Heinz Herwig Strömungsmechanik
Heinz Herwig
Strömungsmechanik Einführung in die Physik von technischen Strömungen Mi...
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Heinz Herwig Strömungsmechanik
Heinz Herwig
Strömungsmechanik Einführung in die Physik von technischen Strömungen Mit 83 Abbildungen und 13 Tabellen STUDIUM
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © Vieweg +Teubner Verlag | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Thomas Zipsner | Imke Zander Der Vieweg +Teubner Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.viewegteubner.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: MercedesDruck, Berlin Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. Printed in Germany ISBN 978-3-8348-0334-4
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Vorwort Das vorliegende Buch soll ein grundlegendes Verständnis für strömungsmechanische Fragestellungen vermitteln. Dabei wird besonderer Wert auf den physikalischen Hintergrund der behandelten Fragen und auf das methodische Vorgehen bei ihrer Beantwortung gelegt. Insbesondere wird von Anfang an die Bedeutung von Modellvorstellungen betont, mit deren Hilfe die Lösung strömungsmechanischer Probleme überhaupt erst möglich wird. Der Aufbau des Buches folgt einer induktiven Vorgehensweise, d.h., die entwickelten Modellvorstellungen und die sie beschreibenden mathematischen Gleichungen werden fortlaufend verfeinert und damit immer komplexer. Das Anfangskapitel (0/Das methodische Konzept dieses Buches) beschreibt diesen Sachverhalt genauer. Im vorliegenden Buch wird versucht, der verbalen Beschreibung gegenüber aufwändigen mathematischen Formulierungen den Vorzug zu geben, soweit dies möglich und sinnvoll ist. Trotzdem soll die mathematische Formulierung der verschiedenen Modellvorstellungen adäquat eingeführt und erläutert werden. In 19 A NWENDUNGSBEISPIELEN werden konkrete Probleme gelöst. In weiteren 26 sogenannten ILLUSTRIERENDEN B EISPIELEN sollen die jeweiligen zuvor behandelten Sachverhalte erläutert und weitergehende Betrachtungen angeregt werden. Zehn Fragen am Ende des Buches erlauben dem Leser, sein neues Wissen direkt anzuwenden. Das Buch sollte den Leser in die Lager versetzen, sich spezielle Gebiete der Strömungsmechanik, wie z.B. kompressible Strömungen, Strömungen nicht-Newtonscher Fluide, Grenzschichtströmungen aber auch die numerische Lösung von komplexen strömungsmechanischen Gleichungssystemen anhand entsprechender Spezialliteratur anzueignen. Die ausführliche Literaturliste am Ende des Buches weist auf solche Quellen hin. Bei der Erstellung dieses Buches haben viele mitgewirkt. Für die kritische Durchsicht des Manuskriptes und viele Anregungen und Verbesserungsvorschläge danke ich Prof. Dr. Kautz und Dr. Moschallski. Frau Moldenhauer ist es gelungen, aus vielen handschriftlichen Versatzstücken ein durchgehendes Manuskript zu erstellen, das Herr Bastian Schmandt in bewundernswerter Weise in eine perfekte LATEX-Vorlage „verzaubert“ hat. Ihm, und allen anderen Mitstreitern gilt mein herzlicher Dank für ihren Einsatz. Nicht zuletzt sei die außerordentlich angenehme Zusammenarbeit mit dem Vieweg Verlag genannt, was in Zeiten der Neuorientierung wissenschaftlicher Verlage im Internet-Zeitalter eine ganz besondere Erwähnung verdient.
Hamburg, Frühjahr 2008
Heinz Herwig
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Inhaltsverzeichnis 0 Das methodische Konzept dieses Buches
1
A Einführung in wichtige Aspekte und Phänomene der Strömungsmechanik 3 1 Anschauliche Beispiele aus Natur und Technik 1.1 Strömungen im Alltag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Strömungen in Natur und Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5 5 6
2 Strömungsaspekte und -phänomene 2.1 Aspekte zur Charakterisierung von Strömungen . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Strömungsaspekt: Fluidverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Strömungsaspekt: Umströmung oder Durchströmung . . . . . . . . . 2.1.3 Strömungsaspekt: Erzwungene oder natürliche Konvektion . . . . . . 2.1.4 Strömungsaspekt: Laminare oder turbulente Strömungen . . . . . . . 2.1.5 Strömungsaspekt: Stationäre oder instationäre Strömungen . . . . . . 2.1.6 Strömungsaspekt: Kompressible oder inkompressible Strömungen . . 2.1.7 Strömungsaspekt: Reibungsbehaftete oder reibungsfreie Strömungen 2.1.8 Strömungsaspekt: Drei-, zwei- oder eindimensionale Strömungen . . 2.2 Kinematische Beschreibung von Strömungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Kinematische Beschreibung turbulenter Strömungen . . . . . . . . . 2.2.2 Stromlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Bahnlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Streichlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Strömungsphänomene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Strömungsphänomen: Wandeinfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Strömungsphänomen: Grenzschichten . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Strömungsphänomen: Ablösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4 Strömungsphänomen: Drehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.5 Strömungsphänomen: Verdichtungsstoß . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Illustrierende Beispiele IB-1 bis IB-3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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9 9 9 11 12 13 13 14 14 15 15 16 18 19 19 20 20 21 22 23 24 26
3 Quasi-Strömungsmechanik: Hydro- und Aerostatik 3.1 Hydrostatische Druckverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Bestimmung der Druckkraft auf eine Wand . . . . . . . 3.1.2 Hydrostatischer Auftrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Druckverteilung in einem gleichmäßig rotierenden Fluid 3.2 Aerostatische Druckverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Anwendungsbeispiele AB-1, AB-2 . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Illustrierende Beispiele IB-4, IB-5 . . . . . . . . . . . . . . . .
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29 29 30 33 34 36 37 40
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Inhaltsverzeichnis
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B Methodisches Vorgehen in der Strömungsmechanik
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4 Berechnung, Simulation und Messung von Strömungsgrößen 4.1 Physikalisch/mathematische Modellbildung . . . . . . . . . . . . 4.2 Messen von Strömungsgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Geschwindigkeitsmessungen . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Druckmessungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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45 45 48 48 49
5 Dimensionsanalyse 5.1 Das Pi-Theorem der Dimensionsanalyse . . . 5.2 Auswahl der Einflussgrößen (Modellbildung) 5.3 Bestimmung der dimensionslosen Kennzahlen 5.4 Anwendungsbeispiele AB-3, AB-4 . . . . . . 5.5 Illustrierendes Beispiel IB-6 . . . . . . . . .
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51 52 53 55 56 60
6 Untersuchungen im Modellmaßstab 6.1 Physikalische Ähnlichkeit . . . . . 6.2 Probleme bei Modelluntersuchungen 6.3 Anwendungsbeispiele AB-5, AB-6 6.4 Illustrierende Beispiele IB-7, IB-8 .
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63 63 64 66 68
7 Berücksichtigung des Turbulenzeinflusses 7.1 Zur Physik turbulenter Strömungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Simulation, Modellierung und pauschale Erfassung des Turbulenzeinflusses 7.2.1 Simulation des Turbulenzeinflusses (DNS) . . . . . . . . . . . . . 7.2.2 Modellierung des Turbulenzeinflusses (RANS) . . . . . . . . . . . 7.2.3 Pauschale Erfassung des Turbulenzeinflusses . . . . . . . . . . . . 7.3 Illustrierendes Beispiel IB-9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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71 71 75 75 75 76 76
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C Technische Strömungen
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C1 Eindimensionale physikalisch/mathematische Modelle 8 Grundgleichungen der eindimensionalen Modellierung 8.1 Erläuterungen zur Kontinuitätsgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Erläuterungen zur Gesamtenergiegleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Ungleichverteilung der Strömungsgrößen im Querschnitt . . . . . . . . . . . . . 9 Inkompressible eindimensionale Stromröhrentheorie 9.1 Bestimmung der spezifischen Dissipation ϕ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Berücksichtigung der spezifischen technischen Arbeit wt . . . . . . . . . . . . 9.3 Einsatz der thermischen Energiegleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4 Druck- und Geschwindigkeitsmessungen auf der Basis der Bernoulli-Gleichung 9.5 Strömungskräfte auf die Berandung von Stromröhren . . . . . . . . . . . . . . 9.6 Anwendungsbeispiele AB-7 bis AB-9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.7 Illustrierende Beispiele IB-10, IB-11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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81 83 84 86 89 89 92 93 94 96 98 104
Inhaltsverzeichnis 10 Kompressible eindimensionale Stromröhrentheorie 10.1 Lösungsstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Strömungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3 Anwendungsbeispiele AB-10, AB-11 . . . . . . . . . 10.4 Illustrierende Beispiele IB-12, IB-13 . . . . . . . . . .
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107 108 111 113 115
C2 Mehrdimensionale physikalisch/mathematische Modelle 11 Physikalisch/mathematische Modelle mit und ohne Gebietszerlegung 119 11.1 Grenzschichttheorie: Eine hierarchische Gebietszerlegung . . . . . . . . . . . . 121 12 Reibungsfreie Umströmung von Körperoberflächen 12.1 Grundgleichungen für reibungsfreie Strömungen (Euler-Gleichungen) . 12.1.1 Das ortsfeste Koordinatensystem (Eulersche Betrachtungsweise) 12.1.2 Euler-Gleichungen (2D) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2 Einführung der Stromfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3 Drehungsfreie Strömungen (Potenzialströmungen) . . . . . . . . . . . 12.3.1 Bestimmungsgleichungen für Potenzialströmungen . . . . . . . 12.3.2 Elementare und zusammengesetzte Potenzialströmungslösungen 12.4 Anwendungsbeispiele AB-12, AB-13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.5 Illustrierende Beispiele IB-14, IB-15 . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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125 125 125 127 129 131 131 133 137 140
13 Strömung in Grenzschichten 13.1 Zwölf Grenzschichteigenschaften . . . . . . . . . . . . . 13.2 Laminare Grenzschichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.1 Grenzschichtgleichungen . . . . . . . . . . . . . . 13.2.2 Grenzschichttransformation . . . . . . . . . . . . 13.3 Turbulente Grenzschichten . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3.1 Grenzschichtgleichungen . . . . . . . . . . . . . . 13.3.2 Turbulenzmodellierung . . . . . . . . . . . . . . . 13.3.3 Grenzschichttransformation, Zweischichtenstruktur 13.4 Anwendungsbeispiele AB-14, AB-15 . . . . . . . . . . . 13.5 Illustrierende Beispiele IB-16 bis IB-18 . . . . . . . . . .
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143 143 146 146 148 149 149 151 154 157 159
14 Durchströmung schlanker Kanäle 14.1 Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2 Ebener Kanal, Rohr, hydraulischer Durchmesser . . . . 14.2.1 Hydrodynamische Einlauflänge . . . . . . . . 14.2.2 Ausgebildete Strömungen . . . . . . . . . . . 14.2.3 Das Konzept des hydraulischen Durchmessers 14.3 Schlankkanalgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4 Anwendungsbeispiele AB-16, AB-17 . . . . . . . . . 14.5 Illustrierende Beispiele IB-19, IB-20 . . . . . . . . . .
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163 163 164 164 164 166 169 170 172
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Inhaltsverzeichnis
x
15 Grundgleichungen für Newtonsche Fluide 15.1 Grundgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2 Grundgleichungen für turbulente, inkompressible Strömungen . . . . . . . . . 15.3 Illustrierende Beispiele IB-21, IB-22 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
175 . 176 . 176 . 178
D Sonderkapitel
183
16 Widerstand und Auftrieb 16.1 Widerstand und Auftrieb bei umströmten Körpern 16.1.1 Widerstand umströmter Körper . . . . . 16.1.2 Auftrieb umströmter Körper . . . . . . . 16.2 Verluste bei Durchströmungen . . . . . . . . . . 16.3 Illustrierende Beispiele IB-23, IB-24 . . . . . . .
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185 185 186 186 189 189
17 Spezielle Strömungssituationen 17.1 Natürliche Konvektion . . . . . . . . . . . . 17.1.1 Charakteristische Geschwindigkeit uc 17.1.2 Boussinesq-Approximation . . . . . 17.2 Schleichende Strömungen . . . . . . . . . . 17.3 Strömung in porösen Medien . . . . . . . . . 17.4 Strömung in offenen Kanälen (Gerinnen) . . 17.5 Oberflächenwellen . . . . . . . . . . . . . . 17.6 Einfluss der Oberflächenspannung . . . . . . 17.6.1 Spezifische Oberflächenenergie σ . . 17.6.2 Oberflächenspannung σ . . . . . . . 17.6.3 Kapillarität . . . . . . . . . . . . . . 17.7 Anwendungsbeispiele AB-18, AB-19 . . . . 17.8 Illustrierende Beispiele IB-25, IB-26 . . . . .
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193 193 193 195 196 198 202 205 207 208 208 208 211 214
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18 Zehn mal warum ...?
217
Verzeichnis der Anwendungsbeispiele
221
Verzeichnis der illustrierenden Beispiele
222
Verzeichnis wichtiger Symbole und Formelzeichen
223
Häufig verwendete Indizes und Kennzeichnungen
225
Literaturverzeichnis / Monographien
227
Index
231
1
0 Das methodische Konzept dieses Buches Der Ausgangspunkt für eine theoretische Modellbildung in der Strömungsmechanik sind die physikalischen Axiome der Massen-, Impuls- und Energieerhaltung. Deren konsequente Anwendung auf strömende Fluide (Gase und Flüssigkeiten) führt zu den sog. Grundgleichungen der Strömungsmechanik. Das darauf basierende physikalisch/mathematische Modell1 stellt ein umfassendes und allgemeingültiges Modell zur Beschreibung von Strömungsvorgängen dar. Vereinfachte Modelle ergeben sich durch physikalisch begründete Annahmen und können in diesem Sinne stets als Spezialfälle des allgemeinen Modells abgeleitet werden. Ein solches Vorgehen wird als deduktiv bezeichnet. Es besitzt den Vorteil eines stets nachvollziehbaren Vorgehens, muss aber gleich zu Beginn das Modell der vollständigen Grundgleichungen vermitteln. Dies stellt einen hohen Anspruch an das physikalische und vor allem auch mathematische Verständnisvermögen der Leser. Diese Vorgehensweise wird im vorliegenden Buch nicht gewählt.2
physikalische Axiome Massen-, Impuls- und Energieerhaltung
Grundgleichungen der Strömungsmechanik, Kap. 15
3-D
Euler-Gleichungen Kap. 12
2-D
Stromröhrentheorie inkompressibel, Kap. 9
Innenströmungen Kap. 14
Stromröhrentheorie kompressibel, Kap. 10
1-D
Grenzschichtgleichungen Kap. 13
Hydro-/Aerostatik, Kap. 3
Abb. 0.1: Induktives Konzept im Rahmen des vorliegenden Buches: Vorgehen in Richtung der grau hinterlegten Pfeilspitze 1-D: eindimensional; 2-D: zweidimensional; 3-D: dreidimensional 1
2
Dieser und weitere Begriffe werden im vorliegenden Buch definiert. Sie können und sollen hier zunächst in einem allgemeinen, dem Alltagsverständnis entsprechenden Sinne verwendet werden. Ein deduktiv verfahrendes Lehrbuch zur Strömungsmechanik ist z.B.: Herwig, H. (2006): Strömungsmechanik – Eine Einführung in die Physik und mathematische Modellierung von Strömungen, 2. Aufl., Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg.
2
0 Das methodische Konzept dieses Buches
Um einen leichteren Einstieg in die Strömungsmechanik zu ermöglichen, wird hier ein induktives Vorgehen bevorzugt, d.h., ausgehend von stark vereinfachten Modellen wird zu einer immer umfassenderen Modellierung übergegangen. Die Modelle auf der jeweiligen Stufe der Vereinfachung können dann aber nicht mehr abgeleitet, sondern zunächst nur bereitgestellt werden. Eine ausführliche Diskussion des physikalischen Hintergrundes lässt aber stets erkennen, dass sie begründete Spezialfälle des allgemeinen Modells sind. Abb. 0.1 zeigt das Vorgehen anhand der Reihenfolge von einzelnen Kapiteln in diesem Buch.
Teil A Einführung in wichtige Aspekte und Phänomene der Strömungsmechanik
Im Teil A dieses Buches soll zunächst anhand konkreter Beispiele aus Natur und Technik gezeigt werden, wie vielfältig Strömungen auftreten und welche verschiedenen Aspekte bedacht werden sollten, um eine konkrete Strömung zu charakterisieren. Diese verschiedenen Aspekte müssen bezüglich ihrer Bedeutung erkannt und eingeordnet werden, wenn Strömungen mit Hilfe vereinfachter Modellvorstellungen beschrieben werden sollen. Wesentliche Aspekte und wichtige Strömungsphänomene werden im Teil A vorgestellt und bzgl. ihrer physikalischen Bedeutung eingeordnet. Anschließend wird erläutert, dass Strömungen prinzipiell entweder im Experiment beobachtet oder auf der Basis von mathematischen Modellgleichungen näherungsweise beschrieben werden können. Zum Abschluss von Teil A und in Vorbereitung auf die eigentliche Strömungsmechanik werden die physikalischen Zustände in einem ruhenden Fluid betrachtet (Hydro- und Aerostatik).
5
1 Anschauliche Beispiele aus Natur und Technik In diesem Kapitel sollen ausgehend von „normalen Alltagserfahrungen“ Situationen benannt werden, in denen Strömungen eine (mehr oder weniger entscheidende) Rolle spielen. Es wird dabei nach Strömungen in der Natur und solchen in technischen Anwendungen unterschieden. Abschließend wird der Begriff der technischen Strömungen eingeführt und erläutert. Die weiteren Ausführungen im vorliegenden Buch beziehen sich auf solche technischen Strömungen.
1.1 Strömungen im Alltag Entlang eines normalen Tagesablaufes sollen im Folgenden Strömungsbeispiele benannt werden. In Klammern werden jeweils die strömungsmechanisch korrekten Bezeichnungen für die genannten Strömungssituationen angegeben. Diese sind bisher weder eingeführt noch definiert worden, die im Alltag übliche Bedeutung der vorkommenden Begriffe gestattet aber ein grobes Verständnis der verwendeten Fachbegriffe.
Morgens vor dem Aufstehen: Wir wachen nur auf, weil über Nacht u.a. •
unser Blutkreislauf vorhanden war. [S TRÖMUNG EINES NICHT- NEWTONSCHEN F LUIDES (Blut) IN FLEXIBLEN B LUTGEFÄSSEN SEHR UNTERSCHIEDLICHER D URCHMESSER ]
•
unsere Atmung aktiv war. [W EITGEHEND LAMINARE S TRÖMUNG IN DEN FEINEN P OREN DER L UNGENFLÜGEL ]
•
unsere Nieren gearbeitet haben. [S TRÖMUNG IN PORÖSEN M EDIEN MIT S TOFFÜBERGÄNGEN].
MIT
S TOFFÜBERGÄNGEN
Morgens nach dem Aufstehen: •
Im Badezimmer wird auf vielfältige Weise Wasser genutzt. [S TRÖMUNG EINES INKOMPRESSI BLEN F LUIDES (Wasser) IN MEHRFACH VERZWEIGTEN ROHRLEITUNGSSYSTEMEN ; OFFENE G ERINNESTRÖMUNG VOR DEN A BFLÜSSEN]
•
Die Haare werden mit dem Fön getrocknet. [KONVEKTIVER WÄRME - UND S TOFFÜBERGANG]
•
Die Zahnpasta wird aus der Tube gedrückt. [S CHLEICHENDE S TRÖMUNG F LUIDES (Zahnpasta)]
•
Die Heizung im Badezimmer sorgt für eine angenehme Raumtemperatur. [N ATÜRLICHE KON VEKTION IN GESCHLOSSENEN R ÄUMEN KOMBINIERT MIT WÄRMESTRAHLUNG ]
EINES
B INGHAM -
Morgens beim Frühstück: •
Der pfeifende Wasserkessel zeigt an, dass die Siedetemperatur des Kaffeewassers erreicht ist. [S TRÖMUNGSAKUSTIK ; B LASENSIEDEN]
•
Der Kaffee wurde umweltfreundlich durch Aufgießen in einer Push-Kaffeemaschine zubereitet. [S TRÖMUNG IN PORÖSEN M EDIEN (Kaffeesatz)]
•
Die Milch verteilt sich durch Umrühren schnell und gleichmäßig im Kaffee. [M ISCHUNG TURBULENTEN S TRÖMUNGEN ]
IN
1 Anschauliche Beispiele aus Natur und Technik
6
•
Der Kaffee in der Tasse wird leider relativ schnell kalt. [NATÜRLICHE KONVEKTION IM K AF FEE UND IN DER UMGEBENDEN L UFT KOMBINIERT MIT WÄRMESTRAHLUNG ]
•
Der Honig läuft langsam vom Löffel auf die Brötchenhälfte. [S CHLEICHENDE S TRÖMUNG EI NES SCHERENTZÄHENDEN F LUIDES (Honig)]
Auf der Fahrt zur Arbeit im Auto (stichwortartige Aufzählung): •
Benzinzufuhr mit Einspritzen in die Zylinder, Zündung [M EHRPHASENSTRÖMUNG CHEMISCH REAGIERENDER F LUIDE ]
und
Verbrennung
•
Motorkühlung mit Hilfe eines Kühlwasserkreislaufes; Umströmung des Kühleraggregates durch Fahrtwind oder ein Kühlgebläse [KONVEKTIVER WÄRMEÜBERGANG GAS - UND FLÜSSIG KEITSSEITIG ; LOKALES B LASENSIEDEN AN THERMISCH HOCHBELASTETEN B AUTEILEN ]
•
Umströmung des aerodynamisch besonders günstigen Autos mit einem niedrigen Widerstandsbeiwert cW ≈ 0,3 [D REIDIMENSIONALE U MSTRÖMUNG EINES BEWEGTEN KÖRPERS IN B O DENNÄHE ]
•
klimatisierter Fahrgastraum [S TRÖMUNG MIT ZWEIFACHEM P HASENWECHSEL IN DER K LI MAANLAGE (Kältemittel), KONVEKTIVE WÄRMEÜBERGÄNGE IM K ÄLTEMITTEL UND IN DER KONDITIONIERTEN L UFT ]
Während der Arbeit und danach: jetzt sollte der Leser bereits hinreichend motiviert sein, die konkrete Umgebung auf vorkommende Strömungssituationen bzw. -phänomene hin zu überdenken.
1.2 Strömungen in Natur und Technik Die im vorigen Abschnitt genannten Strömungsbeispiele sind mehrheitlich technisch bedingt, und finden deshalb in und um technisch hergestellte(n) Geometrien statt. Bevor anschließend definiert wird, was technische Strömungen ausmacht, die ausschließlich Gegenstand des vorliegenden Buches sind, sollen im Folgenden zunächst weitere typische Strömungen aus der Natur aufgeführt werden. Neben den im vorigen Abschnitt bereits erwähnten Blut- und Atemströmungen kommen zum Beispiel folgende Strömungen in der Natur vor:1
1
Aerodynamische Strömung beim Vogelflug: Es handelt sich um eine stark instationäre Strömung u.a. um die verformbaren Vogelflügel (Auftriebserzeugung), die durch die Federstruktur eine geometrisch komplizierte und zeitlich veränderliche Oberflächengeometrie aufweisen. Die jeweilige Geometrieform entsteht in Wechselwirkung mit der Strömung.
Hydrodynamische Strömung beim Delfin: Auch hier liegt (betrachtet aus dem BezugsKoordinatensystem des Delfins) eine hochgradig instationäre Umströmung der Körpergeometrie vor. Die Körperoberfläche ist glatt und flexibel, die genaue Geometrie stellt sich aufgrund einer Wechselwirkung zwischen der Strömung und dem umströmten Körper ein.
Hydrodynamische Strömung von Flüssen: Es handelt sich um sogenannte offene Gerinneströmungen mit sehr stark variablen und auf verschiedenen Zeitskalen veränderlichen Strömungsgeometrien. Eine kurzfristige Veränderung der strömungsbegrenzenden Geometrie liegt bei starkem Sedi-
Der Wissenschaftszweig Bionik beschäftigt sich u.a. mit Strömungen, die in der Natur vorkommen und versucht daraus Erkenntnisse abzuleiten, die in technischen Strömungen gewinnbringend eingesetzt werden können. Einen sehr guten Überblick gibt: Nachtigall, W. (2003): Bionik, 2. Aufl., Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg
1.2 Strömungen in Natur und Technik
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menttransport vor. Eine langfristige Veränderung tritt auf, weil die Mäanderform des Flussbettes durch eine strömungsbedingte Abtragung von Ufermaterial entsteht.
Als charakteristische Eigenschaften von Strömungen in der Natur können bereits aus den hier genannten Beispielen ausgemacht werden:
ungleichmäßige „komplizierte“ Strömungsgeometrie
Wechselwirkung zwischen der Strömung und der Geometrieform
hochgradige Instationarität
Diese drei Aspekte können auch in sogenannten technischen Strömungen auftreten, sind dort aber eher die Ausnahme als die Regel. Deshalb können technische Strömungen wie folgt definiert werden.
D EFINITION: Technische Strömungen Technische Strömungen liegen vor, wenn
die Strömung durch technische Mittel zustande kommt.
die um- oder durchströmte Geometrie technisch entworfen und hergestellt worden ist.
Solche Strömungen zeichnen sich in der Regel aus durch
geometrisch einfache Strömungsfeld-Begrenzungen, die von der Strömung nicht beeinflusst werden (keine Wechselwirkung zwischen der Strömung und der Geometrie).
stationäres Strömungsverhalten nach einem instationären „Anfahrvorgang“.
Ein typisches Beispiel für eine Strömung, die alle in der Definition vorkommenden Bedingungen erfüllt, ist die zeitlich unveränderliche (stationäre) Strömung von Wasser durch ein Rohr (Durchmesser D, Länge L), die mit einer Pumpe aufrechterhalten wird. In Ausnahmefällen kann eine solche Strömung auch instationär sein (z.B. aufgrund einer periodisch veränderlichen Pumpenleistung). Wenn die Rohrwand aus elastischem Material besteht, stellt sich die Geometrie aufgrund einer Wechselwirkung mit der Strömung ein. Man spricht dann von einer sogenannten Fluid-Struktur-Wechselwirkung. Gegenstand des vorliegenden Buches sind zunächst allerdings technische Strömungen ohne spezielle Zusatzaspekte. Die Behandlung spezieller Aspekte setzt die Kenntnis der standardmäßigen technischen Strömungen voraus. Das Ziel des vorliegenden Buches ist es, in die Physik und die mathematische Beschreibung von technischen Standard-Strömungen einzuführen. In sogenannten I LLUSTRIERENDEN B EISPIELEN werden z.T. auch Fälle von komplexeren technischen Strömungen genannt, die dann aber nicht in allen Einzelheiten diskutiert werden können.
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2 Strömungsaspekte und -phänomene In diesem Kapitel sollen zunächst verschiedene wichtige Aspekte zur Charakterisierung von Strömungen kurz beschrieben werden, bevor anschließend einige grundlegende Strömungsphänomene erläutert werden. Dabei werden hier und im Folgenden strömende Fluide stets als Kontinuum betrachtet. Es wird also vernachlässigt, dass Fluide aus einzelnen Atomen und Molekülen bestehen. Bei Fluiddichten, wie sie etwa bei Umgebungsbedingungen vorliegen, sind molekulare Skalen von der Größenordnung 10−8 m und damit sehr viel kleiner als im Folgenden betrachtete Geometrieabmessungen. Für stark verdünnte Gase sind molekulare Skalen aber sehr viel größer und können durchaus die Abmessungen makroskopischer Apparate erreichen. Diese Fälle werden hier jedoch nicht betrachtet. Weiterhin werden nur die reinen Strömungen behandelt und keine zusätzlichen Fragestellungen untersucht, die sich z.B. durch die Überlagerung von Temperatur- und/oder Konzentrationsfeldern ergeben. Die dann vorliegende Problematik der konvektiven Wärme- und Stoffübertragung ist ein eigenes Fachgebiet.1
2.1 Aspekte zur Charakterisierung von Strömungen Wenn Strömungen durch physikalisch/mathematische Modelle beschrieben werden sollen, trifft man häufig einschränkende Annahmen, um zu relativ einfachen Modellen zu gelangen. Solche Annahmen beziehen sich auf verschiedene Aspekte, die im Folgenden definiert und in ihrer physikalischen Bedeutung erläutert werden sollen. 2.1.1 Strömungsaspekt: Fluidverhalten Im Rahmen dieses Buches wird von einphasigen Fluiden, also reinen Gasen oder reinen Flüssigkeiten ausgegangen. Mehrphasige Strömungen entstehen durch einen Phasenwechsel an bestimmten Stellen im Fluid (Kondensation, Verdampfung) oder sind von vorneherein als solche gegeben, wie z.B. bei einer mit Feststoffpartikeln beladenen Flüssigkeit. Das Verhalten von einphasigen Fluiden ist entscheidend dadurch bestimmt, mit welchen Verformungen sie auf eine Scherbelastung reagieren. In einer Versuchsanordnung wie in Abb. 2.1 skizziert kann das sogenannte Fließgesetz eines Fluides bestimmt werden. Dies ist der Zusammenhang zwischen einer aufgeprägten Schubspannung τ und dem daraus resultierenden Geschwindigkeitsgradienten du/dy. Dabei wirkt τ als „Kraft pro Fläche“ in der jeweiligen Scherungsebene von aneinander vorbeigleitenden Fluidbereichen, was durch eine Indizierung als τyx präzisiert werden könnte (Kraft in einer Ebene senkrecht zu y in Richtung von x). Die Besonderheit der Strömungsanordnung in Abb. 2.1 besteht darin, dass im gesamten Strömungsfeld eine einheitliche, konstante Schubspannung auftritt. Diese Schubspannung entsteht, weil das Fluid der Bewegung einen (Reibungs-)Widerstand entgegensetzt, der durch die Kraft F pro Fläche A überwunden werden muss. Eine Kräftebilanz ergibt in dieser einfachen Anordnung τ = F/A = const. 1
siehe dazu z.B.: Herwig, H.; Moschallski, A. (2006): Wärmeübertragung, Vieweg Verlag, Wiesbaden
2 Strömungsaspekte und -phänomene
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Bewegung der oberen Platte mit der Kraft F pro Fläche A U y
τ
u H
x
Abb. 2.1: Anordnung zur Bestimmung des Fließgesetzes eines einphasigen Fluides Strömung: ebene Couette-Strömung
Damit kann durch Variation von τ auf einfache Weise ermittelt werden, wie der Zusammenhang τ = τ (du/dy) für ein bestimmtes Fluid lautet. Dazu muss lediglich der jeweils konstante Geschwindigkeitsgradient du/dy = U/H bestimmt werden.2 Die in Abb. 2.1 gezeigte Strömung wird (ebene) Couette-Strömung genannt. Es zeigt sich, dass sehr viele Fluide ein Fließgesetz der Form τ = η (du/dy) besitzen. Ein besonders einfaches Verhalten liegt vor, wenn η ein konstanter (Stoff-) Wert ist.
D EFINITION: Newtonsches Fluid, Viskosität Ein Fluid mit dem Fließgesetz (vgl. Abb. 2.1)
τ =η
du dy
;
η = const
(2.1)
wird als Newtonsches Fluid bezeichnet. Die darin auftretende Konstante η ist die dynamische Viskosität mit der Einheit kg/ms. Sie wird nach der Division durch die Dichte ρ zur kinematischen Viskosität ν mit der Einheit m2 /s, d.h. es gilt ν = η /ρ . Der lineare Zusammenhang in (2.1) bedeutet, dass eine Verdoppelung der Kraft F in der Anordnung nach Abb. 2.1 zu einer doppelten Schergeschwindigkeit U führt. Technisch wichtige Fluide wie Luft, Wasser und Öle zeigen ein solches Newtonsches Verhalten. Tabelle 2.1 enthält Zahlenwerte der Viskosität η ausgesuchter Stoffe. Erst wenn Fluide langkettige Moleküle besitzen, deren Anordnung zueinander und deren Wechselwirkung miteinander durch die Scherbewegung beeinflusst werden, tritt ein von (2.1) abweichendes Verhalten auf. Dies ist z.B. bei langkettigen Polymermolekülen der Fall. Etliche solcher, dann nicht-Newtonsche Fluide genannter Stoffe können in ihrem Fließverhalten weiterhin durch τ = η du/dy beschrieben werden, η ist dann aber keine Konstante, sondern von der Scherrate du/dy abhängig. Abb. 2.2 zeigt einige Beispiele für solche nicht-Newtonschen 2
Ein linearer Geschwindigkeitsverlauf und damit ein konstanter Geschwindigkeitsgradient stellt sich allerdings nur ein, wenn die Geschwindigkeit U unter einem bestimmten Grenzwert bleibt (der eine laminare Strömung sicherstellt, s. dazu Abschn. 2.1.4).
2.1 Aspekte zur Charakterisierung von Strömungen
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Fließgesetze mit sogenannten effektiven Viskositäten ηe f f = ηe f f (du/dy). Die Bildunterschrift enthält einige weitergehende Angaben zum nicht-Newtonschen Fluidverhalten. Tab. 2.1: Viskosität ausgewählter Newtonscher Fluide bei p = 1 bar und t = 20 ◦ C (t = 200 ◦ C für flüssiges Natrium); Beachte: Prinzipiell liegt eine Druck- und Temperaturabhängigkeit vor, die u.U. berücksichtigt werden muss.
V ISKOSITÄT η /(kg/ms)
DYNAMISCHE
S TOFF
V ISKOSITÄT ν/(m2 /s)
KINEMATISCHE
Luft
18,91 ·10−6
15,31 ·10−6
Wasser
1001,9 ·10−6
1,004 ·10−6
Öl
28 372 ·10−6
32,43 ·10−6
fl. Natrium
452,2 ·10−6
0,5 ·10−6
τ D (τ0 ) C
A B
du/dy Abb. 2.2: Prinzipieller Verlauf des Fließgesetzes Newtonscher und nicht-Newtonscher Fluide; τ = ηe f f (du/dy) A: Newtonsche Fluide (z.B.: Luft, Wasser) B-D: Nicht-Newtonsche Fluide B: scherverzähende (auch: dilatante) Fluide (z.B.: Honig) C: scherentzähende (auch: pseudoplastische) Fluide (z.B. Ketchup) D: Bingham-Fluide (Fluidverhalten erst für τ > τ0 , z.B.: Lackfarbe) Zur weiteren Erläuterung siehe das I LLUSTRIERENDE B EISPIEL IB-1 in Abschn. 2.4.
2.1.2 Strömungsaspekt: Umströmung oder Durchströmung Die Unterscheidung danach, ob ein Körper umströmt wird, oder ob die Durchströmung einer bestimmten Geometrie vorliegt, ist sinnvoll, weil für beide Fälle häufig unterschiedliche Fragestellungen auftreten und bestimmte Details grundsätzlich verschieden sind.
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2 Strömungsaspekte und -phänomene
D EFINITION: Körperumströmung und Körperdurchströmung Die Umströmung eines Körpers liegt vor, wenn das Strömungsgebiet einen Körper vollständig umschließt, diesen umströmt und der Fluid-Massenstrom nicht durch die Körpergeometrie begrenzt ist. Die Durchströmung eines Körpers liegt vor, wenn das Strömungsgebiet vollständig in der Körpergeometrie liegt, Ein- und Austrittsquerschnitte identifiziert werden können und die Körpergeometrie den Fluid-Massenstrom begrenzt. Ein typisches Umströmungsbeispiel ist die Strömung um einen Flugzeugtragflügel. Häufig interessieren dabei die strömungsinduzierten Kräfte auf den Körper (hier: Auftrieb und Widerstand). Typisch für Durchströmungen ist die Strömung durch ein Rohr. Häufig interessiert hierbei der Zusammenhang zwischen dem Fluid-Massenstrom durch das Rohr und dem dafür erforderlichen Druckabfall im Rohr, was als Widerstandsgesetz des durchströmten Körpers bezeichnet wird. Die Entscheidung, ob eine Umströmung oder eine Durchströmung vorliegt, ist keineswegs immer trivial. So kann z.B. die Strömung durch die Schaufelreihen einer Turbine als die Umströmung der einzelnen (benachbarten) Schaufeln interpretiert werden, aber auch als Durchströmung der von den Schaufeln gebildeten Kanäle. 2.1.3 Strömungsaspekt: Erzwungene oder natürliche Konvektion Strömungen können auf unterschiedliche Weise zustande kommen. Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal besteht darin, ob eine Strömung durch aufgeprägte Druckunterschiede entsteht, oder ob (hydrostatische) Auftriebskräfte aufgrund von Dichteunterschieden die Strömungsursache darstellen. D EFINITION: Erzwungene und natürliche Konvektion Eine erzwungene Konvektion (Strömung) liegt vor, wenn ein externer, in der Regel mechanischer Antrieb die Strömungsursache darstellt. Eine natürliche Konvektion (Strömung) tritt auf, wenn Dichteunterschiede in einer Strömung zu Fluidbewegungen aufgrund von Auftriebskräften führen. Erzwungene Konvektionen können z.B. mit Pumpen (bei Flüssigkeiten) und Gebläsen (bei Gasen) erzeugt werden. Diese Apparate führen zu Druckunterschieden im Fluid. Das Kräftegleichgewicht an den einzelnen Fluidteilchen ist dann erst wieder erfüllt, wenn in Folge einer Strömung weitere Kräfte (meist Reibungs- und Trägheitskräfte) hinzukommen. Wenn einem Fluid Temperaturunterschiede aufgeprägt werden, so entstehen Dichteunterschiede, weil ein Fluid eine mehr oder weniger temperaturabhängige Dichte besitzt. Falls dabei keine stabile Schichtung entsteht, ist wiederum das Kräftegleichgewicht erst erfüllt, wenn aufgrund einer Strömung weitere Kräfte hinzukommen. Eine so entstehende natürliche Konvektion besitzt damit keinen mechanischen (künstlichen) Antrieb.3 Wenn beide Ursachen für das Zustandekommen von Strömungen gleichzeitig vorliegen, spricht man von gemischter Konvektion. 3
Gelegentlich wird in diesem Zusammenhang auch von freier Konvektion gesprochen.
2.1 Aspekte zur Charakterisierung von Strömungen
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2.1.4 Strömungsaspekt: Laminare oder turbulente Strömungen Strömungen treten in zwei grundsätzlich verschiedenen Formen auf: entweder als „wohlgeordnete“ Strömungen, in denen die einzelnen Fluidteilchen „glatten Bahnen“ folgen oder so, dass die einzelnen Fluidteilchen auf ihrem Weg durch das Strömungsfeld starken Schwankungsbewegungen unterliegen.
D EFINITION: Laminare und turbulente Strömungen Laminare Strömungen sind dadurch gekennzeichnet, dass die einzelnen Fluidelemente ungestörten („glatten“) Strömungsbahnen folgen. Die Impulsübertragung zwischen benachbarten Fluidbereichen erfolgt durch molekulare Wechselwirkungen. Turbulente Strömungen sind durch stark schwankende Strömungsgeschwindigkeiten gekennzeichnet, deren Schwankungskomponenten in alle drei Raumrichtungen weisen. Die Impulsübertragung durch molekulare Wechselwirkungen wird durch diese Schwankungsbewegungen stark erhöht, weil lokal große Geschwindigkeitsunterschiede auftreten. Welche der beiden Strömungsformen im konkreten Fall vorliegt, entscheidet sich anhand eines dimensionslosen Parameters (der Reynolds-Zahl), der später eingeführt wird. Dabei zeigt sich, dass Strömungen eines bestimmten Fluides mit niedrigen Geschwindigkeiten in der Regel laminar sind. Bei hohen Geschwindigkeiten liegen dagegen turbulente Strömungen vor. Technisch relevante Strömungen sind fast stets turbulent. Wie in der Definition ausgeführt, haben die turbulenten Schwankungen einen erheblichen Einfluss auf die Strömung. Sowohl im Experiment als auch bei der theoretischen Beschreibung solcher Strömungen müssen diese entsprechend erfasst bzw. berücksichtigt werden, was eine erhebliche Schwierigkeit darstellt. 2.1.5 Strömungsaspekt: Stationäre oder instationäre Strömungen Betrachtet man eine Strömung als ortsfester Beobachter, der sich nicht mit der Strömung mitbewegt, so nimmt man eine stationäre Strömung als unveränderlich wahr.
D EFINITION: Stationäre und instationäre Strömungen Stationäre Strömungen liegen vor, wenn für einen ortsfesten Beobachter alle Strömungsgrößen zeitunabhängige Werte aufweisen. Bei turbulenten Strömungen bezieht sich diese Aussage auf Größen, die über einen Zeitraum gemittelt worden sind, der deutlich kleiner als der Beobachtungszeitraum ist. Instationäre Strömungen liegen vor, wenn die zuvor beschriebenen Größen eine Zeitabhängigkeit aufweisen. Besondere instationäre Strömungen treten auf, wenn die Strömungsgrößen ein Zeitverhalten aufweisen, das periodisch ist oder sich asymptotisch einem stationären Verhalten annähert. Im letzteren Fall handelt es sich dann um eine sogenannte transiente Strömung, wie sie z.B. in der Anfangsphase eines endgültig stationären Prozesses vorliegt.
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2 Strömungsaspekte und -phänomene
2.1.6 Strömungsaspekt: Kompressible oder inkompressible Strömungen Fluide können die thermodynamische Eigenschaft besitzen, dass ihre Dichte ρ mit dem Druck und der Temperatur stark veränderlich ist. Dies gilt z.B. für Gase mit der konkreten Abhängigkeit ρ ∼ p/T , wenn sie sich wie ideale Gase verhalten. Es gibt aber auch Fluide, deren Dichte fast gar nicht vom Druck bzw. der Temperatur anhängt. In diesem Sinne können Fluide (materiell) kompressibel oder inkompressibel sein. Der Aspekt der Kompressibilität bei Strömungen ist aber enger gefasst und meint nicht einfach, dass die beteiligten Fluide kompressibel sind.
D EFINITION: Kompressible und inkompressible Strömungen Kompressible Strömungen liegen vor, wenn durch die Strömung im Strömungsfeld Dichteunterschiede auftreten, die nicht vernachlässigt werden können. Inkompressible Strömungen besitzen keine oder nur vernachlässigbar kleine strömungsbedingte Dichteunterschiede. Bei dieser Definition wird deutlich, dass die materielle Fluideigenschaft der Kompressibilität eine notwendige Voraussetzung (nur, wenn ...) darstellt. Sie ist aber nicht gleichzeitig auch hinreichend (immer, wenn ...), weil ein kompressibles Fluid durchaus im Zusammenhang mit einer inkompressiblen Strömung vorkommen kann. In diesem Sinne ist die zuvor definierte Kompressibilität von Strömungen eine Strömungs- und keine Fluideigenschaft. Es kann später gezeigt werden, dass Strömungen von Gasen relativ niedriger Geschwindigkeiten wie inkompressible Strömungen behandelt werden können. Die häufig getroffene Aussage, dass in einer inkompressiblen Strömung grundsätzlich für die Dichte ρ = const gelten müsste, ist bei genauerer Analyse eine verkürzte Darstellung, da nur der Aspekt der strömungsbedingten Dichteänderungen entscheidend ist. Dies lässt durchaus gewisse Dichteschichtungen zu (d.h. ρ = const), wie sie z.B. bei natürlicher Konvektion auftreten. Ein Effekt starker Kompressibilität, der sogenannte Verdichtunsstoß wird in Abschnitt 2.3.5 behandelt. 2.1.7 Strömungsaspekt: Reibungsbehaftete oder reibungsfreie Strömungen Reibungseffekte treten in realen Strömungen stets auf, sie können aber von mehr oder weniger großer Bedeutung sein. Deshalb können Modellströmungen, die keinerlei Reibungseffekte aufweisen, in bestimmten Situationen sehr sinnvoll eingesetzt werden, um reale Strömungen näherungsweise zu beschreiben.
D EFINITION: Reibungsbehaftete und reibungsfreie Strömungen Reibungsbehaftete Strömungen liegen vor, wenn Reibungseffekte in der Strömung gegenüber den anderen, die Strömung bestimmenden Effekten, nicht vernachlässigt werden können. Reibungsfreie Strömungen sind Modellströmungen, die zur Beschreibung von Strömungen dienen, in denen Reibungseffekte vernachlässigt werden können.
2.2 Kinematische Beschreibung von Strömungen
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Da Reibungseffekte als molekulare Interaktionen der Fluidmoleküle aus makroskopischer Sicht stets mit der Viskosität η des beteiligten Fluides verbunden sind, wird häufig argumentiert, dass reibungsfreie Strömungen vorliegen, wenn η = 0 gilt. Diese Interpretation trägt aber eher zur Verwirrung bei, weil dann anstelle einer Modellströmung ein Modellfluid unterstellt wird. Da es durchaus Strömungen mit beliebig kleinen Reibungseffekten, aber keine Fluide mit beliebig kleinen Viskositäten gibt (abgesehen von Fluiden in der Nähe des absoluten Temperaturnullpunktes, dann liegt eine sogenannte Superfluidität vor), sollte der Strömungseigenschaft der Vorzug vor der Fluideigenschaft gegeben werden. 2.1.8 Strömungsaspekt: Drei-, zwei- oder eindimensionale Strömungen In besonderen Situationen, z.B. bei einer besonderen geometrischen Form des Strömungsgebietes, kann es vorkommen, dass eine oder zwei Komponenten des zunächst allgemein dreidimensionalen Geschwindigkeitsvektors vernachlässigbar kleine Werte besitzen. Es entstehen dann zwei- bzw. eindimensionale Strömungen. D EFINITION: Drei-, zwei- und eindimensionale Strömungen Dreidimensionale Strömungen liegen vor, wenn alle drei Komponenten des Geschwindigkeitsvektors (zumindest bereichsweise) von null verschieden sind. Zweidimensionale Strömungen liegen vor, wenn eine von drei Komponenten des Geschwindigkeitsvektors im gesamten Strömungsfeld null ist. Handelt es sich um eine von drei Komponenten eines kartesischen Geschwindigkeitsvektors, liegt eine ebene Strömung vor. Handelt es sich um die Azimutalkomponente eines Geschwindigkeitsvektors in Zylinderkoordinaten liegt eine rotationssymmetrische Strömung vor. Eine Strömung ist eindimensional, wenn nur eine Geschwindigkeitskomponente (des 3DVektors) von null verschieden ist. Abb. 2.3 zeigt Beispiele für die in der Definition angegebenen Spezialfälle. Bei turbulenten Strömungen, die aufgrund der Schwankungsbewegungen von Natur aus dreidimensional sind, beziehen sich die Aussagen zur eingeschränkten Dimensionalität auf die zeitlich gemittelten Geschwindigkeitsfelder.
2.2 Kinematische Beschreibung von Strömungen Eine Strömung kann als „konzertierte“ Bewegung einzelner Fluidteilchen interpretiert werden. Die Abgrenzung von einzelnen Fluidteilchen ist dabei mehr oder weniger willkürlich, weil hier keine physikalisch abgrenzbaren Einzelteilchen wie Atome oder Moleküle betrachtet werden. Fluidteilchen werden deshalb im Folgenden als infinitesimale Ausschnitte (mit dem Volumen dV ) aus einem fluiden Kontinuum angesehen. Dieses Volumen ist so klein, dass Geschwindigkeitsunterschiede darin vernachlässigt werden können und dem Volumen dV jeweils ein Geschwindigkeitsvektor mit drei Komponenten zugeordnet werden kann. Damit ist es möglich, ein Geschwindigkeitsfeld durch Geschwindigkeitsvektoren an verschiedenen Punkten im Feld zu charakterisieren, die dann jeweils die momentanen Geschwindigkeiten der Fluidteilchen an diesen Stellen darstellen. Bevor dies weiter ausgeführt wird, muss zunächst geklärt werden, wie diese Charakterisierung bei den stark schwankenden Geschwindigkeiten turbulenter Strömungen möglich ist.
2 Strömungsaspekte und -phänomene
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(a)
(b)
r
y
x (ϕ )
x (z) (y)
(c) (z)
x
Abb. 2.3: Zwei- und eindimensionale Strömungen durch eine plötzliche Querschnittserweiterung (a) zweidimensionale, ebene Strömung; keine Geschwindigkeitskomponente in z-Richtung (b) zweidimensionale, rotationssymmetrische Strömung; keine Geschwindigkeitskomponente in ϕ -Richtung (c) eindimensionale Strömung; keine Geschwindigkeitskomponenten in y- und z-Richtung
2.2.1 Kinematische Beschreibung turbulenter Strömungen Abb. 2.4 zeigt den typischen Verlauf der drei Geschwindigkeitskomponenten u(x0 ,t), v(x0 ,t) und w(x0 ,t) an einer bestimmten Stellex0 als Funktion der Zeit. Dieser Verlauf könnte mit einer Sonde bestimmt worden sein, die alle drei Komponenten mit einer entsprechend hohen Zeitauflösung messen kann. Wie in Abb. 2.4 angedeutet, können die einzelnen Geschwindigkeitskomponenten jeweils als Summe aus einem zeitlichen Mittelwert (u, v, w) und den dann noch verbleibenden Schwankungen (u , v , w ) dargestellt werden.
D EFINITION: Zeitlich gemittelte Strömungsgrößen Der zeitliche Mittelwert einer turbulent schwankenden Größe a(x,t) ist: 1 a(x) = ∆t so dass gilt:
tˆ+∆t
a(x,t) dt
(2.2)
a(x,t) = a(x) + a(x,t)
(2.3)
tˆ
2.2 Kinematische Beschreibung von Strömungen
17
u
Ausschnitt aus einem Strömungsfeld
u u
y − y0 t
v x − x0
v (u, v, w)
v u
t
w w
w
z − z0
t Abb. 2.4: Geschwindigkeitskomponenten an einer festen Stelle x0 = (x0 , y0 , z0 )
Die Mittelungszeit ∆t in (2.2) muss so groß wie nötig, sollte aber auch so klein wie möglich gewählt werden. Sie muss mindestens so groß sein, dass der Zahlenwert a unabhängig von ∆t ist, sollte aber klein genug sein, damit ggf. zeitliche Änderungen von a, die „langsam“ erfolgen, noch erfasst werden können. Dann liegt eine im zeitlichen Mittel instationäre Strömung vor. Typischerweise wird ein ∆t im Bereich von einigen Sekunden gewählt, ∆t kann in Sonderfällen aber auch erheblich größer sein. Schwankungsgrößen a erreichen häufig Werte von etwa 10% der gemittelten Größe a. Setzt man die Aufspaltung (2.3) in den Integranden von (2.2) ein, so folgt unmittelbar a
1 = ∆t
tˆ+∆t
a dt = 0
(2.4)
tˆ
d.h., das Zeitintegral über die Schwankungsgröße a ist null. Die Definition ist mit Hilfe der allgemeinen Größe a vorgenommen worden, weil in turbulenten Strömungen nicht nur die Geschwindigkeit, sondern auch der Druck, die Temperatur und ggf. auch die Dichte jeweils um einen Mittelwert schwanken. Die nachfolgenden Ausführungen zur kinematischen Beschreibung von Strömungen beziehen sich stets auf die zeitgemittelten Werte a, d.h., hier auf den zeitgemittelten Geschwindigkeitsvektor (u(x), v(x), w(x)). Wenn ein Strömungsfeld im Zusammenhang mit den dort auftretenden Geschwindigkeiten durch Linien charakterisiert werden soll, die ein anschauliches Bild von der Strömung geben, so ist sehr sorgfältig darauf zu achten, wie diese Linien definiert sind und welche physikalische Bedeutung sie haben.
2 Strömungsaspekte und -phänomene
18
2.2.2 Stromlinien Man ist intuitiv geneigt, die Strömung z.B. um einen Tragflügel durch „Stromlinien“ zu veranschaulichen, die den Weg der Fluidteilchen durch das Strömungsfeld beschreiben. In einer exakten Definition sind Stromlinien aber nur eine von drei Linienscharen, mit denen das kinematische Verhalten von Strömungen beschrieben wird.
D EFINITION: Stromlinien Linien, die zu einem bestimmten Zeitpunkt t in einem Strömungsfeld tangential zu allen Geschwindigkeitsvektoren der strömenden Fluidteilchen verlaufen, heißen (momentane) Stromlinien. Alle Stromlinien gemeinsam bilden das Stromlinienfeld einer Strömung. Benachbarte Stromlinien bilden gemeinsam sogenannte Stromflächen, die bei ebenen Strömungen senkrecht zur Zeichenebene liegen. Die so definierten Stromlinien besitzen eine Reihe von Eigenschaften, die für das physikalische Verständnis von Strömungen von Bedeutung sind. Sie sollen anhand von Abb. 2.5 erläutert werden. Dort zeigen die Teilbilder (a) und (b) das Stromlinienfeld um einen Tragflügel zu zwei verschiedenen Zeiten t1 und t2 , zwischen denen der Anstellwinkel des dort gezeigten Profils gegenüber der Horizontalen verändert worden ist. Während für Zeiten t < t1 und t > t2 jeweils stationäre Strömungen vorliegen sollen, ist die Strömung zwischen t1 und t2 zeitabhängig, also instationär. Besonderheiten von Stromlinien und den daraus entstehenden Stromflächen sind:
Zwei Stromflächen schließen einen bestimmten, unveränderlichen Massenstrom pro Tiefe B (senkrecht zur Zeichenebene) ein, wie dies in Abb. 2.5 durch den grau markierten Teilmassenstrom angedeutet ist. Dort, wo die Stromflächen enger zusammen liegen, muss deshalb die Strömungsgeschwindigkeit ansteigen, weil der Teilmassenstrom (pro Breite) jetzt durch einen engeren Querschnitt strömt.
Stromlinien sind entweder geschlossene Kurvenzüge oder sie erstrecken sich bis ins Unendliche. Dies ergibt sich anschaulich aus dem vorigen Punkt: Entweder ein Teilmassenstrom zirkuliert innerhalb einer geschlossenen Stromlinie, oder er „kommt“ von stromaufwärts und „verschwindet“ stromabwärts, prinzipiell jeweils unendlich weit vom betrachteten Strömungsausschnitt entfernt.
Das Fluid strömt nicht „auf“ Stromlinien, wie man zunächst erwarten könnte, sondern Teilmassenströme werden von diesen begrenzt. Andernfalls würde ein Fluidteilchen, das auf einer Staupunktstromlinie strömt, im Staupunkt „gefangen“, da dort die Strömungsgeschwindigkeit null ist.
Stromlinienfelder stellen „Momentaufnahmen“ dar. Diese sind in stationären Strömungen unverändert, in instationären Strömungen aber zu jedem neuen Zeitpunkt veränderte, neue Momentaufnahmen.
2.2 Kinematische Beschreibung von Strömungen
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(a)
(b)
t < t1 : Anstellwinkel = 0
t > t2 : Anstellwinkel = 0
Wandstromlinie
Teilmassenstrom
Staupunkt
Abb. 2.5: Darstellung einzelner Stromlinien aus dem Stromlinienfeld um einen Tragflügel (ebene Strömung, Schnitt durch den Tragflügel); instationäre Strömung zwischen t1 und t2 ; Beobachtung in einem körperfesten Koordinatensystem
2.2.3 Bahnlinien Häufig interessiert die Frage, welchen Weg ein Fluidteilchen, das sich an einer bestimmten Stelle befindet, in dem Strömungsfeld nimmt. In einer stationären Strömung ist die Antwort offensichtlich: Die gesuchte Bahnlinie stimmt in ihrem Verlauf mit demjenigen der (zeitlich unveränderlichen) zugehörigen Stromlinie überein.4 Dies ist bei instationären Strömungen aber nicht der Fall.
D EFINITION: Bahnlinien Linien, die in einem Zeitintervall [t1 ,t2 ] die zeitversetzte Lage einzelner diskreter Fluidpartikel angeben, heißen Bahnlinien. Sie verlaufen zu jedem Zeitpunkt t tangential zu den dann momentan vorliegenden Stromlinien am Ort der betrachteten Fluidteilchen. Die Definition von Bahnlinien lässt bei genauerer Betrachtung erkennen, dass der Verlauf von Bahn- und Stromlinien nur für stationäre Strömungen übereinstimmt. Die Linien selbst haben aber auch dann eine andere Bedeutung: Die Stromlinie stellt eine Momentaufnahme im ganzen Feld für jeweils einen Zeitpunkt dar, die Bahnlinie gilt für ein Zeitintervall [t1 ,t2 ] mit der Zeit als Parameter an der Bahnlinie (Angabe der Teilchenposition zum Zeitpunkt t aus [t1 ,t2 ]). 2.2.4 Streichlinien Für die Sichtbarmachung von Strömungen interessiert die Frage, auf welcher Linie sich alle diejenigen Teilchen befinden, die nacheinander an einer bestimmten festen Stelle im Strömungsfeld gewesen sind. Diese Partikelschar kann z.B. mit Hilfe einer Sonde freigesetzt werden und dient 4
Wie zuvor erläutert, strömt ein Teilchen aber nicht auf Stromlinien, sondern entlang von begrenzenden Stromlinien.
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2 Strömungsaspekte und -phänomene
der Sichtbarmachung des Strömungsfeldes, wenn die Partikel z.B. farbig oder fluoreszierend sind.
D EFINITION: Streichlinien Linien, auf denen sich alle diejenigen Partikel befinden, die in einem Zeitintervall [t1 ,t2 ] an einem bestimmten Ort im Strömungsfeld gewesen sind und zu einem bestimmten Zeitpunkt t aus [t1 ,t2 ] betrachtet werden, heißen (momentane) Streichlinien. Für stationäre Strömungen stimmt der Verlauf von Streich- und Stromlinien überein, so dass bei diesen Strömungen alle drei Linienscharen (Strom-, Bahn- und Streichlinien) denselben Verlauf besitzen. Bei instationären Strömungen ist dies nicht der Fall, alle drei Linienscharen besitzen einen unterschiedlichen Verlauf. Deshalb muss für diese Strömungen sehr sorgfältig auf die genaue physikalische Bedeutung der einzelnen Linienarten geachtet werden, um Fehlinterpretationen zu vermeiden.
2.3 Strömungsphänomene Die anfangs vorgestellten Beispiele aus Natur und Technik haben vielleicht schon eine Vorstellung davon vermittelt, wie unterschiedlich die verschiedenen Strömungssituationen sein können. Um die verschiedenen Strömungen besser in ein Gesamtbild einordnen zu können, ist es hilfreich, zunächst einige wichtige Strömungsphänomene getrennt zu betrachten. Dies soll in den folgenden Abschnitten geschehen. 2.3.1 Strömungsphänomen: Wandeinfluss Von wenigen Ausnahmen abgesehen sind Teile eines betrachteten Strömungsfeldes stets durch (meist starre, unbewegliche und undurchlässige) Wände begrenzt. An diesen Rändern des Strömungsfeldes können dann Randbedingungen für die Strömung formuliert werden, die sich aus den physikalischen Bedingungen ergeben, die dort herrschen. Dabei sind zwei Einflüsse der Wand auf die Strömung von besonderer Bedeutung. Zum einen kann eine undurchlässige (nicht poröse) Wand vom Fluid nicht durchströmt werden, zum anderen verhindert die molekulare Wechselwirkung zwischen den Wandoberflächenmolekülen und den wandnahen Fluidmolekülen eine wandparallele Geschwindigkeitskomponente an der Wand.
D EFINITION: Strömungsrandbedingungen an Wänden Kinematische Randbedingung für die wandnormale Geschwindigkeitskomponente an der Wand: Sie ist für eine nicht-poröse Wand (in einem wandfesten Koordinatensystem) null, für eine poröse Wand gleich der oberflächennormalen Geschwindigkeit in der Wand. Haftbedingung für die wandparallele Geschwindigkeitskomponente an der Wand: Sie ist (im Rahmen der hier betrachteten Strömungen) stets null.
2.3 Strömungsphänomene
21
2.3.2 Strömungsphänomen: Grenzschichten In vielen Fällen liegt im wandnahen Bereich eines Strömungsfeldes eine physikalisch besondere Situation vor. Dieser Bereich, der Grenzschicht genannt wird, kann und sollte deshalb u.U. getrennt betrachtet werden.
D EFINITION: Strömungsgrenzschicht Wenn der wandnahe Bereich eines Strömungsfeldes physikalische Besonderheiten gegenüber dem weiter außen gelegenen Strömungsfeld besitzt, wird dieser als Strömungsgrenzschicht (mit der Grenzschichtdicke δ ) bezeichnet. In den Grenzschichten spielen Reibungseffekte eine entscheidende Rolle, während diese Effekte außerhalb der Grenzschichten häufig in guter Näherung vernachlässigt werden können. Zur Ausbildung solcher Grenzschichten kommt es bei hohen Strömungsgeschwindigkeiten. Genau genommen muss allerdings eine bestimmte Kennzahl der Strömung große Werte annehmen. Es handelt sich dabei um die sogenannte Reynolds-Zahl, die hier bereits eingeführt werden soll. Diese Kennzahl wird in Kap. 5 systematisch hergeleitet.
D EFINITION: Reynolds-Zahl Die dimensionslose Kombination von charakteristischen Größen eines Strömungsfeldes Re =
ρ uc Lc uc Lc = η ν
(2.5)
wird Reynolds-Zahl genannt. uc
charakteristische Geschwindigkeit des Strömungsfeldes
m/s
Lc
charakteristische Länge der um-/durchströmten Geometrie
η
dynamische Viskosität des Fluides
kg/ms
ρ
Dichte des Fluides
kg/m3
ν
kinematische Viskosität des Fluides
m
m2 /s
Die Reynolds-Zahl kann sehr unterschiedliche Werte annehmen und wird benutzt, um Strömungen in verschiedene Kategorien einzuteilen. Strömungen bei sehr kleinen Reynolds-Zahlen verhalten sich physikalisch sehr verschieden von solchen bei sehr großen Reynolds-Zahlen, die den hier beschriebenen Grenzschichtcharakter besitzen. Eine genauere Analyse zeigt (s. dazu das spätere Kap. 13), dass
Grenzschichten bei hohen Reynolds-Zahlen auftreten
die Grenzschichtdicke δ für steigende Reynolds-Zahlen abnimmt.
2 Strömungsaspekte und -phänomene
22
Die bisher nur grob beschriebenen Grenzschichten sind in vielen Fällen extrem dünn, spielen aber trotzdem eine wesentliche Rolle, weil in ihnen die Reibungseffekte des Strömungsfeldes „konzentriert“ sind. Der in Abb. 2.6 gezeigte Tragflügel besitzt bei einer Länge l = 1 m u.U. Grenzschichten von der Dicke δ ≈ 1 mm. Der Reibungswiderstand des Tragflügels kann aber nur ermittelt werden, wenn die Vorgänge in dieser dünnen Schicht richtig erfasst werden. 2.3.3 Strömungsphänomen: Ablösung Bei diesem wichtigen Vorgang handelt es sich um ein Grenzschichtphänomen, d.h. die sogenannte Ablösung kann bei hohen Reynolds-Zahlen auftreten. In Abb. 2.6 (b) ist die Umströmung eines Kreiszylinders skizziert. Die Strömungsgrenzschicht kann nicht beliebig weit um den Körper herum der Körperkontur folgen, weil sie durch die Reibungseffekte kinetische Energie verloren hat und nicht mehr gegen den ansteigenden Druck, der im hinteren Körperbereich stets vorliegt, „anströmen“ kann: Sie löst ab, d.h., sie wird vom Fluid aus dem sich ausbildenden Rückströmgebiet hinter dem Körper verdrängt. Die Vorgänge dort sind sehr komplex, häufig instationär und schwer zu beschreiben. Die Auswirkungen der Ablösung auf das gesamte Strömungsfeld sind erheblich.
D EFINITION: Strömungsablösung Strömungsablösung liegt vor, wenn eine Strömungsgrenzschicht nicht mehr der Wand folgen kann. Ablösung tritt an Wänden ohne Kanten oder Stufen auf, wenn dort in Strömungsrichtung ein hinreichend starker Druckanstieg vorliegt. Nach der Ablösung kommt es zu komplexen, häufig instationären Rückströmgebieten im Strömungsfeld. Die in der Definition beschriebene Art der Strömungsablösung kann genauer als druckinduzierte Strömungsablösung bezeichnet werden. Wenn die Geometrie Kanten oder Stufen aufweist, so
(a)
u∞
Strömungsgrenzschicht
l
(b)
u∞
Strömungsgrenzschicht
D
Abb. 2.6: Strömungsgrenzschichten an umströmten Körpern bei hohen Reynolds-Zahlen (uc = u∞ , Lc = l oder Lc = D) (a) schlanker Körper: ohne Strömungsablösung (b) stumpfer Körper: mit Strömungsablösung Beachte: Abgelöste Strömungen sind häufig instationär.
2.3 Strömungsphänomene
23
kommt es dort ebenfalls zur Ablösung, die dann als geometrieinduzierte Strömungsablösung bezeichnet wird. 2.3.4 Strömungsphänomen: Drehung Für die theoretische Beschreibung von Strömungen ist es von großer Bedeutung, ob eine Strömung drehungsbehaftet oder drehungsfrei ist. Damit ist anschaulich gemeint, ob einzelne identifizierbare Fluidteilchen eine Rotationsbewegung um ihre eigene Achse ausführen oder nicht. In Abb. 2.7 sind drei Fluidteilchen auf ihrem Weg durch ein Strömungsfeld zu vier verschiedenen Zeiten t1 ...t4 gezeigt. Während die Fluidteilchen I und II erkennbar ihre Orientierung beibehalten, dreht sich Teilchen III auf dem Weg durch die Strömung um seine eigene Achse. Die strömungsmechanische Größe Drehung wird als lokal definierte Größe in einem Strömungsfeld eingeführt. Für eine ebene Strömung stellt sie eine skalare Größe dar. Im allgemeinen Fall handelt es sich um einen Vektor (mit dem Wert der ebenen Strömung als einer von drei Komponenten). Die genauere Analyse der Drehbewegung von Fluidteilchen in einem Strömungsfeld ergibt die nachfolgende Definition, in der erwartungsgemäß Geschwindigkeitsgradienten die entscheidende Rolle spielen. t1
t3
t2
t4
I
II
III y x Abb. 2.7: Ausschnitt aus einer Strömung in Wandnähe; Sichtbarmachung der Drehung durch Markierungen an mitbewegten Fluidteilchen
2 Strömungsaspekte und -phänomene
24
D EFINITION: Drehung in einer ebenen Strömung Eine ebene Strömung, beschrieben in einem kartesischen Koordinatensystem x, y mit den Geschwindigkeitskomponenten u, v, besitzt die Drehung
ω=
∂v ∂u − ∂x ∂y
(2.6)
Eine von null verschiedene Drehung setzt also bestimmte Geschwindigkeitsgradienten im Strömungsfeld voraus. Es zeigt sich, dass dort, wo Reibungseffekte auftreten, stets auch eine von null verschiedene Drehung im Strömungsfeld vorliegt. In Abb. 2.7 befindet sich das wandnahe Fluidteilchen III offensichtlich in der Strömungsgrenzschicht. Dort treten Reibungseffekte auf und als Folge davon gilt ω = 0.5 2.3.5 Strömungsphänomen: Verdichtungsstoß Bei kompressiblen Strömungen spielt die Schallgeschwindigkeit aS des strömenden Fluides eine entscheidende Rolle.
D EFINITION: Schallgeschwindigkeit Die Schallgeschwindigkeit ist eine thermodynamische Eigenschaft von dichteveränderlichen Fluiden. Es gilt allgemein (s: partielle Ableitung bei konstanter Entropie) aS = (dp/dρ )s (2.7) und für ideale Gase aS =
√ κ RT
(2.8)
Dabei ist κ der Isentropenexponent (κ = 1,4 für Luft), R ist die spezielle Gaskonstante (R = 287 m2/(s2 K) für Luft) und T die thermodynamische Temperatur in Kelvin. Bei p = 1 bar und t = 20 ◦ C gilt für Luft aS ≈ 340 m/s und für Wasser aS ≈ 1400 m/s. Dies ist die Geschwindigkeit, mit der sich kleine Druckstörungen im Fluid ausbreiten. Solche Druckstörungen entstehen z.B. an überströmten Wänden, so dass die Information über das Vorhandensein der Wand mit Schallgeschwindigkeit in das Strömungsfeld übertragen wird. Wenn der Körper aber mit einer Geschwindigkeit uc > aS angeströmt wird, so kann das stromaufwärtige Strömungsgebiet nicht von dem umströmten Körper beeinflusst werden. Andererseits muss das Fluid in Körpernähe „abgebremst“ werden, da an der Körperoberfläche die Haftbedingung gilt. Die Frage ist also, wie der Übergang zwischen Unter- und Überschallströmungen erfolgt. Diese sollen aber zunächst definiert werden. 5
In Abb. Abb. 2.7 ist eine gekrümmte Wand gezeigt, um anzudeuten, dass die beschriebenen Zustände an beliebigen Geometrien gelten. Entscheidend für das Auftreten von Drehung in Wandnähe ist die dort vorhandene Grenzschicht. Diese liegt auch an ebenen Wänden vor und führt deshalb auch dort zu Werten ω = 0.
2.3 Strömungsphänomene
25
D EFINITION: Mach-Zahl; Unter- und Überschallströmung Die dimensionslose Kombination (uc : charakteristische Geschwindigkeit des Strömungsfeldes) Ma =
uc aS
(2.9)
wird Mach-Zahl genannt. Mit Hilfe dieser Kennzahl kann nach folgenden Strömungen unterschieden werden: Ma < 1: Unterschallströmungen
Ma > 1: Überschallströmungen
Eine genauere Analyse zeigt nun, dass der Übergang von einer Unter- zu einer Überschallströmung kontinuierlich vonstatten geht (siehe dazu Kap. 10), der Übergang vom Über- zum Unterschall aber stets diskontinuierlich über einen sogenannten Verdichtungsstoß erfolgt.
D EFINITION: Verdichtungsstoß Unter einem Verdichtungsstoß versteht man den diskontinuierlichen Übergang von einer Über- zu einer Unterschallströmung. Diese Diskontinuität wird als Stoßfront bezeichnet. Wenn die Stoßfront senkrecht zur ankommenden Strömung steht, liegt ein senkrechter Verdichtungsstoß vor, anderenfalls ein schiefer Verdichtungsstoß. Bei einem schiefen Verdichtungsstoß wechselt nur die stoßnormale Geschwindigkeitskomponente von Über- zu Unterschall, so dass insgesamt auch hinter dem schiefen Stoß eine Überschallströmung vorliegen kann. Über einem senkrechten Verdichtungsstoß wechselt die Machzahl stets von Ma > 1 zu Ma < 1, der Druck, die Temperatur und die Dichte nehmen diskontinuierlich höhere Werte an. Abb. 2.8 zeigt die prinzipiellen Verhältnisse bei der Überschall-Anströmung eines ebenen Körpers (hier: Kreiszylinder). In der Nähe des vorderen Staupunktes tritt hinter dem dort nahezu senkrechten Verdichtungsstoß ein Gebiet mit Unterschallströmung auf. Im Bereich des schiefen Verdichtungsstoßes weiter entfernt vom Körper kann weiterhin eine Überschallströmung vorkommen. Die Verhältnisse sind sehr kompliziert und sollen an dieser Stelle nicht weiter erläutert werden. Obwohl Flüssigkeiten wegen der vorhandenen Kompressibilität auch endliche Schallgeschwindigkeiten besitzen, treten Überschallströmungen mit technischer Bedeutung in der Regel nur bei Gasen auf. Bei Flüssigkeiten kommen bei hohen Geschwindigkeiten mit dem dann häufig auftretenden Phasenwechsel andere Phänomene hinzu (wie z.B. die sogenannte Kavitation, als Bildung und anschließendes schlagartiges Zusammenfallen von Dampfblasen).
2 Strömungsaspekte und -phänomene
26
Verdichtungsstoß u∞ > aS
Unterschallgebiet
Abb. 2.8: Prinzipielle Strömungsverhältnisse bei Überschall-Anströmung, Auftreten eines Verdichtungsstoßes; keine genauere Darstellung der Strömung im Nachlaufbereich des Kreiszylinders
2.4 Illustrierende Beispiele IB-1 bis IB-3 Im Folgenden sollen drei Beispiele bestimmte Aspekte bzw. Phänomene illustrieren, die zuvor benannt und erläutert wurden. Im Rahmen dieser ILLUSTRIERENDEN B EISPIELE geht es nicht um eine genaue quantitative Beschreibung (die an dieser Stelle noch nicht nachvollziehbar wäre) sondern darum, den jeweiligen physikalischen Hintergrund zu erhellen. I LLUSTRIERENDES B EISPIEL IB-1: Nicht-Newtonsche Fluide im Haushalt Im Alltag begegnen wir einer ganzen Reihe von nicht-Newtonschen Fluiden, deren spezielles Verhalten wir uns (meist unbewusst) zunutze machen, wie z.B.:
Honig: Es liegt ein scherverzähendes Verhalten vor (s. dazu Abb. 2.2), d.h., die sogenannte effektive Viskosität wächst mit der Scherrate. Der vom Löffel ablaufende Honig fließt umso schneller je weniger Honig sich am Löffel befindet, weil dann die Schubspannung (aufgrund des Eigengewichtes) im Honig abnimmt und die effektive Viskosität geringer wird. Die Erfahrung besagt auch, dass Honig nicht durch schnelle Löffelbewegungen (→ hohe Scherraten = hohe Viskosität) umgerührt werden kann. Ketchup: Es liegt ein scherentzähendes Verhalten vor, d.h., die effektive Viskosität sinkt mit wachsender Scherrate. Wir machen uns dies zunutze, wenn wir eine Ketchup-Flasche schütteln und den Inhalt unter den dann auftretenden hohen Scherraten „leichtflüssig“ werden lassen, um Verklebungen und Verkrustungen zu beseitigen. Lackfarbe: Es handelt sich um ein sogenanntes Bingham-Fluid, bei dem ein Fließen erst einsetzt, wenn eine Mindestschubspannung τ0 erreicht ist. An einer senkrechten Wand entsteht die Schubspannung durch das Eigengewicht der Farbschicht, wobei ein linearer Verlauf zwischen dem Wert null an der Schichtoberfläche und dem Maximalwert τW an der Wand vorliegt. Solange τW < τ0 gilt, verhält sich die Farbschicht wie ein Festkörper. Wenn aber τ0 überschritten wird, weil die Farbschicht (wie z.B. in einem Tropfen) zu dick aufgetragen ist, fließt die Farbe unter der Wirkung der Schwerkraft.
2.4 Illustrierende Beispiele IB-1 bis IB-3
27
I LLUSTRIERENDES B EISPIEL IB-2: „Singende“ Hochspannungsleitungen An frei hängenden Drähten, wie z.B. bei Hochspannungsleitungen, treten bei starkem Wind Geräusche auf, die als „Singen der Drähte“ interpretiert werden können. Aus strömungsmechanischer Sicht handelt es sich um die Umströmung von ebenen Kreiszylindern bei einer bestimmten relativ hohen Reynolds-Zahl. Wie in Abb. 2.6(b) auf S. 22 angedeutet, kommt es zur Ablösung der Strömungsgrenzschichten zu beiden Seiten der Kreiszylinder-Querschnitte. Dies erfolgt im vorliegenden Reynolds-Zahl Bereich aber periodisch mit einer Frequenz f , wobei aus den ablösenden Grenzschichten jeweils einzelne Wirbel gebildet werden. Diese wandern mit der Strömung stromabwärts und „zerfallen“ erst später unter der Wirkung der Viskosität. Im Nahbereich des umströmen Zylinders entsteht damit die im nachfolgenden Bild prinzipiell skizzierte Situation. Die Abfolge von Einzelwirbeln im Abstand u∞ / f wird auch als Karmansche Wirbelstraße bezeichnet. Durch die alternierende Wirbelablösung entstehen im Strömungsfeld kleine Druckstörungen mit der Frequenz der Wirbelablösung, die als Schall wahrgenommen werden. Eine genauere Analyse zeigt, dass hier für die sogenannte Strouhal-Zahl (vgl. Tabelle 5.1 auf S. 56) S = f D/u∞ ≈ 0,21 gilt. Mit dem Drahtdurchmesser D und der Windgeschwindigkeit u∞ gilt also f ≈ 0,21 u∞ /D, was z.B. bei D = 20 mm und u∞ = 20 m/s auf eine gut hörbare Frequenz f = 210 Hz führt.
Karmansche Wirbelstraße
u∞
D
u∞ / f
Abb. IB-2.1: Wirbelbildung durch alternierende Grenzschichtablösung im Nahbereich hinter einem Kreiszylinder
I LLUSTRIERENDES B EISPIEL IB-3: Das Tacoma-Bridge Desaster Obwohl in Abschnitt 1.2 bei der Definition von Technischen Strömungen sogenannte Fluid-StrukturWechselwirkungen nur als Ausnahme genannt worden waren, gibt es ein weltberühmtes Beispiel für eine solche Wechselwirkung und ihre katastrophalen Folgen. Am 7. November 1940 kam es in der Nähe von Seattle (Washington / USA) zu einer Fluid-StrukturWechselwirkung der besonderen Art: An diesem Tag stürzte die dadurch weltbekannt gewordene Hängebrücke über einer Wasserenge bei Tacoma ein. Der Grund dafür war die besondere Wetterbzw. Windsituation, die dazu geführt hatte, Eigenschwingungen der Brücke so anzuregen, dass die Schwingungsamplituden nicht mehr begrenzt blieben und damit zur Zerstörung der betroffenen Bauteile führten. Nachdem zunächst über einen längeren Zeitraum Längsschwingungen mit Amplituden von mehr als einem Meter aufgetreten waren, wurden anschließend Torsionsschwingungen angeregt, die die Fahrbahn um bis zu 45 ◦ in beide Richtungen kippen ließen. Dies führte zum Absprengen erster Bauteile und immerhin erst nach ca. 20 Minuten zum endgültigen Einsturz der Brücke. Schon unmittelbar nach dem Bau war die Brücke extrem „windanfällig“, was sie zur Attraktion
28
2 Strömungsaspekte und -phänomene
machte, und ihr den Namen „Galloping Gertie“ eintrug. Zur damaligen Zeit wusste man wenig von Fluid-Struktur-Wechselwirkungen, so dass ein völlig neues Design, und darum handelte es sich bei der damals hochmodernen Brücke, nicht daraufhin untersucht werden konnte, wie es sich unter eventuell extremen Windbelastungen verhalten würde. Eine solche extreme Situation lag am 7. November 1940, reichlich vier Monate nach Einweihung der Brücke, vor. Seitdem gehören solche Untersuchungen ins „Pflichtenheft“ beim Bau von großen Bauwerken. Zum Einsturz der Tacoma-Brücke existiert im Internet sehr viel Material unter dem Stichwort „Tacoma bridge“. Ein Film dazu findet sich unter der Web-Adresse www.enm.bris.ac.uk/research/ nonlinear/tacoma/tacoma.html.
29
3 Quasi-Strömungsmechanik: Hydro- und Aerostatik Obwohl fast alle klassischen Bücher zur Strömungsmechanik mehr oder weniger kommentarlos mit den Gesetzen der Hydro- bzw. Aerostatik beginnen, sollte bedacht werden, dass in diesem Zusammenhang noch keine Strömungen vorliegen. Allenfalls kann die statische Situation als Grenzfall interpretiert werden, der erreicht wird, wenn die Strömungsgeschwindigkeiten stets kleiner und schließlich „null“ werden. In diesem Sinne und quasi als „Einstieg“ in die Behandlung von „richtigen Strömungen“ soll an dieser Stelle vorab dargestellt werden, welche Druckverteilung in einem ruhenden Fluid vorliegt. Wenn das Fluid eine unveränderliche Dichte aufweist, spricht man von Hydrostatik, andernfalls von Aerostatik. Wortgeber sind hier Wasser (Hydro-) und Luft (Aero-) als typische Vertreter beider Stoffklassen.
3.1 Hydrostatische Druckverteilung Die Erfahrung beim Tauchen in Wasser ist, dass der Druck auf das Trommelfell mit der Tauchtiefe erheblich zunimmt. Eine anschauliche Erklärung liegt darin, dass auf einem bestimmten Höhenniveau das „Gewicht der darüber liegenden Wassersäule“ zu diesem erhöhten Druck gegenüber demjenigen an der Wasseroberfläche führt. Nach dieser Überlegung steigt der Druck linear mit der Eintauchtiefe an, weil eine doppelt so hohe Wassersäule auf eine doppelt so große Druckerhöhung führt. Da das „Gewicht einer Wassersäule“ (Betrag der Gewichtskraft = Masse ρ V × Erdbeschleunigung g) direkt proportional zu seiner Dichte ρ ist, beträgt der Druckanstieg ρ gh, wenn h die Eintauchtiefe (gemessen ab der Oberfläche) bezeichnet. Insgesamt gilt damit das sogenannte hydrostatische Grundgesetz in der nachfolgenden Form. Gegenüber den bisherigen Überlegungen ist dabei eine Verallgemeinerung vorgenommen worden, indem h nicht notwendigerweise an der Flüssigkeitsoberfläche beginnen muss, sondern ab einem beliebigen Bezugsniveau p0 innerhalb des Fluides der Dichte ρ zählt. Hydrostatisches Grundgesetz Für die Druckverteilung in einem Fluid der Dichte ρ gilt p = p0 + ρ gh
(3.1)
p
Druck auf dem Niveau h (vgl. Abb. 3.1)
N/m2
p0
Druck auf dem Bezugsniveau (bei h = 0)
N/m2
ρ
Dichte des Fluides
kg/m3
g
Betrag des Erdbeschleunigungsvektorsg
h
Abstand vom Bezugsniveau in Richtung von g
m/s2 m
3 Quasi-Strömungsmechanik: Hydro- und Aerostatik
30
ρ
p
g h
Bezugsniveau
p0
Abb. 3.1: Druckverteilung in einem Fluid mit konstanter Dichte ρ (hydrostatisches Grundgesetz)
Die Beziehung (3.1) stellt letztlich das Kräftegleichgewicht an einer Fluidsäule der Höhe h und der Grundfläche A dar. Die Grundfläche tritt nicht explizit auf, weil der Druck als Kraft pro Fläche definiert ist. Wenn (3.1) mit A multipliziert wird, entsteht das ursprüngliche Kräftegleichgewicht, wobei hA = V ist dann das Volumen der Fluidsäule ist. So anschaulich die Interpretation mit dem Gewicht einer „darüber liegenden Fluidsäule“ ist, so irreführend kann sie in bestimmten Fällen auch sein, wie Abb. 3.2 verdeutlicht. Die eigentliche Aussage des hydrostatischen Grundgesetzes ist demnach, dass auf gleichem Höhenniveau in einem zusammenhängenden Fluid konstanter Dichte ein einheitlicher Druck p herrscht. Wenn die Entstehung dieses Druckes über das Gewicht einer darüber liegenden Fluidsäule erklärt werden soll, so muss zugelassen werden, dass es sich dabei um eine reale oder fiktive Fluidsäule handelt (fiktiv: in Gedanken bis zur Fluidoberfläche ergänzt). Der Druck p0 an der Oberfläche entsteht gemäß dieser Vorstellung wiederum durch das Gewicht der darüber liegenden gasförmigen Fluidsäule. Diese Fluidsäule kann aber nicht mit (3.1) beschrieben werden, weil die Dichte ρ nicht konstant ist. Es handelt sich dann um das Problem einer aerostatischen Druckverteilung, die in Abschnitt 3.2 behandelt wird. 3.1.1 Bestimmung der Druckkraft auf eine Wand Häufig interessiert die Frage, welche Kraft durch die Druckverteilung auf einer bestimmten Wandfläche bzgl. dieser Fläche entsteht, und wo ihr Angriffspunkt liegt. Die tatsächliche Belastung durch den Druck auf der gesamten Fläche wird nach dieser Vorstellung durch eine äquivalente Druckkraft (Einzelkraft) auf die Fläche ersetzt, die im sogenannten Druckmittelpunkt D angreift. Nur wenn die betrachtete Fläche eine gleichmäßige Druckbelastung aufweist, stimmt D im Allgemeinen mit dem Flächenschwerpunkt S überein. Dies ist aber gemäß (3.1) nur der Fall, wenn die Fläche A eben ist und horizontal liegt, weil dann alle Punkte der Fläche dieselbe „Eintauchtiefe“ h besitzen und deshalb denselben Druck aufweisen. Auf gekrümmten und nicht horizontal angeordneten ebenen Flächen sind D und S unterschiedliche Punkte. Der Flächenschwerpunkt S ist dabei eine rein geometrische Größe. Die Lage von D ergibt sich aus der Bedingung, dass das Moment infolge der ursprünglichen Druckverteilung um eine beliebige Achse mit demjenigen der äquivalenten Einzelkraft übereinstimmen muss. Dabei ist zu beachten, dass der Druck p eine skalare, also „richtungslose“ Größe ist. Erst wenn mit p
3.1 Hydrostatische Druckverteilung
31
(a)
p0
(b) fiktiver Teil der Fluidsäule
ρ h
g
V
A Abb. 3.2: Druckkraft auf eine Fläche A auf dem Höhenniveau h, gleiche Druckkraft in beiden eingezeichneten Fällen F = pA = p0 A + ρ gV = (p0 + ρ gh)A mit V = hA (a) real vorhandene Fluidsäule (b) z.T. nur fiktiv vorhandene Fluidsäule
eine bestimmte Fläche beaufschlagt wird, ergibt sich eine vektorielle (gerichtete) Kraft zu dieser Fläche. Aus diesen Überlegungen lassen sich folgende Beziehungen zur Bestimmung der äquivalenten Druckkraft und deren Lage für ebene und gekrümmte Wände herleiten, die mit Abb. 3.3 veranschaulicht werden. Dabei wird p0 als einheitlicher Druck auf der Gegenseite unterstellt, gerinfügige hydrostatische Druckunterschiede in der Umgebung werden also vernachlässigt. (a) Ebene Wandfläche A: •
Betrag F der äquivalenten Druckkraft F: F = (pS − p0 )A
(3.2)
pS : Druck im Flächenschwerpunkt S •
Lage des Druckmittelpunktes D relativ zum Schwerpunkt S: yD − yS =
IS yS A
I zD − zS = S yS A
;
IS =
(y − yS )2 dA
(3.3)
(y − yS )(z − zS )dA
(3.4)
A
;
IS =
A
Der Betrag F ergibt sich also aus der Differenz der Drücke zu beiden Seiten der Wand im Flächenschwerpunkt S. Der Druckmittelpunkt ist aber aufgrund der Ungleichverteilung des Druckes auf der Fläche nicht mit S identisch. Die Verschiebung (3.3) und (3.4) ergibt sich aus einem Momentengleichgewicht (der Druckverteilung und der Einzelkraft) um die z- bzw. die
3 Quasi-Strömungsmechanik: Hydro- und Aerostatik
32
(b)
(a)
y
y
z
F
y SV
yS
Ax
yD zS zD
α
x
z
z
A
S S
g
αF
D
D
Fx
F Fy
Abb. 3.3: Bestimmung der äquivalenten Druckkraft (Einzelkraft) F (a) auf eine ebene Wandfläche A; In der gezeigten Darstellung ist A in die Zeichenebene geklappt worden. (b) auf eine gekrümmte Wandfläche A (hier: Projektion in eine Ebene x = const)
y-Achse. Darin treten die geometrischen Größen IS und IS auf, die aus der Mechanik als Flächenträgheitsmoment bzw. Zentrifugalmoment (um die Schwerpunktachsen) bekannt sind.1 Bezüglich der vertikalen Richtung gilt, dass D stets unterhalb von S liegt (solange die Ebene geneigt ist). Dies folgt formal aus yD − yS > 0 in (3.3), kann aber auch anschaulich mit dem nach unten ansteigenden Druck erklärt werden. Gleichung (3.3) zeigt, dass (yD − yS ) → 0 für yS → ∞ gilt. Dies muss gelten, weil für yS → ∞ und damit einem beliebig ansteigenden Druckniveau, die Druckunterschiede auf der Fläche relativ gesehen immer unbedeutender werden. Für eine Gleichverteilung liegt der Druckmittelpunkt aber im Flächenschwerpunkt. (b) Gekrümmte Wandfläche A: •
Betrag F der äquivalenten Druckkraft F: F = Fx2 + Fy2 + Fz2 Fx : Fz : Fy :
1
(3.5)
Kraftkomponente in x-Richtung; Bestimmung an der ebenen Projektionsfläche Ax wie unter (a) für ebene Wände gezeigt. Kraftkomponente in z-Richtung; Bestimmung an der ebenen Projektionsfläche Az wie unter (a) für ebene Wände gezeigt Kraftkomponente in y-Richtung; Bestimmung als Gewichtskraft des realen oder fiktiven Fluidvolumens über der Fläche A.
Für Flächen mit einer Symmetrielinie parallel zur y-Achse gilt stets IS = 0 , d.h. zD = zS , so dass für solche Flächen nur die Verschiebung von D in y-Richtung ermittelt werden muss.
3.1 Hydrostatische Druckverteilung
•
33
Wirkungslinie von F: Die Wirkungslinie von F geht durch den gemeinsamen Schnittpunkt der Wirkungslinien der drei Komponenten. Die Richtung der Wirkungslinie ergibt sich aus der vektoriellen Zusammensetzung von F aus den drei Komponenten. Für eine zylindrisch gekrümmte Wand (keine Krümmung entlang der z-Achse) gilt Fz = 0 und, wie in Abb. 3.3 eingezeichnet, αF = arctan(Fy /Fx ).
An allgemeinen gekrümmten Flächen muss F aus seinen drei Komponenten vektoriell zusammengesetzt werden. Die Horizontalkomponenten Fx und Fz können unmittelbar an den Projektionsflächen in der z, y- bzw. x, y-Ebene ermittelt werden. Dies sind ebene Flächen mit dem Winkel α = 0, s. Abb. 3.3 (a). Die Fy -Komponente in Richtung von g entspricht der Gewichtskraft der realen oder eventuell fiktiven Fluidsäule über A. Dabei wird unterstellt, dass der Umgebungsdruck p0 auf beiden Seiten der Wandfläche A wirksam ist. Ein Anwendungsbeispiel folgt in Abschnitt 3.3. 3.1.2 Hydrostatischer Auftrieb Vollständig von einem Fluid benetzte Körper zeigen aufgrund der hydrostatischen Druckverteilung im Fluid eine sogenannte Auftriebskraft, die dem Erdbeschleunigungsvektor g entgegengerichtet ist. In Abgrenzung zum aerodynamischen Auftrieb an umströmten Körpern (z.B. Tragflügel bei Flugzeugen) wird in diesem Zusammenhang von einem hydrostatischen Auftrieb gesprochen. D EFINITION: Hydrostatischer Auftrieb eines Körpers vom Volumen VK Ein vollständig von einem Fluid der Dichte ρF benetzter Körper mit dem Volumen VK erfährt eine Kraft entgegen dem Erdbeschleunigungsvektorg vom Betrag FA = ρF gVK
FA
Betrag der Auftriebskraft entgegen der Erdbeschleunigungg
ρF
Dichte des Fluides
g
Betrag des Erdbeschleunigungsvektorsg
VK
Volumen des vollständig eingetauchten Körpers
(3.6)
N kg/m3 m/s2 m3
Gemäß (3.6) entspricht die Auftriebskraft betragsmäßig der Gewichtskraft des vom Körper verdrängten Fluidvolumens. Dies ist in Abb. 3.4(a) unmittelbar erkennbar: Einerseits wird der Körper durch die Gewichtskraft der realen Fluidsäule über dem Körper von oben belastet, andererseits aber durch die fiktive Fluidsäule über der Körperunterseite und deren Gewichtskraft von unten. Die Volumendifferenz zwischen fiktiver und realer Fluidsäule ist aber genau das Körpervolumen VK . Diese Überlegung führt auf das sogenannte Archimedische Gesetz2 (3.6). 2
Dem griechischen Universalgelehrten Archimedes (287-212 v. Chr.) gelang es angeblich mit der Kenntnis des Zusammenhanges (3.6) echtes Gold von Fälschungen zu unterscheiden. Die ihm zugeschriebene Echtheitsüberprüfung fand
3 Quasi-Strömungsmechanik: Hydro- und Aerostatik
34 (a)
(b)
(c)
VK
g
VS
VK
ρF
VK
: reale Fluidsäule, Benetzung von oben : fiktive Fluidsäule, Benetzung von unten Abb. 3.4: Kraftwirkung auf vollständig und unvollständig benetzte Körper in einem Fluid der Dichte ρ (a) vollständig benetzt (→ hydrostatischer Auftrieb) (b) unvollständig benetzt, schwimmend (c) unvollständig benetzt, glatt aufliegend
Die in Abb. 3.4(b) und (c) gezeigten Fälle verletzen die Voraussetzung der völligen Benetzung und können deshalb nicht mit (3.6) beschrieben werden. Der schwimmende Körper in Abb. 3.4(b) erfährt eine Kraft nach oben vom Betrag ρF gVV , wobei VV das verdrängte Fluidvolumen ist. Der Körper in Abb. 3.4(c) erfährt eine Kraft nach unten vom Betrag ρF gVS mit VS als Volumen der real über dem Körper stehenden Fluidsäule.3 Beide Fälle ergeben sich hinsichtlich der auf sie wirkenden Kräfte anschaulich als Folge des hydrostatischen Grundgesetzes (3.1). 3.1.3 Druckverteilung in einem gleichmäßig rotierenden Fluid Wenn ein Fluid mit konstanter Winkelgeschwindigkeit ω um eine bestimmte Drehachse rotiert, so ist das Fluid für einen mitbewegten Beobachter weiterhin in Ruhe. Es gilt dann aber nicht mehr das hydrostatische Grundgesetz (3.1), weil neben der Erdbeschleunigung g eine vom Radius r abhängige Zentrifugalbeschleunigung vom Betrag rω 2 auf das Fluid wirkt. Abb. 3.5 zeigt, dass dann auf ein beliebig herausgegriffenes Fluidteilchen mit dem Volumen dV = dm/ρ eine Kraft vom Betrag rω 2 in radialer Richtung r wirkt. Diese muss durch unterschiedliche Druckkräfte auf die beiden zu r senkrechten Stirnflächen dA kompensiert werden, wobei der Druck auf der äußeren Stirnfläche um dp größer ist als derjenige auf der inneren Stirn-
3
vielleicht folgendermaßen statt: Er tauchte eine Waage, die an einer Seite echtes Gold und auf der anderen Seite die vermeintliche Fälschung enthielt, in Wasser. Wenn die ursprünglich austarierte Waage dann in eine Schieflage geriet, lag tatsächlich eine Fälschung vor. Physikalisch war dies der Nachweis, dass der inkriminierte Stoff nicht die Dichte von echtem Gold besaß. Seriöse Quellen, wie das Dictionary of Scientific Biography sprechen von „fragwürdiger Authentizität“, gleichwohl ist der Vorgang mehrfach überliefert und wurde mit dem Archimedes zugeschriebenen Ausruf „heureka“ (ich hab’s) garniert. Dies setzt allerdings voraus, dass der Körper absolut glatt auf dem Boden aufliegt und deshalb kein Fluid unter den Körper gerät (anderenfalls könnten wir z.B. kein Buch von einer Tischplatte aufnehmen).
3.1 Hydrostatische Druckverteilung
35
(a)
(b) Drehachse
hOb (r)
p0 r h
dm rω 2 p + dp
p
g
ω
ρ ω
ρ
r h
Abb. 3.5: Bestimmung der Druckverteilung und Oberflächenform in gleichmäßig rotierenden Fluiden (a) Kräftebilanz in r-Richtung: pdA + dmrω 2 = (p + dp)dA ⇒ dp = ρω 2 rdr (b) Exzentrische Rotationsachse, Boden nur teilweise benetzt
fläche. Aus diesem Kräftegleichgewicht folgt die Druckverteilung in radialer Richtung, ausgehend von den Werten auf der Drehachse. Mit r = 0 gilt dort weiterhin die Verteilung gemäß (3.1) mit h wie in Abb. 3.5 eingezeichnet, so dass sich insgesamt für die Druckverteilung in einem gleichmäßig rotierenden Fluid ergibt: 1 p(h, r) = p0 + ρ gh + ρω 2 r2 (3.7) 2 Aus der Bedingung eines konstanten Druckes p0 an der Fluidoberfläche (Lage des Koordinatensystems wie in Abb. 3.5 eingezeichnet) folgt aus (3.7) unmittelbar hOb = −
ω2 2 r 2g
(3.8)
d.h., die Fluidoberfläche hOb (r) ist parabelförmig nach oben geneigt. Dies entspricht der Erfahrung mit gleichmäßig rotierenden Flüssigkeiten. Abb. 3.5(b) zeigt die Verteilung des Fluides in einem rotierenden Gefäß mit exzentrisch angeordneter Drehachse. Der Betrag der Winkelgeschwindigkeit ω ist dabei so groß, dass Teile des Bodens nicht mehr benetzt sind. Der Ursprung eines Koordinatensystems analog zu Abb. 3.5(a) liegt dann außerhalb des rotierenden Gefäßes.
3 Quasi-Strömungsmechanik: Hydro- und Aerostatik
36
3.2 Aerostatische Druckverteilung Wenn die Dichte des Fluides, in dem die Druckverteilung in Richtung des Erdbeschleunigungsvektors g interessiert, nicht mehr in guter Näherung als insgesamt konstant unterstellt werden kann, gelten die bisherigen Überlegungen nur noch für kleine Höhenunterschiede dh. Aus (3.1) folgt dann mit dp = p − p0 dp = ρ (h)gdh
(3.9)
Entscheidend ist nun, dass die Dichte ρ eine Funktion der Höhenlage h ist. Wäre ρ (h) bekannt, könnte (3.9) integriert werden und würde unmittelbar die gesuchte Beziehung p = p(h) liefern. Leider liegt diese Information aber in der Regel nicht vor. Von den verschiedenen Situationen, in denen die Dichte eines Fluides nicht konstant ist, wird im Folgenden nur die Erdatmosphäre weiter betrachtet. Der dort benötigte Zusammenhang ρ = ρ (h) ist aus thermodynamischer Sicht nicht eindeutig, sondern hängt von den physikalischen Vorgängen in der Atmosphäre ab. Ein wichtiger Aspekt dabei ist, welche Temperaturverteilung sich aufgrund von bestimmten Austauschvorgängen benachbarter Fluidschichten einstellt. Die dabei auftretenden Zustände können thermodynamisch durch die sogenannte Polytropenbeziehung4 p p0 = n = const n ρ ρ0
(3.10)
beschrieben werden, die einen freien Parameter n enthält. Unterschiedliche Werte von n beschreiben unterschiedliche Zustandsänderungen in der Atmosphäre, die dann auch zu unterschiedlichen „Temperaturschichtungen“ T = T (h) führen. Mit der „richtigen“ Wahl dieses Exponenten kann damit eine Beschreibung der tatsächlich beobachteten Verhältnisse erreicht werden. Während man in der Hydrostatik meist an der Frage interessiert ist, wie der Druck in Richtung von g zunimmt, möchte man im Zusammenhang mit der Aerostatik in der Regel wissen, wie er entgegen von g abnimmt. Man führt deshalb eine Koordinate z = −h ein und legt z = z0 = 0 an die Erdoberfläche. Kombiniert man nun (3.9) und (3.10) ergibt sich in der neuen Koordinate z und mit ρ0 , p0 als Dichte und Druck bei z = z0 :
ρ0 g dp = − 1/n dz 1/n p p
(3.11)
0
Die Polytropenbeziehung (3.10) zusammen mit dem idealen Gasgesetz p/ρ = RT zeigt, dass für n = 1 gerade T = const gilt. Die Integration von (3.11) ergibt für diesen Fall (n=1)
g p = p0 exp − z (3.12) RT0 also einen exponentiellen Abfall des Druckes mit der Höhe z. In der Realität liegt aber keine konstante Temperatur vor, sondern sie fällt im erdnahen Atmosphärenbereich mit der Höhe ab. Deshalb muss für eine bessere Beschreibung der tatsächlichen Verhältnisse ein Wert n = 0 gewählt werden. Für einen allgemeinen Wert gilt
n n−1 n−1 g p = p0 1 − z n RT0 4
;
n−1 g T = T0 1 − z n RT0
(3.13)
Genauere Ausführungen zur Polytropenbeziehung finden sich z.B. in: Herwig, H.; Kautz, C. (2007): Technische Thermodynamik, Pearson Studium, München
3.3 Anwendungsbeispiele AB-1, AB-2
37
z/km 10
ρ /ρ0
T /T0
p/p0 5
0 0,1
0,5
1
Abb. 3.6: Druck- , Temperatur- und Dichteverlauf in der Standardatmosphäre5
Eine gute Modellierung der realen Verhältnisse ergibt sich für einen Wert n = 1,235, der als Polytropenexponent einer auf diese Weise definierten Standardatmosphäre eingeführt wird. Die Standardatmosphäre weist einen Temperaturabfall von 6,5 ◦ C pro km auf. Abb. 3.6 zeigt den Verlauf von Druck, Temperatur und Dichte, jeweils bezogen auf die Werte bei z = 0 für die ersten 11 km der Standardatmosphäre (in der sogenannten Troposphäre).
3.3 Anwendungsbeispiele AB-1, AB-2 A NWENDUNGSBEISPIEL AB-1: Druckkraft auf eine ebene Wand Problem: In der in Abb. AB-1.1 gezeigten Anordnung soll die Kraft FH ermittelt werden, mit der die rechteckige Bodenplatte (L × B) in der gezeigten Position gehalten werden kann. Das Eigengewicht der Platte kann als geringfügig vernachlässigt werden, die gezeigten Gefäße befinden sich in einer Atmosphäre mit dem Druck p0 . Insbesondere soll geklärt werden, ob FH in den beiden gezeigten Fällen (a) und (b) gleich oder verschieden ist.
5
Die definierte Standardatmosphäre besteht insgesamt aus mehreren Schichten mit z.T. sehr unterschiedlichem Temperaturverhalten bis in Höhen >100 km. Der polytrope Verlauf mit n = 1,235 gilt in der sogenannten Troposphäre (z < 11 km). Weitere Details z.B. unter: http://aero.stanford.edu/StdAtm.html
3 Quasi-Strömungsmechanik: Hydro- und Aerostatik
38
(b)
(a) p0 h
g
ρ1
ρ1
h1
ρ2
ρ2
h2 L
FH B
L
FH B
Abb. AB-1.1: Bestimmung der Haltekraft FH an der drehbar angeordneten Bodenplatte Fläche: L × B; stabile Schichtung für ρ1 < ρ2
Lösung: Die Bodenplatte wird durch eine Druckkraft Fp nach unten belastet. Diese Druckkraft greift wegen der horizontalen Lage der Bodenplatte im Flächenschwerpunkt an und besitzt damit ein Moment Fp L/2 um die Drehachse. Um die Bodenplatte in der gezeigten Position zu halten, muss das entgegenwirkende Moment der Kraft FH , also FH L gleich diesem Moment sein. Zur Sicherheit wird man es größer wählen. Es gilt also FH ≥ Fp /2
(i)
Zur Ermittlung von Fp muss zunächst der Druck im Flächenschwerpunkt der Bodenplatte bestimmt werden. Dieser folgt als Überdruck gegenüber dem auf beiden Seiten wirkenden Umgebungsdruck aus dem hydrostatischen Grundgesetz (3.1). Da hier keine insgesamt konstante Dichte vorliegt, darf (3.1) nur abschnittsweise verwendet werden. In diesem Sinne gilt: p(h2 ) − p0 = ρ1 gh1 + ρ2 g(h2 − h1 )
(ii)
Multipliziert mit der Bodenfläche LB ergibt dies die Kraft Fp , so dass mit (i) als gesuchtem Endergebnis gilt FH ≥
LBg [ρ1 h1 + ρ2 (h2 − h1 )] 2
Bei dem gezeigten Lösungsweg musste an keiner Stelle nach den Fällen (a) und (b) unterschieden werden. Die Form des Gefäßes spielt also keine Rolle, entscheidend sind die Abstände h1 und h2 . Diese Tatsache wird auch als Pascalsches Paradoxon bezeichnet, obwohl das Ergebnis nicht paradox, sondern allenfalls überraschend ist.
3.3 Anwendungsbeispiele AB-1, AB-2
39
A NWENDUNGSBEISPIEL AB-2: Gleichmäßig rotierendes Fluid Problem: In der in Abb. AB-2.1 gezeigten Anordnung soll bestimmt werden, bei welcher Winkelgeschwindigkeit ω nur noch die Hälfte des Bodens benetzt ist und welche Höhe H1 die Seitenwand in diesem Fall mindestens besitzen muss, damit dann keine Flüssigkeit austritt. Im ruhenden Zustand sei das Gefäß bis zur Höhe H0 gefüllt. Hinweis: Es kann auch die geometrische Besonderheit ausgenutzt werden, dass ein Paraboloid, das einem Kreiszylinder einbeschrieben ist, stets die Hälfte des Zylindervolumens ausfüllt (siehe dazu auch die Skizze in der Abbildung).
ω 1 Skizze zu VPar = VZyl 2
|hOb − h∗ |dr H1
VF
: VZyl H0
: VPar
h∗ r h
r∗
R0
Abb. AB-2.1: Gleichmäßig rotierendes Fluid in einem Gefäß mit teilweise unbenetzter Bodenfläche
Lösung: In der Abbildung ist ein Zustand gezeigt, in dem bereits ein Teil des Bodens nicht mehr benetzt ist. Der Ursprung des Koordinatensystems muss dann außerhalb des Gefäßes liegen, damit (3.7) weiterhin gilt. Je größer ω wird, umso mehr Bodenfläche bleibt unbenetzt und umso größer wird die Höhe H1 , bis zu der der Fluidspiegel reicht. Die Bedingung ist nun, √ dass die unbenetzte Bodenfläche der halben Gesamtbodenfläche entspricht. Daraus folgt r∗ = R0 / 2 für den radialen Abstand der Benetzungslinie auf dem Boden. Gemäß (3.8) 2 gilt für die „Oberflächenparabel“ hOb = − ω2g r2 , so dass der Behälterboden im gesuchten Fall bei h∗ = − ω2g r∗2 = − ω4g R20 liegt. In dem in Abb. AB-2.1 gezeigten Koordinatensystem kann das Fluidvolumen VF durch Integration bestimmt und anschließend dem ursprüngliche Volumen π R20 H0 gleichgesetzt werden: 2
2
VF =
R0 r∗
2π r|hOb − h∗ |dr = π R20 H0
→
ω=
4 H0 g R0
Für die gesuchte Höhe H1 gilt dann: H1 = |hOb (R0 )| − |h∗ | → H1 = 4H0 Alternativ kann auch die generell gültige Beziehung VPar = VZyl /2 genutzt werden. Ausgangspunkt ist dann ein Zylinder mit der Höhe H1 + |h∗ |. Dessen Volumen ist doppelt so groß wie das Volumen
3 Quasi-Strömungsmechanik: Hydro- und Aerostatik
40
VF +V ∗ . Dabei ist V ∗ das gedachte Volumen im Bereich bis h∗ . Dieses wiederum entspricht 3/4 des Volumens π R20 |h∗ |, da das auf halber Fläche vorhandene Paraboloid abgezogen werden muss. Diese Überlegungen führen auf dieselben Werte von ω und H1 wie sie zuvor berechnet worden waren.
3.4 Illustrierende Beispiele IB-4, IB-5 I LLUSTRIERENDES B EISPIEL IB-4: Eine Gasblase „merkt sich ihren Druck“ Die etwas rätselhafte Beispielüberschrift ist im Zusammenhang mit folgendem Phänomen bei der Erdölförderung aus großen Tiefen entstanden. Eine gewisse Zeit nachdem man den Förderstrom durch das Schließen von Ventilen an der Erdoberfläche unterbrochen hatte, barsten die Ventile, offensichtlich aufgrund eines zu hohen Druckes im ruhenden Erdöl in der Förderleitung vor den Ventilen. Man hatte dort allerdings weder einen hohen Druck erwartet, noch eine Erklärung dafür, dass eine beträchtliche Zeit vergehen musste, bevor es zum Versagen der geschlossenen Ventile kam. Was war passiert? Die Antwort soll durch ein Gedankenexperiment gegeben werden (das man in Prinzip näherungsweise auch real durchführen kann) in dem die entscheidenden Aspekte des ursprünglichen Problems „herausgefiltert“ sind. Dazu soll der in Abb. IB-4.1 gezeigte starre Behälter betrachtet werden. Er ist mit einer inkompressiblen Flüssigkeit gefüllt und besitzt am Boden eine Gasblase. Zwischen der Flüssigkeit und der Gasblase gibt es weder einen Stoff- noch einen Energieaustausch. An zwei Messbohrungen (oben und unten) wird der Druck zu 10 bzw. 15 Druckeinheiten (DE) gemessen. Dieser Druckunterschied ist eine direkte Folge der hydrostatischen Druckverteilung im Behälter. Jetzt wird die Anordnung um 180◦ gedreht, die Gasblase befindet sich dann an der oberen Wand. Welche Drücke po und pu werden jetzt gemessen? Die (vorschnelle) Antwort „ebenfalls po = 10 DE und pu = 15 DE“ ist offensichtlich nicht richtig (offensichtlich: weil dann nicht danach gefragt worden wäre ..., was allerdings mehr einer psychologisch motivierten Begründung entspricht). Bevor die anschließend folgende korrekte Antwort „studiert“ wird, sollte der Leser aber selbst versuchen, die Situation genauer zu analysieren und dann vielleicht selbst auf die richtige Antwort stoßen.
starre Wände po = 10 DE
po = ?
ρ = const
pu = 15 DE
pu = ?
Gasblase, T = const Abb. IB-4.1: Gedankenexperiment zur hydrostatischen Druckverteilung
Die korrekte Antwort (unter den getroffenen Annahmen) lautet: po = 15 DE und pu = 20 DE (!), mit nachfolgender Erklärung. In der gewählten Anordnung bleibt das Volumen der Gasblase unverändert (inkompressible Flüssigkeit, kein Stoffübergang, T = const) und damit auch ihre Dichte ρ . Unterstellt
3.4 Illustrierende Beispiele IB-4, IB-5
41
man die Gültigkeit der idealen Gasgleichung p/ρ = RT , so gilt mit der getroffenen Annahme T = const unmittelbar: p = const. Die Gasblase, ob oben oder unten besitzt also denselben Druck. Damit gilt im rechten Bild von Abb. IB-4.1 po = 15 DE und aufgrund der hydrostatischen Druckverteilung pu = 20 DE. Dies führt auf folgende Erklärung des ursprünglichen Problems der berstenden Ventile: Aus großer Tiefe im ruhenden Erdöl aufsteigende Gasblasen „nehmen ihren ursprünglichen hohen Druck mit“ und bestimmen damit das (hohe) Druckniveau vor den Ventilen. In der konkreten Situation werden die Wände nicht wirklich starr sein und ρ = const wird nicht exakt gelten, tendenziell gibt das beschriebenen Gedankenexperiment aber die Erklärung für das Phänomen des Ventilversagens.6 Eine Lösung des Problems kann in einer gezielten Entgasung nach der unterbrochenen Erdölförderung liegen. I LLUSTRIERENDES B EISPIEL IB-5: Ein Beitrag aus der Reihe „BILD lügt“ Am 26.09.1987 zeigte die BILD-Zeitung das Foto eines schwimmenden Eisberges mit folgender Unterschrift: 150 Meter hoch, 700 Meter lang, eine Million Tonnen schwer: Ein kleiner Eisberg treibt im offenen Meer vor Neufundland. 20 000 dieser Eisriesen gibt es auf der Welt. Würden sie alle auf einmal schmelzen, stiege der Meeresspiegel um 70 Meter. Was passiert wirklich? Ein Eisberg schwimmt im Wasser, weil die Dichte ρ von Eis etwa 10% niedriger ist als diejenige von flüssigem Wasser.7 Wenn das Eis schmilzt, füllt es danach genau das zuvor verdrängte Volumen aus, weil die Masse unverändert bleibt. Die Gewichtskraft dieser Masse war zuvor von der Gewichtskraft der fiktiven (verdrängten) Wassermasse über der benetzten Oberfläche kompensiert worden, vgl. dazu Abb. 3.4(b). Es passiert also gar nichts! Das wirkliche Problem bei der Eisschmelze durch die Erderwärmung sind schmelzende Eismassen auf dem Land, die dann zu einer Zunahme des Wassers in den Weltmeeren und damit zu einem Anstieg des Meerespiegels führen.
6
7
Eine genauere und realistischere Behandlung dieses Beispiels, bei der u.a. die Kompressibilität von Wasser berücksichtigt wird, findet man in: Schneider, W.; Jurisits, R. (2008): Change of state as a bubble rises in a liquid of constant volume, Acta Mechanica. Dort tritt die hier behandelte Lösung als Grenzfall bestimmter Parameter des allgemeinen Problems auf. Dies ist eine Besonderheit im Vergleich zu anderen Stoffen und stellt einen Teilaspekt der sog. Wasseranomalie dar.
Teil B Methodisches Vorgehen in der Strömungsmechanik
Im Teil B dieses Buches soll zunächst die grundsätzliche Alternative erläutert werden, Strömungsgrößen zu berechnen oder zu messen. Bei der Berechnung von Strömungsgrößen muss jederzeit präsent sein, dass dies auf der Basis von physikalisch/mathematischen Modellen geschieht. Anschließend wird erläutert, wie und warum strömungsmechanische Probleme vorzugsweise in dimensionsloser Form formuliert und gelöst werden sollten. Die sogenannte Dimensionsanalyse stellt auch die Basis für Untersuchungen im Modellmaßstab dar. Ein wesentlicher Aspekt des methodischen Vorgehens in der Strömungsmechanik ist die adäquate Berücksichtigung des Turbulenzeinflusses bei der Modellierung von Strömungen. Hierfür gibt es je nach „Modellierungstiefe“ sehr unterschiedliche Ansätze, deren grundsätzliche Unterschiede erläutert werden.
45
4 Berechnung, Simulation und Messung von Strömungsgrößen Neben dem Versuch, die Physik von Strömungen zu verstehen ist es eine zentrale Aufgabe der Strömungsmechanik, bestimmte Strömungsgrößen vorherzusagen. Diese Vorhersagen entstehen grundsätzlich auf der Basis von physikalisch/mathematischen Modellen bzgl. der jeweils interessierenden Strömungssituation. Für die Erstellung bzw. Beurteilung solcher Modelle kommt dem Experiment eine besondere Bedeutung zu, so dass man sich strömungsmechanischen Fragestellungen letztlich auf theoretischem und experimentellem Wege näher muss.
4.1 Physikalisch/mathematische Modellbildung Die wesentlichen Aussagen zu den physikalisch/mathematischen Modellen dieses Abschnittes gelten ganz allgemein für physikalische Probleme. Sie werden aber anhand von Strömungssituationen erläutert. In diesem Sinne können physikalisch/mathematische Modelle Strömungen
in grober Näherung entsprechen; in der Regel handelt es sich dann aus mathematischer Sicht um algebraische Gleichungen zur Bestimmung von räumlich gemittelten Größen. Diese Gleichungen können ohne großen Aufwand exakt gelöst werden. Diese Art der Bestimmung von Strömungsgrößen soll algebraische Berechnung genannt werden.
im Detail entsprechen; in der Regel handelt es sich aus mathematischer Sicht dann um partielle Differentialgleichungen zur Bestimmung von Feldgrößen. Diese Gleichungen können nur numerisch (näherungsweise) gelöst werden. Diese Art der Bestimmung von Strömungsgrößen soll numerische Simulation genannt werden. D EFINITION: Physikalisch/mathematisches Modell Ein physikalisch/mathematisches Modell besteht aus einer oder mehreren mathematischen Gleichungen, deren abhängige Variablen strömungsmechanischen Größen entsprechen. Die Vorhersage über das Verhalten einzelner Strömungsgrößen geschieht mit Hilfe der Ergebnisse aus den Lösungen dieser Gleichungen. Die Vorhersage auf der Basis von Lösungen algebraischer Gleichungen wird algebraische Berechnung von Strömungen genannt. Die Vorhersage auf der Basis von Lösungen zugeordneter partieller Differentialgleichungen (numerische Lösungsebene) wird numerische Simulation von Strömungen genannt.
Es mag im ersten Moment übertrieben erscheinen, die Vorgehensweise „so umständlich“ zu beschreiben. Es hat aber große Vorteile, sich von Anfang an bewusst zu machen, dass die theoretische Vorhersage von Strömungsgrößen auf einer Modellebene erfolgt. Abb. 4.1 zeigt die Situation schematisch und enthält einige zusätzliche Aspekte die anschließend näher beschrieben werden.
4 Berechnung, Simulation und Messung von Strömungsgrößen
46
numerische S IMULATION
N UMERISCHE L ÖSUNGSEBENE (numerische Lösung) mathematische Näherungen
algebraische B ERECHNUNG
Verifikation (Code∼)
M ODELLEBENE (physikalisch/mathematisches Modell)
physikalische Annahmen
Validierung (Modell∼)
R EALITÄTSEBENE (experimentelle Datenerhebung)
Abb. 4.1: Verschiedene Ebenen bei der Vorhersage strömungsmechanischer Größen auf der Basis von physikalisch/mathematischen Modellen
Wenn eine Strömungsgröße berechnet wird, z.B. die Geschwindigkeit an einer bestimmten Stelle im Strömungsfeld, so ist dies nicht die Geschwindigkeit, sondern eine Modellgröße, die zahlenmäßig der physikalischen Größe entspricht. Dies ist aber nur der Fall, wenn das Modell „passend“ gewählt worden ist und die Modellgleichungen „korrekt“ gelöst wurden. Dies sind zwei Aspekte, die in Abb. 4.1 als Validierung bzw. Verifikation aufgenommen worden sind. D EFINITION: Validierung (eines physikalisch/mathematischen Modells) Unter der Validierung eines physikalisch/mathematischen Modells versteht man den Nachweis, dass dieses Modell geeignet ist, eine bestimmte, reale strömungsmechanische Situation hinreichend genau zu beschreiben. In dieser Definition sind drei Aspekte von besonderer Bedeutung:
Ein physikalisch/mathematisches Modell kann nicht für sich beurteilt werden, sondern nur im Hinblick auf eine bestimmte physikalische Situation. In diesem Sinne sind Modelle nicht „richtig“ oder „falsch“, sondern zur Beschreibung einer bestimmten Situation mehr oder weniger geeignet.
Eine hinreichend genaue Beschreibung einer strömungsmechanischen Situation setzt ein Genauigkeitskriterium voraus, d.h. die Angabe, welche Abweichungen zwischen der Vorhersage durch das Modell und der Realität akzeptiert werden.
Der Nachweis der Modelleignung kann nicht aus dem Modell heraus erfolgen, sondern fordert den Vergleich mit modellunabhängigen Informationen über die zu beschreibende strömungsmechanische Situation. Dies können experimentell ermittelte Daten sein, aber auch solche aus
4.1 Physikalisch/mathematische Modellbildung
47
einem anderen Modell, dessen Eignung bereits nachgewiesen wurde, das also als validiert gelten kann. Insgesamt wird damit sichergestellt, dass die physikalischen Annahmen (s. Abb. 4.1) bei der konkreten Modellbildung zulässig sind. Wenn das physikalisch/mathematische Modell eine aufwendige numerische Lösung erforderlich macht, weil z.B. mehrere gekoppelte nichtlineare partielle Differentialgleichungen gelöst werden müssen (sogenannte Feldgleichungen), so ist dazu ein numerischer Code erforderlich. Dieser löst die Gleichungen näherungsweise, indem diskrete Werte an endlich vielen Gitterpunkten eines numerischen Gitters bestimmt werden, das über das interessierende Lösungsgebiet gelegt wird. In diesem Zusammenhang spricht man von CFD als Abkürzung für computational fluid dynamics.1 Ein solcher numerischer Code (Beispiele sind: FLUENT, CFX, STAR-CD) muss verifiziert werden.
D EFINITION: Verifikation (eines numerischen Codes) Unter der Verifikation eines numerischen Codes versteht man den Nachweis, dass dieser Code ein mathematisches Gleichungssystem mit hinreichender Genauigkeit löst. In diesem Zusammenhang sind drei Aspekte von besonderer Bedeutung:
Konsistenz: Dies bezieht sich auf den Abbruchfehler, den man bei der Diskretisierung der Ausgangsgleichungen gegenüber diesen einführt, weil mathematische Ableitungen durch Reihenentwicklungen mit endlich vielen Termen ersetzt werden. Die Diskretisierung ist konsistent, wenn der Abbruchfehler Null wird, wenn die Diskretisierungsschrittweite zu Null geht.
Stabilität: Eine Lösungsmethode ist stabil, wenn sie Fehler, die während der numerischen Lösung auftreten, nicht verstärkt. Bei iterativen Methoden bedeutet dies, dass die Lösung nicht divergiert.
Konvergenz: Dies bedeutet, dass die Lösung der diskretisierten Gleichungen zur Lösung der Ausgangsgleichung wird, wenn die Diskretisierungsschrittweite zu Null geht. Diese Forderung ist wichtig, weil ein konsistentes Diskretisierungsschema (das stets vorliegen muss), das keine konvergente Lösung liefert, wertlos ist.
Der generelle Nachweis von Konsistenz, Stabilität und Konvergenz ist keineswegs trivial und gelingt häufig nur für lineare Gleichungssysteme.2 Insgesamt wird damit sichergestellt, dass die mathematischen Näherungen (s. Abb. 4.1) im numerischen Code zulässig sind. Im englischsprachigen Raum werden die beiden Aspekte der Validierung und Verifikation auf folgende Kurzform gebracht:
VALIDATION: Do we solve the right equations? (Lösen wir die richtigen Geichungen?)
V ERIFICATION: Do we solve the equations right? (Lösen wir die Gleichungen richtig?)
1
„Böse Zungen“ übersetzen CFD aber auch als coloured fluid dynamics, weil Ergebnisse oftmals in schönen bunten Bildern dargestellt werden, ohne dass diese kritisch hinterfragt würden. Genaueres s.z.B. in: Ferziger, J.H.; Peric, M. (2002): Computational Methods for Fluid Dynamics, 3. Aufl., SpringerVerlag, Berlin, Heidelberg, New York
2
48
4 Berechnung, Simulation und Messung von Strömungsgrößen
4.2 Messen von Strömungsgrößen Neben der Vorhersage bestimmter Strömungsgrößen gibt es die Möglichkeit, sich durch das Messen dieser Größen Informationen über ein Strömungsfeld zu verschaffen. Dies kann entweder in dem interessierenden Strömungsfeld selbst geschehen oder in einem Modellversuch. Die Regeln, nach denen solche Modellversuche gestaltet werden müssen, werden im Anschluss an das nachfolgende Kapitel zur sogenannten Dimensionsanalyse behandelt. Die häufig unmittelbar interessierenden Größen sind die Geschwindigkeit und der Druck in einem Strömungsfeld. Zusätzlich kann die Temperatur von Bedeutung sein, wenn diese das Strömungsfeld beeinflusst. Eine solche Beeinflussung liegt dann vor, wenn im Strömungsfeld unterschiedliche Temperaturen auftreten und die Dichte und/oder Viskosität eine nicht zu vernachlässigende Temperaturabhängigkeit aufweisen. Auf Details zur Strömungsmesstechnik kann und soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden, es sollen aber einige allgemeine Angaben gemacht werden, die den Aufwand bzw. die Beschränkungen erkennen lassen, die im Zusammenhang mit der Messung von Strömungsgrößen auftreten.3 Als generelle Aussage bleibt zunächst festzuhalten, dass bei der Messung von Strömungsgrößen eine Verbesserung der Genauigkeit an einer bestimmten Stelle erreicht wird, wenn die Messgenauigkeit dort, aber u.U. auch nur dort verbessert wird. Eine Verbesserung der Genauigkeit in einer numerischen Simulation an einer bestimmten Stelle kann hingegen in der Regel nur erreicht werden, wenn die Simulation insgesamt (und nicht nur lokal) verbessert wird. Eine Simulation muss stets das gesamte Problem erfassen, Messungen hingegen können auch rein lokal erfolgen. Dies ist ein Aspekt, der bedacht werden sollte, wenn die Entscheidung ansteht, ob „gerechnet oder gemessen“ werden soll. 4.2.1 Geschwindigkeitsmessungen Zunächst muss die grundsätzliche Entscheidung getroffen werden, ob lokale und momentane, oder mittlere Geschwindigkeiten gemessen werden sollen. In einer turbulenten Strömung (s. Abb. 2.4 auf S. 17) muss eine lokale und momentane Geschwindigkeitsmessung die Information über alle drei Geschwindigkeitskomponenten in einem Punkt und zu einem Zeitpunkt liefern. Das dazu erforderliche Messverfahren muss also ein extrem kleines Messvolumen besitzen (als Annäherung an eine lokale Messung) und eine extrem kleine Zeitkonstante aufweisen, so dass auch hochfrequente Schwankungen erfasst werden können (als Annäherung an eine momentane Messung). Solche Verfahren gibt es (Hitzdraht-, LDAoder PIV-Messverfahren),4 der Aufwand für die Messung und vor allem auch für die anschließende Signalverarbeitung kann aber sehr hoch sein. Wenn weder eine hohe zeitliche noch räumliche Auflösung erforderlich ist, reichen Messverfahren aus, die inhärent über hohe Schwankungsfrequenzen mitteln und keine lokalen Messun3
4
Ausführliche Darstellungen zur Strömungsmesstechnik findet man z.B. in Nitsche, W.; Brunn, A. (2006): Strömungsmesstechnik, Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg oder in Tropea, C.; Yarin, A. L.; Foss, J. F. (2007): Handbook of Experimental Fluid Mechanics, Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, New York Hitzdraht-Messverfahren: Wärmeübergang an einem elektrisch geheizten kleinen Draht (Länge im mm-, Dicke im µm-Bereich) in der Strömung, wobei die Drahttemperatur oder die elektrische Heizleistung ein Maß für die momentane und lokale Geschwindigkeit ist. LDA-, PIV-Messverfahren: Laseroptische Verfahren, die über die Geschwindigkeitsmessung von zugesetzten (Tracer-) Partikeln auf die Strömungsgeschwindigkeit schließen (Partikel ohne Schlupf zur Strömung, Durchmesser im µmBereich).
4.2 Messen von Strömungsgrößen
49
gen darstellen, weil ein größerer Teil eines Strömungsfeldes erfasst wird. Damit werden dann „mittlere“ Geschwindigkeiten gemessen, wie z.B. ganz einfach mit einem Flügelrad, das in eine Strömung gehalten wird. Nachdem dieses entsprechend kalibriert worden ist, kann aus der Flügeldrehzahl auf die „mittlere“ Geschwindigkeit geschlossen werden. Hierbei wird „mittlere“ in Anführungsstriche gesetzt, weil bei solchen (einfachen) Verfahren in der Regel keine genauen Angaben zur tatsächlich vorgenommenen Art der Mittelung gemacht werden können. Geschwindigkeitsmessungen können auch indirekt über Druckmessungen erreicht werden wie in Abschn. 9.4 gezeigt wird. 4.2.2 Druckmessungen Anders als bei Geschwindigkeitsmessungen gibt es für die Ermittlung des Druckes keine Möglichkeit einer „berührungsfreien“ Messung. Druckmessungen sind an Wänden möglich, d.h. an den festen Berandungen eines Strömungsfeldes. Wenn der Druck innerhalb des Strömungsfeldes interessiert, so muss dort mit Hilfe einer entsprechenden Sonde lokal „eine Wand geschaffen werden“. An dieser Sonde kann der Druck bestimmt werden und dann näherungsweise als Druck im Strömungsfeld gelten. Die Sonde stellt aber stets eine Störung des ursprünglichen Strömungsfeldes dar, durch die eine mehr oder weniger verfälschte Druckmessung entsteht. Die prinzipielle Anordnung zur Messung von Drücken ist in Abb. 4.2 gezeigt. Genaueres dazu findet sich im späteren Abschn. 9.4. Die eigentliche Druckmessung erfolgt dabei in einer Druckmesseinheit, in die über eine Zuleitung der Druck an der interessierenden Stelle im Strömungsfeld „weitergeleitet“ wird. Eine solche Druckmesseinheit kann z.B. eine Druckmessdose sein, in der die Auslenkung einer druckbeaufschlagten Membran ein Maß für den Druck darstellt. Nach einer entsprechenden Kalibrierung kann damit direkt der Druck angezeigt werden. Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Druck eine skalare (und damit richtungsunabhängige Größe) ist. Druckmessung „im Feld“
Druckmessung an einer Wand
Abb. 4.2: Druckmessungen an Wänden und „im Feld“
Zuleitung zu einer Druckmesseinheit
51
5 Dimensionsanalyse Ein wesentlicher Aspekt bei der Beschreibung des methodischen Vorgehens in der Strömungsmechanik besteht in der dimensionsanalytischen Betrachtung von Problemen. Dabei wird leider häufig unterschätzt, wie wichtig solche Überlegungen für das Verständnis strömungsmechanischer Zusammenhänge sowie für deren kompakte und möglichst allgemeingültige Darstellung sind. Mit der Dimensionsanalyse wird erreicht, ein strömungsmechanisches Probleme dimensionslos zu formulieren, indem alle Größen auf entsprechende charakteristische Größen des Problems bezogen werden. Dies hat zwei entscheidende Vorteile:
Im Zuge der Dimensionsanalyse entstehen dimensionslose Kombinationen von Größen, die ein betrachtetes Problem beeinflussen. Wie anschließend gezeigt wird, ist die Anzahl solcher dimensionsloser Kennzahlen eines Problems stets kleiner als die Anzahl der dimensionsbehafteten Einflussgrößen, aus denen sie entstanden sind. Dies hilft bei einer kompakten, „allgemeingültigen“ Darstellung von Ergebnissen bzw. macht sie überhaupt erst mit einem vertretbaren Aufwand möglich.
Ein Ergebnis (ebenfalls in dimensionsloser, bezogener Form) gilt dann nicht nur für einen bestimmten Fall, sondern für alle physikalisch ähnlichen Probleme, die sich aber durch die Zahlenwerte der jeweiligen charakteristischen Größen, bei gleichen Werten der dimensionslosen Kennzahlen, unterscheiden.
Für das konkrete Vorgehen bei der Dimensionsanalyse ist entscheidend, ob ein Problem in Form der zugrunde liegenden Gleichungen bekannt ist (durch deren Lösung dann das Ergebnis ermittelt werden soll), oder ob diese Gleichungen zunächst (noch) nicht vorliegen. Stattdessen muss dann bekannt sein, durch welche Einflussgrößen das gesuchte Ergebnis bestimmt wird. In beiden Fällen existiert zu dem betrachteten Problem damit ein physikalisch/mathematisches Modell im Sinne der in Abschnitt 4.1 gegebenen Definition. Dieses ist entweder bereits explizit formuliert oder aber prinzipiell formulierbar (weil bekannt ist, welche physikalische Situation vorliegt). Die dimensionslose Formulierung eines Probleme bei bekannten Gleichungen zur Ermittlung der Lösung ist unmittelbar nachvollziehbar. Überraschender ist es, welche Schlussfolgerungen für ein Problem durch die Dimensionsanalyse gezogen werden können, wenn das physikalisch/mathematische Modell noch gar nicht explizit ausformuliert ist. Bevor dies gezeigt wird sollen noch einige im Weiteren benötigte Begriffe eingeführt bzw. definiert werden.
D EFINITION: Zahlenwert, Einheit, Dimension Eine allgemeine physikalische Größe a besitzt
einen Zahlenwert, geschrieben {a} eine Dimension, geschrieben (a) eine Einheit, geschrieben [a]
Die Dimension kann entweder eine Basisdimension oder eine abgeleitete Dimension sein.
5 Dimensionsanalyse
52
Wenn a z.B. die Masse m = 10 kg ist, so gilt {m} = 10, (m) = M als Abkürzung für die Basisdimension MASSE, sowie [m] = kg. Die Unterscheidung nach Basisdimensionen und abgeleiteten Dimensionen hat in der Strömungsmechanik, wie in der Physik allgemein, Vereinbarungscharakter und ist nicht etwa (wie die Tatsache, dass es insgesamt nur sieben Basisdimensionen gibt) die Folge verborgener Naturgesetze. So vereinbart man z.B. im Bereich der Dynamik, die Dimensionen LÄNGE (L), ZEIT (Z) und MASSE (M) als Basisdimensionen einzuführen und nennt dies das LZM-System. Größen wie die Geschwindigkeit und die Kraft besitzen dann die abgeleiteten Dimensionen LZ−1 bzw. MLZ−2 . Zu den Dimensionen gehören entsprechende Einheiten, die dann analog als Basisbzw. abgeleitete Einheiten bezeichnet werden. Basiseinheiten im LZM-System sind m (Meter), s (Sekunde) und kg (Kilogramm). Die Krafteinheit N (Newton) ist dann eine abgeleitete Einheit, für die gilt 1 N = 1 kgms−2.
5.1 Das Pi-Theorem der Dimensionsanalyse Wenn das physikalisch/mathematische Modell zur Beschreibung eines bestimmten strömungsmechanischen Problems soweit bekannt ist, dass entschieden werden kann, welche Größen das Problem beeinflussen (sogenannte Einflussgrößen) und welche nicht, so kann unmittelbar das nachfolgend aufgeführte Pi-Theorem angewandt werden, das von Buckingham im Jahr 1914 erstmals formuliert wurde.1,2 Pi-Theorem Die Lösung eines Problems, das sich als Zusammenhang von n Einflussgrößen ai mit m Basisdimensionen als f (a1 , a2 , ..., an ) = 0 darstellen lässt, besitzt die allgemeine Form F(Π1 , Π2 , ..., Πn−m ) = 0 wenn:
neben f (...) keine weiteren funktionale Zusammenhänge zwischen den Einflussgrößen ai , bestehen. Diese könnten verwendet werden, um die Anzahl n unabhängiger Größe zu reduzieren. die Gleichung f (...) unabhängig von den Einheiten gilt, in denen die Größen ai angegeben werden. f (...) wird dann als dimensionshomogen bezeichnet, d.h., alle Terme besitzen dieselbe Dimension.
Die Größen Πi sind dimensionslose Kennzahlen des betrachteten Problems. Sie stellen Potenzprodukte aus einzelnen Einflussgrößen des Problems dar. 1 2
Der Name Pi-Theorem geht auf das mathematische Symbol Π zurück, mit dem Produkte bezeichnet werden. Buckingham, E. (1914): On physically similar systems; Illustrations of the use of dimensional equations. Phys. Rev., 2. Ser., Vol. 4, 345-376
5.2 Auswahl der Einflussgrößen (Modellbildung)
53
Wenn ein Problem z.B. n = 5 Einflussgrößen besitzt und m = 3 Basisdimensionen, so kann es als Zusammenhang von n − m = 2 dimensionslosen Kennzahlen formuliert werden. Dies ist die zentrale Aussage des Pi-Theorems. Die Anwendungsbeispiele in Abschn. 5.4 erläutern dies ausführlich. Aus solchen dimensionsanalytischen Überlegungen lassen sich aber keinerlei Aussagen darüber ableiten, wie dieser Zusammenhang aussieht. Die Antwort darauf bleibt der eigentlichen Lösung des Problems vorbehalten, man sollte sie aber aus vorher genannten Gründen in dimensionsloser Form ermitteln. Um es prägnant zu formulieren, was das Pi-Therorem bezüglich der Abhängigkeiten in Form von Πi -Kennzahlen aussagt: Von welchen Πi , aber nicht wie. Der mathematische Hintergrund für die mit dem Pi-Theorem bestimmte Anzahl von dimensionslosen Kennzahlen, die geringer ist als die Anzahl der ursprünglichen Einflussgrößen, besteht in der im Pi-Theorem unterstellten Dimensionshomogenität der Gleichungen, die ein Problem beschreiben (ob bereits bekannt, oder zunächst auch noch nicht). Dies bedeutet, dass alle Terme, die in einer Gleichung additiv nebeneinander (oder auf beiden Seiten des Gleichheitszeichens) auftreten, dieselbe Dimension besitzen. Dies schließt von vorne herein viele Kombinationen aus. So könnte z.B. eine Geschwindigkeit u durch eine Gleichung u = const· L/t bestimmt sein, wenn L eine Länge und √ t die Zeit ist. Nicht möglich sind aber Gleichungen der Form u = const · Lt, u = const · L t, u = const ·t 2 /L, ... weil alle diese Gleichungen nicht dimensionshomogen sind. Wenn zunächst nur bekannt ist, welche Einflussgrößen in einem Problem miteinander verknüpft sind, so gilt dasselbe Argument: Nur dimensionshomogene Verknüpfungen sind möglich. Diese Bedingung führt letztlich zur Aussage des Pi-Theorems.
5.2 Auswahl der Einflussgrößen (Modellbildung) Die Auswahl der Einflussgrößen ai im Zusammenhang mit der Dimensionsanalyse ist der alles entscheidende Schritt bei der Anwendung des Pi-Theorems. Die Entscheidung, ob eine bestimmte physikalische Größe einen Einfluss auf das gesuchte Ergebnis hat oder nicht, lässt sich nur treffen, wenn die Physik des betrachteten Problems hinreichend bekannt bzw. verstanden ist. Oftmals ist es auch die Entscheidung, ob ein Einfluss im Zusammenhang mit der betrachteten Größe als relevant oder vernachlässigbar gering angesehen wird. Insgesamt geht mit der Auswahl von relevanten Einflussgrößen die prinzipielle Auswahl eines bestimmten physikalisch/mathematischen Modells zur Beschreibung des betrachteten Problems einher. Eine so ermittelte Relevanzliste ist also Ausdruck einer bestimmten Modellbildung in Bezug auf das interessierende Problem.
D EFINITION: Dimensionsanalytische Relevanzliste Die Relevanzliste bei der Dimensionsanalyse eines zu lösenden Problems umfasst neben der gesuchten Größe alle physikalischen Größen, die einen Einfluss auf die gesuchte Größe besitzen. Als eine solche Einflussgröße zählt dabei jede physikalische Größe, deren reale oder gedachte Variation einen relevanten (d.h. nicht zu vernachlässigenden) Einfluss auf die gesuchte Größe besitzt. Zur Festlegung der Relevanzliste eines bestimmten Problems, d.h. zur prinzipellen Auswahl einer Modellvorstellung, sollte man das Problem nach folgendem Fünf-Punkte-Plan „durchdenken“ und daraus die relevanten Einflußgrößen gewinnen:
54
5 Dimensionsanalyse
1. Z IELVARIABLE : Dies ist die gesuchte physikalische Größe. Wenn in einem Problem mehrere Größen gesucht sind, die sich gegenseitig nicht beeinflussen, darf zunächst nur eine Zielvariable gewählt werden. Für die anderen gesuchten Größen sind anschließend jeweils eigene Relevanzlisten aufzustellen. Beispiel: Der Druckabfall in einer Rohrströmung ist die gesuchte Größe. Wird zusätzlich der Wärmestrom an der Wand gesucht, so ist in Bezug auf diese Fragestellung eine eigene Relevanzliste aufzustellen. 2. G EOMETRIEVARIABLE : Dies ist eine geometrische Größe, die als interner Maßstab dienen kann. Nur wenn die Lösung geometrisch nichtähnliche Anordnungen umfassen soll, müssen weitere charakteristische geometrische Größen hinzugenommen werden. Sind keine globalen Zusammenhänge gesucht, sondern Gesetzmäßigkeiten, nach denen bestimmte Größen lokal verteilt sind, so müssen entsprechende Koordinatenwerte (unabhängige Variablen des Problems) hinzugenommen werden. Beispiel: Wird die Strömung in einer kontinuierlichen Querschnittserweiterung, einem sogenannten Diffusor mit festem Öffnungswinkel und fester relativer Länge untersucht, so sind alle diese Diffusoren geometrisch ähnlich und durch eine charakteristische Länge, z.B. den Eintrittsdurchmesser festgelegt. Werden zusätzlich verschiedene Öffnungswinkel betrachtet, so tritt eine zweite charakteristische Länge, z.B. der Austrittsdurchmesser, hinzu. Ist der gesuchte Zusammenhang z.B. ein lokaler Wert der Geschwindigkeit an einer beliebigen Stelle im Strömungsfeld, so sind im ebenen Fall zwei Koordinaten zur Festlegung der interessierenden Stelle als weitere Einflussgrößen hinzuzunehmen. 3. P ROZESSVARIABLE : Dies ist eine charakteristische Größe für die „Stärke“ des betrachteten Prozesses. Häufig sind es globale Größen, wie z.B. der Volumenstrom oder durch Randbedingungen aufgeprägte Prozessgrößen. Werden kombinierte Prozesse betrachtet, die sich gegenseitig beeinflussen, treten zwei oder mehrere Größen auf. Beispiel: Die mittlere Geschwindigkeit (Volumenstrom) bei der Rohrströmung ist die charakteristische Größe. Wird diese durch einen Wärmeübergang beeinflusst, tritt eine weitere Prozessgröße, z.B. ein aufgeprägter Wandwärmestrom, hinzu. 4. S TOFFWERTE : Es sind diejenigen Stoffwerte zu berücksichtigen, die im Zusammenhang mit dem betrachteten physikalischen Prozess auftreten. Im Rahmen dieses Buches können dies bis zu vier Stoffwerte sein, nämlich: ρ , η , λ und c p . Beispiel: Bei der Berechnung der Strömung eines Fluides konstanter Dichte und Viskosität in einem Diffusor sind die Dichte ρ (Auftreten von Trägheitskräften), die Viskosität η (reibungsbehaftete Strömung) zu berücksichtigen, nicht aber die thermischen Größen λ und c p . 5. KONSTANTEN : Dies sind Konstanten aus physikalischen Gesetzen, die zur Beschreibung des betrachteten Prozesses herangezogen werden müssen. Beispiel: Bei Strömungen mit Auftriebseffekten ist stets die Erdbeschleunigung g in die Relevanzliste aufzunehmen. Die nach den Punkten 1 bis 5 aufgestellte Relevanzliste kann durch folgendes „Gedankenexperiment“ daraufhin überprüft werden, ob die darin enthaltenen Größen relevante Einflussgrößen sind, bzw. ob die Relevanzliste vollständig ist:
5.3 Bestimmung der dimensionslosen Kennzahlen
55
Man prüft für jede einzelne Größe, ob eine gedachte Änderung dieser Größe Auswirkungen auf die Zielgröße hat, bzw. ob es andere, nicht in der Relevanzliste enthaltene Größen gibt, deren Variation relevante Auswirkungen auf die Zielgröße zur Folge hätte.
5.3 Bestimmung der dimensionslosen Kennzahlen Nachdem mit der Auswahl der Relevanzliste der entscheidende Schritt einer Modellbildung vollzogen worden ist, stellt die konkrete Ermittlung der dimensionslosen Kennzahlen Πi kein Problem dar. Diese Ermittlung kann sehr formal erfolgen, indem ein Gleichungssystem zur Bestimmung aller Potenzen aufgestellt wird, mit denen die Einflussgrößen ai in den Kennzahlen Πi vorkommen. An die Stelle von m (Anzahl der Basisdimensionen) tritt dann der sogenannte Rang der Dimensionsmatrix3 r. Dies ist jedoch in den meisten Fällen unnötig aufwändig. Die häufig nur geringe Anzahl von Kennzahlen kann alternativ ganz einfach durch „Probieren“ ermittelt werden. Das Pi-Theorem in der zuvor gezeigten Form legt die Anzahl der Kennzahlen zu (n − m) fest, ein vollständiger Kennzahlen-Satz kann daher wie folgt bestimmt werden:
Einfache Ermittlung der Kennzahlen Ausgehend von einer beliebigen Einflussgröße kombiniert man diese als Produkte solange mit Potenzen von anderen Einflussgrößen, bis eine dimensionslose Kombination entsteht. Man hat damit die erste Kennzahl ermittelt. Dieses Verfahren muss insgesamt (n − m) mal durchgeführt werden, wobei nur darauf zu achten ist, dass die neu entstehenden Kennzahlen nicht Potenzen oder Kombinationen bereits erhaltener Kennzahlen sind. Dies kann sicher dadurch ausgeschlossen werden, dass man die Ermittlung jeder neuen Kennzahl mit einer Einflussgröße beginnt, die in den bereits ermittelten Kennzahlen noch nicht vorkommt. Es wird häufig als irritierend empfunden, dass zwei Anwender des Pi-Theorems für ein Problem (bei gleichen Relevanzlisten, also derselben Modellauswahl) u.U. nicht dieselben Kennzahlen erhalten. Dies ist dann Ausdruck der Tatsache, dass mit dem Pi-Theorem nur die Anzahl dimensionsloser Kennzahlen eindeutig (zu n − m) bestimmt wird, nicht jedoch ihre konkrete Form. Aber: Zwei unterschiedliche Kennzahlensätze eines Problems können stets ineinander überführt werden, indem einzelne Kennzahlen mit einer bestimmten Potenz versehen werden oder zwei Kennzahlen als Potenzprodukt eine der ursprünglichen Kennzahlen ersetzen. In diesem Sinne sind √ z.B. die Kennzahlensätze (Π1 , Π2 ), (Π1 , 2Π1 Π2 ), (3Π21 , Π1 Π2 ), ... vollkommen gleichwertig im Sinne der Dimensionsanalyse eines Problems. Häufig entscheiden „persönlicher Geschmack“ oder die Tatsache, dass bestimmte Kenzahlen mit Namen verdienter Forscher in Verbindung gebracht werden, welche konkrete Form der Kennzahlen endgültig verwendet wird. Eine solche „benannte“ Kennzahl wurde bereits in Abschnitt 2.3.2 als Reynolds-Zahl eingeführt. Tabelle 5.1 enthält einige Kennzahlen, die nach verdienten Forschern benannt sind. In der Physik sind insgesamt mehr als 300 dimensionslose Kennzahlen gebräuchlich. Die physikalische Interpretation von Kennzahlen ist nur im Zusammenhang mit dem konkreten Problem, in dem sie auftreten, sinnvoll. 3
weitere Detail z.B. in: Zierep, J. (1978): Ähnlichkeitsgesetze und Modellregeln der Strömungslehre, Braun-Verlag, Karlsruhe, sowie: Szirtes T. (1998): Applied Dimensional Analysis and Modelling, McGraw-Hill, New York
5 Dimensionsanalyse
56 Tab. 5.1: Benannte dimensionslose Kennzahlen
(uc : charakteristische Geschwindigkeit; Lc : charakteristische Länge; aS : Schallgeschwindigkeit; ∆T : charakteristische Temperaturdifferenz; g: Betrag des Erdbeschleunigungsvektors; ρ : Dichte; β : thermischer Ausdehnungskoeffizient; η : dynamische Viskosität; ν: kinematische Viskosität; c p : spezifische isobare Wärmekapazität; f : Frequenz) DIMENSIONSLOSE K ENNZAHL
D EFINITION
BENANNT NACH
Reynolds-Zahl
Re = ρ uc Lc /η
Osborne Reynolds (1842-1912)
Mach-Zahl
Ma = uc /aS
Ernst Mach (1838-1916)
Prandtl-Zahl
Pr = η c p /λ
Ludwig Prandtl (1875-1953)
Grashof-Zahl
Gr = gβ ∆T L3c /ν 2
Franz Grashof (1826-1893)
Froude-Zahl
√ Fr = uc / gLc
William Froude (1810-1879)
Strouhal-Zahl
Sr = f Lc /uc
Vincent Strouhal (1850-1922)
Es wird empfohlen, bei der Bestimmung von Kennzahlen eines Problems möglichst auf bekannte Kennzahlen „zuzusteuern“ bzw. durch Kombination von erhaltenen Kennzahlen bekannte Kennzahlen zu bilden. Dies erleichtert die Einordnung von Ergebnissen, die letztlich als Zusammenhang der dimensionslosen Kennzahlen des Problems dargestellt werden.
5.4 Anwendungsbeispiele AB-3, AB-4 A NWENDUNGSBEISPIEL AB-3: Formale Bestimmung von dimensionslosen Kennzahlen Problem: Für die nachfolgende Relevanzliste, bestehend aus n = 5 Einflussgrößen, sollen die zugehörigen dimensionslosen Kennzahlen ermittelt werden. Der physikalische Hintergrund spielt hier zunächst keine Rolle, er ist Gegenstand des nachfolgenden Anwendungsbeispiels. Relevanzliste: 1. uc (Geschwindigkeit in m/s) 2. D (Durchmesser in m) 3. η (dynamische Viskosität in kg/ms) 4. ρ (Dichte in kg/m3 ) 5. τW (Wandschubspannung in kg/ms2 ) Lösung: Das hier zunächst nicht näher beschriebene Problem ist im Sinne des Pi-Theorems als der Zusammenhang f (uc , D, η , ρ , τW ) = 0
5.4 Anwendungsbeispiele AB-3, AB-4
57
beschrieben. Die Zahl der relevanten Einflussgrößen ist n = 5, die Anzahl der Basisdimensionen des Problems beträgt m = 3, da die LÄNGE (L), die ZEIT (Z) und die MASSE (M) auftreten. Also gibt es n − m = 5 − 3 = 2 voneinander unabhängige Kennzahlen, mit denen sich das Problem in der allgemeinen Form F(Π1 , Π2 ) = 0 darstellen lässt. Durch einfaches „Probieren“ findet man z.B.:
τW , ρ u2c
Π2 =
ρ uc D η
1 = τW D , Π uc η
2 = Π
η ρ uc D
Π1 = oder aber in einem „zweiten Versuch“:
1, Π 2 ) ist dem zunächst gefundenen Satz (Π1 , Π2 ) vollkommen Der zweite Satz von Kennzahlen (Π 2 = 1/Π2 ineinander überführt werden können. Dies 1 = Π1 Π2 und Π gleichwertig, weil beide durch Π zeigt noch einmal, dass das Pi-Theorem die Anzahl, nicht aber die konkrete Form der dimensionslosen Kennzahlen festlegt. Um die konkrete Lösung zu ermitteln, muss „nur noch“ der funktionale Zusammenhang zwischen 1 und Π 2 ) bestimmt den zwei dimensionslosen Kennzahlen Π1 und Π2 (oder gleichwertig zwischen Π werden. Wenn das Problem auf experimentellem Weg bearbeitet werden soll, könnten z.B. 10 Wertepaare (Π1 , Π2 ) gemessen werden. In einem Diagramm mit den Achsen Π1 und Π2 könnte durch die 10 ermittelten Punkte eine Ausgleichskurve gezogen werden, wodurch dann die „allgemeine Lösung“ des Problems, Π1 = Π1 (Π2 ), graphisch dargestellt ist. Das vorliegende Beispiel zeigt aber auch, dass die Dimensionsanalyse von dem Zeitpunkt an, zu dem die Relevanzliste festliegt, eine rein formale Umformung der in der Relevanzliste enthaltenen Information darstellt. Schließlich war in diesem Beispiel zunächst gar nicht gesagt worden, um welches physikalische Problem es sich überhaupt handelt. Der physikalische „Input“ erfolgt ausschließlich bei der Aufstellung der Relevanzliste, d.h. bei der Modellbildung. A NWENDUNGSBEISPIEL AB-4: Strömungswiderstand bei einer ausgebildeten inkompressiblen Rohrströmung (Widerstandsgesetz) Problem: Es soll für eine ausgebildete inkompressible Rohrströmung ermittelt werden, wie der Strömungswiderstand bei einer solchen Strömung vom geförderten Massenstrom abhängt. Eine ausgebildete Rohrströmung liegt vor, wenn sich die Verteilung der Geschwindigkeit über dem Querschnitt in stromabwärtiger Richtung nicht mehr verändert. Man findet dann an verschiedenen Stellen entlang des Rohres jeweils dieselben Geschwindigkeitsprofile vor. Diese besitzen an der Wand aufgrund der Haftbedingung den Wert Null und zeigen auf der Rohrachse einen Maximalwert. Eine genauere Analyse zeigt (siehe dazu das spätere Kap. 14.2.2), dass die Profilform bei laminarer Strömung stets eine Parabel ist, während bei turbulenter Strömung „völligere“ Profile vorliegen, die darüber hinaus bzgl. ihrer Form noch eine Funktion der Reynolds-Zahl sind. Abb. AB-4.1 zeigt die vorliegende Situation. Lösung: Nach den Ausführungen zur Dimensionsanalyse kann die Relevanzliste des vorliegenden Problems nur aufgestellt werden, wenn eine klare physikalische Vorstellung bzgl. der Vorgänge vorhanden ist, was im Sinne der Dimensionsanalyse einer Modellbildung entspricht. Im jetzigen Stadium können nur die bisher beschriebenen strömungsmechanischen Fakten herangezogen werden. Darüber hinaus muss zunächst nach einem allgemeinen physikalischen Verständnis entschieden werden. Das so ausgewählte Modell kann dann anschließend anhand von experimentellen Beobachtungen auf seine Brauchbarkeit hin überprüft werden.
5 Dimensionsanalyse
58
uc
η, ρ
uc u
D
ausgebildetes typisches ausgebildetes laminares Profil turbulentes Profil Abb. AB-4.1: Ausgebildete Rohrströmung eines Fluides mit der Viskosität η und der Dichte ρ in einem Rohr vom Durchmesser D
Der Strömungswiderstand als Widerstandkraft, die der Strömung entgegenwirkt, entsteht offensichtlich, weil die Strömung an der Wand eine Schubspannung ausbildet. Gleichung (2.1) in Abschnitt 2.1.1 zeigt, dass für Newtonsche Fluide eine Schubspannung proportional zum Geschwindigkeitsgradienten auftritt. An der Wand zeigen beide Profile (laminar und turbulent) solche Geschwindigkeitsgradienten, so dass jeweils eine Wandschubspannung τW auftritt. Diese ist ein Maß für den Strömungswiderstand bei vollausgebildeten Rohrströmungen und wird deshalb als Z IELVARIABLE (erster Punkt des Fünf-Punkte-Planes) in die Relevanzliste aufgenommen. Die weiteren Kategorien des Fünf-Punkte-Planes zur Aufstellung der Relevanzliste in Abschnitt 5.2 ergeben für das vorliegende Problem folgendes:
G EOMETRIEVARIABLE: Offensichtlich ist der Rohrdurchmesser D von Bedeutung, nicht aber eine bestimmte Rohrlänge, da ein ausgebildeter lauflängenunabhängiger Zustand vorliegt.
P ROZESSVARIABLE: Gesucht ist die Abhängigkeit vom Massenstrom m. ˙ Dieser ist aber direkt proportional zur mittleren Geschwindigkeit im Querschnitt, die als uc im Bild eingezeichnet ist. Es gilt m˙ = ρ uc π D2 /4, so dass uc als Prozessvariable geeignet ist.
S TOFFWERTE : Da die Viskosität η in der Beziehung (2.1) für τW vorkommt, handelt es sich offensichtlich um eine relevante Einflussgröße. Ob die Dichte eine Rolle spielt, ist nicht so leicht zu entscheiden. Einerseits treten keine Trägheitskräfte auf, da es sich um eine ausgebildete Strömung handelt, andererseits tritt ρ aber bei der Bestimmung des Massenstromes auf. Die Entscheidung soll hier zunächst für ein umfangreicheres Modell fallen, indem die Dichte berücksichtigt wird. Sollte sie doch keine Rolle spielen, so wird sich dies im Vergleich der dimensionsanalytischen Ergebnisse mit der Realität zeigen. Ohne Bezug zur Realität (quasi „aus dem Modell heraus“) ist diese Frage aber nicht zu beantworten! KONSTANTEN: In Frage käme allenfalls die Konstante g. Da hier aber keine Auftriebseffekte auftreten, kann auf g in der Relevanzliste verzichtet werden.
Alles in allem ergibt sich damit für die Problemstellung der Zusammenhang f (τW , D, uc , η , ρ ) = 0 also genau die Relevanzliste, die in der vorherigen Aufgabe AB-3 kommentarlos vorgegeben worden war. Formal kann dafür auch
τW = τW (D, uc , η , ρ )
5.4 Anwendungsbeispiele AB-3, AB-4
59
geschrieben werden, was erkennen lässt, dass nach der hier entwickelten Vorstellung die Schubspannung (und damit der Massenstrom) als Funktion der vier Einflussgrößen D, uc , η und ρ auftritt. Im Anwendungsbeispiel AB-3 war gezeigt worden, wie daraus der dimensionslose Zusammenhang Π1 = Π1 (Π2 ) wird. In der strömungsmechanischen Literatur werden in diesem Zusammenhang leicht abgewandelte Kennzahlen verwendet, und zwar die
Rohrreibungszahl
λR =
8τW (= 8Π1 ) ρ u2c
Reynolds-Zahl
Re =
ρ uc D (= Π2 ) η
Der allgemeine Zusammenhang lautet also F(λR , Re) = 0 bzw.
λR = λR (Re)
Wie dieser Zusammenhang konkret aussieht, muss z.B. in Experimenten ermittelt werden. Dabei zeigt sich dann auch, ob die Ergebnisse tatsächlich in dieser Form als Zusammenhang zweier Kennzahlen dargestellt werden können, d.h. ob die bisher entwickelte Modellvorstellung geeignet zur Beschreibung der Realität ist. Eine solche Analyse ergibt nun folgendes:
Für laminare Strömungen ergibt die Ermittlung der Beziehung λR = λR (Re) den einfachen funktionalen Zusammenhang λR = 64/Re. Dies bedeutet aber, dass λR Re eine Konstante ist, so dass eigentlich nur eine einzige Kennzahl existiert ! Überprüft man daraufhin noch einmal die Modellbildung, so erkennt man, dass es aufgrund der Physik der ausgebildeten laminaren Rohrströmung eigentlich keinen Grund gibt, die Dichte ρ in die Relevanzliste aufzunehmen. Verzichtet man auf ρ , folgt unmittelbar n − m = 4 − 3 = 1 Kennzahl, deren Wert z.B. mit einem einzigen Experiment bestimmt werden kann! Das Produkt der Kennzahlen, λR Re, wird in der Literatur auch als eine Kennzahl Po(= λR Re) behandelt und heißt Poiseuille-Zahl. Die getrennte Form mit λR und Re wird beibehalten, wenn man eine einheitliche Darstellung für laminare und turbulente Strömungen anstrebt.
Für turbulente Strömungen sollte man ρ sicherlich beibehalten, weil turbulente Schwankungsbewegungen zu momentanen und lokalen Trägheitskräften führen, für die die Dichte von Bedeutung ist. Bei dem Versuch, den Zusammenhang λR = λR (Re) für turbulente Rohrströmungen konkret zu bestimmen, stellt man nun fest, dass Strömungen nur dann einer solchen einheitlichen Darstellung folgen, wenn glatte Wände vorliegen. Sobald ein gewisses Maß an Wandrauheit überschritten wird, liegen die Lösungen nicht auf einer einheitlichen Lösungskurve λR (Re). Offensichtlich ist bei turbulenten Strömungen die Wandrauheit eine wichtige Größe und muss deshalb in eine brauchbare Modellvorstellung, also in die Relevanzliste aufgenommen werden. Dies führt dann zu n − m = 6 − 3 = 3 dimensionslosen Kennzahlen, so dass neben λR und Re eine dritte Kennzahl, z.B. als k/D hinzutritt, wobei k ein geometrisches Maß für die Wandrauheit darstellt. Dass k für laminare Strömungen ohne große Bedeutung ist und deshalb häufig vernachlässigt wird, kann man nicht von vornherein wissen, sondern zunächst nur in der Realität beobachten.4
5 Dimensionsanalyse
60
0,1
λR =
k D
8τW ρ u2c
3 10 0,05
2 10
1
10
-2 -2
-2
4 10
-3
-3
10
2 laminar
4 10
turbulent
-4
-4
10 0,01
-5
10
3
2
4 68
10
4
2
4 68
10
5
2
4 68
10
6
2
4 68
10
7
2
Re =
4 68
10
ρ uc D η
Abb. AB-4.2: Widerstandsgesetz (Rohrreibungszahl λR ) der vollausgebildeten Rohrströmung in einer Darstellung, die aus dimensionsanalytischen Überlegungen abgeleitet worden ist. Dieses Diagramm wird gelegentlich auch Moody-Diagramm gennant (engl. Moody chart), benannt nach L. F. Moody, der es 1944 in einer amerikanischen Zeitschrift (ASME Transactions) veröffentlicht hat. 1 λR = 64/Re; : 2 λR = 0,316/Re1/4 (Näherung von Blasius) :
Insgesamt ergibt sich damit eine einheitliche Darstellungsmöglichkeit für das gesuchte Widerstandsgesetz, das in Abb. AB-4.2 gezeigt ist. Als Besonderheit zeigt das Diagramm, dass die Reynolds-Zahl-Abhängigkeit von λR im dunkel markierten Bereich verschwindet und dann nur noch ein Zusammenhang λR = λR (k/D) vorliegt. Eine genauere Kenntnis der Physik in diesem Bereich turbulenter Strömungen mit starken Wandrauheiten hätte ergeben, dass dann die Viskosität η keinen Einfluss mehr besitzt, so dass der Zusammenhang λR = λR (k/D) vorhergesagt worden wäre.
5.5 Illustrierendes Beispiel IB-6 I LLUSTRIERENDES B EISPIEL IB-6: Vorteil einer dimensionslosen Betrachtung strömungsmechanischer Probleme In der vorherigen Abb. AB-4.2 ist gezeigt worden, wie ein komplexer physikalischer Zusammenhang nach Anwendung der Dimensionsanalyse als Zusammenhang dimensionsloser Kennzahlen dargestellt werden kann. Der konkrete Zusammenhang folgt dabei nicht aus der Dimensionsanalyse, sondern muss durch Lösung von Gleichungen oder auf experimentellem Wege bestimmt werden. 4
siehe dazu auch Herwig, H.; Gloss, D.; Wenterodt, T. (2008): Flow in Channels with Rough-Walls – Old and New Concepts, Proc. of ASME-ICNMM2008, Darmstadt, Germany
5.5 Illustrierendes Beispiel IB-6
Die Ergebnisse in der Abbildung stammen aus Experimenten an ausgebildeten Rohrströmungen. Angenommen, jede der 11 Kurven, die in der Abb. enthalten sind, seien aus jeweils 10 Messungen entstanden, so wären für die Erstellung der Abb. insgesamt 110 Messungen erforderlich gewesen. Wollte man stattdessen die gesuchte Größe τW als Funktion der Einflussgrößen D, uc , η , ρ und k in Diagrammen darstellen, in denen z.B. D als Abszisse auftritt, uc der Parameter an einer Schar von 10 Kurven ist und η , ρ und k jeweils konstant gehalten werden, so würde man 1000 solcher Diagramme benötigen, wenn η , ρ und k jeweils 10 verschiedene Werte annehmen sollen. Die dann auftretenden 10 000 Kurven müssten bei jeweils 10 Messungen pro Kurve aus 100 000 Messungen ermittelt werden. Der Informationsgehalt wäre allerdings prinzipiell derselbe wie bei dem aus 110 Messungen entstandenen Diagramm in Abb. AB-4.2. Dies veranschaulicht die Aussage zur Charakterisierung dessen, was bei Anwendung der Dimensionsanalyse geschieht: Die Dimensionsanalyse verdichtet vorhandene Information, kann aber keine prinzipiell neue Information über ein physikalisches Problem liefern.
61
63
6 Untersuchungen im Modellmaßstab Strömungsmechanische Untersuchungen an Originalgeometrien, wie z.B. einem PKW oder einem Flugzeug sind naturgemäß extrem aufwendig und in einem Windkanal oftmals gar nicht möglich. Es stellt sich deshalb die Frage, ob und ggf. unter welchen Bedingungen solche Untersuchungen auch an einem verkleinerten Modell des Originals ausgeführt werden können.1,2
6.1 Physikalische Ähnlichkeit Eine wichtige Voraussetzung für Modelluntersuchungen ist die geometrische Ähnlichkeit zwischen dem Original und dem Modell. Dabei können u.U. gewisse Details, die für unbedeutend gehalten werden, vernachlässigt werden. Man sollte sich aber sehr sorgfältig davon überzeugen, dass dies auch tatsächlich zulässig ist. Eine dimensionslose Formulierung des betrachteten Problems im Originalmaßstab führt unmittelbar auf die Bedingungen, die im Modellmaßstab eingehalten werden müssen, damit die Ergebnisse zwischen beiden Fällen übertragbar sind: In beiden Fällen müssen dieselben Kennzahlen, d.h. dieselben Zahlenwerte der dimensionslosen Kennzahlen zur Beschreibung des Problems vorliegen. Dann handelt es sich bei der Original- und der Modellsituation um zwei Realisierungen einer einzigen physikalischen Situation. Im konkreten Fall muss aber darauf geachtet werden, dass auch vergleichbare (d.h. dimensionslos „gleiche“) Rand- und Anfangsbedingungen vorliegen. Insgesamt gilt damit für die physikalische Ähnlichkeit als Grundlage von Modellversuchen folgendes.
D EFINITION: Physikalische Ähnlichkeit Eine physikalische Ähnlichkeit von zwei Situationen mit unterschiedlichen charakteristischen Längen LcO und LcM in Bezug auf ein physikalisch/mathematisches Modell zur Beschreibung dieser Situationen liegt vor, wenn
1
2
die geometrische Ähnlichkeit gegeben ist gleiche (dimensionslose) Anfangs- und Randbedingungen vorliegen alle dimensionslosen Kennzahlen des Problems dieselben Zahlenwerte besitzen.
LcO
charakteristische Länge der Originalgeometrie
m
LcM
charakteristische Länge der Modellgeometrie
m
Entscheidend ist der Aspekt einer veränderten Größe. Zum Beispiel würde man Untersuchungen zur Aerodynamik von Insekten gerne an einem entsprechend vergrößerten Modell durchführen. Modell ist hier als geometrisches Abbild eines Originals gemeint und darf nicht mit dem zuvor eingeführten abstrakten physikalisch/mathematischen Modell verwechselt werden.
6 Untersuchungen im Modellmaßstab
64
An dieser Stelle verwundert vielleicht der Bezug auf das physikalisch/mathematische Modell. Es darf aber nicht vergessen werden, dass dieses die Grundlage dimensionsanalytischer Betrachtungen ist und alle auftretenden Kennzahlen genau (und nur) aus dieser Modellvorstellung heraus formuliert werden können. Dieser Aspekt ist wichtig, wenn die Probleme untersucht werden sollen, die im Zusammenhang mit Modelluntersuchungen auftreten können.
6.2 Probleme bei Modelluntersuchungen Die Tatsache, dass alle große PKW-Hersteller die Aerodynamik ihrer Fahrzeuge im Originalmaßstab und damit in sehr großen und teuren Windkanälen untersuchen, lässt vermuten, dass Modelluntersuchungen im kleinen Maßstab (z.B. 1 : 10) grundsätzlich problematisch sein müssen. Woran liegt dies? Die Antwort ergibt sich bei einer genaueren Betrachtung der Kennzahl, die in diesem Zusammenhang entscheidend ist: Die Reynolds-Zahl Re = ρ uc Lc /η . Die geforderte Gleichheit der Reynolds-Zahl im Original und Modellversuch, bedeutet, dass uc Lc in beiden Fällen gleich sein muss, wenn ρ und η jeweils dieselben Werte besitzen. Solange die Modellversuche in Luft bei gleichen Druck- und Temperaturbedingungen gemacht werden sollen, ist eine Anpassung der Reynolds-Zahlen durch unterschiedliche Werte von ρ und η nicht möglich. Die Gleichheit von uc Lc bedeutet aber z.B. für LcM = LcO /10 dann ucM = 10 ucO . Da aerodynamische Untersuchungen besonders bei hohen Geschwindigkeiten interessieren, müsste ein 1 : 10 Modell im Windkanal also mit 1000 km/h angeströmt werden, um den Fall einer Originalfahrt bei 100 km/h nachzubilden. 1000 km/h entspricht 278 m/s und damit gemäß (2.7) in Abschnitt 2.3.5 einer Mach-Zahl Ma ≈ 0,8. Damit liegt im Modellversuch aber eine physikalische Situation vor, die von derjenigen im Original deutlich verschieden ist.3 Das physikalisch/mathematische Modell, das in der Originalsituation ausgewählt bzw. entwickelt wurde (und auf die Reynolds-Zahl als einzigem dimensionslosen Parameter bei der Bestimmung der Ergebnisse führte) beschreibt die Physik, die in der Modellströmung bei Einhaltung der Kennzahl vorliegt, nicht mehr angemessen. Beide Situationen, Original und Modell, können nicht mehr durch dasselbe physikalisch/mathematische Modell hinreichend genau beschrieben werden. Dies wird als Skalierungseffekt bezeichnet.
D EFINITION: Skalierungseffekte Wenn bei einer unterstellten physikalischen Ähnlichkeit zwischen zwei strömungsmechanischen Situationen 1jund 2jbei dem Übergang von einer charakteristischen Länge Lc1 auf eine andere charakteristische Länge Lc2
Effekte bei 2jhinzukommen, die bei 1jvernachlässigt werden konnten, oder
Effekte bei 2jvernachlässigt werden können, die bei 1jvon Bedeutung sind,
so liegen diesbezüglich sogenannte Skalierungseffekte vor.
3
Strömungen können bis zu einer Mach-Zahl Ma ≈ 0,3 in guter Näherung als inkompressible Strömungen behandelt werden. Bei höheren Mach-Zahlen kommt der Kompressibilitätseinfluss immer stärker zum Tragen. Bei Ma = 1 tritt ein vollständiger Wechsel im Strömungsverhalten auf.
6.2 Probleme bei Modelluntersuchungen
65
Nach dieser Definition treten Skalierungseffekte damit immer dann auf, wenn die beiden als physikalisch ähnlich unterstellten Situationen nicht mehr durch ein und dasselbe physikalisch/mathematische Modell hinreichend genau beschrieben werden können. Ein weiteres Problem ergibt sich in folgendem Zusammenhang. Wenn in einem Problem mehrere dimensionslose Kennzahlen auftreten, die Parameter für eine gesucht Lösung darstellen, sollten im Sinne der physikalischen Ähnlichkeit alle diese Kennzahlen jeweils dieselben Zahlenwerte für das Original und das Model aufweisen. Dies ist aber häufig nicht realisierbar, insbesondere dann, wenn in beiden Fällen dasselbe Fluid zum Einsatz kommt. Dann bleibt nur die Möglichkeit, auf die Einhaltung aller Kennzahlen zu verzichten, was als partielle Ähnlichkeit bezeichnet wird.
D EFINITION: Partielle (physikalische) Ähnlichkeit Eine partielle Ähnlichkeit zwischen zwei physikalischen Situationen liegt vor, wenn die Voraussetzungen für eine vollständige physikalische Ähnlichkeit lediglich dadurch verletzt sind, dass eine oder mehrere gemeinsame dimensionslose Kennzahlen in beiden Situationen unterschiedliche Zahlenwerte besitzen. Ob bei einer nur noch partiellen Ähnlichkeit weiterhin von einer Strömungssituation auf die (ähnliche) andere Situation geschlossen werden kann, muss im Einzelfall entschieden werden. Diese Entscheidung wiederum kann nicht aus dem physikalisch/mathematischen Modell heraus getroffen werden, sondern muss aus der Kenntnis der physikalischen Zusammenhänge folgen. Man muss in der Lage sein abzuschätzen, welchen Einfluss die Tatsache hat, dass bestimmte Kennzahlen nicht eingehalten werden können. Wenn bestimmte, zunächst als bedeutsam eingestufte Kennzahlen nicht eingehalten werden können, so liegt dem Original und dem verkleinerten Modell nicht mehr ein und dieselbe physikalisch/mathematische Modellvorstellung zugrunde. Ob dies akzeptabel ist, muss im konkreten Fall anhand der Bedeutung der vernachlässigten Effekte entschieden werden. Eine solche Situation tritt z.B. auf, wenn aerodynamische Untersuchungen an Flugzeugen oder Flugzeugkomponenten vorgenommen werden sollen. Wegen der generell hohen Geschwindigkeiten in diesem Zusammenhang muss neben der Reynolds-Zahl Re dann auch die Mach-Zahl Ma eingehalten werden. Wenn wiederum keine Anpassung der Kennzahlen über die Stoffwerte möglich ist, weil in beiden Fällen die Untersuchungen im selben Fluid bei gleichen Druck- und Temperaturbedingungen vorgenommen werden sollen, tritt folgendes Problem auf. Die Schallgeschwindigkeit aS in Ma = uc /aS ist in beiden Fällen (Original- und Modellmaßstab) dieselbe, so dass gleiche Werte für Ma nur für ucO = ucM einzuhalten sind. Damit entfällt aber die Möglichkeit, die Reynolds-Zahl Re anzupassen, da wegen gleicher Werte ρ , η und uc im Original und im Modell gleiche Reynolds-Zahlen nur für LcO = LcM vorliegen. Dies ist dann aber leider keine Untersuchung in einem veränderten Modellmaßstab. Zusammen mit den Überlegungen zu Skalierungseffekten ergibt sich, dass im Bereich der kompressiblen Aerodynamik zunächst nur die Möglichkeit besteht, verkleinerte Modelle so einzusetzen, dass die Mach-Zahl eingehalten wird, die Gleichheit der Reynolds-Zahl aber verletzt ist (partielle Ähnlichkeit). Um abzuschätzen, ob dies sinnvoll ist, sind Kenntnisse über den Einfluss der Reynolds-Zahl erforderlich, die z.T. an späterer Stelle in diesem Buch (Kap. 13) vermittelt werden.
6 Untersuchungen im Modellmaßstab
66
Tab. 6.1: Stoffwerte potentieller „Modellfluide“ im Vergleich zu den Werten von Luft im Standardzustand LS: Luft im Standardzustand (20 ◦ C; 1 bar)
ρ /ρLS
η /ηLS
ν/νLS
Luft / −173 ◦C, 1 bar
3,05
0,35
0,12
0,58
SF6 / 20 ◦ C, 10 bar
59
1,17
0,016
0,39
Wasser / 20 ◦ C, 1 bar
840
55
0,066
4,12
aS /aSLS
Als Ausweg aus diesem „Dilemma“ bietet es sich an, eine Anpassung der Kennzahlen auch über die Stoffwerte vorzunehmen. Dies kann geschehen, indem das Original und das Modell von unterschiedlichen Fluiden umströmt werden oder dadurch, dass die Temperatur- und Druckabhängigkeit der Stoffwerte eines gemeinsam verwendeten Fluides ausgenutzt wird. Tabelle 6.1 zeigt einige Stoffwerte im Verhältnis zu denjenigen von Luft im Standardzustand (20 ◦ C, 1 bar). Der Einsatz stark gekühlter Luft wird in dem nachfolgenden ILLUSTRIERENDEN B EISPIEL IB-7 erläutert. In bestimmten Versuchen zu natürlichen Konvektionsströmungen wird SF6 (Schwefel-Hexafluorid) eingesetzt, das wegen seiner Umweltschädlichkeit aber nur in geschlossenen Anlagen verwendet wird. Prinzipiell ist auch der Einsatz von Flüssigkeiten möglich, die deutlich andere Stoffwerte als Luft besitzen, wie das Beispiel von Wasser in Tabelle 6.1 zeigt. Es muss allerdings sichergestellt sein, dass eine einphasige Strömung vorliegt, weil ein Phasenwechsel, wie er z.B. bei der Kavitation auftritt, einen starken Skalierungseffekt darstellen würde. Eine Übertragung von Ergebnissen am Modell auf die Originalausführung wäre dann nicht mehr sinnvoll möglich.
6.3 Anwendungsbeispiele AB-5, AB-6 A NWENDUNGSBEISPIEL AB-5: Modelluntersuchungen zu Schwingungen in einem sogenannten Winderhitzer Problem: Ein in einem Hochofenbetrieb eingesetzter Winderhitzer zeigt in bestimmten Betriebszuständen unerwünschte Pulsationen mit einer Frequenz f = 0,5 Hz. Es wird vermutet, dass diese Schwingungen aufgrund der speziellen Strömungsführung im Winderhitzer entstehen. Um kostengünstig Maßnahmen zur Beseitigung des Problems entwickeln zu können, soll zunächst untersucht werden, ob die Schwingungen auch in einem Modell im Maßstab 1:10 auftreten, ohne dass thermische Effekte berücksichtig werden müssten. Es ist allerdings zu beachten, dass wegen der hohen Temperaturen im Winderhitzer ρO /ρM = 1/6 und ηO /ηM = 5/6 gilt, wenn die Modelluntersuchungen bei Umgebungstemperatur durchgeführt werden sollen. Wenn Schwingungen auftreten, sollen an diesem Modell Gegenmaßnahmen entwickelt und diese dann anschließend auf die Großausführung übertragen werden. Dazu müssen die Schwingungen aber zunächst zweifelsfrei im Modell identifiziert werden können. Lösung: Im Sinne der Modelluntersuchungen müssen zunächst die Kennzahlen bestimmt werden, die sich in dem zugrunde liegenden physikalisch/mathematischen Modell ergeben. Dazu wird die Relevanzliste für das Problem ermittelt. Nach dem dazu bereitgestellten Fünf-Punkte-Plan in Abschn. 5.2 ergibt dies hier
6.3 Anwendungsbeispiele AB-5, AB-6
Z IELVARIABLE :
fP als Frequenz der auftretenden Pulsation
G EOMETRIEVARIABLE:
P ROZESSVARIABLE:
S TOFFWERTE :
Lc als eine charakteristische Länge der Geometrie des Winderhitzers
u als mittlere Eintrittsgeschwindigkeit am Eintritt in den Winderhitzer
ρ als Dichte, η als dynamische Viskosität
Damit gilt der Zusammenhang f ( fP , Lc , u, ρ , η ) = 0, in dem drei Basisdimensionen auftreten (LÄNGE, ZEIT, MASSE). Die m − n = 2 Kennzahlen werden durch Probieren wie folgt ermittelt:
ρ uLc f P Lc ; Π2 = u η Hier ist Π2 wieder die Reynolds-Zahl Re des Problems, die dimensionslose Kombination Π1 ist in der Literatur als Strouhal-Zahl Sr bekannt, s. Tabelle 5.1 auf S. 56. Die Einhaltung der Reynolds-Zahl stellt kein Problem dar, weil u im Original typischerweise uO = 5 m/s beträgt und im Modell damit die Geschwindigkeit Π1 =
ηM ρO LO · · = 2uO = 10 m/s ηO ρM LM vorliegen muss, was weiterhin eine inkompressible Strömung bedeutet. Aus der Bedingung SrO = SrM folgt nun für die Frequenz der erwarteten Pulsationen im Modell uM = uO ·
u M LO · = 10 Hz u O LM da im Original eine Frequenz fPO = 0,5 Hz gilt. Wenn eine solche Frequenz in der Modellströmung identifiziert werden kann, können sich Untersuchungen zur Vermeidung der Pulsationen anschließen. Wenn solche Pulsationen im Modell nicht auftreten, so ist davon auszugehen, dass für die Schwingungen nicht ausschließlich die Strömungsführung verantwortlich ist, sondern weitere Aspekte von Bedeutung sind, wie z.B. die Elastizität von Wänden, oder thermische Effekte bei den Wärmeübergängen im Original-Winderhitzer, die bisher im Modell nicht berücksichtigt worden waren. fPM = fPO ·
A NWENDUNGSBEISPIEL AB-6: Modelluntersuchungen zur Blutströmung in Arterien Problem: Die pulsierende Blutströmung in den menschlichen Arterien, soll als technische Strömung in einem vergrößerten Modell untersucht werden, für dessen Innendurchmesser DM /DO = 5 gilt. Für den Modellversuch sollen sowohl Blut als auch Wasser eingesetzt werden. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass Blut dieselbe Dichte wie Wasser, aber eine vierfach höhere dynamische Viskosität besitzt (ηB /ηW = 4). Es soll zunächst geklärt werden, wie groß im Modellversuch die Geschwindigkeit und die Frequenz sein müssen (im Original gilt uO = 5 cm/s und die Herzschlag-Frequenz fHO = 100/min) und dann anschließend, welcher Elastizitätsmodul für das Wandmaterial im Modell gelten muss, wenn im Original EO = 105 N/m2 vorliegt. Lösung: Die Bestimmung der Kennzahlen erfolgt wieder auf der Basis der Relevanzliste, bestimmt nach dem Fünf-Punkte-Plan:
Z IELVARIABLE :
fH als Herzschlagfrequenz
G EOMETRIEVARIABLE:
P ROZESSVARIABLE:
D als Durchmesser der Arterien
u als mittlere Strömungsgeschwindigkeit
S TOFFWERTE :
ρ als Dichte, η als dynamische Viskosität
KONSTANTEN:
E als Elastizitätsmodul
67
6 Untersuchungen im Modellmaßstab
68
Damit gilt der Zusammenhang f ( fH , D, u, ρ , η , E) = 0, in dem wieder drei Basisdimensionen auftreten (LÄNGE, ZEIT, MASSE). Es gilt jetzt m − n = 3, es können also drei unabhängige Kennzahlen gebildet werden. Die ersten beiden sind analog zum vorherigen Beispiel
ρ uD fH D ; Π2 = u η also die Strouhal- und die Reynolds-Zahl. Ein weiteres „Probieren“ mit E als Eingangsgröße ergibt z.B. Π3 = E fH /η , was zunächst keiner bekannten Kennzahl entspricht. Für die gesuchten Größen folgt aufgrund der geforderten Gleichheit der Kennzahlwerte zwischen dem Original und dem Modell: Π1 =
uM = uO
ηM ρO DO ηO ρM DM
fHM = fHO EM = EO
u M DO u O DM
ηM fHO ηO fHM
→
uM,Blut = 1 cm/s;
uM,Wasser = 0,25 cm/s
→
fHM,Blut = 4 /min;
→
EM,Blut = 2,5 · 106 N/m2 ;
fHM,Wasser = 1/min EM,Wasser = 2,5 · 106 N/m2
An dem technischen Modell können z.B. Untersuchungen zur Querschnittsveränderung (→ Kalkablagerungen) vorgenommen werden. Der Vergleich der Ergebnisse mit Blut und Wasser zeigt dann, ob die Tatsache eine Rolle spielt, dass Blut im Gegensatz zu Wasser ein Nicht-Newtonsches Fluid ist.
6.4 Illustrierende Beispiele IB-7, IB-8 I LLUSTRIERENDES B EISPIEL IB-7: Aerodynamische Untersuchungen im Kryo-Kanal Im Zusammenhang mit der partiellen Ähnlichkeit bei Modelluntersuchungen war bereits erwähnt worden, dass u.U. die vollständige Ähnlichkeit auch unter Beibehaltung des Fluides erreicht werden kann, wenn die Temperatur- und ggf. die Druckabhängigkeit der Stoffwerte des beteiligten Fluides ausgenutzt wird. Bei dem Arbeitsfluid Luft läuft dies in der Regel auf die Notwendigkeit einer starken Kühlung hinaus. Dabei werden sowohl die Schallgeschwindigkeit aS als auch die kinematische Viskosität herabgesetzt. Da diese Größen in der Mach-Zahl bzw. der Reynolds-Zahl im Nenner auftreten, geht damit eine Erhöhung dieser Kennzahlen einher. Die nachfolgende Tabelle zeigt, dass aber erhebliche Unterkühlungen erforderlich sind, um einen deutlichen Effekt zu erzielen. Tab. IB-7.1: Stoffwerte von Luft bei niedrigen Temperaturen (p = 1 bar) T /K 300 250 200 150 100
t/◦ C 26,85 -23,15 -73,15 -123,15 -173,15
ρ /(kg/m3 )
η /kg/(ms)
ν/(m2 /s)
aS /(m/s)
1,18 1,41 1,77 2,37 3,60
1,98 · 10−5
15,68 · 10−6
347 317 283 245 200
1,49 · 10−5 1,33 · 10−5 1,03 · 10−5 0,69 · 10−5
9,49 · 10−6 7,49 · 10−6 4,34 · 10−6 1,92 · 10−6
Wenn die Luft auf -173 ◦ C abgekühlt wird, kann die Mach-Zahl Ma = u∞ /aS eingehalten werden, wenn zwischen dem Modell und dem Original (bei 300 K) u∞M = 0,58 u∞O herrscht, weil aSM = 0,58 aSO gilt. Für die Einhaltung der Reynolds-Zahl Re = u∞ Lc /ν ist dann wegen νM /νO ≈ 0,12 ∞O νM · νO LcO ≈ 0,2LcO erforderlich. Damit können Modelle im Maßstab 1:5 bei ein Maßstab LcM = uu∞M Einhaltung der Reynolds- und der Mach-Zahl getestet werden.
6.4 Illustrierende Beispiele IB-7, IB-8
69
Ein solches Konzept ist im so genannten Kölner Kryo-Kanal (KKK) verwirklicht worden. Dort wird die Luft in einer Messstrecke vom Querschnitt 2,4 m × 2,4 m und der Länge 5,4 m mit Hilfe von flüssigem Stickstoff abgekühlt. Der Stickstoff wird in den umlaufenden Fluidstrom eingedüst, verdampft bei −196 ◦ C und kühlt damit das Arbeitsfluid extrem ab. Um eine Messtemperatur von 100 K (−173,15 ◦ C) zu erreichen, müssen über einen Abkühlzeitraum von ca. 10 Std. ca. 50 t (62 000 Liter) flüssiger Stickstoff eingedüst werden. Dies ist ein enormer Aufwand, da Messzeiten oftmals nur einige Minuten dauern, und für jeden Zugang zum Messobjekt eine Erwärmung des Kanals erforderlich ist. Typische Messungen in einem solchen Kanal sind die Bestimmung der aerodynamischen Beiwerte von Start- und Landeklappen bei den realistischen Kennzahlen Ma = 0,17...0,25 und Re ≈ 1,4 · 107 .
I LLUSTRIERENDES B EISPIEL IB-8: Strömung in Mikrokanälen Seit etwa 20 Jahren werden Strömungen in Kanälen mit extrem kleinen Querschnitten sehr intensiv untersucht, weil es dafür in zunehmenden Maße Anwendungen auf sehr verschiedenen Gebieten gibt. Diese reichen von den Düsen bei Tintenstrahldruckern über sogenannte Kapillar-Wärmeübertrager bis hin zu Vorrichtungen zur Feinstdosierung von Medikamenten.4 Typische Kanalhöhen oder Rohr- (besser: Röhrchen-) Durchmesser liegen dabei im Bereich von (10 ... 1000) µm. Ein µm ist der tausendste Teil eines mm; ein menschliches Haar besitzt typischerweise eine Dicke von 150 µm. Solche Strömungen wurden anfangs für sich genommen untersucht und Ergebnisse dann zum Teil als neu und überraschend angesehen, z.T. aber auch als solche identifiziert, die man aus Strömungen in Kanälen „normaler“ Abmessung bereits kannte. Um die z.T. widersprüchlichen Aussagen besser zuordnen zu können, bietet es sich an, vergleichbare Strömungen in Makrokanälen („normale“ Abmessungen im mm- bzw. cm-Bereich) als Strömungen in vergrößerten Modellkanälen zu interpretieren.5 Diese Modellversuche müssen allerdings nicht mehr ausgeführt werden, man kennt die Ergebnisse bereits. In einer dimensionslosen Darstellung, bezogen auf den Rohrdurchmesser, besitzen Mikro- und Makrorohre den (dimensionslosen) Durchmesser „Eins“. Abweichungen in den dimensionslosen Ergebnissen sind dann (bei Einhaltung der Kennzahlen, was hier ohne weiteres möglich ist) entweder Skalierungseffekte oder Messfehler! Skalierungseffekte können z.B. im Zusammenhang mit Oberflächeneffekten auftreten (beachte: das Volumen ändert sich mit L3c , die Oberfläche aber nur mit L2c , wenn Lc eine charakteristische Abmessung ist) oder aber, weil das Fluid nicht länger als Kontinuum angesehen werden kann und damit dann eine veränderte physikalische Situation auftritt. Messfehler sollten ebenfalls nicht unterschätzt werden, weil Messungen im µm-Bereich extreme Schwierigkeiten bereiten.
4
5
Einen sehr guten Überblick über die umfangreichen Anwendungsfälle findet man z.B. in: Gad-El-Hak, M. (2005): The MEMS Handbook, CRC Press, Boca Raton, New York Siehe dazu auch: Herwig, H. (2002): Flow and Heat Transfer in Microsystems: Is Everything Different or Just Smaller?, ZAMM 82, 579-586
71
7 Berücksichtigung des Turbulenzeinflusses Eine der größten Schwierigkeiten (vielleicht die größte Schwierigkeit überhaupt) bei der Messung und/oder Berechnung von Strömungen ergibt sich dadurch, dass Strömungen häufig als turbulente Strömungen auftreten. In Abschnitt 2.2.1 war die kinematische Beschreibung turbulenter Strömungen auf der Basis einer Zeitmittelung, d.h. der Aufspaltung einer turbulenten Größe a in a + a erläutert worden. Damit ist aber noch nichts über das dynamische Verhalten turbulenter Strömungen ausgesagt, d.h. darüber, wie sich die Schwankungen z.B. von Geschwindigkeit und Druck auf die Kräftebilanz in einer solchen Strömung auswirken. Man könnte vermuten, dass die relativ geringen Schwankungen (typische Schwankungsamplituden: 10 % des Mittelwertes) nur einen geringen Einfluss auf das dynamische Verhalten solcher Strömungen besitzt. Dies ist aber (leider) nicht der Fall, weil es sich bei der Turbulenz um ein hochgradig nichtlineares Phänomen handelt (10 % Schwankungen ergeben nicht 10 % Veränderung z.B. in der Schubspannung). Ein Vergleich von laminaren und turbulenten Strömungen zeigt, dass mit dem Auftreten der Turbulenz eine völlig neue physikalische Situation entsteht, die damit auch nicht als (moderate) Störung einer zugrunde liegenden laminaren Strömung interpretiert bzw. berechnet werden kann. Auch wenn es immer wieder Ansätze und Versuche gab (und gibt) turbulente Strömungen als modifizierte laminare Strömungen zu behandeln, so sollte stets die vom Laminaren deutlich verschiedene physikalische Situation bei dem Auftreten von Turbulenz gesehen werden. Dies wird in folgender prägnanter Aussage unterstrichen: „You cannot study a turbulent flow with a laminar mind.“ (frei übersetzt: Eine turbulente Strömung verträgt sich nicht mit laminarem Denken.) Dies wirft aber die grundsätzliche Frage auf, wie bei der theoretischen Beschreibung von Strömungen vorzugehen ist, um den entscheidenden Einfluss der Turbulenz angemessen zu berücksichtigen. Dazu gibt es drei grundsätzlich verschiedene Wege, je nachdem wie detailliert eine turbulente Strömung behandelt werden soll. Bevor dies im übernächsten Abschnitt erläutert wird, soll zunächst etwas genauer beschrieben werden, was die Turbulenz einer Strömung im wesentlichen ausmacht, weil nur dann das unterschiedliche Vorgehen bei der Berücksichtigung des Turbulenzeinflusses nachvollziehbar wird.
7.1 Zur Physik turbulenter Strömungen Zu einem turbulenten Strömungsverhalten (erkennbar z.B. an Geschwindigkeitsschwankungen wie in Abb. 2.4 auf S. 17 gezeigt) kann es kommen, weil Fluide prinzipiell schwingungsfähige Systeme mit beliebig vielen Freiheitsgraden bilden.1 Dies ist aber nur die notwendige Voraussetzung, da diese prinzipielle Eigenschaft auch bei laminaren Strömungen vorhanden ist. Während stets vorkommende kleine Störungen, die bestimmte Schwingungsformen anregen können, bei laminaren Strömungen grundsätzlich nur zu gedämpften Schwingungen führen, kann es Situationen geben, in denen eine solche Dämpfung nicht mehr stattfindet. Die Strömung wirkt dann 1
Damit ist gemeint, dass z.B. einem Geschwindigkeitsprofil Störungen überlagert sein können, die im Sinne einer Fourierreihe durch die Addition verschiedener periodischer Geschwindigkeitsänderungen gegenüber dem ursprünglichen Verlauf beschrieben werden können. Auf diese Weise treten in der Strömung Schwingungen auf, die von unterschiedlichster Form sein können (beliebig viele Freiheitsgrade).
7 Berücksichtigung des Turbulenzeinflusses
72
10−2
∞
Fi dke = 1
0
Fy spektrale Verteilung von v 2
Fi∗ m
Fz spektrale Verteilung von w 2 Fx spektrale Verteilung von u 2
101
Kaskadenprozess
102
Dissipation
10−8
Turbulenzproduktion
10−6
ke∗ 1/m
104
Abb. 7.1: Typisches Energiespektrum einer turbulenten Strömung ke : Anzahl von Schwingungen pro Längeneinheit (Wellenzahl) Fi : Anteil der kinetischen Energie der Geschwindigkeitsschwankungen in i-Richtung pro Wellenanzahl
in bestimmten Fällen als „Verstärker“ anfänglich kleiner Schwingungsamplituden. Im Rahmen einer sogenannten Stabilitätstheorie kann gezeigt werden, wann und auf welche Weise anfangs kleine Störungen zunächst auf lineare Art anwachsen, dann ein nichtlineares Verhalten aufweisen (bei dem es u.a. zu einer Rückwirkung auf die zunächst ungestörte sogenannte Grundströmung kommt) bis schließlich ein „nichtlinearer Sättigungszustand“ erreicht ist. Bei diesem kommt es nicht mehr zu einer weiteren Verstärkung der Schwingungsbewegung, weil viskose Effekte ein weiteres Ansteigen der Amplituden verhindern. Die damit nur grob beschriebenen Vorgänge sind äußerst komplex und auch bis heute noch nicht vollständig verstanden. Der Endzustand eines Prozesses, bei dem kleine Störungen zu großen Schwingungsamplituden führen ist der vollturbulente Zustand, der in fast allen technisch interessierenden Strömungen auftritt. Das hier grob skizzierte Schwingungsverhalten ist durch ein sogenanntes Energiespektrum charakterisiert, an dem erkennbar ist, wie die kinetische Energie der Schwankungsbewegungen über die verschiedenen Frequenzen verteilt ist, mit denen sie auftreten. Abb. 7.1 zeigt den prinzipiellen Verlauf eines solchen turbulenten Energiespektrums, aus dem bereits eine Reihe wichtiger Eigenschaften turbulenter Schwankungsbewegungen abgelesen werden können. Die Auftragung von Fi als Maß für die Verteilung der kinetischen Energie erfolgt hier über der sogenannten Wellenzahl ke . Diese Wellenzahl wiederum ist ein Maß für die Anzahl von Schwingungen pro Längeneinheit. Große Wellenzahlen entsprechen hohen Schwingungsfrequenzen, kleine Wellenzahlen entsprechen niedrigen Frequenzen.
7.1 Zur Physik turbulenter Strömungen
73
Während die hochgradig instationären Schwankungsbewegungen bisher als Schwingungen eines schwingungsfähigen Systems beschrieben worden sind, kann auch eine andere Interpretation gewählt werden, die unmittelbar der Tatsache Rechnung trägt, dass solche Strömungen stets drehungsbehaftet sind, vgl. dazu Abschnitt 2.3.4, insbesondere auch Abb. 2.7 auf S. 23. In diesem Sinne wird die Turbulenzbewegung so interpretiert, als sei sie durch die Überlagerung von Wirbeln im Strömungsfeld entstanden. Diese Wirbel (engl.: eddies) bilden zusammenhängende Strömungsstrukturen, die auch als Fluidballen bezeichnet werden. Die anschauliche Interpretation der Turbulenzbewegung als „wirbelartig“ wird aber dadurch erschwert, dass man die gleichzeitige Anwesenheit von Wirbeln sehr unterschiedlicher Abmessungen beachten muss. Darüber hinaus liegen auch in dieser Interpretation keine einzelnen Wirbel mit diskreten charakteristischen Längen vor, wie das kontinuierliche Spektrum in Abb. 7.1 zeigt. Vielmehr handelt es sich um ineinander verschränkte Wirbelstrukturen mit einer kontinuierlichen Größenverteilung bei denen lediglich zu bestimmten Momenten gewisse wirbelartige Strukturen erkennbar sind. Bezüglich dieser Interpretation entsprechen große Wellenzahlen in Abb. 7.1 Wirbeln mit kleinen Abmessungen, während bei niedrigen Wellenzahlen große Wirbelstrukturen vorliegen. Eine genauere Betrachtung des turbulenten Energiespektrums in Abb. 7.1 zeigt nun folgendes:
Die kinetische Energie ist sehr ungleichmäßig auf die insgesamt vorkommenden Wellenzahlen verteilt. Sie konzentriert sich bei den kleinen Wellenzahlen, d.h. bei niedrigen Frequenzen bzw. großen Wirbeln (beachte: doppelt-logarithmische Auftragung).
Ein nennenswerter Unterschied der kinetischen Energien zwischen den einzelnen Schwankungskomponenten u , v und w liegt nur bei kleinen Wellenzahlen vor (beachte: der zeitliche Mittelwert des Quadrates der Schwankungsgeschwindigkeiten, d.h. u2 , v2 , w2 , ist direkt proportional zur kinetischen Energie der Schwankungsbewegung in der jeweiligen Richtung).
Der vorkommende Wellenzahl-Bereich ist in Richtung großer Wellenzahlen begrenzt. Mit der Wirbel-Interpretation bedeutet dies, dass auftretende Wirbel nicht beliebig klein sein können. Da kleine Wirbel zu lokal hohen Geschwindigkeitsgradienten führen, liegt bei kleiner werdenden Wirbeln ein stets stärkerer Dissipationsprozess vor, bei dem kinetische Energie durch Reibungseffekte in innere Energie umgewandelt wird. Diese sogenannte turbulente Dissipation findet hauptsächlich bei großen Wellenzahlen (kleinen Wirbeln) statt und begrenzt das Energiespektrum bzgl. der vorkommenden Wellenzahlen. Eine genauere Analyse ergibt eine charakteristische Länge für die kleinsten vorkommenden Wirbelabmessungen, die als sogenannte Kolmogorov-Länge lk Eingang in die strömungsmechanische Literatur gefunden hat. Diese Analyse ergibt auch lk ≈ LRe−3/4 wobei L ein Maß für die größten Wirbel ist und in erster Näherung mit einer charakteristischen Länge einer durchströmten Geometrie gleichgesetzt werden kann. Mit L = 0,1 m gilt dann z.B. für Re = 104 : lk = 0,1 mm und für Re = 106 : lk = 0,0032 mm. Diese Abschätzungen sind dann wichtig, wenn man eine turbulente Strömung „bis in alle Details“ berechnen möchte. Die Zahlenwerte zeigen aber auch, dass die turbulenten Schwankungsbewegungen nicht etwa auf molekulare Bewegungen zurückgehen. Charakteristische Längen im molekularen Bereich, wie etwa die mittlere freie Weglänge bei Gasen, sind um mehrere Größenordnungen kleiner. Turbulente Bewegungen sind in diesem Sinne ein reines Kontinuumsphänomen.
Wenn eine turbulente Schwankungsbewegung in einer Strömung auf Dauer erhalten bleiben soll, so muss die bei hohen Wellenzahlen durch den Dissipationsprozess verloren gehende kinetische Energie „an einer anderen Stelle“ wieder zugeführt werden. Abb. 7.1 zeigt, dass
7 Berücksichtigung des Turbulenzeinflusses
74
bereitgestellte
Antriebsenergie
Turbulenzproduktion
Mittlere Bewegung (mechanische Energie)
Schwankungsbewegung (mechanische Energie) Kaskadenprozess
Thermische Bewegung (innere Energie)
turbulente Dissipation
(Direkte Dissipation)
(z.B.: Pumpe)
(W¨ arme¨ ubergang)
Erw¨ armung der Umgebung Wellenzahl ke∗ Abb. 7.2: „Energiepfad“ einer stationären turbulenten Strömung von der bereitgestellten mechanischen Energie bis zur Erwärmung der Umgebung durch die innere Energie, die von der Strömung abgegeben wird. Ein geringer Anteil wird von der mittleren Bewegung direkt in innere Energie umgewandelt (Direkte Dissipation).
dies bei kleinen Wellenzahlen durch die sogenannte Turbulenzproduktion geschieht. Wiederum in der Wirbel-Interpretation geht man davon aus, dass die Strömung große Wirbel ausbildet, die der mittleren Bewegung der Strömung dann kinetische Energie „entziehen“. Diese großen Wirbel zerfallen zu immer kleineren Wirbeln und transferieren die kinetische Energie damit in Richtung großer Wellenzahlen. Dieser Vorgang wird als Kaskadenprozess bezeichnet, der Energietransfer in Richtung großer Wellenzahlen mit den englischen Bezeichnungen forwardscatter oder drain beschrieben. Die Turbulenzproduktion im Wellenzahlbereich großräumiger Wirbel wird aus der mittleren Bewegung gespeist und führt zu einem entsprechend hohen Druckverlust bei Durchströmungen bzw. Widerstand bei Umströmungen. Zur Aufrechterhaltung der Strömung müssen also „von außen“ entsprechende mechanische Leistungen aufgebracht werden, um den Druckverlust bzw. den Widerstand zu überwinden. Abb. 7.2 zeigt den „Energiepfad“ von der aufgebrachten Leistung (bzw. Energie) bis zur letztlich erfolgenden Erwärmung der Umgebung.
7.2 Simulation, Modellierung und pauschale Erfassung des Turbulenzeinflusses
75
7.2 Simulation, Modellierung und pauschale Erfassung des Turbulenzeinflusses Die Frage, wie der entscheidend wichtige Einfluss der Turbulenz auf eine Strömung angemessen berücksichtigt werden kann, wenn eine turbulente Strömung in einem physikalisch/mathematischen Modell abgebildet werden soll, hängt ganz davon ab, wie detailliert das Modell ausfällt. In diesem Sinne gibt es drei grundsätzlich verschiedene Möglichkeiten den Turbulenzeinfluss in einem physikalisch/mathematischen Modell zu erfassen. 7.2.1 Simulation des Turbulenzeinflusses (DNS) Wenn der Einfluss der Turbulenz in allen Details erfasst werden soll, so müssen einerseits (Differential-) Gleichungen zur Verfügung stehen, die eine turbulente Strömung in ihrem räumlichen und zeitlichen Verhalten hinreichend genau beschreiben und andererseits numerische Lösungsverfahren eingesetzt werden, die diese Gleichungen räumlich und zeitlich hinreichend fein aufgelöst lösen können. Die erforderlichen Differentialgleichungen sind seit langem bekannt; es handelt sich dabei um die dreidimensionalen, instationären Navier-Stokes-Gleichungen als sogenannte Grundgleichungen für Newtonsche Fluide, s. dazu das spätere Kap. 15. Das Problem bei der numerischen Lösung dieser Gleichungen liegt in der erforderlichen Dichte des numerischen Gitters, das zur Lösung über dem Strömungsgebiet „aufgespannt“ werden muss, sowie in den kleinen Zeitschritten, die erforderlich sind, um die hochfrequenten Schwankungen zu erfassen. Die Abschätzung der kleinsten vorkommenden Wirbelabmessungen ergab im vorigen Abschnitt lk = 0,1 mm für eine Reynolds-Zahl Re = 104 . Wenn ein Gebiet von jeweils 10 cm Seitenlänge so unterteilt wird, das Untervolumen von jeweils 0,1 mm Seitenlänge auftreten, so muss das betrachtete Gebiet bereits in 109 sogenannte Finite Volumen unterteilt werden (109 = 1 Milliarde). Bei einer Reynolds-Zahl Re = 106 ist lk etwa um den Faktor 300 kleiner, so dass die Anzahl von Finiten Volumen auf etwa 3 · 1016 steigen würde. Zusätzlich muss beachtet werden, dass die Zeitschritte sehr klein sein müssen, um die Strömung auch in ihrem zeitlichen Verlauf im Detail erfassen zu können. Tatsächlich gibt es in den letzten Jahren die Möglichkeit, turbulente Strömungen auf diese Weise „exakt“ zu berechnen. Diese Vorgehensweise wird mit den drei Buchstaben DNS für „direct numerical simulation“ beschrieben. Es handelt sich um extrem aufwendige Rechnungen, die nur für bestimmte Standardfälle und auch nur für relativ niedrige Reynolds-Zahlen durchgeführt werden. Neben den enormen Rechenzeiten (in der Größenordnung von Monaten bis Jahren!) sind vor allem auch die extrem hohen Datenmengen problematisch, die in einem sogenannten post processing zu physikalisch sinnvollen Ergebnissen verarbeitet werden müssen. Für technische Anwendungen kommt diese Vorgehensweise auch in Zukunft nicht in Frage. 7.2.2 Modellierung des Turbulenzeinflusses (RANS) Da in fast allen Anwendungen nicht die zeitlich hochaufgelösten Details einer turbulenten Strömung interessieren, sondern nur zeitliche Mittelwerte (d.h. die Größen a in der Aufspaltung a = a + a gemäß (2.3)), liegt es nahe, Gleichungen für diese Größen herzuleiten und diese dann (numerisch) zu lösen. Im Zuge dieser Herleitung entstehen in den Gleichungen für a zunächst unbekannte sogenannte turbulente Zusatzterme, so dass die Anzahl von Unbekannten in
7 Berücksichtigung des Turbulenzeinflusses
76
den Gleichungen größer ist als die Anzahl der Gleichungen. Deshalb müssen für die Zusatzterme neue Gleichungen gefunden werden. Diese können allerdings nicht systematisch aus den Grundgleichungen abgeleitet werden, weil dabei stets neue unbekannte Zusatzterme entstehen würden, was als generelles Schließungsproblem bezeichnet wird. Stattdessen müssen bestimmte Modellannahmen getroffen werden, weshalb diese Art der Turbulenzbehandlung insgesamt als Turbulenzmodellierung bezeichnet wird. Die zeitgemittelten Gleichungen werden mit vier Buchstaben als RANS für „Reynolds averaged Navier Stokes“ bezeichnet, da die Idee zur Zeitmittelung turbulenter Größen auf Osborne Reynolds (1842-1912) zurückgeht. Auf der Basis von RANS-Gleichungen können turbulente Strömungen insofern detailliert berechnet werden, als die räumliche (und ggf. auch zeitliche) Verteilung der zeitgemittelten Größen a bestimmt werden kann. Der numerische Aufwand ist sehr viel geringer, da sich die Feinheit des numerischen Gitters jetzt nur noch an den Erfordernissen bzgl. der Genauigkeit der Ergebnisse orientiert, aber nicht mehr an der turbulenten Feinstruktur der Strömung. Man kann die beiden bisher beschriebenen Vorgehensweisen auch miteinander kombinieren, indem nur die großen Wirbelstrukturen simuliert werden. Kleinere Strukturen werden dann modelliert, so dass ein numerisches Gitter nicht so extrem fein sein muss, wie bei der reinen DNS. Dieses Vorgehen wird als LES bezeichnet (für „large eddy simulation“, deutsch: Grobstruktursimulation). Rechenzeiten sind auch hierbei erheblich, es ist aber durchaus möglich, technisch relevante Strömungen auf diese Weise zu berechnen. 7.2.3 Pauschale Erfassung des Turbulenzeinflusses Wenn auch die zeitgemittelten Größen a nicht im Detail bestimmt werden sollen, sondern nur querschnittsgemittelte Werte am in einem durchströmten System interessieren, entfällt die Möglichkeit, den Turbulenzeinfluss zu simulieren oder nach einer Turbulenzmodellierung zu berechnen. Es bleibt dann nur die Möglichkeit, den Turbulenzeinfluss über empirische Koeffizienten zu erfassen. Um auch hierbei eine gewisse Allgemeingültigkeit zu ermöglichen, sollten dimensionsanalytische Überlegungen vorausgehen, wie dies z.B. im Zusammenhang mit dem Widerstandsgesetz für die Rohrströmung der Fall war. Der Turbulenzeinfluss äußert sich hier in den gegenüber dem Laminaren stark erhöhten Werten für die Rohrreibungszahl λR , vgl. Abb. AB4.2 auf Seite 60.
7.3 Illustrierendes Beispiel IB-9 I LLUSTRIERENDES B EISPIEL IB-9: Einfluss der Turbulenz auf den Widerstand einer Rohrströmung Das Rohrreibungsdiagramm, Abb. AB-4.2 auf Seite 60 zeigt, dass eine laminare Rohrströmung nur bis zu Reynolds-Zahlen Re ≈ 2300 vorliegt; bei höheren Reynolds-Zahlen ist die Strömung turbulent. Nun war in Abschnitt 7.1 die Entstehung von Turbulenz in einer Strömung aber als Folge von stets vorhandenen kleinen Störungen in der Strömung beschrieben worden. Wenn es gelingt, eine Rohrströmung „störungsfrei“ zu erzeugen, so sollte es deshalb möglich sein, auch bei Reynolds-Zahlen oberhalb von Re ≈ 2300 eine laminare Strömung im Rohr zu erzielen. Tatsächlich gelingt dies, wenn man sorgfältig auf die Vermeidung von jeglichen Störungen, z.B. durch Förderpumpen, scharfkantige Rohreinlässe usw. achtet. Es ist dann möglich, z.B. eine Reynolds-Zahl Re = 20 000 zu erreichen und „trotzdem“ eine laminare Strömung zu haben. Der Widerstandsbeiwert dieser „künstlich“ laminar gehaltenen Strömung beträgt λR = 0,0032 (in Abb. AB-
7.3 Illustrierendes Beispiel IB-9 4.2 nicht mehr abzulesen, aber aus der Verlängerung der dort eingezeichneten Kurve λR = 64/Re zu bestimmen). Sobald allerdings eine Störung in dieser Strömung auftritt schlägt die Strömung in den turbulenten Zustand um und erreicht dann (wenn weiterhin Re = 20 000 gilt) den Wert λR = 0,025, der im Diagramm abgelesen werden kann (Annahme: glattes Rohr, andernfalls wäre λR noch größer). Die Rohrreibungszahl λR steigt also fast um den Faktor 8 an, wenn die Strömung nicht länger laminar ist. Um diesen Faktor erhöht sich auch der Druckverlust in einem solchen Fall, was den starken Einfluss erkennen lässt, den die Turbulenz auf die Strömung ausübt.
77
Teil C Technische Strömungen
In diesem Hauptteil des vorliegenden Buches werden physikalisch/mathematische Modelle vorgestellt, mit denen technische Strömungen im Sinne der Definition auf Seite 7 näherungsweise berechnet werden können. Dabei werden in einem ersten Teil C1 eindimensionale Modelle behandelt. Im Teil C2, in dem es um mehrdimensionale Modelle geht, wird zunächst beschrieben, wann und wie eine so genannte Gebietszerlegung des Strömungsfeldes erfolgen kann, um anschließend die Teilgebiete mit jeweils unterschiedlichen Annahmen modellieren zu können. Darauf aufbauend werden spezielle Situationen, meist im Sinne einer zweidimensionalen Modellierung, ausführlich behandelt. Wie bisher schon wird dem physikalischen Verständnis, vermittelt durch eine umfassende verbale Beschreibung, der Vorzug vor dem Versuch gegeben, möglichst viele verschiedenen Strömungssituationen zu behandeln. Als Grundlage für numerische Lösungen in nicht unterteilen Strömungsfeldern werden zum Schluss die vollständigen Grundgleichungen für Newtonsche Fluide (die sogenannten Navier-Stokes-Gleichungen) bereitgestellt.
81
Teil C1 Eindimensionale physikalisch/mathematische Modelle
8 Grundgleichungen der eindimensionalen Modellierung Der Grundgedanke einer eindimensionalen Modellierung besteht darin, einer Stromlinie in einem Strömungsfeld zu folgen und die Veränderung der einzelnen Strömungsgrößen (Geschwindigkeit, Druck, ...) längs dieser Stromlinie zu beschreiben. Stromlinien waren in Abschnitt 2.2.2 eingeführt worden und sind z.B. in Abb. 2.5 auf Seite 19 dargestellt. In diesem Zusammenhang definiert man nun einen sogenannten Stromfaden und eine Stromröhre. D EFINITION: Stromfaden, Stromröhre Ein Stromfaden ist ein Volumen endlicher Länge aber mit infinitesimalen Querschnitt dA. Die Mantelfläche des Stromfadens besteht aus benachbarten Stromlinien, so dass Fluid nur über die infinitesimalen Stirnflächen dA ein- oder austreten kann. Eine Stromröhre ist ein Stromfaden mit endlichen Stirnflächen (Querschnitten) A. Abb. 8.1 zeigt die graphische Darstellung eines solchen Stromfadens und einer Stromröhre. Da für den Stromfaden ein infinitesimaler Querschnitt vorliegt, sind die einzelnen Strömungsgrößen durch jeweils einen Zahlenwert in einem bestimmten Querschnitt gekennzeichnet. Eine Verteilung dieser Größen liegt auf der infinitesimal kleinen Querschnittsfläche dA nicht vor (wenn der Verlauf der Strömungsgrößen als prinzipiell stetig unterstellt wird). Hier und im Folgenden wird die Geschwindigkeit längs der eingehüllten Stromlinie mit uS bezeichnet. Bei Stromröhren mit definitionsgemäß endlichen Querschnitten können die einzelnen Strömungsgrößen durchaus eine Verteilung über den Querschnitt A besitzen.1 Bei der nachfolgenden eindimensionalen Modellierung wird aber zunächst eine Gleichverteilung aller Strömungsgrößen auf den jeweiligen Querschnitten A unterstellt. In diesem Sinne gilt z.B. in jedem Querschnitt eine einheitliche Geschwindigkeit uS , die aber in Strömungsrichtung wie alle anderen Größen veränderlich ist. D EFINITION: Eindimensionale Stromröhrentheorie Im Rahmen der eindimensionalen Stromröhrentheorie werden Strömungsfelder in Form von Stromröhren behandelt, in denen die einzelnen Strömungsgrößen in Richtung der Stromröhre veränderlich sind, innerhalb eines Querschnittes A aber nicht. 1
Eine eindimensionale Strömung kann in einem Strömungsquerschnitt ein nicht konstantes Geschwindigkeitsprofil besitzen (wie z.B. das parabolische Profil einer ausgebildeten laminaren Rohrströmung). Es gibt aber keine Geschwindigkeitskomponenten senkrecht zur Strömungsrichtung. Die Auswirkungen solcher nicht konstanten Profile auf die Bilanzen werden im Zusammenhang mit der späteren Gleichung (8.12) erläutert.
8 Grundgleichungen der eindimensionalen Modellierung
82
y
Ai
Aj
hre mrö o r t S
g
x z
uS v
u w
Stromlinie dA
Stromfaden
Abb. 8.1: Veranschaulichung eines Stromfadens und einer Stromröhre in einem beliebigen Stromlinienfeld uS : Geschwindigkeit in Stromlinienrichtung; uS = |v| u, v, w: kartesische Geschwindigkeitskomponenten des Vektors v dA: infinitesimal kleiner Querschnitt des Stromfadens Ai , A j : endliche Querschnitte der Stromröhre an den Stellen i und j g: Erdbeschleunigungsvektor; Verlauf entgegen der y-Koordinate
Die Grundgleichungen der eindimensionalen physikalisch/mathematischen Modellierung können systematisch aus den vollständigen Grundgleichungen der mehrdimensionalen Modellierung abgeleitet werden.2 Dies kann wegen des grundsätzlich induktiven Vorgehens im vorliegenden Buch hier nicht gezeigt werden. Stattdessen werden die Grundgleichungen im Folgenden ohne Ableitung angegeben, dafür aber anschließend ausführlich erläutert. Mit den Bezeichnungen gemäß Abb. 8.2 gelten folgende Grundgleichungen für kompressible Strömungen:
Kontinuitätsgleichung (Massenerhaltung):
ρi uSi Ai = ρ j uS j A j
(8.1)
Gesamtenergiegleichung (Energieerhaltung):
ei +
2 p j uS j pi u2Si + gyi = e j + + + gy j − wt i j − qi j + ρi 2 ρj 2
(8.2)
Diese Gesamtenergiegleichung mit der spezifischen inneren Energie ei bzw. e j kann für inkompressible Strömungen (ρi = ρ j = ρ ) wie folgt in zwei Teilenergiegleichungen aufgespalten werden.
2
Siehe dazu z.B.: Herwig, H. (2006): Strömungsmechanik, 2. Aufl., Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg
8.1 Erläuterungen zur Kontinuitätsgleichung
83
Aj qi j
Ai
wt i j
uS j
ji uSi
yj
yi ii
Bezugs− niveau
i und j Abb. 8.2: Stromröhre zwischen zwei Querschnitten i und j übertragene spezifische technische Arbeit wt i j : zwischen i und j übertragene spezifische Wärme qi j : zwischen
Mechanische Teilenergie: u2S j p j u2Si pi + + gyi = + + gy j − wt i j + ϕi j 2 ρ 2 ρ
(8.3)
ei = e j − ϕi j − qi j
(8.4)
Thermische Teilenergie:
Dabei tritt jetzt in beiden Teilenergiegleichungen die spezifische Dissipation ϕi j auf, die in Abschn. 8.2 und 9.1 näher erläutert wird.
8.1 Erläuterungen zur Kontinuitätsgleichung Die Kontinuitätsgleichung (8.1) ist unmittelbar einsichtig. Das Produkt ρ uS A stellt den Massenstrom m˙ dar (Einheit: kg/s), der sich im Sinne der Massenerhaltung längs einer Stromröhre nicht verändert. Wenn die Dichte längs der Stromröhre konstant bleibt, gilt uS A = V˙ = const, d.h. der Volumenstrom V˙ bleibt unverändert. Eine Veränderung der Querschnittsfläche bedeutet dann stets die reziproke Veränderung der Strömungsgeschwindigkeit. Bei variabler Dichte ist mit einer Querschnittsveränderung die reziproke Veränderung des Produktes ρ uS verbunden. Die Kombination ρ uS wird auch als Stromdichte (Einheit: kg/m2s) bezeichnet. So einfach die Aussage der Kontinuitätsgleichung auch ist, so wichtig ist es, sich ihre Gültigkeit stets vor Augen zu halten. Häufig wird z.B. „aus dem Gefühl heraus“ angenommen, eine Wasserpumpe (mit gleichen Ein- und Austrittsquerschnitten) beschleunige das durchlaufende Wasser, würde also mit der aufgebrachten mechanischen Energie die kinetische Energie des geförderten Wassers erhöhen. Die Kontinuitätsgleichung besagt in diesem Fall aber uSi = uS j , d.h.
8 Grundgleichungen der eindimensionalen Modellierung
84
es liegt keine Veränderung der Strömungsgeschwindigkeit und damit keine Veränderung der kinetischen Energie vor.3
8.2 Erläuterungen zur Gesamtenergiegleichung Die Gesamtenergiegleichung (8.2) entspricht dem 1. Hauptsatz der Thermodynamik, angewandt auf eine Stromröhre mit dem Eintrittsquerschnitt ijund dem Austrittsquerschnitt jj . Aus thermodynamischer Sicht handelt es sich dabei um ein sogenanntes offenes System, bei dem Energie in Form von spezifischer technischer Arbeit wt i j und in Form von qi j mit der Umgebung ausgetauscht werden kann (Austausch: Übertragung von der Umgebung an das System oder umgekehrt). Die thermodynamische Gesamtenergie, für die hier ein Erhaltungsprinzip formuliert ist, besteht aus den drei Anteilen
innere Energie
kinetische Energie
potenzielle Energie
Diese Energieanteile sind in (8.2) in Form von spezifischen Größen e, u2S /2 und gy, jeweils in der Einheit J/kg angegeben. Eine spezifische Größe entsteht jeweils durch den Bezug auf die Masse. Bei stationären Prozessen (Strömungen) können und sollten diese spezifischen Größen aber als „Energiestrom pro Massenstrom“ interpretiert werden, hier also anstelle von „Energie pro Masse“ als „Leistung pro Massenstrom“ (mit der Einheit W/(kg/s) = J/kg wie zuvor). Mit der Definition der spezifischen Enthalpie h = e + p/ρ und der spezifischen Gesamtenthalpie H = h + u2S/2 kann (8.2) auch als Hi + gyi = H j + gy j − wt i j − qi j
(8.5)
geschrieben werden. Diese Form wird häufig verwendet, ist aber einer physikalischen Interpretation schlechter zugänglich als die ursprüngliche Form (8.2), weil der Term p/ρ keinen Energieanteil darstellt, sondern Ausdruck der geleisteten Verschiebearbeit an einem offenen System ist.4,5 Der Term gy beschreibt die spezifische potenzielle Energie in Bezug auf ein bestimmtes Bezugsniveau, vgl. Abb. 8.2. Die Wahl des Bezugsniveaus kann beliebig erfolgen, da in (8.5) die potenzielle Energie auf beiden Seiten des Gleichheitszeichens auftritt und sich das Bezugsniveau in der Bilanz „heraushebt“. Der Term wt i j als spezifische technische Arbeit gibt an, wieviel mechanische Leistung pro Massenstrom zwischen den Querschnitten ijund jjz.B. durch eine Pumpe bzw. einen Verdichter (wt i j > 0) oder eine Turbine (wt i j < 0) übertragen wird. Die Größe wt i j besitzt ein positives Vorzeichen, wenn dem System Energie zugeführt wird (Vorsicht: Im englischsprachigen Raum 3
4
5
Was tatsächlich geschieht, wird später nachvollziehbar: In der Pumpe findet in diesem Fall eine Druckerhöhung statt. Die aufgebrachte mechanische Energie wird für die erhöhte Verschiebearbeit am Austrittsquerschnitt im Vergleich zum Eintrittsquerschnitt benötigt. Siehe dazu auch: Herwig, H. (2007): Die irreführende Verwendung der thermodynamischen Größe Enthalpie – ein didaktischer Sündenfall, Forschung im Ingenieurwesen, 71, 107-112 Die gelegentlich zu findende Bezeichnung „Druckenergie“ für den Term p/ρ ist irreführend und sollte unterbleiben, da es aus thermodynamischer Sicht keinen solchen Energieanteil gibt.
8.2 Erläuterungen zur Gesamtenergiegleichung
85
gilt häufig eine andere Vorzeichenvereinbarung, dann kehrt sich das Vorzeichen von wt i j in (8.2) bzw. (8.5) entsprechend um). Der Term qi j als spezifische Wärme gibt an, wieviel Energie in Form von Wärme zwischen den Querschnitten ijund jjübertragen wird. Es gilt qi j > 0, wenn dem Fluid von außen Energie in Form von Wärme zugeführt wird. Für inkompressible Strömungen kann die Gesamtenergiegleichung in zwei voneinander unabhängige Teilenergiegleichungen aufgespalten werden. Für kompressible Strömungen ist dies formal auch möglich. Wegen der gegenseitigen Kopplung beider Teilgleichungen (über die Temperaturabhängigkeit der Dichte ρ ) müssten in diesen Fällen aber stets beide Teilgleichungen gleichzeitig betrachtet werden, so dass deshalb häufig (8.2) direkt zum Einsatz kommt. Die Teilenergiegleichung (8.3) enthält nur „mechanische Größen“ und bilanziert in diesem Sinne die mechanische Energie (im Gegensatz zur thermischen Energie). In dieser Gleichung tritt mit ϕi j ein Term auf, der die Dissipation mechanischer Energie beschreibt. D EFINITION: Dissipation, spezifische dissipierte Energie Dissipation ist ein irreversibler Vorgang in einem System, bei dem mechanische Energie so in innere Energie umgewandelt wird, dass eine Rückumwandlung in mechanische Energie nicht mehr möglich ist. Die so umgewandelte spezifische Energie ϕ ist als sogenannte spezifische dissipierte Energie deshalb stets eine positive Größe. Mit der Dissipation mechanischer Energie ist eine Erhöhung der Entropie im System verbunden. Eine genauere Analyse zeigt, dass diese sogenannte Entropieproduktion proportional zum Quadrat auftretender Geschwindigkeitsgradienten sowie proportional zur dynamischen Viskosität η des Fluides ist.6 Da das Strömungsfeld im Rahmen der hier vorliegenden eindimensionalen Modellierung nur jeweils in Form von Querschnittsmittelwerten der Geschwindigkeit vorkommt, kann ϕ aber nicht berechnet, sondern muss auf andere Weise „pauschal“ berücksichtigt werden. Ein Blick auf die Gesamtbilanz (8.2) und die Teilbilanzen (8.3) und (8.4) zeigt, dass ϕ nur in den Teilbilanzen, nicht aber in der Gesamtbilanz auftritt. Die unterschiedlichen Vorzeichen von ϕ in den Teilbilanzen bedeuten, dass mit ϕ ein interner Umverteilungsprozess beschrieben wird, bei dem die innere Energie auf Kosten der mechanischen Energie ansteigt, der in der Gesamtbilanz aber nicht explizit auftritt. Dies heißt einerseits, dass (8.2) sowohl für verlustfreie (ϕ = 0) als auch für verlustbehaftete Strömungen (ϕ > 0) gilt, andererseits aber auch, dass die Bestimmung von ϕ nur auf der Basis der Teilenergiebilanzen möglich ist. Die Teilbilanz (8.3) für eine inkompressible Strömung ist als (erweiterte) Bernoulli-Gleichung bekannt und war bereits im Jahr 1738 von Daniel Bernoulli, allerdings ohne die Terme ϕi j und wt i j , veröffentlicht worden. Für die verschiedenen Anwendungszwecke bietet es sich an, diese Gleichung durch Multiplikation mit ρ bzw. Division durch g in eine Form zu bringen, in der alle Terme die Dimension eines Druckes bzw. einer Höhe besitzen. Dies führt auf folgende gleichwertige Formen von (8.3):
Druckform der erweiterten Bernoulli-Gleichung (8.3):
ρ 2 ρ u + pi + ρ gyi = u2S j + p j + ρ gy j − ρ wt i j + ρϕi j 2 Si 2 6
(8.6)
Genaueres dazu z.B. in Herwig, H.; Kautz, C. (2007): Technische Thermodynamik, Pearson Studium, München; Kap. 5
8 Grundgleichungen der eindimensionalen Modellierung
86
Dabei sind die Terme ρϕi j als Druckverlust7 aufgrund von Dissipationseffekten und ρ wt i j als Druckänderung in technischen Apparaten (Pumpe, Turbine) interpretierbar.
Höhenform der erweiterten Bernoulli-Gleichung (8.3): u2S j pj u2Si wt i j ϕi j pi + + yi = + + yj − + 2g ρ g 2g ρ g g g
(8.7)
Der Term ϕi j /g als sogenannte Verlusthöhe ist im Zusammenhang mit Pumpen und Turbinen anschaulich interpretierbar und beschreibt, um wieviel die sogenannte Förderhöhe wt i j /g einer Pumpe durch Dissipationseffekte verringert wird, bzw. wieviel weniger in einer Turbine als nutzbare Höhendifferenz zur Verfügung steht.
8.3 Ungleichverteilung der Strömungsgrößen im Querschnitt Der Übergang vom Stromfaden zur Stromröhre, d.h. von einer Geometrie mit infinitesimalen Querschnitten dA (auf denen alle Größen jeweils konstant sind) zu einer solchen mit endlichen Werten A (auf denen die einzelnen Strömungsgrößen ungleichmäßig verteilt sein können), war bisher unter der Annahme erfolgt, dass auch auf den endlichen Querschnitten der Stromröhre jeweils nur ein fester Wert für jede Strömungsgröße gilt. Diese konstanten Werte können als Mittelwerte einer tatsächlich vorliegenden Ungleichverteilung interpretiert werden. Die darauf basierenden Bilanzen für Stromröhren stellen eine Näherung dar, die Details im Zusammenhang mit den tatsächlich vorliegenden Profilen in den endlichen Querschnitten A vernachlässigt. Eine genauere Bilanz ergibt sich, wenn die Ungleichverteilung der Strömungsgrößen auf den Querschnittsflächen A berücksichtigt wird. Das führt auf eine Integration über den Ein- bzw. den Austrittsquerschnitt, setzt aber für die konkrete Auswertung die Kenntnis über die genaue Form der Ungleichverteilung der einzelnen Größen voraus. Dies soll am Beispiel der mechanischen Energiegleichung in der Form (8.6) für inkompressible Strömungen wie folgt erläutert werden. In (8.6) soll jetzt die Verteilung von uS , p und y über den Ein- und Austrittsquerschnitten berücksichtigt werden. Die spezifischen Größen wt i j und ϕi j beschreiben die gesamte spezifische technische Arbeit bzw. Dissipation in der Stromröhre und werden als Globalwerte unverändert beibehalten. Sind uS , p und y im Querschnitt A variabel, so setzt sich die Stromröhre (endlicher Querschnitt A) aus einzelnen Stromfäden (Querschnitt dA) zusammen. Die Stromfäden besitzen den infinitesimalen Massenstrom dm˙ = ρ uS dA, dessen Integration über A den Gesamtmassenstrom m˙ = ρ uS A ergibt. Dabei gilt für die mittlere Geschwindigkeit uS : m˙ = ρ uS A =
ρ uS dA
→
uS =
1 A
uS dA
(8.8)
A
Eine zu (8.6) analoge Form für variable Werte von uS , p und y entsteht, indem die StromfadenWerte
ρ ( u2S + p + ρ gy) ρ uS dA 2 dm˙ 7
Genaugenommen handelt es sich um einen Verlust von Gesamtdruck. Diese Größe wird in Abschn. 9.4, dort als (9.12) eingeführt.
8.3 Ungleichverteilung der Strömungsgrößen im Querschnitt
87
über A integriert werden und anschließend durch den Bezug auf m˙ = ρ uS A wieder als spezifische Werte geschrieben werden. Dies ergibt: 1 m˙
ρ 2 uS + p + ρ gy dm˙
2
= =
ρ 1 u3S + puS + ρ gyuS dA uS A 2 ρ 2 α1 uS + α2 p + α3 ρ gy 2
(8.9)
mit
α1 =
1 3 uS A
u3S dA ; A
α2 =
1 uS pA
und
puS dA A
;
α3 =
1 uS yA
yuS dA
(8.10)
A
1 ydA (8.11) A als y-Koordinate des Flächenschwerpunktes. Dabei sind α1 , α2 und α3 . In fast allen Strömungen ist der Druck p über dem Querschnitt (nahezu) konstant, so dass zusammen mit (8.8) folgt α2 = 1. Mit diesen Überlegungen wird aus der erweiterten Bernoulli-Gleichung (8.6) jetzt unter Berücksichtigung der Ungleichverteilung von uS und y: y=
ρ ρ α1i u2Si + pi + α3i ρ gyi = α1 j u2S j + p j + α3 j ρ gy j − ρ wt i j + ρϕi j (8.12) 2 2 Die Beiwerte α1 und α3 können ausgewertet werden, wenn die uS -Profile in den jeweiligen Querschnitten bekannt sind. Für das parabolische Geschwindigkeitsprofil einer ausgebildeten laminaren Rohrströmung gilt dann z.B. α1 = 2 und α3 = 1. Für die völligeren Profile von ausgebildeten turbulenten Rohrströmungen gilt α1 ≈ 1, α3 ≈ 3. Aus diesem Grund kann bei turbulenten Strömungen (8.6) verwendet werden, ohne dass damit eine nennenswerte Näherung aufgrund der tatsächlich vorliegenden Ungleichverteilung der zeitlich gemittelten Strömung im Querschnitt A verbunden wäre. Mit dem Term ρ u2S /2 wird allerdings nur die kinetische Energie der zeitgemittelten Strömung bilanziert. Die in der turbulenten Schwankungsbewegung enthaltene kinetische Energie wird vernachlässigt. Dies wirkt sich in der Bilanz (8.6) aber nur aus, wenn sich dieser Energieanteil zwischen den Querschnitten Ai und A j verändert.
89
9 Inkompressible eindimensionale Stromröhrentheorie Ausgangspunkt für die weiteren Überlegungen sind die Kontinuitätsgleichung (8.1) für ρ = const und die Gleichungen (8.3), (8.4) für die mechanische Teilenergie (alternativ in den Formen (8.6) oder (8.7)) bzw. die thermische Teilenergie, die hier noch einmal aufgeführt werden. uSi Ai = uS j A j
(9.1)
u2S j
pj u2Si pi + + gyi = + + gy j − wt i j + ϕi j 2 ρ 2 ρ ei = e j − ϕi j − qi j
(9.2) (9.3)
Damit stehen für ein reines Strömungsproblem mit (9.1) und (9.2) zwei Gleichungen zur Bestimmung von zwei Größen zur Verfügung. In der Regel sind die Form und der Verlauf der Stromröhre bekannt, so dass Ai , A j , yi und y j gegeben sind. Von den verbleibenden sechs Größen uSi , uS j , pi , p j , wt i j und ϕi j müssen damit vier gegeben sein, damit die zwei verbleibenden Größen bestimmt werden können, wie Beispiele in Abschnitt 9.6 zeigen. Wie dabei die spezifische Dissipation berücksichtigt werden kann und was bei der Einbeziehung von spezifischer technischer Arbeit zu beachten ist, wird in den beiden nachfolgenden Abschnitten 9.1 und 9.2 erläutert. Abschnitt 9.3 beschreibt den Einsatz der thermischen Energiegleichung.
9.1 Bestimmung der spezifischen Dissipation ϕ Der Globalwert ϕ für die durch Dissipation zwischen den Querschnitten ijund jjverlorene spezifische mechanische Energie kann nur in entsprechenden Experimenten ermittelt werden. Solche Experimente sind für eine Vielzahl von verschiedenen Bauteilen durchgeführt worden. Eine relativ große Allgemeingültigkeit der experimentellen Ergebnisse ergibt sich aus der Beobachtung, dass bei sehr vielen (turbulenten) Strömungen die spezifische dissipierte Energie ϕi j direkt proportional zur spezifischen kinetischen Energie u2S /2 in einem ausgewählten Bezugsquerschnitt eines betrachteten Bauteiles ist. In dem Ansatz
ϕi j = ζ
u2S 2
(9.4)
ist deshalb die sogenannte Widerstandszahl ζ eine Konstante. Dabei ist zu beachten, dass zwischen den Querschnitten ijund jjDissipation nur aufgrund des betrachteten Bauteiles vorliegen soll und dass der Zahlenwert von ζ an die Auswahl des Bezugsquerschnittes gebunden ist (in dem uS auftritt). Diese Auswahl ist willkürlich, auch wenn sich in vielen Fällen bestimmte Querschnitte, wie etwa der Eintrittsquerschnitt in ein Bauteil, anbieten. Daraus folgt, dass stets bekannt sein muss, welcher Bezugsquerschnitt zu dem ζ -Wert eines bestimmten Bauteils gehört. Widerstandszahlen verschiedener Bauteile sind in umfangreichen Tabellen vertafelt1, einige Beispiele sind in Tabelle 9.1 enthalten. 1
Für ζ -Werte s. z.B.: VDI-Wärmeatlas (2006), 10. Auflage, Laa - Lac, Springer-Verlag, Berlin oder: Idelchik, I.E. (1986): Handbook of Hydraulic Resistance, Hemisphere Publ. Corp., New York
9 Inkompressible eindimensionale Stromröhrentheorie
90
Tab. 9.1: Widerstandszahlen einiger Bauteile mit kreisförmigen Strömungsquerschnitten. Bei NichtKreisquerschnitten können diese Werte näherungsweise verwendet werden, dann gilt für Dh als sogenanntem hydraulischen Durchmesser: Dh = 4A/U (A: durchströmter Querschnitt; U: benetzter Umfang)
BAUTEIL
S KIZZE
Bi- - -: Bezugsquerschnitt
Dh
gerades Rohrstück B
L
90°-Rohrkrümmer hydraulisch glatt, Re > 105
W IDERSTANDSZAHL
L Dh λR aus Abb. AB-4.2 auf S. 60 (Rohrreibungszahl)
ζ = λR
R/Dh = 2: ζ = 0,14 R/Dh = 4: ζ = 0,11
B
R
R/Dh = 6: ζ = 0,09 Dh
Rohrerweiterung Dh2 =2 Dh1
α = 20◦ : ζ = 0,23 α
Dh1
Dh2
α = 40◦ : ζ = 0,48 α = 60◦ : ζ = 0,62
B
scharfkantig: ζ = 0,6
Rohreinlauf B
gut abgerundet: ζ = 0,05
ζ =1 (Verlust der gesamten kinetischen Energie)
Rohraustritt B
9.1 Bestimmung der spezifischen Dissipation ϕ
91
Mit der Einführung der Widerstandszahl ζ gemäß (9.4) verbindet sich jedoch auch eine nicht zu unterschätzende Problematik, die am Beispiel eines Rohrkrümmers erläutert werden soll. Abb. 9.1 zeigt die prinzipielle Form der Strömungsprofile und den Verlauf der Druckverteilung. Durch die Wirkung des 90◦ -Krümmers mit der Widerstandszahl ζ entsteht ein Druckverlust ∆pζ = ζ ρ
u2S 2
(9.5)
der in Abb. 9.1 abzulesen ist. Es ist zu erkennen, dass dieser aber nicht nur im Bereich des Krümmers entsteht, sondern auch vor und nach dem Krümmer, also in den Bereichen LV und LN , weil dort die Strömung durch den Krümmer schon bzw. noch beeinflusst wird. Dort sind die Strömungsprofile nicht mehr bzw. noch nicht wieder ausgebildet, was generell zu erhöhten Druckgradienten führt. Für eine experimentelle Bestimmung von ζ muss also eine Vorlauflänge LV und eine Nachlauflänge LN vorgesehen werden, um zu definierten Zuständen in der Zu- und Abströmung zu gelangen. Ein typischer Wert im Fall des 90◦-Krümmers ist etwa LV /D ≥ 5 ; LN /D ≥ 10. Damit beschreibt der ζ -Wert, der dem Krümmer als Bauteil zugeordnet ist, also nicht nur die Dissipationseffekte im Bauteil selbst, sondern auch die zusätzlichen Dissipationseffekte außerhalb des Bauteils in einer Situation, in der hinreichend lange Zu- und Abströmlängen vorhanden sind. Der ζ -Wert eines Krümmers ergibt sich deshalb aus der Differenz der Gesamtdruckverluste des Krümmers einschließlich der Vor- und Nachlaufstrecken und den Gesamtdruckverlusten der ausgebildet durchströmten Vor- und Nachlaufstrecken. In der praktischen Anwendung treten einzelne Bauteile (mit ihren individuellen ζ -Werten) aber häufig so dicht hintereinander auf, dass die Zu- und Abströmbereiche nicht vorhanden sind, so dass eine einfache Addition der Verluste als ∆pgesamt = ρ ∑ ζi i
u2Si 2
(9.6)
über alle Bauteile nicht zulässig ist. Häufig wird bei der Hintereinanderschaltung einzelner Bauteile trotzdem (9.6) verwendet, es muss aber der systematische Fehler beachtet werden, der dabei entsteht. Bei einer räumlich engen Anordnung der Bauteile sollte man versuchen, Angaben über die ζ -Werte ganzer Bauteilgruppen zu finden, die z.B. für hintereinandergeschaltete Rohrkrümmer vielfältig vertafelt sind. Generell ist anzumerken, dass Widerstandszahlen ζ häufig nur eine sehr grobe Angabe über die tatsächlich im konkreten Fall auftretenden Verluste zulassen, da es vielfältige Zusatzeffekte gibt (wie z.B. aufgrund von Wandrauheiten und Fertigungsungenauigkeiten), die nicht systematisch erfasst werden, aber einen erheblichen Einfluss haben können. So finden sich z.B. für den Fall des Rohrkrümmers mit R/D = 4 (in Tabelle 9.1 vertafelt mit ζ = 0,11) in der Literatur Zahlenwerte von 0,08 bis 0,3! Es sei noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Verwendung (konstanter) Widerstandszahlen ζ , die aus entsprechenden Tabellenwerken entnommen werden, nur für voll turbulente Strömungen zulässig ist, da nur für diese der unterstellte Zusammenhang (9.5) gilt, der eine Abhängigkeit ∆p ∼ u2S unterstellt. Am Beispiel der Widerstandszahl für das Bauteil „gerades Rohrstück“ (nach Tabelle 9.1 gilt dafür ζ = λR L/Dh ) wird deutlich, dass für
turbulente Strömungen gilt:
∆pζ = ζ ρ u2S /2 ∼ u2S
9 Inkompressible eindimensionale Stromröhrentheorie
92
1 L∗V
ζ
Druckverlauf ohne Kr¨ ummer
p∗
∆p∗ζ nichtausgebildete Profile
D∗
Druckverlauf mit Kr¨ ummer
L∗N
L∗N
L∗V
2
1 ausgebildete Profile
2
(a) ( )
(a)
(b)
Abb. 9.1: Strömungsbeeinflussung durch einen 90◦ -Krümmer (a) Strömungsprofile vor und nach dem 90◦ -Krümmer (b) Prinzipieller Druckverlauf vor, im und nach dem Krümmer längs des Strömungsweges LV : Vorlauflänge, LN : Nachlauflänge
∆pζ = ζ ρ u2S /2 ∼ uS ,
laminare Strömungen gilt:
weil ζ ∼ λR gilt und Abb. AB-4.2 auf S. 60 zeigt, dass λR nur für turbulente Strömungen eine Konstante ist (auch nur für voll raue Rohre; dunkelgrauer Bereich) während für laminare Strömungen λR ∼ Re−1 gilt, was λR ∼ u−1 S bedeutet.
9.2 Berücksichtigung der spezifischen technischen Arbeit wt Mit wt i j in der Energiegleichung (8.2) bzw. (8.3) wird der Austausch mechanischer Energie zwischen dem Fluid in der Stromröhre und der Umgebung mit Hilfe eines technischen Apparates berücksichtigt. Dabei ist zu beachten, dass technische Apparate wie Pumpen und Turbinen Wirkungsgrade ηi < 1 besitzen. Diese Wirkungsgrade berücksichtigen den Unterschied zwischen der mit dem Fluid ausgetauschten mechanischen Leistung mw ˙ t i j und der mechanischen Leistung P, mit der der Apparat dazu angetrieben werden muss (im Fall der Pumpe) bzw. die dem Apparat entnommen werden kann (im Fall der Turbine). In beiden Fällen heißt P aus naheliegenden Gründen Wellenleistung. In diesem Sinne wird definiert, wenn P stets positiv zählt:
ηP
=
ηT
=
mw ˙ t ij P P m(−w ˙ ti j )
(Pumpenwirkungsgrad)
(9.7)
(Turbinenwirkungsgrad)
(9.8)
9.3 Einsatz der thermischen Energiegleichung
93
Gut ausgeführte Apparate erreichen Wirkungsgrade von etwa 0,9. Das bedeutet z.B. für eine Pumpe, dass 10% der zum Betreiben der Pumpe eingesetzten mechanischen Leistung P durch Dissipation verloren geht und danach als innere Energie im Fluid vorhanden ist (erhöhte Fluidtemperatur). Der Dissipationseffekt im Zusammenhang mit der technischen Arbeit ist somit durch die Berücksichtigung des jeweiligen Wirkungsgrades erfasst und darf nicht zusätzlich in den expliziten Dissipationsterm ϕi j aufgenommen werden. Dieser ist für die Berücksichtigung von Dissipationseffekten in den restlichen Bauteilen der Stromröhre vorgesehen.2
9.3 Einsatz der thermischen Energiegleichung Die thermische Energiegleichung ist bei inkompressiblen Strömungen nur einseitig an die mechanische Energiegleichung gekoppelt, weil die in der mechanischen Energiegleichung (9.2) auftretende spezifische Dissipation ϕi j Einfluss auf die thermische Energiebilanz (9.3) hat, es aber umgekehrt keinen Einfluss von thermischen Größen auf die mechanische Energiebilanz gibt.3 Mit Hilfe der thermischen Energiegleichung (9.3) gelingt es, die Temperaturverteilung entlang einer Stromröhre zu ermitteln. Die Verbindung zum Temperaturfeld ergibt sich durch den thermodynamischen Zusammenhang für Stoffe mit konstanter Dichte (dρ = 0) : de = cdT mit c als spezifischer Wärmekapazität. Bei Stoffen mit konstanter Dichte muss nicht (wie z.B. bei Gasen) nach c p (spezifische Wärmekapazität bei konstantem Druck) und cv (spezifische Wärmekapazität bei konstantem Volumen) unterschieden werden, da für diese c p = cv = c gilt. Damit wird (9.3) zu cTi = cT j − ϕi j − qi j . (9.9) Hier tritt nun u.U. eine konzeptionelle Schwierigkeit auf, die mit der Modellbildung der „inkompressiblen Strömung eines kompressiblen Fluides“ zu tun hat, s. dazu Abschnitt 2.1.6 (Strömungsaspekt: Kompressible oder inkompressible Strömungen). Gleichung (9.9) erfordert eine Wärmekapazität c, für Gase existieren aber Zahlenwerte für c p und cv , die deutlich voneinander verschieden sind. Die Frage ist nun: Welcher Zahlenwert soll in (9.9) verwendet werden, wenn die Strömung materiell kompressibler Fluide unter der Annahme ρ = const als inkompressible Strömung berechnet werden soll ? Dies ist letzlich die Frage nach dem korrekten Grenzübergang zu einer inkompressiblen Strömung, wenn das Fluid kompressibel ist. Die Antwort ist nicht trivial und lautet:4 c = c p . In diesem Zusammenhang auftretende naheliegende, aber irreführende „ad hoc-Annahmen“ führen dazu, dieses Problem gelegentlich als Energie-Gleichungs-Paradoxon zu bezeichnen, weil scheinbar sowohl die Wahl von c p als auch die von cv „richtig“ ist. 2
3
4
Die korrekte Erfassung des Dissipationseffektes in der Pumpe ergibt in der Bilanz (9.2): −wt i j = −P/m˙ und ϕP = (1 − ηP )P/m, ˙ wobei ϕP die spezifische Dissipation in der Pumpe ist. Damit wird −wt i j + ϕP = −ηP P/m. ˙ Die Größe ϕi j wird hier als „mechanische Größe“ interpretiert, weil sie z.B. über den Ansatz (9.4) mit der mechanischen Größe der spezifischen kinetischen Energie verbunden ist. Siehe dazu z.B.: Panton, R. (1996): Incompressible Flow, John Wiley & Sons, New York; Kap. 10.9. Das Ergebnis ist aber nachvollziehbar, weil bei thermodynamisch offenen (durchströmten) Systemen die Enthalpie h an die Stelle der inneren Energie e tritt, da gegenüber geschlossenen Systemen die Verschiebearbeit hinzutritt (beachte: de = cv dT , aber dh = c p dT ).
9 Inkompressible eindimensionale Stromröhrentheorie
94
9.4 Druck- und Geschwindigkeitsmessungen auf der Basis der Bernoulli-Gleichung In Strömungssituationen mit wt i j = 0 (keine Übertragung mechanischer Leistung), ϕi j = 0 (vernachlässigbar geringe Dissipation) und ρ gyi = ρ gy j (horizontale Strömung oder vernachlässigbar geringe Änderungen der potenziellen Energie) reduziert sich die Druckform der BernoulliGleichung, (8.6), auf
ρ 2 ρ u = p j + u2S j = const 2 Si 2 Diese Form gibt Anlass zu folgender Definition: pi +
(9.10)
D EFINITION: dynamischer Druck, Gesamtdruck Als zusätzliche „druckartige“ Größen werden definiert:
dynamischer Druck
pdyn
=
Gesamtdruck
pges
=
ρ 2 u 2 S p + pdyn
(9.11) (9.12)
Beide Größen besitzen die Dimension eines Druckes (N/m2 ), sind aber keine Drücke im Sinne von Normalspannungen im Fluid.5 Es gibt jedoch eine Situation, in der die Größe pges direkt als Druck auftritt. Dies ist in einem Strömungsfeld dort der Fall, wo das Fluid auf uS = 0 verzögert wird. Solche Orte werden als Staupunkte bezeichnet, weil die Strömung dort „aufgestaut“ wird. In Abb. 9.2 ist ein solcher Staupunkt an einem homogen angeströmten schlanken Körper gezeigt. Im Staupunkt liegt der sogenannte Staudruck pstau vor.
D EFINITION: Staudruck pstau Der Druck im Staupunkt eines umströmten Körpers ist der sogenannte Staudruck pstau . Er entspricht in bestimmten Fällen (Re → ∞; Ma → 0) zahlenmäßig dem Gesamtdruck pges der Strömung. Es lässt sich zeigen, dass pstau → pges für Re → ∞ und Ma → 0 gilt, d.h., der gemessene Staudruck pstau entspricht für große Reynolds- und kleine Mach-Zahlen in guter Näherung dem Gesamtdruck pges . Mit einer geeigneten schlanken Sonde können gleichzeitig der Druck der ungestörten Anströmung p∞ und der Staudruck pstau gemessen werden. In den Fällen, in denen pstau = pges gilt, kann dann unmittelbar auf die Strömungsgeschwindigkeit u∞ geschlossen werden. Aufgrund der Definitionen (9.11) und (9.12) gilt dann
5
Häufig wird der Druck p nach Einführung von pdyn dann als „statischer Druck“ bezeichnet. Dazu gibt es allerdings keinen Anlass. Im Gegenteil führt eine solche Bezeichnung zu falschen Vorstellungen und sollte deshalb unterbleiben.
9.4 Druck- und Geschwindigkeitsmessungen auf der Basis der Bernoulli-Gleichung
95
Staustromlinie u∞ , p∞
Staupunkt
Staudruck pstau
Gesamtdruck pges Druck p dynamischer Druck pdyn
p∞
Abb. 9.2: Qualitativer Verlauf des Druckes p und der Größen pdyn , pges längs der Staustromlinie an einem schlanken Körper
u∞ =
2(pstau − p∞ ) ρ
(9.13)
Eine genauere Analyse zeigt, dass mit Hilfe von (9.13) für Ma < 1 und für Re > 100 in guter Näherung die Geschwindigkeit u∞ bestimmt werden kann. Sonden, die gleichzeitig pstau und p∞ messen können, werden Prandtl-Sonden genannt.6 Ihr prinzipieller Aufbau ist in Abb. 9.3 gezeigt.7 Eine Bohrung an der Stirnseite der Sonde leitet den dort herrschenden Staudruck über eine Leitung aus dem Strömungsfeld. Wird dieser Druck gegen den Druck p∞ geschaltet, der in einer seitlich angebrachten Bohrung gemessen wird, so ist in der gezeigten Anordnung die Höhe ∆h ein direktes Maß für den dynamischen Druck und damit für die Geschwindigkeit u∞ . Ein entscheidender Punkt für das konkrete Design einer solchen Sonde ist die genaue Position der seitlichen Druckmessbohrung. Sie muss so liegen, dass damit tatsächlich p∞ gemessen wird. Kritische Punke beim Einsatz solcher Sonden sind die genaue Ausrichtung der Sonde in Strömungsrichtung sowie die Interpretation eines u.U. zeitlich schwankenden Signals, wenn die Messung in turbulenten Strömungen erfolgt. Es müssen dann die sogenannten Zeitkonstanten der Sonde, der Zuleitungen sowie u.U. des Druckaufnehmers berücksichtig werden. Wird der 6 7
Benannt nach Ludwig Prandtl (1875 - 1953) Genauere Angaben findet man z.B. in: Eckelmann, H. (1997): Einführung in die Strömungsmesstechnik, B.G. Teubner, Stuttgart
9 Inkompressible eindimensionale Stromröhrentheorie
96
ρ , p∞ , u∞
pstau
p∞
p∞
∆h =
pdyn ρ u2∞ = ρP g ρP 2g
ρP Abb. 9.3: Prinzipieller Aufbau einer Prandtl-Sonde
Staudruck für sich gemessen, fungiert die Sonde als sogenannte Staudrucksonde. Sonden zur Messung des Staudruckes werden auch als Pitot-Sonden bezeichnet.8
9.5 Strömungskräfte auf die Berandung von Stromröhren Kräfte, die Strömungen auf die Berandung von Stromröhren ausüben, könnten prinzipiell aus einer Integration der dort auftretenden Schubspannungen und Drücke ermittelt werden. Da diese Detailinformationen aber im Rahmen der eindimensionalen Stromröhrentheorie nicht zur Verfügung stehen, muss ein anderer Weg gegangen werden. Dazu bietet es sich an, die Impulsänderungen in einem Strömungsfeld zu bestimmen, da diese nach dem sogenannten Newtonschen Axiom der Mechanik (auch: Trägheitsprinzip) unmittelbar mit der Wirkung von Kräften verbunden sind. Während sich Newtons Aussage zunächst auf einen Körper der Masse m bezieht, kann diese Aussage direkt auf Strömungen übertragen werden, wenn im Sinne Newtons ein Fluidelement der Masse ∆m mit dem Impuls ∆mv betrachtet wird. Dabei ist v der Geschwindigkeitsvektor mit den drei kartesischen Komponenten u, v und w. Für diese Masse ∆m gilt D Dv (∆mv) = ∆m = Fi Dt Dt ∑
(9.14)
In Worten: Die zeitliche Änderung des Impulses einer Masse ∆m ist gleich der Summe aller an der Masse ∆m angreifenden Kräfte.
8
Benannt nach Henri Pitot (1695 - 1771)
9.5 Strömungskräfte auf die Berandung von Stromröhren
97
Wenn sich ∆m an der Berandung des Strömungsfeldes befindet, bestehen diese Kräfte z.T. aus solchen, die von der Berandung auf ∆m ausgeübt werden. Im Sinne der ursprünglichen Fragestellung (welche Kräfte Fluide auf begrenzende Wände ausüben) sind damit die zugehörigen Reaktionskräfte Ri = − Fi gesucht. Für endliche Strömungsgebiete ergibt eine Integration über alle infinitesimalen Fluidelemente dm wieder, ohne dass diese hier genauer erläutert wird,9 mit Q als Volumenstrom
ρ u dQ = −
Aˆ
Aˆ
(9.15)
p dAˆ y − Ry
(9.16)
p dAˆ z − Rz
(9.17)
Aˆ
ρ v dQ = −
Aˆ
p dAˆ x − Rx
Aˆ
ρ w dQ = −
Aˆ
Dabei wurde weder von der Bedingung ρ = const noch von der Annahme einer eindimensionalen Strömung Gebrauch gemacht, so dass (9.15) ... (9.17) bezüglich dieser Aspekte ganz allgemein gelten. Für den Spezialfall ρ = const und eine eindimensionale Strömung ist die Auswertung der auftretenden Flächenintegrale aber besonders einfach.10 Bei der Herleitung von (9.15) ... (9.17) wurde nach der freien und der gebundenen Oberfläche des Integrationsgebietes unterschieden, die zusammen die gesamte Integrationsoberfläche ergeben:
ˆ derjenige Teil der Oberfläche A, der prinzipiell durchströmt werden kann. freie Oberfläche A: In den Gleichungen (9.15) ... (9.17) treten Integrale nur über Aˆ auf. ˜ derjenige Teil der Oberfläche A, der durch Wände gebildet ist und gebundene Oberfläche A: auf denen Schub- und/oder Normalkräfte wirken, an denen also die gesuchten Reaktionskräfte auftreten.
Bei der Anwendung von (9.15) ... (9.17) ist auf folgende Punkte sorgfältig zu achten:
Die Lage des Kontrollraumes muss der Fragestellung angepasst sein. Dies gilt besonders bezüglich des gebundenen Teiles der Kontrollraumgrenze, da dieser darüber entscheidet, welche Wandkräfte in der Bilanz auftreten. Der Kontrollraum enthält nur Fluid, alle festen Bauteile sind über Kontrollraumgrenzen aus diesem auszuschließen.
Es muss ein Koodinatensystem festgelegt werden, da sich die Vorzeichen der Geschwindigkeitskomponenten, der Flächenelemente dAˆ x , dAˆ y , dAˆ z und der Kräfte an diesem orientieren.
9
Zu Details s. z.B. Herwig, H. (2006): Strömungsmechanik, 2. Aufl., Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg ; Kap. 6.4 Wenn sich die Masse dm auf gekrümmten Bahnen bewegt, besitzt sie einen Drehimpuls. Die Impulserhaltung (9.14) kann deshalb gleichwertig auch als Drehimpulserhaltung formuliert werden. In Strömungssituationen mit rotierenden Bauteilen, wie z.B. in Pumpen oder Gebläsen ist es von großem Vorteil, die Impulserhaltung in Form der Drehimpulserhaltung zu schreiben, was dann zu einer alternativen Formulierung der Gleichungen führt, die auf dem Prinzip der Impulserhaltung in Strömungen basieren. In diesem Zusammenhang wird Drehimpuls häufig als Drall bezeichnet, die zu (9.15)...(9.17) alternative Formulierung beschreibt dann die Drallerhaltung in Strömungen.
10
9 Inkompressible eindimensionale Stromröhrentheorie
98
Häufig gelingt mit einer „geschickten“ Wahl des Koordinatensystems eine besonders einfache Auswertung.
Einfließende Volumenströme zählen negativ, ausfließende positiv. Dies ist eine Folge der Vereinbarung, Oberflächenvektoren A bezüglich des Kontrollraumes nach außen gerichtet anzutragen. Das infinitesimale Element eines einfließenden Massenstromes, dm˙ = ρvdA, ist dann negativ, weil v und dA entgegengerichtet sind.
Das A NWENDUNGSBEISPIEL AB-9 im nachfolgenden Abschnitt erläutert das konkrete Vorgehen bei der Bestimmung von Strömungskräften auf die Berandung von Stromröhren.
9.6 Anwendungsbeispiele AB-7 bis AB-9 A NWENDUNGSBEISPIEL AB-7: Auslegung eines Springbrunnens Problem: Der in Abb. AB-7.1 gezeigte Springbrunnen soll aus einem sehr großen Hochbehälter gespeist werden und eine Fontänenhöhe von hF = 7 m erreichen. Der Hochbehälter ist über ein Fallrohr (LF , DF ), eine Zuleitung (LZ , DZ ) und zwei Krümmer (ζK ) mit der Austrittsdüse (ζD ) verbunden. Zahlenangaben sind der Abb. zu entnehmen. Die Rohre sind innen glatt. Es soll bestimmt werden, wie groß die Höhe hB sein muss, damit hF = 7 m erreicht wird.
i 1y i 3y Widerstandszahlen:
pUmg
ζE = 0,5
hB = ?
ζK = 0,15 ζD = 0,2
LF = 7 m DF = 40 mm
ζK
i 2y
ζE
hF = 7 m Bezugsniveau
ζD , DD = 20 mm (DD : Austrittsdurchmesser) LZ = 50 m DZ = 40 mm
ζK
Abb. AB-7.1: Detailangaben zur Springbrunnen-Anlage; pUmg = Umgebungsdruck 1 - - - 2 - - - 3 : Weg des Fluides durch die Stromröhre
Lösung: Wie stets bei der Lösung strömungsmechanischer Probleme sollte man sich zunächst den physikalischen Hintergrund vergegenwärtigen. Dies führt im vorliegenden Fall auf folgende Überlegungen. Die Strömung am Austritt der Fontänendüse kommt zustande, weil dort gegenüber der Umgebung bei verschlossener Düse ein erhöhter Druck herrscht. Dieser erhöhte Druck entspricht dem hydrostatischen Druck ρ ghB , der durch den Hochbehälter aufgeprägt ist. Wird nun die Düse geöffnet, herrscht dort in der Ausströmung der Umgebungsdruck.11 Die Ausströmgeschwindigkeit nimmt
9.6 Anwendungsbeispiele AB-7 bis AB-9
99
dann den Wert an, bei dem die zugehörige spezifische kinetische Energie gerade der Differenz der spezifischen potentiellen Energie zwischen den um hB verschiedenen Höhenniveaus entspricht, vorausgesetzt, es tritt keine Dissipation auf. Für diesen Fall wäre die Lösung unmittelbar einsichtig: Es wäre hF = hB , die potenzielle Energie würde am Düsenaustritt vollständig in kinetische Energie umgesetzt und diese auf dem Weg des Wassers nach oben wieder in potenzielle Energie, bis das Wasser auf dem Scheitelpunkt der Fontäne die Geschwindigkeit null erreicht (und dann unter der Wirkung der Schwerkraft wieder nach unten fällt). Wenn nun Dissipation auftritt, wird ein Teil der potenziellen Energie „aufgezehrt“, d.h. in innere Energie verwandelt. Damit wird die spezifische kinetische Energie am Austritt geringer und als Folge davon gilt hF < hB . Um wie viel hB größer als hF sein muss, damit weiterhin hF = 7 m erreicht wird, kann konkret mit Hilfe der eindimensionalen Stromröhrentheorie ermittelt werden. Da Höhen gesucht sind, bietet es sich an, die Höhenform der erweiterten Bernoulli-Gleichung, (8.7) hier mit wt i j = 0, als Ausgangspunkt zu nehmen. In Abb. AB-7.1 ist der Weg des Fluides
als Strichlinie eingezeichnet. In Punkt 1iergibt die Kontinuitätsgleichung uS1 = 0, weil ein großer Behälter unterstellt wurde.12 Wendet man nun (8.7) auf den gesamten Fluidweg zwischen 1iund 3ian, so gilt wegen uS1 = uS3 = 0, p1 = p3 = pU mg : hB = hF + ϕ13 /g Im Zusammenhang mit (8.7) war der Term ϕi j /g als Verlusthöhe bezeichnet worden, was im vorliegenden Fall unmittelbar einsichtig ist: Durch Dissipation geht ein Teil von hB der „Rückgewinnung“ als Fontänenhöhe verloren. Zur Berechnung von ϕ13 werden die Geschwindigkeiten in der Leitung zwischen dem Hochbehälter und der Düse benötigt. Diese ergeben sich unmittelbar aus den geometrischen Verhältnissen, wenn die Düsenaustrittsgeschwindigkeit uS2 bekannt ist. Für diese folgt aus (8.7) zwischen den Quer, zwischen denen eine verlustfreie Strömung vorliegt (ϕ23 = 0), mit uS3 = 0 und schnitten 2iund 3i p2 = p3 = pU mg : u2S2 = hF ⇒ uS2 = 2ghF = 11,72 m/s 2g Diese Geschwindigkeit gilt in der Düsenaustrittsöffnung mit dem Durchmesser DD = 20 mm. In der Rohrleitung (Index: R) gilt dann aufgrund der Kontinuitätsgleichung (8.1) mit DF = DZ = DR : uSR AR = uS2 A2
⇒
uSR = uS2
D2D = 2,93 m/s D2R
Nun kann ϕ13 = ϕ12 (wegen ϕ23 = 0) mit dem Ansatz (9.4) aus den einzelnen Teilbeiträgen zusammengesetzt werden: u2SR 2 Dabei wurden die beiden Rohrstücke zusammengefasst, da sie denselben λR -Wert und denselben Durchmesser besitzen. Da hier alle Widerstandszahlen mit derselben Bezugsgeschwindigkeit uSR auftreten, kann u2SR /2 ausgeklammert werden. Insgesamt gilt damit: DD 4 hB = hF 1 + (ζE + λR (LF + LZ )/DR + 2ζK + ζD ) DR
ϕ13 = [ζE + λR (LF + LZ )/DR + 2ζK + ζD ]
Der Zahlenwert von hB kann bestimmt werden, wenn die Rohrreibungszahl λR bekannt ist. Diese kann für ein glattes Rohr aus Abb. AB-4.2 auf S. 60 abgelesen werden. Die dafür erforderlich Reynolds-Zahl ergibt sich im vorliegenden Fall zu Re = uSR DR /ν = 1,17 · 105 mit dem Zahlenwert
9 Inkompressible eindimensionale Stromröhrentheorie
100
ν = 10−6 m2 /s für Wasser aus Tabelle 2.1 auf S. 11. Die Reynolds-Zahl zeigt, dass eine turbulente Strömung vorliegt. Dies ist ein wichtiger Aspekte, weil die Bestimmung von ϕ13 auf der Basis von (9.4) nur für turbulente Strömungen gilt. Mit λR = 0,017 und den Zahlenwerten aus der Abb. ergibt sich hB = 18,04 m. Durch Reibungseffekte tritt hier also eine Verlusthöhe hB − hF = 11,04 m auf. A NWENDUNGSBEISPIEL AB-8: Bestimmung der Leistung eines Aufwindkraftwerkes Problem: In Abb. AB-8.1 sind die wesentlichen Elemente eines Aufwindkraftwerkes gezeigt, dessen Funktionsweise wie folgt beschrieben werden kann: Die Luft unter einem großen Foliendach wird von der Sonne erwärmt. Wegen der erhöhten Temperatur gegenüber der Umgebung sinkt die Dichte und es kommt zu Auftriebseffekten. Die aufsteigende warme Luft wird durch einen hohen „Schornstein“ nach oben geleitet und durchströmt dabei eine Turbine, die eine Leistung mw ˙ t 12 aufnimmt und diese mit einem Wirkungsgrad ηT nach außen abgibt. Es soll nun ermittelt werden, welche mechanische Leistung an der Turbinenwelle abgegeben wird, wenn sowohl die Reibungsverluste im Schornstein als auch die mechanischen Verluste in der Turbine berücksichtigt werden. Messungen ergeben maximale Strömungsgeschwindigkeiten im Schornstein von uS = 9 m/s (bei laufender Turbine, ohne Last werden bis zu 15 m/s gemessen). Die Innentemperatur ist in guter Näherung konstant und beträgt 45 ◦ C.
i 2y
uS = 9 m/s ti = 45◦ C ta = 25 ◦ C HS = 200 m DS = 10 m Foliendach
Turbine
i 1y y
DF = 250 m
Bezugsniveau p = p0
Abb. AB-8.1: Detailangaben zum Aufwindkraftwerk 1 2 - -: Weg des Fluides durch die Stromröhre 11
12
Am Strahlrand direkt hinter dem Düsenaustritt herrscht der Umgebungsdruck. Im Inneren des Strahls könnte nur dann ein anderer Druck herrschen, wenn die Strahlstromlinien entsprechend stark gekrümmt wären, weil nur dann Druckgradienten quer zum Strahl möglich wären. Damit herrscht in einem Strahl mit parallelen Stromlinien stets der Umgebungsdruck. Streng genommen gilt m˙ = ρ uS1 A1 , d.h. uS1 → 0 für A1 → ∞
9.6 Anwendungsbeispiele AB-7 bis AB-9
101
Lösung: Zunächst sollte man sich wieder die physikalischen Zusammenhänge vor Augen führen. Ausgehend von einem bestimmten Druckniveau in Bodennähe nimmt der Druck nach oben innerhalb des Schornsteins schwächer ab als außen, weil innen wegen der höheren Temperatur eine geringere Dichte herrscht. Bei den geringen Höhenunterschieden können hier hydrostatische anstelle von eigentlich erforderlichen aerostatischen Beziehungen verwendet werden. Im Sinne von (3.1) gilt innen p(y) = p0 − ρi gy und außen p(y) = p0 − ρa gy mit h = −y. Wenn der Schornstein oben geschlossen wäre, würde dort ein um (ρa − ρi )gHS erhöhter Druck gegenüber der Umgebung herrschen. Bei geöffnetem Schornstein liegt am Austritt aber der Umgebungsdruck auf der Höhe HS an. Es ist durch die dort jetzt vorhandene kinetische Energie, sowie durch den Verlust an mechanischer Energie durch Dissipation und vor allem durch die von der Turbine aufgenommen Energie zu einer Druckabsenkung gegenüber dem Fall eines ruhenden Fluides im Schornstein gekommen. Diese Zusammenhänge sind in der erweiterten Bernoulli-Gleichung erfasst, die zwischen den Querschnitten 1iund 2iangewandt werden kann. Dabei wird die kinetische Energie der Strömung am Eintritt 1ivernachlässigt, weil uS1 wegen des großen radialen Eintrittsquerschnittes nur sehr klein ist. In diesem Sinne ergibt (9.2), wenn die Dichte im Kraftwerk einheitlich ρi ist u2 p2 p0 = S+ + gHS − wt 12 + ϕ12 ρi 2 ρi HS Mit p2 = p0 − ρa gHS , wie oben bereits diskutiert, und ϕ12 = λR D S
u2S 2
gemäß (9.4) wird daraus
u2 ρa HS + S 1 + λR wt 12 = gHS 1 − ρi 2 DS oder anschaulicher geschrieben, da wt 12 negativ ist: ρi − ρa u2S H u2 |wt 12 | = gHS − − λR S S ρi 2 DS 2 Diese Gleichung zeigt, dass die spezifische technische Arbeit, die von der Turbine aufgenommen wird, der Differenz der spezifischen potenziellen Energien (innen und außen), vermindert um die spezifische kinetische Energie am Austritt und vermindert um die spezifische dissipierte Energie entspricht. Die hier benötigten Dichten folgen aus dem idealen Gasgesetz p/ρ = RT mit R als spezieller Gaskonstante und T als thermodynamischer Temperatur in Kelvin ({T } = {t} + 273,15). Das in obiger Gleichung benötigte Verhältnis ρa /ρi ist deshalb ρa /ρi = Ti /Ta = 1,067. Mit den angegebenen Werten und λR = 0,006 aus Abb. AB-4.2 auf S. 60 (bzw. der Näherungsbeziehung λR = 0,316/Re1/4 mit der hier vorliegenden Reynolds-Zahl Re = 8 · 106 ), ergibt sich für die vom Fluid an die Turbine abgegebene Leistung (mit ρi = 1,125 kg/m3 )
π mw ˙ t 12 = ρi uS D2S wt 12 = −68,63 kW 4 Diese Leistung zählt negativ, weil sie vom Fluid zwischen den Querschnitten 1iund 2iabgegeben wird. In wt 12 sind Verluste, die in der Turbine auftreten noch nicht berücksichtigt. Dies können einerseits Strömungsverluste sein, die mit einem isentropen Turbinenwirkungsgrad (typischer Wert: 0,85) erfasst werden (und damit formal in den Term ϕ12 gehören würden), andererseits aber auch mechanische Verluste, die ein zusätzlicher mechanischer Wirkungsgrad (typischer Wert: 0,98) erfasst. Dieser gibt an, wieviel der von der Turbine aufgenommenen Leistung an der Turbinenwelle abgegeben wird. Obwohl Dichteunterschiede hier eine entscheidende Rolle spielen, handelt es sich trotzdem um eine inkompressible Strömung (bei der einheitlichen Dichte ρi ), da entlang der Strömung keine entscheidenden Dichteänderungen auftreten. Ein solches Kraftwerk wurde 1989 in Monzanares/Spanien mit Unterstützung des Bundesforschungsministeriums errichtet. Die Turbine war für eine Leistung von 50 kW ausgelegt. Die Anlage konnte die prinzipielle Machbarkeit demonstrieren, wurde aber relativ kurz nach Inbetriebnahme
9 Inkompressible eindimensionale Stromröhrentheorie
102
wieder demontiert, nachdem der Turm in einem Sturm zerstört worden war. Unter den Stichworten „Aufwindkraftwerk, Monzanares“ sind im Internet Bilder und genauere Angaben zu finden. Planungen für deutlich größere Kraftwerke dieser Art sind bisher nicht realisiert worden, weil sich keine Geldgeber gefunden haben, die das hohe damit verbundene Risiko eingehen wollten. A NWENDUNGSBEISPIEL AB-9: Bestimmung der Kraft auf einen Umlenkbogen in einer Leitung Problem: In der in Abb. AB-9.1 gezeigten Gasleitung ist ein 180 ◦ -Krümmer eingebaut, mit dem Wasser abgeschieden werden kann. Der Krümmer besitzt die Masse m = 50 kg. Es soll nun geklärt werden, welche Kraft insgesamt von den Flansch-Schrauben aufgenommen werden muss, mit denen der Krümmer an beiden Seiten mit der Gasleitung verbunden ist. Lösung: Neben der reinen Gewichtskraft des Krümmers13 (mg = 490 N), müssen die FlanschSchrauben offensichtlich noch weitere, strömungsbedingte Kräfte aufnehmen. Diese entstehen, weil das Fluid im Krümmer um 180 ◦ umgelenkt wird und damit die Fluidelemente ihren Impuls ∆mv verändern. Zusätzlich herrscht in den beiden Krümmerquerschnitten der hohe Druck pG = 3 bar, während außen nur der Umgebungsdruck pUmg = 1 bar wirkt. Diese Kräfte können systematisch mit Hilfe der Impulsbilanz in Abschnitt 9.5 bestimmt werden. Wie dort ausgeführt wurde, muss zunächst ein der Fragestellung angepasster Kontrollraum gewählt sowie ein Koordinatensystem festgelegt werden. Die Wahl des Kontrollraumes muss so erfolgen, dass alle Wände, an denen zu berücksichtigende Kräfte auftreten, vom Kontrollraum erfasst werden. Im vorliegenden Beispiel gehört offensichtlich die Innenwand des Krümmers dazu, weil diese direkt mit der Strömung in Berührung kommt. Da aber auch die Wirkung des Umgebungsdruckes erfasst werden soll, muss auch die Außenwand des Krümmers vom Kontrollraum erfasst werden. Diese Überlegungen führen auf den eingezeichneten Kontrollraum, wobei die gebundenen Oberflächen durch eine strichpunktierte Linie und die freien Oberflächen durch eine gestrichelte Linie markiert sind.
uS = 100 m/s g
pG = 3 bar ρG = 2,5 kg/m3
D = 0,7 m
pUmg = 1 bar x
Abb. AB-9.1: Detailangaben zum Umlenkbogen; Masse des Umlenkbogens: m = 50 kg − · − · −: gebundene Kontrollraumoberfläche − − − −: freie Kontrollraumoberfläche
Im Sinne eines Koordinatensystems wird hier nur eine x-Koordinate eingeführt, da es wegen der Symmetrie der Anordnung offensichtlich nur zu Kräften in dieser einen Richtung kommt. 13
Hier soll die Gewichtskraft des Fluides im Krümmer vernachlässigt werden.
9.6 Anwendungsbeispiele AB-7 bis AB-9
103
Gemäß (9.15) lautet die Impulsbilanz in x-Richtung Aˆ
ρG uS dQ = −
p dAˆ x − Rx ,
Aˆ
die jetzt ausgewertet werden muss, um Rx als Kraft des Fluides (innen und außen) auf den Krümmer zu ermitteln. Bei der Auswertung der Integrale ist sorgfältig auf die Vorzeichen der Größen zu achten, die im Zusammenhang mit Vektoren auftreten. Diese sind im vorliegenden Fall:
uS als x-Komponente des Geschwindigkeitsvektors v = (u, v, w)
dAˆ x als Komponente des Oberflächenvektors dAˆ = (dAˆ x , dAˆ y , dAˆ z )
dQ als Skalarprodukt v · dAˆ
Rx als Komponente der Reaktionskraft R = (Rx , Ry , Rz )
Die verbleibenden Größen ρ und p sind skalare Größen und beide positiv. Jeweils mit der Orientierung an der Koordinate x in der Abb. gilt nun π π π ρG uS dQ = ρG uS −uS D2 + ρG (−uS ) uS D2 = −2ρG u2S D2 4 4 4 Aˆ
als Auswertung des Integrals im Ein- und Austrittsquerschnitt des Krümmers. Im Eintrittsquerschnitt zählt uS positiv (in Richtung der x-Koordinate) und der Volumenstrom dQ negativ (da einströmend). Im Austrittsquerschnitt zählt hingegen uS negativ (entgegen der x-Koordinate) und dQ positiv (ausströmend). Das zweite Integral ergibt: π π π p dAˆ x = −2 pG − D2 + pUmg D2 = 2(pG − pUmg ) D2 − 4 4 4 Aˆ
In beiden Querschnitten herrscht pG und dAˆ x zählt dort negativ (der Flächenvektor dAˆ ist nach außen gerichtet, hier also gegen die x-Richtung). Die Wirkung des Umgebungsdruckes kompensiert sich auf gegenüberliegenden Flächenelementen des Kontrollraumes, in denen pUmg herrscht. Damit verbleiben die beiden Flächen π4 D2 , auf der unteren Kontrollraumoberfläche, die dem Ein- bzw. Austritt gegenüberliegen, explizit zu berücksichtigen (weil diese keine gegenüberliegenden Flächen gleichen Druckes aufweisen). Dort herrscht der Druck pUmg und die Fläche π4 D2 zählt positiv (weil der nach außen gerichtete Flächenvektor dAˆ jetzt in die Richtung der x-Koordinate weist). Die Kraft des Fluides auf den Krümmer ist damit π D2 = 1,7318 · 105 N Rx = 2 ρG u2S + pG − pUmg 4 Damit gilt insgesamt für die Kraft, die von den Flansch-Schrauben aufgenommen werden muss: FFlansch = mg + Rx = 1,7367 · 105 N Darin macht die Gewichtskraft nur etwa 0,28 % aus. Bestimmt man die beiden strömungsbedingten Anteile getrennt, so ergibt sich, dass in diesem Fall, etwa 11 % auf die Impulsänderung (Strömungsumkehr) und entsprechend 89 % auf die Wirkung der Druckkräfte zurückgehen. Da in diesem Zusammenhang leicht Vorzeichenfehler auftreten können, sollte man auch die Zwischenergebnisse stets auf ihre physikalische Plausibilität hin überprüfen. Es wird empfohlen, dieselbe Rechnung noch einmal mit einer jetzt nach oben weisenden xKoordinate durchzuführen (um dann möglichst dieselbe Aussage zu erhalten ...).
9 Inkompressible eindimensionale Stromröhrentheorie
104
9.7 Illustrierende Beispiele IB-10, IB-11 I LLUSTRIERENDES B EISPIEL IB-10: Probleme bei der Balkonpflanzen-Bewässerung Ein namhaftes Unternehmen für Gartenzubehör bietet ein Bewässerungssystem an, das in Abb. IB10.1 gezeigt und (wie sich später herausstellte nur) für einen Betrieb in der Version A gedacht ist. Der Autor des Buches hat das System aber in einer Version B bei sich installiert und die Erfahrung machen müssen, dass der Wasserbehälter, nachdem die Pumpe abgeschaltet worden ist, jedes Mal fast leer läuft und die Pflanzen dabei nahezu „ertränkt“. Eine Analyse dieses strömungsmechanischen Phänomens ergibt, dass der entscheidende Unterschied zwischen den beiden Versionen A und B in der Lage der Tropfer relativ zur Wasseroberfläche im Vorratsbehälter besteht. Während die Tropfer in Version A oberhalb des Flüssigkeitsspiegels liegen, und damit die Zuleitungen nach Abschalten der Pumpe durch das Zurückfließen des Wassers leer laufen, ist dies in Version B nicht der Fall. Dort liegen die Tropfer unterhalb des Wasserspiegels und nach Abschalten der Pumpe (die offensichtlich die Zuleitungen dann nicht gegenüber dem Behälter absperrt) fließt weiterhin Wasser, bis der Wasserspiegel die Höhe des höchstgelegenen Tropfers erreicht. Aus strömungsmechanischer Sicht liegt hier das Auslaufen aus einem Behälter vor, dessen Öffnung um H unter dem Flüssigkeitsspiegel liegt. Die Anwendung der mechanischen Energiegleichung (8.7) auf dieses Problem ergibt für die Ausströmgeschwindigkeit
2g(H − ϕ /g) (IB-10.1) √ Für ϕ = 0 (Vernachlässigung der Dissipation auf dem Strömungsweg) gilt uS = 2gH, was zeigt, dass hier die Differenz der potenziellen Energien auf beiden Höhenniveaus in kinetische Energie umgewandelt wird (u2S /2 = gH). Solange H > 0 gilt, wird Wasser aus den Tropfern fließen.14 uS =
⎫ ⎪ ⎬
Zuleitungen
⎪ ⎭
Version A
Tropfer ⎫ ⎪ ⎬
H
⎪ ⎭
Version B
Wasserbehälter Pumpe Abb. IB-10.1: Balkonpflanzen-Bewässerungssystem: Über eine Pumpe wird Wasser aus dem Wasserbehälter gefördert und über zahlreiche Tropfer dosiert an die einzelnen Pflanzen abgegeben. 14
√ Die Beziehung uS = 2gH ist unter dem Namen Torricellische Ausflussformel bekannt (benannt nach Evangelista Torricelli, 1608 - 1647) stellt jedoch lediglich die Anwendung der Bernoulli-Gleichung auf die hier vorliegende Situation dar. Sie zeigt, dass die Ausflussgeschwindigkeit nur von H und somit weder von der Behälterform, der Ausströmrichtung noch von der Größe der Austrittsöffnung abhängt.
9.7 Illustrierende Beispiele IB-10, IB-11
105
Wie kann nun Abhilfe geschaffen werden? Pauschal gesagt dadurch, dass die Strömung unterbunden wird. Dies könnte durch ein Absperrventil geschehen, gelingt aber auch auf eine viel elegantere Art, die der Leser vielleicht zunächst selbst finden sollte (bevor er weiterliest). Die elegante Lösung: Wenn (mindestens) ein Tropfer um ∆H oberhalb der Wasserlinie angebracht wird, so liegt dort nach dem Abschalten der Pumpe ein Druck in der Leitung vor, der um ρ g∆H niedriger ist als der Umgebungsdruck. Dies hat aber zur Folge, dass Luft durch den Tropfer in die Zuleitung eindringt und damit dann die Austrittsöffnungen auf dem tiefen Niveau nicht mehr durch Wasser mit dem Wasserbehälter verbunden sind. Im konkreten Fall wurde das Problem durch einen Tropfer im Gefäß oberhalb des Wasserspiegels gelöst. Im regulären Betrieb wurde dadurch eine geringe Wassermenge in den Behälter zurückgefördert. Nach dem Abschalten der Pumpe wurde der Behälter aber wie beschrieben von den Zuleitungen getrennt. In einem Schriftverkehr mit dem eingangs erwähnten Unternehmen hieß es zunächst: „In der Tat sollten die Blumen höher als der Wasserstand im Wasservorratsbehälter sein. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Ihnen nach Beendigung des Bewässerungsvorgangs die Anlage selbstständig nachläuft. Dies ist physikalisch bedingt und kann nur dadurch behoben werden, indem die Pflanzen höher als der Wasserspiegel stehen.“ Nach beharrlichem Insistieren, dass es doch eine Lösung geben müsse, kam aber dann ein dem obigen Ansatz vergleichbarer Lösungsvorschlag. I LLUSTRIERENDES B EISPIEL IB-11: Strömungsablösung in Düsen (Grenzen der eindimensionalen Stromröhrentheorie) Eine sich stetig erweiternde Stromröhre wird ganz allgemein als Diffusor bezeichnet, eine sich stetig verengende Stromröhre wird Düse genannt. Die eindimensionale Stromröhrentheorie besagt, dass in Diffusoren ein stetiger Druckanstieg, in Düsen dagegen ein stetiger Druckabfall in Strömungsrichtung vorliegt. Dies folgt unmittelbar aus den Gleichungen (9.1) und (9.2), die für y = const und wt i j = 0, wie folgt kombiniert werden können: A2i ρ 2 p j − pi = ui 1 − 2 − ρϕi j (IB-11.1) 2 Aj , Ai > A j und In einer Düse gilt in Strömungsrichtung, also vom Querschnitt iizum Querschnitt ji damit p j − pi < 0. Die Tendenz zur Druckabnahme in Strömungsrichtung wird durch Dissipationseffekte noch verstärkt (da Dissipation einem Gesamtdruckverlust und damit auch einem zusätzlichen Druckverlust entspricht). In Abschnitt 2.3.3 war die Strömungsablösung definiert worden, die als sogenannte druckinduzierte Ablösung nur in Gebieten mit Druckanstieg auftreten kann. Nun kann man Ablösegebiete aber auch in Düsen finden, was nach der Aussage der eindimensionalen Stromröhrentheorie nicht sein dürfte (stetiger Druckabfall). Ein in Strömungsrichtung stetig abnehmender Druck, wie er auf der Basis der obigen Gleichung für Düsen vorausgesagt wird, lässt keine Strömungsablösung zu. Offensichtlich ist das physikalisch/mathematische Modell der eindimensionalen Stromröhrentheorie nicht in der Lage, diesen Aspekt einer Düsenströmung zu beschreiben.
9 Inkompressible eindimensionale Stromröhrentheorie
106
lokales Ablösegebiet
p
WandDruckverteilung Düsenachsen-
Abb. IB-11.1: Düsengeometrie und prinzipieller Druckverlauf längs der Wand sowie längs der Düsenachse
Abb. IB-11.1 zeigt, welcher von der eindimensionalen Stromröhrentheorie vernachlässigte Effekt zur beobachteten Strömungsablösung führt. An dem angedeuteten Stromlinienverlauf ist zu erkennen, dass die Stromlinien in der Nähe der Düsenwand relativ stark gekrümmt sind. Diese Stromlinienkrümmung hat aber einen Druckgradienten senkrecht zu den Stromlinien zur Folge. Im Zusammenhang mit der Druckverteilung in einem gleichmäßig rotierenden Fluid in Abschnitt 3.1.3 war bereits das Gleichgewicht der radialen Kräfte zu dm rω 2 = dp dA bestimmt worden, s. dazu Abb. 3.5 auf S. 35. Mit uS = Rω , dp = ∂∂ pr dr, dm = ρ dV und dV = dA dr wird daraus folgende Aussage zum lokalen Druckgradienten in Richtung einer Koordinate r, senkrecht zu einer der Stromlinien, die dort den lokalen Krümmungsradius R besitzt: u2 ∂p =ρ S (IB-11.2) ∂r R Dabei ist uS jetzt die Stromfadengeschwindigkeit auf der (gekrümmten) Stromlinie. Diese Beziehung zeigt, dass der Druck gegenüber demjenigen auf der (gerade verlaufenden) Achsenstromlinie dort größer ist, wo eine konkave Stromlinienkrümmung vorliegt und entsprechend kleiner wo eine konvexe Krümmung herrscht. Dies gilt, weil in Richtung von r im ersten Fall ein positiver und im zweiten Fall ein negativer radialer Druckgradient vorliegt und erklärt den in der Abb. eingezeichneten prinzipiellen Druckverlauf an der Wand im Vergleich zu demjenigen auf der Düsenachse. Bei hinreichend starken Wandkrümmungen können deshalb in der Nähe der Wand Gebiete mit Druckanstieg entstehen, die zur Strömungsablösung führen können. Solche Ablösungen wird man zu vermeiden versuchen, wenn eine möglichst störungsfreie Strömung am Düsenaustritt angestrebt wird.
107
10 Kompressible eindimensionale Stromröhrentheorie Der Ausgangspunkt für die Berechnung kompressibler Strömungen durch Stromröhren im Rahmen einer eindimensionalen Theorie sind die Kontinuitätsgleichung (8.1) und die Gesamtenergiegleichung (8.2). Anders als bei inkompressiblen Strömungen ist eine Aufspaltung von (8.2) in zwei Teilenergiegleichungen zunächst nicht sinnvoll, da beide Teilgleichungen gegenseitig gekoppelt sind und damit letztlich die Information der Gesamtenergiegleichung (8.2) benötigt wird. Lediglich wenn die spezifische Dissipation in solchen Strömungen bestimmt werden soll, muss auf eine der Teilenergiegleichungen zurückgegriffen werden, da ϕi j nur in diesen Teilgleichungen explizit auftritt. In diesem Kapitel sollen jedoch exemplarisch nur Strömungen untersucht werden, bei denen keine Energie mit der Umgebung ausgetauscht wird (wt i j = 0, qi j = 0) und in denen Reibungseffekte vernachlässigt werden können (ϕi j = 0). Aus thermodynamischer Sicht liegen damit sogenannte isentrope Strömungen vor, also Strömungen, bei denen die Entropie konstant bleibt.1 Da kompressible Strömungen (von extremen Ausnahmen abgesehen) nur bei Gasen vorkommen und häufig nur Drücke bis maximal 10 bar auftreten, können die dann in guter Näherung gültigen Gleichungen für ein sogenanntes ideales Gas Verwendung finden. Dies sind die thermische Zustandsgleichung p/ρ = RT , die sogenannte Isentropenbeziehung p/ρ κ = const mit κ = c p /cv als Isentropenexponent und die kalorische Zustandsgleichung h j − hi = c p (T j − Ti ) zwischen der spezifischen Enthalpie h und der thermodynamischen Temperatur T mit der als konstant unterstellten spezifischen Wärmekapazität c p . Damit gilt unter den zuvor genannten Voraussetzungen (wt i j = qi j = ϕi j = 0, ideales Gasverhalten) und yi = y j :2
ρi uSi Ai = ρ j uS j A j
(Kontinuitätsgleichung)
(10.1)
(Gesamtenergiegleichung)
(10.2)
(thermische Zustandsgleichung)
(10.3)
(Isentropenbeziehung)
(10.4)
2
uS j u2Si = c pTj + 2 2 pj pi = ρi Ti ρ j T j pj pi = κ ρiκ ρj
c p Ti +
Bei gegebener Stromröhrengeometrie (Ai , A j ) sind dies vier Gleichungen zur Bestimmung der vier Größen uS j , p j , T j und ρ j im Querschnitt jj , wenn diese vier Größen im Querschnitt ij bekannt sind. In der Gesamtenergiegleichung ist dabei von (8.2) nach (10.2) die hier zulässige Umformung e + p/ρ ≡ h = c p T eingeführt worden.3 1 2
3
Adiabate (qi j = 0) und reversible (ϕi j = 0) Zustandsänderungen verlaufen isentrop. Dies ist für horizontal angeordnete Stromröhren erfüllt, gilt aber auch in anderen Fällen im Sinne einer Vernachlässigung der spezifischen potenziellen Energie gegenüber den anderen auftretenden Energieformen. Streng genommen gilt h = c p (T − TB ) + hB , die Bezugsgrößen c p TB und hB fallen aber heraus, wenn Differenzen der spezifischen Enthalpie gebildet werden, wie dies in (10.2) der Fall ist.
10 Kompressible eindimensionale Stromröhrentheorie
108
Während eine inkompressible Strömung durch zwei Gleichungen beschrieben werden kann (z.B. durch (9.1) und (9.2)), kommen für kompressible Strömungen zwei weitere Gleichungen hinzu, weil die Dichte jetzt variabel ist und über die Temperaturabhängigkeit der Dichte auch die Temperatur einen Einfluss auf die Strömung besitzt.
10.1 Lösungsstrategie Um eine allgemeingültige Lösung zu erhalten bietet es sich an, die Gleichungen zunächst „geschickt“ zu entdimensionieren. Dazu stellt man sich vor, dass die Strömung aus einem sehr großen „fiktiven Kessel“ gespeist wird, d.h. in jedem beliebigen Querschnitt A(x) zustande kommt, weil die Stromröhre mit diesem fiktiven Kessel verbunden ist, der einen höheren Druck besitzt als die Umgebung, in die das Gas ausströmt. Ein solcher einheitlicher „Kesselzustand“ ist für die (stationäre) Strömung in jedem betrachteten Querschnitt maßgeblich, weil die Strömung insgesamt und damit auch bis zu dem jeweiligen Querschnitt reibungsfrei verlaufen soll. Es spielt deshalb keine Rolle, welcher Stromröhrenteil stromaufwärts vorliegt. Daraus folgt unmittelbar, dass der Kesselzustand als einheitlicher Bezugszustand für die Strömung in jedem beliebigen Querschnitt A(x) verwendet werden kann. Abbildung 10.1 zeigt die geschilderte Situation anhand einer bestimmten Stromröhre A(x). Tabelle 10.1 zeigt die entdimensionierten Größen, die durch ein Dachsymbol gekennzeichnet sind. Die Bezugsgrößen sind die charakteristischen Kesselgrößen pK , ρK , TK und uS,K∞ . Während pK , ρK und TK unmittelbar die Größen im Kessel darstellen und deshalb als Bezugsgrößen fungieren, liegt für die Geschwindigkeit eine etwas andere Situation vor. Da im Kessel Ruhe herrscht, gilt uS,K = 0. Als Bezugsgeschwindigkeit wird deshalb stattdessen (10.5) uS,K∞ = 2c p TK gewählt. Diese Größe entspricht der maximalen Geschwindigkeit, die mit einem Kesselzustand TK erreicht werden kann. Dazu müsste das Gas aus dem Kessel ins Vakuum strömen. Dies folgt aus (10.2) mit uS1 = 0, T1 = TK (Kesselzustand) und T2 = 0, uS2 = uS,K∞ (Vakuum). uS,K∞ =
2c p TK
p1 , ρ1 , T1 pK , ρK , TK uS,K = 0 AK → ∞
zu einem Kessel
uS2 , A2
uS1 , A1
1
gedachte Erweiterung
p2 , ρ2 , T2
x
Amin
zu berechnende Stromröhre
2
Umgebung (Vakuum)
Abb. 10.1: Stromröhrenberechnung mit Hilfe eines fiktiven Kesselzustandes (gedachte Erweiterung zu einem Kessel)
10.1 Lösungsstrategie
109
Tab. 10.1: Entdimensionierung bei kompressiblen Strömungen durch Stromröhren uS,K∞ = 2c p TK
uS
p
ρ
T
A
˙ m
uS
p pK
ρ ρK
T TK
A Amin
m˙
uS,K∞
ρK uS,K∞ Amin
In Abbildung 10.1 ist uS,K∞ deshalb außerhalb des Kessels eingezeichnet, weil uS,K∞ nicht im Kessel vorkommt, wohl aber eine charakteristische Geschwindigkeit für den Kessel darstellt. Durch elementare Umformungen lassen sich aus (10.2) bis (10.4) mit den Größen aus Tab. 10.1 folgende dimensionslose Gleichungen herleiten, wobei die nicht mehr indizierten Größen jetzt an einer beliebigen Stelle in der Stromröhre gelten: κ −1 uS = 1 − p κ (10.6)
ρ = T =
1
p κ p
(10.7)
κ −1 κ
(10.8)
Bisher wurde die Massenbilanz (10.1) noch nicht verwendet. Diese stellt den Zusammenhang zur konkreten Geometrie A(x) her und lautet mit uS und ρ gemäß den obigen Beziehungen: 1 κ −1 = const κ m˙ = ρ uS A = p (10.9) 1 − p κ A Dabei wird der Querschnitt A an jeder beliebigen Stelle x mit dem minimalen Stromröhrenquerschnitt Amin (siehe Abbildung 10.1) entdimensioniert, der Massenstrom m˙ mit ρK uS,K∞ Amin . Aus dieser zunächst seltsam erscheinenden Form der dimensionslosen Massenbilanz lassen sich zwei wichtige Schlüsse ziehen, wenn unterschiedliche Strömungen betrachtet werden, die durch unterschiedliche Umgebungsdrücke (bei festem Kesseldruck) zustande kommen:
Innerhalb jeder Stromröhre A(x) nimmt das Produkt ρ uS im engsten Querschnitt Amin stets seinen Maximalwert an. Dies folgt unmittelbar auch aus der dimensionsbehafteten Form ρ uS A = const. Dieser Maximalwert von ρ uS innerhalb einer Stromröhre wird bei einem hinreichend niedrigen Umgebungsdruck zu einem nicht überschreitbaren charakteristischen Maximalwert der Stromröhre, wenn im engsten Querschnitt gilt:
∗
p = p ≡
2 κ +1
κ κ −1
( p∗ = 0,528 für κ = 1,4 wie bei Luft )
(10.10)
= 1 und ergibt Dies folgt unmittelbar aus einer Extremwertbetrachtung bzgl. p in (10.9) mit A für den Maximalwert des dimensionslosen Massenstromes: ∗
˙ = m
2 κ +1
1 κ −1
κ −1 κ +1
∗
˙ = 0,259 für κ = 1,4 ) (m
(10.11)
10 Kompressible eindimensionale Stromröhrentheorie
110
Der mit ∗ versehene Zustand wird als kritischer Zustand bezeichnet, p∗ ist damit das sogenannte kritische Druckverhältnis. Eine genauere Analyse zeigt, dass im engsten Querschnitt bei diesem kritischen Druckverhältnis Ma = 1 herrscht, also Schallgeschwindigkeit vorliegt. Dieser Wert von p = p∗ kann im engsten Querschnitt nicht unterschritten werden und bestimmt damit den ˙ = m ˙ ∗ in der Stromröhre. maximal möglichen Massenstrom m Wird zunächst unterstellt, dass der engste Querschnitt den Austrittsquerschnitt in die Umgebung darstellt, dass es sich also um eine in Strömungsrichtung kontinuierlich enger werdende Stromröhre handelt, sind die Verhältnisse unmittelbar einsichtig: Der dimensionslose Druck pUmg am Austritt entspricht dann dem Verhältnis des Umgebungsdruckes pUmg zum Kesseldruck pK . Verstärkt man in Gedanken das Ausströmen aus dem Kessel ausgehend von pUmg = 1, d.h. der Umgebungsdruck pUmg entspricht dem Kesseldruck pK , durch Absenken des Umgebungsdruckes, so nimmt der ausströmende Massenstrom kontinuierlich zu, bis sein Maximalwert erreicht ist, wenn im engsten Querschnitt p = p∗ gilt. Auch ein weiteres Absenken des Druckes pUmg kann daran nichts ändern. Dies führt lediglich dazu, dass es nach Austritt des Strahles in die Umgebung zu sogenannten Nachexpansionen im Freistrahl kommt, ändert aber nicht den Massenstrom im engsten Querschnitt (bzw. in der gesamten Stromröhre). Wenn nach dem engsten Querschnitt mit p = p∗ in diesem Querschnitt in Gedanken jetzt eine sich aufweitende Stromröhrenverlängerung vorgesehen wird, so verändert dies die Zustände stromaufwärts des engsten Querschnittes nicht, weil eine stromabwärts erfolgende Veränderung im Strömungsfeld nicht gegen die im engsten Querschnitt herrschende Schallgeschwindigkeit stromaufwärts „zu spüren“ ist. Welche Strömungsverhältnisse treten aber jetzt in der stromabwärts vom engsten Querschnitt liegenden Stromröhrenerweiterung auf ? ˙ = m ˙ ∗ Die Antwort folgt unmittelbar aus der Lösung der Gleichungen (10.6) bis (10.9) mit m gemäß (10.11), die in der gesamten Stromröhre gilt. Diese Lösung ist für einen Wert κ = 1,4 (in guter Näherung gültig für Luft) in Abbildung 10.2 grafisch aufgetragen, gilt für eine stationäre Strömung mit einem konstanten (fiktiven) Kesselzustand und zeigt zunächst uS , ρ und T als Funktion des Druckverhältnisses p. Dabei ist p zwischen den Werten p = 1 (Kesselzustand) und p = 0 (Vakuum) von links nach rechts aufgetragen. Zwei weitere Kurven sind: = A
˙ ∗ m 1 κ −1 p κ 1 − p κ
(10.12)
˙ = m ˙ ∗ und gemäß (10.9) mit m Ma =
2 1−κ p κ − 1 κ −1
(10.13)
abgeleitet aus der Definition (2.8). p) unmittelbar der Geometrie Das Diagramm in Abb. 10.2 ist so angelegt, dass die Kurve A( entspricht. Am linken Rand liegt der fiktive Kessel ( p = 1, A = ∞). Abnehmende Werte von p entsprechen einem Fortschreiten in Strömungsrichtung, bis bei p∗ das kritische Druckverhältnis = 1) erreicht ist. Danach vergrößert sich der Querschnitt wieder und im engsten Querschnitt (A die Ma-Kurve zeigt, dass eine Überschallströmung vorliegt (Ma > 1). Die Abbildung macht deutlich, dass die Strömungsgrößen in einer konkreten Stromröhre durch die Größe der jeweiligen Querschnitte A(x) bestimmt sind.
10.2 Strömungsformen
111
U NTERSCHALLSTRÖMUNG
Ü BERSCHALLSTRÖMUNG
3
κ = 1,4
2
A 1 T Ma uS
ρ
0 1 (Kessel)
5 0,5
p
0 (Vakuum)
p∗ Abb. 10.2: Auswertung der Gleichungen (10.6) bis (10.9) und (10.12), (10.13) für κ = 1,4 (Luft) Für Werte κ = 1,4 verlaufen die einzelnen Kurven etwas anders.
10.2 Strömungsformen Zur Erreichung einer Überschallströmung ist offensichtlich eine Stromröhre erforderlich, die einen engsten Querschnitt aufweist. Eine solche Anordnung wird Laval-Düse4 genannt und stellt eine von wenigen Möglichkeiten dar, in einer Stromröhre eine Überschallströmung zu erzeugen. Damit in dieser Geometrie tatsächlich eine Strömung mit Ma = 1 im engsten Querschnitt und Ma > 1 stromabwärts davon auftreten kann, muss allerdings ein bestimmtes Druckverhältnis pUmg = pUmg /pK herrschen (pUmg : Druck in der Umgebung, in die das Gas ausströmt). Der erUmg = AUmg /Amin forderliche Zahlenwert von pUmg hängt vom Wert des Austrittsquerschnittes A ab (AUmg : Querschnittsfläche am Austritt in die Umgebung). Abbildung 10.3 zeigt die Verhältnisse an einer typischen Stromröhre mit konvergent-divergentem Querschnittsverlauf A(x). Bezüglich des Druckverhältnisses pUmg können vier verschiedene Bereiche ausgemacht werden, die in Abbildung 10.3 mit 1 bis 4 gekennzeichnet sind: 1 1 > pUmg > pUmgI : Es liegt eine reine Unterschallströmung vor; die Geschwindigkeit uS ist im engsten Querschnitt am größten, erreicht aber noch nicht die Schallgeschwindigkeit. Erst 4
de Laval, schwedischer Ingenieur, der auf der Weltausstellung 1893 in Chicago erstmals eine Turbine vorstellte, deren Schaufeln von heißem Dampf mit Überschallgeschwindigkeit angeströmt wurden.
10 Kompressible eindimensionale Stromröhrentheorie
112
Kessel x
pK
pUmg
p 1 A
p∗
1 B
C
pUmgI
2 pUmgII 3
C, D 0
D
pUmgIII
4
Verdichtungsstoß, Sprung in p (nicht-isentrop) Abb. 10.3: Prinzipielle Druckverläufe in einer konvergent-divergenten Stromröhre A: reine Unterschallströmung B: Unterschallströmung, bei der Ma = 1 im engsten Querschnitt erreicht wird C: Überschallströmung mit nicht isentropem Verdichtungsstoß in der Stromröhre, anschließend Unterschallströmung D: Überschallströmung bis zum Austritt
für pUmg = pUmgI wird im engsten Querschnitt (und nur an dieser Stelle) gerade Schallgeschwindigkeit erreicht. 2 pUmgI > pUmg > pUmgII : Im engsten Querschnitt wird Schallgeschwindigkeit erreicht, dahinter herrscht Überschallströmung mit einem Druck unterhalb des kritischen Druckes. Die Überschallströmung kann jedoch nicht bis zum Austritt in die Umgebung aufrechterhalten werden, weil der Umgebungsdruck dafür zu groß ist. Deshalb erfolgt zwischen dem engsten Querschnitt und dem Austrittsquerschnitt der „schlagartige“ Übergang auf eine Unterschallströmung in einem senkrechten Verdichtungsstoß. Eine solche Situation ist mit der Kurve C eingezeichnet. Die x-Position und die Stärke des Verdichtungsstoßes stellen sich dabei so ein, dass der Druck am Austritt der Stromröhre mit dem Umgebungsdruck übereinstimmt. Die punktierte Kurve zeigt die jeweiligen Werte von p direkt hinter dem Verdichtungsstoß. Die Strömungsverhältnisse über den Verdichtungsstoß hinweg sind nicht mehr isentrop, können also nicht auf der Basis von (10.1) bis (10.4) berechnet werden, weil die Isentropenbeziehung (10.4) nicht mehr gilt. Für pUmg = pUmgII befindet sich der senkrechte Verdichtungsstoß gerade im Austrittsquerschnitt. Die gepunktete Linie zwischen 2 und 3 markiert den Druck, der jeweils mit dem Verdichtungsstoß erreicht wird.
10.3 Anwendungsbeispiele AB-10, AB-11
113
3 pUmgII > pUmg > pUmgIII : Bei diesem sogenannten überexpandierten Strahl bleibt die Strömung in der Stromröhre unverändert wie im Fall pUmg = pUmgII , außerhalb der Stromröhre ist sie aber nicht mehr eindimensional und auch nicht mehr isentrop. Durch schräge Verdichtungsstöße und anschließende Expansionswellen erfolgt der Übergang auf eine Unterschallströmung in einem typischen Rombenmuster des Strahles. Bei pUmg = pUmgIII liegt gerade ein angepasstes Druckverhältnis vor, bei dem der Strahl nach dem Austritt (im Rahmen der getroffenen Annahmen) unverändert erhalten bleibt. 4 pUmgIII > pUmg : Bei diesem sogenannte unterexpandierten Strahl bleibt die Strömung in der Stromröhre ebenfalls unverändert wie im Fall pUmg = pUmgII , außerhalb der Stromröhre entsteht jetzt aber ein (nicht mehr zweidimensionales) Rombenmuster aus Expansions- und anschließenden Kompressionswellen. Die Zuordnung der Druckverläufe zur Geometrie in Abbildung 10.3 zeigt, dass die Zahlenwerte pUmgI , pUmgII und pUmgIII nicht universell sind, sondern davon abhängen, bis zu welchen Werten > 1 sich die Stromröhre erweitert. A
10.3 Anwendungsbeispiele AB-10, AB-11 A NWENDUNGSBEISPIEL AB-10: Undichtigkeit in einem Druckbehälter Problem: Ein Druckluftbehälter, der sich bei Umgebungstemperatur unter einem Druck von 6 bar befindet, weist eine Undichtigkeitsstelle von A = 2 mm2 auf. Es soll bestimmt werden, welcher Massenstrom dem Behälter entweicht und ob sich dieser Massenstrom verändert, wenn die Temperatur im Behälter ansteigt. In der Umgebung herrscht ein Druck pUmg = 1 bar. Lösung: Der im Allgemeinen als fiktiv unterstellte Kessel existiert hier real mit dem gegebenen Kesselzustand TK = 293 K (= Umgebungstemperatur) und pK = 6 bar. Das Druckverhältnis beträgt pUmg /pK = 16 < p∗ = 0,528, so dass in der Undichtigkeit als „engstem Querschnitt“ zwischen dem Kessel und der Umgebung Schallgeschwindigkeit herrscht (kritischer Zustand ∗). Für den Massenstrom gilt deshalb m˙ ∗ = ρ ∗ u∗S A. Diese Beziehung erfordert die kritische Dichte ρ ∗ und u∗S als Schallgeschwindigkeit im Austrittsquerschnitt. Aus (10.7) folgt mit p∗ = 0,528 und κ = 1,4 für Luft der Wert ρ∗ = 0,634 und somit ρ ∗ = 0,634ρK = 0,634 pK /RTK = 4,52kg/m3 . Dabei wurde das ideale Gasgesetz p/ρ = RT mit R = 287 m2 /s2 K für Luft verwendet. Für die Schallgeschwindigkeit u∗S gilt √ gemäß (2.8) für ein ideales Gas u∗S = κ RT ∗ . Mit T ∗ = T∗ TK , T∗ = 0,833 aus (10.8) und den bisher verwendeten Werten für κ und R gilt u∗S = 313,18 m/s. Damit folgt endgültig der gesuchte Wert m˙ ∗ = 2,83 · 10−3 kg/s, also etwa 3 Gramm pro Sekunde. ˙ ∗ gemäß (10.11) bestimmt werden können. In m˙ ∗ = 0,259 ρK uS,K∞ A Alternativ hätte m˙ ∗ auch mit m muss dann ρK = pK /RTK aus dem idealen Gasgesetz und uS,K∞ = 2c p TK gemäß (10.5) bestimmt √ werden. Damit gilt m˙ ∗ = 0,259 · 2c p ApK /R TK , was wiederum auf m˙ ∗ = 2,83 · 10−3 kg/s führt, √ wenn c p = 1 kJ/kgK für Luft eingesetzt wird. Aus dieser Beziehung für m˙ ∗ folgt m˙ ∗ ∼ pK / TK , so dass man vorschnell folgern könnte, m˙ ∗ würde bei ansteigender Temperatur sinken (es soll auch das Verhalten von m˙ ∗ bei ansteigender Temperatur bestimmt werden). Bei einer Veränderung der Temperatur bleibt jedoch nicht der Druck, sondern die Dichte konstant (Dichte = Masse/Volumen). √ Damit gilt, wenn pK = ρK RTK berücksichtigt wird, m˙ ∗ ∼ TK , der Massenstrom steigt also mit einer Erhöhung der Temperatur im Kessel an.
10 Kompressible eindimensionale Stromröhrentheorie
114
A NWENDUNGSBEISPIEL AB-11: Auslegung eines Überschallkanals Problem: Wie in Abb. AB-11.1 dargestellt, soll ein so genannter blow-down Kanal mit einem sehr großen Kessel so betrieben werden, dass für gewisse Zeiten in der Messstrecke eine Mach-Zahl Ma2 = 2 erreicht wird. Es soll bestimmt werden, wie groß der engste Querschnitt sein muss, wenn der Messquerschnitt A2 = 0,1 m2 und der Austrittsquerschnitt A3 = 0,08 m2 beträgt. Der Kanal soll so ausgelegt werden, dass im Austrittsquerschnitt A3 ein angepasstes Druckverhältnis herrscht, dass also am Austritt weder ein über- noch ein unterexpandierter Strahl vorliegt. Lösung: Im geschilderten Problem sind zunächst zwei Größen unbestimmt, die Querschnittsfläche Amin und der Kesseldruck pK . Wenn nun nach dem engsten Querschnitt eine Überschallströmung herrscht, so entscheidet allein die Geometrieform über den genauen Verlauf der Strömungsgrößen, also auch über den Verlauf der Mach-Zahl Ma. engster Querschnitt Amin =? 2i
tK = 20 ◦ C
3i pUmg = 1 bar
pK =?
Messstrecke Ma = 2
Abb. AB-11.1: Blow-down Überschallkanal
3
κ = 1,4 Ma = 2 2 = 1,72 A
2 A
Ma
3 = 1,38 A
1 T 0
ρ
us 1
0,5 pkrit
Abb. AB-11.2: Diagramm analog zu Abb. 10.2
0,195 0,13 0 p
10.4 Illustrierende Beispiele IB-12, IB-13
115
Die Forderung nach Ma2 = 2 in der Teststrecke legt also die Fläche Amin im Sinne eines bestimmten 2 = 1,72, so 2 = A2 /Amin fest. Aus dem Diagramm AB-11.2 folgt für Ma2 = 2 der Wert A Wertes A dass mit A2 = 0,1 m2 der Wert Amin = 0,058 m2 folgt. 3 = 1,38. Dieser 3 = A3 /Amin mit dem gegebenen Wert A3 = 0,08 m2 jetzt A Damit ergibt sich für A Wert ergibt im Diagramm in Abb. AB-11.2 für das Druckverhältnis p3 = pUmg /pK = 0,195, so dass mit pUmg = 1 bar der gesuchte Wert pK = 5,13 bar folgt, für den ein angepasstes Druckverhältnis vorliegt. In der Messtrecke herrscht ein Druck p2 = 0,13, also p2 = p2 pK√= 0,67 bar. Der Massenstrom durch die Messtrecke beträgt m˙ = ρ2 uS2 A2 . Mit Ma2 = 2 folgt uS2 = 2 κ RT2 , T2 = T2 TK = 0,54TK = Umgebungstemperatur). Dies ergibt mit κ = 1,4 und R = 287 m2 /s2 K 158,22 K mit TK = 293 K (= den Wert uS2 = 504 m/s. Die Dichte folgt aus dem idealen Gasgesetz zu ρ2 = p2 /RT2 , mit den zuvor bestimmten Werten für p2 und T2 also zu ρ2 = 1,475kg/m3 . Somit folgt für den Massenstrom m˙ = 74,36 kg/s. Wenn es nicht in kurzer Zeit zu einer deutlichen Absenkung des Kesseldruckes kommen soll, muss also eine große Luftmasse im Kessel vorhanden sein. Dies führt dazu, dass solche Kanäle entweder sehr große Kessel oder nur sehr kurze Messzeiten besitzen.
10.4 Illustrierende Beispiele IB-12, IB-13 I LLUSTRIERENDES B EISPIEL IB-12: Erzeugung eines instationären Massenstroms mit vorgegebenem m(t)-Verhalten ˙ in einem Massenstrom-Steuergerät Für Untersuchungen instationärer Strömungen ist es oft erforderlich, einen Massenstrom mit einem bestimmten „zeitlichen Profil“ m(t) ˙ zu erzeugen. An der Universität Erlangen-Nürnberg ist dazu ein Gerät entwickelt worden, das den definierten Massenstrom beim kritischen Zustand in einer Düse vom Laval-Typ ausnutzt.5 Den Kern des Gerätes stellt ein Kugelventil dar, das je nach Kugelstellung (s. die nachfolgende Abbildung) einen bestimmten ringförmigen Strömungsquerschnitt freigibt. Wenn nun das Druckverhältnis pN /pH < 0,528 (für κ = 1,4) gilt, d.h., wenn im engsten Querschnitt der kritische Zustand vorliegt (Ma = 1), so ist auch bei veränderlichen Werten von pN der Massenstrom m˙ stets der kritische Massenstrom. Dieser ist nur eine Funktion von pH , TH und der freigegebenen Ringfläche A. Wenn man pH und TH konstant hält, kann also durch eine horizontale Verlagerung der Kugel die Fläche A und damit der Massenstrom gezielt verändert werden. Somit lässt sich m(t) ˙ auf einfache Weise mit der Kugellage x(t) in Verbindung bringen. positionierbare Kugel
x
Hochdruckseite (pH ; TH )
Niederdruckseite (pN ; TN )
Abb. IB-12.1: Kugelventil mit kritischem Zustand im engsten Strömungsquerschnitt des Massenstrom-Steuergerätes
10 Kompressible eindimensionale Stromröhrentheorie
116
Abb. IB-12.2 zeigt das zeitliche Geschwindigkeitsprofil, das am Austritt der Niederdruckseite gemessen worden ist, wenn das Kugelventil so „programmiert“ wurde, dass eine sinusförmige Ausströmung der Frequenz f = 3 Hz mit einer mittleren Geschwindigkeit von 10 m/s erzeugt werden kann. Die starken Geschwindigkeitsschwankungen zeigen, dass es sich um eine (instationäre) turbulente Strömung handelt.
Geschwindigkeit / m/s
20
15
10
5
0 1,0 1,1
1,2
1,3
1,4
1,5
1,6
1,7
1,8
1,9
2,0
Zeit / s
Abb. IB-12.2: Geschwindigkeitsprofil am Austritt der Niederdruckseite
I LLUSTRIERENDES B EISPIEL IB-13: Flachwasser-Analogie Schallwellen in einem kompressiblen Fluid und Oberflächenwellen (wellenartige Auslenkung einer freien Oberfläche) in einem inkompressiblen Fluid weisen erstaunliche Gemeinsamkeiten auf.6 Beide besitzen eine ihr eigene Ausbreitungsgeschwindigkeit. Im Fall der Schallwellen ist dies die Schallge7 h besitzen eine Wellenausbreitungsschwindigkeit aS , Oberflächenwellen bei niedrigen Fluidtiefen √ geschwindigkeit (auch: Phasengeschwindigkeit) aO = gh. Ähnlich wie bei Schallwellen die Mach-Zahl als Verhältnis der Strömungsgeschwindigkeit zur Wellenausbreitungsgeschwindigkeit eingeführt wurde, s. (2.9), wird bei Oberflächenwellen in geringer Tiefe, den sogenannten Flachwasserwellen, die Froude-Zahl Fr =
5
uc uc =√ aO gh
Details in: Durst, F.; Heinz, U.; Ünsal, B.; Kulik, G. (2003): Massflowrate control system for time-dependent laminar and turbulent flow investigations, Measurement Science and Technology, 14, 893-902
10.4 Illustrierende Beispiele IB-12, IB-13
117
eingeführt (uc : charakteristische Strömungsgeschwindigkeit). In Analogie zur Unter- und Überschallströmung treten nun deutlich verschiedene Strömungsformen auf, je nachdem, ob Fr < 1 oder Fr > 1 gilt. Die üblichen Bezeichnungen sind Strömen bei Fr < 1 und Schießen bei Fr > 1. Beide Formen kann man vielfältig beobachten. Wenn man z.B. einen Wasserstrahl auf eine ebene Fläche auftreffen lässt (z.B. auf ein flaches Schneidebrett über einem Spülstein), so liegt in der √ näheren Umgebung des Strahlaufpralles der Zustand des Schießens √ vor, weil offensichtlich uc > gh gilt (eine Wassertiefe von 3 mm z.B. entspricht einem Wert aO = gh ≈ 0,17 m/s). In einiger Entfernung tritt aber gut erkennbar ein plötzlicher Wechsel in der Strömungsform auf. Dieser sogenannte Wechselsprung (auch: √ Deckwalze) markiert den Übergang zum Strömen mit deutlich größerer Wassertiefe und uc < gh, d.h. Fr < 1. Mit der Veränderung des Wassermassenstroms kann die Lage des Wechselsprunges nach innen oder außen verlagert werden, weil über die Beeinflussung der Wassertiefe aO verändert wird. Tab. IB-13.1 zeigt die Analogien zur kompressiblen Strömung. Der Wechselsprung entspricht dem Verdichtungsstoß bei kompressiblen Strömungen. Beide sind stark reibungsbehaftete (dissipative) Übergänge zwischen zwei Strömungsformen. Ähnlich wie eine kompressible Strömung nur dann in eine Überschallströmung wechselt, wenn durch die Geometrie der kritische Zustand in einem engsten Querschnitt auftritt (Laval-Düse) ist bei Flachwasserströmungen eine Bodenkontur erforderlich, die den freien Strömungsquerschnitt entsprechend einengt. In flachen Bachläufen ist diese Situation oftmals an Hindernissen im flachen Wasserlauf zu beobachten. Tab. IB-13.1: Analogie zwischen kompressiblen Strömungen und Flachwasserströmungen KOMPRESSIBLE
6
7
S TRÖMUNG
F LACHWASSERSTRÖMUNG
Ma < 1: Unterschallströmung
Fr < 1: Strömen
Ma > 1: Überschallströmung
Fr > 1: Schießen
Ma < 1 → Ma > 1 : spezielle Stromröhrengeometrie (Laval-Düse)
Fr < 1 → Fr > 1 : spezielle Bodengeometrie
Ma > 1 → Ma < 1 : Verdichtungsstoß (dissipativ)
Fr > 1 → Fr < 1 : Wechselsprung (dissipativ)
Wellen entstehen in einem ruhenden oder strömenden Fluid aufgrund von Störungen. Die daraus resultierende Wellenbewegung ist durch das Kräftegleichgewicht zwischen Trägheitskräften im Fluid und (zunächst ganz allgemeinen) Rückstellkräften gekennzeichnet. Im Fall von Schallwellen sind die Rückstellkräfte nicht von außen aufgeprägt, sondern entstehen aufgrund der Kompressibilität des Fluides. Bei Oberflächenwellen (sogenannte Schwerewellen) entstehen Rückstellkräfte im Fluid aufgrund der hydrostatischen Kräfte bei einer ungleichmäßigen Oberfläche. Die Ausbreitung von Wellen im Fluid mit einer dafür charakteristischen Geschwindigkeit ist die Folge molekularer Wechselwirkungen und ist unabhängig von einer u.U. im Fluid vorhandenen Strömungsgeschwindigkeit (dieser aber überlagert). Niedrige Fluidtiefen liegen vor, wenn typische Wellenlängen der Oberflächenwelle sehr viel größer als die Fluidtiefe sind.
119
Teil C2 Mehrdimensionale physikalisch/mathematische Modelle In den Kapiteln 8...10 wurden eindimensionale Modelle auf der Basis der eindimensionalen Stromröhrentheorie behandelt. Diese Modelle können eine Reihe von Effekten, die in realen Strömungen u.U. eine wichtige Rolle spielen, gar nicht oder nur in Form von pauschalen Beiwerten erfassen (wie z.B. den Reibungseinfluss in Form einer Widerstandszahl ζ ). Vielfach ist es deshalb erforderlich, eine genauere Modellierung zu finden, die dann vor allem dem Umstand Rechnung trägt, dass sich die einzelnen Strömungsgrößen in zwei bzw. drei Richtungen (Dimensionen) unterschiedlich entwickeln. Es reicht dann nicht mehr aus, wie bisher eine Geschwindigkeit uS zu bestimmen, sondern es muss der Geschwindigkeitsvektor v mit seinen drei Komponenten ermittelt werden. Ob dies in kartesischen, Zylinder-, Kugel- oder allgemeinen, krummlinigen Koordinaten geschieht, hängt von den geometrischen Verhältnissen ab.1 Im Rahmen dieses Buches werden nur zweidimensionale Strömungen (im Sinne der im Abschnitt 2.1.8 gegebenen Definition) ausführlich behandelt. Auf besondere Aspekte bei dreidimensionalen Strömungen wird aber ggf. hingewiesen. Im folgenden Kap. 11 wird die Motivation für das weitere Vorgehen im Teil C2 dieses Buches erläutert.
11 Physikalisch/mathematische Modelle mit und ohne Gebietszerlegung Wenn man die Entwicklung der Strömungsmechanik bezüglich der theoretischen Modellbildung betrachtet, so lassen sich grundsätzlich zwei Phasen ausmachen, die sich darauf beziehen, wie mit den seit weit mehr als 150 Jahren bekannten Grundgleichungen der Strömungsmechanik (Differentialgleichungen, siehe dazu das spätere Kap. 15) umgegangen wird.
eine „frühe Phase“ (etwa vor 1980): In dieser Zeit war die Entwicklung der numerischen Rechentechnik (Hardware und Software) noch nicht soweit entwickelt, dass die strömungsmechanischen Differentialgleichungen unmittelbar einer numerischen Lösung zugänglich gewesen wären. Deshalb hat man sich sehr intensiv um die Frage gekümmert, ob in bestimmten Teilen des gesamten Strömungsgebietes physikalisch begründete Vereinfachungen in der Modellierung möglich sind, die dann in diesen Gebieten zu Gleichungen führen, die gegenüber den vollständigen Gleichungen deutlich vereinfacht sind (und gelöst werden konnten). Ein wesentlicher Beitrag in diesem Sinne war die sogenannte Grenzschichttheorie, die auf Ludwig Prandtl zurückgeht. Sie wird anschließend zunächst kurz, und später ausführlicher erläutert.
eine „spätere Phase“ (etwa ab 1980): Seit fast drei Jahrzehnten gestattet es die intensive und erfolgreiche Hard- und Softwareentwicklung, immer komplexere technisch relevante Strömungsprobleme direkt durch die numerische Lösung der zugrunde liegenden Differentialgleichungen zu behandeln. Dabei wird das Strömungsgebiet als Ganzes betrachtet, ohne dass grundsätzlich eine Gebietszerlegung vorgenommen werden muss.
1
Die physikalisch/mathematischen Modelle können auch allgemein in vektorieller Form entwickelt werden. Für die Anwendung wird man die Vektorgleichungen aber wieder in ein bestimmtes Koordinatensystem „übersetzen“. Deshalb werden im vorliegenden Buch die Gleichungen von vorne herein in kartesischen und u.U. Zylinderkoordinaten geschrieben.
11 Physikalisch/mathematische Modelle mit und ohne Gebietszerlegung
120
Da die zuvor erwähnte Gebietszerlegung stets an physikalischen Eigenschaften des betrachteten Strömungsfeldes orientiert ist, kann und sollte man das daraus folgende Verständnis bzgl. der vorliegenden Strömungsphysik auch nutzen, um numerische Ergebnisse auf eine dem Problem angepasste Weise zu erzielen. Ein wesentlicher Aspekt in diesem Sinne ist eine angepasste Wahl des numerischen Gitters, auf dem die zugrunde liegenden Differentialgleichungen (näherungsweise) gelöst werden. Die grundsätzliche Alternative, entweder eine physikalisch begründete Gebietszerlegung vorzunehmen und in den einzelnen Gebieten vereinfachte Gleichungen zu lösen, oder im gesamten Gebiet die vollständigen Grundgleichungen zu lösen, ist nicht als ein einfaches „entweder/oder“ zu verstehen, sondern letztlich als eine gegenseitige Ergänzung. Beide Vorgehensweisen haben ihre Berechtigung, vor allem aber auch Anwendungsbereiche, in denen die jeweils andere Art der Problembehandlung weitgehend versagt. In diesem Sinne gilt Folgendes:
Eine Gebietszerlegung im Sinne der (anschließend näher beschriebenen) Grenzschichttheorie wird vorzugsweise bei Umströmungsproblemen mit sehr hohen Reynolds-Zahlen eingesetzt. Ein typisches Beispiel ist die Umströmung eines aerodynamischen Tragflügels zur Auftriebserzeugung.
Eine einheitliche numerische Lösung im gesamten Strömungsgebiet wird vorzugsweise bei Durchströmungsproblemen in komplexen Geometrien mit hohen Reynolds-Zahlen eingesetzt.
Abb. 11.1 zeigt diese beiden als typisch beschriebenen Beispiele, in denen durch eine dunkelgraue Schattierung angedeutet ist, wo ein nennenswerter Einfluss der Turbulenz vorliegt.2 Teilbild (a) lässt bereits erkennen, dass eine Gebietszerlegung sinnvoller Weise so vorgenommen wird, dass nur in einem Gebiet der Turbulenzeinfluss berücksichtig werden muss. Teilbild (b) zeigt, dass dies hier offensichtlich nicht möglich ist. (a) Re sehr groß
Tragflügelprofil
(b) Re groß
Innenraum mit Trennwand
Abb. 11.1: Typische Strömungsprobleme für eine physikalich/mathematische Modellierung (a) mit Gebietszerlegung; (b) ohne Gebietszerlegung dunkelgrau: Bereich mit nennenswertem Turbulenzeinfluss
2
Hier wird zunächst von turbulenten Strömungen ausgegangen. Bei laminaren Strömungen liegt eine ähnliche Situation vor, wobei dann anstelle der Turbulenz die Drehung im Strömungsgebiet betrachtet werden sollte.
11.1 Grenzschichttheorie: Eine hierarchische Gebietszerlegung
121
In Abb. 11.1 sind zwei typische Fälle aus der fast unendlichen Palette strömungsmechanischer Probleme gezeigt. In der Praxis wird die Entscheidung bezüglich der zu präferierenden Vorgehensweise nicht immer unter physikalischen Gesichtspunkten getroffen, sondern häufig danach, mit welcher Vorgehensweise man vertraut ist. Generell ist aber der Trend zu beobachten, „alles dem Computer zu überlassen“ und möglichst oft die vollständigen Grundgleichungen zu lösen. Dies ist aber durchaus kritisch zu sehen, weil damit oftmals ein „Glaube“ an die dann erzielten Ergebnisse einhergeht, und diese nicht mehr mit physikalischen Argumenten hinterfragt werden. Dies ist jedoch absolut erforderlich, um Fehlmodellierungen zu vermeiden. Beide Vorgehensweisen sollen im Rahmen des vorliegenden Buches vorgestellt werden. Die Reihenfolge entspricht der historischen Entwicklung der Strömungsmechanik, hat aber auch den Vorteil, dass zunächst die physikalisch motivierte Vorgehensweise erläutert wird, was zu einem besseren Verständnis der strömungsmechanischen Zusammenhänge führt.
11.1 Grenzschichttheorie: Eine hierarchische Gebietszerlegung In Abschnitt 2.3.2 waren Grenzschichten als wandnahe Strömungsbereiche definiert worden, in denen Reibungseffekte eine entscheidende Rolle spielen (während diese in größerer Entfernung von der Wand in guter Näherung vernachlässigt werden können). Eine genauere Analyse ergibt, dass diese Reibungseffekte im laminaren Fall mit dem Auftreten von Drehung (siehe dazu die Definition in Abschnitt 2.3.4) und im turbulenten Fall zusätzlich mit turbulenten Schwankungen verbunden sind. In Grenzschichten liegt damit eine drehungsbehaftete und u.U. turbulente Strömung vor, im Rest des Strömungsfeldes, in der sogenannte Außenströmung ist die Strömung drehungsfrei und damit auch ohne Turbulenz.3 Der physikalische Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Drehung in einer Strömung und Reibungseffekten wird später für die Strömung in den Grenzschichten genauer erläutert (Abschnitt 13.2.1). Hier soll zunächst nur das Phänomen beschrieben werden, dass ein wesentlicher Unterschied zwischen der Strömung in der Grenzschicht und im Außenfeld darin besteht, dass außen keine Drehung vorhanden ist. Diese Drehungsfreiheit der Außenströmung erlaubt eine deutliche Vereinfachung der Differentialgleichungen zur Beschreibung dieses Teils des Strömungsfeldes. Die Vereinfachungen in den Differentialgleichungen für die Strömung in den Grenzschichten ergeben sich aus der Tatsache, dass diese „extrem dünn“ sind und deshalb bestimmte Gradienten in Strömungsrichtung und quer dazu von verschiedener Größenordnung sind. In beiden Gebieten liegen damit deutlich vereinfachte Gleichungen vor, was dem eigentlichen Ziel einer physikalisch motivierten Gebietszerlegung entspricht. In den nachfolgenden Kap. 12 und 13 werden die Gleichungen für beide Gebiete bereitgestellt. Zuvor soll aber erläutert werden, wie die Lösungen in den beiden Teilgebieten (Grenzschicht, Außenströmung) zu einer Gesamtlösung kombiniert werden, weil dies das grundsätzliche Vorgehen im Zusammenhang mit der Grenzschichttheorie bestimmt. Abb. 11.2 zeigt links eine tatsächlich vorliegende Strömung in Wandnähe, in der stets die Haftbedingung gilt. In Wandnähe liegt ein starker Anstieg der Geschwindigkeit vor, der weiter außen in eine sich nur noch langsam verändernde Verteilung der Strömungsgeschwindigkeit übergeht. Geht man nun davon aus, dass diese Strömung näherungsweise mit Hilfe der Grenzschichttheorie beschrieben werden kann, so sind dafür folgende Schritte erforderlich, die gleichzeitig die 3
„nicht turbulent“ heißt nicht automatisch „laminar“. Wie sich zeigen wird, gibt es Strömungsmodellierungen, in denen weder ein molekularer noch ein turbulenter Impulsaustausch auftreten, bei denen deshalb die Kategorien „laminar“ oder „turbulent“ gar nicht vorkommen (vgl. dazu die Definition in Abschnitt 2.1.4)
11 Physikalisch/mathematische Modelle mit und ohne Gebietszerlegung
122
Außenströmung bis zu Wand (drehungsfrei)
reale Gesamtströmung
Modellierung
Grenzschicht (drehungsbehaftet)
+
zuviel addiert
−
δ
uU¨
uW
uW
uW
Abb. 11.2: Hierarchische Gebietszerlegung der Grenzschichttheorie ◦: Übergangsbedingung zwischen beiden Gebieten
Art der Gebietszerlegung beschreiben: 1. Bestimmung der drehungsfreien Außenströmung bis zur Wand, also im gesamten(!) Strömungsgebiet. Aus dieser Lösung kann eine fiktive Geschwindigkeit uW an der Wand bestimmt werden, die näherungsweise der Geschwindigkeit uU¨ der realen Strömung am Übergang von der Grenzschicht in die Außenströmung entspricht. In der Abbildung sind diese Geschwindigkeiten jeweils durch einen Kreis markiert. 2. Mit Hilfe der im vorigen Schritt ermittelten Wandgeschwindigkeit uW wird die Grenzschicht berechnet, wobei uW als Außenrandbedingung vorgegeben wird. 3. Beide Geschwindigkeitsfelder werden im gesamten Feld addiert und anschließend wird der zuviel addierte Anteil uW wieder abgezogen. Bei dieser Vorgehensweise fügt man die beiden Teilgebiete nicht einfach aneinander (engl.: patching), sondern wählt den beschriebenen Weg, der als Anpassung der Grenzschicht an die Außenströmung bezeichnet wird (engl.: matching). Damit umgeht man die Notwendigkeit einer simultanen Lösung in beiden Gebieten, da die Außenströmung beim „patching“ erst berechnet werden könnte, wenn die Dicke der Grenzschicht bekannt wäre, diese aber über die Außenrandbedingung von der Außenströmung abhängt. Wie Abb. 11.2 zeigt, ist uW = uU¨ , so dass man mit dem beschriebenen Vorgehen einen Fehler macht. Dieser wird aber für steigende Reynolds-Zahlen stets kleiner und stellt einen sogenannten asymptotisch kleinen Fehler dar, weil δ → 0 für Re → ∞ gilt (δ : Grenzschichtdicke).4 Insgesamt liegt eine hierarchische Gebietszerlegung vor, weil man zunächst die drehungsfreie Außenströmung (um den ganzen Körper) und anschließend die Grenzschicht in dem schmalen Gebiet unmittelbar in Wandnähe berechnen muss. Dies setzt aber voraus, dass die Grenzschicht 4
In einer erweiterten Theorie, der sogenannten Grenzschichttheorie höherer Ordnung kann man diesen Fehler jedoch systematisch korrigieren, s. z.B.: Gersten, K.; Herwig, H. (1992): Strömungsmechanik/Grundlagen der Impuls-, Wärme- und Stoffübertragung aus asymptotischer Sicht, Vieweg Verlag, Braunschweig
11.1 Grenzschichttheorie: Eine hierarchische Gebietszerlegung
123
nicht ablöst, weil andernfalls mit der anfänglichen Vernachlässigung des Grenzschichtbereiches nicht mehr ein nur asymptotisch kleiner Fehler gemacht würde. Abb. 2.6 auf S. 22 zeigt im rechten Teilbild die Strömungsablösung an einem Kreiszylinder. Dabei entsteht im Nachlaufbereich ein großes Gebiet einer drehungsbehafteten Strömung, das die Strömung im Außenbereich mehr als nur „asymptotisch gering“ beeinflusst. Die drehungsfreie Strömung um den Kreiszylinder kann dann nicht mehr der erste Schritt zu einer Grenzschichtlösung des Gesamtproblems sein. Aufwändige Versuche einer angepassten physikalisch motivierten Gebietszerlegung bei abgelösten Strömungen führen nicht wirklich zum Ziel. Alternativ können solche Strömungen sehr viel effektiver mit numerischen Lösungen der Grundgleichungen (einheitlich im gesamten Strömungsfeld) behandelt werden, wie dies in Teilbild (b) der Abb. 11.1 auf S. 120 für komplexe Durchströmungen gezeigt worden war.
125
12 Reibungsfreie Umströmung von Körperoberflächen Reibungseffekte treten bei Strömungen hoher Reynolds-Zahlen nur in einem wandnahen Bereich auf und können deshalb im Sinne der Grenzschichttheorie in einem ersten Schritt vernachlässigt werden.1 Die dann aufzustellenden Gleichungen für eine vollständige reibungsfreie Strömung können aber die Haftbedingung an der Körperoberfläche nicht erfüllen, sondern unterliegen nur der ersten der beiden in Abschnitt 2.3.1 definierten Strömungsrandbedingungen, der sogenannten kinematischen Randbedingung (in der Regel: keine Durchströmung einer undurchlässigen Wand). Wie später genauer erläutert wird, sind reibungsfreie Strömungen nicht per se drehungsfrei (eine Eigenschaft, die im vorigen Kapitel für die Außenströmung im Zusammenhang mit der Grenzschichttheorie postuliert worden war). Drehungsfreie Strömungen stellen vielmehr einen (wichtigen) Sonderfall reibungsfreier Strömungen dar, der in Abschnitt 12.3 behandelt wird. Zuvor sollen die allgemeinen Grundgleichungen für reibungsfreie Strömungen bereitgestellt werden.
12.1 Grundgleichungen für reibungsfreie Strömungen (Euler-Gleichungen) Dem methodisch induktiven Charakter dieses Buches folgend werden die benötigten Gleichungen nicht systematisch aus allgemeinen Grundgleichungen abgeleitet (die wiederum physikalisch begründet aufgestellt werden müssten), es soll aber der physikalische Hintergrund so anschaulich wie möglich erläutert werden. Bevor dies für die Grundgleichungen zur Beschreibung reibungsloser Strömungen geschieht, muss zunächst der Rahmen (im Sinne eines geeigneten Koordinatensystems) bereitgestellt werden, in dem diese wie auch alle nachfolgenden, erweiterten Gleichungen formuliert werden können. 12.1.1 Das ortsfeste Koordinatensystem (Eulersche Betrachtungsweise) Wie bereits im Zusammenhang mit (9.14) auf S. 96 erläutert worden war, entstehen die strömungsmechanischen Grundgleichungen auf der Basis der Gesetzmäßigkeiten, die generell für physikalische Systeme gelten. Dies sind im Wesentlichen die (axiomatischen) Prinzipien der Massen-, Impuls- und Energieerhaltung.2 In der klassischen Mechanik sind diese Prinzipien für eindeutig identifizierbare Körper oder idealisiert für sogenannte Punktmassen aufgestellt worden. Eine unmittelbare Übertragung dieser Gesetzmäßigkeiten auf Strömungen bedeutet also, dass einzelne Fluidelemente im Sinne dieser Aussagen zur Massen-, Impuls- und Energieerhaltung „herausgegriffen“ und, da sie in Strömungen nicht ortsfest sind, auf ihrem Weg durch das Strömungsfeld verfolgt werden müssen. Eine solche Vorgehensweise, die Lagrangesche Betrach1
2
Diese Aussage trifft allerdings auf Durchströmungen mit großen Lauflängen, wie z.B. der Rohrströmung, nicht zu, so dass diese Strömungen in einem späteren Kapitel (Kap. 14) gesondert betrachtet werden. Diese Grundprinzipien sind nicht „beweisbar“ und auch nicht aus übergeordneten Prinzipien abzuleiten. Sie sind in diesem Sinne nicht zu verifizieren, könnten aber in ihrer postulierten Allgemeingültigkeit durch ein „Gegenbeispiel“ falsifiziert werden, s. dazu auch: Popper, K.R. (1984): Logik der Forschung, Mohr-Verlag.
12 Reibungsfreie Umströmung von Körperoberflächen
126
tungsweise genannt wird, ist im Bereich der Strömungsmechanik nur in Ausnahmefällen sinnvoll (nur dann, wenn auch das Verhalten identifizierbarer Fluidelemente von Interesse ist). Sie liefert aber, wenn das betrachtete Fluidelement die Masse ∆m besitzt, sehr anschauliche Aussagen z.B. zur Massen- und Impulserhaltung:3 D (∆mv) D ∆m =0; = ∑ Fi (12.1) Dt Dt Darin sind D.../Dt die sogenannten substantiellen Zeitableitungen, die angeben, wie ein mit ∆m verbundener Beobachter die zeitliche Veränderung der jeweils betrachteten Größe (Masse ∆m bzw. Impuls ∆mv ) wahrnimmt. In den meisten strömungsmechanischen Problemen interessiert jedoch, wie sich bestimmte Größen an einer festen Stelle im Strömungsfeld verändern. Diese ortsfeste Betrachtung wird Eulersche Betrachtungsweise genannt. Sie ist mit der Lagrangeschen Betrachtungsweise über folgende Transformation der substantiellen Zeitableitung D.../Dt verbunden, wenn für die Eulersche Betrachtungsweise ein kartesisches Koordinatensystem gewählt wird:
D... ∂ ... ∂ ... ∂ ... ∂ ... +v +w +u = Dt ∂t ∂x ∂y ∂z (1)
(12.2)
(2)
Eulersche Betrachtungsweise (ortsfest) Lagrangesche Betrachtungsweise (teilchenfest) Dieser zunächst kompliziert wirkende Zusammenhang wird aber sofort verständlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass es aus ortsfester Sicht zwei Ursachen für die zeitliche Veränderung gibt, die ein teilchenfester Beobachter als Veränderung D.../Dt wahrnimmt: (1) An einer festen Stelle verändert sich die betrachtete Größe mit der Zeit im Sinne einer instationär veränderlichen Zustandsgröße. Diese Veränderung wird lokale Zeitableitung genannt. Wenn ein Fluidteilchen ∆m unbeweglich an dieser festen Stelle verharrt (v = (u, v, w) = 0) nimmt auch der teilchenfeste Beobachter nur diese zeitliche Veränderung wahr und es gilt D.../Dt = ∂ .../∂ t. (2) An einer festen Stelle bestehen Gradienten ∂ .../∂ x, ∂ .../∂ y und ∂ .../∂ z der betrachteten Größe. Wenn nun ein Fluidteilchen ∆m an dieser festen Stelle die Geschwindigkeit v = (u, v, w) besitzt, so bewegt es sich in eine bestimmte Richtung, in der sich die betrachtete Größe wegen der Gradienten dieser Größe verändert. Diese Veränderung nimmt ein teilchenfester Beobachter als zeitliche Veränderung u ∂ .../∂ x + v ∂ .../∂ y + w ∂ .../∂ z wahr. Diese wird konvektive Zeitableitung genannt. Wenn das Teilchen sich in einem zeitunveränderlichen Feld (stationäres Feld) bewegt, nimmt der teilchenfeste Beobachter nur diese zeitliche Veränderung wahr und es gilt D.../Dt = u ∂ .../∂ x + v ∂ .../∂ y + w ∂ .../∂ z. 3
Der Impuls ist dann eine Erhaltungsgröße, wenn nicht nur das System, sondern zusätzlich auch die Umgebung betrachtet wird. In dieser wirken Reaktionskräfte Fi , so dass de facto nur Impuls mit der Umgebung ausgetauscht wird und der Gesamtimpuls (System + Umgebung) erhalten bleibt.
12.1 Grundgleichungen für reibungsfreie Strömungen (Euler-Gleichungen)
127
Im allgemeinen Fall, dass sich ein Fluidteilchen in einem zeitlich und räumlich veränderlichen Feld bewegt, gelten beide Ursachen gleichzeitig und (12.2) beschreibt den Zusammenhang zwischen der teilchen- und der ortsfest beschriebenen Veränderung einer betrachteten Größe im Strömungsfeld. In Abb. 12.1 ist der Übergang von der teilchenfesten zur ortsfesten Betrachtungsweise noch einmal veranschaulicht. Die Grundgleichungen der Strömungsmechanik basieren auf den teilchenbezogenen Aussagen zur Massen-, Impuls- und Energieerhaltung, vgl. (12.1) für die Massen- und Impulserhaltung, werden aber in der Regel (und in diesem Buch ausschließlich) in einer ortsfesten Eulerschen Betrachtungsweise formuliert. Wo dies der Fall ist, tauchen Termgruppen auf, die der rechten Seite von (12.2) entsprechen.4 12.1.2 Euler-Gleichungen (2D) In einer Strömung müssen alle Fluidteilchen den fundamentalen Forderungen (12.1) nach der Massen- und Impulserhaltung gehorchen. Die Besonderheit der reibungsfreien Strömungen besteht darin, dass als Kräfte Fi in der Impulserhaltungsgleichung nur Volumenkräfte (hier zunächst nur die Schwerkraft) und Druckkräfte (infolge von Normalspannungen an den Fluidelementen) aber keine viskosen Scherkräfte (infolge von Tangentialspannungen) auftreten.
∂ .../∂ x ∂ .../∂ y ∂ .../∂ z
D.../Dt
∂ .../∂ t (a) teilchenfester Beobachter Langrangesche Betrachtungsweise
(b) ortsfester Beobachter Eulersche Betrachtungsweise
Abb. 12.1: Übergang von der Lagrangeschen zur Eulerschen Betrachtungsweise (a) ein teilchenfester Beobachter registriert die substantielle zeitliche Veränderung D.../Dt (b) ein ortsfester Beobachter registriert zunächst nur die lokale zeitliche Veränderung ∂ .../∂ t; die konvektiv bedingte Veränderung u ∂ .../∂ x + v ∂ .../∂ y + w ∂ .../∂ z muss zusätzlich berücksichtigt werden, wenn D.../Dt bestimmt werden soll. Es ist zu beachten, dass der ortsfeste Beobachter stets andere Teilchen sieht. 4
Gelegentlich werden diese formal durch D.../Dt ersetzt. Dies ist dann aber nur ein Platzhalter für die Summe aus den lokalen und konvektiven Ableitungen.
12 Reibungsfreie Umströmung von Körperoberflächen
128
Die beiden Bilanzen (12.1) ergeben, angewandt auf ein infinitesimal kleines Fluidelement die folgenden drei Differentialgleichungen (eine für die skalare Größe ∆m = ρ ∆V und zwei für die beiden Komponenten ∆mu = ρ u∆V und ∆mv = ρ v∆V des Impulsvektors ∆mv) für ein zweidimensionales physikalisch/mathematisches Modell:5
∂ ρ ∂ (ρ u) ∂ (ρ v) + + ∂t ∂x ∂y ∂u ∂u ∂u +u +v ∂t ∂x ∂y ∂v ∂v ∂v +u +v ∂t ∂x ∂y
=
0
1 ρ 1 = gy − ρ =
gx −
(12.3)
∂p ∂x ∂p ∂y
(12.4) (12.5)
Diese Modellgleichungen sind die sogenannten kompressiblen Eulergleichungen. Dabei sind gx und gy die Beträge der x- bzw. der y-Komponente des Erdbeschleunigungsvektors g. Wenn die Dichte ρ in Form der thermischen Zustandsgleichung ρ (T, p) eingesetzt wird, muss noch die Energiegleichung als Differentialgleichung für die thermodynamische Temperatur T hinzugenommen werden. Dann liegt ein System aus vier Gleichungen für u(x, y), v(x, y), p(x, y) und T (x, y) vor, das im Allgemeinen aber nur numerisch gelöst werden kann. Dazu sei auf die Spezialliteratur verwiesen.6 Die beiden Terme auf der rechten Seite von (12.4) und (12.5) kann man mit Hilfe des sogenannten modifizierten Druckes pmod zusammenfassen.
D EFINITION: Modifizierter Druck pmod Wenn von der Druckverteilung p in einem Strömungsfeld (v = 0) die Druckverteilung pst des statischen Feldes (v = 0) subtrahiert wird, verbleibt der modifizierte Druck (der genau genommen eine Druckdifferenz darstellt) pmod = p − pst
(12.6)
In einem Strömungsfeld sind Werte pmod = 0 dann ausschließlich eine Folge der Strömung und nicht mehr Ausdruck einer überlagerten hydro- oder aerostatischen Druckverteilung. Aus der vektoriellen Beziehung grad pst = ρg, die besagt, dass der Druck in einem ruhenden Fluid in Richtung von g proportional zu ρ anwächst (vgl. dazu (3.1) auf S. 29), folgt für die rechten Seiten von (12.4) und (12.5) gx −
5
6
1 ∂ pmod 1 ∂p =− ; ρ ∂x ρ ∂x
gy −
1 ∂ pmod 1 ∂p =− ρ ∂y ρ ∂y
(12.7)
Die Erweiterung auf dreidimensionale Modellgleichungen ist ohne weiteres möglich, unterbleibt hier aber, weil die wesentlichen Aussagen auch für ebene (2D) Strömungen getroffen werden können. Für Details der Herleitung s.z.B. Herwig, H. (2006): Strömungsmechanik, 2. Aufl., Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg , Kap. 4 und Kap. 8 Siehe dazu z.B. Ferziger, J. H.; Peric, J. (2002): Computational Methods for Fluid Dynamics, Springer-Verlag, Berlin
12.2 Einführung der Stromfunktion
129
Für eine inkompressible (ρ = const) und stationäre (∂ .../∂ t = 0) Strömung vereinfachen sich die Gleichungen (12.3) bis (12.5) dann zu7
2D-Euler-Gleichungen (stationär, inkompressibel)
∂u ∂v + ∂x ∂y
= 0
u
∂u ∂u +v ∂x ∂y
= −
u
∂v ∂v +v ∂x ∂y
= −
(Kontinuitätsgleichung)
(12.8)
1 ∂ pmod ρ ∂x
(x-Impulsgleichung)
(12.9)
1 ∂ pmod ρ ∂y
(y-Impulsgleichung)
(12.10)
Dies ist ein System aus drei Differentialgleichungen für die drei Größen u(x, y), v(x, y) und pmod (x, y). Die Temperatur hat, wie stets bei inkompressiblen Strömungen, keinen Einfluss auf das Strömungsfeld. Auch dieses Gleichungssystem kann im Allgemeinen nur numerisch gelöst werden. Dazu sind dann Randbedingungen für u, v und p erforderlich. Wie bereits erwähnt, sind reibungsfreie Strömungen nicht notwendigerweise drehungsfrei. Dies erkennt man sehr deutlich, wenn (12.9) und (12.10) zunächst nach y bzw. x abgeleitet und anschließend gleichgesetzt werden (auf beiden rechten Seiten erscheint dann einheitlich ∂ 2 p/∂ x∂ y). Mit der Drehung ω = ∂ v/∂ x − ∂ u/∂ y gemäß (2.6) auf S. 24 entsteht dann u
∂ω ∂ω +v =0 ∂x ∂y
(12.11)
Diese Form wird Wirbeltransportgleichung genannt. Daran ist unmittelbar erkennbar, dass z.B. eine drehungsbehaftete Strömung mit ω = const = 0 eine Lösung der Euler-Gleichungen ist. Als Spezialfall gilt ω = const = 0, so dass auch drehungsfreie Strömungen diese Eigenschaft besitzen. Bevor diese drehungsfreien Strömungen genauer beschrieben werden, soll aber noch die sogenannte Stromfunktion eingeführt werden, die ganz allgemein zur Beschreibung von Strömungen dienen kann und anschließend verwendet wird.
12.2 Einführung der Stromfunktion Bereits in Abschnitt 2.2.2 waren Stromlinien eingeführt worden, mit denen ein Geschwindigkeitsfeld anschaulich charakterisiert werden kann. Der genaue Verlauf der Stromlinien kann aus den zugrunde liegenden Gleichungen mathematisch ermittelt werden, wenn diese statt der Geschwindigkeitskomponenten die sogenannte Stromfunktion Ψ als gesuchte Größe enthalten.
7
In einem Koordinatensystem, in dem die x-Koordinate in Richtung von g weist gilt gx = g. Für u = 0, v = 0 reduziert sich das System (12.8) - (12.10) auf die Aussage ∂ pmod /∂ x = 0 bzw. ρ g = ∂ p/∂ x. Daraus folgt dp = ρ gdx bzw. p = p0 + ρ gx mit p0 = p(x = 0), vgl. (3.1) auf S. 29 mit h anstelle von x.
12 Reibungsfreie Umströmung von Körperoberflächen
130
D EFINITION: Stromfunktion Ψ(x, y) bzw. Ψ(x, r) Die Stromfunktion zur Beschreibung eines zweidimensionalen Geschwindigkeitsfeldes mit den Geschwindigkeitskomponenten u, v in x, y (kartesische Koordinaten) bzw. x, r (Zylinderkoordinaten) ist eine Funktion mit den Eigenschaften •
u(x, y) =
bzw. •
u(x, r) =
∂ Ψ(x, y) ∂y 1 ∂ Ψ(x, r) r ∂x
; ;
∂ Ψ(x, y) ∂x 1 ∂ Ψ(x, r) v(x, r) = − r ∂r
v(x, y) = −
(12.12) (12.13)
Da die Stromfunktion über ihre ersten (partiellen) Ableitungen definiert ist, liegt sie nur bis auf eine frei wählbare Konstante fest. Linien Ψ = const sind Stromlinien, wie sie bisher schon vielfach in Strömungsdarstellungen eingetragen worden sind.8,9 Für den Massenstrom pro Breite, m/B, ˙ zwischen zwei Stromlinien Ψ1 = const und Ψ2 = const ergibt eine einfache Integration im ebenen Fall m˙ = ρ (Ψ2 − Ψ1) (12.14) B Die Differenz zweier Stromfunktionswerte ist also ein unmittelbares Maß für den (auf die Breite bezogenen) Massenstrom zwischen den beiden Stromlinien. Abb. 12.2 zeigt die Stromlinienfelder von zwei verschiedenen Strömungen mit offensichtlich sehr „einfachen“ Lösungen Ψ = ay − bx bzw. Ψ = axy. Beide Lösungen sind drehungsfrei, wie man leicht an der allgemeinen Beziehung (erhalten nach Verwendung von (12.12))
(a)
Ψ = const = axy → u = ax ; v = −ay
(b) y
y v
u v
u
x
x SP
Ψ = const = ay − bx → u = a; v = b Abb. 12.2: Zwei Beispiele für Stromlinienfelder (a) Homogene Strömung (b) Strömung in der Umgebung eines Staupunktes SP 8
9
Da eine Funktion Ψ(x,y,z) = const in einem dreidimensionalen Feld eine Ebene beschreibt, erfordert die Ermittlung des Stromlinienverlaufes bei dreidimensionalen Strömungen die Bestimmung von zwei Stromfunktionen ΨI und ΨII . Stromlinien sind dann die Schnittlinien der Flächen ΨI = const und ΨII = const. ∂ y und Bei kompressiblen Strömungen lautet die entsprechende Definition z.B. in kartesischen Koordinaten ρ u = ∂ Ψ/ ∂x ρ v = −∂ Ψ/
12.3 Drehungsfreie Strömungen (Potenzialströmungen)
ω≡
131
2 ∂v ∂u ∂ Ψ ∂ 2Ψ − =− + = −∆Ψ ∂x ∂y ∂ x2 ∂ y2
(12.15)
durch Einsetzen von Ψ erkennen kann. In (12.15) ist ∆ der sogegannte Laplace-Operator, der in kartesischen Koordinaten ∆... = ∂ 2 .../∂ x2 + ∂ 2 .../∂ y2 lautet. Der mathematische und physikalische Hintergrund solcher drehungsfreier Lösungen der Euler-Gleichungen wird im folgenden Abschnitt beschrieben.
12.3 Drehungsfreie Strömungen (Potenzialströmungen) Eine genauere Analyse, wie Drehung in einem Strömungsfeld entsteht, zeigt Folgendes:
Drehung kann im Strömungsfeld weder erzeugt noch vernichtet werden.10
Drehung kann an Berandungen des Strömungsfeldes entstehen und dann anschließend durch Diffusion oder Konvektion ins Innere des Strömungsfeldes gelangen.
Für die Entstehung von Drehung an der Berandung eines Strömungsfeldes sind molekulare Prozesse verantwortlich, die in reibungsfreien Strömungen nicht vorhanden sind (aber die Physik von Grenzschichten bestimmen).
Die im Weiteren interessierende Außenströmung im Rahmen der Grenzschichttheorie ist damit eine drehungsfreie Strömung. Solche Strömungen sind mathematisch relativ einfach zu beschreiben, weil sie ein sogenanntes Potenzial besitzen und deshalb Potenzialströmungen genannt werden. 12.3.1 Bestimmungsgleichungen für Potenzialströmungen Potenzialströmungen sind wie folgt definiert.
D EFINITION: Potenzialströmungen Strömungen, die ein Potenzial Φ(x, y) bzw. Φ(x, r) mit der Eigenschaft • u(x, y) bzw. •
u(x, r)
= =
∂ Φ(x, y) ∂x 1 ∂ Φ(x, r) r ∂x
; ;
∂ Φ(x, y) ∂y 1 ∂ Φ(x, r) v(x, r) = r ∂r v(x, y) =
(12.16) (12.17)
besitzen, heißen Potenzialströmungen.
10
Streng genommen gilt dies nur für Strömungen mit konstanter Dichte (die hier betrachtet werden), da eine Dichteschichtung im Fluid zur Entstehung von Drehung im Feld führen kann, wie dies z.B. bei geophysikalischen Strömungen der Fall ist.
12 Reibungsfreie Umströmung von Körperoberflächen
132
Für drehungsfreie Strömungen kann die Existenz eines solchen Potenzials mathematisch einfach nachgewiesen werden, weil die Drehungsfreiheit in diesem Zusammenhang genau einer allgemeinen Eigenschaft des vollständigen Differentials der Potenzialfunktion entspricht.11 Mit der Potenzialfunktion Φ(x, y) lautet die Kontinuitätsgleichung (12.8), die stets erfüllt sein muss,
∂ 2Φ ∂ 2Φ + 2 ≡ ∆Φ = 0 ∂ x2 ∂y
(12.18)
Dies ist die Differentialgleichung zur Bestimmung der Funktion Φ(x, y), wobei ∆ wieder der bereits zuvor eingeführte Laplace-Operator ist. Die mathematische Form der Differentialgleichung wird Laplace-Gleichung genannt. Die Lösung von (12.18) ergibt zunächst Φ(x, y) und nach der partiellen Ableitung gemäß (12.16) dann das Strömungsfeld u(x, y), v(x, y) . Alternativ kann auch die Bedingung ω = −∆Ψ = 0, vgl. (12.12), in der Form
∂ 2Ψ ∂ 2Ψ + 2 ≡ ∆Ψ = 0 ∂ x2 ∂y
(12.19)
für die Stromfunktion Ψ(x, y) einer drehungsfreien Strömung gelöst werden, um daraus zunächst Ψ(x, y) und nach der partiellen Ableitung gemäß (12.12) dann wiederum das Strömungsfeld u(x, y), v(x, y) zu ermitteln. Beide Lösungen sind gleichwertig. Aus der Bedingung u = ∂ Φ/∂ x = ∂ Ψ/∂ y und v = ∂ Φ/∂ y = −∂ Ψ/∂ x folgt mathematisch, dass Linien Φ = const stets senkrecht zu den Linien Ψ = const verlaufen. Zusammen mit den entsprechenden Randbedingungen können (12.18) bzw. (12.19) gelöst werden, was im allgemeinen Fall wiederum nur mit numerischen Methoden möglich ist.12 Man kann sich bestimmte Lösungen aber auch durch ein geschicktes Ausnutzen der Tatsache verschaffen, dass die Gleichungen für Φ bzw. Ψ lineare Gleichungen sind, wie im nächsten Abschnitt gezeigt wird. Wenn das Geschwindigkeitsfeld bekannt ist, folgt das Druckfeld formal aus der Integration der Ausgangsgleichungen (12.9) und (12.10). Sehr viel einfacher ist die Bestimmung des Druckes entlang von Stromlinien, wenn dazu die Bernoulligleichung (8.6) entlang des zugehörigen Stromfadens ausgewertet wird. Mit ϕi j = 0, wt i j = 0 und der zusätzlichen Annahme yi ≈ y j gilt pi +
ρ 2 ρ u = p j + u2S j 2 Si 2
Legt man ijstromaufwärts eines umströmten Körpers, wo pi = p∞ und uSi = u∞ = const herrschen soll, kann daraus mit p und uS an einer beliebigen, nicht indizierten Stelle auf der betrachteten Stromlinie wie folgt ein Beiwert cp gebildet werden: cp ≡ 11
12
2 p − p∞ pmod uS = = 1 − ρ 2 ρ 2 u u u ∞ 2 ∞ 2 ∞
(12.20)
dΦ = ∂ Φ/∂ xdx + ∂ Φ/∂ ydy ist dann und nur dann ein vollständiges Differential, wenn ∂ 2 Φ/∂ x∂ y = ∂ 2 Φ/∂ y∂ x gilt. Daraus folgt mit (12.16) ∂ v/∂ x = ∂ u/∂ y, also ω = 0. Die Existenz eines vollständigen Differentials wiederum ist die notwendige Voraussetzung dafür, dass Φ eine Zustandsgröße ist, die durch Integration auf beliebigen Integrationswegen bestimmt werden kann. Aus mathematischer Sicht handelt es sich um elliptische Differentialgleichungen, die in Gebieten mit geschlossenen Rändern gelöst werden können, wenn auf diesen entweder der Funktionswert selbst (Dirichletsche Randbedingungen) oder seine Normalenableitung (Neumannsche Randbedingungen) bekannt ist.
12.3 Drehungsfreie Strömungen (Potenzialströmungen)
133
Ist die betrachtete Stromlinie mit der Wand identisch (Wandstromlinie), so wird auf diese Weise unmittelbar die Wanddruckverteilung bestimmt. Die dimensionslose Größe c p wird Druckbeiwert genannt. Dieser besitzt im Staupunkt den Wert c p = 1 und ist an allen anderen Stellen im Strömungsfeld kleiner als Eins. Die Druckverteilung ist z.B. an Tragflügeln entscheidend am Zustandekommen des Auftriebs beteiligt. Wenn nur der Auftrieb und nicht der Widerstand interessiert, kann dieser auf der Basis einer reibungsfreien Strömung bereits in sehr guter Näherung berechnet werden, ohne dass anschließend noch eine Grenzschichtrechnung „nachgeschaltet“ werden müsste. Soll allerdings auch der Widerstand des Tragflügels ermittelt werden, so ist dazu die anschließende Berechnung der Strömungsgrenzschicht in unmittelbarer Wandnähe erforderlich. 12.3.2 Elementare und zusammengesetzte Potenzialströmungslösungen Die folgenden Aussagen beziehen sich auf die Potenzialgleichung (12.18) zur Bestimmung von Φ(x, y), gelten aber analog auch für (12.19). Während die Euler-Gleichungen nichtlineare Differentialgleichungen sind (z.B. tritt ein Term u∂ u/∂ x = 12 ∂ u2 /∂ x auf), handelt es sich bei den Laplace-Gleichungen zur Berechnung von Potenzialströmungen um lineare Gleichungen. Wegen dieser Linearität gilt das sogenannte Superpositionsprinzip.
Superpositionsprinzip für Potenzialströmungen Wenn Φ1 und Φ2 Lösungen der Potenzialgleichung ∆Φ = 0 sind, so gilt dies auch für Φ = a1 Φ1 + a2Φ2 , wobei a1 und a2 Konstanten sind. Unter Anwendung dieses Prinzips können komplexe Lösungen durch Überlagerung von einfachen Elementarlösungen aufgebaut werden. Es ist dabei allerdings zu beachten, dass eine auf diese Weise zusammengesetzte Lösung auch die Randbedingungen des ursprünglichen (komplexen) Problems erfüllen muss. Im Zusammenhang mit der Überlagerung von Elementarlösungen gilt das Wandstromlinienprinzip.
Wandstromlinienprinzip für Potenzialströmungen Jede nicht durchströmte Wand eines Körpers entspricht einer Stromfläche. Umgekehrt kann jede Stromfläche eines Stromlinienfeldes, das der Potenzialgleichung ∆Φ = 0 gehorcht, zu einer Wand erklärt werden. Anschließend können die Stromlinien innerhalb des so erzeugten Körpers ignoriert werden. Die Anwendung beider Prinzipien wird implizit in den nachfolgenden Anwendungsbeispielen erläutert. Als Elementarlösungen stehen dabei die in Tab. 12.1 zusammengestellten fünf Einzellösungen zur Verfügung. Bei diesen Elementarlösungen kann nach sogenannten regulären und singulären Lösungen unterschieden werden. Singuläre Lösungen weisen in mindestens einem Punkt des Strömungsfeldes Unendlichkeitsstellen auf, die dann selbst nicht zum Lösungsgebiet gehören.
12 Reibungsfreie Umströmung von Körperoberflächen
134
Solche Singularitäten sind in Tab 12.1 Quellen bzw. Senken und Punkte mit endlicher Zirkulation. Quellen und Senken sind dabei Punkte, in denen endliche Volumenströme pro Breite freigesetzt werden (Q > 0, Quelle) bzw. dem Feld entnommen werden (Q < 0, Senke). Es gilt Q = V˙ /B mit V˙ als Volumenstrom und der Breite B senkrecht zur Zeichenebene. Um die Wirkung der Potenzialwirbel zu verstehen, muss zunächst die Zirkulation Γ definiert werden.
D EFINITION: Zirkulation Die skalare Größe Zirkulation Γ eines Ausschnittes A aus einem Strömungsfeld mit der Umschließungskurve C ist das Linienintegral Γ=
v · ds
(12.21)
C
mit v als Geschwindigkeit und s als Ortsvektor auf C. Die physikalische Bedeutung von Γ wird deutlich, wenn das Linienintegral über C nach einer hier zulässigen mathematischen Operation in ein Flächenintegral über die von C umfahrene Fläche A umgewandelt wird. Dann gilt: Γ=
ω dA
(12.22)
A
Damit ist Γ ein Maß für die im Gebiet A insgesamt enthaltene Drehung ω . Abb. 12.3(a) veranschaulicht diese Zusammenhänge am Beispiel eines allgemeinen (regulären) Strömungsfeldes.
(a)
(b) s A
y
dA
v
A2 A1
Randkurve C
x
Abb. 12.3: Ausschnitt A aus einem ebenen Strömungsfeld. In den infinitesimalen Flächenelementen dA herrscht die lokale Drehung ω (a) allgemeines reguläres Strömungsfeld (b) singuläres Strömungsfeld des Potenzialwirbels der Stärke Γ (A1 → Γ1 = Γ ; A2 → Γ2 = 0)
12.3 Drehungsfreie Strömungen (Potenzialströmungen)
135
R EGULÄRE L ÖSUNGEN
Tab. 12.1: Elementarlösungen der Potenzialtheorie Qualitativer Verlauf der Potenzial- und Stromlinien
S TRÖMUNG
P OTENZIALLINIEN
S TROMLINIEN
Translationsströmung:
y
y
Φ Ψ u v
= = = =
u∞ x + v∞ y u∞ y − v∞ x u∞ v∞
Staupunktströmung: a Φ = (x2 − y2 ) 2 Ψ = axy u = ax v = −ay
S INGULÄRE L ÖSUNGEN
Quellströmung: Q 2 Φ= ln x + y2 2π Q y Ψ= arctan 2π x x Q u= 2π x2 + y2 y Q v= 2π x2 + y2
x
x
y
y
x
x
y
y
x
x
aÄ Q : Quellstarke
Potenzialwirbelströmung: Γ y arctan 2π x Γ 2 Ψ=− ln x + y2 2π y Γ u=− 2π x2 + y2 x Γ v= 2π x2 + y2 Φ=
y
y
x
x ¡ : Zirkulation
Dipolströmung: x M 2π x2 + y2 y M Ψ=− 2π x2 + y2 M y2 − x2 u=− 2π (x2 + y2 )2 2xy M v=− 2π (x2 + y2 )2 Φ=
y y
x M : Dipolmoment
x
12 Reibungsfreie Umströmung von Körperoberflächen
136
Tab. 12.2: Qualitativer Stromlinienverlauf bei der Zusammensetzung von Elementarlösungen H∞ : Abstand der Trennstromlinien für |x| → ∞ ; H∞ = Q/u∞
Translation, u∞
Quelle y H∞
x
Translation, u∞
Senke y H∞
Translation, u∞
x
Quelle/Senke
y x
Translation, u∞
Dipol
y x
12.4 Anwendungsbeispiele AB-12, AB-13
137
Wie kann nun mit der Potenzialwirbelströmung (Tab. 12.1) ein Wert Γ in einer (drehungsfreien!) Potenzialströmung auftreten? Die Antwort lautet: gar nicht, weil Γ im ausgeschlossenen singulären Punkt des Potenzialwirbels konzentriert ist (und damit auf der Fläche A = 0 mit ω = ∞ einen endlichen Wert Γ realisiert). Abb. 12.3 (b) zeigt das Strömungsfeld eines Potenzialwirbels. Jeder Ausschnitt A1 , der den Ursprung mit Γ enthält, besitzt insgesamt die Zirkulation Γ1 = Γ. Dagegen ergibt eine Auswertung von (12.22) über einer Fläche A2 , die den Ursprung des Potenzialwirbels nicht enthält Γ2 = 0. In Tab. 12.2 sind vier Beispiele für die Überlagerung von Elementarlösungen qualitativ dargestellt. Dort ist erkennbar, wie durch das „Zusammenrücken“ von Quelle und Senke der Dipol entsteht und die Trennstromlinie die Form eines Kreises annimmt. Diese Lösung entspricht der Potenzialströmung um einen Kreiszylinder, wenn die Trennstromlinie gemäß des Wandstromlinienprinzips „zur Wand erklärt“ wird. Die Strömung innerhalb des Kreises ist dann physikalisch nicht interpretierbar und wird ignoriert.
12.4 Anwendungsbeispiele AB-12, AB-13 A NWENDUNGSBEISPIEL AB-12: Potenzialströmung um den Kreiszylinder, Vergleich mit der Realität Problem: Die Potenzialströmung um einen Kreiszylinder zeigt ein Stromlinienbild, das offensichtlich deutlich von demjenigen realer Strömungen um dieselbe Geometrie abweicht, wie ein Vergleich mit der Skizze in Abb. 2.6 auf S. 22 zeigt. Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass in der realen Strömung ein großes Ablösegebiet hinter dem angeströmten Kreiszylinder entsteht. Diese (druckinduzierte) Ablösung war in Abschnitt 2.3.3 als Grenzschichtphänomen beschrieben worden. Potenzialströmungen vernachlässigen aber genau diese Grenzschichten bzw. sind der erste Schritt auf dem Weg zu einer Lösung, die auch Grenzschichten und ihre Auswirkungen auf die Strömung umfassen. Wie in Abschnitt 11.1 ausgeführt worden war, ist dieser nächste Schritt aber dann nicht möglich, wenn (wie hier) große Ablösegebiete auftreten. Die Frage ist deshalb, ob die Potenzialströmung um den Kreiszylinder überhaupt etwas mit einer realen Kreiszylinderumströmung gemeinsam hat. Dies soll anhand der Wanddruckverteilung untersucht werden. Lösung: Bei der Überlagerung der Translations- und Dipolströmungsfelder entsteht, wie in Tab. 12.2 im rechten unteren Bild gezeigt, eine kreisförmige Trennstromlinie. Ihr Radius R ist offensichtlich von der Stärke des Dipolmomentes M abhängig und ergibt sich aus der Bedingung, dass der vordere Staupunkt x = −R dort liegen muss, wo die x-Komponente der Geschwindigkeit des Dipols gerade beträgt. Aus Tab. 12.1 folgt daraus mit y = 0, dass u = −u∞ = −M/2π R2 gilt, woraus sich −u∞ R = M/2π u∞ ergibt. Die Überlagerung der Geschwindigkeitsfelder u∞ und u, v aus der Dipolströmung führt auf das Geschwindigkeitsfeld der Potenzialströmung um den Kreiszylinder. In Zylinderkoordinaten folgt daraus nach einigen Umrechnungen für den Druckbeiwert c p , (vgl. (12.20)): cp =
p − p∞ 2 ρ 2 = 1 − 4 sin ϑ u ∞ 2
(12.23)
wobei ϑ = 0 im vorderen Staupunkt gilt. Abb. AB-12.1 zeigt diese Verteilung über dem Winkel ϑ . Zusätzlich sind zwei reale Druckverteilungen eingezeichnet, die bei zwei verschiedenen Situationen auftreten, und zwar bei der sogenannten
unterkritischen Umströmung des Kreiszylinders. Die noch laminare Grenzschicht löst bei etwa ϑ = 90 ◦ ab und es entsteht ein großes Ablösegebiet.
überkritischen Umströmung des Kreiszylinders. Die bereits turbulente Grenzschicht löst erst bei etwa ϑ = 120 ◦ ab und es entsteht ein deutlich kleineres Ablösegebiet.
12 Reibungsfreie Umströmung von Körperoberflächen
138
Der Vergleich der potenzialtheoretischen Druckverteilung mit den realen Werten des Druckes in Abb. AB-12.1 zeigt
eine gute Übereinstimmung nur im Bereich des vorderen Staupunktes (bis etwa ϑ = 50 ◦ )
eine sehr schlechte Übereinstimmung im Bereich der Strömungsablösung
eine insgesamt bessere Übereinstimmung bei überkritischer Umströmung, weil diese mit ihrem Stromlinienbild qualitativ näher am potenzialtheoretischen Fall liegt als die unterkritische Umströmung
1 reibungsfrei (Potenzialtheorie)
cp 0
überkritisch
−1 unterkritisch
ϑ
−2
−3 0◦
90 ◦
180 ◦
270 ◦
ϑ
360 ◦
Abb. AB-12.1: Druckbeiwerte am Kreiszylinder, Vergleich zwischen realen Strömungen und der potenzialtheoretischen Lösung
A NWENDUNGSBEISPIEL AB-13: Bestimmung des Seitenwindes auf einer Autobahn Problem: Eine Autobahn, die rechts und links von Böschungen begrenzt ist, liegt in einem Gebiet, in dem oftmals starker Seitenwind herrscht. Es soll nun unter der Annahme, dass die Seitenwindströmung näherungsweise durch eine Potenzialströmung modelliert werden kann, bestimmt werden, wieviel Prozent des auf der Böschung herrschenden Seitenwindes u∞ noch auf der Fahrbahnmitte (im ) vorhanden sind. Die geometrischen Verhältnisse sind Abb. AB-13.1 zu entnehmen. Punkt Ai Lösung: Da die Potenzialgleichungen linear sind, ist davon auszugehen, dass für die gesuchte Geschwindigkeit uA gilt uA ∼ u∞ , so dass „nur noch“ der Proportionalitätsfaktor zwischen uA und u∞ bestimmt werden muss. Dazu muss eine Potenzialströmung gefunden werden, in der eine Stromlinie auftritt, die zumindest näherungsweise den beiden Böschungen und der Fahrbahn folgt und dann „zur Wand erklärt werden kann“. Eine solche Stromlinie tritt auf, wenn einer Translationsströmung u∞ eine Senke und eine Quelle überlagert werden, wie dies in der Abb. gezeigt ist.
12.4 Anwendungsbeispiele AB-12, AB-13
139
u∞
Ai H = 20 m
y x Senke −Q
Quelle Q
L = 50 m
xS
xS
Abb. AB-13.1: Fahrbahn- und Böschungsgeometrie sowie die näherungsweise Beschreibung durch die Überlagerung von Translation, Senke und Quelle
Die Trennstromlinien (gestrichelte Linien) werden die Böschungskontur zwar nur näherungsweise wiedergeben, wenn aber der Abstand L korrekt eingehalten wird und weit entfernt von der Senke bzw. Quelle H∞ = 2H gilt (vgl. Tab. 12.2, rechtes oberes Bild für die Quelle) dürfte die Modellierung eine gute Näherung an die tatsächlichen Verhältnisse darstellen. Mit dem kartesischen Koordinatensystem im Ursprung der Senke gilt für die überlagerten u-Geschwindigkeitskomponenten, vgl. Tab. 12.1, mit dem verschobenen Koordinatensystem für die Quelle u = u∞ −
x − xQ x Q Q + 2π x2 + y2 2π (x − xQ )2 + y2
wobei Q = 2Hu∞ ist, vgl. Tab. 12.2, und xQ = L + 2xS der noch unbekannte Abstand zwischen Senke und Quelle. Die unbekannte Größe xS kann aus der Beziehung für u im Staupunkt x = xS , y = 0 mit dem dort gültigen Wert u = 0 bestimmt werden. Aus der obigen Beziehung folgt dann
H 1 1 + 0 = u∞ 1 − π xS L + xS folgt (quadratische Gleichung in xS ):
L − 2H/π L − 2H/π 2 HL + = 7,16 m + xS = − 2 2 π Für das gesuchte Verhältnis uA /u∞ gilt dann (uA bei x = xQ /2, y = 0): uA 2H = 1− = 0,60 u∞ π (xS + L/2) Auf der Fahrbahnmitte herrscht also noch 60 % des Seitenwindes u∞ auf der Böschung. Die allgemeine Beziehung für uA /u∞ zeigt nur indirekt, wie dieser Prozentsatz mit H und L veränderlich ist, weil eine Änderung dieser Größen auch xS beeinflusst.
12 Reibungsfreie Umströmung von Körperoberflächen
140
12.5 Illustrierende Beispiele IB-14, IB-15 I LLUSTRIERENDES B EISPIEL IB-14: d’Alembertsches Paradoxon: Körperumströmung ohne Widerstand Die Erfahrung lehrt, dass ein umströmter Körper einen Widerstand besitzt, d.h., dass bei der Umströmung eine Kraft auf den Körper ausgeübt wird, die in dieselbe Richtung weist wie die homogene Anströmung.13 Eine solche Widerstandskraft kann durch Tangentialspannungen oder Normalspannungen an der Körperoberfläche bewirkt werden, was zu einer Aufteilung des Widerstandes in Reibungsund Druckwiderstand führt. In reibungsfreien Strömungen treten keine Tangentialspannungen an der Körperoberfläche auf, so dass der Reibungswiderstand in solchen Strömungen stets null ist. In vielen Fällen ist aber auch der Druckwiderstand null, so dass insgesamt kein Widerstand auftritt, was als d’Alembertsches Paradoxon bezeichnet wird. Wie stets in solchen Fällen liegt aber kein paradoxes, sondern allenfalls ein unerwartetes Ergebnis vor. Wie kann man dies nun verstehen und in welchen Fällen ist der Gesamtwiderstand null? Wenn eine Widerstandkraft W = 0 vorliegt, so leistet ihre Reaktionskraft −W im Strömungsfeld Arbeit, weil ihr Angriffspunkt relativ zur Anströmung verschoben wird (Arbeit = Kraft × Weg).14 Diese am Strömungsfeld geleistete Arbeit muss sich aber in irgendeiner Veränderung des Strömungsfeldes wiederfinden. Umgekehrt bedeutet dies: Immer dann, wenn ein Strömungsfeld zeitlich unverändert bleibt, kann an ihm keine Arbeit verrichtet worden sein und kann deshalb auch keine Widerstandskraft W = 0 vorkommen. Zeitliche Veränderungen findet man bei reibungsfreier Strömung
in instationären Strömungen
in stationären Strömungen, bei denen der Einfluss der Körperumströmung bis ins Unendliche reicht.15
Folgerichtig bedeutet dies: Die reibungsfreie Umströmung eines Körpers in einem stationären Strömungsfeld, in dem die Störung durch den Körper auf endlichen Längen abklingt, führen zu keinem Strömungswiderstand. Der in der Realität stets vorhandene Strömungswiderstand muss also offensichtlich auf die Wirkung der hier vernachlässigten Grenzschichten oder allgemeiner auf Reibungseffekte zurückgehen. Nach den obigen Überlegungen müssen Störungen bei reibungsbehafteten stationären Strömungen dann stets bis ins Unendliche wirken. Dies geschieht in einem drehungsbehafteten Nachlauf hinter dem Körper, der bis ins Unendliche reicht.
13 14
15
Eine Kraft senkrecht dazu wäre eine Auftriebskraft, s. dazu das spätere Kap. 16. Diese Aussage gilt nicht für die Auftriebskraft, weil diese per Definition senkrecht zur Anströmung wirkt und damit ihr Angriffspunkt nicht verschoben wird. Bei der dreidimensionalen Umströmung von Körpern kann es zu sogenannten Randwirbeln durch einen Druckausgleich kommen. Solche Wirbel reichen in reibungsloser Strömung bis ins Unendliche und führen dann zu einem Widerstand, dem sogenannten induzierten Widerstand.
12.5 Illustrierende Beispiele IB-14, IB-15
141
I LLUSTRIERENDES B EISPIEL IB-15: Segeln ohne Segel Auf Segelschiffen wird mit Hilfe der gesetzten Segel bei deren Umströmung eine Kraftkomponente erzeugt, die in die gewünschte Fahrtrichtung weist. Wenn es nun gelingt, eine solche Kraftkomponente auf andere Weise (aber weiterhin durch die Windströmung) zu erzeugen, kann man auf die Segel verzichten. Diese Überlegung führte in den Dreißigerjahren zu etwas abenteuerlich anmuteten „Segelschiff“-Konstruktionen, die mit sogenannten Flettner-Rotoren anstelle von Segeln ausgestattet waren, wie sie in Abb. IB-15.1 skizziert sind. Diese Rotoren drehen sich und führen bei Wind offensichtlich zu einer Vortriebskraft.
Abb. IB-15.1: „Segelschiff“ mit Flettner-Rotoren
Wie diese zustande kommt, kann man sich mit Hilfe der Potenzialtheorie veranschaulichen. Wenn man der Potenzialströmung um den Kreiszylinder eine Potenzialwirbelströmung überlagert, erhält man ein Stromlinienbild, dass qualitativ demjenigen der Strömung um die rotierenden und angeströmten Flettner-Rotoren entspricht. Diese Überlagerung ist in Abb. IB-15.2 gezeigt. Es entsteht dann eine Auftriebskraft FA (senkrecht zur Anströmung) aufgrund der unsymmetrischen Druckverteilung in Bezug auf die x-Achse, was als Magnus-Effekt bezeichnet wird, aber weiterhin kein Widerstand. Es lässt sich zeigen, dass diese Auftriebskraft direkt proportional zur Zirkulation Γ ist, ein Ergebnis, das nicht nur speziell für diese Geometrie, sondern ganz allgemein für ebene Potenzialströmungen mit Zirkulation gilt.16 Die Drehbewegung der Rotoren setzt über die Haftbedingung eine Strömung in Gang, die ohne überlagerte Anströmung qualitativ der Geschwindigkeitsverteilung eines Potenzialwirbels entspricht, 16
Es gilt mit der Breite B: FA /B = −ρ u∞ Γ, was als Kutta-Joukowsky-Theorem bekannt ist.
12 Reibungsfreie Umströmung von Körperoberflächen
142
d.h. kreisförmige Stromlinien mit Geschwindigkeitsbeträgen ausbildet, die nach außen stark abnehmen (Für den Potenzialwirbel gilt |v| ∼ 1/r mit r als Radialkoordinate, vgl. Tab. 12.1).
y
Auftriebskraft
−
− − −
−
u∞
x
M, Γ +
Staupunkt
+ + +
+
Staupunkt
Abb. IB-15.2: Potenzialströmung um einen Kreiszylinder mit überlagertem Potenzialwirbel Dipol (Dipolmoment M) + Potenzialwirbel (Zirkulation Γ)
Eine Teilkomponente dieser Auftriebskraft kann zum Vortrieb genutzt werden. Damit gelingt es, „unter 20...30 Grad gegen den Wind zu segeln“, d.h., einen Kurs zu fahren, der bis auf 20...30 Grad an die Richtung heranreicht, aus der der Wind kommt. Anfang der Zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts wurde der Dreimastschoner Buckau als „Walzensegler“ mit zwei Flettner-Rotoren (Höhe 15,6 m; Durchmesser 2,8 m; Drehzahl 2 Umdrehungen/Sek.) umgebaut. Unter dem Namen Baden-Baden wurde er 1926 nach Amerika verkauft. Als er 1931 in der Karibik einem Sturm zum Opfer fiel, waren die Rotoren aber bereits wieder entfernt worden. Noch heute fährt die von Jacques-Yves Cousteau in Auftrag gegebene Alcyone als Kombination von Motor- und „Segel“-Schiff (mit zwei Flettner-Rotoren) für die Cousteau Society.
143
13 Strömung in Grenzschichten Bei der Modellierung reibungsfreier Strömungen im vorigen Kapitel waren alle molekularen Effekte, die in Wandnähe zur Ausbildung von Schubspannungen und u.U. zum Auftreten von Turbulenz führen, vernachlässigt worden. Im Sinne des zweiten Schrittes der Grenzschichttheorie (vgl. Abschnitt 11.1) werden diese Effekte jetzt durch die Modellierung der Strömung in den Grenzschichten berücksichtigt. Abb. 13.1 zeigt zwei typische Wandgrenzschichten (laminar und turbulent), an denen zunächst eine Reihe von entscheidenden Grenzschichteigenschaften erläutert werden sollen.
13.1 Zwölf Grenzschichteigenschaften (G1) Grenzschichten sind drehungsbehaftete und u.U. turbulente Strömungsgebiete. Sie beginnen an einer Vorderkante (wie in Abb. 13.1) oder in einem Staupunkt. Sie sind in der Nähe der Vorderkante bzw. des Staupunktes stets laminar. (G2) Grenzschichten sind extrem dünn, mit δ << Lc . Dabei ist δ ein Maß für die Dicke der Grenzschichten,1 Lc ist eine charakteristische Abmessung des umströmten Körpers. In allen grafischen Darstellungen sind Grenzschichten deshalb sehr viel dicker eingezeichnet als es ihren tatsächlichen Querabmessungen entspricht. Häufig würden Grenzschichten sonst in der Strichstärke, mit der die Wand dargestellt ist, „verschwinden“. (G3) Die Dicke δ von Grenzschichten wächst mit der Lauflänge x. Die konkrete Abhängigkeit δ (x) ist je nach Außenströmung verschieden. Im√gezeigten Beispiel der Grenzschicht an einer ebenen Wand gilt im laminaren Fall δ ∼ x und im turbulenten Fall ein nahezu linearer Anstieg in Strömungsrichtung. (G4) Die Dicke δ von Grenzschichten nimmt mit √ wachsender Reynolds-Zahl Re = ρ uc Lc /η ab. Für laminare Grenzschichten gilt δ ∼ 1/ Re, für turbulente Grenzschichten δ ∼ 1/ ln Re. Die Ergebnisse der Grenzschichttheorie stimmen für wachsende Reynolds-Zahlen immer besser mit der Realität überein. In diesem Sinne ist die Grenzschichttheorie eine asymptotische Theorie für Re → ∞. (G5) Die Geschwindigkeitsprofile in der Grenzschicht erfüllen an der Wand die Haftbedingung und gehen am Grenzschichtrand „gleitend“ in die Außenströmung über. Dieser Übergang bedeutet im Sinne von Abb. 11.2 auf S. 122 lim u(x, y) = lim uA (x, y) = uAW
y→δ
1
y→0
(13.1)
Da Grenzschichten gleitend in die Außenströmung übergehen, muss man einen Rand definieren. Zum Beispiel kann der y-Wert gewählt werden, bei dem u zu 99 % den Wert der Außenströmung erreicht. Diese Größe wird als δ99 bezeichnet. Besser geeignet zur Charakterisierung der Dicke von Grenzschichten sind aber zwei in (G10) eingeführte Größen.
13 Strömung in Grenzschichten
144
reibungsfreie Außenströmung (Potenzialströmung)
uA = u∞
y
uA = u∞
y
δ
δ x
τW = η (∂ u/∂ y)W Re =
ρ uc Lc η
τW = η (∂ u/∂ y)W
x xv
xU Umschlags„punkt“ virtueller Ursprung
(a) laminare Grenzschicht
(b) turbulente Grenzschicht
Abb. 13.1: Grenzschichten an einer ebenen Wand hier: uc = u∞ ; Lc = L (Länge der ebenen Wand) beachte: Grenzschichten sind stets extrem dünne, wandnahe Bereiche. Die Grenzschichtdicke δ ist hier und in nachfolgenden Bildern unrealistisch groß eingezeichnet, um die Verhältnisse besser (bzw. überhaupt) darstellen zu können.
Dabei ist zur Unterscheidung die reibungslose Außenströmung jetzt mit dem Index A versehen, uAW ist damit die u-Komponenten der reibungsfreien Außenströmung an der Wand (bestimmt unter Vernachlässigung der Grenzschicht). (13.1) stellt die so genannte Anpassungsbedingung (engl.: matching condition) zwischen der Außenströmung und der Grenzschicht dar. Im Sinne der Grenzschichthierarchie gibt die Außenströmung damit die Außenrandbedingung u(x, δ ) für die Grenzschicht vor.2 (G6) Die Strömung in den Grenzschichten wechselt vom laminaren zum turbulenten Strömungszustand, wenn eine bestimmte Lauflänge xU bzw. eine bestimmte sogenannte kritische Reynolds-Zahl Rekrit = ρ uc xU /η erreicht ist. Der Zahlenwert von Rekrit hängt neben der Art der Außenströmung von einer Reihe anderer Parameter (z.B. der Wandrauheit) ab. Für die Grenzschicht an einer ebenen Wand gilt je nach den konkreten Bedingungen Rekrit = 3,5 ·105 ... 106 . (G7) Der Übergang laminar/turbulent erfolgt in einem sogenannten Transitionsprozess auf kleinen aber endlichen Lauflängen ∆x. Er kann näherungsweise so modelliert werden, als würde er in einen Punkt, also bei xU erfolgen (xU : Umschlagspunkt). (G8) Der turbulente Teil einer Grenzschicht kann so behandelt werden, als sei diese von der Vorderkante (bzw. vom Staupunkt) an bereits turbulent gewesen. Dazu muss dann aber der sogenannte virtuelle Ursprung durch „Rückwärtsverlängerung“ des δ (x)-Verlaufes auf δ = 0 ermittelt werden, s. Abb. 13.1(b). An diesem virtuellen Ursprung beginnt eine insgesamt turbulente Grenzschicht scheinbar. 2
Diese Bedingung wird hier als Bedingung bei y = δ geschrieben, stellt aber genaugenommen eine Bedingung für u(x,y) mit y > δ dar, weil am Außenrand ein gleitender Übergang in die Außenströmung erfolgt.
13.1 Zwölf Grenzschichteigenschaften
145
(G9) Geschwindigkeitsprofile sind bei turbulenten Grenzschichten sehr viel „völliger“ als im laminaren Fall. Damit treten deutliche höhere Wandschubspannungen auf, da in beiden Fällen einheitlich τW ∼ (∂ u/∂ y)W gilt. (G10) Grenzschichten beeinflussen die reibungslose Außenströmung durch eine sogenannte Verdrängungswirkung. Diese kommt zustande, weil in den Grenzschichtprofilen ein geringerer Massenstrom fließt als wenn (bei einer Außenströmung bis zur Wand) dieser Bereich ohne Haftbedingung von der reibungsfreien Außenströmung ausgefüllt wäre. Diese Verdrängungswirkung kann in einer sogenannte Verdrängungsdicke δ1 quantifiziert werden, für die gilt
δ1 =
δ
1−
0
u uAW
dy
(13.2)
Um diese Verdrängungsdicke scheint die Wand „aus Sicht der reibungsfreien Außenströmung“ aufgedickt zu sein, wenn die Grenzschicht nicht (wie im ersten Schritt der Grenzschichthierarchie) vernachlässigt wird, siehe dazu auch Abb. 13.2. Da ein verminderter Massenstrom auch einen verminderten Impulsfluss in Wandnähe bedeutet, kann eine zweite Dicke, die sogenannte Impulsverlustdicke δ2 , eingeführt werden. Sie stellt ein Maß für die Reduktion des Impulsflusses in Wandnähe dar. Für diese gilt
δ2 =
δ
1−
0
(a)
u uAW
u dy uAW
(13.3)
(b)
δ1
δ1 uAW Abb. 13.2: Verdrängungswirkung der Grenzschicht δ1 gemäß (13.2) entspricht der Gleichheit der beiden schraffierten Flächen. (a) Außenströmung bis zu Wand (b) Reale Strömung mit Wandgrenzschicht. Beachte: Die gesamte Außenströmung wird um δ1 verdrängt.
13 Strömung in Grenzschichten
146
Die Definitionen zeigen, dass δ1 = δ2 = 0 für u = uAW gilt, also wenn kein Grenzschichtprofil vorliegt. Die Größe δ2 spielt im Zusammenhang mit der Bestimmung des Strömungswiderstandes eine Rolle. (G11) Eine den Wandgrenzschichten vergleichbare Situation tritt in sogenannten Frei- und Wandstrahlen auf. Diese entstehen, wenn durch schmale Düsen Strahlen in ein ruhendes Fluid einströmen (Freistrahlen) oder entlang von Wänden strömen (Wandstrahlen). Es liegt dann im Sinne der Grenzschichttheorie zunächst keine Außenströmung vor. Die grenzschichtartige Strömung entsteht vielmehr durch den Anfangsimpuls am Düsenaustritt. Analog zur Verdrängungswirkung von Wandgrenzschichten besitzen Strahlen aber eine „Einsaugwirkung“ (engl.: entrainment) am Strahlrand, der als Rückwirkung in die zunächst ruhende Außenströmung dort dann geringe Geschwindigkeiten auf den Strahlrand hin induziert. (G12) Eine weitere, den Wandgrenzschichten vergleichbare Situation entsteht an der Trennfläche zweier Gebiete mit jeweils homogenen aber verschiedenen Geschwindigkeiten. Unter der Wirkung molekularer und u.U. turbulenter Austauschprozesse quer zur Hauptströmungsrichtung entstehen Scherschichten, die ein ähnliches Verhalten wie Wandgrenzschichten aufweisen. Diese zwölf Grenzschichteigenschaften sollten präsent sein, wenn im Folgenden die physikalisch/mathematische Modellierung der Strömung in Wandnähe (in den Grenzschichten) vorgestellt wird.
13.2 Laminare Grenzschichten Aufgrund der Tatsache, dass Grenzschichten extrem dünn sind, liegt eine besondere physikalische Situation vor, die im Wesentlichen dadurch gekennzeichnet ist, dass die ersten und zweiten Ableitungen der Geschwindigkeitskomponenten in Strömungsrichtung sehr viel kleiner sind, als quer dazu. Zum Beispiel gilt ∂ u/∂ x << ∂ u/∂ y und ∂ 2 u/∂ x2 << ∂ 2 u/∂ y2 . Solche Ableitungen treten in den allgemeinen Differentialgleichungen zur Beschreibung eines Strömungsfeldes auf (vgl. dazu Kap. 15), so dass sich diese Gleichungen, angewandt auf Strömungen in Grenzschichten, erheblich vereinfachen. Diese Vereinfachungen können im Rahmen der asymptotischen Grenzschichttheorie (Re → ∞) systematisch hergeleitet werden. Sie werden im Folgenden aber lediglich „mitgeteilt“. Da Grenzschichten nur für Re < Rekrit laminar sind, können die Ergebnisse der Theorie für Re → ∞ nur bei Reynolds-Zahlen unterhalb der kritischen Reynolds-Zahl Rekrit zur näherungsweisen Beschreibung laminarer Grenzschichten verwendet werden. 13.2.1 Grenzschichtgleichungen Für zweidimensionale Grenzschichten an ebenen oder gekrümmten Wänden verbleiben aus den vollständigen Grundgleichungen die nachfolgenden Grenzschichtgleichungen für stationäre und inkompressible Strömungen.3 3
Eine systematische Herleitung unterbleibt aufgrund des „induktiven Konzeptes“ in diesem Buch. Sie ist aber vielfach in der Literatur zu finden, wie z.B. in Schlichting, H.; Gersten, K. (2006): Grenzschicht-Theorie, 10. Aufl., SpringerVerlag, Berlin, Heidelberg, New York oder in Herwig, H. (2006): Strömungsmechanik, 2. Aufl., Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg
13.2 Laminare Grenzschichten
147
2D-Grenzschichtgleichungen (stationär, inkompressibel, laminar)
u
∂u ∂v + ∂x ∂y
= 0
∂u ∂u +v ∂x ∂y
= −
0
= −
(Kontinuitätsgleichung)
(13.4)
∂ 2u 1 ∂ pmod +ν 2 ρ ∂x ∂y
(x-Impulsgleichung)
(13.5)
1 ∂ pmod ρ ∂y
(y-Impulsgleichung)
(13.6)
Die y-Impulsgleichung „degeneriert“ zu der Aussage, dass der Druck quer zur Grenzschicht konstant und damit gleich dem Wert am Außenrand der Grenzschicht ist. Dieser Druck wird von der Außenströmung „aufgeprägt“. Aus der für reibungsfreie Strömungen allgemein gültigen Beziehung (12.20) folgt mit uAW als Lösung der reibungsfreien Außenströmung uA an der Wand4 −
duAW 1 dpmod = uAW ρ dx dx
(13.7)
Die Kontinuitätsgleichung (13.4) und die x-Impulsgleichung (13.5) bei Berücksichtigung von (13.7) stellen damit ein System von zwei Differentialgleichungen zur Bestimmung von u(x, y) und v(x, y) dar. Der Druck ist bereits durch die Außenströmung bekannt. Auf die Randbedingungen wird an späterer Stelle eingegangen. Die Grenzschichtgleichungen gelten auch an gekrümmten Wänden, wobei dann die x-Koordinate der Wand folgt. Effekte der Wandkrümmung treten erst in einer Grenzschichttheorie höherer Ordnung auf, die aber nicht Gegenstand dieses Buches ist. Da die Idee der Gebietszerlegung (Außenströmung, Grenzschicht) auf Ludwig Prandtl zurückgeht (erstmals veröffentlicht im Jahr 1904) werden die Grenzschichtgleichungen auch Prandtlsche Grenzschichtgleichungen genannt. Vergleicht man die x-Impulsgleichung (13.5) für die Grenzschicht mit derjenigen für die Außenströmung, (12.9), zeigt sich, dass ein entscheidender Term hinzukommt: ν ∂ 2 u/∂ y2 . Dieser Term enthält die Viskosität ν = η /ρ und beschreibt den molekularen Impulstransport quer zur Grenzschicht. Physikalisch entspricht dieser Quertransport einer Diffusion der Drehung, die an der Wand aufgrund der Haftbedingung entsteht. Dort gilt mit der Wandschubspannung τW = η (∂ u/∂ y)W und ω = ∂ v/∂ x − ∂ u/∂ y, vgl. (2.1) bzw. (2.6), ωW = −τW /η (Beachte: vW = 0 an einer undurchlässigen Wand, also (∂ v/∂ x)W = 0). Diese Diffusion von Drehung ist ein dissipativer Prozess, bei dem Entropie erzeugt wird. Diese Entropieproduktion wird häufig als Reibungsverlust bezeichnet, weil mit einer Entropieproduktion die Vernichtung von Exergie einhergeht,5 was als Dissipation mechanischer Energie bezeichnet wird. Mathematisch erhöht sich durch die Hinzunahme des Terms ν ∂ 2 u/∂ y2 die Ordnung der xImpuls-Differentialgleichung, weil jetzt eine zweite Ableitung auftritt. Damit kann gegenüber 4
5
Da pmod in der Grenzschicht nur von x abhängt, vgl. (13.6), kann in (13.5) dpmod /dx anstelle von ∂ pmod /∂ x geschrieben werden. Exergie ist der „wertvolle“ Energieanteil, mit der Arbeit verrichtet werden kann und deren Vernichtung deshalb als „Verlust“ gewertet wird. Näheres dazu s.z.B. in Herwig, H.; Kautz, C. (2007): Technische Thermodynamik, Pearson Studium, München
13 Strömung in Grenzschichten
148
den Euler-Gleichungen eine weitere Randbedingung erfüllt werden. Dies ist die Haftbedingung uW = 0. 13.2.2 Grenzschichttransformation Mit Hilfe der Grenzschichttransformation gelingt es, ein Gleichungssystem zu erhalten, in dem die Reynolds-Zahl nicht mehr explizit auftritt und dessen Lösung damit für beliebige ReynoldsZahlen gilt. Der Reynolds-Zahl-Einfluss tritt erst nach der Rücktransformation wieder auf. Entdimensioniert man die x-Impulsgleichung wie üblich mit einer charakteristischen Länge Lc und einer charakteristischen Geschwindigkeit uc , so wird aus (13.5) und (13.7) mit Lc = L und uc = u∞ (L: Plattenlänge; u∞ : Anströmgeschwindigkeit) u
1 ∂ 2 u ∂ u ∂ u d uAW + v = uAW + ∂ x ∂ y d x Re ∂ y2
(13.8)
wobei x = x/L; y = y/L; u = u/u∞ ; uAW = uAW /u∞ ; v = v/u∞ und Re = ρ u∞ L/η = u∞ L/ν gilt. Die Grenzschichteigenschaft (G4) in Abschnitt 13.1 √ besagt nun für laminare Grenzschichten, dass δ ∼ Re−1/2 gilt. Wenn man nun y = y/L mit Re multipliziert, verhindert man, dass für Re → ∞ immer kleinere Zahlenwerte für die größten in der Grenzschicht vorkommenden y auftreten. Um allerdings √ sicherzustellen, dass die Kontinuitätsgleichung weiterhin erhalten bleibt, muss dann auch v mit Re multipliziert werden. Auch dies verhindert stets kleinere Zahlenwerte bei Re → ∞, diesmal für v. Der eigentliche Vorteil einer solchen Transformation besteht aber darin, dass die so transformierten Grenzschichtgleichungen die Reynolds-Zahl nicht mehr explizit enthalten. Formal entspricht die Transformation unterschiedlichen charakteristischen Größen in x- √ bzw. y-Richtung, was der Schlankheit des Lösungsgebietes Rechnung trägt. Mit L = L, L = L/ Re, cx cy √ ucx = u∞ und ucy = u∞ / Re gilt x =
x x = ; Lcx L
√ y = y = y Re ; Lcy L
u
u u = ; ucx u∞
√ v = v = v Re ucy u∞
(13.9)
Dies wird als Grenzschichttransformation bezeichnet. Die Grenzschichtgleichungen (13.4) und (13.8) lauten in diesen Variablen
∂ u ∂ v + = 0 ∂ x ∂ y u
∂ u ∂ u + v ∂ x y ∂
=
(13.10)
uAW
d uAW ∂ 2 u + 2 d x ∂ y
(13.11)
mit den Randbedingungen y = 0 : y → ∞ :
u = v = 0
(13.12)
u = uAW
(13.13)
und der Anfangsbedingung an einer bestimmten Stelle x0 x = x0 :
u = u0 ( x0 , y) ; v = v0 ( x0 , y)
(13.14)
13.3 Turbulente Grenzschichten
149
Die Gleichungen (13.10) und (13.11) müssen für eine bestimmte Außenströmung mit uAW (x) nur einmal gelöst werden und stellen dann die Lösungen für alle Reynolds-Zahlen dar (anwendbar wenn eine laminare Strömung vorliegt, d.h. für Re < Rekrit )! Der Reynolds-Zahl-Einfluss wird erst wieder nach der Rücktransformation sichtbar. Zum Beispiel gilt für die Wandschubspannung τW an einer bestimmten Stelle x in Form von c f ≡ τW / ρ2 u2∞ √ ∂u ∂ u τW (x) = η → c f ( x) Re = 2 (13.15) ∂y W ∂ y W
Aus der Lösung von (13.10) und (13.11) für eine bestimmte Außenströmung uAW ( x) folgt (∂ u/∂ y)W und damit c f bzw. τW . Die Randbedingungen (13.12) sind die Haftbedingung und die kinematische Strömungsbedingung. In (13.13) kann der asymptotische Übergang nach der Transformation y → y jetzt als y → ∞ geschrieben werden. Eine Anfangsbedingung bei x0 ist erforderlich, weil (13.11) zusammen mit (13.10) ein sogenanntes parabolisches Differentialgleichungssystem darstellen, das ausgehend von einem Anfangswert in Richtung fortschreitender x-Werte integriert werden muss. Die numerische Lösung der Grenzschichtgleichungen stellt kein ernsthaftes Problem dar.6
13.3 Turbulente Grenzschichten Wenn die Strömung in einer Grenzschicht nach Erreichen der dafür erforderlichen Lauflänge xU in den turbulenten Strömungszustand „umschlägt“, liegt anschließend eine Situation vor, die eine erheblich andere theoretische Beschreibung als physikalisch/mathematisches Modell erfordert als bei laminaren Strömungen. Wie in Abschnitt 7.2 bereits ausgeführt worden ist, geht es nicht darum, die turbulente Strömungsbewegung in allen Details zu berechnen, sondern den Einfluss der Turbulenz auf die zeitgemittelten Strömungsgrößen zu bestimmen. Dafür müssen aber zunächst die Gleichungen für zeitgemittelte Größen aufgestellt werden (RANS, vgl. Abschnitt 7.2.2). Dabei entstehen turbulente Zusatzterme in den Gleichungen, deren Zustandekommen leicht nachvollziehbar ist und anschließend erläutert werden soll. 13.3.1 Grenzschichtgleichungen Generell erfolgt der Übergang von den Gleichungen, die turbulente Strömungen in allen Einzelheiten beschreiben können (vollständige, zeitabhängige Differentialgleichungen) zu den Gleichungen für die zeitgemittelten Größen in zwei Schritten: (I)
Einsetzen der Aufspaltung a = a + a für alle turbulent schwankenden Größen a, vgl. dazu (2.2) bis (2.4)
(II)
Zeitmittelung der Gleichungen, was aufgrund der Mittelungsregeln einer Zeitmittelung der einzelnen Terme in den Gleichungen entspricht.
Die benötigten Mittelungsregeln, die unmittelbar aus der Definition (2.2), (2.3) folgen, sind in Tabelle 13.1 zusammengestellt und werden beispielhaft auf folgende zwei Terme angewandt, die in den vollständigen zeitabhängigen Differentialgleichungen vorkommen: 6
Entsprechende numerische Verfahren sind z.B. in Schlichting, H.; Gersten, K. (2006): Grenzschicht-Theorie, 10. Aufl., Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, New York beschrieben.
13 Strömung in Grenzschichten
150
∂ u/∂ x: (I)
∂ (u + u)/∂ x = ∂ u/∂ x + ∂ u/∂ x
(II)
∂ (u + u)/∂ x = ∂ u/∂ x + ∂ u/∂ x = ∂ u/∂ x =0
∂ (uv)/∂ y: (I)
∂ [(u + u)(v + v )]/∂ y = ∂ u v/∂ y + ∂ (uv)/∂ y + ∂ (uv )/∂ y + ∂ (uv )/∂ y
(II)
∂ [(u + u)(v + v )]/∂ y = ∂ u v/∂ y + ∂ (uv)/∂ y + ∂ (uv )/∂ y + ∂ (u v )/∂ y =0 =0 =? = ∂ u v/∂ y + ∂ uv /∂ y
Beide Terme unterscheiden sich darin, dass im ersten Term nur eine turbulent schwankende Größe auftritt, im Zweiten aber das Produkt aus zwei turbulenten Größen. Dann kommt es ganz allgemein zu einem Ausdruck a1 a2 , der nach den allgemeinen Rechenregeln nicht stets Null ist. Man erkennt aber, dass a1 a2 = 0 gilt, wenn beide Größen zufällig und vollständig unabhängig voneinander schwanken. Wie bei einer schwankenden Einzelgröße tritt dann das Produkt a1 a2 gleich oft und im Mittel gleich stark mit positivem wie mit negativem Vorzeichen auf, so dass die Zeitmittelung Null ergibt. Wenn beide Größen aber auf irgendeine Weise miteinander korrelieren, also nicht vollständig unabhängig voneinander schwanken, ist a1 a2 = 0. Die stärkste denkbare 2 Korrelation ist a1 = a2 . Dann ist sofort einsehbar, dass a1 a2 = a2 1 = 0 gilt, weil a1 stets positiv bzw. nicht-negativ ist. Für den Turbulenzterm u v gilt in der Tat u v = 0, weil Schwankungen in u und v schon durch die Kontinuitätsbeziehung relativ stark miteinander korreliert sind. Physikalisch ist diese Korrelation dadurch bedingt, dass Schwankungen u und v als Wirbelbewegung interpretiert werden können und den Zusammenhalt von Fluidbereichen beschreiben. Auf die beschriebene Weise entstehen folgende Grenzschichtgleichungen, die gegenüber den Gleichungen für laminare Grenzschichten „nur“ einen Zusatzterm enthalten. Wieder ist man geneigt, diesen im Sinne einer Modifikation der laminaren Situation zu interpretieren. Die nachfolgenden Ausführungen zeigen aber, dass mit diesem turbulenten Zusatzterm eine völlig neue Situation entsteht. Tab. 13.1: Rechenregeln für die Mittelwertbildung einer turbulenten Größe a bzw. von zwei Größen a1 und a2 mit s: x, y, z oder t
a=a
a = 0
a1 + a2 = a1 + a2
a1 a2 = a1 a2
∂a ∂a = ∂s ∂s
13.3 Turbulente Grenzschichten
151
2D-Grenzschichtgleichungen (stationär, inkompressibel, turbulent)
u
∂u ∂v + ∂x ∂y
=
0
∂u ∂u +v ∂x ∂y
=
uAW
(13.16) duAW ∂ 2 u ∂ u v +ν 2 − dx ∂y ∂y
(13.17)
Die y-Impulsgleichung, 0 = −(1/ρ )∂ pmod /∂ y, ist wie im laminaren Fall dazu verwendet worden, den ursprünglich vorhandenen ersten Term auf der rechten Seite der x-Impulsgleichung, −(1/ρ )∂ pmod /∂ x, im Sinne von (13.7) zu ersetzen. Auch hier gibt die Außenströmung die Druckverteilung vor. Der entscheidende turbulente Zusatzterm −∂ u v /∂ y entsteht bei der Herleitung von (13.17) auf der linken Seite (aus dem Term v∂ u/∂ y) und erscheint deshalb mit einem negativen Vorzeichen auf der rechten Seite. Er wird neben den Term ν ∂ 2 u/∂ y2 gesetzt, weil er anschließend in Analogie zu diesem Term interpretiert werden soll. Dies ist ein zentraler Ansatz der Turbulenzmodellierung (1877 von Boussinesq vorgeschlagen), die jetzt erforderlich ist, um das System (13.16), (13.17) zu schließen.7 13.3.2 Turbulenzmodellierung Der „Reibungsterm“ ∂ 2u 1 ∂ ∂u 1 ∂τ ν 2 = η = ∂y ρ ∂y ∂y ρ ∂y
(13.18)
beschreibt den molekularen Impulstransport quer zur Hauptströmungsrichtung, wobei es durch die Wirkung der molekularen Viskosität η zur Ausbildung einer (viskosen) Schubspannung τ kommt (vgl. (2.1)). Der Vergleich von (13.18) mit dem turbulenten Zusatzterm −∂ (u v )/∂ y legt es nun nahe, ρ u v als eine zusätzliche turbulente Schubspannung τt zu interpretieren, die aufgrund der turbulenten Schwankungsbewegung entsteht. Analog zu τ = η∂ u/∂ y kann dies wiederum so interpretiert werden, dass die Turbulenz auf die Strömung so wirkt, als wäre neben der molekularen Viskosität η eine zusätzlich (scheinbare) Viskosität vorhanden, die zu der zusätzlichen scheinbaren Schubspannung τt = ρ u v führt. Aufgrund der beobachtbaren wirbelartigen Bewegungen in turbulenten Strömungen wird diese als Wirbelviskosität bezeichnet.
7
Die systematische Herleitung von Beziehungen für die turbulenten Zusatzterme, die eine Bestimmung der Zusatzterme ohne weitere empirische Information erlauben würden, ist grundsätzlich nicht möglich, was in Abschnitt 7.2.2 bereits als Schließungsproblem der Turbulenz bezeichnet worden war.
13 Strömung in Grenzschichten
152
D EFINITION: Wirbelviskosität in einfachen Strömungen Einfache turbulente Strömungen besitzen einen dominierenden Geschwindigkeitsgradienten ∂ u/∂ y und eine turbulente Schubspannung ρ u v . Solche Strömungen können durch die Wirbelviskosität
ηt =
− ρ u v ∂ u/∂ y
(13.19)
so beschrieben werden, dass ein geschlossenes Gleichungssystem entsteht. Damit können die beiden Terme auf der rechten Seite von (13.17) wie folgt geschrieben werden (νt = ηt /ρ ) ν
∂ 2 u ∂ u v ∂ 2u = (ν + ν − ) t ∂ y2 ∂y ∂ y2
(13.20)
Die Ergänzung von ν durch die kinematische Wirbelviskosität νt macht jetzt den einzigen Unterschied in den Gleichungen für laminare und turbulente Grenzschichten aus. Die Turbulenzmodellierung reduziert sich damit auf die Bestimmung von νt bzw. ηt . Diese Größen enthalten alle Informationen darüber, wie die Turbulenz das Strömungsfeld beeinflusst und können deshalb im Prinzip auch erst dann bestimmt werden, wenn dieser Turbulenzeinfluss bekannt ist oder modellmäßig beschrieben werden kann. Anders als bei ν bzw. η handelt es sich nicht um Größen bzw. Eigenschaften von Fluiden (Stoffgrößen), sondern um solche der turbulenten Strömung (Strömungsgrößen). Der alles entscheidende Unterschied zu den molekularen Größen besteht darin, dass νt bzw. ηt keine konstanten Werte sind, sondern im Strömungsfeld variieren. Besonders wichtig ist dabei, dass νt und ηt an der Wand Null sind, weil dort wegen der Haftbedingung auch keine Geschwindigkeitsschwankungen vorliegen (d.h. u v = 0, ∂ u/∂ y = 0 in (13.19), so dass ηt = 0 gilt). Wären νt bzw. ηt konstante Werte, würde sich eine turbulente Strömung genauso verhalten wie eine laminare Strömung (eines Fluides mit der Viskosität η + ηt ). Der entscheidende Aspekt im Zusammenhang mit ηt ist also die Variation von ηt mit dem Wandabstand bzw. die Tatsache, dass ηt mit dem Wandabstand stark anwächst. Ein früher, erstaunlich erfolgreicher Modellierungsansatz geht auf Ludwig Prandtl zurück und soll hier als Beispiel einer konkreten Turbulenzmodellierung vorgestellt werden. Weitere Ausführungen zur Turbulenzmodellierung folgen im späteren Kap. 15.2. Abb. 13.3 erläutert die physikalischen Vorstellungen, die Ludwig Prandtl in seinem Mischungsweg-Ansatz zur Modellierung der Turbulenz in einfachen Strömungen entwickelt hat. Ausgangspunkt ist dabei das (gedachte) Verhalten eines kleinen aber zusammenhängenden Fluidbereiches in einer gescherten Strömung. In Abb. 13.3 ist diese in Form von u(y) dargestellt. Die Vorstellung ist nun, dass der Fluidbereich (graues Quadrat in Abb. 13.3) unter Beibehaltung seines Impulses (bei fester Masse also unter Beibehaltung seiner Geschwindigkeit) nach oben oder unten ausgelenkt wird, also „schwankt“. Bewegt sich der Fluidbereich nach oben, so weist er dort eine kleinere Geschwindigkeit als das umgebende Fluid auf. Diese Differenz wird als u interpretiert, weil sie wie der Schwankungswert der Geschwindigkeit u an dieser Stelle wirkt. Die Geschwindigkeit, die den zusammenhängenden Fluidbereich dorthin gebracht hat, wird als Querschwankungsgeschwindigkeit v interpretiert. Bei einer Schwankung nach unten liegen dieselben Verhältnisse, jetzt aber mit anderen Vorzeichen vor. Abb. 13.3 ist zu entnehmen, dass sowohl bei einer Schwankung nach oben als auch bei einer Schwankung nach unten das Produkt
13.3 Turbulente Grenzschichten
153
u v dasselbe (negative) Vorzeichen besitzt, dieses Produkt also nicht etwa im statistischen Mittel verschwindet. Das Turbulenz-Längenmaß Lt ist nun gerade diejenige Länge, um die der Fluidbereich ausgelenkt werden muss, damit in der zuvor geschilderten Interpretation eine Schwankungsgeschwindigkeit entsteht, die aufgrund von −ρ uv = τt zur turbulenten Schubspannung τt führt. Diese Größe nannte Prandtl einen Mischungsweg, sie ist seitdem als Prandtlscher Mischungsweg eingeführt. Entwickelt man die Geschwindigkeit u(y) in eine Taylor-Reihe du u(y) = u(y0 ) + (y − y0) + ..., dy 0 so ergibt der lineare Term dieser Entwicklung mit (y − y0) = Lt und (u(y) − u(y0 )) = −u −u = Lt
du . dy
(13.21)
Ferner wird unterstellt, dass u und v betragsmäßig etwa gleich groß sind, so dass in guter Näherung gilt τt 2 du du . (13.22) = − u v = Lt ρ dy dy Dabei stellen die Betragstriche sicher, dass τt mit einem Vorzeichenwechsel von du/dy ebenfalls das Vorzeichen wechselt. Ein Vergleich mit dem allgemeinen Wirbelviskositätsansatz (13.19) zeigt, dass im Rahmen dieser Vorstellung gilt 2 du ηt = ρ νt = ρ Lt . (13.23) dy νt
y
u(y) ⎫ ⎪ ⎪ ⎬
u < 0 Lt
v
Lt
v < 0
>0
u > 0
⎪ ⎪ ⎭ ⎫ ⎪ ⎪ ⎬ ⎪ ⎪ ⎭
u v < 0
u v < 0
u
Abb. 13.3: Einführung einer Mischungsweglänge Lt zur Turbulenzmodellierung in einfachen Strömungen
13 Strömung in Grenzschichten
154
Mit (13.23) ist die Turbulenzmodellierung auf die Bestimmung von Lt zurückgeführt. Die Frage ist nun: Wie verläuft Lt (y), ausgehend vom Wert Lt = 0 an der Wand (dies muss wiederum aufgrund der Haftbedingung gelten)? Im Sinne einer Taylor-Reihenentwicklung von Lt (y) an der Wand ist der führende Term linear, so dass Prandtl ansetzte Lt = κ y
für y → 0
(13.24)
Experimente ergeben für die verschiedensten Strömungen immer wieder den Wert κ ≈ 0,41, der als Wert der sogenannten Karman-Konstante (bisweilen auch: von Karmansche Konstante) auch in anderen Zusammenhängen turbulenter Strömungen auftritt. Die Tatsache, dass κ für unterschiedliche Strömungen denselben Wert besitzt, kann dahingehend interpretiert werden, dass in unmittelbarer Wandnähe ein universelleres Verhalten aller turbulenten Strömungen vorliegt. Dieses Verhalten kann man ausnutzen, um zu allgemeingültigen Lösungen für den wandnahen Bereich turbulenter Strömungen zu gelangen (siehe dazu Abschnitt 13.3.3). In größerer Entfernung von der Wand müssen zusätzliche (problemspezifische) physikalische Überlegungen angestellt werden, um den Verlauf von Lt (y) zu bestimmen. Mit Lt = κ y ergibt das Prandtlsche Mischungsweg-Modell also 2 2 du (13.25) ηt = ρκ y dy Wie sich herausstellt, ist der Einfluss der Turbulenz in unmittelbarer Wandnähe entscheidend, so dass eine unzureichende Turbulenzmodellierung in weiter entfernten Bereichen keine große Auswirkung besitzt. Für y → 0 ist (13.25) aber gerade konzipiert. Mit |du/dy| ≈ τW /η = const gilt ηt ∼ y2 , was ein starkes Anwachsen des Einflusses von ηt im Vergleich zu η für wachsende Wandabstände erwarten lässt. 13.3.3 Grenzschichttransformation, Zweischichtenstruktur Laminare Grenzschichten konnten „elegant“ berechnet werden, nachdem die transformierte Quer√ koordinate y = y/Lcy = y Re/L eingeführt worden war. Ein analoges Vorgehen ist bei turbulenten Grenzschichten nicht möglich, weil sich diese in zwei Schichten aufspalten, die keine einheitliche Skalierung zulassen. Dies ist eine Folge des unterschiedlichen Verhaltens von η bzw. ηt mit dem Wandabstand y. Während η als Stoffwert konstant ist, wächst ηt stark mit dem Wandabstand y an. Deshalb ergeben sich in der turbulenten Grenzschicht zwei Schichten mit unterschiedlichem Verhalten:
eine Wandschicht unmittelbar an der Wand: Hier sind η und ηt wirksam, d.h., es besteht ein Einfluss der molekularen Viskosität, der in der sogenannten viskosen Unterschicht8 (sehr nahe der Wand) sogar dominierend ist. eine Defektschicht im Außenbereich der Grenzschicht: Hier überwiegt ηt und ein Einfluss der molekularen Viskosität ist nicht mehr zu spüren. 9
Abb. 13.4 skizziert diese Situation, die als Zweischichtenstruktur wandgebundener turbulenter Strömungen bezeichnet wird. Eine genauere Analyse dieser Schichten ergibt nun Folgendes: 8
9
Der häufig benutzte Begriff einer laminaren Unterschicht ist irreführend, da die viskose Unterschicht Teil einer insgesamt turbulenten Grenzschicht ist. Der Name Defektschicht geht darauf zurück, dass die Geschwindigkeit in dieser Schicht als geringe Abweichung (Defekt) von der Außenströmung beschrieben werden kann.
13.3 Turbulente Grenzschichten
155
δ (Defektschicht) δW
(Wandschicht)
viskose Unterschicht Überlappungsbereich Abb. 13.4: Zweischichtenstruktur turbulenter, wandgebundener Strömungen (Grenzschichten) δW : Dicke der Wandschicht; δ : Dicke der Defektschicht beachte: Die Defektschicht-Dicke δ wird häufig bis zur Wand gezählt (und nicht bis an den Wandschicht-Rand), weil δW << δ gilt und damit also nur ein geringer Unterschied auftritt.
Es gilt für alle turbulenten Grenzschichten δW << δ mit δW /δ ∼ ln2 Re/Re, d.h. δW /δ → 0 für Re → ∞. Für steigende Reynolds-Zahlen wird δW im Vergleich zu δ stets kleiner. Der wandnahe Bereich kann in transformierten Variablen für alle turbulenten Grenzschichten einheitlich beschrieben werden. Der physikalische Hintergrund für diese Universalität ist der lokale Charakter des Turbulenzeinflusses. In Wandnähe wird die Strömung ausschließlich durch das Vorhandensein der Wand geprägt. Einflüsse von weiter entfernt können in guter Näherung vernachlässigt werden. Für eine universelle Darstellung sind deshalb lokale Bezugsgrößen erforderlich. In diesem Sinne werden als charakteristische (Bezugs-) Größen in y-Richtung Lcy = ν/
τW /ρ ;
ucy =
τW /ρ
eingeführt, d.h., beide Größen entstehen aus der lokalen Größe τW (Wandschubspannung) und werden so mit den molekularen (Fluid-) Größen kombiniert, dass eine Länge und eine Geschwindigkeit entsteht. Die Kombination τW /ρ wird auch Schubspannungsgeschwindigkeit uτ genannt. Sie „ist“ aber keine Geschwindigkeit, sondern dient der Entdimensionierung von Geschwindigkeiten mit der lokalen Größe τW = τW (x). Mit diesen Größen werden die sogenannten Wandschichtvariablen u+ =
u u = ; ucy uτ
y+ =
y yuτ = Lcy ν
(13.26)
eingeführt.
In Wandnähe besitzt das Geschwindigkeitsprofil u(y) eine universelle Verteilung als u+ (y+ ):
+
+
+
u = u (y ) =
y+
für y+ → 0
1 ln y+ + C+ κ
für y+ → ∞
(13.27)
13 Strömung in Grenzschichten
156
Der lineare Verlauf u+ = y+ für y+ → 0 gilt, solange noch kein Einfluss von ηt zu verzeichnen ist. Der logarithmische Verlauf folgt aus einer Anpassung beider Schichten in ihrem Überlappungsbereich. Die Angabe y+ → ∞ beschreibt dabei den Übergang in die Defektschicht. Der logarithmische Verlauf u+ (y+ ) wird logarithmisches Wandgesetz genannt (obwohl es an der Wand selbst nicht gilt!). Die Konstante C+ erfasst den Einfluss der Wandrauheit. Für glatte Wände gilt C+ = 5.
In der Defektschicht gilt für die Abweichung von der Außenströmung D = uWA − u mit y = y/δ : D+ ≡
D = D+ ( y) uτ
y) muss aus einer Turbulenzmodellierung und anschließenden Der konkrete Verlauf von D+ ( Lösung der Grenzschichtgleichungen folgen, wird aber oftmals durch ad hoc Annahmen bzgl. der Funktion D+ ( y) ersetzt. Dass jetzt y und nicht y+ auftritt zeigt den Wechsel in der Bezugslänge Lcy zwischen der Wand- und der Defektschicht. In der Defektschicht ist die Bezugslänge Lcy = δ . Abb. 13.5 zeigt den prinzipiellen universellen Verlauf des Grenzschichtgeschwindigkeitsprofils, einmal als u+ (y+ ) zum anderen als u/uAW über y/δ . Eine konkrete Zuordnung beider Darstellungen, wie sie in Abb. 13.5 durch die schraffierten Bereiche angedeutet ist, gilt aber stets nur für eine bestimmte Reynolds-Zahl. Diese universelle Form der Geschwindigkeit in Wandgrenzschichten kann in numerischen Verfahren zur Lösung der vollständigen Grundgleichungen ausgenutzt werden, um eine Lösung nicht bis zur Wand hin berechnen zu müssen, sondern den wandnahen Bereich durch die universelle Verteilung zu erfassen. In diesem Zusammenhang spricht man dann von sogenannten Wandfunktionen für numerische Lösungen. u+ =
u+ = κ −1 ln(y+ ) +C+
u uτ 30
u uAW
Geschwindigkeits-„Defekt“
1
20 u+
= y+
„Fortschreibung“ des logarithmischen Verlaufs
0,5
10 5 1 1
70
Wandschicht
1000
y+
0
0,5
1 y/δ
Defekt-Schicht
Abb. 13.5: Universelles Geschwindigkeitsprofil u+ (y+ ) in Wandnähe und reales Profil für eine bestimmte Reynolds-Zahl. beachte: Der Geschwindigkeitsverlauf im Außenbereich der Defekt-Schicht ist abhängig vom Druckgradienten in Strömungsrichtung, also nicht universell.
13.4 Anwendungsbeispiele AB-14, AB-15
157
13.4 Anwendungsbeispiele AB-14, AB-15 A NWENDUNGSBEISPIEL AB-14: Laminare Grenzschicht an einer ebenen Platte; Widerstandsgesetz Problem: Anhand der Lösung der laminaren Grenzschichtgleichungen soll der Widerstand einer ebenen Platte der Breite B und der Länge L bestimmt werden, wenn diese einseitig benetzt ist. Lösung: Da im gesamten Strömungsfeld der einheitliche Druck p∞ herrscht, ist der gesuchte Strömungswiderstand ausschließlich Reibungswiderstand. Dieser entsteht, weil aufgrund der Haftbedingung Wandschubspannungen τW = η (∂ u/∂ y)W auftreten. Deren Integration über die Plattenoberfläche führt zum Widerstand W , der in Form eines dimensionslosen Widerstandsbeiwer gesuchten tes cW = W / ρ2 u2∞ BL dargestellt werden kann. Es gilt also, die Wandschubspannung τW bzw. den Geschwindigkeitsgradienten (∂ u/∂ y)W längs der ebenen Platte zu bestimmen. Dafür muss das Geschwindigkeitsprofil u(x, y) gefunden werden. Der direkte Weg wäre eine Lösung (Integration) der laminaren Grenzschichtgleichungen (13.10) bis (13.14). Man kann und sollte sich aber eine besondere Eigenschaft der Plattengrenzschicht zueigen machen, die darin besteht, dass diese Grenzschicht keine physikalisch begründete charakteristische Länge Lcx aufweist. Das Probleme besitzt zwar eine Länge L (die Plattenlänge), aber angenommen, diese würde auf 2L verdoppelt, so wären die Strömungsverhältnisse bis zur Stelle L unverändert. Dies bedeutet, dass eine bestimmte Stelle x in keiner Weise ausgezeichnet ist, so dass die Lösung dort nicht grundsätzlich verschieden von der an einer anderen Stelle sein kann. Diese „Ähnlichkeit“ aller Lösungen an verschiedenen Stellen x wird Selbstähnlichkeit der Grenzschicht genannt und kann mathematisch für eine Vereinfachung des Gleichungssystems genutzt werden. Dazu führt man zunächst die Stromfunktion Ψ(x, y) ein, vgl. (12.22), und formt (13.10) und (13.11) mit den sogenannten Ähnlichkeitsvariablen √ y Re Ψ ) ; √ √ = f (η ; f= η= u∞ L 2 2 x x in eine gewöhnliche Differentialgleichung
Re =
ρ u∞ L η
f + f f = 0 mit den Randbedingungen f (0) = f (0) = 0 und f (∞) = 1 um. Die beschriebene Selbstähnlichkeit ) äußert sich in der Tatsache, dass dann alle Geschwindigkeitsprofile als u(x, y) = ∂ Ψ/∂ y = u∞ f (η ) = d f /dη hervorgehen. Abb. AB-14.1 veranschaulicht dies durch die Darsteleinheitlich aus f (η lung der Strömung in beiden Koordinatensystemen. ) kann mit mathematischen Standardverfahren (z.B. RungeDie Differentialgleichung für f (η Kutta-Integration) gelöst werden. Der hier entscheidende Wert aus dieser Lösung ist f = 0,4696. Mit ihm gilt ∂u ρ u2 τW (x) = η = √ ∞ f (0) ∂y W 2 xRe woraus der gesuchte Widerstand durch Integration folgt. Mit √ 1 ρ u2∞ f (0)L dx ρ u2 BL 2 f (0) √ √ = ∞ √ 2Re Re x 0 0 √ ergibt sich cW = W /( ρ2 u2∞ BL) = 1,328/ Re als gesuchter Widerstandsbeiwert. W =B
L
τW dx = B
13 Strömung in Grenzschichten
158
Dieser Wert gilt für die einseitig benetzte Platte. Der Widerstand einer Platte konstanter Breite B nimmt danach erwartungemäß mit steigender Anströmgeschwindigkeit u∞ und steigender Plattenlän3/2 ge L zu. Aus dem Ergebnis folgt W ∼ u∞ und W ∼ L1/2 .
u∞
u∞
u∞
y
x η
1 f Abb. AB-14.1: Einheitliche Darstellung aller selbstähnlichen Geschwindigkeitsprofile u(x, y) in = y Re/(2xL) bei der laminaren Plattengrenzder Ähnlichkeitskoordinate η ). schicht. Es gilt u(x, y) = u∞ f (η 0
A NWENDUNGSBEISPIEL AB-15: Turbulente Grenzschicht an einer ebenen Platte; Widerstandsgesetz Problem: Wie im vorigen Beispiel für eine laminare Grenzschicht soll der Widerstand W einer jetzt aber beidseitig benetzten Platte (Breite B, Länge L) bestimmt werden, die turbulent überströmt wird. Lösung: Um den Widerstand W bestimmen zu können muss wieder die Schubspannung τW (x) bekannt sein. Aufgrund des universellen Charakters turbulenter Wandgrenzschichten gibt es auch eine allgemeine Beziehung cf = cf (Rex ) für den Schubspannungsbeiwert cf = τW /( ρ2 u2∞ ) als Funktion der lokalen Reynoldszahl Rex = ρ u∞ x/η . Diese ist aufgrund ihres impliziten Charakters aber nicht leicht auszuwerten, so dass hier nur das Ergebnis für den Widerstandsbeiwert cW mitgeteilt wird.10 Dieser ist in Abb. AB-15.1 als Funktion der Reynolds-Zahl für turbulente Strömungen mit unterschiedlich rauen Wänden, sowie auch für laminare Strömungen dargestellt. Die Wandrauheiten werden durch sogenannte äquivalente Sandrauheiten kS angegeben, die technisch auftretenden Wandrauheiten in ihrer Wirkung entsprechen und Tabellen entnommen werden können, die eine solche Zuordnung herstellen. Typische Werte sind kS = 0,2...0,3 mm für verrosteten Stahl und kS = 1...1,5 mm für verrostetes Gusseisen.
13.5 Illustrierende Beispiele IB-16 bis IB-18
159
L/kS 0,04 102 cW 0,01
103
i y 1y 3i
5i
4i
104 105
i 2y
106 107
0,002 106
108
1010 Re
Abb. AB-15.1: Widerstandsdiagramm einer beidseitig benetzten ebenen Platte der Länge L Re = ρ u∞ L/η 1 : laminar 2 : turbulent mit laminarem Anlauf 3 : turbulent, glatte Wand (C+ = 5) 4 : turbulent, rauhe Wand 5 : turbulent, vollrauhe Wand
Das Widerstandsdiagramm zeigt insbesondere, dass
turbulente Strömungen zu einem deutlich höheren Widerstand führen als laminare Strömungen
die Wandrauheit bei turbulenten Strömungen einen sehr starken Einfluss besitzt
die Re-Abhängigkeit bei vollrauhen Oberflächen verschwindet (weil dann die Wandschicht mit Viskositätseinfluss zerstört ist).
Diese drei Eigenschaften des Widerstandsgesetzes der Plattenströmung gelten gleichermaßen für das Widerstandsgesetz der Rohrströmung, wie bereits im A NWENDUNGSBEISPIEL AB-4 mit der Abb. AB-4.2 auf S. 60 gezeigt worden war.
13.5 Illustrierende Beispiele IB-16 bis IB-18 I LLUSTRIERENDES B EISPIEL IB-16: Widerstand einer längs- bzw. querangeströmten rechteckigen Platte Wenn eine rechteckige ebene Platte der Abmessung L1 L2 mit L1 > L2 von einer homogenen Strömung u∞ = const überströmt wird, so macht es (zunächst erstaunlicherweise) einen Unterschied, ob die Platte längs (in Richtung von L1 ) oder quer (in Richtung von L2 ) angeströmt wird. Dies wird aber verständlich, wenn man die Abhängigkeit des Widerstandes W von der Plattenlänge L betrachtet, die auf eine Ungleichverteilung der Schubspannung mit der Koordinate x zurückgeht (hohe Schubspannung in der Nähe der Vorderkante und abnehmende Werte in x-Richtung). 10
Eine ausführliche Darstellung findet man z.B. in Herwig, H. (2006): Strömungsmechanik, 2. Aufl., Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg
160
13 Strömung in Grenzschichten
Für laminare Strömungen gilt cW = W /( ρ2 u2∞ BL) = 1,328/ ρ u∞ L/η , vgl. das A NWENDUNGS √ BEISPIEL AB-14. Im vorliegenden Fall ist BL = L1 L2 = const, so dass hier W ∼ cW ∼ 1/ L gilt. Damit folgt für das Verhältnis der Widerstandskräfte bei der Längs- und Queranströmung W1 /W2 = L2 /L1 < 1. Die längsangeströmte Platte besitzt also einen kleineren Widerstand. Ihr Flächenanteil mit hohen Schubspannungen in der Nähe der Vorderkante ist geringer als bei der Queranströmung. Für turbulente Strömungen zeigt Abb. AB-15.1 auf S. 159, dass im vollrauhen Bereich keine ReAbhängigkeit von cW vorliegt, so dass hier offensichtlich cW = const und wegen BL = L1 L2 = const auch eine Unabhängigkeit von W in Bezug auf L vorzuliegen scheint. Aber: Die cW -Werte in diesem Gebiet 5isind eine Funktion der relativen Oberflächenrauheit L/kS . Eine bestimmte Platte besitzt einen festen Wert von kS und somit steigende Werte L/kS für steigendes L. Abb. AB-15.1 zeigt, dass cW für steigende Werte von L/kS abnimmt. Auch hier besitzt die längsangeströmte Platte deshalb einen kleineren Widerstand als die querangeströmte Platte gleicher Fläche L1 L2 . Die physikalische Erklärung dafür ergibt sich aus dem Mechanismus, mit dem Wandrauheiten auf den Widerstand wirken. Solange die Rauheitselemente in der viskosen Unterschicht liegen, besitzen sie (wie bei laminaren Grenzschichten) nur einen verschwindend kleinen Einfluss. Erst wenn sie erheblich in die Wandschicht hineinragen (vgl. Abb. 13.4 auf S. 155) entfalten sie durch die Beeinflussung der Turbulenz ihre Wirkung. Da aber die Dicke der Wandschicht, wie auch diejenige der viskosen Unterschicht mit der Lauflänge zunimmt, ragen die Rauheitselemente fester Größe bei einer längeren Platte relativ zur Wandschichtdicke in der Nähe der Hinterkante nicht so weit in die Wandschicht hinein wie bei einer kürzeren Platte. Rauheiten sind bei turbulenten Strömungen deshalb stets als relative Rauheiten kS /δW zu sehen und analog zu y+ als kS+ = kSνuτ , vgl. (13.26), zu schreiben. Da uτ ∼ 1/ ln Re und damit uτ → 0 für L → ∞ gilt, wird kS+ für wachsende Werte von L stets kleiner. Für kS+ < 5 liegen die Rauheiten in der viskosen Unterschicht und besitzen praktisch keinen Einfluss mehr. Sehr lange Platten sind deshalb im weit stromabwärtigen Teil stets hydraulisch glatt (eine Bezeichnung, die den zuvor beschriebenen Zustand meint). I LLUSTRIERENDES B EISPIEL IB-17: Das Teeblätter-Phänomen Teetrinker haben sicherlich schon oft beobachtet, dass sich nach dem Umrühren die Teeblätter auch wenn der Tassenboden eben ist im Zentrum des Bodens sammeln. Wie kommt es dazu? Wenn Teeblätter sinken, besitzen sie offensichtlich eine etwas größere Dichte als das umgebende Teewasser. Im rotierenden Teewasser, in einer Position Aiin Abb. IB-17.1, überkompensiert die Zentrifugalkraft die gegengerichtete Druckkraft aufgrund der Oberflächenauslenkung und die Teeblätter bewegen sich während des Absinkens leicht nach außen. Wenn sie aber in den Bereich der Bodengrenzschicht gelangen, Position Giliegt eine andere Situation vor. Die nach innen gerichtete Druckkraft bleibt unverändert (weil die Außenströmung der Grenzschicht die radiale Druckverteilung aufprägt.) In der Grenzschicht wird das Teeblatt aber abgebremst und verringert seine Winkelgeschwindigkeit (ωG < ωA ). Damit reduziert sich die Zentrifugalkraft und das Kräftegleichgewicht ist gestört. Das Teeblatt bewegt sich so auf das Zentrum zu, dass die radiale Komponente der Widerstandskraft das radiale Kräftegleichgewicht wieder herstellt. Dies führt dazu, dass sich die Teeblätter in der Mitte des Tassenbodens sammeln. Wenn aus einer Flüssigkeit Teilchen mit einer größeren Dichte als derjenigen der Flüssigkeit abgesaugt werden sollen, sollte man diesen Effekt ausnutzen und die Absaugung in der Mitte platzieren. Im ILLUSTRIERENDEN B EISPIEL IB-21 wird diese Strömungssituation noch einmal genauer analysiert.
13.5 Illustrierende Beispiele IB-16 bis IB-18
161
p + dp
p r h
i Ay
dm
dA
(Druckkraft) dAdp
i Gy
dmrωA2 dmrωG2
dA
! (Zentrifugalkraft)
Abb. IB-17.1: Kräftebilanz an einem sinkenden Teeblatt beachte: Die Bodengrenzschicht ist nur schematisch angedeutet
I LLUSTRIERENDES B EISPIEL IB-18: Zwei Blätter „zusammenpusten“ Wenn man zwischen zwei Papierblättern, die man senkrecht und parallel zueinander im Abstand von ein oder zwei Fingerbreiten festhält, hindurch bläst, würde man vielleicht erwarten, dass man sie dadurch voneinander entfernt. Das Gegenteil ist aber der Fall, die Blätter bewegen sich unter der Wirkung der zwischen ihnen strömenden Luft aufeinander zu. Die Erklärung dafür findet man am Besten in einer vergleichbaren aber eindeutiger definierten Situation in Abb. IB-18.1. Dort werden zwei dünne Platten betrachtet, die frei hängend, aber um die Vorderkante drehbar gelagert, in kleinem Abstand zueinander angeordnet sind und von einer homogene Anströmung u∞ durchströmt werden. Bei einer reibungsfreien Strömung würde bei parallel angeordneten Platten zunächst gar nichts geschehen, eine leichte Störung der Plattenposition zueinander würde aber folgenden Prozess auslösen: Wenn die Störung die Platten näher zusammenbringt, entsteht eine Düse und die reibungsfreie Strömung wird beschleunigt. Dabei sinkt der Druck, weil zwischen den Platten der Gesamtdruck ρ 2 ρ 2 2 u∞ + p∞ = 2 uS + pS konstant bleibt. Als Folge davon bewegen sich die Platten weiter aufeinander zu, weil dann auf den Platteninnenseiten ein kleinerer Druck herrscht als auf den Plattenaußenseiten. Wenn die Störung die Platten anfangs weiter voneinander entfernt, entsteht ein Diffusor, der Druck steigt an und die Platten entfernen sich voneinander. Bei reibungsfreier Strömung entscheidet also eine Anfangsstörung darüber, was geschieht. Bei realen, reibungsbehafteten Strömungen entstehen an den zunächst parallelen Platten Wandgrenzschichten, die eine Verdrängungsdicke δ1 gemäß (13.2) besitzen. Um diese δ1 -Werte dicken sich die Wände aus Sicht der weiterhin reibungsfreien Strömung außerhalb der Grenzschichten auf, so dass effektiv ein Querschnitt entsteht, der sich in Strömungsrichtung verengt, also eine Düse darstellt. Wie zuvor erläutert führt dies zu einer beschleunigten Strömung zwischen den Platten in der es in Strömungsrichtung zu einer Druckabnahme kommt. Diese Druckverteilung ist den Grenzschichten aufgeprägt und wirkt deshalb auch an den Wänden, worauf sich diese aufeinander zu bewegen. Die Tatsache, dass sich die durchströmten Platten in einer realen, reibungsbehafteten Strömung stets aufeinander zu bewegen ist damit ein Grenzschichteffekt, der auch das anfänglich beschriebene Verhalten der Blätter beschreibt, zwischen denen man hindurchbläst.
13 Strömung in Grenzschichten
162
(a) reibungsfrei (ohne Grenzschichten)
(b) reibungsbehaftet (mit Grenzschichten) u∞
u∞
p∞
uS
p∞
uS
p∞
Verdrängungswirkung der Wandgrenzschicht
Abb. IB-18.1: Paralleles, um die Vorderkanten drehbar angeordnetes Plattenpaar. Durchströmung mit einer Anfangsgeschwindigkeit u∞ . grau markiert: Strömungsgebiet der reibungsfreien Strömung
163
14 Durchströmung schlanker Kanäle Im Einlaufbereich von schlanken Kanälen mit geometrisch unveränderlichen Querschnitten in Strömungsrichtung herrscht zunächst eine Situation, wie sie zuvor in den Kap. 12 und 13 beschrieben worden war: an der Wand treten Grenzschichten auf, im Inneren des Kanals herrscht eine reibungs- und drehungsfreie Strömung, die als Potenzialströmung modelliert werden kann. Wie in Abb. 14.1 gezeigt, bleibt diese Situation aber nicht für beliebig große Lauflängen erhalten, weil Grenzschichten in x-Richtung anwachsen und damit stromabwärts „zusammenwachsen“. Damit wird dann der gesamte Querschnitt von einer drehungsbehafteten und u.U. turbulenten Strömung ausgefüllt und eine Gebietsunterteilung im Sinne der Grenzschichttheorie entfällt. Sehr weit stromabwärts tritt ein sogenannter ausgebildeter Zustand auf. In diesem Zustand sind die Geschwindigkeitsprofile für ρ = const unabhängig von der Lauflänge und es herrscht ein konstanter Druckabfall dp/dx = const. Dieser ausgebildete Zustand als Endzustand eines Umbildungsprozesses wird nach einer sogenannten hydrodynamischen Einlauflänge Lhyd erreicht.1
14.1 Begriffsbestimmung Schlanke Kanäle können verschiedene Querschnittsformen besitzen und diese müssen auch nicht notwendigerweise x-unabhängig sein. Solange die Kanäle „schlank“ bleiben sind sie für große Lauflängen stets vollständig von einer drehungsbehafteten und u.U. turbulenten Strömung ausgefüllt, weil gegenüberliegende Grenzschichten „zusammenwachsen“. Für die weitere Behandlung solcher Strömungen sollen zunächst die verschiedenen geometrischen Formen schlanker Kanäle durch eine klar definierte Namensgebung unterschieden werden.2 Dies ist mit der Einführung von charakteristischen Längen Lcx , Lcy und Lcz möglich.
Grenzschichtbereich Lhyd
Übergangsbereich
vollausgebildeter Bereich
Abb. 14.1: Strömungsentwicklung in schlanken Kanälen konstanten Querschnittes grau unterlegt: drehungsbehaftete und u.U. turbulente Strömung (Vernachlässigung des laminaren Anlaufbereiches einer turbulenten Grenzschicht)
1
2
Der Zusatz hydrodynamisch wird gewählt, weil es bei Strömungen mit Wärmeübergang auch noch eine thermische Einlauflänge gibt, nach der Temperaturprofile x-unabhängig sind. Die nachfolgende Definition wird nicht allgemein als verbindlich angesehen, so dass der Begriff des „Kanals“ in verschiedenen Literaturquellen durchaus unterschiedlich verwendet wird.
14 Durchströmung schlanker Kanäle
164
D EFINITION: Schlanker, allgemeiner, ebener Kanal; Rohr Schlanke Kanäle liegen vor, wenn Lcx >> Lcy und/oder Lcx >> Lcz gilt. Die Querschnittsgeometrie kann sich in Strömungsrichtung x verändern. Spezialfälle schlanker Kanäle mit x-unabhängigem Querschnitt sind:
allgemeiner Kanal: Schlanker Kanal mit x-unabhängigem Querschnitt beliebiger Form
ebener Kanal (Spalt): oder:
Rohr (kreisförmiger Querschnitt):
Lcx >> Lcy = H Lcx >> Lcz = H
und und
Lcx /Lcz ≈ 1 Lcx /Lcy ≈ 1
Lcx >> Lcy = Lcz = D
Die technisch besonders interessanten schlanken Kanäle sind der ebene Kanal, häufig auch Spalt genannt, und das Rohr. Dem Rohr kommt dabei eine spezielle Bedeutung zu, weil die Ergebnisse für die Rohrströmung mit Hilfe eines sogenannten hydraulischen Durchmessers im Sinne einer Approximation auf allgemeine Kanäle übertragen werden können. Dies wird im folgenden Abschnitt erläutert.
14.2 Ebener Kanal, Rohr, hydraulischer Durchmesser Im Zusammenhang mit der Dimensionsanalyse in Kap. 5 war die ausgebildete Rohrströmung bzgl. ihres Widerstandsgesetzes bereits behandelt worden, s. dazu Abb. AB-4.2 auf S. 60. Im Folgenden soll die Strömungssituation, die in Kap. 5 nur pauschal behandelt werden konnte, genauer beleuchtet werden. 14.2.1 Hydrodynamische Einlauflänge Wie in Abb. 14.1 skizziert, kommt es zu einem Umbildungsprozess eines zunächst homogenen Geschwindigkeitsprofils am Kanaleintritt, der für große Lauflängen zu einem ausgebildeten x-unabhängigen Geschwindigkeitsprofil führt. Die Länge Lhyd , auf der dies geschieht, ist für laminare und turbulente Strömungen (erwartungsgemäß) deutlich verschieden. Eine genauere Analyse der Vorgänge im Grenzschicht- und Übergangsbereich ergibt die in Tabelle 14.1 zusammengestellten Längen für den ebenen Kanal und das Rohr. Danach sind Einlauflängen bei sehr kleinen Reynolds-Zahlen sehr klein. Zum Beispiel gilt für ein Rohr bei Re = 20 gemäß Tabelle 14.1 die Einlauflänge Lhyd ≈ 1,3D. Für große Reynolds-Zahlen besitzen laminare Strömungen aber große Einlauflängen, während turbulente Strömungen wegen des guten Impulsaustausches quer zur Hauptströmungsrichtung nach relativ kurzen Einlauflängen den vollausgebildeten Zustand erreichen. Bei der kritischen Reynolds-Zahl Re = 2300 der Rohrströmung gilt für die (noch) laminare Strömung Lhyd ≈ 130D und für die (schon) turbulente Strömung Lhyd = 15D. 14.2.2 Ausgebildete Strömungen Für große Lauflängen wird in Kanälen mit x-unabhängigen Querschnitten bei konstanter Dichte ein Zustand erreicht, bei dem keine weiteren Veränderungen im Geschwindigkeitsprofil auf-
14.2 Ebener Kanal, Rohr, hydraulischer Durchmesser
165
Tab. 14.1: Hydrodynamische Einlauflängen; Re = ρ uc Lc /η ; Lc = H: Kanal (Spalt)höhe; Lc = D: Rohrdurchmesser; uc = um : querschnittsgemittelte Geschwindigkeit LAMINAR
TURBULENT
ebener Kanal
Lhyd 0,45 = + 0,041 Re H 1 + 0,041 Re/0,45
Lhyd = 8,8Re1/6 H
Rohr
Lhyd 0,6 = + 0,056 Re D 1 + 0,056 Re/0,6
Lhyd = 4,4Re1/6 D
treten. In diesem ausgebildeten Zustand besteht ein Kräftegleichgewicht zwischen den Druckkräften einerseits (diese wirken auf den freien Querschnittsflächen) und den Reibungskräften aufgrund der Wandschubspannungen andererseits (diese wirken an den Wänden, die im Sinne der Impulsbilanz (9.15) ... (9.17) sogenannte gebundene Oberflächen darstellen). Trägheitskräfte treten nicht auf, da es weder zu einer Beschleunigung noch zu einer Verzögerung der Strömung kommt. Die vollständigen Grundgleichungen der Strömungsmechanik (Kap. 15) reduzieren sich deshalb in dieser Strömungssituation auf wenige Terme und stellen sehr einfache Gleichungen zur Bestimmung des Geschwindigkeitsprofils und (daraus abzuleiten) des Widerstandsgesetzes dar. Diese Gleichungen lauten für den ebenen Fall (d.h. für die ebene Kanalströmung)
0
= −
1 dpmod d2 u +ν 2 ρ dx dy
(laminar)
(14.1)
0
= −
d2 u du v 1 dpmod +ν 2 − ρ dx dy dy
(turbulent)
(14.2)
Für eine laminare Strömung kann (14.1) unmittelbar zweimal integriert werden und liefert zusammen mit den Randbedingungen u = 0 an der Wand und du/dy = 0 auf der Symmetrieachse das gesuchte Profil u(y). Diese Lösung stellt eine exakte Lösung der vollständigen Grundgleichungen der Strömungsmechanik dar und ist einer von wenigen Fällen, in denen man solche Lösungen in geschlossener Form finden kann. Die damit beschriebene Strömung wird Poiseuille-(für ebene Strömungen) bzw. Hagen-Poiseuille-Strömung (für rotationssymetrische Strömungen) genannt, da sie bereits Anfang des 19. Jahrhunderts von Jean Poiseuille und Ludwig Hagen angegeben worden sind. Tabelle 14.2 enthält diese Lösungen zusammen mit einigen weiteren Angaben, die unmittelbar aus u(y) gewonnen werden können. Für eine turbulente Strömung liegt leider eine andere Situation vor, weil der turbulente Zusatzterm in (14.2) eine direkte Integration unmöglich macht. Erst wenn (14.2) durch ein Turbulenzmodell ergänzt und die Gleichung damit „geschlossen“ wird, liegt eine prinzipiell lösbare Gleichung vor. Auch hier ist das turbulente Profil durch den Zweischichten-Charakter wandnaher turbulenter Strömungen gekennzeichnet, der in Abb. 13.4 auf S. 155 für Grenzschichten skizziert worden war. Unter Berücksichtigung dieser Zweischichtenstruktur kann ein Widerstandsgesetz bestimmt werden, das ebenfalls in Tabelle 14.2 enthalten ist. Dieses, wie auch das zugehörige Strömungsprofil u(y) stellt aber eine Näherung dar, weil der Turbulenzterm nur im Sinne einer Näherung an die tatsächlichen Verhältnisse modelliert werden kann. Das Geschwindigkeitsprofil
14 Durchströmung schlanker Kanäle
166
kS Dh
0,1 0,09 0,08 λR
5 10
vollrauh
3 10
0,05
2 10
0,04
10
0,03
0,02
10 laminar
hydraulisch glatt
10
0,01
10
3
2
4 68
10
4
2
4 68
10
5
2
4 68
10
6
2
4 68
2
4 68
Re =
ρ um Dh η
7
10
10
-2
-3
-3
4 10
fiktive laminare Strömung
-2
-2
4 10
rauh
-2
-4
-4
-5
Abb. 14.2: Widerstandsgesetz der ausgebildeten Rohrströmung kS /Dh : relative Sandrauheit
ist in Tabelle 14.2 nicht explizit angegeben worden. Es besitzt sehr nahe der Wand einen linearen und im Übergangsgebiet zwischen beiden Schichten einen logarithmischen Verlauf, beides ganz analog zur Grenzschichtströmung, vgl. (13.27). Dies und die hier nicht gezeigte Ähnlichkeit der Widerstandsgesetze für turbulente Grenzschichten und turbulente Kanalströmungen ist wiederum Ausdruck des weitgehend universellen Charakters turbulenter wandgebundener Strömungen. Für die Rohrströmung ist das Widerstandsgesetz λR (Re) in Abb. 14.2 noch einmal dargestellt, vgl. Abb. AB-4.2 auf S. 60. Hier sind jetzt auch wieder die in Tabelle 14.2 nicht enthaltenen Kurven λR für rauhe Wände zu finden. Eine explizite Näherung für λR bei glatten Wänden stellt die auf Heinrich Blasius zurückgehende Formel −1/4
λR = 0,316 ReDh
(14.3)
dar. Hier und in Abb. 14.2 ist die Reynolds-Zahl mit dem Index Dh versehen, was auf den sogenannten hydraulischen Durchmesser hinweist, der anschließend eingeführt wird. 14.2.3 Das Konzept des hydraulischen Durchmessers Für ausgebildete Strömungen lautet das Kräftegleichgewicht in Strömungsrichtung (Druckkräfte = Reibungskräfte) zwischen den zwei gleichen Querschnitten 1jund 2jmit der Querschnittsfläche A, die eine Länge L voneinander entfernt sind
14.2 Ebener Kanal, Rohr, hydraulischer Durchmesser
167
Tab. 14.2: Geschwindigkeitsprofile und Widerstandsgesetze für die ausgebildete ebene Kanal- und Rohrströmung mit glatten Wänden Re = ρ um Lc /η ; Lc = H (ebener Kanal); Lc = D (Rohr) um : querschnittsgemittelte Geschwindigkeit LAMINAR
Geschwindigkeitsprofil ebener Kanal Geschwindigkeitsprofil Rohr Widerstandsgesetz ebener Kanal Widerstandsgesetz Rohr
TURBULENT
u 3 y = 1− um 2 H/2 u y = 2 1− um D/2 48 λR = Re
λR =
64 Re
maximale Geschwindigkeit, ebener Kanal
3 umax = um 2
maximale Geschwindigkeit, Rohr
umax =2 um
— — 8 1 Re λR = ln + 3,3 λR κ 2 8 8 1 Re λR = ln + 1,96 λR κ 2 8 umax λR = 1 + 2,64 um 8 umax λR = 1 + 4,07 um 8
(p2 − p1 )A = −τ˜W UL
(14.4)
Dabei ist U der benetzte Umfang, so dass UL die Fläche ist, auf der die Schubspannung angreift und eine Kraft auf die Strömung entgegen der Strömungsrichtung ausübt. Da die Schubspannung nur in Sonderfällen (Kreis, Spalt) auf dem Umfang konstant ist, muss die Kraft durch Integration über U bestimmt werden. Dies ist gleichwertig mit der Schreibweise in (14.4), wo τ˜W die über dem Umfang gemittelte Schubspannung darstellt. Gleichung (14.4) gilt exakt für beliebige Querschnittsformen. Es wird jetzt die Hypothese aufgestellt, dass der Zusammenhang zwischen τ˜W bzw. ∆p und dem diese Größen erzeugenden Massenstrom m˙ = ρ um A im schlanken Kanal universell (d.h. unabhängig von der Querschnittsform) und damit dann auch gleich dem beim Rohr sei. Für das Rohr gilt (A = π D2 /4 ; U = π D) A D p2 − p1 p2 − p1 τ˜W = = = τ˜W Rohr (m) ˙ (14.5) − − U L 4 L =−dp/dx
=−dp/dx
Der Zusammenhang τW Rohr (m) ˙ ist in dimensionsloser Form als λR = λR (Re, kS /D) in Abb. 14.2 dargestellt. Mit (14.5) kann λR = 8τW /ρ u2m , vgl. das A NWENDUNGSBEISPIEL AB-4 auf S. 58 mit uc = um , auch als
14 Durchströmung schlanker Kanäle
168
λR =
8τW (−dp/dx)2D = 2 ρ um ρ u2m
(14.6)
geschrieben werden. Damit können im Experiment der Druckgradient dp/dx und die mittlere Geschwindigkeit um bestimmt werden, um λR zu bilden (vgl. dazu das A NWENDUNGSBEISPIEL AB-17). Wenn der Zusammenhang (14.5) nun allgemein gelten soll, so entspricht dem Durchmesser D bei der Rohrströmung die Größe 4A/U der allgemeinen Querschnitte, wie (14.5) unmittelbar zu entnehmen ist.
D EFINITION: Hydraulischer Durchmesser Die Größe 4A (14.7) U eines allgemeinen, durchströmten Kanals wird hydraulischer Durchmesser genannt und dient der Behandlung von Kanalströmungen mit beliebiger Querschnittsform analog zur Rohrströmung. Dh =
A
durchströmter Querschnitt
m2
U
benetzter Umfang (τW = 0)
m
Nachdem für einen beliebigen Querschnitt Dh gebildet worden ist, kann mit dieser Größe z.B. Abb. 14.2 verwendet werden, um die Kanalreibungszahl3 λR für diesen Querschnitt zu ermitteln. Die mit der Einführung von Dh verbundene Hypothese kann nur im Vergleich mit der Realität überprüft werden. Dabei zeigt sich:
Bei laminaren Strömungen kommt es zu starken Abweichungen von einem einheitlichen Wi˙ Dies ist am Extremfall der ebenen Kanalströmung (Spaltabstand derstandsgesetz τW = τW (m). H) erkennbar. Wenn diese nach dem Konzept des hydraulischen Durchmessers behandelt wird, ergibt sich4 mit Dh ≡ 4A/U = 2H aus dem Widerstandsgesetz λR = 64/ReDh der Zusammenhang λR = 32/Re mit Re = ρ um H/η = ReDh /2. Tabelle 14.2 zeigt aber, dass λR = 48/Re gilt, eine Abweichung von 33 % bezogen auf den „wahren Wert“.
Bei turbulenten Strömungen sind die Abweichungen von einem einheitlichen Widerstandsgesetz nur sehr gering (häufig unter 2 %), was wieder Ausdruck des weitgehend universellen Verhaltens wandgebundener turbulenter Strömungen ist.
Das Konzept des hydraulischen Durchmessers kann und sollte deshalb vornehmlich für turbulente Strömungen angewandt werden. Es leistet für diese Strömungen sehr gute Dienste, weil damit gute Näherungsaussagen über die Widerstandsgesetze bei allgemeinen Kanälen (beliebige Querschnittsformen) zur Verfügung stehen. 3 4
Diese Bezeichnung wird in Analogie zur Rohrreibungszahl eingeführt. Für den ebenen Kanal als Grenzfall des Rechteckkanals der Höhe H und Breite B gilt Dh ≡ 4A/U = 4HB/2(B + H) = 2H/(1 + H/B) ⇒ Dh = 2H für H/B → 0.
14.3 Schlankkanalgleichungen
169
14.3 Schlankkanalgleichungen Bisher ist von schlanken Kanälen ausgegangen worden, deren Querschnittsformen x-unabhängig sind und in denen sich deshalb ausgebildete Strömungen für x → ∞ einstellen. Häufig treten aber auch Geometrien auf, bei denen keine x-unabhängigen Querschnittsformen vorliegen, die aber gleichwohl die Bedingung der Schlankheit erfüllen (im Sinne der zuvor gegebenen Definition also schlanke Kanäle sind). Die Gleichungen zur Beschreibung der Strömung in solchen Kanälen vereinfachen sich gegenüber den vollständigen Gleichungen auf ganz ähnliche Weise, wie dies bei den Grenzschichtgleichungen der Fall ist. Dies soll hier am Beispiel der laminaren Strömung in schlanken Kanälen gezeigt werden. Da solche schlanken Kanäle oftmals sehr kleine „Spalthöhen“ besitzen, sind die mit dieser Größe gebildeten Reynolds-Zahlen dann relativ klein, so dass laminare Strömungen vorliegen. Die sogenannten Schlankkanalgleichungen für laminare Strömungen lauten formal genauso wie die Grenzschichtgleichungen (13.4) ... (13.6)5
2-D Schlankkanalgleichungen (stationär, inkompressibel, laminar)
u
∂u ∂v + ∂x ∂y
= 0
∂u ∂u +v ∂x ∂y
= −
0
= −
(Kontinuitätsgleichung)
(14.8)
1 ∂ pmod ∂ 2u +ν 2 ρ ∂x ∂y
(x-Impulsgleichung)
(14.9)
1 ∂ pmod ρ ∂y
(y-Impulsgleichung)
(14.10)
Trotz der formalen Übereinstimmung mit den Grenzschichtgleichungen ergibt sich ein deutlicher Unterschied zu diesen. Bei Grenzschichten wird der Druck durch die Außenströmung aufgeprägt, ist dort also eine bekannte Größe. Im schlanken Kanal ist der Druck aber ein Teil der gesuchten Lösung. Wenn nun (14.10) dazu benutzt wird ∂ pmod /∂ x als dpmod /dx zu schreiben (wie dies bei Grenzschichten üblich ist), verbleiben nur noch zwei Gleichungen zur Bestimmung der drei Größen u(x, y), v(x, y) und p(x). Aber: anders als bei den Grenzschichtgleichungen gilt jetzt die zusätzliche Bedingung, dass der endliche Massenstrom m˙ = ρ Aum im Kanal erhalten bleibt, was dann als dritte (jetzt algebraische) Gleichung hinzutritt. Das Gleichungssystem (14.8) bis (14.10) kann mit den entsprechenden Randbedingungen in der Regel nur numerisch gelöst werden. Es ist sofort erkennbar, dass es im Fall der ausgebildeten Strömung (dann gilt ∂ u/∂ x = 0) in (14.1) übergeht.
5
Für eine systematische Herleitung s. z.B. Herwig, H. (2004): Strömungsmechanik A-Z, Vieweg Verlag, Braunschweig Stichwort: Schlankkanalgleichungen
14 Durchströmung schlanker Kanäle
170
14.4 Anwendungsbeispiele AB-16, AB-17 A NWENDUNGSBEISPIEL AB-16: Strömungswiderstand in Kanälen mit Kreis-, Quadrat- und Dreiecksquerschnitten Problem: Es soll untersucht werden, ob es unter dem Gesichtspunkt des Strömungswiderstandes u.U. sinnvoll ist, einen bestimmten Massenstrom statt in einem Rohr mit dem Querschnitt A in Kanälen mit einem quadratischen oder dreieckigen Querschnitt aber gleicher Querschnittsfläche A zu fördern. Lösung: Der Massenstrom m˙ = ρ um A fließt in einem Rohr mit der Querschnittsfläche A bei einer Reynolds-Zahl ˙ ρ um D mD = η ηA Gemäß dem Konzept des hydraulischen Durchmessers gilt damit für einen allgemeinen Kanal Re◦ =
ReDh =
mD ˙ h ηA
2 Für einen Quadratquerschnitt H 2 gilt Dh ≡ 4A/U = H. Aus A = π D2 /4 √ = H folgt für den hydraulischen Durchmesser des Quadrates mit der Fläche A jetzt Dh = H = D π /2 ≈ 0,887 D, so dass √ π Re = Re◦ ≈ 0,887 Re◦ 2 √ Für einen Querschnitt als gleichseitiges Dreieck der Seitenlänge H gilt Dh ≡ 4A/U = H/ 3. Aus √ 2 A = π D2 /4 √ = H 3/4 folgt √ für den hydraulischen Durchmesser des Dreiecks mit der Fläche A jetzt Dh = H/ 3 = D π /3/ 4 3 ≈ 0,778 D, so dass π /3 Re = Re◦ √ ≈ 0,778 Re◦ 4 3 Beide Querschnitte besitzen kleinere hydraulische Durchmesser als der Kreisquerschnitt und damit kleinere Reynolds-Zahlen ReDh . Tatsächlich gilt diese Aussage für jeden vom Kreis abweichenden Querschnitt mit der Fläche A, weil der Kreis die geometrische Flächenbegrenzung ist, die bei gegebenem Umfang den größten Flächeninhalt besitzt (und damit wegen Dh = 4A/U den größten hydraulischen Durchmesser). Abb. 14.2 auf S. 166 zeigt nun, dass λR für sinkende Reynolds-Zahlen stets ansteigt, so dass Kanäle mit Querschnitten, die vom Kreis abweichen in der vorliegenden Situation stets höhere Widerstände besitzen. Lediglich bei vollrauhen, turbulenten Strömungszuständen würde keine Verschlechterung auftreten. Man wird aber schon unter Fertigungsgesichtspunkten bei der „bewährten“ Rohrgeometrie bleiben.
A NWENDUNGSBEISPIEL AB-17: Bestimmung des Widerstandsgesetzes einer Kanalströmung unter erschwerten Bedingungen Problem: Es soll mit experimentellen Mitteln das Widerstandsgesetz
λR ≡
(−dp/dx)2D = λR (Re) ρ u2m
für die Strömung in einem Rohr mit einem spiralförmigem Einsatz bestimmt werden. Solche Einsätze werden verwendet, um den Wärmeübergang zu verbessern, führen aber auch zu einem (eigentlich unerwünschten) Anstieg des Druckverlustes gegenüber einem einfachen Rohr ohne Einsatz. Für die
14.4 Anwendungsbeispiele AB-16, AB-17
171
Bestimmung des Widerstandgesetzes stehen lediglich das Rohr vom Durchmesser D = 10 mm und der Länge L = 4 m, zwei Behälter, Schlauchverbindungen und eine einfache (wenn auch präzise) Küchenwaage zur Verfügung. Es soll ein Weg gefunden werden, mit diesen Mitteln λR (Re) zu bestimmen. Lösung: Der direkte Weg, im ausgebildeten Zustand den Druckabfall ∆p auf einer Lauflänge L zu messen, daraus dp/dx = ∆p/L zu bestimmen und mit dem ebenfalls gemessenen Massenstrom (→ um ) dann λR zu bilden, kann hier nicht realisiert werden, weil ∆p nicht gemessen werden kann. Ein Weg, der mit den vorhandenen Mitteln dennoch zum Ziel führt, ist in Abb. AB-17.1 skizziert.
i 1y
Höhenverstellung für den Vorratsbehälter
Zulauf Überlauf pUmg = 1 bar Vorratsbehälter
H ∆prV
∆paZ
2m
2m
i 2y
Auffangbehälter
Waage
Abb. AB-17.1: Versuchsanordnung zur Bestimmung des Widerstandsgesetzes λR (Re)
Ein mit Wasser gefüllter Vorratsbehälter wird mit einem Überlauf versehen und sorgt damit in der gezeigten Anordnung für ein konstantes Höhenniveau H. Dieses ist verstellbar, so dass unterschiedliche Massenströme realisiert werden können. An der Wasseroberfläche 1iim Vorratsbehälter und am Austritt des Strahles 2iam Rohrende herrscht Umgebungsdruck, so dass die erweitere BernoulliGleichung (8.7) zwischen 1iund 2imit uS1 = 0 (Überlauf), uS2 = um , p1 = p2 = pumg , y1 = H, y2 = 0, wt12 = 0 ergibt
ρ 2 (i) u + ρϕ12 2 m √ Bei reibungsfreier Strömung (ϕ12 = 0) würde das Wasser mit um = 2gH ausströmen (vgl. IB-10; Torricellische Ausflussformel), Reibungsverluste verringern um . Der Druckverlust ρϕ12 soll gedanklich in zwei Anteile zerlegt werden: ∆paZ als Druckverlust auf den letzten 2 Metern des 4 Meter langen Rohres und ∆prV als „restlichen Verlust“. Dabei wird davon ausgegangen, dass auf den letzten 2 Metern ein ausgebildeter Zustand (Index: aZ) vorliegt, was auf den ersten 2 Metern noch nicht der Fall ist. Damit gilt ρ gH =
14 Durchströmung schlanker Kanäle
172
ρ 2 (ii) u − ∆prV 2 m Die Austrittsgeschwindigkeit uS2 = um kann durch einen Wiegevorgang ermittelt werden, indem in einem stationären Strömungszustand die Massenzunahme ∆m im Auffangbehälter in der Zeit ∆t bestimmt wird. Daraus folgt mit m˙ = ∆m/∆t = ρ um π D22 /4 ∆paZ = ρ gH −
um =
4∆m ρπ D22 ∆t
(iii)
so dass auf der rechten Seiten von (ii) nur noch ∆prV unbekannt ist. Dieser Druckverlustanteil lässt sich mit folgendem „Trick“ bestimmen: Der Versuch wird wiederholt (Kennzeichnung durch ein hochgestelltes x), aber mit einem Rohr der halben Länge, also ohne die letzten 2 Meter. Bei sonst unveränderten Verhältnissen, würde uxm jetzt gegenüber um ansteigen, weil ein um ∆paZ geringerer Druckverlust vorliegt. Wenn man nun ein H x so einstellt, dass uxm = um gilt, so folgt (mit Querschnitt 2ijetzt am Ende des verkürzten Rohres) aus (i) x mit ∆prV = ρϕ12 : ∆prV = ρ gH x − ρ2 ux2 m . Eine erste experimentelle Annäherung an um besteht darin, H x so einzustellen, dass die „Wurfweite“ des Austrittsstrahls in beiden Fällen gleich ist. Insgesamt gilt jetzt also mit uxm = um ∆paZ = ∆p = ρ g(H − H x ) Zusammen mit dem Wert für um kann jetzt also
λR =
(−∆p/L)2D ρ u2m
und Re =
ρ um D η
als ein Wertepaar der gesuchten Funktion λR = λR (Re) bestimmt werden. Wiederholungen mit anderen Anfangswerten H ergeben weitere Werte. Die beschriebene Art des Vorgehens stellt sicher, dass λR im vollausgebildeten Teil der Rohrströmung ermittelt wird und nicht (unerlaubte) Einlaufeffekte mit erfasst werden. Nach 2 Metern gilt L/D = 200, womit von einer ausgebildeten Strömung ausgegangen werden kann.
14.5 Illustrierende Beispiele IB-19, IB-20 I LLUSTRIERENDES B EISPIEL IB-19: Poiseuille-Zahlen für die laminare Strömung in verschiedenen Geometrien Bei der Einführung des hydraulischen Durchmessers (14.7) war bereits darauf hingewiesen worden, dass die Kanalreibungszahlen λR bei laminarer Strömung für verschiedene Geometrien stark variieren (und damit das Konzept des hydraulischen Durchmessers bei laminaren Strömungen nicht angewandt werden sollte). Die nachfolgende Abbildung zeigt, wie sich λR bzw. die Poiseuille-Zahl Po = λR ReDh für verschiedene Rechteck- und Kreisring-Querschnitte unterscheidet. Der dabei eingeführte Parameter Λ besitzt die Grenzwerte Λ = 0 und Λ = 1. Für Λ = 0 gehen beide Geometrien in die des ebenen Kanals über. Dass die Kreisring-Geometrie für kleine Werte von Λ, also für Geometrien „in der Nähe“ diese Grenzfalles keine deutlichen Änderungen in Po aufweist, lässt darauf schließen, dass Krümmungseffekte in diesem Zusammenhang keinen großen Einfluss besitzen. Dass andererseits Po bei der Rechteckgeometrie für ansteigendes Λ schnell abfällt, bedeutet einen offensichtlich starken Effekt der Seitenwände (Randeffekte). Für Λ = 1 liegt die Geometrie des Kreises bzw. des Quadrates vor. Bei der Annäherung an diesen Grenzfall (Λ → 1) zeigt der Kreisring-Querschnitt eine sehr starke Veränderung von Po. Dies rührt offensichtlich daher, dass für Werte sehr nahe bei Λ = 1 noch erhebliche Unterschiede zur Rohrströmung vorliegen, weil das sehr kleine Innenrohr, solange es existiert an seiner Wand die Haftbedingung erzwingt und damit des Strömungsprofil stark beeinflusst.
14.5 Illustrierende Beispiele IB-19, IB-20
173
100 96 Di Da
Po = λR ReDh 84 80
B
A
76 72 68 64 60 56 0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1 Λ = 1 −
Di A = Da B
Abb. IB-19.1: Widerstandsgesetz Po = λR ReDh für Rechteck-Querschnitte mit verschiedenen A/B Kreisring-Querschnitte mit verschiedenen Di /Da
I LLUSTRIERENDES B EISPIEL IB-20: Polymerzusätze zur Widerstandsreduktion Turbulente Strömungen besitzen gegenüber laminaren Strömungen einen deutlich höheren Widerstand, weil zum molekularen Impulsaustausch quer zur überströmten Wand der sehr effektive turbulente Austauschmechanismen hinzutritt (der als Wirkung einer zusätzlichen (scheinbaren) Viskosität interpretiert werden kann, s. (13.19)). Wenn es nun gelingt, diesen Mechanismus „zu dämpfen“, wird auch der Widerstand gegenüber dem laminaren Fall nicht so stark ansteigen. Der Zusatz von langkettigen Molekülen zu Newtonschen Fluiden dämpft die turbulenten Schwankungsbewegungen und führt damit zu einer deutlichen Reduktion des Widerstandes in solchen „geimpften“ Strömungen. Es zeigt sich, dass schon sehr geringe Mengen ausreichen, um einen erkennbaren Effekt zu erzielen. So führt z.B. bereits der Zusatz eines einzigen Tropfens in mehreren hundert Litern Wasser zu einer Widerstandsreduktion von bis zu 80 %! Details findet man z.B. in: Jovanovi´c, J. et al. (2006): On the mechanisms responsible for turbulent drag reduction by dilute addition of high polymers: theory, experiments, simulations and predictions, J. of Fluids Engineering, Vol. 128, 118 130. Ein ernsthaftes Problem stellt allerdings die sogenannte Degradation der Polymerzusätze dar, die durch das Aufbrechen der langen Molekülketten in Gebieten mit hoher Scherspannung (z.B. bei der Durchströmung von Pumpen) entsteht. Anwendungsbeispiele für die Widerstandsreduktion durch Polymerzusätze findet man beim Erdöltransport in langen Pipelines oder bei der Feuerwehr, die deutlich erhöhte Strahlreichweiten erzielt, wenn dem Wasser Polymere zugesetzt werden (Brandbekämpfung bei Hochhäusern!).
175
15 Grundgleichungen für Newtonsche Fluide Während bisher erhebliche Vereinfachungen in der Modellierung durch die Beschränkung auf ein- und zweidimensionale Strömungen bzw. die Einführung einer Gebietszerlegung des Strömungsfeldes galten, sollen jetzt die Differentialgleichungen bereitgestellt werden, mit deren numerischen Lösungen in dreidimensionalen Gebieten eine Modellierung ohne Gebietszerlegung möglich ist. Im Sinne von Abb. 4.1 auf S. 46 handelt es sich dabei um numerische Simulationen realer Probleme. Die Grundgleichungen zur Berechnung von Strömungen entstehen durch die konsequente Anwendung der physikalischen Prinzipien der Massen-, Impuls- und Energieerhaltung auf strömende Fluide. Dabei entstehen zunächst Bilanzgleichungen, in denen Spannungen (Normal- und Schubspannungen) sowie bisher nicht berücksichtigte Wärmeströme auftreten. Solange nicht bekannt ist, wie diese Spannungen mit dem Geschwindigkeitsfeld und die Wärmeströme mit dem Temperaturfeld gekoppelt sind, stellen die Gleichungen aber noch kein geschlossenes, lösbares Gleichungssystem dar. Erst wenn dieser Zusammenhang in Form von zwei sogenannten konstitutiven Gleichungen hergestellt wird, entsteht ein lösbares System aus Gleichungen für die drei Geschwindigkeitskomponenten, den Druck und die Temperatur. Die Dichte und die spezifische Wärmekapazität werden dabei als thermodynamische Größen in ihrer Abhängigkeit vom Druck und von der Temperatur als bekannt vorausgesetzt. Wenn mit den konstitutiven Gleichungen sogenannte Transportkoeffizienten eingeführt werden, so ist auch deren mögliche Abhängigkeit vom Druck und von der Temperatur als bekannt vorauszusetzen. Für Newtonsche Fluide, siehe Abschn. 2.1.1 bzw. (2.1), wird eine konstitutive Gleichung
τi j = η (
∂ ui ∂ u j 2 + − δi j divv) ∂ x j ∂ xi 3
(15.1)
aufgestellt, die alle neun Komponenten des sogenannten Spannungstensors τi j mit dem Geschwindigkeitsfeld verknüpft.1 Die Indexschreibweise erlaubt hier eine kompakte Darstellung, bei der xi und x j für x, y, z stehen, ui und u j für u, v, w und δi j = 0 für i = j, δi j = 1 für i = j gilt. Hierin ist η die molekulare Viskosität, die bereits in (2.1) eingeführt worden war. Der Term mit δi j ist erforderlich, weil der Druck (der eigentlich eine Normalspannung darstellt) abgespalten werden soll. Mit (15.1) können die Bilanzgleichungen geschlossen werden und ergeben dann die für Newtonsche Fluide gültigen Grundgleichungen, die als Navier-Stokes-Gleichungen bekannt sind.2
1 2
Tensoren sind hier 3 × 3 Matrizen mit je drei Eintragungen für die x-, y- und z-Komponente. Eine häufig verwendete konstitutive Gleichung für die Schließung der Energiegleichung ist der Fourier-Ansatz q = −λ grad T mit λ als Wärmeleitfähigkeit. Im Folgenden werden aber nur inkompressible Strömungen betrachtet, für die das Temperaturfeld zunächst unberücksichtigt bleiben kann, weil dann nur eine einseitige Kopplung zwischen dem Strömungs- und dem Temperaturfeld besteht (keine Rückwirkung des Temperaturfeldes auf das Strömungsfeld).
15 Grundgleichungen für Newtonsche Fluide
176
15.1 Grundgleichungen Ohne weitere formale Ableitungen seien hier die Grundgleichungen für eine dreidimensionale, inkompressible und laminare Strömung angegeben. Die Gleichungen gelten in einem ortsfesten kartesischen Koordinatensystem, so dass D... ∂ ... ∂ ... ∂ ... ∂ ... = +u +v +w Dt ∂t ∂x ∂y ∂z
(15.2)
als formale Abkürzung eingeführt wird, wie dies in Abschnitt 12.1.1 erläutert wurde.
Navier-Stokes-Gleichungen für laminare, inkompressible Strömungen
∂u ∂v ∂w + + =0 ∂x ∂y ∂z Du Dt
=
Dv Dt
=
Dw Dt
=
2
1 ∂ pmod ∂ u ∂ 2u ∂ 2u − +ν + + ρ ∂x ∂ x2 ∂ y2 ∂ z2 2
1 ∂ pmod ∂ v ∂ 2v ∂ 2v − +ν + + ρ ∂y ∂ x2 ∂ y2 ∂ z2 2
1 ∂ pmod ∂ w ∂ 2w ∂ 2w − +ν + 2 + 2 ρ ∂z ∂ x2 ∂y ∂z
(Kontinuitätsgleichung) (15.3)
(x-Impulsgleichung)
(15.4)
(y-Impulsgleichung)
(15.5)
(z-Impulsgleichung)
(15.6)
Mit den zugehörigen Rand- und Anfangsbedingungen können diese Gleichungen prinzipiell gelöst werden. Es gelingt allerdings nicht, Lösungen (außer für sehr spezielle Fälle) in geschlossener Form zu finden, so dass stattdessen numerische Näherungslösungen gesucht werden. Der damit befasste Bereich der Strömungsmechanik firmiert unter der Abkürzung CFD, vgl. dazu die Ausführungen gegen Ende von Abschnitt 4.1.
15.2 Grundgleichungen für turbulente, inkompressible Strömungen Der Übergang zu einem Gleichungssystem für die zeitgemittelten Größen u, v, w und p erfolgt genauso, wie dies in Abschnitt 13.3 für die turbulenten Grenzschichten beschrieben worden ist. Wenn wieder (15.2) als formale Abkürzung eingeführt wird, lauten die Grundgleichungen für turbulente Strömungen danach
15.2 Grundgleichungen für turbulente, inkompressible Strömungen
177
Navier-Stokes-Gleichungen für turbulente, inkompressible Strömungen
∂u ∂v ∂w + + =0 ∂x ∂y ∂z Du Dt
(Kontinuitätsgleichung)
2
1 ∂ pmod ∂ u ∂ 2u ∂ 2u = − +ν + + (x-Impulsgleichung) ρ ∂x ∂ x2 ∂ y2 ∂ z2 ∂ u2 ∂ u v ∂ u w + + − ∂x ∂y ∂z
Dv Dt
= −
Dw Dt
=−
2
1 ∂ pmod ∂ v ∂ 2v ∂ 2v +ν + + (y-Impulsgleichung) ρ ∂y ∂ x2 ∂ y2 ∂ z2 ∂ v u ∂ v2 ∂ v w + + − ∂x ∂y ∂z
2
1 ∂ pmod ∂ w ∂ 2w ∂ 2w +ν + + (z-Impulsgleichung) ρ ∂z ∂ x2 ∂ y2 ∂ z2 ∂ w u ∂ w v ∂ w2 + + − ∂x ∂y ∂z
(15.7)
(15.8)
(15.9)
(15.10)
Für die dann erforderliche Turbulenzmodellierung gibt es zwei grundsätzlich verschiedene Ansätze:
Eine einheitliche Behandlung aller (neun) auftretenden turbulenten Zusatzspannungen τti j = ρ ui uj mit Hilfe der Wirbelviskosität ηt . Dann entstehen sogenannte Wirbelviskositäts-Turbulenzmodelle (engl.: eddy viscosity models). Eine „individuelle“ Behandlung aller (neun) auftretenden turbulenten Zusatzspannungen τti j . Da diese Spannungen auch Reynoldsche Spannungen genannt werden, entstehen dann sogenannte Reynolds-Spannungs-Turbulenzmodelle (engl.: Reynolds stress models).
Im Weiteren wird nur der Wirbelviskositätsansatz beschrieben. Erst in den letzten Jahren gewinnt auch die Reynolds-Spannungs-Modellierung für technische Anwendungen an Bedeutung. Analog zu (13.19) und in Anlehnung an die Form (15.1) für die viskosen Spannungen wird die Wirbelviskosität ηt für komplexe Strömungen wie folgt eingeführt.
15 Grundgleichungen für Newtonsche Fluide
178
D EFINITION: Wirbelviskosität in komplexen Strömungen Komplexe Strömungen besitzen einen Tensor der Geschwindigkeitsgradienten ∂ ui /∂ x j und einen turbulenten Schubspannungstensor ρ ui uj . Solche Strömungen können durch die für alle Komponenten einheitliche Wirbelviskosität ηt mit ∂ ui ∂ u j 2 2 τti j = ρ ui uj = ηt + − δi j divv − δi j ρ k (15.11) ∂ x j ∂ xi 3 3 so beschrieben werden, dass ein geschlossenes Gleichungssystem entsteht. Der gegenüber (15.1) zusätzliche letzte Term in (15.11) enthält die spezifische turbulente kinetische Energie k der Schwankungsbewegung, definiert als 1 2 (15.12) u + v2 + w2 2 Er führt bei der Aufsummierung über die Hauptdiagonale des turbulenten Spannungstensors auf −ρ (u2 + v2 + w2 ). Dies kann dem gemittelten Druck „zugeschlagen“ werden, bedeutet aber, dass in turbulenten Strömungen der Druck dann nicht mehr genau dem thermodynamischen Druck entspricht. Eine Turbulenzmodellierung in komplexen Strömungen besteht nun wieder darin, die skalare Feldgröße ηt = ηt (t, x, y, z) zu bestimmen. Dies wird mit z.T. aufwendigen Modellen versucht. Ein sehr häufig verwendetes Modell ist das sogenannte k-ε -Modell, bei dem die kinetische Energie k der turbulenten Schwankungsbewegung und ihre Dissipation ε mit Hilfe von zwei partiellen Differentialgleichungen berechnet und anschließend zu der gesuchten Größe ηt = ρ Cµ k2 /ε kombiniert werden. Dieses Modell besitzt fünf Konstanten, die für verschiedene Strömungen einheitliche Werte aufweisen. In diesem Sinne gilt z.B. C µ = 0,09. Mit Hilfe der Wirbelviskosität ηt und deren Modellierung entsteht aus den Gleichungen (15.7) ... (15.10) ein System aus vier Gleichungen zur Bestimmung der Größen u, v, w und p als Feldgrößen im Strömungsgebiet. Auch dieses Gleichungssystem (genannt RANS = Reynolds averaged Navier-Stokes) kann nach Festlegung von Rand- und Anfangsbedingungen nur mit Hilfe numerischer Methoden (näherungsweise) gelöst werden, siehe dazu auch Abschn. 7.2.2. k=
15.3 Illustrierende Beispiele IB-21, IB-22 I LLUSTRIERENDES B EISPIEL IB-21: Das Teeblätter-Phänomen numerisch betrachtet (vgl. IB17) Mit Hilfe numerischer Modellrechnungen (CFD code: FLUENT) können die Verhältnisse beim Teeblätter-Problem genauer untersucht werden. Dieses Beispiel macht deutlich, dass bei solchen Berechnungen stets physikalisch begründete Vereinfachungen erforderlich sind. Es wird aber auch die Stärke von CFD-Lösungen sichtbar, weil auf der Ebene der numerischen Modellierung beispielsweise Randbedingungen beliebig an- oder abgeschaltet werden können, was in der Realität nicht möglich ist, aber sehr zum Verständnis der Vorgänge beitragen kann. Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass die Teeblätter der Strömung mit einem gewissen Schlupf folgen, in ihrer Bewegung aber den prinzipiellen Strömungsverlauf „nachzeichnen“. Deshalb
15.3 Illustrierende Beispiele IB-21, IB-22
179
kann die Strömung alleine betrachtet werden, wenn anschließend durch den Verlauf von Stromlinien der Weg deutlich wird, den die Teeblätter als eingebrachte „Tracer-Partikel“ prinzipiell nehmen würden. Dabei ist zu beachten, dass hier eine instationäre Strömung vorliegt, bei der sich wegen der Zeitveränderlichkeit des Strömungsfeldes auch die zu jedem Zeitpunkt identifizierbaren Stromlinien verändern. Ein momentan vorliegendes Stromlinienbild stellt deshalb kein Feld von Linien dar, entlang denen sich die Fluidpartikel im Laufe der Zeit bewegen (Stromlinien sind bei instationären Strömungen keine Bahnlinien). Trotzdem gibt das momentane Stromlinienfeld einen Eindruck der jeweils momentan vorliegenden Strömung, weil alle (momentanen) Strömungsvektoren definitionsgemäß in Richtung der (momentanen) Stromlinien weisen. In diesem Sinne können im Folgenden Stromlinien herangezogen werden, um Strömungsrichtungen zu charakterisieren. Für die Testrechnungen sollen nicht die Detailvorgänge um den bewegten Teelöffel herum simuliert werden, sondern die Rotationsbewegung des Fluides wird folgendermaßen erzeugt: Ausgangspunkt ist die Starrkörperrotation (Winkelgeschwindigkeit ω0 ) eines Fluides (hier: Wasser) in einem zylindrischen Gefäß mit Boden und Deckel, s. Abb. IB-21.1, also in einem vollständig gefüllten und geschlossenem Gefäß . In einem mit ω0 mitdrehenden Koordinatensystem ist das Fluid genauso in Ruhe wie es die Wände sind. Die Fluidoberfläche wäre aber ohne Deckel nicht mehr eben, weil in dem mitbewegten Koordinatensystem (gegenüber dem ruhenden System) eine zusätzliche Volumenkraft (Zentrifugalkraft) als sogenannte scheinbare äußere Kraft wirkt. Diese würde zu der bekannten parabelförmigen Verformung einer freien Oberfläche unter der Wirkung des konstanten Umgebungsdruckes führen. Für diesen Fall müßte das Gefäß natürlich hoch genug sein, um ein Ausfließen des Fluides zu verhindern. Durch den Deckel wird eine ebene Fluidgrenze erzwungen, es liegt dann aber am Deckel ein radial nach außen zunehmender Druck vor. In dieser Modellvorstellung ist das Gefäß geschlossen und vollständig gefüllt. Zum Zeitpunkt t0 wird das Gefäß nun plötzlich angehalten und die Strömung wird von jetzt ab im gefäßgebundenen ruhenden Koordinatensystem in ihrer zeitlichen Entwicklung verfolgt. Unmittelbar nach t0 befindet sich das Fluid bezogen auf das ruhende Koordinatensystem in einer gleichförmigen Starrkörperrotation, die aber für t > t0 durch die zunehmende Wirkung der Haftbedingung an den ruhenden Wänden verändert wird. Dabei werden zwei verschiedene Modell-Fälle betrachtet: Fall A: Nur die Seitenwand wird angehalten, dort wird also die Haftbedingung wirksam und führt zur Ausbildung einer zeitlich anwachsenden Seiten-Grenzschicht. Die Haftbedingung am Boden und am Deckel wird nicht aktiviert, bleibt also in dieser Modellrechnung unwirksam. Diese Situation ist in der Realität nicht herstellbar, weil auch ein mit ω0 mitbewegter Boden bzw. Deckel nur unmittelbar nach t0 keine Relativgeschwindigkeit zum gesamten Fluid aufweisen würde. Dieser fiktive Fall A dient dazu, den Einfluss der Bodengrenzschicht im nachfolgenden (realitätsnäheren) Fall B besser erkennen zu können. Abb. IB-21.1 zeigt für den Fall A eine Stromlinie der vollkommen rotationssymmetrischen Strömung, die für t → ∞ allmählich zur Ruhe kommt. Die Stromlinie (zu einem bestimmten Zeitpunkt t > t0 ) liegt in Bodennähe, jede andere Stromlinie würde ebenfalls eine Kreisform besitzen. Fall B: Gegenüber Fall A wird jetzt zum Zeitpunkt t0 zusätzlich auch die Haftbedingung am Boden aktiviert. Die Haftbedingung am Deckel bleibt ausgeschaltet und simuliert damit eine freie Oberfläche. Insgesamt entsprechen jetzt die Randbedingungen weitgehend denen im realen „Teetassen-Problem“. Abb. IB-21.2 zeigt den jetzt stark dreidimensionalen Charakter der Strömung, wobei die zunächst bodennahe Stromlinie spiralförmig nach innen, oben, außen, unten und wieder nach innen verläuft. Bei der Interpretation dieses Stromlinienverlaufes muss beachtet werden, dass (wie bereits erwähnt) Stromlinien in instationären Strömungen keine Bahnlinien sind. Trotzdem zeigt Abb. IB-21.2, dass zu dem dort gewählten Zeitpunkt Teilchen, die sich auf dieser Stromlinie befinden, sich (momentan) entlang der Stromlinie bewegen. Insbesondere ist dabei die prinzipielle Bewegung in Bodennähe auf das Zentrum hin erkennbar, sowie die Aufwärtsbewegung in der Nähe der Zylinderachse
180
15 Grundgleichungen für Newtonsche Fluide
und die Abwärtsbewegung in Außenwandnähe. Abb. IB-21.3 zeigt einen Ausschnitt aus dem Sekundär„strömungs“feld im Mittelschnitt. Die sogenannte Sekundärströmung ist hier als zirkulierende Bewegung erkennbar. Aus dieser prinzipiellen Strömungsform kann der Transport von Teeblättern auf das Bodenzentrum abgeleitet werden. Wenn die Teeblätter prinzipiell der Strömung folgen, werden sie sich in der Abklingphase im Zentrum auf dem Boden sammeln, weil sie gegen Ende der Bewegung im Zentrum nicht mehr nach oben (und anschließend nach außen) bewegt werden, sondern unter ihrem Eigengewicht dort nach unten sinken.
Abb. IB-21.1: Fall A: Haftbedingung an der Seitenwand, nicht aber am Boden und Deckel Numerische Lösung mit FLUENT Eingezeichnet ist eine Stromlinie in Bodennähe zu einem bestimmten Zeitpunkt t > t0 .
15.3 Illustrierende Beispiele IB-21, IB-22
181
Abb. IB-21.2: Fall B: Haftbedingung an der Seitenwand und am Boden, nicht aber am Deckel Numerische Lösung mit FLUENT Eingezeichnet ist eine Stromlinie, die in Bodennähe beginnt, innen Spiralförmig aufsteigt, außen spiralförmig absteigt, erneut innen aufsteigt, und in Deckelnähe endet.
Abb. IB-21.3: Sekundärströmung im Mittelschnitt (Ausschnitt, rechter unterer Teil)
Weitere Details können der folgenden Originalarbeit entnommen werden: Herwig, H.; Hölling, M.; Eisfeld, T. (2005): Sind Sekundärströmungen noch zeitgemäß?, Forschung im Ingenieurwesen, Bd. 69, 115-119
15 Grundgleichungen für Newtonsche Fluide
182
I LLUSTRIERENDES B EISPIEL IB-22: Turbulenzmodelle im Vergleich Mit Hilfe verschiedener Turbulenzmodelle soll eine ausgebildete, turbulente ebene Kanalströmung (glatte Wand) berechnet und mit Hilfe der Ergebnisse anschließend die Kanalreibungszahl λR bestimmt werden. Zusätzlich soll gezeigt werden, wie sich die Auswahl des numerischen Gitters auf die Ergebnisse auswirkt. Dazu werden drei verschiedene Turbulenzmodelle und drei verschieden feine Gitter miteinander kombiniert. Es werden damit neun Lösungen erzeugt, und zwar (Re = ρ um H/η ):
für eine relativ kleine Reynolds-Zahl Re = 4 586. Als „wahrer“ Wert wird dabei das Ergebnis einer DNS-Rechnung angesehen (die der Literatur entnommen wird), s. dazu Abschnitt 7.2.1. für eine relativ große Reynolds-Zahl Re = 200 000. Als „wahrer“ Wert wird ein experimentell ermittelter Wert angesehen.
Abb. IB-22.1 zeigt die jeweils neun Ergebnisse. Als zentrale Aussage enthalten die Kreise die jeweilige prozentuale Abweichung zu den „wahren“ Werten. Zusätzlich sind die y+ -Werte, vgl. (13.26), der wandnächsten Zellmittelpunkte angegeben, die für die Bewertung der Ergebnisse von Bedeutung sind. Diese Zellen entstehen als sogenannte finite Volumen im numerischen Gitter. Die Ergebnisse zeigen Abweichungen bis zu 110 %. Diese Extremwerte können einer nicht adäquaten Modellierung zugeschrieben werden. Ohne an dieser Stelle auf Details einzugehen, macht das Beispiel deutlich, dass numerische Berechnungen turbulenter Strömungen offensichtlich eine physikalisch begründete Auswahl eines geeigneten Turbulenzmodells wie auch eines dem Problem angepassten numerischen Gitters erfordert. Weitere Einzelheiten zu den verwendeten Turbulenzmodellen und den numerischen Gittern können folgender Originalarbeit entnommen werden: Hölling, M., Herwig, H. (2004): CFD-TODAY: Anmerkungen zum kritischen Umgang mit kommerziellen SoftwareProgrammpaketen, Forschung im Ingenieurwesen, Bd. 76, 84-88.
(a)
(b)
i i i
M2
= 7,6
y+
= 3,6
y+
= 0,3
i i i
20,4
10,3
11,0
y+ = 8,3 y+ = 4,0 y+ = 0,3
i i i
y+
= 10
83
109
73
M1
y+
= 5,4
y+
G1
G2
FEINERES
G ITTER
= 0,4
G3
i i i
4,0
M3 KOMPLEXERES
KOMPLEXERES
T URBULENZMODELL
y+
1,4
-6,9
T URBULENZMODELL
3,3
M3
y+
= 211
= 105
y+
= 7,8
i i i
6,5
M2
-10,7
3,1
y+
7,9
7,5
y+ = 214 y+ = 107 y+ = 8,6
i i i
0,8
M1 y+
= 208
51,2
0,7
y+
= 104
y+
G1
G2
FEINERES
G ITTER
= 10
G3
Abb. IB-22.1: Vergleich der berechneten λR -Werte (ebener Kanal) für drei verschiedene Turbulenzmodelle und drei verschiedene numerische Gitter (a) Re = 4586 (b) Re = 200 000 Die beiden besten Werte sind jeweils grau unterlegt
Teil D Sonderkapitel
In diesem letzten Teil soll zunächst eine zusammenfassende Darstellung von Widerstand und Auftrieb in Strömungen gegeben werden, weil diese die häufig gesuchten „Globalergebnisse“ bei der theoretischen Modellierung oder experimentellen Untersuchung von Strömungen darstellen. Anschließend sollen in Kap. 17 einige spezielle Strömungssituation kurz erläutert werden, die bisher nicht angesprochen worden sind. Kap. 18 gibt die Gelegenheit, anhand von zehn verschiedenen Fragen „Warum...“ herauszufinden, wieviele der Fragen mit dem bis dahin vermittelten Stoff bereits beantwortet werden können. Darüber hinaus wird aber noch die eine oder andere Zusatzinformation gegeben.
185
16 Widerstand und Auftrieb Beide Größen treten gemeinsam (als resultierende Kräfte) nur bei der Umströmung von Körpern auf. Bei Durchströmungen kommt es naturgemäß nur zu Strömungswiderständen, die sich in Form von Gesamtdruckverlusten quantifizieren lassen. Deshalb sollten Umströmungen und Durchströmungen getrennt betrachtet werden.
16.1 Widerstand und Auftrieb bei umströmten Körpern Im Zusammenhang mit (12.20) war bereits der Auftrieb eines umströmten Körpers erwähnt worden, im ILLUSTRIERENDEN B EISPIEL IB-14 war gezeigt worden, dass reibungsfrei umströmte Körper unter bestimmten Umständen keinen Strömungswiderstand aufweisen. Beide Größen sind die resultierenden Kräfte auf Körper, die von der Strömung durch Normal- und Tangentialspannungen an der Körperoberfläche übertragen werden.
D EFINITION: Auftrieb, Widerstand, Beiwerte Als (aerodynamischer) Auftrieb FA wird die senkrecht zur Anströmung wirkende Komponente der Gesamtkraft bezeichnet, die eine Strömung auf einen umströmten Körper ausübt. Der (aerodynamische) Widerstand FW ist die in Richtung der Anströmung wirkende Komponente der Gesamtkraft. Für eine homogene Anströmung mit der Geschwindigkeit u∞ und der Dichte ρ gelten die Beiwerte
cA
=
FA ρ 2 u 2 ∞ Ac
(Auftriebsbeiwert)
(16.1)
cW
=
FW ρ 2 u 2 ∞ Ac
(Widerstandsbeiwert)
(16.2)
FA , FW
Kräfte
N
cA , cW
Beiwerte
—
ρ
Fluiddichte
u∞
Anströmgeschwindigkeit
m/s
Ac
charakteristische Fläche
m2
kg/m3
Die Beiwerte cA und cW sind dimensionslose Kennzahlen im Sinne der Dimensionsanalyse, siehe dazu Kap. 5. In dieser dimensionslosen Darstellung werden z.B. cA = cA (α , Re, Ma) und
186
16 Widerstand und Auftrieb
cW = cW (α , Re, Ma) gesucht, also die Abhängigkeit der Beiwerte vom Anstellwinkel α , der Reynolds-Zahl Re und der Mach-Zahl Ma. Ein solcher Zusammenhang folgt aus der dimensionsanalytischen Analyse einer (Unterschall-) Umströmung von Körpern, wie z.B. Tragflügeln zur Auftriebserzeugung. In diesem Zusammenhang ist der Auftrieb erwünscht, der Widerstand aber nicht. Tragflügel werden deshalb so entworfen, dass sie ein möglichst großes Verhältnis cA /cW besitzen. Dabei können durchaus Werte von cA /cW = 20 und mehr erreicht werden, d.h., Auftriebskräfte an Tragflügeln sind um eine Größenordnung größer als die Widerstandskräfte. 16.1.1 Widerstand umströmter Körper Eine Widerstandskraft kann aufgrund unterschiedlicher Ursachen auftreten, weshalb man zum besseren Verständnis folgende Teilwiderstände einführt, die in Kombination, aber u.U. auch alleine auftreten können:
Reibungswiderstand: Wirkung der Wandschubspannungen an der Körperoberfläche. Er kann durch Integration der Wandschubspannung über die gesamte Oberfläche unter Berücksichtigung der jeweiligen Kraftkomponenten in Richtung der ungestörten Anströmung bestimmt werden.
Druckwiderstand (auch: Formwiderstand): Wirkung des Druckes an der Körperoberfläche, bestimmbar analog zum Reibungswiderstand, mit den Normal- statt Schubspannungen.
induzierter Widerstand: Wirkung der sogenannten Randwirbel bei auftriebserzeugenden Körpern endlicher Spannweite (vgl. dazu die Fußnote zum ILLUSTRIERENDEN B EISPIEL IB-14 auf S. 140)
Wellenwiderstand: Spezielle Form des Widerstandes, der bei einer Überschallumströmung von Körpern durch das Auftreten von Stoßwellen entsteht.
Die Abb. 16.1 zeigt die Aufteilung von Reibungs- und Druckwiderstand für einige Körper sowie cW -Werte verschiedener Körperformen. 16.1.2 Auftrieb umströmter Körper Die hohen Auftriebskräfte an Tragflügeln werden in vielen, einer Tragflügelumströmung verwandten Situationen eingesetzt, wie z.B. bei Propellern und Schiffsschrauben, wo die lokale Anströmung der Einzelflügel so erfolgt, dass hohe Auftriebskräfte entstehen, die in entsprechende Drehmomente, bezogen auf die Gesamtanordnung des Propellers oder der Schraube, umgesetzt werden. Es ist nun eine nahe liegende und interessante Frage, wie es zur Entstehung des aerodynamischen Auftriebes kommt. Die Beantwortung dieser Frage ist aber keinesfalls trivial, sondern kann nur im komplexen Wechselspiel von reibungsfreier Körperumströmung und Grenzschichteinflüssen erklärt werden. Zunächst scheint eine einfache Erklärung naheliegend: Der Druck auf der Oberseite eines auftriebserzeugenden Tragflügels ist deutlich geringer als derjenige auf der Unterseite, so dass die Integration der Druckkräfte eine nach oben gerichtete Kraft, also eine Auftriebskraft ergibt. Die entscheidende Frage ist aber, wie es zu dieser Druckverteilung kommt.1 1
Erklärungen, die dies auf längere Strömungswege und damit höhere Geschwindigkeiten auf der Profiloberseite im Vergleich zur Unterseite zurückführen, greifen zu kurz, weil dann Profile mit der Dicke Null (wie gewölbte Segel) keinen Auftrieb haben dürften.
16.1 Widerstand und Auftrieb bei umströmten Körpern (a)
187 (b)
S TRÖMUNG
R EIBUNGS -
D RUCK -
G EOMETRIE /A NSTRÖMUNG
cW
Würfel, senkrechte Anströmung
1,1
Scheibe, senkrechte Anströmung
1,2
WIDERSTAND
längsangeströmte ebene Platte u∞ Tragflügelumströmung u∞
Kreiszylinderumströmung u∞
querangeströmte ebene Platte u∞
Abb. 16.1: Widerstand bei der inkompressiblen Körperumströmung mit großen Reynolds-Zahlen
Halbkugel, senkrechte Anströmung auf die Schnittfläche
1,4
Halbkugel, senkrechte Anströmung auf die Kugeloberfläche
0,4
Quadratischer Zylinder Anströmung senkrecht zur Fläche
2,0
(a) Aufteilung in Reibungs- und Druckwider- Quadratischer Zylinder Anströmung standsanteile senkrecht zur Kante (b) cW -Werte verschiedener Körper mit geometrieinduzierter Ablösung cW = FW /( ρ2 u2∞ Ac ) (Ac : Projektionsfläche in Anströmrichtung)
1,6
Abb. 16.2 zeigt, dass zunächst bei einer rein reibungsfreien Umströmung Teilbild (a) kein Auftrieb entstehen würde. Der hintere Staupunkt liegt dann auf der Oberseite des Profils. Eine damit verbundene Druckverteilung müsste eine „existenzfähige“ Grenzschicht an dem Profil induzieren können, die auch die scharfe Hinterkante umströmen würde. Es geschieht aber etwas anderes: Eine Grenzschicht für sich genommen stellt eine drehungsbehaftete Strömung dar, die im Sinne von (12.22) eine Zirkulation Γ besitzt. Qualitativ entsteht damit eine Zirkulationsbewegung um das Profil, wie in Teilbild (b) gezeigt (analog zur Potenzialwirbelströmung in Tab. 12.1). Diese verschiebt in der Wechselwirkung mit der Außenströmung den hinteren Staupunkt aus Teilbild (a) in Richtung der Profilhinterkante und zwar gerade so, dass die Hinterkante nicht umströmt wird, s. Teilbild (c). Diese Bedingung des „glatten Abströmens“ wurde von Martin Wilhelm Kutta als entscheidender Punkt erkannt und heißt zu seinen Ehren Kuttasche Abströmbedingung. Die letztendlich auftretende Zirkulation Γ ist damit verantwortlich für die konkrete Druckverteilung und damit auch für den Auftrieb. Eine genauere Analyse ergibt den Zusammenhang (B: Breite senkrecht zur Zeichenebene)
16 Widerstand und Auftrieb
188
(a)
(b)
hinterer Staupunkt
drehungsfreie Umströmung (Γ = 0, kein Auftrieb) (c)
drehungsbehaftete Umströmung (Γ = 0)
i −y
i −y
i +y i +y
hinterer Staupunkt
i −y i +y
Abb. 16.2: Wechselspiel zwischen drehungsfreier Umströmung und drehungsbehafteter Grenzschicht mit dem Ergebnis des glatten Abströmens an der Profilhinterkante sowie der Ausbildung einer Zirkulation Γ = 0 − − : − niedriger Druck + + : + hoher Druck
FA = −ρ u∞ Γ B
(16.3)
was als Kutta-Joukowsky-Theorem bezeichnet wird.2 Auch der Magnus-Effekt bei der Überlagerung zweier Strömungen ohne und mit Zirkulation (siehe das ILLUSTRIERENDE B EISPIEL IB-15) beruht auf der Auftriebsentstehung infolge einer Zirkulation im Strömungsfeld. Während jedoch die Zirkulation am umströmten Kreiszylinder durch die Rotation des Zylinders entsteht, wird sie am Tragflügel durch die Hinterkante „erzwungen“. In beiden Fällen entsteht sie mit und in der Grenzschicht, so dass der aerodynamische Auftrieb letztlich ein Grenzschichteffekt ist. Rein phänomenologisch kann der hohe Druck auf der Unterseite eines Tragflügelprofils und der niedriger Druck auf der Oberseite auch wie folgt erklärt werden: Wenn die Stromlinien qualitativ wie in Abb. 16.2 (c) verlaufen, so liegt in der Nähe des Profils eine einheitliche Stromlinienkrümmung vor. Im Zusammenhang mit dem ILLUSTRIERENDEN B EISPIEL IB-11 war gezeigt worden, dass dann ein Druckgradient quer zu den Stromlinien auftritt, der im vorliegenden Fall zu einem von unten nach oben ansteigenden Druck führt. Auf der Unterseite steigt der Druck von p∞ (weiter vom Tragflügel entfernt) deshalb an und erreicht an der Unterseite hohe Werte. 2
Eine detailliertere Beschreibung findet man z.B. in: Wegener, P.P. (1997): What makes airplanes fly, 2. Aufl., SpringerVerlag, New York, Berlin, Heidelberg
16.2 Verluste bei Durchströmungen
189
Auf der Oberseite muss der Druck niedriger als der Umgebungsdruck sein, damit er nach einem Anstieg den Druck p∞ (weiter entfernt vom Tragflügel) erreicht.
16.2 Verluste bei Durchströmungen Ein Druckverlust, begleitet von Entropieproduktion aufgrund von Dissipation bei Durchströmungen, ist stets ein Verlust an Gesamtdruck. Aus thermodynamischer Sicht wird dabei mechanische Energie (reine sogenannte Exergie) in innere Energie verwandelt (weitgehend Anergie) und dabei entwertet, weil ihre sogenannte Arbeitsfähigkeit reduziert wird. Bei diesem Vorgang ist aus strömungsmechanischer Sicht sorgfältig nach Druckänderungen und Druckverlusten zu unterscheiden. Im Sinne der Stromröhrentheorie sind (Gesamt-)Druckverluste in einem Bauteil mit den Ein- bzw. Austrittsquerschnitten ijund jj . ∆pVi j = ρϕi j wie bereits in Abschnitt 8.2 erläutert worden war. Diese können für voll turbulente Strömungen mit Hilfe einer Widerstandszahl ζ ausgedrückt werden, s. (9.4), und sind für Standardbauteile vertafelt zu finden, vgl. auch Tabelle 9.1 auf S. 90.
16.3 Illustrierende Beispiele IB-23, IB-24 I LLUSTRIERENDES B EISPIEL IB-23: Polarendiagramm für Tragflügel Aerodynamische Tragflügel werden so konzipiert, dass sie einen größtmöglichen Auftrieb bei geringstmöglichem Widerstand besitzen. In einer dimensionslosen Form bedeutet dies, dass der Auftriebsbeiwert cA = cA (α , Re, Ma) möglichst groß und der Widerstandsbeiwert cW = cW (α , Re, Ma) möglichst klein sein soll, vgl. (16.1) und (16.2) für cA , cW . Hier ist schon die Abhängigkeit von den drei Parametern α (Anstellwinkel), Re (Reynolds-Zahl), Ma (Mach-Zahl) angegeben worden. Für ein bestimmtes Profil möchte man die Zusammenhänge gerne möglichst allgemeingültig, aber auch anschaulich darstellen. Dabei zeigt sich
eine starke Abhängigkeit von cA und cW bezüglich des Anstellwinkels α
eine eher schwache Abhängigkeit von der Reynolds-Zahl Re
eine Abhängigkeit von der Mach-Zahl, die für Ma → 0 verschwindet (inkompressible Strömung) und für Ma → 1 durch die sogenannte Prandtl-Glauert-Analogie in guter Näherung erfasst werden kann. Diese Analogie besagt, dass der Kompressibilitätseinfluss (und damit der Mach-Zahl Einfluss) einheitlich dadurch erfasst werden kann, dass nicht cA , sondern cA 1 − Ma2 aufgetragen wird. Werte Ma > 1 werden nicht betrachtet, da für Überschallströmungen eine völlig andere Situation vorliegt.
Diese Überlegungen führen auf eine Darstellung in Form von so genannten Polaren, die eine Auftragung cA = cA (cW ) mit α und ggf. Re als Parameter darstellen. Das nachfolgende Bild IB-23.1 zeigt eine solche Polare und zusätzlich eine alternative Darstellungsform als cA /cW über dem Anstellwinkel α . Daran ist zu erkennen:
Es handelt sich offensichtlich um ein unsymmetrisches Profil, da cA < 0 für α = 0◦ gilt, s. IB-23.1 (a). Auftriebsbeiwerte cA für positive Anstellwinkel sind deutlich größer als Widerstandsbeiwerte. Hier wird ein Maximalwert des Verhältnisses cA /cW von etwa 100 erreicht.
16 Widerstand und Auftrieb
190
Der Auftrieb nimmt beim Überschreiten eines bestimmten kritischen Anstellwinkels αc wieder drastisch ab. Dies ist eine Folge massiver Strömungsablösung für α > αc . Ein Flugzustand in der Nähe einer solchen Situation (engl.: stall) muss unbedingt vermieden werden. Dies insbesondere, weil ein sogenanntes Hystereseverhalten vorliegt, d.h. die leichte Zurücknahme des Anstellwinkels bei einer geringfügigen Überschreitung von αc bewirkt nicht das Wiederanlegen der Strömung. In Teilbild (a) kann das größte Verhältnis von cA /cW durch die Tangente (ausgehend vom Ursprung) an die Polare bestimmt werden. Es ergibt sich damit der Maximalwert für die sogenannte Gleitzahl cA /cW , deren Kehrwert besagt, wie groß der Höhenverlust pro geflogener Strecke bei „Gleiten in ruhiger Luft“ ist.
(a)
(b)
1,5 L
α = 8◦
cA
80
α = 6◦ α = 4◦ α = 2◦
cA /cW
α = 0◦ α = −2◦
0
α = −4◦ α = −6◦
−0,5 0
0,01 cW
0,02
0
−40 −8
0 α /◦
αc
8
Abb. IB-23.1: Darstellung der cA - und cW -Werte für Tragflügel (hier: NACA 64 (1)-412), Re = 7 · 105 , kein Ma-Einfluss) (a) Polaren-Darstellung (b) cA /cW -Darstellung (Gleitzahl)
I LLUSTRIERENDES B EISPIEL IB-24: „Trickreiche“ Gartenbewässerung Wenn bei der Bewässerung der Pflanzen im hinteren Teil des Gartenbeetes der Wasserstrahl aus dem Gartenschlauch nicht weit genug reicht, gibt es einen einfachen „Trick“, den Pflanzen doch noch Wasser zukommen zu lassen (ohne auf die Pflanzen im vorderen Teils des Beetes zu treten !): Man drückt das vordere freie Ende des flexiblen Gartenschlauches so stark zusammen, dass sich der Austrittsquerschnitt verkleinert (oder deckt einen Teil mit dem Finger ab) und schon reicht der Wasserstrahl erheblich weiter. In diesem Zusammenhang gibt es unmittelbar zwei Fragen: Wie erklärt sich der beschriebene Effekt? Und: Kann man die „Wurfweite“ des Wasserstrahl (theoretisch) durch die beschriebene Maßnahme beliebig vergrößern?
16.3 Illustrierende Beispiele IB-23, IB-24
191
Beide Fragen haben offensichtlich mit den Druck- bzw. Gesamtdruckverlusten der Strömung bis zum Austritt aus dem Gartenschlauch zu tun. Ganz pauschal argumentiert muss die Vergrößerung der Wurfweite durch eine Verringerung von Strömungsverlusten hervorgerufen werden, weil am Austritt (bei gleichbleibendem Umgebungsdruck) eine größere spezifische kinetische Energie zur Verfügung steht (da die Ausströmgeschwindigkeit zunimmt). Eine genaue Analyse der Vorgänge, bei der offensichtlich die Verhältnisse vor dem Schlauchaustritt von Bedeutung sind, ist schwierig, weil dafür im Prinzip die gesamte strömungsmechanische Situation vom Wasserwerk bis zum Schlauchaustritt bekannt sein müsste! Um trotzdem und mit sehr viel weniger Aufwand eine Antwort auf die beiden gestellten Fragen zu ermöglichen, muss man ein strömungsmechanisches Ersatzmodell finden, das die entscheidenden Aspekte enthält. Dies sind im vorliegenden Fall offensichtlich zwei: Die Strömung im Gartenschlauch muss durch einen gegenüber dem Umgebungsdruck deutlich höheren Druck (in der Realität im Wasserwerk erzeugt) zustandekommen und auf dem Weg zum Schlauchende müssen Strömungswiderstände vorhanden sein. Ein einfaches Ersatzmodell, das diese beiden Aspekt enthält, ist in Abb. IB-24.1 dargestellt. Der Druck wird durch einen Hochbehälter „erzeugt“, die Verluste sind ersatzweise in einem Ventil mit der Widerstandszahl ζVe konzentriert (der Rest der Strömung wird als reibungsfrei unterstellt).
i 1y
H
ζVe
uS2
i 2y flexibles Schlauchende Abb. IB-24.1: Ersatzmodell für die Strömung aus einem Gartenschlauch
Am Schlauchaustritt (im Schlauch) herrscht, wenn dieser verschlossen ist, der Druck pUmg + ρ gH mit ρ als Dichte des Wassers. Öffnet man den Schlauch, so würde bei reibungsfreier Strömung gemäß √ der Torricellischen Ausflussformel, vgl. (IB-10.1) auf S. 104, eine Geschwindigkeit uS2 = 2gH auftreten. Dies ist bereits die Antwort auf die zweite Frage: Eine höhere Geschwindigkeit als uS2 = √ 2gH am Austritt kann nicht erzielt werden, d.h. eine beliebige Steigerung der Wurfweite ist nicht möglich. In der Realität treten Verluste auf, so dass am Ventil (in der Realität auf dem gesamten Strömungsweg) die spezifische Dissipation ϕVe auftritt. Im gewählten Ersatzmodell gilt ϕVe = ζVe u2SVe /2 gemäß (9.4) auf S. 89 mit uSVe als charakteristischer Geschwindigkeit am Ventil. Die erreichbare Strömungs√ geschwindigkeit am Schlauchaustritt ist damit uS2 = 2gH − ϕVe = 2gH − ζVe u2SVe /2. Danach ist
192
16 Widerstand und Auftrieb
uS2 eine unmittelbare Funktion der Geschwindigkeit uSVe (und damit des Massenstroms) in der Zuleitung. Je geringer der Massenstrom wird, umso größer wird uS2 , da ein verringerter Massenstrom eine Reduzierung der spezifischen dissipierten Energie ϕVe bedeutet. Damit ist auch die Antwort auf die erste Frage gegeben: Durch die Verkleinerung der Schlauch-Austrittsöffnung wird offensichtlich der Massenstrom reduziert und damit, wie bereits beschrieben, die Wurfweite erhöht.
193
17 Spezielle Strömungssituationen In diesem Kapitel sollen eine Reihe von speziellen Bedingungen betrachtet werden, die zu Strömungen mit besonderen Eigenschaften führen. Spezielle Bedingungen können sich dabei aus der Art ergeben, wie Strömungen „erzeugt“ werden, oder aus den geometrischen Situationen, in denen sie auftreten.
17.1 Natürliche Konvektion Bisher war davon ausgegangen worden, dass Strömungen durch „externe mechanische Antriebsquellen“ zustande kommen, wie durch Gebläse bei Gasströmungen und Pumpen bzw. Hochbehälter bei Flüssigkeitsströmungen. Es gibt aber auch die Möglichkeit, eine Strömung durch Heizen oder Kühlen des Fluides zu erzeugen. Die über einem Heizkörper aufsteigende Luft ist ein Beispiel für eine solche sogenannte natürliche Konvektion, s. dazu Abschn. 2.1.3. In Abb. 17.1 ist der wandnahe Bereich einer über die Wand beheizten Strömung skizziert. Die Wandheizung führt zu einer Erwärmung des wandnahen Fluides. Wenn dieses Fluid eine Dichte besitzt, die mit steigender Temperatur abnimmt (∂ ρ /∂ T < 0), so besitzt ein wandnahes Fluidelement vom Volumen dV eine geringere Masse und damit eine geringere Gewichtskraft G als ein entsprechendes, aber weiter außen liegendes Volumen dV . Das Kräftegleichgewicht am wandnahen dV ist dann nur erfüllt, wenn als zusätzliche Kraft eine Reibungskraft FR hinzukommt, die in der entlang der Wand aufsteigenden Strömung entsteht. Die Druckkraft Fp ist für beide dV gleich, solange die Stromlinien der Auftriebsströmung keine nennenswerte Krümmung aufweisen und damit keinen Druckgradienten quer zu den Stromlinien zulassen, vgl. (IB-11.2) in Abschnitt 9.7. Die Druckverteilung in der Wandgrenzschicht ist damit von außen aufgeprägt und keine Größe, die sich mit der Strömung verändert. Das Geschwindigkeitsprofil muss die Haftbedingung erfüllen (u(x,0) = 0) und am Rand der Grenzschicht asymptotisch auf den Wert u = 0 im Außenraum abnehmen. Die unterstellte Abhängigkeit ∂ ρ /∂ T < 0 ist der „Normalfall“. Nur in wenigen Ausnahmesituationen, wie z.B. bei der sogenannten „Wasseranomalie“, liegt ein anderes Vorzeichen des Dichtegradienten vor. Für die theoretische Behandlung stellt sich einerseits die Frage nach einer charakteristischen Geschwindigkeit (da keine Anströmung existiert), zum anderen muss geklärt werden, wie und in welchem Maße die Dichteabhängigkeit ρ (T ) berücksichtigt werden kann bzw. muss. Diese beiden Aspekte werden in den beiden folgenden Abschnitten behandelt. 17.1.1 Charakteristische Geschwindigkeit uc Eine Geschwindigkeit ist dann als „charakteristisch“ anzusehen, wenn sie das wesentliche Strö√ mungsverhalten wiedergibt. In diesem Sinne wäre z.B. gLc ungeeignet. Diese Größe besitzt zwar die Dimension einer Geschwindigkeit, enthält auch mit der charakteristischen Länge Lc und dem Betrag der Erdbeschleunigung g zwei problemspezifische Größen, verhält sich aber z.B. bei verschwindender Heizrate (und damit verschwindender Strömung) nicht prinzipiell wie
17 Spezielle Strömungssituationen
194
u(x, y) T (x, y) − T∞ T∞ ⎫ ⎬ ⎭
q˙W > 0
Fp g
dV
G FR x y
Abb. 17.1: Natürliche Konvektion an einer mit q˙W über die Wand beheizten Strömung Fluid mit ∂ ρ /∂ T < 0; Heizung, so dass TW = const > T∞ gilt.
die Strömung. Sie ist in diesem Sinne nicht charakteristisch. Erst wenn der entscheidende Heizmechanismus in uc aufgenommen wird, entsteht eine Geschwindigkeit, die als charakteristische Bezugsgröße geeignet ist. Dies kann durch ∆T = TW − T∞ geschehen, wenn mit β∞ = (−∂ ρ /∂ T )∞ /ρ auch noch die ρ (T )-Abhängigkeit berücksichtigt wird. Dann gilt uc = gLc β∞ ∆T (17.1) Diese (Bezugs-) Geschwindigkeit wächst mit ansteigender Heizleistung, d.h. ansteigendem ∆T , und es gilt uc = 0 für ∆T = 0. Erst wenn solchermaßen charakteristische Größen gefunden worden sind, können systematische dimensionsanalytische Überlegungen angestellt werden. Bei solchen Betrachtungen entsteht in vielen Fällen die dimensionslose Kombination uc Lc /ν, die bei erzwungener Konvektion als Reynolds-Zahl bezeichnet wird. Bei natürlicher Konvektion gilt mit (17.1) für uc jetzt:1
uc Lc ν
2 =
gL3c β∞ ∆T = Gr ν2
(17.2)
Diese Kombination wird Grashof-Zahl genannt. Sie tritt bei natürlicher Konvektion in ihrer Bedeutung an die Stelle der Reynolds-Zahl bei erzwungener Konvektion. Zum Beispiel entstehen dann Widerstandsgesetze cW = cW (Gr, Pr) anstelle von cW = cW (Re). Da bei natürlicher Konvektion die Strömung mit dem Wärmeübergang gekoppelt ist, tritt die Prandtl-Zahl Pr = η c p /λ , vgl. Tab. 5.1, auch schon im Widerstandsgesetz als dimensionsloser Parameter auf. Bei erzwungener Konvektion wird Pr erst benötigt, wenn Wärmeübergänge in dimensionsloser Form betrachtet werden. 1
Gleichwertig mit einer Kennzahl ist z.B. das Quadrat dieser Kennzahl. Um Wurzelausdrücke zu vermeiden wird deshalb hier [uc Lc /ν]2 eingeführt.
17.1 Natürliche Konvektion
195
17.1.2 Boussinesq-Approximation Bisher waren die strömungsmechanischen Grundgleichungen für konstante Stoffwerte angegeben worden, vgl. (15.3) ... (15.6), d.h., sowohl ρ als auch ν sind als temperatur- und druckunabhängig unterstellt worden. Eine natürliche Konvektion kommt aber erst aufgrund einer variablen Dichte zustande. Für eine systematische Behandlung solcher Strömungen sollte man deshalb zunächst von allgemeinen variablen Stoffwerten ausgehen, was hier am Beispiel von Gleichung (15.4) gezeigt werden soll. Diese Gleichung lautet für variable Stoffwerte, aus formalen Gründen insgesamt mit ρ multipliziert: Du ∂ pmod ∂ ∂ ∂ ∂u ∂u ∂u =− + (ρ∞ − ρ )g + ρ η η η + + (17.3) Dt ∂x ∂x ∂x ∂y ∂y ∂z ∂z Dabei wird angenommen, dass die x-Richtung der Erdbeschleunigung entgegengerichtet ist, wie dies z.B. in Abb. 17.1 der Fall ist. Gegenüber (15.4) treten zwei Änderungen auf:
Es tritt ein sogenannter Auftriebsterm (ρ∞ − ρ )g hinzu, der folgendermaßen zustande kommt. Vor Einführung des modifizierten Druckes (vgl. Abschn. 12.1.2) lautete die rechte Seite von (15.4)
∂p + ... ∂x = p − p∞ gemäß (12.6) mit pst = p∞ zu ... = ρ gx −
Dies wird mit pmod
(17.4)
∂ pmod ∂ p∞ − + ... (17.5) ∂x ∂x und mit ∂ p∞ /∂ x = −ρ∞ g gemäß (3.1) mit ρ∞ als Dichte im ruhenden, unbeheizten Fluid, zu ... = ρ gx −
∂ pmod + (ρ∞ − ρ )g ∂x wie in (17.3), wenn gx = −g gesetzt wird. ... = −
(17.6)
Die Viskosität η tritt in den Reibungstermen unter der Ableitung auf, da diese Terme z.B. als ∂ τxx ∂ ∂u = η ∂x ∂x ∂x
(17.7)
für Newtonsche Fluide gemäß (15.1) entstehen. Wenn nun eine abgebrochene Taylor-Reihenentwicklung nach der Temperatur um T = T∞ als ∂ ρ ρ = ρ∞ + (T − T∞ ) + ... = ρ∞ [1 − β∞(T − T∞ )] + ... (17.8) ∂ T ∞ in (17.6) eingesetzt wird, folgt: ... = −
∂ pmod ∂ pmod u2 (T − T∞ ) + gβ∞ρ∞ (T − T∞ ) + ... = − + ρ∞ c + ... ∂x ∂x Lc ∆T
17 Spezielle Strömungssituationen
196
Nach einer Entdimensionierung mit uc und Lc , also der Multiplikation der vorherigen Gleichung mit Lc /ρ∞ u2c , lautet die rechte Seite von (17.3) mit der dimensionslosen Temperatur Θ = (T − T∞ )/∆T
∂ p˜mod + Θ + ... (17.9) ∂ x˜ Wenn ∆T eine charakteristische Temperaturdifferenz ist, hat der Auftriebsterm Θ dieselbe Größenordnung wie alle anderen Terme, kann also nicht etwa als klein vernachlässigt werden. Diese Aussage gilt auch für ∆T → 0. Für diesen Grenzfall sind alle anderen Stoffwerte aber durch ihren Wert bei T∞ gegeben und ihre Variabilität muss nicht berücksichtigt werden. Diese Art der Behandlung von natürlichen Konvektionen wird als Boussinesq-Approximation bezeichnet. ... = −
D EFINITION: Boussinesq-Approxmation In der sogenannten Boussinesq-Approximation in Gleichungen zur Beschreibung natürlicher Konvektion wird die Abhängigkeit der Dichte von der Temperatur nur im Auftriebsterm und dort nur im Sinne einer nach dem linearen Term abgebrochenen Taylor-Reihe berücksichtigt. Alle anderen Stoffwerte sind jeweils Konstanten. Wie zuvor gezeigt wurde kann diese Approximation systematisch hergeleitet werden. Sie gilt für kleine ∆T , weil höhere Terme in der Taylor-Reihenentwicklung vernachlässigt werden. Gleichung (17.9) zeigt, dass mit dem Auftriebsterm Θ jetzt eine Kopplung zwischen den Impulsgleichungen und der Energiegleichung (aus der Θ bestimmt werden muss) vorliegt. Das Strömungs- und das Temperaturfeld müssen bei natürlicher Konvektion also stets gemeinsam bestimmt werden, so wie das auch bei kompressiblen Strömungen der Fall ist. Bei kompressiblen Strömungen liegt eine Kopplung beider Felder aber hauptsächlich durch die Druckabhängigkeit der Dichte vor. In diesem Sinne würde man eine natürliche Konvektion (bei kleinen Geschwindigkeiten) weiterhin als inkompressible Strömung bezeichnen. Dies zeigt, dass die häufig benutzte Gleichsetzung von „inkompressibel“ und „ρ = const“ zu kurz greift, wie dies auch bereits in Abschn. 2.1.6 angemerkt wurde.
17.2 Schleichende Strömungen Der Begriff schleichende Strömungen ist zunächst durchaus wörtlich zu verstehen: gemeint sind Strömungen mit extrem niedrigen Geschwindigkeiten. Als Folge davon spielen in diesen Strömungen die Trägheitskräfte, deren Geschwindigkeitsabhängigkeit quadratisch ist, eine untergeordnete Rolle. Sie können in einer ersten Näherung vollständig vernachlässigt werden. In den Navier-Stokes-Gleichungen (15.4) ... (15.6) sind dies jeweils die linken Seiten, wenn zusätzlich stationäre Strömungen (∂ .../∂ t = 0) unterstellt werden. Damit können solche Strömungen grundsätzlich nicht turbulent sein, da turbulente Zusatzterme im zeitlichen Mittelungsprozess gerade aus diesen (hier vernachlässigbaren) Termen hervorgehen. Dies wird zusätzlich dadurch unterstrichen, dass bei genauerer Betrachtung der entdimensionierten Gleichungen der hier vorliegende Grenzfall als derjenige kleiner Reynolds-Zahlen identifiziert werden kann. Damit gilt weiterhin die bisher getroffene Aussage, dass turbulente Strömungen erst oberhalb gewisser kritischer Reynolds-Zahlen auftreten.
17.2 Schleichende Strömungen
197
Da Re = ρ uc Lc /η gilt, kann der Grenzfall Re → 0 (schleichende Strömungen) aber nicht nur durch niedrige Geschwindigkeiten, sondern auch durch extrem niedrige Dichte (verdünnte Gase), durch extrem hohe Viskosität oder durch entsprechend kleine Geometrieabmessungen erreicht werden. Wichtige Anwendungsgebiete der Theorie schleichender Strömungen sind die hydrodynamische Schmierungstheorie und Strömungen in porösen Medien. Das letztgenannte Gebiet wird im nachfolgenden Abschnitt kurz erläutert. Im Folgenden soll die Modellierung zweidimensionaler (ebener) schleichender Strömungen näher betrachtet werden. Aus den Navier-Stokes-Gleichungen (15.3) ... (15.6) folgt mit D.../Dt = 0, d.h. mit der Vernachlässigung der nichtlinearen Trägheitsterme, das nachfolgende Gleichungssystem
2D-Gleichungen für schleichende Strömungen (stationär)
∂u ∂v + = 0 ∂x ∂y 0
0
2
1 ∂ pmod ∂ u ∂ 2u = − +ν + ρ ∂x ∂ x2 ∂ y2 2
∂ v ∂ 2v 1 ∂ pmod +ν + = − ρ ∂y ∂ x2 ∂ y2
(17.10)
(17.11)
(17.12)
Führt man die Stromfunktion Ψ gemäß (12.12) ein und eliminiert den Druck, wie dies im Zusammenhang mit (12.12) gezeigt wurde (Ableitung von (17.11) nach y, von (17.12) nach x und Subtraktion der dann entstehenden Gleichungen), so entsteht aus (17.10) ... (17.12) eine Gleichung 4. Ordnung für die Stromfunktion Ψ(x, y) und zwar2
∂ 4Ψ ∂ 4Ψ ∂ 4Ψ + 2 + =0 ∂ x4 ∂ x2 ∂ y2 ∂ y4
(17.13)
Diese Gleichung ist linear und kann z.B. gelöst werden, wenn Geschwindigkeiten auf dem Rand des Lösungsgebietes vorgegeben werden. Da es sich um eine homogene lineare Gleichung handelt, ist die Lösung invariant gegen einen Vorzeichenwechsel von Ψ. Das bedeutet aber, dass die Gleichung auch invariant gegenüber einem Vorzeichenwechsel in den Geschwindigkeiten ist (die den ersten Ableitungen von Ψ entsprechen). Damit bleiben die Geschwindigkeiten betragsmäßig unverändert, wenn die Geschwindigkeitsrandbedingungen das Vorzeichen wechseln, d.h., das Stromlinienbild ändert sich nicht, wenn „die Strömung umgekehrt“ wird. Dies gilt keineswegs allgemein, sondern stellt eine Besonderheit der schleichenden Strömungen dar.3 Abb. 2
3
Aus mathematischer Sicht handelt es sich um eine sogenannte harmonische Gleichung, die auch als ∆(∆Ψ) = 0 mit ∆ als Laplace-Operator geschrieben werden kann. Diese Eigenschaft gilt auch für Potenzialströmungen, vgl. (12.18). Schleichende Strömungen zwischen zwei parallelen Wänden um dazwischen enthaltene zweidimensionale geometrische Hindernisse (z.B. einen Kreiszylinder mit seiner Achse senkrecht zu den Wänden) zeigen dasselbe Stromlinienbild wie die zweidimensionalen Potenzialströmungen
17 Spezielle Strömungssituationen
198
y
y
r
ϕ D
x
x
u∞
u∞ Re → ∞
Re → 0
Abb. 17.2: Qualitativer Stromlinienverlauf in den Grenzfällen der Reynolds-Zahl (Unterschiedliche ReZahlen entstehen hier durch den Einsatz unterschiedlicher Fluide)
17.2 zeigt das qualitative Stromlinienfeld bei einer Kugelumströmung für Re → 0 und Re → ∞. Während die schleichende Strömung symmetrisch zur y-Achse ist und eine einfache Lösung besitzt ( Ψ = (r2 /2 − 3r/4 + 1/4r) sin2 ϕ ), liegt bei hohen Reynolds-Zahlen eine hochkomplexe, unsymmetrische, turbulente Strömung vor, die nur näherungsweise und mit großem Aufwand numerisch berechnet werden kann. Wenn für die schleichende Strömung der Druck bestimmt werden soll, so kann dies entweder durch Integration von (17.11) und (17.12) erfolgen (bei bekannter Lösung für das Geschwindigkeitsfeld) oder durch Lösen der Gleichung ∆p =
∂2p ∂2p + =0 ∂ x2 ∂ y2
(17.14)
die unmittelbar aus den beiden Impulsgleichungen gewonnen werden kann (Ableitung von (17.11) nach x, Ableitung von (17.12) nach y und Addition der entstehenden Gleichungen unter Berücksichtigung von (17.19)). Für die Umströmung der Kugel bei Re → 0 entsteht (wie schon bei den Strömungsgeschwindigkeiten) ein zur y-Achse symmetrisches Druckfeld, so dass der Widerstand bei der Kugelumströmung ein reiner Reibungswiderstand ist (kein Druckwiderstand). Für diesen gilt in dimensionsloser Form cW ≡ FW /( ρ2 u2∞ π D2 / 4) = 24/Re. Im ILLUSTRIERENDEN B EISPIEL IB-25 wird erläutert, dass ein analoges Ergebnis für die Umströmung eines ebenen Kreiszylinders nicht ohne weiteres bestimmt werden kann.
17.3 Strömung in porösen Medien Unter porösen Medien versteht man eine Matrixstruktur (meist: Feststoffmatrix), die von Fluiden durchströmt werden kann, weil kleinskalig unregelmäßige Poren untereinander verbunden sind und dadurch einen Fluidtransport ermöglichen. Eine bestimmte (globale) Strömungsrichtung aus „makroskopischer“ Sicht entspricht dabei einer Mittelung über viele „mikroskopische“ Einzelströmungen durch eine Vielzahl unregelmäßig geformter kleiner Porenkanäle. Aus makroskopischer Sicht entsteht so eine Strömung durch ein Gebiet, das volumenmäßig verteilte um solche Körper. Diese als Hele-Shaw-Strömungen bezeichnete Anordnung kann genutzt werden, um die Strömung zwischen zwei Glasplatten mit einem umströmten zylindrischen Einsatz sichtbar zu machen und damit ein Bild der Potenzialströmung um diesen Körper zu erhalten.
17.3 Strömung in porösen Medien
199
Strömungswiderstände aufweist und in vielen Aspekten zu einem deutlich anderen Strömungsverhalten führt, als dies von üblichen „freien“ Strömungen her bekannt ist. Beispiele für solche porösen Medien sind: Sand, Erde, zerklüftetes Gestein, aber auch Keramiken, Schwämme und biologische Gewebe wie sie in der Lunge oder der Niere vorkommen. Ein endliches Gebiet ist nur dann als poröses Medium anzusehen, wenn ein sogenanntes repräsentatives Elementarvolumen identifiziert werden kann, das, wo immer es sich in dem Gebiet befindet, sowohl einen Matrixanteil als auch Hohlräume aufweist. Mit dieser Definition können im konkreten Einzelfall zu große Inhomogenitäten in der Matrix- bzw. Hohlraumstruktur identifiziert werden. Als charakteristische (Mittel-) Werte für ein endliches Volumen werden die nachfolgenden Größen eingeführt.
D EFINITION: Porosität
n=
VHR V
(0 < n < 1)
(17.15)
Diese Größe beschreibt den Volumenanteil VHR des Hohlraumes am Gesamtvolumen V . Damit gilt für einen Festkörper n = 0 und für ein reines Fluid n = 1.
D EFINITION: Permeabilität
κ=
ηu (−dp/dx)
(17.16)
Es handelt sich um ein (reziprokes) Maß für den Widerstand, den die Matrix einer homogenen Strömung der Geschwindigkeit u in x-Richtung in Form des Druckgradienten (−dp/dx) entgegensetzt. Im Sinne einer „Durchlässigkeit“ ist κ umso größer, je höhere Geschwindigkeiten u bei einem bestimmten Druckgradienten auftreten. Die Permeabilität ist entscheidend von der Porosität abhängig, darüber hinaus aber auch von der Form und Struktur der Feststoffmatrix. Die Permeabilität als Eigenschaft des porösen Mediums muss entweder vollständig experimentell bestimmt, oder in erster Näherung mit geometrischen Größen der Matrix (Porosität, charakteristische Längen) in Verbindung gebracht werden, so dass dann nur bestimmte Konstanten experimentell zu ermitteln sind. Sowohl die Porosität als auch die Permeabilität sind Kennzahlen, die das poröse Medium kennzeichnen. Angewandt auf ein repräsentatives Elementarvolumen des porösen Mediums können damit auch lokale Verteilungen von Matrixeigenschaften (hier: Porosität, Permeabilität) beschrieben werden. Bei der Strömung durch poröse Medien sind die genauen Vorgänge auf der mikroskaligen bzw. mikroskopischen Ebene (d.h. mit einer Auflösung im „Porenmaßstab“) weder von Interesse noch liegt i.a. genügend Detail-Information über den Matrixaufbau vor, um diese überhaupt bestimmen zu können. Von Interesse sind aber makroskopische Größen im Gesamtgebiet, die
200
17 Spezielle Strömungssituationen
charakteristisch für die tatsächlich dort vorhandene und im Detail hochkomplizierte Strömung sind. Solche Größen können definiert werden und erfüllen als fiktive Modellgrößen den beabsichtigten Zweck. Die realen Verhältnisse werden dazu durch ein Kontinuumsmodell angenähert, in dem alle Größen kontinuierlich (und damit aus mathematischer Sicht differenzierbar) verteilt sind. Während der Kontinuumsansatz bei „normalen“ Strömungen lediglich den molekularen Aufbau der Fluide vernachlässigt, wird jetzt zusätzlich auch die mikroskalige Ungleichverteilung inklusive der scharfen Phasengrenzen zwischen der Matrix und dem Fluid vernachlässigt. Jede Phase wird für sich gedanklich gleichmäßig auf das Gesamtvolumen verteilt, so dass sich gegenseitig überlagernde Kontinuen entstehen. Diese Betrachtung kann auch so interpretiert werden, dass die einzelnen Größen an einem bestimmten Punkt im Feld durch Integration (d.h. Mittelwertbildung) über ein repräsentatives Elementarvolumen an dieser Stelle entstehen. Es handelt sich bei den markoskopischen Größen dann also um volumengemittelte Größen, die ein Maß für die Verhältnisse in der Umgebung des betrachteten Punktes darstellen. Für eine theoretische Behandlung von Strömungen in porösen Medien müssen also die Gleichungen für die makroskopischen Modellgrößen bekannt sein. Diese können prinzipiell aus den Gleichungen für die mikroskopische, reale Strömung in den Porenhohlräumen durch Integration über das repräsentative Elementarvolumen und unter Berücksichtigung der Verhältnisse an den (mikroskopischen) Grenzflächen zwischen den Phasen bestimmt werden. Wenn die mikroskopische Strömung eines Newtonschen Fluides vorliegt, so müssen die Navier-Stokes Gleichungen über Elementarvolumen (unter Berücksichtigung der lokalen Porosität) integriert werden, um die Differentialgleichungen für die (elementar-) volumenintegrierten makroskopischen Größen zu erhalten. Die so ermittelten Gleichungen enthalten gegenüber den (mikroskopischen) Ausgangsgleichungen zusätzliche Terme, die als dispersive Flüsse und als Quellterme vorkommen. Dispersive Flüsse treten als makroskopische Größe infolge der Ungleichverteilung von mikroskopischen Geschwindigkeiten im Elementarvolumen auf. Quellterme sind die Folge von Wechselwirkungen der mikroskopischen, benachbarten Phasen an den jeweiligen Phasengrenzen. Diese zusätzlichen Terme in den Gleichungen für die makroskopischen Größen müssen modelliert werden. Dabei fließt stets empirische Information aus Messungen zur Bestimmung einzelner Modellkonstanten ein.4 Während diese Vorgehensweise zur Bestimmung der Grundgleichungen für Strömungen in porösen Medien prinzipiell als deduktiv angesehen werden kann, ist historisch gesehen eine vorrangig induktive Entwicklung von mathematischen Modellen zu verzeichnen gewesen. Ein früher, häufig zitierter Ansatz geht auf den französischen Ingenieur Henry Darcy zurück. Dieser 1856 veröffentlichte Ansatz erweist sich als Spezialfall der zuvor beschriebenen allgemeinen Gleichungen (eindimensionale Strömung eines homogenen inkompressiblen Fluides durch ein homogenes, nicht deformierbares poröses Medium). Er lautet mit pmod gemäß (12.6) als modifiziertem Druck: κ dpmod u= − (17.17) η dx und besagt, dass die Geschwindigkeit in einem porösen Medium linear vom Druckgradienten abhängt. 4
Weitere Details findet man z.B. in: Ingham, D.B.; Pop, J. (1998): Transport Phenomena in Porous Media, Pergamon, Elsevier Sciences, Oxford, UK
17.3 Strömung in porösen Medien
201
Dabei muss bedacht werden, dass sowohl u als auch pmod fiktive physikalische Größen darstellen, die im Sinne des Kontinuumsmodells für poröse Medien einer gleichmäßigen Verteilung dieser Größen im gesamten Kontrollraum (Matrix und Poren) entsprechen. Historisch gesehen hat es vielfältige, mehr oder weniger systematische Versuche gegeben, den einfachen Darcyschen Ansatz (Darcy-„Gesetz“) um zusätzliche Terme bzw. Effekte zu erweitern. In diesem Zusammenhang sind insgesamt drei weitere Terme bzw. Termgruppen hinzugekommen, die im Folgenden kurz anhand der allgemeinen x-Komponente der Impulsbilanz 2
D(u/n) ∂ pmod η Fn ∂ (u/n) ∂ 2 (u/n) ∂ 2 (u/n) − u − ρ √ |u|u + ηe f f =− ρ + + Dt ∂x κ ∂ x2 ∂ y2 ∂ z2 κ j j 1j 2 3
(17.18)
erläutert werden sollen. Diese Gleichung reduziert sich auf das Darcy-„Gesetz“ (17.17), wenn die mit 1j... 3jmarkierten „neuen“ Terme wegfallen. Gleichung (17.18) stellt im Grenzfall der reinen Fluidströmung die x-Komponente der Navier-Stokes-Gleichungen dar (vgl. die mit ρ multiplizierte Gleichung (15.4)). Für eine reine Fluidströmung gilt n = 1, ηe f f = η , κ = ∞. Als neue Konstanten treten auf:
ηe f f : Diese sogenannte effektive Viskosität ist eine Funktion der Fluidviskosität η und der Geometrie der porösen Matrix. Die Einführung von ηe f f entspricht einem Modellierungsansatz für die zuvor schon erwähnten zusätzlichen Terme im Zusammenhang mit dem Übergang auf volumenintegrierte makroskopische Größen. F
: Dieser sogenannte Forchheimer-Koeffizient (auch: Trägheitskoeffizient, oder Geometriefaktor) stellt ebenfalls eine Konstante im Modellierungsansatz für die entstandenen Zusatzterme dar.
Die drei markierten Terme in (17.18) beschreiben folgende physikalische Effekte: 1j 2j
3j
Trägheitsterm: Interpretiert man (17.18) als Kräftegleichgewicht, so handelt es sich um Trägheitskräfte aufgrund der Beschleunigung des Fluides. Forchheimer-Term: Während der Darcy-Term (−η u/κ ) den Effekt der reinen viskosen Reibung durch die poröse Matrixstruktur erfasst, wird mit diesem Term berücksichtigt, dass auf der mikroskopischen Ebene Umströmungen von Matrixstruktur-Elementen stattfinden, bei denen keine Proportionalität zur Geschwindigkeit, sondern in erster Näherung zum Quadrat der Geschwindigkeit vorliegt, wie dies z.B. bei einer turbulenten Körperumströmung gilt. Reibungsterm: Bei einer reinen Fluidströmung ist damit die viskose Reibung im Fluid beschrieben. In einem porösen Medium kommen die Effekte der Fluid/Matrix Wechselwirkung hinzu, was durch die Verwendung von ηe f f anstelle von η berücksichtig wird.
Gleichung (17.18) zeigt, dass für eine detaillierte Berechnung von Strömungen in porösen Medien sehr viel Information über die Matrix vorliegen muss, in der die Strömung stattfindet, weil η , κ , F und ηe f f in die Modellierung eingehen. Der entscheidende Einfluss der porösen Matrixstruktur wird aber bereits durch das Darcy-„Gesetz“ erfasst, so dass eine erste Näherung an das gesuchte Ergebnis bereits möglich wird, wenn die Permeabilität κ bekannt ist.
202
17 Spezielle Strömungssituationen
Ein Anhaltswert für die entscheidenden Parameter n, κ und F ergibt sich aus den Werten, die für eine Matrixstruktur aus dicht gepackten Kugeln des Durchmessers DK gelten. Charakteristische Zahlenangaben zu dieser Strömung bzw. Matrix sind:
Porosität: n = 0,36. In der Nähe begrenzender Wände steigt dieser Wert an, weil dort die Packung nicht mehr so dicht sein kann wie in der Matrix. Permeabilität: κ = D2K n3 /A(1 − n)2, mit der empirischen Konstanten A = 182. √ Forchheimer-Koeffizient: F = B/ A n3/2 , mit der weiteren empirischen Konstanten B = 1,92
Im Inneren der porösen Matrix (dort gilt n = 0,36) gelten damit die Zahlenwerte κ = 6,25 ·10−4 D2K und F = 0,66. In der Nähe einer begrenzende Wand nimmt κ zu und F ab, weil dort n > 0,36 gilt.
17.4 Strömung in offenen Kanälen (Gerinnen) Flüssigkeitsströmungen in offenen Kanälen oder Gerinnen werden üblicherweise als Gerinneströmungen bezeichnet (engl.: open channel flows). Sie entstehen, wenn ein bestimmter Massenstrom kanalisiert wird und durch ein vorgegebenes Gefälle eine bevorzugte Strömungsrichtung besitzt. Neben künstlich erzeugten Strömungen in offenen Gerinnen sind natürliche Flüsse ein Beispiel für solche Gerinneströmungen. Aufgrund der freien Oberfläche liegen anders als bei Rohr- und Kanalströmungen keine Druckgradienten in Strömungsrichtung vor. Häufig werden für diese Strömungen folgende Annahmen getroffen, die in vielen Fällen in guter Näherung erfüllt sind:
Schubspannungen an der freien Oberfläche können vernachlässigt werden.
Druckunterschiede im Fluid folgen dem hydrostatischen Grundgesetz.
Strömungsgeschwindigkeiten in einem Querschnitt sind konstant (eindimensionale Näherung).
Offene Gerinne können auch als geschlossene Kanäle interpretiert werden, in denen der Querschnitt durch die Flüssigkeitsströmung nicht vollständig ausgefüllt ist. Da an der freien Oberfläche ein konstanter Druck herrscht, kann sich dort kein Druckgradient in Strömungsrichtung aufbauen. Dieser besonderen Situation kann in der (erweiterten) Bernoulli-Gleichung in Höhenform, (8.7), mit wti j = 0 u2S j u2Si pj ϕi j pi + + yi = + + yj + 2g ρ g 2g ρ g g
(17.19)
zur Beschreibung der Kanalströmung wie folgt Rechnung getragen werden. Die Druckverteilung in einem bestimmten Querschnitt folgt aus der hydrostatischen Druckverteilung (3.1) als p = p0 + ρ gh, wobei h vom Bezugspunkt mit p = p0 in Richtung des Fallbeschleunigungsvektors weist. Er wächst also ausgehend von der jeweiligen Oberfläche linear an und weist deshalb an der tiefsten Stelle im Gerinnequerschnitt den höchsten Wert auf. An dieser mit Gjbezeichneten Stelle gilt mit p0 als Druck an der freien Oberfläche: pG = p0 + ρ ghG wenn hG die Gerinnetiefe im betrachteten Querschnitt ist.
17.4 Strömung in offenen Kanälen (Gerinnen)
203
i 1y
y
i 2y uS1
hG1 uS2
g hG2
i y
G1
i y
yG1
G2
yG2
L12
x
Abb. 17.3: (Ebene, offene) Gerinneströmung zwischen den Querschnitten 1iund 2i Gerinneneigung (yG1 − yG2 )/L12
Abb. 17.3 zeigt die einzelnen Größen. Es wird dabei unterstellt, dass der Gerinneboden nur eine geringe Neigung (yG1 − yG2 )/L12 besitzt, so dass hG in guter Näherung als „echte“ Tiefe senkrecht zum Gerinneboden interpretiert werden kann. j 1 und G2 angewandt wird, so gilt mit Wenn nun Gleichung (17.19) zwischen den Punkten Gj den zuvor angestellten Überlegungen zum Druck u2S1 u2 ϕ12 + hG1 +yG1 = S2 + hG2 +yG2 + 2g 2g g H1 H2
(17.20)
In dieser Gleichung treten als Unbekannte die Gerinnetiefen hG1 , hG2 und die Strömungsgeschwindigkeiten uS1 , uS2 auf. Diese sind zusätzlich durch die Kontinuitätsgleichung (konstanter Volumenstrom bei konstanter Kanalbreite B) uS1 hG1 = uS2 hG2
(17.21)
miteinander verknüpft. Die durchströmte Fläche ist dabei als Rechteck hG B mit B als Kanalbreite angenommen worden. Dies beschreibt die Fälle rechteckiger Kanäle der konstanten Breite B, gilt aber auch für eine ebene Strömung mit einem bestimmten Volumenstrom pro Breite, V˙ /B. Mit Einführung der sogenannten spezifischen Höhe5 H als H ≡ hG +
u2S V˙ 2 = hG + 2 2g hG 2gB2
(17.22)
lautet (17.20) mit ϕ12 /g = hV 12 (Verlusthöhe, siehe (8.7)) jetzt H1 + yG1 = H2 + yG2 + hV 12
5
(17.23)
Der Begriff spezifische Höhe ist üblich, aber eher irreführend, da der Zusatz spezifisch häufig den Bezug auf eine Masse beschreibt, wie z.B. bei der spezifischen Enthalpie, vgl. Absch. 8.2.
204
17 Spezielle Strömungssituationen
Die spezifische Höhe H ist für einen bestimmten Volumenstrom pro Breite (V˙ /B) nur eine Funktion der Gerinnetiefe hG , so dass diese bei Kenntnis von H bestimmt werden kann. Abb. 17.4 zeigt den prinzipiellen Verlauf von hG als Funktion von H für zwei verschiedene Volumenströme V˙I > V˙II . Dabei zeigen sich zwei interessante Aspekte:
Es existieren zu einer spezifischen Höhe H offensichtlich zwei verschiedene Gerinnetiefen hG , ein kleiner und ein großer Wert. Aus Kontinuitätsgründen gehört zum kleinen Wert eine hohe Geschwindigkeit, zum großen Wert eine entsprechend niedrige Geschwindigkeit. Es gibt zu jedem Volumenstrom (pro Breite) eine Grenztiefe h˜ G die offensichtlich einer besonderen physikalischen Situation entspricht.
Die Auswertung der Funktion H(hG ), siehe (17.22), ergibt folgende Größen für den sogenannten ˜ h˜ G ) beim Minimalwert von H: kritischen Zustand H(
˙2 3 V ˜ = 3 h˜ G ; h˜ G = ; H w ˜ = gh˜ G gB2 2 Eine genauere Analyse ergibt nun, dass die Strömungsgeschwindigkeit im kritischen Zustand, w˜ = gh˜ G , gerade der Fortpflanzungsgeschwindigkeit von Oberflächenwellen in flachen Gewässern entspricht, vgl. dazu das entsprechende ILLUSTRIERENDE B EISPIEL IB-13 (FlachwasserAnalogie). Es handelt sich um sogenannte Schwerewellen, die durch das Zusammenspiel von Trägheits- und hydrostatischen Druckkräften entstehen, wenn es aufgrund einer „Störung“ zu einer anfänglichen Auslenkung der freien Oberfläche kommt. Diese Wellen breiten sich mit der Geschwindigkeit w˜ aus, wenn es sich um „flache Gewässer“ handelt (bei denen hG klein gegenüber der Wellenlänge ist), wie anschließend in Abschn. 17.5 näher ausgeführt wird. Bei Strömungsgeschwindigkeiten uS < w˜ können sich die Schwerewellen auch stromaufwärts ausbreiten (mit einer Geschwindigkeit w˜ − uS ), bei uS > w˜ ist dies aber nicht der Fall. Diese grundsätzlich unterschiedlichen Situationen werden als unter- bzw. überkritische Strömungszustände bezeichnet. Die Fluidbewegung bei unterkritischen Zuständen wird Strömen genannt. Diese Fälle finden sich auf dem oberen Ast der hG (H)-Kurve. Überkritische Zustände heißen Schießen und sind auf dem unteren Ast zu finden, siehe dazu wiederum das ILLUSTRIERENDE B EISPIEL IB-13. Wenn die Gerinnegeometrie dazu führt, dass in einem bestimmten Querschnitt der kritische Zustand erreicht wird, so geht eine anfänglich strömende Gerinneströmung in den schießenden Zustand über. Der umgekehrte Übergang erfolgt hingegen unstetig und wird durch die stromabwärtigen Geometrieverhältnisse ausgelöst. Dieser stets stark dissipationsbehaftete Vorgang wird Wechselsprung genannt und äußert sich in der Ausbildung einer sogenannten Deckwalze an der Oberfläche im Bereich des starken Anstieges von hG . Dabei erfolgt der (theoretisch unstetige, sprunghafte) Übergang vom über- zum unterkritischen Zustand. Die unterschiedlichen Zustandsbereiche können auch mit Hilfe der Froude-Zahl Fr gekenn√ zeichnet werden. Mit der Definition Fr = uc / gLc und uc = uS , Lc = hG liegt Strömen für Fr < 1 und Schießen für Fr > 1 vor. Der kritische Zustand ist bei Fr = 1 erreicht, siehe dazu Tab. IB-13.1 auf Seite 117.
17.5 Oberflächenwellen
205
hG
Strömen
V˙I /B Schießen
h˜ II
V˙II /B
H˜ II
H
Abb. 17.4: Prinzipieller Verlauf der Gerinnetiefe über der spezifischen Höhe H mit V˙I > V˙II : Grenztiefe für den Volumenstrom V˙II /B h˜ II H˜ II : kritische spezifische Höhe für den Volumenstrom V˙II /B hG > h˜ G : unterkritische Zustände; Strömen hG < h˜ G : überkritische Zustände; Schießen
17.5 Oberflächenwellen An freien Flüssigkeitsoberflächen beobachtet man häufig eine „wellenförmige“ Auslenkung der Oberfläche. Die oberflächennahen Fluidteilchen bewegen sich dabei in einem bestimmten Muster auf und ab, die Muster selber besitzen eine oberflächenparallele Ausbreitungsgeschwindigkeit. Solche sogenannten Oberflächenwellen können ganz allgemein an der Grenzfläche zweier (nicht mischbarer) Fluide unterschiedlicher Dichte entstehen. Es handelt sich um sogenannte Transversalwellen, weil die Fluidbewegung (nahezu) senkrecht zur Wellenausbreitungsrichtung verläuft.6 Wellen entstehen in Fluiden aufgrund von Störungen und sind im Wesentlichen durch das lokale Gleichgewicht von Fluidträgheitskräften und „Rückstellkräften“ geprägt (zusätzlich müssen bei einer genaueren Analyse Reibungskräfte berücksichtigt werden, die zu einer Dämpfung der Wellenbewegung führen). Im Fall der Oberflächenwellen entstehen Rückstellkräfte in Folge der hydrostatischen Druckverteilung unter der uneinheitlich ausgelenkten Oberfläche und/oder in Folge der sogenannten Oberflächenspannung.7 Wenn Oberflächenspannungen der dominierende „Rückstellmechanismus“ sind, liegen sog. Kapillarwellen vor, anderenfalls Schwerewellen (Rückstellmechanismus aufgrund hydrostatischer Effekte). Die Berechnung der Oberflächen-Wellenbewegung ist mit einfachen Modellen möglich, bei denen die Strömung in der Flüssigkeit als Potenzialströmung modelliert wird. Für die gesuchte zeitabhängige Auslenkung der Oberfläche, yO (x,t), unterstellt man ein „harmonisches Verhalten“, d.h., man zerlegt die gesuchte Oberflächenform in eine (unendliche) Summe aus sinusförmigen Elementarwellen der Wellenlänge λ und untersucht deren Verhalten in der Strömung. Eine solche Vorgehensweise ist möglich, wenn (wie hier) ein lineares Problem zugrunde liegt. In Abb. 6
7
Im Gegensatz dazu sind Schallwellen sogenannte Longitudinalwellen, weil die Schwankungsbewegung der Fluidteilchen in Richtung der Ausbreitungsrichtung der Schallwellen erfolgt. Diese Oberflächenspannung σ wird im nachfolgenden Abschnitt kurz erläutert. Sie führt an gekrümmten Oberflächen zu einer Druckdifferenz zwischen beiden Seiten der Fluid-Trennfläche und damit zu Kräften auf die angrenzenden Fluidteilchen.
17 Spezielle Strömungssituationen
206
λ y c(λ , h) x
Ruhelage
yO (x,t)
h
Abb. 17.5: Auslenkung der Flüssigkeitsoberfläche hier gezeigt: eine Elementarwelle mit der Wellenlänge λ
17.5 sind die Verhältnisse skizziert. Aus der Lösung folgt u.a. die sogenannte Dispersionsbeziehung, die angibt, wie die Wellenausbreitungsgeschwindigkeit (auch: Phasengeschwindigkeit) c von der Wellenlänge λ abhängt. Für Kapillar-Schwerewellen (beide Rückstellmechanismen sind wirksam) gilt für eine Flüssigkeitstiefe h in guter Näherung:8
g h 2πσ 1 λ+ c= (17.24) tanh(2π ) 2π ρ λ λ Schwere- KapillarwellenwellenAnteile
Einfluss der Flüssigkeitstiefe
Daraus sind folgende Aussagen ableitbar:
8 9
Oberflächenwellen sind dispersiv: Elementarwellen mit unterschiedlichen Wellenlängen bewegen sich unterschiedlich schnell. Wenn eine Anfangsstörung als Überlagerung verschiedener Elementarwellen dargestellt werden kann, so breitet sich diese nicht als eine feste Welle aus, sonder „fächert sich auf“, weil die Elementarwellen eine unterschiedliche Ausbreitungsgeschwindigkeit besitzen. Im Gegensatz dazu sind z.B. Schallwellen nicht dispersiv (ein „scharfer Knall“ wird auch in größerer Entfernung noch als solcher wahrgenommen). Für kleine Wellenlängen (λ → 0) dominiert der Kapillarwelleneinfluss, d.h., die Rückstellkräfte entstehen durch Effekte im Zusammenhang mit der Oberflächenspannung. Für diese Kapillarwellen: •
besitzt die Flüssigkeitstiefe h keinen Einfluss (tanh(2π h/λ ) → 1 für λ → 0)
•
ist die Wellenausbreitungsgeschwindigkeit umso größer, je kleiner die Wellenlänge ist.9
Details hierzu finden sich z.B. in Kuhlmann, H. (2007): Strömungsmechanik, Pearson Studium, München Bei einem ins Wasser geworfenen Stein dominieren die Kapillarwellen. Nach außen hin beobachtet man deshalb hauptsächlich die schnellen Elementarwellen mit kleiner Wellenlänge.
17.6 Einfluss der Oberflächenspannung
207
für große Wellenlängen (λ → ∞) dominiert der Schwerewelleneinfluss, d.h., die Rückstellkräfte entstehen durch Effekte im Zusammenhang mit der hydrostatischen Druckverteilung. Für diese Schwerewellen: •
besitzt die Flüssigkeitstiefe h einen deutlichen Einfluss (tanh(2π h/λ ) → 0 für λ → ∞)
•
ist die Wellenausbreitungsgeschwindigkeit umso größer, je größer die Wellenlänge ist.
Für Schwerewellen bei kleinen Flüssigkeitstiefen (h/λ → 0) liegt eine besondere Situation vor. Mit tanh(2π h/λ )√→ 2π h/λ für h/λ → 0 gilt gemäß (17.24) für die Wellenausbreitungsgeschwindigkeit c = gh. Solche sogenannten Flachwasserwellen sind damit nicht dispersiv. Ob die Flüssigkeitstiefe „klein“ ist, entscheidet sich im Vergleich mit der Wellenlänge.
17.6 Einfluss der Oberflächenspannung Bei der Oberflächenspannung handelt es sich um ein Phänomen, das an der Oberfläche von Flüssigkeiten auftritt und eine Folge der einseitig in das Innere der Flüssigkeit gerichteten Molekularkräfte ist. Der oberflächennahe Flüssigkeitsbereich wirkt wie eine „Haut“, in der eine (allerdings anders als bei „elastischen Häuten“) konstante Spannung herrscht. Diese sogenannte Oberflächenspannung ist für die Tendenz einer endlichen Flüssigkeitsmenge verantwortlich, stets die Form mit der unter den gegebenen Bedingungen kleinstmöglichen Oberfläche anzunehmen. Die Oberflächenspannung beschreibt gleichzeitig einen anderen Aspekt der Oberflächenphysik, weshalb gleichberechtigt auch der Name spezifische Oberflächenenergie verwendet wird. Tatsächlich treten solche spezifischen Oberflächenenergien (die auch als Oberflächenspannungen interpretiert werden können) grundsätzlich an der Grenzfläche von zwei verschiedenen Materialien auf. In der Strömungsmechanik sind jedoch die Grenzflächen zweier fluider Phasen und insbesondere die Grenzflächen zwischen Flüssigkeiten und Gasen von besonderer Bedeutung. Deshalb wird die Oberflächenspannung im Folgenden für diesen Spezialfall definiert. Eine Erweiterung dieses Begriffes wird im Zusammenhang mit der sogenannten Kapillarität benötigt, die in Abschnitt 17.6.3 erläutert wird.
D EFINITION: Oberflächenspannung Die Oberflächenspannung σ einer Flüssigkeit ist ein Maß für die ungleich verteilte molekulare Wechselwirkung von oberflächennahen Molekülen mit benachbarten Flüssigkeitsmolekülen. Sie stellt gleichzeitig ein Maß für die Arbeit dar, die an Molekülen geleistet werden muss, um diese aus dem Inneren der Flüssigkeit an die Oberfläche zu transportieren. Sie entspricht deshalb auch einer spezifischen Oberflächenenergie. Beide Aspekte werden durch die gleichwertigen Dimensionen KRAFT/LÄNGE und ENERGIE/FLÄCHE ausgedrückt.
σ
Oberflächenspannung / spezifische Oberflächenenergie
N/m = J/m2
Mit σ verbinden sich also zwei verschiedene physikalische Aspekte, die im Folgenden nacheinander behandelt werden.
17 Spezielle Strömungssituationen
208
17.6.1 Spezifische Oberflächenenergie σ Auf Moleküle in einer Flüssigkeit wirken von benachbarten Molekülen Wechselwirkungskräfte. Diese führen allerdings zu keiner von Null verschiedenen Gesamtkraft, solange sie im statistischen Mittel gleichmäßig aus allen Raumrichtungen wirken. Wenn ein Molekül sich aber an der Oberfläche befindet, liegt eine andere Situation vor. Aufgrund der fehlenden Flüssigkeitsmoleküle außerhalb der Flüssigkeit tritt eine resultierende Kraft auf das Oberflächen-Molekül auf, die zur Flüssigkeit hin gerichtet ist. Diese Kraft wirkt aber nur auf die oberflächennächsten Moleküle, da die Molekül-Anziehungskräfte nur eine Reichweite von etwa 10−9 m, also etwa einem Nanometer, besitzen. Ein Molekül an der Oberfläche ist deshalb gegen eine Kraft dorthin gelangt, wozu Arbeit verrichtet werden musste. Diese Arbeit ist jetzt als „potenzielle“ Energie des Moleküls in seiner Oberflächenlage gespeichert. An der Flüssigkeitsoberfläche ist deshalb eine spezifische Oberflächenenergie vorhanden, die (in diesem Zusammenhang wenig anschaulich) als Oberflächenspannung bezeichnet wird. 17.6.2 Oberflächenspannung σ Neben der Energie, die erforderlich ist, um ein Molekül an die Oberfläche zu bringen, können auch die Kräfte betrachtet werden, die auf das Molekül wirken, wenn es an der Oberfläche angekommen ist. Da die resultierende Kraft auf die Oberflächenmoleküle senkrecht auf der Oberfläche steht, besitzt sie bei ebenen Oberflächen keine Komponenten in der Ebene eines endlichen Oberflächenausschnittes. Dies ist bei gekrümmten Oberflächen, wie sie z.B. bei Tropfen und Blasen auftreten, jedoch anders. Abb. 17.6 zeigt den Ausschnitt aus einer gekrümmten Oberfläche. Die Wirkung der molekularen Oberflächenkräfte kann dabei ersatzweise wie eine (Linien-) Spannung an den Schnittlinien interpretiert werden. Diese anschauliche Interpretation hat zu dem Namen Oberflächenspannung geführt, wobei aber zu beachten ist, dass es sich nicht etwa um echte Spannungen (Kraft/Fläche) in den dünnen „Schnittflächen“ handelt. Vielmehr wird die molekulare Kraftwirkung auf die gesamte Oberfläche als „Spannungswirkung in den Schnittlinien“ interpretiert. Die Tatsache, dass σ nicht die Einheit N/m2 sondern N/m besitzt, unterstreicht diesen Umstand. Das Kräftegleichgewicht zwischen der resultierenden Druckkraft auf der Fläche L1 × L2 mit den beiden Hauptkrümmungsradien R1 und R2 ergibt den Zusammenhang −1 ∆p = σ (R−1 1 + R2 )
(17.25)
Daraus folgt z.B. für eine Kugelschale, wie sie bei einem entsprechend geformten Tropfen vorliegt, mit R1 = R2 = R dann ∆p = 2σ /R mit R als Tropfenradius. Dabei ist der Druck im Tropfen höher als in der Umgebung, so dass ∆p = (pF − pG ) > 0 gilt (F: Flüssigkeit; G: Gas). Der Fall einer Gasblase in einer Flüssigkeit wird durch dieselbe Beziehung beschrieben, dann gilt aber ∆p = (pG − pF ) > 0, d.h., der Druck in der Blase ist höher als der Druck in der sie umgebenden Flüssigkeit. 17.6.3 Kapillarität Ist eine Flüssigkeit durch eine feste Wand begrenzt, so entsteht an der Flüssigkeitsoberfläche im Berührungspunkt mit der Wand eine Situation, wie in Abb. 17.7 skizziert. Da Oberflächenspannungen grundsätzlich an den Grenzflächen von zwei verschiedenen Materialien entstehen (und
17.6 Einfluss der Oberflächenspannung
209
R1
∆pL1 L2
σ L1
σ L2
R2
σ L1
σ L2
Abb. 17.6: Kräftegleichgewicht an einem Oberflächenausschnitt der Größe L1 × L2
als Vektoren in diesen Grenzflächen liegen), treten im „Schnitt“-punkt P die drei Spannungen σFG , σFW und σGW auf (F: Flüssigkeit; G: Gas; W : Wand). Diese sind so eingezeichnet, dass sie im Punkt P jeweils wie die Reaktionskräfte der Linienspannungen in der vorhergehenden Abbildung wirken. Das einfache Kräftegleichgewicht in vertikaler Richtung ergibt dabei das sogenannte Kapillaritätsgesetz
σFG cos Θ = σW
;
σW = σGW − σFW
(17.26)
wobei σW als Haftspannung bezeichnet wird. Hierbei kann σW sehr unterschiedliche Werte annehmen, was zu unterschiedlichen Situationen in der Umgebung des Punktes P führt. Insbesondere sind folgende Fälle zu unterscheiden:
17 Spezielle Strömungssituationen
210 (a)
σFW < 0 σGW < 0
σFG cos Θ
(b)
P Θ
σFG > 0
Kräftegleichgewicht in vertikaler Richtung:
σFW + σFG cos Θ = σGW → σFG cos Θ = σGW − σFW
0 ◦ ≤ Θ ≤ 90 ◦
90 ◦ ≤ Θ ≤ 180 ◦
benetzt
nicht benetzt
Abb. 17.7: Flüssigkeitsoberfläche mit Wandkontakt (a) Kräftegleichgewicht im Benetzungspunkt P einer freien Flüssigkeitsoberfläche bei unvollständiger Benetzung; Ausbildung unterschiedlicher Kontaktwinkel Θ (b) Art der Benetzung
σW ≥ σFG :
Es existiert kein Kontaktwinkel Θ, der das Kapillaritätsgesetz erfüllt (da cosΘ ≤ 1 gilt). Ein Gleichgewichtszustand ist nicht möglich, die Flüssigkeit ist bestrebt, die gesamte Wand zu benetzen. Der Grenzfall σW = σFG bedeutet Θ = 0, die Wand ist vollständig benetzt.
σW < σFG :
Die Wand ist unvollständig benetzt, das Wandmaterial verhält sich bezogen auf Wasser hydrophil, wie z.B. bei Karbonaten, Silikaten, Sulfaten und Quarz. Adhäsionskräfte überwiegen gegenüber den Kohäsionskräften. Dieser Fall ist in der Abbildung eingezeichnet.
σW < σFG :
Die Wand ist nicht benetzt, das Wandmaterial verhält sich bezogen auf Wasser hydrophob, wie z.B. bei reinen Metallen, Sulfiden und bei Graphit. Kohäsionskräfte überwiegen gegenüber den Adhäsionskräften.
0<Θ<90◦
90◦ <Θ<180◦
Wie diese Zustände in engen Rohren (Kapillaren) wirken, wird anschließend im A NWENDUNGS BEISPIEL AB-19 erläutert. Da Oberflächenspannungen stets an der Grenzfläche zweier Materialien auftreten, können Zahlenangaben nur jeweils für bestimmte Stoffpaarungen angegeben werden (und nicht für einen bestimmten Stoff alleine). Tabelle 17.1 enthält einige Zahlenwerte. Kontaktwinkel Θ gelten jeweils für die Kombination von drei Materialien (fest, flüssig, gasförmig). Einige Beispiele sind in Tabelle 17.2 enthalten, wobei stets Luft als gasförmiger Anteil beteiligt ist. Naturgemäß kann die Oberflächenspannung nur Strömungen mit freien Oberflächen beeinflussen. Im vorigen Abschnitt waren Kapillarwellen beschrieben worden, deren Zustandekommen wesentlich auf die Oberflächenspannung und die damit entstehenden Rückstellkräfte zurückzuführen ist.
17.7 Anwendungsbeispiele AB-18, AB-19
211
Tab. 17.1: Zahlenwerte der Oberflächenspannung einiger Materialpaarungen bei 20 ◦ C, p = 1 bar (∗ bei 100 ◦ C)
F LÜSSIGKEIT Wasser Öl Quecksilber
GEGENÜBER
Luft Wasserdampf∗ Luft Wasser Luft Wasser
O BERFLÄCHENSPANNUNG σ / (N/m) 0,073 0,059 0,023 ... 0,038 0,023 ... 0,048 0,48 0,43
Tab. 17.2: Zahlenwerte der Kontaktwinkel Θ einiger Materialien in Kontakt mit Luft bei 20 ◦ C
F ESTSTOFF Glas menschliche Haut Parafin
F LÜSSIGKEIT Wasser Quecksilber Wasser Wasser
KONTAKTWINKEL Θ ≈ 0◦ 128 ◦ ...148 ◦ 90 ◦ 110 ◦
Wenn an freien Oberflächen ungleichmäßig verteilte Oberflächenspannungen auftreten (etwa weil eine ungleichmäßige Temperaturverteilung vorliegt und σ = σ (T ) gilt) so kann dadurch eine Strömung induziert werden, die als Marangoni-Konvektion bezeichnet wird. Diese kann unter Schwerelosigkeit besonders ausgeprägt beobachtet werden, weil dann keine thermischen Auftriebskräfte vorhanden sind, die der Marangoni-Konvektion überlagert wären.
17.7 Anwendungsbeispiele AB-18, AB-19 A NWENDUNGSBEISPIEL AB-18: Offene Gerinneströmung über eine Rampe Problem: Die unterkritische Strömung in einem offenen Gerinne (hG1 = 0,7 m ; uS1 = 0,8 m/s) soll durch eine Bodenerhöhung (Rampe, ∆h = 0,15 m) in den überkritischen (schießenden) Strömungszustand überführt werden. Wenn die dafür vorgesehene Rampenhöhe nicht ausreicht, sollen zusätzliche Maßnahmen getroffen werden, um den schießenden Zustand zu erreichen. Die Anordnung ist in Abb. AB-18.1 skizziert. Reibungseffekte sollen vernachlässigt werden. ) ergibt sich ein Lösung: Mit den gegebenen Werten für hG und uS in der Zuströmung (Zustand 1i Volumenstrom pro Breite B von V˙ /B = 0,56 m2 /s, für den die charakteristische Kurve hG = hG (H) gemäß (17.22) bestimmt werden kann. Auf dieser Kurve liegen alle Strömungszustände, die in der beschriebenen Anordnung prinzipiell möglich sind. Für den Zustand 1igilt hG1 = 0,7 m, H1 = hG1 + u2S1 /2g = 0,733 m. Dieser Zustand liegt erwartungsgemäß auf dem oberen Ast der hG (H)Kurve (Strömen). Wegen H + yG = const für reibungsfreie Strömungen (gemäß (17.23)) gilt mit der Rampenhöhe ∆h = yG2 = 0,15 m jetzt H2 = H1 − yG2 = 0,583 m. Dieser als Zustand 2aibezeichnete Fall liegt ebenfalls noch auf dem oberen Ast von hG (H), weil der kritische Wert H˜ auf dem Weg von 1inach 2ainicht erreicht worden ist. Erst mit einer zusätzlichen Bodenerhebung, die zu y˜G = 0,32 m zwischen 1iund 2iführt, kann
17 Spezielle Strömungssituationen
212
iauftreten, bei dem Schießen vorliegt. Mit den gegebenen Zahlenwerten entsteht der Zustand 2b aus (17.22) und der Kontinuitätsgleichung (17.21) wegen der unveränderten Größe yG2 , d.h. gemäß (17.20) der Bedingung eines unveränderten Wertes für H2 , die kubische Gleichung h3G2 − 0,583h2G2 m + 0,0156 m3 = 0 Diese Gleichung besitzt die drei Lösungen hG2a
=
0,527 m (Strömen)
hG2b
=
0,203 m (Schießen)
hG2c
=
− 0,527 m (–)
Der negative Wert hG2c hat keine physikalisch interpretierbare Bedeutung.
i 1y
i 2ay
i 1y
i 2by hG2b
hG1
hG2a yG2 (a) Strömen auf der einfachen Rampe
y˜G (b) Schießen auf der Rampe mit Wall
1,0 GEGEBEN : hG1 = 0,7 m uS1 = 0,8 m/s yG2 = 0,15 m
E RGEBNISSE : hG2a = 0,527 m uS2a = 1,06 m/s hG2b = 0,203 m uS2b = 2,76 m/s y˜G = 0,32 m
hG /m 0,8
i 1y
0,7 0,6
i 2ay
0,5 0,4 0,3 0,2
i y
i 2by
0,1 0
0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 1,0 H/m V˙ hG (H)-Diagramm für: = 0,56 m2 /s B Abb. AB-18.1: Ebene Gerinneströmung über eine Rampe ohne und mit zusätzlichem Wall zwischen 1iund 2i
17.7 Anwendungsbeispiele AB-18, AB-19
213
A NWENDUNGSBEISPIEL AB-19: Kapillaraszension und -depression Problem: Im Zusammenhang mit der Kapillarität war in Abschnitt 17.6.3 erläutert worden, dass je nach Materialpaarung Kontaktwinkel Θ mit Θ < 90 ◦ (benetzte Oberfläche) oder Θ > 90 ◦ (nicht benetzte Oberfläche) auftreten können. Wenn die Flüssigkeitsoberfläche insgesamt sehr klein ist, wie dies in sogenannten Kapillaren der Fall ist, wird die gesamte Oberfläche von Randeffekten beeinflusst und das Fluid insgesamt steigt (Θ < 90 ◦ ; Kapillaraszension) oder fällt gegenüber dem ungestörten Oberflächenniveau (Θ > 90 ◦ ; Kapillardepression). Es soll ermittelt werden, bis zu welcher Höhe die Flüssigkeit in Kapillaren mit den Radien R = 1 mm, 0,5 mm und 0,1 mm ansteigt, wenn vollständige Benetzung vorliegt (Θ = 0 ◦ ). Lösung: Abb. AB-19.1 zeigt, wie aus einer einfachen Kräftebilanz in vertikaler Richtung die Aszensions- bzw. Depressionshöhe bestimmt werden kann. Dabei ist zunächst eine unvollständige Benetzung mit einem Kontaktwinkel Θ > 0 ◦ unterstellt. Bei vollständiger Benetzung gilt dann Θ = 0. Wie im Bild eingezeichnet, wird h zunächst nur bis zur Unterseite des Meniskus angenommen. Damit wird aber ein geringer Flüssigkeitsanteil vernachlässigt. Dieser kann in Form einer Korrekturgröße ∆h berücksichtigt werden, für die unter der Annahme einer hemisphärischen Form des Meniskus gilt R 1 − sin Θ 1 − sin Θ 2 ∆h = 3− 6 cos Θ cos Θ so dass sich z.B. bei vollständiger Benetzung (Θ = 0 ◦ ) ein Wert ∆h = R/3 ergibt. Für die Kombination Glas/Wasser mit einem Kontaktwinkel Θ = 0 ◦ und der Oberflächenspannung von Wasser gegenüber Luft von σ = 0,073 N/m (bei 20 ◦ C) ergeben sich dabei für verschiedene Kapillarradien folgende Zahlenwerte: R = 1 mm : R = 0,5 mm : R = 0,1 mm :
h = 14,9 mm h = 29,8 mm h = 149 mm
∆h = 0,33 mm ∆h = 0,17 mm ∆h = 0,033 mm
2R Kraft aufgrund der Oberflächenspannung (σ cos Θ)2π R
Θ
∆h
Gewichtskraft ρ gπ R2 h
Kräftegleichgewicht ergibt:
h
h=
2σ cos Θ ρ gR
Abb. AB-19.1: Bestimmung der Aszensionshöhe h in Kapillaren für Θ < 90 ◦ (für Θ > 90 ◦ wird h zur Depressionshöhe)
17 Spezielle Strömungssituationen
214
17.8 Illustrierende Beispiele IB-25, IB-26 I LLUSTRIERENDES B EISPIEL IB-25: Stokessches Paradoxon In Abschnitt 17.2 war als ein Beispiel für schleichende Strömungen (Re → 0) die Kugelumströmung erläutert worden, für die als Widerstandsgesetz cW = 24/Re gilt. Für das entsprechende ebene Problem, die schleichende Umströmung des Kreiszylinders, würde man ein ähnliches Ergebnis erwarten. Es stellt sich aber heraus, dass keine Lösung von (17.13) für die Stromfunktion Ψ existiert, die im Unendlichen einer ungestörten Strömung entspricht und auf dem Kreiszylinder die Haftbedingung erfüllt. Diese auf G. G. Stokes zurückgehende Erkenntnis wird Stokessches Paradoxon genannt. Folgende Überlegung führte nun C. W. Oseen im Jahre 1910 zu der Auffassung, dass die vollständige Vernachlässigung der Trägheitsterme unzulässig ist. Stokes hatte angenommen, dass die Trägheitskräfte als klein gegenüber den Druck- bzw. Reibungskräften vernachlässigt werden könnten. Dies muss, wenn es sich um eine zulässige Annahme handelt, natürlich im gesamten Strömungsfeld gelten, also auch für r → ∞. Eine einfache Abschätzung der Größenordnung der einzelnen Kräfte zeigt aber ein anderes Verhalten für große Abstände vom Körper. Für das Verhältnis der Trägheits- und Reibungskräfte gilt mit dem Symbol O(...) zur Kennzeichnung der Größenordnung Trägheitskräfte = O(C1 Re r ln r) Reibungskräfte
für r → ∞
Dies bedeutet aber, dass für jede noch so kleine Reynolds-Zahl die Trägheitskräfte in einem zwar großen, aber endlichen Abstand vom Körper nicht mehr klein gegenüber den Reibungskräften sind. Physikalisch heißt dies, dass die Reibungskräfte (und Druckkräfte) mit zunehmendem Körperabstand schneller abklingen als die Trägheitskräfte. Oseen berücksichtigte daraufhin die Trägheitskräfte, aber nur soweit, dass das singuläre Verhalten der Lösung im Unendlichen vermieden wird. Er konnte zeigen, dass eine linearisierte Version der ursprünglich nichtlinearen Trägheitsterme ausreicht, eine im ganzen Strömungsfeld gleichmäßige Lösung zu ermöglichen. Statt (17.13) gilt jetzt mit der Linearisierung u ∂∂ ux + v ∂∂ uy ∼ ∂∂ ux
∂u = ∆2 Ψ ∂x weiterhin mit den bisherigen Randbedingungen. Diese Gleichung wird Oseen-Gleichung genannt. Sie ist zwar wieder linear, die Lösung ist aber trotzdem recht aufwendig. Mit Hilfe einer speziellen Methode (der sogenannten angepassten asymptotischen Entwicklung) erhält man für den Widerstandsbeiwert des schleichend umströmten Kreiszylinders Re
cW ≡ mit Re = u∞ D/ν.
7,406 −1 2W 8π ln = Re ρ u2∞ DB Re
17.8 Illustrierende Beispiele IB-25, IB-26
215
I LLUSTRIERENDES B EISPIEL IB-26: Ausbreitungsgeschwindigkeit von Tsunamis Als Folge von starken seismischen Aktivitäten am Meeresboden (Seebeben) können Oberflächenwellen entstehen, die als sogenannte Tsunamis bekannt sind und besonders nach dem katastrophalen Ereignis zum Jahreswechsel 2004/5 Angst und Schrecken verbreiten. Typische Wellenlängen solcher Schwerewellen liegen im Bereich von λ = 100...500 km. Da Meerestiefen maximal etwa Werte von h = 10 km annehmen, handelt es sich um Flachwasserwellen. Die Wellenausbreitungsgeschwindig√ keit (Phasengeschwindigkeit) beträgt wie in Abschnitt 17.5 erläutert c = gh ≈ 220 m/s ≈ 800 km/h, wenn eine mittlere Wassertiefe von h = 5 km angenommen wird. Die Oberflächenwellen besitzen auf dem offenen Meer häufig noch geringe Amplituden. Je nach Meeresbodentopologie kann es aber bei Annäherung an die Küste zu einem starken Anstieg der Amplitude kommen. Insgesamt liegt eine sehr komplexe physikalische Situation vor, die eine sichere Vorhersage sehr schwierig macht.
217
18 Zehn mal warum ...? In diesem abschließenden Kapitel sollen zehn Fragen mit strömungsmechanischem Inhalt behandelt werden, die bei aufmerksamer Beobachtung im Alltag auftreten können. Für die Antworten kann z.T. konkret auf die vorherigen Kapitel verwiesen werden, z.T. ergeben sich die Antworten aber auch durch eine Weiterführung der Gedanken, die bisher in diesem Buch entwickelt worden sind. 1. Warum sieht man in größerer Entfernung hinter einem Flugzeug am Himmel stets nur zwei nebeneinander liegende Kondensstreifen, auch wenn es sich um vierstrahlige Flugzeuge handelt? Antwort: In der Tat sieht man die Kondensstreifen, die aus den einzelnen Triebwerken austreten. Direkt hinter einem vierstrahligen Flugzeug sind dies vier einzelne Kondensstreifen. Jeweils zwei dieser Streifen werden aber von den Randwirbeln an den Tragflächenenden „eingefangen“ und danach als ein (verwirbelter) Kondensstreifen sichtbar. Diese Randwirbel entstehen, wie in Abschnitt 16.1.1 im Zusammenhang mit dem induzierten Widerstand erläutert wurde durch einen seitlichen Druckausgleich zwischen der Oberseite (niedriger Druck) und der Unterseite (hoher Druck) an Tragflächen. Man versucht diesen unerwünschten Widerstandsanteil durch eine bestimmte Formgebung der Flügelspitzen (sogenannte Winglets) so weit wie möglich zu reduzieren. 2. Warum sollte der Saugnapf, an dem das Handtuch im Badezimmer aufgehängt ist, genauer als „Drucknapf“ bezeichnet werden? Antwort: Die Wirkung eines handelsüblichen Saugnapfes beruht auf der einseitigen Druckbeaufschlagung auf seiner nach außen weisenden Fläche. Bei einer Fläche A entsteht damit eine Kraft p0 A, mit p0 als Umgebungsdruck, die senkrecht auf den Saugnapf wirkt. Aufgrund der Haftkraft (die wiederum von der Kraft p0 A abhängt) wird der Saugnapf auch bei einer wandparallelen Belastung in seiner Position gehalten. Da die Haltewirkung ohne Umgebungsdruck nicht vorhanden wäre, sollte man ihn eigentlich Drucknapf nennen. 3. Warum ist bei einem Pumpspeicherwerk die Pumpe bzw. Turbine stets auf dem unteren Höhenniveau installiert? Antwort: In einem Pumpspeicherwerk wird Wasser von einem niedrigen auf ein hohes Niveau gepumpt, um Energie in Form von potenzieller Energie zu speichern. Die dazu erforderliche Pumpe arbeitet bei der „Entladung des Speichers“ als Turbine, d.h., sie wird von dem talwärts strömenden Wasser angetrieben. In der Pumpe in ihrer ursprünglichen Funktion muss eine Druckerhöhung im zu fördernden Wassermassenstrom erzeugt werden, die im wesentlichen die hydrostatische Druckdifferenz zwischen dem oberen und dem unteren Höhenniveau aufbringt und Gesamtdruckverluste durch Dissipation ausgleicht. Dies ist unmittelbar der erweiterten Bernoulli-Gleichung (8.6) zu entnehmen. Dabei ist es zunächst egal, an welcher Stelle zwischen den beiden Höhenniveaus die Pumpe installiert ist. Dasselbe gilt für den Turbinenbetrieb.
18 Zehn mal warum ...?
218
Je nach Installationslage ist aber das Druckniveau in der Pumpe verschieden. Um Kavitation zu vermeiden, darf an keiner Stelle in der Pumpe der Dampfdruck des Wassers unterschritten werden. Diese Forderung wird umso eher erreicht, je höher das insgesamt vorhandene Druckniveau ist, so dass man die Pumpe aus diesem Grund möglichst tief anordnen wird. Wenn, wie bei Gasströmungen, Kavitation nicht vorkommt, kann es durchaus Vorteile bieten, die Druckerhöhung am Ende einer Leitung zu installieren (das Gebläse ist dann „saugseitig“ angebracht). Dies wird man z.B. bei Strömungsuntersuchungen in Innenräumen vorsehen, weil man dann vermeidet, dass die Zuströmung starke Störungen durch das Gebläse erfährt. Stattdessen findet eine weitgehend ungestörte Zuströmung statt, wenn durch ein nachgeschaltetes Gebläse im Innenraum ein Unterdruck erzeugt wird. 4. Warum legt sich ein Luftstrahl, der in einem relativ kleinen Winkel zu einer angrenzenden Wand ausgeblasen wird, an die Wand an und wird so zu einem sogenannten Wandstrahl, wie in Abb. 18.1 gezeigt? Antwort: Diese Phänomen ist im Zusammenhang mit der Raumklimatisierung häufig zu beobachten und beruht auf folgendem Mechanismus. Tritt ein Strahl in einen ruhenden Raum ein, so vergrößert er in Strömungsrichtung den Massenstrom, der im Strahl transportiert wird. Dies ist möglich, weil zunächst ruhendes Fluid „mitgerissen“ wird. Aus Kontinuitätsgründen muss dann aber im Außenraum des Strahles eine (schwache) Strömung in Richtung auf die Strahlachse hin entstehen. Dieser Vorgang (Grenzschichteffekt) wird als entrainment oder Einsaugeffekt bezeichnet. Wenn nun auf einer Seite des Strahls eine Wand diese (schwache) Zuströmung auf die Strahlachse hin behindert, entsteht dort ein Unterdruck und der Strahl wird zu dieser Wand hin umgelenkt. Dieser Effekt des Strahlanlegens an eine Wand wird Coanda-Effekt genannt. Mit diesem Effekt entsteht ein oszillierender Strahl, wenn eine Druckrückkopplung in einem sogenannten Flipflop-Element vorgesehen wird, wie dies in der Skizze angedeutet ist. Der ankommende Strahl legt sich dabei alternierend an die rechte bzw. linke Wand an, wenn die Druckrückkopplungs-Leitung bestimmte Längenkriterien einhält. 5. Warum bewegt sich der Duschvorhang während des Duschens auf den Körper zu, was oft als störend empfunden wird? Antwort: Auch hier ist die entrainment-Wirkung von Strahlen die Ursache. In Ermangelung eines deutschen Fachausdrucks wird der entrainment-Effekt deshalb auch als Duscheneffekt bezeichnet. Die einzelnen Wasserstrahlen „reißen“ umgebende Luft mit und induzieren damit (a)
(b) Druckrückkopplung
Abb. 18.1: Coanda-Effekt (Strahlanlegen an eine Wand) (a) stationär (b) instationär alternierend durch eine Druckrückkopplung (Flipflop)
219
eine (schwache) Strömung senkrecht zur Strahlrichtung. Wird diese durch einen nahen Vorhang behindert, entsteht ein leichter Unterdruck, der den Vorhang auf die Wasserstrahlen hin, und damit zum Körper bewegt. 6. Warum besitzen schlanke Schornsteine im oberen Bereich häufig spiralförmig angebrachte schmale Bänder? Antwort: Aus strömungsmechanischer Sicht handelt es sich bei der Windströmung um einen Schornstein um die Umströmung eines Kreiszylinders. Wie in Abb. IB-2.1 auf S. 27 erläutert, kann dabei eine oszillierende Strömungsablösung auftreten (Karmansche Wirbelstraße), die zu Schwingungen des Schornsteins führen kann. Wenn mit solchen (zunächst schwachen) Schwingungen die Eigenfrequenzen des Schornsteins angeregt werden, können aber gefährlich starke Schwingungen auftreten. Mit den spiralförmig angebrachten Bändern verhindert man eine nahezu zweidimensionale Kreiszylinderumströmung und damit die starke Schwingungsanregung durch die Karmansche Wirbelstraße im Nachlauf des Schornsteins. 7. Warum hat sich der Schiffsantrieb wie beim Raddampfer (außer vielleicht in New Orleans) nicht halten können, sondern wurde grundsätzlich durch einen Schraubenantrieb ersetzt? Antwort: Das Prinzip des Raddampfer-Antriebes basiert auf dem Widerstand, der an den einzelnen Profilen erzeugt wird, während der Schraubenantrieb mit dem Auftrieb arbeitet, der an den einzelnen Schraubenprofilen entsteht. Ein Blick auf Profilpolaren wie z.B. in Abb. IB-23.1 auf S. 190 zeigt, dass Auftriebskräfte um ein Vielfaches größer als Widerstandskräfte sein können. Zusätzlich ist zu beachten, dass eine Auftriebserzeugung prinzipiell mit sehr viel geringeren Verlusten behaftet ist, als die Erzeugung von Widerstand (der nur aufgrund von Verlusten zustande kommt). Beides zusammen führt zur absoluten Überlegenheit des Schraubenantriebes bei Schiffen. 8. Warum kommt es bei der Strömung des Wasserstrahles aus einem Wasserhahn, mit dem ein frisch gekochtes Ei abgekühlt wird, nicht zur Strömungsablösung, sondern zu einer vollständig ablösefreien Umströmung des Eies? Antwort: Im Gegensatz zur Umströmung eines stumpfen Körpers (wie einem Ei) mit einer einphasigen Strömung liegt hier eine Zweiphasen-Strömung vor, bei der die flüssige Phase nur einen relativ dünnen Film auf der (Ei-)Oberfläche bildet. Dieser Film steht unter dem konstanten Außendruck und stellt prinzipiell einen Wandstrahl dar. Dieser Wandstrahl ist eine Gleichdruck-Grenzschicht. Zur Strömungsablösung kommt es bei Grenzschichten aber nur in Gebieten mit Druckanstieg, wie in Abschn. 2.3.3 ausgeführt worden war. Der Einfluss der Krümmung ist aufgrund des dünnen Wandstrahles relativ gering und spielt hier ebenfalls noch keine Rolle. Insgesamt handelt es sich also nicht um die „Umströmung eines stumpfen Körpers“, sondern um einen „Wandstrahl an einer gekrümmten Oberfläche“. 9. Warum gelingt es guten Fußballern zum Leidwesen des gegnerischen Torwarts eine „Bananenflanke“ zu schießen, den Ball also auf einer unerwartet gekrümmten Bahn aufs Tor zu schießen? Antwort: Aus strömungsmechanischer Sicht ist die seitliche Ablenkung des Balles auf eine entsprechende zusätzliche strömungsinduzierte Kraft in Seitenrichtung zurückzuführen. Eine solche Kraft ist im Sinne einer „Kraft senkrecht zur Anströmung“ als Auftriebskraft zu
18 Zehn mal warum ...?
220
werten, wobei hier die „Auftriebs“-kraft mehr oder weniger in die horizontale Richtung weisen kann. Diese Auftriebskraft entsteht durch eine Zirkulation in der Strömung um den Ball. Diese Zirkulation wiederum entsteht am Ball durch den Mechanismus, der in der zweidimensionalen Anordnung im ILLUSTRIERENDEN B EISPIEL IB-15 als Magnus-Effekt eingeführt worden war. Wenn der Fußballspieler dem Ball zusätzlich zu seiner Vorwärtsgeschwindigkeit eine Drehbewegung „mitgibt“, so wird aufgrund der Haftbedingung eine „potenzialwirbelartige“ Strömungskomponente induziert, die eine Zirkulation besitzt und damit bei einer Drehbewegung „um die richtige Achse“ zu einer (Auftriebs-) Seitenkraft führt. Die genauen Vorgänge berechnen zu wollen, ist mit mindestens so viel Aufwand verbunden, wie er erforderlich ist, um in einem intensiven Training zu einem sicheren Torschützen zu werden, der diesen Effekt gezielt einsetzen kann. Dieser Magnus-Effekt kann prinzipiell bei allen Ballspielen genutzt werden, so z.B. auch im Tennis wo Bälle mit topspin geschlagen werden und dann kurz hinter dem Netz „herunterfallen“. 10. Warum kann man in einem inkompressiblen ruhenden Fluid den Druck erhöhen, ohne dabei Energie in Form von Arbeit zu übertragen, in einem inkompressiblen strömenden Fluid aber nicht? Antwort: Arbeit ist eine Form der Energieübertragung, die sich aus mechanischer Sicht als Kraft × Weg darstellen lässt. Eine Kraft, die ihren Angriffspunkt nicht verändert, leistet somit keine Arbeit. Betrachtet man nun ein ruhendes inkompressibles Fluid in einer Zylinder/Kolben-Anordnung, s. Abb. 18.2 (a), so kann mit einer beliebigen Kraft F ein beliebiger Druck p im Fluid erzeugt werden, ohne dass für diese Druckänderung Arbeit geleistet werden müsste. Bei diesem Vorgang der Druckerhöhung wird dann aber auch keine Energie im Fluid gespeichert. Betrachtet man nun ein strömendes Fluid, Abb. 18.2 (b), wie es z.B. über eine Pumpe hinweg vorliegt, so tritt am Eintritt eine Kraft F1 = Ap1 und am Austritt eine Kraft F2 = Ap2 auf (A: Ein- bzw. Austrittsquerschnitt). Beide Kräfte verändern ihren Angriffspunkt, und zwar umso stärker je höher die Strömungsgeschwindigkeit ist. Damit leisten beide Kräfte Arbeit (die sogenannte Verschiebearbeit) und zwar F2 in der gezeigten Anordnung mehr als F1 . Die damit verbundene Energiedifferenz muss in bzw. mit der Pumpe aufgebracht werden. Es findet jetzt eine Energiespeicherung im Fluid statt. Diese erfolgt durch eine Erhöhung der Verschiebearbeit zwischen dem Ein- und dem Austritt. Die erhöhte Verschiebearbeit kann nach der Pumpe entsprechend genutzt werden.1 Pumpe
A, p1 F
p
F2 > F1
F1
(a)
A, p2
i 1y
(b)
i 2y
Abb. 18.2: Druckerhöhung in inkompressiblen Fluiden (a) geschlossenes System (b) offenes System 1
Diese Überlegungen zeigen noch einmal, dass der gelegentlich benutzte Begriff einer „Druckenergie“ unsinnig ist, vgl. dazu die Fußnote im Zusammenhang mit (8.5). Energie wird hier nicht „in Form von Druck“ sondern in Form veränderter Verschiebearbeit gespeichert.
221
Verzeichnis der Anwendungsbeispiele AB-1:
Druckkraft auf eine ebene Wand
37
AB-2:
Gleichmäßig rotierendes Fluid
39
AB-3:
Formale Bestimmung von dimensionslosen Kennzahlen
56
AB-4:
Strömungswiderstand bei einer ausgebildeten inkompressiblen Rohrströmung (Widerstandsgesetz)
57
AB-5:
Modelluntersuchungen zu Schwingungen in einem sogenannten Winderhitzer
66
AB-6:
Modelluntersuchungen zur Blutströmung in Arterien
67
AB-7:
Auslegung eines Springbrunnens
98
AB-8: Bestimmung der Leistung eines Aufwindkraftwerkes
100
AB-9: Bestimmung der Kraft auf einen Umlenkbogen in einer Leitung
102
AB-10: Undichtigkeit in einem Druckbehälter
113
AB-11: Auslegung eines Überschallkanals
114
AB-12: Potenzialströmung um den Kreiszylinder, Vergleich mit der Realität
137
AB-13: Bestimmung des Seitenwindes auf einer Autobahn
138
AB-14: Laminare Grenzschicht an einer ebenen Platte; Widerstandsgesetz
157
AB-15: Turbulente Grenzschicht an einer ebenen Platte; Widerstandsgesetz
158
AB-16: Strömungswiderstand in Kanälen mit Kreis-, Quadrat- und Dreiecksquerschnitten AB-17: Bestimmung des Widerstandsgesetzes einer Kanalströmung unter erschwerten Bedingungen
170
AB-18: Offene Gerinneströmung über eine Rampe
211
AB-19: Kapillaraszension und -depression
213
170
222
Verzeichnis der illustrierenden Beispiele IB-1:
Nicht-Newtonsche Fluide im Haushalt
26
IB-2:
Singende Hochspannungsleitungen
27
IB-3:
Das Tacoma-Bridge Desaster
27
IB-4:
Eine Gasblase „merkt sich ihren Druck“
40
IB-5:
Ein Beitrag aus der Reihe „BILD lügt“
41
IB-6:
Vorteil einer dimensionslosen Betrachtung strömungsmechanischer Probleme
60
IB-7:
Aerodynamische Untersuchungen im Kryo-Kanal
68
IB-8:
Strömung in Mikrokanälen
69
IB-9:
Einfluss der Turbulenz auf den Widerstand einer Rohrströmung
76
IB-10: Probleme bei der Balkonpflanzen-Bewässerung
104
IB-11: Strömungsablösung in Düsen (Grenzen der eindimensionalen Stromröhrentheorie)
105
IB-12: Erzeugung eines instationären Massenstroms mit vorgegebenem m(t)-Verhalten ˙
115
IB-13: Flachwasser-Analogie
116
IB-14: d’Alembertsches Paradoxon: Körperumströmung ohne Widerstand
140
IB-15: Segeln ohne Segel
141
IB-16: Widerstand einer längs- bzw. querangeströmten rechteckigen Platte
159
IB-17: Das Teeblätter-Phänomen
160
IB-18: Zwei Blätter „zusammenpusten“
161
IB-19: Poisseuille-Zahlen für die laminare Strömung in verschiedenen Geometrien
172
IB-20: Polymerzusätze zur Widerstandsreduktion
173
IB-21: Das Teeblätter-Problem numerisch betrachtet (vgl. IB-17)
178
IB-22: Turbulenzmodelle im Vergleich
182
IB-23: Polarendiagramm für Tragflügel
189
IB-24: „Trickreiche“ Gartenbewässerung
190
IB-25: Stokessches Paradoxon
214
IB-26: Ausbreitungsgeschwindigkeit von Tsunamis
215
223
Verzeichnis wichtiger Symbole und Formelzeichen S YMBOL E INHEIT
B EDEUTUNG
aS A B c c, c p , cv cA cp cW D Dh e f Fr F g Gr H k k ke kS Lc Lt m˙ M Ma n p pmod P Pr q Q Q r R Re Sr
Schallgeschwindigkeit, s. (2.7) Fläche Breite, senkrecht zur Zeichenebene Wellenausbreitungsgeschwindigkeit, s. (17.24) spezifische Wärmekapazitäten Auftriebsbeiwert, s. (16.1) Druckbeiwert, s. (12.20) Widerstandsbeiwert, s. (16.2) Durchmesser hydraulischer Durchmesser, s. (14.7) spezifische innere Energie Frequenz Froude-Zahl, s. Tab. 5.1 Kraftvektor Erdbeschleunigungsvektor Grashof-Zahl, s. (17.2) spezifische Gesamtenthalpie, s. (8.5) kinetische Energie der turbulenten Schwankungsbewegung, s. (15.12) Rauheitshöhe Wellenzahl, s. Abb. 7.1 Sandrauheit charakteristische Länge Mischungsweglänge, s. Abb. 13.3 Massenstrom Dipolmoment, s. Tab. 12.1 Mach-Zahl, s. (2.9) Porosität, s. (17.15) Druck modifizierter Druck, s. (12.6) Leistung Prandtl-Zahl, s. Tab. 5.1 spezifische Wärme, s. (8.2) Quellstärke, s. Tab. 12.1 Volumenstrom Radius spezielle Gaskonstante Reynolds-Zahl, s. (2.5) Strouhal-Zahl, S. Tab. 5.1
m/s m2 m m/s J/kgK — — — m m m2 /s2 1/s — N m/s2 — m2 /s2 m2 /s2 m 1/m m m m kg/s m3 /s — — N/m2 N/m2 W — m2 /s2 m2 /s m3 /s m m2 /s2 K — —
18 Verzeichnis wichtiger Symbole und Formelzeichen
224
t t T uc uS u, v, w uτ U v V V˙ wt x, y, z x
°C s K m/s m/s m/s m/s m m/s m3 m3 /s m2 /s2 m m
Temperatur Zeit Temperatur charakteristische Geschwindigkeit Geschwindigkeit in Stromlinienrichtung, s. Abb. 8.1 Geschwindigkeitskomponenten im kartesischen Koordinatensystem Wandschubspannungsgeschwindigkeit benetzter Umfang, s. (14.7) Geschwindigkeitsvektor Volumen Volumenstrom spezifische technische Arbeit, s. (8.2) kartesische Koordinaten Ortsvektor
β Γ δ δ1 δ2 ε ζ η ηt κ κ κ λR ν νt ρ σ τ ϕ Φ Ψ ω
1/K m2 /s m m m m2 /s3 — kg/ms kg/ms — — — — m2 /s m2 /s kg/m3 N/m N/m2 m2 /s2 m2 /s m2 /s 1/s
isobarer thermischer Ausdehnungskoeffizient, s. (17.1) Zirkulation, s. (12.21) Grenzschichtdicke Verdrängungsdicke, s. (13.2) Impulsverlustdicke, s. (13.3) Dissipationsrate Widerstandszahl, s. (9.4) dynamische Viskosität, s. (2.1) dynamische Wirbelviskosität, s. (13.19), (15.11) Isentropenexponent Karman-Konstante, s. (13.24) Permeabilität, s. (17.16) Rohrreibungszahl, s. (14.6) kinematische Viskosität, s. (2.1) kinematische Wirbelviskosität Dichte Oberflächenspannung, s. Abschn. 17.6 Schubspannung spezifische Dissipation, s. (8.3) Potenzialfunktion, s. (12.16) für kartesische Koordinaten Stromfunktion, s. (12.12) für kartesische Koordinaten Drehung, s. (2.6)
225
Häufig verwendete Indizes und Kennzeichnungen Indizierung am Beispiel einer allgemeinen Größe a:
S YMBOL
E INHEIT
B EDEUTUNG
a
...
Schwankungsgröße
a
...
zeitgemittelte Größe
a
—
dimensionslose Größe
a∗
...
kritische Größe, Kap. 10
a˜
...
kritische Größe, Abschn. 17.4
am
...
querschnittsgemittelte Größe
a∞
...
Größe in der Zuströmung
ai , a j
...
Größe in den Querschnitten i bzw. j
227
Literaturverzeichnis / Monographien A
Allgemeine Literatur
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18 Literaturverzeichnis / Monographien
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B
Spezielle Literatur
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231
Index Ähnlichkeit partielle, 65 physikalische, 63 Ähnlichkeitsvariable, 157 Überschallkanal, 113 überexpandierter Strahl, 113 Ablösung, 22 Aerostatik, 29, 36 algebraische Berechnung, 45 Anpassung, 122 Anpassungsbedingung, 144 Archimedisches Gesetz, 33 Außenströmung, 121 Auftrieb, 185 hydrostatischer, 33 Auftriebsbeiwert, 185 Auftriebsterm, 195 Aufwindkraftwerk, 100 ausgebildeter Zustand, 163 aymptotische Theorie, 143 Bahnlinien, 19 Basisdimension, 51 Bernoulli-Gleichung, 85 Betrachtungsweise Eulersche, 126 Lagrangesche, 125 Bingham-Fluid, 11, 26 Bionik, 6 Boussinesq-Approximation, 195 CFD, 178 Coanda-Effekt, 218 Couette-Strömung, 10 d’Alembertsches Paradoxon, 140 Düse, 105 Deckwalze, 117 Defektschicht, 154 Diffusor, 105 Dimension, 51 Dimensionsmatrix, 55
Dirichletsche Randbedingung, 132 Dispersionsbeziehung, 206 Dissipation, 85, 89, 178 direkte, 74 turbulente, 73 DNS, 75 Drall, 97 Drehimpuls, 97 Drehung, 23 Druck dynamischer, 94 modifizierter, 128 Druckmessung, 49 Druckwiderstand, 140, 186 Durchmesser hydraulischer, 168 Durchströmung, 12 Duscheneffekt, 218 dynamischer Druck, 94 Einflussgröße, 52 relevante, 53 Einheit, 51 Einlauflänge hydrodynamische, 164 Einsaugeffekt, 218 Energie innere, 82, 84 kinetische, 84 potenzielle, 84 turbulente kinetische, 178 Energie-Gleichungs-Paradoxon, 93 Energiespektrum, 72 Entropie, 85 Entropieproduktion, 85 Eulersche Betrachtungsweise, 126 Förderhöhe, 86 Fünf-Punkte-Plan, 53 Feldgrößen, 45 Flachwasser-Analogie, 116 Flachwasserwellen, 116 Flettner-Rotor, 141
Index
232
Fließgesetz, 9 Fluid Bingham-F., 11, 26 Newtonsches, 10 nicht-Newtonsches, 10 rotierendes, 34 scherentzähend, 11 scherverzähend, 11 Fluid-Struktur-Wechselwirkungen, 27 Fluidballen, 73 Forchheimer-Koeffizient, 201 Froude-Zahl, 55 Gas ideales, 107 Gebietszerlegung, 119 Gerinneströmung, 202 Gesamtdruck, 86, 94 Gesamtenergiegleichung, 82, 107 Geschwindigkeitsmessung, 48 Gleichung konstitutive, 175 Gleitzahl, 190 Grashof-Zahl, 55, 194 Grenzschicht, 21 laminare, 146 turbulente, 149 Grenzschichten, 143 Grenzschichtgleichungen, 147, 151 Prandtlsche, 147 Grenzschichttheorie, 119, 121 Grenzschichttheorie höherer Ordnung, 147 Grenzschichttransformation, 148 Grundgesetz hydrostatisches, 30 Haftbedingung, 20 Haftspannung, 209 Hagen-Poiseuille-Strömung, 165 Hele-Shaw-Strömung, 197 Hitzdraht-Messverfahren, 48 hydraulischer Durchmesser, 168 Hydrostatik, 29 hydrostatisches Grundgesetz, 30 Impulsverlustdicke, 145 induzierter Widerstand, 140, 186, 217
innere Energie, 82, 84 Isentropenbeziehung, 107 Kanalreibungszahl, 168 Kapillaraszension, 212 Kapillarität, 208 Kapillarwellen, 205 Karman-Konstante, 154 Karmansche Wirbelstraße, 27 Kaskadenprozess, 74 Kavitation, 25 k-ε -Modell, 178 Kennzahl dimensionslose, 52 Kesselzustand, 108 kinetische Energie, 84 Koeffizienten der Ungleichverteilung, 87 Kolmogorov-Länge, 73 Konsistenz, 47 konstitutive Gleichung, 175 Kontaktwinkel, 210 Kontinuitätsgleichung, 82, 107 Konvektion erzwungene, 12 gemischte, 12 Marangoni-K., 211 natürliche, 12, 193 Konvergenz, 47 Kreiszylinder, 137 kritische Reynolds-Zahl, 144 kritischer Zustand, 110 kritisches Druckverhältnis, 110 Kryo-Kanal, 68 Kutta-Joukowsky-Theorem, 188 Kuttasche Abströmbedingung, 187 Lagrangesche Betrachtungsweise, 125 laminare Grenzschicht, 146 Laplace-Gleichung, 132 Laval-Düse, 111 LDA-Messverfahren, 48 LES, 76 logarithmisches Wandgesetz, 156 Mach-Zahl, 25, 55 Magnus-Effekt, 141, 188, 220 Marangoni-Konvektion, 211
Index mechanische Teilenergie, 83 Medium poröses, 198 Messverfahren Hitzdraht-M., 48 LDA-M., 48 PIV-M., 48 Mikrokanal, 69 Mischungsweglänge, 153 Modell physikalisch/mathematisches, 45 Modellbildung, 53 modifizierter Druck, 128 Moody-Diagramm, 60 Nachexpansion, 110 natürliche Konvektion, 193 numerische Simulation, 45 Oberflächenenergie, 208 Oberflächenspannung, 207, 208 Oberflächenwellen, 205 Oseen-Gleichung, 214 Pascalsches Paradoxon, 37 Permeabilität, 199 Pi-Theorem, 52 Pitot-Sonde, 96 PIV-Messverfahren, 48 Poiseuille-Strömung, 165 Poiseuille-Zahl, 59, 172 Polarendiagramm, 189 Polymerzusatz, 173 Polytropenbeziehung, 36 poröses Medium, 198 Porosität, 199 Potenzialströmung, 132 potenzielle Energie, 84 Prandtl-Glauert-Analogie, 189 Prandtl-Sonde, 95 Prandtl-Zahl, 55 Prandtlscher Mischungsweg, 153 Pumpe, 84 Pumpenwirkungsgrad, 92 Quellterm, 200 Randbedingung
233
Dirichletsche, 132 kinematische, 20 RANS, 75 Reibungswiderstand, 186 Relevanzliste, 53 Reynolds-Spannungs-Turbulenzmodell, 177 Reynolds-Zahl, 21, 55 kritische, 144 Rohrreibungszahl, 59, 89, 168 Rohrströmung, 57 rotierendes Fluid, 34 Sandrauheit äquivalente, 158 Schallgeschwindigkeit, 24 Schießen, 117, 204 schleichende Strömung, 196 Schließungsproblem, 76 Schubspannungsgeschwindigkeit, 155 Schwerewellen, 117, 204, 205 Selbstähnlichkeit, 157 Skalierungseffekt, 64 spezifische Höhe, 203 spezifische Wärme, 84 Stabilität, 47 Standardatmosphäre, 37 Staudruck, 94 Staudrucksonde, 96 Stokessches Paradoxon, 214 Strömung dreidimensionale, 15 ebene, 15 Hele-Shaw-S., 197 in porösen Medien, 197 inkompressible, 14 instationäre, 13 isentrope, 107 kompressible, 14 laminare, 13 Poiseuille-S., 165 reibungsbehaftete, 15 reibungsfreie, 15 rotationssymmetrische, 15 schleichende, 196 stationäre, 13 transiente, 13 turbulente, 13, 16, 71
Index
234
zweidimensionale, 15 Strömungsablösung, 22 Strömungsgrenzschicht, 21 Streichlinien, 20 Stromdichte, 83 Stromfaden, 81 Stromflächen, 18 Stromfunktion, 130 Stromlinien, 18 Stromlinienkrümmung, 188 Stromröhre, 81 Stromröhrentheorie, 89 eindimensionale, 82 Strouhal-Zahl, 27, 55 substantielle Zeitableitung, 126 Superfluidität, 15 Superpositionsprinzip, 133 technische Strömung, 7 Teilenergie mechanische, 83 thermische, 83 Theorie asymptotische, 143 thermische Teilenergie, 83 Torricellische Ausflussformel, 104 Transitionsprozess, 144 Troposphäre, 37 Turbine, 84 Turbinenwirkungsgrad, 92, 101 Turbulenzeinfluss, 75 Turbulenzmodell, 181 Reynold-Spannungs-T., 177 Wirbelviskositäts-T., 177 Turbulenzmodellierung, 76, 151 Turbulenzproduktion, 74 Überschallströmung, 111 Umströmung, 12 Ungleichverteilung Koeffizienten der, 87 unterexpandierter Strahl, 113 Validierung, 46 Verdichter, 84 Verdichtungsstoß, 25, 112 Verdrängungsdicke, 145
Verifikation, 47 Verlusthöhe, 86 Verschiebearbeit, 220 virtueller Ursprung, 144 viskose Unterschicht, 154 Viskosität dynamische, 10 effektive, 11, 201 kinematische, 10 Wärmekapazität spezifische, 93 Walzensegler, 142 Wandgesetz logarithmisches, 156 Wandschicht, 154 Wandstromlinienprinzip, 133 Wasseranomalie, 41 Wechselsprung, 117 Wellenausbreitungsgeschwindigkeit, 206 Wellenleistung, 92 Wellenwiderstand, 186 Wellenzahl, 72 Widerstand, 185 induzierter, 140, 186, 217 Widerstandsbeiwert, 185 Widerstandsgesetz, 57, 60, 157, 158, 166, 170 Widerstandsreduktion, 173 Widerstandszahl, 89, 91, 189 Winglets, 217 Wirbel, 73 Wirbeltransportgleichung, 129 Wirbelviskosität, 152, 178 Wirbelviskositäts-Turbulenzmodell, 177 Zeitableitung konvektive, 127 lokale, 126 substantielle, 126 Zirkulation, 134, 187 Zustand ausgebildeter, 163 kritischer, 110 Zustandsgleichung thermische, 107 Zweischichtenstruktur, 154