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PARKER sticht den „Mörder-Hai“ Ein Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges „Ich habe heute frische Steinpilze, Spargel und Artischocken“, sagte Lew Antonella und unterstrich sein Angebot mit weit ausholenden Gesten. Er dienerte um den mittelgroßen Mann herum, dessen Alter undefinierbar war. Dieser Mann trug einen „schwarzen Zweireiher, einen schneeweißen Eckkragen und auf dem Kopf eine schwarze Melone, wie man sie eigentlich nur noch in England findet. Dieser Mann mit den sparsamen Bewegungen und dem fast unbeweglichen Gesicht erinnerte an einen hochherrschaftlichen Butler, wie man ihn sonst nur in witzigen Boulevard-Komödien antrifft. Josuah Parker, wie der schwarz gekleidete Mann mit dem würdevollen Habitus hieß, nahm die angepriesene Ware in näheren Augenschein und prüfte sehr genau. Er war ein leidenschaftlicher Hobbykoch, der Sir einen gewissen Anwalt namens Mike Rander das Essen zuzubereiten pflegte. „Vier Artischocken müßten reichen“, sagte Parker und nahm mißbilligend zur Kenntnis, daß der Inhaber des Geschäftes plötzlich nicht mehr ganz bei der Sache war. Lew Antonella, ein Italo-Amerikaner, klein, dicklich und sehr temperamentvoll, stand auf seinen Zehenspitzen und sah durch die Schaufensterscheibe hinaus auf die Straße. „Vier Artischocken“, wiederholte Josuah Parker mit etwas erhobener Stimme, „Mister Antonella. Ich möchte darauf hinweisen, daß meine Zeit begrenzt ist“ „Schon wieder diese beiden Kerle“, stieß Antonella leise hervor. Er schien den Kaufwunsch des Butlers überhaupt nicht begriffen zu haben. „Jünger müßte man sein.“ „Darf man fragen, was Ihr augenscheinliches Interesse erregt hat?“ fragte Parker. „Sehen Sie doch, Mister Parker.“ Antonella war derart fasziniert, daß er sich noch nicht einmal zu Parker umdrehte, „sehen Sie sich diese beiden Kerle an! Sie sind schon seit Tagen hinter Sue Weston her.“ „Eine Verwandte von Ihnen, wenn ich neugierig sein darf?“ „Eine Kundin. Ein reizendes Mädchen. Warten Sie, ich bin gleich wieder zurück.“ Parker war äußerst peinlich berührt, als Lew Antonella an ihm vorbeihastete, zur Tür lief und dann draußen auf der Straße verschwand.
Antonella wollte die Straße überqueren, was beim nachmittäglichen Stoßverkehr keine Kleinigkeit war. Doch Antonella schaffte es mit traumhafter Sicherheit. Er kurvte wie ein Slalomläufer um die Wagenpulks herum und verschwand dann auf der gegenüberliegenden Straßenseite in einem Torbogen. *** Sue Weston ging schneller und sah sich wie ein gehetztes Wild um. Die beiden Männer hatte sie nicht abschütteln können. Schon seit dem Verlassen des Busses nicht. Sie waren ihr dicht auf den Fersen geblieben und hatten sich unterwegs mehrmals bis auf ihre Höhe herangeschoben. Sue Weston kannte diese beiden Männer bereits. Schon seit vier Tagen. Sie tauchten plötzlich hinter und neben ihr auf, sahen sie schweigend an und verfolgten sie bis in den Hinterhof, wo sich ihre Dachwohnung befand. Bewunderer konnten es unmöglich sein, das hatte sie längst herausgefunden. Sie machte sich in dieser Hinsicht keine Illusionen. Dazu war sie nun wirklich noch nicht bekannt genug, obwohl ihr Gesicht und ihre Figur bereits mehrmals auf Titelseiten zu sehen war. Instinktiv spürte sie, daß von diesen beiden Männern eine Gefahr ausging. Sue hatte den Torbogen zum Hinterhaus bereits passiert und hielt eilig auf den Eingang zum Querblock zu. Sie schaute sich um und atmete schneller. Zum ersten Mal verfolgten die beiden Männer sie bis in den Hinterhof. Dies hatten sie bisher unterlassen und waren stets im Torbogen zurückgeblieben. Sue Weston lief die letzten Meter bis zur Tür, stieß sie auf und warf sie krachend ins Schloß. Dann hastete sie hinüber zum wackligen Lift, stieg ein und drückte den Knopf für die sechste Etage, Endstation! Ihre Hände zitterten, als sie sich eine Zigarette anzündete. Sie nahm sich vor, gleich von der Dachwohnung aus die Polizei anzurufen. Sie war nicht gewillt, sich weiterhin belästigen zu lassen. Die sechste Etage war erreicht, der Lift stoppte. Sue wartete, bis die Lifttür sich geöffnet hatte. Sie stieg aus und prallte entsetzt zurück. Vor ihr standen die beiden aufdringlichen Männer. Diesmal grinsten sie Sue ironisch an, traten zur Seite und gaben ihr den Weg frei zu ihrer Wohnungstür. *** Lew Antonella kam sich wie ein Star-Detektiv vor, als er über die Treppe hinauf in die sechste Etage eilte. Daß er dabei mehr als kurzatmig war, störte ihn kaum. Er wollte endlich wissen, was es mit den beiden Männern auf sich hatte. Er war derart begeistert von dem Auftrag, den er sich selbst' gegeben hatte, daß keine Angst ihn störte. Er fühlte sich trotz des schnellen, flachen Atems jung wie ein Frischling. Als er mit schweren Beinen und schmerzenden Muskeln endlich die letzte Etage des Querblocks erreicht hatte, keuchte er wie ein alter Mann. Er mußte sich gegen
seinen Willen mit dem Rücken an die Wand lehnen und erst einmal zu sich kommen. Dicke Schweißperlen standen auf seiner Stirn, sein Gesicht war von einem kompakten Schweißfilm überzogen. Er raffte sich auf und pirschte sieh dann an die Wohnungstür von „Sue Weston heran. Außer ihr wohnten hier oben noch drei Mietparteien, alles Leute, die in der Modebranche arbeiteten und stets spät nach Hause kamen. Nach seinen Erfahrungen mußte Sue allein hier oben sein. Ihre Nachbarn würden erst Stunden später erscheinen. Lew Antonella hatte die Wohnungstür erreicht und legte sein feuchtes Ohr gegen die Füllung. Er unterschied leise Stimmen, konnte Einzelheiten jedoch nicht unterscheiden. Wilde Eifersucht packte ihn. Er verehrte Sue seit Monaten. Er hatte sich in die langbeinige, schlanke und aparte Frau verliebt. Sterblich, unsterblich ...! Er überschlug sich, wenn sie zu ihm ins Geschäft kam, um sich ein paar Lebensmittel und Obst zu holen. Er bediente sie stets persönlich und scheuchte seine beiden Angestellten mit blitzenden Blicken in die hinterste Ecke seines Ladens. Er steckte Sue das Doppelte von dem zu, was sie für ihr Geld hätte haben dürfen. Erste Güteklasse, versteht sich. Und er hatte sich längst eingebildet, daß sie ihn ebenfalls mochte. Er hatte stets ihr strahlendes Lächeln vor Augen und träumte nachts davon. Lew Antonella zersprang also fast vor Eifersucht und — beugte sich entschlossen zum Schlüsselloch hinunter. Lew Antonella wollte Gewißheit, mochte sie auch noch so hart sein. *** „Sie sollten ganz schön auf dem Teppich bleiben, Sue“, sagte Joe, dessen Gesicht die mehr als deutlichen Spuren einer pubertären Akne aufwies, „noch passiert Ihnen ja nichts.“ „Was nicht ist, kann aber noch werden“, schaltete sich Randy ein, dessen Nase bei einem Boxkampf etwas zu flach geraten war, „und zwar sehr schnell, Puppe.“ „Was ... was wollen Sie eigentlich?“ Sue saß in dem Sessel, in den man sie sehr hart gedrückt hatte. Sie hatte ihre Hände abwehrend gehoben. „Ich . .. ich kenne Sie doch überhaupt nicht.“ „Ist vielleicht ganz gut so, Süße“, sagte Aknegesicht und grinste den flachnasigen Partner an, „wünsch dir das bloß nicht!“ „Sowas könnte nämlich deiner Schönheit schaden“, meinte die Boxernase und hatte plötzlich ein Rasiermesser in der Hand. Sue wich unwillkürlich zurück und riß die Hände hoch vor das Gesicht. Die beiden Besucher hatten ihren Nerv getroffen. Als Mannequin bedeutete ihr Aussehen das ganze Kapital, über das sie zur Zeit verfügte.
„Sie hat kapiert“, meinte Aknegesicht zur Boxernase. „Und wie schnell“, lobte die Boxernase grinsend, „sie muß 'nen sagenhaft ten Intelligenzquotienten haben.“ „Bitte, was wollen Sie denn?“ Sue schluchzte vor Angst und Erregung. „Was wohl, Puppe?“ sagte das Aknegesicht, „Geld ... Zaster ... Flocken ... Hoffentlich ist das deutlich genug!?“ „Geld ...?“ Sue war ehrlich perplex. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie lachte plötzlich hysterisch. Das also war es! Und sie hatte schon mit Dingen gerechnet, die die Polizei unter Sexualverbrechen zu registrieren pflegt. „Fünfzig Dollar“, präzisierte das Aknegesicht. „Pro Woche“, sagte die Boxernase, noch deutlicher werdend. „Zahlbar jeden Samstag!“ „Und da heute Samstag ist, sind die ersten Mäuse fällig“, redete das Aknegesicht weiter, „zahlbar in kleinen Scheinchen, Puppe. Hoffentlich bist du flüssig!“ „Fünfzig Dollar pro Woche?“ Sue glaubte nicht richtig verstanden zu haben. „In kleinen Scheinchen“, wiederholte das Aknegesicht, „hoffentlich bist du flüssig?“ „Fünfzig Dollar!“ Sue konnte es nicht fassen. Sie lachte plötzlich wieder und verstummte erst, als die Boxernase Randy ihr eine derbe Ohrfeige versetzte. „Los, beeil' dich, Süße“, sagte er grinsend, „wir haben noch 'ne Menge anderer Adressen abzuklappern.“ „Ich... ich habe keine fünfzig Dollar“, stieß Sie ängstlich hervor. Sie log nicht. Sue Weston hatte keinen festen Arbeitsvertrag. Sie bekam ihre Jobs von Fall zu Fall. Es reichte vorn und hinten nicht. „Irgendwie eigentlich schade, was?“ Randy hatte sich gespielt mitleidig an Joe gewandt. „Mir bricht das Herz“, erwiderte Joe, das Aknegesicht, „immer diese dummen Schwierigkeiten.“ Während er noch redete, hatte er sich hinter Sue aufgebaut, griff plötzlich nach ihren Handgelenken und zerrte sie hart aus dem Sessel. Sue war vor Schreck wie starr. Sie konnte erst dann wieder einen klaren Gedanken fassen, als Joe sie auf das Bett geworfen hatte, das im Hintergrund in einer kleinen Nische stand. „Nein ... nein!“ schrie sie und wehrte sich. Sie strampelte mit den Beinen und wollte laut um Hilfe schreien. Als sie jedoch den Mund öffnete, schob Randy ihr geschickt einen dicken Knebel zwischen die Zähne. „Die leichte Tour?“ fragte Joe, der Sues Handgelenk festhielt. »Müßte eigentlich reichen“, gab Randy lächelnd zurück, „wir wollen's nicht übertreiben!“ Sie zwangen Sue, sich auf den Bauch zu legen, um dann zur Sache zu kommen, wie sie es gewohnt waren. ***
Das war genau der Moment, als Lew Antonella durch das Schlüsselloch in Sues Zimmer spähte. Er sah die beiden Männer, die links und rechts vom Bett standen und Sue brutal die Strümpfe von den Beinen rissen. Obwohl sie sich verzweifelt wehrte, hatte Sue keine Chance. Lew Antonella war wie gelähmt. Er wußte, daß er jetzt eingreifen mußte, auf der anderen Seite spürte er einen nie gekannten Kitzel in sich. Das Ausgeliefertsein dieser wehrlosen Frau aktivierte sein Unterbewußtsein. Irgendwie wünschte er sich, an der Stelle dieser beiden brutalen Burschen zu sein, die Sue gegenüber bestimmt keine Hemmungen hatten. Im Gegensatz zu ihm! Joe und Randy benutzten Sues Strümpfe, um ihre Hände und Füße zu fesseln. Sie erledigten das mit einer Routine, die darauf schließen ließ, daß sie so etwas nicht zum ersten Mal machten. Anschließend griff Randy, das Boxergesicht, hinter Sues Halsausschnitt und riss das leichte Kleid mit einem harten Ruck von ihrem Körper. Sue wehrte sich verzweifelt und wollte sich gegen ihr Schicksal stemmen, doch sie blieb ohne Chance. Randy und Joe beugten sich über das attraktive Fotomodell und schienen die Formen zu begutachten, die nur von sparsamer Unterbekleidung verhüllt wurden. Im Grunde trug Sue jetzt nur noch einen knappen Bikini aus einem fleischfarbenen, durchsichtigen Kunstfaserstoff. Da Lew Antonella nichts mehr sehen und erkennen konnte, klinkte er die Tür auf und baute sich im Rahmen auf. „Finger von dem Mädchen ...!“ schrie er Joe und Randy mit heiserer Stimme zu, „'raus, sag' ich. Aber schnell...! Oder ihr werdet mich kennenlernen!“ Es wirkte irgendwie grotesk, wie Lew sich in Positur geworfen hatte. Der kleine, dickliche Mann mit dem gut geschnittenen Kopf, hatte sich in die Brust geworfen und im Moment jede Angst verloren. Joe und Randy waren ehrlich überrascht. Sie hatten sich blitzschnell zu Lew umgewendet, stutzten und grinsten dann allerdings. „Sonst noch Wünsche?“ fragte Joe sehr ruhig, fast höflich. „Neugierig, Dicker?“ erkundigte sich Randy und hatte plötzlich sein Klappmesser in der Hand. Er schleuderte es aus dem Handgelenk heraus auf Lew Antonella, der wie gelähmt und nicht in der Lage war, irgendeine Abwehrbewegung auszuführen. Sekunden später starrte Lew fast interessiert auf seinen rechten Oberarm, in dem das Messer stak. Dann allerdings wurde ihm schlecht. Er verdrehte die Augen, spürte jetzt erst den heftigen Schmerz im Arm und rutschte ohnmächtig in sich zusammen. Joe und Randy hatten sehr viel Zeit. Sie gingen langsam auf Lew zu, schlössen die Tür und zerrten den Gemüsehändler tiefer in das Zimmer hinein. Mit einigen harten Fußtritten vergewisserten sie sich, daß Lew Antonella ihnen nichts vormachte.
„Und jetzt?“ fragte Joe, sich an die Boxernase Randy wendend, „der Dicke stört, würd' ich sagen,“ „Nee, nur keine Leiche“, wehrte Randy sofort ab, „du weißt doch, wie allergisch der Boß reagiert. Wir verpassen ihm 'ne Lektion, das müßte dann reichen,“ „Aber zuerst die Kleine“, meinte Joe und näherte sich wieder dem Bett, auf dem Sue Weston lag, „eigentlich schade, daß sie in den nächsten Tagen nicht mehr arbeiten kann.“ *** „Da war gerade ein Anruf für Sie“, sagte Mike Rander, als Butler Parker sich bei seinem jungen Herrn zurückgemeldet hatte. „Ich glaube eine Mrs. Antonella, wenn ich mich nicht irre.“ „Ich nehme an, Sie möchte sich für das mehr als eigenartige Betragen Ihres Mannes entschuldigen“, sagte Josuah Parker gemessen. „Ich verstehe kein Wort“, sagte Rander und sah seinen Butler lächelnd an. Rander, mittelgroß, schlank und im Grund wie ein großer Junge aussehend, hatte sich längst an die Art seines Butlers gewöhnt. Vor allen Dingen an die mehr als barocke Ausdrucksweise Parkers, der einfache Dinge stets kompliziert auszudrücken pflegte. Josuah Parker setzte seinen jungen Herrn ins Bild und sprach von einem verspätet einsetzenden Johannistrieb seines Gemüsehändlers. „Sieht diese Sue Weston wirklich so gut aus?“ fragte Rander interessiert. „Ich kann nicht verschweigen, Sir, daß ihre Formen als ausgesprochen erfreulich zu bezeichnen sind“, erwiderte Parker, „ich möchte allerdings betonen, daß es sich nur um einen ersten Eindruck handelt.“ Parker verließ das Studio seines jungen Herrn und begab sich hinüber in die große Wohnhalle der komfortablen Dachgartenwohnung. Rander widmete sich wieder seinem Fall, der vor ihm auf dem Schreibtisch lag. Mike Rander war ein gesuchter Anwalt und Strafverteidiger, der sich nur noch mit sogenannten großen Fällen befaßte. Sein finanzielles Polster ließ dies durchaus zu. Hinzu kamen seine Honorare als juristischer Industrieberater. Und die, die er als Detektiv erhielt. Mike Rander besaß eine Lizenz als Privatdetektiv, doch darüber sprach er nicht gern. Er wollte nicht noch mehr in Kriminalfälle verwickelt werden, als es ohnehin bereits der Fall war. Sein Butler sorgte schon dafür, daß sein Leben recht aufregend verlief. Parker sprach inzwischen mit Mrs. Antonella, die er nur flüchtig kannte. „Sie verlangten nach meiner bescheidenen Wenigkeit?“ fragte er in seiner höflichen-umständlichen Art. „Mister Parker ... Bitte ... Sie müssen helfen! Es ist etwas Schreckliches passiert. Mein Mann... Er hat ... Er ist.. Mehr vermochte Mrs. Antonella nicht zu sagen. Ein Weinkrampf erstickte ihre weiteren Worte.
„Darf ich Ihre Worte dahingehend interpretieren, daß Mister Antonella mich zu sprechen wünscht?“ „Bitte, kommen Sie! Schnell!“ Auf der Gegenseite wurde aufgelegt. Parker ließ langsam den Hörer in die Gabel fallen und ging zurück ins Studio zu seinem jungen Herrn. „Wenn Sie erlauben, Sir, möchte ich mich für eine knappe halbe Stunde entschuldigen“, sagte Parker“, das heißt, falls Sie mich im Moment nicht brauchen.“ „Hauptsache, Sie schleppen mir keinen neuen Fall ins Haus“, sagte Rander ironisch. „Damit dürfte im Augenblick kaum zu rechnen sein“, erwiderte der Butler, „hier wird es sich um das persönliche Problem eines an sich recht sympathischen Gemüsehändlers handeln.“ Parker deutete eine knappe Verbeugung an und verließ das Studio. Rander sah ihm in einer Mischung aus Belustigung, Mißtrauen und dumpfer Ahnung nach. Wieso hatte Parker es so eilig, sich mit den persönlichen Problemen eines Gemüsehändlers auseinanderzusetzen? Drohte etwa mehr dahinter? *** Parker war stark beeindruckt. Sein Gesicht blieb ausdruckslos, als er auf Lew Antonella hinuntersah, der schwer atmend im Bett lag. Parker hatte mit schnellem Blick bereits festgestellt, daß der Gemüselieferant von harten Profis behandelt worden war. Antonellas Gesicht war völlig verschwollen, ein Auge geschlossen. Über dem rechten Ohr befand sich ein tiefer Hautriß, der inzwischen verharscht war. Im rechten Oberarm lag ein dicker Verband, der durchgeblutet war. „Sehen Sie sich das an, Mister Parker“, sagte Rosa Antonella, eine ungemein korpulente Frau von etwa fünfzig Jahren. Sie rang die Hände und wies dann anklagend hinunter auf ihren Mann, der sich nicht rührte und wahrscheinlich noch unter einem schweren Schock litt. „Haben Sie bereits den Arzt verständigt?“ vergewisserte sich Parker. Sie schüttelte den Kopf. „Und warum nicht, wenn mir diese Frage gestattet ist?“ „Lew wollte es nicht... Er stellte sich wie verrückt an, als ich unseren Hausarzt holen wollte. So habe ich ihn verbunden. Aber das reicht doch nicht! Sie hätten seinen Oberarm sehen müssen, Mister Parker!“ „Darf ich weiterhin fragen, warum Sie meine bescheidene Wenigkeit anriefen? Geschah dies auf den ausdrücklichen Wunsch Ihres Mannes?“ „Nein ... nein ... Lew wollte keinen Menschen sehen. Aber ich hab' mich nicht daran gehalten. Ich weiß doch, daß Sie manchmal Kriminalfälle klären. Lew hat mir öfter davon erzählt. Was soll ich jetzt tun? Sehen Sie sich Lew an!“ ; Parker brauchte sich nicht zusätzlich zu vergewissern, daß Lew aus irgendwelchen Gründen in die Hände von Profis geraten war. Er konnte eigentlich noch
von Glück reden, denn diese Profis hatten ihm nur den ersten Grad ihrer üblichen Behandlungsmethode verabfolgt. „Wurde Ihr Mann gebracht oder kam er auf eigenen Beinen zurück ins Haus?“ wollte Parker wissen. „Er kam allein, aber wie! Er konnte kaum noch gehen. Und um ein Haar wäre er noch überfahren worden. Hier im Geschäft brach er zusammen. Soll ich nicht doch besser die Polizei holen, Mister Parker?“ „Keine ... Polizei!“ stöhnte Antonella plötzlich, „keine Polizei... Bitte, nicht!“ „Wen oder was haben Sie zu fürchten, Mister Antonella?“ fragte Parker und beugte sich über den Gemüsehändler. „Gehen Sie, Mister Parker. Gehen Sie!“ Antonella richtete sich mühsam um ein paar Zentimeter auf, um dann aber sofort wieder kraftlos in sich zusammen zu sinken. „Wie Sie es wünschen, Mister Antonella“, sagte Parker ohne jede Verstimmung, „ich werde selbstverständlich Ihre Gründe respektieren ...“ „Aber was soll ich denn jetzt machen?“ jammerte Rosa Antonella und rang erneut ihre Arme und Hände, „er stirbt mir ja unter den Händen weg. Oh, Lew...“ »Er wird mit Sicherheit nicht sterben“, beruhigte Parker die korpulente Frau, „er ist wenn ich es so ausdrücken darf, mit ausgesprochenem Fingerspitzengefühl behandelt worden, wie Sie später begreifen werden.“ *** Parker überquerte sehr gemessen und würdevoll die belebte Straße. Er schien die Unmenge der Wagen einfach nicht zu sehen. Er ignorierte sie. Wie durch ein Wunder teilte sich der Verkehr innerhalb weniger Sekunden. Kraft seines Auftretens und seiner Erscheinung fühlten die Fahrer sich durchweg veranlaßt, mehr oder weniger prompt auf die Bremsen zu treten. Parker strahlte eine Würde aus, der man sich einfach nicht entziehen konnte. Der Butler durchquerte den Torweg und erkundigte sich bei einem Halbwüchsigen nach einer gewissen Miß Sue Weston, wie er sich ausdrückte. Er bekam die gewünschte Auskunft, begab sich hinüber in den Querblock und fuhr mit dem Lift hinauf zur Dachwohnung. Hier schien alles in bester Ordnung zu sein. Parker erreichte die Tür zur Dachwohnung der Sue Weston und klopfte diskret an. Keine Reaktion! Parker versuchte noch einmal sein Glück, wartete noch ein paar Sekunden und bewegte dann den Türknauf. Die Tür war fest verschlossen. Parker wollte sich schon wieder diskret zurückziehen, als er hinter der Tür ein scharrendes Geräusch hörte, das er nicht zu identifizieren vermochte.
Warum meldete sich Sue Weston nicht? Befand sie sich in der Wohnung, oder vielleicht irgendeine Person, die kein Recht hatte, sich in diesen Räumen zu bewegen. Parker ging zurück zum Lift und fuhr nach unten. Doch schon in der nächsten Etage stieg er aus und benutzte die Treppe, um wieder zurück nach oben zu gehen. Er wollte gewissen Dingen auf den Grund gehen. Seine Neugier war schließlich geweckt worden. Auf äußerst leisen Sohlen erreichte er wieder den obersten Treppenabsatz und wartete. Eine Minute ... Zwei Minuten! Er hatte immer sehr viel Zeit, wenn es darauf ankam. Erst als er sicher sein konnte, daß man mit ihm nicht mehr rechnete, bemühte der Butler sein Spezialetui, dem er einen besonders geformten Schlüssel entnahm. Innerhalb von zwei Sekunden ließ das Türschloß sich dazu überreden, jeden Widerstand aufzugeben. Vorsichtig drückte Parker die Wohnungstür auf. Er rechnete mit nicht gerade freundlichen Überraschungen. Nun, seine Erwartungen wurden weit übertroffen, wie sich zeigen sollte. *** Auf dem Bett lag, mit dem Gesicht nach unten, eine nackte Frau. Das heißt, das Gesäß dieser Frau wurde von einem offensichtlich naßen Handtuch bedeckt. „Erschrecken Sie möglichst nicht“, machte Parker sich bemerkbar und lüftete sicherheitshalber höflich seine schwarze Melone. Selbstverständlich erschrak die junge Frau. Sie richtete sich hastig auf, wandte sich halb um und sank mit einem erstickten Wehlaut wieder zurück auf die Bettdecke. Dabei verrutschte das nasse Handtuch und gab den Blick frei auf ihr Gesäß. „Mein Name ist Parker. Josuah Parker“, stellte sich der Butler würdevoll vor, „entschuldigen Sie bitte mein Eindringen, das ich für gerechtfertigt hielt, zumal ich annehmen mußte, daß sich hier in der Wohnung Eindringlinge befanden.“ Die Reaktion Sue Westons war erstaunlich. Normalerweise hätte sie sich das Betreten der Wohnung doch scharf verbeten müssen. Ebenso hätte sie nach irgendwelchen Textilien greifen und ihre Blößen bedecken müssen. Dies war aber keineswegs der Fall. Sie schien sich aus ihrer Nacktheit entweder nichts zu machen, oder sie aber total vergessen zu haben. In ihr war eine fürchterliche Angst, wie der Butler sofort feststellte. Sie zog die Beine an, rutschte auf dem Bauch in die äußerste Ecke ihres Bettes und hob entsetzt abwehrend die Arme. „Bitte ... Nicht!“ flüsterte sie mit erstickter Stimme, „nein . . . Nein . . . Bitte, nicht!“
„Sie brauchen sich nicht zu fürchten“, sagte Parker höflich, „ich komme als Helfer, wenn ich es so ausdrücken darf. Ich kann nicht übersehen, daß Sie sich in gewissen Schwierigkeiten befinden.“ Sie starrte ihn aus verweinten, großen und entsetzten Augen an. Sie schüttelte mechanisch den Kopf, als der Butler näher ans Bett trat. „Ich . . . Ich werde zahlen .. . bestimmt!“ Parker genierte sich nicht, einen prüfenden Blick auf ihr Gesäß zu werfen. Er war schließlich ein aufgeklärter Mensch, nicht prüde oder verklemmt. Nacktheit an sich war in seinen Augen völlig unerotisch. Und ein schöner, nackter Frauenkörper war immer ein ästhetischer Genuß. Nun, das Gesäß der jungen Frau präsentierte sich in einer eigenartigen Weise. Es schien mit einer Peitsche behandelt worden zu sein. Es gab da blutunterlaufene Striemen, die die Haut allerdings noch nicht geritzt hatten. Auch hier schienen Fachleute am Werk gewesen zu sein. Sie hatten sich offensichtlich an ein ganz gewisses Limit gehalten. „Waren es jene beiden Männer, die Sie verfolgten?“ schlußfolgerte Parker sofort. Er erinnerte sich noch „sehr genau der Worte, die Lew Antonella ausgesprochen hatte. Und an die Szene, als er die Straße in Richtung Torbogen überquerte. „Ich... Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen“, erwiderte Sue Weston und entspannte sich etwas. Sie mußte inzwischen wohl gemerkt haben, daß von Parker keine Gefahr drohte. „Werden Sie möglicherweise erpreßt?“ stellte der Butler höflich seine nächste Frage. „Gehen Sie!“ sagte Sue Weston, „ich werde pünktlich zahlen. Bestimmt. Sie können sich fest darauf verlassen!“ *** „Worauf Sie gingen?“ erkundigte Rander sich eine knappe Stunde später. Er hatte sich Parkers Bericht sehr genau angehört und das dumpfe Gefühl, auf dem besten Weg in den nächsten Kriminalfall hineinzuschlittern. , „Selbstverständlich bemühte ich mich daraufhin zurück ins Treppenhaus“, erwiderte der Butler gemessen, „ich wollte auf keinen Fall aufdringlich erscheinen.“ „Hoffentlich bleiben Sie bei der Haltung“, sagte Rander vorsichtig, „wir sollten uns in diese privaten Dinge nicht einmischen. Scheint sich um ein kleines Eifersuchtsdrama zu handeln.“ „Ich erlaube mir, Sir, Ihre Meinung nicht zu teilen“, gab der Butler zurück, „Mister Antonella und auch Miß Weston wurden einwandfrei von sogenannten Profis behandelt, wenn ich mir diese Umschreibung erlauben darf.“ „Ein neuer Fall für Lieutenant Madford“, sagte Rander schnell, „haben Sie ihn bereits verständigt?“ „Keineswegs, Sir ... Ich möchte das Leben von Miß Weston und Mister Antonella nicht weiter gefährden.“
„Wie soll ich denn das verstehen?“ „Ich möchte als sicher unterstellen, Sir, daß Miß Weston und Mister Antonella in Lebensgefahr geraten, falls die Polizei in ihren Räumen erscheinen.“ „Sie glauben, die beiden seien von den Profis entsprechend vergattert worden?“ „Mit letzter Sicherheit, Sir.“ „Könnte durchaus stimmen“, sagte Rander, der nun doch etwas nachdenklich geworden war. Dann sah er Parker an und meinte lächelnd, „dann werden auch wir uns aus dieser Sache heraushalten, Parker. Von wegen der Lebensgefahr.“ „In der befindet sich Miß Weston nach wie vor, Sir. Sie dürfte nach Anlage der Dinge kaum fähig sein, die verlangten Beträge aufzubringen, die man von ihr erwartet.“ „Sie glauben an eine Erpressung?“ „Mit letzter Sicherheit vermag ich dies nicht zu sagen, Sir, doch deutet vieles darauf hin. Wenn Sie erlauben, würde ich meine bescheidene Wenigkeit im bewußten Haus postieren, um der jungen Dame zu Hilfe zu kommen. Moralisch, Sir, fühle ich mich dazu regelrecht verpflichtet.“ „Parker, da kommt doch wieder ein Trouble auf uns zu, den wir überhaupt noch nicht überschauen können.“ „Möglicherweise, Sir. Aber Sie hätten jene reizvolle, junge Dame sehen müssen. In ihrer bezaubernden Hilflosigkeit und...“ „Schon gut. Schon gut, Parker! Gehen Sie! Aber ich werde mitkommen, damit Sie nicht auf Abwege geraten!“ *** Sue Weston dachte die ganze Zeit über Parker nach und hatte hinterher das Gefühl, sich diesem Mann gegenüber falsch verhalten zu haben. Gewiß, zuerst hatte sie ihn für einen Mitarbeiter der beiden Schläger gehalten, doch jetzt, wo sie allein war, hatte sie ihre Ansicht längst revidiert. Sie fragte sich, ob sie sich ihm vielleicht doch nicht besser anvertraut hätte, ob sie diesen Mann nicht um jene fünfzig Dollar hätte bitten sollen, die sie einfach nicht besaß, die man aber von ihr forderte. Sie hatte sich einen Bademantel übergezogen und konnte endlich wieder etwas gehen. Das dumpfe Brennen und der Schmerz in ihrem Gesäß hatten nachgelassen, voller Schaudern erinnerte sie sich an die Schläge, die die beiden brutalen Burschen ihr verabreicht hatten. Sie wußte immer noch nicht, woher diese beiden Profis kamen, für wen sie arbeiteten und wieso sie ausgerechnet auf sie verfallen waren. Es mußte in der Stadt doch Männer und Frauen geben, die man viel erfolgsträchtiger hätte anbohren können. Wieso also hatte man ausgerechnet sie besucht? Sue Weston verdrängte diese Fragen und dachte an die Rückkehr der beiden Männer. Sie mußte irgendwie fünfzig Dollar auftreiben, wenn sie nicht wieder geschlagen werden wollte. Voller Angst dachte sie in diesem Zusammenhang an
das Messer, das man ihr gezeigt hatte. Sie war inzwischen fest davon überzeugt, daß man es gegen sie verwenden würde. Sue dachte unentwegt an die fünfzig Dollar und an die Drohung, nur ja nichts zu sagen. Für den Fall, daß sie sich an die Polizei wenden würde, hatten die beiden Schläger ihr eine Spezialbehandlung angekündigt. Und wie die ausfallen würde, konnte Sue Weston sich sehr leicht ausmalen. Sie ging vorsichtig zum Telefon, das auf einem kleinen Wandtisch stand und rief die erste Nummer an. Sie wollte eine Kollegin bitten, ihr kurzfristig auszuhelfen. Nun, Sue Weston rief innerhalb der nächsten halben Stunde sehr viele Freunde und Bekannte an, doch die fünfzig Dollar ließen sich einfach nicht auftreiben. Erschwerend war, daß Sie in keinem Fall den wahren Grund für ihre verzweifelte Bitte nennen durfte. Dazu hatte sie einfach zuviel Angst. Sie schaute auf die Uhr und merkte erst jetzt, daß der Abend nahte. Lange konnte es nicht mehr dauern, bis die beiden Schläger zurückkehrten, bis sie sich vor ihr aufbauten und nach dem Geld fragten. Ich muß weg, sagte sich Sue verzweifelt, ich muß weglaufen. Irgendwohin, wo sie mich nicht finden. Viel Zeit habe ich nicht mehr. Vielleicht schaffe ich es gerade noch, auch wenn ich kaum gehen kann. Sie stöhnte, als sie sich die dünne Wäsche über den Körper streifte. Sie biß die Zähne zusammen, als sie sich ein Kleid überstreifte. Sue verzichtete auf Make-up und Frisur. Die Angst saß ihr im Nacken. Sie wollte nicht noch mehr Zeit verlieren. Sie griff nach ihrer Handtasche mit den wenigen Papieren, die sie hatte und ging langsam zur Wohnungstür. Jeder Schritt war für sie eine Qual. Sie fragte sich, wie sie es überhaupt bis zur nächsten Bushaltestelle schaffte. Sie schloß die Tür auf und prallte entsetzt zurück. Ihre Augen weiteten sich. Sie holte tief Luft. *** „Ich erlaube mir, Madam, Ihnen einen relativ schönen Abend zu wünschen, falls ich damit nicht schon zu hoch greife“, sagte Parker und lüftet höflich seine schwarze Melone. „Haben Sie ernsthafte Einwände dagegen, daß ich nähertrete?“ „Sie ...?“ fragte Sue gedehnt und war im gleichen Moment irgendwie erleichtert. „Parker, wenn ich erinnern darf, Josuah Parker ... Ich habe die Ehre und die Freude, der Butler Mister Randers zu sein.“ „Ich ;. . Ich wollte .. „Ich möchte als sicher unterstellen, Madam, daß Sie die Absicht hatten, das zu suchen, was man im Volksmund gemeinhin das Weite nennt, nicht wahr?“ „Sie bringen mich um“, sagte Sue gehetzt und meinte natürlich die beiden Schläger Joe und Randy. „Sie sollten ab sofort keine Angst mehr haben. Wenn Sie weiterhin gestatten und erlauben, Miß Weston, würde ich mich gern Ihrer ein wenig annehmen.“
„Sie haben ja keine Ahnung, wer diese beiden Männer sind . . . Sie sind zu allem fähig.“ „Aus diesem Grund habe ich mich hierher verfügt“, gab der Butler zurück und schloß bereits die Wohnungstür hinter sich. „Ich möchte feststellen, wer diese beiden Männer zu Ihnen geschickt hat...“ „Sie haben gegen diese Schläger keine Chance“, sagte Sue nervös und sah den mittelgroßen Parker abschätzend an. „Wirklich, Sie haben nicht die geringste Chance ...“ Parker wollte antworten, doch in diesem Moment war draußen vor der Tür das Rumpeln des Lifts zu hören, der in Betrieb gesetzt worden war. Auch Sue war dieses typische Geräusch, das Sie nur zu gut kannte, nicht entgangen. „Sie kommen!“ stieß sie mit zitternder Stimme hervor. „Möglicherweise“, schwächte Parker ab. „Ich spüre es, sie sind es“, sagte Sue und sah sich unwillkürlich nach dem Fenster um. Wäre sie allein gewesen, hätte sie vielleicht mit dem Gedanken gespielt, sich aus dem Fenster zu stürzen. Sie spürte, daß die Angst ihr Denkvermögen lähmte. „Wieviel Geld erwartet man von Ihnen?“ fragte Parker, der die Gunst des Augenblicks nutzte. „50 pro Woche“, sagte sie prompt. „Darf ich mir erlauben, Ihnen mit diesem Betrag auszuhelfen?“ Während Parker noch redete, hatte er seine Brieftasche gezückt und reichte Sue Weston den für sie so wichtigen Geldschein. *** „Na, wie haben wir's denn?“ Joe, der Mann mit dem Aknegesicht, gab sich jovial und grinste Sue an. „Ich hab' nichts dagegen, dich noch mal zu behandeln“, sagte Randy, der Mann mit der flachen Nase. Er wurde sehr anzüglich und deutete mit der rechten Hand auf Sues untere Körperpartien. „Ich . . . Ich habe das Geld“, gab das Mädchen hastig zurück und riß die Hand samt Dollarnote hoch, „ich . . . Ich habe das Geld!“ „Eigentlich verdammt schade“, meinte Randy enttäuscht. „Wir kommen ja wieder, Junge“, tröstete Joe seinen Partner, „immer wird sie bestimmt nicht flüssig sein!“ „Für Sie, meine Herren, auf keinen Fall“, ließ sich in diesem Moment die Stimme von Josuah Parker vernehmen. Er stand in der geöffneten Tür zum Baderaum und sah die beiden Schläger höflich-interessiert an. Parker, ganz in schwarz gekleidet, altväterlich wirkend, was vor allen Dingen seinen Regenschirm betraf, sah keineswegs wie ein Held aus. Sue Weston schloß unwillkürlich die Augen. Sie wollte nicht noch einmal sehen, wie ein Mann zugerichtet wurde, der ihr zur Hilfe hatte kommen wollen. Das Beispiel Antonela reichte ihr vollkommen.
Joe und Randy fuhren bei Parkers Worten blitzschnell herum und hielten ihre Schußwaffen in der Hand. Sie zeigten damit deutlich, wie erfahren sie waren. Als sie jedoch Parker sahen, steckten sie in Verkennung der Situation die Waffen zurück in ihre Schulterhalfter und grinsten. „Ja, wen haben wir denn da?“ fragte Joe amüsiert. „Wohl aus dem Museum ausgebrochen, wie?“ wollte Randy wissen, i „Und wie stark er ist!“ „Unwahrscheinlich stark!“ steigerte Randy und schob sich langsam in Parkers Nähe, „was ich mal wieder für 'ne Angst habe!“ Während er redete, hatte er den Butler erreicht und ... wollte ihn mit einem blitzschnellen Schlag gegen das Kinn von den Beinen reißen. Nun, Josuah Parker, der mit diesem Angriff gerechnet hatte, wich dem Schlag kaum wahrnehmbar aus. Randys Faust donnerte kraftvoll gegen die Zimmerwand, wobei ein scharfes Ohr das trockene Brechen eines Fingerknöchels hätte hören können. Randy entwickelte daraufhin überraschende Fähigkeiten als Ballettänzer und hüpfte von einem Bein auf das andere. Dabei stieß er Töne aus, die selbst ein Wohlwollender nicht als angenehm hätte bezeichnen können. Joe riß seine Waffe aus dem Schulterhalfter und wollte seinen tanzenden Partner entsetzen. Doch Randy stand so unglücklich, daß Joe keinen Schuß anbringen konnte. Um das Verfahren abzukürzen, brachte Joe sich in Fahrt und stürzte sich auf den Butler, den er für einen kurzen Moment frei vor sich sah. Joe brauste wie ein startender Düsenjäger genau auf den Butler zu und übersah dabei das Hindernis, das ihm plötzlich die Starbahn verlegte. Es war der bleigefütterte Bambusgriff von Parkers Universal-Regenschirm, der sich als hemmend erwies. Dieser Bambusgriff befand sich in Joes Kinnhöhe und legte sich nachdrücklich auf den Unterkiefer. Joe blieb daraufhin wie erstarrt stehen, verdrehte die Augen, seufzte und fiel dann wie ein gefällter Baum zu Boden. Das Geschirr und Porzellan im Sideboard der kleinen Dachwohnung schepperte, als Joe auf dem Boden landete. Randy hatte sich inzwischen ermannt und auf seine Härte besonnen. Mit der gesunden Hand wollte er bei Parker einen bösartigen Heumacher landen, doch auch dieser Schlag erwies sich als Niete. Von der Gewalt dieses Schlages mitgerissen, drehte er sich halb um seine Längsachse. Als er zum Stillstand kam, sah er plötzlich vor sich einen dicken Bambusgriff. Er schloß unwillkürlich die Augen und hatte Bruchteile von Sekunden später das erhebende Gefühl, sich hoch in die Lüfte zu schwingen. Er merkte schon nicht mehr, daß er neben Joe auf dem Boden landete. Und er hörte auch nichts von dem fröhlichen Geschirrscheppern im Sideboard. „Sie sollten die Augen wieder öffnen, Miß Sue Weston“, sagte Parker zu dem Fotomodell, „mir scheint, daß die beiden Herren vorerst mit sich selbst beschäftigt sind.“
Sue schaute vorsichtig und ungläubig in die Gegend. Dann starrte sie fassungslos auf die beiden Schläger, die übereinander auf dem Boden lagen und dabei ausgesprochen dekorativ wirkten. „Ich ... Ich kann es einfach nicht glauben“, sagte Sue und sah den Butler in einer Mischung aus Bewunderung und Fassungslosigkeit an. „Sie schmeicheln einem alten, müden und relativ verbrauchten Mann“, gab der Butler gemessen zurück, „ich möchte betonen, daß die beiden Herren es mir besonders leicht machten ...“ „Und jetzt?“ fragte Sue. „Wenn Sie erlauben, würde ich mich gern durch eine Taschenvisitation davon überzeugen, mit wem Sie und meine bescheidene Wenigkeit es zu tun haben,“ *** „Ich möchte Ihnen aber auf keinen Fall zur Last fallen“, sagte Sue Weston eine gute Stunde später. Sie befand sich in der Dachgartenwohnung des jungen Anwalts und kam sich in diesen eleganten Räumen etwas verloren vor. Nach dem zweiten Zwischenfall in ihrer Dachgartenwohnung hatte sie wenig später Mike Rander kennengelernt, der sich als Eingreifreserve seines Butlers- zur Verfügung gehalten hatte. Und ausgerechnet Rander war es gewesen, der zu Parkers Überraschung das Fotomodell zu sich eingeladen hatte. Wogegen Parker vorerst nichts einzuwenden hatte. „Es ist doch selbstverständlich, daß wir Ihnen helfen werden“, erwiderte Mike Rander. Er nickte Parker zu, der Drinks servierte. Rander war von Sue mehr als angetan. Rander kannte, schon bedingt durch seinen Beruf und seine gesellschaftlichen Verpflichtungen viele reizende, junge Frauen, doch Sue schoß tatsächlich den Vogel ab. Sie war etwas über mittelgroß, langbeinig und selbstverständlich gertenschlank. Dennoch besaß sie alle jene Rundungen und Linien, die ein Mann schätzt. Sie hatte aschblondes, schulterlanges Haar und ein Gesicht, in dem die Backenknochen dominierten, was ungemein pikant wirkte. Große, blaue Unschuldsaugen und eine kleine Stupsnase vervollständigten den Gesamteindruck, in dem der etwas zu groß geratene, volle Mund nicht zu übersehen war. Sie besaß längst die Reife einer Frau, wirkte aber dennoch hilflos und naiv wie ein großes Mädchen, das neugierig auf eine erste Begegnung ist. „Ich kann mich leider nicht setzen“, sagte Sue, als Rander einladend auf einen Sessel in seinem großen Wohnraum deutete. Sie errötete und sah in Richtung Parker. „Richtig, ich weiß!“ Rander lächelte, „in ein paar Tagen werden Sie das überstanden haben, Miß Weston.“ „Und was wird dann?“ fragte sie und lächelte plötzlich nicht mehr. „Glauben Sie, daß diese beiden Schläger nicht mehr zurückkehren werden?“ „Ich hoffe doch sehr, daß wir in ein paar Tagen den Fall geklärt haben ...“
„Damit dürfte nach Lage der Dinge zu rechnen sein“, schaltete Josuah Parker sich ein, „ich habe feststellen können, wer diese beiden Männer sind.“ „Ich lasse mich überraschen. Gehören Sie irgendeiner Organisation an?“ „Ich darf mit den Namen beginnen, Sir. Es handelt sich um die Herren Joe Rice und Randy Hole, nicht vorbestraft und mit der Polizei bisher nicht in Konflikt geraten.“ „Sie haben inzwischen wohl schon Ihre Verbindungen spielen lassen, wie?“ „In der Tat, Sir ... Die Herren Rice und Hole sind Neubürger dieser Stadt, wenn ich es so umschreiben darf. Sie scheinen aus New York zu kommen.“ „Und welchen Beruf' üben sie hier aus?“ „Laut den Papieren, die ich den Herren entnehmen und die ich prüfen konnte, betätigen sie sich der Steuerbehörde gegenüber als Staubsaugervertreter.“ „Wie, bitte?“ Rander lächelte unwillkürlich. „Als Staubsaugervertreter, Sir“, wiederholte der Butler noch einmal, „und zwar vertreten sie Geräte, deren Vertrieb eine gewisse Firma namens Star-drust übernommen hat. Die Büro- und Lagerräume dieser Firma befinden sich im Ostteil der Stadt. Der Firmeninhaber heißt Walt B. Battery.“ „Der ebenfalls nicht vorbestraft ist, wie?“ „Das Gegenteil ist der Fall, Sir. Mister Battery ist bei der Polizei bereits das, was man aktenkundig nennt. Er saß für drei Jahre in einem Gefängnis, nachdem man ihm Körperverletzung in einigen Fällen nachweisen konnte.“ „Ausgezeichnet, dann wissen wir doch, an wen wir uns halten müssen, Parker.“ Rander sah zu Sue Weston hinüber, die interessiert zugehört hatte. „Sie haben's ja selbst mitbekommen, Miß Weston... Dieser Fall dürfte schnell gelöst sein. Wenn Sie einverstanden sind, bleiben Sie' solange unser Gast...“ „Ich werde das Gastzimmer richten“, schaltete Parker sich sofort ein, ein sicheres Zeichen dafür, daß er mit dem Vorschlag seines jungen Herrn einverstanden war. Was bekanntlicherweise ja nicht immer der Fall war. „Ich weiß nicht recht, ob ich Ihre Einladung annehmen soll“, zögerte Sue Weston, „bitte, mißverstehen Sie mich nicht. .. Ich mache mir nichts daraus, was die Leute eventuell sagen werden.“ „Wir auch nicht“, erwiderte Rander lachend, „haben Sie denn eine andere oder bessere Möglichkeit, vorerst mal in Deckung zu gehen?“ „Nein!“ erklärte Sue Weston etwas zu schnell, „ich habe auf keinen Menschen Rücksicht zu nehmen. Meine Eltern wohnen in Florida, aber ich habe kaum noch Kontakt mit Ihnen. Aus persönlichen Gründen!“ „Dann werden Sie bleiben“, entschied Mike Rander, „und sobald wir den Hintermann dieser beiden Schläger gefunden haben, können Sie Ihre Arbeit wieder aufnehmen.“ Sie nickte und senkte dann den Kopf. Sie erinnerte an einen Menschen, der sich plötzlich aus irgendwelchen Gründen schämt und sich sehr schlecht vorkommt.
Parkers wachsame Augen registrierten diese Reaktion, doch er sagte selbstverständlich nichts. Er war eben ungemein taktvoll, wenn es die allgemeine Lage erforderte ... *** „Joe Rice und Randy Hole? Ja, die waren hier bei mir angestellt“, sagte Walt B. Battery, der Chef des Stardrust Staubsaugervertriebs. Battery, ein großer, massiger Mann mit Stiernacken, musterte interessiert den Butler und schien tatsächlich mit ihm nichts anfangen zu können. „Warum erkundigen Sie sich nach diesen schrägen Vögeln? Sind Sie etwa auch 'reingelegt worden?“ „In etwa“, sagte Parker zurückhaltend. Er sah sich unauffällig in dem kleinen, schäbigen Büro um, das mit Möbeln aus zweiter und dritter Hand eingerichtet war. Besonders gut konnte es der Vertriebsfirma nicht gehen, das war auf den ersten Blick zu sehen. „Haben sie auch bei Ihnen geklaut?“ wollte Battery wissen. Er nahm die schmuddelig aussehende Kaffeetasse hoch und schlürfte genießerisch den Rest Kaffee, der übrigens auffällig nach Rum roch. „Sie wurden aufdringlich, wenn ich deutlicher werden soll“, sagte der Butler. „Hier bei mir haben sie's auch versucht“, erklärte Battery, „aber danach waren sie schneller draußen als sie's sich wohl vorgestellt hatten. Hören Sie, wollen Sie mich etwa in Ihren Privatkram 'reinziehen?“ „Ich möchte nur erfahren, wo ich die beiden Herren finden kann“, antwortete der Butler. „Nur die Adresse? Können Sie haben. Aber ich wette, da sind sie schon nicht mehr zu finden. Und wenn Sie 'nen Rat haben wollen, dann wenden Sie sich an die Polizei. Sie sind bestimmt nicht der Typ, der mit diesen Burschen fertig wird...“ „Dennoch hätte ich gern die Adressen“, meinte Parker, „ich hege immer noch die Hoffnung, daß man sich mit seinen Mitmenschen gütlich einigen kann.“ „Aber doch nicht bei Hole und Rice“, widersprach der Firmenchef und massierte sich seinen Stiernacken, „die beiden drehen Sie doch glatt durch den Wolf, Mann! Hören Sie auf mich, gehen Sie zur Polizei! Die hat manchmal 'nen lichten Tag!“ Parker bestand auf seinem Wunsch und erhielt von Battery die Adressen der beiden Schläger, die ganz in der Nähe der Firma wohnten, wie sich herausstellte. Nach dem höflichen Lüften seiner schwarzen Melone verließ Parker das Büro Batterys und begab sich hinaus zu seinem hochbeinigen Wagen. Irgendwie war Parker enttäuscht. Er hatte sich von diesem Besuch sehr viel mehr versprochen. Das Battery in dieser Tonart von seinen beiden ehemaligen Angestellten gesprochen hatte, war verblüffend. Lag dahinter eine bestimmte Taktik? Wollte Battery, falls er der Hintermann der beiden Schläger war, seine Spuren verwischen? Parker setzte sich vor das Steuer seines Wagens und fuhr in die nächste
Querstraße. Er hielt an und schaltete das Autoradio ein. Es dauerte nur wenige Minuten, bis er die Stimme von Walt B. Battery deutlich hören konnte. Was völlig natürlich war, denn Parker hatte während seiner Unterhaltung mit Battery einen seiner kleinen Spezial-Minisender im Büro angebracht und zurückgelassen. Genauer gesagt, dieses Minigerät klebte unter der Sitzfläche des Stuhls, den Battery ihm angeboten hatte. Das Gerät lieferte jedes Geräusch, das in Batterys Büro verursacht wurde. „ ... ich weiß doch, was ich gesehen habe“, sagte Battery gerade, der offensichtlich telefonierte, „es war Parker. Ja, dieser komische Butler. Und er fragte nach Hole und Rice ... Möglich, daß das ein Trick gewesen ist, Mel... Natürlich werde ich höllisch aufpassen. Ich weiß, mit wem ich's zu tun habe. Ja, ich hab' ihm die Adressen gegeben, klar doch ... Er hätte doch, sonst Verdacht geschöpft. Okay, Mel, alles weitere überlasse ich dir .. . Ende!“ Parker schaltete das Autoradio ab und dachte über das Gehörte nach. Battery hatte ihn also sofort erkannt und gewußt, mit wem er es zu tun hatte. Die Preisgabe der Adressen war nur eine taktische Maßnahme gewesen, damit er, Parker, keinen Verdacht schöpfte. Warum wollte Battery höllisch aufpassen? Was hatte er zu verbergen und wer war Mel, mit dem er sich unterhalten hatte? Parker beschloß selbstverständlich, diesen Fragen intensiv nachzugehen. Er hatte das wirklich erhebende und schöne Gefühl, auf einen interessanten Fall gestoßen zu sein… *** “Sie!?“ Battery schnappte hörbar nach Luft, als Parker das Büro betrat. „Meine bescheidene Wenigkeit“, bestätigte Parker überflüssigerweise und lüftete grüßend seine schwarze Melone, „ich fürchte, ich habe etwas zurückgelassen, was ich noch sehr wohl brauchen kann ...“ „Hier bei mir?“ zweifelte Battery. „In der Tat“, sagte Parker und ging gemessen zu dem Besucherstuhl vor Batterys Schreibtisch. Er bückte sich und barg seinen Kleinstsender, den er prüfend gegen das Licht hob. „Ein Kleinstsender, den ich hier zufälligerweise verloren haben muß“, erläuterte Parker, „in Fachkreisen werden diese Minisender ja bekanntlich Wanze genannt, wie Sie vielleicht wissen.“ „Sie ... Sie haben hier bei mir .. .“ Battery ging vor Empörung die Luft aus. Er schnappte wie ein Karpfen nach frischem Sauerstoff und brachte seine Kompaktheit um den Schreibtisch herum, „Sie haben hier bei mir ...“ „Das sagten Sie bereits“, entschuldigte Parker sich höflich, „ich muß den Sender verloren haben. Ich merkte es erst, als ich das Autoradio einschaltete und Ihre Stimme hörte.“ Batterys Nerven rissen.
Er hatte sich in Parkers Nähe gebracht und wollte ihm einen bösen Tiefschlag versetzen. Battery schien vergessen zu haben, mit wem er es zu tun hatte. Er hätte sich besser daran erinnert. Parker benutzte seinen Universal-Regenschirm als eine Art Golfschläger. Genauer gesagt, er zweckentfremdete den bleigefütterten Bambusgriff, den er kurz, aber äußerst nachdrücklich gegen Batterys linkes Knie legte. Battery heulte auf wie ein Steppenwolf während der Paarungszeit und entwickelte Bruchteile von Sekunden später erstaunliche Qualitäten als Choreograph. Aus dem Handgelenk heraus improvisierte er einen durchaus gekonnten Jitterbug auf dem rechten Bein und übersah das ehrliche Interesse des Butlers, der fasziniert zuschaute. „Es wäre mir äußerst peinlich, falls ich Sie unnötig inkommodiert haben würde“, entschuldigte Parker sich und lüftete erneut die schwarze Melone, „falls es zu einer Schwellung des Kniegelenks kommen sollte, empfehle ich Umschläge mit essigsaurer Tonerde.“ Battery ließ sich auf den Besucherstuhl fallen und musterte den Butler anklagend. Er schien jede Lust an weiteren Tanzkünsten verloren zu haben. „Das werd' ich Ihnen heimzahlen“, schwor er jedoch laut, „dafür präsentier' ich Ihnen noch die Rechnung, Parker.“ „Dem werde ich gelassen entgegensehen“, erwiderte der Butler, „vergessen Sie nicht, dieses Intermezzo einem gewissen Mel mitzuteilen. Er wird daraus gewisse Schlüsse ziehen, denke ich.“ Battery preßte unwillkürlich die Lippen zusammen, als Parker den Vornamen Mel erwähnte. Über dieses Thema schien er auf keinen Fall sprechen zu wollen. „Was wollen Sie überhaupt?“ beklagte sich Battery und massierte sein Kniegelenk, „ich habe Ihnen doch die beiden Adressen gegeben.“ „Da ich schon erneut hier bin, gestatten Sie mir liebenswürdigerweise ein paar Fragen ...“ „Ich weiß von nichts“, behauptete der Mann mit dem ausgeprägten Stiernacken etwas zu voreilig. „Wann entließen Sie die Herren Rice und Hole?“ erkundigte Parker sich. „Wann? Warten Sie! Ja, vor knapp einer Woche . .. Genau . . . Vor einer Woche. Es gab zuviel Ärger mit ihnen.“ „Ärger, der sich worauf im Detail bezog?“ „Die beiden Burschen wurden bei meinen Kunden aufdringlich oder aber sie klauten wie die Raben. Da mußte ich sie an die frische Luft setzen.“ „Was verstehen Sie unter Begriff aufdringlich“, fragte der Butler weiter. „Sie machten sich an alleinstehende Frauen 'ran. Das war's, wenn Sie's genau wissen wollen .. . Sie gingen ja morgens schon auf Kundenfang . . . äh ... ich meine Besuchertour . .. Und morgens sind die Frauen meist allein in den Wohnungen, oder? Gut, das wollten sie wohl ausnutzen und ihren privaten Sex verkaufen . . .“ „Ihnen ist keineswegs bekannt, daß die Herren Rice und Hole sich noch auf anderem Gebiet betätigten?“
„Auf 'nem anderen Gebiet? Wie meinen Sie das?“ Parker verzichtete auf nähere Einzelheiten und nickte Battery zu. Er lüftete seine schwarze Melone und verließ würdevoll den Raum, einen finster brütenden, Rache schwörenden Battery zurücklassend, der sich für die nahe Zukunft einiges vornahm. *** „Die beiden Adressen erwiesen sich natürlich als Luftblasen, oder?“ meinte Anwalt Rander eine gute Stunde später, als Parker zurück in die Dachgartenwohnung seines jungen Herrn gekommen war. „In der Tat, Sir“, gab Parker zurück und warf einen kurzen Blick auf Sue Weston, die vor dem kleinen Schreibmaschinentisch am breiten Panoramafenster saß und offensichtlich einen Schriftsatz in die Maschine tippte. „Miß Weston ist gelernte Stenotypistin“, erklärte Rander, der Parkers Blick beobachtet hatte, „sie vertreibt sich die Zeit damit, ein paar Schriftsätze für mich abzutippen.“ „Darf ich mir erlauben, Ihnen zu Ihrer neuen Mitarbeiterin zu gratulieren?“ fragte Parker sofort und nickte Sue gemessen zu, die ihn etwas unsicher anlächelte. , „Keine schlechte Idee, das mit der neuen Mitarbeiterin“, sagte Rander und drehte sich zu Sue um, „hätten Sie nicht Lust zu bleiben?“ „Das . . . Das muß ich mir erst noch überlegen“, sagte Sue schnell, „vielleicht fahre ich zurück zu meinen Eltern. Die Stadt ist nicht das, was ich mir von ihr versprochen habe.“ „Nur nichts übers Knie brechen“, antwortete Rander, „bevor Ihr Fall nicht geklärt ist, sollten Sie die Dachgartenwohnung ohnehin nicht verlassen, Miß Weston . . . Was meinen Sie, Parker, sollen wir uns weiterhin mit diesem Battery befassen? Weiß er, was Rice und Hole wirklich getrieben haben? Könnte er der Mann hinter diesen beiden Schlägern sein?“ „Meinem bescheidenen Gefühl nach nicht, Sir .. . Mister Battery scheint sich auf einem anderen Gebiet zu betätigen. Miß Weston, erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang einige Fragen?“ „Aber selbstverständlich“, sagte sie und stand sehr vorsichtig auf, was gut zu verstehen war. „Haben Sie inzwischen dafür eine Lösung gefunden, warum die beiden Schläger sich ausgerechnet an Sie wandten?“ „Das ist mir nach wie vor schleierhaft“, sagte sie sofort, „bei mir war und ist nichts zu holen... Aber auch gar nichts!“ „Nach einem System sieht das aber nicht aus“, schaltete Rander sich ein. „Gewiß, Sir. .. Miß Weston und Sie sind sicher, die beiden Rüpel vorher noch nie gesehen zu haben?“ „Vollkommen sicher!“
„Dann dürften die Aussichten, die Herren Rice und Hole zu finden, äußerst schlecht sein“, meinte Parker, „nach Ihrer Niederlage werden sie...“ In diesem Augenblick hob Sue plötzlich den Arm wie ein Schulmädchen, das sich dem Lehrer bemerkbar machen will. „Miß Weston?“ fragte Parker sofort. „Ich weiß nicht, ob es wichtig ist“, schickte Sue voraus, „aber mir ist eingefallen, daß einige Kolleginnen zeitweise nicht arbeiten konnten, obwohl sie von der Agentur einen Job angeboten bekamen ... Ob das was mit den beiden Schlägern zu tun hat?“ „Ich werde mich mit Ihren Kolleginnen in Verbindung setzen“, sagte Parker, „würden Sie mich freundlicherweise anmelden, Miß Weston, damit ich nicht warten muß?“ *** Gilda Lyntons Alter war auf den ersten und zweiten Blick kaum zu deuten. Erst auf den dritten Blick hin kam man zu der Schätzung, daß sie sicher schon 45 Jahre hinter sich gebracht haben mußte. Ihr Make-up war erstklassig und kostete pro Tag sicher gut anderthalb Stunden. Es verdeckte fast vollständig die tiefen Krähenfüße in den Augenwinkeln und die Falten im Gesicht. Gilda Lynton wirkte noch sehr anziehend, wenn man nicht zu nahe an sie herantrat. Dann allerdings machte man mit graublauen Augen Bekanntschaft, die kalt wie ein Gletscher waren. Dann spürte man die geschäftliche Cleverness dieser Frau. „Parker? Parker!?“ fragte sie und schüttelte etwas ratlos den Kopf. „Ich könnte mich nicht erinnern ... Haben Sie mit mir einen Termin ausgemacht?“ „Keineswegs, Madam“, erwiderte der Butler, der vor dem Schreibtisch stand und sich andeutungsweise verbeugte. „Und um mögliche Verwechslungen vorzunehmen, ich bin auch keineswegs ein männliches Fotomodell.“ „Eigentlich schade! Sie wären ein erstklassiger Typ“, antwortete Gilda Lynton, „sind Sie sicher, daß Sie nicht von meiner Agentur vermittelt werden wollen?“ „Vollkommen sicher, Madam!“ „Was kann ich dann noch für Sie tun?“ „Ich möchte Sie um eine Gefälligkeit bitten, Madam, die mit der Arbeitsfähigkeit Ihrer Modelle zusammenhängt.“ „Ich verstehe kein Wort!“ Sie war aufgestanden und zeigte ihre wirklich noch sehr gute und schlanke Figur. „Ist Ihnen eine gewisse Miß Sue Weston bekannt, Madam?“ „Sue Weston . .. Sue Weston ... Warten Sie! Richtig, eine Anfängerin mit Zukunft. Das Girl wird eines Tages gut ankommen. Was ist mir ihr?“ „Sie scheint ganz offensichtlich von Gangstern erpreßt zu werden.“ „Und?“ Gilda Lynton sah den Butler verständnislos an. „Was habe ich damit zu tun?“
„Es besteht der Verdacht, Madam, daß besagte Miß Weston nur eines von vielen Modellen hier in der Stadt ist, das erpreßt wird. Wenn Sie gestatten, werde ich mich kurz fassen und Ihnen Einzelheiten der Methode unterbreiten.“ Sie gestattete und hörte sich an, was Parker zu sagen hatte. Der Butler faßte sich relativ kurz und hatte es in der Rekordzeit von fünf Minuten geschafft, was durchaus bemerkenswert war. „Wenn das stimmt, was Sie sagen und vermuten“, meinte Gilda Lynton aufgebracht, „dann sollten wir sofort die Polizei anrufen. Und was das plötzliche Fernbleiben von guten Jobs anbetrifft, so scheinen Sie recht zu haben. Mir ist auch schon aufgefallen, daß bestimmte Modelle wie aus heiterem Himmel absagten, obwohl sie sehr gutes Geld verdienen konnten.“ „Sie mußten absagen, weil sie nicht in der Lage waren zu arbeiten“, wiederholte der Butler, „diese bedauernswerten Geschöpfe scheinen von den Schlägern auf sadistische Art und Weise behandelt worden zu sein, falls dieser Ausdruck in diesem Zusammenbang überhaupt gebraucht werden kann.“ „Ein Grund mehr, sich sofort mit der Polizei in Verbindung zu setzen“, sagte Gilda Lynton energisch. „Glauben Sie, daß diese Erpresser sich ausschließlich auf Modelle spezialisiert haben?“ „Würde sich, finanziell gesehen, solch eine Spezialisierung lohnen?“ erkundigte sich der Butler. Gilda Lynton nickte und lächelte. „Das schon, falls man sich an Topmodelle hält“, meinte sie dann, „diese Damen verdienen schon recht beachtlich ...“ „Gehört Miß Weston in die Kategorie der Topmodelle?“ „Auf keinen Fall! Ich sagte ja schon, daß sie eine Zukunft hat, im Moment aber ist sie nur ein Modell von vielen. Es ist mir schleierhaft, welches Geld man sich von ihr verspricht.“ „Könnten Sie mir freundlicherweise eine Liste jener Modelle zusammenstellen lassen, Madam, die trotz einer angetragenen Arbeit absagen mußten?“ „Aber gern .. .“ Gilda Lynton nickte. „Nur wird das einige Zeit dauern . . . Wollen Sie die Liste abholen, oder soll ich sie Ihnen zuschicken?“ „Die zweite Möglichkeit würde mir eine Fahrt in die Stadt ersparen“, sagte Parker. „Darf ich mir die Freiheit nehmen, meinen Dank bereits im vorhinein zu erstatten?“ Parker durfte, bedankte sich also wortreich und verließ die Modellagentur, die übrigens in einem alten und sehr soliden Bürohaus in der Innenstadt untergebracht war. Wer hier mietete und sich niederließ, der mußte finanziell schon ungemein gesund sein. Dennoch versäumte Parker es nach diesem Besuch nicht, sich über die materiellen Verhältnisse Gilda Lyntons zu informieren... ***
„Und was haben Sie herausgefunden?“ erkundigte sich Mike Rander, nachdem sein Butler zurück in die Dachgartenwohnung gekehrt war, „stimmt alles an dieser Gilda Lynton?“ „Durchaus und vollkommen Sir. Mrs. Lyntons Agentur gehört zu den größten und besten dieser Region.“ „Das kann man wohl sagen“, schaltete sich Sue Weston ein, die sich im Studio des jungen Anwalts befand, „wer von ihr vermittelt wird, braucht sich keine Sorgen zu machen, was die Auftraggeber angeht. Mrs. Lynton ist seriös. Und sehr geschäftstüchtig ...“ „Sie kennen sie näher?“ fragte Rander seine neue Mitarbeiterin. „Nur aus der Entfernung“, gab Sue zurück, „ich gehöre ja noch nicht zum Kreis der erwählten Modelle. Die werden nur von Gilda Lynton selbst angeboten.“ „Und was ist mit dem Kreis, dem Sie angehörten?“ wollte Rander wissen. Unbewußt oder absichtlich sprach er bereits in der Vergangenheit, was Sues Beruf anbetraf. Es schien für ihn selbstverständlich, daß Sue Weston bei ihm blieb. „Wir wurden“, Sue bediente sich ebenfalls der Vergangenheitsform, „wir wurden vom eigentlichen Büro vermittelt ...“ „Wäre es Ihnen möglich, Miß Weston, mit näheren Einzelheiten zu dienen, was dieses Büro anbetrifft?“ fragte Parker „Das ist schnell getan“, war ihre Antwort, „das Büro wird von Margie Efferts geleitet... Sie ist ein ehemaliges Mannequin. Sie kontrolliert drei Bürodamen, die den Telefon- und Schriftverkehr erledigen. Groß brauchen diese Büros ja nicht zu sein. Es kommt, im Grund auf die persönlichen Kontakte an.“ „Klingt alles sehr unverdächtig“, sagte Rander, sich an seinen Butler wendend, „Mrs. Lynton dürfte mit den Erpressungen bestimmt nichts zu tun haben ...“ „Mrs. Lynton“, wiederholte Parker gemessen, „sie ist demnach verheiratet, nicht wahr?“ „Ja, das stimmt“, erwiderte Sue. „Kennen Sie Mister Lynton?“ „Ja ...!“ sagte sie sehr schnell und irgendwie abweisend. „Arbeitet er mit in der Agentur?“ schaltete Rander sich ein. Er tat so, als habe er die schnelle und abweisende Antwort nicht gehört. „Überhaupt nicht“, berichtete Sue weiter, „er befaßt sich mit Immobilien. Mehr weiß ich nicht.“ Parker war längst klar, daß sie mehr wußte. Und ihm war ebenfalls klar, daß sie Mister Lynton besser kennen mußte, als sie zugeben wollte. Doch hier schien es um private Dinge zu gehen, die nicht zur Debatte standen. „Darf ich Sie um einen Gefallen bitten? „ wechselte Parker also diskret das Thema, worüber sowohl Rander als auch Sue froh zu sein schienen, „könnten Sie jene Modelle anrufen, die Ihrer Ansicht nach aus ähnlichen Gründen, die Sie selbst betrafen, kurzfristig zu arbeiten nicht imstande waren?“ Sue Weston stürzte sich förmlich auf das Telefon. Weiteren Fragen hinsichtlich Mister Lynton wollte sie damit offensichtlich aus dem Weg gehen.
„Sie ersparen dadurch meiner bescheidenen Wenigkeit umständliche Wege und Gespräche“, erläuterte der Butler seine Umdisposition, ohne Sue allerdings zu sagen, daß er von Gilda Lynton ebenfalls eine Aufstellung erwartete. Eine Aufstellung jener Modelle, die plötzlich und ohne sichtlichen Grund auf eine ertragreiche Vermittlung verzichtet hatten. Anschließend 'erkundigte Parker sich bei seinem jungen Herrn, ob seine guten Dienste noch gewünscht würden. Als dies nicht der Fall war, fuhr der Butler mit dem Lift hinunter in die Tiefgarage des Bürohochhauses und machte sich in seinem hochbeinigen Monstrum auf den Weg, einem ganz bestimmten Lokal einen Höflichkeitsbesuch abzustatten. *** Parker merkte sehr schnell, daß er wieder einmal verfolgt wurde. Er regte sich darüber keineswegs auf. Dinge dieser Art war er schließlich gewohnt. Die beiden Insassen des hellgrauen Ford zeichneten sich durch besondere Hartnäckigkeit aus. Selbst durch kleine, scheinbar ungewollte Tricks des Butlers ließen sie sich nicht abschütteln. Sie brannten wohl darauf, Parker eine Rechnung zu präsentieren. Es mußte sich um die Herren Rice und Hole handeln, obwohl Parker sie nicht eindeutig erkennen konnte. Die beiden Insassen des Ford trugen Sonnenbrillen und wurden durch die heruntergeklappten Blenden des Wagens noch zusätzlich abgeschirmt. Um der Sache auf den Grund zu gehen, um sich den beiden Verfolgern vorstellen zu können, bog Parker in der Innenstadt; plötzlich vom regulären Weg ab und steuerte die Einfahrt zu einer Hochgarage an. Er löste ein Ticket und fuhr über die Wenderampe hinauf auf das Dachgeschoss. Er brauchte auf seine anhänglichen Verfolger nicht lange zu warten. Der hellgraue Ford schoß plötzlich ebenfalls heran und parkte dicht neben Parkers hochbeinigem Monstrum. Sie übersahen in ihrem Eifer, daß Parkers Wagen ungemein einladend stand. Vielleicht hätten sie gerade diesem Detail etwas mehr Aufmerksamkeit schenken sollen. Doch die beiden Sonnenbrillenträger waren blind vor Eifer. Sie purzelten förmlich aus ihrem Wagen und enterten Parkers hochbeiniges Monstrum. Einer von ihnen benutzte die hintere Wagentür und warf sich förmlich in die Polster der Rücksitze. Der zweite Mann wollte vorn zu Parker einsteigen, doch als die Beifahrertür sich nicht öffnen ließ, machte er es sich neben seinem Partner bequem. „Ich muß doch sehr bitten“, protestierte der Butler gemessen, um seinen linken Fuß dann kurz auf einen Fußschalter zu stellen, der sich neben dem Kupplungspedal auf dem Bodenbrett befand. Daraufhin schnellte die bisher versenkte Trennscheibe zwischen Fond und Fahrersitze blitzschnell nach oben und verwandelte den rückwärtigen Teil des Wagens in eine Sonderkabine.
Rice und Hole, um die es sich tatsächlich handelte, rissen nun ihre 38er aus ihren Schulterhalftern und wollten energisch werden. „Ich darf Sie darauf aufmerksam machen“, ließ Parker sich über die Sprechanlage des Wagens vernehmen, „daß die Trennscheibe aus einem besonderen Panzerglas besteht. Sollten Sie also schießen, müßten Sie mit peinlichen Abprallern und Querschlägern rechnen. Dieses Risiko ginge ich an Ihrer Stelle nicht ein!“ Woraufhin Rice und Hole schleunigst wieder aussteigen wollten. Sie merkten, wenn auch zu spät, daß sie überlistet worden waren. Dementsprechend war ihre Laune. Sie rüttelten und rissen an beiden Türgriffen, die sich aber nicht bewegen ließen. Parker hatte sie von vorn aus elektrisch verriegelt. „Wenn Sie einverstanden sind, werde ich Ihren verständlichen Unmut ein wenig dämpfen“, ließ Parker sich über die Sprechanlage vernehmen, „ich darf Ihnen aber versichern, daß Sie auf keinen Fall mit gesundheitlichen Schäden rechnen müssen ...“ Rice und Hole hatten ihr Wüten eingestellt und sahen sich betreten an. Ihnen dämmerte, daß sie ihren Meister gefunden hatten. Und sie wunderten sich schon gar nicht mehr, als plötzlich ein feines Zischen in ihrer Kabine zu hören war. Fasziniert starrten sie auf den nebligen Spray, der aus zwei scheinbaren Frischluftdüsen auf sie herabregnete. Die Burschen schauten sich an, gähnten herzlich und langanhaltend, um dann wohlig die Augen zu schließen. Sie wollten einem plötzlichen Schlafbedürfnis ohne Zögern sofort nachkommen. Parkers schwarz behandschuhte, rechte Hand glitt über das reichhaltig ausgestattete Armaturenbrett und legte einen der vielen Kipphebel um. Daraufhin erschienen vor den beiden hinteren Wagenscheiben und der Rückscheibe Springrollos, die jede Sicht in den Innenraum des Wagens verwehrte. Parker stieß sein hochbeiniges Monstrum zurück und fuhr über die Wenderampe zurück auf die Straße. Er wollte ein ruhiges Plätzchen aufsuchen, um sich ungestört mit seinen beiden Fahrgästen zu unterhalten. Nach einer Stadtrundfahrt von zwanzig Minuten hielt Parker auf einem engen Hinterhof, auf dem sich leere Obst- und Gemüsekisten stapelten. Parker stieg aus dem Wagen und stattete einem gewissen Mister Lew Antonella einen Besuch ab. Der Gemüsehändler mit dem aufschäumenden Temperament wohnte nämlich nicht zufällig in dem Haupthaus vor dem Hinterhof. *** Rice und Hole kamen zu sich und fühlten sich überhaupt nicht wohl in ihrer Haut. Sie hatten Kopfschmerzen und erinnerten sich nur mühsam an den Vorfall im Fond von Parkers Wagen. Das Lachgas, das sie ausgiebig eingeatmet hatten, hatte sie noch nicht restlos freigegeben. Hinzu kam, das sie sich ziemlich wehrlos fühlten.
Sie waren an Händen und Füßen gebunden und hatten keine Chancen, die Handschellen, die sie trugen, aus eigener Kraft loszuwerden. Schließlich war da noch die Umgebung, in der die beiden Schläger sich befanden. Sie befanden sich in einem Lagerraum, in dem Obst und Gemüse in Kisten und Steigen abgestellt war. Es roch angenehm nach Äpfeln, nach Frischgemüse und nach Blumen. Dennoch stellte sich bei ihnen keine richtige Fröhlichkeit ein. Wahrscheinlich dachten sie an den Mann, der dies alles stapelte und verkaufte. Sie sollten sich nicht getäuscht haben. Eine kleine Nebentür öffnete sich, und Lew Antonella trat ein. Das heißt, er bewegte sich nicht gerade sicher auf seinen Beinen. Er litt offensichtlich noch unter der Behandlung, die er von Rice und Hole empfangen hatte. Die beiden Schläger starrten den Gemüsehändler aus großen Augen an. Sic fühlten Trockenheit in ihrem Mund und den Schweiß, der ihnen prompt ausbrach. Dieser Schweiß hing mit dem Gegenstand zusammen, den Antonella .in der rechten Hand trug. Der Oberarm, der zu dieser Hand gehört, war dick verbunden. „Mach' bloß kein Theater“, sagte Rice, der sich als erster gefangen hatte. Er versuchte, seiner Stimme einen drohenden Unterton zu verleihen, was ihm allerdings nicht so recht gelang, „los, besorg' dir 'ne Feile oder 'ne Stahlsäge und streng' dich an!“ Hole starrte auf den Gegenstand in Antonellas Hand. Es handelte sich um ein Rasiermesser, wie es nur noch von Kennern zum Rasieren benutzt wird. Dieses Rasiermesser War aufgeklappt und gab die breite Klinge frei. „Hör' zu, Dicker“, redete Rice hastig weiter, „du begehst Selbstmord, wenn du nicht sofort spurst. Du scheinst' vergessen zu haben, daß wir Freunde haben!“ Lew Antonella sagte kein Wort. Er setzte sich auf eine Kiste und starrte die beiden Schläger ausdauernd und unentwegt an. Er ließ sie keinen Moment aus seinen schwarzen Augen. Und seine Hände spielten fast verträumt versonnen mit dem Rasiermesser… *** Das Lokal, für das der Butler sich interessierte, befand sich in einer überraschend ruhigen Seitenstraße im Kern der Stadt. In der näheren Umgebung gab es die großen Modeagenturen, Büros, in denen Werbung gemacht wurde und schließlich auch die - Redaktionen großer Zeitungen. In diesem Lokal traf man sich, hier war man unter sich. Der Inhaber dieses Lokals, das eine Mischung aus Wiener Cafe, Bierbar und Schnapskneipe war, hieß Joe. Sein Nachname war sicher nur der zuständigen Steuerbehörde bekannt. Selbstverständlich auch dem Butler, der Joe vor einem knappen Jahr einmal einen großen Gefallen erwiesen hatte. Joe, der hinter der langen Theke residierte und seine Angestellten mit Argusaugen überwachte, wuchtete sich von einem Barhocker neben der Kasse und
schob sich überraschend schnell an den Butler heran, der gerade höflich seine schwarze Melone lüftete. „Mann, ist das 'ne Freude“, sagte Joe, ein Mann, der gut und gern seine zwei Zentner wiegt, ,,is' das aber mal 'ne Überraschung, Mister Parker ... Was soll's denn sein?“ „Einen Kaffee nach guter alter Art und eine Auskunft“, antwortete Parker und ließ sich von Joe in eine Nische im hinteren Teil des Lokals führen. Wer in dieser Nische Platz nehmen durfte, gehörte zu den Privilegierten. Parker bekam seinen Kaffee und seine Auskunft. „Ich hab' tatsächlich was läuten hören“, meinte Joe, nachdem er sich Parkers Geschichte angehört hatte, „irgendein Schwein scheint sich darauf spezialisiert zu haben, Fotomodelle auszunehmen.“ „Sind Ihnen Einzelheiten bekannt?“ „Unter den Mädchen geht die nackte Angst um“, redete Joe weiter, „man bekommt das so aus Andeutungen und Wortfetzen mit. Sie scheinen alle unter 'nem mächtigen Druck zu stehen.“ „Seit, wann grassiert diese Angst?“ wollte der Butler wissen. „Schätzungsweise seit zwei Monaten. Genau läßt sich das zeitlich nicht bestimmen, Mister Parker. Sind Sie hinter diesem Kerl her, der die Mädchen hochnehmen will?“ „In der Tat“, erwiderte Parker, „ist Ihnen in diesem Zusammenhang eine gewisse Miß Sue Weston bekannt?“ „Sue Weston? Warten Sie! Langbeinig, aschblond und schräge Katzenaugen?“ „Eine durchaus zutreffende Beschreibung.“ „Dann kenne ich Sue“, sagte Joe und lächelte, „ein reizendes Mädchen, wenn ich mich nicht täusche, arbeitet sie mit der Agentur Lynton zusammen.“ „Durchaus.“ „Wollen Sie noch mehr über sie wissen?“ „Nur wenn es sich lohnen sollte, Mister Joe.“ „Ich glaube, sie hatte mal eine kleine Freundschaft mit Herbert Lynton. Genaues weiß ich aber nicht. Ich gebe nur das wieder, was man hier so aufschnappt.“ „Kommen wir zurück zu dem Erpresser“, wechselte Parker das Thema, ohne sich hinsichtlich Sues etwas anmerken zu lassen“, sind irgendwelche Gerüchte darüber durchgesickert, wer diese Organisation aufgebaut hat und leitet?“ „Nichts“, sagte Joe und schüttelte den Kopf, „vergessen Sie nicht die Angst der erpreßten Mädchen! Die sagen kein Wort.“ „Und was sagen gewisse Kreise zu dieser neuen Form des Geldverdienens“, erkundigte sich Parker. „Sie meinen jetzt die Unterwelt?“ „Durchaus ...“ „Man rätselt darum, wer hinter den Schlägern stehen könnte. Es muß ein neuer Mann hier in der Stadt sein, sonst wäre mehr durchgesickert. Tut mir leid, Mister Parker, ich muß passen. Weil ich tatsächlich nichts weiß!“
„Befassen wir uns kurz mit Mister Battery“, wechselte der Butler erneut das Thema. „Walt B. Battery“, meinte Joe und grinste verächtlich, „dieser Stiernacken ist längst passe, aber vielleicht hat er das noch gar nicht kapiert.“ „Womit beschäftigt er sich, wenn man ins Detail gehen darf?“ „Er klaut Wagen, frisiert sie um und schafft sie 'runter in den Süden. Nichts Tolles, wenn Sie mich fragen. Seine große Zeit, als er noch in Feinmechanik und Safes hatte, ist längst vorüber.“ „Sagt Ihnen der Vorname Mel etwas?“ erkundigte sich Parker weiter. Er bedauerte keine Sekunde, hinaus zu Joe gefahren zu sein. Hier wurden Nachrichten gehandelt, die sich hören- lassen konnten. „Mel...? Mel Hooper!?“ „Möglicherweise. Wer ist dieser Mel Hooper?“ „Eine ganz miese Type“, erwidert Joe und verzog angewidert sein Gesicht, „Callgirls . . . Prostitution . .. Erpressung . . . Ein gieriger Bursche, der' sich seinen Platz an der Sonne erkämpfen will. Er scheint von den zuständigen Syndikaten gefördert zu werden. Vorerst wenigstens. Hören Sie, Mister Parker, glauben Sie, daß Battery und Hooper sich zusammengetan haben?“ „Gewisse Anzeichen sprechen dafür“, antwortete der Butler“, um aber vollkommen sicher zu sein, müßte ich mich erst einmal mit diesem Mister Hooper unterhalten. Ich bin sicher, daß Sie mir seine Adresse geben können.“ Joe konnte und genierte sich überhaupt nicht, sie auch zu nennen. Angst schien er nicht zu kennen, dieser gemütlich aussehende Zweizentnermann mit den großen Kinderaugen. *** Hoopers Büro befand sich im Obergeschoß einer zweistöckigen, ehemaligen Lagerhalle, die für- seine Zwecke hergerichtet worden war. Hier bot er allerdings keine Callgirls an, sondern Gebrauchtwagen und Leihwagen. Im Erdgeschoß war mit viel Farbe und einigen geschickt angebrachten Spotlights so etwas wie eine Verkaufsatmosphäre geschaffen worden. Es gab da einige Sitzgruppen, in die man unentschlossene Käufer tief hineindrückte und so lange weich redete, bis sie ihre begehrte Unterschrift leisten, ohne noch nachzudenken. Es gab so etwas wie eine kleine Bar, in der man mit Alkoholika nachhelfen konnte. Und selbstverständlich einige langbeinige Hostessen, die freundliche Hilfestellung leisteten. Im Obergeschoß der ehemaligen Fabrikhalle befanden sich die Privatwohnungen von Hooper sowie die Büroräume und die Angestelltenkantine. Alles wirkte äußerst unverdächtig und ließ nicht den leisesten Verdacht aufkommen, Hooper verkaufe außer den Gebrauchtwagen noch Menschenfleisch in Form leichter Damen aus dem horizontalen Gewerbe. Ehrlicherweise soll und muß gesagt werden, daß Hooper tatsächlich Autos verkaufte. Dieser Umsatz war noch nicht einmal schlecht. Er hätte normalerweise
ausgereicht, ihm ein gutes und dollarschweres Leben zu garantieren. Doch Hooper, schon in jungen Jahren leicht kriminell, wollte mehr. Er gierte nach Einfluß, nach immer noch mehr Geld, und er träumte davon, eines Tages in die Spitze des Syndikats zu gelangen, um dann vom Schreibtisch aus regieren zu können. Hooper sah nicht schlecht aus. Er trieb Sport, hatte eine große, schlanke, sportgestählte Figur und ein Gesicht, daß er leicht für markante Whiskyreklame hätte vermieten können. Er war so eine Art Piratentyp mit Zahnpastalächeln. Parker wurde nach dem Betreten des Erdgeschoßes gleich von einer äußerst charmanten Hostess abgefangen, die ihn strahlend anlächelte, als habe sie Zeit ihres jungen Lebens ausgerechnet auf ihn gewartet. Parker dankte mit freundlichem Lüften seiner schwarzen Melone. „Sie wünschen einen Wagen, Sir?“ flötete die Hostess und bugsierte den Butler gleich hinüber zur Bar, um ihm einen Drink anzubieten. „Mitnichten“, antwortete Parker. „Keinen Wagen?“ fragte die Hostess, die leicht verwirrt war. „Ich wünsche Mister Hooper einen Besuch abzustatten“, sagte der Butler“, würden Sie die Freundlichkeit haben, mich anzumelden? Mein Name ist Parker, Josuah Parker. Ich bin sicher, daß Mister Hooper mit meinem bescheidenen Namen etwas anzufangen weiß!“ Die Hostess schwirrte mit wehendem Röckchen ab und vergaß darüber, ihm den offerierten Drink anzubieten. Parker blieb gemessen und würdevoll neben einer ansehnlichen Zierpalme stehen, die in einem rot lackierten Holzkübel, stand. Der Geschäftsbetrieb konnte sich sehen lassen, wie er feststellte. Drei Verkäufer redeten gerade auf drei Käufer ein und schienen bereits ihre Abschlüsse so gut wie sicher in den Taschen zu haben. Zwei Hostessen an der Eingangstür schaukelten mit kokett wiegenden Hüften auf zwei Neuankömmlinge zu und führten sie zur Bar. Dabei maßen sie Parker mit amüsiert-irritierten Blicken. Einen Kunden wie Parker, was Äußeres anbetraf, hatten sie sicher noch nie gesehen. „Mister Hooper läßt bitten!“ Die Hostess, die sich um Parker zu kümmern hatte, erschien knapp neben ihm und deutete hinüber auf eine geschwungene Treppe, die hinauf ins Obergeschoß führte. Parker bedankte sich und ließ sich führen. Die Treppe führte hinauf zu einer kleinen Galerie. Dann ging es durch eine Schwingtür aus Glas in einen Lichthof, von dem aus je ein Korridorgang nach links und rechts abzweigte. Die Hostess öffnete eine solide Tür in der linken Trennwand und führte den Butler dann bis vor eine Tür, auf der Privat stand. Hooper empfing den Butler mit gewinnendem Lächeln und bot ihm einen Sessel links vor seinem mächtigen Schreibtisch an. „Sie werden erlauben, daß ich lieber stehe“, sagte Parker steif, „und Sie werden sich gewiß wundern, Mister Hooper, weshalb ich Ihnen einen Besuch abstatte.“ „Ich nehme doch an, daß Sie einen Wagen kaufen wollen“, erklärte Hooper“ „Ich möchte mich mit Ihnen über einen gewissen Mister Battery unterhalten“, antwortete der Butler, nach seiner persönlichen Art sofort mit der sprichwörtlichen Tür ins Haus fallend.
„Battery ...!?“ Mehr sagte Hooper nicht. Er beendete sein Lächeln und sah eigentlich schon nicht mehr so gewinnend aus. „Mister Battery“, wiederholte der Butler, „ein Krimineller, der angeblich Staubsauger verkauft, sich aber auf das Stehlen und Umfrisieren dieser Wagen spezialisiert hat. In eingeweihten Kreisen spricht man davon, daß Mister Battery inzwischen passe ist;“ „Ich ... Ich verstehe kein Wort“, behauptete Hooper, obwohl das genaue Gegenteil der Fall sein mußte. „Sie, Mister Hooper, bedienen sich Batterys, um sich hier in der Stadt durchzusetzen“, redete Parker kühl weiter., „da ich im Augenblick nicht die Absicht habe, gegen Sie vorzugehen, sollten wir über diese Dinge nicht weiter reden.“ Hooper nagte einen kurzen Moment an seiner Unterlippe, dann zündete er sich eine Zigarette an. Nachdem er den Butler prüfend gemustert hatte, drückte er diese gerade angerauchte Zigarette sofort wieder im Aschenbecher aus. „Reden wir also Fraktur“, sagte er dann, „Sie nehmen den Mund ziemlich voll, Parker ... Zu voll eigentlich, wenn Sie mich fragen! Ich hätte größte Lust, Ihnen das Maul polieren zu lassen!“ „Ihre Ausdrucksweise muß ich rügen“, gab der Butler gemessen zurück, „zwingen Sie mich bitte nicht, Ihnen gutes Benehmen beizubringen, Mister Hooper!“ „Sie bilden sich auf Ihren Ruhm wohl eine verdammte Menge ein, wie?“ „Ein bescheidener Durchschnittsmensch meiner Art steht dem Ruhm skeptisch gegenüber“, entgegnete der Butler, „aber bleiben wir doch möglichst bei den Themen, die interessieren müßten. Sie haben sich mit Battery zusammengetan, um auf dem Umweg über Prostitution und Erpressung Ihr Einkommen aufzubessern.“ Hooper explodierte und kam mit wutverzerrtem Gesicht und übrigens auch schnellen Schritten auf den Butler zu. Hooper hatte die feste Absicht, Parker eine Kostprobe seines Schlagvermögens zu verabreichen. Parker reagierte ausgesprochen sanft und höflich, soweit sich das unter den gegebenen Umständen machen ließ. Mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms langte er nach einem Sitzhocker und zog ihn in die Anlaufbahn seines Gesprächspartners. Er erwischte genau den richtigen Moment. Hooper wurde von dem Sitzhocker so plötzlich überrascht, daß er seinen Sturmlauf nicht mehr zu bremsen vermochte. Er stolperte über den Hocker, blieb für eine Hundertstelsekunde waagerecht in der Luft und praktizierte anschließend eine Bauchlandung vor Parkers Füßen. „Blinder Eifer schadet nur“, stellt der Butler höflich, aber ohne Bedauern fest, „wenn Sie es wünschen, Mister Hooper, werde ich Ihnen gern meine hilfreiche Hand leihen.“ Hooper wollte.
Er griff nach Parkers ausgestreckter Hand, um sich angeblich hochziehen zu lassen. In Wirklichkeit aber hatte er nur die eine erklärte Absicht, die Finger des Butlers in seiner nicht gerade kleinen Hand zu zerquetschen. *** Hooper war aufgestanden, doch er hatte Parkers Hand nicht losgelassen. Hooper fühlte sich bereits als Sieger auf der ganzen Linie, als der Mann seine Hand wie eine Stahlklaue schloß. Er wußte aus früherer Erfahrung, daß er auf diesem Gebiet eine Art Sensation war. Bisher hatte er damit noch jede fremde Hand dazu gebracht, sich schleunigst in ärztliche Betreuung zu begeben. Hooper grinste also und drückte und quetschte. „Na, Parker, wie sieht's denn jetzt aus?“ fragte er dazu. „Darf ich fragen, wovon Sie momentan reden?“ „Ah, Sie wollen durchhalten!?“ Hooper verstärkte den Druck seiner Finger, die um Parkers Hand lagen. „Selbstverständlich“, erwiderte der Butler, „Sie müssen zugeben, daß wir das Thema noch keineswegs erschöpfend behandeln konnten.“ Hooper antwortete nicht. Er pfiff auf die langsame Steigerung, die ihm vorgeschwebt hatte. Jetzt wollte er den Butler mit einem mächtigen Druck in die Knie zwingen und ihm die Fingerknöchel brechen. Parker sollte schreien vor Schmerz. Was der Butler keineswegs tat, wie sich sofort herausstellte- Der Butler schien überhaupt nicht zu begreifen, was Hooper wollte. „Und wie sieht es jetzt aus?“ erkundigte sich Hooper und verzerrte sein Gesicht vor Kraftanstrengung. „Nun, ich begreife endlich“, erwiderte Parker und nickte andeutungsweise, „Sie wollen mir die Kraft Ihrer Hand demonstrieren, wenn ich nicht sehr irre.“ „Ich mache Sie fertig!“ keuchte Hooper und setzte den Rest dessen ein, was ihm noch an roher Kraft zur Verfügung stand. Wovon der Butler sich allerdings nicht beeindruckt zeigte. Er schien nach wie vor nichts zu spüren. Dafür stimmten aber in Hoopers Ohren plötzlich gewisse Engel ein leises Lied an. Parker erwiderte den Händedruck. Hooper merkte sofort, daß er in einen Schraubstock geraten war. Schleunigst wollte er seine Hand lösen und in Sicherheit bringen. Das leise Lied der Engel verstärkte sich zu einem Chor. Hooper hörte sich zusätzlich stöhnen. Seine Finger wurden gnadenlos zusammengepreßt. Sie schienen sich bereits in ihre Bestandteile aufzulösen. „Dieses Spiel spielten wir als Kinder“, erläuterte Parker im Konversationston, dem keinerlei Anstrengung anzumerken war, „ich muß zugeben und einräumen, Mister Hooper, daß Sie in meiner bescheidenen Wenigkeit so etwas wie einen
kindlichen Spieltrieb ausgelöst haben. Stellen wir doch wirklich einmal fest, wer die stärkeren Hände hat.“ Hooper schossen die Tränen in die Augen. Aus seinem Stöhnen wurde ein Keuchen und Ächzen. Dann brüllte er plötzlich auf. Ihm war, als sei seine Hand von einer mittelschweren Dampfwalze überfahren worden. Hooper ging unwillkürlich in die Knie und kniete auch dann noch, als die Nebentür seines Büros sich öffnete und zwei junge, gut gekleidete Männer hereinstürmten, die zögernd und unsicher auf ihren Chef hinuntersahen. „Los...! Macht ihn fertig!“ schrie Hooper. „Los doch ...!“ Die beiden jungen Männer reagierten augenblicklich und zogen ihre Schußwaffen. Das heißt, sie wollten sie ziehen, doch dazu kamen sie nicht mehr. Parker, der das im Schirmstock eingebaute Preßluftblasrohr mit einer Spezialladung gefüllt hatte, richtete die Schirmspitze auf die beiden Mitarbeiter des ächzenden Mister Hooper und drückte auf den oben am Griff versteckt angebrachten Auslöseknopf. Das Resultat war verblüffend. Die beiden jungen Männer vergaßen urplötzlich ihre Absichten und griffen mehr als hastig nach ihren Augen, die plötzlich eine Bildstörung hatten. Sie konnten nichts mehr sehen und taumelten hilflos tiefer in das Privatbüro Mister Hoopers hinein. Dabei kontaktierten sie mit dem Butler, gegen den sie stießen, was er ihnen allerdings nicht übel nahm. Hooper, von Parker freigegeben, stand vorsichtig auf und stierte auf seine schneeweiße Hand, in der es keinerlei Durchblutung mehr zu geben schien. Dann ließ Hooper sich wimmernd in einen Besuchersessel fallen und zweifelte an seiner Welt. Die beiden jungen Männer saßen inzwischen ebenfalls. Allerdings auf dem gewiß nicht billigen Teppich. Sie wischten sich die Augen und konnten sich überhaupt nicht erklären, wieso sie noch immer nichts sahen. „Ein normales Auswaschen der Augen wird genügen, um die Sehfähigkeit wiederherzustellen“, sagte Parker tröstend, „mit dieser Behandlung würde ich allerdings nicht vor einer Viertelstunde beginnen, da die Reizung der Augen sich sonst noch verstärken könnte.“ „Was ... Was wollen Sie eigentlich?“ stöhnte Hooper in Richtung Parker. „Ich bedanke mich für den Hinweis“, sagte der Butler und deutete in Richtung Hooper eine knappe Verbeugung an, „wir waren bei Ihrem Partner und Geschäftsfreund Battery. Ich bin solange weder an Ihnen noch an Mister Battery interessiert, wenn Sie sich von gewissen Fotomodellen fernhalten.“ „Was ...!? Wovon reden Sie denn jetzt schon wieder?“ „Von gewissen Erpressungen, die sich auf Fotomodelle spezialisiert haben.“ „Ich verstehe kein Wort... Wirklich, Parker... Wovon reden Sie eigentlich?“ „Sagen Ihnen die Namen Rice und Hole etwas?“ „Rice und Hole...? Waren die nicht bei Battery angestellt?“ „Battery muß sie inzwischen doch längst an die frische Luft gesetzt haben.“
„Das behauptet auch Mister Battery.“ „Na, also ... Haben die denn was angestellt?“ „Sie arbeiten für einen Erpresser, der sich auf Fotomodelle spezialisiert hat.“ „Aber damit haben wir doch nichts zu tun. Glauben Sie mir, Parker ... Sowas interessiert mich nicht. Das sind doch kleine Fische. Hier ein paar Dollar vielleicht, und dort ein paar Riesen. Damit vergoldet man sich doch nicht seine Nase. Trauen Sie mir solch einen Kleinkram zu?“ „Ihre Argumentation ist das, was ich tatsächlich überzeugend nennen möchte“, sagte Parker spontan, „eine bessere Auskunft hätten Sie mir gar nicht geben können, Mister Hooper. Noch eine letzte Frage. Sagt Ihnen der Name Herbert Lynton etwas?“ „Lynton ...? Nein ...! Was wollen Sie denn alles wissen...? Hauen Sie doch endlich ab, Parker!“ Hooper hatte sich inzwischen längst aufgerichtet und massierte mehr als vorsichtig seine Finger. Dabei stöhnte und wimmerte er, als würden sie noch zwischen den Rollen einer Mangel stecken. „Man sieht sich vielleicht wieder“, erwidert der Butler und lüftete höflich seine schwarze Melone, „ich bin dessen sogar vollkommen sicher, Mister Hooper. Die Art Ihrer Nebengeschäfte und Ihr Ehrgeiz werden eines Tages meine Aufmerksamkeit wecken.“ „Ich warte auf die Stunde, wo ich Ihnen die Knochen brechen kann“, schwor Hooper laut. Dann schaute er wütend auf seine beiden Mitarbeiter, die sich die Tränen von den Wangen wischten und so gar keine Lust hatten, etwas für Ihren Brötchengeber zu tun. *** Joe Rice und Randy Hole waren einem Nervenzusammenbruch sehr nahe. Sie stierten aus hervorquellenden Augen auf das Rasiermesser in Lew Antonellas Hand. Dieses Rasiermesser schnitt Streifen auf Streifen aus einem Stück Seidenpapier, das der Gemüsehändler von einem kalifornischen Tafelapfel abgewickelt hatte. Daran demonstrierte Lew Antonella, wie scharf sein Messer war. Während dieser Beschäftigung sprach er kein Wort. Er schien die Sprache verloren zu haben. Ab und zu hob er langsam den Kopf und schaute Rice und Hole ruhig und gelassen an. Es war gerade der fehlende Haß in Antonellas Gesicht, der sie fast zum Wahnsinn brachte. Ihnen wäre lieber gewesen, er hätte sie angeschrien, hätte gedroht und sich mit Worten stark gemacht. Dies hatten Rice und Hole schon seit einer halben Stunde hinter sich. Sie hatten Antonella mit Worten in die Zange genommen und ihm gedroht. Nun fiel ihnen nichts mehr ein, nun warteten sie nur noch darauf, daß er statt des Seidenpapiers sie in Streifen schnitt.
Sie hielten unwillkürlich den Atem an, als Antonella plötzlich aufstand und mit dem geöffneten Messer langsam auf sie zuging. Sie fürchteten, daß ihre Gesichter jetzt an der Reihe wären und zogen unwillkürlich ihre Beine an. Sie ließen den Gemüsehändler nicht aus den Augen. Antonella ignorierte sie und versorgte sich mit einem neuen Stück Seidenpapier, das er von einem Tafelapfel abwickelte. Dann blieb er vor den beiden brutalen Schlägern stehen und zerschnipselte mit dem Rasiermesser auch dieses Stück Papier. Die Rasierklinge tat ganze Arbeit. Sie erlegte das Stück Papier spielerisch in feine, schmale und lange Streifen. Es mußte ungewöhnlich gut geschliffen und scharf sein. Antonellas Verhalten hatte sich verändert. Er schien jetzt erst so richtig zu begreifen, daß die beiden Schläger wehrlos vor ihm auf dem Boden lagen. Und er schien endlich die Möglichkeit zu sehen, sich an ihnen auf seine Art und Weise zu rächen. „Wer hat euch geschickt?“ fragte er plötzlich und ließ den Rest des Seidenpapiers zu Boden segeln, was wegen der Dünne des Papiers einige Zeit dauerte. „Wieso ...?“ stotterte Rice und leckte sich die trocken gewordenen Lippen. „Wer soll uns geschickt haben?“ fragte Hole mit einem letzten Hauch von Ruppigkeit. Antonella ließ sich auf keine Diskussionen ein. Er ging auf Rice zu und hockte sich neben den Schläger. Dann nahm er sein Rasiermesser hoch und ... zerschnitt langsam, fast genießerisch den Hemdkragen des Gangsters. Rice atmete nur noch ganz flach. Er fühlte den kühlen Stahl an der Haut seines Halses, hörte das trennende Schaben der Klinge und rechnete damit, jeden Moment selbst angeschnitten zu werden. Er bewegte sich nicht um einen einzigen Millimeter und litt Höllenqualen. „Wer hat euch zu Sue Weston geschickt?“ wiederholte Antonella seine Frage noch einmal. In einem Ton, der völlig beiläufig klang, in einem Ton, der nichts von einer tödlichen Drohung durchblicken ließ. „Nehmen Sie das Messer weg“, keuchte Rice, über dessen Nase einige dicke Schweißtropfen ein Wettrennen veranstalten, „nehmen Sie das verdammte Ding weg!“ „Sicher ist meine Hand nicht mehr, seitdem der Arm getroffen worden ist“, ließ Antonella sich vernehmen, „wer hat euch zu Sue Weston geschickt.“ Antonella geriet offensichtlich in Erregung. Seine Hand begann zu zittern und wurde noch unsicherer. „Aufhören... Aufhören!“ stöhnte Rice, dessen letzter Widerstand in sich zusammenbrach, „hören Sie auf ... Der Mörder-Hai!“ „Wer...?“ Das Rasiermesser legte eine kleine Pause ein.
„Der Mörder-Hai“ wiederholte Rice und atmete erleichtert auf. Ihm war jetzt alles gleichgültig, Hauptsache, dieses fürchterliche Rasiermesser bewegte sich weg von seinem Hals. „Und wo finde ich ihn?“ erkundigte sich Antonella und schaute interessiert auf die Schneide des Rasiermessers, „wo steckt dieser Mörder-Hai?“ „Wir... Wir werden von ihm immer nur angerufen“, sagte Rice hastig, „fragen Sie Hole! Er wird es Ihnen bestätigen!“ „Du dreckiges Schwein!“ fauchte Hole seinen Partner Rice an, „dafür wirst du noch hochgenommen werden ...“ Hole fand keine starken Worte mehr, als auch sein Kragen sich in kleine Stoffstreifen auflöste. Er stöhnte und verdrehte die Augen nach dem Messer. Und er beeilte sich, die Angaben seines Partners Rice voll und ganz zu bestätigen. Er hatte vergessen, daß er eben noch den starken Mann gemimt hatte. „Und wo wohnt ihr im Moment?“ fragte der Gemüsehändler ruhig weiter, „belügt mich nicht, ich prüfe das nach!“ Sowohl Rice als auch Hole beeilten sich, ihre neue Adresse anzugeben. Sie schworen, das Battery mit den Erpressungen nichts zu tun habe. Das wollten sie tatsächlich auf ihren Eid nehmen. Antonella stand auf und verlor jedes weitere Interesse an den beiden Schlägern. Mit langsamen, schleppenden Schritten verließ er sein Obst- und Gemüselager. „Hoffentlich habe ich Ihnen nicht zuviel zugemutet?“ erkundigte Butler Parker sich, der den Gemüsehändler in dessen Büro erwartete. „Ich kann mich kaum noch auf den Beinen halten“, sagte Antonella und ließ sich auf einen Stuhl fallen, „aber die beiden Schläger haben nichts gemerkt. Sie sind vor Angst fast umgekommen.“ „Hat sich der kleine Nervenkrieg gelohnt, was Informationen anbetrifft?“ Antonella berichtete, was er gehört hatte. Er lächelte müde, als er geendet hatte. „Ihr Trick war erstklassig, Mister Parker“, sagte er und betrachtete das Rasiermesser, „die beiden Gangster haben tatsächlich geglaubt, daß ich sie in Streifen schneiden würde. Dabei hatte ich Angst, sie zu verletzen.“ „Es gibt also das, was man hier in der Stadt einen Mörder-Hai nennt“, sagte der Butler nachdenklich, „wer mag sich hinter diesem Pseudonym verbergen? Battery ... Hooper ...? Nun, man wird sehen.“ „Und was wird aus mir?“ fragte Antonella, „was geschieht mit den beiden Gangstern?“ „Ich werde sie, wenn auch auf Umwegen, wieder auf freien Fuß setzen müssen“, erwiderte der Butler, „Rice und Hole brauchte ich als eine Art Pfadfinder ... Sie werden und sollen meine bescheidene Wenigkeit zum Mörder-Hai führen!“ „Sie werden erst mal ,zu mir zurückkommen“, sagte Antonella. „Sehr wahr“, räumte der Butler ein, „wenn Sie einverstanden sind, Mister Antonella, gehen Sie auf einen kleinen Plan ein, den ich mir zurechtgelegt habe. Einen finanziellen Verlust werden Sie auf keinen Fall hinnehmen müssen.“
*** Es gab einen Menschenauflauf und eine Verkehrsstauung, als auf dem PershingSquare plötzlich zwei Männer standen, die nichts als geblümte Unterhosen anhatten. Sie befanden sich auf einer Verkehrsinsel und kamen sich ziemlich ausgeliefert vor. Sie hörten die spitzen Schreie empörter Damen, das donnernde und schadenfrohe Gelächter einer Männerwelt, und sie hielten ihre Hände vor Blößen, die es wegen der geblümten Unterhosen im Short-Stil eigentlich gar nicht gab. Rice und Hole waren zuerst wie vor den Kopf geschlagen. Dann ergriffen sie die Flucht und wollten sich mehr als hastig absetzen. Doch sie kamen nicht weit. Damen witterten in den beiden Schlägern ausgemachte Sittenstrolche und hetzten handfeste Männer auf die beiden Flüchtenden. Da Rice und Hole nackte Füße hatten, und da der Asphalt an diesem Tag sehr heiß war, hüpften und sprangen sie wie die Frösche umher und gewannen keineswegs den Vorsprung, den sie sich vor der Meute ausgerechnet hatten. Rice und Hole wurden am Rand einer kleinen Grünanlage eingeholt und auf einen Kinderspielplatz abgedrängt. Womit ihr Schicksal besiegelt war. Auf diesem Spielplatz tummelten sich Kleinst- und Kleinkinder, sorgfältig behütet und beobachtet von Kinderfrauen aller Hautfarben. Diese in der Mehrzahl robust aussehenden Damen in mittleren Jahren fürchteten unnötigerweise um das Seelenheil ihrer Schutzbefohlenen und gingen massiert zum Angriff über. Rice und Hole, im Nahkampf nicht gerade unerfahren und mit trainierten Muskeln ausgestattet, hatten gegen die Kinderfrauen nicht die geringste Chance. Rice und Hole wurden eingekreist und nach allen Regeln der Kunst behandelt. Es dauerte nur dreieinviertel Minuten, bis sie ausgepumpt und angeschlagen auf dem Boden lagen. Sie weinten Tränen der ehrlichen Freude, als ein Streifenwagen der Polizei erschien, um sie ins nächste Revier zu schaffen. Wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses. Parker, der die beiden Schläger auf dem Pershing-Square ausgesetzt hatte, konnte sich beruhigt empfehlen. Rice und Hole stellten wenigstens für vierundzwanzig Stunden keine akute Gefahr mehr dar. *** „Hier wäre die Liste meiner Bekannten“, sagte Sue Weston, als Parker in die Dachgartenwohnung seines jungen Herrn zurückgekehrt war. „Ich glaube, Mister Parker, daß wenigstens noch sechs Modelle erpreßt werden. Zugegeben haben sie es zwar nicht, aber sie haben mir bestätigt, daß sie aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten konnten oder können.“ Rander hörte interessiert zu und ließ seine neue Mitarbeiterin Sue dabei nicht aus den Augen. Für den Butler war es offensichtlich, daß sein junger Herr Feuer
gefangen haben mußte. Was wirklich kein Wunder war, wie Parker sich wieder einmal sagte. Sue Weston sah tatsächlich ungemein reizvoll und anziehend aus. „In welche Kategorie würden Sie die betreffenden Modelle einordnen?“ erkundigte sich Parker, der die Liste schnell überflog, „handelt es sich um Topmodelle, oder noch um junge Damen, die so etwas wie den Nachwuchs darstellen?“ „Es sind alles Topmodelle“, sagte Sue, „sie sind schon groß im Geschäft und verdienen nicht schlecht.“ „Ich bin auf die Liste von Mrs. Lynton gespannt“, sagte Rander, „sie hat eben anrufen lassen. Ihre Liste wird wohl innerhalb der nächsten halben Stunde hier sein.“ Rander hatte sich verschätzt. Parker befand sich gerade in der sehr modernen und reichhaltig ausstaffierten Küche der Dachgartenwohnung, um einen kleinen Imbiß zu richten, als sich die Türklingel rührte. Parker begab sich gemessen hinüber in die große Wohnhalle und öffnete hier einen kleinen Wandschrank, in dem sich ein Fernsehapparat befand. Er schaltete ihn ein und benutzte eine Art kleines Handrad, um die Fernsehkamera einzurichten. Diese Kamera befand sich an der Decke des obersten Treppenabsatzes, dort also, wo der Schneilift endete und eine Treppe hinauf zur Tür des Dachgartens führte. Das Fernsehauge lieferte ein gestochenes und klares Bild. Vor der geschickt getarnten Panzertür stand ein eleganter Mann, der etwa vierzig Jahre alt war. Er trug einen dunkelgrauen Anzug, eine Nelke im Knopfloch und einen modernen Aktenkoffer in der Hand. Der Mann erinnerte an einen Playboy der angenehmen Sorte. Parker schaltete die Sprechanlage und erkundigte sich nach den Wünschen des Besuchers. „Mein Name ist Lynton“, stellte der Besucher sich vor und sprach in die Gegensprechanlage neben der Tür, „meine Frau bat mich, hier eine Liste abzugeben. Ich hoffe, Mister Rander anzutreffen.“ *** Parker öffnete auf elektrischem Weg die Tür zum Dachgarten und kam Herbert Lynton entgegen. Lynton sah sich auf dem großen Dachgarten interessiert um. Das Penthouse befand sich auf der rechten Seite des langgestreckten Dachgartens. Der Weg zum Penthouse führte entlang an Blumenbeeten und blühendem Strauchwerk. Hier oben auf dem Dach, immerhin fast in der City der Stadt, lebte man wie auf einer kleinen und grünen Insel. Rander als Besitzer des Bürohochhauses, konnte sich diesen einmaligen Luxus erlauben. Normalerweise hätte man die Miete für dieses Penthouse gar nicht bezahlen können.
„Ist ja sagenhaft“, stellte Lynton fest, als er zusammen mit Parker hinüber zum Penthouse ging, „das ist genau das, wovon ich seit Jahren träume ...“ „Mister Rander wird sich gewiß freuen, daß es Ihnen gefällt, Sir ...“ „Sie sind also Butler Parker ... Meine Frau erzählte mir von Ihnen ...“ „Ich habe die Ehre und die Freude, der Butler Mister Randers sein zu können“, gab der Parker gemessen zurück, „wenn ich bitten darf, Sir'...“ Lynton sah sich in der großen Wohnhalle neugierig um. Er war, das konnte man deutlich sehen, sehr beeindruckt. Er verzog anerkennend das Gesicht, als Rander in der Wohnhalle erschien, um ihn zu begrüßen. „Ich möchte auf keinen Fall stören“, sagte Lynton und zog seine Brieftasche, der er einen Manuskriptbogen entnahm, „hier ist eine Liste, die meine Frau für Sie zusammengestellt hat.“ „Wie wäre es mit einem Drink?“ erkundigte sich Rander, um Parker dann sofort zuzunicken. Parker nahm den Auftrag zur Kenntnis und verließ die Wohnhalle. Er begab sich hinüber in das Studio, in dem Sue Weston vor der Schreibmaschine saß und tippte. Sie sah scheu lächelnd hoch, als sie Parker sah. „Wir haben einen interessanten Besuch“, sagte Parker, während er zwei Drinks mixte, „Mister Herbert Lynton gibt sich die Ehre.“ Sue Westons Gesicht lief feuerrot an. Sie senkte hastig den Kopf und befaßte sich wieder mit ihrer Schreibmaschine. Der Name Herbert Lynton schien bei ihr so etwas wie eine echte Allergie ausgelöst zu haben. Parker stellte die beiden gefüllten Gläser auf ein Tablett und begab sich zurück in die Wohnhalle, in der sich Rander und Lynton angeregt unterhielten. Parker servierte die Drinks. „Ich hörte von meiner Frau, daß Sie hinter irgendwelchen Burschen her sind, die sich mausig machen“, sagte Lynton „Es handelt sich um Erpresser“, präzisierte Rander, „nach Lage der Dinge scheinen sie sich auf Fotomodelle spezialisiert zu haben.“ „Ist denn da was zu holen?“ wollte Lynton kopfschüttelnd wissen. „Scheint so“, gab Mike Rander lächelnd zurück, „ich habe mir sagen lassen, daß Topmodelle sehr gut verdienen.“ „Wenn schon. Aber damit ist doch kein Vermögen zu machen“, antwortete Lynton abfällig, „haben Sie schon irgendeine Spur gefunden?“ „Der eigentliche Erpresser nennt sich Mörder-Hai“, erklärte Josuah Parker, „ein, wie ich einräumen muß, hochtrabender Name, der auf echte Komplexe dieses Täters schließen läßt:“ „Komplexe!?“ Lynton sah den Butler abwartend an. „Ein Täter, der sich so nennt und Sorge dafür trägt, daß sein Pseudonym sich herumspricht, solch ein Täter muß offensichtlich unter Minderwertigkeitskomplexen leiden. Er dürfte ein interessanter Fall für einen Psychiater sein.“ „Glauben Sie?“ Lynton ließ den Butler nicht aus den Augen.
„Ich bin dessen sicher .. . Ich möchte, wenn es erlaubt ist, sogar noch einen Schritt weitergehen. Der Mörder-Hai, um bei diesem etwas albernen Namen zu bleiben, scheint sexuelle Konflikte mit sich herumzutragen.“ „Interessant, was Sie da sagen“, meinte Lynton und nahm einen schnellen Schluck aus seinem Glas. „Wie kommen Sie zu diesem Schluß?“ wollte Mike Rander wissen. Er ahnte, daß Parker nicht umsonst dieses Thema angeschlagen hatte. Er lieferte seinem Butler das nächste Stichwort. „Die Tatsache, daß dieser Mörder-Hai sich ausschließlich mit weiblichen Modellen befaßt, läßt diesen Schluß zu. Es scheint sich um einen sexuellen Blindgänger zu handeln, der Enttäuschungen mit Frauen, die in der Vergangenheit sich abgespielt haben könnten, hier abreagieren will.“ „Durchaus denkbar ... Was meinen Sie, Lynton?“ Rander hatte sich an seinen Besucher gewandt. „Man sollte solch einen Erpresser nicht unterschätzen“, erwiderte Lynton und stand auf. Er sah auf seine Armbanduhr und mußte gehen, wie er sagte. Er bedankte sich für den Drink und ließ sich von Parker durch den Dachgarten zurück zur Tür bringen. „Viel Glück bei Ihrer Arbeit“, sagte Lynton, als Parker sich verabschiedend verbeugte, „hoffentlich stellt Ihre Theorie sich als richtig heraus, wenn Sie auf diesen Mörder-Hai treffen!“ „Ich lasse mich wie immer überraschen, Sir“, erwiderte Parker, „lange kann es ohnehin nicht mehr dauern, bis dieser sogenannte Mörder-Hai sich in den gestellten Netzen verfangen wird. Er dürfte keine Ahnung. davon haben, daß seine Position gefährdeter ist, als er glaubt.“ Lynton warf Parker einen abschließenden, belustigten Blick zu und stieg dann über die Treppe hinunter in den Lichthof, um sich vom Lift ins Erdgeschoß bringen zu lassen... *** Es war dunkel geworden und ging auf 22.00 Uhr. Im Geschäft des Gemüsehändlers Antonella brannten in den Auslagen der Schaufenster gerade noch Lichter, die jetzt von der Zeituhr abgeschaltet wurden. Tiefe Dunkelheit breitete sich im Ladenlokal aus. Über dem Geschäft befanden sich die Privaträume des Gemüsehändlers. Auch hier erloschen bald alle Lichter. Lew Antonella und Frau hatten sich niedergelegt und schliefen einem neuen Tag entgegen. Glaubten die beiden Männer, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite Posten bezogen hatten. Sie saßen in einem Buick und hatten eine Geduld an den Tag, beziehungsweise an die Nacht gelegt, die bewundernswert war.
Jetzt aber, als die Lichter erloschen, entwickelten sie ihre Form der Betriebsamkeit. Sie stiegen aus ihrem Wagen, schlossen überraschend rücksichtsvoll die beiden Wagentüren und schlenderten hinüber zu einem Schnellimbiß. Sie schoben sich in das Lokal hinein, bestellten schwarzen Kaffee, und dann verschwand einer von ihnen in einer Telefonzelle, um einen ganz bestimmten Anruf auszuführen. Die beiden Männer blieben etwa zehn Minuten im Schnellimbiß. Dann zahlten sie und gingen zurück zu ihrem Wagen. Hinter dem Buick stand jetzt ein Chrysler älterer Bauart, dem zwei weitere Männer entstiegen. Man nickte sich knapp zu und schlenderte dann über die Straße in Richtung Gemüsegeschäft. Jetzt schien das einzutreffen, was Lew Antonella befürchtet hatte. Die Schläger waren auf dem Weg sich zu revanchieren. Sie wollten es einem Mann zeigen, der sie ins Schwitzen gebracht hatte. Wie geschickt die vier Männer arbeiteten, sollte sich bald zeigen. Sie gingen getrennt vor, um gemeinsam zuzuschlagen. Zwei von ihnen verschwanden rechts vom Haus in der Dunkelheit. Es war klar, daß sie auf dem Umweg über das Gemüselager in das Haus eindringen wollten. Die beiden anderen Männer blieben nur wenige Sekunden vor der Ladentür stehen. Dann war das unkomplizierte Schloß bereits geöffnet. Sie schoben sich vorsichtig in das Ladenlokal hinein und pirschten zur hinteren Tür, die ins Büro führte. Sie schienen genau zu wissen, daß vom Büro aus eine alte Wendeltreppe aus Gußeisen hinauf in die Wohnung von Lew Antonella führte... *** Die beiden Männer, die sich bereits im Obst- und Gemüselager befanden, waren sich ihrer Sache sicher. Was kein Wunder war, denn die Herren Rice und Hole, die um diese Zeit noch in Polizeigewahrsam saßen, hatten über ihren Anwalt eine genaue Beschreibung geliefert. Die beiden Ersatzleute, die der „Mörder-Hai“ auf Antonella angesetzt hatte, wollten sich eine dicke Prämie verdienen, die man ihnen versprochen hatte. Sie schoben sich an Kisten und .Steigen vorbei, sie passierten Tonnen und Bananenkisten. Sie hielten auf eine Tür zu, die in den Hausflur führte. Sie wollten vom Hausflur aus hinauf in die Wohnung des ahnungslosen Gemüsehändlers. Doch sie kamen erstaunlicherweise gar nicht sonderlich weit. Sie strandeten unterwegs, wenn dieser Ausdruck benutzt werden darf. Sie sahen sich plötzlich von einem dicken und sehr soliden Fischernetz umgeben, das von der Decke des Lagerraums herunterfiel. Sie verhedderten sich rettungslos in den Maschen und schafften es innerhalb weniger Minuten, sich in ein dickes Knäuel zu verwandeln. Da es ausgesprochen dunkel im Lager war, sahen sie nicht, daß das Netz jetzt über einen Flaschenzug langsam angehoben wurde. Nach wenigen Sekunden allerdings, als sie im wahrsten Sinn des Wortes den Boden unter ihren Füßen verloren, ging ihnen ein Licht auf. Sie kamen zu dem durchaus richtigen Schluß, daß sie ausgetrickst worden waren.
Wie zwei gefangene Fledermäuse schwebten sie knapp unter der hohen Lagerdecke und waren nicht in der Lage etwas für ihre Befreiung zu tun. Einmal, weil ihre Körpergewichte die Maschen des Netzes strammte, zum anderen, weil sie plötzlich husten und niesen müßten. Sie hörten ein feines, aber irgendwie aufdringliches Zischen, fühlten eine fast unerträgliche Reizung ihrer Rachen- und Nasenschleimhäute, um dann besinnungslos zu werden ... *** Die beiden Männer vorn im Laden hatten bereits das Büro erreicht und stiegen über die gußeisernen Stufen der Wendeltreppe nach oben in die Privatwohnung des Gemüsehändlers. Auch sie erlebten ihre Cannae. Der erste nächtliche Besucher hatte die obere Etage erreicht und schob sich in den kleinen Vorflur vor der eigentlichen Privatwohnung. Dichtauf folgte sein Partner. Beide hatten sich mit Revolvern ausgerüstet, die mit Schalldämpfern neuster Bauart versehen waren. Zu ihrem Leidwesen kamen sie überhaupt nicht dazu, diese modernen Schalldämpfer einmal so richtig auszuprobieren. Sie standen beide noch dicht an der Wendeltreppe und gingen dann nebeneinander auf die Zwischentür zu. Dabei zerriß einer von ihnen mit seinem vortastenden Fuß einen mehr als dünnen Zwirnsfaden. Das Zerreißen dieses Fadens löste eine Kettenreaktion aus, die sich sehen lassen konnte. Zuerst einmal zündete eine Blitzlichtbombe, deren grelle Lichterfluten sie völlig blendete. Sie zündete derart schnell, daß die beiden völlig überraschten Eindringlinge noch nicht einmal in der Lage waren, schleunigst ihre Augen zu schließen. Doch selbst das hätte ihnen kaum etwas geholfen. Das Blitzlicht, über der Tür angebracht, war derart grell, daß es selbst durch die Augenlider gedrungen wäre. Die beiden Einbrecher sahen nur noch bunte, geometrische Figuren, spürten einen bohrenden Schmerz in ihren Augen und tasteten mit ausgestreckten Armen und Händen suchend herum. Sie hatten jede Orientierung verloren, sie waren noch nicht einmal in der Lage, zurück zur Wendeltreppe zu finden. Aus Angst, sich gegenseitig zu verletzen, verzichteten sie natürlich darauf, ihre schallgedämpften Waffen zu benutzen. Sie ahnten jedoch, daß sie bereits verspielt hatten. Ihre Ahnung sollte sie nicht betrogen haben. Der erste Gangster hatte endlich die Wendeltreppe gefunden und umklammerte mit seiner rechten Hand das Geländer. Dann zerrte er seinen hilflosen Partner zu sich heran. „'runter!“ flüsterte er viel zu laut, „Beeilung ... Vielleicht schaffen wir's noch.“
Sie tasteten sich nach unten und wunderten sich vorerst überhaupt nicht, daß sie daran nicht gehindert wurden. Inzwischen stellte sich etwas Sehkraft in den Augen ein. Sie konnten vage Umrisse erkennen, machten so etwas wie die Straßenbeleuchtung aus und fanden nach einigen Irrwegen tatsächlich zurück auf den Asphalt. Sie steuerten ihren Chrysler an, stiegen tapsig wie junge Bären in den Wagen und fuhren langsam los. Sie wollten den Ort ihrer Niederlage so schnell wie möglich hinter sich bringen… *** „Ihr trüben Tassen“, fauchte Chris Stiles, ein kräftiger Muskelmann, den man in einschlägigen Kreisen und im Berufsjargon einen „Brecher“ nannte. Stiles hatte sich vor seinen beiden Mitarbeitern aufgebaut und schüttelte aufgebracht den Kopf, „wie kann man sich so aufs Kreuz legen lassen? Wollt ihr mir das mal verraten!? Lassen sich blenden, bekommen' mit der Angst zu tun und hauen ab wie kleine Mädchen, die den ersten richtigen Mann sehen!“ Stiles war ein Berufsschläger, der sich und seine Leute gegen Gebot vermietete. Er stand auf der untersten Stufe der Unterwelt und wußte es. Er wußte es — und ärgerte sich darüber. Er wollte höher hinaus und eines Tages so etwas wie einen eigenen Verein aufziehen. Doch davon war er noch weit entfernt. Er mußte sich nach wie vor damit begnügen, Muskeln, Messer, Totschläger und Schießeisen zu vermieten. Stiles wohnte im Erdgeschoß einer kleinen Hotelpension im Osten der Stadt. Diese Pension gehörte ihm, und seine Mitarbeiter fungierten nach außen hin als Hotelpersonal. In diesem Haus stiegen ausschließlich Mitglieder der Unterwelt ab, Mitglieder allerdings, die zum Bodensatz dieser Branche gehörten. Die beiden Gangster, deren Augen stark gerötet waren, saßen auf der Kante eines Bettes und preßten in gleichmäßigen Zeitabständen nasse Lappen gegen die schmerzenden Augen. „Und wo sind die beiden anderen?“ wollte Chris Stiles wissen. „Keine Ahnung!“ sagte der erste Schläger und zuckte die Achseln. „Wahrscheinlich haben die mehr Glück als wir“, sagte der zweite Schläger und befaßte sich wieder mit seinen Augen. „Warten wir's ab“, meinte Stiles und zündete sich eine billige Zigarre an, „hoffentlich haben die nicht auch 'ne Panne erlebt, sonst können wir einpacken. Dann ist's nämlich aus mit der fetten Prämie, die wir abstauben sollten!“ Die beiden Schläger waren nicht in der Laune, sich an einer Unterhaltung über dieses Thema zu beteiligen. Ihnen saß noch der Schock in den Knochen. „Wenn sich erst mal 'rumspricht, daß ich Versager beschäftige, können wir auswandern“, redete Stiles weiter, „dann nimmt kein Hund mehr einen Knochen von uns ... Ja?“
Es hatte an der Tür geklopft. Überraschenderweise, wie Stiles sich jetzt sagte. Er zog schnell sein Schießeisen und federte hinüber zur Tür, die er mit einem plötzlichen Schwung aufriß. Er hätte es besser nicht getan. Ein dicker Schwall Wasser traf sofort sein Gesicht. Vom An- und Aufprall des Wassers zurückgeworfen, taumelte Stiles zurück in den Raum und landete flach auf einem Tisch. Als er sich endlich das Wasser aus dem Gesicht und aus den Augen gewischt hatte, sah er sich einem schwarz gekleideten Mann gegenüber, der eine Melone trug und über dessen linken Unterarm ein altväterlich gebundener Regenschirm hing. „Parker mein Name . .. Josuah Parker“, stellte der Butler sich vor, „Sie werden verzeihen, Mister Stiles, daß ich einen Eimer Wasser zu Hilfe nahm, um Ihre vorauszuberechnende Schießlust ein wenig zu dämpfen ...“ Stiles erinnerte sich der Waffe in seiner Hand, winkelte den Arm an und wollte nachträglich wenigstens einen Schuß anbringen. Zu seiner grenzenlosen Überraschung stellte er fest, daß die erwartete Waffe in seiner Hand fehlte. „Ich war so frei, sie an mich zu nehmen“, redete der Butler weiter und präsentierte Stiles die Waffe, die er eben noch in der Hand gehalten hatte. „Was ... Was wollen Sie?“ fragte Stiles überflüssigerweise und schielte zu seinen beiden Mitarbeitern hinüber, die sich erstaunlicherweise nicht einmischten. Sie schienen einem dringenden Schlafbedürfnis nachgegeben zu haben. Sie lagen flach auf dem Bett, Gesicht nach oben und befanden sich im Land der Träume. Parker hatte den Blick des Schlägerchefs mitbekommen. „Ich fürchte, mich erneut entschuldigen zu müssen“, sagte der Butler, „um Komplikationen vorzubeugen, habe ich Ihren beiden Mitarbeitern einen kurzen, aber durchaus erquickenden Schlaf verordnet.“ Parker verschwieg, daß er dazu seine Krawattennadel zu Hilfe genommen hatte. Die Spitze dieser Nadel, der man äußerlich nichts ansah, war nichts anderes als eine sehr feine Kanüle, die Perle selbst aus Plastik, die man zusammendrücken konnte. Durch einen Druck auf diese imitierte Perle trieb der Druck eine Flüssigkeit durch die Kanüle in die Nadelspitze und schließlich auch in das Gewebe derjenigen Person, auf die Parker die Nadel angesetzt hatte. „Wenn Sie erlauben, möchte ich auf Ihre Frage zurückkommen“, redete Parker höflich und gemessen weiter, „Sie erkundigten sich nach meinem Wollen, wenn ich recht erinnere... Nun, das ist kurz gesagt. Ich möchte in Erfahrung bringen, wer Sie beauftragt hat, Mister Antonella zu besuchen. Aus eigenem Antrieb, Mister Stiles, dürften Sie diese nächtliche Exkursion kaum aufgezogen und durchgeführt haben.“ „Ich ... Ich weiß überhaupt nicht, wovon Sie reden.“ Stiles flüchtete sich in die Ahnungslosigkeit. „Machen wir Uns doch nichts vor“, meinte Parker mit einem tadelnden Unterton in der Stimme, „Sie schickten vier Schläger zu Mister Lew Antonella. Zwei dieser
Schläger behielt ich im Geschäft zurück, weil ich sie möglicherweise als Zeugen brauche. Die beiden anderen Männer ließ ich des Weges ziehen, um herauszufinden, wohin sie sich flüchteten. Zu Ihnen, wie sich herausstellte und wie ich es fast vermutete!“ „Ich ... Ich sage niemals etwas über meine Auftraggeber“, erklärte Stiles mit sehr wenig Nachdruck. „Sehr lobenswert... In diesem speziellen Fall finde ich Ihre Haltung allerdings dumm, wenn ich mich so ausdrücken darf. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie unter Anklage gestellt werden möchten!“ „Ich und unter Anklage!? Weswegen denn!?“ „Ich fürchte, ich habe mich nicht deutlich genug ausgedrückt, Mister Stiles. Ich denke natürlich nicht an eine Anklage der eigentlich zuständigen Behörden. Genauer ausgedrückt, ich denke nicht an die Polizei.“ „Sondern?“ „Ich würde einem gewissen Syndikat mitteilen, wie schlecht Ihre Arbeit ist“, redete der Butler höflich weiter, „glauben Sie mir, daß ich mich an die richtige Stelle wenden werde!“ Parker kannte sich in der Gedankenwelt dieser Schläger, Gauner, Gangster und Killer sehr gut aus. Er wußte, wie man sie empfindlich traf. „Die würden Ihnen kein Wort glauben!“ reagierte Stiles mit heiserer Stimme. Und diese Heiserkeit hing keineswegs mit der Dusche zusammen, die der Butler ihm gerade verpaßt hatte. „Man wird mir glauben“, entgegnete der Butler gelassen, „vergessen Sie nicht Ihre beiden Mitarbeiter, die sich noch in meiner Gewalt befinden und die eindeutig für Sie arbeiten! Wenn dies kein Beweis ist, weiß ich nicht, was beweiskräftig sein könnte.“ Stiles begriff sehr schnell sogar und schätzte seine Chancen ab. „Sie werden den Mund halten, wenn ich rede?“ vergewisserte er sich. „Sie können sich auf meine bescheidene Wenigkeit verlassen?, erklärte der Butler, „ich bin an einem ,Mörder-Haf interessiert, nicht an Ihnen. Noch nicht, wie ich hinzufügen möchte.“ „Mörder-Hai ...!? Sie wissen?“ Stiles schluckte und wußte nicht, was er von diesem Ausdruck halten sollte. Was wußte dieser Mann nicht alles. Und dunkel erinnerte er sich, von diesem Butler schon einmal gehört zu haben. Das war doch dieser komische Vogel, der aus reinem Hobby sich mit der Unterwelt anlegte und den man wie die Pest fürchtete. „Wie heißt Ihr Auftraggeber, der Sie und Ihre Leute auf Mister Antonella angesetzt hat?“ wollte Parker noch einmal wissen. ... Genauso, wie Sie's gesagt haben ... .Mörder-Hai'...!“ „Haben Sie diesen Namen oder Ausdruck schon einmal gehört?“ „Noch nie ... scheint ein neuer Mann zu sein.“ „Sind Sie sicher, daß es sich um einen Mann gehandelt hat?“
„Doch, ja... Hörte sich am Telefon wenigstens so an... Ja, das war ganz sicher ein Mann, wenn seine Stimme auch verdammt heiser klang. So, als würde er durch ein Taschentuch in die Sprechmuschel quasseln.“ „Wann und wo will dieser Mörder-Hai seine Prämie an Sie entrichten?“ „Wir wollen uns in 'ner Stunde im Pavillon vom Rendrich-Park treffen.“ „Und wie lautete Ihr Auftrag?“ „Antonella so zu behandeln, daß er für ein paar Wochen ins Krankenhaus muß.“ „Warum lügen Sie? Um dies zu erreichen, hätten Sie sicher nicht vier Ihrer Mitarbeiter zu ihm geschickt? Ich möchte also um Wahrheit bitten, Mister Stiles!“ „Also schön ... Von mir aus ... Wir sollten ihn abschleppen und fertigmachen! Äh... ich meine ...“ „Sie sollten ihn ermorden, nicht wahr?“ „Darauf hätte ich mich niemals eingelassen“, protestierte Stiles ohne jede Überzeugungskraft. „Mann, ich bin doch kein Mörder!“ *** „Lassen wir uns überraschen“, sagte Mike Rander, als Parker zurück in seinen hochbeinigen Wagen gekommen war. Rander, der sich an der Jagd auf die StilesSchläger beteiligt hatte, hatte im Wagen auf seinen Butler gewartet, um eventuell eingreifen zu können, falls es zu einer Panne gekommen wäre. „Ich glaube als sicher unterstellen zu können, Sir, daß Mister Stiles nicht gelogen hat“, sagte Parker, der das Steuer seines Wagens übernahm und in Richtung Rendrich-Park fuhr, der nicht sehr weit entfernt war. „Haben Sie Stiles und seine Leute auch richtig außer Gefecht gesetzt?“ „Mittels meiner Krawattennadel“, erwiderte der Butler gemessen, „ein sehr brauchbares Instrument, wie ich versichern darf. Auch Sie, Sir, sollten sich mit solch einer Nadel ausrüsten. Ich bin gern bereit, für Sie ein Duplikat herzustellen.“ „Einverstanden“, sagte Rander lächelnd. Er kannte schließlich den Erfindungsreichtum und die Bastelleidenschaft seines Butlers. Parker nutzte jede freie Minute, um in seiner von Rander genannten Bastelstube neue Überraschungen für seine Gegner herzustellen. Was sich bisher stets lohnte, wie die Vergangenheit es lehrte. „Darf ich mich nach dem Befinden unserer neuen Mitarbeiterin erkundigen?“ wechselte der Butler das Thema. „Sie hütet das Haus“, erwiderte Rander. Er nutzte die Gelegenheit, daß sie durch dunkle Straßen fuhren und daß die Dunkelheit die Offenheit und Intimität förderte. „Sagen Sie, Parker, was halten Sie von Miß Weston? Ich bitte um eine ehrliche Antwort.“ „Eine mehr als nur ansehnliche, junge Dame“, gab der Butler zurück. „Das weiß ich selbst“, sagte Rander und schüttelte den Kopf, „Sie sollen mir nicht ausweichen, Parker ... Ich will Ihre ehrliche Meinung hören!“ „Ich finde sie das, was man gemeinhin sympathisch nennt, Sir.“
„Ist das alles?“ „Miß Weston dürfte trotz ihrer Jugend schon sehr viel erlebt haben, Sir.“ „Was meinen Sie damit? Werden Sie doch endlich mal deutlich!“ „Man sollte Miß Weston die Möglichkeit geben, sich aus gewissen Verstrickungen zu befreien.“ „Welche denn?“ „Ich denke an folgende Tatsache, Sir. Nach unseren bisherigen Ermittlungen werden und wurden nur sogenannte Topmodelle erpreßt, Frauen also, die bereits zur Spitze der Branche gehören und die reichlich Geld verdienen. Nun frage ich mich, warum der oder die Erpresser sich ausgerechnet mit Miß Weston befassen, die keineswegs ein Topmodell ist und die offensichtlich nicht mit materiellen Gütern gesegnet ist.“ „Eben, Parker, eben. Das frage ich mich auch. Warum wird Miß Weston erpreßt? Geht es hier wirklich um Erpressung? Oder ist diese Erpressung nur ein Vorwand, um sie zum Schweigen zu bringen?“ „Man sollte sich darüber sehr ausgiebig mit Miß Weston unterhalten“, sagte Parker. „Das werde ich auch tun. Ich hätte nämlich nichts dagegen, wenn sie als Sekretärin bei mir bliebe ...“ „Ich bin mir dessen sehr wohl bewußt, Sir. Miß Weston scheint das getroffen zu haben, was man im Volksmund den Nerv nennt!“ „Genau“, räumte Rander lächelnd ein, „ich gebe zu, daß sie mir sehr gut gefällt. Sie haben also keine Bedenken?“ „Auf keinen Fall, Sir, sofern Miß Weston sich nur dann der Küche nähert, um sich eine Flasche Milch aus dem Eisschrank zu holen.“ „Sie wollen Ihre Küche also behaupten?“ „Unbedingt, Sir! Darf ich darauf hinweisen, daß wir gleich den Rendrich-Park erreicht haben werden ... Man sollte den Wagen tunlichst in einer Seitenstraße abstellen.“ „Wieviel Zeit bleibt uns noch?“ „Noch etwa dreißig Minuten“, gab der Butler zurück, „falls Mister Stiles die Wahrheit gesagt hat, woran ich allerdings kaum einen Zweifel hege.“ Während der Butler noch redete, steuerte er den hochbeinigen Wagen in eine stille Seitenstraße und parkte ihn dort. In Begleitung seines jungen- Herrn schritt er dann gemessen in den Park hinein. Ihr Ziel war ein kleiner Lustpavillon, in dem tagsüber Hippies der Ruhe pflegten und Haschisch rauchten. Parker hoffte, dort bald einen Mörder-Hai stellen zu können... *** Mike Rander lag bäuchlings in einem dichten Strauch, nahe dem Pavillon. Er hielt seinen kurzläufigen 38er schußbereit in der rechten Hand. In der linken Hand
befand sich eine Taschenlampe mit ansehnlicher Reichweite. Sobald sich im oder am Pavillon etwas rührte, wollte der junge Anwalt in Aktion treten. Wo sein Butler genau war, wußte er nicht. Rander vermutete aber, daß Parker sich auf der gegenüberliegenden Seite aufgebaut hatte. Dort endete ein mit Kies bestreuter Weg direkt vor dem Lusttempel, den man römischen Vorbildern nachgebaut hatte. Rander, nachts oft unterwegs, hatte selbstverständlich keine Angst. Wie oft schon war er von seinem Butler zu solchen Treibjagden eingeladen worden! Wie oft hatten Parker und er schon Gangster aus dem Verkehr gezogen und der Polizei übergeben! In dieser Nacht allerdings war Mike Rander nicht so ganz bei der Sache. Er mußte immer wieder an die reizende und aparte Sue Weston denken, die so plötzlich in sein Leben getreten war. Er spürte längst, daß sie ihm bereits sehr viel bedeutete. Er fühlte, daß sie die Frau sein konnte, die man eines Tages vielleicht sogar heiratete. Rander war bisher ein eingefleischter Junggeselle geblieben. Er war keineswegs ein Kostverächter gewesen und war Frauen niemals aus dem Weg gegangen. Doch dies alles geschah bisher unverbindlich. Ihm wäre es nie in den Sinn gekommen, eine feste Bindung einzugehen. Jetzt schien das tatsächlich anders zu werden. Rander dachte über die vorsichtigen Worte seines Butlers nach. Warum war Parker einer echten Stellungnahme aus dem Weg gegangen? Wußte er mehr, als er sagen wollte? Welche Verstrickungen mochte Parker gemeint haben? Und warum wurde gerade Sue erpreßt, ein Modell, von dem sicher kein Geld zu erwarten war? Rander erhoffte sich eine baldige Aufklärung, und dazu gehörte, daß man den Auftraggeber der Schläger Rice und Hole erwischte und ihm entsprechende Fragen stellte. Hoffentlich ließ der Mörder-Hai sich bald sehen. Rander schaltete sofort ab, als er plötzlich in der Nähe des Pavillons ein feines, scharrendes Geräusch hörte. Rander richtete sich ein wenig auf, am besser sehen zu können. Was sich übrigens lohnen sollte. Rander entdeckte eine Gestalt vor den imitierten Säulen des Lusttempels und er hörte im gleichen Moment Parkers Stimme, die diese Gestalt aufforderte, stehen zu bleiben und die Arme hinauf zum nächtlichen Himmel zu strecken. *** Die angesprochene Gestalt dachte allerdings nicht daran, sich an Parkers Empfehlungen zu halten. Sie ergriff die Flucht und rannte genau auf Mike Rander zu. Der junge Anwalt, keineswegs ein reiner Schreibtischmensch, sondern längst ein trickreicher Einzelkämpfer, brauchte sich nicht sonderlich anzustrengen, um die flüchtige Person zu stoppen. Rander begnügte sich damit, ihr ein Bein zu stellen.
Die Gestalt stolperte, segelte durch die Luft und wollte sich nach einer relativ sanften Bauchlandung sofort wieder auf den Weg machen und das Weite suchen. Bevor die Gestalt aber wieder auf den Beinen war, langte der Anwalt nachdrücklich mit seiner Taschenlampe zu. Der Gegner stöhnte knapp, streckte sich und -blieb dann bewegungslos auf dem Boden liegen. Rander pirschte sich vorsichtig heran. Er hielt den Revolver schußbereit in der Hand. Die Gestalt war tatsächlich ohnmächtig, wie sich zeigte. Rander drehte sie auf den Rücken und schaltete für wenige Zehntelsekunden seine Taschenlampe an. Überrascht nahm Rander zur Kenntnis, daß er es mit einem stiernackigen Mann zu tun hatte, auf den Batterys Beschreibung paßte. Letzte Sicherheit konnte aber nur Josuah Parker bringen, der diesen Gangster ja sehr genau kannte. Rander richtete sich auf und wartete auf seinen Butler. Warum ließ Parker sich nicht sehen? Er mußte doch bemerkt haben, daß sein junger Herr entscheidend eingegriffen hatte. Rander hatte sich diese Frage gerade gestellt, als plötzlich zwei schallgedämpfte Schüsse fielen, die als Querschläger von einer der imitierten Säulen wegsirrten. Sekunden später waren sehr schnelle Schritte zu hören, die sich in der Nacht verliefen… *** „Dies ist in der Tat Mister Battery“, stellte der Butler fest. Er stand neben seinem jungen Herrn, der den Gangsterchef anleuchtete. Battery kam langsam zu sich und faßte stöhnend nach der Beule, die sich auf dem Hinterkopf bildete. „Der Mörder-Hai?“ fragte Rander zögernd. „Ich muß gestehen, Sir, daß der wahre Mörder-Hai mir entkommen konnte“, sagte Parker, „er scheint Mister Battery absichtlich hierher zum Pavillon gelockt zu haben. Unter einem Vorwand, den wir gleich wohl erfahren werden.“ „Um sich den Rücken zu decken, wie?“ „In der Tat, Sir... Er benutzte Mister Battery als eine Art Köder, wenn ich es so ausdrücken darf. Battery sollte als Mörder-Hai betrachtet werden und etwaige Wartende an sich heranlocken. In solch einem Fall wollte der wirkliche MörderHai aus dem Hinterhalt heraus schießen.“ „Was er ja gründlich besorgt hat, wie?“ „Ich muß gestehen, Sir, daß seine beiden schallgedämpften Schüsse nicht schlecht lagen, doch sie waren nicht so gut placiert, daß man von einem Profi reden könnte und müßte.“ „Wie soll ich das verstehen?“ Während Rander sprach, ließ er Battery nicht aus den Augen. Der Gangsterchef hatte sich hochgesetzt und war endlich in der Lage gewisse Dinge gedanklich nachzuvollziehen. Er sah ärgerlich auf Rander und Parker, die sich zu ihm hinunterbeugten. Battery konnte nichts dagegen tun, daß Parker ihm Handschellen anlegte.
„Was soll der Quatsch?“ fragte er, als sie dann einträchtig hinüber zu Parkers hochbeinigem Monstrum gingen. „Wir sollten einen neutralen und wesentlich sicheren Ort aufsuchen, um ausführlich miteinander zu sprechen“, sagte der Butler. Genau in diesem Moment passierte es. Rander hatte seinen Satz noch nicht ganz beendet, als plötzlich erneut zwei Schüsse fielen. Aus nächster Nähe und schallgedämpft. Es gab das übliche „Plopp“ wie es bei guten Schalldämpfern normal ist, dann rutschte Battery haltlos in sich zusammen. Er blieb regungslos auf dem Boden liegen und rührte sich nicht mehr . . . Mit anderen Worten, es hatte den kleinen Gangsterboß endgültig erwischt. Klein, was seine Bedeutung anbetraf, um genau zu sein. *** Josuah Parker schüttelte den Kopf, als Mike Rander sofort die Verfolgung des Mordschützen aufnehmen wollte, der sich noch durchaus in der Nähe befinden mußte. „Bitte, Sir, nicht...!“ flüsterte Parker seinem jungen Herrn zu, „er wartet nur darauf, auch Sie und meine Wenigkeit niederschießen zu können...“ Parker nickte Rander bekräftigend zu. Er kniete neben dem jungen Anwalt, der hinter einem leider viel zu dünnen Baumstamm in Deckung gegangen war. Parker benutzte einen Trick, um seinen vorerst noch unsichtbaren Gegner herauszufordern. Er schaltete die Taschenlampe ein, dessen Reflektor er mit der flachen Hand zudeckte. Dann aber warf er die eingeschaltete Lampe seitlich von sich ins Gras. Dabei wurde der Reflektor frei und lieferte einen starken Lichtschein. Auf einen Täter im Hinterhalt mußte das so wirken, als habe sich Rander oder Parker erhoben, um einen Stellungswechsel vorzunehmen. Wie richtig der Butler den Gegner einschätzte, sollte sich sofort zeigen. Erneut zwei Schüsse, die ungewöhnlich gut lagen. Einer dieser beiden schallgedämpften Schüsse lag so gut, daß er die Taschenlampe traf und sie zur Seite trieb. Damit hatte der Schütze sich und seinen augenblicklichen Standort verraten. Mike Rander, auf dem Schießstand so gut wie in der harten Wirklichkeit, feuerte zwei ungedämpfte Schüsse in Richtung Mordschütze. Es gab einen unterdrückten Aufschrei, dem hastiges Weglaufen folgte. Wie ein gereizter Terrier wollte Rander sich wieder einmal an die Verfolgung machen. „Darf ich empfehlen, Sir, davon Abstand zu nehmen?“ bat der Butler, der kein unnötiges Risiko eingehen wollte, „ich möchte als sicher unterstellen, daß Sie und meine bescheidene Wenigkeit schon sehr bald den angeschossenen Schützen wiedersehen werden.“
Rander sah ein, daß man jetzt klaren Kopf behalten mußte. Zusammen mit Parker lauschte er auf das Zuschlagen einer Wagentür und auf das Anlassen eines Motors. Wenig später tourten Reifen durch, dann verlor sich das Wagengeräusch in der Nacht. „Falls Sie an einer Unterhaltung mit der Polizei nicht interessiert sind, Sir, sollte man den Tatort verlassen“, schlug der Butler vor. „Wir bleiben“, sagte Rander und schüttelte den Kopf, „nach diesem Schußwechsel können wir nicht mehr auf eigene Faust arbeiten.... Ich höre schon jetzt, was Madford sagen wird.“ *** Lieutenant Madford, klein, schmal, wie ein gereizter Terrier wirkend, gab sich überraschend ruhig in seinem Büro. Eine schnell aufgetauchte Polizeistreife hatte nach der Schießerei im Park Rander und Parker bei Madford abgeliefert. Madford befand sich nicht allein im Büro. Hinter einem kleinen Wandtisch saß Sergeant McLean, ein Bär von einem Mann, gutmütig aussehend, aber ungemein schnell, wenn die Lage es erforderte. McLean gab sich gern begriffsstutzig, aber er war durchaus in der Lage, selbständig zu denken. Er lebte in einem ewigen Kleinkrieg mit seinem Vorgesetzten Madford. Sie fuhren sich gegenseitig an, was das Zeug hielt, in Wirklichkeit aber brauchten sie einander. Sie waren, wenn man so will, sehr ungleiche siamesische Zwillinge. „Die Herren Rander und Parker befinden sich also wieder einmal auf dem Kriegspfad“, stellte Madford fest. Überraschend ruhig, wie schon gesagt wurde. „Die Herren Rander und Parker pfuschen den Behörden wieder einmal ins Handwerk ... Und wie ich die Herren Rander und Parker kenne, unterschlagen sie wieder einmal wichtige Informationen, die zur Aufklärung eines Verbrechens dienen sollten.“ „Wir unterschlagen überhaupt nichts“, erwiderte Rander ärgerlich und wachsam zugleich. Es irritierte ihn einigermaßen, daß Madford nicht in der üblichen Form herumtobte und schreckliche Drohungen ausstieß, was ihm nämlich lieber gewesen wäre. „Mister Rander und meine bescheidene Wenigkeit haben die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit gesagt“, erklärte nun auch der Butler würdevoll. „Eine verdammt undurchsichtige Geschichte“, faßte Madford gelassen zusammen, ohne auf die Proteste seiner Gäste einzugehen, „auf dem Umweg über diese Sue Weston geraten Sie an die Gangster Battery und Hooper, um dann ganz folgerichtig an Mister Stiles mit seinen Schlägern und Killern hängen zu bleiben. Es gibt einen Mörder-Hai, der sich auf die Erpressung von Fotomodellen spezialisiert hat, und Sie verlangen von mir, daß ich das alles einfach so glaube!“ „Ich glaube, wir hätten Sie besser belogen. Lügen hätten wohl logischer und glaubhafter geklungen!“ Rander zündete sich eine Zigarette an.
„Wer sagt denn,, daß ich Ihre Geschichte für Lügen halte?“ wunderte Madford sich und sah Rander und Parker betont unschuldig an. „Man sieht es Ihnen doch an der Nasenspitze an“, behauptete der junge Anwalt. „Dann werde ich mir eine Nasenkorrektur machen lassen. Auch wenn Sie sich wundern, ich glaube Ihnen . . .!“ „Wie, bitte?“ fragte Rander verblüfft. „Ich nehme Ihnen diese Geschichte ab“, sagte Madford und zwinkerte seinem Sergeant zu, „sie klingt unwahrscheinlich, das will ich zugeben, aber sie müßte eigentlich stimmen.“ „Sind Sie wirklich gesund, Madford?“ vergewisserte sich Rander. „Ich fühle mich bestens“; sagte Madford, „und auch wir von der Polizei haben schon etwas von diesem Mörder-Hai gehört... Jetzt sind Sie platt, nicht wahr?“ „Sie haben den Namen Mörder-Hai schon gehört?“ „Ich weiß, Rander, Sie halten die Polizei für vollkommen vertrottelt“, meinte Madford und grinste, „aber auch wir haben mal unsere hellen Minuten. Unsere Spitzel und V-Leute haben tatsächlich von der Existenz eines Mörder-Hai berichtet. Der Täter muß neu hier in der Stadt sein, oder erst vor kurzer Zeit mit seinem Geschäft angefangen haben.“ „Haben Ihre Spitzel auch berichtet, auf welchem Spezialgebiet der Mörder-Hai sich betätigt?“ „Das nicht... Aber das ändert ja nichts an den Tatsachen, oder?“ „Es muß Erpressung sein“, sagte Rander, „Erpressung von Fotomodellen...“ „Wenn das wirklich so ist, Rander, dann möchte ich wissen, was er sich davon verspricht. Reich kann er damit nicht werden.“ „Genau diese Frage stellten Parker und ich uns bereits“, antwortete der Anwalt, „Parker denkt an einen sexuell verklemmten Täter...“ „Sehr gut. Ausgezeichnet!“ Madford nickte beifällig, „das könnte eine Erklärung sein, Rander ... Bleiben wir aber erst mal bei Battery, dem nicht mehr zu helfen war, wie Sie ja wissen... Er ist augenscheinlich in den Pavillon gelockt worden. Von wem wurde er nun erschossen? Vom Mörder-Hai oder von einem raffinierten Konkurrenten, der die Gunst des Augenblicks nutzen wollte?“ *** „Zum Teufel, wer ist da!?“ Mel Hooper richtete sich im Bett auf und schalltet das Licht in seinem Schlafzimmer ein, er blinzelte und erkannte den Butler, der am Fußende des Bettes stand und höflich seine schwarze Melone lüftete. „Ich erlaube mir, Ihnen einen geruhsamen Abend, beziehungsweise eine geruhsame Nacht zu wünschen“, sagte Parker, „Sie werden mein Eindringen verzeihen, denke ich, zumal ich Ihnen eine Nachricht von größter Wichtigkeit überbringen muß.“
Parker war ein mehr als höflicher Mensch. Er übersah die Schöne der Nacht, die neben Mel Hooper in dem breiten französischen Doppelbett lag, die sich jetzt aufrichtete und automatisch ihr Haar ordnete. Es handelte sich um eine üppige Blondine , die kaum irritiert wirkte. „Eine wichtige Nachricht für mich?“ fragte Hooper und runzelte die Stirn. „Ihr Freund und Kompagnon Battery segnete das Zeitliche“, sagte der Butler gemessen, „er wurde vor gut anderthalb Stunden im Rendrich-Park von einem unbekannten Täter erschossen!“ „Von Kompagnon kann wohl keine Rede sein . . . Das bilden Sie sich nur ein. Ich möchte endlich wissen, wie Sie hier in mein Schlafzimmer gekommen sind!“ „Auf völlig regulärem Weg, Mister Hooper“, sagte der Butler, „ich war so frei, mich des Eingangs und der Treppe zu bedienen.“ „Und .. . Und meine Leute? Ich meine, meine Angestellten?“ „Sie dürften sich zur Zeit in einem erquickenden Tiefschlag befinden!“ „Dieser Trottel“, sagte Hooper. Er stieg aus dem Bett und zog seinen roten Schlafanzug glatt. „Und Battery ist tot, sagen Sie?“ „Das, was der Volksmund mausetot nennt“, gab der Butler würdevoll zurück, „Ihnen war nicht bekannt, was er in dieser Nacht plante und vorhatte?“ „Hören Sie, Parker! Battery interessierte mich nicht. Ob Sie das nun glauben oder nicht. .. Sie sind hier bei mir auf dem falschen Dampfer.“ „Sie sind auch nicht zufällig angeschossen worden, Mister Hooper?“ „Ich und angeschossen? Sie sind verrückt! Ich liege hier seit Stunden mit meiner ... Verlobten ...“ „Die selbstverständlich bereit ist, dies jederzeit zu beeiden, nicht wahr?“ Parker hatte sich an die üppige Blondine gewandt, die sich ausgiebig die Lippen anmalte. „Worauf Sie sich verlassen können“, sagte die Blondine und nickte. „Bliebe die Verwundung, die Mister Rander Ihnen beigebracht haben muß“, sagte Parker. Und dann, bevor Hooper überhaupt eine Abwehrbewegung ausführen konnte, schoß der bleigefütterte Bambusgriff des Universal-Regen-Schirms vor und hakte hinter Hoopers Pyjamajacke. Ein harter Ruck, und Hooper stand im Freien. Die Reste des zerfetzten Pyjamas hingen an seinem Oberkörper her unter und gaben den Blick frei auf einen Oberarmverband, der durchblutet war. Hooper drehte sich auf dem Absatz um und rannte zur Tür. Er hatte, wie man deutlich sah, die feste Absicht, sich zu verändern. , Er riß die Tür auf, ohne daß Parker sich überhaupt rührte. Und er prallte gegen den massigen McLean, der sich breit grinsend in die Tür schob . . . *** „Eine denkwürdige und ereignisreiche Nacht“, faßte der Butler eine gute Stunde später zusammen. Er und Rander befanden sich in Lieutenant Madfords Büro.
„Ich hätte niemals gedacht, daß Hooper so schnell aufgesteckt hätte“, meinte Madford, „ich hätte diesem Burschen ein größeres Stehvermögen zugetraut.“ „Hauptsache, er hat zugegeben, Battery erschossen zu haben“, sagte Mike Rander, „er nutzte wirklich die Gunst der Stunde, nachdem Battery ihm von dem Anruf erzählt hatte.“ „Was zeigt, wie dumm Battery war“, sagte Madford und schüttelte den Kopf, „aber wir dürfen wohl als richtig unterstellen, daß Battery vom Mörder-Hai in den Pavillon bestellt wurde. Das muß der auslösende Anruf gewesen sein.“ „Fassen wir noch einmal zusammen“, sagte Rander, „Battery erhält von dem Mörder-Hai einen Anruf. Er wird in den Pavillon des Rendrich-Parks bestellt ... Angeblich, weil der Mörder-Hai mit ihm einen neuen Auftrag besprechen will. Battery teilt das Hooper mit und fragt bei ihm an, wie er sich verhalten soll. Hooper wittert eine erstklassige Möglichkeit, Battery auszuschalten und dessen Organisation zu übernehmen. Er konnte von der Voraussetzung ausgehen, daß das Syndikat mitspielen würde. Hooper redete Battery also zu und erscheint zum richtigen Zeitpunkt im Park.“ „Meine bescheidene Wenigkeit mußte Battery für den erwarteten Mörder-Hai halten“, schaltete der Butler sich ein, „ich forderte ihn durchaus höflich auf, seine Hände hochzunehmen, worauf Battery die Flucht ergriff.“ „Die Frage ist und bleibt, ob der Mörder-Hai sich ebenfalls im Park befand“, sagte Madford nachdenklich, „warum bestellte er Battery in den Park, wenn er sich hier mit Stiles treffen wollte, um ihm die Schußprämie in die Hand zu drücken?“ „Aus Gründen der Vorsicht, wie ich vermute, Sir.“ Parker lieferte eine glaubhafte Erklärung. „Wir haben es mit einem sehr mißtrauischen Täter zu tun. Er wollte sich offensichtlich gegen Überraschungen oder Verrat absichern. Er bestellte Stiles regulär zum Pavillon, davon sollte man ausgehen. Er wollte Stiles für gewisse Dienste honorieren. Für den Fall aber, daß Stiles versagt hatte daß dieser Treff verraten worden war, rief er Battery an, der ebenfalls für ihn gearbeitet hatte. Battery war der Schutzschild für den Mörder-Hai, der Köder für etwaige Störenfriede, die ja dann auch in der Gestalt Mister Randers und meiner, bescheidenen Wenigkeit im Park erschienen.“ „Ein verdammt vorsichtiger Bursche“, sagte Madford respektvoll, „ob er geahnt bat, daß Hooper die günstige Gelegenheit nutzte, um Batterys Laden zu übernehmen?“ „Der Mörder-Hai dürfte von diesem Ereignis überrascht worden sein“, sagte Parker in seiner umständlich-barocken Art, „aber der Mörder-Hai paßte sich der veränderten Situation sehr geschickt an. Er überließ Hooper das Geld, um sich desto ungestörter absetzen zu können.“ „Streichen wir also die Personen, die als Mörder-Hai nicht mehr in Betracht kommen können“, sagte Rander, „auch eine Methode, um den wirklichen Täter einzukreisen ... Battery scheidet aus ... Hooper jetzt ebenfalls.. Von Stiles einmal ganz zu schweigen. Sieht schlecht aus, finden Sie nicht auch?“
„Man sollte sich an die Herren Rice und Hole halten“, sagte Josuah Parker, „befinden sie sich noch in Untersuchungshaft wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses?“ „Sie werden morgen entlassen .. . Interessant, daß ihr Anwalt mit einer Kaution aufwarten konnte...“ „Die wahrscheinlich der Mörder-Hai liefert“, schaltete Rander sich ein. „Möglich, aber von diesem Anwalt werden wir nichts erfahren. Sobald Rice und Hole wieder auf freiem Fuß sind, werde ich sie sehr sorgfältig beschatten lassen. Irgendwann braucht der Mörder-Hai ja bestimmt wieder Schläger, die sich seiner Opfer annehmen,“ „Falls dieser Mörder-Hai es nicht vorzieht, sich völlig neue Leute zu besorgen, die wir noch gar nicht kennen.“ Rander massierte sich nachdenklich den Nacken, „machen wir uns nichts vor .... Wir haben, so quasi im Vorbeigehen, die Gangsterbosse Battery, Hooper und Stiles ausgeschaltet, aber an den Täter, auf den es uns ankommt, an den Täter sind wir nicht einen Schritt näher herangekommen.“ „Wird höchste Zeit“, meinte McLean trocken von seinem Tisch her, „daß Mister Parker sich mal wieder was einfallen läßt.“ *** Sie fuhren mit dem Expreßlift hinauf zum Dachgarten. Parker öffnete die Tür, nachdem“ er gewisse Sicherheitsmerkmale überprüft hatte. Er ließ seinem jungen Herrn den Vortritt, schüttelte aber den Kopf, als Rander sofort hinüber zu seinem Penthouse gehen wollte. „Sie sollten tunlichst Ihre Schußwaffe ziehen“, sagte er. „Wie, bitte?“ „Die Tür zum Lichthof ist geöffnet worden“, sagte Parker, „es ist damit zu rechnen, daß sich ungebetener Besuch eingestellt hat, was mich in der Tat verblüfft, wenn ich an die Tür und an das darin befindliche Schloß denke!“ Rander dachte automatisch an Sue Weston und zog seinen 38er aus der Schulterhalfter. Er pirschte sich vorsichtig auf das Penthouse zu, das auf dem großen Dachgarten wie ein Landhaus lag und auch so aussah. Wie gesagt, ihm gehörte das riesige Bürohochhaus, und er hatte sich selbstverständlich diesen bevorzugten Platz reservieren lassen. Auch Josuah Parker wappnete sich. Er hatte sich von seinem jungen Herrn getrennt und arbeitete sich von der Brüstung des Dachgartens aus an das Penthouse heran. Es rührte sich nichts. Entweder wartete der Eindringling auf seine Chance, einen sicheren Schuß anzubringen, oder aber er hatte das Penthouse inzwischen schon wieder verlassen. Parker hätte den Angriff auf das Haus seines jungen Herrn am liebsten umdisponiert. Es gab schließlich so etwas wie einen Geheimgang, um von einem der unteren Stockwerke aus in das Penthouse zu gelangen. Aber jetzt ließ sich
schon nichts mehr ändern. Rander hatte sich sprungweise vorgearbeitet und stand bereits an der Haustür. Mit wenigen, schnellen Schritten war der Butler neben ihm. „Die Tür dürfte regulär geöffnet worden sein“, stellte der Butler fest, „Spuren von Gewaltanwendung lassen sich nicht feststellen.“ Er öffnete mit dem Schlüssel, stieß mit der Spitze des Regenschirms die Tür auf und begab sich in die Wohnhalle. Rander sicherte mit Feuerschutz. Es blieb alles vollkommen ruhig, nichts rührte sich. „Miß Weston... Miß Weston?“ Rander merkte selbst, wie heiser seine Stimme klang. Er lief sofort hinüber in den Seitentrakt, in dem sich die Gästezimmer befanden. Er riß die Tür zu Sues Zimmer auf und blieb betroffen stehen. Das Zimmer war leer! Parker, der die übrigen Räume vorsichtig inspiziert hatte, stieß zu seinem jungen Herrn, der langsam zurück in die Wohnhalle gekommen war. „Ich fürchte mitteilen zu müssen, Sir, daß Miß Weston das Haus gegen die Absprache verlassen hat!“ „Ich weiß Parker.“ ,Vielleicht hatte Miß Weston gute Gründe, so zu handeln“, redete der Butler weiter. „Möglich“, sagte Rander. Dann ging er langsam in sein Studio und baute sich vor der kleinen Hausbar auf. Parker, beobachtete, daß Mike Rander sich ausgiebig bediente. Dann kippte er den harten Inhalt des Glases mit einem schnellen Ruck hinunter und schüttelte sich. „Das Tonbandgerät, Sir!“ Parkers Blick war auf das kleine Diktiergerät gefallen, das nicht an seinem normalen Platz neben dem Schreibtisch stand. Es befand sich jetzt genau auf der Arbeitsplatte Mike Randers. Rander war wesentlich schneller als sein Butler, aber vielleicht hatte Parker absichtlich einen langsameren Gang eingelegt. Rander spulte das Band zurück und ging dann auf Wiedergabe. Es rauschte kurz im Mikrofon, dann war die Stimme von Sue Weston zu hören, die tatsächlich eine gesprochene Nachricht hinterlassen hatte. „Ich bedanke mich für die Hilfe und freundliche Aufnahme“, sagte ihre Stimme, die ein wenig bebte, als stünde sie unter einem schweren seelischen Druck, „ich bedanke mich auch für die Absicht, mich als Mitarbeiterin einzustellen, aber leider kann ich all das nicht annehmen. Die Gründe hierfür möchte ich für mich behalten. Ich werde gehen, damit Ihnen kein Schaden entsteht. Bitte, suchen Sie nicht nach mir, sondern respektieren Sie meinen Entschluß! Noch einmal, vielen Dank für alles!“ Rander ließ sich das Band noch viele Male vorspielen und trank dazu guten Whisky. Er trank, bis er volltrunken war und von Parker zu Bett gebracht werden mußte.
*** Parker nutzte die restlichen Nachtstunden, um sich in der Stadt ein wenig umzusehen. Die Affäre Battery-Hooper-Stiles war geklärt. Lieutenant Madford hatte noch in dieser Nacht die diversen Bandenmitglieder einvernahmt, wie es in der Fachsprache heißt. Er hatte zwei nervöse Gangster aus einem Netz geholt, hatte Schläger und Killer zusammentreiben lassen und sie ins Untersuchungsgefängnis schaffen lassen. Wie gesagt, die Affäre Battery-Hooper und Stiles war geklärt. Diese Bosse und ihre Gangster mußten mit mehr oder weniger langen Aufenthalten hinter Gittern rechnen. Doch der Mörder-Hai schwamm noch frei herum. Und er war vielleicht noch gefährlicher geworden, als er es ohnehin bereits war. Er wußte jetzt, daß er gehetzt wurde und daß seine Basis schmaler geworden war. Würde er sich absetzen? Würde er sich ein anderes Revier suchen? Oder ließ er es darauf ankommen und blieb? Fragen über Fragen, auf die der Butler zum momentanen Zeitpunkt keine Antwort wußte. Er konnte sich nur von seinem Instinkt leiten lassen, mußte auf seine Intuition setzen, mußte wieder einmal versuchen, sich in die Gedankenwelt seines Gegners zu versetzen. Dreh- und Angelpunkt, um an diesen Mörder-Hai heranzukommen, war und blieb Sue Weston, jenes attraktive Mädchen, das sich so überraschend abgesetzt hatte. Parker dachte an seinen jungen Herrn, der jetzt volltrunken im Bett lag und einem ausgeprägten Katzenjammer zuträumte. Das Verschwinden Sue Westons hatte den jungen Anwalt ungemein tief getroffen. Parker fuhr in seinem hochbeinigen Wagen zuerst einmal ziellos durch die Stadt. Er mußte mit sich zu Rate gehen und seine Gedanken klären. Mit Sue Weston stand und fiel dieser Kriminalfall. Mit Sue Weston, die sich doch so gar nicht zum Opfer eines geldgierigen Erpressers eignete. Warum, so fragte der Butler sich wieder einmal, warum wurde gerade Sue Weston derart in die Enge getrieben? Warum hatte der Mörder-Hai es ausgerechnet auf dieses Mädchen abgesehen? Warum, so fragte er sich weiter, warum befaßte der Erpresser sich überhaupt mit Fotomodellen? Großes Geld war auf diesem Sektor bestimmt nicht zu machen. Wenn man die Betriebsunkosten abzog, die in der Gestalt der engagierten Schläger auftraten, dann konnte nicht viel Geld übrigbleiben. Also handelte es sich doch um einen sexuell verklemmten Mann, der wahrscheinlich in der Vergangenheit einmal eine böse Abfuhr bei Modellen erlitten hatte? War solch ein Mann der Mörder-Hai, der sich jetzt rächen wollte? Ging es diesem Mann überhaupt nicht um das Geld, sondern wollte er nur seine niedrigen Instinkte befriedigen?
Hatte man es vielleicht sogar mit einem ausgeprägten Sadisten zu tun, der alles darauf abstellte, attraktive Frauen so in die Enge zu treiben, daß sie vor Angst zitterten? Legte er es darauf an, diese attraktiven Frauen quälen und schlagen zu lassen? Parker verfolgte diesen Gedankengang und mußte feststellen, daß irgend etwas daran nicht ganz stimmte. Wenn er davon ausging, daß man es mit einem Sadisten zu tun hatte, dann erhob sich die Frage, warum der Mörder-Hai sich damit begnügte, sich von den Qualen erzählen zu lassen? Warum war solch ein Sadist dann nicht selbst am Tatort, um sich an der Angst und an den Qualen der Frauen delektieren zu können? Hatte der Mörder-Hai diese Stufe noch nicht erreicht? Oder waren seine Hemmungen zu groß, sich persönlich an den Bestrafungen zu beteiligen? Oder war der Mörder-Hai seinen Opfern vielleicht zu bekannt? Als Parker an diesem Punkt seiner Überlegungen angekommen war, trat er fest auf das Bremspedal seines Wagens. Ihm schien, daß er der Lösung des Rätsels ein wenig näher gekommen war. *** Parker kam genau zur richtigen Zeit zurück. Mike Rander stand auf schwankenden Beinen und war dabei sich anzukleiden. Er warf dem Butler nur einen kurzen Blick zu und griff dann nach seiner 38er, die auf dem Nachttisch lag. „Darf ich mir die Freiheit nehmen, Sir, mich nach Ihren Wünschen und Absichten zu erkundigen?“ fragte der Butler. „Ich bin von einer Freundin Sues angerufen worden“, sagte Rander, „Sue befindet sich in Lebensgefahr! Wir müssen sofort helfen, Parker!“ „Ich darf unterstellen, Sir, daß dieser Anruf erst vor wenigen Minuten erfolgte?“ „Innerhalb der letzten zehn Minuten. Mann, so helfen Sie doch endlich!“ Rander zeigte eine Ungeduld, die Parker fremd war. Rander dachte wahrscheinlich nur an die junge, aschblonde Dame mit den schrägstehenden Augen, in die er sich sterblich-unsterblich verliebt hatte. Er konnte nicht schnell genug in die Fälle hineinlaufen, die man :hm gestellt hatte. Was Parker höflich, wenn auch nachdrücklich sagte. „Ob Falle oder nicht, Parker. Ich muß einfach etwas tun“, sagte Mike Rander, der sich überraschend schnell auf die neue Situation einstellte, „und wenn es eine Falle ist, wird uns der Fallensteller zu Sue bringen müssen, darauf können Sie Gift nehmen!“ Rander hatte es derart eilig, daß sein Butler kaum die Zeit fand, gewisse spezielle Vorbereitungen zu treffen. Rander stand unter Volldampf und sehnte sich nach der Möglichkeit, diesen Dampf abzulassen. ***
„Sie soll in einem Lagerschuppen des Industriehafens festgehalten werden“, sagte Rander während der schnellen Fahrt durch die immer noch nächtlichleere Stadt, „wir müssen 'rüber zur Firma Ship Painting, ich kenne zufällig den Weg.“ Rander brauchte sich über das Tempo seines Butlers nicht zu beklagen. Im Gegensatz zu sonst hatte Rander gegen die Fahrkünste seines Butlers nachts einzuwenden. Parker nutzte die Gelegenheit der leeren Straßen, um seinen hochbeinigen Wagen mit dem sagenhaften Fahrgestell und dem hochgezüchteten Rennmotor einmal richtig auszufahren. Proteste von Randers Seite waren keineswegs zu befürchten. Wie gut der Butler sich in der Stadt und im Binnenhafen auskannte, sollte sich bald zeigen. Parker fand mit traumhafter Sicherheit den richtigen Weg durch das Gewirr der Gleisanlagen, Hafenbecken und Kaistraßen. Nach etwa fünfunddreißig Minuten seit dem Verlassen der Dachgartenwohnung näherten sie sich bereits einem langgestreckten, dreistöckigen Fabrikgebäude, in dem Lacke aller Art für das Bemalen von Schiffen aller Großen hergestellt wurden. Parker stellte seinen hochbeinigen Wagen auf einem Kai ab und sah seinen jungen Herrn besorgt an. Mike Rander war auf dem besten Weg, in ein geöffnetes Messer hineinzulaufen. *** Der Mörder-Hai befand sich in der Lackfabrik und wartete auf seine Opfer. Diesmal war er allein. Und er wollte kein Risiko eingehen. Er stand hinter einem nur leicht angelehnten Fenster im ersten Stock der Lackfabrik und hatte ein Repetiergewehr mit Zielfernrohr in der Hand. Vom Fenster aus hatte er einen wunderbaren Überblick auf den freien Platz, den man passieren mußte, wenn man an die Lackfabrik herankommen wollte. Seine Augen verengten sich und ein triumphierendes Lächeln umspielte seine Lippen, als er die beiden Gestalten sah, die auf den Eingang der Fabrik zugingen. Er hob das Repetiergewehr, das längst entsichert war. Durch das Zielfernrohr visierte er den Mann an, der eine Melone trug und an dessen linkem Unterarm ein Regenschirm zu sehen war. Der Mörder-Hai hatte Zeit, und er nahm sie sich. Diese günstige Gelegenheit ergab sich sicher nie wieder. Jetzt konnte er einen tödlichen Schuß anbringen. Im Zielfernrohr war jetzt der Oberkörper seines Opfers genau zu erkennen. Langsam krümmte sich der Zeigefinger des Mörder-Hai. Weich drückte er ab. Der schallgedämpfte Schuß — auf der Mündung saß selbstverständlich ein Schalldämpfer, der den Abschuß wegschnitt — ploppte aus dem Lauf. Im Zielfernrohr konnte der Mörder-Hai genau erkennen, daß sein Opfer wie von einer Riesenfaust zu Boden geschmettert wurde ... ***
Rander wurde schlagartig kalt und nüchtern, als er sah, wie sein Butler zu Boden geschmettert wurde.. Rander konnte sich leicht ausrechnen, daß auch er sich noch im sicheren Zielbereich des Schützen befand. Wenn er jetzt nicht sofort reagierte, war es auch um ihn geschehen. Parker war im Moment nicht zu helfen. Rander hechtete nach links, rollte sich auf dem Pflaster ab und erreichte in letzter Zehntelsekunde den Betonmast einer Peitschenlaterne. Er zuckte zusammen, als dieser Mast von einem Geschoß getroffen wurde, das als Querschläger wie ein giftiges Insekt wegsirrte. Rander wartete den nächsten Schuß nicht ab. Der Mast bot nicht genug Deckung. Rander rollte sich weiter nach links, erreichte eine Art Zier- und Stützmauer, über der Fässer und Kisten lagerten. Der nächste Schuß! Dicht neben ihm schlug das Geschoß in die Stützmauer und riß ein Stück Putz aus der Mauer wand. Rander sprang, griff nach der Mauerkrone und stemmte sich mit verzweifelter Kraft hoch. Der nächste Schuß! Ränder zuckte zusammen und keuchte. Das Geschoß zischte dicht an seiner rechten Schulter vorbei und landete in einem leeren Faß. Dann hatte der junge Anwalt es geschafft. Er befand sich in Deckung der Fässer und Kisten, der MörderHai hatte keine Möglichkeit mehr, einen gezielten Schuß abzugeben. Rander verpustete und sah sich nach Parker um. Rander riß weit die Augen auf, als Parker auf dem freien, gepflasterten Vorplatz nicht mehr zu sehen war. *** Auch der Mörder-Hai war auf diese Veränderung aufmerksam geworden. Er hatte die Absicht gehabt, Parker noch einen zweiten Schuß zu verabfolgen. Er wollte mit letzter Sicherheit wissen, daß dieser verhaßte Butler auch wirklich tot war. Und jetzt war der Butler nicht mehr zu sehen. Dort, wo er eben noch auf dem Pflaster gelegen hatte, dort war durch das Zielfernrohr noch nicht einmal ein vager Blutfleck zu sehen. Der Mörder-Hai, im Grund feige und heimtückisch, geriet sofort in Panik. Wo war Parker? Hatte er es geschafft, sich an die Fabrik heranzupirschen? Pirschte Parker sich schon vorsichtig an ihn heran? Der Schütze zwang sich zur Ruhe. Er rief sich zur Ordnung. Er sagte sich, daß er den Butler voll getroffen hatte. Warum war der Butler wohl sonst so hart zu Boden geschmettert worden?
Der Mörder-Hai zog sich vorsichtig vom Fenster zurück und verschwand in der dunklen Tiefe der Lackfabrik. Er ging auf leisen Sohlen hinüber zur großen Treppe, die hinunter ins Erdgeschoß führte. Wenig später verschwand er auf Wegen, die ein Nichteingeweihter unmöglich kannte. Der Mörder-Hai hatte es wieder einmal verstanden sich abzusetzen… *** „Ich weiß genau, was ich Ihnen zu verdanken habe“, sagte Rander, der wieder neben Parker im hochbeinigen Monstrum des Butlers saß, „Sie haben sich als erklärtes Ziel angeboten. Nun möchte ich aber wissen, wie Sie den Schuß verdauten?“ Jen war so frei, Sir, zwei schußsichere Westen anzuziehen“, antwortete der Butler, „eine Vorsichtsmaßnahme, die sich ausgezahlt haben dürfte!“ „Und ob, Parker. Und warum bekam ich nicht solch eine Weste verpaßt?“ „Sie hätten sich niemals die Zeit genommen, Sir, solch eine Weste überzustreifen. Zum anderen war mir vollkommen klar, daß der Mörder-Hai erst einmal auf meine bescheidene Wenigkeit schießen würde.“ „Wieso?“ „Ich glaube, Sir, ihn in Unruhe versetzt zu haben.“ „'raus mit der Sprache, Parker! Haben Sie eine ungefähre Ahnung, wer der Mörder-Hai sein könnte?“ „Man sollte meiner bescheidenen Ansicht nach einen Mann ausfindig machen, der sexuell verklemmt ist und vielleicht sogar ein Sadist ist.“ „Ich fürchte, von der Sorte haben wir genug in der Stadt, Parker!“ „Dieser sexuell verklemmte Täter, Sir, muß sich meiner weiteren Ansicht nach in Kreisen der Modelle und Agenturen sehr gut auskennen.“ „Weil er sich, auf diese Frauen spezialisiert hat?“ „In der Tat, Sir! Frauen dieses Berufskreises müssen ihn irgendwann einmal bis aufs Blut beleidigt haben. Nun will er sich an den Modellen generell rächen.“ „Herbert Lynton!“ Mehr sagte Rander nicht und sah seinen Butler dabei gespannt an. „Ich bin sehr froh, Sir, daß dieser Name gefallen ist“, erwiderte der Butler, „Mister Lynton hätte in der Tat die Möglichkeit, sich aus erster Hand zu informieren. Durch die Agentur seiner Frau erfährt er leicht, welche Modelle zu erpressen sich lohnt.“ „Das ist doch nicht alles, Parker!“ Rander war etwas mißtrauisch geworden. Parker hatte sich zu sehr gefreut, als der Name Lynton gefallen war. Parker überlegte blitzschnell, ob er seinem jungen Herrn von der Liaison berichten sollte, die einmal zwischen Lynton und Sue Weston bestanden hatte. Er entschloß sich zu schweigen.
„Das ist alles“, sagte Parker also, „wobei ich selbstverständlich nicht verschweigen möchte, daß es sich nur um einen Verdacht handelt, für den es im Augenblick nicht den geringsten Beweis gibt.“ „Wir werden uns Herbert Lynton ansehen“, entschied Rander kategorisch, „wir müssen es tun, schon im Interesse von Sue. Nicht auszudenken, falls sie sich wirklich in seiner Hand befindet.“ „In der Hand des Mörder-Hai“, berichtete Parker, „es steht keineswegs fest, Sir, ob Herbert Lynton und der Mörder-Hai miteinander identisch sind!“ *** Sue Weston befand sich in einer keineswegs angenehmen Lage. Sie stand wie gekreuzigt vor einem soliden Wandregal und war an Händen und Füßen festgebunden. Es war kühl in diesem Weinkeller. Und man hörte in der Dunkelheit das Piepsen von Mäusen, ihr Trippeln auf dem nackten Steinboden und das Rascheln, wenn sie sich mit den Strohmanschetten der Weinflaschen befaßten. Sue, ein modernes Mädchen, das sich vor Mäusen sicher bisher nicht geekelt hatte. Sie stand hilflos vor der Regalwand und wartete darauf, daß die erste Maus über ihre nackten Füße lief. Oder vielleicht sogar eine Ratte? Sues Mund wurde trocken, wenn sie daran dachte. Von sehr weit her hörte sie Tanzmusik, aber sie war nicht laut genug, das Trippeln und Rascheln der Mäuse oder Ratten zu übertönen. Diese Musik erinnerte sie nur daran, daß sie mehr als leichtsinnig sich auf diesen Ausflug eingelassen hatte, der hier im Weinkeller einer schäbigen Bar endete. Als sie plötzlich leise Schritte in der Dunkelheit hörte, spannten sich unwillkürlich ihre Muskeln. Sie riß verzweifelt an den starken Stricken, die ihre Hände und Füße am Regal festhielten. Plötzlich erstarben diese Schritte. Dafür wurde ein schnelles, irgendwie gierig klingendes Atmen hörbar. Dieses schnelle und gierige Atmen kam langsam näher. Dann klirrte irgendwo eine Flasche gegen eine andere. Dann Stille, in der selbst das Geräusch der piepsenden Mäuse fehlte. „Ist... ist da wer?“ rief Sue mit heiserer Stimme. Das Atmen war plötzlich nicht mehr zu vernehmen. Hatte sie sich getäuscht? Hatten die aufgereizten Sinne ihr etwas vorgegaukelt? Nein, da waren wieder diese leisen, schleichenden Schritte, die von einem Tier herrühren konnten. Dann wieder das hastige, schnelle und gierige Atmen. Sue schrie gellend auf, als sie plötzlich eine Hand auf ihrer rechten Brust spürte. In panischer Angst geriet sie, als sich dann eine schweißnasse Hand über ihren Mund legte. Sie riß an ihren Stricken und war wie von Sinnen. ***
„Das Landhaus des Ehepaars Lynton“, sagte Parker, nachdem er seinen hochbeinigen Wagen angehalten hatte. Er deutete hinüber auf ein breites, langgestrecktes Haus, das in einem sehr gepflegten Garten stand. Hinter einem der Fenster neben dem Kamin aus Bruchsteinen brannte Licht. „Wenn Sie erlauben, Sir, werde ich die Lage erkunden.“ „Ich komme mit“, erwiderte Rander in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Die beiden äußerlich so ungleichen Männer stiegen aus dem Wagen und gingen auf das Haus zu, dessen Grundstück nicht eingezäunt war. In dieser Wohngegend im Südwesten der Stadt hatte sich der Mittel- und Besitzstand niedergelassen. Hier verabscheute man es, seinen Besitz einzugrenzen. Man wollte Großzügigkeit und Weltoffenheit demonstrieren. Man hatte nichts zu verbergen, wenigstens nicht hier. Was man verbergen wollte, besorgte man an anderer Stelle. In einem Landhaus, im einer Zweitwohnung oder auf einer Motorjacht. Parker und Rander schritten über den Rasen und blieben vor dem vor den Garagen stehenden Wagen kurz stehen. Parker prüfte den Wärmegrad der Motorhaube. „Erstaunlich heiß“, stellte er fest, „dieser Wagen dürfte noch vor wenigen Minuten benutzt worden sein,“ „Wir läuten“, sagte Rander entschlossen und deutete hinüber zur Tür. Parker war selbstverständlich einverstanden und legte seinen schwarzbehandschuhten Zeigefinger auf die Türklingel. Worauf im Haus ein sanftes Glockengeläut zu hören war. Es dauerte einige Zeit, bis Schritte hinter der Haustür zu hören waren. Licht flammte in der Vorhalle auf, dann öffnete sich eine Sprechklappe in der sehr soliden Tür. Rander mein Name“, sagte der junge Anwalt, „ich muß Mister Lynton sprechen.“ Um diese Zeit, Sir?“ Hinter der Tür schien ein Angestellter zu sein, der sich allerdings wunderte. „Jetzt um diese Zeit“, sagte Rander sehr nachdrücklich, „beeilen Sie sich!“ *** Parker stand bereits auf der Rückseite des Hauses und inspizierte die Fensterfront. Über einer Terrasse erhob sich ein Balkon, der von einigen Säulen getragen wurde. Diese Säulen wurden umschlungen von starkem Efeu, das aus einem dicken und rissigen Stamm wuchs. Parker, der an die Verzweiflung seines jungen Herrn dachte, rang sich zu einer Ungesetzlichkeit durch, die er sonst strikt abgelehnt hätte. Parker kletterte am Stamm des Efeus hoch zum Balkon, schwang sich über die Brüstung und bewies hier wieder einmal, wie ungemein sportlich er in Wirklichkeit war. Kraftleistungen dieser Art traute man ihm zwar nicht zu, doch dagegen hatte
der Butler aus verständlichen Gründen noch nie protestiert. Er hatte es recht gern, wenn man ihn freundlichst unterschätzte. Parker wechselte hinüber zur Balkontür und war angenehm überrascht, als sie sich durch leichtes Andrücken öffnen ließ. Parker betrat das Haus und blieb hinter dem Vorhang einen Moment abwartend stehen. Was sein Glück war, denn plötzlich öffnete sich eine der Türen auf dem Korridorgang, in den der Butler hineinsah. Mrs. Gilda Lynton erschien. Sie war vollständig angekleidet und hatte es sehr eilig, hinüber zur nahen Treppe zu kommen. Wenig später war sie auf ihr verschwunden. Parker genierte sich auch jetzt noch nicht, als er sein Versteck verließ und zur Tür ging, aus der Gilda Lynton gekommen war. Er drückte sie auf und befand sich in einem sehr weiblich eingerichteten Salon, der durch eine geöffnete Schiebetür mit dem eigentlichen Schlafzimmer verbunden war. Auf einem Sitzsofa im Stil der Jahrhundertwende lag ein leichter Abendmantel mir reichlicher Stickerei. Daneben eine Handtasche, die geöffnet war. Parker sah sich diese Handtasche etwas näher an. Er nahm sie hoch und klappte sie voll auseinander. Er entdeckte eine Puderdose, Schlüsselbund, Zigaretten, ein goldenes Feuerzeug, etwas Kleingeld und ein flaches Streichholzbriefchen mit der Aufschrift einer Nachtbar, deren Name ihm nichts sagte. Und dennoch hakte es bei Parker ein, beziehungsweise aus. Wieso besuchte eine elegante Frau wie Gilda Lynton solch eine Bar, die auf keinen Fall zu den Lokalen gehörte, in denen man verkehrte. Bevor er auf diese Frage eine Antwort finden konnte, hörte er schon wieder schnelle Schritte. Parker hatte keine Chance mehr, den Salon zu verlassen. Schon wurde der Türknauf bewegt. Er mußte so schnell wie möglich verschwinden. Die Tür öffnete sich, und Gilda Lynton trat ein. Sie hatte sich eine Zigarette angezündet und wirkte sehr nervös. Sie wanderte vor dem Sitzsofa einher, sog tief an der Zigarette und griff dann nach dem Telefon. Sie wählte eine Nummer und drückte ihre Zigarette aus, als auf der Gegenseite abgehoben wurde. „Hier spricht Gilda“, sagte sie, „hör zu, Norman... Es scheint wieder Schwierigkeiten zu geben ... Ja, genau. Wir müssen etwas tun, Norman ... Und diesmal etwas Endgültiges. Ich halte das nicht mehr aus ... Bitte, komm sofort zu mir! Oder noch besser, ich werde zu dir kommen. Erwarte mich in zwanzig Minuten, ich will sehen, ob ich es schaffen kann.“ Sie legte auf, griff nach Mantel und Handtasche und wollte schon gehen, als ihr etwas einfiel. Sie ging noch einmal zurück und blieb vor dem Stil-Sekretär neben dem Fenster stehen. Gilda Lynton öffnete eine Schublade, zog sie ganz heraus und griff in die entstandene Höhlung. Als sie die Hand wieder zurückzog, lag darin ein Browning, den sie in ihre Handtasche steckte. Dann ging sie mit schnellen, fast energisch zu nennenden Schritten aus dem Zimmer.
Parker, der sich im angrenzenden Schlafraum verborgen hatte, verließ dieses Zimmer und begab sich zurück zum Balkon. Wenn es sich zeitlich noch schaffen ließ, wollte er sich zusammen mit seinem jungen Herrn an Mrs. Lynton anhängen. *** Die Hand gab ihren Mund frei, und Sue wollte wieder schreien. Doch die Stimmbänder kündigten ihr den Dienst. Sie war nicht in der Lage, mehr als nur ein heiseres Krächzen auszustoßen. Licht flammte auf, das Licht einer starken Taschenlampe. Der Lichtschein fraß sich in ihre Augen und blendete sie. Darüber war plötzlich ein leichtes, irgendwie belustigtes Auflachen zu hören, das ihr bekannt vorkam. „Mister Lynton?“ fragte sie in das grelle Licht hinein. Statt einer Antwort flammte jetzt eine magere Deckenleuchte auf. Lynton, der vor ihr stand, nickte und musterte sie mit amüsierten Blicken. Er war allein und schien angetrunken zu sein. Er hatte sich die Krawatte gelöst und hielt in der linken Hand eine Whiskyflasche. „So sieht man sich wieder“, sagte Lynton und ließ sich auf einer Ginkiste nieder. „Ich wußte, daß es eines Tages so kommen würde.“ „Was... Was wollen Sie von mir?“ fragte Sue, von der plötzlich so etwas wie eine schwere Last abfiel. Jetzt, wo sie Lynton erkannt hatte, legte sich die Panik in ihr. Vielleicht hoffte sie, mit ihm noch zurechtkommen zu können. „Was wohl, Sue?“ „Wir haben uns doch in aller Freundschaft getrennt“, sagte Sue mit ziemlich fester Stimme und ließ ihn nicht aus den Augen, „warum verfolgen Sie mich eigentlich noch? Warum lassen Sie mich nicht in Ruhe?“ „Warum wohl, Süße? Weil ich dich nicht vergessen kann. Weil ich immer wieder an dich denken muß. An dich und an damals!“ „Wir wollten es für immer vergessen.“ „Unsinn! Ich kann nicht vergessen!“ Er reagierte überraschend wütend und stand auf. Er nahm einen langen Schluck aus der Flasche und feuerte sie dann gegen die Kellerwand. Langsam kam er auf sie zu. „Weißt du, wie man mich genannt hat?“ fragte er dann und sah Sue aus bohrenden, bösen Augen an. „Du wirst es nicht erraten. Dieser Parker nannte mich sexuell verklemmt!“ Sue verzichtete auf eine Antwort. Sie schloß die Augen und dachte jetzt bewußt und intensiv an damals, als sie zusammen mit Lynton aufs Land gefahren war... *** „Sagenhaft, nicht wahr?“ sagte Herbert Lynton und hielt kurz den Wagen an. Er deutete hinauf auf die Jagdhütte im Bergwald, wo der kleine Bergsee war, „hier sind wir völlig ungestört, Sue“
Sue Weston, neu in der Stadt, neu als Fotomodell und noch mehr als unerfahren in gewissen Praktiken, kam sich ungemein verworfen vor. Statt zu antworten, zündete sie sich eine Zigarette an und sah hinunter auf das Wasser. Sie bereute ihren Entschluß, zusammen mit Lynton hierher gefahren zu sein. Nicht etwa, weil Lynton verheiratet war, das machte ihr nichts aus. Sie wußte ja von Kolleginnen und von Mrs. Lynton selbst, daß diese Ehe nur noch auf dem Papier stand. Nein, sie bereute es, weil sie plötzlich so etwas wie Angst verspürte. Aus dem Ausflug, den Lynton ihr vorgeschlagen hatte, schien jetzt ein mehr als handfestes Abenteuer zu werden. Gut, sie hatte damit gerechnet, sie war sich selbst gegenüber durchaus ehrlich. Aber plötzlich gefiel ihr Lynton nicht mehr. Er wirkte penetrant aufdringlich, seine Sprache war geschwollen und seine Bewegungen weitausholend. Er spielte offensichtlich eine Rolle, die er nicht ausfüllte. „Komm, Kleines“, sagte Lynton, der ausgestiegen war. Mit übertriebener Grandezza, die leider nicht ironisch gemeint war, reichte er ihr die Hand und half ihr aus dem Wagen. Dann nahm er den kleinen Lederkoffer vom Rücksitz und ging mit ihr über den schmalen, steilen Pfad hinauf zur Jagdhütte. Sue hätte sich am liebsten auf dem Absatz umgedreht und wäre weggelaufen. Doch dazu brachte sie nicht den Mut auf. Sie war ehrgeizig, sie wußte, daß Lynton ein Wort für sie einlegen und ihre Karriere fördern konnte, und sie war bereit, dafür in einer ganz bestimmten Münze zu zahlen. Wenigstens hatte Sue sich das noch vor Antritt der Fahrt ernsthaft eingeredet. Jetzt aber, als sie zur Kasse gebeten werden sollte, wollte sie nicht mehr mitspielen. Sie wollte nicht mehr, aber sie mußte! *** „Wie hat meiner Süßen denn der Besuch von Rice und Hole geschmeckt?“ fragte Lynton und unterbrach Sues Gedanken. Lynton sah sie jetzt kalt und abschätzend an. „Los, sag etwas, Süße, oder muß ich mich selbst davon überzeugen, wie sie dich behandelt haben?“ Nur das nicht, dachte Sue und schüttelte automatisch den Kopf. „Es... es war schrecklich“, sagte sie und sprach die Wahrheit. „Vielleicht werde ich sie wieder vorbeischicken“, redete Lynton weiter. Er ging an dem Regal entlang, suchte fast pedantisch nach einer; Weinsorte, nahm die Flasche aus dem Strohmantel und zerschlug ihren Hals an der Kante eines Regalbrettchens. Er trank durstig und gierig. „Du auch, Süße?“ fragte er. Sie schüttelte den Kopf und nahm ihn zur Seite, als er mit der Flasche dicht vor ihr stand. „Ich werde“ sie nicht wieder vorbeischicken“, sagte Herbert Lynton dann, „ich werde das in Zukunft übernehmen. Soll mir ein Vergnügen sein!“
Dann, ohne jeden Übergang, ohne Ankündigung oder Drohung riß er ihr das Kleid auf und zog es von ihrem Körper herunter. Sue bäumte sich in den Fesseln auf, aber es war sinnlos. Gegen Lynton hatte sie keine Chance. „So was wie dich muß man“ einfach bestrafen“, sagte Lynton dann und trat einen Schritt zurück, „dein Körper ist ein einziges Versprechen, Süße, aber du hältst dieses Versprechen nicht... Erinnerst du dich noch?“ *** Lynton mixte Drinks und zwang Sue hartnäckig, ihr Glas leerzutrinken. Sie schnappte nach Luft, als sie es geschafft hatte. Sie ließ sich auf eine Bank niedersinken und schüttelte den Kopf, „Trink!“ sagte er überraschend ärgerlich, „trink, Süße .. .Hab dich nicht so!“ Sie wollte aufstehen und wirklich gehen, doch er stieß gegen ihre Brust und zwang sie zurück auf die Bank. Ihr blieb nichts anderes übrig, als auch dieses Glas leerzutrinken. Komm her“, sagte er dann und winkte sie an den Tisch, auf dem der Lederkoffer stand. Sie stand auf und fühlte den Alkohol in ihrem Blut. Sie sah zu, wie er die Schlösser des Koffers aufschnappen ließ und den Deckel dann langsam öffnete. „Was das ist, Sue? “, welche die Sammlung von Peitschen und Stöcken, von Handschellen und Stricken sah. „Was das ist, Sue? Eine Unterhaltungspiel . . . Für uns allein. Das wir gleich spielen werden.“ Sue verstand plötzlich. Sie hatte es mit einem Verbrecher zu tun, der sein Opfer zu sich in die Jagdhütte eingeladen hatte. Dieser Mann, dem die normale Liebe fremd sein mußte, dieser Mann sah in ihr ein geeignetes Objekt, um sich abzureagieren. Sue drehte sich auf dem Absatz um und lief zur Tür. .. Doch sie war nicht schnell genug. Mit einem wilden Hechtsprung warf er sich auf sie und riß sie -von der Tür zurück. Sie wehrte sich mit dem Mut der Verzweiflung, doch Lynton war stärker. Er ohrfeigte Sue und trieb sie quer durch die Hütte hinüber auf eine Tür zu. In ihrer panischen Angst klinkte sie die Tür auf, um vielleicht hier einen Fluchtweg zu finden. Doch damit lief sie genau in die Falle, die auf sie wartete. „Es hätte so schön sein können“, sagte Lynton und trank aus der angesplitterten Weinflasche. „Ich hatte mir damals alles ideal vorgestellt, aber du mußtest ja Schwierigkeiten machen ... Die Dame war sich plötzlich zu fein ...“ Während er redete, kam er wieder auf sie zu und löste den Strick, der ihre Hände mit dem Regal verband. Damit' waren ihre Hände leider nicht frei. Sie waren gesondert festgezurrt worden. „Nur etwas Verständnis für mich damals, und ich hätte dir jeden Job verschafft“, redete Lynton weiter, „aber du mußtest ja verrückt spielen!“
Sue wußte nicht, was Lynton vorhatte. Er starrte auf ihren fast durchsichtigen BH und ließ seinen Blick an ihrem schlanken Körper hinunterwandern. Zu reizen schien ihn dieser Anblick allerdings nicht. „Was ich will, erreiche ich“, sagte Lynton und lächelte versonnen, „ich erreiche es, auch wenn ich vielleicht lange warten muß!“ Er bückte sich, um ihre Füße von dem Regal zu lösen. Dabei riß er ihr die Reste des Kleides von den Hüften. Sue spürte das Blut zurück in ihre Arme kehren und sah zur Seite. In Reichweite befanden sich Weinflaschen. Sie brauchte nur zuzugreifen und zuzuschlagen. Wie damals ... *** „Sieh es dir genau an!“ sagte Lynton und drückte sie in das kleine, fensterlose Zimmer. „Sieh dir alles genau an!“ Zuerst konnte sie nichts unterscheiden, doch dann gewöhnten ihre Augen sich an die Dunkelheit in dem kleinen Kabinett. Sie entdeckte eine Art Strafbock, wie er im Mittelalter zum Auspeitschen von Sträflingen verwendet worden war. Sie entdeckte den langen Strick, der von einem Deckenhaken herabhing, und sie sah den Fußblock, der ebenfalls aus dem Mittelalter stammen mußte. In ihn wurden Sträflinge eingeschlossen, die man besonders bestrafen wollte. Ein Alptraum, der dem Hirn eines kranken Menschen entstammte! „Hier werde ich dich zu meinem ganz persönlichen Geschöpf erziehen“, sagte Lynton, dessen Hand sich um ihren linken Oberarm spannte, „ein paar Sitzungen, Süße, und du bist eine wunderschöne Marionette in meiner Hand!“ Er hatte noch nicht ganz ausgeredet, als er sie hinüber zum Strafbock stieß. Sue stolperte, hielt sich aber fest, spürte wieder die Hand des Mannes in ihrem Genick und wehrte sich verzweifelt. Sie trat aus und schlug um sich. Genau das schien Lynton zu schätzen. Er stieß unverständliche Wortfetzen aus, lachte und benahm sich wie ein Geisteskranker. Dabei entwickelte er Kräfte, denen Sue nicht gewachsen war. Aus einem plötzlichen Instinkt heraus gab sie plötzlich jeden Widerstand auf. Sie hatte irgendwo einmal gelesen, sexuelle Täter nicht durch Gegenwehr noch mehr zu reizen. An Einzelheiten konnte sie sich nicht mehr erinnern, aber sie spürte sofort, daß die Aufgabe des Widerstandes richtig war. Das widerliche Lachen, das Kichern und das hastige Atmen wurden schwächer. Sie wartete auf ihre ganz spezielle Sekunde. „Was ist denn?“ fragte Herbert Lynton fast enttäuscht, „plötzlich keine Angst mehr?“ „Nein!“ erwiderte Sue, all ihre Vernunft zusammennehmend. „Du bist schamlos“, sagte Lynton ärgerlich, „und dafür werde ich dich bestrafen!“
Er kam um den Bock herum und wollte ihre Hände festschließen. Sue wußte, daß es dazu niemals kommen durfte, sonst war sie dem Mann hilflos ausgeliefert. Sie sprang blitzschnell auf und hatte plötzlich eine Reitpeitsche in der Hand, die sie von der Wand gerissen hatte. Damit schlug Sue wie rasend auf Lynton ein, der schützend und abwehrend die Arme hoch vor das Gesicht nahm. Sue lief zur Tür, warf sie hinter sich ins Schloß, drehte den Schlüssel herum und schleuderte angewidert die Peitsche in eine Ecke. Dann riß sie eine Tischdecke an sich, hüllte sich notdürftig darin und rannte aus der Jagdhütte… *** Sie setzte alles auf eine Karte. Mit gefesselten Händen griff sie nach einer Weinflasche und schlug sie auf Lyntons Kopf. Er wurde getroffen und sackte sofort in sich zusammen. Er blieb regungslos zu ihren Füßen liegen. Sue starrte einen Moment auf den am Boden liegenden Lynton und hatte Angst, ihn vielleicht getötet zu haben. Ich muß hier heraus, sagte sie sich, ich muß weg, bevor er wieder zu sich kommt. Eine dritte Chance werde ich bestimmt nicht mehr haben . .. Sue bückte sich nach der Flasche mit dem zersplitterten Hals und benutzte die scharfen Kanten, die Stricke loszuschneiden. Die Fußfesseln schaffte sie mit Leichtigkeit, doch als sie die Handfesseln lösen und auftrennen wollte, stellten sich die ersten Schwierigkeiten ein. Sie fand keine Möglichkeit, die Flasche zu verankern, daß sie ihre Fesseln dagegenreiben konnte. Ein Stöhnen lenkte ihre Aufmerksamkeit auf Lynton. Kam er schneller zu sich, als sie es sich ausgerechnet hatte? *** „Ich bitte mir zu vertrauen, Sir“, sagte Parker, der Mrs. Lyntons Wagen folgte, „nach dem zu urteilen, was ich hören konnte, ist Mrs. Lynton sich durchaus darüber im klaren, in welch einem Gesundheitszustand sich ihr Mann befindet... Ich möchte annehmen, daß sie allein weiß, wo er ist!“ „Und wenn das Ganze sich als ein Windei herausstellt?“ fragte Mike Ränder, der vor Sorge und Nervosität kaum noch klar denken konnte. „Ich könnte Ihnen im Augenblick wirklich keine andere Möglichkeit anbieten“, sagte Parker, „ich setze meine ganzen Hoffnungen auf Mrs. Lynton.“ Die Inhaberin der Modellagentur schien ihr erstes Ziel erreicht zu haben. Sie hielt vor einem Schnellimbiß, aus dem ein mittelgroßer, seriös aussehender Mann kam, der zu ihr in den Wagen stieg. Dann setzte Mrs. Lynton ihre Fahrt fort. „Warum fragen wir sie nicht“, meinte Rander und zündete sich wieder einmal eine Zigarette an, „warum zwingen wir sie nicht, die Wahrheit zu sagen? „
„Mrs. Lynton hat bisher alles getan, um ihren Mann zu decken“, erwiderte der Butler, „ich fürchte, sie wird es auch jetzt tun. Warum dies so ist, Sir, wird man später vielleicht erfahren. Vorerst darf sie nicht ahnen, daß sie und ihr Begleiter verfolgt werden.“ Rander verzichtete auf weitere Fragen und kämpfte gegen seine Angst. Er bewunderte wieder einmal seinen Butler, der die Ruhe selbst zu sein schien. Aber Parker liebte schließlich nicht, wie Rander sich sagte. Für ihn war Sue Weston eine nette Mitarbeiterin, die vielleicht austauschbar war. „Was wollen denn die in einer Bar?“ fragte Rander aufbrausend, als Mrs. Lynton ihren Wagen' im Ostteil der Stadt vor einem Keller stoppte. „Der Name dieser Bar, Sir, entspricht haargenau dem Namen, den ich auf einem Streichholzbriefchen fand“, antwortete der Butler, der insgeheim erleichtert war. Mrs. Lynton und ihr Begleiter verschwanden über die Treppe hinunter in der Bar. Rander und Parker stiegen aus. Rechts vom Eingang befand sich ein großes Schauplakat, auf dem eine fast nackte Stripperin in aufreizender Haltung posierte. Aus der Kellerbar kam hämmernde Musik, die nicht weniger aufreizend wirkte. *** Sue hatte es geschafft. Tränen der Erleichterung standen in ihren Augen. Sie stieg über Lynton hinweg und ging schnell zur Tür. Sie achtete nicht darauf, daß sie nur den BH und ein leichtes Höschen trug. Sie wollte so schnell wie möglich heraus aus diesem Keller. Sie hatte die Tür noch nicht ganz erreicht, als sie zurückprallte und entsetzt auf den Mann schaute, der sich in den Keller schob. Sie atmete erleichtert auf, als sie hinter diesem Mann Mrs. Lynton entdeckte. „Mein Gott, bin ich froh“, stieß Sue aus. „Gut, daß Sie kommen, Mrs. Lynton ... Sehen Sie- sich das hier an!“ Mrs. Lynton schloß hinter sich die Tür und warf einen fast desinteressierten Blick auf ihren Mann, der sich nicht rührte. Nach den ersten Bewegungen, die er gezeigt hatte, hatte Sue sich nicht geniert, noch einmal hinzulangen. „Ist er tot?“ erkundigte sich Mrs. Lynton dann sachlich. „Aber nein ... Nur ohnmächtig!“ „Eigentlich schade, das hätte vieles vereinfacht“, sagte Mrs. Lynton, „aber ich finde, das läßt sich nachholen!“ „Wie... Wie soll ich das verstehen?« fragte Sue, in der sich plötzlich eine unbestimmte Angst ausbreitete. „Sehr einfach“, antwortete Mrs. Lynton, „wenn die Polizei eintrifft, werden Sie Mister Lynton erschlagen haben. Und er hat Sie im Kampf so niedergestochen, daß Sie anschließend verbluteten!“ „Aber ... aber Mrs. Lynton!“ Sue war fassungslos. Eigenartigerweise glaubte Sue jedes Wort.
„Sie nehmen doch nicht an, daß ich diese ganze Geschichte an die Öffentlichkeit dringen lasse, oder?“ Mrs. Lynton sah Sue verächtlich an, „ich kann mir keinen Skandal leisten. Ich werde Ärger genug haben.“ „Sie wissen, daß Ihr Mann krank ist? Sie haben es die ganze Zeit gewußt?“ fragte Sue Weston und schüttelte verständnislos den Kopf. „Natürlich. Ich kannte seine Neigungen.“ „Und warum haben Sie nicht einen Arzt geholt?“ „So einfach ist es nicht, eine Geisteskrankheit festzustellen, Sue, ganz zu schweigen davon, daß ich dann einen wichtigen Geschäftsanteil aus der Agentur hätte herauslösen müssen!“ „Den Anteil Ihres Mannes?“ „Sehr richtig. Knapp fünfzig Prozent. Und ich denke nicht daran, so leichtfertig mit dem Geld umzugehen. Hier bietet sich jetzt endlich die Lösung an, auf die ich immer schon gewartet habe.“ Sue nickte, um dann plötzlich zur Tür zu laufen. Doch sie hatte die Rechnung ohne Mrs. Lyntons Begleiter gemacht. Er fing sie mit Leichtigkeit noch weit vor der Tür ab und drehte ihren linken Arm auf den Rücken. Er zwang Sue zu einer ungewollten Verbeugung. „Laß das, Mädchen“, sagte er dann fast unbeteiligt, „wir wollen doch nichts unnötig komplizieren!“ „Wußten Sie, daß Ihr Mann der Mörder-Hai ist?“ „Mörder-Hai? Nannte er sich so?“ Mrs. Lynton verzog verächtlich den Mund. „Aber Sie wußten, daß er Fotomodelle erpreßte und schlagen ließ?“ „Ich ahnte es, sagen wir es so. Er baute sich diese Organisation bestimmt nicht wegen Geld auf. Ihm ging es darum, die Frauen zu bestrafen oder züchtigen zu lassen. Er wäre tatsächlich ein interessanter Fall für den Psychiater gewesen, was meinst du, Norman?“ „Bringen wir es hinter uns“, sagte Norman ungeduldig. „Natürlich“, gab sie zurück, „mich widert das alles an!“ „Sie können mich doch nicht umbringen“, schrie Sue verzweifelt, „ich verspreche Ihnen, daß ich nichts sagen werde!“ „Nachdem Sie bei einem Anwalt untergeschlüpft sind, wie? Machen Sie sich nicht lächerlich, Sue! Natürlich werden wir Sie umbringen! Ich will endlich meine Ruhe haben! Ihr Pech, daß ausgerechnet Sie das Opfer sind! Aber trösten Sie sich, als Modell hätten Sie niemals Furore gemacht, dazu sind Sie nicht der Typ, Mädchen. Sie sind zu brav und verkaufen nicht das, was Sie haben, mit allen Mitteln...“ Norman, Mrs. Lyntons Begleiter, hatte bereits eine Weinflasche in der Hand, baute sich breitbeinig neben Lynton auf und holte zu einem mächtigen Schlag aus. Mrs. Lynton sah ungerührt zu, während Sue entsetzt den Kopf abwandte. Sie riß ihn überrascht herum, als plötzlich ein Schuß aufpeitschte.
Der Begleiter von Mrs. Lynton schrie und griff nach seinem getroffenen rechten Oberarm. Er ließ gleichzeitig die Flasche zu Boden fallen, wo sie zerschellte. Mrs. Lynton hatte sich umgewendet und starrte Rander an, der seinen kurzläufigen 38er in der Hand hielt. Gut, daß Sie eingegriffen haben“, sagte sie dann und deutete auf' Norman, er hätte meinen Mann sonst bestimmt umgebracht!“ „Geben Sie sich keine Mühe, wir haben alles gehört“, erwiderte Mike Rander, „wir wissen sehr gut, was hier über die Bühne gehen sollte!“ Während er redete, hatte Mrs. Lynton vorsichtig den Bügel ihrer kleinen Handtasche geöffnet. Doch als sie in die Tasche greifen wollte, war der Butler zur Stelle und schüttelte mißbilligend den Kopf. „Sagten Sie nicht, daß man die Dinge nicht unnötig komplizieren soll?“ fragte er dann, „Ihr Browning dürfte auf keinen Fall die angestrebte Lösung sein!“ *** „Und dann?“ fragte Lieutenant Madford, der gespannt zugehört hatte. „Sie zeigte Haltung, wenn man es so ausdrücken darf. Sie verzichtete auf jeden weiteren Widerstand, Sir.“ „Wer ist denn dieser Mann gewesen?“ wollte Sue Weston wissen. „Norman Halley ... Ein Fotograf, der schon seit langer Zeit mit Mrs. Lynton befreundet ist. Wie eng, geht ja wohl aus der Tatsache hervor, daß er für sie glatt einen Doppelmord begehen wollte.“ „Schrecklich“, sagte Sue und schüttelte den Kopf, „ich glaube, das alles werde ich wohl nie vergessen.“ „Herbert Lynton befindet sich bereits unter ärztlicher Aufsicht“, sagte Madford weiter, „ich glaube, daß man ihn in ein geschlossenes Haus einweisen wird.“ Während sie miteinander redeten, erreichten sie einen kleinen Korridor, von wo aus man die Räume der Kellerbar betreten konnte. Durch einen Vorhang aus Perlschnüren sah man auf eine kleine angestrahlte Bühne, auf der sich eine Stripperin produzierte, gelangweilt und routiniert. »Wem gehört eigentlich diese Kellerbar?“ wollte Sue weiter wissen. „Lynton“, erklärte Madford, „hier suchte er sich in erster Linie seine Gäste für das Jagdhaus .. . Aber davon wissen Sie ja nichts.“ Sue sah zu Boden und antwortete nicht. „Oder vielleicht doch?“ fragte Madford ziemlich taktlos weiter. „Sicher nicht, Sir“, schaltete sich Parker in diesem Augenblick ein, „wenn Sie erlauben, werde ich die Herrschaften jetzt zurück zum Lincoln Park fahren.“ Madford hatte nichts dagegen. Er sah dem davonfahrenden, hochbeinigen Wagen nach, der in einer Seitenstraße verschwand. Erst im nachhinein kam ihm der Gedanke, daß seine Frage Sue in Verlegenheit gebracht haben mußte. Er fragte sich, ob er nachhaken sollte oder nicht. Madford kam zu dem Schluß, daß er
eigentlich genug Zeugen hatte, um Beweismittel vorlegen zu können. Sue Weston war nicht unbedingt nötig. „Los, McLean, kommen Sie“, raunzte er seinen Sergeant an, der ihm während der ganzen Zeit nicht von den Fersen gewichen war, „oder haben Sie Lust, sich die Show da im Laden noch anzusehen?“ „Wenn, dann nur Ihnen zuliebe“, erwiderte McLean und grinste. Dann trottete er seinem Chef nach, der der Meinung nach, daß McLean bald wieder einen Dämpfer brauchte. Er wurde zu üppig. *** „Sie können mich jetzt vor meiner Wohnung absetzen“, sagte Sue, als sie in die Nähe von Antonellas Laden kamen, „ich glaube nicht, daß mir jetzt noch etwas passiert.“ „Sagen Sie das nicht. Das Leben ist voller Gefahren!“ Rander lächelte und dachte nicht daran, Parker ein Stoppzeichen zu gäben. „Und im übrigen haben wir ja so etwas wie einen Arbeitsvertrag geschlossen, Miß Weston.“ „Sie sind wirklich sehr nett zu mir“, gab sie zurück, „aber ich möchte kündigen, bevor ich überhaupt richtig anfange. Sie wissen viel zuwenig von mir. Lieutenant Madford fragte eben, ob ich eine bestimmte Jagdhütte kenne.. . Eine Jagdhütte, in die Lynton seine Freundinnen und Opfer verschleppte. Ich kenne diese Jagdhütte. Ich war ebenfalls dort.“ „Na, und?“ gab Rander lächelnd zurück. „Ich bin nicht das Mädchen, das Sie in mir sehen wollen“, sagte Sue verzweifelt, „ich wollte unter allen Umständen und mit allen Mitteln Karriere machen.“' „In der Hinsicht kann ich Ihnen allerdings nicht viel versprechen oder bieten“, sagte Rander lächelnd. „Die Zusammenarbeit wird höchstens sehr aufregend werden.“ „Sie wollen mich nicht verstehen“, antwortete Sue verzweifelt. „Ich habe Sie längst sehr gut verstanden“, erklärte Rander, „was war, interessiert mich nicht. Wichtig ist nur, was werden wird ...“ Parker nahm genau in diesem Moment sehr rasant eine Kurve. Er hatte dieses Gespräch über die eingeschaltete Sprechanlage Wort für Wort mitbekommen. Daher auch jetzt diese Kurve, die so extrem von ihm genommen wurde, daß Sue Weston gegen ihren Willen an Mike Rander gepreßt wurde. Sie hatte plötzlich nichts dagegen, daß er seinen Arm um ihre Schulter legte. Sie fühlte sich geborgen und sicher. „Falls weitere Kurven gewünscht werden, Sir, stehe ich mit meinem Wagen zur Verfügung“, sagte Parker durch die Wechselsprechanlage, um sie dann aber abzuschalten. Er wollte sich nicht nachsagen lassen, daß er indiskret war. ENDE
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