Carla Ilten Strategisches und Soziales Nischenmanagement
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Carla Ilten
Strategisches und Soziales Nische...
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Carla Ilten Strategisches und Soziales Nischenmanagement
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Carla Ilten
Strategisches und Soziales Nischenmanagement Zur Analyse gesellschaftspolitisch motivierter Innovation Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Ingo Schulz-Schaeffer
VS RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Dorothee Koch / Britta Göhrisch-Radmacher VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-16839-5
Geleitwort
Technische Innovationen besitzen eine gesellschaftspolitische Dimension. Mit der Durchdringung vieler Lebensbereiche mit Technik und technischen Infrastrukturen, wird die Frage “In welcher Gesellschaft wollen wir leben?” zunehmend zugleich auch eine Frage nach den Technologien und Techniken, die die wünschenswerte gesellschaftliche Zukunft begünstigen oder behindern. Eine in den letzten gut dreißig Jahren gewachsene öffentliche Aufmerksamkeit für die negativen wie auch die positiven Folgen des technologischen Wandels für Mensch, Gesellschaft und Umwelt hat bei vielen individuellen wie organisierten gesellschaftlichen Akteuren zu der Auffassung geführt, dass man den technischen Wandel nicht sich selbst überlassen dürfe – bzw. den zumeist ökonomisch motivierten innovierenden Unternehmen –, sondern dass es als eine gesellschaftspolitische Aufgabe anzusehen sei, gesellschaftlich unerwünschte technische Entwicklungen zu verhindern oder sogar mehr noch: den technischen Wandel in gesellschaftlich wünschenswerte Richtungen zu lenken. Vielfach ist das dergestalt wahrgenommene gesellschaftspolitische Erfordernis der Steuerung des technologischen Wandels als eine primär staatliche Aufgabe aufgefasst worden, speziell also als eine Aufgabe der staatlichen Forschungs- und Technologiepolitik. Von einem einfachen Steuerungsoptimismus hat man sich dabei allerdings zumeist längst verabschiedet, und es sind Konzepte entwickelt worden, die dem komplexen Zusammenwirken heterogener Akteure, Idee, Interessen und Ressourcen im Prozess technischer Innovation besser Rechnung tragen. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei – in der Wissenschaft wie in der Politik – dem aus dem Ansatz des Constructive Technology Assessment hervorgegangenen Konzept des Transition Management und dessen zentraler Komponente: dem Konzept des strategischen Nischenmanagements.
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Geleitwort
Die Alternative zur Delegation an staatliche Akteure besteht darin, dass gesellschaftspolitisch motivierte zivilgesellschaftliche Akteure – mehr oder weniger informelle Gruppen, Non-Profit- und Nichtregierungs-Organisationen, die Entwicklung und Verbreitung der aus ihrer Sicht gesellschaftlich wünschenswerten Technologien und Techniken in die eigenen Hände nehmen. Beispiele hierfür finden sich etwa im Bereich alternativer Energien, alternativer Landwirtschaft, nachhaltigen Wohnens und in neuerer Zeit der Open-Source-Software-Entwicklung. Interessanterweise lässt sich auch diese Form der Innovationstätigkeit durch zivilgesellschaftliche Akteure als eine Vorgehensweise charakterisieren, bei der die Einflussnahme auf den technischen Wandel in der Nische bzw. aus der Nische heraus erfolgt. Carla Ilten entwickelt ein analytisches Konzept, das es ermöglicht, beide Formen der gesellschaftspolitisch motivierten Innovation in und durch Nischen vergleichend zu erfassen. Ihre vergleichende Gegenüberstellung der jeweils relevanten Merkmale erlaubt es, den idealtypischen Fall des technologiepolitisch adressierten strategischen Nischenmanagements und den idealtypischen Fall der emergenten Nischenbildung durch lokale zivilgesellschaftliche Akteure als die beiden Endpunkte eines Kontinuums zu konzipieren, das durch verschiedene Trade-offs zwischen den Stärken und Schwächen der jeweiligen Merkmale der beiden Vorgehensweisen gekennzeichnet ist. Mit diesem Konzept lassen sich – wie das Fallbeispiel der Entwicklung und Einführung von Ad-hoc-Funk-Netzwerken an vielen Punkten zeigt – empirische Fälle gesellschaftspolitisch motivierter Innovationsprozesse im Kontinuum zwischen den beiden idealtypischen Endpunkten rekonstruieren, beschreiben und einordnen. Auch lässt sich mit seiner Hilfe sehr schön zeigen und untersuchen, wie die Positionierung von Innovationsaktivitäten auf diesem Kontinuum sich im Laufe der Zeit verschiebt – etwa in Richtung des strategischen Nischenmanagements, wenn organisierte zivilgesellschaftliche Akteure zunehmend strategiefähig werden, sich stärker gegenüber den lokalen Gruppen verselbstständigen und technologiepolitische Förderung akquirieren. Oder auch in umgekehrter Richtung, wenn im Rahmen strategischen Nischenmanagements partizipatorische Gesichtspunkte wichtiger werden und stärker auf lokales Engagement vor Ort als auf die Technologiepolitik gesetzt wird. Ingo Schulz-Schaeffer
Vorwort
Wer in den Diskurs um Strategisches Nischenmanagement, Transition Management und Constructive Technology Assessment einsteigt, hat das Gefühl, eine sprudelnde Quelle angestochen zu haben: Die seit nunmehr über einer Dekade überwiegend in den Niederlanden entwickelten Ansätze werden von äußerst aktiven Forschungsgemeinschaften ständig weiterentwickelt – in einem interessanten und fruchtbaren Spannungsfeld von Anwendungsorientierung und Theorieentwicklung. In einer Sonderausgabe von Technology Analysis & Strategic Management haben Schot und Geels kürzlich Bilanz gezogen – und eine Agenda für weitere Forschungsziele aufgestellt (Schot und Geels 2008). Das Forschungsprogramm, von dem noch einiges für die Techniksoziologie zu erwarten ist, beginnt in Deutschland erst, weitreichend rezipiert zu werden. An dieser Stelle möchte ich Ingo Schulz-Schaeffer für die Betreuung und Unterstützung bei der Veröffentlichung dieser Arbeit danken. Dem Center for Neighborhood Technology in Chicago, insbesondere Projektleiterin Nicole Friedman, verdanke ich die Gelegenheit, das Wireless Community Networks-Projekt von innen kennenzulernen – und damit auf den Gegenstand des Nischenmanagements durch zivilgesellschaftliche Akteure zu stoßen. Zu guter Letzt gebührt mein Dank Nathan Ilten, der nicht nur meine Begeisterung für das Schreiben mit LATEX entfacht hat, sondern mir dabei auch eine unverzichtbare Hilfe gewesen ist. Carla Ilten
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
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Nischenmanagement durch zivilgesellschaftliche Akteure 1.1 Soziotechnische Innovation als erfolgreiche Nischenentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Das quasi-evolutionäre Modell technischer Entwicklung . 1.1.2 Der Ansatz des Strategischen Nischenmanagements . . . 1.2 Soziales Nischenmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Soziotechnische Innovationsprojekte: die Basis der Nische 1.2.2 Nischenbildung durch zivilgesellschaftliche Projekte . . . 1.2.3 Diffusion von soziotechnischen Innovationen durch zivilgesellschaftliche Akteure . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Fall von Sozialem Nischenmanagement: das Wireless Community Networks-Projekt 2.1 Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Wireless Community Networks . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Projektebene: das WCN-Projekt als soziotechnisches Innovationsprojekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Nischenebene: lokales WCN-Projekt – globale Community Wireless-Nische . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Diffusion der soziotechnischen Innovation Community Wireless? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15 15 18 22 27 38 57 65
. . . .
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. . 100
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Inhaltsverzeichnis
2.3
Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
3 Schlussbetrachtung
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Anhang
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Literatur- und Materialverzeichnis
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Sachverzeichnis
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Einleitung
Soziologische und ökonomische Forschung über Innovation konzentriert sich zumeist auf die “konventionellen” Akteure der technischen Entwicklung: Firmen und erfinderische Individuen, so wird oft vorausgesetzt, seien die Produzenten von technischen Neuheiten. Andere Akteure kommen dann erst als Empfänger der neuen Technologien, also im Diffusionsprozess der Innovation, in den Blick. In dieser Arbeit geht es um soziotechnische Innovation, die außerhalb von Forschungs- und Entwicklungsabteilungen stattfindet – initiiert durch zivilgesellschaftliche Akteure. Das Engagement von Bürgerinitiativen, Non-Governmental Organizations und anderen Aktivisten im Hinblick auf Technologie wurde bislang vor allem in seiner abwehrenden Form untersucht: Proteste gegen die Diffusion von als schädlich wahrgenommenen Technologien insbesondere von Seiten der Umweltbewegungen sind ein zentrales Thema von Forschung über soziale Bewegungen. Zivilgesellschaftliche Akteure nehmen immer stärker ihre Rolle im Koevolutionsprozess von Technik und Gesellschaft wahr. Wissenschaft und Technik werden nicht nur häufiger thematisiert – neben die Opposition gegen unerwünschte Ergebnisse von Wissenschaft und Technikentwicklung ist eine generative Seite sozialer Bewegungen getreten: Aktivisten engagieren sich in Innovationstätigkeiten (vgl. Hess u. a. 2008: 475). Diese erschöpfen sich jedoch nicht in der Rede von user innovation, bei der lead users in Marktlücken innovieren und so dem Mainstream vorausgehen (vgl. Henkel und von Hippel 2003: 3). Zivilgesellschaftliche Akteure entwickeln vielmehr auch radikale Innovationen, die keinem Mainstream entsprechen, sondern dominanten Formen der Technikproduktion und -nutzung oppositionell gegenüberstehen. Ihre soziotechnischen Innovationen orientieren sich nicht unbedingt an einer Marktlücke, sondern können auch gänzlich außerhalb von privatwirtschaftlichen Marktstrukturen motiviert durch Ideologie entstehen. Um sie –
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Einleitung
ihre spezifischen Eigenschaften, Möglichkeiten der Steuerung und Chancen auf Diffusion – geht es in dieser Arbeit. Soziotechnische Innovation durch zivilgesellschaftliche Akteure soll hier theoretisch über zwei nischenbasierte Ansätze der Innovation abgegrenzt werden: Der normative Ansatz des Strategischen Nischenmanagements dient als Grundlage sowie Abgrenzungsfolie für das hier diskutierte Soziale Nischenmanagement. Arbeiten zum Strategic Niche Management sind zum größten Teil geleitet von der Vorstellung, dass auf der Makroebene der soziotechnischen Systeme westlicher Gesellschaften ein Wandel in Richtung Nachhaltige Entwicklung stattfinden muss: eine Transition von technologischen Regimes. Aufbauend auf dem quasi-evolutionären Modell technischer Entwicklung und der damit verbundenen Mehrebenenperspektive konzentriert Strategisches Nischenmanagement sich auf technologische Nischen als Entstehungsorte soziotechnischer Innovation. Durch die strategische Entwicklung von Nischen mit Hilfe von Innovationsprojekten sollen vor allem staatliche Akteure versuchen, den Koevolutionsprozess von Technik und Sozialem in erwünschte Richtungen zu steuern. Im Zuge dieser Partizipations- und Nachhaltigkeitsdebatte der Technikpolitik und -forschung werden nun auch die alternativen Technologien zivilgesellschaftlicher Aktivisten wiederentdeckt, die bereits für die sozialen Bewegungen der siebziger Jahre eine große Rolle gespielt haben. So entsteht in Reaktion auf das Strategische Nischenmanagement ein Literaturstrang, der vor allem innovative zivilgesellschaftliche Projekte des Bauens und Wohnens (z. B. grünes Bauen), im Energiebereich (Kooperativen zur Nutzung Erneuerbarer Energien) und in der entstandenen Biolebensmittelbranche untersucht. Diese Arbeiten versuchen, zivilgesellschaftliche Innovation in Begriffen der Nischenentwicklung zu fassen. Unter diesem Ansatz des Social Niche Management sollen hier nicht nur die namensgebende Arbeit von Verheul und Vergragt, sondern auch die Theoriearbeit von Smith, Walker und anderen zu Grassroots Innovation gefasst werden – obwohl sich (noch) keine Bezeichnung für diese nischenbasierten Ansätze zu zivilgesellschaftlicher soziotechnischer Innovation etabliert hat, bilden sie doch einen Diskurs, der sowohl im Austausch mit als auch im Kontrast zum Strategischen Nischenmanagement steht. Die Zusammenfassung der Literatur unter Sozialem Nischenmanagement in dieser Arbeit soll diesen Aspekt hervorheben. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, diese Theoriearbeit zu soziotechnischer Innovation durch zivilgesellschaftliche Akteure in Begriffen der Nischenentwicklung zusammenzufassen und gegen das Strategische Nischenmanagement zu verhandeln und die Ergebnisse auf den empirischen Fall des Wireless Community Networks-Projekts anzuwenden. Die zentralen Forschungsfragen sind: Welche Eigenschaften sind für die Innovationsprojekte und Institutionen zivilgesellschaftlicher Akteure erkennbar und wie
Einleitung
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verhalten diese sich zu den Projekten des Strategischen Nischenmanagements? Erzeugen sie die im Strategischen Nischenmanagement benannten Nischenprozesse? In welcher Qualität geschieht dies im Vergleich zu strategisch gemanagten Nischen? Können zivilgesellschaftliche Akteure Nischen managen? Welche Unterschiede ergeben sich für die Diffusion der Innovationen und die Chance auf Regime Shifts? Diese Fragen werden im Theorieteil (2) entlang des Mehrebenenmodells – Projekt, Nische, Regime – behandelt. Zunächst werden in 2.1 – Soziotechnische Innovation als erfolgreiche Nischenentwicklung – das quasievolutionäre Modell technischer Entwicklung (2.1.1) und der Ansatz des Strategischen Nischenmanagements (2.1.2) als Diskussionsgrundlage eingeführt. Im Hauptteil (2.2) werden Soziales Nischenmanagement und Strategisches Nischenmanagement kontrastiert im Hinblick auf (2.2.1) die Innovationsprojekte und ihre Akteure, (2.2.2) die Prozesse der Nischenentwicklung und des Nischenmanagements durch diese Projekte und Akteure und (2.2.3) Möglichkeiten der Diffusion von soziotechnischen Innovationen aus Nischen. Als Ergebnis der Diskussion wird die These aufgestellt, dass zivilgesellschaftliche Innovationsprojekte unter bestimmten Bedingungen in der Lage sind, Nischen zu bilden und diese sogar zu einem gewissen Grad zu managen – als strategische Nischen können sie aufgrund der verteilten Managementaktivitäten jedoch nicht bezeichnet werden. Über zivilgesellschaftliche Innovationsprojekte werden Annahmen getroffen, die in eine Typenbildung umgesetzt werden können; ebenfalls werden Vorschläge für die weitere Untersuchung von Aktivitäten verteilten Nischenmanagements gemacht. Im Empirieteil (3) sollen die Ergebnisse und Annahmen am Fall des Wireless Community Networks-Projekts illustriert werden. In dem Projekt wurden vier gemeinschaftlich genutzte und verwaltete Funknetze im Raum Chicago durch eine Non-Profit-Organisation aufgebaut. Ziel des Projekts war es, die nicht angebundenen Nachbarschaften durch ein neuartiges mesh-Funknetz mit einer Informationsund Kommunikationsinfrastruktur sowie Zugang zum Internet zu versorgen. Die Architektur des mesh-Funknetzes geht dabei mit einer spezifischen Konfiguration der Teilnehmer einher. Das Wireless Community Networks-Projekt wird hier in Form einer Einzelfallstudie untersucht. Nach einer teilnehmenden Beobachtung durch Mitarbeit im Projekt wurden Aufzeichnungen sowie interne und offizielle Dokumente durch eine Inhaltsanalyse ausgewertet. Das Projekt wird in 3.2.1 in den zuvor diskutierten Begriffen des Sozialen Nischenmanagements gefasst. Ausgehend vom lokalen Projekt wird in 3.2.2 explorativ eine Community WirelessNische bestimmt. Das Wireless Community Networks-Projekt stellt einen aufschlussreichen Gegenstand dar – nicht nur für die Anwendung der Begriffe des Sozialen Nischenmanagements, sondern auch in seiner spezifischen soziotechnischen Anordnung: Informations- und Kommunikationstechnologien waren bisher
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Einleitung
nicht Thema von nischenbasierten Ansätzen, sind aber von gesellschaftlicher Relevanz und bergen – so wird in 3.2.3 gezeigt – einiges Potential für die Diffusion zivilgesellschaftlicher Innovation.
1 Nischenmanagement durch zivilgesellschaftliche Akteure
1.1 Soziotechnische Innovation als erfolgreiche Nischenentwicklung Ansätzen des Nischenmanagements liegt ein quasi-evolutionäres Verständnis von Innovation und technischer Entwicklung zugrunde. Durch dieses Modell wurde der Begriff der Nische als ein Ort der Entstehung von Technik geprägt und ein Mehrebenenmodell technischer Entwicklung geschaffen, das den theoretischen Hintergrund für die Ansätze des Strategischen Nischenmanagements sowie des Sozialen Nischenmanagements darstellt.
1.1.1 Das quasi-evolutionäre Modell technischer Entwicklung Das quasi-evolutionäre Modell technischer Entwicklung ist eine Weiterentwicklung der ökonomischen Evolutionstheorie, die technischen Wandel als einen komplexen, stochastischen Prozess von Variation und Selektion begreift. Vertreter einer quasi-evolutionären Theorie kritisieren daran vor allem das Fehlen von Handlungsträgerschaft und die Konzeptualisierung von Variation und Selektion als voneinander unabhängiger Prozesse. Vielmehr schaffen Akteure Variation eingebettet in ihren soziotechnischen Kontext und versuchen andererseits, die Selektion von neuer Technik gezielt zu beeinflussen: “The variation is not random, but guided by heuristics and by other promises of success. The selection environment is actively modified
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Nischenmanagement durch zivilgesellschaftliche Akteure
to increase the survival chances of a search product.” (Rip und Kemp 1998: 355) Die Akteure befinden sich dabei aber inmitten eines nicht überschaubaren und in seiner Komplexität nicht steuerbaren Prozesses der Koevolution technischer und sozialer Systeme (vgl. Rip und Kemp 1998: 389). Dieser Prozess strebt nicht etwa zielgerichtet und linear immer besseren Funktionalitäten entgegen, sondern kann mit dem Wachstum von Hefe verglichen werden, “with developments branching off in different directions, and cross-connections and interactions complicating the picture further”(Rip und Kemp 1998: 357). Diese Koevolution zu konzeptualisieren, ist Ziel des quasi-evolutionären Ansatzes: “The fascinating process of efforts to create order in an otherwise random process of many interrelated developments justifies the use of a quasi-evolutionary perspective.” (Schot 1998: 198) Der Koevolutionsprozess von Technik und Gesellschaft wird auf drei analytischen Ebenen untersucht. Das zentrale Konzept des technologischen Regimes ist dabei auf der Mesoebene angesiedelt. Ein technologisches Regime stellt ein Geflecht von Regeln zwischen Variation – wissenschaftliches Wissen, Ingenieurspraktiken, Infrastrukturen – und Selektionsumwelt – Nachfrage und Bedürfnisse, staatliche Regulation – mit Bezug auf eine Technologie oder Organisations- und Produktionsform dar (vgl. Kemp u. a. 1998: 182). Technologische Regime schaffen somit die relative Stabilität von soziotechnischen Konfigurationen und werden von Schot als “a broader, socially embedded version of a technological paradigm”(Schot 1998: 190) beschrieben. Ähnlich wie ein technologisches Paradigma wirkt ein technologisches Regime auf eine inkrementelle Technikentwicklung hin, indem die Akteure der Technikentwicklung eine ex ante-Selektion ihrer Optionen vornehmen (vgl. Geels 2005: 450). Einige neuere Arbeiten in der Theorietradition sprechen auch von soziotechnischen Regimes, um hervorzuheben, dass es sich dabei um ein Regelgeflecht von sozialen und technischen Grammatiken handelt, die in Bezug auf eine Technologie ineinandergreifen (vgl. Berkhout u. a. 2004; Smith 2007). Die Definition von Kemp u. a. zeigt jedoch, dass dieser Grundgedanke auch im Begriff des technologischen Regimes enthalten ist: “Technological regimes, as we define them, are configurations of science, technics, organizational routines, practices, norms and values, labeled for their core technology or mode of organization.” (Kemp u. a. 2001: 273)
1.1 Innovation als Nischenentwicklung
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Dem technologischen Regime übergeordnet befindet sich auf der Makroebene des quasi-evolutionären Modells die Landschaft, soziotechnische (landscape). Sie umfasst den weiteren Kontext der soziotechnischen Entwicklung, der Akteuren als gegeben erscheint und von diesen nicht direkt zu beeinflussen ist. Die soziotechnische Landschaft tritt dem Akteur zum einen als materielle Umwelt entgegen, in der er sich bewegt. Natürliche und gesellschaftliche Ereignisse wie Umweltveränderungen und Kriege wirken auf die untergeordneten Meso- und Mikroebenen ein. Auch langfristige gesamtgesellschaftliche und kulturelle Veränderungen, etwa das Entstehen von sozialen Bewegungen, finden auf der Ebene der soziotechnischen Landschaft statt und beeinflussen die technologischen Regime und damit auch die Chancen für die Entstehung von Neuem (vgl. Hoogma u. a. 2002: 27). Neues entsteht immer vor dem Hintergrund existierender technologischer Regime, “starting at the micro level of local practices” (Rip und Kemp 1998: 389). Neue soziotechnische Praktiken – insbesondere radikale Innovationen – entwickeln sich in neuartigen, zunächst lokalen, spezifischen Anwendungsbereichen, die nicht den Regeln und der Grammatik des dominanten technologischen Regimes entsprechen. Diese Anwendungsbereiche sind Nischen, aus quasi-evolutionärer Perspektive die Orte der Entstehung von soziotechnischer Innovation. “In a niche the special advantages of a technical option are combined with demands made in a specific environment.” (Schot 1998: 197) Dieser allgemeinen Bestimmung fügt Schot hinzu, dass es sich aber nicht um eine einfache Marktnische handele: dort entstünden inkrementelle Innovationen, die dem dominanten technologischen Regime angepasst seien (Schot 1998: 194). Nischen werden im Gegensatz dazu meist außerhalb von Marktkräften als “protected spaces” verortet (vgl. Kemp u. a. 2001: 275). Vielzitierte Beispiele für solche Nischen sind die Nutzung von Uhren in Klöstern, um den strikten Tagesablauf zu ermöglichen, sowie der Einsatz von Elektrizität zum Spektakel auf Festivitäten (vgl. Hoogma u. a. 2005: 213). Der “Schutz” dieser Nischen besteht aus einem besonderen Interesse der Nutzer an der Anwendung einer neuen Technologie oder soziotechnischen Konfiguration: “[. . . ] the motivation to engage in such activities was not primarily economic in nature” (Hoogma u. a. 2005: 213). Innerhalb des Mehrebenenmodells der quasi-evolutionären Perspektive spielen Nischen eine besondere Rolle im Hinblick auf die Frage von Schot (1998): “How does a change from one regime to another occur?” (191) Nischen, die zunächst relativ geschützte Anwendungszusammenhänge darstellen, können die Ursache für weitreichende Veränderungen in der soziotechnischen Entwicklung von Gesellschaften sein, indem sie einen Übergang (transition) von einem technologischen Regime zu einem neuen anstoßen.
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Nischenmanagement durch zivilgesellschaftliche Akteure
“Regime-shifts often start at the periphery of existing dominant technological regimes in small, isolated application domains.” (Hoogma u. a. 2005: 213) Nach der Kreation einer Nische (niche creation) muss dazu eine Häufung von Nischen (niche proliferation/ accumulation/ piling) kommen, bei der der spezifische Anwendungszusammenhang auf andere soziale Kontexte oder Orte übertragen wird. Geels (2005) zeigt, wie durch die Entwicklung mehrerer Nischen und deren Ausweitung das mit einem Verbrennungsmotor betriebene Automobil und der Individualverkehr zum dominanten technologischen Regime wurden. Entscheidend für den Erfolg der Nischenentwicklung sind Lernprozesse, die innerhalb des geschützten Raumes stattfinden, aber auch die wachsende Unterstützung durch Akteure und Gruppen. Erwartungen und Bedürfnisse werden artikuliert und Versprechungen gemacht, die neue Technologie ausprobiert und verändert. Prozesse der Nischenentwicklung sind jedoch keineswegs zwangsläufig und verlaufen ebensowenig linear: “Successful niche creation does not always lead head on to a change in the outside world. Sometimes new branches are followed before the main road is found. The process of branching off can be perceived as a process of niche branching.” (Schot 1998: 194) Letztendlich führt laut Schot die erfolgreiche Nischenentwicklung zur Auflösung der Nische. Die soziotechnische Innovation, die im geschützten Raum der Nische entstehen konnte, ist dann diffundiert und hat ein neues technologisches Regime begründet. Auf diesen Annahmen fußt der Ansatz des Strategischen Nischenmanagements sowie das damit verbundene Transition Management, in welchen zahlreiche Weiterentwicklungen dieser Konzepte geleistet wurden.
1.1.2 Der Ansatz des Strategischen Nischenmanagements Autoren des Strategischen Nischenmanagements nutzen das oben beschriebene Mehrebenenmodell der technischen Entwicklung sowohl deskriptiv als auch normativ. Eine Reihe von Studien versucht, mit Hilfe der Konzepte des technologischen Regimes und der Nische historische Entwicklungen und den Erfolg oder Misserfolg von Innovationen nachzuvollziehen (Geels 2005; Geels und Raven 2006) oder Chancen von Innovationen abzuschätzen (van Eijck und Romijn 2008). Hauptsächlich wird Strategisches Nischenmanagement von seinen Vertretern je-
1.1 Innovation als Nischenentwicklung
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doch als “a modern tool of governance” (Hoogma u. a. 2005: 210) konzipiert.1 Ihnen geht es um die Frage, wie ein Übergang von technologischen Regimes aus den Bereichen Energieversorgung und Mobilität in Richtung Nachhaltige Entwicklung gestaltet werden kann. Insbesondere große technische Systeme wie die Energieerzeugung und -versorgung besitzen ein Momentum, das Bemühungen zum Wechsel von soziotechnischen Konstellationen erschwert – diese Regime Shifts anzustoßen, ist das Ziel von Strategic Niche Management (SNM): “SNM offers a framework for designing integrated long-term technology-based policy strategies to induce regime shifts to sustainability.” (Hoogma u. a. 2005: 210) Die Erkenntnisse, die aus der Anwendung des Mehrebenenmodells der technischen Entwicklung hervorgehen, sollen dazu dienen, den Koevolutionsprozess von Technik und Sozialem in günstigere Richtungen zu beeinflussen. Dabei verwerfen die Vertreter des Strategischen Nischenmanagements sowohl eine Technikpolitik, die nur ökonomische indirekte Anreize schafft, indem sie mit Hilfe von Steuern Marktstrukturen verändert, als auch naiven Planungsoptimismus. Sie stellen dem ihre Strategie der Modulation entgegen: “[. . . ] to build on the on-going dynamics of socio-technical change and to exert pressures so as to modulate the dynamics of socio-technical change into desirable directions.” (Kemp u. a. 1998: 185) Technikpolitik wird damit nicht mehr als eine instrumentale Aktivität gesehen, bei der klare Ziele angesteuert werden, sondern wird zur Prozesssteuerung2 . Alle Aspekte des Koevolutionsprozesses können dabei als Hebel dienen: Akteurskonstellationen werden gebildet, Leitbilder, Zielvorstellungen und Erwartungen an Technik verhandelt (vgl. Hoogma u. a. 2002: 181). Zentrales Thema dieser Modulationsstrategie sind für die Vertreter des Strategischen Nischenmanagements technologische Nischen als Ort der Entstehung von Neuem. Sie sind die Keimzellen möglicher neuer technologischer Regime und somit ein entscheidender Ansatzpunkt, 1 Das
Oszillieren zwischen theoretischem Ansatz und Policy-Methode hat Strategisches Nischenmanagement mit dem Ansatz des Constructive Technology Assessment gemein – dieser wird von Strategic Niche Management-Autoren als übergeordneter Rahmen betrachtet, in dem Strategisches Nischenmanagement eine mögliche Strategie darstellt. Die Ähnlichkeit der Perspektiven wird bei Hoogma u. a. (2002) deutlich: “Strategic Niche Management is part of an attempt to understand better technical change and its relationship to economic and societal changes. The goal is simple: to help various actors in society to build more constructive relationships with new technologies, saving them from the naive belief in either the transformative myth of the ’technical fix’ or the destructive criticism that new technologies cannot be part of any solution (Hoogma u. a. 2002: Preface). 2 Die Perspektive des Strategic Niche Management steht damit in Einklang mit dem Leitbild von Reflexive Governance als Steuerungsansatz in einer reflexiven Moderne (vgl. Kemp und Loorbach 2006).
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Nischenmanagement durch zivilgesellschaftliche Akteure
um den Prozess der soziotechnischen Koevolution zu beeinflussen. Nischen strategisch im Hinblick auf neue technologische Regime zu gestalten, ist das Ziel des Strategischen Nischenmanagements: “Strategic niche management is the creation, development and controlled phase-out of protected spaces for the development and use of promising technologies by means of experimentation [. . . ].” (Kemp u. a. 1998: 186) Nischen sollen demnach Experimentierräume darstellen, in denen in Form von Demonstrations- und Pilotprojekten Erfahrungen mit soziotechnischen Konfigurationen gesammelt werden können und Einbettungsprozesse in Gang gesetzt werden. Hoogma u. a. (2005) verwenden den Begriff des Experiments, um die einzelnen Projekte zu beschreiben. Sie begründen dies mit der zentralen Bedeutung des Lernens für Strategisches Nischenmanagement. Obwohl die in der Literatur behandelten Projekte kaum einer Definition von wissenschaftlichem Experiment entsprechen, soll der Begriff hier darauf verweisen, dass es sich nicht um zielorientierte Planungsprozesse handelt, sondern um ergebnisoffene, vielschichtige Lernprozesse, die sowohl technische als auch soziale Dimensionen umspannen.3 Entsprechend können die Resultate solcher Experimente vielfältig ausfallen: Technologische Nischen können sich zu Marktnischen entwickeln, wenn Schutz vor Marktkräften überflüssig wird; sie können aber auch technologische Nischen bleiben, möglicherweise verzweigt in andere Anwendungsbereiche – oder aber als Nische aufhören, zu existieren (vgl. Hoogma u. a. 2002: 31). Kemp u. a. (1998) haben grundlegende Nischenprozesse benannt, deren Verlauf und Qualität über die Zukunft einer technologischen Nische entscheiden: Das Entstehen von Erwartungen an eine Technologie und die Kopplung dieser Erwartungen an die Lösung gesellschaftlicher Probleme (Coupling of Expectations), Lernen in Bezug auf Bedürfnisse, Probleme und Möglichkeiten sowie Technik (Articulation Processes) und die Bildung eines unterstützenden Akteursnetzwerks (Network Formation) (vgl. Kemp u. a. 1998: 189 ff.). Werden im Zuge von Innovationsprojekten bspw. Erwartungen an eine soziotechnische Innovation enttäuscht, so kann dies zu einem Abwenden der Akteure führen, aber auch zu einer veränderten Erwartungshaltung und neuen Problemwahrnehmung. Im ersten Fall entsteht keine Nische, im letzteren ändert sich die Richtung der Nischenentwicklung oder es zweigt möglicherweise eine andere Nische ab. 3 Siehe
aber (Herbold und Wienken 1993) für eine Übertragung des Experimentbegriffs auf Phänomene im soziotechnischen Bereich außerhalb des Labors, in denen Erzeugung und Anwendung von Wissen nicht voneinander getrennt werden können. Eine ähnliche Argumentation zur Verwendung des Experimentbegriffs (Brown u. a. 2003) wird in 2.2.1 behandelt.
1.1 Innovation als Nischenentwicklung
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Schritte in Richtung einer strategischen Nischenentwicklung durch Innovationsprojekte sind nach Kemp u. a. (1998): (1) The choice of technology, (2) the selection of an experiment, (3) the set-up of the experiment, (4) scaling up the experiment und (5) the breakdown of protection (vgl. Kemp u. a. 1998: 187 ff.). Die Autoren fügen hinzu, dass Nischenprozesse zu komplex sind, um einem Ablaufplan folgend gesteuert zu werden – die fünf Schritte sehen sie aber als Handlungsempfehlung für Regierungen, die Strategisches Nischenmanagement einsetzen wollen: “Still, governments could try to contribute to these processes of niche formation by setting up a set of successive experiments with a number of new technologies; this is strategic niche management.” (Kemp u. a. 1998: 186) Vertretern des Strategischen Nischenmanagements zufolge sollte staatliche Technikpolitik versuchen, Prozesse der Nischenentwicklung zu steuern (niche management), zumindest aber günstig zu beeinflussen, indem ein möglichst diverses “portfolio of promises” (Hoogma u. a. 2005: 226) geschaffen wird. Auf diese Weise sollen sowohl auf der Variationsseite mehr Optionen geschaffen werden als auch der gesellschaftliche Lern- und Entscheidungsprozess über die Nutzung von Technologien bewusster und auf mehr Akteure verteilt stattfinden. Motivation für die meisten der Arbeiten zu Strategischem Nischenmanagement ist das Leitbild der Nachhaltigen Entwicklung4 , das einen Übergang in verschiedenen technologischen Regimes – insbesondere in Verkehrs- und Energiesystemen – erfordert. Für den Versuch, Regimeübergänge umfassend zu steuern, hat sich in der Literatur der Begriff des Transition Management etabliert. Entsprechend dieser top-downPerspektive sind die meisten Fallstudien zum Strategischen Nischenmanagement staatliche Projekte, bspw. der lokale, zeitlich begrenzte Einsatz von Elektrofahrzeugen in Kooperation mit Unternehmen, die sogar oftmals Teil des dominanten technologischen Regimes sind, das einen Übergang vollziehen soll. Hoogma u. a. (2002) kommen in einer Evaluation einer Reihe von Innovationsprojekten zu dem Schluss, dass häufig zu wenig Engagement von Außenseitern stattgefunden habe, um wirklich von den Regeln des dominanten Regimes abweichen zu können (vgl. Hoogma u. a. 2002: 190 ff.). Dies führt zu der grundsätzlichen Frage von Kemp u. a. (1998): “Who should do Strategic Niche Management?” (188) 4 Das Konzept der Nachhaltigen
Entwicklung verstehen die Autoren dabei zumeist konventionell gemäß der Definition der Brundtlandkomission von 1987, ohne es weiter auszuführen. Der Schwerpunkt der Arbeiten zum Thema Energie und Verkehr liegt auf ökologischer Nachhaltigkeit, aber auch Aspekte von sozialer Nachhaltigkeit kommen in den Blick, da Strategisches Nischenmanagement beansprucht, Lern- und Entscheidungsprozesse partizipativer zu gestalten (vgl. Brundtlandkommission 1987).
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Nischenmanagement durch zivilgesellschaftliche Akteure
Sowohl in dem frühen Standardwerk zum Strategischen Nischenmanagement von Kemp u. a. (1998) als auch bei Hoogma u. a. (2002) wird Diversität unter den Akteuren der Nischenentwicklung als wichtig erachtet. In Anlehnung an das Programm des Constructive Technology Assessment wird ein möglichst breiter Einbezug von Produzenten, Nutzern und Regulatoren von Technik gefordert. In der Praxis der untersuchten Projekte geht dies über das Erfragen von Nutzereinstellungen häufig nicht hinaus, die Initiatoren der Experimente sind zumeist staatliche Akteure oder Unternehmen. Bei Kemp u. a. (1998) wird die Frage nach den Akteuren des Nischenmanagements offen gehalten: “We wish to emphasize that strategic niche management is not just something for governments: industry and NGOs are well placed to initiate and run niche projects.” (Kemp u. a. 1998: 189) Trotzdem stellen sich Hoogma u. a. (2002) die Frage, ob das Car-Sharing in einer Schweizer Kooperative – ein Innovationsprojekt, das von den Nutzern selbst initiiert wurde – als ein Fall von Strategischem Nischenmanagement gelten kann: Es fehlen ein explizites experimentelles Design und eine formale Analyse, “the co-operatives were created by ordinary citizens who shared a vision of a better life and the conviction to reach that state” (Hoogma u. a. 2002: 160). Interessanterweise gilt das Car-Sharing den Autoren aber auch als einer der vielversprechendsten Fälle von Nischenentwicklung im Zusammenhang mit nachhaltiger Mobilität. Das Beispiel zeigt, dass der Ansatz des Strategischen Nischenmanagements durchaus offen gegenüber “unkonventionellen” Prozessen der Nischenentwicklung ist. Hoogma u. a. definieren schlussfolgernd: “The essential criterion is not the existence of a formal experiment, but rather whether the activities focused on creating and developing a technological niche.” (Hoogma u. a. 2002: 160) Konzeptuell ausgearbeitet haben diese Erkenntnis jedoch nicht Vertreter des Strategischen Nischenmanagements, sondern eine Reihe von Autoren, deren Arbeiten hier unter dem Ansatz des Sozialen Nischenmanagements zusammengefasst werden sollen.
1.2 Soziales Nischenmanagement Während Strategisches Nischenmanagement den Schwerpunkt auf die Steuerung von Nischen und Innovationsprojekten “von oben” legt, geht es nun um nischenba-
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sierte Ansätze, die versuchen, soziotechnische Innovation “von unten”, durch zivilgesellschaftliche Akteure, zu beschreiben. Sie nutzen dafür Konzepte des Strategischen Nischenmanagements und entwickeln diese weitreichend weiter. So werden zum einen allgemeinere, deskriptive Konzepte der Nischenentwicklung und Transition von Regimes ausgearbeitet und zum anderen spezifische Konzepte benannt, die soziotechnische Innovation durch zivilgesellschaftliche Akteure als besonderen Fall der Nischenentwicklung fassen. Hier sollen der Ansatz des Social Niche Management und das Konzept der Grassroots Innovation eingeführt werden. Social Niche Management Soziales Nischenmanagement wird von seinen Autoren als theoretischer Rahmen zur Beschreibung von Innovation durch zivilgesellschaftliche Akteure vorgeschlagen (Verheul und Vergragt 1995). Ausgehend von einer Kritik der gesellschaftlichen Verteilung von Innovationstätigkeiten, sprechen Irwin u. a. von einem “social management of environmental change” (Irwin u. a. 1994), das einen stärkeren Einbezug zivilgesellschaftlicher Akteure insbesondere in der Entwicklung von Umwelttechnologien darstellen soll. Eine wichtige Rolle kommt dabei social experiments zu, die Innovationsprojekten des Strategischen Nischenmanagements vergleichbar sind, aber von anderen Akteuren ausgehen: “In the development implementation of environmental technologies, many initiatives are taken by citizen groups and non-governmental organizations, outside the institutional structures of firms and governments. These initiatives are called social experiments.” (Verheul und Vergragt 1995: 315) Soziales Nischenmanagement bedient sich ebenso wie Strategisches Nischenmanagement – wie alle nischenbasierte Ansätze – des quasi-evolutionären Modells der technischen Entwicklung. Der entscheidende Unterschied zwischen den Ansätzen liegt in der Herkunft und Art der Nische: Sie entsteht, weil Akteure – Nutzer von Technik – ihre Bedürfnisse nicht erfüllt sehen und selbst zu Produzenten von Technik werden. Der Schutz der Nische besteht demnach nicht aus einer temporären Abschirmung vor Marktkräften, sondern aus einem eigenen Wert, etwa Umweltbewusstsein, der das Engagement für die Akteure rechtfertigt. Verheul und Vergragt sprechen daher von einer “social niche” (Verheul und Vergragt 1995: 322). Die Entstehung einer solchen Nische geschieht in Form von social experiments wie der Bildung von Kooperativen zur Nutzung Erneuerbarer Energien (“Windmill Cooperations” (ebenda: 318)). Deren Beitrag zur soziotechnischen Innovation liegt vor allem in der Anwendung und neuartigen sozialen Gestaltung der Techniknutzung: “Their main achievement is that they have turned a technological principle into a practically working technology.” (Ebenda: 323)
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Das Adjektiv social an Stelle von strategic soll in diesem Zusammenhang auf die zivilgesellschaftlichen Akteure hinweisen und nicht etwa eine Differenz zu technological (im Nischenbegriff) herstellen. Die Autoren verstehen den Begriff als “explicit reference to those groups in society which are not generally considered within orthodox approaches to environmental ‘management’ (especially citizen groups)” (Irwin u. a. 1994: 324). In diesem Sinne soll die Bezeichnung des Social Niche Management hier – trotz der normativen Einfärbung – als Kontrast zum Strategischen Nischenmanagement gebraucht werden. Mit Bezug auf Verheul und Vergragt sprechen Hegger u. a. von verschiedenen Kontexten der Nischenentwicklung: “The distinction between top-down and bottom-up approaches to sociotechnical change is an illustration that transitions can take place in different contexts, depending on, for example, the degree of co-ordination between the actions carried out (high or low co-ordination) and the origin of the resources employed (internal or external to the incumbent regime).” (Hegger u. a. 2007: 733) Soziales Nischenmanagement als bottom-up-Ansatz wird hier entsprechend als ein spezifischer Kontext von Nischenbildung und -entwicklung aufgefasst, dessen Eigenschaften es herauszustellen gilt. Grassroots Innovation In dem programmatischen Aufsatz “Transforming technological regimes for sustainable developments: a role for alternative technology niches?” diskutiert Smith (2003) die Ansätze des Strategischen Nischenmanagements und Transition Management. Er kommt zu dem Schluss, dass diese zwar ein gutes Werkzeug zur Analyse von Nischenentwicklung bieten, aber noch kaum die Beziehung und Dynamik zwischen Nische und Regime konzeptualisiert haben und dieser auch mit einer gewissen Machtblindheit gegenüberstehen. Smith formuliert eine Forschungsagenda, die sowohl auf Theoriearbeit am nischenbasierten Ansatz als auch auf die Anwendung dieses Ansatzes abzielt: Die radikalen soziotechnischen Nischen der Alternative Technology-Bewegung5 stellen für ihn einen Testfall für nischenbasierte Ansätze und Transition Management dar: “The experimental niches created by the AT movement in areas such as housing, food, and energy provide a challenging acid test for this emerging theory.” (Smith 2003: 134) 5 “The AT movement is a part of the wider environmental movement and yet it has chosen to focus on
the creation of practical examples on the ground” (Smith 2003: 134). Smith untersucht Fallstudien zu grünem Bauen, lokalen Biolebensmittel-Kooperativen und dezentraler Windkraft in Großbritannien und Dänemark (vgl. Smith 2003).
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Die Geschichte der Alternative Technology-Bewegung zeigt für Smith sogar, dass der Ansatz, Nischen bewusst im Hinblick auf einen gesellschaftlichen soziotechnischen Wandel zu entwickeln, von zivilgesellschaftlichen Akteuren bereits in den 1970er Jahren formuliert wurde (vgl. Smith 2006: 314). So gab es innerhalb der Alternative Technology-Bewegung Gruppen, die sich in ihre Nischen zurückzogen, aber auch Vertreter, die Alternative Technology als Beginn einer gesellschaftsweiten Transformation sahen. Ihre Vision artikulierten sie mindestens ebenso deutlich wie die Strategic Niche Management-Autoren heute ihr Nachhaltigkeitsverständnis: “Our knowledge and experience should enable us to displace the dominant ideology and the social practices on which it is based by one that ensures technological innovation remains responsive to direct social needs, and maintains a non-alienating and non-exploitative relationship between man and man.” (Dickson 1974: 97) Diese Vision erforderte jedoch nicht nur neue Technologien, sondern insbesondere alternative Institutionen der Produktion und Nutzung von Technologie – idealerweise in “small-scale decentralized units, each under the control of both those concerned with the production process, and those who will use the services or commodities” (Dickson 1974: 98), und somit in radikalem Gegensatz zu dominanten Regimes bspw. der Lebensmittel- oder Energieerzeugung und damit verbundenen Konsummustern und Eigentumsverhältnissen. Im Kern verfolgen Strategisches Nischenmanagement und Alternative Technology – trotz aller Gegensätze in ihrer Entstehungsgeschichte und rhetorischem Stil – für Smith ähnliche Ziele: Wissen schaffen, in Nischen lernen und durch sie alternative soziotechnische Konfigurationen ermöglichen. Differenzen ergeben sich in den Akteurskonstellationen. Während Strategisches Nischenmanagement staatliche und wirtschaftliche Akteure im Fokus hat und zivilgesellschaftliche Akteure einbezogen werden sollen, war Alternative Technology eine genuin zivilgesellschaftliche Bewegung, deren Aktivisten zwar auch Lobbyarbeit betrieben, aber wohl kaum mit wirtschaftlichen Akteuren der dominanten Regime zusammengearbeitet hätten. Der Erfolg einiger AT-Nischen zeigt für Smith, dass “in practice, the ability to create niches with transformation potential is distributed, unevenly, across a variety of social actors” (Smith 2006: 332). Die Schwierigkeiten anderer – vor allem radikal sozial innovativer – Nischen deuten aber darauf hin, dass die von Vertretern des Strategischen Nischenmanagements anvisierte einfache Verdrängung alter Regimes durch wachsende Nischen unterkomplex ist. Insbesondere Fragen von politischer und wirtschaftlicher Macht müssen laut Smith stärkere
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Beachtung finden, um die Nische-Regime-Beziehung zu verstehen, wie in 1.2.3 ausgeführt wird. Aufbauend auf dem Vergleich von Strategischem Nischenmanagement und Alternative Technology fragen Seyfang und Smith: “Can the grassroots be conceptualised as a site for innovative niches?” (Seyfang und Smith 2007: 590), um darauf mit dem nischenbasierten Konzept der Grassroots Innovation zu antworten. “Grassroots innovators develop bottom-up solutions to public problems. They tend to come from outside mainstream firms and operate instead in civil society arenas. They are often idealists, and experiment with social innovation as much as technological hardware.” (Smith 2006: 334) Die Abgrenzung von Grassroots Innovation gegenüber marktbasierter Innovation erfolgt nach Seyfang und Smith über die Akteure, den Kontext (Soziale Ökonomie), die treibende Kraft hinter den Aktivitäten, die Art des ‘Schutzes’ der Nische, Organisationsformen und Herkunft der Ressourcen. Grassroots innovation stellt für die Autoren eine eigenständige Form der Innovation in Nischen dar, die spezifische Eigenschaften und Dynamiken aufweist. Sowohl die Projekte als auch Prozesse der Nischenentwicklung und -diffusion – ihre Chancen wie auch Hemmnisse im Hinblick auf Regime Shifts – lassen nicht nur einen interessanten Vergleich mit strategisch gemanagten Nischen zu, sondern auch Lehren für das Transition Management ziehen. Insbesondere Seyfang und Smiths Nischenbegriff, der Verheul und Vergragts Verständnis von einer social niche mit Elementen des Strategischen Nischenmanagements verbindet, und die Möglichkeiten der Nischenentwicklung durch Grassroots Innovation sollen hier eine Rolle spielen (in 2.2.2 bzw. 2.2.3). Die Bezeichnung des Sozialen Nischenmanagements soll hier – trotz weitreichenderer inhaltlicher Ausarbeitung der Grassroots Innovation-Konzepte – übergreifend verwendet werden, um sowohl den Fokus auf zivilgesellschaftliche Akteure als auch die Theorieherkunft der nischenbasierten Ansätze sichtbar zu machen. Im Folgenden sollen die hier eingeführten Konzepte der soziotechnischen Innovation durch zivilgesellschaftliche Akteure entlang des zugrundegelegten Mehrebenenmodells technischer Entwicklung diskutiert und gegen die Konzepte des Strategischen Nischenmanagements verhandelt werden. Diese werden zunächst genauer betrachtet, um anschließend eine Abgrenzung vornehmen zu können. Die Ergebnisse werden jeweils zu Fragestellungen formuliert, die die Untersuchung des Wireless Community Networks-Projekts als einen empirischen Fall von Sozialem Nischenmanagement anleiten.
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1.2.1 Soziotechnische Innovationsprojekte: die Basis der Nische Innovationsprojekte – die sogenannten Experimente – stellen im Strategischen Nischenmanagement die Vehikel der Nischenbildung dar. In ihnen soll Lernen stattfinden, Technologie weiterentwickelt werden und ein Unterstützernetzwerk entstehen. Den Projekten übergeordnet und aus ihrem Zusammenhang heraus soll eine technologische Nische entstehen, die die Lernprozesse der Projekte auf eine neue Stufe hebt und einen Einbettungsprozess durchläuft. Aus Sicht des Strategischen Nischenmanagements werden Innovationsprojekte mit diesem Ziel “gesät” – von einem Manager, bspw. staatlichen Agenturen, die das Portfolio der Optionen möglichst breit halten wollen. Damit ergibt sich eine Perspektive “von oben” und vom Ziel her – Regime Shift – auf die einzelnen Projekte. 1.2.1.1 Bounded socio-technical experiments Deutlich wird diese Perspektive in den five steps of strategic niche management bei Kemp u. a. (1998: 186 ff.), die in 1.1.2 (S. 21) eingeführt wurden. Insbesondere die Schritte 1–3 (The choice of technology, the selection of an experiment und the set-up of the experiment), also die Durchführung von Innovationsprojekten, haben Brown u. a. in dem Konzept des bounded socio-technical experiment präzisiert (Brown u. a. 2003 2004; Brown und Vergragt 2008): “We introduce the term bounded socio-technical experiment (BSTE) to denote a project exhibiting several characteristics. It is an attempt to introduce new technology or service on a scale bounded in space and time.” (Brown u. a. 2003: 292) Diese Begrenzung beziehen die Autoren auf einen Zeitraum von wenigen Jahren und eine kleine Anzahl bzw. geographisch abgrenzbare Gemeinschaft von Teilnehmern. Die Akteure eines BSTE entsprechen der Strategic Niche ManagementRhetorik: Ein BSTE ist ein “collective endeavor”, das wirtschaftliche und staatliche Akteure, Technikexperten, Forschungseinrichtungen und NGOs gemeinsam durchführen (Brown u. a. 2003: 292). Zentrales Abgrenzungsmerkmal gegenüber der einfachen Markteinführung neuer Technologien und Dienste oder problemorientierten Projekten ist aber die Vision hinter dem BSTE. Zumindest bei einem Teil der Teilnehmer muss eine langfristige (long term) und gesellschaftlich weitreichende (large-scale) Vision von Nachhaltiger Entwicklung die Treibkraft für das Engagement im BSTE sein. Das Experimentieren mit innovativen Technologien und Diensten geschieht mit Blick auf gesellschaftliche Problemlagen. Die Rolle von BSTEs im Prozess der Koevolution von Technik und Sozialem sehen die Autoren “primarily as an incubator of
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ideas, accumulation of empirical experience with technologies and services, and a place for social learning” (Brown u. a. 2003: 293), womit sie das Konzept gegenüber dem Steuerungsansatz des Strategischen Nischenmanagements verallgemeinern und Transitionsambitionen hintanstellen. Ihre Verwendung des Experimentbegriffs sehen die Autoren durchaus kritisch und rechtfertigen sie mit ihren Ansprüchen an die Projekte, die zumindest danach streben sollten, Eigenschaften wissenschaftlicher Experimente zu übernehmen (vgl. Brown und Vergragt 2008: 113). Dies betrifft zunächst die Offenheit gegenüber unerwarteten Entwicklungen und Ergebnissen, die möglichst alle Akteure mitbringen sollten. Zweitens soll der Lernprozess Hypothesentests vergleichbar sein, und drittens spielt neues Wissen, auch von außen, immer wieder in die Projekte hinein. Diese Merkmale von BSTEs erfordern ein explizites Design und eine geniale Führung: “In short, champions of bounded socio-technical experiments in mobility must be flexible, adventurous, intellectually entrepreneurial and have high tolerance for uncertainty. They also must have a high capacity for self-assessment, reflection and change of objectives in response to new developments.” (Brown u. a. 2003: 296) Brown u. a. messen den Erfolg von BSTEs vergleichbar mit Hoogma u. a. (2002: 31): Idealerweise erfolgt (1) die Diffusion der in dem BSTE entwickelten Technologien und Dienste und ihr “commercial as well as environmental success” (Brown u. a. 2003: 294); oder (2) das BSTE führt zu weiteren Projekten ähnlicher soziotechnischer Anordnung bzw. (3) neuer, abgeänderter soziotechnischer Anordnung. Zuletzt (4) werden auch weitreichende Lernprozesse als Erfolg definiert. Wie Hoogma u. a. stellen auch Brown u. a. fest, dass die zahlreichen untersuchten Fallstudien insbesondere zu Mobilität nur selten zu Diffusion oder auch nur zu Nischenbildung geführt haben. Dem Idealtyp des BSTE wurde nur in Aspekten entsprochen. Hoogma u. a. (2002) listen eine Reihe von “Designmängeln” auf, die in den meisten beobachteten Experimenten den Erfolg geschmälert haben. Zu viel Beachtung wurde dem Testen von Technologie geschenkt, wodurch relativ eingeschränktes Lernen stattfand: “Learning was about vehicles rather than mobility” (Hoogma u. a. 2002: 192). Nutzer wurden in ihrer Rolle als Empfänger einer neuen, zu testenden soziotechnischen Anordnung belassen und selbst kaum mit ihren Erwartungen und Bedürfnissen einbezogen. Dies hat ihre Bereitschaft, sich auf experimentelle Formen der Mobilität einzulassen, deutlich gesenkt. Hoogma u. a. konstatieren sogar: “The most successful innovation in market terms – organized
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car-sharing – was a user initiative.”6 (Hoogma u. a. 2002: 191) Allgemein war der Einbezug von Außenseitern gering: “The experiments were mostly dominated by ‘insiders’ in the regime, who had an interest in the status quo and therefore did not go to great lengths to investigate alternative mobility solutions.” (Hoogma u. a. 2002: 192) Die bescheidenen Entwicklungen in Richtung Nischenbildung lassen Hoogma u. a. wie auch Brown u. a. folgern, dass der Schwerpunkt – das Hauptziel – der Projekte das Lernen sein sollte, “rather than quantitative goals” (Hoogma u. a. 2002: 197). Die Qualität von Lernprozessen in Innovationsprojekten und Nischen wird in der Strategic Niche Management-Literatur daran gemessen, wie tief und breit sie wirken (vgl. Hoogma u. a. 2002; Brown u. a. 2003). Die Tiefe des Lernens kann sich darauf beschränken, bei festen Zielvorstellungen technische Anordnungen zu verbessern oder bekannte Prozeduren auf neue Probleme anzuwenden. Dies ist Lernen ersten Grades (first order learning (vgl. Hoogma u. a. 2002: 28)) und findet in unterschiedlichem Ausmaß in jedem Innovationsprojekt statt. Um jedoch eine Nische zu begründen und das Potential für einen Regime Shift zu entwickeln, muss tieferes Lernen erfolgen: Die Zielvorstellungen selbst werden hinterfragt, Leitbilder und hergebrachte Lösungsstrategien zur Diskussion gestellt. Die Regeln des Spiels werden reflektiert und möglicherweise geändert – das ist second order learning. Lernen ersten Grades in möglichst allen Beziehungen eines Projekts stellt die notwendige Bedingung für erfolgreiches Experimentieren dar; um aber zu einer Nischenbildung beizutragen, die nicht nur das dominante technologische Regime optimiert, sondern radikal abweicht, ist Lernen zweiten Grades vonnöten. Brown u. a. (2003) unterscheiden Prozesse des second order learning auch nach ihrer Breite: Tiefe Lernprozesse können innerhalb des BSTEs – beschränkt auf die Teilnehmer – stattfinden. Breiteres Lernen trägt die neuen Ideen aus dem Experiment in die Gesellschaft hinein, entweder durch Diffusion der innovativen Technologien und sozialen Anordnungen selbst oder durch eine Übernahme von neuen Werten und Leitbildern, die schließlich ein neues Regime ermöglichen können. Aus Sicht des Sozialen Nischenmanagements ergeben sich folgende Fragen für die Betrachtung von Innovationsprojekten zivilgesellschaftlicher Akteure: Wie 6 Die
Rede von Nutzern zeigt, dass die Vertreter des Strategischen Nischenmanagements die Unterscheidung von Akteuren als Produzenten oder Konsumenten von Technik beibehalten, obwohl in ihrer eigenen Rhetorik bspw. das Car-Sharing eine soziotechnische Innovation darstellt und die Nutzer somit auch Produzenten dieser Innovation sind.
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verhalten sich diese zum beschriebenen BSTE-Idealtyp? Welche Differenzen ergeben sich, insbesondere für die zentralen Konzepte der Akteurskonstellation, der Vision, des Projekterfolgs und des Lernens? 1.2.1.2 Zivilgesellschaftliche Innovationsprojekte Ausgangspunkt von Sozialem Nischenmanagement und Grassroots Innovation ist die Bestimmung von Innovationsprojekten als zivilgesellschaftliche Handlungszusammenhänge. Verheul und Vergragt sprechen von “citizen groups and nongovernmental organizations, outside the institutional structures of firms and governments” (Verheul und Vergragt 1995: 315); Seyfang und Smith von “civil society arenas” und “community action” (Seyfang und Smith 2007: 584 f.). Darunter fallen demnach sowohl kleine, informell organisierte lokale oder vernetzte Gruppen sowie größere Non-Profit-Organisationen, die aber eines gemeinsam haben: Sie bewegen sich im Kontext der Sozialen Ökonomie. Im deutschen Sprachraum auch Dritter Sektor7 genannt, sind damit “nicht gewinnorientierte und nicht staatliche Aktivitäten” (Bonas u. a. 2006: 166) gemeint, positiv gewendet handelt es sich um ein Wirtschaften “auf der Basis gemeinschaftlichen und solidarischen Handelns” (ebenda). Zivilgesellschaftliche Innovationsprojekte beziehen entsprechend ihre Ressourcen nur zu einem begrenzten Maß aus Einkünften, wenn vorhanden, und existieren auf der Grundlage von freiwilligen Beiträgen und Fördermitteln (vgl. Seyfang und Smith 2007: 592). Profit als Motiv fällt somit aus – was treibt diese Akteure dazu an, sich in soziotechnischen Innovationsprojekten zu engagieren? Motivationen Seyfang und Smith machen zwei treibende Kräfte für Grassroots Innovation aus: social need und ideology (Seyfang und Smith 2007: 591). Zivilgesellschaftliche Akteure werden zum einen aktiv, wenn Bedürfnisse nicht anderweitig befriedigt werden. Dies ist der Fall, wenn bestimmte soziale Gruppen und Gemeinschaften gar nicht erst durch die bestehenden Produktions- und Verteilungssysteme versorgt werden, da sie keine attraktiven Konsumenten darstellen. In dieser Situation übernehmen oftmals Akteure der Sozialen Ökonomie die Erbringung der Dienste in Form alternativer – manchmal innovativer – sozialer Arrangements. Zum anderen können die Bedürfnisse vom existierenden Angebot generell abweichen, wenn etwa wie im Fall der Windkraftkooperativen in den Niederlanden eine Nachfrage nach konkreten Alternativen besteht, die von privatwirtschaftlichen Akteuren nicht wahrgenommen oder nicht bedient wird (Verheul und Vergragt 1995: 7 Die
Rede vom Dritten Sektor bezieht sich jedoch zumeist – spezifischer als der hier verwendete Begriff der zivilgesellschaftlichen Akteure – nur auf formale Organisationen (vgl. Salamon und Anheier 1999).
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318). Für Verheul und Vergragt (1995) stellt dies einen Fall von Marktversagen dar – aus Sicht des quasi-evolutionären Mehrebenenmodells ist dies die Wirkungsweise eines dominanten technologischen Regimes, das bestimmte Optionen gar nicht erst entstehen lässt. In beiden Varianten führt social need zu Selbsthilfe: Benachteiligte oder unzufriedene Gruppen schaffen sich ihre eigenen Institutionen und Technologien, um ihre Bedürfnisse außerhalb des bestehenden technologischen Regimes zu erfüllen. Die zweite treibende Kraft hinter Grassroots Innovation – ideology – kann natürlich auch als eine Art Bedürfnis verstanden werden: Die Vision einer anderen, besseren Gesellschaft (zumindest in Aspekten) leitet Aktivisten an, wenn sie versuchen, Technologien und ihre Nutzung ihren Werten entsprechend zu gestalten. Vertreter der Alternative Technology-Bewegung haben ihre Vision klar expliziert (vgl. S. 25) – Dezentralität, Demokratie, Ökologie, Vielfalt, Integration und Gemeinschaftsorientierung sind Stichworte einer utopischen ‘soft’ technology society, in der Wissenschaft und Technologie nicht mehr von spezialisierten Eliten, sondern von allen betrieben werden (vgl. Dickson 1974: 103 f.). Aus dieser Vision heraus wurden alternative Technologien, Produktions- und Konsumprozesse sowie Wohnformen entwickelt. Walker u. a. stellen bei ihrer Untersuchung von Community Renewable Energy-Projekten als Grassroots Innovation heraus, dass zwei Prinzipien für die Aktivisten handlungsleitend waren: Zusammenarbeit auf einer lokalen Ebene (localism) und gemeinschaftlicher Besitz der technischen Anlagen (ownership) – zum Beispiel in Form von Kooperativen (vgl. Walker u. a. 2006: 7). Schon diese Prinzipien stehen im klaren Gegensatz zum dominanten Regime der Energieerzeugung, in dem zentralisierte Strukturen im Besitz großer Konzerne die Regel sind. Welche treibenden Kräfte und Visionen Akteure jeweils dazu veranlassen, sich in Innovationsprojekten zu engagieren, ist eine empirische Frage. Social need und ideology können nicht immer klar voneinander abgegrenzt werden, wie die mittlerweile globale Bewegung für Freie und Open Source Software zeigt. Dort mischen sich Bedürfnisse nach anderer Technik – konkreten Systemen, Programmen und Funktionen – mit einer Ablehnung des lange Zeit Nahezu-Monopolisten Microsoft bis hin zu der Vision eines radikal anderen technologischen Regimes auf Basis einer Wissensallmende, die einer völlig neuen Rechts- und Gesellschaftsordnung gleichkäme (vgl. Lessig 2005). Eine breite Literatur zu der Frage, welche Motivation hinter dem freien Programmieren steckt, kommt zu dem Schluss, dass meistens mehrere Motive – Visionen, Spaß an Kreativität, Gemeinschaftserlebnis und Anerkennung, Lernmöglichkeiten – zu unterschiedlichen Anteilen allein im Individuum auszumachen sind (vgl. Lakhani und Wolf 2005). Die Visionen der einzelnen Aktivisten eines zivilgesellschaftlichen Innovations-
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projekts werden zwar auch nie deckungsgleich im Hinblick auf Ziele und Mittel sein, ein gewisses Maß an Übereinstimmung, insbesondere die Ablehnung des dominanten technologischen Regimes zumindest in Aspekten, kann aber vorausgesetzt werden. Die Handlungs- und Abweichungsmöglichkeiten der Akteure werden demnach weniger eingeschränkt durch das “Akteursdilemma”, das Brown u. a. bei BSTEs ausmachen: “congruency of vision vs. breadth of support” (Brown u. a. 2003: 298). Je mehr Akteure an einem Innovationsprojekt beteiligt sind, desto heterogener fallen die Visionen aus – dies führt auf eher konservative Pfade, da der kleinste gemeinsame Nenner gefunden werden muss. Gerade für größere Projekte, die dem Strategic Niche Management-Ansatz folgend so verschiedene Akteure wie staatliche Institutionen, wirtschaftliche Unternehmungen und Nutzer an einen Tisch bringen – wenn auch nicht gleichberechtigt – stellt dieses Dilemma ein Problem dar. Besonders deutlich wird das Dilemma bei dem von Hoogma u. a. beschriebenen groß angelegten und teuren Elektrofahrzeug-Projekt auf Rügen. Das Unterstützernetzwerk war mit Automobilherstellern, Batterieherstellern, TÜV und einem Ministerium denkbar breit, aber auch ebenso einseitig: Da die meisten Akteure dem dominanten technologischen Regime angehören, ist eine das Regime untergrabende Vision von ihnen kaum zu erwarten. Andere Akteure, die Visionen in das Projekt hätten einbringen können, waren nicht eingebunden. So geriet das Projekt zu einem Testlauf für Fahrzeuge und Batterien, in dem Lernen auf technische Details beschränkt blieb (vgl. Hoogma u. a. 2002: 67 ff.). Für zivilgesellschaftliche Innovationsprojekte ergibt sich im Umkehrschluss, dass sie oftmals nur ein eingeschränktes, relativ homogenes Unterstützernetzwerk aufbauen können – stellt dies für sie jedoch ein Dilemma dar? Ziele Das hängt davon ab, welche Ziele Aktivisten mit ihren Innovationsprojekten verfolgen. Ein erstes Ziel kann der Rückzug aus dominanten Regimes in ein anderes Leben sein, wie es etwa bei der back to the land-Bewegung der 1960er Jahre der Fall war: der Aufbau alternativer Institutionen (ökologischer Landbau und Wohnen in Kommunen) zum eigenen Gebrauch. Dies trifft sowohl auf bedürfnisorientierte Projekte (social need) als auch auf ideologisch angetriebene zu. Sie sind dann selbstgenügsam und zielen weder auf Nischenbildung noch auf explizite Lernprozesse ab. So ausgerichtete Innovationsprojekte liegen dem BSTE-Idealtyp am fernsten: Obwohl sie sich gerne Experimente nennen8 , sind sie nicht zeitlich begrenzt (bounded), sondern ganz im Gegenteil auf Dauer angelegt und machen ihre Lernprozesse selten explizit. Durch die – bei Erfolg – fehlende Begrenzung 8 Siehe
bspw. den Titel der deutschen Ausgabe von “Co-ops, Communes & Collectives” (Case und Taylor 1979): “Soziale Experimente in der Bewährung”.
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ist auch der Projektbegriff irreführend und sollte hier durch Institution ersetzt werden – oftmals entwickeln sich aus den Initiativen sogar Organisationen wie Kooperativen, Vereine, Non-Profits. Ein zweites mögliches Ziel von Aktivisten ist das Sichtbarmachen von Alternativen durch Projekte oder alternative Institutionen. Sie werden dann zu Demonstrationsobjekten, zu “exemplarischen Gegeninstitutionen” (vgl. Starr 1979: 246). Diese Haltung ist im Prinzip diffusionsorientiert; die Diffusion der geschaffenen soziotechnischen Innovation stellt aber eher einen erwünschten Nebeneffekt dar. Für diese beiden Gruppen von Aktivisten stellt das Fehlen eines breiten, heterogenen Unterstützernetzwerks kaum ein Problem dar – ein Thema wird dies für zivilgesellschaftliche Projekte und Institutionen, die (drittens) mit dem erklärten Ziel der Diffusion, also mit Blick auf Nischenentwicklung, antreten. Sie verfolgen aufgrund ihrer geteilten Vision mit hoher Motivation soziotechnische Innovationsaktivitäten, die ein großes Potential für die Bildung einer Nische aufweisen, die wirklich außerhalb des dominanten Regimes entsteht und somit Keimzelle eines Regimeübergangs werden kann. Andererseits sind die Chancen auf Diffusion ihrer soziotechnischen Innovation durch einfache Nischenausweitung gering, wie in 1.2.3 auszuführen ist. Die Ziele von zivilgesellschaftlichen Innovationsprojekten sind natürlich nicht statisch; ebensowenig kann davon ausgegangen werden, dass sie von allen Akteuren geteilt werden oder expliziert werden. Erfolg Die Bewertung von zivilgesellschaftlichen Innovationsprojekten als Erfolg oder Misserfolg fällt mit den Zielsetzungen unterschiedlich aus. Selbstgenügsam ausgerichtete Initiativen sind dann erfolgreich, wenn sie in ein funktionierendes soziotechnisches Arrangement münden, das auf Dauer gestellt werden kann und den Werten der Aktivisten entspricht – wie eine Kooperative zur Versorgung der Nachbarschaft mit Erzeugnissen aus ökologischem Landbau in der Region. Kein Erfolgskriterium des BSTE-Konzepts spielt hier eine Rolle – zumindest nicht für die Akteure selbst. Ob selbstgenügsame Projekte trotzdem zu emergenter Nischenbildung führen können, ist Thema von 1.2.2. Für diffusionsorientierte Akteure bekommt das “Funktionieren” ihres soziotechnischen Arrangements eine weitere Bedeutung: Es ist ein konkretes Beispiel, der Nachweis, dass Alternativen möglich sind. Dies ist für Verheul und Vergragt eine der Hauptleistungen von zivilgesellschaftlichen Initiativen: “The bottleneck is often not the lack of scientific insight or basic technological options, but the actual development of a product or system that works under practical conditions.” (Verheul und Vergragt 1995: 323)
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Die Erfolgskriterien 2 und 3 für BSTEs – Nachahmerprojekte anstoßen (vgl. S. 28) – gelten auch für zivilgesellschaftliche Innovationsprojekte mit Blick auf Nischenbildung, vor allem dort, wo lokale Zusammenhänge eine einfache Übertragung von Lösungen unmöglich machen. Dies ist insbesondere bei sozialen Innovationen der Fall, die technische Elemente mit lokalen Besonderheiten und Akteuren verknüpfen. Ein Beispiel hierfür sind sogenannte Gemeinschaftsnutzungseinrichtungen, die die Nutzung lokaler Ressourcen, technischer Einrichtungen und Infrastrukturen in besonderer Art und Weise organisieren (vgl. Bonas u. a. 2006). Für solche Konstellationen ist es unmöglich, einfach durch Nutzung zu diffundieren, wie dies bei technischen Artefakten, bspw. Freie/Open Source SoftwareProgrammen, der Fall ist. Diese erfüllen entsprechend sogar das BSTE-Erfolgskriterium 1 – Diffusion der in dem Projekt entwickelten Technologien und Dienste. Inwiefern das einzelne Programm aber vom technologischen Regime abweicht, ist fragwürdig; entschieden radikaler ist die sozial innovative Produktionsweise in der “Open Source Community” unter Nutzung der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien. Seyfang und Smith zeigen am Beispiel einer Gemeinschaftsnutzungseinrichtung – co-housing –, wie eng soziale und technische Innovationen dabei verbunden sind. “It is essentially a social innovation – a restructuring of the social institutions of housing – rather than a technological one [. . . ]. However, it opens up terrain for more sustainable technologies. Co-housers can pool resources for the use of small-scale renewable energy technologies, rainwater harvesting, grey water recycling, and more sustainable construction materials and designs unavailable to individual households. In short, social innovations and the diffusion of technological innovations are intimately linked.” (Seyfang und Smith 2007: 588)
Soziotechnische Innovation Dieser qualitativ andere Schwerpunkt von zivilgesellschaftlichen Innovationsprojekten – Kopplung von technischen und sozialen Innovationen – scheint eine der wichtigsten Differenzen gegenüber sowohl dem BSTE-Konzept als auch der Realität der von Hoogma u. a. aus Strategic Niche Management-Perspektive untersuchten Projekte zu sein. Dort werden Technik und Soziales – trotz koevolutionärer Theorie – oftmals getrennt betrachtet und behandelt. Dies wird in den Fallstudien der Innovationsprojekte deutlich, von denen mehrere sich ganz auf die Substitution von konventionellen Automobilen durch Elektrofahrzeuge konzentrierten. Andere boten zwar innovative Dienste an, die aber Schwierigkeiten hatten, Nutzer für sich zu gewinnen, die nicht einbezogen
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worden waren. Hoogma u. a. vermuten sogar, dass das “Experiment”-Label Nutzer vom Einstieg abgehalten hat, denn “actors will perceive it as something temporary which may undermine their support for it.” (Hoogma u. a. 2002: 197) Sie erkennen, dass die Projekte, die der Strategic Niche Management-Steuerungsphilosophie am nächsten kommen, Schwächen in Bezug auf den Aspekt der sozialen Innovation aufweisen und fordern: “What we need is experiments and experimental designs that help us discover ways in which the two dimensions – technical design and social and organizational arrangements – work in harmony towards the goal of sustainable mobility.” (Hoogma u. a. 2002: 194) Der Mangel an Kopplung von technischer und sozialer Innovation führt zurück zu den “Designmängeln” (vgl. S. 28): Fehlender Einbezug von Nutzern und Außenseitern und fehlende Visionen können als die Ursachen dieser Schwäche gesehen werden – die umgekehrt in zivilgesellschaftlichen Projekten zur Stärke werden. Wie verhält es sich mit dem Erfolgskriterium 4, das Strategic Niche Management-Vertreter stark machen: Dem Auftreten von Lernprozessen erster und zweiter Ordnung? Lernprozesse Hoogma u. a. kritisieren ein Vorherrschen von Lernprozessen erster Ordnung in den Strategic Niche Management-Projekten und sehen dies als eine Konsequenz der oben genannten Mängel: “Co-evolutionary learning does not occur through the use of single technologies.” (Hoogma u. a. 2002: 192) Strategisches Nischenmanagement strebt Lernprozesse durch die Projekte an – ihre Beobachtungen könnten aber auch dafür sprechen, dass gewisse tiefe Lernprozesse – das Hinterfragen gegenwärtiger Praktiken – auch die Voraussetzung für Projekte mit radikalem Anspruch sind. Seyfang und Smith definieren: “[. . . ] grassroots initiatives exhibit first- and second-order learning.” (Seyfang und Smith 2007: 595) Die Entbettung von den herrschenden Regeln der technologischen Regimes, die Ziel von Strategic Niche Management-Projekten ist, wird hier zum Merkmal: “The opposition is deep-seated and derives from second order lessons about regime unsustainability.” (Smith 2007: 443) Die Breite der Lernprozesse durch zivilgesellschaftliche Innovationsprojekte – die Diffusion der “Lektionen” in weitere gesellschaftliche Kreise – wird dagegen kritischer gesehen, wie in Teil 1.2.3 zu diskutieren ist. Anders als in strategisch gemanagten Innovationsprojekten erfolgt in zivilgesellschaftlichen Innovationsprojekten oftmals keine Evaluation – zumindest nicht immer formal und schriftlich. Die Ressourcen der Akteure sind meist knapp, so dass die “zusätzliche” Arbeit der Dokumentation kaum geleistet wird. Diffu-
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Nischenmanagement durch zivilgesellschaftliche Akteure
sionsorientierte Akteure nutzen aber vermehrt neue Informations- und Kommunikationstechnologien, um ihr Wissen zugänglich zu machen und einen Austausch zu ermöglichen. Diese neuen Kommunikationsinfrastrukturen erleichtern es, informelle Lernprozesse zu explizieren und nachvollziehbar zu machen, was sowohl innerhalb von Projekten einen Fortschritt darstellt, aber vor allem eine entscheidende Rolle in der frühen Nischenentwicklung spielt (siehe 1.2.2). Die Möglichkeiten des tiefen Lernens in zivilgesellschaftlichen Projekten bestätigen Hoogma u. a. selber: Die untersuchte Schweizer Car-Sharing-Initiative wird von “klassischen” Strategic Niche Management-Experimenten abgegrenzt durch ihre Emergenz, sie ist “not a model case for project management because it lacked both clearly stated sets of goals and a formal project organization.” (Hoogma u. a. 2002: 152) Trotzdem schneidet die Initiative im Vergleich der Experimente im Hinblick auf die Erfolgskriterien des Strategischen Nischenmanagements am besten ab: Es gab second order learning über die Organisation des Car-Sharing, ein Hinterfragen der Mobilitätspraktiken bei den Nutzern und eine erfolgreiche Nischenentwicklung bis hin zur Marktnische durch den Aufbau von Unterstützernetzwerken und institutionelle Einbettung – also eine relativ weitreichende Diffusion einer soziotechnischen Innovation. Die Initiative stellt tatsächlich einen Fall von Grassroots Innovation dar: “In the beginning, the initiatives were neighborhood projects.” (Hoogma u. a. 2002: 160) Das Car-Sharing wurde zunächst von den Nutzern zum Eigengebrauch aufgebaut, inspiriert vom Prinzip der Gemeinschaftsnutzung: “Many were young people who were fascinated by the idea of sharing consumer goods in general [. . . ]” (Hoogma u. a. 2002: 148). Zunächst basierte das lokale Car-Sharing von nur wenigen Menschen auf freiwilligem Engagement, später gründeten die Initiatoren eine Kooperative und öffneten das nun organisierte Car-Sharing somit – diffusionsorientiert – für breitere Gruppen von Teilnehmern. Ein rascher Prozess der Nischenentwicklung wurde in Gang gesetzt. Dieser herausragende Diffusionserfolg einer Nachbarschaftsinitiative und der Stellenwert, den die Strategic Niche Management-Autoren dem unkonventionellen Projekt zumessen, könnte zu der Frage veranlassen: Sind zivilgesellschaftliche Innovationsprojekte möglicherweise die “besseren” Strategic Niche Management-Projekte? Für eine Einschätzung wird ein genauerer Blick auf das Konzept der Nische und ihre Entstehung und Entwicklung nötig. Wie zivilgesellschaftliche Initiativen Nischen bilden und ob diese strategisch geschaffen und gemanagt werden, ist das Thema des nächsten Teils. Ein wesentlicher Gewinn von zivilgesellschaftlichen Innovationsprojekten entsteht jedoch in und durch die Projekte oder Institutionen für die Aktivisten selbst:
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“As a result of niche practices, which are often participative, individuals and communities can benefit in terms of greater empowerment and confidence, skills and capacity for further community-based action.” (Seyfang und Smith 2007: 595) Gerade lokalistische Projekte wie Gemeinschaftsnutzungseinrichtungen, die von Nutzern selbst gestaltet werden, werden in engem Zusammenhang mit der Entwicklung des Gemeinwesens gesehen. Neben den Bedürfnissen, die durch ihre besondere soziotechnische Anordnung befriedigt werden, bringen sie einen sozialen Mehrwert, der auch ein Ziel der Aktivitäten sein kann, wie Schuler für gemeinschaftlich genutzte Computernetzwerke fordert: “These projects should focus on goals, but always on community capacity-building as well.” (Schuler 1996: 20) Die Gegenüberstellung der Social Niche Management-Konzepte mit dem BSTEIdealtyp des Strategischen Nischenmanagements hat folgende Annahmen für zivilgesellschaftliche Innovationsprojekte ergeben: 1. Zivilgesellschaftliche Innovationsprojekte können sehr unterschiedliche Akteurskonstellationen darstellen. Sie haben gemein, dass sie sich in der Sozialen Ökonomie bewegen und auf relativ geringe Ressourcen zugreifen können. 2. Durch die relativ hohe Homogenität der Akteure ist eine breitere Übereinstimmung in den Motivationen und Visionen wahrscheinlicher – dies begünstigt das Entstehen von radikalen Innovationen. 3. Zivilgesellschaftliche Innovationen bestehen häufig in der engen Kopplung von sozialen Innovationen mit technischen Elementen. Tiefe Lernprozesse werden somit wahrscheinlicher. 4. Eine Diffusionsorientierung kann nicht vorausgesetzt werden. Sie ist eher zu erwarten, wenn Innovationsprojekte durch ideology angetrieben werden, statt durch social need. Für die Untersuchung des Wireless Community Networks-Projekts als zivilgesellschaftliches Innovationsprojekt (2.2.1) ergeben sich folgende Fragen: Welche Akteurskonstellation liegt beim WCN-Projekt vor? Welche Motivationen und Treibkräfte (social need, ideology) haben die Akteure veranlasst, das Projekt anzugehen? Gab es Visionen, die die Aktivisten angeleitet haben? Welche soziotechnische Innovation wurde im WCN-Projekt entwickelt? Welche Ziele wurden mit dem WCN-Projekt von welchen Beteiligten verfolgt – war es selbstgenügsam oder diffusionsorientiert?
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Nischenmanagement durch zivilgesellschaftliche Akteure
1.2.2 Nischenbildung durch zivilgesellschaftliche Projekte Nischen stehen für alle hier betrachteten Ansätze im Zentrum des Interesses: Sie sollen der Ort sein, an dem Neues entsteht und reift. Das Konzept der Nische wurde im Rahmen einer quasi-evolutionären Perspektive auf soziotechnischen Wandel zunächst deskriptiv gebraucht. Aus einer Reihe von historischen Studien wurde geschlossen, dass Innovationen, die später neue technologische Regime begründeten, in Nischen entstanden sind, wo sie entscheidende Prozesse durchlaufen konnten: “Apart from demonstrating the viability of a new technology and providing financial means for further development, niches helped to build a constituency behind a new technology, and to set in motion interactive learning processes and institutional adaptations – in management, organization and the institutional context – that are all-important for the wider diffusion and development of the new technology.” (Kemp u. a. 1998: 184) In diesem Teil steht die Frage im Vordergrund, ob zivilgesellschaftliche Akteure durch ihre Innovationstätigkeiten Nischen bilden und wie diese mit strategisch gemanagten Nischen vergleichbar sind. Entstehen ihre Nischen emergent oder gibt es Managementaktivitäten? Welche Aussichten auf Entwicklung haben die Nischen, und wovon hängen diese ab? 1.2.2.1 Das Nischenkonzept In der Literatur werden die unterschiedlichsten Nischen genannt – Nutzung von Radio und Computer im Militär, Nutzung des Rades zu zeremoniellen Zwecken (vgl. Kemp u. a. 1998: 184), Nutzung von Elektrofahrzeugen als Taxis, Nutzung von Verbrennungsmotorfahrzeugen im Rennsport (vgl. Geels 2005: 470), Konsum von ökologisch angebauten Lebensmitteln durch Kooperativen (vgl. Smith 2003: 132) und Produktion und Nutzung von Windenergie in Kooperativen (vgl. Smith 2006: 320) – ihnen ist gemeinsam, dass sie einen spezifischen Anwendungszusammenhang von Technik darstellen, der vom dominanten technologischen Regime abweicht und aufgrund von besonderen Beweggründen trotzdem praktiziert wird. Diese Motive müssen stark genug sein, um Marktkräfte und andere Regeln des technologischen Regimes außer Wirkung zu setzen. Vertreter des Strategischen Nischenmanagements haben daher den Begriff “protected space” (Kemp u. a. 1998: 185) geprägt – die technologische Nische ist für sie eine Schutzzone, die die frühzeitige Selektion einer Neuheit verhindert und somit ihre Chancen auf Entwicklung und Diffusion erhöht. Eine wichtige Aufgabe für Akteure des Strategischen
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Nischenmanagements ist es daher, den Schutz für entstehende Nischen herzustellen. Wie dies zu bewerkstelligen ist, ist noch weitgehend unklar; zunächst wird das einzelne, lokale Experiment zum “protected space” definiert, der Schutz entsteht dann vor allem durch das finanzielle Engagement der federführenden Akteure (vgl. Hoogma u. a. 2002). Hoogma u. a. empfehlen: “In general one should utilize natural forms of protection offered by a local context but this may not be enough.” (Hoogma u. a. 2002: 202) Ein “natürlicher” Schutz ergibt sich durch die Wahl eines geeigneten Settings für ein Innovationsprojekt, in dem die neue soziotechnische Konstellation auf Bedürfnisse trifft und in der mögliche Nachteile keine große Rolle spielen. Dies ist der Fall, wenn Erwartungen existieren, dass die neuartige Anwendung möglicherweise ein bestehendes Problem lösen helfen kann, das durch das dominante Regime nicht angesprochen wird bzw. erst entsteht. Zivilgesellschaftliche Innovationsaktivitäten kommen genau durch diesen “natürlichen” Schutz zustande. Sie entstehen in jenen Kontexten, in denen die Regeln des technologischen Regimes bereits an Geltung verloren haben bzw. explizite Opposition gegen sie besteht und andere Bedürfnisse existieren, die die Inkaufnahme von Schwierigkeiten mit einer neuen soziotechnischen Konfiguration rechtfertigen. In Abwandlung der technologischen Nische des Strategischen Nischenmanagements sprechen Autoren des Sozialen Nischenmanagements in diesem Fall von sozialen Nischen (vgl. Verheul und Vergragt 1995; Hegger u. a. 2007). Letztendlich ist die Unterscheidung, sind die Adjektive selbst eher irreführend – der Begriff der technologischen Nische wiederum wurde ursprünglich in Abgrenzung gegen einfache, spontan entstehende Marktnischen geprägt. Neuere Arbeiten sowohl zu Strategischem Nischenmanagement als auch zu Grassroots Innovation sprechen entweder von “sociotechnical niches” (Smith 2003: 128) – um deutlich zu machen, dass Nischen über spezifische soziotechnische Zusammenhänge definiert werden und nicht über eine einzelne Technologie oder soziale Gruppe – oder einfach nur von Nischen9 . Welche soziotechnischen Zusammenhänge konkret als Nischen zu definieren sind, ist eine empirische Frage. In den retrospektiven Studien aus Strategic Niche Management-Perspektive werden häufig innovative technische Artefakte im Zusammenhang mit Nutzungsszenarien als Nische formuliert: Geels (2005) grenzt für die frühe Entwicklung des Verbrennungsmotors mehrere Nutzungsnischen ab (car-racing niche, touring niche). In der Taxi-Nische findet ein Austausch von Elektrofahrzeugen gegen Verbrennungsmotoren statt, also eine Substitution von 9 Vergleiche
(S. 16).
die Entwicklung des Begriffs technologisches Regime hin zu soziotechnisches Regime
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Nischenmanagement durch zivilgesellschaftliche Akteure
Technologie innerhalb gleichbleibender sozialer Konfiguration der Nutzung. Der Schwerpunkt kann aber auch, wie für zivilgesellschaftliche Aktivitäten häufig der Fall, auf neuartigen Nutzungsformen von Technik liegen. Dann werden diese zum Definitionsmerkmal, wie bei Walker u. a. (2006), die versuchen, eine Nische lokaler Produktion und Nutzung Erneuerbarer Energien zu beschreiben: “If community RE [Renewable Energy, C.I.] constitutes a single niche (which can be debated), this niche has been flexibility and expansively defined, encompassing, for example, multiple technologies [. . . ], multiple uses of technologies (for heat and power, for income generation, for employment) and multiple models of ownership and operation employed by multiple places, locales and contexts.” (Walker u. a. 2006: 10) In dieser breiten Nische werden demnach sowohl unterschiedliche Technologien als auch Nutzungsformen quasi miteinander gekreuzt – was macht aus diesen diversen Aktivitäten dann eine Nische? 1.2.2.2 Lokale Projekte – globale Nische Entscheidend für das Verständnis von Nischenentwicklungsprozessen ist die Konzeptualisierung des Projekt-Nische-Verhältnisses. Wie oben beschrieben, bilden Innovationsprojekte und alternative Institutionen die ‘Basis der Nische’ – fallen aber nicht mit ihr zusammen. Eine alternative Institution, die auf Dauer gestellt werden kann, ist noch keine Nische in diesem Sinn. Auch eine Sammlung von Experimenten an sich summiert sich nicht zu einer Nische auf: Sie stellen vielmehr die lokalen Quellen derjenigen Prozesse dar, die eine Nische ausmachen. Geels und Raven (2006) unterscheiden zwischen konkreten lokalen Projekten und einer diesen übergeordneten, globalen Nischenebene10 . Projekte oder Institutionen und Nische werden somit zu zwei analytisch unterschiedenen Einheiten, die in Beziehung zueinander gesetzt werden können. Dies ist Voraussetzung für eine Untersuchung der Projekt-Nische-Interaktionen. Geels und Raven machen dies an den Aspekten der Akteurskonstellation, der Wissenstypen und der kognitiven Regeln deutlich (vgl. Geels und Raven 2006: 378). Während die lokale Ebene der Projekte sich auf diejenigen Akteure bezieht, die vor Ort involviert sind, spielen für die globale Nische auch andere Unterstützer eine Rolle – in politischer, finanzieller und technischer Hinsicht. Sie gehören insofern zur Nische, als sie durch ihre Handlungen dazu beitragen, Raum für die 10 Hoogma
u. a. (2005) sprechen von einem “supra-local level” (Hoogma u. a. 2005: 214).
1.2 Soziales Nischenmanagement
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lokalen Projekte und Institutionen zu schaffen und ihre Existenz zu fördern. Diese Akteurskonstellationen, die über die lokalen Zusammenhänge hinaus gehen, sind ein erster Schritt in Richtung Diffusion und Einbettung. In Bezug auf Wissenstypen unterscheiden sich die lokale und globale Ebene qualitativ: von lokalem hands on-Wissen und Fertigkeiten im Umgang mit konkreten soziotechnischen Konfigurationen hin zu abstrakterem, verallgemeinertem Wissen auf Nischenebene. Das auf Nischenebene generierte Wissen ersetzt aber nicht das lokale Wissen – es wird zum Ausgangspunkt neuer, jeweils eigenartiger Zusammenhänge: “So there can be variety in local practices, depending on specific local networks and project definitions, as well as a degree of stability at the global level, in the form of cognitive rules shared in an emerging community.” (Geels und Raven 2006: 378) Kognitive Regeln festigen spezifische Problemdefinitionen und Lösungsstrategien. Sie umfassen technisches Wissen, aber auch Normen bspw. über die soziale Organisation einer soziotechnischen Konfiguration: Der kleinste gemeinsame Nenner der bei Walker (2006) beschriebenen Community Renewable EnergyNische ist der Bezugspunkt der community – die Festlegung auf den lokalen Mikrozusammenhang des Gemeinwesens als Ort der Innovationsprojekte aus der Vision einer dezentralen Energieproduktion heraus. Es wird deutlich, dass Nischen keine Gebilde mit klaren Grenzen darstellen, sondern dynamische Handlungszusammenhänge sind – sie können sowohl eng als auch weit definiert werden, sie können ineinander geschachtelt mit der Metapher einer Ökologie von Nischen gesehen werden, sie können die Richtung ihrer Entwicklung ändern oder sich aufspalten. Zentral für die Untersuchung von Nischenentwicklung ist es daher, die Qualität der Aktivitäten und Prozesse zu betrachten, die sich zwischen der lokalen und globalen Ebene abspielen – in beiden Richtungen. Welche Prozesse also machen die Entwicklung einer Nische aus? 1.2.2.3 Nischenbildungsprozesse Die im Standardwerk des Strategischen Nischenmanagements (Kemp u. a. 1998) festgehaltenen grundlegenden Nischenprozesse Coupling of Expectations, Articulation Processes und Network Formation werden auch im Sozialen Nischenmanagement bzw. in Grassroots Innovation zur Nischenanalyse genutzt (Smith 2003 2006; Seyfang und Smith 2007; Verheul und Vergragt 1995; Walker u. a. 2006). Sie dienen zum einen der deskriptiven Analyse emergenter Nischen und stellen andererseits im Strategischen Nischenmanagement die Managementziele dar. Hier
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Nischenmanagement durch zivilgesellschaftliche Akteure
sollen zunächst die Nischenprozesse und ihre Interaktion mit der lokalen Projektebene sowie untereinander beschrieben werden. Coupling of Expectations Um die Motivation für das Engagement von Akteuren in Innovationsprojekten zu schaffen, müssen Erwartungen an die neue soziotechnische Konfiguration vorhanden sein. Sie betreffen nicht nur ihre Funktionsweise bzw. technische ‘Überlegenheit’, sondern ihre Wirkungsmacht im Hinblick auf vorhandene gesellschaftliche Probleme. Um Unterstützer für Innovationsprojekte zu gewinnen und Ressourcen aufzutun, müssen Versprechungen gemacht werden: “Promises are especially powerful if they are shared, credible (supported by facts and tests), specific (with respect to technological, economic and social aspects) and coupled to certain societal problems which the existing technology is generally not expected to be able to solve.” (Kemp u. a. 1998: 189) Aktivitäten werden darauf abzielen, die an die neue soziotechnische Konfiguration gestellten Erwartungen zu erfüllen. Die Ergebnisse von Experimenten können Erwartungen bestätigen, enttäuschen oder auch abändern – durch Kommunikation zwischen den lokalen Projekten und darüber hinaus an Unterstützer werden diese Erfahrungen somit auf Nischenebene zu den neuen, angepassten Erwartungen. Werden Erwartungen total enttäuscht und führen diese Erfahrungen nicht zu einer Richtungsänderung in den Innovationsaktivitäten, so werden die Aktivitäten eingestellt und es kommt keine Nische zustande. Damit ist die Entwicklung eines “market of expectations” (Kemp u. a. 1998: 190) vital für die Nischenbildung. Werden Erwartungen bestärkt und können neue Versprechen gemacht werden, so führt dies zu neuen Motivationen und Engagement auf der lokalen Projektebene. Articulation Processes Eine zweite Bedingung für die Bildung einer Nische durch Innovationsprojekte sind Artikulationsprozesse, die die Unsicherheiten und Probleme einer neuen soziotechnischen Konfiguration greifbar und lösbar machen: “Many of the barriers involve uncertainty and perceptions. Learning – about needs, problems and possibilities – should thus be an important aim of niche management policies.” (Kemp u. a. 1998: 190) Eine ganze Reihe von Lernprozessen, die in 1.2.1 in den Begriffen des Lernens erster und zweiter Ordnung beschrieben wurden, sollen von der lokalen Projektebene auf die Nischenebene gehoben werden. Dazu gehören z. B. Erfahrungen
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mit der soziotechnischen Konfiguration selbst, institutionelle Erfordernisse, gesellschaftliche und ökologische Implikationen der Innovation, hemmende Regulationen. Um diese Lernprozesse auszutauschen, müssen Akteure sie artikulieren, also mindestens informell explizit machen. Ein Lernen auf Nischenebene ist aber mehr als die Summe der Lernprozesse in Projekten: Es müssen Aggregationsaktivitäten stattfinden. Diese betreffen zum einen die Aggregation von lokalem Wissen zu allgemeinem Wissen auf Nischenebene in Bezug auf die soziotechnischen Konfigurationen: “Typical aggregation activities include standardization, codification, model building, formulation of best practices, etc.” (Geels und Raven 2006: 378) Diese Verallgemeinerung des Wissens bedeutet eine neue Qualität der Lernprozesse und macht sie zugänglich und verständlich. Dies ermöglicht die Anwendung neuen Wissens an anderen Orten, also die Ausweitung von Nischenaktivitäten. Zweitens zeugt das Entstehen von neuen kognitiven Regeln durch Lernprozesse zweiter Ordnung von Aggregationsprozessen. Problemwahrnehmungen und Lösungsstrategien sowie Normen erlangen Geltung für die Akteure einer Nische und wirken somit zurück auf ihr Handeln. Die Nische bildet sozusagen ihr eigenes Regime aus. Ohne Aggregationsprozesse blieben die lokalen Projekte und Institutionen für sich; keine Nische würde entstehen. Entscheidend für das Gelingen der beiden bisher behandelten Nischenbildungsprozesse sind jedoch die Akteure, die sie vorantreiben. Network Formation Die Akteure, die lokale Innovationsprojekte durchführen, müssen zunächst Beziehungen zueinander herstellen. Sie sollen möglichst ein Netzwerk11 bilden, das Kanäle für die oben genannten Nischenprozesse eröffnet (vgl. Kemp u. a. 1998: 191). Hinzu kommen Unterstützer – Akteure, die nicht an lokalen Projekten beteiligt sind, jedoch positiven Einfluss auf die Nischenprozesse nehmen. Bereits Kemp u. a. haben jedoch erkannt, dass nicht alle Beteiligten zu Unterstützern werden: Akteure innerhalb des dominanten technologischen Regimes tendieren dazu, Nischenentwicklung auch aktiv zu bremsen, wie dies in einigen der von Hoogma u. a. (2002) untersuchten Projekte der Fall war. Für die Bildung von Nischen müssen ‘neue’ Akteure zusammenkommen und neue Beziehungen entstehen (vgl. Kemp u. a. 1998: 191). Diese Beziehungen und die über sie stattfindende Kommunikation sind die Basis der anderen Nischenbildungsprozesse, die laufend 11 Vertreter
des Strategischen Nischenmanagements präzisieren ihren Netzwerkbegriff nicht. Er wird zumeist allgemein für Beziehungsgeflechte verwendet.
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ausgehandelt werden müssen. Anzeichen der Bildung von Beziehungsgeflechten sind Mediennutzung und Veranstaltungen, bspw. Konferenzen, Workshops oder Mailinglisten. Die Nischenbildungsprozesse – Coupling of Expectations, Articulation Processes, Network Formation – sind also eng miteinander verbunden: Auf der lokalen Ebene erfüllte Erwartungen ziehen neue Akteure an, Ressourcen werden erschlossen, neue Verprechungen werden gemacht – die Ergebnisse werden zu Normen für Projekte andernorts, neue Erfahrungen werden gemacht usw. Die Prozesse interagieren und ihr Verlauf in der Zeit macht die Nischenentwicklung aus. Gleichzeitig wird klar, wie lokale Projekte und globale Nische in einem rekursiven Verhältnis zueinander stehen. Die Nischenprozesse werden in Handlungen auf der lokalen Ebene ‘gefüttert’ – durch Erfahrungen, Lernen, Aggregationsprozesse und das Entstehen von Beziehungen – und erlangen eine Wirkung in Form von geteilten Visionen, kognitiven Regeln, technischem Wissen, Netzwerkstrukturen auf der globalen Ebene, die wiederum das Handeln der Akteure auf lokaler Ebene beeinflusst. Nach Geels und Raven (2006) gibt es somit zwei Wirkungsrichtungen, die für die Betrachtung von Nischenprozessen relevant sind (vgl. Abb.1.1, S. 45). Die Prozesse, die von der lokalen Ebene zur globalen Ebene führen (bottom-up), fassen sie unter Aggregation und Lernen (Aggregation, Learning) zusammen; von der globalen Ebene zur lokalen Ebene (top-down) laufen Prozesse der Rahmung und Koordination (Framing, Coordinating) ab (vgl. Geels und Raven 2006: 379). 1.2.2.4 Phasen der Nischenentwicklung Der Verlauf der Nischenprozesse in Zeit und Raum ist die Nischenentwicklung. Sie bildet aus quasi-evolutionärer Perspektive den Übergang von einer neuen Nische am Rande eines technologischen Regimes hin zu einem neuen Regime aus der Nische heraus. Für Vertreter des Strategischen Nischenmanagements ist dieser Entwicklungsprozess die zu bewältigende Aufgabe. Obwohl der lokalen Ebene der Innovationsprojekte sowie der Steuerung von Regime Shifts die größte Aufmerksamkeit geschenkt wird, bleibt der komplexe Verlauf der Nischenentwicklung doch unterbelichtet: “However, whilst helpful in articulating the development and dynamics of niches [. . . ], SNM ist not so clear on how these might break through and transform incumbent regimes.” (Smith 2003: 130) Strategic Niche Management-Vertreter hoffen auf eine erfolgreiche Nischenentwicklung durch Ausweitung, Häufung und Verzweigung. Nischen sollen wachsen und ihre Inhalte auf neue Zusammenhänge übertragen werden. Letztendlich führt
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Coupling of Expectations
Nischenebene
Articulation Processes
Network Formation
Aggregation, Learning
Projektebene
Framing, Coordinating
Varietät in lokalen soziotechnischen Konfigurationen
Abbildung 1.1: Die Dynamik der Nischenentwicklung, adaptiert nach (Geels und Raven 2006: 379)
ihre Entwicklung durch institutionelle Einbettung zu einer Verdrängung des alten dominanten Regimes. Smith (2003) hat diesen Idealverlauf in drei Phasen aufgeteilt: “a. at the early stages of niche formation and definition; b. as the niche gathers momentum and begins to displace some functions of the incumbent regime (niche expansion and niche linking); and c. when the regime has been fully transformed [. . . ].” (Smith 2003: 132)
1.2.2.5 Nischenbildungsprozesse durch zivilgesellschaftliche Innovationsprojekte Hier ist zunächst die erste Phase von Interesse: die Bildung von Nischen aus dem Zusammenhang lokaler Projekte und Institutionen heraus. Erzeugen zivilgesellschaftliche Innovationsprojekte die genannten Nischenprozesse? In welcher Qualität geschieht dies im Vergleich zu strategisch gemanagten Nischen?
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Nischenmanagement durch zivilgesellschaftliche Akteure
Coupling of Expectations Die durch Innovationsprojekte transportierten Erwartungen und Versprechen können auf unterschiedliche Inhalte verweisen. Kemp u. a. (1998) sprechen vor allem von Technologie; auch in den Experimenten bei Hoogma u. a. (2002) wurden Erwartungen häufig vor allem an die Funktionsfähigkeit von bspw. Elektrofahrzeugen gestellt. Bei zivilgesellschaftlichen Innovationsprojekten spielen die soziale Dimension von Technik und soziale Innovation wiederum eine größere Rolle. Über Funktionalität hinaus werden immer auch Erwartungen an die sozialen Implikationen der neuen Technik gestellt, oftmals eng verbunden mit der sozialen Organisation von Produktions- und Konsumprozessen. So gibt es in der von Walker u. a. (2006) beobachteten Community Renewable Energy-Nische ein ganzes Bündel von Erwartungen: an die bessere Umweltverträglichkeit der neuen Technologien, an die dezentrale Selbst- und Gemeinschaftsversorgung als Möglichkeit der demokratischen Teilhabe an Technikstrukturen, an die ökonomische und soziale Entwicklung und Integration von Gemeinden und Nachbarschaften durch die Institutionen. Die in 1.2.1 beschriebenen positiven sozialen Nebeneffekte von zivilgesellschaftlichen Aktivitäten können für manche Akteure auch die zentrale Motivation darstellen: “[. . . ] renewable energy projects were seen as a way to provide new sources of income and employment for communities suffering from agricultural decline, depopulation and economic collapse.” (Walker u. a. 2007: 73) Erwartungen sind eng verbunden mit den Visionen, die eine wichtige Treibkraft für zivilgesellschaftliche Projekte darstellen (vgl. S. 20). Die Kopplung der Erwartungen an gesellschaftliche Problemlagen, die Kemp u. a. (1998) für nötig erachten, vollziehen diffusionsorientierte Aktivisten damit definitiv und frühzeitig. Sie kann sich bei stark bedürfnisorientierten lokalen Projekten hauptsächlich auf die Wiederbelebung der Gemeinschaft beziehen (z. B. Nachbarschaftstauschringe), auf eine ökologisch und sozial nachhaltige Lebensweise (z. B. Co-HousingProjekte) oder aber – wie bei der Alternative Technology-Bewegung – auf die gesamtgesellschaftliche politische und kulturelle Entwicklung. In dieser Dimension der Nischenbildung ist ein Erfolg zivilgesellschaftlicher Innovationsprojekte also eher zu erwarten – insofern, als ihre Erwartungen und Visionen Motivation liefern, immer wieder eigene Projekte zu starten und in Nischen gemeinsame Visionen auszubilden. Ob sie es aber schaffen, ihre Erwartungen und damit Visionen im Verlauf der Nischenentwicklung für andere, außenstehende Akteure zu ‘übersetzen’ und damit Unterstützer zu gewinnen, hängt von der Radikalität der Visionen ab (siehe 1.2.3). Der Grad der Übereinstimmung von Visionen unter den
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Akteuren ist ein Merkmal des Koordinationsgrades der Nischenbildungsprozesse und damit auch abhängig von Artikulationsprozessen. Articulation Processes Sowohl für die Kommunikation von Erwartungen als auch für alle anderen Artikulationsprozesse sind Ressourcen und Kommunikationskanäle entscheidend. Für viele lokale zivilgesellschaftliche Projekte und Institutionen macht der Kampf ums Überleben den Großteil der Aktivitäten aus – zeitliche und finanzielle Ressourcen lassen oft wenig Raum für zusätzliche Arbeiten wie bspw. das Verfassen von Berichten: “The skills and learning are tacitly held within people, rather than being consolidated in readily accessible forms.” (Seyfang und Smith 2007: 596) Informell ablaufende Artikulations- und Lernprozesse stoßen schnell an Grenzen, Nischenbildung ist dann auf bestimmte Gruppen beschränkt, die sich tatsächlich face-to-face austauschen können. Dies beobachten Walker u. a. für die Community Renewable Energy-Nische in Großbritannien: “Some evaluation does go on within programmes and learning has undoubtedly been taking place within and from project to project – through demonstration, site visits, the carriers of local activists, community workers and programme officers and deliberate networking and communication activities – but these largely operate at a local level, without accumulated lessons being necessarily carried up to more strategic levels or collected on a rigorous basis.” (Walker u. a. 2006: 12) Hier sind zwar deutliche Artikulationsprozesse und Akteursnetzwerke erkennbar, es kann also von einer Nische gesprochen werden – eine weitere Nischenentwicklung oder sogar Diffusion sind bei dieser Qualität der Prozesse allerdings nicht zu erwarten. Die Aggregationsprozesse sind nicht sehr weitreichend und vermögen es aufgrund ihrer Informalität nicht, eine koordinierende Wirkung im Hinblick auf die Lernprozesse zurück auf die lokale Ebene zu entfalten. Ein Einbezug von neuen Akteuren und Unterstützern wird damit auch unwahrscheinlicher. Eine wichtige Quelle von Unterstützern und Ressourcen für Aggregationsprozesse können für zivilgesellschaftliche Innovationsprojekte soziale Bewegungen darstellen. Sie teilen die Visionen der Aktivisten und werden zu Unterstützern. Sie können somit wichtige Nischenprozesse fördern, indem sie Akteure, Ressourcen und Kommunikationskanäle für die lokalen Projekte bieten, etwa in Form von Medien. Das Beispiel der Alternative Technology-Bewegung zeigt, wie die Anbindung an die Umweltbewegung und andere Alternativbewegungen den Diskurs gefördert haben: Theoretiker des Unterstützernetzwerks wie Dickson (“Alternative Technology”, 1974) und Case und Taylor (“Co-ops, Communes & Collectives”,
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1979) haben lokale Entwicklungen analysiert und Prinzipien aufgestellt. Die Regeln von Alternative Technology (vgl. S. 25) waren damit explizit, formalisiert und Gegenstand von Kontroversen innerhalb der Bewegung (vgl. Smith 2006: 323). Es kann argumentiert werden, dass für heutige zivilgesellschaftliche Projekte noch deutlich günstigere Bedingungen für Koordinationsaktivitäten herrschen, wenn sie Zugriff auf neue Informations- und Kommunikationstechnologien haben (vgl. Hess u. a. 2008: 476). Diese ermöglichen relativ ressourcenarm die Außendarstellung von lokalen Projekten, den Aufbau von Kommunikationsbeziehungen zwischen lokalen Projekten untereinander und mit anderen Unterstützern und auch innerhalb der lokalen Projekte selbst. Durch diese oftmals schriftliche Kommunikation (z. B. E-Mail, Newsletter, Websites usw.) wird auch die Dokumentation erleichtert. Durch Wikis und andere kollektiv nutzbare Orte der Datenverarbeitung via Internet steigern sich die Möglichkeiten der Formalisierung und Explizierung von großen Mengen an Informationen – dies betrifft beide Wirkungsrichtungen der Nischenprozesse: Lokale Gruppen können mehr zu den bottom-up-Prozessen beitragen – Akteure gewinnen, Lernprozesse und Erwartungen explizieren – und besser auf die Ergebnisse anderer lokaler Aktivitäten zugreifen. Aggregationsprozesse und damit Nischenbildung sind so für zivilgesellschaftliche Akteure leichter zu erreichen. Herausragendes Beispiel ist die extrem gewachsene Freie/Open Source Software-Nische, die sich aufgrund der technischen Fähigkeiten ihrer Akteure auch ihre eigenen Kommunikationsmittel schaffen konnte. Die Arbeitsweise des Open Source Software-Programmierens wäre nicht möglich ohne vernetzte Medien und mittlerweile eigene Open Source-Projektmanagementsoftware. Die Plattformen der einzelnen, “lokalen” Projekte werden dann auch zu deren Locus. Auf der globalen Nischenebene ist hochgradig aggregiertes Wissen verfügbar und eine Rahmung der Innovationsaktivitäten durch kognitive Regeln und Koordination findet statt. Diese Nische – wenn sie nicht bereits in mehrere aufgespalten ist – ist im Hinblick auf alle Nischenprozesse auf Diffusionskurs. Für zivilgesellschaftliche Innovationsaktivitäten kann die Offenheit von Informationen und Wissen zum Vorteil werden: Anders als profitorientierte Unternehmen nehmen sie selten geistige Eigentumsrechte in Anspruch; im Gegenteil kehrt die Freie/Open Source Software-Bewegung das Copyright in ein “Copyleft” um, das die freie Verfügbarkeit der innovativen Quellcodes garantiert. Obwohl von Strategic Niche Management-Vertretern kaum thematisiert, ist Erkenntnissen der Organisationsforschung folgend anzunehmen, dass die Gefahr eines Wissensabflusses für Unternehmen auch ein Hemmnis für das anvisierte Lernen zweiter Ordnung in Innovationsprojekten und Nischen darstellt. Ein Problem, das sich verstärkt für zivilgesellschaftliche Innovationsprojekte ergibt, betrifft die Eignung der Wissensinhalte für Aggregation. Für die Community
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Renewable Energy-Nische könnte dies zumindest ein Grund für die Schwierigkeiten mit Diffusionsprozessen sein: “[. . . ] small-scale and geographical rootedness make scaling up difficult.” (Seyfang und Smith 2007: 596) Wie in 1.2.1 (S. 34 f.) argumentiert wurde, sind zivilgesellschaftliche Aktivitäten häufig sozial innovativ – sie schaffen lokale Nutzungsformen und Institutionen, oftmals in Konfiguration mit innovativen Technologien, aber immer mit Fokus auf die enge Verzahnung von Technik und Sozialem. Solche Konstellationen können nicht einfach kopiert werden, ihre Verallgemeinerung in Prinzipien und Handlungsanweisungen bleibt notwendigerweise nur die halbe Sache. Aggregationsprozesse über sozial innovative lokale Projekte führen daher nicht zu einfachen Baukästen, die dann top-down als Rahmung für neue lokale Projekte gelten können – sie erfordern immer wieder den Aufbau einer spezifischen lokalen soziotechnischen Anordnung.12 Andererseits liegt gerade in dieser Eigenschaft auch ein qualitativer Vorteil von partizipativen lokalen Projekten: “Grassroots innovation can deliver sustainability benefits where topdown measures struggle. This is because community action utilises contextualised knowledge and implies a better ‘fit’ of solution (cf. inflexible top-down targets and procedures)” (Seyfang und Smith 2007: 593) Zivilgesellschaftliche Innovationsprojekte scheinen im Prinzip ebenso gute Chancen zu haben, Artikulations- und Lernprozesse auf Nischenebene zu heben wie idealtypische Strategic Niche Management-Projekte – wenn sie eine Diffusionsorientierung aufweisen und Aktivitäten der Aggregation aufnehmen. Wie in 1.2.1 (S. 35 f.) diskutiert, sind die Lernprozesse zweiter Ordnung in zivilgesellschaftlichen Projekten durchaus qualitativ geeignet, um eine Nischenentwicklung mit innovativem Charakter anzustoßen. Ihre Probleme liegen vor allem im Zugang zu Ressourcen – die besprochenen Strategic Niche Management-Projekte dagegen starteten oftmals gut ausgestattet von staatlicher und unternehmerischer Seite, vollbrachten aber qualitativ meist keine weiterreichenden Artikulationsprozesse (vgl. Hoogma u. a. 2002). 12 Siehe
aber Hegger u. a. (2007) für den Versuch, soziale Innovationen innerhalb des Rahmens von Strategischem Nischenmanagement stark zu machen: “CNM [Conceptual Niche Management, C.I.] can be defined as the co-ordinated management of socio-technical experiments taking concepts of sustainable transformation of socio-technical systems as their starting point, and being executed by all actors that are deemed relevant to fulfil the concept. The term ‘concept’ refers to guiding principles used for the fulfilment of societal functions.” (Hegger u. a. 2007: 741) Die Variante des Conceptual Niche Management soll so helfen, die Designmängel in Projekten des Strategischen Nischenmanagements (vgl. S. 28) zu beheben.
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Nischenmanagement durch zivilgesellschaftliche Akteure
Network Formation Die Bildung von Unterstützernetzwerken beginnt bei zivilgesellschaftlichen Projekten zumeist von unten – von der lokalen Ebene her. Anders als bei Strategic Niche Management-Projekten ist eine Beteiligung von Akteuren des dominanten technologischen Regimes unwahrscheinlich, so dass zwar kaum Bremser, aber auch weniger mächtige und ressourcenreiche Unterstützer auf die Nischenbildung wirken. Je radikaler die soziotechnische Innovation, die Akteure vorantreiben möchten, desto eher sind sie auf ihre eigenen Ressourcen zurückgeworfen. Die Anknüpfung an soziale Bewegungen und die Verknüpfung verschiedener, sich überschneidender Agenden spielt hier wiederum eine große Rolle. Durch Vernetzung auch über Medien werden lokale Projekte sichtbarer und die Zirkulation von Akteuren einfacher: über regelmäßige Treffen auf der globalen Nischenebene, Mailinglisten usw. Eine Koordination von oben – von der Nischenebene hin zu lokalen Projekten – kann erfolgen; kaum aber aus einer Hand, sondern vielmehr verteilt auf besonders aktive und diffusionsorientierte lokale Gruppen. Die Frage, ob zivilgesellschaftliche Akteure in der Lage sind, Nischen zu bilden, lässt sich eindeutig positiv beantworten. Sie können durch ihre Aktivitäten Nischenprozesse in Gang setzen. Es wurde aber auch klar, dass die Nischenprozesse hier vor allem bottom-up entstehen – die top-down-Prozesse der Rahmung und Koordination sind deutlich geringer ausgeprägt. Auch durch den vorherrschenden Charakter der sozialen Innovation erhält die lokale Ebene ein größeres Gewicht. Die Qualität der Nischenbildung hängt entscheidend davon ab, wieviele Ressourcen Akteure in sie investieren (können). Nischen wie die beschriebene Community Renewable Energy-Nische können als einfache Nische gelten (“simple niche” (Seyfang und Smith 2007: 593)): Sie haben einen gewissen Entwicklungsstand erreicht, ihre Akteure unternehmen jedoch keine Anstrengungen, die Nischenprozesse weiter voranzutreiben. Sie handeln nicht diffusionsorientiert. Eine solche Nischenbildung hat eher emergenten Charakter. Gibt es aber auch Nischen, die strategischen Charakter aufweisen, die also mit Blick auf die Nischenentwicklung gemanagt werden? 1.2.2.6 Nischenmanagement!The five steps of strategic niche management Das Ziel des Strategischen Nischenmanagements ist es, die oben diskutierten Nischenprozesse möglichst kontrolliert zu steuern und sowohl Richtung als auch Qualität der Nischenentwicklung günstig zu beeinflussen (vgl. 1.1.2). Dass eine totale Steuerung unmöglich ist, ist Strategic Niche Management-Vertretern klar: “First of all, it must be noted that niches are platforms for interaction; they emerge out of a process of interaction shaped by many actors. They cannot be controlled.” (vgl. Kemp u. a. 1998: 186)
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Was genau verstehen sie dann unter Nischenmanagement? Kemp u. a. (1998) haben Schritte aufgezählt, die Nischenmanager unternehmen müssen: (1) The choice of technology – Anhand einer Reihe von Bedingungen sollen Nischenmanager die Technologien auswählen, die in Innovationsprojekten zur Anwendung kommen können. Die Auswahl geschieht mit Blick auf mögliche Regime Shifts: “Technologies that are appropriate for support through strategic niche management are technologies that are outside the existing regime or paradigm, but may greatly alleviate a social problem [. . . ]” (Kemp u. a. 1998: 187). Zusätzlich zu dieser “sozialen Bedingung” soll die Technologie aber auch große Entwicklungspotentiale aufweisen (“technological-scientific precondition”), ökonomisch gangbar erscheinen (“economic precondition”) und in organisationale und institutionelle Kontexte passen (“managerial and institutional precondition”) (vgl. Kemp u. a. 1998: 187). Diese Anforderungen klingen unrealistisch und sind Thema späterer Arbeiten zu Strategischem Nischenmanagement und Transition Management. Sie deuten das in der Literatur diskutierte Dilemma zwischen Radikalität der Innovation und Kompatibilität mit dem dominanten Regime an. Hoogma u. a. fassen die Herausforderung folgendermaßen zusammen: “Choose a technology or concept which is as close as possible to the existing regime, but which allows to induce radical changes later on.” (Hoogma u. a. 2005: 231) Im ersten Schritt sollten Manager demnach eine umfassende Analyse sowohl des dominanten Regimes als auch der technischen Optionen vornehmen. (2) The selection of an experiment – Im zweiten Schritt machen sich Nischenmanager auf die Suche nach einem spezifischen lokalen Zusammenhang, der einer experimentellen Anwendung der ausgesuchten Technologie günstig gegenübersteht, bspw. durch ein bestehendes Problem, das durch die vorgeschlagene soziotechnische Konfiguration angesprochen wird. Möglichkeiten des angemessenen Schutzes vor selektiven Kräften spielen hier eine wichtige Rolle. (3) The set-up of the experiment – Während der konkreten Experimentierphase müssen Manager ihren Einsatz von Schutzmaßnahmen immer wieder anpassen. Hier fallen auch strategische Aktivitäten zur Nischenbildung an: Artikulation z. B. von langfristigen Zielen, Bildung von Akteursnetzwerken, Koordination. Manager sollten darüber hinaus Policy-Instrumente anwenden, um die Rahmenbedingungen für die Nischenbildung zu verbessern, indem sie bspw. auf staatliche Regulationen Einfluss nehmen (vgl. Kemp u. a. 1998: 188). Hoogma u. a. fügen dem bewusste, dokumentierte Lernprozesse hinzu sowie die öffentliche Kommunikation des Vorhabens (vgl. Hoogma u. a. 2005: 231). (4) Scaling up the experiment – Für eine weitreichende Nischenentwicklung sehen Kemp u. a. staatliche Unterstützung als unerlässlich an. In dieser Phase des Managements sollten wiederum Regulationen den Bedürfnissen der Nische ange-
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passt werden. Für Hoogma u. a. ist es auch Aufgabe der Nischenmanager, gelungene Projekte andernorts zu wiederholen: “Look for opportunities to replicate an experiment and try to keep the experiences stored in a network.” (Hoogma u. a. 2005: 231) (5) The breakdown of protection – Der Abbruch von Schutzmaßnahmen bei enttäuschenden Ergebnissen oder aber nach erfolgreicher Nischenentwicklung gilt ebenfalls als strategische Entscheidung.13 (Vgl. Kemp u. a. 1998: 187 ff.) Hoogma u. a. (2005) führen diese Empfehlungen weiter aus und benennen konkrete Positionen, die Nischenmanager einnehmen können. Sie streben dabei Managementprozesse auf allen Ebenen an: “At the regime level, the European Commission and national policy makers are responsible to guard the portfolio of alternative technology options, to prepare a ‘level playing field’ and ultimately make choices which options deserve support for market introduction and diffusion.” (Hoogma u. a. 2005: 232) Der soziotechnische Wandel durch Nischenentwicklung soll demnach von der Makroebene der Politik aus überwacht und beeinflusst werden, strategischer als dies bisher geschieht und in Vernetzung mit den anderen Managementebenen der Nischenentwicklung: “At the niche level, the objective is to manage a ‘portfolio of projects’ in a specific area (e.g. biofuels, electric propulsion). [. . . ] At the national levels, program managers from executive agencies sponsoring concrete projects could produce and continuously update a national overview.” (Hoogma u. a. 2005: 232) Der Schwerpunkt der top-down-Prozesse der Nischenentwicklung wird hier deutlich: Ressourcen und Koordination sowie der Großteil der Akteure fließen von der Nischenebene bzw. von staatlicher Seite in die lokale Ebene. “Thus, project level SNM also requires a two-level management structure with a local manager taking responsibility for the actual conduct while a national (or EU-level) manager should ensure that the results add to the experiences from earlier projects elsewhere.” (Hoogma u. a. 2005: 233) 13 Der
Schritt 4 fällt in der hier angewandten Systematik unter die Diffusion von soziotechnischen Innovationen in die Regimeebene (Regime Shift), welche Thema von 1.2.3 ist. Da für zivilgesellschaftliche Nischen kein zusätzlicher Schutz erzeugt wird, der über die Motivationen der Akteure hinausginge, wird der 5. Schritt hier als nicht weiter relevant betrachtet.
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Als Medium der Artikulations- und Aggregationsprozesse wird die Schaffung eines ständig gepflegten “knowledge and experience centre” im Internet empfohlen (Hoogma u. a. 2005: 232). Es wird klar, dass für das strategische Nischenmanagement ein ganzer organisatorischer Apparat geschaffen werden könnte. Ist die strategische Entwicklung von Nischen jedoch nur durch ressourcenintensive Managementstrukturen – auf allen Ebenen – denkbar? Bedeutet dies, dass zivilgesellschaftliche Akteure per se kein Nischenmanagement betreiben können? 1.2.2.7 Nischenmanagement durch zivilgesellschaftliche Akteure? Die entscheidende Differenz von zivilgesellschaftlichen Innovationsprojekten zum Idealtyp des Strategic Niche Management-Experiments ist ihre Herkunft: Sie entstehen bottom-up, auf der lokalen Ebene aus spezifischen Motivationen heraus und häufig relativ ressourcenarm. Dies lässt ein Management auf höherer Ebene zunächst unwahrscheinlich erscheinen – zumindest in Form einer Leitungsstruktur. Hier sollen daher nicht formale Positionen, sondern Aktivitäten des Managements betrachtet werden. Wie Hoogma u. a. (2002) am Fall des Car-Sharing argumentieren, ist nicht der Grad der Formalität der Innovationsaktivitäten entscheidend, sondern die Orientierung der Aktivitäten auf Bildung und Entwicklung einer Nische – die Diffusionsorientierung, die die Handlungen der Aktivisten strategisch macht (vgl. S. 22). So kommen sie zu dem Schluss, dass der untersuchte Fall des Car-Sharing, das vollständig aus der intrinsischen Motivation der Nutzer – einer Nachbarschaftsinitiative – entstanden ist, als strategisches Nischenmanagement gelten kann, weil die Akteure gezielt Schritte unternommen haben, die zu Nischenbildungsprozessen geführt haben – bis hin zur Bildung einer Marktnische (vgl. Hoogma u. a. 2002: 160 f.). Auf der lokalen Projektebene sind Managementprozesse geradezu unvermeidbar: Die Durchführung eines Innovationsprojekts oder der Aufbau einer lokalen Institution erfordern Steuerungsaktivitäten. (1) The choice of technology – Wie diskutiert, fokussieren zivilgesellschaftliche Projekte oftmals auf soziale Innovation (vgl. S. 34 f.). Die von Kemp u. a. aufgestellten Kriterien müssen damit von der Auswahl der Technologie auf die soziotechnische Konfiguration ausgeweitet werden. Die erste, “soziale” Bedingung wird von Aktivisten aufgrund ihrer Motivationen (social need, ideology) beachtet – ob jedoch auch die anderen Bedingungen in einer umfassenden Regime- und Technikanalyse abgewägt werden, ist fraglich. Hier spielen wiederum die verfügbaren Ressourcen eine große Rolle, wie Smith bemerkt: “Indeed, limited access to financial and other resources can force interest to focus upon the software issues of social organisation and new rules.” (Smith 2006: 334) Projekte mit stark loka-
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listischer Ausrichtung und radikal innovativer sozialer Anordnung werden kaum in organisationale und institutionelle Kontexte passen – das Dilemma zwischen Radikalität und Kompatibilität wird hier zugunsten der Radikalität entschieden. Die Auswahl der soziotechnischen Konfiguration wird von den involvierten zivilgesellschaftlichen Akteuren selbst getroffen – je nach ihrem Organisationsgrad eher heterarchisch und verteilt in der kleinen Gruppe oder in einer Non-ProfitOrganisation als lokalem Manager. (2) The selection of an experiment – Die Akteure zivilgesellschaftlicher Innovationsprojekte stehen bereits in einem spezifischen lokalen Zusammenhang, der die innovative soziotechnische Konfiguration begünstigt – sie haben sie ausgewählt. Projekte von größeren Akteuren wie Non-Profit-Organisationen erfordern aber auch, wie im Strategischen Nischenmanagement, die Auswahl und Werbung von Teilnehmern, bspw. anderer lokaler Initiativen. Wie sieht es aber auf der globalen Nischenebene aus? (3) The set-up of the experiment – Dass zivilgesellschaftliche Akteure Nischenprozesse anstoßen, wurde gezeigt – um Nischenmanagement zu betreiben, müssen diese Aktivitäten strategisch erfolgen, also mit Blick auf die Bildung einer Nische. Dies wird erheblich erschwert, wenn Aktivitäten vor allem von der lokalen Ebene ausgehen, wie dies für viele Nischenprozesse festgestellt wurde (vgl. S. 50). Selbst wenn lokale Akteure strategisch Nischenprozesse anstoßen, bleiben diese folgenlos, wenn andere lokale Akteure sich dabei nicht strategisch auf dieselbe Nische beziehen – denn Nischen stellen eine mehreren Projekten übergeordnete Aggregationsebene dar (vgl. Geels und Raven 2006). Verteilte strategische Aktivitäten müssen also koordiniert werden, um zu einem Management der Nischenbildung zu werden. Diese strategischen Aktivitäten finden ohne Frage in unterschiedlichen Qualitäten statt – strategischer Aufbau von Unterstützernetzwerken, Aggregationsprozesse, Selbstdarstellung, Lobbying – gerade in der frühen Phase der Nischenentwicklung finden sie jedoch verteilt und lokal statt. Eine Kooperation muss erfolgen, um den Fokus der Bemühungen – die Nische – überhaupt sichtbar zu machen. Dies betrifft zunächst die bottom-up-Prozesse der Nischenbildung: Aggregationsprozesse und Lernen. Die top-down-Prozesse – Koordination und Rahmung – müssen die Akteure aber ebenfalls erbringen, um von einem Projektmanagement zu einem Nischenmanagement zu kommen. Was zivilgesellschaftlichen Akteuren auf Nischenebene fehlt, ist sozusagen das two-level management des Strategischen Nischenmanagements (vgl. S. 53). Ein solches kann sich aber im Verlauf der Nischenbildung entwickeln. Besonders engagierte oder mächtige Akteure können Aktivitäten der Rahmung und der Koordination übernehmen. Wie bei den Nischenprozessen angesprochen, bieten soziale Bewegungen hier eine Quelle für Akteure und Ressourcen. Die Alternative Technology-Nischen waren eng
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verbunden mit sozialen Bewegungen, die sowohl die bottom-up-Prozesse der Nischenbildung mitgetragen haben – Aggregationsprozesse, Unterstützernetzwerke, Kopplung von Erwartungen und Visionen – als auch Rahmung und Koordination mitgeleistet haben, und zwar durchaus strategisch mit Blick auf Nischenentwicklung und Diffusion. Nicht zuletzt die Benennung einer Nische und die damit mögliche Identifikation mit ihr ist ein wichtiger Schritt des Nischenmanagements, der von nicht top-down gemanagten Nischen erarbeitet werden muss14 . Es wird deutlich, dass die informellen, selbsternannten Nischenmanager nicht zentral angesiedelt sind, sondern verteilt handeln. Ein Beispiel von Smith zeigt, dass die system builders Akteure unter anderen darstellen: “So, for example, the local organic food niche includes: local farmers; research, dissemination and support organisations for innovations in the science of organic agriculture (for instance, the Soil Association, Henry Doubleday Research Association); organic farming techniques and technologies; local food consumers (for instance, box-scheme members); and entrepreneurial sustainable ‘system builders’ who help link the niche elements together and promote the niche (for instance, food box-scheme providers, Foundation for Local Food Initiatives).” (Smith 2003: 132) Nicht alle Nischenaktivitäten müssen demnach gemanagt werden; vielmehr laufen immer emergente und strategische Nischenprozesse gleichzeitig ab – eine einfache Unterscheidung zwischen emergenten und strategisch gemanagten Nischen fällt hier schwer. Zivilgesellschaftlich gebildete Nischen können unterschiedliche Grade von Management erkennen lassen, die sich auch über Zeit verändern. Welche Aktivitäten im Einzelnen als Management gelten können, hängt von ihrer Orientierung, aber auch ihrer Funktion ab: Verbinden sie Nischenprozesse miteinander? Schaffen sie gezielt Rahmungen für lokale Aktivitäten? Koordinieren sie diese ansatzweise? Grundlage für eine Bündelung der strategischen Handlungen sind wiederum Kommunikationskanäle und Ressourcen. Wichtige Indizien für Managementaktivitäten sind bspw. die Einrichtung regelmäßiger Treffen und ihre Ergebnisse in Form von Regeln, Materialien, neuen Beziehungsnetzwerken, neuen Erwartungen etc., der Aufbau von Kommunikationsstrukturen, unterstützenden Organisationen, Außendarstellungen sowie der Versuch der Einflussnahme auf Regimeebene, bspw. das Lobbying für Regulationen mit explizitem Bezug auf die Nische. 14 Dass
allerdings die Benennung einer gemanagten Nische auch nicht automatisch zu einer tatsächlichen Nischenentwicklung führt, zeigen Hoogma u. a. (2002) an mehreren Fallbeispielen.
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Ein interessantes Beispiel für die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien für Lern- und Aggregationsprozesse ist die Onlineplattform “Changemakers” der Non-Profit-Organisation Ashoka (Ashoka 2008). Das Portal soll ein “Open Sourcing Social Solutions” ermöglichen: Aktivisten und “Social Entrepreneurs” können ihre Projekte, Ideen oder auch Probleme darstellen und in einen Austausch darüber treten. Der Fokus liegt auf sozialen Innovationen in allen möglichen gesellschaftlichen Bereichen, auch “Appropriate Technology” kommt zur Sprache. Katalysiert werden sollen die Lern- und Artikulationsprozesse durch Wettbewerbe, die zu bestimmten sozialen Problemen ausgerufen werden – über einen bestimmten Zeitraum können Ideen und Projektvorschläge oder Ergebnisse eingereicht werden, die dann von der Changemakers-Öffentlichkeit diskutiert werden können. Schließlich werden Gewinner gekürt, also Rahmung (top-down) betrieben. Der eigentliche Gewinn liegt aber bereits in den vorangegangenen Kommunikationsprozessen: “It does not winnow out a single winner. Instead, it allows all those who participate in the process to offer, and to take away, something of value, be it an idea that can be applied to a different problem in a different context; an expert opinion; advice from a peer who has already made it past a barrier, connections with peers; or access to a growing archive of social solutions to social problems.” (Brown 2007: 134 f.) Nicht zuletzt dient die Plattform auch als Marktplatz, um Ressourcen für Innovationsprojekte aufzutun. Sie hilft somit Aktivisten, Gruppen und Organisationen dabei, strategisch im Hinblick auf alle Nischenprozesse zu handeln: Visionen und Erwartungen können kommuniziert werden, Lernprozesse zweiter Ordnung können hier stattfinden, Aggregationsprozesse und Selbstdarstellung finden Raum und Akteure können angeworben werden. Die Plattform stellt also einen Managementbeitrag ganz im Sinne des anvisierten Online-Lern- und Erfahrungszentrums von Hoogma u. a. dar (vgl. S. 53); sie macht ein portfolio of projects sichtbar und kann aufgrund der Themenvielfalt sogar oberhalb der Nischenebene verortet werden. Es wurde argumentiert, dass Aktivitäten des Nischenmanagements von zivilgesellschaftlichen Akteuren erbracht werden können. Dies wurde für die erste Phase der Nischenbildung und -definition gezeigt (Strategisches Nischenmanagement Schritte 1–3). Von strategisch gemanagten Nischen zu sprechen, erscheint allerdings nicht sinnvoll: Es laufen sowohl emergente als auch strategische Aktivitäten der Nischenbildung ab. Obwohl den bottom-up-Prozessen der Nischenbildung bei zivilgesellschaftlichen Innovationsaktivitäten mehr Gewicht zukommt als in Experimenten des Strategischen Nischenmanagements, können zivilgesellschaftliche
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Nischen gewisse Grade von Management aufweisen – dezentral verteilt auf verschiedene Akteure der Nische. Folgende Annahmen sollen für Nischenbildungsprozesse durch zivilgesellschaftliche Akteure festgehalten werden: 1. Bei der Bildung von Nischen durch zivilgesellschaftliche Akteure laufen sowohl emergente als auch strategische Aktivitäten ab. Grade des Nischenmanagements können durch verteilte strategische Aktivitäten erreicht werden.
2. Je höher der Grad der Koordination der verteilten Managementaktivitäten, desto eher kann von einem Nischenmanagement gesprochen werden. 3. Eine Diffusionsorientierung ist Voraussetzung für Managementaktivitäten insbesondere der Koordination und der Rahmung (top-down-Nischenprozesse) durch Akteure der Nische. 4. Managementaktivitäten und ihre Koordination sind abhängig von den Ressourcen, auf die zivilgesellschaftliche Akteure zugreifen können (Zeitressourcen, finanzielle Ressourcen, Kommunikations- und Wissensressourcen).
Resultierende Fragestellungen für die Untersuchung des Wireless Community Networks-Projekts als Teil einer Nische (2.2.2) lauten: Ist das WCN-Projekt Teil einer Nische? Welche Beziehungen gab es zwischen dem WCN-Projekt und der Nische? Wie ist das WCN-Projekt verlaufen und welche Nischenprozesse wurden dadurch angestoßen? Welche Eigenschaften weist diese Nische auf und in welcher Phase der Entwicklung befindet sie sich? Sind Aktivitäten des Nischenmanagements erkennbar? Hat das WCN-Projekt Aktivitäten des Nischenmanagements betrieben?
1.2.3 Diffusion von soziotechnischen Innovationen durch zivilgesellschaftliche Akteure In diesem Teil soll die Theoriediskussion über die weitere Nischenentwicklung und mögliche Diffusion bis hin zum Regime Shift – insbesondere die Chancen für zivilgesellschaftliche Nischen – skizziert werden. Bedeutende Weiterentwicklungen des Mehrebenenmodells soziotechnischer Entwicklung sind im Gange, die hier knapp eingeführt werden.
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1.2.3.1 Nischenentwicklung Wenn eine Nische entstanden ist und sich stabilisiert hat, kann sie entweder eine einfache Nische bleiben oder sich weiterentwickeln, indem die Nischenprozesse weiter vorangetrieben werden. In dieser zweiten Phase der Nischenentwicklung weitet die Nische sich aus (niche expansion) und kann verzweigen (niche branching). Sie beginnt, Regime zu beeinflussen, indem sie deren Funktionen anfängt, zu übernehmen (niche linking). Dass diese Prozesse keinen Automatismus darstellen, haben schon Kemp u. a. festgestellt: “The success of niche formation is, therefore, linked to structural problems, shifts and changes within the existing regime(s). The ultimate fate of processes of niche formation depends as much on successful processes within the niche as on changes outside the niche: it is the coincidence of both developments that gives rise to niche development patterns.” (Kemp u. a. 1998: 184) Die späteren, zum Teil recht praxisorientierten Arbeiten zum Strategischen Nischenmanagement haben jedoch stark auf die Nische als Ort der Entstehung von Neuem fokussiert – selbst wenn die Autoren nicht glauben, durch strategisches Nischenmanagement allein Regime Shifts bewirken zu können, hat der Schwerpunkt zu einer gewissen Einseitigkeit der Betrachtung innerhalb des Mehrebenenmodells geführt. Smith kritisiert diese Ausblendung von Faktoren als unterkomplex: “Real world change is far more messy, challenging and context-dependent than neat processes of niche growth and their bottom-up displacement of incumbent regimes.” (Smith 2006: 333) Eine Ausarbeitung der wechselseitigen Einflüsse der Ebenen Nische, Regime und Landschaft hat Geels (2005) am Beispiel des Verkehrswesens vorgenommen. Er kommt zu dem Ergebnis, dass Entwicklungen auf der Ebene der Landschaft und des Regimes entscheidend für die Möglichkeiten der Nischenentwicklung waren. So haben die tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen in den USA des späten 19. Jahrhunderts – Industrialisierung, Verstädterung, Immigration u. a. – das dominante Regime des städtischen Verkehrs – Pferdekutschen und -busse – derart beeinflusst, dass es an Stabilität verlor. Ein instabiles Regime führt nach Geels zur Öffnung eines Gelegenheitsfensters; die Bildung von Nischen wird erleichtert. Dies kann, wie Geels beobachtet, zu einer wahren Explosion von neuen Nischen führen, die sich auch gegenseitig beeinflussen. Die Anzahl der Optionen weitet sich drastisch aus, und Innovationen werden ausgiebig gefördert und beachtet (vgl. Geels 2005: 472). Wenn bestimmte Nischen sich stark entwickeln und ausbreiten, können sie dominant werden und ein Regime begründen, das sich sta-
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bilisiert. Die Anzahl der Optionen sinkt dann wiederum, das Gelegenheitsfenster wurde geschlossen. Eine neue soziotechnische Konfiguration – individueller Automobilverkehr – hat also nicht einfach eine überkommene ersetzt, sondern ein historisch spezifischer, komplexer Prozess des Übergangs (“transition pathway”) hat unter Interaktion aller Ebenen stattgefunden. Ein stabiles Regime dagegen erschwert es Innovationen, über einfache Nischen hinauszukommen: “New technologies may remain stuck in these niches for a long time (decades), when they face a mis-match with the existing regime. As long as the regime remains stable, niche innovations have little chance to diffuse more widely.” (Geels 2005: 451) Diese Erkenntnisse relativieren den Anspruch des Transition Management, durch das erfolgreiche Management von Nischen Regime Shifts erzeugen zu können. Auch wenn Nischenmanager auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene Nischenaktivitäten und Regulationen beeinflussen, so sind sie doch den Entwicklungen auf der Landschaftsebene unterworfen. Ein weiterer blinder Fleck des Strategischen Nischenmanagements ist laut Smith die Reaktionsfähigkeit des politischen Systems selbst und anderer sozialer Akteure. In der Strategic Niche Management-Literatur wird häufig davon ausgegangen, dass über Visionen und Ziele (zumeist: Nachhaltige Entwicklung, vgl. S. 21) Einigkeit bestünde bzw. alle Akteure prinzipiell ein Interesse an Lernprozessen zweiter Ordnung hätten. Auch Machtfragen werden – abgesehen von Empfehlungen zur Inklusion bestimmter Gruppen und allgemeiner Chancengleichheit – nicht näher behandelt: “There is little analysis in the SNM/transition management literature of the policies and power relations between the different niche, regime and landscape actors and institutions (that is, the different values, ideas and interests and how these compete for influence).” (Smith 2003: 131) Smiths Studien zu grassroots-Initiativen zeigen aber, dass ganz unterschiedliche Auffassungen von bspw. Nachhaltiger Entwicklung vorherrschen. Machtbeziehungen und Ressourcen werden gerade für zivilgesellschaftliche Akteure zu einem wichtigen Thema (vgl. Smith 2006: 329 ff.). Die Diffusion ihrer Nischen kann nicht als unproblematischer Übergang zur “Nachhaltigkeit” gesehen werden.
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1.2.3.2 Diffusion von zivilgesellschaftlichen Nischen? Wie in 1.2.2 diskutiert, sind zivilgesellschaftliche Akteure durchaus in der Lage, Nischen zu bilden und Nischenprozesse auch gezielt voranzutreiben. Eine Diffusion ihrer soziotechnischen Innovationen stellt allerdings eine enorme Herausforderung dar. Zivilgesellschaftliche Innovationsprojekte und alternative Institutionen verfolgen oftmals radikale Visionen, z. B. eine starke, umfassende Version von Nachhaltiger Entwicklung. Diese steht in gewollter Opposition zu dominanten Regimes, die eine relativ hohe Stabilität aufweisen – wie könnte eine Diffusion da stattfinden? Innerhalb des Mehrebenenmodells stellen die zivilgesellschaftlichen Innovationsprojekte und Nischen Beiträge zur Variation dar – sie erhöhen die Anzahl von Optionen. Durch ihre Radikalität sind diese echte Alternativen zu dominanten Regimes, wie Seyfang und Smith bemerken: “Grassroots innovations appear good at creating alternatives for sustainable development, but they do not connect forcefully with mainstream socio-technical regimes.” (Seyfang und Smith 2007: 598) Die Verbindung mit dem Mainstream, das linking up mit Elementen des dominanten technologischen Regimes, gilt nischenbasierten Ansätzen und dem Transition Management als Schlüssel zur Diffusion. Dies führt zurück auf das bereits erwähnte Dilemma Radikalität versus Kompatibilität (vgl. S. 51) – um überhaupt Veränderungen durch Diffusion (bottom-up) anstoßen zu können, müssen soziotechnische Innovationen irgendwie an bestehende Regime gekoppelt werden können, also einen gewissen Grad an Kompatibilität aufweisen. Dies ist relativ einfach für innovative Artefakte, die in bestehende Institutionen eingepasst werden können und andere Technologien substituieren. Der Charakter zivilgesellschaftlicher Innovationen als soziotechnisch innovativ und radikal außerhalb bestehender Institutionen lässt dies nicht immer zu (vgl. Seyfang und Smith 2007: 597). So lassen sich die Solarpassivhäuser der Aktivisten des grünen Bauens nicht standardisieren, vielmehr ist jedes einzelne Haus eine einmalige Anordnung, die mit ihrer unmittelbaren Umwelt interagiert und durch einen aktiven, kreativen Prozess zustande kommt. Damit ist die Konfiguration ungeeignet für standardisierte Massenproduktion (vgl. Smith 2007: 438). Die erfolgreiche Kopplung einer soziotechnischen Innovation an Elemente des dominanten Regimes kann aus Sicht der Aktivisten aber mindestens ebenso problematisch sein. Smith zeigt am Beispiel der Biolebensmittelbranche, wie erfolgreiches linking up zwischen radikalen Nischen und Regime erfolgen konnte, als das Regime Spannungen ausgesetzt wurde. Die Wahrnehmung von Pestizidein-
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satz als Gesundheitsgefahr, das Entstehen der Umweltbewegungen und neuerdings Genmanipulation und Klimawandel haben auf das Regime destabilisierend gewirkt – die Bio-Nische konnte sich jeweils als Alternative positionieren (vgl. Smith 2007: 441 f.). Mit der Übernahme von Elementen der radikalen Nischen durch das dominante Regime sind allerdings Kompromisse im Hinblick auf ihre Visionen und Werte einhergegangen: “Some organic activists believe supermarket adaptation does nothing to deliver other sustainability principles evident in their niches: intensive farming remains dominant, imports cause polluting food miles, and local rural economies do not revive.” (Smith 2006: 331) Die Diffusion einiger – relativ kompatibler – Elemente der radikalen Nische ging also mit einer nur schwachen Diffusion der sie leitenden Vision einher. Dieser Prozess hängt für Smith davon ab, wie stark die jeweilige soziotechnische Konfiguration an die Werte und Visionen gebunden ist, mit denen Aktivisten sie geschaffen haben (vgl. Smith 2006: 332), und ob diese mitdiffundieren. “Wertfreihe” Diffusion findet leichter statt, der Einfluss der Nische wird breiter, aber weniger tief. Dies zeigt sich bspw. am Inhalt der Produktzertifizierung in der Biolebensmittelbranche – er ist das Ergebnis von Aggregations- und Definitionsprozessen, die mit der Diffusion einhergingen: “Likewise, a technically oriented, production-based standard makes it relatively easy for social-movement values such as local ownership or fair wages to become lost as the market develops.” (Hess 2007: 168) Mit der Übernahme der Zertifizierung durch die EU-Ebene haben radikale Nischen zumindest etwas an Kontrolle verloren: Der Standard umfasst nur produktionstechnische Regeln. Radikale Nischen erhalten dagegen weiterhin eigene Standards aufrecht, die weit darüber hinausgehen. Solche Diffusionsprozesse tragen auch einiges Konfliktpotential in sich: zwischen diffusionsorientierten und idealistischen Akteuren oder über verschiedene Definitionen der Nische. Je mehr Akteure von dominanten Regimes mit der Nische interagieren, desto wichtiger werden Definitionsprozesse für die Nische. Ein weiteres Beispiel ist die ErneuerbareEnergien-Branche, in der Technologien, die von Aktivisten als dezentral einsetzbar und damit demokratisch verteilt aufgefasst und gebaut wurden (Solarclubs, Windkooperativen) nun auch in den zentralen Strukturen des dominanten Regimes der Energieerzeugung angeordnet werden – in großflächigen Solar- und Windparks. Mit dieser Kopplung diffundieren zwar auch die Umweltvorteile der Technologie, nicht aber die sozialen Effekte der dezentralen, lokalen Energieerzeugung. Es
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können so auch die positiven Nebeneffekte spezifischer soziotechnischer Konfigurationen verlorengehen, die bspw. bei lokalen Gemeinschaftsnutzungsprojekten das Gemeinwesen erfährt (vgl. S. 36). Eine bottom-up-Diffusion von zivilgesellschaftlichen Nischen scheint – zumal bei relativ stabilen Regimen – also schwierig. Seyfang und Smith folgern für Grassroots Innovation: “At some point, and in some way, technology policies for bottomup niche creation must be augmented with top-down changes that favourably restructure the selection environment.” (Smith 2006: 333) Entsprechend den Erkenntnissen über die Wirkungsweisen von Nischen, Regimes und Landschaft im Mehrebenenmodell müssen bottom-up-Diffusionsbemühungen durch Gelegenheitsfenster auf Regimeebene erleichtert werden, um dort umfassender wirken zu können, also auch Werte zu diffundieren und neue kognitive Regeln aufzustellen. Zivilgesellschaftliche Akteure selbst versuchen, Entwicklungen auf der Landschaftsebene anzustoßen und für sich zu nutzen, indem sie bspw. die politische Agenda beeinflussen – soziale Bewegungen stellen hier wichtige top-down-Unterstützer von zivilgesellschaftlichen Nischen dar. Aktivisten versuchen, strategisch Spannungen in dominanten Regimes auszunutzen, indem sie Lösungen für gesellschaftliche Probleme anbieten, die dominante Regime nicht zu lösen in der Lage scheinen. Diesen Druck auf Regime zu unterstützen, ist laut Smith auch Aufgabe der Technikpolitik: “There is an established case for policy to help nurture green niches and put incumbent regimes under sustainability pressure. A focus on socio-technical translation stresses how policy must also identify ways to confront, move and adapt ideas and practices between diverse green niches and regimes under sustainability tensions.” (Smith 2007: 447) Strategisches Nischenmanagement und soziotechnische Innovation durch zivilgesellschaftliche Akteure müssen demnach auch nicht in einem Gegensatz gesehen werden – obwohl zivilgesellschaftliche Nischen bottom-up gebildet werden und auch nur teilweise als strategisch gemanagt gelten können, würden bestimmte top-down-Maßnahmen des Strategischen Nischenmanagements diese sinnvoll ergänzen – nicht der Versuch der Steuerung dieser Nischen, sondern die Öffnung der Regimeebene für sie. Ob über Ziele und Visionen wiederum Einigkeit besteht, ist eine andere Frage. Eine aktive Rolle sehen Seyfang und Smith hier auch für die Technikforschung, die eine vermittelnde Position einnehmen kann, indem sie
1.2 Soziales Nischenmanagement
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bspw. die Evaluation von zivilgesellschaftlichen Innovationsprojekten übernimmt oder Regimeanalysen beisteuert (Seyfang und Smith 2007: 599). Die Radikalität der zivilgesellschaftlichen Nischen sollte entsprechend auch nicht nur negativ als Hemmnis von Diffusion gesehen werden, sondern gerade als Alternativoption im portfolio of promises. Aus dieser Sicht leisten auch einfache, nicht diffundierende Nischen einen Beitrag zur Destabilisierung von Regimes: “The niche model might prove effective precisely because it draws contrasts. It could serve as a dialogical device for reflecting critically upon mainstream reforms. Stark contrasts between niche and mainstream, whilst making the translation of lessons from niche to mainstream difficult, can still provide a basis for critical reflection.” (Seyfang und Smith 2007: 595) Die empirische Untersuchung der Diffusionsprozesse führt Seyfang und Smith auf ein weiteres, wichtiges theoretisches Problem von nischenbasierten Ansätzen. Die Rede von der Übernahme von Elementen der Nische durch Regime deutet bereits an, dass die Grenzen zwischen diffundierenden Nischen und Regimes verwischt werden. Die einfache Unterscheidung in altes Regime / neues Regime, unterbrochen durch eine Transformation, kann nicht getroffen werden. In Diffusionsprozessen werden sowohl die Regime als auch die Nischen verändert. Für zivilgesellschaftliche Nischen bedeutet dies zum Beispiel das Überschreiten der Grenzen Soziale Ökonomie / Privater Sektor und eben die Aufsplitterung von Visionen in Aspekte. Im Fall der Biolebensmittel-Nische beobachtet Smith ein dialektisches Verhältnis von Nische und Regime: “A distorted adaption of an element of organic practice prompted a radical niche revival closer to the founding organic vision. A synthesis that demanded more change to the original niche than the appropriating regime was followed by antithesis in more localized niche organic practices.” (Smith 2007: 446) Nische und Regime haben sich durch Diffusion in ein gemeinsames Neues transformiert – die radikalen Visionen der Nische sind dadurch jedoch nicht verlorengegangen, sondern werden erneut von Aktivisten in Opposition zum Regime aufgestellt, wenn auch möglicherweise mit einem neuen Schwerpunkt. Dieses “Nachwachsen” von radikalen bottom-up-Nischen an den Rändern der Regime (“green conveyor belt” (Seyfang und Smith 2007: 594)) stimmt aus Sicht der Nischen optimistisch.
64
Nischenmanagement durch zivilgesellschaftliche Akteure
1.2.3.3 Strategisches Nischenmanagement und Soziales Nischenmanagement als spezifische Transitionskontexte
In dieser Arbeit wurde der normative Ansatz des Strategischen Nischenmanagements mit nischenbasierten Ansätzen zur Beschreibung zivilgesellschaftlicher soziotechnischer Innovation gegenübergestellt. Berkhout u. a. (2004) integrieren diese Ansätze in ihrem Theorierahmen der Transitionskontexte. Ausgehend von der Kritik der nischenbasierten Ansätze als im Mehrebenenmodell einseitig bottomup-orientiert (unilinear), wert- und machtblind (univalent) und unterkomplex im Hinblick auf die Unterscheidung von Transitionen als bspw. strategisch koordiniert oder emergent (unidimensional) stellen Berkhout u. a. vier Idealtypen von Transitionskontexten auf. Diese bewegen sich auf zwei Dimensionen: dem Grad der Koordination (niedrig–hoch) und der Herkunft der Ressourcen im Verhältnis zu dominanten Regimes (intern–extern) (vgl. Berkhout u. a. 2004: 67 ff.). Die Transitionskontexte benennen sie folgendermaßen: 1. purposive transitions – strategischer Wandel durch externe Akteure 2. endogenous renewal – strategischer Wandel durch interne Akteure 3. re-orientation of trajectories – emergenter Wandel durch Aktivitäten und Beziehungen innerhalb von Regimes 4. emergent transformations – emergenter Wandel durch Aktivitäten und Ereignisse außerhalb von Regimes. Transition Management bzw. Strategisches Nischenmanagement verorten die Autoren dabei als den Versuch, eine absichtsvolle Transition – purposive transition – durchzuführen. Mit diesem Theorierahmen eröffnen die Autoren eine Forschungsagenda, die über die hier behandelten Ansätze hinausgeht – Strategisches Nischenmanagement, Soziales Nischenmanagement und grassroots innovations, die zu Regime Shifts führen, stellen dann jeweils spezifische Transitionskontexte dar. Im Empirieteil 2.2.3 soll skizziert werden, wie mit Hilfe der hier behandelten Theorie eine umfassende Analyse der Diffusionschancen einer dem Wireless Community Networks-Projekt übergeordneten Community Wireless-Nische angegangen werden könnte. Folgende Fragestellungen ergeben sich: Hat die Nische einen Einfluss auf das bestehende Regime? Gibt es eine Übernahme von Elementen der Nische (linking up)? Gibt es Entwicklungen, die das Regime schwächen könnten?
1.3 Ausblick
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1.3 Ausblick Die in dieser Arbeit verfolgte Kontrastierung von soziotechnischer Innovation durch zivilgesellschaftliche Akteure mit dem Ansatz des Strategischen Nischenmanagements erscheint fruchtbar, sowohl für die deskriptive Analyse der Innovationsprozesse als auch für die normative Diskussion der Technikpolitik. Durch die Abgrenzung von Innovationsprojekten und Nischen als zivilgesellschaftlich können spezifische Eigenschaften gegenüber anderen, strategisch gemanagten Nischen herausgestellt werden. In einer deskriptiven Analyse ergibt sich dabei ein Bild von zivilgesellschaftlichen soziotechnischen Innovationsprojekten und Nischen als qualitativ hochwertiger, aussichtsreicher Quellen von Variation im Prozess der Koevolution von Technik und Sozialem. Zivilgesellschaftliche Innovationen bestehen häufig in einer engen Kopplung von sozialen und technischen Elementen. Höhere Homogenität kann Radikalität ermöglichen und damit ein echtes Abweichen von dominanten Regimes – während hier die Probleme von Strategic Niche ManagementProjekten zu liegen scheinen. Es wurde aber auch deutlich, dass zivilgesellschaftliche Innovationsprojekte nicht per se diese Eigenschaften aufweisen; sie können vielmehr als Potential begriffen werden. Für die weitere Untersuchung der Bedingungen von zivilgesellschaftlicher soziotechnischer Innovation wurden Annahmen formuliert, durch deren Operationalisierung in empirischen Studien Typen von zivilgesellschaftlichen Innovationsprojekten gebildet werden könnten. Eine Operationalisierung könnte, den Annahmen folgend (S. 37), entlang der Dimensionen Akteurskonstellation und Ressourcen, Homogenität der Motivationen, Kopplung sozialer und technischer Innovation und Ideologie erfolgen. Auf Nischenebene wurden die Chancen von zivilgesellschaftlichen Innovationsprojekten auf Nischenbildungsprozesse diskutiert. Nachdem festgestellt wurde, dass emergente Nischenbildungsprozesse stattfinden, wurden die Möglichkeiten des Nischenmanagements durch zivilgesellschaftliche Akteure untersucht. Aufgrund der spezifischen Eigenschaften zivilgesellschaftlicher Nischenprozesse können verteilte Aktivitäten des Nischenmanagements stattfinden, der Charakter der Nische wird damit jedoch nicht strategisch15 . Es wurden wiederum Annahmen für Nischenprozesse und Managementaktivitäten durch zivilgesellschaftliche Akteure getroffen (S. 57). Ausgehend von der Annahme des verteilten Nischenmanagements könnte der Grad des Nischenmanagements in Intensität und Koordination gemessen werden: Welcher Anteil der Nischenaktivitäten kann als strategisch gelten, und in welcher Breite erlangen die Managementaktivitäten Wirkung? Sind alle 15 Eine
begriffliche Abgrenzung solcher verteilter Aktivitäten des Nischenmanagements vom Strategic Niche Management macht Sinn – der hier benutzte Überbegriff Social Niche Management könnte allerdings durch einen aussagekräftigeren, etwa Civil Niche Management, ersetzt werden.
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Nischenmanagement durch zivilgesellschaftliche Akteure
drei Nischenprozesse Gegenstand von Managementaktivitäten oder nur Aspekte davon? Wie groß ist die Varietät auf der lokalen Ebene? Wie groß ist die Übereinstimmung in den Managementzielen, also ihre Koordination? Von zentralem Interesse weiterer Untersuchungen wäre die Frage, wovon der Grad des Nischenmanagements abhängt (Diffusionsorientierung, Ressourcen) und inwiefern er die Diffusionschancen zivilgesellschaftlicher Nischen beeinflusst – sie müssen letztendlich stärker als strategische Nischen auf bottom-up-Prozesse aufbauen. Aus der normativen Perspektive des Strategischen Nischenmanagements – und anderer Formen von “engagierter” Forschung16 – könnte daraus die Forderung einer top-down-Förderung von zivilgesellschaftlichen Nischen abgeleitet werden. Das Ideal von einer demokratischen, verteilten Innovationstätigkeit in der Gesellschaft impliziert eine Hinwendung zu den bisher wenig beachteten Akteuren der soziotechnischen Innovation. Diese Förderung darf nicht in den Versuch einer Steuerung umschlagen. Die Erfahrungen des Strategischen Nischenmanagements deuten darauf hin, dass gerade bestimmte top-down-Elemente das Engagement von Akteuren bremsen können. Eine Politik der Ermöglichung, bspw. in Form von engagierter Forschung oder der Schaffung von Gelegenheitsfenstern, scheint vielversprechender für die Nutzung des Innovationspotentials zivilgesellschaftlicher Akteure. Auch einfache Nischen, gegenwärtig ohne Diffusionschancen, erhöhen die Diversität in einer Ökologie von Nischen und sind damit im Sinne eines portfolio of promises wünschenswert.
16 Zu
den jüngsten Forderungen nach einer engagierten Wissenschafts- und Technikforschung siehe (Hackett u. a. 2008: 4 f.) und (Sismondo 2008).
2 Ein Fall von Sozialem Nischenmanagement: das Wireless Community Networks-Projekt
2.1 Methodik Forschungsdesigns “binden Theorierahmen, Fragestellung, Forschungs-, Generalisierungs- und Darstellungsziele mit den verwendeten Methoden und verfügbaren Ressourcen unter dem Fokus der Zielerreichung zusammen” (Flick 2000: 264). Das dieser empirischen Arbeit zugrunde liegende Forschungsdesign soll hier kurz erläutert werden. Theorierahmen der Untersuchung ist der Ansatz des Sozialen Nischenmanagements, wie er in Teil 2 diskutiert wurde, sowie die daraus abgeleiteten Annahmen. Gegenstand der empirischen Arbeit ist das Wireless Community Networks-Projekt, das in Form einer Einzelfallstudie als zivilgesellschaftliches Innovationsprojekt untersucht wird. Damit können zum einen die in 1.2.1 diskutierten Konzepte illustriert werden sowie auf einen neuen Gegenstand angewendet werden. Informations- und Kommunikationstechnologien waren bisher nicht Thema von Arbeiten zu Grassroots Innovation. Der neue Gegenstand kann so möglicherweise etwas über die Reichweite der Konzepte aussagen, die – vergleichbar dem Strategischen Nischenmanagement – vor allem auf “grüne” soziotechnische Innovation durch zivilgesellschaftliche Akteure abheben. Die in der Theoriediskussion getroffenen Annahmen und Vorschläge auf Typenbildung können einer vorsichtigen Prüfung auf Angemessenheit und Relevanz unterzogen werden. Auf Nischenebene hat die empirische Untersuchung explorativen Charakter: Es soll versucht werden, ausgehend vom untersuchten Fall eine Nische anhand von Nischenprozessen zu
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Ein Fall von Sozialem Nischenmanagement
bestimmen und die in 1.2.2 getroffenen Aussagen über das Nischenmanagement durch zivilgesellschaftliche Akteure zu illustrieren. Forschungsziele und Gegenstand sowie begrenzte Mittel sprechen hier für qualitative Methoden. Für die Beschreibung eines Innovationsprojekts in Begriffen von Motivationen, Visionen und Lernprozessen ist ein Verstehen Voraussetzung, das in einer Einzelfallstudie am umfassendsten erreicht werden kann. Zum Gegenstand konnte zunächst durch die teilnehmende Beobachtung während zweimonatiger Mitarbeit (2005) im Wireless Community Networks-Projekt Zugang hergestellt werden. Durch die Mitarbeit im Projekt konnte ein Verhältnis von “Offenheit, Vertrauen, Arbeitsbereitschaft und einem möglichst geringen Machtgefälle zwischen Forscher und Informant” aufgebaut werden (Steinke 2000: 320). Die teilnehmende Beobachtung erfolgte dabei unstrukturiert und umfassend, indem der Großteil der eigenen Erfahrungen aufgezeichnet wurde. Die Beobachtung deckte einen relativ großen Bereich der Aktivitäten innerhalb des Projekts ab. Während der Phase im Feld konnten außer eigenen Mitschriften auch interne Dokumente gesammelt werden. Mit dem Vorwissen über das Feld wurde nach einem längeren Zeitraum, der eine Distanzierung erleichterte, die Theoriearbeit zu soziotechnischer Innovation durch zivilgesellschaftliche Akteure geleistet. Die oben genannten Forschungsziele wurden bestimmt. Die erhobenen Daten sollten nun anhand der Begriffe des Sozialen Nischenmanagements ausgewertet werden. Um das Wireless Community Networks-Projekt als zivilgesellschaftliches Innovationsprojekt zu untersuchen, wurden eigene Aufzeichnungen, interne Dokumente sowie offizielle Dokumente durch Inhaltsanalyse ausgewertet. Dabei wurde die Analyse von dem in 1.2.1 diskutierten Konzept der Grassroots Innovation angeleitet. Im Einzelnen wurden die Dimensionen der Akteurskonstellation und Ressourcen, Homogenität der Motivationen, Kopplung sozialer und technischer Innovation und Ideologie analysiert. Damit wird der Versuch gemacht, die Einzelfallstudie nicht nur “interpretierend”, sondern auch “typisierend” zu nutzen (vgl. Lamnek 2005: 328). Dass die vorgeschlagene Typenbildung nur eine Skizze darstellt und hier nicht vergleichend mit weiteren Fällen verfolgt werden kann, ist der Reichweite der Arbeit geschuldet; dies wäre Gegenstand weiterer empirischer Arbeit. Um anhand des Nischenkonzepts eine Community Wireless-Nische zu bestimmen, wurden vom lokalen Wireless Community Networks-Projekt ausgehend weitere Akteure der Nische explorativ untersucht. Auf Nischenebene kann die Untersuchung daher keinesfalls Anspruch auf Vollständigkeit erheben – von einer globalisierten Nische kamen vor allem die Akteure in den Blick, mit denen das WCN-Projekt im Austausch stand, sowie Ereignisse, an denen das WCN-Projekt Anteil hatte. Die meist offiziellen Selbstdarstellungen, aber auch an Nischenakteu-
2.2 Wireless Community Networks
69
re gerichteten Kommunikationen in Form von Websites, Blogs, Wikis, Mailinglisten und anderen Online-Dokumenten wurden wiederum inhaltsanalytisch entlang der Nischenprozesse (Coupling of Expectations, Articulation Processes, Network Formation) analysiert. Eine Standardisierung erschien dabei aufgrund des explorativen Charakters und der Materialfülle nicht praktikabel; die Gültigkeit und Reichweite der Aussagen bleiben daher auf die Auswertungseinheiten beschränkt (vgl. Lamnek 2005: 198). Sie dienen insbesondere der Plausibilisierung der in 1.2.2 getroffenen Annahmen über Nischenmanagement durch zivilgesellschaftliche Akteure und der Ermittlung möglicher relevanter Dimensionen.
2.2 Wireless Community Networks 2.2.1 Projektebene: das WCN-Projekt als soziotechnisches Innovationsprojekt 2.2.1.1 Hintergrund: Akteure und Antennen Das Wireless Community Networks-Projekt wurde vom Center for Neighborhood Technology (CNT) ins Leben gerufen. Dieses ist eine 1978 in Chicago gegründete Non-Profit-Organisation mit dem Ziel, urbane Nachbarschaften lebenswerter und nachhaltiger zu gestalten. Es führt Projekte in den Bereichen Energieinfrastruktur, Verkehrswesen, nachhaltiges Bauen, Kommunikationsinfrastruktur und politische Partizipation durch (vgl. CNT 2006). Die Nutzung von Technologie als Ressource für soziale Gemeinschaften ist das zentrale Anliegen der Organisation. Das CNT betreibt zum einen aus eigenen Projekten entstandene Institutionen (z. B. Car-Sharing) sowie laufend Forschung über seine Kernthemen und Vernetzung mit relevanten Akteuren. Zum anderen ist das CNT vor allem Initiator und Manager von konkreten Projekten auf der lokalen Ebene, die in Kooperation mit relevanten Akteuren – häufig Nachbarschaftsinitiativen und -organisationen vor Ort – unternommen werden. Dabei übernimmt das CNT zumeist Planungsaufgaben und Mittelbeschaffung, während die kleineren Partner lokales Wissen bereitstellen, für die Kommunikation mit der Basis zuständig sind und Teilnehmer für die Projekte rekrutieren. “CNT’s organizational model is part think tank, part incubator. While the organization carries out complex research and analysis, it’s the application of that research for the benefit of real neighborhoods and real people, especially those most in need, that really drives the organization to excel. Sometimes this application is about changing markets,
70
Ein Fall von Sozialem Nischenmanagement
and other times public policies. Sometimes it requires changing both.” (CNT 2006: About) Das Center for Neighborhood Technology ist heute das, was in der Literatur über soziale Bewegungen als Professional Social Movement Organization bezeichnet wird. Der Begriff wurde von McCarthy und Zald 1973 geprägt: Sie argumentieren, dass die Organisation sozialer Bewegungen seit den 1960er Jahren eine Professionalisierung erfahren hat. Dies zeigt sich vor allem im Entstehen von relativ bürokratischen Organisationen, die ohne Mitgliederbasis auskommen, Ressourcen aus bewegungsexternen Quellen schöpfen (Stiftungen, Regierungsprogramme etc.) und Vollzeitkräfte beschäftigen. Anstelle des traditionellen Modells einer schwach organisierten homogenen Gruppe von Betroffenen hinter einem charismatischen Führer tritt die moderne soziale Bewegung, bei der ein “outside agitator” Probleme definiert, für die Betroffenen spricht und Ressourcen anzapft (vgl. McCarthy und Zald 1973: 20). Das CNT bearbeitet eine Reihe von Themen, von denen einige stärker, andere weniger in der öffentlichen Wahrnehmung eine Rolle spielen. Diese ‘Produktdiversifikation’ erlaubt es einer Bewegungsorganisation nach McCarthy und Zald, auch langfristig orientierte Themen zu bearbeiten, die nicht im Zentrum der Berichterstattung stehen und mit denen wenige Mittel einzusammeln sind. Die sozialen Bewegungen, mit denen das CNT sich identifiziert, sind zum einen die großen sozialen Bewegungen der USA der 1960er bis 1980er Jahre – Umweltbewegung, Frauenbewegung, Bürgerrechtsbewegung, Stadtbewegungen, Friedensbewegung (vgl. Kitschelt 1985: 266 ff.) – aber auch technikspezifische wie die Alternative/Appropriate Technology-Bewegung oder die neuere Freie/Open Source Software-Bewegung. Gleichzeitig steht das CNT mit seinem Sitz in Chicago in der Tradition des Community Organizing und des lokalistischen thinking small, Kulturen der Selbsthilfe auf gemeinschaftlicher Ebene, die Kitschelt zufolge auf “libertäre und kommunitäre Elemente des ‘Amerikanismus”’ zurückzuführen sind (Kitschelt 1985: 256). Entsprechend dieser Diversität betreibt das CNT gleichzeitig mehrere Projekte mit einer Laufzeit von etwa vier Jahren neben langfristigen Einrichtungen wie der Community Energy Cooperative und I-Go Car-Sharing. Es gibt einen Stamm von etwa 20 fest angestellten Mitarbeitern und ebenso viele projektgebundene Mitarbeiter (vgl. CNT 2005a: 15). Durch die Projektorientierung ist das CNT in der Lage, flexibel auf wahrgenommene Probleme zu reagieren und verschiedene Ressourcen aufzutun. Die Arbeitsweise des CNT beschreibt der Präsident folgendermaßen: “Most of our projects begin with an analysis of a problem. We look at data. We try and understand how some issue looks geographically, in
2.2 Wireless Community Networks
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different places and at different scales. We ask ourselves if there are hidden or underutilized assets that can be brought to bear on the problem in new ways, especially in ways that take advantage of market dynamics. Sometimes we launch a demonstration economic development venture. Other times we develop a web-based decision-support tool. And we always use the research to support our advocacy and public policy work.” (CNT 2005a: A Message from the President) Das Zitat macht die vermittelnde Position des CNT deutlich: zum einen die Orientierung hin zur lokalen Ebene mit ihren konkreten Problemen und Optionen, aber auch politische Arbeit auf allen Ebenen. Mit ihrem Interesse an der Entwicklung lokaler Ökonomien bewegt die Organisation sich auch über die Grenzen von Sozialer Ökonomie und privatwirtschaftlichem Sektor hinweg, es kooperiert bspw. auch mit Unternehmen. Die Ausgründungen des CNT selbst sind NonProfit-Organisationen oder Kooperativen. Das Ideal des Gemeinschaftsbesitzes auf lokaler Ebene spielt hier eine große Rolle. Wie vom CNT-Präsidenten Scott Bernstein beschrieben, hat auch das Wireless Community Networks-Projekt mit der Analyse eines Problems begonnen. Das CNT als Professional Social Movement Organization hat für bestimmte Gruppen von Benachteiligten mit Hilfe deren Vertreter ein Problem definiert: soziale Benachteiligung – geringe Chancen auf dem Arbeitsmarkt, geringe politische Partizipation u. a. – durch den Ausschluss vom Internet. Die Bedeutung der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien, insbesondere des Internets, für gesellschaftliche Teilhabe über den Zugang zu Informationen über Bildung, den Arbeitsmarkt und Politik, hat in der letzten Dekade rasant zugenommen. Die Infrastruktur des Internets schafft eine neue Qualität der Mobilität, die viele Beobachter für demokratisierend halten. Zugang zum Internet zu haben, eröffnet kompetenten Nutzern Chancen – keinen Zugang zu haben, kann zu einem deutlichen Nachteil werden. Die Diskussion über eine neue gesellschaftliche Spaltung wird unter dem Schlagwort des Digital Divide geführt. Die digitale Spaltung existiert sowohl global als auch regional. Die jüngsten Entwicklungen von immer komplexeren Internetanwendungen gehen einher mit immer schnelleren Übertragungsgeschwindigkeiten – der Digital Divide wird sozusagen mehrstufig, wenn viele datenintensive Angebote durch einfache Einwahlverbindungen nicht mehr zu nutzen sind. Gerade in den USA, der Geburtsstätte des Internets, gibt es viele unterversorgte Regionen, sowohl ländliche als auch urbane. Ein Grund hierfür ist die Struktur des Telekommunikationsmarktes, der von der Federal Communications Commission (FCC) reguliert wird. Regionale Anbieter müssen zwar seit 1996 die Nutzung ihrer Infrastrukturen gewährleisten – dies gilt allerdings nur für Telefonie (vgl. Alden 2002:
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Ein Fall von Sozialem Nischenmanagement
16). Der Telecommunications Act von 1996 unterscheidet zwischen verschiedenen Diensten, u. a. Telefonie, Kabelfernsehen und den neuen, relativ undefinierten “information services”, unter die bspw. Glasfaserkabel für Internetverbindungen fallen (vgl. Daggett und Morris 2005: 7). Da für diese “Informationsdienste” keine Versorgungsverpflichtung besteht, sind die Menschen darauf angewiesen, dass ihr regionaler Anbieter auch Hochgeschwindigkeitsinternet anbietet; er muss seine Infrastruktur nicht für Internetanbieter freigeben, wenn er bspw. selbst Kabel-TV anbietet. Diese Hardwareinfrastruktur, Verkabelung, ist teuer und wird durch kommerzielle Anbieter nur dort angeboten, wo entweder eine Verpflichtung besteht oder es profitabel ist. Eine Folge dieser in vielen Regionen faktisch monopolistischen Marktorganisation ist, dass einkommensschwache Nachbarschaften keinen Zugang zu Hochgeschwindigkeitsverbindungen erhalten. Selbst die einfache Festnetzverbindung, über die eine langsame Verbindung zum Internet erfolgen könnte, schaffen viele Menschen dort ab, weil sie stattdessen ausschließlich Mobiltelefone nutzen. Diese Situation bestand 2002 sowohl in einkommensschwachen urbanen Nachbarschaften Chicagos als auch in Vororten. Eine mögliche Lösung sah das CNT in der zu dem Zeitpunkt recht neuartigen Funknetz-Technologie: “The Center for Neighborhood Technology (CNT) has recognized the potential of using current wireless technology to empower communities through the creation of wireless community networks which are being tested in four communities throughout the State of Illinois.” (WCN 2005c) Das CNT wandte sich zum einen an lokale Akteure und Institutionen in vier ausgewählten Nachbarschaften, darunter zwei Nachbarschaftszentren (North Lawndale und Pilsen), eine Schule (Elgin) und ein College (West Frankfort). Die lokalen Organisationen sollten den Kontakt zu den jeweiligen Nachbarschaften herstellen, Glaubwürdigkeit vermitteln sowie mögliche Ausgangspunkte der technischen Infrastruktur bieten. Entsprechend der lokalistischen Philosophie ging es dem CNT darum, vorhandene lokale Ressourcen und Menschen aktiv einzubeziehen: “WCNs draw on the existing infrastructure (i.e., community technology centers, community-based organizations, schools, churches) and related resources (i.e., technical assistance and training, job skill development and placement, education) in a community to deliver broadband signal and services and opportunities on a real-time basis – making it possible for people to fully engage and participate in society – economically, civically, and educationally.” (WCN 2005c)
2.2 Wireless Community Networks
73
Die Vermittlung über lokale Autoritäten war umso wichtiger für ein Projekt wie das WCN, das auf Teilnahme basiert, da einige der Nachbarschaften relativ geschlossene, extrem homogene soziale Zusammenhänge darstellen1 . Außerdem stellte das CNT Kontakt zu Gruppen her, die bereits mit Funknetzen experimentierten und diese technisch weiterentwickelten, allen voran das Champaign-Urbana Community Wireless Network (CUWiN). Um die potentiellen Teilnehmer mit der notwendigen Hardware ausstatten zu können, bat das CNT um Spenden bei Unternehmen und recycelte selbst mit Hilfe von Freiwilligen ausrangierte PCs. Nach einigen Versuchen mit zehn Teilnehmern in Elgin bewarb sich das CNT dann mit der konkreten Projektidee um Fördermittel vor allem für den Personaleinsatz. Es erhielt Gelder aus dem Technology Opportunities Program des US Department of Commerce, dem State of Illinois’ Eliminate the Digital Divide Program, Gouverneur Blagojevichs Opportunity Returns Program sowie von der Grand Victoria Foundation. So ausgestattet stellte das CNT ein Projektteam zusammen und begann, die anvisierte technische Struktur des Funknetzwerks zu testen. Ein Funknetzwerk ist ein Netzwerk von bspw. Telefonen oder Computern, das mit Hilfe von elektromagnetischen Wellen auf dem Übertragungsmedium der Luft Daten austauscht. Während der Datenverkehr bei kabelgeleiteter Übertragung nur entlang des verkabelten Weges verläuft und kaum nach außen dringt, senden Antennen meistens rundum oder gerichtet durch die Luft. Der Datenverkehr selbst ist also offen und kann je nach Signalstärke in einem bestimmten Bereich empfangen werden. Wenn der Datenverkehr bestimmte Empfänger ausschließen soll, muss dies über die Software und die Daten selbst geschehen. Dieser Unterschied zur Kommunikation über das Medium Kabel gibt Funknetzen ein völlig neues Potential: Während das Kabel technisch die potentiellen Teilnehmer der Kommunikation definiert, ist die Luft ein freies Gut und die Kommunikationsteilnehmer müssen vom Nutzer definiert werden. Die enormen Kosten, die die Breitbandverkabelung einer Region beispielsweise mit Glasfaser verursacht, fallen bei Funkübertragung weg. Funknetze können in verschiedenen Architekturen angeordnet sein. Das huband-spoke-Modell arbeitet sternförmig, sodass mehrere Teilnehmer mit einer Basisstation kommunizieren, die den Datenverkehr organisiert. Sie kann beispiels1 North
Lawndale bspw. ist dem Zensus von 2000 zufolge eine zu 94 % afroamerikanische Nachbarschaft. 41.7 % der Haushalte leben unterhalb der Armutsgrenze; 40 % der Jugendlichen verlassen die High School ohne Abschluss; 59.4 % der 20- bis 24-Jährigen sind arbeitslos. Die extreme Armut und Kriminalität in North Lawndale sind zum Teil auf den völligen Zusammenbruch der wirtschaftlichen Infrastruktur der Nachbarschaft nach den Aufständen der späten sechziger Jahre zurückzuführen. (Vgl. SFF 2006: Knowledgebase)
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Ein Fall von Sozialem Nischenmanagement
weise auch eine Verbindung zum Internet haben und somit als Router für die Computer funktionieren. Dies ist die Funktionsweise eines einfachen Heimnetzes, bei dem mehrere Benutzer innerhalb eines Gebäudes eine Internetverbindung teilen. Seit WLAN-Chips in den meisten Laptops eingebaut sind, bieten viele öffentliche Einrichtungen, Flughäfen und Cafes ´ per Hotspot Zugang zu ihrem lokalen Funknetz an. Die Größe des Netzes bleibt dabei auf den Sendebereich der Basisstation beschränkt. Eine andere, neue Architektur eines Funknetzes ist das peer-to-peer- oder ad hoc-Netzwerk (vgl. Abb.2.1, S. 75). Dabei nehmen Computer die Rolle von Access Points ein, sie werden zu Repeatern, die andere Rechner außer Reichweite mit der Basisstation verbinden können. Damit ist das Netz dezentral organisiert und skalierbar, es kann also wachsen, indem ein tragfähiges Netz aus Knotenpunkten entsteht. Aufgrund dieser Eigenschaften nennt man diese Variante auch mesh networking in Analogie zu einem Maschendrahtzaun. Genau wie jener wird ein mesh-Netzwerk immer stabiler, je enger die Knotenpunkte beisammen liegen. Der Ausfall einzelner Knotenpunkte bedeutet nicht den Zusammenbruch des Netzes, da viele andere Wege genommen werden können. Mesh-Netzwerke organisieren sich durch dynamisches Routing selbst “ad hoc”. Software für das dynamische Routing wird seit 2000 von CUWiN, CNTs technischem Partner, entwickelt: “CUWiN has been working since 2000 to develop the community wireless networking software that is DIY open source technology.” (CUWiN 2008: projects) Das WCN-Projekt konnte also als ein Test für die Software gelten, die bis heute laufend weiterentwickelt wird. Diese mesh-Netzwerkarchitektur ist die Grundlage von Gemeinschaftsfunknetzen wie dem Wireless Community Network. Das Wireless Community Networks-Projekt nutzt die – im Jahr 2002 noch relativ unbekannte – mesh-Netzwerkarchitektur für eine spezifische soziale Anordnung. Dabei spielt die Definition der Teilnehmer die entscheidende Rolle. Bei der kommerziellen verkabelten Datenübertragung werden die Teilnehmer über die Hardware in ein Geschäftsmodell eingebunden: durch die Nutzung der Kabelinfrastruktur eines Telekommunikationsanbieters. Bei einem Funknetz ist das Gegenteil der Fall: Die physikalische Datenübertragung ist zunächst ein freies Gut, da sie nicht sinnvoll beschränkt werden kann. Ein knappes Gut muss erst hergestellt werden, indem Netze durch Software geschlossen werden – durch Verschlüsselung der Daten. Dies geschieht zumeist, wenn private Haushalte ihre Internetverbindung mit mehreren Rechnern nutzen und andere, möglicherweise in Reichweite befindliche Empfänger, ausschließen. Der Nutzen des Funknetzwerks ist in dem Fall die Mobilität der Empfänger innerhalb ihres Netzes. Für diese sternförmige, geschlossene Architektur muss aber weiterhin jedes kleine Funknetz einen Internetzugang besitzen, selbst wenn mehrere Netze sich in Reichweite befinden.
2.2 Wireless Community Networks
Repeater Access Point
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Desktop PC Laptop Desktop PC
Repeater Access Point
Desktop PC Laptop Repeater Access Point
Desktop PC
Repeater Access Point Main Access Point
Firewall
Firewall
Router
Internet Server
Abbildung 2.1: Die mesh-Funknetz-Architektur des WCN-Projekts, adaptiert nach (WCN 2008)
Ein mesh-Netzwerk dagegen kann durch die Eigenschaft, dass alle Teilnehmer auch Router sind, eine Internetverbindung durch theoretisch2 beliebig viele Teilnehmer teilen. Der Zugang zu diesem Netzwerk ist offen oder gemeinsam reguliert, daher wird es im deutschen Sprachraum als freies Funknetz oder auch Freifunknetz bezeichnet. Die Qualität eines mesh-Netzwerks steht und fällt mit der geographischen Anordnung der Knotenpunkte und ihrer Dichte. Eine Kooperation zwischen Nachbarn ist also die notwendige Bedingung für den Aufbau eines solchen gemeinsam genutzten Netzes; im Englischen heißt es deshalb community 2 Praktisch
verringert sich mit mehr Teilnehmern der Datendurchsatz für den Einzelnen, so dass es von der Internetverbindung und der Art der Nutzung abhängt, wie viele Teilnehmer tatsächlich mit einer Internetverbindung auskommen.
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Ein Fall von Sozialem Nischenmanagement
network. Idee des Wireless Community Networks-Projekts ist es, Nachbarschaften mit einem mesh-Netzwerk auszustatten, das sie selbst mit aufbauen, verwalten und nutzen. Dies bietet einen extrem kostengünstigen Internetzugang, stellt aber auch ein eigenes, lokales Netzwerk (LAN) dar. Es wird somit zu einer vielfältigen Ressource für die Nachbarschaften. Für das CNT spielen sowohl die Effekte des Zugangs zu Bildung, Arbeitsmarkt und anderer Möglichkeiten der Teilhabe für die individuellen Teilnehmer eine Rolle, aber auch das gemeinschaftsbildende Element des geteilten Funknetzes: “Wireless technology in a mesh network model acts much like a neighborhood – becoming stronger as more people support it and as more “repeaters” are placed; the network’s infrastructure reinforces the concept of a community of users.” (WCN 2005c) Das CNT hob sowohl die technische Infrastruktur eines mesh-Funknetzes als auch die organisatorische Konfiguration des Gemeinschaftsnetzes als innovativ hervor. Die Kopplung beider innovativer Elemente in einem Wireless Community Network stand dem dominanten Regime der Telekommunikation3 – marktvermittelter, kabelbasierter, individualisierter Internetzugang – gegensätzlich gegenüber. Aus Sicht des quasi-evolutionären Modells kann somit von einer radikal innovativen Konfiguration gesprochen werden (vgl. S. 17). Solche innovativen Infrastrukturen – Wireless Community Networks – in den vier recht unterschiedlichen Nachbarschaften Chicagos aufzubauen, war 2003 das Ziel des WCN-Projekts, das bis Ende 2006 laufen sollte. Die Aktivitäten des WCN-Projekts waren einerseits technikbezogen: Darunter fallen die Beschaffung der notwendigen Hardware – größtenteils durch Sachspenden – und ihr Umbau bzw. Anpassung an lokale Gegebenheiten, der Aufbau von Antennen durch Freiwillige in sogenannten “Node Build Parties”, das Testen und Installieren, Konfigurieren etc. der Hardware in den Nachbarschaften, die Produktion von Software für das Routing, die Überwachung der Funktion des Funknetzes sowie nicht zuletzt die Einführung der Teilnehmer in die Nutzung von PCs und Internetanwendungen. Zum anderen erfordert die soziotechnische Konfiguration eines Wireless Community Network die aktive Teilnahme der Nutzer. Sie müssen bspw. Dächer zur Verfügung stellen, um Antennen installieren zu können. Darüber hinaus können sie zu den Gestaltern des Netzwerks werden, indem sie ein virtuelles Nachbarschaftsportal aufbauen oder Dienste über das Netzwerk anbieten. Letztendlich ist es die Art und Weise der aktiven 3 Da
in der vorliegenden Arbeit keine umfassende Regimeanalyse geleistet werden konnte, soll hier entsprechend der verflochtenen Markt- und Technikstrukturen (Telefonie, Kabel-TV, BreitbandInternet) in den USA allgemein von einem Regime der Telekommunikation gesprochen werden (vgl. 2.2.3).
2.2 Wireless Community Networks
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Teilnahme der Nutzer, die den Charakter des Community Network ausmacht. Um überhaupt Teilnehmer zu gewinnen und ihre Vision zu vermitteln, hat das WCNProjekt “community organizing efforts” betrieben (WCN 2005d). Dazu gehören gemeinschaftsbezogene Aktivitäten wie die gezielte Vernetzung mit Gruppen und Organisationen aus den Nachbarschaften, das Werben von sozial anerkannten Pilotnutzern mit Vorbildfunktion, die Vermittlung der Ziele des WCN und der Chancen für die Teilnehmer und die Nachbarschaften, das Werben von freiwilligen Engagierten und ihre technische Ausbildung zur Schaffung einer eigenständigen Basis des Community Network. Neben diesen direkt projektorientierten Aktivitäten hat das CNT Pläne für mögliche Organisationsformen der Community Networks nach der formalen Projektlaufzeit und damit finanziellen Förderung ausgearbeitet, die auch mit einem Advisory Committee von Experten diskutiert wurden. Die Frage, ob die Community Networks eher genutzt werden sollten, um Politik für eine günstigere Telekommunikationsregulation zu machen oder aber eine eigene Telekommunikationskooperative zu gründen, war dabei das zentrale Thema. 2.2.1.2 Wireless Community Networks als Grassroots Innovation Das Wireless Community Networks-Projekt ist ein interessanter Fall für die Abgrenzung von Grassroots Innovation und Strategischem Nischenmanagement: Das Projekt kommt in Aspekten dem Idealtyp des Bounded Socio-Technical Experiment nahe, insbesondere in seiner Durchführung durch einen strategisch handelnden Akteur – das CNT – und durch den parallelen Aufbau von vier “Demonstrationsprojekten”. Durch die Professionalisierung und Diversifizierung des CNT entsteht eine gewisse Distanz zu den Nachbarschaften, die durch lokale Akteure überbrückt werden muss – die soziotechnische Konfiguration eines Wireless Community Network erfordert den Einbezug von Akteuren aufgrund ihrer geographischen Anordnung, ohne eine kritische Masse an Teilnehmern funktioniert die Infrastruktur nicht. Es kann also der Eindruck entstehen, diese Projekte seien auch von oben “gesät” worden. Es handelt sich hier nicht um eine kleine, homogene Gruppe von Aktivisten, die ihr eigenes Projekt startet, sondern um einen heterogenen Zusammenhang, der federführend von einer Non-Profit-Organisation gemanagt wird. Der Zugang zu Ressourcen war für das Projekt während der Förderlaufzeit entsprechend gut. Für bestimmte Projektaktivitäten wurde auch mit Unternehmen kooperiert, bspw. um schwierige Antenneninstallationen vorzunehmen. Die Akteurskonstellation ist jedoch überwiegend als zivilgesellschaftlich einzustufen. Trotz der Federführung durch das CNT kann das Machtverhältnis zwischen den Akteuren – CNT, technisch versierte Community Wireless-Aktivisten, lokale Gemeinwesenorganisationen und Teilnehmer – als relativ ausgewogen angesehen
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werden aufgrund der oben beschriebenen Abhängigkeiten. Die Akteure mussten Ressourcen und lokales Wissen zusammenbringen, um die Wireless Community Networks aufzubauen. Die Aufgabenverteilung zwischen CNT und lokalen Partnern sind in Projektplänen festgeschrieben worden. Die gesamte Orientierung des Projekts war auf die Soziale Ökonomie gerichtet, auch in der langfristigen Planung. Motivationen und Visionen Beide Treibkräfte für Grassroots Innovation – social need und ideology – sind im WCN-Projekt zu finden. Das CNT hat die mangelhafte Versorgungslage für Breitband-Internetzugang als ein nicht erfülltes Bedürfnis der Nachbarschaften definiert. Die ohnehin schwachen lokalen Ökonomien und Gemeinschaften werden durch den Digital Divide weiter abgehängt – eine gemeinschaftliche Selbstversorgung dagegen kann die Chance auf Zugang zu Bildungsmöglichkeiten, Arbeitsmarkt, Partizipation für die Teilnehmer bedeuten sowie die Nachbarschaften integrieren – also zu einem empowerment (vgl. S. 36) beitragen: “The Center for Neighborhood Technology envisions wireless networks as an individual and collective asset-building strategy.” (HUN 2005) Die soziotechnische Infrastruktur des WCN selbst und seine erwünschten Nebeneffekte sollen also die Lücke ausfüllen, die das dominante Regime der Telekommunikation offen lässt. Gleichzeitig basiert der Ansatz, ein eigenes, nachbarschaftsbasiertes System zu bauen, auf den ideologischen Wurzeln des CNT. Die Grundsätze der Alternative Technology-Bewegung – localism und ownership (vgl. S. 25) – spielen auch hier die zentrale Rolle. Der Bezugspunkt der Projekte ist jeweils das Gemeinwesen (community) und seine Kontrolle über die Technologie. Dezentralität, Gemeinschaftsorientierung und Partizipation sind Prinzipien, die das CNT bei der Suche nach Lösungen angeleitet haben – und die im Widerspruch zum dominanten Regime der Telekommunikation stehen, das eine marktvermittelte, individualisierte Anbindung an Netze im Besitz von wenigen, großen Anbietern vorsieht. Für das CNT stellen technische Infrastrukturen immer auch eine Ressource der Gemeinwesenentwicklung dar: “A community with a wireless network is akin to a community with a lively park or thriving retail district, i.e., an asset that can contribute to the economic health and attractiveness of the neighborhood, as well as its social cohesion. As such, this idea has strong grounding in the asset-based community development movement.” (CNT 2003: 5) Für die am WCN-Projekt beteiligten Akteure mögen die Motivationen unterschiedlich ausgefallen sein: Manchen Teilnehmern ging es vorrangig um den kos-
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tengünstigen Zugang, anderen war die gemeinschaftliche Kontrolle der Infrastruktur extrem wichtig. So war die Definition des Funknetzes als unabhängige Gemeinschaftsressource entscheidend, um Teilnehmer in North Lawndale zu gewinnen. Viele Erwachsene in dieser afroamerikanischen Nachbarschaft hatten keinerlei Erfahrung mit Computern und waren sogar eher misstrauisch eingestellt4 . Für die (Hobby-)Informatiker, die die Open Source Routing-Software für das WCN geschrieben haben, ist die soziotechnische Konfiguration eines Community Network die “richtige” Art und Weise, Kommunikationsinfrastrukturen aufzubauen. Die ersten Community Network-Initiativen schlossen ideologisch an der Freie/Open Source Software-Bewegung an. Diese kämpft bereits seit Entstehen des Internets für frei gestaltbare und zugängliche Software und erlangte mit ihrem offenen Betriebssystem Linux und dessen Anwendungen in den letzten Jahren große Verbreitung.5 Diese Community Network-Initiativen kamen jedoch aus völlig anderen sozialen Zusammenhängen, wie das CNT feststellte: “[. . . ] while we know there has been a proliferation of wireless community networks across the country, most of these have been developed by technically-savvy professionals primarily interested in the application of cutting-edge technology. [. . . ] These efforts, though notable, were never designed to address both the specific circumstances of low-income communities and the support required to end-users.” (CNT 2003: 4) Das WCN-Projekt stellt eine Verbindung zwischen der Ideologie der Freie Software-Gemeinschaftsfunker und einem lokalen sozialen Problem her. Eine in ihren Prinzipien bekannte, neuartige technische Infrastruktur soll in einem neuen lokalen sozialen und geographischen Kontext konfiguriert und als Lösung eines bestehenden Problems getestet werden. Das CNT selbst sieht in Community Networks einen Schritt in Richtung universeller Versorgung mit High Speed-Internet auf lokaler Basis: “CNT envisions a world of Wireless Community Networks that provide ubiquitous broadband internet access at a very affordable price. 4 Die Ängste vor Kontrollverlust und sogar Bespitzelung durch Außenseiter sind nicht verwunderlich
in einer ethnisch homogenen Nachbarschaft, von deren Einwohnern etwa 57 % (überwiegend Männer) im Jahre 2001 in irgendeiner Form von Strafjustiz betroffen waren (Inhaftierung, Bewährung etc.) (Vgl. SFF 2006: Knowledgebase/Crime) 5 Die Bewegungen für Freie Software, Open Source Software, Open Content (z. B. Wikipedia) haben wie das Internet nahezu globales Ausmaß, sind dezentral organisiert und extrem aktiv (vgl. Grassmuck 2004).
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The service would be run by a local community-based institution or other local provider. The network would connect households to the larger global economy and the many resources and opportunities the internet provides.” (WCN 2005c) Mit dem WCN-Projekt war also durchaus eine weitreichende Vision verbunden. Das CNT war durch seine Mittlerposition im Beziehungsgeflecht in der Lage, verschiedene Motivationen und Visionen zu integrieren. Social need und ideology sind im Fall von Gemeinschaftsfunknetzen kompatibel genug, um das Dilemma congruency of vision vs. breadth of support (vgl. S. 32) zu umschiffen: Je nach Partner konnte das CNT seine Vision schwächer (Stiftungen) oder stärker (Freie Software-Gruppen) artikulieren oder die Bedürfniserfüllung in den Vordergrund stellen (Teilnehmer). Somit konnte das CNT ein für Grassroots Innovation relativ breites Unterstützernetzwerk aufbauen und Ressourcen einwerben – vergleichbar der Car-Sharing-Initiative bei Hoogma u. a. (2002), bei der die Motivationen von Sparsamkeit bis hin zur Vision einer neuen Mobilität reichten (vgl. Hoogma u. a. 2002: 148 ff.). Für die konkrete lokale soziotechnische Konfiguration scheint die Integration von verschiedenen Motivationen und unterschiedlich starken Visionen möglich zu sein; die Frage ist, welche Wirkung diese Heterogenität auf die Diffusionsorientierung – ihren Inhalt und ihre Stärke – nimmt. Ziele und Diffusionsorientierung Unmittelbares Ziel des WCN-Projekts, auf das zumindest die Fördergelder zunächst verwendet werden sollten, war der Aufbau der vier konkreten Gemeinschaftsfunknetze im Raum Chicago, die bis zu 1000 Teilnehmer (Haushalte und Organisationen) mit einem Zugang zu lokalen Netzen sowie dem Internet versorgen würden. Für das CNT als Projektmanager stellte die erfolgreiche Institutionalisierung der Funknetze in den Nachbarschaften daher die wichtigste Aufgabe dar. Vier “funktionierende” innovative Institutionen könnten bereits als erfolgreicher selbstgenügsamer Projektabschluss eingestuft werden (vgl. S. 33). Das neue Medium sollte den lokalen Partnern ihre bisherigen Aufgaben erleichtern und ihnen neue Handlungsmöglichkeiten eröffnen: “The delivery mechanism will be built around one partner institution in each community, each of which possesses a strong institutional presence; technical know-how; and a training capacity. Each pilot will harness the creative potential of the network model as a way to advance the unique service delivery missions of each institution; [. . . ]” (CNT 2003: 2)
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Das CNT hat in Bezug auf das WCN-Projekt aber auch eine explizite Diffusionsrhetorik gebraucht, indem es von Demonstrationsprojekten sprach. Neben das Ziel des konkreten Projekterfolgs in den Nachbarschaften trat also auch die Modellfunktion für Nachahmer, mit der auch in den Förderanträgen argumentiert wurde: “This strategy allows partner institutions the freedom to use their imaginations about how the community network might best serve their clients, while at the same time serving a new goal: understanding how, at what cost, and under what conditions the community network model can gain scale, achieve sustainability, and be replicated elsewhere.” (CNT 2003: 3) Deutlich wird die Diffusionsorientierung des WCN-Projekts in den Handlungsmöglichkeiten, die das CNT für die weitere Entwicklung der Gemeinschaftsfunknetze sah. Während der Projektlaufzeit wurden im CNT zwei strategische Optionen entwickelt: Eine Option war der Aufbau einer stadtweiten Kooperative zum Betrieb von lokalen Gemeinschaftsfunknetzen: “Organized as a consumer-owned cooperative, managed initially by CNT and spun off as an independent, but affiliated, entity at the end of five years.” (WCN 2005b) Mit dieser Option würden die lokalen Bedürfnisse bedient und auf andere Nachbarschaften ausgedehnt, eine weitergehende Diffusion wäre aber nicht angestrebt bzw. nicht als eigene Aufgabe wahrgenommen. Als zweite strategische Option galt ein “Policy & Advocacy Approach” (WCN 2005a), der eine gezielte Diffusionspolitik für Community Networks darstellt. Als Ziele benennt das CNT dafür: “(1) Build a demand for community wireless networks. (2) Aggregate the demand to affect policy. (3) Effectuate policy to ensure that community internet remains an option and to develop universal broadband service policy.” (WCN 2005a: 1) Diese Überlegungen – die auch zum Teil angegangen wurden – stellen Pläne des Nischenmanagements dar: den Aufbau von Unterstützer- und Nutzernetzwerken, Aggregationsaktivitäten und die Beeinflussung des dominanten Regimes bzw. der soziotechnischen Landschaft, um Gelegenheitsfenster offen zu halten. Welche der beiden Entwicklungsoptionen zum Zuge kommen sollte, hing von recht unsicheren und dynamischen Entwicklungen des dominanten Regimes der Telekommunikation ab, das zu dem Zeitpunkt destabilisiert wurde: vor allem durch eine öffentliche Debatte über Informationsdienste als öffentliches Gut und eine Reihe von Gesetzesvorschlägen, die die bestehenden Marktstrukturen betrafen. Was diese Entwicklungen für das WCN-Projekt bedeuten, ist Thema von 2.2.3. Aufgrund der heterogenen Motivationen der beteiligten Akteure ist aber davon auszugehen, dass die vom CNT artikulierte Diffusionsorientierung nicht auf die
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gesamte Akteurskonstellation des WCN-Projekts übertragen werden kann – Teilnehmer, die vorrangig aus einem social need heraus dem Gemeinschaftsfunknetz beitraten, waren zunächst selbstgenügsam eingestellt. Die lokalen Partner des CNT waren ebenfalls auf die lokalen Effekte des Projekts fokussiert. Andere Partner wie die CUWiN-Programmierer und Free Press-Medienaktivisten waren zwar diffusionsorientiert und verfolgten eine starke Vision von Community Networking, standen aber auch eher über das CNT vermittelt am Rande der Konstellation und waren nicht an der Projektsteuerung beteiligt. Die Diffusionsorientierung des WCNProjekts hing also von der federführenden Organisation, dem CNT, ab. Lernprozesse innerhalb des Projekts Um als Modell fungieren zu können, sollten die Erfahrungen – Erfolge wie Probleme – des WCN-Projekts expliziert werden. Lernprozesse hat das CNT bereits in den Förderanträgen als Ziel des WCN-Projekts genannt. Dazu sollte eine Evaluation durch Außenseiter (Center for Urban Research and Learning der Loyola University Chicago) und ein strukturierter “knowledge-capture process” (CNT 2003: 8), ebenfalls unterstützt durch eine Beraterin, stattfinden. “The challenge for the Wireless Community Network Project, in contract is to learn (and share) as much as possible from the demonstration and then to create or facilitate a system based on the demonstration which ensures low-cost broadband services in all (or at least many) low- and moderate-income communities.” (CNT 2005b) Das WCN-Projekt zeichnete sich also durch einen für Grassroots Innovation stark formalisierten Lernprozess aus, der sowohl soziale und organsiationale als auch technische Aspekte umfasste. Lernprozesse erster Ordnung (vgl. S. 29) fanden entsprechend weitreichend statt und erreichten mit unterschiedlichen Schwerpunkten alle Teilnehmer der Projekte. Teilnehmer konnten bspw. PC-Kurse machen oder auf den “Node Build Parties” direkt die Hardware für das Funknetz mit aufbauen. Tiefe Lernprozesse zweiter Ordnung, die Smith als Voraussetzung für Grassroots Innovation bezeichnet hat (vgl. S. 35), haben das CNT erst zum WCNProjekt motiviert: “Based on CNT’s community-based work, it had come to believe that the inability of low-income communities to improve their places was based in part on a lack of access to good information and data. To address this, CNT developed a neighborhood indicators tool, first available through dial-up, and later through the internet under the auspices
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of the Neighborhood Early Warning System (NEWS). [. . . ] What CNT learned from this experience is that lack of information was only part of the problem; most community groups lacked the internet access necessary to get the information in the first place.” (CNT 2003: 10 f.) Über die Erfahrungen mit früheren Projekten kam das CNT so zur Beschäftigung mit dem Digital Divide und dem Telekommunikationsregime. Eine Entbettung von den Regeln dieses Regimes war die Voraussetzung, um die Struktur des Wireless Community Networks zu denken. Die Erfahrungen mit dem WCNProjekt lassen sich auch im How To Do It-Handbuch, einem schriftlichen Ergebnis der Lernprozesse, nachlesen: “[. . . ] the technology does not necessarily determine your network. Rather, building a network is mainly a matter of deciding on a vision for it, and then determining how you will go about implementing that vision. This means your project requires extensive planning as to the vision, target audience, capacity of your organization as well as partner organizations, funding and more.” (WCN 2006a: 6) In dem Handbuch hat das CNT auf 39 Seiten detaillierte Hinweise zusammengefasst, die explizit für Nachahmer gedacht sind. Es werden Empfehlungen zur Planung, zur Finanzierung, zum Umgang mit Partnern, Teilnehmern und Politikern gegeben sowie technische Fragen erläutert. Die Erfahrungen werden auch im Hinblick auf die Vision des Projekts überprüft. So stellt das CNT fest, dass bestimmte Voraussetzungen gegeben sein müssen, um ein Community Wireless in sozial schwachen Nachbarschaften in Angriff zu nehmen: die Versorgung der Haushalte mit grundlegender Hardware, die in ein Projekt für sich ausarten kann, starke Partner mit lokaler Autorität in den Nachbarschaften, nicht prohibitive staatliche Regulation. Selbst wenn, wie im WCN-Projekt, ein sehr starkes und heterogenes Unterstützernetzwerk aufgebaut und Ressourcen bereitgestellt werden können, bleibt der Erfolg der soziotechnischen Konfiguration und ihre Wirkung doch abhängig von der sozialen Dynamik in den Nachbarschaften selbst: “There are existing different and sometimes conflicting interests in all communities, as well as a history of good and bad relationships. The imperatives of the technical network are certain to get entangled with the relational networks of interests within the target community. The builders of a community wireless network need to acknowledge this reality and, to the greatest extent possible, approach it as an opportunity to build bridges, heal wounds, and connect residents together in
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a new way with the minimum of historical baggage. It needs to be acknowledged, however, that a community wireless initiative is not an automatic source of good will within a community, and that the alliances formed will not necessarily be the ones that were anticipated.” (WCN 2006c: 5) Insbesondere im afroamerikanischen North Lawndale wurde das Gemeinschaftsfunknetz auch zum Vehikel von Gruppenrivalitäten; eine Teilnahme bedeutete für manche Gegner, sich mit weißen Außenseitern einzulassen. Die Spaltung der Nachbarschaft in dieser Frage hat den erwünschten integrativen Effekt zunächst unterbunden. Manche Aktivitäten wie die Node Build Parties, bei denen Freiwillige Hardware aufbauten und sie sogar künstlerisch gestalten konnten, stuft das CNT aber als sehr erfolgreich mit Blick auf seine Vision des “democratizing technology” ein: “Democratizing Technology. Build parties also had a “democratizing” effect on the technology aspects of the project. The build parties allowed participants to have a meaningful interaction with the project on a technical level. No one became a network expert after attending a few build parties, but it was a substantial revelation for people who were not experts (often also participants in the project) to realize that in a room were people with all the knowledge required to build and deploy these network devices. And no single part of that knowledge was unattainable for them. The idea that a wireless community network can change the perception of advanced technology from something that appears remote and unattainable to something tangible, interesting and easily manipulated was a wonderful discovery for some participants in the project and a wonderful benefit of the project.” (WCN 2006a: 21) Die Erfahrungen des WCN-Projekts führen auch zu der Schlussfolgerung, dass ein Community Wireless Projekt Hand in Hand mit politischen Aktivitäten gehen sollte. Mehr noch, das CNT sieht sich als Teil einer Bewegung für Community Wireless Networks, die das dominante Regime der Telekommunikation zu beeinflussen versucht. Sich hier zu engagieren, ist Aufgabe von Aktivisten eines lokalen Gemeinschaftsfunknetzes: “There is a nationwide movement for community wireless networks. You need to be part of it, both to learn from other groups and to share
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your own best practices. Part of the benefit of this national engagement will be to help you think about and influence both local and national issues of policy.” (WCN 2006c: 6) Diese Rhetorik deutet darauf hin, dass das WCN-Projekt, bzw. die daraus entstandenen institutionalisierten Gemeinschaftsfunknetze, Teil einer Nische sind, wie im nächsten Teil zu untersuchen ist. Das WCN-Projekt lief 2006 aus; keine der intern diskutierten Strategieoptionen ist in ihrer ursprünglichen Form zur Anwendung gekommen. Dies führt zu der Annahme, dass die Diffusionsorientierung der Gemeinschaftsfunknetze mit dem Ablauf der Projektführung durch das CNT deutlich abnahm. Einer der lokalen Partner, das Neighborhood Technology Resource Center (NTRC), hat die Projekte übernommen. Das NTRC mit Sitz u. a. in North Lawndale ist ebenfalls eine Non-Profit-Organisation mit einer expliziten Vision von demokratischer Technologie mit lokalistischer Ausrichtung (NTRC 2008). Technische Schulungen und Node Build Parties werden weiterhin vom NTRC durchgeführt – die Aktivitäten finden aber neben einer Reihe anderer Kernaufgaben des Zentrums statt und sind somit zum wenig diffusionsorientierten Alltagsgeschäft einer Alternativinstitution geworden. Mit Auslauf der Förderung ist das NTRC wiederum auf die knappen Ressourcen eines lokalen, spezialisierten Non-Profits zurückgeworfen. Die Rolle des CNT als Initiator, Projektmanager und Vermittler zwischen dem movement for community wireless networks und den lokalen Nachbarschaften ist also entscheidend für die Bestimmung des WCN-Projekts als Nischenaktivität. Wie verhält sich das untersuchte Wireless Community Networks-Projekt zu den in 1.2.1 getroffenen Annahmen über zivilgesellschaftliche Innovationsprojekte? 1. Zivilgesellschaftliche Innovationsprojekte können sehr unterschiedliche Akteurskonstellationen darstellen. Sie haben gemein, dass sie sich in der Sozialen Ökonomie bewegen und auf relativ geringe Ressourcen zugreifen können. Das WCN-Projekt bestand aus einer heterogenen Akteurskonstellation von Non-Profit-Organisationen, lokalen Institutionen, Förderern, teilnehmenden Haushalten und Technikaktivisten unter Federführung eines professionalisierten Non-Profit “think and do”-tanks. Das CNT war in der Lage, relativ viele Ressourcen für das WCN-Projekt mit einer Laufzeit von drei Jahren aufzutun; damit standen ein festes Projektteam sowie sehr gute Wissensressourcen zur Verfügung. 2. Durch die relativ hohe Homogenität der Akteure ist eine breitere Übereinstimmung in den Motivationen und Visionen wahrscheinlicher – dies begün-
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stigt das Entstehen von radikalen Innovationen. Die Motivationen und Visionen waren beim WCN-Projekt aufgrund der heterogenen Akteurskonstellation unterschiedlich: Sie reichten vom social need eines schnellen Internetzugangs für gesellschaftliche Teilhabe bis hin zu einer weitreichenden Vision von demokratischer Technologie. Das CNT war in der Lage, verschiedene Motivationen und Visionen mit dem WCNProjekt zu “bedienen” und zu integrieren. Die ursprünglich anvisierte soziotechnische Anordnung konnte durchgeführt werden. 3. Zivilgesellschaftliche Innovationen bestehen häufig in der engen Kopplung von sozialen Innovationen mit technischen Elementen. Tiefe Lernprozesse werden somit wahrscheinlicher. Tiefe Lernprozesse durch Vorgängerprojekte haben das CNT eine Alternative zum dominanten Regime der Telekommunikation denken lassen. Die enge Kopplung sozialer und technischer Elemente gehört zur Ideologie des CNT. Aufgrund günstiger finanzieller Ressourcen und der Kompetenzen des CNT als think tank konnte eine Evaluation stattfinden und konnten die weitreichenden Lernprozesse aufgezeichnet werden. 4. Eine Diffusionsorientierung kann nicht vorausgesetzt werden. Sie ist eher zu erwarten, wenn Innovationsprojekte durch ideology angetrieben werden, statt durch social need. Entsprechend der unterschiedlichen Antriebskräfte der Akteure des WCNProjekts war eine Diffusionsorientierung vor allem beim CNT und den Technikaktivisten von CUWiN vorhanden. Mit Ablauf der Projektlaufzeit und dem Ausstieg des CNT ist die Diffusionsorientierung gesunken. Insgesamt ergibt sich ein Bild vom WCN-Projekt als ein zivilgesellschaftliches Innovationsprojekt, das gute Chancen auf den Anstoß von Nischenprozessen vermuten lässt. Die Interaktionen zwischen dem WCN-Projekt und einer Community Wireless-Nische sollen nun untersucht werden.
2.2.2 Nischenebene: lokales WCN-Projekt – globale Community Wireless-Nische Am Ende der Projektlaufzeit sah sich das WCN-Projekt als Teil einer Bewegung, eines movement for community wireless networks – tatsächlich konnte das CNT schon von Anfang an auf community networking-Aktivitäten anderer Akteure zurückgreifen und von diesen lernen. So hatte CUWiN bereits im Jahr 2000 angefangen, mit der technischen Infrastruktur für mesh-Netzwerke zu experimentieren.
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Ihr Funknetz in Champaign-Urbana, Illinois, kann so wahrscheinlich als das älteste seiner Art gelten. Zeitgleich mit dem WCN-Projekt entstanden in vielen Staaten der USA sowie in Europa Projekte, die eine gemeinschaftliche Nutzung von Funknetzen zum Ziel hatten – allerdings mit sehr unterschiedlichen Konfigurationen und Visionen. Hier soll argumentiert werden, dass verschiedene Gemeinschaftsfunknetznischen im Enstehen begriffen waren und dass das WCN-Projekt als Teil der Community Wireless-Nische entstanden ist. 2.2.2.1 Die Community Wireless-Nische Bevor mit Funknetzen experimentiert wurde, gab es in den USA bereits eine Reihe von Community Networks, die auf Kabelstrukturen basierten. Sie standen im Zusammenhang mit der Community Technology-Ideologie, auf der auch die Aktivitäten des CNT beruhen. Schuler (1996) hat mit “New Community Networks. Wired for Change” ein Manifest geschaffen, das die Vision einer “Heirat von Gemeinschaft und Technologie” ausbuchstabiert. Unter Community Technology fallen alle möglichen soziotechnischen Konfigurationen, die von zivilgesellschaftlichen Gemeinschaften für sich selbst gestaltet werden, insbesondere Medien, die auch mit lokalem Inhalt gefüllt werden können (vgl. Schuler 1996: 32). Schuler stellt Wertpräferenzen für diese “new community” auf, die den Idealen der Alternative Technology-Bewegung sehr nahe kommen: “Community over individual”, “public over private”, “community culture over mass culture”, “civic over commercial”, “process over goal”, “networks over hierachies” usw. (Schuler 1996: 33) Hess u. a. (2008) beschreiben, wie sich in den 1990er Jahren ein “community media movement” formierte, durch das Computer, Informationstechnologien und insbesondere das aufkommende dezentrale Internet mit neuen Hoffnungen auf demokratische Medienstrukturen belegt wurden. Die Community Media-Bewegung – kabelbasierte Gemeinschaftsnetze, Amateurradio, Alternative Medien, Community Informatics – sowie die Freie Software-Bewegung können als Vorgänger und Einflüsse der Gemeinschaftsfunknetze gesehen werden (vgl. Hess u. a. 2008; Doheny-Farina 1996; Wikipedia 2008b). Die Champaign-Urbana Community Wireless Network-Initiative, mit der das CNT kooperierte, war eine der ersten, die die technische Infrastruktur des meshFunknetzes und die dazugehörige Software systematisch weiterentwickelte, aber auch eine Ideologie in Bezug auf Community Wireless explizierte: “The CUWiN Foundation develops decentralized, community-owned networks that foster democratic cultures and local content. Through advocacy and through our commitment to open source technology, we
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support organic networks that grow to meet the needs of their community.” (CUWiN 2008)
2.2.2.2 Nischenbildungsprozesse Eine gewisse Rahmung durch Vorgängernischen und die ersten Erfahrungen des CUWiN-Projekts wirkten also bereits auf das WCN-Projekt. Dass Community Wireless sich seit etwa 2000 als eigenständige Nische etabliert, kann anhand von Nischenbildungsprozessen gezeigt werden. Da es sich um eine globalisierte Nische und Hunderte von lokalen Institutionen handelt, sollen hier einige ausgewählte aussagekräftige Anzeichen für Nischenprozesse behandelt werden, um die Community Wireless-Nische explorativ zu bestimmen. Coupling of Expectations Eine Kopplung der soziotechnischen Innovation Community Wireless an gesellschaftliche Problemlagen ist sehr gut erkennbar. Akteure des Community Wireless argumentieren einerseits mit social need, wenn sie die Anbindung von Nachbarschaften und Regionen an das Internet in Aussicht stellen – andererseits ist damit das Ideal einer Wissensallmende, freier Inhalte, neutralen Internets und freier Infrastrukturen verbunden. Community WirelessAktivisten wollen unabhängig von kommerziellen Strukturen kommunizieren können, die Frage der Kontrolle über Kanäle und Medien ist daher zentrales Thema der Community Wireless-Ideologie. Diese Visionen werden zum einen in den Selbstdarstellungen der lokalen Gemeinschaftsfunknetze artikuliert, aber auch auf Nischenebene verhandelt, wie dies auf dem seit 2004 stattfindenden ‘International Summit for Community Wireless Networks’ geschieht. Über die Vision des universellen Zugangs zu Internet und anderen Medien allein geht die Community Wireless-Nische hinaus. Mit der Diskussion um den Digital Divide in den USA wurde der Zugang zu Hochgeschwindigkeitsverbindungen von Organisationen wie Free Press6 und Media Access Project7 als Grundrecht eingefordert – als die ersten Städte und Gemeinden ankündigten, den Zugang (kabelbasiert oder auch wireless) als eine utility (öffentliche Infrastruktur) zu übernehmen und somit selbst anzubieten, ging auf staatlicher sowie föderaler Ebene der Kampf der Telekommunikationskonzerne gegen diese sogenannten Municipal Broadband Networks los. Sie erwirkten in einigen Staaten Regulationen, die staatlichen Akteuren den Einstieg in ‘information services’ wie Breitband-Internet verbieten (vgl. Daggett und Morris 2005). 6 7
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Aufschlussreich für die Definition der Community Wireless-Nische anhand von Prozessen des ‘Coupling of Expectations’ ist ihre Abgrenzung von der zeitgleich entstehenden Municipal (Wireless) Broadband-Nische. Während Municipal Broadband den Versuch staatlicher Akteure darstellt, die Versorgung mit BreitbandInternet als eigene Aufgabe zu definieren, bezieht sich Community Wireless auf die lokale Gemeinschaft und somit explizit auf zivilgesellschaftliche Akteure. Obwohl beide soziotechnischen Konfigurationen – kommunale Infrastruktur bzw. nachbarschaftliches, selbstorganisiertes Funknetz – den social need-Aspekt ansprechen, gehen die Erwartungen an Community Wireless doch darüber hinaus. Das CNT, das während der Projektlaufzeit des WCN-Projekts mit Plänen der Stadt Chicago für ein Municipal Wireless Network konfrontiert war, folgert: “What municipal wireless networks lack, however, is community. They are not “place based”. So far, municipal networks are not being designed to strengthen intra-community ties and grow neighborhood businesses. Indeed, it is possible that municipal networks could decrease business activity in low- and moderate-income communities as residents make purchases over the web, where local merchants have no presence.” (WCN 2006b: 8) Noch deutlicher als bei der Community Renewable Energy-Nische (vgl. S. 46) werden die Erwartungen an Community Wireless vor allem an die Lösung sozialer Probleme wie Vereinzelung, Unterentwicklung u. a. geknüpft und kaum an eine technische Performanz, die anderen Breitband-Internetzugängen überlegen wäre. Die erhofften positiven sozialen Implikationen von Gemeinschaftsfunknetzen sind die Versprechungen und Erwartungen, die an sie gestellt werden. Auch hier gilt wiederum, dass Motivationen, Visionen und somit Erwartungen nicht von allen Akteuren deckungsgleich geteilt werden. So hat sich eines der ältesten Gemeinschaftsfunknetze in Dänemark – ‘Djursland’ – zu einem relativ professionell zentral gemanagten Netz entwickelt; die Idee, eigene lokale Inhalte zu schaffen, ist in den Hintergrund gerückt. Andererseits ist die Komponente einer Community Wireless-Entwicklungszusammenarbeit mit Ländern ohne jegliche Telekommunikationsinfrastruktur entstanden (vgl. Autengruber 2007: 97 ff.). So werden die Erwartungen an die Lösung gesellschaftlicher Probleme durch Community Wireless von der lokalen Gemeinschaft auf globalisierte Zusammenhänge übertragen. Hier liegt eine explizite Diffusionsorientierung vor. Das Berliner Freifunk-Netz ist dagegen informell und dezentral organisiert und stark an der Mitwirkung möglichst vieler Teilnehmer interessiert; die Infrastruktur und ihre Inhalte hängen völlig vom Einsatz der Einzelnen ab, und der Spaß an Bastelei mit neuen technischen Möglichkeiten spielt für viele Teilnehmer eine Rolle. Vom
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Gemeinschaftsfunknetz erhoffen sich die Teilnehmer sowohl große individuelle Freiräume als auch Gemeinschaftssinn. Gleichzeitig wird die über die lokale Institution hinausweisende Community Wireless-Ideologie von Freifunk-Aktivisten weiterentwickelt und expliziert – auch hier mit einer starken Diffusionsorientierung: “Die Freifunk-Community ist Teil einer globalen Bewegung für freie Infrastrukturen. Die Vision von Freifunk-Initiativen ist die Verbreitung freier Netzwerke, die Demokratisierung der Kommunikationsmedien und die Förderung lokaler Sozialstrukturen. Durch die Vernetzung ganzer Stadtteile, Dörfer und Regionen möchten die Initiativen der digitalen Kluft entgegenwirken und freie unabhängige Netzwerkstrukturen aufbauen. In diesen freien Netzen können zum Beispiel lizenzfreies Community-Radio, die Übertragung lokaler Ereignisse, private Tauschbörsen und die gemeinsame kostengünstige Nutzung eines Internetzugangs möglich werden. Der Austausch in den freien Netzen basiert dabei nicht auf kommerziellen Interessen, sondern auf dem freiwilligen Geben und Nehmen jedes Einzelnen im Netzwerk.” (Wikipedia 2008a: Freies Funknetz) Die Erwartungen und Visionen, die an Gemeinschaftsfunknetze geknüpft werden, variieren entsprechend der von Geels und Raven beschriebenen Beziehungen zwischen lokaler Projektebene und globaler Nischenebene (vgl. S. 41 und Abb.1.1): Auf der lokalen Ebene gibt es einen Spielraum, der sich aus dem spezifischen lokalen Setting und den Interessen und Motivationen der Akteure ergibt; dennoch gibt es auf globaler Ebene ein Set von Regeln und Werten, die geteilt werden. Autengruber kommt nach einem Vergleich der Gemeinschaftsfunknetze Djursland und Freifunk Berlin zu dem Schluss: “Ziel Freier Netze ist es, auf kooperativer Basis nachhaltig Netzinfrastrukturen aufzubauen und zu betreiben, die dem Ideal einer zivilgesellschaftlichen Bottom-up-Selbstorganisation entsprechen und von staatlichen sowie marktwirtschaftlichen Mechanismen weitgehend unabhängig sind.” (Autengruber 2007: 124) Diese zentralen Werte – Autonomie und Kooperation – sind spätestens mit dem ersten ‘International Summit for Community Wireless Networks’ 2004 auf Nischenebene artikuliert worden, wie nun zu beschreiben ist.
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Articulation Processes Für das WCN-Projekt wurde festgestellt, dass eine günstige Ressourcensituation eine Evaluation und sehr gute Dokumentation ermöglichte. Lernprozesse wurden artikuliert und stehen der Öffentlichkeit zur Verfügung. In 1.2.2 (S. 48) wurde argumentiert, dass die Artikulationsprozesse durch zivilgesellschaftliche Innovationsprojekte in hohem Maße von ihren verfügbaren Ressourcen abhingen und dass der Zugang zu Informations- und Kommunikationstechnologien eine Chance für sie darstelle. Für die lokalen Community Wireless-Akteure gilt ebenfalls, was Grassmuck für die Entwickler der ersten Netze überhaupt feststellt: “Die Informatik hat im Netz nicht nur ihren Forschungsgegenstand, sondern zugleich ihr Kommunikations- und Publikationsmedium. Es ist gleichzeitig Infrastruktur und Entwicklungsumgebung, die von innen heraus ausgebaut wird.” (Grassmuck 2004: 179) Lokale Gemeinschaftsfunknetze verfügen per Definition über eine Kommunikationsinfrastruktur sowie meist über eine Website, die auch das Forum, die virtuelle Repräsentation der “community” darstellt. Somit haben die Akteure der lokalen Ebene sehr gute Möglichkeiten, ihre Erwartungen, Visionen, Aktivitäten und Erfahrungen zu artikulieren und auch diejenigen anderer lokaler Akteure wahrzunehmen.8 Als herausragendste Ergebnisse von bisherigen Artikulationsprozessen und Aggregationsaktivitäten sollen hier Community Wireless-Software, der International Summit for Community Wireless Networks und das Pico-Peering Agreement behandelt werden. Eine Aggregation von lokalem zu allgemeinem Wissen über die spezifische soziotechnische Konfiguration des Community Wireless Network findet zum einen in Bezug auf die technische Infrastruktur des mesh-Netzwerks statt. So präsentieren viele Gemeinschaftsfunknetze nicht nur ihre genaue technische und geographische Anordnung in Form von Daten und Karten, sondern diskutieren auch lebhaft Erfahrungen und Optionen sowie Weiterentwicklungen auf ihren Websites. Einige besonders auf Technikentwicklung fokussierte Akteure schreiben die spezifische Software, die für mesh-Funknetze nötig ist. Berliner Freifunker entwickeln ständig ihre “OLSR-Freifunk-Firmware” weiter. Die Software – Betriebssysteme für die Router, Routingprotokolle, Anwendungen u. a. – besteht dabei aus vielen Modulen, die von lokalen Netzen angepasst werden. Je weiter die Entwicklung der Community Wireless-Software voranschreitet, desto nutzerfreundlicher wird sie auch für Gruppen, die auf weniger technisches Wissen zugreifen können. Die Community Wireless-Software-Pioniere von CUWiN stellen sogar eine Softwaresammelt bspw. auf der Seite Adressen von Gemeinschaftsfunknetzinitiativen.
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Entwicklungsagenda auf, die sich aus den Erfahrungen lokaler Projekte – bspw. dem WCN-Projekt – mit der “CUWiNware” ergibt: “CUWiN is on the cutting edge of low-cost, do-it-yourself wireless networking. The Development Agenda defines some of the most pressing technical issues we face. This document provides a solid lists of innovations that would be very helpful to CUWiN and community wireless networking.” (CUWiN 2008: Research) Community Wireless-Software wird als Freie Software entwickelt – sie steht Akteuren kostenlos und im Quellcode zur Verfügung. Es findet eine Standardisierung statt, da entwickelte Software von lokalen Gruppen übernommen werden kann, andererseits ist die Anpassung der Software an lokale Gegebenheiten immer möglich – und auch nötig. Mesh-Netzwerke müssen in ihre materielle Umwelt eingepasst werden, also bspw. unterschiedlichen klimatischen Bedingungen standhalten, und mit der sozialen Anordnung des Gemeinschaftsfunknetzes in Einklang stehen. So gibt es organisierte Gemeinschaftsfunknetze wie Djursland, die standardisiertes Material an die Teilnehmer ausleihen und Software einheitlich gestalten. In anderen Netzen herrscht dezentrale Vielfalt, wenn Teilnehmer ihre eigenen Antennen bauen und Codes schreiben. Ländliche, praktisch infrastrukturfreie Regionen in Indien9 erfordern ganz andere Antennen als urbane Konfigurationen wie das Berliner Freifunknetz. Die Explizierung der Erkenntnisse und Erfahrungen durch Gruppen wie CUWiN, Freifunk, WCN und viele andere sind bottom-upNischenprozesse der Aggregation und des Lernens. Die Möglichkeiten des Downloads von Software und des Kaufs von umfassenden “toolkits” aus Hardware und Software stellen eine top-down-Standardisierung dar und sind Anzeichen für Aggregationsprozesse des Wissens. Ein weiterer Aggregationsprozess betrifft die Entstehung von kognitiven Regeln, die auf das Handeln der Nischenakteure zurückwirken. Neben den beschrieben technischen Normen ist dabei die Ausbildung und Formulierung einer Community Wireless-Ideologie zentral. Die oben (S. 90) zitierte Ideologie von Freifunk kann als die starke, umfassende Version der Community Wireless-Idee gelten. Freiheit, Autonomie, Freiwilligkeit, lokale Kooperation und Demokratie sind die zentralen Themen dieser Vision. Auch in der CUWiN-Selbstbeschreibung (S. 87) tauchen diese Begriffe auf. Die Community Wireless-Ideologie wird damit in Opposition zum dominanten Regime der Telekommunikation – vor allem in den USA – aufgebaut, geht aber darüber hinaus, indem eine enge Anbindung an Kulturen der 9 Siehe
z. B. das AirJaldi-Projekt,
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Freien Software besteht. Damit sind nicht nur “Freie Infrastrukturen” Thema von Community Wireless, sondern auch die Debatten um geistiges Eigentum. Entscheidend für die Definition der Community Wireless-Nische ist, dass die neuen Regeln auch wiederum auf der lokalen Ebene Anwendung finden, also topdown wirken. Eine wichtige Rolle für die Entwicklung und Verbreitung der Community Wireless-Ideologie spielt der mittlerweile jährlich stattfindende Internationale Community Wireless Networking-Gipfel. Der erste Gipfel dieser Art – noch auf nationaler Ebene – wird von den Aktivisten als ein zündendes Ereignis für das Entstehen einer Bewegung angesehen: “From August 20-22, 2004, the Champaign-Urbana Community Wireless Network (CUWiN), Free Press, and Prairienet Community Network hosted the 2004 National Summit for Community Wireless Networks. The Summit was the largest gathering of community wireless networking developers, implementers and allies ever and built tremendous momentum in the emerging community wireless networking movement. The summit facilitated the building of an alliance of technologists, policy experts, and implementers, and encouraged participants to discuss the great variety of challenges and opportunities facing their initiatives, including: • Do community wireless networks really serve the populations they ought to reach, and if not, what needs to be done? • What is the future of the FCC’s unlicensed spectrum policies that enable the innovations that drive community wireless technologies? • Can dozens of independently-operating community wireless initiatives join together to create a positive future for the movement? • What technological innovations and software innovations do we already have, and what projects are currently being worked on?” (ISCWN 2008: NS4CWN 2004) Der erste Community Wireless-Gipfel hat somit eine explizite Agenda für Lernprozesse in der entstehenden Nische aufgestellt und Akteure vernetzt – Municipal Wireless gehörte auch zum Themenbereich. In einem Rückblick heißt es, mindestens 300 Community Wireless-Initiativen seien seit dem ersten Gipfel allein in den USA entstanden. Der zweite Gipfel im Jahr 2006 wurde eingeteilt in Veranstaltungen zum Thema Tech (z. B. “Community Wireless During Post-Katrina Disaster Recovery”), Implementation (z. B. “Alternative Internet Connectivity for
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Rural Community Wireless Networks”) und Policy & Outreach (“How to Put the Community in Your Community Wireless Network”). 2007 stand das Thema Community Wireless und Entwicklungszusammenarbeit häufiger auf der Agenda; 2008 rückte die Technik eher in den Hintergrund gegenüber einer breiten Policy- und Strategiediskussion, was von tiefen Lernprozessen zeugt. Auch die Unterschiede von Municipal Broadband und Community Wireless wurden stärker diskutiert – grundsätzliche Fragen der Kontrolle über Medien sowie zum Konzept der “community” wurden hier aufgeworfen. Die Gipfel sind von einer zunehmenden Internationalität gekennzeichnet, was die Agenden entsprechend beeinflusst hat. Mitarbeiter des WCN-Projekts waren an mehreren Gipfeln aktiv beteiligt und haben dort ihre Erfahrungen dargestellt und von anderen gelernt. Der Community WirelessGipfel ist eine institutionalisierte Aktivität der Community Wireless-Nische und Ergebnis sowie Medium von Nischenprozessen der Artikulation und Aggregation. Durch den Gipfel wurde nicht zuletzt die Benennung der Nische im englischsprachigen Raum als “Community Wireless (Networks)” dominant. Eine wichtige top-down-Rahmung stellt das Pico-Peering Agreement dar (PPA 2008), das u. a. von Freifunkern mitgeschrieben wurde. Es bezieht sich insbesondere auf offene Gemeinschaftsfunknetze, also solche, die nicht organisiert sind und an denen jeder auch ad hoc teilnehmen kann – in der Sprache der Aktivisten eine Art Allmende (Commons). “This process involves finding partners willing to link up and then working with them to build a network. The necessary rules are established via processes based on the principle of self-organization. The Network Commons draws on the desire to create a network based on free cooperation and self-made rules. It was to provide a framework for making such rules that the Pico-Peering Agreement was developed.” (Medosch 2008) Das Pico-Peering Agreement soll die “Freiheit” in Freien Funknetzen verbindlich formulieren, vergleichbar den Copyleft-Lizenzen der Freien Software. Die Regeln des Pico-Peering Agreements beziehen sich auf (1) die freie Datenübertragung: Free Transit (z. B. “The owner agrees to provide free transit across their free network”) sowie (2) Zugangsinformationen: Open Communication (“The owner agrees to publish the information necessary for peering to take place”) und (3) die Freiheit der Teilnehmer: No warranty (“The service can be scaled back or withdrawn at any time”)(vgl. PPA 2008). Das Dokument selbst ist offen und kann von Nutzern angepasst werden, solange die Grundidee beibehalten wird. Es bietet Community Wireless-Initiativen also Regeln über die Nutzung eines Funknetzes an.
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In der Community Wireless-Nische finden weitreichende Artikulationsprozesse statt, von denen hier nur einige behandelt werden konnten. Community WirelessSoftware, der International Summit for Community Wireless Networks und das Pico-Peering Agreement zeugen von top-down-Nischenprozessen der Koordination und Rahmung. Der Zugriff auf Informations- und Kommunikationstechnologien durch praktisch alle lokalen Akteure ermöglicht die Produktion von umfangreichen Informationen durch jede lokale Institution und auf Nischenebene, bspw. durch Meta-Websites10 und Blogs, die einen Überblick über Projekte und Entwicklungen geben11 . Das Prinzip der Offenheit von Informationen und Wissen scheint dabei sogar eine Treibkraft darzustellen. Die Wissensinhalte eignen sich zwar für Aggregationsprozesse – trotzdem muss jede lokale Initiative ihr Community Wireless in der spezifischen Umwelt und sozialen Konstellation aufbauen. So gibt es Aggregationsprozesse auf der Nischenebene in Form von allgemeinem Wissen und kognitiven Regeln, aber auch große Variation in den spezifischen soziotechnischen Konfigurationen auf der lokalen Ebene. Network Formation Die beschriebenen Nischenprozesse – insbesondere Aggregationsprozesse – wären in dieser Qualität nicht möglich gewesen ohne das breite, diverse Unterstützernetzwerk, auf dem die Community Wireless-Nische beruht. Zu den lokalen Aktivisten stoßen auf den Community Wireless-Gipfeln Journalisten, Medienaktivisten, Juristen, Menschenrechtsaktivisten, Politiker und andere Unterstützer. Die Vernetzung innerhalb der Community Wireless-Nische ist aufgrund der Kommunikationsinfrastrukturen über das Internet sehr einfach und sichtbar. Fortgeschrittene lokale Gruppen wie Freifunk werben gezielt neue Mitstreiter und stellen diesen deutschlandweit ihre Kommunikationsinfrastruktur (z. B. Wikis) zur Verfügung. Ereignisse wie der Gipfel und andere Treffen stabilisieren die Akteurskonstellation und festigen die Rolle einiger etablierter Akteure – wie CUWiN – als Meinungsführer und Netzwerkmanager. Durch die Anbindung an Bewegungen des Open Access (Freie Infrastrukturen), Open Source (Freie Software) und Open Content (Freie Inhalte) (vgl. Hess u. a. 2008: 486) und das diffuse, positiv belegte Konzept der ‘community’ ist die Community Wireless-Idee anschlussfähig für viele außenstehende Akteure. Nicht zuletzt aufgrund expliziter Ideologien einer gesamtgesellschaftlichen WisB. Freifunk ( ), Free Networks ( ), Community Wireless ( )
10 z.
11 Obwohl
der Großteil der Informationen digital und online produziert und konsumiert wird, sind auch Bücher zum Thema erschienen, bspw. “Wireless Networking in the Developing World” (unter der Creative Commons-Lizenz) oder “Building Wireless Community Networks” und “Wireless Hacks” von Flickenger beim großen Informatik-Verleger O’Reilly (Flickenger 2003ab).
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sensallmende und zivilgesellschaftlicher Kontrolle über Medien und Technologie stoßen Community Wireless-Institutionen – ähnlich wie die Freie SoftwareBewegung – auf wissenschaftliches Interesse. Arbeiten über Community Wireless beschreiben bspw. “Vision und Realität Freier Community Netze” (Autengruber 2007), hinterfragen die ‘community’-Rhetorik (Powell 2007), evaluieren Municipal Wireless (Bannon und Griffin 2001) und Community Wireless etwa im Hinblick auf die Möglichkeiten der Bildung sozialen Kapitals (Ferlander und Timms 2001) oder politischer Teilhabe (Mele 1999). Viele dieser Arbeiten versuchen, Probleme und Chancen von Community Wireless herauszustellen und werden von Akteuren der Nische wahrgenommen. Im Stil von Action Science (Argyris u. a. 1985) spielen einige Autoren ihre Ergebnisse gezielt zurück in die Nische, indem sie sie bspw. auf den Mailinglisten publik machen wie (Autengruber 2007). Die Gründerin und Direktorin des NTRC, das die WCN-Projekte weiterführt, entwickelt auch den Gedanken der ‘Community Technology’ weiter (Turner-Lee und Pinkett 2004). Eine engagierte Forschungsagenda zu Community Technology wird von Day und Schuler betrieben, die Community Wireless in den Kontext einer – angestrebten – zivilgesellschaftlich dominierten Netzwerkgesellschaft stellen (Schuler und Day 2004; Day und Schuler 2004). In Politik und Wirtschaft haben Community Wireless-Aktivisten jedoch nicht nur Unterstützer, sondern auch einige organisierte Gegner des dominanten Regimes, wie die anhaltende Kontroverse um die Regulation von ‘information services’ und die Vergabe von Frequenzen in den USA zeigt (siehe Teil 2.2.3). Für die soziotechnische Innovation Community Wireless konnten sowohl bottom-up- als auch top-down-Nischenprozesse – Coupling of Expectations, Articulation Processes und Network Formation – gezeigt werden. Eine Community Wireless-Nische, ein spezifischer Anwendungszusammenhang von Funknetzen, ist seit etwa 2000 in der Entwicklung. Aufgrund der hohen Qualität der Aggregationsprozesse kann die Community Wireless-Nische als in der ersten Phase der Nischenentwicklung fortgeschritten betrachtet werden: Die ersten “stages of niche formation and definition” sind bereits erreicht (vgl. S. 45). 2.2.2.3 Aktivitäten des Nischenmanagements in der Community WirelessNische Bei der Untersuchung von Managementaktivitäten soll hier zunächst vom WCNProjekt ausgegangen werden. Hat das CNT strategisch Nischenprozesse angestoßen? Die ersten beiden Schritte des Nischenmanagements auf Projektebene (vgl. S. 53) wurden im WCN-Projekt durch das CNT übernommen:
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(1) The choice of technology – Die vom CNT anvisierte soziotechnische Konfiguration wurde als Lösung eines wahrgenommenen gesellschaftlichen Problems gesehen (soziale Bedingung), wies große Entwicklungspotentiale auf (technologisch-wissenschaftliche Bedingung), schien ökonomisch gangbar (ökonomische Bedingung) und passte – aufgrund seiner sozialen Innovativität – nicht in organisationale und institutionelle Kontexte. Das CNT war durch seine gute finanzielle Ausstattung und Wissensressourcen in der Lage, ansatzweise eine Regimeanalyse vorzunehmen und technische und organisatorische Optionen gegeneinander abzuwägen. Dabei konnte das CNT auf die ersten Erfahrungen und Ideen bspw. der CUWiN-Gruppe zurückgreifen. Der Stil dieses ersten Schrittes des Nischenmanagements entspricht für das WCN-Projekt also nahezu den Anforderungen des Strategischen Nischenmanagements. (2) The selection of an experiment – Auch im zweiten Schritt betrieb das CNT Nischenmanagement: Mit dem Ansatz, gleich vier heterogene Nachbarschaften zur Organisation von Community Wireless-Netzen zu mobilisieren, kommt das WCN-Projekt sogar dem Ideal einer experimentellen Anordnung für tiefes Lernen (BSTEs) näher; der Vergleich der vier Settings – geographisch und sozial – ermöglichte dem CNT weitreichendere Verallgemeinerungen ihrer Erfahrungen. Die Auswahl der Nachbarschaften erfolgte im Hinblick auf social need als “natürlichen” Schutz der soziotechnischen Innovation. Diese eher hierarchische Entscheidung ist der Tatsache geschuldet, dass das CNT sich mit dem WCN-Projekt explizit an sozial schwache und ressourcenarme Nachbarschaften wandte; wie vom CNT erkannt (vgl. S. 79), entstanden Community Wireless-Netze bisher nur in technikbegeisterten Gruppen mit entsprechenden Wissensressourcen. Hat das WCN-Projekt auch Managementaktivitäten auf der Nischenebene geleistet (vgl. S. 54 ff.)? Sind strategische top-down-Nischenprozesse – Koordination und Rahmung – erkennbar? (3) The set-up of the experiment – Während der Projektlaufzeit von WCN hat das CNT stark diffusionsorientiert gehandelt. Es hat Unterstützernetzwerke aufgebaut, indem es Förderer gewann, mit lokalen und kommunalen Politikern im Austausch stand, Öffentlichkeitsarbeit leistete und Anschluss an die entstehende Community Wireless-Nische suchte. Dazu wurden systematisch andere lokale Projekte beobachtet und kontaktiert und wichtige Beiträge zu den ersten Community WirelessGipfeln geleistet. Die weitreichenden Lernprozesse des WCN-Projekts wurden explizit für Nachahmer ausformuliert, also mit Blick auf Nischenbildung geleistet. Die Aktivitäten des CNT wiesen strategischen Charakter auf und wirkten auf Nischenprozesse hin, bspw. in der gemeinsamen Aggregation von Lernprozessen mit CUWiN hin zur standardisierten Software oder durch die aktive Teilnahme bei den Community Wireless-Gipfeln. Mit der Abgabe des WCN-Projekts an das ressour-
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cenärmere NTRC nach der Förderung sind die Managementaktivitäten allerdings vorerst eingestellt worden. Einige der oben (S. 91 ff.) beschriebenen Aggregationsleistungen der Community Wireless-Nische sind ebenfalls als Managementaktivitäten zu werten. Die systematische Community Wireless-Softwareentwicklungsagenda, die CUWiN aufgestellt hat, fasst nicht nur bisherige Entwicklungen zusammen, sondern leitet auch die verteilten Mitentwickler bei ihrer zukünftigen Arbeit an. Die Agenda kann als top-down-Managementaktivität der Koordination und Rahmung bezeichnet werden. Dasselbe gilt für die noch umfassendere Agenda des Community WirelessGipfels: “The National Summit for Community Wireless Networks distinguishes itself from typical technical and academic conferences by engaging all participants in an ongoing dialogue that encourages a strategic approach to community wireless network development and spectrum policy reform. Panelists will not simply present their own work and opinions – they will also serve as facilitators of a process that records lessons learned and produces a comprehensive “to-do list” of action items for the coming months and years.” (ISCWN 2008: About) Die großen Ambitionen der Akteure – strategische Nischenentwicklung – werden hier deutlich. Die Idee einer “to-do list” für die Akteure der Nische kann ebenfalls als Versuch der Koordination und Rahmung gesehen werden. Insbesondere die Bestrebungen, Regulationen des Spektrums auf nationaler Ebene zu beeinflussen, um der Community Wireless-Nische mehr Spielraum zu ermöglichen, können als Nischenmanagement bezeichnet werden. Während das CNT nur zeitweise Managementaktivitäten beigesteuert hat, ist CUWiN zu einem der wichtigsten system builders der Nische geworden, indem es sowohl die Softwareentwicklung vorantreibt, andere Akteure berät und eine Community Wireless-Entwicklungszusammenarbeit betreibt sowie den International Summit of Wireless Community Networks mitorganisiert. In Europa sind wiederum andere Akteure die stärksten system builders – die Managementaktivitäten der Community Wireless-Nische finden verteilt über den Globus statt, erreichen aber bspw. in den internationalen Gipfeln ein hohes Maß an Bündelung. Das top-down-“Säen” von lokalen Netzen bleibt jedoch die Ausnahme – vor allem bei Entwicklungsprojekten wie dem WCN-Projekt oder Djurslands Entwicklungszusammenarbeit in Ghana12 ist dies der Fall; generell steht die Community Wireless-Ideologie aber im Widerspruch 12 Zu
Djurslands Aktivitäten der Entwicklungszusammenarbeit siehe
2.2 Wireless Community Networks
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mit einer solchen push-Strategie – das Ideal einer zivilgesellschaftlichen bottomup-Selbstorganisation ist Kernstück von Community Wireless. Welches Bild ergibt sich von der untersuchten Community Wireless-Nische gemessen an den Annahmen aus 1.2.2 über Nischenbildungsprozesse durch zivilgesellschaftliche Akteure? 1. Bei der Bildung von Nischen durch zivilgesellschaftliche Akteure laufen sowohl emergente als auch strategische Aktivitäten ab. Grade des Nischenmanagements können durch verteilte strategische Aktivitäten erreicht werden. Die Community Wireless-Nische umfasst sowohl lokale Institutionen, die ihre soziotechnische Konfiguration selbstgenügsam leben, als auch solche, die Nischenprozesse anstoßen. Es gibt verteilte strategische Aktivitäten des Managements sowohl von bottom-up- als auch von top-down-Nischenprozessen. Die Community Wireless-Ideologie hebt bottom-up-Prozesse hervor – eine Steuerung der lokalen Ebene, die über Hilfestellung hinausgeht, ist gar nicht erwünscht. Trotzdem scheinen vor allem Artikulationsprozesse relativ hochgradig von engagierten Akteuren gemanagt zu werden. 2. Je höher der Grad der Koordination der verteilten Managementaktivitäten, desto eher kann von einem Nischenmanagement gesprochen werden. Die Momentaufnahme der Community Wireless-Nische hat die hochgradige Koordination einiger Managementaktivitäten bspw. durch CUWiN gezeigt. Eine umfassende Einschätzung der globalisierten Nische könnte durch eine Operationalisierung des Koordinationsgrades und die Betrachtung von regionalen Koordinationsstrukturen vorgenommen werden. Die oben beschriebenen Entwicklungen deuten auf die Herausbildung von strategischen Zentren und system builders hin. 3. Eine Diffusionsorientierung bei Akteuren ist Voraussetzung für Managementaktivitäten insbesondere der Koordination und der Rahmung (top-downNischenprozesse). Die beobachteten top-down-Managementaktivitäten gingen von Akteuren aus, die ihre Community Wireless-Ideologie explizit artikulierten und mit einer Diffusionsorientierung versahen. Die Managementaktivitäten des WCNProjekts endeten mit dem Ausscheiden des CNT. Eine Diffusionsorientierung und Managementaktivitäten können aber nicht gleichgesetzt werden. So ist nicht bekannt, ob die gesunkene Diffusionsorientierung weitere Managementaktivitäten verhindert hat – oder ein Mangel an Ressourcen.
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4. Managementaktivitäten und ihre Koordination sind abhängig von den Ressourcen, auf die zivilgesellschaftliche Akteure zugreifen können (Zeitressourcen, finanzielle Ressourcen, Kommunikations- und Wissensressourcen). Für die Community Wireless-Nische wurde argumentiert, dass ihre Akteure auf exzellente Kommunikationsinfrastrukturen Zugriff haben und diese intensiv für Artikulationsprozesse und Vernetzung nutzen. Ohne diese Ressourcen wären Aggregationsleistungen in der beschriebenen Qualität schwer vorstellbar. Finanzielle, Zeit- und Wissensressourcen sind unter den lokalen Gemeinschaftsfunknetzen ungleich verteilt. So war das CNT in einer vergleichsweise sehr günstigen Position für Aktivitäten des Nischenmanagements, da es für drei Jahre Fördergelder und damit Zeitressourcen auftun konnte. Andererseits hat das ambitionierte Projekt, in wenigen Jahren gleich in vier verschiedenen Nachbarschaften Gemeinschaftsfunknetze aufzubauen, diese Ressourcen auch zum großen Teil beansprucht. Das CNT als diversifizierter Non-Profit think tank hat für das WCN-Projekt technisches Wissen und Mitarbeiter ins Haus geholt – nach der Projektlaufzeit hat das CNT die beschriebenen Dokumentationen erstellt und sich aus der Community Wireless-Nische zurückgezogen. Das CNT hat also temporär als Nischenmanager gehandelt.
2.2.3 Diffusion der soziotechnischen Innovation Community Wireless? Nachdem die Bestimmung einer globalisierten, zu einem gewissen Grad gemanagten Community Wireless-Nische versucht wurde, soll hier skizziert werden, wie entsprechend der Erkenntnisse von 1.2.3 eine umfassende Analyse ihrer Diffusionschancen angegangen werden könnte. Zunächst müsste eine Analyse der relevanten Regime erfolgen: Es besteht bspw. für die USA Grund, anzunehmen, dass das dominante Regime der Telekommunikation, wie es hier vorläufig benannt wurde (vgl. Fn.3), in der letzten Dekade eine Instabilisierung erfahren hat. Eine Reihe von neuen Informations- und Kommunikationstechnologien sind entstanden, die völlig unterschiedliche Strukturen aufweisen und nicht klar definiert sind, aber durch eine Behörde, die Federal Communications Commission, reguliert werden. Diese vertritt die Auffassung, Investitionen würden durch die Aussicht auf Rendite durch alleinige Nutzung getätigt – entsprechend reguliert sie die “letzte Meile” von bspw. Breitband-Internet-Zugang durch Glasfaser nicht. Telekommunikationsunternehmen sind weder gezwungen, diese “information services” anzubieten, noch ihre Infrastruktur mit Konkurrenten
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zu teilen (vgl. S. 71). Die Regulation steht damit im Gegensatz zu der der Europäischen Union. Über die Frage der Regulation und des Rechts auf Zugang zu Informations- und Kommunikationsstrukturen ist in den USA eine breite Debatte losgebrochen, die sich unter anderem in einer Reihe von Gesetzesvorschlägen auswirkt. Diese beziehen sich auf Municipal Broadband, also die Möglichkeit von staatlichen Einheiten, Internetzugang als öffentliche Infrastruktur anzubieten. Telekommunikationsunternehmen betreiben Lobbying gegen diese Möglichkeit auch auf föderaler Ebene – es geht also um die Neufassung des Telecommunication Act. Community Wireless ist direkt von diesen Regulationen betroffen. Die Aufteilung und Zuordnung von Spektrum bspw. schränkt die Frequenzen ein, auf denen Gemeinschaftsfunknetze funken dürfen. Die Marktstrukturen in den USA haben vielerorts Community Wireless durch social need entstehen lassen – ein Vergleich mit europäischen Initiativen und ihren Regimes wäre hier von Interesse. Municipal Wireless könnte als eine eigenständige Nische begriffen werden, die in Konkurrenz zu Community Wireless entsteht – wo flächendeckend Netz kostengünstig angeboten wird, bedarf es deutlich größerer Motivation durch ideology, um ein Community Wireless aufzubauen. Da bei kommunalen Funknetzen Ausschreibungen an Telekommunikationsunternehmen gemacht wurden (die bisher allerdings häufig scheiterten), kann Municipal Wireless als Kopplung von Elementen der Community Wireless-Nische mit dem dominanten Regime der Telekommunikation untersucht werden. Wie vom CNT kritisiert (vgl. S. 89), bedient Municipal Wireless nur den social need-Aspekt, nicht aber die Werte der Unabhängigkeit, Kooperation und Lokalität. Funknetze in einer solchen soziotechnischen Konfiguration transportieren nicht die umfassende Vision von Community Wireless, sondern Elemente davon. Sowohl Community Wireless als auch Municipal Wireless sind in einem Gelegenheitsfenster entstanden, das sich durch instabile Regime und Entwicklungen auf der Ebene der soziotechnischen Landschaft öffnete. Sie entfaltet ihre Wirkung auf die Regime bspw. in Form von Verschiebungen gesellschaftlicher Werte und Regeln. Die Debatten über Wissen und Eigentum, Patentrecht, das Entstehen einer Bewegung für Freie Software und einer Netzkultur zeugen von Veränderungen auf Landschaftsebene, die über einzelne Regime hinausgehen. Benkler spricht von einer “battle over the institutional ecosystem in the digital environment” (Benkler 2001), Day und Schuler entwickeln eine Vision für “community-centric pathways to network society development” (Day und Schuler 2004: 19). Es spricht einiges dafür, dass vergleichbar Geels’ Analyse der Transition “von Pferdekutschen zu Automobilen” (Geels 2005) ein de-alignment stattfindet: Regime verlieren an Stabilität, Landschaftseinflüsse eröffnen Gelegenheitsfenster (widening up), Neuheiten erhalten vermehrt Aufmerksamkeit und Ressourcen – viele Nischen kön-
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nen entstehen. Verwandte und konkurrierende Nischen können koexistieren und ein dynamischer Gärungsprozess der Entwicklungen und Interaktionen zwischen ihnen findet statt, bis sich dominante Regime wiederum herausbilden und Gelegenheitsfenster schließen. Eine Untersuchung der Chancen von Community Wireless als einer Option müsste diesen Prozess beobachten – den Besonderheiten zivilgesellschaftlicher Nischenbildungsprozesse wäre dabei Rechnung zu tragen. Bei immer flächendeckenderem und günstigerem Zugang zu Informations- und Kommunikationstechnologien und dem Internet wie in Europa müsste Community Wireless über ideology konkurrieren oder bspw. über neue lokale, selbstgemachte Inhalte (Autengruber 2007). Die bereits sichtbare Tendenz zur Entwicklungszusammenarbeit könnte weiter Gewicht erlangen und somit eine Diffusion dort bewirken, wo keine konkurrierenden Infrastrukturen vorhanden sind. Ob die Motivation von Akteuren über ideology ausreicht, um in der zweiten Phase der Nischenentwicklung voranzuschreiten, also Funktionen des dominanten Regimes zu verdrängen, ist zweifelhaft. Die von Seyfang und Smith geforderten top-down-Hilfen für Grassroots Innovation (vgl. S. 62) sind hier unwahrscheinlich – die Regulation der Federal Communications Commission zeigt, dass abgesehen vom hehren Ziel des “Internetzugangs für viele” keine geteilte Vision einer Netzwerkgesellschaft, wie Day und Schuler sie vertreten, besteht. Die Konflikte liegen vielmehr offen zutage – im Gegensatz zu dem integrativen Leitbild der Nachhaltigen Entwicklung, das die Vertreter des Strategischen Nischenmanagements der Technikpolitik zuschreiben. Hier kommen auch die von Smith angesprochenen Machtfragen wieder ins Spiel (vgl. S. 59). Haben zivilgesellschaftliche Nischen wie Community Wireless die Mittel, um auch ohne top-down-Förderung zu diffundieren? Möglicherweise ist aber auch die Frage falsch: Da die bottom-up-Prozesse, ausgehend von lokalen Zusammenhängen, die Community Wireless-Nische dominieren, kann vielmehr die Motivation der Akteure oder ihre Diffusionsorientierung die Begrenzung darstellen. Die lokalistische soziotechnische Konfiguration eines Community Wireless Networks stellt hohe Ansprüche an die Akteure – die Frage könnte also auch lauten: Wie groß ist der Reiz der Community Wireless-Ideologie?
2.3 Ausblick Die hier explorativ bestimmte Community Wireless-Nische und ihre lokalen Projekte und Institutionen könnten einen ergiebigen Gegenstand weiterer Forschung über zivilgesellschaftliche Innovation darstellen. Der Fall des Wireless Community Networks-Projekts in Chicago hat gezeigt, wie sich die Handlungsmöglich-
2.3 Ausblick
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keiten der Akteure über Zeit verändern: Während einer Phase der Vernetzung mit Akteuren mit expliziter Community Wireless-Ideologie und sehr guten Wissensressourcen (Akteurskonstellation), hoher Diffusionsorientierung und vorhandener Ressourcen konnte das CNT sowohl mehrere lokale Community WirelessNetze aufbauen, als auch Aktivitäten des Nischenmanagements betreiben. Nach der Förderdauer veränderte sich mit der Ressourcenlage auch die Akteurskonstellation des WCN-Projekts und die Managementaktivitäten wurden eingestellt. Die Beiträge des WCN-Projekts, bspw. zur Softwareentwicklung durch CUWiN, haben die Nischenentwicklung befördert – während eines Zeitfensters von 2003– 2006 und in den USA. Insofern erscheinen die getroffenen Annahmen über die Voraussetzungen von Managementaktivitäten auf Projektebene – Diffusionsorientierung und Ressourcen – sinnvoll als Grundlage weiterer Untersuchungen. Andere Institutionen wie Freifunk Berlin, die hier in den Blick kamen, weisen völlig andere Akteurskonstellationen, praktisch keine finanziellen Ressourcen, aber dauerhaft hohe Ideologiearbeit durch Aktivisten auf. Die Vergleiche deuten an, dass die in 1.3 umrissene Typenbildung hier aufschlussreich wäre, insbesondere müssten jedoch auch die Wechselwirkungen zwischen den Dimensionen über Zeit analysiert werden. In welcher Beziehung stehen bspw. die Akteurskonstellation und Ressourcenlage mit der Kopplung sozialer und technischer Innovation? Sind die meist geringen Ressourcen der Grund für den Schwerpunkt auf sozialer Innovation, wie Smith dies angedeutet hat (vgl. S. 53)? Oder ist Ideologie die Treibkraft für Systeminnovation, also eine enge soziotechnische Kopplung? Eine Reihe von Fragen können entlang der Dimensionen aufgespannt werden. Allerdings hat die Untersuchung des WCN-Projekts auch gezeigt, dass es wenig Sinn macht, einzelne lokale Projekte isoliert in ihrer “Fähigkeit zur Nischenbildung” zu betrachten, wie dies bei der Analyse von Strategic Niche ManagementProjekten oft geschieht (vgl. Hoogma u. a. 2005). Die Beziehungen und Kommunikationsstrukturen zwischen den lokalen Projekten und anderen Akteuren ermöglichen erst die Nischenbildungsprozesse, etwa die netzwerkförmige gemeinsame Nutzung von Ressourcen und Wissen durch CNT, CUWiN und andere. Die Handlungen und Leistungen des CNT wären ohne diese Beziehungen nicht zu verstehen; eine Typenbildung müsste diese Koordinationsformen und Akteurskonstellationen berücksichtigen. Um Entwicklungen der Network Formation einer globalisierten Nische wie Community Wireless nachzuvollziehen, sollten auch räumliche Aspekte einbezogen werden: die Wirkungsbereiche von technologischen Regimes, regionale Entwicklungen auf Landschaftsebene, virtuelle Gemeinschaften. Räumliche Aspekte der Nischenentwicklung werden im Strategischen Nischenmanagement zumeist staatlichen Strukturen subsumiert (vgl. S. 52), etwa der Europäischen Union. Für die
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Community Wireless-Nische kann vermutet werden, dass sich verschiedene Zentren der Nischenentwicklung herausgebildet haben, die sich jeweils um die aktivsten system builders gruppieren und auf verschiedene Regime reagieren. Sie stehen jedoch in einem echt globalen Austausch: So ist die Zusammenarbeit mit Projekten in Indien, Afrika und Südamerika auf die Agenda des nordamerikanischen Community Wireless-Gipfels getreten – eingebracht vor allem vom dänischen Djursland-Projekt. Der Gegenstand dieser Untersuchung entsprach nicht den klassischen Fallbeispielen von Strategischem Nischenmanagement (Verkehr und Energie), aber ebensowenig denen von Grassroots Innovation (z. B. Smiths organic food niche und Walkers u. a. community renewable energy niche): Soziotechnische Innovation in Informations- und Kommunikationskonfigurationen fiel bisher durch das Raster der nischenbasierten Ansätze, die meist mit einer normativen Ausrichtung auf Nachhaltige Entwicklung – nur ökologisch verstanden – “grüne” Innovation untersuchen. Der Fall Community Wireless war insofern außergewöhnlich, als der spezifische soziotechnische Anwendungszusammenhang des Gemeinschaftsfunknetzes auch die Möglichkeiten der Nischenentwicklung katalysiert hat – als Infrastruktur der Nischenprozesse. Die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien – auch strategisch mit Blick auf die Nische – könnte eine bisher unterbelichtete Dimension von Nischenbildungsprozessen und Nischenmanagement durch zivilgesellschaftliche Akteure darstellen.
3 Schlussbetrachtung
Die Koevolution von Technik und Gesellschaft ist ein komplexer, kaum überschaubarer Prozess, vergleichbar mit dem Wachstum von Hefezellen. Wer es schafft, Variation oder Selektion zu beeinflussen, kann den Wandel ein Stück weit mitsteuern. Innovationstätigkeiten sind eine Teilhabe an diesem Koevolutionsprozess, ungleich verteilt über die gesellschaftlichen Akteure. In dieser Arbeit ging es um soziotechnische Innovation durch zivilgesellschaftliche Akteure – ihre spezifischen Eigenschaften, Möglichkeiten der Steuerung und Chancen auf Diffusion. Um zivilgesellschaftliche Innovationstätigkeiten theoretisch abzugrenzen, wurden zwei nischenbasierte Ansätze kontrastiert: Der normativ transitionsorientierte Ansatz des Strategischen Nischenmanagements bildet die Grundlage für die Entwicklung sowie Abgrenzung des Sozialen Nischenmanagements. Soziales Nischenmanagement stellt den Versuch dar, zivilgesellschaftliche Innovation in Begriffen der Nischenentwicklung zu fassen. Beide Ansätze basieren auf dem quasievolutionären Modell technischer Entwicklung. Soziotechnische Innovation wird hier als erfolgreiche Nischenentwicklung in einem Mehrebenenmodell aus Nische, technologischem Regime und soziotechnischer Landschaft konzeptualisiert. Technologische Regime stellen Geflechte von Regeln zwischen Variation und Selektion dar, die Stabilität herstellen und auf inkrementelle Innovationen hinwirken. Radikale Innovationen müssen außerhalb von dominanten Regimes entstehen – in technologischen Nischen, spezifischen Anwendungszusammenhängen, die durch besonderen Schutz zustande kommen. Sie sind die Orte der Entstehung von Neuem, geschützt durch die besonderen Motivationen ihrer Akteure. Als unabhängige Größe wirkt die Ebene der Landschaft auf Regime und Nischen ein. Sie umfasst gesellschaftliche sowie natürliche Veränderungen und Ereignisse, die Akteuren als gegeben erscheinen. Durch ein günstiges Zusammenspiel der Ebenen, etwa ei-
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Schlussbetrachtung
ne Instabilisierung von Regimes durch Entwicklungen auf der Landschaftsebene, können Nischen sich entwickeln – ausweiten, verzweigen, und häufen. Erfolgreiche Nischenentwicklung kann zu einer Verdrängung des dominanten Regimes führen und somit einen Regime Shift bewirken. Diesen Prozess weitgehend zu steuern, ist Ziel des Strategischen Nischenmanagements. Durch ein gezieltes Säen und Fördern von Nischenbildungen sollen dominante Regime abgelöst werden. Leitende Vision ist für die Vertreter die Nachhaltige Entwicklung, zumeist ausgehend von ökologischen Problemen dominanter Regimes von Verkehr und Energieversorgung. Im Ansatz des Strategischen Nischenmanagements werden Erkenntnisse über den Koevolutionsprozess von Technik und Gesellschaft umformuliert in Handlungsempfehlungen, wie Nischen durch lokale Projekte zu entwickeln sind. Nischen werden als Experimentierräume verstanden, in denen in Form von konkreten Anwendungen Nischenprozesse angestoßen werden sollen: Coupling of Expectations, Articulation Processes und Network Formation. Die lokalen Projekte sowie die Nischenentwicklung sollen dabei möglichst umfassend gemanagt werden, vor allem durch staatliche Akteure. Unter der Bezeichnung des Sozialen Nischenmanagements wurden hier verschiedene Arbeiten zusammengefasst, die nach den Möglichkeiten der Entwicklung solcher Nischen durch zivilgesellschaftliche Innovationsprojekte fragen. Dafür werden eigene Konzepte wie Grassroots Innovation vom Strategischen Nischenmanagement abgegrenzt, andere werden übernommen, wie die drei genannten Nischenprozesse. Die zentralen Fragen dieser Arbeit waren: Welche Eigenschaften sind für die Innovationsprojekte und Institutionen zivilgesellschaftlicher Akteure erkennbar, und wie verhalten diese sich zu den Projekten des Strategischen Nischenmanagements? Erzeugen sie die im Strategischen Nischenmanagement benannten Nischenprozesse? In welcher Qualität geschieht dies im Vergleich zu strategisch gemanagten Nischen? Können zivilgesellschaftliche Akteure Nischen managen? Welche Unterschiede ergeben sich für die Diffusion der Innovationen und die Chance auf Regime Shifts? Diese Fragen wurden entlang des Mehrebenenmodells behandelt. Auf der Ebene der lokalen Projekte wurden zivilgesellschaftliche Projekte mit dem Konzept der Grassroots Innovation beschrieben. Dieses wurde gegen das am fortgeschrittensten ausgearbeitete Konzept des Strategischen Nischenmanagements, Bounded Socio-Technical Experiment, diskutiert. Im einzelnen wurden die Aspekte der Motivation, Ziele, Kopplung technischer und sozialer Innovation sowie Lernprozesse untersucht. Zivilgesellschaftliche Projekte können auf den Motivationen social need und ideology aufbauen. Visionen, die weitreichende Veränderungen in der gesellschaftlichen Produktion und Nutzung von Technik anstreben, fußen häufig bereits auf tiefen Lernprozessen, die im Strategischen Nischenma-
Schlussbetrachtung
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nagement erst erarbeitet werden sollen. Soziotechnische Innovationen können so eher in Opposition zu dominanten Regimes gedacht werden, häufig in einer engen Kopplung sozialer und technischer Innovation. Soziale Innovationen sind – im Gegensatz zum Strategischen Nischenmanagement – ein Schwerpunkt zivilgesellschaftlicher Innovationstätigkeiten und häufig mit einem lokalen Mehrwert, z. B. Empowerment, verbunden. Die Bedeutung einer Diffusionsorientierung für die Aktivitäten der Akteure in Bezug auf Nischenbildung wurde herausgestellt. Aus der Diskussion wurden folgende Annahmen für zivilgesellschaftliche Innovationsprojekte abgeleitet: 1. Zivilgesellschaftliche Innovationsprojekte können sehr unterschiedliche Akteurskonstellationen darstellen. Sie haben gemein, dass sie sich in der Sozialen Ökonomie bewegen und auf relativ geringe Ressourcen zugreifen können. 2. Durch die relativ hohe Homogenität der Akteure ist eine breitere Übereinstimmung in den Motivationen und Visionen wahrscheinlicher – dies begünstigt das Entstehen von radikalen Innovationen. 3. Zivilgesellschaftliche Innovationen bestehen häufig in der engen Kopplung von sozialen Innovationen mit technischen Elementen. Tiefe Lernprozesse werden somit wahrscheinlicher. 4. Eine Diffusionsorientierung kann nicht vorausgesetzt werden. Sie ist eher zu erwarten, wenn Innovationsprojekte durch ideology angetrieben werden, statt durch social need. Für weitergehende Untersuchungen über zivilgesellschaftliche Innovationsprojekte wurde der Versuch einer Typenbildung vorgeschlagen, der anhand einer Operationalisierung der Dimensionen Akteurskonstellation und Ressourcen, Homogenität der Motivationen, Kopplung sozialer und technischer Innovation und Ideologie erfolgen könnte. Im nächsten Schritt wurden die Nischenbildungsprozesse durch zivilgesellschaftliche Projekte und Institutionen untersucht. Durch diese Prozesse entstehen Nischen als eine den lokalen Projekten übergeordnete Struktur. Die lokale Ebene der Projekte und die globale Ebene der Nische unterscheiden sich im Hinblick auf Akteure, Wissenstypen und kognitive Regeln. So führen Articulation Processes zu einer Verallgemeinerung und Aggregation des Wissens, das auf lokaler Ebene produziert wird. Regeln über die spezifische soziotechnische Konfiguration erlangen Geltung in der Nische, Erwartungen werden ausgebildet und an gesellschaftliche Problemlagen gekoppelt (Coupling of Expectations). Dies wird ermöglicht durch die Beziehungen und Kommunikationen zwischen den lokalen Akteuren und ein wachsendes Netzwerk von Unterstützern, die nicht direkt involviert sind (Network
108
Schlussbetrachtung
Formation). Die Nischenprozesse interagieren untereinander und laufen zwischen lokaler und globaler Ebene sowohl bottom-up (Aggregation, Lernen) als auch top-down (Koordination, Rahmung) ab. Es wurde argumentiert, dass solche Nischenprozesse von zivilgesellschaftlichen Projekten angestoßen werden können. Vor allem in der Ausbildung von Erwartungen und Visionen und in der Tiefe der Lernprozesse liegen ihre Stärken – die soziotechnischen Innovationen bergen auch oftmals das Potential für Regime Shifts, da sie radikal außerhalb dominanter Regimes stehen. Voraussetzung für weitreichende Nischenprozesse sind allerdings eine Diffusionsorientierung, die Kommunikation erzeugt, und die Möglichkeit der Akteure, Ressourcen (Zeit, Wissen, Mittel) einzusetzen. Dies gilt vor allem für Aktivitäten des Nischenmanagements. Ausgehend von den Five Steps of Strategic Niche Management, den klassischen Handlungsempfehlungen für Nischenmanager, und ihren Weiterentwicklungen wurden die Möglichkeiten des Nischenmanagements durch zivilgesellschaftliche Akteure abgewägt. Da sie weitgehend unabhängig voneinander handeln und kein formales Management auf Nischenebene existiert, wie dies im Strategischen Nischenmanagement verlangt ist, wurden strategische Handlungen mit Blick auf die Nischenentwicklung als Managementaktivitäten definiert. Es wurde geschlossen, dass Managementaktivitäten verteilt stattfinden, also von verschiedenen Akteuren der Nische erbracht werden – diese handeln dann als ein “system builder” unter anderen. Sowohl bottom-up-Prozesse der Aggregation und des Lernens als auch top-down-Prozesse der Koordination und Rahmung können verteilt gemanagt werden. Es kann jedoch nicht von einer strategisch gemanagten Nische gesprochen werden: Managementaktivitäten erstrecken sich nicht auf die gesamte Nische, emergente Prozesse laufen immer gleichzeitig ab. Folgende Annahmen wurden festgehalten: 1. Bei der Bildung von Nischen durch zivilgesellschaftliche Akteure laufen sowohl emergente als auch strategische Aktivitäten ab. Grade des Nischenmanagements können durch verteilte strategische Aktivitäten erreicht werden. 2. Je höher der Grad der Koordination der verteilten Managementaktivitäten, desto eher kann von einem Nischenmanagement gesprochen werden. 3. Eine Diffusionsorientierung ist Voraussetzung für Managementaktivitäten insbesondere der Koordination und der Rahmung (top-down-Nischenprozesse) durch Akteure der Nische. 4. Managementaktivitäten und ihre Koordination sind abhängig von den Ressourcen, auf die zivilgesellschaftliche Akteure zugreifen können (Zeitressourcen, finanzielle Ressourcen, Kommunikations- und Wissensressourcen). Eine Operationalisierung des Grades des Nischenmanagements in Intensität – Reichweite in Breite und Tiefe – und Koordination – Übereinstimmung in den
Schlussbetrachtung
109
Managementzielen – wurde vorgeschlagen. Von Interesse wären insbesondere die Bedingungen für Managementaktivitäten: Welchen Einfluss haben Diffusionsorientierung und Ressourcen bspw. auf den Grad des Nischenmanagements durch zivilgesellschaftliche Akteure? Welche anderen Faktoren spielen eine Rolle? Die Diffusion von soziotechnischen Innovationen aus Nischen ist für zivilgesellschaftliche Akteure alles andere als unproblematisch. Bottom-up-Nischenbildungsprozesse bedürfen Gelegenheitsfenster, bspw. durch instabile Regime, um Funktionen dominanter Regime zu ersetzen. Hinzu kommt die Gefahr einer “wertfreihen” Diffusion: Durch ein linking up, die Verknüpfung mit Elementen des dominanten Regimes, verschmelzen zwar Aspekte der Nische damit, umfassende Visionen und Werte können aber verloren gehen, wenn bspw. aus radikalen soziotechnischen Konfigurationen technische Elemente herausgetrennt und in einer kompatiblen Version in konventionellen sozialen Zusammenhängen des dominanten Regimes angewendet werden. Um zivilgesellschaftliche soziotechnische Innovationen als eine Quelle der Variation zu fördern, sollten ihnen – so kann aus den Ergebnissen geschlossen werden – in ermöglichender, nicht steuernder Form top-down-Hilfen geboten werden. Nicht ein Management zivilgesellschaftlicher Nischen “von oben”, sondern die Eröffnung von Gelegenheitsfenstern oder engagierte Wissenschaft könnten eine qualitativ hochwertige Diffusion – mit Chance auf Regime Shifts – unterstützen. Im Empirieteil wurden die Ergebnisse und Annahmen im Hinblick auf zivilgesellschaftliche Innovationsprojekte in Form einer Einzelfallstudie am Fall des Wireless Community Networks-Projekts illustriert. Das Projekt bestand aus der Entwicklung von vier gemeinschaftlich genutzten und verwalteten Funknetzen im Raum Chicago durch eine Non-Profit-Organisation. Ziel des Projekts war es, die nicht angebundenen Nachbarschaften durch ein neuartiges mesh-Funknetz mit einer Informations- und Kommunikationsinfrastruktur sowie Zugang zum Internet zu versorgen. Nach einer teilnehmenden Beobachtung durch Mitarbeit im Projekt wurden Aufzeichnungen sowie interne und offizielle Dokumente durch Inhaltsanalyse ausgewertet. Das WCN-Projekt wurde entlang der Dimensionen Akteurskonstellation und Ressourcen, Homogenität der Motivationen, Kopplung sozialer und technischer Innovation und Ideologie beschrieben. Es zeichnete sich durch eine recht heterogene Akteurskonstellation innerhalb der Sozialen Ökonomie und eine über drei Jahre hinweg sehr gute Ressourcenlage aus. Die professionelle NonProfit-Organisation war in der Lage, unterschiedliche Motivationen (social need, ideology) weitgehend zu integrieren und die soziotechnisch eng gekoppelte innovative Konfiguration des Gemeinschaftsfunknetzes in mehreren Nachbarschaften aufzubauen. Tiefe Lernprozesse waren der Auslöser für das Projekt, aber auch sein Ergebnis und wurden gut dokumentiert. Mit dem WCN-Projekt hat die Non-
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Schlussbetrachtung
Profit-Organisation strategisch versucht, die Nische zu entwickeln, indem sie u. a. Öffentlichkeitsarbeit geleistet, Aggregationsprozesse dokumentiert sowie Vernetzung betrieben hat. Ausgehend vom Fall des lokalen WCN-Projekts wurde explorativ eine seit etwa 2000 global entstehende Community Wireless-Nische bestimmt, mit der das Projekt in Beziehung stand. Für die Community Wireless-Nische konnten Nischenprozesse gezeigt werden (Coupling of Expectations, Articulation Processes, Network Formation), bspw. die Institutionalisierung von Community WirelessGipfeln, die Standardisierung von Software und Hardware und die Herausbildung einer Community Wireless-Ideologie, die auf Freiheit, Unabhängigkeit und lokaler Kooperation beruht. Verteilte Managementaktivitäten der Nischenentwicklung waren erkennbar, u. a. durch das WCN-Projekt während der Federführung durch die professionelle Non-Profit-Organisation. Der Vorschlag einer Typenbildung für zivilgesellschaftliche Innovationsprojekte erscheint nach der empirischen Arbeit sinnvoll, insbesondere die Frage nach den Faktoren, die zu Nischenmanagementaktivitäten führen können. Eine umfassende Untersuchung der Community Wireless-Nische, die hier nicht geleistet werden konnte, könnte den Grad des Nischenmanagements operationalisieren und bestimmen. Die Nische, die enge Anbindung an die Freie Software-Bewegung und Visionäre einer zivilgesellschaftlichen Netzwerkgesellschaft hat, scheint sehr aktiv Nischenprozesse fortzuführen und einiges Potential zu bergen, zumal Aktivisten sogar bereits Entwicklungszusammenarbeit durch Community Wireless betreiben. Der für beide behandelten nischenbasierte Ansätze neuartige Gegenstand der soziotechnischen Innovation in Informations- und Kommunikationskonfigurationen hat auch auf eine weitere Dimension von Nischenbildungsprozessen verwiesen: die Nutzung von Informations- und Kommunikationsinfrastrukturen für ein Nischenmanagement durch zivilgesellschaftliche Akteure. Das WCN-Projekt als ein Fall von Sozialem Nischenmanagement hat gezeigt, dass zivilgesellschaftliche Akteure in der Lage sind, innovative soziotechnische Konfigurationen strategisch zu entwickeln und eine Nischenentwicklung anzustoßen. Mit einer Weiterentwicklung nischenbasierter theoretischer Ansätze zivilgesellschaftlicher Innovationstätigkeiten rücken diese Akteure mit ihren Visionen und Leistungen im Koevolutionsprozess von Technik und Gesellschaft näher in den Fokus – nicht nur engagierter Forschung, sondern auch der Technikpolitik. Die Qualität zivilgesellschaftlicher Nischen als Orte der Entstehung von innovativer Diversität macht sie zu einem höchst relevanten Gegenstand für die Technikforschung – sowohl um soziotechnischen Wandel zu verstehen, als auch im Sinne eines Nischenmanagements zu beeinflussen.
Anhang
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Ad-hoc-Netzwerk, siehe Funknetzwerk Aggregationsprozesse, 32, 81 Akteurskonstellationen, 11, 20, 27, 92 Alternative Technology, siehe Soziale Bewegungen, Alternative Technology Articulation Processes, 32, 81 Ashoka, 45 Bounded socio-technical experiments, siehe Innovationsprojekte, Bounded socio-technical experiments Center for Neighborhood Technology, 59 Champaign-Urbana Community Wireless Network, siehe Community Wireless-Nische, ChampaignUrbana Community Wireless Network Community Organizing, 60 Community Technology, 77 Community Wireless, siehe Gemeinschaftsfunknetz Community Wireless-Nische, 76–90 Champaign-Urbana Community Wireless Network , 77, 82
CUWiNware, 82 Djursland, 79 Freifunk, 79, 81 Ideologie, 77 International Summit for Community Wireless Networks, 83 Municipal Broadband, 78 Nischenmanagement, 86–90 Nischenprozesse, 78–86 OLSR-Freifunk-Firmware, 81 Pico-Peering Agreement, 84 Software, 81 Constructive Technology Assessment, 9 Coupling of Expectations, 32, 78 Diffusion, 47–54 Community Wireless-Nische, 90 linking up, 50 Diffusionsorientierung, 23, 27, 47, 70 Digital Divide, 61 Djursland, siehe Community WirelessNische, Djursland Empowerment, 26, 68 Experimente, 10, 17
122
Freie Software, siehe Soziale Bewegungen, Freie/ Open Source-Software Freifunk, siehe Community WirelessNische, Freifunk Freifunknetz, siehe Gemeinschaftsfunknetz Funknetzwerk, 63–66 Gelegenheitsfenster, siehe Regime, destabilisiertes Gemeinschaftsfunknetz, 64–68 Grassroots Innovation, 14–16 ideology, 21, 68 social need, 20, 68 Hub-and-spoke, siehe Funknetzwerk Innovation, 7 soziotechnische, 24, 27 Innovationsprojekte, 17–27 Bounded socio-technical experiments, 17–20 Erfolg, 18 Vision, 17 zivilgesellschaftliche, 20–27 Erfolg, 23 Lernprozesse, 25, 72 Motivationen, 20–22, 68 Ziele, 22–23, 27, 70 Koevolutionsprozess von Technik und Gesellschaft, 6 Landschaft, soziotechnische, 7 Lernprozesse, 18, 25 ersten Grades, 19 zweiten Grades, 19, 72 Macht, 49 Mehrebenenmodell, 6, 48 Mesh-Netzwerk, siehe Funknetzwerk Multi-Level Perspective, siehe Mehrebenenmodell
Sachverzeichnis
Municipal Broadband, siehe Community Wireless-Nische, Municipal Broadband Nachhaltige Entwicklung, 11 Network Formation, 33, 85 Nische, 28 Community Wireless-, siehe Community Wireless-Nische soziale, 13 technologische, 7 Nischenentwicklung, 10–11, 28–40 Community Wireless-, siehe Community Wireless-Nische, Nischenprozesse emergente, 45, 47 Kontexte der, 14, 54 Phasen der, 34 Prozesse der, 31–34 zivilgesellschaftliche, 35–40, 78–86 Nischenmanagement, 40–47 bottom-up-, 43, 86–90 Community Wireless-, siehe Community Wireless-Nische, Nischenmanagement The five steps of strategic niche management, 40 top-down-, 42 verteiltes, 43, 47, 86–90 Open Source-Software, siehe Soziale Bewegungen, Freie/ Open SourceSoftware Open Sourcing Social Solutions, siehe Ashoka Peer-to-peer-Netzwerk, siehe Funknetzwerk Portfolio of promises, 11, 42, 52, 56 Protected space, 7, 28 Quasi-evolutionäres Modell technischer Entwicklung, 5
123
Sachverzeichnis
Reflexive Governance, 9 Regime Shift, 7, 47 Regime, technologisches, 6, 49 destabilisiertes, 52 linking up, 50 Ressourcen, 27, 47 Social experiments, 13 Social Movement Organization, 60 Soziale Bewegungen, 37, 44, 52, 60 Alternative Technology, 14, 60, 68, 77
Freie/ Open Source-Software, 21, 38, 60, 69, 85 Strategisches Nischenmanagement, 8–12, 40–43 Technikpolitik, 9, 52, 92, 100 Transition Management, 11, 54 Transitionskontexte, siehe Nischenentwicklung, Kontexte der User innovation, 1