Artisten und Philosophen“ (wie Anm. 45). 63 Siehe Beat Immenhauser, Zwischen Schreibstube und Fürstenhof. Das Verfasserlexikon als Quelle zur Bildungssozialgeschichte des späten Mittelalters, in: Gelehrte im Reich (wie Anm. 45), S. 411–435.
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mehr oder weniger nützlichen Umsetzen von akademisch erworbenen Kompetenzen im öffentlichen Leben, dem Ausarbeiten und Anwenden von Herrschafts- oder Verwaltungstechniken, dem Transfer tradierten Wissens und methodischer Schulung in Hof- und Verwaltungskarrieren, in Kirchen, in Gerichten und Schulen, städtischen und territorialen Ämtern, in selbständig bestimmten Professionen der medizinischen und juristischen Praxis und nicht zuletzt auch in der Laufbahn des sich herausbildenden Universitätsprofessors; Fragen aber auch, die weiter reichen, zum Beispiel nach Bau und Rolle politischer Systeme, nach dem Gefüge, dem Funktionieren und dem Wandel der Gemeinwesen in Stadt und Land, nach den Möglichkeiten sozialer Mobilität oder dem Entstehen neuer Berufs- und Führungsgruppen wie neuer Randgruppen. Angemessene Antworten – das haben wir erfahren – erhält man weniger aus den Institutionen selbst als vielmehr aus der zeitgerechten Rekonstruktion der Individualdaten der handelnden Personen. Und gerade sie sind, wie gezeigt, im Raum des alten Reiches in europaweit unvergleichlicher Fülle vorhanden. Neben Daten über Herkunft, Studium und Lebensweg, Positionen, Ämter, Karrieren, hinterlassene Werke, Testamente, Stiftungen interessieren dabei wegen der empirisch begründeten Andersartigkeit einer vormodernen Gesellschaft aber auch die relationalen Daten über den zugehörigen Sozialraum, seine Einflusstiefe und Reichweite, über verwandtschaftliche Bindungen, über Freundschaften und Feindschaften, über Referenzen und Beziehungen zu Herren jeder Art, über Privilegien und Klientelverhältnisse. Eine Geschichte der Gelehrten auf der Grundlage vieltausendfacher Personendaten aus der Hauptphase der universitären Expansion im alten Reich bis 1550 wäre dann – ich erlaube mir eine kleine Unbescheidenheit – ein geschichtswissenschaftliches Ereignis von europäischem Rang mit herausragender Vorbildfunktion für andere Länder wie für 120 andere Epochen. |
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TEIL II
FREQUENZ, REKRUTIERUNG UND MIGRATION
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UNIVERSITÄTSBESUCH IM REICH VOM 14. ZUM 16. JAHRHUNDERT: WACHSTUM UND KONJUNKTUREN∗ Das Problem Bedeutung und Ansehen, Existenz und Funktionsfähigkeit einer Universität hingen zu jeder Zeit von einer hinreichenden Zahl an Universitätsbesuchern ab. Die Anzahl der Besucher festzustellen, die Frequenz einer Universität zu messen und ihre Veränderlichkeit im Zeitverlauf zu analysieren, gehört daher zur Grundlagenforschung der Universitätsgeschichte sowie darüber hinaus zur Planung künftiger Hochschulkapazität1. Solche Grundlagenforschung muß den Rahmen der in Deutschland zumeist noch anlaßgebundenen Universitätsgeschichtsschreibung freilich sprengen. Will man die gesellschaftliche Tragweite und Bedeutung des Prager Gründungsereignisses von 1348 sowie der nachfolgenden Hochschulgründungen des 14. und 15. Jahrhunderts auch nur annähernd richtig einschätzen und beurteilen, so wird man sich eine genaue Vorstellung von der Größenordnung des Universitätsbesuches und seiner Modalitäten in diesem Zeitraum machen müssen. In der historischen Demographie des späten Mittelalters gibt es kein vergleichbares kollektives Erseheinungsbild von solcher Stattlichkeit und räumlichen Weite wie die Universitätsbesucherschaft des alten deutschen Reiches. Tausende von individuellen Entscheidungen, getroffen unter noch zu erforschenden Umständen im Vorfeld der Anreise zum Hochschulort, lassen sich in der statistischen Beobachtung und Analyse so verdichten, daß ganz bestimmte Muster demographischer Bewegung sichtbar werden. Le * In: Helmut Berding (Hg.), Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaften 10 (1984), Bd. 1: Universität und Gesellschaft, S. 5–30. 1 Für die nahe Zukunft etwa Ernst Giese, Voraussichtliche Entwicklung der Studentenzahlen in der Bundesrepublik Deutschland bis zum Ende der 80er Jahre, Saarbrücken 1982; ders., Voraussichtliche Entwicklung der Studentenzahlen in der Bundesrepublik Deutschland bis 1995, in: Mitteilungen des Hochschulverbandes 4 (1982), S. 187ff. Für die Vergangenheit Franz Eulenburg, Die Frequenz der deutschen Universitäten von ihrer Gründung bis zur Gegenwart, Leipzig 1904, S. 4ff.; Horst Rudolf Abe, Die frequentielle Bedeutung der Erfurter Universität im Rahmen des mittelalterlichen deutschen Hochschulwesens, in: Beiträge zur Geschichte der Universität Erfurt (1957), Heft 2, S. 30–57.
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siècle de l’homme rare, wie Emmanuel LeRoy Ladurie das Spätmittelalter, speziell das 15. Jahrhundert genannt hat2, entpuppt sich dabei unversehens als eine Zeit voller Menschen aus allen Ständen und Schichten des Reiches, insbesondere, wie man nach bisher schon vorliegenden Untersuchungen voraussetzen darf, aus den stets beweglichen mittleren Schichten in Stadt und Land3. Die Universitätsbesucherschaft kann 6 daher | nicht nur methodisch, sondern auch substanziell als ein sehr empfindliches Barometer für allgemeine gesellschaftliche Entwicklungen angesehen werden. Diese bemerkt man in dem Augenblick, in dem sich – gleichsam stellvertretend – potentielle Besucher Semester für Semester und Jahr für Jahr immatrikulieren. Wenn auch der Sinn für quantitative Feststellungen und Zusammenhänge erst in neuerer Zeit entwickelt worden ist, so haben doch schon die Zeitgenossen ein unmittelbares Interesse an der Zahl der Immatrikulationen gehabt. In einigen Universitätsmatrikeln des 15. Jahrhunderts wurde semesterweise oder studienjährlich ein numerus omnium erstellt – sehr wahrscheinlich in Verbindung mit einer Berechnung der Einnahmen aus den Immatrikulationsgebühren4. Den matrikelführenden Rektoren, den Universitätsdienern, vor allem aber den Universitäten selbst waren diese Einnahmen im Zusammenhang mit großen Besucherzahlen höchst willkommen. Denn im Gegensatz zu den bepfründeten Lehrstühlen und städtischen Professuren standen die Hohen Schulen als übergreifende Verbände bis weit in die Neuzeit hinein auf finanziell denkbar schwachen Füßen5. Emmanuel LeRoy Ladurie, Les paysans de Languedoc, Paris 1977, S. 16ff. Vgl. Rainer A. Müller, Universität und Adel. Eine soziostrukturelle Studie zur Geschichte der bayerischen Landesuniversität Ingolstadt 1472–1648, Berlin 1974, S. 98ff.; F. Kapp. Les universités dans leurs relations avec la bourgeoisie avant la Réforme, in: The Church in a Changing Society, Uppsala 1978, S. 227ff.; Bernard Vogler, Les universités et la bourgeoisie à l’époque de la Réforme, in: ebd., S. 236ff., sowie den zusammenfassenden ‘Report’ von Jürgen Miethke in: ebd., S. 240ff.; Ernst Schubert, Motive und Probleme deutscher Universitätsgründungen des 15. Jahrhunderts, in: Peter Baumgart und Notker Hammerstein (Hg.), Beiträge zu Problemen deutscher Universitätsgründungen der frühen Neuzeit, Nendeln 1978, S. 13–78, S. 37ff.; Michael Toch, Die Nürnberger Mittelschichten im 15. Jahrhundert, Nürnberg 1978, S. 170ff. 4 Vgl. vor allem die Matrikeln der Universitäten Heidelberg, Erfurt, Leipzig, Rostock, Greifswald und Ingolstadt. Einen guten Überblick über die Editionen liefert Eva Giessler-Wirsig, Universitäts- und Hochschulmatrikeln, in: Wolfgang Ribbe und Eckart Henning (Hg.), Taschenbuch für Familiengeschichtsforschung, Neustadt an der Aisch 91980, S. 141–180. 5 Zur Verwendung der Immatrikulationstaxen vgl. die Einleitungen der Matrikeleditionen; etwa: Hermann Keussen (Hg.), Die Matrikel der Universität Köln, Bonn 2 1928–1931, Bd. l, S. 11*ff.; Georg Erler (Hg.), Die Matrikel der Universität Leipzig, 2 3
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Ein ständiges und unmittelbares Interesse an der Besucherzahl findet man auch im Kreise der vielen unbepfründeten und unversorgten, jungen Artistenmagister, die oft in scharfer Konkurrenz zueinander um Hörer und damit um Hörergeld und Prüfungsgebühren ‘keilten’6. Ein besoldeter oder bepfründeter, öffentlicher Professor mag es dagegen für würdelos gehalten | haben, die Zahl seiner Hörer zu zählen: Auditorum 7 numerum nunquam subduxit neque esse hoc e dignitate puplici professoris admodum existimat, a quo frequentia discipulorum neque iactari debet (est enim hoc invidiosum et instabile) neque praestari paucitas7. Aus naheliegenden Gründen wurde das Problem der ausreichenden Besucherzahl immer dann aufgeworfen, wenn die Frequenz absank. Für die Gesamtuniversität war dies ein kritisches, oft sogar existenzgefährdendes Ereignis, das sich nicht steuern ließ, dem man vielmehr ausgeliefert war. Marsilius von Inghen, der bekannte Pariser Magister, Philosoph, Theologe und erste Rektor der Universität Heidelberg, ließ eine Messe für die Erhaltung ‘seiner’ Hochschule lesen, die, kaum gefestigt, die Konkurrenz von Köln 1388/89 hinnehmen und im gleichen Jahr noch Pest und Städtekrieg ertragen mußte. Daß das Heidelberger Studium vergengliche wörde, war lange noch die vorherrschende Sorge der Verantwortlichen8. Frequenzsorgen waren in der Gründungsphase zu berechtigt, denkt man an die bald schon gescheiterten Generalstudien von Würzburg (1402) und Trier (1473) im deutschen 15. Jahrhundert oder auch an jene zwanzig europäischen Universitäten, privilegiert
3 Bde., Leipzig 1895–1902, Bd. L, S. XLVIIIff.; Hermann Mayer (Hg.), Die Matrikel der Universität Freiburg im Breisgau von 1460 bis 1656, 2 Bde., Freiburg 1907–1910, Bd. l, S. XLIXff. – Eine zusammenfassende Wirtschafts- und Finanzgeschichte der Universitäten des Mittelalters fehlt; vgl. zum Überblick Georg Kaufmann, Geschichte der deutschen Universitäten, 2 Bde., Stuttgart 1888–1896 (Ndr. 1958), Bd. 2., S. 33–45; Gerardus P. J. Bannenberg, Organisatie en Bestuur van de Middeleeuwse Universiteit, Nijmegen 1953, S. 129ff. u.ö.; Konrad Rückbrod, Universität und Kollegium, Darmstadt 1977, S. 20ff. 6 Vgl. Rainer Christoph Schwinges, Pauperes an deutschen Universitäten des 15. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Historische Forschung 8 (1981), S. 285–309, 294f., auch in diesem Band; ders., Sozialgeschichtliche Aspekte spätmittelalterlicher Studentenbursen in Deutschland, in: Johannes Fried (Hg.), Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters (Vorträge und Forschungen XXX), Sigmaringen 1986, S. 527–564, auch in diesem Band. 7 Zit. Nach Franz Eulenburg, Über die Frequenz der deutschen Universitäten in früherer Zeit, in: Jahrbuch für Nationalökonomie und Statistik 68 (1897), S. 481–555, hier: S. 483, Anm. 2. 8 Vgl. Gerhard Ritter, Die Heidelberger Universität. Ein Stück deutscher Geschichte, Heidelberg 1936, S. 73. Zitat: Eduard Winkelmann (Hg.), Urkundenbuch der Universität Heidelberg, 2 Bde., Heidelberg 1886, Bd. 1, S. 52 (Nr. 30), auch S. 63 (Nr. 40).
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zwischen 1290 und 1354, von denen nur vier überlebten9. Aber auch weiterhin wurde die Geschichte der Universitäten von Frequenzsorgen begleitet. Rektoren und Dekane haben den Matrikeln und Dekanatsbüchern so manchen ‘Stoßseufzer’ über die Lage ihrer Hochschulen anvertraut, was man zum Beispiel in der Greifswalder Matrikel leicht verfolgen kann. Über die bloße Erfahrung der Launenhaftigkeit und Instabilität der frequentia hinaus hatte man jedoch noch keinen Einblick in weiterreichende Zusammenhänge. Subjektive Einschätzungen verstellten den Blick auf längerfristige, negative oder positive Wachstumsbewegungen. Nur die alle fünf bis zehn Jahre über das Reich hinwegfegenden Pestwellen wußte man für den zeitweisen Frequenzschwund verantwortlich zu machen10, während Aufschwungsphasen kaum bemerkt worden sind. Noch im Jahre 1700 klagte zum Beispiel der Rektor der Universität zu Gießen, der Mediziner Dr. Valentini, mitten in der bis dahin stärksten Aufwärtsbewegung der Frequenz über die schlechte Zeit und die Leere der Universität, ut sterilis sit et a civibus desolata academia. Die Steigerung der Immatrikulationen der vorangegangenen Jahre, die Gießen zur ein8 zigen Hochblüte seiner vorklassischen | Geschichte führen sollte, hatte er nicht berücksichtigt11. Dabei wurden auf landesherrliche Anordnung hin seit dem 17., verstärkt aber seit dem 18. Jahrhundert, an fast allen deutschen Universitäten Berichte über die jährlichen Einschreibungen angefertigt. Die Regierungen der deutschen Territorialstaaten ließen sowohl aus Kontrollbedürfnis als auch aus merkantilistischen Motiven über das akademische Potential an ihren Landesuniversitäten Buch führen. Es galt, so in Preußen, ‘Wachstum und Increment’ der Hochschulen im Auge zu behalten12. Ein eigentlich systematisches, wissenschaftliches Interesse an der Frequenz der deutschen Universitäten bildete sich erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Es war aber nicht, wie früher, die sinkende FreVgl. etwa Schubert, Motive und Probleme (wie Anm. 3), S. 32f. So etwa in einer Befragung der Universitätsangehörigen zu Ingolstadt 1497; Arno Seifert, Die Universität Ingolstadt im 15. und 16. Jahrhundert. Texte und Regesten, Berlin 1973, S. 39, 45, 47. Schwere Pestjahre vermerken gelegentlich die Rektoren in den Matrikeln. 11 Hermann Haupt und Georg Lehnert (Hg.), Chronik der Universität Gießen 1607–1907, in: Die Universität Gießen von 1607–1907. Beiträge zu ihrer Geschichte. Festschrift zur dritten Jahrhundertfeier, 2 Bde., Gießen 1907, Bd. l, S. 365ff. zum Jahr 1700. 12 Vgl. Fritz Hufen, Über das Verhältnis der deutschen Territorialstaaten zu ihren Landesuniversitäten im alten Reich, Diss. masch., München 1955, S. 228–236. 9
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quenz, die jetzt zu vergleichendem Nachdenken anregte, sondern im Gegenteil das enorme Wachstum der Studentenzahlen in den Jahren nach 1860, das als säkularer Trend bis heute angehalten hat. Sieht man einmal ab von dem Pädagogen und Bildungshistoriker Friedrich Paulsen13, dem Freund und ‘Denkverwandten’ des Soziologen Ferdinand Tönnies, begannen aber um die Jahrhundertwende nicht Historiker, sondern bezeichnenderweise Nationalökonomen und Statistiker die wissenschaftlich-quantitative Durchleuchtung des Universitätsbesuches in historischer Perspektive. Im Jahre 1904 lieferte der Leipziger Nationalökonom Franz Eulenburg die erste umfassende Auseinandersetzung mit dem Problemkreis der Frequenz der deutschen Universitäten vom 14. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Sein Buch gehört vor allem wegen des tabellarisch aufbereiteten Zahlenmaterials zu den Standardwerken der Universitätsgeschichtsschreibung; im nicht-deutschsprachigen Raum gibt es kein Pendant. Trotz der zeitbedingten Mängel quellentechnischer, aber auch konzeptioneller Art und der oft ungenauen Zahlenangaben wird das Werk immer noch zu Recht herangezogen14. |Eulenburg arbeitete mit zwei verschiedenen Frequenzbegriffen, die 9 bei der Rezeption des Materials gelegentlich durcheinander geraten sind. Er unterschied zwischen einer Immatrikulationsfrequenz und einer Gesamtfrequenz; die eine gilt als Maßzahl des Hochschulzugangs innerhalb eines bestimmten Zeitraumes, die andere erfaßt die durchschnittliche Größe der Studentenschaft einer Universitätsstadt zu einem bestimmten Zeitpunkt. Zur Ermittlung der Gesamtfrequenz werden die Immatrikulationszahlen rechnerischen Manipulationen unterworfen, bei denen ein sogenannter Aufenthaltskoeffizient (2 Jahre) von angeblicher Gültigkeit
13 Wichtig hier vor allem Friedrich Paulsen, Die Gründung der deutschen Universitäten im Mittelalter, in: Historische Zeitschrift 45 (1881), S. 251–311; ders., Organisation und Lebensordnung der deutschen Universitäten im Mittelalter, in: Ebd., S. 385–440; ders., Geschichte des gelehrten Unterrichts, Bd. l, Leipzig 31919. Daneben freilich auch schon einzelne Matrikelherausgeber, besonders Erler, Matrikel Leipzig I (wie Anm. 5), S. XCff. in vergleichender Perspektive der norddeutschen Universitäten. 14 Eulenburg, Frequenz (wie Anm. 1). Zu einer Vorstudie vgl. Anm. 7. Zur Kritik auch Willem Frijhoff, Surplus ou deficit? Hypothèses sur le nombre réel des étudiants en Allemagne à l’époque moderne (1576–1815), in: Francia 7 (1979), S. 173–218, bes. S. 186ff. Für das Mittelalter ist bisher den Anregungen Eulenburgs nur Abe, Die frequentielle Bedeutung (wie Anm. 1) (1957) systematisch gefolgt; für das 16. Jh. noch H. Leutenberger, Untersuchungen über die Besucherzahl der Universität Jena von den Anfängen bis zur Gegenwart, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Jena 3 (1953/54), S. 361–390. – Für England vgl. Lawrence Stone, The Size and Composition of Oxford Student Body 1580–1910, in: ders. (Hg.), The University in Society, Princeton 1974, Bd. 1, S. 3–110.
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für die Universitäten des 15. bis 18. Jahrhunderts eine große Rolle spielt. Solche Manipulationen, die recht anziehend gewirkt haben, sind jedoch aus vielerlei Gründen fragwürdig. Selbst unter den modernen Bedingungen und bei den Möglichkeiten totaler Datenerfassung ist die Berechnung der durchschnittlichen Aufenthaltsdauer und damit der Menge der zur gleichen Zeit am Hochschulort anwesenden Studenten immer noch ein schwieriges Feld für die Hochschulstatistik15. In dieser Untersuchung geht es daher nur um das Ausmaß des Hochschulzugangs. Vier Gründe sind ausschlaggebend: Zum ersten ist die Immatrikulationsfrequenz relativ leicht und unmittelbar aus den Quellen zu erschließen; zum zweiten muß sie nicht vor der eigentlichen Interpretation umgerechnet werden; zum dritten läßt sie am ehesten die im Laufe der Zeit wechselnde Bedeutung einer Hochschule in ihrer Umwelt erkennen; zum vierten ist es auf diese Weise nicht notwendig, Jahresdurchschnitte zu bilden und damit eine starke Nivellierung des Frequenzgeschehens in Kauf zu nehmen. Nicht nur der langfristige Trend, sondern auch das kurzfristige Auf und Ab der Besucherzahlen bedarf nämlich der Analyse; sind sie doch äußerst empfindliche Gradmesser der universitären und gesellschaftlichen Lage überhaupt16. Nicht selten oszillieren sie in Abhängigkeit eines ganzen Bündels von Einfluß- bzw. Umweltfaktoren um mehrere hundert Prozent in kurzen Zeitabständen. So ist die Frage, welche Faktoren die ‘jährliche Dramatik’ der Frequenz der älteren deutschen Universitätsgeschichte gesteuert haben, bisher noch unbeantwortet geblieben, richtiger gesagt, sie ist noch gar nicht konstruktiv gestellt worden.
15 Zur Kritik aus universitätsgeschichtlicher Sicht Werner Kuhn, Die Studenten der Universität Tübingen zwischen 1477 und 1534. Ihr Studium und ihre spätere Lebensstellung, 2 Tle., Göppingen 1971, Tl. 1, S. 45ff. Vgl. noch Frijhoff, Surplus (wie Anm. 14). – Zur heutigen Sicht K. Espe, Reformvorschläge zur Hochschulstatistik, in: Zeitschrift des Bayerischen Statistischen Landesamtes 102 (1970), S. 91–101, hier: S. 94ff.; Hans-Jürgen Schulze, Universitätsstudium in Erlangen. Zur Methodik hochschulstatistischer Erhebungen und Analysen, Wiesbaden 1978, S. 69ff. 16 Ähnlich schon Paulsen, Gründung (wie Anm. 13), S. 298; auch Abe, Die frequentielle Bedeutung (wie Anm. 1), S. 33; ders., Die Frequenz der Universität Erfurt im Mittelalter, in: Beiträge zur Geschichte der Universität Erfurt (1956), Heft 1, S. 7–68, hier: S. 13.
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Der Gegenstand: Immatrikulationen im Reich 1385–1505 Grundlage aller Bemühungen, die Frequenz der deutschen Universitäten zu ermitteln, | sind die allgemeinen Matrikeln oder Rektoratsmatrikeln. 10 Solche Verzeichnisse sind von zwölf Universitäten des späten Mittelalters überliefert, in der Reihenfolge der Gründungsdaten von Wien (1365/1385), Heidelberg (1386), | Köln (1388), Erfurt (1392), Leipzig 11 (1409), Rostock (1419), Löwen (1426), Greifswald (1456), Freiburg im Breisgau (1460), Basel (1460), Ingolstadt (1472) und Tübingen (1477).17 Für diese Studie wurden die Immatrikulationen völlig neu ausgezählt, und zwar auf der Grundlage eines Studienjahres, um eine relativ homogene Ausgangssituation zu schaffen. Die zum Teil sehr unterschiedlichen Semester- bzw. Rektoratsanfänge mußten dabei einander angeglichen werden, so daß nun die jährliche Frequenz jeweils in den Grenzen vom 1. Mai bis zum 30. April des folgenden Jahres gerechnet wird. Zwischen 1385, dem Jahr der Erneuerung der Wiener Universität, und dem Jahr 1505, das als Endjahr der Berechnungen für das Spätmittelalter gesetzt sei18, lassen sich im Zuge der Gründungen an den zwölf genannten Hochschulen insgesamt 204 832 Immatrikulationen feststellen19. Diese über 121 Jahre hinweg ermittelte Zahl (vgl. Tabelle 1) liegt an der unteren Grenze der Immatrikulationen an deutschen Hochschulen dieser Zeit. Nur zu schätzen, aber nicht zu berechnen sind nämlich die Frequenzen der Universitäten zu Prag (1348), Trier (1473) und Mainz (1477), da die Matrikeln verloren gingen; und das
Zu den Editionen Giessler-Wirsig, Universitäts- und Hochschulmatrikeln (wie Anm. 4), S. 141ff. Einen kurzen Abriß der Geschichte der einzelnen Universitäten gibt: Laetitia Boehm und Rainer A. Müller (Hg.), Hermes Handlexikon Universitäten und Hochschulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, Düsseldorf 1983. 18 So gewählt aus Gründen der Kompatibilität zu einer Untersuchung nach Stichprobenjahrgängen; vgl. meine Habilitationsschrift über „Deutsche Universitätsbesucher vom 14. zum 16. Jahrhundert. Studien zur Sozialgeschichte des Alten Reiches“, Gießen 1984. 19 Davon entfallen auf Wien: 40683; Heidelberg: 15327; Köln: 27469; Erfurt: 31471; Leipzig: 29099; Rostock: 13367; Löwen: 27215; Greifswald: 2663; Freiburg: 3337; Basel: 4161; Ingolstadt: 6997; Tübingen: 3043. Nicht gesichert ist die Zahl für Löwen, da die Originalmatrikel erst 1453 beginnt; der verlorene erste Teil seit 1426 kann aber cum grano salis durch einen zeitgenössischen alphabetischen Index ersetzt werden, den ich auf die Jahrgänge 1426–1453 umzurechnen versucht habe. Dazu Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 18). 17
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teil ii – frequenz, rekrutierung und migration Tabelle 1 Immatrikulationsfrequenz im Reich 1385–1505
Jahrgang WI 1385 HE 1386 1387 1388 KO 1389 1390 1391 ER 1392 1393 1394 1395 1396 1397 1398 1399 1400 1401 1402 1403 1404 1405 1406 1407 1408 LE 1409 1410 1411 1412 1413 1414 1415 1416 1417 1418 RO 1419 1420 1421 1422 1423 1424
Anzahl
Jahrgang
Anzahl
Jahrgang
Anzahl
278 1425 447 LO 1426 587 1427 260 1428 1454 1429 328 1430 330 1431 747 1432 216 1433 320 1434 523 1435 526 1436 508 1437 492 1438 502 1439 679 1440 742 1441 591 1442 658 1443 658 1444 387 1445 530 1446 565 1447 595 1448 1241 1449 820 1450 952 1451 955 1452 1104 1453 910 1454 879 1455 842 GR 1456 1166 1457 870 1458 1253 1459 1232 FR BA 1460 1285 1461 1211 1462 1348 1463 1385 1464
1364 2098 1286 1150 1196 1201 1268 1770 1523 1164 1458 1395 1486 1557 1382 1530 1695 1509 1915 1736 1402 1465 1801 1309 1687 1640 1932 1857 1727 2304 2326 2287 2270 2111 1927 2230 2054 2161 1937 2534
1465 1466 1467 1468 1469 1470 1471 IN 1472 1473 1474 1475 1476 TU 1477 1478 1479 1480 1481 1482 1483 1484 1485 1486 1487 1488 1489 1490 1491 1492 1493 1494 1495 1496 1497 1498 1499 1500 1501 1502 1503 1504 1505
2447 2278 2121 2374 2203 2417 2707 3001 2555 2354 2198 2395 2564 2539 2678 2229 2713 2575 1946 2508 2576 2324 2944 2390 2726 2330 2253 2955 2983 2454 2480 3075 2662 3064 2679 2977 2880 2510 3118 2853 2777
WI = Wien, HE = Heidelberg, KO = Köln, ER = Erfurt, LE = Leipzig, RO = Rostock, LO = Löwen, GR = Greifswald, FR = Freiburg i. Br., BA = Basel, IN = Ingolstadt, TU = Tübingen
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nur kurzlebige erste Generalstudium zu Würzburg (1402–1411/13) scheint gar keine Matrikel geführt zu haben20. Etwa 30 000 bis 35 000 Einschreibungen kann man aber erwarten – geschätzt seit den Anfängen Prags und einschließlich des sicher nicht unterbrochenen Besuchs der jungen Wiener Hochschule zwischen 1365 und 1385. Allein die Prager Carolina, die nach dem großen Schisma von 1378 vor oder zumindest neben Paris die größte Universität in Mitteleuropa gewesen ist, dürfte von 1348 bis zum sogenannten Auszug der deutschen Magister und Scholaren im Jahre 1409 rund 15 000 bis 20 000 Besucher angezogen haben21. | Hinzu kommen ferner noch die deutschen Studenten an den aus- 12 ländischen, in der Regel italienischen und französischen Universitäten, die trotz des Bestehens und der Vermehrung der deutschen Hochschulen auch weiterhin recht häufig aufgesucht worden sind. Allerdings geschah dies im Laufe des 15. Jahrhunderts vielfach erst im zweiten Schritt, das heißt nach einem artistischen ‘Grundstudium’, um sich dann erst im Ausland den ‘höheren Studien’, vor allem der Jurisprudenz zu widmen22. Ein Großteil der Auslandsstudenten dürfte somit in der Zählung bereits erfaßt sein. Doch selbst die Artes wurden durchaus noch von Hunderten auswärts, vor allem in Paris studiert23. Eine gewisse Rolle spielte auch die polnische Universität zu Krakau, begreiflicherweise im Rahmen ihres näheren Einzugsbereiches24, während andere europäische 20 Zu Prag folgende Anm. Die rekonstruierten Matrikeln von Mainz sind für die frühe Zeit ebenso wenig ergiebig wie die Trierer Fragmente. Vgl. Verzeichnis der Studierenden der alten Universität Mainz, Lfg. 1ff., Wiesbaden 1979ff., Michael Matheus, Zum Einzugsgebiet der „alten“ Trierer Universität (1473–1477), in: Kurtrierisches Jahrbuch 21 (1981), S. 55–69. 21 Vgl. František Šmahel, Pražské universitní studentsvo v p®edrevolučnim období 1399–1419, Prag 1967, S. 16ff., 23. Während des 15. Jhs. haben wahrscheinlich nur noch 5 000 bis 6 000 Personen Prag aufgesucht; freundliche Bestätigung durch Dr. M. Svatoš, Archiv University Karlovy, Prag. 22 Eine zusammenfassende Monographie über das Auslandsstudium der Deutschen im Mittelalter existiert nicht; vgl. vorerst Winfried Dotzauer, Deutsches Studium und deutsche Studenten an europäischen Hochschulen (Frankreich, Italien) und die nachfolgende Tätigkeit in Stadt, Kirche und Territorium in Deutschland, in: Erich Maschke und Jürgen Sydow (Hg.), Stadt und Universität im Mittelalter und in der früheren Neuzeit, Sigmaringen 1977, S. 112–141. 23 Vgl. Alexander Budinszky, Die Universität Paris und die Fremden an derselben im Mittelalter, Berlin 1876 (Ndr. Aalen 1970); Astrik L. Gabriel, Les étudiants étrangers à l’Université de Paris au XVe siècle, in: Annales de l’Université de Paris 29 (1959), S. 377–400; ders., The English-German Nation at the University of Paris from 1425–1494, in: ders., Garlandia. Studies in the History of the Medieval University, Notre-Dame/Indiana 1969, S. 167–200, hier: S. 169f. 24 Vgl. Herbert Franze, Herkunft und Volkszugehörigkeit der Krakauer Studenten des 15. Jahrhunderts, in: Deutsche Monatshefte in Polen 5 (1938/39), S. 16–41. – Der
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Hochschulen in Spanien, England, Schottland und Skandinavien kaum Ziele für Besucher aus dem Reich gewesen sind. Man darf nun die Größenordnung des Universitätsbesuches innerhalb und außerhalb des Reiches vom 14. zum 16. Jahrhundert – abzüglich einer gewissen Anzahl ausländischer Studenten an deutschen Hochschulen (ca. 7%) – auf insgesamt eine Viertelmillion schätzen. Diese Zahl repräsentiert jedoch nicht die tatsächliche Anzahl der Besucher. Gezählt oder geschätzt werden Einschreibungen, nicht aber Personen. Diese würden möglicherweise zweifach oder gar mehrfach gezählt werden, wenn sie die Hochschulen gewechselt hätten. Allerdings hatte der Hochschulwechsel der spätmittelalterlichen Studenten bei weitem nicht den Stellenwert, der ihm in der einschlägigen Literatur über ‘fahrendes Scholarentum’ gerne zugeschrieben wird. Höchstens 20 bis 25 Prozent von ihnen wanderten – und zwar in aller Regel nur ein einziges Mal – 13 zu einer anderen Hochschule25. So kann | man davon ausgehen, daß sich zwischen 1348 und 1505 rund 200 000 Deutsche in Europa ‘studienhalber’ bewegt haben. Im Raum der zwölf Universitäten und in den gesetzten Zeitgrenzen von 1385 bis 1505 würde man ungefähr 164 000 Personen benennen können. In den weiteren Untersuchungen muß freilich die belegbare Zahl von 204 832 Inskriptionen die Grundlage aller Berechnungen bleiben. An dieser Stelle bedarf es einer quellenkritischen Bemerkung. Die allgemeinen Matrikeln bieten sowohl zu wenige als auch, scheinbar paradox, zu viele Personen an, eine Konstellation, die die ältere Forschung vor große Probleme gestellt hat26. Ein Vergleich mit anderen universitären Quellen, etwa mit Fakultätsakten und Graduiertenlisten, lehrt, daß nicht alle, die offensichtlich am Hochschulort studiert haben, Vollständigkeit halber sei hier noch auf die 1502 gegründete Universität zu Wittenberg hingewiesen, die aber der Kürze der Periode 1502–1505 wegen nicht mehr in die Berechnungen einbezogen ist; man zählt bis 1505 1 204 Personen: Carl Eduard Foerstemann (Hg.), Album Academiae Vitebergensis Leipzig 1841, Bd. 1, S. 1–18. 25 Etwa Helen Wadell, The Wandering Scholars, London 1927; Martin Bechthum, Beweggründe u. Bedeutung des Vagantentums in der lateinischen Kirche des Mittelalters, Jena 1941, S. 179ff. mit älterer Literatur; Jacques Le Goff, Les intellectuels au moyen-âge, Paris 1962, S. 29ff.; dagegen Kuhn, Die Studenten (wie Anm. 15), Bd. 1, S. 17ff.; Schwinges, Pauperes (wie Anm. 6), S. 302; Gerhard Jaritz, Kleinstadt und Universitätsstudium. Untersuchungen am Beispiel Krems an der Donau, in: Mitteilungen des Kremser Stadtarchivs 19 (1979), S. 1–26, hier: S. 4. 26 Zusammenfassend Eulenburg, Frequenz (wie Anm. 1), S. 16ff.; Rainer Christoph Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher im späten Mittelalter – Methoden und Probleme ihrer Erforschung, in: Hermann Weber (Hg.), Politische Ordnungen und soziale Kräfte im Alten Reich, Wiesbaden 1980, S. 37–51.
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auch in die Hauptmatrikel eingetragen worden sind. Lässige Matrikelführung, Vergeßlichkeit des Studenten oder auch sein Wunsch, sich dem Zwang der Immatrikulation und damit der Gebührenzahlung zu entziehen, mögen Gründe dafür gewesen sein. Trotz dieser Lücken gehören die Matrikeln, zumal in vorstatistischer Zeit, zu den besten seriellen Quellen, die überhaupt überliefert worden sind. Hier auf Unvollständigkeit zu pochen, würde Verzicht auf Forschung bedeuten. Anders verhält es sich mit dem Problem des Zuviel. Der Kreis der Universitätsbesucher vorklassischer Zeit umfaßte nicht nur Studenten im eigentlichen Sinne, sondern zusätzlich Personen, die korporationsrechtlich ebenfalls der Hochschule angehörten: Magister und Professoren, Minderjährige, Dienstpersonal verschiedenster Art – die sogenannten Universitätsverwandten –, ehrenhalber immatrikulierte hohe geistliche und weltliche Würdenträger und schließlich solche, die die Privilegien der Universität (z.B. Steuerfreiheit am Ort) genießen wollten. Alle diese Personen zu eliminieren und nur ‘Studenten’ gelten zu lassen, hieße jedoch, die alte Universität in durchaus anachronistischer Weise auf einen Teil ihrer sozialen Wirklichkeit zu reduzieren. Auf langen Strecken der Universitätsgeschichte ist der Begriff des Studenten, so wie ihn das 19./20. Jahrhundert offensichtlich versteht, ohnehin fragwürdig. Man kann anhand der Matrikeln nicht immer entscheiden, ob jemand wirklich studiert hat oder nicht; denn Examina abzulegen, war ganz und gar nicht ein Normalfall des universitären Lebens27. So muß es ausreichen, bei der Frequenzanalyse die Problematik der Begriffe ‘Student’ und ‘Besucher’ im Auge zu behalten. Im Vergleich zu den heutigen Studentenzahlen erscheint die Summe der Inskriptionen aus 121 Jahren sicher sehr niedrig. Dennoch ist sie, gemessen | an den Verhältnissen des spätmittelalterlichen Reiches, 14 erstaunlich hoch. Innerhalb von nur drei bis vier Generationen, die schon deutsche Universitätsgeschichte gemacht haben, vermehrte sich nahezu kontinuierlich das Angebot von ‘Universitätsgebildeten’ – eine, wenn auch nur mittelbare Folge der Vermehrung der Hochschulen selbst. Bild l zeigt die Kurve der ‘Reichsfrequenz’ von 1385 bis 1505, das heißt die jährlich aufsummierten Frequenzen der zwölf Universitäten von Wien bis Tübingen. Besonderes Gewicht erhält die starke
27 Dazu schon Paulsen, Organisation (wie Anm. 13); ders., Gründung (wie Anm. 13); Kaufmann, Geschichte (wie Anm. 5), Bd. 2, S. 268ff. Zum Begriff des Studenten noch unten S. 17 (101f.).
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Aufwärtsbewegung der Besucherzahlen aber erst vor dem Hintergrund der Bevölkerungsentwicklung, wenn auch den Immatrikulationen keine ebenso exakte demographische Frequenz gegenübergestellt werden kann. Um 1340 lebten rund 14 bis 15 Millionen Menschen im Reich. Die Große Pest von 1348/51 und die anschließenden Seuchenwellen rafften wohl ein Viertel bis ein Drittel der Reichsbevölkerung hinweg. Bis zur Jahrhundertmitte sank die Bevölkerungsdichte weiterhin ab oder stagnierte, so daß zwischen 1400 und 1450 nur noch etwa zehn Millionen Menschen lebten. Erst im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts begann die Einwohnerzahl des Reiches allmählich wieder zuzunehmen, deutlicher freilich im 16. Jahrhundert trotz der neuerlichen Verluste, die die Bauernkriege verursachten28. Universitätsbesuch und Bevölkerungsentwicklung verliefen also jahrzehntelang in entgegengesetzter Richtung. Die durchschnittliche Wachstumsrate der Immatrikulationen von Jahrzehnt zu Jahrzehnt erreichte zwischen 1391/1400 und 1491/1500 trotz der weitgehend depressiven demographischen Bewegung recht eindrucksvolle 19% pro Dekade oder 1,75% pro Jahr29. Der Anteil der Universitätsbesucherschaft an der Bevölkerung des Reiches war demnach deutlich überproportioniert. Die Stadt Nürnberg zum Beispiel, die um 1500 etwa 35 000 Einwohner und damit wahrscheinlich 0,25% der Reichsbevölkerung besaß, stellte im Untersuchungszeitraum beinahe viermal mehr Universitätsbesucher, als man aufgrund ihres Bevölkerungsanteils erwarten würde30. Die Wachstumsraten ebenso wie das in Abb. l miteingezeichnete Trendpolynom vermitteln einen nur sehr groben Eindruck von der Entwicklung. Ganz so stetig und harmonisch, wie es hier den Anschein hat, wuchs die Universitätsbesucherschaft nicht. Man erkennt in der Aufschlüsselung des Frequenzwachstums nach Dekadenindices und jährlichen Wachstumsraten die unterschiedlichen Schübe (vgl. Tabelle 15 2): bis in die 20er Jahre hinein ist eine | relativ rasche Steigerung mit einer Spitzenrate von 4,1% zu konstatieren, an die sich dann mehr oder
28 Allgemein Carlo M. Cipolla und Knut Borchardt (Hg.), Europäische Wirtschaftsgeschichte, Bd. 1: Mittelalter, Stuttgart 1978, hier: J. C. Russell, S. 13–43, 21ff.; F. Körner, Die Bevölkerungszahl und -dichte in Mitteleuropa zum Beginn der Neuzeit, in: Forschungen und Fortschritte 33 (1959), S. 325–331. 29 Zum Verfahren z.B. Roderick Floud, Einführung in die quantitative Methoden für Historiker, Stuttgart 1980, S. 103ff. 30 Vgl. Karlheinz Goldmann, Nürnberger Studenten an deutschen und ausländischen Universitäten 1300–1600, Mitteilungen aus der Stadtbibliothek Nürnberg 12 (1963), S. 1–10, hier: S. 5.
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Tabelle 2 Dekade 1391/1400 1401/1410 1411/1420 1421/1430 1431/1440 1441/1450 1451/1460 1461/1470 1471/1480 1481/1490 1491/1500
Frequenz
Index
Wachstumsrate/Jahr (%)
4843 6787 19163 13524 14533 16159 20971 22526 25220 25032 27582
100 140 210 279 300 334 433 465 521 517 570
– 3,4 4,1 2,9 0,7 1,1 2,6 0,7 1,1 -0,1 1,0
weniger starke Schwankungen anschlossen. Nach 1480 sank der Hochschulzugang sogar ganz knapp unter die Null-Prozent-Marke, um sich aber für den Rest des Jahrhunderts auf ein jährliches Wachstum von einem Prozent einzupendeln. Ähnliches zeigen mit einem anderen Akzent auch die Indexzahlen. Nahezu alle 20 Jahre scheint sich die Besucherschaft der deutschen Hochschulen gemessen an der Ausgangsdekade von 1391/1400 vervielfacht zu haben. In den 70er Jahren wurde bereits das Fünffache des Basiswertes erreicht. Wie schon bei den Wachstumsraten beobachtet, trat jedoch in den letzten 20 Jahren des 15. Jahrhunderts eine Dämpfung des Wachstums ein. Erst im folgenden Jahrzehnt, schon im 16. Jahrhundert, war die Frequenz auf das Sechsfache angestiegen. Anders gesagt: Um die dreifache Ausgangsfrequenz von 1391/1400 zu erreichen, bedurfte es einer Laufzeit von 40 Jahren; um das Dreifache noch einmal zu erreichen, waren weitere 70 Jahre notwendig, obwohl sich die Zahl der Hochschulen in diesem Zeitraum nahezu verdoppelt hatte. Schon vor der Reformation also, die bekanntlich auch in frequentieller Hinsicht einen tiefen Einschnitt in der deutschen Universitätsgeschichte hinterließ, geriet das Wachstum des Hochschulbesuchs allmählich ins Stocken: ungefähr zur gleichen Zeit, da die Bevölkerung im Reich langsam wieder zunahm. Am Vorabend der Reformation erlebten die deutschen Universitäten vielleicht insgesamt die erste ‘Überfüllungskrise’ ihrer Geschichte. Im Vergleich zu Frankreich, England, Spanien und Italien hatte das Reich erst relativ spät den Anschluß an ein eigenes universitäres Leben gefunden. Zweifelhaft ist jedoch, ob die Nachfrage nach ‘Universitätsgebildeten’ über den anfangs vorhandenen Nachholbedarf hinaus dem
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schon ‘übermäßigen Angebot’ überhaupt noch gerecht werden konnte. 16 Inzwischen besuchten | nämlich seit den 80er Jahren des 15. Jahrhun-
derts im Durchschnitt über 2 500 Personen jährlich neu die Hochschulen des Reiches. Auf 100 000 Einwohner (bei konstant 10 Millionen gerechnet) kämen dann pro Jahr mindestens 25 ‘neue Studenten’31. Vielleicht hatte sich der Bedarf an ‘Universitätsgebildeten’ gegen Ende des Jahrhunderts an Höfen und in Städten, in Schulen und Gerichten und im Pfründengebäude der deutschen Kirche bereits deutlich verringert; vielleicht war eine erste Ausbauphase dessen, was man in die Verlaufsformen “Verwissenschaftlichung” und “Bürokratisierung” des politischen und sozialen Lebens gekleidet hat32, bis zur Reformation hin abgeschlossen, die dann erst die Tendenz dramatisch verstärkte. Eine gewisse Parallele zu diesem Mechanismus von Angebot und Nachfrage schien sich auch in England abzuzeichnen; und ein weiteres Indiz mag an der römischen Kurie zu entdecken sein, wo zur gleichen Zeit etwa das Supplizieren um deutsche Pfründen deutlich nachließ33. Aus der Perspektive des gebremsten Wachstums gewinnt das Problem der steigenden Besucherzahlen freilich eine besondere Tragweite. Scheinbar universitätsinterne Abläufe werden konsequent in gesellschaftliche Zusammenhänge gerückt, womit deutlich gemacht ist, daß jedes Erklärungsmodell für Andrang und Bedarf von vornherein mehrdimensional angelegt sein muß. Weder läßt sich lakonisch konstatieren, “das Bildungsbedürfnis des späteren Mittelalters (sei) eben besonders groß gewesen”; noch läßt sich die steigende Zahl mit dem Heranwachsen einer geistigen Führungsschicht, gar eines humanistisch
31 Im Vergleich zu proportional ähnlichen Dimensionen im 19. Jh.: J. Conrad. Allgemeine Statistik der Deutschen Universitäten, in: Wilhelm Lexis (Hg.), Die Deutschen Universitäten für die Universitätsausstellung in Chicago 1893, Bd. 1, Berlin 1893, S. 115–168, hier: S. 115f. 32 Peter Moraw und Volker Press, Probleme der Sozial- und Verfassungsgeschichte des Heiligen Römischen Reiches im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Zeitschrift für Historische Forschung (1975), S. 95–108, hier: S. 103f.; Volker Press, Führungsgruppen in der deutschen Gesellschaft im Übergang zur Neuzeit (um 1500), in: Hanns H. Hofmann und Günther Franz (Hg.), Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit. Eine Zwischenbilanz, Boppard 1980. S. 29–77, hier: S. 45ff. 33 Vgl. G. F. Lytle, Patronage Patterns and Oxford Colleges c. 1300–c. 1530, in: Stone, The University in Society (wie Anm. 14), Bd. 1, S. 111–149, hier: S. 111ff., 123ff.; Trevor H. Aston, Oxford’s Medieval Alumni, in: Past and Present 74 (1977), S. 3–40, hier: S. 30ff. Zum Befund ergänzt sich gut, dass auch die Bevölkerung um 1480 wieder anwächst; vgl. Robert S. Gottfried, Population. Plague, and the Sweating Sickness, in: Journal of British Studies 17 (1977), S. 12–37. – Den Hinweis zur Kurie verdanke ich der freundlichen Auskunft von Herrn Dr. H. Diener, Dt. Hist. Institut, Rom.
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gebildeten Akademikerstandes identifizieren34. Es wäre zu simpel, von der großen Zahl auf große Wirkung zu schließen. Im übrigen gehört es zu den Mythen der Universitäts- und Bildungsgeschichte, dass der Humanismus oder humanistische Gelehrte ein besonderes | Wachstum 17 erzeugt und Studentenmassen in Bewegung gesetzt hätten. Sein geistiges Klima betraf immer nur eine kleine, interessierte, internationale Gruppe. Gerade die sogenannten großen Zentren des Humanismus: Erfurt, Basel, Ingolstadt, Tübingen, mußten nämlich zur fraglichen Zeit starke Frequenzeinbußen in Kauf nehmen, was zur Dämpfung des allgemeinen Wachstums beigetragen hat35. Ebenso wenig läßt sich die “gesellschaftliche Notwendigkeit“ des Massenandrangs beschwören, auch dann nicht, wenn als Hintergrund die so pauschal ohnehin fragwürdige Intensivierung des stadtbürgerlichen Gemeinwesens und die Konsolidierung großer Territorien ins Feld geführt werden36. Allen diesen Ansätzen eignet ein fataler Hang zur Monokausalität; sie verlagern die Probleme nur, ohne sie zu lösen. Sofort schlösse sich die Frage an, was denn zum Beispiel Bildungsbedürfnis oder Bildung überhaupt im Spätmittelalter sei? Zugrunde liegt diesen Ansätzen ein anachronistisches und zudem lineares Wachstumsmodell, das vielleicht inspiriert ist von modernen Überlegungen zur Bedarfslenkung, in der sozialen Wirklichkeit des späten Mittelalters aber keinen Platz findet. Das Zusammenspiel der Kräfte von Angebot und Nachfrage muß vielmehr in den Rahmen einer traditionalen Gesellschaft einbezogen werden. Gerade in der Universitätsgeschichte ist dies immer wieder zu betonen, weil die Gefahr des Mißverstehens hier besonders groß ist, wo bis in die Terminologie hinein scheinbar immer alles beim Alten bleibt. Allein der Begriff des Studenten mag das verdeutlichen. Es waren nicht die mit heutigen Studenten in etwa vergleichbaren Juristen, Theologen und mit großen Einschränkungen auch Mediziner, die die Frequenz der alten deutschen Hochschulen bestimmt haben.
34 Eulenburg, Frequenz (wie Anm. 1), S. 50f. und mit ihm fast die gesamte ältere Literatur, v.a. Adolf Stölzel, Die Entwicklung des gelehrten Richtertums in deutschen Territorien, Bd. 1, Stuttgart 1872, S. 91ff. Zu optimistisch auch Herbert Grundmann, Vom Ursprung der Universität im Mittelalter, Darmstadt 21960 (Ndr. 1976), S. 17ff.; Laetitia Boehm, Libertas scholastica und negotium scholare – Entstehung und Sozialprestige des Akademischen Standes im Mittelalter, in: Hellmuth Rössler und Günther Franz, Universität und Gelehrtenstand 1400–1800, Limburg 1970, S. 15–61. 35 Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 18). 36 Abe, Die Frequenz (wie Anm. 16), S. 25ff.; ders., Die frequentielle Bedeutung (wie Anm. 1), S. 34ff.
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Maßgebend waren vielmehr jene 80 bis 90 Prozent der Universitätsbesucher, die als Artisten nur in einem sehr elementaren Sinne als Studenten gelten können. Sie unterschieden sich von Lateinschülern im Grunde nur dadurch, daß sie eine Hohe Schule und Artistische (später Philosophische) Fakultät besuchten und damit die Möglichkeit erhielten, einen akademischen Grad zu erwerben: meistens den baccalaureus und in wesentlich geringerem Umfang den magister artium37. Auf dieses Niveau der Universitätsbesucher, das wohl weitestgehend den Bedürfnissen der traditionalen Gesellschaft vorreformatorischer Zeit angemessen war, ist zu achten, wenn von Wachstum und erst recht von Bedarf die Rede ist. Den Andrang solcher ‘Elementarstudenten’ “auf eine neue Qualifikationsintensität der Dienste in Kirche und Staat” umzurechnen, dürfte wohl schlichtweg in die Irre führen38. Wie mit der Anachronie so steht es auch mit der Linearität. Die Geschichts18 forschung hat das späte Mittelalter seit längerem als eine Zeit der Krisen | unterschiedlichster Dimensionen erkannt39. So wuchsen die Immatrikulationen gerade in dieser Zeit vom Schwarzen Tod bis zur Reformation notwendigerweise ebenfalls unter Krisenbedingungen. Im Gegensatz zu den geglätteten Durchschnittsdarstellungen von Eulenburg und anderen zeigt ein Blick auf die Kurve der Inskriptionen, wie krisenhaft die ‘Reichsfrequenz’ tatsächlich verlaufen ist. An die Stelle des linearen Modells ist daher ein ‘Frequenzmodell’ zusetzen, das das Auf und Ab, die Schwingungen und ihre unterschiedlichen Intensitäten als etwas Wesensmäßiges und Prozeßhaftes im deutschen Universitätsbesuch erkennt. Zur unbezweifelbaren Kontinuität des Wachstums gehört auch die Kontinuität der Brüche. Methoden: Die Anwendung moderner Zeitreihenanalyse Zur Untersuchung der Prozeßhaftigkeit des Universitätsbesuches bietet sich die Zeitreihenanalyse an. Eine Zeitreihe erhält man, wenn man
Vgl. Paulsen, Gründung (wie Anm. 13), S. 304ff.; Peter Moraw, Zur Sozialgeschichte der deutschen Universitäten im Mittelalter, in: Giessener Universitätsblätter 8 (1975), S. 44–60, hier: S. 48f. 38 Schubert, Motive und Probleme (wie Anm. 3), S. 39. 39 František Graus, Vom „Schwarzen Tod“ zur Reformation. Der krisenhafte Charakter des europäischen Spätmittelalters, in: Peter Blickle (Hg.), Revolte und Revolution in Europa, München 1975, S. 10–30. 37
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FREQUENZ
LEGENDE
Abb 1: Immatrikulationen im Reich 1385–1505.
ZEIT IN JAHREN
1385.0 1391.1 1397.2 1403.3 1409.4 1415.5 1421.6 1427.7 1433.8 1439.9 1446.0 1452.1 1458.2 1464.3 1470.4 1476.5 1482.6 1488.7 1494.8 1500.9
0
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680
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1360
1700
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2720
3060
3400
3740
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ANZAHL DER UNIVERSITAETSBESUCHER
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die Merkmalsausprägungen einer veränderlichen Größe im Zeitverlauf darstellt, so wie die Immatrikulationen im Reich von 1385 bis 1505 in Abb. 1. Ihre Wurzeln hat die Methode in der Astronomie, in der man versucht hat, die Bewegung der Planeten im Zeitablauf zu erklären. Da hier Naturgesetze zugrunde liegen, mag die Erklärung solcher Vorgänge relativ einfach sein. Anders und sehr komplex wegen der Vielfalt der gleichzeitigen Ursachen stellen sich dagegen die Zusammenhänge in ökonomischen, sozialen und demographischen Reihen dar. Ihre Analyse bedeutet daher, daß man sich über ihre Struktur Gedanken machen muß mit dem Ziel, nicht nur die ohnehin auffälligen Erscheinungen, sondern auch die Regelmäßigkeiten in der Reihe zu erklären. Dieses Ziel verfolgt die klassische Methode40, indem sie versucht, die Zeitreihe in Komponenten oder Einflußgruppen zu zerlegen und diese voneinander zu isolieren. Man unterscheidet Trend, Konjunktur- und Saisonschwankungen (zyklische Bewegungen) sowie eine Restschwankung der einmaligen und zufälligen Ereignisse. Die Isolierung von Komponenten setzt aber ein Modell ihres Zusammenspiels voraus; hier liegt allerdings der neuralgische Punkt des klassischen Verfahrens. Man unterstellt nämlich, daß jede Komponente einen je spezifischen, allein für sie typischen Prozeßverlauf bestimmt, und ferner, daß der Zufall nur in der Restkomponente, nicht aber in Trend und zyklischen Bewegungen eine Rolle spielt. In vielen Fällen des Wirtschaftslebens, aber auch im Universitätsbesuch des Mittelalters stimmen solche Voraussetzungen nicht. 19 | An deren Stelle setzt das moderne Verfahren der Spektralanalyse41 die Theorie stochastischer Prozesse (Zufallsprozesse). Man nimmt an,
40 Vgl. u.a. Hans Kellerer, Statistik im modernen Wirtschafts- und Sozialleben, Reinbek 1960, S. 92–109; Karl-August Schäffer, Beurteilung einiger herkömmlicher Methoden zur Analyse von ökonomischen Zeitreihen, in: Wolfgang Wetzel (Hg.), Neuere Entwicklungen auf dem Gebiet der Zeitreihenanalyse, Göttingen 1970, S. 131–164. 41 Bisher, soweit ich sehe, nur in der modernen Wirtschafts- und Demographiegeschichte verwendet. Lehrbücher: Wetzel, Neuere Entwicklungen (wie Anm. 40); Heinz König und Jürgen Wolters, Einführung in die Spektralanalyse ökonomischer Zeitreihen, Meisenheim 1972; Lambert Herman Koopmans, The Spectral Analysis of Time Series, New York 1974; Bernd Leiner, Spektralanalyse ökonomischer Zeitreihen. Einführung in Theorie und Praxis moderner Zeitreihenanalyse, Wiesbaden 21978. Zur Anwendung etwa Eckard Gröhn, Spektralanalytische Untersuchungen zum zyklischen Wachstum der Industrieproduktion in der Bundesrepublik Deutschland 1950–1967, Tübingen 1970; Tommy Bengtsson und Lennart Jörberg, Market Integration in Sweden during the 18th and 19th Centuries. Spectral Analysis of Grain Prices, in: Economy and History 18 (1975), S. 93–106; Reinhard Spree, Wachstumstrends und Konjunkturzyklen in der deutschen Wirtschaft von 1820 bis 1913, Göttingen 1978; darin M. Tybus, Korrelogramm
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daß die gesamte Zeitreihe eine Folge von zeitabhängigen Zufallsvariablen ist, für die es eine gemeinsame Verteilungsfunktion gibt. Der Universitätsbesuch im Alten Reich in der Zeit von 1385 bis 1505 wäre dann die Realisation eines Zufallsprozesses, und zwar eine Realisation unter theoretisch sehr vielen, die den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit gehorcht (vgl. Abb. 1). Ziel des Verfahrens ist es, aus diesem einen Vorgang Rückschlüsse auf den erzeugenden Prozeß und seine Eigenschaften zu ziehen. Besonders gut eignet sich die Spektralanalyse zur Untersuchung zyklischer Prozesse, vorausgesetzt, die Bedingung der Trendfreiheit ist hinreichend erfüllt. Dies ist im Besucherwachstum der Universitäten zunächst aber nicht der Fall, wie man mit Blick auf Abb. l sogleich bemerkt. Der Trend, der sonst durch seine eigenen Schwankungen die vorhandenen Zyklen beeinflussen oder vielleicht überhaupt erst erzeugen würde, kann jedoch durch verschiedene Methoden aus einer gegebenen Zeitreihe eliminiert werden42. Ein so bereinigter Prozeß läßt sich in zwei Bereichen beobachten: Zum einen im Zeitbereich zur Untersuchung der linearen Zusammenhänge in der Reihe, zum anderen aber auch – nach einer formalen mathematischen Transformation, die hier nicht zu interessieren braucht, – zur Prüfung des zyklischen Verhaltens im FrequenzSchwingungsbereich. Frequenz meint dabei im physikalischen Sinne den Kehrwert einer Periode (F = l/p), die Anzahl der Schwingungen pro Zeiteinheit. Im Frequenzbereich wird der zyklische Prozeß durch zwei Funktionen charakterisiert, die man Spektralverteilungsfunktion – kurz auch Spektrum – sowie Spektraldichtefunktion nennt. Im Spektrum ist nun die gesamte Varianz der Zeitreihe, also das wichtigste statistische Streuungsmaß einer Verteilung, der Anschaulichkeit wegen als Fläche dargestellt und zugleich auf bestimmte Frequenzen aufgeteilt – und zwar in Intervallen von 0 bis 0,5, denen Perioden | von Unendlich bis 20 zwei Jahren entsprechen (vgl. Abb. 2 und 3). Damit erhalten bestimmte
und Spektralanalyse der Wachstumszyklen, S. 142–170; R. Metz, Agrarpreiszyklen und Wirtschaftskonjunktur. Spektralanalytische Untersuchungen zu Kölner Agrarpreisreihen des 19. Jahrhunderts, in: Wilhelm Heinz Schröder und Reinhard Spree (Hg.), Historische Konjunkturforschung, Stuttgart 1980, S. 255–288. 42 Die lineare Trendausschaltung durch Regression hat sich als ausreichend erwiesen (Regressionslinie in Abb. 1). Höhere Polynomgrade sorgen nicht unbedingt für bessere Ergebnisse, so auch Gröhn, Untersuchungen (wie Anm. 41), S. 92f.; Leiner, Spektralanalyse (wie Anm. 41), S. 102f. und Hartmut Titze, Die zyklische Überproduktion von Akademikern im 19. und 20. Jahrhundert, in: Arbeitshefte zur sozialistischen Theorie und Praxis 65/66 (1985), S. 7–26.
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Frequenzen pro Intervall einen bestimmten Anteil an der Fläche. Dieser ist umso größer und in den Spektrallinien der Abbildungen umso ausgeprägter als ‘Gipfel’ zu erkennen, je häufiger eine Frequenz zur Gesamtvarianz beigetragen hat. Auf diese Weise kann man erfahren, welche Schwingungen oder zyklischen Bewegungen einen gegebenen Prozeß wesentlich gesteuert haben. Mit welcher Intensität dies geschah, gibt die Spektraldichtefunktion an. Auf den ersten Blick wird vielleicht der Versuch befremden, einen historischen Tatbestand wie den Universitätsbesuch im mittelalterlichen Reich mit Hilfe eines solchen Instrumentariums zur Erforschung zyklischer Prozesse durchleuchten zu wollen. Es mag widersinnig erscheinen, den Entscheidungen zahlreicher Individuen zur Immatrikulation an irgendeiner Hochschule, Entscheidungen, die ihrerseits wieder von zahlreichen Umweltfaktoren abhängig sind, irgendeine Regelmäßigkeit zu unterstellen. Man könnte daher annehmen, daß die Methode selbst, vor allem bestimmte Verfahren zur Eliminierung des Trends, eine Periodizität erzeugen, die in der Reihe vorher nicht enthalten war. In der Tat ist diese Gefahr nicht mit Sicherheit auszuschließen; sie ist bei der Interpretation im Auge zu behalten. Es gibt allerdings auch historische Analogien, die die Annahme eines zyklischen Verlaufs der Immatrikulationen im Reich nicht unbegründet erscheinen lassen. In einer Studie über den Besuch der Universität Gießen von 1650 bis 1800 konnten mittel- und kurzfristige Schwankungen der Besucherzahlen beobachtet werden. Der Trend wurde von regelmäßig auftauchenden und ziemlich gleichförmigen ‘Konjunkturwellen’ überlagert – und zwar in derart eindeutigen Zeitgrenzen, daß man diese als Epochenkriterien der Gießener Universitätsgeschichte beanspruchen darf. Die Gründe für diese zyklische Struktur, die sich weniger aus der Universitätsgeschichte selbst als vielmehr aus der regionalen und großräumigen Wirtschafts- und Sozialgeschichte einer im wesentlichen agrarisch geprägten Gesellschaft herleiten lassen, sind an anderem Ort ausführlich dargelegt worden43. Aber selbst unter den gänzlich veränderten Bedingungen einer hochindustrialisierten Gesellschaft und eines ebenso völlig andersartigen modernen Universitätssystems im deutschen 19. und 20. Jahrhundert lassen sich in der Aufeinanderfolge von soge43 Rainer Christoph Schwinges, Immatrikulationsfrequenz und Einzugsbereich der Universität Gießen 1650–1800. Zur Grundlegung einer Sozialgeschichte Gießener Studenten, in: Peter Moraw und Volker Press (Hg.), Academia Gissensis. Beiträge zur älteren Giessener Universitätsgeschichte, Marburg 1982, S. 247–295.
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nannten Mangel- und Überfüllungskrisen zyklische Bewegungen in der Studentenschaft erkennen44. Offensichtlich ist dem Universitätsbesuch zu | verschiedenen Zeiten, wenn auch unter je anderen Aspekten und 21 völlig variablen Periodenlängen, ein gewisser Frequenzrhythmus immanent gewesen, so daß die Suche nach zyklischen Erscheinungen im mittelalterlichen Universitätsbesuch ebenfalls legitimiert sein dürfte. Die zyklische Struktur des Universitätsbesuches im Reich 1385 bis 1505 Dem Universitätsbesuch liegen die Immatrikulationen an zuletzt zwölf Hochschulen des Reiches zugrunde. Diesen gesamten Prozeß spektral untersuchen zu wollen, mag die Frage aufwerfen, ob die Analyse einer derart zusammengesetzten ‘Makrofrequenz’ in die personale Ereignisse von Wien im Süden bis Rostock im Norden des Reiches eingegangen sind, überhaupt zu sinnvollen Ergebnissen führen kann. Von der methodischen Demonstration einmal abgesehen, werden die Resultate jedoch einen gewissen ‘Vorauseffekt’ erzielen. Wenn sich schon hinter dem Gesamtprozeß ein zyklisches Grundmuster verbergen sollte, so dürfte dies auch für die einzelnen Immatrikulationsreihen mehr oder weniger prägnant zutreffen. Eine Fülle von Detailstudien über die Frequenz der deutschen Universitäten könnte sich dann anschließen. Die in der ‘Reichsfrequenz’ konzentrierte Entscheidung von über 200 000 spätmittelalterlichen Personen und Studenten zum Besuch der Generalstudien verlief tatsächlich in zyklischen Bahnen. In der spektralen Verteilung der 121 Besucherjahrgänge von 1385 bis 1505 erkennt man in Abb. l deutlich die dominierenden Schwingungen (‘Gipfel’), denen Perioden von 13.3, 7.3, 3.5, 2.8 und 2.2 Jahren zugeordnet sind. Die Schwingungsintensität (Spektraldichte) wird in der gleichen Reihenfolge mit 0.1805, 0.1980, 0.1867, 0.2868 und 0.1294 angegeben45. Damit ist es gelungen, die bisher verborgene Struktur desjenigen 44 Titze, Überproduktion (wie Anm. 42). Die zyklische Abfolge von Überfüllung und Mangel konstatiert auch Willem Th. M. Frijhoff, La société néerlandaise et ses gradués, 1575–1814, Amsterdam 1981, S. 123ff. 45 Die Analyse wurde mit Hilfe der SPSS-Prozedur SPECTRAL durchgeführt; vgl. SPSS Version 8, S. 227ff.; dazu Leiner, Spektralanalyse (wie Anm. 41), S. 129–140. Lag-Abstand = 40 (= ein Drittel der Beobachtungen nach Empfehlung von Leiner, S. 105, obwohl es starre Regeln nicht gibt; vgl. König/Wolters, Einführung [wie Anm. 41], S. 158; Metz, Agrarpreiszyklen [wie Anm. 41], S. 262. Gewichtungsfunktion,
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Prozesses aufzudecken, der das Erscheinungsbild des Universitätsbesuches im Reich von 1385 bis 1505 erzeugt hat. Wir haben es mit einer zyklischen Prozeßstruktur zu tun, in der sich längere und kürzere Zyklen überlagern, sich aber im Spektrum voneinander unterscheiden lassen. Innerhalb des Wachstumsprozesses der deutschen Universitäten hat es demnach konjunkturbedingte Schwankungen gegeben. So kann man die Universität des späten Mittelalters, sofern sie durch ihren Besucherzugang charakterisiert ist, eine Wachstumsuniversität, ebenso aber auch eine Konjunkturuniversität nennen. An diese Feststellungen knüpft sich allerdings die Frage, ob sich das zyklische Erscheinungsbild des Universitätsbesuches über das ganze 15. Jahrhundert hinweg auf einen einzigen Zufallsprozeß zurückführen läßt oder ob sich nicht vielmehr 22 die | Bedingungen dafür im Laufe der Zeit geändert haben? Damit ist die dem Historiker eigentümliche Frage nach der Chronologie aufgeworfen: Wann gab es Phasenwechsel, wo sind markante Wendepunkte in der Zeitreihe auszumachen? Die Aufteilung des Untersuchungszeitraumes wäre ein erster Schritt zur Beantwortung dieser Frage. Einen Anhaltspunkt für die Teilung liefert die Geschichte des 15. Jahrhunderts, die in der Diskussion nach wie vor im Zeichen der Krisenproblematik steht. Zwar hat sich die Vorstellung von einem gänzlich uneinheitlichen Gesamtbild dieses Jahrhunderts, von einer Fülle von Alternativen unter zeitlichen, örtlichen 23 und allgemein gesellschaftlichen | Aspekten durchgesetzt; doch sieht man auch, daß die Wege, die aus den verschiedensten demographischen, ökonomischen, sozialstrukturellen und nicht zuletzt mentalen Krisen der spätmittelalterlichen Lebenswelt herausführten, in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts geebnet worden sind46. Dieser Zeitraum hat als gleichsam ‘latente Neuzeit’ gegenüber der noch stagnierenden ersten Hälfte des Jahrhunderts, unbeschadet vielerorts sicher früher einsetzender Entwicklungen, ein sehr eigenes Gewicht besessen. So könnte man einen Schnittpunkt durchaus in die Mitte des 15. Jahrhunderts legen.
“window”, nach Parzen. Zu methodischen Problemen Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 18). 46 Vgl. František Graus, „Schwarzen Tod“, in: Hermann Aubin und Wolfgang Zorn (Hg.), Handbuch der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. l, Stuttgart 1971, Abschnitte 13–15 (Wilhelm Abel und Rolf Sprandel); zusammenfassend jetzt auch Erich Meuthen, Das 15. Jahrhundert, München 1980, S. 118ff.
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INFINITE 80.0000 40.0000 26.6667 20.0000 16.0000 13.3333 11.4286 10.0000 8.8889 8.0000 7.2727 6.6667 6.1537 5.7143 5.3333 5.0000 4.7059 4.4444 4.2105 4.0000 3.8095 3.6364 3.4783 3.3333 3.2000 3.0769 2.9630 2.8571 2.7586 2.6667 2.5806 2.5000 2.4242 2.3529 2.2222 2.1622 2.1053 2.0513 2.0000
.3581
Abb. 2: Immatrikulationsfrequenz im Reich Spektrum 1385–1505.
Einen zweiten Anhaltspunkt für die Aufteilung liefert die Universitätsgeschichte selbst. Man unterscheidet gemeinhin zwei Gründungswellen im mittelalterlichen Reich: eine erste von Prag 1348 bis Löwen 1426 und eine zweite von Greifswald 1456 über Tübingen 1477 bis Wittenberg 1502 und Frankfurt/Oder 1506, wenn man bis an die Schwelle der Reformation herangehen und nur an die erfolgreichen Hochschulgründungen denken will47. Wenn auch diese Unterscheidung von Gründungen vor und nach der Jahrhundertmitte nicht überstrapaziert 47 Vgl. zuletzt Roderich Schmidt, Rostock und Greifswald. Die Errichtung von Universitäten im norddeutschen Hanseraum, in: Baumgart/Hammerstein, Beiträge
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werden sollte, so wäre doch zu fragen, ob die zweite Welle in den allgemeinen gesellschaftlichen Neuansatz einbezogen war. Tatsächlich gibt es einige markante Unterschiede gegenüber den ersten Gründungen; nur auf zwei sei hingewiesen: Bei aller weitreichenden Verwandtschaft der Institutionen und der Abhängigkeit der Statutenwerke voneinander, bei aller Unbedingtheit päpstlicher oder kaiserlicher Privilegierung, die übrigens bis ans Ende des Alten Reiches nichts weniger als die gegenseitige Anerkennung als Universität sicherte, war jetzt doch fast allein der Stifterwille des Landesherrn für die Gründung ausschlaggebend. Es war der Wille des fürstlichen Herrn in einem Territorialisierungsprozeß, in dem die Universität ein gewisser, auf Dauer ausgerichteter stabilisierender Faktor zumindest zu werden versprach. Zudem waren die finanziellen Voraussetzungen, die landesherrlichen Dotationen für Universität und Professorenschaft, bereits geregelter als in der noch weitgehend improvisierenden Frühzeit. So könnte ein Schnittpunkt auch aus universitätsgeschichtlicher Sicht in der Mitte des 15. Jahrhunderts liegen. In der Spektralanalyse der beiden Teilzeitreihen von 1385 bis 1450 und von 1451 bis 1505 zeichnen sich die folgenden Ergebnisse 24 ab (Abb. 3)48: | Die Spektren der beiden Reihen vor und nach 1450 bieten ein so auffallend unterschiedliches Bild, daß man auf gravierende strukturelle Verschiebungen von einem Zeitabschnitt zum anderen schließen muß. Betrachtet man zunächst die Verteilung für die Jahre nach 1450, so finden sich große spektrale Masse und starke Amplituden im Niederfrequenzbereich (NF), also im Bereich gegen Null (Schwingungsdauer gegen Unendlich), was auf längerfristige Wachstumsbewegungen hindeutet, die allerdings im Spektrum über die 55 Jahresbeobachtungen von 1451 bis 1505 nicht aufgelöst werden können. Im übrigen steht zu vermuten, daß der Trend nicht völlig ausgeschaltet worden ist und gerade im Bereich der niederen Frequenzen einen Resteinfluß geltend macht49. Demgegenüber sind die Hinweise auf Zyklen deutlich geringer ausgefallen, wenngleich die 7.2– und 2.8–Jahresrhythmen nicht zu übersehen sind. Würde man sich die letztere kurzfristige Schwankung in etwa hinwegdenken, so erhielte man ein Spektralmuster, das in wirtschafts-
(wie Anm. 3), S. 75–110, hier: S. 77ff.; Schubert, Motive und Probleme (wie Anm. 3), S. 13ff. 48 Wie Anm. 45. Reihe (1) Lags = 22; Reihe (2) Lags = 18. 49 Zu Problemen in der Praxis und Interpretation Tybus, Korrelogramm (wie Anm. 41), S. 147f.; Metz, Agrarpreiszyklen (wie Anm. 41), S. 261.
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universitätsbesuch im reich
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Tabelle 3
(1)
1385–1450
(2)
1451–1505
Zyklus
Intensität
NF 11.0 6.3 2.9 NF 7.2 3.6 2.8
0.2084 0.1992 0.1476 0.2778 0.4087 0.1878 0.1543 0.1854
wissenschaftlicher Analyse schon als typisch für Wachstumsindustrien gilt, für Bereiche mit überdurchschnittlicher Nachfragesteigerung, die von konjunkturellen Schwankungen nicht allzu sehr betroffen werden50. So aber haben wir es in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts mit einem Wachstumsprozeß in zyklischen Dimensionen von 7.2 und vermutlich mehr Jahren zu tun, der jedoch von kurzen, relativ heftigen periodischen Schwankungen überlagert wird. Deren Intensität reicht sogar knapp an die der Siebenjahreswellen heran. Dieser heftige, kurzfristige Zyklus scheint für den Universitätsbesuch im Reich überhaupt sehr bezeichnend gewesen zu sein. Auch im ersten Untersuchungsabschnitt von 1385 bis 1450 ist er vorhanden, so aber, daß man ihn wohl in dieser Zeit als das herausragende Strukturmerkmal des Prozesses betrachten muß. Spektralverteilung und -dichte konzentrieren sich auf den Hochfrequenzbereich, der hier in seinem ‘Gipfel’ bei 2.9 Jahren liegt. Das langfristige Wachstum des Universitätsbesuches, aus dem sich die Zyklen | von 6.3 und 11 Jahren (wegen des im- 25 manenten Resttrends) nur in vorsichtiger Interpretation herausschälen lassen, ist vom konjunkturellen Geschehen völlig beherrscht worden. Wenn man noch einmal zu wirtschaftlicher Analogie greifen dürfte, so träfe dieses Spektralmuster am ehesten noch für bestimmte Zweige der sogenannten Kapitalgüterindustrie zu, die von konjunkturellen Schwankungen immer wesentlich abhängiger sind als etwa konsumorientierte Industriebereiche, die für den täglichen Bedarf produzieren51. So könnte man sagen: In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts sei der
50 51
Vgl. Gröhn, Untersuchungen (wie Anm. 41), S. 92f. Ebd.
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PERIOD +
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PERIOD
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- - - - - - - - - - - - - - - -•
.2778
- - - - - - - - - - - - *- - - - - - - - - - - - - - - - 0
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Spektrum 1451–1505
Abb. 3: Immatrikulationsfrequenz im Reich.
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Universitätsbesuch zu einem ‘alltäglicheren Ereignis’ geworden, als er es in der Zeit von 1385 bis 1450 überhaupt hätte sein können. Diese Feststellung hat aber nicht allzu viel mit der Vermehrung der Zahl der Universitäten seit der Jahrhundertmitte zu tun. Würde man die Universitäten der beiden Gründungswellen jeweils gesondert betrachten, so ergäben sich in den Modalitäten des Zugangs kaum bemerkenswerte Unterschiede. Differenzen würden jedoch aus gegenläufigen Wachstumstendenzen resultieren, da keineswegs alle Hochschulen der zweiten Welle am allgemeinen Wachstum des Universitätsbesuches in Deutschland teilgenommen haben. Gerade die größeren unter ihnen wie Basel, Ingolstadt und Tübingen hatten in den letzten Jahrzehnten des Jahrhunderts starke rückschrittliche Entwicklungen zu bestehen. So waren die ‘alten’ Hochschulen in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, was den Besucherstrom anbelangt, sehr viel erfolgreicher als die ‘neuen’, die zur ‘Alltäglichkeit des Studiums’ aus der Perspektive des Reiches nicht mehr viel beigetragen haben52. Auf die Unwägbarkeiten einer potentiellen Besucherschaft konnten die Neugründungen freilich gar nicht anders reagieren als die alten Hochschulen zur gleichen Zeit auch. Mit anderen Worten: Alle Universitäten schalteten sich seit ihrem Eröffnungsdatum unter den Bedingungen ihres Standortes in den laufenden Prozeß ein, der von außeruniversitären Faktoren weit mehr abhing als von den inneren Verhältnissen der einzelnen Hochschulen. Einfluß hatten diese, wenn überhaupt, nur auf die pure Häufigkeit der Immatrikulationen in dem einen oder anderen Jahr. Aus diesem Blickwinkel kann daher die zeitliche Zweiteilung der Universitätsgründungen nur eine formale, aber nicht strukturelle Sache sein. Wachstum und Konjunkturen des Universitätsbesuches im Reich sind durch die beiden Teilzeiträume vor und nach 1450 präzisiert worden. Einzelne Zyklen haben sich den Zeiträumen ‘exklusiv’ zuweisen lassen, wobei die schwächeren zyklischen Ausprägungen der Gesamtreihe (13.3, 2.2) nicht mehr klar zum Ausdruck gekommen sind. Ferner haben sich zeitraumbedingt sehr unterschiedliche Schwingungsintensitäten zu erkennen | gegeben. Damit ist das nächste Ziel abgesteckt: Es gilt zu 27 versuchen, den Untersuchungszeitraum noch weiter in einigermaßen stabile und sinnvoll vergleichbare Abschnitte aufzuteilen. 52 Vgl. Edgar Bonjour, Die Universität Basel von den Anfängen bis zur Gegenwart. Basel 1960, S. 70ff., 108ff.; Müller, Universität und Adel (wie Anm. 3), S. 65f.; Kuhn, Die Studenten (wie Anm. 15), Bd. 1, S. 9ff.: Zu den ,alten‘ Universitäten Abe, Die frequentielle Bedeutung (wie Anm. 1); vgl. die Zahlenangaben in Anm. 19.
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In Fortführung der bisherigen Methode ist diese Hürde allerdings aus zwei Gründen nicht zu nehmen. Zum einen, was durchaus als ein Mangel verstanden werden kann, eignet sich die Spektralanalyse nicht zuverlässig genug für zu kurze Zeitreihen, so daß die Zahl der Beobachtungen – 66 in der Zeit von 1385 bis 1450 und 55 in der Zeit von 1451 bis 1505 – nicht noch weiter reduziert werden soll. Zum anderen, ein Grund, der im Modellcharakter des Spektralverfahrens liegt, kann das Spektrum nicht in Abhängigkeit von der Zeit geschätzt werden. Es wird vielmehr über die gesamte Beobachtungsreihe hinweg als konstant betrachtet, das heißt die erkennbaren Frequenzen sind alle gleichzeitig vorhanden; man müßte sie erst entzerren53. So bleibt nur, das Wissen um die zyklische Prozeßstruktur mit Hilfe deskriptiver Methoden ‘zeitabhängig’ zu machen und in diesem Sinne eine Interpretation der graphischen Darstellung der Immatrikulationen im Reich (Abb. 1) zu versuchen. Das Erscheinungsbild des Universitätsbesuches hat sich vom 14. zum 16. Jahrhundert wahrscheinlich viermal verändert. ‘Epochale’ Strukturverschiebungen kennzeichnen vier Zeitabschnitte, deren Grenzen natürlich nur der Orientierung dienen können. Man bemerkt zunächst einmal, daß die Zeit um das Jahr 1450, jene Umbruchsphase, die aus den Krisen des Spätmittelalters herausführen sollte, auch für die Entwicklung des Universitätsbesuches im Reich sehr entscheidend gewesen sein muß. Die beiden Zeiträume vor und nach dieser Wendemarke mit ihren so unterschiedlichen Spektren ähneln einander auch im graphischen Bild überhaupt nicht. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, die vorab interessieren soll, zeichnen sich zwischen 1450 und 1480 ausgesprochen immatrikulationsintensive Jahre ab, abzulesen auch am Verhältnis der positiven zu den negativen Residuen, den Beobachtungswerten oberhalb und unterhalb der Regressionsgeraden. Diesem auffälligen dritten Viertel des Jahrhunderts sind mit großer Wahrscheinlichkeit die mittleren Konjunkturzyklen von 7.2 Jahren zuzuordnen. In den gegebenen Grenzen erkennt man etwa vier solcher Zyklen, nur wenig gestört von kurzen Schwankungen zu Beginn und Ende der 60er Jahre. Einen völlig anderen Eindruck vermittelt das Kurvenbild jedoch in der Zeit von etwa 1480 bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes im
53 Die von Metz, Agrarpreiszyklen (wie Anm. 41), S. 284 erwähnten Verfahren sind mir technisch nicht zugänglich.
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Jahre 1505, das natürlich nicht als Endpunkt des Prozesses angesehen werden darf. Der Universitätsbesuch im Reich scheint ‘aus dem Rhythmus’ gekommen zu sein. Eine Krise wird deutlich signalisiert. Kurze, relativ heftige Schwankungen von drei bis vier Jahren (2.8 und 3.6 im Spektrum) prägen jetzt ausschließlich den Verlauf der Immatrikulationsfrequenz. Der rasche Wechsel | von Minima und 28 Maxima läßt nur schwerlich noch an Wachstum denken. Es ist dies die Zeit des gebremsten Wachstums, wie wir es schon anhand der Wachstumsraten, eines im allgemeinen doch unsicheren und linearen Maßes, gekennzeichnet haben. Für den Universitätsbesuch im Reich offenbar entscheidende Phasen und Wendepunkte der Entwicklung lassen sich demnach jeweils in den Anfang der 50er und der 80er Jahre des 15. Jahrhunderts datieren. Beide Male ist mit Veränderungen der Prozeßstruktur zu rechnen. Etwas schwieriger einzuschätzen als die zweite Hälfte des Jahrhunderts ist die Zeit vor 1450. Auf den ersten Blick scheint es keine vergleichbare Situation gegeben zu haben, mit Ausnahme vielleicht der Jahre von etwa 1430 bis um 1450. Diese sind möglicherweise von jenem Dreijahresrhythmus (2.9) beherrscht worden, der sich im Spektrum über dem ersten Teilabschnitt schon so deutlich bemerkbar gemacht hatte. Wie im ausgehenden 15. Jahrhundert so prägen auch in diesen rund 20 Jahren die kurzen, jedoch nicht ganz so heftigen Schwankungen das Bild der Besucherfrequenz, so daß man, wenn überhaupt, ein Wachstum der kleinen Schritte unter Krisenvorzeichen konstatieren muß. Damit aber nicht genug: Der gesamte Abschnitt vor 1450, also auch die Zeit zwischen 1385 und 1430, scheint von den kurzen Konjunkturschwankungen dominiert worden zu sein. Bezeichnenderweise ist das Verhältnis der positiven zu den negativen Residuen im Zeitraum 1385 bis 1450 fast identisch mit ihrem Verhältnis in den Jahren von 1480 bis 1505 (–0.65 zu –0.63). Somit erscheint der Wachstumsprozeß des Universitätsbesuches vom Ende des 14. bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts als ähnlich krisenhaft verzögert und konjunkturanfällig wie in den späteren 80er und 90er Jahren. Dies sei einmal nur festgestellt, ohne daraus Konsequenzen hinsichtlich etwaiger struktureller Gleichförmigkeiten ziehen zu wollen. Unter solchen Umständen fällt das Entzerren von längeren und kürzeren Zyklen natürlich nicht leicht, obgleich den Historiker gerade das timing von Zyklen am ehesten interessiert. Doch sei wiederum mit Hilfe der graphischen Darstellung ein Datierungsvorschlag gemacht. Läßt man die Eröffnungsjahre der vier alten Universitäten Wien,
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Heidelberg, Köln und Erfurt als Ausnahmeerscheinungen einmal beiseite, so werden, beginnend etwa mit dem Jahr 1394, mehrere Wellen teils von sechs bis sieben, teils von zehn bis zwölf Jahren Länge erkennbar. Diese Wellen sind dadurch beschrieben, daß stets längere Prosperitätsphasen, in denen es fast immer auch zur Stagnation kommt, von sehr kurzen Depressionsphasen abgeschlossen werden. Dies gilt selbst für die 30er und 40er Jahre. Deutlich wird dabei aber auch, wie sehr die kurzen Schwankungen gerade die längeren Anstiegsphasen der Wellen überlagert und damit Wachstum verzögen haben. Die Wendepunkte liegen vermutlich um die Jahre 1405, einem klimatisch bedingten 29 Katastrophenjahr für den gesamten südlichen und südostlichen | Raum des Reiches, um 1416/1418, um 1428 oder 1434, vielleicht um 1445 und schließlich um 1450. So bemerkt man nun, daß der Universitätsbesuch im spätmittelalterlichen Reich nicht nur im abstrakten Modell als zyklischer Wachstumsprozeß aufgefaßt, sondern darüber hinaus auch nachgewiesen werden kann. Die Struktur dieses Prozesses hat sich dabei im Zeitverlauf als eine Veränderliche erwiesen, und zwar so, daß man die verschiedenen zyklischen Verlaufsmuster als Periodisierungskriterien beanspruchen darf. Wachstumstrends und Konjunkturzyklen unterschiedlicher Intensität und Länge kennzeichnen seit dem ausgehenden 14. Jahrhundert vier Zeitabschnitte: zwei Aufschwungsphasen 1385 bis 1428/34 und 1450 bis 1480, die eigentliche take-off-Phase des Universitätsbesuches im deutschen Mittelalter, sowie zwei Stockungsphasen 1428/34 bis 1450 und 1480 bis ins 16. Jahrhundert54, in dem es vor der Reformation nicht mehrzu einem neuerlichen allgemeinen Aufschwung kommen sollte. Die Immatrikulationen der ersten und zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts 54 Die Stockungsphase der 30er Jahre findet wiederum eine Parallele in England (oben Anm. 33), hier allerdings auslaufend; vgl. Lytle, Patronage (wie Anm. 33), S. 122ff. Ob dabei das Konzept einer ‘Patronagekrise’ eine adäquate Erklärung liefert, bleibe angesichts von elementaren Ereignissen – unten im Text angedeutet – dahingestellt. Zur Kritik vgl. Aston, Oxford’s Medieval Alumni (wie Anm. 33), S. 31f.; auch B. Dobson, Oxford graduates and the so-called patronage crisis of the later Middle Ages, in: The Church (wie Anm. 3), S. 211ff. – Die Terminologie in Anlehnung an Arthur Spiethoff, Die wirtschaftlichen Wechsellagen Aufschwung, Krise, Stockung, 2 Bde., Tübingen 1955, ohne damit irgendwelche qualitativen Aspekte in das Mittelalter übertragen zu wollen. – Zu Periodisierungsproblemen ebd. und etwa Hans Rosenberg, Große Depression und Bismarckzeit, Berlin 1967, S. 10–17; Hans-Ulrich Wehler, Theorieprobleme der modernen Wirtschaftsgeschichte (1800–1945), in: ders., Krisenherde des Kaiserreichs 1871–1918, Göttingen 1970, S. 291–311, hier: S. 301ff.; Spree, Wachstumstrends (wie Anm. 41), S. 98ff.
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wichen also auch im weiteren timing ihrer charakteristischen zyklischen Elemente voneinander ab. Das soll freilich nicht heißen, daß man nicht trotz aller Variationen ein gewisses Grundmuster erkennen könnte; Zyklen von ca. sechs bis elf Jahren entsprechen der Juglar-Länge, die begleitenden, kurzen Schwankungen von zwei bis fünf Jahren, die seit 1480 anscheinend die Überhand gewonnen haben, genügen dem Typ der Kitchin-Zyklen; beide sind vor allem im agrarischen und demographischen Sektor immer wieder zu finden55. Mit alledem ist zugleich gesagt, daß für die ‘Reichsfrequenz’ und erst recht für die erzeugende Prozeßstruktur Faktoren verantwortlich gewesen sein müssen, die in jeder Phase und jedem Abschnitt des Untersuchungszeitraumes außerhalb der Universitäten lagen. Gemeint sind dabei nicht in erster Linie die äußerlich auffälligen Ereignisse wie Kriege, Aufstände und Pestseuchen. So ist der Bereich des Hochschulbesuchs und der Hochschulen gerade unter dem Aspekt der Wachstums und konjunkturellen Veränderungen | vom 14. zum 16. Jahrhundert 30 immer wieder in die Bereiche von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft im ganz allgemeinen Sinne einzufügen. Freilich kann diese Aufgabe, wenn überhaupt, im Rahmen des Möglichen erst nach detaillierten Studien der einzelnen Frequenzen der mittelalterlichen Universitäten und ihrer Umwelt gelöst werden. Abschließend sei jedoch darauf hingewiesen, daß es vermutlich vor allem drei Faktoren bzw. Faktorenbündel gewesen sind, die den zyklischen Verlauf des Hochschulzugangs geprägt haben können: In erster Linie wohl die Agrarpreiszyklen und der ganze Faktorenkomplex, der hinter der Preisbildung in einer agrarwirtschaftlich bestimmten Gesellschaft steht; die beiden anderen Bündel dürften mehr oder weniger beschleunigend oder verzögernd gewirkt haben: die räumliche Organisation des Einzugsbereiches sowie die Sozialstruktur der Universitätsbesucherschaft56. Daß die Immatrikulationen an den Hochschulen des Reiches von elementaren und sozialen Ereignissen nicht
55 Vgl. etwa Joseph A. Schumpeter, Konjunkturzyklen, Bd. 1, Göttingen 1961, S. 179f.; Spree/Tybus, Wachstumstrends (wie Anm. 41); Gröhn, Untersuchungen (wie Anm. 41); Bengtsson/Jörberg, Market Integration (wie Anm. 41); Metz, Agrarpreiszyklen (wie Anm. 41). 56 Schwinges, Immatrikulationsfrequenz (wie Anm. 43), S. 261f.; in einem Versuch für die Frühzeit der Universität Wien: ders., Studentische Kleingruppen im späten Mittelalter. Ein Beitrag zur Sozialgeschichte deutscher Universitäten, in: ders. und Herbert Ludat (Hg.), Politik, Gesellschaft, Geschichtsschreibung. Giessener Festgabe für František Graus, Köln 1982, S. 319–361, hier: S. 341ff, auch in diesem Band.
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nur beeinflußt, sondern vermutlich sogar wesentlich gesteuert worden sind, mag als Ergebnis vielleicht nicht sehr befriedigen. Doch ‘geistige Faktoren’ werden sich in diesem Prozeß nicht finden lassen57.
57 Ähnlich schon Eulenburg, Frequenz (wie Anm. 1), S. 272: “Auch das geistige Leben folgt dem Verkehrswege”.
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MIGRATION UND AUSTAUSCH: STUDENTENWANDERUNGEN IM DEUTSCHEN REICH DES SPÄTEN MITTELALTERS∗ Der folgende Beitrag versucht, die Wanderungen von Studenten beziehungsweise – wie man umfassender sagen sollte – von Universitätsbesuchern im deutschen Reich des späten Mittelalters, vornehmlich des 15. Jahrhunderts, zusammenfassend zu deuten. Die Wanderungen zwischen Herkunftsort und Universitätsort sowie die Austauschvorgänge zwischen den Universitäten beim Hochschulwechsel werden sich dabei als zwar wandelbare, doch vielfach regelhafte, sozialräumliche Bewegungsmuster erweisen. Universitätsbesuch bedeutete in jener Zeit keineswegs ein Loslösen aus den Bindungen der Herkunft. Vielmehr waren Reise und Zielort – bei aller Unwägbarkeit der Umweltbedingungen jeder Art – in ein mitunter weitgespanntes, aber engmaschiges Beziehungsnetz eingeflochten. Auch die Regeln studentischer Migration
* In: Gerhard Jaritz und Albert Müller (Hg.), Migration in der Feudalgesellschaft, Frankfurt/New York: Campus Verlag 1988, S. 141–155. – Diesem Beitrag liegen ‘migrationsrelevante’ Ergebnisse verschiedener Arbeiten des Verfassers zugrunde. Ausführliche Belege finden sich in der Gießener Habilitationsschrift des Verfassers: ‘Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert. Studien zur Sozialgeschichte des Alten Reiches’ (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 123/Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches 6), Stuttgart 1986, sowie in seinen folgenden Studien: Pauperes an deutschen Universitäten des 15. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Historische Forschung 8 (1981), S. 285–309; Universitätsbesuch im Reich vom 14. zum 16. Jahrhundert: Wachstum und Konjunkturen, in: Geschichte und Gesellschaft 10 (1984), S. 5–30; Sozialgeschichtliche Aspekte spätmittelalterlicher Studentenbursen in Deutschland, in: Johannes Fried (Hg.), Studium und Gesellschaft im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters (Vorträge und Forschungen XXX), Sigmaringen 1986, S. 527–564. Dem Phänomen der Migration in Reisegruppen, das im vorliegenden Beitrag nicht eigens berührt wird, ist der Vf. nachgegangen in: Studentische Kleingruppen im späten Mittelalter, in: Herbert Ludat und Rainer Christoph Schwinges (Hg.), Politik, Gesellschaft, Geschichtsschreibung. Giessener Festgabe für František Graus (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 18), Köln 1982, S. 319–361; Zur Prosopographie studentischer Reisegruppen im 15. Jahrhundert, in: Neithard Bulst und Jean-Philippe Genet (Hg.), Medieval Lives and the Historian, Kalamazoo 1986, S. 333–341, einige auch in diesem Band. Bezüge und Zitate im Text: Franz Eulenburg, Die Frequenz der deutschen Universität von ihrer Gründung bis zur Gegenwart, Leipzig 1904, S. 272, S. 67; Herbert Grundmann, Vom Ursprung der Universität im Mittelalter, Darmstadt 21960 (Ndr. 1976), S. 17, 19f.
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entsprachen, wie die des Studiums überhaupt, den sozialen Regeln der zeitgenössischen, traditionalen Gesellschaft. Andersgeartete individuelle Erfahrungen, literarische Zeugnisse zumeist, die im reisenden Studenten den exul unter den Bedingungen der Terra aliena sahen, stehen dem nicht entgegen; im Gegenteil, sie gehören dazu als Abweichung vom ‘Normalen’, vom Alltäglichen. Diese Feststellungen beruhen auf systematischen, quantitativen und qualitativen prosopographischen Analysen der allgemeinen Matrikeln der deutschen Hochschulen des 14. und 15. Jahrhunderts. Vierzehn Universitäten, die man als solche akzeptierte, hat es am Ende des Mittelalters gegeben, zwölf davon haben seit der Gründung Matrikeln geführt und darin bis zum Jahre 1500 mehr als 200 000 Besuchernamen verzeichnet: Wien (1365/1385), Heidelberg (1386), Köln (1388), Erfurt (1392), Leipzig (1409), Rostock (1419), Löwen (1426), Greifswald (1456), Freiburg (1460), Basel (1460), Ingolstadt (1472) und Tübingen (1477). Universitätsmatrikeln zählen neben den päpstlichen Supplikenregistern und den städtischen Neubürgerbüchern zu den bedeutendsten seriellen Quellen des Mittelalters. Sie führen über das engere Genre der Universitätsgeschichte weit hinaus und sind Quellen höchsten Ranges für die allgemeine Sozial- und Demographiegeschichte. In der Matrikelanalyse lassen sich Zehntausende von individuellen Entscheidungen zum Hochschulbesuch so zusammenfassen und verdichten, daß ganz bestimmte Verhaltens- und Bewegungsmuster, | darunter auch die der Migration, sichtbar werden. Für das Muster der Studentenwanderungen scheinen im wesentlichen vier verschiedene Faktoren beziehungsweise Faktorenbündel verantwortlich gewesen zu sein: (1) die wachsende Frequenz der Studentenzahlen im Laufe des 15. Jahrhunderts, (2) die zyklische Struktur des Universitätsbesuchs, (3) die räumliche Organisation universitärer Einzugsbereiche, (4) die soziale und sozialräumliche Herkunft der Universitätsbesucher. Es versteht sich, daß alle vier Faktoren aufs engste miteinander zusammenhingen. Die wachsende Frequenz der Studentenzahlen Seit der Gründung der ersten Universität auf Reichsboden, 1348 in Prag, wuchsen die Studentenzahlen im Reich – ich nenne sie ‘Reichsfrequenz’ –
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aufs Ganze gesehen ständig an. Am Ende des Mittelalters hatten sich bereits eine Viertel Million ‘Deutscher’ studienhalber in Europa bewegt. Ein besonderes Gewicht erhält die trendstarke ‘Reichsfrequenz’ aber erst vor dem Hintergrund der allgemeinen Bevölkerungsentwicklung. Bekanntlich sank die Bevölkerung des Reiches infolge der wiederholten Pestwellen zwischen 1348 und ca. 1450 stark ab, stagnierte dann und stieg erst im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts allmählich wieder an. Universitätsbesuch und Bevölkerungsentwicklung verliefen demnach jahrzehntelang in entgegengesetzter Richtung. Die durchschnittliche Wachstumsrate der ‘Reichsfrequenz’ erreichte trotz der weitgehend depressiven Demographie beachtliche 1,75 Prozent pro Jahr (berechnet zwischen 1385 und 1505). Der Anteil der Studentenschaft an der Bevölkerung des Reiches war also deutlich überproportioniert. Aber ganz so stetig, wie es die Wachstumsrate nahelegt, wuchs die Universitätsbesucherschaft nicht. Es sind vielmehr neben der ‘normalen’ Oszillation unterschiedlich starke Wachstumsschübe feststellbar. Um nämlich die dreifache Ausgangsfrequenz zur Basis 1400 zu erreichen, bedurfte es einer Laufzeit von 40 Jahren; um das Dreifache noch einmal zu erreichen, waren dann jedoch weitere 70 Jahre notwendig, obwohl sich die Zahl der deutschen Hochschulen in diesem Zeitraum nahezu verdoppelt hatte. Seit den achtziger Jahren des 15. Jahrhunderts, schon lange also vor dem tiefen Einschnitt der Reformation, geriet das Wachstum der ‘Reichsfrequenz’ ins Stocken, ungefähr zur gleichen Zeit, als die Bevölkerung langsam wieder zunahm. Inzwischen besuchten im Schnitt über 2 500 Personen jährlich neu die Hochschulen des Reiches, ohne daß dieser hohe Angebotsdruck durch eine Bedarfslenkung der (Aus-)Gebildeten an den | Höfen, in den Städten, in Schulen und 143 Gerichten oder im Pfründengebäude der deutschen Kirche aufgefangen wurde. Man kann diese Situation als die ‘erste Überfüllungskrise’ der deutschen Universitäten beschreiben. Der Frequenz des Universitätsbesuchs entsprach naturgemäß die Frequenz der studentischen Wanderungen. Immer mehr Personen waren unterwegs; die Aussagen der Matrikeln lassen sich leicht durch Geschichtsschreibung, Dichtung und autobiographische Zeugnisse illustrieren und ergänzen. Es wäre jedoch falsch, diesen Sachverhalt durch den traditionellen Begriff des ‘fahrenden Scholarentums’ zu kennzeichnen. Man versteht darunter gemeinhin das Umherziehen der Studenten von Universität zu Universität, von Schule zu Schule oder auch von der Schule zur Artistenfakultät einer Universität und umgekehrt, denn Zugangsnormen jenseits moralischer Erwartungen kannte das Mittelalter nicht. Diese Art des Fahrens war jedoch absoluten Minderheiten
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eigen. In der Literatur zeugen dafür nur mehr oder weniger prominente ‘Wandervögel’; die Masse verhielt sich ganz anders. Unter studentischer Migration ist je nach Universität zu 80 bis 90 Prozent lediglich die Reise zwischen Herkunfts- und Hochschulort zu verstehen, unabhängig von der Häufigkeit der Hin- und Herreisen. Das heißt, daß nur 10 bis 20 Prozent der Studenten eine zweite Universität aufgesucht haben, darunter gerade 2 bis 5 Prozent, die darüber hinaus an weitere Hochschulen gewechselt haben, also wirklich ‘Fahrende’ gewesen sind. Schon angesichts dieser Zahlen kann die romantische Vorstellung und das Schlagwort von den ‘fahrenden Scholaren’ getrost beiseite gelegt werden. Von einheitlichen Wachstums- und Migrationsvorgängen, wie sie die ‘Reichsfrequenz’ als eine fiktive Größe zu suggerieren scheint, kann allerdings keine Rede sein. In der deutschen Universitätslandschaft zeichnete sich bereits eine außerordentliche Vielfalt ab. Große Universitäten nach mittelalterlichen Dimensionen, Universitäten also mit hoher Anziehungskraft, siedelten in Wien, Erfurt, Leipzig, Köln und Löwen; mittelgroße besaß man in Heidelberg und Rostock, denen sich im späten 15. Jahrhundert noch Ingolstadt anschloß, während Greifswald, Freiburg, Basel und Tübingen stets kleinere Hochschulen beherbergten. Entscheidend für diese Unterschiede waren in erster Linie die Qualitäten der Universitätsstädte als Städte sowie der Rang des Raumes, in dem sie zentralörtliche Funktionen besaßen. Die großen Hochschulen lagen allesamt in mittelalterlichen Großstädten. Alle galten sie als bedeutende Handels- und Gewerbestädte, Markt- oder Messeplätze, eingebettet in ein dichtes wirtschaftsgeographisches Verkehrsnetz, günstig gelegen und 144 günstig zu erreichen | in Räumen, in denen zudem Landesausbau und Urbanisierung relativ weit fortgeschritten waren. Hinzu kommt, daß sie Herrschaftsräumen angehörten oder von ihnen umgeben waren, die im Prozeß der Territorialisierung des Reiches seit dem 14. Jahrhundert besonderen Erfolg in der Optimierung von Herrschaft hatten. In jeweils abgestufter Weise gelten alle diese Argumente auch für die mittleren und kleineren Hochschulorte. Diese Größenordnung war jedoch kein starres Gefüge. In keiner Universität gab es einen kontinuierlichen und reibungslosen Anstieg der Besucherzahlen. Wachstums-, Stagnationsoder auch Rezessionsphasen wechselten einander ab; infolgedessen änderten sich öfters auch die absoluten Größenpositionen. Dabei glichen die Wachstumsvorgänge von Niveau zu Niveau einer wiederholten Wellenbewegung, die die Universitätslandschaft des Reiches in einer relativ langen Zeitspanne mit örtlich unterschiedlicher Wirkung über-
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flutete. Die Wellen nahmen ihren Ausgang stets zunächst im Süden des Reiches (Wien) und endeten nach einer ‘Laufzeit’ von 10 bis 15 Jahren, aus dem mittel- und norddeutschen Raum (Erfurt, Leipzig, Rostock) abschwenkend, im Westen (Köln, Löwen). Nach 1450 änderte sich die Bewegungsrichtung fast völlig ins Gegenteil. Das Schwergewicht des Universitätsbesuchs, eine verstärkte und raschere Zuwanderung, hatte sich nach Westen verlagert, in jenen Raum hinein, der ökonomisch und demographisch ohnehin in dieser Zeit zu den führenden Regionen des Reiches zählte. Die neuen, nach der Jahrhundertmitte gegründeten Universitäten (Greifswald, Freiburg, Basel, Ingolstadt und Tübingen) konnten sich allesamt in dieses System des Wachstums nicht oder nur sehr mäßig einführen. Es blieb bis zur Reformation im Prinzip eine Angelegenheit der großen, alten Hochschulen des 14. und frühen 15. Jahrhunderts, mit Löwen und Köln an der Spitze. Die zyklische Struktur des Universitätsbesuchs Man kann im Auf und Ab der Studentenzahlen des 15. Jahrhunderts und damit auch im Strom der studentischen Migration der Zeit eine prozeßhafte Bewegung erkennen. Dabei läßt sich nachweisen (mit Hilfe der sogenannten Spektralanalyse von Zeitreihen), daß die zum Beispiel in der ‘Reichsfrequenz’ konzentrierte Entscheidung von über 200 000 Personen, eine Hohe Schule aufzusuchen, in zyklischen Bahnen verlief. Den dominierenden Zyklen entsprachen im Laufe des 15. Jahrhunderts Perioden von 13,3 bis zu 2,2 Jahren durchschnittlicher Länge. Wir haben es hier mit einer zyklischen Prozeßstruktur zu tun, in der sich längere und kürzere Zyklen überlagern. Innerhalb des Prozesses hat es demnach auch konjunkturbedingte Schwankungen gegeben, und diese sind für das Erscheinungsbild der Studentenwanderungen ebenso konstitutiv 145 gewesen wie das Wachstum der | Studentenzahlen. Man wird indessen nicht annehmen können, daß sich das zyklische Bild über das ganze 15. Jahrhundert hinweg auf einen einzigen Prozeß zurückführen ließe; vielmehr dürften sich die Bedingungen dafür im Laufe der Zeit erheblich verändert haben. Legt man zum Beispiel einen Schnittpunkt in die Jahrhundertmitte, dann entstehen Teilprozesse, die in der Tat ein so auffallend unterschiedliches zyklisches Bild bieten, daß man auf gravierende strukturelle Verschiebungen von einem Zeitabschnitt zum anderen schließen muß. Von einem einzigen Entwicklungsprozeß kann also keine Rede sein, was streng genommen
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natürlich auch für die Teilprozesse vor und nach 1450 gilt, die ebenfalls noch entzerrt werden müssen. Als Ergebnis ist dann festzuhalten, daß sich der zyklische Prozeß der ‘Reichsfrequenz’, das heißt also des gesamten Hochschulbesuchs im Reich, während des Untersuchungszeitraums wahrscheinlich viermal geändert hat. Strukturverschiebungen im Wechsel von Aufschwung und Stockung kennzeichnen die folgenden Zeitabschnitte: Die erste Phase erstreckt sich vom ausgehenden 14. Jahrhundert (Stichjahr 1385) bis ca. 1430; man kann ihr Zykluslängen von 6 bis 11 Jahren, in Begleitung allerdings von kurzen 2,9 Jahresschwankungen, zuordnen. In der zweiten Phase von ca. 1430 bis 1450 werden diese kurzen, heftigen Schwankungen von knapp 3 Jahren dominant, und der Prozeß damit krisenhaft verzögert. Nach der Jahrhundertmitte zeichnet sich dann die dritte Phase zwischen 1450 und ca. 1480 ab, die eigentliche take-off-Phase des spätmittelalterlichen Hochschulzugangs, mit ausgesprochen immatrikulationsintensiven Jahrgängen. Ihr sind mit großer Wahrscheinlichkeit Zyklen von 7,2 Jahren durchschnittlicher Dauer in exklusiver und ziemlich regelmäßiger Folge zuzuschreiben. Wiederum völlig anders verläuft die vierte Phase von ca. 1480 bis ins beginnende 16. Jahrhundert (Stichjahr 1505). Der Universitätsbesuch scheint mehr noch als in den dreißiger und vierziger Jahren ‘aus dem Rhythmus’ gekommen zu sein. Durch das bekannte kurzfristige, relativ heftige Schwanken wird eine Krise beziehungsweise eine weitere Stockungsphase deutlich signalisiert. Mit alledem erweist sich die Prozeßstruktur der ‘Reichsfrequenz’ im Zeitverlauf als eine Veränderliche, und zwar so, daß man die verschiedenen zyklischen Verlaufsmuster und die markanten Wendepunkte um 1430, 1450 und 1480 sogar als Periodisierungskriterien beanspruchen darf – unbeschadet einer gewissen Toleranzbreite, die den Frequenzen der einzelnen Universitäten zuzugestehen ist; denn keine Universität – so kann man sagen – hatte zur gleichen Zeit Konjunktur. Trotz der zyklischen Variationen läßt sich aber ein gewisses Grundmuster erken146 nen: Zyklen | von ca. 7 bis 11 Jahren entsprechen der Juglar-Länge, die kurzen, rund 2– bis 5jährigen Schwankungen genügen dem Typ der Kitchinzyklen; beide sind vor allem im agrarischen und demographischen Sektor immer wieder zu finden. Mit Hilfe der jeweils dominanten Zykluslängen kann man sogar eine ‘konjunkturzyklische Hierarchie’ der Zuwanderungen zu den einzelnen Universitäten erstellen und dann für die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts drei Gruppierungen im Reich unterscheiden:
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I Juglars (7–11 J.)
II Kitchins 1 (3–5 J.)
III Kitchins 2 (2–3 J.)
Löwen Köln Heidelberg Basel (Tübingen)
Wien Freiburg Rostock Greifswald
Erfurt Leipzig Ingolstadt
Diese Gruppierungen offenbaren eine ziemlich einhellige und zudem plausible strukturelle Hierarchie. Juglarzyklen, die ein weniger hektisches Auf und Ab indizieren, konzentrieren sich auf Stationen, die mit Ausnahme Tübingens dem großen rheinischen Rekrutierungsraum, entlang also der Hauptverkehrsader des Reiches angehören. Hier lag ja auch das Schwergewicht des Wachstums der Studentenzahlen. Bemerkenswert ist in Gruppe I vielleicht nicht so sehr das ‘Anhängsel’ Tübingen (Zykluslänge 6,7 Jahre), als vielmehr die Tatsache, daß Freiburg sich im Gegensatz zu Basel nicht in die Reihe der ‘rheinischen Stationen’ eingegliedert hat. Freiburg bildet in Gruppe II zusammen mit Wien eine strukturelle Einheit, so wie im Nordosten des Reiches Rostock und Greifswald. Trotz der geographischen Nähe unterschieden sich die Wanderungen nach Freiburg und Basel in jeder Hinsicht – in der Quantität, im Trend und in den zyklischen Strukturen. So muß man wohl vermuten, daß die den Prozeß des Zugangs steuernden Faktoren in Freiburg – unabhängig von den unterschiedlichen Dimensionen – die gleichen gewesen sind wie in Wien. Möglicherweise haben politischadministrative wie auch sozial-ökonomische Relationen innerhalb der habsburgischen Herrschaftsklammer diesen Gleichlauf verursacht. In Gruppe III sind solche politischen und wirtschaftlichen Relationen auch auf die strukturelle Einheit des Universitätsbesuchs in Erfurt und Leipzig zu beziehen. Die bayerische Hochschule zu Ingolstadt scheint dagegen universitätslandschaftlich isoliert gewesen zu sein, obgleich die drei | Hohen Schulen, zu einem Dreieck zusammengefügt, ein 147 Kerngebiet gleichsam in der Mitte des Reiches erfassen und zudem einander durch das gemeinsame Muster sehr kurzer und sehr intensiver zyklischer Prozesse verbunden sind, die sonst nirgends im Reich die Zuwanderungen geprägt haben. So zeigt sich, daß der Universitätsbesuch im Reich im Überblick der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts nicht nur phasen- und raumverschoben, sondern von West nach Ost auch konjunkturell unterschiedlich
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akzentuiert gewesen ist. Das alles heißt letzten Endes, daß die Gründe für die hier aufgezeigte spezifische Mobilität der Studenten mit den inneren Verhältnissen der einzelnen Hochschulen nichts zu tun haben können, sie vielmehr außerhalb gesucht werden müssen. Gemeint sind dabei nicht in erster Linie die äußerlich auffälligen Ereignisse wie Kriege, Aufstände und Epidemien; hinter dem zyklischen Verlauf des Hochschulzugangs standen vermutlich ausschlaggebend die Agrarpreiszyklen und damit der gesamte Faktorenkomplex von elementaren klimatischen Bedingungen bis zu politisch-administrativen Maßnahmen, der für Markt und Preisbildung in der agrarwirtschaftlich bestimmten Gesellschaft des späten Mittelalters verantwortlich ist. Unter Einfluß regionaler und überregionaler Komponenten korrelierten Hochschulbesuch und hochschulörtliche Marktsituation – in der Regel in gegenläufiger Konjunktur. Den Aufschwungphasen der Frequenzen standen Niedrigpreisphasen, und den Stockungsphasen der Frequenzen standen Hochpreisphasen gegenüber. Getreidepreise entschieden je nach guter oder schlechter Ernte über die Bereitschaft zum Universitätsbesuch oder sogar über den Status der Besucher. Hochpreisphasen drückten die Frequenzen und/oder ließen zugleich die Zahl der armen Studenten über Gebühr anschnellen. Die vorreformatorische ‘Überfüllungskrise’, die sich seit den achtziger Jahren in einer Stockungsspanne der ‘Reichsfrequenz’ und zugleich in einer Hausse der Getreidepreise angezeigt hatte, gewinnt damit auch einen scharfen sozialen Akzent. Daß aber der Zugang zu den Hochschulen von elementaren Ereignissen wie den Erntezyklen vermutlich sogar wesentlich gesteuert worden ist, mag vielleicht als Ergebnis gerade im Zusammenhang mit Stätten der Bildung nicht sehr befriedigen. Man muß sich aber klar machen, daß auch die “geistigen Dinge” zunächst einmal dem Verkehrsweg folgen (Franz Eulenburg). Die räumliche Organisation universitärer Einzugsbereiche Bei der bisher betrachteten Konstellation der Hochschulzuwanderung wirkten noch zwei weitere Faktoren mehr oder weniger beschleunigend oder verzögernd mit: zum einen die jeweilige regionale Existenz der 148 Hochschule und die | weitere räumliche Organisation ihres Einzugsbereichs, Größen, die selbst wiederum einen Komplex von örtlichen Wirkungsfaktoren beinhalteten; so riefen zum Beispiel örtlich unterschiedliche Preisreihen auch unterschiedliche Immatrikulationsreihen
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hervor, von extremen Schwankungen (Wien, Ingolstadt) bis zu jahrzehntelanger Stagnation (Rostock, Greifswald); zum anderen das soziale Gefüge der Universitätsbesucherschaften sowie ihre Verflechtung in den Hochschulen, was Konjunkturanfälligkeit keineswegs ausschloß. Zunächst aber zum räumlichen Faktor. Die Dimensionen des Einzugsbereiches und der räumlichen Organisation waren wesentlich durch das geprägt, was ich die regionale Existenz einer universitären Personengemeinschaft nennen möchte. Dabei folgte die Regionalität der Hochschule größtenteils der Regionalität der Stadt. So wie diese als zentraler Ort das soziale, wirtschaftliche und kulturelle Leben einer Region koordinierte, so beanspruchte auch die Universität eine Kernlandschaft, in der sie nach der Gründung sozial verwurzeln und dadurch auf Dauer überleben konnte. Erfolgreiche Universitäten verfügten in diesem Sinne über eine breite und sichere regionale Basis, dehnten diese über einen längeren Zeitraum erst allmählich aus und reagierten dabei fortwährend auf ein sich wandelndes Beziehungsnetz, das Universität und Universitätsstadt mit der näheren und ferneren Umwelt verknüpfte. Man hat diese Grundstruktur der universitären Regionalität gelegentlich als Enge mißverstanden, was doch Nähe heißen müßte und mit Provinzialität im pejorativen Sinne nichts, mit der Funktionalität des umgebenden Raumes aber sehr viel zu tun hat. Alles, was über diese Grundkonstellation hinausging, war etwas Besonderes und bedarf gesonderter Erklärung. Es hatte einen ‘Satellitencharakter’, der sich stets als sehr viel veränderlicher erwies als die Kernlandschaft. Zur Illustration sei das Beispiel der Kölner Universität, der expansivsten Universität des ausgehenden Mittelalters, verwendet. Kölns Kern bestand aus den drei Diözesen Köln, Utrecht und Lüttich, mit dem Schwergewicht auf den bedeutenden niederrheinisch-westfälischen, maas- und holländischen Territorien innerhalb dieser Einheiten. Schon die ersten Jahrgänge – ich nenne sie ‘Eröffnungsklientel’, um anzuzeigen, daß sie nicht ganz zufällig zusammengesetzt sind – bauten ihn systematisch aus, so daß die Region, die sich im wesentlichen schon mit dem Ein- und Ausstrahlungsgebiet der großen Handels- und Hansestadt deckte, die Universität sogleich annahm. Für die Folgezeit kann man drei Entwicklungsphasen unterscheiden: Erstens eine Frühphase bis 1425/35, die ganz der Sicherung der regionalen Existenz und dem Aufbau eines dichten Beziehungsnetzes diente. | Zweitens eine Ausbau- und Konsolidierungsphase bis 1475/85, 149 in der sich der Einzugsbereich von der stabilen Region ausgehend
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nunmehr nach allen Seiten ins Reich hinein ausdehnte. Dieser im wesentlichen von einzelnen Zuwanderern gespannten Weite entsprach aber noch keine angemessene Frequenz. Das änderte sich erst in der dritten Phase, der ‘Überregionalisierungsphase’ in den beiden letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts, in denen zum ersten Mal die Rekrutierung aus dem Kernraum von einer überregionalen Migration übertroffen wurde. Bemerkenswerterweise stimmten diese drei Ausdehnungsetappen in ihrer Chronologie mit den Trendverlagerungen und konjunkturellen Verschiebungen der Kölner Frequenz überein. Damit wird klar, daß Wachstum und Prozeßstrukturen des Besucherstromes auch von verschiedenen ‘frequenzräumlichen’ Entwicklungen abhängen. Über die Darstellung der Phasenentwicklung und der Gestaltung eines Einzugsbereichs hinaus kann man auch den lokalen Hintergrund eines jeden Universitätsbesuchers wie in einem raum- und ortstypisch qualifizierten Relief erfassen. Alle Faktoren, von der bloßen Beschaffenheit eines Ortes als Stadt, Markt, Dorf, Kloster- und Burgbezirk über Einwohnerzahlen, Wirtschafts- und Verkehrsverhältnisse bis zum komplizierteren Charakter der Herrschafts- und Besitzverhältnisse, einschließlich der Frage nach Stabilität und Kontinuität von Herrschaft am Ort, signalisierten ihren Einfluß auf den Zugang zur Universität. Für den vorliegenden Beitrag zwingt allerdings die Fülle der Beobachtungen zur Auswahl. Universitätsbesuch war im wesentlichen eine städtische Angelegenheit. Am Ende des 15. Jahrhunderts stellte bereits jede zweite Stadt des Reiches (wenn man von 4 000 Städten und Märkten reichsweit einschließlich der Niederlande ausgeht) Studenten an einer oder mehreren Universitäten von Wien bis Tübingen. Demnach wurde das Wachstum der Studentenzahlen von einem ständigen, in erster Linie städtischen Verdichtungsprozeß der reichsweiten Herkunftslandschaft begleitet. Der Vorgang sei als ‘akademische Vernetzung’ zwar nicht der deutschen Bevölkerung, wohl aber der Städtelandschaft bezeichnet. Demgegenüber sollte man den dörflich-ländlichen Anteil am Hochschulbesuch aber nicht unterschätzen. 35 000 Dörfler von 200 000 Universitätsbesuchern waren kein “ganz verschwindendes Kontingent” (Franz Eulenburg). Zwar hat man im Universitätssystem naturgemäß mit starken regionalen Beteiligungsschwankungen der Dörfler zu rechnen, doch gab es ähnlich dem städtischen, wenngleich viel grobmaschiger, auch einen dörflich-ländlichen Konzentrationsprozeß, vor allem in den Kernräumen der Universitäten, im Falle Kölns schwerpunktmäßig sogar 150 in den bedeutenderen | linksrheinischen Territorien.
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Als typischer Herkunftsort im Kölner Einzugsbereich hat sich im Laufe des 15. Jahrhunderts die kleine bis mittlere Stadt herauskristallisiert, in erster Linie sogar die Kleinstadt mit bis zu 2 000, dann erst die mittlere Stadt mit bis zu 5 000 Einwohnern. Bemerkenswert ist, daß dieser Typ ein ‘Prozeßtyp’ war. Vor allem die Besucher kleinstädtischer Herkunft gaben in Köln am Ende des Jahrhunderts den Ton an, nachdem sie sich gegenüber den schon in der Frühphase der Universität dominanten und kondominanten Großstädtern durchgesetzt hatten. Mit dem Durchbruch der Kleinstadt, der im übrigen nicht auf Köln allein beschränkt blieb, verband sich auch eine Verschiebung des wirtschaftlichen Hintergrundes von großstädtischem Handel und Gewerbe zu kleinstädtischen, überwiegend landwirtschaftlich geprägten Formen auch in Handel und Gewerbe. Die räumliche Herkunft der Studenten war damit insgesamt ‘ländlicher’ geworden; einschließlich der Dörfler kann man mehr als die Hälfte von ihnen in dieser Weise bezeichnen. Zusammen mit den mittleren Handels- und Gewerbestädten waren diese landwirtschaftlich orientierten Kleinstädte seit ca. 1450 die ‘tragenden Säulen’ des Einzugsbereichs, insbesondere aber des Kernraums. Typisch für sie beide und offenbar migrationsanregend war außerdem noch, daß sie der Stadtentstehungsschicht des 13. Jahrhunderts angehörten, mehrheitlich schon als Verwaltungsmittelpunkte geistlicher oder weltlicher Landesherren fungierten, deren Herrschaft das 15. Jahrhundert kontinuierlich überdeckte, und daß sie über ein älteres, vor 1400 eingerichtetes, geistliches oder städtisch-bürgerliches ‘Schulwesen’ verfügten. Die soziale und sozialräumliche Herkunft der Universitätsbesucher Räumliche Herkunft war immer auch sozialräumliche Herkunft, was sich im Kernbereich und in der Nähe einer Universität besonders manifestierte. Zur grundsätzlichen Differenzierung der Universitätsbesucherschaft in solche Studenten, die schon ‘jemand waren’, und solche, die ‘nichts oder noch nichts waren’, gesellen sich damit zwei weitere Unterscheidungsmerkmale von weitreichender sozialer Bedeutung: Die einen standen der Universität nahe, die anderen ihr fern. Das soziale Gefüge der Besucherschaft wurde dadurch in besonderer Weise pointiert, daß diejenigen, die schon Würden und Positionen
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innehatten in großer Mehrheit auch jene waren, die der Universität im sozialräumlichen Sinne nahe standen. Die gesellschaftliche Umwelt fand ihr Spiegelbild in der Universität wieder. Vorrechte, die aus den Qualitäten der Abkunft, des hohen Ansehens in Kirche und Gesellschaft, der Wohlhabenheit und Zahlungskräftigkeit in den Hochschulen resul150 tierten, und Vorteile, die einfach aus der Nähe erwuchsen, | gingen eine fruchtbare Symbiose ein. Dies war die soziale Wirklichkeit der mittelalterlichen Universität; von einer egalitären und harmonischen akademischen Gemeinschaft (z.B. Herbert Grundmann) – einer Insel im Meer der Ungleichheiten – kann gar keine Rede sein. Vielmehr trug jeder einzelne Besucher seinen persönlichen und familiären Rang in die universitäre Gemeinschaft hinein und suchte ihn dort zu behaupten, darzustellen oder im Rahmen des sozial Zulässigen zu erweitern – unter selbstverständlicher Nutzung von Vorrechten und Patronage. Nahtlos war die Universität in die traditionalen Sozialformen von Verwandtschafts- und Klientelsystemen einbezogen. Man kann einfach sagen, die Universitäten funktionierten als societal communities. Universitäten setzten sich aus verschiedenen Gruppen, Teileinheiten und Schichten zusammen, deren Größenordnung, Herkommen, Einfluß, soziales Gewicht und Verhalten im Verlauf des 15. Jahrhunderts sehr uneinheitlich waren. Die Vielzahl der Beobachtungen kann auch hier nicht mit wenigen Worten auf einen Nenner gebracht werden. Klar zeigt sich jedoch, wie stark das soziale Gefüge der Universität in seiner ganzen Verästelung für das Erscheinungsbild der Frequenz mitverantwortlich gewesen ist. Schicht- und gruppenspezifische Reaktionen auf die Einflußfülle aus ‘Herkunftswelt’ und Hochschulort bildeten Komponenten von Wachstum und Konjunkturen. Abgesehen vom hohen Adel, dessen Herkommen – nehmen wir wieder das Kölner Beispiel – sich stets eher mit dem Einzugsbereich des Domstifts als dem der Universität deckte, stammten alle übrigen Studierenden, die schon in Amt und Würden waren – Stiftsherren, Pfarrer, Presbyter, Notare oder Schullehrer – in weit überwiegender Mehrheit aus dem Kern- oder Naheraum der Kölner Hohen Schule. Dies gilt in höchstem Maße auch für die ‘besondere Klientel’ der Protegierten. Ein dichtes sozialräumliches Netz aus familiae, Tischgenossenschaften und Patronageverbänden, die auf Verwandtschaft, Freundschaft und Landsmannschaft beruhten, umgab die Universität und zeigte damit, was es eigentlich hieß, eine Hochschule nach sozialen Regeln zu besuchen und nach solchen Regeln auch zu studieren. Dabei war diese exklusive Gruppe nur die Spitze des sprichwörtlichen Eisberges; die
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familiale Struktur durchzog größtenteils die gesamte Universitätsbesucherschaft. Geläufig war die ‘Magisterfamilia’, die sich nicht nach abstrakt-wissenschaftlichen, sondern in der Regel nach ‘kompatriotischen’ Motiven aufbaute. Wie selbstverständlich dies war, zeigt sich auch daran, daß die mittelalterliche Universität nie anders als durch diesen Personenverband bildlich dargestellt worden ist, durch den Magister im Kreise seiner Schüler. Die Darstellung etwa des Hauptgebäudes | als Symbol der Universität wäre dem personengemeinschaftlichen 151 Denken und Handeln der Zeit fremd gewesen. Nicht ganz so stark, doch immer noch auffallend, hatte auch die breite Mittelschicht ihren Schwerpunkt im Kernraum der Universität und trug so als zahlungskräftigste Schicht erheblich zur sozialen und wirtschaftlichen Sicherung der regionalen Existenz bei. Diese Großgruppe der divites, die man nach den Quellen eigentlich nur negativ, von dem her, was sie nicht ist, von ihren Rändern her beschreiben kann, war in sich äußerst inhomogen. Zweifellos bestand kaum ein Unterschied zur Schichtung in den Herkunftsorten – nur in der Universität komplexer dargestellt –, da jeder Besucher seinen Rang in die Hochschule hineintrug. Die jeweils stadttypischen Berufe, gekoppelt zumeist mit den durchschnittlich höheren Einkommen, dürften dabei stets die größere Universitätsnähe gehabt haben. Die divites waren Repräsentanten fast aller kollektiven Eigenschaften der Besucher, auch der in den beiden letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts so fulminanten ‘überregionalen’ Herkunft. Dabei ergab sich eine bemerkenswerte Tendenz: Kölns breite, reiche Mittelschicht stammte eher aus dem Norden als aus dem Süden des Einzugsbereichs. Man kann sogar sagen, dem reicheren Norden, was einer ‘hansischen Eigenschaft’ gleichkommt, stand ein ärmerer Süden gegenüber. Und was die Fakultäten betrifft, die sich nicht nur fachlich, sondern auch sozial aufs schärfste unterschieden – vornehme Juristen auf der einen, gewöhnliche Artisten-Theologen-Mediziner auf der anderen Seite –, so bildete sich fast exklusiv ein ‘Juristenraum’ im hansischen Norden, während die übrigen reichsweit rekrutierten. Mittellos, oft namenlos und vor allem beziehungslos standen die armen Studenten als Problemgruppe am Rande der universitären societal Community, in jeder Hinsicht benachteiligt, zum großen Teil sozial und räumlich von den übrigen Universitätsbesuchern und sogar untereinander distanziert. Ein soziales Engagement zu ihren Gunsten besaß die mittelalterliche Universität nicht; im Gegenteil: Der Weg durch die Universität war für pauperes beschwerlicher als für andere. Dennoch besuchten Arme die Hochschulen in einer konjunkturabhängigen
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Größenordnung (15–20%), die man, wieder einmal spiegelbildlich zur gesellschaftlichen Umwelt, in den allgemeinen Pauperismus des Spätmittelalters einordnen kann. Engagiert waren die Armen am ehesten selbst. Weniger als andere Gruppen ließen sie sich beim Universitätsbesuch durch äußere Einflüsse (Kriege, Pestwellen) stören – mit Ausnahme natürlich von Teuerungen. Pauperes bevorzugten die großen und vor allem billigen Universitäten mit geringerem Sozialprestige 153 in den bequem erreichbaren Großstädten des Reiches | (Wien, Leipzig, Köln), was nur bedeutete, daß sie in das sozialräumlich definierte Beziehungsnetz in der Regel nicht eingespannt waren, den Hochschulen also ferne standen. Kölns südlicher Einzugsraum war in der Tat der ‘ärmere Raum’, so daß der frequentielle Erfolg der Überregionalisierung, auch was den Durchbruch der ländlich orientierten Kleinstadt betrifft, eine sozial gesehen durchaus zweischneidige Angelegenheit war. Die Konzentration von Armen gerade in Köln, aber auch in anderen Universitäten des Nordens, und die gleichzeitige Entlastung des Südens sowie der Rückzug des Adels aus dem Norden dürften einander bedingt haben. Der weltliche und geistliche, niedere und hohe Adel mied nämlich Köln seit der Jahrhundertmitte immer mehr zugunsten der süddeutschen oder der französischen und italienischen ‘Adelsuniversitäten’, wo das soziale Klima angemessener erschien als in städtisch-bürgerlicher Umgebung – ein Schicksal, das Köln jedoch mit sämtlichen Universitäten des nördlichen Reiches von Löwen über Leipzig bis Greifswald teilte. Ebenso wie der Adel verließen auch die nichtadeligen geistlichen Würdenträger trotz der expansiven Entwicklung der allgemeinen Frequenz seit der Jahrhundertmitte zunehmend die Universität. Es war dies ein reichsweiter Vorgang, der als ‘Entklerikalisierung’ auf allen Ebenen (mit Ausnahme der Ordensstudenten), wenn auch nicht im gleichen Atemzug als ‘Verweltlichung’ zu verstehen ist. Lange noch blieben die alten kirchlichen Organisations-, Belohnungs- und Lebensformen über die Reformation hinaus in der Universitätsbesucherschaft des Reiches intakt. Das alte Schlagwort vom ‘fahrenden Scholaren’ traf, wie schon angedeutet, auf die deutschen Universitätsbesucher des späten Mittelalters nicht zu. Der Hochschulwechsel spielte kaum eine Rolle. Folglich kam es in der deutschen Universitätslandschaft auch nicht zu nennenswerten Austauschvorgängen zwischen den Universitäten. Große Hochschulen wie Köln drängten sich zwar in ‘fremde’ Einzugsbereiche hinein, ohne jedoch ihr überregionales Ausgreifen auf Kosten der anderen Hochschulen zu erzielen. Die Mobilisierung von universitären Regionen und
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die Mobilität von Universitätsbesuchern waren, was die Zielorte betrifft, keineswegs identische Vorgänge. Alte Fernbindungen und allgemeine soziale und wirtschaftliche Verhältnisse zeigten sich bei Gelegenheit wirksamer als die Anziehungskraft der nächstgelegenen Universität, was zum Beispiel die schottischen, dänischen oder preußischen Studenten in Köln oder Löwen zur Genüge bewiesen, oder auch die armen Studenten, die zum Beispiel aus dem fränkischen Kernraum der Erfurter Universität kommend an dieser teuren Hohen Schule vorbeizogen und sich lieber in Leipzig immatrikulierten, das dafür aber bei Standesleuten als Bildungsstätte ‘armer Leute | Kind’ verschrien war. Universitäten 154 eroberten sich ihren Raum, indem sie ‘Bildungsreserven’ ausschöpften. So führte die Gründung Löwens (1426) keineswegs zum Niedergang Kölns, nicht einmal zu einem kurzfristigen; beide standen im ausgehenden Mittelalter nach der Frequenzgröße vielmehr an der Spitze aller deutschen Universitäten. Der bedeutende rheinische Großraum konnte sich eben zwei Universitäten leisten. Hochschulwechsel waren keine Massenerscheinung; in erster Linie waren sie ein sozialer Akt, der an der gesellschaftlichen Stufenleiter gemessen werden muß. Mobilität und Reisen über eine Universität hinaus kann als Herrenverhalten interpretiert werden. Der Adel und die hohen geistlichen Würdenträger wechselten am häufigsten, die pauperes am geringsten. Wer durch das Medium der Universität etwas werden wollte, tat ohnehin gut daran, am Ort oder in der Nähe zu bleiben und sozial zu verwurzeln. Bei allen Wechslern jedoch – mit Ausnahme der Armen – blieb das Netz der sozialräumlichen Beziehungen, in dem zumeist die Ausgangsuniversität das Zentrum bildete, weitgehend erhalten; mit anderen Worten, die Wahl des neuen Hochschulortes war keineswegs zufällig. Man bewegte sich, zum Beispiel von Köln aus gesehen, weiterhin im rheinischen Raum und zog in der Regel nach Heidelberg oder Löwen. Personen vornehmeren Standes aus Adel und städtischem Honoratiorentum bevorzugten dagegen einerseits den Weg nach Basel und von dort aus weiter ins Ausland, nach Orléans oder Bologna, Siena und Ferrara oder andererseits die Wege nach Erfurt oder Rostock. Hinter beiden Richtungen standen sowohl juristische als wohl auch stadtbürgerlich-geschäftliche Interessen. Arme Studenten bewegten sich dagegen lediglich auf der Linie Löwen, Köln und Leipzig. Man sieht nun, daß im Zusammenwirken der vier genannten Faktorenbündel von den elementaren agrar-ökonomischen Bedingungen bis ins sozialräumliche Gefüge einer Gesellschaft, die man von ihren Werten her als traditional versteht, die studentische Migration im Mittelalter
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kein regelloses oder gar ungezügeltes Unterwegssein, sondern in der großen Mehrheit ein durchaus regelhaftes Bewegungsmuster gewesen ist. Erst vor diesem Hintergrund werden die Abweichungen an beiden Polen der Gesellschaft, was Adel und Armut betrifft, in ihrer Verhältnismäßigkeit deutlich sichtbar.
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FRANZÖSISCHE STUDENTEN IM SPÄTMITTELALTERLICHEN REICH∗ Die Beziehungen zwischen Frankreich und dem Römisch-deutschen Reich auf dem Sektor des Universitätsbesuchs gestalteten sich während des späten Mittelalters außerordentlich einseitig. Die Ost-West-Richtung studentischer Wanderungen war überaus stark ausgeprägt. Deutsche zogen in beträchtlichem Ausmaß zum Studium nach Frankreich – nach Paris, nach Orléans, an die Universitäten des Midi, im 13. und 14., aber auch noch im 15. Jahrhundert, vor der Zeit der großen Bildungs- und Kavaliersreisen. Weder das Schisma der Papstkirche von 1378 noch die in rascher Folge entstandenen territorialen und städtischen Universitäten des Reiches, die man leichter und mit kürzeren Wegen hätte aufsuchen können, sollten etwas daran ändern. Dies hing mit alten Fernbindungen zusammen, mit gewohnten, sozialvertrauten Beziehungen, die auch sonst in Europa geradezu regelhaft vorhanden waren und Studenten aus Schottland, Skandinavien, Polen, Ungarn, Spanien oder Portugal ungehindert gleichsam von den Rändern in die Mitte führten, trotz Bestehens oder Gründens eigener Universitäten1. Ein auch nur halbwegs vergleichbarer Gegenstrom in West-Ost-Richtung ist nicht zu entdecken. Franzosen studierten nur in bescheidenem Rahmen an auswärtigen Universitäten, insbesondere, wie es scheint, an solchen des Reiches2. Trotz eines im Laufe des 15. Jahrhunderts vollausgebauten deutschen Universitätssystems bewegten sich nur wenige ∗ In: Les échanges universitaires franco-allemands du Moyen âge au XXe s. Actes du Colloque de Göttingen, Mission Historique Française en Allemagne, 3–5 novembre 1988. Textes réunis par Michel Parisse (Éditions Recherche sur les Civilisations), Paris 1991 [1992], S. 37–54. 1 Rainer Christoph Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher im 14. und l5. Jahrhundert. Studien zur Sozialgeschichte des Alten Reiches, Stuttgart 1986, S. 26ff., 234ff. mit weiterer Literatur; ders., Student Life, Student Education, in: Walter Rüegg (Hg.), A History of the European Universities in Society, Bd. 1, Cambridge 1989, Kap. 7; Hilde de Ridder-Symoens, Student Mobility in the Middle Ages, ebd., Kap. 9. 2 Am ehesten waren noch Beziehungen zu Italien gegeben; vgl. Jacques Verger, Les rapports entre unversités italiennes et universités françaises méridionales (XIIe–XVe siècles), in: Università e società nei secoli XII–XVI, nono Convegno Internazionale Pistoia 1982, S. 145–172; ders. (Hg.), Histoire des Universités en France, Toulouse 1986, bes. S. 77–108 mit Literatur. Erste Bemerkungen über Franzosen an der Universität Köln bei Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 234f.
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Personen studienhalber von West nach Ost. Dies mag begreiflich erscheinen lassen, warum sich dem Thema noch nie jemand gewidmet hat3. Zwischen den Jahren 1395 und 1495 lassen sich unter den immatrikulierten Besuchern deutscher Universitäten Franzosen in einer Größenordnung von nicht mehr als einem Drittel Prozent (genau 0,32 Prozent) 38 erfassen. Unter Franzosen | verstehe ich nicht ‘Sprachfranzosen’, sondern ‘politische Franzosen’ jenseits der Grenze des Römisch-deutschen Reiches zu Frankreich, nicht also die so genannten Reichsromanen aus Diözesen wie Metz, Toul, Verdun oder Besançon4. Grundlage der prozentualen Feststellung ist eine Stichprobe, die in Zehn-Jahres-Schritten von 1395 bis 1495 aus sämtlichen Matrikeln deutscher Universitäten des späten Mittelalters gezogen wurde. Für das Anfangsjahr 1395 standen bereits vier Matrikeln zur Verfügung, die der Universitäten von Wien, Heidelberg, Köln und Erfurt; biszum Endjahr 1495 kamen weitere acht hinzu, die Matrikeln der Universitäten von Leipzig. Rostock, Löwen, Greifswald, Freiburg im Breisgau, Basel, Ingolstadt und Tübingen. Die 1473 und 1477 eröffneten Universitäten Trier und Mainz haben dagegen keine allgemeinen Verzeichnisse ihrer Besucher hinterlassen. Das gleiche gilt mit Ausnahme der Juristenuniversität für das Prager Generalstudium von 1348. Die genannte Stichprobe, mit der ich seit Jahren arbeite, umfaßt mit einer Fülle von sozialen Daten rund 18 000 Personen, die ihrerseits rund 200 000 immatrikulierte Universitätsbesucher des Reiches vertreten. Die Stichprobe ist auch im historischen Sinne repräsentativ, da die ausgewählten Jahrgänge 3 Die scheinbar einschlägigen Arbeiten von Astrik Ladislas Gabriel beziehen sich größtenteils auf Europäer, die in Paris als Angehörige der Englisch-deutschen Nation studierten und deren Migration folglich eine reine Rückwanderung war, z.B.: Les étudiants étrangers à l’université de Paris au XVe siècle, in: Annales de l’Université de Paris 29 (1959), S. 377–400; ders., „via antiqua“ and „via moderna“ and the Migration of Paris Students and Masters to the German Universities in the Fifteenth Century, in: Albert Zimmermann (Hg.), Antiqui und Moderni. Traditionsbewußtsein und Fortschrittsbewusstßein im späten Mittelalter, Berlin/New York 1974, S. 439–483; ders., Intellectual Relations between the University of Louvain and the University of Paris in the 15th Century, in: Jozef Ijsewijn and Jacques Paquet (Hg.), The Universities in the Late Middle Ages, Löwen 1978, S. 82–132. 4 Zu deren Studienaufenthalten etwa Hermann Keussen, Luxemburger auf der alten Universität Köln 1466–1796, in: Publications de la Section Historique de l’Institut Grand-Ducal de Luxembourg 62 (1928), S. 159–230; Michel Parisse, Formation intellectuelle et universitaire en Lorraine avant la fondation de l’Université de Pont-àMousson, in: Annales de l’Est (= L’Université de Pont-à-Mousson et les Problèmes de son Temps), Nancy 1974, S. 17–44; Francis Rapp, Les Alsaciens et les Universités à la fin du Moyen Age, in: Académie des Inscriptions et Belles-Lettres. Comptes Rendus des Séances de l’Année 1984, S. 250–263.
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so günstig liegen, daß sie die Entwicklung des Universitätsbesuchs in Deutschland, die Wachstumsschübe, Stagnationen und Krisen zeitgerecht und sachgerecht darzustellen vermögen – einschließlich der Besuchsfrequenz der Franzosen, deren absolute Zahl in der Stichprobe ganze 58 von 18 000 (also eben 0,32%) erreicht5. Ein Defizit ist also zu konstatieren oder, richtiger gesagt, ein zu erwartender Sachverhalt, der gar nicht anders hätte ausfallen können. Er betraf die Franzosen keinesfalls allein, sondern auch die Italiener, Iberer und Engländer, die ebenfalls an deutschen Universitäten nur sehr mäßig vertreten waren – ganz im Gegensatz zu Vielfachen von Nordund Osteuropäern, vor allem Schotten, Dänen, Polen und Ungarn, die man von Anfang an ausgiebig an verschiedenen Universitäten des Reiches antreffen konnte6. In den Personen und ihrem Verhalten spiegelten sich die großen Entwicklungsunterschiede in der europäischen Universitätslandschaft, die ihrerseits wiederum in ganz allgemeine politische, wirtschaftliche und kulturelle Zusammenhänge europäischer Entwicklungsgeschichte eingeordnet waren. Universitäten entstanden zunächst bevorzugt in West- und Südeuropa, im ‘älteren Europa’ mit antik-mediterranem Hintergrund, dann erst im ‘jüngeren Europa’ östlich des Rheinraumes, in der Mitte also, im Osten und Norden des Kontinents. Ich nutze hier die modellhafte Terminologie Peter Moraws, mit der die Entwicklungsproblematik zwischen älteren und jüngeren Zuständen auch für die Universitäten in aller Kürze angedeutet sei7. Das Besuchsverhalten potentieller Studenten
5 Zum methodischen Hintergrund: Rainer Christoph Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher im späten Mittelalter. Methoden und Probleme ihrer Erforschung, in: Hermann Weber (Hg.), Politische Ordnungen und soziale Kräfte im Alten Reich, Wiesbaden 1980, S. 37–52; ders., Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 221ff. 6 Neuere Studien von Donald E. R. Watt, Scottish Student Life Abroad in the Fourteenth Century, in: Historical Review 59 (1980), S. 3–22; Roderick J. Lyall, Scottish Students and Musters at the Unversities of Cologne and Louvain in the Fifteenth Century, in: The Innes Review 36 (1985), S. 55–73; Jürgen Oehler, Der akademische Austausch zwischen Köln und England/Schottland zur Zeit der ersten Kölner Universität, Diss. phil., Köln 1986; Jan Pinborg, Danish Students 1450–1535 and the University of Copenhagen, in: Cahiers de l’Institut du Moyen Âge Grec et Latin, Université de Copenhague 37 (1981), S. 70–122; Zusammenfassend Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 234–244. 7 Peter Moraw, Über Entwicklungsunterschiede und Entwicklungsausgleich im deutschen und europäischen Mittelalter. Ein Versuch, in: Uwe Bestmann et al. (Hg.), Hochfinanz. Wirtschaftsräume, Innovationen. Festschrift für Wolfgang von Stromer, Bd. 2, Trier 1987, S. 583–622.
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richtete sich nach solchen Vorgaben oder Rahmenbedingungen aus. Daher seien einige Bemerkungen dazu gestattet. Die europäischen Universitäten des Mittelalters kannten zwei Hauptentwicklungsepochen. Universitäten der älteren Epoche wuchsen im 39 Wesentlichen unter | einer papstgeleiteten, universalen Konzeption heran, die an nur wenigen Orten des ‘älteren Europa’ eingelöst wurde, am nachhaltigsten in Bologna und Paris. Beide Universitätsformen waren durch fachliche und vor allem soziale Schwerpunkte unterschiedlich geprägt: einerseits die südliche, in der Hauptsache italienischsüdfranzösische, elitäre Juristen-Universität, andererseits die westliche, nordfranzösische (und zum Teil auch englische) Artisten-TheologenUniversität, etwas überspitzt gesagt, eine Universität für jedermann. Beide Formen wiesen bereits im 14. Jahrhundert für mittelalterliche Verhältnisse große Studentenzahlen auf. Allein in Südfrankreich kannte man mehr als 3 000 Juristen, eine Zahl, an die man in Deutschland auch um 1500 noch kaum zu denken wagte8. Deutsche Auslandsstudenten dieser frühen Zeit hatten bei ihrer Rückkehr kaum etwas in Bewegung gebracht; dies beruhte auf dem sozialgeschichtlich bedeutsamen Tatbestand, dass die Rückkehrer meistens schon in Amt und Würden waren, bevor sie studierten, an Mobilität und Karriere via Studium kaum dachten, sondern in der Regel in ihr angestammtes Sozialmilieu in den heimischen Kirchen zurückfanden, geschmückt vielleicht nur mit einer zusätzlichen akademischen Würde9. Das sollte sich erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts allmählich ändern. Als die ältere Konzeption zerbrach – nur beschleunigt durch das Schisma der römischen Papstkirche von 1378 – traten in der folgenden jüngeren Epoche immer stärker partikulare oder territorial-nationale Kräfte an die Stelle des ursprünglichen Universalismus. Begleitet wurden sie von einer neuen Universitätsform, der klassisch gewordenen Vier-Fakultäten-Universität, die Juristen, Theologen, Mediziner und Artisten unter einem Dach vereinigte. In diesem partikularen Studium und in der Viererform begann die eigentliche Universitätsgeschichte des entwicklungsgeschichtlich ‘jüngeren Europa’ mit dem Römisch-
8 Zusammenfassend Jacques Verger (Hg.), Histoire des universités en France, Toulouse 1986, S. 95ff.; Peter Moraw, Careers of Graduates, in: Rüegg, History (wie Anm. 1), Kap. 8. 9 Vgl. z.B. Gustav Knod, Deutsche Studenten in Bologna (1289–1562). Biographischer Index zu den Acta Nationis Germanicae Universitatis Bononiensis, Berlin 1899 (Ndr. Aalen 1970).
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deutschen Reich an seiner Spitze. Das Prager Studium von 1348, das erste auf Reichsboden, war gewissermaßen die Drehscheibe im Übergang von der universalen zur partikularen Epoche. Es war zugleich ein Prüfstein für die Fähigkeit, die älteren Universitätsformen Pariser und Bologneser Prägung in einer neuen Form zu integrieren. Prag hat die Prüfung nicht bestanden. Das Zusammenbinden sozial prinzipiell unverträglicher Formen, des vornehmen, adelsverwandten Juristenmilieus mit dem anderer sozialer und fachlicher Gruppierungen funktionierte nicht oder noch nicht. Die Mehrheit stellten in Prag nicht die elitären Juristen, sondern die in der Regel minderrangigen Artisten und Theologen. Man konnte aber nicht zur gleichen Zeit in ein und derselben Universität pariserisch handeln und bolognesisch (oder auch südfranzösisch, etwa avignonesisch) denken. Dies mußte auch institutionell zu Konflikten führen. Im Jahre 1372 trennten sich die Juristen von den übrigen und gründeten die eigene universitas dominorum juristarum, die ein ebenso herrschaftliches Selbstverständnis gegenüber der verbleibenden Artisten-Theologen-Mediziner-Universität an den Tag legte wie die ‘Herren Rechtsstudenten’ Südfrankreichs und Italiens10. Gelungen ist die Integration der vier Fakultäten, d.h. vor allem der vier | fachlich und sozial unterschiedlichen Personenverbände erst 40 durch den Zugriff des vergleichsweise modernen Territorialstaates oder nationalen Staates im ‘jüngeren Europa’, durch den die Universitäten einem wesentlich höheren Verrechtlichungs – und Zentralisierungsdruck ausgesetzt waren als im Westen oder Süden des Kontinents. Weder in Wien, der im engeren Sinne ältesten deutschen Landesuniversität noch in Tübingen als der jüngsten vor der Wende zum 16. Jahrhundert wurden sezessive Bestrebungen zugelassen. Was an Distanziertheit zwischen den Fakultäten vorhanden war – und das war durchaus nicht wenig – konnte sich von obrigkeitswegen nur noch in einem symbolischen Handeln, zum Beispiel in der akademischen Kleidung, legal äussern11. So sahen Konzeption und Welt der Universität – zumal in Deutschland – am Ende schon weitlich anders aus als zu Beginn der Universitätsgeschichte im älteren Europa. Auswärtige Studenten, gleichgültig woher und wohin, wandelten also immer zwischen verschiedenen Welten.
10 Peter Moraw, Die Universität Prag im Mittelalter, in: Die Universität zu Prag, München 1986, S. 9–134; Rainer Christoph Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 361ff. 11 Ebd., S. 367f., 465–486.
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Prag (1348) war nicht nur die erste Universität auf Reichsboden, sondern die erste auf dem Boden des ‘jüngeren Europa’ überhaupt. Sofort wurde sie aus allen Regionen dieses Raumes akzeptiert; und man kann auch umgekehrt in aller Konsequenz zeigen, daß der nord- bis nordosteuropäische Raum geradezu seine universitäre Heimat verlor, als Prag definitiv ab 1419 wegen des Hussitismus in Böhmen auf Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte, aus der europäischen Universitätsgeschichte ausgeblendet wurde. Nur aus dem ‘älteren Europa’, und damit auch aus Frankreich, erschien in den rund 70 Jahren zwischen 1348 und 1419 so gut wie niemand, weder an der Artisten-Theologen-Mediziner-Universität noch an der Juristenuniversität nach 1372, obgleich man doch eine Milieuverwandtschaft zum Juristenraum des ‘älteren Europa’ hergestellt zu haben glaubte. Einzelfälle von Juristen und Medizinern können nicht einmal als Ausnahmen zugelassen werden, da sie sich eher im Umkreis des König-Kaisers als in dem der Prager Universitäten befanden12. Vielleicht kann man die Personenbeziehungen zwischen den Universitäten des ‘älteren’ und ‘jüngeren Europa’ in einem Lehrer-SchülerVerhältnis begreifen, das lange noch anhielt, in dem sich die Schüler natürlicherweise zum Lehrer begaben, und nicht umgekehrt, jedenfalls so lange, bis sich auf Seiten der Schüler Neues und durchaus Selbständiges vollzog. Das hatte zur Konsequenz, daß Besucher aus dem ‘älteren Europa’ – hier also aus Frankreich – möglicherweise erst in dem Augenblick an Universitäten des Reiches auftauchten, in dem die vorgeprägten Standards der älteren akademischen Welt so aufgenommen und verarbeitet waren, daß man von einem erfolgreichen Anschlußprozeß oder sogar von einem beginnenden Ausgleichsprozeß zwischen den älteren und jüngeren Zuständen sprechen kann. So sei die These formuliert, zunächst aus deutscher Perspektive: Französische Studenten als Vertreter des ‘älteren Europa’ an deutschen Universitäten des späten Mittelalters 41 sind ein Prüfstein für die Qualität des Anschlusses an die ältere | Welt: oder aus französischer Perspektive, was vielleicht nur die Kehrseite der
12 Dies lehrt die Durchsicht der „Monumenta Historica Universitatis Carolo-Ferdinandeae Pragensis“, Bd. l: Liber Decanorum Facultatis Philosophicae, Bd. 2: Album seu Matricula Facultalis Juridicae . . ., Prag 1830/1834.
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Medaille ist: Französische Studenten an deutschen Universitäten sind schlichtweg untypische, ja marginale Erscheinungen. Diese These ist mit Hilfe von vier Fragen am empirischen Material zu überprüfen. Ich frage erstens nach der zeitlichen Dimension französischen Universitätsbesuchs im Reich, zweitens nach der räumlichen Herkunft französischer Studenten, drittens nach den besuchten deutschen Universitäten und viertens nach den möglichen Typen der im Reich studierenden französischen Studenten. Erstens: Die zeitliche Dimension französischen Universitätsbesuchs im Reich Von Einzelfällen in den Jahren 1400, 1409 und 1417 abgesehen begann ein statistisch relevanter, auch in den Stichproben bemerkbarer Universitätsbesuch französischer Studenten erst in den zwanziger Jahren des 15. Jahrhunderts. Die sogenannte erste Gründungswelle deutscher Universitäten, die Wien (1365; 1384), Heidelberg (1386), Köln (1388), Erfurt (1392), Leipzig (1409) und Rostock (1419) umfaßte, endete gerade mit der Eröffnung Löwens im Jahre 1426. Die älteren Universitäten von Wien bis Leipzig hatten die üblichen Krisen und Schwankungen des ersten Gründungsjahrzehntes bereits hinter sich gebracht und schickten sich an, ihre erfolgreich gesicherte regionale Existenz zu konsolidieren und einen auf sie jeweils allein zugeschnittenen Einzugsbereich aufzubauen. Nehmen wir noch Prag hinzu, so ist zu konstatieren, daß französische Immatrikulationen im Einzelfall erst nach einem halben Jahrhundert römisch-deutscher Universitätsgeschichte, in der Mehrheit aber erst nach 70 bis 80 Jahren stattfanden. Dann jedoch rissen sie auf längere Zeit nicht mehr ab, wenn es sich auch stets nur um kleine Zahlen handelte, in einer Bandbreite von einer bis zu dreizehn Immatrikulationen pro Jahrgang. Einen gewissen Höhepunkt konnte man bereits in den dreißiger Jahren verzeichnen. Ein Absinken in den vierziger Jahren wurde nach der Mitte des 15. Jahrhunderts für die nächsten drei Jahrzehnte recht konstant ausgeglichen und auf dem höchsten erkennbaren Niveau von 12 bis 13 Personen pro Jahr gehalten. In diesen Jahrzehnten lag der Jahrgangsdurchschnitt bei einem halben Prozent (0,52–0,55%) und somit etwas über dem schon genannten allgemeinen Schnitt von 0,32 Prozent. In den beiden letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts war
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wiederum ein Nachlassen zu bemerken, das jetzt ein wenig unter den allgemeinen Durchschnitt sank. Spätes Einsetzen und eine keineswegs stetige und lineare Entwicklung kennzeichneten also das französische Interesse an Universitäten des spätmittelalterlichen Reiches. Dieses Auf und Ab der Immatrikulationen war keine französische Eigenart. Innerfranzösische Ereignisse, die vermutete Stagnation der Studentenzahlen während des Hundertjährigen Krieges, auch andere Krisen, Seuchenzüge und Konflikte vom 14. zum 15. Jahrhundert dürften kaum über die Einzelgeschehnisse hinausgehende, längerfristig-strukturelle Wirkungen gehabt haben13. Vielmehr folgten die französischen 42 Frequenzen nahezu exakt den Wachstumsphasen des | deutschen Universitätsbesuchs. Im Wechsel von Aufschwungs- und Stockungsphasen änderte sich dieser in der Zeit vom ausgehenden 14. bis in den Anfang des 16. Jahrhunderts viermal in entscheidender Weise14. Die erste Phase, in der die Immatrikulationsfrequenz rasch zunahm, erstreckte sich von 1384/5, dem Jahr der Wiedereröffnung Wiens, bis in die dreißiger Jahre des 15. Jahrhunderts. Die folgenden zwanzig Jahre der zweiten Phase verzeichneten eine krisenhafte Verzögerung des Hochschulzugangs, die dann jedoch in der dritten Phase zwischen etwa 1450 und 1480 durch ausgesprochen immatrikulationsintensive Jahrgänge ersetzt wurde. Ich nenne diese Aufschwungsphase die eigentliche Take-off-Phase des Universitätsbesuchs im spätmittelalterlichen Reich. In der abschließenden vierten Phase kam es zu einer Stockung des Wachstums, die alle Anzeichen einer ersten ‘Überfüllungskrise’ der deutschen Universitäten erkennen ließ. Sie sollte auch im frühen 16. Jahrhundert zunächst noch anhalten; zusätzlich bedingt durch
13 Vgl. Jacques Verger, Remarques sur renseignement des arts dans les universités du midi à la fin du Moyen âge, in: Annales du Midi 91 (1979), S. 355–381, hier: S. 357; ders., Tendances actuelles de la Recherche sur l’histoire de l’éducation en France au Moyen âge, in: Histoire de l’Education 6 (1980), S. 9–33, hier S. 16; Neithard Bulst, Studium und Karriere im königlichen Dienst in Frankreich im 15. Jahrhundert, in: Johannes Fried (Hg.), Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters, (Vorträge und Forschungen XXX), Sigmaringen 1986, S. 375–405, hier: S. 383. Die Stagnationen und andere vermeintliche Faktoren sind aber mangels personengeschichtlich relevanter Quellen in Frankreich letztlich nicht zu beweisen. In Deutschland wuchsen gerade die Studentenzahlen trotz zahlreicher Krisen, periodisch wiederholter Seuchenzüge und folglicher Stagnation der gesamten Bevölkerungsentwicklung ständig an; vgl. dazu folgende Anmerkung. 14 Schwinges, Universitätsbesuch im Reich vom 14. zum 16. Jahrhundert: Wachstum und Konjunkturen, in: Geschichte und Gesellschaft: Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft 10 (1984), S. 5–30; ders., Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 23–60, 58ff.
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die Reformationsereignisse kam es nicht zu einer neuerlichen Aufschwungsphase der gelehrten Studien. Als diese dann zur Mitte des 16. Jahrhunderts einsetzte, waren auch die Franzosen dabei, diesmal aber – und jetzt zum Teil vermutlich unter konfessionellen Vorzeichen – mit bis dahin unbekannten größeren Zahlen15. Die verschiedenen Wachstumsphasen waren in erheblichem Maße konjunkturabhängig. Es läßt sich zeigen, daß der Zugang zu den deutschen Universitäten von der hochschulörtlichen Marktsituation und der allgemeinen Preisentwicklung stark beeinflußt war. Universitätsbesuch und Agrarkonjunktur korrelierten miteinander, und zwar stets in gegenläufiger Entwicklung. Der ersten Aufschwungsphase des Universitätsbesuchs im Reich bis in die 1430er Jahre entsprach eine erste Niedrigpreisphase; die folgende Stockungsspanne der Besucherzahlen passte sich der Teuerungsphase bis zur Jahrhundertmitte an; der zweiten Aufschwungsphase, der eigentlichen Take-off-Phase des Hochschulbesuchs nach 1450, war die zweite Niedrigpreisphase angemessen, in der der Preisverfall vor allem im nordwestlichen und rheinischen Wirtschaftsgroßraum des Reiches von Antwerpen bis Basel Jahrhundertrang erzielte; und schließlich korrespondierte die zweite Stockungsspanne, das gebremste Wachstum der Immatrikulationen im Reich mit dem Höchstpreisniveau der achtziger und neunziger Jahre16. In diese unterschiedlichen Konjunkturen der deutschen Universitäten waren die französischen Besucher offensichtlich ohne jede Alternative einbezogen. Man bemerkt dies zahlenmäßig am deutlichsten in der Take-off-Phase der fünfziger bis siebziger Jahre. Einmal anwesend, galten auch für die Franzosen die gleichen zeitlichen Dimensionen, die sich als Wachstums- und konjunkturelle Dimensionen erwiesen. Natürlich hätten die kleinen Zahlen überhaupt nichts am deutschen Universitätsbesuch bewegen oder beeinflussen können; aber die Studenten aus Frankreich hätten sich anders entscheiden und sich mit ihren Spitzenwerten im Wachstumsprozeß anders verteilen können. Ihre Anpassung an die deutschen Verhältnisse mag daher zu der Vermutung führen, daß sie nicht irgendwoher aus | Frankreich stammten, sondern dem 43 deutschen Universitätsraum und dem westlichen Wirtschaftsgroßraum
15 Gut zu verfolgen etwa am Beispiel der Universitäten Heidelberg und Freiburg: Gustav Toepke (Hg.), Die Matrikel der Universität Heidelberg von 1386 bis 1662, 2 Bde., Heidelberg 1884–1893; Hermann Mayer (Hg.), Die Matrikel der Universität Freiburg im Breisgau von 1460 bis 1656, 2 Bde., Freiburg 1907–1910 (beide Ndr. 1976). 16 Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 207–222.
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in beeinflußbarer Weise nahestanden. Damit ist schon der folgende Punkt angesprochen. Zweitens: Die räumliche Herkunft der französischen Studenten Das auffallendste Ergebnis, das sich aus der räumlichen Analyse über den gesamten Beobachtungszeitraum hinweg ergibt, besteht in einer außerordentlich ungleichgewichtigen Vierteilung des französischen Herkunftsraumes. Ich beschreibe ihn in der Sprache der Quellen, der allgemeinen Matrikeln, nach Diözesen. Die erste und zugleich bedeutendste Gruppierung beginnt in Nordostfrankreich in der Erzdiözese Reims, aus der 75,9 Prozent aller französischen Studenten in Deutschland stammten. An der Spitze des Reimser Sprengels standen die Diözesen Arras und Amiens, die allein schon 48,3 Prozent der Studenten stellten. Arras wird hier noch als französisches Bistum berücksichtigt, obgleich es Überschneidungen mit Flandern an der Reichsgrenze gegeben hat, und sich im übrigen flämische Studenten beim Universitätsbesuch in Deutschland kaum anders verhielten als die Franzosen bzw. Nordfranzosen. Die flämischen Suffragane von Reims, Tournai und Thérouanne, bleiben aber außerhalb der Untersuchung17. Mit merklichem Abstand hinter Arras und Amiens folgten die Bistümer Laon mit 13,8 Prozent, Reims selbst mit 6,9 Prozent sowie nur in Einzelfällen (in Relation je 1,7%) Noyon, Beauvais, Soissons und Châlons-sur-Marne. Die zweite, sehr viel kleinere Gruppierung bildeten nach Süden hin die Erzdiözesen Lyon und Vienne mit zusammen 12,1 Prozent, in die sich die Bistümer Langres (5,1%), Grenoble (3,4%) sowie Autun und Lyon (zu je 1,7%) teilten. In der dritten Gruppierung im Raum der Erzdiözesen Rouen und Sens kann man eine gleichsam rückgelagerte zweite Nordkette erkennen, entlang praktisch der Seine auf der Linie der Bischofssitze Evreux, Paris und Troyes. Gerade aber noch 8,6 Prozent der französischen Studenten ließen sich diesem Raum zuweisen. 17 Ebd., S. 236ff.; vgl. auch K. Goebbels, Les étudiants de l’université de Cologne originales du diocèse de Thérouanne, in: Bulletin Trimestriel de la Société Académique des Antiquaires de la Morinie 17 (1952/53), S. 155–159; Alain Derville, Les étudiants morins à l’Université de Louvain au XVe siècle, in: Bulletin . . . 18, 1955, S. 369ff.; A. Dewitte, Flandrenses op studie in Paris, Leuven en Leiden, in: Biekorf 76 1975/76, S. 221–227.
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In der vierten und letzten Gruppierung bemerkt man lediglich zwei Einzelfälle (3,4%) aus dem Westen, ohne jede Anbindung an die bisher genannten Räume: einen Studenten aus Vannes in der Bretagne sowie einen aus Mirabeau-sur-Beze in der Diözese Poitiers. Der weitaus größte Teil der französischen Studenten war also von Arras bis Grenoble – zusammen mit 88 Prozent – dem Reich gleichsam zugewandt, ja schmiegte sich mit seinen Herkunftsgebieten Artois, Picardie, Champagne, Herzogtum Burgund und Dauphine relativ dicht an den Grenzraum zwischen den beiden Königreichen an oder zwischen den Kirchen von Reims und | Lyon auf der einen, von Köln, 44 Trier und Besançon auf der anderen Seite der Reichsgrenze. Diese war bekanntlich noch im l5. Jahrhundert eher ein Grenzsaum, in dem sich verschiedene politische Kräfte mit Burgund an der Spitze bewegten, denn eine wirkliche Grenze; für den Universitätsbesuch war sie ohne Belang. In den Matrikeln gelegentlich über die Diözesen hinaus genannte Herkunftsorte wie Merviller, Béthune, Bapaume, Abbeville, Marle, Péronne, Laon, Reims und Montsaugeon im Bistum Langres belegen ebenfalls die Nähe zum Reich; sie bilden offenbar die westliche Peripherie der Einzugsbereiche deutscher Universitäten. Die aus der zeitlichen Dimension des Universitätsbesuchs, den Wachstum und Konjunkturphasen gewonnene Vermutung scheint sich zu bestätigen: Französische Studenten waren angesichts solcher Schwerpunktgeographie tatsächlich in die Grossraumzusammenhänge des römisch-deutschen Nordwestens eingebunden. Demgegenüber ist freilich mit allem Nachdruck festzuhalten, daß das übrige Frankreich, und zwar der größte Teil, in der Mitte, im Süden und vor allem im Westen nicht oder nur sehr sporadisch am deutschen Universitätsbesuch teilnahm. Dies offenbaren zusätzlich auch die Zeitpunkte der Immatrikulationen. Während der grenznahe französische Norden trotz allem Auf und Ab im Laufe des 15. Jahrhunderts immer wieder in einzelnen Personen präsent war, konzentrierten sich die wenigen Besucher aus dem Südosten, dem Raum von Lyon und Grenoble auf die erste Hälfte, jene aus dem Westen ausschließlich auf den Ausgang des Jahrhunderts. Merkwürdig war in diesen Zusammenhängen die Abstinenz von Paris, des Bistums, der Stadt und der Universität. Von französischer Seite aus wurden anscheinend kaum Beziehungen zu Universitäten des Reiches gepflegt; was sich hier tat, war so gut wie ausschließlich Sache der deutschen Nation sowie für einen Teil der Niederlande der pikardischen Nation in Paris.
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Dies ist natürlich eine quantitative Aussage, die auf die vergleichsweise geringe Personendichte hinweist, nicht aber auf mögliche qualitative, im einen oder anderen Falle sicher intensive persönliche Kontakte, wie es zum Beispiel für den Pariser Theologen und Diplomaten Dr. Nicholas Midi aus der Diözese Amiens gelten mag. Der Kollegiat der Sorbonne übernahm 1432 den ersten Lehrstuhl in der neu errichteten theologischen Fakultät zu Löwen und diente der Universität unter anderem als Rektor und Vertreter auf dem Basler Konzil. Doch – und das wiederum ist allgemein bezeichnend für die Kontakte – man gewann ihn nur für ein kurzes ‘Gastspiel’ nach knapp zwei Jahren kehrte er 1434 nach Paris zurück18. Durch diese Befunde scheint die These über den französischen Universitätsbesuch als Prüfstein für den deutschen Anschluß an das ‘ältere Europa’ schon ein wenig ins Wanken zu geraten, erst recht aus der französischen Perspektive, mit der eine Marginalsituation behauptet war. Weiterer Aufschluß ergibt sich aus der Frage nach den einzelnen Universitäten. Drittens: Die besuchten deutschen Universitäten Die auf der französischen Seite beobachteten grenznahen, räumlichen Schwerpunkte entsprachen in ganz eindeutiger Weise universitären Schwerpunkten auf der deutschen Seite. Französische Studenten haben während des gesamten Mittelalters die Rheinlinie so gut wie nie überschritten. Der rheinische Großraum, jener politisch, sozial, wirtschaftlich und kirchlich bedeutendste und am weitesten entwickelte Raum des Reiches war alleiniges Zielgebiet. Besucht wurden fast ausschließlich 45 die | Universitäten zu Löwen, Köln, Heidelberg, Freiburg im Breisgau und Basel, vermutlich auch, wenn man es an den Quellen kontrollieren könnte, die Universitäten zu Trier und Mainz19. Einzige Ausnahme bildete die bayerische Landesuniversität zu Ingolstadt, die freilich erst
Astrik Ladislas Gabriel, Intellectual relations between the University of Louvain and the University of Paris in the 15th century, in: Jozef Ijsewijn und Jacques Paquet (Hg.), The Universities in the late Middle Ages, (Mediaevalia Lovaniensia. Ser. 1: Studia/1, 6), Louvain 1978, S. 82–132, hier: S. 88f. 19 Die Matrikeln beider Universitäten sind verloren. Trierer Fragmente ausgewertet hat Michael Matheus, Zum Einzugsgebiet der „alten“ Trierer Universität (1473–1477), in: Kurtrierisches Jahrbuch 21, Trier 1981, S. 55–69. 18
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sehr spät, im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts auf den Plan trat; 1472 ist sie eröffnet worden. Das scheinbar geschlossene Bild der Rheinlinie täuscht allerdings gewaltig. Die eigentlichen Zielorte der französischen Studenten im Reich waren in aller erster Linie die Universitäten Löwen und Köln. Für Löwen zählt man im gesamten Beobachtungszeitraum 65,5 Prozent, für Köln 25,9 Prozent, zusammen also 91,4 Prozent. Studenten aus fast dem gesamten grenznahen Herkunftsraum von Nord nach Süd konzentrierten sich allein in diesen beiden Universitäten, wobei der südliche Teil, die Diözesen Lyon und Grenoble, eher in Köln als in Löwen vertreten waren. Demgegenüber schrumpfen die übrigen ‘rheinischen Universitäten’ auf eine bloße Randbedeutung herab. Das gilt auch noch unter Berücksichtigung der Tatsache, daß Basel und Freiburg ebenso wie Ingolstadt erst Gründungen der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts gewesen sind. Sie profitierten schlicht und einfach in den sechziger und siebziger Jahren von den hier stärksten französischen Jahrgängen. Das Problem der französischen Studenten in Deutschland reduzierte sich also auf die beiden westlichsten Universitäten des Reiches, man kann auch sagen, auf die Frankreich am ehesten zugewandten Universitäten. Zusammen mit Paris waren sie die einzigen Universitäten in jenem Großraum von Nordfrankreich, dem heutigen Belgien, den Niederlanden und dem Niederrhein, der in vieler Hinsieht während des ganzen Mittelalters (und noch lange darüber hinaus) eine europäische Führungslandschaft hohen Ranges war, vergleichbar nur Südfrankreich und Oberitalien. Mit ihrem vielfältig faßbaren Entwicklungsvorsprung gehörte sie bis in den rheinischen Raum hinein dem ‘älteren Europa’ an. Das gleiche galt für die Universitäten – in erster Linie freilich für Löwen, die Landesuniversität Brabants, die Köln, gemessen am Zuspruch französischer Studenten doch überaus deutlich distanzierte. Diese Führungslandschaft trug zwei Universitäten, konnte sich zwei Universitäten leisten, die sich obendrein in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts anschickten, die größten und frequenzreichsten Hochschulen des gesamten Reiches zu werden, ohne sich dabei gegenseitig zu behindern. An der Take-off-Phase des Hochschulbesuchs hatten sie den stärksten Anteil vor Leipzig, Erfurt und selbst Wien20. Darüber hinaus glichen sie Paris als Hochburgen der Artisten und Theologen, besaßen aber beide in Relation zum übrigen Deutschland gut funktionierende
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Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 83ff., 133ff., 545.
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und potente juristische Fakultäten, in denen – hierin frankreich- und italienverwandt – von Anfang an auch Römisches Recht auf eigenen Lehrstühlen gelehrt wurde. Dazu konnte Löwen mit der organisatorischen Besonderheit zweier juristischer Fakultäten aufwarten, einer kanonistischen und einer legistischen, mit der eine straffe, von Juristen 46 insgesamt dominierte Universitätsführung | verbunden war. Hinzu kommt, daß das westliche, vor allen französische Kollegienwesen wie nirgends sonst im Reich gerade in Löwen und Köln starke Affinitäten besaß; zumindest war schon abzusehen, daß man sich nach 1500 in gewisser Weise dorthin entwickeln würde21. Schließlich seien noch die Einzugsbereiche beider Universitäten erwähnt, die nach Frankreich hin ein zwar kleines, doch beständiges grenzüberschreitendes Reservoir vor allem im Gebiet der Erzdiözese Reims besaßen. Der Anteil Kölns minderte sich allerdings seit der Mitte des 15. Jahrhunderts immer mehr zugunsten Löwens. Eine der wesentlichen Ursachen für diese Verschiebung lag wohl an der sozialräumlichen Infrastruktur der Kölner Universität. Einzugsbereiche folgten nämlich nicht nur räumlichen, sondern auch sozialen Gesetzmäßigkeiten. Neben veränderlichen wirtschaftlichen Beziehungen, in die wie jede andere auch die Universität der Handels- und Exportgewerbemetropole am Rhein, der größten Stadt des mittelalterlichen Reiches, immer eingebunden war, und die hier den Rückzug aus dem Raum von Reims, aus der Champagne mitbegründet haben mögen22, spielten gerade diese Gesetzmäßigkeiten oder sozialen Regeln im Personenverband Universität eine wichtige Rolle. Die französischen Besucher hatten es in den Jahren ihrer wiederholten Anwesenheit in Köln offenbar nicht vermocht, französische Magisteroder Doktorfamilien aufzubauen, vor allem landsmannschaftliche Personenverbände, die sich um Universitätslehrer scharten und über einen bestimmten Zeitraum hinweg, eine gewisse örtlich-soziale Stabilität
Erich Meuthen, Kölner Universitätsgeschichte Bd. l: Die alte Universität, Köln/ Wien 1988. Ueber Löwen existiert noch keine moderne Monographie, vgl. daher Jacques Paquet, Bibliographie des Universités de Belgique (Université de Louvain), in: Bibliographie Internationale de l’Histoire des Universités I, Genève 1973, S. 101–164, 225–229; ders., Bibliografie der geschiedenis van de oude Universiteit Leuven (1425– 1797). Publikaties in de jaren 1972–1976 uitgegeven, in: Bijdragen tot de geschiedenis 62 (1979), S. 267–294; ferner das in Anm. 3 genannte Sammelwerk von Jozef Ijsewijn und Jacques Paquet; zuletzt: De Universiteit te Leuven 1425–1985, Leuven 1986. 22 Zugunsten übrigens einer kleinen, aber statistisch noch bemerkbaren Neuorientierung in den Raum des Bankplatzes Lyon, vgl. Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 243. 21
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in der Fremde verliehen. Im Gegensatz beispielsweise zu flämischen, schottischen oder dänischen Magistern und Professoren, die über Jahre und zum Teil über Jahrzehnte hinweg Anlaufstellen waren und ihre Landsleute versorgten, fand sich in Köln nicht ein einziger französischer Universitätslehrer, der seine Landsleute hätte auf Zeit binden können – so weit ich sehe nicht einmal im Kölner Dominikanerstudium; nur ein Grenzfall im Wortsinne (und methodisch strenggenommen nicht einmal zur Stichprobe zählend) war der gelehrte flämische Dominikanertheologe Michael Francisci de Insulis, gebürtig aus Templemens bei Lille23. In Löwen dagegen war das anders, quer durch alle Fakultäten, woraus letzten Endes die bleibenden Bindungen zu Nord- und Nordostfrankreich resultieren mochten24. Viertens: Die möglichen Typen der in Deutschland studierenden französischen Studenten Waren sie exponierte Randfiguren oder glichen sie trotz zeitlicher, herkunftsräumlicher und zielörtlicher Einschränkungen ihren deutschen Kommilitonen – so lautet die letzte Frage, die auf eine Typologie zielt, um die Ausgangsthese abschließend zu überprüfen. Dabei muß aber jetzt der bisher recht wahllos und unhistorisiert verwendete Begriff des Studenten überdacht werden. Zumal in europäischen Zusammenhängen war nämlich der Studentenbegriff reichlich konturenlos. Student und Student konnten synchron wie diachron Grundverschiedenes meinen. Der mittelalterliche Begriff überdeckte von der Vorbildung bis zu den Studienzielen außerordentlich divergierende Tatbestände, | die alle noch – vollkommen anders 47 als heute – soziale Dimensionen hatten, je nach Status des Einzelnen in Gesellschaft und Universität, je nach Statusspannen zwischen Fakultäten oder Universitäten mit vornehmen Juristen auf der einen, gewöhnlichen Artisten auf der anderen Seite. Infolgedessen lassen sich 23 Über ihn: Hermann Keussen (Hg.), Die Matrikel der Universität Köln, Bd. l, Bonn 1928, S. 784 (17); im gleichen Band ein Katalog der Professoren aller Fakultäten. Zur Sache der ‘Magisterfamilien’ Schwinges, Sozialgeschichtliche Aspekte spätmittelalterlicher Studentenbursen in Deutschland, in: Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters, hg. von Johannes Fried, Sigmaringen 1986, S. 527– 564; ders., Admission to the University, in: A History of the European Universities in Society, hg. von Walter Rüegg, Vol. l, Cambridge 1989, chap. 6, beide auch in diesem Band. 24 Beispiele bei Astrik Ladislas Gabriel, Louvain and Paris (wie Anm. 18), S. 83f.
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aus den Besucherschaften der Hochschulen wenigstens fünf Typen von Studenten herausschälen. Es liegt an der Eigenart der mittelalterlichen Universität, daß diese Typen die Besucherschaft zugleich wie ein pyramidenförmiges Gebilde darstellen konnten – mit einer quantitativ sehr breiten Basis und einer verhältnismäßig schmalen Spitze25. Der erste Typ ist der Artistenfakultät zugeordnet. Es ist der in der überwiegenden Mehrzahl jugendliche 14–16jährige Scholar, der sich in der Regel zum ersten Mal an einer Universität immatrikuliert und die vorgeschriebenen rechtlichen und finanziellen Bedingungen der Aufnahme, so gut es eben geht, erfüllt. Der soziale Hintergrund ist überwiegend mittelschichtig; Arm und Reich sind den Proportionen in der Gesamtbesucherschaft entsprechend wohl verteilt. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat er zuvor die heimatliche Lateinschule besucht und von dort zumindest elementare Kenntnisse des Schreibens und Lesens sowie der lateinischen Grammatik mitgebracht. Er schließt sich an einen Magister seiner Wahl an und beginnt unter dessen Aufsicht, seine Kenntnisse in den Artes schulmäßig zu vertiefen. Er ist aber deswegen nicht der typische Anfänger. Diese Perspektive wäre anachronistisch, da es nicht seine Absicht ist, das zu erreichen, was in der Universität bis hin zur medizinischen, juristischen oder theologischen Doktorpromotion prinzipiell erreichbar wäre. Sein Universitätsbesuch begrenzt sich im Reich auf eine mittlere Verweildauer von rund 1,8 Jahren. Dieser Typ Student legt keine Examina ab und erwirbt keine akademischen Grade, was für ihn völlig normal ist. Die zeitgenössischen Universitäten nennen ihn den scholaris simplex. Man findet ihn am häufigsten in den ausgebauten Vier-Fakultäten-Universitäten des ‘älteren’ und ‘jüngeren Europa’ nördlich der Alpen. Nicht selten stellte er 50 und mehr Prozent – in Deutschland bis zu rund 80 Prozent – der gesamten Besucherschaft, so daß man ihn mit Fug und Recht als den studentischen Hauptakteur der mittelalterlichen nordalpinen Universität bezeichnen kann. Der zweite Typ ist ebenfalls der Artistenfakultät zugeordnet. Ihn unterscheidet beim Universitätsbesuch zunächst nicht viel vom ersten. Alter, Vorbildung und sozialer Hintergrund haben sich kaum verändert, nur daß der Anteil der armen Scholaren proportional angestiegen ist. Vermutlich zeichnet das dafür, daß sich in diesem Typus bereits soziale 25 Ich übernehme diese Typologie etwas gekürzt und auf den Zweck zugeschnitten aus Schwinges, Student education, student life, in: Hilde de Ridder-Symoens (Hg.), A History of the University in Europe, Vol. 1: Universities in the Middle Ages, Cambridge 1992.
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Aufstiegshoffnungen via Universität und Bildung manifestieren, wenngleich noch auf einer sehr unteren Stufe26. Sein Ziel ist der Grad des Baccalaureus artium, den er nach zwei bis zweieinhalb Jahren Umgangs mit den actus scholastici unter seinem erwählten Magister erlangen kann. Er ist dann etwa 16 bis 19 Jahre alt. Die Bakkalare der Künste stellen mit etwa 20 bis 40 Prozent (1350 –1500) die zweitgrößte Gruppierung in den Besucherschaften | der Universitäten gleichen Verbreitungs- 48 gebietes wie unter Typ eins. Für gut zwei Drittel von ihnen ist es der einzige Abschluß, den sie in der Universität erreichen oder erreichen wollen. Auch der dritte Typ ist der Fakultät der Artisten verbunden, orientiert sich jedoch in seiner Zielvorstellung aus ihr hinaus. Ausgehend in der Regel vom Bakkalariat erwirbt er nach zwei bis drei weiteren Jahren den Magistergrad der Freien Künste, der in moderner Analogie der Hochschulreife (Matura) entsprechen würde. Er ist jetzt in einem Regelalter von 19 bis 21 Jahren. Der soziale Hintergrund ist nach wie vor der gleiche, nur der Armenanteil hat sich gegenüber Typ zwei wieder wesentlich zurückbewegt. Verlässt er mit dieser Graduierung nicht die Universität, so beginnt er sein Studium in den höheren Fakultäten der Medizin, der Theologie, des geistlichen oder weltlichen Rechts. Dieser Magisterstudent ist für die mittelalterliche Universität ganz besonders charakteristisch. Man trifft ihn überall in Europa, am häufigsten jedoch immer noch an den schon unter eins und zwei bezeichneten Universitäten, die man wohl insgesamt dem ‘Pariser Modell’ zuordnen kann. Nur auf den ersten Blick ähnelt er dem heutigen Studienanfänger. Allein schon die Zahlen sind gegenüber den beiden vorangehenden Typen stark geschrumpft. Im Schnitt – variierend aber von Universität zu Universität und in der Zeit vom 13. zum 15. Jahrhundert – kann man gerade mit jedem zehnten bis fünften Besucher rechnen. Entscheidender ist jedoch, daß er als Student zugleich in der Lehre tätig ist, Student und Professor sich vielfach nicht eindeutig trennen lassen. Der Magisterstudent, meistens ein Theologiestudent, unterrichtet die Jüngeren in der Artistenfakultät, die Typen eins und zwei, die ihn als ihren Magister gewählt haben. Viele dieses Typs finanzieren allein auf
26 Zu diesen sozialen Problemen Rainer Christoph Schwinges, Pauperes an deutschen Universitäten des 15. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Historische Forschung 8 (1981), S. 285–309, auch in diesem Band.
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diese Weise ihr weiteres Studium, dessen nächste ‘Hürde’ das Bakkalariat einer der höheren Fakultäten ist. Der vierte Typ unterscheidet sich von den drei vorstehenden sehr wesentlich. Alle gesellschaftlichen Standes- und Statusvorteile findet er auch in den Universitäten wieder. Er ist der Typ. der schon ‘jemand ist’, bevor er überhaupt zur Universität kommt. Hohe Stellung, hohes Ansehen in Person und Herkunftsfamilie, Adel, Besitz von Kirchenpfründen oder bürgerlicher Wohlstand zeichnen ihn aus. Gehört er dem Herrenstand an oder handelt er wie ein Herr, so bezieht er die Universität im Kreise seiner familiares, seiner Diener. Seine Altersstruktur ist verhältnismäßig weit gestreut: ‘Sehr jung’ und ‘sehr alt’ liegen dichter beisammen als anderswo. Der für ihn typische und angemessene, soziale Ort ist nicht die Artistenfakultät, auch nicht deren sozialverwandtes Milieu der Mediziner und Theologen, sondern die höhere Fakultät oder Universität der Juristen. Seine magisterähnliche Vorbildung erwirbt er eher durch Privatlehrer denn durch öffentliche Schulen oder aber ‘studienbegleitend’ in den Kursen der Artisten, ohne seine Kenntnisse durch Examina nachweisen zu müssen oder zu wollen. Es hängt von der sozialen Qualität der Herkunft ab, ob der akademische Grad noch als standesgemäß erscheint oder schon nicht mehr akzeptabel ist wie in 49 der | Regel beim Hohen Adel. Sozialen Aufstieg über die Universität zu suchen, wie es vielleicht der durchschnittliche Magisterstudent tut, hat dieser Typ des Standesstudenten nicht nötig. Ihn findet man in allen europäischen Universitäten, allerdings in sehr unterschiedlicher Frequenz. Seine Domäne sind die Juristen-Universitäten oder JuristenFakultäten des ‘älteren Europa’, vor allem Italiens und Frankreichs. Der fünfte und letzte Typ scheint am ehesten dem modernen Studenten zu gleichen, der sein ‘Hauptstudium’ durch ein Examen abzuschließen gedenkt – möglicherweise zusätzlich auch durch eine Doktorpromotion. Dieser Fachstudent setzt in der Regel nach dem Bakkalariat einer der höheren Fakultäten sein Studium fort und erwirbt das Lizentiat der Medizin, der Theologie oder des geistlichen oder weltlichen Rechts oder gar beider Rechte. Will er oder kann er es sich finanziell leisten, so läßt er sich anschließend zum Doktor promovieren. Wie der moderne Student, so ist auch er bereits weit in den Zwanzigern oder Dreißigern seines Lebensalters. Damit aber endet bereits jede Analogie. Schon die Zahlen sagen etwas anderes. An der Spitze der ‘Besucherpyramide’ angelangt, trifft man diesen Typus nur noch in wenigen Prozentzahlen. Die wenigsten finden sich an den Universitäten des nordalpinen, ‘jüngeren Europa’ (zwei bis drei Prozent der Gesamtbesucherschaft in
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deutschen Universitäten), die meisten in den klassischen Universitätsregionen des ‘älteren Europa’, in den Mediziner- und Juristenhochburgen Italiens und Frankreichs. Gehobene soziale Herkunft, Zugehörigkeit zur städtischen Oberschicht und oberen Mittelschicht zeichnen den Typus aus. Für einen armen Universitätsbesucher würde das Erreichen dieser Stufe einen gewaltigen Sprung bedeuten, der ohne intensive Förderung und soziale Hilfestellung kaum denkbar wäre. Was den mittelalterlichen Fachstudenten jedoch im Gegensatz zum modernen besonders charakterisiert, ist die Tatsache, daß er die Fortune seines Lebens nicht unbedingt durch Universität und Studium sucht, sondern längst vorher oder während des Studiums bereits in der Gesellschaft verankert ist: im Familienbetrieb, in städtischen Diensten, in Hofdiensten oder zumeist in Ämtern der Kirche. Diese fünf idealtypischen Universitätsbesucher: Simplex, Bakkalar, Magisterstudent, Standesstudent und Fachstudent, bilden natürlich kein geschlossenes System. Mischtypen sind nicht nur vorstellbar, sondern mit Sicherheit real gewesen. Es gab wohl ziemlich oft ‘Seiteneinsteiger’, so gut wie ausschließlich Juristen und Mediziner, die nicht erst die Kurse der Artisten durchlaufen hatten und dennoch magisterähnlichen Rang beanspruchten, ohne unbedingt Standesstudenten zu sein. Das adelige Milieu färbte unwiderstehlich ab. Nicht selten durchbrachen die sozialen Regeln, nach denen die Gesellschaften Alteuropas funktionierten, die jeweilige Zuordnung. Soziale Beziehungen, Verwandtschafts- und Freundschaftsverhältnisse, Patronage und familiale Strukturen konnten Einfluß nehmen auf Status und Studienziele. Persönliche Befähigung des ‘Studenten’ | und gute Forderung durch seine Professoren waren 50 in diese Verhältnisse eingebunden. In diese Typologie müssen nun die französischen Besucher deutscher Universitäten eingeordnet werden. Das ist indessen leichter gesagt als getan. Der soziale Hintergrund der Franzosen blieb in den deutschen Matrikeln und Dekanatsbüchern weitgehend fremd. Herkunftsorte, aus denen man gewisse Rückschlüsse hätte ziehen können, wurden, wie oben schon gesagt, kaum einmal verzeichnet. Es sind dies Probleme selbst personalintensivster Quellen aus vorstatistischen Zeiten, die natürlich auch einen großen Teil der deutschen Studententypen betreffen27. 27 Vgl. dazu Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher im späten Mittelalter. Methoden und Probleme ihrer Erforschung, in: Politische Ordnungen und soziale Kräfte im alten Reich (Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches 2), Wiesbaden 1980; zu den methodischen und inhaltlichen Möglichkeiten der
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Aber immerhin lassen sich so wichtige soziale Merkmale wie Fakultätszugehörigkeit, akademische Status und Positionen sowie das Verhalten beim Zahlen der Immatrikulationsgebühren erkennen. Letzteres führt bereits zu einer bemerkenswerten Beobachtung, die vorab als auffällige Besonderheit herauszustellen ist: Unter den französischen Immatrikulierten befanden sich verhältnismäßig wenig Arme. Während große deutsche Universitäten wie Löwen, Köln, Wien oder Leipzig im Durchschnitt bis zu rund 20 Prozent pauperes zu verkraften hatten, d.h. die allgemein verbreitete gesellschaftliche Quote der Armut, lag der Armenanteil bei den Franzosen gerade bei zehn Prozent; und er lag in der Armenhochburg der Großstadt und ‘Großuniversität’ Köln mit sechs Prozent sogar noch niedriger als der Durchschnitt28. Das allein läßt schon erwarten, daß ein größerer Teil der französischen Studenten – ähnlich wohl den deutschen Auslandsstudenten in Italien oder Frankreich – in der ‘Typenpyramide’ relativ hoch angesiedelt sein mußte. Weitgehend ausschließen aus der Gruppe der Franzosen kann man allerdings Standesstudenten aus dem Adel und der höheren Dom- und Stiftsgeistlichkeit. Für Personen vom Stande, vor allem Adelige, die einige vornehme Universitäten im eigenen Lande aufsuchen konnten, waren offensichtlich weder Löwen noch Köln noch erst recht die anderen deutschen Hochschulen ein angemessenes Terrain. Die Ausnahmen aber waren wiederum als Grenzfälle so bezeichnend, daß sie die allgemeine Situation nur bestätigten. Zum einen lagen sie zeitlich recht spät in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, zum anderen konzentrierten sie sich nur auf Löwen, auf die westlichste Universität, und zum dritten war ihr Lebensraum nicht unbedingt allein französisch. So erschien zum Beispiel im Sommer 1465 der Kanoniker Nicolaus de Monte Salians (Montsaugeon) aus der Diözese Langres, dessen Amt und Pfründe jedoch in Maastricht lagen, an der Stiftskirche St. Servatius; und im Sommer 1495 immatrikulierte sich der Prämonstratenserstiftsherr Johannes de Beecka von St. Martin in Laon, dessen Name aber wohl eher in die Niederlande als nach Frankreich weist29. Qualifizierung von Herkunftsorten; ders., Deutsche Universitätsbesucher, S. 260–341 (am Fallbeispiel des Kölner Einzugsbereichs). 28 Rainer Christoph Schwinges, Pauperes (wie Anm. 26); ders, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 1) , S. 441–465. 29 Joseph Wils (Hg.), Matricule de l’Université de Louvain, vol. 2,1 (1453–1485), Bruxelles 1946, S. 152 (80); Arnold Schillings (Hg.), Matricule vol. 3 (1485–1527), Bruxelles 1962, S. 120 (25).
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Weitgehend ausschließen kann man auch den Typ des Fachstudenten nach dem Bakkalaureat in einer der drei oberen Fakultäten. Alles deutet daraufhin, daß man aus einsichtigen sozialen Gründen, der Ressourcen und Karrieren wegen, ‘sein Fach’ doch nur in Frankreich zu Ende studierte. Hier lagen die Verhältnisse | schlicht anders als in Deutschland, 51 wo gerade die Auslandsgraduierung, insbesondere das Doktorat aus Italien oder Frankreich (Orléans) das Prestige sicherte30. Eine große Universitätskarriere mag vielleicht aber in Köln mit begründet worden sein. Im Sommersemester 1425 erschien der Pariser Magisterstudent der Theologie Johannes de Courcellis (Courcelles, Pikardie, Diözese Amiens), immatrikulierte sich jedoch für die juristische Fakultät. Nach drei Jahren in Köln kehrte er nach Paris zurück und setzte sein Studium der Theologie fort. 1446 wurde er zum Doktor promoviert, wurde Ordinarius der theologischen Fakultät und bald darauf Domherr von Amiens. Johannes, möglicherweise Haneron mit Familiennamen, war nach Ausweis der Pariser Akten ein vielbeschäftigter Mann; er diente der Universität mehrfach als Rektor sowie als Gesandter an den König von Frankreich und den Papst31. Völlig untypisch war dagegen das Auftreten des Pariser Magisters Carolus Fromont, aus Paris selbst stammend, der sich noch in der Eröffnungsphase der Basler Universität als Studierender der Rechte immatrikuliert hatte. Er muß mindestens im Rang eines Bakkalars gestanden haben, da er bereits im Frühjahr 1466 zum Doctor Legum von Basel promoviert wurde. Fromont war ein auch in Deutschland durchaus verbreiteter Typus von Gelehrten, der die Gründungs- und Öffnungsphase von Universitäten zur Beförderung der eigenen Karriere zu nutzen verstand. Er war schon im März 1472 unter den ersten Immatrikulierten an der neuen bayerischen Landesuniversität zu Ingolstadt. Tatsächlich erlangte er eine Professur für kanonisches Recht, starb aber schon 1476, ohne in Ingolstadt eine Klientel, geschweige denn eine französische, aufbauen zu können32.
30 Vgl. zusammenfassend Jacques Verger (Hg.), Histoire des Universités en France (1986), Kapitel 3 und 4. Für die Deutschen (vor allem Juristen) Helmut Coing (Hg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. l: Mittelalter (1100–1500), München 1973, S. 39ff. 31 Hermann Keussen [Bearb.], Die Matrikel der Universität Köln 1389–1559, Bd. 1, Bonn 1892–1931, S. 283 (59); Astrik Ladislas Gabriel und Gray Cowan Boyce (Hg.), Auctarium Chartularii Universitatis Parisiensis VI, Paris 1964, S. 117 (3). 32 Hans Georg Wackernagel (Hg.), Die Matrikel der Universität Basel, Bd. l, Basel 1951 (Sommer 1462, Nr. 34); zur Stichprobe gehört Fromont strenggenommen nur
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Die große Mehrheit der französischen Studenten im Reich verteilte sich also auf die anderen Typen, und zwar in einer Weise, die kaum überraschen dürfte. Die Franzosen legten ein erheblich anderes Studierverhalten an den Tag als ihre deutschen Kommilitonen; sie suchten die verbreiteten Standards ihrer Bildungswelt begreiflicherweise auch in den akzeptierten Universitäten der Rheinlinie zu verwirklichen. Ausschließlich Magisterstudenten und ranggleiche Besucher höherer Fakultäten fanden sich in Basel und Freiburg, Ingolstadt und Heidelberg. In Köln stellten Magisterstudenten und Vergleichbare 33,4 Prozent der ‘kölnischen Franzosen’ darunter allein 20 Prozent Juristen und 7 Prozent Theologen. (Die übrigen 6,4 Prozent verteilten sich unabgrenzbar auf Juristen oder Theologen oder – allerdings sehr unwahrscheinlich – auf Mediziner). Damit lagen die Franzosen weit über dem Durchschnitt der Gesamtheit der Kölner Universitätsbesucher, die nur 16 Prozent Magisterstudenten erzielte. Entsprechend geringer fielen die Quoten der französischen Artisten aus, eingeschlossen die leider nicht unterscheidbaren Artistenbakkalare: 53,3 Prozent standen 77 Prozent der Allgemeinheit gegenüber. In Löwen war es nicht anders33. Hier lauteten die Verhältnisse 14 zu 29 Prozent zugunsten der französischen Magisterstudenten, die fast durchweg Juristen waren; bei den Artisten dagegen, den simplen Scholaren und Bakklaren, ‘siegte’ die Allgemeinheit mit 52 70,4 gegenüber 58 Prozent | Franzosen. Man kann daraus nur den Schluß ziehen, daß die Franzosen akademisch und sozial, wie es die geringe Armenquote bereits nahelegte, verhältnismäßig höher rangierten als die Mitstudenten aus dem Reich. Dies mag ein allgemeiner Zug von Auslandsstudenten sein, doch mit dem einen feinen Unterschied, daß Franzosen anders als Deutsche ihren Auslandsaufenthalt eben nicht für das Erklimmen einer akademischen Stufenleiter benutzten. Angesichts der durch die vier Fragen gelieferten Befunde wird man mit der Anschlußthese oder gar Ausgleichsthese recht vorsichtig umgehen und sie vor allem klar differenzieren müssen. Ein Anschluß fand nur dort statt, wo man es am ehesten erwarten konnte, auf dem durch sein Basler Promotionsdatum. G. Frhr. von Pölnitz (Hg.), Die Matrikel der Ludwig-Maximilians-Universität Ingolstadt-Landshut-München, Teil 1,1: Ingolstadt 1472–1600, München 1937 (zum 22.03.1472). Vgl. Wilhelm Vischer, Geschichte der Universität Basel von der Gründung 1460 bis zur Reformation 1529, Basel 1860, S. 257; Helmut Wolff, Geschichte der Ingolstädter Juristenfakultät 1472–1625, Berlin 1973, S. 20, 268. 33 Zu den allgemeinen Fakultätszahlen in Köln und Löwen Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 470.
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Boden eben des ‘älteren Europa’, den sich im Nordwesten Frankreich und das Reich teilten. Zentrale Vermittlungsstelle war aus ihrer eigenen Raumsituation heraus die Universität Löwen, an die sich noch Köln und mit rasch abnehmender Tendenz die Universitäten der Rheinlinie anhängten; immerhin lagen auch sie noch auf dem Boden des ‘älteren Europa’. Es war ein Boden, auf dem gerade das juristische Studium eine sichtlich stärkere Tradition hatte als anderswo; und überaus deutlich suchten die französischen Studenten dieser Tradition auch im Reich nachzugehen. Deutschland selbst im ‘jüngeren Europa’ hat den Anschluss bis um 1500 wohl nicht gefunden, es sei denn, man wertet jeneim letzten Viertel des 15. Jahrhunderts in Heidelberg, Freiburg, Basel und Ingolstadt sporadisch und eher zufällig auftretenden französischen Universitätsbesucher und Magisterstudenten aus bis dahin noch untypischen Herkunftsdiözesen wie Paris, Troyes, Vannes oder Poitiers als erste Vorboten eines in der Tat dann kommenden Anschlusses im 16. Jahrhundert.
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FRANKEN IN DER DEUTSCHEN UNIVERSITÄTSLANDSCHAFT DES SPÄTEN MITTELALTERS∗ Ein Thema wie ‘Franken in der deutschen Universitätslandschaft des späten Mittelalters’ verlangt danach, daß es zumindest in zwei Teilen behandelt wird. Dabei enthält der erste Teil einen Überblick über die Bedingungen, die einer spätmittelalterlichen deutschen Universitätslandschaft bzw. einer Universitätslandschaft im Römisch-deutschen Reich des 14. und 15. Jahrhunderts zugrunde gelegen haben, während der zweite Teil sich der Verortung Frankens und dem fränkischen Universitätsbesuch in derselben widmet. I. Die deutsche Universitätslandschaft des 14. und 15. Jahrhunderts Im Jahre 1348, zur Zeit der Gründung der Prager Universität, der ersten im Römisch-deutschen Reich und im Gesamtraum östlich des Rheins, bestanden in Europa bereits 23 Universitäten, davon allein neun in Italien und acht in Frankreich. Am Vorabend der Reformation schien der Anschluß an die älteren „Kulturträger“, zumindest was die Zahl der funktionsfähigen Universitäten anbelangt, geglückt. Frankreich zählte 14, Italien 12, die Iberische Halbinsel 10 und das Reich nun 17 Universitäten, die alle zwischen 1348 und 1506 entstanden waren. Diese Quantitäten ließen sich jedoch nicht einfach in Qualitäten umdeuten. Weiterhin gab es sehr große Unterschiede in den universitären Landschaften Europas. Auch am Ende des Mittelalters konnte noch nicht von Gleichrangigkeit oder einem wirklichen Ausgleich zwischen den früheren und späteren Erscheinungen gesprochen werden. Begreiflicherweise näherte man sich zuallererst in den Grenzzonen einander an, vor allem im rheinischen Großraum von Löwen bis Basel, wo sich,
∗ In: Hans-Albert Steger und Hans Hopfinger (Hg.), Die Universität in der Welt – die Welt in der Universität, Neustadt an der Aisch: Degener 1994, S. 1–26.
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abzulesen an Mobilität und Transfer, europäische Universitätslandschaften überschnitten1. Die Universitäten des Reiches waren vergleichsweise späte, aber keineswegs verspätete Erscheinungen. Das Vorauseilen der einen und das Nachhinken der anderen bedingte nämlich zwei grundverschiedene universitätsgeschichtliche Epochen, eine ältere universale und eine jüngere partikulare Epoche; und schon das mittelalterliche Europa hatte ihnen drei verschiedene Typen von Universitäten zu verdanken. Sie trugen zwar alle drei den gemeinsamen Namen universitas, der die schwurverbandlichen, genossenschaftlichen Ursprünge wach hielt, füllten ihn aber zwischen 1200 und 1500 mit jeweils unterschiedlichen Inhalten aus. Die Universitäten der älteren, universalen Epoche vom 12. zum 14. Jahrhundert wuchsen unter einer universalen Konzeption heran, die ausschließlich im südlichen und westlichen Europa eingelöst wurde. Universal waren Konzeption und Epoche, weil die legitimierenden Kräfte 2 universale Kräfte waren, das römische Kaisertum | und vor allem das römische Papsttum. Die Universitäten, die dieser Epoche angehörten, erschienen noch recht unverbindlich als Ein- oder Zwei- oder MehrFakultäten-Universitäten, als Juristen-Universitäten, Artisten-MedizinerUniversitäten oder Artisten-Mediziner-Theologen-Universitäten; auch Grundlegend Gian Paolo Brizzi und Jacques Verger (Hg.), Le università dell’Europa: La nascità delle università, Mailand 1990; Hilde de Ridder-Symoens (Hg.), A History of the University in Europe, Bd. 1: Universities in the Middle Ages, Cambridge 1992 (für die deutsche Version s. Rüegg); Walter Rüegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa, Bd. 1: Mittelalter, München 1993 (für die engl. Version s. de Ridder-Symoens); Peter Moraw, Aspekte und Dimensionen älterer deutscher Universitätsgeschichte, in: ders. und Volker Press (Hg.), Academia Gissensis. Beiträge zur älteren Gießener Universitätsgeschichte (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 45), Marburg 1982, S. 1–43, S. 8ff.; ders., Über Entwicklungsunterschiede und Entwicklungsausgleich im deutschen und europäischen Mittelalter. Ein Versuch, in: Uwe Bestmann, Franz Irsigler und Jürgen Schneider (Hg.), Hochfinanz, Wirtschaftsräume, Innovationen. Festschrift für Wolfgang von Stromer, Bd. 2, Trier 1987, S. 583–622, S. 604ff.; Otto Gerhard Oexle, Alteuropäische Voraussetzungen des Bildungsbürgertums – Universitäten, Gelehrte und Studierte, in: Werner Conze und Jürgen Kocka (Hg.), Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert, Bd. 1: Bildungssystem und Professionalisierung in internationalen Vergleichen, Stuttgart 1985, S. 29–78; Rainer Christoph Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert. Studien zur Sozialgeschichte des Alten Reiches (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abt. Universalgeschichte 123: Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches 6), Stuttgart 1986; ders., Französische Studenten im spätmittelalterlichen Reich, in: Michel Parisse (Hg.), Les échanges universitaires franco-allemands du Moyen Âge au XXe s. Actes du Colloque de Göttingen, Mission Historique Francaise en Allemagne, 3–5 novembre 1988, Paris 1991, S. 37–54, auch in diesem Band. 1
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die später klassisch werdende Viererzahl war schon früh vorhanden, zum Beispiel in Paris, mit einem fundamentalen Unterschied jedoch zur späteren Entwicklung: Allein die Artisten organisierten und dominierten hier die Universität, in der die übrigen ‘Fachgruppen’ wie Anhängsel erschienen2. Vor allem aber verbanden sich fachliche mit sozialen Schwerpunkten, wodurch die Universitäten unterschiedlich geprägt wurden, am nachhaltigsten und jeweils typenbildend in Bologna und Paris. Die eine stand für die südliche, in der Hauptsache italienisch-südfranzösische elitäre Universität der herrschaftsnahen und herrschaftsgewohnten Juristen, die andere für die westliche, nordfranzösische (und zum Teil auch englische) Artisten-Theologen-Universität, die, nur wenig überspitzt gesagt, eine ‘Universität für jedermann’ war. Als die ältere Konzeption im Laufe des 14. Jahrhunderts zerbrach – beschleunigt durch das Schisma der Papstkirche von 1378 – traten in der jüngeren, partikularen Epoche immer stärker territoriale und nationale Kräfte an die Stelle des ursprünglichen Universalismus. Jetzt bestimmten sie – Könige und Fürsten, hie und da auch städtische Obrigkeiten – die neue Konzeption. Die Folge war ein neuer, dritter Universitätstypus, die klassisch gewordene Vier-Fakultäten-Universität, die Juristen, Theologen, Mediziner und Artisten in einer gemeinsamen Organisation unter einem Dach vereinigte. In diesem partikularen Stadium und in der Viererform begann die eigentliche Universitätsgeschichte des Römisch-deutschen Reiches3. Die Prager Universität von 1348 bildete gewissermaßen die Drehscheibe im Übergang von der universalen zur partikularen Epoche. Sie war zugleich der Prüfstein für die Fähigkeit, die älteren Universitätstypen Pariser und Bologneser Prägung in einer neuen Form zu integrieren. Prag sollte diese erste Prüfung bekanntlich nicht bestehen. Das Zusammenbinden sozial unverträglicher Gemeinschaften, des vornehmen, adelsverwandten Juristenmilieus mit dem anderer sozialer und fachlicher Gruppierungen funktionierte nicht oder noch nicht. Die Mehrheit der Universitätsbesucher stellten in Prag nicht die elitären Juristen, sondern die in der Regel minderrangigen Theologen und vor allem die sozial diffusen Artisten (Mediziner spielten kaum eine Rolle und sollten auch
Jacques Verger, Les universités au moyen âge, Paris 1973, S. 51f. Jüngster Überblick Rainer Christoph Schwinges, Le università nei territori dell’Impero, in: Brizzi/Verger, Le università (wie Anm. 1), S. 221–255. 2 3
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künftig ob ihrer stets sehr geringen Zahlen nie eine besondere Rolle in den deutschen Universitäten des späten Mittelalters spielen). Dabei ergaben sieh Unklarheiten über die Führung der Universität. Man konnte nicht zur gleichen Zeit innerhalb des einen Studium Pragense pariserisch handeln und bolognesisch denken. Ein solcher Dualismus mußte – ungebremst – zu sozialen und konstitutionellen Konflikten führen. Im Jahre 1372 trennten sich die Juristen förmlich von den übrigen, gründeten eine eigene universitas dominorum juristarum, wählten einen eigenen Rektor und betrieben ihr eigenes Collegium. Diese Universität der ‘Prager Herren’ legte schon von ihrer Bezeichnung her ein ebenso 3 | herrschaftliches Selbstverständnis gegenüber der verbleibenden Artisten-Theologen-Mediziner-Universität an den Tag wie die Universitäten der Herren Rechtsstudenten Frankreichs oder Italiens4. Prag blieb mit seiner Sezession ein Experiment, ein typisches Produkt des Übergangs. Am Ende ist die Integration der so gänzlich inhomogenen Personenverbände bzw. Fakultäten gerade durch den Zugriff des vergleichsweise modernen Territorialstaates oder nationalen Staates gelungen. Der daraus resultierende neue Universitätstyp war der deutsche Typ oder die deutsche Landesuniversität. Von Anfang an war sie dem Willen des herrschaftlichen Gründers und Stifters, des Landesherrn und seiner Dynastie unterworfen. Das gilt auch für die wenigen Städte bzw. städtischen Führungsgruppen, die in nicht minder herrschaftlicher Manier und in Verbindung mit ökonomischen Interessen Universitäten gründeten – in Köln, Erfurt und Basel. Es ging ihnen dabei nicht um eine allgemeine Bildungspolitik, sondern in erster Linie um Prestige und dann auch um Verwaltungspersonal für die Höfe, die Kirchen und Städte – letzteres aber deutlich nachrangig und in sehr bescheidenem Maße. So standen die deutschen Universitäten von Anfang an unter einem hohen Zentralisierungsdruck; stärker als im Westen und Süden wurden sie gezwungen, die selbstverständlich weiter bestehenden Milieuunterschiede und Spannungen zwischen den vornehmen Juristen und den anderen Universitätsangehörigen in nur 4 Peter Moraw, Die Universität Prag im Mittelalter, in: Die Universität zu Prag (Schriften der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste 7), München 1986, S. 9–134, hier: S. 26–42; ders., Die Prager Universitäten des Mittelalters, in: Susanne Burghartz (Hg.), Spannungen und Widersprüche. Gedenkschrift für František Graus, Sigmaringen 1992, S. 109–123, S. 109ff.; ders., Die Juristenuniversität in Prag (1372–1419), verfassungs- und sozialgeschichtlich betrachtet, in: Johannes Fried (Hg.), Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters (Vorträge und Forschungen XXX), Sigmaringen 1986, S. 439–486.
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einer universitas auszuhalten. Was an Distanziertheit vorhanden war, und das war durchaus nicht wenig, konnte sich von Obrigkeits wegen nur noch in einem symbolischen Handeln legal äußern – zum Beispiel in der akademischen Kleidung, in der Sitzordnung oder Prozessionsordnung5. Mit alledem unterschied sich die jüngere deutsche Universitätslandschaft zutiefst von den älteren im Süden und Westen Europas, selbst noch von den zeitgenössischen, obgleich auch die Universitäten Frankreichs und Italiens seit den offenen und weichen Anfängen des 12./13. Jahrhunderts inzwischen beachtlich politisch überformt worden waren. Begreiflicherweise war jeder neue Studienort in seinem herrschaftlichen wie sozialen Umfeld jedesmal anders beschaffen als Paris oder Bologna. Wohin auch immer das Gebilde universitas transferiert wurde, es erhielt durch äußeren Druck und Einfluß nebst innerem Zwang zur Anpassung eine jeweils andere, individuelle Geschichte – jenseits freilich der unabdingbaren formalen Gleichheit der universalen Privilegien, der Symbole und der Terminologie. Das galt für ganz Europa. Im Reich jedoch blieb die Universität mit ihrer Geschichte an die Herrschaft gebunden, vor allem an den Territorialherrn, seinen Hof und seinen Staat. Universitäten zu stiften sollte ein ebenso klarer Ausdruck von Herrenrecht werden wie Burgen zu bauen, Städte zu gründen oder Kirchen und Klöstern zu stiften. Wie mit ihnen, so trieb der Herr auch mit seiner Universität handfeste Politik, regierte in sie hinein und hielt sie sich verfügbar, durchaus auch im Sinne von herrschaftlicher und landesstaatlicher Personalpolitik. Diese Konstellation bestimmte mit aller Entschiedenheit, daß die künftige deutsche Universitätslandschaft eine territorialisierte und regionalisierte sein würde. Zur regionalen Existenz in der politischen und sozialen Nähe des Landesherrn | (oder der städtischen Obrigkeit) 4 gab es keine Alternative mehr; die Territorialisierung des Reich, die Verrechtlichung der Landesherrschaft und die Macht einzelner großer Städte waren zu weit fortgeschritten, als daß noch einmal ‘freie Gruppen’ von Magistern oder Scholaren eine Chance wie in Paris oder Bologna gehabt hätten, auch nicht mit Hilfe des Papstes oder des Kaisers. Die besten päpstlichen oder kaiserlichen Privilegien wären tote Privilegien geblieben, wären sie nicht durch einen Landesfürsten oder städtischen Rat und deren Umwelt mit politischem und sozialem Leben gefüllt worden. Wo der Landesherr scheiterte, das heißt auch, wo er zu
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Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 367f., 465–486.
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früh starb, ohne seine Gründung in der regionalen und lokalen Umwelt sozial verankert zu haben, konnte auch die Universität nicht gedeihen bzw. gar nicht erst überleben. Solch ein Schicksal erlitt zum Beispiel neben den Erstgründungen in Krakau (1364) und Wien (1365) auch die ältere Universität zu Würzburg (1402–1411), wobei in diesem Falle die prinzipiellen Strukturschwächen geistlicher Territorien vor dem 16. Jahrhundert – Herrschaftsdefizite infolge fehlender Kontinuität und ständige Finanzsorgen waren nur zwei davon – ihr Übriges taten6. Das territoriale Gefüge des Reiches, das so wesentlich über die Andersartigkeit der deutschen Universitätslandschaft in Europa mitentschied, war auch der tiefere Grund für ihr spätes Auftreten. Keine Rede konnte sein vom Unvermögen der deutschen hohen Geistlichkeit oder dem Versagen der rückkehrenden deutschen Italien- oder Frankreich-Studenten oder gar von einem niedrigeren intellektuellen Niveau in Deutschland – angesichts bedeutender Dom- und Stiftsschulen in Bamberg, Köln, Hildesheim oder Magdeburg, angesichts nicht weniger bedeutender Generalstudien der Bettelorden in Köln oder Erfurt. Auch konnte keine Rede davon sein, daß Kaiser und Könige, schon gar nicht der nachstaufischen Zeit, universitäts- und bildungspolitisch versagt hätten. Zu einer solchen Politik wären Kaiser und Reich – anders als die Landesherren, die sich der Verstaatung ihrer Länder widmen konnten, und einen Baustein dazu lieferten die Universitäten – aus konstitutionellen Gründen gar nicht in der Lage gewesen. Das Reich des späten Mittelalters trug zwar schon Züge von Staatlichkeit an sich, war jedoch erst auf dem Wege zu einem neuzeitlichen Staat; es schleppte sich mit Verfassungsproblemen herum, von denen das krisenträchtige Problem der dynastischen Kontinuität und das Problem der mangelnden Zentralität (das Reich besaß keine Hauptstadt) die schwerwiegendsten im europäischen Vergleich waren. Eine königliche, kaiserliche Universität oder eine ‘Reichsuniversität’ konnte es daher nie geben. Von den wenigen Jahrzehnten abgesehen, in denen Prag als einzige Universität im Reich vielleicht eine gewisse Mittelpunktsfunktion erfüllte, hat es niemals eine Zentrale gegeben, die der Rolle von Paris
6 Franz Xaver von Wegele, Geschichte der Universität Würzburg, 2 Tle., Würzburg 1882 (Ndr. Aalen 1969), Tl. 1; Friedrich Joseph Abert, Aus der Geschichte der ersten Würzburger Universität unter Bischof Johann von Egloffstein, in: Archiv des Historischen Vereins für Unterfranken und Aschaffenburg 63 (1923), S. 1–32; Franz Machilek, Zur Geschichte der älteren Universität Würzburg, in: Würzburger DiözesanGeschichtsblätter 34 (1972), S. 157–168.
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vergleichbar gewesen wäre. Prag war vor allem anderen die Universität des luxemburgischen Hauses im Königreich Böhmen. Dies war letztlich auch der Grund dafür, daß die erste Universität des Reiches in Prag und nicht, wie man hätte erwarten können, in Köln entstanden ist, obwohl hier, wo unter anderem Albertus Magnus und Thomas von Aquin, Meister Eckhart und Johannes Duns Scotus gelehrt hatten, zweifellos bessere organisatorische und intellektuelle Voraussetzungen bestanden als in Prag. Die Universität entstand in Prag, weil eine künftig erfolgreiche Großdynastie wie das Haus Luxemburg aus | genealogischen Zufällen heraus in Böhmen ihre Hauptmacht und in 5 Prag ihr Zentrum besaß, und weil in einem günstigen Augenblick ein durchsetzungsfähiger, gebildeter, frankreich- und italienerfahrener Fürst wie Karl von Luxemburg dem Papst die erforderlichen Zugeständnisse für eine Universität einschließlich einer – bis dahin nur spärlich bewilligten – theologischen Fakultät abringen konnte7. Was Luxemburg prestigeträchtig begonnen, wurde von den Konkurrenten im Reich sehr bald aufgegriffen. Bis 1506 hatten alle großen Dynastien des Reiches, die weltlichen und geistlichen Kurfürsten und die bedeutenderen Reichsfürsten ihre Universität oder zumindest Zugang zu einer Universität in unmittelbarer Nähe8. Den Anfang machten die nächstmächtigen, königsfähigen Häuser. Die Habsburger gründeten 1365/1384 die Wiener Universität; 1460 trat Freiburg im Breisgau als Landesuniversität für die vorderösterreichischen Besitzungen hinzu. Das Haus Wittelsbach, zunächst die pfalzgräfliche Linie vom Rhein, stiftete in ihrem Hauptort Heidelberg (1386). Die bayerische Linie zog 1459 nach, wenn auch der Lehrbetrieb in Ingolstadt erst 1472 beginnen konnte. Die Freie Stadt Köln gründete 1388, immerhin gleich nach den drei großen Häusern; nun erst schien sich die gelehrte Tradition am Rhein, überdies in der wichtigsten Führungslandschaft des mittelalterlichen Reiches, ausgewirkt zu haben. Nachdem man sich arrangiert So pointiert Moraw, Die Universität Prag (wie Anm. 4), S. 22ff. Schwinges, Le università (wie Anm. 3), S. 229–236. Zu den einzelnen Universitäten s. Laetitia Boehm und Rainer A. Müller (Hg.), Universitäten und Hochschulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Eine Universitätsgeschichte in Einzeldarstellungen (Hermes Handlexikon, 9), Düsseldorf 1982, mit Literatur; dazu Eike Wolgast, Die Universität Heidelberg 1386–1986, Berlin 1986; Erich Meuthen, Kölner Universitätsgeschichte, Bd. 1: Die alte Universität, Köln/Wien 1988; Sönke Lorenz, Studium generale Erfordense. Zum Erfurter Schulleben im 13. und 14. Jahrhundert (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 34), Stuttgart 1989, und Erich Kleineidam, Universitas studii Erfordensis. Überblick über die Geschichte der Universität Erfurt im Mittelalter (Erfurter Theologische Studien 14, 22), 2 Bde. Leipzig 21985–1992. 7 8
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hatte, sollte auch der ehemalige Stadtherr, der Kölner Kurfürst-Erzbischof und sein geistlicher Landesstaat von der städtischen Universität profitieren. Wenig später (1392) eröffnete die thüringische Stadt Erfurt ihre Universität, eine halbautonome Stadt mit reicher Schultradition im Territorium des Erzbischof-Kurfürsten von Mainz, der damit ebenfalls für alle Teile seines Staates Universitätszugang erhielt, bevor er selbst 1476 die zweite Universität seines Territoriums in Mainz gründete, bezeichnenderweise in seiner 1462 wieder unterworfenen, ehemals freistädtischen Residenz. Als König Wenzel im Frühsommer 1409 in die schon länger schwelenden sozialen, aber national gefärbten Konflikte zwischen den Prager Universitätsnationen eingriff und die einheimische böhmische Nation, ganz im Sinne der Landesuniversität, begünstigte, verließen aus Protest gegen dieses sogenannte Kuttenberger Dekret viele deutsche Doktoren und Studenten Prag, wanderten in die benachbarte Markgrafschaft Meißen ab und sammelten sich in Leipzig. Verdächtig schnell erwirkten die Landesherren ein päpstliches Privileg und eröffneten noch im gleichen Jahr 1409 die Universität. Damit hatte auch das Haus Wettin, das im Jahre 1422 Land, Herzogstitel und Kurwürde von Sachsen erwarb, seine Hohe Schule. Bei der Teilung des Hauses 1485 in eine kurfürstliche (Ernestiner) und eine herzogliche Linie (Albertiner) verblieb Leipzig bei der letzteren, so daß sich die Kurfürsten von Sachsen genötigt sahen, ihre eigene Universität zu stiften – in Wittenberg 1502. Die letzten kurfürstlichen Universitätsgründer waren der Erzbischof von Trier, allerdings 1473 auf Initiative der Stadt, die ihm das landesherrliche Gründungsrecht nebst den päpstlichen Stiftungsbullen von 1454 abgekauft hatte, und der Markgraf von Brandenburg. Das kurfürstliche Haus der Hohenzollern, seit 1417 in der Mark, benötigte fast das ganze 15. 6 Jahrhundert, um sich zunächst | gegen den märkischen Adel durchzusetzen und die Städte zu unterwerfen. Pläne für eine brandenburgische Universität bestanden zwar schon seit längerem, konnten jedoch in Frankfurt an der Oder erst 1506 in die Tat umgesetzt werden, nachdem auch der Kaiser, Maximilian I., den letzten noch universitätslosen Kurfürsten zur Gründung gedrängt hatte. Unterhalb der Ebene der Großdynastien und Kurfürsten stifteten weiterhin bedeutende Reichsfürsten und Städte: Hinter der Universität in Rostock stand 1419 das mecklenburgische Herzogshaus, hinter der Gründung von Löwen 1426 das Haus Burgund in Gestalt der Herzöge von Brabant. 1456 stifteten die mit Mecklenburg rivalisierenden Herzöge von Pommern (Linie Wolgast) ihre Universität in Greifswald.
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Tübingen schließlich, 1477 gestiftet vom Grafen von Württemberg, war die Landesuniversität der größten Grafschaft des Reiches, bevor sie 1495 zum Herzogtum erhoben wurde. Einzige Universität ohne nennenswerten territorialen Hintergrund, vom relativ kleinen Fürstbistum Basel und von der Anbindung an die Schweizerische Eidgenossenschaft nach 1500 abgesehen, blieb die 1460 eröffnete Universität zu Basel, eine städtische Universität wie Köln und Erfurt, die in Erinnerung an die florierende Universität des Konzils von Basel (1432–1449) der Stadt Ansehen und vor allem wirtschaftlichen Nutzen bringen sollte. Die territoriale Struktur, die das Reich in seiner staatlichen Verfassung so sehr von anderen europäischen Ländern unterscheidet, erklärt schließlich auch die wachsende Zahl der Universitäten. Schon um 1500 zählte man im Reich mehr Korporationen als in den westlichen und südlichen Vorsprungsländern. Diese der Zahl nach führende Position sollte auch unter konfessionellen Bedingungen bis ans Ende des Alten Reiches 1806 nicht mehr abgegeben werden. Zeitweise bestanden über 40 Universitäten, und kaum ein größerer geistlicher oder weltlicher Landesstaat hätte darauf im Kreise der anderen verzichten können, so wenig wie vor 250 Jahren die Markgrafen von Brandenburg-Bayreuth auf Erlangen. Trotz der Verdichtung der Universitätslandschaft schon im ausgehenden Mittelalter hat man sich nicht im Wege gestanden. Es mag Austauschvorgänge gegeben haben, zwischen Heidelberg, Köln und Löwen, zwischen Freiburg und Tübingen, Freiburg und Basel, Erfurt und Rostock; aber keine Universität entzog der anderen Studenten in direkter Konkurrenz. Als Landesuniversitäten schöpften sie die Bildungsreserven vornehmlich aus dem eigenen Land ab; und wie von selbst richteten sich Universitätsbesuch und Migrationsverhalten der Studenten danach aus, längst bevor frühmoderne Staaten wie die burgundisch-habsburgischen Niederlande oder Bayern gegen Ende des 15. Jahrhunderts meinten, Immatrikulationsgebote und -verbote erlassen zu müssen9. Deswegen machten auch die kleinsten Universitäten, manchmal wahre Zwerganstalten mit nicht einmal 50 Neuimmatrikulierten pro Jahr, ihren Sinn. Sie standen schlicht im Dienste ihres Landes und
9 Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 296ff.; ders., Migration und Austausch: Studentenwanderungen im Deutschen Reich des späten Mittelalters, in: Gerhard Jaritz und Albert Müller (Hg.), Migration in der Feudalgesellschaft (Studien zur Historischen Sozialwissenschaft 8), Frankfurt am Main/New York 1988, S. 141–155; ders., Französische Studenten (wie Anm. 1).
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ihres Landesherrn, nicht aber in erster Linie im übergeordneten Dienst an Bildung und Wissenschaft. Letzteres, aus mittelalterlich-herrscherlicher Sicht eher ein drittrangiger Effekt, leitete gleichwohl einen der langfristig folgenreichsten Ausgleichsvorgänge in Mitteleuropa ein. Seit Prag und den nachfolgenden 7 deutschen Universitäten konnte | nun gelehrte Bildung zum ersten Mal nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb der Reichsgrenzen erworben werden. Dieses Angebot wurde in Deutschland überraschend stark genutzt. Von Anfang an stieg die Zahl der Universitätsbesucher aufs Ganze gesehen ständig an, und zwar bemerkenswerterweise entgegen der allgemeinen Bevölkerungsentwicklung im Reich, die pestbedingt bis 1450 stark negativ und bis 1470 stagnierend verlaufen war. Bis in den Anfang des 16. Jahrhunderts aufsummiert, bei einer Wachstumsrate von durchschnittlichen 1,75 Prozent pro Jahr, sollten sich mehr als 200 000 Menschen (ausschließlich Männer) in die Matrikelbücher der deutschen Universitäten eingeschrieben haben10. An diesem Wachstum hatte der Raum Franken einen so gewichtigen Anteil, daß man von der Universitätslandschaft Franken sprechen kann, selbst lange bevor sie zum Kernraum einer fränkischen Universität wurde: Würzburg 1582. II. Die Universitätslandschaft Franken im 15. Jahrhundert Der zweite Teil dieses Beitrags wird sich mit den Bedingungen und Besonderheiten des fränkischen Universitätsbesuchs im Reich des späten Mittelalters beschäftigen, und zwar in vierfacher Weise: Zu handeln ist erstens über die zeitliche Dimension des Universitätsbesuchs, zweitens über die besuchten Universitäten, drittens über die regionale Herkunft und viertens über mögliche Besuchertypen aus Franken. 1. Die zeitliche Dimension Franken war als eine der Großlandschaften des alten Reiches von Anfang an nahezu lückenlos in das deutsche Universitätsnetz eingebunden und diente dabei aufgrund seiner Mittellage gleich mehreren
10 Rainer C. Schwinges, Universitätsbesuch im Reich vom 14. zum 16. Jahrhundert. Wachstum und Konjunkturen, in: Geschichte und Gesellschaft 10 (1984), S. 5–30, hier: S. 13ff.; ders., Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 30ff.
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Landesuniversitäten als unmittelbarer Einzugsraum. Im Überblick des 15. Jahrhunderts stellte der Raum Franken einschließlich der Oberpfalz (hier immer gemeint: Unterfranken, Oberfranken, Mittelfranken und Oberpfalz) rund acht Prozent der gesamten Besucher deutscher Universitäten – das sind rund 16 000 von mehr als 200 000 Personen. Dies war vergleichsweise viel für eine Landschaft, die selbst eben keine existenzsichere mittelalterliche Universität hervorgebracht hatte. Solche und andere Zahlenaussagen, die noch folgen, lassen sich auf der Quellengrundlage der allgemeinen Rektoratsmatrikeln tätigen, von denen bis zum Ausgang des 15. Jahrhunderts, vor der Gründung von Wittenberg und Frankfurt an der Oder (1502, 1506), zwölf nahezu vollständig überliefert sind, in der Reihenfolge der Entstehung: Wien (1365/84), Heidelberg (1386), Köln (1388), Erfurt (1392), Leipzig (1409), Rostock (1419), Löwen (1426), Greifswald (1456), Freiburg (1460), Basel (1460), Ingolstadt (1472) und Tübingen (1477)11. Der genannte Prozentsatz ließe sich schätzungsweise bis auf 10 Prozent steigern, könnte man die beiden Prager Universitäten bis 1409 noch mitberücksichtigen sowie die Universitäten von Trier und Mainz und trotz der Kurzlebigkeit von Würzburg. Doch fehlen hier die gleich gearteten Quellen, die allgemeinen Matrikeln, so daß man auf allzu unsicherem Boden stünde. Die | Durchsicht der Prager Juristenmatrikel und der artistischen 8 Dekanatsbücher lehrt jedoch, daß Prags Mittelpunktsfunktion zur Zeit der ersten Luxemburger gerade auch für den Universitätsbesuch aus Franken und nicht nur Nürnbergs wegen gegolten hat. Dabei schloß man sich in Prag der bayerischen Nation an. Frankens Beteiligung am Universitätsbesuch im Reich folgte im großen und ganzen dessen Wachstumsphasen, setzte jedoch eigene Akzente. Diese Phasen änderten sich in der sogenannten Reichsfrequenz, der Summe aller Frequenzen der Universitäten des Reiches, im Wechsel von Aufschwungs- und Stockungsspannen vom ausgehenden 14. bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts viermal in entscheidender Weise. Die erste Phase, in der der Universitätsbesuch bzw. die Immatrikulationsfrequenz ziemlich rasch zunahm, erstreckte sich von 1384/85,
11 Zu den Matrikeleditionen: Eva Giessler-Wirsig, Universitäts- und Hochschulmatrikeln, in: Wolfgang Ribbe und Eckart Henning (Hg.), Taschenbuch für Familiengeschichtsforschung, Neustadt an der Aisch 91980; mit Erörterung der Quellenproblematik Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 11–37, 226ff. u.ö., und Jacques Paquet, Les matricules universitaires (Typologie des Sources du Moyen âge occidental 65), Turnhout 1992, S. 50ff.
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3000
Immatrikulationen
2500 2000 1500 1000 500 0
1395
1405
1415
1425
1435
1445
1455
1465
1475
1485
1495
Jahrgänge Frankenfrequenz
Reichsfrequenz
Abb. 1: Franken- und Reichsfrequenz 1395–1495.
den Jahren der Wiedereröffnung der Wiener Hochschule, bis in die dreißiger Jahre des 15. Jahrhunderts. Die folgenden zwanzig Jahre der zweiten Phase verzeichneten eine krisenhafte Verzögerung des Zugangs, die dann jedoch in der dritten Phase zwischen etwa 1450 und 1480 durch ausgesprochen immatrikulationsintensive Jahrgänge ersetzt wurde. Man kann diese Aufschwungsphase als die eigentliche take-off-Phase des Universitätsbesuchs im spätmittelalterlichen Reich bezeichnen. Sie hat am entschiedensten dazu beigetragen, die Akzeptanz der Landesuniversitäten in ihren Regionen massiv zu fördern, wenn dies auch nicht gleichgewichtig in der gesamten deutschen Universitätslandschaft gelang. In der abschließenden vierten Phase kam es dann zu einer Stockung des Wachstums – auf dem hohen Niveau freilich von rund 2 500 Immatrikulationen pro Jahr; ich habe sie einmal ihrer Konsequenzen 9 wegen als die erste ‘Überfüllungskrise‘ in der Geschichte der deutschen | Universitäten beschrieben12. Dieses Phänomen sollte auch im frühen 16. Jahrhundert zunächst noch anhalten, zumal die Reformationsereignisse den Bildungsbetrieb zusätzlich belasteten. In dieses Auf und Ab der ‘Besuchskonjunktur’ war nun Franken als Universitätslandschaft akzentuiert einbezogen. Man bemerkt sogar ein relativ trendstarkes Jahrhundert-Wachstum der ‘Frankenfrequenz’,
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Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 33ff., 58ff., 193ff.
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ermittelt hier in Zehn-Jahres-Stichproben von 1395 bis 1495, das die allgemeinen Stockungsphasen der Reichsfrequenz fast zu ignorieren schien (vgl. Abb. l)13. Der Besuch aus Franken stieg von der ersten zur zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts auf das Dreifache an. Damit zeigte sich Franken sogar relativ besuchsfreudiger als beispielsweise die niederrheinischen oder hessisch-thüringischen universitären Kernräume von Köln oder Erfurt14. 2. Die besuchten deutschen Universitäten Personen aus Franken entschieden sich im Grunde erwartungsgemäß in überaus eindeutiger Weise nach dem Regionalitätsprinzip des deutschen Universitätstyps, wie er im ersten Teil oben gekennzeichnet wurde. Man konzentrierte sich – ebenfalls ermittelt aus Stichproben zwischen 1395 und 1495 – gewissermaßen im Kreis um Franken herum auf die Universitäten zu Leipzig und Erfurt, Wien und Ingolstadt, Heidelberg und Köln. Vier von ihnen waren zugleich die größten Universitäten des Reiches, mit zudem überregionaler Anziehungskraft, während Heidelberg und Ingolstadt mittlere Positionen einnahmen. Die übrigen Universitäten fielen als Zielorte statistisch überhaupt nicht ins Gewicht; so gut wie nie besucht wurden Löwen, Rostock und Greifswald, nur sporadisch und typischerweise in den Gründungsphasen, als sich sogenannte Eröffnungsklientelen oft gerne in landsmannschaftlichen Zusammenhängen bildeten, Freiburg, Basel und Tübingen15. Prag war
13 Zur Reichsfrequenz: ebd., S. 23ff., 541ff.; Frankenfrequenz in den Stichprobenjahren 1395: 31, 1405: 18, 1415: 42, 1425: 81, 1435: 60, 1445: 93, 1455: 216, 1465: 169, 1475: 194, 1485: 260, 1495: 231; Summe (1395–1495) = Ngesamt = 1395; zur Methode ebd., S. 221ff. und ders., Deutsche Universitätsbesucher im späten Mittelalter, Methoden und Probleme ihrer Erforschung, in: Hermann Weber (Hg.), Politische Ordnungen und soziale Kräfte im Alten Reich (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abt. Universalgeschichte, Beih. 8: Beiträge zur Sozialund Verfassungsgeschichte des Alten Reiches 2), Wiesbaden 1980, S. 37–52. 14 Ders., Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 1), v.a. S. 253ff.; ders., Erfurts Universitätsbesucher im 15. Jahrhundert. Frequenz und räumliche Herkunft, in: Ulman Weiss (Hg.), Erfurt. Geschichte und Gegenwart, Weimar 1994, S. 207–222. 15 Zur ‘Eröffnungsklientel’ Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 1), Register; für Freiburg ders., Rektorwahlen. Ein Beitrag zur Verfassungs-, Sozialund Universitätsgeschichte des Alten Reiches im 15. Jahrhundert. Mit Rektoren- und Wahlmännerverzeichnissen der Universitäten Köln und Erfurt aus der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts (Vorträge und Forschungen, Sonderbd. XXXVIII), Sigmaringen 1992, S. 29ff.; zu Tübingen und Basel Georg Cramer, Die örtliche und die soziale Herkunft der ältesten Tübinger Studenten (1477–1600), Diss. masch., Leipzig 1923; Ludwig Weiß, Baseler Studenten aus dem Bistum Würzburg (1460–1529), in: Würzburger Diözesan-
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ohnehin, spätestens seit 1417, nachdem das Konzil zu Konstanz aufgrund der hussitischen Verstrickungen die Privilegien und damit auch das Promotionsrecht widerrufen hatte, auf lange Zeit aus der deutschen und mithin fränkischen Bildungsgeschichte ausgeschieden. Das scheinbar geschlossene Bild des Universitätsrings um Franken täuscht allerdings sehr. Die eigentlichen Zielorte waren auf das gesamte Jahrhundert gesehen Leipzig, wohin schon 30 Prozent aller fränkischen Universitätsbesucher zogen, gefolgt in freilich großem Abstand von Wien mit fast 22 und Erfurt mit 18,5 Prozent (vgl. Abb. 2). Deutlich weiter zurück standen Heidelberg und Ingolstadt mit knapp elf sowie Köln mit knapp sechs Prozent. Eine weitere Differenzierung ergibt sich aus der zeitlichen Dimension. Bis etwa zur Mitte des 15. Jahrhunderts war Wien der große Favorit. Nahezu jeder zweite Franke zog bis dahin an die habsburgische Lan10 desuniversität, die nach dem Ausfall | Prags – wie es scheint – eine gewisse Mittelpunktsfunktion übernommen hatte. Man traf sich in der rheinischen Nation, der von Anfang an größten und bedeutendsten der Universitätsnationen in Wien. Die übrigen Franken verteilten sich etwa gleich auf Heidelberg und Leipzig, ein wenig geringer auf Erfurt, während Köln in dieser Wien 21,8 Heidelberg 10,8 Köln 5,9
Tübingen 0,6 Ingolstadt 10,5 Basel 0,9 Löwen Rostock 0,1
Erfurt 18,5 Freiburg i.Br. 0,6 1395–1495
0,2
Leipzig 30 Ngesamt=1395=100%.
Abb. 2: Franken an deutschen Universitäten des 15. Jahrhunderts (%) Geschichtsblätter 16/17 (1954/55), S. 229–245; Marc Sieber, Die Universität Basel und die Eidgenossenschaft 1460 bis 1529, Basel 1960.
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Zeit noch kaum beachtet wurde. Dies zeigt im übrigen, daß die um zwanzig Jahre jüngere Universität zu Leipzig zumindest ihren fränkischen Einzugsraum viel rascher und stärker expandiert hatte als die beiden älteren Schwestern zu Heidelberg und Erfurt. Ein besonders auffallender Zuzug nach Wien ergab sich in den vierziger und fünfziger Jahren, und man ist geneigt, dies von Franken aus, der bekanntlich besonders “königsnahen Landschaft” (Peter Moraw) im späten Mittelalter, auch was reichsstädtische Herkunft betrifft, mit dem habsburgischen Königtum in Verbindung zu bringen. Doch sehr wahrscheinlich war dies nicht, angesichts der Struktur der deutschen Universitätslandschaft, die seinerzeit auch Heidelberg im ersten Jahrzehnt des Jahrhunderts keinerlei Aufschwung unter dem pfälzischen Königtum beschert hatte16, angesichts aber auch der Tatsache, daß um die Mitte des Jahrhunderts die Blütezeit des deutschen Universitätsbesuchs begonnen hatte, Wien jedoch, was gerade Franken anbelangte, davon nicht profitieren konnte, im Gegenteil sich für den Rest des 15. Jahrhunderts trotz der langen Regierungszeit Friedrichs III. mit 11,4 Prozent begnügen musste. Die von Franken bevorzugte Universität der zweiten Jahrhunderthälfte, insbesondere seit den sechziger Jahren und andauernd bis in die Reformationszeit, bis dann Wittenberg zu dominieren begann, war Leipzig (vgl. Abb. 3). Jeder Vierte immatrikulierte sich hier und zog damit sogar am nähergelegenen Erfurt vorbei |, obwohl auch die thüringische 11 Universität ihren fränkischen Anteil steigern konnte, allerdings nur bis in die siebziger Jahre, in denen Erfurts Einzugsraum, nun eingeklemmt zwischen den überregionalen Räumen von Köln und Leipzig und von Süden her durch die 1472 neu eröffnete bayerische Landesuniversität zu Ingolstadt, seine größte Ausdehnung bereits erreicht hatte17. Mit der Gründung Ingolstadts entwickelte sich neben dem mitteldeutschen ein zweites südliches Schwergewicht im fränkischen Nahbereich, das man relativ gesehen als ein besonders markantes Rekrutierungsphänomen bezeichnen kann; in nur zwei Jahrzehnten konzentrierten sich hier schon 10,5 Prozent aller Besucher aus Franken, während die übrigen Universitäten zur gleichen Zeit erheblich an Bedeutung verloren oder gar nicht erst gewannen. So waren es vor allem Leipzig, Erfurt und Ingolstadt, die in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, in der Blütezeit der deutschen Universitäten, bereits mehr als die Hälfte aller
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Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 61–83. Ders., Erfurts Universitätsbesucher (wie Anm. 14).
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Wien 10,4
Ingolstadt 10,5 Leipzig 4,7
Leipzig 25,2
Andere 2,5
Wien 11,4 Erfurt 3,6 Heidelberg 4,4
Köln 0,2
1. Hälfte: 1395–1445 Ngesamt=1395=100%
Heidelberg 6,5
Erfurt 14,9 Köln 5,7 2. Hälfte: 1455–1495
Andere Universitäten: Ba, Fr, Tü
Abb. 3: Franken an den deutschen Universitäten in der 1. und 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts (%).
fränkischen Universitätsbesucher des Jahrhunderts an sich zogen; das sind mehr als zwei Drittel, wenn man das halbe Jahrhundert nach 1450 gesondert betrachtet, und damit die eigentliche Universitätslandschaft Franken in wesentlichen Teilen ihrer Einzugsräume konstituierten. 3. Die regionale Herkunft Die Entscheidung zur Immatrikulation in Leipzig, Erfurt und Ingolstadt, an jenen Universitäten, die Franken gleichsam wie ein Dreieck umspannten und nach 1450 | 12 ganz offensichtlich in einer Mittellage hielten, war durch Kräfte der Region und der Universitätsorte wesentlich bedingt18. Allgemein hatte sich der Universitätsbesuch im
18 Es existieren eher punktuelle als systematische Untersuchungen; vgl. zu Franken in Herkunftsräumen der Universitäten u.a. Hermann Jordan, Reformation und gelehrte Bildung in der Markgrafschaft Ansbach-Bayreuth, Leipzig 1917, S. 48–53; Berta Scharnke, Über Zusammensetzung und soziale Verhältnisse der Heidelberger Universitäts-Angehörigen im 15. Jahrhundert, Diss. masch., Heidelberg 1921, S. 22ff.; Cramer, Die örtliche und die soziale Herkunft (wie Anm. 15); Wolfgang Keck, Die Herkunft der Leipziger Studenten von 1409 bis 1430, Diss. masch., Leipzig 1933; Kurt Eisenmann, Studien über Voraussetzungen und Rezeption des Humanismus in den Fränkischen Territorien Würzburg, Bamberg und der Markgrafschaft AnsbachBayreuth, Diss. masch., Würzburg 1953; Johannes Kist, Bamberger Kleriker an den
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Reich als ein frequentielles Phänomen schon um die Mitte des Jahrhunderts von Süden nach Norden verlagert, driftete aber nach 1450 in der Hauptwachstumsphase immer stärker nach Westen in den rheinischen Großraum hinein, in die wichtigste Führungslandschaft des mittelalterlichen Reiches, wo bald die Universitäten zu Löwen und Köln, letztere aufgrund überregionaler, reichsweiter Rekrutierung, die Spitzenpositionen weit vor den alten Größen Leipzig, Erfurt und Wien belegten. Hier fanden innerhalb des Reiches Migrations- und Austauschprozesse statt, zum Teil sogar soziale Verlagerungen von ‘Arm und Reich’, deren Ausmaße man vorerst nur in Umrissen zu erkennen vermag19. Franken als potentieller Einzugsraum hat sich anscheinend nicht sonderlich an dieser Westbewegung beteiligt, jedenfalls nicht in seiner Gesamtheit. Jedoch standen einzelne Teillandschaften in ganz unterschiedlichen Beziehungen zu ihren Zieluniversitäten und hatten höchst unterschiedliche Anteile an deren Regionalität. Es reicht schon aus, dabei auf die modernen Bezirke Frankens aufmerksam zu machen (vgl.
Universitäten des Spätmittelalters, in: Monumentum Bambergense, München 1955, S. 439–452, hier: S. 439ff.; Ladislaus Buzás, Die Herkunft der Studenten der Universität Ingolstadt von der Gründung der Universität bis zur Gründung des Jesuitenkollegs (1472–1556), in: Sammelblatt des Historischen Vereins Ingolstadt 72 (1963), S. 5–68, hier: S. 39–49; S. Bühling, Woher stammen die Studenten der Universität Erfurt von 1392–1636?, in: Erfurter Heimatbrief 11 (1965), S. 67–71, hier: S. 67ff.; Rainer A. Müller, Universität und Adel. Eine soziostrukturelle Studie zur Geschichte der bayerischen Landesuniversität Ingolstadt 1472–1648 (Ludovico Maximilianea Universität Ingolstadt-Landshut-München Forschungen 7), Berlin 1974, S. 100ff., 182ff. u.ö.; Sabine Schumann, Die „nationes“ an den Universitäten Prag, Leipzig und Wien. Ein Beitrag zur älteren Universitätsgeschichte, Diss. phil., FU Berlin 1974, S. 255ff.; Rudolf Endres, Das Schulwesen in Franken im ausgehenden Mittelalter, in: Bernd Möller, Hans Patze und K Stackmann (Hg.), Studien zum städtischen Bildungswesen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Philol.-Hist. Kl. 173), Göttingen 1983, S. 173–215, hier: S. 158f.; Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 252ff., 385f. u.ö.; ders., Erfurts Universitätsbesucher (wie Anm. 14); Kleineidam, Universitas studii Erfordensis (wie Anm. 8), S. 341ff. – Zu einzelnen Orten vgl. v.a. Walter Bauer, Die Reichsstadt Rothenburg und ihre Lateinschule, Rothenburg 1979; Rolf Häfele, Die Studenten der Städte Nordlingen, Kitzingen, Mindelheim und Wunsiedel bis 1580. Studium, Berufe und soziale Herkunft (Trierer Historische Forschungen 13), Trier 1988; Michael Mahr, Bildungs- und Sozialstruktur der Reichsstadt Schweinfurt (Mainfränkische Studien 20), Würzburg 1978; Richard Perger, Nürnberger im mittelalterlichen Wien, in: Nürnberger Mitteilungen 63 (1976), S. 2–98; Ludwig Schnurrer, Dinkelsbühler Studenten an der Universität Wien 1451–1518, in: Jahrbuch des Historischen Vereins Alt-Dinkelsbühl 48 (1967/68), S. 18–29; Michael Toch, Die Nürnberger Mittelschichten im 15. Jahrhundert (Nürnberger Werkstücke 26), Nürnberg 1978. 19 Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 189–199, 545, passim; ders., Migration und Austausch (wie Anm. 9), S. 152f.
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Abb. 4 und 5). Unterfranken, beim Universitätsbesuch – mit einem Anteil von knapp 30 Prozent auf das ganze Jahrhundert gesehen – überhaupt am stärksten präsent, lag vor 1450 nahezu gleichgewichtig in den Einzugsgebieten von Wien, Heidelberg und Leipzig, bildete jedoch in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts einen der Hauptpfeiler der regionalen, kernräumlichen Existenz der Leipziger und mehr noch der Erfurter Universität. Oberfranken spielte diese Rolle nach 1450 auf Kosten aller anderen Universitäten fast allein für Leipzig, was schon aus dem Blickwinkel des Bamberger Klerus auffällig war20. Mittelfranken und die Oberpfalz spielten sie in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts für Wien, in der zweiten Hälfte jedoch – nach 1472 – besonders herausragend für Ingolstadt. Mittelfranken, überhaupt südlicher orientiert, besuchten auch stärker als andere die neuen Universitäten nach 1460 bzw. 1477 in Basel, Freiburg im Breisgau und Tübingen. Oberpfälzer waren darüber hinaus – mit Ausnahme von Wien und Leipzig – kaum noch an anderen Universitäten vertreten. Westwärts gerichtet nach Heidelberg und vor allem nach Köln mit seiner im ausgehenden Mittelalter nun überregionalen Anziehungskraft, war man dagegen in weit überwiegender Weise nur in Unterfranken. In all diesen Zusammenhängen hatte der Universitätsbesuch in der Regel nichts Abstraktes an sich, unterlag auch kaum einer rationalen Entscheidung für oder gegen einen Universitätsort, sondern war nächst den territorialpolitischen, ökonomischen und verkehrsgeographischen Rahmenbedingungen sehr oft an persönliche Beziehungen und klientelartige Bindungen geknüpft; landsmannschaftliche, heimatliche, teils 13 sogar örtlich punktuelle Bindungen traten dabei unter Studenten wie | Professoren am häufigsten in Erscheinung – für solche aus Unterfranken in Köln zum Beispiel im Studentenhaus der Montanerburse, wo in den neunziger Jahren der Regens und Theologe Dr. Valentin Engelhart aus Geldersheim bei Schweinfurt († 1526) so etwas wie ein fränkisches Zentrum führte21. Ein solch familiales Gefüge, ein Grundprinzip der vormodernen Universität, die räumliche und soziale Nähe gerne mit20 Johannes Kist, Die Matrikel der Geistlichkeit des Bistums Bamberg 1400 bis 1556, Würzburg 1955; ders., Bamberger Kleriker (wie Anm. 18), S. 439ff. 21 Monika Meissner, Valentin Engelhardt und seine Spitalstiftung in Geldersheim, in: Mainfränkisches Jahrbuch für Geschichte und Kunst 20 (1968), S. 1–190, hier: S. 15ff.; dazu und mit weiteren Beispielen Rainer Christoph Schwinges, Sozialgeschichtliche Aspekte spätmittelalterlicher Studentenbursen in Deutschland, in: Fried, Schulen und Studium (wie Anm. 4), S. 527–564, hier: S. 550–564; ders., Rektorwahlen (wie Anm. 15).
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25%
Universitätsbesucher
20% 15% 10% 5%
0%
Unterfranken
Oberfranken
Mittelfranken
Oberpfalz
Herkunftsregionen Universitäten Wien Ngesamt=1395=100%
Heidelberg
Köln
Erfurt
Leipzig
Abb. 4: Regionale Herkunft aus Franken in der 1. Hälfte des 15. Jahrhunderts (%).
einander verband, war auch jenseits der geläufigen Verkehrswege (v.a. Nürnberg-Leipzig) mitverantwortlich dafür, daß Unter-, Ober- und Mittelfranken und die Oberpfalz den Universitäten so unterschiedlich akzentuiert zugeordnet waren. Keinen Sonderfall, vielmehr eine institutionelle Form dieser sozialräumlichen Regeln kann man bei studierenden Ordensangehörigen beobachten, vor allem bei ober- und mittelfränkischen Zisterziensern und Augustinereremiten, die fast ausnahmslos in Heidelberg anzutreffen waren, im ordenseigenen Kollegium St. Jakob bzw. im Augustinerkloster, wo sie nach 1450 mit 18,8 Prozent einen verhältnismäßig hohen Anteil der Franken in Heidelberg stellten22. Wer in Deutschland eine Universität besuchte, gleichgültig aus welcher Region, stammte in erster Linie aus einer Stadt. Diese Herkunftsqualität, in der man sehr wohl eine akademische Vernetzung der Städtelandschaft des Reiches erblicken | kann, zeichnete Franken in 14 besonders hohem Maße aus. Mit 88 Prozent war sie um einiges dichter
22
Wolgast, Die Universität Heidelberg (wie Anm. 8), S. 12f., 18.
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teil ii – frequenz, rekrutierung und migration 25%
Universitätsbesucher
20% 15% 10% 5% 0%
Unterfranken
Oberfranken
Mittelfranken
Oberpfalz
Herkunftsregionen Universitäten Wien Ingolstadt Ngesamt=1395=100%
Heidelberg
Köln
Erfurt
Leipzig
Andere (Fr, Ba, Tü) Andere Universitäten: 2,5%
Abb. 5: Regionale Herkunft aus Franken in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts (%).
als der Durchschnitt im Reich, der sich im Beispiel des reichsweiten Kölner Einzugsbereichs auf knapp 80 Prozent städtischer Herkunft belief. Entsprechend geringer fiel mit neun zu rund 18 Prozent der dörflich-ländliche Anteil Frankens aus, den man dennoch nicht unterschätzen sollte23. Im Laufe des 15. Jahrhunderts hat sich die kleine bis mittlere Stadt zum typischen Herkunftsort der Mehrheit der deutschen Universitätsbesucher entwickelt, in erster Linie sogar die Kleinstadt mit bis zu 2 000, dann erst die mittlere Stadt mit bis zu 5 000 Einwohnern. Das Bemerkenswerte daran ist, daß dieser Kleinstadttypus ein ‘Prozesstyp’ gewesen ist. Vor allem die Universitätsbesucher kleinstädtischer Herkunft standen am Ende des Jahrhunderts an der Spitze, nachdem sie sich gegenüber Personen aus Großstädten, die im 14. und frühen 15. Jahrhundert noch zumindest kondominant gewesen waren, durchgesetzt hatten. Im Vergleich zu den übrigen Landschaften zeigt sich dies auch an der veränderten Wachstumslage Mittelfrankens, mithin Nürnbergs, im Laufe des 15. Jahrhunderts (Abb. 4 und 5). 23 Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 266ff. mit Tabellen 28ff. auch zum Folgenden.
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Frankens Kleinstädte, vor allem in den geradezu klassischen Kleinstadt-Landschaften Unter- und Oberfrankens, in den Diözesen von Würzburg und Bamberg, stellten am Ende mit über 50 Prozent, zusammen mit den mittleren Städten | sogar zwei Drittel aller Univer- 15 sitätsbesucher der Region. Beteiligt waren aus territorialer Perspektive – neben den offenbar besonders bildungsintensiven Reichsstädten mit einem Anteil von rund 25 Prozent – geistliche und weltliche Landesund Stadtherren in kaum unterscheidbarer Weise, größere und kleinere Herren der adels- und ritterschaftsreichen Landschaft, wenn auch im einzelnen die Hochstifte Bamberg und Würzburg vor den brandenburgischen Markgrafschaften führend blieben. Mit dem Durchbruch der Kleinstadt verbandsichdarüberhinaus auch eine Verschiebung des wirtschaftlichen Hintergrundes von großstädtischem Handel und Gewerbe zu kleinstädtischen, überwiegend sogar agrarisch geprägten Handels- und Gewerbe formen. Eine verkehrsgünstige Lage der Städte war keine Bedingung. Typisch war außerdem noch, daß diese Herkunftsorte mehrheitlich schon als Verwaltungsmittelpunkte geistlicher oder weltlicher Landesherren fungierten, und daß sie über ein älteres, vor 1400 eingerichtetes, geistliches oder bürgerliches Schulwesen verfügten. Als ‘akademische’ Kleinstädte zu nennen sind beispielsweise Aschaffenburg, Hassfurt, Königshofen oder Mellrichstadt in Unterfranken, Bayreuth, Lichtenfels, Kronach oder Wunsiedel in Oberfranken, Feuchtwangen, Gunzenhausen, Herrieden oder Pappenheim in Mittelfranken sowie Cham, Kemnath, Neumarkt oder Vilseck in der Oberpfalz. Dies alles ist freilich eine relative Sicht, gemessen am Verhältnis der Universitätsbesucher zur Einwohnerzahl ihrer Herkunftsorte. Daß dabei die kleineren Städte, die Landstädte und das Land überhaupt so gut abgeschnitten haben, ist für die fränkische und deutsche Bildungsgeschichte von ebenso hoher Bedeutung wie die bekannteren Ergebnisse aus den Zentralen. Absolut gesehen blieb natürlich eine Großstadt wie Nürnberg mit allein 12 Prozent fränkischen Universitätsbesuchs weithin an der Spitze, während größere Städte wie Würzburg und Bamberg erst mit fünf und vier Prozent folgten24.
24 Vgl. vor allem die Arbeiten von Bauer, Die Reichsstadt Rothenburg (wie Anm. 18); Eisenmann, Studien über Voraussetzungen (wie Anm. 18); Endres, Das Schulwesen (wie Anm. 18); Karlheinz Goldmann, Nürnberger Studenten an deutschen und ausländischen Universitäten von 1300–1600, in: Mitteilungen aus der Stadtbibliothek Nürnberg 12 (1963), S. 1–10; Häfele, Die Studenten (wie Anm. 18); Kist, Bamberger
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4. Besuchertypen oder Studententypen Mit Bedacht ist bisher von Universitätsbesuchern gesprochen und der Studentenbegriff weitgehend gemieden worden, um nicht Vorstellungen zu wecken, welche die vormoderne Wirklichkeit, auch die fränkische, verstellen könnten. Was Studenten gewesen sind, wird man in der europäischen und selbst innerhalb der deutschen Universitätslandschaft höchst unterschiedlich beurteilen müssen. Studenten konnten als Kinder unter 14 Jahren und als Erwachsene in den Dreißigern auf derselben Bank sitzen. Einigermaßen egalisierte Bildungsvoraussetzungen gab es nicht, dafür jedoch standesabhängige Zulassungsverfahren, die dafür sorgten, daß der Status des Studenten weder in rechtlicher noch in sozialer Hinsicht ein gleicher war. Im übrigen war auch die Fächerwahl sozial konditioniert. Am besten nähert man sich der Sache idealtypisch, wohlwissend in Kenntnis der mittelalterlichen Sozialgeschichte, daß die sozialen Regeln der Zeit, nach denen Alteuropas traditionale Gesellschaften vielfach funktionierten – Patronage und familiale Bindungen – die 16 Zuordnung jederzeit durchbrechen konnten. Der jeweilige | Universitätstyp bestimmte, zumindest in deutscher Perspektive, auch über den Besucher- oder Studententypus. Im Zugriff des Landesstaates waren beim deutschen Typ sozial an sich unverträgliche Milieus zusammengebracht worden, Juristen und Artisten-Theologen, die einen vornehme Leute, adlig oder adelsähnlich im Verhalten, herrschaftsnah und herrschaftstechnisch versiert; die anderen waren das alles nicht, sondern schlicht conditio communis, simplex oder inferior in der zeitgenössischen Terminologie. Artisten dominierten zwar in der deutschen Universität der Zahl nach absolut, mit oft 80 und mehr Prozent, hatten jedoch auf die Führung der Universität – anders als in fach- und sozialgetrennten Hochschulen Italiens und Frankreichs – so gut wie keinen Einfluß. Dies erledigten in oft direkter Anlehnung an den Landesfürsten oder die städtische Obrigkeit vor allem die Juristen in Rektorat, Konzil, Senat und anderen Gremien. Trotz des Eindrucks, daß die deutschen Universitäten des Spätmittelalters mehr oder weniger ‘nur’ Artisten-
Kleriker (wie Anm. 18); Mahr, Bildungs- und Sozialstruktur (wie Anm. 18); Helmut Schlereth, Studenten aus Mellrichstadt an europäischen Universitäten bis zur Gründung der Universität Würzburg 1582, in: Würzburger Diözesan-Geschichtsblätter 44 (1982), S. 31–94; Toch, Die Nürnberger Mittelschichten (wie Anm. 18).
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70%
Scholaren und Graduierte
60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%
Schol
BA
MA
MedGrad
JurGrad
TheolGrad
Höchsterworbene Grade pro Person 1. Hälfte: 1395–1445
2. Hälfte: 1455–1495
Ngesamt=1395=100%, Nschol=914, Ngrad=481
Med/Jur/TheolGrad=Bacc+Lic+Dr
Abb. 6: Scholaren und Graduierte aus Franken in der 1. und 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts.
universitäten, Fakultäten der sieben freien Künste gewesen seien, war die Führungsfrage überall klar entschieden25. Dies alles bedenkend, lassen sich fünf Typen von Studenten unterscheiden, | die auch in 17 Franken in unterschiedlichem Ausmaß die fraglichen Personenkreise repräsentierten26. 1. Der scholaris simplex Er ist der Massentyp der Artistenfakultät und damit der deutschen Universität mit einem Anteil von 50 bis 70 Prozent; er ist 14- bis 18jährig, stammt überwiegend aus städtischer Mittelschicht, ist allerdings mit einem hohen Anteil von Paupertät (15 bis 20 Prozent) behaftet, die nicht nur Besitzlosigkeit, sondern darüber hinaus auch Beziehungslosigkeit signalisiert. An Examina ist er nicht interessiert, was noch weitgehend der Normalität der deutschen Universität vor 1500 Schwinges, Rektorwahlen (wie Anm. 15), S. 27ff. Formuliert in Anlehnung an Rainer Christoph Schwinges, Student Education, Student Life, in: De Ridder-Symoens, A History (wie Anm. 1), S. 196ff. (dt.: Der Student in der Universität, in: Rüegg, Geschichte [wie Anm. 1], S. 182ff.). 25
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20%
20%
15%
15%
10%
10%
5%
5%
0% Wien
Heildelberg
Köln
Erfurt
Leipzig
Ingolst.
Ba, Fr, Tü
Graduierte (G)
Scholaren (S)
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0%
Gebühren Soll (S) Soll (G)
Teil (S) Teil (G)
Pauper (S) Pauper (G)
Ngesamt=1395=100%, Nschol=914, Ngrad=481
Abb. 7: Immatrikulationsgebühren 1395–1495. Scholaren und Graduierte aus Franken (%).
entspricht. Selbstredend ist der simplex auch der Massentyp Frankens; im Jahrhundertschnitt verkörpern ihn zwei von drei Personen. Die Entwicklung zielt jedoch wie anderswo auch in den Großlandschaften universitärer Einzugsbereiche gegen Ende des Jahrhunderts auf eine deutliche Verminderung in Richtung 50 Prozent, so daß die Frage der Normalität im Examensverhalten bald eine neue Qualität erhalten mag. An der Kölner Universität sind nichtgraduierte Franken seit den achtziger Jahren bereits in der Minderheit (vgl. Abb. 6 und 7). | Der ‘simple Scholar’ trägt in Franken jedoch eine besondere Prä18 gung: Er ist ein erstaunlich finanzschwacher Studententyp, nach den zuwenig oder nicht gezahlten Immatrikulationsgebühren zu urteilen; er ist dies zu 47 Prozent mit einem Anteil von 13 Prozent pauperes, ein Typ, der vor allem aus Oberfranken stammt, in erster Linie aus dem Hochstift Bamberg, und von daher wohl seine Domäne in der Leipziger Universität hat, in einer der großen Universitäten, die aber nur geringes Ansehen hatte, die als einzige unter den deutschen Universitäten in Rektorat und Konzil von ‘niederrangigen’ Theologenbakkalaren und kaum einmal von doktorierten Personen geführt wurde, und die ferner in den achtziger Jahren des 15. Jahrhunderts im sächsischen Landesadel
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als ‘Universität für armer Leute Kind’ apostrophiert und entsprechend gemieden wurde. Bei aller Problematik des Gebührenvergleichs, da die Taxordnungen der Universitäten sehr unterschiedlich waren und überdies noch variabel gehandhabt werden konnten (insofern ist auch Abb. 7 durchaus problematisch), waren die Tendenzen indessen für alle klar zu erkennen. Leipzig akzeptierte nicht nur einen relativ hohen Anteil von veri pauperes, sondern leistete sich im Vergleich etwa zu Erfurt oder Wien selbst noch im ausgehenden 15. Jahrhundert ein sehr ‘entgegenkommendes’ Teilgebührensystem, das jene fast zur absoluten Minderheit machte, die das geforderte Soll entrichteten27. Erst bei Graduierten, mithin anderen Studententypen, war es umgekehrt. 2. Der Bakkalarstudent Er ist ebenfalls der Artistenfakultät zugeordnet mit kaum verändertem sozialem Hintergrund, aber er hat – jetzt 16- bis 19-jährig – einen status in studio erworben, den Grad des baccalaureus artium. Aus Franken stammte er freilich nur in geringerem Maße: 3,5 Prozent in der ersten und 24,2 Prozent in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts stehen an der unteren Grenze der Bakkalarpromotionen im Reich, die im gleichen Zeitraum von durchschnittlich zehn auf nahezu 40 Prozent anwuchsen28. An der mangelnden Nähe, dem Fehlen einer eigenen fränkischen Universität, wird das kaum gelegen haben, eher vielleicht an den Kosten bei relativ geringem Prestige des Bakkalarengrades. Immerhin hatte jedoch die Neigung zur Promotion auch frankenintern stark zugenommen: Die Zahl der simplices stieg im Vergleich zur Vorzeit nach 1450
27 K. Krebs, Die Universität Ingolstadt als Bildungsstätte des sächsischen Adels, in: Wissenschaftliche Beilage der Leipziger Zeitung 92 (1896), S. 365–368, hier: S. 367; Rainer Christoph Schwinges, Pauperes an deutschen Universitäten des 15. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Historische Forschung 8 (1981), S. 285–309, hier: S. 299–301; ders., Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 449f. und Register (Stichwort ‘Gebühren’); ders., Rektorwahlen (wie Anm. 15), S. 55f. 28 Daten aus Analysen teils publizierter, teils unpublizierter Promotionsregister (Wien, Erfurt, Ingolstadt). Zum Vergleich etwa Horst Rudolf Abe, Die artistische Fakultät der Universität Erfurt im Spiegel ihrer Bakkalaurei- und Magisterpromotionen der Jahre 1392–1521, in: Beiträge zur Geschichte der Universität Erfurt 13 (1967), S. 33–90 hier: S. 49–63; Paul Uiblein, Mittelalterliches Studium an der Wiener Artistenfakultät. Kommentar zu den Acta Facultatis Artium Universitatis Vindobonensis 1385–1416 (Schriftenreihe des Universitätsarchivs Universität Wien 4), Wien 1987, S. 55–70; Meuthen, Kölner Universitätsgeschichte (wie Anm. 8), S. 20f., 117ff.; Rainer Christoph Schwinges und Klaus Wriedt (Hg.), Das Bakkalarenregister der Artistenfakultät der Universität Erfurt 1392–1521 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Grosse Rh. 3), Jena 1995.
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um das 2,6fache, die der Bakkalarstudenten um das Siebenfache (vgl. Abb. 6). Leipzig war der weithin meistgewählte Promotionsort, gefolgt in großem Abstand von Erfurt, Wien und den übrigen alten Universitäten, erhielt aber seit der Mitte der siebziger Jahre rasch Konkurrenz durch die Neugründung zu Ingolstadt, wo dann – gemessen an der Kürze der Zeit bis 1500 – wesentlich mehr Franken zu Bakkalaren promoviert wurden als im gesamten Jahrhundert in Wien oder Erfurt (vgl. Abb. 8 und 9). Der typische Bakkalarstudent in Leipzig und Ingolstadt stammte aus Mittelfranken mit großen reichsstädtischen, vor allem Nürnberger Anteilen, die zuletzt besonders Ingolstadt zugute kamen. Am geringsten, auch relativ gesehen, stammte er aus Oberfranken und der Oberpfalz. Unterfränkische Bakkalare sammelten sich dagegen eher in Erfurt, 19 Heidelberg und Köln mit ebenfalls großen reichsstädtischen | Anteilen. Diese waren jedoch vor der Gründung Ingolstadts am stärksten in Wien zu erkennen – bei ansonsten wenig ausgeprägter regionaler Herkunft. Bei alledem war der fränkische Bakkalarstudent, gleichgültig aus welcher Region und an welcher Universität, nur besonders auffallend in Leipzig, ein im Vergleich zum Scholaren ausgesprochen zahlungswilliger Typ. Schon beim Eintritt in die Universität zahlte der später Promovierte die geforderten vollen Immatrikulationsgebühren weit häufiger als der simplex (vgl. Abb. 7). Das aber heißt, daß zahlungsschwache und arme Scholaren aus Franken sich zwar besonders in Leipzig konzentrierten, aber bei Promotionen schon auf der unteren Ebene des Bakkalariats dort ganz und gar nicht angemessen zum Zuge kamen. Ganze sechs Prozent fränkischer Graduierter des 15. Jahrhunderts waren arme Bakkalarstudenten. Dies steht in auffälligem Gegensatz zu Beobachtungen in der überregional rekrutierenden Kölner Universität, in der nicht nur reichsweit am meisten promoviert wurde, sondern in der auch pauperes am Typ des Bakkalarstudenten verhältnismäßig häufiger Anteil hatten als die in den Matrikeln sogenannten divites oder solventes totum29. So verwundert denn auch nicht, daß pauperes fränkischer Herkunft – obwohl untypisch für ihre Stufe – neben Wien am ehesten noch in Köln zu Examenserfolgen kamen. 3. Der Magisterstudent Dieser Typ hat den Grad des Magister artium erworben und schickt sich an, 19- bis 21-jährig, die Welt der Artisten zu verlassen, um
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Schwinges, Pauperes (wie Anm. 27), S. 303ff.
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12% 10% Graduierte
8% 6% 4% 2% 0%
Wien
Heidelberg
Köln
Erfurt
Leipzig
Ingolstadt
Andere
Höchste Grade pro Person und Universität Bacc. artium
Mag. artium
Ngesamt=1395=100%, Ngrad=481
Med/Jur/Theol. Grade Andere Universitäten: Ba, Fr, Tü, Italien
Abb. 8: Graduierte aus Franken an deutschen Universitäten 1395–1495 (%).
Theologie oder Medizin, geistliches oder weltliches Recht zu studieren. Drei bis | höchstens zehn Prozent aller Universitätsbesucher im 20 Reich zwischen 1400 und 1500 verkörpern diesen Typus30. In Franken erreichte er einen Anteil von 4,2 Prozent, gerade 0,7 in der ersten Hälfte, 3,5 Prozent in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts (vgl. Abb. 6 und 8). Auch der fränkische Magisterstudent blieb damit wie der Artistenbakkalar im unteren Bereich der Promotionen dieser Stufe, trotz deren beachtlicher Steigerung um das Fünffache zugunsten der Zeit nach 1450. Allerdings fiel diese Steigerungsrate – relativ gesehen – nicht so hoch aus wie bei den Graduierungen der Bakkalarstudenten (eine siebenfache Rate wie oben erwähnt), ein Trend, der sich auch bei den höheren Graden deutlich fortsetzen sollte. Den sozialen Hintergrund des Typs kann man noch immer als mittelschichtig beschreiben, vor allem da sich der Armenanteil drastisch auf 1,5 Prozent zurückbewegt hatte. Auch dies stimmt nicht mit Beobachtungen im Kölner Einzugsbereich überein, wonach Magisterpromotionen von Sollzahlern und pauperes in nahezu gleichem Verhältnis
30
Wie Anm. 28.
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teil ii – frequenz, rekrutierung und migration
12% 10%
Grauierte
8% 6% 4% 2% 0%
Unterfranken
Oberfranken
Mittelfranken
Oberpfalz
Höchste Grade pro Person und Region Bacc. artium Jur. Grad
Mag. artium
Med. Grad
Theol. Grad
Ngesamt=1395=100%, Ngrad=481
Med/Jur/TheolGrad=Bacc+Lic+Dr
Abb. 9: Regionale Herkunft graduierter Franken 1395–1495 (%).
zueinander standen31. Die allgemeine Tatsache, daß mit der Höhe der Promotion die monetären und sozialen Kosten stiegen, machte in Franken offensichtlich mehr Probleme als anderswo. Man war als Magisterstudent mehrheitlich Unter- oder Mittelfranke, stammte zu mehr als einem Drittel aus den Reichsstädten, war deutlich weniger Oberfranke, 21 sogar weniger diesmal als Oberpfälzer | (vgl. Abb. 9). Promotionsorte waren vor allem Leipzig und Ingolstadt. Letzterer ob der erst kurzen Öffnungszeit in besonderem Maße, gefolgt von Heidelberg und Köln. Auffallend geringer besucht von künftigen Magistern waren dagegen die Universitäten Wien und Erfurt (vgl. Abb. 8), was im Falle Erfurts, zu dessen nahem Kernraum auch Unterfranken gehörte, verwundern mag; doch fanden Magisterpromotionen dort recht verhalten statt, was aber nicht heißen kann, daß sie andernorts einfach nachgeholt wurden32. Bei dem geringen Hochschulwechsel überhaupt im mittelalterlichen Reich gibt es dafür keinerlei Hinweise.
31 32
Schwinges, Pauperes (wie Anm. 27), S. 304. So Abe, Die artistische Fakultät (wie Anm. 28), S. 58.
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4. Der Fachstudent Er ist jener Typ, schon weit in den Zwanzigern oder Dreißigern seines Lebensalters, der dem Artistenmilieu ganz entwachsen ist und nach dem Bakkalariat auch das Lizentiat oder gar den Doktor der Rechte, der Medizin oder Theologie erwirbt. Er ist der Typ der am ehesten in den klassischen Universitätsregionen Italiens und Frankreichs zu finden ist, am wenigsten jedoch mit rund drei Prozent der Gesamtbesucherzahl im Reich des 15. Jahrhunderts33. Franken kann diesmal den Durchschnitt mit 2,6 Prozent der einheimischen Universitätsbesucher knapp erreichen – bei einer rund zweifachen Zuwachsrate von der ersten zur zweiten Hälfte des Jahrhunderts, die als solche indessen weit hinter den Raten der oben erwähnten Typen zurückbleibt und damit anzeigt, daß das vielberufene Bildungswachstum des ausgehenden Mittelalters die einzelnen Studententypen sehr unterschiedlich erfaßt hat. Und das hat auch in Franken in erster Linie mit sozialen Tatbeständen zu tun. Gehobene Herkunft, Ritterbürtigkeit, Zugehörigkeit zur städtischen, regimentsfähigen Oberschicht oder wenigstens oberen Mittelschicht zeichnen den Typ des Fachstudenten aus, der oft obendrein noch Pfründen in Ämtern der Kirche oder städtischen Diensten oder Universitätslaufbahnen genießt. Für einen armen Universitätsbesucher würde das Erreichen dieser Stufe einen gewaltigen Sprung bedeuten, der ohne intensive soziale Förderung kaum denkbar wäre. Nur gerade ein viertel Prozent der Franken erreichten als ehemals immatrikulierte pauperes den Rang des Fachstudenten, so gut wie ausschließlich allerdings nur bis zur Stufe des Bakkalars der Theologie, womit man das sozial diffuse Milieu der Artisten/Theologen eben doch nicht ganz verlassen hat und im Grunde niederrangig geblieben ist. Promotionsorte für Franken waren – unter Vorbehalt der Erfurter Situation, die mangels einschlägiger Fakultätsakten weitgehend unbekannt ist – in erster Linie Leipzig und Wien (vgl. Abb. 8), sowohl für Theologen als auch Juristen, wobei man den Doktorgrad eher in Wien als in Leipzig erwarb, den juristischen Doktorgrad sogar eher noch in Heidelberg als in Leipzig. Nur die wenigen Mediziner befanden sich fast exklusiv zur Doktorpromotion in Wien. Bemerkenswert ist noch, daß auf dieser Stufe der Fachstudenten die Ingolstädter Universität
33 Datenanalyse wie Anm. 28. Aussagen über und im Vergleich mit Erfurt sind problematisch, da die Promotionsakten der höheren Fakultäten nicht mehr vorhanden sind; vgl. Kleineidam, Universitas studii Erfordensis (wie Anm. 8).
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offenbar kaum eine Rolle spielte, dafür aber, wenn auch nur in Einzelfällen, andere Universitäten aufgesucht wurden, vor allem italienische, Bologna und Pavia34. Was die Herkunft betrifft, so kann man den Fachstudenten der verschiedenen Fakultäten zwar keiner bestimm22 ten fränkischen Landschaft zuordnen, so wie man etwa Teile | des nördlichen Einzugsbereichs der Kölner Universität als ‘Juristenraum’ bezeichnen könnte35, doch sind kleinere Schwankungen durchaus zu erkennen (Abb. 9). So hat es den Anschein, daß Juristen und Mediziner vor allem aus Unter- und Mittelfranken stammten, dann aus der Oberpfalz, am wenigsten aber aus Oberfranken, während man bei Theologen Mittel- und Oberfranken zuerst nennen kann, kaum jedoch Unterfranken und die Oberpfalz. 5. Der Standesstudent Er ist der Typ, der schon ‘jemand ist’, bevor er überhaupt zur Universität kommt, aber hier alle gesellschaftlichen Standes- und Statusvorteile wiederfindet. Hohe Stellung, Ansehen in Person und Familie, Adel, Besitz von Kirchenpfründen oder bürgerlicher Reichtum, durch den man Status auch ohne gradus in der Universität gewinnen kann, zeichnen ihn aus. Der für ihn angemessene Ort ist nicht die Artistenfakultät, auch nicht das sozialverwandte Milieu der Mediziner und Theologen, sondern der Kreis der Juristen, nicht eigentlich im Reich, sondern möglichst in Italien (Bologna, Pavia, Perugia, Siena etc.) oder im französischen Orléans. Studienerfolge durch Examina und Graduierungen zu belegen, kommt für diesen Typus in der Regel nicht in Frage, schon gar nicht in Deutschland; allenfalls interessieren Doktorate italienischer Juristen-Universitäten. Es hängt von der Qualität der Herkunft ab, ob ein akademischer Grad – selbst ein juristischer – noch als standesgemäß erscheint oder sozial schlicht inakzeptabel ist36. Bevorzugte Orte standesstudentischen Universitätsbesuchs im Reich und entsprechend
34 Zu Beispielen u.a. G. Freiherr von Kreß, Gelehrte Bildung im alten Nürnberg und das Studium der Nürnberger an italienischen Hochschulen, Nürnberg 1877; Jordan, Reformation und gelehrte Bildung (wie Anm. 18); Goldmann, Nürnberger Studenten (wie Anm. 24); Häfele, Die Studenten (wie Anm. 18); Müller, Universität und Adel (wie Anm. 18); bes. Agostino Sottili, Nürnberger Studenten an italienischen Renaissance-Universitäten mit besonderer Berücksichtigung der Universität Pavia, in: Volker Kapp und Frank-Rutger Hausmann (Hg.), Nürnberg und Italien. Begegnungen, Einflüsse und Ideen, Stuttgart 1991, S. 49–103, mit reicher Literatur. 35 Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 476ff. 36 Müller, Universität und Adel (wie Anm. 18), S. 111ff., 146ff.
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franken in der universitätslandschaft
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prestigeträchtig waren vor allem Erfurt, Basel, Freiburg im Breisgau und Ingolstadt, wobei letztere, ‘die’ Adelsuniversität des Reichs im Umkreis der bayerischen Wittelsbacher, gleichsam als Sprungbrett für die Italienreisen diente. Fränkische Standesstudenten, mit knapp drei Prozent recht gut im Durchschnitt des Reiches liegend, was in einer adels- und pfründenreichen Landschaft nicht überraschen wird, konzentrierten sich bis in die sechziger Jahre vor allem auf Erfurt und Wien, danach jedoch erwartungsgemäß stark überwiegend auf Ingolstadt. Zu nennen sind gerade noch Erfurt, aber auch die neuen Universitäten des Südwestens mit standesgünstigem Klima in Freiburg und Basel. Dies alles zeigt nun ein typisches Herrenverhalten an37. Man war auf Nähe nicht angewiesen, konnte sich lösen und auch entferntere Studienziele aufsuchen, unabhängig von der regionalen und lokalen Herkunft in Franken, zumal die Stifts- und Domstiftspfründen des geistlichen Adels auch ziemlich verstreut lagen. Solche Standesstudenten waren, zum Teil schon seit mehreren Generationen, zum Beispiel die Grafen und Herren von Aufsess, Bellersheim, Brunn, Eyb, Falkenstein, Lichtenstein, Löweneck, Pappenheim, Parsberg, Rieneck und Rotenhan, von Seckendorff, Thüngen, von der Tann, Truchsess von Wetzhausen, von Wirsberg und weitere mehr. In der territorialisierten und regionalisierten deutschen Universitätslandschaft hatten Besucher aus Franken relativ großen Anteil am raschen Wachstum der benachbarten Großuniversitäten Leipzig, Erfurt und Ingolstadt, die mangels eigener als Landesuniversitäten angesehen wurden, freilich aus sozial recht unterschiedlichen Positionen. Was an Bildungsaufbruch seit dem 14. Jahrhundert bereits für die | fränki- 23 sche Schulgeschichte in den Reichsstädten, aber auch in den kleinen Territorialstädten herausgearbeitet worden ist38, setzte sich in den
Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 375–413. Zu nennen sind v.a. die Arbeiten von Endres: Endres, Das Schulwesen (wie Anm. 18); ders., Sozial- und Bildungsstrukturen fränkischer Reichsstädte im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Horst Brunner (Hg.), Literatur in der Stadt (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 343), Göppingen 1982, S. 37–73; ders., Die Bedeutung des lateinischen und deutschen Schulwesens für die Entwicklung der fränkischen Reichsstädte des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit, in: Lenz Kriss-Rettenbeck und Max Liedtke (Hg.), Schulgeschichte im Zusammenhang der Kulturentwicklung (Schriftenreihe zum Bayerischen Schulmuseum Ichenhausen 1), Bad Heilbrunn 1983, S. 144–165; ders., Stadt und Umland im bildungspolitischen Bereich im Spätmittelalter und in der Frühneuzeit, in: Hans K. Schulze (Hg.), Städtisches Um- und Hinterland in vorindustrieller Zeit (Städteforschung, Rh. A: Darstellungen 22), Köln/Wien 1985, S. 157–182; ders., Das Bildungswesen und die Kulturpflege in den fränkischen 37 38
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Universitäten offenbar fort – im wesentlichen allerdings ‘nur’ auf der Ebene artistischer Bildung, mit unterschiedlicher Gewichtung in den einzelnen Landesteilen und bemerkenswerter Zurückhaltung bei Promotionen aller Stufen. Was das in bildungssozialgeschichtlicher Hinsicht im ausgehenden Mittelalter bedeutete, vor allem für die Lebenswege und Wirkungsfelder fränkischer Universitätsbesucher, bedarf freilich noch weiterer Forschungen in der Universitätslandschaft Frankens sowie vergleichend in anderen Landschaften des mittelalterlichen Reiches.
Städten, in: Neithard Bulst und Jean-Philippe Genet (Hg.), La ville, la bourgeoisie et la genèse de l’état moderne (Xlle–XVIIIe siècles). Actes du Colloque de Bielefeld, 29 novembre–1er décembre 1985, Paris 1988, S. 323–338; und künftig auch die der Eichstätter Forschergruppe unter der Leitung von Harald Dickerhof im Rahmen des SFB 226 “Wissensorganisierende und wissensvermittelnde Literatur im Mittelalter”; vgl. auch Harald Dickerhof, Europäische Traditionen und “deutscher Universitätsraum”. Formen und Phasen akademischer Kommunikation, in: Hans Pohl (Hg.), Die Bedeutung der Kommunikation für Wirtschaft und Gesellschaft (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beih. 87), Stuttgart 1989, S. 173–198.
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ON RECRUITMENT IN GERMAN UNIVERSITIES FROM THE FOURTEENTH TO SIXTEENTH CENTURIES* Between 1348 and 1506 seventeen flourishing universities emerged within the borders of the Holy Roman Empire north of the Alps (see Map 1). Beginning with Prague, the first university in the whole of central and eastern Europe, universities emerged in Vienna, Heidelberg, Cologne, Erfurt, Leipzig, Rostock, Louvaine, Greifswald, Basle, Freiburg in Breisgau, Ingolstadt, Trier, Mainz, Tübingen, Wittenberg and Frankfurt on the Oder, the last university founded before the Reformation. Whoever was involved in the foundation of individual universities, the occasion was in every case the will of the ruling prince or urban authority. German institutions were, in contrast to the earlier universities of Italy and France, from the very beginning bound to power and authority, especially to the territorial princes, their dynasties and states. Founding universities should therefore be seen as clear an expression of princely and ruling authority as the building of castles and towns, and the founding of churches and monasteries.1 * In: William J. Courtenay and Jürgen Miethke (Ed.), Universities and Schooling in Medieval Society (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 10), Leiden: Brill 2000, pp. 32–48. 1 See in selection of older and recent works on the history of German universities and the problems of foundations: Friedrich Paulsen, Die Gründung der deutschen Universitäten im Mittelalter, in: Historische Zeitschrift 45 (1881), pp. 251–311; Georg Kaufmann, Geschichte der deutschen Universitäten, 2 vols., Stuttgart 1888–1896, reprint Graz 1958; Hastings Rashdall, The Universities of Europe in the Middle Ages, eds. F.M. Powicke and A.B. Emden, vol. 2, Oxford 1936, reprint Oxford 1988, pp. 211–288; Ferdinand Seibt, Von Prag bis Rostock. Zur Gründung der Universitäten in Mitteleuropa, Festschrift für Walter Schlesinger, vol. 1, ed. Helmut Beumann, Cologne/Vienna 1973, pp. 406–42; Ernst Schubert, Motive und Probleme deutscher Universitätsgründungen des 15. Jahrhunderts, Beiträge zu Problemen deutscher Universitätsgründungen der frühen Neuzeit, eds. Peter Baumgart and Notker Hammerstein (Wolfenbütteler Forschungen 4), Nendeln/Liechtenstein 1978, pp. 13–74; Peter Moraw, Aspekte und Dimensionen älterer deutscher Universitätsgeschichte, in: Academia Gissensis. Beiträge zur älteren Gießener Universitätsgeschichte, eds. Peter Moraw and Volker Press (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 45), Marburg 1982, pp. 1–43; Jürgen Miethke, Universitätsgründung an der Wende zum 15. Jahrhundert: Heidelberg im Zeitalter des Schismas und des Konziliarismus, in: Die Geschichte der Universität Heidelberg. Vorträge im Wintersemester 1985/86, Heidelberg 1986, pp. 9–33; Frank Rexroth, Deutsche Universitätsstiftungen von Prag bis Köln. Die Intentionen des Stifters und die Wege und Chancen ihrer Verwirklichung
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| Typically, the process began with the three great royal dynasties of the German late Middle Ages, the Luxemburgers, Habsburgers and Wittelbachers in Prague, Vienna and Heidelberg. Powerful imperial princes such as those of Saxony, Mecklenburg, Brabant, Bavaria and Brandenburg and important large towns such as Cologne, Erfurt and Basle followed. By 1506 all seven prince-electors of the empire had a university or had at least gained access for their territory to a university in close and politically relatively tolerable proximity. The territorial structure of the German imperial constitution, that was so different from other European countries, ultimately explains the relatively fast growing numbers of universities. Already in 1500 Germany counted more corporations than in the classically more advanced countries Italy and France.2 Nevertheless the rulers were not concerned with catching up with these countries, nor concerned with compensation, current issues, or with the initiation of scholastic or humanistic scholarship, as some of the older literature on the history of universities maintained.3 More important for the founders, and as often stated in the founding charters, they were concerned with increasing the praise of honour and use (lob, ehr und nutz) to their dynasties and rule. Hence German universities stood plainly in the service of their territorial rulers and countries, not principally in the service of general education and science.4 im spätmittelalterlichen deutschen Territorialstaat (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 34), Cologne/Weimar/Vienna 1992; Rainer C. Schwinges, The Medieval German University: Transformation and Innovation, in: Paedagogica Historica 34 (1998), pp. 374–388; idem, Le Università nei Territori dell’Impero, in: Le Università dell’Europa, vol. 1: La Nascita delle Università, eds. Gian Paolo Brizzi and Jacques Verger, Milan 1990, pp. 221–255. – For a survey and a bibliography, see Laetitia Boehm and Rainer A. Müller (Ed.), Universitäten und Hochschulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, Düsseldorf 1983; Thomas Pester, Geschichte der Universitäten und Hochschulen im deutschsprachigen Raum von den Anfängen bis 1945. Auswahlbibliographie der Literatur der Jahre 1945 bis 1986, Jena 1990; Notker Hammerstein (Ed.), Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, vol. 1: 15. bis 17. Jahrhundert, Munich 1996. 2 Cf. Jacques Verger, Patterns, in: Walter Rüegg (Ed.), A History of the University in Europe, vol. 1: Universities in the Middle Ages, ed. Hilde de Ridder-Symoens, Cambridge 21994, pp. 45–65. 3 For example: Paulsen, Gründung (note 1), pp. 258–260, 272–280; Kaufmann (note 1), vol. 2, pp. 1–45; Helmut Coing (Ed.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, vol. 1, Munich 1973. 4 Rainer C. Schwinges, Prestige und gemeiner Nutzen. Universitätsgründungen im deutschen Spätmittelalter, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 21 (1998), pp. 5–17, with an English summary.
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University study, education and science, that were from the perspective of the rulers side-effects, introduced nevertheless one of the most momentous processes of innovation and compensation in Germany. Since the founding of Prague and subsequent German | universities, 34 higher learning could for the first time be acquired within the empire and north of the Alps, rather than abroad. Consequences of this fact can be discussed with the example of recruitment, concentrating on four aspects of this in particular: first, quantitative, secondly, spatial, thirdly social and, last, the academic aspect. The quantitative aspects of recruitment The offer of a university education within the German empire was surprisingly popular. Despite considerable fluctuation in the various territories of the empire the number of university students, the socalled universities’ volume or frequency of traffic, grew as a whole continually from the second half of the fourteenth century. This has been described as a strong trend of university registration within the empire, an ‘imperial volume’ (Reichsfrequenz) (see graph 1). Calculated until the beginning of the sixteenth century, approximately 250 000 students (almost exclusively men) were entered into the registration books of the German universities.5 This number deserves particular attention when measured against the general development of the population. As a result of the plagues that swept over the empire in waves every five to ten years, the population sank considerably between 1348 and approximately 1450. From then on the population stagnated and first grew again gradually in the last quarter of the fifteenth century. University numbers and population development ran over decades in opposite directions. The average growth rate of the Reichsfrequenz reached a remarkable 1.75 per cent per year between 1385 and 1505, despite the largely depressive demography.6 Hence the share of those 5 For the registration books, see Jacques Paquet, Les matricules universitaires (Typologie des sources du moyen âge occidental 65), Turnhout 1992; Eva Giessler-Wirsig and Johanna Böhm-Klein, Universitäts- und Hochschulmatrikeln, in: Taschenbuch für Familiengeschichtsforschung, eds. Wolfgang Ribbe and Eckart Henning, Neustadt on Aisch 111995, pp. 235–269. 6 See Rainer C. Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert. Studien zur Sozialgeschichte des Alten Reiches (Beiträge zur Sozial- und
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who attended university was clearly over-proportional compared to the rest of the population of the empire. Due to a shortage of sources in neighbouring countries such as France and Italy, especially to the 35 fundamentally important sources of registration | books, these figures can unfortunately not be compared. Consequently it is not possible to tell whether this was below or above the average development within the landscape of European universities.7 Numbers of university members did not grow quite as steadily as the mentioned rate of growth implied. Different phases of strong acceleration or spurts of growth can be observed. It is beyond the scope of this article to discuss in detail the internal and external influences that formed the basis of these movements.8 However the number of university registrations trebled after forty years from the base year of 1400. The number of university members had trebled once again seventy years later, although in this period the number of German universities had nearly doubled. Since the 1480s, long before the deep incision the Reformation was to bring, the growth of the Reichsfrequenz began to level out, albeit at a very high level. Universities of the empire from Louvaine to Vienna, Rostock to Basle, had meanwhile reached a growth rate of 2 500 to 3 000 new members per year, and already produced a considerable surplus of university educated. This has been described, without contradiction, as the first overcrowding crisis (Überfüllungskrise) of German universities.9 This was in particular the case since the supply of up to 3 000 newcomers, representing a total capacity of 6 000 to 8 000 per year, outstripped demand whether in royal or princely courts or in towns, schools, offices, courts or in the benefice structure of the German church. Demand could not even be formulated for as long as the universities were primarily still matters of prestige and means of authority, and thoughts of common utility, the utilitas publica, only began to emerge gradually.10 Nevertheless it can be Verfassungsgeschichte des Alten Reiches 6), Stuttgart 1986, pp. 23–37; idem, Universitätsbesuch im Reich vom 14. zum 16. Jahrhundert: Wachstum und Konjunkturen, Geschichte und Gesellschaft, in: Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft 10 (1984), pp. 5–30, here 14–16. 7 Cf. Paquet, Les matricules (note 5), pp. 16–20. Rainer C. Schwinges, Admission, in: Walter Rüegg (Ed.), A History of the University in Europe, vol. 1: Universities in the Middle Ages, ed. Hilde de Ridder-Symoens, Cambridge 21994, pp. 171–194, here 187–191. 8 Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (note 6), pp. 198–219. 9 Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (note 6), pp. 33–34. 10 Schwinges, Prestige (note 4), p. 14.
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Map 1: Foundations of Universities in the German Roman Empire and in Central Eastern Europe.
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claimed that the events of the second half of the fifteenth century, if purely for quantitatively reasons, formed the basis of modernization in Germany. In this sense it can definitely be compared to the general emergence of mass education in the nineteenth and twentieth centuries. More precise investigations are necessary here, however.11 36 | Admittedly, not all universities shared this growth in the same manner. Universities such as Vienna, Erfurt, Leipzig, Cologne and Louvaine were large by medieval standards and had great appeal and success in recruiting 1 000 people or more. Heidelberg and Rostock were medium sized universities (with 300–400 people), and were joined in the late fifteenth century by Ingolstadt. Greifswald, Freiburg, Basle and Tübingen housed smaller universities (100–200 people). Primarily the urban qualities of the university towns as well as the ranking of the area in which they possessed centralized functions were decisive factors in determining these differences. The large universities all lay in the medieval cities. All of these were important trading towns, had markets or fairs, and were embedded in a dense geo-economic transport network. The cities were favourably situated and easy to reach in areas in which infrastructure and urbanization were relatively well developed. Furthermore, they belonged to territories or were surrounded by those that had successfully consolidated their authority during the territorialization process in the empire since the fourteenth century. However even this ranking by size varied considerably. Hence, for example, university attendance was concentrated for many decades in the south east of the empire, in Prague and Vienna, followed by the central German universities in Erfurt and Leipzig. After 1450 this concentration moved further west, towards Louvaine and Cologne in the Rhine region, which was anyway one of the most important regions of the empire in political, economic and cultural terms, and especially regarding benefice churches. Seen in statistical terms, approximately every third university member attended Louvain or Cologne towards the end of the fifteenth century.
11 See now for example Rainer C. Schwinges, Gelehrte im Reich. Studien zur Sozial- und Wirkungsgeschichte akademischer Eliten des 14. bis 16. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 18 (1996).
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1000
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3500
4000
Immatrikulationen
Poly. (Immatrikulationen)
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1535
1520 1525 1510 1515
1495 1500 1505
1490 1480
1460 1470
1450 1455
1435 1440 1445
1430 1420
1405 1410
1415 1425
1395 1400
Graph 1: Frequency of the German Universities (“Reichsfrequenz” 1385–1550) 323’780 Immatriculations.
1485
4500
1385 1390
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teil ii – frequenz, rekrutierung und migration The spatial aspects of recruitment
The catchment or recruitment area of a university was essentially marked by regional characteristics.12 University regionalism followed to the greatest extent the regionalism of the town. Just as it became 37 | central in the co-ordination of social, economic and cultural life in a region, a university could, after its foundation, also regularly use a core territory or region (see maps 1–4). This allowed it to become socially rooted as a union of people. Wherever a new university made use of this rule they were successful and survived over the long term. In contrast to the earlier universities in Italy or France, the integrating patronage of the state or city authority was necessary to ensure the continuing existence of German and other central European universities, since these were privileged bodies foreign to city and region. There are enough examples of early failure: Vienna (the first foundation 1365–1384), Würzburg, Cracow, Kulm, Buda and Geneva etc. In this sense, successful universities had a broad and certain regional basis, gradually extending these over the longer term. They reacted continually to a changing network of relationships that connected the university, and university town, with the immediate and more distant environment. This basic structure of university regionalism in the German language area has occasionally been misunderstood as narrowness or provincialism, particularly the many small regionally-owned universities in the late Middle Ages and early modern period. However, this is a retrospective view projecting recruitment habits from the nineteenth and early twentieth centuries. Rather than being a narrowness or provinciality, the regional proximity was the normal, to some extent everyday, basis of successful recruitment. Exceptions from this rule deserve particular explanation.13 Universities in the Empire developed their areas of recruitment as a rule in three phases. One can identify an early phase, in which it was important to develop a concentrated net of connections between university, town and core region, thereby ensuring survival within the region. Already the first annual intakes of the newly found universities,
12 Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (note 6), pp. 229–260, passim; idem, Student education, student life, in: A History of the University in Europe (note 2), pp. 195–243, here 202–204; idem, Erfurts Universitätsbesucher im 15. Jahrhundert. Frequenz und räumliche Herkunft, in: Ulman Weiß (Ed.), Erfurt. Geschichte und Gegenwart, Weimar 1995, pp. 207–222, here: 213–222. 13 Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (note 6), pp. 229–230.
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such as Heidelberg, Cologne, Erfurt, Greifswald, Freiburg, Basle or Tübingen clearly represented the future core areas. In such personal circles ‘opening or initiating groups of student clienteles’ (Eröffnungsklientelen) grew in a completely non-random fashion.14 The choice of a particular university was generally not made for abstract reasons, but, apart from the prevailing political or economic conditions, depended upon personal connections and client | relations. Connections between 38 professors and students and between themselves, through the place of origin (Heimat) and compatriots (Landsmannschaft), appeared most frequently here. Wherever the first university professors and students came from, many shared the common feature that the new university was close to their region of origin. Those who left Prague for Heidelberg in 1386, for example, came from the relevant diocese of Worms, from the electoral palatinate or from the Rhine area. Others would have been as foreign in Heidelberg as they were in Prague. When Cologne opened in 1388 more than a third of those Rhinelanders (including the Netherlands) who had registered in Heidelberg moved ‘back’ to the Rhine. In the new centres of education close to the place of origin one supposed, with good reason, better social chances than in the alien environment of foreign universities. A second phase can be further distinguished with the extension and consolidation of catchment areas, in which new regions of recruitment were sought beyond stabilized ones. Thirdly, finally, a phase beyond regional recruitment can be identified, in which recruitment from core areas could equal or sometimes be surpassed by a very wide-spread geographical mobility of university students. The more or less continuous flow of these three phases created a broad range of variations, so that each university gained a typical, geographical identity that substantially precluded others. However, what emerged beyond this could have been formed through competition between universities. Two thirds of all university students from Franconia, for example, preferred Leipzig and ignored the much closer university of Erfurt during the fifteenth century.15 Reasons for this For a discussion of this concept, see Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (note 6), pp. 230–232 passim, cf. the register, p. 710. 15 One of the central territories of Germany, with Nuremberg as undeclared capital, Franconia was without its own university after the failure to establish one in Würzburg 1402–1411. See Franz Machilek, Zur Geschichte der älteren Universität Würzburg, in: Würzburger Diözesan-Geschichtsblätter 34 (1972), pp. 157–168. Rainer C. Schwinges, Franken in der deutschen Universitätslandschaft des späten Mittelalters, 14
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Map 2: Recruitment-area of the Universities of Heidelberg, Cologne and Louvain (1430–1520).
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Map 3: Recruitment-area of the Universities of Vienna and Heidelberg (1390–1520).
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Map 4: Recruitment-area of the Universities of Cologne, Erfurt and Leipzig (1410–1520).
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Map 5: Recruitment-area of the Universities of Leipzig, Rostock and Greifswald (1460–1520).
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tendency can be found less in academic concerns than in the social profile of both universities, in costs of study and maintenance, and in the old compatriot clientele connections between students and professors. Erfurt, in contrast to Leipzig, was one of the most expensive and distinguished of German universities. Large towns understandably 39 | had the best chances for a trans-regional influx within the empire, since the universities of Vienna, Cologne and Leipzig enjoyed locations favourable for trade and traffic. However the smaller territorial universities of Rostock and Greifswald, co-ruled by towns and to a certain extent ‘Hanseatic’ universities, also enjoyed success here. They attracted attendance beyond the territories of Mecklenburg and Pomerania throughout the entire Hanseatic coastal area from Flanders to the Baltic.16 Particularly successful was the university of Cologne. Beginning with a very broad core catchment area in the sees of Cologne, Utrecht and Liege concentrating on the left bank of the Rhine, it developed a recruitment span across the whole empire towards the end of the fifteenth century. Eventually this outstripped recruitment from the core area (see maps 2, 4).17 This was unique, and based in part on the old, socio-economic, long distant connections, and the area of influence of the important export and trading city of Cologne, the largest city of the medieval German empire. Cologne university also enjoyed the benefits of the more recent compatriot connections to graduates and professors that was at times more appealing than proximity, as the example of Leipzig and Erfurt universities demonstrated. However such connections, occasionally covering considerable distances, never affected the necessarily regional character of any university. However the phases of regionalization developed and formed the catchment area, a growth in the attendance figures rested finally not only with the university towns but also with each individual place of in: Die Universität in der Welt – die Welt in der Universität, eds. Hans-Albert Steger and Hans Hopfinger (Schriftenreihe des Zentralinstituts für Fränkische Landeskunde und allgemeine Regionalforschung an der Universität Erlangen-Nürnberg 33), Neustadt on Aisch 1994, pp. 1–26, here 9–11. 16 See Roderich Schmidt, Rostock und Greifswald. Die Errichtung von Universitäten im norddeutschen Hanseraum, in: Beiträge zu Problemen deutscher Universitätsgründungen der frühen Neuzeit (Wolfenbütteler Forschungen 4), Nendeln 1978, pp. 75–110. 17 For the following discussion, see Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (note 6), pp. 230–341. For a sketch, see idem, Student education (note 12), pp. 202–204. Erich Meuthen, Kölner Universitätsgeschichte, vol. 1: Die alte Universität, Cologne/ Vienna 1988, pp. 80–85.
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origin. Its state of development, its qualities as town, market or village could influence university attendance to a massive degree. Other factors included the number of inhabitants, the church and school prerequisites, the economic and travel connections, and the complicated relationships of authority and ownership including stability and continuity of rule. | Most German university members, irrespective of their region of 40 origin, came from a town. Towards the end of the fifteenth century every second town of the Empire sent students to one or more universities. Just as elsewhere in the classical urbanized areas of western and southern Europe, the German Empire now also developed an ‘academic networking’ of the urban landscape. Urbanity and university education became closely connected with one another in scale. This is not to underestimate the rural-village share of German university attendance, however. Out of 200 000 members 35 000 came from villages. As a rule these were from the immediate proximity, but came in any case from the core catchment areas of the universities. During the fifteenth century those who attended German universities typically came from small or medium sized towns. Primarily these were small towns of less than 2 000 inhabitants, followed by medium towns of up to 5 000 inhabitants. This can be particularly well observed in the recruitment areas of the universities of Cologne, Louvaine, Rostock, Erfurt, Leipzig, Vienna and Heidelberg. Notable here is that this small town was a ‘process type’. This meant that attendance from small towns above all set the tone at the end of the century, having asserted itself against the large towns who had been dominant and co-dominant in the fourteenth and early fifteenth centuries. Numbers of students from small towns rose in parallel to the latter’s increasing economic importance. The geographical origin of university attendance hence became as a whole more ‘rural’. Together with medium sized trade and industrial towns, these agriculturally orientated small towns were, for example in Cologne since 1450, the basis of the catchment area and in particular of the core area.18 Further typical was that these places of origin had mostly functioned as permanent administrative centres of their territorial secular or sacred rulers since the Middle Ages, and also enjoyed older secular or sacred schools founded before 1400. Geographical origin was always at the same time also social-spatial origin, which was particularly manifested in the core area and close to
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the university. Accompanying the basic social differentiation of university attendance, such as between people who ‘were something’ already and those who still ‘were nobodies or not yet important’, two further 41 distinctions of importance emerged. One group was closer | to the university than the other. Closeness was not just geographical, a matter of distance in kilometres, but rather a matter of social relationships. The social aspect of recruitment The social recruitment of universities became particularly trenchant. Those who already held titles and positions were by great majority also those who were closest to the university in the socio-spatial sense, and thus helped to guarantee the regional existence of the institution. Such people were also the best allies of the ruler who owned the university. Personal privilege within the university resulted from the quality of descent, high regard in church and society and prosperity. This, and the advantages that came simply from proximity entered into a fruitful symbiosis.19 Universities simply mirrored the surrounding society in this. In a traditional society other rules of behaviour and qualities were respected than those for instance held by a modern democratic achievement-orientated society. Traditional rules took hold of each pre-modern human society, whether church, town or princely court, and naturally did not omit the universities. Decisive were the social networks of connections, ties to rulers, to families, relatives, circles of friends and compatriots, to household and table communities (Haus- and Tischgenossenschaften), in short to the system of patronage and social networks. The universities themselves were from the beginning tied into these networks and were drawn in further from generation to generation, and where not they ultimately failed. No university, whether in Germany or elsewhere, hovered above medieval society or formed an island in the sea of social inequality. See Peter Moraw, Zur Sozialgeschichte der deutschen Universität im Spätmittelalter, in: Gießener Universitätsblätter 8 (1975), pp. 44–60; idem, Das spätmittelalterliche Universitätssystem in Europa – sozialgeschichtlich betrachtet, in: Wissensliteratur im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, eds. Horst Brunner and Norbert Richard Wolf, Wiesbaden 1993, pp. 9–25; Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (note 6), pp. 341–344, 493–494, passim; idem, Student education (note 12), pp. 198–199, 204–205. 19
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They were without exception a component of their societies, something that must be emphasized owing to particular contemporary research discussions in German language circles. With his socially romantic and harmonizing ideas regarding the meaning and function of | 42 medieval universities, an expert such as Herbert Grundmann has hindered research in this direction for a long time and continues to do so through his school and sphere of influence, which is already in the third generation.20 Each individual university member namely carried with them their personal and family rank in society and sought to maintain and represent it there, obviously including the use of privileges and patronage. Universities simply functioned as societal communities. By all appearances social differences were, however, more pronounced in a university system as consistently regionalized as that of the German Empire. The quality of an individual’s origins and connections were demonstrated in a world of narrow social circles, and this on all levels and especially in the group of university decision-makers. Such circles were usually linked with similar groups in church and town, court and state. Much was simply interwoven with patronage from the territorial ruler, the town or the university itself. In this sense the universities’ catchment areas were also defined socially. With time, increasingly more personnel decisions regarding the occupation of teaching positions, elections of rectors, vice-chancellors and deacons fell in close proximity to the universities.21 University and society were hence deliberately merged with one another, at all levels racione gradus aut status, according to academic grade or social position, as had already been formulated in Vienna in 1400.22 Social rank, however, overruled the university’s own ranking system, so that noble origin qualified for more than exams with grades. Alternatively, gradus and status were so connected that higher academic rank and higher social status correlated in general, especially in law circles. 20 Herbert Grundmann, Vom Ursprung der Universität im Mittelalter, Darmstadt 1976, especially pp. 17–20. Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (note 6), pp. 2–5, passim. For a summary of the controversy in Germany, see Michael Borgolte, Sozialgeschichte des Mittelalters. Eine Forschungsbilanz nach der deutschen Einheit, in: Historische Zeitschrift. Beiheft 22 (1996), pp. 373–384. 21 Rainer C. Schwinges, Rektorwahlen. Ein Beitrag zur Verfassungs-, Sozial- und Universitätsgeschichte des Alten Reiches im 15. Jahrhundert. Mit Rektoren- und Wahlmännerverzeichnissen der Universitäten Köln und Erfurt aus der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts (Vorträge und Forschungen Sonderband 38), Sigmaringen 1992. 22 Rudolf Kink, Geschichte der kaiserlichen Universität zu Wien, vol. 2, Vienna 1854 (reprint Frankfurt on Main 1969), p. 91.
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Hence university communities consisted of groups from various social levels, in part from groups with differing levels of privilege, whose size, origin, social weight and behaviour varied greatly during the course 43 of the late Middle Ages. Such groups however always | formed the social recruitment structure and profile and not least also the prestige of a particular university. Social recruitment had roughly three layers.23 The mostly large middle level of rich (the divites) was surrounded by more or less broad and at the same time distinctive fringe groups, on the one side by nobility, higher church officials and other status holders (the nobiles and statum tenentes), and by the poor scholars on the other (the pauperes scholares). Besides these was a multitude of layers of half rich to half poor that could vary the profile of the universities, depending upon the state of growth. In Germany an exchange of social forces took place as a result of changed general political but also economic conditions, the extent of which is still largely un-researched. Noble students and those in the higher clergy left the universities of the northern area of the empire from Louvaine to Greifswald for the south from Basle to Vienna during the second half of the fifteenth century. By exchange a stream of university students, who were primarily financially weak or poor, moved from south to north.24 Despite the many privileges, the number of nobles in the universities was certainly never higher than their proportion in the general population, in Germany a relatively low figure (3.5 per cent). Attendance and 23 For the following discussion, see especially Rainer A. Müller, Universität und Adel. Eine soziostrukturelle Studie zur Geschichte der bayerischen Landesuniversität Ingolstadt 1472–1648, Berlin 1974; idem, Aristokratisierung des Studiums? Bemerkungen zur Adelsfrequenz an süddeutschen Universitäten im 17. Jahrhundert, in: Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft 10 (1984), pp. 31–46; James H. Overfield, Nobles and Paupers at German Universities to 1600, in: Societas. A Review of Social History 4 (1978), pp. 175–210; Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (note 6), pp. 375–465; idem, Student education (note 12), pp. 198, 204–206; Christoph Fuchs, Dives, pauper, nobilis, magister, frater, clericus. Sozialgeschichtliche Untersuchungen über Heidelberger Universitätsbesucher des Spätmittelalters (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 5), Leiden/New York/Cologne 1995, pp. 25–60. 24 See Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (note 6), pp. 385–389, 427–428, 456–458; idem, Migration und Austausch: Studentenwanderungen im Deutschen Reich des späten Mittelalters, in: Migration in der Feudalgesellschaft, eds. Gerhard Jaritz and Albert Müller, Frankfurt on Main/New York 1988, pp. 141–155; Klaus Wriedt, Universitätsbesucher und graduierte Amtsträger zwischen Nord- und Süddeutschland, in: Werner Paravicini (Ed.), Nord und Süd in der deutschen Geschichte des Mittelalters, Sigmaringen 1990, pp. 193–201.
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study at university was neither obvious nor in any case necessary for the medieval nobility and its political functions. This was primarily true of the lay nobility, principally though also for noble clergy especially the canons of the highly feudal German church. In comparison to western and southern Europe, the numbers of nobles | attending university in 44 the empire first rose clearly towards the end of the fifteenth century, as they were just about to win back lost ground in state and church. This was the only possible means remaining against the strong competition of a social and economically self-conscious bourgeoisie that was also increasingly better educated in school and university. Although nobles studied as well they preferred in general to do this among their peers during tours [Kavaliersreisen] or educational trips, especially to the French and Italian legal universities, so that they might have preferred to visit the ‘right’ universities rather than the most important ones. Study came all the more easily since they were not deprived of the usual privileges in the urban environment of the university.25 Apart from the higher nobility and high clerical office-holders, who mostly ‘rose above the regions’ and rather sought the proximity of popes, monarchs and princes, or visited churches of high standing, most of the rest who held offices and honours before their study were knights, canons, clergy or notaries. In the overbearing majority of cases they came from the core catchment areas of the university. This included in the greatest measure also the particular clientele of the sponsored, protected, and honored, whose origins and connections more than balanced their still missing titles. Nevertheless this exclusive group, who had at registration already been released from the usual fees owing to their particularly dense social connections, formed merely the tip of an iceberg. Family-like and clientalist structures pervaded for the main part the whole university membership; a master’s or professor’s familia was common. The teaching community was not particularly orientated towards performance according to abstract scientific motivation, but rather developed as a rule through compatriot connections often to the place of origin.26
25 See Hilde de Ridder-Symoens, Mobility, A History of the University in Europe (note 2), pp. 280–304; Jürg Schmutz, Juristen für das Reich. Die deutschen Rechtsstudenten in Bologna (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 2), Basel 1999. 26 Cf. Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (note 6), pp. 413–424.
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Not quite so large, but still notable, the broad middle layers were also concentrated in the core catchment areas of the university. As the most solvent group they made a considerable social and economic contribution towards the regional existence of the institution. This large group of divites was fairly non-homogeneous. However, seen 45 through the registration books, the group can only be described | in terms of its fringes. Without doubt the social stratification in the places of origin was hardly different, since each member brought their rank and family origin to the university. In the second half of the fifteenth century a new group, from the economic and political leading circles of the towns, was keen to study at university. Seen in absolute numbers this was a small group, but was relative to the population as a whole, however, huge. In the university towns of Heidelberg, Cologne, Erfurt or Vienna, for example, these were the members of business families with rights to magisterial representation and corresponding wealth. On the other hand the favourable situation of the urban craftsmen turned the sons of this layer into a majority in the universities; they formed above all a large proportion of the solvent membership. It appears as if the typically urban trades or crafts coupled mostly with higher than average incomes were those closest to the universities. Within the crafts, a typical ‘family of origin’ for Cologne could be armament producers, while for Heidelberg the shoemakers and for Vienna the pewter workers were more typical. All this was valid throughout the empire for those from village and rural origins as well, such students were most likely the sons of village patriarchs.27 Without means and connections the poor scholars ( pauperes) represented a problem group at the fringe of the university societal community. Contrary to some assertions a social engagement on their behalf was unknown to medieval universities. Nevertheless, the poor still attended university, representing fifteen to twenty per cent of the population depending upon economic factors, with which one can place them within the general pauperism of the Middle Ages. These proportions must be taken seriously, even if there is a risk of interpreting the social situation wrongly in individual cases. The concept of
27 Cf. Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (note 6), pp. 434–440; Peter Moraw, Heidelberg: Universität, Hof und Stadt im ausgehenden Mittelalter, in: Bernd Moeller et al. (Ed.), Studien zum städtischen Bildungswesen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-Historische Klasse 3/137), Göttingen 1983, pp. 524–552, here 547.
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pauper is enigmatic and unclear in the sources and should not be seen too narrowly in economic terms. ‘Pauper’ described not primarily the have-nots, but those whose means did not suffice to pay the costs of study.28 The poor were more committed to university | study than other 46 groups since external factors (wars, plagues) interfered less with their attendance at university. Inflation was naturally an exception, though, that made the boundaries between poor and not-poor broad and fluctuating. Periods of high prices often saw the numbers of paupers increasing drastically. In comparison with the exclusive law universities of southern Europe, the German universities, with their overlarge Artes faculties principally open for all, appeared virtually predestined to attract masses of poor.29 University pauperism was, however, not a general German phenomenon. Universities with higher social prestige such as the ‘Hanseatic Rostock’ or the universities open to nobility such as Erfurt, Freiburg or Ingolstadt sought to keep out the poor with high fees or, primarily after 1450, in a finance-technical manner through the ruthless collection of fees. This was successful. Paupers concentrated on the ‘cheaper’ and larger universities in the more accessible large towns of the empire, such as Vienna, Leipzig, Cologne and Louvaine, often circumventing closer ones. Here the chance presented itself, even in times of crisis incidentally, to live cheaply and possibly also to find occasional casual work or beg. This all meant that the poor were generally not bound into the socially and spatially defined forms of recruitment and hence in this manner distant from the universities. In this milieu of poverty study was only possible according to the current ‘social rules’, with the help of a patron through practical work and service. Such relationships
28 For a basic discussion of the problems of poverty in universities, see Jacques Paquet, L’universitaire ‚pauvre‘ au moyen âge: Problèmes, documentation, question de méthode, in: The Universities in the Late Middle Ages, eds. Jozef Ijsewijn and Jacques Paquet, (Mediaevalia Lovaniensia. Ser. 1: Studia 1, 6), Louvaine 1978, pp. 399–425; idem, Recherches sur l’universitaire „pauvre“ au moyen âge, in: Revue Belge de Philologie et d’Histoire 56 (1978), pp. 301–35; idem, Coût des études, pauvreté et labeur: Fonctions et métiers d’étudiants au moyen âge, in: History of Universities 2 (1982), pp. 15–52; Edward de Maesschalck, De criteria van de armoede aan de middeleeuwse universiteit te Leuven, in: Revue Belge de Philologie et d’Histoire 58 (1980), pp. 337–354; Rainer C. Schwinges, Pauperes an deutschen Universitäten des 15. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Historische Forschung 8 (1981), pp. 285–309; idem, Deutsche Universitätsbesucher (note 6), pp. 441–465; idem, Student Education (note 12), pp. 209–211; Fuchs, Dives (note 23), pp. 56–105. 29 Cf. Jacques Verger, Les universités au moyen âge, Paris 1973, pp. 173–176.
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of service as famuli, for example, were mostly found within the framework of the familia of a university lecturer, rich fellow-student or regional higher (mostly clerical) lord. They were hardly found in a ‘free job market’, however, but were firmly bound to patronage. The academic aspect of recruitment 47 | In academic terms, members of German universities were extremely
unevenly dispersed across the classical four faculties of theology, both fields of law, medicine and the liberal arts. In contrast to the south and west-European centres of law, recruitment in the German universities (as well as those in central, eastern and north Europe) was concentrated to eighty per cent or more in the arts. Only ten to fifteen per cent fell to lawyers, mostly in church law, the rest being divided between theology and, in infinitely small numbers, medicine (one to two per cent). This division was not only subject-specific and academic but was also above all combined with social inequality.30 German universities emerged to renounce other models in Europe (law universities, or medical-arts or theology-arts universities) and typically had four faculties from the outset. However, the territorial sovereigns or town magistrates were only concerned with the normative but not with the social unity in their universities and would not have been able to act towards this. Hence the universities were divided clearly between the arts faculties, the ‘masses’, and the ‘few’ in the so-called higher faculties especially law, the most prestigious in each university. This lasted into the eighteenth and nineteenth centuries. The nobility and the others who ‘were someone’ before they entered university, including the many office or title holders, protégés and the peak of the middle level, met in the overbearing majority in this relatively exclusive circle. In contrast to the arts students, this group can be clearly located within the recruitment area of the university. The lower level of the German arts faculties was hence not only a result of their efforts with the academic beginners, but had at the same time deep social causes. Much more than with theology, medicine and law, the mass environment of the arts, increasingly dominated by
30 Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (note 6), pp. 465–486; idem, Transformation (note 1), pp. 376–378.
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the poorer university students, was distinguished by social differences and considerable fluctuations. These facts still await comprehensive interpretation in medieval studies. The social and academic consequences of these different forms of recruitment, in particular the dominance of the arts faculties | in all 48 universities of the empire, have yet to be assessed. New issues emerging include the university graduates’ potential for innovation within faculties with different social importance, which ultimately leads to questions concerning the cultural and social acceptance and performance of the German universities during the late Middle Ages.31
31 See for example Gelehrte im Reich (note 11), especially there the article of Christian Hesse, Artisten im Stift. Die Chancen, in schweizerischen Stiften des Spätmittelalters eine Pfründe zu erhalten, pp. 85–112; Rainer C. Schwinges (Ed.), Wissenschafts- und Wirkungsgeschichte der artistischen (philosophischen) Fakultäten des 13. bis 19. Jahrhunderts (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 1), Basle 1999.
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ERFURTS UNIVERSITÄTSBESUCHER IM 15. JAHRHUNDERT FREQUENZ UND RÄUMLICHE HERKUNFT* Unter diesem Thema1 sind zwei Aspekte abzuhandeln, die seit langem schon zu den Grundlagen der Universitätsgeschichte gehören: zum einen die so genannte Frequenz, die Grössenordnung des Universitätsbesuchs im Zeitverlauf, gemessen an den Immatrikulationen unter den verschiedensten Einflussbedingungen allgemeinen sozialen Wandels, zum anderen die räumliche Herkunft der Besucher, der Einzugs- bzw. Rekrutierungsbereich der Universität unter gleichen Bedingungen des Wandels. Während zur Frequenz bereits verschiedene Untersuchungen vorliegen, ist in der Universitätshistoriographie das Thema der räumlichen Herkunft der Besucher Erfurts noch nie systematisch behandelt worden2. Die Frequenz “Die Frequenz einer Universität ist das getreue Spiegelbild ihrer historischen Entwicklung . . . (sie) bildet eine der Hauptgrundlagen, auf der jede Untersuchung aufbauen muss, die sich die Erforschung irgendeiner Universitätsgeschichte zum Ziele gesetzt hat”. So schrieb 1956 Horst Rudolf Abe und suchte in der Folgezeit diese Aussage in weiteren Studien zur frequentiellen Bedeutung der Erfurter Hohen Schule zu
* In: Ulman Weiss (Hg.), Erfurt. Geschichte und Gegenwart, Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger, Weimar: Hermann Böhlau 1995, S. 207–222. 1 Geringfügig veränderte Vortragsfassung vom 24. Juni 1992. Ich habe Herrn Dr. Bruno Koch, Bern, für seine Hilfe bei der Erstellung der Graphiken sehr zu danken. 2 Zur Literatur Horst Rudolf Abe, Bibliographie zur Geschichte der Universität Erfurt (1392–1816) für die Jahre 1900–1990. Sonderschriften der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt, Heft 16, Erfurt 1992. Allgemein: Thomas Pester, Geschichte der Universitäten und Hochschulen im deutschsprachigen Raum von den Anfängen bis 1945. Auswahlbibliographie der Literatur der Jahre 1945–1986, Jena 1990; zu ergänzen durch Rainer Christoph Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert. Studien zur Sozialgeschichte des Alten Reiches, Stuttgart 1986 und Erich Meuthen, Kölner Universitätsgeschichte, Bd. 1: Die alte Universität Köln, Wien 1988.
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belegen3. Eröffnet im Jahre 1392 und fussend auf älteren, aussergewöhnlich reichen Lehrtraditionen am Ort, getragen vom städtischen Stifter und gesichert durch das Wohlwollen der umgebenden Kurstaaten 208 Mainz und Sachsen, stieg Erfurt rasch und ungehindert zu | einer der erfolgreichsten deutschen Universitäten des späteren Mittelalters auf. Der Universitätsort selbst als Grossstadt und führendes wirtschaftliches wie geistliches Zentrum in Mitteldeutschland tat ein Übriges4. Das 15. Jahrhundert sah im wesentlichen fünf grosse Universitäten im Reich, die miteinander in Wachstumskonkurrenz standen und ihre Einzugsgebiete gegeneinander einzurichten hatten, genannt in der Reihenfolge der frequentiellen Grösse: Wien, Erfurt, Leipzig, Köln und Löwen. Prag ist hier nicht genannt, obwohl es anfangs ebenfalls eine zahlenmässig grosse, aber leider kaum richtig abschätzbare Rolle spielte, dann jedoch spätestens seit 1419 für lange Zeit radikal aus der deutschen und europäischen, das heisst papstkirchlichen Universitätsgeschichte aus den naheliegenden Gründen der hussitischen Verstrickung ausschied. Erfurt war also über das gesamte Jahrhundert hin gesehen die nach Wien besucherreichste Universität. Man kann sagen: Beinahe jede sechste Person, die innerhalb des Reiches Universitätsbildung suchte, ist einmal in Erfurt gewesen5. Reihenfolgen oder Rangfolgen
3 Horst Rudolf Abe, Die Frequenz der Universität Erfurt im Mittelalter (1392–1521), in: Beiträge zur Geschichte der Universität Erfurt 1 (1956), S. 7–68 (2. Aufl. 1962, S. 7–69), Zitat S. 13; ders., Die frequentielle Bedeutung der Erfurter Universität im Rahmen des mittelalterlichen deutschen Hochschulwesens (1392–1521), in: Beiträge zur Geschichte der Universität Erfurt 2 (1957), S. 29–57 (21962, S. 31–60). 4 Neuere Darstellungen: Erich Kleineidam, Universitas studii Erffordensis. Überblick über die Geschichte der Universität Erfurt im Mittelalter, 2 Bde., Leipzig 21985, 1992; ders., Geschichte der Wissenschaft im mittelalterlichen Erfurt, in: Hans Patze und Walter Schlesinger (Hg.), Geschichte Thüringens, Bd. 2,2, Köln/Wien 1973, S. 150–187, 337–346; Robert W. Scribner, Reformation, Society and Humanism in Erfurt, 1450–1530, Diss. Phil., London 1972; Sönke Lorenz, Studium generale Erfordense. Zum Erfurter Schulleben im 13. und 14. Jahrhundert, Stuttgart 1989; Ulman Weiß (Hg.), Erfurt 742–1992. Stadtgeschichte, Universitätsgeschichte, Weimar 1992; Horst Rudolf Abe, Die Rolle der Universität Erfurt in der thüringischen und hessischen Bildungsgeschichte vom 14. bis zum 16. Jahrhundert, in: Hessen und Thüringen – Von den Anfängen bis zur Reformation. Eine Ausstellung des Landes Hessen (Katalog), Marburg 1992, S. 54–57; Almuth Märker, Geschichte der Universität Erfurt 1392–1816, Weimar 1992. 5 Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 2), S. 11–25, 93–105, 185ff. Mit kritischer Würdigung der älteren Arbeiten von Abe (wie Anm. 3) und Franz Eulenburg, Die Frequenz der deutschen Universitäten von ihrer Gründung bis zur Gegenwart, Leipzig 1904. – Zu Prag vgl. František Šmahel, Pražské universitní studenstvo v p®edrevolučním období, 1399–1419. Statistickosociologická studie, Praha 1967; Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 2), S. 23–25, 363f.
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relativieren sich allerdings, wenn man die Neugründungen während des 15. Jahrhunderts periodisch mitberücksichtigt. Vier Perioden kann man dann unterscheiden, in denen der Erfurter Universitätsbesuch mit wechselnden Rangverhältnissen im Reich zu tun hatte. Grundlagen aller Aussagen hierzu bilden die allgemeinen Rektoratsmatrikeln der deutschen Universitäten6. In der ersten Periode, die man für Erfurt in die Zeit von 1392 bis 1420 zu datieren hat, suchten 6 049 in der Matrikel nachweisbare Personen die Universität in Thüringen auf 7. | Damit nahm Erfurt von 209 Anfang an den zweiten Rang hinter Wien ein, so dass im Südosten wie in der Mitte des Reiches die ältere, aber verlorengegangene Zentralität Prags für seine bayerische und sächsische Nation ersetzt werden konnte. Die wenige Jahre älteren Schwestern in Heidelberg und Köln, erst recht die jüngere in Leipzig, waren bereits überflügelt. In der zweiten Periode, in den Jahren von 1421 bis 1450, stieg die Zahl der immatrikulierten Besucher um 9,4 Prozent auf 6 620 Personen an; sie stieg an, auch wenn dies nur ein relativ flaches Wachstum bedeutete, vor allem im Vergleich zu den Universitäten von Köln und Leipzig, die nun ebenfalls, gewissermassen in den Flanken des Erfurter Spektrums, und hier verstärkt durch die neuen Hochschulen zu Rostock und Löwen, ihre Anziehungskraft entfalteten. Nach der Jahrhundertmitte brach bis gegen 1476 die dritte, für Erfurt diesmal wachstumsfreudigste Periode an. Der Strom der Besucher mehrte sich gegenüber der zweiten Periode um noch einmal 48,8 Prozent auf 9 852 nachweisbar Immatrikulierte. Es war eine Zeit ausgesprochener Blüte8. Bis hierher konnte Erfurt nicht nur den zweiten Rang hinter Wien halten, ihn
6 Erfurter Matrikel: Johann Christian Hermann Weissenborn (Hg.), Acten der Erfurter Universität. Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete VIII, 3 Bde., Halle 1881–1899 (Nachdruck Nendeln 1976). Korrekturen bei Friedrich Benary, Zur Geschichte der Stadt und der Universität Erfurt am Ausgang des Mittelalters, hg. von Alfred Overmann, Gotha 1919, S. 16–18; Abe, Frequenz (wie Anm. 3), S. 22, 58–68. Vgl. auch Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher, (wie Anm. 2), S. 95 mit Anm. 8. Die übrigen Matrikeleditionen verzeichnet Eva Giessler-Wirsig, Universitäts- und Hochschulmatrikeln, in: Wolfgang Ribbe und Eckart Henning (Hg.), Taschenbuch für Familiengeschichtsforschung, Neustadt a. d. Aisch, 91980, S. 141– 180. – Zum Quellentyp der Matrikel Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 2); zuletzt umfassend Jacques Paquet, Les matricules universitaires (Typologie des sources du moyen âge occidental 65), Turnhout 1992. 7 Zu folgenden Zahlen Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 2), S. 96f., 545 mit Tabelle 2b. 8 So auch Abe, Frequentielle Bedeutung (wie Anm. 3), S. 33f.; ders., Frequenz (wie Anm. 3), S. 23f.; Kleineidam, Universitas (wie Anm. 4), S. 20ff.
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sogar im Abstand verkürzen, sondern zugleich auch die Distanz zu den unmittelbaren Konkurrenten in Köln und Leipzig ausbauen. Dem fast 50-prozentigen absoluten Wachstum in Erfurt entsprach, gemessen an der ‘Reichsfrequenz’, am Gesamtvolumen des Universitätsbesuchs im Reich, ein relativer Zuwachs von 1,7 Prozent. Es war dies die stärkste Zuwachsrate überhaupt, die eine der älteren Universitäten in diesen 25 Jahren erreichte. Erfurt war jetzt unter zehn weiteren matrikelführenden Hochschulen im Reich, unter Wien, Heidelberg, Köln, Leipzig, Rostock, Löwen, Freiburg, Greifswald, Basel und Ingolstadt – die vier letzten wurden gerade in dieser Periode gegründet –, die weithin attraktivste und erfolgreichste deutsche Universität. Nur noch Löwen, Köln und Leipzig in demographisch, politisch und wirtschaftlich starken Regionen konnten einigermassen mithalten9. Veränderungen kündigten sich aber bereits an. In der vierten und letzten Periode, die aus den siebziger Jahren bis ins erste Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts führte10, sollte sich die bisherige Wachstumstendenz ins Gegenteil kehren. Bis 1505 immatrikulierten sich nur noch 8 950 Besucher, was einer Verminderung um rund neun Prozent gegenüber der vorangehenden Zeit entsprach. Erfurts ‘Stern’ begann zu sinken, ohne dass man die neuen, eher klein gebliebenen und selbst regredierenden Universitäten dieser Periode, Ingolstadt, Trier, Mainz und Tübingen, dafür verantwortlich machen könnte11. Die Erfurter Universität, die über 80 Jahre lang mit an der Spitze gestanden hatte, sank auf den fünften Rang zurück, weit hinter Leipzig, erst recht weit hinter die neuen 210 | Spitzenreiter im Nordwesten Löwen und Köln, die selbst Wien, die mit grossem Abstand lange führende, frequenzreichste Hochschule des Reiches überrundet und sogar viertrangig gemacht hatten. Nun sind Frequenzzahlen immer sehr empfindliche Gradmesser universitären Lebens. Hinter den Zahlen stehen Tatsachen, die jeder Universität ein höchst eigenes, unverwechselbares Profil verleihen. Von Jahr zu Jahr oft beträchtlich schwankend, zeigen sie gebündelt die Fülle der negativen wie positiven Einflüsse auf: Politische Verwerfungen, Kriegshandlungen, Seuchenzüge, Ernte- und Preisschwankungen, Zur frequentiellen Entwicklung aller genannten Universitäten Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 2), S. 61–185, insbesondere S. 83–93 (Köln), 105–117 (Leipzig), 133–147 (Löwen). 10 Berechnet bis 1505 bei Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 2), bis 1511 bei Abe, Frequenz (wie Anm. 3). 11 Für Trier und Mainz lässt sich Genaueres nicht sagen, da die Matrikeln nicht überliefert sind, vgl. Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 2), S. 25. 9
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Markt-, Verkehrs- und Pfründenlagen, herrschaftliche und rektorale Verwaltungsmassnahmen, Studienordnungen und nicht zuletzt mehr oder weniger stabile, zumeist landsmannschaftlich orientierte familiae von Magistern und Doktoren, die in der Lage waren, Studenten auf einige Zeit an den Hochschulort zu binden12. All dies schafft eine Individualität, die sich natürlich nicht in die oben zu Vergleichszwecken beschriebenen Entwicklungsperioden der ‘Reichsfrequenz’ eingrenzen lässt. Sie produziert vielmehr eigene Zusammenhänge und Zäsuren, die trotz des scheinbar willkürlichen | Auf und Ab eine gewisse Ver- 211 bindlichkeit haben. Systematisch betrachtet, ohne auf Einzelschwankungen einzugehen, lassen sich in diesem Sinne in Erfurt vier eigene Wachstumsphasen mit unterschiedlichen Frequenzniveaus erkennen (vgl. Abb. 1)13. Abgesehen von der in der vormodernen Universitätsgeschichte sehr typischen Eröffnungsszenerie der ersten Jahre (Gipfel-Tal-Frequenzen)14, begann in Erfurt sogleich eine positive Entwicklung, die bis gegen Ende des ersten Jahrzehnts des 15. Jahrhunderts auf dem vergleichsweise hohen Niveau von weit über 200 Inskriptionen pro Jahr anhalten sollte. Der Anfangserfolg dieser ersten Phase, ohne die üblichen Krisen, war derart gross, dass der Universitätsbesuch in der zweiten Phase zwischen ca. 1412 und 1438 bereits auf einem etwas niedrigeren Frequenzniveau von knapp unter 200 Inskriptionen stagnieren konnte, ohne dass dies der Spitzenstellung Erfurts in der deutschen Universitätslandschaft Abbruch getan hätte. Dabei wirkten die Jahre nach 1409 wie eine erneute Eröffnungsszene. Ursache waren nicht nur die Zuwanderer aus Prag aus Anlass des Kuttenberger Dekrets, sondern weit mehr diejenigen, die aus dem riesigen Raum der sächsischen Nation erst gar nicht mehr nach Prag und auch nicht oder noch nicht nach Leipzig zogen. Wohl Wien und natürlich Leipzig, aber weder Heidelberg noch Köln sind von den Prager Ereignissen von 1409 derart betroffen gewesen wie Erfurt15.
12 Dazu Schwinges, Universitätsbesucher (wie Anm. 2), S. 198–220. Im europäischen Vergleich ders., Admission, in: Hilde de Ridder-Symoens (Ed.), A History of the University in Europe, vol. 1: Universities in the Middle Ages, Cambridge 1992, S. 171– 194, bes. 187ff. 13 Nach Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 2), S. 96–102 mit Abb. 6. 14 Die Zahlen der Jahre 1392/1393 sind aber nur Annäherungswerte, vgl. Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 2), S. 98, Anm. 15. 15 Zur Einordnung des Phänomens František Šmahel, The Kuttenberg Decree and
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Die dritte Phase auf dem bemerkenswert hohen Niveau von durchschnittlich 350 jährlichen Immatrikulationen kann man von ca. 1439 bis 1467 ansetzen. In sie fiel die Blütezeit der fünfziger und sechziger Jahre. Wie Abb. 1 zeigt, wurde sie aber schon in den wachstumsorientierten Vierzigern vorbereitet. Scheinbare Katastrophen wie die Hussitenzüge bis nach Thüringen, die wiederholten Pestwellen und der sogenannte sächsische Bruderkrieg zwischen 1445 und 1451 haben offensichtlich nur kurzfristige Auswirkungen gezeitigt, ohne den Trend nachhaltig zu beeinflussen. In der letzten Phase von 1468 bis 1505 vollzog sich jedoch – ebenfalls ohne derartige äussere Eingriffe – die schon angesprochene Trendwende. Die kurze Aufwärtsentwicklung der Jahre 1477 bis 1483 vermochte sie nicht zu bremsen; und selbst das immer noch sehr hohe Frequenzniveau von rund 300 Besuchern pro Jahr reichte nicht mehr aus, um die alte Position im Kreise der grossen deutschen Universitäten zu behaupten. Erfurts Wachstum geriet nicht nur ins Stocken; der Trend wies vielmehr unmissverständlich in die negative Richtung, und zwar grundsätzlich über die Beobachtungsgrenze von 1505 hinaus mit einer jahrhundertelangen Konsequenz, was trotz gelegentlichen Aufbäumens, zuletzt noch im ausgehenden 18. Jahrhundert, in der Aufhebung der nur noch wenig besuchten Universität von 1816 212 endete16. Was allein aus Erfurter Perspektive | noch wenig ‘dramatisch’ erscheinen mochte, erhielt jedoch als Teil der ‘Reichsfrequenz’ einen ganz anderen Stellenwert. Die Erfurter Trendwende und die anschliessenden Frequenzverluste ereigneten sich bemerkenswerterweise ausgerechnet zu jener Zeit, da humanistische Zirkel eine innere Reform zu versprechen schienen; es war das vielgepriesene ‘humanistische Erfurt’, das jetzt den Anschluss an die Spitzengruppe der deutschen Universitäten verlor, schon Jahrzehnte vor der Gründung und dem Aufstieg Wittenbergs seit 1502. Zusammen mit den zeitgleichen Verschiebungen des Schwergewichts des Universitätsbesuchs vom Süden und der Mitte Deutschlands in den Westen, wie oben dargelegt, wird man auch diesen Sachverhalt künftig viel stärker berücksichtigen müssen – in der Universitäts- und allgemeinen Geschichte, vor allem aber in der Geschichte des Erfurter Humanismus und nicht zuletzt der Reformation, wie jetzt auch Erich Kleineidam the Withdrawal of the German Students from Prague in 1409: A Discussion, in: History of Universities 4 (1984), S. 153–166. 16 Vgl. Eulenburg, Frequenz (wie Anm. 5), S. 108, 158f.; Abe, Frequenz (wie Anm. 3), S. 14–18.
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urteilt17. Die alte Auffassung, der Humanismus habe generell einen verstärkten Universitätsbesuch, einen zählbaren Bildungsdrang ausgelöst, gehört jedenfalls zu den vielen Mythen der deutschen Universitäts- und Bildungsgeschichte. Das Gegenteil traf anscheinend zu: Nicht nur in Erfurt, sondern überall dort, wo von universitären humanistischen Zentren gesprochen wurde, traten im ausgehenden Mittelalter, in einer Phase ausgesprochen ‘gebremsten Wachstums’, Immatrikulationsverluste ein – in Wien wie in Basel, in Ingolstadt wie in Tübingen. Über die Einzel- und Phasenbeobachtung hinaus kann man die Erfurter Frequenz des 15. Jahrhunderts insgesamt auch als eine prozesshafte Bewegung verstehen. Man kann zeigen, mit Hilfe von Zeitreihenanalysen, dass die in der Frequenz konzentrierte Entscheidung von über 30 000 Personen (exakt 31 471), die Universität in Erfurt zu besuchen, in zyklischen Bahnen verlief18. Dabei hat man es mit einem Prozess zu tun, in dem unter anderem auch konjunkturelle Schwankungen von dominierender Stärke vorhanden waren. Diese Schwankungen unterlagen vielfach der sozialen wie der räumlichen Dimension der Herkunft der Besucher. Konkret konnte zum Beispiel das Auf und Ab der Preisbildung auf dem universitätsörtlichen Markt oder in der näheren und ferneren Umgebung das Immatrikulieren, möglicherweise auch die hinter diesem Verwaltungsakt stehende Zuwanderung, strukturell beeinflussen und damit den gesamten Universitätsbesuch von Zeit zu Zeit unterschiedlich prägen. So ergaben sich in einem wiederholten Wechsel von Aufschwung und Stockung auffallend unterschiedliche zyklische Bilder. Man kann sagen, dass keine der deutschen Universitäten zur gleichen Zeit Konjunktur hatte. Allerdings gab es gemeinsame Verlaufsmuster, die man sogar bestimmten Räumen zuordnen kann. Ähnlich dominante Zyklusfolgen steuerten den Universitätsbesuch im rheinischen Grossraum von Löwen über Köln und Heidelberg | bis hinunter nach Basel; andere 213 wiederum beeinflussten die Immatrikulationen im Ostseeraum um Rostock und Greifswald oder im habsburgischen Terrain von Wien bis Freiburg im Breisgau; wiederum andere Zyklen lenkten die Frequenzen Kleineidam, Universitas (wie Anm. 4), Bd. 2, S. 21; Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 2), S. 100, 189ff., 203f. 18 Zu allen konzeptionellen und methodischen Fragen dieses Abschnitts vgl. Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 2), S. 37–60, speziell zu Erfurt S. 102–105; ders., Universitätsbesuch im Reich vom 14. zum 16. Jahrhundert: Wachstum und Konjunkturen, in: Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft 10 (1984), S. 5–30, auch in diesem Band. 17
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im thüringisch-sächsichen und fränkisch-bayerischen Grossraum, an dem die Universitäten Leipzig und Erfurt und seit 1472 auch die junge bayerische Landesuniversität zu Ingolstadt partizipierten. Dies alles war naturgemäss ständigem konjunkturellem Wandel unterworfen. Das galt auch für Erfurt, allerdings auf eine viel weniger hektische Weise als anderswo. Erfurts Wachstumsgeschichte des 15. Jahrhunderts ereignete sich, wie ausgeführt, in vier Phasen mit je unterschiedlichen Frequenzniveaus. Diesen vier Phasen entsprach jedoch ein konjunktureller Prozess, der nur drei verschiedene Zyklusfolgen erzeugte. Die Wachstumsphasen bis zur Mitte des Jahrhunderts waren strukturell mit relativ konstanten Fünf- bis Sechs- Jahreszyklen ziemlich ausgeglichen; die entscheidenden Wendepunkte lagen erst bei ungefähr 1450 und 1475. Verkürzte, heftige Schwankungen von drei bis vier Jahren Länge markierten einerseits jetzt den Aufschwung zur Erfurter Blütezeit der fünfziger und sechziger Jahre, andererseits aber auch (mit Tendenz zum Drei-Jahres-Zyklus) den unaufhaltsamen Abstieg im ausgehenden 15. Jahrhundert. Die Hauptgründe für diesen Niedergang des konjunkturellen Wachstums könnten in der vergleichsweise geringen Entfaltung des Erfurter Einzugsbereichs gelegen haben – mit allem was sich an wirtschaftlicher, sozialer und politischer Substanz dahinter verbergen mochte. Nur drei Erfurter Zyklusfolgen scheinen im Vergleich zum fünf- bis siebenfachen Umbau des Prozesses in der Spitzengruppe von Löwen und Köln viel zu wenig gewesen zu sein für den nachhaltigen Erfolg, der dort dann auch aus der überregionalen Öffnung der Einzugsbereiche resultierte19. Die räumliche Herkunft Die räumliche Herkunft der Besucher, das heisst immer auch die räumliche Organisation des Einzugsbereichs einer Universität, war in allen mittelalterlichen wie überhaupt vormodernen Universitäten sehr wesentlich durch das geprägt, was man ‘regionale Existenz’ nennen kann20. Jede Universität in Europa beanspruchte – etwa nach dem
19 Schwinges, Universitätsbesuch (wie Anm. 18), S. 90–93 (Köln), S. 145–147 (Löwen). 20 Dazu ebd., Universitätsbesucher (wie Anm. 2), Teil C/II, S. 222–341; ders., Migration und Austausch: Studentenwanderungen im Deutschen Reich des späten Mittelalters, in: Gerhard Jaritz und Albert Müller (Hg.), Migration in der Feudalgesellschaft,
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Modell der zentralörtlichen Funktion einer Stadt – eine Kernregion, in der sie nach der Gründung sozial verwurzeln und dadurch dauerhaft überleben konnte. Gründungsjahre waren fast immer Krisenjahre; in dieser Zeit musste es gelingen, eine regionale | Kernexistenz aufzu- 214 bauen, andernfalls scheiterte die Gründung, selbst dem Herrscherwillen zum Trotz, wie beispielhaft die Erstversuche von Krakau und Wien (1364/65) und die Gründungen im Königreich Ungarn bis ins 15. Jahrhundert zeigen mögen. Erfolgreiche Universitäten verfügten dagegen über eine breite und sichere regionale Basis, dehnten diese über einen längeren Zeitraum hin erst allmählich aus und reagierten dabei fortwährend auf ein sich wandelndes Beziehungsnetz, das Universität und Universitätsstadt mit der näheren und ferneren Umwelt verknüpfte. Dies galt ebenso für die älteren, informell entstandenen wie für die jüngeren, formal gegründeten Hochschulen in Europa. Man hat diese Grundstruktur der Regionalität des Öfteren, vor allem mit Bezug auf die deutschen Landes- und Stadtuniversitäten, als provinzielle Enge missverstanden. Richtiger und angemessener ist es jedoch, von der funktionalen Nähe zu sprechen. Die Dominanz der Nähe zeigte sich sowohl in der Mitte Europas als auch in seinen Randgebieten. Selbst die sogenannten ‘internationalen Zentren’ wie Paris, Bologna oder Avignon verdankten ihren jahrhundertelangen Bestand nicht der europaweiten Rekrutierung – hier hat man Bologna sogar grotesk übersteigert –, sondern in erster Linie ihrer regionalen Existenz. Alles, was über die Grundstruktur hinausging, war etwas Besonders und bedarf auch gesonderter Erklärung. Erfolgreiche Universitäten in diesem Sinne rekrutierten ihre Besucher seit der gelungenen Gründung in drei aufeinanderfolgenden Entwicklungsphasen: 1. in einer Frühphase regionaler Existenzsicherung, 2. in einer Ausbau- und Konsolidierungsphase und 3. in einer Endphase der Überregionalisierung. In dieser letzten Phase konnte sich vor dem Hintergrund einer gefestigten Kernlandschaft alles ausspielen an inneren und äusseren Kräften, was einen Universitätsort in die Ferne hinein attraktiv machte. Wie stand Erfurt in dieser Entwicklung? Auf diese Frage gaben in repräsentativen Zehnjahresstichproben von 1395 bis
Frankfurt/New York 1988, S. 141–155, 147ff. [auch in diesem Band]; im europäischen Vergleich ders., Student education, student life, in: Hilde de Ridder-Symoens (Hg.), A History of the University in Europe, vol. 1: Universities in the Middle Ages, Cambridge 1992, S. 195–243, hier: 202ff. [auch in diesem Band].
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1495 insgesamt 2 791 immatrikulierte Personen Auskunft21. Demnach scheint Erfurt während des 15. Jahrhunderts einen klar strukturierten Einzugsbereich besessen zu haben, jedenfalls soweit man dies an den Herkunftsdiözesen, den noch geläufigsten Raumvorstellungen des Mittelalters ablesen kann22. Genannt seien die zwölf am stärksten vertretenen Bistümer in abnehmender Reihenfolge ihres prozentualen Anteils an der Erfurter Besucherschaft (vgl. Abb. 2): Mainz (37,4) und Würzburg (10,7), 215 Trier und Köln ( je 4,2), Bamberg | (3,8), Konstanz (3,5), Halberstadt (3,4), Paderborn (3,1) und Hildesheim (2,3), Speyer, Strassburg ( je 2,2) und Augsburg (2,0). Damit ist fast die gesamte Mainzer Kirchenprovinz aufgelistet: Es fehlen lediglich die ‘Extreme’ im Norden, Westen und Süden, die Suffraganbistümer Verden, Worms und Chur. Fehlen heisst hier, dass sie für den Erfurter Universitätsbesuch statistisch unauffällig und unerheblich gewesen und allenfalls in Einzelfällen am Rande des Einzugsbereichs anzutreffen gewesen sind. In diesen Randlagen ist im Übrigen der Sog von Einzugsbereichen anderer Universitäten erheblich stärker gewesen als in den Kernräumen; Rostock, Wien, Basel und Heidelberg sind die Orientierungspunkte, im letzeren Fall beinahe exklusiv: Worms ist das Heimatbistum der Heidelberger Universität. Ansonsten galt in der Vormoderne die Regel, dass keine Universität der anderen substanziell Besucher entzogen hat, was im wesentlichen auch am geringen Ausmass des Hochschulwechsels innerhalb des Reiches gelegen hat23. Dass Kirchenprovinzen in Summe hinter ihren Universitäten standen, wie Salzburg hinter Wien, Magdeburg hinter Leipzig oder Köln hinter Köln, ist zwar nicht weiter aufregend, die starke Dominanz im Erfurter Fall ist es freilich schon.
Zu diesem Verfahren Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher im späten Mittelalter – Methoden und Probleme, in: Hermann Weber (Hg.), Politische Ordnungen und soziale Kräfte im Alten Reich, Wiesbaden 1980, S. 37–52; ders., Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 2), S. 220ff. mit S. 229, Anm. 21. 22 Voraussetzung für diese Analyse war bei dem für systematische Forschungen völlig untauglichen Register der Weissenborn’schen Matrikeledition, Bd. 3, (wie Anm. 6) die möglichst genaue Bestimmung des Herkunftsortes jedes einzelnen Besuchers, einschliesslich der Zuschreibung der Herkunftsdiözese, auf deren Nennung die Schreiber der Erfurter Originalmatrikeln, abweichend von den Gepflogenheiten in anderen zeitgenössischen Universitäten, leider verzichtet hatten. Bei 2 278 Personen von insgesamt 2 791 in den Stichproben (Anm. 21), also in fast 82 Prozent der Fälle, gelang die Ortsbestimmung. Zu den quellenkritischen Problemen Schwinges (wie Anm. 20 und 21) mit weiterer Literatur. 23 Vgl. die Literatur in Anm. 20. Allgemein auch Hilde de Ridder-Symoens, Mobility, in: dies. (Ed.), A History of the University in Europe, vol. 1: Universities in the Middle Ages, Cambridge 1992, S. 280–304. 21
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Im Westen wurde dieser so nachdrücklich mainzisch geprägte Einzugsraum nur noch vom Trierer und Kölner Erzbistum, im Osten nur noch vom exempten Bistum Bamberg erweitert, und zwar so, dass man insgesamt den Eindruck erhält, der Herkunftsbereich der Erfurter Universitätsbesucher bilde einen breiten und ziemlich glatten Gürtel zwischen Rhein und Elbe-Saale der Länge nach von Nord nach Süd durch das Reich. Dieses Gebilde erfasste im Zeitraum des 15. Jahrhunderts mindestens 75 Prozent aller Besucher; davon stellten die Bistümer Mainz und Würzburg allein bereits 48 Prozent. Der Rest verteilte sich in einem grossen Bogen von Nordwesten bis Südosten, von Utrecht über Münster und Bremen, Brandenburg und Magdeburg, Meissen und Naumburg bis zu Eichstätt und Regensburg, um nur noch die wichtigsten Bistümer mit Anteilen über einem Prozent, das sind mindestens 20 Personen in den Stichproben, zu nennen. Ausgespart blieben folglich der gesamte weitere Süden und Westen ebenso wie der Norden und Osten des Reiches. Die Küstenregionen an Nord- und Ostsee waren nur sehr spärlich vertreten – die Bistümer Lübeck und Schwerin beispielsweise gerade einmal zu einem halben Prozent – ebenso wie die Alpenräume und die linksrheinischen Gebiete der dortigen Diözesen. So ist auch verständlich, dass der Anteil der Ausländer bzw. der NichtReichsangehörigen am Erfurter Studium mit gerade 1,2 Prozent weit unterhalb der Reichsquote blieb, die im Überblick des 15. Jahrhunderts rund sieben Prozent betragen hat24. Die meisten ausländischen Besucher stammten noch aus Dänemark und Skandinavien, doch lagen deren universitäre | Zentren im Reich eigentlich in Rostock, Greifswald und 216 Köln25. Vereinzelt nur bemerkte man Schotten, Ungarn und Angehörige slawischer Völker. Aus West- und Südeuropa erschien dagegen so gut wie niemand; der Rheinraum erwies sich als eine ausserordentlich dichte und traditionelle Grenze26.
Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 2), S. 29, 234–244. Vgl. Jan Pinborg, Danish students 1450–1535 and the University of Copenhagen, in: Cahiers de l’Institut du moyen âge grec et latin, Université de Copenhague 37 (1981), S. 70–122, 74–81; Sverre Bagge, Nordic Students at Foreign Universities until 1660, in: Scandinavian Journal of History 9 (1984), S. 1–29, 2–7; De Ridder-Symoens, Mobility (wie Anm. 23), S. 292f. 26 Vgl. Jacques Verger, Les étudiants slaves et hongrois dans les universités occidentales (XIII e–XV e siècle), in: L’église et le peuple chrétien dans les pays de l’Europe du centre-est et du nord (XIV e–XV e siècles). Collection de l’École Française de Rome 128, Rome 1990, S. 83–106, 93f.; Schwinges, Französische Studenten im spätmittelalterlichen Reich, in: Michel Parisse (Ed.), Les échanges universitaires franco-allemands du moyen âge au XXe siècle, Paris 1991, S. 37–54; ders., Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 2), S. 237. 24 25
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Erfurts Einzugsbereich war also ein ziemlich geschlossenes, auf die Mittellage hin konzentriertes Gebilde. Thüringen, Hessen und Franken waren die entscheidenden Landschaften, die sich den genannten Bistümern zuordneten. Thüringen, Hessen und Franken trugen die Universität – alles andere war strenggenommen randständig27. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Diese Aussage gilt nur unter dem Siegel statistischer Erheblichkeit. Am ‘Rande’ mögen sich sehr wohl besondere Beziehungen eingestellt haben, wie dies zum Beispiel die Verbindungen zwischen Erfurt und Basel und Bistümern der Eidgenossenschaft zeigen oder Erfurts Beziehungen in den Hanseraum, nach Westfalen oder nach Preussen und Livland in den Ordensstaat28. Doch bei aller Farbigkeit und Ausgedehntheit, die im Übrigen im Zeitverlauf auch keineswegs immer konstant blieb: Diese Verbindungen trugen nicht die Universität und sicherten nicht die notwendige regionale Existenz. Das gilt sogar selbst noch für institutionalisierte Fernbeziehungen, 217 wie die zum kurkölnischen Niederrhein und Westfalen | (Rheinberg, Erpel, Soest) durch die berühmte Erfurter Kollegstiftung Porta celi des Mediziners Amplonius Rating de Berka29. Die mittlere und in bezug auf die Herkunftsdichte der Universität ständig zugewandte Blocklage der Erfurter Herkunftsräume war jedoch nicht von Anfang an so stabil
27 Zum Erfurter Einzugsbereich liegen im wesentlichen nur punktuelle Arbeiten vor, oft nur ortsbezogene Zusammenstellungen von Personen, teils speziell für Erfurt, teils unter anderen in- und ausländischen Universitäten; vgl. Abe, Bibliographie (wie Anm. 2), S. 83f.; ergänzend unten Anm. 28, 35, 36; über Erfurt hinaus Pester, Auswahlbibliographie (wie Anm. 2), S. 227–235. Beobachtungen allgemeiner Art bei Selmar Bühling, Woher stammen die Studenten der Universität Erfurt von 1392–1636?, in: Erfurter Heimatbrief 11 (1965), S. 67–71; zu bestimmten Gruppen in der Universität Kleineidam, Universitas (wie Anm. 4), Bd. 2, S. 341–344 (Magister); Schwinges, Rektorwahlen. Ein Beitrag zur Verfassungs-, Sozial- und Universitätsgeschichte des alten Reiches im 15. Jahrhundert, Sigmaringen 1992, S. 56–60 (Führungskräfte, Rektoren und Rektorwähler). 28 Marc Sieber, Die Universität Basel und die Eidgenossenschaft 1460 bis 1529. Basel 1960, S. 37f.; Kleineidam, Universitas (wie Anm. 4), Bd. 1, S. 166ff. – Wolfgang Delhaes, Lübecker Studenten auf mittelalterlichen Universitäten, Diss. masch., Berlin 1941, S. 106–121; Klaus Wriedt, Bürgertum und Studium in Norddeutschland während des Spätmittelalters, in: Johannes Fried (Hg.), Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters, Sigmaringen 1986, S. 487–525. – August Heldmann, Westfälische Studierende in Erfurt, in: Zeitschrift für vaterländische Geschichte und Altertumskunde Westfalens 52 (1894), S. 77–116; Otto Schnettler, Westfälische Studierende auf der Universität Erfurt, in: Zeitschrift für vaterländische Geschichte und Alterthumskunde 69,2 (1911), S. 347–356. – Hartmut Boockmann, Die preußischen Studenten an den europäischen Universitäten bis 1525, in: Gertrud Mortensen et al. (Hg.), Historisch-geographischer Atlas des Preußenlandes, Wiesbaden 1973, S. 1–12. 29 Kleineidam, Universitas (wie Anm. 5), Bd. 1, S. 244–255.
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wie es der Überblick über das 15. Jahrhundert suggerieren mag. Wir müssen zeitlich differenzieren und tun dies jetzt unter Berücksichtigung der drei oben erwähnten Entwicklungsphasen von Einzugsräumen. Die erste Phase, die der regionalen Existenzsicherung, dauerte bis fast in die Mitte des 15. Jahrhunderts, dargestellt durch die Stichprobenjahrgänge 1395 bis 1445. Die Basis des regionalen Erfolgs lag für Erfurt von Anfang an in der Mainzer Diözese, vor allem in den östlichen, hessisch-thüringischen Anteilen. Daran sollte sich auch langfristig gesehen nichts ändern. Von Zufallsschwankungen, von pest-, kriegsund erntebedingten Schwankungen einmal abgesehen, die die Basis erfahrungsgemäss immer stärker betrafen als die Peripherie, entstammte fast ein Drittel aller Besucher Erfurts diesem Raum. Er war jedoch noch nicht der Kernraum der Universität. Im Vergleich zu Köln, wo man von Beginn an aus der sehr weitgespannten Kernlandschaft der Diözesen Köln, Lüttich und Utrecht rekrutieren konnte30, schien Erfurt in den ersten Jahrzehnten auf ständiger Raumsuche gewesen sein, um die Mainzer Basis zu ergänzen und abzustützen. Entsprechend dauerte diese Frühphase der regionalen Existenzsicherung viel länger als in Köln und war erst zwanzig Jahre später als dort, in den vierziger Jahren des 15. Jahrhunderts abgeschlossen. In den ersten vier Jahrzehnten zwischen 1395 und 1425 wechselten ständig jene Einzugsräume, in denen sich Erfurt zusätzlich zu verankern suchte. Nur die Richtung blieb konstant, in dem man sich nahezu exklusiv auf den Norden und Nordwesten des Reiches konzentrierte (vgl. Abb. 2). Fast 70 Prozent der Besucher des Jahrgangs 1395 entstammten neben Mainz den Diözesen Bremen, Verden, Hildesheim, Halberstadt, Paderborn und dem ausschliesslich rechtsrheinischen Köln im alten Herzogtum Westfalen. Die übrigen verteilten sich ziemlich diffus und vereinzelt im näheren Osten und Süden; Havelberg, Magdeburg, Würzburg und Bamberg fielen gerade noch ins Gewicht. Die Jahrgänge 1405 und 1415 brachten eine stärkere Wendung nach Nordwesten und Westen: Hildesheim und Paderborn, Köln, Trier und Utrecht waren jetzt die bevorzugten aussermainzischen, grundsätzlich aber immer rechtsrheinischen Herkunftsgebiete: Man kam nicht aus Brabant oder Südholland, sondern aus Nordholland und Friesland, nicht aus dem Moselland, sondern aus dem trierischen Hessen zwischen Koblenz und Giessen. Diese Raumeinteilung erweckt den Eindruck, dass Erfurt
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Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 2), S. 244–255.
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seinen Kernraum in den peripheren Zonen des Kölner Einzugsgebietes sowie dem der alten sächsischen Nation der Prager Universitäten 218 einzurichten versuchte, zumal jede | Ausdehnung nach Süden hin durch die bayerisch-rheinischen Nationen von Prag und Wien sowie die Heidelberger Universität blockiert zu sein schien31. Die nächsten Jahrzehnte bis 1445 brachten erneut eine Umorientierung. Die zweitstärksten Bistümer hinter Mainz waren dafür symptomatisch: 1425 war es Utrecht, 1435 Halberstadt, 1445 Strassburg. Den dritten Platz belegte jedesmal das Bistum Würzburg. Unverkennbar hatte eine Verlagerung des Schwergewichts nach Süden und Südwesten stattgefunden. Auch Bamberg und Konstanz machten sich bereits bemerkbar, während die frühere Nord-Ausrichtung die Linie 219 Paderborn-Halberstadt nicht | mehr überschritt. Im Westen traten die Diözesen von Köln und Trier immer mehr zurück. Die neugegründeten Universitäten in Leipzig (1409) und Rostock (1419) liessen den Ausbau eines Erfurter Kernraums nach Norden ebenso wenig zu wie im Westen die Kölner Universität, die inzwischen in ihre Konsolidierungsund Ausbauphase eingetreten war und rechtsrheinisch und ostwärts nach Westfalen und Niedersachsen hin ausgriff 32. Bestärkt wurde diese Tendenz, und Erfurt dadurch zumindest mittelbar betroffen, durch die Eröffnung der Brabanter Universität zu Löwen (1426). Der abnehmende Zugang aus Aachen (Diözese Lüttich) mag dafür ein Beispiel sein33. Trotz dieser erst wenig stabilen räumlichen Entwicklung, die Erfurt von den zeitgenössischen Mitgründungen in Wien, Heidelberg, Köln und selbst Leipzig erheblich unterschied34 und die in Erfurt folglich auch viel länger dauerte als anderswo, kann man die Zeit von 1395 bis
31 Zu den Einzugsgebieten der genannten Universitätsnationen Sabine Schumann, Die „nationes“ an den Universitäten Prag, Leipzig und Wien. Ein Beitrag zur älteren Universitätsgeschichte, Diss. FU Berlin 1974. Vgl. auch Anm. 34. 32 Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 2), S. 250ff., 255–260 und passim. 33 Edmond Reusens (Ed.), Matricule de l‘Université de Louvain, vol. 1: 1426–1453, Bruxelles 1903 (Tables); Josef Giesen, Aachener an der Universität Erfurt, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 66/67 (1954/55), S. 367–370. 34 Wie Anm. 32 und als Beispiele Christoph Fuchs, Dives, Pauper, Nobilis, Magister, Frater, Clericus. Sozialgeschichtliche Untersuchungen über Heidelberger Universitätsbesucher des Spätmittelalters (1386–1450), Leiden 1995, S. 124ff.; Kurt Mühlberger und Thomas Maisel (Hg.), Aspekte der Bildungs- und Universitätsgeschichte. 16. bis 19. Jahrhundert, Wien 1993, S. 307ff.; Wolfgang Keck, Die Herkunft der Leipziger Studenten von 1409 bis 1430, Diss. masch., Leipzig 1933.
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1445 als eine Phase regionaler Existenzsicherung ansprechen. Erfurt stieg schon in diesen Jahren, wie oben dargelegt, zur zweitgrössten Universität des Reiches auf. Die ständig steigenden Immatrikulationen kamen zu einem wesentlichen Teil dem Mainzer Zentrum zugute, aber auch der zunächst noch offenen Kernraumsituation nördlich wie südlich dieses Zentrums. Die Sicherung der Regionalität Erfurts vollzog sich also unter Verzicht auf Ausdehnung allein durch Verlagerung der universitären Kernlandschaften um das Mainzer Gebiet, ohne dass Wachstumseinbussen eingetreten wären. Der Verdichtung des Inneren entsprach dabei eine längerfristige äussere Unverbindlichkeit. Die zweite Phase, die des Ausbaus und der Konsolidierung des Einzugsgebietes, gehörte der zweiten Jahrhunderthälfte an, vertreten durch Stichprobenjahrgänge von 1455 bis 1495. In diesem Zeitraum nahm die Entwicklung eine andere Richtung. Schon seit den zwanziger Jahren hatte die Würzburger Diözese und damit vor allem der Raum Unterfranken eine beachtliche Rolle bei der Nord-Süd-Verlagerung des Haupteinzugsgebietes gespielt. Jetzt trat sie ganz in den Vordergrund und behauptete bis zum Ende des Jahrhunderts (dem Ende des Beobachtungszeitraums) hinter Mainz die zweitstärkste Herkunftsfrequenz. Mainz und Würzburg formten das neue Zentrum eines Einzugsbereichs, der sich entschieden nun im Süden einzurichten trachtete (vgl. Abb. 3). Um Mainz und Würzburg herum bildete sich ein Gürtel von Nachbardiözesen, allesamt freilich Erfurt zugewandt: Bamberg, Augsburg, Konstanz, Strassburg, Speyer und Trier. Als einzige frequenzreiche Verbindung nach Norden blieb lediglich das Nachbarbistum | Hal- 220 berstadt bestehen35. Selbst der Westen, soweit er kölnisch war, verlor erheblich an Terrain. Von dort kamen fast nur noch die Stipendiaten des Amplonianischen Kollegs ‘Zur Himmelspforte’, aus den stiftungsberechtigten Städten Rheinberg, Erpel und Soest. Das Geschehen im Einzugsbereich dieser Jahrzehnte lässt sich als eine besondere | 221 Art von Ausbau oder Konsolidierung beschreiben, als ein verstärkter
35 Der Rückzug aus dem Norden ist auch punktuell schon einmal aufgefallen, vgl. etwa Karl Koppmann, Hamburger Studenten in Erfurt, in: Mitteilungen des Vereins für hamburgische Geschichte 6 (1884), S. 122–126; Alfred Schmidtmayer, Bremische Studenten an den Universitäten des Mittelalters, in: Bremisches Jahrbuch 35 (1935), S. 39–89, 70–76; Delhaes, Lübecker Studenten (wie Anm. 25), S. 243ff. Auch am nördlichen Rand des Kernraums mit Beginn in den 90er Jahren: Wilhelm Zahn, Anhaltiner auf der Universität Erfurt, in: Mitteilungen des Vereins für anhaltinische Geschichte und Altertumskunde 6 (1893), S. 218–220, mit Berichtigungen von O. Franke, ebd. S. 319ff.
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Konzentrationsvorgang in der Mitte des Reiches. Mehr als zuvor übernahm nun der Kernraum nicht nur die Sicherung der regionalen Existenz, sondern darüber hinaus auch einen Grossteil des ständigen Zuwachses. Der Kernraum von Mainz und Würzburg, von Hessen also, Thüringen und Franken, erfasste im Jahrgang 1455 bereits rund 45 Prozent aller Besucher, 1495 waren es sogar 55 Prozent36. Bei dieser Sachlage muss man feststellen, dass es die dritte Entwicklungsphase, die der Überregionalisierung wie zum Beispiel in Köln oder Löwen in Erfurt so nicht gegeben hat37. Überregionalisierung meint eine Überflügelung des regionalen Kerns durch bis dahin periphere Gebiete. Am Ende der zweiten Phase, die ganz der Suche und dann der Verdichtung des Kernraums gegolten hatte, stagnierte die weitere Entwicklung. Zu einem Ausbau des Einzugsbereichs in die Weite des Reiches hinein, einem Ausbau, der mehr war als eine bunte, unverbindliche Mixtur von Einzelfällen, kam es nicht mehr. Dies dürfte letzten Endes einer der maßgebenden Gründe dafür gewesen sein, dass 36 Einzelstudien unterschiedlichsten Niveaus zum Kernraum in Auswahl: Adolf Stölzel, Studierende der Jahre 1368 bis 1600 aus dem Gebiete des späteren Kurfürstenthums Hessen, in: Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde. Neue Folge 5 (1875) Supplement; Johannes Eck, Butzbacher und Licher Studenten vom Ausgang des 14. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, in: Mitteilungen des oberhessischen Geschichtsvereins, Neue Folge 26 (1925), S. 1–39; Horst Rudolf Abe, Die Fuldaer an der Universität Erfurt im Mittelalter (1392–1521), in: Fuldaer Geschichtsblätter 33 (1957), S. 180–199; ders., Rolle (wie Anm. 4), S. 54ff.; Paul Görlich, Hersfelder Studenten in Erfurt von 1392–1600, in: Mein Heimatland Bad Hersfeld 23 (1968/69), S. 92f.; Volkmar Köhler, Wetzlarer Studenten im 14. und 15. Jahrhundert. Zur Sozialgeschichte der Universitätsbesucher einer Reichsstadt, in: Mitteilungen des Wetzlarer Geschichtsvereins 30 (1983), S. 43–63. – Reinhard Jordan, Verzeichnis der in Erfurt studierenden Mühlhäuser (1392–1636), in: Mühlhäuser Geschichtsblätter 5 (1905), S. 53–58; E.T. Ziegler, Langensalzaer auf der Universität Erfurt 1392–1636 nebst einigen weiteren Personen- und Ortszusammenstellungen, in: Der Pflüger 4 (1927), S. 401–413; Wilhelm Falkenheiner, Göttinger Bürgersöhne auf auswärtigen Universitäten bis 1737, in: Neues Göttinger Jahrbuch 2 (1930), S. 27–72, hier: 32, 39ff.; A. Beckmann, Eichsfelder Studenten auf der Universität Erfurt in den Jahren 1392 bis 1636, in: Eichsfelder Heimatblätter 17 (1938), S. 26–29. – Karlheinz Goldmann, Nürnberger Studenten an deutschen und ausländischen Universitäten von 1300–1600, in: Mitteilungen aus der Stadtbibliothek Nürnberg 12 (1963), S. 1–10, hier: 6; Michael Mahr, Bildungs- und Sozialstruktur der Reichsstadt Schweinfurt, Würzburg 1978 (Studentenliste); Rolf Häfele, Die Studenten der Städte Nördlingen, Kitzingen, Mindelheim und Wunsiedel bis 1580. Studium, Berufe und soziale Herkunft, 2 Teile, Trier 1988, S. 19ff., 86ff., 114ff., 136f. – Weiteres bei Abe, Bibliographie (wie Anm. 2), S. 83f. 37 Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 2), S. 253ff.; G. Peremans, De immatriculati van de Leuvense Universiteit tussen 1453 en 1485. Proefschrift van Licentiaat in de Wijsbegeerte en Letteren, Leuven 1960; Nicole Carpiaux, L’immatriculation des étudiants de l’Université de Louvain de 1485 à 1515: Étude statistique, Mémoire de Licence en Philosophie et Lettres, Bruxelles 1963.
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Erfurts frequentielles Wachstum in den siebziger Jahren zum Stehen gekommen war und fortan einen negativen Trend gezeichnet hatte (vgl. Abb. 1). Und dies dürfte auch ein Grund dafür gewesen sein, dass die zyklische Prozessstruktur des Erfurter Universitätsbesuchs sich gerade zu diesem Zeitpunkt noch einmal veränderte. Die alten Einzugsräume, die Kernregion und ihre Umgebung, waren offensichtlich ausgeschöpft. | Während Löwen und Köln überregional rekrutierten und zu den 222 Spitzenuniversitäten der zweiten Jahrhunderthälfte aufstiegen, sank Erfurt auf den fünften Platz der großen deutschen Universitäten zurück. Die verhinderte Überregionalität stellte für die Zukunft die entscheidenden Weichen. Erfurt verlor langsam aber sicher immer mehr an Anziehungskraft; auch die Blütezeit des neuen Erfurter Nominalismus um die Jahrhundertwende, so wie die des gleichzeitigen Humanismus38, sollte daran nichts mehr ändern; sie konnte nicht einmal den negativen Trend aufhalten. Rein quantitativ gesehen, und das ist wichtig genug, um Universitäten als Modernisierungsträger im alten Reich verstehen zu können, hatte Erfurt seinen größten Erfolg im 15. Jahrhundert; es konnte ihn in der ganzen frühen Neuzeit in dieser Form nicht mehr wiederholen. Um so wichtiger ist es festzuhalten, dass dieser Erfolg der auch am Ende noch immer großen Zahlen vor allem der Region Thüringen, Hessen und Franken zu verdanken war, einer demnach wohl bedeutenden deutschen Bildungslandschaft, aus der heraus es offensichtlich immer wieder gelang, Universitätsbesucher für Erfurt zu mobilisieren.
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Kleineidam, Universitas (wie Anm. 4), Bd. 2, S. 138ff.
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Abb. 1: Frequenz der Universität Erfurt (1392–1505).
Trend 1392–1411, 1412–1438, 1439–1467, 1468–1505
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Anzahl Immatrikulationen
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Abb. 2: Universität Erfurt 1395–1445. Räumliche Herkunft (Diözesen).
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Abb. 3: Universität Erfurt 1455–1495. Räumliche Herkunft (Diözesen).
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TEIL III
ORDO DIFFERENCIAE: GRUPPEN, SCHICHTEN, STÄNDE
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PAUPERES AN DEUTSCHEN UNIVERSITÄTEN DES 15. JAHRHUNDERTS* Der folgende Versuch, die Situation der armen Studenten an den mittelalterlichen deutschen Universitäten zu verstehen, gehört in den größeren Zusammenhang eines Forschungsvorhabens, das mit Hilfe personengeschichtlicher, quantitativer Methoden einen Beitrag zur Geschichte der deutschen Universitätsbesucher vom 14. zum 16. Jahrhundert leisten will1. Dieser Beitrag zur Sozialgeschichte besteht, kurz umrissen, in der Analyse der sozialen Funktion universitärer Existenz und universitärer Qualifikation im Rahmen der mittelalterlichen Ständegesellschaft. Dabei geht es um die Korrelation von Bildung und Bedarf an Ausgebildeten, von Bildung und sozialer Mobilität nicht nur für die ‘Crème’ sondern gerade auch für die breite mittlere und untere Schicht der Universitätsbesucherschaft. Das ganze Forschungsunternehmen ist in seinem sachlichen wie zeitlichen Fortschreiten von einer sehr unterschiedlichen Quellen- und Dokumentationsbasis abhängig, so daß die mannigfaltigen Probleme und Aspekte auch nur sehr verschieden weit und intensiv beleuchtet werden können. Das gilt insbesondere für das Problem der Armen in der Universität. So müssen zunächst einmal Andeutungen, Beispiele und Thesen genügen. Nicht zuletzt liegt der Grund dafür auch darin, daß die deutsche ebenso wie die internationale Forschung zur Universitätsgeschichte, aber | auch zur allgemeinen Sozialgeschichte der 286 * In: Zeitschrift für Historische Forschung 3 (1981), Berlin: Duncker&Humblot 1981, S. 285–309. 1 Dem Text liegt die erweiterte Fassung des Vortrages zugrunde, den ich in der Sektion „Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches“ auf der 32. Versammlung deutscher Historiker in Hamburg 1978 gehalten habe (Ms. abgeschlossen im Februar 1979). Für seine Hilfe bei der Erhebung des Materials habe ich Herrn cand. phil. Dieter Rübsamen, Gießen, sehr zu danken. Zum Forschungsprojekt Rainer Christoph Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher im Mittelalter – Methoden und Probleme ihrer Erforschung, in: Hermann Weber (Hg.), Politische Ordnungen und soziale Kräfte im Alten Reich, Wiesbaden 1980, S. 37–52; Peter Moraw, Zur Sozialgeschichte der deutschen Universitäten im späten Mittelalter, in: Gießener Universitätsblätter 8 (1975), S. 44–60. Eine kurze Skizzierung bei Peter Moraw und Volker Press, Probleme der Sozial- und Verfassungsgeschichte des Heiligen Römischen Reiches im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Zeitschrift für Historische Forschung 2 (1975), S. 95–108, hier: 103f.
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Armut, die Problematik der armen Scholaren bisher kaum ausreichend beachtet hat2. Speziell die deutsche (und deutschsprachige) Universitätsgeschichtsforschung – traditionell der Institutionen-, Gelehrten- und Wissenschaftsgeschichte durchaus im besten Sinne verhaftet – hat dieser Frage, wie überhaupt sozialgeschichtlicher Fragestellung, auch nach Ausweis der neuesten Bibliographien nur sehr wenig Raum gewährt3. Erst in allerjüngster Zeit mehren sich entsprechende Publikationen 287 und Ankündigungen4. | Charakteristisch ist beispielsweise die Bemer2 Die wichtigste Studie stammt von John M. Fletcher, Wealth and Poverty in the Medieval German Universities with Particular Reference to the University of Freiburg, in: John R. Hale et al. (Hg.), Europe in the Late Middle Ages, London 1965, S. 410–436. Für einen Überblick vgl. James H. Overfield, Nobles and Paupers at German Universities to 1600, in: Societas: A Review of Social History 4 (1974), S. 175–210, hier: S. 199ff. Ferner Friedrich Paulsen, Eichsfelder Studenten auf der Universität Erfurt in den Jahren 1392 bis 1636, in: Historische Zeitschrift 45 (1881), S. 385–440, hier: S. 424ff.; Hastings Rashdall, The universities of Europe in the Middle Ages, 3 Bde, hier: Bd. 3, hg. von Frederick M. Powicke und Alfred B. Emden, Oxford 1936, S. 404–414; František Šmahel, Pražské universitni studenstvo v p®edrevolučnim obdobi 1399–1419, statistickosociologická studie, Praha 1967, S. 38ff.; Jacques Verger, Les universités au Moyen Age, Paris 1973, S. 172–176; Alan B. Cobban, The Medieval Universities: Their Development and Organization, London 1975, S. 196–201. Allgemeine Armutsstudien haben die studentische Armut nur am Rande behandelt; vgl. z.B. Jean-Louis Goglin, Les misérables dans l’occident mediéval, Paris 1976, S. 128f.; Michel Mollat, Les pauvres au Moyen Age, Paris 1978, S. 292f. 3 Erich Hassinger und Edwin Stark (Hg.), Bibliographie zur Universitätsgeschichte 1945–1971, Freiburg/München 1974, S. 8. Dazu auch: Bibliographie internationale de l’histoire des universités I–II, Genève 1973, 1976 u. a. für Löwen, Prag und Basel, und die Übersichten zur Universitätsgeschichte im Bulletin of medieval canon law I (Berkeley, California), 1971ff. Vgl. aber Rainer A. Müller, Universität und Adel. Eine soziostrukturelle Studie zur Geschichte der bayerischen Landesuniversität Ingolstadt 1472–1648, Berlin 1974, S. 94–98 mit wichtigen Erkenntnissen auch zu den pauperes, sowie die unter Anm. 4 genannten Sammelwerke. 4 Magnus Ditsche, Zur Studienförderung im Mittelalter, in: Rheinische Vierteljahresblätter 41 (1977), S. 51–62; Elisabeth Mornet, Pauperes scolares. Essai sur la condition materielle des étudiants scandinaves dans les universités aux XIV e et XVCe siècles, in: Le Moyen Age 84, 1978, S. 53–102; Jean-Louis Goglin (wie Anm. 2), S. 128ff., weist hin auf H.-R. Paisant, Les étudiants pauvres de l’université de Paris, (ungedruckte Diplomarbeit), Paris 1967. Erst nach Abschluß des Manuskripts (Februar 1979) erschienen bzw. wurden mir bekannt die Arbeit von Elisabeth Mornet sowie die grundlegenden Studien von Jacques Paquet, L’universitaire ‚pauvre‘ au Moyen Age: Problèmes, documentations, questions de méthode, in: Jozef Ijsewijn and Jacques Paquet (Hg.), The Universities in the Late Middle Ages, Leuven 1978, S. 399– 425 und ders., Recherches sur l’universitaire ‚pauvre‘ au Moyen Age, in: Revue Belge de Philologie et d’Histoire 56 (1978), S. 301–353. Soweit es den 1. Teil meiner Ausführungen betrifft, dürften sich unsere Ansichten weitgehend decken; im 2. Teil glaube ich, einige Forderungen aus Paquet’s Forschungskatalog erfüllt zu haben. Eine eingehende Würdigung der Studien sowie der Arbeit von Mornet (eine sehr nützliche Zusammenstellung skandinavischer Armer auch an deutschen Universitäten), muß ich mir für einen späteren Zeitpunkt vorbehalten. – Interessante Einblicke gewährt auch
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kung Edgar Bonjours in seiner Geschichte der Basler Universität, auch in Basel habe es immer „arme Studentlein“ gegeben5. Die Verwendung einer Verniedlichungsform unterstreicht zur Genüge, daß das Problem kaum ernsthaft betrachtet, eher wohl aus ‘milder Distanz’ gesehen worden ist. Man braucht das nicht weiter auszudeuten. Doch gibt es zu denken, daß die bisherigen Überlegungen zum Thema – abgesehen von kulturgeschichtlichen Bemerkungen zum ‘Leben und Treiben’ mittelalterlicher Studenten – mit der Geschichte karitativer Mildtätigkeit, der Geschichte von Stiftungen, Stipendien und allgemeiner Studienförderung verknüpft worden ist. Eine nennenswerte Zahl von Förderungsmaßnahmen, von denen auch mittellose Universitätsbesucher profitieren konnten, wurde jedoch erst seit der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts evident6. Aber nicht nur die wirklich geringe Anzahl der Plätze in den sog. domus pauperum oder ähnlichen Einrichtungen vor dem 16. Jahrhundert macht diesen institutionsgeschichtlichen Ansatz am Ende fragwürdig7, sondern weit eher die Verkennung grundlegender sozialer Regeln des Zusammenlebens in einer mittelalterlichen Gesellschaft. Nicht der erwiesene Mangel und die tatsächliche Bedürftigkeit entschieden über die Besetzung einer ‘Armenpfründe’, sondern in der Regel die Qualität
der Beitrag von Magnus Ditsche, Soziale Aspekte der päpstlichen Doktorgraduierungen im späten Mittelalter, in: The Church in a Changing Society (Proceedings of the CIHEC-Conference in Uppsala August 17–21, 1977), Uppsala 1978, S. 200ff., sowie der zusammenfassende ‘Report’ von Jürgen Miethke, in: ebd., S. 240ff. 5 Edgar Bonjour, Die Universität Basel von den Anfängen bis zur Gegenwart, Basel 1960, S. 73. 6 Vgl. John M. Fletcher (wie Anm. 2) und Magnus Ditsche (wie Anm. 4). Zu einzelnen Stiftungen z.B. Gerhard Schoenen, Die Kölnischen Studienstiftungen, Köln 1892; Heinz Jürgen Real, Die privaten Stipendienstiftungen der Universität Ingolstadt im ersten Jahrhundert ihres Bestehens (Ludovico Maximilianea Forschungen 4), Berlin 1972, darin Arno Seifert, Das Georgianum 1494–1600; Astrik Ladislas Gabriel, The House of Poor German Students at the Medieval University in Paris, in: Geschichte in der Gesellschaft. Festschrift für Karl Bosl, Stuttgart 1974, S. 50–78; Volker Schäfer, „Zur Beförderung der Ehre Gottes und Fortpflanzung der Studien“. Bürgerliche Studienstiftungen an der Universität Tübingen zwischen 1477 und 1750, in: Erich Maschke und Jürgen Sydow (Hg.), Stadt und Universität im Mittelalter und in der früheren Neuzeit, Sigmaringen 1977, S. 99–111. 7 Das Heidelberger Dionysianum z.B. hatte nur 5 Scholaren- und 5 Magisterplätze, die ziemlich lange besetzt werden konnten. Das Kölner Armenhaus Wesebeder bot nur 4 Plätze und die Freiburger Sapientia-Burse 12. Vgl. B. Scharnke, Über Zusammensetzung und soziale Verhältnisse der Heidelberger Universitäts-Angehörigen im 15. Jahrhundert, Diss., Heidelberg 1921, S. 62f.; Hermann Keussen, Die alte Universität Köln, Köln 1934, S. 355ff.; Adolf Weisbrod, Die Freiburger Sapienz und ihr Stifter Johannes Kerer von Wertheim, Freiburg 1966.
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der sozialen Beziehungen zwischen Nutznießern und privaten oder öffentlichen Stiftern. Schon Rashdall bemerkte, daß z.B. die englischen 288 | Collegien für arme Scholaren were filled with men whose parents were quite well able to pay for the support of their sons 8. Die Erforschung des Stiftungs- und Stipendienwesens ist im einzelnen sicher wichtig und nützlich, ohne Zweifel auch im Zusammenhang mit den Armen, wie Laetitia Boehm zu Recht betont hat9; aber man wird wohl auch direktere Wege einschlagen müssen, um dem Phänomen des ‘Pauperismus’ an den mittelalterlichen Universitäten gerecht zu werden. Die folgenden Ausführungen teile ich in zwei Abschnitte: im ersten wird die Situation der Armen in der Universität umrissen; im zweiten Abschnitt werden die Darlegungen durch quantitative Ergebnisse illustriert, begründet und weitergeführt. I Die universitäre Rechtsgemeinschaft, als welche sie formal nach außen hin energisch auftrat, stets auf ihre Privilegien selbst zugunsten ihrer geringsten Mitglieder pochend, war deswegen noch lange keine SozialGemeinschaft im Sinne sozialer Egalität. Es ist sehr wahrscheinlich eine allzu optimistische Utopie, mit Herbert Grundmann anzunehmen10, Studium sei ein Mittel des sozialen und wirtschaftlichen Aufstiegs gewesen, bereitgestellt von einer Korporation, an der alle sozialen Schichten, Stände und Klassen gleicherweise und gleichberechtigt beteiligt gewesen seien; eine Utopie, die sowohl von modernen, hier aber anachronistischen, als auch von damaligen, humanistischen Vorstellungen genährt worden ist. Der Euphorie mancher Humanisten des ausgehenden 15. Jahrhunderts über die aufstiegsorientierte Funktion der Bildung für Niedriggeborene11 lassen sich nämlich auch Zeugnisse
8 Hastings Rashdall, Universities of Europe (wie Anm. 2), S. 412; Hermann Keussen, Universität Köln (wie Anm. 7), S. 357f. 9 Laetitia Boehm, Libertas scholastica und negotium scolare, in: Hellmuth Rössler und Günther Franz (Hg.), Universität und Gelehrtenstand 1400–1800, Limburg 1970, S. 15–61, hier: S. 16. 10 Herbert Grundmann, Vom Ursprung der Universität im Mittelalter, Darmstadt 1960 (Ndr. 1976), S. 17. 11 Die Stiftungsbriefe der ‘humanistischen Gründungen’ selbst weisen auf solche Funktion hin. Vgl. Heinz Lieberich, Die gelehrten Räte. Staat und Juristen in Bayern in der Frühzeit der Rezeption, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 27 (1964),
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entgegenstellen, die geradezu ein ‘gespaltenes Bewusstsein’ bezüglich des akademischen Status und des Existenzniveaus dokumentieren. Der bekannte Kölner Jurist Loppo von Zieriksee beispielsweise riet armen | Studenten auf Grund eigener bitterer Erfahrungen dringend 289 davon ab, den Doktortitel anzustreben – wegen der vielen Mühsal und Beschwernisse selbst noch nach Erlangung der Würden. Aber schon der Magistergrad der artistischen, der späteren philosophischen Fakultät, setzte Erwartungen und Hoffnungen frei, die meistens nicht mit der Realität in Einklang zu bringen waren12. Die spätmittelalterliche Universität war keine isolierte Bildungsgemeinschaft, nur durch einen frei zugänglichen Aufstiegskanal mit der Außenwelt verbunden, sondern von Anfang an ein getreues Spiegelbild der sie umgebenden, im Wesentlichen städtischen Gesellschaft. Das zeigt sich bereits in der verschiedenen Wertigkeit der Fakultäten. Unverkennbar lag eine soziale Schranke zwischen der artistischen Fakultät, die weit über 80% aller Universitätsbesucher aufnahm, und den sogenannten höheren Fakultäten der Medizin, der Theologie und ganz besonders des kirchlichen und weltlichen Rechts. In ihrer sozialen Zusammensetzung unterlag die Universität den gleichen ökonomischen und sozialen Kriterien der gesellschaftlichen Schichtung. Die Qualitäten der adeligen Abkunft und der Wohlhabenheit hatten auch in der Hochschule ganz konkrete Vorrechte zur Folge, die sich z.B. in den Lozierungsvorschriften deutlich niederschlugen. Die Selbstdarstellung der Universität nach außen, etwa bei Prozessionen, war zugleich immer auch eine Darstellung des persönlichen Ranges jedes einzelnen Universitätsbesuchers. Eigens bestellte ‘Protokollbeamte’ hatten über die strikte Einhaltung der gegebenen Ordnung zu wachen. Und selbst beim akademischen Unterricht nahmen die Söhne des ‘Geburts- und Geldadels’ selbstverständlich auf den ersten Bänken Platz13. S. 120–189, hier: 149; Franz Gall, Alma Mater Rudolphina 1365–1965. Die Wiener Universität und ihre Studenten, Wien 1965, S. 116; Werner Kuhn, Die Studenten der Universität Tübingen zwischen 1477 und 1534. Ihr Studium und ihre spätere Lebensstellung (Göppinger Akademische Beiträge 37/38), 2 Bde., Göppingen 1971, hier: Bd. 1, S. 83; Rainer A. Müller, Universität und Adel, (wie Anm. 3), S. 95; JeanLouis Goglin, Les misérables (wie Anm. 2), S. 129. 12 Hermann Keussen, Universität Köln (wie Anm. 7), S. 152; Magnus Ditsche, Studienförderung (wie Anm. 4), S. 62. Beispiele für das harte Leben der Magister ebd., Anm. 69 und bei Dietrich Reichling, Johannes Murmellius. Sein Leben und seine Werke, Freiburg 1800 (Ndr. 1963). 13 Hermann Weissenborn (Hg.), Acten der Erfurter Universität, 3 Bde., Halle 1881, hier: Bd. 1, S. 12f., 16; Edgar Bonjour, Universität Basel (wie Anm. 5), S. 74. Rainer
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Darüber hinaus aber – und wesentlicher – waren Universität und Gesellschaft je länger umso mehr im Laufe des 15. Jahrhunderts in ihren Entscheidungspositionen durch die gleichen Personen und Personengruppen verbunden14. Bürgerliche Lebensformen und Lebensziele, 290 | denen man oft Zweckrationalität unterstellt, gingen in der Universität nahtlos und ohne Widerspruch in die traditionalen Sozialformen der Verwandtschafts- und Patronagesysteme über. Dadurch wurde das Studium weitgehend sozialen Regeln unterworfen, ohne die eine Karriere nur sehr schwer abzuschätzen war. Die Frage nach dem Aufstieg mit Hilfe des Mediums Universitätsbildung ist im Anschluß an diese Bemerkungen nur dann sinnvoll, wenn der Aufstieg entlang der sozialen Stufenleiter der Gesellschaft gemessen wird. Was für die einen nur ein Wechsel der Würden oder ein Prestigegewinn war, bedeutete für andere schon ein gewaltiger Schritt, für wieder andere ein Prozeß, der sich unter Umständen über Generationen hinziehen konnte. Gegenüber dieser Situation, die man als die ‘Normalität der gesellschaftlichen Mitte’ bezeichnen kann, bildeten pauperes die Randgruppe des Sozialkörpers der Universität. Es sind jene Personen, hinter deren Namen in den allgemeinen Rektoratsmatrikeln, Grundlage übrigens jeder qualitativen und quantitativen Argumentation15, ein nihil dedit, quia pauper, ein gratis propter deum oder einfach ein pauper und der fehlende Bezug zu einem Sozialpartner die Lage deutlich macht. Mittellosigkeit und Beziehungslosigkeit sind die entscheidenden Bedingungen dieser Randständigkeit und zugleich des Begriffs der Armen in der Universität. Zusätzliche Kriterien wie Blindheit, Verwachsenheit, Verwaisung, Verbannung, Obdachlosigkeit etc. lassen sich immer nur in wenigen Einzelfällen ermitteln16.
A. Müller, Universität und Adel (wie Anm. 3), S. 119ff. Waldemar Teufel, Universitas Studii Tuwingensis, Die Tübinger Universitätsverfassung in vorreformatorischer Zeit (1477–1534) (Contubernium 12), Tübingen 1977, S. 274ff. 14 Peter Moraw (wie Anm. 1) S. 52f.; Herbert Helbig, Die wirtschaftlichen Führungsschichten in Leipzig bis 1750, in: Geschichte in der Gesellschaft. Festschrift für K. Bosl, Stuttgart 1974, S. 250ff.; Robert W. Scribner, Why was there no Reformation in Cologne?, in: Bulletin of the Institute of Historical Research London 99/120 (1976), S. 217–241, hier: 227ff.; Heinrich Koller, Stadt und Universität im Spätmittelalter, in: Erich Maschke und Jürgen Sydow (wie Anm. 6), S. 9–26. 15 Einen guten Überblick liefert E. Wirsig, Universitäts- und Hochschulmatrikeln, in: Wolfgang Ribbe und Eckart Henning (Hg.), Taschenbuch für Familiengeschichtsforschung, Neustadt/Aisch 1980, S. 141–180. 16 Die Bedingungen zeigen, daß der arme Student kein Sonderfall der allgemeinen
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In der Matrikel der Universität Erfurt kann man die Randständigkeit der pauperes geradezu bildlich erfassen. Seit etwa 1470 wichen die matrikelführenden Rektoren von der bis dahin geübten Praxis der zufälligen Eintragung nach dem Immatrikulationsdatum ab und gruppierten die Ankömmlinge nach Ehre, Beziehungen und der Höhe der gezahlten Immatrikulationsgebühren, im klaren Bewußtsein sozialer Differenziertheit der Universitätsbesucher. Auf einen Blick erkennt man | 291 über Semester und Jahre hinweg die Sozialstruktur der Universitätsbesucherschaft: ganz oben der Adel, der hohe Welt- und Ordensklerus und wohlhabende ‘bürgerliche’ Scholaren, die durch höhere Zahlungen Ansprüche auf bessere Platzierungen geltend machten, sodann die dantes totum, gefolgt von den dantes supra et infra medietatem, schließlich die inequaliter solventes, darunter eine Fülle von Personen, deren Einbindung in gewichtige Verwandtschafts- und Klientelbeziehungen am Herkunftsoder Hochschulort den Rektoren eine Gratisinskription nahelegten, und zuletzt, in sich aber auch wieder differenziert, die Gruppe der pauperes. Ein Mann wie Johannes Kreysz de Moguntia wäre, quia extreme pauper, immer unter den letzten eingeschrieben worden. Einen Sonderfall bildeten famuli und servitores. Sie galten zwar von vornherein als Arme, der soziale Kontakt aber zu ihren Dienstherren, zu Adeligen, reichen Scholaren oder Universitätslehrern, ließ sie auch nach Ausweis der zitierten Erfurter Matrikel sogleich höher rangieren als die übrigen pauperes, die sich in der Regel von Gelegenheitsarbeiten und vom Bettel ernähren mußten. Wenn hier von einer Randgruppe die Rede ist, darf dabei nicht an eine wirkliche soziale Gruppe gedacht werden, die über das gemeinsame Merkmal pauper hinaus irgendein Zusammengehörigkeitsgefühl besessen hätte. Selbst die Bildung mehr oder weniger stabiler Kleingruppen kann bezweifelt werden17. Sehr fraglich ist es auch, ob sich das Ideal der Kombination von Armut und Wissenschaft, das in den Schulen Armut gewesen ist und daher in dieser Thematik stärker berücksichtigt werden müßte. Zur Terminologie schon Karl Bosl, Frühformen der Gesellschaft im mittelalterlichen Europa, München/Wien 1964, S. 106–134 (Potens und Pauper). Vgl. auch Michel Mollat, Les pauvres (wie Anm. 2), S. 9–21; Sehr klar ders., Armen in de Middeleeuwen, in: Spiegel historiael 8 (1973), S. 274–285 und ders., Les problèmes de la pauvreté, in: Etudes sur l’histoire de la pauvreté (Moyen Age–XVIe siècle) (Publications de la Sorbonne. Série Etudes 8), 2 vols., Paris 1974, hier: Bd. 1, S. 11–30. Zum Randgruppenbegriff Alfred Bellebaum, Randgruppen – ein soziologischer Beitrag, in: Academia, Sonderheft August 1974, S. 4–13. 17 Vgl. unten S. 303; František Graus, Pauvres des villes et pauvres des campagnes, in: Annales (1961), S. 1053–1065, hier: 1058f.
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des 12. und 13. Jahrhunderts und in der Vagantenpoesie so vehement propagiert worden ist, bis ins 15. Jahrhundert gerettet hat, abgesehen einmal von Fällen ‘verordneter Armut’ aus pädagogischen Gründen. Ein solches Ideal hatten aber eher die Väter als die Söhne zu verantworten18. Eine Ausnahme bildeten vielleicht nur die Angehörigen der Bettelorden, die an Universitäten studierten19. Will man unter diesen Umständen dennoch von einer Gruppe reden, 292 so ist es notwendig, Gruppengrenzen und Größe zu bestimmen. | Zwischen den Jahren 1400 und 1500 gab es an den Universitäten im Gebiet des Alten Reiches von Prag bis Tübingen, von der ältesten (1348) bis zur jüngsten (1477) Universitätsgründung im Spätmittelalter, über 200 000 Immatrikulationen. Davon waren im Durchschnitt 15% oder 30 000 Immatrikulationen von pauperes. Diese Minderheit fällt trotzdem allein schon quantitativ stark ins Gewicht und ist mit dieser Größenordnung durchaus in den bekannten Pauperismus des späteren Mittelalters einzuordnen, den Michel Mollat auf 20% geschätzt hat20. Die bloße Quantität kann jedoch in die Irre führen, wenn man sie allzu unbesehen zur Kenntnis nimmt. Im Allgemeinen galt derjenige als pauper, dessen Jahreseinkünfte bei nur etwa 12 Gulden lagen, ungerechnet die persönliche Habe an Kleidern und Büchern. 1488 wurde die Einkommensgrenze in Tübingen auf 16 Gulden festgelegt. Anscheinend hatte man den Kaufkraftschwund des rheinischen Guldens berücksichtigt21. Trotz solcher ‘Bemessungsgrundlagen’ vermitteln aber die genannten 15% nicht das reale Ausmaß der Armut, sondern spiegeln anfangs zumindest eine weitgehend subjektive Einschätzung, die sowohl vom Ermessen des Rektors als auch von der wahrheitsgemäßen Angabe des Studenten, arm zu sein, abhängig war. Selbst als man teilweise unter dem Eindruck steigender Armenzahlen seit der Mitte des 15. Jahrhunderts schärfere Kriterien der Immatrikulation anlegte, von der Zeugenstellung über regelrechte Teilzahlungssysteme bis gar zur 18 Vgl. Friedrich Schulze und Paul Ssymank, Das deutsche Studententum von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, Leipzig 1910, S. 15ff.; Friedrich Paulsen, Eichsfelder Studenten (wie Anm. 2), S. 436, 440; Friedrich W. Oediger, Vom Leben am Niederrhein, Düsseldorf 1973, S. 371ff. 19 Bezüglich der Gebührenbefreiung wurden sie an den Universitäten sehr unterschiedlich behandelt; vgl. z.B. Georg Erler (Hg.), Die Matrikel der Universität Leipzig, 3 Bde., Leipzig 1895–1902, hier: Bd. 1, S. LIV. Für die Frühzeit Dieter Berg, Armut und Wissenschaft, Beiträge zur Geschichte des Studienwesens der Bettelorden im 13. Jahrhundert, Düsseldorf 1977. 20 An der unteren Grenze freilich; vgl. Michel Mollat, Les pauvres (wie Anm. 2), z.B. in: Spiegel historiael, S. 283 oder in: Etudes (wie Anm. 16), Bd. 1, S. 21f. 21 Fletcher, Wealth and Poverty (wie Anm. 2), S. 424f.
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förmlichen Aufhebung des sogenannten privilegium paupertatis, werden die aus den Matrikeln geschöpften Angaben nicht exakter. Dem ‘Zuviel’ in der ersten Hälfte, steht möglicherweise ein ‘Zuwenig’ in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts gegenüber, da nun unter den Zahlern und Teilzahlern die pauperes nicht mehr ohne weiteres zu erkennen sind. Daß sie nicht einfach ausblieben, zeigt sich schon daran, daß der Anteil der Armen an den Promotionen zunahm22. Bei der Subjektivität der Einschätzung als pauper, die Mißbrauch natürlich nie ausschloß, darf das ‘konjunkturelle Problem’ der Armut aber nicht übersehen werden. Es legt nahe, den Armutsbegriff in seiner ökonomischen Dimension nicht zu eng zu fassen. Viele haben sich unter dem Druck steigender Lebenshaltungskosten als Arme betrachten müssen, die früher durchaus ihr Auskommen gehabt hätten. Die Heterogenität der sozialen Zusammensetzung der pauperes macht dies sehr deutlich. Neben Personen aus den unteren und mittleren | Gewerbe- 293 schichten und der Agrarwirtschaft stehen Kleriker und Adelige23. So kennzeichnen die Matrikeln in vielen Fällen nur einen augenblicklichen und möglicherweise vorübergehenden Zustand. Grundsätzlich sind die Rektoren im Einklang mit dem kanonischen Recht auch von einer augenblicklichen Zahlungsunfähigkeit ausgegangen und haben allen pauperes keine echte Befreiung, sondern nur einen Zahlungsaufschub bis zur Besserung ihrer materiellen Lage gewährt24. Unter diesen Umständen sind Grenzen und Größe der Armengruppe in der Universität nur sehr schwer zu bestimmen. Überschneidungen lassen sich nicht vermeiden, Fluktuationen an den Gruppengrenzen nicht exakt erfassen. Wir haben es mit einer ‘offenen Randgruppe’ zu tun, die in der Sprache der Quellen von semipauperes bis zu omnino pauperes reicht. Bewußt, daß der individuelle Umfang der Randseitigkeit nur annäherungsweise ermittelt werden kann, fassen wir daher die Träger des Merkmals pauper zu einer statistischen Gruppe zusammen, um so 22 Vgl. B. Scharnke, Zusammensetzung (wie Anm. 7), S. 62; Hermann Keussen (Hg.), Matrikel der Universität Köln (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 8), 3 Bde., Bonn 1919–1931, hier: Bd. 1, S. 30 mit Anm. 23 Wolfgang Keck, Die Herkunft der Leipziger Studenten von 1409–1430, Diss., Leipzig 1935, S. 87; Rainer A. Müller, Universität und Adel (wie Anm. 3), S. 96; Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 47. Allgemein Graus, Pauvres des villes (wie Anm. 17), S. 1057f.; Mollat, Les pauvres (wie Anm. 2), S. 293ff. 24 Der so privilegierte Arme hatte erst zu zahlen, „si ad pinguiorem fortunam devenerit“. Vgl. Decretal. Gregor IX., Lib. III Titulus XXIII. De solutionibus cap. 3 „Odoardus“, ed. Ae. Friedberg, Corpus Iuris Canonici II, Leipzig 1881, Sp. 532. In der Kölner Matrikel (wie Anm. 22), S. 177 bezog man sich ausdrücklich auf dieses Privileg.
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zu einer ‘kollektiven Biographie’ dieser Randgruppe zu kommen. Eine solche Biographie der Armen kennzeichnet das Ziel der Forschungen eindeutig. Es geht nicht um mehr oder weniger Armut untereinander, um mehr oder weniger Randseitigkeit, sondern um das in der Distanz zu den sogenannten divites, den Angehörigen der breiten Mittelgruppe der Universitätsbesucher, besondere und eigenständige Verhalten der pauperes an den Universitäten25. Nun war die Armut für die Universität nicht nur ein Problem steigender pauperes-Zahlen, das es zu steuern galt, sondern vermutlich auch ein Mentalitätsproblem. Wir wissen aus der Sozialgeschichte der Armut, daß der Pauperismus des 15. Jahrhunderts ein neues Verhältnis zur Armut provoziert hat. Der Arme, der früher förmlich einen Anspruch auf Almosen hatte, da er dem Spender Gelegenheit zu christlicher Nächstenliebe gab, wurde in zunehmender Weise als lästig und unerwünscht empfunden. Viele Städte erließen Bettelverbote; und in der zeitgenössischen Literatur, in der Kunst und auf dem Theater wurden 294 | die Elendsgestalten der Bettler und Behinderten verunglimpft und verspottet26. Es ist nur zu wahrscheinlich, daß diese Stigmatisierung der Armut nicht an der Universität vorübergegangen ist. Die Hochschulen hielten zwar niemanden vom Studium ab – im Falle der pauperes standen dem auch kanonische Bestimmungen entgegen –; sie verschärften aber die Studienbedingungen gerade an der empfindlichsten Stelle. Taxatorenkommissionen wurden eingesetzt, deren Aufgabe es war, die finanziellen Ansprüche der Universität, z.B. auf Immatrikulationstaxen, Übungs- und Vorlesungshonorare, Bußgelder, Prüfungs-, Graduierungs- und Beurkundungsgebühren, auch gegenüber den Armen so weit wie möglich durchzusetzen27. Nulli parcere war die Devise in Erfurt, die bei der Statutenrevision von 1447 von der
25 Vgl. Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 50. Zum Begriff der kollektiven Biographie Lawrence Stone, Prosopographie – englische Erfahrungen, in: Konrad Jarausch (Hg.), Quantifizierung in der Geschichtswissenschaft, Düsseldorf 1976, S. 64–97. George Beech, Prosopography, in: James M. Powell (Hg.), Mediaeval Studies, an Introduction, Syracuse 1976, S. 151–184. 26 Michel Mollat, Les pauvres (wie Anm. 2), S. 303–310. 27 Georg Kaufmann, Geschichte der deutschen Universitäten, 2 Bde., Stuttgart 1896 (Ndr. Graz 1958), hier: Bd. 2, S. 400–408; Ditsche, Studienförderung (wie Anm. 4), S. 58f.; Fletcher, Wealth and Poverty (wie Anm. 2), S. 429ff.; ders., The Liber Taxatorum of Poor Students at the University of Freiburg im Breisgau, Notre Dame/Indiana 1969. Die drei Verfasser sehen m. E. die Aufgaben dieser Kommissionen zu positiv im Sinne einer Förderung.
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dritten an die erste Stelle des Gebührenparagraphens gestellt wurde28. Die Universität insgesamt wie auch die einzelnen Universitätslehrer wurden sich ihrer Finanzwirtschaft, eigentlich ihres Unternehmertums, immer bewußter – auf Kosten auch der ärmeren Scholaren. Das gilt insbesondere für die Magister der Artistenfakultät, die anders als die meisten bepfründeten Lizentiaten und Doktoren der höheren Fakultäten in ihrer Mehrheit auf Honorare angewiesen waren. Eine Einführung in das Universitätsstudium für Neulinge wies gleich zu Anfang darauf hin, daß man den Magistern reichlich zu geben habe. Arme dürften behalten, was sie für den Lebensunterhalt benötigen – ausdrücklich galt das aber nicht für Wein und Brot, sondern für Wasser und Gemüse29. Die Konkurrenz der Artistenmagister untereinander war sehr scharf, führte zu einer Hierarchisierung und zu großer ökonomischer Ungleichheit; nicht zuletzt auf Grund der offensichtlich immanenten sozialen Polarisierung von Arm und Reich. Sehr bald schon studierten und promovierten nämlich divites und pauperes bei je verschiedenen Magistern. Der Versuch der Universität Leipzig um 1457/59, die ständige Bevorzugung der ohnehin gutverdienenden Lehrer zugunsten einer gerechteren Verteilung von Arm und Reich auf alle Lehrenden zu unterbinden, scheiterte freilich schon nach kurzer Zeit – möglicherweise an den gemeinsamen | Interessen der divites scholares und divites magistri 30. 295 Das Recht auf ‘freie Wahl’ des Lehrers und Prüfers war unter solchen Bedingungen für pauperes natürlich eine Farce. So finanzierten arme Studenten nicht selten arme Magister, die selbst auf kleinste Beträge nicht verzichten konnten. Erst wirklich extreme Armut, wie im Falle des oben erwähnten Johannes Kreysz, durch ein ‘Armutszeugnis’ nachgewiesen, befreite von allen Gebühren. Die armen Magister, die der Randgruppe der armen Universitätsbesucher durchaus hinzuzurechnen sind, haben sich auch immer wieder aus dem gleichen Milieu studentischer Armut rekrutiert; man denke nur an pauperes, die nach der Promotion zum magister artium das biennium, die zweijährige Vorlesungsverpflichtung, zu erfüllen hatten. Auf diese Weise geriet die gesamte Gruppe der Armen, je nach der Distanz zur Weissenborn, Acten (wie Anm. 13), Bd. 1, S. 12. Michael Bernhard, Goswin Kempgyn de Nussia, Trivita studentium. Eine Einführung in das Universitätsstudium aus dem 15. Jahrhundert, München 1976, S. 31, 63. 30 Erler, Matrikel Leipzig (wie Anm. 19), Bd. 1, S. 175ff. Dazu die Einleitung zu Bd. 2 (1895), S. LXIV. Zum Problem allgemein Kaufmann, Geschichte (wie Anm. 27) und Fletcher, Wealth and Poverty (wie Anm. 2), S. 428f. 28 29
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Mittelgruppe, in eine mehr oder weniger starke soziale Isolation, die meist nur von Nachzahlern durchbrochen werden konnte. Der Versuch, besondere Armenvorlesungen einzurichten, mag die Tendenz noch unterstreichen31. Obendrein aber, die Barriere gleichsam forcierend, erwartete und verlangte man von den Armen ein höheres Maß an Demut, Wohlverhalten und moralischer Solidarität. Arme hatten als solche kenntlich zu sein. Den vielfältigen Zwängen der Statuten, insbesondere der Collegien- und Bursenstatuten mit ihren ausgeklügelten Nahrungsentzug- und Bußgeldsystemen konnten Arme weit weniger regulierend entgehen als die übrigen Universitätsbesucher. Der Anteil der Armen an den Exkludierten und Relegierten, schließlich auch an Kriminellen, scheint jedenfalls ziemlich hoch gewesen zu sein32. 297 | Man kann sicher nicht von einer Diskriminierung der Armen reden, in einer Gesellschaft und Universitätsgemeinschaft, die unter Hinweis auf die natürliche Ordnung Armut als selbstverständlich hingenommen hat. Nicht zu übersehen ist aber die konkrete Benachteiligung – im Ausmaß freilich von Universität zu Universität unterschiedlich –, die eine soziale und dabei auch räumliche Distanzierung der Armen zur Folge hatte. Letzteres betrifft nicht nur die Coderien und Armenhäuser. Auch sonst waren es immer pauperes, die als erste – trotz des Bursenzwanges – in den allgemeinen Bursen nicht mehr unterkamen oder von ihren Plätzen verdrängt wurden33. Und schließlich blieb auch der Spott nicht aus. Wer zu Beginn des 15. Jahrhunderts noch um Got-
Vgl. Kaufmann, Geschichte (wie Anm. 27), S. 404. Zum moralischen Druck Fletcher, Wealth and Poverty (wie Anm. 2), S. 426. Typisch etwa das Statut der Universität Wien über die Armenhäuser (coderiae) vom 13. Juli 1509; Rudolf Kink, Geschichte der kaiserlichen Universität zu Wien, Wien 1854, hier: Bd. 2, S. 312ff. – Zu den Bursen, über deren soziale Realität wir erst sehr wenig wissen, vgl. u. a. Karl Schrauf, Zur Geschichte der Studentenhäuser an der Wiener Universität während des ersten Jahrhunderts ihres Bestehens, in: Mitteilungen der Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte 5 (1895), S. 141–214; J. H. Beckmann, Von einer mittelalterlichen Studentenburse, in: Philobiblion l (1957), S. 151–153; ders., Miniaturen einer mittelalterlichen Studentenburse, in: Sankt Wiborada 4 (1937), S. l–6. – Zur Exklusion vgl. Franz Gall (Hg.), Die Matrikel der Universität Wien, 4 Bde., Wien 1956, hier: Bd. 1, S. 23. Die Überprüfung der Leipziger Exklusions- und Relegationsliste, Erler, Matrikel (wie Anm. 19), Bd. 1, S. 733ff., bestätigt das Bild. – Zur Kriminalität auch der armen Studenten vgl. z.B. B. Geremek, O grupach marginalnych w mieście średniowiecznym, in: Kwartalnik Historyczny 77 (1970) S. 539–554; ders., Les marginaux parisiens aux XlVe siècle, Paris 1976, S. 164–173, 181–186 auch allgemein zum ‘akademischen Proletariat’. 33 Die Leipziger Universität legte zu Beginn des 16. Jahrhunderts ein besonderes Verzeichnis dieser Armen an, das sog. examen pauperum, Erler, Matrikel Leipzig (wie Anm. 19), Bd. 2, S. LXXV. 31
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teslohn Aufnahme fand, konnte am Anfang des 16. Jahrhunderts mit dem homerischen Irus verglichen werden, jenem großen, aber feigen Bettler von Ithaka34. Man bemerkt aus dieser Skizzierung, daß die spätmittelalterliche Universität kein besonderes soziales Engagement besaß, obwohl es zur Ehre der (eigenen) Alma Mater gelegentlich betont wird35. Die Universität taxierte und überprüfte aus völlig eigennützigen Interessen. Der Erlaß von Gebühren, wo ohnehin wenig oder nichts zu holen war, und andere Einrichtungen lassen sich höchstens als eine passive Förderung verstehen. Die jedoch hatte einen durchaus zweischneidigen Charakter. Sie mag Hilfe gewesen sein; zugleich aber hat sie zur Zementierung der Randständigkeit der Armen in der Universität beigetragen. II Mit welchen Erwartungen kamen pauperes an die Universitäten? Wie verhielten sie sich als Gruppe in der universitären Gemeinschaft? Welche Chancen hatten sie endlich, in und durch die Universität unter den gegebenen Bedingungen zu sozialen Erfolgen zu kommen? Mit diesen Fragen wenden wir uns nun einem Abschnitt zu, in dem – wie angekündigt – einige statistische Beobachtungen und Zusammenhänge in der Armengruppe erörtert werden sollen, und zwar in den Bereichen des Zugangs zur Universität, des Studienerfolges und der möglichen Karrieren. Im Vordergrund stehen aus quellen- und forschungstechnischen Gründen die Armen an der Universität Köln. In methodischer Hinsicht arbeiten wir – wie überhaupt im Forschungsunternehmen | ‘Deutsche Universitätsbesucher’ – mit Stichproben, die 297 von 1395 bis 1495 in Zehn-Jahres-Schritten gezogen worden sind36. Es handelt sich dabei um eine gezielte, zeitliche Begrenzung, die dennoch sinnvolle Aussagen über die Universitätsbesucherschaft – hier die pauperes – des ganzen Zeitraumes und vermutliche Veränderungen in ihr möglich macht.
Keussen, Matrikel Köln (wie Anm. 22), Bd. 1, S. 29*. Vgl. z.B. Gall, Matrikel Wien (wie Anm. 32), Bd. 1, S. XXII; Grundmann, Ursprung (wie Anm. 10) und Ditsche, Studienförderung (wie Anm. 4) mit allgemein mit ähnlichem Tenor. 36 Vgl. Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 42f. 34
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Über den Zugang zur Universität geben am ehesten die Immatrikulationszahlen Auskunft. Langfristig gesehen ist für das 15. Jahrhundert, bedingt durch die Vermehrung der Hochschulen und den allgemeinen Bevölkerungszuwachs, ein rasches und relativ kontinuierliches Ansteigen des Universitätsbesuches festzustellen. Im Großen und Ganzen folgen auch die Inskriptionen der pauperes unter gleichen prozentualen Veränderungen diesem Trend. Kurzfristig betrachtet, erscheinen aber die Immatrikulationsfrequenzen als äußerst empfindliche Gradmesser für ein ganzes Bündel von lokalen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Wirkungsfaktoren37. Ein starkes Oszillieren, in wenigen Jahren um mehrere 100%, ist keine Seltenheit. Bemerkenswerterweise schwankten dagegen die Immatrikulationen der pauperes an allen Universitäten des Alten Reiches weit weniger stark. In graphischer Darstellung würde die Kurve der Armen ruhiger und gleichmäßiger verlaufen als die der Gesamtheit. Man kann daraus nur schließen, daß die Armen bei ihrem Universitätsbesuch und bei ihrer Entscheidung zum Studium von äußeren Gründen, von politischen und militärischen Konflikten, von epidemischen und klimatischen Bedingungen weniger betroffen und behindert worden sind als die breite Mittelgruppe der Universitätsbesucher; allerdings mit einer bezeichnenden Ausnahme: Teuerungsjahre haben den prozentualen Anteil der pauperes an der Gesamtfrequenz über Gebühr hochschnellen lassen, um 1425 auf 44,4% in Wien, um 1485 auf 34,7% in Köln, bei einem Jahrhundertdurchschnitt von 22 bzw. 25% an den beiden Universitäten. Auch in Leipzig ist parallel zu den Klagen der Rektoren seit den siebziger 298 Jahren des 15. Jahrhunderts über die bei Brot, Fleisch | und Bier so teure Stadt ein Ansteigen der Armenzahlen um ca. 5% gegenüber dem vorangehenden Jahrzehnt festzustellen38.
37 Vgl. Franz Eulenburg, Die Frequenz der deutschen Universitäten von ihrer Gründung bis zur Gegenwart, Leipzig 1904, S. 48ff.; Horst R. Abe, Die frequenzielle Bedeutung der Erfurter Universität im Rahmen des mittelalterlichen deutschen Hochschulwesens (1392–1521), in: Beiträge zur Geschichte der Universität Erfurt 2 (1957), S. 29–57. Zeitreihenanalysen der Frequenz gibt es jedoch erst in Ansätzen; am Beispiel der Universität Gießen Schwinges und Gerd Richarz, Immatrikulationsfrequenz und Einzugsbereich der Universität Giessen 1650 bis 1800 (Zur Grundlegung einer Sozialgeschichte Gießener Studenten), in: Hans-Georg Gundel et al. (Hg.), Academia Gissensis, Giessen 1982. 38 Kurt Herbst, Der Student in der Geschichte der Universität Leipzig, Leipzig 1961, S. 17f. Für Wien vgl. etwa Alfred F. Pribram, Materialien zur Geschichte der Preise und Löhne in Österreich, Wien 1938, S. 447f. Zur Inflation in Köln Keussen, Matrikel Köln (wie Anm. 22), Bd. 1, S. 30*f.; Dietrich Ebeling und Franz Irsigler,
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An diesen Beispielen zeigt sich noch einmal, wie sehr geboten es ist, von einer ‘offenen Randgruppe’ und einer statistischen Gruppe zu sprechen. Ein nicht geringer Teil der mittelalterlichen Studentenschaft, wie noch Melanchthon sie als eine Masse aus “Grint, Rotz und Armut” charakterisierte39, befand sich ökonomisch gesehen stets in einer kritischen Zone, in der jeder Preisanstieg unmittelbare negative Wirkung auf den Lebensstandard hatte – nicht anders als in den so gefährdeten Schichten der Gesellschaft auch. Wie wenig aber sonst die relative Gleichmäßigkeit des Hochschulbesuchs der Armen von ‘Umweltfaktoren’ gestört worden ist, zeigt sich – den statistischen Befund noch bekräftigend – an einem zeitgenössischen Matrikeleintrag. Zum Sommerrektorat 1485 notierte der Dekan der artistischen Fakultät der Universität Greifswald, Johannes Sartoris de Lingen, daß aus Furcht vor der Pest die Magister und Studenten die Stadt verlassen hätten, Arme jedoch trotz der bedrohlichen Situation zurückgekehrt seien – sed tamen instanti ista nova mutacione plures iterum revenere de hiis qui recesserant, sed pauperes fuerunt 40. In ähnlicher Weise unbeirrt verhielten sich Arme unter den jahreszeitlich wechselnden Witterungsverhältnissen. Während gemeinhin unter winterlichen Bedingungen ein zum Teil erheblich geringeres Interesse am Universitätsbesuch als unter sommerlichen Bedingungen bestand, blieb die Inskriptionsquote der pauperes sommers wie winters in ziemlich gleicher Höhe. An manchen Universitäten, wie Rostock, Köln und besonders Leipzig, immatrikulierten sich Arme sogar etwas häufiger in den Wintermonaten. In dieser Jahreszeit pflegten Universitätsbesucher, die in der näheren Umgebung des Hochschulortes beheimatet waren, anscheinend nach Hause zurückzukehren41, so daß Wohn- und Lehrkapazitäten frei wurden, die auf Arme möglicherweise anziehend wirkten; in Leipzig waren es im Jahrhundertschnitt immerhin | 299
Getreideumsatz, Getreide- und Brotpreise in Köln, 1368–1779, 2 Bde. (Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln 68/69), Köln/Wien 1976, hier: Bd. 1, S. XLVII und LIV (Tabellen). 39 Zit. nach Eberhard Stübler, Geschichte der medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg 1386–1925, Heidelberg 1926, S. 22. 40 Ernst Friedländer (Hg.), Ältere Universitäts-Matrikeln II. Universität Greifswald 1456–1645 (Publikationen aus den königlich preußischen Staatsarchiven 52/57), 2 Bde., Leipzig 1893, hier: Bd. 1, S. 95. 41 Vgl. Wilhelm Wundt, Die Leipziger Immatrikulationen und die Organisation der alten Hochschule, Leipzig 1909, S. 60.
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55,3%. Nur Wien scheint während des 15. Jahrhunderts auch von pauperes lieber im Sommer aufgesucht worden zu sein. Auffällig ist die Wahl des Hochschulortes im Vergleich der Universitäten untereinander. Mehr als die Hälfte der Armen (57%) bevorzugte die Universitäten der größten Städte des Reiches, Wien und Köln, die eine in der ersten Hälfte, die andere stärker in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Beide waren Städte, die neben ihrer demographischen, politischen und wirtschaftlichen Bedeutung insbesondere den Vorteil einer verkehrsgünstigen Lage besaßen und auf Donau und Rhein bequem zu erreichen waren. Nehmen wir noch Leipzig als Messeplatz und Knotenpunkt wichtiger Handelsstraßen hinzu, so verteilten sich allein auf diese drei Städte 71% der Armen. In den großen und günstig gelegenen Städten konnte man offenbar selbst in Krisenzeiten – wie es das Ansteigen der Armeninskription bei den Inflationen gezeigt hat – immer noch verhältnismäßig billiger leben und bessere Möglichkeiten zum Studium, zu sozialen Kontakten, zu Gelegenheitsarbeiten und nicht zuletzt zum Betteln finden42. Die Attraktivität der großen Städte und großen Universitäten zeigt sich auch darin, daß unter Umgehung näher gelegener Hochschulen selbst weite Strecken in Kauf genommen wurden. So bestand die Sächsische Nation in Wien, die den gesamten Nordosten des Reiches repräsentierte, zu 55% aus pauperes; und mehr als ein Drittel (35%) der Bayerischen Nation in Leipzig, insbesondere aus Franken, zogen als Arme am näheren Erfurt vorbei, das sonst recht rege von Franken aus aufgesucht würde43. Im Einzugsbereich der Kölner Universität lagen sogar zwei ausgesprochene ‘Armenregionen’. Scholaren aus der niederländischen Provinz Seeland ließen sich zu 42% als pauperes immatrikulieren, aus Lothringen und Luxemburg gar zu 64%, aus Gebieten, die bis zur Auflösung der reichsstädtischen Universität im Jahre 1798 immer den stärksten Anteil an den so genannten Bettelstudenten gestellt haben44. Die einen hätten auch Löwen (seit 1425), die anderen Trier (seit 1472) oder Mainz (seit 1477) aufsuchen können. Warum ausgerechnet diese Gebiete den höchsten Prozentsatz armer Studenten aufzuweisen
42 Eulenburg, Frequenz (wie Anm. 37), S. 59f., 70ff. Wie sehr große Städte überhaupt Arme anziehen, zeigt auch Mollat, Les pauvres (wie Anm. 2), S. 293ff. 43 Zur regionalen Zusammensetzung der Universitätsnationen Sabine Schumann, Die „nationes“ an den Universitäten Prag, Leipzig und Wien. Ein Beitrag zur älteren Universitätsgeschichte, Diss., Berlin 1974. 44 Keussen, Universität Köln (wie Anm. 7), S. 151f.
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hatten, wird wohl erst durch eine genaue Analyse der politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Qualität der regionalen Herkunft geklärt werden können45. | Größe und Lage des Universitätsortes sind allerdings nicht allein 300 für seine Attraktivität verantwortlich gewesen. Man könnte sonst erwarten, daß in der Reihe der von pauperes am stärksten frequentierten Universitätsstädte auch Erfurt angeführt sein müßte. Erfurt, ebenfalls ein bedeutendes, überregionales Wirtschaftszentrum, das mit ca. 18 000 Einwohnern am Ende des 15. Jahrhunderts durchaus den mittelalterlichen deutschen ‘Großstädten’ zuzurechnen ist, beherbergte in seinen Mauern immerhin die zweitgrößte Universität des Reiches nach Wien und noch vor Leipzig und Köln46. Dennoch zählt man hier im Überblick des 15. Jahrhunderts nur 2,5% pauperes; genauer gesagt, die Zahl der Einschreibungen fiel von anfangs rund 15% zwischen den Jahren 1405 und 1415 auf unter l%, um danach bei diesem niedrigen Prozentsatz während des ganzen Jahrhunderts zu bleiben. In diesem Jahrzehnt zwischen 1405 und 1415 scheint die oben schon erwähnte Devise: nulli parcere, in die Gebührenordnung der Universität Erfurt aufgenommen worden zu sein. Von nun an hatte quilibet intytulandus, dives aut pauper eine Mindestgebühr von sechs alten oder zwei neuen Groschen zu entrichten47. Diese Verordnung wurde von den Rektoren offenbar sofort streng durchgeführt. Intitulationen von pauperes nahmen ab, und zwar im gleichen Maße, in dem Inskriptionen von Mindestzahlern anstiegen. Diese 1415 daher recht große Gruppe schrumpfte allerdings bald wieder zusammen und erreichte 1495 gerade noch 2%, bezeichnenderweise nur im Pestjahr 1475 noch einmal über dem Durchschnitt liegend, der 6,3% betrug. Würde man die Mindestzahler und die pauperes zusammenfassen, so bliebe man dennoch mit 8,8% unter der Armenquote kleinerer Universitäten wie Löwen, Heidelberg oder Basel; denn auch hier müßten aus Gründen der Homogenität der Stichprobe solche Teilzahler berücksichtigt werden. Erfurt war also kein sehr anziehender Ort für arme Studenten, eine Feststellung, die in gleicher Weise auch für die Hansestadt Rostock zutreffen mag. Man wird aber diese mangelnde Frequentierung weniger den Städten als vielmehr den Universitäten selbst zuschreiben müssen. 45 Zum methodischen Ansatz Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 49. 46 Abe, Frequenzielle Bedeutung (wie Anm. 37), S. 42ff. 47 Weissenborn, Acten Erfurt (wie Anm. 13), Bd. 1, S. 12f.
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Denn für Arme kam es wahrscheinlich in erster Linie darauf an, daß die von ihnen gewählten Universitäten auch in ihren finanziellen Forderungen mäßiger waren als andere. Für Köln, Wien und Leipzig traf das zu. Erfurt und Rostock dagegen waren ausgesprochen teure Universitäten, die mehr als ein Drittel bzw. mehr als einen halben rheinischen Gulden allein für die normale Immatrikulation verlangten48. Kurioserweise wurde einer der wenigen Armen, die sich noch in der 301 | zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts nach Rostock ‘verirrten’, wegen seiner Armut ehrenhalber intituliert49. Gerade weil sie teuer waren, wird man Erfurt und Rostock als Domäne der divites bezeichnen dürfen. Auch die Söhne des (Land-) Adels, des Patriziats, des gehobenen Bürgertums, sowie der höhere Klerus, waren – mit Ausnahme von Ingolstadt – hier stärker vertreten als anderswo. In Rostock wies man ihnen sogar einen gemeinsamen Rang zu, einen communis status, ut sunt filii militarium, burgencium et civium, und hob ihn deutlich von einem simplex vel inferior status ab50. Beide Universitäten besaßen offensichtlich ein hohes soziales Prestige. Aber nicht nur das! Während des 15. Jahrhunderts gewann Erfurt bekanntlich den Ruf einer bedeutenden Humanistenuniversität. Auch Rostock, die Tochteruniversität, personell mit Erfurt stets verbunden, profitierte davon51. So waren soziales Prestige und wissenschaftliches Niveau mit Sicherheit zwei von einander abhängige Variablen. Wo reichlich honoriert wurde, fanden sich immer gute und berühmte Lehrer ein, die wiederum zahlungskräftige Universitätsbesucher nachzogen. Aus diesem Kreislauf blieben freilich pauperes weitgehend ausgegliedert. Im doppelten Wortsinn mußten sie sich mit ‘billigeren’ Universitäten begnügen. So hatte Wien den größten Zugang von pauperes in der ersten Hälfte des Jahrhunderts zu verzeichnen, zu einer Zeit, da das wissenschaftliche Leben dort zu stagnieren begann, und die ‘klingenden Namen’ aus der Matrikel verschwanden. Für Köln – man denke nur an die ‘Dunkelmännerbriefe’ – galt nahezu ein Gleiches in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, und
48 Vgl. Erich Kleineidam, Universitas Studii Erffordensis. Überblick über die Geschichte der Universität Erfurt im Mittelalter (Erfurter theologische Studien 14/22), 2 Bde., Leipzig 1964–1969, hier: Bd. 1, S. 206. Zu Rostock (wie Anm. 49), S. XIV. 49 Adolph Hofmeister (Hg.), Die Matrikel der Universität Rostock, 1419–1831, 7 Bde., Rostock 1389, hier: Bd. 1, S. 126b zum 16. 10. 1460. 50 Ebd., S. XIV. 51 Kleineidam, Universitas (wie Anm. 48), Bd. 1, S. 181ff., Bd. 2, S. 38f.; Paul Kretschmann, Universität Rostock (Mitteldeutsche Hochschulen 3), Köln/Wien 1969, S. 22ff.
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Leipzig wurde anscheinend überhaupt vom heimischen Adel als eine nicht standesgemäße und überdies niveaulose Bildungsstätte für ‘armer Leute Kind’ gemieden52. Man zog lieber nach Ingolstadt (seit 1472), das bald zu einer bis dahin nicht gekannten Prestigeuniversität für den Stadt- und Landadel heranwuchs und zudem Ausgangspunkt für die beliebten italienischen Bildungsreisen wurde. Unter diesen Umständen hatten dann auch pauperes die Chance, im Dienste adeliger Studenten selbst studieren zu können, in nennenswertem Umfang allerdings erst seit dem 16. Jahrhundert53. | Arme besuchten also in ihrer Mehrheit die für sie am günstigsten 302 gelegenen, großen und relativ billigen Universitäten und Universitätsstädte, ließen sich dabei durch äußere Einflüsse wenig beirren, mußten sich aber mit weniger berühmten Lehrern zufrieden geben oder erhielten gar, wie in den Wiener Coderien im Gegensatz zu den Bursen, überhaupt keinen studienbegleitenden Unterricht54. Solchen Zwängen entsprechend hielt man an der einmal gewählten Hochschule meistens fest. Daher waren Hochschulwechsel, die wir aber vorläufig erst von Köln aus verfolgen können, erstaunlich gering. Nur 9% der Armen, eingerechnet bereits Personen, die nicht sicher zu identifizieren sind, wechselten von oder nach Köln, darunter nicht ein einziger famulus oder servitor, der ohne seinen Dienstherrn seinen Kölner Platz ‘freiwillig’ geräumt hätte. Nur 1,5% besuchten noch eine dritte Universität; und bezeichnenderweise nur ein einziger Kölner pauper, der anscheinend wieder „zu fetterem Glück“ (ad pingwiorem fortunam) gelangt war, durchbrach das ‘Privileg der Reichen’ und bezog eine ausländische Universität (Bologna)55. Das Konzept des ‘fahrenden Scholarentums’, dem – soweit es das spätere Mittelalter betrifft – vielleicht allzu individuelle Züge anhaften, denkt man an die oft genannten humanistischen Wanderpoeten, kann zumindest mit Blick auf die Armen beiseite gelegt
52 Vgl. Koller, Stadt und Universität (wie Anm. 14), S. 20; Keussen Universität Köln (wie Anm. 7), S. 195ff.; K. Krebs, Die Universität Ingolstadt als Bildungsstätte des sächsischen Adels, in: Wissenschaftliche Beilage der Leipziger Zeitung 92, vom 1. 8. 1896, S. 365–368. 53 Müller, Universität und Adel (wie Anm. 3), S. 94ff., Tabellen, 109f. Ab 1507 wurden pauperes sogar verpflichtet zu dienen, wenn sie als solche anerkannt werden wollten; vgl. Karl Prantl, Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität in Ingolstadt, Landshut. München, 2 Bde., München 1872, hier: Bd. 2, S. 138. 54 Joseph Aschbach, Geschichte der Wiener Universität im ersten Jahrhunderte ihres Bestehens, Wien 1865, S. 68f. 55 Drei andere sind in Orléans nicht sicher nachzuweisen.
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werden. Aber selbst die gesamte deutsche Universitätsbesucherschaft wechselte höchstens zu einem Viertel die Universitäten56. Bei der Wahl der anderen Hochschule galten indessen die gleichen Kriterien wie bei der Erst-Wahl. Man bemerkt einen nahezu alleinigen Austausch zwischen Köln und Leipzig seit der Mitte des Jahrhunderts, während nur in den ersten Jahrzehnten nach der Gründung, im Jahre 1425, Löwen als Kölner Tochteruniversität dominierte. Beide Hochschulen waren aber für die Kölner Armen in den meisten Fällen die ‘zweite Wahl’. Sie lagen schlicht und einfach auf dem Heimweg. Es spricht für sich, daß außer diesen beiden – von eigens begründbaren Einzelfällen abgesehen – die Kölner Armen keine weiteren Universitäten besucht haben, die so genannten Reichen sich aber bei einem Hochschulwechsel in ihrer Wahl nicht so einengen ließen. Gerne zog man z.B. nach Erfurt, wo unter anderem die amplonianische Stiftung gerade Studenten aus dem Rheinland lockte57, oder nach Basel, dessen Juristen einen guten Ruf besaßen, oder auch nach Heidelberg, wo immer schon starke personale Beziehungen zu Köln gepflegt worden 303 | sind, besonders nachdem der Kölner Magister Hartwig von Amsterdam die via antiqua dort eingeführt und etwa seit 1453 eine ganze Reihe Scholaren aus Köln nachgezogen hatte. Im Stichjahr 1455 machte sich jedoch nur ein einziger pauper – bereits artium baccalarius Coloniensis – auf den Weg an den Neckar58. Bei dieser Konzentration auf ihren Hochschulzugang konnte man erwarten, daß sich unter den pauperes eine gewisse Bindung, etwa in kleinen Gruppen bei der Anreise, entwickelt hätte. Dies ist aber mit Ausnahme von luxemburgisch-lothringischen ‘Betteltrupps’ in der Regel nicht der Fall. Im Gegenteil, es sind überraschenderweise nicht die sozial Schwachen, sondern gerade die Scholaren der Mittelschicht, die in relativ stabilen Zweier- oder Dreier-Gruppen oft aus dem gleichen Herkunftsort die Hochschule besuchen, und deren Zahlungsfähigkeit ungleich höher liegt als die der Alleinreisenden. In einer ersten Überprüfung anhand des Jahrgangs 1485 ließen sich diese sozialgeschichtlich bedeutsamen Zusammenhänge in ca. 27% der Fälle Vgl. Kuhn, Universität Tübingen (wie Anm. 11), S. 17ff., der diese Zahl für Tübingen angibt. Nach meiner Schätzung läßt sie sich verallgemeinern. 57 Kleineidam, Universitas (wie Anm. 48), Bd. 1, S. 105. 58 Gustav Toepke (Hg.), Die Matrikel der Universität Heidelberg von 1386–1662, 3 Bde., Heidelberg 1884, hier: Bd 1, S. 265ff., Bd. 2 (1886), S. 392ff. Dazu Gerhard Ritter, Die Heidelberger Universität im Mittelalter (1386–1508). Ein Stück deutscher Geschichte, Heidelberg 1936, S. 389f. 56
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nachweisen59. Umgekehrt zeigt sich daran, daß der durchschnittliche Universitätsbesucher bei der Anreise auf sich allein gestellt war, trotz eines möglichen Anschlusses an Händler, Fuhrleute, Pilger, Soldaten etc. auf den Straßen. Um wieviel mehr war es erst der Arme! So selten wie sich pauperes zusammenfanden, so selten verbanden sich auch Reich und Arm zu einer Gruppe, wenn es sich nicht um ein Dienstverhältnis handelte. Eine gewisse soziale Distanz der pauperes sogar untereinander, bedingt möglicherweise durch die Offenheit der Randgruppe, läßt sich kaum übersehen. Das bisher beobachtete Verhalten der pauperes, insbesondere das Verharren an einem einzigen Ort, scheint anzudeuten, daß in irgendeiner Form ein Erfolg an der Hochschule gesucht worden ist. Erfolg im Sinne von Graduierungserfolg war freilich unter mittelalterlichen Universitätsbesuchern nicht die Regel. Normalerweise verließ man die Universitäten ohne Abschluß, was keineswegs eine Vorentscheidung über die zukünftige Karriere bedeutete. Die Gesellschaft des Alten Reiches kannte viele Qualitäten, die wichtiger und oft entscheidender waren als ein akademischer Grad. Bedingt durch die zunehmenden Immatrikulationen stiegen freilich auch die Graduierungen im Überblick des 15. Jahrhunderts an allen Universitäten und Fakultäten an. Auch die pauperes konnten unter den | gleichen Bedingungen steigende Graduierungserfolge erzielen. 26% 304 aller in Köln Examinierten aus den Jahren 1395 bis 1495 waren pauperes, ein Ergebnis, das vom Anteil her zwar nicht überrascht, obgleich es immerhin eine Minderheit von 25% erreicht hat. In Leipzig war das in etwa der Durchschnitt der Gesamtpromotionen60. Im Vergleich zur Kölner Mittelgruppe erwarben pauperes das Bakkalariat der Künste zur Hälfte, zu einem Drittel den Magistergrad, bezeichnenderweise aber nur zu einem Zehntel Grade der höheren Fakultäten. Diese Relationen werden jedoch bei den artistischen Promotionen innerhalb einer jeden der beiden Gruppen beinahe auf den Kopf
59 Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 46, 49f.; ders., Studentische Kleingruppen im späten Mittelalter. Ein Beitrag zur Sozialgeschichte deutscher Universitäten, in: Politik, Gesellschaft, Geschichtsschreibung. Giessener Festgabe für František Graus zum 60. Geburtstag (Archiv für Kulturgeschichte. Beiheft 18), Köln 1982, und in diesem Band. 60 Erler, Matrikel Leipzig (wie Anm. 19), Bd. 2, S. LXIXf. Zu Kölner Gesamtzahlen Keussen, Universität Köln (wie Anm. 7), S. 147. Zu Erfurter Kleineidam, Universitas (wie Anm. 48), S. 218. Zu Tübinger Kuhn, Universität Tübingen (wie Anm. 11), S. 31ff.
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gestellt. Während die Angehörigen der Mittelgruppe nur zu 38% promovierten, kamen pauperes in 46% der Fälle zu Erfolgen. Unverkennbar drängten die Armen eher zu einem Abschluß als die übrigen Scholaren. Sie wurden häufiger Bakkalare, die diesen Vorsprung von 8% fast allein zu verantworten hatten. Sie wurden ebenso oft – mit einem leichten Plus – Magister wie die sogenannten Reichen. Ein vergleichender Blick auf die Promotionsfrequenzen belegt diese Beziehungen in einzelnen Jahrgängen besonders deutlich. Die gleiche Erscheinung, die wir schon bei der Immatrikulationsfrequenz bemerken konnten, wiederholte sich: Pauperes ließen sich auch bei der Entscheidung zur Promotion weniger von äußeren Gegebenheiten behindern als die Mittelschicht. Aus dem Jahrgang 1475 z.B. gelangten nur 19% der Reichen gegenüber 31% der Armen zu Magisterehren – möglicherweise auf Grund der Folgen des burgundischen Krieges im niederrheinischen und niederländischen Haupteinzugsgebiet der Kölner Hochschule. Die große Stadt, die große Universität mit ihren vergleichsweise geringen Promotionskosten mag dem persönlichen Engagement günstige Faktoren zur Seite gestellt haben61. Bis auf 9% haben alle pauperes die erforderlichen Gebühren entrichtet oder nachentrichtet, darunter allerdings manche, die sich nur das Lizentiat der Künste, nicht aber die feierliche Magistrierung leisten konnten. Mit anderen Worten: Promotion und Gebührenzahlung korrelierten sehr hoch. Ein solcher Zusammenhang konnte zweifellos auch die Studiendauer beeinflussen, die Zeit zwischen der Immatrikulation und dem zuletzt erreichten Grad. Ein Studium an der Artistenfakultät dauerte in der Regel anderthalb oder zwei Jahre bis zum Bakkalariat und weitere zwei oder zweieinhalb Jahre bis zum Magisterium. Im Allgemeinen läßt sich zwar kein signifikanter Unterschied in der Länge des Studiums von 305 | Arm und Reich erkennen, unter denen aber, die diese ‘Regelzeiten’ überschritten, insbesondere bis zur Magister-Promotion, waren die pauperes in der Mehrzahl. Erst recht überschritten pauperes die ‘normale’ Studiendauer in den höheren Fakultäten. Allerdings konnten überhaupt nur zwölf der 586 Armen der Kölner Stichprobe (= 2%) die Schwierigkeiten einer medizinischen, juristischen oder theologischen Promotion überwinden, im Gegensatz zu 116 von l 795 Angehörigen der Mittelschicht aus der gleichen Stichprobe (= 6,5%). Die außerordentlich hohen Kosten
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Keussen, Universität Köln (wie Anm. 7), Bd. 1, S. 299ff.
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eines langen Studiums wirkten als sozialer numerus clausus, der ohne Protektion nur durch ‘Ausharren’ zu umgehen war. Gerade die Erfurter Statuten betonten das perseverare im Zusammenhang mit den Armen62. So benötigten die neun Juristen unter den zwölf Kölnern allein bis zum baccalarius iuris durchschnittlich 12 1/2 Jahre. Wer sich ein solches Studium finanziell und sozial leisten konnte, erhielt oft nach der Hälfte der Zeit bereits den Doktorhut. Von den restlichen dreien der Stichprobe promovierte einer nach 16 Jahren zum Doktor der Medizin, die beiden anderen zum Lizentiaten der Theologie nach 17 bzw. 36 Jahren. Während sich aber die pauperes ohne erkennbare Sozialpartner in der überwiegenden Mehrheit mit einem Studium in der Artistenfakultät begnügen mußten, zeigen famuli und servitores dagegen, was es eigentlich bedeutete, nach sozialen Regeln zu studieren: 40% der in Köln ermittelten Dienerschaft gehörten als Studenten der juristischen Fakultät an, ‘einfache pauperes’ aber nur zu 11%. Solche Dienstverhältnisse – zumeist im Rahmen der Universität und weit entfernt von bloßen Gelegenheitsarbeiten – waren ganz konkret an Patronage gebunden. Empfehlungen von Bekannten, Freunden und Verwandten und oft auch der gleiche Herkunftsort wie der des Dienstherrn erwiesen sich als ausschlaggebender als der ‘freie Markt’. Gewiß wurde das Studium der famulierenden Studenten durch die zusätzliche Arbeit erschwert und mitunter beträchtlich in die Länge gezogen. “Ich habe eine Reihe von pauperes gesehen, die durch die Arbeit als famulus belastet waren”, schrieb der Leipziger Magister Paulus Niavis in seinem ‘Studienführer’ aus dem Jahre 1483, “manchmal haben sie mehr als die übrigen in den disciplinis geleistet und sind höchst gelehrte Männer geworden. Aber sie haben viel gearbeitet. Wenn die übrigen schliefen, waren sie beim Studium63.” Doch trotz der Beschwernisse | war es von Vorteil, der familia eines Universitätslehrers 306 oder eines Bursenvorstehers anzugehören. Denn servitores und famuli wurden in ihrer Laufbahn in und außerhalb der Universität beobachtet und gefördert. So war denn ihr Interesse an artistischen Promotionen deutlich geringer, ihr Streben aber nach höheren Würden, insbesondere Acten Erfurt (wie Anm. 13), Bd. 1, S. 13 (5). Vgl. auch Müller, Universität und Adel (wie Anm. 3), S. 97; František Šmahel, S. 56ff., 89; Paulsen, Cobban, Rashdall, Fletcher (alle wie Anm. 2). 63 Gerhard Streckenbach, Paulus Niavis, Latinum ydeoma pro novellis studentibus, ein Gesprächsbüchlein aus dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts, in: Mittellateinisches Jahrbuch 6 (1970), S. 152–191 (Kommentar); ebd., 7 (1971), S. 187–252 (Text), S. 222f. Übers. nach Ditsche, Studienförderung (wie Anm. 4). 62
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nach den am ehesten sozialen Erfolg versprechenden juristischen Graden, mehr als doppelt so hoch als das der übrigen pauperes. Für 24% der Dienerschaft, aber nur für 10% der pauperes wird eine an das Studium anschließende Karriere erkennbar. Es bedarf wohl keiner weiteren Erläuterung, daß die Erkundung des Lebensweges der Universitätsbesucher in besonderem Maße unter der Zufälligkeit der Überlieferung und des Wiederauffindens der Lebensdaten leidet. Dennoch sind beide Prozentzahlen durchaus repräsentativ. Die Zufälligkeit gilt für jede der beiden Armengruppen, und andere Auswahlkriterien sind nicht zu erkennen64. Wenn pauperes Karriere- und Aufstiegshoffnungen mit der Universität verbunden haben, dann stiegen ihre Chancen eindeutig mit der Qualität der erreichten Grade. Nur diese konnte eine mangelnde soziale Einbindung eventuell ausgleichen und selbst zur Empfehlung werden. Leider fehlen im Augenblick noch Vergleichszahlen aus der Mittelschicht. Doch schon die Gegenüberstellung der pauperes und der servitores bzw. famuli legt die Verhältnisse völlig bloß. Pauperes erzielten ‘berufliche Erfolge’ zu 4% als Unpromovierte, zu 8% als Bakkalare und zu 23% als Magister der Artisten, zu 75% aber als Promovierte der höheren Fakultäten. Servitores und famuli dagegen hatten noch zu 14% Erfolg ohne jeden Abschluß, zu 22% als Bakkalare, zu 100% jeweils als Magister und promovierte Juristen. Deutlich bemerkt man den sozialen Vorsprung und persönlichen Vorteil, den dienende pauperes durch familiale Beziehungen in der Universität erwerben konnten. Ob niedrig, hoch oder überhaupt nicht graduiert, die famuli besaßen in jedem Fall ein höheres Maß an Karrieresicherheit als die Mehrheit der vergleichbar graduierten pauperes65. Nur im Berufsfeld selbst haben sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Armengruppen feststellen lassen. Traditionell größter ‘Arbeitgeber’, Sammelbecken und Aufstiegskanal zugleich, war die Kirche. Mehr als die Hälfte der Armen unserer Stichprobe (fast 60%) hat versucht, im Anschluß an das Universitäts307 studium | sozialen Erfolg und Lebenssicherung in kirchlichen Berufen
64 Zugrunde liegt das prosopographische Material Hermann Keussens, Matrikel Köln (wie Anm. 22). 65 Vgl. auch Müller, Universität und Adel (wie Anm. 3), S. 97. Grundsätzlich Guy F. Lytle, Patronage patterns and Oxford Colleges, in: Lawrence Stone (Hg.), The University in Society, 2 Bde., Princeton 1974, hier: Bd. 1, S. 111–149.
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zu gewinnen66. Zahlenmäßig an der Spitze lagen allerdings presbyteri, sacerdotes, altaristae, etc., ‘Geistliche’ also, deren Tätigkeiten nicht genauer zu identifizieren sind. Kaplane, Vikare und Pfarrer schlossen sich an, ohne daß man diesen geistlichen Stufen und Berufen bestimmte akademische Grade in gewisser Regelmäßigkeit zuschreiben könnte. Kanonikate jedoch an Stiftskirchen waren im Einklang mit kirchlichen Forderungen und Erwartungen besonders seit dem Konstanzer Konzil nur den Höhergraduierten (vorzugsweise Juristen) vorbehalten, teilweise zugleich als ‘Gehaltspfründen’ derer, die Universitätsprofessoren geworden sind. Das Interesse an Ordensberufen schließlich oder, möglicherweise umgekehrt, das Interesse der Orden am Beitritt von armen Universitätsbesuchern scheint recht gering gewesen zu sein; letzteres wohl nicht aus Abneigung, sondern auf Grund der Tatsache, daß die Orden überhaupt, zumeist die großen Bettelorden, über genügend Nachwuchs verfügten, den sie an den eigenen General- und Partikularstudien oder an den Universitäten ausbilden lassen konnten67. Etwa ein Viertel der Armen ergriff außerhalb der Universität einen weltlichen Beruf. Dabei gehörten Schreiberamt und Notariat in der Regel den Unpromovierten und Bakkalaren der Künste68, während die Lehrerstellen an Stadt-, Pfarr- und Stiftsschulen das ganze 15. Jahrhundert hindurch eine Domäne der Magister waren. Die restlichen 15% verblieben – soweit das ersichtlich ist – an der Universität – in der für das Mittelalter typischen Verbindung von Lehrenden und Lernenden. Aber nur die wenigsten erreichten eine bepfründete oder städtische Professur. Auffallende, sogenannte ‘Bilderbuch-Karrieren’ haben in der Kölner Universität nicht ihren Anfang genommen. Für die meisten Armen unserer Stichprobe waren beruflicher Erfolg und sozialer Aufstieg doch nur von unterer bis allenfalls mittlerer Reichweite, selbst dann, wenn
66 Vgl. hierzu Dietrich Kurze, Der niedere Klerus in der sozialen Welt des späteren Mittelalters, in: Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Mittelalters, Festschrift für H. Helbig, Köln/Wien 1976, S. 273–305; Trevor H. Aston, Oxford’s Medieval Alumni, in: Past and Present 74 (1977), S. 3–40, mit Hinweisen auch zur Karriere von Armen. Zu Karrierehilfen durch den Papst vgl. J. Eršil, Papežské exspektance in communi forma na česka beneficia ve 14. a na počátku 15. století, in: Strahovská knihovna 5–6 (1970/71), S. 105–137. 67 Vgl. z.B. Gabriel M. Löhr, Die Kölner Dominikanerschule vom 14. bis zum 16. Jahrhundert, Fribourg 1946; Isnard W. Frank, Hausstudium und Universitätsstudium der Wiener Dominikaner (13. Jahrhundert bis 1500), Wien/Graz/Köln 1968. 68 Vgl. Peter J. Schuler, Geschichte des südwestdeutschen Notariats, Bühl 1976, S. 108ff.
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der Kaiser Friedrich III. mit seinem Recht der ‘ersten Bitte’ nachhalf. Manche Stellen garantierten zwar ein sicheres und wiederkehrendes 308 | Einkommen, insgesamt aber änderte sich nicht viel an der sozialen Lage und ökonomischen Gefährdung der ehemaligen pauperes scholares. In seinem Tagebuch gedenkt der Kölner Ratsherr Hermann Weinsberg seines Lehrers, des Magisters Antonius von Wipperfürth, der als pauper in Köln die Artes studiert hatte, und danach über ein halbes Jahrhundert lang Schulmeister an der Pfarrschule St. Georg gewesen ist: „Er hatte eine Frau, wohnte in der Büttengasse, lebte sparsam und hatte trotzdem im Alter nichts übrig. Gott möge ihm weiterhelfen69.“ *
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Die Universität des späten Mittelalters war zwar eine Rechtsgemeinschaft für alle, nicht aber im gleichen Maße auch eine Sozialgemeinschaft. An ihrem Rande standen die pauperes, mittellos und beziehungslos, in jeder Hinsicht benachteiligt, zum großen Teil sozial und räumlich von den übrigen Universitätsbesuchern und sogar untereinander distanziert. Eine Förderung der Armen seitens der Universität hielt sich sehr in Grenzen. Es war keine wirkliche Unterstützung, von Vorschriften und Forderungen Abstand zu nehmen, die ohnehin nicht oder nur zu einem geringen Teil erfüllt werden konnten. Von einem sozialen Engagement der spätmittelalterlichen Universitäten kann keine Rede sein. Engagiert waren am ehesten die pauperes selbst – aber nicht als soziale Gruppe, sondern als individuell Handelnde. Doch ihr Handeln läßt sich zu einem Gruppenverhalten in der statistischen Aussage verdichten. Obwohl ein intensiver Vergleich zwischen der Randgruppe der Armen und den Mittelschicht-Scholaren hier nicht in der wünschenswerten und ausführlichen Weise geleistet werden konnte, die Randständigkeit aber wesentlich von der Distanz zur Mitte abhängt, und obwohl das ganze Forschungsunternehmen zur Sozialgeschichte der deutschen Universitätsbesucher noch zu sehr im Flusse ist, um jetzt schon alle Zusammenhänge auch sichtbar machen zu können, lassen sich die folgenden Thesen trotzdem formulieren: (1) Pauperes hatten ein von äußeren Einflüssen weniger berührtes, existenzielleres und konzentrierteres Interesse am Universitätsbesuch als die Mittelschicht. (2) Pauperes bevorzugten die großen und vor allem billigen Universitäten in 69 Konstantin Höhlbaum (Hg.), Kölner Denkwürdigkeiten aus dem 16. Jahrhundert, Das Buch Weinsberg, 5 Bde., Leipzig 1886, hier: Bd. 1, S. 37f.; Keussen, Matrikel Köln (wie Anm. 22), Matrikel (1919), S. 438 (34).
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den bequem erreichbaren Großstädten des Reiches. (3) Das Schlagwort vom ‘fahrenden Scholaren’ trifft auf die pauperes nicht zu. Nur wenige wechselten die Hochschule. Die Präferenz der großen Universität und großen Stadt blieb dabei erhalten. (4) Aus finanziellen Erwägungen immobil, nahmen pauperes auch ein geringeres ‘wissenschaftliches Niveau’ in Kauf. (5) Pauperes kamen mit Hoffnungen und Erwartungen | zur 309 Hochschule, die sie stärker als die Mittelschicht durch Promotionen in der artistischen Fakultät zu legitimieren suchten. Der Andrang zur Promotion stand allerdings in gar keinem Verhältnis zur sozialen Realität. Viele Hoffnungen auf Beruf, Ansehen und soziale Sicherheit müssen unerfüllt geblieben sein. (6) Berufs- und Aufstiegschancen von pauperes hingen entscheidend von der Qualität der Promotion ab. Je besser, d.h. auch, je eher man die Schranken zu den höheren Fakultäten überwinden konnte, desto gewisser war der Erfolg, auch ohne erkennbares soziales Umfeld. (7) Aufstieg durch Universitätsbildung ist im Rahmen dieser Relationen möglich gewesen. Für die meisten freilich war es ein Aufstieg von nur kurzer Spannweite. Ob man allerdings eine direkte Korrelation zwischen Bildung und sozialer Mobilität konstruieren darf, ob man es dabei nicht eher mit einer Schein-Korrelation zu tun hat, muß dahingestellt bleiben. Beider Abhängigkeit von einer ‘dritten Größe’ ist nicht auszuschließen. Noch war es nämlich entschieden vorteilhafter, wie die zumeist erfolgreichen, famulierenden Angehörigen der gleichen Armengruppe gezeigt haben, sich – zusätzlich zum Studium – ‘älterer’ sozialer Regeln zu bedienen.
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STUDENTISCHE KLEINGRUPPEN IM SPÄTEN MITTELALTER. EIN BEITRAG ZUR SOZIALGESCHICHTE DEUTSCHER UNIVERSITÄTEN* I Seit wenigen Jahren sind auch im deutschsprachigen Raum Untersuchungen zur universitären Sozialgeschichte vorgelegt worden, die, soweit es sozialgeschichtliche Tatbestände betrifft, einige der grundlegenden Thesen Herbert Grundmanns zum ‘Wesen’ der Universität infrage zu stellen, wenn nicht gar zu widerlegen scheinen1. Für Grundmann, der
* In: Herbert Ludat und Rainer Christoph Schwinges (Hg.), Politik, Gesellschaft, Geschichtsschreibung. Giessener Festgabe für František Graus zum 60. Geburtstag (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 18), Köln/Wien: Böhlau 1982, S. 319–361. 1 Herbert Grundmann, Vom Ursprung der Universität im Mittelalter, Darmstadt 2 1976, hier zitiert S. 17, 19f.; Rainer A. Müller, Universität und Adel. Eine soziostrukturelle Studie zur Geschichte der bayerischen Landesuniversität Ingolstadt 1472–1648, Berlin 1974; Peter Moraw, Zur Sozialgeschichte der deutschen Universität im späten Mittelalter, in: Gießener Universitätsblätter 8 (1975), H. 2, S. 44–60; Hans-Werner Prahl, Sozialgeschichte des Hochschulwesens, München 1978, S. 48–108; Magnus Ditsche, Soziale Aspekte der päpstlichen Doktorgraduierungen im späten Mittelalter, in: The Church in a Changing Society (Proceedings of the CIHEC-Conference in Uppsala August 17–21, 1977), Uppsala 1978, S. 208ff.; Rainer C. Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher im späten Mittelalter. Methoden und Probleme ihrer Erforschung, in: Hermann Weber (Hg.), Politische Ordnungen und soziale Kräfte im Alten Reich, Wiesbaden 1980, S. 37–51; ders., Pauperes an deutschen Universitäten des 15. Jahrhunderts, in: ZHF 8 (1981), S. 285–309. – Hervorgehoben aus der ausländischen Forschung seien: John M. Fletcher, Wealth and Poverty in the Medieval German Universities with Particular Reference to the University of Freiburg, in: John R. Hale et al. (Hg.), Europe in the Late Middle Ages, London 1965, S. 410–436; František Šmahel, Pražské universitni studenstvo v p®edrevolučnim obdobi 1399–1419, statistickosociologická studie, Praha 1967; James H. Overfield, Nobles and Paupers at German Universities to 1600, in: Societas. A Review of Social History 4 (1974), S. 175–210; Guy F. Lytle, Patronage Patterns and Oxford Colleges, in: Lawrence Stone (Hg.), The University in Society, Princeton 1974, Bd. 1, S. 111–149; Jacques Paquet, L’universitaire ‚pauvre‘ au moyen âge, in: Josef Ijsewijn and Jacques Paquet (Hg.), The Universities in the Late Middle Ages, Leuven 1978, S. 399–425, hier auch weitere einschlägige Arbeiten; Trevor H. Aston, Oxford’s Medieval Alumni, in: Past and Present 74 (1977), S. 3–40; ders. mit G. D. Duncan und T. A. R. Evans, The medieval Alumni of the University of Cambridge, ebd., 86 (1980), S. 9–86. – Zentrale Probleme und Forschungsstand bieten nützlich: Helga de Ridder-Symoens, Universiteitsgeschiedenis als bron voor sociale geschiedenis, in: Tijdschrift voor sociale geschiedenis 10 (1978), S. 87–115; Ernst Schubert, Motive und Probleme deutscher Universitätsgründungen des 15. Jahrhunderts,
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aus bestgemeintem Kontinuitätsbedürfnis und dem Selbstbewußtsein eines Vertreters der klassischen deutschen Universität im Jahre 1956 in Jena und Leipzig seine Thesen vorgetragen hatte, gehört es zu den “ganz außergewöhnlich, fast einzigartig” zu nennenden Tatsachen, “daß sich Männer des Adels mit Bürger- und Bauernsöhnen, Reiche und Arme, Vornehme und Namenlose unterschiedslos zu einer Gemeinschaft, einer Korporation, einer Universitas verbanden, in der es keine Vorrechte der Geburt gab”. Die Universitäten seien von Anfang an und gerade in ihren mittelalterlichen Anfängen Gemeinschaften gewesen, an denen alle soziale Schichten, Stände und Klassen gleicherweise und gleichberechtigt beteiligt gewesen seien. Es frage sich, so folgerte Grundmann daraus, ob die Universität – ähnlich den neuen Bettelorden des 13. 320 Jahrhunderts – ihre Angehörigen | verschiedenster sozialer Herkunft durch ein gemeinsames Ziel zu einer neuartigen Gemeinschaft vereinigt habe. Diese im Kontext mehr rhetorische Frage bezieht sich auf nichts weniger als auf eine sich mittels Wissenschaft neu formierende soziale Schicht, die zwar innerhalb einer Stadtgemeinde lokalisiert ist, dennoch im Gegensatz zu deren scharfer sozialer Abstufung steht. Wie weit solche Aussagen für die gemeinhin als Prototypen angesehenen hochmittelalterlichen Universitäten zu Paris und Bologna zutreffen, mag einmal dahingestellt bleiben, obwohl man auch hier schon nicht zuletzt wegen des höchst unterschiedlichen sozialen Prestiges der beiden Frühformen sehr skeptisch sein kann. Hinzu kommt ein deutlicher Mangel an Quellen zur sozialen Zusammensetzung der Hohen Schulen des 12. und 13. Jahrhunderts2. Für die spätmittelalterlichen Gründungen im alten Reich seit der Prager Universität von 1348 treffen solch weitreichende Thesen gewiß nicht zu. Die deutschen Universitäten des 14. und 15. Jahrhunderts waren von Anfang an keine isolierten Bildungsgemeinschaften, die nur durch das aufstiegsorientierte Medium Wissenschaft mit der Umwelt kommu-
in: Peter Baumgart und Notker Hammerstein (Hg.), Beiträge zu Problemen deutscher Universitätsgründungen der frühen Neuzeit, Nendeln 1978, S. 13–78. 2 Vgl. statt vieler Peter Classen, Genossenschaften der Lehrenden und Lernenden. Das mittelalterliche Selbstverständnis der Universität, in: Dt. Universitäts-Zeitung (1980), H. 13, S. 392ff.; ders., Die Hohen Schulen und die Gesellschaft im 12. Jahrhundert, in: Archiv f. Kulturgesch. 48 (1966), S. 155–180; J. Ehlers, Die Hohen Schulen, in: Peter Weimar (Hg.), Die Renaissance der Wissenschaften im 12. Jahrhundert, Zürich 1981, S. 57–85. Zu den Unterschieden zwischen Paris und Bologna vgl. Jacques Verger, Les universités au moyen âge, Paris 1973.
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nizierten, sondern waren das getreue Abbild der sie umgebenden, am ehesten städtischen Gesellschaft. Im Reich wie auch in weiten Teilen Europas war die Sozialstruktur längst gefestigt, die Ständeordnung bis in die Binnenstruktur hinein so weit erstarrt, daß sie gar nicht aus den Universitäten hätte ausgespart bleiben können. Vielmehr trug jeder einzelne Universitätsbesucher seinen persönlichen sozialen Rang in die universitäre Gemeinschaft hinein und suchte ihn zu behaupten, darzustellen oder im Rahmen des sozial Zulässigen zu verbessern. Die Qualitäten adliger Abkunft, des hohen Ansehens in Kirche und Gesellschaft, der Wohlhabenheit und Zahlungskräftigkeit hatten auch in der Hochschule ganz konkrete Vorrechte zur Folge. Studium und Universitätsleben liefen vielfach nach den gleichen sozialen Regeln ab, die auch außerhalb der Hochschule galten. Nahtlos war die Universität in die traditionalen Sozialformen von Verwandtschafts- und | 321 Patronage-Systemen einbezogen, deren Funktionieren bereits im Eröffnungsjahr einer neuen Universität in der personalen Zusammensetzung der ‘Eröffnungsklientel’ deutlich sichtbar wird. Und oft waren darüber hinaus Entscheidungsträger der Universität mit gleichwertigen Personengruppen in Stadt und Territorium eng verbunden3. Die universitas studii Wiennensis oder Heidelbergensis beispielsweise bildete zwar ähnlich etwa der universitas civium den normativen Bezugsrahmen der Gemeinschaft, der nach innen hin zur sozialen Kontrolle, nach außen hin zur energischen Verteidigung der Privilegien selbst zugunsten des geringsten Mitgliedes eingesetzt wurde. Doch war deswegen die universitas als Rechtsgemeinschaft, die als solche zweifellos in der Tradition von Paris oder Bologna stand, noch lange keine Gemeinschaft von Gleichwertigen4. Eine Tradition in diesem Sinne würde man vergebens suchen. Die Sozialstruktur und die besondere Erscheinungsform der Universität als ‘sozialer Ort’ für eine Fülle von personalen Ereignissen, Beziehungen und Verflechtungen wird – nicht anders als Gesellschaft überhaupt – am ehesten in den Gruppen und Teileinheiten erkennbar, aus denen sie sich zusammensetzte. Die spätmittelalterliche Universität 3 Vgl. Müller, Universität (wie Anm. 1), S. 119ff.; Lytle, Patronage Patterns (wie Anm. l); Moraw, Sozialgeschichte (wie Anm. 1), S. 52f.; ders., Heidelberg: Universität, Hof und Stadt im ausgehenden Mittelalter, in: Bernd Moeller et al. (Hg.), Studien zum städtischen Bildungswesen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit (Abh. d. Göttinger Akademie d. Wiss., phil.-hist. Kl. III. 137), Göttingen 1983, S. 524–552; Schwinges, Pauperes (wie Anm. 1), S. 289, mit weiterer Literatur. 4 Peter Classen, Zur Geschichte der „Akademischen Freiheit“, vornehmlich im Mittelalter, in: Historische Zeitschrift 232 (1981), S. 529–553.
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bestand jenseits des besonderen Rechtskreises eigentlich nur aus Teileinheiten, was schon äußerlich durch die bauliche Differenziertheit und Verstreutheit im jeweiligen Stadtgebiet unterstrichen wurde5. Die Universitätsbesucher verteilten sich auf Magister- oder Professorenhäuser mit Kost und Logis für ‘Studierende’, auf Bursen, Kollegien, Fakultäten und – wo vorhanden – auch Universitätsnationen. Sie waren Glieder einer oder mehrerer Teileinheiten, ohne gleichzeitig immer auch ‘rechtmäßige’ Glieder im korporationsrechtlichen Sinne der Gesamtuniversität sein zu müssen6. Unter den Bursen, den Wohn- und Lehrhäusern der Artisten, gab es vornehme und weniger vornehme Häuser, Massenunterkünfte und ausgesprochene Armenhäuser, die man zum Beispiel in Wien Koderien nannte. Magister waren zum Teil ‘Unternehmer in Sachen Bildung’ und als solche vor allem an hochstehenden und zahlungskräftigen 322 ‘studentischen Kunden’ interessiert. | Selbst in den Universitätsnationen unterschied man außer nach landsmannschaftlichen auch nach sozialen Kriterien. Ein Gleiches zeigt sich in der unterschiedlichen Wertigkeit der Fakultäten und ihrer Kollegien7. Unverkennbar lag eine soziale Schranke (ein sozialer Numerus Clausus) zwischen der artistischen Fakultät, die weit über 80% aller Universitätsbesucher aufnahm, und den sogenannten höheren Fakultäten der Medizin, der Theologie und ganz besonders des kirchlichen und weltlichen Rechts. Mehr als 15% der Universitätsbesucher des 15. Jahrhunderts standen als pauperes am Rande der Universitätsgemeinschaft bzw. ihrer Teileinheiten. Von ihm konnten sie sich oft erst dann lösen, wenn es gelang, nicht nur nach 5 Konrad Rückbrod, Universität und Kollegium. Baugeschichte und Bautyp, Darmstadt 1977, S. 33ff. 6 Man entdeckt z.B. in Fakultätsakten Personen, die gar nicht in der Hauptmatrikel eingetragen waren, somit im Rechtssinne nicht der Universität angehörten, obwohl sie promoviert wurden. Beispiele auch in den Einleitungen der unten zit. Matrikeleditionen. 7 Zu den noch wenig erforschten Bursen u.a. Karl Schrauf, Zur Geschichte der Studentenhäuser an der Wiener Universität während des ersten Jahrhunderts ihres Bestehens, in: Mitteilungen der Gesellschaft f. dt. Erziehungs- und Schulgeschichte 5 (1895), S. 141–214; Fritz Herrmann, Die Mainzer Bursen „Zum Algesheimer“ und „Zum Schenkenberg“ und ihre Statuten, in: J. R. Dieterich und K. Bader (Hg.), Beiträge zur Geschichte der Universitäten Mainz und Gießen, Darmstadt 1907, S. 94–124; Georg Kaufmann, Geschichte der deutschen Universitäten, Ndr. Graz 1958, Bd. 2, S. 224–239; Verger (wie Anm. 2), S. 174ff.; Sabine Schumann, Die „nationes“ an den Universitäten Prag, Leipzig und Wien. Ein Beitrag zur älteren Universitätsgeschichte, Diss. FU Berlin 1974; Arno Seifert, Die Universitätskollegien – Eine historisch-typologische Übersicht, in: Lebensbilder deutscher Stiftungen 3 (1974), S. 355–372; Klaus Wriedt, Personengeschichtliche Probleme universitärer Magisterkollegien, in: Zeitschrift für Historische Forschung 2 (1975), S. 19–30.
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wissenschaftlichen, sondern auch nach sozialen Regeln – vor allem in der juristischen Fakultät – zu studieren8. Über diese Teileinheiten hinaus lassen sich aber noch weitere Gruppierungen in der Universität entdecken. Schon im Vorfeld des Studiums, bei der Ankunft am Hochschulort und der Immatrikulation kann man die jeweils gegenwärtige und künftige soziale Gliederung und ihre universitätsoffizielle Bewertung bis in mikrosoziologische Zusammenhänge hinein beobachten. Die allgemeinen Rektoratsmatrikeln, die die Hauptquellen unserer Studien sind, dokumentieren jahrzehnteund vermutlich jahrhundertelang nicht nur – wenn auch grob – den sozialen Stand der Universitätsbesucher, sondern oft auch zugleich die soziale Position in Beziehung zu anderen. Die matrikelführenden Rektoren der Universität Erfurt zum Beispiel wichen seit etwa 1470 von der bis dahin geübten Praxis der Immatrikulation nach der zeitlichen Reihenfolge ab und inskribierten die Ankömmlinge nach Adel und Ansehen, nach der Höhe der gezahlten Immatrikulationsgebühren und der Einbindung in Verwandtschafts- und Klientelverhältnisse am Herkunfts- oder Hochschulort im klaren Bewußtsein der sozialen Relationen und Gruppierungen9. Selbst aber noch in der ‘zufälligen’ Abfolge der Einschreibungen nach dem Immatrikulationsdatum, den Tages-, Monats- oder Semesterdaten, lassen sich bemerkenswerte Gruppenzusammenhänge entdecken, die ein bezeichnendes Licht | auf die 323 Sozialgeschichte der deutschen Universitäten und ihre Verbindung zur allgemeinen Sozialgeschichte werfen können. II Während Probleme der sozialen und regionalen Herkunft der Universitätsbesucher schon häufiger in der einschlägigen Literatur diskutiert worden sind, ist der Tatbestand der gemeinsamen Immatrikulation in kleinen Gruppen bisher so gut wie gar nicht beachtet worden10. Vermutlich liegt das daran, daß die Matrikeln der deutschen Hochschulen mit
Schwinges, Pauperes (wie Anm. 1), S. 292, 305. Hermann Weissenborn (Hg.) Acten der Erfurter Universität, Bd. l, Halle 1881. 10 Erste Hinweise stammen von Moraw, Sozialgeschichte (wie Anm. 1), S. 50 und Schwinges, Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 49f. Der Vf. stützt sich im folgenden weitgehend auf eigene Forschungen, die demnächst in einem größeren Werk vorgelegt werden: Deutsche Universitätsbesucher: im 14. und 15. Jahrhundert, Stuttgart 1986. 8 9
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ihren tausenden von Namen als eine ziemlich spröde Quellengattung betrachtet und daher wenig systematisch ausgeschöpft worden sind. Eine Reihe von älteren Darstellungen der deutschen Universitätsgeschichte ist sogar ohne Studium der Matrikeln geschrieben worden11. Größeren Zuspruch fanden die personengeschichtlich so wichtigen Quellen – von einigen Untersuchungen zur Immatrikulationsfrequenz einmal abgesehen – bisher vorwiegend unter Genealogen, die aber an Einzelbefunden naturgemäß eher interessiert waren als an weiterreichenden Zusammenhängen12. Die gezielte Analyse der allgemeinen Rektoratsmatrikeln führt jedoch zur Erkenntnis, daß selbst in scheinbar zufällig und wahllos aneinandergereihten Namenskolonnen bestimmte soziale Bezüge sichtbar werden können. ‘Studenten’ bzw. ‘Universitätsbesucher’, ein Begriff, der den mittelalterlichen Kerngehalt umfassender und besser trifft13, kamen nämlich nicht nur als isolierte Einzelpersonen zur Universität, sondern bewegten sich häufig schon beim Zugang zur Hochschule in einem relativ klar abgrenzbaren sozialen Umfeld. Ich nenne diesen Tatbestand: soziale Ankunft in Kleingruppen. Zwei Haupttypen sozialer Ankunft lassen sich beobachten: zum einen die Reisegruppe, zum anderen die Universitätsgruppe, die beide nach ihrer jeweiligen sozialen Zusammensetzung weiter zu unterscheiden wären. Von der Reisegruppe ist zu sagen oder mit hohem Wahrscheinlichkeitsgrad zu vermuten, daß ihre Mitglieder die Anreise zum Universitätsort gemeinsam unternommen haben und sich gemeinsam immatrikulieren ließen. Die Mitglieder einer Universitätsgruppe haben sich dagegen allem Anschein nach erst am Universitätsort oder im nahen
11 Das trifft sogar weitgehend für das ansonsten unersetzte Werk von Kaufmann, Geschichte (wie Anm. 7) zu. 12 Statt vieler: Thomas O. Achelis, Universitätsmatrikeln und ihre Benutzung, in: Schrifttumsberichte zur Genealogie und zu ihren Nachbargebieten 14, Neustadt/Aisch 1963, S. 25–66. – Zu Frequenzuntersuchungen trotz mancher Mängel nach wie vor wichtig: Franz Eulenburg, Die Frequenz der deutschen Universitäten von ihrer Gründung bis zur Gegenwart, Leipzig 1904; in mehreren Untersuchungen ferner Horst Rudolf Abe, z.B.: Die frequentielle Bedeutung der Erfurter Universität im Rahmen des mittelalterlichen deutschen Hochschulwesens (1392–1521), in: Beiträge zur Geschichte der Universität Erfurt 2 (1957), S. 29–57. 13 Der Begriff ‘Student’ im Mittelalter verleitet leicht zu einem Anachronismus; zum einen gehörte die Masse der Universitätsbesucher ausschließlich der vorbereitenden artistischen Fakultät – den späteren Gymnasien vergleichbar – an; zum anderen zählten zu den mit allen Rechten und Pflichten Immatrikulierten auch die sog. Universitätsverwandten: Knechte, Mägde, Schreiber, Notare, Boten, Apotheker, Buchdrucker etc. Vgl. Moraw, Sozialgeschichte (wie Anm. 1), S. 48f., und Schwinges, Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 42f.
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Umkreis des Universitätsortes getroffen und sich aus welchen Gründen auch immer zu einer Gruppe verbunden, die sich dann gemeinsam in die Matrikel einschreiben ließ. Es versteht sich, daß auch Mischformen, Unschärfen in der Differenzierung beider Gruppen und Typenwechsel etwa beim Besuch mehrerer Universitäten auftreten können. In der vorliegenden Studie werden wir uns allein auf die Reisegruppen konzentrieren13a. Relativ unkompliziert ist es, soziale Ankunft in solchen Matrikelbüchern festzustellen, in denen jeder Universitätsbesucher mit dem genauen Tagesdatum seiner Immatrikulation notiert ist. Acht von zwölf Universitäten des Reiches, die im 15. Jahrhundert Matrikeln geführt haben bzw. deren Matrikeln überliefert sind14, haben die Ankömmlinge, wenn auch mit sehr unterschiedlicher Regelmäßigkeit und Verzögerung, zumindest seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in dieser zeitlich exakten Form verzeichnet. Dies gilt für Heidelberg, Köln, Löwen, Rostock, Greifswald, Freiburg im Breisgau, Ingolstadt und Tübingen. Trifft man hier am gleichen Tag auf Universitätsbesucher aus dem gleichen Herkunftsort oder gelegentlich bei genügender Entfernung zur Hochschule (mindestens 50 km, etwa zwei Tagesreisen) aus verschiedenen, aber nahe beieinander liegenden Herkunftsorten, so ist davon auszugehen, daß diese Personen gemeinsam zur Universität gekommen sind. Dieser Typ der Reisegruppe ist derart häufig zu beobachten und sei deswegen auch im vorstehenden Sinne so definiert, daß von einer zufälligen Anordnung in den Matrikeln keine Rede sein kann. Man bemerkt ihn an allen genannten Universitäten, freilich mit einer gewissen Schwankungsbreite von Hochschule zu Hochschule und Jahrgang zu Jahrgang, die sich zwischen etwa 15 und 30% bewegt. Bei einer Analyse des Jahrgangs 1485 konnte bereits festgestellt werden, daß mehr
13a Universitätsgruppen werde ich in der in Anm. 10 genannten Arbeit behandeln. Man erkennt sie eigentlich nur in der statistischen Konzentration der Daten, in der wiederholten Sequenz von Reich und Arm. Typisch ist die Paargruppe, in der einer der Partner fast immer ein armer ‚Student‘ ist, und beider Herkunftsorte oft in der gleichen Region liegen. 14 Die spätmittelalterlichen Matrikeln der Universitäten Prag, Mainz und Trier sind verloren, während die kurzlebige Würzburger Hochschule offenbar keine Matrikel geführt hat. Einen guten Überblick über die Matrikeln und Matrikelausgaben gibt Eva Giessler-Wirsig, Universitäts- und Hochschulmatrikeln, in: Wolfgang Ribbe und Eckart Henning (Hg.), Taschenbuch für Familiengeschichtsforschung, Neustadt/Aisch 1980, S. 141–180.
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als ein Viertel aller Universitätsbesucher (ca. 27%) in solchen Gruppen zu den Universitäten gereist sind15. 325 | Der Rektor der Universität Heidelberg beispielsweise, Magister Erhard Knab von Zwiefalten, immatrikulierte im Sommersemester des Jahres 1455 folgende Studenten der Artes Liberales: Hainricus Fridlin de Tiengen cler. Constanciensis dioc. 7ma Augusti. – Johannes Steiger de Lermusz Brixiensis dioc. X Augusti. – Bartholomeus Petri, Theodericus Gisberti, Johannes Reineri, Johannes Cornelij de Amsterdammis Traiectensis dioc. XI Augusti. Fridericus, Sigismundus fratres de Lapide Wormaciensis dioc. XIIII Septembris. – Waltherus Schwarczenberg, Georius Wysz de Franckfordia Mogunt. dioc. XX Septembris. – Nicolaus Vetter de Augusta XXII Septembris. – Conradus Spinnelwager de Walse (bacc. in art. Wien.) XXVII Septembris16. Wie man sieht, standen vier Personen an unterschiedlichen Terminen bei der Einschreibung allein oder, besser gesagt, sie kamen in keinen erkennbaren personalen Zusammenhängen nach Heidelberg. Dies betrifft den clericus Fridlin aus Tiengen (Kr. Waldshut) und die ‘Laien’ Steiger aus Lermoos (Tirol), Vetter aus Augsburg sowie Spinnelwager aus Wallsee (Niederösterreich), der zuvor – seit dem Sommersemester 1449 und ebenfalls allein immatrikuliert – an der Wiener Universität geweilt und dort den Grad eines baccalarius artium erworben hatte17. Als Gruppen wurden dagegen an jeweils gleichen Tagen zwei Studenten aus Frankfurt am Main und vier Studenten aus Amsterdam eingetragen, von denen zwei vielleicht schon gemeinsam in Köln gewesen waren18. Verwandtengruppen wie die Gebrüder de Lapide (von Stein), die vielleicht aus einem der Orte Stein oder Steinach oder gar aus einem der weitverzweigten Niederadelsgeschlechter dieses Namens in der Diözese Worms stammten, sind unter den Reisegruppen nicht selten anzutreffen. Obgleich quellenkritisch schwieriger zu erfassen, lassen sich ähnliche Gruppierungen auch an jenen Universitäten feststellen, deren Matrikeln ohne Tagesdaten geführt worden sind. Neben dem kleineren Basel Schwinges, Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 46. Gustav Toepke (Hg.), Die Matrikel der Universität Heidelberg, Bd. l, Heidelberg 1884 (Ndr. 1976), S. 282f. 17 Franz Gall (Hg.), Die Matrikel der Universität Wien, Bd. l, Wien 1956, S. 265 (Spindelwager). Zur Bacc.-Promotion vgl. Acta fac. art. III, fol. 48r, Sommer 1451, Univ.-Archiv, Wien. 18 Hermann Keussen (Hg.), Die Matrikel der Universität Köln, Bd. l, Bonn 21928, S. 579 (13, 14): Theodericus und ein Johannes. 15 16
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zählten dazu gerade die größten Hochschulen des Reiches im späten Mittelalter: Erfurt, Leipzig und Wien. Freilich | gibt es hier keinerlei 326 Gewähr dafür, daß in der Abfolge der Namen die zeitliche Reihenfolge der ankommenden Universitätsbesucher eingehalten worden ist. Einerseits stand jedem Besucher, der sich statutengemäß immatrikulieren lassen mußte, wenn er im korporationsrechtlichen Sinne der Universität angehören wollte, eine Inskriptionsfrist von in der Regel zwei bis vier Wochen zu19. Während dieser Zeit hätten sich Reisegruppen auflösen, aber auch völlig neu formieren können, ohne daß man das allein anhand der Matrikeln erkennen würde. Andererseits intitulierte man, so der terminus technicus der Quellen, nicht an jeder Universität sofort in die ‘Originalmatrikel’. Vielmehr fertigten die Rektoratsgehilfen bzw. die Rektoren selbst, zu deren Amtsgeschäften die Matrikelführung gehörte, zunächst Listen an, zum Teil sogar lose Namenszettel, von denen die Namen dann erst später in die allgemeinen Rektoratsmatrikeln übertragen wurden. Irrtümer, Vertauschungen und Verwechslungen waren begreiflicherweise die Folge; und in der Tat sind des öfteren in fast allen Matrikeln Streichungen und Nachträge festzustellen. Trotz alledem würde sich in einer quantitativen Analyse des Problems zeigen, daß selbst bei fehlenden Zeitangaben das typische Gruppenbild: Universitätsbesucher aus den gleichen oder nahe benachbarten Herkunftsorten, erhalten geblieben ist. Neben der Reisegruppe gilt dies ebenso für die Universitätsgruppe, wenngleich deren Entdeckung von Zeitangaben ohnehin unabhängig ist. Offenbar haben wir es mit einer Konstanten des Universitätsbesuches, sicher nicht nur des späten Mittelalters, zu tun. Hier scheint etwas auf – wohl auch im Bewußtsein der intitulierenden Rektoren –, was über eine rein zufällige Wegegenossenschaft und Reisebekanntschaft weit hinausgeht. So blieb an der Universität Erfurt gerade auch dann die Gruppe als Tatbestand sozialer Ankunft erhalten, als man die ursprüngliche Ordnung durchbrach und – wie schon erwähnt – begann, nach Adel und Ansehen der Personen zu reihen. Allerdings wird man in Basel, Erfurt, Leipzig und Wien eben quellenbedingt mit einem geringeren Anteil der Gruppen an der jeweiligen Gesamtimmatrikulation rechnen müssen und überdies die Variable ‘unklarer Gruppenzusammenhang’ | in einer quantitativen 327
19 Vgl. die Einleitungen der verschiedenen Matrikeleditionen, auch zum folgenden. – Immatrikulationsfrist z.B. in Köln und Löwen: 14 Tage, in Wien: ein Monat.
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Analyse stärker zu berücksichtigen haben als in den anderen genannten Universitäten. III Wir wollen uns nun zunächst ein Bild von diesen Reisegruppen und ihrer Zusammensetzung machen und sodann ihr Verhalten im Kontext der universitären Gemeinschaft prüfen. Dazu mag ein Test genügen, der im wesentlichen die Besucherschaft der Universität Wien, der nach Prag ältesten und zudem frequenzstärksten Hochschule des Alten Reiches im 14. und 15. Jahrhundert, in fünf ausgewählten Jahrgängen berücksichtigt. In Zehn-Jahres-Schritten werden die Besucherjahrgänge 1395, 1405, 1415, 1425 und 1435 erfaßt20, womit ein Zeitraum abgedeckt ist, der anders als in den nachfolgenden Jahrzehnten der Regierungszeit Kaiser Friedrichs III. durch ein nicht ganz so krisenhaft schwankendes Wachstum der Besucherzahlen charakterisiert ist. In den fünf ausgewählten Wiener Testjahrgängen, worunter jeweils das Sommer- und das folgende Wintersemester zu verstehen sind, stellten die Reisegruppen mit 18,6% beinahe jeden fünften Universitätsbesucher. Das heißt in absoluten Zahlen: unter 1 185 Immatrikulierten lassen sich ungeachtet der unklaren Fälle 221 Personen als Gruppenmitglieder nachweisen21. Wie man Tabelle l entnehmen kann, sind die Proportionen zwischen den Gruppen- und Einzelimmatrikulationen trotz der unterschiedlichen Inskriptionsziffern auch in den einzelnen Jahrgängen ziemlich stabil geblieben. Bei einem Mittelwert von ebenfalls 18,6% tritt nur die geringe Streuung von 1,49% auf. Man kann wohl sagen, die Ankunft in Reisegruppen zu einem relativ fixen Prozentsatz gehörte zumindest in dem von uns erfaßten Zeitraum zu den festen Bestandteilen des Universitätsbesuchs in Wien. Auf eine ziemlich beharrliche Art und Weise wurde darüber hinaus in fünf Jahrgängen, d.h. über vier Jahrzehnte hinweg, eine bestimmte, vorgeformte 328 Gruppenstruktur immer wieder von außen her in die universitäre |
20 Diese Vorgehensweise gehört zu den methodischen Grundlagen der EDV-gestützten Arbeiten des Vfs. (Anm. 10). Vorerst Schwinges, Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 42ff. Einen Überblick über die Zahl der Immatrikulationen pro Jahr in diesem Zeitraum bietet Karl Schrauf (wie Anm. 38), S. 1009ff. 21 Die ‚unklaren Fälle‘ sind in dieser Analyse den Einzelreisenden zugezählt worden.
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Tabelle 1: Einzel- und Reisegruppenimmatrikulation an der Universität Wien. 1395 N % Einzeln Gruppe Σ
131 81,9 29 18,1 160 100
1405 N %
1415 N %
1425 N %
1435 N %
Σ N
&
25 80,6 313 79,2 246 82,8 249 82,5 964 81,4 6 19,4 82 20,8 51 17,2 53 17,5 221 18,6 31 100 395 100 297 100 302 100 1185 100
Gemeinschaft hineingetragen und obendrein, was ich für entscheidend halte, durch die sequentielle und vor allem kohärente Eintragung in die Matrikel bestätigt. Alle Gruppen, Großgruppen ebenso wie Kleingruppen, weisen bestimmte quantitative und qualitative Strukturmerkmale auf. Diese zu erkunden bedeutet, sowohl die konstituierende Gruppenstärke festzustellen, als auch zu fragen, auf welche Weise und nach welchen Kriterien die Gruppen zusammengesetzt, die einzelnen sozialen Positionen in den Gruppen definiert und gegeneinander wie auch gegenüber der Umwelt – hier der universitären Umwelt – abgegrenzt sind. Einen Überblick über die Stärke der Reisegruppen in den Jahrgängen 1395 bis 1435 vermittelt Tabelle 2. Deutlich zeigt sich die Vorherrschaft der Zweier-Gruppe. In weitem Abstand folgen Gruppen mit der Gliedzahl ‘3’, während stärkere Gruppen mit vier oder fünf Mitgliedern nur vereinzelt aufgetreten sind. Das völlige Überwiegen des Paares – im Schnitt zu mehr als 70% – war schon einmal im Testjahr 1485 an den Universitäten Leipzig und Ingolstadt aufgefallen22, dürfte also keine Wiener Besonderheit, sondern eine ebenso allgemeine Konstante des Universitätsbesuches sein wie die Erscheinung der sozialen Ankunft überhaupt. Die Gruppenstärke ist in der sozialwissenschaftlichen Forschung schon früh als ein äußerst wichtiges Strukturmerkmal der Gruppe erkannt worden. Georg Simmel schrieb sogar ein ganzes Kapitel | über „Die 329 quantitative Bestimmtheit der Gruppe“23. Nach wie vor umstritten ist jedoch die konstituierende Gliedzahl. Während Leopold von Wiese seinerzeit von der Zweiergruppe ausging, wollten Simmel und später bekräftigend auch Th. Geiger Gruppen erst ab drei Mitgliedern gelten Schwinges, Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 49ff. Georg Simmel, Soziologie. Untersuchung über die Formen der Vergesellschaftung, Berlin 51968. 22 23
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Tabelle 2: Stärke der Reisegruppen (in Personenzahl) an der Universität Wien. 1395 % Zweiergruppe Dreiergruppe Vierergruppe Fünfergruppe Σ
22 3 4 – 29
75,9 10,3 13,8 – 100
1404 N % 6 100 – – – – – – 6 100
1415 N % 60 12 – 10 82
1425 N %
1435 N %
73,2 32 62,8 40 14,6 15 29,4 9 – 4 7,8 4 12,2 – – – 100 51 100 53
Σ N
%
75,5 160 72,4 17,0 39 17,7 7,5 12 5,4 – 10 4,5 100 221 100
lassen. In der Tat laufen in einer Gruppe ab drei Personen aufwärts auf einen Schlag wesentlich kompliziertere Wechselbeziehungen ab als in einer Paarbeziehung, entsprechend dem bekannten angloamerikanischen Idiom: “Two are a company, three are a crowd”. Doch kommt es nicht auf die Zahl als solche an, auch nicht eigentlich auf die mit ihr steigende Beziehungsdichte, sondern vielmehr auf das Handeln der Gruppenmitglieder, das Gruppenverhalten. Gruppe als soziales Interaktionssystem aufgefaßt, beginnt dann eindeutig bei einer Wechselbeziehung, d.h. also beim Paar24. Das Problem der Gliedzahl wird uns freilich weiterhin beschäftigen: Warum schien es Universitätsbesuchern sinnvoll zu sein, eher paarweise als in größeren Einheiten zur Universität zu kommen? Sicher wird man zur Beantwortung dieser Frage auch auf gruppendynamische Vorgänge verweisen müssen, was aber nur angedeutet sei. Die allgemeinen Matrikeln sind nicht der Quellentyp, der hierzu etwas aussagen 330 könnte. Die Bildung einer Zweiergruppe, | das ‘pairing’ als eine der Grundformen der Angstbindung lag beim Aufbruch in die Fremde vom vertrauten Heimatort zum unbekannten Universitätsort vermutlich sehr nahe. Die Reise führte nicht selten über erhebliche Distanzen, ihre Gefahren braucht man nicht weiter auszumalen. Universitätsbesucher und vor allem ‘Studenten’ der Artes waren zudem in ihrer großen Mehrheit erst zwischen 10 und 14 Jahren alt, als sie die Universitäten des Reiches bezogen. So war das ‘pairing’, zumal man in der Regel aus dem gleichen Ort stammte und sozusagen ‘sein Dorf mit auf Reisen nahm’, vielleicht eine ganz natürliche, emotionale Konstellation, die einigermaßen Schutz gewährte und überdies die Chancen wahrte,
24
Zusammenfassend Th. M. Mills, Soziologie der Gruppe, München 51976.
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sich am Universitätsort sozial zu entfalten, ohne von einer größeren Zahl Gruppenmitgliedern behindert zu werden. Ähnliches gilt auch für andere reisende Gruppen, so etwa, was einen Vergleich sicher lohnen würde, für die wandernden Handwerksgesellen, deren Gruppenwandern sich schon im 15. Jahrhundert nachweisen läßt25. Man kann diesen Überlegungen freilich entgegenhalten, daß doch die überwältigende Mehrheit der Universitätsbesucher gar nicht in (erkennbaren) Gruppen gekommen ist, Alter, Entfernungen und Fährnisse des Weges aber auch auf sie zutreffen. Man könnte Gefahr laufen, die Gruppenimmatrikulation als besonderes Merkmal des Hochschulbesuchs zu überschätzen. Tatsache ist jedoch, daß Gruppen bei der sehr geringen Besucherdichte, der völligen Überschaubarkeit der täglichen Ankunft zwangsläufig immer eine größere Aufmerksamkeit von außen erfahren haben. So können wir jetzt fragen, ohne das Warum zu vergessen, wer denn eigentlich in Gruppen, in Zweier-, Dreier- oder Mehrfachgruppen gereist ist? Schon eine oberflächliche Matrikellektüre führt dazu, fünf Reisegruppentypen nach ihrer jeweiligen Zusammensetzung zu unterscheiden. Erstens findet man die schon erwähnte Verwandtengruppe, meistens Brüder, selten einmal mehr als ein Paar, selten auch als Untergruppe einer größeren Einheit. Zweitens stößt man auf Personen im Kreise eines Universitätslehrers, in der Regel sind | es artistische Magister- 331 Scholaren-Gruppen. Drittens bemerkt man hohe geistliche und weltliche Herren mit ihrem Gefolge und junge Adelige mit ihren Pädagogen und Dienern (Herrengruppe). Viertens findet man Gruppen von Mönchen, in der Mehrzahl Angehörige der Bettelorden. Schließlich erkennt man fünftens jene Gruppe, die bei weitem am häufigsten auftritt, zunächst aber gar nicht eindeutig benannt werden kann; man stellt nur fest: es handelt sich um zwei oder mehr Personen aus dem gleichen oder nahe benachbarten Herkunftsort. Mit Ausnahme der Ordensleute, die ihre ‘Heimat’ wohl im jeweiligen Orden oder Kloster gesehen haben, trifft übrigens diese lokale oder zumindest regionale Identität auf alle Reisegruppentypen zu. Selbst die Universitätslehrer, die Adeligen und hohen Herren haben ihre Schüler und Diener im allgemeinen aus dem
25 Vgl. L. Mertl, Das Münchener Zunftwesen bis zum Ausgang des 30jährigen Krieges, Diss. München 1922, S. 158. Diesen Hinweis verdanke ich der Freundlichkeit von Herrn Dr. Wilfried Reininghaus, Dortmund. Ohne auf Gruppenreisen einzugehen: Wilfried Reininghaus, Die Migration der Handwerksgesellen in der Zeit der Entstehung ihrer Gilden (14./15. Jahrhundert), in: VSWG 68 (1981), S. 1–21.
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eigenen Herkunftsort oder -raum rekrutiert – ein ‘altes’ soziales Beziehungsmuster, das in fremder Umgebung offensichtlich beiden Seiten Vertrauen und Sicherheit, den Schülern und Dienern möglicherweise auch Studien- und Karriereförderung gewährte. Unter den klar definierten Gruppen waren die Verwandten in den fünf Wiener Test-Jahrgängen mit insgesamt 8,1% der Gruppenimmatrikulationen am stärksten vertreten; an der Gesamtbesucherschaft dieser Zeitspanne hatten sie einen Anteil von 1,5%. Gar nicht zu entdecken waren Magister-Scholaren-Gruppen, was freilich nicht zu dem Schluß führen darf, sie seien in der fraglichen Zeit überhaupt nicht in Wien vorhanden gewesen. Das Gruppenreisen der ‘Gelehrten’ im Kreise ihrer Schüler, das in der Frühzeit der Hohen Schulen und Universitäten des 12. und 13. Jahrhunderts noch gang und gäbe gewesen ist26, hatte sich allerdings im Bereich der deutschen Universitäten im wesentlichen überlebt. Man kann darin eine der sozialen Folgen der steigenden Frequenz des Universitätsbesuchs im Spätmittelalter erblikken. Solches Reisen war jetzt an ganz besondere Anlässe gebunden. Es sei nur an die Prager Ereignisse von 1409 erinnert. Vom sogenannten Auszug der deutschen Magister und Studenten profitierten Leipzig, 332 das diesem Ereignis bekanntlich seine Hochschule | verdankte, aber auch Heidelberg, Erfurt, Köln und Wien, wie die Jahrgänge 1409 bis 1411 beweisen. Doch in unserem Stichjahr 1415 war davon nichts mehr zu spüren. Einen Anteil von 7,2% an der Gruppenimmatrikulation erreichten die Herrengruppen, die den allgemeinen Eindruck von der Gruppenstärke der Universitätsbesucher ebenfalls bestätigten und mehrheitlich zu zweit (ein Herr, ein Diener) erschienen. Wie zu erwarten, findet man verhältnismäßig mehr Herren in den Gruppen (4,5%) als unter den Alleinreisenden (2,6%). Allerdings haben manche Herren, wie es scheint, sich erst am Universitätsort nach einem ‘Gefolge’ umgesehen. 26 Vgl. Ehlers (wie Anm. 2). Das Abwandern – außerhalb der Gründungsphasen neuer Universitäten und ohne Ruf – bedeutete den Verlust langjährig erworbener Rechte, der am neuen Ort nicht so ohne weiteres wieder ausgeglichen werden konnte. Zu den Ausnahmen im 15. Jh. zählt etwa die Übertragung der via antiqua von Köln nach Heidelberg durch den Magister Hartwig von Amsterdam im Jahre 1453, den eine Reihe Scholaren begleiteten. Vgl. Gerhard Ritter, Die Heidelberger Universität im Mittelalter (1386–1508), Heidelberg 1936, S. 389f. – Vgl. auch Astrik L. Gabriel, „Via antiqua“ and „via moderna“ and the Migration of Paris Students and Masters to the German Universities in the Fifteenth Century, in: Antiqui und Moderni. Traditionsbewußtsein und Fortschrittsbewußtsein im späten Mittelalter, Berlin/New York 1974, S. 439–483.
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Man kann daher nicht immer klar entscheiden, ob es sich tatsächlich um eine Reisegruppe handelt. Zum Beispiel ist kaum zu klären, ob Herr Ulrich aus dem Geschlecht der Herren von Vilanders (Stammburg Vilanders bei Bozen) im Sommersemester 1395 den Weg zur Universität zusammen mit Heinrich von Bruneck (Pustertal) zurückgelegt hat oder ihn erst in Wien getroffen hat, obwohl beide aus der Diözese Brixen stammen, der eine freilich aus der Grafschaft Tirol, der andere aus der bischöflichen Stadt27. Unstreitig gemeinsam mit ihren Dienern kamen dagegen zum Beispiel folgende Herren nach Wien: Im Wintersemester 1395/96 Johannes von Burn (= von Brunn), jugendlicher Stiftspropst von St. Stephan und Domherr zu Bamberg, in Begleitung seines Pädagogen, des Magisters Heinrich Lochner, und seines Dieners Ulrich von Neuhaus28. Johannes, später Bischof von Würzburg (1411–1440), ein Neffe Lamprechts von Brunn, des Bischofs von Bamberg und bedeutenden Rates Kaiser Karls IV. und König Wenzels, hatte seine für Adelige und hohe Geistliche bis in die Neuzeit hinein typische Studienreise zusammen mit dem Prager Magister Lochner bereits im Sommersemester 1390 in Heidelberg begonnen, wo sich auch Ulrich von Neuhaus, ein pauper aus der Prager Diözese, im Herbst des gleichen Jahres intitulieren ließ. Alle drei zogen dann nach Prag, wo Johannes, inzwischen auch Domherr von Würzburg und Speyer, im Jahre 1392 zum Baccalarius artium promoviert wurde, 1393 mit seinen Begleitern in die universitas juristarum überwechselte und 1394 (Ehren-) Rektor der | 333 Prager Juristen wurde. In Wien schließlich dürften die drei ebenfalls in der juristischen Fakultät eingeschrieben gewesen sein29. Ferner kamen im Wintersemester 1415/16 die Herren Friedrich von Sponheim, Domherr in Speyer, mit seinem adeligen Begleiter Johannes Asbach30, Georg von Rotauer, Domherr in Passau, mit seinem Famulus Martin
Gall, Matrikel Wien (wie Anm. 17), Bd. 1, S. 44. Ebd., S. 46. – Toepke, Matrikel Heidelberg (wie Anm. 16), Bd. 1, S. 46 u. 47 (Ulrich v. Neuhaus). – Monumenta Historica Universitatis Carolo-Ferdinandeae Pragensis, Tomus I, Pragae 1830, S. 279; Tomus II, 1834, S. 78. Zu Johannes vgl. Johannes Kist, Die Matrikel der Geistlichkeit des Bistums Bamberg 1400–1556, Würzburg 1965, Nr. 758. Interessant ist, daß Johann genau die Stätten des politischen Wirkens seines Onkels Lamprecht als Studienorte wählte. Auch zur Familie zuletzt: I. Hlaváček, Lamprecht von Brunn, Bischof von Bamberg, in: Fränkische Lebensbilder 9 (1980), S. 46–60. 29 Freilich nicht zu belegen, da die Juristen-Matrikel erst 1402 beginnt; Matricula Fac. Juristarum I (1402–1442), Univ. Archiv Wien J 1. 30 Matrikel Wien (wie Anm. 17), Bd. 1, S. 109. Möglich ist, daß der pauper Gerlacus Typpurkch (vermutlich aus Dieburg, Hessen), in der Matrikel als nächster folgend, beider Diener war. 27 28
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von Wels, der dem Domherrn auch in der Juristenfakultät weiter zu Diensten stand31, sowie im Sommersemester 1425 die Brüder Konrad und Johann Marschall von Pappenheim mit ihrem Diener Johann Hart von Lichtenberg32. Nur vier Gruppen bildeten die Ordensleute, die allerdings unter den Universitätsbesuchern unseres Zeitraumes mit knapp zwei Prozent überhaupt spärlich vertreten waren. Im Vergleich zueinander zählt man jedoch verhältnismäßig weniger Mönche unter den Alleinimmatrikulierten (l%) als unter den Gruppenreisenden (5,4%). Neben Benediktinern aus Kremsmünster und regulierten Chorherren aus Klosterneuburg und St. Pölten (1405, 1435), also aus nicht allzu großer Entfernung zur Wiener Universität, ließ sich im Wintersemester 1415/16 eine fünfköpfige Gruppe von Predigermönchen immatrikulieren, die der rheinischen Nation der Universität zugewiesen wurde. Demnach stammte sie aus dem Westen des Reiches im weitesten Sinne, nur einer der Mönche hatte mit Ulm seinen Herkunftsort bzw. sein Herkunftskloster angegeben. Die Gruppe fand für die Dauer des Studiums, wie es üblich war, Aufnahme im Kloster der Wiener Dominikaner33. Rechnen wir nun die einzelnen Anteile zusammen, so stehen 20,7% der soeben beschriebenen Gruppenmitglieder der großen Mehrheit jener ‘anderen’ gegenüber, die bisher ohne Namen geblieben sind. Es ist auch nicht einfach, diese ‘anderen Reisegruppen’ zu benennen und damit zu identifizieren; denn der Stand ihrer Mitglieder ist in der Matrikel von vier Fällen abgesehen nicht überliefert worden. Bei diesen Fällen handelt es sich um die beiden Pfarrer Nikolaus von Kremsier (Mähren) und Peter Wohlmut von Berkuten (Siebenbürgen), die möglicherweise von je einem armen Scholaren begleitet wurden, sowie 334 um den Kanoniker der Kirche von Soldin | (Neumark) im Gebiet des Deutschen Ordens, Johannes Lodwici, und seinen Stiftsvikar Matthäus Steffen34. Auch die übliche Unterscheidung zwischen Klerikern (minores)
Ebd., S. 109; Matr. Fac. Jur. (wie Anm. 29), Bd. 1, fol. 10r. Ebd., S. 150. 33 Ebd., S. 109. Sehr wahrscheinlich standen die Fratres O. P. Hermannus Pullnhofer, Egelolfus de Vlma, Johannes Maenhor und Wilandus Weinsperg unter der Führung des bekannten Dominikaners Heinrich Kalteisen, des späteren Erzbischofs von Drontheim († 1465 in seinem Heimatkloster Koblenz). Vgl. Isnard W. Frank, Hausstudium und Universitätsstudium der Wiener Dominikaner bis 1500 (Archiv f. österr. Gesch. 127), Wien 1968, S. 198, 200, der aber den Gruppencharakter nicht erkannt hat. 34 Gall, Matrikel Wien (wie Anm. 17), Bd. 1, S. 45 (Nacio Ungarorum). – Ebd., S. 110 (Nacio Saxonum). 31 32
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und Nichtklerikern ist hier nicht möglich, da die Wiener Rektoren es im Gegensatz zur Praxis in den meisten anderen Hochschulen offenbar für unnötig hielten, den zumindest für die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts noch geltenden ‘Normalfall’ des studens clericus eigens zu verzeichnen35. Die Matrikel gibt lediglich über Namen und Vornamen Auskunft, über Nationszugehörigkeit und Herkunftsort, gezahlte oder nichtgezahlte Immatrikulationsgebühren sowie über die Art des Studiums – dieses in Wien freilich nur, wenn man die Fakultätsakten und -matrikeln parallel zur Hauptmatrikel hinzuzieht und den Aufwand der Identifizierung der einzelnen Personen in den verschiedenen Verzeichnissen nicht scheut36. Mit diesen wenigen Angaben läßt sich das Sozialprofil eines jeden Besucherjahrgangs – gleichgültig ob es sich dabei um Einzel- oder Gruppenimmatrikulierte handelt – zunächst nur sehr grob einschätzen. Dem Land- und Stadtadel und den hohen und höheren kirchlichen Würdenträgern, die wir als Herrengruppen bereits kennengelernt haben, stehen am unteren Rand der universitären Gemeinschaft die pauperes gegenüber, die schon einmal, da die sozialen Grenzen nach oben hin mehr oder minder fließend sind, als eine “offene Randgruppe” beschrieben worden sind37. Dazwischen befindet sich jedoch eine breite ‘mittlere Schicht’, die auf den ersten Blick weder sozial zu ordnen noch einzuordnen ist, gleichwohl aber – allein schon quantitativ – als der eigentliche soziale Träger der Universität angesprochen werden muß. Diese Schicht ist freilich ebensowenig homogen gewesen wie der Adel, die Geistlichkeit und die pauperes, was man am ehesten noch durch die Gebührenzahlung bei der Immatrikulation feststellen kann. Darüber hinaus werden die Gebühren zur weiteren Klärung der sozialen Ankunft in kleinen Gruppen, insbesondere der ‘anderen Reisegruppen’ nützlich sein.
35 Die Kleriker-Eintragungen schwanken in den einzelnen Matrikeln sehr stark, was vermutlich auf die unterschiedliche Qualität der Matrikelführung zurückzuführen ist. Vgl. z.B. Ritter, Die Heidelberger Universität (wie Anm. 26), S. 79; Keussen, Matrikel Köln (wie Anm. 18), Einleitung S. 190*f.; Horst R. Abe, Die soziale Gliederung der Erfurter Studentenschaft im Mittelalter (1392–1521), in: Beiträge zur Gesch. d. Univ. Erfurt 8 (1961), S. 5–38, 11ff. 36 Gedruckt sind: Paul Uiblein (Hg.), Acta Facultatis Artium Universitatis Vindobonensis 1385–1416, Graz/Wien/Köln 1968; ders. (Hg.), Die Akten der Theologischen Fakultät der Universität Wien (1396–1508), 2 Bde., Wien 1978; Karl Schrauf (Hg.), Acta Facultatis Medicae Universitätis Vindobonensis, 3 Bde., Wien 1894/1899/1904. 37 Schwinges, Pauperes (wie Anm. 1), S. 293.
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| Daß sich Gebührenwesen und Zahlungsverhalten von Universität zu Universität und Jahrgang zu Jahrgang ändern konnten, braucht nicht eigens betont zu werden. Zahlenmäßig an erster Stelle – ausgenommen in eindeutig wirtschaftlich bedingten Krisenzeiten – standen immer jene, die die Immatrikulationstaxe in der vollen geforderten Höhe der Universität, dem Rektor und den Pedellen anteilig entrichtet haben. Diese ‘Sollzahler’ trugen nicht nur in sozialer, sondern weitgehend auch in finanzieller Hinsicht die Universität und ihre ‘Verwaltung’, die zu einem bedeutenden Teil auf die Erträge gerade aus den Gebührenzahlungen angewiesen war. Für Wien gilt dies in ganz besonderer Weise38. Neben den ‘Sollzahlern’ bemerkt man die ‘Teilzahler’: Universitätsbesucher, die die volle Taxe zum Zeitpunkt der Einschreibung nicht zahlen konnten, die von vornherein weniger zahlten oder denen die Rektoren die Gebühren bis zu einem bestimmten Termin stundeten. Manche Universitäten haben im Laufe des 15. Jahrhunderts regelrechte Teilzahlungssysteme erfunden – freilich nicht etwa aus sozialem Entgegenkommen, sondern in der Absicht, die finanziellen Ansprüche der Universität soweit wie möglich durchzusetzen39. Adelige und höhere Geistliche waren dagegen verpflichtet, über die normale Taxe hinaus ein ‘Übersoll’ zu entrichten, das nach dem jeweiligen Rang des Betreffenden gestaffelt war. Der Begriff ‘Übersoll’ sei hier – nicht zuletzt als ein soziales Kriterium – zur Unterscheidung vom ‘Soll’ verwendet, obgleich es sich ebenfalls um eine Pflichtzahlung handelte. Ein ‘Übersoll’ konnten auch besser gestellte ‘bürgerliche’ Studenten zahlen, die in Wien sogenannten tenentes statum nobilium, die es dem Adel gleichtun und die gleichen Privilegien herrschaftlichen Lebens in der Universität beanspruchen wollten. Höhere Gebühren über die Sollgebühr hinaus, die gleichzeitig wegen der Mehrheitsverhältnisse in der Hochschule
38 Vgl. Rudolf Kink, Geschichte der kaiserlichen Universität zu Wien I, Wien 1854, S. 137f.; Karl Schrauf, Die Wiener Universität im Mittelalter, in: Alterthumsverein der Stadt Wien (Hg.), Geschichte der Stadt Wien, Wien 1904, Bd. 2, S. 980 (auch separat Wien 1904, S. 20); beide zeigen, daß die Einkünfte aus der landesfürstlichen Maut stammten und nicht sehr hoch waren. Immatrikulationstaxen, Hörergeld und Prüfungsgebühren gehörten damit zu den Haupteinnahmequellen; vgl. auch Gall, Einleitung zur Matrikel Wien (wie Anm. 17), Bd. 1, S. XXff. 39 Vgl. Schwinges, Pauperes (wie Anm. 1), S. 292. Besonders gut zu bemerken am Beispiel der Universitäten Erfurt und Leipzig: Acten der Erfurter Universität (wie Anm. 9); Georg Erler (Hg.), Die Matrikel der Universität Leipzig, Bd. 1, Leipzig 1895.
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die übliche Taxe der Artisten war, verlangte die Universität auch von den Promovierten fremder Hochschulen sowie von den Studenten der Medizin, der Theologie und der Rechte40. | Aus den verschiedensten 336 Gründen waren manche Universitätsbesucher von jeder Zahlung befreit, oft aus Gründen der Patronage oder der Mediation, aber auch aus institutionellen Gründen wie in Wien zum Beispiel, aber längst nicht an allen Universitäten, die Bettelmönche41. Am Ende dieser Aufzählung sind die pauperes zu nennen, eine in sich stark differenzierte Gruppe, wenn nicht eher bloß eine soziale Kategorie. Finanziell gesehen reichte das Spektrum der Armut in der Sprache der Quellen von semipauperes zu omnino pauperes, sozial gesehen vom (Nieder-) Adeligen über den Kleriker zum Landarbeiter, vom besser gestellten famulus und servitor vermögender und einflußreicher Personen zum mittel- und vor allem beziehungslosen ‘armen Schlucker’42. Diese Zahlungskriterien, die unter gewissen, nicht selten konjunkturellen Bedingungen auch Statuskriterien sein können, gilt es nun mit den Reisegruppen in Verbindung zu bringen. Unter den Besuchern der Universitäten Leipzig und Ingolstadt, einer älteren, nordöstlichen und einer jüngeren, südlichen Hochschule im 15. Jahrhundert, haben sich die folgenden Zusammenhänge schon einmal nachweisen lassen43: 46,1% der Gruppenreisenden, aber nur 35,1% der Einzelreisenden zahlten der Universität zu Leipzig die Immatrikulationsgebühren in voller Höhe. 48,6% der Gruppenreisenden, aber 53,4% der Einzelreisenden entrichteten dagegen die erforderlichen Gebühren nur zum Teil. Schließlich waren 4,4% der Gruppenreisenden, aber 10,5% der Alleinreisenden pauperes. Noch deutlicher zeigten sich diese Relationen an der bayerischen Landesuniversität, die im ausgehenden 15. Jahrhundert neben Erfurt wohl die vornehmste deutsche Universität war, die auch vom Adel vorzugsweise frequentiert und oft zum Ausgangspunkt der beliebten italienischen ‘Bildungsgruppenreisen’ gemacht wurde44. Alleinreisende waren hier zu zwei Drittel, Mitglieder von Reisegruppen jedoch mit großem Vorsprung zu mehr als neun Zehntel Soll- und Übersollzahler. Gut jeder vierte Einzelreisende, aber nur jedes Gall, Einleitung zur Matrikel Wien (wie Anm. 17), Bd. 1, S. XXII. Ebd., S. XXI. Anders etwa in Leipzig: Erler, Einleitung (wie Anm. 39), S. LIV. 42 Vgl. Müller (wie Anm. 1), S. 94ff.; Schwinges, Pauperes (wie Anm. 1), S. 292f. 43 Schwinges, Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 50. 44 Vgl. Müller, Universität (wie Anm. 1), S. 70ff. – Zum Genre der Italienreise ein, wenn auch späteres, Beispiel: Hans H. Hoffmann, Eine Reise nach Padua 1585. Drei fränkische Junker „uff der Reiß nach Italiam“, Sigmaringen 1969. 40 41
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sechzehnte Gruppenmitglied zahlte lediglich einen Teil der vorgeschriebenen Gebühren. Pauperes kamen überhaupt nicht in | Gruppen nach Ingolstadt, allein aber immerhin noch zu 3,3%. Dieser Befund an den beiden Universitäten regt dazu an, zwei Hypothesen zu formulieren. Die erste These soll die Gruppen im Vergleich zueinander qualifizieren: Zur Gruppenbildung neigen eher zahlungskräftigere als zahlungsschwächere Universitätsbesucher. Das Phänomen der sozialen Ankunft in Gruppen bewegt sich im Rahmen einer vorgegebenen, ‘trichterförmigen’ sozialen Hierarchie. Die zweite These soll das Verhältnis der Gruppen zur universitären Umwelt bzw. zu den übrigen Besuchern beschreiben: Die Zahlungsmoral in studentischen Kleingruppen liegt relativ höher als die der Einzelpersonen. Isolierter Universitätsbesuch schränkt die finanziellen und sozialen Möglichkeiten stärker ein als Universitätsbesuch in Gruppen. Nun ist freilich die Basis für diese Thesen ziemlich schmal. Vorerst können sie selbst an den beiden Universitäten Leipzig und Ingolstadt nur bezüglich der Immatrikulationsfrequenz des Jahrgangs 1485/86 Gültigkeit beanspruchen. Frequenzen, reine Besucherzahlen in bestimmten Zeitabschnitten, sind nämlich äußerst empfindliche Gradmesser, geradezu Krisenindikatoren nicht nur der universitären, sondern der gesellschaftlichen Lage überhaupt45. Frequenzen sind stets einer Fülle von Einflüssen unterworfen, sie sind abhängig von klimatischen, epidemischen, sozialen, ökonomischen, administrativen und politischmilitärischen Faktoren. Hinzu kommt die Größe des universitären Einzugsgebietes. Je weiter dieses Gebiet gespannt ist, desto eher vervielfachen sich die verschiedenen Einflußfaktoren, die das ständige Oszillieren der Frequenz, nicht selten um mehrere hundert Prozent in kurzen Zeitabständen hervorrufen. Auch die subjektive Handhabung der Immatrikulationen durch die Rektoren, die Meß- und Beobachtungsfehler der Forscher und nicht zuletzt der pure Zufall müssen mitbedacht werden. Die Frequenz dürfte letztlich also bei der sozialen Zusammensetzung und auch bei der Gruppenbildung in der Universitätsbesucherschaft eines jeden Jahrgangs eine kaum zu überschätzende 338 Rolle spielen. | 337
45 Vgl. Eulenburg/Abe (wie Anm. 12); Rainer C. Schwinges, unter Mitarbeit von Gerd Richarz, Immatrikulationsfrequenz und Einzugsbereich der Universität Gießen 1650 bis 1800. Zur Grundlegung einer Sozialgeschichte Gießener Studenten, in: H.-G. Gundel, Peter Moraw und Volker Press (Hg.), Academia Gissensis, Marburg 1982.
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Tabelle 3: Gebührenzahlung bei Einzel- und Gruppenimmatrikulation an der Universität Wien. K.A. N %
Pauper N %
Teilzahlg. N %
N
Soll Übersoll % N %
1395 Einzeln Gruppe Einzeln Gruppe Einzeln Gruppe Einzeln Gruppe Einzeln Gruppe
1405 1415∗ 1425 1435
Σ N = 160
1 0,8 27 20,6 – – 13 44,8 – –
– –
5 20,0 1 16,7
16 12,2 3 10,4 1 –
4,0 –
83 63,4 7 24,1
4 3,0 6 20,7
17 68,0 2 33,3
2 8,0 3 50,0
1 0,3 94 30,1 – – 23 28,0
43 13,7 156 49,8 19 6,1 5 6,1 41 50,0 8 9,8
9 3,7 105 42,7 2 4,0 27 52,9
38 15,4 4 7,8
1 0,4 92 36,9 – – 17 32,1
47 18,9 104 41,8 9 17,0 27 50,9
82 33,3 12 4,9 14 27,5 4 7,8 5 2,0 – –
131 29 N = 31 25 6 N = 395 313 82 N = 287 246 51 N = 302 249 53
* Befreite (Bettelmönche) N = 5; 6,1%, sind nur in diesem Jahr festzustellen.
Überprüfen wir die beiden Thesen am Wiener Material der Stichprobenjahrgänge 1395–1435, das wir in Tabelle 3 so konzentriert haben, daß Einzel- und Gruppenreisende in ihrem jeweils unterschiedlichen Zahlungsverhalten dargestellt werden, so wird man sogleich bemerken, daß die Hypothesen nicht für alle Jahrgänge zu verifizieren sind, ebensowenig freilich wie deren bloße Umkehrung. Unterstellen wir einmal, daß auch in Wien sowie in Ingolstadt und Leipzig die zahlungsschwächeren ‘normalerweise’ weniger zur Gruppenbildung neigten als die zahlungskräftigeren Personen, so müßten sich die Beobachtungen in den Jahrgängen 1395 und 1425 als Abweichungen von dieser Norm erweisen lassen. Man könnte diese Beziehungen auch umkehren und von der ‘Gruppen-Normalität’ der Zahlungsschwachen ausgehen, so daß die davon abweichenden Erscheinungen der Jahre 1405 und 1415, wenn auch hier kaum signifikant, | sowie des Jahres 1435 zu erklären 339 wären. In zweierlei Hinsicht halten jedoch unsere Thesen der Nachprüfung stand. Zum einen zeigt sich, daß die sozial schwächer einzustufenden Teilzahler durch alle Jahrgänge hindurch verhältnismäßig eher dazu tendierten, allein nach Wien zu kommen als in Gruppen, also beim Universitätsbesuch isolierter geblieben sind. Zum anderen
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wird deutlich, daß die Übersollzahler ebenso kontinuierlich stärker und überlegen unter den Gruppenmitgliedern repräsentiert waren als unter den Einzelstehenden – mit Ausnahme des Jahres 1435, in dem sich aber überhaupt nur 1,6% der Universitätsbesucher als Übersollzahler intitulieren ließen. Hinter diesen bessergestellten Gruppenreisenden verbergen sich neben den uns bekannten Herren mit ihren Dienern und Begleitern vor allem die Studenten der prestigeträchtigen höheren Fakultäten, die aus welchen Gründen auch immer imstande waren, die soziale Barriere zwischen dem ‘Raum der Vielen’ und dem ‘Raum der Wenigen’ in der Universität zu überwinden, und mit der sozialen Ankunft gleichsam ein adeliges Verhaltensmuster übernahmen. So reduziert sich die Problematik der Thesen weitgehend auf die Sollzahler und die pauperes. Nun ist das Verhältnis zwischen diesen beiden Schichten in der Universität immer sehr fließend gewesen. Eine feste Grenze läßt sich nicht ziehen. Zwar nahm man noch in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts allgemein an, daß die Jahreseinkünfte eines Armen, wenn er als solcher anerkannt werden wollte, 12 fl. rh. nicht übersteigen durften; doch eine sichere Bemessungsgrundlage gab es nicht. Ob jemand als pauper immatrikuliert wurde, hing vielmehr weitgehend von der subjektiven Beurteilung der äußeren Erscheinung und der Aussagen des Betreffenden durch die Rektoren ab. Erst zur Mitte des 15. Jahrhunderts hin, als man Taxatorenkommissionen einsetzte, wurde die Armutsprüfung strenger gehandhabt46. Trotz aller Subjektivität darf jedoch das konjunkturelle Problem der studentischen Armut – durchaus in Analogie zur Armut anderer Sozialgruppen – nicht übersehen werden. Es ist ein Problem zwischen der ständigen und augenblicklichen Mittellosigkeit. 340 | Unter dem Druck steigender Lebenshaltungskosten mußten sich sicher viele in fremder Umgebung als Arme betrachten, die zu anderen Zeiten ihr Auskommen gehabt hätten. So gesehen enthält der universitäre Armutsbegriff eine im Einzelfall kaum zu behebende Unschärfe47.
Schwinges, Pauperes (wie Anm. 1), S. 294 mit Anm. 27; Paquet (wie folg. Anm.), S. 328ff. 47 Vgl. Paquet (wie Anm. 1), und ders., Recherches sur l’universitaire „pauvre“ au moyen âge, in: Revue Belge de Philologie et d’Histoire 56 (1978), S. 301–353, mit dem breitangelegten Versuch, dem Phänomen pauper durch Studium der universitären Statuten- und Urkundenbücher näherzukommen. Die genannte Unschärfe kann sich allerdings in der statistischen Konzentration der Fälle soweit ‘verlieren’, daß ein 46
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Man könnte sich nun zwei Blöcke vorstellen: im einen befänden sich die wirklich Armen, im anderen die Sollzahler – divites in manchen Universitäten prägnant genannt –, die stets die vorgeschriebenen Gebühren auch in Krisenzeiten ohne jede Komplikation entrichten. Zwischen beiden Blöcken würde sich eine mehr oder weniger große Zahl von ‘Konjunkturpendlern’ bewegen, die je nach der Bewegungsrichtung der Konjunkturphasen potentielle Arme oder potentielle Sollzahler sein könnten. Dieses ‘freie Potential’, das insbesondere von ökonomischen Bedingungen bzw. im weiteren Sinne vom Bündel der Frequenzfaktoren im allgemeinen abhängig ist, könnte nun die Bildung von Reisegruppen sowohl im positiven als auch im negativen Sinn sehr stark beeinflussen. Daß dies durchaus im Bereich des Möglichen liegt, zeigt sich zum einen schon daran, daß die prozentualen Anteile der einzeln reisenden pauperes und Sollzahler an der Wiener Universitätsbesucherschaft der Jahre 1395–1435 einander vollkommen konträr gegenübergestanden haben (d.h. wenige pauperes entsprachen vielen Sollzahlern und umgekehrt; vgl. Tabelle 3), die Anteile der jeweiligen Reisegruppen dies aber keineswegs über den ganzen Zeitraum nachvollzogen. Die genannte Möglichkeit ergibt sich zum anderen auch, wenn man die Abweichungen vom Mittelwert der jährlichen Frequenzanteile der pauperes und der Sollzahler jeweils als Einzel- und Gruppenreisende miteinander vergleicht (Streuungsmaß s in %): Pauperes E: s = 10,0; Sollzahler E: s = 14,5; Pauperes G: s = 14,2; Sollzahler G: s = 37,2.
Deutlich ist dabei zu erkennen, daß sowohl einzeln reisende pauperes als auch einzeln reisende Sollzahler im Untersuchungszeitraum einer viel geringeren Variabilität unterworfen gewesen | sind als die Reisegrup- 341 pen beider Schichten. Man sieht aber auch, daß die Sollzahler gerade als Gruppenangehörige in ganz besonderer Weise den wechselnden Bedingungen des Hochschulbesuchs ausgesetzt waren. Die Gruppen aus der ‘mittleren Trägerschicht der Universität’ wiesen eine bei weitem höhere Instabilität auf als die Armen. ‘Gute Zeiten’ vermehren, ‘schlechte Zeiten’ vermindern offenbar die Bildung von Reisegruppen, doch so, daß sich in schlechten Zeiten die Armen verstärkt zu Gruppen
eigenständiges, wohlbegründbares Verhalten der Universitätsarmen in der Distanz zur Mitte, d.h. zu den Sollzahlern, sichtbar wird; vgl. Schwinges, Pauperes (wie Anm. 1).
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zusammenfinden, in besseren Zeiten möglicherweise die Zahlenden; ob dies dann die gleichen Leute sind, wird freilich kaum zu beweisen sein. Immerhin werden wir mit dem genannten ‘freien Potential’ zu rechnen haben. Um diese Überlegungen zu stützen, genügt ein Blick auf die Wiener Immatrikulationsfrequenz im ausgehenden 14. und im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts. Die ersten 20 Jahre nach der Wiederbelebung der rudolfinischen Gründung von 1365 durch Herzog Albrecht III. im Jahre 1384 sind eigentlich durch ein Dahinsiechen gekennzeichnet48. Die Anzahl der Einschreibungen nahm sogar, von gelegentlichem ‘Aufbäumen’ unterbrochen, ständig ab. Der Tiefpunkt dieser Entwicklung liegt in unserem Stichprobenjahrgang 1405. Erst im folgenden Jahrzehnt stieg der jährliche Universitätsbesuch auf ein insgesamt höheres Niveau. Im Untersuchungszeitraum sind also zwei verschiedene Frequenzphasen festzustellen. Die Gründe dafür lassen sich an diesem Ort nur summarisch anführen. Eine wichtige Rolle spielten politisch-administrative Gründe. In dieser wie auch in finanzieller Hinsicht – das Grundkapital entstammte der landesherrlichen Maut – war die Universität Wien stets in hohem Maße vom Landesfürsten bzw. seinem Hof abhängig49. So sehr die Beziehungen zwischen dem Herrn und der Universität diese intern stützten, vor allem auch in den Auseinandersetzungen mit der adligen und bürgerlichen Umwelt, so sehr belasteten sie dann aber den Universitätsbesuch unter den wechselvollen Bedingungen der habsburgischen Brüderherrschaft nach dem Tode Albrechts III. im Jahre 1395. Einander widerstreitende Interessen, Fehden und kurze Regierungszeiten schufen 342 unsichere politische | Verhältnisse, die den Besuch Wiens offenbar stark behinderten, zumal Studierwillige aus dem süddeutschen Haupteinzugsgebiet der Wiener Universität neben Prag auch nach Heidelberg, Köln oder Erfurt ausweichen konnten. Erst seit dem Regierungsantritt
48 Vgl. Kink (wie Anm. 38), S. 135ff.; Schrauf (wie Anm. 38), S. 982, redet unkritisch von einer “kräftig aufblühenden Universität”. – Zum historischen Hintergrund u.a. Erich Zöllner, Geschichte Österreichs, München 51974, S. 136–145; Karl Gutkas, Geschichte des Landes Niederösterreich, St. Pölten 31973, S. 101–112; ausführlich Max Vancsa, Geschichte Nieder- und Oberösterreichs, Bd. 2, Stuttgart/Gotha 1927 (Ndr. Wien 1966), S. 164–284. 49 Zusammenfassend Paul Uiblein, Die österreichischen Landesfürsten und die Wiener Universität im Mittelalter, in: MIÖG 72 (1964), S. 382–408. Auch Joseph Aschbach, Geschichte der Wiener Universität im ersten Jahrhunderte ihres Bestehens, Wien 1865, S. 175–205.
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Albrechts V. im Jahre 1411, des späteren deutschen Königs Albrecht II., stabilisierte sich die politische Lage und mit ihr der seit 1407 wieder steigende Universitätsbesuch in der zweiten Frequenzphase. Militärische Auseinandersetzungen im Reich zählen ebenfalls zu den Gründen, die zur anfänglichen Dämpfung der Frequenz beigetragen haben. Es sei hier nur an den verheerenden süddeutschen Städtekrieg von 1388 erinnert, der wiederum das Haupteinzugsgebiet der Universität bzw. ihrer rheinischen Nation betraf. Als er im Reichslandfrieden von Eger 1389 beigelegt wurde, bescherte dies der Wiener Universität einen in dieser ersten Phase völlig untypischen und daher auch einmaligen Besucherschub. Obwohl es manchmal gerne angeführt wird, haben die ‘hochberühmten Universitätslehrer’ wie zum Beispiel Heinrich von Oyta und Heinrich von Langenstein mit Sicherheit nicht für einen nennenswerten Aufschwung der Frequenz (abgesehen von der ‘Eröffnungsklientel’ des Jahres 1385) sorgen können50. Wie sollten sie als gelehrte Theologen auch eine Masse von Scholaren, sogenannten Studenten, anziehen, die zunächst einmal in den Bursen der artistischen Fakultät Latein zu lernen hatten! Dagegen ist es ein weiterer wichtiger, diesmal organisatorischer Faktor, daß die mittelalterliche Groß- und Residenzstadt Wien gerade diesen Universitätsbesuchern anfangs keinen Wohnraum in ausreichendem Maße bieten konnte. Die Pläne Herzog Rudolfs IV., eine Art quartier latin zu schaffen, hatten sich vor allem am Widerstand der Wiener Bürger zerschlagen. Rudolfs diesbezügliche Bestimmungen waren im neuen Stiftungsbrief Albrechts III. nicht mehr enthalten. Noch um die Jahrhundertwende klagte man in der Artistenfakultät über fehlende Häuser und dazu über die mangelnde | Unterstützung durch die Theologen 343 und Juristen51. Auch diese Situation besserte sich erst in der zweiten Frequenzphase unseres Untersuchungszeitraumes. Der wichtigste Faktor der unterschiedlichen Frequenzentwicklung in Wien war freilich wie überhaupt in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Universitäten der ökonomische52. Das ausgehende 14. und Ausgenommen ist dabei die sozialgeschichtliche ‘folklore’, daß Verwandte und Freunde aus der Herkunftsregion nachgezogen werden; vgl. etwa E. Schröder, Heinrich von Langenstein und die Hessen an der alten Wiener Universität, in: Hessenland 47 (1936), S. 144–147. 51 Kink (wie Anm. 38), S. 137 mit Anm. 154; Acta fac. art. I (wie Anm. 36), S. 171ff., 180 (1400 Jänner 27). Vgl. auch Schrauf (wie Anm. 38), S. 993ff. 52 Ausführlich begründet bei Schwinges, Immatrikulationsfrequenz (wie Anm. 45). 50
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beginnende 15. Jahrhundert hatte Österreich auch infolge heftiger Wetterschwankungen eine Reihe von Mißernten und eine Verknappung der Nahrungsmittel gebracht, die von teilweise extremen Teuerungen begleitet wurden. Der Wiener Hochschulbesuch, der um das Jahr 1400 – angeregt wahrscheinlich durch die Absetzung Wenzels als deutscher König – auf Kosten Prags einigen Auftrieb bekommen hatte, sackte infolge der wirtschaftlichen Depressionen in den Jahren 1402 bis 1406 sogleich auf die niedrigste Immatrikulationsquote seit der Wiedereröffnung herab53. Mit dem Höhepunkt dieser Teuerungswelle fiel der Tiefstpunkt der Frequenz zusammen. Im Jahrgang 1405/06 ließen sich nur 31 Personen intitulieren. Der Aufschwung, der danach relativ kontinuierlich einsetzte und sicher auch durch die Prager Ereignisse von 1409 beschleunigt wurde, vollzog sich nun vor gegenteiligem ökonomischem Hintergrund. In den zeitgenössischen Quellen ist von habundantia die Rede54. Die deflationären Tendenzen gingen soweit, daß die Universität vielleicht deswegen im Jahre 1413 die normale Immatrikulationsgebühr für Sollzahler gleich um 100% von zwei auf vier böhmische Groschen erhöhte. Im Stift Klosterneuburg bei Wien zum Beispiel verzeichnete man in diesem Jahr den niedrigsten Weizenpreis seit circa 50 Jahren, während die Wiener Rektoren den bis dahin stärksten Besucherandrang notierten55. In den zwanziger und beginnenden dreißiger Jahren hatten Universität und Besucherschaft wiederum enorme Teuerungen zu verkraften; insbesondere um die Mitte der zwanziger Jahre drückten steigende (Getreide-) Preise die Frequenz herab, wenngleich sie nicht mehr auf das Niveau der ersten Phase zurücksank. Ähnliche reziproke Relationen zwischen 344 Preisniveau und Frequenzniveau wiederholten sich zu Beginn | der dreißiger Jahre (Besuchertiefstand 1433)56. Dann jedoch stieg der Universitätsbesuch im Jahre 1438, dem Jahr des Königtums Albrechts V.,
53 Vgl. Alfred F. Pribram, Materialien zur Geschichte der Preise und Löhne in Österreich, Wien 1938, S. 447f. Zu den entsprechenden Jahren etwa: G. H. Pertz (Hg.), Annales Claustroneoburgenses, Continuatio V; Annales Mellicenses; Kalendarium Zwetlense, alle: MGH SS 9, Hannover 1851 (Ndr. 1925); Hartmann J. Zeibig (Hg.), Monumenta Claustroneoburgensia I: Die kleine Klosterburger Chronik 1322–1428, in: Archiv f. Österr. Geschichte 7 (1851), S. 231–252; Joseph Seemüller (Hg.), Wiener Annalen, in: Dt. Chron. 6 (1909), S. 231ff. – Vgl. überblicksartig Ernst Englisch und Gerhard Jaritz, Das tägliche Leben im spätmittelalterlichen Niederösterreich (Wissenschaftliche Schriftenreihe NO 19/20/21), St. Pölten/Wien 1976, S. 6ff. 54 Z.B.: Kalendarium Zwetlense (wie Anm. 53), S. 697 zum Jahr 1408. 55 Vgl. Pribram (wie Anm. 53). 56 Ebd.
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steil auf die bis dahin unbekannte Spitze von über 500 Inskriptionen, um sofort freilich in seinem Todesjahr 1439 wieder abzusinken. Erst nach einer gewissen Karenzzeit während der Anfänge Friedrichs III. scheint sich die Lage so beruhigt zu haben, daß – frequentiell betrachtet – die Universität unter seiner langen Regierung ihren eigentlichen Aufschwung nahm57. Diese wenigen Bemerkungen mögen genügen, um zu zeigen, wie empfindlich auch in Wien der Universitätsbesuch auf das Bündel der Umweltfaktoren reagiert hat. Man sieht, daß unsere Stichprobenjahrgänge an den historisch ‘richtigen’, entscheidenden Stellen lagen, im Umfeld oder gar im Zentrum wichtiger Konditionen des politisch-sozialen Lebens, als dessen Teil sie die Universität stets lebhaft betrafen. Betrachten wir – um die Reaktion auf Umweltfaktoren wenigstens fallweise zu testen – die Anteile der pauperes in den einzelnen Stichprobenjahrgängen, so fällt sogleich der hohe Prozentsatz zwischen etwa 20 und 44 v. H. auf. Die Universität Wien gehörte im 15. Jahrhundert nicht nur zu den größten Universitäten des Reich, sondern auch zu den von den Armen am stärksten aufgesuchten Hochschulen. Ähnliches gilt für die beiden anderen großen Universitäten Köln und Leipzig, doch so, daß diese drei allein 71% der armen Universitätsbesucher des 15. Jahrhunderts in ihren Matrikeln verzeichnet haben58. Die Armen suchten offensichtlich am liebsten die großen Universitäten in den großen und bequem zu erreichenden, politisch einflußreichen und wirtschaftlich bedeutenden Städten auf. In Wien war im Durchschnitt des Jahrhunderts (mit dem Schwergewicht freilich in der ersten Hälfte) mindestens jeder vierte Universitätsbesucher ein pauper. Eine derart hohe Zahl mußte sich in allen Belangen der universitären Gemeinschaft, eben auch in den Reisegruppen, niederschlagen. | In den Jahren 1395 und 1425, in denen eine stärkere Beteiligung 345 der pauperes an Gruppen zu konstatieren war (Tabelle 3) als nach den an Leipzig und Ingolstadt entwickelten Thesen ‘zulässig’, dürfte der Umweltdruck einen gewissen Pauperisierungseffekt auch unter den Gruppenreisenden eingeleitet haben. Neben dem ökonomischen Faktor könnten 1395 indessen zwei weitere Faktoren mitausschlaggebend gewesen sein, die sich aber nicht unbedingt ergänzen müssen: zum 57 Zusammenfassend Paul Uiblein, Die Wiener Universität, ihre Magister und Studenten zur Zeit Regiomontans, in: Sb. d. Österr. Akad. d. Wiss., phil.-hist. Klasse, Bd. 364, Wien 1980, S. 395–432. 58 Schwinges, Pauperes (wie Anm. 1), S. 299.
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einen der soziale Umstand, daß sich in dieser Frühzeit der Wiener Universität verhältnismäßig viele Herren (‘klingende Namen’, die später ausblieben)59 bzw. Übersollzahler (20,7%) immatrikulierten, die Arme als Diener bereits mitbrachten oder auf dem ‘Markt’ der Universität anwarben; zum anderen der politisch-psychologische Faktor des Todes Herzog Albrechts III. mitten im Studienjahr, am 29. August 1395, der in der folgenden, vorübergehend unsicheren Phase vielleicht manchen zahlenden Universitätsbesucher zurückhielt und auf diese Weise den Anteil der pauperes größer erscheinen ließ. Dagegen ist im Jahre 1425 die außerordentlich hohe Immatrikulationsrate der pauperes von 44,4%, der gruppenreisenden pauperes sogar von 52,9% (Tabelle 3), bei gleichzeitig sinkender Allgemeinfrequenz eindeutig auf das hohe Preisniveau in der Mitte der zwanziger Jahre des 15. Jahrhunderts zurückzuführen60. Tatsächlich wurden also die Armen in ‘schlechten Zeiten’ zu verstärkter Gruppenbildung gezwungen. Dies läßt sich auch anhand der klimatischen Verhältnisse, die im Grunde von den (agrar-)wirtschaftlichen nicht zu trennen sind, belegen. Es mag hier freilich genügen, auf die unterschiedliche Verteilung der Universitätsbesucher im Sommer- und Wintersemester hinzuweisen. Die Wiener Universität war eine ausgesprochene Sommeruniversität, was keineswegs unter deutschen Hochschulen der Regelfall gewesen ist: Heidelberg zum Beispiel wurde während des 15. Jahrhunderts in fast gleicher Relation eher im Winter aufgesucht. Die sommerliche Präferenz von Wien galt im allgemeinen auch für die pauperes, obgleich diese den ‘Wettereinflüssen’ sonst weniger erlagen als die mittleren Schichten der 346 Universitätsbesucher61. | Im Vergleich zu den Einzelreisenden waren jedoch die Armen- und die Sollzahlergruppen auch im Wintersemester, was den Bindungserfolg der kleinen Gruppen unterstreicht, verhältnismäßig häufiger vertreten. Das Wintersemester des Krisenjahrgangs 1425/26 war bezeichnenderweise freilich eine Domäne der Armen. An den Gruppenimmatrikulationen dieser Zeitspanne waren sie zu drei Viertel beteiligt.
59 Vgl. Heinrich Koller, Stadt und Universität im Spätmittelalter, in: Erich Maschke und Jürgen Sydow, Stadt und Universität im Mittelalter und in der früheren Neuzeit, Sigmaringen 1977, S. 9–26, 20. 60 Vgl. Pribram, Materialien (wie Anm. 53). 61 Schwinges, Pauperes (wie Anm. 1), S. 298f.; ders., Universität und Gesellschaft (wie Anm. 10).
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Es dürfte nun aufschlußreich sein, die Reaktion aller Kleingruppen auf die veränderlichen Bedingungen des Hochschulbesuchs auch hinsichtlich der Gruppenstärke und der Zusammensetzung der einzelnen Gruppen zu untersuchen. Werfen wir noch einmal einen Blick zurück auf Tabelle 2, in der die Gruppenimmatrikulation nach der Gruppenstärke differenziert dargestellt ist, so fällt in den Jahrgängen 1405 und 1425 im Gegensatz zu den drei übrigen Jahrgängen unseres Untersuchungszeitraumes eine jeweils beträchtliche Abweichung der jährlichen Rate von der Gesamtrate der Paarimmatrikulationen auf. Ungeachtet des besonders schweren Krisenjahres 1405, das hier mangels Frequenz auch bei den Gruppen aus der weiteren Betrachtung ausscheiden muß, sank im Jahrgang 1425 die Paarimmatrikulation auf knapp 63% herab – sehr zugunsten allerdings eines verstärkten Auftretens von Mehrpersonengruppen. Daß solches in einem Teuerungsjahr kaum zufällig gewesen ist, zeigt deutlich Tabelle 4, in der Gruppenstärke und Zahlungsverhalten der Gruppenmitglieder miteinander in Beziehung gebracht worden sind. Anhand der Tabelle lassen sich zwei Thesen formulieren. Erstens: Wenn auch die Paargruppen dominierend bleiben, so neigen doch pauperes eher dazu, sich zu größeren Gruppen zusammenzufinden als die Sollzahler, Teilzahler und Übersollzahler. Zweitens: In Krisenzeiten (wie 1425) steigt der Anteil der pauperes an den größeren Gruppen sprunghaft an. Zahlungsschwache Besucher rükken näher aneinander. Ob man nach den Beobachtungen im Jahrgang 1415 umgekehrt vermuten darf, in besseren Zeiten bildeten gerade die zahlenden Scholaren Mehrpersonengruppen, sei vorerst einmal nur als Einzelbeobachtung festgehalten. Hier sind noch weitere Analysen 347 abzuwarten. | Nun haben wir in Tabelle 5 versucht, neben der Gruppenstärke und dem Zahlungsverhalten eine dritte Variable ins Spiel zu bringen: die persönliche Zusammensetzung der einzelnen Reisegruppen nach Zahlungskriterien. Noch einmal bemerkt man – jetzt auch optisch –, daß es vor allem die Armen sind, die sich im Untersuchungszeitraum zu Mehrfachgruppen konzentrieren. Darüber hinaus aber wird deutlich, daß es unter den Universitätsbesuchern gewisse soziometrische Effekte gegeben haben muß, die – abgesehen von klaren Dienstverhältnissen – zu einer relativ großen Abneigung gegen das gemeinsame Reisen von ‘Arm’ und ‘Reich’ führten. Zahlende und Nichtzahlende, gleichgültig ob in Paaroder Mehrpersonengruppen, reisten offensichtlich am liebsten jeweils mit ihresgleichen. Reine Gruppen, d.h. die nach Zahlungskriterien gleichartig zusammengesetzten, überwogen die gemischten Gruppen
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Tabelle 4: Gebührenzahlung und Gruppenstärke an der Universität Wien (in Prozent der Gruppenmitglieder). K.A. Pauper Teil- Soll- Übersollzahler zahler zahler 1395 1405 1415 1425 1435
Σ N = 221
2er-Gruppe 3–5er-Gruppe
– –
31,0 13,8
10,4 –
24,1 –
10,4 10,3
75,9 24,1
2er-Gruppe 3–5er-Gruppe
– –
16,7 –
– –
33,3 –
50,0 –
100 –
2er-Gruppe – 3–5er-Gruppe 6,1∗
23,2 3,7
2,3 3,6
39,1 12,2
8,5 1,2
73,2 26,8
2er-Gruppe 3–5er-Gruppe
3,9 –
29,4 23,5
3,9 3,9
21,7 5,9
3,9 3,9
62,8 37,2
2er-Gruppe 3–5er-Gruppe
– –
18,9 13,2
11,3 5,7
45,3 5,6
– –
75,5 24,5
29 6 82 51 53
* 5 Mönche befreit
überaus eindeutig mit 67%. Dieses ‘Unter-Sich-Bleiben’ dürfte für 348 die Sozialgeschichte, | sicher nicht nur der Universitäten, von großer Tragweite sein. Lediglich die Teilzahler scherten aus dieser polarisierenden Situation aus. Sie waren mit insgesamt 13,6% gegenüber 3,6% in gemischten Gruppen zusammen mit pauperes, Soll- oder Übersollzahlern stärker vertreten als in reinen Teilzahlergruppen. Damit scheint erwiesen zu sein, daß Teilzahler einerseits vielleicht als ‘Konjunkturpendler’, andererseits vielleicht aber auch als Dienstleistende keinen eigenen Ort in der Universität gehabt haben. | Endlich zeigt Tabelle 5, daß zumindest eine der Hypothesen, die wir 349 am Beispiel des Leipziger und Ingolstädter Jahrgangs 1485 entwickelt haben, auch im Wiener Untersuchungszeitraum 1395 bis 1435 ceteris paribus bestätigt wird: Zahlungsstärkere Universitätsbesucher schließen sich insgesamt gesehen doch eher – aber in der Form des ‘pairing’ – zu Reisegruppen zusammen als die zahlungsschwächeren. Reine Sollzahlergruppen liegen mit 29,4 zu 25,8% bereits vor den reinen Pauperesgruppen. Summieren wir die Anteile der Soll- und Übersollzahler, was wir, da es sich um Pflichtzahler handelt, durchaus tun dürfen und im Falle Leipzigs und Ingolstadts auch getan haben, so erhöht sich die Überlegenheit der Zahlenden auf 38,4%. Unsere Thesen dürften damit
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Tabelle 5: Gebührenzahlung, Stärke und Zusammensetzung der Gruppen an der Universität Wien (N = 221; Summen jeweils in Prozent). Pauperes
Teilzahler
Übersollzahler
Sollzahler
Teilzahler
Pauperes
Σ 1395 1405 1415 1425 1435 1395 1405 1415 1425 1435 1395 1405 1415
4, PPPP 25,8 –– 14 12, PPP, PPP, PPPP 6, PPP, PPPP 4 5,9 – 2, TTPPP 2 TTT – 2, TTT 2 12,7 2 – – 8, SSP 2
1425 1435 1395 1405 1415 1425 1435
4, SSP 8 4 2 – – –
– 8 2,7 – – ÜTS 2 –
Sollzahler Σ
Übersollzahler Σ
Σ
3,6
5,4 4 2 26, SSS, SSS 8 16, SSS 2,3 2 – 2 2, ÜÜS –
29,4
4,0 ÜÜÜ 2 6 – –
5,0
Erläuterung: Nicht aufgenommen in die Tabelle wurden die 1415 von der Zahlung befreiten 5 Predigermönche (2,3%) sowie die 1425 ohne Zahlungsangaben immatrikulierten 2 Besucher (0,9%). – Arabische Zahlen geben die Mitgliederzahl der PaarGruppen wieder; die Mehrfach-Gruppen sind durch die Initialen ihrer Zahlungsart gekennzeichnet.
in Wien bis ins erste Drittel des 15. Jahrhunderts als verifiziert gelten – mit der Einschränkung freilich, daß sich die Relationen zwischen den Gruppen je nach Wirksamkeit der verschiedenen Einflußfaktoren auf die Immatrikulationsfrequenz in einzelnen Jahrgängen verschieben, aneinander angleichen oder sogar umkehren können62. Dies gilt auch für das Verhältnis der Gruppen zu den Alleinreisenden.
62 Im Krisenjahr 1425 hatten reine Pauperesgruppen einen Anteil von 43,1% an der Gesamtgruppenimmatrikulation, die reinen Soll- und Übersollzahlergruppen kamen zusammen nur auf 19,6%. In allen anderen Jahrgängen waren die reinen Soll- und Übersollzahlergruppen den reinen Pauperesgruppen überlegen: 1395, knapp mit 31
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Die soziale Ankunft in kleinen Gruppen, die ein konstituierender Beitrag zum Hochschulzugang war und als solcher bei der Immatrikulation von den beteiligten Zeitgenossen festgeschrieben wurde, vollzog sich mehrheitlich in einer scharfen Scheidung zwischen Arm und Reich. Einmal mehr wird damit unterstrichen, wie sehr die Universitätsarmen in sozialer Hinsicht von den übrigen Universitätsbesuchern distanziert waren. Man hat allerdings bemerken können, wie sehr sie auch untereinander reserviert gewesen sein müssen, wenn erst der Druck von Umweltfaktoren Gruppen vermehrte und die Gliedzahl erhöhte. Vermutlich war es das Beste, sich an einen ‘Herrn’ zu binden, wenn man die Distanz oder Randseitigkeit einschränken, überwinden oder gar nicht erst in sie hineingeraten wollte. Der universitäre ‘Markt’ – gesteuert 350 freilich von Klientel- und Patronagesystemen – | bot hierzu einige Möglichkeiten. Servitores und famuli der Adeligen und hohen Geistlichen, der reichen Scholaren und Universitätslehrer rangierten durch den sozialen Kontakt zu ihren Dienstherren sogleich höher als die übrigen Armen63. Vielleicht war es aber vorteilhafter, die Universität von vornherein in einer Kleingruppe zusammen mit einem Herrn zu beziehen. In unserem Wiener Zeitabschnitt sind gemischte Gruppen von pauperes und Sollzahlern mit 12,7% noch recht bemerkenswert vertreten. Es dürfte sich bei diesem Gruppentyp weitgehend um Kleingruppen handeln, deren Mitglieder in einem Dienstverhältnis (vielleicht auch Aufsichtsverhältnis) zueinander gestanden haben: der Herr ist Sollzahler, der Diener ist pauper. In der Matrikel läßt sich diese Vermutung freilich nicht direkt durch eine entsprechende Aussage belegen. Daß sie dennoch richtig sein könnte, mag eine vergleichende Untersuchung der lokalen bzw. regionalen Herkunft der gemischten und der reinen Armengruppen nahelegen. Diese abschließende Herkunftsanalyse, die freilich im großen Stil für alle Gruppenmitglieder auch im Vergleich zu den Einzelreisenden durchgeführt werden müßte, fördert einige sehr bezeichnende Zusammenhänge zutage.
zu 27,6%; 1405 gab es überhaupt keine Pauperesgruppen; 1415 deutlich mit 48,8 zu 17,1%; und 1435, wieder näher aneinanderrückend mit 35,8 zu 24,5%. 63 Schwinges, Pauperes (wie Anm. 1), S. 291, 305f.
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In beiden Gruppentypen dominierte, wie zu erwarten, die größte und immer bedeutendste Teileinheit der Wiener Universität, die rheinische Nation, d.h. der Westen und Südwesten des Reiches, aber in jeweils völlig unterschiedlicher Weise und Gewichtung64. Während in den Herkunftsräumen der reinen Pauperesgruppen eine gewisse lokale Dispersion auffällt, sind die gemischten Gruppen einer konzentrierten und genau klassifizierten Topographie zuzuordnen. Ein großer Teil dieser Gruppen, die fast zu drei Vierteln der rheinischen Nation angehörten, entstammte den süddeutschen Reichsstädten, pauper und Sollzahler immer aus der gleichen Stadt, zum Beispiel aus SchwäbischHall, Giengen an der Brenz, Windsheim in Mittelfranken oder auch aus der verpfändeten Reichsstadt Eger, die in Wien – offenbar die Verfassungswirklichkeit reflektierend – | abwechselnd zur ungarisch- 351 böhmischen oder rheinischen Nation gerechnet wurde. Ein ebenso großer Teil der gemischten Gruppen stammte geschlossen durch alle Nationen hindurch aus Residenz- und Amtsstädten, wie zum Beispiel Dresden, Glatz in Niederschlesien, Würzburg, Straubing, Öttingen oder auch Vaihingen an der Enz, dem württembergischen Obervogteisitz. Bei einer derart konzentrierten Herkunft aus Herrschaftsmittelpunkten, Verwaltungs- und Wirtschaftszentren (zusammen 78%) darf man wohl annehmen, daß die Sollzahler in den gemischten Gruppen die soziale Führung innehatten, doch so, daß sie ihre Begleiter aus dem heimatlichen Vertrauensraum rekrutierten. Auch bei diesen gemischten Gruppen – mehrheitlich Artistengruppen – zeigt sich, wie schon bei den übersollzahlenden Studenten der höheren Fakultäten beobachtet, das adelige Muster des Reisens: ein Herr, ein Diener. Die Frage nach dem Überwiegen des ‘pairing’ dürfte hierin zumindest eine Teilantwort finden. In den reinen Pauperesgruppen stellen sich dagegen die Herkunftsverhältnisse ziemlich uneinheitlich dar. Zunächst bemerkt man schon, daß diese Gruppen zu einem relativ hohen Prozentsatz der ungarischen Nation angehörten65. Die Herkunftsorte lagen in Böhmen und Schlesien, Ungarn, Kroatien und Siebenbürgen. Die wenigen Angehörigen der österreichischen Nation kamen ausschließlich aus dem Herzogtum Krain, aus Laibach, Stein und Krainburg. Die reinen Armengruppen stammten also im Vergleich zu den gemischten 64 Vgl. Schumann (wie Anm. 7), S. 255ff. Auch Rudolf Kink, Mittheilungen aus dem Matrikelbuche der rheinischen Nation bei der Universität in Wien, Wien 1852. 65 Karl Schrauf (Hg.), Die Matrikel der ungarischen Nation an der Wiener Universität 1453–1630, Wien 1902.
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Gruppen in weit höherem Maße (40 zu 14 v. H.) aus dem östlichen und südöstlichen Einzugsgebiet der Wiener Universität. Wenn auch vergleichsweise geringer gewichtet, so war doch der ‘rheinische’ Herkunftsraum der Armengruppen zugleich über den süddeutschen Raum hinaus weiter gespannt. Hier entsprach dem typischen Herkunftsort der pauperes weder die große Stadt noch das Dorf, weder die Reichsnoch die Residenzstadt, sondern die kleine bis mittlere Landstadt unter 2 000 Einwohnern, zum Beispiel: Linz am Rhein, Offenburg, Kreuznach, Coburg, Ochsenfurt, Volkach, Kitzingen, Göppingen, Grassau, Dillingen oder auch Moosburg. Insgesamt gesehen kamen die reinen Armengruppen nur zu 26% (gegenüber 78% bei den gemischten 352 Gruppen) aus Reichs- und Residenzstädten, | darunter Weißenburg, Eger, Liegnitz, Jauer oder Laibach, das erst 1416 zur Stadt erhoben worden war. In der Regel war auch in den Pauperesgruppen ein gleicher Herkunftsort der ausschlaggebende heimatliche Hintergrund. Doch gegenüber der Ausschließlichkeit dieser Tatsache in den gemischten Gruppen fällt die Streuung der Herkunftsorte der Armen besonders in größeren Gruppen auf. Dies mag zu der These führen, daß die Universitätsarmen eher als die Universitätsreichen bereit waren, auch mit Fremden eine Reisegruppe zu bilden. In jedem Fall blieb allerdings die gleiche Region gewahrt, sei es Slowenien oder Siebenbürgen/Burzenland, sei es Unterfranken oder das Gebiet von Linz, Offenburg und Odenheim am Rhein. Aus alledem wird klar, daß man den beiden nach Zahlungsverhalten und vermutlich sozialen Positionen verschiedenen Gruppentypen eine jeweils unterschiedliche Regionalität zuordnen kann. Die räumlichen und lokalen Schwerpunkte der reinen Armengruppen sowie der gemischten Sollzahler-Pauperesgruppen waren im Einzugsgebiet der Wiener Universität zumindest bis ins erste Drittel des 15. Jahrhunderts jeweils anders verteilt; und weiter noch: Der sozialen Hierarchie der beiden Gruppentypen entsprach vor allem die Hierarchie der lokalen Herkunft, eine Feststellung, die möglicherweise auch umkehrbar ist. VI Herbert Grundmanns Vorstellungen von einer recht harmonischen Sozialgemeinschaft der mittelalterlichen Universität dürften wohl auch durch die Ergebnisse der vorliegenden Studie infrage gestellt sein. Schon eine der Arten des Hochschulzugangs, die soziale Ankunft in Gruppen,
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hat zeigen können, daß selbst da, wo Bindungen eingegangen werden, die einzelnen Sozialeinheiten in der Universität doch weitgehend unter sich geblieben sind oder Abhängigkeitsverhältnisse geschaffen haben. Die kleinen Gruppen, gebildet wahrscheinlich aus Gründen der Sicherheit des Reiseweges, präsentiert aber in einem breiten Spektrum von der Not bis zum Prestige, | haben die vorgegebenen Strukturen, die die soziale 353 Welt bereithält, in die Universität hineingetragen. Sie haben sich dabei allerdings wie alle Bindungen im Zeitablauf als veränderliche Größen erwiesen. Gegenüber den Alleinreisenden bliebe noch festzuhalten: So wie es für den armen Studenten im allgemeinen vorteilhafter war, nicht zusammen mit anderen Armen Gruppen zu bilden, sondern den ‘Markt’ der universitären Sozialbeziehungen allein zu beobachten, so war es umgekehrt für einen bestimmten Teil der Sollzahler geradezu eine Standesfrage, in einer Gruppe, d.h. in Begleitung zur Hochschule zu kommen66. Gruppenreisende Sollzahler haben sich nicht zuletzt durch eine höhere Zahlungsmoral (und implizit vielleicht soziale Stellung), auch wenn sie in Wien in Krisenzeiten schwankte, von einzelreisenden Sollzahlern so wie in Leipzig und Ingolstadt distanzieren können. Weiterzufragen wäre nun nach der Stabilität der Gruppen während des Studiums bzw. während des Aufenthaltes am Universitätsort und schließlich auch nach der sozialen Festigkeit der Gruppen auf dem späteren Lebensweg der Gruppenmitglieder. Das alles ist hier freilich nicht mehr auszuführen. Sozialgeschichte der Universität kann jedoch, wie man sieht, schon recht erfolgreich mit der Analyse kleiner und kleinster Zusammenhänge begonnen werden. Zugleich wird damit ein Stück der notwendigen Verknüpfung von Universitätsgeschichte und allgemeiner Sozialgeschichte geleistet. Je mehr wir uns mit den Teileinheiten, dem Netzwerk, mit den Prosopographien und Kleingruppen beschäftigen, desto besser wird letztlich die übergreifende Beziehung ‘Universität und Gesellschaft’ zu verstehen sein.
66 Man kann dies als ‘Herrenverhalten’ interpretieren; vgl. im Allgemeinen auch u.a. Ferdinand Tremel, Wirtschafts- und Sozialgeschichte Österreichs, Wien 1969, S. 93f.
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PFAFFEN UND LAIEN IN DER DEUTSCHEN UNIVERSITÄT DES SPÄTEN MITTELALTERS* Im Mai 1502 beschloss die eidgenössische Tagsatzung in Zürich wegen schmählicher latinischer vers und metra . . ., so ein pfaff zu Basel uns Eidtgenossen zu schand und schmach gemacht hab, eine Gesandtschaft nach Basel zu schicken, um dort über den Übeltäter zu Gericht zu sitzen. Bei diesem sogenannten Pfaffen handelte es sich um einen Studenten der Rechte aus Schwaben, der einem Basler Kommilitonen, der als Schwabenhasser bekannt war, seine Meinung über die Schweizer heimlich in dessen Kollegheft geschrieben hatte: milchsaufende Schurken, faule Kuhmelker, waldgeborene Räuber. Das war zuviel der Schmach. Seit einem Jahr sass der Student im Basler Stadtgefängnis – wider alles Privilegienrecht der Universität. Doch die Rektoren, sonst immer auf Wahrung der Freiheiten bedacht, schienen sich in dieser heiklen Sache nicht sonderlich zu engagieren. Freigelassen musste der Student Urfehde schwören und Stadt und Universität für immer verlassen1. Im Rahmen unseres Themas über ‘Pfaffen und Laien in der Universität des späten Mittelalters’ ist es bemerkenswert, dass die Tagsatzung noch 1502 ohne weiteres vorauszusetzen schien, dass ein Universitätsbesucher zu Basel ein Pfaffe, ein Kleriker sei, so als würden Universitätsbesuch und Zugehörigkeit zum ordo clericalis wie in der Frühzeit der Hohen Schulen noch immer einander bedingen. Hieronimus Emser aus Weidenstetten bei Ulm (1478–1527), der entlarvte Schmähdichter, der später als Humanist und wütender Feind Luthers und der Reformation bekannt geworden ist, studierte seit 1493 in Tübingen und seit 1497 in Basel die freien Künste. Noch im selben Jahr wurde er in Basel zum Baccalaureus und zwei Jahre | später zum Magister artium promoviert, 236
* In: Eckart Conrad Lutz und Ernst Tremp (Hg.), Pfaffen und Laien – ein mittelalterlicher Antagonismus? Freiburger Colloquium 1996, Freiburg/Schweiz: Universitätsverlag 1999, S. 235–249. 1 Vgl. zum Fall Hans Georg Wackernagel, Aus der Frühzeit der Universität Basel, in: ders., Altes Volkstum der Schweiz. Gesammelte Schriften zur historischen Volkskunde (Schriften der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde 38), Basel 1956, S. 87–104, hier: 93ff., Edgar Bonjour, Die Universität Basel von den Anfängen bis zur Gegenwart, 1460–1960, Basel 1960, S. 78.
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um anschliessend juristische Vorlesungen zu besuchen2. Nichts deutet jedoch in den Universitätsakten darauf hin, dass Emser bereits Kleriker gewesen sei. Wohl hätte auch der Bischof es schwerlich dulden können, einen Pfaffen im Stadtgefängnis sitzen und vor ein weltliches Gericht stellen zu lassen3. Erst nach der Ausweisung aus Basel erscheint Emser als Kleriker, unter anderem 1502 im Gefolge des päpstlichen Legaten für den Türkenablass, Kardinals Raimund Peraudi von Gurk, sowie ab 1504 als Magister in Erfurt und Theologiestudent in Leipzig4. Nun war es allerdings um 1500, gewissermassen traditionsgeleitet, noch immer gang und gäbe, sowohl innerhalb wie ausserhalb der Universitäten, Studenten einfach als Pfaffen oder Kleriker zu bezeichnen, sie zumindest in die Nähe von Pfaffen zu rücken oder ihnen eine Zwitterstellung einzuräumen. Von paffe, studente, leye, vrauw off man sprachen so oder ähnlich die Räte vieler deutscher Universitätsstädte während des ganzen 15. Jahrhunderts, wenn sie sich, wie zum Beispiel in Köln in den sogenannten Morgensprachen, an die Gesamtheit der Einwohner zu wenden hatten5. Prozessionspläne der städtischen Geistlichkeit führten gerne alle beteiligten Gruppen auf, wie etwa 1483 in 237 Erfurt: schulere, pristere, studenten, monche, leyen, | juncfrowen unde frowen6. Deutlicher wurde man andernorts: In Rostock und Leipzig, wo man die Pfaffennähe bzw. die Zwischenstellung der Studenten besonders formulierte, sprach man von halfpapen – halben Pfaffen; dabei war es
2 Hans Georg Wackernagel (Hg.), Die Matrikel der Universität Basel, 1460–1529, Basel 1951, Bd. 1, S. 249f. Nr. 1. Matricula facultatis artium (philosophorum), Öffentliche Bibliothek der Universität Basel, AN II q, fol. 233 (241) und fol. 76; Heinrich Hermelink (Hg.), Die Matrikeln der Universität Tübingen 1477–1600, 2 Bde, Stuttgart 1906–1931 (Ndr. Nendeln 1976), hier: Bd. 1, S. 97 Nr. 22. – Zu Emser vgl. Heinrich Grimm, in: NDB 4 (1959), S. 488f.; Heribert Smolinsky, in: LThK 3, (31995), Sp. 637. 3 Wie der Bischof ansonsten verfuhr, zeigt beispielsweise Bonjour, Universität Basel (wie Anm. 1), S. 77. Zu den geistlichen Privilegien Bernd-Ulrich Hergemöller, Klerus, Kleriker, in: LexMA 5 (1991), Sp. 1207–1211. 4 Johann Christian Hermann Weissenborn (Hg.), Acten der Erfurter Universität, (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete VIII, 1–3), Bd. 1–3, Halle 1881–1899 (Ndr. Nendeln 1976), hier: Bd. 2, S. 235a; Georg Erler (Hg.), Die Matrikel der Universität Leipzig 1409–1559 (Codex diplomaticus Saxoniae regiae II, 16–18), Bd. 1–3, Leipzig 1895–1903 (Ndr. Nendeln 1976), hier: Bd. 1, S. 462, Bd. 2, S. 18; Horst Rudolf Abe, Die Universität Erfurt in ihren berühmtesten Persönlichkeiten, Teil I: Mittelalter (1392–1521), in: BGUE 4 (1958), S. 17–138, hier: 58f. 5 Hermann Keussen, Regesten und Auszüge zur Geschichte der Universität Köln 1388–1559 (Mitteilungen aus dem Stadtarchiv Köln 15), Köln 1918, S. 12 Nr. 66. 6 Horst Rudolf Abe, Die mittelalterliche Universität Erfurt im Spiegel der zeitgenössischen Chroniken des Hartung Cammermeister († 1467) und des Conrad Stolle († 1505), in: BGUE 3 (1957), S. 7–18, hier: 12.
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völlig gleichgültig, ob die so Angesprochenen dem geistlichen oder dem weltlichen Stande angehörten7. Auch in der universitären Binnensicht machte man keine Unterschiede. Studierende Laien wurden als solche kaum wahrgenommen. In Wien war das Universitätsviertel als Pfaffenstadt bekannt, und die Gesamtheit der Universitätsangehörigen nannte man schlicht den clerus universitatis8. Aus Sicht der Universität waren Laien eigentlich Nichtstudenten. Solche Ansichten legte das tägliche Universitätsleben natürlich nahe9. Man wusste um die klerusähnlich privilegierte, rechtlich herausgehobene Sondergemeinschaft in der Stadt; fürchtete die geistlichen Gerichte der Privilegienwächter, der sogenannten Konservatoren, sah den Ortsbischof in der Funktion des Universitätskanzlers, man wusste ferner um die soziale Verankerung vieler Universitätsglieder in verschiedensten kirchlichen Instituten in Stadt und Land, man erlebte die vita communis der Magister und Studenten in Bursen und Kollegien, erkannte Universitätsleute an ihrer dunkelfarbenen akademischen Tracht, die sich aus klerikalen Vorbildern entwickelt hatte, und wusste nicht zuletzt auch um die verordnete, mehr oder weniger eingehaltene Distanz zum weiblichen Geschlecht. Gleichwohl war die pauschale Einschätzung, in welcher der klerikale Charakter der Universitätsbesucher in Erinnerung an die Frühzeit als gesichert und zeitstabil betrachtet wurde, im Laufe des 15. Jahrhunderts immer weniger realitätskonform. Die deutschen Universitäten – wie früher oder später | auch ihre Schwestern im 238 übrigen Europa – erlebten im ausgehenden Mittelalter eine Entklerikalisierung, eine quantitative und qualitative Veränderung in der Relation von Pfaffen zu Laien, die den Zeitgenossen vermutlich nicht einmal bewusst war, weil sie längere Zeiträume nicht so vergleichend überblicken konnten wie spätere Historiker. Vielleicht aber lag es auch daran, dass das Thema ‘Pfaffen und Laien’ für die mittelalterliche
7 Paul Kretschmann, Universität Rostock (Mitteldeutsche Hochschulen 3), Köln/ Wien 1969, S. 21; Wilhelm Bruchmüller, Der Leipziger Student 1409–1909 (Aus Natur und Geisteswelt 273), Leipzig 1909, S. 9f.; Friedrich Schulze und Paul Ssymank, Das deutsche Studententum von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, München 41932 (Ndr. Schernfeld 1991), S. 77f. 8 Friedrich Paulsen, Organisation und Lebensordnung der deutschen Universitäten im Mittelalter, in: HZ 45 (1881), S. 385–440, hier: 404f.; Georg Kaufmann, Die Geschichte der deutschen Universitäten, Bd. 1–2, Stuttgart 1888–1896 (Nachdr. Graz 1958), hier: Bd. 2, S. 91. 9 Dazu Rainer C. Schwinges, Der Student in der Universität, in: Walter Rüegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa, Bd. 1, Mittelalter, München 1993, S. 181–223, hier: 187ff., 206ff. und Weiteres in diesem Band.
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Universität gar kein Thema war, zumindest kein antagonistisches, weil sie anders gruppierte oder andere Kategorien für wichtig hielt als die genannten. Ich möchte die folgenden Ausführungen in drei Abschnitte teilen und im ersten über diese andere Gruppierung handeln, im zweiten Abschnitt den Universitätsbesuch von Weltklerikern, insbesondere von Stifts- und Pfarrgeistlichen verfolgen, um drittens hinsichtlich der zunächst nur behaupteten Entklerikalisierung einige Schlüsse zu ziehen. Im Zentrum der Beobachtungen steht die Universität zu Köln in einer bekanntlich reichen, nicht zuletzt kirchlichen Führungslandschaft, in Kenntnis freilich der Verhältnisse in allen anderen deutschen Universitäten10. Die andere Gruppierung oder die gesellschaftlich organisierte Universität Pfaffen und Laien hatten in der Tat in der Universität des späten Mittealters kein problematisches Verhältnis. Laienbildung war hier nie eine Herausforderung. “Religiöse Vorbehalte und soziale Widerstände gegen die Verbreitung von Wissen” – um eine Formulierung von Klaus Schreiner aufzugreifen – gab es hier nicht11. Sie hätten auch dem Selbstverständnis der Universität entgegengestanden, die sich von Anfang an 239 als eine offene | und prinzipiell immer zugängliche Gemeinschaft für jedermann verstanden hat. Die Universität war zwar kirchennah, aber zu keiner Zeit ein Kircheninstitut, sie war vielmehr von Geburt an vor allem im deutschen Reichsgebiet herrschaftlich überformt und dem politischen Willen des Landesfürsten und seiner Dynastie bzw. dem Willen der städtischen Obrigkeit unterworfen. Von daher gab es weder besondere Zulassungsbedingungen noch besondere Berechtigungen. Die Universitäten nahmen jeden auf, der Universitätsbesucher zu werden 10 Rainer C. Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert. Studien zur Sozialgeschichte des Alten Reiches (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abt. Universalgeschichte 123: Beiträge zur Sozial- und Verfassunggeschichte des Alten Reiches 6), Stuttgart 1986; Erich Meuthen, Kölner Universitätsgeschichte Bd. 1: Die alte Universität, Köln/Wien 1988. 11 Klaus Schreiner, Laienbildung als Herausforderung für Kirche und Gesellschaft. Religiöse Vorbehalte und soziale Widerstände gegen die Verbreitung von Wissen im späten Mittelalter und in der Reformation, in: ZHF 11 (1984), S. 257–354. Vgl. auch: Wissensorganisierende und wissensvermittelnde Literatur im Mittelalter, hg. von Norbert Richard Wolf (Wissensliteratur im Mittelalter. Schriften des Sonderforschungsbereichs 226 Würzburg/Eichstätt 1), Wiesbaden 1987, und weitere Bände dieser Reihe.
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wünschte, der seinen Immatrikulationseid leistete, Gehorsam gegenüber Rektor, Statuten und Landesfürsten schwor, der die geforderten Gebühren entrichtete und sich ins Matrikelbuch des Rektors inskribieren liess. Weder Herkunft noch Stand, weder Nähe noch Ferne, Armut oder Reichtum, Wissen oder Nichtwissen hatten darauf Einfluss. Das einzige Zulassungskriterium war moralischer Natur, insofern man einen ordentlichen Lebenswandel inklusive des Meidens der Verheiratung und legitime Geburt verlangte, aber nur schwerlich überprüfen konnte12. Die Universität reagierte auf ihre Besucher wie jede Institution ob Kirche, Stadt, Dorf oder Fürstenhof nach den überkommenen Lebensregeln der Zeit. Sie war wie ihre Umwelt eine gesellschaftlich organisierte Gemeinschaft. Alle wurden zwar aufgenommen, alle studierten unter dem gleichen Dach und in den gleichen Räumen, doch unter qualitativ, in sozialer wie rechtlicher Hinsicht, höchst unterschiedlichen Bedingungen. Dies gilt es gegenüber allen anachronistischen Illusionen von ‘Einsamkeit und Freiheit’ und dem gleichmachenden amor scientiae festzuhalten, auch dann oder erst recht dann, wenn man darüber nachdenken will, was in der Universität intellektuell geleistet worden ist und welche Wirkung sie nach aussen hin gehabt hat. Der sozialen Herkunft der Besucher und ihrer Darstellung in der Universität war man sich überall, das heisst in allen europäischen Universitäten sehr bewusst13. Zu jeder Gelegenheit stellte man magni und parvi, divites | und pauperes, superiores und inferiores, illustres, honesti, 240 meriti, statum tenentes oder communes, mediocres, simplices einander gegenüber. Allen war bekannt, dass auch ihre Gemeinschaft so wie jede andere Formation der Gesellschaft durch einen ordo differencie geregelt wurde. Man sah in der genauen und geziemenden Beachtung des persönlichen und
12 Rainer C. Schwinges, Le Università nei territori dell’Impero, in: Le Università dell’Europa: La Nascita delle Università, a cura di Gian Paolo Brizzi e Jacques Verger, Milano 1990, S. 221–255; ders., Die Zulassung zur Universität, in: Walter Rüegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa, Bd. 1, Mittelalter, München 1993, S. 161–180; ders., The Medieval German University: Transformation and Innovation, in: Serge Lusignan (Hg.), Transfer of Knowledge and Creation of Universities, Gent 1998. 13 Schwinges, Universitätsbesucher (wie Anm. 10), S. 341–375; ders., Student (wie Anm. 9), S. 187–195; ders., Europäische Studenten des späten Mittelalters, in: Alexander Patschovsky und Horst Rabe (Hg.), Die Universität in Alteuropa. Ringvorlesungen der Universität Konstanz im SS 1991, Konstanz 1994, S. 129–146, hier: 136–144; Rainer C. Schwinges et al. (Hg.), Das Bakkalarenregister der Artistenfakultät der Universität Erfurt 1392–1521 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Grosse Reihe 3), Jena 1994, S. XXII–XXXVIII, hier: XXVIIff.
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familiären Ranges jedes einzelnen Universitätsangehörigen geradezu eine Garantie für den Bestand der Hochschule, weil keine Gemeinschaft ohne ein solches Regelwerk des Unterschieds vernünftigerweise existieren könne – quia nulla universitas poterit alia racione subsistere, nisi magnus eam differencie regulat ordo. So formulierte man in Anlehnung an italienische Vorbilder im Basler Liber statutorum um 1465, und die Tübinger übernahmen es, noch ein wenig schärfer gefasst, in ihre Statuten von 1477: Statt regulat steht conservet ordo14. Man dachte bei einer solchen Ordnung keineswegs nur an die interne Differenzierung nach Fakultäten und Graduierten, sondern gerade auch an das externe Gefüge, das mit jeder einzelnen Immatrikulation unvermeidlich verknüpft war. Lokationsordnungen für die verschiedensten, öffentlichen und nichtöffentlichen Gelegenheiten, bei Sessionen, Disputationen, Quodlibetarien oder Gottesdiensten, Prozessionsordnungen zur Selbstdarstellung der Gemeinschaft nach aussen, Inrotulationsordnungen für die Suppliken an den Papst und nicht zuletzt sogar Examens- und Graduierungsordnungen, sie alle, wohin man auch immer blickt, antworteten damit auf das ausgeprägte Bedürfnis der adeligen und bürgerlichen, klerikalen und laikalen Zeitgenossen, ständisch und statusgerecht zu denken, sich auszuzeichnen und voneinander zu distanzieren. Man war überzeugt, dass man allen Besuchern je nach Rang stets die gewohnten Ehren (consueti honores) erweisen müsse. Und mit Bedacht waren daher Universitäts- und Aussenwelt für jederman 241 sichtbar und nachvollziehbar racione status aut gradus, wie man in | Wien zu sagen pflegte15, ineinander geschoben. Solches Honorieren und Präferieren gehörte schlicht zum Alltag des Universitätslebens und selbst das Besetzen der Hörsäle blieb davon nicht ausgespart. Die vorderen Reihen waren den nobiles, den honesti und notabiles vorbehalten. Immer jedoch konnten auch (stadt-)bürgerliche Studenten sich einen statum honestum in den vornehmen Reihen erkaufen – vor allem, aber nicht nur, im Milieu der Mediziner und Juristen. Universitäten waren eben von Anfang an trotz Rückhalts an Kirche und Fürstenstaat auch urbane 14 Wilhelm Vischer, Geschichte der Universität Basel von der Gründung 1460 bis zur Reformation 1529, Basel 1860, S. 94ff., 132 mit Anm. 45; Rudolf von Roth (Hg.), Urkunden zur Geschichte der Universität Tübingen aus den Jahren 1476 bis 1550, Tübingen 1877 (Ndr. Aalen 1973), S. 61; Waldemar Teufel, Universitas Studii Tuwingensis. Die Tübinger Universitätsverfassung in vorreformatorischer Zeit (1477–1534), Tübingen 1977, S. 274 § 96. 15 Rudolf Kink, Geschichte der kaiserlichen Universität zu Wien, 2 Bde, Wien 1854, hier: Bd. 2, S. 92 Nr. 14.
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Erscheinungen und der ökonomischen Potenz, den Wertmassstäben und Lebenszielen der bürgerlichen Mehrheit zugetan. Universitäten setzten sich also aus verschieden bevorrechteten sozialen Gruppen zusammen. Deren jeweilige Anteile an der Grössenordnung, an Herkommen, sozialem Gewicht und Verhalten der Gemeinschaft formten Struktur und nicht zuletzt auch Prestige und Attraktivität einer jeden Universität. Im groben war sie in dreifacher Weise geschichtet: Die meist grosse mittlere Schicht der Reichen (divites) wurde von mehr oder weniger breiten und zugleich profilierenden Randschichten umgeben: oben vom Adel, kirchlichen Würdenträgern und anderen Statushaltern, unten von den armen Scholaren ( pauperes). Daneben kannte man eine Fülle von Abstufungen von halbreich bis halbarm, wohl wissend, dass keine der Schichten sozial homogen sein konnte, und dass es Grenzzonen nach oben wie nach unten hin gab, die mehr oder weniger empfindlich auf sozialen Wandel in den Universitätslandschaften reagierten. Überlagert wurden diese Schichten von einer besonderen, aus den Kerneinzugsgebieten der Universitäten heraus definierten Klientel von Protegierten. Ein dichtes Netz aus familiae, Tischgenossenschaften und Patronageverbänden, die meistens auf Verwandtschaft, Freundschaft oder Landsmannschaft beruhten, umgab die Universität. Brüder, Söhne und Neffen, Freunde und Landsleute wurden in aller Selbstverständlichkeit anderen vorgezogen. Kirchen- und Hofmänner, Universitätsprofessoren, gelehrte Juristen und Rechtspraktiker, Kaufleute und ratsfähige Bürger bildeten den familialen Hintergrund der Protegierten. Sie kamen zwar oft noch ohne Amt und Würden zur Universität, doch Herkunft und Verbindungen machten dies mehr als wett. Dabei war diese exklusive Gruppe, der man schon bei der Immatrikulation wegen Beziehungsreichtums die üblichen Gebühren erliess, nur die Spitze des sprichwörtlichen Eisberges; die familiale Struktur durchzog grösstenteils die gesamte Universität. Geläufig war die | Magister- oder 242 Doktorfamilia, die sich nicht nach abstrakt wissenschaftlichen, sondern in der Regel nach kompatriotischen Motiven aufbaute. Auch in diesen Zusammenhängen spielte es überhaupt keine Rolle, ob man als Pfaffe oder Laie dabei war. Entscheidend waren in jedem Falle Rang und Familienzugehörigkeit16.
16 Schwinges, Universitätsbesucher (wie Anm. 10), S. 413–424; ders., Zulassung (wie Anm. 12), S. 173f.
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teil iii – ordo differencie Universitätsbesuch von Stifts- und Pfarrklerikern
Zum Kreise derjenigen, die schon Würden, Rang und Namen hatten, die schon ‘jemand waren’, bevor sie überhaupt eine Universität besuchten, gehörten neben dem Adel auch die Kleriker aller Ränge, vom Altaristen und Messpfründner bis zum Dompropst oder Bischof, vom Mönch bis zum Abt oder Prior. Die Päpste hatten der Geistlichkeit schon früh die Möglichkeit zum Universitätsstudium eröffnet. So entbanden sie für die Dauer des Studiums den Stifts- und Pfarrklerus von der Pflicht, am Ort von Amt und Pfründe zu residieren. Deutsche Universitäten – wie andere freilich in Europa auch – wurden oft pauschal als dispensbegründende Orte privilegiert, meistens auf fünf oder auf zehn Jahre, wenn in den höheren Fakultäten in der Regel geistliches Recht oder Theologie studiert werden sollte. Darüber hinaus waren Verlängerungen immer statthaft, wenn nicht die Zeitbeschränkungen überhaupt im Laufe des 15. Jahrhunderts aufgegeben wurden, wie zum Beispiel schon im Privileg Papst Bonifaz IX. vom 27. Mai 1399 für Wien17. | Die meisten der Welt- und Ordenskleriker, die eine Universität 243 besuchten, hatten ihre Pfründe oder ihr geistliches Amt zum Zeitpunkt der Immatrikulation bereits einige Jahre, häufig sogar – so in Köln – fast ein Jahrzehnt inne. Die Stiftsherren überschritten damit die zweijährige Mindeststudiendauer, das sogenannte biennium, jedenfalls erheblich. Diese Würdenträger, die ihre Pfründen offensichtlich zur Finanzierung des Studiums nutzten oder erst durch Pfründen in die Lage versetzt wurden zu studieren18, bildeten ungeachtet der jährlichen Schwankungen
17 Kink, Wien (wie Anm. 15), Bd. 2, S. 29–32, 47f., 231ff.; Pearl Kibre, Scholarly Privileges in the Middle Ages. The Rights, Privileges, and Immunities of Scholars und Universities at Bologna, Padua, Paris, and Oxford (Mediaeval Academy of America Publications 72), London 1961, S. 227ff.; Leonard E. Boyle, Aspects of Clerical Education in Fourteenth Century England, in: Acta. The Center for Medieval and Early Renaissance Studies 4 (1977), S. 19–32. – Eine systematische Untersuchung zur Bildungsgeschichte des Klerus im Reich fehlt trotz zahlreicher Regional- und Lokalstudien nach wie vor; für einen Überblick vgl. Friedrich Wilhelm Oediger, Über die Bildung der Geistlichen im späten Mittelalter (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 2), Leiden/Köln 1953, S. 58–79; Schreiner, Laienbildung (wie Anm. 11), besonders S. 326ff.; Jürgen Miethke, Die Kirche und die Universitäten im 13. Jahrhundert, in: Johannes Fried (Hg.), Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters (Vorträge und Forschungen 30), Sigmaringen 1986, S. 285–320, besonders 309ff. 18 Dazu jetzt Peter Moraw, Stiftspfründen als Elemente des Bildungswesens im spätmittelalterlichen Reich, in: Irene Crusius (Hg.), Studien zum weltlichen Kollegiatstift in Deutschland (Studien zur Germania Sacra 14), Göttingen 1995, S. 270–297.
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im Gesamtzeitraum des 15. Jahrhunderts ein stattliches Corpus; 10,5 Prozent der Kölner Universitätsbesucher gehörten ihm an, das heisst, die Rede ist von ca. 3000 Personen in der Zeit zwischen 1400 und 1500. Keine andere Universität des römisch-deutschen Reiches hatte einen solch hohen Anteil an bepfründeten und versorgten Geistlichen aufzuweisen, verständlich aber in einer Stadt, die wegen ihrer vielen Kirchen und Altäre als ‘heiliges Köln’ bekannt war und daher stets eine besondere Anziehungskraft besass19. In den Rektoratsmatrikeln der Universitäten – in Köln so gut wie anderswo – erkennt man vier Gruppen von studierenden geistlichen Würdenträgern, wovon zwei, die hier interessierenden Stifts- und Pfarrkleriker, bereits gut 80 Prozent erreichten. Der Rest verteilte sich in wenigen Anteilen auf Ordensleute, in der grossen Mehrheit aber auf die Gruppe der domini undefinierbaren Ranges, wobei nicht einmal völlig geklärt ist, ob es | sich bei diesen in der gesamten Universitäts- 244 landschaft des Reiches vorkommenden Herren wirklich um Geistliche handelte20. Studenten aus dem Stifts- und Pfarrklerus wurden von den matrikelführenden Rektoren zwar im allgemeinen nicht unter die solemnes personae und deswegen Gratis-Inskribierten eingereiht, es sei denn, man entstammte dem Hochadel vom Baron an aufwärts, doch machten sie keinen Hehl daraus, dass solche Herren zur Spitzengruppe der Besucherschaft zu rechnen waren und daher ein besonderes Ansehen und Aufmerksamkeit verdienten. Solche Aufmerksamkeit, von der die Matrikeln des öfteren künden21, beruhte, was zunächst die Stiftsherren betrifft, in Köln wahrscheinlich darauf, dass es vor allem die grossen und reichen Stifte der Stadt und der näheren Nachbarschaft waren, die ihre Mitglieder zum Studium an eine heimische Universität entliessen. Fast zwei Drittel der Stiftsherren,
19 Quellengrundlage sind die allgemeinen Rektoratsmatrikeln, für Köln: Hermann Keussen (Hg.), Die Matrikel der Universität Köln (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 8), 3 Bde, Bonn 21928, 1919, 1931. Dazu Schwinges, Universitätsbesucher (wie Anm. 10), S. 392–413, auch zu folgenden Ausführungen. Ferner: Meuthen, Köln (wie Anm. 10), S. 86f; Horst Rudolf Abe, Die soziale Gliederung der Erfurter Studentenschaft im Mittelalter (1392–1521) I. Der Anteil der Geistlichkeit an der Erfurter Studentenschaft im Mittelalter, in: BGUE 8 (1961), S. 5–38, hier: 12–16; James H. Overfield, Nobles and paupers at German universities to 1600, in: Societas 4 (1974), S. 175–210, hier: 197f; Christoph Fuchs, Dives, Pauper, Nobilis, Magister, Frater, Clericus. Sozialgeschichtliche Untersuchungen über Heidelberger Universitätsbesucher des Spätmittelalters (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 5), Leiden/New York/Köln 1995, S. 38–55. 20 Schwinges, Universitätsbesucher (wie Anm. 10), S. 403–407. 21 Beispiele: Keussen, Matrikel Köln (wie Anm. 19), Bd. 1, S. 23*ff.
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Dom- und Kollegiatstiftsherren, entstammten denn auch tatsächlich dem Kerneinzugsraum der Universität in den Diözesen Köln, Lüttich und Utrecht; und aus den angrenzenden, Köln zugewandten Gebieten der Bistümer Trier, Mainz, Münster, Paderborn kamen noch einmal 22 Prozent hinzu. Die meisten Herren residierten jedoch in den Dom- und Kollegiatstiften der Bischofsstädte Köln und Lüttich. Diese kleinräumige Bezogenheit von Herkunftsstift und Universität lässt sich für das ganze 15. Jahrhundert beobachten. Ein Blick auf die Lage der Pfründen im Verhältnis zum Herkunftsort – auch bei Kumulationen – vermag den Eindruck eines sehr geschlossenen, engmaschigen Netzes um die Universität nur zu bestärken. Dies ist Grund genug, an ein sozialräumlich oder sozialgeographisch bedeutsames Dreieck von Herkunfts-, Stiftsund Universitätsort zu denken. Nur jeder fünfte Kölner Kanonikus hat dieses Dreieck zugunsten einer Bildungsreise verlassen, allerdings fast nur zugunsten einer kleinen Bildungsreise zwischen Köln und Heidelberg oder Köln und Löwen, so dass man sagen kann: Die räumliche Konzentration innerhalb eines rheinischen Lebens- und Bildungsraumes habe im Prinzip nicht nachgelassen. Dass in diesen Zusammenhängen adelige Stiftsherren gleich weltlichen Adelsherren die grössere Beweglichkeit zeigten, wird nicht weiter verwundern. Kommen wir zum Pfarrklerus: Der Begriff sei hier als Sammelbezeichnung für den gesamten niederen Klerus, für Pfarrer also, Kapläne, Vikare, Altaristen, Messpfründner oder Presbyter etc. verwendet22. Die 245 | Pfarrer allein stellten schon fast ein Drittel dieser Gruppe. Wie die Stiftsherren so entstammte auch der Pfarrklerus zu gut zwei Dritteln dem Kernraum der Universität und der Rest den nahen Teilen der rheinisch-westfälischen Diözesen. Im Unterschied aber zum Stiftsklerus rückte der Pfarrklerus wesentlich näher an die Universität heran, insofern Amt und Pfründen zumeist in der Kölner Diözese selbst lagen, dort aber nicht, analog zur Residenz der Kanoniker, in den grossen Städten, sondern in weit überwiegendem Masse in den Kirchen der umliegenden nahen und näheren Dörfer und Kleinstädte. Diese nun in beiden Gruppen geistlicher Würdenträger auffallende universitätsnahe Sozialgeographie war für jede Hochschule, insbesondere aber für die Kölner, die im Gegensatz dazu ihre übrigen Besucher überregional
22 Vgl. Dietrich Kurze, Der niedere Klerus in der sozialen Welt des späteren Mittelalters, in: Knut Schulz (Hg.), Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Mittelalters. Festschrift für Herbert Helbig, Köln/Wien 1976, S. 273–305, hier: 274.
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bzw. reichsweit rekrutierte, von zentraler Bedeutung. Diejenigen, die schon Würden und Positionen innehatten, neben den genannten Klerikern auch Adel und gehobenes Stadtbürgertum, waren nämlich in grosser Mehrheit auch jene, die der Universität aus dem Kernraum heraus nahestanden und auf diese Weise mithalfen, sie in der Region sozial zu verankern, ganz abgesehen von der Klerikerbildung, die in Universitätsnähe sogar erheblich höher stieg als in ferner gelegenen Orten, wie kürzlich auch für den Kernraum der Erfurter Hohen Schule nachgewiesen werden konnte. Dabei bevorzugte der Stiftsklerus eher juristische Bildung, der Pfarrklerus hingegen zumeist artistische, doch in erstaunlich hohem Masse auch theologische Bildung23. An diesem Verhalten, dass wir bisher nur aus der Jahrhundertperspektive beobachtet haben, war der Stifts- und Pfarrklerus allerdings, was seine Immatrikulationsfrequenz betrifft, zu verschiedenen Zeiten höchst unterschiedlich beteiligt. Stifts- und Pfarrklerus erlitten von der ersten zur zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts im Gegensatz zum Adel und der breiten Mittelschicht starke Verluste, drastisch auf seiten der Stiftsherren, deren Frequenz allein in der Kölner Diözese nach 1460 auf ein Viertel des früheren Bestandes herabsank. Ohne grössere Dynamik, dafür aber stetig, reduzierte sich die Frequenz der studierenden Pfarrkleriker. Dieses Phänomen betraf indessen nicht nur Köln, sondern bei kaum versetzten Zeitgrenzen die gesamte Universitätslandschaft des Reiches von Greifswald bis Basel | und von Louvain bis Wien. Die 246 Gründe für diese Entklerikalisierung dürften wohl im Klerus selbst zu suchen sein. Entklerikalisierung Man hat diese Erscheinung der Entklerikalisierung des Universitätsbesuchs schon häufiger beobachtet, sie früher jedoch missverstanden, indem man sie zugleich als Verweltlichung oder Laisierung der Universität oder gar der Studien deuten zu müssen glaubte24. Zu dieser Auffassung hat weniger die sinkende Frequenz der höheren Geistlichkeit
23 Reinhold Kiermayr, On the Education of the Pre-Reformation Clergy, in: Church History 53 (1984), S. 7–16; Schwinges, Universitätsbesucher (wie Anm. 10), S. 401ff., 480–485; Fuchs, Dives (wie Anm. 19), S. 44ff. 24 So zum Beispiel Gerhard Ritter, Die Heidelberger Universität. Ein Stück deutscher Geschichte, Heidelberg 1936, S. 79; Abe, Gliederung (wie Anm. 19), S. 16.
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als vielmehr der Schwund der sogenannten clerici unter den Immatrikulierten beigetragen. Der Begriff clericus ist im Zusammenhang mit den Hohen Schulen des späten Mittelalters jedoch höchst problematisch. Er bezeichnet nur die formalrechtliche Zugehörigkeit eines Universitätsbesuchers zum ordo clericalis; von den Personen oder ihrem sozialen Umfeld her betrachtet ist der Begriff dagegen diffus und völlig unergiebig25. Mit ihm lassen sich nur Kategorien, nicht aber Gruppen beschreiben, Kategorien im weiteren Sinne vom Papst bis zum Ostiarius, dem Inhaber des untersten Weihegrades, Kategorien im engeren Sinne der Inhaber der niederen Weihen unterhalb des Grades eines Subdiakons. Hinzu kommt, dass die Interpretation der immatrikulierten clerici quellenkritisch und methodisch unlösbare Probleme aufwirft. Die Tatsache, clericus zu sein, war zumindest in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts noch so geläufig, dass die matrikelführenden Rektoren keine besondere Rücksicht darauf genommen und diesen Stand der clerici minores im Gegensatz zum prestigeträchtigen Stifts- und Pfarrklerus nur sehr lückenhaft verzeichnet haben. Brauchbare Angaben über den zahlenmässigen Umfang des Universitätsbesuchs von solchen minores sind daher gar nicht möglich. Nur das Gefälle zum Ende des Jahrhunderts hin ist nicht zu übersehen. 247 | Interessanter als die methodischen sind die inhaltlichen Aspekte. Clericus in der Universität zu sein, bedeutete zunehmend weniger. Die Wurzeln der Entwicklung lagen schon im Hochmittelalter, im Vorfeld der Entstehung der Universitäten, als freilich das Bildungsmonopol des Klerus noch intakt war, und man die litterati, die Schulgebildeten, mit clerici gleichsetzen konnte. Clericus wurde schliesslich zum Synonym für den Kundigen, vor allem den Lese-, Schreib- und Verwaltungskundigen schlechthin, für den Sekretär und Kanzleischreiber und gelegentlich auch für den Lehrer von Minderjährigen in der Universität. Der Weg zum modernen Sprachgebrauch frz. le clerc oder engl. clerk war beschritten. Im gleichen Zuge gewann der Begriff des laicus neben der Dimension des Nichtgeistlichen die des Unkundigen und des Nichtstudenten hinzu. Wohl in diesem Sinne dachten die Bürgerschaften der
25 Hastings Rashdall, The Universities of Europe in the Middle Ages. A New Edition ed. by Frederik M. Powicke and Alfred B. Emden, Bd. 1–3, Oxford 1936, hier: Bd. 3, S. 393–397; Joachim Köhler, Die Universität zwischen Landesherr und Bischof. Recht, Anspruch und Praxis an der vorderösterreichischen Landesuniversität Freiburg, Wiesbaden 1980, S. 218ff. Schwinges, Student (wie Anm. 9), S. 186f.
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Universitätsstädte, als sie – wie oben zitiert – paffe, studente und leye unterschieden26. Wer jedoch als Student im kirchlichen Rechtssinne clericus geworden war, hatte sich damit in der Kirche noch zu gar nichts verpflichtet; allein das Erscheinen von clerici uxorati oder clerici conjugati in den deutschen Universitäten, in Einzelfällen schon ausgangs des 14. Jahrhunderts, mag das anzeigen. Ein solcher Kleriker nahm lediglich besondere Rechte in Anspruch, den eigenen Gerichtsstand zum Beispiel, der aber in der ohnehin privilegierten Universität weniger wichtig war als der vielmehr unschätzbare Vorteil einer möglicherweise raschen Versorgung mit kirchlichen Pfründen, die immerhin Lebenssicherheit, wenn nicht Lebensstellung bedeuteten. Für die wachsende Masse der Universitätsbesucher, der über 2 500 Neuimmatrikulierten pro Jahr seit den 60er Jahren des 15. Jahrhunderts27, war dies jedoch nicht mehr als eine kleine Chance. Kein Wunder, dass die Attraktivität der niederen Weihen, deren Erteilung trotz Simonieverdachts in der Regel auch nicht kostenlos war, schon in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts in dem Augenblick nachzulassen begann, in dem sich die nahezu einzigen pauschalen Versorgungsinstrumente, die Supplikenrotuli der Universitäten an den Papst, zunehmend als Fehlspekulationen und | 248 Fehlschläge erwiesen28, die Beziehungen zur Papstkirche sich ohnehin ausdünnten und allmählich auch Laien – wie zum Beispiel 1482 in Heidelberg ein Medizinprofessor – Pfründen in einem der Universität inkorporierten Stift erhalten konnten. Den Widerstand der Heidelberger Professoren, die mit dem Hinweis auf den Charakter der Universität als corpus ecclesiasticum, wobei sie freilich nur sich selbst als Kleriker sahen, die Laieninvestitur am Heilig-Geist-Stift verhindern wollten, fegte der 26 Oben Anm. 5 und 6. Vgl. dazu die ‘klassischen’ Studien von Herbert Grundmann, Litteratus – illitteratus. Der Wandel einer Bildungsnorm vom Altertum zum Mittelalter, in: AKG 40 (1958), S. 1–65; ferner Peter Classen, Die Hohen Schulen und die Gesellschaft im 12. Jahrhundert, in: AKG 48 (1966), S. 155–180, hier: 171f.; Yves Congar, Clercs et laics au point de vue de la culture au moyen âge: laicus = sans lettres (Studia mediaevalia et mariologica P. Carolo Balic OFM dedicata), Rom 1971, S. 309–332; Schreiner, Laienbildung (wie Anm. 11), passim. 27 Schwinges, Universitätsbesucher (wie Anm. 10), S. 30–35. 28 Oediger, Bildung (wie Anm. 17), S. 80 f.; Jürg Schmutz, Erfolg oder Misserfolg? Die Supplikenrotuli der Universitäten Köln und Heidelberg 1389–1425 als Instrumente der Studienfinanzierung, in: ZHF 23 (1996), S. 145–167; Andreas Meyer, Arme Kleriker auf Pfründensuche. Eine Studie über das in forma pauperum-Register Gregors XII von 1407 und über päpstliche Anwartschaften im Spätmittelalter (Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht 20), Köln/Wien 1990, S. 6–11.
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Kurfürst von der Pfalz kurzerhand hinweg, am Ende mit Hilfe des Papstes, der bereits 1475 eine entsprechende Bulle erlassen hatte29. Das alles hiess jedoch nicht zugleich Verweltlichung oder Laisierung. Viele nahmen die Weihen erst nach der Immatrikulation, während des Studiums oder erst danach. Es wäre ein Anachronismus zu glauben, dass die Kirche als Partner der Universität, erst recht als Partner der Universitätsbesucher ausfiel. Nach wie vor blieb sie der grösste Entlohner und Arbeitgeber von Universitätsbesuchern und -absolventen, sehr oft auch dann, wenn diese in den Dienst der Könige, Fürsten, Herren und Städte eintraten; denn selbst die Herren aller Art suchten ihre universitätsgebildeten Diener zuallererst mit kirchlichen Pfründen zu entschädigen, so dass der Berufsweg – wie von alters her auch der Beruf des Universitätslehrers – typischerweise zweigleisig verlief, in einer weltlichen und geistlichen Karriere. Welt und Kirche bildeten noch keine klaren Alternativen30. 249 | Allerdings hatten sich gewisse Verschiebungen von letztlich struktureller Bedeutung für die kirchlichen Berufe im Laufe vor allem der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts vollzogen. Universitätsbesucher und -absolventen besetzten je länger, desto mehr die Stifts-, Pfarr- und Predigerstellen. Neben und teilweise in Verknüpfung mit dem traditionellen Verteilungssystem (vor allem im Adel) etablierte sich ein neues. Immer weniger Pfründen standen zum Studieren bereit, immer mehr Studierte kamen stattdessen in deren Genuss. In dem Masse nämlich, in dem Stiftsherren, Pfarrer, Priester und schliesslich auch clerici minores als Universitätsbesucher ausschieden, nahmen die nachuniversitären Karrieren in den gleichen Positionen und gleichen Zeiträumen zu. Man kann wohl nicht umhin, diesen Vorgang nicht nur als Akademisierung,
29 Eberhard Stübler, Geschichte der medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg 1386–1925, Heidelberg 1926, S. 8; Ritter, Heidelberg (wie Anm. 24), S. 446f. 30 Peter Moraw, Der Lebensweg der Studenten, in: Walter Rüegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa, Bd. 1: Mittelalter, München 1993, S. 225–254, hier: 250ff.; ders., Stiftspfründen (wie Anm. 18), passim; Hilde de Ridder-Symoens, Training and Professionalization, in: Wolfgang Reinhard (Hg.), Power Elites and State Building, Oxford 1996, S. 149–172; Hélène Millet and Peter Moraw, Clerics in the State, ebd. S. 173–188; Rainer C. Schwinges (Hg.), Gelehrte im Reich. Zur Sozial- und Wirkungsgeschichte akademischer Eliten des 14. bis 16. Jahrhunderts, in ZHF Beiheft 18 (1996), hier insbesondere die Arbeiten von Christian Hesse, Artisten im Stift. Die Chancen, in schweizerischen Stiften des Spätmittelalters eine Pfründe zu erhalten, S. 85–112; Jürgen Miethke, Karrierechancen eines Theologiestudiums im späteren Mittelalter, S. 181–210; Dietmar Willoweit, Juristen im mittelalterlichen Franken. Ausbreitung und Profil einer neuen Elite, S. 225–267.
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sondern zugleich als den Beginn einer ernsthaften Professionalisierung der kirchlichen Berufe zu interpretieren. Für die Vorgeschichte und Geschichte der Reformation dürfte dieser Sachverhalt, den wir zunächst nur aus quantitativen Zusammenhängen erschlossen haben, von ausserordentlicher Bedeutung sein, zumal er über das Kölner Material hinaus reichsweit zu erkennen war. Es scheint so, als seien die einschlägigen Absichten und Ideen der beiden Konzile zu Konstanz und Basel, ohne rechtsverbindlich geworden zu sein, allmählich in die Praxis umgesetzt worden31. Dabei wurden mit hoher Wahrscheinlichkeit die seit den fünfziger Jahren steil ansteigenden Studentenzahlen im Reich zum wichtigsten Initiator eines solchen Umsetzungsprozesses. Der hohe Angebotsdruck, der auf der endlichen Zahl der Ämter und Pfründen lastete, erzwang vielleicht eine Veränderung der Verhältnisse.
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DIE UNIVERSITÄT ALS SOZIALER ORT DES ADELS IM DEUTSCHEN SPÄTMITTELALTER* Die alten Universitäten Europas waren zwar überschaubare, aber dennoch gesellschaftlich organisierte Gemeinschaften, und als solche waren sie mehr oder weniger Spiegelbilder der sie umgebenden Gesellschaft. So oder ähnlich habe ich mit einigen Gleichgesinnten in den vergangenen bald 20 Jahren immer wieder formuliert, um von den idealisierten oder gar mythisierten Bildern sozialer Harmonie Abschied zu nehmen, durch welche die Universitäten des Mittelalters aus ihrer sozialen Umwelt herausgehoben und aufgrund des angeblich gemeinsamen ‘akademischen Handelns’ der Mitglieder bzw. der gemeinsam geteilten ‘Liebe zur Wissenschaft’ zu einer statusfreien, egalitären Gemeinschaft stilisiert worden waren. Soweit ich sehe, ist die Diskussion um diesen Abschied, die freilich vor allem im deutschsprachigen Raum und dort zum Teil vehement geführt worden ist, inzwischen in die eigene Wissenschaftsgeschichte der historischen Universitäts- und Bildungsforschung sowie der allgemeinen Sozialgeschichte eingegangen. Zu verstehen war sie ohnehin nur vor dem Hintergrund des nicht weniger mythisierten deutschen Universitätsmodells des 19./20. Jahrhunderts, das sich bekanntlich mit dem Namen Wilhelms von Humboldt verbindet1. Richtig ist, dass die alten Universitäten grundsätzlich für jedermann offen standen – wörtlich für jedermann, da Frauen grundsätzlich keinen Zutritt hatten; Zulassungsprobleme gab es eigentlich nicht2. Doch * In: Grand Tour. Adeliges Reisen und europäische Kultur vom 14. bis zum 18. Jahrhundert. Akten der internationalen Kolloquien in der Villa Vigoni 1999 und im Deutschen Historischen Institut Paris 2000 (Beihefte der Francia 60), Ostfildern: Jan Thorbecke 2005, S. 357–372. 1 Zuletzt dazu Rainer Christoph Schwinges, Resultate und Stand der Universitätsgeschichte des Mittelalters vornehmlich im deutschen Sprachraum. Einige gänzlich subjektive Bemerkungen, in: Mensch – Wissenschaft – Magie. Mitteilungen der Österreichischen Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte 20/2000 (2001) S. 97–119, 99ff., auch in diesem Band. 2 Siehe Rainer Christoph Schwinges, Die Zulassung zur Universität, in: Walter Rüegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa, Bd. 1: Mittelalter, München 1993, S. 161–180, englische version (Admission) in diesem Band. Zu Möglichkeiten weiblicher ‘Universitätsnähe’Andrea von Hülsen-Esch, Frauen an der Universität? Überlegungen anlässlich einer Gegenüberstellung von mittelalterlichen Bildzeugnissen und Texten, in: Zeitschrift für Historische Forschung 24 (1997), S. 315–346.
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deswegen verlor niemand, der eine mittelalterliche Universität besuchte, sich immatrikulierte und vor dem Rektor eidlich verpflichtete, für das Wohl der Gemeinschaft einzustehen, seinen angeborenen oder wie auch immer erworbenen Status. Er trug ihn vielmehr zugleich mit dem Rang seiner Herkunftsfamilie wie in jede andere Personengemeinschaft so auch in die Universität hinein, um ihn dort in aller Selbstverständ358 lichkeit öffentlich darzustellen. Seine | Herkunft prädestinierte damit Sozialprofil und Sozialprestige einer jeden Universität in entscheidender Weise, so dass der jeweilige Anteil hoher oder niedriger Statushalter den Unterschied ausmachte. Durch das Graduierungssystem suchte man zwar das Problem zu lösen, die universitätsinterne Differenzierung mit der externen kompatibel zu machen, ratione gradus aut status zu handeln, wie man beispielsweise in Wien sagte3, doch blieben die gradus academici gegenüber den status und honores innerhalb wie ausserhalb der Universitäten absolut zweitrangig und schufen keineswegs einen wägbaren Ersatz. Die mit höheren sozialen Positionen halbwegs äquivalenten Grade des Doktors oder allenfalls noch des Lizentiaten einer der höheren Fakultäten, am ehesten noch der juristischen Fakultät4, sind denn auch nur von relativ wenigen Personen erreicht worden, am allerwenigsten von solchen, für die der Doktorgrad ein wirklicher Ausgleich für eine geburtsständische Benachteiligung gewesen wäre. Dem status in studio mangelte es noch lange, mindestens bis weit ins 16. Jahrhundert hinein an allgemeiner sozialer Akzeptanz. Promoviert zu werden und Grade zu erwerben, war im übrigen auch nicht der Sinn des Universitätsbesuchs der grossen Mehrheit der Studierenden, nicht einmal auf der untersten Stufe des Bakkalars der Artistenfakultät. Sinn hatte vielmehr der soziale Ort der Universität selbst, wo man sich nach den bewährten Regeln der Zeit begegnete5.
3 Rudolf Kink, Geschichte der kaiserlichen Universität zu Wien, Band 2, Wien 1854 (Nachdruck Frankfurt am Main 1969), S. 91 Nr. 14. 4 Siehe Laetitia Boehm, Die Verleihung akademischer Grade an den Universitäten des 14.–16. Jahrhunderts, in: Chronik der Ludwig-Maximilians-Universität (1958/59), S. 164–178. Ingrid Baumgärtner, De privilegiis doctorum. Über Gelehrtenstand und Doktorwürde im späten Mittelalter, in: Historisches Jahrbuch 106 (1986), S. 298–332. Erika Rummel, The Importance of being Doctor: The Quarrel over Competency between Humanists and Theologians in the Renaissance, in: The Catholic Historical Review 82 (1996), S. 187–203. 5 Zur Gesamtproblematik dieses Abschnitts Rainer Christoph Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert. Studien zur Sozialgeschichte des Alten Reiches (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz,
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Weil das alles so zutraf, war der Adel in der Universität von Anfang an präsent. Auf welche Weise er dies war, ist nun Gegenstand dieser Untersuchung, wobei ich mich im wesentlichen auf die deutschen Universitäten des späten Mittelalters, insbesondere auf das empirische Beispiel der alten Kölner Universität beschränke. Ich teile die Untersuchung in drei Abschnitte ein und behandle im ersten den sozialen Ort des Adels, im zweiten die Adelsfrequenz und abschliessend im dritten die Personen sowie das Adelsprofil Kölns im Kreise anderer Universitäten des Reiches6. Der soziale Ort des Adels | Von Anfang an, das heisst für die deutschen Universitäten seit dem 359 ausgehenden 14. Jahrhundert, war der Adel in der Universität präsent; aber er kam nicht einfach nur wie andere Stände auch. Man wollte ihn ausdrücklich, hiess ihn willkommen, war auf sein Erscheinen vorbereitet und stolz darauf, die Söhne von Herzögen, Fürsten und Grafen dabei zu haben, wie schon etwa Benesch von Weitmühl im Prag der 1380er Jahre zu erkennen gab, allerdings vor allem im ohnehin vornehmen Milieu der Prager Juristenuniversität, die sich 1372 nicht zuletzt aus Milieugründen von Theologen, Artisten und Medizinern separiert hatte7. Gemünzt auf die gesamte Universitätsbesucherschaft erklärten die Wiener Statuten der 1390er Jahre und auch im folgenden Jahrhundert unverändert: “Wir wollen, dass Adlige, Vornehme und solche, die den Adelsstatus einnehmen, geehrt und bevorzugt werden –
Abteilung Universalgeschichte, 123: Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches, 6), Stuttgart 1986; ders. (Hg.), Gelehrte im Reich. Zur Sozial- und Wirkungsgeschichte akademischer Eliten des 14. bis 16. Jahrhunderts (Beihefte der Zeitschrift für Historische Forschung, 18), Berlin 1996. 6 Meine Ausführungen basieren im wesentlichen auf Texten und Materialien meines Buches ‘Deutsche Universitätsbesucher’ (wie Anm. 5), S. 375ff. Zu Köln Erich Meuthen, Die alte Universität (Kölner Universitätsgeschichte, 1), Köln/Wien 1988. 7 Mehrere Studien dazu von Peter Moraw, z. B.: Die Juristenuniversität in Prag (1372-1419), verfassungs- und sozialgeschichtlich betrachtet, in: Johannes Fried (Hg.), Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters (Vorträge und Forschungen, 30), Sigmaringen 1986, S. 439–486, hier 461; ders., Die Universität Prag im Mittelalter – Grundzüge ihrer Geschichte im europäischen Zusammenhang, in: Die Universität zu Prag (Schriften der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste 7), München 1986, S. 9–134; ders., Die älteste Universität in Mitteleuropa, in: Alexander Demandt (Hg.), Stätten des Geistes. Grosse Universitäten Europas von der Antike bis zur Gegenwart, Köln/Weimar/Wien 1999, S. 127–146.
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volumus nobiles illustres statum nobilitatis tenentes honorari et preferri”8. Andere Universitäten, quer durch Europa, sekundierten: Allen Standespersonen müssten, so formulierte man zum Beispiel in Oxford, die gewohnten Privilegien und Ehren, die consueti honores erwiesen werden9. Solche Aussagen sind nicht bloss instrumentell als Werbung und Anreiz zu verstehen, sondern vielmehr als schlichte Einsicht in gesellschaftliche Bedingungen der Zeit. Manche Universitäten formalisierten diese Einsicht im Regelwerk ihrer Statuten, andere praktizierten sie einfach. Jedesmal ging es um die Ordnung der Universität bei verschiedensten Anlässen, bei Sessionen, Disputationen, Promotionen, Gottesdiensten oder Prozessionen, jedesmal ging es um die sichtbar geordnete Selbstdarstellung in der inner- wie ausseruniversitären Öffentlichkeit, wobei alle membra universitatis nach ihrem Rang zu behandeln und entsprechend vornehm oder nicht zu plazieren waren. In der genauen und geziemenden Beachtung der Rangordnung, des ordo differencie, wie man in Basel um 1465 formulierte, sah man geradezu eine Garantie für den Bestand der Universität, weil keine Gemeinschaft gleich welcher Art ohne einen solche Unterschiedsordnung vernünftigerweise existieren könne – quia nulla universitas poterit alia racione subsistere, nisi magnus eam differencie regulat ordo10. Die Universitäten antworteten damit auf das ausgeprägte Bedürfnis der adligen wie nichtadligen Zeitgenossen, ständisch und schichtspezifisch zu denken und sich voneinander abzugrenzen. Selbst die Reinschriften der allgemeinen Matrikeln kamen diesem Bedürfnis entgegen. Die Reihung der Besuchernamen 360 entsprach da nicht mehr der zufälligen | Immatrikulation nach Tagen und Monaten, sondern einer sozialen Hierarchie. Jedes Rektorat, fast jede Seite der Matrikel, wurde damit zu einem sozialen Zeugnis umgeschrieben, zu einem Dokument auch des jeweiligen Prestiges. So finden sich Adelige, Dom- und Stiftsgeistlichkeit, sonstige Würdenträger und bürgerliche Wohlhabende in der Regel immer zuerst immatrikuliert, die sogenannten pauperes, die mittellosen, vor allem aber beziehungslosen armen Scholaren – um nur die sozialen Extreme zu nennen – zuletzt, am Ende der jeweiligen Liste11. Kink (wie Anm. 3), S. 91 Nr. 14. S. Gibson (Hg.), Statuta Antiqua Universitatis Oxoniensis, Oxford 1931, S. 239. 10 Zitat aus dem unedierten Basler Liber statutorum; dazu Schwinges, Universitätsbesucher (wie Anm. 5), S. 344ff. 11 Schwinges, ibid. S. 373f; ders., Resultate (wie Anm. 1), S. 103–106. Zur Matrikel als Quellengattung erschöpfend Jacques Paquet, Les matricules universitaires (Typologie des sources du moyen âge occidental 65), Turnhout 1992. Zur Sache im Überblick 8 9
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Das Honorieren und Präferieren bestimmter Personengruppen gehörte schlicht zum Alltag des Universitätslebens. Alle sassen und studierten vielleicht sogar in ein und demselben Hörsaal, doch auch dort schon unter sehr unterschiedlichen Bedingungen. Denn beim akademischen Unterricht nahmen die Leute vom Stande – nobiles, honesti, illustres, notabiles – selbstverständlich auf den ersten und vorderen Bänken Platz, die für sie reserviert waren. Immer allerdings konnten sich auch nichtadelige, bürgerliche Universitätsbesucher einen statum honestum auf den vorderen Plätzen erkaufen und als statum tenentes aufrücken. Die mittelalterlichen Universitäten waren bei aller Nähe zu Fürsten, Adel und Obrigkeiten immer auch stadtbürgerliche, urbane Erscheinungen; schliesslich waren sie im urbanen Milieu entstanden, und der Ökonomie, den Werten, den Lebensformen und Lebenszielen der bürgerlichen Mehrheit zugetan. Selbstverständlich waren die eingeräumten Standesvorrechte nicht umsonst zu haben. Adlige und andere Statushalter zahlten fast überall höhere Gebühren, in der Gesamtuniversität, in ihren Fakultäten, Nationen, Kollegien und Unterkünften, und selbst die ehrenvollste Gratis-Inskription propter reverentiam solempnis personae im Kreise der gesamten Universitätsspitze, des Rektors, der Dekane und bekannter Ordinarien, war nicht wirklich gratis. Man erwartete universitätsseits ein Gegengeschenk, eine noble liberalitas; und die überwiegende Mehrheit der adeligen Besucher – vom Baron an aufwärts – hat dem auch entsprochen und sich für die Ehre der Gratisaufnahme revanchiert, teils durch höhere freiwillige Geldzahlungen, teils aber auch durch Naturalien, darunter vor allem Wein und edles Geflügel für die Küche des Rektors, durch Geschenke für die Pedellen sowie für die ganze familia rectoris, dessen Schreiber und Dienstboten. Und selbstverständlich erwartete man, das die so Geehrten auch für die Gebühren ihrer Diener, Kleriker, Begleiter oder Lehrer aufkamen, ihrer famuli, clerici, familiares oder praeceptores, ohne Rücksicht darauf, ob diese nun selbst studierten oder nicht. Denn adelig ist oder vornehmen Standes, wer ein Gefolge hat, so meinte man 1477 in Basel und dachte dabei an mindestens zwei Personen12.
Hilde de Ridder-Symoens, Rich Men, Poor Men: Social Stratification and Social Representation at the University (13th–16th Centuries), in: Wim Blockmans, Antheun Janse (Hg.), Showing Status. Representations of Social Positions in the Late Middle Ages, Turnhout 1999, S. 159–175. 12 Wie Anm. 10.
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Eine weiteres wichtiges Entgegenkommen bestand in der gänzlichen oder teilweisen Entpflichtung vor allem der hochadeligen Standespersonen vom Ableisten des Immatrikulationseides, jenes wichtigen Aktes, durch 361 den die Universitäten immer wieder an | ihre alten personenverbandlichen und eidgenössischen Grundlagen erinnerten13. In der dreiteiligen Kölner Eidesformel erschien der erste Teil als der gravierendste: Der Immatrikuland schwor, die Rechte, Privilegien, Freiheiten, Statuten und Gewohnheiten der Universität zu wahren, und zwar – dies war der entscheidende Passus – in jeder Position, zu der er künftig gelangen würde. Diese Klausel scheint bereits bei der Aufstellung der Statuten im Dezember 1392 kontrovers gewesen zu sein; jedenfalls hatte man eine modifizierende Interpretation im Sinne, wonach es eine Person magni status ablehnen könne, sich derart sein Leben lang an die Universität zu binden. Als die Statuten im Frühjahr 1393 verabschiedet wurden, beschloss man folglich, dem Rektor freie Hand zu lassen und im gegebenen Falle auf die Beeidigung der ‘Zukunftsklausel’ zu verzichten. So hielten es auch die meisten anderen Universitäten. Ein solch unvollständiger Eid sollte jedoch in der Matrikel kenntlich gemacht werden, zum Beispiel durch Zusätze wie iuravit more nobilium oder iuravit incomplete. Die meisten Adeligen haben dieses besondere Entgegenkommen offenbar gerne angenommen, um mögliche Interessenkonflikte von vornherein zu vermeiden. Dies war dann so gewöhnlich, dass der gegenteilige Fall, der volle Schwur durch einen hochgestellten Universitätsbesucher notatu dignum eigens hervorgehoben wurde14. Neben den genannten gewährten die Universitäten noch etliche andere, grössere und kleinere Privilegien, die sich pauschal auf die Lebensqualität am Universitätsort bezogen. Man übte Nachsicht in der Kleiderordnung, gestattete die freie Wohnungswahl, befreite also, soweit die vornehmen Besucher der Artistenfakultät angehörten, vom Leben in einer Burse, erlaubte das Waffentragen, sportliche und ritterliche Betätigungen, Spiele, Jagden und Turniere sowie gesellschaftliche
13 Dazu Otto Gerhard Oexle, Alteuropäische Voraussetzungen des Bildungsbürgertums – Universitäten, Gelehrte und Studierte, in: Werner Conze, Jürgen Kocka (Hg.), Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert, Teil I: Bildungssystem und Professionalisierung im internationalen Vergleich, Stuttgart 1985, S 29–78. Zuletzt auch Rainer Christoph Schwinges, Genossenschaft und Herrschaft in der vormodernen Universität, in: Entwicklung und Realisierung des Genossenschaftsgedankens vom Mittelalter bis zur Gegenwart, hg. vom Historischen Verein bayerischer Genossenschaften (Schriftenreihe zur Genossenschaftsgeschichte 2), München 2000, S. 78–94. 14 Schwinges, Universitätsbesucher (wie Anm. 5), S. 378f. mit Belegen.
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Ereignisse, Festlichkeiten, Bankette und Gelage, woran die Universitätsspitzen selbstverständlich gerne teilnahmen, die Adelsnähe suchten und daher nur halbherzig ein gewisses Kostendach verordneten. Viele Universitäten – Köln hier allerdings im Mittelalter ausgenommen – haben hohen adeligen Studenten darüber hinaus auch ein förmliches Ehrenrektorat angetragen15. Die Adelsfrequenz | Die wirkliche Zahl der adeligen Besucher entsprach der Willkom- 362 menshaltung der Universitäten, dem eigens sanktionierten Standesraum und dem erheblichen Aufwand der Statuten in gar keiner Weise. Die soziale Ordnung in der Universität richtete sich – offensichtlich aber prägend – an einer sehr schmalen, freilich elitären Minderheit aus. An der Kölner Universität habe ich in einer repräsentativen Stichprobe für Adelige aller Ränge, geistlichen und weltlichen Standes, einen Durchschnittswert von 2,3 Prozent der gesamten Universitätsbesucherschaft des 15. Jahrhunderts ermittelt16. Dieser Prozentsatz liegt an der oberen Grenze machbarer Erkenntnis, soweit man sich auf universitätseigene Quellen, vor allem auf die allgemeinen Matrikeln stützt, an der unteren Grenze indessen der zu vermutenden tatsächlichen Verhältnisse. Die matrikelführenden Rektoren haben die Adelsqualität der Besucher nicht immer deutlich gekennzeichnet, vor allem dann nicht, wenn es sich um niederadelige bzw. ritterbürtige Universitätsbesucher handelte. Die ältere Forschung hat die Nachlässigkeit der Matrikelführung auch in diesem Punkte oft beklagt. Man muss allerdings den Rektoren zugute halten, dass sie nur das aufzeichneten, was sie für wichtig und memorabel hielten. So gesehen, spiegelt die Matrikel ein gutes Stück sozialer Wirklichkeit: eine Grauzone nämlich zwischen magni und parvi, zwischen adeligen und bürgerlichen Scholaren, eine Zone bereits des communis status, der zwar die Universität in der Masse trug, aber nicht sonderlich zu honorieren war. Universitätsbesuch und Studium waren für den Adel des Spätmit-
15 Vgl. Rainer Christoph Schwinges, Der Student in der Universität, in: Rüegg (wie Anm. 2), S. 181–223, 184f., 206ff.; ders., Rektorwahlen. Ein Beitrag zur Verfassungs-, Sozial- und Universitätsgeschichte des Alten Reiches im 15. Jahrhundert (Vorträge und Forschungen, Sonderband 38), Sigmaringen 1992. 16 Schwinges, Universitätsbesucher (wie Anm. 5), S. 379f.
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telalters nicht nur des Reiches, sondern ganz Europas weder selbstverständlich noch überhaupt notwendig, erst recht nicht irgendein Examen. “Begehr nit doctor zu werden, und habs Gott seys gedanckht, nit im Sünn”: Diese Bemerkung eines adeligen Studenten aus dem 17. Jahrhundert, die Begründung dafür, dass er überhaupt nur eine lectio hört, unterstreicht anschaulich die noch lange vorherrschende mentale und soziale Haltung, die sich vor 1500 selbstverständlich auf alle akademischen Grade bezogen hätte17. In erster Linie trifft die Feststellung allerdings auf den Laienadel zu, dessen politische und militärische Funktionen noch immer so dominierten, dass es eines universitären Hintergrundes nicht bedurfte. Etwas anders lag der Fall beim adeligen Klerus, der über seine Pfründen an Dom- und Kollegiatstiften zum Studium kam, und sei es auch nur, um das vorgeschriebene biennium abzuleisten, was vor oder nach Präbendenerhalt im Rahmen eines artistischen und vor allem juristischen ‘Grundstudiums’ an deutschen 363 | oder ausländischen Universitäten geschehen konnte. Doch auch die Zahlen adeliger Kleriker blieben vergleichsweise gering. Insgesamt entsprach der Anteil der Adelsstudenten an deutschen Universitäten des 15. Jahrhunderts mit geringen Schwankungen dem Anteil an der Gesamtbevölkerung des Reiches, den man auf rund zwei Prozent geschätzt hat18. Unter den alten, noch im 14. Jahrhundert gegründeten Universitäten zeigte lediglich Heidelberg einen überproportionalen, wirklich nachweisbaren Adelsbesuch (3,4%) und setzte sich damit im Gesamtzeitraum an die Spitze vor Köln (2,3%), Erfurt (2,0%), Wien (1,3%) und Leipzig (0,8%), um nur einmal die grossen Universitäten zu nennen. Die Meinung des sächsischen Adels, die man offensichtlich auch anderswo geteilt haben muss, die heimische Universität zu Leipzig Zitat nach Rainer A. Müller, Universität und Adel. Eine soziostrukturelle Studie zur Geschichte der bayerischen Landesuniversität Ingolstadt 1472–1648 (Ludovico Maximilianea, Forschungen 7), Berlin 1974, S. 161. Aufgegriffen hat dieses Zitat in einer instruktiven Studie Gerhard Fouquet, “begehr nit doctor zu werden, und habs Gott seys gedanckht, nit im Sünn”. Bemerkungen zu Erziehungsprogrammen ritterschaftlicher Adliger in Südwestdeutschland (14.–17. Jahrhundert), in: Hans-Peter Becht und Jörg Schadt (Hg.), Wirtschaft – Gesellschaft – Städte. Festschrift für Bernhard Kirchgässner zum 75. Geburtstag, Ubstadt-Weiher 1998, S. 95–127. Zum Promotionsverhalten z.B. auch Horst Rudolf Abe, Der Anteil des Adels und der Geistlichkeit an den Promotionen der Erfurter Artistenfakultät im Mittelalter 1392–1521, in: Beiträge zur Hochschul- und Wissenschaftsgeschichte Erfurts 20 (1985), S. 7–14. 18 Müller, Adel (wie Anm. 17), S. 70ff.; Peter Moraw, Von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung. Das Reich im späten Mittelalter 1250 bis 1490 (Propyläen Geschichte Deutschlands 3), Berlin 1985, S. 68. Vergleichend Ferenc Maksay, Le pays de la noblesse nombreuse (Studia Historica Academiae Scientiarum Hungaricae 139), Budapest 1980, S. 5–26. 17
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sei ein Studium für ‘armer Leute Kind’ und daher zu meiden, scheint sich im Vergleich zu den anderen Hohen Schulen auch statistisch zu bestätigen19. Wichtiger als solche Durchschnittswerte sind indessen die Entwicklungswerte. Deren Tendenzen scheinen sich wenigstens allgemein zu bestätigen, während erstere sich kaum einmal mit solchen aus anderen Studien wegen unterschiedlicher Erhebungsarten und Zeiträume direkt vergleichen lassen20. Nach 1450 wurde nämlich der Universitätsbesuch der Standespersonen attraktiver, als er zuvor gewesen war. In manchen Jahrgängen befanden sich zehn und mehr Adelige unter hundert Immatrikulierten. Die Zunahme stand jedoch in gar keinem Verhältnis zum rasanten Wachstum der übrigen Besucherschaft der deutschen Universitäten. Dieses setzte sich seit den siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts aus 2 500 bis 3 000 jährlich neu hinzugewonnenen Immatrikulationen zusammen. Trotz der absoluten Zugewinne klaffte die Schere zwischen Adel und Nichtadel immer weiter auseinander. Man kann sagen: Der Adel hatte zwar seinen Ort in der Universität, aber die Universität war noch nicht auch der Ort des Adels. Zu den bekannten Legitimationskrisen des spätmittelalterlichen Adels gesellte sich offenbar auch eine kulturelle Krise, eine Bildungs- und Erziehungskrise des Führungsstandes, die sich an der Jahrhundertwende verschärfte, wie das beispielsweise Ulrich von Hutten richtig erkannte, und erst in der Mitte des 16. Jahrhunderts ihren Höhepunkt überschreiten sollte, als auch humanistisch geprägte Erziehungsideale stärker in die Praxis umgesetzt werden konnten21. 19 Vgl. Kurt Krebs, Die Universität Ingolstadt als Bildungsstätte des sächsischen Adels, in: Wissenschaftliche Beilage der Leipziger Zeitung Nr. 92 vom 1. 8. 1896, S. 365–368. Dazu Müller, Adel (wie Anm. 17), S. 94ff., Fouquet (wie Anm. 17), S. 108. 20 Siehe Müller, Adel (wie Anm. 17) S. 70ff.; James H. Overfield, Nobles and Paupers at German Universities to 1600, in: Societas. A Review of Social History 41 (1974), S. 175–210. Christoph Fuchs, Dives, pauper, nobilis, magister, frater, clericus. Sozialgeschichtliche Untersuchungen über Heidelberger Universitätsbesucher des Spätmittelalters (1386–1450) (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 5), Leiden 1995, S. 25ff.; Beat Immenhauser, Wiener Juristen. Zur Sozialgeschichte der juristischen Besucherschaft der Universität Wien von 1402 bis 1519, in: Mitteilungen der Österreichen Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte 17 (1997), S. 61–102, 86ff. Fouquet (wie Anm. 17), S. 107ff. 21 Im Überblick Müller, Adel (wie Anm. 17), S. 44ff., 70ff.; Fouquet (wie Anm. 17). Siehe auch Gernot Heiss, Bildungsverhalten des niederösterreichischen Adels im gesellschaftlichen Wandel: Zum Bildungsgang im 16. und 17. Jahrhundert, in: Grete Klingenstein, Heinrich Lutz (Hg.), Spezialforschung und “Gesamtgeschichte”. Beispiele und Methodenfragen zur Geschichte der frühen Neuzeit (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit 8), Wien 1981, S. 139–157; Georg Schmidt, Ulrich von Hutten, der Adel und das Reich um 1500, in: Johannes Schilling, Ernst Giese (Hg.), Ulrich von Hutten
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| Zunächst jedoch verlor der Adel wichtiges Terrain. Positionen in Kirche, Reich und Territorien, die bis dahin mehr oder weniger ausschliesslich dem Adel vorbehalten waren, übernahm vielfach ein wirtschaftlich starkes, selbstbewusstes und mehr und mehr schuloder gar universitätsgebildetes Bürgertum22. Dessen geballter Konin seiner Zeit, Kassel 1988, S. 19–34; Andreas Ranft, Einer vom Adel. Zu adligem Selbstverständnis und Krisenbewusstsein im 15. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 263 (1996), S. 317–342; Christian Wieland, Status und Studium. Breisgauischer Adel und Universitäten im 16. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins 148 (2000) S. 97–150. – Wohl ist dies ein allgemeineres, europäisches Phänomen, vgl. z.B. Hugh F. Kearney, Scholars and Gentlemen. Universities and Society in preindustrial Britain, London 1970, S. 9–70; Jacques Verger, Noblesse et savoir: Etudiants nobles aux Universités d’Avignon, Cahors, Montpellier et Toulouse, in: La Noblesse au Moyen Age XIe–XVe Siècles. Essais à la Mémoire de R. Boutrouche, réunis par Philippe Contamine, Paris 1976, S. 289–313; ders., Les gens de savoir en Europe de la fin du Moyen Age, Paris 1997, S. 211–216. Jean-Pierre Labatut, Les noblesses européennes de la fin du XVe à la fin du XVIIIe siècle, Paris 1978. Hilde de Ridder-Symoens, L’aristocratisation des universités au XVIe siècle, in: Les grandes réformes des universités Européennes du XVIe au XXe siècles (Zeszyty Naukowe Uniwersytetu Jagiellonskiego DCCLXI, Prace Historyczne 79), Kraków 1985, S. 37–47. 22 Im Überblick Hans Hubert Hofmann, Günter Franz (Hg.), Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit. Eine Zwischenbilanz, Boppard 1980; Notker Hammerstein, Res Publica Litteraria oder Asinus in Aula? Anmerkungen zur ‘Bürgerlichen Kultur’ und zur ‘Adelswelt’, in: August Buck und M. Bircher (Hg.), Respublica Guelpherbytana, Amsterdam 1987, S. 35–68. Klaus Wriedt, Universitätsbesucher und graduierte Amtsträger zwischen Nord- und Süddeutschland, in: Werner Paravicini (Hg.), Nord und Süd in der deutschen Geschichte des Mittelalters, Sigmaringen 1990, S. 193–201; Schwinges, Gelehrte (wie Anm. 5), darin u.a. Rainer A. Müller, Zur Akademisierung des Hofrates. Beamtenkarrieren im Herzogtum Bayern 1450–1650, S. 291–307; Klaus Wriedt, Gelehrte in Gesellschaft, Kirche und Verwaltung norddeutscher Städte, S. 437–452; Urs Martin Zahnd, Studium und Kanzlei. Der Bildungsweg von Stadt- und Ratsschreibern in eidgenössischen Städten des ausgehenden Mittelalters, S. 453–476; in einer wichtigen exemplarischen Studie ders., Die Bildungsverhältnisse in den bernischen Ratsgeschlechtern im ausgehenden Mittelalter. Verbreitung, Charakter und Funktion der Bildung in der politischen Führungsschicht einer spätmittelalterlichen Stadt, Bern 1979. Ebenfalls exemplarisch Heinz Noflatscher, Räte und Herrscher. Politische Eliten an den Habsburgerhöfen der österreichischen Länder 1480–1530 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung Universalgeschichte 161), Mainz 1999; Kenneth H. Marcus, The Politics of Power. Elites of an Early Modern State in Germany (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung Universalgeschichte 177), Mainz 2000. Siehe neuerdings Christian Hesse, Amtsträger der Fürsten im spätmittelalterlichen Reich (Schriftenreihe der historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 70), Göttingen 2005; ders., Verwaltungspersonal und Verwaltungspraxis. Die Territorien Hessen und Württemberg, in: Ulrich Pfister et al. (Hg.), Sozialdisziplinierung – Verfahren – Bürokraten. Entstehung und Entwicklung der modernen Verwaltung, Basel 1999, S. 29–41.; ders., Landesherrliche Amtsträger – Artisten im Beruf, in: Rainer Christoph Schwinges (Hg.), Artisten und Philosophen. Wissenschafts- und Wirkungsgeschichte einer Fakultät vom 13. bis zum 19. Jahrhundert (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 1), Basel 1999, S. 25–51; ders., Amt und
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kurrenz, welche nicht zuletzt auf Grund des hohen Angebotsdrucks von Universitätsabsolventen | im ausgehenden 15. Jahrhundert 365 zustandekam, begegnete der Adel jedoch relativ rasch und auf einzig mögliche Weise: “Um universitärer Bildung und Ausbildung nicht nur honorige Geburt als Äquivalent entgegensetzen zu können, entschied er sich gleichfalls für das Universitätsstudium”23. Er hatte bei allem Respekt vor dem humanistischen Ideal auch die “bittere noodzaak” erkannt24. Die Entscheidung fiel um so leichter, als der Adel seine gewohnten Vorrechte und Geburtsprivilegien in der Universität ganz selbstverständlich wiederfand. Zunächst jedoch, wie gesagt, verlor der Adel wichtiges Terrain, ausgerechnet in der entscheidenden Expansionsphase der Universitäten des Reiches. Man kann von Köln ausgehend – von einer regelrechten Gegenkonjunktur sprechen. Diese lag jedoch nicht an Köln selbst, weder an der Universität noch an der Stadt in erster Linie, noch daran, dass etwa der Dom und die zahlreichen Kölner Stiftskirchen ihre Anziehungskraft auf adlige Pfründner verloren hätten. Man wird auch ein allgemeineres Phänomen zu konstatieren haben und dabei die Frequenzproblematik sofort strikt regionalisieren. Die Kölner Universität stand nämlich in dieser Entwicklung nicht alleine da. Von Erfurt abgesehen wiesen alle Universitäten in den nördlichen Ländern des Reiches von Löwen und Köln im Westen über Leipzig bis Rostock und Greifswald im Osten sinkende oder überhaupt kaum nennenswerte Adelsfrequenzen auf 25. Bei weitgehendem Fehlen einer überregionalen adeligen Rekrutierung vermochten die beiden OstseeUniversitäten mit betont bürgerlich-hansischer Prägung selbst kaum heimischen Adel an sich zu binden, nicht einmal niederen Adel, den
Pfründe. Geistliche in der hessischen Landesverwaltung, in: Frantisek Smahel (Hg.), Geist, Gesellschaft, Kirche im 13.–16. Jahrhundert (Colloquia mediaevalia Pragensia 1), Prag 1999, S. 263–277; ders., Qualifikation durch Studium? Die Bedeutung des Universitätsbesuchs in der lokalen Verwaltung spätmittelalterlicher Territorien im Alten Reich, in: Günther Schulz (Hg.), Sozialer Aufstieg. Funktionseliten im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit (Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit 25), München 2002. 23 So Rainer A. Müller, Aristokratisierung des Studiums? Bemerkungen zur Adelsfrequenz an süddeutschen Universitäten im 17. Jahrhundert, in: Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft 10 (1984), S. 31–46. 24 Hilde de Ridder-Symoens, Adel en Universiteiten in de zestiende eeuw. Humanistisch ideaal of bittere noodzaak?, in: Tijdschrift voor Geschiedenis 93 (1980), S. 410–432. 25 So in der Tendenz schon Overfield (wie Anm. 20), S. 184ff.
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man auch universitätsoffiziell gar nicht als solchen zur Kenntnis nahm, sondern ihn ohnehin als communis status behandelte26. Hinzu kommt, dass in allen drei Universitätsstädten des Ostens sowie in ihren engeren Einzugsräumen bedeutendere kirchliche Einrichtungen nicht vorhanden waren, die dem Adel Pfründen und Bildung verschafft hätten. Als einzige scherte Erfurts Universität aus dieser nördlichen Linie aus. Wie in Köln verliefen Adels- und allgemeine Frequenz in völlig entgegengesetzter Richtung, jedoch mit veränderten Vorzeichen. Während die allgemeine Frequenz seit den siebziger Jahren zu sinken und damit die grosse mittelalterliche Phase Erfurts allmählich zu verblühen begann, steigerte sich der Universitätsbesuch des Adels, der bis dahin hinter Köln zurückgestanden hatte. Die alte Anziehungskraft, die die Universität – unterstützt durch die beiden bedeutenden Stifte St. Marien 366 und St. Severi – schon früh vor | allem für den thüringischen und hessischen und teilweise auch für den fränkischen Adel entwickelt hatte, erhielt sich nicht nur, sondern verstärkte sich beträchtlich. Damit bildete Erfurt praktisch eine Brücke zu den Verhältnissen im süddeutschen Raum27. Sämtliche Universitäten von Heidelberg bis Wien, gerade auch die nach der Jahrhundertmitte gegründeten neuen Universitäten zu Freiburg, Basel, Ingolstadt und Tübingen, sahen sich ungefähr seit den achtziger Jahren einer anschwellenden Adelsfrequenz gegenüber28. Unter den möglichen Ursachen für diese im Süden des Reiches so anders verlaufenden Entwicklungen als im Norden, der in
26 Dies ist abweichend von den üblichen Gepflogenheiten, auch vom Erfurter Vorbild; dazu Schwinges, Universitätsbesucher (wie Anm. 5), S. 349f. In der frühen Neuzeit nahm die Adelsfrequenz jedoch auch an der Ostsee wieder zu, siehe Matthias Asche, Von der reichen hansischen Bürgeruniversität zur armen mecklenburgischen Landeshochschule. Das regionale und soziale Besucherprofil der Universitäten Rostock und Bützow in der Frühen Neuzeit (1500–1800) (Contubernium. Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 52), Stuttgart 2000, S. 387ff.; Achim Link, Auf dem Weg zur Landesuniversität. Studien zur Herkunft spätmittelalterlicher Studenten am Beispiel Greifswald 1456–1524 (Beiträge zur Geschichte der Universität Greifswald 1), Stuttgart 2000. Zu Löwen, Niederlande de Ridder-Symoens (wie Anm. 24), S. 420ff. 27 Vgl. Rainer Christoph Schwinges, Erfurts Universitätsbesucher im 15. Jahrhundert: Frequenz und räumliche Herkunft, in: Ulman Weiss (Hg.), Erfurt. Geschichte und Gegenwart, Weimar 1995, S. 207–222; ders., Franken in der deutschen Universitätslandschaft des späten Mittelalters, in: Hans-Albert Steger, Hans Hopfinger (Hg.), Die Universität in der Welt – die Welt in der Universität, Neustadt a.d. Aisch 1994, S. 1–26, beide auch in diesem Band. 28 Overfield (wie Anm. 20), S. 185f. Müller, Adel (wie Anm. 17), S. 70ff.; Immenhauser (wie Anm. 20), S. 86f.; Berta Scharnke, Über Zusammensetzung und soziale Verhältnisse der Heidelberger Universitäts-Angehörigen im 15. Jahrhundert, Diss. masch. Heidelberg 1921, S. 29ff.; die Arbeit von Fuchs (wie Anm. 20) endet zum Jahr 1450.
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dieser Hinsicht erst nach 1525 aufholte, scheinen fünf insbesondere hervorzustechen29: (1) Die süddeutschen Regionen hatten eine wesentlich höhere Adelsdichte aufzuweisen als die nördlichen. Man denke nur an die vielen kleinräumigen Adelsherrschaften, zum Beispiel an die der fränkischen und schwäbischen Reichsritter, um den quantitativen Aspekt nicht aus dem Auge zu verlieren. Er musste sich sogleich bemerkbar machen, als die Entscheidung für das Adelsstudium in den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts grundsätzlich gefallen war30. (2) Für den Adeligen, vor allem vom Herrenstande an aufwärts, verband sich das Studium mit einer Bildungsreise, die zumeist mehrere Universitäten berührte. Solches Reisen war ein klarer Ausweis von Herrenverhalten, denn Universitätswechsel waren ansonsten im deutschen Raum ganz und gar nicht der Normalfall31. Vielmehr bestimmte die strikte Regionalität der spätmittelalterlichen Universitäten in aller Regel auch das Migrationsverhalten ihrer Besucher. Nur der Adel oder adelsnah Handelnde hatten den weiteren Horizont. Seine Reisen führten ihn häufig auch ins Ausland, in der Regel an die juristischen Prestige-Universitäten Frankreichs und Italiens, nach Orléans etwa oder Bologna, das allerdings seit der Jahrhundermitte seinen alten Rang in steigendem Masse unter anderen mit Padua, Pisa, Pavia, Perugia oder Siena teilen musste. | Auf der Reise ins Ausland waren süddeut- 367 sche Universitäten häufig Vorstationen, Ausgangspunkte, aber auch Rückkehrpunkte der Touren, in erster Linie Ingolstadt, dann Freiburg und Basel und zuletzt auch Wien, obwohl seine Rolle, etwas abseits
29 Meine früheren Bemerkungen (wie Anm. 5, S. 386ff.) lassen sich nicht nur aufrechterhalten, sondern auch im Lichte neuerer Forschungen bestätigen und präzisieren. 30 So auch Müller, Adel (wie Anm. 17), S. 74f. 31 Dazu Zahnd, Bildungsverhältnisse (wie Anm. 22), S. 16ff. Rainer Christoph Schwinges, Migration und Austausch. Studentenwanderungen im Deutschen Reich des späten Mittelalters, in: Gerhard Jaritz, Albert Müller (Hg.), Migration in der Feudalgesellschaft, Frankfurt/New York 1988, S. 141–155. Im europäischen Zusammenhang Elisabeth Mornet, Le Voyage d’Études des Jeunes Nobles Danois du XIVe Siècle à la Réforme, in: Journal des Savants 1984, S. 287–318; Jacques Verger, La mobilité étudiante au Moyen Âge, in: Histoire de l’Éducation 50 (1991) S. 65–90; Hilde de Ridder-Symoens, Mobilität, in: Rüegg (wie Anm. 2), S. 255–275; Werner Paravicini, Von der Heidenfahrt zur Kavalierstour. Über Motive und Formen adligen Reisens im späten Mittelalter, in: Horst Brunner, Norbert Richard Wolf (Hg.), Wissensliteratur im Mittelalter und in der frühen Neuzeit (Wissensliteratur im Mittelalter 13), Wiesbaden 1993, S. 91–130, 103ff. Zu exemplarischen Reisen Fouquet (wie Anm. 17), S. 114ff. mit weiteren Hinweisen.
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der Routen, eher bescheiden blieb32. Manche Adelige besuchten unter diesen Umständen gar nicht erst die näher gelegene heimische Hochschule, sondern zogen gleich nach Süden. In dieser Perspektive vollzog sich offensichtlich das ‘Adelsschicksal’ der Universitäten zu Löwen und Köln. Orléans war geradezu ein Zentrum des niederländischen Adels bzw. überhaupt des Adels des nordwestlichen Reiches; und Ingolstadt, Freiburg und Basel waren schliesslich der Treffpunkt all jener aus dem Nordwesten, die nach Italien weiterzureisen gedachten oder von dort zurückkehrten33. Diese deutsche Bildungsreise, nicht nur übrigens die des Adels, war freilich noch ausgangs des Mittelalters etwas absolut Einseitiges34: Der französische und italienische Adel studierte nicht im Reich, ebensowenig wie seine nichtadeligen Landsleute. Nur gelegentlich verirrten sich West- und Südeuropäer, und dann zumeist als Graduierte und Gelehrte, an deutsche Universitäten35. (3) Adelige absolvierten neben den artes in erster Linie ein Studium
Immenhauser (wie Anm. 20), S. 73ff., 86f. Hilde de Ridder-Symoens, Les origines géographiques et sociales des étudiants de la Nation Germanique de l’ancienne université d’Orléans (1444–1546), in: Jozef Ijsewijn, Jacques Paquet (Hg.), The Universities in the Late Middle Ages (Mediaevalia Lovaniensia, Series I 6), Leuven 1978, S. 455–474; Detlef Illmer, Die Rechtsschule von Orléans und ihre deutschen Studenten im späten Mittelalter, in: Fried, Schulen (wie Anm. 7) S. 407–438; Müller, Adel (wie Anm. 17), S. 70ff. Overfield (wie Anm. 20), S. 185f. 34 Siehe z.B. Agostino Sottili, Università e cultura. Studi sui rapporti italo-tedeschi nell’età del l’umanesimo, Goldbach 1993; in weitgreifenden Fallstudien ders., Ehemalige Studenten italienischer Renaissance-Universitäten: ihre Karrieren und ihre soziale Rolle, in: Schwinges, Gelehrte (wie Anm. 5), S. 41–74; ders., Studenti tedeschi dell’Università di Padova e diffusione dell’ Umanesimo in Germania: Ulrich Gossembrot, in: Francesco Piovan, Luciana Sitran Rea (Hg.), Studenti, Università, Città nella Storia Padovana, Padua 2001, S. 177–240; de Ridder-Symoens, Mobilität (wie Anm. 31); Werner Maleczek, Deutsche Studenten an Universitäten in Italien, in: Siegfried de Rachewiltz, Josef Riedmann (Hg.), Kommunikation und Mobilität im Mittelalter. Begegnungen zwischen dem Süden und der Mitte Europas (11.–14. Jahrhundert), Sigmaringen 1995, S. 77–113; Ingrid Matschinegg, Österreicher als Universitätsbesucher in Italien (1500–1630). Regionale und soziale Herkunft – Karrieren – Prosopographie, Diss. Graz 1999. – Winfried Dotzauer, Deutsches Studium und deutsche Studenten an europäischen Hochschulen (Frankreich, Italien) und die nachfolgende Tätigkeit in Stadt, Kirche und Territorium in Deutschland, in: Erich Maschke, Jürgen Sydow (Hg.), Stadt und Universität im Mittelalter und in der frühen Neuzeit (Stadt in der Geschichte 3), Sigmaringen 1977, S. 112–141; Jacques Verger, Etudiants et gradués allemands dans les universités françaises du XIVe au XVIe siècle, in: Schwinges, Gelehrte (wie Anm. 5), S. 23–40. 35 Rainer Christoph Schwinges, Französische Studenten im spätmittelalterlichen Reich, in: Michel Parisse (Hg.), Les échanges universitaires franco-allemands du Moyen Age au XXe s. Actes du Colloque de Göttingen, Mission Historique Française en Allemagne, 3–5 novembre 1988, Paris 1991, S. 37–54.; ders., Resultate (wie Anm. 1), S. 116, beide auch in diesem Band. 32 33
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der Rechte. Die Juristenfakultäten und im Ausland die JuristenUniversitäten waren der eigentliche, ihnen angemessene soziale Ort, ein exklusiver, vornehmer Raum der herrschaftsnahen Elite aus Stadt und Land. Hier war man, rechnet man die städtischen statum nobilium tenentes noch hinzu, fast unter sich – in der Deutschen Nation zu Bologna zum Beispiel zwischen 1265 und 1425 nahezu konstant zu rund 75 Prozent36. Dem kam | zugute, dass im Laufe der zweiten Hälfte 368 des 15. Jahrhunderts die juristischen Fakultäten allenthalben ausgebaut wurden, wovon insbesondere die im Süden des Reiches neu gegründeten Hochschulen profitierten37. Den vorhandenen dekretistischen gesellten sich legistische Lehrstühle hinzu (Heidelberg, Wien) oder wurden gleich bei der Gründung miteingerichtet (Basel, Freiburg, Ingolstadt, Tübingen), entsprechend der zunehmenden Bedeutung des römisch-weltlichen Rechts in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis. Darüber hinaus suchte man, um vor allem im weltlichen Recht möglichst modern zu sein, wiederholt italienische Rechtslehrer zu verpflichten, was nicht immer ohne Reibungen vor sich ging und gelegentlich durch den Landesherrn regelrecht dekretiert werden musste; am Ende jedoch war man im Süden damit erfolgreicher als im Norden. Keine Fortune war den beiden gelehrten Juristen, Petrus und Vincentius von Ravenna, Vater und Sohn, im fernen Greifswald beschieden, wohin sie der Pommernherzog 1497 berufen hatte. Nur kurz und strohfeuerartig konnten sie die Zahl der Immatrikulationen, bemerkenswerterweise auch die des Adels, beleben; doch letztlich scheiterten sie nicht daran, sondern an der konservativen Fakultät38. Schon dieses Beispiel zeigt, dass nicht 36 Jürg Schmutz, Juristen für das Reich. Die deutschen Rechtsstudenten an der Universität Bologna 1265–1425 (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 2), 2 Teile, Basel 2000, Teil I, S. 83f. Weiteres bei Immenhauser, Juristen (wie Anm. 20), S. 61ff., beruhend auf ders., Wiener Juristen. Studien zur Sozialgeschichte der Juristen an der Universität Wien von 1402 bis 1519, Phil.-hist. Lizentiatsarbeit, Bern 1996; ders., Iudex id est rex. Formen der Selbstwahrnehmung gelehrter Juristen im späten Mittelalter, in: Stefan Kwiatkowski, Janusz Mallek (Hg.), Ständische und religiöse Identitäten in Mittelalter und früher Neuzeit, Torún 1998, S. 43–61; Moraw, Juristenuniversität Prag (wie Anm. 7), S. 461f.; Dietmar Willoweit, Juristen im mittelalterlichen Franken. Ausbreitung und Profil einer neuen Elite, in: Schwinges, Gelehrte (wie Anm. 5), S. 225–267. 37 Siehe Helmut Coing, Römisches Recht in Deutschland ( Jus Romanum Medii Aevi V 6), Mailand 1964; ders. Die juristische Fakultät und ihr Lehrprogramm, in: Ders. (Hg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Band 1: Mittelalter (1100–1500), München 1973, S. 39–128; Karl Heinz Burmeister, Das Studium der Rechte im Zeitalter des Humanismus im deutschen Rechtsbereich, Stuttgart 1974. Schmutz (wie Anm. 36). 38 Johann Gottfried Ludwig Kosegarten, Geschichte der Universität Greifswald mit
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oder zumindest nicht allein die institutionellen Verhältnisse in Rechtsfakultäten über den Universitätsbesuch des Adels entschieden. Denn gerade Köln und Löwen besassen bedeutende Fakultäten und bereits von Anfang an Professuren für das römische Recht. In Löwen bestand sogar wie sonst nirgends im Reich eine eigene facultas legistarum, die als fünfte den Kreis der klassischen vier Fakultäten erweiterte. Aber möglicherweise bot man nicht die Modernität, etwa den mos italicus, den der Adel suchte. In diesem Zusammenhang mag sich eine Beobachtung in der Kölner Juristenfakultät als ausserordentlich wichtig erweisen: Etwa seit den sechziger Jahren des 15. Jahrhunderts wurden die Kölner Doktoren in zunehmender Weise ‘im Hause gemacht’. Hatten sie sich bis dahin häufig in Orléans, Bologna, Pavia, Siena oder anderswo promovieren lassen, so gerieten diese ‘Auswärtigen’ nun in eine deutliche Minderheit. Parallel dazu kann man eine sich ebenfalls steigernde soziale Vernetzung in der Fakultät feststellen, die Bildung von stadtkölnischen, niederrheinisch-niederländischen und westfälischen Cliquen, die sich gegen Einflüsse von aussen wehrten und mit den Personen offenbar auch die Ideen ausgrenzten. Kein Wunder, dass Petrus von Ravenna, enttäuscht 1506 von Greifswald über Wittenberg 369 kommend, auch in Köln | scheiterte, an den gleichen Kräften übrigens, die bald darauf von den Humanisten (Ulrich von Hutten) zum Teil als Dunkelmänner verspottet wurden39. (4) Vom Humanismus sind bekanntlich keine Massenwirkungen im Sinne gestiegener Besucherzahlen auf die Universitäten ausgegangen. Im Gegenteil: gerade in seinen sogenannten Zentren, die allesamt im Süden lagen, wenn man Erfurt unter diesem Aspekt einmal hinzurechnen darf, waren hohe Frequenzverluste oder Stagnation des Universitätsbesuchs zu konstatieren. Anders war es jedoch, wenn man die Adelsfrequenzen der fraglichen Zentren betrachtet. Sehr wahrscheinlich bestanden hier enge Verbindungen. Der Humanismus des deutschen 15. Jahrhunderts war im wesentlichen eine typische KleingruppenKultur, eine Standeskultur zudem, an der der Adel und das gehobene Bürgertum gemeinsam partizipierten40. Meist auf dem Umweg über urkundlichen Beilagen, 2 Teile Greifswald 1856–1857 (Nachdruck Aalen 1976), hier Teil I, S. 154ff. 39 Schwinges, Universitätsbesucher (wie Anm. 5), passim. Charles G. Nauert, Peter of Ravenna and the ‘Obscure Men’ of Cologne: A Case of Pre-Reformation Controversy, in: A. Molho, J. Tedesci (Hg.), Renaissance Studies in Honor of Hans Baron, Florenz/Dekalb, Illinois 1971, S. 609–640; Meuthen (wie Anm. 6), S. 212f. 40 Eindringliche Studien dazu von Walter Rüegg, Anstösse. Aufsätze und Vorträge zur
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die Städte und Höfe drang der Humanismus in die Universitäten ein, wo sich dann studia humaniora und studia lucrativa sehr rasch miteinander verbanden, freilich nicht über die Wissenschaften, sondern über die Personen, die in der kleinen und vornehmen Welt der Juristen beides miteinander betrieben. Der Vorgang ist aus Italien und Frankreich schon lange bekannt. Gewiss verstand man es auch in den Universitäten des Nordens, die legum sive humanitatis studia zu verknüpfen; doch insgesamt war das Klima zwischen Tradition und Neuerung hier vorerst nicht sehr günstig. (5) Im Blick auf mögliche Karrieren im Dienste eines Landesherren waren städtische Universitäten für den Adel je länger, desto deutlicher nicht mehr der richtige Ausgangspunkt. Man suchte die Landesuniversitäten auf und damit gleichzeitig die Nähe des Hofes, am frühesten schon in Heidelberg um die Mitte des 15. Jahrhunderts, dann in Ingolstadt nach 1472, dann auch in Wien seit den neunziger Jahren, aber erst nach dem Übergang der Regierung an Maximilian41. Von der Stadtuniversität Köln aus gesehen begann dieser Prozess der Umorientierung des Adels bereits in den sechziger und siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts. Die Basler Universität folgte darin um die Jahrhundertwende. Die Kombination von Südlage, Vornehmheit, Juristenprestige und Humanismus verlor ihre Zugkraft gegenüber dem Fehlen eines territorialen Umfeldes, | das die Eidgenossenschaft noch nicht ersetzen konnte. Das gleiche 370 galt in der Tendenz auch für die Erfurter Universität nach 1525. Hatte sie bis dahin gleichsam als ‘Ersatz-Landesuniversität’ vor allem für den thüringischen und hessischen Adel gedient, so verlor sich dieser
dialogischen Lebensform, Frankfurt am Main 1973, zuletzt ders., Das Aufkommen des Humanismus, in: Rüegg (wie Anm. 2), S. 387–408; ders., Der Humanismus und seine gesellschaftliche Bedeutung, in: Schwinges, Artisten (wie Anm. 22), S. 163–180; ders., “Humanistic education” as a Civic Training of New Types of Elites in Ancient Rome and Modern Europe, in: Mare nostrum – mare Balticum. Commentationes in honorem Professoris Matti Klinge, Helsingiae 2000, S. 485–508. Siehe ferner Christine Treml, Humanistische Gemeinschaftsbildung: Sozio-kulturelle Untersuchung zur Entstehung eines neuen Gelehrtenstandes in der frühen Neuzeit (Historische Texte und Studien 12), Hildesheim/Zürich/New York 1989. 41 Siehe Müller, Adel (wie Anm.17), S. 76ff.; Overfield (wie Anm. 20), S. 199. Peter Moraw, Heidelberg: Universität, Hof und Stadt im ausgehenden Mittelalter, in: Bernd Moeller u.a. (Hg.), Studien zum städtischen Bildungswesen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Philologisch-Historische Klasse. 3. Folge 137), Göttingen 1983, S. 524–552; Fuchs (wie Anm. 20), S. 30ff.; Immenhauser, Juristen (wie Anm. 20), S. 87f.; ders., Iudex (wie Anm. 36), S. 52f.; Edgar Bonjour, Die Universität Basel von den Anfängen bis zur Gegenwart 1460–1960, Basel 1960 (21971), S. 72.
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Aspekt nun zugunsten der Landesuniversitäten in Leipzig, Wittenberg und schliesslich auch in Marburg42. Die Möglichkeit, dass auch eine sich im Zeitverlauf verändernde soziale Zusammensetzung der Kölner Adelsgruppe als weitere Ursache in Frage käme, darf man mit guten Gründen beiseite räumen. Das Phänomen der gegen die Expansionsrichtung nachlassenden Adelsfrequenz betraf nämlich den Adel in seiner Gesamtheit. Der weltliche und geistliche, hohe und niedere Adel legte unter den Modalitäten des Zugangs zur Hochschule ein tendenziell gleiches Verhalten an den Tag, eine Kollektivität, die Köln als Studienort akzeptierte, so lange jedenfalls bis eine neue kollektive Neigung den süddeutschen Universitäten den Vorzug gab. Die Personen und das Adelsprofil Der Adel verlieh wahrscheinlich einer jeden Universität ein typisches Profil. Im Falle Kölns mag es verwundern, dass die Universität keine Domäne des geistlichen Adels geworden ist. Laien und Kleriker hielten sich vielmehr die Waage, zumindest zum Zeitpunkt der Immatrikulation, da der eine oder andere später noch in den geistlichen Stand überwechseln mochte. Die Gleichgewichtigkeit der Laien und Kleriker galt allerdings nur der reinen Zahl: Die soziale Zugehörigkeit war grundverschieden. Der hohe Adel der Fürsten und Grafen konzentrierte sich im Verhältnis von 5:1 auf seiten der Kleriker, während Ritterbürtige, niedere Land- und Stadtadelige mit 3:1 ein Übergewicht im weltlichen Stand besassen. Barone sah man auf beiden Seiten in gleich grosser Anzahl. Was den hohen Adel anbelangte, so profitierte Köln entscheidend von der Existenz des Domstiftes und der anderen grossen Kollegiatkirchen der Stadt. Hier liess sich ein grosser Teil des stiftfähigen Adels immatrikulieren, um auf der Bildungstour auch am Ort der Kölner Pfründe einen Teil des geforderten biennium abzuleisten43. Die meisten waren Domherren zu Köln, daneben in Häufung von Pfründen oft auch Domherren zu Trier und Mainz, zu Metz, Speyer,
42 Schwinges (wie Anm. 27). Erich Kleineidam, Universitas Studii Erffordensis: Überblick über die Geschichte der Universität Erfurt, Band 3, Leipzig 1980. 43 Zur Bedeutung auch für den Adel Fouquet (wie Anm. 17), S. 105ff., beispielhaft ders., Das Speyerer Domkapitel im späten Mittelalter (ca. 1350–1540). Adlige Freundschaft, fürstliche Patronage und päpstliche Klientel (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 57), 2 Bde., Mainz 1987, hier Bd. 1.
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Strassburg und Basel, Lüttich, Osnabrück und Paderborn, Stiftsherren zu St. Marien in Aachen und St. Gereon in Köln, um nur die mehrfach vom hohen Adel besetzten Kapitel zu nennen. Im Laufe des 15. Jahrhunderts sah man in Köln nach Ausweis der allgemeinen Universitätsmatrikel Angehörige der Herzöge von Braunschweig, der Grafen von Diepholz, von Rietberg, von Bentheim und Steinfurt, von der Mark, von Sayn-Wittgenstein, von Waldeck, von Solms, von Isenburg, von Rieneck, der Landgrafen von Stühlingen, der Markgrafen von Baden, der Landgrafen von Hessen sowie auch des kurfürstlichen Hauses der | Pfalzgrafen bei Rhein; hinzu kamen im Gefolge der Grossen oder 371 selbständig zahlreiche Herren aus dem ganzen Reichsgebiet44. Schon diese herausgegriffenen Namen zeigen jene Weite der Rekrutierung an, die die Universität selbst erst in den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts erlangte45. Es war folglich nicht die Kölner Universität, die den hohen Adel an sich zog, sondern das Domkapitel, dessen Einzugsgebiet sich in allererster Linie in den genannten Namen widerspiegelte. Demgegenüber stammte der weltliche Adel so gut wie ausschliesslich aus dem nahen und näheren Einzugsraum. Stadtkölner Geschlechter wie die Lyskirchen, Jude, Hardefust und vom Hirze gaben hier den Ton an zusammen mit Ritterbürtigen vom Niederrhein wie die von Bongart, Kellenbach, Honselaer, Nideck, Büllesheim, Hugenpoet, Bylant, Nispen oder von dem Busche. Aus diesem Personenkreis sind freilich einige mehr oder weniger rasch nach der Immatrikulation in den Klerikerstand übergewechselt, in der Regel dann, soweit man es feststellen kann, wenn sie Domoder Stiftsherren in Köln, Mainz, Trier oder Aachen werden konnten. Der Wechsel zum geistlichen Stand konzentrierte sich bemerkenswerterweise aber nur auf die ersten sechzig bis siebzig Jahre. Seit 1475 blieben adelige Laien auch in ihren späteren Tätigkeiten als regierende Grafen, als Vögte, Burggrafen und fürstliche Räte, als Ratsherren und Bürgermeister und sogar als Universitätsgelehrte dem weltlichen Stande treu – letzteres in der Person des bekannten Humanisten und Juristen, des schaumburgischen Ritters Hermann von Büschen (v. d. Busche, Buschius), Professors zu Köln, Leipzig, Wittenberg und Marburg, der ohne die Sicherheit einer Präbende, die bekanntlich das non plus ultra 44 Hermann Keussen (Hg.), Die Matrikel der Universität Köln (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 8), Bonn, Bd. 1: 21928, Bd. 2: 1919. Beispiele dort Bd. 1, S. 26*, 140*ff. 45 Schwinges, Universitätsbesucher (wie Anm. 5), S. 253ff.
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der Professorenbesoldung war, Poetik lehrte46. Mit alledem deutet sich schon in der kleinen Gruppe des Adels die auch sonst belegte und über den Adelsstand allgemein hinausgehende Tendenz zur Verweltlichung der Universitätsbesucher, freilich noch nicht der Gesamtuniversität und ihres Lehrkörpers, an47. Das Adelsprofil der Kölner Universität lässt sich nun klar umreissen: Ohne die Existenz des Domkapitels, das anders als in Trier und Mainz niemanden unterhalb des Herrenstandes rezipierte, es sei denn als Priesterkanoniker, hätte sich die soziale Spitze der Universität unabhängig vom weltlichen oder geistlichen Stand in grosser Mehrheit aus dem niederen Stadt- und Landadel zusammengesetzt, so wie man das jahrzehntelang in Wien beobachten konnte, wo mit den grossen Kirchen auch die grossen Namen fehlten und der Hof noch Friedrichs III. keinen Ersatz bot48. Genau dieses Profil schied Köln zusammen mit anderen Universitäten des Nordens nicht nur der Frequenz nach, sondern auch grundsätzlich von den deutschen Adelsuniversitäten des ausgehenden Mittelalters, schied die Stadtuniversität von den Landesuniversitäten zu Heidelberg und insbesondere zu Ingolstadt. Hier an der Donau 372 sammelte sich, vom | reichsweiten Einzug einmal abgesehen, der hohe und niedere, geistliche und weltliche bayerische Landesadel, einschliesslich der Prinzen des regierenden Hauses49. Solche Nähe von Hof und Hochschule konnten weder der Dom noch der kurkölnische Hof sowie die übrigen rheinischen Höfe ersetzen und sollten es vermutlich auch gar nicht. Denn mehr noch als die tatsächlichen Besucher zeigen im Vergleich zu Ingolstadt gerade jene, die in der Matrikel der Universität Köln fehlten, was gemeint ist: Mit Sicherheit waren es politische Entscheidungen, die Söhne der benachbarten grossen weltlichen Landesherren von Jülich-Berg, Geldern und Kleve-Mark nicht an der Universität der mächtigen Handels- und Reichsstadt studieren zu lassen, so sehr sich sonst die Fürsten der Hohen Schule gewogen zeigten und
Über ihn Meuthen (wie Anm. 6), S. 223ff. Siehe Rainer Christoph Schwinges, Pfaffen und Laien in der deutschen Universität des späten Mittelalters, in: Eckart Conrad Lutz, Ernst Tremp (Hg.), Pfaffen und Laien – ein mittelalterlicher Antagonismus? (Scrinium Friburgense 10), Freiburg/Schweiz 1999, S. 235–249. 48 Immenhauser, Juristen (wie Anm. 20), S. 87. 49 Müller, Adel (wie Anm. 17), S. 72, 77ff. 46 47
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sich gerne vor allem ihrer Juristen und Mediziner als Gutachter, Räte, Diplomaten und Leibärzte bedienten50. Diese Beobachtung ist nicht etwa auf die Zufälligkeit von Stichproben zurückzuführen, sondern entspricht der überprüfbaren Wirklichkeit der gesamten Matrikel des 15. Jahrhunderts.
50 Siehe Rainer Christoph Schwinges, Zur Professionalisierung gelehrter Tätigkeit im deutschen Spätmittelalter, in: Hartmut Boockmann u.a. (Hg.), Recht und Verfassung im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, Teil II: Bericht über Kolloquien der Kommission zur Erforschung des Spätmittelalters. 1996–1997 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Philologisch-historische Klasse. 3. Folge 239), Göttingen 2001, S. 473–493, auch in diesem Band.
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TEIL IV
UNIVERSITÄTSKULTUR UND STUDENTISCHES LEBEN
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SOZIALGESCHICHTLICHE ASPEKTE SPÄTMITTELALTERLICHER STUDENTENBURSEN IN DEUTSCHLAND* Die Universität des alten Reiches war nicht die festgefügte Institution, die wir heute kennen. Trotz des für alle gültigen, normativen Rahmens von Privilegien und Statuten war sie vielmehr eine relativ mobile Gemeinschaft von Personen, deren gemeinsames Merkmal vor allem darin bestand, daß sie ein studium generale besuchten; mehr noch: die alte Universität war eine gesellschaftlich organisierte, aber dennoch überschaubare Gemeinschaft. Mit dieser kurzen Bestimmung ist bereits auf zwei mögliche Aspekte sozialgeschichtlicher Betrachtungsweise hingewiesen1: Einmal war die * In: Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters, hg. von Johannes Fried (Vorträge und Forschungen 30), Sigmaringen: Jan Thorbecke 1986, S. 527–564. 1 Beide Aspekte wenden sich gegen die sozialharmonisierenden Auffassungen von Herbert Grundmann, Vom Ursprung der Universität im Mittelalter, Darmstadt 21976, bes. S. 17–20, die in der Diskussion einen Stellenwert zu behaupten scheinen, der ihnen in der Tradition der deutschen Universitätsgeschichte so gar nicht zukommt. Das gilt auch für Renovationsversuche auf den Reichenau-Frühjahrstagungen 1981 und 1982, insbesondere für die Überlegungen von Arno Seifert (Fried, Schulen [wie Anm. *], S. 601ff.), den universitären Personenverband relativ zeitstabil als scientific community zu definieren, ohne seine vielfältige Einbindung in die soziale Umwelt gebührend zu beachten. Anknüpfungspunkte ergeben sich m.E. vielmehr aus den großen Leistungen des 19. und frühen 20. Jhs; stellvertretend seien genannt: Georg Kaufmann, Geschichte der deutschen Universitäten, 2 Bde., Ndr. Graz 1958; Friedrich Paulsen, Geschichte des gelehrten Unterrichts auf den deutschen Schulen und Universitäten vom Ausgang des Mittelalters bis zur Gegenwart, 2 Bde., Leipzig 31919/1921; Hastings Rashdall, The Universities of Europe in the Middle Ages, hg. von Frederik M. Powicke und Alfred B. Emden, 3 Bde., Oxford 1936. – Zur Kritik an Grundmann vgl. Siegfried Hoyer, Die Gründung der Universität Leipzig und Probleme ihrer Frühzeit, in: Karl-MarxUniversität Leipzig 1409–1959. Beiträge zur Universitätsgeschichte, 2 Bde., Leipzig 1959, Bd. 1, S. 1–33, hier: S. 30; Gerhard Zschäbitz, Staat und Universität Leipzig zur Zeit der Reformation, in: Ebd., S. 34–67, hier: S. 35f. mit Anm. 4; Müller, Universität und Adel (wie Anm. 3), S. 144f.; Peter Moraw, Zur Sozialgeschichte der deutschen Universität im späten Mittelalter, in: Gießener Universitätsblätter 8 (1975), S. 44–60, hier: S. 50f. Zuletzt Schwinges, Studentische Kleingruppen (wie Anm. 6), S. 319f. – Zum Begriff einer gesellschaftlich organisierten Gemeinschaft (societal community) vgl. z.B. Talcott Parsons, Das System moderner Gesellschaften, München 1972, S. 22ff.; zur Anwendung in anderem Zusammenhang etwa Rainer Christoph Schwinges, “Primäre” und “Sekundäre” Nation. Nationalbewußtsein und sozialer Wandel im mittelalterlichen Böhmen, in: Europa Slavica, Europa Orientalis. Festschrift für Herbert Ludat, Berlin 1980,
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teil iv – universitätskultur
mittelalterliche Universität keine herausgehobene | und isolierte Gruppe von litterati und solchen, die es werden wollten, sondern stets das getreue Spiegelbild2 der sie umgebenden, am ehesten städtischen Gesellschaft. Jeder einzelne Universitätsbesucher trug seinen persönlichen sozialen Rang in die universitäre Gemeinschaft, suchte ihn dort zu behaupten und darzustellen oder im Rahmen des sozial Zulässigen zu verbessern. Auf einer Skala der sozialen Positionen und der zugehörigen Vor- und Nachteile würden Arm und Reich auch in der Universität die jeweils gegenüberliegenden Pole beziehen. Unter dem zweiten Aspekt betrachtet, bemerkt man, daß Universitätsleben und Studium vielfach nach den gleichen sozialen Regeln abliefen, die auch außerhalb der Hochschule galten. Es war etwas völlig Selbstverständliches, sich an die traditionalen Sozialformen des Netzwerkes, der Patronage bzw. der familia anzupassen. Wie gut so etwas funktionierte, zeigte sich bereits im Eröffnungsjahr einer jeden neuen Hochschule in der personalen Zusammensetzung der ‘Eröffnungsklientel’, wie ich sie einmal nennen möchte; und darüber hinaus läßt sich oft beobachten, daß die Entscheidungsträger der Hohen Schulen mit gleichwertigen Personen und Personengruppen in Stadt und Territorium eng verbunden waren3.
S. 490–532, hier: S. 503ff. – Überblicke über universitätsgeschichtliche Probleme und Tendenzen unter sozialgeschichtlicher Betrachtung vermitteln: Ernst Schubert, Motive und Probleme deutscher Universitätsgründungen des 15. Jahrhunderts, in: Beiträge zu Problemen deutscher Universitätsgründungen der frühen Neuzeit, hg. von Peter Baumgart und Notker Hammerstein, Nendeln 1978, S. 13–78; Hilde de Ridder-Symoens, Universiteitsgeschiedenis als bron voor sociale geschiedenis, in: Tijdschrift voor sociale geschiedenis 10 (1978), S. 87–115; J. Scheurkogel, Nieuwe universiteitsgeschiedenis en late Middeleeuwen, in: Tijdschrift voor Geschiedenis 94 (1981), S. 194–204. – Arbeiten zur Sozialgeschichte der Universitäten sind freilich vor allem in Deutschland noch nicht sehr zahlreich erschienen. Vgl. zuletzt mit Lit. Rainer Christoph Schwinges, Pauperes an deutschen Universitäten des 15. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Historische Forschung 8 (1981), S. 285–309, ders., Studentische Kleingruppen (wie Anm. 6), beide auch in diesem Band, und ders., Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert. Studien zur Sozialgeschichte des Alten Reiches, Huttgert 1986. 2 Dieser Formulierung wurde in der Diskussion widersprochen. Ich möchte sie trotzdem beibehalten. Auf Grund zahlreicher empirischer Befunde gehört es inzwischen zum soziologischen Grundwissen, daß es keine Gruppierung gibt, die nicht über kurz oder lang in gleicher Weise strukturiert ist wie die gesellschaftliche Umwelt auch. 3 Zu Sozialform-Modellen etwa Karl Bosl, Die “familia” als Grundstruktur der mittelalterlichen Gesellschaft, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 38 (1975), S. 403–424; Wolfgang Reinhard, Freunde und Kreaturen. “Verflechtung” als Konzept zur Erforschung historischer Führungsgruppen. Schriften der Philosophischen Fachbereiche der Universität Augsburg 14 (1979); Alfred Schröcker, Die Patronage des
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Die Universität als eine gesellschaftlich organisierte Gemeinschaft strebte also ebenso wie ihre Umwelt stets danach, ihr gegebenes soziales Gefüge zu erhalten; weit eher jedenfalls als danach zu trachten, die Universitätsbesucher verschiedenster sozialer Herkunft durch das gemeinsame Ziel des Studiums zu einer neuartigen, das heißt gegenüber der längst verfestigten Ständeordnung im Reiche neuartigen Form von Gemeinschaft zu vereinigen4. | Die besondere Erscheinungsform der Universität als ein Knoten- 529 punkt personaler Ereignisse und Beziehungen nach innen wie nach außen hin, wird – nicht anders als bei der Erforschung von Gesellschaft überhaupt – am besten in den Gruppen und Teileinheiten erkennbar, aus denen sie sich zusammensetzte. Eigentlich bildete die spätmittelalterliche Universität nur den Bezugsrahmen für ihre Teileinheiten, was schon rein äußerlich in der Verstreutheit ihrer Gebäude im Stadtgebiet zum Ausdruck kommt5. Universitätsbesucher verteilten sich auf Magister- oder Professorenhäuser, auf Bursen, Kollegien, Fakultäten und – wo vorhanden – auch Universitätsnationen. Sie waren Glieder einer oder mehrerer Teileinheiten, ohne gleichzeitig immer auch Glieder der Gesamtuniversität im korporationsrechtlichen Sinne sein zu müssen. Universitätsbesucher bildeten ihrerseits kleine, studentische Gruppen und fanden sich etwa zu Reise- oder Studiengruppen zusammen6. Man kann Lothar Franz von Schönborn (1655–1729). Sozialgeschichtliche Studie zum Beziehungsnetz in der Germania Sacra. Beiträge zur Geschichte der Reichskirche in der Neuzeit 10 (1981); V. Burkolter-Trachsel, Strukturelle Bedingungen für das Entstehen und die Transformation von Patronage, in: Schweizerische Zeitschrift für Soziologie 3 (1977), S. 3–30; R. I. Jack, The Ecclesiastical Patronage Exercised by a Baronial Family in the Late Middle Ages, in: Journal of Religious History 3 (1965), S. 275–295. – Im Rahmen der Universität: Rainer A. Müller, Universität und Adel. Eine soziostrukturelle Studie zur Geschichte der bayerischen Landesuniversität Ingolstadt 1472–1648, Berlin 1974, S. 119ff.; Guy F. Lytle, Patronage Patterns and Oxford Colleges c. 1300–c. 1530, in: Lawrence Stone (Hg.), The University in Society, Bd. 1, Princeton 1974, S. 111–149; ders. und Stephen Orgel, Patronage in the Renaissance, Princeton 1982; Moraw, Zur Sozialgeschichte (wie Anm. l), S. 52f.; ders., Heidelberg: Universität, Hof und Stadt im ausgehenden Mittelalter, in: Studien zum städtischen Bildungswesen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, Göttingen 1983, S. 524–552; Schwinges, Pauperes (wie Anm. l), S. 289 mit weiterer Lit. 4 So noch Grundmann, Vom Ursprung der Universität (wie Anm. l), S. 19f. 5 Vgl. Konrad Rückbrod, Universität und Kollegium. Baugeschichte und Bautyp, Darmstadt 1977, S. 33ff. 6 Vgl. Rainer Christoph Schwinges, Studentische Kleingruppen im späten Mittelalter. Ein Beitrag zur Sozialgeschichte deutscher Universitäten, in: Politik, Gesellschaft, Geschichtsschreibung. Giessener Festgabe für František Graus, hg. von dems. und Herbert Ludat, Köln/Wien 1982, S. 319–361, auch in diesem Band.
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deshalb schon aus mikrosozialen Zusammenhängen ein Bild, zumindest aber ein brauchbares Raster der Universität des späten Mittelalters entwerfen. Eine der Teileinheiten der Universität war die Studentenburse. Über ihre Kultur- und Sittengeschichte, wie es zu manchen Zeiten hieß, sind wir relativ gut unterrichtet7, so daß von studentischer ‘Folklore’, vom ‘Leben und Treiben’ der Studenten hier nicht die Rede zu sein braucht; über die soziale Realität der Burse, zumindest der ‘deutschen Burse’, wissen wir indessen erst sehr wenig8.
Zusammenfassend neben den Darstellungen einzelner Universitäten: Oskar Dolch, Geschichte des Deutschen Studententhums von der Gründung der deutschen Universitäten bis zu den deutschen Freiheitskriegen. Ein historischer Versuch, Leipzig 1858, S. 31–39; Friedrich Paulsen, Organisation und Lebensordnungen der deutschen Universitäten im Mittelalter, in: Historische Zeitschrift 45 (1881), S. 385–440, hier: S. 404–424, bes. S. 410ff.; Otto Kaemmel, Die Universitäten im Mittelalter, in: Karl Adolf Schmid (Hg.), Geschichte der Erziehung vom Anfang an bis auf unsere Zeit, Bd. 2,1, Stuttgart 1892, S. 334–548, hier: S. 496–548, bes. S. 516ff.; Kaufmann, Geschichte (wie Anm. l), Bd. 2, S. 224ff.; Richard Fick (Hg.), Auf Deutschlands Hohen Schulen. Eine illustrierte kulturgeschichtliche Darstellung deutschen Hochschul- und Studentenwesens, Berlin 1900, S. 16ff.; Friedrich Schulze und Paul Ssymank, Das deutsche Studententum von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, München 21910, S. 58ff.; Oskar Scheuer, Die geschichtliche Entwicklung des deutschen Studententums in Österreich mit besonderer Berücksichtigung der Universität Wien von ihrer Gründung bis zur Gegenwart, Wien/Leipzig 1910, S. 10ff.; Max Bauer, Sittengeschichte des deutschen Studententums, Dresden 1927, S. 17ff. u.ö.; Rashdall, The Universities (wie Anm. 1), Bd. 3, S. 353–376; Helene Wieruszowski, The Medieval University. Masters, Students, Learning, New York 1966, S. 103–116; Werner Klose, Freiheit schreibt auf eure Fahnen – 800 Jahre deutsche Studenten, Oldenburg 1967, S. 26ff.; Rückbrod, Universität und Kollegium (wie Anm. 5), S. 55ff. – Sehr anschaulich wegen der Miniaturen: Johannes Kerer, Statuta Collegii Sapientiae. Satzungen des Collegium Sapientiae zu Freiburg im Breisgau 1497. Faksimileausgabe mit einer Einführung, hg. von Josef Hermann Beckmann, Lindau/Konstanz 1957. 8 Vgl. dagegen zu den in etwa verwandten englischen halls und colleges: Lytle, Patronage Patterns (wie Anm. 3); ders., The Social Origins of Oxford Students in the Late Middle Ages: New College c. 1380–c. 1510, in: Les universités à la fin du Moyen âge, hg. von Jacques Paquet und Jozef Ijsewijn, Löwen 1978, S. 426–454; Trevor H. Aston, Oxford’s Medieval Alumni, in: Past & Present 74 (1977), S. 3–40; ders. und G. D. Duncan und T. A. R. Evans, The Medieval Alumni of the University of Cambridge, in: Ebd. 86 (1980), S. 9–86; Alan B. Cobban, European Collegiate Movement, in: ders., The Medieval Universities: Their Development and Organization, London 1975, S. 122–159 (ein Überblick, der Europa fast nur aus Paris und den britischen Inseln bestehen läßt); ders., The Medieval Cambridge Colleges: A Quantitative Study of Higher Degrees to c. 1500, in: History of Education 9 (1980), S. 1–12. – Die französischen (Pariser) collèges sind dagegen meist noch aus institutionengeschichtlicher Sicht beschrieben. Eine Arbeit wie die von H. Chisick, Bourses d’etudes et mobilité sociale en France à la veille de la Révolution. Bourses et boursiers du Collège Louis-leGrand (1762–1789), in: Annales 30 (1975), S. 1562–1584, fehlt m.W. für das Mittelalter. Überblick bei Rashdall, The Universities (wie Anm. 1), Bd. 3; Cobban, The Medieval 7
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| Die folgenden Ausführungen teile ich in zwei Abschnitte: Im ersten 530 wird ein allgemeiner, systematischer Überblick über das mittelalterliche Bursenwesen geboten, der im zweiten Abschnitt durch einige statistische Beobachtungen und eine quantitative Analyse der Bursen der Kölner Universität des 15. Jahrhunderts untermauert und ergänzt werden soll. I Das Bursenwesen vor allem der artistischen Fakultäten gehörte zu den wesentlichsten Eigenschaften der mittelalterlichen Universität9. Für die überwältigende Mehrheit der Studierenden – weit über 80 Prozent waren ausschließlich Artisten – bedeutete der Besuch der Generalstudien in aller Regel nicht mehr als den Anschluß an eine Burse im lokalen, aber mehr noch im sozialen Sinne. Der mittellateinische Begriff bursa, der eigentlich mit Beutel oder Börse zu übersetzen wäre, bezeichnete im universitären Milieu zunächst den wöchentlichen Beitrag des Einzelnen zu einer gemeinsamen Kasse, dann jedoch im übertragenen Sinne die Universities (wie oben), S. 122ff.; M. Reulos, L’Université et les Collèges, in: Bulletin de l’Association G. Budé, 3. serie 2, Paris 1953, S. 33–42. Wichtig die Fallstudien und Zusammenfassungen von Astrik L. Gabriel, Student Life in Ave Maria College, Mediaeval Paris. History and Chartulary of the College, Notre-Dame IN 1955; ders., Skara House at the Mediaeval University of Paris. History, Topography, and Chartulary, Notre-Dame IN 1960; ders., The College System in the Fourteenth-Century Universities, in: The Forward Movement of the 14th-century, hg. von Francis Lee Utley, Columbus OH 1961, S. 79–124 (auch selbständig Baltimore 1962); ders., Motivations of the Founders of Mediaeval Colleges, in: Beiträge zum Berufsbewußtsein des mittelalterlichen Menschen (Miscellanea Mediaevalia 3), hg. von Paul Wilpert, Berlin 1964, S. 61–72; ders., Les collèges parisiens et le recrutement des canonistes, in: Année canonique 15 (1971), S. 233–248; ders., The House of Poor German Students at the Mediaeval University of Paris, in: Geschichte in der Gesellschaft. Festschrift für Karl Bosl, hg. von Friedrich Prinz, Franz-Josef Schmale und Ferdinand Seibt, Stuttgart 1974, S. 50–78; Anthony Grafton, Teacher, Text, and Pupil in the Renaissance Class room. A Case-Study from a Parisian College, in: History of Universities 1 (1981), S. 37–70. – Zu Bologna vgl. etwa den Sammelband: El Cardenal Albornoz y el Colegio de España, 2 Bde., Bologna 1972. 9 Zu den sog. Juristenbursen vgl. Anm. 46. Mediziner (Ausnahme an der Universität Krakau: Wladislaus Wislocki [Hg.], Acta rectoralia almae universitatis studii Cracoviensis, Krakau 1893/1897; Index: Stichwort bursa. Vgl. auch zu Prag: Beránek, PÓríspÏevek [wie Anm. 43]) und Theologen kannten keine eigenen Bursen. Die einen waren zu gering an Zahl, die anderen waren als Theologiestudenten meist zugleich als Magister in Bursen oder Kollegien tätig; vgl. Kaufmann, Geschichte (wie Anm. l), Bd. 2, S. 237. – Über die Ordenshäuser an den Universitäten wird hier nicht gehandelt; dazu zusammenfassend ebd., S. 214ff.
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Gemeinschaft | der Beitragleistenden selbst, der bursales, später zu deutsch, der Burschen, und bezeichnete schließlich auch das eigens für diese Gemeinschaft gekaufte oder gemietete Haus, in dem sie Kost und Logis empfing und im Laufe des 15. Jahrhunderts mehr und mehr auch die akademisch-artistischen Übungen absolvierte10. Anfangs waren die Bursen lediglich Wohngemeinschaften (hospitia)11. Den Besuchern der neuen Hochschulen mußte sofort Wohnraum angeboten werden, wollte man sie auf einige Zeit an den Ort binden. Die Zahl der Bursenhäuser oder auch nur der Zimmer und Plätze steigerte sich naturgemäß mit der Frequenz des Universitätsbesuches, der im Reich während des 15. Jahrhunderts, von Jahrfünft zu Jahrfünft gemessen, trotz aller Schwankungen eine erstaunlich hohe Wachstumsrate von nahezu 10 Prozent aufzuweisen hatte12. An die Zahl der Studentenhäuser von Paris, das wie bei so vielem in der deutschen Universität auch bei der Einrichtung der Bursen ein Vorbild war, reichte man indessen bei weitem nicht heran. Paris besaß um 1500 bereits mehr als 50 Häuser, davon waren allein 18 sogenannte
10 Als Beispiel einer gelehrten, definitorischen Abhandlung: W. C. J. Chrysander, Philologema etymologico-historicum de burssiis academicis gladiatis. Woher die Studenten auf Universitäten Burßen heißen? ac de nonnullis aliis rebus, ad academias Germanicas spectantibus, Rinteln 21751, S. 7–50. – Karl von Raumer, Bursen, Burschen, in: ders., Die deutschen Universitäten. Beilage XII, Gütersloh 41874, S. 272ff.; Georg Oergel, Das Bursenwesen der mittelalterlichen Universitäten, insbesondere Erfurts, in: Korrespondenzblatt des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine 4/5 (1904), Sp. 151–159. Vgl. noch die Literatur in Anm. 7 sowie unten die Angaben zu einzelnen Hochschulen und Bursen in den Anm. 15–28. – Bursa kann ferner Promotionsgebühr bedeuten; vgl. Detlef Illmer, Die Statuten der Deutschen Nation an der alten Universität Orléans von 1378 bis 1596, in: lus Commune 6 (1977), S. 10–107, hier: S. 70; Zarncke, Statutenbücher (wie Anm. 16), S. 307; sowie auch den einzelnen gestifteten Platz an einem Kollegium oder Studentenhaus (= Stipendium); vgl. etwa für Löwen: Jan Crab, M. Smeyers und L. van Buyten, Inventaris. Stedelijk Museum “Van der Kelen-Mertens” Leuven, Afd. A: Archieven, Handschriften, Oude Drukken en Prenten I, Leuven 1966, S. 182: Dokumente zu Bursenstiftungen; M. Goyens, De beurzenstichtingen ingelijfd bij de Colleges van de Universiteit van Leuven, in: Vlaamse Stam 10 (1976), S. 505–515: für Stiftungen zwischen 1457 und 1774; De Maesschalck, Scholarship grants (wie Anm. 17), S. 484ff. 11 Vgl. Rashdall, The Universities (wie Anm. 1), Bd. 3, S. 355ff.; Wieruszowski, The Medieval University (wie Anm. 7), S. 106ff.; Cobban, Collegiate Movement (wie Anm. 8); Gabriel, The College System (wie Anm. 8); ders., Motivations (wie Anm. 8); Schrauf, Zur Geschichte (wie Anm. 19), S. 143ff. 12 Künftig Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 1); vorerst Franz Eulenburg, Die Frequenz der deutschen Universitäten von ihrer Gründung bis zur Gegenwart, Leipzig 1904, S. 50ff. Vgl. dazu aber Rainer Christoph Schwinges, Universitätsbesucher im Reich vom 14. zum 16. Jahrhundert. Wachstum und Konjunkturen, in: Geschichte und Gesellschaft 10 (1984), S. 5–30, auch in diesem Band.
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Hauptbursen mit vollem Lehr- und Beherbergungsbetrieb13. Demgegenüber nahmen sich die Verhältnisse selbst an den großen deutschen Universitäten eher bescheiden aus, obgleich hier doch bisweilen mehr als 1 000 Studierende tatsächlich anwesend waren14. | Mindestens vier Hauptbursen hatten Erfurt15 und Leipzig16; auch 532 Köln und Löwen17 besaßen jeweils vier principales, ungeachtet der zweifellos überall größeren, aber ständig wechselnden Anzahl von Bursengemein-
13 Vgl. Anm. 11 und Jacques Verger, Les Universités au Moyen Âge, Paris 1973, S. 187ff. 14 Vgl. Friedrich Paulsen, Die Gründung der deutschen Universitäten im Mittelalter, in: Historische Zeitschrift 45 (1881), S. 251–311, hier: S. 298ff.; Eulenburg, Die Frequenz (wie Anm. 12), S. 54f.; Horst Rudolf Abe, Die frequentielle Bedeutung der Erfurter Universität im Rahmen des mittelalterlichen deutschen Hochschulwesens (1392–1521), in: Beiträge zur Geschichte der Universität Erfurt 2 (1957), S. 29–57. 15 Einen Versuch, die Bursen der deutschen Universitäten zusammenzustellen, unternahm Eduard Böcking (Hg.), Ulrici Hutteni Equitis Operum Supplementum, Bd. 2, o.O. 1869, S. 321–330. Zu Erfurt: Oergel, Das Bursenwesen (wie Anm. 10); Erich Kleineidam, Universitas Studii Erffordensis. Überblick über die Geschichte der Universität Erfurt im Mittelalter 1392–1521, 2 Tle., Leipzig 1964/1969, hier: Tl. l, S. 338ff. 16 Eine Überblicksdarstellung fehlt. Vgl. Wilhelm Bruchmüller, Der Leipziger Student 1409–1909 (Aus Natur und Geisteswelt 273), Leipzig 1909, S. 11ff.; Herbert Helbig, Universität Leipzig (Mitteldeutsche Hochschulen 2), Frankfurt am Main 1961, S. 14f.; Kurt Herbst, Der Student in der Geschichte der Universität Leipzig. Kulturgeschichtliche Streiflichter aus den ersten 500 Jahren der Universität, Leipzig 1961, S. 12ff. Viele Hinweise sind zu entnehmen aus: Friedrich Zarncke (Hg.), Die Statutenbücher der Universität Leipzig aus den ersten 150 Jahren ihres Bestehens, Leipzig 1861. Nach der Reform von 1496 sollten nur noch 5 Häuser bestehen bleiben (Statutenbücher, S. 21): Die Bursen der drei Kollegien, das Pädagogium sowie die Meißnerburse, das Haus der Nation der “Landeskinder”. Auch die übrigen Universitätsnationen, die sächsische, polnische und bayerische (Bayernburse noch im 19. Jh. bekannt), führten Bursenbetriebe, ohne daß man von exklusiven Nationenbursen reden könnte. Wien und Prag (vgl. Anm. 19 u. 20) kannten solche nicht. Zu den Nationen jetzt Sabine Schumann, Die “nationes” an den Universitäten Prag, Leipzig und Wien. Ein Beitrag zur älteren Universitätsgeschichte, Diss., Berlin (FU) 1974. 17 Zu Köln vgl. Anm. 56. Zu Löwen fehlt ein monographischer Überblick. Vgl. Fernand Claeys Bouuaert, L’ancienne université de Louvain (Études et documents. Bibliothèque de la RHE 28), Louvain 1956, S. 77ff.; 550 Jaar Universiteit Leuven 1425–1975 (Ausstellungskatalog Stedelijk Museum Leuven), Leuven 1976, S. 66–108, mit nützlicher Zusammenstellung der vier Bursen – hier paedagogia – sowie der collèges. Vgl. noch Edward de Maesschalck, Scholarship Grants and Colleges, established at the University of Louvain up to 1530, in: Les Universités à la Fin du Moyen Âge (wie Anm. 8), S. 484–494. Literatur zu einzelnen Einrichtungen bieten der Katalog sowie Jacques Paquet (Bearb.), Bibliographie des Universités de Belgique (Université de Louvain). Bibliographie internationale de l’Histoire des Universités, Bd. I, Genf 1973, S. 121ff.; ders., Bibliografie der geschiedenis van de oude Universiteit Leuven (1425–1797). Publikaties in de jaren 1972–1976 uitgegeven, met toevoegingen voor de voorafgaande jaren, in: Bijdragen tot de geschiedenis 62 (Antwerpen 1979), S. 267–294, hier: S. 274f.
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schaften und Unterkünften, die in den Quellen kaum Spuren hinterlassen haben. Daß es mehr gewesen sein müssen, zeigt sich in Rostock18, wo zeitweise acht bis neun Bursen existierten, die dortige Universität der Immatrikulationsfrequenz nach aber eher zu den mittelgroßen Hochschulen gehörte. Es zeigt sich vor allem aber in Wien19, wo sich nach dem Niedergang Prags die größte Universität des mittelalterlichen 533 | deutschen Reiches befand. Schon im Jahre 1413 wurden 29 Bursen gezählt, 30 Jahre später elf große Studentenhäuser sowie sechs ausgesprochene Armenunterkünfte, die man hier coderiae (= Kotter, Bettelkotter) nannte. Auch im Prag20 der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts dürften schon zahlreiche Bursen bestanden haben. Lediglich die kleineren und kleinen Generalstudien wie Heidelberg21, Greifswald22, Freiburg23,
18 Vgl. Otto Krabbe, Die Universität Rostock im 15. und 16. Jahrhundert, 2 Tle., Rostock 1854, S. 132ff.; Adolf Friedrich Lorenz, Die Universitätsgebäude zu Rostock und ihre Geschichte, Rostock 1919, S. 17ff.; Karl Friedrich Olechnowitz, Die Geschichte der Universität Rostock von den Anfängen bis zum Beginn der frühbürgerlichen Revolution (1419–1517), in: Geschichte der Universität Rostock 1419–1969, 2 Tle., Rostock 1969, hier: Tl. 1, S. 3–19, 12f., Tl. 2, S. 243ff.; Paul Kretschmann, Universität Rostock (Mitteldeutsche Hochschulen 3), Köln 1969, S. 18ff. 19 Karl Schrauf, Zur Geschichte der Studentenhäuser an der Wiener Universität während des ersten Jahrhunderts ihres Bestehens, in: Mitteilungen der Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte 5 (1895), S. 141–214; ders., Studien zur Geschichte der Wiener Universität im Mittelalter, Wien 1904, S. 12–34; ders., Die Wiener Universität im Mittelalter, in: Geschichte der Stadt Wien, Bd. II, Wien 1904, S. 993–1009. Danach zusammenfassend Scheuer, Die geschichtliche Entwicklung (wie Anm. 7), S. 10–24; Karl Jordak, Die Universität Wien 1365–1965 (ÖsterreichReihe 282/284), Wien 1965, S. 48ff.; Franz Gall, Die alte Universität, Wien 1970, S. 45–62. 20 Ein monographischer Überblick fehlt auch hier. Vgl. František Šmahel, Pražské universitní studentsvo v pÓredrevolučnim období 1399–1419. Statistickosociologická Studie, Prag 1967, S. 58ff. mit der älteren Lit. Zu einzelnen Einrichtungen (besonders zum Carolinum) vgl. Miloslava Melanová und Michal Svatoš, Bibliografie k dÏejinám pražské univerzity do roku 1622 (Knižnice archivu univerzity Karlovy 11), Prag 1979, S. 81ff. 21 Vgl. zusammenfassend Gerhard Ritter, Die Heidelberger Universität. Ein Stück deutscher Geschichte, Bd. 1: Das Mittelalter, Heidelberg 1936, S. 151ff., 390ff., 507. 22 Johann Gottfried Ludwig Kosegarten, Geschichte der Universität Greifswald, Bd. 1, Greifswald 1857, S. 71ff., 106f.; danach zusammenfassend Kaufmann, Geschichte (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 222ff., 230; Friedrich Schubel, Universität Greifswald (Mitteldeutsche Hochschulen 4), Frankfurt am Main 1960, S. 24. 23 Hermann Mayer, Die alten Freiburger Studentenbursen, Freiburg 1926; Josef H. Beckmann, Von einer mittelalterlichen Studentenburse, in: Philobiblos l (1957), S. 151–153M; Adolf Weisbrod, Die Freiburger Sapienz und ihr Stifter Johannes Kerer von Wertheim (Beiträge zur Freiburger Wissenschafts- und Universitätsgeschichte 31), Freiburg 1966, S. 27ff. (der Überblick über die deutschen Verhältnisse, S. 24ff., ist schief und zufällig geraten und nicht zu benutzen).
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Trier24, Mainz25 oder Tübingen26 konnten wohl mit zwei bis drei Hauptbursen auskommen, obgleich auch hier sich der Bestand gelegentlich vermehrte. Kleinere bis mittlere Universitäten wie Basel27 und Ingolstadt28 verfügten aber noch im 15. Jahrhundert über sieben bzw. sechs Bursen. Auch sollte der Erfolg nicht von langer Dauer sein, als man in Basel im Jahre 1496 die sieben auf vier Bursen zu reduzieren beschloß. | Solche Zahlenangaben lassen sich jedoch nicht direkt miteinander 534 vergleichen. Zwischen den einzelnen Bursen, die von Ort zu Ort verschieden auch Regentien (Rostock) oder Contubernien (Heidelberg, Tübingen) oder auch bloß domus genannt wurden, gab es größte Unterschiede, rein äußerlich schon nach der Zahl der Mitglieder, von den erheblichen sozialen Ungleichheiten, auf die noch zurückzukommen ist, ganz zu schweigen. Erwähnt sei nur, um das äußere Bild zu vervollständigen, daß die Anhänger der beiden philosophischen Wege der Artisten, des Realismus und des Nominalismus, des alten bzw. neuen Weges, jeweils ihre eigenen Bursen betrieben, so zum Beispiel in Heidelberg, in Tübingen, in Mainz oder in Basel29. 24 Emil Zenz, Die Trierer Universität 1473–1798, Trier 1949, S. 156ff.; Michael Matheus, Das Verhältnis der Stadt Trier zur Universität in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, in: Kurtrierisches Jahrbuch (1980), S. 60–139, hier: S. 68–77. 25 Fritz Herrmann, Die Mainzer Bursen “Zum Algesheimer” und “Zum Schenkenberg” und ihre Statuten, in: Beiträge zur Geschichte der Universitäten Mainz und Gießen, hg. von Julius Reinhard Dieterich und Karl Bader, in: Archiv für hessische Geschichte NF 5 (1907), S. 94–124; Kaufmann, Geschichte (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 587. 26 Geschichte des humanistischen Schulwesens in Württemberg, hg. von der Württembergischen Kommission für Landesgeschichte, Bd. 1: Bis 1559, Stuttgart 1912, S. 186–221: Bursen und Pädagogien der Universität Tübingen; Johannes Haller, Die Anfänge der Universität Tübingen 1477–1537, 2 Tle., Stuttgart 1927/1929, hier: Bd. l, S. 80–90, Bd. 2, S. 25*–30*; Martin Leube, Bursa und Stift in Tübingen, in: Blätter für württembergische Kirchengeschichte NF 32 (1928), S. 1–10; Werner Bosshardt, Zur Geschichte der Tübinger Burse, in: Attempto 27/28 (1968), S. 137–144; Volker Schäfer, Die Burse im Kaleidoskop. Ein historischer Streifzug durch fünf Jahrhunderte, in: Attempto 43/44 (1972), S. 3–15. 27 Vgl. Edgar Bonjour, Die Universität Basel von den Anfängen bis zur Gegenwart 1460–1960, Basel 1960, S. 74ff.; Wilhelm Vischer, Geschichte der Universität Basel von der Gründung 1460 bis zur Reformation 1529, Basel 1860, S. 134f., 151ff., 171ff. 28 Arno Seifert, Statuten- und Verfassungsgeschichte der Universität Ingolstadt (1472–1586), Berlin 1971, S. 160f. – Bis zum Pestjahr 1521 werden noch fünf weitere Bursen, also elf zusammen bekannt; vgl. Karl von Prantl, Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität in Ingolstadt, Landshut, München, 2 Bde., München 1872, hier: Bd. l, S. 93f.; Petronella Loew, Die Geschichte des Studententums an der Universität Ingolstadt im Zeitalter des Humanismus und der Reformation (1472–1550), Diss., München 1941, S. 85ff.; A. Liess, Die artistische Fakultät der Universität Ingolstadt 1472–1588, in: Die Ludwig-Maximilians-Universität in ihren Fakultäten, hg. von Laetitia Boehm und Johannes Spörl, Bd. 2, Berlin 1980, S. 9–35, hier: S. 21. 29 Vgl. Anm. 21, 26 u. 27. In Tübingen waren die Bursen beider Wege in einem Haus – durch eine Wand getrennt – untergebracht. Vgl. noch Heidrun Hofacker,
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Für eine vollwertige Bursengemeinschaft war eine gewisse Mindestmitgliederzahl erforderlich. In Erfurt galt eine Gemeinschaft dann als integra, wenn sie sechs Mitglieder vorzuweisen hatte30. Die untere Grenze der “Integrität” – so können wir es den allgemeinen und den artistischen Disziplinar-Statuten der Wiener Universität entnehmen – wurde aber auf drei bis vier Personen festgesetzt31. Nach oben hin war die Zahl der Bursalen nur durch die allgemeine jährliche Frequenz und natürlich durch den vorhandenen Raum begrenzt. So dürften in den Hauptbursen großer Universitäten bisweilen mehrere hundert Studenten untergebracht worden sein. Im Jahre 1451 zum Beispiel beherbergte allein die Burse des Kollegiums “Zur Himmelspforte” zu Erfurt in 20 Zimmern, commoda genannt, 246 Bursalen, durchschnittlich also zwölf in einem Raum. Etwa zur gleichen Zeit lebten in den Häusern und Zimmern des “Collegium Majus”, des großen Erfurter Universitätskollegs, 294 Bursalen; und um 1480 mögen es nach einigen Erweiterungsbauten in beiden Komplexen wohl noch mehr gewesen sein32. Man sieht, die Universität des Mittelalters konnte sich durchaus in einer Burse repräsentieren. Über die Mindestzahlen hinaus bedurfte es zur Anerkennung als Burse jedoch noch einer weiteren Bedingung, die mehr als alles andere den besonderen personalen Charakter der mittelalterlichen Universität bestimmte. Ohne sich der Leitung und Aufsicht eines Magisters unterstellt zu haben, konnte sich keine Gemeinschaft mit Lizenz der universitas – hierbei vertreten durch ihren Rektor – als Burse etablieren. 535 Jeder Burse, die integer sein wollte, aber | letztlich auch jedem einzelnen Universitätsbesucher, wurde der Anschluß an einen Magister nicht nur nahegelegt, sondern sogar zwingend vorgeschrieben. Für den neuen Besucher war dieser Magisterzwang, nicht aber der Bursenzwang das entscheidende Kriterium seiner sozialen und nicht bloß örtlichen Bindung an die Universität33. Der vielberufene Bursenzwang, vielleicht
Der “Liber decanatus” der Tübinger Artistenfakultät 1477–1512 (Werkschriften des Universitätsarchivs Tübingen, Rh. l, H. 2), Tübingen 1978, S. 132. 30 Oergel, Das Bursenwesen (wie Anm. 10), S. 152. 31 Rudolf Kink, Geschichte der kaiserlichen Universität zu Wien, 2 Bde., Wien 1854, hier: Bd. 2, S. 187 (allgemeine Disziplinarstatuten), S. 255 (Disziplinarstatuten der art. Fakultät); dazu Schrauf, Zur Geschichte der Studentenhäuser (wie Anm. 19), S. 144; ders., Studien (wie Anm. 19), S. 13. 32 Oergel, Das Bursenwesen (wie Anm. 10), S. 154f. – Mit mehr als 70 Scholaren in jeder einzelnen Burse rechnete Karl Schrauf, Die Geschichte der Wiener Universität in ihren Grundzügen, Wien 1901, S. 18. 33 Gewiß wurde in den Universitäts- und artistischen Fakultäts-Statuten das stare infra bursas immer wieder eingeschärft; Ausnahmen wurden nur Adligen, Wohlhabenden
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mißverstanden, weil viele Magister Bursenmagister waren, scheint aus historisch völlig einleuchtenden Gründen erst in der Ideenwelt des ‘großen 19. Jahrhunderts’ so etwas wie die ‘freie Entfaltung akademischen Geistes’ geknebelt zu haben. Die Humanisten verspotteten zwar die Bursen, sie meinten aber die Magister34. Mit dem Anschlußzwang treffen wir auf den Kern des mittelalterlichen Universitätslebens: auf die um den Lehrer gescharte Gemeinschaft der Studierenden, auf die familia des Magisters. Diese für die traditionale Gesellschaft so typische Sozialform der familia, die ein zum Teil weitgespanntes, aber engmaschiges Klientelverhältnis umschreibt, ist nicht etwa aus Gründen der Analogie gleichsam von außen her, von der allgemeinen Sozialgeschichte her, in die Darstellung der universitären Sozialgeschichte eingeführt worden. Vielmehr gehört sie sowohl sachlich wie auch terminologisch dem eigenen Erfahrungshorizont der spätmittelalterlichen Hochschulen an. Man verwendete den Begriff und suchte das Verhalten der Magisterfamilie in der Universität zu beschreiben und vor allem zu regeln35. Eigentlich läßt sich die mittelalterliche
und den pauperes gestattet – sofern auch sie in der Regel unter geeigneter Aufsicht blieben. Der Sinn ist jedoch nicht das bloße Wohnen und Interniertsein in der Burse, sondern das dortige stare cum magistro (suo) oder existere cum magistro (suo), wie es gleichfalls in zahllosen Wendungen heißt (neben magister auch regens, rector, conventor, praeceptor, gubernator). Statt einzelner Statutennachweise vgl. Kink, Geschichte (wie Anm. 31), und die in den Anm. 15 bis 28 zit. Literatur sowie eine universitätsferne Quelle: F. Schaub, Die Freiburger Universität und der gemeine Pfennig von 1497, in: Zur Geschichte der Universität Freiburg i. Br., hg. von Johannes Vincke, Freiburg im Breisgau 1966, S. 17–52, hier: S. 24, 39. – Welchen Stellenwert der Anschluß an den Magister hat, zeigen gerade auch die Studieneinführungsbüchlein des 15. Jahrhunderts, so das Heidelberger Manuale Scholarium, in: Friedrich Zarncke, Die deutschen Universitäten im Mittelalter, Leipzig 1857, S. 1–48. Ferner die Büchlein des Leipziger Magisters Paulus Schneevogel und des Erfurter Magisters Goswin Kempgyn von Neuss. Vgl. Gerhard Streckenbach, Paulus Niavis, “Latinum ydeoma pro novellis studentibus” – ein Gesprächsbüchlein aus dem letztenViertel des 15. Jahrhunderts, in: Mittellateinisches Jahrbuch 6 (1969), S. 152–191; ebd. 7 (1970), S. 187–251 (Edition); Michael Bernhard, Goswin Kempgyn de Nussia. Trivita studentium. Eine Einführung in das Universitätsstudium aus dem 15. Jahrhundert (Münchener Beiträge zur Mediävistik und Renaissance-Forschung 26), München 1976. 34 Vgl. Oergel, Das Bursenwesen (wie Anm. 10), S. 158; dazu die kulturhistorische Lit. in Anm. 7. Typisch hier: Briefe von Dunkelmännern (Epistolae obscurorum virorum) an Magister Ortuin Gratius aus Deventer, Professor der schönen Wissenschaften zu Cöln, deutsche Übers. von Wilhelm Binder, Gera 1876. Vgl. die Ausgabe von Böcking, Ulrici Hutteni Equitis Operum Supplementum (wie Anm. 15). 35 Vgl. etwa für Wien Kink, Geschichte (wie Anm. 31), Bd. 2, S. 256, DisziplinarVerordnungen von 1410: Sed et Magistri, Baccalaurei et Scolares sua cum familia stantes in aliquo Collegio Universitati incorporato, sub regimine prioris sui patris familias eiusdem, sive alias stantes in Bursa vel Domo sub Regimine alicuius Doctoris
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| Universität, ihr Prinzip und ihr Funktionieren, auf die familia magistri bzw. auf viele familiae magistrorum reduzieren36. Dies ist wohl schon daran zu erkennen, daß es keine andere zeitgenössische bildliche oder figürliche Darstellung der mittelalterlichen Universität gibt als die der familia des Magisters und seiner Studenten, sei es bei der Vorlesung oder bei der Ausübung seiner Aufsichtspflichten37. Die Darstellung etwa eines
aut Magistri . . . similiter gaudeant Privilegiis Universitatis. Ferner ist die Burse selbst als familia bezeichnet, daneben auch familia bursae oder communitas familiae oder communitas bursae; vgl. ebd., S. 249f., 252f., 255 (S. 253: ex parte Rectoris Barsae et familiae), Disziplinar-Verordnungen der Artistenfakultät von 1414 (Datum von Schrauf, Studentenhäuser [wie Anm. 19], S. 144 mit Anm. 3, korrigiert). – Für Leipzig vgl. die Statuten des Großen und Kleinen Kollegs und ihrer Bursen (Redaktionen 1439ff. u. 1497): Zarncke, Statutenbücher (wie Anm. 16), S. 186 (§ 47), 192 (§§ 15–19), 197 (§ 43); S. 225, 231: De familia non offendenda. Item nulius collegiatorum debet aliquem de familia collegii vel alterius magistri verbo vel facto offendere. – Für die Universität Mainz vgl. Herrmann, Mainzer Bursen (wie Anm. 25), S. 116, schon aus dem 16. Jh. der Eid der magistri iuniores: pacem et concordiam cum regentibus imprimis, deinde cum caeteris eiusdem collegii magistris atque scholaribus eorundemque familia observabo. – Für Paris (Collège Montaigu) vgl. Godet, La congregation de Montaigu (wie Anm. 103), S. 143, 164: familia studentium (pauperum). – Für Köln vgl. Kuckhoff, Die Geschichte (wie Anm. 56), S. 3ff. – Für Tübingen vgl. Waldemar Teufel, Universitas Studii Tuwingensis. Die Tübinger Universitätsverfassung in vorreformatorischer Zeit (1477–1534), Tübingen 1977, S. 273 (§ 92). – Allgemein auch Schulze/Ssymank, Das deutsche Studententum (wie Anm. 7), S. 57: Neulinge spenden beim Eintritt in die Burse Geld für einen gemeinsamen Trunk – in propinam familiae. Gabriel, College System (wie Anm. 8), S. 14f. (1962), spricht vielleicht etwas romantisierend von einer family-like atmosphere of the fourteenth-century colleges – auf Grund eines Familienbegriffes, der hier freilich nicht verwendet ist. 36 Daneben kannte die Universität zweifellos weitere familiale Formen, von der gesamten universitas einschließlich der Universitätsverwandten bis zur Kernfamilie eines einzelnen Mitgliedes. Solche Formen lassen sich schon aus den allgemeinen Rektoratsmatrikeln der Hochschulen erkennen: Rektoren, Professoren, Stiftsherren und andere Persönlichkeiten am Ort präsentieren Studenten ihres familialen Verbandes im weitesten Sinne. Man gehört dann der familia hospitis an. Adlige und Wohlhabende, notabiles und andere personae egregiae logieren cum sua (honesta) familia – mit ihrem Gefolge. Vgl. etwa Kink, Geschichte (wie Anm. 31), Bd. 2, S. 236 u.ö. und Bianco, Die alte Universität Köln (wie Anm. 56), Bd. I, 2, S, 76. Aber selbst in solchen Fällen wurde auf den Anschluß an den magister vel informator (!) geachtet; vgl. Zarncke, Statutenbücher (wie Anm. 16), S. 332 (§ 41) u. S. 354 (§ 9). – Zum Problem allgemein: Moraw, Sozialgeschichte (wie Anm. 1), S. 51; Schwinges, Pauperes (wie Anm. 1); ders., Universitätsbesucher (wie Anm. 1); Hans-Werner Prahl, Sozialgeschichte des Hochschulwesens, München 1978, S. 79 mit Anm. 16 auf S. 358. 37 Vgl. etwa Emil Reicke, Magister und Scholaren. Illustrierte Geschichte des Unterrichtswesens, Leipzig 1901; Magister und Scholaren. Professoren und Studenten. Geschichte deutscher Universitäten und Hochschulen im Überblick, hg. von einem Autorenkollektiv unter der Leitung von Günther Steiger und Werner Fläschendräger, Leipzig/Jena/Berlin 1981, S. 15–38; Hans-Werner Prahl und Ingrid Schmidt-Harzbach, Die Universität. Eine Kultur- und Sozialgeschichte, München 1981, S. 15–44. Vgl. auch einzelne Miniaturen der Freiburger Sapienz (wie Anm. 7).
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Gebäudes als Sinnbild der Universität, das schon einen Schritt von der Personengemeinschaft zur Institution verkörpern würde, gehörte zumindest in Deutschland erst einer späteren Zeit an38. Man kann die Burse im Sinne der Bursengemeinschaft zu einem guten Teil wenigstens als die familia des leitenden Magisters, des regens bursae, auffassen. Dabei konnten größere Bursen durchaus in mehrere familiae eingeteilt sein. Wir verstehen daher jetzt die Bestimmungen der | 537 Statuten über die Mindestmitgliederzahlen bei der Einrichtung einer Burse, die als soziale natürlich immer auch eine Wirtschaftsgemeinschaft war: In Erfurt, dessen Universität während des Mittelalters immer zu den teuren und vornehmen deutschen Hochschulen zählte, bedurfte es offenbar des Beitrages von wenigstens sechs Bursalen, um den Regenten für seine Bemühungen entlohnen zu können. In Wien, wo die Lebenshaltungs- und Studienkosten niedriger lagen und die Universität insgesamt ‘preisgünstiger’ war als anderswo, reichten wahrscheinlich drei bis vier Studierende an der unteren Grenze aus, damit auch ihr Magister existieren konnte39. Ein weiteres wichtiges Unterscheidungsmerkmal, das die Bursen geradezu als zwei verschiedene Typen erscheinen läßt, hing weniger mit den Bursalen als vielmehr mit den Regenten zusammen. Diese Verschiedenheit beruhte auf der verfassungsmäßig jeweils anderen und damit auch sozial und ökonomisch andersartigen Stellung der regentes in der Universität. Der eine Typ sei ‘Kollegialburse’, der andere Typ ‘Unternehmerburse’ genannt. Beide Bursentypen lassen sich am besten beschreiben und verstehen, indem man sie zugleich mit einer weiteren, so überaus charakteristischen Teileinheit der deutschen Universität vergleicht und die Lebensformen gegeneinander abwägt: ich meine die Kollegien40.
38 Rückbrod, Universität und Kollegium (wie Anm. 5), und Prahl/Schmidt-Harzbach, Die Universität (wie Anm. 37), beide mit Abb. 39 Vgl. Schwinges, Pauperes (wie Anm. l), S. 301. – In Leipzig müssen schon mindestens zehn Bursales zusammenkommen, damit der Conventor eine bursa integra – im Sinne einer vollen Entlohnung – erhält. Bleibt die Zahl unter zehn, hat er nur Anspruch auf eine halbe Burse. Dazu Zarncke, Statutenbücher (wie Anm. 16), S. 395 (§ 20); 3. Statutenredaktion der Artistenfakultät von 1471–1490. Um diese Zeit hatte Leipzig bereits den Ruf einer Hochschule für “armer Leute Kind”; Schwinges, ebd. und K. Krebs, Die Universität Ingolstadt als Bildungsstätte des sächsischen Adels, in: Wissenschaftliche Beilage der Leipziger Zeitung 92 (1896), S. 365–368. 40 Einen guten Überblick vermittelt Arno Seifert, Die Universitätskollegien – Eine historisch-typologische Übersicht, in: Lebensbilder deutscher Stiftungen 3 (1974), S. 355–372, auch zur Unterscheidung der deutschen von den französisch-englischen
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Bursen und Kollegien unterscheidet man gemeinhin dadurch, daß die ersten den ‘Studenten’, die anderen den ‘Magistern’ zugeschrieben werden. Es ist dies eine recht grobe Zuschreibung, die zudem die Gefahr des Anachronismus in sich birgt. Die studentes artium, jene die Bursen bevölkernde, große Mehrheit der Universitätsbesucher im Alter zwischen vielleicht zehn und 25 Jahren, waren nur in einem sehr elementaren Sinne Studenten. Im Grunde unterschieden sie sich – auch studieninhaltlich – von Lateinschülern nur dadurch, daß sie das Generalstudium besuchten und damit die Möglichkeit erhielten, einen 538 akademischen | Grad zu erwerben. Studenten in einem heute vergleichbareren Sinne waren dagegen nur jene, die ihren vier- bis fünfjährigen artistischen Cursus mit der Magistergraduierung oder zumindest dem Bakkalariat beendet hatten und in den höheren Fakultäten studierten, so zwar, daß sie gleichzeitig als Magister die Jüngeren und Nachfolgenden unterrichteten. (Selbstredend gab es Ausnahmen, vor allem unter den Juristen.) Diese andersartige Qualität des mittelalterlichen Studiums läßt das Verständnis für die alte Universität unter der Folie der uns heute so geläufigen Abgrenzung in Studentenuniversität einerseits und Professorenuniversität andererseits immer wieder auf Schwierigkeiten stoßen. Es sind die typischen Schwierigkeiten nicht zuletzt des Historikers, der die Bilder seiner eigenen universitären Umwelt, in der scheinbar alles – besonders die Terminologie – beim Alten geblieben ist, immer wieder zurückdrängen muß, um die ‘frühen Bilder’ zu verstehen41. In der Regel stammten jene, die ein Kollegium bilden konnten, aus dem Kreis der eigentlichen Studenten, das heißt der Artistenmagister, die zugleich Medizin, Rechte und mehrheitlich wohl Theologie studierten.
Typen. Aus der älteren Literatur sei nur auf Kaufmann, Geschichte (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 217ff., und Rashdall, The Universities (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 211, 283f. hingewiesen. Vgl. ferner Klaus Wriedt, Personengeschichtliche Probleme universitärer Magisterkollegien, in: Zeitschrift für Historische Forschung 2 (1975), S. 19–30; Rückbrod, Universität und Kollegium (wie Anm. 5), S. 38ff., 55ff. Für den ostmitteleuropäischen Raum G. Székely, Fakultät, Kollegium, Akademische Nation. Zusammenhänge in der Geschichte der mitteleuropäischen Universitäten des 14. und 15. Jahrhunderts, in: Annales Universitatis Scientiarum Budapestiensis, Sectio Historica 13 (1972), S. 47–78; Karol Estreicher, Collegium Maius. Stammsitz der Jagellonischen Universität Krakau. Geschichte, Bräuche, Sammlungen, Warschau 1974. 41 Vgl. dazu zuletzt Peter Classen, Genossenschaften der Lehrenden und Lernenden. Das mittelalterlicheSelbstverständnis der Universität, in: Deutsche Univeristäts-Zeitung 13 (1980), S. 392ff. – Auch Werner Kuhn, Die Studenten der Universität Tübingen zwischen 1477 und 1534. Ihr Studium und ihre spätere Lebensstellung, 2 Tle., Göppingen 1971; und Schubert, Motive (wie Anm. l), S. 34ff.
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Ein Kollegium – und zwar zunächst des ‘offiziellen Typs’ – war eine meistens schon vom Universitätsgründer, dem Landesherrn oder der Stadt, eingerichtete und finanzierte, kollegiatstiftsähnlich organisierte Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft, modern gesagt: von ordentlichen Professoren der artistischen Fakultät. Die einzelne Kollegiatur oder Kollegialprofessur läßt sich neben der städtischen Professur und dem Professorenkanonikat an einer Stiftskirche als eine der Frühformen des Lehrstuhles der späteren philosophischen Fakultät begreifen42. Diesem ‘offiziellen Typ’ konnten die Kollegialen gleichsam ‘von Berufs wegen’ ein Leben lang angehören, solange sie nicht das Doktorat einer höheren Fakultät und damit die Aussicht auf eine höherwertige Versorgung in Kirche, Stadt oder Hof erreichten. Diesem Typ sind etwa, um nur die bekannteren und größeren zu nennen, das Collegium Carolinum zu Prag, das Ducale zu Wien, das Majus zu Erfurt, das Vetus zu Ingolstadt, das kurfürstliche Artistenkolleg zu Heidelberg sowie die beiden Fürstenkollegien zu Leipzig zuzurechnen43. 42 Seifert, Die Universitätskollegien (wie Anm. 40), S. 362f. und ders., Das Ingolstädter Collegium Vetus (wie Anm. 43). Im Überblick auch Schubert, Motive (wie Anm. l), S. 30f. 43 Prag: Alois Kubiček, Alena PetráÏnová, Josef PetráÏn, Karolinum a historické koleje University Karlovy v Praze, Prag 1961; M. Pradová, Karolinum. Knižnice Archivu University Karlovy 4, Prag 1975; Miroslav Ernest, Karolinum – zakladateluv ƒ dar české vÏedÏe. Staletá Praha IX, in: Sborník Pražského stÓrediska památkové péče a ochrany pÓrírody, Prag 1979, S. 260–274; Karel Beránek, PÓríspÏevek k nejstarším dÏejinám pražských univerzitních kolejí, in: Historia Universitatis Carolinae Pragensis 23 (1983), S. 57–63 (zum Medizinerkolleg, das offenbar schon vor 1380 existierte). Zur älteren Literatur vgl. Melanová/Svatoš, Bibliografie (wie Anm. 20), S. 81ff. – Wien: Karl Schrauf, Die Wiener Universität im Mittelalter, in: Geschichte der Stadt Wien, Bd. 2, Wien 1904, S. 983ff. (auch separat Wien 1904, S. 23ff.); Gall, Die alte Universität (wie Anm. 19), S. 26ff. – Erfurt: Georg Oergel, Das Collegium majus zu Erfurt, Erfurt 1894; ders., Urkunden zur Geschichte des Collegium majus zu Erfurt, in: Mittheilungen des Vereins für Geschichte und Altertumskunde von Erfurt 16 (1894), S. 111–142 (auch separat Erfurt 1895): P. Peters, Das Collegium maius in Erfurt, in: Ebd. 24 (1903), S. 109–121; W. Schnellenkamp, Baugeschichte des “Collegium Majus” der Universität Erfurt. Sonderschriften der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt 8 (1936); Kleineidam, Universitas (wie Anm. 15), Bd. 1, S. 338f. – Ingolstadt: Arno Seifert, Das Ingolstädter Collegium Vetus. Die Geschichte eines frühen Lehrstuhltyps in der Artistenfakultät, in: Historisches Jahrbuch 89 (1969), S. 33–51. – Heidelberg: Ritter, Die Heidelberger Universität (wie Anm. 21), S. 151f. u.ö. – Leipzig, Großes Kolleg: Das vom Anfang der Hoch-Löblichen Universität Leipzig bis hieher über dreyhundert Jahr in zweyhundert Herren Collegiaten blühende Grosse Fürsten-Collegium . . . , o.O. 1718; Zarncke, Statutenbücher (wie Anm. 16), S. 176–223; Kleines Kolleg: Ebd., S. 224–264; K. Boysen, Das älteste Statutenbuch des kleinen Fürstenkollegs der Universität Leipzig, in: Beiträge zur Geschichte der Universität Leipzig im 15. Jahrhundert, Leipzig 1909, S. 9–63. Kollegiatenverzeichnisse beider Kollegien bei Friedrich Zarncke, Urkundliche Quellen zur Geschichte der Leipziger Universität (AGL 3),
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| Daneben gab es einen zweiten, oft nicht minder bedeutenden, ‘privaten Typ’, dessen Existenz weitgehend auf privater Kapitalstiftung beruhte. Seine Angehörigen, die in der Regel nur zeitlich befristete Kollegiaturen nutzen konnten, waren eigentlich Stipendiaten und zwar bemerkenswerterweise vom jüngsten Artisten und Anfänger bis zum älteren Lizentiaten oder gar Doktor der Theologie, gelegentlich auch der Rechte und der Medizin. In diesen ‘Stiftungskollegien’ lebten also neben den ‘Artistenprofessoren auf Zeit’ durchaus als Kollegiaten auch jene Elementarstudenten, die man sonst in den Bursen suchen würde; ein Tatbestand, der die allzu schlichte Unterscheidung von Bursen und Kollegien wohl zusätzlich belastet. Diese Konstellation galt sowohl für eines der reichsten Kollegien dieser Art, für das schon erwähnte Kollegium “Zur Himmelspforte” in Erfurt, als auch für das “Frauenkolleg” zu Leipzig44, oder für Einrichtungen, die eher minderbemittelten Universitätsbesuchern zur Verfügung standen, wie das Collegium Dionysianum zu Heidelberg, das Georgianum zu Ingolstadt oder auch das Collegium Sapientiae für pauperes zu Freiburg, das – ebenso wie andere dieser 540 Art – oft | fälschlicherweise Burse genannt wird45. Zum gleichen 539
Leipzig 1857, S. 749ff., 763ff. Eine Geschichte der Leipziger Kollegien fehlt ebenso wie die der Bursen; vgl. zur Übersicht Helbig, Universität Leipzig (wie Anm. 16), S. 12ff., und Hoyer, Die Gründung (wie Anm. 1), S. 18ff. – Zu Rostock vgl. Krabbe, Die Universität Rostock (wie Anm. 18), S. 95f. Zu Greifswald Kaufmann, Geschichte (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 222ff. Zu Mainz Herrmann, Mainzer Bursen (wie Anm. 25), S. 99ff. Zu Basel Alfred Labhardt, Geschichte der Kollegiengebäude der Universität Basel 1460–1936. Festschrift der Universität Basel zur Einweihung des neuen Kollegienhauses am 10.06.1939, Basel 1939. 44 Erfurt, Amplonianum oder Porta Coeli: J. C. Hermann Weissenborn, Die Urkunden für die Geschichte des Dr. Amplonius Ratingk de Fago auch genannt Amplonius de Berka mit Erläuterungen, in: Mittheilungen des Vereins für Geschichte und Altertumskunde von Erfurt 8 (1877), S. 87–128; ebd. 9 (1880), S. 129–183; Wilhelm Schum, Beschreibendes Verzeichnis der Amplonianischen Handschriften-Sammlung zu Erfurt, Berlin 1887, hier: S. V–LVIII; Georg Oergel, Das Collegium zur Himmelspforte während des Mittelalters, in: Mittheilungen des Vereins für Geschichte und Altertumskunde von Erfurt 19 (1898), S. 19–114. Kurz auch Kleineidam, Universitas (wie Anm. 15), Bd. 1, S. 98ff., 340f. – Leipzig: Oswald Marbach, Heinrich Wuttke, Heinrich Brandes, Collegium Beatae Mariae Virginis in Universitate Lipsiensi, Bd. I: Der Zusammenhang des Collegii Beatae Mariae Virginis mit den Anfängen der Universität Leipzig, Leipzig 1859; G. T. L. Hirche, Über das Collegium Marianum auf der Leipziger Universität, in: Neues Lausitzisches Magazin 37 (1860), S. 245–247. 45 Heidelberg: Ritter, Die Heidelberger Universität (wie Anm. 21), S. 152f.; Berta Scharnke, Über Zusammensetzung und soziale Verhältnisse der Heidelberger Universitäts-Angehörigen im 15. Jahrhundert, Diss. masch., Heidelberg 1921, S. 62f. – Ingolstadt: Arno Seifert, Das Georgianum 1494–1600. Frühe Geschichte und Gestalt eines staatlichen Stipendiatenkollegs, in: Heinz Jürgen Real, Die privaten Stipendienstiftungen der Universität Ingolstadt im ersten Jahrhundert ihres Bestehens, Berlin 1972,
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kollegialen Stiftungstyp zählen im übrigen trotz ihres Namens die sogenannten “Juristenbursen”46. Man sieht, mit der geläufigen Differenzierung, hier Studenten und Bursen, dort Magister und Kollegien, ist der anderen Qualität des mittelalterlichen Universitätslebens nicht beizukommen. Studierende Magister fanden überdies nicht nur als Regenten, sondern auch als schlichte Lehrer in den Bursen, in denen sie oft selbst den Cursus absolviert
S. 147–206. – Freiburg: Mayer, Die alten Freiburger Studentenbursen (wie Anm. 23); Weisbrod, Die Freiburger Sapienz (wie Anm. 23). Die Begriffe Kollegium und Burse gehen hier durcheinander. Selbst das Prager Carolinum und Wiener Ducale sind als Bursen aufgefaßt (S. 25). Ebenso verworren schon Beckmann, Von einer mittelalterlichen Studentenburse (wie Anm. 23) und ders., Miniaturen einer mittelalterlichen Studentenburse, in: Sankt Wiborada-Jahrbuch 4 (1937), S. 1–6; ders., Vom Statutenbuch des Collegium Sapientiae, in: Kunstwerke aus dem Besitz der Albert-Ludwigs-Universität 1457–1957, Freiburg 1957, S. 47–52. Die Statuten selbst sprechen nur von collegium oder domus. – Zum gleichen Stiftungstyp gehört, obgleich es zeitgenössisch bursa heißt, das Erfurter Armenhaus. Vgl. Georg Oergel, Die Bursa pauperum zu Erfurt, in: Mittheilungen des Vereins für Geschichte und Altertumskunde von Erfurt 18 (1896), S. 133–145. – Hierher gehören aber auch die gestifteten und weiterbestifteten Wiener Studentenhäuser, Kollegien, denen Bursen angeschlossen sind, wie die Rosenburse, Lammburse oder Heidenburse (z.B. statuta collegii beate Marie semper Virginis habentis bursam sibi connexam vocatam ad Rubeam Rosam). Vgl. dazu (begrifflich nicht immer sicher) Schrauf, Studentenhäuser (wie Anm. 19), S. 176ff., 192; Heinrich Demelius, Beiträge zur Haushaltsgeschichte der Universität Wien, in: Studien zur Geschichte der Universität Wien, Bd. 1, Graz/Köln 1965, S. 92–141 (“Kollegiatenstiftungen”). – Auch Prag kannte private Kollegialstiftungen, z.B. das litauische Hedwigs-Kollegium, das ebenso wie das tschechische Kollegium “Nazaret” mit der Bethlehemskapelle verbunden war. Vgl. jetzt Michal Svatoš, Litevská kolej Pražské Univerzity (1397–1622), in: Vilnius Univerzita Karlova Praha, Prag 1981, S. 19–32. 46 Zu Köln mit den Stiftungen Dwerg und Vorburg vgl. Hermann Keussen, Die Kölner Juristenschule und die Kronenburse, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 14 (1932), S. 54–91; ders., Die Alte Universität (wie Anm. 56), S. 239ff.; Sr. M. Justina Grothe, The Kronenburse of the Faculty of Law of the University of Cologne, in: Franciscan Studies 9,31 (1971), S. 235–299; Wolfgang Herborn und Klaus J. Mattheier, Sozialhistorische und sprachgeschichtliche Aspekte eines frühneuzeitlichen Rechnungsbuches der Kölner Kronenburse, in: Rheinisch-westfälische Zeitschrift fürVolkskunde 24 (1978), S. 140–182. – Zur Heidelberger “Juristenburse” von 1498 vgl. Johann Friedrich Hautz, Geschichte der Universität Heidelberg, hg. von Karl Alexander Frhr. von Reichlin-Meldegg, 2 Bde., Mannheim 1863/1864, hier: Bd. 2, S. 408. – Zu Erfurt: Georg Oergel, Das Collegium Beatae Mariae Virginis ( JuristenSchule) zu Erfurt, in: Mittheilungen des Vereins für Geschichte und Altertumskunde von Erfurt 22 (1901), S. 53–130. – Zu Leipzig: Emil Albert Friedberg, Das Collegium Juridicum, Leipzig 1882. – Zu Rostock: Lorenz, Die Universitätsgebäude (wie Anm. 18), S. 13ff. – Zu Basel: Vischer, Geschichte der Universität Basel (wie Anm. 27), S. 134ff. u.ö. – Zu Wien: A. Camesina und V. Sanvittore, Das Haus der Juristenschule in der Schulerstraße in Wien, in: Blätter des Vereins für Landeskunde von Niederösterreich 9 (1875), S. 127–129. – Nur Pläne zu einer “bursen der edlleut oder juristen” bestanden in Ingolstadt; vgl. Helmut Wolff, Geschichte der Ingolstädter Juristenfakultät 1472–1625 (Ludovico Maximilianea Forschungen 5), Berlin 1973, S. 183.
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hatten, eine Bleibe; denn nicht alle wurden Kollegiaten, und nicht alle konnten sich als Gäste und Tischgenossen ihren ‘glücklicheren Kollegen’ anschließen. | Bursen, so könnte man dagegen formulieren, gehörten in der Univer541 sität dem offenen Raum der Vielen an, die Kollegien dem privilegierten Raum der Wenigen. In der Burse zahlte man für alles, im Kollegium empfing man zusätzlich zu freier Kost und Logis noch ‘Gehalt’ oder ein Stipendium. Zur unklaren Begrifflichkeit mag nun auch die Tatsache beigetragen haben, daß nämlich Bursen in die Kollegien integriert sein konnten, Kollegialen und Stipendiaten, sofern sie mindestens Artistenmagister waren, solche Bursen geleitet und in ihnen gelehrt haben47. Neben den Gästen und Tischgenossen zählten auch die Bursalen, die Hausgenossen oder socii, zu ihrer familia. Die Regenten dieses Bursentyps, der oben als ‘Kollegialburse’ bezeichnet worden ist, spielten als Kollegiaten und gleichzeitige Inhaber eines Lehrstuhles der Artistenfakultät eine herausragende Rolle. Verfassungsmäßig fest in der Universität verankert, gehörten sie dem Fakultätsrat an und waren hier den non collegiati an Stimmenzahl immer überlegen48. Weiterhin waren sie in das wohlgeordnete Netzwerk traditionaler Personalbeziehungen eingesponnen. Wenngleich das Rekrutierungssystem der deutschen Kollegien bisher kaum erforscht ist, wird man doch annehmen dürfen, daß die Chance zur Kollegiatur und damit zur Professur und weiterem privilegierten Studium stark in das örtliche und territoriale Geflecht der landesherrlichen, städtischen oder privaten Stifter-Familia eingebunden war49. Sehr wahrscheinlich wird auch die familia des Kollegiaten, seine Tisch- und Hausgenossenschaft davon profitiert haben. ‘Kollegialbursen’, in denen die Bursalen zwar Miete
47 Vgl. z.B. Oergel, Baugeschichte des “Collegium Majus”, Urkunden (wie Anm. 43), S. 118. Zu Wien wie Anm. 45 (Zitat). Allgemein schon Kaufmann, Geschichte (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 221. 48 Kaufmann, Geschichte (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 222; Wriedt, Personengeschichtliche Probleme (wie Anm. 40), S. 27f. 49 Stifter von Kollegien bis hin zum Einzelplatz am Kolleg haben in den meisten Fällen in hierarchischer Abfolge ihre Verwandten, die Bewohner ihres Geburts- oder Herkunftsorts und ihre Landsleute bedacht, erst dann andere. Dazu Literatur in den Anm. 40–46. Zu den Besetzungsgepflogenheiten z.B. an der Wiener Heidenburse vgl. Die Wiener Stiftungen. Ein Handbuch, hg. von Karl Ferdinand Mautner von Markhof, bearb. von Eugen Guglia, Wien 1895, S. 580; zu anderen S. 598ff. Für Löwen etwa Goyens, De beurzenstichtingen ingelijfd (wie Anm. 10), und De Maesschalck, Scholarship Grants (wie Anm. 17).
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und Verpflegung zu zahlen, nicht aber zusätzlich noch ihren Regenten zu unterhalten hatten, werden am Universitätsort ziemlich konkurrenzlos gewesen sein. In allen Universitätsstädten mit Kollegien dürften sie die erfolgreichsten Bursen gewesen sein. Ihnen gegenüber blieben dem zweiten Bursentyp, der privaten ‘Unternehmerburse’, nur wenig Chancen zur Entfaltung. Im Prinzip hatte jeder zum Magister der Künste promovierte Universitätsangehörige das Recht mit Erlaubnis des Rektors eine Burse zu eröffnen, das heißt einen Raum oder ein Haus zu mieten oder zu kaufen, für Unterkunft und Küche, Disputation und Übungen zu sorgen und zu versuchen, eine zahlende Gemeinschaft an sich zu binden; ein Vorgang, der durchaus mit persönlicher, von der Universität oft gemaßregelter Werbung (später nennt man das: Füchse keilen) verbunden war50. An einem Hochschulort, an dem | solche Unternehmerbursen mit den großen Kollegialbursen kon- 542 kurrieren mußten, kam es im Laufe des 15. Jahrhunderts regelmäßig zur Verdrängung der Privaten, zu einer ‘Bereinigung des Marktes’51. Dazu standen die einzelnen Bursenunternehmen auch miteinander in scharfem Wettbewerb; die größeren schluckten die kleineren, und manche konnten sich nur in sehr bescheidenen Grenzen halten. Anders war es vermutlich, wenn sich Bursen auf irgendeine Weise ‘spezialisierten’. In Erfurt zum Beispiel haben kleinere Unternehmen Dazu Paulsen, Organisation (wie Anm. 7), S. 411ff.; Kaufmann, Geschichte (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 238ff. Zu einem Beispiel aus Greifswald im SS 1499 vgl. Kosegarten, Geschichte (wie Anm. 22), S. 159. 51 Ein interessantes, aber zu erwartendes Indiz für diesen Vorgang ist die Überlieferung der Statuten und Hausordnungen. Während die meisten Stiftungen ihre Dokumente bewahrt haben, finden sich solche kaum aus den flüchtigen, privaten Bursen, nicht einmal aus den großen Unternehmerbursen der Kölner Universität. Nur einen gewissen Ersatz bietet ein Vertrag von 1503 unter den Regenten der Kukkanerburse; dazu unten Kuckhoff, Die Geschichte (wie Anm. 56), S. 6ff. – Ein Unikat m.W., zumindest unter den publizierten Werken, ist eine knappgefaßte Hausordnung, die offenbar als Wandzettel in der Burse eines unbekannten Magisters gedient hat; der letzte Paragraph verbietet das Beschädigen oder Herunterreißen des Zettels. Vgl. Otto Grillnberger, Eine Disziplinarordnung für Bursisten, in: Mitteilungen der Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte 4 (1894), S. 1–4. Die Universität dürfte Wien sein, doch ist dies nicht sicher; vgl. auch Schrauf, Studentenhäuser (wie Anm. 19), S. 177. – Von Prantl, Geschichte (wie Anm. 28), Bd. l, S. 94 mit Anm. 82, hält es überhaupt für unwahrscheinlich, daß unterhalb der allgemeinen Bursenstatuten der Artistenfakultät bzw. Universität einzelne Bursen noch besondere Statuten gehabt haben sollen. Er bezieht sich dabei kritisch auf die von Johann Nepomuk Mederer, Annales Ingolstadiensis Academiae IV seu Codex Diplomaticus, Ingolstad 1782, S. 95ff., für Ingolstadt vereinnahmten Statuta bursalia bursae Pavonis, die jedoch nach Freiburg gehören. Die dortige “Pfauenburse” ist aber ein gestiftetes Collegium der Artisten mit angeschlossener Burse. Vgl. Weisbrod, Die Freiburger Sapienz (wie Anm. 23), S. 28f. 50
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wohl nur deswegen das Jahrhundert überlebt oder sind sogar noch zu Anfang des 16. Jahrhunderts neu eingerichtet worden, weil sie sich als Humanistenzirkel gebildet hatten. Dazu zählte die Burse Georg Forchheims, aus dessen familia der bedeutende humanistische Gelehrte Joachim Camerarius hervorging. Dem gleichen Milieu gehörte auch die Burse “Zum weißen Rade” an. Einer ihrer Regenten war der später berühmte Reformationstheologe Johannes Drako von Karlstadt. Eines der erfolgreichsten Unternehmen dieser Art, bezeichnenderweise aber massiv vom Erfurter Stadtrat unterstützt, war schließlich die 1465 gegründete Bursa Georgiana, mit der unter anderen der bekannte Humanist Eobanus Hessus in Verbindung gestanden hat; und Martin Luther gehörte ihr als Baccalarius artium seit 1502 an52. Die Unternehmerburse kam dort aber voll zum Zuge, wo eine kollegiale Pfründen- oder Stiftungskonkurrenz nicht bestand53. Dieser 543 Typ hat sich in Löwen54, vielleicht auch in | Basel55 und in beson-
Vgl. Oergel, Das Bursenwesen (wie Anm. 10), S. 156ff.; Johannes Biereye, Über die Wohnung Luthers und einiger zeitgenössischer Humanisten, in: Festschrift für Otto Dobenecker, Jena 1929, S. 243–266. 53 Ganz unsinnig die Erklärung von Weisbrod, Die Freiburger Sapienz (wie Anm. 23), S. 22, in Bezug auf private Bursen: “Größere Bedeutung gewannen diese familienähnlichen (!) Pensionen allerdings erst, seit es Sitte wurde, daß die Magister sich verheirateten”. Kaufmann, Geschichte (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 237 hier für das 15. Jh. mißverstanden. 54 Vgl. Anm. 10 u. 17. Vgl. noch Henri de Vocht, Inventaire des Archives de l’Université de Louvain, Löwen 1927. Löwen schloß sich freilich wohl am stärksten von allen Universitäten des Reiches dem Pariser System an. Die vier Hauptbursen – die paedagogia (!) – wurden zu Wohn- und Ausbildungsstätten der Anfänger in der Artistenfakultät, während andere sich den collèges zuwandten, die gegen Ende des 15. Jhs. immer zahlreicher entstanden und durch Hinzustiftung einzelner “Bursenplätze” erweitert wurden. Hierzu besonders De Maesschalck, Scholarship Grants (wie Anm. 17). 55 Allerdings bestand von Anfang an (1460) ein Collegium (nach der Reformation “Unteres Kolleg” genannt) für Universitätslehrer, die sowohl einzeln von der Stadt besoldet, aber auch von privaten Stiftern versorgt wurden. Im Kollegiengebäude befanden sich die Hörsäle aller Fakultäten, Dozenten und Pedellwohnungen sowie (im 3. Stockwerk) Studentenkammern. Daneben gab es für Studenten noch eine domuncula posterior. Offensichtlich wurde eine Kollegialburse betrieben; aber es hieß auch: Item quod domus Collegii que empta estpro habitacione doctorum et magistrorum tot quot in ibi honeste stare possunt versa est in bursam, quod non fuit nec est de mente Consulum. Vgl. Bonjour, Die Universität Basel (wie Anm. 27), S. 46f., 55ff., Zitat S. 59 Anm. 29. Die Stadt behandelte die anderen Bursen jedoch gleich, zumal man damit rechnete, daß die Artisten hauptsächlich hier ihren Unterhalt fanden. Magister Petrus Medici aus Ulm erhielt für seine Burse sogar einen städtischen Zuschuß. Zu den Unternehmern und Inhabern einer Burse zählte auch der Rechtsberater und Gesandte Basels, Dr. Johannes Bär von Durlach, Professor jur. can. und später (1494) Rat Maximilians I. Vgl. Josef Rosen, Die Universität Basel im Staatshaushalt 1460 bis 52
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derer Weise in Köln56 etabliert. Die Kölner Unternehmer und ihre Mitarbeiter, die Subregenten und magistri exercentes repräsentierten hier die gesamte Artistenfakultät. Konkurrenz auf Grund von städtischen Professuren oder Universitätskanonikaten gab es, von der Frühzeit der Kölner Hochschule abgesehen, so gut wie gar nicht. Die UnternehmerRegenten und die von ihnen entlohnten Mitarbeiter und Bursenlehrer, lebten im Gegensatz zu den Kollegiaten allein von den Erträgen ihrer Betriebe, vor allem aber von den Studiengebühren ihrer Zöglinge. Die Artistenfakultät, so könnte man es aus dem Blickwinkel der Stadt Köln, der Trägerin der Hochschule, formulieren, finanzierte sich durch ihre Lehrtätigkeit weitgehend | selbst57. Anders als in den Kollegialbursen, 544 in denen eigentlich nur studienbegleitende abendliche Übungen (serotinae) stattfanden, suchte man nämlich in Köln seit etwa der Mitte des Jahrhunderts die gesamte Artistenausbildung, also auch die ordentlichen
1535. Die Gehälter der Dozenten, in: Basler Zeitschrift 72 (1972), S. 137–219, hier: S. 142ff., 145, 176ff., 199; Bonjour, Die Universität Basel (wie Anm. 27), S. 60ff. – Unternehmerbursen hatten wohl durchaus eine starke Position in Basel. Sollte die Kollegialburse eingehen, so sollten die übrigen (1496 auf drei beschränkt) an ihre Stelle treten. Dazu Vischer, Geschichte der Universität Basel (wie Anm. 27), S. 182ff. Vgl. noch Labhardt, Geschichte (wie Anm. 43). 56 Eine monographische Zusammenfassung des Themas existiert nicht. Am besten noch Josef Kuckhoff, Die Geschichte des Gymnasium Tricoronatum. Ein Querschnitt durch die Geschichte der Jugenderziehung in Köln vom 15. bis zum 18. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Rheinischen Museums in Köln 1), Köln 1931, vor allem S. 1–87. Dazu Hermann Keussen, Die alte Universität Köln. Grundzüge ihrer Verfassung und Geschichte, Köln 1934, S. 343–353. Vgl. ferner Franz Joseph von Bianco, Die alte Universität Köln sowie die zu Köln administrierten Studien-Stiftungen, 2 Tle. in 4 Bden., Köln 21855, hier: Bd. I,l, S. 253ff.; Leonard Ennen, Geschichte der Stadt Köln, Bd. III, Köln 1869, S. 858ff. Übersichten nach den vorgenannten: Willehad Paul Eckert, Kleine Geschichte der Universität Köln, Köln 1961, S. 51ff.; Anna-Dorothee von den Brincken, Die Stadt Köln und ihre Hohen Schulen, in: Stadt und Universität im Mittelalter und in der früheren Neuzeit, hg. von Erich Maschke und Jürgen Sydow (Stadt in der Geschichte 3), Sigmaringen 1977, S. 47ff. – Häufigste Darstellung hat die Bursa Kuckana erfahren, die Vorläuferin des noch heute existierenden “Dreikönigsgymnasium” (früher: Tricoronatum, Jesuiten- oder Marzellengymnasium). Vgl. neben Kuckhoff (oben) noch Heinrich Milz, Geschichte des Gymnasiums an Marzellen zu Köln, 3 Tle., Köln 1886–1889, hier: Tl. 1: Die Zeit von 1450–1630, Köln 1886; Das Marzellengymnasium in Köln 1450–1911. Bilder aus seiner Geschichte. Festschrift dem Gymnasium anläßlich seiner Übersiedlung gewidmet von den ehemaligen Schülern, hg. von Josef Klinkenberg, Köln 1911. Zuletzt: Dreikönigsgymnasium 1977. Festschrift aus Anlaß des Umzuges des Dreikönigsgymnasiums im August 1977 vom Thürmchenswall zur Escher Straße, Köln 1977, S. 15ff. 57 Hermann Keussen, Die Stadt Köln als Patronin ihrer Hochschule von deren Gründung bis zum Ausgange des Mittelalters, in: Westdeutsche Zeitschrift für Geschichte und Kunst 9 (1890), S. 344–404, hier: S. 357 mit Anm. 90f. u. S. 366; ders., Die alte Universität (wie Anm. 56), S. 106.
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Vorlesungen, in die Bursen hineinzuziehen58. Damit kam der größte Teil der Studiengebühren direkt den einzelnen Bursen zugute. Ein wichtiges Indiz für diesen Prozeß, der seine Parallele nirgendwo anders als in Paris hat, ist die Tatsache, daß aus dreien der vier Kölner Hauptbursen im 16. Jahrhundert Gymnasien hervorgegangen sind, sie also dem Typ nach, wenn auch unter veränderten Rahmenbedingungen, erfolgreich überlebt haben, während das übrige Bursenwesen im Reiche im Laufe des 16. Jahrhunderts untergegangen ist59. Die vier großen Bursen Kölns – die Montana, die Corneliana, die Laurentiana und die Kuckana – haben freilich ebenso wie die Kollegialbursen durch ihre Wirtschafts- und damit Anziehungskraft die kleineren Privatbursen Zug um Zug verdrängt60. Obgleich sie in scharfem Wettbewerb miteinander standen und sich gegenseitig abzugrenzen suchten, waren sie gemeinsam doch so stark, daß sie zu Beginn der siebziger Jahre die Einrichtung einer fünften Hauptburse, trotz potenter Fürsprecher aus dem städtischen Rat, verhindern konnten61. Lediglich ein ‘Spezialist’, die Bursa Ottonis, hat sich hier noch halten können62. Die unterschiedliche Stellung der Magister, der Kollegialen und der privaten Unternehmer, in der Verfassung sowie im Wirtschafts- und Sozialgefüge der Universitäten hat wohl auch den Bursen und Bursenfamilien ein jeweils eigenes Profil verliehen. Im makro- wie im mikrosozialen Bereich dürften zwischen beiden Bursentypen erhebliche Unterschiede bestanden haben. Kollegien und Kollegialbursen haben vermutlich einen viel engeren Kreis angesprochen als die auf ‘zahlende Gäste’ angewiesenen, notwendigerweise offenen Privatbursen. Dennoch wurden selbst in den
Kuckhoff, Die Geschichte (wie Anm. 56), S. 17f. Zu Köln wie oben Anm. 56. Allgemein Arno Seifert, Universitätskollegien (wie Anm. 40), S. 360f. – Versuche zur Erneuerung von Bursen oder bursenähnlichen Einrichtungen hat es aber bis ins 19. Jh. immer wieder gegeben. Vgl. z.B. De paedagogiis academicis. Prolusio scholastica, qua ad paedagogii academici solemnia . . . invitat Johann Valentin Klein, Gissae 1822; G. Phillips, Bursen und Convicte, in: Historisch-politische Blätter für das katholische Deutschland 18 (1846), S. 309–320; auch in: ders., Vermischte Schriften, Bd. I, München 1856, S. 75–84. 60 Drei namentlich bekannte ältere Bursen neben den principales haben wahrscheinlich die Mitte des 15. Jhs. nicht überlebt; vgl. Keussen, Die alte Universität (wie Anm. 56), S. 343f. 61 Es handelt sich um die Burse des Magisters Nicolaus Mommer von Ramsdonck, der sich nach seinem gescheiterten Versuch nach Trier begab, dort eine Burse einrichtete und 1473 erster Rektor der Trierer Universität wurde. Dazu Keussen, Die alte Universität (wie Anm. 56), S. 347; Kuckhoff, Die Geschichte (wie Anm. 56), S. 24; Matheus, Das Verhältnis der Stadt Trier (wie Anm. 24), S. 72. 62 Vgl. S. 547 [Originalpaginierung]. 58 59
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großen, von weitgehend wirtschaftlichen Gesichtspunkten aus geleiteten Kölner Bursen, in denen man eine rein zufällige Zusammensetzung erwarten könnte, die sozialen Regeln traditionaler, mittelalterlicher Gemeinschaftsbildung beachtet. II | Damit wenden wir uns dem zweiten Abschnitt unserer Arbeit zu, in 545 dem einige quantitative Beobachtungen hinsichtlich der räumlichen und sozialen Rekrutierung von Bursen- und Regentenfamilien erörtert und qualitativ bewertet werden sollen. Die Ausgangsdaten liefern uns in Form einer Stichprobe63 die Bursen der Universität zu Köln. Auf der Grundlage der allgemeinen Matrikeln sowie der artistischen Dekanatsbücher, eines einzigartigen Überlieferungsstandes übrigens, sind wir in der Lage, studierende Bursalen, Bursen und Bursenlehrer miteinander in Verbindung zu bringen64. Allerdings ist diese Verbindung von besonderer Qualität: Sie bietet bereits eine Auswahl aus der Kölner Studentenschaft an, insofern sie nämlich nur diejenigen berücksichtigen kann, die zumindest zum baccalarius artium promoviert worden sind. Die soziale Realität einer Burse wird also nur in dem Augenblick erkennbar, in dem sie der Fakultät ihre Bursalen als Kandidaten zur Promotion präsentiert, und diese unter ihren persönlichen Bursenlehrern im Falle des Bakkalareats ‘determinieren’ oder im Falle des Magisteriums ‘inzipieren’65. Dennoch erhalten wir Daten, über deren Repräsentativität 63 Die Stichprobe aus dem Kreis der Kölner Studenten umfaßt 861 Personen; sie ist in Zehn-Jahres-Schritten von 1415 bis 1495 gezogen. Zur Methodik meiner EDV-gestützten Forschungen vgl. Rainer Christoph Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher im späten Mittelalter. Methoden und Probleme ihrer Erforschung, in: Politische Ordnungen und soziale Kräfte im Alten Reich, hg. von Hermann Weber (Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz, Abt. Universalgeschichte, Beih. 8: Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches 2), Wiesbaden 1980, S. 37–52. Künftig ders., Universitätsbesucher (wie Anm. 1). Zur Auswertung sind neben Spss eigene Cobol- und Fortran-Programme benutzt worden. 64 Dies ist in keiner anderen deutschen Universität des Mittelalters möglich. Ich bediene mich der verdienstvollen Vorarbeiten und Zusammenstellungen von Hermann Keussen (Hg.), Die Matrikel der Universität Köln, Bd. l, Bonn 21928; Bd. 2, Bonn 1919; Bd. 3, Bonn 1931. Eine Überprüfung der Kombinationen: Burse, Bursale, Bursenlehrer im Rahmen unserer Stichproben (Anm. 63) in den Dekanatsbüchern zeitigte gute Ergebnisse, so daß wir uns auf gesicherter Materialbasis bewegen können; Dekanatsbücher I–III, 1406–1499. Stadt A Köln, Univ. Akten 478–480. 65 Hierzu neben den Arbeiten von Kuckhoff, Die Geschichte (wie Anm. 56), Keussen, Die alte Universität (Anm. 56) und Eckert, Kleine Geschichte (wie Anm. 56), speziell S.
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gar nicht zu diskutieren ist. Über das 15. Jahrhundert hinweg lassen sich im Durchschnitt 37 Prozent der Kölner Universitätsbesucher, also mehr als jeder Dritte, als Bakkalare der Künste und auf diese Weise als Bursalen ermitteln. Das sind auch 78 Prozent aller überhaupt in Köln promovierten Studenten in allen Fakultäten66. Betrachtet man nur die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts, in der die Entwicklung der Prinzipalbursen schon abgeschlossen gewesen ist, so wird die Ausgangssituation der Stichprobe noch deutlicher umrissen. Mit der Frequenz der Kölner Hochschule, die am Ende des Jahrhunderts der Größe nach zwar hinter Löwen, aber noch vor den 546 alten “Rivalinnen” in | Leipzig, Wien und Erfurt lag, stieg auch die Häufigkeit der artistischen Promotionen67. Sie stieg jedoch so, daß ihr prozentualer Anteil an den Immatrikulationen ständig überproportional zunahm68. Krisenzeiten des Universitätsbesuches wurden dabei von den Promovierenden weitgehend ignoriert. Lagen die Bakkalareate zu Beginn des Jahrhunderts noch unter 20 Prozent, war es also eigentlich normal, nicht zu promovieren, so kletterten sie schon im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts auf durchschnittlich 47 Prozent. Fast jeder zweite Besucher Kölns – man wird nicht mehr sagen können, wer sich ‘normal’ verhielt und wer nicht – hat in diesem Zeitraum den untersten Artistengrad erlangt und wird damit für uns als Bursale erreichbar. Mit dieser Quote stand Köln vermutlich an der Spitze der deutschen Universitäten, bezeichnenderweise nur gefolgt von Basel (42%), dessen Universität ein vielleicht ähnliches Unternehmerbursensystem aufzuweisen hatte69. Die These liegt nahe und wäre durch weitere Forschungen zu überprüfen, ob nicht das herausragende Kölner System, das die Burse faktisch zu einer eigenen universitas artistarum machte, diesen hohen Prozentsatz verursacht hat. Die Frage, welche Bedeutung das Bursen-
Clasen, Der Studiengang an der Kölner Artistenfakultät, in: Artes liberales. Von der antiken Bildung zur Wissenschaft des Mittelalters, hg. von Josef Koch (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelaters 5), Leiden/Köln 1959, S. 124–136. 66 Diese Durchschnittswerte sind nicht kompatibel mit jenen in der Tabelle der Promotionen bei Keussen, Alte Universität (wie Anm. 56), S. 380. 67 Schwinges, Universitätsbesucher (wie Anm. 1). Ohne Berücksichtigung von Löwen und Wien Eulenburg, Die Frequenz (wie Anm. 12), S. 53ff. und Horst Rudolf Abe, Die frequentielle Bedeutung der Erfurter Universität im Rahmen des mittelalterlichen deutschen Hochschulwesens, in: Beiträge zur Geschichte der Universität Erfurt 2 (1957), S. 29–57. 68 Vgl. Schwinges, Pauperes (wie Anm. 1), S. 303f. 69 Errechnet auf Grund meiner Basler Stichproben; vgl. Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 63). Zu den Basler Bursen vgl. Anm. 55.
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wesen für das Graduierungswesen und damit für die Legitimierung einer eigenen Schicht von Universitätsabsolventen tatsächlich gehabt hat, wäre dann einmal ganz neu zu stellen70. Ungeachtet der Schwankungen der Präsentationen in einzelnen Jahrgängen erwies sich im Schnitt der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts stets die Bursa Montis oder Montana als die größte der Kölner Bursen. Sie war gleichzeitig die älteste (gegr. 1419/20), hieß auch bursa antiquissima, und war wohl zudem die bedeutendste Einrichtung dieser Art. Ihren Namen führte sie in Anlehnung an ihren zweiten Regenten, den Theologen Gerhard ter Stege de Monte Domini (Heerenberg, niederl. Provinz Gelderland). Fast ein Drittel der Kölner Artisten unserer Stichprobe fand hier den Anschluß an einen Magister, ohne daß alle dem Bursenzwang unterlagen, insofern sie alle in der Burse hätten wohnen müssen; denn dazu wären ihre Bauten zu wenig und viel zu klein gewesen71. Grundsätzlich gilt dies auch für die anderen Bursen. Auf die Montana folgte der Größenordnung nach die drittälteste, 1422 gegründete Bursa Laurentiana, die ihren Namen dem Regenten Laurentius Buninch von Groningen verdankte. Sie stellte jeden vierten Bakkalar der Künste. Die Zweitälteste, um 1420 gegründete Bursa Corneliana nannte sich nach Cornelius Baldewini von Dordrecht (Provinz Südholland), der ebenso | 547 Theologe war wie die beiden vorgenannten Regenten. Seine Burse präsentierte nur knapp hinter der Laurentiana noch mehr als ein Fünftel der artistischen Kandidaten. Hinter diese drei älteren Bursen trat die jüngere Kuckana mit einem Anteil an den Promotionen von rund 13 Prozent merklich zurück. Sie hatte sich erst im Jahre 1450 von der Laurentiana abgespalten, deren Konrektor nun der neue Regens war. Magister Johannes von Kuck (Provinz Nordbrabant), auch er ein Theologe, wie denn überhaupt die Artistenausbildung mehrheitlich – nicht nur in Köln – in den Händen der Theologiestudenten lag72, profitierte bei seiner Sezession vom gerade einsetzenden Aufschwung des Universitätsbesuchs in Köln. Doch sollte die neue Burse den Vorsprung der anderen nicht mehr aufholen können. Als einzige der Hauptbursen war sie in einem gemieteten Die Tübinger Burse (vgl. Anm. 26) erfaßte in ihren beiden Flügeln für die antiqui und moderni fast die gesamte Fakultät. Kuhn, Die Studenten (wie Anm. 41), S. 41ff., errechnet für die Zeit von 1477 bis 1534 41 bacc. art. auf 100 Inskribierte. 71 Vgl. Kuckhoff, Die Geschichte (wie Anm. 56), S. 12f., 14f. 72 Einen guten Einblick vermittelt das “Verzeichnis der Professoren der Artisten-Fakultät” (nach Bursen getrennt) bei Keussen, Alte Universität (wie Anm. 56), S. 504–578. Allgemein Kaufmann, Geschichte (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 237. 70
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Haus eingerichtet und mußte von daher schon Wettbewerbsnachteile in Kauf nehmen73. Unter den kleineren Privatbursen konnte in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts nur noch eine einzige längerfristig erfolgreich Fuß fassen. Die Ottonica, die Burse Magister Otto van den Bleeks von Xanten, die immerhin noch 5 Prozent der Bakkalare stellte, gehörte denn auch zu den ‘Spezialisten’, und zwar, wie zu zeigen sein wird, weniger aus wissenschaftlichen als vielmehr regionalen und sozialen Gründen74. Die Bursa Ramsdonck, die nicht einmal ein Prozent der Bakkalare unserer Stichprobe auf sich ziehen konnte, scheiterte dagegen nach etwa zwei Jahrzehnten an dem Versuch, als fünfte Hauptburse anerkannt zu werden. Magister Nikolaus Mommer resignierte im Jahre 1473 und avancierte dann an der neuen Universität zu Trier. Sein Kölner Bursenhaus wurde später um 1477 mit der Montanerburse vereinigt75. Welch ein Monopol die Prinzipalbursen im Laufe der Zeit erreicht hatten, zeigt sich bemerkenswerterweise auch daran, daß nicht ein einziger Bakkalar zwischen 1450 und 1500 gekürt wurde, den nicht ein Magister der etablierten Bursen präsentiert hätte. In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts hatte es dagegen noch sechs Prozent gleichsam ‘bursenfreie’ Promotionen gegeben76. Die Macht der Hauptbursen war inzwischen freilich so groß, daß sie ein Promotionsverbot außerhalb der Bursen durchsetzen konnten, ohne jedoch die kleineren Privaten davon profitieren zu lassen. Deren Regenten blieben von den einträglichen Prüfungsämtern der Tentatoren und Examinatoren ausgeschlossen77. 548 | Dennoch darf man in der oben erwähnten Rangfolge der Prozentanteile keinen grundsätzlich verteilten Markt erblicken. Die kleine Domus Ottonis – gelegentlich nach dem Regenten Hermann Schom von Bergheim auch Domus Berchem genannt – hat zeitweise nicht nur die Kuckana, sondern auch die Corneliana an Zahl der Präsentationen
Kuckhoff, Die Geschichte (wie Anm. 56), S. 15. Dazu unten S. 559. 75 Vgl. Keussen, Die alte Universität (wie Anm. 56), S. 347; s. auch Anm. 61. 76 Präsentiert von Magistern, besser gesagt, die keiner Burse zuzuordnen sind. 77 Keussen, Die alte Universität (wie Anm. 56), S. 347; ders., Regesten und Auszüge zur Geschichte der Universität Köln 1388–1559 (Mitteilungen aus dem Stadtarchiv Köln XV), Köln 1918, S. 193, Nr. 1471: Kölner Ratsherren und Provisoren verhandeln 1469 Juli 1 mit der Universität, omb dat die faculteet in artibus verneymen, nyemant zo promovieren uyss meister Clais van Rampstorp ind meister Otten van Xancten bursen und huyseren, sij en haven dan eyn placet ind consent van eynchem der rectoire van den anderen vier bursen, dardurch die studenten in meister Clais ind meister Otten huyss vurs beswiert ind acktersatzt wurden etc. 73 74
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überflügeln können78. Tag um Tag standen offenbar Artistenstudenten im Auftrag ihrer Magister am Rhein und suchten die ankommenden Neulinge (beani) gleich vom Schiff weg für ihre Bursen zu ‘keilen’. Magister und Regenten stritten, wenn sie stritten, fast immer um Studenten, das heißt um ihre Honorare, um ihren Lohn79. Kurz vor der Auflösung der Bursa Kuckana wird die herrschende Wettbewerbsstimmung noch einmal deutlich. Im Jahre 1545 präsentierte sie nur noch einen einzigen Kandidaten. Dazu bemerkte der Dekan der Artisten etwas spitz im Dekanatsbuch: Hancunam oviculam Cucani adduxerunt. Mit Sicherheit war es ein Magister der Kuckana, der daneben notierte: Quam tamen ceteri lupi devorare non potuerunt80. Die Kölner Bursen unterschieden sich freilich nicht nur nach Marktanteilen voneinander, sondern auch – was damit durchaus in Zusammenhang stehen kann – nach der geographischen Herkunft und der sozialen Position ihrer Besucher. Obwohl sie Unternehmerbursen und als solche offen für alle waren, blieb ihre Zusammensetzung doch nicht allein dem Zufall überlassen. Was zunächst die räumliche Herkunft der Bursalen betrifft, so scheint sie den gesamten Einzugsbereich der Kölner Hochschule im großen und ganzen widerzuspiegeln. Kölner Universitätsbesucher stammten vorwiegend aus den drei mittelalterlichen Diözesen Köln, Lüttich und Utrecht, denen sich gleichsam wie ein äußerer, aber dünner Kranz noch Trier, Cambrai und Münster anschlossen; hauptsächlich also und in Reihenfolge der Nennungen aus den Niederlanden, vom Nieder- und Mittelrhein sowie – nach der Gründung Löwens (1426) aber seltener – aus den östlichen Provinzen des heutigen Belgien. Sie kamen also aus einem recht engen, nach Nordwesten hin ausgerichteten Raum, der gleichwohl einen der stärksten Wirtschaftsräume des Mittelalters darstellte. Erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts fand die Kölner Hochschule auch festeren Anschluß an den süddeutschen Raum, an die Pfalz, an Hessen und vor allem an Franken81.
Kuckhoff, Die Geschichte (wie Anm. 56), S. 15. Ebd., S. 39f. u. S. 34 mit Anm. mit Bezug auf Streitereien um Humanisten und Köln. 80 Ebd., S. 42. Zitat nach Dekanatsbuch IV 1500–1565. StadtA Köln, Univ. Akten, Nr. 481, fol. 234. Zum Wettbewerb der Bursen bzw. Gymnasien in dieser Zeit vgl. die Schilderungen Hermann Weinsbergs: Kölner Denkwürdigkeiten aus dem 16. Jahrhundert. Das Buch Weinsberg, hg. von Konstantin Höhlbaum, 2 Bde., Bonn 1886/87, hier: Bd. l, S. 74ff. 81 Vgl. Keussen, Matrikel (wie Anm. 64), Bd. 1, S. 20*ff. mit Tabellen S. 170*ff. – Künftig Schwinges, Universitätsbesucher (wie Anm. 1). 78 79
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Jede der Kölner Bursen vertrat ein ganz bestimmtes, von Zeit zu Zeit durchaus wandelbares Spektrum dieses Einzugsbereiches. Es war ein Spektrum, das räumliche Präferenzen zuließ, ohne jeweils exklusiv zu sein. Gleiche regionale Schwerpunkte zeigten bemerkenswerterweise 549 | die größte und die kleinste der Kölner Bursen: die Montana und die Domus Ottonis. An der Spitze stand in beiden Bursen der universitätsnahe Raum, der durch die heutigen Regierungsbezirke Köln und Düsseldorf fast vollständig umschrieben ist. Ihm folgte ein südlicher Raum, in dem die Franken dominierten. Erst an dritter Stelle sind die Niederlande zu nennen – in völliger Umkehrung also der Verhältnisse im Einzugsbereich der Gesamtuniversität. Gleichwohl zeigten sich in der prozentualen Verteilung, besonders an der Spitze, gravierende Unterschiede zwischen dem Groß- und dem Kleinbetrieb. Während die Montaner zu 30 Prozent aus dem gesamten universitätsnahen Raum stammten, brachten es die Ottonier auf 41 Prozent, doch so, daß allein 36 Prozent die Universitätsstadt selbst oder das allernächste Umland als Heimatort angaben. In keiner anderen Burse ist der stadtkölnische Anteil an den Präsentationen so hoch ausgefallen wie in dieser kleinen, wohl nicht zu Unrecht so genannten ‘Spezialistenburse’. Eine zweite raumbezogene Gruppierung bildeten Laurentianer und Cornelianer. Hier hieß die Reihenfolge in Übereinstimmung mit dem Einzugsbereich der Universität: Niederlande, Niederrhein, Hessen und Franken. Wiederum aber bemerkt man eine bezeichnende Verteilungsdiskrepanz an der Spitze. Ein großer Teil der Niederländer hat sein Zentrum eher in der Corneliana (54%) als in der Laurentiusburse (37%) gesehen. Eine weitere, wohl aber etwas isolierte räumliche Struktur fällt im Einzugsbereich der Bursa Kuckana auf. Ihre Bursalen stammten der Reihenfolge nach aus den Niederlanden, aus dem südlichen Raum, vor allem aus Hessen, und erst dann vom Niederrhein. Ganz offensichtlich hatte sich die jüngere Prinzipalburse gerade im interessantesten, universitätsnahen rheinischen Raum noch nicht in dem Maße durchsetzen können wie ihre älteren, schon verwurzelten Konkurrentinnen. Die Sonderstellung der Kuckana in Köln mag vielleicht auch darin aufscheinen, daß sie die Burse der Schotten gewesen ist, zumindest beherbergte sie das stärkste ‘ausländische’ Kontingent (7,3%)82.
82 Keussen, Matrikel (wie Anm. 64), Bd. 1, S. 22* mit Anm. 6: Die Kölner Universität besaß Zollvorrechte in Brügge für ihre schottischen Studenten – ebenso wie Löwen
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Die eigenartigsten räumlichen Profile sind demnach wohl bei den kleineren Bursen zu finden. Domus Ottonis und Kuckana zeichnen sich gleichzeitig durch eine gewisse, je andersartige Richtungsenge aus. Größere Minderheiten, vor allem aus dem östlichen Westfalen und Norddeutschland, aus Thüringen, Sachsen und Skandinavien, Pommern, Brandenburg, Ordenspreußen und Schlesien, verteilten sich auch so gut wie ausschließlich auf die großen Bursen83. Insbesondere scheint die Laurentiana der Treffpunkt all derer gewesen zu sein, die nicht zum eigentlichen Einzugsbereich der Kölner Hochschule gehörten. | Um diese unterschiedlichen regionalen Profile der Bursen zu erklä- 550 ren, sei zunächst auf etwas hingewiesen, das man als Einflußfaktor sicher ausschließen kann. An den Kölner Bursen gab es in vorreformatorischer Zeit im Gegensatz etwa zu den Kollegialbursen anderer Universitäten keine nennenswerten Bursenplatzstiftungen, die mit bestimmten regionalen oder örtlichen Bedingungen hätten verknüpft werden können84.
und Paris. Vgl. Annie I. Dunlop, Scottish Student Life in the 15th Century, in: Scottish Historical Review 26 (1947), S. 47–63. Mit schönen Vergleichsmöglichkeiten zu Köln und Löwen z.B. dies. (Hg.), Acta Facultatis Artium Universitatis Sanctiandree 1413–1588 (St. Andrews University Publications 56), Edingburgh/St. Andrews 1964. 83 Skandinavier, vor allem Dänen, bevorzugten die Montanerburse (5,4 %); vgl. auch Keussen, Matrikel (wie Anm. 64), Bd. 1, S. 22* mit Anm. 7. Zu Dänen in Köln E. Joergensen, Danske og norske Studerende ved Universitetet i Colln. Tidsrummet 1476–1559, in: Personalhistorisk Tidsskrift 8,2 (1923), S. 91–98; jetzt auch Jan Pinborg, Danish Students 1450–1535 and the University of Copenhagen, in: Cahiers de l’Institut du Moyen-âge Grec et Latin, Université de Copenhague 37 (1981), S. 70–122. – Aus der Fülle der (oft nur lokalbezogenen) Literatur zur studentischen regionalen Herkunft in Auswahl: E. Schinkel, Studenten aus Westfalen an der Universität Köln zwischen 1388/1389 und 1559, in: Köln, Westfalen 1180–1980. Landesgeschichte zwischen Rhein und Weser (Ausstellungskatalog), hg. von Peter Berghaus und Siegfried Kessemeier, 2 Bde., Münster 21981, hier: Bd. l, S. 377–383; Adolf Ulrich, Niedersächsische Studenten auf fremden Universitäten, in: Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen (1889), S. 199–280, hier: S. 224f.; Johannes Stracke, Die Beziehungen der Ostfriesen zu den Universitäten des deutschen Sprachraums im Mittelalter, in: Jahrbuch der Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer zu Emden 40 (1960), S. 5–37, hier: S. 17ff.; Alfred Schmidtmayer, Bremische Studenten an den Universitäten des Mittelalters, in: Bremisches Jahrbuch 35 (1935), S. 39–89, hier: S. 68f.; Heinrich Julius Böthführ, Die Livländer auf auswärtigen Universitäten in vergangenen Jahrhunderten. Erste Serie. Festschrift der Gesellschaft für Geschichte und Alterthumskunde der Ostseeprovinzen Russlands zur Feier ihres 50j. Bestehens, Riga 1884, hier: S. 9–14; Max Perlbach, Prussia scholastica. Die Ost- und Westpreußen auf den mittelalterlichen Universitäten, Braunsberg 1895; Hartmut Boockmann, Die preußischen Studenten an den europäischen Universitäten bis 1525, in: Historisch-geographischer Atlas des Preußenlandes, hg. von Hans Mortensen, Gertrud Mortensen und Reinhard Wenskus, Lfg. 3 (1973), S. 1–12. 84 Vgl. Keussen, Die alte Universität (wie Anm. 56), S. 355–369. Dazu Von Bianco, Die alte Universität Köln (wie Anm. 56), hier: Bd. II, 1–2; Gerhard Schoenen, Die
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Die wenigen Plätze, die im Rahmen der Artistenfakultät angeboten wurden, lassen sich aber keiner Burse mit Sicherheit zuordnen85. Eher könnte man an landsmannschaftliche Zusammenschlüsse denken, wie sie auch aus anderen Universitäten bekannt sind, ohne daß die Köl551 ner Bursen dabei die Rolle von | Universitätsnationen übernahmen86. Im übrigen lassen sich an allen deutschen Hochschulen relativ viele Besucher – bis zu 30 Prozent eines jeden Jahrgangs – entdecken, die in bemerkenswerten, auch sozial sehr dichten Kleingruppen in der Regel aus dem gleichen Herkunftsort zur Universität gekommen sind87. Sie nahmen “Ihr Dorf gleichsam mit auf Reisen” und brachten es in die Bursen ein. Solche Kleingruppen und Reisegruppen blieben am Hochschulort sehr Kölnischen Studienstiftungen, Köln 1892. Zu anderen Universitäten sei pauschal auf die Literatur in Anm. 15–28, 40–45 verwiesen. 85 Das Roermondsche Haus oder Collegium St. Hieronymi, eine Stiftung des Kölner Domherrn und Xantener Propstes Johannes von Löwen aus Roermond (realisiert 1443), bot Platz für sieben Studenten aus Roermond und einen aus Erpel zum Studium in beliebiger Fakultät, beginnend in der Regel jedoch in der artistischen. Roermonder konzentrierten sich auf die Bursa Corneliana (vgl. Anm. 90), sind aber auch in der Laurentiana zu finden; schon der erste Rektor der Stiftung, Gottfried Milter aus Roermond, ist aus der Laurentiana hervorgegangen. Vgl. Keussen, Die alte Universität (wie Anm. 56), S. 360ff. Statuten: J. Habets, De studiebeurzen in Nederlandsch Limburg, Venlo 1881, S. 185ff.; Schoenen, Die Kölnischen Studienstiftungen (wie Anm. 84), S. 4, bezieht die Stiftung J. v. Löwens auf das Gymnasium Laurentianum. Ob das für die Burse schon zutrifft, mag dahingestellt sein. – Fünf Artistenplätze stiftete 1452 für Köln der Lütticher Domherr Johannes Hueven aus Arnheim, zugleich mit drei Plätzen für Theologen am Kolleg Sorbonne in Paris, die aber 1485 nach Köln übertragen wurden. In den Genuß kamen der Reihe nach Verwandte des Stifters, Arnheimer, Veluwer, Gelderner aus dem Herzogtum. Eine Bursenzuordnung ist nicht möglich; allerdings scheinen Arnheimer die Laurentiana zu bevorzugen, Gelderner sowohl diese als auch die Montana. Vgl. zur Stiftung Keussen, wie oben, S. 365ff. und Astrik L. Gabriel, The Foundation of Johannes Hueven de Arnhem for the College of Sorbonne, Chapel Hill, North Carolina 1959. – Um die Jahrhundertwende stifteten auch die Regenten für ihre Bursen (Testamente); dazu Kuckhoff, Die Geschichte (wie Anm. 56), S. 6, 15f.; Schoenen, Die Kölnischen Studienstiftungen (wie Anm. 84), S. 3, führt als einzige des 15. Jhs. die Stiftung “Collegistarum” für die Montana vom 26. Juni 1489 an; vgl. Meissner, Valentin Engelhardt (wie Anm. 92), S. 30ff. 86 Zum Beispiel war die Bursa Olavi Zentrum der skandinavischen Studenten in Rostock; Kretschmann, Universität Rostock (wie Anm. 18), S. 18. In Erfurt sammelten sich Hessen und Thüringer in der Georgenburse, Studenten vom Niederrhein in der Porta Coeli (bezüglich des Collegium Stifterwille!), Niedersachsen im 16. Jh. im Collegium Saxonicum; Oergel, Bursenwesen (wie Anm. 10), S. 158. An der Universität Krakau bestand eine Ungarnburse: Regestrum Bursae Hungarorum Cracoviensis. Das Inwohner-Verzeichniss der Ungarischen Studentenburse zu Krakau (1493–1558), hg. von Karl Schrauf, Wien 1894. Eine Silesenburse wird in Wien erwähnt: ders., Studentenhäuser (wie Anm. 19), S. 148 u. Anm. 103. Vgl. ansonsten die Literatur zu den Bursen in den Anm. 15–28. Zur Frage der „Nationsbursen“ in Leipzig vgl. Anm. 16, zu Prag vgl. Anm. 45 (Coll. Nazaret der tschech. Nation). 87 Vgl. Schwinges, Studentische Kleingruppen (wie Anm. 6), S. 327ff.
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stabil und konnten gemeinsam einer Burse auf einige Zeit durchaus ein besonderes Gesicht verleihen. Neben diesen studentischen Zusammenhalt trat ferner, vielleicht sogar entscheidend, die Anziehungskraft der Regenten und Magister. In der alten Universität ist freilich nicht die wie auch immer geartete ‘wissenschaftliche’, sondern in erster Linie die soziale Anziehungskraft des Magisters ausschlaggebend gewesen. Man kann sagen: Regenten und Magister bildeten Familien, die durchaus soziometrischen Bedingungen unterlagen88. Diese Magisterfamilien haben nicht nur die unterschiedliche regionale Ausrichtung der Bursen beeinflußt, sondern auch typische und von anderen absetzbare Rekrutierungsräume innerhalb der Bursen geschaffen. Einige Beispiele seien genannt: In der Corneliana, der principalis bursa der Niederländer, fällt die große Zahl der Besucher aus der Provinz Südholland auf, aus dem Raum von Dordrecht, Leiden, Rotterdam, Den Haag, Bommel, Brielle, Delft und Gouda, also aus dem Rheinmündungsgebiet. Von eben dorther stammten auch die UnternehmerRegenten sowie die Mehrzahl der Bursenlehrer, die durchweg bereits in den Familien der Cornelianer-Regenten studiert hatten und nun auch Angestellte ihrer Lehrer waren. Unter den Regenten und Konrektoren bemerkt man Cornelius Baldewini von Dordrecht, den Namensgeber der Burse, ferner Dankward Hugonis von Brielle, Dietrich Balveren von Bommel und Petrus Thome von Leiden89. Innerhalb von zwanzig Jahren, etwa zwischen 1450 und 1470, determinierten unter den beiden Konrektoren, Dankward Hugonis und Petrus Thome, Bakkalare der Künste, die zu über 50 Prozent in Matrikel und Dekanatsbuch die gleiche südholländische Heimatregion angegeben hatten. Es wären über 60 Prozent, bezöge man sich auf das Territorium der alten Grafschaft Holland. Eine zweite, relativ geschlossene Gruppe in | der Corneliana 552 waren die Limburger, vor allem aus dem Raum von Venlo und Roermond90. Sie konzentrierten sich zu 40 Prozent um den Magister Mathias de Tilia aus Venlo, der 14 Jahre lang Bursenlehrer war, bevor er 1492 eine theologische Professur erhielt und im Jahre 1495 ein Kanonikat an St.
88 Hierunter sind die verschiedensten Bindungen mit heimatlichem Hintergrund zu verstehen, dazu ständig reproduzierte Schüler-Lehrer-Verhältnisse. 89 Cornelius: Keussen, Matrikel (wie Anm. 64), Bd. 1, S. 238 (94); Dankward: Ebd., S. 448 (53); Dietrich: Ebd., S. 489 (33); Petrus: Ebd., S. 529 (78). 90 Eine andere Gruppe von Limburgern befand sich in der Laurentiana, ihr Zentrum war vor allem Venray (vgl. Anm. 85).
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Georg91. Weitere 25 Prozent seiner Bakkalare gehörten dem südholländischen Kernbereich der Burse an, wie denn auch er selbst bis hin zum Magisterium der Schüler des Petrus Thome von Leiden gewesen ist. In den übrigen Bursen bemerkt man im wesentlichen die gleiche Konstellation. Die Magister und späteren Regenten der Montana, Remigius von Malmedy und Valentin Engelhart aus der unterfränkischen Ortschaft Geldersheim (bei Schweinfurt) banden Besucher aus dem südlichen und süddeutschen Einzugsbereich der Universität an sich92. In der Kuckana sammelten sich die Schotten um den Magister Stephanus de Scotia, der hier über 20 Jahre lang tätig gewesen ist93. Solche Zusammenhänge, die man mit den Mitteln der quantitativen, historischen Personenforschung im großen Rahmen entdecken kann, lassen sich aber auch aus einem zeitgenössischen Text herauslesen, was den statistischen Befund zusätzlich bekräftigen mag. Am 31. Januar 1503 schlossen die Regenten der Domus Kuckana einen Vertrag miteinander, die Konregenten Gerhard von Zutphen und Stephan Scot sowie der Regent und neue Inhaber des Bursenhauses, Magister Petrus Sultz von Köln. Man ließ darüber eine Urkunde ausfertigen; Zeugen waren die Regenten der anderen Bursen. Im wesentlichen ging es um eine Regelung der strittigen Verteilung der Gebühren, der Kost- und Studiengelder. Den uns besonders interessierenden Teil des Vertrages hat J. Kuckhoff folgendermaßen paraphrasiert: “Haushalt und Beköstigung der Insassen und Tischgenossen der Burse übernahm der Hausinhaber auf eigene Rechnung. In diese Geschäfte hatte keiner der beiden Mitregenten hineinzureden; insbesondere durften sie keinen der Schüler, die im Hause des Peter Sultz Wohnung oder Beköstigung hatten, in ihren eigenen Haushalt übernehmen, es sei denn, daß jener die Genehmigung dazu gab. Im übrigen aber hatten auch die Mitregenten Schüler in ihrem Haushalt. Der Besitzer der Burse durfte insbesondere nichts dagegen einwenden, wenn einer seiner beiden Kollegen Schüler beköstigte, die Zu ihm Matr. l, wie Anm. 64, S. 825 (154). Remigius de Porta: Matr. l, S. 832 (54); zu ihm auch kurz: Eupen-Malmedyer als Lehrer an der alten Universität Köln, in: Echo Eupen-Malmedy-Monschau 9 (1935), S. 130; Valentin Engelhardt: Matr. 2, S. 57 (64); Monika Meissner, Valentin Engelhardt und seine Spitalstiftung in Geldersheim, Diss. phil., Würzburg 1967; auch in: Mainfränk. Jahrbuch für Geschichte und Kunst 20 (1968), S. 1–190, hier S. 15ff. 93 Zu ihm Matr. l, S. 854f. (100); 1503 ist er Regent. Neben Stephanus sind in der zweiten Hälfte des 15. Jh.s noch neun weitere schottische Magister in der Kuckana nachzuweisen; vgl. Keussen, Alte Universität (wie Anm. 56), S. 550ff. Schotten in anderen Bursen: Unter 2%, Laurentiana 2,8%. 91 92
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ihnen besonders empfohlen waren, die aus ihrer Heimat kamen und ausdrücklich an sie geschickt worden waren. Über solche Schüler hatten auch nur sie bei den Promotionen zu verfügen; sie präsentierten diese und erhielten also auch die entsprechenden Gebühren.”94 | Daß es neben solchen ‘Haushalten’ bzw. Familien auch ziemlich 553 zusammengewürfelte Gruppierungen gegeben hat, braucht sicher nicht eigens betont zu werden. Viel zu viele Magister haben sich selbst in den Bursen noch um Studenten und Kandidaten bemühen müssen. ‘Außenseiter’ sind sehr klar zu erkennen: Zum einen haben sie in vergleichbaren Zeiträumen weit weniger Kandidaten präsentiert als die Regenten und die ‘anerkannten’ Bursenlehrer. Zum anderen hat ihre Klientel kaum einen räumlichen Schwerpunkt aufzuweisen. Unter Magister Johannes (de) Heyer zum Beispiel, der selbst zudem kein ursprünglicher Cornelianer war95, determinierten zwölf Personen des Besucherjahrgangs 1495 innerhalb von vier Jahren. Sie stammten – in der chronologischen Reihenfolge des Matrikeleintrags – aus Boppard (Regierungsbezirk Koblenz), Frankenberg (Rb Kassel), Sollbach (Rb Oberpfalz), Dordrecht (Provinz Südholland), Werden (Rb Düsseldorf ), Alkmaar (Prov. Nordholland), Kaltenbronn (Rb Koblenz), Heilbronn (Rb Stuttgart), Noordwijk (Prov. Südholland), Köln, Quakenbrück (Rb Osnabrück) und Zons (Rb Düsseldorf ). Wie es schon der eingegrenzte räumliche Horizont der Magisterfamilien zeigt, hat die Gemeinschaftsbildung auch in der alten Universität nichts mit irgendwelchen abstraken Verteilungskritenen zu tun. In diesem Sinne muß man wohl den am weitesten gespannten Einzugsbereich der Laurentiusburse als ein weitgehend amorphes Gebilde auffassen. Die Mehrheit der Magister und Bursalen läßt sich einander nicht räumlich zuordnen, was um so auffallender ist, als auch diese Burse ihre familialen Schwerpunkte besessen hat: nämlich in den heute niederländischen Territorien des alten Herzogtums Geldern und des Bistums Utrecht, im Raum von Kampen, Zwolle und Amersfoort. Langjähriger Regent war Conradus Vorn von Kampen, bevor er 1473 eine theologische Professur übernahm. Konregenten und Nachfolger waren Jacobus Tymanni von Amersfoort, Antonius von Zwolle und – seit 1493 einziger Regent der
94 Kuckhoff, Die Geschichte (wie Anm. 56), S. 6ff. Vgl. auch Keussen, Regesten (wie Anm. 77), S. 319, Nr. 2388. 95 Bakkalar der Domus Ottonis, aus Haiger, Lahn-Dill-Kreis, stammend, später Mönch, OP. Vgl. Keussen, Matrikel Köln, (wie Anm. 64), Bd. 2, S. 110 (120).
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Burse – Gerhardus Henrici aus Harderwijk, aus dem alten Hafenort an der Zuider Zee, zwischen Amersfoort und Kampen gelegen96. Für die familiale Bindung innerhalb der Bursengemeinschaften, zumindest innerhalb eines Teils der Gemeinschaft, scheinen aber nicht nur regionale, sondern auch soziale Faktoren verantwortlich gewesen zu sein. Die mittelalterliche Universität war durch all ihre Teileinheiten und Gruppierungen hindurch eine ebenso hierarchisch gegliederte Gemeinschaft wie andere organisierte Sozialformen in der Gesellschaft auch97. Ihre Sozialstruktur läßt sich Jahr für Jahr und Semester für Semester wenigstens grob in den Matrikelbüchern und den anderen, zum Teil seriell geführten Verzeichnissen, den Fakultätsakten, Dekanatsbüchern und Graduiertenlisten, ablesen. Zwei große Gruppierungen sind zu 554 erkennen: Zum einen die pauperes, zum anderen | die breite, mittlere Schicht (unterhalb einer recht dünnen geistlichen und weltlichen Herrenschicht), die ihren finanziellen Verpflichtungen in der Universität stets nachgekommen ist98. Neben dieser mittleren Schicht, der eigentlichen sozialen und ökonomischen Trägerin gerade großer Universitäten99 waren die pauperes lediglich Randexistenzen100. Auf sie trafen alle Kriterien der Randständigkeit 96 Conradus: Keussen, Matrikel Köln (wie Anm. 64), Bd. l, S. 603 (14); Jacobus: Ebd., S. 719f. (6). Antonius: Ebd., S. 813 (41); Gerhardus: Ebd., S. 771 (89). 97 Vgl. Anm. 2; Moraw, Zur Sozialgeschichte (wie Anm. l), S. 51; Schwinges, Pauperes (wie Anm. l ) S. 288f; ders., Studentische Kleingruppen (wie Anm. 6), S. 320f. 98 Statt vieler vgl. Moraw, S. 51, und Schubert, S. 37f., beide wie Anm. 1; Schwinges, Studentische Kleingruppen (wieAnm. 6), S. 335f. 99 Vgl. für Wien z. B. Kink, Kaiserliche Universität (wie Anm. 31), S. 137f.; Schrauf, Geschichte der Stadt Wien, (wie Anm. 19), Bd. II, S. 980; Die Matrikel der Universität Wien (Publikationen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung. Reihe 6. Quellen zur Geschichte der Universität Wien, Abt. 1. Die Matrikel der Universität Wien, hg. v. Franz Gall et al., Wien 1956, S. XXff. Zusammenfassend Paul Uiblein, Die österreichischen Landesfürsten und die Wiener Universität im Mittelalter, in: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 72 (1964), S. 382–408, 382ff. 100 Zum Problem der pauperes: John M. Fletcher, Wealth and Poverty in the Medieval German Universities with Particular Reference to the University of Freiburg, in: Europe in the Late Middle Ages, ed. by John Rigbey Hale, John Roger L. Highfield, Beryl Smalley, London 1965, S. 410–436; James H. Overfield, Nobles and Paupers at German Universities to 1600, in: Societas: A Review of Social History 4 (1974), S. 175–210; Magnus Ditsche, Zur Studienförderung im Mittelalter, in: Rheinische Vierteljahresblätter 41 (1977), S. 51–62; ders., Scholares pauperes. Prospettive e condizioni di studio degli studenti poveri nelle università del medioevo, in: Annali dell’Istituto storico italo-germanico in Trento 5 (1979), S. 43–54 (Übersetzung von 1977); ders., Soziale Aspekte der päpstlichen Doktorgraduierungen im späten Mittelalter, in: The Church in a Changing Society (Proceedings of the CIHEC-Conference in Uppsala August 17–21, 1977), Uppsala 1978, S. 208ff; Elisabeth Mornet, Pauperes scolares. Essai sur la condition materielle des étudiants scandinaves dans les universités aux
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zu: Mittellosigkeit und Beziehungslosigkeit, Benachteiligung und Diskriminierung sowie nicht zuletzt mangelnde Gruppenidentität101. Allerdings haben wir es mit einer ‘offenen Randgruppe’ zu tun. Die sozialen Grenzen waren nach oben hin – bedingt durch konjunkturelle Schwankungen – mehr oder weniger fließend, so wie es in umgekehrter Richtung für die untere Grenze der Mittelschicht ebenso zu gelten hat102. Die Universität reagierte auf das Problem der armen Besucher nicht anders als die Gesellschaft auch. Ein besonderes soziales Engagement kannte sie nicht. Es gab zwar in fast allen Universitäten domus und bursae pauperum oder einzelne Platzstiftungen für Arme; doch einerseits waren diese Haus- und Stiftungsplätze vor der Reformation erst verschwindend gering etabliert103; und andererseits – ein viel wichtigerer
XIVe et XVe siècles, in: Le moyen âge. Revue d’histoire et de philologie 84 (1978), S. 53–102; Jacques Paquet, Recherches sur l’universitaire ‘pauvre’ au moyen age, in: Revue belge de philologie et d’histoire 56 (1978), S. 301–353; ders., L’universitaire ‘pauvre’ au moyen age: Problèmes, Documentation, Questions de Methode, in: Paquet/Jisewjin, les universités (wie Anm. 8), S. 399–425. Edward De Maesschalk, De criteria van de armoede aan de middeleeuwse Universiteit te Leuven, in: Revue belge de philologie et d’histoire 58 (1980), S. 337–354; Schwinges, Pauperes (wie Anm. l), hier zur Auffassung der Randexistenz. 101 Diese kann durch den Druck von Umweltfaktoren allerdings aufgehoben werden; vgl. Schwinges, Kleingruppen (wie Anm. 6), S. 344ff. 102 Ebd., S. 339ff. 103 Zum Heidelberger Dionysianum vgl. Anm. 45; dazu Urkundenbuch der Universität Heidelberg, hg. von Eduard Winkelmann, 2 Bde, Heidelberg 1886, hier: Bd I, S. 166f. (Statuten von 1452); vgl. noch Friedrich Peter Wundt, Etwas von den Stipendien in älteren Zeiten auf der Heidelberger Universität zum Nutzen der ärmeren Klasse von Studierenden, in: ders., Geschichte und Beschreibung der Stadt Heidelberg, Neustadt a.d. Aisch 1805, S. 431f. – Zu Ingolstadt und Freiburg Anm. 45. Nur für arme Magister war die Domus Carthasiana in Freiburg (seit 1485) bestimmt, vgl. Alfred Weisbrod, Die Freiburger Sapienz (wie Anm. 23), S. 29f. – Zu den Wiener Koderien Schrauf, Die Wiener Universität (wie Anm. 19), S. 997f. Auch die Silesenburse hieß domus pauperum circa S. Laurentium, gestiftet vom Breslauer Kanonikus, Nikolaus v. Gleiwitz, der ebenso eine bursa pauperum für Breslauer und Schlesier in Erfurt errichtet hatte, während seine Armenstiftungen in Leipzig und Krakau nicht realisiert wurden; vgl. Schrauf, ebd. (wie Anm. 19), S. 1001ff.; Oergel, Erfurt (wie Anm. 45), und Kleineidam, Universitas (wie Anm. 15), Teil 1, S. 342. – Zum Armenhaus der Kölner Stiftung Wesebeder vgl. Keussen, Alte Universität (wie Anm. 56), S. 355ff. – Für Prag, F. M. Bartos, Collegium pauperum na KarlovÏe universitÏe, in: ders., PÓrispÏevky k dÏejinám Václava IV., Órada 2. VÏestnik České Akademie VÏed a UmÏení 53 (1944), S. 81–83. – Vgl. noch zu Paris: Astrik Ladislas Gabriel, The House of Poor German Students at the Mediaeval University of Paris, in: Geschichte in der Gesellschaft. Festschrift für Karl Bosl 1974, S. 50–78; Marcel Godet, La congregation de Montaigu (1490–1580). Bibliothèque de l’école des hautes études, Sc. Hist. et Philol. 198 (1912) (vgl. folg. Anm.). – Zu Stiftungen und Stipendium vgl. Anm. 45. Dazu Edward de Maesschalck, Scholarship grants (wie Anm. 17) und ders., Armoede (wie Anm. 100), S. 343ff. V. Schäfer “Zur Beförderung der Ehre Gottes und Fortpflanzung
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555 Aspekt – wäre es völlig unmittelalterlich | anzunehmen, daß solche
Armenpfründen tatsächlich diejenigen genossen hätten, die sie benötigten104. Einen Platz in einer allgemeinen Burse zu finden, war für einen Armen trotz des angeblichen Bursenzwanges für alle nur in sehr beschränktem Umfang möglich. In Wien zum Beispiel bestanden sogenannte Zweiund Dreigroschen-Bursen. Die Artistenfakultät achtete darauf, daß der Conventor oder Regent die Preise nicht einfach erhöhte105, doch zeigt die Existenz der Wiener Bettelkotter (coderiae), daß selbst solche Preise, für die man in Erfurt gerade ein Mittagessen am Tisch eines Kollegiaten bekam, noch zu hoch waren106. Die Statuten der Kölner Artistenfakultät aus dem Jahre 1457 bestimmten ganz eindeutig, daß pauperes und überhaupt solche, die die onera bursalia nicht tragen könnten, entweder einen Platz modo pauperum erhielten, d.h. einen der begrenzt vorhandenen 556 Plätze als Haus- und Küchendiener | und Bücherabschreiber, oder nach Maßgabe und Wissen ihrer Magister bei ‘ehrenwerten Personen’ außerhalb der Burse wohnen sollten; mit anderen Worten, die Mehrheit der armen und zahlungsschwachen Studenten mußte sehen, wo sie blieb107. der Studien”. Bürgerliche Studienstiftungen an der Universität Tübingen zwischen 1477 und 1750, in: Stadt und Universität im Mittelalter und in der früheren Neuzeit, hg. von Erich Maschke und Jürgen Sydow (Stadt in der Geschichte. Veröffentlichungen des südwestdeutschen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung 3), Sigmaringen 1977, S. 99–111; Karl-Hermann Wegner, Studium und Stipendium in Hessen vor der Reformation, in: Studium und Stipendium. Untersuchungen zur Geschichte des hessischen Stipendiatenwesens, hg. von W. Heinemeyer (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 37), Marburg 1977, S. 3–76. 104 Vgl. z.B. zur Besetzung der Kölner Wesebeder-Stiftung: Keussen, Alte Universität (wie Anm. 56), S. 357f., der Wiener Coderien: Paul Uiblein, Die Wiener Universität, ihre Magister und Studenten zur Zeit Regiomontans, in: SAW, PH 364, (1980), S. 395–432, 408. Allgemein Rashdall, The Universities (wie Anm. 1), Bd. 3, S. 412f. – Im Jahre 1490 gründete Johannes Standonck in Paris das Collegium montis acuti (Montaigu); zugelassen waren nur veri pauperes et egeni, non divituum filii et potentum, prout passim inique fieri concernimus; vgl. Godet, La congregation (wie Anm. 103), S. 144. Im gleichen Sinne entstand u.a. auch ein Collegium Standonck im Jahr 1500 in Löwen. Vgl. ebd., S. 31ff; Edward De Maesschalk, Uit de geschiedenis van de Universiteit. De oorsprong van de Standonckstraat te Leuven, in: Onze Alma Mater 28 (1974), S. 117–123. Zu den damit begonnenen ‘neuen Formen’ der (Bursen) Stiftungen für Arme, vgl. ders; Scholarship grants (wie Anm. 17), S. 487f. 105 Schrauf, Studentenhäuser (wie Anm. 39), S. 175 Nr. 29: 1472, 27. Jan., Venit Mag. Wolffgangus de Dorffen, petivit, ut bursa sua duorum grossorum in trium converteretur; non fuit exauditus. Umgekehrt, eine Preissenkung abgewehrt, ebd., S. 174, 28. 106 Vgl. G. Oergel, Himmelspforte (wie Anm. 44), S. 59. Vorausgesetzt: böhmischer und meißnischer Groschen waren zu dieser Zeit noch halbwegs gleichwertig. 107 V. Bianco, Die alte Universität (wie Anm. 56), Bd. I, 2, S. 76f.: Pauperes vero et
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Der Kölner studens artium Gerhard von Wieringen (Provinz Nordholland), der nicht eigentlich pauper war, aber doch nur die Hälfte der Gebühren bei der Immatrikulation entrichten konnte, hatte zwar Anschluß an einen Magister der Bursa Corneliana, wohnte jedoch irgendwo in der Stadt und lebte zeitweise davon, daß er sein Bett an andere Studenten untervermietete108. Was es selbst für einen vorübergehend zahlungsschwachen Studenten bedeutete, in der Burse modo pauperum zu stehen, schilderte in seiner Autobiographie der spätere Bürgermeister von Stralsund, Bartholomäus Sastrow (1520–1603), der einen Teil seiner Studienjahre an der Rostocker Universität in der Regentia ‘Adlersburg’ verbrachte. “Als ich zwei Jahre in Rostock gewesen war, wurden meinen Eltern die Kosten zu hoch . . . Auf keinen Fall wollte ich mich vom Studieren abbringen lassen. Daher klagte ich meinen Lehrern meine Sorgen. Und diese erließen mir, was ich und die anderen ihnen für den Unterricht zu zahlen hatten. Sie erreichten auch beim Wirt, daß ich ihm jährlich nur acht Gulden (früher 16 Gulden) für das Essen zu geben brauchte. Dafür mußte ich aber den Tisch decken, Speise und Trank auftragen und beim Essen bedienen sowie seinen Sohn Bartel Bröcker, der größer war als ich . . . , beaufsichtigen, seine Bücher in Ordnung halten, seine Schuhe putzen, ihn an- und ausziehen usw. Außerdem mußte ich dem Magister Heinrich Lingen ebenfalls die Schuhe putzen, dazu das Bett machen, die Stube heizen, ihn in die Kirche oder, wohin er sonst ging, begleiten und ihm im Winter die Lampe bringen. Da ich zwei Jahre mit den anderen, meinen Kommilitonen, am Tisch gesessen hatte, mir auftragen liess und auch ich sonst bedient wurde, fiel mir das anfangs recht schwer. Aber was sollte ich tun? Ich konnte ja nichts daran ändern”109.
non valentes portare onera bursalia, stent in bursa modo pauperum aut extra cum honests personis in locis honestis juxta ordinationem et consensum suorum magistrorum. 108 Keussen, Matrikel Köln (wie Anm. 64), Bd. 1, S. 809 (56), immatrikuliert am 27.9. 1470. Er zahlt 3 alb. und l alb. für einen Pedell (= Pflichtgeld auch für Arme). Ein solcher Zahler gilt gelegentlich als non multum dives: Matr. l, S. 377 (11). Gerhards Bruder Johannes, immatrikuliert Februar/März 1472, ist als pauper eingetragen; Matr. l, S. 836 (42). Vgl Keussen, Alte Universität (wie Anm. 56), S. 152; Das Rechnungs- und Notizbüchlein des Kölner Studenten Gerhardus von Wyringen, hg. von B. Jäger und Rainer Christoph Schwinges. 109 Bartholomäus Sastrow, Herkommen, Geburt und Lauff seines gantzen Lebens, auch was sich in dem Denckwerdiges zugetragen, so er mehrentheils selbst gesehen und gegenwärtig mit angehöret hat, von ihm selbst geschrieben. hg. von G. C. F. Mohnike, 3 Bde., Greifswald 1823, hier zitiert nach: Ritter, Bürger und Scholaren. Aus Stadtchroniken undAutobiographien des 13. bis 16. Jahrhunderts, hg. von Hans Joachim Gernentz, Berlin 1980, S. 306f.
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Trotz ihrer Randständigkeit hatten nach unseren Untersuchungen gerade die pauperes der Kölner Hochschule ein sehr konzentriertes und existenzielles Interesse am Universitätsbesuch. Sie kamen mit Erwartungen und Hoffnungen, die sie viel stärker als die mittlere Schicht – die divites, wie diese in manchen Matrikeln heißen – durch Promotionen in der Artistenfakultät zu legitimieren suchten. Unsere Kölner Bursenstich557 probe umfaßt erstaunliche 31 Prozent pauperes, | die zu Bakkalaren der Freien Künste promoviert worden sind. Diese Quote liegt um sechs Prozent über dem Durchschnitt der in Köln immatrikulierten Armen110. Vergleichen wir zunächst wieder die Bursen untereinander, so fällt sogleich auf, daß die große Laurentiana, die im Unterschied zu den übrigen Bursen den weitest gespannten Einzugsbereich besaß, mit 41 Prozent auch die bei weitem stärkste Armengruppe der Universität stellte. Ihr folgte mit 34 Prozent fast erwartungsgemäß die Kuckana, deren Einzugsbereich ähnlich weit in die Ferne gerichtet war. Der Corneliana, die der Raumstruktur nach eine mittlere Position einnahm, gehörten 29 Prozent der armen Kandidaten an, während – wiederum in einer besonderen Stellung vereint – die größte und die kleinste der Kölner Bursen, die auch den engsten Rekrutierungsraum besaßen, nur noch jeden vierten Armen in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts präsentierten. Es scheint so, als hätten Bursa Montana und Domus Ottonis als einzige die alte Regel der Artistenfakultät aus dem Jahre 1427 beachtet, wonach auf sechs bis sieben Zahlende nur ein bis zwei Arme zur Promotion geführt werden sollten111. In allen Bursen stammte die Mehrheit der pauperes aus den universitätsfernen Räumen. Daß Armut mit der Entfernung vom Heimatort zunehmen konnte, ist eine unmittelbar einleuchtende Tatsache. Nicht aber im gleichen Maße einsichtig ist es, weshalb sich pauperes nicht auf alle Bursen einigermaßen gleichmäßig verteilten, sondern im Gegenteil sich mehrheitlich – aus allen Himmelsrichtungen kommend – der Laurentiana zuwandten; es sei denn, die Preise der Bursenplätze und die Magisterhonorare seien hier niedriger gewesen als anderswo. Für eine Staffelung der Kölner Bursenpreise, ähnlich den Wiener Groschenbursen, Vgl. Schwinges, Pauperes (wie Anm. l), S. 304f. Begrifflich ist weder an der Kölner Universität noch an anderen deutschen Universitäten ein Unterschied zwischen pauperes und divites-Promotionen festzustellen. In Paris jedoch scheint bei den Bakkalaren der Begriff subdeterminatio die determinatio von pauperes anzuzeigen, ohne daß dabei inhaltliche Differenzen zu Tage treten; eine bemerkenswerte Form von ‘formaler Diskriminierung’. Vgl. Mornet, Pauperes scolares (wie Anm. 100), S. 70 mit Anm. 45. 111 Keussen, Alte Universität (wie Anm. 56), S. 299. 110
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gibt es allerdings gar keinen Anhaltspunkt112. Sie würde auch in das System der Unternehmerbursen nicht gut hineinpassen. Die Fakultätsstatuten von 1457 schrieben vielmehr ein festes ‘Schulgeld’ vor: Jeder hatte seinem Magister pro Quartal einen Gulden Rheinisch zu zahlen – ganz unabhängig von den Honoraren für die einzelnen Vorlesungen und Übungen113. | Kölner Bursen unterschieden sich wahrscheinlich von vornherein 558 nach ihrem sozialen Rang. Über das 15. Jahrhundert hinweg dürfte der Status der Besucher sie unterschiedlich gezeichnet und der einen mehr soziale Anerkennung am Hochschulort verliehen haben als der anderen. Dabei standen sozialer Rang und Rekrutierungsraum der Bursen miteinander in unmittelbarem Zusammenhang. Der weitgespannte, aber relativ diffuse Einzugsbereich der Laurentiana war der Herkunftsraum ihrer armen Kandidaten, war zugleich aber auch der Herkunftsraum, wie wir uns erinnern, jener Mehrheit von Bursalen und Magistern, die sich einander nicht räumlich zuordnen ließen. Familiale Bindungen, wie sie in der geldrischen Spitzengruppe dieses Hauses oder in anderen Bursen bestanden, existierten weitgehend nicht oder – vorsichtiger gesagt – lassen sich nicht so ohne weiteres entdecken. Man bemerkt aber, wie hier die Kriterien der Randständigkeit der Universitätsarmen, vor allem die Bindungslosigkeit und die mangelnde Identität als Gruppe ineinander gegriffen haben114. Solche Aussagen über ein recht konturenschwaches Gebilde bewerten freilich in gar keiner Weise das, was man die ‘wissenschaftliche’ Leistungsfähigkeit der Burse nennen könnte. Zwar ist unsere Studie nicht den geistesgeschichtlichen Aspekten der spätmittelalterlichen Studentenhäuser gewidmet, doch sei erwähnt, daß der spätere Münsteraner
112 Die in Anm. 56 zit. Autoren, zumal Keussen und Kuckhoff, wissen davon nichts. Die von diesem, S. 11f., mitgeteilte Preisstaffelung für den Unterricht innerhalb der Bursen stammt aus den reformierten Statuten der art. Fak. von 1522 (Vgl. von Bianco, Die alte Universität (wie Anm. 56), Bd. I, 2, S. 302, die sich aber schon auf die Struktur der ‘neuen’ Gymnasien beziehen: opulentiores zahlen jährlich 4 fl., mediocres 2 fl. und pauperes l fl. 113 So die Statuten von 1398 und in dieser Hinsicht nicht verändert von 1457. Vgl. Von Bianco, Die alte Universität (wie Anm. 56), Bd. I, l, S. 129. Es ist dies der Preis für divites, für opulentiores von 1522 (vgl. Anm. 112), darunter war nichts geregelt. Von 1398 bis 1522 und länger blieb also das ‘Schulgeld’ konstant: l fl. Im Quartal = 4fl. jährlich. Wir haben es sicher mit dem Buchstaben der Statuten, aber wohl kaum mit der Realität zu tun; das gilt weitgehend auch für die Festsetzung der Honorare. Dazu Kuckhoff. Die Geschichte (wie Anm. 56 ), S. 20. 114 Vgl. zum Hintergrund Schwinges, Kleingruppen (wie Anm. 6), S. 344ff.
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Schulmann und Humanist, Johannes Murmellius von Roermond (1480–1507), der bereits unter Alexander Hegius an der bedeutenden Schule der Brüder vom Gemeinsamen Leben zu Deventer erzogen worden war, an der Laurentiana seit April 1496 – als pauper – studierte115. Seit Oktober 1495 lehrte dort Poetik – zurückgekehrt aus Italien – der bekannte Humanist Hermann von dem Busche (Buschiŭs, 1468–1534). Auch er war längst vorgebildet durch seinen Verwandten Rudolf von Langen, den großen Domschulreformator von Münster, durch Hegius in Deventer und durch Rudolf Agricola in Heidelberg. Hermann Buschius schrieb im Jahre 1498 ein Lobgedicht auf die Laurentiana116. Überhaupt scheint diese Burse um die Wende des 15. zum 16. Jahrhundert “eine Pflegestätte humanistischer Bildung” gewesen zu sein – trotz des beißenden Spotts, den später die ‘Dunkelmänner’ über die Kölner Universität ausgegossen haben117. Es wäre sicher lohnend, einmal der Frage nachzugehen, wieweit die im Verbund der Kölner Bursen so eigenartige räumliche und soziale Struktur der Laurentiana, die sich besonders stark im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts ausprägte, etwas mit ihren humanistischen Tendenzen zu tun hatte. Im Vergleich zum ‘Armenhaus’ der Laurentiana, eine Bezeichnung, die in abgestufter Form auch für die Kuckana und vielleicht sogar 559 für die Corneliana zu gelten hat, scheinen die | sozialen Verhältnisse in der Montana und in der kleinen, exklusiven Domus Ottonis ein ganz anderes Gewicht besessen zu haben. Der Bursa des Magisters Otto merkt man sogleich an, warum sie sich noch in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts gegen ihre großen Konkurrentinnen behaupten konnte. In beiden Häusern verband sich nämlich die ‘räumliche Nähe’ des Einzugsbereiches zur Universität mit der ‘sozialen Nähe’ bekannter Kölner Familien, die vielfach auch personell durch ihre politischen und
115 Matr. 2, wie Anm. 64, S. 392 (9), Vgl. Dietrich Reichling, Johannes Murmellius. Sein Leben und seine Werke, Freiburg 1880 (Ndr. 1963). Mit Literatur Joseph Solzbacher, in: Lexikon für Theologie und Kirche 7 (1962), Sp. 695. Zu Hegius: Josef Esterhues, ebd. 5 (1960), Sp. 61. 116 Matr. 2, wie Anm. 64, S. 382 (56). Mit Literatur Reinhard Stupperich, in: Lexikon des Mittelalters, 12 Bde., München/Zürich 1980–1998, hier: Bd. II, Sp. 1116f. 117 Kuckhoff, Die Geschichte (wie Anm. 56), S. 26ff. Der Spott traf in der Hauptsache die Kuckana, die Corneliana überhaupt nicht, Montana und Laurentiana nur mäßig. Im Überblick vgl. Paulsen, Unterricht (wie Anm. l), Bd. I, S. 86ff.
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rechtlichen Funktionen in die Hochschule hineingewirkt haben118. Hier trafen sich und studierten zum Beispiel die vom Hirze, von Lyskirchen, Jude, Quattermart, Orle, Kannegießer, Broelman, van Stralen und van Reidt, neben vielen anderen, deren Namen aus den Familien des Kölner Standardgewerbes und der Kaufmannschaft bekannt sind119. Gewiß lassen sich Kölner Bürgersöhne auch unter den Bakkalaren der übrigen Bursen finden; aber ihre Konzentration auf die Domus Ottonis ist doch signifikant: 31 Prozent der Ottonier waren Kölner, darunter nicht ein einziger pauper; 7 Prozent stellten die Montaner, ebenfalls ohne einen pauper; 4 Prozent gehörten der Laurentianerburse an; sie hat als einzige – man könnte fast sagen erwartungsgemäß – auch arme Kölner angenommen; jeder Vierte war ein pauper; die Cornliana brachte es auf einen Anteil von 2 Prozent, während die Kuckanerburse, jene jüngere Prinzipalburse, die im universitätsnahen Umfeld noch am wenigsten verwurzelt war, knapp ein Prozent Kölner unter ihren Kandidaten zählte, in beiden Fällen aber keinen Armen. Damit dürfte der soziale Rang der kleinen Bursa Ottonis klar umrissen sein. Eingebunden in das ‘gehobene Kölner Milieu’ war sie zugleich, zusammen mit der Montana, am stärksten von allen Bursen gegen die pauperes der Universität abgegrenzt. Wo nun die räumliche Nähe fehlte, die soziale Nähe aber gegeben war, schloß man sich wahrscheinlich ebenfalls den ‘vornehmeren’ Bursen an, vor allem der Montana, die über die notwendigen Unterbringungsmöglichkeiten verfügte. Aus Hildesheim kam zum Beispiel im Jahrgang 1495 der Bürgermeisterssohn Johannes Brandis, ein Neffe des bekannten Dr. jur. utr. Tilemann Brandis, des Propstes zum Hl.
118 Neben Keussen, Alte Universität (wie Anm. 56) und ders., Stadt Köln (wie Anm. 57), der diese Dinge allerdings nur aus der verfassungsrechtlichen Sicht beurteilt, vgl. besonders Robert W. Scribner, Why was there no Reformation in Cologne?, in: Bulletin of the Institute of Historical Research 99 (1976), S. 217–241, hier S. 227ff. Für Leipzig vgl. etwa Herbert Helbig, Die wirtschaftlichen Führungsschichten in Leipzig bis 1750, in: Geschichte in der Gesellschaft. Festschrift für Karl Bosl, Stuttgart 1974, S. 250ff. Auch Moraw, Heidelberg, (wie Anm. 3), S. 529ff. 119 Zur Einordnung dieser Namen vgl. u.a. Hermann Kellenbenz, Die wohlhabendsten Kölner Bürger um 1515, in: Festschrift Karl Bosl, (wie Anm. 118), S. 264–291; Scribner, Reformation (wie Anm. 118); Franz Irsigler, Die wirtschaftliche Stellung der Stadt Köln im 14. und 15. Jahrhundert. Strukturanalyse einer spätmittelaherlichen Exportgewerbe- und Fernhandelsstadt, in: Vierteljahresschrift für Sozialund Wirtschaftsgeschichte Beihheft 65 (1979); Klaus Militzer, Die vermögenden Kölner 1417–1418. Namenlisten einer Kopfsteuer von 1417 und einer städtischen Kreditaufnahme von 1418, in: Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln 69 (1981); Vgl. auch: Kölner Neubürger 1356–1798, hg. von H. Stehkämper, u.a. Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln 61–63 (1975).
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Kreuz in Hildesheim und späteren Stifters des Collegium Saxonicum 560 zu Erfurt (1520), der selbst Bursale der Montana von 1463 bis zu seiner |
Magisterpromotion im Jahre 1466 gewesen ist120. Aus Osnabrück kam im gleichen Jahrgang der adlige Kanonikus der dortigen Domkirche, Bernhard von Leden, der sein biennium studii – offensichtlich dabei in der Tradition seiner Familie stehend – in der Montana absolvierte121; und aus Hünfeld (Hessen) stammte Sebastian Hütten, ein Verwandter Ulrichs, der selbst im Jahre 1505 in Köln immatrikuliert war122. Dazu bemerkt man eine Reihe von Personen zum Beispiel aus deutschen Reichsstädten, deren Namen gar nicht aufgezählt werden können. Häufiger als anderswo findet man hier Studenten aus Aachen und Dortmund, aber auch aus dem Süden, aus Nürnberg, Augsburg, Nördlingen, Kaufbeuren, Überlingen, Konstanz, Weißenburg oder Straßburg123. In der Wettbewerbssituation der Bursen untereinander dürfte die Exklusivität gerade der Ottoniana auf Ablehnung gestoßen sein. Einerseits hatte man sich bereits – wie schon erwähnt – die Mitsprache und Kontrolle bei ihren Promotionen gesichert, was selbst in den Augen der stadtkölnischen Provisoren zu arger Belastung der Bursenentwicklung führte124; andererseits wurde versucht, sie in die Nähe einer Partikularschule zu rücken, weil sie möglicherweise größeres Gewicht auf die lateinische Grammatik legte als andere Bursen. Dies war allerdings Keussen, Matrikel Köln (wie Anm. 64), Bd. 2, S. 383 (59): später Dr. jur. Bologna und Kanoniker in Hamburg. Zu Tilemann: Keussen, Matrikel Köln (wie Anm. 64), Bd. 1, S. 694 (19); Kleineidam, Universitas (wie Anm. 15), S. 343. Zur Familie vgl. das Tagebuch des Vaters: Henning Brandis’ Diarium. Hildesheimische Geschichten aus den Jahren 1471–1528, hg. von Ludwig Hänselmann, Hildesheim 1896, hier S. 278. 121 Keussen, Matrikel Köln (wie Anm, 64) Bd. 2, S. 382 (51). Er stammt aus der bekannten, offenbar ‘studierfreudigen’ Osnabrücker Familie (der Ledenhof noch in der Stadt), die während des 15. Jhs. stets in der Montana zu finden ist: Gerhard 1423, Gerhard 1458, Hermann 1477, Heinrich 1484, unser Bernhard 1495. Die beiden Johannes Leden, 1502 und 1520, wurden nicht promoviert und können so auch nicht zugeordnet werden. Zur Familie: Hermann Rothert, Geschichte der Stadt Osnabrück im Mittelalter, in: Mittheilungen des Vereins für Geschichte und Landeskunde von Osnabrück 58 (1938), S. 1–435, hier S. 15ff. 122 Keussen, Matrikel Köln (wie Anm. 64), Bd. 2, S. 373 (71); Ulrich: Ebd., S. 584 (32). 123 Die Qualität der Herkunftsorte kann auch zur sozialen Qualität der Besucher sehr viel aussagen. Vgl. dazu am Beispiel des Einzugsbereiches der Wiener Universität im 1. Drittel des 15. Jhs., Schwinges, Kleingruppen (wie Anm. 6), S. 349ff. Für das 17. und 18. Jh. am Beispiel der Universität Gießen, ders., Immatrikulationsfrequenz und Einzugsbereich der Universität Gießen 1650–1800. Zur Grundlegung einer Sozialgeschichte Gießener Studenten, in: Academia Gissensis. Beiträge zur älteren Gießener Universitätsgeschichte, hg. von Peter Moraw und Volker Press (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 45) 1982, S. 247–295, hier S. 272ff. 124 Vgl. Anm. 77. 120
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ein Vorwurf, der erst 1542 formuliert wurde – fast 40 Jahre nach der Schließung der Burse im Jahre 1503. Ein Anhaltspunkt, den man auf das 15. Jahrhundert beziehen könnte, findet sich dagegen nicht125; ganz abgesehen davon, daß Grammatikunterricht in jeder Burse mehr oder weniger notwendig war. Die mittelalterliche Universität kannte keine spezifischen Eingangsvoraussetzungen (außer denen der ehelichen Geburt und des sittlichen Lebenswandels), schon gar nicht | solche eines 561 ‘genormten Wissens’. Sie hatte diese auf der Basis einer halbwegs standardisierten Latinität erst zu schaffen. Daher war den Artistenfakultäten oft auch ein Pädagogium angeschlossen126. Entscheidend war für die Universität lediglich, daß sich auch ihre noch nicht tauglichen Besucher ihrem Rechtskreis unterwarfen, d.h. sich immatrikulieren ließen127. Auf dem Höhepunkt der Reformdiskussionen um die Institutionalisierung der humanistischen Bildungsziele an der Kölner Universität, die von der Stadt energisch gefordert, von der Fakultät aber strikt abgelehnt wurde, erinnerten die Artistenmagister, nunmehr im Jahre 1542 Gymnasialregenten und -professoren, aus durchaus eigennützigen und propagandistischen Gründen an die Bursa Ottonis. Eine solche Einrichtung wie sie die Bürger wünschten128, habe schon einmal bestanden, sie sei aber doch bald wieder eingegangen. Man verwies auf den Spruch: An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen, und behauptete, die anderen Bursen hätten viel mehr tüchtige Männer hervorgebracht als die Ottonica. Das war nicht nur ein “billiger Einwand” (Kuckhoff ) gegenüber einer vergleichsweise stets kleinen Burse, sondern auch, was die “tüchtigen Männer” anbelangt, ein falscher Einwand. 125 Dazu Kuckhoff, Die Geschichte (wie Anm. 56), S. 23ff., 52f.; Keussen, Alte Universität (wie Anm. 56), S. 347f. Vgl. Anm. 127. 126 Statt vieler Kaufmann (wie Anm. l), Bd. 2, S. 300ff. u. ö.; Paulsen, Organisation (wie Anm. 7), S. 402f. 127 In diesem Sinne ist ein Universitätsstatut aus dem Jahre 1481 zu verstehen; abgedruckt in Keussen, Matrikel Köln (wie Anm. 64), Bd. 1, S. 16*ff. Kuckhoff und Keussen (Anm. 125) haben dieses Dokument einseitig auf die kleinen Bursen (auch die Ramsdonckburse, obwohl sie 1481 längst geschlossen war) bezogen und im Fall der Ottoniana mit den Aussagen von 1542 kombiniert. Das Dokument besagt nur, daß magistri regentes eigentlich dazu da seien, Kandidaten zur Promotion zu führen und nicht Scholaren zu unterrichten und in ihren Häusern zu halten, weil das Aufgabe der Partikularschulen, zum Beispiel der Pfarrschulen sei. Sollten magistri regentes dennoch Schüler in ihren Haushalt aufnehmen, so müßten sie wie jeder andere auch immatrikuliert sein. 128 Kuckhoff. Die Geschichte (wie Anm. 56), S. 53. Zu den Vorstellungen der Kölner Bürger, die ihre Söhne eher in die humanistisch geführten Schulen am Niederrhein als in die Artistenfakultät schickten, sehr anschaulich Höhlbaum, Buch Weinsberg, (wie Anm. 80), Bd. 1, S. 107.
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Als Indikator der Tüchtigkeit mag das weitere Studien- und Promotionsverhalten der Bursalen und Bakkalare in der artistischen sowie in den sogenannten höheren Fakultäten dienen. Sogleich wird dabei die besondere Qualität der Bursa Ottonis deutlich, die dann nicht mehr als eine bloße Partikular- oder Trivialschule im reproduzierten Geiste der Gymnasialprofessoren des 16. Jahrhunderts gebrandmarkt werden kann, ohne zugleich sämtliche anderen Bursen ebenfalls zu disqualifizieren. Insgesamt haben 45 Prozent der Bakkalare der Kölner Bursen auch den Grad eines Magisters der Künste erworben. Bursalen der Ottonica erlangten diesen Grad zu 48 Prozent. Cornelianer inzipierten zu 47 Prozent, Laurentianer zu 44 Prozent, Montaner zu 39 und Kuckaner zu 31 Prozent. Man sieht, die Ottonier hatten den Bursalen aus den großen Häusern durchaus Gleichwertiges entgegenzusetzen. Sie waren sogar ‘tüchtiger’ als die Montaner und besonders die Kuckaner, obwohl sie doch bei ihren Promotionen des Placet der großen Bursen bedurften. Bemerkenswert ist es jedoch im Sinne unserer Thesen, daß der Konsens mit den anderen Bursen nur in einer ganz bestimmten Richtung gesucht 562 worden | ist. Der Austausch der Kandidaten verlief zwischen der Ottonica, der Corneliana und der Montana, in keinem Falle aber zwischen ihr, der Laurentiana und der Kuckana. Die schon erkannten sozialen Ränge der Bursen werden auch hierin noch einmal deutlich. Mit inhaltlichen Differenzen, etwa der unterschiedlichen Ausrichtung der Bursen nach der Methode der Thomisten oder Albertisten innerhalb der in Köln beachteten via antiqua, dürfte dies nichts zu tun haben129. Kandidaten, die aus der Ottoniana hervorgingen, bewiesen ihre ‘Tüchtigkeit’ auch in den höheren Fakultäten. Relativ gesehen zu ihrer Dimension stand die kleine Burse diesmal unangefochten an der Spitze. Bursen
Med
Ottoniana Laurentiana Montana Corneliana
14.3 6.3 0.8 3.7 3.4
Kuckana
3.2
Jur
Theol
Gesamt (%)
2.4 1.4 2.1 1.7
16.7 7.7 6.6 5.1
1.0
4.2
129 Montaner waren Thomisten, Laurentianer und Kuckaner Albertisten. Die Richtung der Cornelianer und Ottonier ist unbekannt. Da aber selbst zwischen den richtungsverschiedenen großen Bursen Kandidatenwechsel auf dem Wege zum Magisterium vorkamen, läßt sich eine klare Grenze nicht ziehen.Vgl. Kuckhof, Die Geschichte (wie Anm. 56), S. 13f.
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Es wird genügen, auf den großen Vorsprung der Juristen hinzuweisen. Die juristische Fakultät, gleichgültig ob kanonistischer oder legistischer Prägung, war einerseits gewiß ein aufstiegsorientiertes Medium, das zum Dienst bei Herren aller Art, in der Stadt und in der Kirche noch am ehesten diejenigen qualifizierte, denen es gelang, die soziale Schranke zwischen der großen Artistenwelt und den höheren Raum der Wenigen zu überwinden. Andererseits war sie der Treffpunkt all derer, die eines besonderen Qualitätsausweises gar nicht bedurften. In der Fakultät der Juristen, die in der vormodernen Universität im Spiegel ihrer sozialen Zusammensetzung immer die ‘vornehmste’ gewesen ist, fand man unter seinesgleichen vielleicht eine zusätzliche Qualifikation im Sinne einer weiteren Würde130. So ist es auch nicht verwunderlich, daß Söhne der oben genannten Kölner Familien unter Juristen schließlich wiederzufinden sind, sei es in Köln oder sei es, was den sozialen Ausweis über das Mittelalter hinaus stets besonders gewichtet hat, in Italien. Ein Urteil über die Bursa des Magisters Otto wird sich an diesen Tatsachen zu orientieren haben. | So wie die Bursen im sozialen Rang voneinander abwichen, so gab 563 es auch innerhalb der Bursengemeinschaften – dies sei zum Abschluß festgestellt131 – ziemlich eindeutige familiale Hierarchien. Stets präsentierten die Unternehmerregenten und Konregenten die meisten Bakkalare. Sie und ihre bevorzugten Magister bündelten dabei geradezu Raum und Rang ihrer Bursalen und suchten begreiflicherweise vor allem die divites an sich zu binden. Eine halbwegs ausgeglichene Verteilung der Armen auf Regenten und Magister ist demgegenüber in den Bursen nicht zu erkennen – mit Ausnahme in der Laurentiana, in der ob der angegebenen Quantität der pauperes auch die Regenten gezwungen waren, teilweise sogar über 50 Prozent der zahlungsschwachen Kandidaten anzunehmen. Im gleichen Zeitraum der Jahrgänge 1485 und 1495 determinierten unter dem Regens secundarius der Bursa Montis, dem
130 Vgl. etwa Verger, Les Universités (wie Anm. 13), S. 172ff.; Helmut Coing, Die juristische Fakultät und ihr Lehrprogramm, in: Helmut Coing, Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, München 1973, hier: Bd. 1: Mittelalter (1100–1500). Die gelehrten Rechte und die Gesetzgebung, S. 39–128, hier S. 80ff.; Hartmut Boockmann, Zur Mentalität spätmittelalterlicher gelehrter Räte, in: Historische Zeitschrift 233 (1981), S. 297–316; Peter Moraw, Gelehrte Juristen im Dienst der deutschen Könige im späten Milttelalter (1273–1493), in: Die Rolle der Juristen bei der Entstehung des modernen Staates, hg. von Roman Schnur, Berlin 1986, S. 77–147. 131 Eine detaillierte Studie dieses Problems findet sich bei Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 1).
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Magister Theodericus Baerdwijk de Busco (Herzogenbusch, Nordbrabant), der über 40 Jahre in der Burse tätig war und lange Zeit auch innerhalb des Montanerkomplexes eine besondere Burse geleitet hatte, 24 Prozent pauperes, die zu seiner Promotionsklientel gehörten. 36 Prozent pauperes befanden sich unter den Bakkalaren des Subregenten Remigius von Malmedy, der 20 Jahre in der Montana lehrte, bevor er Professor der Theologie wurde. Der junge magister exercens, Everhardus Dinslaken von Wesel, der gerade erst 1484 seinen Dienst in der Burse angetreten hatte, präsentierte jedoch unter seinen Kandidaten 46 Prozent Arme. 27 Prozent pauperes hatten sich im Jahrgang 1475 unter die Bursalen des Magisters und Konregens Ego Arnoldi von Driel (Gelderland) eingereiht, des inhabitator domus facultatis artium (erwähnt zu 1478); rund 25 Jahre lehrte er in der Montana. Unter den Kandidaten dieses Jahrgangs, die Magister Petrus de Dacia (Dänemark) präsentierte, befanden sich die Armen aber zu 56 Prozent. Er hatte nur kurz in der Bursa Montis gelesen (1473–1479) und war überdies als Medizinstudent – Lizentiat 1479 – in der Domäne der Theologen eine große Ausnahme132. Weitere Beispiele ließen sich sowohl in der Montana als auch in den anderen Bursen finden. Man bemerkt aber auch so schon, dass pauperes offenbar in hohem Maße bei den ‘Außenseitern’ der Bursen studierten und promovierten, überraschend häufig bei solchen, die nur kurze Zeit an einer Burse tätig waren. So spiegelte sich die Polarität der universitären Gemeinschaft – grob nur eingefangen in die ‘Durchschnittsbegriffe’ Arm und Reich – auch in den Bursen wider. Auf der einen Seite standen reiche und auf dem Wege zum artistischen Magisterium zum Beispiel längerfristig stabile Familien, auf der anderen Seite arme und mehr oder weniger lockere Gruppierungen. Versuche mancher Hochschulen wie Leipzig oder Ingolstadt, eine gerechtere Verteilung von Arm und Reich auf alle Magister 564 der Artistenfakultät zu erlangen, schlugen immer fehl133. In | Köln hätten wohl die Unternehmerregenten gar kein Interesse daran gehabt, an den für sie günstigen Verhältnissen etwas zu ändern. Doch auch für manchen armen Studenten ist sein Herkunftsort und der damit vielleicht verbun-
132 Nur vier von rund 120 Montanermagistern zwischen 1420 und 1500 studierten Medizin. Dazu und zu den genannten Magistern vgl. Keussen, Alte Universität (wie Anm. 56), S. 504ff. Nr. 62, 74, 83, 92 und 94. 133 Vgl. Schwinges, Pauperes (wie Anm.1), S. 294f.; Kaufmann, Geschichte (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 400ff.; Fletcher, Wealth an Poverty (wie Anm. 100), S. 428f.
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dene soziale Hintergrund die Garantie der Zugehörigkeit gewesen – etwa zur familia des Montanerprofessors Valentin von Geldersheim, der schließlich 1504 seiner Burse eine Memorialstiftung134 zugunsten bedürftiger Studenten aus seiner fränkischen Heimatregion (alternierend aus Geldersheim, Schweinfurt, Coburg) hinterlassen hat.
134 Vgl. Meissner, Valentin Engelhardt (wie Anm. 92), S. 30ff., auch zu ähnlichen Stiftungen anderer Montaner wie z. B. Ego Driels.
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UNIVERSITY COLLEGES IN LATE MEDIEVAL EUROPE* University colleges represent one of the most important subdivisions of medieval European universities. The college scholars profited from free board and lodging, a clothing allowance and weekly spending money. Daily life in the colleges was so arranged that most of the time was taken up by communal study. As great men and women were patrons, college students were a protected and privileged minority among those attending university in Europe. | University colleges are almost as old as the universities themselves. 34 Together with the faculties and the student unions they represent the most important subdivisions of medieval European universities. The oldest social groupings within universities, the student unions, were organized by region, while the faculties were organized by subject, bringing together those who studied the arts (Artes liberales), the seven ‘free arts’ – grammar, rhetoric, dialectics, arithmetic, geometry, music and astronomy plus lawyers, theologians and doctors. People in those days were used to seeing the protagonist first. For them, the university with all its divisions was first and foremost a body of people – a universitas – a brotherhood or society, a collegium. The current modern conception of a university as an abstract entity, a place of learning, developed gradually in the various university towns of Europe at different times and in different ways. Next to this general understanding of the word collegium a more specific meaning started to be applied in the thirteenth century, referring to a college as the place where a particular group of students and graduates lived and worked: Scholaren, the lowest level of students in the Arts Faculty, and those baccalaureates who had obtained their first diploma; the higher, specialized faculties awarded the diplomas of Lizentiat, Magister and Doktor. This organization in time gave rise to the building of colleges, which were often buildings arranged around
* In: Centers of Invention, ed. by Wim Blockmans und Wolfram Fischer (The Roots of Western Civilization 2), Danbury: Grolier Educational Corporation 1993, S. 33–44.
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an inner courtyard, usually comprising eating, living and sleeping accommodations, kitchens and cellars, lecture halls, a library and 35 | a chapel. This came to be both the private and public face of the university, at first in Western and Southern Europe, then later in the rest of Europe. Expansion One of the first University Colleges, the famous Collège de la Sorbonne in Paris, founded in 1257 by Robert de Sorbon, the chaplain of Louis IX, set out the central idea of the European college movement in its statutes: Vivere socialiter et collegialiter et moraliter et scholariter, which means that the founder was concerned with the orderly and civilized organization of the communal life of the student body (see Fig. 1–2). His endowment provided for their maintenance. New colleges of the Sorbonne type showed two important innovations compared with the older home or hostel foundations. Firstly, colleges now had land, buildings and interestbearing capital, which, with the accumulation of endowments and interest, could show considerable growth in time. There were additional privileges over and above the general university charter; for example. the license to make economic savings by local production or tax-free acquisition of staples such as bread, meat, beer and wine. The college scholars profited from all this. They received free board and lodging, a clothing allowance and the so-called Burse, or weekly spending money. The number of collegiates was governed by the size of the endowment and how it was faring in the light of good and bad harvests in the pre-modern agrarian economy. Secondly, daily life in the colleges was so arranged by their statutes that most of the time was taken up by communal study according to a regulated study plan. To start with, this plan was limited to the repetition and revision of material learned outside the college, but by the late Middle Ages teaching in all faculties, but principally in theology and the arts, had been moved to the colleges. By the end of this period the situation was such that one might have declared, with reason, that in certain areas of Europe, notably in Oxford, Cambridge and Paris, the entire university was to be found within its colleges. It had long been the practice for noncollegiate students to visit the colleges, while the faculties had confined their activities to organizing examinations and awarding degrees.
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The first of these new style colleges were to be found in France and England. By 1300, there were nineteen colleges in Paris, the most noteworthy apart from the Sorbonne being perhaps the houses of d’Abbeville | (1271) and d’Harcourt (1280): six colleges had been founded in Oxford, 36 among which were Balliol (1261/6), Menon (1263/4) and University College (c. 1280). One, Peterhouse, was founded in Cambridge in 1284. Entry to most of these colleges was restricted to members of religious orders. In the wake of the mendicant orders the older orders founded their own houses of study; the Cistercians in Paris, the Premonstratensians and Benedictines founded the colleges of Chardonnet (1248), Prémontres (c. 1252) and Cluny and St. Denis (1260–1263), while in Oxford the Benedictines founded Gloucester College (1283) and Durham (l289). The Golden Age for colleges throughout Europe did not occur until the last centuries of the Middle Ages, particularly the fourteenth century. In southern France, where previously colleges had been founded only in Montpellier and Toulouse, fifteen new institutions were founded by 1400, eight of these being in Toulouse alone. Eleven colleges were founded in Italy, principally in Bologna and Padua; only one in Spain for the time being, that of Santa Maria Asunta in Lérida, the oldest college in the Iberian peninsula. There were 37 new foundations in Paris and five in Oxford, seven in Cambridge and at least eight in the Holy Roman Empire, most of these being in Prague | where the first was 38 the Collegium Carolinum, founded in 1366. The fifteenth century saw the addition of 36 colleges in France (only twelve of these being in Paris), nine in England, three in Scotland, three in Poland (Crakow), eight in Italy and six in Spain and Portugal; the Holy Roman Empire, including Bohemia and the Netherlands, accounted for 27. There would seem to have been no foundations in the rest of Europe before 1500. Foundations from this period which had a particularly important and stimulating effect on the surrounding area were the Collège de Navarre founded in Paris in 1304 by the French Queen Joanna of Navarre; King’s Hall in Cambridge (1316); New College, Oxford, founded by Bishop Wykeham of Winchester in 1379 which, with 70 places, was as large as that of the French queen; and All Souls (1438) and Magdalene (1448) which were almost considered to be Winchester foundations in Oxford. In Italy, only the Collegium Hispanicum, founded by Cardinal Albornoz in Bologna in 1364 for the benefit of his compatriots, was of any great significance, in particular to the municipal Sapienza College in Siena. The colegios mayores in Spain followed this pattern, but most of these, of course, were not begun until the sixteenth century. One of the
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most important foundations of the time which is still important today is the colegio mayor founded by the Archbishop of Toledo, Alonso de Fonseca, in Salamanca (1528). There was virtually nothing comparable in the other European countries, even in the Holy Roman Empire. Only the Carolinum in Prague, founded by the Emperor Charles IV and enlarged by King Wenceslas (1366/86), the Collegium Maius der Jagiellonen in Crakow (1400) and the Collegium Amplonianum or Porta Coeli (1412/33) in Erfurt, founded by Amplonius Ratingk, Professor of Medicine and provided with an extraordinarily well equipped library stand out, albeit on a much less impressive scale. Endowment and social makeup In general, colleges were not different in constitution from the faculties and unions. They guarded their privileges and statutes and were selfgoverning to a greater or lesser extent. The college students were in charge of a principal (Dean, Rector, Director or Warden) who was in turn responsible to the governing body of the university, the Chancellor, the relevant diocesan bishop, princely or municipal representative or specially appointed inspector for the whole of his college. While the many colleges on the continent were usually subject to stricter controls and had their principal and staff if not appointed then at least licensed by some higher authority, the English colleges managed to preserve some degree of independence. The Fellows of Oxford and Cambridge elected 39 their | warden and co-opted their ‘colleagues’ themselves. Admittedly this had little to do with autonomy or even democracy. Constitutional elements were all too often overlaid by social ones, quite apart from the fact that the authority of the university governors had to be upheld if the institution was to remain in one piece. However, colleges had stronger external leadership than unions and faculties and were more obviously influenced by the social norms of the time. This was partly due to often influential benefactors and to the terms of their endowments. Great men and women were patrons: kings and queens, lords and ladies, popes, cardinals, bishops and canons from leading churches, advisers to kings and princes, civic dignitaries and even professors, who had usually amassed their fortunes by acting not only as university teachers but as clergymen, doctors, learned jurists or court theologians. Middle class endowments were rare in comparison, though in reality many noble names were backed up by middle class
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money, as in the case of the endowment of Queen’s College, Cambridge (1448). It is clear that people in high office in church, court or state were in the best position to act as benefactors, for example, Robert de Sorbon in Paris; Cardinal Albornoz, the so-called second founder of the Church State in Bologna; and, when you consider that all the major colleges were founded by bishops who also held the post of Lord Chancellor of England, English clergymen. The geographical spread of this selection surely owes little to chance. The vogue for endowments was much more in evidence in the south and west than in the rest of Europe during this period. Whatever the range and extent of the foundation, the motives of the founder were much the same. Two basic motives, one religious and one social, remain fairly constant, however much they may seem to change or grow to include, charitable, educational, intellectual or political ideas. Religious motivations lay behind every foundation in that, as a donation for the soul (donatio pro anima), it provided a mechanism | for ensuring the salvation of the 40 souls of the donor and his family. The colleges made no exception in such cases and as beneficiaries the college members were expected to offer prayers and masses in perpetuity for the salvation of the souls of their benefactors. Social motives were closely tied to traditional behavioral patterns. This should not be interpreted as active applications by qualified students and scholars who could have been in open competition for college places. The concept of personal qualification based on mental abilities was in any case problematical in late medieval Europe. The charitable language of many of the statutes of foundation should not lead one to think that social motivation was only concerned with providing for the poor and needy. Social politics was none of the founder’s business. The saying once coined for English colleges applied to the whole of Europe: “colleges were filled with men whose parents were quite well able to pay for the support of their sons” (Hastings Rashdall). Social motivation was much more family oriented. It goes without saying that this applied to secular foundations first and foremost, and to religious ones to a lesser extent. The chance of a college place was very much tied in with the candidate’s standing in relationship to the donor’s family, be it noble, religious, state or private. Whether a whole college or a single place was endowed, preference was usually given first to relatives, then to friends and associates of the family, then to people born in the same place as the founder and compatriots or people from the same diocese. The patronage of the founder passed to
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the successful candidate via the administrative staff and the inspectors. He in turn looked after Family ties and could recommend a candidate accordingly. Foundations with regional links were legion. In Paris, for example, there were the Collège des Daces, d’Uppsala (Sweden), de Skara, des Écossais, des Lombards, des Allemands. In accordance with the founder’s wishes, places at New College, Oxford, were reserved for students from his bishopric of Winchester. The Fellow’s family ties gave rise to further considerations, giving some regions, and indeed some very small places, particularly preferential treatment. Pembroke College, Cambridge, which was founded by Mary, Countess of Pembroke, who came from France, gave preference Frenchman. The statutes of the Spanish College at Bologna gave preference first to Castilians, then to 41 | Aragonese, then Portuguese and last Italians – with the proviso that the latter, the ‘foreigners’, should stand down should more Spanish candidates come forward. Dr. Amplonius Ralingk founded the Porta Coeli College in Erfurt principally for students from his homeland, the Electorate of Cologne, and especially for those from the tiny town of his birth, Rheinberg am Niederrhein. As a result, this town had one of the highest numbers of academics per capita in fifteenth century Germany. In the light of this widespread system of entry selection, other criteria faded into the background. College students were thus a protected and privileged minority among those attending university in Europe, but they were not a socially homogenous group, nor a closed elite. This was ensured by the varying social position of the founders, the personal standing of the students and not least by the various faculties and subjects studied. Many colleges were small and unpretentious and were principally intended for the predominantly youthful arts student with his middle class background. Others were only for students from the so-called higher faculties – law, medicine and theology – or only for graduates, where arts baccalau42 reates | were the lowest grade of candidate for a college place. The first were found mainly in Paris, the others in the university towns of England and in Central and Southern Europe. For a long time theology and arts students were in the majority, and not only in the various religious foundations. Lawyers had begun to take up more college places in the fourteenth century and had begun to invade the theology and arts milieu. Kings and princes, churchmen and statesmen were all using the endowments for their own political gain, to recruit learned jurists for their church or court. Western Europe, in particular Oxford
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and the Mediterranean universities, played a leading part in this. The situation should not be overstated, however. Law students, who were generally from the nobility or the upper echelons of bourgeois society, were not generally in need of college places. Such foundations just did not exist at the mainly legal universities like Orléans, and it is not pure coincidence that the Italian ‘legal area’ had very few colleges. This would begin to change in the sixteenth century when different conditions prevailed and there was greater academic mobility. A similar situation applied to medical students; although there were individual college places it was rare, except in the capital of medicine, Montpellier, to find whole colleges. The ‘German’ model Colleges in the Holy Roman Empire followed their own course. The majority of ‘German’ college students were, of course, students of law, theology and medicine like their counterparts elsewhere in Europe. However, from the start, the municipal or noble founders of the universities, who were often also responsible for founding the majority of colleges, attracted these students to the universities for their teaching capabilities. A college student, who would be at least an MA, was magister regens, a professor of the arts; his position was the forerunner of the faculty Chair and his scholarship in the nature of remuneration for his teaching activities. Such ‘collegiate professors’ might, but were not obliged to continue their studies. Many spent the whole of their lives at the colleges in Prague, Vienna, Heidelberg, Erfurt, Leipzig and Basle without making any effort to progress in their studies or to take any further examinations. This ‘German model’, which had imitators to the immediate north and east, had very little to do with | the practice of having the younger 43 students taught by their seniors, the tutor system found in English colleges. How far removed the ‘collegiate professor’ continuing his studies was from the realm of the undergraduates can best be shown by examining his position in the university establishment. As Director of Arts he was a member of the Faculty Board and usually also of the governing body of the university. He might be appointed to various offices, could vote and could become Dean of his faculty or even Rector of the University. The student role was overlaid by that of a teacher.
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Private colleges tended partly to follow the pattern set by university colleges, at least making a certain number of places available for collegiate professors. In some cases they followed the West European pattern as charitable student foundations, like the Collegium Sapientae founded in Freiburg im Breisgau in 1497, or the richly endowed Louvain, which with Cologne was the most ‘Western’ university of the Empire in the fifteenth and sixteenth centuries. Doubtless due to this Western influence, colleges of the official ‘German’ type were found neither here nor in Cologne. Organization Despite the boom in endowments the majority of university students had to look elsewhere for accommodation, even in Paris. In the fif44 teenth century, even | here, only 15% of students had college places. Basically there were only two alternatives: either one lived privately in rented accommodation alone or sharing with others, or one lived communally in one of the student houses licensed and controlled by the university. At Cambridge, these were known as hostels, at Oxford, halls and elsewhere in Europe as houses, hospices, pädagogien, contubernien or bursa. The first possibility, especially at the Mediterranean legal and medical universities, tended to be restricted to Masters and postgraduates and to ‘professional’ students from the nobility, the clergy or the upper middle classes. These people often found accommodation with their servants in the houses of wealthy middle class citizens, in boarding houses or in the households of their professors. In university towns north of the Alps, where there was a preponderance of young under-graduates, the university authorities tried to encourage the second alternative. This made sound social and economic sense. It was much easier for masters and students with a common mother tongue and background to live comfortably together in a foreign environment. Equally, it satisfied the supervision requirements of the university and the local secular and religious authorities. In the fourteenth century, this led to a general accommodation requirement, that all students must reside either in colleges or in the official and supervised student houses which, in many places, were now affiliated with the colleges. Large living and teaching complexes, indeed whole university quarters (quartiers latins) grew up in this way.
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This process of organization applied after 1500 mainly to the larger colleges in Western and Southern Europe, who had already attracted a full teaching staff. The number of endowments increased, less in France and Paris, which already boasted 70 colleges in the sixteenth century, than in England, Brabant (Louvain), Italy, Portugal and Spain. Spain, in particular, saw the founding of new Collegiate Universities like those in Alcalá and Seville, based on papal rights and privileges. No doubt accelerated by increasing sectarianism in Europe, old colleges were rebuilt and new ones erected. The Jesuits had been particularly active in this field since the 1550s, though they were mainly concerned with grammar school education. Renaissance and Baroque buildings like palaces and castles rubbed shoulders with the Gothic houses and halls. But by this time the day of the university college and the student hostel was fading in Central Europe and particularly in Germany. It is true that buildings were still being put up along the same lines, both in Catholic and in Protestant areas. Many of the main university buildings emerged from the old Artistenkollegien, as in Leipzig, Tübingen, Freiburg and Basle; others were built in the college slyle, Würzurg and Altdorf-Nuremberg among them, as well as the jewel of the former Braunschweig-Wolfenbüttel, Julian University at Helmstedt (1612). But these foundations were no longer social structures like those of Western Europe, and they developed into academic centers of learning. In the end there were independent middle class professors and students on either side.
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Fig. 1: The inner court of the older Sorbonne University in Paris with the 17th century domed church. Painting by Emmanuel-Maurice Lansyer, 1886, Musée Carnavalet, Paris.
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Fig. 2: 1) Paris, Collège de Sorbonne. Reconstruction after the city view of Truchet and Hoyau of 1530, 2) Paris, Sorbonne. Building of the Faculty of Theology 1627–48, in: Konrad Rückbrod, Universität und Kollegium. Baugeschichte und Bautyp, Darmstadt 1977, Abb. 16 and 17.
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ADMISSION* If one disregards the considerable distances and numerous obstacles and hardships involved in journeys in the Middle Ages, it was in fact relatively easy between the thirteenth and fifteenth centuries to attend university and become a student. European universities had no national, social, intellectual, or linguistic requirements for admission. The formal requirements were also relatively few and, in any case, they did not exceed requirements connected with matriculation. There were not even fixed periods for this or for commencing one’s studies. Any day of the year was equally suitable. Even requirements for a minimum age did not exist. Minority was a problem only when taking the matriculation oath, not when being accepted at university, as numerous instances in the vast number of sources in university archives indicate. The only criteria for admission, in addition to the self-evident one of being baptized as a Christian, seem to have been of a moral nature: they were criteria which everybody could, in principle, meet. The criterion of moral conduct which applied also in admission to the clergy, to citizenship, or to membership in a guild of a town – included proof of legitimacy of birth, but in practice this frequently amounted only to an affirmation that one believed oneself to be legitimate. Such affirmation was necessary only if one wished to acquire an academic degree, and, as some universities or arts faculties, it was required only before the conferring of the degree of magister artium.1 Since, up to modern times, the award of a degree even at the lowest level of bachelor – baccalaureus artium – and thus admission to every type of examination – affected only a minority, the question of legitimacy of birth must never have been a particularly pressing issue for the majority of students.
* In: A History of the University in Europe, vol. I: Universities in the Middle Ages, ed. Hilde de Ridder-Symoens, Cambridge: University Press 21994, S. 171–194. 1 Georg Kaufmann, Die Geschichte der deutschen Universitäten, 2 vols., Stuttgart 1888–1896, here: vol. II, p. 302, 310ss.
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teil iv – universitätskultur The Accessibility of Universities
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| If on the one band there were no particular requirements for admission and attendance at a university, so there were no particular rights of admission on the other band. The universities accepted everyone wishing to become a sup-positum or a membrum universitatis. Neither origin nor rank, neither proximity of residence nor distance, neither poverty nor wealth, neither health nor physical handicap influenced acceptance. Even blindness presented no obstacle. The case of the later professor artium et juris Nicasius de Voerda from Mechelen in Brabant, who had been blind since the age of two, is perhaps only an especially prominent example of this: he attended the Universities of Louvain (1459) and Cologne (1489) and was awarded at the former a magister artium and a licentiatus of theology and at the latter a doctor decretorum.2 Despite all the mania for statutory regulation, which often endeavoured to control university life down to the smallest and most petty detail, the important gateway to the universitas thus remained open to individuals who desired entry, provided that they had the necessary resources. This applied primarily in the case of the faculties of arts, but in principle it applied also to the higher faculties. In the latter case, however, after the large fourteenth century, preparatory study in the faculty of arts, regardless of where and in what manner the preparation had been obtained, had become established in practice. There were essentially two reasons for this fundamental accessibility. The first reason has to do with the characteristic form of the pre-modern university as a Community constituted primarily as an association of individuals. The second reason derived from the general system of education which prevailed in the Middle Ages. Regarding the first, European universities were for long periods of their early history far from being the formally organized institutions and educational establishments which, with all their particular variations, are to be found today in European societies. They were dominated rather by those forms of communal corporate organization which were characteristic of collective life in guilds, confraternities, colleges, and families. Thus, the subsequent history of universities is the history of
2 Joseph Wils (Ed.), Matricule de l’université de Louvain, vol. II, I, Brussels 1946, p. 67, no. 65; Hermann Keussen (Ed.), Die Matrikel der Universität Köln, 7 vols., Bonn 1919–1981, here: vol. II, p. 255, no. 68.
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the progressive institutionalization, rationalization, and finally ‘depersonalization’ of the universitas studii. The process continued, of course, despite crises, fluctuations, and transformations, well into modern times, and can be traced both in the ‘younger Europe’ of the centre, north, and east of the continent, and the ‘older Europe’ of the north-west, west, and south (see chapter 8). Each part of | the continent had its 173 own distinctive cultural, social, economic, and political traditions.3 In each, however, the same trend occurred. The old universities consisted of quite fluid communities of individuals of the most varied hue. The association of students formed around a teacher, the schola or familia of the master, constituted the pattern of university life over the whole of Europe; and, in principle, whether based on the Paris or Bologna model, the university could be conceived as the aggregate of all familiae or schools formed around the individual magistri. There is, indeed, no pictorial or figurative representation of the medieval university other than that of the familia or the schola of the master teaching his students; and there are innumerable scenes of such teaching depicted in miniatures in manuscripts and in woodcuts in books. The well-known reliefs in Pistoia cathedral and the old university buildings in Siena and the University of Salamanca present the same pattern. There is also extensive official evidence in university seals, e.g. the seals of Paris, Oxford, Vienna, and Erfurt, which show the master surrounded by a circle of his pupils. A different image of the universities, for example, that of the main building as a symbol, belongs to a later stage in the history of universities; it was scarcely to be seen anywhere in Europe before the middle of the sixteenth century. Its appearance represented a large step away from the idea of a university as an association of individuals around a teacher towards that of an institution.
3 Otto G. Oexle, Alteuropäische Voraussetzungen des Bildungsbürgertums – Universitäten, Gelehrte und Studierte, in: Werner Conze and Jürgen Kocka (Eds.), Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert, 4 vols., Stuttgart 1985, here: vol. I: Bildungssystem und Professionalisierung in internationalen Vergleichen, pp. 29–78, here: 49ss.; Rainer Christoph Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert: Studien zur Sozialgeschichte des alten Reiches, Stuttgart 1986. Concerning inequality even in the European educational systems, see Peter Moraw, Über Entwicklungsunterschiede und Entwicklungsausgleich im deutschen und europäischen Mittelalter, ein Versuch, in: Uwe Bestmann et al. (Ed.), Hochfinanz, Wirtschaftsräume, Innovationen. Festschrift für Wolfgang von Stromer, vol. II, Trier 1987, pp. 607ss.
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Within the medieval framework, attendance at an university and the pursuit of one’s studies mean no more than associating oneself with the magister and his pupils, regardless of the particular part of the university involved, whether it was a faculty, a college, a hall (bursa) or a nation. Formal requirements for admission and attendance were secondary, therefore, to participation in an association of individuals. The latter had, however, been obligatory since earliest times. As early as 1215 it was said that nobody was a student of the University of Paris if he did not have a permanent teacher – nullus sit scholaris Parisius qui certum magistrum non habeat. There was no departure from this principle throughout the whole of the Middle Ages in any of the European universities, in so far as they conformed to the Paris model. By contrast, at those law universities which followed the pattern of the University of Bologna, the Student societates and nationes were more prominent. Even then the teacher remained the central figure.4 | The magister naturally played a prescribed role primarily in the exercise of discipline over generally very young students, who were thus under his protection, control, and power. In the main, relations between masters and students were not formally defined with quantitative specifications or purely intellectual criteria. Nor, however, were they established by chance. Rather, individuals were bound together in accordance with the traditional social norms which prevailed in European societies. The Student, upon entrance to the university, selected his magister in accordance with the rules of local provenance, friendship, acquaintance, introductions, and patronage. In such familiae, prior affirmation of locality and region predominated. Thus, from the very outset, it was left to the individual university teacher, but not to the university as a whole, to assess his clients’ capacity for study. Given the basic accessibility of the universities, the link with the magister was in the last analysis the sole, serious criterion by which every individual was admitted into the academic community; and this remained the 4 Chartulariüm Universitatis Parisiensis (CUP), ed. Henri Denifle, Emile Châtelain, 4 vols. Paris 1889–1897, vol. I, 79, no. 20. Similar cases occurred in Montpellier in 1220: Marcel Fournier (Ed.), Les statuts et privilèges des universités françaises depuis leur fondation jusqu’en 1789, 3 vols., Paris 1890–1892, here: vol. II, 5; in Oxford before 1231: Strickland Gibson (Ed.), Statuta Antiqua Universitatis Oxoniensis, Oxford 1931, p. 82; in Cambridge after 1236: M. B. Hackett, The Original Statutes of Cambridge University. The Text and its History, Cambridge 1970, p. 71, 211. Examples from universities in central Europe: Rainer Christoph Schwinges, Sozialgeschichtliche Aspekte spätmittelalterlicher Studentenbursen in Deutschland, in: Schulen und Studium, pp. 517–564, 535ss., auch in diesem Band.
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basic pattern, even though regulations governing enrolment became more strict during the late Middle Ages. Regarding the second reason for the fundamental accessibility of the universities, it should be pointed out that, if one thinks of admission in terms of certain standards of education, a certain level of substantive knowledge, and a certain extent of prior intellectual training, then such a concept of admission scarcely applies to the medieval university. There were no prerequisites. Previous attendance at school was not a precondition, nor was it absolutely necessary. This was just as true for the mastery of Latin, the universal lingua franca of the secondary world, as it was of academic instruction in general. It is not even certain, indeed, that all those attending university could actually read and write. The Statutes of the University of Perpignan referred specifically to this.5 All this flowed from the fact that, although the medieval system of education, particularly in the later Middle Ages after the thirteenth century, was already differentiated, schools and universities were not directly linked in a functional way. Levels of education and educational tasks were not pursued through a series of stages in which each step invariably preceded the next. There was no orderly pattern of education which imparted a standardized body of basic knowledge. Rather, each part of the educational system – whether monastic schools, endowed schools, municipal Latin schools, parish schools, simple schools for teaching the written vernacular, private tutorial schools, or universities – was independent of all others. Moving from one to | another, includ- 175 ing moving from university to school and back again, was quite common. It would be anachronistic to expect even the beginnings of the modern, hierarchically ordered educational system in the Middle Ages. The fact that the terms pupil and student were scarcely distinguished from one another is evidence of the absence of clearly defined boundaries between universities and schools. Those attending both schools and universities were called scholares; this term referred primarily to the character of the relationship between the magister and his schola and to the status of the former. This was true even for the scholares graduati in
5 Fournier, Statuts (note 4), vol. II, p. 660; § II, 5; Alfred Wendehorst, Wer konnte im Mittelalter lesen und schreiben, in: Johannes Fried (Ed.), Schulen und Studium (Vorträge und Forschungen 30), Sigmaringen 1986, p. 9–35; Janet Coleman, Medieval Readers and Writers 1350–1400, New York 1981.
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the higher faculties of medicine, law, and theology. The terms studens and studentes were more likely to refer to the activity of studying than to a particular status in the university. Consequently, pupils at religious or municipal Latin schools could be studentes. This shows that the category of student in the modern sense of an individual having been admitted in accordance with formally stated criteria has no medieval equivalent. And this is even more true as far as the substance of knowledge is concerned.6 Furthermore, there were schools which were not merely equal to but superior to faculties of arts with respect to educational standards and educational achievement. This, too, was a result of the general development of schools, which led sooner or later – almost in parallel with each other – to the development of the universities. Schools such as these offered genuine alternatives to attendance at a university. Like universities, many of them had a high percentage of students who came from outside the locality and even from outside the region. The competence which they offered in the subjects that were taught in the faculties of arts sufficed for the majority of professions requiring the ability to write. The schools and seminaries of the Brothers of the Common Life in the spirit of the devotio moderna, such as the schools at Zwolle in the Netherlands and at Liège in present-day Belgium, fall into this category. So, too, does the famous ‘Humanist school’ at Schlettstadt (Selestat) in Alsace and the ‘school-city’ at Erfurt in Thuringia, where some of the schools were well known even before the founding of the university there in 1392. There were others in this category such as the cathedral schools and Colleges, so rich in tradition, like Exeter and Winchester in England, Reims and Soissons in France, or the endowed school at Deventer in the Netherlands. (Towards the end of the Middle Ages the master of Deventer was the distinguished humanist educator, Alexander Hegius, whose students included Buschius, Erasmus, Murmellius, and Mutianus Rufus). In Spain, too, some chapter and municipal schools enjoyed high status, among them those at Saragossa, Valencia, and 176 | Huesca, the status of which was, for most of the Middle Ages, halfway between school and university. From the time of Dante, many 6 J. A. H. Moran, The Growth of English Schooling 1340–1548, Princeton 1985, p. 64ss.; G. A. von Mülverstedt, Beiträge zur Kunde des Schulwesens im Mittelalter und über den Begriff scolaris, Magdeburg 1875, especially p. 21ss.; Kaufmann, Geschichte (note 1), vol. II, p. 56s., 315.
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schools in northern and central Italy, both within and outside university towns, were of high quality. Florence was probably only an especially outstanding centre, with Mantua, Milan, Verona, Urbino, and Genova being of a very similar standing. Finally, the studium generale offered by the religious orders also provided a genuine alternative to study at a university, particularly those of the four great mendicant orders, i.e. the Dominicans, the Franciscans, the Augustinian Hermits, and the Carmelites.7 The decisive advantage that the universities enjoyed over all types of schools was their privileged position and their concomitant right to set examinations and to award academic degrees, status in studio. Those graduating from the best schools, such as the pupils of Hegius, also made sure of enjoying this advantage. Some individuals who were already teachers – teaching was by no means an academic profession in the thirteenth to fifteenth centuries, despite certain tendencies in that direction – matriculated in order to gain a bachelor’s or master’s degree in the faculty of arts at the end of the customary period of study. A Latin school comedy dealt with this subject in 1485, naturally in a disparaging manner, since the veteran schoolmaster, a veritable codrus, was striving too hard for academic distinction.8 But even without an intention to graduate – this was the normal situation in western and central Europe around 1500 – the universities were sufficiently attractive because they enabled students to learn more at them than at the average endowed or municipal school, to say nothing of the much greater opportunities and social contacts which the universities offered. Although it was, in principle, possible to attend university without any prior education, things were increasingly different in practice. Since the late twelfth century, towns had established their own ‘municipal’ schools, partly in intense competition with the educational system of the church. The process began in those areas of ‘older Europe’, the economics of which developed first in the towns of northern Italy, southern France, and the north-west, varying, as they did, in size and importance. Schools also sprang up sooner or later in the other parts of Concernig schools, see select bibliography. W. Schulze, Codrus. Lateinische Schulkomödie aus dem Jahre 1485, Archiv für Literaturgeschichte, 11 (1882), pp. 328–341. Other cases: Hermann Keussen (Ed.), Matrikel Köln (note 2) vol. 1, 277, no. 17, 285, no. 39; in England; Nicholas Orme, Education and Learning at a Medieval English Cathedral, Exeter 1580–1548, Journal of Ecclesiastical History 32 (1981), pp. 265–283, especially 270ss.; Moran, Growth (note 6), p. 66. 7 8
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Europe, with greatest frequency – according to the available evidence – in the fourteenth and late fifteenth century. In about 1500, in the period prior to the Reformation, either an ecclesiastical or a ‘municipal’ school was to be found in almost every town, however small. Yet these schools are not to be thought of as being any more institutionalized than the universities. Educational continuity depended on the influence of | individuals, and much still depended on the mobility of the schoolteachers. Unfortunately, the state of the evidence does not permit us to say much about this. General educational development was, of course, of exceptionally great significance for attendance at universities. Wherever this can be assessed quantitatively, i.e. wherever the location of schools can be related to the places of origin of students, as is demonstrable in the ‘catchment areas’ of the German universities, the evidence shows that, from the fourteenth century onward, schools formed the ‘normal’ precondition for university attendance. This is true, for example, of three-quarters of all students at the University of Cologne in the late Middle Ages.9 Whether or not particular formal academic requirements were met, the masters of the faculties of arts took it upon themselves to make up for the diverse amounts of knowledge initially possessed by their students, who came from the most heterogeneous national backgrounds. To become a member of a group formed around a magister, it was necessary to be able to do the most basic (Latin) exercises, and masters accordingly provided private tuition. Quite early on, so-called paedagogia were provided in the faculties of arts, where initial basic knowledge was necessary for successful participation in the cursus of the faculty. In some university towns, the Latin schools took over the functions of the paedagogia, partly still under the supervision of the local church, as in Cambridge, Coimbra (Santa Cruz), and Paris (Notre-Dame), and partly also under the supervision of the universities, as in Oxford, Salamanca, and Vienna (St. Stephen). In Vienna, the schoolmasters themselves belonged to the university.10
9 Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (note 3), pp. 330–341. Concerning the development of schools, see select bibliography. 10 Heinrich Denifle, Die Entstehung der Universitäten des Mittelalters bis 1400, Berlin 1885. Hastings Rashdall et al. (Eds.), The Universities of Europe in the Middle Ages. A new edition, 3 vols., Oxford 1936; Istvan Hajnal, L’enseignement de l’écriture aux universités mediévales, Budapest 21959; Astrik Ladislas Gabriel, Preparatory Teaching in the Parisian Colleges during the Fourteenth Century, in idem, Garlandia. Studies in the History of the Medieval University, Notre Dame 1969, pp. 97–114.
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Matriculation Although the prospective student and the person attending the university became a member of the group through joining the association centred around a magister, it was only by matriculation under the authority of the rector that he also became a member of the legally defined community and thereby of the privileged community. Only by doing this did he become a membrum universitatis. Matriculation, which was one of the highest functions of the university authorities, was also the formal act which conferred a legally recognized status. This involved the student taking an oath of matriculation, paying a statutorily required matriculation fee, and registering his name in a specially provided register (matricula album registrum) which had | to record both the oath 178 and the payment of fees of each matriculated individual. To distinguish such registration more clearly from other types of registration, including faculty, collegiate, or national registration, it might be described as the ‘general university registration’ or the ‘rector’s registration’. What was recorded in the register fully met with the formal requirements for attendance at university. This was the situation at the end of the fourteenth century and throughout the fifteenth century in ‘younger Europe’, from Louvain to Cracow, from St. Andrews or Copenhagen to Vienna and Basle. Matriculation in special documentary registers thus represented a relatively well-established procedure. The administrative arrangement associated with it through the rector marks a new stage in the development of the universitas as an institution. Particular national and territorial powers were increasingly displacing the earlier ‘universalism’ which, in the ‘older’ parts of Europe, was most enduringly embodied in the University of Paris. In the ‘era of universalism’, university rectors in Italy, France, the Iberian peninsula, and England had never kept their own general registers, although, in many university statutes since the early fourteenth century, them of the inregistratio fell within the scope of the rectors duties. Even their successors in the age of particularism did not do so until the threshold of modern times, undoubtedly because of the tenacious traditional patterns of organization of the universitas into familiae, colleges, and nations.11
11 For a survey of matriculation lists in Europe: Bruno Schmalhaus, Hochschulmatrikeln. Verzeichnis der Drucke nebst anderen Nachweisen, Göttingen 1937; Eva Giessler-Wirsig, Universitäts- und Hochschulmatrikeln, in: Wolfgang Ribbe and Eckart Henning (Eds.), Taschenbuch für Familiengeschichtsforschung, Neustadt/Aisch 1980, pp. 141–180.
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In the universities of the ‘era of universalism’, particularly universities consisting of faculties of arts, theology, and medicine, at least north of the Alps, ‘matriculation’ was from the outset a responsibility of the individual magister. As student numbers increased, teachers in the large faculties of arts seem to have begun to register the names of their students. This occurred quite early in Oxford – prior to 1231 – and in Cambridge from 1236 to 1254, and also in Paris at a later date, when the faculty made a formal decision about registration in 1289. Since the number of students whose names were not known had obviously become a problem, there was a need for a ‘master’s registration book’ (rotulus, cedula, matricula magistri) which would set out information enabling the master to survey and record the performance of participants at particular exercises and readings, and to distinguish genuine students from those spurious students who merely wished to enjoy the privileges of the university (Paris: boni ac legitimi aut ficticii scholares discernere).12 | Thus, in accordance with the flexibility of the statutes, the magistri 179 themselves verified the formal membership of their scholae in the university. Such appears to have been the prevailing situation throughout the Middle Ages. Soon magistri in other faculties began to draw up lists of names (cedulae), which they then turned over to the faculty, from which, sooner or later, but probably around the middle of the fourteenth century, genuine faculty registers emerged.13 Understandably enough, practically none of these registrations has survived: they were private rather than official university documents. One manuscript, a collection of excerpts from Aristotle’s logic, dating from before 1268 and belonging to Gonville and Caius College, Cambridge, has none the less survived. On its margin a magister had jotted down sixty names, and in each case the name is accompanied by numbers, which are presumably the number of years which each of the named students had studied.14
12 Oxford: Gibson (Ed.), Statuta (note 4), Ixxxii, Ixxxix, p. 60s., 82, 107, 227. Cambridge: Hackett, Statutes (note 4), p. 72, 211, 330. Paris: CUP, vol. I, p. 35s., no. 561. A discussion of the problems can be found in Jacques Paquet, L’immatriculation des étudiants dans les universités mediévales, Pascua Mediavalia, in: Studies for Prof. Dr. J. M. de Smet, Louvain 1983, pp. 159–71. 13 CUP, vol. I, 701, § 45, no. 1189; vol. IV, 703, no. 2671; Marcel Fournier (Ed.), Statuts (note 4), vol. II, p. 70, § 36, 83. Cf. Paquet, Immatriculation (note 12), p. 161s. 14 Hackett, Statutes (note 4), p. 167.
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At those universities which had only law faculties – especially in Italy, Bologna, Padua, and Pavia amongst others, and, in France, Orléans and Angers – the student nations, faithful to their social conventions, undertook, perhaps from the outset, the matriculation of their prospective members. The procurators of the individual nations at the universities functioned like masters elsewhere and rectors later on; but in this instance, too, the general register was mentioned in the statutes, if sometimes only at a much later period. Apparently, the two types of registration were carried out concurrently in Prague and Vienna.15 The oldest register of this kind – and one of the most significant for central, eastern, and northern Europe – was the Bologna matricula nationis Germanicae, which was kept from 1289. Such registers of nations ought not be confused, however, with those of Paris, which only recorded graduates by their particular nations.16 Thereafter, the most important – and as a rule the most complete – entries concerning university attendance and admission were to be found in the general registers of matriculation or in the rector’s register. They were regularly kept only at the central European universities, beginning in about the second half of the fourteenth century. The first ‘new’ type of matriculation | register was the matricula, now lost, belonging to the 180 arts, theological, and medical faculties of the University of Prague; this probably began before 1367. The matriculation register of the law university at Prague of 1372 has survived and may be considered the oldest rector’s register in Europe.17 The fact that both the universities in Prague kept the first general registers can hardly have been a coincidence. Indeed, the studium Pragense of 1348 constituted something of a turning-point in the transition from the universal to the national era oft the history of European universities.
15 Fournier, Statuts (note 4), vol. I, p. 257, no. 356 (Orléans), 334, § 8 (Angers); Ferdinand Doelle, Ein Fragment der verlorengegangenen Prager Universitätsmatrikel aus dem 14. Jahrhundert, in: Miscellanea Francesco Ehrle (Studi e Testi. Biblioteca Apostolica Vaticana 37–42), Rome 1924, here: 39, pp. 88–102, probably only concerning the Saxon nation at Prague; Paul Uiblein, Zur Quellenlage der Geschichte der Wiener Universität im Mittelalter, in: Österreich in Geschichte und Literatur 7 (1963), pp. 161–166. 16 Ernst Friedländer and Carlo Malagola (Eds.), Acta Nationis Germanicae Universitatis Bononiensis (1289–1543), Berlin 1887; Heinrich Denifle and Émile Châtelain (Eds.), Auctarium Chartularii Universitatis Parisiensis, 6 vols., Paris 1894–1904. 17 Monumenta Historica Universitatis Carolo-Ferdinandeae Pragensis, 9 vols., Prague 1830–1848, here: vol. II: Album seu Matricula Facultatis Jurisdicae Universitatis Pragensis ab anno Christi 1372 usque ad annum 1418.
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Although the traditional constitutional and social forms retained their force in central European universities as well, they were none the less being subjected to considerably stronger pressure for standardization and centralization than was the case in western and southern Europe. Vienna from 1377, Heidelberg from 1386, Cologne from 1388, Erfurt from 1392, Cracow from 1400, Leipzig from 1409, Rostock from 1419, and Louvain from 1426, to name only the oldest universities, followed Prague as universities maintaining matriculation registers. Finally, in the course of the sixteenth century, the rector’s register spread throughout the whole of Europe as the central record of new arrivals. Probably the oldest surviving rector’s register in Italy, the matriculation register at Perugia, is representative of this pattern. Although it was decreed in 1487, entries were made only from 1511. A comparison with the matriculation register for the German nation at Perugia, which contains a far more complete list of names than the central register of the university, shows how markedly and for how much longer the ‘new’ form was disregarded in favour of the ‘old’ one. This was a consequence of the persistence of the more traditional social patterns of society at large.18 Wherever the ‘newer’ form was taken up, the individual attending the university was obliged to be matriculated by the rector within a specific period, normally anything up to a month. This could be done on every day of the year, even on high holidays.19 The general university statutes constantly stressed this obligation, especially in those passages which were to be read out regularly to the university public. Masters and doctors, too, were referred to the basic obligations to matriculate their students, while the heads of colleges and halls (bursae) were bound to accept only matriculated students who were genuine membra universitatis into their houses and teaching arrangements. The ideal was set out in the ‘information booklets’ for new students, which were intended to provide introductory orientation, often in dialogue form, for those attending university. The new student presented 181 himself to the | magister of his choice. His origins, parents, financial status, and academic interests and ambitions were discussed until finally, having concluded that the candidate had a serious intention to 18 Fritz Weigle, Die Matrikel der Deutschen Nation in Perugia, Tübingen 1956, p. 7, 13ss. 19 Concerning the procedure, see the introduction in the matriculation lists of, for example, Heidelberg, Leipzig, Freiburg, Louvain, Cologne, and Vienna.
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study, the magister requested his new pupil to accompany him to the rector to set the matriculation procedure in motion.20 At the University of Louvain, new students belonging to the four main halls were regularly matriculated as a body in the register on the occasion of the inauguration of a new rector; this occurred on or about 26 February and 31 August. The obligation to matriculate was a product of the university’s legal or financial interests, or most frequently of both together. The legal interests of the university remained essentially the same as they had been in the thirteenth century in Oxford, Cambridge, or Paris: namely, to control the granting of privileges and to record the names of those granted the privileges in order to distinguish them from those who had not been granted such privileges. Through the listing of names and surnames, origin and status, day and year of matriculation, veri scholares could casily be identified should they require the protection and assistance of the university. They could also be distinguished from falsi scholares. At the Universities of Bordeaux and Valencia, it was declared to be absurd if a mother did not know her sons’ names.21 In the course of the fifteenth century, it came to be less a matter of excluding the falsi scholares than of enforcing a universal registration. Anybody who disregarded this or even flouted it was in some places considered almost a rebel.22 Finally, it was with the aid of the universal matriculation registers that the university was able to control its ‘most sacred duty’ which was the award of academic degrees, of doctorates, along with the grant of the licentia docendi to those who were regarded suitable for it. Yet supervision by masters or administration by rectors did not necessarily work smoothly or even completely. It was not unusual for doctors and masters first and foremost to be entrepreneurs, especially if they taught in private houses or colleges and halls. Many made their livelihood exclusively from the fees of paying guests and ‘auditors’. Here and
20 Michael Bernhard, Goswin Kempgyn de Nussia, Trivita studentium. Eine Einführung in das Universitätsstudium aus dem 15. Jahrhundert, Munich 1976, p. 61. 21 Fournier, Statuts (note 13), vol. III, p. 351, § 47 (Bordeaux 1482); p. 394ss., § 15 (Valence 1490). 22 Fournier, Statuts (note 13), vol I. p. 492, § 39 (Toulouse 1314); vol. III, p. 103, § 9 (Dole 1424). Similar cases can be found also in Heidelberg 1442; Eduard Winkelmann (Ed.), Urkundenbuch der Universität Heidelberg, 2 vols., Heidelberg 1886, here: vol. I, p. 145, no. 100.
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there, they satisfied to their own advantage the demand for ‘private’ affiliation to a university. Many of those attending the university were able to enjoy exemptions from judicial proceedings and taxes while there. They were even able to study and to graduate ‘unofficially’, without complying with the legal and financial claims of the university as a whole. There were also students who dealt with the central authorities 182 of the university by simply disregarding them. A comparison | between the rectors’ registers and deans’ registers or faculty registers at various central European universities provides evidence for this. Oath and Fees The oath ( juramentum) was the symbol of all the legal grounds for the requirement of matriculation. Normally, taking the oath was the first and the most important act in the proceedings. Without the oath, the recrot simply refused matriculation. Above and beyond the family-like relationship between the magister and his students, it was only the oath which sealed the voluntarily chosen bond with that corporation of individuals, the ‘university’, which was no different from other universitates and corpora in the ‘older Europe’ in being a corporation based on oaths. Students swore the oath to their university just as new townsfolk swore it to their town, or merchands and craftsmen to their respective guilds. Naturally, the swearing of the oath varied in form and content from one European university to another. Four common features, however, can be identified as apparently indispensable elements. The newcomer swore obedience to the rector holding office at the time – in England, to the chancellor – often with the addendum in licitis et honestis, i.e. in so far as it was morally, legally, and socially permissible and honourable. He swore to abide by and to preserve the statutes of the university already enacted, as well as those to be promulgated in the future. He swore also to promote the welfare of the university to the best of his ability, regardless of the academic degree, status, or rank he might one day achieve. Finally, he swore renounce any form of private vengeance for injustice which he might suffer, in favour of the rector’s ‘public order’, by which was meant the maintenance of peace both within and outside the university.23
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Examples in Paquet, Immatriculation (note 12), p. 164s.
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The sworn individual attending a university who had taken the oath and thus fulfilled his obligations could now rely on the rector to perform the obligations of his office, namely, to strive to defend the rights and freedoms of every individual membrum universitatis, to defend them tenaciously and rigorously when necessary, against everyone else. The history of universities offers innumerable examples of this. It is not surprising that, in the national-territorial era of the fourteenth and fifteenth centuries, many forms of the oath created a bond between the person attending university and the prince. In this respect, too, the studium generale of the University of Prague appears to have been in the lead. All new arrivals, nor merely native Bohemians, promised in the first instance loyalty to king and realm, regi et regno fidelitatem, and, then only, obedience to the rector. The situation at the University of Caen was similar, the oath of | obedience being sworn to the king of 183 England as the ruler of that territory. In Freiburg im Breisgau, too, students bound themselves to do nothing during their stay at the university which might affront the honour of the house of Austria. This address of loyalty was understandably linked directly with the concern, attested by oath, for the well-being of the university, which had been the territorial university of ‘Vorderösterreich’ since 1460.24 The taking of an oath presupposed the attainment of either the minimum age for swearing an oath or the age of majority. As a rule, canon law was followed, according; to which the completion of the fourteenth year was sufficient. However, dates of the attainment of majority in the Middle Ages varied among the universities and, over a period of 200 years, ranged from ten years at Toulouse, to thirteen at Leipzig and sixteen at Oxford.25 Accordingly, those who did not meet the minimum age or who were minors were not allowed to take the oath, although they could be in attendance in great numbers at universities which had no minimum age for admission. In Rostock, for
24 Prague (c. 1386): Hermenegild Jírecek (Ed.), Codex Juris Bohemici (Monumenta hist. bohemica 4), 5 vols., Prague 1867–1898, here: vol. II, 3 p. 277, § 17; p. 281, § 29. Caen (1457): Fournier, Statuts (note 13), vol. III, p. 211, § 13. H. Mayer (Ed.), Die Matrikel der Universität Freiburg im Breisgau von 1460–1656, 2 vols., Freiburg 1907–1910, here: vol. I, p. 1ss. 25 Fournier, Statuts (note 13), vol. I, p. 472, § 17 (1313); Georg Erler (Ed.), Die Matrikel der Universität Leipzig, 3 vols., Leipzig 1895–1902, here: vol. I, lix (1543 and fifteenth century); Gibson, Statuta (note 4), p. 421, leave a margin of twelve to sixteen years. In Cambridge fourteen years, but here too with a later document, see Hackett, Statutes (note 4), p. 167 n. 3.
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example, in some years they constituted up to one-third of the enrolled students. In Cologne, during the fifteenth century, they amounted to between 2 and 3 per cent of all students. They were also quite common at the law universities in Italy, Spain, and France, where, however, youthfulness and high rank were closely correlated.26 Since, for obvious legal reasons, there could be no exemption from the oath, there was no provision for such exemption in the university statutes; the rector therefore granted deferment on condition of a promise by a minor, although most commonly this was made by his father, relative, teacher, or preceptor, that the oath would be taken, once the age of majority had been attained. Thus the individuals who swore the oath were normally aged fourteen or fifteen. The vast majority of new entrants to the university were of this age. Universities following the University of Paris pattern, predominantly made up of students in the faculties of arts, could be called ‘juvenile universities’. The students of law, medicine, and theology were, as a rule, about four or five years older than those in the faculty of arts, apart from the exceptions made for those of high rank. The higher faculties and the law and medical universities of the continent were, by contrast, ‘adult universities’. For example, the ‘novices’ belonging to the German nation at the University of Orléans between 1444 and 1546 were almost exactly twenty years of age on admission to the university. In contrast with modern practices, the medieval concept of the student comprised a wider range of young age groups.27 In fact, however, the matriculation oath was not as unavoidable as it seems. Not only was it possible to postpone the taking of the oath, but dispensations and limitations were also allowed for legal or social reasons. The mere additional formulae in licitis et honestis and often also pro posse – concerning obedience to the rector and the statutes – reveal
26 Adolph Hochmeister (Ed.), Die Matrikel der Universität Rostock, 1419–1831, 7 vols., Rostock/Schwerin 1889–1922, here: vol. I; Keussen (Ed.), Matrikel Köln (note 2), vol. I, p. 35ss.; ibid., p. 193*, table 3; Sven Stelling-Michaud, L’université de Bologne et la pénétration des droits romains et canoniques en Suisse aux XIIIe et XIV e siècles, Geneva 1955, p. 82; Detlef Illmer, Die Statuten der Deutschen Nation an der alten Universität Orléans von 1378 bis 1596, in: Jus commune 6 (1977), pp. 10–107, especially 79. 27 Concerning the age of students, see Rashdall, Universities (note 10), vol. III, p. 352ff.; Mayer (Ed.), Matrikel Freiburg (note 24), vol. I, p. Ixxxviss.; Moran, Growth (note 6), p. 64ss.; idem, Universités en France, p. 93; Richard L. Kagan, Students and Society in Early Modern Spain, Baltimore/London 1974, p. 32; Illmer, Statuten (note 26), p. 79; Alan B. Cobban, The Medieval Universities: Their Development and Organisation, London 1975, p. 351ss.
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possibilities of evasion which the medieval casuists had little difficulty in elaborating. The status of the law university of Bologna, deriving from the first half of the fourteenth century, provided for a formal exception in the event of a justa causa – in other words, if there were good grounds for the exemption. Under the cover of the ‘master’s register’ and of obedience towards ‘one’s magister’ this was also possible in Cambridge at a quite early date, without in either case any legal reason being adduced.28 Among the most important reasons for the practice were presumably conflicts of interest affecting persons who were simultaneously members of two groups legally defined as different. Thus, according to the fourteenth-century statutes, citizens of the municipality and the surrounding district of Bologna, Padua, Perugia, or Lerida in Aragon could not be forced to take the oath. They were, it is true, subject to the authority of the rector, but they were not, strictly speaking, members of the corpus universitatis and consequently could not be entered in any rectoral matriculation register. Political developments at the close of the fourteenth century led to change here including a change in the matriculation itself – for which in Bologna, for example, a liber specialis was to be established. In addition, there were special regulations for members of orders, who either took a limited oath, in so far as their religious and university obligations could be harmonized, or first required the permission of their abbot or superior before taking the oath in full. In most European universities such exceptions were provided for without any formally enacted arrangement. There were special regulations, however, for the higher clergy and the higher nobility, especially for students who held the rank of prince, count, or nobleman and who were at universities in the Holy Roman Empire; the variety and social and legal status of the regional nobility were explicitly taken into account. Heidelberg was content with an | affirmation of honour, 185 Cologne had a special ‘nobleman’s oath’, while Tübingen and Basle always adapted the form of the oath to the status of each new entrant.29 Thus, the matriculation oath adapted itself to the student’s position. It was an oath which varied with status so that the concepts of scholaris
28 Carlo Malagola (Ed.), Statuti delle università e dei collegi dello studio Bolognese, Bologna 1888, p. 13; Hackett, Statutes (note 4), p. 211. 29 Gustav Toepke (Ed.), Die Matrikel der Universität Heidelberg von 1368–1662, 3 vols., Heidelberg 1884–1893, here: vol. I, p. 190 and n. 1; Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (note 3), pp. 378ss. and n. 19.
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and membrum universitatis had the most varied content. The newcomer did not divest himself of his status on entry to the university, but entered a university which was just as much defined by inequality as the surrounding society. It was only in the upper-class setting of Italian lawyers in Bologna, Padua, Florence, and Perugia that distinctions of status did not have to be emphasized. As a result of this, everyone had to take the oath except the legitimate sons and brothers of kings.30 The pecuniary interest in the matriculation of students was at least as important as the legal consideration. The admission fees laid down in the statutes were applicable de jure for all students, but de facto they applied primarily to the vast majority of ‘middle-class’ students, who faithfully fulfilled the obligations of matriculation; thanks to their numbers, their fees kept the universitas alive. They were generally called divites, i.e. the rich. As a rule, the obligatory fee was determined by the weekly charge for maintenance. Over the long run, the sums specified in the statutes could naturally only be fictitious. In fact, the fees varied from one university to another, and, as a result, a distinction was drawn between ‘more expensive’ and ‘less expensive’ universities. Within the Holy Roman Empire, Rostock, Greifswald, and Erfurt belonged to the first category, while Leipzig, Cologne, and Vienna fell into the second category. In Italy, Padua and Florence were among the more expensive, while Bologna and Ferrari fell into the category of the less expensive.31 In some respects, the social atmosphere of a university was affected by this difference. Like the oath, the fees also had a social aspect. Depending on position and financial resources, the customary fee could exceed or fall short of the required fee, or it could also be waived. Many universities, particularly those in central Europe, had special paragraphs on fees in their statutes, in which fees subject to status were often dealt with in very differentiated fashion. According to rank and office, a particular fee above the average was required from the nobility and the senior clergy who were attached to cathedrals or collegiate churches. In addition, a donation over and above this was expected everywhere. Class behaviour Heinrich Denifle, Die Statuten der Juristen-Universität Bologna vom Jahr 1317–1347, und deren Verhältnis zu jenen Paduas, Perugias, Florenz’, in: Archiv für Literatur- und Kirchengeschichte 3 (1887), p. 358; idem, Die Statuten der Juristen-Universität Padua vom Jahre 1331, in: Archiv für Literatur- und Kirchengeschichte des Mittelalters 6 (1891), p. 410. 31 Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (note 3), p. 424; Rashdall, Universities (note 10), vol. I, p. 226; ibid., vol. II, p. 54. 30
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and the practice of payment therefore caused | those concerned to 186 enjoy special privileges at the university. However, everybody else could also manage to obtain those privileges if the required fees were paid sub forma nobilis – as if the student were from the nobility.32 The proceeds of matriculation fees made up one of the most important sources of revenue for medieval universities, as grants from the state were rather meagre. Indeed, the universities were in great measure dependent on fees. For this reason, particular attention was devoted everywhere to the matter of fees. At many universities, therefore, ‘matriculation’ or ‘registration’ was not the popular term; instead ‘intitulate’ and ‘intitulation’ were used in acknowledgement of the financial element of the act of admission (intitulatura). Evidently, this was considered so important at the law universities of Bologna and Parma, that the terms matricula and liber solventium were used synonymously.33 Wherever possible, the rector and the treasurer were obliged to accept the payment of fees in cash and to record them with care in the register (dedit or solvit totum, for instance), or to note expressly deficient payments or the complete failure to pay the fees (for example, nihil dedit, petivitt dilationem tenatur dare). On account of this, some of the registers kept by the rectors read like account books. Some of the fees went into the university treasury, while some went to the rector and his assistants to compensate them for their ‘expenses’ in administering oaths and intitulation. This introduced a certain element of arbitrariness into the system of payment, in so far as the rector was allowed a certain latitude to allow the partial or total waiver of fees. However, in the course of the fifteenth century, the rectors tended to be encouraged to be strict in the enforcement of the university’s scale of fees on every newcomer, for fiscal reasons. The rector’s discretionary power was limited to two groups of varying size, which can be categorized as belonging to the upper and lower ends of the student body. The group at the lower end were the pauperes, the poor students who wished to make use of the privilegium paupertatis of canon law to obtain a dispensation. At the other end, there were highly placed individuals and dignitaries belonging to the nobility and to the clergy, holders of the doctorate from foreign universities, as well
Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (note 3), pp. 348–351. Malagola (Ed.), Statuti (note 28), p. 74; Paquet, Immatriculation (note 12), p. 166. 32
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as students enjoying special patronage, whose reverentia or testimonials conferred prestige and social benefits on the university; these were also granted dispensations. Naturally, the two groups differed markedly from each another. What was conferred on one group as a formal honour on admission to the university was often a matter of urgent necessity for the other group.34 Poverty was no obstacle to admission, but in general no par187 ticular consideration was shown | as far as the payment of fees was concerned. Those who set the fees in each case had to examine the ability or inability of the student to pay. The poor students were urged to meet as far as they could the financial obligations connected with their matriculation. Strictly speaking, deferment of the payment of fees was to be allowed only ad pingwiorem fortunam, i.e. until the onset of better fortune. As a rule, formal admission to university took place in the sequence swearing the oath, payment of fees, and registration. If, as mentioned at the outset, the new student was actually able to write, then he sometimes entered his own name in the register. This, however, was normally done by the rector or the notarius – the clerk – of the university. The important registers of the German universities have almost all been preserved more or less carefully by university staff. Detailed information about the students was first written down on slips of paper and later transferred partly in chronological order, partly in the order of social status, to the general register, Thus, an ordinary entry in the Cologne University register, dated 14 October 1478, reads as follows: Conradus Pijckell de Swefordia, dioecesis Herbipolensis, artes, juravit et solvit. The student subsequently became the famous humanist under the name Conrad Celtis, from near Schweinfurt in the diocese of Würzburg; born in 1459, he entered Cologne University at nineteen years of age to study the liberal arts, took the matriculation oath in its entirety, and paid the usual fees.35
34 35
Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (note 3), p. 376. Keussen (Ed.), Matrikel Köln (note 2), vol. II, p. 49, no. 18.
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The Frequency of Matriculation Wherever general registers were, in fact, kept by the rectorates of the universities, they reveal the bases and motives for the university taking an interest in the numbers of new students. Some universities, such as Leipzig, Erfurt, and Ingolstadt, tended to count up the total of all matriculations since their foundation, thus expressing a collective consciousness that had a historical reference; the matriculation or the oath created a permanent membership and legal relationship. Other universities, such as Heidelberg, Erfurt, Rostock, and Greifswald, drew up a numerus intitulatorum from the records of the rectorate; this was probably connected with calculation of income derived from matriculation fees. Fluctuations in student numbers could thus be kept in view, particularly if figures of attendance remained static or were decreasing; the latter was always critical, and on occasion it could be an event that threatened the very existence of the university as a whole. Perhaps this was why, at the Universities of Orléans and Paris, for example, something which resembled at times an inventory of the universitas at a particular moment | was drawn up.36 Until well into modern times, it was only 188 the diminution and not the increases in attendance and matriculation which aroused a response. However, one of the most interesting and most momentous features of attendance at medieval universities is the fact that, in the long run, the number of students who matriculated continuously increased. In central Europe alone, from the middle of the fourteenth century to the end of the Middle Ages, almost a quarter of a million individuals acquired the status of a student. A conservative calculation suggests approximately that three-quarters of a million students attended university in the whole of Europe over the same period. These figures have to be judged, however, in the light of the growth of the population of Europe as a whole during this period. Disregarding national and regional variations, the population fell sharply all over Europe as a result of the recurrent plague epidemics between 1348 and 1450. Then it became stable, beginning to rise gradually only in the final quarter of the fifteenth century. Accordingly, the growth in 36 Orléans 1412: Fournier, Statuts (note 13), vol. I, p. 194ss., no. 263; Max Spirgatis, Personalverzeichnis der Pariser Universität von 1464 (Zentralblatt für Bibliothekswesen. Beiheft 1), Leipzig 1888. A declaration of Intent in Toulouse 1314: Fournier, Statuts (note 13), vol. I, p. 492, § 39.
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university attendance and the growth of population moved in opposite directions for some decades. In the Holy Roman Empire, where a precise account can be established because of the nature of the sources, the average rate of increase in the Reichsfrequenz (matriculations within the Holy Roman Empire) between 1385 and 1505 reached a high point of 1.75 per cent yearly, despite a concurrent decline in the population growth.37 From the middle of the fifteenth century, between 2 500 and 3 000 students entered the unversities of the Empire annually from Louvain to Vienna, from Rostock to Basle. The student body of the Polish University of Cracow also increased between 1400 and 1510, helped, however, by a high percentage of a mixture of foreign students who made up between 30 and 50 per cent of the total.38 The supply of students, which was already high by medieval standards, was greater than the demand from the courts, the towns, the schools, the law courts, and the church. This was the first ‘crisis of oversupply’ in the German or central European university system. The crisis occurred after the 1480s, and it is possible that it occurred also in the western and southern European university 189 | regions. Furthermore, there are certain indications, at least, that the same occurred in England.39 The larger number – as many as 3 000 new students annually, which corresponded to a total capacity of more than 6 000 students annually40 – was essentially the result of the closing of the gap between, the central European universities and their established counterparts in ‘older Europe’. In contrast with France, England, Spain, Portugal, and
37 Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (note 3), p. 30ss., ders., Universitätsbesuch im Reich vom 14. bis zum 16. Jahrhundert. Wachstum und Konjunkturen, in: Geschichte und Gesellschaft 10 (1984), pp. 5–30, especially 14ff. ‘Reichsfrequenz’ is the sum of matriculations of those universities of the Empire in the Middle Ages which kept registers: Vienna, Heidelberg, Cologne, Erfurt, Leipzig, Louvain, Rostock, Greifswald, Freiburg im Breisgau. Basle, Ingolstadt, and Tübingen. 38 Zegota Pauli, Boleslaw Ulanowski and Adam Chmiel (Ed.), Album studiosorum universitatis Cracoviensis, 2 vols., Cracow 1887–1892. Cf. Irena Kaniewska, Les étudiants de l’université de Cracovie aux XVe et XVIe siècles (1433–1560), in: Dominique Julia, Jacques Revel and Roger Chartier (Ed.), Les universités européennes du XVe au XVIIIe siècle: Histoire sociale des populations étudiantes (Recherches d’histoire et de sciences sociales), 2 vols., Paris 1986–1989, here: vol. I, pp. 113–133. 39 Cf. Guy F. Lytle, Patronage Patterns and Oxford Colleges 1300–1500, in: Lawrence Stone (Ed.), The University in Society, 2 vols., Princeton 1974, here: vol. I, pp. 111–149, especially p. 123ss.; Trevor H. Aston, Oxfords Medieval Alumni, in: Past and Present 74 (1977), pp. 3–40, especially 30ss. 40 For a stay of about two years.
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Italy, the countries of central, eastern, and northern Europe developed a comparable university life of their own only relatively late. There was a time-lag of between 100 and 200 years. Not only was the gap closed by the end of the Middle Ages, but, as far as the Holy Roman Empire was concerned, a stage of parity had been achieved both with respect to the number of universities – which did not necessarily progress at the same rate – and the total number of students. Some of the old universities which are still in existence today and which have grown into large-scale academic enterprises had their periods of greatest growth in student numbers in the fifteenth century. It was only in the nineteenth and twentieth centuries that expansion again occurred on a comparable scale. However, there was no uniformity in the patterns of growth. As early as the late Middle Ages, an extraordinary variety emerged among the universities of Europe. Universities were of a wide range of sizes. It is extremely difficult, if not impossible, to draw on relatively reliable and comparable data for all of Europe. Nevertheless, the following can be stated:41 universities which were large by medieval standards, that is universities with capacity for a minimum of 1 000 students and with a frequency of matriculation of at least 400 to 500 students annually – in short, universities with a relatively high power of attraction for students – were on occasion to be found in Paris, Toulouse, Avignon, and Orléans, in Oxford and Cambridge, and in Bologna and possibly also other northern Italian universities such as Padua and Ferrara. From time to time, there were also large universities existing in Prague and, after the second half of the fifteenth century, in Salamanca, Vienna, Erfurt, Leipzig, Cologne, and Louvain. Beside them there were mediumsized universities with a frequency of matriculation of about 150 to 200 new students annually in almost every European country, and there was a substantial number of small universities, too, with sometimes barely 50 matriculations a year. Cracow, Rostock, Heidelberg, Ingolstadt, Siena, Perugia, Naples, Montpellier, Angers, Perpignan, Lérida, and perhaps | Lisbon–Coimbra belonged to the category 190
41 For the universities of central Europe, see note 37. See Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (note 3), for problems relating to numbers in matriculation analysis. See also Alan B. Cobban, The Medieval Universities: Their Development and Organization, London 1975, pp. 121–122; Kagan, Students and Society (note 27), p. 196ss.; idem, Universités en France pp. 80ss.: contributions in Julia et al. (Ed.), Universités européennes (note 38), with further literature.
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of medium-sized universities, while Greifswald, Mainz, Freiburg, Basle, Tübingen, Cahors, Caen, and the city of Rome belonged to the category of the smaller universities, which flourished particularly in the post-universal, territorial epoch of the history of the European university. Piacenza, Pavia, Florence, and Pisa perhaps also fell into the same category, although here there are grounds for suggesting a larger estimate. There were undoubtedly many more smaller universities in France, Italy, and Spain, although at present there is no documentary evidence to support this. St Andrews and Glasgow in Scotland and Copenhagen and Uppsala in Denmark and Sweden, as well as the Hungarian universities of Pécs, Buda, and Pozsony, were also small; they were never free from the danger of going out of existence in the Middle Ages. Even in the sixteenth century, Scots, Scandinavians, and Hungarians continued to attend foreign universities.42 These differences in size were, to some extent, affected by the quality of the university towns as towns, as well as the standing of the region for which they served as centres. With the sole exception of the two English universities, all the large universities of Europe were situated in medieval cities with a population of over 10 000. They were all important trading and handicraft centres, market-towns or sites where fairs were held, and were located within an economic and geographical network. Because of roads and other means of transportation, they were ideally situated and easily reached. They either belonged to old, already consolidated areas of principal or municipal government, or were surrounded by or part of the areas which, since the fourteenth century, had been successfully organized by governmental authority. This was true of a majority of the German regional universities. All these propositions apply also, if to a lesser extent, to those universities which exercised only average or small powers of attraction. Some Italian universities are exceptional because the number of their matriculated students bore no relation to the population of the cities in which they were located, e.g. Florence. Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (note 3), pp. 234–244; James M. Anderson, Early Records of the University of St Andrews, Edinburgh 1926; Jan Pinborg, Danish Students 1450–1535 and the University of Copenhagen, in: Cahiers de l’Institut du Moyen Age Grec et Latin, Université de Copenhague 37 (1981), pp. 70–111, especially p. 95ss.; Sten Lindroth, A History of Uppsala University, 1477–1577, Stockholm, 1977, p. 10; Astrik Ladislas Gabriel, The Medieval Universities of Pécs and Pozsony, Frankfurt 1969. 42
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However, patterns were not rigid. There was no university in Europe which achieved a continuous increase in student numbers. The figures for matriculation, much affected by fluctuations in political, economic, and social conditions, often fluctuated several hundred per cent within a few successive years. Periods of growth alternated with periods of stagnation and the absolute size frequently changed. Paris, Orléans, and the universities of southern France, as well as those of Prague and Bologna, reached the height of their attractiveness in the fourteenth and early fifteenth centuries. At the time | of the Council of Basle from 191 1431 to 1449, it was even feared that the University of Paris might lose all of its students. This was a matter of perspective, since Paris was probably the largest medieval university; the incomplete inventory of 1464 recorded almost 1 500 individuals, masters, students, and others connected with the university.43 Prague, which in the 1380s had become possibly Europe’s largest university, just after Paris, fell back to the status of a ‘midget university’ after 1409 and almost completely disappeared from the university pattern of central Europe with regard to the attraction it exercised on students from afar. By about the middle of the fifteenth century, after a growth of more than 100 per cent, Cambridge managed to approximate to the size of the student body at Oxford. In the course of the fifteenth century, Bologna’s star waned while the stars of Padua, Pisa, Siena, and Perugia rose. On the whole, the centre of concentration of matriculations in central Europe shifted greatly during the fifteenth century. It had moved from the south-east of the Holy Roman Empire in Vienna across central Germany – Erfurt and Leipzig – to the north-west, to the large region which embraced the Rhine and the Low Countries and which was, at this period, economically and demographically one of the leading regions in the empire. The figure for matriculations at Louvain and at Cologne must certainly have been equal to those at Cambridge, Oxford, Padua, Salamanca, or Paris towards the end of the Middle Ages. Underlying these shifts were the mostly older universities of the continent. The rise and fall in the number of matriculated students were not random phenomena. They were responses to events of fundamental importance which occurred outside the universities and which brought the universities and their students into very direct relationships with
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Spirgatis, Personalverzeichnis (note 36), p. 3s.
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the surrounding society. These events followed a cyclical pattern; the many thousands of decisions made by individual students to attend university and to submit to matriculation were themselves cyclical in pattern. Although the process can be demonstrated only from German sources, it can be put forward plausibly as a hypothesis that can be applied to other universities.44 The fluctuations were determined by economic factors, which were as relevant to the pattern of attendance at universities as the increase in the number of students, and there were both shorter and longer cycles within the pattern. Even the cyclical process which underlay the growth of the numbers of students was variable, and was decisively altered on several occasions in the period between the fourteenth and sixteenth centuries. Structural variations in cycles of varying lengths in successive sequences of growth and stagnation are to be found in four different periods. There were two phases of growth, one between the late fourteenth century 192 (around 1385) and approximately | 1480; this may be regarded as the ‘take-off stage’ of matriculations in central Europe. Then there were two periods of stagnation, one between about 1430 and 1450. The second, which had more of the features of a grave crisis, ran from 1480 to about 1505. This was the period leading up to the ‘crisis of oversupply’ in the Holy Roman Empire. These several cycles and their turning-points in about 1430, 1450, and 1480 may be viewed as constituting a periodization of the history of university attendance – granted, of course, that individual universities did not necessarily conform completely with the general pattern; no two universities ‘enjoyed a boom’ in matriculations at the same time. Given deviations, three distinct patterns may be distinguished in the second half of the fifteenth century, as shown in the table. I Cycles of 7–11 years Louvain Cologne Heidelberg Basle Tübingen
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II Cycles of 3–5 years
III Cycles of 2–3 years
Vienna Freiburg im Breisgau Rostock Greifswald
Erfurt Leipzig Ingolstadt
Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (note 3), pp. 185–220.
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These three groups disclose a coherent pattern. The longer cycles (I), which represent less severe fluctuations in numbers of students, were concentrated in places which were parts of the large western Rhine ‘catchment area’ along the main artery of traffic of the Holy Roman Empire. It was here, too, that the centre of gravity in the growth of student numbers was to be found in the late Middle Ages. There were pronounced economic fluctuations to a considerably greater degree in the numbers of matriculated students at the other universities; most intensively and most critically in a central region, more or less the ‘heartland’ of Germany (III), and somewhat less at the peripheries, in the Baltic sea region and in the south-east in the case of Vienna (II). The fact that Tübingen here was marginal (I) is less significant than the fact that the experience of Freiburg, in contrast with that of neighbouring Basle, does not belong to the category of Rhenish universities but is incorporated in category II, within a social and economic area under the dominion of the Habsburgs, which included Vienna. The reasons underlying this very heterogeneous pattern of numbers of university students, including the long-term ‘education explosion’ and the cyclical pattern of matriculation, had little to do with the internal life of particular universities. They had little connection with the characteristics of the institutions, the content of their teaching, or the personal qualities of their teachers. This was also true in the case of humanism, an intellectual movement which | might have 193 been expected to have precipitated an increased attendance at the universities. Instead, the academic centres of humanism in the Holy Roman Empire – Erfurt, Basle, Ingolstadt, Tübingen, and Vienna – suffered several decreases in numbers of matriculation at the end of the fifteenth century. Such, according to the known figures was also the case in Italy.45 The reasons for these cyclical patterns lay outside the universities, not so much in spectacular events, such as wars, revolts, and plagues, but in fluctuations in agricultural prices and, through them, in a cluster of variables affecting the level of other prices in medieval agrarian society. Within the context of regional and supraregional geography, attendance at university and the conditions prevailing in the market in the area where the university was located were closely related to each other. As
45 Richard L. Kagan, Universities in Italy 1500–1700, in: Julia et al., Universités européennes (note 38), p. 155ff.
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a rule, the correlation was an inverse one. Upward movements in the number of matriculations corresponded to periods of low prices; and periods of stagnation in the number of matriculations were concurrent with periods of high prices. Depending on good or bad harvests, the prices of cereals determined the disposition to matriculate; they even determined the students’ social status. Periods of high prices depressed the numbers matriculating, and they simultaneously allowed the number of students from poor families to increase beyond normal expectations. The long-term secular decline in grain prices, the so-called agrarian depression of the late Middle Ages, was, however, advantageous for the urban economy and hence for the long-term increase in the numbers of matriculations as well; hence the ‘education explosion’, which lasted from the fourteenth to the sixteenth centuries. Attendance at university was always largely an urban affair,46 and the ‘golden age of handicrafts’ in the towns seemed to be also the golden age of admission to university. Bibliography Bowen, James A., History of Western Education, vol. II: Civilization of Europe, Sixth to Sixteenth Century, London 1975. Cantarino, Vicente, Mediaeval Spanish Institutions of Learning; a Reappraisal, in: Etudes Islamiques 44 (1976), p. 217–229. Engelbrecht, Helmut, Geschichte des österreichischen Bildungswesens, Vol. I: Von den Anfängen bis in die Zeit des Humanismus, Vienna 1981. Enseignement et vie intellectuelle (IXe–XVIe siècles) (Actes du 95e Congres National des Sociétés Savante. Séction de Philologie et d’Histoire jusqu’à 1610 95,1), vol. I, Paris 1975. Frank, Isnard, Die Bettelordensstudia im Gefüge des spätmittelalterlichen Universitätswesens, Stuttgart 1988. Fried, Johannes (Ed.), Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters, Sigmaringen 1986. Garin, Eugenio, L’educazione in Europa 1400–1600, Rome/Bari 1957, 3rd edn., Rome 1967. Julia, Dominique, Revel, Jean-François, and Chartier Roger (Ed.), Les universités européennes du XVle au XVIIIe siècle: Histoire sociale des populations étudiantes, 2 vols., Paris 1986–1989. Manacorda, Giuseppe, Storia della scuola in Italia, 2 vols., Palermo 1913, here: vol. I: Il medioevo. Moran, Jo A. H., The Growth of English Schooling 1340–1548, Princeton 1985.
46 See Rainer Christoph Schwinges, Student education, Nudent life, in: A History of the University in Europe, vol. I: Universities in the Middle Ages, ed. Hilde de Ridder-Symoens, Cambridge 1994, S. 195–243 [reprinted here].
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STUDENT EDUCATION, STUDENT LIFE* The Student: Concept and Typology At European universities and in European societies the concepts ‘university’, ‘faculty’, ‘doctor’, ‘master’, ‘student’, and the like have been in use for virtually 800 years. Despite this long usage, however, the realities behind the words have only ostensibly remained the same. In general, modern notions are of little help when it comes to understanding medieval phenomena, and this is particularly true of the social phenomena of universities organized around groups of individuals. Particularly in a chapter devoted to the ‘medieval Student’, one must be aware from the outset that concepts can be no more than linguistic shells housing a great variety of different meanings, each dependent on its age. One should therefore approach the matter gingerly, seeking to find neutral terms like ‘scholars’, ‘enrolled members’, or ‘matriculants’ whenever for reasons of historical fact or linguistic form – it is called for. For the sake of clarity, the term ‘university attender’ will be used in this chapter. When one surveys the European scene, it is striking that there is not a single university in any country for which one can paint a generalized picture of the medieval Student – and this irrespective of century. The mere issues of admission and matriculation serve to show how diffuse the concept is: there was no more or less uniform secondary education, school and university shading into one another, and no hard-and-fast distinction was made between the concepts ‘pupil’ and ‘student’. Both were members of the university and of the school. Students were also members of a great variety of different age groups – from children under the age of fourteen to adults in their twenties or thirties. Such institutions as the ‘oath appropriate to rank’ and the ‘rank fees’ rendered at matriculation ensured that the Status of students was not equal even on a legal plane, let alone socially.1
* In: A History of the University in Europe, vol. I: Universities in the Middle Ages, ed. Hilde de Ridder-Symoens, Cambridge: University Press 21994, pp. 195–243. 1 Rainer Christoph Schwinges, Admission, in: A History of the University in Europe, vol. I: Universities in the Middle Ages, ed. by Hilde de Ridder-Symoens, Cambridge 21994, pp. 177–86 [reprinted here].
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| That, however, is not the end of the story. In contrast to today, there were substantial discrepancies in Status between those studying in differing faculties or ‘specialist’ universities, notably in the universities of arts or of law – discrepancies which could occasionally break out into fullfledged discord. This was the case with the so-called secession in Prague in 1371 when, under the one roof of the Studium Pragense, two universities with two rectors were established: on the one hand the universitas of the men of arts, theology, and medicine and on the other hand that of the men of law. The threat of such a development existed until the end of the Middle Ages and was even especially acute again in the opening phase of the University of Basle, when the students of law refused to make common cause with others attending the university. In the final analysis, the reason was always the mutual incompatibility of two social environments in one and the same universitas. Only with the emergence of the modern princely state and municipal government as bearers of the universities of the post-universal age could these dualistic tendencies be prevented. To keep up the old reserves and preserves it was sufficient to employ symbolic actions and exhibit a different life style. Modern notions are equally unhelpful when one enquires into the objectives the students had in studying. From the perspective of today, the great proportion of medieval university attenders would have to be classified as drop-outs or even failures. As late as 1500, it was by no means normal to sit any form of examination. The vast majority were satisfied to attend and belong. The social possibilities opened up by the university did not yet require control by a special System of entitlement based on examinations and graduation. Among those attending the medieval universities of Europe, at least five types of Student can be detected. These types simultaneously make up a pyramid-shaped diagram of university attendance, the pyramid having a quantitatively broad base and relatively narrow apex. The first type is to be found in the faculties of arts. The student is, in the vast majority of cases, a young man of between fourteen and sixteen years of age, who is, as a rule, matriculating at a university for the first time and who meers the prescribed legal and financial conditions of admission as well as he can. His social background is likely to be ‘middle-class’, with a broad range from rich to poor, corresponding to the spread among overall university attenders. In all probability, he has previously attended the Latin school in his home region and has acquired at least a basic knowledge of reading and writing as well as
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of Latin grammar. He attaches himself to a master of his choice and begins in school-like fashion under the latter’s supervision to deepen his knowledge in the arts cursus or, if that is insufficient, to bring himself ‘up to date’ with the so-called paedagogia. This does not, however, make him the typical beginner. Such a perspective would be anachronistic since it is not his intention to achieve at university all that could be achieved | there – up to a doctorate in medicine, theology, or law. His attendance 197 is limited to an average duration of only 1.8 years (the estimate for German universities); the reality, however, is liable to have been below rather than above that figure. This type of student sits no examinations and acquires no academic title – and hence also no status in studio. The universities of the time called him the scholaris simplex. He is found most frequently in the developed four-faculty universities of ‘younger Europe’ as well as in ‘older Europe’ north of the Alps (see chapter 8), particularly in Paris and at the English universities. Not infrequently he accounts for 50 per cent or more of the total attendance and can therefore, with full justification, be described as the leading actor among students at medieval universities. The second type of student is also to be encountered in the faculties of arts. His university attendance is, at first sight, not much different from that of the first type. In age, prior education, and social background there is little to distinguish them, except that the proportion of poor students – in German and central European universities the figures can be given with exactitude – rises as time goes by. This is presumably an indication of the fact that this second type represents, albeit on a very low level, hopes of social advancement via university and education. In contrast to the first type, this second type wishes to limit or – in the language of the time – to ‘determine’ his studies, i.e. to demonstrate the skills he has acquired. The goal is the degree of baccalarius artium, which can be gained after two to two-and-a-half years working with the actus scholastici under a chosen master. The Student is then about sixteen to nineteen years old. If one wanted to employ a modern analogy, one could compare this graduation with the secondary school examination preceding the one for university entrance. The bachelors of arts account – between 1350 and 1500 – for approximately 20 to 40 per cent of university attendance and are thus the second largest grouping, with incidentally the same ‘spread’ as the first. For fully two-thirds of them, this is the only degree which they will obtain or wish to obtain at university; it is the precondition for acceptance as a fellow in most of the Colleges in Spain, France, or England.
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The third type, too, is associated with the faculties of arts, but has objectives which go beyond them. Starting as a rule with the baccalarius, this type of Student acquires after two to three further years the degree of master of arts, analogous in the modern age to university entrance. By this stage he has usually reached the age of nineteen to twenty-one. The social background remains the same, although the proportion of poor students has gone down again substantially in comparison with the second type. If he does not leave the university with this degree – which is linked to a two-year teaching obligation in the artes, from which, however, dispensation is increasingly granted as the centuries pass – he then takes up studies in the higher faculties of medicine, theol198 ogy, or canon or civil law. This | ‘master-student’ is found throughout Europe, but most frequently at the universities which, by and large, followed the ‘Paris model’. Only at first glance does he bear any resemblance to the freshman of today. The numbers themselves are markedly down when compared with the two preceding types. On average – though varying from university to university and from the thirteenth to the nineteenth century – he represents just 10–20 per cent of those in attendance. More decisive, however, is that, while still formally a student, he is simultaneously active in teaching, with the notions of student and professor being in many cases no longer clearly separable. The master-student, usually in theology or maybe medicine, teaches the younger members of the faculty of arts – those of the first or second type who have chosen him as their master. Around him congregates a clientèle, his schola, his familia. Many students of this type finance through this source alone their further studies, the next ‘hurdle’ being the bachelor’s degree of one of the higher faculties. More fortunate colleagues have access in addition to paid professorships, college headships, scholarships, prebends, and university or church bursaries. Such a master-student can assume a series of official functions: he can become dean of the faculty of arts and even, if he is held in especially high regard, rector of the university. The best chance of achieving this was always to be found in Paris, where the rector was chosen solely from the arts faculty. The fourth type of student is fundamentally different from the three previous ones. He encounters at university all the advantages of class and status which he has enjoyed elsewhere. He is already ‘someone’ before he ever crosses the university threshold. He is characterized by high rank, by high regard for his person and family of origin, by nobility, by the possession of church livings, or by ‘middle-class’ prosperity.
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If he is a member of the nobility or acts the nobleman, he arrives at university with a retinue of familiares – servants ranging from his private tutor to his groom. Socially, the typical and fitting place for him is not the faculty of arts, or the socially related environment of the students of medicine or theology, but the higher faculty or university of lawyers. His prior education to something approximating to master’s level he acquires through private tutors rather than through schools for the public – or he attends arts courses ‘alongside his main studies’, without either having or desiring to demonstrate his knowledge in examinations. The teaching activity associated with graduation in the arts would be detrimental to his social status. The same holds even for degrees awarded by the higher faculties up to the level of doctor. Whether an academic title is appropriate to one’s rank or – as usually the case with the higher nobility – unacceptable depends on one’s social origins. Seeking social advancement through the university, as perhaps done by the average master-student, is something this type of ‘student of rank’ has no need of. He is found in all European universities, admittedly in greatly varying numbers. But | he is to be found above all in the law universities 199 or law faculties of older, southern Europe. Up to and into the fifteenth century, the ‘international’ centre for students of rank from Portugal to Scandinavia, from Hungary to the British Isles, is Bologna. Thereafter Padua, Pisa, Pavia, Perugia, Siena, and other Italian universities close the gap in reputation and attendance figures. The Bologna matricula nationis Germanicae, which despite its name contains law students from almost the whole of central, eastern, and northern Europe, documents the numerous figures of rank and name from 1289 on. Major centres for students of rank are also the universities of southern France and Spain, in Avignon and Toulouse, Salamanca and Lérida, where the law faculties seem by themselves to outstrip in numbers those for the arts. Orléans is a similar case. North of the Alps in younger Europe, however, the Situation is quite different, with four-faculty universities in which students of the arts form around 80 per cent of those in attendance and seem to set the tone even in large institutions. Here too, however, it is social quality which is of greater importance. It is a matter of pride to admit the prestigious student and he is accorded the customary privileges as if this were a matter of course. Preferred universities in central Europe are, for example, Erfurt, Basle, Freiburg, and Ingolstadt, the three latter serving, as it were, as a springboard for the Italian journey. Just as the master-student is characteristic of the Paris model, so the student of rank is characteristic of the Bologna
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model. He is also similar to the master-student in that, in the universities (and faculties) of his choice with Bolognese privileges, he assumes similar functions and can, for example, with the agreement of his peers, become rector. In universities following the Parisian model, on the other hand, he would at most, assuming he had sufficient social standing, accept an honorary rectorship. The fifth and last type would seem closest to the modern student, since it is his intention to conclude the major part of his studies with an examination – and perhaps with a doctorate, too. As a rule this ‘specialist student’ continues his studies afrer his baccalarius from one of the higher faculties and takes a licentiate in medicine, theology, or canon or civil law or both – a degree which also accords teaching rights (licentia docendi) in the faculties in question. If he so desires or is in a position to afford it, he subsequently takes a doctorate. Like the modern student he, too, is well into his twenties or thirties. There, however, all analogy ends. The very numbers tell a different story. Having arrived at the pinnacle of the ‘attendance pyramid’, one discovers this type to be only the few remaining per cent of the total. Very few are to be found in the universities of younger Europe north of the Alps (1–3 per cent of all those in attendance at German universities), and most in the classical university regions of older Europe, in the strongholds of medicine and law in Italy and France as well as in the theological faculties at Oxford and Cambridge, especially during the fourteenth century. In the universities of Italy, admittedly, the numbers of specialist 200 students from abroad is | particularly high; the majority of students and doctoral candidates come from what are called the German nations. This type is characterized by elevated social standing – knightly descent or membership of the urban ‘upper class’ or ‘upper middle class’. For a poor student, it would take a mighty leap to reach this level, a leap hardly conceivable without intensive social support. What, however, notably distinguishes the medieval ‘specialist student’ from this modern counterpart is the fact that he is not out to find the crock of gold through university attendance and study, but has already found a firm footing in society well before or during bis period of study: in municipal Service, at the court, or most often in church offices. The licentiate and doctorate simply give him additional honours and prestige. These five ideal types – the scholaris simplex, the baccalarius, the masterstudent, the student of rank, and the specialist student – never constituted a closed system. A number of mixed characteristics always
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existed in reality. ‘Course-hoppers’ – almost exclusively students of law and medicine – can be observed who had not first passed through the arts courses but who nevertheless laid claim to a status akin to that of master, without necessarily being students of rank. Not infrequently, too, the social rules of old Europe could cut across the above categories. Social ties, friendships, kinship, patronage, and family structures could all influence status and study objectives. The individual ability of the ‘student’ and sound assistance from his teachers worked within these contexts. Special advantages, for instance, could be enjoyed by well-protected minors even if they were not members of the appropriate ‘class’. Not capable of faking the oath but assuredly capable of study, they could – having as a rule attained the age of adjuration on completion of their fourteenth year – immediately be graduated if, for example, they had done the prescribed courses for the baccalarius artium. One prominent example of this is Philip Melanchthon, who took up his studies of the arts as a twelve-year-old in bis home town of Heidelberg and became a master of arts in Tübingen at the age of seventeen; being the nephew of Reuchlin, he had been well provided for and given every encouragement, but had nevertheless taken a completely normal length of timeover his studies. In such contexts one should exercise caution when trying to interpret the subsequent significance of early academic honours. There were, however, two common features which linked together all the student types. On the one hand, they were clerics – almost without exception in the early years of the universities and then in decreasing numbers, first in older, then in younger Europe. On the eve of the Reformation the cleric-student was probably already in the minority in Europe as a whole. This declericalization, however, should not be misinterpreted as being at the same time secularization of the university or of university education. In the context of the developed university of the late Middle Ages, the term clericus is highly problematic. It denotes merely formal and legal membership of the | ordo clericalis, 201 the legal purview of the church; in terms of a typology or social history, however, the concept is diffuse and wholly unrevealing. It can be used only to describe categories – in a broader sense from the pope down to the ostiary, the holder of the lowest consecrated rank, and in a narrower sense the holders of the so-called minor holy Orders below the subdiaconate. In addition, when dealing with matriculated clerici one encounters problems of source interpretation. The state of being a clericus was, at least until the mid-fifteenth century, so common
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in Europe as a whole that the rectors, deans, or procurators of nations in charge of the matricula set no great store on systematically registering clergy membership. To calculate the proportion of clerics in individual annual cohorts of matriculants is hence of little use. It is only over a longer period that the above-mentioned decline can be traced. Being a clericus at university, however, came to mean less and less in terms not only of statistics but also of a way of life. The roots of this development are to be traced back to the early Middle Ages, to the beginnings of university growth, when the educational monopoly of the clergy was still intact and the litterati, the men of learning, could be equated with the clerici. The term clericus finally became a synonym for anyone who knew how to write: the path towards modern usage – clerc in French or clerk in English – was open. Following the same trend, the term laicus took on, beside its connotations of the non-ecclesiastical, a dimension of ignorance. In German university towns at the close of the fifteenth century, it was common to distinguish between priests, students, and laymen, thus emphasizing the intermediate position of the student – an emphasis at times verified linguistically by the term ‘half-priests’.2 Those ‘half-priests’ who had become clerici, moreover, in the strict legal sense of belonging to minor holy orders, had not thereby taken on any obligation towards the church. This is demonstrated by the occurrence of clerici uxorati, married clerics, among students of all types. Such a student would merely make use of certain rights, of his own legal status for example, although, in the already privileged university, this was not so important as the inestimable benefit of possibly being in receipt of a church living with its guarantee of life security, if not of life tenure. For the many, however, especially for the growing throng of students up to the master type, such a post was no more than a possibility. Nevertheless, all this did not mean immediate secularization. Many took holy orders only after matriculating, during their term of study or even later. Yet it would be anachronistic to believe that the church was no longer the partner of the university, and even more so of those attending the university. Though never an Institution of the church, the university was always close to it. The church remained
2 Hastings Rashdall, The Universities of Europe in the Middle Age, Oxford 1895/ reprint 1936 and 1987, vol. III, pp. 393ss.; Rainer Christoph Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert. Studien zur Sozialgeschichte des Alten Reiches (Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches 6), Stuttgart 1986, pp. 408ss.
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the largest subsequent employer and wage-payer of medieval students, often even when | they entered the Service of kings, princes, lords, 202 and municipalities; for powerful people of all kinds tried first of all to remunerate their graduate servants with church livings before reaching into their own pockets. At the end of the Middle Ages the secular world and the church were still not clear alternatives. The studentmonks – mostly from the mendicant Orders – who flourished in the thirteenth and fourteenth centuries in the strongholds of arts and theology (Paris, Oxford), and who accounted for most of the specialist students of theology at this time, are a special problem, to which this reference must here suffice. The world of the medieval Student was thoroughly masculine. For the girl or woman student this world had no place – a fact for which the ecclesiastical ties were not responsible: even with the increasing declericalisation of the universitas nothing changed in this respect. Ostensible exceptions can, as a rule, be accounted for by a particular social background, sometimes even by the closeness of a prince or king. Leading families, noble and bourgeois alike, above all in southern Europe, had their sons and daughters educated in like manner by private tutors and partly even by renowned university scholars. In this way some women achieved a high level of knowledge in all subjects, even in law, and were able – in the Renaissance Italy of the fourteenth and fifteenth centuries this was apparently not uncommon – to enter into contact with university circles as if they were ‘students of rank’. Magdalena Buonsignori, for example, or Novella d’Andrea, the daugther of the celebrated and wealthy Bologna professor Johannes Andreae, studied in accordance with their rank and became famed scholars of law. Or there was the Latin scholar Dona Beatriz Galindo, who had evidently been educated in Salamanca close to the university and who was from there summoned to the court of Isabella the Catholic to give the queen instruction in Latin.3 Such exceptions, however, which seem, incidentally, to be restricted to the south of the continent, in the final analysis show only too clearly that the time was not yet ripe for the education of women within the universities. Nevertheless, women could legally be university members. As wives or maids of professors, as serving-maids, errand-girls, or cooks in colleges or student houses, they
3 Walter Steffen, Die studentische Autonomie im mittelalterlichen Bologna, Bern 1978, pp. 173ss.; Rashdall, Universities (note 2), vol. II, p. 88.
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were considered university associates like the syndics and scribes, the apothecaries, the paper, and parchment-makers, or the book-printers. Consistent with this they were therefore also matriculated like the latter – the most meticulous instance seeming to be in the rector’s matricula at the University of Louvain. Origins and Social Structure Whether one has in mind Salamanca or Bologna, Oxford or Paris, Cracow or Heidelberg, the medieval university was in every instance an 203 organized | grouping of individuals, a ‘societal community’. As such it was the faithful reflection of its surrounding society, living like the latter by the traditional rules of old Europe. Yet, though standardized and privileged in legal terms, it was, like every other universitas, burghers’ community, guild, or church, far from matching its togetherness in law with a social togetherness which might annul the status differences of those attending it. Of social integration, lifting the university out of its environment and transforming it into an egalitarian community based on shared ‘academic activity’, there was not a trace. Like every other group within society, the university, too, was subject to the prevailing social and economic criteria of stratification including the conditions of economic growth already referred to in the context of matriculation figures.4 Thus every student – in accordance, as it were, with his type – brought his personal and family rank with him to the university, seeking either to maintain and uphold it there or, within the realms of social acceptability, to improve it. His origins thus predetermined the social structure and social image of each and every university in a decisive manner. A high proportion of simplices or master-students or even students of rank made all the difference in prestige – between older and younger Europe in general, as already noted, but also within the individual university networks of Europe. Origin had not only a social but invariably also a geographical dimension. The latter was fundamentally determined by what one might term the regional existence of a university community, the regionalism of a university being to a great extent governed by the regionalism of its university town. just as the latter was the nodal point coordinating the
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See Schwinges, Admission (note 1), reprinted here.
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social, economic, and cultural life of a region, so the university community equally laid claim to a heartland in which, as a social grouping, it could have its roots. Wherever a new university followed this rule it met with success and was, above all, ensured long-term survival. This held true both for the older universities with their informal origins and for the younger with their formal foundations. This underlying structure of regionalism has occasionally been misunderstood as narrowness; it should, however, be seen as propinquity, which has nothing to do with provinciality but a great deal to do with the functionalicy of the surrounding area. The dominant part played by propinquity was evident at all universities, both in central Europe and at its periphery. Even ‘international centres’ such as Paris, Avignon, and Bologna owed their century-long existence not to recruitment throughout Europe but first and foremost to their regional existence. The character of student origin naturally gave each university and indeed each of its parts – its faculties, nations, Colleges, and students’ hostels – a spatial identity of its own. This was true even in insular England, where Oxford and Cambridge each secured a distinct catchment area. In the final analysis, the upshot of all this is that, despite the numerous interchanges occurring over broad areas of the European university network, it hardly ever happened that one community prospered at the expense of another. | All kinds of factors, from the mere nature of a place of origin as 204 a town, market-town, village, or monastic or castle domain, through the number of inhabitants, the economic circumstances, the travel facilities, the churches, and the schools, up to and including the complex character of circumstances of rule and land-ownership and the question of the stability and continuity of local power, left their mark on university attendance and on the composition of the student body in both geographical and social respects. The wealth of observations possible here forces one to be selective. The background of all Student types – and this is one of the most important findings concerning the universities of central Europe and the German lands – was essentially urban. At the end of the fifteenth century, one town in two in the Holy Roman Empire (if one proceeds on the basis of around 4.000 towns and market-towns in the overall Empire, including the Netherlands) sent students to one or more universities. Consequently, the extremely rapid growth in student matriculation in the Empire was accompanied by a continous process, whereby places of origin came to be increasingly concentrated in the towns. With the exception of England, where there was apparently a rural majority,
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this was also true elsewhere, for example in Poland, France, Castile, and throughout the classic town networks of older, southern Europe. Urbanization and university education were closely connected in scale. One should not for all that, however, underestimate the village and rural element in university attendance. It is true that, in the university system of the Empire, one naturally has to cope with marked regional fluctuations in the proportion of ‘village students’, yet similar to the municipal process, there was also a process of village and rural concentration, especially in the immediate vicinity of the universities. The university was peopled, according to the primitive polarizations of the general university statutes, by grand folk and small (magni and pari) in a social sense, by rich and poor (divites and pauperes), by those of higher and of lesser rank (superiores and inferiores) and by especially marked illustrious, noble, honourable, and meritorious personages and dignitaries (illustres, nobiles, honesti, meriti, tenentes statum honestum, habentes magnos status), all of whom stood apart from the merely simple or common (simplex or communis). All, whether noble or not, rich or poor, had, it is true, in the event of any dispute, the right to the same statutory and duty-bound treatment by the rector or other leading university figures – yet students knew full well that their community, like any other social formation, was governed by an ‘order of difference’. Meticulous and fitting regard for the personal rank of university members was seen as one guarantee of the continuing existence of the university, because no community could sensibly exist without such regulations of distinction. What was meant by this was by no means only the internal differentiation in terms of faculties and graduates, but even – and sometimes 205 especially – in terms of such public matters as the | regulation of positioning for the public and non-public acts of the university at sessions, disputations, quodlibets, or church Services, Orders of procession for when the community presented itself to the outside world, even Orders of enrolment for supplications to the pope, which in many universities even served as general ordinances, and not least even orders of graduation. Universities responded to the pronounced need of noble and bourgeois, clerical and lay people of the day to think in terms of rank and standing; as succinctly expressed at Oxford in the year 1432, all were always to be accorded the accustomed honours (consueti honores).5 5 Schwinges, Universitätsbesucher (note 2), pp. 343ss.; Strickland Gibson (ed.), Statuta Antiqua Universitatis Oxoniensis, Oxford 1931, p. 239.
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Particular care was, of course, called for when, at the start of a procession, an order of seating according to graduation or social status had to be transformed into a moving column with university members aligned alongside and after one another. The university proctors and ‘protocol officals’ specially appointed for the task had to supervise both seating and marching order. One can be sure that, within the formal framework of statutory orders, there were informal wrangles about the placement of individuals. University servants were threatened with severe fines if they ushered somebody adiocum sibi non competentem – to a place not fitting for him. After the rector were placed students of rank and specialists, both thus coming before, or at least alongside, the doctors at the apex of the graduate hierarchy; then came the masterstudents on a par with the lower students of rank – the university also thus demonstrating the reality of social inequality in nobility and church; and finally, the baccalaureate students and the throng simplices, who in theory came from all faculties but in practice tended to be from the arts. The world of the university and the world outside were deliberately interlaced – racione gradus aut status, as it was put in Vienna, according to academic rank or social position.6 This can be seen in more or less distinct form at all the universities of Europe. Many of them had rigid, formal ordinances which read almost like administrative regulations – for example, those in Prague, Vienna, and Heidelberg, in Erfurt and its entire ‘statute family’, in Oxford and Avignon, Toulouse, Aix, Bordeaux, Cahors, Valence, Dole, Orléans, and Caen, and in Coimbra, Salamanca, and Huesca as well as in Perpignan, which at that time belonged to Aragon. For many universities – for example at Paris, at Cologne, and at its ‘daughters’ Louvain and Copenhagen as well as at most Italian institutions, for example Bologna, Perugia, Pavia, and Florence – informal rules were clearly sufficient, without the differencia to be regulated for ever being forgotten on either side of the Alps. The ordinances listed, which covered a period of around 200 years, from the early fourteenth century | (Toulouse 1313) to the close of the Middle Ages (Valence 206 1490/1513), were – compared with each other – certainly stable over a period of time, as is to he expected from statutes, but nevertheless sometimes becoming more severe and exact as time passed (though it
6 Rudolf Kink, Geschichte der kaiserlichen Universität zu Wien, vol. II, Vienna 1854/Reprint Frankfurt am Main 1969, p. 91, nr. 14.
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was not until the fifteenth century that some universities put in written form what they had presumably always practised). Besides placement, other visible tokens of rank were differing fees, tied to faculty and Status, paid on entering the university and its subdivisions. Noble birth, high Standing in church and society, and the readiness to pay high fees were always convertible into Privileges that could be exploited throughout the university. During teaching, prelates, and the sons of the aristocracy and monied aristocracy naturally sat in the front rows. As in the university churches during meetings, Services, and disputations, so in the lecture halls as well, the seats at the front were reserved for the nobiles, honesti, and notabiles – the noble, honourable, and high-ranking. In Aix-en-Provence, such ‘separate seating arrangements’ were explicitly justified in the new statues of 1420–1440 by the argument that it was not seemly to place high-ranking people on the same level as lesser mortals. Always, however, students of (urban) bourgeois origin had the possibility of buying themselves a statum honestum on the ‘noble bench’. For the universities of medieval Europe were from the outset urban phenomena, responsive to the economic power and culture of the bourgeois majority. It was even possible, as at the Prague law university after 1372, to acquire higher social prestige after the event and as it were, in instalment payments, by subsequently adding to the normal seating price first paid the price difference for the noble bench. In the ‘refined milieu’ of Orléans, a gradation in seat prices was fixed as early as in the statutes of 1307: for a place in the first row ten shillings were payable, for one in the second six shillings, for the third four, and for the fourth and every subsequent row two, unless one were excused by poverty – which, however, amounted only to saying that the poor student had virtually no chance of ever getting farther forward than row four.7 Roughly speaking, the student body normally consisted of three strata: the large central stratum of the rich (divites) was flanked on either side by more or less broad peripheral groups against which it stood out: above, the nobility, church dignitaries, and other people of status (nobiles statum tenentes), and, below, the poor students ( paupers). This
7 Aix: Marcel Fournier (ed.), Les statuts et privilèges des universités françaises depuis leur fondation jusqu’en 1789, Paris 1890–1894, Reprint Aalen 1970, vol. III, p. 12, § 32; Prague: Monumenta Historica Universitatis Carolo-Ferdinandeae Pragensis, vol. II, Album seu Matricula Facultatis Juridicae Universitatis Pragensis (1372–1418), Prague 1834, p. 162; Orléans: Fournier (ed.), Statuts, vol. I, p. 23, § 30.
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division into nobiles, divites, and pauperes was to be found throughout Europe, occasionally expressed in different terms – for example in the Iberian peninsula where the corresponding distinction was between ricos, medianos, and pobres.8 In addition, there was a | plethora of intermediate 207 forms from half-rich to half-poor, which reveal awareness of the fact that none of the social strata could be socially homogeneous and that there were grey areas in both the upper and lower regions. It goes without saying that, quite apart from the European north-south divide, all these things were also subject to temporal change. University attendance was neither a matter of course for the nobility of the Middle Ages nor at all necessary. The host of privileges which the universities granted, especially to the students of noble rank, bore no relation to their numbers. Probably, they nowhere exceeded the proportion of the nobility in the population at large. The lay nobility, whose political and military functions were still dominant, had no need of a university background. The case was somewhat different for the noble clergy, who came via their benefices at cathedral and collegiate chapters to the university, even if only to do the prescribed biennium, the two-year training course within the framework of the basic arts or, mostly, the basic law programme. Yet even clerical nobles remained relatively few. It is true that the universities of older Europe had, almost as one might expect, somewhat higher numbers of student-noblemen than those of younger Europe, above all in the fourteenth century in the vicinity of the French or papal courts at the law universities of the Midi, but also those of Italy and Spain (Salamanca, Lérida) – and this irrespective of the fact that many of these universities, such as Avignon, Montpellier, Bologna, and Padua (Orléans should also be added), were centres of international rank, goals for the educational journeys of the European aristocracy. In the Holy Roman Empire, but also in Poland and England, the attendance figures for students of noble rank rose only in the last decades of the fifteenth century at the dawn of the modern period, when the nobility of Europe as a whole set about regaining lost ground in state and church in the only way open to them, in view of the severe competition from a bourgeoisie now self-confident in the social and economic spheres and increasingly well educated at school
8 C. M. Ajo González de Rapariegos y Sáinz de Zúniga, Historia de las Universidades Hispánicas, vol. I, Medievo y Renacimiento Universitario, Madrid 1957, p. 387 (Lisbon-Coimbra).
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and university. In order to counter education and training with more than just honourable birth, they likewise decided to embark on university education – a step which was all the easier to take as they did not have to forgo their accustomed privileges. Apart from the aristocracy and high ecclesiastical dignitaries, who as a rule sought to be near popes, kings, princes, or high-ranking churches, the overwhelming majority of students all came from within the vicinity of the universities. A tightly spun web of social geography comprising familiae, table companionship, and patronage groups, mostly based on kinship, friendship, or compatriotism, surrounded the university. In the medical university at Bologna, for example, brothers, sons, and nephews were given preference over others as a matter of course and in ‘full knowledge of the Statutes’ High-ranking men in the church and at court, members of parliament in England, university 208 professors, legal scholars and practitioners, merchants, | and burghers (especially town councillors) – such was the family background of the protégés. Admittedly, they often arrived at university without office or title and hence were ‘not yet anybody’, but this was more than compensated for by their origins and connections. And yet, for all this, this exclusive group, exempted from the normal fees even at matriculation on account of their ‘wealth of connections’, were only the tip of the proverbial iceberg; familia structures for the most part permeated the entire student body. Of all the strata in the student body it is precisely the most numerous whose composition is the most difficult to grasp. If one follows the sources, the rich (divites, solventes) only from outside, from what it is not. Its members were neither of rank, nor already in office, nor again linked to a clientèle, nor finally dependent on remission of fees like the poor. About where they came from, about the standing and profession of their fathers or other relatives, medieval sources – the named excepted – rarely give any information. The members of this central stratum have only one thing in common: on their path through university, faculty, nation, and college, they always and everywhere paid the fees and honoraria demanded. Small wonder that they were described as divites pure and simple. Through all the economic, political, and demographic fluctuations of the age, the universities of older and younger Europe alike, the strongholds of law and of the arts in equal measure were continually concerned to attract a sufficiently large number of rich students to ensure their continuity viability. Divites were the representatives of almost all the collective characteristics of university attenders
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from the simplex to the specialist student. The patterns of living and studying were geared to them, above all. After all, they were the ones who really carried the university in a social and financial sense, thus helping substantially to guarantee its regional existence. Like every stratum, that of the divites was rich in social gradations. Doubtless there was little difference from the social stratification in the place of origin, since every person who matriculated brought with him his rank and that of his family. An analysis of stratification would hence have to be transferred from the university to the place of origin, where the students’ families and their position in the local social matrix could be traced. Here, however, there is a lack of local research into the correlation between university attendance, education, and stratification in towns and villages, both on a regional and, even more so, on a national and international level. In addition, in most European countries, the very prerequisites in terms of university sources, which would make such an undertaking feasible, are absent. And so one must rely on conjecture. For the Holy Roman Empire, one fact can be established by way of comparison: in the course of the late Middle Ages, and with special impetus in the second half of the fifteenth century, there was a push to university education by a group from the leading political and economic echelons of | rowns great and small – a group restricted in rather 209 large numbers but largish relative to the population as a whole. In the university towns of Cologne, Heidelberg, and Vienna these people were members of merchant, commercial, and often burgher families with entrepreneurial tendencies and the capital to match. Their activity and comparatively higher incomes were paralleled by higher matriculation numbers. In contrast, although the ‘golden age of the craftsmen’ did admittedly bring the greater number of their sons to university, they were less strongly represented in comparison with their presence in the populanon at large. This did not, however, prevent the majority of them from joining the broad circle of students of adequate means in the central strarum. It seems as if the merchant and craftsman professions characteristic of the many different towns – in conjunction for the most part with generative higher incomes – displayed the greater attraction to university education. Among the families of origin in the crafts, the armourers of Cologne were matched by the shoemakers of Heidelberg and the pewterers of Vienna. Within the Holy Roman Empire, all the above holds equally true for those of village and country origin. The poor ( pauperes) – without means, often without name (family name), and above all without connections – formed a problem group
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at the lower end of the community, in many respects disadvantaged, to a large extent separated from the other Student groupings, and even lacking in cohesion among themselves. The medieval university had no social commitment to improve their lot. On the contrary: the path through the university held far more obstacles for them than for others, all the more so since social attitudes towards poverty took a turn for the negative in the period 1200 to 1500, the old idealization of voluntary poverty becoming a thing of the past. The universities – i.e. the rectors, treasurers, and accountants, the doctors, masters or master-students, and specialist students, who offen lived, as it were, as educational entrepreneurs from the revenue from fees and honoraria – were increasingly demanding: individual solvency or insolvency was appraised from the standpoint of total self-interest. Only thereafter did they accept or grant a certificate of poverty. The University of Freiburg im Breisgau kept a special book, the liber taxatorum, to keep a check on the recognized poor. Nulli parcere – to spare no one – was the strictly kept precept in Erfurt.9 There existed all kinds of facilities for the poor: dispensation from fees, special lectures, or the awarding of doctorates by the pope – in forma pauperum. However, these facilities had connotations of social lowering and were, at best, commitment through passive encouragement, which, in the final analysis, helped only to cement the marginal position of the poor. Moreover, scholarships and special places for pauperes were a rarity, particularly at the end of the Middle Ages. Nor were they to be expected | according to the traditional rules of community in medieval societies. A pauper’s living or a place in a hostel for poor students (domus pauperum) as allocated not according to proven want and actual need but often according to the quality of the social ties between the usufructuaries and the benefactors, who were invariably private individuals and who everywhere gave preference to relatives, friends, and compatriots. Scholarships in English Colleges, as Rashdall remarked, “were filled with men whose parents were quite well able to pay for the Support of their sons”,10 and elsewhere in Europe things were no different. Among the first institutions to break through this kind of social conditioning, at the close of the fifteenth and the outset of the sixteenth century, were the Standonck Colleges. The
9 Hermann Weissenborn (ed.), Acten der Erfurter Universität, vol. I, Halle 1881/ reprint Nendeln 1976, p. 12. 10 Rashdall, Universities (note 2), vol. III, p. 412.
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theologian John Standonck from Mechelen, who, though himself the son of a poor cobbler, had attended university in Louvain and Paris, knew the situation of the pauperes at first hand. Colleges named after him appeared first in Paris at the Collegium Montaigu in 1490 and later in Louvain – whose statutes explicitly admitted only the genuine poor and not the sons of the rich and mighty, as improperly occurred everywhere. If, however, one believes Erasmus of Rotterdam, then the poorhouse of Montaigu seems to have been a pretty wretched place with a repressive style of management.11 Nevertheless, between 15, and 20 per cent of the students attending the universities of both older and younger Europe – at least north of the Alps – were poor, though the exact figure depended on the economic cycle. Indeed, the poor were not easily shaken off their university attendance by external influences (e.g. wars and plagues) – with, of course, the exception of rising prices. There was no sharply defined boundary between ‘rich’ and ‘poor’ at the universities but rather a fluctuating border crossed and recrossed by ‘commuters on the economic cycle’; in the matriculae they were fittingly described as semidivites or semipauperes. Poor students often ignored the universities close at hand, preferring the large and above all cheap universities with less social prestige in the big cities of easy access (in the Holy Roman Empire: Vienna, Leipzig, Cologne, and Louvain; and the Anglo-German nation in Paris). Here they could still live relatively cheaply even in periods of crisis and perhaps had a better chance of finding occasional Jobs or of begging. In this environment of poverty, the only ones who could attend university according to the social rules were those who successfully managed to acquire a social partner by acting as a live-in servant ( famulus). Such positions – mostly within the framework of the university and far removed from mere occasional jobs – were obtained by patronage. Recommendations from acquaintances, friends, and relatives and often also the same place of origin as the master proved more decisive than the ‘free market’. The social advantage | of belonging to the familia of 211 a university teacher (of as high rank as possible) perhaps made up for the onerousness of service. At least, this form of student support seems to have been the type most suited to the Middle Ages.
11 Marcel Godet, La congrégation de Montaigu (1490–1580), Paris 1912, pp. 31ss. – Erasmus: C. Dupille, Les Enragés du XV e siècle. Les étudiants au Moyen Age, Paris 1969, pp. 113ss.
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Although the medieval university was organized in individual bond groups, it was not organized hierarchically. Faculties, nations, colleges, student hostels, and other groups were, for all the variety of the respect in which they were held, relatively independent units on a shared organizational level. They were sectional parts with many areas of overlap, though linked together like the cells of one organism drawn from among the individual families of doctors and masters. The oldest and at the same time the most significant groups to which those attending universities belonged were the ‘nations’.12 Their heyday admittedly, was limited by and large to the universal phase of European university history before the schism of the papal church in 1378 and was hence necessarily confined to the universities of older Europe in the west and south. Largely independent of linguistic, political, and geographical boundaries, university nations were anything but nationally-minded constellations or even agents of national ideology as the term ‘nation’ might suggest. Nations were rather organizations of convenience based on like interests ranging from the welfare of members to a share in the government of the overall university. Accordingly, wherever they sprang up, the nations defined themselves as fraternitates, societates, congregationes, corpora, or collegia – as brotherhoods, associations, congregations, corporations, or colleges; they were the living communities in the university towns and cities, which for most students constituted an unknown, alien environment. Their significance and weight varied greatly from one university and country to another, depending on the influence of their representatives (procurators or councillors) or on the political and social government of the university (for example, in the election of the rector). It also depended – a factor directly connected with the above – on the student group from which the majority of their members were typically drawn. Here one can observe a substantial disparity between the older and the younger social forms: in Bologna and other law universities, where the administration tended to be decentralized, the students of rank and specialist
12 Pearl Kibre, The Nations in the Mediaeval Universities (Publications. The Mediaeval Academy of America 49), Cambridge Mass. 1948, pp. 137ss.; Alexander Gieysztor, Management and Resources, pp. 114ss. and Hilde De Ridder-Symoens, Mobility, pp. 282ss., both in: A History of the University in Europe, vol. I: Universities in the Middle Ages, ed. by Hilde de Ridder-Symoens, Cambridge 21994.
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students were in preponderance; in Paris, it was the baccalaureates of arts and the master-students who dominated, to the complete exclusion of the simplices, who were not even registered in the matriculae of the nations and gained entry only through being linked to a master; and in the younger universities, which already had a central administration | – such as Prague, Vienna, or Leipzig – all student types were 212 represented, but in proportions which meant that precisely the simplices were the overwhelming majority of the ‘regular’ members. The latter were thus the social linchpins of the nations there but they did not have a parallel political function and were hence of only subordinare importance. In the jobs they performed for the communities, however, all nations more or less resembled one another: they all had their own leaders and administrators, procurators, proctors, money-receivers, and notaries; they all had their own seals, matriculae, and budgets; they took care of discipline and organized supervision and training courses; they had their own celebrations and special church services, thus honouring their own patron saint; and the longer the Middle Ages continued the more they saw it as their paramount task to support their members away from home and in any situation of danger, to give them succour in times of need and illness, and, in the event of death, to arrange a worthy funeral. Alongside nations, colleges, halls, and bursae, there was also a wide variety of completely free student associations, of which, however, little is known. Many ostensibly had organizations like the then customary brotherboods of merchants, craftsmen, and priests. One of the rare examples hails from Avignon where in 1441 more than 100 students of law founded a Sebastian’s Brotherhood. Under the leadership of a prior and twelve-strong advisory council it was to organize common divine service and processions, to foster communal and harmonious living among its members, to care for them in times of illness and want, to support them in conflicts with outsiders, and, if need be, to give deceased brethren a decent burial. These were the same tasks as were otherwise performed by nations, only here the origin of the brethren was of no significance. Elsewhere, student brotherhoods with a regional or local emphasis were formed. One of these was the Brotherhood of ‘Our Dear Lady’ for Paris students (mainly of arts) from Ypres, which received official approval in 1331; in Paris it had links with the Picardian nation. The special thing about this kind of community was that it brought together in their place of origin students and non-students, present and former students, clergy and laity, men and women, and,
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beside the usual functions of a brotherhood, also concerned itself with the financial support of students. In Italian university towns, students, craftsmen, and merchants from north of the Alps came together in unique sociciates which pursued common religious and cultural but also economic interests. Thus, in Perugia, there was from 1441 a documented Franco-German Confraternitá or Compagnia degli Ultramontani ciò theodeschi e frandosi. In the course of the fifteenth to sixteenth century, its organisation was taken overby the students (mostly lawyers), who then gradually forced the others out. Eventually, the two nationalities also separated.13 213 | Below the formal level of the university and its sectional units, table companionships, and brotherhoods, students of all types met in small groups which had often, coalesed on the journey to the university town and had been continued during die time of study. Forming groups and joining motley travelling associations were nothing uncommon, given the general hazards of medieval travel; these small groups, however, were something special. They were entered by the university rector in the general matriculae and thus received a good deal of attention from university officialdom. On account of the sources, admittedly, these small groups can be observed only in the universities of central Europe, from Louvain to Cracow and from Rostock to Vienna; there, however, they are so omnipresent on the scale or 15 to 30 per cent that – not least in the light of the ‘Italian journey’ phenomenon – one can probably view their existence as the general state of affairs.14 The composition of the groups and the number of their members varied. There were groups of masters and students, groups of monks, groups of noblemen with their retinues, groups of relatives, and, as the substantial majority, open groups of compatriots. The close identity of home region, which obtained so often, defined all five types. Numerically, the type found most frequently at German 13 Fournier (ed.), Statuts (note 7), vol. II, pp. 417–420 and 440ss.; Paul Trio, A Medieval Students Confraternity at Ypres: the Notre Dame Confraternity of Paris Students, in: History of Universities 5 (1984), pp. 15–53; Fritz Weigle, Die Matrikel der deutschen Nation in Perugia (1579–1727), Tübingen 1956, p. 8; see also De RidderSymoens, Mobility (note 12), p. 285. 14 Rainer Christoph Schwinges, Studentische Kleingruppen im späten Mittelalter, in: Politik – Gesellschaft – Geschichtsschreibung. Giessener Festgabe für Frantisek Graus, ed. by Herbert Ludat and Rainer Christoph Schwinges (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 18), Cologne/Vienna 1982, pp. 319–361 [reprinted here]; Sven Stelling-Michaud, L’Université de Bologne et la pénétration des droits romain et canonique en Suisse aux XIIIe et XIV e siècle, Geneva 1955, pp. 82ss.
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universities was the ‘cluster of two’ or Paargruppe (70 percent). This was clearly the most appropriate type of group formation, both on the journey to university and at university, in the bursa and the familia of the master: quite apart from the student world, it was a basic pattern of medieval mobility in general, affecting other social forces as well, such as the journeyman-craftsman. It was, above all, the equal rank of the members that gave these small groups – with the exception of the lord-and-servant groups – their stability. Poor and rich students mostly kept company with their peers. Lodgings Over a long period of time, nations and faculties employed for themselves the term collegium, as befitted their character as individual bond groups. Alongside them there had existed since the thirteenth century a further sectional unit of the university, for which the term collegium was also used, denoting a more rigid form (more of an institution, a specific form of organization and living for students of all types). This institution was – it could hardly have been otherwise – close to the church, in part even down to its architectural shape, being comparable in form both to the monastery and to the | collegiate church, 214 the architectural configuration of the college, that is to say, buildings grouped in a square around a central court and generally including a dining-hall, living-rooms and bedrooms, a kitchen and cellar, a lecture hall, a library, and a chapel, was in its developed form to leave a decisive mark on the institutional self-understanding of the university, first in older and then in younger Europe. One of the very first, the renowned college of La Sorbonne in Paris, founded in 1257 by the chaplain of Louis IX, Robert of Sorbon, formulated the central idea of the future college system in exemplary fashion: vivere socialiter et collegialiter, et moraliter, et scholariter – a formulation which implies the existence of a study community organized in the form of a brotherhood and living together in regulated and moral fashion.15 As opposed to mere hostel foundations and elementary forms of collegial living, such as the Collège des Dix-huit with beds for eighteen ‘poor
15 Palémon Glorieux, Les Origines du collège de Sorbon (Texts and Studies in the History of Mediaeval Education 8), Notre Dame Ind. 1957, p. 17.
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clerics’ in the hospital of Notre-Dame (1180), or the Collège des Bons Enfants de St Honoré (1108–1109), the ‘Sorbonne type’ brought with it two novelities, above all. On the one hand, such institutions were endowed with at times substantial holdings in land, property, and fixed-interest capital, which could be considerably increased during the course of the Middle Ages by the acquisition of benefactions and by ground-rent. In addition, they could have special privileges which, for example, facilitated cheap housekeeping by granting the right to produce or to import duty-free commodities such as bread, meat, beer, and wine. The college fellows benefited from all this, as if they were holders of a scholarship. They received free board and lodging and a weekly allowance – the bursa (purse) – and, not infrequently, even a contribution towards their summer and winter clothing or academic dress. The number of college members (bursarii, collegiati, socii) corresponded to the financial strength of the individual foundation. The length of stay in the college was in principle limited: in practice, however, it was extremely flexible even within one and the same institution. On the other hand, there was a new pattern to the say, regulated by the college’s own statutes, with most of the time taken up by disciplined studying. The latter was, it is true, still strongly indebted to church models, but it can be seen as the first pedagogical scenario for communally organized study outside the educational world of the church and monastery. At first, this activity was restricted to repetition of an exercise in material encountered outside. During the later Middle Ages, however, university courses in all subjects, but especially in the arts and in theology, were transferred into the colleges themselves. At the end of our period, the situation over much of Europe was dominated by the colleges, above all in England and France; in Paris, in 1445, it 215 was baldly said that the entire university was situated in its | colleges, and this statement held equally true for Oxford and Cambridge.16 By then, even non-college members were attending the college courses. The faculties did little but organize examinations and award degrees. In this form, the college system also exerted influence on other spheres of education, for example on the famous English public schools of Winchester (1581) and Eton (1440), on the arts and grammar schools in Languedoc, instituted by Pope Urban V (1361–1370), and also on the
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Rashdall, Universities (note 2), vol. I, p. 519.
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extra-university study foundations in Spain, from which subsequently, through papal grants of privileges and the right to a ward doctorates, the new type of ‘college university’ could emerge – first in Sigüenza (1476–1489), and then also in Alcalá (1499) and Seville (1502–505). The constitution of the colleges was essentially no different from that of the other sectional parts of the university. They took care of their own privileges and statutes, and ran their own administration over a varying range of affairs. Just as nations and faculties were under the proctor and dean, so all college members and their associates, servants, and chaplains came under a principal (a dean, rector, regent, or warden), who was himself more or less stringently responsible for his college to the university governing body, to the chancellor or the diocesan bishop concerned, to superintendents appointed by princes or municipalities, or to especially instituted visitors. The colleges were clearly moulded by the social milieu of their age. This was due in part to their founders and conditions of foundation. The benefactors were usually the great figures of the land: kings and queens, princes and princesses, together with the remaining aristocracy, the pope, cardinals, bishops, and canons of major churches, councillors to kings and princes, municipal authorities, and even professors, who admittedly had habitually earned their foundation capital through some characteristic dual role as men of the church, personal physicians, law scholars, or court theologians. Bourgeois foundations were still rare in comparison, even if behind not a few royal or princely names (e.g. Queen’s College Cambridge, 1448) there was a good deal of bourgeois money. Those most likely – qualitatively and quantitatively speaking – to emerge as benefactors were personages in high offices of state, court, or church. This was the case in Paris with Robert of Sorbon, the royal chaplain and canon of the cathedral of Notre-Dame and – to name but a few instances – in Bologna (Collegio di Spagna, 1364) with Cardinal Gil Albornoz, dubbed the second founder of the church state, in Valladolid (Colegio Mayor de Santa Cruz, 1479) with Cardinal Pedro Gonzáles de Mendoza, the chancellor of Castile, and, it would seem, especially in England with English prelates: all the larger English colleges were founded by bishops who were or had been lord chancellor of England, as for example was the first, Merton, founded by Walter de Merton, bishop of Rochester, in 1264. The selection is, at least in geographical terms, not entirely arbitrary, for such benefaction | was, 216 until the close of the Middle Ages, a phenomenon more of the west and south than of the remainder of Europe.
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Whatever the rank and size of the foundations, the motives of the founders were usually similar. However much they changed in the course of the later Middle Ages or were complemented by charitable, educational, intellectual, or political factors, two fundamental motives – one religious and one social – remained relatively continuous. The first was a formal religious motivation, in that the foundation arose out of concern for the founder’s own soul and that of his family (donatio pro anima). College members, as beneficiaries, had the duty of rendering perperual prayer and divine service for the founder’s salvation. Closely connected wirth this as part and parcel of the life pattern of traditional societies were social motives. It was not that the founders had social engineering at heart. In the Spanish College in Bologna, even highranking members received elemoysinas – alms – but the reality of the allocation of places allegedly reserved for pauperes belied the name.17 The social motivation had instead a familia character; naturally, this was first and foremost true of secular foundations and less of those of monastic orders. The chance of college membership was closely linked to the local and regional network of the founder’s familia, be it that of a prince, of the church, of a municipality, or of a private individual. In most cases, preference was given, in hierarchical order, to relatives, family and friends, and family associates, the inhabitants of the founder’s town of birth or town of origin, compatriots, or diocesan members. The patronage of the founder was disseminated through the administrators of the foundation and the visitors to the college members, who had family connections of their own and could accordingly co-opt further members. Links between regions and foundations could be numerous: in Paris, for example there were the Collèges des Daces, d’Uppsala (des Sueses), de Skara, des Ecossais, des Lombards, and des Allemands. The Spanish College in Bologna admitted by statute first and foremost Castilians, then Aragonese, then Portuguese, and lastly Italians, on the condition that these ‘foreigners’ would have to withdraw if further Spanish applicants were to come forward. New College, Oxford, was, by the founder’s stipulation, reserved primarily for students from the bishopric of Winchester; the family connections of the fellows allowed additional emphases to emerge, with several areas and even small
17 Gieysztor, Management (note 12), p. 118; Berthe Marie Marti, The Spanish College at Bologna in the Fourteenth Century, Philadelphia 1966, pp. 17ss.
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townships receiving special preference. In Germany, the professor of medicine Amplonius Rating had designated his Erfurt college foundation Zur Himmelspforte (Porta Coeli 1412) to be almost exclusivelv for the students from his home region in the electorate of Cologne and, above all, for inhabitants of his small native town, Rheinberg am Niederrhein. In the fifteenth century the latter thus became, on a head count, one of the leading ‘graduate towns’ of the Holy Roman Empire. In | comparison with these widespread social-geographic factors, all 217 other admission criteria were of lesser importance. Among those attending the universities of Europe, college members were thus a privileged and protected minority, though they were not a socially homogeneous group or a closed-circle élite. The differing rank and capital of the founder, the personal rank of the college member, and not least the faculties attended ensured this. Many colleges were modest and small, catering for the young arts student of the simplex or baccalaureate type and for his social background. Others again were open almost exclusively to students of the higher faculties, to masterstudents and specialist students, or solely to graduates, wich bachelors of arts being the least frequently accepted unless non-graduates had sufficient prestige or prior education. For a long time, students of theology or of arts and theology were in the majority – and not only in the institutions of the various monastic orders. From the fourteenth century on, however, students of law – both canon and civil – gained more and more college places and began to push back the arts and theology predominance. The arts colleges founded at the University of Cahors in the second half of the fourteenth century were clearly so uncommon in the ‘law area’ of southern France by that time that they were transformed into colleges of law in the following century. Kings and princes and men of court and of church increasingly used their foundations of those entrusted to them to strengthen their staffs, recruiting the next generation of legal scholars for the church and the civil service. Older Europe, especially Oxford and the universities of the south, were in the vanguard here. One should, however, beware of overestimating things. The majority of students of law, being as a rule specialist students and students of rank, had no need of college places. Thus, at a decidedly legal university such as Orléans there were no such foundations; and it was not by chance that Italy and the Iberian peninsula had relatively few colleges; only in the sixteenth century, under different conditions, did the situation change. The situation may
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have been similar for the medical scholars, who did, it is true, receive individual places at colleges, but rarely – with the exception of Montpellier – had entire colleges founded for them. The colleges of the Holy Roman Empire followed a path of their own. The members of the Prague Carolinum, the Vienna Collegium Ducale, or the Major and Minor Colleges in Leipzig were, admittedly, in the majority of cases, master-students and specialist students like many of their European fellows; yet, from the very outset, they were employed to teach in the faculty of arts by the university founders, who – territorial rulers, princes, and municipalities alike – were also the founders of most of the colleges. The college member who had at least the master of arts degree was a magister regens and hence a professor for the arts students; his position was the forerunner of a chair in this faculty and his scholarship money consequently a remuneration of his teaching. This ‘German model’, which incidentally had its imitators 218 | elsewhere in younger Europe, in Scotland and Poland and probably in Sweden also, had little to do with the ancient and widespread practice of younger students receiving teaching and guidance from older students – the tutors of the English colleges. In the German case, the student element always had a professorial overlay. Despite their contemporaries’ alacrity in establishing new colleges, the great majority of students of whatever type and whether graduate or not had to look around for accommodation, even in richly endowed Paris, where during the fifteenth century at most 15 per cent of university attenders had the benefit of college membership.18 Basically, there were from the outset only two possibilities: either one lived alone or with others in rented or subrented private accommodation, or one lived in communal fashion in a student house licensed or supervised by the university, for which there were several different terms current: domus, hospicium, paedagogium, contubernium, regentia, bursa, aula, or in English ‘hall’ or ‘hostel’. As a rule, the house was run by a master of the arts, who likewise had to have a licence for the job, or by a specialist student with a higher degree. The former possibility was the habitual state of affairs in the lawyerdominated universities of western and southern Europe, from Orléans to
18 Jacques Verger, ‘Collegium’, in: Lexikon des Mittelalters, vol. III, München 1986, p. 41. – In Oxford and Cambridge 10–20 per cent also: T. H. Aston, G. D. Duncan, and T. A. T. Evans, The Medieval Alumni of the University of Cambridge, in: Past and Present 86 (1980), p. 14. – In the Empire the estimation is lower than 5 per cent.
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Bologna and Salamanca. Students of almost all types resided as lodgers (cameristae) in the houses of townsfolk, in student boarding-houses or in the households of their professors, arranging to be fed and looked after either there or elsewhere as table companions (commensales) or paying guests for meals ( portionistae; in Spain, pupilos). In the arts-and-theology environment north of the Alps, with its large numbers of young arts undergraduates, private lodging was largely restricted to masters and specialist students and to groups on the margin of the student body: on the one hand the high-ranking students from the nobility, the upper reaches of the clergy, and the rich bourgeois class, who often took up accommodation with their servants and private tutors, and on the other hand the poor students, who could neither afford the hostels nor obtain places there or elsewhere as servants. Not everywhere were there, as in Vienna, special Bettelkotter (coderie) – cheap and lowly digs where the poor rubbed shoulders with the poor. The second possibility, which the universities always encouraged, had economic good sense and social behaviour patterns on its side: when away from home, students and masters of the same language and origin naturally tended to come together to live in communities suitable to them; this met the need of a connection with the master and his familia and in addition fulfilled the desire of the university administration and of other secular and | ecclesiastical bodies to over- 219 see housing. From the fourteenth century on, this latter desire led to a general residence requirement. Around 1410, for example, and again – with royal support – in 1420, Oxford impressed upon all attending the university, even young students of law, the obligation of residence either in the colleges or in the authorized halls. The hope was that this would put a check on the ‘chamberdeacons’ – students living at large in the town without permission or ties, allegedly sleeping by day and by night leading a shocking life of plunder and murder in the taverns and brothels. The general tenor of such ordinances, which acquired the rank of Statutes, can also be found throughout the northern part of the continent – in 1410 in Vienna against the outside students (extra bursas stantes), and in 1451–57 in Paris against the so-called Martinets (swallows). Nowhere, however, were such efforts very successful in practice. As the modern period approached, private lodgings proved more and more attractive, even north of the Alps: the many cameristae in Louvain were one good example.19 19
Gibson (ed.), Statuta (note 5), pp. 208ss. and 226ss.; Kink, Geschichte (note 6),
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Like the colleges, the English halls (Oxford) or hostels (Cambridge), the Parisian hospices or paedagogia, and the bursae of the Holy Roman Empire were genuine sectional parts of the university. For the majority of their inmates, the hospites or bursales (from which is derived the later German term for a student, Bursche), to attend a university was often no more than to be linked to such an institution, in the geographical, social, and intellectual sense. The head of the ‘house’, the principal (rector, regens, conventor) accredited by the university, was himself – or with the help of further masters – responsible for the appropriate furnishing of the building he had bought or rented, as well as for board, lodging, and academic teaching and learning. In return, his student familia paid him the weekly purse, the fee for board, lodging, and study, customarily calculated on a weekly basis. The communal life naturally gave such Student houses their own unique regional and social characteristics. In general, these resembled those of the colleges (and in part also of the nations), since both were based on a familia or compatriot footing as well as on the rules of social propinquiry. The will of the college founder was merely supplanted by the pull of the ruling master. And so, according to the origin of their principals, the student houses represented particular spectra of the university catchement area – spectra which could of course shift in the course of time – or were downright exclusive, such as St Edmund Hall for the Welsh in Oxford, the Olavsbursa in Rostock largely preserved for the Norwegians, the Swabian Bursa in Heidelberg or the Hungarian Bursa in Cracow, which, however, by no means accepted all Hungar220 ians but only those from certain towns, especially Szeged, Pest, and | Ofen.20 The social character of the institutions, all too closely linked to particular regions, depended solely on the status and financial means of the inmates. Bursae, halls, and hospices were anything but charitable foundations, even if, in certain cases, there were a few free places. The poor were, as a rule, granted admittance only as servants, and thus worked to pay all or part of their weekly fee. Student hostels, one presumes, ranked the higher the more favourable was the proportion of
pp. 234ss.; Rashdall, Universities (note 2), vol. II, p. 526; E. De Maesschalk, De ‘goede’ en de ‘eeuwige’ student. Tucht en huisvesting te Leuven in de 15e en 16e eeuw, in: Alumni Leuven, 9/1 (1978), pp. 11–15. For the figures see Gieysztor, Management (note 12), p. 118. 20 Karl Schrauf, Regestrum Bursae Hungarorum Cracoviensis, Vienna 1893, pp. xix ss.
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communarii to semi-communarii (in Oxford, ‘battelers’), or, in more general terms, of rich to poor. The weekly prices were staggered accordingly: at the bottom of the list, in Vienna – if one ignores the special houses for the poor – were the ‘twopenny halls’ (Zwei-Groschen-Bursen); in Erfurt the sum would have just sufficed to obtain a midday meal at table in one of the big colleges. There followed ‘threepenny halls’ and perhaps halls in upward gradations of a penny a time. Presumably, there were similar subdivisions in many other university towns; in general, at any event, from Portugal to England, universities sought to control rents. The number of self-supporting student houses in the various university towns depended on demand and on the degree of institutionalization. It thus went up and down over the years with the economy, the fluctuations being far greater than in the case of the colleges. As a result, the number of houses can rarely be ascertained with any accuracy. Numerous hospices, hails, and bursae must have been so small and have had so short a life that they left no trace in the sources. In Paris, there was no doubt a thoroughgoing ‘school industry’, but without it being at any time quantifiable. Things were similar in Italy, Spain, and the lands on the periphery of the European university system. A point of reference can be found in Oxford, where, around the year 1313, the names of 123 halls were recorded; in the first half of the fifteenth century, however, they numbered around seventy and in the second half approximately fifty, with a mere eight remaining in 1530. In mid-fifteenth-century Cambridge, probably no more than seventeen hostels were being run. At the University of St Andrews in Scotland, there was only one paedagogium and one college, with students from 1506 onwards being entered in the matricula as belonging to the one or the other. As early as before 1400, there were ‘many houses’ (and six mentioned by name) in Prague. In 1413, Vienna had twenty-nine bursae, and thirty years later still eleven with six coderie for the poor. In Basle, there were seven bursae before 1496 and thereafter only four. The remaining universities of the Holy Roman Empire registered fluctuating figures; two to four institutions would seem, however, to have been generally sufficient. These figures, of course, are not directly comparable – and not only on account of the completely haphazard nature of the sources: a further problem is that the individual institutions had vast differences of capacity. To establish | a recognized community, the bursa integra of a 221 master-principle, it was adequate in Vienna to have three to four students; elsewhere, six would generally suffice. The upper limit was
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bounded only by the room facilities available and by student attendance figures. Thus, in the main bursae at the major German universities, several hundred persons could be accommodated; around 1450, for example, 194 and 246 students of the arts, respectively, were living and working in the two bursae of the Majus and Porta Coeli Colleges at Erfurt; the building complex of the latter contained twenty rooms (commoda), each thus housing on average twelve persons. In Paris around the same time, hospices such as the Sainte-Barbe are likely to have had seventy and more places on offer, a figure similar to the big collèges. In Cracow, the Jerusalem Bursa was set up in 1454 for a hundred inmates. On the other hand, the many halls at Oxford housed in mid-century an average of eighteen students, of arts and law alike; the approximately eleven arts hostels at Cambridge, meanwhile, accommodated from twenty-five to thirty on average, and the six law hostels, eighty. In contrast to Oxford, where the ‘single-hall’ type predominated, the hostels at Cambridge were larger and more ambitious in their facilities, having more rooms and buildings and, not least, more continuity. In this, they resembled a number of large bursae and paedagogia on the continent. A phenomenon common throughout Europe was the decline in student houses in the course of the fifteenth century, a decline quite evident in the cases of Oxford and Vienna. One can perceive here a process of concentration in which many of the smaller units failed to stay the course or were annexed by larger units, or eventually became outdated as forms of community. In western Europe, as the modern period approached, this process favoured the colleges or the emerging ‘college-universities’ as a whole. Parallel to this came a rise in the latter’s capacity for foundation. For some time now, there had been an ever stronger flow of inmates from the hospices, halls, and hostels moving as paying guests into those colleges which had already taken up the full business of academic teaching; independent units were being transformed into places of residence which, though not incorporated, were affiliated to the colleges and thus came under their supervision. Even before the century came to an end, for example, Merton College, Oxford, had acquired a ring of satellite halls – St John’s, St Alban’s, Colishalle, Knyght, and Nunn Hall; as a rule, they were overseen by older fellows, who became their principals. In Paris, too, masters and students gradually left the paedagogia and schools on the rue du Fouarre in favour of that good third of the colleges (some eighteen in number)
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which, around 1500, were already organizing all of the teaching (collèges de plein exercice). In the universities of central Europe, the colleges also profited from the demise of the student houses and indeed helped to bring it about. From the very outset, ‘college professors’ ran bursae of their own, which were, in some cases, integrated into their colleges to the extent of forming part of the | building itself. Such college bursae, in which 222 the bursales had to pay rent and board but did not have to contribute to the upkeep of their magister regens, must have been an unparalleled attraction in the university towns. In their shadow, the private entrepreneurial bursae had little chance of establishing themselves. This was undoubtedly the general run of events, true also in the case of halls, hostels, and hospices. Where the entrepreneurial bursae had to compete with the – mostly larger – college bursae, the course of the fifteenth century regularly saw the former squeezed out, all the more so since they also suffered keen competition from one another. Only ‘specialist institutions’ – grammar schools and humanist circles with special syllabuses and teaching styles, which at the same time often betokened a higher social level – were able to hold their own. The competitive situation is underlined by the repeated ban on soliciting freshmen, the often cheap-jack-like advertisement of individual bursae to freshmen – in Basle, for example, when their Rhine ships had just mooted and they were in the process of disembarking. The entrepreneurial bursa was able to come into its own only when there was no competition from college foundations, as was, remarkably, the case in Louvain and Cologne, the two most westerly universities in the Holy Roman Empire. Here, the entrepreneurs and their employees, who were employed as it were as ‘drillers’ (magistri exercentes), represented almost the entire arts faculty. In contrast to the college bursae, which in actual fact offered only exercises to accompany a course of study elsewhere, the attempt was made from the middle of the fifteenth century onwards to concentrate the entire training of arts students in these bursae, thus largely extinguishing the minor competition from four principals’ bursae in Cologne and four paedagogia in Louvain. This was a close approximation to the western forms of College education. In Louvain, the paedagogia came in part under strong influence from foundations and Colleges even before the Middle Ages had drawn to a close; in Cologne, on the other hand, the principals’ bursae evolved in the sixteenth century into grammar schools (Gymnasien), thus successfully
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surviving in type, albeit in different circumstances, whilst the rest of the bursae network in the Holy Roman Empire gradually disappeared. In western and now also in southern Europe, the great age of the college-universities was now dawning, while, under the influence of the sectarian age, and universities of the Holy Roman Empire and of its northern and eastern neighbours began to follow a logical course of development into professorial universities; the old masters’ or professors’ colleges of arts dissolved together with the student bursae. At the end of the day, there were professors with a bourgeois position and students with freedom to move and choose. Student Life 223 | None of the five types of European Student seems to have enjoyed
a good reputation. From the thirteenth to the fifteenth century the same laments are heard again and again from all quarters. Students are bawling and brawling, carousing and whoring, singing and dancing, playing cards and chess, are addicted to dice and other games of chance, are up and about cown day and night, are swanking around in inappropriate, fashionable clothing, are behaving provocatively to burghers, guild members, and town law-and-order forces, are carrying arms, and are even making use of them. It is not the university and knowledge which attract them but the diversions and seducations of town life. The University of Paris, preached Cardinal Jacques de Vitry (d. 1140), was an international parliament of sin, a rendezvous for vice-ridden souls the world over. The students of Paris – the cardinal continued – studied only in winter and spent the summer roaming far and wide; they went from one teacher to the next, attending no course to its conclusion, just doing the bare minimum to avoid losing their student privileges; they would, if need be, attend lectures in canon law solely because they took place at an hour when they had awoken from their slumbers, but they were nevertheless foolish enough to give themselves scholarly airs by the demonstrative carting around of ponderous folios.21 The chorus of the churchmen was taken up by the professors, who (in a stereotyped reaction which has held until today) were dissatisfied
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with the lifestyle and the work of their students. Odofredus de Denariis (c. 1100–65), one of the renowned glossators in Bologna, observed and commented forthrightly on the students’ excesses, penchant for luxury and pleasures, liking for fine clothes and amorous adventures, and predilection for dice, dance, and drink. The cardinal had in mind, above all, the young students of the arts, the simplices and baccalarii: the learned jurist, on the other hand, was referring to the elevated clientèle of the students of rank and the older students of law. The tenor, however, was the same. In the Italy of the thirteenth and fourteenth centuries, the professors – lawyers and grammarians alike – issued warnings in unison against idleness, upholding themselves and their profession as an example: the famed Azzo dei Porci of Bologna, they claimed, had lived so conscientiously that he had been ill only in the holidays and had even died when on vacation. In the late Middle Ages, such criticism took on an admixture of derision at the human failures which eventually resulted: risible, dissolute creatures – known in the Holy Roman Empire as henselini (nincompoops) – who had frittered away their youth at university, squandered their father’s money, learnt nothing but how to bring in the wine, and finally taken back home only shame. Such was the vision of | the professor of canon law in Basle, Sebastian Brant, 224 who found room for students in Das Narrenschiff (The Ship of Fools), his great social satire of 1494.22 Many such remarks and assessments, if taken together, would amount to an unmitigated histoire scandaleuse. Yet it would be no more true than the opposite tale of the diligent student fulfilling equally the academic and religious tasks of the age and dividing his university day between chapel and study, meal-times, and sleep. Both the vice-ridden and the dutiful student were, in most cases, the distorted products of cautionary tales. Literary confirmations could be collected without difficulty, from the carmina burana of the twelfth-century vagantes through the Canterbury Tales of Geoffrey Chaucer (b. 1340), to the ballads of François Villon (b. c. 1431). For the historian, the situation is a wretched one. Before the sixteenth century there are virtually no personal accounts from students which could offer a contemporary challenge to the anecdotal and rather haphazard source material which is available. Student letters were, as a rule, ‘SOS’ entreaties to parents, uncles, or patrons, full of
22 Steffen, Studentische Autonomie (note 3), pp. 122–126; Sebastian Brant, Narrenschiff, ed. by Friedrich Zarncke, Leipzig 1854, cap. 27 and 29, pp. 356ss.
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woe on the deprivations of life, now in prose now in verse, but forever pleading for release from problems of finance and apparel – so much so that one is tempted to believe that the letters must often be based on models in widespread circulation.23 Student behaviour was least felt to need regulation in the older law universities, above all in southern Europe, and most in the younger universities of central Europe. Judging by the number of pertinent statutes, it was here that university life was most closely superintended. One cannot, however, deduce from this that those attending the universities of central Europe were wilder than those elsewhere. It is true that the vast majority of them were young arts and masters students between the ages of fourteen and twenty; yet this was the case in, say, Paris as well, or at the English universities, without producing similar administrative measures there. It was also a constitutional question: whilst elsewhere the overseeing of students remained to a greater extent and longer in the hands of the old sectional associations – the nations, faculties, and colleges – in the universities of the Holy Roman Empire, which were from the outset centrally administered, student life was also centrally regulated to a far greater extent and in a substantial number of ways. A comparable state of affairs was not brought about elsewhere until the Paris reform of 1452 and the Oxford statuta aularia of 1489; in the remainder of Europe, however, such steps were not taken. One can see here a parallel to the rectoral matriculae, which are exlusively to be found in younger Europe.24 225 | The general statutes established norms for all matriculated members of the university from the doctor of theology to the beginner in grammar. In the medieval world there was nothing special about this and it should not only be associated with monastic rigours. Strict rules and regulations were ubiquitous: there were guild regulations, regulations for craftsmen and apprentices, regulations for burghers’ clothing, regulations for patrician community houses, regularions for princes’ courts, and more besides – all of them governing many different human groups and differing classes in their day-to-day dealings, leisure time, and social gatherings. In the statutorily governed colleges and student hostels it was not only knowledge, methods, and other standards of
23 C. H. Haskins, Studies in Mediaeval Culture, New York 1929, pp. 1–29 (‘The Life of Mediaeval Students as Illustraded by Their Letters’). 24 Schwinges, Admission (note 1), p. 179.
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academic life that were purveyed but also social skills and patterns of behaviour, whose function was to facilitate the way the entire community dealt both with its own members and with the less privileged world outside. The often elaborate commandments and prohibitions, which might well seem to be grotesque coercion when viewed against the backdrop of modern academic freedom, had beyond doubt their stabilizing function. There was a general concern – the earliest documentary evidence of which can be found in Cambridge (1136–54) – for the preservation of the public peace.25 Honeste se gerrere, decent behaviour, meant – from Lisbon-Coimbra to St Andrews – above all else, four things. First, it meant avoiding contact with women of all kinds, both outside and even more so inside the hospices, bursae, and colleges. In a close-knit, exclusively male society, which produced a surplus of men in every university town, thus disturbing the balance of the sexes and for that reason alone sowing the seeds of conflict, this was an understandable ban. Married doctors, masters, and students were relatively few north of the Alps even around 1500. In the south, on the other hand, they could be found more frequently. This different attitude towards women in the south is, moreover, documented by statutes.26 The second ban was on bearing arms, above all at night and on principle in any gathering or lesson of the university – calamitatibus provideri, as the phrase went at Bologna and at related Italian universities, to obviate misfortunes among the students and between them and townsfolk.27 Apart from the battles of the Paris nations among themselves and the continual frictions between town and gown, there were nevertheless occasional armed conflicts and serious ‘student wars’: in 1278 in Paris, for example, in 1332 in Toulouse, in 1355 in Oxford, in 1387 in | Orléans, in 1410–1411 in Salamanca, and in 1412 in 226 Heidelberg. The third prohibition concerned the wearing of fashionable clothes and above all the display made of them. Unobtrusive and
25 M. B. Hackett, The Original Statutes of Cambridge University. The Text and its History, Cambridge 1979, pp. 211ss.; Oxford: Gibons (ed.), Statuta (note 5), p. 81. 26 For example, Fournier (ed.), Statuts (note 7), vol. III, pp. 13ss. § 36 (Aix 1420–1440). – On married medical students and masters, see Nancy Sirasi, The Faculty of Medicine, in: A History of the University in Europe, vol. I: Universities in the Middle Ages, ed. by Hilde de Ridder-Symoens, Cambridge 21994. 27 Heinrich Denifle, Die Statuten der Juristenuniversität Bologna vom Jahre 1317– 1347 und deren Verhältnis zu jenen Paduas, Perugias, Florenz, in: Archiv für Literatur und Kirchengeschichte 3 (1887), p. 363, § 71 (also Perugia and Padua); U. Gualazzini (ed.), Corpus Statutorum almi Studii Parmensis, Milan 21978, p. 151.
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simple apparel, a habitus honestus, was demanded. This ‘academic dress’, however, which developed only gradually from its clerical origins, was so varied in its forms that it is impossible to derermine its shape and colour even in individual countries and periods.28 The fourth thing to be prohibited throughout Europe was insults in word and deed against fellow students and professors. What was at stake here was personal honour – but also, and more so, the avoidance of internal conflict. In Prague, which was so to speak the bridge between the older and younger university forms in Europe, there is even a list of the most common forms of verbal insult employed: ribaldus, nequam, and mendax – ‘scallywag’, ‘good-for-nothing’, and ‘liar’ – were the relatively harmless and received milder punishment than filius meretricis, spurius, fur, and traditor ‘son of a whore’, ‘bastard’, ‘villain’, and ‘traitor’. It was also from Prague that the curious ‘hurling paragraph’ on bodily injuries reached the statutes of some German universities, a paragraph in which the vary facts of intern behind each object cast – an unaimed throw, an aimed throw, a hit, and finaliy an injury – were treated wich textbook casuistry as deserving increasingly severe punishment.29 Alongside these absolute commandments and prohibitions there was a welter of further regulations, which were given varying degrees of emphasis at the individual universities, thus revealing the social rank of the student bodies in the various university regions. In the law citadels of the domini studentes in southern France and Italy and, in part also, on the Iberian peninsula, special emphasis was laid on restraining the extravagant ‘aristocratic life style’: luxurious clothing, the number of scribes and servants, the games of chance such as dicing for money (ludus taxillorum), which was denounced in Perugia and Florence ahead of all other misdemeanours, and in addition the keeping and equipping of horses, dogs, and birds for hunting (which in Coimbra and Salamanca were expressiy forbidden except for the high nobility). In Lérida, riding to courses was forbidden except in cases of necessity. The ban on weapons, on the other hand, was somewhat relaxed in Italy; it was no longer valid when their lordships the lawyers of Bologna, Padua, Perugia, or Parma needed to display themselves to the world at funerals, in processions, and on other ceremonious occasions.30 In the See Gieysztor, Management (note 12). H. Jírecek (ed.), Codex Juris Bohemici, vol. II/3, Prague 1889, pp. 278ss., § 21. 30 A. Gomes da Rocha Mahadil (ed.), Livro verde da Universidade de Coimbra (Cartulario do século XV), Coimbra 1940, p. 13; P. U. González de la Calle and 28 29
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universities north of the Alps, with their habitual predominance of arts and theology students, however, other problems were more pressing. Here there was a need to | regulate the large numbers of simplices, the 227 normal, young students, the majority of whom had no degree and left relatively soon. Consequently, the bulk of time and effort was devoted to the overseeing of student hostels, with the aim of ensuring that students were in the hostels at the appointed times and not roaming the streets and squares or frequenting ale-houses and other ‘suspect places’. Colleges, hospices, halls, or bursae were to be locked after the ringing of the evening curfew – in summer between 8 and 10 p.m., in winter between 7 and 9 p.m., or, as in Paris and Oxford, ar 9 p.m. the whole year through – and to remain locked until 5 or 6 a.m. It goes without saying that many regulations were frequently breached and that many bursa entrepreneurs turned a blind eye. The universities reacted with sanctions which, in the long term, probably did have a stabilizing and educative effect. Each single statute was accompanied by a specially formulated threat of punishment. Repeated recitations of the statutes – for example, whenever a new rector took office – were intended to impress both on the mind. Official university denunciantes, proctors, and other watch-dogs had the task of ensuring that the rules were everywhere kept and that those in breach of thera were brought to book. One of these overseers was the notorious lupus (wolf ), whose duty it was to watch over the use of Latin in the student hostels and colleges. His activities were no doubt not restricted to the universities of central Europe alone. Speaking Latin was understandably a chore for the many young people whose intention it was, after all, to live in the social environment of their home country and native tongue even when in their university town. From the Heidelberg Manuale scholarium, a kind of introduction to student life from the late fifteenth century, one can learn how frequently speaking in the vernacular was prosecuted and thus how successful the lupus was, but also how furious the students were about this.31 The means of sanction employed by the universities were fines, graded according to the number of repetitions and the severity
A. Huarte y Echenique (eds.), Constituciones de la Universidad de Salamanca (1422), Madrid 1927, pp. 73ss.; Lérida: Liber constitutionum, J. Villanueva, Viaje Literario a las iglesias de Espagña, vol. XVI, Madrid 1851, p. 230 ; Denifle, Statuten (note 26), p. 363, § 71; Gualazzini, Corpus (note 27), p. 151, § 64. 31 Manuale in Friedrich Zarncke, Die deutschen Universitäten im Mittelalter, Leipzig 1857, pp. 28ss.
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of the offences; in severe cases the culprit landed in the detention cell or was even ‘excluded’, thus losing the important protection of university privileges. With the exception of a few individual cases very late in the day, corporal punishment was unknown throughout the Europe of the Middle Ages. Fines were extremely repressive instruments: from Copenhagen to Padua and Salamanca they hit all culprits where it hurt most – their purse – naturally hurting those most who had the least to spare. In Paris and at the German universities at least, the pauperes would seem, by and large, to have received severer punishments and to have been more often criminalized and expelled than others. Life was probably at its most strict in the colleges and the student hostels affiliated to them. By way of example, one can study the regulations of the Collegium Sapientiae in Freiburg im Breisgau, a foundation of 228 the Freiburg | theologian and suffragan bishop of Augsburg, Johannes Kerer von Wertheim (1497).32 The twelve college members could be made up of students from all levels; they lived communally under a head who had to be a specialist student, that is, at least a baccalaureate of a higher faculty. Women and girls were not allowed to visit college members or set foot on the premises, except as washerwomen or nightnurses in the event of severe illness – and even then only on condition that they were of blameless character. The college members themselves were responsible for board on a weekly rota basis: each week, one of them served at table, both bringing in and carrying away the dishes, cleaned the dining hall, and presumably also did the cooking himself, either alone or with assistants. Going by the bill of fare prescribed by the founder, this can have been none too difficult: Since wisdom is not found in the countries of those who live in sumptuousness, and since our house bears the title ‘Home of Wisdom’, and it being our wish that wise men be educated there in reverence of God, the true wisdom, it follows that sumptuous feasting and all creaturely pleasures are, like wanton sirens, to be kept distant from it.
Each day for the midday or evening meal there was half a pound of cooked meat per person with root vegetables, cabbage, pease-pudding, or other vegetables. The meal was usually accompanied by wine. Roast meat was served only on high feast-days, on the admission of new members, or on the anniversaries of the founder and his brother. The 32 Hermann Beckmann (ed.), Johannes Kerer, Statuta Collegii Sapientiae 1497, facsimile, Lindau/Constance 1957.
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procurement of specialities or special rations was explicitly prohibited; the kitchen and cellar were under watch. Exemption from table service could be granted to graduates. All slept in the same dormitory, which, however, was subdivided into separate sleeping-compartments to be entered by no one but the owner; there was normally no hearing; during the hours of sleeping a lamp was to remain lit, the charge of the rota man of the week, who also cleaned the dormitories; the compartments were cleaned by their individual owners, ‘so that the dirts is not a burden to the soul’. In other ways too, care of the soul was an essential part of the household regulations. Mass was celebrated daily, a sermon was delivered once a week, and, at least on all feast-days, confession was to be made. The concern for physical well-being may seem rather summary. Yet, among the smaller foundations in Germany and beyond, the Collegium Sapientiae was relatively richly endowed. It had substantial holdings of land and perpetuities, its own chapel and library, simple furnishings but copious and valuable kitchen-ware and table-ware – in part even of silver, which was in the safe-keeping of the college head. As everywhere, however, discipline was strict: punishment was threatened, especially for those breaching the peace of the college (breaches included the playing of musical instruments, cards, and | dice, with only the clavichord and chess being permitted); 229 equally liable to punishment were leaving the premises with impure motives, and insults in word or deed, which had to be atoned for on the same day. In severe cases – for example, concerning whether a culprit was to be excluded temporarily or permanently from a living – the decision was taken by the university rector, but in all other cases punishment was meted out by the college head, in the form of the denial of food and especially wine on one or more days. In the circle of timing comrades such punishments may have been even harder to bear than others. Above all other injunctions – in Freiburg as much as elsewhere – was the commandment to attend courses and the admonition to acquire an academic degree. As for free time and holidays, there were enough of these to make the business of teaching and learning bearable. Here, admittedly, extreme variations existed between universities and even between faculties: each organized its own calendar. The cause of this was that the universities were basically operational the whole year through and many offered courses – the extraordinary lectures and revision exercises – during the vacations and on Sundays and holidays (but never on a Sunday in Salamanca). Right into the fifteenth century the ‘ordinary
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books’ determined the rhythm of the academic year (which began on I. October): the longer period from the beginning of October to the end of June was known as the magnus ordinarius and the shorter from July to the end of September as the parvus ordinarius. A different subdivision of the year was into semesters, trimesters, or four terms (at Oxford), interrupted by the Christmas, Easter, and Whitsun holidays as well as by the two-month-long ‘great vacation’ stretching, with differences from faculty to faculty, from the Feast of St Peter and St Paul (29 June) to Michaelmas (29 September). Many would travel home in these periods, returning with money and foodstuffs. The good number of teaching-free days alongside the official Sundays and holidays were meant for relaxation – something for which there was little room in day-to-day life as determined by statute. Of Bologna it was mockingly quipped that the number of vacations almost exceeded the number of working-days. The anniversaries of the patron saints of the faculties, nations, brotherhoods, or particular university regions were commemorated with great ceremonies, church services, processions, and various amusements. Especial fun for the many young students of arts was in prospect on St Nicholas’s Day, which was commemorated with processions and games – such as the Bishop’s Game in Paris or the Christmas King Game in Oxford – and by all kinds of mummery. In Aragonese Perpignan in 1381, the authorities felt compelled to prohibit what was clearly an established tradition among the students of arts (and practised in Lérida, too) of dressing up and running around, on St Nicholas’s Day and the days of the popular St Catherine and St Eulalia into the bargain, as Jews, Saracens, and women – something which | was felt to bring hurt and shame upon 230 the aped parties.33 These ‘spare-time activities’ were augmented by carnivals, May-time, and excursions ‘into nature’, and presumably by many things done in nations, colleges, halls, and bursae or in private groups – from the free days which the Scottish universities set aside for cockfighting to the ‘Feast of the First Snow’ and the banquets on each month in Bologna. Assuredly, the vacations were also taken up with all that the statutes forbade or restricted; with ‘wine, women, and song’, with raucous behaviour and music-making in the streets, houses and taverns, with quarrels with the townsfolk, with sauntering about,
33 Fournier (ed.), Statuts (note 7), vol. II, p. 674, § 35; Villanueva, Viaje (note 30), p. 231; Ajo González de Rapariegos y Sáinz de Zúñiga, Historia (note 8), p. 246.
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with dancing, chess, and games of chance, with ball-games, fencing, jousting, and hunting – all, of course, depending on the age and rank of the students. The extent to which the customary social order also affected such shared free time and festivities is demonstrated pars pro toto by the ‘Snow Festival’ in Bologna: first, the high-up students of law were allowed to offer the citizens snowballs in exchange for money, wine, or food for their evening festivity, and only then was it the turn of the common students of medicine and arts.34 A welcome occasion for celebration on any day was provided again and again by the admission of freshmen – bejauni, beani (greenhorns) – into the community of older students, a procedure which involved all kinds of pranks, to some extent rough treatment, and of course a redeeming drinking session at the newcomer’s expense.35 With the exception of the Italian law area, this custom seems to have been, with various nuances, widespread throughout Europe since time immemorial. In western Europe, from southern France to the British Isles (of Spain we know only that the custom as such existed), various forms of purification ( purgatio) were known, in which water or beating played a part. The latter form was found, for example, in Aix-en-Provence, even in lofty social circles, although noble ladies present could put in a plea for leniency; elsewhere, the freshmen were put ‘in dock’ before the ‘students’ abbot’, where they had to display humble and servile behaviour towards the older students until being cleansed with water from the taint of newness (Avignon, Paris). In central Europe, on the other hand – above all in the Holy Roman Empire – there developed the depositio cornuum, the striking-off of the horns, whereby the ‘wild beast’ of the freshman was to be transformed into a ‘civilized studentcreature’. As early as around 1400 – and not only towards the beginning of the modern age, when the process of striking-off became an obligatory part of the academic ceremonies in Germany – it was not uncommon for a good deal of rough-and-tumble to be | involved. 231 From the fourteenth century on – earlier in France, later in the Holy Roman Empire – the statute-making powers of the universities hence
Steffen, Studentische Autonomie (note 3), pp. 122ss. Derived from the French bec jaune (in German Grünschnabel); CUP vol. II, p. 523ff. (Paris 1342); Fournier (ed.), Statuts (note 7), vol. I, pp. 121–126 (Orléans 1366–1368); vol. II, p. 238 (Montpellier 1465); vol. II, p. 440 (Avignon c. 1450); vol. III, pp. 12ss. (Aix 1420–1440); summarized in Rashdall, Universities (note 2), vol. III, pp. 376–385. 34
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tried to regulate this practice of bejaunium or beanium, which they could not suppress, in order to avoid excesses, extortions, bullying, and above all robbery – with, however, only limited success. In line with the character of the medieval student and professorial bodies, above all in the arts-and-theology centres, the guardians of the peace were baccalarii, master-students, or specialist students, and as such ‘merely students’ – that is, they were all too often themselves involved. Learning No student at any university between Salamanca and Copenhagen would have had any difficulty in complying with the admonition to attend courses and acquire an academic degree. For at the universities of medieval Europe and in their four faculties nothing was so uniform and relatively stable over time as the content and form of academic teaching.36 True, there were differing emphases, concerning for example the full programme of the artes in the trivium and quadrivium, wich in the absence of sufficiently large numbers of teachers and students could not everywhere be carried through as in, say, Oxford, or concerning also the position taken in the philosophical querelle the old or new way, realism or nominalism. Certainly, grammar teaching in Renaissance Florence, Bologna, or Padua was qualitatively different from the teaching dispensed in Greifswald, Uppsala, or Aberdeen, the names of universities north of the Alps naturally being interchangeable. Nowhere, however, would one have found the Holy Scripture, the writings of Aristotle, Euclid, and Ptolemy, the books of canon and civil law, the writings of Hippocrates and Galen together with their systematizing sententiae, summae, glosses, and commentaries being taught and learnt any differently than in the originally established manner, which was valid everywhere. This, of course, was the view of the fully developed fourteenth-century university, whose faculties had already cast their syllabuses into statutes. What dynamic potential there may have been in the thought and methodology of scholastic rationalism in the period prior to and
36 See part IV: ‘Learning’ (Chapters 10–13), in: A History of the University in Europe, vol. I: Universities in the Middle Ages, ed. by Hilde de Ridder-Symoens, Cambridge 21994.
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in the early years of the European university, from the eleventh century to the thirteenth, was now ensconced in an almost immutable doctrinal structure. The student of whatever level did not receive a ‘scientific’ education, but was rather introduced to a tradition of knowledge accumulated and commented on by recognized authorities. To acquire, absorb, and transmit this knowledge as a firm, secure stock of insight were the tasks of teacher and student alike. It was not the ‘academic personality’ of the teacher that was important but | the content and its transmission. In such a system, 232 teachers were interchangeable – especially the all-rounder arts men, who, unlike the lawyers, theologians, medical students, and humanist poetae, could not develop into specialists for particular books. At the beginning of each academic year, the heritage of knowledge and commentary was shared out among the teaching masters of the faculty in packages of books or chapters, following a particular rota by choice or by the drawing of lots, or simply according to time already spent in studio. At the universities of younger and older Europe, it was thus established which teacher had to teach which texts in which sequence at which time per day and per course and for what fee. Theoretically, each teacher was sometimes to benefit from having the well-attended courses and the remunerative books: in practice, however, the principals and the ‘governing masters’ ensured that it was they who had first choice. A key factor here was the categorization of books – practised in all faculties – according to their importance in the syllabus, a distinction being drawn between ordinary and extraordinary books (libri ordinarii, extraordinarii ). Over the course of time, these distinctions became linked to questions of remuneration and status, all the more so as the presentation of extraordinary texts was, until well into the fifteenth century, left to baccalarii. The material was conveyed to the students of all faculties in the everywhere identical forms of the lecture (lectio) and the disputation (disputatio), the two forms being closely related. In the lecture, the master read out the canonical text ascribed to him and explained it in segments. The audience followed the lecture in their own copies of the text and made notes. In order to remedy the lack of expensive, handwritten texts there were also dictation sessions ( pronunciare); the main task of the lecture, however, was always explanation. In line with the importance of the books, the lectures were also divided into ordinary and extraordinary; as a rule, the one type of lecture was delivered in the morning, the other in the afternoon. While the function of the lecture
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was to acquaint students with material and to ensure that it passed down from one generation to the next, the disputation was concerned with the material’s application. Here, scholasticism was in its element. Teachers and pupils practised the solution of contenuous quaestiones of philosophy, theology, and medicine or the resolution of casus, (disputed) cases in the two kinds of law. For the arts and, in principle, for the other faculties as well there were three types. On the one hand, there was the disputatio ordinaria, the big weekly disputation, which in small universities would probably be attended by the entire faculty. One of the masters presided and posed the quaestio; other masters and baccalarii argued and opposed, while the beginners, the simplices, probably tended to restrict themselves to listening; if necessary, the presiding master intervened in a guiding capacity and would finally put an end to – or determine – the disputing of theses and counter-theses on the solution of the problem posed by means of his magisterial synthesis. 233 On the other | hand, once or twice a year the disputatio de quodlibet was held, a public demonstration of the scholastic method as applied to any questions whatsoever, freely chosen. This form of disputation, which in the early period of the university – say, in the Paris of the thirteenth century – could freely tackle difficult issues of the moment, even delicate religious and political problems, became in the course of the later Middle Ages diluted into, at worst, a formalistic nonsenseevent. The notorious question as to how many angels could stand on the point of a needle has its origins here. It was from the third type that students benefited most, the simplices and baccalaureate students as much as their teachers, the master-students and specialist students. In exercises and repetition work (exercitia, repetitiones, resumptiones) which took place in the afternoons and partly also in the evenings following the lectures – mostly within the circle of one’s own master’s family in colleges, at the master’s house, or in student hostels – they memorized the material and the technique of school-like distinguishing and arguing. Practice was gained in the use of authorities, commentaries, and rational proofs – and not least in the continual employment of scholarly Larin. This form of collective intellectual training was probably the medieval university’s most creative contribution to European education. For all this, the extent of the written element should not be overestimated. On the one hand, ‘oracy’ was a natural goal of education: the aim was to keep texts and arguments readily available for a wide variety of occasions – some of them beyond the bounds of the universities, in courts of law, in administrative offices, and in the church, for instance
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while preaching. And, on the other hand, it could not be presupposed that expensive manuscripts and law-books were in everyone’s possession. Right into the modern period, until the technology of book-printing had been able to take widespread effect, there was a great difference between the purchasing power of ‘their lordships’ the students of law and that of the medical students and theologians, not to mention the mass of arts students. The major factors behind this were age and differences in status. Swiss students of law in thirteenth and fourteenth-century Bologna – most of them students of rank, who already ‘were somebody’ before they went to university – are said by the end of their studies to have owned between ten and thirty manuscripts each.37 Given a comparable social background, these figures can presumably be generalized and also applied to the last century of the Middle Ages, all the more so as Bologna and related law universities, together with Paris and Orléans, had developed a special system of issue and reproduction of books (the pecia system) operated by university stationarii – ‘booksellers’ – who also issued texts to be copied. Yet even in this system the completion of a legal manuscript took ten to fifteen months and, depending on the quality of its production, was still a | dear purchase costing 234 from twenty to sixty pounds of Bologna pennies. The overwhelming majority of the students, even among law students, would have owned substantially fewer writings, as a rule perhaps no more than a few ‘study books’ containing lecture transcripts, text excerpts ( peciae), and personal notes. The universities of the thirteenth century still had no public libraries. University libraries emerged only from the fourteenth and fifteenth centuries onwards, with the usual time-lag between older and younger Europe; the pioneers were the libraries of the colleges, whose basic stocks were mostly made up of their founder’s book collections. Important examples were the libraries of the Sorbonne in Paris, of Merton and New College in Oxford, and of the Amplonianum (Zur Himmelspforte) in Erfurt. The minority of students who embarked on the by no means usual course of setting out to acquire a degree were systematically guided to success by the formalized syllabus. The study or cursus of arts normally lasted four to five years and consisted of approximately half of material from the baccalaureate and half of material from the masrer’s course. For each part a certain quantity of knowledge and skills were prescribed, and evidence of attending
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Stelling-Michaud, Université de Bologne (note 14), pp. 100–114.
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the compulsory number of lectures and disputations had to be provided. This was done in most cases by the affidavit of the student’s own teacher or, if the student had changed university, by a formal certificate of study sealed by the rector of the other university. Latin grammar and the logical writings and parts of the Physics of Aristotle were compulsory in the first stage; in the second came the remaining writings of ‘the philosopher’, the rest of the Physics, Metaphysics, Ethics, Politics, and – depending on the capacities of the faculty – mathematics, astronomy, and music. If everything was in line with the statutes, and if the candidate proved to be a matriculated member of the university and had paid all the required fees, then he was allowed to proceed to examination. In the presence of the chosen examiners of the faculty, he ‘determined’ under his master and acquired the degree of baccalarius/baccalaureus artium. For by far the greatest proportion of students this meant the end of the course and of their days at university; only a small minority took the next step and received – formally, through the chancelior – the following degree of licentiatus artium, which concluded academic training in the arts and was linked to permission to teach a course of one’s own (licentia doccndi). The inceptio magistri – the so-called inaugural lecture of the new master to the assembled faculty – was only the ceremonious conclusion to the procedure, in which the master’s biretta, the symbol of the status in studio acquired, was also presented. According to the statutes, the new master should be between twenty and twenty-one years of age; like the length of the course itself, this was naturally only a guideline. Depending on the size of the university, the examinations of the baccalaureate students took place two to four times a year, those of the master-students usually only once. For each examination date a 235 group of candidates | was gathered together, each individual receiving a certain ranking (locus) according to his ‘qualities in examination’. These results, which were recorded in the faculty matriculae or the dean’s books, were by no means wholly, and not even mainly, determined by actual examination performance. The students in the top places were not necessarily the best in their year; ranking order, which could certainly have consequences for the timing of a candidate’s subsequent rise in the academic hierarchy, was instead decided by age, date of matriculation, duration of study, patronage, and not least by personal and family status. Even in the university province pare par excellence, the awarding of degrees, regard had to be paid to particular and social considerations: noblemen and holders of church livings were given
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preference. The fact that passing the examination, even if at times cum difficultate, was the absolute rule fits into this picture. Rejections of candidates on grounds of crassly poor performance were (if one goes by German sources) extremely rare: failure tended to be justified rather by the reproach of immoral conduct.38 The sequence of degrees in the higher faculties – baccalaureate, licentiate, master, or doctor – resembled that in the faculties of arts, with the sole difference that the courses of study took longer from degree to degree, so that the master-students and specialist students (with the exception of students of high rank) were substantially older – or, to put it another way, the age qualifications for the various graduations were higher. In both types of law and in medicine, six to eight years were required before proceeding to the licentiate; in theology, even fifteen years, the doctorate there being unobtainable before one’s thirty-fifth year. These particulars were no more than guidelines, however: they could – as usual under the dictate of social or economic circumstances – be shifted both downwards and upwards. Costs of Living and Learning For all students, attendance at university was relatively expensive, but the pressure to pay for study and living costs naturally varied from one university town to the next across the spectrum of poor to rich. Most students had to meet two sets of needs – their actual studying costs and the cost of living. Only those taking degrees had increasing costs from level to level consisting of fees for admission and examination and, as a rule, of the often high costs of the graduation ceremonies and celebrations. Studying costs included one-off and ongoing expenses. A typical one-off payment was the matriculation charge. Depending on the university, up to three different fees could be payable: fees for registration in the general rectoral matricula, in the faculty matricula, and, if there were university nations, in their matriculae as well – | this 236 being payment for the documentary and social act of admission to the university and its sectional parts. In addition, at many universities there was the so-called bejaunium or beanium, a kind of ‘entrance Fee’ into the student body demanded by older students from the freshman
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(beanus) and without upper limit, even if universities did try by statute to avoid abuses and hardship. Among the ongoing costs were the doctors’ and masters’ fees for their courses (collectae pastus). These fixed costs, the admission fees and the tuition fees, which were relatively inflexible even over longer periods of time and economic change, were everywhere linked to personal status within and outside the university. Graduates paid more than undergraduates, the ‘rich’ more than the ‘poor’. In Lisbon-Coimbra, for example, following a decree of King Juan I in 1391, the rich students of law had to give their professors a lecture fee of forty pounds (libre); the ‘middle-class students’ (medianos) were to pay twenty pounds and the poor ten.39 What was here ordained by the king was elsewhere organized by the authorities themselves: the burden the poor had to bear was eased, but nowhere – apart from totally exceptional cases – was it removed completely. Ongoing costs were incurred further – and relatively regardless of status – for texts and books, parchment, paper and ink, quills and penknives, and for the purchase and care of or the hiring of the student’s habit. Quite frequently, too, there was the cost of borrowing texts which one could copy (or have copied, thus incurring further costs for a public or private scribe). To be added to the general costs of study were fees for writing out and certifying study documents and various testimonials, as well as fees for the proctor and occasional special expenditure, for example for university ceremonies, for the kitting out of university envoys, or for being listed on a papal supplication rotulus. Among the costs of living were a lump sum for board and lodging, for clothing, footwear, bed-linen, laundry, and repairs, for creature comforts (baths, barber, and doctor), for fuel and lighting (candles), for journeys between university and home, for messengers, for leisure-time activities of all kinds, for fines, and, nor least, presumably for interest on borrowed money. Lodging and credit costs were, of all burdens, those most prey to arbitrary interpretarion. From early times, therefore, the universities sought to regulate the conditions of rents and loans. In the lawyer citadels of older Europe, accommodation committees of (law) students and citizens were formed, first in Vercelli 1218, then in Naples, Salamanca, Lérida and Orléans; the Bolognese regulations of 1317/47, according to which the committees of the so-called taxatores hospiciorum determined the rent of the accommodation ( pensio), agreed 39
Ajo González de Rapariegos y Sáinz de Zúñiga, Historia (note 8), p. 387.
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annual or half-yearly payments and fixed the price for three years, became standard for the entire southern region. In Paris, Oxford, and | Cambridge, masters and citizens likewise assessed the rentable 237 value of suitable student dwellings jointly. In the centrally administered universities of younger Europe, on the other hand, where from the very outset the emphasis was on collective living in bursae, the cost of boarding-houses was also centrally dictated and supervised.40 Regulated and favourable terms of credit and pawnbroking were equally in the interest of the universities, especially in the big ‘international’ university towns such as Bologna, Padua, or Paris. The statutes in Bologna and Padua demanded the annual re-election of suitable merchants and money-lenders for whom, in an official and controlled way, credit could be received and money borrowed on pledges of books. In addition, professors sometimes made their students loans – something which proved a highly successful side-line. As a rule, however, it was always a question of short-term credits (with Swiss law students, three to four months on average), which ensured that the interest-rate burden (up to 10 per cent) did not grow too forbidding before parental assistance arrived via courier or bank. In Oxford, from 1140 on, several loan chests emerged – five between 1293 and 1323 alone – where students could obtain advances to the tune of their status; around 1375 there were sixteen such loan chests and around 1500 twenty. Paris also had an institutionalized system of money-lending; selected citizens under oath to the university, the so-called ‘grand messengers’ (nuntii maiores), agreed to supply creditworthy students with money within the framework of the nations. The demand can best be gauged by the fact that, at one time, the Gallic nation was employing 164, the Anglo-German nation 60, the Norman 16, and the Picardian 14 nuntii maiores.41
40 Denifle, Statuten (note 27), pp. 346–355, §§ 64–74; González de la Calle and Huarte y Echenique (ed.), Constitutiones (note 28), pp. 74ss., § 25; Villanueva, Viaje (note 30), p. 231; Karl Adolf Schmid (ed.), Geschichte der Erziehung vom Anfang bis auf unsere Zeit, vol. II/I, Stuttgart 1892/reprint Aalen 1970, pp. 510ss.; D. Illmer, Die Rechtsschule in Orléans und ihre deutschen Studenten im späten Mittelalter, in: Schulen und Studium, p. 423; CUP (note 3), vol. I, pp. 597ss., no. 511; Gibson (ed.), Statuta (note 5), p. 71; Hackett, Original Statutes (note 25), p. 317. 41 Denifle, Statuten (note 26), pp. 283ff., § 21 with Padua; Stelling-Michaud, Université de Bologne (note 14), p. 92; A. Budinszky, Die Universität Paris und die Fremden an derselben im Mittelalter, Berlin 1876/reprint Aalen 1970, p. 42; Schmid, Geschichte (note 40), vol. II/I, p. 528; J. I. Catto, Citizens, Scholars and Masters, in: The History of the University of Oxford, vol. I: The Early Oxford Schools, ed. by J. I. Catto, Oxford 1984, p. 172.
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All of this was naturally conditional on subjective needs and possibilities, on the changing level of prices in large or small university towns – a level which was itself a factor of the economic cycle – and on the readiness to adapt to a different setting. Though many had a familia to support beside grooms and horses, others had quite enough problems on their own. Europe’s ‘normal students’, the mass of the mediani in the south and of the divites in the north, could, it is true, normally bear the costs accruing, but they tended all to be of modest means. In the arts-and-theology enclaves of the Holy Roman Empire, this meant that their minimum annual budget, above all for board and lodging, amounted between c. 1368 and 1500 to something above the twelve and 238 later above the twenty florin mark. These two amounts | delineated, as it were, the ‘official’ boundaries between poor and rich, which on account of the decline in purchasing power of the Rhenish florin (fl.), especially in the second half of the fifteenth century, shifted from 12 fl. at the outset (Prague, Vienna, Heidelberg, Cologne, etc.) through 16 fl. (Tübingen 1478) up to 20 fl. (Louvain 1500). Anyone whose income was below these levels – irrespective of his goods and chattels, his clothes and books – could be recognized as a pauper. There was a certain band of tolerance for the many semi-poor or – depending on one’s perspective – semi-rich: for example, the 1451 statutes of the Heidelberg Dionysianum house for the poor decreed that an inmate should have to leave not, as hitherto, if his annual income rose above 12 fl. but only if it exceeded 20 fl.42 This amount, the approximate equivalent of the income of urban craftsmen and service people of the ‘lower middle class’, seems to have enabled a student to manage more or less well at German universities, depending on their ‘tone’. At any event, the sum of 20 fl. was widely accepted as the lower standard, whereas the minimum allowance for noble students of the arts and for really rich students from the bourgeoisie was 50 fl.43 In the opinion of Amerbach, the renowned Basle book-printer, this should also have been the case in Paris, where he sent his two sons to study the arts from 1501 to 1506 as magni portionistae (paying members) of a college. For three years he paid them an allowance of 50 fl. per head, but then decided to reduce the sum to 21 or, at most, to 27 fl. 42 Eduard Winkelmann (ed.), Urkundenbuch der Universität Heidelberg, Heidelberg 1886, vol. I, p. 167, no. 111. 43 E. De Maesschalck, De criteria van de armoede aan de middeleeuwse universiteit te Leuven, in: Revue belge de philologie et d’histoire 58 (1980), pp. 337–354.
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The higher rate may have been offered in view of the cosmopolitan nature of Paris, but would nevertheless not have been appropriate. For the fifteenth and early sixteenth centuries the overall costs of a simple Paris arts scholar originating from elsewhere have been estimated at about 75 livres, or some 45 fl.; 12 to 36 livres are the amount reckoned for academic matters and 50 for suitable board and lodging in a collège. For Parisians who lived with their parents the costs were reduced to a good third. In Oxford the lower limit in the thirteenth century seems to have been around two to two-and-half pounds sterling per year: loans or money against security from the loan chests was given only to such as could give proof of an annual income of at least two pounds. The normal annual loans made by the colleges to undergraduates and junior fellows were on the same scale. From 1164, Merton College was to pay two pounds to each – admittedly without lodging; in 1166 Balliol College paid two pounds five shillings, and in 1340 two pounds seven shillings and sixpence with free lodging. With the development of purchasing power, the lower limit probably shifted upwards by about one pound by the end of the Middle Ages. At New College, members had to leave if their annual budgets exceeded five silver | marks (three 239 pounds six shillings and eightpence). Around 1414 Merton College granted two pounds five shillings and sixpence for three terms – that is, nine months, the holidays not being included – and towards the end of the fifteenth century for the same period two pounds twelve shillings and sixpence. For a whole year that would have been three pounds and eightpence or three pounds ten shillings, respectively. If one goes by the college bills, these sums seem to have covered the entire cost of undergraduate education in Oxford from the tuition fees through food and drink, paper, ink and candles, clothing and footwear to the cost of the journey home during the vacation. Admittedly, the students so favoured were members of the founder’s kinship, so that they were perhaps a little better provided for than others.44 The expenses of the – generally older – masters and specialist students in the higher faculties or universities were naturally greater than such threshold values. Higher tuition fees and, above all, the cost of
44 Schmid (ed.), Geschichte (note 40), vol. II/I, p. 523ff.; L. W. B. Brockliss, Patterns of Attendance at the University of Paris, 1400–1800, in: Historical Journal 21 (1978), pp. 529ss.; Catto, Citizens (note 41), p.171; J. M. Fletcher and C. A. Upton, The Cost of Undergraduate Study at Oxford in the Fifteenth Century: the Evidence of Merton College ‘Founder’s Kin’, in: History of Education 14 (1985), pp. 1–20.
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obtaining degrees had now to be met. More so than among students of the arts one can find among theologians, medical students, and lawyers extraordinary differences in costs over the European university network as a whole: there are discrepancies within the individual regions, let alone between south and north, between the ‘rich’ universities of Italy, the Iberian peninsula, the Midi, and Orléans and the more modest establishments of central Europe. The information available, however, often gives only individual items, fragments, or exceptions and little ‘normality’. Even within Italy, Bologna was the most expensive university town for ultramontane students of law. The ‘poor’ among the high-ranking students were those members of the lofty Spanish College, whose incomes could by statute not amount to more than 50 Bolognese gold florins (= 75 lire). In the thirteenth and fourteenth centuries, however, 100 lire were called for: 20 to 50 went on lodging and board, the remainder on sundry other requirements and on tuition. At least as much again was required for doctorates, examinations, celebrations, and gifts (of money and gloves) for the examiners and doctors, and the proctors, servants, and notaries. The level of these outgoings may have been a contributory factor in the decline in matriculations in the course of the fifteenth century in favour of other Italian universities. Not infrequently, students would merely attend the University of Bologna and acquire their doctoral biretta elsewhere, in Ferrara, Siena, Perugia, Pavia, or Padua, where the degree could simply be had more cheaply.45 240 | We know little about the way in which studies were financed.46 First and foremost it was probably – entirely or in part – a matter for parents and relations, the ecclesiastical uncle supporting his nephew becoming already a kind of institution. Beside this, there was a series of other sources, not infrequently interwoven with the parental, though available in Europe’s different university regions in varying developmental stages, emphases, and amounts; for many they took on increasing relevance only with advancing status in studio. Among these were the 45 J. Paquet, Coût des études pauvreté et labeur : fonctions et métiers d’étudiants au Moyen Age, in: History of Universities 2 (1982), p. 17, with n. 4 (literature concerning individuals); G. Pardi, Lo studio di Ferrara nei secoli XV e XVI, Ferrara 1903, pp. 206ss.; Stelling-Michaud, Université de Bologne (note 13), pp. 88ss.; Steffen, Studentische Autonomie (note 3), pp. 185ff. and 202ss. 46 See, in particular: Paquet, Coût des études (note 45), pp. 15–52; and P. Trio, Financing of University Students in the Middle Ages : A new Orientation, in: History of Universities 4 (1984), pp. 1–24.
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college foundations already mentioned above. With their college places they offered a broad spectrum of sufficiency scholarships. Church livings, for simple altar benefices to important canonships in a cathedral church, were a further way of supporting students. The universities, especially the French on account of the nearby papal court in Avignon, furthered this form themselves by their own supplication scrolls, in which the Pope was asked to grant benefices to the University members listed. Admittedly, one can hardly draw a line here between the scholarship character of such livings and their character as a remuneration for a church office which could, in certain circumstances, be for life, even if the residence requirement at the place of office was lifted for the duration of the stay at university. The papal church was here benefactor and employer at one and the same time. Priests, canons, and prelates often enough returned to offices after attending university (or continued to enjoy their livings). Only in the second half or the fifteenth century, in the wake of a certain professionalization of church vocations and parallel to the almost complete demise of the practice of supplication in Europe, did the sequence gradually change: increasingly, tenure of an office presupposed university study. Pious benefactions, wills, and legacies in favour of one or several students were a further form of financing, albeit one hardly researched and the extent of which it is hard to estimate. In line with the traditional rules, these boons again favoured relatives and compatriots first and foremost. Such benefactions, known in western Europe as bursae volantes – ‘flying’ because they were not tied to a college or other institution – could be found in Paris as early as the first decades of the thirteenth century. The benefactors were at first high members of the clergy, but subsequently well-to-do burghers, merchants, widows, and professors joined them. Older Europe naturally had a lead here, whilst in younger Europe noteworthy funds from private donation came into evidence only on the threshold of the modern period and especially after the Reformation. The same holds true for the brotherhood-like organizations which gave students support and particularly for measures of support undertaken by | princes and states. The kings and ruling houses of western Europe 241 and Spain and the aristocracy also patronized students from the thirteenth century on, even beyond their own college foundations, while the Holy Roman Empire lagged behind in this area. One of the major reasons for this lay in the differing ways in which the respective constitutions and statehoods developed. Before the time of Maximilian I, the Holy Roman (or Roman-German) Emperor was not involved
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at all in the foundation of universities. Universities were founded by the territorial rulers, but their interest was directed less at the students than at subsequently employable graduates. Among the few exceptions were the comparatively modern Netherlands and the German Order in Prussia, which systematically gave grants to suitable young people. Finally, students of all types covered a substantial part of the costs by work, mostly through teaching and other services rendered. For baccalaureates, master-students, and specialist students, teaching was done on the one hand within the framework of normal university education, instructing younger students in the subject in question on an individual fee basis, and on the other hand privately, working as teachers in schools or rich houses, giving coaching (ruminare) in colleges and student hostels, or accompanying prosperous wandering students through their studies in the capacity of paedagogi and praeceptores. The possible services to be rendered, from which the pauperes could profit above all, were many and various. They could be found as scribes and secretaries, as copiers of manuscripts and text books, as personal servants ( famuli, servitores) to professors, rectors, deans, college principals, and other university officials, as servants to church dignitaries or to noble or well-to-do fellow students, as serving staff and porters, as cooks, kitchen hands, and table-servants in colleges, hospices, halls, and bursae, as chancel assistants and choristers in town churches, as street singers like the Bons-Enfants in Paris or the Litaneibuben in Vienna, as occasional workers in trade and commerce, as salesmen of, for example, foodstuffs from their home region (which, in theory, they could bring in free of customs duty only for their own consumption), and – last but not least – as beggars. In the university towns of Europe, of course, the servicesector market was not always the same. It depended substantially on the type of the university, on its law or arts-and-theology atmosphere, on the size of the town, and on its economic importance. Thus in the universities most heavily frequented by noblemen and the sons of the rich bourgeoisie, above all in the south from Orléans to Bologna and Salamanca, it was not service in houses but primarily personal services that understandably found a larger market than in the college or bursae universities located north of the Alps. It is thus clear that the medieval student as such does not exist in reality. Various types of student can be differentiated, depend242 ing on geographical | and social origins. It is even more true to say that the university in the Middle Ages was less democratic than has been stated in a number of older works on medieval university history.
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MIT MÜCKENSENF UND HELLSCHEPOFF FEST UND FREIZEIT IN DER UNIVERSITÄT DES MITTELALTERS (14. BIS 16. JAHRHUNDERT)* Wer zum ersten Mal eine Universität des Alten Reiches besuchte, Heidelberg, Köln, Tübingen, Basel, Leipzig oder Wien, seinen Magister oder Professor und ein Quartier gefunden hatte, dem Rektor vorgestellt und sodann in die matricula universitatis eingeschrieben worden war und nun vielleicht in freudiger Erregung den Beginn seiner Studien erwartete, konnte meinen, kaum hatte er das Auditorium betreten, unter die Räuber gefallen zu sein, unter Kommilitonen, die nur darauf gewartet zu haben schienen, sich auf Kosten des Neulings in jeder Hinsicht einen derb-schönen Festtag zu machen. Dabei hätte der Neue, wenn nicht schon durch die studentische Fama, so durch eines der Einführungsbüchlein ins Universitätsleben, z. B. das Manuale scholarium von 1481, wissen können, was auf ihn zukäme1. Wohl war er durch den Immatrikulationsakt beim Rektor im vollen Rechtssinne membrum universitatis geworden, im sozialen Sinne jedoch nicht ganz. Dazu bedurfte es noch einer mehr oder weniger feierlich gestalteten Aufnahme in den Kreis der Scholaren, einer Initiation mit im Laufe der Zeit immer seltsameren Gebräuchen. Für sie ist seit 1447 in Erfurt und seit 1454 in Heidelberg der Begriff depositio beani bzw. beanium deponere belegt, was soviel heissen mag wie Zurechtstutzen eines Grünschnabels. Die Sache selbst weist aber ins französische 14. Jahrhundert zurück: Beanus oder auch Bejaunus dürfte von bec jaune abgeleitet sein2. Dieser Grünschnabel ist nach einem
* In: Jahrbuch für Universitätsgeschichte (Franz Steiner Verlag, Stuttgart) 6 (2003), S. 11–27. 1 Zum Manuale Scholarium siehe Friedrich Zarncke, Die deutschen Universitäten im Mittelalter, Leipzig 1857, S. 1–48, hier S. 4ff. Eine englische Übersetzung des lateinischen Textes bietet Robert Seybolt, Manuale scholarium (MS dated 1481), Cambridge, Mass. 1921. 2 Johann Christian Hermann Weissenborn (Hg.), Acten der Erfurter Universität (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete VIII), Band. 1, Halle 1881 (Ndr. 1976), S. 18 (§ 2); Gustav Toepke (Hg), Die Matrikel der Universität Heidelberg von 1386–1662, Bd. 1, Heidelberg 1884 (Ndr. 1976), S. 278 (Eintrag zum 17. Juli 1454). Zu Belegen in Frankreich vgl. zusammenfassend Hastings Rashdall, The Universities of Europe in the Middle Ages, Neuauflage hg. von Frederick M. Powicke und Alfred B. Emden, Band 3, Oxford 1936 (Ndr. 1988), S. 376–385.
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verbreiteten Achrosticon des 16. Jahrhunderts ein B.E.A.N.V.S.: Beanus Est Animal Nescius Vitam Studiosorum, ein wildes Tier also, ein pecus campi, das keine Ahnung vom Studentenleben hat3, und dem zunächst einmal die Hörner abgestossen – deponiert – werden müssen, bevor es zu den öffentlichen Vorlesungen, Übungen und Disputationen, den actus scho12 lastici unter den bereits Eingeweihten zugelassen werden kann. | Die deutsche Redewendung, jemand müsse sich erst einmal die Hörner abstossen, hat hier ihren Ursprung. Die Initiationshandlung als solche ist freilich nicht universitärer Herkunft, sie stammt wie die Universität selbst aus dem städtisch-bürgerlichen Milieu. Erinnert sei nur an die Gesellenweihe der Handwerker (Namenmachen), das Narrenjagen der Münzer, das grobe Hänseln der Fuhrleute oder auch das Gautschen der Buchdrucker4. Geleitet wurde die akademische Depositionsfeier in der Regel von einem älteren Studenten, einem Baccalaureus oder gar einem Magister, der die Neulinge der Bursen und Kollegien um sich scharte und als Depositor sein vorgesehenes Spiel alles andere als zimperlich begann5. So mancher Beanus – und manche autobiographischen Zeugnisse bestätigen dies – wird dabei mit reichlich gemischten Gefühlen ins
3 Vielfach belegt, u.a. bei Weissenborn (wie Anm. 2), S. 18 Anm. 2; August Thorbecke, Die älteste Zeit der Universität Heidelberg, Heidelberg 1886, S. 55 mit Anm. 77 (S. 49*); Max Bauer, Sittengeschichte des deutschen Studententums, Dresden 1927, S. 75. In anderer (späterer?) Lesart steht Asinus (Esel) für Animal, vgl. Rainer A. Müller, Geschichte der Universität. Von der mittelalterlichen Universitas zur deutschen Hochschule, München 1990, S. 47. 4 Vgl. z.B. Knut Schulz, Handwerksgesellen und Lohnarbeiter. Untersuchungen zur oberrheinischen und oberdeutschen Stadtgeschichte des 14. bis 17. Jahrhunderts, Sigmaringen 1985, S. 137, 176. 5 Zu Geschichte und Ablauf solcher Feiern Wilhelm Fabricius, Die akademische Deposition (Depositio cornuum). Beiträge zur Deutschen Litteratur- und Kulturgeschichte, speciell zur Sittengeschichte der Universitäten, Frankfurt a. Main 1895. Manuale (wie Anm. 1); Johannes Haußleiter, Die Universität Wittenberg vor dem Eintritt Luthers. Nach der Schilderung des M. Andreas Meinhardi vom Jahre 1507, Leipzig 1903, S. 50ff.; Friedrich Schulze und Paul Ssymank, Das deutsche Studententum von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, Leipzig 41932, S. 37f., S. 56f., S. 85ff.; Bauer, Sittengeschichte (wie Anm. 3), S. 77ff.; Wilhelm Bruchmüller, Der Leipziger Student 1409 bis 1909, Leipzig 1909, S. 20ff.; Ernst Bauer, “Zur Deposition und ihrer Symbolik”, in: Einst und jetzt (Nürnberg) 14 (1969), S. 120–136; Erich Kruse, “Die studentische Deposition”, in: Einst und jetzt (Nürnberg) 16 (1971), S. 117–130; Peter Krause, O alte Burschenherrlichkeit. Die Studenten und ihr Brauchtum, Graz 5 1997, 22ff., 32ff.; Rainer A. Müller, Universität (wie Anm. 3), S. 47f.; ders., “Studentenkultur und akademischer Alltag”, in: Walter Rüegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa, Band 2: Von der Reformation bis zur französischen Revolution, 1500–1800, München 1996, S. 261–286, 281f.
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universitäre Leben eingetreten sein6. Im Narrenkleid, aus verschiedenen bunten Stoffen wahllos zusammengenäht, die Gesichter schwarz gefärbt und von einem wirren Bart umrahmt, erwarteten die Neuen ihr Schicksal. An ihre Kappen hatte man lange Ohren und hölzerne Hörner geheftet, in die Mundwinkel lange Schweinszähne gesteckt, fürchterliche Hauer, die sie bei Strafe von Stockschlägen im Munde festhalten mussten. Nun trieb man die so lächerlich verkleideten Novizen wie eine Herde Vieh in die Aula, wo sie von den Zuschauern, Dekan, Professoren und Studenten bereits wild lärmend, heftig schnaubend und buhend erwartet wurden. Der Depositor schnitt Grimassen, spottete und schimpfte über die Laster und Fehler der Jugend und dozierte über die Notwendigkeit, durch das Studium gebessert und geschliffen zu werden. Verschiedene Fragen waren zu beantworten, doch die Schweinszähne im Mund hinderten die Beane am Sprechen, zumindest am deutlichen Sprechen, so dass jedes Mal zur grossen Freude des Auditoriums nur so etwas wie Grunzen herauskam, weshalb der Depositor sie auch tadelte und beschimpfte: Die Zähne bedeuteten Unmässigkeit im Essen und Trinken, wodurch der Verstand verfinstert werde. Inzwischen lagen die Depositionsinstrumente bereit, wahre Ungetüme von Beil, Bohrer, Hobel, Zange, | Kamm und Pinsel7. Der Depositor nahm die Zange, 13 drückte damit den Hals eines jeden Beans zusammen und schüttelte ihn solange, bis die Zähne zu Boden fielen. Wenn sie gelehrig und fleissig wären, sagte er, verlören sie den Hang zur Unmässigkeit ebenso wie diese Zähne. Dann riss er ihnen die Ohrenattrappen ab und gab ihnen dabei zu verstehen, dass sie fleissig weiter studieren müssten, wollten sie nicht den Eseln ähnlich bleiben; schliesslich wurden auch die Hörner als die letzten Symbole der tierischen Rohheit entfernt. Allmählich näherte man sich dem Höhepunkt. Die Zuschauer waren in ihrem Element, und gewiss ein wenig schadenfroh – man hatte das ja alles selbst schon über sich ergehen lassen – sang man das Beanuslied, um sich gleich mit der ersten Strophe auf das kommende Gelage freudig einzustimmen: Beanus ille sordidus / Spectandus altis cornibus / Ut 6 Siehe zum Beispiel Hans Joachim Gernentz (Hg.), Ritter, Bürger und Scholaren. Aus Stadtchroniken und Autobiographien des 13. bis 16. Jahrhunderts, Berlin 1980, S. 305 (Bartholomäus Sastrow). Weiteres bei Christian Meyer, Ausgewählte Selbstbiographien aus dem 15. bis 18. Jahrhundert, Leipzig 1897 sowie in der in Anm. 5 genannten Literatur. 7 Die Universität Leipzig besitzt noch solche Instrumente aus dem Jahre 1711, abgebildet bei Bruchmüller, Leipziger Student (wie Anm. 5), S. 21, und Rainer A. Müller, Universität (wie Anm. 5), S. 184.
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sit novus scholasticus / Providerit de sumptibus – “Seht nur den schäbigen Bean mit seinen grossen Hörnern an. Er kann erst dann der Unsre sein, wenn er uns zahlet Gelder ein”. Signum fricamus horridum / Crassum dolamus rusticum / Curvum quod est deflectimus / Altum quod est deponimus – “Verwandelt nun den Unhold ganz, entfettet ihm den Bauernwanst, renkt erst mal ein, was krumm und schief, und legt ihm, was zu hoch ragt, tief ”8. Unterdessen hatte der Depositor Hobel, Axt und Bohrer geholt und sich daran gemacht, die auf dem Boden liegenden Beane von allen Seiten und in jeder Lage zu behobeln, zu behauen und zu bebohren als Sinnbild dafür, dass die Artes liberales und die Wissenschaft den Geist des künftigen Studenten schon glätten und formieren würden. Am Ende nahm er ein grosses Gefäss mit Wasser, goss es über die Köpfe der Beane aus, seifte sie ein, trocknete sie mit groben Lumpen ab und kämmte sie, um sie für den letzten Akt fein zu machen. Dann wurde die ganze gehobelte, gestriegelte und gewaschene Gesellschaft dem Dekan vorgestellt, der die Neuen gleichfalls einer kurzen Prüfung unterzog, eine kurze Ansprache hielt und ihnen zu guter Letzt Salz als Symbol der Weisheit in den Mund und Wein als Symbol der Ordnung zu trinken gab oder einfach auf den Kopf goss, wie es zum Beispiel auch der Dekan der Theologischen Fakultät, Dr. Martin Luther, im Anschluss an eine seiner Depositionsreden zu Wittenberg getan hat9. So oder ähnlich dürften die meisten Depositionsfeiern an den Universitäten des Alten Reiches abgelaufen sein, hier und da mit saftigen und zum Teil recht groben, aber doch zeitgemässen Zugaben angereichert10. Dort wurden die Beansohren mit Riesenlöffeln gereinigt, die Haare 14 mit wahren Mordsscheren geschnitten, die Nasen, | Finger und Nägel auf Schleifsteinen gefeilt (Abb. 1), ein übles Mundwasser gereicht oder
8 Das Lied stammt wohl aus dem frühen 16. Jahrhundert, vgl. Georg Erler, Leipziger Magisterschmäuse im 16., 17. und 18. Jahrhundert, Leipzig 1905, S. 30. Übersetzung nach Schulze-Ssymank, Studententum (wie Anm. 5), S. 88; leicht verändert bei Bauer, Sittengeschichte (wie Anm. 3), S. 78. 9 Bauer, Sittengeschichte (wie Anm. 3), S. 75f. Richard Fick, Auf Deutschlands Hohen Schulen, Berlin 1900, S. 48. 10 Der hier geschilderte Ablauf beruht auf dem Bericht eines schwedischen Studenten in Leipzig aus dem 17. Jahrhundert, paraphrasiert nach Bauer, Sittengeschichte (wie Anm. 3), S. 77f.; Kurt Herbst, Der Student in der Geschichte der Universität Leipzig, Leipzig 1961, 19f.; Hans-Werner Prahl und Ingrid Schmidt-Harzbach, Die Universität. Eine Kultur- und Sozialgeschichte, München 1981, S. 60; Müller, Studentenkultur (wie Anm. 5), S. 282. Fast alle Elemente entsprechen jedoch schon den Beobachtungen um 1500, insbesondere dem Manuale (wie Anm. 1), 1–10; dazu etwa Schulze-Ssymank, Studententum (wie Anm. 5), S. 56f., Thorbecke (wie Anm. 3), S. 55ff.
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Abb. 1: Depositionsszene. Holzschnitt des 16. Jahrhunderts (aus: Hans-Werner Prahl und Ingrid Schmidt-Harzbach, Die Universität. Eine Kultur- und Sozialgeschichte, München 1981, S. 33).
ebenso üble Pillen und Salben verordnet. Anderswo war man stolz auf seine Wunderseife aus Kohle und Wagenschmiere, die der Deposition erst den rechten Anstrich gab. Wo und wie auch immer, für die Neulinge war das Ganze eine rechte Qual, wenngleich man die Härte des Lebens damals wohl etwas anders fühlte als heute und von der Härte des akademischen Alltags im besonderen in der heimatlichen Lateinschule schon eine gehörige Portion erfahren hatte11. Die Auswüchse jedoch, die man allenthalben mit der Deposition in Verbindung bringt, und die
11 Dazu Andreas Beriger, Orbilius plagosus – Zur Geschichte des prügelnden Lehrers im Spätmittelalter und in der Renaissance (Veröffentlichungen der Kantonsschule Zug, Heft 5), Zug 1990. Als prominentes Beispiel: ders. (Hg.), Johannes Butzbach, Odeporicon. Eine Autobiographie aus dem Jahre 1506, Weinheim 1991, 145–149.
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im sogenannten Pennalismus gipfelten12, gehörten erst der Neuzeit an, vom späteren 16. zum 18. Jahrhundert. Von Frankreich ursprünglich ausgehend haben sich pennalistische Formen allerdings noch lange gehalten, und noch am Ende des 20. Jahrhunderts konnte man an französischen Hochschulen in der sogenannten bizutage merkwürdig überrissene rites de passage kennenlernen13. Noch waren die Beane aber nicht erlöst. Jetzt ging es ums Festgelage. Von der List und Geschicklichkeit des Depositors und der Animation der Zuschauer hing es ab, wieviel Geld man aus den Grünschnäbeln herauskitzeln konnte; denn schliesslich sollte die Initiationsfeier mit reichlich Mückensenf und Hellschepoff ein würdiges Ende in propinam familiae, in der so beschenkten Gemeinschaft finden. Von solchen Kosenamen für das Bier gibt es eine reiche akademische und lokale Überlieferung: Schluntz, Hacke, Filtz, Mumme, Horlemotsche, Schlippschlapp, Lötenase, um nur einige noch des späten 15. Jahrhunderts zu nennen14. Auch anderswo in Europa bot die Aufnahme von Neulingen in die Gemeinschaft der älteren Studenten stets willkommenen Anlass zum Feiern, praktisch an allen Tagen des Studienjahres, da die alten Universitäten keinerlei Zulassungstermine kannten; man konnte kommen, wann man wollte und sich sogar an den Hohen Festtagen wie Weihnachten, Ostern und Pfingsten in die Matrikel eintragen lassen. Mit Ausnahme Italiens kannte man wohl überall das Deponieren, den Schabernack, die verschiedenen Prozeduren und das erlösende Trinkgelange auf Kosten des Beans, doch nur wenig hört man ansonsten von den oben geschilderten rauen Sitten15. In Westeuropa, von Spanien über Südfrankreich bis zu den Britischen Inseln, waren verschiedene Reinigungsformen ( purgationes) geläufig, in denen Wassergüsse oder Schläge auf das Hinterteil, immer wieder eine gewisse Rolle spielten. Solche Schläge waren keineswegs eine ehrenrührige Angelegenheit; im Gegenteil, es war ein sogar hoffähiges Vergnügen und auch in vornehmeren Kreisen in Stadt und 12 Schulze-Ssymank (wie Anm. 5), 85ff. Müller, Studentenkultur (wie Anm. 5), S. 282. 13 Zur bizutage (nur zu umschreiben als rüde Mutprobe) der Bericht von Thomas Schmidt-Dörr, Schwarze Fahne, in: Deutsche Universitäts-Zeitung 8 (1998), S. 18–19. 14 Aus einer Erfurter Trinker-Rede: De generibus ebriosorum; zit. nach SchulzeSsymank (wie Anm. 5), S. 75. 15 Zu diesem Überblick siehe Rashdall (wie Anm. 2), S. 381–385; Rainer Christoph Schwinges, Der Student in der Universität, in: Walter Rüegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa, Band 1: Mittelalter, München 1993, S. 181–223, 212f. mit Belegen.
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Universität ein gern gesehenes Schauspiel. In manchen südfranzösischen Universitäten, schon des frühen | 15. Jahrhunderts, in Montpellier, 15 Toulouse oder in Aix-en-Provence, waren solche purgationes über die Universität hinaus gesellschaftliche Ereignisse, in Anwesenheit vornehmer Damen aus Adel und Bürgertum, denen sogar tragende Rollen beim Fest zugewiesen waren: Von ihrer Milde und Fürsprache hing nämlich ab, wieviele Schläge – sinnigerweise mit Buch und Bratpfanne – der Grünschnabel zu erdulden hatte. In Orléans und Avignon entwendete man den Neulingen ein Buch, immerhin eine Kostbarkeit in der damaligen Zeit, für dessen Rückgabe man einen Festbeitrag erwartete, eine Reinigung also in Form einer kleinen Erpressung, die in Avignon kurioserweise auch mit päpstlichem Segen erlaubt war. In Oxford (Merton College) scheint man von den freshmen Nonsens-Reden verlangt zu haben, die dann mit einem Trank aus gesalzenem Wasser oder noch Schlimmerem (cawdle) bestraft bzw. bereinigt wurden; auch sollen kühne Sprünge in die Themse gefordert worden sein. Alle Belege sind hier jedoch, das gilt für ganz England, erst nachmittelalterlich. In den meisten französischen Universitäten, in Paris schon seit 1342 bezeugt, stellte man die Beane schliesslich vor das Gericht eines abbas scholarium, eines Studentenabtes. In einem regelrechten Prozess wurde ihr dienend-demütiges Verhalten gegenüber den älteren Studenten (den Mönchen) überprüft und einige Zeit lang begutachtet, bis man sie vom Makel des Neulings mit viel Wasser und einigen Schlägen mit einem grossen Holzlöffel befreite, auf dass sich die ganze Gesellschaft endlich dem Feiern und Festen widmen konnte. | Mit all den commissationes, ebrietates, turpiloquia, lascivie, pernoctationes – 16 den Völlereien, Saufgelagen, Schandreden, Keckheiten und nächtlichen Umtrieben, die bei solchen Feiern entstanden, konnten sich die Obrigkeiten nie recht anfreunden. Nirgendwo in Europa fruchteten allerdings die Verbote. Seit dem 14. Jahrhundert, zuerst in Frankreich, später im Reich, suchten die gesetz- oder statutengebenden Kräfte der Universitäten – Könige, Fürsten, Bischöfe, Stadtregimente und Rektoren – die Praxis der Aufnahmefeiern, die sie nicht unterdrücken konnten, zu regulieren, um Auswüchse, Pressionen, Quälereien und vor allem Geldschneidereien zu vermeiden, freilich mit keinem oder nur mässigem Erfolg. Das lag an der Eigenart der mittelalterlichen, vormodernen Universität. Denn die als Aufpasser eingesetzten Magister-Professoren waren entsprechend dem Charakter des mittelalterlichen Studenten- und Professorentums vor allem im Milieu der Artistisch-Philosophischen und der Theologischen Fakultäten selbst zum grossen Teil noch Studenten
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und begreiflicherweise allzu oft involviert oder waren als Bursen- und Bildungsunternehmer von ihrer Klientel schlicht existenziell abhängig16. Die Eigenart der mittelalterlichen Universität bedingte aber auch die so unterschiedliche Gestaltung der Feiern von den rauheren deutschen Depositionen bis zu den eher moderaten südfranzösischen Purgationen im Beisein der Damen, und bedingte nicht zuletzt die Beobachtung, dass derlei Gebräuche – von freiwilligen Einständen einmal abgesehen – an italienischen Universitäten offenbar nicht gepflegt wurden. Drei grundlegende Aspekte dieser Eigenart seien vorgestellt, um unser Thema in die allgemeine europäische Universitätsgeschichte einordnen zu können: 1. Die drei Typen von Universität in Europa, 2. Die gesellschaftlich organisierte Universität, 3. Die Magisterfamilie, und mit ihr kommen wir dann zu Fest und Freizeit zurück. Die drei Typen von Universität in Europa Universität war zu keiner Zeit gleich Universität. Gleichlautende akademische Termini, Titel und Würden, Stiftungsbriefe und Siegel täuschen nicht darüber hinweg. Ihr Gesicht und ihr Rang hingen entscheidend davon ab, wo man sich in Europa befand, ob im entwicklungsgeschichtlich gesehen älteren Europa mit antik-mediterranem Hintergrund, wie z.B. in Italien, Spanien, Frankreich, oder im jüngeren Europa östlich der Rheinlinie ohne diesen Hintergrund, wie z.B. im Römisch-deutschen Reich, in Ostmitteleuropa und Skandinavien17. Die Universitäten 17 des jüngeren Europa und | damit auch die des deutschen Reiches waren vergleichsweise späte Erscheinungen. Das Vorauseilen der einen Dazu etwa Rainer Christoph Schwinges, Sozialgeschichtliche Aspekte spätmittelalterlicher Studentenbursen in Deutschland, in: Johannes Fried (Hg.), Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters (Vorträge und Forschungen 30), Sigmaringen 1986, S. 527–564; ders., Student (wie Anm. 15) sowie der gesamte Band; ders., University Colleges in Late Medieval Europe, in: Wim P. Blockmans, Wolfram Fischer (Hg.), The Making of Europe, Vol. 2: Centres of Invention, Danburry/Connecticut 1994, S. 33–44; ders., Resultate und Stand der Universitätsgeschichte des Mittelalters vornehmlich im deutschen Sprachraum – einige gänzlich subjektive Bemerkungen, in: Mensch – Wissenschaft – Magie. Mitteilungen der Österreichischen Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte 20 (2000), S. 97–119, alle auch in diesen Band. 17 Zu dieser Europa-Terminologie siehe Peter Moraw, Über Entwicklungsunterschiede und Entwicklungsausgleich im deutschen und europäischen Mittelalter, in: ders., Über König und Reich. Aufsätze zur deutschen Verfassungsgeschichte des späten Mittelalters, Sigmaringen 1995, S. 293–320. 16
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und das Nachhinken der anderen bedingten nämlich zwei grundverschiedene universitätsgeschichtliche Epochen, eine ältere universale und eine jüngere partikulare Epoche; und schon das mittelalterliche Europa hatte ihnen drei verschiedene Typen von Universitäten zu verdanken. Sie trugen zwar alle drei den gemeinsamen Namen universitas, der die schwurverbandlichen, genossenschaftlichen Ursprünge wachhielt, füllten ihn aber zwischen 1200 und 1500 mit je unterschiedlichen Inhalten aus, je nachdem, wer ihr Herr war, wo ihre wissenschaftlichen Schwerpunkte lagen und wer sie besuchte18. Die Universitäten der älteren, universalen Epoche vom 12. zum 14. Jahrhundert wuchsen unter einer universalen Konzeption heran, die ausschliesslich im jüngeren Europa, also Süd- und Westeuropa eingelöst wurde. Universal waren Konzeption und Epoche, weil die legitimierenden Kräfte universale Kräfte waren, das römische Kaisertum und vor allem das römische Papsttum. Die Universitäten, die dieser Epoche angehörten, erschienen noch recht unverbindlich als Ein- oder Zwei- oder Mehr-Fakultäten-Universitäten, als Juristen-Universitäten, Mediziner-Universitäten oder Artisten-Theologen-Universitäten; selbst die später klassisch werdende Viererzahl (bis ins 20. Jahrhundert) war schon früh vorhanden, zum Beispiel in Paris, mit einem fundamentalen Unterschied jedoch zur späteren Entwicklung: Allein die Artistische, die spätere Philosophische Fakultät organisierte und dominierte hier die
18 Vgl. hierzu und zum Folgenden meine früheren Texte: Rainer Christoph Schwinges, Le Università nei Territori dell’Impero, in: Gian Paolo Brizzi und Jacques Verger (Hg.), Le Università dell’Europa, Bd. 1: La nascita delle Università, Cinisello Balsamo 1990, S. 221–255; ders., The Medieval German University: Transformation and Innovation, in: Paedagogica Historica 34 (1998), S. 375–388; ders., Genossenschaft und Herrschaft in der vormodernen Universität, in: Entwicklung und Realisierung des Genossenschaftsgedankens vom Mittelalter bis zur Gegenwart, hg. vom Historischen Verein Bayerischer Genossenschaften (Schriftenreihe zur Genossenschaftsgeschichte 2), München 2000, S. 78–94, beide auch in diesen Band. Dazu ferner Ferdinand Seibt, Von Prag bis Rostock. Zur Gründung der Universitäten in Mitteleuropa, in: Festschrift für Walter Schlesinger, Bd. 1, Köln/Wien 1973, 406-426; Ernst Schubert, Motive und Probleme deutscher Universitätsgründungen des 15. Jahrhunderts, in: Peter Baumgart und Notker Hammerstein (Hg.), Beiträge zu Problemen deutscher Universitätsgründungen der frühen Neuzeit, Nendeln 1978, S. 13–7; Peter Moraw, Aspekte und Dimensionen älterer deutscher Universitätsgeschichte, in: Peter Moraw und Volker Press (Hg.), Academia Gissensis. Beiträge zur älteren Giessener Universitätsgeschichte, Marburg 1982, S. 1–43; Frank Rexroth, Deutsche Universitätsstiftungen von Prag bis Köln. Die Intentionen des Stifters und die Wege und Chancen ihrer Verwirklichung im spätmittelalterlichen deutschen Territorialstaat, Köln/Weimar/Wien 1992; Sönke Lorenz, (Hg.), Attempto – oder wie stiftet man eine Universität. Die Universitätsgründungen der sogenannten zweiten Gründungswelle im Vergleich, Stuttgart 1999.
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Universität, in der die übrigen ‘Fachgruppen’ wie Anhängsel erschienen. Vor allem aber und künftig wichtiger verbanden sich die fachlichen mit sozialen Schwerpunkten, wodurch die Universitäten unterschiedlich geprägt wurde, am dauerhaftesten und jeweils typenbildend in Bologna und Paris. Bologna stand für die südliche, in der Hauptsache italienischsüdfranzösische Universität der gesellschaftlichen Elite, allen voran der adels- und herrschaftsnahen und herrschaftsgewohnten Juristen. Paris stand dagegen für die westliche, nordfranzösische (und zum Teil englische) Artisten-Theologen-Universität, die ohne jede Einschränkung eine ‘Universität für jedermann’ war. 18 | Als die ältere Konzeption im Laufe des 14. Jahrhunderts zerbrach – beschleunigt durch das Schisma der Papstkirche von 1378 – traten in der jüngeren, partikularen Epoche immer stärker territoriale und nationale Kräfte an die Stelle des ursprünglichen Universalismus. Jetzt bestimmten Könige und Fürsten, hier und da auch städtische Obrigkeiten die neue Konzeption. Die Folge war ein dritter Universitätstypus, die klassisch gewordene Vier-Fakultäten-Universität, die Juristen, Theologen, Mediziner und Artisten in einer gemeinsamen Organisation unter einem Dach vereinigte. In diesem Stadium und in der Vier-Fakultätenform begann mit der Gründung Prags 1348, Wiens 1365, Krakaus 1366, Heidelbergs 1386, Kölns 1388 und Erfurts 1392 die eigentliche Universitätsgeschichte des jüngeren Europa. Die Prager Universität bildete gewissermassen die Drehscheibe im Übergang von der universalen zur partikularen Epoche19. Sie war zugleich der Prüfstein für die Fähigkeit, die älteren Universitätstypen Pariser und Bologneser Prägung in einer neuen Form zu integrieren. Prag sollte diese erste Prüfung bekanntlich nicht bestehen. Das Zusammenbinden sozial unverträglicher Gemeinschaften, des vornehmen, adelsverwandten Juristenmilieus mit dem anderer sozialer und fachlicher Gruppierungen funktionierte noch nicht. Die grosse Mehrheit der 19 Dazu Peter Moraw, Die Universität Prag im Mittelalter. Grundzüge ihrer Geschichte im europäischen Zusammenhang, in: Die Universität zu Prag (Schriften der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste 7), München 1986, S. 9–134; ders.: Die Prager Universitäten des Mittelalters. Perspektiven von gestern und von heute, in: Susanna Burghartz et al. (Hg.), Spannungen und Widersprüche. Gedenkschrift für Frantisek Graus, Sigmaringen 1992, S. 109–123; ders., Die Prager Universitäten des Mittelalters im europäischen Zusammenhang, in: Schriften der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste 20, (1999), S. 97–129; ders., Prag. Die älteste Universität in Mitteleuropa, in: Alexander Demandt (Hg.), Stätten des Geistes. Grosse Universitäten Europas von der Antike bis zur Gegenwart, Köln/Wien 1999, S. 127–146.
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Universitätsbesucher stellten in Prag wie auch in den nachfolgenden Universitäten des Reiches nicht wie in Italien und Südfrankreich die elitären Juristen, auch nicht die in der Regel minderrangigen Theologen und Mediziner, sondern die Artisten-Philosophen in der ganzen Bandbreite sozialer Herkunft mit Schwergewicht jedoch im städtischhandwerklichen Milieu. Dabei ergaben sich Unklarheiten über die Führung der Universität. Man konnte nicht gut zur gleichen Zeit innerhalb einer Universität bolognesisch-elitär denken, aber der Masse gemäss pariserisch handeln. Ein solcher Dualismus musste – ungebremst – zu sozialen und konstitutionellen Konflikten führen. Das Ergebnis waren ab 1372 zwei getrennte Universitäten, die den genannten Milieus entsprachen. Prag war indessen nur das typische Produkt des Übergangs. Am Ende ist die Integration der so gänzlich inhomogenen Personenverbände gerade durch den Zugriff des vergleichsweise modernen Territorialstaates gelungen, ergänzt durch die Tatsache, dass Verfassung und Lebensformen der älteren Vorbilder unter dem Anpassungsdruck der deutschen Verhältnisse mehr und mehr verblassten20. Den daraus resultierenden neuen Universitätstyp kann man den deutschen Typus nennen, der sich auch im ganzen jüngeren Europa durchsetzen sollte. Von Anfang an war er dem Willen des herrschaftlichen Gründers und seiner Dynastie oder der städtischen Obrigkeit unterworfen; und stärker als im Westen und Süden Europas wurden die jüngereuropäischen | Universitäten 19 gezwungen, die selbstverständlich weiterbestehenden Milieuunterschiede und Spannungen zwischen den vornehmen Juristen und den anderen Universitätsangehörigen in nur einer universitas auszuhalten. So machte es einen grossen Unterschied, ob man in Aix-en-Provence oder Avignon, Bologna, Padua oder Pavia Universitäten besuchte und sich deponieren bzw. purgieren liess oder in Leipzig, Basel oder Wien, Krakau oder Kopenhagen, ob man in einem eher moderaten und vornehmen Juristenmilieu studierte oder in dem sozial polymorphen Milieu der Artisten und Theologen. In den Vier-Fakultäten-Universitäten deutschen Typs konnte man das allerdings auch am Ort erleben.
20 Frank Rexroth, “. . . damit die ganze Schule Ruf und Ruhm gewinne.” Vom umstrittenen Transfer des Pariser Universitätsmodells nach Deutschland, in: Joachim Ehlers (Hg.), Deutschland und der Westen Europas im Mittelalter (Vorträge und Forschungen 56), Stuttgart 2002, S. 507–532.
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teil iv – universitätskultur Die Gesellschaftlich organisierte Universität
Die Universität reagierte auf ihre Besucher wie jede Institution ob Kirche, Stadt, Dorf oder Fürstenhof nach den überkommenen Lebensregeln der Zeit. Sie war kurz gesagt ein Spiegelbild ihrer Umwelt, und wie ihre Umwelt eine gesellschaftlich organisierte Gemeinschaft. Alle wurden zwar aufgenommen, alle studierten unter dem gleichen Dach und in den gleichen Räumen, doch unter qualitativ, in sozialer wie rechtlicher Hinsicht, höchst unterschiedlichen Bedingungen. Dies gilt es festzuhalten gegenüber allen anachronistischen Illusionen von ‚Einsamkeit und Freiheit‘ und gleichmacherischer Liebe zur Wissenschaft, Illusionen, die sich so gern und hartnäckig in die Universitätsgeschichte einschleichen – auch dann, wenn man darüber nachdenken will, wie gelebt und gefeiert worden ist21. Der sozialen Herkunft der Besucher und ihrer Darstellung in der Universität war man sich überall, in allen europäischen Universitäten sehr bewusst. Allen war bekannt, dass auch ihre Gemeinschaft so wie jede andere Formation der Gesellschaft durch einen ordo differencie geregelt wurde. Man sah in der genauen und geziemenden Beachtung des persönlichen und familiären Ranges jedes einzelnen Universitätsangehörigen geradezu eine Garantie für den Bestand der Hochschule, weil – wie es zum Beispiel in Basel in Anlehnung an italienische Vorbilder hiess – keine Gemeinschaft ohne ein solches Regelwerk des Unterschieds vernünftigerweise existieren könne, quia nulla universitas poterit alia racione subsistere, nisi magnus eam differencie regulat ordo. Man dachte dabei nicht nur an die interne Differenzierung nach Fakultäten und akademischen Graden vom scholaris simplex über den Baccalaureus und Licentiatus bis zum Magister und Doktor, sondern gerade auch an das externe Gefüge, das mit jeder einzelnen Immatrikulation unvermeidlich verknüpft war. Sitzordnungen für die verschiedensten, öffentlichen 21 Zum Folgenden Rainer Christoph Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert. Studien zur Sozialgeschichte des Alten Reiches, Stuttgart 1986, bes. S. 341–375, dort auch Zitatbelege; ders., Student (wie Anm. 15), S. 187–195; ders., Resultate (wie Anm. 16), S. 111ff. mit Hinweisen zu neuerer Literatur, u.a. Christoph Fuchs, Dives, pauper, nobilis, magister, frater, clericus. Sozialgeschichtliche Untersuchungen über Heidelberger Universitätsbesucher des Spätmittelalters (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 5), Leiden 1995; Hilde de RidderSymoens, Rich Men, Poor Men: Social Stratification and Social Representation at the University (13th–16th centuries), in: Wim P. Blockmans und Antheun Janse (Hg.), Showing Status. Representation of Social Positions in the Late Middle Ages (Medieval Texts and Cultures of Northern Europe 2), Turnhout 1999, S. 159–176.
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und nichtöffentlichen, | gewöhnlichen und festlichen Gelegenheiten, 20 bei Sessionen, Disputationen, Gottesdiensten, Tischgesellschaften in Kollegien und Studentenhäusern, bei Magister- und Doktorschmäusen, Prozessionsordnungen zur Selbstdarstellung der Gemeinschaft nach aussen, Inskriptionsordnungen für die Suppliken an den Papst und nicht zuletzt sogar Graduierungsordnungen, sie alle, wohin man auch immer blickt, antworteten damit auf das ausgeprägte Bedürfnis der adeligen und bürgerlichen, klerikalen und laikalen Zeitgenossen, ständisch und statusgerecht zu denken, sich auszuzeichnen und voneinander abzuheben. Es gehe nicht an, dass “fürnehmer Leute Kind” sich mit anderen gemein machen, sagte man in Basel wie auch quer durch Europa. Man war überzeugt, dass man allen Besuchern je nach Rang stets die consueti honores, die gewohnten Ehren, erweisen müsse, so in Oxford; und mit Bedacht waren daher Universitäts- und Aussenwelt für jederman sichtbar und nachvollziehbar racione gradus aut status, wie man in Wien zu sagen pflegte, ineinander geschoben. Solches Honorieren und Präferieren gehörte schlichtweg zum Alltag des Universitätslebens und selbst das Besetzen der Hörsäle und der Mensen blieb davon nicht ausgespart. Die vorderen Reihen, die besten Plätze waren den nobiles, den honesti und notabiles vorbehalten. Immer jedoch konnten auch gewöhnliche Studenten sich einen statum honestum in den vornehmen Reihen erkaufen, vor allem, aber nicht nur, im Milieu der Mediziner und Juristen. Universitäten waren eben von Anfang an trotz Rückhalts an Kirche und Fürstenstaat urbane Erscheinungen und der ökonomischen Potenz, den Wertmassstäben und Lebenszielen der bürgerlichen Mehrheit zugetan. Universitäten setzten sich also aus verschieden bevorrechteten sozialen Gruppen zusammen. Deren jeweilige Anteile an der Grössenordnung, an Herkommen, sozialem Gewicht und Verhalten der Gemeinschaft formten Struktur und nicht zuletzt auch Prestige und Attraktivität einer jeden Hohen Schule. In dieser Perspektive waren die Universitäten des deutschen Typs trotz der vier Fakultäten fast reine Artistenuniversitäten. Rund 80 Prozent ihrer Besucher waren Artisten, studierten also die septem artes liberales: Grammatik, Rhetorik, Dialektik (Logik), Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik, die Urfächer der philosophischen Fakultäten, falls diese auch wirklich alle angeboten wurden. Überdies waren sie fast immer jugendliche Anfänger in der Regel zwischen 14 und 18 Jahren, und ferner waren sie, wenn auch abnehmend gegen 1500, Angehörige des geistlichen Standes, meistens clerici minores, Kleriker der niederen Weihen. Nur 10 bis 15 Prozent entfielen auf die Juristen, den
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Rest teilten sich Theologen und Mediziner – oft schon ältere Herren, jedenfalls war die Altersstruktur unter ihnen breiter gestreut. Adelige Studenten und kirchliche Würdenträger wie Dom-, Stiftsherren sowie Angehörige der städtischen Oberschichten konzentrieren sich gerne bei den Juristen, die Bedürftigkeit und krasse Armut jedoch, die scholares pauperes aus Stadt und Land, nahezu ausschliesslich in der Artesfakultät. Hier prägten Arme mit einem Anteil von 20 bis 25 Prozent zusammen mit der allgemeinen Jugendlichkeit und Klerikalität das Bild der Universität des Reiches im europäischen Rahmen in ganz besonderer Weise – und zwar so sehr, dass so gut wie niemand aus dem älteren Europa (Frankreich, Spanien, Italien) an deutschen Universitäten des Mittelalters studierte. Die Magisterfamilie 21
| Überlagert wurde der ganze ordo differencie freilich von einer grossen Klientel von Protegierten. Ein dichtes Netz aus Familien – das sind im Sinne der mittelalterlichen familia die auf einen Herrn hin geordneten Personengruppen – umgab die Universität, ein dichtes Netz aus familiares, aus Haus- und Tischgenossen, aus Patronageverbänden, die zumeist auf Verwandtschaft, Freundschaft und Landsmannschaft beruhten. Brüder, Söhne und Neffen, Freunde, Hausgenossen und Landsleute wurden in aller Selbstverständlichkeit anderen vorgezogen. Geläufig war die Magister- und Doktorfamilia oder Professorenfamilia, die sich ganz entschieden nach den traditionellen Regeln der Zeit aufbaute, nach Kleinräumigkeit, Nähe und Kompatriotismus, ohne freilich die geschilderte soziale Ordnung aufzuheben. Abstrakt wissenschaftliche Kriterien der Gruppenbildung waren der Zeit noch weitgehend fremd. Solche Familien führen uns auf den Kern studentischer und magistraler Existenz und mit ihm auch wieder zu Festen und Feiern zurück. Die Magisterfamilie ist der Inbegriff der universitären Gemeinschaft, die alles regelt, alles entscheidet, alles kontrolliert, bei Tag und bei Nacht: Lesen und Schreiben, Auswendiglernen, Vorlesungen hören, Disputieren, Repetieren, Resummieren, das Wohnen und Schlafen, Essen und Trinken, Singen, Beten, Messehören, Feiern und Spielen. Sie ist so zentral, dass die mittelalterliche Universität keine andere Form der bildlichen oder figürlichen Selbstdarstellung gefunden hat als den Magister im Kreise seiner Studenten. Ein Gebäude, noch dazu ohne
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Abb. 2: Der Vorsteher (Warden) von New College Oxford (gegr. 1379) und die Kollegiaten. Buchmalerei des 15. Jahrhunderts (aus: Franco Cardini u.a., Universitäten im Mittelalter, München 1991, S. 63).
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Personen, wäre viel zu abstrakt gewesen (Abb. 2); so etwas kommt erst im Laufe des 16. Jahrhunderts auf 22. 22 | Wer die Universität besuchte, schloss sich einem Magister seiner Wahl an und lebte und arbeitete mit ihm und der ganzen Gemeinschaft um ihn herum zusammen. Während im Juristenraum des älteren, südlichen Europa der Anschluss an den Magister oder Doktor eher im privaten Rahmen in seinem Wohnhaus oder in irgendeinem anderen Quartier stattfand, entwickelten die so stark artistisch geprägten Universitäten des Reiches und des jüngeren Europa nach Pariser Vorbild von Anfang an Gemeinschaftsobjekte, gestiftete Kollegien für Professoren und Stipendiaten, in der Mehrzahl jedoch Studentenhäuser, sogenannte Bursen im universitätseigenen oder privaten Unternehmertum. Magister der Artisten führten diese Bursen, in denen sich die Familien allein oder gleich zu mehreren konzentrierten, entweder als eigenständige Bildungsunternehmer, rectores bursarum und magistri regentes, oder aber als deren Angestellte. Meistens waren sie zugleich noch Fachstudenten der Theologie. Grosse Häuser, wie in Erfurt zum Beispiel, ausgestattet mit Küche, Keller, Speisesaal, Kapelle, Hörsälen und Bibliotheksraum, beherbergten in 20 bis 25 Zimmern bis zu 300 Personen, also zwölf und mehr in einem Raum, wo es gang und gäbe war, dass man vor allem winters auch zu zweit und zu dritt in einem Bett lag, nicht selten sogar zusammen mit seinem Magister23. Die Insassen 23 der Burse, die bursales, woraus das | deutsche Wort Burschen entstand, zahlten hier für Kost, Logis und Unterricht. Solche Häuser genossen selbstverständlich alle Privilegien der Universität, besonders wichtig die Zoll- und Steuerfreiheiten, was hiess, dass man feste und flüssige Nahrungsmittel, wenn auch zum ständigen Ärger der universitätsörtlichen Lebensmittel- und Gastgewerbe, relativ günstig, Bier und Wein eben akzisefrei, einführen konnte. Bursenmagister waren also Professoren,
22 Schwinges, Universitätsbesucher (wie Anm. 21), S. 418ff. Vgl. auch Konrad Rückbrod, Universität und Kollegium, Baugeschichte und Bautyp, Darmstadt 1977. 23 Schwinges, Studentenbursen (wie Anm. 16), bes. S. 534–542.; ders., Studenten (wie Anm. 15), S. 198–206. Dazu als Selbstzeugnis: ders., Stiefel, Wams und Studium oder: Wozu hat man einen geistlichen Onkel. Aus Notizen des Kölner Studenten Gerhard von Wieringen aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, in: Paul-Joachim Heinig et al., Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw, Berlin 2000, S. 543–563, auch in diesen Band. Zu weiterem Götz-Rüder Tewes, Die Bursen der Kölner Artisten-Fakultät bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, Köln/Wien 1993; Kurt Mühlberger, Wiener Studentenbursen und Kodreien im Wandel vom 15. zum 16. Jahrhundert, in: ders. und Thomas Maisel (Hg.), Aspekte der Bildungs- und Sozialgeschichte (Schriftenreihe des Universitätsarchivs 7), Wien 1993, S. 129–190.
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Hoteliers und Gastwirte in einem; und manch ein Regent (so auch der berühmte Philipp Melanchthon in Wittenberg) besass darüber hinaus noch eigene Schank- oder gar Braurechte. Solche Herren hatten neben der Wissenschaft begreiflicherweise auch hohes Interesse an Umsatz und Gewinn. Depositionsfeiern um die Beani am Anfang des Studiums kamen da genau so gelegen wie Promotionsfeiern am Ende, von den unzähligen sonstigen Gelegenheiten ganz zu schweigen, so wie man aus Burschenoptik dadurch der Enge und Strenge des Bursenbetriebs – und das heisst eben für die meisten des Universitätsbetriebs – ein wenig entfliehen konnte. Eine Flut von Statuten suchte gewissermassen auf Schritt und Tritt den Tagesablauf der jungen Artisten und den ihrer Magister, die oft ja nicht viel älter waren als diese, auch bei Fest und Freizeit zu kontrollieren. Zweifellos war hier der Regelungsbedarf grösser als in den Häusern ausserhalb des Artistenmilieus, einerseits um den Übermut, andererseits um den mitunter ruinösen Aufwand zu steuern. Doch die Fülle von Papier und Pergament belegt nur, dass man gegenüber dem natürlichen Tatendrang der jungen Leute machtlos war. Da half auch keine histoire scandaleuse, die sich Obrigkeit, Professoren, Kirchenmänner und Bürgersleute wie mit einer Stimme jahrhundertelang erzählten: Studenten lärmen und raufen, huren und saufen, singen und tanzen, dienen der Fortuna, spielen Karten (Abb. 3), Schach und frönen den Würfeln, machen Schulden, treiben sich bei Tag und Nacht herum, stolzieren in unangemessener, modischer Kleidung einher, provozieren Bürger und Bürgerinnen und deren Töchter, Zunftgesellen und Stadtknechte, tragen Waffen und benutzen sie auch. Nicht Universität und Wissenschaft lockten, sondern die Vergnügungen und Verführungen des Stadtlebens, insbesondere seines weiblichen Anteils, dem wahren Alptraum der Verantwortlichen dieses reinen Männervereins in Kollegien und Bursen, in dem bis um 1500 nur verschwindend wenige – am ehesten noch Mediziner und Juristen – verheiratet waren24. Studentinnen gab es damals noch nicht, es sei denn, 24 Zum Leben und Treiben Schwinges (wie Anm. 23); Schulze-Ssymank (wie Anm. 5); Rashdall (wie Anm. 2), S. 339–464; Léo Moulin, La vie des étudiants au moyen âge, Paris 1991; Siegfried Hoyer, Der Alltag an einer Universität des 15. Jahrhunderts. Magister und Scholaren der Alma Mater Lipsiensis, in: Sabine Tanz (Hg.), Mentalität und Gesellschaft im Mittelalter. Gedenkschrift für Ernst Werner, Bern/Frankfurt 1993, S. 237–260. Viel ‘Stoff’, wobei strenges Historisieren in diesem Genre nötig ist, auch bei Bauer, Sittengeschichte (wie Anm. 3); Oskar Dolch, Geschichte des deutschen Studententums, Leipzig 1858 (Ndr. Graz 1968); Johann Huber, Bilder aus dem deutschen
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Abb. 3: Würfel-, Karten- und Glücksspiele sind verboten. Buchmalerei von 1497 (aus: Johannes Kerer, Statuta Collegii Sapientiae. Satzungen des Collegium Sapientiae zu Freiburg im Breisgau 1497. Faksimile-Ausgabe, hg. von Hermann Beckmann, Lindau-Konstanz 1957, fol. 35v).
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| beschränkt allerdings auf das ältere, italienische Europa, inoffiziell als 24 ‘Standesstudentinnen’, als gebildete Damen aus Professorenfamilien und anderen universitätsnahen Kreisen oder aber gelegentlich als ‘verdeckte Hörerinnen’ in Männer- bzw. Studentenkleidern25. Das ständige Normieren und Ordnenwollen war freilich nichts Besonderes in der mittelalterlichen Welt und so auch nicht in der Universität und sollte nicht einfach an Klosterzucht denken lassen. Straffe Ordnungen gab es überall: Zunftordnungen, Gesellen- und Lehrlingsordnungen, Kleiderordnungen, Hochzeits- und Tanzordnungen der Stadtbürger, Trinkstubenordnungen der Patrizier, Hofordnungen des Königs und der Fürsten und dergleichen mehr regelten das Zusammenleben und Zusammenarbeiten vieler unterschiedlicher Menschengruppen, verschiedener Stände in Alltag, Freizeit und Geselligkeit. In den Kollegien und Studentenhäusern wurden nicht nur Wissen, Methoden und andere Standards der akademischen Welt vermittelt, sondern auch soziale Fertigkeiten und Verhaltensmuster, die der gesamten Gemeinschaft den Umgang miteinander und mit der nicht in gleicher Weise privilegierten ‘Aussenwelt’ erleichtern sollten. Gebote und Verbote, die hinter der Folie der modernen akademischen Freiheit als groteske Zwangsmassnahmen erscheinen könnten, hatten aufs Ganze gesehen durchaus stabilisierende Funktionen. Man sorgte sich schliesslich um den öffentlichen Frieden. Trotz alledem wusste man, dass Arbeit und Musse einander bedingten. Feiertage, Ferien und Freizeit waren genügend vorhanden, um den Lehr- und Lernbetrieb erträglich zu gestalten. Universitäten und Fakultäten führten jeweils eigene Fest- und Ferien-Kalender, da sie grundsätzlich das ganze Jahr über in Betrieb waren, und daher auch Studentenleben (Westermanns Monatshefte 17), Braunschweig 1865; Richard Fick, Auf Deutschlands Hohen Schulen. Illustrierte kulturgeschichtliche Darstellung deutschen Hochschul- und Studentenwesens, Berlin 1900; Oskar F. Scheuer, Geschichtliche Entwicklung des deutschen Studententums in Österreich mit besonderer Berücksichtigung der Wiener Universität von der Gründung derselben bis auf die Gegenwart, Wien 1909; Werner Klose, Freiheit schreibt auf eure Fahnen: 800 Jahre deutsche Studenten, Oldenburg/Hamburg 1967; Peter Krause, O alte Burschenherrlichkeit. Die Studenten und ihr Brauchtum, Graz 51997 – Interessantes von heute bei Reingard M. Nischik (Hg.), Studentenküsse. Unerhörte Liebesgeschichten und Satiren aus der Uni-Welt, Eggingen 2000. 25 Andrea von Hülsen-Esch, Frauen an der Universität? Überlegungen anlässlich einer Gegenüberstellung von mittelalterlichen Bildzeugnissen und Texten, in: Zeitschrift für Historische Forschung 24 (1997), S. 315–346. Zum Fall einer Studentin in Männerkleidern siehe Michael H. Shank, A female university student in late medieval Kraków, in: Signs. Journal of women in culture and society 12 (1987), S. 373–380.
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während der Ferien sowie an Sonn- und Feiertagen Lehrveranstaltungen als ausserordentliche Vorlesungen und Repetitionen anboten. Bis weit ins 15. Jahrhundert bestimmten in ganz Europa die ordentlichen Bücher den Rhythmus des Studienjahres, die der deswegen sogenannte ordentliche Professor zu lesen hatte und die man anders als die zuvor genannten zu hören verpflichtet war: Magnus ordinarius nannte man die längere Zeit vom 1. Oktober bis Ende Juni, parvus ordinarius die kürzere vom 1. Juli bis Ende September, unterbrochen von Weihnachts-, Oster- und Pfingstferien sowie den rund zweimonatigen ‘Grossen Ferien’, die sich je nach Fakultät zwischen St. Peter und Paul (29. Juni) und St. Michael (29. September) erstreckten. Viele reisten in solchen Zeiten nach Hause und kehrten vielleicht mit frischem Mut, neuer Kleidung und neuer Ausrüstung und vor allem wieder frisch gefülltem Beutel zurück26. 25 | Neben den offiziellen Sonn- und Feiertagen dienten auch viele vorlesungsfreie Tage der Entspannung, für die im statutengerechten Alltag wenig Raum war. Mit grossen Festlichkeiten, Gottesdiensten, Prozessionen und verschiedenen Amusements wurden die Tage der heiligen Patrone der Fakultäten oder einzelner Landsmannschaften begangen, Maria oder Thomas von Aquin bei den Theologen, Ivo bei den Juristen, Cosmas und Damian oder Lukas bei den Medizinern, Katharina oder Nikolaus bei den Artisten. Einen besonderen Spass für die vielen jugendlichen Artisten versprach der Tag des Heiligen Nikolaus am 6. Dezember, des Patrons der fahrenden Schüler (und daher später der Kinder): Mit Umzügen und Spielen gedachte man seiner, wie etwa mit dem Bischofsspiel von Paris, das eine nahezu europaweite Ausstrahlung erlangte. Ähnlich war das Christmas-King-Spiel, das aus dem spätmittelalterlichen Oxford überliefert ist. Es handelte sich dabei um typische Funktionsspiele, in denen die Studenten die weltliche oder geistliche Obrigkeit mimen und damit die herrschende Stände- und Sozialordnung für einmal auf den Kopf stellen durften, so wie es sich auch im närrischen Regiment des Prinzen Karneval entwickelt hat. Um 1500 kamen die ersten Stiftungsfeste auf, an denen man mit Gottesdiensten, Umzügen, Reden und Gelagen der Universitätsgründung gedachte, besonders feierlich an den grossen runden Geburtstagen. Eines der ersten Feste fand 1509 in Leipzig statt, als man des Auszugs der deutschen Professoren und Studenten aus Prag 1409 und ihres
26 Wie Anm. 23–24 und Henri Boiraud, Contribution à l’étude historique des congés et des vacances scolaires en France du Moyen Age à 1914, Paris 1971.
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Einzugs in Leipzig gedachte, der damit zugleich zum Gründungsakt der Universität stilisiert wurde. Fasnachtsspiele, Maifeiern und Auszüge ‘ins Grüne’, ergänzten diese ‘Freizeitangebote’ neben vermutlich vielen Unternehmungen in Nationen, Kollegien und Bursen oder Freundeskreisen, in die man kaum Einblick hat – von den freien Tagen, welche die schottischen Universitäten für Hahnenkämpfe gewährten, bis zum “Fest des ersten Schnees” und den Gelagen an jedem Ersten eines Monats in Bologna und anderen italienischen Juristenuniversitäten. Sicher waren auch die vorlesungsfreien Tage mit alldem besonders ausgefüllt, was Statuten untersagten oder einzuschränken suchten: mit dem Musizieren in Strassen und Häusern, dem Besuch der Tavernen, dem Flanieren, Flirten, Tanzen, Glücksspielen, Ballspielen, Fechten usw. Solche Aktivitäten waren natürlich überall abhängig von Alter und Stand der Studenten und ihrer Magister und Doktoren. Wie sehr die gewohnte Ordnung auch in gemeinsamer Freizeit und beim Feiern griff, bewies pars pro toto das Bologneser Fest des ersten Schnees: Zuerst durften die vornehmen Rechtsstudenten den Bürgern Schneebälle im Tausch gegen Geld, Wein oder Nahrungsmittel für ihr abendliches Fest anbieten, erst dann, wenn diese genug beisammen hatten, waren die gewöhnlichen Mediziner und Artisten an der Reihe27. Fest und Freizeitgestaltung haben in der mittelalterlichen Universität gewiss dazu beigetragen, die Neulinge rasch einzubinden, eine ‘korporative Identität’ zu stiften28, ein Wir-Gefühl zu erzeugen und die so gefestigten Magisterfamilien nach innen wie nach aussen hin darzustellen. Damit unterscheidet sich die Universität eigentlich in | nichts 26 von ihrer gesellschaftlichen Umwelt – selbst dann nicht, wenn man Fest und Freizeit als Illusion definiert, für einmal dem allgemein geteilten Mangel gemeinschaftlich zu entgehen. Von nichts ist mehr die Rede unter Studenten und Professoren denn von Essen und Trinken. Thesen, Antithesen und Synthesen, die eherner Pfeiler des scholastischen Disputierens, verblassten vor der Sorge, bei irgendeinem Mahle zu kurz zu kommen. Die Krisen der Agrargesellschaft vom type ancien schienen auch in der Universität stets durchzuschlagen – bezeichnenderweise Walter Steffen, Die studentische Autonomie im mittelalterlichen Bologna, Bern 1981, 122ff. Zum elitären Kreis der Juristen und seiner Rückwirkung auf die Verhältnisse im Reich Jürg Schmutz, Juristen für das Reich. Die deutschen Rechtsstudenten an der Universität Bologna 1265–1425 (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitätsund Wissenschaftsgeschichte 2), 2 Bände, Basel 2000. 28 So schon Bruchmüller 1909 (wie Anm. 5), S. 50, mit der Formel vom ‘korporativen Gemeinsinn’. 27
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wiederum am meisten in der artistisch-philosophischen Fakultät und ihrer Bursen. Mittelalterlichen Ursprungs ist zwar der sprichwörtliche plenus venter non studet libenter, der volle Bauch, der nicht gerne studiert, doch kann man sich kaum vorstellen, dass ein solcher Spruch aus Universitätskreisen hervorgegangen ist. Gross war die Freude über jede Spende für Küche und Keller, über jeden Trunk in propinam familiae. Der Bursenwitz der Leipziger Heinrichsburse, aufgeschnappt in den berühmten Briefen der Dunkelmänner, hat um 1515 die übliche Speisenfolge folgendermassen karikiert29: “Wir haben viele gelehrte Magister bei uns, haben auch gut zu essen in unserer Burse und zweimal täglich sieben Gerichte, mittags und abends. Das erste heisst Semper [immer], auf deutsch Grütze, das zweite Continue [ständig], d.h. Suppe; das dritte Quotidie [täglich], d.h. Mus; das vierte Frequenter [häufig], d.h. Magerfleisch; das fünfte Raro [selten], d.h. Gebratenes; das sechste Numquam [niemals], d.h. Käse; das siebente Aliquando [irgendwann], Äpfel und Birnen. Und dazu haben wir einen guten Trunk, welcher ‘Konvent’ heisst [ein Dünnbier]. Seht da, ist das nicht genug? Diese Ordnung beobachten wir das ganze Jahr hindurch, und sie wird von allen gelobt.” Man kann sich danach leicht vorstellen, zumal noch die Heinrichsburse als ein Ort des Adels galt, dass die Lust auf Festivitäten jeder Art kaum zu unterdrücken gewesen ist (Abb. 4). Man hatte allerdings jene goldenen Regeln zu beachten, die Lateinisch und Deutsch an der Stubentür derselben Burse gestanden haben sollen: Regula bursalis est omni tempore talis: / Prandia fer tecum, si vis comedere mecum – Geh nit zu armer Bursch zu gast / So du dein speiss nit bey dir hast30. Es sei denn, man war zu einer Promotionsfeier mit anschliessendem Mahl geladen, bescheidener im Rahmen der Artistenfakultät beim prandium Aristotelis eines frisch gebackenen Magisters, üppiger bis ausserordentlich üppig beim Doktorschmaus der Mediziner und vor allem der Juristen. Mit einem Blick in die Rechnungen solcher Schmäuse des 15./16. Jahrhunderts kann man sich leicht eine gewisse Vorstellung von deren Opulenz machen31. Rund 200 rheinische Goldgulden kosteten oft diese Vergnügen, glatt das Zehnfache eines normalen Zit. nach: Briefe der Dunkelmänner, übersetzt v. Wilhelm Binder, revidiert v. Peter Amelung, München 1964, S. 104. Dazu Bruchmüller (wie Anm. 5), S. 16f. (hier nach Epistulae obscurorum virorum I, ed. Eduard. Böcking, Leipzig 1864, 60ff.); Hoyer, Alltag (wie Anm. 24), S. 241. 30 Ebd. und zum deutschen Text Schulze-Ssymank (wie Anm. 5), S. 59. 31 Bauer, Sittengeschichte (wie Anm. 3), 110ff. u.ö. Schulze-Ssymank (wie Anm. 5), S. 73ff., und mehr aus Anm. 24. 29
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Abb. 4: Die karge Tafel der Kollegiaten. Buchmalerei von 1497 (aus: Johannes Kerer, Statuta Collegii Sapientiae. Satzungen des Collegium Sapientiae zu Freiburg im Breisgau 1497. Faksimile-Ausgabe, hg. von Hermann Beckmann, Lindau-Konstanz 1957, fol. 27v).
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artisten-studentischen Jahresbudgets zu dieser Zeit und das fünffache des durchschnittlichen Jahressalärs eines Magisters der freien Künste32. 27 Den Gästen, unter ihnen der Rektor, Dekan, Examinatoren, | Kollegen, Freunde und Honoratioren der Univertsitätsstadt, mochte es recht sein, wenn ihnen verschiedene Sorten gekochten und gebratenen Fleisches vorgesetzt wurden, reichlich Hecht und Karpfen, verschiedenes Wildbret, alles offenbar gut und teuer gewürzt, süsse Suppen mit Zimt und Mandeln, Brot, Kuchen und Obst. Und hinuntergespült wurde alles mit Unmengen an Wein und Bier, Rheinwein und Malvasier, und vielleicht auch mit Mückensenf und Hellschepoff. Abstract Festivities and recreational activities – from the rites de passage of the freshmen (beani ) to the graduation ceremonies – were of great importance in the medieval university. They created a corporate identity, and shaped academic life to a significant degree. However, the intensity with which festivities and recreational activities were pursued in the different university regions of Europe varied greatly. This was probably due to the different types of universities that existed. Especially the ‘German type’ generated a much rougher climate for festivities than the other European universities, which became evident, inter alia, in the so-called deposition festivities. The reasons for this might be found in the great social disparities between the faculties the universities had to endure, the preponderance of the socially polymorphic faculty of the Artes, which constituted around 80% of all university attendants, and the tightly regulated collective life in student halls (bursae) and ‘master families’. This could perhaps only be tolerated by a great variety of local academic beers like ‘Mückensenf ’ and ‘Hellschepoff’.
32 Siehe z. B. Jacques Paquet, Salaire et prébendes des professeurs de l’université de Louvain au XV e siècle, Léopoldville 1958; Josef Rosen, Die Universität Basel im Staatshaushalt 1460 bis 1535. Die Gehälter der Dozenten, in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 72 (1972), S. 137–219, 176ff.; Jacques Verger, Die Universitätslehrer, in: Rüegg (wie Anm. 15), S. 144ff.; Schwinges, Student (wie Anm. 15), S. 216ff.
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KARRIEREMUSTER. ZUR SOZIALEN ROLLE DER GELEHRTEN IM REICH DES 14. BIS 16. JAHRHUNDERTS. EINE EINFÜHRUNG* Gelehrte im Reich bilden einen Personenkreis, dessen Existenz und Aktualität kaum zu überschätzen ist, will man die Rolle der Universitäten im politischen und sozialen Leben richtig beurteilen und Staatlichkeit und gesellschaftliche Organisation in Reich, Territorien, Städten und Kirchen angemessen verstehen. Viele Entwicklungen in der landesherrlichen, städtischen und kirchlichen Verwaltung, in Gerichten und Schulen, aber auch in der Allgemeinbildung eines breiteren Publikums in Stadt und Land noch in vorreformatorischer Zeit wären ohne die zunehmende Präsenz von Gelehrten kaum vollstellbar gewesen. Man wird daher nicht zögern, Gelehrte bereits zu den wichtigsten Modernisierungsträgern auf Reichsboden im fraglichen Zeitraum zu zählen. Akademische Eliten waren hier am Werk, scholastisch oder humanistisch geprägt: zum einen das universitätsgeschulte Personal, graduierte Juristen, Theologen, Mediziner, Bakkalare also, Lizentiaten und Doktoren, nicht zuletzt auch ‘gelehrte Artistenmagister’, die in ihrer Fakultät die freien Künste lehrten und sich in den höheren Fakultäten häufig als Magisterstudenten weiterbildeten; zum anderen die Zöglinge ausseruniversitärer Wissensvermittlung bis hin in den privaten Bereich. Privatgelehrte, ‘Halbgelehrte’ sind hier problematische, nicht zuletzt aber auch provokative Begriffe. Auf sie alle wird der Begriff der Elite ganz bewusst angewandt, ohne im einzelnen schon zu wissen, ob, für welche Personen, wann und auf welche Weise die altständisch-elitären Kriterien der Geburt, des Besitzes und der Beziehungen durch neue Kriterien der Graduierung und der Qualifikation durch Wissen und gelehrte Leistung ergänzt oder gar ersetzt werden konnten. Die so beschriebene akademische Elite umfasste in den rund 150 Jahren seit der ersten Universitätsgründung auf Reichsboden in Prag
* In: Gelehrte im Reich. Studien zur Sozial- und Wirkungsgeschichte akademischer Eliten des 14. bis 16. Jahrhunderts, hg. von Rainer Christoph Schwinges (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 18), Berlin: Duncher & HeinSlot 1996, S. 11–22.
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1348 bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts schätzungsweise 25 000 Personen, ganz unterschiedlichen Ranges, gleichwohl aber nur einen Bruchteil der Universitätsbesucher. An den 16 Universitäten des Reiches, die in diesem Zeitraum gegründet wurden, sowie an den auswärtigen Hochschulen vor allem Frankreichs und Italiens (aber auch in Krakau) studierten hochgerechnet fast eine Viertel Million Reichsangehörige. An ihrer Spitze standen die Gelehrten; und wahrscheinlich waren im Herrschaftsgefüge des Reiches nur sie auf ihrem weiteren Lebensweg 12 einer vermutlich mittleren Führungsebene | zugeordnet, zum Teil neben, zum grösseren Teil aber wohl unterhalb des Adels und des Grossbürgertums. Wie breit und wie zugänglich diese Führungsebene in den verschiedensten Regionen des Reiches für die Gelehrten und erst recht für die grosse Mehrheit der Universitätsbesucher war, durch welche sozialen Schleusen und zeitgenössisch zulässigen Karrieren man dorthin gelangte, welche Rolle man dort spielen und welche Wirkung man dort entfalten konnte, das alles sind immer noch offene Fragen, selbst noch in Untersuchungen über gelehrte Juristen, obwohl es hier einen Vorsprung gibt, jedoch um Vieles mehr noch, wenn es die übri13 gen Gelehrten betrifft1. | Offen sind auch immer noch Fragen nach
1 Den neuesten Überblick bietet Peter Moraw, Der Lebensweg der Studenten, in: Geschichte der Universität in Europa, hg. von Walter Rüegg, Bd. I: Mittelalter, München 1993, S. 225–254 (engl. Version: Careers of Graduates, in: A History of the University in Europe, ed. by Hilde de Ridder-Symoens, Vol. 1: Universities in the Middle Ages, Cambridge 21994, S. 244–279). Ders., Gelehrte Juristen im Dienst der deutschen Könige des späten Mittelalters (1273–1493), in: Die Rolle der Juristen bei der Entstehung des modernen Staates, hg. von Roman Schnur, Berlin 1986, S. 77–147. Vgl. ferner in Auswahl mit Beschränkung auf den Reichsraum: Sven Stelling-Michaud, L’Université de Bologne et la pénétration des droits romain et canonique en Suisse aux XIIIe et XIVe siècles, Genève 1955. Winfried Trusen, Anfänge des gelehrten Rechts in Deutschland, Wiesbaden 1962. Hellmut Rössler und Günther Franz (Hg.), Universität und Gelehrtenstand 1400–1800 (Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit 4), Limburg 1970. Werner Kuhn, Die Studenten der Universität Tübingen zwischen 1477 und 1534, 2 Bde. Göppingen 1971. Hans Hattenhauer, Geschichte des Beamtentums (Handbuch des Öffentlichen Dienstes 1), Köln-Berlin 1980. Bernd Moeller, Hans Patze und Karl Stackmann (Hg.), Studien zum städtischen Bildungswesen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Philologisch-historische Klasse III 137), Göttingen 1983 (hier v.a. die beiden Arbeiten von Klaus Wriedt, s. auch unten). Otto Gerhard Oexle, Alteuropäische Voraussetzungen des Bildungsbürgertums – Universitäten, Gelehrte und Studenten, in: Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert, hg. von Werner Conze und Jürgen Kocka, Bd. 1, Stuttgart 1985, S. 29–78. Dietmar Willoweit, Das juristische Studium in Heidelberg und die Lizentiaten der Juristenfakultät von 1386 bis 1436, in: Semper Apertus. Sechshundert Jahre Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg 1386–1986, Bd. 1: Mittelalter und frühe Neuzeit, Berlin 1985, S. 85–135. Ingrid Männl, Die gelehrten Juristen im Dienst der
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den entscheidenden Zäsuren in der Sozialgeschichte der Gelehrten, Fragen ferner, die dem Umsetzen der erworbenen mündlichen und schriftlichen Kompetenzen im öffentlichen Leben gelten, Fragen also nach der Wirkungsgeschichte, nach der Ausarbeitung und Anwendung von Herrschafts- und Verwaltungstechniken, dem Transfer tradierten Wissens und methodischer Schulung in Hof- und Verwaltungskarrieren, in Kirchen und Klöstern, in Gerichten und Schulen, städtischen und territorialen Ämtern, in selbständig bestimmten Professionen der medizinischen und juristischen Praxis, in der Laufbahn von Theologen und nicht zuletzt in der des werdenden Universitätsprofessors; und offen sind schliesslich auch noch die Fragen nach den Möglichkeiten sozialer Mobilität und dem Entstehen neuer Führungsgruppen. Bei all diesen Fragen mag der Blick auf das Bild (Abb. 1) ein wenig helfen und die zeitgenössische Akzeptanz der Gelehrten ebenso illustrieren wie das im ausgehenden 15. Jahrhundert aufgekommene Sprichund Schimpfwort Die Gelehrten die Verkehrten, das nur eine Antwort sein kann auf das zunehmende ‘Sich-Einmischen’ von Gelehrten, vor allem von Theologen und Juristen in die Dinge des täglichen Lebens2. Unter Hunderten von Gelehrtenbildern finden sich nur wenige, die so wie dieses hier, Gelehrte der Welt entrückt und sie dennoch gleichzeitig mitsamt ihrer Amtstracht und typischen Tätigkeit in einer räumlich offenen Umwelt in Szene setzt. Es handelt sich um ein Planetenkinderbild, deutschen Fürsten im späten Mittelalter (1250–1440), Diss. phil. Giessen 1986. Ingrid Buchholz-Johanek, Geistliche Richter und geistliches Gericht im spätmittelalterlichen Eichstätt (Eichstätter Studien, Neue Folge XXIII), Regensburg 1988. Rolf Häfele, Die Studenten der Städte Nördlingen, Kitzingen, Mindelheim und Wunsiedel bis 1580. Studium, Berufe und soziale Herkunft (Trierer Historische Forschungen 13), Trier 1988. Klaus Malettke und Jürgen Voss (Hg.), Humanismus und höfisch-städtische Eliten im 16. Jahrhundert (Pariser Historische Studien 27), Bonn 1989. Klaus Wriedt, Universitätsbesucher und graduierte Amtsträger zwischen Nord- und Süddeutschland, in: Nord und Süd in der deutschen Geschichte des Mittelalters, hg. von Werner Paravicini (Kieler Historische Studien 34), Sigmaringen 1990, S. 193–201 (und dort zitierte frühere Arbeiten des Vf.s). Rainer Christoph Schwinges, Rektorwahlen. Ein Beitrag zur Verfassungs-, Sozial- und Universitätsgeschichte des Alten Reiches im 15. Jahrhundert (Vorträge und Forschungen, Sonderband 38), Sigmaringen 1992. Frank Rexroth, Karriere bei Hof oder Karriere an der Universität?, in: Zeitschrift für die geschichte des Oberrheins 141 (1993), S. 155–183. Christoph Fuchs, Dives, Pauper, Nobilis, Magister, Frater, Clericus. Sozialgeschichtliche Untersuchungen über Heidelberger Universitätsbesucher des Spätmittelalters (1386–1450) (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 5), Leiden 1995, bes. S. 89–118. 2 Hierzu die reich dokumentierte Arbeit von Carlos Gilly, Das Sprichwort “Die Gelehrten die Verkehrten” oder der Verrat der Intellektuellen im Zeitalter der Glaubensspaltung, in: Forme e destinazione del messaggio religioso. Aspetti della propaganda religiosa nel cinquecento, a cura di Antonio Rotondo, Firenze 1991, S. 229–375, bes. S. 233–248.
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Abb. 1: Gelehrte als Jupiterkinder, Holzschnitt aus ‘Einwirkung der Planeten’ um 1470, Berlin Kupferstichkabinett.
um einen Holzschitt über die Einwirkung der Planeten auf das Menschenleben, der einem niederrheinischen Blockbuch der Zeit um 1470 entnommen ist3. Man mag es in der Senkrechten klar zweiteilen. Die 3 Berlin, Kupferstichkabinett, abgedruckt bei Emil Reicke, Der Gelehrte in der deutschen Vergangenheit (Monographien zur deutschen Kulturgeschichte 7), Leipzig 1900, S. 24. Zu dieser Form der Darstellung vgl. Wilhelm Ludwig Schreiber, Manuel de l’amateur de la gravure sur bois et sur métal au XVe siècle, Bd. IV, Leipzig 1908, S. 418–427, bes. S. 418f. und 423. Anton Hauber, Planetenkinderbilder und Sternbilder. Zur Geschichte des menschlichen Glaubens und Irrens (Studien zur deutschen Kunstgeschichte 194), Strassburg 1916, bes. S. 119–129 und 264–268 (im Tafelteil weitere Bildbeispiele). Gundolf Keil, Friedrich Lehnhardt und Christoph Weisser (Hg.), Vom Einfluss der Gestirne auf die Gesundheit und den Charakter des Menschen. Kommentar zur Faksimile-Ausgabe des Manuskriptes C 54 der Zentralbibliothek Zürich (Nürnberger Kodex Schürstab), Luzern 1983, S. 174–181. Vgl. auch Francis B. Brévart
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rechte Seite ist ganz einer herrschaftlichen Sphäre zugeordnet. Die Burg- oder Schlossanlage, die Jagd mit Falken, Hund und Jäger sowie die höfische Szene des Thronens als Herr oder Richter vor huldigenden Untertanen oder Klienten sind zusammen der typische Ausdruck von Herrenexistenz. Die linke Seite, abseits der Herrschaft, ist dagegen weniger eindeutig gestaltet, jedoch so, dass man die Gelehrtenszene vielleicht einer Stadtanlage zuordnen | darf. In der Waagerechten 14 betrachtet bilden Stadt und Burg, Studium und Herrschaft die ruhenden Pole, die alles Bewegliche umschliessen. Wie Stadt und Burg, so stehen auch Studierszene und Herrscher- oder Richterszene einander gegenüber, auf verschiedenen Seiten, aber doch auf gleicher Höhe und Ebene und noch dazu im Vordergrund des Bildes. | Gelehrte und ihr Tun sind also in die Welt einbezogen, hier allerdings 15 in eine sehr exponierte Teilwelt, die vom Planeten Jupiter beeinflusst wird. Dargestellt sind ‘Jupiterkinder’, unter Jupiters Einfluss agierende Standes- und Berufsangehörige, zu denen vor allem Jäger und Gelehrte, insbesondere aber Rechtsgelehrte und Rechtspraktiker gezählt werden, wie der Herr und Richter, der in der Praxis über das Recht wacht, das ‘gegenüber’ studiert oder ausgelegt wird. Für den Xylographen, der das Blockbuch über die Einwirkung der Planeten auf das irdische Leben für ein astrologisch interessiertes Laienpublikum zu illustrieren hatte, standen in diesem Bild nur Herren- und Gelehrtendasein unter dem gemeinsamen Stern – jedes in der Wirkung auf seine Weise eine eigene gestalterische Kraft im Erklären beziehungsweise Ordnen der Welt. Weitere ‘Jupiterkinder’ aus der stadtbürgerlichen und kirchlichen Welt, Angehörige vor allem der Bekleidungsgewerbe oder Welt- und Ordensgeistliche, wie sie in vielen anderen Darstellungen zusätzlich zu erkennen sind, werden hier gar nicht erst berücksichtigt4. Insgesamt scheint, was kaum zufällig sein wird, ein betont positives Bewusstsein vom Rang der Gelehrten und ihrer Arbeit im Herrschaftsgefüge des ausgehenden Mittelalters zum Ausdruck zu kommen – ein überdies weit verbreitetes Bewusstsein. Denn solche Planetenkinderbilder fanden sich in den beliebten Hausbüchern mit laienastrologisch-medizinischen Inhalten, in denen Hausväter und Hausmütter planetarisch Wissenswertes über Charakter und Gesundheit des Menschen im Rahmen eines Kalenders erfahren konnten. Im Reich wusste man den Rang
und Gundolf Keil, Planetentraktate, in: Verfasserlexikon Bd. 7 (1989), S. 715–723. Für wertvolle Hinweise danke ich Frau Dr. Andrea von Hülsen-Esch, Göttingen. 4 Vgl. hierzu den Tafelteil bei Hauber (Anm. 3), Abb. S. 24–28.
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von Gelehrten wohl zu dieser Zeit nirgendwo besser einzuschätzen als im Rheinland, vom Niederrhein bis zum Oberrhein, wo die ersten Blockbücher in Konkurrenz zum aufkommenden Buchdruck ab 1465 entstanden, in einer schon klassischen Führungslandschaft, die zugleich auch der unmittelbare Einzugsraum sehr erfolgreicher Universitäten war: Löwen und Köln, Heidelberg, Freiburg und Basel. Von der sozialen Rolle der Gelehrten im alten Reich und den Karrieren, die sie dazu musterhaft durchliefen, kann man nicht sprechen, ohne die Bedingungen zu beachten, unter denen sie nicht nur möglich, sondern auch zulässig gewesen sind, und zwar in einer Gesellschaftsform, die wir gewöhnlich alteuropäisch oder traditional nennen und damit eine Gesellschaft meinen, die andere Qualitäten und Spielregeln sozialen Erfolgs für gut und richtig hielt als eine moderne Leistungsgesellschaft. Jene setzte auf Kleinräumigkeit und Betonung der Nähe, auf ständische, familiare und patronale Qualitäten und Werte, innerhalb derer sich persönliche Leistungen ob durch Anpassen oder Aufbrechen durchaus entfalten mochten5. Für die Zwecke dieser Einführung seien zunächst jene acht institutionellen und sozialen Bedingungen formu16 liert, die gleichsam als Rahmenbedingungen gelehrter Karrieren | erscheinen können6, um dann anschliessend mögliche Muster empirisch zu überprüfen. Rainer Christoph Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert. Studien zur Sozialgeschichte des Alten Reiches (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abt. Universalgeschichte 123: Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches 6), Stuttgart 1986. Ders., Rektorwahlen (Anm. 1), S. 27–63. Ders., Der Student in der Universität, in: Rüegg (Anm. 1), S. 181–223, bes. S. 185–195. Moraw, Lebensweg (Anm. 1), bes. S. 249ff. 6 Vgl. zum Folgenden den Überblick bei Rainer Christoph Schwinges, Le Università nei Territori dell’Impero, in: Le Università dell’Europa: La Nascita delle Università, a cura di Gian Paolo Brizzi e Jacques Verger, Cinisello Balsamo/Milano 1990, S. 221–255. Ders., Rektorwahlen (Anm. 1), S. 27ff. Peter Moraw, Über Entwicklungsunterschiede und Entwicklungsausgleich im deutschen und europäischen Mittelalter. Ein Versuch, in: Hochfinanz, Wirtschaftsräume, Innovationen. Festschrift für Wolfgang von Stromer, hg. von Uwe Bestmann, Franz Irsigler und Jürgen Schneider, Bd. 2, Trier 1987, S. 583–622, 604ff. (wiederabgedruckt in Peter Moraw, Über König und Reich. Ausgewählte Aufsätze zur deutschen Verfassungsgeschichte im späten Mittelalter, hg. von Rainer Christoph Schwinges, Sigmaringen 1995, S. 293–320, 312ff.). Weiterführend auch ders., Das spätmittelalterliche Universitätssystem in Europa – sozialgeschichtlich betrachtet, in: Wissensliteratur im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, hg. von Horst Brunner und Norbert Richard Wolf (Wissensliteratur im Mittelalter 13), Wiesbaden 1993, S. 9–25. Harald Dickerhof, Europäische Traditionen und “deutscher Universitätsraum”. Formen und Phasen akademischer Kommunikation, in: Die Bedeutung der Kommunikation für Wirtschaft und Gesellschaft, hg. von Hans Pohl (Viertel jahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beiheft 87), Stuttgart 1989, S. 173–198. 5
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1. Die Universitäten des Reiches traten anders als ihre älteren europäischen Schwestern zwar spät, aber dafür sofort als neuer Typus auf den Plan: als Vier-Fakultäten-Universität. Diese war so verfasst, dass sie Juristen, Theologen, Mediziner und Artisten, und damit gänzlich inhomogene und sozial fast unverträgliche Personenverbände, für die jeweils Bologna und Paris Modell standen, in einer gemeinsamen Institution vereinigte. Zu verdanken war dies, auch wenn das erste Experiment in Prag zunächst misslang, dem hohen Zentralisierungsdruck des vergleichsweise modernen Territorialstaates und in einigen Fällen auch der grossen Stadt. Von Anfang an war der neue Universitätstyp dem Willen des herrschaftlichen Gründers und Stifters unterworfen; und dies sollte auch künftig in der engen Bindung an die Herrschaft so bleiben, vor allem an den Landesherrn, seine Dynastie, seinen Hof und seinen Staat. 2. Durch diese engen Bindungen wurden die Universitäten selbst allmählich herrschaftlich überformt, was seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts besonders stark zum Ausdruck kam. Deren Führungskräfte wurden zu Herrschaftsorganen und zementierten damit auf ihre Weise das soziale Gefälle und die Ungleichheit der Fakultäten innerhalb der erzwungenen Institution. Selbstverständlich blieben Milieuunterschiede und Spannungen bestehen, vor allem zwischen den vornehmen, adelsverwandten Juristen und den anderen Gruppen oft sehr diffuser Herkunft. Anders als noch in Paris wurde der deutsche Universitätstypus nicht von Artisten regiert – trotz ihrer geradezu überbordenden Quantitäten – sondern von akademischen Eliten im oben bezeichneten Sinne, von Gelehrten, die als Binnen- und zugleich oft Aussenkarrieristen für ein stabiles soziales Umfeld sorgten. Den ohnehin herrschaftsnahen und herrschaftstechnisch versierten Juristen fiel dabei an den meisten Universitäten die Führungsrolle zu. Nur in den wirklich grossen Hochschulen des Reiches (Wien, Köln, Löwen) galt das auch für Theologen. 3. Die herrschaftliche Konstellation bestimmte mit aller Entschiedenheit, dass die künftige Universitätslandschaft des Reiches und damit auch die Bühne der | Gelehrten eine territorialisierte bzw. regionalisierte 17 sein würde. Zur regionalen Existenz in der politischen und sozialen Nähe des Landesherrn oder der städtischen Obrigkeit und ihren Apparaten gab es keine Alternative mehr. Die Territorialisierung des Reiches, die Verrechtlichung der Landesherrschaft und die Macht einiger grosser Städte waren zu weit fortgeschritten, als dass noch einmal andere Wege hätten beschritten werden können, auch
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nicht mit Hilfe der universalen Mächte Papst und Kaiser. Was Karl von Luxemburg mit hohem Prestigegewinn begonnen hatte, wurde von den Konkurrenten im Reich sehr bald aufgegriffen. Noch vor der Reformation verfügten alle grossen Dynastien des Reiches, die weltlichen und geistlichen Kurfürsten sowie die bedeutenderen Reichsfürsten über ihre Universität oder zumindest über einen Zugang zu einer Hohen Schule in ihrer unmittelbaren Nähe. Als Landesuniversitäten schöpften sie die Bildungsreserven vornehmlich aus dem eigenen Land; und wie von selbst richtete sich das Verhalten der Universitätsbesucher, der Studenten wie der gelehrten Absolventen (gleichsam als Regionalverhalten) danach aus. Erst um 1500 meinten vergleichsweise moderne Landesstaaten wie die habsburgischen Niederlande und Bayern, die Dinge steuern zu müssen7. 4. Bei den Universitätsgründungen ging es der Herrschaft nicht um eine allgemeine Bildungspolitik, auch nicht, wenn in Gründungsprivilegien von “gemeinem Nutzen” die Rede war, sondern in erster Linie um Prestige und Herrschaftsmittel, wie dies Städtegründungen, Burgenbau, Kirchen- und Klosterstiftungen ebenfalls waren. Aus herrscherlicher Sicht war von daher eher ein Nebeneffekt, was dann einen der folgenreichsten Nachhol- und Ausgleichsvorgänge gegenüber Süd- und Westeuropa einleiten sollte. Seit Prag und den nachfolgenden deutschen Universitäten konnte gelehrte Bildung mit Graduierung zum ersten Mal nicht nur ausserhalb, sondern auch innerhalb der Reichsgrenzen erworben werden; und diese Möglichkeit wurde überraschend stark genutzt. Innerhalb weniger Jahrzehnte sorgten wiederholte Wachsstumsschübe, die bemerkenswerterweise der Bevölkerungsentwicklung im Reich entgegenstanden, für grosse Zahlen im Universitätsbesuch. Bei jährlich 2.500 bis 3.000 Neuimmatrikulierten erzeugten die Universitäten seit den 70er Jahren zusammen bereits einen hohen Überschuss an akademisch Gebildeten, zumal auch die Neigung zur Graduierung erheblich zugenommen 7 Schwinges, Universitätsbesucher (Anm. 5), passim. Als universitäts- oder landschaftsgebundene Beispiele: ders., Erfurts Universitätsbesucher im 15. Jahrhundert. Frequenz und räumliche Herkunft, in: Zur Geschichte der Universität Erfurt, hg. von Horst Rudolf Abe und Jürgen Kiefer (Sonderschriften der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt 21), Erfurt 1994, S. 19–40 (auch in: Erfurt. Geschichte und Gegenwart, hg. von Ulman Weiss, Weimar 1995). Ders., Franken in der deutschen Universitätslandschaft des späten Mittelalters, in: Die Universität in der Welt – Die Welt in der Universität, hg. von Hanns-Albert Steger und Hans Hopfinger (Schriften des Zentralinstituts für Fränkische Landeskunde und allgemeine Regionalforschung an der Universität Erlangen-Nürnberg 33), Neustadt an der Aisch 1994, S. 1–26 beide auch in diesen Band.
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hatte. Schon beim untersten Grad, dem Artisten-Baccalarius, stieg sie reichsweit von rund 20 Prozent noch um 1450 auf 40 bis 50 Prozent um 1500 an8. Höhere Anteile scheinen Juristen | und vor allem Theo- 18 logen und Mediziner erreicht zu haben. So muss man für die Zeit nach 1470 von einem starken Angebotsdruck an gelehrten Absolventen unterschiedlichster Kompetenzstufen sprechen. Dabei kam es zu einer Erscheinung, die als eine der ersten Überfüllungskrisen der deutschen Universitäten gedeutet worden ist, unter anderem auch deswegen, weil auf den weithin unelastischen Arbeitsmärkten der geistlichen wie der weltlichen Herren und der Städte diesem Angebotsdruck noch keine adäquate Nachfrage gegenüberstand, eine Aussage, die selbst dann noch gelten dürfte, wenn man die Bedarfs- und Angebotslage regional und sozial unterschiedlich gewichtet9. Die Wirkung des Drucks ist selbst für hochgraduierte Lizentiaten und Doktoren nur schwer abzuschätzen. 5. Neben der Regionalität, die durch Landesherrschaft oder Stadt bestimmt war, verfügten Universitäten auch über eine spezifische regionale Existenz, die man als Sozialraum bezeichnen kann, weil sich in ihm soziale und räumliche Herkunft der beteiligten Personen aufs engste verflochten. Definiert war seine Struktur durch den persönlichen sozialen Rang sowie die Lage von Studien-, Herkunfts- und Karriereorten zueinander. Soziale Vorteile und Vorteile, die einfach aus der Nähe erwuchsen, gingen dabei vielfach eine fruchtbare Symbiose ein – schon in der Universität während des Studiums, und vieles spricht dafür, dass das auf dem weiteren Lebensweg auch so blieb. Die wirklich wichtigen Entscheidungen fielen in der Nähe. Anders gesagt: Die Regionalität in diesem Sinne bedingte in hohem Masse die Mobilität, die räumliche wie die soziale Mobilität. Dies muss besonders beachtet werden, wenn – meistens viel zu rasch und ungeprüft – vom Aufstieg durch Bildung die Rede ist. Alles, was darüber hinaus ging, was die Kategorie der Nähe und Kleinräumigkeit durchbrach, wozu schon Universitätswechsel im Reich und vor allem die italienischen und französischen Bildungsreisen gehören mochten, war etwas Besonderes und steht im Verdacht, ein
8 Das Bakkalarenregister der Artistenfakultät der Universität Erfurt 1392–1521, hg. von Rainer Christoph Schwinges, Klaus Wriedt u.a. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Grosse Reihe, 3), Jena 1995, S. XXXIIff. 9 Schwinges, Universitätsbesucher (Anm. 5), S. 33ff., 58ff., 193ff. Für eine Landschaft ders., Franken (Anm. 7), bes. S. 16ff.
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Herrenverhalten zu sein mit entsprechend grösseren Sozialchancen, analog zum weitergespannten Horizont des Adels10. 6. Die gültigen traditionalen Regeln, die sich jeder Personengemeinschaft in Kirchen, Städten, Höfen oder Ämtern bemächtigten, sparten Universitäten und Gelehrte nicht aus. Ausschlaggebend waren oft die sozialen Beziehungsnetze, die Bindungen an Herren und Familien, an Verwandtschaften, Freundschaften und Landsmannschaften, an Haus- und Tischgenossenschaften. Vieles, was in Studium und Karrieren geschah, war schlicht eine Frage der sozialen Netzwerke und der Patronage. Brüder, Söhne und Neffen, Freunde und Landsleute wurden in aller Selbstverständlichkeit anderen vorgezogen und auf verschiedenen Ebenen von Status und Gradus kräftig protegiert. Fürsten und 19 Fürstinnen, der Papst und andere | Kirchenmänner, Räte und Amtleute, Professoren und Schulmeister, Kaufleute und ratsfähige Bürger waren daran ebenso beteiligt wie nicht zuletzt auch Kommilitonen und nahmen Einfluss auf Status und Studienziele. Persönliche Befähigung, Karrierewillen durch Bildung und wissenschaftliche Förderung durch Lehrer waren in diese Verhältnisse eingebunden. 7. Bei der Eigenart des deutschen Universitätstyps blieben Gelehrte noch lange Zeit Studenten, vor allem im Sinne von Magister- und Fachstudenten11. Insofern prägten sie Sozialprofil und Ansehen jeder einzelnen Universität entscheidend mit, wie auch umgekehrt diese jene profilieren konnte. Es war nicht gleichgültig, pointiert gesagt, ob man ‘Adelsuniversitäten’ oder ‘Armutsuniversitäten’ besuchte, was man in gewisser Weise sogar mit Süd- und Norddeutschland konnotieren kann. Bei aller Ungleichheit im einzelnen quer durch und zwischen den Fakultäten gab es jedoch eine unmissverständliche Zweiteilung in solche Personen, die schon jemand waren, und solche, die nichts oder noch nichts waren. Viele der Fachstudenten bzw. Gelehrten gehörten lange Zeit der ersten Kategorie an, was Karriereabsichten ziemlich relativiert und vielmehr an allgemeine Bildungsabsichten denken lässt. Von oft gehobener sozialer Herkunft aus vor allem städtischer oberer 10 Hilde de Ridder-Symoens, Mobilität, in: Rüegg (Anm. 1), S. 255–275. Vgl. auch Schwinges, Universitätsbesucher (Anm. 5), S. 428ff., 462ff. u.ö. ders., Migration und Austausch: Studentenwanderungen im Deutschen Reich des späten Mittelalters, in: Migration in der Feudalgesellschaft, hg. von Gerhard Jaritz und Albert Müller (Studien zur Historischen Sozialwissenschaft 8), Frankfurt-New York 1988, S. 141–155 auch in diesen Band. 11 Schwinges, Der Student (Anm. 5), S. 182–185. Ders., Franken (Anm. 7), S. 21ff.
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Mittelschicht und Oberschicht konnte dieser Kreis bereits vor oder während des Studiums Wirkung entfalten: in städtischen Diensten, in Hofdiensten, in Universitätslaufbahnen oder zumeist (und oft auch beides) in Ämtern in der Kirche. Erst allmählich, im Reich am frühesten wohl in den burgundischen Niederlanden12, ansonsten deutlich nach 1450, dürfte sich diese Situation zu einer neuen verändert haben – zu aufeinander folgenden Karriereschritten vom Universitätsstudium hin zu einer Berufstätigkeit. Ein solcher ‘Verberufungsvorgang’ betraf in erster Linie freilich Mediziner und Juristen. 8. In der traditionalen Gesellschaft, der Universität und Gelehrte nun einmal angehörten, waren nicht nur die realen Positionen, sondern auch die Wunschvorstellungen, Hoffnungen und Chancen auf mögliche Karrieren sozial determiniert. Wer bereits einen hohen sozialen Rang bekleidete, erhob auch höherrangige Wünsche oder Forderungen. Das wird weniger überraschen als der umgekehrte Fall, der aber genauso zutrifft. Wer von geringerer sozialer Herkunft war, forderte weniger und durchlief mithin Karrieren von geringerer Spannweite, was im Pfründengebäude der Kirche bzw. im Supplikenwesen am besten zu beobachten ist13. | Karrierechancen vermehrten sich nur entlang der 20 sozialen Stufenleiter, wo nicht, sind sicher interessante Ausnahmen festzustellen, die aber Ausnahmen bleiben und den Gegenstand nicht hinreichend erklären werden. In Kenntnis dieser acht Rahmenbedingungen, die wesentlich die Karrieremuster der Vormoderne geformt haben, sei nun abschliessend versucht, solche Muster empirisch zu behandeln, und zwar auf der Grundlage einer Zufallserhebung aus verschiedenen Jahrgängen der Besucherschaft der Universität Köln aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts (1455–1495), in der sich am meisten ereignen müsste, allein schon wegen des steigenden Angebots an Absolventen14. Gut acht
12 Hilde de Ridder-Symoens, De universitaire vorming van de Brabantse stadsmagistraat en stadsfunktionarissen Leuven en Antwerpen, 1430–1580, in: Varia Historica Brabantica 6–7 (1978), S. 21–126. Dies., Milieu social, études universitaires et carrière des conseillers au Conseil de Brabant, 1430–1600, in: Recht en Instellingen en de Oude Nederlanden tijdens de Middeleeuwen en de Nieuwe Tijd. Liber Amicorum Jan Buntinx, Leuven 1981, S. 257–301. 13 Dazu Jürg Schmutz, Die Supplikenrotuli der Universitäten Köln und Heidelberg. Zur Wirkung einer Studienförderungsmassnahme im Spätmittelalter, Lizentiatsarbeit an der Philosophisch-historischen Fakultät der Universität Bern 1991 (ein zusammenfassender Aufsatz in ZHF 23 [1996], S. 145–168). 14 Grundlagen: Die Matrikel der Universität Köln, hg. von Hermann Keussen (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 8), Bd. 1, Bonn 21928, Bde.
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Prozent jeden Jahrgangs, etwa 20 bis 30 Personen, deren Lebensweg durch einige Stationen verfolgbar ist, können als Gelehrte im definierten Sinne gelten. Das ist vergleichsweise viel15. Mehr als ein Viertel von ihnen trug den Magistergrad der Artisten, ein gutes Fünftel sogar juristische Grade und jeweils drei Prozent führten einen medizinischen oder theologischen Baccalarius-, Licentiatus- oder Doktortitel. Für die Kölner Situation typisch, aber gleichwohl auffallend, ist das relativ gute Abschneiden der Juristen und ihr Vordringen in diese Gelehrtengruppe16. Weitere sieben Prozent, die nach dem Universitätsbesuch einigermassen vergleichbare oder in einigen Fällen von Standesqualität auch deutlich höhere Positionen erlangten, blieben weit überwiegend ohne Promotionen. Diese ‘Nichtgelehrten’ gleicher Jahrgänge dienen als Kontrollgruppe. Auf den ersten Blick scheint bei diesen Werten das eher traditionelle Muster ‚Karriere bei Universitätsbesuch ohne Abschluss’ gegenüber dem vielleicht moderneren Muster ‚Karriere bei Universitätsbesuch mit Examen und Graduierung’ noch keinen Boden verloren zu haben. Auch in der Umbruchszeit der 70er Jahre des 15. Jahrhunderts blieben die Dinge noch in der Schwebe, wenngleich sich eine leichte (aber keineswegs signifikante) Verschiebung zugunsten der moderneren Version einzustellen scheint, vorausgesetzt, man lässt den Adel insgesamt unberücksichtigt, dessen Standesqualitäten einfach höher rangieren und der mit seiner sozial begründeten Abstinenz gegenüber Examina noch lange dem traditionellen Muster folgen wird17. Prüft man die Gruppen in den grossen Karrierefeldern der Kirche, der Stadt und des Landesstaates, so zeigen sich unverhohlen ältere und neuere Muster nebeneinander, am stärksten noch in der Kirche. 21 Nach wie vor war die Kirche der grösste | Arbeitgeber, vor allem ein solcher in der sozialräumlich bestimmten Nähe der Herkunfts- und/ oder Universitätsorte. Für Köln, inmitten einer reichen mittel- bis nie2–3, Bonn 1919 und 1931, sowie eigene Nachforschungen, zusammengefasst in einer “Karriere-Datei”, vgl. Schwinges, Universitätsbesucher (Anm. 5), S. 500; zur Methodik (Zehnjahres-Stichproben, hier von 1455 bis 1495) ebd., S. 221f. 15 Vgl. z.B. die Arbeiten von Kuhn und Fuchs (Anm. 1). 16 Zu den Kölner Juristen Erich Meuthen, Kölner Universitätsgeschichte I: Die alte Universität, Köln-Wien 1988, S. 126–140, passim. Schwinges, Rektorwahlen (Anm. 1), S. 33–48. 17 Dazu grundlegend Rainer A. Müller, Universität und Adel. Eine soziostrukturelle Studie zur Geschichte der bayerischen Landesuniversität Ingolstadt 1472–1648 (Ludovico-Maximilianea-Universität Ingolstadt-Landshut-München, Forschungen 7), Berlin 1974.
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derrheinischen Kirchenlandschaft, traf das ganz besonders zu. Dabei schien die Stiftskirche vor allem für gelehrte Juristen der beinahe einzig angemessene Karriereort zu sein, allerdings in so unverändert gleichgewichtiger Gegenwart von ‘Nichtgelehrten’, dass man unterscheidbare Muster von Stiftskarrieren kaum formulieren kann. Ratione gradus aut status, freilich mit deutlicher Präferenz des status, schien noch immer die Devise zu sein, obwohl Konzilsdekrete seit 1418 Studium und Graduierung in der Kirche zu fördern trachteten18. Nur in einer Hinsicht, und Neues ankündigend, hatte sich etwas verschoben: Die Besetzung von Kanonikaten als nachuniversitärer Karriereschritt drang mehr und mehr auch insofern durch, als die Zahl derer, die noch altertümlich als bepfründete Stiftsherren zum Studium zogen, kontinuierlich sank; bei den Bürgerlichen begann dieser Prozess bereits im ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts, bei den adligen Herren ab etwa 1460, ohne jedoch – und das ist für das ausgehende Mittelalter noch von Bedeutung – schon entsprechende Mehrheiten zu bilden. Gelehrtenkarrieren in städtischen wie in landesherrlichen Diensten verliefen im Kölner Raum auf einem vergleichsweise hohen Niveau und betrafen, vom Stadt- und Leibarzt abgesehen, so gut wie ausschliesslich Juristen, während ‘Nichtgelehrte’ und Artisten zumeist als Schreiber und Notare dienten. Vieles scheint an ihren Karrieren als Räte und Richter, Advokaten und Diplomaten so professionell zu sein, über die Kleinräumigkeit des ansonsten auch hier funktionierenden Sozialraumes hinweg, dass man dem Schrittmuster von Universitätsbesuch, Promotion und Karriere folgen müsste. Gelehrte im nahen Brabant waren im Sinne dieses ‘moderneren’ Musters seit 1430 vorangeschritten und wirkten vielleicht schon zum Rhein hin, in einer in vielfacher Hinsicht ohnehin gemeinsamen Führungs- und Rekrutierungslandschaft19. Offen bleibt dabei für Köln nur, wie so häufig, die Frage, wie denn der bestehende soziale Rang und der neu erworbene Gelehrtenrang zueinander passten, vor allem dann, wenn es sich um Mitglieder regimentsfähiger Familien handelte. In allen Fällen der Erhebung wird man vorsichtig gewichten müssen. Offen bleibt die gleiche Frage auch im Hinblick auf die (mit Ansätzen in den 20er Jahren) jetzt vielfach entstehenden
18 So formuliert in Wien: Rudolf Kink, Geschichte der kaiserlichen Universität zu Wien, Bd. 2, Wien 1854 (Ndr. Frankfurt 1969), Nr. 14, S. 92. Schwinges, Universitätsbesucher (Anm. 5), S. 345f. Moraw, Lebensweg (Anm. 1), S. 250. 19 Hilde de Ridder-Symoens (Anm. 12), passim. Moraw, Lebensweg (Anm. 1), S. 250f.
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Gelehrtendynastien unter Medizinern und Juristen, in denen sich die Muster zu verfestigen scheinen. In der Universität selbst und ihren Laufbahnen hatten sie dazu vielleicht die besten Chancen20. 22 | Insgesamt ergibt sich aus der Kölner Erhebung eine noch im ausgehenden Mittelalter ungeklärte Situation auf dem Felde von Universitätsbesuch, Studium mit Promotion und künftiger Karriere bzw. beruflichem Lebensweg. Professionalisierte Eindeutigkeiten, die sich in ‘Musterkarrieren’ widerspiegeln könnten, waren hier noch nicht in Sicht, was im übrigen auch mit Beobachtungen, freilich sehr punktuellen, in anderen Universitätsorten korrespondiert, in Tübingen zum Beispiel, in Freiburg, Basel, Leipzig und Erfurt21. Dichtere Kenntnisse bei gleichzeitiger Differenzierung zwischen und in den Universitätsund Bildungslandschaften des Reiches, die das gesteigerte Angebot an Gelehrten und gelehrter Elite sehr unterschiedlich wahrgenommen haben, sind gleichwohl vonnöten, am besten durch zeitgerechte Rekonstruktion gelehrter Personenverbände oder ‘vernetzter Biographien’, da man – in Abwandlung einer universitätsbezogenen Aussage – den einen Gelehrten erst dann wirklich kennt, wenn man sie alle kennt: in ihrer sozialen und kulturellen Umwelt und in ihren Wirkungsfeldern als gelehrte Hofleute, Hof- und Stadtjuristen, Leib- und Stadtärzte, Pfarrer und Prediger, Schulmagister und Professoren, poetae laureati, gelehrte Artisten und artistennahe Praktiker wie Schreiber und Notare, Apotheker, Bader und Chirurgen, ‘Halbgelehrte und Private’, woher auch immer sie alle ihr Wissen bezogen, ob aus dem Reich, Italien oder Frankreich.
Gut zu verfolgen in den “Professorenverzeichnissen” von Hermann Keussen, Matrikel Köln, Bd. 1 (Anm. 14), S. 60*–139*. Ders., Die alte Universität Köln. Grundzüge ihrer Verfassung und Geschichte, Köln 1934, S. 421–578. Eine Parallele findet sich in den Erfurter Doktoren- und Magisterkatalogen von Erich Kleineidam, Universitas Studii Erffordensis. Überblick über die Geschichte der Universität Erfurt 1392–1521 (Erfurter Theologische Studien 14, 22), 2 Bde., Leipzig 21985, 1992. 21 Kuhn (Anm. 1), passim. Schwinges, Rektorwahlen (Anm. 1), 29ff., 39ff., 60ff. 20
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STIEFEL, WAMS UND STUDIUM ODER: WOZU HAT MAN EINEN GEISTLICHEN ONKEL? AUS NOTIZEN DES KÖLNER STUDENTEN GERHARD VON WIERINGEN AUS DER ZWEITEN HÄLFTE DES 15. JAHRHUNDERTS Peter Moraw und ich teilen seit über zwanzig Jahren ein gemeinsames Arbeitsfeld in der historischen Bildungsforschung: die Personengeschichte der Universitäten im deutschen wie im europäischen Rahmen. Doch den folgenden Beitrag aus festlichem Anlass könnte ich ohne die stillschweigende Beteiligung eines Dritten, ohne den Kölner Studenten Gerhard von Wieringen aus dem 15. Jahrhundert nicht so geschrieben haben. Dass er nun der Dritte im Bunde und nicht, wie zehntausende anderer Studenten des ausgehenden Mittelalters, völlig vergessen ist, verdanken wir seinem Notiz- und Rechnungsbüchlein beziehungsweise dem Umstand, dass ein so seltenes Stück privater Hinterlassenschaft aus dem späteren Mittelalter nicht einfach verloren gegangen ist, sondern 1922 den Weg ins Historische Archiv der Stadt Köln gefunden hat1. Hermann Keussen, der um die Kölner Universitätsgeschichte so verdiente damalige Stadtarchivar, hat es aus Privatbesitz erworben und den Universitätsakten hinzugefügt, auch selbst schon einmal daraus zitiert; doch in der Folgezeit hat es so gut wie keine Aufmerksamkeit gefunden2. Gerhards Büchlein – ein papierenes Heft von 26 Blättern im typischen, schmalen Format der Rechnungsquellen des späten Mittelalters * In: Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw, hg. von Paul-Joachim Heinig et al. (Historische Forschungen 67), Berlin: Duncker & Humblot 2000, S. 543–563. 1 Original: Historisches Archiv der Stadt Köln (HAStK), Universität 197: Rechnungs- und Notizbuch des Gerardus von Wyringen. Eine kommentierte Edition durch Christian Hesse und Rainer Christoph Schwinges ist in Vorbereitung. 2 Unter den Universitätsquellen aufgelistet von Hermann Keussen, Die alte Universität Köln. Grundzüge ihrer Verfassung und Geschichte, Köln 1934, S. 597 Nr. 197; zum Studentenleben ebd., S. 152; auch verzeichnet bei Erich Kuphal, Die Archive der Universität Köln (1388–1798), in: Festschrift zur Erinnerung an die Gründung der alten Universität Köln im Jahre 1388, Köln 1938, S. 548–637, hier S. 576 Nr. 197. Kurz erwähnt bei Rainer Christoph Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher des 14. und 15. Jahrhunderts. Studien zur Sozialgeschichte des alten Reiches, Stuttgart 1986, S. 443, 451, 455 und Günter Bers, Jülich. Geschichte einer rheinischen Stadt, Jülich 1989, S. 16.
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– ist ein Ego-Dokument aus dem Alltag eines Studenten und späteren 544 Priesters, wie man es | sonst im 15. Jahrhundert kaum findet. Dabei
ist die Bezeichnung Ego-Dokument in jener Breite zu verstehen, der auch Winfried Schulze im Einklang mit der auf diesem Gebiet primären niederländischen Frühneuzeitforschung das Wort redet. Ein solches Dokument ist eine Quelle, in der „ein Mensch Auskunft über sich selbst gibt, unabhängig davon, ob dies freiwillig (. . .) oder durch andere Umstände bedingt geschieht“3. ‘Klassische’ Selbstzeugnisse wie autobiographische Texte, Briefe oder Tagebücher sind damit ebenso gemeint wie persönliche Äusserungen in Texten über administrative, gerichtliche oder wirtschaftliche Vorgänge. Gerhards Büchlein genügt dieser Definition voll und ganz: Es ist eine mit persönlichen und familiären, gelegentlich tagebuchartigen Notizen durchsetzte Aufzeichung über seine Einnahmen und Ausgaben und alle Personen, mit denen er – zumeist dadurch bedingt – in privaten oder geschäftlichen Beziehungen gestanden hat. Die Notizen beginnen 1464 und schliessen 1501. Ein besonderer Anlass für die Anlage des Büchleins ist ebenso wenig zu erkennen wie für den Abschluss. Da er seinen Geburtstag erwähnt, den 18. Dezember 1451, ist er zu Beginn seiner Aufzeichnungen (vorausgesetzt, er hat nichts später nachgetragen) im 13. Lebensjahr4. Gerhards Notizbüchlein ist kein Abrechnungsbuch, ähnlich den kaufmännischen oder gar amtlichen Rechnungsbüchern5; es ist auch nicht vergleichbar mit den Abrechnungen über studentische Bildungsreisen, wie sie etwa für die fränkischen Herren von Rieneck, von Thüngen und von der Tann 3 Winfried Schulze, Ego-Dokumente: Annäherung an den Menschen in der Geschichte? Vorüberlegungen für die Tagung “Ego-Dokumente”, in: Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte, hrsg. v. Winfried Schulze, Berlin 1996, S. 11–30, hier S. 21. Siehe auch Rudolf M. Dekker, Ego-Dokumente in den Niederlanden vom 16. bis zum 17. Jahrhundert, ebd., S. 33–57; ders., Verzeichnen und Edieren niederländischer Ego-Dokumente vom 16. bis zum frühen 19. Jahrhundert, in: editio. Internationales Jahrbuch für Editionswissenschaft 9 (1995), S. 80–95. Gattungsdiskussionen führen m.E. nicht weiter; anderer Meinung in einer ansonsten aber sehr informativen und nützlichen Zusammenstellung sind Sebastian Leutert und Gudrun Piller, Deutschschweizerische Selbstzeugnisse (1500–1800) als Quellen der Mentalitätsgeschichte. Ein Forschungsbericht, in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 49 (1999), S. 197–221. 4 Fol. 14r. 5 Dazu etwa Wolfgang von Stromer, Das Schriftwesen der Nürnberger Wirtschaft vom 14. bis zum 16. Jahrhundert. Zur Geschichte oberdeutscher Handelsbücher, in: Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte Nürnbergs, Band 2, Nürnberg 1967, S. 751–799 und allgemein zum Wert dieser Quellen Gerhard Jaritz, Zwischen Augenblick und Ewigkeit. Einführung in die Alltagsgeschichte des Mittelalters, Wien, Köln 1989, S. 30–42.
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uff der reiß nach Italiam vorliegen, für die österreichischen Herren von Stubenberg nach Padua oder für die Grafen Conrad und Heinrich zu Castell nach Freiburg | und Dôle6; und es ist erst recht nicht verglei- 545 chbar mit solchen Selbstzeugnissen, wie sie der Berner Ludwig von Diesbach, Martin von Leibitz, der Abt des Schottenklosters zu Wien oder gar der Kölner Ratsherr Hermann von Weinsberg hinterlassen haben7. Gerhard von Wieringen bietet von allem ein wenig. Man erfährt in knapper, zweckmässiger lateinischer Sprache, durchsetzt von niederländisch-rheinischen Worten und Sätzen, etwas darüber, was er über fast vierzig Jahre hinweg für so wichtig hielt, um es von Zeit zu Zeit aufzuschreiben, wenn auch zum Teil als blosse Gedächtnisstütze, die mit Erledigung der Sache wieder ausgestrichen wurde. Da stehen Notizen über Reliquien, über den Besuch der Heiltümer von Aachen, Cornelimünster und Maastricht, über Absichten zur Pilgerfahrt nach Rom neben solchen über Betten und Schlafgewohnheiten, Tücher, Stoffe, Leder und Kissen, Notizen über Kleidung, Lebensmittel, Holz und Kohle neben solchen über Verwandtenbesuche und Verwandtenbeziehungen, über Freunde, Bekannte und Nachbarn; da stehen Notizen über sich selbst, seine Onkel und seine weitere Familie, über die zweite Ehe des Vaters, über Erbfall und Erbteilung neben solchen über Verträge mit den Karmeliten von Düren und deren Stationshaus in Jülich, das er später als Priester bewohnt und instandhält; da stehen Notizen über Pest und Tod neben solchen über Lohnzahlungen an Wald- und Bauarbeiter, Handwerker, Mägde, Boten und Botinnen, vor allem immer wieder an Schneider und Schuhmacher für Talare, Hosen, Gürtel, Mützen, Wams und Stiefel, vielfach über Schuldner und Gläubiger ‘in barer Münze’, Hanns Hubert Hofmann, Eine Reise nach Padua 1585. Drei fränkische Junker “uff der Reiß nach Italiam”, Sigmaringen 1969; Ingrid Matschinegg, Studium und Alltag in der Fremde. Das Reiserechnungsbuch innerösterreichischer Studenten in Padua (1548–1550), in: Von Menschen und ihren Zeichen: sozialhistorische Untersuchungen zum Spätmittelalter und zur Neuzeit, hg. von Ingrid Matschinegg, Bielefeld 1990, S. 99–121; Stephan Sauthoff, Adliges Studentenleben und Universitätsstudium zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Darstellung anhand des Ausgabenbüchleins von Conrad zu Castell, Bern, Frankfurt 1988. 7 Urs Martin Zahnd, Die autobiographischen Aufzeichnungen Ludwig von Diesbachs. Studien zur spätmittelalterlichen Selbstdarstellung im oberdeutschen und schweizerischen Raume, Bern 1986. Zu Martin von Leibitz jetzt Harald Teusch, Österreichische Selbstzeugnisse des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit (1400–1650). Eine Darstellung in Einzelbeiträgen, Wien, Köln, Weimar 1998, S. 52–65; Das Buch Weinsberg. Aus dem Leben eines Kölner Ratsherrn, hrsg. v. Johann Jakob Hässlin, Köln 41990. 6
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und endlich auch über Universität und Studium, wenngleich mehr aus der Kosten- denn aus der Bildungsperspektive. In diesem Punkt mag 546 Gerhards Büchlein dem Haushaltsbuch | der Kölner Kronenburse, dem Studentenhaus der Juristen, gleichen, dessen Vorsteher von 1563–1565 den Stiftungsverantwortlichen Rechnung legte8. Gerhards Informationen über seine Studienzeit, auf die ich mich im wesentlichen beschränken möchte, muss man allerdings mit den allgemeinen Kenntnissen über spätmittelalterlichen Universitätsbesuch konfrontieren, um ihren Wert zu erkennen. Man wird in ihm eine Person mit durchaus individueller Lebensgestaltung kennenlernen, nichtsdestotrotz aber doch einen sehr typischen Universitätsbesucher des 15. Jahrhunderts. Zur Person ist zunächst einmal zu sagen, dass Gerhard von Wieringen gewissermassen amtlich bekannt ist: Am 27. September 1470 immatrikulierte der Rektor der Universität zu Köln, der Theologieprofessor Paul von Gerresheim, als einzigen Studenten an diesem Tag einen gewissen Gerardus Henrici de Vryngia, Traiectensis dioecesis, und notierte dazu in der Matrikel iuravit, solvit medium, sed pro bedello unum album9. Dies ist ‘unser Mann’, Gerhard von Wieringen aus der Diözese Utrecht, der an diesem Tag dem Rektor den vorgeschriebenen Immatrikulationseid geleistet hatte, jenen Eid, der ihn verpflichtete, die Statuten, Rechte und Privilegien der Universität zu wahren, für Frieden und Eintracht einzutreten und gegenüber dem Rektor in allen rechtmässigen und ehrenhaften Universitätsangelegenheiten gehorsam zu sein. Sicher hatte auch er seine Hand auf jene Seiten des Kölner Rektorenhandbuchs legen müssen, auf die Schwurseiten mit der Darstellung der Kreuzigung und mit den Eidesformeln, die sich noch heute als vom vielen Anfassen sehr eingedunkelte Seiten präsentieren10.
8 Wolfgang Herborn, Klaus J. Mattheier, Sozialhistorische und sprachgeschichtliche Aspekte eines frühneuzeitlichen Rechnungsbuches der Kölner Kronenburse, in: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde 24 (1978), S. 140–182. 9 Die Matrikel der Universität Köln, Band I–III, hg. von Hermann Keussen, Bonn 2. Aufl. 1928, 1919, 1931, hier Band I, S. 809 Nr. 56. 10 Original: HAStK Universität 10. Vgl. Katalog der Ausstellung des Historischen Archivs der Stadt Köln, 4. Oktober bis 14. Dezember 1988: Älteste Stadtuniversität Nordwesteuropas. 600 Jahre Kölner Universität, zusammengestellt von Manfred Groten, Köln 1988, S. 66 Nr. 73, Abbildung bei S. 80. Zur Bedeutung des Eides Rainer Christoph Schwinges, Die Zulassung zur Universität, in: Geschichte der Universität in Europa, Band 1: Mittelalter, hg. von Walter Rüegg, München 1993, S. 161–180, hier S. 166–172, englische Version in diesem Band, und Jürgen Miethke, Der Eid an der mittelalterlichen Universität, Formen seines Gebrauchs, Funktionen einer Institution,
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Mit der Eidesleistung war Gerhard zum vollwertigen membrum universitatis geworden und wie alle Universitätsangehörigen in den künftigen Genuss der Universitätsprivilegien gelangt, die vor allem den eigenen Gerichtsstand und | diverse Akzisefreiheiten sicherten. Nicht ganz der 547 Norm entsprach seine Gebührenzahlung. In Köln hatte jeder Immatrikulierte gleich welchen Ranges grundsätzlich sechs Albus, den vierten Teil des rheinischen Rechnungsguldens im Wert der wöchentlichen Burse für Kost und Logis als Aufnahmegebühr zu entrichten, die eine Hälfte davon für die Universität, die andere als Entschädigung für die Tätigkeit des Rektors; dazu kam noch ein Albus für den Pedell, der kein ‘Hauswart’, sondern oberster Verwaltungsfachmann der Universität war und oft selbst im Magisterrang stand. Während der Albus für den Pedell als Teil seines Einkommens unter allen Umständen gezahlt werden musste, es sei denn, dieser verzichtete ausdrücklich, hatte der Rektor einen gewissen Spielraum, seine wie auch die universitäre Gebührenhälfte teilweise oder ganz zu erlassen11. Dieser Spielraum scheint Gerhard zugute gekommen zu sein. Er zahlte dem Pedell den Albus, der Universität jedoch nur die halbe Gebühr. Weshalb der Rektor auf die andere, vermutlich seine eigene Hälfte verzichtete, hing mit der finanziellen Situation Gerhards im September 1470 zusammen bzw. damit, dass er offensichtlich diese als ‘nicht sehr rosig’ glaubhaft machen konnte. Die Immatrikulationsgebühren waren ein beträchtlicher Teil der allgemeinen Universitätsfinanzierung, in Köln ebensogut wie andernorts, und entsprechend ernsthaft ging man in der Regel damit um. Man verliess sich auf die breite, zahlungsfähige Mittelschicht der Universitätsbesucher, auf die nicht von ungefähr sogenannten divites, die sämtliche Gebühren ohne jeden Abzug entrichteten. Wer schon bei der Zulassung die volle Taxe hinterlegte, tat dies in der Regel auch weiterhin. In allen Wechsellagen von Wirtschaft und demographischer Entwicklung mussten die Universitäten stets dafür Sorge tragen, dass ihnen der communis status bzw. eine genügend grosse Anzahl von divites erhalten blieb. In diesem Sinne betraf des Rektors Spielraum zumeist nur den oberen und unteren Rand sozialer Existenz. Gern gewährte man ‘sollemnen Personen’ aus Adel und höherer Geistlichkeit, aus in: Glaube und Eid, Treueformeln, Glaubensbekenntnisse und Sozialdisziplinierung zwischen Mittelalter und Neuzeit, hg. von Paolo Prodi, München 1993 (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 28), S. 49–67. 11 Matrikel Köln I (Anm. 9), S. 11*–25*.
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städtischem Honoratiorentum und der Doktorenschaft anderer Universitäten Gratis-Inskriptionen und rechnete sich diese zur Ehre und Profilierung an. Doch was für die einen eine förmliche Ehrung, war für die anderen oft eine bittere Notwendigkeit, eine Gratis-Inskription propter paupertatem oder wenigstens ein Teilnachlass der Gebühren. Dabei wussten die Universitätsleitungen meist sehr genau, dass es nicht um klare Grenzen zwischen divites und pauperes, nicht um Haben und Nichthaben gehen konnte, sondern um viele Zwischenstufen, die man je nach Perspektive auch sprachlich zu verifizieren verstand: von semidivites bis semipauperes. Der Begriff pauper war auch für die Zeitgenossen schon ein schillernder, mit Unschärfe behafteter Begriff und sollte in der ökonomischen Dimension nicht zu eng gesehen werden. Er meint nicht in erster Linie den Habenichts, sondern jemanden, dessen Mittel 548 | nicht ausreichten, die Kosten des Studiums zu tragen12. In diesem Sinne war Gerhard von Wieringen sicher kein armer Student, und sein weiterer Weg in der Universität wird dies weisen. Doch gewinnt man aus seinen Notizen den Eindruck, dass er 1470 durchaus in der Zwischenzone stand, halbreich bis halbarm war und in der Tat jeden Albus ‘zusammenkratzen’ musste, um sich über Wasser zu halten, wenn auch nicht ohne familiäre und verwandtschaftliche Hilfe. Gerhard stammte von der Insel Wieringen in Nordholland, die zu seiner Zeit im Eingang vom Meer zur Zuidersee lag, auf halbem Wege etwa zwischen Den Helder und Medemblik. Mit dem Bau des Abschlussdammes anfangs der dreissiger Jahre des 20. Jahrhunderts wurde die Zuiderzee zum Binnenmeer, dem Ijsselmeer, aus dem man Polder zu gewinnen suchte. Gleich der erste verband die Insel mit dem Altland, und noch immer erkennt man in der sonst flachen Region die ehemalige Insel an der ‘Hügellage’. Auf Wieringen, wo sich heute Wohn- und Freizeitkultur etabliert, lebte man jahrhundertelang von Landwirtschaft, Torf- und Meersalzgewinnung, Schafzucht, Käserei und Fischfang, so wie in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts auch Gerhard von Wieringen und seine vielköpfige Familie und Verwandtschaft: 12 Zur Gebühren- und sozialen Problematik Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (Anm. 2) S. 375–465, für einen Überblick Rainer Christoph Schwinges, Der Student in der Universität, in: Geschichte der Universität in Europa, Band 1: Mittelalter, hg. von Walter Rüegg, München 1993, S. 181–223, hier S. 187–195, englische Version in diesem Band, und Hilde de Ridder-Symoens, Rich Men, Poor Men: Social Stratification and Social Representation at the University (13th–16th Centuries), in: Showing Status. Representation of Social Positions in the Late Middle Ages, ed. by Wim Blockmans and Antheun Janse, Turnhout 1999, S. 159–175.
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Vater, Mutter, Stiefmutter, Geschwister und Halbgeschwister, Onkel und Tanten, Nichten und Neffen nebst zahlreicher Bekanntschaft. Mag sein, dass einige von ihnen auch in den aufstrebenden Seehandel der Holländer eingebunden waren. Bemerkenswert war nur, dass Familie und Verwandtschaft offenbar ein Interesse daran hatten, Gerhard in Köln an der Universität zu sehen, und dass sie ihn auf mannigfache Weise mit dem, was sie erwirtschafteten, unterstützten13. Man könnte denken, dass eine so ländlich geprägte Gegend wie Wieringen, noch dazu als Insel, eigentlich universitäts- und bildungsfern gewesen sein müsste, doch war das Gegenteil der Fall. Gerhard war absolut keine Ausnahmeerscheinung. Zwischen 1389, kurz nach Eröffnung der Universität, und dem Jahre 1500 kamen 29 Wieringer nach Köln, genauer dreissig, wenn man den Vikar der Pfarrkirche St. Hippolytus, der aber ursprünglich aus Beverwijk (Nordholland) | stammte, noch hinzurechnen darf. Mehr als zwei Drittel von ihnen 549 zahlten ohne jeden Abzug die vorgeschriebenen Gebühren. Mit solchem Aufgebot konkurrenzierte die Insel sogar die südlich gelegenen zentralen Orte des Festlands: Medemblik mit 38 und Enkhuizen mit 24 Kölner Universitätsbesuchern14. Wieringen, wie überhaupt das nördliche Holland in der Diözese Utrecht, gehörte zum Kernraum des Einzugsbereichs der Kölner Universität, mehr noch zum Kölner Sozialraum, der sich nicht nach Entfernungen definierte, sondern nach Vielfalt und Dichte der sozialen Beziehungen in einem Netzwerk, das die alten Universitäten ausserordentlich lebenstüchtig umspannte. In ein solches Netzwerk waren selbstverständlich auch die ländlichen Regionen eingebunden. Der Anteil der Personen ‘vom Lande’ an allen Kölner Immatrikulationen des 15. Jahrhunderts betrug fast zwanzig Prozent, und das damals noch wenig urbanisierte Nordholland hatte daran erheblichen Anteil15. Köln war gewissermassen die ‘Landesuniversität’ der Wieringer, und neben ihr spielten andere Universitäten so gut wie keine Rolle, nicht einmal Löwen, weder in burgundischer noch in habsburgischer Zeit: Nicht ein einziger Wieringer hatte sich dort immatrikuliert. Bloss An vielen Stellen des Manuskripts, besonders fol. 3–7. Zu Wieringen vgl. z. B. Herma M. van den Berg, Westfriesland, Tessel en Wieringen, s’Gravenhage 1955 (De Nederlandse monumenten van geschiedenis en kunst, deel 8, stuk 2), S. 260–270. Nützlich auch die website: www.wieringen.nl. 14 Matrikel Köln III (Anm. 9), Register. 15 Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (Anm. 2), S. 230–271; zum SozialraumKonzept ebd., S. 493–496 u.ö. 13
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Heidelberg und Rostock schienen noch Alternativen zu sein, allerdings in beiden Fällen nur bis zum Anfang der dreissiger Jahre. In Heidelberg trat um diese Zeit die niederländisch geprägte Generation der ‘Universitätsgründer’ um Marsilius von Inghen zurück, so dass auch – ein ganz allgemeines Phänomen – der Nachzug von Landsleuten prompt nachliess. In Rostock beschränkte sich die Anwesenheit von Wieringern auf die Zeit von 1424 bis 1430, so dass man den Eindruck gewinnen kann, da auch aus den Universitätsakten weiter nichts hervorgeht, dass die Inskriptionen dort eher etwas mit dem Ostseehandel der Holländer, auch und gerade der Zuidersee-Anrainer, zu tun hatten als mit einem wirklichen Studium16. So blieb es seit den dreissiger Jahren voll und ganz bei Köln. Von nun an sollte immer mindestens ein Wieringer Student dort verweilen und für Verwandte und Landsleute ‘Anlaufstelle’ sein. Es versteht sich, dass bei dieser Konzentration Universitätswechsel kaum vorkamen, eigentlich nur in zweien der genannten dreissig Fälle und nur zwischen Heidelberg und Köln in den frühen Jahrzehnten. Auch Gerhard hat über Köln hinaus keine andere Universität besucht. Eine Ausnahme gab es indessen | noch, eine Ausnahme in jeder Hinsicht, und die führt zugleich zu der Frage, was denn die Wieringer studierten. Im Sommer 1470 wurde in Basel Magister Fridericus de Wyringia parcium Hollandie immatrikuliert, filius Jacobi Baldewini dyocesis Traiectensis, als doctor in medicinis study Permensis selbstverständlich gratis. Leider ist über ihn oder seinen Vater Jacobus Baldewini nichts weiter bekannt, doch immerhin bekleidete er mit seinem medizinischen Doktortitel, soweit man derzeit feststellen kann, den höchsten akademischen Rang eines Wieringers im 15. Jahrhundert, und sicherlich hatte er durch sein Studium in Italien und die Doktorpromotion in Parma die statusförderndste Bildungsreise hinter sich gebracht. Basel war bloss noch eine Station auf dem Rückweg in die Heimat; gelehrt hat er dort jedenfalls nicht17. Halbwegs gleichziehen mit Doktor Friedrich im höheren akademischen
16 Die Matrikel der Universität Heidelberg von 1386–1662, hg. von Gustav Töpke, 2 Bde. Heidelberg 1884, 1893 (Register); Peter Moraw, Heidelberg: Universität, Hof und Stadt im ausgehenden Mittelalter, in: Studien zum städtischen Bildungswesen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, hg. von Bernd Moeller u.a., Göttingen 1983, S. 524–552, hier S. 530; Die Matrikel der Universität Rostock, 1419–1831, hg. von Adolph Hofmeister, Bd. 1, Rostock 1919, Bd. 7, Schwerin 1922 (Register). 17 Die Matrikel der Universität Basel, Band 1: 1460–1529, hg. v. Hans Georg Wakkernagel, Basel 1951, S. 81 Nr. 19; Albrecht Burckhardt, Geschichte der medizinischen Fakultät zu Basel 1460–1900, Basel 1917, S. 16.
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Milieu konnte nur Alardus von Wieringen, der 1421 in Heidelberg immatrikuliert wurde im Range eines baccalaureus in legibus unbekannter Herkunft18. Ansonsten aber bewegten sich die Wieringer, in Köln so gut wie ausschliesslich, in den Kursen der Artistenfakultät. Die Tatsache als solche ist nicht weiter verwunderlich, da die deutschen Universitäten im Unterschied zu ihren vor allem von Juristen und Medizinern dominierten südeuropäischen Schwestern zu achtzig Prozent und mehr fast reine ‘Artisten-Universitäten’ waren. Köln machte da keine Ausnahme. Welche Rolle dies für das soziale Niveau des Gros der deutschen Universitätsbesucher spielte, das deutlich niedriger war als in den Milieus der Juristen und selbst der artistennahen Mediziner und Theologen, ist andernorts ausführlich dargelegt19. Dass die Wieringer in Köln sich jedoch in toto auf die artes liberales konzentrierten, wo doch Nordholland bzw. das Bistum Utrecht zum Kölner “Juristenraum” zählten, ist dann doch, auch in sozialer Hinsicht, bemerkenswert. Es spricht für sich, dass einzig der nicht von der Insel stammende Vikar von St. Hippolyt, Theodoricus van der Beeck aus Beverwijk, als scolaris decretorum begegnet, 1389 anlässlich der Eröffnung der Universität, danach aber im ganzen 15. Jahrhundert eben niemand mehr20. Innerhalb der Kölner Artistenfakultät waren die Wieringer ratione gradus jedoch ausserordentlich erfolgreich, wenn man Examina, Promotionen und Graduierungen als Erfolgsausweise anerkennen will. Normalerweise studierten die meisten Besucher einer spätmittelalterlichen Artistenfakultät, ohne je einen Grad | zu erwerben oder erwerben 551 zu wollen. Nicht so offenbar die Wieringer: Von den 29 Insulanern erlangten 16 den Grad eines Baccalaureus und sechs davon zusätzlich den Grad eines Magister Artium. Mit – auf das ganze 15. Jahrhundert bezogen – 55 Prozent lag man überaus deutlich über dem Kölner Durchschnitt, der 37 Prozent ausmachte und den zum Beispiel auch die Absolventen aus dem Herzogtum Geldern stützten; erst gegen Ende des Jahrhunderts sollte die Fünfzigprozentmarke überschritten werden. Man lag zudem auch weit über dem Durchschnitt der artistischen Promotionen an fast allen anderen deutschen Universitäten. So kam
Matrikel Heidelberg I (Anm. 16), S. 151. Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (Anm. 2), S. 465–486; zu einer Typologie ders., Student (wie Anm. 12), S. 182–185. 20 Matrikel Köln I (Anm. 9), S. 34 Nr. 362. 18 19
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die bedeutende und grosse Erfurter Universität im gleichen Zeitraum kaum über 29 Prozent der Bakkalarspromotionen hinaus21. Gerhard von Wieringen war an diesen Erfolgen persönlich beteiligt. Am 27. September 1470 immatrikuliert, wurde er bereits am 2. November 1471 zum Bakkalaureat präsentiert und am 2. April 1473 zum Magister promoviert. Anschliessend hat er sein biennium abgeleistet, die alte Verpflichtung, nach dem Examen der Fakultät noch für zwei Jahre als Magister in der Lehre zur Verfügung zu stehen. In der Praxis wurde diese Zeit aber stark verkürzt, zumeist auf längstens ein Jahr, eine Gepflogenheit, der sich auch Gerhard offenbar angeschlossen hatte, jedenfalls blieb er bis Frühjahr 1474 in Köln. Auffallend rasch hat er die cursus in artibus durchlaufen, den Bakkalariandenkurs in rund einem Jahr, den Magistrandenkurs in weiteren eineinhalb Jahren. Wozu andere günstigstenfalls drei Jahre benötigten, woraus aber in der Praxis fast regelmässig vier bis fünf Jahre und nicht selten auch mehr wurden, das schaffte Gerhard in zweieinhalb Jahren. Auch die übrigen Wieringer konnten gut mithalten; nur zwei brauchten mehr als drei Semester für ihren Kurs22. Diese ‘kollektive Zügigkeit’ und der recht hohe Promotionserfolg hatten gewiss mehrere Gründe. Zum einen war der Fakultätsbetrieb der Artisten praktisch gleichbedeutend mit dem Betrieb der vier Prinzipalbursen, einer Kölner Eigenart im deutschen Universitätssystem. Der straff formalisierte Lehrplan und die ständige Kontrolle durch die Betreuer in diesen grossen Studentenhäusern leiteten geradezu systematisch zum Erfolg, freilich nur für diejenigen, die sich auch darauf einliessen; doch mag dieser spezielle, 552 prinzipale Bursenbetrieb die im Reich vergleichsweise hohe Zahl der | Kölner Promotionen um 1500 erklären23. Nun galt diese Betriebsform 21 Erich Meuthen, Kölner Universitätsgeschichte, Band I: Die alte Universität, Köln, Wien 1988, S. 117; M. Scheelen-Schutgens, Gelderse studenten aan de Keulse universiteit van 1389 tot 1500, in: Tijdschrift voor geschiedenis 85 (1972), S. 350–373, hier S. 362. Das Bakkalarenregister der Artistenfakultät der Universität Erfurt 1392– 1521, hg. von Rainer Christoph Schwinges, Klaus Wriedt u. a., Jena, Stuttgart 1995, S. xxxiii–xxxiv. 22 Matrikel Köln I (Anm. 9), S. 809 Nr. 56. Alle weiteren Angaben über Matrikel Köln III (Register, Stichwort Wieringen); Meuthen, Alte Universität (Anm. 21), S. 115; Schwinges/Wriedt, Bakkalarenregister (Anm. 21), S. xxiv. 23 Rainer Christoph Schwinges, Sozialgeschichtliche Aspekte spätmittelalterlicher Studentenbursen in Deutschland, in: Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters, hg. von Johannes Fried, Sigmaringen 1986, S. 527–564, hier S. 546, and in diesem Band, Meuthen, Alte Universität (Anm. 21), S. 91–100; Erich Meuthen, Die Artesfakultät der Alten Kölner Universität, in: Die Kölner Universität im Mittelalter, hg. von Albert Zimmermann, Berlin, New York 1989 (Miscellanea Mediaevalia 20), S. 366–393.
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zwar grundsätzlich für alle Kölner Kandidaten, aber offenbar nicht für alle in gleicher Weise. So wird man zum anderen auch auf ausserfakultäre Gründe für den besonderen Erfolg der Wieringer achten müssen, vor allem auf die soziale Herkunft, auf das Eintrittsalter bei der Immatrikulation und auf die Bildungsvorkenntnisse. Die Matrikeln geben darüber nur bedingt und eher indirekt Auskunft, aber immerhin: Gut zwei Drittel der Wieringer hatten, wie schon bemerkt, die Immatrikulationsgebühren vollumfänglich entrichtet. Das heisst aber auch, dass ein Drittel es nicht getan und eine Reduktion wie Gerhard oder gleich den vollen Erlass quia pauper erhalten hatte. Damit lagen die Wieringer deutlich über der Kölner ‘Armutsfrequenz’ des 15. Jahrhunderts (24%), auch über der ihrer Heimatregion Nordholland (28,7%); acht der 16 Promovierten waren in der Matrikel offiziell als Arme oder Halbarme anerkannt, ein weiterer konnte die Promotionsgebühren nur zum Teil bezahlen. Ob da die Wieringer divites wirklich ‘reich’ waren, mag dahinstehen; auch divites gliederten sich in verschiedene Personengruppen, die mehr oder weniger Mühe hatten, ein Studium zu finanzieren. Nun passen die Beobachtungen zusammen: Das zügige Streben nach Studienabschlüssen auf der Bakkalaren- wie auf der Magisterstufe hatte etwas mit den geringeren finanziellen Möglichkeiten, die man auch durchaus mit bescheideneren sozialen Positionen assoziieren darf, zu tun. Pauperes und überhaupt zahlungsschwache Personen haben viel häufiger und konzentrierter als die sogenannten divites versucht, soziale Hoffnungen, die sie möglicherweise hegten, durch artistische Promotionen zu beflügeln, Hoffnungen, die sich im 15. Jahrhundert noch immer in erster Linie auf Amt und Pfründen in der Kirche konzentrierten. Die begrenzten eigenen und familiären Mittel zwangen schlicht und einfach dazu, die Verweildauer auf der Universität so kurz und so intensiv wie möglich zu gestalten24. | Gerhard von Wieringen verhielt sich dabei geradezu exemplarisch. 553 Hinzu kam, dass er, geboren im Dezember 1451, beim Eintritt in die Universität im September 1470 bereits fast 19 Jahre alt war, also erwachsen und um einiges älter als seine Kommilitonen. Diese waren nämlich, wenn sie das erste Mal eine Universität besuchten,
24 Dazu Rainer Christoph Schwinges, Pauperes an deutschen Universitäten des 15. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Historische Forschung 8 (1981), S. 285–309, hier S. 303–309, auch in diesem Band; ders., Deutsche Universitätsbesucher (Anm. 2) S. 459–465 mit Fig. 44; ders., Der Student (Anm. 12), S. 187–195; und die wichtige Studie von Jacques Paquet, Coût des études, pauvrété et labeur: fonctions et métiers d’étudiants au Moyen Age, in: History of Universities 2 (1982), S. 15–52.
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insbesondere eine Artistenfakultät, in der Regel jugendliche 14–16jährige Knaben, die gerade das eidfähige Alter erreicht hatten. Die grundsätzliche Offenheit der mittelalterlichen Universität liess freilich Abweichungen auch im Alter jederzeit zu, sowohl nach unten wie nach oben hin. So befanden sich zahlreiche Minderjährige ebenso unter den Artes-Studenten wie ältere Herrschaften, die beispielsweise als Kleriker, Lehrer oder Notare bereits im ‘Berufsleben’ gestanden hatten. Man darf annehmen, dass auch im Mittelalter jemand, der nicht viel jünger war als so mancher Magister der Fakultät und der keine üppigen Ressourcen besass, sein Studium ernsthafter und mit grösserem Zeit- und Zielbewusstsein betrieb als viele andere. Begreiflicherweise waren artistische Vorkenntnisse dabei von grossem Nutzen. Zwar war auch hier die Universität sehr offen und kannte keinerlei genormte Vorbildung und keine Stufung im Bildungssystem von der Schule zur Universität, doch wuchs im Laufe des 15. Jahrhunderts die Wahrscheinlichkeit, dass neue Studenten zuvor die heimischen oder auswärtigen Lateinschulen besucht oder auch privaten Unterricht genossen hatten und zumindest elementare Kenntnisse der trivialen Fächer, vor allem der Grammatik und der Rhetorik, mitbrachten. Für Köln lässt sich dieser Zusammenhang signifikant belegen. Im übrigen, ein zusätzlicher Beleg, kümmerten sich die Kölner Artisten zur Zeit Gerhards nur noch am Rande um das triviale Programm. Köln widmete sich vielmehr der Philosophie, d. h. dem akademischen Aristotelismus, insbesondere der Logik (Dialektik) im ersten Teil sowie den naturphilosophischen Stoffen der ‘Physik’ im zweiten, dem Magister-Teil des Studiums25. Um hier mitzuhalten, noch dazu in kürzester Zeit, musste man entsprechende Vorkenntnisse haben. Gerhard von Wieringen hatte sie. Man wird an die berühmten holländischen Lateinschulen denken, die er zuvor besucht haben könnte, an Deventer oder Zwolle, Schulen, von denen bekannt ist, dass sie in ihren Leistungen mit so manchen Artistenfakultäten haben gleichziehen können, wenn sie ihnen nicht zeitweise sogar überlegen gewesen sind. Doch dort scheint er nicht gewesen zu sein. Hinter Gerhard standen, wie schon einmal angedeutet, seine Familie und Verwandtschaft, die väterlicher- und insbesondere mütterlicherseits auf Wieringen begütert war, Äcker und Weiden sowie Anteile an Torfmooren besass, aus denen der Torf gestochen und zu Brennmaterial
25 Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (Anm. 2), S. 330–341; Meuthen, Alte Universität (Anm. 21), S. 113–115.
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(Torfkohle) verarbeitet wurde. Aufs Ganze gesehen mag die Familie damit ihr Auskommen gehabt haben, ungachtet der unterschiedlichen Besitz- und Erbverhältnisse der einzelnen | Mitglieder, wie sie 554 Gerhard hier und da notierte. Seit mindestens einer Generation war die ‘Familie Wieringen’ aber auch schon an der Kölner Universität zu finden. Gleich der erste, den man mit Gerhard universitär in Verbindung bringen könnte, war möglicherweise sogar sein Vater, dessen Name zwar nicht im Notizbuch steht, aber aus Gerhards Immatrikulation als Gerardus Henrici, Sohn des Heinrich, zu erschliessen ist. Ein Henricus de Wiringia wurde am 5. Dezember 1434 in Köln als Artist immatrikuliert; bereits ein halbes Jahr später, am 20. Mai 1435, determinierte er zum Baccalaureus artium. Der sehr kurze Kölner Aufenthalt deutet freilich daraufhin, dass dieser Heinrich bereits zuvor an einer anderen Universität oder gehobenen Lateinschule die notwendigen Lehrveranstaltungen absolviert hatte und seinen Kölner Magistern dies auch beweisen konnte. Im Gegensatz dazu kann ich es heute nicht. Dass er als clericus der Utrechter Kirche inskribiert war, tut hier nichts zur Sache, da Inhaber der niederen Weihen durchaus heiraten konnten. Von Köln aus verloren sich die Spuren. Dieser Heinrich wäre bei Gerhards Geburt 1451 vermutlich um 35 Jahre alt und 1484, als Gerhards Vater starb, gegen siebzig Jahre alt gewesen. Das Alter spräche also nicht gegen eine Identität; auch andere männliche Verwandte hatten ein hohes Alter erreicht. Wie dem auch sei: Es ist überhaupt nur eine Vermutung, dass dieser Heinrich Gerhards Vater gewesen ist. Von seinem Vater spricht Gerhard mit Respekt, doch nie in akademischen, immer nur in familiären und finanziellen Angelegenheiten, wenn auch in diese die Studienkosten seines Sohnes zum Teil wenigstens inbegriffen waren. Anleitung, Erziehung und Ausstattung des künftigen Studenten übernahm indessen ein anderer aus der ersten Universitätsgeneration der Familie, der geistliche Onkel, der in der Welt des Mittelalters so etwas wie eine Institution gewesen ist. So wie dieser damals zum geistlichen Amt bestimmt worden sein mochte, wie es jahrhundertelang verbreiteter Brauch vor allem auf dem Lande war, so hatte man jetzt auch Gerhard dazu ausersehen, zu studieren und Priester zu werden. Gerhard war sehr wahrscheinlich das älteste von fünf Kindern des Ehepaares Heinrich und Ysplant von Wieringen, neben Albert, Kunhard, Eberhard und Katharina; aus der späten zweiten Ehe des Vaters gingen noch zwei Stiefbrüder hervor, Siegfried und Reiner. Von den Brüdern hat aber kein weiterer die Universität besucht. Zwölf Jahre Kindheit durfte Gerhard auf Wieringen verbringen. Dann verliess er die Insel Anfang
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September 1464 und begab sich in die Obhut seines Onkels Francko von Wieringen, eines Kölner Magisters der freien Künste, der zu dieser Zeit bereits die angesehene und einträgliche Position des Pfarrers von Jülich, einen Tagesritt von Köln entfernt, bekleidete: Anno lxiiii° circa Egidii quando primo exivi Wyringiam avunculus meus magister Francko exposuit pro me in itinere xxi albos colonienses. Item exposuit pro caligis meis v albos et vi 555 denaros currentes26. Onkel Francko, in gleichsam ‘klassischer’ | Konstellation der Bruder der Mutter, richtete Gerhard das Geld, fast einen rheinischen Gulden, für die Reise nach Jülich aus, sorgte obendrein für ein ordentliches Schuhwerk und nahm ihn dann in Jülich ins Pfarrhaus auf. Für die nächsten sechs Jahre bis zur Immatrikulation an der Kölner Universität war dies Gerhards Zuhause, nur unterbrochen von gelegentlichen Heimreisen nach Wieringen. Gerhard wird in Jülich zur Schule gegangen sein, wo die Existenz einer Lateinschule 1434 erstmals belegt ist27, doch kann man sich lebhaft vorstellen, dass der gelehrte Onkel den Zuwachs der Kenntnisse seines Neffen persönlich überwachte. Gerhards triviale Schulübungen in lateinischer Grammatik nach dem Doctrinale des Alexander de Villa Dei, in der Rhetorik und ein wenig schon in der Logik nach den Summulae des Petrus Hispanus, von denen der Onkel eine Handschrift besass, werden im Pfarrhaus für viel Gesprächsstoff gesorgt haben. Vor allem aber waren sie brauchbar genug, um später auf der Universität nicht nur Erfolg, sondern, wie bemerkt, auch ziemlich raschen Promotionserfolg zu haben. Onkel Francko war der Patron schlechthin, dominus meus, wie ihn Gerhard in seinem Büchlein regelmässig nennt, was nicht nur respektvoll, sondern zugleich auch der Ausdruck eines persönlichen Dienstverhältnisses im Umkreis freilich der Jülicher Pfarrkirche war. Der zu Amt und Würden gekommene Onkel tat, was von einem solchen Patron in der Familie erwartet wurde. Magister Francko von Wieringen förderte den Neffen zeit seines Lebens, bis zu seinem Tode um 1479 nicht nur geistig und materiell, sondern auch im Rahmen seiner Beziehungen zwischen Köln und Jülich, Universität und Kirche, und legte den Grundstock, um auch dem Neffen eine angemessene klerikale Laufbahn zu sichern. Die begann üblicherweise mit der prima tonsura. Nach zwei Jahren Aufenthalt in Jülich, als Gerhard fast 15 Jahre alt war und das kanonische Alter erreicht hatte, reisten Onkel und Neffe im September 1466 gemeinsam
26 27
Fol. 3r. Bers, Jülich (Anm. 2), S. 16.
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nach Wieringen, wobei dem jungen Gerhard unterwegs in Utrecht die Tonsur geschoren wurde. Zugleich spendierte ihm der Onkel das superpellicium, das Kleriker- oder Chorgewand. Damit war Gerhard in den Klerus eingetreten, mit allen rechtlichen Folgen, und war clericus minor der Utrechter Kirche geworden. Für sämtliche Kosten der Reise kam der Onkel auf, ebenso für Kost und Logis wie für geistliche und weltliche Kleidung. Letztere trug Gerhard wie die meisten seines Alters und Scholarenstandes natürlich viel lieber als die klerikale Gewandung. Selbst in den dürren Rechnungen bemerkt man die Freude, mit der die neue, teils in Jülich, teils unterwegs in Utrecht erworbene Ausstaffierung begrüsst und aufgezählt wurde: camisiae, bracae, wambosium, nigrae caligae, pilleum, parva grisea tunica, foderatura, tabardum nigrum, Hemden also und Hosen, ein gewiss schon modisch geschlitztes und gebauschtes Wams, schwarze Stiefel oder | Halbstiefel, eine Mütze und als Obergewand 556 die kleine graue Tunika und der pelzgefütterte bodenlange Mantel, der schwarze Tappert28. Soviel Neues war allerdings eine Ausnahme, gewiss in voller Absicht für die erste Heimreise. Eltern, Geschwister und Verwandte auf Wieringen werden beeindruckt gewesen sein von ihrem jungen Kleriker und nicht zuletzt wohl auch von diesem grosszügigen Onkel. Ansonsten ging es im Jülicher Pfarrhaus bescheidener zu. Auch Gerhard trug, wie es üblich war, die Kleidung anderer Verwandter auf oder durfte deren Stoffe nutzen; da liess man umarbeiten, wenden, ausbessern oder färben und nur gelegentlich ein neues Stück anfertigen, wie zum Beispiel ein capucium oder Gugel, das Kopf und Schultern schützend bedeckte und über dem Wams getragen wurde. Auch Schuhe und Stiefel wurden repariert, begreiflicherweise aber häufiger erneuert29. Seinen Besitz überschauend, nannte Gerhard sechs Paar Schuhe, sicher die bekannten ‘gotischen’ Schnabelschuhe, sein eigen sowie zwei Paar Stiefel und verriet noch dazu, dass zwar der Onkel das Geld gegeben, er aber seine grünen Stiefel oder Beinlinge selbst gekauft habe: concessit mihi 1 marcam currentem quando emi virides caligas meas. Insgesamt hatte der Onkel, so bilanzierte Gerhard 1470 am Ende seiner Schulzeit, Fol. 3r. Zur Kleidung etwa Edith Wurmbach, Das Wohnungs- und Kleidungswesen des Kölner Bürgertums um die Wende des Mittelalters, Bonn 1932; Harry Kühnel, Bildwörterbuch der Kleidung und Rüstung, Stuttgart 1992 (Kröners TB 453). 29 Zum Umgang mit Kleidung unter Verwandten u.a. jetzt Katharina SimonMuscheid, Die Dinge im Schnittpunkt sozialer Beziehungsnetze. Reden und Objekte im Alltag der städtischen Gesellschaft am Oberrhein (14. bis 16. Jahrhundert) (Veröffentlichungen des Max-Plauch-Instituts für Leschichte 193), Löttingen 2004. 28
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allein für Kleidung und Schuhwerk seines Neffen fast zwölf Gulden ausgegeben, zwei Gulden im Schnitt pro Jahr, eine Summe, die noch um 1460 den gesamten jährlichen Studien- und Lebenshaltungskosten eines halbwegs bescheidenen Schülers oder Studenten oberhalb der Armutsgrenze entsprochen hätte, aber dennoch nicht über den ganz alltäglichen Aufwand für Kleidung hinausging30. Am Montag, dem 17. September 1470, am Lambertitag, zog Gerhard endlich causa studii nach Köln, in der Hand ein ‘Startkapital’ von sechs Postulatsgulden31, was nicht üppig war, aber fürs erste ausreichen musste. Zehn Tage nahm er sich Zeit, um sich im Kölner Studentenmilieu einzurichten, dann immatrikulierte er sich am 27. September. Bei dieser Gelegenheit war eine wichtige Entscheidung bereits gefallen, nach der ihn der Rektor üblicherweise fragen würde: Ob er 557 schon entschieden habe, welchem Magister in welcher Burse er sich | anschliessen wolle32? Wer damals die Artistenfakultät besuchte, war nämlich zwingend verpflichtet, sich einen Magister zu wählen und mit diesem sowie der ganzen Gemeinschaft um ihn herum in einer familia zusammenzuleben und zusammenzuarbeiten. Anders als unter Juristen und Medizinern, gab es für die zumeist jugendlichen Artisten nur wenig Spielraum, diesem Zwang zu entgehen. Während sich jene ihrem Universitätslehrer eher im privaten Rahmen anschlossen, entwickelten die Artisten zusammen zumeist mit Theologen von Anfang an Gemeinschaftsobjekte, gestiftete Kollegien für Magister und Stipendiaten, in der Mehrzahl jedoch Studentenhäuser, die sogenannten Bursen im universitätseigenen oder privaten Unternehmertum. Die Insassen der Burse erhielten hier Kost und Logis sowie akademischen Unterricht in artibus. Magister der Artistenfakultäten führten diese Bursen entweder als eigenständige Bildungsunternehmer, als magistri regentes, oder aber als deren Angestellte, und mehrere Mitarbeiter, magistri exercentes, halfen ihnen, wobei jeder von ihnen seine studentische familia im Hause versammeln konnte. Bursenmagister waren also Professoren, Hoteliers und Gastwirte in einem. In Köln gab es vier Prinzipalbursen, volle Unternehmerbursen auf eigene Rechnung, die insbesondere nach 1450 Fol. 3r. Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (Anm. 2), S. 447. Siehe Ulf Dirlmeier, Untersuchungen zu den Einkommensverhältnissen und Lebenshaltungskosten in oberdeutschen Städten des Spätmittelalters, Heidelberg 1978, S. 290–291 u.ö. 31 Das sind 4 Gulden rheinisch (fl. rh.): Gerhard selbst rechnet in den Jahren 1470–1473 den Postulatsgulden zu 2/3 fl. rh. 32 Michael Bernhard, Goswin Kempgyn de Nussia, Trivita studentium. Eine Einführung in das Universitätsstudium aus dem 15. Jahrhundert, München 1976, S. 61. 30
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die Artistenfakultät fast zur Gänze dominierten. Sie trugen die Namen ihrer Prinzipale und waren von daher als Bursa Montana, Laurentiana, Corneliana und Kuckana bekannt33. Für Gerhard von Wieringen war es nicht schwer, sich zu entscheiden. Schon beim Aufbruch in Jülich dürfte es klar gewesen sein, dass auch er sich einem Magister der Bursa Corneliana anschliessen würde, wo die meisten Niederländer logierten, vor allem die Utrechter Diözesanen und fast alle Wieringer, und wo nicht zuletzt auch Onkel Francko sein Artistenstudium von 1440 bis zur Magisterpromotion 1443 absolviert und noch ein Jahr als Magister im Rahmen des bienniums gelehrt hatte34. Das gemeinschaftliche Leben verlieh den Bursen natürlich eigentümliche regionale Profile, die auf familialen und landsmannschaftlichen Voraussetzungen sowie auf den bekannten Regeln der sozialräumlichen Nähe basierten. Auch die Corneliana hatte daher wie alle Bursen, nicht nur in Köln, einen ganz eindeutigen räumlichen Schwerpunkt. Verantwortlich war jeweils dafür die Anziehungskraft der leitenden Magister. So führte nun auch der Onkel den Neffen seinem alten Regens zu, dem Magister und Lizentiaten der Theologie Cornelius Baldewini von Dordrecht, dem Prinzipal und Namensgeber | der Burse. Dieser 558 dominus licentiatus, wie ihn Gerhard stets respektvoll titulierte, leitete die Burse schon seit 1432, nunmehr seit fast vierzig Jahren. Sein Rang in der Hierarchie der Kölner Artes-Fakultät und darüber hinaus in der Universität war unbestritten. Davon zeugen zahlreiche, jahrzehntelang immer wieder bekleidete Ämter als Examinator, Temptator, Deputierter und Rezeptor; dreimal war er Dekan der Artisten-Fakultät, zweimal Intrans (Rektorwähler) für die Artisten und selbst einmal, obwohl nicht zum Doktor der Theologie promoviert, Rektor der Universität. Seine Burse an der Kölner Marzellenstrasse war die drittgrösste der Fakultät hinter Montana und Laurentiana und zu rund zwanzig Prozent an den Promotionen der Artisten beteiligt. Unter Cornelius von Dordrecht hatten insgesamt neunzig Bakkalare determiniert, unter ihnen auch Onkel Francko, und 51 Magister inzipiert35. 33 Zu den Kölner Bursen grundlegend Götz-Rüdiger Tewes, Die Bursen der Kölner Artisten-Fakultät bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, Köln, Weimar, Wien 1993 (Studien zur Geschichte der Universität zu Köln 13). 34 Matrikel Köln I (Anm. 9), S. 428 Nr. 53; Schwinges, Studentenbursen (Anm. 23), S. 548–552. 35 Ebd., S. 546–547. Rainer Christoph Schwinges, Rektorwahlen. Ein Beitrag zur Verfassungs-, Sozial- und Universitätsgeschichte des alten Reiches im 15. Jahrhundert, Sigmaringen 1992, S. 47, 78, 81; Tewes, Bursen (Anm. 33), S. 74, 112–114 u.ö.
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Seit Remigius 1470, dem 1. Oktober, war Gerhard nun Cornelianer. Wie es aussieht, zahlte er sein Bursengeld bald ordnungsgemäss, nämlich einen Goldgulden pro Quartal, wie es die Reformstatuten von 1457 als Grundeinheit festgesetzt hatten; manchmal jedoch gab er mehr, gleich für zwei Quartale auf einmal. Seine Geldeinnahmen vermehrten sich nach und nach, so gut der Onkel zahlen und seine Familie in Wieringen beisteuern konnte. Am Ende seiner Bursenzeit, nach zweieinhalb Jahren, sollte er, wie er selbst hochrechnete, dem Regenten insgesamt 17 rheinische Gulden bezahlt haben, sechs bis sieben Gulden mehr, als er hätte müssen. Gerhard scheint von Anfang an zu den Privilegierten, den imponentes der Burse gehört zu haben. Es ist nicht zu belegen, aber man hat doch den Eindruck, dass seine Einstufung als Medium-Zahler bei der Immatrikulation eher etwas mit den Beziehungen des Onkels zu tun hatte als mit der anfänglichen Geldknappheit. Gerhard wurde also zahlender Gast (convictor), vielleicht sogar schon bald Tischgenosse (commensalis) des Cornelius von Dordrecht. Jedenfalls baute sich zum Regenten eine besondere Beziehung auf, da Gerhard von Wieringen dessen Kammer oder eine von dessen Kammern in der Burse beziehen und benutzen konnte. Man muss das wohl aus seiner späteren Notiz im Büchlein schliessen, er habe 16 Wochen lang nicht in camera domini licentiati gewohnt36. Er schrieb dies, um sich von der Situation in Düsseldorf abzusetzen, wohin Regent und Burse wegen der Pest in Köln im Sommer 1472 geflohen waren; dort war er nämlich ausserhalb der Burse in einem Privatquartier untergebracht, für das er gesondert Miete zahlte und dem Regenten lediglich die Bezahlung der portiones schuldete, die er als Kostgänger der Burse in Anspruch nahm. Also hatte ihm 559 der Regent seine Kölner Bursenkammer | überlassen, will man nicht annehmen, Regent und Student hätten die camera als gemeinsames Gemach benutzt, was unter spätmittelalterlichen Bedingungen aber keineswegs so kurios gewesen wäre, wie es klingen mag37. Gerhards Wohnweise war sicher bemerkenswert, wenn auch für Kölner Verhältnisse nicht ganz ungewöhnlich, schon gar nicht für imponentes, andere divites und Leute ‘vom Stande’ oder solche, die vom Onkel protegiert wurden. Die Kölner Unternehmerbursen, das liegt in der Natur der Sache, gaben ihren ‘Kunden’ doch etwas mehr Spiel36 Fol. 17v: sunt prescise (. . .) xvi septimane quibus non steti in camera domini licentati. 37 Siehe z.B. Friedrich Wilhelm Oediger, Vom Leben am Niederrhein, Düsseldorf 1973 (Berichte des Arnold Heymerick von Kleve).
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raum als andere, liessen durchaus auch privat wohnen und hatten von daher gar nicht die grossen zentrierenden Gebäudekomplexe geschaffen wie zum Beispiel die Erfurter Kollegialbursen des Collegium majus oder des Collegium ad portam coeli, wo in 20 bis 25 Zimmern bis zu 300 Personen, zwölf und mehr in einem Raum, untergebracht waren. Doch wie andernorts wird es auch in Köln normal und üblich gewesen sein, dass sich mehrere Studenten eine Kammer oder sogar das Bett teilten, wie dies Gerhard sehr bald getan hat, weniger um sich etwas dazu zu verdienen, als vielmehr aus Freundschaft unter Kommilitonen gleicher Herkunft. Zwischen 1471 und 1474 ‘untervermietete’ er viermal Bett und Kammer an die Studenten Johannes von Hambach (bei Jülich), Engelbert von Jülich, Walter von Dordrecht und Jakob Lamberti von s’Gravenzande38. Der landsmannschaftlich-holländische und der lokaljülicher Zusammenhang fallen sofort auf. Walter oder Wolter Boem von Dordrecht, mit dem Gerhard am längsten in der Kammer des Regenten Cornelius zusammenlebte, war überdies ein Neffe desselben Regenten, an dessen Dordrechter Verwandte die Burse im Erbgang fallen sollte. Von 1479 bis 1483 war dieser Walter als Magister artium und zuletzt theologischer baccalaureus biblicus Regent der Bursa Corneliana39. Gerhards Schritte in Köln wurden von Onkel Francko, der die Bedürfnisse des Studentenlebens aus eigener Erfahrung kannte, umsorgt und gelenkt. Als erstes liess er ihm ein Bett für die Kammer in der Burse zukommen, in Form der Matratze, wie es damals noch üblich und selbst in vermögenden stadtbürgerlichen Kreisen anstelle einer festen Bettstatt verbreitet war40, dazu Bettlaken, Kissen und Duvets, verschiedene Leintücher, Tisch- und Handtücher, die Francko selbst zum Teil wiederum von seinem Onkel Dietrich erhalten hatte. Auch ein schönes neues capucium liripipiatum, ein Gugel mit Zipfel, wechselte den Besitzer. Ein Packen Kerzen und auch etwas zur Ergänzung der Bursenkost rundeten | die Lieferung ab: ein grosses Stück Speck und 560 ein Viertel Schwein. Beinahe monatlich, seit Januar 1471, folgte nun Sendung auf Sendung, überbracht von Jülich nach Köln von Verwandten, Freunden, Kommilitonen, famuli und famulae des Onkels oder von ‘professionellen’ Boten und Botinnen: lange fette Würste, Speck, Schinken, Schweinsköpfe, diverse Backwaren, Fische zur Fastenzeit, 38 Alle vier sind zwischen 1468 und 1471 immatrikuliert: Matrikel Köln I (Anm. 9), S. 778 Nr. 62; S. 821 Nr. 56; S. 812 Nr. 27; S. 805 Nr. 86. 39 Tewes, Bursen (Anm. 33), S. 86, 258–259. 40 Wurmbach, Wohnungs- und Bekleidungswesen (Anm. 28), S. 26–27.
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rotes Tuch für Schuhwerk und Hosen, Hemden, Kissen und Decken, ein alter Mantel und des Onkels toga, Schreibzeug und Radiermesserchen fürs Pergament und immer wieder Geld in kleineren und grösseren Beträgen. Hin und wieder besuchte Gerhard seinen Onkel in Jülich und ging dann nie mit leeren Händen von dannen, ebenso wenig wie von den Eltern, Geschwistern und Verwandten in Wieringen, wenn er aus den Ferien zurückkam. Von solchen Reisen brachte er des öfteren Waren und Geschenke mit, vor allem verschiedene Sorten Käse, kleine und grosse Schafskäse, Mischkäse, Weichkäse, meistens jedoch caseos virides, worunter man wohl ‘jungen Holländer’ zu verstehen hat. Einmal, nach Ostern 1473, er war gerade Magister geworden und hatte sich zuhause in seiner neuen Würde präsentiert, summierte sich der Käse auf 84 Stück, 37 für Onkel Francko in Jülich, 32 für ihn selbst sowie 15 Stück für Petrus Siboldi und Petrus Sifridi, Wieringer Landsleute oder gar Verwandte, die auch in Köln studierten41. Vermutlich rollte bei dieser Menge eigens ein Transportwagen nach Jülich, oder ein solcher nahm den Käse als Beifracht mit, denn grosszügig notierte Gerhard, er habe dem Onkel pro vectura nichts in Rechnung gestellt, vielmehr die Frachtkosten von einem Postulatsgulden (= 2/3 fl. rh.) aus eigener Tasche bezahlt. Was ‘unser Mann’ nicht selbst von seinem Käse verzehrte, wurde innerhalb wie ausserhalb der Burse an Freunde und Bekannte verkauft oder gelegentlich auch verschenkt. Selbstverständlich befanden sich unter den Beschenkten in erster Linie seine Bursenmagister, allen voran der Regent Cornelius von Dordrecht, sodann der spätere Konregens, Magister Petrus Thome von Leiden, ebenfalls Lizentiat der Theologie und schon fast zwanzig Jahre in der Corneliana tätig42, und schliesslich Magister Paulus von Wickrath, noch immer Baccalaureus der Theologie, doch fast ebenso lange schon ein “fleissiger” Mitarbeiter der Burse43. Auch er wurde bedacht, wenngleich mit bedeutend weniger Käse als die beiden Herren Lizentiaten, obwohl er Gerhards eigentlicher Lehrer und ‘Tutor’ war und ihn zum Magisterium führte. Mag sein, dass die Hierarchie bei den unterschiedlichen Gaben eine Rolle spielte, vielleicht aber auch die grössere Nähe zu den holländischen Landsleuten, die
41 42
u.ö.
Matrikel Köln I (Anm. 9), S. 842 Nr. 128, S. 861 Nr. 31. Matrikel Köln I (Anm. 9), S. 529 Nr. 78; Tewes, Bursen (Anm. 33), S. 81–82
43 Paulus (de) Wickroede, aus Wickrath zwischen Rheydt und Grevenbroich. Matrikel Köln I (Anm. 9), S. 528 Nr. 46; Tewes, Bursen (wie Anm. 33), S. 81 u.ö.
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obendrein noch durch ‘Onkel-Beziehungen’ verdichtet wurde: einerseits durch den schon bekannten Onkel Francko von Jülich als Schüler des Cornelius von Dordrecht, andererseits durch | den Onkel Volker von 561 Wieringen, der 1457 und 1458 in der Corneliana unter Petrus von Leiden studiert und determiniert hatte und nach 1470 als Pastor in Bergstein (südlich von Düren) wirkte. Onkel Volker müsste allerdings auch Paulus von Wickrath noch gekannt haben. Dieser jüngere Onkel sollte vor allem nach dem Tod Onkel Franckos 1479 den nachuniversitären geistlichen Lebensweg Gerhards aufmerksam und hilfreich begleiten. Wie dem auch sei, Gerhard hatte sich mit seinen Gaben völlig richtig verhalten, sich nämlich getreulich an die Empfehlungen der zeitgenössischen Einführungsbüchlein ins Studentenleben gehalten, die dazu aufforderten, den Magistern, manche waren doch gerade in einer Artistenfakultät arge Hungerleider, immer fleissig und reichlich zu geben, nicht nur Geld, sondern auch Naturalien44. Im Gegenzug halfen sie ihm, die cursus in artibus rasch und erfolgreich zu durchlaufen. Leider hat Gerhard nichts über das Was und Wie seines Studierens in der Burse notiert; man wird aber ohne weiteres annehmen können, dass auch er mit dem betont naturphilosophischen Programm der Kölner Artistenfakultät konfrontiert war und dabei begreiflicherweise jener realistischen Richtung folgte, die seine Burse vorgab: In der Corneliana dachte und lehrte man wie in der grösseren Montana thomistisch. Nun kann man Gerhard wenigstens indirekt mit dem Thomismus in Verbindung bringen, denn er hat später in Jülich Bücher aus seinem Besitz verliehen und sich deshalb die Titel aufgeschrieben, Titel, die auch im thomistischen Programm eine Rolle spielten: Item anno 75° in die philippi et jacobi apostolorum concessi fratri Johanni dumppelman ordinis minorum de observancia institutiones duorum librorum ‘de generatione et corruptione’ tum ‘de anima’ cum institutionibus ‘de ente et essentia’ in unum quas postea me restituit. Gemeint sind hier kommentierte aristotelische Schriften, vermutlich in Form der sogenannten Kölner Kopulate, ‘Über Entstehen und Vergehen’ und ‘Über die Seele’, die beide zu den libri naturales, den Schriften zur theoretischen Philosophie bzw. Physik gehören, sowie der vermutlich ebenfalls in Kopulatform kommentierte kleine Traktat ‘de ente et essentia’ des Thomas von Aquin 44 Siehe z.B. das Manuale scholarium, in: Friedrich Zarncke, Die deutschen Universitäten des Mittelalters, Leipzig 1857, S. 1–48, hier S. 45; Bernhard, Goswin Kempgyn (Anm. 32), passim; Friedrich Schulze, Paul Ssymank, Das deutsche Studententum von aeltesten Zeiten bis zur Gegenwart, Leipzig 21910, S. 53–78.
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über die aristotelische Metaphysik45. Gerhard besass ferner, wohl noch aus seinem Bakkalarianden-Kurs, die Mitschriften zweier Vorlesungen des 1469 als Cornelianer rezipierten Magisters Simon von Hambach 562 alias von | Jülich46 super totam loycaliam et eciam super parva loycalia sowie einen ‘punktierten’, in Abschnitte ( puncta) eingeteilten Auszug aus den Summulae logicales des Petrus Hispanus, des verbreitetsten mittelalterlichen Lehrbuchs der Logik. Onkel Francko hatte ihm sein altes Exemplar, vermutlich seine Vorlesungsmitschrift geschenkt. Leute wie Gerhard, die schon ab dem ersten Tag in der Universität protegiert und portiert wurden, von Onkeln wie von bekannten Magistern, stellten immer eine besondere und besonders geschätzte Klientel von Universitätsbesuchern dar. Daher hatte es sich die Universität, gleichviel ob Köln oder eine andere, oft zur Ehre angerechnet, solche Klientelen auch hervorzuheben. Denn die Ehre galt nicht eigentlich den Protegierten selbst, sondern den Bezugspersonen, der sozialen Verflechtung, der Zugehörigkeit zu einer familia, einer Tischgenossenschaft oder einem sonstigen Patronageverband47. So erschien es den Rektoren in der Regel schon bei der Immatrikulation solcher Personen in jedem einzelnen Falle geboten, den ehrenden Verzicht auf Gebühren eigens zu begründen, etwa durch ein gratis propter reverentiam domini NN oder doctoris sui. Viele tausend so ausgezeichnete Personen in den allgemeinen Rektoratsmatrikeln demonstrierten auf diese Weise, was es hiess, auch eine Universität nach den sozialen Regeln der Zeit zu besuchen, jenen Regeln, in denen familiäre, verwandtschaftliche, freundschaftliche oder landsmannschaftliche Beziehungen eher den Ausschlag gaben als abstrakt wissenschaftliche. Solche Bindungen und Beziehungen begleiteten die Universitätsbesucher zusätzlich zu den neuen, die sie knüpfen konnten, während des ganzen Studiums und oft genug auch während
45 Fol. 14r. Zum Hintergrund Meuthen, Alte Universität (Anm. 21), S. 178–184; Tewes, Bursen (Anm. 33), S. 385–396, passim. Klärend auch Peter Schulthess, Ruedi Imbach, Die Philosophie im lateinischen Mittelalter. Ein Handbuch mit einem biobibliographischen Repertorium, Zürich, Düsseldorf 1996. 46 Fol. 1r. Zu Simon von Hambach (bei Jülich) Matrikel Köln I (Anm. 9), S. 705 Nr. 71; Keussen, Alte Universität (Anm. 2), S. 548 (70). Wohl nicht zu verwechseln mit dem Montaner-Magister und Lic. theol. Simon von Jülich (filius Henrici Custodis), Matrikel Köln I, S. 670 Nr. 38; Tewes, Bursen (Anm. 33), S. 191, 575, 672. 47 Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (Anm. 2), S. 413–424. In weiteren Zusammenhängen Peter Moraw, Über Patrone und Klienten im Heiligen Römischen Reich des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, in: Klientelsysteme im Europa der Frühen Neuzeit, hg. von Antoni Maczak unter Mitarbeit v. Elisabeth Müller-Luckner, München 1988, S. 1–18, zur Universität S. 16–17.
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des späteren Lebensweges. Ob es bei der ‘Medium-Immatrikulation’ Gerhards von Wieringen nur um die anfängliche Bedürftigkeit oder nicht doch auch um die reverentia avunculi, immerhin des Pastors von Jülich, ging, lässt sich nicht entscheiden. Gerhards Fall zeigt jedoch sehr wohl, dass das Studieren nach sozialen Regeln keineswegs nur Sache der eigens herausgehobenen Klientel war, die in Köln rund fünf Prozent der gesamten Besucherschaft des 15. Jahrhunderts ausmachte, sondern durchaus tiefer ging, unter die sprichwörtliche Spitze des Eisbergs. Auch ein grosser Teil der ‘normalen’ Studenten und Gebührenzahler, der sogenannten semidivites wie der divites, bewegte sich nicht ohne Bindungen in der Universität, vor allem nicht ohne Bindungen an die Freunde und Landsleute | unter den Professoren, Regenten, Magistern und 562 Kommilitonen. Wenn man dann noch Onkel hatte, die offensichtlich auch wussten, wozu sie da waren und danach handelten und Stiefel, Wams und Studium finanzierten, da konnte man das Leben wohl meistern. Jedenfalls waren die Verhältnisse für Magister Gerhard am Ende seiner Kölner Universitätszeit schon so geregelt, dass er in Jülich in der Nähe seiner Onkel eine auskömmliche eigene geistliche ‘Karriere’ als Priester und Termineiverwalter der Karmeliten aufbauen und dabei in den achtziger und neunziger Jahren selbst wiederum die Institution des geistlichen Onkels für einen weiteren Wieringer fortsetzen konnte.
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ZUR PROFESSIONALISIERUNG GELEHRTER TÄTIGKEIT IM DEUTSCHEN SPÄTMITTELALTER* Auf einem gewissen Höhepunkt der Professionalisierungsdebatte in Deutschland um 1980 stellte Dietrich Rüschemeyer in der Zeitschrift ‘Geschichte und Gesellschaft’ empfehlend fest, eine schärfere Differenzierung der Bedingungen von Professionalisierungsprozessen in verschiedenen Epochen des sozialen, ökonomischen und politischen Wandels sei nicht der geringste Beitrag, den die geschichtliche Forschung zu den allzu oft unhistorischen Modellen der Entwicklung der Expertenberufe leisten könne1. Gemeint waren in erster Linie die akademischen Expertenberufe. Diese Empfehlung ist nach wie vor beherzigenswert, erst recht für den Umgang mit der Vormoderne in ihrer mittelalterlichen Phase. Sie ist mir bei meinen Forschungen zur Geschichte deutscher Universitätsbesucher des späten Mittelalters im allgemeinen und zu gelehrten Berufen im besonderen immer recht gewesen. Denn die schönen, historisch jedoch gänzlich unspezifischen Verlaufsformen Professionalisierung, Verwissenschaftlichung, Akademisierung, Verrechtlichung, Bürokratisierung, Verlaufbahnung und dergleichen mehr sind doch eher hinderliche Begriffe, die die wirklichen Vorgänge verdecken, wenn man sich mit solcher Begrifflichkeit zufrieden gibt, selbst wenn man sie oft nur verkürzend und etikettierend für komplexe Phänomene verwendet. Um nicht missverstanden zu werden: Ich nutze solche Begriffe selbst wie im Titel dieses Beitrags und habe erst vor kurzem wieder die Inhaber gelehrter Berufe als Modernisierungsträger im alten Reich zu vereinnahmen versucht, doch, wie ich denke, mit ausreichender konzeptioneller und methodischer Kontrolle2.
* In: Recht und Verfassung im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, Teil II: Bericht über Kolloquien der Kommission zur Erforschung des Spätmittelalters, 1996 bis 1997, hg. von Hartmut Boockmann, Ludger Grenzmann et al. (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, phil.-hist. Klasse, 3. Folge 239), Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2001, S. 473–493. 1 Dietrich Rüschemeyer, Professionalisierung. Theoretische Probleme für die vergleichende Geschichtsforschung, in: Geschichte und Gesellschaft 6 (1980), S. 311–325, 325. 2 Rainer Christoph Schwinges (Hg.), Gelehrte im Reich. Zur Sozial- und Wirkungsgeschichte akademischer Eliten des 14. bis 16. Jahrhunderts, hg. von, Berlin 1996 (ZHF Beiheft 18), S. 11ff.; dazu auch die skeptischen Überlegungen im Resümee von Kaspar Elm, ebd. S. 515ff.
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Wenn man nämlich die heute akzeptierten Bedingungen für Professionalisierung, für das Sich-Durchsetzen von Expertenberufen zugrundelegt, muss auch das gesellschaftliche Umfeld stimmen. Das heisst, eine Gesellschaft – in unserem Falle die des Römisch-deutschen Reichs im späten Mittelalter – müsste, damit sich Expertenberufe überhaupt ent474 falten können, über ein bestimmtes Mass an institutionalisierten | Verhältnissen verfügen. Auf die wesentlichsten vier reduziert, nenne ich: 1. die universitäre Ausbildung, 2. das Entfalten von Berufsstrukturen, 3. die etablierte Anerkennung der Experten und 4. die Macht- und Einfluss-Verteilung im Sinne des Besetzens von Positionen, die den Experten nicht mehr von anderen streitig gemacht werden3. Die beiden erstgenannten Massstäbe für institutionalisierte Verhältnisse seien hier näher behandelt, die beiden anderen nur kursorisch mitbedacht. Legt man diese Massstäbe an, um die spätmittelalterlichen in die zeitlich folgenden Entwicklungen vergleichend einschalten zu können, so ist das gesellschaftliche Umfeld erneut zu bedenken; es wäre zu banal, aus der Entwicklungsperspektive heraus für das Mittelalter Defizite zu konstatieren: Die Forderung nach einem bestimmten Mass an institutionalisierten Verhältnissen in den vier genannten Bereichen betrifft nämlich eine Gesellschaft, die man gewöhnlich traditional nennt oder alteuropäisch und damit eine Gesellschaft meint, die andere Qualitäten und andere Spielregeln sozialen und politischen Erfolgs für gut und richtig gehalten hat als eine im wesentlichen durchprofessionalisierte Leistungsgesellschaft – oder eine wie auch immer etikettierte – des 19. und 20. Jahrhunderts. Eine spätmittelalterlich traditionale Gesellschaft im Reich setzte bei ausserordentlich unterschiedlich entwickelter Regionalität in erster Linie auf Kleinräumigkeit und Betonung der Nähe, auf ständische, familiare und patronale Qualitäten und Werte, innerhalb derer sich Studium und Wissen, persönliche Fähigkeit, Leistung und Expertentum – ob durch Anpassen oder Aufbrechen – durchaus entfalten mochten. Dies galt für alle Arten gelehrter Tätigkeit oder akademischen Expertentums, für Artisten wie Theologen, für Mediziner wie Juristen. Rüschemeyer (Anm. 1), S. 325. – Zur Diskussion dieser grundlegenden Konzepte vor dem Hintergrund verschiedener Theorien vgl. z. B. Magali Sarfatti Larson, The Rise of Professionalism, Berkely-Los Angeles-London 1977. – Andrew Abbott, The System of Professions. An Essay on the Division of Expert Labor, Chicago 1988. – Werner Conze und Jürgen Kocka (Hg.), Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert, Teil I: Bildungssystem und Professionalisierung in internationalen Vergleichen, Stuttgart 1985. – Rudolf Stichweh, Wissenschaft, Universität, Professionen: Soziologische Analysen, Frankfurt am Main 1994. 3
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Die universitäre Ausbildung Die Geschichte der universitären Ausbildung innerhalb des Römischdeutschen Reiches begann unter Institutionalisierungsaspekten mit einem Paukenschlag4. Die Universitäten des Reiches traten anders als ihre älteren europäischen Schwestern | zwar spät, aber dafür 475 sofort als neuer Typus auf den Plan, als Mehr-Fakultäten-Universität mit in der Regel mindestens vier Fakultäten5. Man kann ihn den ‘deutschen Typus’ nennen. Dieser war so verfasst, dass er Artisten, Theologen, Mediziner und Juristen und damit gänzlich inhomogene und sozial fast unverträgliche Personenverbände, für die jeweils Paris oder Bologna Modell stehen mochten, in einer gemeinsamen Institution vereinigte. Zu verdanken war dies, auch wenn der erste Anlauf in Prag 1348 zunächst misslang, dem hohen Zentralisierungsdruck des 4 Dazu überblicksweise Rainer Christoph Schwinges, Prestige und gemeiner Nutzen. Universitätsgründungen im deutschen Spätmittelalter, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 21 (1998), S. 5–17. – Ders., The Medieval German University: Transformation and Innovation, in: Paedagogica Historica 34 (1998), S. 375–388, auch in diesem Band. – Ders., Le Università nei Territori dell’Impero, in: Le Università dell’Europa: La Nascita delle Università, a cura di Gian Paolo Brizzi e Jacques Verger, Milano 1990, S. 221–255. – Peter Moraw, Einheit und Vielfalt der Universität im alten Europa, in: Die Universität in Alteuropa, hg. von Alexander Patschovsky und Horst Rabe (Konstanzer Bibliothek 22), Konstanz 1994, S. 11–27. – Ders., Das spätmittelalterliche Universitätssystem in Europa – sozialgeschichtlich betrachtet, in: Wissensliteratur im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, hg. von Horst Brunner und Norbert Richard Wolf (Wissensliteratur im Mittelalter 13), Wiesbaden 1993, S. 9–25. – Ders., Die Universität Prag im Mittelalter. Grundzüge ihrer Geschichte im europäischen Zusammenhang, in: Die Universität zu Prag (Schriften der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste 7), München 1986, S. 9–134, hier 22ff. – Frank Rexroth, Deutsche Universitätsstiftungen von Prag bis Köln. Die Intentionen des Stifters und die Wege und Chancen ihrer Verwirklichung im spätmittelalterlichen deutschen Territorialstaat (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 34), Köln/Weimar/Wien 1992. – Rainer A. Müller, Geschichte der Universität. Von der mittelalterlichen Universitas zur deutschen Hochschule, München 1990, S. 39ff. – Ernst Schubert, Motive und Probleme deutscher Universitätsgründungen des 15. Jahrhunderts, in: Beiträge zu Problemen deutscher Universitätsgründungen der frühen Neuzeit, hg. von Peter Baumgart und Notker Hammerstein, Nendeln 1978, S. 13–74. – Ferdinand Seibt, Von Prag bis Rostock. Zur Gründung der Universitäten in Mitteleuropa, in: Festschrift für Walter Schlesinger, Band 1, Köln/Wien 1973, S. 406–426. – Aus der älteren Literatur nach wie vor wichtig: Friedrich Paulsen, Die Gründung der deutschen Universitäten im Mittelalter, in: HZ 45 (1881), S. 251–311. – Georg Kaufmann, Geschichte der deutschen Universitäten, Band 2, Stuttgart 1896 (Ndr. Graz 1958). – Das akademische Deutschland, Band 1: Die deutschen Hochschulen in ihrer Geschichte, hg. von Max Doeberl, Berlin 1930. 5 Von der Vierer-Form wich in der älteren Vormoderne nur die Fünf-FakultätenUniversität zu Löwen ab, die sich neben Artes, Medizin und Theologie zwei juristische Fakultäten leistete, eine legistische und eine kanonistische; vgl. Lovanium docet. Geschiedenis van de Leuvense Rechtsfaculteit 1425–1914, Leuven 1988 (Ausstellungskatalog).
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vergleichsweise modernen Territorialstaates und in einigen Fällen auch der grossen Stadt des ausgehenden 14. und des 15. Jahrhunderts. Die Macht der Landesherrschaft war schon zu weit fortgeschritten, als dass noch einmal andere Wege hätten beschritten werden können, auch nicht von Juristen. Alternativen in relativ ungebundenen Personengemeinschaften und eigenen Juristen- oder Mediziner-Universitäten, wie sie deutsche Rechts- und Medizinstudenten vor allem in Italien oder Südfrankreich erleben mochten, gab es im Reich nicht mehr. Noch vor der Reformation verfügten alle grossen Dynastien, die weltlichen und geistlichen Kurfürsten sowie die bedeutenderen Reichsfürsten über ihre Universität oder zumindest über einen politisch unproblematischen Zugang zu einer solchen in ihrer Nähe – wie der Kölner Kurfürst-Erzbischof gegenüber der städtischen Universität zu Köln. Bei den Universitätsgründungen ging es der Herrschaft freilich nicht um Bildungspolitik, nicht um den “gemeinen Nutzen”, von dem nur die Päpste in den Stiftungsbriefen redeten, sondern in erster Linie um 476 den Nutzen für die Dynastie, | um Prestige und Herrschaftsmittel, wie dies Städtegründungen, Burgenbau, Kirchen- und Klosterstiftungen ebenfalls waren, wobei der Frömmigkeitsaspekt der mittelalterlichen Stiftung darin aufgehen mochte. Staatliche Initiativen aus der Landesverwaltung heraus, die wesentlich hinter der Professionalisierung akademischer Berufe der deutschen Neuzeit standen6, waren hier noch unbekannt, besser gesagt, sie dürfen erst gar nicht erwartet werden. Was von daher aus herrscherlicher Sicht eher ein Nebeneffekt war, leitete gleichwohl einen der folgenreichsten Vorgänge ein und war zunächst einmal ein quantitativer Effekt, und zwar ein notwendiger, ohne den und ohne dessen ausreichende Grösse man das Thema Professionalisierung erst gar nicht zu diskutieren brauchte. Universitäre Ausbildung wurde im spätmittelalterlichen Deutschland überraschend stark genutzt. Innerhalb weniger Jahrzehnte sorgten wiederholte Wachstumsschübe, die bemerkenswerterweise der Bevölkerungsentwicklung im Reich entgegenstanden, für grosse Zahlen im Universitätsbesuch7. Der Anteil der Studierenden an der Bevölkerung Vgl. z. B. Peter Lundgreen, Examina und Tätigkeitsfelder für Absolventen der Philosophischen Fakultät. Berufskonstruktion und Professionalisierung im 19. Jahrhundert, in: Artisten und Philosophen. Wissenschafts- und Wirkungsgeschichte einer Fakultät vom 13. bis zum 19. Jahrhundert, hg. von Rainer Christoph Schwinges (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 1), Basel 1999, S. 319–334. 7 Rainer Christoph Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. 6
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des Reiches war sogar deutlich überproportioniert. Bis 1520 sollten sich die Immatrikulationen an deutschen Universitäten auf über 250 000 aufsummiert haben, und zwar so, dass die Universitäten seit den 70er Jahren bei jährlich bis zu 3000 Neuimmatrikulierten bereits einen hohen Überschuss an akademisch Gebildeten aller Wissensstufen erzeugten. Man kann um 1500 im deutschen Reich mit einer Gesamtzahl von rund 10000 Studierenden rechnen. Mangels Quellen – es fehlen vor allem so fundamentale Quellen wie die Matrikelbücher in fast allen Nachbarländern, insbesondere in Frankreich, England und Italien – lassen sich diese Zahlen leider nicht vergleichend bewerten8. So kann man beispielsweise nichts Gesichertes darüber aussagen, ob es sich für die Zeit um 1500 um eine noch unterdurchschnittliche oder schon überdurchschnittliche Entwicklung innerhalb der europäischen Universitätslandschaft handelt. Wie auch immer, für das alte Reich war diese Entwicklung jedenfalls von kardinaler Bedeutung. Man muss nämlich für die Zeit nach 1470 und überhaupt der vorreformatorischen Jahrzehnte von einem starken, bis dahin unbekannten | Angebotsdruck an Universitätsgebildeten 477 und gelehrten Absolventen sprechen. Dabei kam es zu einer Erscheinung, die schon früher von mir als eine der ersten Überfüllungskrisen in der deutschen Universitätslandschaft gedeutet worden ist, und die erst infolge der Reformation durch den rasanten Frequenzeinbruch in protestantischen wie katholischgebliebenen Universitäten beseitigt werden konnte9. Zwei Hinweise mögen dazu genügen: Zum einen stagnierte der Universitätsbesuch in den genannten Jahrzehnten vor der Reformation auf bis dahin höchstem Niveau, ohne dass die ‘neuen’ Universitäten, die erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts eröffnet wurden, Greifswald, Freiburg, Basel, Ingolstadt, Trier, Mainz und Tübingen, kurze Zeit auch Wittenberg und Frankfurt, Wesentliches zur Entlastung bei-
Jahrhundert. Studien zur Sozialgeschichte des alten Reiches (Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches 6), Stuttgart 1986, S. 23–37. Ders., Universitätsbesuch im Reich vom 14. zum 16. Jahrhundert: Wachstum und Konjunkturen, in: Geschichte und Gesellschaft 10 (1984), S. 5–30. 8 Rainer Christoph Schwinges, Admission, in: A History of the University in Europe I: Universities in the Middle Ages, ed. by Hilde de Ridder-Symoens, Cambridge 21994, S. 171–194, 177ff., 187ff., auch in diesem Band. (deutsch: Die Zulassung zur Universität, in: Geschichte der Universität in Europa, Band I, Mittelalter, hg. von Walter Rüegg, München 1993, S. 166ff., 174ff.). – Vgl. auch Jacques Paquet, Les matricules universitaires (Typologie des sources du moyen âge occidental 65), Turnhout 1992, S. 16–20 u.ö. 9 Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (Anm. 7), S. 33ff., 217–220, passim, auch zum Folgenden.
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trugen. Die meisten zeigten auf längere Sicht sogar negatives Wachstum. Die grossen Zahlen, mithin die Überfüllungserscheinungen, konzentrierten sich dagegen vor allem auf die grossen Universitäten, allen voran auf die Hohen Schulen in der rhein- und maasländischen Führungs- und Vorsprungslandschaft im Westen des Reiches: Löwen und Köln waren die stärksten Anziehungspunkte im ausgehenden 15. Jahrhundert, nicht nur für Studierende aus der Region, sondern aus dem gesamten Reich, gefolgt von Wien, Leipzig und Erfurt. Zum anderen stand einem solchen Angebot, noch dazu einem räumlich so konzentrierten Angebot an Universitätsgebildeten, auf den noch ziemlich unelastischen Arbeitsmärkten der geistlichen wie weltlichen Herren und der Städte keine adäquate Nachfrage gegenüber, eine Aussage, die selbst dann noch gelten dürfte, wenn man die Bedarfsund Angebotslage regional noch stärker differenziert und überdies auch in sozialer Hinsicht unterschiedlich gewichtet10. Für grosse Zahlen sorgten nämlich zu einem bedeutenden Teil auch jene Menschen, für die in einer traditionalen Gesellschaft relativ wenig Raum zu sozialen Veränderungen blieb; gerade sie, unter ihnen sehr oft pauperes scholares, verlagerten sich gegen Ende des Jahrhunderts in auffallender Weise aus dem Südraum in den Nordwesten des Reiches und sammelten sich dort, wo grosse Universitätsstädte wie Köln und Löwen, umgeben von einer überaus reichen Adels- und Kirchenlandschaft, Hoffnungen auf Pfründen, Ämter, Dienste und professionellen Gewinn eher zuzulassen schienen als anderswo11. 478 | Das institutionalisierte Angebot der universitären Ausbildung wurde im Reich – wie ausgeführt – zwar stark frequentiert, jedoch mit höchstunterschiedlichen Anteilen an den vier Fakultäten der Theologie, der beiden Rechte, der Medizin und der artes liberales. Die völlig ungleichgewichtige Verteilung der fachlichen Orientierungen verlieh den deutschen Universitäten ein ganz eigenartiges Profil. Man darf dies in 10 Vgl. hierzu etwa die Sammelbände Gelehrte im Reich (Anm. 2) und Artisten und Philosophen (Anm. 6). – Peter Moraw, Der Lebensweg der Studenten, in: Rüegg, Universität in Europa (Anm. 8), S. 225–254, 248ff. – Als Beispiel für eine Region: Rainer Christoph Schwinges, Franken in der deutschen Universitätslandschaft des späten Mittelalters, in: Die Universität in der Welt – die Welt in der Universität, hg. von Hanns-Albert Steger und Hans Hopfinger, Neustadt a. d. Aisch 1994, S. 1–26, 16ff., auch in diesem Band. 11 Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 7), S. 457ff. – Ders., Pauperes an deutschen Universitäten des 15. Jahrhunderts, in: Zeitschriftfür Historische Forschung 8 (1981), S. 285–309, auch in diesem Band. – Jacques Paquet, Coût des études, pauvreté et labeur: Fonctions et métiers d’étudiants au moyen âge, in: History of Universities 2 (1982), S. 15–52.
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keiner Diskussion um die Wirkung und Leistung der mittelalterlichen Universität und der gelehrten Tätigkeiten ausser Acht lassen. Denn im Gegensatz etwa zu den süd- und westeuropäischen Juristen- und Mediziner-Zentren rekrutierten die deutschen Universitäten – und alle anderen, die dem deutschen Typ in Nord- und Ostmitteleuropa folgten – ihre Besucher im Durchschnitt zu 70 bis 80 Prozent als Artisten; nur zehn bis 15 Prozent entfielen auf Juristen, mehrheitlich noch Kirchenrechtler, den Rest teilten sich Theologen und verschwindend wenige Mediziner – letztere höchstens zu einem Prozent. In Italien, Spanien, Südfrankreich waren die Zahlenverhältnisse zumeist umgekehrt, die Artisten vor allem gegenüber Juristen in der Minderheit. Diese unterschiedliche Verteilung kennzeichnete und typisierte zugleich die Möglichkeiten der deutschen Universitätsausbildung insgesamt, auch wenn durchaus Unterschiede in einzelnen Standorten und Regionen auszumachen waren12. Manche Universitäten, und keineswegs nur die kleineren, wie man aus Kapazitätsgründen denken könnte, waren sogar fast reine Artistenschulen. Wie etwa soll man die Wiener Universität benennen, an der zwischen 1402 und 1519 im Schnitt nur acht Prozent der Universitätsbesucher der juristischen, eigentlich ‘nur’ kanonistischen Fakultät angehörten, knapp sechs Prozent der theologischen, knapp ein Prozent der medizinischen, mithin 85 Prozent der artistischen Fakultät – und das trotz der Nähe zur habsburgischen Kaiserresidenz13. Was soll man vom kleinen Greifswald halten, wo trotz obrigkeitlichen Willens und der erhofften Attraktion italienischer Juristen, der beiden Doktoren und Rektoren Pietro und Vincenzo von Ravenna, ein geordneter Rechtsunterricht mangels studentischer Masse um 1500 kläglich
12 Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (Anm. 7), S. 467–472. – Agostino Sottili, Eine Postille zum artistischen Curriculum der italienischen Universitäten im Vergleich zur mitteleuropäischen Artistenfakultät, in: Artisten und Philosophen (Anm. 6), S. 405–459. – Jacques Verger (Hg.), Histoire des Universités en France, Toulouse 1986, S. 83f., 100ff. – Richard L. Kagan, Students and Society in Early Modern Spain, Baltimore/London 1974, S. 196ff. – Ders., Universities in Italy, in: Histoire sociale des populations étudiantes, Tome I, ed. Dominique Julia, Jacques Revel et Roger Chartier, Paris 1986, S. 153–186, 154ff. 13 Beat Immenhauser, Wiener Juristen. Zur Sozialgeschichte der juristischen Besucherschaft der Universität Wien von 1402 bis 1519, in: Mitteilungen der Österreichischen Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte 17 (1997), S. 61–102, 67ff. – Die Akten der Theologischen Fakultät der Universität Wien (1396–1508), hg. von Paul Uiblein, 2 Bände, Wien 1978, Bd. 1, S. XVIII, Bd. 2, S. 604. – Acta facultatis medicae Universitatis Vindobonensis, hg. von Karl Schrauf, 3 Bände, Wien 1894–1904; dazu Markus Bernhard, Gelehrte Mediziner des späten Mittelalters: Köln 1388–1520, in: Gelehrte im Reich (Anm. 2), S. 113–134, 126ff.
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scheiterte, was von Freiburg oder Basel, wo aus gleichem Grunde italienische Professoren von ihrer Berufung enttäuscht waren und diesen 479 Bildungsstätten trotz ‘fürstlicher Honorare’ schon bald | wieder den Rücken kehrten14. Nur Köln und Löwen ragten heraus, parallel zu ihrer Spitzenstellung im deutschen Universitätsbesuch des ausgehenden 15. Jahrhunderts, eventuell auch Erfurt, das einen Ruf als juristisch geprägte Universität hatte, ohne dass man diesen jedoch quantitativ belegen könnte. Köln und Löwen erzielten einen Juristenanteil von 15 bis 20 Prozent an ihrer Studentenschaft, was seinen Grund neben den schon früh etablierten Professuren für Kanonistik und Legistik auch in der Tatsache der Einbettung in die rheinische Führungslandschaft mit ihren bereits genannten Resourcen haben mochte15. Was die deutschen Fakultäten in dieser Weise trennte, war nicht allein die fachliche, sondern mehr noch die damit kombinierte soziale Ungleichheit. Diese äusserte sich gemäss den sozialen Spielregeln der Zeit in der deutschen Universitätslandschaft viel schärfer als anderswo. Die deutschen Universitäten entstanden zwar in Abkehr von anderen Typen in Europa – von Juristen-Universitäten, Mediziner-Artisten- oder Theologen-Artisten-Universitäten – von vornherein in der Regel als Vier-Fakultäten-Universitäten, doch hatten Landesherr und Stadtregiment nur für die normative, nicht aber soziale Einheit ihrer Hochschulen gesorgt; sie hätten den Drang nach sozialer Differenzierung und Darstellung wie ausserhalb so auch innerhalb der Universitäten gar nicht unterbinden können oder überhaupt nur wollen16. So trennte denn eine deutliche Barriere die Artistenfakultät, den ‘Raum der Masse’, vom ‘Raum der Wenigen’ in den sogenannten höheren Fakultäten, insbesondere dem der Juristen als der vornehmsten Gruppe in jeder Johann Gottfried Ludwig Kosegarten, Geschichte der Universität Greifswald mit urkundlichen Beilagen, 2 Teile, Greifswald 1856–1857, Teil 1, S. 154–162. – Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (Anm. 7), S. 205f. – Edgar Bonjour, Die Universität Basel von den Anfängen bis zur Gegenwart 1460–1960, Basel 21971, S. 65f. 15 Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 7), S. 186ff., 470. – Erich Meuthen, Die Alte Universität (Kölner Universitätsgeschichte I), Köln/Wien 1988, S. 31f., 126f., passim. – Erich Kleineidam, Universitas Studii Erffordensis. Überblick über die Geschichte der Universität Erfurt, Band 1, Leipzig 21985, S. 314ff., Band 2, Leipzig 21992, S. 315ff. 16 Dazu Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (Anm. 7), S. 341–375, 465–486. – Ders., Europäische Studenten des späten Mittelalters, in: Universität in Alteuropa (Anm. 4), S. 129–146. – Christoph Fuchs, Dives, Pauper, Nobilis, Magister, Frater, Clericus. Sozialgeschichtliche Untersuchungen über Heidelberger Universitätsbesucher des Spätmittelalters (1386–1450) (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 5), Leiden 1995. 14
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Universität. Der Adel und die anderen, die “schon jemand waren”, die schon Ämter und Würden in Kirche, Stadt und Herrschaft innehatten, bevor sie überhaupt zur Universität kamen, dazu die vielen Honorierten und Protegierten und die Spitzen der stadtbürgerlichen Schichten, sie alle trafen sich in der weit überwiegenden Mehrheit in diesem relativ exklusiven Kreis, den man auch innerhalb des Rekrutierungsraumes einer Universität – anders als die Artisten – ziemlich eindeutig und vor allem in der Nähe verorten kann. Die niedere Stufe der deutschen Artistenfakultäten war also nicht nur eine Folge ihres Bemühens um die fachlichen Anfänger, sondern hatte zugleich auch tiefe soziale Ursachen. Weit mehr als das der Theologen, Mediziner und Juristen prägten soziale Differenzen und grosse Schwankungen das | Massenmilieu der Artisten, dem mit verschwindend wenigen 480 Ausnahmen auch die pauperes scholares angehörten. Auf solche Weise verbanden sich die Statuskompetenzen jedes einzelnen Universitätsgebildeten mit den fachlichen Kompetenzen, die ihm seine Universität bzw. seine Fakultät auf welcher Stufe auch immer vermittelte. Im übrigen hat die übergrosse Mehrheit der Studierenden die Universität nie anders erlebt denn als Artistenfakultät und hat nie, aus welchen Gründen auch immer, die Absicht, das Vermögen oder die Chance gehabt, weiteren Studien in anderen Fakultäten zu obliegen. Daher ist auch die weitverbreitete Rede von der “Eingangsfakultät”, vom “Propädeutikum” oder dergleichen mehr irreführend, zumal im europäischen Vergleich, und zumal ein vorgängiges Durchlaufen der cursus in artibus – ausgenommen in der Theologie – nirgends zwingend vorgeschrieben war17. Dies alles wird man immer mitberücksichtigen müssen, um den Erwartungen und dem Verhalten der Zeitgenossen gerecht zu werden und auch, um die sehr moderne Frage nach sozialer Mobilität durch Universitätsbildung gerade in Deutschland recht verhalten – abgestuft eben nach Fakultäten – zu beantworten. Institutionalisierte Verhältnisse in der universitären Ausbildung verlangten gleichwohl nach einem gewissen Mass an fachlichen Kompetenzen, die in einem ordentlichen Prüfungsverfahren mit entsprechenden akademischen Graden bewiesen werden konnten. Ein früh schon standardisiertes Studium und ein halbwegs verbindlicher, allgemein geteilter 17 Vgl. als Beispiel Das Bakkalarenregister der Artistenfakultät der Universität Erfurt 1392–1521, hg. von Rainer Christoph Schwinges und Klaus Wriedt (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Grosse Reihe 3), Jena/Stuttgart 1995, S. XXII ff.
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Kanon an examensrelevanten Wissen und Fertigkeiten sorgten für akademischen Regelerfolg18. Eingespannt in feste Studienpläne und in einen straff organisierten Tagesablauf nahm man seinen Stoff in Vorlesungen und Disputationen auf. Diente die Vorlesung dem Kennenlernen und Überliefern, so die Disputation dem Anwenden des Stoffes. Lehrer und Schüler übten sich gemeinsam durch Thesen und Gegenthesen im Auflösen strittiger quaestiones in Philosophie, Theologie und Medizin oder im Lösen der casus im kirchlichen und weltlichen Recht. In täglichen Wiederholungen memorierte man den Stoff und die Technik des schulmässigen Distinguierens, Argumentierens und Opponierens. Man übte sich im Umgang mit Autoritäten, Kommentaren und rationaler Beweisführung und selbstverständlich auch im ständigen Gebrauch des gelehrten Lateins. Gewiss war diese Form des kollektiven intellektuellen Trainings der originellste Beitrag der mittelalterlichen Universität zum allgemeinen Bildungs- und Ausbildungswesen. Wer Examina passieren und akademische Grade erreichen wollte, wurde durch formalisierte Lehrpläne systematisch von Stufe zu Stufe und von Erfolg zu Erfolg geleitet. Von daher bemass sich natürlich die 481 Qualität der Examen, deren Bestehen | absolute Regel war, wenn auch mitunter cum difficultate. Das Studium oder der cursus in der ArtistenFakultät dauerte in der Regel vier bis fünf Jahre und bestand in etwa je zur Hälfte aus dem Bakkalarianden- und dem Lizentianden- bzw. Magistrandenkurs. Für jeden Teil war ein bestimmtes verpflichtendes Quantum an Lehrveranstaltungen, an Wissen und Fertigkeiten vorgeschrieben. Zum Pflichtstoff, um diesen nur einmal für die Artisten als grösste Gruppe der deutschen Universitätsbesucher anzuführen, zählten im ersten Schritt neben der lateinischen Grammatik vor allem die logischen Schriften und Teile der Physik des Aristoteles, im zweiten Schritt dann die übrigen Schriften ‘des Philosophen’, Physik, Metaphysik, Ethik, Politik nebst der verschiedenen Kommentarliteratur sowie – abhängig aber von den Kapazitäten einer Fakultät – Rhetorik, Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik. Die Stufenfolge baccalaurius – licentiatus – magister oder doctor glich in den anderen Fakultäten der artistischen, nur dass die Studien von Grad zu Grad länger dauerten und die Studie-
18 Dazu statt vieler Einzelstudien Friedrich Paulsen, Geschichte des gelehrten Unterrichts auf den deutschen Schulen und Universitäten vom Ausgang des Mittelalters bis zur Gegenwart, hg. von Rudolf Lehmann, Leipzig 31919. – Rüegg, Universität in Europa I (Anm. 8). – Artisten und Philosophen (wie Anm. 6). – Bakkalarenregister Erfurt (Anm. 17).
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renden nicht nur an Weisheit, sondern auch an Lebensalter zunahmen. Sechs bis acht Jahre im Anschluss an den magister artium erforderte die Lizenz im kirchlichen oder weltlichen Recht sowie in der Medizin, zehn bis 15 Jahre in der Theologie, deren Doktorgrad erst zwischen dem 30. und dem 35. Lebensjahr zu erwerben war. Diese Angaben sind freilich statutarische Richtwerte, die von Universität zu Universität und nach den sozialen Regeln der Zeit üblicherweise unter- oder überschritten werden konnten. Am wenigsten institutionalisiert in der Ausbildung und damit von geringer Verbindlichkeit waren die Examina selbst. Die grosse Mehrheit der Universitätsbesucher hatte trotz ständiger universitätsoffizieller Animation gar kein Interesse daran, sich prüfen und ad gradus promovieren zu lassen, nicht einmal zum untersten Grad eines baccalaureus artium, und dies sollte auch bis weit in die frühe Neuzeit hinein so bleiben19. Die Promotionskosten allein können nicht der Grund für diese Zurückhaltung gewesen sein. Zwar nahmen die Promotionen im Laufe des 15. Jahrhunderts zu, bei den Artistenbakkalaren von anfänglich 10 bis 20 auf 30 bis 40 Prozent um 1500 je nach Standort und Region, wobei nur eine Universität, bezeichnenderweise die rheinische zu Köln die 50-Prozent-Marke erreichte und zu Anfang des 16. Jahrhunderts sogar überschritt; doch änderte das nichts an der Tatsache, dass ein Studium ohne Abschluss der Normalfall gewesen ist, die blosse Anwesenheit, der Universitätsbesuch also vollauf genügte, erst recht mit Blick auf den Erwerb der höheren Grade. Magistri artium beschränkten sich reichsweit um 1500 auf drei bis zehn Prozent, während juristische, medizinische und theologische Lizentiaten und Doktoren unter zwei bis drei Prozent der Gesamtbesucherschaft blieben20. Selbst der grösste Teil der deutschen Rechtsstudenten in Bologna, ohne | Zweifel eine soziale 482 und juristische Elite, kehrte – zumindest so bis 1425 – ohne jede Graduierung nach Hause zurück21. Mit Ausnahme der Universitäts- bzw. Professorenlaufbahn, die natürlich einen status in studio verlangte, waren
19 Zusammenfassend Kaufmann (Anm. 4), S. 300–314. – Willem Frijhoff, Der Lebensweg der Studenten, in: Geschichte der Universität in Europa, Band II: Von der Reformation bis zur Französischen Revolution, 1500–1800, hg. von Walter Rüegg, München 1996, S. 304ff. 20 Vgl. Bakkalarenregister Erfurt (Anm. 17), S. XXIX–XXXIV. – Meuthen, Alte Universität (Anm. 15), S. 117f., 120, 126f. 21 Jürg Schmutz, Juristen für das Reich. Die deutschen Rechtsstudenten an der Universität Bologna 1265–1425 (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 2), Basel 2000.
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Examina und Promotionen offensichtlich kein Eingangstor zur Welt der Experten, erwirkten keine Berechtigung auf irgendeine gelehrte Tätigkeit und öffneten per se auch keinen direkten Berufsweg, nicht einmal für Mediziner22. Das Entfalten von Berufsstrukturen Wenn man als gegeben annimmt, wofür noch immer sehr Vieles spricht, dass auch die spätmittelalterliche Gesellschaft in Deutschland – jedenfalls ihre führenden adeligen und stadtbürgerlichen Anteile in Klerus und Laienwelt – nach erhöhter Rationalität strebte, so müsste diese Gesellschaft Berufe eingerichtet und zugelassen haben, deren Inhaber zu besonderem Wissen befähigt waren und dieses in ihrem Milieu auch wirkungsvoll umsetzen konnten. Nun konnte bereits festgestellt werden, das vergleichsweise enorme Angebot an akademisch Gebildeten habe Bedarf und Nachfrage noch um 1500 bei weitem übertroffen. Ein Arbeitsmarkt für Universitätsbesucher und Absolventen, mithin Positionen für akademische Expertenberufe von einiger Stabilität und Dauer existierten im strukturellen Sinne noch nicht, ganz abgesehen von einem gewissen Anerkennungspotential gegenüber den Inhabern solcher Positionen, das ihnen und nur ihnen entgegen zu bringen war und nur ihnen Einfluss garantierte23. Meine These ist seit längerem, dass der pure Angebotsdruck, auch der massenhaft artistische, die Dinge in Bewegung brachte oder, um im oben genannten Bild zu bleiben, die Arbeitsmärkte elastisch machte und berufliche Möglichkeiten ausweitete, allerdings unter sehr grossen regionalen Schwankungen im Reich, was Vorsprung und Nachhinken betraf, von West nach Ost und von Süd
22 Jacques Verger, Die Universitätslehrer, in: Rüegg, Universität in Europa I (Anm. 8), S. 139–157. – Ders., Les gens de savoir en Europe à la fin du moyen âge, Paris 1997. 23 Am stärksten war dies begreiflicherweise bei Juristen ausgeprägt, vgl. z. B. Rainer Christoph Schwinges, Rektorwahlen. Ein Beitrag zur Verfassungs-, Sozial- und Universitätsgeschichte des Alten Reiches im 15. Jahrhundert (Vorträge und Forschungen, Sonderband 38), Sigmaringen 1992. – Frank Rexroth, Finis scientie nostre est regere. Normenkonflikte zwischen Juristen und Nichtjuristen an den spätmittelalterlichen Universitäten Köln und Basel, in: ZHF 21 (1994), S. 315–344. – Beat Immenhauser, Iudex id est rex. Formen der Selbstwahrnehmung gelehrter Juristen im späten Mittelalter, in: Ständische und religiöse Identitäten in Mittelalter und früher Neuzeit, hg. von Stefan Kwiatkowski und Janusz Mallek, Torún 1998, S. 43–61.
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nach Nord im Laufe des 15. Jahrhunderts24. Die allgemeine | Entscheidung über die Lösung des Drucks fiel jedoch nicht mehr im 15., sondern mit durchschlagendem Erfolg erst in den frühen Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts. Aus der Perspektive der Diözese Konstanz, der flächenmässig grössten Diözese des alten Reiches, lässt sich immerhin dank der Arbeit Beat Immenhausers erkennen, dass berufsbezogene Personalinformationen jetzt ‘plötzlich’ sehr viel reichhaltiger aus den Quellen fliessen als noch vor der Jahrhundertwende25. Ein alleiniges Überlieferungsproblem war das sicher nicht, eher ein Zeichen dafür, dass Berufsbilder, Berufsfelder klarer umrissen und deutlicher differenziert wurden und vor allem, dass sie länger konstant blieben und damit die Gewähr boten, sie endlich auch zu entdecken. Gewiss wissen wir aus einer ganzen Reihe von Studien über Karrieren und gelehrte Tätigkeiten schon sehr viel vom Eindringen akademischer Experten in die höfische Verwaltung, in territoriale und städtische Ämter, in Gerichte und Schulen, in ‘freie’ medizinische und juristische Berufe, in die Universitäten selbst und natürlich in die Kirche; ferner wissen wir – wenn auch nicht schon im gleichen Masse – von der Personenwirkung an Ort und Stelle, vom Einfluss juristischer, medizinischer und theologischer Berater, von Stadt- und Leibärzten, von Gutachtern, Entscheidungshelfern, Schlichtern, Diplomaten, politischen Vordenkern und Vorformulierern, Anwendern von Herrschafts- und Verwaltungstechniken, von akademisch versierten Schreibern, Rhetorikern, Predigern, Astrologen und Astronomen, und nicht zuletzt von Personen, die – wenn sie ihren Aristoteles richtig verstanden hatten – vere scire est scire per causas – auch kausal zu denken und begründet zu handeln gelernt hatten26.
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24 Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (Anm. 7), S. 33ff. u.ö. (Register). – Gelehrte im Reich (Anm. 2). 25 Beat Immenhauser, Bildungswege – Lebenswege. Universitätsbesucher aus dem Bistum Konstanz im 15. und 16. Jahrhundert (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 8), Basel 2007. 26 Vgl. in Auswahl: Gelehrte im Reich (Anm. 2) mit einer Reihe von einschlägigen Arbeiten zu Karrieren und Tätigkeitsfeldern akademischer Eliten. – Artisten und Philosophen (Anm. 6) mit Arbeiten zum Mittelalter von Klaus Wriedt, Studium und Tätigkeitsfelder der Artisten im späten Mittelalter; Christian Hesse, Landesherrliche Amtsträger. Artisten im Beruf; Christoph Schöner, Arithmetik, Geometrie und Astronomie/Astrologie an den Universitäten des Alten Reiches: Propädeutik, Hilfswissenschaften der Medizin und praktische Lebenshilfe, in: Artisten und Philosophen, hg. von Rainer Christoph Schwinges (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Wissenschafts- und Universitätsgeschichte 1), Basel 1999. – Moraw, Lebenswege (Anm. 10), S. 225–254. –
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| Die Crux ist nur, dass man mit Blick auf das späte Mittelalter insgesamt immer wieder bemerken wird, dass keine strukturelle Kontinuität in Berufen und Ämtern aufkam, der Faden also oft wieder abriss, alles eigentlich immer noch sehr von jenen Personen abhing, die gerade vorhanden, gerade greifbar waren oder sich anboten. Die Schulen, aber auch städtische und landesherrliche Verwaltungen sind dafür gute Beispiele27. Die Crux ist des weiteren, dass man immer auch Personen in den genannten Berufen und Tätigkeitsbereichen findet, die nie eine Universität besucht haben, geschweige denn irgendeine Graduierung vorweisen können, und zwar in mindestens ebenso gros-
Frijhoff, Lebenswege (Anm. 19), S. 287–334. – Ferner: Winfried Trusen, Anfänge des gelehrten Rechts in Deutschland, Wiesbaden 1962. – Hellmut Rössler und Günther Franz (Hg.), Universität und Gelehrtenstand 1400–1800 (Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit 4), Limburg 1970. – Bernd Moeller, Hans Patze und Karl Stackmann (Hg.), Studien zum städtischen Bildungswesen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Philologischhistorische Klasse III, 137), Göttingen 1983. – Peter Moraw, Gelehrte Juristen im Dienst der deutschen Könige des späten Mittelalters (1273–1493), in: Die Rolle der Juristen bei der Entstehung des modernen Staates, hg. von Roman Schnur, Berlin 1986, S. 77–147. – Jürgen Miethke, Die Welt der Professoren und Studenten an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit, in: Historiographie am Oberrhein im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, hg. von Kurt Andermann, Sigmaringen 1988, S. 11–33. – Klaus Wriedt, Universitätsbesucher und graduierte Amtsträger zwischen Nord- und Süddeutschland, in: Nord und Süd in der deutschen Geschichte des Mittelalters, hg. von Werner Paravicini, Sigmaringen 1990, S. 193–201 (und dort zitierte frühere Arbeiten des Vf.s). – Schwinges, Rektorwahlen (Anm. 23). – Frank Rexroth, Karriere bei Hof oder Karriere an der Universität?, in: Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins 141 (1993), S. 155–183. – Fuchs, Dives (Anm. 16), S. 89–118. – Ingrid Männl, Die gelehrten Juristen im Dienst der deutschen Fürsten im späten Mittelalter (1250–1440), Diss. phil. Giessen 1987 – Dies., Gelehrte Juristen im Dienst der deutschen Territorialherren am Beispiel von Kurmainz, in: Recht und Verfassung im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, Teil I, hg. von Hartmut Boockmann, Ludger Grenzmann, Bernd Moeller und Martin Staehelin, Göttingen 1998, S. 185–198. – Paul-Joachim Heinig, Gelehrte Juristen im Dienst der römisch-deutschen Könige des 15. Jahrhunderts, ebd. S. 167–184. – Jürg Schmutz, Rechtsstudenten (Anm. 21). – Als beispielhafte Regionalstudien: Rolf Häfele, Die Studenten der Städte Nördlingen, Kitzingen, Mindelheim und Wunsiedel bis 1580. Studium, Berufe und soziale Herkunft, Trier 1988 (Trierer Historische Forschungen 13). – Hartmut Boockmann, Gelehrte Juristen im spätmittelalterlichen Nürnberg, in: Recht und Verfassung (wie oben), S. 199–229. – Franz Heiler, Bildung im Hochstift Eichstätt zwischen Spätmittelalter und katholischer Konfessionalisierung (Wissensliteratur im Mittelalter 27), Wiesbaden 1998. – Beat Immenhauser, Konstanz (Anm. 25). 27 Martin Kintzinger, Studens Artium, Rector Parochiae und Magister Scolarum im Reich des 15. Jahrhunderts. Studium und Versorgungschancen der Artisten zwischen Kirche und Gesellschaft, in: ZHF 26 (1999), S. 1–41 mit reicher Literatur. – Christian Hesse, Amtsträger (Anm. 26). – Auch die Literatur in Anm. 26.
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ser Zahl wie die der wirklichen Universitätsbesucher. Das gilt auch für die deutsche Kirche, selbst in den höheren Rängen der Dom- und Kollegiatstiftskirchen, in denen die soziale Überformung durch regional-adlige und grossbürgerliche Umgebung oft mächtiger war als die studienfördernden Konzilsdekrete seit 1418 zugunsten von Gelehrten28. Selbst in der rheinischen Führungs- und reichen Kirchenlandschaft mit ihrer grossen Universität zu Köln war bis um 1500 nicht zu entscheiden, ob es klar bestimmte Karrieremuster für Kanoniker gegeben hat oder nicht; besser gesagt, ob das althergebrachte, eher sozial definierte Muster: Kanonikat mit Pfründe, Entbindung von der Residenzpflicht, Studium ohne oder nur gelegentlich mit Promotion, schliesslich Rückkehr ins Stift, von einem neueren, eher ausbildungsorientierten Muster: Studium, Promotion, Kanonikat, abgelöst worden war oder nicht; beide Lebensformen ratione | status aut gradus hielten sich vielmehr die 485 Waage, ganz unabhängig übrigens von der fakultären oder fachlichen Zugehörigkeit29. Deutlicher in diese Richtung ging man nur erst in den Niederlanden und vermutlich auch in der deutschen Schweiz, ungeachtet der längst früher einsetzenden und viel breiteren Entwicklung in West- und Südeuropa30. Und die dritte Crux ist, dass die Gelehrten in 28 Der Trend spricht ab 1450 jedoch für eine ‘Akademisierung’ der kirchlichen Berufe, vgl. Rainer Christoph Schwinges, Pfaffen und Laien in der deutschen Universität des späten Mittelalters, in: Pfaffen und Laien – ein mittelalterlicher Antagonismus? Freiburger Colloquium 1996, hg. von Eckart Conrad Lutz und Ernst Tremp, Freiburg/Schweiz 1999, S. 235–249, auch in diesem Band. – Moraw, Lebenswege (Anm. 10), S. 250f. – Jürgen Miethke, Karrierechancen eines Theologiestudiums im späten Mittelalter, in: Gelehrte im Reich (Anm. 2), S. 181–210. 29 Rainer Christoph Schwinges, Karrieremuster: Zur sozialen Rolle der Gelehrten im Reich, in: Gelehrte im Reich (Anm. 2), S. 11–22, auch in diesem Band. 30 Hilde de Ridder-Symoens, Milieu social, études universitaires et carrière des conseillers au Conseil de Brabant, 1430–1600, in: Recht en Instellingen en de Oude Nederlanden tijdens de Middeleeuwen en de Nieuwe Tijd. Liber Amicorum Jan Buntinx, Leuven 1981, S. 257–301. – Christian Hesse, Artisten im Stift. Die Chancen, in schweizerischen Stiften des Spätmittelalters eine Pfründe zu erhalten, in: Gelehrte im Reich (Anm. 2), S. 85–112. – Moraw, Lebenswege (Anm. 10). – Frijhoff, Lebenswege (Anm. 19). – Für den europäischen Vergleich, z. B.: Vern L. Bullough, Achievement, Professionalization, and the University, in: The Universities in the Late Middle Ages, ed. by Jozef Ijsewijn and Jacques Paquet, Leuven 1978, S. 497–510. – Pierre Desportes, Les gradués d’université dans la société urbaine de la France du nord à la fin du moyen âge, in: Milieux universitaires et mentalité urbaine au moyen âge, textes réunis par Daniel Poirion (Cultures et civilisations médiévales 6), Paris 1987, S. 49–67. – Jacques Verger, Les gradués en droit dans les sociétés urbaines du midi de la France à la fin du moyen âge, ebd. S. 145–156. – Angelo Turchini, La nascita del sacerdozio come professione, in: Disciplina dell’anima, disciplina del corpo e disciplina della società tra medioevo ed età moderna, Bologna 1994, S. 225–256. – James A. Brundage, The Rise of Professional Canonists and Development of the Ius Commune, in: Zeitschrift
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ihren vermeintlich beruflichen Positionen gar nicht als Fachexperten, als Juristen, Mediziner, Theologen oder Artisten tätig sein mussten, sondern ganz anders handeln konnten, oder auch in genau der gleichen Weise wie vor ihrem Studium, zum Beispiel in Gewerben und Handelsgeschäften ihrer Herkunftsfamilien oder als Kleriker in ihren Herkunftskirchen31. Von alledem unbeschadet war nämlich die Papstkirche auf allen Stufen ihrer Hierarchie nach wie vor der grösste Arbeitgeber für universitätsgebildetes Personal; Schätzungen, dass im ausgehenden Mittelalter noch bis zu zwei Drittel aller Akademiker – Artisten, Theologen und Juristen – zeitweilig oder längerfristig im Kirchendienst tätig gewesen sind, können als wirklichkeitsnah gelten. Das heisst aber auch, dass der erwähnte Angebotsdruck vor allem auf dem kirchlichen Stellenmarkt lastete. Erst der tiefe Einschnitt der zwanziger bis vierziger Jahre des 16. Jahrhunderts, der teilweise dramatische Verfall der Bersucherzahlen, nicht nur an evangelischen, sondern auch an katholischgebliebenen Universitäten, brachte eine gewisse Entlastung32. Dies lang nicht etwa an der Universitäts- und Wissenschaftsfeindlichkeit radikaler Refor486 mationskräfte, die einen vermeintlichen | ‘Niedergang’ provozierten33, es lag vielmehr am kirchlichen Pfründen- und Stellenmarkt selbst. Schon vor der Reformation war dieser für Universitätsbesucher alles andere als beliebig begehbar – trotz zahlreicher privater und öffentlicher Stiftungen, trotz vieler Gemeindestiftungen gerade auch auf dem Lande im Zuge der spätmittelalterlichen Frömmigkeitsbewegungen. Die Reformation liess nun diesen Markt in grossen Teilen regelrecht zusammenbrechen. Leider ist das Pfründen- und Stiftungswesen überhaupt und im besonderen in diesen Zusammenhängen noch wenig erforscht34. Doch der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, KA 81 (1995), S. 26–63. – Agostino Sottili, Eine Postille (Anm. 12). 31 Als Beispiele: Schmutz, Rechtsstudenten (Anm. 21). – Wriedt, Studium und Tätigkeitsfelder (Anm. 26). – Grundsätzlich auch Arno Seifert, Studium als soziales System, in: Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters, hg. von Johannes Fried (Vorträge und Forschungen 30), Sigmaringen 1986, S. 601–619. 32 Franz Eulenburg, Die Frequenz der deutschen Universitäten von ihrer Gründung bis zur Gegenwart, Leipzig 1904 (Ndr. Berlin 1994), S. 52ff. – Maria Rosa di Simone, Die Zulassung zur Universität, in: Rüegg II (Anm. 19), S. 235–262, 244–248. 33 Notker Hammerstein, Universitäten und Reformation, in: HZ 258 (1994), S. 339–357. 34 Vgl. z.B. Klaus Wriedt, Studienförderung und Studienstiftungen in norddeutschen Städten (14.–16. Jahrhundert), in: Stadt und Universität, hg. von Heinz Duchhardt, Köln/Weimar/Wien 1993 (Städteforschung A33), S. 33–49. – Bernhard Ebneth, Stipendienstiftungen in Nürnberg. Eine historische Studie zum Funktionszusammenhang der
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zeigen erste grössere Einblicke im südwestdeutschen und schweizerischen Raum, wie zum Teil schlagartig sinkendes Interesse am Erhalt von Pfründen und Stiftungen und sinkende Nachfrage nach geistlichen Stellen wie auch Universitätsbesuchen einander bedingten35. Letztere sind erst in den 1560er Jahren wieder auf den vorreformatorischen Stand zurück gekommen36. In all diesen Zusammenhängen, bei diesem insgesamt noch nicht geklärten mittelalterlichen Zustand ist es nun ausserordentlich wichtig zu erfahren, auf welche Weise Herrschaft und Obrigkeit die personellen Ressourcen, die sich ihnen im Laufe des 15. Jahrhunderts und mit besonderem Nachdruck seit den siebziger Jahren anboten, überhaupt zu nutzen imstande waren, wie sie auf das Angebot reagierten, zumal man ausserhalb der Kirche und der politischen Elite im Reich kaum etwas davon wahrnehmen kann, was einer systematischen Einrichtung von akademischen Positionen, Berufen und Laufbahnen nahekäme, Positionen freilich, die den Experten nicht mehr grundsätzlich streitig gemacht würden. So wird es im Augenblick nützlich sein, statt weitere Einzelbelege zu sammeln, deren allgemeiner Aussagewert dann doch zweifelhaft ist, die Herrschaft einmal in einem ersten Schritt mit dem Gesamtphänomen des Universitätsbesuchs zu | konfrontieren, um in einem 487 zweiten Schritt – gewissermassen mit einem herrschaftstopographischen Argument – nach der Bedeutung der Amtssitze und Residenzen in diesen Zusammenhängen zu fragen. Ich tue dies anhand meines Materials zur Kölner Universität, weil Köln in vieler Hinsicht schon als
Ausbildungsförderung für Studenten am Beispiel einer Grosstadt (15.–20. Jahrhundert) (Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und Landesgeschichte 52), Nürnberg 1994. – Peter Moraw, Stiftspfründen als Elemente des Bildungswesens im spätmittelalterlichen Reich, in: Studien zum weltlichen Kollegiatstift in Deutschland, hg. von Irene Crusius (Studien zur Germania Sacra 18), Göttingen 1995, S. 270–297. – Paul Trio, Financing of University Students in the Middle Ages: A New Orientation, in: History of Universities 4 (1984), S. 1–24. – Zu einem interessanten, aber früh fehlgeschlagenen Instrument vgl. Jürg Schmutz, Erfolg oder Misserfolg? Die Supplikenrotuli der Universitäten Köln und Heidelberg 1389–1425 als Instrumente der Studienfinanzierung, in: ZHF 23 (1996), S. 145–167. 35 Rosi Fuhrmann, Kirche und Dorf. Religiöse Bedürfnisse und kirchliche Stiftung auf dem Lande vor der Reformation (Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte 40), Stuttgart/Jena/New York 1995. – Immacolata Saulle Hippenmeyer, Nachbarschaft, Pfarrei und Gemeinde in Graubünden 1400–1600 (Quellen und Forschungen zur Bündner Geschichte 7), Chur 1997. Ich bin beiden Damen für viele Personen-Hinweise auf den geschilderten Zusammenhang sehr dankbar. 36 Eulenburg, Frequenz (Anm. 32), S. 74ff.
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Vorsprungsuniversität aufgefallen ist, doch auch in Kenntnis der gesamten deutschen Hochschullandschaft. Der Einzugsbereich der Kölner Universität wurde im ausgehenden Mittelalter von nicht weniger als 218 Territorien unterschiedlichster Grössenordnung bedeckt37. Deren Herren – weltliche, geistliche und städtische – konnten als Obrigkeit und Herrschaftsträger und zum Teil auch als Besitzende am Ort auf Universitätsgebildete in irgendeiner Form positiv wie negativ Einfluss nehmen. Wenn wir einmal absehen von allgemeinen positiven Einflüssen wie der Gewähr des sicheren Geleites, das in der Regel auch gut befolgt wurde, und der aktiven Studienförderung durch Stiftungen, die aber in vorreformatorischer Zeit noch viel eher privater als öffentlicher Natur waren, so blieb für direkten Einfluss nicht mehr viel Raum. In diesem freilich handelte die Herrschaft sehr traditional, was soviel heisst wie angemessen und ohne sich vom Einzelfall zu lösen. Damit ist auch Patronage gemeint. Unter dem 13. April 1455 sandte zum Beispiel die Stadt Frankfurt ein Verwendungsschreiben an den Kölner Rat38: Der Sohn ihres Werkmanns Hans Hochgesang, eines Bauhandwerkers im Dienste der Stadt, habe etliche Zeit in Erfurt studiert; es sei ihm aber zu kostlich, den Sohn dort länger zu unterhalten. So wünschte man in Frankfurt, dass der Kölner Rat ihn bei nächster Gelegenheit zu einer Kollegiatpfründe in der Kronenburse der juristischen Fakultät zuliesse, die unter der Aufsicht des bekannten Kölner Professors beider Rechte Dr. Loppo von Zieriksee stand. Im Jahre 1456 suchte die Stadt Basel um Förderung des Wernlin Engennagel nach, ehrbarer Leute Sohn, den man zum Studium nach Köln gesandt habe. Freunde hätten ihn bisher unterstützt, die aber durch Kriegseinflüsse sehr geschädigt seien; so möge sich nun Köln um den Basler Scholaren kümmern. Die Stadt Lüttich bat 1462 den Kölner Rat um Verwendung für Johannes Adneal, den Schwestersohn ihres Stadtboten, der zur clerckscap tauglich sei. Man ging sogar soweit zu erwarten, daß Köln nicht nur die stadteigene Pfründe in der Kronenburse, sondern auch die ihr zustehende Stelle im Erfurter Juristenkolleg diesem Lütticher Studenten überlassen solle. Viele andere Städte haben in ähnlicher Weise ihre Bürger und Bürgerssöhne zu protegieren
Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 7), S. 296–330. Belege zu diesem und folgenden Beispielen sowie weiterem Material ebd. S. 305ff., grossenteils fussend auf Hermann Keussen, Regesten und Auszüge zur Geschichte der Universität Köln 1388–1559, Köln 1918. 37 38
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versucht; nicht zuletzt natürlich die Stadt Köln selbst, die nicht selten verlangte, daß andere zugunsten ihrer Kandidaten hintangesetzt würden. Verständlicherweise hatte Köln immer grosse Schwierigkeiten, allen Gesuchen zu entsprechen bzw. sie politisch auszubalancieren, zumal | noch Ansprüche der benachbarten Landesfürsten und erste 488 Bitten des Königs hinzukamen. Da war es oft gut, sich hinter dem Stifterwillen und dem Amt der städtischen Universitäts-Provisoren, einem höchst politischen Amt, das weit über die blossen Beziehungen zur Universität hinausgriff, wie hinter einer Mauer verbergen zu können39. Es ist sicher nicht nur ein Überlieferungsproblem der Quellen, dass die Ergebnisse der Bittgesuche und der Patronageversuche wesentlich weniger belegt sind als die Kandidaturen. Während sich die Städte bereits auf der unteren Stufe der Universitätsbesucher um Artistenscholaren und juristische Anfänger bemühten, setzten sich die Landesherren allem Anschein nach eher für Absolventen und Graduierte der höheren Fakultäten ein, um ihren Protegés bestimmte Ämter und dazu notwendige Versorgungspfründen an den Kölner Kirchen zu verschaffen. Einige Beispiele aus dem sehr dichten Kölner Material mögen genügen: Graf Friedrich von Moers bittet 1447 darum, dem Studenten des kanonischen Rechts Wilhelm von dem Goey aus Xanten, kaiserlichem Notar, das Amt eines Universitätspedellen zu übertragen. Maria von Burgund, Herzogin von Kleve und Gräfin von der Mark, setzt sich 1456 bei der Stadt für ihren Untertanen, den Lizentiaten im Kaiserrecht Lambertus de Arena (vanme Sande) ein, der ein Bruder eines Dieners ihres Sohnes, des Herzogs von Kleve sei; man möge diesem zu einer Priesterpfründe am Dom verhelfen. Kurfürst Ruprecht von Köln verwendet sich 1464 für seinen Untertanen Dr. decr. Johannes Benedicte (Benditte) von Werl, einen advocatus curie Coloniensis, dessen Freunde und Verwandte dem Kölner Erzstift treue Dienste geleistet hätten, und wünscht eine angemessene Stellung mit Pfründe. Herzog Johann von Kleve ersucht 1464 die Stadt Köln, seinem geborenen klevischen Untertanen Magister Heinrich Botterman, Baccalarius der Theologie, den städtischen Anteil an der Verwaltung des Artistenhauses mit städtischem Gehalt zu übertragen. Herzog Johann von Kleve dankt 1468 der Stadt, dass man seiner Bitte entsprochen und seinen Untertanen, den Doktor des Kirchenrechts Wilhelm von
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Werden – einen brisanten Fall – in eine städtische Vorlesung eingewiesen habe40. Herzog Johann und Herzogin Mechthild von Kleve bitten 1490 um die erste Pfründe, die zu Händen des Kölner Rates erledigt werde, für ihren Leibarzt, den Physicus Dr. Balthasar Hoes von Bingen, der 1478 von König Christian von Dänemark an die neugegründete Universität Kopenhagen berufen worden war. 1491 verwendet sich das Herzogspaar einer Pfründe wegen für ihren Untertanen, den Lizentiaten im geistlichen Recht und kurz darauf doctor decretorum Lambert Winter aus Kleve, 489 der in Köln promoviert worden sei und sich gerne noch eine | Weile dort aufhalten wolle. Bald darauf ist er auch herzoglicher Rat in Kleve. Graf Vinzenz von Moers empfiehlt 1495 den Dr. decr. Johannes Buegell (Bogel) von Venlo für die städtische Vorlesung im kanonischen Recht. In gleicher Sache verwendet sich für seinen Untertan der Herzog von Kleve, ebenso der Fürstbischof von Lüttich, ein Freund Buegells, sowie der Propst von St. Aposteln zu Köln, Dr. Tilman Slecht, dessen Tischgenosse der Kandidat drei Jahre lang gewesen sei. Herzog Wilhelm von Jülich und Berg verlangt 1498 nochmals dringend die Verleihung einer Pfründe bei nächster Gelegenheit an Magister Gerhard Hassent aus Emmerich, einen Neffen und Diener seines Rates Dr. Wiger Hassent, Propstes zu Kerpen, bevorzugt dann jedoch seinen Leibarzt, Dr. Matthias von Aachen, Propst an St. Adalbert in Aachen und Kölner Universitätslehrer, bei einer freiwerdenden Pfründe an St. Aposteln, ohne aber den Magister Gerhard aus den Augen verlieren zu wollen. Deutlich bemerkt man die unterschiedlichen Ebenen, auf denen Städte und Landesherren als Patrone operiert haben. Später als es in den Städten der Fall war, schienen die Kandidaten in den Gesichtsund Interessenkreis der Landesfürsten zu treten; denn der artistischen Stufe in der universitären Welt waren in den vorgeführten Beispielen bereits alle entwachsen. In einem handelten Städte und Herren jedoch gleich: Sie bevorzugten ganz eindeutig Studenten, Absolventen und Doktoren der nützlichen Studiengänge, einige Mediziner, in der Regel aber Juristen, gleichgültig, ob sich diese dem geistlichen oder weltlichen
40 Wilhelm von Werden, der spätere Vizerektor von Ingolstadt in der Eröffnungsphase von 1472, war von der Universität angefeindet und mit einem erstaunlichen Argument abgelehnt worden, weil er auswärts, in Italien promoviert worden sei; die Stadt musste sich in seinem Falle erst durchsetzen. Vgl. Hermann Keussen, Wilhelm Kurmann von Werden, der erste Vizerektor der Universität Ingolstadt, und sein Prozess mit der Universität Köln, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 9 (1936), S. 99ff.
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Recht widmeten. Demnach hatte die obrigkeitliche Förderung von Universitätsgebildeten, an deren Expertentum man wohl zu partizipieren gedachte, einen entschieden selektiven Charakter. Wenn nicht einfach die Erfordernisse und Zwänge der Patronageverhältnisse dafür sprachen, liessen sich in dieser Präferierung vielleicht schon Ansätze einer gezielten Nutzung des Angebots an den Höfen, mehr aber noch in den Städten erblicken, wobei Patronage und gezielter Nutzen in der vormodernen Perspektive ohnehin kein Gegensatz waren. Das Verhalten dieser rheinischen Herren korrespondierte hier im übrigen durchaus mit dem, das man auch schon in anderen Regionen beobachtet hat, namentlich etwa in Bayern, in der Pfalz und im Deutschen Orden41. Die weitaus überwiegende Mehrheit der Scholaren und Magister blieb jedoch – selbst nach Ablauf der Artistenjahre – von dieser und jeder anderen Form der Förderung unberührt bzw. wird einfach nicht sichtbar. | Im Gegensatz zu diesen individuellen, aber kaum breitenwirksamen 490 Einflüssen lassen sich Zusammenhänge zwischen Universitätsausbildung und Herrschaft, soweit man diese als qualitative Bestandteile der örtlichen Herkunft von künftigen Experten verstehen will, nur mehr noch – vorerst jedenfalls – in indirekter und abstrakter Form aus der Konzentration von Daten herausfiltern42. Dazu nur eine, aber gewichtige Hintergrund-Beobachtung: Es scheint von Vorteil gewesen zu sein für institutionalisierte Verhältnisse in der Ausbildung wie im Öffnen von akademischen Berufsfeldern, dass Herren jeder Art über längere Zeiträume hinweg konstant Herrschaft am Herkunftsort eines Universitätsbesuchers ausgeübt haben, mithin auch die Verwaltung am Ort beständig war. Man traf in Köln vor allem in der zweiten Jahrhunderthälfte relativ mehr Besucher aus stabilen Ländern und Städten denn aus solchen, deren Herrschafts- und Besitzverhältnisse im
41 Vgl. z. B. Rainer A. Müller, Zur Akademisierung des Hofrates. Beamtenkarrieren im Herzogtum Bayern, in: Gelehrte im Reich (Anm 2), S. 291–308. – Dietmar Willoweit, Juristen im mittelalterlichen Franken. Ausbreitung und Profil einer neuen Elite, ebd. S. 225–268. – Peter Moraw, Heidelberg: Universität, Hof und Stadt im ausgehenden Mittelalter, in: Städtisches Bildungswesen (Anm. 26), S. 524–552. – Hartmut Boockmann, Die Rechtsstudenten des Deutschen Ordens. Studium, Studienförderung und gelehrter Beruf im späteren Mittelalter, in: Festschrift für Hermann Heimpel, Band 2, Göttingen 1972, S. 313–375. Vgl. noch oben wie Anm. 26–27 und bilanzierend Ernst Schubert, Fürstliche Herrschaft und Territorium im späten Mittelalter, München 1996, S. 28ff. 42 Peter Moraw und Rainer Christoph Schwinges haben mit dem Aufbau eines Repertorium Academicum Germanicum (RAG) begonnen, das am Ende die deutschen Graduierten des Mittelalters prosopographisch erfassen soll, siehe www.ragonline.org
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Laufe der Zeit wechselten oder gar mehrfach wechselten. Das gilt für grössere wie kleinere Territorien, grössere wie kleinere Herren. Bemerkenswerterweise kann man diese Feststellung über die Kölner Region hinaus auch für das gesamte Reich so wagen, zumal die Universität in der fraglichen Zeit mehrheitlich überregional rekrutierte, man die entsprechenden Beobachtungen aber auch in anderen universitären Einzugsräumen machen kann43. Solche Beziehungen zwischen Universität und Herrschaft lassen sich auch herrschaftstopographisch – wie angekündigt – zuspitzen, wenn man nur die Besucherfrequenzen jener Orte analysiert, an denen Herrschaft bzw. Verwaltung tatsächlich ausgeübt wurde, an den Amtssitzen nämlich der zentralen und lokalen Verwaltung einschliesslich der Herrensitze und Residenzen44. Im Territorialisierungsprozess des Reiches waren die Ämter neben dem älteren Lehnswesen seit dem 13. Jahrhundert die zukunftsträchtigen Kristallisationspunkte und Organisationsformen landesherrlicher Herrschaft schlechthin. Die vielfältigen Herrschaftsrechte, die sich ebenso auf das Finanzwesen wie auf Gerichts- und Militärwesen erstreckten und Herrschaft erst ermöglichten, wurden in den Ämtern als den landesherrlichen Verwaltungsmittelpunkten konzentriert und hier stellvertretend für den Landesfürsten wahrgenommen. An der Spitze solch ‘kleiner Höfe’ standen bis in die frühe Neuzeit hinein fast nur adlige Amtleute, deren Sitze sich zunächst meist auf Burgen befanden, im 14. und 15. Jahrhundert jedoch mehr und mehr, unter vielfältiger regionaler Differenzierung, auch in die landesherrlichen Städte und Marktorte verlegt wurden, wenn nicht schon längst städtische Siedlungen um die ‘Amtsburgen’ entstanden waren45. 491 | Dieser Zustand spiegelte sich im Einzugsbereich der Universität Köln über das ganze 15. Jahrhundert hinweg in aller Deutlichkeit wider. Unter seinen Ortschaften lassen sich in dieser Zeit 63 von 100 bereits als Verwaltungs- und Herrschaftsmittelpunkte identifizieren. Um eine Beziehung zwischen amtsörtlicher Herkunft, Universitätsbildung und künftiger gelehrter Tätigkeit herzustellen, bedarf diese Information allerdings einer sehr differenzierten Auslegung. Man entdeckt nämlich
Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (Anm. 7), S. 308ff. Ebd. S. 322–330. 45 Dazu im Überblick Dietmar Willoweit, Die Entwicklung und Verwaltung der spätmittelalterlichen Landesherrschaft, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 1, Vom Spätmittelalter bis zum Ende des Reiches, hg. von Kurt G. A. Jeserich, Hans Pohl und Georg-Christoph von Unruh, Stuttgart 1983, S. 66–142, hier 81ff. 43 44
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diese Beziehung zunächst nur in universitätsferneren Regionen und nicht im einflussintensiven Nahe- und Kernraum der Hochschule, wo sich ähnliche Entwicklungen möglicherweise auch vollzogen haben, wo sie wegen allzu vieler anderer Faktoren aber nicht in der beobachtbaren Exklusivität aufgetreten sind. So stammten zum Beispiel aus Amtsorten des Hochstifts Utrecht 33 Prozent aller Utrechter Studenten, aus Münster 42 Prozent, aus Kurköln 58 Prozent, hingegen aus Ämtern des Hochstifts Würzburg 76 Prozent, aus Baden 80 Prozent, Bayern 89 Prozent und aus Hessen gar 94 Prozent46. Der überragende Rekrutierungserfolg der Kölner Universität, den sie im Kreise der anderen deutschen Hochschulen gerade im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts errungen hatte, beruhte im wesentlichen auf der reichsweiten Ausdehnung ihres Einzugsbereichs47. Nun zeigt sich, dass diesem Vorgang vermutlich eine sozial- wie verfassungsgeschichtlich höchst bedeutsame Qualität zukam. Zum ersten Male scheint sich an der Schwelle zur Neuzeit die Administration deutscher Territorien mit der Universität als einer Bildungsstätte künftigen Personals in zahlenmässig beachtenswerter Weise verbunden zu haben. In diesem Zusammenhang mag es kein Zufall sein, dass Universitätsbesucher aus Amtsorten erstmals um den Jahrgang 1495 solche nicht amtsörtlicher Herkunft nach absoluten Zahlen bereits übertrafen. Relativ beurteilt lagen jene mit einem Überschuss von 5,4 Prozent in Front, was bis dahin während des ganzen 15. Jahrhunderts noch nicht geschehen war. Seit geraumer Zeit verfügten bereits die landesherrlichen Zentralbehörden, vom königlichen Hof ganz zu schweigen, über gelehrtes Personal in der Spanne von artistischer bis juristischer Kompetenz48. Nun dürften am Ende des 15. Jahrhunderts auch die lokalen Verwaltungen – gleichsam in einer Akademisierung von oben nach unten – nachgezogen und damit die Universität, ihre Besucher und Absolventen in besonderer Weise in den Bürokratisierungsprozess der neuzeitlichen Landesherrschaft integriert haben. Die Kompetenz der zukünftigen Amtsträger bewegte sich zunächst wohl noch auf artistischer Ebene, wenngleich man nicht übersehen sollte, dass die beobachteten Universitätsbesucher aus den
Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (Anm. 7), S. 324 mit Figur 32. Ebd. S. 244–260. 48 Willoweit, Landesherrschaft (Anm. 45), S. 105ff. – Hanns Hattenhauer, Geschichte des Beamtentums (Handbuch des Öffentlichen Dienstes 1), Köln/Berlin 1980. – Vgl. noch oben Anm. 26. 46 47
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fernen Amtsorten gerade jene Kölner Universität aufsuchten, die wie keine andere deutsche Hochschule von Anfang an das weltliche, 492 römische Recht durch zwei ordentliche | Professoren und eine grosse Zahl von extraordinarie lesenden Bakkalaren, Lizentiaten und Doktoren anbieten konnte49. Vielleicht war jetzt nach vier bis fünf Generationen deutscher Universitätsgeschichte im engeren Sinne auch im weltlichen Bereich eine gewisse Aufnahmebereitschaft gegenüber Universitätsgebildeten entstanden, die allerdings nicht abstrakt nach den Aufgaben der Verwaltung definiert war, sondern wohl eher noch auf die vorhandenen Personen reagierte. Auch der Landesherr formulierte ja nicht einen eigenen Bedarf, sondern antwortete, selbst bei der Studienförderung, wie wir gesehen haben, auf das Angebot bereits ausgebildeter Personen – unter Vermittlung ihrer Verwandten und Freunde. Wie diese Patronagepraxis, so lehrt auch die Amtsherkunft so vieler Studenten der fraglichen Territorien, dass das personelle Angebot wahrscheinlich nicht im Sinne eines modernen Marktmechanismus freibleibend, sondern eher noch orts- und familiengebunden war und nach den funktionalen Kriterien einer traditionalen Gesellschaft beurteilt werden muss. Solche Überlegungen zur beginnenden Verknüpfung von Universität und allgemeiner Verwaltung haben zunächst noch einen hypothetischen Charakter. Gewonnen sind sie lediglich aus topographisch-quantitativen Zusammenhängen, die in qualitative Aussagen umgemünzt wurden. Die missing links sind aber die studierten Amtsträger und auch ihre Familien, ohne dass man eine Bildungstradition am Ort schon voraussetzen könnte. Was die personelle Zusammensetzung der spätmittelalterlichen Amtsverwaltung, der Militär-, Gerichts- und Finanzverwaltung betrifft, die spätestens um die Mitte des 15. Jahrhunderts fast überall im Reich zu einer einzigen Organisationsform zusammengewachsen ist, was ferner erst recht die Bildungsverhältnisse in diesen Ämtern betrifft, so steht jedoch die Forschung noch ziemlich am Anfang. Abgesehen von den zentralen Behörden, sind personengeschichtliche Studien, die jene Amtsschreibergruppen beleuchten, die den abstrakten, institutionellen Entwicklungsprozess der Landesherrschaft verfassungs- und sozialgeschichtlich verifizieren könnten, bisher kaum in Angriff genommen worden, mit Ausnahme Christian Hesses, der sich in einer grösseren
49 Meuthen, Alte Universität (Anm. 15), S. 131ff. – ‘Professoren-Verzeichnisse’ bei Hermann Keussen, Die alte Universität Köln. Grundzüge ihrer Verfassung und Geschichte, Köln 1934, S. 449ff.
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territorienvergleichenden Studie mit diesen Fragen auseinandersetzt50. Hesse kann gerade in Amtsorten, zum Beispiel der Landgrafschaft Hessen, der Grafschaft Württemberg oder Kursachsens, einige veritable ‘Familiendynastien’ von Universitätsgebildeten, von artistischen wie juristischen Experten ausmachen, von denen | einzelne Mitglieder 493 auch immer wieder in den unterschiedlichsten Schreiberämtern zu finden sind. Wohl hing der langfristige Erfolg der landesherrlichen Organisationsund Konzentrationspolitik aufs engste mit dem Eindringen gebildeten Personals zusammen – nicht nur am Hof und in der Zentralverwaltung, sondern auch in den nachgeordneten, mittleren und unteren Behörden. Tatsache ist, dass offenbar seit den Jahren um 1500 Universität und Verwaltung je länger, desto intensiver zusammenrückten, wodurch die Universität eine klar definierte Vermittlerrolle auf dem Wege zu moderner Staatlichkeit erlangte. Die Experten definierten die Aufgabenbereiche, die schliesslich von ihnen und nur noch von ihnen hauptberuflich ausgefüllt wurden. Tatsache ist aber auch, dass bis dahin in der Verwaltung überhaupt noch nichts entschieden war, man also auch die grossen Zahlen von Universitätsbesuchern nicht einfach in die Landesverwaltungen abschieben kann – sowenig wie in die Kirche, schon gar nicht die grossen Zahlen der Artisten. Im Unterschied zu Juristen, die in der Umgebung der Herren schon seit längerem immer wichtiger geworden waren, funktionierte die spätmittelalterliche Landesverwaltung – wie im übrigen auch die städtische – problemlos auch ohne Artisten bzw. überhaupt ohne akademische Experten51. Anderswo erworbene Fähigkeiten, in eigenen Kanzleischulen beispielsweise, waren völlig ausreichend, waren nicht selten sogar entscheidender, erst recht, wenn sie sich mit den bekannten sozialen Regeln der Zeit verbanden.
50 Christian Hesse, Amtsträger der Fürsten im spätmittelalterlichen Reich. Die Funktionseliten der Lokalen Verwaltung in Bayern-Landshut, Hessen, Sachsen und Württemberg 1350–1515 (Schriftenreiche der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 70), Göttingen 2005. Ders., Verwaltungspersonal und Verwaltungspraxis. Die Territorien Hessen und Württemberg, in: Sozialdisziplinierung – Verfahren – Bürokraten. Entstehung und Entwicklung der modernen Verwaltung, hg. von Ulrich Pfister u.a. (Itinera 21), Basel 1999, S. 29–41. – Ders., Landesherrliche Amtsträger (Anm. 26). – Ders., Amt und Pfründe. Geistliche in der hessischen Landesverwaltung, in: Geist, Gesellschaft, Kirche im 14.–16. Jahrhundert, hg. von Frantisek Smahel, Prag 1999, S. 263–277. 51 Ein aufschlussreiches Beispiel bietet die Arbeit von Urs Martin Zahnd, Studium und Kanzlei. Der Bildungsweg von Stadt- und Ratsschreibern in eidgenössischen Städten des ausgehenden Mittelalters, in: Gelehrte im Reich (wie Anm. 2), S. 453–476.
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Professionalisierung, das Sich-Durchsetzen von Expertenberufen, war nach Einsicht in unser Material noch im 15. Jahrhundert kein gesellschaftliches Phänomen – von Einzelfällen abgesehen. Summarisch lässt sich für das späte Mittelalter nichts entscheiden. Anders gesagt: Ich weiss nicht, ob das berühmte Wasserglas halbvoll oder halbleer war.
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DAS REICH IM GELEHRTEN EUROPA. EIN ESSAY AUS PERSONENGESCHICHTLICHER PERSPEKTIVE* Das mir aufgetragene Thema kann ich derzeit nur bewältigen, indem ich es konsequent “personalisiere”, und mir jeden Blick auf gelehrte Produktionen verbiete. Es geht hier demnach um Gelehrte im Reich, “deutsche” Gelehrte im Kreise ihrer europäischen Kollegen und dabei unter Ausgrenzung aller denkbaren gelehrten Existenzen nur um die akademischen Gelehrten, d.h. im weiteren Sinne um die Universitätsbesucher, im engeren Sinne um die Graduierten vom Magister bis zum Doktor. Das macht die Aufgabe nicht einfacher, hat aber den Vorteil, auf Überlegungen zurückgreifen zu können, die dem Repertorium Academicum Germanicum (RAG) zugrundeliegen, das die Absicht hat, Herkunft, Studium und Lebenswege der Gelehrten des Reiches zwischen 1250 und 1550 so zu erfassen, daß man die mittelalterlichen Ursprünge der neuzeitlichen Wissensgesellschaft im Spiegel ihrer Träger aufzeigen kann1. Die grundsätzliche europäische Perspektive des Repertorium * In: Heilig – Römisch – Deutsch. Das Reich im mittelalterlichen Europa, hg. von Bernd Schneidmüller und Stefan Weinfurter, Dresden: Michael Sandstein 2006, S. 227–250. 1 Das RAG ist eine Forschungsabteilung der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften unter der Leitung von Peter Moraw (Giessen) und Rainer Christoph Schwinges (Bern). Näheres unter www.rag-online.org. Kurze Darstellungen aus verschiedenen Perspektiven: Christian Hesse, Repertorium Academicum Germanicum. Sozial- und Wirkungsgeschichte spätmittelalterlicher Gelehrter im Reich – ein Forschungsprojekt, in: Stadt und Prosopographie. Zur quellenmässigen Erforschung von sozialen Gruppen und Einzelpersönlichkeiten in der Stadt des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit in Österreich, hg. von Peter Csendes (Forschungen zur Geschichte der Städte und Märkte Österreichs 6), Linz 2003, S. 109–116. Suse Baeriswyl, Die graduierten Gelehrten des Alten Reiches und die Räte des Kurfürsten. Forschungen zur Geschichte der Räte des Kurfürsten Albrecht Achilles von Brandenburg-Ansbach im Rahmen des internationalen Projektes “Repertorium Academicum Germanicum”, in: Jahrbuch für Universitätsgeschichte 6, 2003, S. 169–183. Dies., Das Repertorium Academicum Germanicum. Überlegungen zu Datenbankstruktur und Aufbereitung der prosopographischen Informationen der graduierten Gelehrten des Spätmittelalters, in: Städtische Gesellschaft und Kirche im Spätmittelalter, hg. von Michael Matheus und Sigrid Schmitt (Geschichtliche Landeskunde), Mainz 2005 (im Druck). Peter Moraw und Rainer Christoph Schwinges, Das Repertorium Academicum Germanicum (RAG): Die Erforschung der Lebenswege der deutschen Gelehrten zwischen 1250 und 1550, in: Akademie Aktuell. Zeitschrift der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Juni 2004,
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wird dem Unternehmen zugute kommen und dabei behilflich sein, die deutschen Verhältnisse in ihrer Relativität gegenüber den europäischen angemessen einzuordnen2. 228 | Immerhin: Mit Gelehrten der definierten Art erfaßt man einen Personenkreis, der für die Beurteilung der Rolle von akademischer Bildung im politischen, sozialen und kulturellen Leben des alten Reiches, mithin schon einmal großer Teile Europas, kaum zu überschätzen ist. Die zunehmende Akademisierung und die Professionalisierung gelehrter Tätigkeiten von Theologen, Juristen, Medizinern und Artisten gehört zu den spannendsten Themen der europäischen Geschichte seit dem Mittelalter. Mit Fragen an die Gelehrten holt man sich nämlich Antworten auf eine ganze Reihe von zentralen Fragen der Geschichtswissenschaft, Fragen zum Beispiel nach dem Transfer tradierten Wissens und methodischer Schulung in Hof- und Verwaltungskarrieren, in Kirchen, in Gerichten und Schulen, städtischen und territorialen Ämtern und Kanzleien, in selbständig bestimmten Professionen der medizinischen und juristischen Praxis und nicht zuletzt auch in der Laufbahn des sich herausbildenden Universitätsprofessors. Gelehrte und ihr Wirken antworten aber auch auf weiterreichende Fragen, wie zum Beispiel nach Herrschafts- und Verwaltungstechniken, nach Lage und Wandel der Gemeinwesen in Stadt und Land, nach den Möglichkeiten sozialer Mobilität oder dem Entstehen neuer Berufs- und Führungsgruppen, die über den Zusammenhalt ganzer Regionen und nicht zuletzt des Reiches insgesamt in Europa wesentlich mitentscheiden konnten. Angemessene Antworten erhält man indessen weniger aus den Institutionen selbst als vielmehr aus der zeitgerechten Rekonstruktion der Individual- und Beziehungsdaten der handelnden Personen, die
S. 39–42; Repertorium Academicum Germanicum (RAG). Das Who’s Who der Graduierten Gelehrten des Alten Reiches (1250–1550), in: Jahresbericht der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 2003, München 2004, S. 27–43. 2 In diese Richtung zielen auch die Beiträge von Jacques Verger, Les gens de savoir en Europe à la fin du Moyen Age, Paris 1997; Peter Moraw, Deutsche und europäische Gelehrte im lateinischen Mittelalter. Ein Entwurf, in: Personen der Geschichte – Geschichte der Personen. Studien zur Kreuzzugs-, Sozial- und Bildungsgeschichte. Festschrift für Rainer Christoph Schwinges, hg. von Christian Hesse, Beat Immenhauser, Oliver Landolt und Barbara Studer, Basel 2003, S. 239–254. Zuvor auch schon: Rainer Christoph Schwinges (Hg.), Gelehrte im Reich. Zur Sozial- und Wirkungsgeschichte akademischer Eliten des 14. bis 16. Jahrhunderts (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 18), Berlin 1996.
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gerade im Raum des alten Reiches in europaweit unvergleichlicher Fülle vorhanden sind. Neben Daten über Herkunft, Studium und Lebensweg, Positionen, Ämter, Karrieren, hinterlassene Werke, Testamente, Stiftungen interessieren dabei wegen der empirisch begründeten Andersartigkeit einer vormodernen, “traditionalen” Gesellschaft vor allem auch die relationalen Daten über den zugehörigen Sozialraum, seine Einflußtiefe und Reichweite, über mögliche Netzwerke, über verwandtschaftliche Bindungen, über Freundschaften und Feindschaften, über Referenzen und Beziehungen zu Herren jeder Art, über Privilegien und Klientelverhältnisse. Mit den Begriffen Akademisierung und Professionalisierung sind nämlich personenabhängige Prozesse umschrieben, die in Europa – und im Reich selbst – höchst unterschiedlich verlaufen sind, sowohl in zeitlicher und räumlicher als auch in fachlicher und sozialer Perspektive und nicht zuletzt in der öffentlichen Wahrnehmung. Dies ist in einer | oft noch national beschränkten Betrachtung viel zu wenig 229 berücksichtigt worden, obwohl sich nur wenige Gebiete der älteren Geschichte international so rasch und fruchttragend entwickelt haben wie die historische Bildungsforschung, insbesondere ihr Teilgebiet der sozial- und kulturgeschichtlich begründeten, personenorientierten Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte3. So seien die folgenden Zum Forschungsstand siehe Notker Hammerstein, Bildung und Wissenschaft vom 15. bis zum 17. Jahrhundert (Enzyklopädie Deutscher Geschichte 64), München 2003. Rainer Christoph Schwinges, Resultate und Stand der Universitätsgeschichte des Mittelalters vornehmlich im deutschen Sprachraum – einige gänzlich subjektive Bemerkungen, in: Mitteilungen der Österreichischen Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte 20, 2000, S. 97–119, auch in diesem Band. Rainer A. Müller, Genese, Methoden und Tendenzen der allgemeinen deutschen Universitätsgeschichte, in: ebd., S. 181–202. Peter Moraw, Universitäten, Gelehrte und Gelehrsamkeit in Deutschland vor und um 1800, in: Humboldt International. Der Export des deutschen Universitätsmodells im 19. und 20. Jahrhundert, hg. von Rainer Christoph Schwinges (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitätsund Wissenschaftsgeschichte 3), Basel 2001, S. 17–31. Speziell zum Forschungsstand in der Universitätsbesucher- und Gelehrtengeschichte in einigen Arbeiten der letzten Jahre, z. B.: Jürg Schmutz, Juristen für das Reich. Die deutschen Rechtsstudenten an der Universität Bologna 1265–1425 (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 2), 2 Bde., Basel 2000. Ingrid Matschinegg, Österreicher als Universitätsbesucher in Italien (1500–1630). Regionale und soziale Herkunft – Karrieren – Prosopographie, Diss. phil. Graz 1999. Stephanie Irrgang, Peregrinatio Academica. Wanderungen und Karrieren von Gelehrten der Universitäten Rostock, Greifswald, Trier und Mainz im 15. Jahrhundert (Beiträge zur Geschichte der Universität Greifswald 4), Stuttgart 2002. Robert Gramsch, Erfurter Juristen im Spätmittelalter. Die Karrieremuster und Tätigkeitsfelder einer gelehrten Elite des 14. und 15. Jahrhunderts (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 17), Leiden 2003. Ad Tervoort, The iter italicum and the Northern Netherlands. Dutch Students at Italian Universities and Their 3
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Ausführungen nach den zuvor benannten fünf Perspektiven gegliedert. Ich beginne mit der letzten. Öffentliche Wahrnehmung Gelehrte waren gegen Ende des Mittelalters bereits so bekannt und in Typ und Tätigkeit im öffentlichen Bewußtsein angekommen, daß sich geflügelte Worte und Sprichwörter ihrer bemächtigten. Das konnte positiv oder – viel häufiger – negativ konnotiert sein. Dabei hat es den Anschein, nach Durchsicht des “Thesaurus Proverbiorum Medii Aevi”, als seien die positiven Äußerungen eher in einer früheren Phase lange vor 1400 entstanden, die negativen bzw. spöttischen dagegen in einer späteren Phase, als der Typ des Gelehrten gegenüber dem schriftgelehrten Kleriker eigene Konturen gewann4. Anfangs, zum Teil ins hohe Mittelalter zurückreichend, glaubte man ganz allgemein auch 230 im | deutschen Sprachraum, von gelehrten Personen etwas lernen zu können, auf Gelehrte solle man hören: Swer volget guoter lêre, der gewinnet frum und êre5. Doch nebenbei entdeckte man im 15. Jahrhundert in Frankreich und England, daß die besten Gelehrten nicht die weisesten seien: les meilleurs clercs ne sont pas les plus sages, oder im südlichen Europa auf der iberischen Halbinsel, daß man den berühmten Grammatiker “weder gebraten noch gekocht” haben möchte6. Deutsche Stimmen machten sich dagegen erst relativ spät im 15. Jahrhundert bemerkbar, wie zum Beispiel in jenem Sprichwort, das Erasmus überlieferte: Quae supra nos, nihil ad nos – Wir wellen das den gelehrten bevehlen – Was zu hoch, geht uns nichts
Role in the Netherlands’ Society (1426–1575) (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 21), Leiden 2005. Beat Immenhauser, Bildungswege – Lebenswege. Die Universitätsbesucher aus dem Bistum Konstanz im 15. und 16. Jahrhundert, Diss. phil. Bern 2005 (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 8, Basel 2007). 4 Thesaurus Proverbiorum Medii Aevi. Lexikon der Sprichwörter des romanisch-germanischen Mittelalters, hg. vom Kuratorium Singer der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften unter wissenschaftlicher Leitung von Ricarda Liver u.a., Berlin/New York, hier benutzt Bde. 1, 1995 (Arzt), 4, 1997 (Gelehrt), 6, 1998 ( Jurist), 7, 1998 (Lehre) und 9, 1999 (Pfaffe). 5 Ebd., Bd. 7, S. 327, zitiert nach Wernher dem Gärtner. 6 Ebd., Bd. 4, S. 367, 11. – Bd. 2, 1996 (Braten 7): “Gramático favorescido, naon o querria asado nem cozido”.
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an7. Von hier aus war es nicht weit, die Gelehrten überhaupt für Narren zu halten: Gelert leut seind auch etwa groß narren oder Nüt schedlichers dann ein gelerter narr. Angesichts der Belegdichte im Thesaurus scheint man sich besonders im deutschen Sprachraum gefragt zu haben: Wie kompt es, das man spricht: ie gelerter, Ie verrüchter vnd verkerter? Luther, Sachs und Franck und viele andere, die als Moderatoren dem Sprichwort neue Flügel verliehen, wußten nur eine gänzlich lakonische Antwort: Eben wie man spricht, ‘die gelerten die verkerten’, so Luther 1518. Am Ende will man schon immer gewußt haben: Es ist keyn gelerter, er hat einen schiefer – es gibt keinen Gelehrten, der nicht einen Sparren hätte8. Die Gelehrten dieser Sprichwörter waren in der Regel Philosophen und Theologen, hervorgegangen aus den Artistenfakultäten und ihren gottesgelehrten Verwandten. Gelehrte Mediziner kamen als solche kaum vor, wohl aber Ärzte allgemein, denen man quer durch Europa mit Ironie und Sarkasmus begegnete: Dem Arzt vermache man nicht sein Erbe9. Ähnliches galt auch für Juristen, doch gingen Spott und Sarkasmus oft noch tiefer und trafen angebliche Verhaltensweisen: “Juristen böse Christen”, sagte man, durch Luther später so verkürzt, im deutschen Sprachraum, oder von Frankreich aus hereingewandert, “Juristen verlieren beim Sterben ihre Zunge”10. Solches aber sprach man kaum in Italien, zumindest bietet der Thesaurus keine entsprechenden Belege, obgleich man gewiß auch dort seine Advokaten und Richter beargwöhnte. Dagegen hätte man im deutschen Sprachraum wohl nur wenig Verständnis | gehabt für 231 den italienischen, innerjuristischen Sarkasmus der Zivilrechtler, der in dieser oder ähnlicher Form bereits in der Glossatorenzeit aufkam: purus canonista purus asinista – ein bloßer Kirchenrechtler ist bloß ein Esel. Typischerweise wurde dieser Spott zwar von ehemaligen deutschen Rechtsstudenten aus Italien mitgebracht und verschiedentlich auch verwendet, wie etwa von Johann von Buch, dem bekannten Verfasser der Glosse zum Sachsenspiegel-Landrecht, doch war das Land nördlich
Ebd., Bd. 4, S. 369, 52. Ebd., Bd. 4, S. 367f., 20–35. Vgl. dazu auch die reich dokumentierte Studie von Carlos Gilly, Das Sprichwort “Die Gelehrten die Verkehrten” oder der Verrat der Intellektuellen im Zeitalter der Glaubensspaltung, in: Forme e destinazione del messaggio religioso. Aspetti della propaganda religiosa nel cinquecento, hg. von Antonio Rotondo, Florenz 1991, S. 229–375, besonders S. 233–248. 9 Ebd., Bd. 1, S. 246–260, zit. S. 257. 10 Ebd., Bd. 6, S. 392–395. 7 8
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der Alpen “Kanonistenland” – mit allen Konsequenzen, über die noch zu reden sein wird11. Dieser kurze Einblick mag schon genügen, um ein gewisses Früher oder Später, verschiedene Räume und fachgebundene Unterschiede zu erkennen. Man muß zur Kenntnis nehmen, daß die allgemeine Wahrnehmung der sich in gesellschaftliche Belange einmischenden Gelehrten – anders begreiflicherweise als deren Selbstwahrnehmung12 – im deutschen Sprachraum erst ziemlich spät einsetzte. Die zeitliche Perspektive Die späte Wahrnehmung kommt nicht unerwartet; sie entspricht ganz und gar der deutschen Entwicklung. Wenn man Gelehrtengeschichte rein chronologisch betrachtet, muß man zuallererst auf Frankreich und Italien blicken mit den seit dem 12. Jahrhundert ‘europawichtigen’ Zentren für Theologie und Philosophie in Paris, für Rechtswesen 232 und | Medizin in Bologna oder Padua. Das Reich hatte nur über einige
11 Belege bei Winfried Trusen, Anfänge des gelehrten Rechts in Deutschland. Ein Beitrag zur Geschichte der Frührezeption, Wiesbaden 1962, S. 106f. Karl-Heinz Burmeister, Das Studium der Rechte im Zeitalter des Humanismus im deutschen Rechtsbereich, Wiesbaden 1974, S. 75. Wolfgang Sellert, Zur Rezeption des römischen und kanonischen Rechts in Deutschland von den Anfängen bis zum Beginn der frühen Neuzeit: Überblick, Diskussionsstand und Ergebnisse, in: Recht und Verfassung im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, I. Teil, hg. von Hartmut Boockmann, Ludger Grenzmann, Bernd Moeller und Martin Staehelin (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Philologisch-historische Klasse, 3. Folge, Nr. 228), Göttingen 1998, S. 115–166, S. 121f. Ich danke den beiden rechtshistorischen Kollegen Peter Oestmann (Münster) und Bernd Kannowski (Frankfurt/Main) sehr für Gespräche und Angaben in dieser Sache; siehe Bernd Kannowski, Die Umgestaltung des Sachsenspiegelrechts durch die Buch’sche Glosse ( Jur. Habilitationsschrift Frankfurt am Main 2004), 3. Kap. 2.4.1. (im Druck). 12 Siehe dazu etwa (mit bezeichnenden Anekdoten) Wilhelm Wühr, Das abendländische Bildungswesen im Mittelalter, München 1950. Ferner Laetitia Boehm, Libertas Scholastica und Negotium Scholare – Entstehung und Sozialprestige des Akademischen Standes im Mittelalter, in: Universität und Gelehrtenstand 1400–1800, hg. von Helmut Rössler und Günther Franz (Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit 4), Limburg 1970, S. 15–61. Hartmut Boockmann, Zur Mentalität spätmittelalterlicher gelehrter Räte, in: Historische Zeitschrift 233, 1981, S. 295–316. Ingrid Baumgärtner, De privilegiis doctorum. Über Gelehrtenstand und Doktorwürde im späten Mittelalter, in: Historisches Jahrbuch 106, 1986, S. 298–332. Frank Rexroth, Karriere bei Hof oder Karriere an der Universität? Der Freiburger Gründungsrektor Matthäus Hummel zwischen Selbst- und Fremdbestimmung, in: Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins 141, 1993, S. 155–183. Beat Immenhauser, Iudex id est rex. Formen der Selbstwahrnehmung gelehrter Juristen im späten Mittelalter, in: Ständische und religiöse Identitäten in Mittelalter und früher Neuzeit, hg. von Stefan Kwiatkowski und Janusz Mallek, Torún 1998, S. 43–61.
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kaum bezifferbare Bildungswanderer daran Anteil13. Daß seine Universitäten anders als die älteren Schwestern erst 150 bis 200 Jahre später in Erscheinung traten, beginnend mit Prag (1348), wird man demgegenüber nicht gerade in den Vordergrund stellen können. Zur Zeit der Prager Gründung bestanden in West- und Südeuropa bereits 25 Universitäten, davon allein neun in Italien, acht in Frankreich und zwei in England, der Rest in Spanien und Portugal. Erst am Vorabend der Reformation schien der Anschluß geglückt. Frankreich zählte vierzehn, Italien zwölf, die iberische Halbinsel zehn und das Reich nun siebzehn Universitäten: Diesen Zahlen entsprachen jedoch keine Qualitäten. Auch am Ende des Mittelalters konnte weder von Anschluß noch von Ausgleich die Rede sein. Das Vorauseilen der einen und das Nachfolgen der anderen ließ nämlich zwei grundverschiedene universitätsgeschichtliche Epochen entstehen, eine ältere universale, papst- oder kaisergeleitete und eine jüngere partikulare, nach ca. 1380 von regionalen Kräften dominierte Epoche; und schon das mittelalterliche Europa hatte ihnen mindestens drei verschiedene Typen von Universitäten zu verdanken14. Damit gab
13 Joachim Ehlers, Deutsche Scholaren in Frankreich während des 12. Jahrhunderts, in: Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters, hg. von Johannes Fried (Vorträge und Forschungen 30), Sigmaringen 1986, S. 97–120 [wiederabgedruckt in ders., Ausgewählte Aufsätze (Berliner Historische Studien 21), Berlin 1996, S. 163–190]. Ders., Grand Tour avant la lettre. Schichtenspezifische Mobilität im Früh- und Hochmittelalter, in: Grand Tour. Adeliges Reisen und europäische Kultur vom 14. bis zum 18. Jahrhundert, hg. von Rainer Babel und Werner Paravicini (Beihefte der Francia 60), Ostfildern 2005, S. 23–32. Siehe auch weitere Studien im Sammelband ‘Schulen und Studium’. Ferner Johannes Fried, Die Rezeption Bologneser Wissenschaft in Deutschland während des 12. Jahrhunderts, in: Viator 21, 1990, S. 103–145. Schmutz, Juristen für das Reich (wie Anm. 3), S. 58ff. Nancy G. Siraisi, Arts and Sciences at Padua, Toronto 1973. Als Überblick: Werner Maleczek, Deutsche Studenten an Universitäten in Italien, in: Kommunikation und Mobilität im Mittelalter. Begegnungen zwischen dem Süden und der Mitte Europas (11.–14. Jahrhundert), hg. von Siegfried de Rachewiltz und Josef Riedmann, Sigmaringen 1995, S. 77–113. 14 Dazu haben Peter Moraw und ich uns schon des Öfteren geäussert, vgl. etwa Peter Moraw, Aspekte und Dimensionen älterer deutscher Universitätsgeschichte, in: Academia Gissensis. Beiträge zur älteren Gießener Universitätsgeschichte, hg. von dems. und Volker Press, Marburg 1982, S. 1–43. Ders., Über Entwicklungsunterschiede und Entwicklungsausgleich im deutschen und europäischen Mittelalter, in: Hochfinanz – Wirtschaftsräume – Innovationen. Festschrift für Wolfgang von Stromer, hg. von Uwe Bestmann/Franz Irsigler/Jürgen Schneider, Bd. 2, Trier 1987, S. 583–622 (wieder in: Peter Moraw, König und Reich. Aufsätze zur deutschen Verfassungsgeschichte des späten Mittelalters, Sigmaringen 1995, S. 293–320, hier besonders S. 312–317). Ders., Einheit und Vielfalt der Universitäten im alten Europa, in: Die Universität in Alteuropa, hg. von Alexander Patschovsky und Horst Rabe, Konstanz 1994, S. 11–27. Rainer Christoph Schwinges, Le Università nei territori dell‘Impero, in: Le Università dell’Europa 1, La Nascita delle Università, hg. von Gian Paolo Brizzi und Jacques Verger, Cinisello Balsamo
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es auch weiterhin sehr verschiedene akademische Lebenswelten mit entsprechend unterschiedlichen Absolventen- und Gelehrtentypen in den verschiedenen Ländern. Den Zeitgenossen war es höchst bewußt, daß Universität nicht gleich Universität sei, nur weil sie von Catania 233, 234 bis Uppsala oder von Salamanca bis Krakau auf || dem Pergament der Stiftungsbriefe so hießen. Und selbst die päpstlich verbriefte licentia ubique docendi der graduierten Gelehrten galt mitnichten an jedwedem Ort des papstkirchlichen Europa – ohne mißtrauische, sorgsame Überprüfung. Man darf den auch in den Universitätsmatrikeln dokumentierten Rezeptionsvorgang auswärtiger Graduierter nicht bloß als einen formalen Akt ansehen, sondern muß ihn als geprüfte Anerkennung verstehen15. Universitäten und Fakultäten wachten sorgsam über ihr Kooptationsund Promotionsrecht, und manchmal wollten sie nur heimische, bei ihnen selbst promovierte Kandidaten auf Lehrstühle setzen. Da half wie im Fall des Wilhelm Kurmann von Werden, des nach langem Streit frustriert aus Köln abgewanderten Juristen und späteren Vizerektors der Universität Ingolstadt, nicht einmal der italienische Doktorgrad. Der war eben in der Fremde und nicht unter den wachsamen Augen der Kölner Fakultät erworben16. Die räumliche Perspektive Die Universitäten der älteren, universalen Epoche wuchsen unter einer Konzeption heran, die ausschließlich im westlichen und südlichen Europa, vor allem in Frankreich und Italien eingelöst wurde. Sie erschienen höchst effizient und jeweils dominierend als Juristen-Universitäten,
1990, S. 221–255. Ders., The Medieval German University: Transformation and Innovation, in: Paedagogica Historica. International Journal of the History of Education 34, 1998, S. 375–388, auch in diesem Band. Ders., Prestige und gemeiner Nutzen. Universitätsgründungen im deutschen Spätmittelalter, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 21, 1998, S. 5–17. 15 Vgl. Rainer Christoph Schwinges und Klaus Wriedt, Das Bakkalarenregister der Artistenfakultät der Universität Erfurt 1392–1521 (Registrum baccalariorum de facultate arcium universitatis studii Erffordensis existencium) (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Grosse Reihe, 3), Stuttgart/Jena 1995, S. XXXVI–XXXVIII. 16 Zum Fall vgl. Hermann Keussen, Wilhelm Kurman von Werden, der erste Vizerektor der Universität Ingolstadt und sein Prozeß mit der Universität Köln, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 9, 1936, S. 99–107. Zur licentia ubique docendi auf “regionalen und personalen Abwegen” bereite ich eine Studie vor.
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Abbildung: Deutsche Gelehrtentypen 1: Ditmar Treisa von Fritzlar, Dr. decr. (Heidelberg), siehe Seite 606, Bayerisches Hauptstaatsarchiv.
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Mediziner-Universitäten, allenfalls Artisten-Mediziner- oder ArtistenTheologen-Universitäten. Vor allem aber verbanden sich in ihnen fachliche mit sozialen Schwerpunkten, wodurch die Universitäten, ihre Besucher und Absolventen sehr unterschiedlich profiliert wurden, am stärksten und dauerhaftesten und jeweils typenbildend in Bologna und Paris. ‘Bologna’ stand für die elitäre, in der Hauptsache oberitalienischsüdfranzösische Universität urbaner und laikaler Prägung, in der vor allem die adligen, adelsnahen oder sonstwie herrschaftsgewohnten Legisten, die Jünger des weltlichen Rechts, den Ton angaben. ‘Paris’ stand dagegen für die westliche, nordfranzösische (und zum Teil auch englische) Artisten-Theologen-Universität, die in einem eher klerikalen und sozial diffusen Milieu, nur wenig überspitzt gesagt, eine ‘Universität für jedermann’ war. Juristen und Mediziner gab es hier zwar auch, aber 235, 236 sie wurden wie | | sonst nirgendwo vom Artistenmilieu überlagert, das – so in Paris – sich allein das Recht gesichert hatte, den Rektor der Gesamtuniversität zu stellen17. Die jüngeren, partikular konzipierten Universitäten des Reiches traten demgegenüber sogleich als neuer Typus auf den Plan: als Vier-Fakultäten-Universität18. Diese war so verfaßt, daß sie Juristen, Theologen, Mediziner und Artisten, und damit sehr inhomogene Personenverbände zu einer gemeinsamen “deutschen” Institution vereinigte. Das erste Experiment, aus Pariser und Bologneser Gelehrtenkulturen so etwas wie eine “Jedermann-Elite” zu formen, mißlang in Prag prompt und zerfiel wieder in die Bestandteile. Noch jahrzehntelang sollte es an
17 Vgl. Heinrich Denifle, Die Entstehung der Universitäten des Mittelalters, Berlin 1885 (Ndr. Graz 1956), S. 118ff. Siehe auch Jacques Verger, Les universités au moyen âge, Paris 1973, S. 51f., 90. 18 Zu diesen Typen vgl. Anm. 14. Zu Hintergründen ferner die wichtigen Studien von Ernst Schubert, Motive und Probleme deutscher Universitätsgründungen des 15. Jahrhunderts, in: Beiträge zu Problemen deutscher Universitätsgründungen der frühen Neuzeit, hg. von Peter Baumgart und Notker Hammerstein, Nendeln 1978, S. 13–74. Otto Gerhard Oexle, Alteuropäische Voraussetzungen des Bildungsbürgertums – Universitäten, Gelehrte und Studierte, in: Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert, Teil I: Bildungssystem und Professionalisierung im internationalen Vergleich, hg. von Werner Conze und Jürgen Kocka, Stuttgart 1985, S. 29–78. Frank Rexroth, Deutsche Universitätsstiftungen von Prag bis Köln. Die Intentionen des Stifters und die Wege und Chancen ihrer Verwirklichung im spätmittelalterlichen deutschen Territorialstaat, Köln/Weimar/Wien 1992. Jacques Verger, Grundlagen, in: Geschichte der Universität in Europa, Bd. I: Mittelalter, hg. von Walter Rüegg, München 1993, S. 49–80. Rainer Christoph Schwinges, Genossenschaft und Herrschaft in der vormodernen Universität, in: Entwicklung und Realisierung des Genossenschaftsgedankens vom Mittelalter bis zur Gegenwart (Schriftenreihe zur Genossenschaftsgeschichte 2), München 2000, S. 78–94.
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Abbildung: Deutsche Gelehrtentypen 2: Nikolaus Krebs von Kues, Dr. decr. (Pavia), siehe Seite 606, Bayerisches Hauptstaatsarchiv.
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verschiedenen Universitäten deswegen rumoren, im frühen Krakau, in Heidelberg, Köln, Leipzig oder Basel, und immer waren die domini juristae durch ihr “italienisches Verhalten” die Auslöser19. Daß das Experiment schließlich doch gelang und sich im Reich und bei seinen östlichen und nördlichen Nachbarn durchsetzte, war nur dem hohen Zentralisierungsdruck des vergleichsweise modernen Fürstenstaates und in einigen Fällen auch der großen Stadt zu verdanken. Das Problem war nur, daß die Vierer-Form alles andere als ein Gleichgewicht erzeugte: Der deutsche Universitätstyp war in erdrükkender Weise, zu 80 bis 90 Prozent der Studenten und Gelehrten, eine 237, 238 fast reine Artistenuniversität. Es ist unter europäischem | | Blickwinkel ernsthaft zu fragen, ob nicht der Vier-Fakultäten-Zwang die Entwicklung im Reich eher gebremst als gefördert habe? Mit dieser Frage stehe ich mir selbst kritischer gegenüber als früher; denn nicht jeder neue Typus ist gleich eine Innovation20. Jedenfalls verzeichnete die von 1372 bis 1418, knapp 50 Jahre selbständig bestehende Prager Juristen-Universität über 3500 Studierende, eine Zahl, die in der Folgezeit an keiner der Juristenfakultäten im Reich, nicht einmal an den großen in Köln und Löwen, je wieder erreicht worden ist21. 19 Dazu vor allem Peter Moraw, Die Universität Prag im Mittelalter. Grundzüge ihrer Geschichte im europäischen Zusammenhang, in: Die Universität zu Prag (Schriften der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste 7), München 1986, S. 9–134. Ders., Die Juristenuniversität in Prag (1372–1419), verfassungs- und sozialgeschichtlich betrachtet, in: Johannes Fried, Schulen und Studium (Anm. 13), S. 439–486. Ders., Die Prager Universitäten des Mittelalters. Perspektiven von gestern und von heute, in: Spannungen und Widersprüche. Gedenkschrift für František Graus, hg. von Susanna Burghartz u.a., Sigmaringen 1992, S. 109–123. Siehe auch Michal Svatoš, L’Università di Praga tra Bologna e Parigi (l’Università di Praga e i suoi modelli), in: Bollettino dell’Istituto storico e ceco di Roma 2, 2000, S. 5–28. Zu den anderen Universitäten Rainer Christoph Schwinges, Rektorwahlen. Ein Beitrag zur Verfassungs-, Sozial- und Universitätsgeschichte des Alten Reiches im 15. Jahrhundert. Mit Rektoren- und Wahlmännerverzeichnissen der Universitäten Köln und Erfurt aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts (Vorträge und Forschungen, Sonderband 38), Sigmaringen 1992. Frank Rexroth, Finis scientie nostre est regere. Normenkonflikte zwischen Juristen und Nichtjuristen an den spätmittelalterlichen Universitäten Köln und Basel, in: Zeitschrift für historische Forschung 21, 1994, S. 315–344, 326ff., 330ff. 20 Vgl. Rainer Christoph Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert. Studien zur Sozialgeschichte des Alten Reiches (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung Universalgeschichte 123: Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches 6), Stuttgart 1986, S. 465ff. Ders., The Medieval German University (Anm. 14). 21 Vgl. Album seu Matricula Facultatis Juridicae Universitatis Pragensis ab anno Christi 1372 usque ad annum 1418, in: Monumenta Historica Universitatis Carolo-Ferdinandeae Pragensis, Bd. 2, Prag 1834. Dazu František Šmahel, Pražské universitní studenstvo v p®edrevolučním období 1399–1419. Statistickosociologická studie, Praha 1967. Peter
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Abbildung: Deutsche Gelehrtentypen 3: Job Vener von Schwäbisch Gmünd, Dr. utr. Jur. (Bologna), siehe Seite 606, Bayerisches Hauptstaatsarchiv.
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Es gehört in solche Zusammenhänge, daß das Reich eine nach Westen und Süden hin reichlich abgeschlossene Universitätslandschaft war. Das Hinüberwandern war höchst einseitig. Deutsche Studenten und Gelehrte zogen – meistens allerdings chronisch überschätzt – auf “Bildungsreise” nach Frankreich und Italien. Das war ein klares Herrenverhalten und deswegen auch klein an der Zahl22. Die deutsche 239, 240 Universitäts-Nation von | | Bologna war zwischen 1265 und 1425 nahezu konstant zu fast 75 Prozent adlig oder adelsnah, erhielt im Durchschnitt nur rund 20 Neuzuzügler pro Jahr und umfaßte im Verlauf des 15. Jahrhunderts selten mehr als 100 Anwesende, allergrößtenteils Juristen23. Nimmt man mit einiger Berechtigung ähnliche
Moraw, Juristenuniversität (Anm. 19), S. 457ff. Ji®í Stočes, Regionální a sociální pμuvod p®islup®íkμu bavorského univerzity národa na pražské právnické univerzitĕ v letech 1372 až 1419, Praha (diplomová práce) 2002. Rainer Christoph Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (Anm. 20), S. 469ff. 22 Dazu allgemein, aber aus verschiedenen Perspektiven: Winfried Dotzauer, Deutsches Studium und deutsche Studenten an europäischen Hochschulen (Frankreich, Italien) und die nachfolgende Tätigkeit in Stadt, Kirche und Territorium in Deutschland, in: Stadt und Universität im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, hg. von Erich Maschke und Jürgen Sydow (Stadt in der Geschichte 3), Sigmaringen 1977, S. 112–141. Conradin Bonorand, Mitteleuropäische Studenten in Pavia zur Zeit der Kriege in Italien (ca. 1500 bis ca. 1550), in: Pluteus 4/5, 1986/87, S. 295–357. Rainer Christoph Schwinges, Migration und Austausch. Studentenwanderungen im Deutschen Reich des späten Mittelalters, in: Migration in der Feudalgesellschaft, hg. von Gerhard Jaritz und Albert Müller, Frankfurt/NewYork 1988, S. 141–155. Ders., Die Universität als sozialer Ort des Adels im deutschen Spätmittelalter, in: Grand Tour (wie Anm. 13), S. 357–372, 366f. Lawrence W. Brockliss, Patterns of Attendance at the University of Paris, 1400–1800, in: Les universités européennes du XVIe au XVIIIe siècle: Histoire sociale des populations étudiantes, Tom. 2, hg. von Dominique Julia und Jacques Revel, Paris 1989, S. 487–526. Jacques Verger, La mobilité étudiante au Moyen Âge, in: Histoire de l’Éducation 50, 1991, S. 65–90. Ders., Etudiants et gradués allemands dans les universités françaises du XIVe au XVIe siècle, in: Gelehrte (Anm. 2), S. 23–40. Mineo Tanaka, La nation anglo-allemande de l’université de Paris à la fin du moyen âge (Collection des Mélanges de la Bibliothèque de la Sorbonne 20), Paris 1992. Hilde de Ridder-Symoens, Mobilität, in: Universität in Europa (Anm. 18), S. 255–275, 263ff. Werner Maleczek, Deutsche Studenten (Anm. 13), S. 77ff. William J. Courtenay, Study Abroad: German Students at Bologna, Paris, and Oxford in the Fourteenth Century, in: Universities and Schooling in Medieval Society, hg. von dems. und Jürgen Miethke (Education and Society in the Middle Ages and the Renaissance 10), Leiden 2000, S. 7–31. Vgl. ferner zu weitgreifenden Fallstudien Agostino Sottili, Università e cultura. Studi sui rapporti italo-tedeschi nell’età dell’umanesimo, Goldbach 1993. Ders., Ehemalige Studenten italienischer Renaissance-Universitäten: ihre Karrieren und ihre soziale Rolle, in: Gelehrte (Anm. 2), S. 41–74. Ders., Studenti tedeschi dell’Università di Padova e diffusione dell’umanesimo in Germania. Ulrich Grossembrot, in: Studenti, università, città nella storia padovana, hg. von Francesco Piovan und Luciana Sitran Rea (Contributi alla storia dell’Università di Padova 34), Trieste 2001, S. 177–253. 23 Jürg Schmutz, Juristen für das Reich (Anm. 3), S. 83f., 89–108.
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Abbildung: Deutsche Gelehrtentypen 4: Johannes Kusch von Kulmbach, Lic. jur. cand. (Heidelberg), siehe Seite 607, Bayerisches Hauptstaatsarchiv.
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Zahlen auch für die anderen italienischen Universitäten an, so bleibt das Ausmaß der “Bildungsreise” aus dem Reich selbst an mittelalterlichen Verhältnissen gemessen sehr überschaubar. Österreicher zum Beispiel, Universitätsbesucher aus den habsburgischen Erblanden ob und unter der Enns, aus Steiermark, Kärnten und Tirol sowie dem Erzbistum Salzburg stellten zwischen 1500 und 1550 in Padua gerade einmal 92 Mann, davon bis 1544 sogar nur einen einzigen pro Jahr. Nach Bologna wandten sich im gleichen Zeitraum 49 Österreicher, nach Siena ganze acht Personen, während in Perugia, Pisa, Pavia, Ferrara, Fermo oder Macerata kaum jemand nachgewiesen werden konnte. Das sah auch vorher, im 14. und 15. Jahrhundert nicht viel anders aus und sollte sich erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ändern. Aus dem Blickwinkel der alten Niederlande lassen sich die Verhältnisse ähnlich beschreiben. Zwischen 1426 und 1575 gingen 640 Niederländer nach Italien, also etwas mehr als vier Personen pro Jahr24. In umgekehrter Richtung ist fast gar nichts zu vermelden. Der empirische Befund ist absolut eindeutig. Franzosen und Italiener und andere aus West- und Südeuropa überschritten nur sehr selten, jedenfalls nicht zu Studien- und gelehrten Zwecken den Rhein oder die Alpen. Aus Frankreich stammten während des 15. Jahrhunderts gerade einmal 0,3 Prozent der gesamten Universitätsbesucherschaft des Reiches25. Und diese wenigen, die man hier antreffen konnte – bezeichnenderweise zum allergrößten Teil nur in den Universitäten entlang der “Rheinlinie” von Löwen bis Basel –, waren entweder unglücklich Exilierte oder wohl kaum Spitzenkräfte ihres Fachs. Ein ähnlich auffallendes “süd-westliches Grenzverhalten” gegenüber dem Binnenreich kann man auch bei Universitätsbesuchern und Gelehrten aus der schweizerischen Eidgenossenschaft, aus dem Elsaß, aus Luxemburg und Lothringen konstatieren. Auch für sie, ob deutsch- oder französischsprachig, war die Rheinlinie
24 Ingrid Matschinegg, Österreicher (Anm. 3), S. 21–43. Winfried Stelzer, Gelehrtes Recht in Österreich. Von den Anfängen bis zum frühen 14. Jahrhundert (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Ergänzungsband 26), Wien u. a. 1982. Karl Ubl, Anspruch und Wirklichkeit: Die Anfänge der Universität Wien im 14. Jahrhundert, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 113, 2005, S. 63–89, 72ff. Ad Tervoort, Iter italicum (Anm. 3), S. 25ff. 25 Vgl. Rainer Christoph Schwinges, Französische Studenten im spätmittelalterlichen Reich, in: Les échanges universitaires franco-allemands du Moyen Age au XXe s. Actes du Colloque de Göttingen, Mission Historique Française en Allemagne, 3–5 novembre 1988, hg. von Michel Parisse, Paris 1991, S. 37–54, auch in diesem Band. Ders., Le Università (Anm. 14), S. 221ff. Ders., Resultate (Anm. 3), S. 116, auch in diesem Band.
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zumeist eine wirkliche Grenze, und nur wenige Experten und | solche 241 Personen, die der habsburgischen Landesherrschaft zuneigten, zogen weiter ins Reich hinein26. Offener war das Reich in beiden Richtungen nur in den verwandten Universitätssystemen des Ostens und Nordens27. Reichsangehörige hielten sich relativ zahlreich in Krakau auf, so wie umgekehrt Universitätsbesucher aus nord- und osteuropäischen Ländern sowie aus nordöstlichen und östlichen Grenzräumen, vor allem Preußen und Balten, Polen, Ungarn, Schotten, Dänen und Skandinavier seit den Anfängen in Prag zahlreich und ausgiebig an verschiedenen Universitäten des römisch-deutschen Reichs anzutreffen waren. Zwar hatten sie ihre Zentren, grenzten jedoch bestimmte Räume des Reichs mit bestimmten Universitäten nicht aus28. Darüber hinaus unterschieden sich Nord26 Vgl. Sven Stelling-Michaud, La Suisse et les universités européennes du 13ème au 16ème siècle. Essai d’une statistique de fréquentation, in: Revue Universitaire Suisse – Schweizerische Hochschulzeitung 12, 1938, S. 148–160. Walter Rüegg, Humanistische Elitenbildung in der Eidgenossenschaft zur Zeit der Renaissance, in: Die Renaissance im Blick der Nationen Europas (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 9), Wiesbaden 1991, S. 95–133. Urs Martin Zahnd, Studium und Kanzlei. Der Bildungsweg von Stadt- und Ratsschreibern in eidgenössischen Städten des ausgehenden Mittelalters, in: Gelehrte (Anm. 2), S. 453, 460ff. Beat Immenhauser, St. Gallen und der Universitätsbesuch um 1500, in: Personen der Geschichte (Anm. 2), S. 285–302. Ders., Quantitative Aspekte des Universitätsbesuchs in der Diözese Konstanz von 1460 bis 1550, in: Geist, Gesellschaft, Kirche im 13.–16. Jahrhundert, hg. von František Šmahel (Colloquia Mediaevalia Pragensia 1) Prag 1999, S. 289–301. Umfassend jetzt Ders., Bildungswege (Anm. 3), S. 49ff. Rainer Christoph Schwinges, Bern, die Eidgenossen und Europa im späten Mittelalter, in: Europa im späten Mittelalter: Politik, Gesellschaft, Kultur, hg. von dems., Christian Hesse und Peter Moraw (Historische Zeitschrift, Beiheft 40), München 2006. Francis Rapp, Les Alsaciens et les universités à la fin du moyen âge, in: Académie des Inscriptions et Belles-Lettres. Comptes Rendus des Séances de l’Année 1984, S. 250–263. Hermann Keussen, Luxemburger auf der alten Universität Köln, in: Publications de la Section Historique de l’Institut gr.-d. de Luxembourg 62, 1928, S. 159–230; Michel Parisse, Formation intellectuelle et universitaire en Lorraine avant la fondation de l’Université de Pont-à-Mousson, in: Annales de l’Est 47, 1974, S. 17–44. 27 Siehe etwa Gustav Bauch, Deutsche Scholaren in Krakau in der Zeit der Renaissance 1460–1520, Breslau 1901. Irina Kaniewska, Les étudiants de l’Université de Cracovie aux XVe et XVIe siècles, in: Les universités européennes (Anm. 22), Tom. 1, hg. von Dominique Julia, Jacques Revel und Roger Chartier, Paris 1986, S. 113–133. Peter Moraw, Die Hohe Schule in Krakau und das europäische Universitätssystem um 1400, in: Studien zum 15. Jahrhundert. Festschrift für Erich Meuthen, hg. von Johannes Helmrath und Heribert Müller, München 1994, S. 521–539. Sven Stelling-Michaud, L’Université de Cracovie et la Suisse au temps de l’humanisme, 1450–1520, in: Echanges entre la Pologne et la Suisse du XIVe au XIXe siècle (Travaux d’histoire éthico-politique 4), Genève 1964, S. 21–66. 28 Zusammenfassend: Rainer Christoph Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 20), S. 234–244, 250ff. Hilde de Ridder-Symoens, Mobilität (Anm. 22), S. 265–269. Speziell auch Sven Bagge, Nordic Students at Foreign Universities until 1660, in: Scandinavian Journal of History 9, 1983, S. 287–318. Peter Moraw, Schlesien
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und Osteuropäer auch in Studium und Examina in nichts von ihren deutschen Kommilitonen – ganz im Gegensatz wiederum zu Italienern und Franzosen, die akademisch und sogar sozial verhältnismäßig höher rangierten und häufiger als ihre Mitstudenten in den oberen, vor allem juristischen Fakultäten zu finden waren, auf “deutsche” Graduierungen und das Erklimmen einer akademischen Stufenleiter im “Ausland” aber so gut wie keinen Wert legten29. 242 | So türmten sich auch aus der geographischen Perspektive die Unterschiede gravierend auf, und sie setzten sich in räumlichen Differenzierungen innerhalb des Reiches fort. Die einzelnen Universitätslandschaften und “Gelehrtenbühnen” waren außerordentlich stark regionalisiert. Das lag bereits an der Tatsache, daß sich die Universitäten des deutschen Typs von Anfang an als Landesuniversitäten mit ziemlich eindeutigen regionalen oder gar territorialpolitisch definierten Schwerpunkten entwickelten, viel stärker als dies im westlichen und südlichen Europa der Fall war. Die Prager Universitäten hatten nach 1409 oder spätestens nach 1419 wegen des “Hussitenproblems” keine Chancen mehr, so etwas wie eine ‘parisähnliche’ Zentrale auszubilden. Auch haben nur die wirklich großen Universitäten des Reiches wie Wien, Köln oder Erfurt Studenten und Gelehrte überregional rekrutieren können. In erster Linie schöpfte man die “Bildungsreserven” aus dem eigenen Land30. Diese regionalisierte Grundstruktur war jedoch von vielen sehr unterschiedlichen Raumkonzepten überlagert. Das Reich kannte zum Beispiel Führungs- oder Vorsprungslandschaften, in die sich universitäre Einzugsräume sowie Tätigkeitsräume von Gelehrten einordneten und dann sehr wesentlich an deren Gestaltung mitwirkten, so etwa im gesamten Rheinraum vom Oberrhein einschließlich der Bodensee-Region bis zum unteren Niederrhein. Auch am bekannten Nord-Süd- sowie West-Ostund die mittelalterlichen Universitäten in Prag, in: Jahrbuch der Schlesischen FriedrichWilhelms-Universität zu Breslau 34, 1993, S. 55–72. Dorota Żo [dΩ-Strzelczyk, Peregrinatio academica. Studia młodzieΩy polskiej z Korony i Litwy na akademiach i uniwersytetach niemieckich w XVI i pierwszej połowie XVII wieku, Poznán 1996, S. 32–38. 29 Wie Anm. 25. 30 Dazu allgemein Rainer Christoph Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (Anm. 20). Ders., Entre régionalité et mobilité. Les effectifs des universités dans l’empire romain germanique aux XVe et XVIe siècles, in: Les échanges entre les universités européennes à la renaissance, hg. von Michel Bideaux und Marie-Madeleine Fragonard (Travaux d’Humanisme et Renaissance 384), Genève 2003, S. 357–373. Ders., On Recruitment in German Universities from the fourteenth to sixteenth Centuries, in: Universities and Schooling in Medieval Society, hg. von William J. Courtenay und Jürgen Miethke (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 10), Leiden 2000, S. 32–48, auch in diesem Band.
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Gefälle haben sich Universitätsbesucher und Gelehrte beteiligt, insofern der Süden und der Westen einen gewissen akademischen Vorsprung kreierten. Vielfach kreuzten sich Universitätsräume mit Innovationsund Migrationsräumen des Reiches31. Das war jedoch kein Muß: Eine zentrale und führende Großlandschaft wie Franken hatte während des Mittelalters keine erfolgreiche Universitätsgründung aufzuweisen; die Würzburger Bischofsgründung von 1402 scheiterte bereits nach wenigen Jahren. Immerhin wurde Franken nahezu lückenlos ins deutsche Universitätsnetz eingebunden und diente gleich mehreren Landesuniversitäten als unmittelbarer Einzugsraum, allerdings mit sehr unterschiedlichen, präferenzbedingten | Akzenten, die gerade bei graduierten Gelehrten 243 von persönlichen und lokalen, sozialen, kulturellen und ökonomischen Sachverhalten abhingen32. Letztere gestatten es sogar, innerhalb der einzelnen universitären Einzugsräume bestimmte sozial oder fachlich gebundene Konzentrationen zu beobachten, so zum Beispiel universitäre “Adelslandschaften” oder als Gegenteil “Armutslandschaften”, daneben “Mediziner”- oder “Juristenräume”. Hier spielen dann auch persönliche Netzwerke eine große, raumprägende Rolle33.
Siehe Beat Immenhauser, Bildungswege (Anm. 3), besonders Kap. II, 2.1–2.4. Ders., Zwischen Schreibstube und Fürstenhof. Das Verfasserlexikon als Quelle zur Bildungssozialgeschichte des späten Mittelalters, in: Gelehrte im Reich (Anm. 2), S. 411–435. Klaus Wriedt, Universitätsbesucher und graduierte Amtsträger zwischen Nord- und Süddeutschland, in: Nord und Süd in der deutschen Geschichte des Mittelalters, hg. von Werner Paravicini (Kieler historische Studien 34), Sigmaringen 1990, S. 193–201. Ders., Gelehrte in Gesellschaft, Kirche und Verwaltung norddeutscher Städte, in: Gelehrte im Reich (Anm. 2), S. 437–452. Rainer Christoph Schwinges, Innovationsräume und Universitäten in der älteren deutschen Vormoderne, in: Woher das Neue kommt – in Vergangenheit und Gegenwart, hg. von dems., Paul Messerli und Tamara Münger, Zürich 2001, S. 31–44, auch in diesem Band. 32 Siehe zum Beispiel Dietmar Willoweit, Juristen im mittelalterlichen Franken. Ausbreitung und Profil einer neuen Elite, in: Gelehrte im Reich (Anm. 2), S. 225–267. Rainer Christoph Schwinges, Franken in der deutschen Universitätslandschaft des späten Mittelalters, in: Die Universität in der Welt – die Welt in der Universität, hg. von Hans-Albert Steger und Hans Hopfinger, Neustadt a.d. Aisch 1994, S. 1–26, auch in diesem Band. Franz Heiler, Bildung im Hochstift Eichstätt zwischen Spätmittelalter und katholischer Konfessionalisierung, Wiesbaden 1998. 33 Siehe dazu als Beispiele Rainer A. Müller, Universität und Adel. Eine soziostrukturelle Studie zur Geschichte der bayerischen Landesuniversität Ingolstadt 1472–1648 (Ludovico Maximilianea. Forschungen 7), Berlin 1974. Markus Bernhardt, Gelehrte Mediziner des späten Mittelalters: Köln 1388–1520. Zugang und Studium, in: Gelehrte im Reich (Anm. 2), S. 113–134. Jürg Schmutz, Juristen für das Reich (Anm. 3), S. 70ff. Rainer Christoph Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (Anm. 20), besonders S. 474ff. Christian Hebeisen und Thomas Schmid, De Zusato, Coloniensis diocesis. Über Herkunftsräume armer Universitätsbesucher im Alten Reich (1375 bis 1550), in: Jahrbuch für Universitätsgeschichte 6, 2003, S. 28–50. 31
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teil v – studium, karriere und profile Die fachliche Perspektive
Die Universitäten des Reiches wie auch des übrigen mittelöstlichen und nördlichen Europa traten in weit überwiegender Weise zu 80 bis 90 Prozent der Besucher als Artistenuniversitäten auf, und waren somit eine Domäne jener Grammatiker, die man im Süden “weder gebraten noch gekocht” haben wollte34. Nur 10 bis 15 Prozent waren Juristen, großmehrheitlich noch Kirchenrechtler. Den Rest auf 100 teilten sich Theologen und verschwindend wenige Mediziner35. Solche Zahlen müßten in der einschlägigen Forschung tief beunruhigen, da sie die italienischen und südfranzösischen Verhältnisse völlig auf den Kopf stellen. Doch sind es weitgehend offene Fragen, welche Bedeutung gerade diese Tatsachen hatten, welche gesellschaftlichen und inhaltlich-wissenschaftlichen Folgen sich aus dieser schieren quantitativen Dominanz der Artisten im Reich ergaben. Eigentlich sind die Fragen noch gar nicht richtig gestellt, denn sie zielen letztlich auf die kulturelle und soziale Akzeptanz und die Leistung der deutschen Universitäten 244 und ihres gelehrten ‘Outputs’ | im spätmittelalterlichen Europa36. Möglicherweise sind die Antworten “schwer verdaulich”, auch wenn man leicht zugeben kann, daß sicher nicht an allen Universitäten des Reiches elaborierte Philosophien und Theologien wie die von Paris oder Oxford Platz gefunden haben, und sicher nicht überall die sieben freien Künste in voller Zahl und auf gleichem Niveau wie dort angeboten worden sind37. Unwillkürlich denkt man bei den Artisten aber doch an die eigenen Vorläufer, an die Kollegen von gestern in den artistisch-philosophischen Fakultäten38, obgleich man sofort zum
Oben wie Anm. 6. Siehe jetzt Beat Immenhauser, Bildungswege (Anm. 3), S. 133–161 (Kap. 2.5.3). Christian Hesse, Acta Promotionum II: Die Promovierten der Universitäten im spätmittelalterlichen Reich. Bemerkungen zu Quantität und Qualität, in: Examen, Titel, Promotionen. Akademisches und staatliches Qualifikationswesen vom 13. bis 21. Jahrhundert, hg. von Rainer Christoph Schwinges (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 7), Basel 2007. Rainer Christoph Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (Anm. 20), S. 465ff. 36 Überlegungen dazu aus verschiedenen Blickwinkeln in: Artisten und Philosophen. Wissenschafts- und Wirkungsgeschichte einer Fakultät vom 13. bis zum 19. Jahrhundert, hg. von Rainer Christoph Schwinges (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitätsund Wissenschaftsgeschichte 1), Basel 1999. Vgl. ferner: Gelehrte im Reich (Anm. 2). 37 Vgl. die entsprechenden Beiträge in: Geschichte der Universität in Europa, Bd. I (Anm. 18). 38 Ein schönes Beispiel dafür ist die Arbeit von Alphons Lhotsky, Die Wiener Artistenfakultät 1365 bis 1497 (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Klasse, 247/2), Wien 1965. 34
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eigenen Schutz mitbedenken sollte, daß die meisten Studierenden der Artes Burschen im Alter zwischen 16 und 18 Jahren und ihre Magistri und Professores auch nicht viel älter waren. Welche Kompetenzen brachten sie von der Universität mit? Wem nutzten Lateinkenntnisse, rhetorische Praxis für Briefe und Urkunden, aristotelische Logik und Beweisführung, Memortechniken und Disputationskünste? War das der Grund dafür, daß so wenige Landesherren und Städte, nicht einmal in ihren unteren Verwaltungsebenen, so wenig Bedarf anmeldeten? War das der Grund, weshalb es im Reich mit der Professionalisierung bis nach 1500 relativ schleppend voranging, weil es lange Zeit noch an etablierter Anerkennung fehlte und gerade im Artistenfeld sich gelehrte Experten und Nichtexperten die wenigen Positionen noch streitig machten, selbst beim größten Abnehmer, der deutschen Kirche39? Die relativ geringe Zahl der Juristen muß freilich ebenfalls ins Auge stechen, von Theologen und Medizinern gar nicht zu reden40. Die genannten 10 bis 15 Prozent betreffen gerade | einmal die großen 245 Universitäten des Reiches: Köln, Löwen und Erfurt, die sich auch legistische Lehrstühle leisteten41. Doch die übergroße Mehrheit der deutschen Juristen waren Kirchenrechtler. Was soll man davon halten, 39 Zur Lage jetzt mit wichtigen neuen Erkenntnissen Beat Immenhauser, Bildungswege (Anm. 3), Kap. III. Christian Hesse, Amtsträger der Fürsten im spätmittelalterlichen Reich. Die Funktionselite der unteren Verwaltungsebene in Bayern-Landshut, Hessen, Sachsen und Württemberg, 1400–1515 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 73), Göttingen 2005. Ders., Landesherrliche Amtsträger – Artisten im Beruf, in: Artisten und Philosophen (Anm. 36), S. 25–51. Ders., Verwaltungspersonal und Verwaltungspraxis. Die Territorien Hessen und Württemberg, in: Sozialdisziplinierung – Verfahren – Bürokraten. Entstehung und Entwicklung der modernen Verwaltung, hg. von Ulrich Pfister u.a., Basel 1999, S. 29–41. Ders., Qualifikation durch Studium? Die Bedeutung des Universitätsbesuchs in der lokalen Verwaltung spätmittelalterlicher Territorien im Alten Reich, in: Sozialer Aufstieg. Funktionseliten im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit. Büdinger Forschungen zur Sozialgeschichte 2000 und 2001, hg. von Günther Schulz, München 2002, S. 243–268. Ders., Die Universität Erfurt und die Verwaltung der Landgrafschaft Hessen im Spätmittelalter, in: Personen der Geschichte (Anm. 2), S. 269–284. Rainer Christoph Schwinges, Zur Professionalisierung gelehrter Tätigkeit im deutschen Spätmittelalter, in: Recht und Verfassung im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, Teil II, hg. von Hartmut Boockmann/Ludger Grenzmann u. a., Göttingen 2001, S. 473–493, auch in diesem Band. Klaus Wriedt, Studium und Tätigkeitsfelder der Artisten im späten Mittelalter, in: Artisten und Philosophen (Anm. 36), S. 9–24. 40 Christian Hesse, Die Promovierten (Anm. 35). Jürgen Miethke, Karrierechancen eines Theologiestudiums im späteren Mittelalter, in: Gelehrte im Reich (Anm. 2), S. 181–209, 194ff. Markus Bernhardt, Gelehrte Mediziner (Anm. 33), S. 118ff. Jürg Nydegger, Die medizinischen Fakultäten im alten Reich und ihre Absolventen zwischen 1400 und 1550. Eine Untersuchung zu Studium und Karriere gelehrter Mediziner (Phil.-hist. Lizentiatsarbeit), Bern 2004. 41 Vgl. Rainer Christoph Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (Anm. 20), S. 468–472. Robert Gramsch, Erfurter Juristen (Anm. 3), S. 81–87.
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daß eine der großen Universitäten, ausgerechnet das habsburgischkaisernahe Wien bis 1519 ausschließlich Kanonisten beschäftigte und ausbildete, mithin nach italienischen Maßstäben asinistae42? Die Rechtshistorie scheint die unterstellte Selbstverständlichkeit zu beruhigen, daß Kanonisten legistische Kenntnisse hatten und umgekehrt Legisten auch im Kirchenrecht bewandert sein sollten43. Ich möchte nicht mißverstanden werden und die “Eselsmetapher” nicht allzu ernst nehmen, denn das Kirchenrecht war und blieb ein außerordentlich wichtiger Ausbildungs- und Wissensbereich, selbst noch in nichtkatholischen deutschen Universitäten und Landesstaaten nach der Reformation, da man auch hier auf das bewährte, überdies weltweit bekannte kanonische Prozeßrecht nicht verzichten wollte44. Dennoch steht die Frage weiterhin im Raum, warum sich die Verhältnisse nördlich und südlich der Alpen so anders entwickelten? Eine der Antworten könnte möglicherweise in den unterschiedlichen Finanzierungs- und Beschäftigungsverhältnissen liegen. Wenn fast das gesamte gelehrte Personal der deutschen Universitäten von kirchlichen Pfründen lebte und rund zwei Drittel aller Universitätsbesucher und Absolventen als Kleriker einen “kirchlichen Arbeitgeber” hatten, dagegen die Kirche in Italien bei der Finanzierung von Universitäten und vielfach laikalem Personal nur eine marginale Rolle spielte, die Hauptrolle gehörte den Kommunen, dann liegen diese Unterschiede auf der Hand und steuerten vielleicht auch die stärkere Neigung zu kanonistischen Studien im Reich mit. Hier stünde dann, etwas überspitzt gesagt, eine “klerikale” einer “kommunalen” Welt gegenüber – mit entsprechenden Folgen45. Siehe oben Anm. 11. Beat Immenhauser, Wiener Juristen. Studien zur Sozialgeschichte der Juristen an der Universität Wien von 1402 bis 1519 (Phil.-hist. Lizentiatsarbeit), Bern 1996. Ders., Wiener Juristen. Zur Sozialgeschichte der juristischen Besucherschaft der Universität Wien von 1402 bis 1519, in: Mitteilungen der Österreichischen Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte 17, 1997, S. 61–102. 43 Interessante Aspekte dazu im Tagungsbericht: ‘Stagnation oder Fortschritt? Das allgemeine Kirchenrecht im 14. und 15. Jahrhundert. Historiker und Juristen im Gespräch’, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 83, 2003, S. 453–460. 44 Karl-Heinz Burmeister, Studium der Rechte (Anm. 11), S. 90ff. Bernd Kannowski, Umgestaltung (Anm. 11), dem ich abermals für freundliche Auskünfte bestens danke. 45 Treffende Überlegungen in diesem Zusammenhang bei Helmut G. Walther, Die Anfänge des Rechtsstudiums und die kommunale Welt Italiens im Hochmittelalter, in: Schulen und Studium (Anm. 13), S. 121–162, bes. 160f. Zum Finanzierungsaspekt jetzt: Rainer Christoph Schwinges (Hg.), Finanzierung von Universität und Wissenschaft in Vergangenheit und Gegenwart (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 6), Basel 2005 (u.a. der Beitrag von Andrea Romano). 42
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| Freilich kommt hinzu, daß die heimische Graduiertenquote mit 246 drei bis acht Prozent sehr niedrig gewesen ist46, denn wer auf sich hielt und es sich leisten konnte unter den künftigen deutschen Rechtsgelehrten, ließ sich im Ausland promovieren, darunter ein Großteil jener deutschen Fürstenjuristen, die Ingrid Männl in 190 Jahren zwischen 1250 und 1440 auf 825 Köpfe gebracht hat47. Kürzlich hat Robert Gramsch 773 Juristen des 15. Jahrhunderts ausfindig gemacht, deren Lebensweg irgendwann und irgendwie einmal Erfurt berührte, ein Teil davon ist mit den Männl’schen Juristen identisch48. Und Peter Moraw konnte im höfischen Umkreis der römisch-deutschen Könige von Rudolf von Habsburg bis zu Friedrich III., also über rund 200 Jahre hinweg aufsummiert, 230 Juristen benennen, wovon sich allerdings viele wiederum unter den bereits Genannten befinden. Immerhin ließ sich eine Entwicklung entdecken, denn Kaiser Friedrich beschäftigte schon sechsmal mehr Juristen als König Rudolf 49. Was für das Reich, isoliert betrachtet, einen positiven Effekt signalisieren mag, verliert allerdings gleich wieder an Glanz im europäischen Vergleich: Ich setze nur einmal ohne weiteren Kommentar die oben genannten Zahlen neben jene promovierter französischer Juristen, die mit 3 879 allein in den 18 Jahren des Pontifikats Johannes XXII. (1316–1334) an der Kurie zu Avignon bekannt geworden sind, darunter 1 255 Zivilrechtler. Diese Zahlen ließen Jacques Verger schon fragen, ob un âge d’or des légistes angebrochen sei50. Und wir fragen weiter, ob
RAG-Erfahrungen und Literatur, künftig Christian Hesse, Promovierte (Anm. 35). Ingrid Männl, Die Gelehrten Juristen im Dienst der deutschen Fürsten im späten Mittelalter (1250–1440), Diss. phil. Giessen 1987. Dies., Die gelehrten Juristen im Dienst der Territorialherren im Norden und Nordosten des Reiches von 1250 bis 1440, in: Gelehrte im Reich (Anm. 2), S. 269–290. Dies., Gelehrte Juristen im Dienst der deutschen Territorialherren am Beispiel von Kurmainz (1250–1440), in: Recht und Verfassung im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, Teil I (Anm. 11), S. 185–198. 48 Robert Gramsch, Erfurter Juristen (Anm. 3), mit 715 biographischen Skizzen. 49 Peter Moraw, Gelehrte Juristen im Dienst der deutschen Könige des späten Mittelalters (1273–1493), in: Die Rolle der Juristen bei der Entstehung des modernen Staates, hg. von Roman Schnur, Berlin 1986, S. 77–147. Ergänzungen bei Paul-Joachim Heinig, Gelehrte Juristen im Dienst der römisch-deutschen Könige des 15. Jahrhunderts, in: Recht und Verfassung im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, Teil I (Anm. 11), S. 167–184. Ders., Kaiser Friedrich III. (1440–1493). Hof, Regierung und Politik, 3 Teile, Köln/Weimar/Wien 1997. 50 Louis Caillet/Jean Gaudemet, La Papauté d’Avignon et l’Eglise de France. La politique bénéficiale du Pape Jean XXII en France 1316–1334 (Publications de l’Université de Rouen. Série juridique 27), Paris 1975. Jacques Verger, Les gens de savoir (Anm. 2), S. 115–133. Peter Moraw, Deutsche und europäische Gelehrte (Anm. 2), S. 253f. Ders., 46 47
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solche Diskrepanz auch noch am Ende des Mittelalters der Grund vielleicht dafür gewesen ist, daß das Reich von außen als “Artistenland” und eben nicht als “Juristenland” wahrgenommen wurde, somit etwa bei der Vergabe von Europas Spitzenpositionen in der Kirche nicht gut mithalten konnte? Wo kaum gelehrte Kardinäle waren, da mag Nikolaus 247 von Kues als Persönlichkeit noch so bedeutend gewesen sein, konnte | auch kein Reichsangehöriger mehr Papst werden. Erst Adrian Boejens d’Edel schaffte es 1522 wieder als Hadrian VI., zugleich für lange Zeit der letzte nichtitalienische Papst. Doch gerade er, trotz seiner Portierung durch Kaiser Karl V., ist ein völlig untypisches Beispiel. Als geborener Niederländer aus Utrecht, gelehrter Theologe der Universität Löwen, stammte er aus der ohnehin nach Westen orientierten Übergangszone des Rheins, die in der Wirtschafts- wie in der Gelehrtenwelt immer wieder ein “Innovationsraum” gewesen ist51. Die soziale Perspektive Was die deutschen Fakultäten trennte, war nicht allein die fachliche Verschiedenheit, sondern auch und vor allem die damit kombinierte soziale Ungleichheit. Im deutschen “Vier-Fakultäten-Zwang” und vor dem Hintergrund eines stark regionalisierten Systems kam sie viel schärfer zum Ausdruck als in den anderen europäischen Universitätstypen. Den vielen Artisten mitsamt Theologen und Medizinern stand die kleine, aber vornehme Gruppe der domini juristae gegenüber. Der Adel und andere Statushalter, die vielen Honorierten und Protegierten und die Spitzen der oberen Mittelschicht trafen sich hier in einem relativ exklusiven Zirkel. Dem Massenmilieu der Artisten gehörten als typisch deutsches Problem auch die sogenannten pauperes an, arme Hungerleider in einem Ausmaß, welches die Zahl der Rechtsstudenten sämtlicher deutscher Universitäten des gesamten 15. Jahrhunderts glatt übertraf 52.
Der Lebensweg der Studenten, in: Geschichte der Universität in Europa I (Anm. 18), S. 225–254, 236–240. 51 Über ihn Lexikon für Theologie und Kirche 4, 1960, Sp. 1309. 52 Rainer Christoph Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (Anm. 20), S. 341–465, bes. 447, 454f., 468f. Zusammenfassend ders., On recruitment (Anm. 30), S. 41–46. Hilde de Ridder-Symoens, Rich men, poor men: Social stratification and social representation at the university (13th–16th centuries), in: Showing status. Representation of social positions in the late middle ages, hg. von Wim Blockman/Antheun Janse (Medieval Texts and Cultures of Northern Europe 2), Turnhout 1999, S. 159–175. Siehe auch Christoph Fuchs,
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Im Übrigen folgte auch das Reich mitsamt Universitäten und Gelehrten den bekannten gesellschaftlichen Regeln. Ausschlaggebend waren oft die Beziehungsnetze, die Bindungen an Herren und Familien, an Freundschaften und Landsmannschaften, an Haus- und Tischgenossenschaften. Brüder, Söhne und Neffen, Freunde und Landsleute wurden in aller Selbstverständlichkeit anderen vorgezogen und auf verschiedenen Ebenen von Status und Gradus vom Papst bis zum Kaufmann kräftig protegiert. Persönliches Können, | Karrierewillen und Förderung durch 248 Lehrer waren in diese Verhältnisse eingebunden. Akademische Grade konnten durchaus berücksichtigt werden, im Reich naturgemäß bereits auf der unteren Stufe des baccalarius artium, in Italien nahm man freilich erst den Lizentiaten oder Doktor zur Kenntnis53. Doch hier wie dort konnte die familiäre Herkunft bzw. die soziale Qualität der Standesgeburt jederzeit jede Graduierung überlagern. Bei aller Ungleichheit im Einzelnen gab es jedoch eine unmißverständliche Zweiteilung in solche Personen, die “schon jemand waren”, und solche, die “nichts oder noch nichts waren”. Viele Magistri und höhere Fachstudenten bzw. graduierte Gelehrte gehörten lange Zeit der ersten Kategorie von zeitgenössisch sogenannten statum tenentes an, was Karriereabsichten ziemlich relativiert und vielmehr an allgemeine Bildungsabsichten denken läßt. Von oft sozial gehobener städtischer Herkunft konnte dieser Kreis von zumeist Juristen und Medizinern bereits vor oder während des Studiums Wirkung entfalten: in städtischen Diensten, in Hofdiensten, in Universitätslaufbahnen oder zumeist in Ämtern in der Kirche, typischerweise oft auch in zwei und mehr Parallelexistenzen. Erst allmählich veränderte sich die Situation zu einer fast modern anmutenden Aufeinanderfolge von “Karriereschritten”, vom Universitätsstudium bis hin zu einer Berufstätigkeit. Erwartungsgemäß waren auch hierin Personen aus den großen urbanen Räumen Oberitaliens und Frankreichs in Zeit und Sache weit vorangeschritten, und wiederum erwartungsgemäß folgten im westlichen Übergangsraum
Dives, Pauper, Nobilis, Magister, Frater, Clericus. Sozialgeschichtliche Untersuchungen über Heidelberger Universitätsbesucher des Spätmittelalters (1386–1450) (Education and society in the Middle Ages and Renaissance 5), Leiden 1995. Hebeisen/Schmid, De Zusato (Anm. 33). 53 Vgl. Agostino Sottili, Eine Postille zum artistischen Curriculum der italienischen Universitäten im Vergleich zur mitteleuropäischen Artistenfakultät, in: Artisten und Philosophen (Anm. 36), S. 405–459. Suse Baeriswyl, Akzeptanz der Grade. Die Antwort der Gesellschaft bis 1550, dargestellt am Beispiel der Markgrafen von Ansbach und Kurfürsten von Brandenburg, in: Examen, Titel, Promotionen (Anm. 35).
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des Reiches am frühesten die Niederländer und Rheinländer vor 1450. Die Personenkreise hatten sich dabei freilich nicht verändert. Wirklich mithalten konnte auch hier nur die soziale Spitze54. Sozial determiniert waren indessen nicht nur die realen Positionen, sondern auch die Wunschvorstellungen, die Hoffnungen und Chancen auf mögliche Karrieren. Wer bereits einen hohen Rang bekleidete, erhob auch als Gelehrter höherrangige Forderungen. Das wird weniger überraschen als der umgekehrte Fall, der aber genauso zutrifft. Wer von geringerer sozialer Herkunft war, forderte weniger und bekam auch weniger und durchlief mithin einen Lebensweg von geringerer sozialer Spannweite. Dies ist im Pfründengebäude der Kirche bzw. im Supplikenwesen am besten zu beobachten, und gegen Ende des Mittel249 alters | auch im Bestallungswesen territorialer Amtsträger55. Mit aller Schärfe muß man zumindest für das alte Reich formulieren, gerade heute in einem Zeitalter der postulierten Bildungschancen für alle, wer keinen Stand hatte, erhielt auch keinen, jedenfalls nicht durch bloße akademische Bildung und Gelehrtendasein. Aufstiegschancen vermehrten sich nur entlang der sozialen Stufenleiter, was für die oft gestellte Frage nach der sozialen Relevanz gelehrter Bildung zu einer sehr differenziert abgestuften Aussage zwingt. Aus der Perspektive des großen Konstanzer Bistums, eines für deutsche Verhältnisse um 1500 bereits hoch akademisierten Raumes, unterscheidet jetzt Beat Immenhauser “professionalen und sozialen Aufstieg”. Das ist neu in der Diskussion und hilft ein ganzes Stück weiter. “Professionalen Aufstieg” gab es sehr wohl und gar nicht selten innerhalb festumrissener Tätigkeitsfelder, zum Beispiel vom Schulgehilfen zum
54 Rainer Christoph Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (Anm. 20), S. 375–424. Ders., Karrieremuster: Zur sozialen Rolle der Gelehrten im Reich des 14. bis 16. Jahrhunderts, in: Gelehrte im Reich (Anm. 2), S. 11–22. Ders., Professionalisierung (Anm. 39), S. 484ff. Beat Immenhauser, Bildungswege (Anm. 3). Hilde de Ridder-Symoens, Milieu social, études universitaires et carrière des conseillers au Conseil de Brabant 1430–1600, in: Recht en Instellingen in de Oude Nederlanden tijdens de Middeleeuwen en de Nieuwe Tijd. Liber Amicorum Jan Buntinx (Symbolae Facultatis Litterarum et Philosophiae Lovaniensis, Series A 10), Leuven 1981, S. 257–301. 55 Siehe Jürg Schmutz, Erfolg oder Misserfolg? Die Supplikenrotuli der Universitäten Köln und Heidelberg 1389–1425 als Instrumente der Studienfinanzierung, in: Zeitschrift für Historische Forschung 23, 1996, S. 145–167. Rotuli Parisienses. Supplications to the Pope from the University of Paris, Vol. II, hg. von William J. Courtenay/Eric D. Goddard (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 15), Leiden 2004, S. 3–9. Christian Hesse, Amtsträger (Anm. 39). Ders., Amt und Pfründe. Geistliche in der hessischen Landesverwaltung, in: Geist, Gesellschaft, Kirche im 13.–16. Jahrhundert, hg. von František Šmahel (Colloquia Medievalia Pragensia 1), Prag 1999, S. 263–277.
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Schulunternehmer, wobei auch die Promotion, vor allem zum Bakkalar und Magister der Artes zunehmend ein Kriterium wurde. “Sozialer Aufstieg” durch Universitätsbildung war dagegen nur sehr selten und nur in persönlich gebundenen Fällen zu belegen und fand überdies so gut wie ausschließlich im traditionellen Rahmen der römischen Kirche statt. Gelehrte Bildung wurde erst ein Kriterium der nachfolgenden Generationen, gewissermaßen zur Bestätigung des Erreichten, was früh schon das Entstehen von “Bildungsdynastien” befördern konnte56. *
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Aus fünf Perspektiven ist versucht worden, die Position des Reiches im gelehrten Europa anzudeuten, und gewiß wurden dabei mehr Fragen hinterlassen als Antworten. Ich vermag dies beim jetzigen Stand der Forschung nicht zu ändern, muß sogar noch einen weiteren Aspekt hinzufügen, der sich hinter den erwähnten Prozentzahlen der deutschen Artisten, Juristen, Theologen und Mediziner verbirgt. Es ist dies paradoxerweise ein höchst erfreulicher, zugleich aber auch höchst gefährlicher Aspekt. Denn nirgendwo sonst in Europa kann man auf empirisch bestens gesicherter Grundlage so viel über so viele gelehrte Personen in Erfahrung bringen wie gerade im Reich. An der Spitze von rund 300 000 Universitätsbesuchern aus 17 Universitäten standen schätzungsweise 35 000 graduierte Gelehrte, Magister, Bakkalare, Lizentiaten und Doktoren. Daß man solche Zahlen | nennen kann, 250 hängt fundamental mit der vorzüglichen “deutschen” universitären Quellenlage zusammen, von der man im übrigen Europa nur träumen kann57. Genau das ist aber ein großes Problem. Weil man kaum Vergleichszahlen ermitteln kann, läuft man Gefahr, die deutschen Gelehrtenverhältnisse total zu überschätzen und die wirklichen Defizite gegenüber dem Westen und dem Süden nicht ernsthaft genug zu nehmen, diese vielmehr nun ihrerseits zu unterschätzen. Bleibt wenigstens für das Reich zu hoffen, daß die 35 000 Gelehrten, die einmal das oben
56 Beat Immenhauser, Bildungswege (Anm. 3), Kap. IV, S. 372ff. Dazu auch Jacques Verger, Les études facteurs de mobilité en Europe à la fin du Moyen Age, in: Europa im späten Mittelalter. Politik – Gesellschaft – Kultur, hg. von Rainer Christoph Schwinges/Christian Hesse/Peter Moraw (Historische Zeitschrift, Beiheft 40), München 2006. 57 Siehe den Überblick bei Jacques Paquet, Les matricules universitaires (Typologie des sources du moyen âge occidental 65), Turnhout 1992. Rainer Christoph Schwinges, Acta Promotionum I: Die Promotionsdokumente europäischer Universitäten des späten Mittelalters, in: Examen, Titel, Promotionen (Anm. 35).
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genannte Repertorium Academicum Germanicum (RAG) ausfüllen sollen, sich um 1500 als Reich und Gesellschaft mitgestaltende Persönlichkeiten ausgewiesen und damit erheblich zu deren Veränderung beigetragen haben werden, obwohl es dann immer noch heißen könnte, in Italien zum Beispiel sei “alles ganz anders” gewesen58. Und in der Tat, für das Mittelalter war Italiens Vorsprung kaum aufzuholen. Der oberitalienischen Städtelandschaft mit ihrem innovativen, exportorientierten Wirtschaftsraum, in dem auch die florierenden Universitäten, vor allem die Juristen- und Mediziner-Universitäten lagen, war bis auf weiteres nichts entgegenzusetzen. Bildung und Ausbildung folgten der Wirtschaft, in Italien wie im Reich, doch offenbar in jeweils angemessenen, unterschiedlichen Dimensionen. Zu den Abbildungen Abb. 1: München, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Abt. III Geheimes Hausarchiv, Handschrift 12, fol. 3v. (Deutscher Gelehrtentyp 1: Dietmar Treisa von Fritzlar, Doctor decretorum von Heidelberg, Professor des Kirchenrechts in Heidelberg, u.a. Domherr und Domdekan in Worms, 1394–1445 im Raum Heidelberg belegt. Portraitartige Darstellung durch den Juristen und Pfarrer von Bacharach, Dr. Winand von Steeg, vgl.: Aloys Schmidt/Hermann Heimpel, Winand von Steeg (1371–1453), ein mittelrheinischer Gelehrter und Künstler und die Bilderhandschrift über Zollfreiheit des Bacharacher Pfarrweins auf dem Thein aus dem Jahr 1426 (Bayerische Akademie der Wissenschaften, phil-hist. Klasse, Abhandlungen, Neue Folge 81), München 1977, S. 111f.). Abb. 2: München, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Abt. III Geheimes Hausarchiv, Handschrift 12, fol. 6v. (Deutscher Gelehrtentyp 2: Nikolaus Krebs von Kues, Doctor decretorum von Pavia, Professor des Kirchenrechts in Köln, Bischof von Brixen, Kardinal, gest. 1464. Portraitartige Darstellung durch den Juristen und Pfarrer von Bacharach, Dr. Winand von Steeg, vgl.: Schmidt/Heimpel, wie Abb. 1, S. 121). Abb. 3: München, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Abt. III Geheimes Hausarchiv, Handschrift 12, fol. 8r. (Deutsche Gelehrtentypen 3: Job
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Bonmot von Agostino Sottili (1997), siehe: Artisten und Philosophen (Anm. 36),
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Vener von Schwäbisch Gmünd, Doctor utriusque iuris in Bologna, Professor der Rechte in Heidelberg, Rat und Diplomat König Ruprechts und Pfalzgraf Ludwigs, Strassburger Offizial, gest. 1447. Portraitartige Darstellung durch den Juristen und Pfarrer von Bacharach, Dr. Winand von Steeg, vgl.: Schmidt/Heimpel, wie Abb. 1, S. 115). Abb. 4: München, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Abt. III Geheimes Hausarchiv, Handschrift 12, fol. 8r. (Deutsche Gelehrtentypen 4: Johannes Kusch von Kulmbach, Licentiatus in jure canonico von Heidelberg, u.a. Generalvikar und Domherr in Augsburg, Chorherr und Dekan an St. Stephan zu Bamberg, gest. 1462. Portraitartige Darstellung durch den Juristen und Pfarrer von Bacharach, Dr. Winand von Steeg, vgl.: Schmidt/Heimpel, wie Abb. 1, S. 116).
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DIE ARTISTENFAKULTÄT UND IHRE BAKKALARE 1392–1521* In Erfurt wie überhaupt in der deutschen Universität des Mittelalters war die Artistenfakultät die bei weitem größte. Hier konzentrierten sich 80 und mehr Prozent aller Universitätsbesucher in exklusiver Weise. Nur eine Minderheit studierte in den drei übrigen Fakultäten (Theologie, Rechte, Medizin), teils in direktem Zutritt, teils in Fortsetzung des Artistenstudiums, was aber erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, soweit es Juristen und Mediziner betraf, regelmäßiger zu beobachten war. Trotz dieser erdrückenden Überzahl, mit der die Artisten nach außen hin das Milieu einer jeden Universität prägten, besaßen sie innenpolitisch in der deutschen Universität von Anfang an nur wenig Einfluß. Das hatte in Erfurt ebenso wie andernorts im Wesentlichen drei Gründe: institutionelle, soziale und fachliche1. Artisten in der Universität Die deutsche Vier-Fakultäten-Universität entstand durch die politisch gewollte Zwangsvereinigung jener fraternitates oder facultates, die anderswo in Europa als Juristen- oder Mediziner-Artisten-Universitäten (Typ Bologna) eigenständige Verbände mit höchst unterschiedlichen Interessen blieben oder trotz vorhandener Viererform vor allem doch Artisten-
* In: Das Bakkalarenregister der Artistenfakultät der Universität Erfurt 1392–1521, hg. von Rainer Christoph Schwinges und Klaus Wriedt (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Grosse Reihe 3), Jena/Stuttgart: Gustav Fischer 1995, S. XXII–XXXVIII. 1 Zum folgenden und allgemein zu diesem Kapitel: Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jh. Studien zur Sozialgeschichte des Alten Reiches, Stuttgart 1986, besonders S. 465–486; ders., Le Università nei territori dell’Impero, in: Gian-Paolo Brizzi und Jacques Verger (Hgg.), Le università dell’ Europa. La nascita delle università, Mailand 1990, S. 221–255; ders., Rektorwahlen: Ein Beitrag zur Verfassungs-, Sozialund Universitätsgeschichte des alten Reiches im 15. Jh., Sigmaringen 1991, S. 27–63; ders., Der Student in der Universität, in: Walter Rüegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa, Bd. 1: Mittelalter, München 1993, S. 181–223, hier S. 195ff.
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Theologen-Universitäten waren (Typ Paris). Zwar mißglückte der erste Versuch auf Reichsboden, insofern sich 1372 die Prager Juristen von den Theologen-Artisten-Medizinern wieder trennten und eine separate Institution formierten; doch haben die politischen Träger der Universitäten, Landesfürsten und städtische Obrigkeiten, solche Situationen nie wieder zugelassen. Die ‘Massenfakultät’ der Artisten mit ihren Magistern, Bakkalaren und Scholaren wurde jetzt anders als in Paris, wo sie die Gesamtuniversität dominierte und allein den Rektor stellte, zugunsten der im Wortsinne oberen Fakultäten politisch an den Rand gedrängt. Geführt wurde die Vier-Fakultäten-Universität schließlich im Interesse von Landesherren und Obrigkeit von Theologen und vor allem von Juristen, was sich nach 1450 besonders deutlich abzuzeichnen begann und das Funktionieren dieses deutschen Universitätstyps auf Dauer sicherte. Gleichwohl blieben die Unterschiede zwischen den Fakultäten gravierend, bisweilen sogar spannungsvoll, und erlangten im inneren wie äußeren Leben der Universität verschiedene Ausdrucksformen. 23 | Die politisch gebändigten Spannungen und Differenzen beruhten schlicht auf sozialer Ungleichheit, auf bleibenden Barrieren zwischen den Fakultäten. Man unterschied sich nachhaltig und folgenreich im sozialen Gefüge und in der Dichte der sozialen Beziehungen. Zusammengefügt hatte man völlig verschiedene Welten: hier die in der Regel vornehmen, herrschaftsnahen und adelsverwandten Juristen aus weltlicher und kirchlicher Oberschicht, die einen elitären, kaum durchlässigen Kreis bildeten und mit den Artisten auch studienhalber wenig in Berührung kamen, dort alle diejenigen, die das nicht waren, Theologen, Mediziner und vor allem Artisten. Zwar räumten die akademischen Rangordnungen den Theologen der höheren Ehre Gottes wegen den Vortritt bei allen Versammlungen ein, doch ein wirklich durchsetzungsfähiges Prestige besaßen nur die Juristen. Am stärksten war die Distanz gegenüber dem ‘Massenmilieu’ der Artesfakultät, geprägt von großen sozialen Schwankungen, diffuser Herkunft und dem vergleichsweise höchsten Stand an Armut und Randständigkeit. Davon besonders betroffen waren die frequenzstarken Universitäten; doch anders als Wien, Leipzig, Köln oder Löwen hat Erfurt das soziale Problem anscheinend geringer halten können oder zumindest nicht öffentlich werden lassen. Eine strenge Gebührenpolitik (nulli parcere) grenzte von vornherein aus, und in der Tat haben sich Studierwillige in ihrem Immatrikulations- oder Migrationsverhalten danach gerichtet. Das vornehme Klima der stark juristisch geprägten Universität, das
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Erfurt nach 1450 als einzige nördliche Hochschule in den Kreis der süddeutschen Adelsuniversitäten brachte, tat ein Übriges2. Die Stellung der Artistenfakultät als unterer Fakultät ergab sich auch daraus, daß sich die Lehrkräfte um die zumeist jugendlichen Universitätsbesucher bemühten, im Alter etwa zwischen 14 und 22 Jahren; Artistenprofessoren waren in der Regel zugleich Magister- und Fachstudenten der oberen Fakultäten. Gelehrt wurden die seit der Spätantike sogenannten septem artes liberales, eingeteilt in die Fächer des Trivium (Grammatik, Rhetorik, Dialektik bzw. Logik) und des Quadrivium (Arithmetik, Geometrie, Musik, Astronomie). Der Lehrplan war überall der gleiche, wenn er auch nicht in allen Universitäten und Fakultäten mit gleicher Intensität, mit gleichen Lehrbüchern und in der ganzen Fülle des Programms umgesetzt wurde. So konnte das Angebotsniveau erheblichen Schwankungen unterworfen sein, ebenso freilich wie das Studierniveau, da die mittelalterliche Universität so gut wie keine Zulassungsbedingungen kannte. Die Spanne der Lehrtätigkeit reichte folglich von der Nachhilfe im Lateinischen und anderen Propaedeutica bis hin zum gehobenen philosophischen Diskurs über aristotelische Logik oder zu mathematischen Spezialveranstaltungen und gegen Ende des Zeitalters bis zur humanistischen Poetik. Diese fachliche Ausrichtung der Artistenfakultät sollte man jedoch nicht losgelöst von den institutionellen und sozialen Tatbeständen betrachten. So entgeht man der vielfach geäußerten Behauptung, die Artistenfakultät sei als untere zugleich die Eingangsfakultät gewesen, die dem Studenten gleichsam das Rüstzeug für die höheren Studien vermittelt hätte, so als hätte es in der mittelalterlichen Universität einen Instanzenzug der Ausbildung vom Eintritt in die Universität bis zur Doktorpromotion in einer der höheren Fakultäten gegeben. Für eine kleine Minderheit trifft dies zwar zu und wird in der Neuzeit zur Regel, aber schon die oben genannten Zahlen sprechen eine andere Sprache. Die übergroße Mehrheit der Besucher hat die mittelalterliche | 24 Universität nie anders erlebt denn als Artistenfakultät und hat auch nie, aus welchen Gründen auch immer, die Absicht oder das Vermögen gehabt, weiteren Studien zu obliegen. Gewiß ermunterte die 2 Johann Christian H. Weissenborn, (Hg.) Acten der Erfurter Universität (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete VIII, Bd. I) Halle 1881– 1899 (Ndr. 1976), S. 12; Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 450–457.
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Universität schon aus akademischem Selbstverständnis statutenöffentlich zu Promotionen3, doch die Realität war noch zu Beginn der Neuzeit eine andere. Diese Gesamtsituation der Artistenfakultät gilt es ernst nehmen, unbehindert vom ‘Unten-Oben-Denken’, um ihre Leistung und die ihrer Besucher und Absolventen und mit ihnen die wichtigsten Ereignisse im Leben einer Fakultät, die Examina und Promotionen, in ihrer sozialen Bedeutung und gesellschaftlichen Wirkung richtig einzuordnen. Nicht zuletzt dazu sollte die künftige Interpretation des [Erfurter] Bakkalarenregisters beitragen. Studieren in Erfurt Die anfangs große, später abnehmende Mehrheit der Besucher einer Artistenfakultät studierte, ohne je einen Grad zu erwerben oder erwerben zu wollen. Dies war auch in Erfurt lange Zeit der Normalfall; erst für die Zeit um 1500, als in manchen Jahrgängen beinahe jeder Zweite den Grad eines baccalaureus oder baccalarius artium erwarb, wird man die Frage der Normalität noch einmal neu zu stellen haben. Simplices scholares, wie die Universität die Ungraduierten in akademischer Distanz nannte, waren deswegen weder typische Anfänger noch gar im modernen Sinne Studienabbrecher; vielen genügte es, auch was die Fortune des Lebens betrifft, dabeigewesen zu sein und im Anschluß an vielleicht vorgängige Lateinschulbildung den mittelalterlichen scientiae in Form vertiefter methodischer Argumentations- und Sprachschulung begegnet zu sein. Angesichts solcher Realitäten wird man bereits die Entscheidung zur Promotion auf die erste Stufe der akademischen Hierarchie, auf die eines Bakkalars der Künste, besonders bewerten müssen. Mit ihr erwarb man immerhin einen status in studio, auch wenn dieser für die weitaus meisten Personen zugleich der letzte gewesen ist. Der cursus in artibus vollzog sich in zwei Phasen, von denen jede durch Examina und Promotionen abgeschlossen wurde; die grundlegende erste Phase führte zum Grad des baccalarius, die intensivere zweite zum Grad des magister artium. Bakkalarianden absolvierten bis zum Ende der ersten Phase ein begrenztes Programm, daß sie dennoch befähigen sollte, die im Umgang mit den actus scholastici erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten zu beweisen und aufgeworfene Fragen zu determinieren,
3 Zusammenfassend Georg Kaufmann, Die Geschichte der deutschen Universitäten, Stuttgart 1896, hier: Bd. 2, S. 300–314.
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sie unter Leitung ihres Lehrers schulmäßig zu behandeln. Eineinhalb Jahre, drei Semester sollte man auch in Erfurt dieser Phase mindestens gewidmet haben; in der Praxis wurden es fast regelmäßig vier bis sechs Semester, aber auch erheblich längere Zeiten, bei vermutlich vielen Unterbrechungen, kamen relativ häufig vor, ebenso wie kürzere Fristen, wenn zuvor an einer anderen Universität anerkannt studiert worden war4. Die zweite Phase hätte nun unter ähnlichen Zeitbedingungen zum Magisterium führen können, jedoch war dieser Schritt auch in Erfurt nur einer Minderheit vorbehalten; bezogen auf den gesamten Zeitraum bis | 1521 zählte sie kaum vier Prozent der Universitätsbesucherschaft, 25 knapp 12 Prozent der Bakkalare5. Der gewöhnliche Erfurter Artesstudent und Bakkalariand hatte beim Eintritt in die Universität, falls er alle Rechte und Pflichten eines suppositum universitatis wahrzunehmen gedachte, dem Rektor den Immatrikulationseid geleistet, ihm und den Pedellen die vorgeschriebenen Gebühren, so gut es eben ging, entrichtet oder eine Stundung erlangt und war daraufhin in die Matrikel der Universität eingeschrieben worden. Er schloß sich einem Magister seiner Wahl an, lebte, schlief, betete, aß und arbeitete unter seiner Aufsicht entweder in einer der großen offiziellen Bursen der örtlichen Kollegien oder in einer der kleineren Privatbursen. Immer häufiger im Laufe des 15. Jahrhunderts brachte er privat oder schulisch erworbene Vorkenntnisse mit, die unter Leitung des Magisters vertieft, in Wiederholungen gefestigt oder, wo sie nicht ausreichten, in den sogenannten Pädagogien à jour gebracht wurden. Das Lehrprogramm war in den Statuten festgeschrieben und änderte sich nur gelegentlich durch deren Redaktionen oder auf besonderen Fakultätsbeschluß6. Das Hauptgewicht lag auf den Fächern des Trivium, zunächst vor allem auf der Grammatik, die üblicherweise nach den
4 Man kann dies alles dem edierten Bakkalaren- Register durch Vergleich der Immatrikulations- und Promotionszeiten leicht entnehmen. 5 Horst Rudolf Abe, Die Artistische Fakultät der Universität Erfurt im Spiegel ihrer Bakkalaurei- und Magisterpromotionen der Jahre 1392–1521, in: Beiträge zur Geschichte der Universität Erfurt 13 (1967), S. 33–90, hier: S. 52. Die Anmerkungen 2 des Editionskommentars weisen insgesamt 1247 Magister nach. 6 Weissenborn, Acten Erfurt (wie Anm. 2), Bd. 2, S. 134 § 60, S. 138 § 78, S. 143f. §§106ff. Dazu Abe, Artistische Fakultät (wie Anm. 4), S. 39–43. Erich Kleineidam, Universitas Studiis Effordensis. Überblick über die Geschichte der Universität Erfurt (Erfurter Theologische Studien 14, 22, 42), 3 Bde., Leipzig 1983–1992, hier: Bd. I, S. 240– 47, Bd. 2, S. 18ff. Zum Vergleich auch Friedrich Paulsen, Geschichte des gelehrten Unterrichts auf den deutschen Schulen und Universitäten vom Ausgang des Mittelalters zur Gegenwart, hg.von Rudolf Lehmann, Leipzig 31919, S. 35–40, sowie die Arbeiten von Clasen, Helssig, Kadenbach, Köstlin, Lorenz, Meuthen, Steiner und Uiblein.
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antiken Autoren Donatus (Ars minor, maior) und Priscianus (Institutiones grammaticae oder Priscianus minor, maior) sowie dem mittelalterlichen Systematiker Alexander de Villa Dei (Doctrinale) gelehrt wurde. Dabei ging es nicht nur ums Latein als der universitären Umgangs- und Gelehrtensprache, sondern über die praktischen Fertigkeiten hinaus um syntaktische, sprachlogische und bedeutungsanalytische Fragen. Breit angelegt war sodann die philosophisch-dialektische Beschäftigung mit den logischen Schriften des Aristoteles und ihren Kommentaren. Gleichsam kanonisches Gewicht besaßen in Erfurt die ars vetus, die nova logica mit den Elenchen und den beiden Analytiken ( prior und posterior), die parva logicalia sowie die Summulae logicales des Petrus Hispanus. Die Rhetorik spielte dagegen zunächst nur eine untergeordnete Rolle, wie auch sonst an spätmittelalterlichen Universitäten, scheint aber in Erfurt schon ab 1433 an Bedeutung gewonnen zu haben, als der Liber rhetoricalis videlicet Laborynthus examensrelevant in das Lehrprogramm aufgenommen wurde, lange bevor der Humanismus hier seinen Einfluß hinsichtlich einer gepflegten klassischen Sprache geltend machte. Immerhin förderte die Rhetorik Schriftlichkeit und Mündlichkeit und bot praktische Anleitungen für das Abfassen von Briefen, Urkunden, Abhandlungen, Reden und Predigten. Das Programm ergänzten schließlich Stoffe, die als solche bereits dem Quadrivium angehörten: des Aristoteles libri physici, sein naturphilosophischer Traktat De Anima sowie die astronomische Schrift De Sphera des Johannes de Sacrobosco. In der Frage der philosophisch-logischen Wege, der via antiqua oder via moderna, des Realismus oder Nominalismus, stritt man in Erfurt nicht wie anderswo, sondern war eher moderat, in der Methode entschieden modern, aber in der Sache offen, wofür schon die Gewichtung des Petrus Hispanus sprach. Wechsel zwischen Hochschulen alten und neuen 26 Weges waren daher in Erfurt kein Problem. Gelegentlich brach | sich der neue Weg allerdings auch in den Pflichtveranstaltungen des Bakkalariandenkursus Bahn, insofern die parva logicalia zwischen 1420 und ca. 1430 nach nominalistischen bzw. terministischen Autoren, Thomas Manlefelt, Richardus Billingham und Johannes de Hollandria zu lesen waren7; bis dann im Laufe der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts die via moderna energischer, und jetzt auch in ockhamistischer 7 Johannes Kadenbach, Zum Prüfungsstoff ad gradum baccalaureatus in artibus liberalibus an der Universität Erfurt nach der collectio von 1420, in: Scientia und ars im Hoch- und Spätmittelalter, hg. von Ingrid Craemer-Ruegenberg und Andreas Speer (Miscellanea Mediaevalia 22/2) Berlin/New York, S. 807–816.
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Tendenz beschritten wurde. Um 1500 herrschte in der Erfurter Fakultät unter Führung von Bartholomäus von Usingen und Jodocus Trutfetter von Eisenach ein klarer Nominalismus8. Der Stoff der Artes wurde zu Beginn der Kurse bücher- und kapitelweise auf die lesenden Magister verteilt, die prüfungswichtigen libri ordinarii auf die regentes, die übrigen libri extraordinarii auf die magistri non regentes oder auf Bakkalare im Magistrandenkurs. Vorlesungen, Disputationen und Übungen, die Hauptformen der Vermittlung, folgten diesem Muster9. In der Vorlesung las der Magister den ihm zugeteilten Text, der schon in einzelne Abschnitte ( puncta) gegliedert war, vor und erläuterte ihn Punkt für Punkt. Im Idealfall folgte man der Lesung am eigenen Text, den man käuflich erworben, abgeschrieben oder in besonderen Diktierstunden mitgeschrieben hatte, und notierte sich am Rande die erklärenden Glossen des Lehrers. Dienten die Vorlesungen dem Kennenlernen, Verstehen und Tradieren, so die Disputationen und Übungen dem Anwenden des Stoffes. Hier war die Scholastik in ihrem Element. Lehrer und Schüler übten sich im dialektischen Auflösen strittiger quaestiones, im Aufstellen von Thesen, Gegenthesen und Synthesen10. In nachmittäglichen, teils auch abendlichen Übungen und Wiederholungen memorierte man den Stoff und die Technik des schulgemäßen Distinguierens und Argumentierens, zumeist im Kreise der eigenen Magister- und Bursenfamilie. Hier übte man sich im Umgang mit Autoritäten, Kommentaren, scharfer Begrifflichkeit und rationaler Beweisführung und bei alledem selbstredend im ständigen Gebrauch des gelehrten Lateins, worauf gerade in Erfurt um 1468 nach einer Aussage Jakob Wimpfelings, der sich damals als Freiburger Bakkalar in die Artistenfakultät rezipieren ließ, ganz besonders geachtet wurde11.
Kleineidam, Universitas (wie Anm. 5), Bd. II, S. 138ff. Kaufmann, Deutsche Universitäten (wie Anm. 3) Bd. II, S. 323ff., 342ff.; Sönke Lorenz, Libri ordinarie legendi. Eine Skizze zum Lehrplan der europäischen Artistenfakultät um die Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert, in: Argumente und Zeugnisse, hg. von Wolfram Hogrebe (Studia philosophica et historica 5), Frankfurt/Bern/New York 1985, S. 204–258; Walter Rüegg (Hg.): Geschichte der Universität in Europa, 2 Bde., hier: Bd. I: Mittelalter, München 1993, S. 53ff., 294ff., 303ff. 10 Rüegg, Geschichte (wie Anm. 8); Jürgen Miethke, Die mittelalterlichen Universitäten und das gesprochene Wort (Schriften des Historischen Kollegs 23), München 1990, S. 1–44, hier: S. 30ff., 36ff. 11 Als Jacobus Coci de Sletstat zum Herbstexamen 1467, Bakkalarenregister Erfurt Nr. 156, 65. Zur Identität vgl. Kleineidam, Universitas (wie Anm. 5), Bd. II, S. 56f. mit Anm. 393. 8 9
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Wer sich zum Bakkalarexamen meldete, wußte genau, daß er ein von der Fakultät ausgewähltes und klar umrissenes Quantum an Vorlesungen und Übungen nachzuweisen hatte. Mit der Verteilung der Bücher auf die Magister wurden auch die examensnotwendigen, sogenannten Pro-forma-Lehrveranstaltungen festgelegt. Sie zu absolvieren, genügte, wenngleich es gern gesehen wurde, daß man auch jene, die non pro forma gehalten wurden, besuchte. Im Sommersemester 1489 zum Beispiel verkündete die Fakultät folgende Prüfungsanforderungen betreffend Lectiones ac exercicia gradum baccalaureatus concernentia12: In grammatica: Donatum a venerabili viro magistro Vdalrico Brakel de Brunswyck (Ehrenformel und Namen bleiben künftig beiseite), secundam partem Alexandri . . ., Priscianum . . . In loyca: 27 Petrum Hispanum, Parua loycalia, Priorum,| Posteriorum, Veterem artem, Elencorum . . . In Rhetorica: Laborintum . . . In astronomia: Sperum materialem . . . In phisica: Phisicorum ultimos quattuor libros . . ., primos quattuor libros . . . De anima . . . Stetit in exerciciis cum venerabilibus magistris subscriptis: In exerciciis Phisicorum, Noue loyce, Veteris artis, De anima, Paruorum loycalium, Petri Hispani . . . Bestimmte Abschnitte ( puncta) dieser Bücher des Pflichtkanons waren dabei besonders gefragt. Die Bakkalarexamina fanden in Erfurt zunächst zweimal jährlich statt, an Frühjahrs- und Herbstterminen, zu Beginn der Fastenzeit und in den Tagen des Michaelsfestes. Seit 1457 trat ein Sommertermin hinzu, nach dem Fronleichnamsfest im Juni, eine direkte Folge der stark gestiegenen Universitätsbesucher- und Absolventenzahlen. Nach den anhaltenden Frequenzverlusten des ausgehenden 15. Jahrhunderts kehrte man jedoch 1506 zu den beiden ursprünglichen Terminen zurück. Jedes Examen war in eine Abfolge von Schritten gegliedert, die in den Statuten genau umrissen sind, aber wie üblich im praktischen Leben, in gewissem Umfang zur Disposition stehen konnten13. Zu jedem Termin forderte der Dekan durch Anschlag an der Tür des Großen Kollegs die Kandidaten auf, sich dort auf der stuba facultatis anzumelden und sich in die ‘Meldelisten’ (nicht erhalten) zu intitulieren. Nun schritt die Fakultät zur Wahl der vier Examinatoren, die zusammen mit dem Dekan und unter seinem Vorsitz die Prüfungskommission bildeten. Sie hatte zwar letztlich zu entscheiden, doch wurde über die Zulassung jedes einzelnen zu Examen und Promotion in der Vollversammlung der Magister beraten.
Zitiert nach Kadenbach, Prüfungsstoff (wie Anm. 7), S. 814. Dazu Abe und Kleineidam (wie Anm. 6) sowie die Arbeiten von Horn und Boehm. 12
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Für die von ihren betreuenden Magistern der Versammlung präsentierten Kandidaten galt es, zwei Runden (circuli) zu überstehen: Man überprüfte zunächst, ob sich der Kandidat in allen Belangen statutengerecht verhalten habe, ob er immatrikuliertes Mitglied der Universität sei, einen ordentlichen Lebenswandel geführt, alle Gebühren und Honorare gezahlt und alle Vorlesungen, Disputationen und Übungen pro forma regelmäßig absolviert habe, worüber sogar schriftliche Erklärungen abgegeben wurden. Entsprach alles den formalen Bedingungen oder war hier und da Dispens erteilt worden, so wurde der Kandidat eine Woche darauf zur zweiten Runde, zum eigentlichen Examen zugelassen. Beginnend mit grammatica und den parva logicalia hatte er nun Wissen und Fertigkeiten in allen vorgeschriebenen Fächern der Artes zu beweisen. Fiel auch hier die censura positiv aus, stand der Promotion zum Baccalarius artium nichts mehr im Wege. Dabei wurde jedem ein bestimmter Platz (locus) in der Reihung der novelli baccalarii zugewiesen, und die so Lozierten wurden registriert. Ausschlaggebend für den Platz in der Reihenfolge, der für den Zeitpunkt weiteren Aufstiegs in der akademischen Hierarchie durchaus folgenreich sein konnte, waren jedoch keineswegs nur die Prüfungsleistungen, sondern vor allem formale und soziale Kriterien wie Immatrikulationsdatum, Lebensalter, Patronage, Rang und Stand. Man wird also unter den Erstlozierten nicht etwa die jeweils Besten erwarten dürfen. So sind mit großer Regelmäßigkeit Standespersonen aus dem Adel und dem hohen Dom- und Kollegiatstiftsklerus anderen deutlich vorgezogen worden; das gleiche gilt oft für Ordensleute und Priester. Die mittelalterliche Universität, erst recht eine ‘Adelsuniversität’ wie Erfurt, war gewohnt, Standesrücksichten zu nehmen und so | zu prä- 28 ferieren, wie es die umgebende Gesellschaft nicht anders erwartete. Mehr als 130 Adelige jeden Ranges, weltlichen und geistlichen Standes sind auf diese Weise im Erfurter Bakkalarenregister ehrenvoll auf die vorderen Plätze loziert worden. Ein gelegentliches Abweichen von dieser Regel, vor allem nach 1500, läßt sich dabei kaum angemessen beurteilen, wenn es sich nicht schlicht um einen Nachtrag gehandelt hat14.
14 Zur Lozierung Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 355– 361. Vgl. auch Bakkalarenregister Erfurt Kapitel 2, S. XIII–XVIII. Ein noch sehr vermehrbares Verzeichnis adeliger Erfurter Bakkalare bietet J. Gr. von Oeynhausen, Verzeichniss der Edelleute, welche auf der Universität Erfurt des BacchalaureatsExamen bestanden haben, in: Der deutsche Herold, Zeitschrift für Heraldik, Sphragistik und Genealogie 6 (1875).
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Anders als in der ersten war das Überstehen der zweiten Runde so gut wie nie ein ernsthaftes Problem, weder in Erfurt noch andernorts. Das Erfurter Bakkalarenregister weist für den gesamten Zeitraum von 1392 bis 1521 gerade einmal 22 non promoti aus, 0,2 Prozent der Bakkalare. Es besteht kein Anlaß zu glauben, man habe in diesem Punkte besonders nachlässig registriert, obgleich natürlich Vorbehalte gemacht werden müssen. Und nicht einmal diese wenigen Personen wird man als Durchgefallene bezeichnen können; sie sind trotz Examens nur nicht promoviert worden – aus den verschiedensten Gründen, worunter Krankheit und Pesttod eine nicht geringe Rolle spielen können. So ist das Register auch strenggenommen kein Promotionsdokument, wenigstens in den Jahrzehnten vor 1500, sondern ein Verzeichnis der zur Promotion ad gradum baccalaureatus Zugelassenen, wobei diese admissi bereits loziert waren, da man von der nur noch formalen Promotion durch den Dekan keine Änderungen mehr zu befürchten brauchte. Unterblieb sie, setzte man das non promotus einfach zum Namen. Gegenüber Köln oder Wien zum Beispiel hatte man sich damit in Erfurt eine weitere Registrierung erspart15. Der formalisierte Lehrplan und die ständige Kontrolle durch die Betreuer in den Magisterfamilien und Bursen leiteten systematisch zum Erfolg; ein Versagen war nicht vorgesehen. Gleichwohl gab es gute und schlechte Examensleistungen. Diese drückten sich dann in der Qualität der Zulassung aus, je nachdem, ob man simpliciter oder condicionaliter, ohne Auflagen oder nur unter bestimmten Bedingungen zur Promotion zugelassen wurde. Dabei mahnten Dekan und Examinatoren in ihrem Examensprotokoll (dispositio) zu mehr Sorgfalt oder größerem Fleiß oder setzten auch Fristen, bis wann mangelnde Kenntnisse auszugleichen wären. So notierte zum Beispiel der Dekan Johannes de Sundirshußen vermutlich anhand eines solchen Protokolls zum Herbstexamen 1436 in den Acta decanorum facultatis arcium16: Item tempore autumnali anno quo supra examinatae fuerunt 23 personae, quarum quindecim simpliciter erant admissae, aliae
Vgl. Bakkalarenregister Erfurt Kapitel 2; Erich Meuthen, Kölner Universitätsgeschichte, 3 Bde., hier: Bd. I: Die alte Universität, Köln/Wien 1988, S. 118; Paul Uiblein (Hg.), Acta Facultatis Artium Universitatis Vindobonensis (Wien) 1385–1416 (Publikationen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung Reihe 6, Abt. 2), Graz/Wien/Köln 1968, S. 60. 16 Zitiert nach Kleineidam, Universitas (wie Anm. 6), Bd. II, S. 245. 15
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autem modo subscripto etiam admissae sic videlicet quod studere debeant diligenter in audiendis lectionibus et exercitiis fructuosis ad unum annum. Mit acht von 23 Kandidaten war also die Prüfungskommission nicht zufrieden gewesen und hatte ein Nachstudium verordnet, was sie durchaus scharf zu überwachen gedachte und in der Tat auch vermochte17. Auf die Eintragung ins Bakkalarenregister und die Promotion wirkten sich solche Konditionen zwar nicht aus, wohl aber auf die Lozierung, insofern den simpliciter admissi offenbar der Vortritt gelassen werden mußte18, sowie auf den Abschluß des gesamten Verfahrens. | Dieses verlangte zum guten Ende noch die determinatio, die bei 29 bestimmten Auflagen jedoch hinausgeschoben werden mußte, im obigen Beispiel möglicherweise um ein Jahr. Anscheinend hat man sich in dieser Sache sehr engagiert, denn das Register verzeichnet nur sieben Personennamen (0,04 Prozent), auch hier natürlich unter dem Vorbehalt nachlässiger Aktenführung, die den Vermerk non determinavit tragen. Im übrigen gehörten bis auf einen alle Fälle, wie auch sämtliche non promoti, der zweiten Hälfte des 15. und den beiden ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts an, als man auch in Erfurt mit größeren Zahlen von Absolventen umzugehen hatte, deren Kontrolle jetzt wohl mehr Mühe machte als in den bescheideneren Jahrgängen vor 1450. Die abschließende Determination war eine öffentliche und soziale Angelegenheit. Die neuen Bakkalare determinierten jetzt vor Publikum unter ihren selbstgewählten Magistern, das heißt, sie bemühten sich, eine von diesen gestellte quaestio nach allen Regeln dialektischer Kunst zu lösen. Man sah darin gewissermaßen die Antrittsdisputation der Bakkalare, die damit zeigten, daß sie in der Lage waren, künftig selbständig zu handeln und nunmehr ihrerseits die im Studium Jüngeren zu unterrichten. War auch dies absolviert, konnte man ans Feiern denken und sich beim Promotionsschmaus neuen Herausforderungen gewachsen zeigen. Zuletzt stellte der Dekan dem novellus ein Studien- und Prüfungszeugnis aus und beglaubigte es mit dem Siegel der Fakultät19.
Ebd., S. 246. Im vorliegenden Bakkalarenregister allerdings nur für das Frühjahrexamen 1418 belegt (Nr. 46). Für Wien und Köln vgl. Uiblein, Studium (wie Anm. 14), S. 60; Meuthen, Alte Universität (wie Anm. 14), S. 118. 19 Kleineidam, Universitas (wie Anm. 20), Bd. II, S. 243 mit Beispiel; Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 297 mit Anm. 62, S. 360. 17 18
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Mit der Annahme des Grades hatten sich die neuen Bakkalare an sich verpflichtet, ihrer Fakultät noch für ein biennium, für eine zweijährige, meist jedoch kürzere Vorlesungszeit (in Wien z.B. nur für ein Jahr20) zur Verfügung zu stehen, während der sie die leichteren grammatischen Schriften und die kleine Logik lasen und dazu Übungen abhielten – freilich außerhalb der ordentlichen und in den vorlesungsfreien Zeiten der regierenden Magister. Eine kleine Minderheit von Bakkalarstudenten mochte sich dabei zum Magister weiterbilden21. Für die überwältigende Mehrheit war jedoch das Studium spätestens jetzt zu Ende, wenn nicht schon gleich im Anschluß an die Determination. Denn mehr und mehr im Laufe des 15. Jahrhunderts ersuchte man um Dispens. Sie wurde auch nicht ungern gewährt, zumal in den Blütezeiten der großen Universitäten allgemein nach 1450. Für viele Magister, vor allem für die jungen Biennisten und die noch unversorgten non regentes wurden lesende Bakkalare schließlich zu einer unliebsamen Konkurrenz um die Honorare der Schüler. Die Statuten der Artistenfakultät von 1449 geben bereits die deutliche Tendenz zu erkennen, die Tätigkeit der Bakkalare einzuschränken22. Wie auch immer, als Dispensierte, als Biennisten oder Bakkalarstudenten auf dem Wege zur Magisterpromotion, diese primi laureati, wie sie im humanistischen Sprachgewand hießen, traten nun mit ihren Kenntnissen und Fertigkeiten einer Gesellschaft gegenüber, die den 30 Bedarf dafür noch in keiner Weise erkennen ließ. Eine | spezifische Nachfrage oder Marktchance für die aus Fakultätssicht nur mittleren Kompetenzen unterhalb denen eines Meisters der freien Künste scheint es nicht gegeben zu haben, so wenig freilich wie für die anderen Stufen im akademischen Graduierungssystem. Für einen direkten Konnex zwischen Studium, graduierter Bildung und Berufstätigkeit waren die weithin unelastischen Arbeitsmärkte geistlicher wie weltlicher Herren noch kaum eingerichtet, weder im Erfurter Rekrutierungsraum noch in dem irgendeiner anderen deutschen Universität; ganz abgesehen davon, daß die Chancen auf diesen Märkten in einer spätmittelalterlichen Ständegesellschaft noch immer von der Qualität der sozialen
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Uiblein, Studium (wie Anm. 15), S. 69. Man findet sie in der Edition des Registers jeweils unter Anmerkung 2. Weissenborn, Acten Erfurt (wie Anm. 2), Bd. II, S. 141 §§ 98ff.
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Herkunft und des inner- wie außeruniversitären Beziehungsnetzes mitbestimmt wurden23. Wie die meisten Universitätsbesucher war auch der neue Bakkalar darauf angewiesen, Wissen und Fähigkeiten potentiellen Arbeitgebern anzubieten und deren Bedarf zu wecken – ob im heimatlichen Familienbetrieb, in Gewerbe und Kaufmannschaft, ob als Schullehrer oder Schulunternehmer, in der ‘akademischen Laufbahn’, in Hof- und Kirchendiensten, im kirchlichen Pfründensystem, ob auch in städtischen und territorialen Ämtern und Schreibstuben, in Verwaltungs- und Gerichtsdiensten. Es gehört wohl zu den wichtigsten Ereignissen der deutschen Bildungsgeschichte des Mittelalters, daß die Zahl derer, die auf unterschiedlichen Kompetenzstufen etwas anzubieten hatten, seit den ersten Universitätsgründungen des 14. Jahrhunderts in Prag, Wien, Heidelberg, Köln und Erfurt beträchtlich gestiegen war. Innerhalb weniger Jahrzehnte erlebten die deutschen Universitäten wiederholt große Wachstumsschübe. Bei jährlich 2500 bis 3000 neuen Universitätsbesuchern erzeugten sie bereits seit den siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts einen hohen Überschuß an akademisch Gebildeten, einen nie gekannten Angebotsdruck, zumal auch die Neigung zur Graduierung erheblich zugenommen hatte24. In Kenntnis nun auch der Erfurter Bakkalare wird eine künftige Forschung versuchen können, den Spuren dieses steigenden Drucks in den genannten Tätigkeitsfeldern oder auch darüber hinaus in einer der zentralen Landschaften des alten deutschen Reiches zu folgen. Die Erfurter Universität nahm in dieser Wachstumsgeschichte zwischen 1392 und 1521 einen herausragenden Platz ein. Jahrzehntelang gehörte sie zur Spitzengruppe der deutschen Hochschulen, wo sie über den gesamten Zeitraum hin gesehen die nach Wien besucherreichste Universität war25. Dies verdankte sie vor allem der Blütezeit der
23 Dazu z.B. Klaus Wriedt, Bürgertum und Studium in Norddeutschland während des Spätmittelalters, in: Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters, hg. von Johannes Fried (Vorträge und Forschungen 39), Sigmaringen 1986, S. 487–525, hier: 487ff.; Peter Moraw, Der Lebensweg der Studenten, in: Rüegg, Geschichte (wie Anm. 9), S. 225–254, hier S. 248–253. 24 Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 33ff., passim. 25 Horst Rudolf Abe, Die Frequenz der Universität Erfurt im Mittelalter (1392–1521), in: Beiträge zur Geschichte der Universität Erfurt 1, Erfurt 1956, S. 7–69, hier: S. 23f.; ders., Die frequentielle Bedeutung der Erfurter Universität im Rahmen des mittelalterlichen deutschen Hochschulwesens (1395–1521), in: Beiträge zur Geschichte der Universität Erfurt 2, Erfurt 1957, S. 29–57, hier: S. 33f.; Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 96ff., 545.
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fünfziger und sechziger Jahre (vgl. Abb. 1), die ein bemerkenswert hohes Frequenzniveau von durchschnittlich 350 jährlichen Immatrikulationen erbrachte. Mit Beginn der siebziger Jahre geriet Erfurts Wachstum jedoch ins Stocken; die immer noch bedeutende Frequenz reichte nicht mehr aus, den negativen Trend zu wenden, der von grundsätzlicher Richtung für die künftige Geschichte der Universität werden sollte. Immerhin nahm Erfurt bis in den Anfang des 16. Jahrhunderts noch den fünften Rang ein, hinter den neuen westlichen Zentren in Löwen und Köln, aber auch hinter den älteren in Leipzig und Wien. Ein wesentlicher Grund dafür war, daß Erfurts Einzugsbereich – eingeengt zwischen Köln und Leipzig, im Süden vor allem beschnitten durch Wien und 32 Ingolstadt – sich nicht überregional zu entwickeln | vermochte, sondern in der Regionalität vor allem von Thüringen, Hessen und Franken stecken blieb. Das jedoch heißt, ins Positive gewendet, daß diese Regionalität den großen frequentiellen Erfolg der mittelalterlichen Erfurter Universität in ganz erheblicher Weise getragen hat26. 2500
Anzahl Personen
Prozent
(Fünfjahressummen)
50
2000
40
1500
30
1000
20
500
10
0 1400
1420
1440
Anzahl Universitätsbesucher
1460
1480
1500
0 1520
Anzahl Bakkalare in Artibus
Bakkalare in Prozent der Universitätsbesucher Quellen der Daten: Bakkalarenregister; Schwinges, Universitätsbesucher, 541ff.; Weissenborn, Acten, Bd. 2
Abb. 1: Universitätsbesucher und Bakkalare in Artibus der Universität Erfurt 1400–1520. 26 Dazu Schwinges, Erfurts Universitätsbesucher im 15. Jahrhundert: Frequenz und räumliche Herkunft, in: Erfurt. Geschichte und Gegenwart, hg. von Ulman Weiß (Schriften des Vereins für Geschichte und Altertumskunde von Erfurt 2), Weimar 1995.
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An diesem Erfolg hatten Erfurts Bakkalare in artibus einen gewichtigen Anteil. Allein schon die längere Verweildauer an der Universität, das mehrheitlich zweijährige Studium und das möglicherweise anschließende biennium sorgten für eine gewisse Stabilität. In den 130 Jahren zwischen 1392 und 1521 sind in das Erfurter Register 10831 Personen eingetragen worden, um ganz genau zu sein, 10618 examinierte, promovierte und determinierte Bakkalare, denen sich noch 22 zwar examinierte, aber nicht promovierte und sieben examinierte und promovierte, aber nicht determinierte Personen sowie 184 von auswärtigen Universitäten rezipierte Bakkalare hinzugesellten. Dies entsprach einem Anteil von 30,2 Prozent an der Gesamtbesucherschaft im gleichen Zeitraum bzw. einem Anteil von 29,6 Prozent, wenn man allein die Erfurter Determinierten rechnen will27. Historisch wichtiger als solche Schnitte sind jedoch die einzelnen Entwicklungsstadien bzw. Wachstumsphasen innerhalb des hier zu beobachtenden Gesamtzeitraums. Im Großen und Ganzen folgte die Frequenz der Bakkalare der der Universitätsbesucher (Vgl. Abb. 1 mit Fünfjahressummen, die sich aufsummiert verstehen, z.B. für das Jahr 1400 von 1396 bis 1400 oder für das Jahr 1405 von 1401 bis 1405 usw.). Im Gegensatz zu den sehr oft beträchtlich schwankenden Besucherzahlen, eine Folge gebündelter positiver wie negativer Einflüsse aus Universität, Hochschulort und Umwelt, zeigten sich jedoch die Zahlen der Bakkalare weit weniger anfällig für Extreme. Eine jährliche Gegenüberstellung ließe dies naturgemäß noch besser erkennen als die pentadische, die indessen für die gegenwärtigen Zwecke ausreichen mag. Einmal am Universitätsort im Studium ließ man sich nicht so leicht durch äußere Einflüsse von der Meldung zum Examen ablenken; nur die wiederholten Pestwellen zwangen gelegentlich zu Verschiebungen, so besonders in den Jahren 1406, 1417, 1463/64, 1476, 1485, 1496, die jedoch rasch wieder ausgeglichen wurden. Erst die große Unsicherheit im Gefolge der Reformation und die Unruhen in Erfurt, Luthers Person betreffend, verbunden mit einem neuerlichen Ausbrechen der Pest im Jahre 1521, brachten wirklich ernsthafte Probleme mit sich und ließen die Fakultät fast daran verzweifeln, daß im Jahre 1522, am Ende der von uns beobachteten Periode, schon niemand mehr ein Examen ablegen wollte28.
27 Abe, Artistische Fakultät (wie Anm. 5), S. 52 mit Anm. 80, und Kleineidam, Universitas (wie Anm. 6), Bd. I, S. 227, geben abweichende Gesamtzahlen, die vermutlich auf Zählfehlern in der Originalhandschrift basieren. 28 Kleineidam, Universitas (wie Anm. 6), Bd. II, S. 265f.
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Bis dahin aber waren die Bakkalare in allen Wachstumsphasen präsent; deutlich ist zu bemerken, wie die herausragende Blütezeit des Erfurter Universitätsbesuchs zwischen den vierziger und siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts auch die Blütezeit der Promotionen war, freilich nicht nur unter angehenden Bakkalaren, sondern auch, wie den entsprechenden Verzeichnissen zu entnehmen ist, unter Magistern und Absolventen der höheren Fakultäten29. In dieser gut zwei Jahrzehnte 33 anhaltenden | Blütezeit wurden im Schnitt bei 350 Besuchern 150 Bakkalare in artibus pro Jahr kreiert, das war mehr als das Dreifache der ersten Erfolgsphase der zwanziger und dreißiger Jahre, als durchschnittlich 40 Personen bei rund 200 Immatrikulationen jährlich graduiert worden waren. Aufschlußreicher als die absoluten Zahlen sind freilich die prozentualen Anteile der Bakkalarspromotionen an der Gesamtzahl der Besucher Erfurts. Auch sie sind, ebenfalls auf Pentaden bezogen, in Abb. 1 dargestellt. Den an sich wünschbaren und korrekteren Vergleich mit der Gesamtzahl allein der Artisten lassen die Erfurter Quellen leider nicht zu. Zwar verliefen beide Trends begreiflicherweise in die gleiche Richtung, doch bemerkt man gelegentlich auffallende Gegenläufigkeiten, die zum einen durch die zwei- und mehrjährigen Verschiebungen zwischen Immatrikulations- und Promotionsdaten zustande kamen oder schlicht auf sinkenden Besucherfrequenzen beruhten, die logischerweise einen höheren Prozentsatz an Bakkalaren zur Folge hatten, Gegenläufigkeiten, die zum anderen aber auch durch die jeweils zeitgenössischen Gepflogenheiten, Grade zu erwerben oder nicht zu erwerben, durch Druck oder Abstinenz der betreuenden Magister- und Bursenfamilien und nicht zuletzt durch individuell bedingte Entscheidungen für oder gegen Examina verursacht sein mochten. So sieht man, daß die erste frequentielle Erfolgsphase Erfurts zwischen der Eröffnung und 1420 sich noch keineswegs ebenbürtig auf die Promotionsneigungen ausgewirkt hatte. Deren prozentualer Anstieg im zweiten Jahrzehnt war wohl im Wesentlichen nur dem Abschwung der Besucherfrequenz zu verdanken. Im Schnitt wurden in dieser Phase 13,3 Prozent der Besucher zu Bakkalaren der Künste ernannt. Ein anderes Bild bot dagegen schon die zweite Phase bis gegen 1450, die Erfurt nur ein relativ flaches Besucherwachstum von 9,4 Prozent gegenüber der ersten Phase bescherte, ein Wachstum eigentlich nur dank der vierziger Jahre; dafür stieg jedoch die Zahl der Promotionen überproportional an bei einem Schnitt von 22,8 und Spitzenwerten um 30 Prozent. Die 29
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dritte und für das mittelalterliche Erfurt wichtigste Wachstumsphase zwischen Jahrhundertmitte und den siebziger Jahren setzte diese Entwicklung verstärkt fort, sogar mit bedeutenderen Wachstumsraten als im Universitätsbesuch insgesamt. Gegenüber der zweiten Phase hatte sich die Zahl die Bakkalare mehr als verdoppelt, während die der Besucher nur um etwa die Hälfte zugenommen hatte. Mehr als jeder Dritte war in dieser Zeit graduiert worden (35,8%), bei Höchstwerten in den siebziger Jahren um 45 bis 48 Prozent. Damit schien jedoch für Erfurt die Obergrenze bereits erreicht zu sein. In der vierten und letzten mittelalterlichen Phase mit ihrer negativ gerichteten Besucherfrequenz erlangte man bis zur Jahrhundertwende gerade noch einen Anteil von 37 Prozent, der sich bis 1520 dann auf 33,2 Prozent absenken sollte. Immerhin kann festgehalten werden, daß die Erfurter Hochschule damit bei insgesamt freilich sinkender Personenzahl die Promotionsrate ihrer besten Zeit in etwa doch stabil gehalten hat. Was für Erfurt selbst eine Erfolgsgeschichte sein mag, relativiert sich allerdings im Kreise der zeitgenössischen deutschen Universitäten. Vergleichend bemerkt man sofort, daß Promotionserfolge unter Bakkalaren offenbar nichts mit der Größe der Universität oder Artistenfakultät zu tun hatten. Kleinere, vermeintlich überschaubare Universitäten, in denen die Magister die Neigungen der anwesenden Scholaren viel stärker hätten beeinflussen und ‘Promotionsdruck’ ausüben können, mußten deswegen keineswegs einen höheren Prozentsatz erzielen. So kam zum Beispiel die Universität Basel, die von Anfang an sogar über enge personale Beziehungen zu | Erfurt verfügte, für die Zeit von 1460 34 bis 1520 auf 27 Prozent, während Erfurt im gleichen Zeitraum 37 Prozent der Besucher graduierte. Anders war es im kleinen Tübingen zwischen 1477 und 1520; hier wurde fast jeder Zweite promoviert, in Erfurt erst jeder Dritte. Ähnlich deutlich waren die Unterschiede zur vergleichsweise mittelgroßen Heidelberger Universität während des 15. Jahrhunderts, noch dazu bei fast stagnierender Frequenz; im zweiten Jahrzehnt kam man dort auf 25 und zwischen 1450 und 1465 sogar auf über 40 Prozent, in Erfurt dagegen nur auf 16 bzw. 30 Prozent30. Wien, in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts immer vor Erfurt die
30 Nach Hans-Georg Wackernagel (Hg.), Die Matrikel der Universität Basel, 1460–1666, hier: Bd. I: Basel 1460–1529; vgl. Abe, Artistische Fakultät (wie Anm. 5), S. 58ff.; Werner Kuhn, Die Studenten der Universität Tübingen zwischen 1477 und 1534. Ihr Studium und ihre spätere Lebenseinstellung, Göppingen 1972, S. 32; Berta Scharnke, Über Zusammensetzung und soziale Verhältnisse der Heidelberger Universitätsangehörigen im 15. Jahrhundert, Diss. masch., Heidelberg 1921, S. 44.
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größte deutsche Universität, brachte es zwischen 1392 und 1415 auf 772 Artistenbakkalare, Erfurt auf 605; das waren 15,5 bzw. 11,9 Prozent der Besucher. Der Vorsprung hielt sich während des Jahrhunderts und lag am Ende bei nahezu 40 zu 35 Prozent31. Köln stieg nach 1450 zusammen mit Löwen zu den frequenzreichsten Universitäten im Reich auf, was sich hier offensichtlich auch auf die Zahl der Bakkalare auswirkte. In Köln wurden zwischen 1400 und 1500 im Durchschnitt 37 Prozent der Besucher zu Bakkalaren promoviert, so jedoch, daß im ausgehenden 15. und frühen 16. Jahrhundert die 50-Prozent-Marke schon überschritten wurde32; in Erfurt blieb man dagegen bei 29,4 und um die Jahrhundertwende bei 35 Prozent. Einzig im Vergleich zur benachbarten ähnlich großen Universität zu Leipzig sah die Bilanz einigermaßen ausgeglichen aus. Zwischen 1420 und 1450, bei nahezu gleicher Gesamtfrequenz, erzielten die Leipziger einen gewissen Vorsprung von 25 zu 22,8 Prozent, den sie auch zwischen 1450 und 1475 trotz der distanzierenden Wachstumsphase in Erfurt knapp mit 36,3 zu 35,8 Prozent halten konnten; erst in der folgenden Phase (bis 1505 gerechnet) kehrten sich die Verhältnisse mit 32,5 zu 37 Prozent ins Gegenteil, obgleich Leipzig in diesem Zeitraum einen bedeutend größeren Besucher- und Absolventengewinn verzeichnen konnte als die Nachbaruniversität in Thüringen33. Hier kann nicht der Ort sein, nicht zuletzt aus Mangel an geeigneten Vorarbeiten, nach den qualitativen Gründen für die auffallend unterschiedlichen Häufigkeiten im Promotionsverhalten zu fragen, insbesondere nach der im Kreise der deutschen Universitäten relativ starken Zurückhaltung einer so großen Universität wie Erfurt, zumal sich diese merkwürdige Beschränkung bei den Bakkalarianden noch weit drastischer auf dem Wege zum Magisterexamen fortsetzen sollte34. Sicher wird man auf universitätsinterne Faktoren ebenso achten müssen wie auf das äußere Umfeld, auf Sozialprofile und Anspruchsniveaus, Magisterzahl und Bursenkapazitäten, auf Lebenshaltungskosten und Finanzierbarkeit von Studium und Promotionen, auf groß- oder kleinstädtische, städtische oder ländliche Herkunft, Herrschafts- und KirUiblein, Studium (wie Anm. 15), S. 68f.; für die spätere Zeit nach Durchsicht der Wiener Acta Facultatis Artium. 32 Meuthen, Alte Universität (wie Anm. 15), S. 117. 33 Nach Georg Erler (Hg.), Die Matrikel der Universität Leipzig 1409–1559, (Codex Diplomaticus Saxonia Regiae, Teil II 16–18), 3 Bde., Leipzig 1895–1903, hier: Bd. I; vgl. Abe, Artistische Fakultät (wie Anm. 5), S. 60. 34 Ebd., S. 57f. 31
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cheneinflüsse und, kaum abzuschätzen, auf Wünsche und Erwartungen familiärer und persönlicher Art. Unter all diesen Faktoren dürfte jenes Bündel, das sich aus der Weite und der Qualität des Einzugsraumes der Universität ergibt, von einigem Gewicht gewesen sein. | Wie oben schon angedeutet, war Erfurts Einzugsraum mit Vor- und 35 Nachteilen auf eine bestimmte mittlere Regionalität festgelegt, die sich im Laufe des 15. Jahrhunderts vor allem aus der Konkurrenz zu Köln, Leipzig, Wien und Ingolstadt ergab. Das Grundgerüst stellte, wie bei einer thüringischen Universität nicht anders zu erwarten, innerhalb der deutschen Universitätslandschaften freilich in besonders herausragender Weise, die Mainzer Kirchenprovinz von Hildesheim bis Konstanz, von Halberstadt bis Straßburg. Nimmt man noch die östlichen Gebiete der Trierer und Kölner sowie die Bamberger Diözese hinzu, so hat man bereits jenes Raumgebilde zwischen Rhein und Elbe-Saale vor Augen, das bis ins frühe 16. Jahrhundert hinein zu 75 Prozent der Heimatraum der Erfurter Universitätsbesucher gewesen ist. In ihm, in der Mitte des Reiches, waren die entscheidenden Kernlandschaften, die zu allererst die Existenz der Universität sicherten, Thüringen, Hessen und Franken; mit großen Abstrichen folgten jeweils Erfurt zugewandte Gebiete in Westfalen und Niedersachsen, in der Pfalz, in Bayern und in BadenWürttemberg. Alles Übrige, darunter fast der gesamte Osten, lag auch im übertragenen Sinne ‘am Rande’, woran selbst alte und dauerhafte Beziehungen wie etwa die zum Niederrhein, nach Preußen-Livland, in den Hanseraum, ins Elsaß oder in die Schweiz nichts änderten35. Erfurts Blüte in den fünfziger bis siebziger Jahren verdankte sich nicht dem weiteren überregionalen Ausgreifen, wie das etwa in Köln der Fall war36, sondern vor allem dem Ausschöpfen der Kernlandschaften. Entscheidendes geschah dabei innerhalb des einmal abgesteckten Raumes: Um die Mitte des 15. Jahrhunderts war bereits deutlich zu spüren, wie sich das Schwergewicht der Rekrutierung in Nord-Süd-Richtung verlagerte. Zusammen mit Mainz formten nun die Diözese Würzburg, also Thüringen, Hessen und in Franken vor allem Unterfranken, bis zum Ende unseres Zeitraums das neue Zentrum eines Einzugsbereichs, der
35 Schwinges, Erfurts Universitätsbesucher (wie Anm. 25), passim; ders., Rektorwahlen (wie Anm. 1), S. 56ff.; Kleineidam, Universitas (wie Anm. 6), Bd. II, S. 341ff. Zu einzelnen Regionen und Orten vgl. auch Abe, Bibliographie zur Geschichte der Universität Erfurt (1392–1816) für die Jahre 1900–1990 (Sonderschriften der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt 16), Erfurt 1992, S. 83f. 36 Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 253ff.
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sich mit einiger Bedeutung nur noch aus dem Süden und Südwesten heraus ergänzte, aus den Bistümern Bamberg, Augsburg, Konstanz, Straßburg, Speyer und Trier. Als einzige frequenzreiche Verbindung zu nördlichen Räumen blieb lediglich das Nachbarbistum Halberstadt bestehen. Das Ausschöpfen der Kernlandschaften und ihrer südlichen Peripherie stieß zwar bald an seine Grenzen, was an der sinkenden Frequenz seit dem Ausgang der siebziger Jahre deutlich zu bemerken war, doch blieb es bis zum Ende unseres Zeitraums immer noch bei großen Zahlen, und diese waren um 1500 zu mehr als 50 Prozent allein den Regionen Thüringen, Hessen und Franken zu verdanken. Mit Fug und Recht wird man von einer wichtigen deutschen Bildungslandschaft sprechen dürfen, in der sich auch hier vor allem die kleinen Städte (bis 2000 Einwohner) als Herkunftsorte Universitätsgebildeter besonders auszeichneten37. Dies alles gilt im Großen und Ganzen, ohne einer genaueren Analyse vorzugreifen, auch für die Herkunft der Bakkalare. Das der Edition beigefügte Ortsregister, das erste seiner Art in der Erfurter Universitätsgeschichte, mag als Orientierung dienen. Man wird freilich besondere räumliche und lokale Schwerpunkte beobachten können, andere räumliche Konzentrationen in Relation zur Herkunft der Universitätsbesucher allgemein, gewisse Eigenheiten, zum Teil mit bursalen und kollegialen Hintergründen, die bestimmten landsmannschaftlichen Gruppen- und 36 | Magisterbindungen folgen oder aus der politischen, geistlichen und sozialen Beschaffenheit der Heimatorte resultieren mochten. In solchen Zusammenhängen haben selbst die Randgebiete, trotz der auch für Bakkalare absoluten Dominanz des Kernraums und insbesondere des nahen Umlandes der Universitätsstadt, einen durchaus beachtlichen Platz. Vergleichsweise promotionsfreudig waren so zum Beispiel Schlesier bzw. Breslauer und Erzgebirgler, Niederrheiner und Niederdeutsche aus dem Raum zwischen Münster, Osnabrück und Lüneburg, Personen
37 Horst Rudolf Abe, Die Rolle der Universität Erfurt in der thüringischen und hessischen Bildungsgeschichte vom 14. bis zm 16. Jahrhundert, in: Hessen und Thüringen. Von den Anfängen bis zur Reformation. Eine Ausstellung des Landes Hessen (Katalog), Marburg 1992, S.54–57, hier: 54ff.; Rainer Christoph Schwinges, Franken in der deutschen Universitätslandschaft des späten Mittelalters, in: Die Universität in der Welt. Die Welt in der Universität. Referate des 20. interdisziplinären Colloquiums im Zentralinstitut, hg. von Hanns-Albert Steger und Hans Hopfinger (Schriften des Zentralinstituts für fränkische Landeskunde und allgemeine Regionalforschung an der Universität Erlangen-Nürnberg 33), Neustadt an der Aisch 1994, S. 1–26, hier: S. 13ff., auch in diesem Band.
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aus dem Aachener Raum, aus Lothringen, vom Oberrhein oder aus der Schweiz. Unterstrichen wird die besondere Räumlichkeit auch durch die in Erfurt rezipierten Bakkalare anderer Universitäten. Deren Anzahl im Bakkalarenregister ist zwar mit 184 unter 10831 Personen zwischen 1392 und 1521 recht gering (1,7%), sie ist jedoch im Vergleich zu der in der Rektoratsmatrikel die verläßlichere Zahl, die entsprechende Schlüsse zuläßt, auch wenn nicht alle in der Matrikel verzeichneten fremden Bakkalare ins Register eingetragen worden sind38. Dies kann man ohnehin nicht erwarten, da sich keinesfalls jeder immatrikulierte fremde Bakkalar oder sonstwie Promovierte zugleich rezipieren lassen mußte. Auffallenderweise lagen die Herkunftsorte der Rezipierten vor wie nach 1450 fast durchweg im angestammten Erfurter Einzugsraum, zumindest aber in Zwischen- und Übergangszonen, die sich die Universitäten von Zeit zu Zeit zu teilen hatten, nicht zuletzt, wenn persönliche Beziehungen die üblichen regionalen Bindungen überlagerten. So partizipierten zum Beispiel Erfurt und Rostock am Hanseraum, Erfurt, Rostock und Köln am Raum Westfalen, Erfurt, Leipzig, Wien und Ingolstadt an Franken und Schwaben, Erfurt und Heidelberg und später auch Mainz an Hessen, Pfalz, Baden und Elsaß, Erfurt, Leipzig und schließlich Wittenberg am thüringischen Kernraum. Aus dem Blickwinkel der Rezipierten war Erfurt bzw. die Erfurter Artistenfakultät mehr oder weniger stark mit fast allen Universitäten des Reiches verbunden, mit den älteren so gut wie mit den jüngeren. Nach absoluten Zahlen (42 von 184, darunter zwei nur wahrscheinliche Prager Bakkalare) war Prag der Spitzenreiter und nach den Sezessionsereignissen von 1409 begreiflicherweise zugleich ein Sonderfall. Prager Bakkalare, die sich in Erfurt rezipieren ließen – zum Herbst 1411 geschah dies in der Person des Johannes Sweriin ein letztes Mal – befanden sich ohnehin in der überwiegenden Mehrheit so wie die meisten Angehörigen der Prager Sächsischen Nation auf dem Rückweg in ihre mittel- und niederdeutschen Heimatregionen, für die dann Erfurt neben Leipzig und Rostock eines der neuen akademischen Zentren werden sollte. Läßt man Prag einmal beiseite und konzentriert sich auf den Gesamtzeitraum bis 1521 (Basis: 142 Rezipierte), so bemerkt man ein keineswegs zufälliges, sondern überaus plausibles Gefüge
38 So wie sich auch in umgekehrter Richtung einige Nachweislücken ergeben; Abe, Artistische Fakultät (wie Anm. 5), S. 61f. und Bakkalarenregister Erfurt Kapitel 2.
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von Austauschkanälen zwischen Erfurt und der deutschen Universitäts- bzw. Artistenlandschaft. Am engsten vollzog sich der Austausch in der Nähe, in regionaler Konsequenz zwischen den benachbarten Universitäten von Erfurt und Leipzig, wo bereits gut jeder Vierte seinen Grad erworben hatte (26%). Mit deutlichem Abstand und schwindender Beziehungsnähe folgten unter den älteren Universitäten Rostock (14,1%), Heidelberg (12%), Köln (10,6%) und Wien (8,5%), während die jüngeren in dieser Jahrhundertsichtweise naturgemäß noch 37 mit drei bis vier Prozent zurückstanden. | Genaueres ergäbe sich aus einer getrennten Betrachtung der beiden Zeiträume vor und nach der sogenannten zweiten Gründungswelle seit 1456/60, worauf hier nur kursorisch aufmerksam gemacht werden kann. Bemerkenswerterweise – der Prager Sonderfall bleibt wiederum unberücksichtigt – wurden im ersten Zeitraum (Basis: 61 von 142 Personen) die meisten Bakkalare aus der Rostocker Universität rezipiert (27,9%), an deren Gründung und Anfangserfolgen Erfurt als ‚Mutteruniversität‘ erheblichen Anteil hatte, ganz abgesehen davon, daß sich die Einzugsgebiete im nördlichen Hanseraum noch deutlich überschnitten. Obwohl ein bis drei Jahrzehnte älter, belegten Heidelberg (22,9%), Leipzig (21,3%), Wien (14,7%), Köln (8,2%) und die allerdings kurzlebige Universität zu Würzburg (Einzelfall) nur die weiteren Plätze. Diese Situation war bereits beim Austausch auf der höheren Ebene der Artistenmagister sowie der Theologen, Juristen und Mediziner aufgefallen, wonach Wiens und insbesondere Kölns personelle Kontakte zu Erfurt ebenfalls als relativ schwach beurteilt wurden39. Das gleiche gilt für Paris, von wo nur wenige Magister kamen, zumeist noch über Köln, und gerade einmal zwei Bakkalare norddeutscher Herkunft rezipiert worden sind; Paris stand in Erfurt ganz und gar im Schatten Prags40. Anders als oft unter den vielen Artes-Scholaren scheint man also schon auf der ersten Promotionsstufe die künftigen Austauschpräferenzen festgelegt zu haben. Dies machte sich im zweiten Zeitraum nach 1456 (Basis: 81 Personen von 142), in dem die Rezeption im Übrigen auch insgesamt analog zur Besucher- und Graduiertenentwicklung angestiegen war, ganz besonders bemerkbar. Am dichtesten erwiesen sich nun die Kontakte zum nahen Leipzig, allein 30 Prozent der rezipierten Bakkalare waren dort promoviert worden, während Heidelberg
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Kleineidam, Universitas (wie Anm. 6), Bd. I, S. 56–62. Ebd., S. 61f.
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und Wien und selbst Rostock mit je drei Fällen (3,7%) fast völlig in den Hintergrund traten. Von den älteren Universitäten hielt lediglich Köln mit 12,3 Prozent noch Kontakt, vor allem seit den neunziger Jahren des 15. Jahrhunderts, wofür sowohl der Erfurter Humanismus, die rheinisch-westfälischen Beziehungen zum Erfurter Collegium Amplonianum als auch gemeinsame Rekrutierungsinteressen in Franken, vor allem in der Diözese Würzburg verantwortlich gewesen sein mögen41. Demgegenüber stammte beinahe die Hälfte aller fremden Bakkalare des ausgehenden 15. und frühen 16. Jahrhunderts aus den jüngeren, zumeist südlich gelegenen Universitäten, aus Basel und Freiburg, Ingolstadt und Tübingen, aus der zweiten Landesuniversität zu Mainz sowie am Ende auch aus Wittenberg, wobei sich keine der Universitäten besonders hervortat, sondern ziemlich gleichrangig 6,2 bis 7,4 Prozent der Rezipierten stellte. Von Anfang an gediehen die Beziehungen zu diesen neuen Universitäten, zumal viele Erfurter Gelehrte gründen und eröffnen halfen und neue Bindungen aufbauten42. Es paßt dabei nur zu gut ins Bild, daß sich der Erfurter Einzugsbereich nach 1450, wie oben schon angesprochen, auf Kosten des Nordens ohnehin nach Süden verlagerte und dieser Raum sein Gewicht nun auch bei der Rezeption von Bakkalaren geltend machte, selbst wenn die einzelnen Universitäten dieses insgesamt enger gewordenen Rekrutierungsraumes nur jeweils kleine Kontingente zu stellen vermochten. Bei dieser Konzentration auf Leipzig und die süddeutschen Universitäten ist es im Übrigen kein Wunder, daß die Austauschkanäle zum Rande des Einzugsbereichs hin zumindest auf Bakkalarenebene | sehr rasch ver- 38 siegten, wovon schon Rostock, Wien und Heidelberg betroffen waren, ebenso wie im Westen Löwen und Trier mit Einzelfällen und im Osten Greifswald und Frankfurt an der Oder, woher so gut wie niemand den Weg nach Erfurt gefunden zu haben scheint; nur Krakau war einmal zum Frühjahrstermin 1487 mit einem freilich aus Würzburg stammenden Bakkalaren vertreten43. Hochschulwechsel hatten im zeitgenössischen Universitätsleben keinen hohen Stellenwert. Mobilität und Reisen über die eine, zumeist heimische Universität hinaus kam für die große Mehrheit (75 bis 86 Prozent) der spätmittealterlichen Universitätsbesucher nicht infrage. Schwinges, Franken (wie Anm. 37), S. 18f. Kleineidam, Universitas (wie Anm. 5), Bd. I, S. 166ff., 176ff.; II, S. 121ff., 170ff. 43 Zu Ergänzungen aus der Rektoratsmatrikel (z.B. für Frankfurt und Krakau, aber nicht für Greifswald) vgl. Abe, Artistische Fakultät (wie Anm. 5), S. 62. 41 42
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Bildungsreisen galten als Herrenverhalten44. Solche Tatsachen unterstreichen die insgesamt sehr geringen Zahlen der rezipierten Bakkalare in drastischer Weise. Dies hat mit der Unvollständigkeit des Registers nichts zu tun, denn auch gelegentliche Ergänzungen aus der Rektoratsmatrikel würden das Bild nicht verändern. Die Entscheidung zur Promotion senkte offensichtlich die Bereitschaft zum Hochschulwechsel um ein Vielfaches, schon nach dem Bakkalariat, und noch einmal überaus deutlich nach dem Erwerb des Magistergrades45. Wer in den deutschen Universitäten des späten Mittelalters akademische Stufen erklimmen und vielleicht akademische Karrieren anstreben wollte, tat gut daran, am Ort zu bleiben. Auswärtige Konkurrenz sah man nicht gern46. Hier blieb auch in Erfurt bereits auf der Stufe der Bakkalare die Artistenfakultät lieber unter sich, um in der eigenen Klientel in der Mitte des alten Reiches eine freilich großräumige Wirkung zu entfalten.
Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 428–432 u.ö. Vgl. die ergänzte, insgesamt aber spärliche Aufstellung der Bakkalare und Magister bei Abe, Artistische Fakultät (wie Anm. 5), S. 62. 46 Kleineidam, Universitas (wie Anm. 6), Bd. I, S. 58; Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 1), S. 414, passim; ders., Rektorwahlen (wie Anm. 1), S. 39. 44 45
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Abb. 2: Registrum baccalariorum de facultate arcium universitatis studii Erfordensis existencium fol. 9r, Beginn der Aufzeichnungen [1392/93], Stadtarchiv Erfurt.
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Abb. 3: Registrum baccalariorum de facultate arcium universitatis studii Erfordensis existencium fol. 63v, Dekanat (Nr. 242), des Magisters Conradus Wydelinck Erffurdensis, Herbst 1496, Stadtarchiv Erfurt.
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Abb. 4: Registrum baccalariorum de facultate arcium universitatis studii Erfordensis existencium fol. 73r, Dekanate (Nr. 268/69) des Magisters Henricus Leonis de Bercka, Sommer und Herbst 1505, Stadtarchiv Erfurt.
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Abb. 5: Registrum baccalariorum de facultate arcium universitatis studii Erfordensis existencium fol. 90r, Dekanat (Nr. 298), des Lizentiaten der Theologie Ludovicus Platz de Melsungen, Frühjahr 1520, mit der Landesfürstin und Patronin St. Elisabeth, Stadtarchiv Erfurt.
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INNOVATIONSRÄUME UND UNIVERSITÄTEN IN DER ÄLTEREN DEUTSCHEN VORMODERNE* Bei Forschungen zur älteren Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte, zur politischen Regionalgeschichte oder auch zur Migrationsgeschichte bürgerlicher Berufsleute ist man immer wieder konfrontiert mit der langfristigen Existenz von Vorsprungs- oder Führungslandschaften, in denen Wissen und Fertigkeiten verschiedenster Art offenbar rascher rezipiert und umgesetzt worden sind als in anderen Räumen Europas, namentlich des alten, römisch-deutschen Reiches des 14. bis 16. Jahrhunderts und seiner höchst unterschiedlich entwickelten Regionen1. Ausgehend von der Tatsache, dass das von Menschen neu erworbene, angewendete und verbreitete Wissen zu jeder Zeit raumwirksam und raumverändernd gewesen ist, kann man solche Vorsprungslandschaften auch als Innovationsräume verstehen. Um diese zu identifizieren, bedarf es einer Reihe von Indikatoren. Vier von ihnen – entsprechende Wissensbereiche – haben sich dabei als die wichtigsten und zeitstabilsten erwiesen, zumindest für die ältere Vormoderne: Universitätsbesuch und Verbreitung von Wissen im Sinne wissenschaftlich-universitärer Bildung, Entwicklung einer modernen Verwaltung in den fürstlichen Landesstaaten und in den Städten des alten Reiches, Entstehung und Ausbreitung der Gewerbewirtschaft auch jenseits der Leitgewerbe aus der Tuch- und Metallwarenherstellung, natürlich im Zusammenhang mit den Finanzmärkten, sowie die Entfaltung des allgemeinen Verkehrs- und Kommunikationswesens. Wo diese vier zusammentrafen, wo sich – räumlich gedacht – Bildungslandschaften, Verwaltungslandschaften, Gewerbelandschaften überlagerten und auch Verkehrsverbindungen sich günstig entwickelten, da scheinen Innovationsräume gelegen zu
* In: Rainer Christoph Schwinges, Paul Messerli und Tamara Münger (Hg.), Innovationsräume. Woher das Neue kommt – in Vergangenheit und Gegenwart, Zürich: vdf Hochschulverlag AG 2001, S. 31–44. 1 Als Beispiele: Peter Moraw, Regionen und Reich im späten Mittelalter, in: Mattheus, Michael (Hg.) 1997: Regionen und Föderalismus, Stuttgart, S. 9–29; Rainer Christoph Schwinges (Hg.), Neubürger im späten Mittelalter, Berlin 2000; ders., Migration und Austausch: Studentenwanderungen im Deutschen Reich des späten Mittelalters, in: Gerhard Jaritz und Albert Müller (Hg.), Migration in der Feudalgesellschaft, Frankfurt/New York 1988, S. 141–155, auch in diesem Band.
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haben, das heisst, sie lagen dort, wo sich Personen als Innovationsträger in den genannten Wissensbereichen räumlich konzentrierten und ihr Wissen in verschiedenen Berufsfeldern nachdrücklich umsetzten2. Unter 32 Beachtung der verschiedenen Wissensbereiche möchte ich | in diesem Beitrag jedoch denjenigen herausgreifen, den ich langfristig für ausserordentlich wichtig und ständig innovativ halte, den des universitären Wissens beziehungsweise der Bildung und Ausbildung an Universitäten. Ich möchte sogar vermuten, dass dieser Bereich der wichtigste war, den die ältere Vormoderne unter dem Gesichtspunkt des Tagungsthemas der Moderne mitgegeben hat. Zunächst sei von der Entstehung der Universitäten und dann von den Folgen dieses Ereignisses die Rede. Die Universitäten, auf die man sich heute noch beruft, sind genuine, innovative Leistungen der urbanen und kommunalen Welt des lateinisch geprägten westeuropäischen Mittelalters. Sie entstanden um 1200 und sind entgegen vielfacher Behauptung ohne jeden Vorläufer im antiken oder islamischen Raum. Stichworte wie Bevölkerungsvermehrung, Mobilität, Urbanisierung, Verkehrswirtschaft kennzeichnen die äusseren Rahmenbedingungen, Kirchenreform und neue Orden, Neuaneignung antiken Wissens in Jurisprudenz, Medizin und Philosophie, neue Denkformen und neuartiger Stolz auf eigene geistige und honorarwürdige Leistungen kennzeichnen die inneren Rahmenbedingungen. Die Zentren des universitären Bildungsaufschwungs lagen allesamt in den Städten der wirtschaftlich früh entwickelten und politisch bedeutsamen Regionen im nördlichen Frankreich und in Oberitalien/Südfrankreich. Hinter allem freilich bemerkt man als legitimierende Kräfte, ohne die sonst gar nichts geschehen wäre, die universalen Mächte der Zeit, vor allem den römischen Papst und – was Italien betrifft – auch den römisch-deutschen Kaiser. Frankreich mit dem Zentrum Paris stand für Theologie und vor allem scholastische Philosophie im Gesamtgebiet der artes liberales, für einen wissenschaftlichen Unterricht für viele, im Prinzip eine Wissensvermittlung für jedermann, durchaus auch in sozialer Hinsicht. Bologna mag als Typus für die italienisch-südfranzösische Juristenausbildung im weltlichen wie im kirchlichen Recht stehen, die Medizin hatte eine noch sehr geringe akademische Bedeutung. Das
2 Der Verfasser betreibt zusammen mit seinen Mitarbeitern ein Nationalfondsprojekt zum Thema ‘Innovationsräume. Wissen und Raum im späten Mittelalter (14.–16. Jahrhundert)’.
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soziale Milieu unter Juristen war im Gegensatz zu Paris eher elitär, adelsverwandt, herrschafts- und obrigkeitsnah3. Die beiden fachlich wie sozial schon unterschiedlichen Bildungslandschaften gehörten in entwicklungsgeschichtlicher Sicht dem ‘älteren Europa’ an, einem von Peter Moraw ins Spiel gebrachten Raumkonzept, gegenüber einem ‘jüngeren Europa’. Das ältere umfasste den Süden und Westen, mit Frankreich und Italien, zum Teil auch Spanien | und 33 England sowie Gebieten des deutschen Reiches westlich des Rheins. Es basierte mehr oder weniger deutlich auf dem Erbe der Antike, was sich in jeweils ‘modernen Qualitäten’ auszahlen konnte: in komplexer organisierten, arbeitsteiligen Gesellschaften, urbaneren Lebensformen, höherem Grad an Schriftlichkeit, partiellem Überleben von Laienkultur, geringer feudalisierten Kirchen und nicht zuletzt im früheren Entstehen von Zentren universitärer Wissensvermittlung. Das ‘jüngere Europa’, bestehend aus dem Römisch-deutschen Reich in der Mitte sowie den Ländern Nord- und Ostmitteleuropas, konnte solchen Vorsprung oft erst nach langen Ausgleichsprozessen, zum Teil bis ins 16. Jahrhundert hinein, wettmachen4. Als nun die Universität ins jüngere Europa kam, rund 150 Jahre später, hätte man eigentlich erwarten müssen, gerade auch nach dem Innovationsraum-Konzept, dass sie nicht 1348 als erste im böhmischen Prag entstand, sondern am Rhein, in der Übergangszone zwischen älterem und jüngerem Europa, in der seit dem 12. Jahrhundert – was das deutsche Reich betrifft – ökonomisch, vor allem textilwirtschaftlich sowie politisch, kulturell und kirchlich führenden niederrheinisch-niederländischen Grosslandschaft5. Köln wäre der natürliche Standort gewesen. Hier bestanden bessere organisatorische und intellektuelle Voraussetzungen als in Prag. Man denke nur an die bedeutende Kölner Domschule, die reichen Stiftskirchen oder an die Generalstudien der Bettelorden, an denen immerhin Albertus Magnus, sein Schüler
Gian Paolo Brizzi und Jacques Verger (Hg.), Le università dell’Europa, hier: Bd. 1: La nascita delle università, Milano 1990; Walter Rüegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa, 2 Bde., München 1993, hier: Bd.1: Mittelalter. 4 Peter Moraw, Über Entwicklungsunterschiede und Entwicklungsausgleich im deutschen und europäischen Mittelalter, in: ders., Über König und Reich. Aufsätze zur deutschen Verfassungsgeschichte des späten Mittelalters, Sigmaringen 1995, S. 293–320. 5 Franz Petri und Georg Droege (Hg.), Rheinische Geschichte, 3 Bde., Düsseldorf 1976–1983. 3
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Thomas von Aquin und Meister Eckhart bei den Dominikanern und Johannes Duns Scotus bei den Franziskanern gelehrt hatten. Doch diese Geistesblüten waren ebenso wenig gründungseffektiv wie die politischen Rahmenbedingungen am Rhein, wo die Freie Stadt Köln und ihr ehemaliger Herr, der Erzbischof-Kurfürst von Köln samt seiner hochadeligen, überdies regionalgebundenen rheinischen Kirche, einander jahrzehntelang in Feindschaft gegenüberstanden. Auf die regionalen Kräfte wäre es jedoch angekommen, die nun um die Mitte des 14. Jahrhunderts mehr und mehr anstelle der alten universalen Mächte das politische Leben als Landesherren oder Territorialfürsten insbesondere im alten Römisch-deutschen Reich bestimmten. So kam die Universität 1348 nach Prag, weil es der dortige Fürst so wollte, 34 weil eine erfolgreiche Grossdynastie wie das Haus | Luxemburg ihre Hauptmacht in Böhmen und ihr Zentrum in Prag besass, und weil in einem günstigen kirchen- und reichspolitischem Augenblick ein durchsetzungsfähiger, frankreich-, italien- und papstkirchenerfahrener Fürst wie Karl von Luxemburg, König von Böhmen und Römisch-deutscher König, den Papst zu weitreichenden Universitätsprivilegien veranlassen konnte. Karls Universität, wenn auch anfangs noch sehr bescheiden, war zugleich ein gegenüber Paris und Bologna neuer Universitätstypus, insofern er die an sich inhomogenen und sozial fast unverträglichen Milieus der Theologen, Philosophen, Mediziner und Juristen in einer Institution vereinigte, vielmehr zusammenzuzwingen versuchte, zu der bis ins 20. Jahrhundert dann der Form nach überdauernden Vier-Fakultäten-Universität. Dies funktionierte zwar zunächst in Prag noch nicht, weil man nicht zur gleichen Zeit bolognesisch elitär und pariserisch jedermanngemäss denken und handeln konnte. Man bildete zwei Universitäten, eine für die ‘Herren Juristen Prag’, eine andere für die übrigen; doch sollte sich der fürstlich-staatliche Druck künftig durchsetzen6. Was Luxemburg begonnen, wurde von den dynastischen Konkurrenten im Reich sehr bald aufgegriffen – von Habsburg in Wien 1365, von Wittelsbach, zunächst der pfälzischen Linie in Heidelberg 1386. Im Jahre 1388 – immerhin gleich nach den drei grossen Häusern – folgte
6 Zur Rolle Prags Moraw, Die Prager Universitäten des Mittelalters im europäischen Zusammenhang, in: Schriften der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste 20 (1990), S. 97–129; ders., Prag. Die älteste Universität in Mitteleuropa, in: Alexander Demandt (Hg.), Stätten des Geistes. Grosse Universitäten Europas von der Antike bis zur Gegenwart, Köln/Weimar/Wien 1999, S. 127–146.
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die Freie Stadt Köln. Nun erst schien sich die Tatsache der Zugehörigkeit zu einer grossen europäischen Führungs- und Vorsprungslandschaft am Niederrhein und die Schultradition in überdies politisch bereinigter Situation ausgewirkt zu haben. Nachdem man sich arrangiert hatte, sollte auch der Kurfürst-Erzbischof und sein Kölner Landesstaat künftig von der Universität profitieren. Noch vor der Reformation verfügten alle sieben Kurfürsten sowie die bedeutenderen Reichsfürsten und wenige grosse Städte über ihre Universität oder hatten für ihre Länder politisch unproblematischen Zugang zu einer Universität in der Nähe. Bei den Universitätsgründungen ging es der Herrschaft in Stadt und Land indessen nicht um Bildungs- oder Wissenschaftspolitik, nicht um Förderung innovativen Wissens in bestimmten Räumen, nicht um den gemeinen Nutzen, von dem nur die Päpste in den Stiftungsbriefen redeten, sondern in erster Linie um den Nutzen für die Dynastie, um | Prestige 35 und Herrschaftsmittel, wie dies Städtegründungen, Burgenbau, Kirchenund Klosterstiftungen ebenfalls waren7. Was von daher aus herrscherlicher Sicht eher ein Nebeneffekt war, leitete gleichwohl einen der folgenreichsten Innovations- und Ausgleichsvorgänge im Reich und im jüngeren Europa ein. Seit Prag 1348 und den nachfolgenden Universitäten – bis 1506 immerhin 17 an der Zahl8 – konnte gelehrtes Wissen zum ersten Mal nicht nur ausserhalb, sondern auch innerhalb der Reichsgrenzen nördlich der Alpen erworben werden. Ein gewisses Mass an institutionalisierten Verhältnissen war jetzt vorhanden, so dass Personen in grösserer Zahl akademische Bildung erwerben, ihr Wissen in Räume hineintragen, dort Wirkung entfalten und sich gewissermassen als Experten auch durchsetzen konnten. Die Folgen dieser Tatsache seien unter drei Stichworten behandelt: ‘Universitäre Bildung’, ‘Rekrutierung der Personen’ und ‘Eröffnung von Berufsfeldern’.
7 Rainer Christoph Schwinges, Le università nei territori dell’ Impero, in: Brizzi und Verger, La nascita (wie Anm. 3), S. 221–255; ders., The Medieval German University: Transformation and Innovation, in: Paedagogioca Historica 34 (1998), S. 375–388; ders., Prestige und gemeiner Nutzen. Universitätsgründungen im deutschen Spätmittelalter, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 21 (1998), S. 5–17; Lorenz Sönke (Hg.), Attempto – oder wie stiftet man eine Universität. Die Universitätsgründungen der sogenannten zweiten Gründungswelle im Vergleich, Stuttgart 1999. 8 In Reihenfolge der Gründungen vor der Reformation : Prag, Wien, Heidelberg, Köln, Erfurt; Leipzig, Rostock, Löwen, Greifswald, Freiburg, Basel, Ingolstadt, Trier, Mainz, Tübingen, Wittenberg, Frankfurt/Oder.
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Die Möglichkeit zur Universitätsbildung wurde im Reich überraschend stark genutzt. Innerhalb weniger Jahrzehnte sorgten wiederholte Wachstumsschübe für grosse Zahlen. Bis gegen 1520 sollten sich die Immatrikulationen an deutschen Universitäten bei einer jährlichen Wachstumsrate von 1,75 Prozent auf über 250 000 aufsummiert haben, und zwar so, dass die Universitäten seit den 70er Jahren des 15. Jahrhunderts mit bis zu 3 000 Neuimmatrikulierten pro Jahr bereits einen hohen Überschuß an akademisch Gebildeten aller Wissensbereiche und Wissensstufen erzeugten. Man kann um 1500 im Reichsgebiet nördlich der Alpen mit einer Gesamtzahl von rund 10 000 Studierenden rechnen9. Für das alte Reich war diese Entwicklung von kardinaler Bedeutung. 36 Man muss nämlich für die Zeit nach 1470 und überhaupt der | vorreformatorischen Jahrzehnte von einem starken, bis dahin unbekannten Angebotsdruck an Universitätsgebildeten und gelehrten Absolventen sprechen. Dabei kam es zu einer Erscheinung, die als eine der ersten Überfüllungskrisen in der deutschen Universitätslandschaft gedeutet worden ist, und die erst infolge der Reformation durch den rasanten Frequenzeinbruch in protestantischen wie katholisch gebliebenen Universitäten beseitigt werden konnte10. Zwei Hinweise mögen dazu genügen: Zum einen stagnierte der Universitätsbesuch in den genannten Jahrzehnten vor der Reformation auf bis dahin höchstem Niveau, ohne dass ‘neue’ Universitäten, die erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts eröffnet wurden, also Greifswald, Freiburg, Basel, Ingolstadt, Trier, Mainz und Tübingen, Wesentliches zur Entlastung beitrugen. Die meisten zeigten auf längere Sicht sogar negatives Wachstum. Die grossen Zahlen, mithin die Überfüllungserscheinungen mit über 1 000 gleichzeitig anwesenden Studierenden, konzentrierten sich dagegen auf die grossen Universitäten, die überdies allesamt in mittelalterlichen Grossstädten lagen, in Städten mit 20 000 bis 40 000 Einwohnern, allen voran auf die Hohen Schulen in Rainer Christoph Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert. Studien zur Sozialgeschichte des alten Reiches, Stuttgart 1986; ders., Die Zulassung zur Universität, in: Rüegg, Universität in Europa (wie Anm. 3), S. 161–180, hier: 174–177. 10 Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 9), S. 217–220, passim, auch zum Folgenden. Zur Nachreformationszeit: Franz Eulenburg, Die Frequenz der deutschen Universitäten von ihrer Gründung bis zur Gegenwart, Leipzig 1904. 9
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der rhein- und maasländischen Führungs- und Vorsprungslandschaft im Westen des Reiches: Köln und Löwen waren die stärksten Anziehungspunkte im ausgehenden 15. Jahrhundert, nicht nur für Studierende aus der Region, sondern aus dem gesamten Reich, gefolgt im Süden nur von Wien und im mitteldeutschen Raum von Leipzig und Erfurt. Alle diese Universitätsstädte galten als bedeutende Handels- und Gewerbestädte, Markt- oder Messeplätze, waren eingebettet in ein dichtes wirtschaftsgeographisches Verkehrsnetz, waren günstig gelegen und über Strassen und Wasserwege günstig zu erreichen. Hinzu kommt, dass sie Herrschaftsräumen angehörten oder von ihnen umgeben waren, in denen Landesausbau und Urbanisierung relativ weit fortgeschritten waren, Räume zudem, die im Prozess der Territorialisierung des Reiches seit dem 14. Jahrhundert besonderen Erfolg in der Konzentration von Herrschaft und Verwaltung hatten. Zum anderen stand einem solchen Angebot, noch dazu einem räumlich so konzentrierten Angebot an Universitätsgebildeten, auf den noch ziemlich unelastischen Arbeitsmärkten der geistlichen wie weltlichen Herren und der Städte keine adäquate Nachfrage gegenüber, eine Aussage, die selbst dann noch gelten dürfte, wenn man die Bedarfslage regional noch stärker differenziert und überdies auch in | sozialer Hinsicht unterschiedlich 37 gewichtet. Für grosse Zahlen sorgten nämlich zu einem bedeutenden Teil auch jene Personen, für die in einer traditionalen Gesellschaft, die geburtsständische Qualitäten in der Regel höher schätzte als persönliche Leistungen, relativ wenig Raum zu sozialen Veränderungen blieb. Gerade sie, unter ihnen sehr oft pauperes scholares, das heisst, gering oder wenig bemittelte und vor allem beziehungslose Studierende, verlagerten sich gegen Ende des Jahrhunderts in auffallender Weise aus dem Südraum in den Nordwesten des Reiches und sammelten sich dort, wo grosse Universitätsstädte wie eben Köln und Löwen, umgeben von einer überaus reichen Adels- und Kirchenlandschaft, Hoffnungen auf Karrieren, Pfründen, Ämter, Dienste und sonstigen Gewinn eher zuzulassen schienen als anderswo11. Das institutionalisierte Angebot der universitären Ausbildung wurde im Reich zwar stark frequentiert, jedoch mit höchst unterschiedlichen Anteilen an den vier Fakultäten der Theologie, der beiden Rechte, der Medizin und der artes liberales. Die völlig ungleichgewichtige Verteilung der fachlichen Orientierungen verlieh den Universitäten des Reiches
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Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 9), S. 441ff.
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ein ganz eigenartiges Profil. Man darf dies in keiner Diskussion um die Wirkung und Leistung der vormodernen Universität und der gelehrten Tätigkeiten ausser Acht lassen. Denn im Gegensatz etwa zu den süd- und westeuropäischen Juristen-Zentren rekrutierten die deutschen Universitäten (und alle anderen, die diesem Typus in Nord- und Ostmitteleuropa folgten) ihre Besucher im Durchschnitt bis zu 80 Prozent als Artisten/Philosophen; nur 10 bis 15 Prozent entfielen auf Juristen, mehrheitlich noch Kirchenrechtler, den Rest teilten sich Theologen und verschwindend wenige Mediziner (ca. 1 Prozent)12. Diese Verteilung kennzeichnete und typisierte zugleich die Möglichkeiten der Universitätsausbildung insgesamt, auch wenn durchaus Unterschiede in einzelnen Standorten und Regionen auszumachen waren. Manche Universitäten, und keineswegs nur die kleineren, wie man aus Kapazitätsgründen denken könnte, waren sogar fast reine Artistenschulen, die grosse habsburgische Universität zu Wien sogar zu 85 Prozent der Besucher während des 15. Jahrhunderts. Nur Köln und Löwen ragten heraus, parallel zu ihrer Spitzenstellung im Universitätsbesuch 38 des ausgehenden Mittelalters. Beide Universitäten erzielten einen | Juristenanteil von 15 bis 20 Prozent an ihrer Studentenschaft, was seinen Grund – neben den schon früh etablierten Professuren für Kanonistik und Legistik – auch in der Tatsache der Einbettung in die rheinische Führungslandschaft mit ihren bereits angedeuteten Ressourcen haben mochte. Was die Fakultäten in dieser Weise trennte, war allerdings nicht allein die fachliche, sondern mehr noch die damit kombinierte soziale Ungleichheit. Nach allem, was wir wissen, äusserte sich diese in der Universitätslandschaft gemäss den schon angedeuteten Spielregeln einer traditionalen Gesellschaft viel schärfer als anderswo. Trotz des landesherrlichen oder stadtobrigkeitlichen Zwangs unter einem Dach zu stehen, trennte denn doch eine deutliche Barriere die Artistenfakultät, den ‘Raum der Masse’, vom ‘Raum der Wenigen’ in den sogenannten höheren Fakultäten, insbesondere dem der Juristen als der vornehmsten Gruppe in jeder Universität. Der Adel und die anderen, die ‘schon jemand waren’, die schon Ämter und Würden in Kirche,
12 Ebd., S. 465ff. Zu den ganz anderen Verhältnissen in Italien Agostino Sottili, Eine Postille zum artistischen Curriculum der italienischen Universitäten im Vergleich zur mitteleuropäischen Artistenfakultät, in: Rainer Christoph Schwinges (Hg.), Artisten und Philosophen. Wissenschafts- und Wirkungsgeschichte einer Fakultät vom 13. bis zum 19. Jahrhundert, Basel 1999, S. 405–459.
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Stadt und Herrschaft innehatten, bevor sie überhaupt zur Universität kamen, dazu die vielen Honorierten und Protegierten und die Spitzen der stadtbürgerlichen Schichten, sie alle trafen sich in der weit überwiegenden Mehrheit in diesem relativ exklusiven Kreis, den man auch innerhalb des Rekrutierungsraumes einer Universität – anders als die Artisten – ziemlich eindeutig und vor allem in der Nähe verorten kann – in Köln zum Beispiel als regelrechte Juristen- und Medizinerräume. Auf solche Weise verbanden sich die Statuskompetenzen jedes einzelnen Universitätsgebildeten mit den fachlichen Kompetenzen, die ihm seine Universität bzw. seine Fakultät auf welcher Stufe auch immer vermittelte. Im übrigen hat die übergrosse Mehrheit der Studierenden die Universität nie anders erlebt denn als Artistenfakultät und hat nie, aus welchen Gründen auch immer, die Absicht, das Vermögen oder die Chance gehabt, Examina abzulegen, Graduierungen zu erwerben oder gar weiteren Studien in anderen Fakultäten zu obliegen. Gleichwohl erwarb man in der universitären Ausbildung auch dieser Stufe ein gewisses Mass an fachlichen Kompetenzen. Ein standardisiertes Studium und ein halbwegs verbindlicher, allgemein geteilter Kanon an Wissen und Fertigkeiten sorgten für akademischen Regelerfolg. Eingespannt in feste Studienpläne und in einen straff organisierten Tagesablauf nahm man seinen Stoff in Vorlesungen und Disputationen auf. In täglichen Wiederholungen memorierte man den Stoff und die Technik des schulmässigen Distinguierens, Argumentierens und Opponierens. Man übte sich im Umgang mit Autoritäten, Kommentaren und rationaler Beweisführung und selbstverständlich auch im ständigen Gebrauch des gelehrten Lateins. Gewiss war diese Form des | kollektiven intellektuellen Trainings der originellste und innovativste 39 Beitrag der mittelalterlichen Universität zum allgemeinen Bildungs- und Ausbildungswesen13. Rekrutierung der Personen Der Rekrutierungsraum einer Universität war entgegen früherer Behauptungen von Internationalität wesentlich durch regionale Existenz 13 Friedrich Paulsen, Geschichte des gelehrten Unterrichts auf den deutschen Schulen und Universitäten vom Ausgang des Mittelalters bis zur Gegenwart, Leipzig 31919; Jacques Verger, Les gens de savoir en Europe à la fin du Moyen Age, Paris 1997; Schwinges, Artisten (Anm. 12).
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geprägt. Dabei folgte die Regionalität der Universität grossenteils der Regionalität der Stadt. So wie diese als zentraler Ort das soziale, wirtschaftliche und kulturelle Leben einer Region koordinierte, so beanspruchte auch die Universität regelmässig eine Kernlandschaft, in der sie nach der politischen Gründung als Personenverband sozial verwurzeln konnte. Unterscheiden kann man eine Frühphase, in der es darauf ankam, ein dichtes Beziehungsnetz zwischen Universität, Stadt und Kernraum aufzubauen. Schon die ersten Besucherjahrgänge in neuen Gründungen wie Heidelberg, Köln, Erfurt, Freiburg oder Basel konnten den künftigen Kernraum anschaulich repräsentieren. In solchen Personenkreisen häuften sich sogenannte Eröffnungsklienten, die ganz und gar nicht zufällig zusammengesetzt waren. Der Universitätsbesuch hatte in der Regel nichts Abstraktes an sich, unterlag auch kaum einer rationalen Entscheidung für oder gegen einen Universitätsort, sondern war nächst den politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen sehr oft an persönliche Beziehungen und klientelartige Bindungen geknüpft; landsmannschaftliche und heimatliche Bindungen traten dabei unter Studenten wie Professoren am häufigsten in Erscheinung. Woher auch immer die ersten Besucher kamen, gemeinsames Merkmal war vielen, dass die neue Universität dem heimatlichen Herkunftsraum einfach nahe oder näher lag. Wer zum Beispiel 1386 Prag zugunsten von Heidelberg verliess, stammte aus der zuständigen Diözese Worms, aus der Kurpfalz oder den Rheinlanden. Andere wären dort ebenso fremd gewesen wie in Prag. Als Köln 1388 eröffnete, wanderten mehr als ein Drittel der zuvor in Heidelberg immatrikulierten Rheinländer einschliesslich der Niederländer ‘zurück’ an den Rhein. In den heimatnahen neuen Bildungsstätten vermutete man mit guten Gründen bessere Sozialchancen als in der fremden Umgebung fremder Universitäten. Unterscheiden kann man des weiteren eine Ausbau- und Konsolidierungsphase der 40 Einzugsbereiche, in der ausgehend von der | stabilisierten Region neue Rekrutierungsräume gesucht wurden, und zum dritten schliesslich eine Überregionalisierungsphase, in der die Kernraum-Rekrutierung unter Umständen von einer sehr weit gespannten geographischen Mobilität der Universitätsbesucher egalisiert oder manchmal übertroffen werden konnte. Das mehr oder weniger vollständige Durchlaufen dieser drei Phasen sorgte für breite Variationen, so aber, dass jede Universität eine je typische, räumliche Identität gewann, in die keine andere wesentlich eingriff. Doch was darüber hinaus ging, konnte in Konkurrenz zu einander
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gestaltet sein. Besonders erfolgreich war auch in diesen Zusammenhängen wiederum die Kölner Universität. Von ihrer bereits von Anfang an sehr ausgedehnten Kernregion aus, bestehend aus den Diözesen Köln, Utrecht und Lüttich mit dem Schwergewicht auf den linksrheinischen Gebieten im “älteren Europa”, erreichte sie im ausgehenden 15. Jahrhundert eine wirklich reichsweite Rekrutierung, die zuletzt sogar noch die Kernraum-Rekrutierung übertraf. Dies war etwas Eigenartiges und gründete sowohl auf alten, sozialökonomischen Fernbindungen im Ausstrahlungsgebiet der mächtigen Exportgewerbe-, Handels- und Hansestadt Köln, der grössten Stadt des mittelalterlichen deutschen Reiches, als auch auf neueren, landsmannschaftlich geprägten Magisterund Professorenbindungen, die manchmal bestimmender wirkten als die Anziehungskraft einer nächstgelegenen Universität. Nichtsdestotrotz fielen die wirklich wichtigen Entscheidungen in der Nähe, im Kernraum; dieser bedingte in hohem Masse jede Mobilität, die räumliche wie die soziale. Dies alles wird man immer mitberücksichtigen müssen, um den Erwartungen und dem Verhalten der Zeitgenossen gerecht zu werden und auch, um die sehr modernen Fragen nach den Bildungschancen, nach der Wirkung des Wissens und der sozialen Mobilität durch Universitätsbildung recht verhalten zu beantworten14. Wie auch immer sich die Rekrutierungsphasen entwickelten, für das Wachstum der Universitätsbesucherschaft waren letzten Endes nicht nur die Universitätsstädte, sondern auch jeder einzelne Herkunftsort wichtig. Sein Entwicklungsstand, seine Qualitäten als Stadt, Markt oder Dorf, von den Einwohnerzahlen über die kirchlichen und schulischen Voraussetzungen, die Wirtschafts- und Verkehrsverhältnisse bis hin zu den komplizierteren Herrschafts- und Besitzverhältnissen konnten den Zugang zur Universität massiv beeinflussen. Hier nur ein paar | Beob- 41 achtungen: Als typischer Herkunftsort im Kölner Rekrutierungsbereich hatte sich im Laufe des 15. Jahrhunderts die kleine bis mittlere Stadt, mit bis zu 2 000 respektive bis zu 5 000 Einwohnern herausgestellt, und zwar so, dass sich die Besucher vor allem kleinstädtischer Herkunft gegen Ende des Jahrhunderts bereits gegenüber den in der Frühphase der Universität dominanten Grossstädtern durchgesetzt hatten. Mit
14 Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 9), S. 230–341, auch zum Folgenden; ders., On Recruitment in German Universities from the Fourteenth to Sixteenth Centuries, in: William Courtenay und Jürgen Miethke (Hg.), Universities and Schooling in Medieval Society (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 10), Leiden 2000, S. 32–48.
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dem Durchbruch der Kleinstadt, der im übrigen nicht auf Köln allein beschränkt blieb, verband sich auch eine Verschiebung des wirtschaftlichen Hintergrundes von grosstädtischem Handel und Gewerbe zu kleinstädtischen überwiegend landwirtschaftlich geprägten Formen auch in Handel und Gewerbe. Zusammen mit den mittleren Handels- und Gewerbestädten waren diese landwirtschaftlich orientierten Kleinstädte seit etwa 1450 die tragenden Säulen des Einzugsbereichs, insbesondere des Kernraums. Typisch für sie beide war ausserdem noch, dass sie mehrheitlich schon als Verwaltungsmittelpunkte geistlicher oder weltlicher Landesherren fungierten, dass sie über ein älteres, vor 1400 eingerichtetes Schulwesen verfügten und dass – wo immer es sich bis heute beobachten lässt – die jeweils herkunftsortstypischen Berufe, gekoppelt zumeist mit den durchschnittlich höheren Einkommen, in ihren Universitätsbesuchern die grössere universitäre Bildungsnähe gehabt haben. Eröffnen von Berufsfeldern Wenn Universitäten über ihre Landesherren und ihre Besucher eigene Herkunftsräume gebildet und diese nach den Regeln der Zeit sozial definiert haben, so müsste man erwarten können, dass dort auch bestimmte Berufsfelder entstanden sind, in denen das universitär erworbene Wissen wirkungsvoll umgesetzt werden konnte. Wie schon bemerkt, hat aber das vergleichsweise grosse Angebot an akademisch Gebildeten die Nachfrage noch um 1500 bei weitem übertroffen. Meine These ist seit längerem, dass der pure Angebotsdruck, auch der massenhaft artistisch/philosophische, die Dinge neu in Bewegung brachte, die Arbeitsmärkte elastisch machte und berufliche Möglichkeiten ausweitete, allerdings unter ausserordentlich grossen regionalen Schwankungen im Reich, was Vorsprung und Nachhinken betrifft, von West nach Ost und von Süd nach Nord im Laufe des 15. Jahrhunderts; doch fiel die allgemeine Entscheidung über die Lösung des Drucks nicht mehr im 15., sondern mit durchschlagendem Erfolg erst in den frühen Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts15. Gewiss wissen wir über 15 Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 9), S. 33ff., passim; Beat Immenhauser, Quantitative Aspekte des Universitätsbesuchs in der Diözese Konstanz von 1460 bis 1550, in: Frantisek Smahel (Hg.), Geist, Gesellschaft und Kirche im 13. bis 16. Jahrhundert, Prag 1999, S. 289–301.
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Karrieren | und gelehrte Tätigkeiten schon recht viel, vom Eindringen 42 akademischer Experten in die höfische Verwaltung, in territoriale und städtische Ämter, in Gerichte und Schulen, in freie medizinische und juristische Berufe, in die Universitäten selbst und natürlich in die Kirche; ferner wissen wir, wenn auch nicht schon im gleichen Masse, von der Personenwirkung an Ort und Stelle, vom Einfluss juristischer, medizinischer und theologischer Berater, von Gutachtern, Diplomaten, von akademisch versierten Schreibern, Rhetorikern, Predigern, Astrologen und Astronomen, und nicht zuletzt von Personen, die im Training der aristotelischen Philosophie und der scholastischen Methode kausal zu denken und begründet zu handeln gelernt hatten16. Problematisch ist dabei nur, dass man im späten Mittelalter insgesamt immer wieder bemerken wird, dass kaum eine strukturelle Kontinuität aufkam, der Faden also oft wieder abriss, alles eigentlich immer noch sehr von jenen Personen abhing, die gerade vorhanden, gerade greifbar waren oder sich anboten. Problematisch ist des weiteren, dass man immer auch Personen in den genannten Berufen und Tätigkeitsbereichen findet, die nie eine Universität besucht haben, und zwar in mindestens ebenso grosser Zahl wie die der nachweislich Studierten. Das gilt auch für den nach wie vor grössten Arbeitgeber, für die Papstkirche, selbst in den höheren Rängen der Dom- und Kollegiatstiftskirchen, in denen die soziale Überformung durch regional-adlige und grossbürgerliche Umgebung oft mächtiger war als die studienfördernden Konzilsdekrete seit 1418 zugunsten von Gebildeten. Selbst in der rheinischen Führungs- und reichen Kirchenlandschaft mit ihrer grossen Universität zu Köln war bis um 1500 nicht zu entscheiden, ob es klar bestimmte Karrieremuster für Kanoniker gegeben hat oder nicht. Und problematisch ist zum dritten, dass die Gebildeten in ihren vermeintlich beruflichen Positionen gar nicht als Experten, als Juristen, Mediziner, Theologen oder Artisten, tätig sein mussten, sondern ganz anders respektive in genau der gleichen Weise wie vor ihrem Studium handeln konnten, zum Beispiel als Kleriker in ihren Herkunftskirchen, als Schreiber und Notare im Amt, als Handwerker und Kaufleute in ihren herkömmlichen Gewerben und Geschäften. Auch die Tatsache,
16 Vgl, die beiden Sammelbände Schwinges (Hg.), Gelehrte im Reich. Zur Sozialund Wirkungsgeschichte akademischer Eliten des 14. bis 16. Jahrhunderts, Berlin 1996; ders., Artisten (wie Anm. 12).
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dass man sich nur bilden wollte, ohne irgendwelche weiteren Absichten, muss ernst genommen werden. Aus diesen insgesamt noch unentschiedenen mittelalterlichen Zuständen führt aber doch ein deutlicher Strang im Sinne unseres Themas 43 | hinaus, nämlich dann, wenn man Herrschaft und Obrigkeit mit dem Gesamtphänomen des Universitätsbesuchs, mit dem personellen Angebot konfrontiert. Die besten Beobachtungen macht man dabei noch immer in der schon bekannten Führungs- und Vorsprungslandschaft der Kölner Universität17. Im direkten Kontakt handelte die Herrschaft sehr traditional, was soviel heisst wie der Zeit angemessen und ohne sich vom Einzelfall zu lösen. Gemeint ist Patronage. Ein typisches Beispiel: Maria von Burgund, Herzogin von Kleve und Gräfin von der Mark, setzte sich 1456 bei der Stadt Köln für ihren Untertanen, den Lizentiaten im Kaiserrecht Lambertus de Arena (vanme Sande) ein, der ein Bruder eines Dieners ihres Sohnes, des Herzogs von Kleve sei und den sie in ihren Rat aufnehmen wolle; man möge diesem zu einer Priesterpfründe am Dom verhelfen. Im Gegensatz zu dieser sehr individuellen, zudem noch juristisch hochrangigen, aber kaum breitenwirksamen Nutzung universitätsgebildeten Personals lassen sich Zusammenhänge zwischen Universitätsbildung und Herrschaft vor allem an jenen Orten aufspüren, an denen Herrschaft bzw. Verwaltung tatsächlich ausgeübt wurde, an den Amtssitzen nämlich von der zentralen bis zur lokalen Verwaltung. Bemerkenswerterweise waren 63 Prozent der Herkunftsorte der Kölner Universitätsbesucher des 15. Jahrhunderts solche Verwaltungssitze, so jedoch, dass deren Zahl gegen Ende des Jahrhunderts die der Nichtamtssitze bereits deutlich überschritt. Gewiss kann man nun nicht die grossen Zahlen der Universitätsabsolventen, vor allem mit artistisch/philosophischen Kompetenzen, einfach in die Landes- und städtischen Verwaltungen zu innovativer Tätigkeit abschieben, so wenig wie pauschal in die Kirche, doch trifft man nun mehr und mehr in den Amtsorten auf regelrechte Familiendynastien von Universitätsgebildeten, von artistischen wie juristischen Experten, von denen einzelne Mitglieder auch immer wieder in den unterschiedlichsten Schreiberämtern der Militär-, Gerichts- und Finanzverwaltung zu finden sind18. Der langfristige Erfolg der landes-
Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 9), S. 296–330. Christian Hesse, Landesherrliche Amtsträger. Artisten im Beruf, in: Schwinges, Artisten (wie Anm. 12), S. 25–51. 17 18
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herrlichen Organisations- und Konzentrationspolitik hing aufs engste mit dem Eindringen gebildeten Personals zusammen, das schliesslich für sich selbst die Aufgabenbereiche definierte – nicht nur am Hof und in der Zentralverwaltung, sondern auch in den nachgeordneten, mittleren und unteren Behörden. Um 1500 rückten Universität und Verwaltung je länger, desto intensiver zusammen, wodurch die Universität eine klare und in | meinen Augen innovative Vermittlerrolle auf dem Wege 44 zu moderner Staatlichkeit erlangte, am deutlichsten zunächst in jener rheinischen Führungslandschaft, die das schon seit langem kontinuierlich gewesen ist.
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INDEX
Aachen 228, 335, 382, 531, 572, 629 Abbeville 391 Abe, Horst Rudolf 91 n. 14 Aberdeen 52–53, 474 Agricola, Rudolf 380 Aix-en-Provence 443–444, 473, 495, 499 Alardus von Wieringen 537 Albert von Wieringen 541 Albertus Magnus 9, 165, 639 Albornoz, Gil Álvarez Carillo de, Kardinal 391, 393, 455 Albrecht II., röm.-dt. König, als Albrecht V Herzog von Österreich 289 Albrecht III., Herzog von Österreich 10, 288, 292 Albrecht V., Herzog von Österreich, als Albrecht II röm.-dt. König 289 Alcalá 397, 455 Alexander de Villa Dei 542, 614 Alfons X., König von Kastilien und León 45 Alkmaar 373 Alpen (Alps) 396 Altdorf 397 Altland 534 Amerbach, Johann 482 Amersfoort 373–374 Amiens 146 Amplonius Rating (k) de Berka 226, 392, 394, 457 Amsterdam 272 Angers 24, 70, 411, 411 n. 15, 423 Antonius 374 n. 96 Aragon 417, 443 Aristoteles (Aristotle) 410, 474, 478, 614 Arnheim 370 n. 85 Arnoldi von Driel, Ego 386 Arras 144–145 Artois 145 Asbach, Johannes 279 Aschaffenburg 179 Augsburg 224, 229, 272, 382, 628 Autun 144
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Avignon 10, 42, 70, 223, 423, 435, 441, 443, 445, 451, 473, 495, 499, 601 Azzo dei Porci 465 Baden, Markgrafschaft 11, 335, 575, 629 Baden-Württemberg 627 Baerdwijk de Busco, Theodericus 386 Balthasar Hoes von Bingen 572 Baltikum 595 Balveren, Dietrich 371 Bamberg 8, 164, 176, 179, 182, 224–225, 227–229, 279, 627, 628 Bär von Durlach, Johannes 360 n. 55 Basel (Bâle/Basle) 3, 5, 7, 12,14, 30–31, 44, 46 n. 24, 47, 66–69, 80, 93, 93 n. 19, 101, 113 , 120, 122–123, 125, 133, 159, 162, 167, 169, 171, 171 n. 15, 176, 189, 191–192, 194, 196, 199, 208, 218, 221, 224, 226, 238 n. 3, 239, 253, 256, 272–273, 301, 302, 311, 315, 320–321, 328–331, 333, 335 349, 356 n. 43, 357 n. 46, 360, 361 n. 55, 364 n. 69, 395, 397, 409, 417, 422, 422 n. 37, 424–425, 427, 432, 435, 461, 463, 465, 482, 489, 499–501, 520, 528, 536, 557, 560, 570, 590, 594, 625, 631, 641 n. 8, 642, 646 Baumgartner, Peter 51 Bayern 13, 167, 192, 522, 573, 575, 627 Bayreuth 167, 179 Beauvois 144 Beecka, Johannes de 154 Belgien (Belgium) 367, 406 Bentheim 335 Bergheim 366 Bergstein 549 Besançon 136 Béthune 145 Beverwijk 535, 537 Billingham, Richardus 614 Böhmen (Bohemia) 9, 11, 43, 47, 69, 165, 297, 391, 640 Boejens d’Edel, Adrian, Papst Hadrian VI 602
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index
Bologna (Bologne) 4, 6–7, 20, 25–26, 26 n. 14, 27–29, 31–32, 37, 44, 49, 68, 70–71, 73, 79–80, 133, 161, 163, 188, 223, 255, 266, 267, 329, 331–332, 345 n. 8, 391, 393–394, 403–404, 411, 417–419, 423, 425, 435, 440–441, 443, 445, 450, 455–456, 459, 465, 467–468, 472–474, 477, 480–481, 484, 486, 498–499, 509, 521, 555, 584, 588, 594, 609, 638, 640 Bommel 371 Bonifaz IX., Papst 308 Boppard 373 Bordeaux 413, 413 n. 21, 443 Botterman, Heinrich 571 Bozen 279 Brabant 11, 166, 192, 227–228, 365, 386, 397, 527 Brakel, Vdalrico (Ulrich), de Brunswyck 616 Brandenburg 11, 166–167, 192, 225, 369 Brandis, Johannes 381 Brandis, Tilemann 381, 382 n. 120 Brant, Sebastian 465 Braunschweig 335, 397 Bremen 225, 227 Bretagne 145 Brielle 371 Britische Inseln (British Isles) 473, 494 Brixen 279 Brügge 368 n. 82 Bruneck, Heinrich von 279 Brunn, Johannes von 279 Brunn, Lamprecht von 279 Buda 198, 424 Buninch, Laurentius 365 Burgund (Bourgogne) 44, 166 Busche (Büschen, Buschius), Hermann von (dem) 335, 380, 406 Caen 70, 415, 415 n. 24, 424, 443 Cahors 424, 443, 457 Cambrai 367 Cambridge 24, 390–394, 396, 404 n. 4, 408, 410, 410 n. 12, 413, 415 n. 25, 417, 423, 425, 436, 441, 454–455, 460–462, 467, 481 Camerarius, Joachim 360 Catania 586 Celtis, Conrad 420 Châlons-sur-Marne 144 Cham 179
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Champagne 145, 148 Chardonnet 391 Chartres 20 Chaucer, Geoffrey 465 Christian I, König von Dänemark 572 Chur 224 Clemens VI., Papst 9 Cluny 391 Coburg 298, 387 Coci de Sletstat, Jacobus 615 n. 11 Coimbra 408, 423, 443, 467–468, 480 Conrad, Graf zu Castell 531 Conradus Vorn von Kampen 373, 374 n. 96 Copenhagen 409, 424 Cornelij de Amsterdammis, Johannes 272 Cornelimünster 531 Cornelius Baldewini von Dordrecht 365, 371, 371 n. 89, 545–549 Cosmas 508 Courcelles 155 Courcellis, Johannes de 155 Dacia, Petrus de 386 Damian 508 Dänemark (Denmark) 225, 386, 424, 595 Dante Alighieri 406 Dauphiné 145 De Lapide, Fridericus 272 De Lapide, Sigismundus 272 De Voerda, Nicasius 402 Delft 371 Den Haag 371 Deutschland (Germany) 6, 8, 11–13, 15, 29, 113, 137, 142, 142 n. 13, 164, 168, 177, 188, 192–193, 196, 199 n. 15, 206, 208, 216, 220, 341, 342 n. 1, 353, 369, 394, 397, 425, 427, 433, 436, 441, 445, 447, 449, 452, 471, 528, 555 n. 4, 556, 557, 558, 564 Deventer 380, 406, 540 Diepholz 335 Diether II. von Isenburg, Erzbischof von Mainz 11 Dietrich von Wieringen 547 Dillingen 54, 298 Dinslaken von Wesel, Everhardus 386 Dôle 413 n. 22, 443, 531 Donatus 614 Dordrecht 365, 371, 373, 545 Dorothea 35
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index Dortmund 382 Drako, Johannes 360 Dresden 297 Driels, Ego 387 n. 134 Dublin 53 Duns Scotus, Johannes 9, 165, 640 Düren 549 Durham 391 Düsseldorf 368 Eberhard ‘im Barte’ von Württemberg 12 Eberhard von Wieringen 541 Eckhart, auch Meister Eckhart 165, 640 Eger 297, 298 Eichstätt 225 Eidgenossenschaft, siehe auch Schweiz 167 Elisabeth (Elizabeth) I., Königin von England 53 Elphinstone, William 52 Elsass (Alsace) 406, 594, 627, 629 Emser, Hieronimus 301 Engelbert von Jülich 547 Engelhart, Valentin 176, 372 Engennagel, Wernlin 570 England (Angleterre) 6, 30, 39, 44–46, 69–70, 96, 99–100, 116 n. 54, 391, 393–394, 397, 407 n. 8, 409, 414–415, 422, 433, 441, 445–446, 454–455, 461, 466, 495, 557, 582, 585, 639 Enkhuizen 535 Erasmus von Rotterdam 406, 449, 582 Erfurt 3, 5, 8, 10, 12, 30–31, 47, 66–69, 93, 93 n. 19, 101, 116, 120, 122–123, 125, 133, 162, 166–167, 169, 171–176, 183, 183 n. 28, 184, 186, 187 n. 33, 189, 191–192, 196, 199, 204–205, 210–211, 215–221, 221 n. 18, 222–224, 224 n. 22, 25–226, 226 n. 27, 227–231, 243, 246, 252–254, 256, 257 n. 60, 259, 273, 278, 282 n. 39, 283, 288, 302, 311, 324, 327–328, 332–333, 347, 347 n. 15, 350, 351 n. 33, 353, 355–356, 356 n. 44, 357 nn. 45, 46, 359–360, 364, 370 n. 85, 375 n. 103, 376, 382, 392, 394–395, 403, 406, 412, 418, 421, 422 n. 37, 423, 425, 427, 435, 443, 457, 462, 477, 489, 494 n. 14, 498, 504, 528, 538, 547, 558, 560, 570, 599, 601, 609–632, 641 n. 8, 643, 646
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Erlangen 167 Erpel 226, 229, 370 Eton 454 Euklid (Euclid) 474 Eulenburg, Franz 91, 91 n. 14, 126, 128 Europa (Europe) 3, 5–6, 8–9, 12, 15, 19–20, 22, 24, 30, 36–38, 40, 42, 44, 46, 48–50, 52, 55, 61, 68, 71, 73, 76, 79–80, 89, 95–96, 121, 139, 157, 159–160, 163–164, 168, 180, 191, 205, 209, 211–212, 222–223, 225, 267, 303, 317, 320, 324, 344 n. 8, 389–397, 404 n. 4, 407–409, 409 n. 11, 412, 414, 421–423, 423 n. 41, 424–426, 494–499, 501, 504, 508, 512, 609, 637, 639, 641, 644 Evreux 144 Exeter 406 Ferdinand I., röm.-dt. König und Kaiser 52 Fermo 594 Ferrara 133, 423, 484, 594 Ferrari 418 Feuchtwangen 179 Flandern 144, 204 Florenz (Florence) 407, 418, 424, 443, 468, 474 Fonseca, Alfonso de, Erzbischof von Toledo 392 Forchheim, Georg 360 Franck, Sebastian 583 Francko von Wieringen 542, 545, 547–550 Franken 159, 168–173, 174, 174 n. 18, 175–179, 181–190, 199, 199 n. 15, 226, 229–231, 298, 367–368, 597, 622, 627–629, 631 Frankenberg 373 Frankfurt am Main 272, 557, 570, 631 n. 43 Frankfurt an der Oder 3, 11, 69, 109, 166, 169, 191, 631, 641 n. 8 Frankreich (France) 3–4, 6, 8–9, 20, 30, 38–40, 43–46, 69–70, 73, 80, 99, 135, 142, 142 n. 13, 159, 162–164, 180, 187, 191–192, 194, 198, 329, 333, 391, 394, 397, 407, 409, 411, 416, 422, 424–425, 433, 435, 442, 454, 457, 468, 473, 495–496, 499, 502, 528, 556–557, 559, 582–583, 585–586, 592, 594, 603, 638–639 Freiburg im Breisgau 10, 93, 120, 122–123, 125, 165, 167, 169, 171,
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176, 189, 191, 221, 271, 348, 356, 357 n. 45, 359 n. 51, 396–397, 415, 422 n. 37, 470–471 Freiburg 3, 12, 15, 69, 80, 143, 143 n. 15, 196, 199, 211, 218, 239 n. 7, 328, 329, 330, 331, 375 n. 103, 412 n. 19, 424, 427, 435, 520, 528, 531, 557, 560, 615, 631, 641 n. 8, 642, 646 Fridlin de Tiengen, Hainricus 272 Friedrich II., röm.-dt. König und Kaiser, König von Sicilien, Herzog von Schwaben 8, 44 Friedrich III, röm.-dt. König und Kaiser, Herzog von Steiermark und von Österreich 262, 274, 291, 336, 601 Friedrich I ‘der Streitbare’, Kurfürst von Sachsen, Markgraf von Meißen 11 Friedrich von Moers, Graf 571 Friedrich von Wieringen 536 Friesland 227 Fromont, Carolus 155 Fugger, Kaufmannsfamilie 53 Galen 474 Galindo, Doña Beatriz 439 Gelderland 365 Geldern 336, 370 n. 85, 373, 537 Geldersheim 176, 372 Geldersheim, Valentin von 387 Genf 198 Genua (Genova) 407 Gerhard (Gerhardus) von Wieringen 374 n. 96, 531–535, 538–551 Giengen an der Brenz 297 Gießen 90, 106, 119 n. *, 382 n. 123, 227, 250 n. 37 Gisberti, Theodericus 272 Glasgow 424 Glatz 297 Gleiwitz, Nikkolaus von 375 n. 103 Gloucester 391 Gonzáles de Mendoza, Pedro 455 Göppingen 298 Gouda 371 Gramsch, Robert 601 Grassau 298 Gregor IX., Papst 25 n. 11 Greifswald 3, 6, 12, 48, 69, 90, 93, 93 n. 19, 109, 120, 122–123, 125, 127, 132, 166, 169, 171, 191, 196, 199, 204, 208, 218, 221, 225, 251, 271, 311, 327, 331–332, 348, 356 n. 43,
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359 n. 50, 418, 421, 422 n. 37, 424, 474, 557, 559, 631, 631 n. 43, 641 n. 8, 642 Grenoble 144–145, 147 Griechenland 54 Groningen 365 Grossbritannien (siehe auch Britische Inseln) 435 Grundmann, Herbert 130, 341 n. 1 Gunzenhausen 179 Habsburg, Dynastie 10 Hadrian VI, Papst 602 Haiger 373 n. 95 Halberstadt 224, 227–229, 627–628 Hamburg 382 n. 120 Hans Hochgesang 570 Harcourt 391 Harderwijk 374 Hartwig von Amsterdam 256, 278 Hassent, Gerhard, aus Emmerich 572 Hassent, Wiger 572 Hassfurt 179 Havelberg 227 Heerenberg 365 Hegius 407 Hegius, Alexander 380, 380 n. 115, 406–407 Heidelberg 3, 6–7, 10, 12, 15, 31, 36–47, 68, 89, 93, 116, 120, 122, 133, 143, 143 n. 15, 165, 167, 169, 171–173, 176–177, 184, 186–187, 191–192, 196, 199, 205, 210, 217–219, 221, 224, 228, 239 n. 7, 253, 256, 271, 272 n. 16, 278, 278 n. 26, 279, 288, 292, 310, 313, 324, 328, 331, 333, 336, 348–349, 351 n. 33, 355, 355 n. 43, 356, 356 n. 45, 357 n. 46, 375, 380, 395, 412, 412 n. 19, 413 n. 22, 417, 421, 422 n. 37, 423, 437, 440, 443, 447, 460, 467, 469, 482, 489, 498, 520, 536–537, 590, 621, 625, 629–631, 640, 641 n. 8, 646 Heilbronn 373 Heiliges Römisches Reich 3–4, 6–14, 25, 30–32, 43–46, 59, 69, 71–72, 74, 76, 78–82, 84, 96–99, 104, 105–111, 113–117, 119–122, 125, 128, 132, 135–136, 139, 141–143, 145, 148, 156–157, 159–161, 163–164, 167–170, 175, 183, 185, 188–190, 193, 198, 204–205, 216–218, 224–225, 227, 230, 244, 252–253, 257, 263, 266, 267, 271, 273, 274,
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index 276, 280, 289, 291, 297, 304, 308 n. 17, 309, 315, 324, 330, 331 n. 37, 332, 335, 422 n. 37, 492, 495, 496, 502, 504, 639 Heimbuche, Heinrich, aus Langestein 39, 51, 289, 289 n. 50 Heinrich (Henry) VIII., König von England 53 Heinrich V., Herzog von Sachsen, Landgraf von Thüringen, Markgraf zu Meissen 35 Heinrich von Wieringen 541 Heinrich, Graf zu Castell 531 Helmstedt 397 Henrici, Gerhardus 374 Hermann von Weinsberg 531 Herrieden 179 Hessen 226–227, 230–231, 335, 367–368, 370 n. 85, 575, 577, 622, 627–629 Hessus, Eobanus 360 Heyer, Johannes, de 373 Hildesheim 8, 164, 224, 227, 381–382, 627 Hippokrates (Hippocrates) 474 Holland 227, 365, 371, 377 Hollandria, Johannes de, 614 Honorios III., Papst 27 Huesca 406, 443 Hueven, Johannes 370 n. 85 Hugonis, Dankward 371 n. 89 Humboldt, Wilhelm von 317 Hünfeld 382 Hütten, Sebastian 382 Hutten, Ulrich von 35–36, 55, 325, 332 Iberische Halbinsel (Iberian Peninsula) 159, 445, 457, 468, 484 Immenhauser, Beat 565, 604 Inghen, Marsilius von 6, 89, 536 Ingolstadt(s) 3, 10, 69, 93, 93 n. 19, 101, 113, 120, 122, 123, 125, 127, 165, 169, 171–174, 176, 183, 183 nn. 27–28, 184, 186–187, 189, 191, 211, 218, 221–222, 254–255, 271, 275, 283, 284, 285, 291, 294, 299, 328–331, 333, 336, 349, 355, 355 n. 43, 356, 356 n. 45, 357 n. 46, 359 n. 51, 375 n. 103, 386, 421, 422 n. 37, 423, 427, 435, 557, 586, 622, 627, 629, 631, 641 n. 8, 642 Irland (Ireland) 40, 46, 52–53 Isabella von Kastilien (Isabella the Catholic) 439
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Isenburg 335 Italien (Italie, Italia, Italy) 3–4, 6, 8–9, 20, 24, 30, 38–39, 43–45, 54, 67, 69–71, 73, 80, 99, 135, 135 n. 2, 159, 162–164, 180, 187–189, 191–192, 194, 198, 329–330, 333, 385, 391, 397, 407, 409, 411–412, 416, 418, 423–424, 436, 439, 443, 445, 461, 468, 484, 494, 496, 499, 502, 528, 536, 556–557, 559, 572 n. 40, 583, 585, 586, 592, 594, 600, 606, 638, 639, 644 n. 12 Ivo 508 Jacobus 374 n. 96 Jacobus Baldewini 536 Jakob Lamberti von s’Gravenzande 547 Jauer 298 Joachim I., Kurfürst von Brandenburg 11 Johann von Buch 583 Johann von Kleve, Herzog 571, 572 Johanna I. ( Joanna) von Navarra, Gräfin von Champagne, Königin von Navarra und Frankreich 391 Johannes Adneal 570 Johannes Benedicte von Werl 571 Johannes Buegell von Venlo 572 Johannes von Hambach 547 Johannes von Löwen 370 n. 85 Johannes XXII, Papst 601 Johanne von Wieringen 377 n. 108 Johann ( John) II, Erzbischof und Kurfürst von Trier, Markgraf von Baden 11 Juan I., König von Portugal 480 Jülich 336, 531, 542–543, 545, 547–551 Kalabrien 54 Kalteisen, Heinrich 280 n. 33 Kaltenbronn 373 Kämpen 373–374 Karl (Charles) IV, König von Böhmen, röm.-dt. König und Kaiser 9, 43, 69, 165, 279, 392, 522, 640 Karl V, röm.-dt. König und Kaiser 602 Karlstadt 360 Kärnten 594 Kastilien (Castile) 442, 455 Katharina von Wieringen 541 Katharina, hl. 508 Kaufbeuren 382 Kemnath 179
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Kempgyn, Goswin 351 n. 33 Kerer, Johannes, von Wertheim 470 Kerpen 572 Keussen, Hermann 529 Kitzingen 298 Kleve, Herzöge von 650 Kleve-Mark 336 Klosterneuburg 280 Knab von Zwiefalten, Erhard 272 Koblenz 227, 280 n. 33 Köln (Cologne) 3, 5, 8–10, 12, 15, 30–31, 40, 44, 68–69, 80, 89, 93, 93 n. 19, 116, 120, 122–123, 127–133, 135, 135 n. 2, 154, 154 n. 27, 155, 156, 156 n. 33, 162, 164–167, 169, 171–173, 175, 176, 178, 182, 184–186, 188, 191–192, 196, 199, 204–205, 210, 211, 216–218, 218 n. 9, 219, 221–222, 222 n. 19, 224–225, 227–228, 230–231, 239 n. 7, 249, 250 n. 38, 251–259, 261–262, 271, 272, 273 n. 19, 278, 278 n. 26, 288, 291, 302, 304 n. 10, 308–311, 319, 322–324, 327–328, 330, 332–336, 345, 347 n. 17, 352, 357 n. 51, 359 n. 46, 361–362, 362 n. 59, 363–366, 366 n. 77, 367, 367 n. 79, 368, 368 n. 82, 369, 369 nn. 82, 83, 370 n. 85, 372, 373, 375 n. 103, 376, 376 n.104, 378–382, 383 n. 128, 384–386, 394, 396, 402, 408, 412, 412 n. 19, 416–418, 420, 423, 425, 443, 447, 449, 457, 463, 482, 489, 498, 520, 521, 525, 526, 527, 528, 531, 532, 533, 535, 536, 537, 538, 539, 540, 541, 542, 544, 545, 546, 547, 548, 549, 550, 551, 556, 558, 560, 563, 567, 569–575, 586, 590, 599, 610, 618, 621–622, 626–627, 629–631, 639–641, 643–650 Königshofen 179 Konstanz 8, 32, 78, 172, 224, 228–229, 261, 315, 382, 565, 604, 627–628 Kopenhagen (Copenhagen) 443, 470, 474, 499, 572 Krainburg 297 Krakau (Cracow) 47, 69, 95, 164, 198, 223, 345 n. 9, 370 n. 85, 375 n. 103, 391–392, 409, 412, 422–423, 440, 452, 460, 462, 498, 499, 516, 586, 590, 595, 631, 631 n. 43 Kremsier, Nikolaus von 280 Kremsmünster 280 Kreuznach 298
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Kreysz, Johannes 247 Kroatien 297 Kronach 179 Kuck, Johannes von 365 Kuckhoff, Josef 372 Kulm 198 Kunhard von Wieringen 541 Kurköln 575 Kurpfalz 646 Kursachsens 577 Kuttenberg 166 Laibach 297, 298 Lambertus de Arena (vanme Sande) 571, 650 Langen, Rudolf von 380 Langenstein, Heinrich von 51, 289 Laon 20 Leden, Bernhard von 382 Leden, Johannes 382 n. 121 Leiden 371–372, 548 Leipzig 3, 7, 11, 15, 35, 44, 47, 66, 68–69, 91, 93, 93 n. 19, 120, 122–123, 125, 132–133, 166, 169, 171–177, 182–183, 184, 186–187, 189, 191, 196, 199, 204–205, 211, 216–218, 218 n. 9, 219, 222, 224, 228, 247, 248 nn. 32–33, 250–257, 259, 273, 275, 278, 282 n. 39, 283, 284, 285, 291, 294, 299, 302, 324, 327, 334–335, 347, 351 n. 33, 352 n. 35, 353, 355, 355 n. 43, 356, 356 nn. 43, 44, 357 n. 46, 364, 370 n. 85, 375 n. 103, 381, 386, 395, 397, 412, 412 n. 19, 415, 418, 421, 422 n. 37, 423, 425, 449, 451, 458, 489, 491 nn. 6–7, 492 n. 10, 499, 508–510, 528, 558, 590, 610, 622, 626–627, 629–631, 641 n. 8, 643 Lerida 391, 417, 423, 435, 445, 468, 472, 480 LeRoy Ladurie, Emmanuel 88 Lichtenfels 179 Liège 204, 406 Liegnitz 298 Lille 149 Lingen, Heinrich 377 Linz am Rhein 298 Lissabon (Lisbon) 423, 467, 480 Livland 226, 627 Lochner, Heinrich 279 Lodwici, Johannes 280 Loppo von Zieriksee 570 Lothringen 252, 594, 629
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Löwen (Louvain) 3, 11–12, 14, 40, 46 n. 24, 68–69, 80, 93, 93 n. 19, 109, 120, 122–123, 132–133, 156, 156 n. 33, 159, 166–167, 169, 171, 175, 191, 194, 196, 205, 208, 211, 216–218, 218 n. 9, 221–222, 222 n. 19, 228, 230–231, 238 n. 3, 252–253, 256, 271, 273 n. 19, 310–311, 327, 328 n. 26, 330, 332, 346 n. 10, 347, 347 n. 17, 358 n. 49, 360, 360 n. 54, 364, 364 n. 67, 367, 368 n. 82, 369, 370 n. 85, 376 n. 104, 396–397, 402, 409, 412, 412 n. 19, 413, 422, 422 n. 37, 423, 425, 440, 443, 449, 452, 459, 463, 482, 520–521, 535, 555 n. 5, 558, 560, 590, 594, 599, 602, 610, 622, 626, 631, 641, 643–644 Loyola, Ignatius von 54 Lübeck 225 Ludwig von Diessbach 531 Ludwig (Louis) IX., König von Frankreich 10, 390, 453 Lukas 508 Lüneburg 33, 628 Luther, Martin 301, 360, 492, 583, 623 Lüttich 127, 227–228, 310, 33, 367, 370 n. 85, 570, 572, 647 Luxemburg 9–10, 252, 594, 640 Luxemburger, Dynastie 640 Lyon 148, 148 n. 32
Martin von Leibnitz 531 Mary, Gräfin von Pembroke 394 Matthias von Aachen 572 Maximilian I., König und Kaiser 12, 166, 360 n. 55, 485 Mechelen 402 Mechthild, Herzogin von Kleve 572 Mecklenburg 12, 166, 192, 204 Medemblik 535 Medici, Petrus 360 n. 55 Meissen 11, 166, 225 Melanchthon, Philipp 437, 505 Mellrichstadt 179 Merton, Walter de 455 Messina 54 Metz 334 Midi, Nicholas 146 Milter, Gottfried 370 n. 85 Mirabeau-sur-Beze 145 Mollat, Michel 244 Montpellier 391, 395, 404 n. 4, 423, 445, 458, 495 Montsaugeon 145, 154 Moosburg 298 Moraw, Peter 601 Moselland 227 München 10 Münster 225, 310, 367, 380, 575, 628 Murmellius, Johannes von Roermond 380, 406
Maastricht 531 Macerata 594 Magdeburg 8, 164, 224–225, 227 Mähren 280 Mailand (Milan) 407 Mainz 3, 10–11, 69, 93, 95, 95 n. 20, 166, 169, 191, 216, 218, 224–225, 227–230, 252, 271 n. 14, 310, 334–336, 349, 356 n. 43, 424, 557, 627, 629, 631, 641 n. 8, 642 Manlefelt, Thomas 614 Männl, Ingrid 601 Mantua 407 Marburg 334–335 Maria 508 Maria, Ercherzogin von Österreich, Herzogin von Burgund 571, 650 Mark 335 Marle 145 Marschall von Pappenheim, Johann 280 Marschall von Pappenheim, Konrad 280
Naumburg 225 Navarra (Navarre) 391 Neapel (Naples) 8, 44, 423, 480 Neuhaus, Ulrich von 279 Neumarkt 179 Neuss 351 n. 33 Niavis, Paulus 259 Nicolaus Mommer von Ramsdonck 362 n. 61, 366 Niederlande (Netherlands) 12–13, 128, 167, 199, 367–368, 391, 406, 441, 486, 522 594, 604 Niederrhein 368 Niedersachsen 228, 627 Nikolaus, hl. 508 Nikolaus von Kues 602 Noordwijk 373 Nördlingen 382 Novara 45 Noyon 144 Nürnberg (Nuremberg) 14, 98, 169, 177–179, 184, 199 n. 15, 382, 397
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Oberpfalz 169, 176, 177, 179, 184, 188 Ochsenfurt 298 Odenheim am Rhein 298 Odofredus de Denariis 37, 465 Ofen 460 Offenburg 298 Orléans 7, 20, 24, 70, 133, 135, 188, 255 n. 55, 329–330, 332, 395, 411, 411 n. 15, 416, 421, 421 n. 36, 423, 425, 435, 443–445, 457–458, 467, 477, 480, 484, 486, 495 Osnabrück 335, 382 n. 121, 628 Österreich (Austria) 40, 290, 415, 594 Öttingen 297 Oxford 7, 39, 320, 390–392, 394, 396, 403, 404 n. 4, 408, 410, 413, 415, 423, 425, 436, 439–443, 454, 456–457, 460–462, 467, 469, 472, 474, 477, 483, 495, 501, 508, 598 Oyta, Heinrich von 289 Paderborn 224, 227–228, 310, 335 Padua (Padova, Padoue) 7, 44, 70, 73, 329, 391, 411, 417–418, 423, 425, 435, 445, 468, 470, 474, 481, 484, 499, 531, 584, 594 Palencia 45 Pappenheim 179 Paris 4, 6–7, 9, 19–20, 22–25, 25 n. 11, 26–29, 31–32, 40–41, 46, 49–51, 66, 68–69, 73, 80, 89, 95, 135, 161, 163–164, 223, 266, 266 n. 2, 267, 267 n. 2, 344 n. 8, 346, 352 n. 35, 360 n. 54, 362, 369 n. 82, 370 n. 85, 375 n. 103, 376 n. 104, 378 n. 110, 390–391, 393–394, 396–397, 403–404, 408–411, 413, 416, 421, 423, 425, 433–435, 439–441, 443, 449, 451, 453–454, 456, 459, 461–462, 464, 466–467, 469–470, 472–473, 477, 481–483, 486, 495, 497–498, 508, 521, 555, 584, 588, 598, 610, 630, 638–640 Parma 419, 468, 536 Passau 279 Paul von Gerresheim 532 Paulsen, Friedrich 91 Paulus von Wickrath 548–549 Pavia 40, 44–45, 70, 73, 188, 329, 332, 411, 424, 435, 443, 484, 499, 594 Pécs 424 Pembroke 394
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Peraudi von Gurk, Raimund 302 Perpignan 405, 423, 443, 472 Perugia 71, 188, 329, 412, 417–418, 423, 425, 435, 443, 452, 468, 484, 594 Pest 460 Peterhouse 391 Petri, Bartholomeus 272 Petrus Hispanus 542, 550 Petrus Thome von Leiden 549 Petrus von Ravenna 331–332 Pfalz 367, 627, 629 Philipp (Filippo) II., König von Spanien und Sizilien 23, 54 Piacenza 424 Picardie 145 Pietro von Ravenna 559 Pisa 329, 424–425, 435, 594 Pistoia 403 Pius II., Papst 10 Poitiers 20 Polen (Poland) 47, 391, 442, 445, 458, 595 Pommern 12, 166, 204, 369 Portugal 69, 391, 397, 422, 435, 461, 582, 585 Pozsony 424 Prag (Prague) 3–5, 8–11, 13, 29, 31–32, 43, 47, 50, 68–69, 71, 87, 93, 95, 95 n. 21, 109, 120, 136, 139, 141, 159, 161–162, 164–166, 168–169, 171–172, 191–193, 196, 199, 216, 216 n. 5, 217, 219, 228, 238 n. 3, 244, 266, 271 n. 14, 274, 278, 279, 288, 290, 319, 345 n. 9, 347 n. 16, 348, 355, 355 n. 43, 357 n. 45, 370 n. 85, 375 n. 103, 391–392, 395, 411, 411 n. 15, 412, 415, 415 n. 24, 423, 425, 432, 443, 451, 458, 461, 468, 482, 411, 498, 499, 508, 515, 521–522, 555, 585, 590, 595–596, 610, 621, 629–630, 639–641, 646 Prémontres 391 Preussen (Prussia) 13, 90, 226, 369, 486, 595, 627 Priscianus, 614, 616 Ptolemäus (Ptolemy) 474 Quakenbrück
373
Rashdall, Hastings 393 Regensburg 33, 225 Reich, siehe Heiliges Römisches Reich
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index Reims 20, 406 Reiner von Wieringen 541 Reineri, Johannes 272 Remigius, hl. 546 Remigius von Malmedy 372, 386 Reuchlin, Johannes 437 Rhein 159, 165 Rheinberg 226, 229, 394, 457 Rheinland 646 Rieneck 335 Rietberg 335 Robert de Sorbon 390, 393, 453, 455 Rochester 455 Roermond 370 n. 85, 371 Rogerii, Petrus, Papst Clemens VI. 9 Rom (Rome) 424, 531 Rostock 3, 11–12, 14, 69, 72, 93, 93 n. 19, 107, 120, 122–123, 125, 127, 133, 166, 167, 169, 171, 191, 194, 196, 204–205, 211, 217–218, 221, 224–225, 228, 251, 253–254, 254 n. 48, 271, 302, 327, 348–349, 356 n. 43, 357 n. 46, 370 n. 85, 377, 412, 415, 418, 421–422, 422 n. 37, 423, 452, 460, 536, 629–631, 641 n. 8 Rotauer, Georg von 279 Rotterdam 371 Rubenow, Heinrich 6, 48 Rudolf I., römisch-deutscher König, Graf von Habsburg 601 Rudolf IV., Herzog von Österreich 10, 289 Rufus, Mutianus 406 Ruprecht I., Pfalzgraf bei Rhein, Herzog von Bayern, Kurfürst von der Pfalz 10 Ruprecht, Erzbischof von Köln, Kurfürst 571 Rüschemeyer, Dietrich 553 Sachs, Hans 583 Sachsen 11, 13, 35, 166, 192, 216, 369, 411 n. 15 Sacrobosco, Johannes de, 614 Salamanca 392, 403, 408, 423, 425, 435, 439–440, 443, 445, 459, 467–468, 470–471, 474, 480, 486, 586 Salzburg 224, 594 Saragossa 406 Sartoris de Lingen, Johannes 251 Sastrow, Bartholomäus 377 Sayn-Wittgenstein, Dynastie 335
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Schlesien 297, 369 Schlettstadt 406 Schneevogel, Paulus 351 n. 33 Schom, Hermann 366 Schottland (Scotland) 45–46, 52–53, 69, 96, 391, 424, 458, 595 Schwaben 301, 629 Schwäbisch-Hall 297 Schwarczenberg, Waltherus 272 Schweden (Sweden) 394, 424, 458 Schweinfurt 176, 372, 387, 420 Schweiz (Switzerland) 333, 477, 567, 569, 594, 627, 629 Schwerin 225 Scotia, Stephanus de 372 Sevilla (Seville) 397, 455 Siebenbürgen 280, 297, 298 Siegfried von Wieringen 541 Siena 133, 188, 329, 332, 391, 403, 423, 425, 435, 484, 594 Sigüenza 455 Simon von Hambach, auch Simon von Jülich 550, 550 n. 46 Sizilien (Sicilia) 8, 40, 54 Skandinavien (Scandinavia) 96, 225, 369, 435, 496, 595 Slowenien 298 Soest 226, 229 Soissons 406 Soldin 280 Sollbach 373 Solms 335 Spanien (Spain) 24, 38, 44, 69, 96, 99, 391, 397, 416, 422, 424, 433, 435, 445, 455, 459, 461, 485, 494, 496, 502, 559, 582, 585, 639 Speyer 224, 229, 334, 628 Spinnelwager de Waise, Conradus 272 Sponheim, Friedrich von 279 St. Andrews 69, 409, 424 St. Denis 391 St. Georg 262 St. Pölten 280 St. Stephan 279 Standonck, Johannes 376, 449 Steffen, Matthäus 280 Steiermark 594 Steiger de Lermusz, Johannes 272 Stein 272, 297 Stephanus, hl. 372 Straßburg 224, 228–229, 335, 382, 627–628 Straubing 297
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662 Stühlingen 335 Südfrankreich 494 Sultz, Peter 372 Sundirshußen, Johannes de Sweriin, Johannes, 629 Szeged 460
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Ter Stege de Monte Domini Heerenberg, Gerhard 365 Theodoricus van der Beeck 537 Thomas von Aquin 9, 165, 549, 580, 640 Thome, Petrus 371, 371 n. 89, 372 Thüringen (Thuringia) 217, 220, 226, 230–231, 369, 370 n. 85, 406, 622, 626–628 Tilia, Mathias de 371 Tilman Slecht 572 Tirol 272, 279, 594 Toledo 392 Tönnies, Ferdinand 91 Toul 136 Toulouse 24, 391, 413 n. 22, 415, 421 n. 36, 423, 435, 443, 467, 495 Tournai 144 Tours 20 Trier 3, 11, 69, 89, 93, 95, 95 n. 20, 146, 146 n. 19, 166, 169, 191, 218, 224–225, 227–229, 252, 271 n. 14, 310, 334–336, 348, 362 n. 61, 366–367, 557, 627–628, 631, 641 n. 8, 642 Trutfetter, Jodocus, von Eisenach 615 Troyes 144, 157 Tübingen 3, 6–7, 12, 15, 69, 93, 93 n. 19, 97, 101, 109, 113, 120, 122–123, 125, 128, 167, 169, 171, 171 n. 15, 176, 191, 196, 199, 218, 221, 244, 256 n. 56, 257 n. 60, 271, 301, 328, 331, 349, 352 n. 35, 365 n. 70, 397, 417, 422 n. 37, 424, 427, 437, 482, 489, 528, 557, 625, 631, 641 n. 8, 642 Tymanni, Jacobus, von Amersfoort 373 Typpurkch, Gerlacus 279 n. 30 Überlingen 382 Ulm 280, 301, 360 n. 55 Ungarn (Hungary) 223, 297, 435, 595 Uppsala 394, 424, 456, 474, 586 Urban V., Papst 454 Urbino 407 Usingen, Bartholomäus von 615
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Utrecht 127, 204, 225, 227–228, 310, 367, 373, 532, 535, 537, 543, 545, 575, 602, 647 Vaihingen an der Enz 297 Valencia (Valence) 406, 413, 413 n. 21, 443 Valentini, Michael Bernhard Edler von 90 Valladolid 455 Van den Bleek, Otto 366 Vannes 145, 157 Venlo 371 Venray 371 n. 90 Verden 224, 227 Verdun 136 Verger, Jacques 601 Verona 407 Vetter de Augusta, Nicolaus 272 Vienna 211, 408–409, 411, 427 Vilanders, Ulrich von 279 Villon, François 465 Vilseck 179 Vincenzo (Vincentius) von Ravenna 331, 559 Vinzenz, Graf von Moers 572 Vitry, Jacques de 464 Volkach 298 Volker von Wieringen 549 Waldeck 335 Waldshut 272 Wallsee 272 Walter (Wolter) Boem von Dordrecht 547 Wasserburg 51 Weinsberg, Hermann 262, 367 Weißenburg 298, 382 Weitmühl, Benesch von 319 Wels, Martin von 280 Wenzel (Wenceslas), König von Böhmen, röm.-dt. König 11, 166, 279, 290, 392 Werden 373 Wertheim 470 Westeuropa 494 Westfalen 227–228, 369, 627, 629 Wien (Vienna) 3, 6–8, 10, 15, 31, 33, 40, 43, 47, 51–52, 68–69, 79, 93, 93 n. 19, 95, 97, 107, 115, 117, 117 n. 56, 120, 122, 123, 125, 127–128, 132, 164–165, 169–173, 175, 176, 183–184, 186–187, 189, 191-192,
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index 194, 196, 198, 204–205, 207–208, 210, 216–219, 221, 223–224, 228, 248 n. 32, 250 n. 38, 252–255, 268, 272, 273, 273 n. 19, 274, 275, 278, 279, 281, 282, 283, 285, 287, 288, 289, 290, 291, 292, 294, 295, 296, 297, 298, 299, 303, 308, 311,318, 324, 328–329, 331, 333, 336, 347 n. 16, 348, 350, 353, 355, 355 n. 43, 357 nn. 45, 46, 358 nn. 47, 49, 359 n. 51, 364, 364 n. 67, 370 n. 85, 374 n. 99, 375 n. 103, 376, 378, 382 n. 123, 395, 403, 412, 412 n. 19, 418, 422–423, 425, 443, 447, 449, 451–452, 458–459, 461–462, 482, 486, 489, 498–499, 521, 531, 558, 559 n. 13, 600, 610, 618, 620–622, 627, 629–631, 640, 641 n. 8, 643–644 Wieringen 534–540, 542–543, 545 Wilhelm Kurmann von Werden 586 Wilhelm von dem Goey aus Xanten 571 Wilhelm, Herzog von Jülich und Geldern 572 Wilhelm von Werden 571 Wilhelm (William) II. ‘der Reiche’, Markgraf von Meissen 11 William von Wykeham, Bischof von Winchester 391
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Wimpfelings, Jakob 615 Winchester 391, 394, 406, 454, 456 Windsheim 297 Winter, Lambert, aus Kleve 572 Wipperfürth, Antonius von 262 Wittenberg 3, 11, 69, 96, 96 n. 24, 109, 166, 173, 191, 220, 332, 334, 335, 505, 557, 629, 631, 641 Wohlmut von Berkuten, Peter 280 Wolfenbüttel 397 Worms 199, 224, 272, 646 Wunsiedel 179 Württemberg 167, 577 Würzburg 8, 33, 89, 95, 164, 168–169, 179, 198, 199 n. 15, 224–225, 227–230, 271 n. 14, 297, 397, 420, 575, 597, 627, 630–631 Wysz de Franckfordia, Georius 272 Xanten
366, 370 n. 85
Ybbs an der Donau 43 Ypern (Ypres) 451 Ysplant von Wieringen 541 Zieriksee, Loppo van 291 Zons 373 Zutphen, Gerhard von 372 Zwolle 406, 540 Zwolle, Antonius von 373
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