Michael Butterworth
Alpha 1 – Station der Verlorenen Mondstation 1999
Science – Fiction – Roman
Bastei Lübbe
Baste...
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Michael Butterworth
Alpha 1 – Station der Verlorenen Mondstation 1999
Science – Fiction – Roman
Bastei Lübbe
Bastei-Taschenbuch Mondstation 1999 Band 25001 Englischer Originaltitel: PLANETS OF PERIL Ins Deutsche übertragen von Dr. Ingrid Rothmann © Copyright ITC – Incorporated Television Company Ltd. This novelization copyright © Michael Butterworth 1977
Deutsche Lizenzausgabe 1977 Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe, Bergisch Gladbach Printed in Western Germany Titelbild: ATV Umschlaggestaltung: Roland Winkler Satz: Neo-Satz, Hürth Druck- und Verarbeitung: Mohndruck Reinhard Mohn OHG, Gütersloh ISBN 3-404-00752-2
In der Zentrale von Mondbasis Alpha 1 starrte Commander John Koenig entsetzt auf den wandgroßen Sichtschirm. Von der Oberfläche des geheimnisvollen Planeten Psychon stieg eine weißleuchtende Energiekugel mit phänomenaler Geschwindigkeit in die Höhe. Entsetzt dachte Koenig an Torens und Fraser, die beiden Piloten des Scout-Bootes Eagle Eins. Der Eagle lag genau auf dem Kurs des Energieballes! »Commander – das Ding rast genau auf uns zu!« klang Frasers heisere Stimme aus dem Lautsprecher in der Kommando-Zentrale. Hilflos saß John Koenig in seinem Kontursessel. »Macht, daß ihr wegkommt!« brüllte er verzweifelt. »Weicht aus! Verdammt…« Seine Stimme erstarb. Ein weißer Blitz zuckte über den Sichtschirm, tauchte alles in grelles Licht und schien Koenig die Augen aus dem Kopf zu brennen. Dann herrschte Stille. Eagle Eins sendete nicht mehr…
I
Es war eine unheimliche, fremdartige Landschaft, voll düsterer, qualmender Vulkane und erstarrter, vulkanischer Gesteinsfalten. Einstmals, vor Jahrtausenden, wimmelte es auf der Oberfläche von Leben. Wo sich nun im erstarrten Felsantlitz gespenstische, vielfarbige Adern wanden und krümmten, hatten einst die weicheren, wärmeren Farben von Bäumen, Blumen, das Blau des Himmels geleuchtet… Commander Koenig, Doktor Helena Russell, Simon Hays und einige andere, zur Kommandozentrale gehörige Besatzungsmitglieder, saßen gebannt da und beobachteten schweigend die aufwühlende Szene, die ihnen über die große Bildfläche eingespielt wurde. Während sie dasaßen und zusahen, schwenkte die in das Eagle-Schiff eingebaute Kamera über die geschändete, verwunschene Landschaft und ermöglichte es ihnen, am Erlebnis der zwei Eagle-Piloten Bill Fraser und Ray Torens teilzuhaben. Bei Annäherung an den Planeten übten bestimmte Stellen an dessen Oberfläche eine magnetische Anziehungskraft aus, ein Umstand, der auf die schweigsamen Zuschauer beunruhigend wirkte und unerklärlich schien. Sie versuchten es auch gar nicht, das Geheimnis zu ergründen, und hofften nur, daß der Eagle seine Aufgabe – das Auffinden von Tiranium – erfüllen würde. Tiranium, jenes kostbare und seltene Mineral, das sie so dringend zur Wiederherstellung zerstörter, lebenserhaltender Systeme benötigten.
Gedankenverloren strich sich Helena Russell eine Strähne ihres platinblonden Haares aus der Stirn. Sie fühlte sich noch immer ein wenig flatterig infolge der Auswirkung der Raumverwerfung. Ohne Vorwarnung war der Mond in einen der instabilen Zeitdurchtritte geplumpst. Er – und auf ihm die Mondbasis »Alpha« – war Hunderte Lichtjahre weit von seiner vorherigen Position im Weltraum weggefegt worden. Es war die zweite Verwerfung, die sie in ebensoviel Jahren durchgemacht hatten, und sie befanden sich nun tiefer im Weltraum als je zuvor, gänzlich verloren in einem unbekannten und kartographisch noch nicht erfaßten Teil des Universums. Sie hatten keine Ahnung, wie weit entfernt von der Erde sie sich befanden. Während des Verwerfungsvorganges war ein großer Teil ihrer Ausrüstung beschädigt worden. Gesundheit und Leben der 297 »Alphaner« standen auf dem Spiel. Wollte man ihnen helfen, sollte ein Überleben der Mondbasis Alpha gesichert werden – dann mußte Tiranium gefunden werden! Das war eine Schicksalsfrage. Helene Russell stand jetzt vor dem medizinische Daten registrierenden Monitor, auf dessen Bildschirm die Namen Fraser und Torens geschrieben standen. Während die beiden tapferen Piloten viele Zehntausende Meilen draußen im Raum über die Oberfläche dieses neuen, bizarren Planeten dahinglitten, behielt sie deren körperliche Kondition dauernd im Auge. Sollte bei ihnen irgend etwas schieflaufen, würde sie John Koenig sofort den Rat geben, die beiden zurückzubeordern. »Wir haben engen Sichtkontakt mit dem Planeten«, kam die beruhigende Stimme Bill Frasers über den großen BildschirmLautsprecher. Seinen Worten folgte auf dem Bildschirm das Auftauchen eines Schauerregens von Felsgestein, Staubwolken stoben auf – ein Anblick, der die ganze Bildfläche ausfüllte.
Hinter dichten, ausströmenden Rauchschwaden leckten Flammenzungen, dann teilte sich der schwarze Schleier und enthüllte die glühende Krateröffnung eines Vulkans, welche ihnen unheildrohend entgegenstarrte. Die Krateröffnung schien ganz nahe, so nahe, als läge sie in dem Raum, in dem sie sich befanden, unmittelbar vor ihnen. Lava brodelte und schwappte. Ein zweiter Flammenblitz schoß aus den Tiefen, geschmolzenes, flüssiges Gestein wurde emporgeschleudert und floß den Vulkanabhang hinunter. »Laßt euch nicht ins Bockshorn jagen«, meldete sich erneut die Stimme des Piloten. »Das war nur ein Griff in die Trickkiste des Eagle! Wir sind noch immer einige hundert Meilen von der Oberfläche entfernt.« Frasers lächelndes Gesicht erschien auf dem TV-Monitor unterhalb der großen Bildfläche. Koenig und Helena waren sichtlich erleichtert. »Bill, wie oft muß ich dir noch sagen, daß du diesen Unfug lassen sollst«, sagte Koenig gespielt vorwurfsvoll. Hinter ihm meldete sich jetzt Lew Picard. »Atmosphäre zum Atmen geeignet, Kohlenstoff 9.2. Wasserstoff 4.2. Stickstoff 8.7. Aber die Oberflächentemperatur ist sehr hoch – 180 Grad…« »Wundert mich nicht, Lew«, erwiderte ihm Koenig. »Bill! Gibt es Anzeichen von Leben?« »Nichts, John. Keine Siedlungen, kein Leben.« Seine Worte wurden von unheildrohendem Grollen begleitet. »Nichts, außer Vulkanen. Ist Anne da?« »Ja, ich bin da, Bill«, entgegnete Anne Fraser, die Frau des Piloten. Sie sprach von der Mondbasis Alpha aus, wo sie dem Technikerstab der Kommandozentrale angehörte. Sie stand vor ihrer Konsole im Hintergrund des Raumes, wo sich auch Koenig und die anderen befanden, ihren Blick unbeirrt auf den Bildschirm gerichtet.
»Halte dich nicht zu lange auf, Liebster«, rief sie. »Ich denke immerzu an dich.« »Na, dann steht einer sicheren Wiederkehr nichts im Wege«, antwortete der Pilot, dessen lächelndes Gesicht nun wieder auf dem Bildschirm erschien. »Bill, stellen Sie den Scanner für die Mineralienanalyse ein«, sagte Koenig. »Vergessen Sie nicht ihre eigentliche Aufgabe!« »Der Scanner arbeitet bereits, lassen Sie die Verbindung mit dem Hauptcomputer herstellen!« Ein scharfes Klicken ertönte, als Picard kurz auf eine seiner Tasten einhieb. Das Atmosphärenbild auf dem großen Bildschirm lichtete sich, und eine Reihe von Symbolen und Worten zuckte nun vorüber: Mangan Trisilikat… Magnesiumphosphat… Lithiumsulphat… Tiranium… »Bill, du hast es geschafft!« rief Helena voll Freude. »Du hast eben ein großes Tiraniumlager entdeckt!« »Genau das, was uns die Doktorin verordnete!« verkündigte Koenig. Dann befahl er Fraser: »Eagle Eins – zurück zur Basis!« Alle im Kommandoraum strahlten. Frasers lächelndes Gesicht wurde auf dem Schirm wieder sichtbar. Man sah, wie sich seine lächelnde Miene jäh verdüsterte und höchste Beunruhigung ausdrückte. Aus dem Hintergrund vernahmen sie Torens’ Stimme, die Fraser in dringendem Ton etwas zurief. »Einen Augenblick!« rief Fraser der Kommandozentrale zu. Sein Bild verschwand vom Bildschirm. Auch die Symbole und Worte waren verschwunden, statt dessen sah man wieder die Planetenoberfläche. Sie wirkte jetzt noch bösartiger und bedrohlicher als vorhin, so, als wäre sie drauf und dran, sich selbst in Stücke zersprengen zu wollen. Die Besatzung der Kommandozentrale starrte in verwunderter Ratlosigkeit auf die chaotische Szenerie, bemüht,
eine Erklärung zu finden. Das Panorama verschwand und wurde von der Nahaufnahme eines großen Felsblockes verdrängt, der auf dem Boden des Planeten lag. Während sie ihn betrachteten, ging er in ein stürmisches Glühen über. Ein fahles, intensives, türkisfarbenes Glühen. Die Umrisse des Felsblockes lösten sich auf, und die pulsierende Form nahm nun die Gestalt eines riesigen, leicht beweglichen Lichtballes an, der sich langsam und stetig in die raucherfüllte Luft erhob. »Auf Weitsicht übergehen!« befahl Koenig, der kerzengerade in seinem Sessel saß und das Bild anstarrte. Der Bildschirm war bereits vollständig von dem blaugrünen Licht überflutet. Sandra Benes an der Übertragungskonsole drückte einen Knopf. Auf dem Bildschirm flammte sofort eine neue Perspektive der Planetenoberfläche auf. Sie sahen jetzt, daß die riesige Lichtkugel Kurs auf sie nahm. Wieder füllte das Bild, das sie abgab, die ganze Bildfläche des Schirmes aus – und dann war sie plötzlich verschwunden. »Bill… ihr werdet von einem seltsamen Licht verfolgt!« rief Koenig. »Macht, daß ihr wegkommt… aber schnell!« Hilflos saß er in seinem Sitz da. Hinter ihm schrie Annette auf. Simon Hays brüllte ins Mikro: »Alarm! Alarm-Mannschaften auf die Posten!« »Bill! Weiche aus! Mach Ausweichmanöver, Mensch!« befahl Koenig. »Nichts wie Ausweichmanöver!«
Im Inneren der Pilotenkanzel des Eagle drangen Koenigs Worte krächzend aus dem Lautsprecher. Torens wünschte sich jetzt an die Stelle des Befehlsgebers, anstatt der Befehlsempfänger sein zu müssen. Er war jung, erst sechsundzwanzig, und er wollte noch nicht sterben.
Seine Hände bewegten sich hastig über das Steuerungspult. Lichter und Zahlen flammten hektisch auf den Schirmen des mächtigen Schiffes auf. Er schluckte erregt und versuchte, sich auf seine Tätigkeit zu konzentrieren. Der Bordcomputer arbeitete ruhig und logisch und unterstützte ihn bei seiner Aufgabe. Die Antriebe seines Raumschiffes kamen auf Touren, der gewaltige Rumpf wurde während des Ausweichmanövers hin und her geschleudert. »Es hat keinen Zweck, Ray. Wir können das Ding doch nicht abhängen«, sagte Fraser in aller Ruhe. Er war älter, etwa Mitte Dreißig, von kräftigem Körperbau und bediente die Steuerung weitaus gekonnter. »Wir schaffen es nicht, Alpha«, rief er in die Sprechanlage. »Es hat sich an uns einfach angehängt!« »Kommen Sie, Fraser…! Los!« Koenigs Stimme kam über Tausende von Meilen krächzend durchs All. »Bill… Bill…« hörte Fraser seine Frau unter leisem Schluchzen flüstern, für ihn so laut, als stünde sie neben ihm. Fraser wandte sich zu Torens um. Seine Kiefermuskeln arbeiteten krampfhaft. »Wir müssen es weiter versuchen«, sagte er zu dem Jüngeren. Beide gingen wieder an ihre Apparate und führten mit dem Schiff ein steiles Sturzmanöver aus. Doch der Ball draußen im All blieb ihnen unerbittlich auf den Fersen. Als sie wieder auf den Schirm sahen, war er sogar noch näher gekommen. Doch dann schien die hellgrüne Kugel des Spieles überdrüssig. Ihre Oberfläche schwoll an. Mit trotziger Bitterkeit mußte sich Fraser eingestehen, daß ihr Verfolger seine Geschwindigkeit immens gesteigert hatte. Ein Entkommen war nunmehr völlig ausgeschlossen. Das schafften die Eagle-Antriebe nicht.
»Na, mach nur ruhig so weiter«, sagte er zu dem jüngeren Torens, der noch immer an der Steuerung hantierte und die letzte Entwicklung auf dem Bildschirm nicht verfolgt hatte.
Der große Bildschirm in der Kommandozentrale wurde jetzt weiß. Er flammte in blendender Helligkeit auf. Schützend hoben die Alphaner ihre Hände vor die Augen. Wieder klärte sich der Bildschirm, und nun sahen sie, daß die Lichtkugel hinunter auf die Planetenoberfläche raste. Über die starken Lautsprecher des Bildschirms ertönten Frasers Schmerzensschreie. Seine zur Hysterie gesteigerte Stimme ließ sie aufspringen, entsetzt von den Folgerungen, die sich aus dem Hergang des eingetretenen Vorfalls ergaben. Sie ahnten, daß etwas Unheimliches vor sich ging, doch so hervorragend ihre Sonden und Sensoren auch arbeiteten – sie konnten ihnen nicht sagen, was genau den zwei Piloten zustieß. Sie konnten über das Unbekannte keinen Aufschluß geben. Und das Unbekannte war es – die unbekannten Weiten und die Gefahren des Alls im besonderen – was ihnen Entsetzen einflößte. »Ann ist ohnmächtig geworden!« rief Helena. Sie war die erste, die sich wieder gefaßt hatte. Ihr Verstand wandte sich instinktiv ihren Pflichten zu, und sie kam der unglücklichen Technikerin eilends zur Hilfe. »Krankenstation… Kommandozentrale!« rief sie in die Sprechanlage. Koenigs Verstand begann Sekundenbruchteile später aktiv zu werden. Doch blieb er reglos sitzen und starrte wütend den leeren Schirm an.
Seine Hände umklammerten die Armstützen seines Stuhles, daß die Knöchel weiß hervortraten, während er die Einzelheiten eines Aktionsplanes überdachte, den er blitzschnell ausgearbeitet hatte.
II
Koenig saß noch immer da und starrte den Bildschirm an. Er war körperlich ein großer Mann, verfügte über scharfen Verstand, doch hatte er in letzter Zeit so viel durchgemacht, daß seine Führungsqualitäten auf die Probe gestellt worden waren. In den Pioniertagen der Raumfahrt, ehe man die Mondbasis Alpha von der Erde aus hinausgeschossen hatte, war er als Pilot ausgebildet worden. Als einer der ersten Astronauten war er draußen im All gewesen, und er konnte sich sehr gut vorstellen, wie den beiden Piloten, mit denen sie jetzt den Kontakt verloren hatten, zumute war. Er wußte, welchen unbekannten Gefahren sie ausgesetzt waren – wenn sie überhaupt noch am Leben waren. »Laserbatterie eins – aktiviert«, meldete Jameson von der Haupteinheit auf der Mondoberfläche. »Kampfschiff Eagle Fünf in Position«, meldete sich die Stimme eines Piloten von der Abschußrampe. »Kampfschiff Eagle Sechs in Position«, meldete eine andere Stimme. Koenig hörte all die Stimmen seines Stabes, der seine Befehle alle ausführte. Mondbasis Alpha hatte sich vollkommen in einen potentiellen Todesplaneten verwandelt, der nur noch vor Waffen starrte. Sollte der geheimnisvolle Planet angreifen, würde es das Ende für ihn und seiner Leute bedeuten, dachte er voller Ingrimm. Aber sie konnten ihn nicht einfach in die Luft jagen, weil Fraser und Torens da draußen waren… wenn sie noch lebten.
Und er mußte davon ausgehen, daß sie noch am Leben waren, dachte er wütend. »Abwehrschilde ausfahren! Oberflächenlaser abwehrbereit. Kampf-Eagles startklar«, erklang neben ihm die Stimme Simon Hays: »Ich riskiere kein einziges Menschenleben, ehe ich nicht weiß, womit wir es zu tun haben«, sagte der Commander. Er stand auf und ging zu Picard hinüber. »Es muß Leben auf diesem Planeten geben.« »John, ich habe kreuz und quer Kontrollen gemacht. Kein Anzeichen von Leben auf der Oberfläche.« »Und unter der Oberfläche?« »Der Planet ist eine wahre Hölle… Leben, wie wir es kennen, kann darauf nicht existieren.« »Commander Koenig!« Eine warme, freundliche Stimme dröhnte in die Kommandozentrale. Sie kam vom Bildschirm her, und alle drehten sich blitzschnell um. Das Bild eines distinguierten, intelligent wirkenden Humanoiden – etwa um die Fünfzig – füllte den Bildschirm aus. Er hatte dunkle, stechende Augen, geschärft durch langjährige Erfahrung. Er war von gut gebauter Statur, wenn auch ein wenig schwammig, trug einen dunkelblauen Umhang mit silbrigem, samtähnlichem Kragen. Der braune Bart war säuberlich zurechtgestutzt, das Haar silbern und kurzgeschnitten. Auf dem Kopf wuchs ein roter Haarschopf wie ein Hahnenkamm. Er lächelte väterlich. Doch hinter der Freundlichkeit steckte ein Anflug von Arroganz – vielleicht auf eine Psychose zurückzuführen –, und das mahnte sie zur Vorsicht. »Sie wissen, wer ich bin – aber wer sind denn Sie?« Koenig ging damit sofort zum Angriff über und ließ sich seine Überraschung nicht anmerken.
Die Gestalt schien überlegene Kraft auszustrahlen, während sie antwortete: »Ich bin Mentor vom Planeten Psychon.« »Warum haben Sie unser Schiff angegriffen? Wir kamen in friedlicher Absicht.« Die Gestalt gab sich erstaunt und zog die Brauen hoch. »Sie schicken ein bewaffnetes Schiff gegen unseren Planeten aus und reden von Frieden?« Mentor trat zur Seite. Neben ihm kam jetzt eine Anordnung farbiger, futuristischer Röhrengebilde ins Bild. Im Inneren der Röhren hoben und senkten sich Flüssigkeitssäulen, deren Oberflächen gewölbt waren, wobei jede der Flüssigkeiten ein anders getöntes Licht ausschickte. Die stürmisch brodelnden Flüssigkeiten tauchten Koenig und Hays in ein warmes, psychodelisches Glühen. Die Kamera, mit der Mentor die Röhrenanordnung projiziert hatte, und die er völlig zu meistern schien, machte mehrere Schwenks durch den Raum, in dem er sich befand. Jetzt kam eine Reihe schimmernder Tische von metallähnlicher Struktur ins Bild. Die Tische trugen große, durchsichtige, kuppelförmige Gefäße, die mit einer zarten, gehirnähnlichen Substanz gefüllt waren, die in Nährflüssigkeit schwebte und voll Energie pulsierte. Die Gefäße waren durch Röhrenleitungen, die von rasch strömenden Flüssigkeiten durchpulst waren, mit einer Anordnung von Nährbänken verbunden. Der große Fremde hatte sich nunmehr in den Mittelpunkt der kreisförmig angeordneten Kuppelgefäße begeben und nahm an einer lichterfüllten Steuerungskonsole Platz. Auf einem Bildschirm über seinem Kopf tauchte jetzt Koenigs Gesicht auf. Koenig sah sich selbst sprechen. Trotz seines Zornes konnte er nicht umhin, den Unbekannten zu bewundern. Gleichzeitig bedachte er, daß er vor der hohen Intelligenz des Mannes auf
der Hut sein müsse. Er hatte das Gefühl, daß sich Mentor als ein überaus mächtiger Gegner erweisen würde. »Unser Schiff, daß Sie eben gekapert haben, war ein Forschungsschiff auf der Suche nach Mineralvorkommen«, sagte Koenig in beherrschter Ruhe. »Wir hielten Ihre Welt für unbewohnt.« Mentor sah zum Bildschirm auf, der Koenigs Gesicht zeigte. »Ein oft gehörtes Argument, Commander, ein Argument, das den Tod von Millionen unserer Leute im Gefolge hatte. Schon andere Fremdlinge haben uns in der Vergangenheit unter diesem Vorwand angegriffen.« Koenig ging auf dieses Thema nicht weiter ein. »Was ist mit meinen Leuten geschehen?« fragte er. »Ihre Piloten sind in Sicherheit… aber der Eagle ist nicht mehr instandzusetzen.« »Lassen Sie meine Männer zurückkehren, und wir werden alles tun und in Frieden abziehen. Mehr wollen Sie doch nicht, oder?« »Ja, Commander – Frieden!« erwiderte Mentor. Seinen Worten haftete ein düsterer, zweifelnder Unterton an. Koenig erkannte, daß er diese Äußerung wohl als charakteristisch für diesen Menschen hinnehmen mußte. »Sie haben meine feierliche Versicherung, daß wir keine Feindseligkeiten vorhaben«, sagte er zu dem Fremden. »Und ich nehme Ihre Versicherung an«, erwiderte Mentor aalglatt. »Wir können also einen Plan für die Rückkehr der Piloten fassen.« Koenig sah, daß nun der Großteil des Raumes, in dem sich Mentor befand, auf dem Bildschirm gezeigt wurde. Auf einem Wandvorsprung lag ein ausgewachsener Ozelot, behaglich schnurrend, und sah Mentor lippenleckend und bewundernd an. Mentor streckte eine umhüllte Hand aus und streichelte das
Tier liebevoll. Die Augen des Ozelots schimmerten fast wissend. »Das ist kein gewöhnliches Tier«, flüsterte Hays eindringlich. Mentor sah zu Koenigs Gesicht auf. »Schicken Sie ein weiteres Eagle-Schiff. Ich werde Ihnen bezüglich des Landeplatzes Anweisungen geben.« Hays schüttelte den Kopf. Koenig blickte in den Bildschirm. »Nein, das könnte zu weiteren Mißverständnissen führen. Warum kein Treffpunkt im All?« »Sieht aus, als trauten Sie uns so wenig wie wir Ihnen.« »Auch wir wurden in der Vergangenheit hintergangen, Mentor«, sagte Hays. »Dann treffen wir uns also im All, Commander!« Mentor machte ein nachdenkliches Gesicht. »Sie brauchen Minerale? Sehr schön. Schicken Sie mir einen Wissenschaftler, damit wir die technischen Details besprechen, und Sie bekommen Ihre Minerale.« Koenig runzelte die Stirn und wechselte einen Blick mit Hays. Dann sah er wieder auf den Bildschirm. »Sie sind sehr großzügig – danke!« Wieder füllten die vertrauten Züge des geheimnisvollen Mentor den Bildschirm, und trotz ihrer bösen Ahnungen fühlten sich Koenig und Hays wider Willen davon angezogen. Er war offenbar ein gerissener Halunke. »Das ist ein geringer Preis für den Frieden«, erklärte Mentor. Erstaunlicherweise waren nun alle Spuren von Bösartigkeit aus Miene und Stimme verschwunden. Er schien der perfekte Freund. »Zufällig erlitt einer Ihrer Piloten geringfügige Verletzungen… Vielleicht können Sie auch einen Arzt schicken.« »Machen wir, Mentor«, sagte Koenig. »Freue mich schon, Sie kennenzulernen, Commander.«
Mentors Züge verblaßten allmählich, der Bildschirm war wieder leer. Hays und der Commander sahen einander gedankenvoll an. »Seine Freundlichkeit gefällt mir nicht, John«, bemerkte Hays. »Mir auch nicht«, erwiderte Koenig. Er wandte sich an Mark MacInlock, den Chefpiloten. »Bestücken Sie Eagle Vier mit zusätzlichen Antriebsaggregaten, und machen Sie ihn startklar.« »Jawohl!« Der Chefpilot verließ die Kommandozentrale. Hays sah Koenig fragend an. »Zusätzliche Antriebe? Sie haben es wohl ziemlich eilig, hinzukommen?« Koenig erlaubte sich die Andeutung eines Lächelns. »Vielleicht eilt es mir noch mehr, wegzukommen!« Der andere nickte verstehend. Der weiße Ozelot streckte die Krallen, hob den Kopf und gähnte herzhaft. Die verhüllte Gestalt Mentors bewegte sich geschmeidig von jenem Raum weg, von dem aus er mit dem Commander gesprochen hatte, und kam auf das Tier zu. Er streckte die juwelengeschmückte Hand aus und streichelte die große Katze. Gehorsam erhob sie sich und machte einen Buckel. »Na, was hältst du von diesen Alphanern, Maya?« fragte er. Die Katze sah ihn wissend an und sprang herunter. Noch ehe das Tier den Boden berührt hatte, begann es zu glühen. Nun wurde es von einem undurchsichtigen Energiefeld eingehüllt, dann trat daraus die zittrig-schimmernde Gestalt eines jungen, wunderschönen, braunhaarigen Mädchens von etwa einundzwanzig Jahren hervor. Die Umrisse der Gestalt verfestigten sich. Schließlich hatte sie die molekulare Umwandlung vollendet, eine Kunst, die sie
in aller Vollkommenheit beherrschte – beobachtet von dem lächelnden Mentor. »Du siehst blendend aus, meine Liebe!« Er streckte ihr zur Begrüßung die Hände entgegen. Sie trug ein atemberaubendes Spitzenkleid von lebhafter Hautfarbe, besetzt mit schimmernden Steinen, die bei jeder Bewegung glitzerten und funkelten. Das volle, brünette Haar war in einem Knoten zusammengefaßt. Die Brauen waren markant gewölbt und reichten weit seitwärts, was ihren feinen weiblichen Zügen eine entfernte Ähnlichkeit mit einem Luchs verlieh. Sie ließ sich von ihrem Vater umarmen und einen zärtlichen Kuß auf die Wange geben. »Vater, mir gefallen die Alphaner. Hübsche Menschen, nicht? So anders als die anderen.« Sie sah wirklich bildschön aus. Und wirkte fast zu unschuldig. Ihr Vater sah sie mit fürsorglichem Blick an. »Sie kommen offensichtlich aus einer der unseren ähnlichen Kultur – die natürlich nicht so fortgeschritten ist.« Seine Tochter lachte fröhlich. Er fragte sich, was sie wohl denken mochte. Ihre Gestalt begann zu flackern, und sie nahm jetzt die Gestalt des Commanders an. Jedes einzelne Detail stimmte haargenau. »Na, wäre ich nicht ein guter Alphaner, Vater?« »Laß das, Maya!« schalt er sie streng. Er schien bestürzt, konnte aber seine Bewunderung nicht verhehlen. Er mußte sich eingestehen, daß ihre Fähigkeiten außerordentlich waren. Sie war in der Kunst, die er sie gelehrt hatte, ein Naturtalent… in der Kunst der toten Psychoner, die er an sie weitergegeben hatte. Sie war der letzte Sproß ihres Geschlechts. »Entschuldige«, sagte Maya. Sie schien gekränkt. Die Gestalt Koenigs verwandelte sich in einen hellfarbigen Baum. Ihr Vater runzelte die Stirn, obwohl sein Blick diesmal nicht so streng ausfiel.
»Ich lehrte dich die unschätzbare Kunst der Molekularumwandlung – und du gehst damit so um… alberne Spielerei!« schalt er sie. Der Baum verwandelte sich wieder in seine Tochter zurück. Sie lächelte gewinnend. »Vater, du lehrtest mich diese Kunst, weil du wußtest, daß ich sie mir möglicherweise selbst würde aneignen können.« »Das stimmt. Du bist klug, Maya. Eines Tages werden wir ein anderes Betätigungsfeld für deine Talente suchen müssen.« »Wenn ich dürfte, würde ich dir gern bei deiner Arbeit helfen.« »Da gibt es manches, was du nicht verstehst… noch nicht verstehst«, antwortete der Vater geduldig. »Und diese Alphaner? Werden sie uns helfen, unseren Planeten wieder aufzubauen?« fragte sie. »Ja, Maya… Aber jetzt lauf los…« Sie gab ihm einen Kuß auf die Wange und wandte sich zum Gehen. Mentor sah ihr nach. In einiger Entfernung drehte sie sich um und blickte zurück. Wieder lächelte sie spitzbübisch. Dann verwandelte sie sich neuerlich in einen Ozelot und sprang davon. Er lächelte kopfschüttelnd. Jede Ermahnung war verlorene Liebesmüh. Sie war eben noch ein richtiges Kind. Als er sich unbeobachtet fühlte, fuhr er sich sorgenvoll mit der Hand über die Stirn. Er konnte seiner zahllosen Sorgen nicht mehr Herr werden. Seitdem das Schiff des Commanders auf dem Bildschirm aufgetaucht war und seine Scanner ihm alles Wissenswerte über den Eagle, die Alphaner und ihre Heimat auf der Mondbasis übermittelt hatten, war er zutiefst beunruhigt. Kein unbekanntes Gefühl für ihn.
Es überfiel ihn immer, wenn herumstreifende, fremde Lebensformen seinen Planeten in unmittelbarer Nähe passierten und ihn, Mentor, zwangen, sein verdammenswertes Ziel weiter zu verfolgen. Sein Inneres war mit gewaltigen Energievorräten ausgestattet. Es war die Energie des Universums, die er mittels seiner einzigartigen Zellstruktur – die auch alle Angehörigen seines zum Untergang bestimmten Geschlechtes aufwiesen – nach Belieben anzapfen konnte. Sie durchflutete sein Inneres, konnte anschwellen und wieder abklingen. Mit dieser Energie konnte er das Universum zerstören. Er brauchte mit dem Commander also nicht zu feilschen. Aber er war ein Mann von Ehre und hatte seine Prinzipien. Er war ein Mensch, der Mitleid kannte. Er wollte nicht als Schurke angesehen werden. Vor allem aber lag ihm daran, in den Augen seiner heißgeliebten Tochter nur als liebevolle, väterliche Gestalt dazustehen. Manchmal sehnte er sich danach, daß sie endlich ganz erwachsen wäre und er ihr die ganze Bürde an Verantwortung, die er zu tragen hatte, erklären könnte. Aber wie die Dinge lagen, konnte er sich darüber gegenüber niemandem aussprechen. Mentor war völlig vereinsamt auf einem toten Planeten. Mit einer heftigen Gebärde seiner Hände verscheuchte er diese Gedanken. Dann wandte er sich wieder seiner Arbeit zu. Ruhig drückte er einen Knopf der vor ihm stehenden Konsole. Der Bildschirm über ihm erhellte sich, und es erschien das Bild eines kahlen, bleichen Humanoiden. Er sah verbraucht aus, die Augen tot und glanzlos. Mit gefühllosem Ausdruck – leblos, teilnahmslos und ohne Regungen – blickte er seinen Herrn und Meister an.
»Mach den alphanischen Piloten bereit«, sagte er zu dem Aufseher. Das Gesicht nickte und verschwand. Eilig drehte Mentor ab und wandte sodann seine Aufmerksamkeit den Röhren voller farbiger, sprudelnder Flüssigkeiten zu, die ihre kostbaren, lebensspendenden Strahlen in den Raum ausschickten. Diese Röhren waren es, die für ihn von größter Bedeutung waren. Das Versprechen, das sie in sich bargen, übertraf alles andere. Er beugte sich über den Computer und tauchte die Hände in die sich dauernd ändernden, wirbelnden Lichtstreifen – und nahm deren heilende Energie in sich auf. Der Bildschirm flammte auf und riß ihn aus seinen Zukunftsträumen. Das Bild von Eagle Vier erschien. Das Raumschiff bewegte sich auf den mit dem Commander vereinbarten Treffpunkt zu. Mentor stand auf und beobachtete interessiert das Manöver. Er schien hocherfreut. »Sie kommen, Maya! Es sind Ehrenmänner!« Der tote, verhaßte Globus von Psychon hing vor dem Eagle im Weltraum. Die mächtigen Motoren des Schiffes donnerten. Tief im Inneren des feurigen Schiffsherzens fanden die Atomspaltungen statt, die das Schiff durch die dunkle, leere, leblose Vorhölle auf der Bahn ihrer Rettungsmission vorantrieben. Aus der Sichtscheibe eines Raumfahrerhelmes starrten die nachdenklichen Augen Helena Russells. Sie beobachteten auf dem TV-Monitor, der sich im Inneren der Pilotenkanzel von Eagle Vier befand, den unheildrohenden, immer größer werdenden Planeten. Helena steckte in dem gleichen orangefarbigen Raumanzug wie Koenig, Picard und MacInlock, die an den Steuerungskonsolen hantierten.
»Wir liegen richtig, John«, meldete MacInlock, der Chefpilot. Seine behandschuhten Hände glitten über Tasten und Knöpfe. In seinem unförmigen Anzug wirkte er reichlich unbeholfen. Aber er war es gewohnt, darin zu arbeiten. Koenig streckte die Hand aus und betätigte einen Schalter. »Mentor, hier spricht Koenig.« Der Monitor zeigte wiederum das Innere des Raumes auf Psychon, in welchem Maya und Mentor ihnen aufmerksam zusahen. »Wir haben den Treffpunkt erreicht«, fuhr Koenig fort, beunruhigt darüber, daß man über seine Absichten unheimlicherweise informiert zu sein schien. Mentor bewegte sich unmerklich in seinem wallenden Gewand und lächelte seiner Tochter zu. »Mein Schiff trifft sich in Kürze mit dem Ihren, Commander«, sagte er zuvorkommend. »Und Sie übergeben uns unsere Piloten?« »Selbstverständlich.« Mentor trat jetzt an die Konsolen mit den farbigen Röhren des geheimnisvollen Computers und fuhr mit der juwelengeschmückten Hand über eine der Röhren. Die darin befindliche brodelnde Flüssigkeit erzeugte nun ein Getöse, gleich dem gewaltigen Heulen eines Windes, der sich in geschlossenen Kaminen verfängt. Koenig reagierte rasch. Er drückte einen weiteren Knopf. Sofort erlosch das Bild und wurde von einer Aufnahme der Planetenoberfläche abgelöst. »Näher heran, John«, sagte Helena. »Ich möchte sehen, was sich auf der Oberfläche tut.« Jetzt erschien eine neue Szenerie. Es war die gleiche, wie die von Max Ernst gemalte Landschaft, Felskonturen mit wirren Farbstreifen und Flecken, Vulkane, die ihr Inneres ausspieen.
MacInlock hatte seinen Platz bei den Steuerungskonsolen verlassen, nachdem er den Eagle endlich in einen sicheren Orbit gesteuert hatte, und half nun Koenig. Die Kamera begann, das zerklüftete, einsame Gelände abzutasten, übermittelte aber nichts Außergewöhnliches – keinerlei Anzeichen irgendeiner Aktivität. Aber dann erspähten sie das, was sie suchten. Es war ein großes, teilweise zylindrisches Objekt mit flachem, rundem Schweif, das sich plötzlich inmitten der Gebirge erhob. »Fixiere das, Mark!« rief Koenig. »Das muß Mentors Schiff sein.« Doch das Bild des flachen, grauen, fischähnlichen Schiffs hatte bald die ganze Bildfläche des Bildschirms voll eingenommen, und sie mußten die Kamera auf Fernbild einstellen. Das Schiff stieg so rasch auf, daß es Augenblicke später wiederum die Bildschirmfläche abdeckte. »Himmel!« stieß der Chefpilot überrascht hervor. »Das schlägt ja sämtliche Rekorde. Das steigt ja… an die hundert Meilen pro Sekunde ab der Nullbeschleunigung! Gegen eine Schwerkraft von…« Er zog die Meßangaben seiner Konsole zu Rate, »… von etwas über ein G! Die Insassen müssen einem gewaltigen Andruck standhalten… Wie können die das überleben?« Koenig starrte bedrückt auf den Bildschirm. »Keine Ahnung.« Plötzlich erschrak er. »Fraser und Torens… die sind doch an Bord dieses Schiffes!« Der Bildschirm flackerte und erlosch sodann. Koenig fluchte. Jetzt erschien das Gesicht von Sandra Benes auf dem Bildschirm. Sie wirkte bekümmert. Der Commander wurde wütend. »Sandra – warum benutzen Sie nicht die Sprechanlage?« fragte er ungehalten.
»Entschuldigen Sie, John… ich… wir haben das Schiff verfolgt. Mein Scanner lieferte so merkwürdige Werte…« »Weiter…« »Nun ja – dieser Mentor soll doch an Bord sein – oder?« Koenig nickte ungeduldig. »Ich kann aber keine Anzeichen von Leben feststellen.« »Keine Anzeichen…?« Helena trat einen Schritt vor. »John…« Sie faßte erschrocken nach seiner Schulter. Koenig starrte ergrimmt auf den Bildschirm. »Welches Steuerungssystem benutzt er?« fragte er die bestürzte Technikerin. »Meine Scanner zeigen ein automatisches System an. Magnetische Energiestufen, die stark fluktuieren.« »Man hat uns hereingelegt…!« preßte Koenig mit fahlem Gesicht hervor. Er drückte auf einen Knopf, und das Bild des fremden Raumschiffes erschien wieder. Es hatte inzwischen gestoppt und war längsseits gegangen. Sie konnten im vorderen Rumpfteil eine Reihe dunkler Öffnungen feststellen. Aus dem flachen, sohlenförmigen Rumpf ragten Antriebsraketen heraus. Das Schiff sah grau, leblos und unheimlich aus… ein blinder Riesenfisch, der dennoch mittels innerer, untrüglicher Sinnesorgane zu sehen vermochte. Zögernd schaltete Koenig die Funkanlage ein. »Mentor, geben Sie uns ein Zeichen, wenn Sie zum Andocken bereit sind.« Er sah seine Leute an. »Keine Antwort…« Er wandte sich wieder dem Bildschirm zu. »Ich wiederhole: Geben Sie Zeichen, wenn sie zum Andockmanöver bereit sind!« Ein Piepsen ertönte, und auf dem TV-Monitor erschien Hays erschrockenes Gesicht. »John… auf dem Schiff gibt es kein Lebewesen, keine Art von Lebensformen. Auch Fraser und Torens sind nicht an Bord.«
Koenig rappelte sich in seinem Raumanzug auf. Er wußte nicht, ob er erfreut oder enttäuscht sein sollte. Aber es war dazu ohnehin zu spät. Eine Serie heftiger Stöße erschütterte den Eagle und schleuderte die Insassen zu Boden. Kaum auf den Beinen, wurden sie wieder umgeworfen. Koenig und MacInlock krochen zu ihren Steuerungsaggregaten und konnten sich in die Pilotensitze hochzerren und bedienten mühsam die Apparate. »Wir sind von magnetischen Kräften… gestört… ja… magnetische Energie… eben jetzt… wieder«, brachte er stoßweise hervor. »Ja, John… es kommt von Mentors Schiff her… es strahlt… magnetische… Energie aus…«, krächzte MacInlock. »Wir… verlieren… an Höhe.« »Volle Kraft voraus!« rief Koenig. MacInlock drückte den Steuerungsknüppel und die mächtigen Antriebsaggregate des Eagle erwachten gleichzeitig donnernd zum Leben. Allmählich ließ das Schütteln nach, als die Antriebe den Eagle aus dem magnetischen Griff des Fisch-Schiffes befreiten. »Wir sinken noch immer«, meldete MacInlock. »Jetzt… plötzlich wieder rascher…!« Entmutigt fügte er hinzu: »Es ist umsonst. Volle Kraft voraus genügt nicht. Zum Henker, was ist das?« »Hilfsantriebe auf halbe Kraft«, befahl jetzt Koenig. Wieder wurde das Schiff von einer mächtigen Energiewelle erschüttert, als die Hilfsaggregate einsetzten. Die Erschütterungen wurden immer heftiger. Das Schiff kippte um, und sie mußten sich an ihre Sitze klammern, als der Boden nach oben gekehrt wurde. Aus dem Steuerpult vor ihnen schlugen Flammen.
»Der Eagle schafft es nicht!« keuchte MacInlock. »Er bricht entzwei!« In dem Rauch und in der Hitze konnte er sich kaum verständlich machen. Koenig bekam ein Gefühl, als würde ihm die Haut unter seinem Raumanzug vom Leibe gerissen. Eine Auswirkung der mächtigen Gravitationskräfte einerseits und der nach oben gerichteten Antriebskraft des Eagle andererseits, der mit zitterndem Rumpf zu entkommen versuchte. Aber auch eine Auswirkung der Anziehungsenergie des magnetischen Lassos, das man um sie geworfen hatte. Koenig versuchte, halb gelähmt, zu dem Hilfsantriebsknopf, vor dem MacInlock saß, hinüberzulangen. Aber er vermochte sich kaum zu rühren. Seine Muskeln schienen infolge des auf ihnen lastenden Druckes den Dienst versagen zu wollen. Sein ganzes Ich schrie vor Pein. »Volle Kraft…« flüsterte er. Er schaffte es, den Finger auf den Knopf zu legen und zu drücken. Ein mächtiger Hammerschlag traf den Eagle. Die Hilfsantriebe gingen jetzt auf volle Kraft. Um ihn herum wurde die Kabine weiß. Die zupackenden Klauen schienen ihm jetzt ganze Fleischfetzen auszureißen. Er klammerte sich verzweifelt an seine Sinne, während sein Schiff mit dem Fisch-Schiff ums Leben kämpfte. Und dann spürte er plötzlich Freiheit. Er schien mit traumhafter Geschwindigkeit durchs All zu rasen. Dankbar nahm er zur Kenntnis, daß Eagle Vier den Kampf gewonnen hatte. Sie entfernten sich von ihrem Angreifer, sie hatten sich befreien können. »Wir haben es geschafft«, stieß Koenig hervor. Er drehte sich nach Helena und Hays um, die sich mühsam auf die Beine kämpften. MacInlock stemmte sich zu der vor ihm schwelenden Konsole hoch. Sein Anzug war
rußverschmiert. Er traf Anstalten, das Schiff wieder in den Griff zu bekommen. Hinter den Sichtscheiben ihrer Raumhelme lächelten sie einander zu. Hays drückte eine Taste, und der TV-Monitor wurde hell. Die Oberfläche von Psychon entfernte sich rasend schnell. Das unheimliche, graue Schiff hob sich nur mehr als kleiner, entfernter Fleck davon ab und wurde rasch immer kleiner. »Wir kehren zur Basis zurück«, sagte Koenig, »und tanken auf.« Seine behandschuhten Hände machten sich am Steuer zu schaffen. Doch da stieß Hays einen Schreckensruf aus. »John… schauen Sie! … der Lichtball…!« Alarmiert sahen sie alle auf den Bildschirm. Der so kurzlebige Ausdruck der Erleichterung wich aus ihren Gesichtern. Der graue Fisch hatte sich in die helle Todeskugel türkisfarbener Energie verwandelt, die Eagle Eins gekapert hatte. Koenig und MacInlock kämpften wieder mit der Steuerung. Aber die Lichtkugel ließ nicht locker. Helena, Hays und Picard suchten verzweifelt Halt, während die Piloten mit dem Eagle eine Reihe von kühnen Ausweichmanövern durchführten. Doch es war zu spät. Das Schiff schien stehenzubleiben. Koenig drückte sämtliche Tasten, aber das Schiff reagierte nicht mehr. Der Bildschirm zeigte das helle, grünliche, pulsierende Glühen eines Lichtes aus der Tiefe eines Ozeans. Das seltsame Licht durchflutete die Kabine und hüllte sie in seinen Zauber. Sie fühlten vollkommenen Frieden… körperlich und seelisch, und sie kämpften verzweifelt gegen die beseligenden Visionen, von denen sie übermannt wurden.
»Wir verlieren an Höhe«, meldete Helena. Durch die grüne Flut auf dem Bildschirm sahen sie die vulkanischen Gipfel des Planeten Psychon wieder auftauchen. Das Schiff nahm Kurs auf einen der Gipfel, gelenkt von der Lichtkugel, und sie begannen einen sanften Abwärtsflug in seinen Krater. Der Eagle wurde tief in dessen Inneres getragen. Die Szenerie, die sich ihnen auf dem Kraterboden bot, war an Seltsamkeit nicht zu überbieten. Sie befanden sich inmitten eines großen, weißgrauen Aschenmeeres. Halb begraben in der Asche, ragten die Formen von Raumschiffen empor, von denen einige nach ihrer Konstruktion und ihren Emblemen noch zu bestimmen waren. Aber die meisten waren unbekannte, fremde Schiffe. Alte und neue. Still und tot lagen sie da. Man merkte, daß sie hier achtlos abgelagert worden waren. Wie von einer Riesenhand hingestreut lagen sie da. »Ein Raumschiff-Friedhof!« rief Helena erschrocken. »Und wir mittendrin!« ergänzte Koenig. Um sie herum türmten sich die Trümmer der großen Schiffe. Mit leichtem Aufprall landeten sie. Das grüne Licht wurde schwächer, erlosch schließlich, und sie saßen nun da im kalten Licht ihres eigenen Schiffes, der nackten Wirklichkeit überlassen.
III
»Eagle Vier an Mondbasis Alpha…« MacInlocks Worte, in das Mundstück seiner Sprechanlage gesprochen, klangen gedämpft in der Grabesstille der Pilotenkanzel. »Alpha kommen. Hören Sie mich?« Helena, Hays und Picard umstanden ihn bedrückt. Ihre Raumanzüge hatten sie abgelegt, der fürchterlichen Hitze wegen, die sich darin gestaut hatte. Koenig teilte Waffen an sie aus. In der Kabine roch es noch immer nach versengtem Plastikmaterial. Die weißen Schaumbläschen der Löschanlage waren allgegenwärtig. »Ich erwisch sie nicht«, sagte MacInlock entmutigt. »Los, weiter«, mahnte Koenig. Er gab Picard ein Raketengewehr und nahm sich selbst einen Stunner. »Willkommen auf Psychon«, ertönte plötzlich Mentors tiefe, warme Stimme. Koenig drehte sich blitzschnell zum Monitor um, auf dem Mentor nun erschienen war. Mentor schien mit sich selbst zufrieden und strahlte sie wohlwollend an. »Keine Angst, Commander.« »Ich habe niemals Angst, wenn ich es mit einem Ehrenmann zu tun habe«, entgegnete Koenig sarkastisch. Das Gesicht Mentors auf dem Bildschirm wurde größer. »Ach… Sie sind ungehalten… und ich gebe zu, daß Sie allen Grund dazu haben. Haben Sie ein wenig Geduld, dann werden Sie alles begreifen.«
»Ich begreife alles, was sie wollen… aber erst, nachdem ich meine Piloten gesehen habe…« erwiderte Koenig, der sich sehr zusammennehmen mußte, um sich seine Wut nicht anmerken zu lassen. Helena beugte sich vor und packte den Commander an der Schulter, denn auf dem Bildschirm sah man nun das Bild eines der vermißten Piloten. »Ihr Wunsch ist mir Befehl«, ertönte Mentors Stimme als Untermalung. Helen grub vor Entsetzen die Nägel in Koenigs Schultern. Der für gewöhnlich überaus freundliche Ray Torens saß unter einer Konstruktion, die einer Trockenhaube bei einem Friseur glich. Er befand sich in jenem Abteil von Mentors Räumlichkeit, wo die gehirnähnliche Substanz in ihrer Nährflüssigkeit brodelte. Torens wirkte erregt und gespannt. An seinem Kopf waren Drähte angebracht, über ihm hing die durchsichtige Haube, die offenbar über ihn gesenkt werden sollte. Aber am schrecklichsten waren zwei greuliche, mumienhafte Gestalten, welche die Arme des Eagle-Piloten festhielten, so daß er sich nicht bewegen konnte. Reglos standen sie auf jeder Seite. Ihre Leiber waren mit einem ekelhaften, pilzartigen Bewuchs bedeckt. Es waren zwei von Mentors Aufsehern. Zwei weitere Aufseher schleppten nun den sich wehrenden Bill Fraser herein und versuchten, ihn auf einen zweiten Sitz zu zwingen. Fraser bemerkte geistesgegenwärtig Koenigs Gesicht auf dem Bildschirm in Mentors Raum und kämpfte mit gesteigerter Kraft, um sich zu befreien. »Die Art und Weise meines Vorgehens liegt in unserem beiderseitigen Interesse«, erklang wieder Mentors selbstzufriedene Stimme, und die in der Kabine von Eagle Vier
lauschenden Alphaner kochten bei seinen aufreizenden Worten vor unterdrückter Wut. Plötzlich sahen sie, daß Fraser sich aus dem Zugriff der Aufseher befreit hatte und auf den Bildschirm zusprang. Sein Gesicht füllte die Scheibe aus. »Er lügt… « stieß er atemlos hervor. Er schob Mentor aus dem Weg und schrie laut: »Traut ihm nicht. Er lügt!« Blaue Energiestrahlen schossen aus den Augen eines Aufsehers und trafen den verzweifelten Piloten. Er fiel bewußtlos um. Koenig und die anderen taten einen Schritt auf den Bildschirm zu, doch konnten sie nicht helfen… noch nicht. »Sie müssen die Unterbrechung entschuldigen. Ihr Pilot hat Fieberphantasien«, äußerte Mentor ungerührt. »In diesem Fall möchte ich ihn untersuchen«, fiel ihm Helena heftig ins Wort. »Das werden Sie in Kürze… aber jetzt bleiben Sie bitte im Schiff, bis wir wieder Kontakt mit Ihnen aufnehmen.« Der Bildschirm erlosch.
Die trügerisch warmen und kraftvollen Farben von Psyche blitzten auf und begannen zu wirbeln. Die Flüssigkeit wogte verheißungsvoll im Inneren der tausend Röhren, ihre Atome schwanger von den gespeicherten Leben der schon längst untergegangenen Rasse der Psychoner. Psyche wartete darauf, daß ihr zusätzlich die Lebenskräfte der Alphaner zugeführt würden – um Psychon wieder bewohnbar zu machen und die verkrustete und verschlackte Oberfläche des Planeten, dessen Schöpfung sie war, wieder mit Leben zu erfüllen. Sie barg in sich das Geheimnis des Lebens. In ihr war außerdem dieselbe rastlose Energie des Universums gefangen, die sich in ihrem Herrn ihr natürliches
Ventil geschaffen hatte. Psyche war von Energien abhängig wie ein Tier von der Atemluft – sie war ihr Antrieb und ihr Verderben. Denn wenn die empfindlichen elektro-biologischen Mechanismen in ihr nicht sorgfältigst gewartet wurden, wenn sie Schaden erlitten, dann würde die Kraft sie auf dem allerdirektesten Weg verlassen. Und jetzt bebten ihre Milliarden Partikel, belebt vor Erfüllung, als sie spürte, wie die Energie des Alphaners in sie überging. Torens wehrte sich zunächst verzweifelt auf seinem Sitz unter der gewölbten Haube, doch schließlich gab er nach und saß erschöpft da. Schweiß strömte über sein Gesicht. Die Hände der zwei Pilzmonster, die seine Handgelenke festhielten, fühlten sich wie Stahlbänder an. Es war, als ob Roboter zupackten. Er sah nach oben, zu der unheilvollen, durchsichtigen Haube und fragte sich, was Mentor mit ihm vorhatte. Seine Widerstandskraft war erlahmt. Er hatte sich heiser gebrüllt, und es hatte nichts genützt. Wenigstens war er nicht tot, und damit hatte sich seine schlimmste Befürchtung an Bord des zum Untergang verurteilten Eagle Eins noch nicht erfüllt. Frasers lebloser Körper lag auf dem Boden in jenem Raum, in dem sich der Computer befand… in der »Grotte«, wie Mentor sie nannte. Ein durchscheinendes, vom Boden bis zur Decke reichendes Beobachtungsfenster trennte ihn von seinem Kameraden. Mentors große, von einem wallenden Umhang verhüllte Gestalt stand neben dem Computer. Die liebenswürdige Miene hatte sich verhärtet. Torens sah, daß er den zwei lebenden Leichnamen, die Fraser betäubt oder getötet hatten, einen Befehl gab. Die Aufseher traten mit mechanischen
Bewegungen vor, hoben den Körper hoch und schleppten ihn hinaus. Mentor drehte sich nun um und sah Torens an. Er trat an das Fenster. Die Hände hielt er in den großen Samtmanschetten seines Gewandes versteckt. Er spähte mit strengem Blick herein. Die Situation war jetzt so, daß Torens sich wieder rührte und gegen sein Los ankämpfte. »Ich bin doch kein Versuchsaffe!« rief er. Mentor schüttelte betrübt den Kopf wie ein Arzt, der einen unheilbar kranken Patienten ansieht. Er löste die verschränkten Arme und drückte einen Knopf an seinem Gürtel. Im Inneren der Haube über Torens ertönte ein surrendes Geräusch. Der Pilot sah hinauf. Sein Gesicht verwandelte sich bei dem verzweifelten Bemühen, sich zu befreien, in eine Grimasse, verzerrt, die Stirnadern zum Platzen angeschwollen. Die Haube senkte sich langsam auf ihn herab. Immer tiefer kam sie. Er spürte Schwindel, während die drohende Öffnung immer näher kam. Von ihr schien eine mächtige, lähmende Kraft auszugehen. Er schrie auf, als das Schwindelgefühl sich verstärkte und ein stechender Schmerz seinen Kopf durchzuckte. Der Schmerz schien ihm den Schädel zu spalten. Dann kam gnädige Schwärze. Die surrende Haube bedeckte jetzt seinen Kopf vollständig. Torens sank in seinem Sitz zusammen. Nun erhob sich ein unheimliches, kreischendes Geräusch im Inneren der Grotte, wo sich Psyche und auch Mentor befanden. Das Geräusch ähnelte einem heulenden, ununterbrochenen Kreischen, teils von einem Tier, teils von einer Maschine stammend. Es war das Geräusch der Psyche. Die Flüssigkeiten in ihren Röhren begannen stürmisch zu brodeln. Die Flüssigkeitssäulen hoben und senkten sich wie
Kolben in ihren Glasbehältern. Weiße Bläschen entstanden, bildeten eine Schaumschicht in den unter Druck stehenden Flüssigkeiten und strömten an die Oberfläche der Flüssigkeiten. Die gehirnähnlichen Massen in ihren Nährtanks begannen zu glühen, und das von ihnen ausströmende Licht flackerte und zuckte in ihrem Rhythmus. Unter der Haube im Inneren des Gehirnübertragungsaggregates richtete Torens’ Gestalt sich wieder zu einer Art Leben auf. Er verfiel in wilde Zuckungen. Sein ganzer Körper schüttelte sich und bebte. Er starrte mit großen Augen vor sich hin, als wäre er hellwach. Dann verdrehte er die Augen nach oben und stieß einen gräßlichen Schrei aus, der von Angst und Schmerz kündete. Sein bemitleidenswertes Bewußtsein wurde ihm aus dem Kopf gesaugt. Die Erinnerungen des Piloten, seine Lebensenergien, wurden auf die glühenden Gehirne übertragen, und Psyche seufzte in einem wilden, ekstatischen Behagen auf, das sich in der Grotte als unerträgliche elektronische Oszillation manifestierte. Mentor hielt sich zähneknirschend die Ohren zu. Dann erstarb das Kreischen des Computers. Die Flüssigkeiten beruhigten sich, und die glühenden Gehirnmassen nahmen wieder den normalen Zustand an. Mentor ließ die Hände sinken. Er schien erfreut, trat an die Nährtanks und studierte eine Reihe von Zeigern. Maya trat ein. Er bedachte sie mit einem gütigen Lächeln. Sie trat voll Stolz an die Tanks neben ihren Vater, erfreut über seinen offensichtlichen Erfolg. »Sieh mal, Maya…« Mentor zog sie an sich und zeigte ihr die Meßwerte. »Ein Ansteigen von Psyches Energiestufe! Wieso denn, Vater?« Sie schien erstaunt.
»Der Pilot der Alphaner, dieser Torens, ist eine Verbindung mit ihr eingegangen. Da ist das Ergebnis.« »War er einverstanden?« fragte seine Tochter zweifelnd. »Ja.« »Und es gibt keine schädlichen Nebenwirkungen?« Mentor schürzte die Lippen. Im Hintergrund seiner Augen wurde ein unsicheres Flackern sichtbar. Er drückte liebevoll ihren Arm. »Keine!« versicherte er ihr. »Sieh doch… er ist müde. Ich habe einen der Aufseher angewiesen, er möge sich um ihn kümmern, bis er sich ausgeruht hat.« Tochter und Vater blickten durch das Beobachtungsfenster. Torens kam langsam zu sich. Er machte einen schläfrigen und benommenen Eindruck. Die zwei Aufseher halfen ihm auf die Beine und führten ihn hinaus. Maya wandte sich mit strahlendem Lächeln an ihren Vater. »Das ist ja wunderbar, Vater… Werden uns die anderen auch helfen? Es sind so intelligente Menschen.« Mentor wandte sich um, so daß seine Tochter sein Gesicht nicht sehen konnte. Dabei fiel sein Blick auf den an der Wand angebrachten Bildschirm. Er zeigte die Gestalten von Koenig und den Alphanern, die sich eilig einen unterirdischen Gang entlang bewegten. Er antwortete: »Ja, ich bin sicher, daß sie es tun werden.« Er hob unvermittelt die Fingerspitzen an die Schläfen und runzelte in Konzentration die Stirn – der Bildschirm erlosch, bevor seine Tochter Gelegenheit hatte, die verzweifelten Gestalten darauf zu sehen.
Der sich windende unterirdische Gang, aus dem Fels herausgehauen, führte die Besatzung des Eagle steil nach unten.
Die Luft war heiß und beißend von den ätzenden Schwefeldioxydschwaden. Die Wände, vom Licht ihrer Fackeln erleuchtet, wiesen dieselben vielfarbigen Mineraladern auf, wie die Gebirgszüge auf der instabilen Oberfläche des Planeten. Sie glänzten und schimmerten vor Feuchtigkeit, und man sah Dutzende seltener und unbekannter Metalle, darunter Tiranium – jenes kostbare radioaktive Metall, dessentwegen sie auf Psychon gekommen waren. Es war eine Ironie des Schicksals, daß das Metall nun in so großen Mengen um sie herum vorkam und seine Gewinnung jetzt für sie nur mehr von sekundärer Bedeutung war. Trotzdem sammelte Helena im Gehen lose Brocken davon ein und steckte sie in ihre Ärztetasche. In wenigen Sekunden hatte sie so viel eingesammelt, daß die Wiederherstellung der Lebenserhaltungssysteme gewährleistet wäre und Mondbasis Alpha für Monate ausgesorgt hätte. Sie lief Koenig und den anderen nach, die inzwischen eine Öffnung in dem muffigen Gang gefunden hatten. Seitdem sie Eagle Vier verlassen hatten, waren sie, wie ihr schien, stundenlang in den Katakomben umhergeirrt und hatten nach einem Eingang in Mentors Festung gesucht. Sie war nun erleichtert zu sehen, daß sie endlich ein Ziel erreicht hatten. Koenig gebot mit erhobenem Arm Stille, und sie schlich so leise wie möglich dem reglosen Trio nach. Durch die dampfhaltige Luft drangen schwache hämmernde Geräusche an ihr Ohr. Vorsichtig spähten sie um eine Ecke in das Gewölbe. Eine gleichermaßen surreale wie Entsetzen einflößende Szene bot sich ihren Blicken dar. Der Gang weitete sich zu einer riesigen, von Menschenhand geschaffenen Kaverne, in der die Luft schwer war vor vulkanischen Dampfschwaden. In diesem Dunst bewegten sich
bizarre Gestalten. Sie bearbeiteten mit schweren Schürfgeräten die Felsflächen und hackten wild drauflos. Es waren Lebensformen aller Arten und Größen, irdischen und fremdartigen Ursprungs. Eine große Reptilsgestalt mit semi-humanoidem Fischkopf schwang unermüdlich einen Pickel gegen einen Geröllbrocken, der von der Oberfläche abgesprengt worden war. Ein gedrungenes blaues Lebewesen mit Riesenkopf und hervorquellenden Augen wusch lethargisch die Mineralklumpen, die es gewonnen hatte, nach reinem Metall aus. Ein Humanoider mit Fell und mißgestalteten Gliedmaßen starrte mit Untertassenaugen leer um sich. Er schien nicht zu wissen, was er anfangen sollte. Sein Blick, der ihnen eisig durch Mark und Bein fuhr, schien sie direkt anzustarren. Auf dem holprigen Grund liegend, fast völlig in durchscheinende Dämpfe gehüllt, sahen sie ein wahrhaft seltenes Wesen. Seine unteren Partien bestanden aus einem pflanzlichen Wurzelsystem, und darauf befand sich ein humanoider Oberkörper, bedeckt mit einer scheckigen, borkenartigen Haut. Matt und ausdruckslos schwankte es auf der Felsoberfläche hin und her. Seinen Augen entströmte eine beängstigende Flüssigkeitsmenge. Und um sie alle herum die erbärmlichen Gestalten der fungoiden Aufseher. Sie standen stocksteif mit verschränkten Armen da und boten den Eindruck absoluter Autorität. Die Alphaner sahen einander wie betäubt an. »Verschiedenartige Lebensformen«, flüsterte Helena. »Die stammen sicher von den Raumschiffen, die wir draußen sahen«, bemerkte Koenig. MacInlock starrte die Gestalten in fasziniertem Entsetzen an. »Wie die sich bewegen… wie die aussehen!«
»Sie leiden an irgendeinem Gehirnschaden«, meine Helena. Sie schauderte. »Jetzt wissen wir, was Mentor mit seinem ,Willkommen’ meint.« Weder die Grubensklaven noch die Aufseher schienen von ihrer Anwesenheit Notiz zu nehmen. Sie gaben also ihre Deckung auf und gingen quer durch die Kaverne. Dann betraten sie wieder einen Gang, der tiefer ins Planeteninnere führte. Allmählich verklangen die Geräusche hinter ihnen, doch plötzlich wurde die Stille durch eine Woge des Gelächters erschüttert. Es war ein irres, erschreckendes, sadistisches Lachen, das spöttisch vor ihnen widerhallte, ein Geräusch, das ihnen durch Mark und Bein drang. Es folgte ein Schmerzensschrei. Der Schrei verklang, und abermals trat Stille ein. Erschrocken sahen sie einander an. Mit den Waffen im Anschlag gingen sie weiter. Gleich darauf erreichten sie wieder eine Kaverne, größer als die vorherige. Darin machten sich noch viel mehr der werkenden, ziellosen Sklaven zu schaffen. Die Eindringlinge bahnten sich wachsam den Weg durch die Scharen, als Helena einen Schrei ausstieß. »Torens!« Die gespensterhafte Gestalt des Piloten kreuzte ihren Weg. Seine Augen waren glasig und leblos. Er starrte leer vor sich hin, als er, einen erzbeladenen Container ziehend, an ihnen vorüberschlurfte. »Torens!« rief Koenig entsetzt aus. Er faßte nach dem Ärmel des Piloten. Torens jedoch riß sich los und setzte seinen Marsch, einem lebenden Leichnam gleichend, fort. Er schleppte das Erz zu einem größeren Container. »Er erkennt uns nicht!« rief MacInlock.
Helena schluckte schwer. Sie war aschfahl geworden. Diesen Symptomen war sie nur selten begegnet, doch wußte sie, was sie anzeigten. »Man hat sein Bewußtsein zerstört«, sagte sie zu den anderen. Zutiefst besorgt stürzte Koenig auf Torens zu. »Torens…« setzte er an. Weiter kam er nicht. Ein massiver Vorschlaghammer traf sein Nervensystem. Er spürte, wie sein Körper jegliches Gefühl verlor. Als er zu sich kam, lag er auf dem Boden. Sein ganzer Körper schmerzte. Koenig rappelte sich mühsam auf. Matten Blickes beobachtete er Torens und den Container. »Ein Energiefeld…« Während er überlegte, wie er sich dem Piloten nähern könnte, ertönte von hinten ein schlurfendes Geräusch. Ein Aufseher kam näher, mit steifen mechanischen Schritten. Das Gesicht maskengleich, abweisend. Hinter den schmalen Augenöffnungen pulsierte ein dumpfes blaues Licht. Koenig brachte instinktiv den Stunner in Anschlag und feuerte. Ein starker, bleistiftdünner Lichtstrahl traf den pilzartigen Schirm, der Kopf und Schultern des Wesens fast vollständig bedeckte. Plötzlich war es verschwunden. An seiner Stelle lag ein kleiner rauchender Felsbrocken. »…ich hatte nur auf Betäubung eingestellt…« brach Koenig das entsetzte Schweigen. Picard machte ein grimmiges Gesicht. »Molekularumwandlung«, sagte er. »Das haben wir schon beim Raumschiff und den Lichtkugeln gesehen… und jetzt wieder.« Während sie hinsahen, verwandelte sich der Fels in ein wirbelndes Band vertikalen Lichtes. Es erlosch allmählich, und vor ihnen nahm Mentor Gestalt an. Er wirkte sehr verärgert.
»Werfen Sie die Waffen weg, Commander.« Koenig versuchte, an Mentors Trugbild vorbeizukommen. »Davon kann ich Ihnen nur dringend abraten«, sagte Mentor scharf. »Mein Abbild ist von einem Energiefeld umgeben. Sie kommen da nicht durch.« Picard lachte höhnisch. Er legte mit der Raketenwaffe an und zielte auf Mentors Projektion. »Sein Abbild ist nur eine elektromagnetische Erscheinung«, sagte er. »Laserenergie von ausreichender Stärke könnte den Stromkreis entladen und das Bild verschwinden lassen.« Mentors Miene nahm einen warnenden Ausdruck an. »Koenig, ich warne Sie. Was immer Sie anwenden, es wird sich gegen Sie richten.« Picard sah Koenig an. »Ich denke, daß ich den Strahl neutralisieren könnte.« Koenig war seiner Sache nicht sicher. »Warten Sie, Lew…« setzte er an. Aber Picard trat vor und feuerte auf das Trugbild. Eine massive Ladung schoß im Bogen hervor und blendete sie. Der Bogen traf auf, aber anstatt das Bild zu zerreißen, prallte er von seiner Oberfläche ab und schnellte zurück. Er traf Picard. Er hüllte ihn in einen strahlenden Energieball. Als das Licht sich klärte, war er verschwunden. »Picard!« schrie Helena auf. Koenig und MacInlock erhoben die Waffen gegen das Bild, aber noch in der Bewegung wurden die Waffen in rauchende Trümmer verwandelt, die sie fallen ließen. »Commander, Widerstand ist gleich Dummheit«, dröhnte Mentors Stimme. Seine Miene hatte sich wieder gemildert – als hätte eine so zwingende Demonstration seiner Kräfte die Psychose in ihm gemildert.
Helena starrte noch immer zu der Stelle hin, wo Picard verschwunden war. Koenig faßte nach ihrem Arm. Er zog sie mit sich, den Gang entlang, gefolgt von MacInlock und Hays. Mentor starrte ihnen düster nach. »Nun denn«, sagte er. Sein Abbild löste sich in Luft auf. Gleich darauf füllte unheimliches grünliches Glühen die dumpfen Tunnels. Es kräuselte sich wie tropisches, durchscheinendes Seewasser. Es hatte seinen Ursprung an einem Punkt, der vor der Eagle-Besatzung lag. Sie blieben stehen und starrten den geraden, Gang entlang. »Es ist… der Ball!« rief MacInlock warnend. Aber für eine Reaktion war es zu spät. Die blendende Kugel, die Eagle Eins angesaugt hatte und später auch ihr eigenes Raumschiff, war wieder zur Stelle. Sie kam immer schneller, schließlich mit enormer Geschwindigkeit auf sie zu. Bevor sie zum Laufen ansetzen konnten, hatte die Kugel sie erfaßt, und sie fühlten, wie ihr Bewußtsein in völlige Schwärze gesaugt wurde.
Hunderttausende Meilen entfernt streiften die empfindlichen tastenden Fotosensoren von Mondbasis Alpha über den dunklen Himmel. In der Kommandozentrale unter der Mondoberfläche beobachteten Sicherheitschef Tony Verdeschi, Sandra Benes, Jameson und andere die Bilder, die die Kameras ihnen überspielten. Sie waren voller Sorge, nervös und müde. Sie hatten Psychon lokalisiert, und der Bildschirm wurde von der qualmenden toten Oberfläche des Planeten ausgefüllt. Sandra saß an ihrer Konsole. Sie fuhr mit der Hand durch das Kraushaar und schüttelte den Kopf.
»Such weiter, Sandra… die sind irgendwo da unten«, sagte Verdeschi. Eine Tür glitt auf, und Annette Fraser trat mit einem Tablett voller Gefäße ein. Sie sah am ärgsten aus. Auf ihren Wangen mischten sich Tränen mit zerronnener Wimperntusche. Während des Gehens zitterte das Tablett in ihrer Hand. Und sie hatte sich so bemüht, die Fassung nicht zu verlieren! Sie hatte helfen wollen – denn sie wußte, daß sie ihrem Mann Bill Fraser nicht helfen konnte, wenn sie sich dem herzzerreißenden, erbarmenheischenden Schmerz hingab. Sie setzte das Tablett klappernd ab und verteilte die Kaffeebehälter. Niemand sagte ein Wort, niemand hätte etwas zu sagen gewußt. Es gab auch nichts zu sagen. Sandra starrte die gelieferten Bilder an. »Sie sind irgendwo da draußen, aber ich kriege keine näheren Angaben herein«, jammerte sie. »Wir bekommen immer nur die Planetenoberfläche herein… und diese Schockwellen. Die werden immer stärker. Aber sie gehen nicht von Psychon aus. Sie kommen aus einem völlig anderen Sektor.« Ihre Verwirrung war total. »Es muß sich um Interferenzwellen irgendwelcher Art handeln. Ich würde mir darüber im Augenblick nicht den Kopf zerbrechen«, meinte Verdeschi. Er sah mit grimmiger Miene den Film auf dem Bildschirm. »Unser auf Psychon gerichteter Strahl muß von einem Scanner-Schirm abgewehrt werden. Sieht aus, als würde Mentor unser Vorhaben blockieren.« Annette verteilte weiter Kaffee, und er nahm die Gelegenheit wahr, Sandra über Annette auszufragen. »Wie geht es ihr?« Die Technikerin schüttelte den Kopf und seufzte. »Solange sie weiß, daß er lebt, schafft sie es gerade noch.« »Ich habe Angst, daß sie überschnappt.« »Haben Sie Geduld mit ihr, Tony, die beiden sind schließlich erst seit zwei Monaten verheiratet.«
Sie war den Tränen nahe. Wieder sah sie hinunter auf ihre Meßwerte. Die Angaben verschwammen vor ihren Augen und verloren jegliche Bedeutung.
Die dunklen Wellen wogten durch Koenigs Kopf. Allmählich kam er wieder zu sich. Er lag auf irgendeinem Sitz. Der Raum schien schmerzhaft hell, als er die Augen öffnete, doch konnte er die verschwommenen, undeutlichen Umrisse nicht in den Blick bekommen. Etwas lag auf dem Boden und starrte ihn an. Ein Lebewesen. Kopfschüttelnd setzte er sich auf. Sein Sichtvermögen kam schlagartig wieder, und er warf einen Blick zu der Gestalt hin. Er langte nach der Waffe und drückte sich an die Wand, als er sah daß das Lebewesen ein ausgewachsenes, großes Löwenweibchen war. Es sah ihn seelenruhig mit zuckenden Bartspitzen an. Anders als alle Löwinnen, die er bis jetzt gesehen hatte, schien diese hier überaus intelligent. Der Raum, in den man ihn geschafft hatte, war klein und viereckig und führte auf einen Gang hinaus. Er wollte sich an der Löwin vorbei zum Ausgang schleichen. Doch während seines Bemühens begannen die Umrisse des Tieres zu flimmern. Sie verwandelten sich in eine Energiesäule. Die Säule verschwand, und an ihrer Stelle stand die betörend schöne Frau, die er in Gesellschaft Mentors, ihres Kerkermeisters, gesehen hatte. »Habe ich Sie erschreckt, Commander?« fragte sie mit schüchternem Lächeln. Koenig unterdrückte seine Überraschung… und sein Begehren. »War das nicht der Zweck der Übung?« »Verzeihen Sie mir. Das wollte ich nicht.« Sie schien gekränkt.
»Ihr Psychoner habt was übrig für Spaß und Spiel. Wer sind Sie?« fragte er zynisch. »Maya, die Tochter Mentors.« »Seine Tochter – und ebenso trickreich.« Er ging auf sie zu und wollte sie anfassen, aber seine Hände kamen in Berührung mit einem Kraftfeld. »Ohhh«, schnappte er nach Luft, als die elektrische Ladung seinen Körper durchjagte. Koenig zog sich eilends zurück. »Damit möchte ich nicht wieder in Berührung kommen.« »Tut mir leid, ich hätte sie warnen sollen… vor dem Kraftfeld.« »Natürlich«, sagte Koenig trocken und rieb seine versengten Hände. »Wo sind die anderen?« Jetzt machte Maya ein ehrlich überraschtes Gesicht. »Warum sind Sie so unfreundlich?« fragte sie. Koenig sah sie kühl an. Er kochte innerlich. »Man hat mich belogen«, fing er wütend an. »Angegriffen. Ich mußte mit ansehen, wie man meine Leute mißhandelt, sie tötet. Soll ich weiterreden?« Maya sah ihn beunruhigt und ein wenig von oben herab an. »Commander, Sie haben sich wohl noch nicht völlig erholt.« »Mentor hat uns betrogen!« rief Koenig lauter als beabsichtigt. Sein Gesicht hatte sich gerötet. »Er hat uns grausam vernichtet!« Jetzt war es an der katzenhaften Frau, wütend zu sein. Ihre Augen funkelten. »Mein Vater täte niemandem etwas zuleide!« Noch ehe Koenig antworten konnte, hatte sie nach dem Goldanhänger ihrer Halskette gefaßt. Ihre schmalen Finger berührten eines der blitzenden, strahlenförmig angeordneten Glieder des Anhängers. Das Kraftfeld schimmerte auf und erlosch. »Kommen Sie«, sagte sie eisig. »Er möchte Sie sehen.« Sie führte ihn den Korridor entlang, und Koenig folgte ihr.
Es war absurd, aber er hegte Schuldgefühle wegen seines Zornausbruches vorhin, denn an ihrer geraden Art war etwas, das anzeigte, daß sie von den Machenschaften ihres Vaters nichts wußte. Bald hatten sie den Raum erreicht, wo Torens und Fraser gewaltsam dem gehirnzerstörenden Prozeß unterzogen worden waren. Koenig ballte die Fäuste. Die wallend umhüllte Gestalt Mentors hob die Arme, als er sie sah. Er ließ zur Begrüßung ein verzerrtes Lächeln sehen. Koenig würgte es vor Übelkeit. »Kommen Sie, Commander Koenig.« Koenig schritt an ihm vorbei und betrat die »Grotte«. Maya wollte ihm folgen, doch ihr Vater gebot ihr Einhalt. »Jetzt nicht, meine Liebe. Der Commander und ich müssen wichtige Dinge besprechen«, sagte er sanft. »Aber, Vater, der Commander ist sehr beunruhigt. Ich möchte dabeisein, wenn du ihm alles erklärst.« Sie sah selbst einigermaßen beunruhigt aus. Während Koenigs Blick über die farbigen, pulsierenden Röhren auf der Empore vor ihm glitt, nahmen seine Ohren ihren Kummer und die sanfte, aber feste Antwort ihres Vaters wahr. »Keine Angst, Maya«, sagte Mentor. »Der Commander wird sicher für alles Verständnis haben. Geh jetzt. Später kannst du dich mit ihm unterhalten.« Koenig hörte ihren ungeduldigen Ausruf und ihre Schritte, als sie hinauslief. Er drehte sich nicht um und wartete statt dessen, daß Mentor näher kam. »Das ist Psyche, mein lieber Commander, ein biologischer Computer«, sagte Mentor in seinem Rücken. Koenig wandte den Blick nicht von den farbigen Röhren. Wider Willen war er fasziniert.
»Geschaffen aus den Seelen und Körpern derjenigen unserer Leute, welche die Katastrophe überlebten, die uns überwältigte, als die Natur anfing, verrückt zu spielen.« »Wo sind meine Leute?« fragte Koenig ohne Umschweife. »Sehen Sie sich zunächst Psyche an«, sagte Mentor, schon um vieles kühler. »Unser Schicksal ist miteinander verknüpft, müssen Sie wissen.« »Wir bestimmen selbst über unser Schicksal«, sagte Koenig, doch Mentor schnitt ihm das Wort ab. »Sie haben diesen Planeten gesehen. Ein vulkanischer Hochofen. Mittels Psyche werde ich ihn verwandeln, ihn wieder zu der schönen Welt machen, die er einst war. Eine Welt, in der unsere Zivilisation einen neuen Anfang findet.« Der glühende Fanatismus, den sie in Mentor gespürt hatten, drückte sich in diesen Worten noch eindringlicher und spürbarer aus. Koenig fühlte, daß seine Psychose möglicherweise echt war, und er wählte seine Worte bedachtsamer, um seine Leute nicht zu gefährden. »Ist ja gut, Mentor. Sie haben einen schönen Traum. Ich unterhalte mich gern mit Ihnen darüber, wenn ich erst meine Leute gesehen haben werde.« Aber Mentor schien seine Worte gar nicht zu hören. »Psyche braucht zur Errichtung ihres Zieles Energie. Eine Energie, die man nur im Gehirn intelligenter Lebensformen findet, mit anderen Worten, sie braucht Ihre Alphaner.« Koenig prallte entsetzt zurück. »Diese Wesen in den Gruben… Torens… Sie haben ihr Gehirn an diese Maschine verfüttert?« Mentor sah ihn flehentlich an. Seine Stimme klang hysterisch, als er sagte: »Koenig, es gibt keine andere Energiequelle…«
»Und warum halten Sie sie in Schächten und Gruben? Warum lassen Sie sie nicht wenigstens anständig sterben?« fragte Koenig voller Verbitterung. Mentor geriet in Erregung. »Ich würde es tun, aber ihre Arbeit ist nötig, damit wir Metall für Psyches physisches Dasein gewinnen.« Koenig war außer sich. »Sie erwarten von mir, daß ich meine Leute dieser… dieser Ruchlosigkeit aussetze?« »Ihre Gegenwart hier im All gab mir die Chance!« rief Mentor laut aus. »Vielleicht die einzige Chance, meine Welt wieder zu beleben.« Doch da fiel ihm sein unmittelbares Anliegen ein, und er nahm wieder sein übliches autoritäres Gehabe an. »Leider bleibt Ihnen keine andere Wahl, Commander. Sie müssen sich damit abfinden!« Koenig starrte ihn haßerfüllt an. Mentor fuhr fort: »Psyche verfügt über die Gabe der Molekulartransformation.« Noch während des Sprechens legte er die Fingerspitzen an die Schläfen und versenkte sich in Konzentration. Der Bildschirm an der Wand lebte auf. Koenig erstarrte, als er die silbrigen Aufbauten auf der Oberfläche der Mondbasis Alpha ausnahm. Im Hintergrund hingen die Sterne im dunklen Weltall. »Sie hat die Kraft, Materie in jede gewünschte Form zu verwandeln. Sehen Sie mal Ihre Mondoberfläche.« Sofort begann ein Gebäude im Forschungsgelände auf der Mondoberfläche zu glühen. Rauch strömte aus. »Wenn Sie meine Forderungen ablehnen, werde ich Ihren Mond zu Asche machen.« Koenig reagierte rasch. Seine Augen verrieten merkwürdige Wachsamkeit. »Sie haben recht, Mentor, gegen Sie kommen wir nicht an«, sagte er. Mentor strahlte. Er berührte seinen Gürtel.
»Ich danke Ihnen für die Mitarbeit…«, begann er. »Nein, nicht so schnell, Mentor«, unterbrach ihn Koenig. »Sie verstehen mich nicht.« Er sah ihn herausfordernd an. Mentor runzelte die Stirn. »Los. Vernichten Sie doch den Mond«, fuhr Koenig fort. Mentor zögerte. Er war sich über die Absichten des anderen nicht im klaren. »Na gut«, sagte er kühl. Wieder faßte er nach seinem Gürtel und drückte einen Knopf. Auf dem Bildschirm ging das beschädigte Mondgebäude in Flammen auf und ließ Schutt und Trümmer über zwei Mondfähren regnen, die gerade zu Aufklärungszwecken über das felsige Gelände rollten. Koenig zuckte zusammen, heuchelte Gleichgültigkeit. »Sie möchten also, daß ich Ihren Leuten gewaltsamen Tod bringe?« fragte Mentor. »Wenigstens finden sie einen raschen Tod«, sagte Koenig fast geistesabwesend. Er starrte noch immer die rauchende Stelle an, an der das Forschungsgebäude gestanden hatte. Mentors Stimme erscholl zornig. »Ich verfüge über die Macht, und ich werde sie benutzen!« erklärte er. »Zerstören Sie den Mond, und Sie fügen sich selbst eine große Niederlage bei. Kein Mond, keine Alphaner!« Die Männer starrten einander an. Koenig ungerührt, Mentor kurz vor einem Wutanfall stehend. Doch der Psychoner unterdrückte die flammende Energie, die hinter seinen Augen lauerte. »Tun Sie, was ich sage, und Ihre Freunde sind gerettet. Auf dem neuen Psychon wird Ihnen, Commander, ein Platz sicher sein.« »Darauf gehe ich nicht ein«, sagte Koenig mit Nachdruck. Mentors Miene verhärtete sich. Langsam drehte er sich um und ging ans Beobachtungsfenster.
»Sie wollten wissen, was aus Ihren Leuten geworden ist«, sagte er gleichmütig. Koenig folgte ihm beunruhigt. Er hatte die Grotte noch nicht voll in Augenschein nehmen können. Am Fenster angelangt, sah er Helena, Fraser, Hayes und MacInlock in den Stühlen, die harmlos aussehenden Hauben über sich. Da wurde er von einem geistigen Schock übermannt. Sein Herz schlug wie wild, er zitterte am ganzen Leibe.
IV
»Helena!« rief er aus. Er sprang vor und preßte die Hände gegen die Scheibe. Fassungslos sah er die Ärztin, die ihn ihrerseits auch gesehen hatte und nun verzweifelt kämpfte, um freizukommen. Sie schrie, aber durch das dicke Glas konnte er nichts hören. Die drei Männer, die neben ihr saßen, zerrten mit aller Gewalt an den festen, Riemen, mit denen sie angebunden waren. Koenig drehte sich empört nach Mentor um. Der pilzähnliche Aufseher war erschienen und nahm schweigend Aufstellung. Koenig kämpfte darum, seines inneren Aufruhrs Herr zu werden. Mentor drückte ganz ruhig einen Knopf an seinem Gürtel, und das unheimliche, schrille Gekreisch des Computers setzte erneut ein. »In wenigen Sekunden wird ihr Bewußtsein ausgequetscht sein, und Psyche wird sie in sich aufgenommen haben«, sagte Mentor seelenruhig. Für einen Augenblick überfiel Koenig Unentschlossenheit. Dann kam ihm eine Idee. »Warten Sie!« rief er. Mentor drückte hastig einen Knopf, und das greuliche Kreischen verstummte. Die vier Gefangenen sanken erschöpft in ihren Sitzen zusammen. »Nun, Commander?« fragte Mentor erwartungsvoll. »Sie haben gewonnen«, sagte Koenig völlig niedergeschlagen.
»Ich wußte ja, daß Sie sich meinen Vorschlägen nicht würden verschließen können, Commander.« Er sah Koenig mit dem Blick des Siegers über den Besiegten an. »Was wollen Sie von mir?« fragte Koenig erbittert. Mentor war hochbefriedigt. Sein Wesen schien vor Energie geradezu überzuströmen. »Commander, ich möchte, daß Sie mit Ihren Alphanern auf dem Mond reden. Sie sollen ihnen erklären, Sie hätten einen bewohnbaren Planeten entdeckt. Sodann sollen Sie allen Anweisung geben, herzukommen. Allen!« »Stellen Sie die Verbindung her«, sagte Koenig. Mentor zog die Brauen unmerklich hoch, kam jedoch der Aufforderung nach. Er führte die beringten Finger an die Stirn und konzentrierte sich. Auf dem Bildschirm ertönte ein Summen, und die vertraute Umgebung des Kommandozentrums wurde erkennbar. Ausdruckslos blickte Koenig auf die Gestalten von Verdeschi und Sandra Benes, die sich von ihren Konsolen erhoben. Sie starrten Koenigs lebensgroßes Bild auf ihrem Bildschirm an und ließen eine Mischung aus Überraschung und Erleichterung erkennen. Annette Fraser kam herbeigeeilt und nahm ebenfalls vor dem Bildschirm Aufstellung. »John!« rief Verdeschi erstaunt aus. »Wir hatten dich bereits aufgegeben…« Koenig warf Mentor einen scharfen Blick zu. Dieser aber hatte sich bereits außer Sichtweite zurückgezogen. Wieder kämpfte Koenig mit Unentschlossenheit. »Commander, was ist los?« fragte Verdeschi besorgt. Schließlich mußte Koenig sprechen. Sein Gesicht wirkte äußerlich ruhig, nur sein Ausdruck leichter Angespanntheit erregte Verdeschis Verdacht. »Tony, wir haben mit den Menschen hier Kontakt aufgenommen«, sagte Koenig. »Unsere Sensoren haben uns
über diesen Planeten falsche Daten geliefert. Wir entdeckten große, unterirdische Gebiete, die bewohnbar sind…« Er beobachtete die Reaktion seiner Leute in ihren Mienen. Annette und Sandra strahlten vor Glück. »Wir haben die Erlaubnis, uns hier niederzulassen…« Er machte eine Pause. »Mondbasis Alpha soll so rasch wie möglich evakuiert werden.« Jetzt war es an Verdeschi, die Fassung zu verlieren. »Evakuieren?« »Ich möchte, daß Sie unsere Leute etappenweise herschaffen.« Verdeschi stieß ein Lachen aus, das erschrocken klang. »Einfach so… keine Studien mehr, keine Forschung… einfach zusammenpacken und wegfliegen?« Koenig hörte, wie Annette an Sandra die Frage stellte: »Warum will er denn nicht hin?« Koenig blickte mit steinerner Miene in den Bildschirm. »Wollen Sie meinen Befehl in Zweifel ziehen?« fragte er in strengem Ton. Verdeschi stammelte hastig: »Nein, nicht in Zweifel ziehen… John, ich fragte mich bloß…« »Anweisung Vier«, stieß jetzt Koenig hervor. »Diese Anweisung ermächtigt den Kommandanten, in einer Situation wie der vorliegenden entsprechend zu handeln. Sie werden tun, wie es in der Anweisung befohlen ist. Die Evakuierung ist genau festgelegt, geben Sie uns Signal, wenn die erste Etappe kommt.« Der Bildschirm erlosch. Koenig wirkte erschöpft, bar jeder Energie. Wie aus weiter Ferne sah er, daß die Tür zur Abteilung für Gehirnübertragung offen stand und Helena und die anderen auf den Beinen waren und ihn ungläubig anstarrten.
Mentor kam auf Koenig zu. »Ich danke Ihnen, Koenig. Sie können jetzt zu Ihren Leuten.« Koenig sah unsicher in den Raum hinein, der Anblick gefiel ihm gar nicht. Trotzdem trat er ein und ging zu seinen Leuten. »Verräter!« MacInlock spie vor ihm aus. Das Gesicht des Chefpiloten des Eagle drückte Verbitterung und Verachtung aus. Er konnte sich nicht beherrschen und drang auf den Commander ein. Doch noch ehe seine ausgestreckten Hände Koenig berühren konnten, traf ihn ein dünner Strahl blauen Lichts, von einem Aufseher auf die Brust gezielt, und MacInlock brach bewußtlos zu Koenigs Füßen zusammen. Koenig starrte regungslos auf ihn hinunter, ehe er Helena ansah. »Es war der einzige Ausweg«, sagte er tonlos. Aus der Grotte drang Mentors Stimme. »Ihr verdankt ihm euer Leben. Ihr solltet dankbar sein.« Helena beachtete ihn nicht weiter und sagte zu Koenig: »Dieser Preis war zu hoch.« »Es ging um unser Überleben«, sagte Koenig zähneknirschend. Wie sehr es ihn drängte, Helena in die Arme zu nehmen, ihr alles zu erklären! Er durfte es nicht tun. »Und was ist mit den Hunderten auf Alpha?« fragte sie. »Du kannst meinetwegen so enden, wie diese Ärmsten unten in den Schächten – aber ich nicht«, erwiderte Koenig gelassen und wollte sich entfernen. Sie packte ihn an der Schulter. »John… hör doch zu!« Koenig schüttelte sie ab und ging. Verwirrt und empört sah sie ihm nach.
In der Kommandozentrale starrte Tony Verdeschi zutiefst bekümmert den Bildschirm an. Das alte, weise, erfahrene und wissende Gesicht Professor Victor Bergmanns tauchte vor seinem geistigen Auge auf. Dieser Mann hätte gewußt, was zu
tun war. Wie sehr wünschte sich Verdeschi jetzt, zu ihm gehen und ihn um Rat bitten zu können! Der Professor hatte die Mondbasis Alpha in den ersten Jahren ihrer Isolation, fern der Erde, geleitet. Er war eine beliebte und vertraute Erscheinung gewesen – aber er war nun tot. Ein fehlerhafter Raumanzug war schuld daran gewesen, und nun konnte er niemandem mehr seine Ratschläge erteilen. In der Kommandozentrale herrschte bedrückte Stille. Nur Annette Fraser schien ehrlich glücklich zu sein. Hinter Verdeschi machte sich Sandra Benes an ihren Apparaten zu schaffen und drückte eifrig Knöpfe. Plötzlich flammte der Bildschirm auf und jagte eine Satzfolge heraus: Anweisung Vier… vom Sicherheitsstandpunkt aus Zugang abzulehnen… Rückfrage bei Commander… Mondbasis Alpha. Noch ehe die Worte aufgeleuchtet waren, wußte der Sicherheitschef, was sie bedeuteten. Sandra jedoch war perplex. »Der Computer verweigert Zugang zu Anweisung Vier… Ich brauche jetzt den Sicherheitscode«, beklagte sie sich. »Ich kenne Anweisung Vier«, sagte Verdeschi grimmig, ohne sich umzusehen. Sandra war aufgestanden und näherte sich ihm. Sein Ton hatte ihr nicht gefallen. »Was bedeutet Anweisung Vier?« fragte sie. Verdeschi drehte sich um. Er vergewisserte sich, daß Annette außer Hörweite war. Dann sagte er in vertraulichem Ton zu der Technikerin: »Das ist ein verschlüsseltes Signal. Eine klare Anweisung, den Ort, von dem aus es gegeben wurde, zu zerstören.« Die Frau war entsetzt. »Den Planeten zerstören? Aber unsere Leute sind doch dort!«
Verdeschi stieß einen resignierten Seufzer aus. »Diesem Befehl ist unbedingt Folge zu leisten.« Sandra sah ihn ungläubig an. »Und Sie werden ihn ausführen?« Sie sahen einander an, erschüttert von der folgenschweren Entscheidung. Verdeschi gab keine Antwort. Dann befahl er mit entschiedener Stimme: »Gehen Sie an Ihren Platz!« Die Technikerin wich vor ihm erschrocken zurück, als wäre er von einer ansteckenden Seuche befallen. Er wandte sich unvermittelt um und ging zu seinem Kommandositz, nahm darin Platz und rief nach Jameson. Die Computerschrift auf dem Bildschirm erlosch, an ihrer Stelle zeigte er das müde Gesicht des Verteidigungschefs aus der Waffenabteilung. »Was ist, Tony? Gibt es Neuigkeiten?« »Robot-Eagle startklar machen«, sagte Verdeschi, ohne auf seine Fragen weiter einzugehen. Jameson war nicht wenig erstaunt. »Robot-Eagle ist startklar… Den halte ich ständig startklar. Das wissen Sie.« »Geben Sie mir die ungefähre Ankunftszeit für das Angriffsziel, Position AD6 SS – 2:8!.« Jameson zuckte die Achseln. »Lassen Sie mir einen Augenblick Zeit«, sagte er. Der Bildschirm erlosch. Wenig später zeigte sich Jamesons Gesicht wieder. Seine Müdigkeit war jetzt wie weggeblasen, er schien elektrisiert. »Hören Sie, diese Koordinaten weisen ja direkt…« »Weiß ich, weiß ich«, brachte Verdeschi ihn zum Schweigen. »Ich brauche nur die Ankunftszeit – sonst nichts – ja?« Jameson holte tief Luft und schluckte. »Okay – Wenn wir ihn jetzt starten, wird er um 1520 im Angriffsziel sein.« »Danke.«
»Angriffsziel?« Annette hatte diese Worte aufgefangen und schien höchst beunruhigt. Sandra betrachtete sie mitleidsvoll. Verdeschi starrte unentwegt auf den Bildschirm, brachte es nicht über sich, Annette anzusehen. Er wollte nicht, daß sie eine Szene machte. »Mit höchster Zerstörungsstufe?« fragte Jameson, und nun explodierte er: »Tony, das kann nicht Ihr Ernst sein! Wenn der Eagle auf diese Weise den Planeten Psychon trifft, bleibt von ihm nicht mal ein Kieselstein übrig!« »Was wollt ihr da tun?« rief Annette mit steigendem Entsetzen. Sie ließ ihre Konsole im Stich und lief zu Verdeschi und sah ihn verstört an. Verdeschi preßte die Kiefer aufeinander. »Befehlen muß man gehorchen…« »Das können Sie nicht tun! Bill ist noch dort«, rief sie entsetzt. »Und der Commander und Doktor Russell und…« Sie verlor ihre Beherrschung und schrie: »Sie wollen den Planeten vernichten!« »Anweisung Vier ist bindend«, fuhr Verdeschi steinern fort. Dabei fühlte er sich alles andere als steinern. In seinem Inneren fühlte er nur mehr matte, schlappe Verzweiflung. »Warum versuchen wir nicht eine Kontrollrückfrage?« bat Sandra flehentlich. Sie merkte, daß Annette kurz vor einem völligen Zusammenbruch stand, und wollte ihr irgendwie darüber hinweghelfen. »Vielleicht erreiche ich den Commander und bekomme nähere Erklärungen von ihm.« Verdeschi schüttelte den Kopf. »Nein, Sandra. Dazu haben wir keine Zeit mehr. John hätte diesen Befehl nicht erteilt, wenn nicht diese Basis hier und alle darauf Befindlichen dem Untergang geweiht wären. Die Zerstörung des Forschungstraktes war vielleicht ein kleiner Vorgeschmack des
Kommenden.« Er wandte sich an Jameson. »Robot-Eagle startklar machen!« Annette stürzte sich auf Verdeschi, hämmerte mit beiden Händen auf seine Brust ein und schrie fürchterlich. »Nein… nein… nein!« Er machte gar nicht den Versuch, sie zu beruhigen, sondern starrte mit tränenblinden Augen auf den Bildschirm. Man sah jetzt die Startrampe. Der Robot-Eagle tauchte langsam aus dem Untergrund auf und wurde auf der Startplattform in Position gebracht. Verdeschi sah, wie Feuer aus der Antriebsdüse drang, sah, wie der gewaltige Leib unter dem Energiestoß erbebte. Dann sah er, wie der Flugkörper sich erhob und sich in den schwarzen, luftlosen Himmel brannte, auf den Millionen von Sternen leuchteten. »In zehn Minuten ist alles vorüber«, flüsterte er matt, während Annette zu seinen Füßen zusammenbrach.
V
»Wie primitiv, und wie abscheulich vom Commander, sich auf ein derartiges Betrugsmanöver einzulassen!« wütete Maya. Sie stand mit ihrem Vater vor einer Konsole in der »Grotte« und las die Meßwerte ab. Mentor sah sie düster an. »Kein Leben an Bord, ein Roboter, auf die Zerstörung Psychons programmiert«, erklärte er. Maya drehte sich wütend um. Sie wollte sofort zum Commander gehen und ihn zur Rede stellen, doch ihr Vater hielt sie zurück. Ein berechnender Zug beherrschte seine Miene. »Geh nicht zu ihm, Maya. Laß ihn glauben, daß sein Betrug geglückt ist.« Aber Maya war nicht aufzuhalten. Ihre eigenen Gefühle spielten jetzt keine Rolle, aber der Gedanke, daß jemand ihren Vater verletzt hatte, schien ihr unerträglich. In ihren Augen war Mentor ein liebenswerter, großzügiger Mensch, jene Art von Mensch, der höchstens von materialistischen und intriganten Typen zur Zielscheibe von Hohn und Spott gemacht werden konnte. »Ich verfüge nicht über deinen Großmut, Vater«, schäumte sie, befreite sich aus seinem Griff und verließ den Raum. Tausend Gedanken durchschwirrten ihren Kopf, während sie den Gang entlanglief. Vor allem wollte sie den Commander sprechen. Sie wollte ihm sagen, was sie von ihm hielt… Wie hatte er nur so doppelzüngig sein können, fragte sie sich. Er kam doch, um uns zu helfen… Und dabei war es nur ein schäbiger Trick – nicht mehr!
Sie bog um eine Ecke und gelangte zu der Zelle, in der man die Alphaner zurückgelassen hatte. Es schien ihr zwar merkwürdig, daß sie als Gefangene gehalten wurden, hegte aber an der Art des Vorgehens ihres Vaters keinerlei Zweifel. Obgleich sie sein Werk – oder auch nur seine Arbeitsmethoden – nicht ganz begriff, wußte sie, daß er nichts Schlechtes tun konnte. Was er tat, geschah zum Wohle Psychons. Als sie vor der Zelle ankam, sprach Mentor bereits über den Nachrichtenschirm mit den Alphanern. Sie blieb vor dem Energiefeld, das zwischen ihr und dem Zellenraum bestand, wartend stehen. So hatte sich ihr Vater also doch ater in strengem Ton. »Glaubten Sie denn, Ihr kindischer Trick würde unentdeckt bleiben?« »Solange wir leben, hoffen wir«, entgegnete der Commander. Er wirkte erbittert und erregt. Die anderen Alphanerater in strengem Ton. »Glaubten Sie denn, Ihr kindischer Trick würde unentdeckt bleiben?« »Solange wir leben, hoffen wir«, entgegnete der Commander. Er wirkte erbittert und erregt. Die anderen Alphaner warfen einander hinter seinem Rücken verstohlene, erstaunte Blicke zu. »Einen Robot-Eagle auszuschicken, um diesen Planeten zu zerstören! Sie Narr – eine sinnlose Selbstaufopferung…« fuhr Mentor fort. »John…« setzte Helena, nun voll verstehenden Mitgefühls, zum Sprechen an, stand auf und kam mit ausgestreckten Armen auf ihn zu. Koenig sah sie mit einem Blick an, der eine Mischung aus Verbitterung und Schuldgefühl darlegte. »Tut mir leid, daß ich mit euch allen ein Doppelspiel treiben mußte«, sagte er. MacInlock und Hays erhoben sich nun gleichfalls. »Commander, mir tut es leid, ich hätte wissen müssen…«,
begann MacInlock, ohne Mentor die geringste Bedeutung zu schenken. Er fühlte sich in seiner Haut nicht wohl. »Ich konnte nicht das Risiko eingehen und Sie einweihen«, sagte Koenig. »Es ist niemandes Schuld. Machen Sie sich keine Vorwürfe, Mark.« Mentors Gesicht auf dem Bildschirm war eine Verkörperung der Wut. »Ihr Robot-Eagle wird als erster vernichtet, dann ihr Mond.« Koenig sah ruckartig zu ihm auf. »Auf diese Weise sind wir beide die Verlierer. Ich schlage vor, wir verhandeln weiter!« »Verhandeln! Mit einem Lügner!« rief jetzt Maya. Ihre Stimme schrillte vor Empörung. Sie war jetzt näher an das todbringende Energiefeld, das die Zelle verschloß, herangetreten und tat ihre Anwesenheit kund. Sofort verschwand der Kopf ihres Vaters vom Bildschirm. Die Alphaner wandten sich ihr erschrocken zu. »Wie widerwärtig! Wir heißen Sie als Freunde willkommen – und Sie planen unseren Tod!« sprudelte sie verächtlich hervor. Für Koenig war nun das Maß voll. »Was hätten wir tun sollen? Was blieb uns denn anderes übrig?« schleuderte er ihr entgegen. »Hätten wir zusehen sollen, wie Mentor uns vernichtet?« Maya kochte vor Zorn. Es fiel ihr immer noch schwer, in dem Commander einen Feind zu sehen, sie war daher auf sich selbst ebenso wütend wie auf ihn. »Mein Vater ist ein Mann von Ehre!« erklärte sie. Der Commander sah sie durchdringend an, als wollte er ihre Gedanken lesen. Sie schrumpfte innerlich zusammen. »Und warum will Ihr Vater uns hier haben? Was glauben Sie?« fragte er mit veränderter Stimme. »Wissen Sie warum?« erwiderte Maya, noch immer aufgebracht. »Ohne Hilfe kann er diesen Planeten nicht umwandeln. Andere haben ihm ebenfalls schon geholfen.«
»Und was passierte mit ihnen?« wollte Koenig wissen. Sie zögerte und spürte, daß sie errötete. »Sie… sie erlangten Glückseligkeit.« An ihren Mienen erkannte sie, daß sie keine befriedigende Antwort gegeben hatte. Sie mußte ihnen begreiflich machen, daß ihr Vater unschuldig war. Aber unschuldig in welcher Hinsicht? Sogar jetzt, während sie versuchte, ihn zu verteidigen, mußte sie entdecken, daß sogar sie ihn in ihrem Inneren für schuldig hielt. Sie war über sich selbst entsetzt. Verzweifelt verdrängte sie diese unangenehmen Gedanken und wiederholte eine der Maximen ihres Vaters. »Wer mit Psyche eine Verbindung eingeht, ist für immer glücklich.« »Das ist die Unwahrheit.« Der Commander war näher zu dem Kraftfeld getreten, in seiner Miene lag unbarmherzige Härte. »Diese Maschine zerstört das Bewußtsein des Menschen!« Maya ertappte sich dabei, wie ihr Verstand sich dagegen zur Wehr zu setzen suchte. Sie nahm eine verächtliche Haltung ein. »Es gibt wirklich keine Gemeinheit, die Sie meinem Vater nicht zuschreiben würden!« sagte sie von oben herab. »Dann steigen Sie hinunter in die Schächte und überzeugen Sie sich selbst!« Jetzt hielt Koenig sein Gesicht ganz dicht an das Kraftfeld, ohne es zu berühren. Sie wich zurück. »Niemand darf nach unten. Die Gruben sind radioaktiv«, sagte Maya schon etwas gemäßigter. »Wer sagt das? Mentor etwa?« Diese Stimme – sie bohrte sich in ihre Gedanken. Sie wußte, daß er sie mit seiner Logik schachmatt gesetzt hätte. Tief im Inneren wußte sie, daß er recht hatte, doch wollte sie es sich nicht eingestehen. »Ich sage Ihnen, da unten ist niemand.«
»Wir waren unten, Maya«, sagte Koenig. »Gehen Sie selbst dorthin. Sehen Sie sich an, was wir sahen! Hirnlose, leere Formen, die Ihr Vater auf dem Gewissen hat!« »Nein! Das ist nicht wahr!« hörte sie sich ausrufen. »Gehen Sie nur hinunter und sehen Sie selbst. Und dann lassen Sie uns hier raus, damit wir ihm endlich Einhalt gebieten können«, sagte die Ärztin flehentlich. Sie sah so verzweifelt aus, daß man ihr eine Hinterlist einfach nicht zutraute. »Ja, Maya, gehen Sie und überzeugen Sie sich selbst«, beharrte der Commander ernst. Maya wich zurück. Und als sie sich zum Gehen wandte, fiel ihr auf, daß sich hinter der eisernen Maske, die der Commander zur Schau trug, auch Verzweiflung verbarg. Das erschien ihr widersinnig. »Ihr lügt – ihr lügt!« Maya drehte der verhaßten Szene den Rücken und lief den Gang entlang. Der Gang vor ihr schien sich zu drehen, zu wanken, als die wirren Gedanken aus ihrem Inneren an die Oberfläche drängten. Es waren Zweifel und Befürchtungen, die sie schon lange gehegt, aber immer wieder unterdrückt hatte. Eigentlich hatte sie zu ihrem Vater laufen wollen. Doch sie mußte entdecken, daß sie statt dessen den zu den Gruben führenden Gang entlanglief. Das verbotene, schwer abgeschirmte Tor tauchte vor ihr auf. Ihr Herz klopfte, als sich ihr Körper entgegen den gewohnten Bedingungen, auf die ihr ganzes bisheriges Leben eingestellt war, betätigte. Ihre Hände faßten nach dem Anhänger der Halskette und berührten eines der strahlenden, goldenen Glieder. Die Tür ging auf, und dahinter sah sie einen dampferfüllten, dunstigen Tunnel – dem Eingang zur Hölle gleichend.
Sie vermied es, mit der Strahlung, die, wie sie wußte, drinnen vorhanden war, in Berührung zu kommen. Und dann verwandelte sie sich selbstzerstörerisch und kühn in einen Vogel – denn sie wollte unbedingt die Wahrheit erfahren. Tapfer und entschlossen flog sie in die gähnende Öffnung. Die Gänge waren heiß und feucht. Sie waren schwach erhellt und riefen Maya ihre dunkelsten Gedanken ins Gedächtnis. Doch sie flog weiter und widerstand dem Drang umzukehren. Schließlich erreichte sie eine der riesigen, unterirdischen Bergwerksanlagen. Sie landete auf einem Felsen und sah hinab auf die grauenvolle Szenerie, die sich ihrem Blick darbot. Maya erkannte die zahlreichen bizarren Lebensformen, die dem Planeten Psychon im Laufe der Jahre weitergeholfen hatten. Sie werkten, schufteten in tiefstem, unwissendem Elend vor sich hin, beschlugen den Fels nach dem Metall, das Psychon benötigte. Noch nach ihrem Tod waren diesen Wesen Pein und Qualen auferlegt – quälten sie sich ihretwillen und um ihres Vaters willen! Sie sah auch Torens, den Alphaner. Und die gefühllosen Aufseher, die wie Todesgestalten dastanden. Ihr wahres Ich flammte auf, sie ertrug ihre Umgestaltung in einen Vogel nicht länger und verwandelte sich in ihre wahre Gestalt zurück. Sie spürte das dumpfe, betäubende Gefühl, betrogen worden zu sein. Entsetzen erfüllte sie, daß ihr Vater derartiges hatte tun können, und so schreckliche Dinge angesichts des grenzenlosen Vertrauens, das sie ihm entgegenbrachte, geschehen ließ. Sie fühlte sich vernichtet. Sie fühlte, wie Unschuld und Jugend – Schicht um Schicht – von ihr abfielen. Und sie ahnte nicht, hätte es auch nicht beachtet, daß aus ihr, als sie sich anschickte, den Tunnel fliehend zu verlassen, eine andere, gereifte Frau geworden war.
In der engen Zelle schienen die Minuten sich zu Stunden auszudehnen. MacInlock lief voll Unruhe auf und ab, während Koenig, das Kinn in die Hand gestützt, zu Boden starrte. Helena saß reglos neben Hays. Keiner sprach ein Wort. Sie wußten nicht, ob Maya ihnen helfen würde oder nicht. Als sie die Zelle verlassen hatte, schien sie so verwirrt gewesen zu sein, daß man ihr alles hätte zutrauen können. Schließlich erwachte der Bildschirm an der Wand wieder zum Leben. Er zeigte die Oberfläche der Mondbasis Alpha. Ein eisiger Schock durchfuhr die Gefangenen. »Commander«, erklang Mentors glatte, tiefe Stimme, »sehen Sie…« Helena faßte nach Hays Hand, als zwei Lagerhallen am Rande eines Komplexes auf Alpha durch Energiestöße zu pulsieren begannen und explodierten. »Alpha wird Stück um Stück zerstört. Und Sie sind schuld daran«, fuhr Mentor fort. Er genoß sichtlich die Rache. »Wir müssen uns mit ihm einigen«, sagte Fraser verzweifelt. »Er ist wahnsinnig.« Koenig starrte das Kraftfeld an, das den Eingang blockierte. »Wir können ihm nicht Einhalt gebieten, solange wir von hier nicht herauskönnen. Wir müssen zunächst das Kraftfeld durchbrechen.« Er brach plötzlich ab, als er sah, daß Maya auf sie zugelaufen kam. Sie schien verwirrt und verzweifelt zu sein. »Maya!« rief er aus. »Sie müssen…« »Commander«, ertönte erneut Mentors Stimme, und Koenig drehte sich zum Bildschirm um. Ein Energiestrahl zuckte eben über den Himmel von Mondbasis Alpha und traf eine der Startrampen. Entsetzen erfaßte die Alphaner, als sie sahen, wie sie sich in einen blendenden, weißen Lichtball verwandelte. Koenig rief Maya zu: »Neutralisieren Sie das Energiefeld!«
Sie stand unentschlossen auf der anderen Seite des trennenden Kraftfeldes. Jetzt hatten auch Helena und die anderen sie bemerkt und starrten sie mit neuerwachter Hoffnung an. »Wenn wir ihn nicht daran hindern, wird er noch dreihundert Menschen töten«, rief Koenig. Maya kämpfte gequält mit ihrer Unentschlossenheit. »Versprechen Sie mir, daß Mentor kein Leid geschieht?« sagte sie schließlich. Koenig sah sie mit dem Blick ehrlichen Versprechens an, so gut er es nur konnte. »Ich möchte ihm nur Einhalt gebieten und ihm keinen Schaden zufügen«, sagte er. Maya berührte hastig das Glied ihres Anhängers. Dann drehte sie sich zur Wand um. Das Kraftfeld brach zusammen, und die Alphaner stürzten aus der Zelle. »Mark, rasch zum Eagle, mach ihn startklar!« schrie Koenig. »Helena, du holst zusammen mit Fraser Torens heraus!« Koenig und Hays liefen zur Grotte, gefolgt von Maya, die sich vergewissern wollte, daß ihrem Vater nichts zustieß. Die Atmosphäre war von Psyches grellem Tierschrei erfüllt. Mentors hohe, wallende Gestalt wandte ihnen den Rücken zu, als sie die Grotte betraten. Er starrte den Monitor-Bildschirm an und streckte diesem mit einer gottähnlichen Gebärde die Arme entgegen. Drei Eagle-Schiffe, die eben von der Startrampe abhoben, wurden sogleich von Energiestrahlen beschossen. Einer der Strahlen traf das anführende Eagle-Schiff, das in tausend Stücke zerbarst. Als die Alphaner die Grotte betraten, verstellte ihnen ein Aufseher den Weg. Doch ehe er noch die Chance hatte, die tödliche blaue Strahlung seinen Augen entströmen zu lassen, fuhr Mayas Hand an ihren Anhänger, und der Aufseher verwandelte sich in einen Haufen schwelenden Gesteins.
Mentor bemerkte die Störung und drehte sich um. Verblüfft sah er sie an. »Maya…« Während Vater und Tochter einander einen Augenblick lang wie versteinert anstarrten, nahm Koenig die Chance wahr, möglichst viel Zerstörung im Raum anzurichten. Blitzschnell hatte er den Raum überflogen. Er erspähte einen großen Kessel, sprang hin, hob ihn auf und wandte sich nun den farbig sprudelnden Röhren des Computers zu. Den Kessel hoch über den Kopf schwingend, schleuderte er ihn mit aller Kraft gegen ihn. Es folgte Glasklirren und das Sprudeln von Flüssigkeit, begleitet von Psyches Gekreisch, dessen Tonhöhe sich geändert hatte und sich nun anders anhörte. Koenig hielt nach anderen Geräten Ausschau. Mentor, der sich erschrocken umgedreht hatte, sprang mit einem Satz auf Koenig zu. Sie begannen miteinander zu ringen, hielten jedoch inne, als das Gekreische des Computers an Schrille und Hysterie zunahm. Mentor wich vor ihm zurück. »Sie sind wahnsinnig!« schrie er. »Wenn Sie die Energie von Psyche freisetzen, wird sie den Planeten zerstören!« Koenig hörte nicht darauf. Er zog seinen Laser und feuerte auf ein ganzes Bündel von Röhren. Klirrend zersprangen sie und ließen eine wogende Masse elektronischer Energie in den Raum frei. Die Masse verzog, beulte und schüttelte sich und zerschmetterte dabei weitere Teile der Einrichtung und warf sowohl die Alphaner als auch die Psychoner zu Boden. Das Gekreisch des Computers ließ jetzt nach. Es ging in ein langgezogenes, unheimliches auf- und abschwellendes Heulen über. Dann wurde die Grotte von einer Serie starker
Vibrationen erschüttert. Staubwolken sanken von der Decke herab. Mentor starrte entgeistert um sich. Er raffte sich mühsam auf und lief zu Maya hin. Sie war bereits auch schon auf den Beinen und lehnte sich matt an das Beobachtungsfenster. »Maya, wir müssen ihn hindern«, keuchte Mentor, nach Luft ringend. Er packte sie an den Schultern und schüttelte sie. Aber er war zu schwach. Mayas Gesicht war tränenüberströmt. Ihr Körper zuckte konvulsivisch, von ihren widerstreitenden Gefühlen erschüttert. Sie schüttelte langsam den Kopf und schloß ihre Augen, weil sie das entsetzte Gesicht ihres Vaters nicht sehen wollte. »Ich war unten in den Schächten, ich sah…« begann sie. Mentor ließ sie los. Er lief nun aufgelöst im Raum umher und versuchte, wenigstens Teile des hochempfindlichen Apparates zu retten, den Koenig jetzt im Begriff war zu zerstören. Der Commander war von einer wahren Zerstörungswut erfaßt. Er lief hin und her und hieb auf die verschiedenen Geräte und deren Bestandteile ein. Sie stürzten um und entfesselten kettenartige Reaktionen, die sich sofort im Raum verbreiteten. »Nein, nein!« rief Mentor. Jetzt klang sein Rufen verloren und verängstigt. »Ich wollte doch nur Gutes tun, unserem Planeten neues Leben einflößen, wiederbeleben!« Grollen ertönte und wurde immer lauter. Im Boden zeigte sich ein gezackter Riß, und aus dem vulkanischen Untergrund leckte eine Flammenzunge empor. Bald stand der Raum in Flammen. Rauchwolken erfüllten die Atmosphäre und erschwerten das Atmen. Maya schrie auf – sie war durch die Flammen von den anderen abgeschnitten. Koenig lief ihr zur Hilfe. Er packte sie und trug sie zum Eingang, wo er sie auf die Füße stellte.
Umgeben von züngelnden Flammen, bedroht von Steinhagel und Staubregen, ließ Mentor in seinen Bemühungen nicht nach und versuchte verzweifelt, wenigstens Teile seiner kostbaren Psyche zu retten. Doch der Computer hatte seinen Lebensgeist ausgehaucht, trotzdem war Mentor nicht gewillt, der drohenden Katastrophe zu entrinnen. Es schien, als wären Mensch und Maschine unauflösbar miteinander verbunden, so, als müßte der eine mit dem anderen untergehen. Koenig und Maya sahen ihm zu. »Sie sagten, es würde ihm kein Leid geschehen«, sagte Maya anklagend. Koenig nickte vor Ingrimm. Er bahnte sich zwischen den explodierenden Nährbänken einen Weg und versuchte, seinem Versprechen nachzukommen. Von einem gewaltigen Energieausbruch wurde er jedoch zurückgeworfen. »Mentor!« rief er. »Kommen Sie heraus!« Zunächst hörte man nur das Knistern der Flammen und das Grollen aus dem Untergrund. Dann aber vernahm er Mentors Antwort. Die Worte waren gebrochen und matt. »Nein, mein Werk ist vernichtet, mein Leben verbraucht.« »Vater!« rief Maya in höchster Verzweiflung. »Nehmen Sie Maya mit, Commander…« hörte man wieder Mentors schwache Stimme. Sie erhaschten einen Blick auf seine zusammengesunkene Gestalt. Er lehnte an der Empore, auf der der Computer gestanden hatte. Sie stand bereits schief und senkte sich bedrohlich auf die klaffende, feuerspeiende Öffnung im Boden zu. Maya wehrte sich verzweifelt gegen Koenigs Griff. »Vater«, rief sie, von Schmerz überwältigt. »Komm mit uns! Psyche ist schuld, daß du Böses getan hast!« »Nein, retten Sie Maya, Commander!« rief Mentor.
Maya wandte alle ihre Kräfte an, um sich zu befreien. In ihrer verzweifelten Liebe zu ihrem Vater überwand sie den Selbsterhaltungstrieb. Ihr Körper verwandelte sich unvermutet in den Ozelot, den Koenig einmal gesehen hatte. Das Tier kämpfte mit aller Wildheit und Kraft gegen Koenig und hieb mit den Krallen auf ihn ein. Der Ozelot stieß klagende Schreie aus, als riefe er Mentor zu Hilfe. Als das Tier merkte, daß es sich nicht befreien konnte, verwandelte es sich in einen Adler, der mit breiten Schwingen in Koenigs Gesicht schlug und mit seinem Schnabel wild auf ihn einhackte. Aber Koenig umklammerte eisern die Beine des Vogels. Der Adler verwandelte sich wütend in ein Reh, das mitleiderregende Schreie ausstieß und auf behenden, kräftigen Beinen zu entkommen trachtete. Aber auch so gelang es ihr nicht, ihren Vater zu erreichen. Mentor hatte ihre Rufe vernommen, und er schrie ihr mit letzter Kraft zu: »Begreif doch, Maya… bitte, begreife!« Es waren seine letzten Worte. Eine Flammenwand schoß aus einer Spalte und füllte den Raum völlig aus. Koenig packte das Tier und schleppte es den Gang entlang. Als er um eine Ecke gebogen war, stellte er das Tier auf seine Beine – und Maya stand wieder vor ihm! Sie lehnte sich an Koenig und schluchzte verzweifelt. Der Gang war bereits an mehreren Stellen eingestürzt. Und sie mußten herabgestürzte Felsbrocken überklettern. Zerschrammt und blutig rangen sie in der schwefelhaltigen Luft nach Atem. Sie kämpften sich dennoch weiter durch, es schien, als ob ein Ende nicht abzusehen wäre. Schließlich tauchte vor ihnen in der Schwärze des Tunnels ein Lichtkreis auf, sie taumelten die letzten Meter des Tunnels
vorwärts und traten hinaus in den aschegefüllten Krater des mächtigen Vulkans. Um sie herum wieder die düsteren Leiber und Formen der unbekannten Raumschiffe, die man hier in die Falle gelockt hatte. Vor sich sahen sie Eagle Vier, und sie nahmen ihre allerletzte Kraft zusammen. Die Luken standen offen. Sie sahen darin die angsterfüllte Gestalt Helenas, die ihnen verzweifelt zuwinkte. Koenig und Maya kämpften sich durch die offene Luke und schwangen sich ins Innere. Hays, MacInlock und Fraser hatten ihre Plätze eingenommen. Sie warteten darauf, den Eagle zu starten und außer Reichweite des Planeten zu bringen, der dem Untergang geweiht war. Helena half ihnen auf die Sitze, dann lief sie zu ihrem eigenen Platz und schnallte sich an. Die Raketenantriebe des mächtigen Schiffs donnerten, die Pilotenkanzel geriet in Erschütterung. Sie fühlten, wie sie von den Düsenstrahlen emporgetrieben wurden. Um sie herum sprühten Aschenfontänen und Trümmer auf. Kaum hatten sie sich vom Boden abgehoben, eruptierte der Vulkanboden selbst. Feuer- und Lavaströme schossen durch die entstandene Öffnung nach oben und leisteten dem Schiff zusätzliche Starthilfe. Sie wurden Zeugen einer gewaltigen Eruption. Das Schiff schwankte und rollte und begann, sich aufbäumend in den Himmel zu bohren. MacInlock und Fraser hatten alle Hände voll zu tun, Schalter und Knöpfe zu betätigen. Rückstoßraketen und Stabilisatoren erwachten nun voll zum Leben, und die Piloten brachten das Schiff wieder unter Kontrolle. Mit rasender Geschwindigkeit entfernte sich Eagle Vier und tauchte in die Schwärze des Weltraumes.
VI
Während sich das Eagle-Schiff immer weiter von dem berstenden Planeten entfernte, senkte sich unbehagliches Schweigen auf die Insassen des Schiffs. Psychon war nur mehr als eine Massierung heller, fingerähnlicher Gebilde wahrzunehmen – wie ein Farbfleck auf einem TV-Monitor. Immer größere Teile des Planeten eruptierten, und die Fontänen der Eruptionen reckten sich wie Finger langsam in den Raum empor. Bald glich seine ganze Masse einem brennenden Stern. »Eagle Vier, Eagle Vier – Alpha ruft!« Sandras Stimme brach, sie willkommen heißend, die Stille. Fraser betätigte einen Schalter an seiner Konsole. »Nur weiter, Alpha!« An Stelle des sich in Reste auflösenden Planeten Psychon erschien nun das Gesicht Verdeschis auf dem Bildschirm. Er sah zufrieden drein. »He, Bill, ich muß Ihnen etwas zeigen.« Verdeschi verschwand aus dem Blickfeld, und gleich darauf hatte Annette seine Stelle eingenommen. Sie lächelte und strahlte sichtlich vor Glück. Fraser und MacInlock grinsten. Dann kletterte Fraser aus einem Sitz und stellte sich vor den Bildschirm. Er beugte sich vor und drückte einen Kuß auf jene Stelle des Bildschirmes, wo sich die Lippen seiner Frau auf dem Bildschirm befanden. Dann trat er zurück und sah, daß sie es ihm gleichtat, wobei infolge ihrer Nähe zum Bildschirm das Bild dunkel ausfiel. »Ich erwarte dich sehnlichst«, neckte sie ihn.
»Ich dich auch! Bis zu unserer Ankunft müssen wir uns eben mit dem Bildschirm begnügen.« Sie lachte, und er beugte sich wieder lächelnd zum Schirm. Koenig hielt sich im Hintergrund und sah belustigt zu. Dann wandte er sich um und begab sich in das Passagierabteil, in welchem sich Helena und Hays um Maya kümmerten. Koenig trat hinter Helena und legte seine Hand auf ihre Schulter. Sie erhob sich, er legte seine Arme um sie und zog sie an sich. »Bald werden wir auf Alpha sein. Mit der Zeit wirst du alles vergessen«, sagte er. Sie schauderte. »Ich mußte an Torens und Picard denken.« »Tu’s nicht…« Sie hatten es bis zu Torens nicht mehr geschafft. »Wir mußten sie zurücklassen. Wir hatten keine andere Wahl«, sagte Helena. »Ich weiß – man konnte eben nichts machen.« Sie hob den Kopf von seiner Brust und sah ihn an. Sie sah mitgenommen aus. Ihre Augen, tief und schön, kündeten von ihrem Schmerz, konnten aber nicht weinen. Er zog sie an sich. »Nimm es dir doch nicht so zu Herzen.« Sie küßten einander innig und lang. Die Liebkosungen lösten die körperlichen Spannungen, und sie fühlten sich beide wohler, besonders Koenig, der sich seiner Überbeanspruchung gar nicht bewußt geworden war. Sie lächelten. »Ich verspreche, daß ich es versuchen werde«, sagte sie. Neben ihnen wurde ein unterdrücktes Seufzen hörbar. »Maya!« Koenig kniete neben dem verwaisten Mädchen von dem Planeten Psychon nieder. Sie hatte den Kopf in ihren Händen vergraben und weinte. Das makellose, braune Haar war wirr und unordentlich. Ihre Schultern bebten unter dem Aufruhr verhaltener, schmerzlicher Gefühle.
Auch Helena kniete neben ihr nieder und schlang impulsiv beide Arme um die Weinende. »Arme Kleine«, tröstete sie. »Ach, mein armes Mädchen! Du darfst nicht denken, daß du jetzt allein und verlassen bist!« Sie wiegte sie fürsorglich in den Armen. Mit tränenüberströmtem Gesicht sah Maya zu Koenig auf. »Commander…« begann sie, brachte aber den Satz nicht zu Ende. »Ich danke Ihnen, daß Sie unser Leben retteten«, sagte Koenig. Doch Maya wandte den Kopf und starrte gleichgültig vor sich hin. »Und dabei meines verlor«, setzte sie Koenigs Satz fort. Ihre Stimme bebte, sie strahlte Kälte aus. »Nein, nein, nein!« rief Helena aus und drückte das Mädchen an sich. »Du lebst. Du hast ein neues Leben gewonnen. Maya, wir brauchen dich!« Das Mädchen saß versteinert da. Koenig sah es mit Verzweiflung. »Eure Wissenschaft ist uns so weit voraus. Auf Alpha werden wir Sie dringend brauchen. Bitte…« Maya war jedoch nicht zu besänftigen. »Ich werde überall eine Fremde sein«, sagte sie leise. »Gewiß nicht«, widersprach Koenig. »Lassen Sie sich eines sagen – auf Alpha sind wir alle Fremde. Wir alle unterscheiden uns in unserem Bewußtsein. Einige haben andere Körper, andere Hautfarben. Keiner gleicht dem anderen. Aber wir kommen alle miteinander aus. Wir brauchen einander, helfen uns gegenseitig, manche lieben einander. Maya, das müssen Sie mir glauben…« »Commander!« sagte sie flehend. »Lassen Sie mich. Sie können nicht erwarten, daß ich in so kurzer Zeit vergesse. Lassen Sie mir Zeit zum Nachdenken.«
Sie blickte ihn nun wieder an. Ihre Tränen waren getrocknet, aber ihre Trauer um den Vater würde wohl noch lange anhalten. Sie könnte nicht mehr weinen – dieser tränenlose Schmerz würde nur noch größer sein. Aber inmitten der Asche ihres alten Lebens sah er den Schimmer eines neuen Entschlusses – noch tief in ihrem Inneren verborgen. Aber eines Tages würde er sich durchringen. Koenig stand auf. »Geh jetzt«, sagte Helena zu ihm. »Maya und ich werden gut zurechtkommen.« Koenig nickte nachdenklich und begab sich wieder zur Pilotenkanzel. Dabei wäre er beinahe mit Hays zusammengestoßen, der das Passagierabteil während der gefühlvollen Szene verlassen hatte und nun zurückkam. Hays machte ein bedrücktes Gesicht. »John, Tony braucht Sie.« »Worum geht es?« fragte der Commander. »Wahrscheinlich wegen der Schäden auf Alpha. Das hat jetzt noch Zeit.« Gemeinsam mit Hays betrat er nun die Pilotenkanzel. »Was gibt es, Tony?« fragte er den Sicherheitsboß, der in der Kommandozentrale auf Alpha an der Konsole von Sandra Benes stand. »Du kommst ohnehin bald heim«, sagte Verdeschi, »ich wollte dich eigentlich nicht behelligen. Aber wir haben da ein paar merkwürdige Schockwellen empfangen. Zunächst dachten wir, sie stünden mit der Explosion auf Psychon in Zusammenhang. Sie kamen aus einem ganz anderen Sektor.« Koenig starrte angestrengt auf den Schirm. »H-ZR 2 QR 3:01«, las Sandra die Position des Ursprungs der Schockwellen ab.
»Das wäre die andere Seite des Mondhimmels«, sagte Koenig nachdenklich. Er zuckte die Achseln. »Was immer es sein mag, wir kommen wahrscheinlich daran vorbei.« »Eben nicht! Das ist ja das Beunruhigende daran, John«, erwiderte Verdeschi. »Die Schockwellen scheinen zuzunehmen und… ich weiß ja, es klingt irre – aber es sieht aus, als nähmen wir leicht Kurs auf sie zu.« »Was?« Koenig sah ihn ungläubig an. »Es würde einer enormen Kraft bedürfen, um den Mond aus seiner Bahn zu werfen – von der Stärke kosmischer Gravitation!« Sein erfahrener Verstand wurde sofort mobilisiert. »Sandra, überprüfen Sie die Monitor-Systeme und überzeugen Sie sich, ob sie richtige Werte geben! Tony – machen Sie einen EagleAufklärer startklar. Unsere Kiste muß nämlich erst mal überholt werden.« Er wandte sich an Fraser und MacInlock. »Volle Kraft voraus!« Und dann, wieder zu Verdeschi gewandt: »Haltet durch, wir kommen, verdammt noch mal!«
VII
In der Kommandozentrale auf Alpha ging es ruhiger zu als je zuvor. Der große Bildschirm starrte von seinem Platz über den Konsolen blind auf die Alphaner herunter. Sie hatten ihn abgeschaltet, weil es nichts zu sehen gab. Diesmal konnten sie nur hören und abwarten. Es war eine intensive, nervöse Stille. Koenig drehte sich in seinem Kommandositz um und wollte etwas sagen. »Zehn Sekunden«, meldete Verdeschi von seiner Konsole her. Der Commander ließ sich in den Sitz zurückfallen und verharrte in Warteposition. Er drückte einen Knopf, und der große Bildschirm leuchtete auf. Vor ihrem aus der Bahn gesprungenen Mond lag die unendlich große Weite des Raumes. Bis auf Sterne und unsichtbare Materie wie Wasserstoffionen und Meteorstaub war der Raum leer. Es gab keine Erklärung, keine Ursache für ihr Abdriften, es sei denn… Er schluckte schwer bei dem Gedanken, daß die Gravitationsmasse, von der sie angezogen wurden, sich vielleicht als schwarzes Loch entpuppte. Sie hatten bereits eines dieser schwarzen Löcher hinter sich, und das reichte vollauf… Aber schwarze Löcher explodierten nicht. Sie leuchteten nicht auf und machten sich nicht augenfällig bemerkbar. Und sie sandten keine Schockwellen aus. »Drei, zwei, eins, null.«
Alle Augen hingen nun am Bildschirm. Aus dem Nichts tauchte ein nadelstichgroßes Licht auf, genau in der Mitte des Bildschirmes. Es nahm an Intensität und Größe zu. »Die Meßwerte«, ordnete Koenig trocken an und beugte sich in seinem Sitz vor. Hinter sich hörte er Sandra die Knöpfe ihres Computers eifrig betätigen. »Größe innerhalb eines Prozents der letzten Beobachtung«, sagte sie. Ihrem Bericht folgte gleich darauf jener Yaskos. »Keine Angaben über Natur und Ursprung der Explosion«, meldete die japanische Computer-Operatorin. »Wir sind noch zu weit entfernt.« »Die Schockwelle wird Alpha in 143.2 Sekunden treffen«, fuhr Sandra fort, als sie weitere Informationen ablesen konnte. Koenigs Miene verhärtete sich. Die Schockwellen kamen in ganz regelmäßigen Abständen. Während der Mond sich dem geheimnisvollen Ausgangspunkt der Wellen näherte, verstärkte sich deren Wirkung. Und jetzt bestand kein Zweifel mehr daran, daß sie keinesfalls mit den ausklingenden Todeszuckungen von Psychon in Verbindung standen. Die Ereignisse überstürzten sich, und Mondbasis Alphas Zustand verschlechterte sich trotz der neuen Zufuhr von Tiranium-Vorräten. »Höchste Alarmbereitschaft!« sagte er mit erhobener Stimme. Verdeschi drückte den Knopf für höchste Alarmbereitschaft, und die gesamte Basis barst geradezu vor hektischer Aktivität. Der hohe Heulton der Alarmsirene schrillte durch alle Gänge und Zentren. Die gesamte Besatzung – um Torens und Picard vermindert – stürzte an ihre Alarmstationen, nachdem sie sich Schutzanzüge angezogen hatte. »Notvorräte und Hilfsaggregate überprüfen! Bereitet euch auf Verletzte vor.« Koenigs Stimme war überall zu hören.
Aus der Krankenstation, wo sie mit Maya gesprochen hatte, erklang Helenas Stimme. »Krankenstation bereit zur Aufnahme Verwundeter.« Ärzte und Schwestern liefen die Gänge entlang. Alphaner, auf deren Anzügen das einzige Wort »Rettung« stand, verteilten sich im Laufschritt an verschiedene Punkte. »Hundert Sekunden«, meldete Sandra voll Anspannung. »Eagles starten lassen«, wiederholte Verdeschi und gab den Befehl über Funk weiter. Sie hatten zwei Eagle-Schiffe eingebüßt, doch ließen sie jetzt so viele wie möglich starten. Das Signal »Alarmstufe eins« flammte nun auf den Monitoren in der Befehlszentrale auf. »Eine Minute…« sagte Sandra und beobachtete den Digitalcountdown. Koenig wandte sich mit erstarrtem Gesicht an Verdeschi. »Sie wissen daß wir ernste Schäden zu erwarten haben oder sogar vernichtet werden – aber geben Sie das nicht weiter.« Verdeschi erwiderte den grimmigen Blick. »Ich weiß, und wir können nichts tun, als den Kopf hinhalten.« Koenig nickte und sah wieder auf den großen Bildschirm. Die Explosion sandte ihre Strahlen nun über den halben Bildschirm aus. »Führungsschiff Eagle an Commander«, meldete sich Alan Carter, dessen Bild auf Koenigs Monitor auftauchte. »Ja, Alan?« fragte Koenig. »Wir haben Stellung bezogen… auf der entgegengesetzten Seite des Mondes.« »Haltet die Stellung! Dort seid ihr geschützt.« »Jawohl, John.« Das Gesicht des australischen Piloten wirkte ungewohnt ernst. »Wir landen, sobald die Schockwelle vorüber ist. Ende.« Der Monitor erlosch.
»Und jetzt heißt es nichts als warten«, sagte Verdeschi. »John? Dieses neue Mädchen, diese Maya, ich finde sie sehr nett. Was hältst du von ihr?« »Sie ist großartig, Tony«, entgegnete Koenig. »Sollte etwas passieren… ich möchte, daß du weißt, daß sie mir gefällt.« Koenig gab keine Antwort. »Dreißig Sekunden«, rief Sandra bebend. »Alle Mann nach unten«, befahl Yasko. »Rettungsmannschaften bereit. Alle Luftschleusen dicht«, rief Verdeschi in seinen Monitor. »Krankenstation bereit«, meldete sich Helenas Stimme. Und du bist auch großartig, dachte Koenig, als er ihre Stimme hörte. »Zwanzig Sekunden«, rief Sandra. »Geht in Deckung«, warnte Koenig. Jetzt trat tödliche Stille ein. Diesmal umfaßte die Stille die gesamte Mondbasis Alpha, da alle Alphaner nach Abschluß ihrer Vorbereitungen im Inneren der Mondbasis warteten. Das aufgeregte Klicken der Digitaluhr in der Kommandozentrale, das man normalerweise nicht hörte, wurde mit dem Vergehen der Sekunden immer lauter. Neun… Acht… Koenig blickte auf den großen Bildschirm. Er wurde nun fast vollständig von der großen, weißen, undefinierbaren Masse ausgefüllt. Sieben… sechs… fünf… vier… drei… zwei… eins… Die Mondbasis begann zu erbeben. Die Grundfesten tief unter der Mondoberfläche begannen zu schwanken, ganz leise zunächst, als sie von der absurd starken Energiefront getroffen wurden.
Die Fingerspitzen der Energie bildeten erst die Vorhut des eigentlichen Energiezentrums. Sie tasteten den Felsbrocken ab, der sich in den Weg geschoben hatte, sie spielten mit ihm. Alphaner verkrochen sich unter den Kojenbetten und Computerkonsolen. Draußen im All lauerten die Eagles. Und dann kam die Hauptmasse der Schockwelle und zog vorüber. Die uralte, zerklüftete Mondmasse erbebte in ihren Grundfesten. Eine gewaltige kosmische Faust holte gegen den Planeten aus.
Alan Carter sah nervös auf das Instrumentenbrett von Eagle Zwei. Nur daran konnte er erkennen, daß die Schockwelle den Mond getroffen hatte. Er und die Flotte der Eagle-Schiffe waren hinter dem Planeten und daher vor dem Energiestoß geschützt. An Bord lief alles glatt und ruhig. Die aufblitzenden Skalen und die Digital-Werte auf dem kleinen TV-Monitor meldeten ihm, daß das Schlimmste überstanden war. Sie hatten dem Schock standgehalten, ihre Heimat war unversehrt geblieben. Und doch wartete er dringend auf Bestätigung von der Kommandozentrale. Aus dem Bereichsmonitor kam kein Lebenszeichen. Er drückte einen Knopf. »Alpha kommen… Mondbasis Alpha kommen.« Keine Antwort. »Eagle-Schiffe, zurück zur Basis«, gab er an seine Flotte durch. Er schaltete die Verbindung ab und begann das Rückkehrmanöver.
Auf dem Bereichsschirm sah er die gezackten Kurven des Mondes, die entstanden waren, als dieser von der Atomexplosion in zwei Stücke aufgerissen worden war, einer Explosion, welche die Ursache des Abweichens von ihrer Bahn gewesen war. Der Mond sah aus wie eine tote Welt, ein Asteroidenklumpen, der ziellos durchs All zog. Carter beobachtete, wie der Horizont sich allmählich rundete, mit Kratern bedeckte, als die Nase des Schiffes sich zu jener Seite vorschob, die von der Mondbasis eingenommen wurde. Er wurde zu beiden Seiten von den anderen Eagle-Schiffen flankiert. Die Raketenantriebe liefen bereits auf halber Stufe. Bald kamen die klinischen, futuristischen Formen der Außengebäude in Sicht. Er suchte sie ängstlich nach Anzeichen von Leben ab. Die Lichter des Basisgeländes brannten noch und tauchten die Landerampen in eine merkwürdige, unirdische Helligkeit vor dem Hintergrund der dunklen Mondgebirge. Einige der Außengebäude trugen noch die Zeichen der Zerstörung durch den Angriff von Psychon. Sie waren unbenutzt, die Metallwände aufgerissen und zusammengeschmolzen und boten ihr Inneres dem Vakuum des Weltraumes dar. »Alpha kommen… Alpha kommen…« Noch immer keine Antwort. Er setzte das Eagle-Schiff auf und schnallte sich von seinem Sitz los. Er schwenkte seinen elektronischen Öffner in Richtung der Tür, die in die Passagierabteilung führte, und lief hindurch. Schwestern, Ärzte und Rettungsmannschaften, die von der Mondbasis hatten evakuiert werden sollen, drängten sich um die Ausstiege. Sie steckten noch immer in ihren grellen, orangefarbenen Raumanzügen und erwarteten ungeduldig die Ankunft Carters.
Der Pilot setzte den Helm auf und aktivierte die Lukenmechanismen. »Los geht’s«, sagte er über die Sprechanlage des Helms. Sie stiegen durch die Luftschleuse in den kapselartigen Rumpf eines Fahrstuhls. Carter Schloß hinter ihnen die Türen, und die Kapsel bewegte sich rasch und klanglos ihre Rampe entlang. Sie machte eine Kurve und fuhr dann steil hinunter unter die Mondoberfläche, wo der Großteil der Mondbasis lag. Der bewegliche Boden der Kapsel drehte sich um seine Achse und hielt sie so in aufrechter Stellung. Vielleicht ein Pech für die Alphaner, daß ihre Basis unterirdisch angelegt war, dachte Carter voll Ironie. Bis vor kurzem noch hatte sich die gesamte Mondbasis an der Oberfläche befunden, doch hatte man sich aus Sicherheitsgründen entschlossen, sie nach unten zu verlegen, wo sie natürlich den Vibrationen der sonischen Wellen gegenüber verwundbarer war. Die Türen der Fahrstuhlkapsel glitten beiseite, und alle rannten hinaus in den Gang. Die Lichter der Basis brannten. Eine ominöse Staubschicht lag auf allen Flächen, Schränken und Hydranten. »Luft kontrollieren«, sagte Carter über seine Sprechanlage, während sie sich so schnell fortbewegten, wie es ihre Raumanzüge zuließen. Ein Techniker entnahm einer Tasche ein Instrument und las die Meßwerte ab. »Der Druck ist nicht hoch… Es ist sicher.« Sie nahmen die Helme ab. Carter öffnete mit seinem Öffner die Türen zur Kommandozentrale. Im Inneren liefen Gestalten umher, und Carter stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Er lief hinein. »Der Funkkontakt ging flöten«, rief Carter lachend.
»Bei uns ist alles bestens«, sagte Sandra. Sie sah mitgenommen und bleich aus und war mit Staub bedeckt. »Diesmal ja«, sagte Koenig ernst. Er bürstete sich ab. »Aber ihr kontrolliert jetzt wohl die übrige Basis durch«, sagte er zu der Rettungsmannschaft. »Ich glaube, an ein paar Stellen ist es nicht so glimpflich abgegangen.« Das Rettungsteam machte sich auf den Weg. Er und Carter traten hinter Verdeschi, der an seiner Konsole stand und auf den großen Bildschirm starrte. Das weiße Feuer, das von der entfernten Explosion ausging, füllte die halbe Leinwand und nahm allmählich an Größe ab. »John, wir müssen all dem ein Ende machen«, sagte Verdeschi. »Der Mond ist ein altes Haus. Viel kann der nicht mehr aushalten.« »Ich kann nicht Menschen und Maschinen aufs Spiel setzen, solange ich nicht weiß, womit wir es zu tun haben«, erwiderte Koenig. Er wollte dem Bildschirm eben den Rücken zukehren, als etwas darauf seine Aufmerksamkeit erregte. »Tony, Alan, seht doch!« Die zwei beugten sich vor und spähten angestrengt ins Zentrum der Explosionsspuren. Jetzt war ein dunkleres, sphärisches Objekt sichtbar geworden. Es sah aus wie ein Schatten, ein unvollkommen entwickelter Film. »Ein Planet!« rief Koenig aus. »Na, wenigstens kein schwarzes Loch«, meinte Carter mit Erleichterung. Helena betrat den Raum. Koenig winkte sie zu sich. Sie steckte im weißen Ärztekittel und sah überarbeitet aus. Dazu kam der Staub, dessen Spuren sie noch trug. »Helena, da haben wir’s. Den Ursprung der Explosionen.« »Ein Planet«, sagte sie halb erstaunt. »Er ist zu weit weg, als daß unsere Sensoren uns Werte übermitteln können«, rief Sandra.
»Bis auf einen offensichtlichen Schluß: Er ist vorhanden, er wurde von den Wellen nicht zerstört.« Helena konzentrierte ihren Verstand auf das vorliegende Problem. »Die Explosionen pflanzen sich nur nach einer Richtung fort, nach außen und nicht nach innen«, bemerkte sie. »Richtig«, sagte Koenig. »Und da zwischen den Detonationen Intervalle von genau zwölf Stunden liegen, können wir annehmen, daß es sich um kein natürliches Phänomen handelt. Irgendeine Form von Intelligenz zeichnet dafür verantwortlich.« »Aber warum nur?« rief Helena plötzlich erbittert aus. »John, wir haben mehr Verletzte, als wir zunächst dachten. Manche sind schwer verletzt.« Koenig sah sie voll Mitgefühl an. »Wir wissen nicht warum, aber wir werden es herausfinden«, sagte er und sah zu Verdeschi hinüber. »Eagle Zwei auf die Startrampe.« Er wollte fort, doch Helena hielt ihn zurück. »John, Maya möchte etwas zu tun bekommen.« Koenig schien gereizt. »Es gäbe doch jede Menge Arbeit…« »Sie möchte etwas Verantwortungsvolleres tun«, sagte Helena hastig. »Dieser Angriff hat sie zur Besinnung gebracht. Sie möchte mithelfen und dabei vergessen. Ich versprach ihr…« »Nein«, sagte Koenig mit Nachdruck. »Sie kann nicht mit uns kommen.« »John, genau diese Chance braucht sie. Mach es ihr nicht noch schwerer… Sie ist überaus fähig. Es scheint sicher, daß sie uns helfen kann, den Angriffen ein Ende zu bereiten.« Koenig sah sie skeptisch an. Er fragte sich, wie die Frau von Psychon ihnen wohl helfen könnte. Aber Helena hatte ihre allerbeste Überredungstaktik angewandt. Sie war die einzige Person auf Mondbasis Alpha, die Einfluß auf ihn ausüben
konnte. Er wußte, es war Vergeudung kostbarer Zeit, wenn er sich auf eine Debatte mit ihr einließ. Er stieß einen tiefen Seufzer aus. »Gut, also. Aber unter einer Bedingung. Sie muß im Passagierabteil bleiben.« Helena lächelte trotz ihrer Mattigkeit. »Ich gehe und mache sie fertig.« Dann machte sie ein besorgtes Gesicht, diesmal war es Sorge um ihn. »John, sei vorsichtig.« Sie sahen einander unverwandt an. Dann riß sich Koenig los. »Und du auch«, sagte er. Er drehte sich um und verließ die Kommandozentrale, knapp gefolgt von Carter.
Als sich Koenig ans Steuer setzte, merkte er, daß ihm die Pilotenkanzel mittlerweile allzu vertraut geworden war. MacInlock hatte sich eine wohlverdiente Ruhepause gegönnt, doch der Letztverantwortliche konnte sich keine Ruhe leisten. Er und Carter saßen Seite an Seite, starteten das Schiff und brachten es auf Kurs. Die Schwerkraft des Mondes stellte nur ein geringfügiges Hindernis dar. »Voraussichtliche Ankunftszeit auf dem Planeten?« fragte Koenig Carter routinemäßig. Ehe Carter eine Antwort geben konnte, hörten sie hinter sich eine weiche weibliche Stimme. »Zweiundvierzig Minuten, 8.47 Sekunden, Commander.« Koenig und Carter drehten sich erschrocken um. »Maya! Sie sollten doch im Passagierabteil bleiben!« »John, laß das jetzt«, mahnte ihn Carter. Er starrte ungläubig auf das Zahlenmaterial, das ihm der Computer lieferte. »Ihre Antwort ist richtig. Richtig bis zur zweiten Dezimalstelle. Sie rechnet schneller als der Computer.« Koenig war momentan ratlos. Er sah Maya an. Die Psychonerin wirkte nervös und abgespannt, bewahrte aber
tapfer Haltung. Sie sah die beiden mit schüchternem Lächeln erwartungsvoll an. »Wie haben Sie das nur geschafft?« fragte Koenig. Sie zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht. Das ist auf Psychon nichts Besonderes. Ich denke immer so rasch.« Carter sah sie und dann Koenig an. Dieser lächelte ihr zu. »Dann also willkommen in der Pilotenkanzel«, sagte er. »Es sieht so aus, als brauchst du mich nicht mehr, John.« Er stand auf und bot Maya seinen Platz an. Sie schüttelte den Kopf. »Ich werde hinter Ihnen stehen«, sagte sie. Und mit einem Blick auf Koenig: »Das heißt, wenn es recht ist…« Koenig zog die Brauen hoch. Ganz unerwartet mußte er grinsen. »Wer so gut rechnen kann, darf den ganzen Tag hinter Alan stehen«, sagte er. »Helena berichtete mir zwar von Ihren Fähigkeiten, aber ich wußte ja nicht, was sie meinte. Entschuldigen Sie.« »Ich bin froh, daß Sie mich mitkommen ließen«, sagte sie voll Wärme. »Ich hätte meine Gedanken nicht ertragen… Ich mußte weg.« Koenig nickte. »Kann ich verstehen. Alan, sehen Sie mal nach.« Carter aktivierte den Bildschirm, von Maya genau beobachtet, die begierig alle Vorgänge in sich aufnahm und ihre neue Rolle lernte. Der TV-Monitor zeigte einen dunklen Sternenhimmel. Ein gelblich-grüner Planet hob sich davon ab, allerdings noch in einiger Entfernung. Koenig beugte sich interessiert vor. »Vergrößern.« Der Planet schien abrupt einen Satz nach vorne zu tun. Jetzt war die Färbung deutlicher sichtbar. Eine Reihe von kleineren
Monden in regelmäßigen Abständen voneinander angeordnet, bildeten einen Gürtel um den Planten. »Von Monden umgeben«, bemerkte Carter. »Ich möchte jetzt die Meßwerte der Sensoren, Maya«, bat Koenig, der mit seinen Instrumenten beschäftigt war. »Alan, zeigen Sie es ihr.« Carter sah Maya an. Beide lächelten. Er stand auf und führte sie in das Passagierabteil. »Sieht aus, als gehörten Sie jetzt dazu«, sagte er, als sie vor den großen Computerbänken standen. Er kratzte sich am Kopf und sah sie an. »Sicher wissen Sie, wie man rechnet.« »Ich glaube, ich kann damit auch umgehen«, sagte sie und berührte die Sensoren-Konsole. »Während Sie und der Commander den Eagle starteten, studierte ich, wie das Ding funktioniert.« Das klang ein wenig anmaßend. »Vermutlich finden Sie unsere Ausstattung primitiv«, scherzte er. Er wußte, daß es so war. Sie lächelte. Ihre schönen, hypnotischen Augen blickten amüsiert. Jetzt schien sie schon viel selbstsicherer. »Das ist nicht weiter wichtig«, sagte sie. Doch in ihren Augen stieg wieder die Erinnerung auf, und ihre Miene umwölkte sich. »Psychon war in der Entwicklung sehr weit fortgeschritten. Von Maschinen wußten wir alles, was es zu wissen gab, aber voneinander wußten wir so wenig. Ihr wiederum…« Sie streckte die Hände aus. Er nahm sie, und sie drückte sie. »Diese eure Eigenschaft erkannte ich erst später«, gestand sie. Sie sah zur Konsole hin. »Zeigen Sie mir, welche Knöpfe ich drücken soll.« Er erklärte ihr den Vorgang, sie folgte seinen Anweisungen. Der Schreibmechanismus surrte, und es erschien das Ausgedruckte auf einem Streifen. Sie riß ihn ab und studierte die Meßwerte.
»Die Planetenatmosphäre besteht aus Chlor. Die Gravitation beträgt 7.439. Der magnetische Koeffizient ist 047… Das melden wir aber rasch dem Commander.« »Ich hörte mit«, kam die Stimme Koenigs über die Sprechanlage. Er schien beeindruckt. »Jetzt versucht es mal mit den Monden.« Maya ging wieder an die Konsole. »Ich bin an die Knöpfe nicht gewöhnt«, sagte sie zu Carter. »Unsere Instrumente hatten keine beweglichen Teile.« Carter gab dem Computer die Koordinaten ein, und wieder erschien das Berechnungsergebnis. »Atmosphäre negativ«, Maya sah sich das Ausgedruckte genau an und übertrug die Symbole in Sprache. »Aber sie schicken ein hohes Energiepotential aus.« Koenig machte eine Pause. »Gebt den Kurs zum nächstgelegenen Mond ein«, wies er sie an. »Maya, Sie bleiben im Augenblick bei den Sensoren.« »Sie machen hier jetzt auf eigene Faust weiter«, sagte Carter, der sich zum Gehen wandte. »Spielen Sie eine Weile damit herum. Versuchen Sie, so viel wie möglich an Informationen zu bekommen. Wir haben sie bitter nötig.« Er ging zu Koenig zurück in die Pilotenkanzel. »Sie macht sich tadellos, aber Sie dürfen ihr nicht zuviel zumuten, John«, sagte er, als er sich setzte und seinen neuen Kurs eingab. »Selber schuld, wenn sie so gut ist«, brummte Koenig, der den Detailbildschirm studierte. Einer der unbekannten Monde rückte nun in den Mittelpunkt. Das Eagle-Schiff schwenkte nun in eine weitgeschwungene Umlaufbahn um den Mond ein. Die Mondoberfläche war ihnen nun viel näher.
»Energiestufe für Ihre Leute zu hoch, Commander. Schwere metallische Konzentrate. Keine Anzeichen von Leben«, drang Mayas zögernde Stimme über die Lautsprecher. Koenigs Kiefermuskeln spielten. Die Oberflächenangaben waren jetzt schon viel genauer. Glatte, seltsam gerundete Steinblöcke in allen Formen und Größen bedeckten den Mondboden. Wegen der luft- und wasserlosen Umwelt und des daraus folgenden Fehlens natürlicher Erosionskomponenten drängte sich geradezu die Annahme auf, daß die runden Formen künstlich entstanden sein mußten. Die Kamera vollführte einen Schwenk. Eine Reihe massiver, turmartiger Strukturen kam in Sicht. »Festhalten«, drängte Koenig. »Eine Art Station«, sagte Carter. Das Bild war nun festgenagelt. Die Türme waren Säulen merkwürdiger Art. Sie waren an der Basis breit und rund. Die dünneren Mittelschäfte verbreiterten sich zu eiähnlichen Plattformen an der Spitze. Auf jeder Plattform lag eine riesige Silberkugel. Es waren insgesamt fünf Türme, in einem vollkommenen Kreis angeordnet. »Maya?« fragte Koenig. »Das ist es – die Quelle der hohen Energiestufen, die ich feststellte.« »Alan, gehen Sie hinunter.« Der Eagle erbebte, als die mächtigen Landeraketen gezündet wurden. Sie spürten, wie ihre Körper schwerer wurden, während sie in den Landeanflug übergingen. Dann kam ein leichter Hüpfer und dann Schweigen, als die vier Spinnenbeine des Eagle auf die unbekannte Oberfläche auftrafen und der Atomantrieb abgestellt wurde.
Sie hatten keine Zeit zu verlieren. Koenig schnallte sich los und lief ins Passagierabteil. Maya kam ihm entgegen und half ihm in einen Raumanzug. »Kamerahelm bitte«, sagte Koenig. Sie reichte ihm einen Helm mit eingebauter Linse über der Sichtscheibe. Als er sich fertiggemacht hatte, bedeutete er ihr, sie solle in die Pilotenkanzel gehen. Sie lief durch die Tür, eben als Carter sie zusperren wollte, und gesellte sich zu dem Piloten. Aus dem Abteil, das sie eben verlassen hatte, drang ein Zischen, das das Sinken des Druckes anzeigte. Koenigs behelmte Gestalt erschien auf dem TV-Monitor. Er stand im Passagierabteil vor der Luke und wartete, daß diese beiseite glitt. »O.k.?« fragte er Carter. »O.k.«, gab der Pilot zurück. Er drückte einen Knopf, und die schwere Schiebetür glitt auf. Durch die Öffnung konnten sie auf ihrem Monitor einen Blick auf die helle Mondoberfläche werfen. Das Bild wechselte. An seine Stelle trat eine volle Außenaufnahme, als Koenig seine Kamera aktivierte. Sie hatten zu Füßen eines der monströsen Türme aufgesetzt. Die glatte, breite Oberfläche streckte sich wie eine riesige Metallstraße empor und nahm drei Viertel des Bildschirmes ein, ohne daß man eine Öffnung sah. Das Bild wurde undeutlich, während Koenig sich bewegte und sich die Szenerie genauer ansah. Als man wieder besser unterscheiden konnte, sahen sie, daß er geradewegs auf den Turm zuging. Die Bildfläche wurde nun total vom Umfang des Turmes ausgefüllt. »Ich befinde mich bei dem nächstgelegenen Turm«, drang Koenigs Stimme zu ihnen.
»Sieht aus wie eine Platin-Wolfram-Legierung. Keine Meßwerte aus dem Inneren«, berichtete ihm Maya, die dies von den Instrumenten ablas. Das Bild begann wieder zu schwanken, während Koenig langsam die Säulenbasis umwanderte. Plötzlich sah man eine Öffnung in der seltsamen Fläche und dahinter ein dunkles Inneres. Koenig blieb stehen und sah sich die Sache genauer an. »Ich habe eben einen Einstieg gefunden«, berichtete er. Die an seinem Helm montierte Kamera schwenkte nach unten und zeigte ihnen eine kleine, metallene Matte auf dem Boden vor dem Einstieg. »Reagiert auf Gewichtsdruck«, sagte er. »Strahlung negativ. Lebensformen nicht vorhanden. Ich gehe rein, gebt mir Deckung.« »Ich ziehe mich gleich um«, sagte Carter. Der Pilot stand auf und öffnete die Türen zum Passagierabteil. Er verschwand. Maya blieb nun allein in der Pilotenkanzel und beobachtete mit wachsender Furcht, wie sich die Kamera am Helm des Commanders rasch zur drohenden Öffnung in der Säulenwand wandte. Der Bildschirm verdunkelte sich und zeigte einen kleinen, zellenartigen Raum. Der Commander sah um sich, und die Kamera überflog den Raum. Maya sah, daß die Tür hinter ihm zugeglitten war und ihn einschloß. Durch die Wände der Zelle drang jetzt Licht. Die Wände glühten in stumpfem Grün. Das Licht glitt entlang der Wände und verschwand vom oberen Rand des Bildschirmes. Ihr wurde klar, daß die Zelle eigentlich eine Art Aufzug darstellte. Er entführte den Commander nach unten. Nach einer Weile hörte das Gleiten des Lichtes auf, und die der Kamera Koenigs gegenüberliegende Wand teilte sich. Eine atemberaubende unterirdische Szene bot sich den Blicken dar.
Eine riesige aus dem Felsen gehauene Kaverne, die wie ein riesiger, unterirdischer Parkplatz aussah. Die Kavernenwände waren so weit entfernt, daß man sie nicht deutlich ausnehmen konnte. Die Raumdecke war, in einen Mantel von Dunkelheit gehüllt, kaum zu unterscheiden. Der Boden war von künstlicher Beschaffenheit und gut erleuchtet. Sechs Metallpfosten standen da, und auf dem oberen Ende jeder Säule ruhte eine Kugel. Die Kamera bewegte sich vorsichtig weiter und erspähte ringsum Türen. Das automatische Auge der Kamera zeigte, daß es sich hier um eine Art Kontroll- oder Laboreinheit handelte. Makellose Konsolen, die seltsam angeordnet und von der Größenordnung der Umgebung verkleinert wirkten, standen da. Der Commander trat wieder zurück. Gleichzeitig meldete sich seine Stimme über die Sprechanlage. »Atmosphäre negativ.« Er hielt auf eine der Kugeln zu. Die Hand des Commanders tauchte vor der Kamera auf. Er hielt der Kugel einen Sensor entgegen. »Ich spüre eine Art…« setzte er an. Sein Satz sollte unvollendet bleiben. Maya mußte hilflos zusehen, wie plötzlich ein blendender elektrischer Energieblitz aus der Kugel flammte und Koenig den Sensor aus der Hand schlug. Das Fernsehbild verschwamm und erlosch. Maya beugte sich erschrocken vor. »Commander, melden bitte!« Sie drückte alle in Frage kommenden Knöpfe. »Alan, der Kontakt ist unterbrochen!« Ein Augenblick der Stille, dann meldete sich Carters aufs höchste beunruhigte Stimme. »Halten Sie die Stellung. Bitte, den Druck senken.«
Sie sah sich verzweifelt im Raum um und versuchte, sich zu erinnern, wo sie den Dekompressionsknopf gesehen hatte. Schließlich entdeckte sie ihn. Sie verschloß die Türen zum Passagierabteil und leitete die Drucksenkung ein. Ein Zischen, und ihr wurde klar, daß sie nun völlig allein war.
Vor Koenigs Augen drehte sich alles. Irgendwo hüpfte vor ihm ein monströses Antlitz auf und nieder. »John, hören Sie mich?« Sein Blick wurde klarer. Er spürte, wie sein ganzer Körper schmerzte. Schließlich konnte er Carters behelmtes Gesicht erkennen. »Alan…« Koenig hob sich mit den Schultern vom Boden ab und schüttelte den Kopf. Er war flach auf den Rücken gefallen. »Alles in Ordnung?« fragte Carter über die Sprechanlage. Er half dem Commander auf die Beine. »Wie könnte es anders sein, nach einem Schlag von mehreren Hundert Volt«, lautete Koenigs trockene Antwort. Sein Kopf schwankte, er konnte kaum gehen. Erst allmählich wurde ihm wohler. Carter bemerkte auf dem Boden eine verkohlte, geschmolzene Masse. Er hob sie auf. »Mein Sensor…«, murmelte Koenig enttäuscht. »Die müssen das Ding für eine Waffe gehalten haben«, sagte Koenig mit einem Blick auf die Kugeln. »Die da hat es getan«, damit zeigte er auf das nächstgelegene kugelförmige Gebilde. Carter sah es verständnislos an. Und während sie hinsahen, fing es an, sich zu bewegen. Es tanzte in seinem tassenartigen Behälter. Zu ihrer Verwunderung sprang die Kugel anmutig von ihrem Pfosten und ließ sich langsam zu Boden fallen. Mit ballettartigen Bewegungen begann sie, im Zeitlupentempo auf
die zwei Männer zuzurollen. Sie sprang auf einen anderen, näheren Pfosten und landete präzise auf ihrem Sitz. Carters erste Reaktion war der Griff nach seinem Laser, doch Koenig gebot ihm mit erhobener Hand Einhalt. »Was ist das?« fragte Carter mit gerunzelter Stirn. Die Kugel sprang wieder von ihrem Sitz und sprang behende auf einen anderen Pfosten hinter ihnen. Sie drehten sich um und hatten das Gefühl, sie würden von der Kugel beobachtet. »Das soll wohl… eine Art Sonde sein. Ich habe das Gefühl, wir werden einer Prüfung unterzogen.« Als wäre sie befriedigt über ihre Untersuchung, sprang die Kugel herunter und begann, auf den Bereich zuzuhüpfen, in dem die Konsolen standen. Sie sprang auf eine speziell mit einem tassenartigen Behälter ausgestattete Konsole und blieb dort liegen. Ein großer mit der Konsole in Verbindung stehender Bildschirm leuchtete auf. Ein beleuchteter Kreis erschien. Sodann ein Viereck. »Geometrische Grundfiguren«, bemerkte Koenig. »Ein Verständigungsversuch.« Daneben leuchtete ein zweiter Bildschirm auf. Koenig und Carter gingen den Weg zurück, den sie gekommen waren, auf die Konsolen zu. Sie blieben vor den Schirmen stehen. Koenig zögerte. Dann nahm er ein wie ein Lötkolben geformtes Instrument zur Hand und fing an, damit direkt auf den zweiten Bildschirm etwas aufzuzeichnen. Der Stift hinterließ helle elektrische Spuren. Sorgfältig zeichnete Koenig ein Dreieck. Das Dreieck verschwand, und auf dem ersten Bildschirm tauchte unvermutet ebenfalls ein Dreieck auf. »Der Kontakt ist hergestellt«, sagte Koenig.
Ein unbekanntes Sternbild erschien auf dem ersten Bildschirm. »Eine astronomische Karte«, sagte Carter nachdenklich. »Man versucht, herauszufinden, woher wir kommen.« Die erste Schirmbildfläche erlosch. Koenig zeichnete nun eine ungefähre Skizze des irdischen Sonnensystems, mit der Sonne als Mittelpunkt. Noch ehe er fertig war, hatte die Kugel diesen Teil des Weltraumes erkannt. Eine neue Karte, die die Sonne zeigte, leuchtete auf. Koenig bezeichnete den Planeten Erde, den er gezeichnet hatte, mit einem Kreis. Dann erloschen beide Bildschirme. Nun trat eine kurze Pause ein. Auf dem Bildschirm flammten sodann Worte auf. Auf Englisch. »Da ihr von der Erde kommt, werde ich für eine geeignete Atmosphäre sorgen.« Koenig wandte sich ungläubig an Carter. Er wollte etwas sagen, als zischend Luft in die Kaverne strömte. Als der Luftstrom aussetzte, zog Carter seinen Sensor zu Rate. Er hielt ihn von der Kugel weg, damit nicht neuerliche Mißverständnisse auftauchten. »Gute reine Luft«, sagte er nach kurzer Prüfung. Sie nahmen ihre Helme ab. »Jetzt ist mir wohler«, sagte Koenig. Ein leises Summen fesselte ihre Aufmerksamkeit. Sie drehten sich um und sahen, daß eine zweite Kugel von ihrem Podest gesprungen war. Sie kam auf sie zugehüpft und sprang geschickt auf ein anderes Podest, wo sie eine Befehlsstellung einnahm. »Ich bitte um Entschuldigung für die Verzögerung. Aber wir brauchten einige Zeit für die Übertragung ins Englische.« Eine tiefe, wohlklingende Stimme sprach in der neuen Atmosphäre. Während des Sprechens pulsierte die Kugel orangefarbig.
Koenig und Carter starrten einander an. »Einige Zeit« hatte genau fünf Sekunden gedauert. Koenig wandte sich an die Kugel. »Ich bin Commander Koenig. Das ist Alan Carter.« »Willkommen. Ich bin Stimmsonde 248«, antwortete die Kugel. »Wir möchten jemanden sprechen, der hier Autorität ausübt«, fuhr Koenig fort. »Zu welchem Zweck?« fragte die Kugel. Unmöglich zu sagen, was das Ding dabei fühlte, da es während der gesamten Unterhaltung die gleiche volltönende Stimme beibehielt. Sie konnten nicht unterscheiden, ob ihre Fragen die Kugel beunruhigten oder nicht. »Wir haben eine lebenswichtige Sache zu besprechen«, entgegnete Koenig. Die Kugel pulsierte lebhaft und hell. »Sie müssen sich näher äußern.« Koenig holte tief Luft. »Meine Basis samt allen Bewohnern nähert sich auf direktem Kurs Ihrem Planeten. Wir werden…« Doch die Kugel unterbrach ihn. »Tut mir leid. Ich kann nichts für Sie tun.« Koenig runzelte die Stirn. »Dann lassen Sie mich mit jemandem sprechen, der es kann.« Eine längere Pause. Schließlich sagte die Stimme: »Ich bin eine Maschine.« »Ein Computer?« fragte Koenig. »Ja. Ich kann ohne Befehl nicht selbständig handeln.« »Dann muß ich mit deinen Herren Kontakt aufnehmen.« »Das ist nicht möglich.« »Warum?« »Die mit Intelligenz ausgestattete Lebensform auf diesem Planeten… meine Beherrscher, existieren noch nicht.«
Koenig war nicht wenig erstaunt. Er spürte, wie sich plötzlich ein Gefühl des Ingrimms seiner bemächtigte, als es ihm klar wurde, daß ihr Wunsch nicht so einfach zu erfüllen war. »Ich bin in Erwartung der Geburt des ersten«, sagte die Kugel. Eine bedrückende Stille zurücklassend, sprang die sprechende Kugel von ihrem Pfosten und hüpfte davon. Koenig blickte ernsthaft beunruhigt auf. »Warte, bitte«, sagte er. Doch die Kugel war an ihren vorigen Standort zurückgehüpft. Sie glühte inbrünstig. »Sie müssen gehen«, sagte sie. »Sie schweben in großer Gefahr«, sagte die tiefe, volltönende Stimme. »Sie müssen sofort gehen.« »Commander!« Mayas schrille Stimme tönte an ihre Ohren. »Ja?« »Die Energiestufe steigt und nähert sich dem kritischen Punkt.« Der intensiv dröhnende Summton der Kugeln steigerte sich zu einem Crescendo. Mit scharfem, explosivem Geknalle löste das elektrische Potential der Kugeln eine Kettenreaktion aus. Bedrohliche Funken sprangen im Bogen von Kugel zu Kugel. »Nichts wie raus!« rief Koenig Carter zu. Hastig stülpten sie sich die Helme über und liefen dabei schon auf die Lifttüren zu.
VIII
Während sich das Eagle-Raumschiff von dem automatisierten Mond abhob, begannen die fünf großen Kugeln von ihren Oberflächen Ströme auszusenden. Die Funken sprangen in großen, gezackten Sprüngen von Ball zu Ball über. »Ein Ring von Monden – und jeder einzelne mit einer Raumstation ausgestattet«, bemerkte Koenig grimmig, nachdem das Eagle-Schiff abgehoben hatte. »Angenommen, sie erzeugen alle auf ähnliche Weise Energie…« »Und speichern enorme Kraft in den Kugeln«, fiel Carter ein. »Richtig! Und die Schlußfolgerung daraus?« Maya dachte nach. »Das System könnte wie ein Ring von Gewitterwolken funktionieren«, sagte sie. »Und wenn das Potential eine genügende Stärke erreicht hat, dann entlädt es sich«, fuhr Carter fort. »Das Äquivalent eines gigantischen, elektrischen Sturmes«, warf Maya ein. »Blitze, welche Tausende von Meilen zwischen den einzelnen Monden des Mondringes überspannen…« »Und eine Energiewelle erzeugen wie tausend H-Bomben, welche in alle Richtungen Millionen von Meilen weit strahlen«, ergänzte Koenig tonlos. »Und Alpha kommt mit jeder Sekunde näher«, warnte Carter besorgt. »Unser Mond wird total zerstört werden.« »Wie lange haben wir gebraucht?« fragte Koenig Maya drängend. »Wenn wir von demselben Zwölf-Stunden-Intervall zwischen den Explosionen ausgehen, knapp unter sechs Stunden.«
Koenig überlegte hastig. »Alan, gehen Sie herunter«, entschied er sich dann. »Wir wollen auf dem Planeten selbst landen.«
Auf dem Detail-Bildschirm flammte eine Welt der Felsen und Berge auf, getaucht in eine eklige, grün-gelbliche Chloratmosphäre. Das erstickende, tödliche Gas wogte um die Berggipfel. Die oberen Schichten waren dünner und durchscheinender. Das Schiff tauchte bebend in die dunkle See der Dünste. Es ging auf einem kahlen Felsvorsprung nieder, der in der dunkelgrünen Düsternis kaum zu erkennen war. Sie wollten sich eben von ihren Sitzen erheben, als eine Reihe von Erschütterungen das Schiff durchlief, die an Stärke immer mehr zunahmen. Und dann begann die Landschaft um sie herum – zunächst unmerklich – in den Himmel zu steigen. Als sie zum Bildschirm hinsahen, nahmen sie es noch deutlicher wahr. »Wir sinken!« rief Carter entgeistert. Er hantierte hastig an den Steuerungseinrichtungen. Koenig und Maya stürzten ins Passagierabteil, um in ihre Raumanzüge zu schlüpfen. »Keine Angst«, kam plötzlich eine Stimme über den Bildschirm. Dieselbe volle, tiefe Stimme wie vorhin auf dem Planetenmond. »Ihr werdet an einen sicheren Ort gebracht.« Die bedrückende, dämmrige Umgebung wurde nun von der Oberfläche einer glatten Wand abgelöst, die aufwärts zu sausen schien. Es wurde ihnen klar, daß sie auf einer Art kolossalen Rampe gelandet waren und jetzt entlang eines gigantischen Aufzugschachtes hinunter glitten. Schließlich wurde die Abwärtsbewegung gestoppt.
Auf dem Bildschirm erschien das Bild einer zweiten, großen, unterirdischen Station, die der ersten glich. Es herrschte tödliche Stille. Die Alphaner sahen einander fragend an. Sie befanden sich nun alle in der Passagierkabine und wollten eben die Raumanzüge überziehen. »Die für Sie erträgliche Atmosphäre ist hergestellt. Sie können Ihr Schiff verlassen«, meldete sich die Stimme erneut. Koenig zögerte, er traute einem Unbekannten nur ungern. Doch die Kugeln waren auf ein faires, wenn auch strenges Vorgehen programmiert. Er setzte den Öffnungsmechanismus in Funktion, und sie traten hinaus – in eine reine Atemluft, die nur eine Spur von Chlor enthielt. »Weitergehen«, sagte die Stimme. Sie vibrierte in der Luft und schien von der am nächsten gelegenen der fünf Kugeln, die auf ihren pfeilerartigen Podesten ruhten, auszugehen. Die Kugel glühte in tiefem Rot und sprang akrobatisch herunter. Dann nahm sie auf einem anderen, näheren Pfeiler Platz. »Ich bin Stimmsonde 748«, verkündete sie. »Sonde 248 haben wir eben kennengelernt«, erklärte Carter. »Was wir von ihr zu hören bekamen, bedarf näherer Erklärung«, fügte Koenig mit Nachdruck hinzu. »Bezüglich eurer Herrscher. Haben sie physische Gestalt?« »Natürlich. Aber die Atmosphäre, die sie atmen, ist Chlor. Eure Luft ist Gift für sie und umgekehrt.« Die Stimme hallte in dem gewölbeartigen Bau schaurig wider, so daß Maya erschrocken aufsah. »Wir verstehen«, sagte sie, »aber wir müssen mit ihnen reden. Wir schweben in Gefahr…« »Wie man euch schon sagte – der erste ist noch nicht wiedererstanden«, fuhr die Stimmsonde in mechanisch wirkendem Tonfall fort.
»Sie sagten, wiedererstanden?« fragte Koenig zweifelnd. Mit Spannung vernahm er die Antwort der Kugel. »Meine Herrscher erfreuen sich eines einzigartigen Lebenszyklus«, sagte sie. »Sie existieren eine bestimmte Zeitspanne lang und altern dann wie Menschen.« Die Kugel begann jetzt, hell zu glühen, bis sie die Farbe frischen Blutes angenommen hatte. »Statt aber zu sterben, gehen sie in den Zustand der Verpuppung über, um später wieder verjüngt aufzuerstehen, physisch vollkommen, geistig gereinigt. Während des Schlafes sind sie wehrlos.« Koenig nickte. Er hatte endlich begriffen. »Deswegen also das explosive Energiefeld«, sagte er. »Ja. Der Computer ist primär darauf programmiert, die Herrscher zu schützen.« »Und sie alle befinden sich in diesem Zustand… wie Schmetterlingspuppen?« fragte Koenig voller Hoffnung. »Bis auf einen – den Wächter. Er hält Wache, während die anderen schlafen.« Die Hoffnungen der Alphaner stiegen. »Führ uns zu ihm«, sagte Koenig. Ohne Vorwarnung fuhren zwei gezackte Blitze auf sie nieder und schlugen ihnen die Laser-Waffen aus den Gürteln. Geschwärzt und verbogen fielen die Waffen zu Boden. »He, was soll das?« setzte Carter an. Protestieren hatte keinen Zweck. Die Kugel hatte bereits ihren Posten verlassen und hüpfte ihnen voraus auf einen Gang zu, der von einer Wand aus wegführte. Sie folgten ihr wütend. Im Tunnel angekommen, hüpfte die Kugel nicht mehr, sie rollte jetzt dahin. Sie führte die Alphaner in eine aus dem Felsen gehauene Kaverne. Drinnen befanden sich weitere Podeste, und die Kugel sprang auf eines davon. In den Wänden der Kaverne befanden sich eine Reihe vertikaler, grottenartiger
Vertiefungen, die mit einem transparenten Material bedeckt waren. Hier war der beißende Chlorgeruch stärker spürbar. »Ist der Wächter anwesend?« fragte Koenig, der schwer schlucken mußte, um den schlechten Geschmack loszuwerden. »Ja, hier ist eines der Verjüngungszentren«, erwiderte die Kugel. Jetzt bemerkten sie einen durchscheinenden, sargförmigen Behälter, etwa sieben Fuß lang. Er stand im Mittelpunkt des Gewölbes. Vorsichtig hielten sie darauf zu und spähten zögernd hinein. Unter dem Deckel befand sich ein grüngelbes Gas. Es umgab ein annähernd menschlich geformtes Wesen, das sie jedoch nur undeutlich ausnehmen konnten. »Ist das der Wächter?« fragte Koenig. »Ja. Aber wir kommen zu spät. Er ist bereits in die Puppenform übergegangen«, erwiderte die Kugel sachlich. Koenig fuhr auf. »Kann er mich noch hören?« »Ich werde übersetzen«, erwiderte die Stimmsonde fast überheblich. Koenig gestattete sich kein längeres Zögern. Er begann, der Kugel zu diktieren, verzweifelt bemüht, Mondbasis Alpha zu retten. »Ich bin John Koenig, Commander der Mondbasis Alpha. Wir steuern direkt auf Ihren Planeten zu. Wenn Sie die nächste Explosion nicht verhindern, wird unsere Basis samt allen Bewohnern vernichtet werden.« Die Kugel glühte rätselhaft, was Koenig mit wachsender Beunruhigung registrierte. »Übersetzen Sie alles?« fragte er. »Ja, aber die Antwort ist bedeutungslos.« Die Kugel machte den Eindruck, als wäre sie verwirrt.
Carter blickte sie wütend an. Er war nahe an das sargähnliche Gebilde, in dem sich das System zur Lebensbewahrung befand, herangetreten und schlug mit der Hand auf dessen Oberfläche. »Wer immer da drin liegen mag…« Eine plötzliche Bewegung im Sarg, dessen Sockel sich hob, hinderte ihn am Weitersprechen. Der Behälter begann, auf eine der für den Verjüngungsvorgang bestimmten Grotten zuzugleiten. »Der Wächter muß in die Grotte eintreten, er ist alt geworden, bedarf der Verjüngung«, erklärte die Stimmsonde. Aber Carter verstellte dem Behälter den Weg. »Nein!« sagte er entschlossen. Der Sarg kam weiter auf ihn zu. »Alan«, mahnte Koenig, der Carters Verhalten für unklug hielt. »Es ist unsere letzte Chance!« rief Carter. »Geben Sie ihm den Weg frei!« verlangte die sprechende Kugel. Gleichzeitig öffnete sich ein Kamin in der Wand, und giftiges Chlorgas strömte in den Raum. Carter hustete und spuckte, zerrte und stieß den Sarg so heftig, daß dieser gegen die Wand krachte und zerbarst. »Sie haben die Atmosphäre der Puppe zerstört. Ich muß dies kompensieren«, sagte die Kugel leidenschaftslos. Weitere Schwaden grünen Gases strömten in den Raum. Koenig und Maya zogen sich in den Tunnel zurück, und als sie zurückblickten, sahen sie, daß Carter in der Kaverne noch immer herumstapfte. »Alan!« rief Koenig in höchster Sorge. »Ich muß die Atmosphäre stabilisieren«, drang die Stimme der Kugel durch die dampfenden Schwaden. Türen begannen jetzt, den Tunnel abzuschließen und den Zugang zu der Kammer zu versperren. Sie sahen, wie Carter einen verzweifelten Satz auf die Tür zu machte. Koenig
stemmte die Hände gegen die sich schließenden Türen und versuchte, sie aufzudrücken. Er schaffte es nicht. Die Türflügel stießen wuchtig aufeinander. »Alan!« rief Koenig verzweifelt. Carters eingenebelte Gestalt taumelte noch einige Sekunden, dann brach er zusammen. Maya wandte sich entsetzt an Koenig. »Commander, wie lange kann er da drin aushalten?« Koenig brachte kein Wort hervor. Schockiert und erschrocken sah er, wie Carter sich hinter der Glasscheibe der Tür am Boden wand. In Maya regte sich eine ferne Erinnerung. Auf einem fernen Stern, auf irgendeinem Planeten… damals, als ihr Vater Mentor sie unterwies… Seine Kräfte hatten sie mühelos durch den Weltraum befördert, zu einem schwierigen Test, den er für sie erdacht hatte… »Commander«, sagte sie hastig. »Auf dem Planeten Kreno existiert ein Tier… Es lebt in hochgradig vulkanischen Gebieten… in starken Schwefeldioxydund Chlorkonzentrationen…« Koenig wandte sich blitzartig zu ihr um. »Maya – wenn Sie das fertigbrächten… Aber schnell, er hat nur mehr eine knappe Minute Zeit!« Maya schloß die Augen und versuchte, ihrer Panik Herr zu werden. Krampfhaft rief sie sich die Biologie des Tieres ins Gedächtnis. Fett, froschhäutig, vierbeinig, die Kiefer einer Bulldogge, scharfe Klauen, schleimiger Bauch. Sie konzentrierte sich mit aller Kraft, und ganz plötzlich stand das Bild dieses Tieres vor ihrem geistigen Auge, perfekt, bis in das kleinste Detail.
Sie spürte, wie sich ihre Zellen auflösten. Sie verwandelte sich in ein durchsichtiges, substanzloses, labiles Scheinwesen – zu einem Gefängnis des Nichts, in dem sie selbst ein Niemand war. Freigewordene Energie blitzte und knisterte, gebar neue Moleküle… Moleküle eines Wesens, das irgendwo auf einem fernen Sternensystem, viele Millionen Lichtjahre entfernt, gelebt hatte und verendet war. Die für ihre speziellen Funktionen ausgestatteten Organe vermochten nur kurz dem Sauerstoffgehalt der Luft standzuhalten, begannen dann zu versagen und hektisch zu arbeiten. Das Tier plumpste zu Boden und schnappte durstig nach dem lebenspendenden Chlor, nach dem es verzweifelt verlangte. Koenig sah das verendende Wesen entsetzt an. Er rief der Kugel durch die geschlossene Tür zu: »Es braucht Chlor! Die Türen auf, bitte, ihr begeht einen Mord!« Eine Pause. Dann glitten die Türen kurz auf. Mit Koenigs Hilfe schleppte sich das fremde Wesen durch. Die Türen schlossen sich krachend. Die chloratmende Kreatur sog die Lungen voll des grünen Gases. Dann sah sie Carter regungslos am Boden liegen, und Mayas steuerndes Hirn lenkte das Tier auf ihn zu. Es zerrte mit seinen zwei mächtigen Vorderpfoten an dem schlaffen Körper und zog ihn allmählich über den Boden. Die Türen öffneten sich für einen Moment, und Koenig konnte hineingreifen und beide herausziehen. Dann schlugen die Türen wieder zu und hinterließen wieder eine Spur des giftigen Gases in der Luft. Das chloratmende Tier keuchte wieder. Dann begann es, hell zu glühen, und verwandelte sich in eine Lichtsäule.
Das Licht wurde schwächer, und an seiner Stelle stand jetzt Maya – unversehrt. Beide beugten sich über den bewußtlosen Carter. Er war totenblaß. Mit großer Mühe stellten sie ihn auf die Beine, stützen ihn, indem sie ihn unter den Armen faßten, und begannen so den mühsamen Rückweg zum Eagle.
Carters halbtoter Körper lag ausgestreckt auf einer Bahre im Passagierabteil. Sein Körper war mit roten Flecken übersät, dort, wo das Chlor die Haut schon stark angegriffen hatte. »Die Verbrennungen scheinen nicht ernst zu sein«, sagte Koenig, der ihn untersuchte. »Die inneren Verletzungen machen mir mehr Sorgen.« »Er müßte sofort auf die Mondbasis geschafft werden«, sagte Maya voller Sorge. »In weniger als drei Stunden wird es keine Mondbasis Alpha mehr geben, zu der wir zurückkehren können«, bemerkte Koenig verbittert. Er verfiel in tiefes Nachdenken, seine Miene drückte höchste Konzentration aus. Dann sah er sie mit neuer, verzweifelter Entschlossenheit an. »Können Sie die Laser des Eagle bedienen?« »Ja, Alan zeigte es mir.« »Ich gehe nach draußen, wenn ich den Arm hebe, ballern Sie los.« Er zog sich den Raumanzug über und setzte den Helm auf. Sodann öffnete er den Ausstieg und kletterte die Stufen hinunter. Die Atmosphäre war erträglich, doch wollte er bei dem Plan, den er sich ausgedacht hatte, nichts dem Zufall überlassen.
Schwerfällig stapfte er zu dem Riesenturm, welcher den Stützpunkt des sphärischen Wesens Stimmsonde 748 bildete. Die Kugel pulsierte erregt, als er sich näherte. »Ich wünsche, daß die nächste Explosion nicht stattfindet«, rief er aus, »andernfalls beschießen wir die Verjüngungsgrotte. Wenn ich den Arm hebe, wird meine Kollegin feuern.« Er hielt den Arm vor sich ausgestreckt und warf einen Blick auf das Eagle-Schiff. Das gepanzerte, reptilienförmige Schiff sah wie eine unheildrohende, metallische Eidechse von riesigen Proportionen aus, die auf dem Boden kauerte. Eine Metalleidechse, bestückt mit Waffen von gewaltiger Wirkung, 8 mit Batterien von Kohlendioxyd-LaserGeschützen, die einem Berg ganze Stücke entreißen konnten. Die Kugel ließ sich mit der Antwort lange Zeit, Koenig spürte, wie ihm während des Wartens innerhalb des Helms Schweiß über das Gesicht lief. »Meine logische Pflicht wäre es, Sie daran zu hindern«, sagte die Stimme schließlich. »Vergiß die Logik!« rief Koenig. »Denk, was Verzweiflung vermag! Ich werde tun, was ich sagte.« Koenig warf wieder einen Blick zum Eagle-Schiff und begann, langsam den Arm zu heben. »Ich warte auf Antwort«, rief er. Die Kugel pulsierte erzürnt. Sie schien verwirrt. »Haben Sie Geduld«, bat sie jetzt. Er bewegte den Arm noch etwas weiter nach oben. Ein elektrischer Blitz sprang aus der Kugel und warf ihn zurück. Eine Million Ewigkeiten schienen in Koenigs Kopf zu vergehen, während er sich von dem massiven Angriff erholte. Sein Kopf schmerzte, er war verwirrt. Entschlossen raffte er sich wieder auf und blieb, etwas unsicher auf den Beinen, vor der Kugel stehen.
Wieder begann er, den Arm zu heben. »Entscheide!« rief er mit matter Stimme. Die Kugel gab keine Antwort, und er hob den Arm höher. Wieder der blendende Blitz, wieder mußte er zu Boden. Diesmal kam er nicht mehr so rasch auf die Beine. Es gelang ihm nur, sich aufzusetzen. Wie im Fieber begann er wieder, den Arm zu heben. Er wußte, daß er eine neuerliche Lektion dieser Art nicht mehr aushalten würde. »Warten Sie!« drang eine weiche, sinnliche Stimme durch die Luft zu ihm. Er ließ den Arm sinken. Erstaunt sah er sich um, doch konnte er niemanden sehen. »Zwei der unseren wurden wiedergeboren«, hörte er eine zweite, ähnlich klingende Stimme. Es waren weibliche Stimmen! Koenig kam unbeholfen auf die Beine. Er wandte sich zum Eagle-Schiff und brachte den Arm zum Zeichen des Aufschubs der Aktion in Brusthöhe. Dann drehte er sich zu der Stimmkugel um. »Es tut mir ja so leid, daß wir Ihnen das antun mußten«, sagte die Kugel mit tiefer Stimme. »Wer sind Sie?« war die einzige Frage, die Koenigs benommenem Verstand einfiel. »Ich werde Sie führen«, sagte die Kugel. Koenig betätigte seine Sprechanlage. »Abwarten, Maya, ich werde mit dem Herrscher sprechen!« »Vorsicht!« rief ihm Carter zu, was Koenig dankbar zur Kenntnis nahm, bewies es doch, daß Carter wieder bei Bewußtsein war. Dann machte er sich auf, um der hüpfenden Kugel zu folgen. Die Kugel führte ihn zu einer zweiten Tür, dem Eingang zu einer zweiten Kammer. Die Tür glitt auf.
»Es wurden spezielle atmosphärische Veränderungen vorgenommen – Sie können den Helm abnehmen«, sagte die Kugel. Koenig befolgte es. Er war froh, der heißen, schweißgetränkten Luft im Helminneren zu entrinnen. Er betrat eine Kammer, die kleiner war als alle, die er bisher gesehen hatte. Sie enthielt zwei der grottenartigen Nischen im Felsen, jede mit dem dicken, aber durchsichtigen Material bedeckt. Die eine war leer, die andere schwer von Chlorgas. Er spähte durch das Glas, konnte jedoch nichts sehen. »Ihre Züge sind wohlgeformt, Commander Koenig«, ertönte die zuerst gehörte Stimme. »Das Wort heißt ›hübsch‹«, berichtigte die zweite Stimme. »Ach ja, hübsch!« »Sie kennen meinen Namen?« fragte Koenig einigermaßen erstaunt. Wieder versuchte er, einen Blick auf die Wesen zu erhaschen, denen die Stimmen gehörten, konnte aber außer Chlor nichts sehen. »Ich kenne auch die Gefahr für ihre Basis und deren Bewohner«, sagte die erste Stimme. »Ihre Sprache ist sehr schwierig, wir brauchten eine Stunde, um sie zu verstehen«, sagte die zweite. Koenig starrte verzweifelt in die grüne, gleißende Suppe. »Sie müssen die Explosion verhindern«, sagte er. Die zweite Stimme klang unbeeindruckt gelassen. »Wir haben ausreichend Zeit, uns zu entscheiden.« »Zunächst sollten wir uns aussprechen«, fuhr die erste Stimme fort. »Es gäbe einige Dinge von Interesse zu besprechen.« Koenig fühlte, wie nagende Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit sich seiner zu bemächtigen drohten,
während hier kostbare Sekunden verrannen und ihre Lage hoffnungsloser als zuvor zu werden schien. Obwohl noch geschwächt und mitgenommen von den zwei Blitzattacken, kämpfte er gegen seine destruktiven Gefühle an. Er mußte seinen Verstand in der Hand behalten. »In Ihrer Sprache existiert keine Entsprechung für unsere Namen«, sagte die erste Stimme gemessen. »Sie können mich A nennen.« »Und mich B«, ergänzte die Gefährtin leichthin. »Wir suchen auf unsere Weise Vollkommenheit«, sagte Stimme A. »Am Ende eines jeden Zyklus werden wir wiedergeboren.« »Hören Sie mich doch bitte an«, versuchte Koenig sie zu unterbrechen. »Wir tauchen als Erwachsene wieder auf, physisch vollkommen intakt…« »Aufhören!« unterbrach sie Koenig mit Entschiedenheit und so viel Ruhe, wie er nur aufbringen konnte. »Es stehen Hunderte Menschenleben auf dem Spiel.« »Ach ja«, sagte Stimme B. »Wir müssen ja eine Wahl vornehmen.« »Es gibt keine Wahl, nur eine Entscheidung! Treffen Sie sie.« Die Stimmen überlegten einen Augenblick. »Und was sollen wir unserer Entscheidung zugrunde legen?« Koenig kämpfte verzweifelt um Fassung. »Universelle Anständigkeit«, äußerte er mit Nachdruck, womit er sie, wie er hoffte, aus ihrer Gleichgültigkeit reißen würde. Wieder schienen die Stimmen nachzudenken. Schließlich meldete sich Stimme A. »Falls ich mich einverstanden erkläre, Ihre Basis zu retten, geschieht das unter gewissen Bedingungen«, sagte sie heiser. »Welche Bedingungen?« Koenig runzelte verärgert die Stirn. »Spielt das eine Rolle?«
Die grüne Masse hinter dem Glas klärte sich sichtlich, und Koenig konnte einen ersten Blick auf eines der Wesen tun. Bei anderer Gelegenheit hätte ihm der Anblick den Atem geraubt. Auf dem Boden kniete jetzt, auf die ausgestreckten Arme gestützt, eine wunderschöne, schlanke und wohlgeformte junge Frau. Nicht nur dies – sie war nackt. Wieder verdichteten sich die Chlorgase und umhüllten die reizvolle Gestalt. Koenig schluckte schwer. Wie konnte ein so göttlich aussehendes Wesen einen so wenig göttlichen Verstand besitzen! »Ich entscheide mich zu Ihren Gunsten«, sagte Stimme A plötzlich. »Meine Stimme haben Sie jedenfalls.« Koenig machte ein erstauntes Gesicht. »Ich verstehe nicht.« »Eine Gesellschaft, die nach Vollkommenheit strebt, muß demokratisch handeln«, sagte Stimme A. »Jeder verfügt über die gleichen Rechte. Ich habe mit ja gestimmt, nun hängt es von B ab.« Eine zweite Frau, ebenso nackt und schön wie die erste, erschien hinter dem Fenster und wurde dann wieder seinen Blicken entrückt. »Deine Entscheidung wird von Sympathie getrübt«, sagte Stimme B zu Stimme A. Der Ton klang vorwurfsvoll. »Sympathie?« fragte A verwundert. »Ja, Sympathie für den Commander. Das ist ganz klar und ungemein dumm. Du möchtest, daß er bleibt… und dein Liebhaber wird.« Stimme A schien erfreut. »Vielleicht gewöhne ich mich mit der Zeit an seine Atmosphäre. Wäre Ihnen das angenehm, Commander?«
Koenig stand knapp vor einer Explosion. »Entscheiden Sie sich. Und treffen Sie die einzig richtige Entscheidung«, sagte er in befehlendem Ton. Einen Augenblick lang herrschte Stille. »Ich lasse mich nicht von Gefühlen leiten«, sagte Stimme B gelassen. Die Stimme schlug in Koenig eine Totenglocke an. »Ich stimme mit… ›Nein‹.« Er wurde von Entsetzen erfaßt, zwang sich aber, ihnen weiter zuzuhören. Er wartete auf die nächste Chance, die ihm bei diesem makabren Spiel geboten wurde. Er konnte nicht beurteilen, ob es sich hier um eine grausame, sadistische Menschenart handelte, oder ob es ihnen an irgendwelchen lebenswichtigen Funktionen mangelte. Vielleicht waren es einfach junge, verspielte Frauen, die das Gefährliche ihres Spieles gar nicht begriffen. »Unentschieden«, erklärte Stimme A. »Wir müssen auf eine Stimmentscheidung warten.« »Stimmentscheidung?« warf Koenig in scharfem Ton ein. »Der nächste Wiedergeborene ist der Bruder des Wächters.« »Bruder desjenigen, den Ihr Pilot zu töten versuchte«, ergänzte Stimme B unheildrohend – und jetzt war Koenig sicher, daß es Grausamkeit war, was hier als wichtiges Element ins Spiel gebracht werden sollte. »Sehr unwahrscheinlich, daß er zu Ihren Gunsten entscheiden wird«, tönte die Stimme.
Nur mehr zwanzig Minuten bis zur Detonation. Bilder von der geschäftigen Tätigkeit, die in der Kommandozentrale herrschen mochte, zogen an Koenigs geistigem Auge vorbei. Yasko, die den Countdown herunter zählte. Verdeschi, der die für den Notfall vorgesehenen Maßnahmen traf, die Hauptausgänge und Schleusen zwischen
den verschiedenen Sektoren der Basis verschloß. Alle Bereiche der Mondbasis waren nämlich so angelegt, daß sie unabhängig voneinander existieren und sich selbst versorgen konnten. Wurde ein Teil beschädigt, konnten die anderen noch funktionsfähig bleiben. Helena… Sie würde die medizinischen Einrichtungen einer Kontrolle unterziehen und dafür sorgen, daß Schwestern und Rettungsmannschaften auf ihren Posten waren. Sie würde alle Punkte der Kontrolle durchgehen, in der schwachen Hoffnung, der Mond könnte eine fünf- oder sechsmal mächtigere Erschütterung als die letzte überstehen. In Wahrheit aber würde sie wissen, daß dies nicht zutraf. Die Chlordämpfe verdichteten sich hinter der Glasfront der Grotte. Die Stimmen schwiegen. Es gab nichts mehr zu sagen. Koenig wartete gespannt auf das Erwachen des Bruders des Wächters. »Commander Koenig«, ertönte unvermutet eine ältere Stimme, deren Tonfall Weisheit anklingen ließ. Koenig sah auf, von neuer Hoffnung beflügelt, er hatte das Gefühl, daß es ihm jetzt möglich sein könnte, die schwierige Lage begreiflich zu machen. »Ich bin der Bruder des Wächters, den ihr zu töten versuchtet. Es scheint mir, daß euer Schicksal in meiner Hand liegt.« »Ich habe volles Verständnis für die Notwendigkeit eurer Selbstverteidigung«, sagte Koenig, »aber wir haben keinerlei böse Absichten.« Man erkannte, wie Koenig bemüht war, die Kunst der Überredung anzuwenden. »Laßt uns in Sicherheit vorüberziehen. In wenigen Stunden werden wir für immer von eurem Planeten verschwunden sein.«
Die Stimme überlegte. »Ihr habt keine Angriffsabsichten?« »Nein.« »Ein Argument, das mir bekannt ist, Commander. Und doch habt ihr versucht, Gewalt anzuwenden!« In Koenig kochte aufgestaute Wut, aber er bezwang sich. »Gewalt, aus Verzweiflung geboren«, erklärte er. Doch die Stimme fuhr fort, als hätte sie ihn nicht gehört. »Sie verlangen, daß wir unseren Schutz aufgeben, können uns aber dafür keinen zwingenden Grund nennen.« »Ein Grund wäre, daß ihr nach Vollkommenheit strebt«, begann Koenig, dem plötzlich hunderte Gründe in den Sinn kamen. »Ja, das tun wir auf Grund logischen Vorgehens. Und logischerweise muß auch meine Antwort lauten… ›Nein‹.« In Koenig flammte heißer Zorn auf – die Wut eines gejagten, genasführten Tieres. Und wieder bezwang er sich. Paradoxerweise spürte er nunmehr unvermutet Frieden, mit Verbitterung vermengt. Es war eine Ruhe, die sich mit dem Hinnehmen des Unvermeidlichen einstellt. »Commander – Ihnen und Ihren Begleitern steht es frei zu bleiben. Sie sind hier in Sicherheit«, sagte der Mann. Aber Koenig hörte nicht mehr zu. Ihm war, als könne ihn nun nichts mehr empören oder erzürnen. Kalt starrte er in die treibenden Schwaden hinter dem Glas. »Ich möchte Ihnen eines sagen«, sagte er schlicht. »Ich möchte sagen, daß Loyalität besser ist als Logik und Hoffnung besser als Verzweiflung, Schaffen besser als Zerstören. Das wollte ich euch Vollkommenheitssuchern einmal sagen!« Damit drehte er sich um und lief wütend hinaus.
Mit kreidebleichen Gesichtern traten ihm Carter und Maya in der Pilotenkanzel des Eagle entgegen.
Carter hatte sich erholt, sah aber immer noch geisterhaft bleich aus. Seine Haut wies noch immer Flecken auf. Insgesamt machte er den Eindruck, daß ihn nur seine geistige Energie aufrechterhielt. »Wir haben Sie reden gehört«, sagte Carter. Aus seinen Worten klang Stolz wie bei vielen Menschen, die dem Tod ins Angesicht sehen. »Klang nicht schlecht! Maya und ich meinen auch, daß wir eher zurück zu Alpha fliegen und ehrenhaft sterben sollten, als hierzubleiben und einen schändlichen, feigen Tod zu erleiden. Aber…« plötzlich wirkte er wie erstarrt, »…es sieht aus, als hätten wir die Möglichkeit dazu verpaßt.« »Alpha liegt bereits außerhalb der Reichweite des Eagle«, sagte Maya als Antwort auf Koenigs entsetzten Blick. »Wir haben nicht mehr genug Treibstoff.« »Wir… werden Alpha also nie erreichen«, sagte Koenig mit versagender Stimme, von seinen Gefühlen überwältigt. »Ich…« Er war nicht mehr imstande, ein Wort herauszubringen. Die Stimme von A kam knisternd vom Bildschirm. »Commander – wenn Sie jetzt starten, wäre das sehr dumm. Sie können Ihre Basis, auf der Sie ohnehin nur der Tod erwartet, nicht mehr erreichen.« Koenig starrte den Bildschirm haßerfüllt an, auf dem die schweigenden Podeste der Kugeln in dem riesigen unterirdischen Areal zu sehen waren. Wie ein geisterhafter Schatten überlagerte Helenas schmerzhaft schönes Gesicht die fremdartige Szene. Sie rief ihn telepathisch über die einsamen Welten des Alls. Einem Impuls folgend, bückte sich Koenig und hob einen schweren Schraubenschlüssel vom Boden auf. Gegen Tränen der Angst und Verzweiflung ankämpfend, hob er das Werkzeug hoch über den Kopf und schleuderte es mit
aller Kraft gegen das Bild. Ein blendender Blitz und Splittern von Glas folgten. Der kleine Raum war von tausenden kleinen Splittern übersät. Einen Augenblick lang schien es Koenig, als verlangsamte die Zeit ihren Lauf und er stünde nun für ewig im magischen Bann des verströmenden Zeitenstromes. Maya und Carter waren vor den herumfliegenden Splittern zurückgewichen. Bar jeden Gefühls betrachtete Koenig sein Zerstörungswerk. Jetzt blieben ihnen nur mehr ein paar Minuten – den Bildschirm hätten sie ohnehin nicht mehr gebraucht. Außerdem fühlte er sich jetzt wesentlich besser. Wortlos gingen er und Carter zu ihren Sitzen. Maya stellte sich hinter Carter. Die Raketenantriebe des Eagle begannen zu dröhnen, das Schiff erbebte. Sie vergeudeten Treibstoff, indem sie das Schiff langsam abheben ließen, so daß Maya die Kanzel nicht verlassen konnte und sich anschnallen mußte. Die letzte Hoffnung der Menschheit löste sich aus dem Anziehungsbereich des Todesplaneten und ging auf Heimatkurs… Während sie flogen, schnatterten dampfgeschwängerte Stimmen in ihren Chlortanks. Vollendet geformte nackte Leiber rekelten sich verständnislos und unbekümmert in den schützenden, lebenserhaltenden Systemen in einer Welt der Fülle. Aber ein neuer, verwirrender Begriff hatte sich in ihre Betrachtungsweise eingeschlichen, der momentan ihren spielerischen Lebensstil behinderte. »Er sagte, Loyalität wäre besser als Logik«, trillerte A. »Unerklärlich – ganz unerklärlich«, erwiderte B. »Einfach unverständlich.« Aber die Stimme klang nicht so selbstsicher.
»Alpha, kommen«, sprach Koenig trocken in den Monitor der Konsole vor ihm. Auf dem winzigen Bildschirm erschien Helena – blaß, hohlwangig, von Sorgen gezeichnet. »John«, rief sie erleichtert. »Wir konnten den Kontakt nicht herstellen.« »Wir haben den Planeten verlassen«, erklärte Koenig. »Wir haben nicht einmal die Hälfte der Strecke hinter uns, außerdem leiden wir an Treibstoffmangel. Wir können euch nicht mehr erreichen. Bereitet euch auf die Katastrophe vor.« »Verstanden«, sagte Helena und unterdrückte tapfer die Tränen. »Auf Rot schalten!« »Höchste Alarmstufe!« erklang Verdeschis Stimme aus der Tiefe des Bildschirms. Das Heulen der Alarmsirene ertönte. »John«, meldete sich Helena wieder. Koenig sah sie an und schloß die Augen, zeigte damit, was er fühlte. Ihre Körper sehnten sich danach, die unendlichen Weiten des leeren Raumes überbrücken zu können. Doch sie blieben reglos. »Schalte mich in euer Innensystem ein«, sagte er. »Eingeschaltet«, meldete sie nach einer Weile. Koenig biß die Zähne aufeinander. »Hier Commander Koenig«, begann er. »In einer knappen Minute werdet ihr erneut von einer Energiewelle erfaßt. Bei dieser geringen Entfernung wird Mondbasis Alpha zerstört werden. Sollte es nicht dazu kommen – die Chance ist allerdings winzig –, müßt ihr trotzdem mit schweren Schäden rechnen, mit einer großen Anzahl von Verletzten…« Er rang um Worte. »Im Logbuch soll festgehalten werden, daß ich die Besatzung wegen ihres Mutes belobige – wegen ihrer Haltung
und der treuen Pflichterfüllung, seitdem wir den Erd-Orbit verlassen haben. Das wäre alles!« Helenas winziges Bild vor ihm zeigte, wie sie ihn bewundernd ansah. Ihre Stimme zitterte vor Rührung. »John, wir sind bereit.« »Countdown?« fragte er. »Vierzig Sekunden«, Yaskos Stimme, in asiatisch hoher Stimmlage, meldete es. »Neununddreißig… achtunddreißig…« Koenig und Helena hielten einander mit Blicken fest. Ihre Gesichter schienen in ein warmes Glühen getaucht. In einem Augenblick voller Glückseligkeit schienen sie die bevorstehende Katastrophe vergessen zu haben. Galt es doch, das Leben noch bewußt zu erfassen, solange es noch währte. Sie lächelten überirdisch. »Fünf Sekunden…« ertönte Yaskos Stimme. Sie hörten es kaum. »Detonation positiv«, schluchzte Maya, die die Instrumente des Eagle ablas. Ihr unglaubliches Gehirn rechnete blitzschnell. »In zehn Sekunden trifft uns die Druckwelle. Alpha achtzehn Sekunden später.« Stirnrunzelnd erinnerte sich Koenig an seine Pflichten. »Achtung – alles hat sich auf Zusammenprall vorzubereiten!« »Fünf Sekunden…« setzte Maya tapfer den Countdown fort. Koenig und Helena legten vor den Bildschirmen ihre Köpfe auf die verschränkten Arme. »Vier… drei… zwei… eins… zero…« zählte Koenig im Geist mit. Er entspannte sich. Der Eagle begann zu schaukeln, Koenig hörte, wie lose Gegenstände über Boden, Konsolen und Korridore des großen Schiffes kollerten, klapperten und rollten. Ein Schrei durchschnitt die Luft. Maya!
Doch dann hörte das Schaukeln auf. Es hörte ebenso unvermittelt auf, wie es eingesetzt hatte. Das Schiff ging in ruhige Fahrt über. Eine Ewigkeit saß Koenig mit gesenktem Kopf da und erwartete das Schreckliche – es gab aber keine weiteren Erschütterungen. Er fragte sich schon, ob sich ihre Instrumente vielleicht geirrt hätten, falls die Explosion noch kommen sollte. Es geschah nichts. Erstaunt hob er den Kopf. Helena hielt den Kopf noch immer gesenkt. Maya und Carter sahen sich, von der Stille betroffen, um. Carter fühlte, wie Freude in ihm aufwallte, aber er wollte sich vergewissern, ob die guten Neuigkeiten, die er mitteilen wollte, auch stimmten. »Was ist denn passiert?« fragte er daher erstaunt. Er machte ein Gesicht, als hätte er das Gefühl, er müßte eigentlich tot sein. Maya überflog die Instrumente. »Das ganze war genau dosiert«, sagte sie atemlos, »gesteuert… es reichte nicht aus, um zu zerstören, es reichte nur…« »Überprüfen!« mahnte Koenig jetzt eindringlich. Sie sah noch einmal nach. »Es war ausreichend, um unsere Geschwindigkeit auf 804 zu steigern – und damit reicht es – wir können jetzt Alpha erreichen!« rief sie aus. Der erregte Wortwechsel ließ Helena im Bildschirm den Kopf erheben. Sie schien ungemein erleichtert. »John – ist es wahr?« »Es stimmt!« jubelte Koenig. Er stand auf und sprang durch die Kabine. Maya und Carter folgten seinem Beispiel.
»Hoffnung ist mehr als Verzweiflung…« zitierte Carter, während sie einander umarmten und Freudentänze aufführten. »Und Schöpfung besser als Zerstörung…« sang Maya lachend. Aus dem Monitor auf der Konsole drang jetzt erleichtertes Stimmengewirr, als auf Mondbasis Alpha der Freudentaumel ausbrach.
IX
Es kamen zehn Tage des Friedens für die Mondbasis. Zehn Tage, um die beschädigten Einrichtungen und Ausrüstungen instandzusetzen und die Moral aufzurüsten. Zehn Tage, um die Schäden an den lebenswichtigen, lebenserhaltenden Systemen zu beheben, von denen viele den Dienst aufgegeben hatten, wodurch in gewissen Bereichen schlechte Luftverhältnisse herrschten und teilweise nicht geheizt werden konnte. Tage, in denen die hydroponischen Anlagen, wo die Alphaner sich ihre Nahrung schufen und sich ihres Abfalls in nachahmenswerter ökologischer Weise entledigten, wieder auf ihre vorherige Leistungsfähigkeit gebracht wurden. Eine Zeit, in der sie wieder ihre bescheidenen Mahlzeiten genießen konnten, ohne sich darum sorgen zu müssen, was damit geschehen sollte, nachdem sie gegessen hatten… Eine Zeit, in der Helena half, die Verletzten wiederherzustellen, viele auf die Beine zu bringen und ihre geschwächten Kräfte wieder herzustellen, in der Helena und Koenig sich ein wenig der Liebe hingeben konnten, und in der Maya und Tony Verdeschi einander fanden. Tage, in denen das Leben auf Mondbasis Alpha normal verlief, einer Basis, die von Intelligenz und hochentwickelter Technik abhängig war, verurteilt, um die bloße Existenz kämpfen zu müssen und außerstande, so zu leben, wie sie gern gelebt hätten…
»Wir fliegen nun sechs aufeinanderfolgende Tage durch den tiefen Raum, in einem Gebiet, in dem die Sterne so dicht stehen, daß wir ständig in ein wunderbares, blaues Licht getaucht sind«, diktierte Helena in ihr Tonband. Sie saß auf der Bettkante in ihrem Quartier, tief in Gedanken versunken. »Auf der Krankenstation liegen keine Patienten mehr, sämtliche lebenserhaltenden Systeme funktionieren einwandfrei, und das uns umgebende Universum ist unbeschreiblich friedlich – eine willkommene Abwechslung nach den eben beschriebenen Schrecken. Unsere einzige, alles beherrschende Hoffnung auf Alpha war es immer, daß wir eines Tages unsere Mondeinheit verlassen und uns auf einer erdähnlichen Welt niederlassen können. Heute haben unsere Sensoren einen mittelgroßen Planeten im nördlichen Quadranten ausgemacht, mit einer an Vegetation reichen Oberfläche. Unser glühender Wunsch ist es nun, daß er sich als bewohnbar erweisen möge.« Sie hielt inne und überlegte, was es noch zu sagen gäbe, unterbrach dann aber ihre Tätigkeit. Nun, da eine Zeit gekommen war, da sie sich den Luxus von Tagebuchaufzeichnungen leisten konnte, hatte sie bereits den ganzen Tag damit zugebracht und war nun müde. Sie beendete ihr Diktat: »Mondbasis Alpha – Standortbericht, 1229 Tage seit dem Verlassen der Umlaufbahn um die Erde. Dr. Helena Russel, Berichterstatterin.« Dann schaltete sie das Diktiergerät ab. Sie trat jetzt an den Spiegel des Toilettentisches und sah hinein. Ihr Lippenstift war verschmiert. Sie formte die Lippen zu einem O und strich mit den Fingern darüber. Sie lockerte ihr Haar an den Seiten auf, drehte und wendete sich und betrachtete fachmännisch ihr Profil.
Dann begutachtete sie ihre gesamte Erscheinung, strich sich über den Körper, befühlte die Hüften und glättete das Kleid. Sie war mit dem Eindruck zufrieden, sperrte die Tür auf und begab sich selbstzufrieden in die Kommandozentrale. Auf dem Bildschirm in der Kommandozentrale war Verdeschis Gesicht zu sehen, welches aus der Pilotenkanzel des instandgesetzten Eagle Eins überspielt wurde. Bei Verdeschi befand sich noch Maya und ein ausgeruhter Commander Koenig – sie umkreisten mit Eagle Eins den neu entdeckten Planeten. »Maya – wie sind die Sensorenwerte?« sprach Koenig in seinen Monitor. Mayas Stimme meldete aus dem rückwärtigen Passagierabteil: »Oberflächentemperatur 27 Grad, Atmosphäre zum Atmen geeignet.« »Dann gehen wir nieder, Tony«, sagte Koenig. Tony nickte und wollte schon das Landungsmanöver einsetzen, als ein rotes Warnlicht vor ihm zu blinken begann. Dies ärgerte Tony mehr, als daß es ihn beunruhigte. »Das Lebenserhaltungssystem ist nicht in Ordnung – ein Sauerstoff leck«, sagte er. Mit ärgerlicher Miene betätigte Koenig hinter ihm den Computer, riß den Streifen mit den Computerwerten heraus und las. »Es reicht nur noch für vier Stunden bis zum kritischen Grenzwert. Verdammt! Und ich dachte, das blöde Schiff wäre gründlich überholt worden!« »Sollten wir das Unternehmen abbrechen?« fragte Verdeschi niedergeschlagen. Koenig schüttelte den Kopf. »Nein. Ich setzte euch auf dem Planeten ab und kehre allein zu Alpha zurück und hole einen anderen Eagle. Sie und Maya
werden inzwischen eine vorläufige Besichtigung des Planeten vornehmen, bis ich wiederkomme.« Verdeschi schien erstaunt. »Ich und Maya? Ist heute mein Glückstag?« »Ein reiner Arbeitstag! Und jetzt los, ehe ich mein Vorhaben ändere«, sagte Koenig gutgelaunt. Das brauchte man Verdeschi nicht zweimal zu sagen. Koenig hielt sein Gesicht vor den Bildschirm und blinzelte Helena zu. Sie lächelte verständnisvoll – im geheimen Einverständnis mit ihm. Sie hatte nämlich Koenig überredet, das nächste Erkundungskommando zu übernehmen, statt bei ihr zu bleiben. Und dabei womöglich Maya eine Chance des Zusammenseins mit Verdeschi zu geben. Die Psychonerin und der Sicherheitschef hatten sich Hals über Kopf ineinander verliebt. »Mondbasis Alpha an Commander Koenig«, rief Yasko von ihrer Konsole aus, ohne eine Aufforderung abzuwarten. »Alpha ist bereit, Eagle Eins aufzunehmen.« Sie lächelte – das Lächeln einer schönen, geheimnisvollen Lotosblüte. Üppiges, grünes Land, reich an Laub und Blumen, umgab Maya und Verdeschi. Die verschiedenen Grünschattierungen leuchteten unglaublich frisch und intensiv, die Buntheit und Vielfalt der Blumenfarben war atemberaubend, ja betäubend. Die Luft war duftgeschwängert. Es war warm und feucht. Sie wandelten zwischen hängenden, farnartigen Pflanzen, gestreift mit strahlenden Blütenblättern von ätherischer Leuchtkraft. Merkwürdigerweise überfiel sie jetzt großes Heimweh. Verdeschi das Heimweh nach der Mutter Erde und Maya nach Psychon, wie es ihr toter Vater ihr einmal beschrieben hatte. Sie vergaßen, weshalb sie hier waren. Sie vergaßen wenige
zeitlose Stunden lang Mondbasis Alpha, lagen auf einer Lichtung beisammen, dösten und ließen sich in delirienhaften Träumen vom Glück treiben. Dann erkundeten sie das Land, wie ,Alice im glücklichen Wunderland’ zu zweit. Erinnerungen an ihre fernen Kindheiten tauchten auf, als alles so viel besser schien, als es jetzt war. Allmählich wurden sie gewahr, daß es hier kein Vogelgezwitscher gab, kein träges Insektengesumme, kein Knistern und Rascheln im Unterholz. »Keine Konkurrenz«, sagte Verdeschi lachend. »Ideal für uns!« »Warte ab, bis wir den Commander erreichen«, rief Maya wie ein begeistertes Kind. Sie überprüfte die Pflanzen mit ihren Instrumenten. »Hm – eßbar!« sagte sie. »Diese herrlichen Früchte schmecken sicher wunderbar.« Verdeschi stellte den Kontakt mit Koenig her und erstattete Meldung. »Was habt ihr denn getrieben?« fragte Koenig ärgerlich. »Ihr habt die Verbindung unterbrochen gehabt… das ist nicht erlaubt.« Milder gestimmt fuhr er fort: »Yasko wird alle dreißig Minuten Kontakt mit euch aufnehmen, verstanden?« »Zu Befehl, Sir!« Verdeschi stellte das Gerät ab und grinste Maya an. »Er weiß jetzt wenigstens Bescheid.« Er sah der Psychonerin bei ihrem Tun zu. Eben war sie dabei, eine Handvoll roter Beeren zu verzehren. »Wir haben noch gar nicht gekostet«, sagte er und pflückte ein paar Beeren. Eben wollte er sie in den Mund schieben, als ein Schmerzensschrei die Luft durchschnitt. Der Schrei schien von dem Strauch auszugehen, der die Beeren trug.
Er schrillte über das stille Waldgebiet, und Verdeschi und Maya wichen erschrocken zurück. Verdeschi sah schuldbewußt seine Hände an. Die Beeren, die er fallen gelassen hatte, hatten sie rot gefärbt. »Kannibalen, Mörder!« dröhnte eine grollende Donnerstimme vom Himmel. Sie sahen sich nervös um, sahen aber nur die Sträucher, Blumen und Bäume, die einen entfernten Hügelzug bedeckten. Doch der Garten Eden hatte nunmehr etwas Bedrohliches angenommen. »Ihr werdet bestraft…« brüllte die Donnerstimme. Die Stimme schien von den Hügeln herzukommen, die sie nun erschrocken betrachteten. »… wie es Kannibalen und Mörder verdienen…« Am Horizont zogen bedrohliche Wolken auf. Das Gewölk über ihnen begann zu kochen und zu brodeln. Wind setzte heulend ein, der die Vegetation um sie stürmisch peitschte. Gezackte Blitze schossen, gegen sie gerichtet, aus den Wolken hervor. Sie klammerten sich aneinander, von einem warmen, schweren Regen bis auf die Haut durchnäßt, bebten vor Angst unter den betäubenden Donnerschlägen, die den ganzen Planeten zu erschüttern schienen. Dann ließen sie einander los, liefen atemlos durch das Gehölz und suchten einen schützenden Unterschlupf. Blindlings bahnten sie sich den Weg durch die nassen, klatschenden Pflanzen, trampelten, stolperten und taumelten, bis sie endlich einen kleinen, spitzen Felsen erreichten, der aus der düster gewordenen Vegetation herausragte. Verdeschi entdeckte die dunkle Öffnung einer Höhle im Felsen, sie hielten verzweifelt darauf zu und stürzten hinein. Nach einer kurzen Rast zog Verdeschi sein Funkgerät heraus und sprach mit höchster Dringlichkeit hinein.
»Mondbasis Alpha, hier Verdeschi…« Aus dem Himmel zuckten Blitze und tauchten die Höhlenwände in ein kaltes, stroboskopisches Flackern. Der Apparat schien tot. »Mondbasis Alpha… kommen!« versuchte Verdeschi, das Donnergrollen zu übertönen. »Es hat keinen Zweck, Maya – die Verbindung ist unterbrochen.« Er wollte eben das Gerät zu Boden schleudern, als der Bildschirm aufleuchtete. Er starrte hinein, und es befiel ihn kaltes Entsetzen, als er ganz deutlich drei baumartige Wesen darauf erkannte. Wieder erklang die Donnerstimme, und eines der Baumwesen bewegte sich dabei, als wäre es der Sprecher. »Mörder! Das war die letzte Verbindung mit Alpha!« brüllte er. Maya war entgeistert. Entsetzen und Empörung mischten sich in ihr. »Wer seid ihr?« rief sie. »Wir sind die Richter von Luton!« dröhnte die Stimme. Maya war verwirrt. »Ich verstehe nicht, was wir verbrochen haben sollen.« »Ihr habt Formen des Lebens dieses Planeten zerstört…« »Wir pflückten bloß eine Handvoll Beeren!« rief Verdeschi als Erwiderung. »Das ist eben euer Verbrechen. Ihr habt Mitglieder unserer Gesellschaft getötet.« Verdeschi und Maya waren fassungslos – teils wegen ihrer Lage, teils wegen ihres Verbrechens, das sie unwissentlich begangen hatten. »Wir wußten doch nicht…« setzte Verdeschi an, der sprechende Baum aber unterbrach ihn.
»Nun, wir sind nicht ohne Erbarmen«, dröhnte er etwas milder, »auch mit Verbrechern solchen Ausmaßes…« Maya sagte demütig. »Bitte, glaubt uns… Falls wir ein Verbrechen begingen, trägt daran nur unsere Unwissenheit die Schuld!« »Hm… ihr bekommt die Chance, eure harmlosen Absichten unter Beweis zu stellen.« Verdeschi blickte mit einem Anflug von Dankbarkeit hoch. »Danke«, sagte er, obwohl er nicht recht wußte, wofür er eigentlich dankbar sein sollte. Ein besonders lauter Donnerschlag ertönte, und ein blendender Kugelblitz entströmte dem Himmel und beleuchtete hell das Innere ihres Schlupfwinkels. Wie durch ein telepathisches Signal aufgeschreckt, wandten sie sich um. Inmitten der flackernden Schatten standen drei unheimliche, scheußliche Ungeheuer in der Höhle. Ausmaß und Form waren gargantuesk. Der eine sah wie aus Stein gehauen aus. Er wirkte annähernd menschlich, die stark ausgeprägten Muskeln jedoch machten seinen Körper unförmig. Und in seinem zerknitterten, zerfurchten Gesicht glänzte ein einziges, rundes Auge. Sein abartig geformter Körper war mit einer feinen, silbrigen, hautengen Membrane bekleidet. Der zweite war groß, aber skelettartig mager und dünn wie ein Streichholz. Schmale, vortretende Augen brannten in einem Totenschädel. Die Haut, die sich über die Knochen spannte, war mit Warzen und schuppenartigen Flechten übersät. Der dritte war kurz und gedrungen. Seine Haut starrte vor scharfen, nadelartigen Haaren, der übergroße Kopf glotzte sie ausdruckslos an, seine Augen bedachten sie mit haßerfüllten Blicken. Seine schaufelartigen Hände schwangen drohend und
ruckartig entlang seiner Körperseiten, so daß Verdeschi und Maya entsetzt zurückwichen. Von Furcht erstarrt, verließen sie die Höhle und traten hinaus in den strömenden Regen. »Das sind eure Gegner«, verkündete die Donnerstimme mit der Endgültigkeit eines Richterspruches. »Es sind Fremdlinge – der Starke, der Unsichtbare und der Bewegliche. Auch sie sind Verbrecher aus dem Weltraum, die unsere Gesetze verletzt haben. Auch sie redeten sich mit Unwissenheit heraus und erklärten sich für unschuldig. Eure Unschuld wird nun in einem Kampf geprüft. Die Überlebenden gewinnen die Freiheit wieder.« Ein Brüllen, Ächzen und Quietschen drang aus der Höhle, und die drei verzweifelten Streiter hüpften, hinkten und rollten aus der Höhle und zwangen Maya und Verdeschi auf eine Lichtung. Der Starke tobte seine Körperkraft am Felsen aus, riß riesige Stücke heraus und schleuderte sie zu Boden. Nachdem er seine hirnlosen Künste zur Schau gestellt hatte, riß er weitere Felsstücke heraus und reichte sie seinen scheußlichen Gefährten weiter. Brüllend und kreischend hielten die Fremdlinge ihre kruden Waffen in die Höhe und bewegten sich unter der Anführung des Starken auf Verdeschi und Maya zu. Die entsetzten Alphaner zogen die Laserwaffen und feuerten. Dünne Lichtpfeile trafen die sich nähernden Ungeheuer – zeigten jedoch keinerlei Wirkung. »Laufen!« rief Verdeschi. Und sie liefen – mit größerer Behendigkeit als ihre Gegner – und suchten Schutz im Gestrüpp. Die Fremdlinge kamen stolpernd und polternd hinterher, verloren jedoch ihre Spur.
»Wir brauchen Waffen«, sagte Verdeschi und sah sich auf dem mit faulendem Gehölz übersäten Boden des Dickichts um, in das sie sich geflüchtet hatten. Er hob einen solide aussehenden Holzprügel auf. Er erwies sich als leicht wie Papier, war verfault. Das Holz zerbrach in zwei Teile, als er es zu Boden schleuderte. »Wenn wir einen Ast abbrechen, einen Baum verletzen, werden sie uns erbarmungslos verurteilen«, bemerkte Maya voll Bitterkeit. Und Verdeschi nickte grimmig. »Und wenn wir Hunger bekommen, gibt es für uns nichts zu essen.« Das Heulen und Brüllen der Fremdlinge kam immer näher und trieb sie weiter in die Flucht.
»Eagle Eins… alles klar zur Landung«, rief Yasko ins Mikro. Koenigs Gesicht erschien auf dem großen Bildschirm. »Danke, Alpha«, sagte er. »Habt ihr den zweiten Eagle, den ich anforderte?« »Startklar, John«, rief Helena dazwischen. Sie war hinter Yasko aufgetaucht und lächelte ihm ernst zu. »Sobald du die Startrampe freigibst.« Helena sah auf die Uhr und wandte sich an Yasko. »Höchste Zeit, Tony und Maya zu kontrollieren«, sagte sie. Yasko unterbrach die Verbindung zu Koenig und betätigte mit ihren braunen, schlanken Fingern andere Knöpfe. Dem Solarium der Mondbasis war es zuzuschreiben, daß ihre Bräune nicht schon längst verblichen war. »Mondbasis Alpha an Tony Verdeschi«, rief sie mit ihrer Sing-Sang-Stimme. Sie wartete. Sie wiederholte den Anruf – noch immer keine Antwort. Die zwei Frauen wechselten beunruhigte Blicke.
»Bringen Sie den Planeten ins Bild«, sagte Helena, worauf Yasko weitere Knöpfe drückte. »Mondbasis Alpha an Tony Verdeschi… kommen!« Das Bild einer Galaxis erschien auf dem Bildschirm. Helena schüttelte den Kopf und verzog das Gesicht. Yasko betätigte andere Knöpfe. Noch immer kein Planet. »Sollte aber da sein…« sagte Yasko stirnrunzelnd. »Er muß da sein!« rief Helena in großer Angst. »Überprüfen Sie den Scanner!« Die Asiatin kam der Aufforderung nach, aber ohne Ergebnis. »Die Sensoren liefern keine Meßwerte«, informierte sie Helena. Sie dachte an John, der eben starten mußte, und ließ ihn auf dem Bildschirm erscheinen. Er war bereits in das andere Schiff umgestiegen und stand kurz vor dem Start. »Eagle Vier startklar«, meldete sich Koenig. »Eagle Vier – Mission widerrufen!« rief Yasko in befehlendem Ton. Eine kleine Pause, und dann der verwunderte Ausruf Koenigs. »Was?« »Widerrufen!« wiederholte Yasko. »Aber ich muß doch Tony und Maya von diesem Planeten abholen.« Koenig war wie vor den Kopf geschlagen. Helena beugte sich in höchster Besorgnis vor. »John, das wissen wir – aber wir wissen nicht, wo sich der Planet befindet!« Kühles, klares Wasser umschäumte und umbrauste die beiden. Von der Gischt abgesehen, war der Fluß klar und blau und strömte kraftvoll über ein moosiges, felsiges Flußbett. Das Gewitter hatte sich verzogen, der unmittelbare Zorn der Richter war offenbar verraucht. Das Laub dampfte unter der Sonne, der Himmel leuchtete wieder blau und klar. Schwimmend erreichten sie das andere Ufer und krochen triefend und erschöpft aus dem Wasser. Müde schleppten sie
sich auf ein Gebüsch zu und warfen einen Blick auf den Fluß zurück. Drüben, am anderen Ufer, brachen die drei Fremdlinge knisternd aus dem Dickicht und sahen sich drohend um. Die Steine hatten sie durch wirksamere, graue, lanzenartige Kristalle von mehreren Fuß Länge ersetzt. Das Wasser floß geschäftig zu ihren Füßen dahin und sandte Schaumspritzer in die Luft. Anstatt hineinzuwaten, hielten sie am Rande des Flusses an. Es war unglaublich – sie schienen verstört zu sein. Verdeschi erfaßte die Gelegenheit, auf die er gewartet hatte. Er stieß Maya leicht an und bedeutete ihr zu bleiben, wo sie sich befand. Dann durchbrach er das Gebüsch und zeigte sich kühn. »Hört mich an!« rief er den Fremdlingen über das Rauschen des Flusses hinweg zu. »Wir haben doch keine Ursache, uns zu bekämpfen…« Er machte eine Pause. Ob sie ihn wohl gehört hatten? Und wenn ja, hatten sie verstanden, was er sagte? Die monströsen Wesen sahen aber nicht so aus, als hätten sie zugehört, oder auch nur die Absicht gehabt, zuzuhören. Sie liefen vielmehr verzweifelt auf und ab und suchten nach einer Möglichkeit, den Fluß zu überqueren. Verdeschi unternahm noch einen Versuch. »Laßt nicht zu, daß der Richter uns auf diese Weise los wird… Hört auf mich!« »Vielleicht verstehen sie unsere Sprache nicht«, kommentierte Maya aus ihrem Gebüsch heraus. »Aber sie müssen doch merken, daß wir mit ihnen reden wollen. Warum äußern sie sich nicht?« »Vielleicht liegt es nicht in ihrer Natur«, murmelte Verdeschi ergrimmt vor sich hin, während er die Szene weiter betrachtete. Die exotischen Fremdlinge hatten aufgegeben und
zogen sich wieder ins Grüne zurück. Offenbar hatten sie einen neuen Angriffsplan entwickelt. Er ging zu Maya. »Der Fluß verschafft uns eine kleine Atempause«, sagte er. »Sie werden jetzt versuchen, irgendwie über den Fluß zu kommen. Es wird eine Weile dauern, bis sie uns einholen. Wir müssen uns inzwischen eine Verteidigung zurechtlegen.« Sie begaben sich weiter hinein in das Gebüsch. Die niedere Vegetation wurde bald von einer Art primitivem Wald aus nacktsamigen Pflanzen ersetzt. Farnartige Bäume ragten hoch über ihnen, ihre langen Wedel hingen tief herunter und streiften beinahe ihre Köpfe. Ranken und Schlingpflanzen wanden sich um die rauhen Borken und nährten sich nach Parasitenart von den Früchten, um ganz nach oben zu gelangen und das benötigte Licht und Nahrung zu erlangen. Sie stießen auf das Skelett eines großen dinosaurierartigen Tieres. Es war moosbedeckt und war von den Ranken eines Baumes an einen der dicken Stämme gefesselt. Verdeschi starrte es unbewegt an. »Was ist denn?« fragte Maya. Er runzelte die Stirn. »Es gibt hier keine Anzeichen tierischen Lebens – und mir scheint, daß diese Schlingpflanzen der Grund dafür sind.« »Die Pflanzen sollten das Tier absichtlich getötet haben?« fragte Maya verwundert. »Sagen wir lieber, sie haben einen natürlichen Feind ausgeschaltet«, sagte Verdeschi zynisch. Sein Funkgerät piepste, und er nahm es aus dem Behälter. Wieder erschienen auf dem Bildschirm die drei Richter. Erregt schwenkten sie ihre Äste. »Verdeschi, Sie vergeuden kostbare Zeit«, beschuldigte ihn eine der Baumgestalten. »Seht lieber zu, daß ihr mit dem Leben davonkommt.«
»Warum müssen wir töten, um unser Leben zu retten?« klagte Maya. »Das gilt heutzutage als unehrenhaft.« »Weil es zu den Regeln unseres Planeten gehört, zu den Regeln von Luton.« »Wir unterwerfen uns diesen Regeln nicht!« rief Verdeschi zornig. »Sie sind schlecht und grausam!« »Grausam? Schlecht?« Mehrere Stimmen waren es, die das aussprachen. Sie klangen erstaunt und erzürnt zugleich. »Wir können stolz sein auf unsere Gerechtigkeit und unsere Fairneß.« »Und als Beweis unserer Fairneß«, sagte einer der Richter, »gaben wir euren Gegnern Fähigkeiten, sich mit euch zu messen. Ansonsten wäre der Wettkampf zu einseitig ausgefallen.« »Wir werden nicht kämpfen«, sagte Verdeschi mit Nachdruck. »Wir werden uns nicht beugen.« Doch der erste Richter unterbrach ihn. »Töte oder stirb!« grollte seine Stimme kalt, mit einem Anflug von Sarkasmus. Und dann erlosch der Bildschirm. »Und ich dachte, Sie wären gegen das Töten«, sagte Maya zu Verdeschi. »Auf diesem Planeten stellen Tiere eine niedrige Lebensform dar«, erwiderte er. »Wenn wir uns gegenseitig töten, ist das für sie nur wünschenswert.« »Ich möchte wissen, welche Eigenschaften man unseren Gegnern verliehen hat«, sann Maya nach. »Drei gegen zwei – das scheint noch nicht ungünstig genug zu sein, nehme ich an. Ich nehme an, daß ein Löwe oder Tiger hier die Chancen ausgleichen könnte…« Verdeschi schüttelte den Kopf. »Der Starke würde dich in Stücke reißen, wenn du in seine Nähe kommst, in jeder Gestalt, die du annimmst. Aber da habe
ich eine Idee! Wir könnten uns deine Fähigkeiten zunutze machen und uns doch einen Vorteil schaffen.« Maya lächelte verständnisinnig. Ihr körperliches Ich begann zu zerfließen und löste sich wieder einmal in Nichts auf. Die Moleküle, aus denen sie zusammengesetzt war, verflüchtigten sich nicht, sondern wurden durch die Willenskraft ihres ununterbrochen weiterbestehenden und in Tätigkeit befindlichen Verstandes zusammengehalten. Allmählich spürte sie, wie sie aus dem Zustand der Unbestimmbarkeit wieder Form annahm. Sie hockte sich arrogant auf Verdeschis ausgestreckten Arm und schlug mit den schneeweißen Flügeln. Verdeschis Gesicht, das ihr riesig vorkam, lächelte ihr zu. »Los geht’s«, sagte er und hob den Arm. »Halte dich bloß nicht zu lange an einer Stelle auf!« Sie flog los und gewann, gegen die Luftströmung kämpfend, rasch an Höhe, fühlte, wie die Luft an ihrem Körper entlangstrich. Bald lagen beide Flußufer weit unter ihr. Es schien, als wäre sie jetzt allen Problemen entflohen, und einen Augenblick gestattete sie sich das Vergnügen, durch die Lüfte zu gleiten und zu schweben. Dann hielt sehr sie scharf auf die von den Fremdlingen eingeschlagene Richtung zu. Sie erkannte die Route sehr schnell und leicht an der sehr zertrampelten Vegetation, die sie hinterließen. Es erschien ihr paradox, daß die auf Luton existierenden Lebensgestalten sie und Tony anklagen, weil sie ein paar Beeren gepflückt hatten, daß sich diese Richter aber ungerührt zeigten, wenn die exotischen Fremdlinge eine große Anzahl von Pflanzen aller Art zertrampelten. Es bestärkte sie in der Meinung, daß die Richter nur nach einem Vorwand suchten,
strafen zu können, in Wirklichkeit aber damit nur ihren sadistischen Blutdurst stillen wollten. Unten kamen jetzt zwei dieser Fremdlinge in Sicht, und sie ließ sich hinabgleiten. Die beiden standen am Fuße eines Riesenexemplars von einem Nadelbaum und starrten zu den sehr hohen Ästen empor. Es war der größte Baum in der Umgebung und überragte alle seine Nachbarn um ein sehr großes Stück. Sie flog näher und landete leise auf einem Ast. Jetzt bemerkte sie, daß der plumpe, abstoßende »Bewegliche« in einer Astgabel ruhte. Er starrte über den Fluß und versuchte wohl zu erspähen, wohin sie und Tony sich gewandt hatten. Die stachelige, gedrungene Kreatur schien alles Wissenswerte gesehen zu haben. Er winkte nun seinen anderen Gefährten mit einer sehr unbeholfenen Bewegung, begann aber dann mit einer beängstigenden Behendigkeit und Geschwindigkeit, den Baum hinunterzuklettern, in dem er sich von Ast zu Ast schwang und schließlich schwer und gewichtig zu ihren Füßen hart auf den Boden plumpste. Sie berieten sich nun, und Maya flog tiefer, um besser sehen zu können. Sie kam noch rechtzeitig, um zu sehen, wie der »Starke« die steinerne, kristallene Lanze des »Beweglichen« aus dem Nadelteppich unter den Bäumen hervorzog. Sein fetter, unförmiger Arm wies zum Fluß hin. Der Bewegliche nahm die ihm gereichte Lanze und nickte zu den Grunztönen des anderen. Dann begann seine unförmige Gestalt zu flimmern, und er hörte zu existieren auf.
Voll Entsetzen mußte Maya erkennen, daß der Fremdling die Macht der Tele-Transportation besaß – eine Art Psi-Transport, der ihr nicht unbekannt war, den sie aber leider nicht beherrschte – und sie flog eilig fort und betete darum, Verdeschi noch rechtzeitig zu erreichen.
X
Mit ungeübten Armbewegungen begann der Sicherheitschef, Steine gegen den dicken Stamm des Baumes zu werfen. Zu seinen Füßen lag ein kleiner Haufen von Steinen und Felsbrocken, die er gesammelt hatte, die meisten mit einem spitzen Stock aus der Erde gegraben. Er hatte einige Zeit damit verbracht, sich während Mayas Abwesenheit in der dschungelartigen Umgebung nach Waffen umzusehen. Abgestorbene Ranken, welche die Bäume in Hülle und Fülle bedeckten, hatten sich als zu spröde erwiesen, um als Schlingen verwendet zu werden. Die meisten Stöcke waren – bis auf einen – verfault. Zwar glaubte er nicht mehr, daß das Ausreißen von Pflanzen den Eingeborenen von Luton als schweres Verbrechen erscheinen würde, wie man ihn zunächst glauben machte, aber er achtete doch sorgsam, daß er keiner Pflanze etwas zuleide tat. Das Krachen eines Zweiges hinter ihm bewirkte, daß er sich blitzschnell umdrehte. Ein vager, verschwommener Schatten war inmitten der Vegetation aufgetaucht. Während er hinsah, nahm dieser allmählich die Gestalt des scheußlichen unbekannten Beweglichen an. Verdeschi schnappte nach Luft, so unvermutet traf ihn dieses Auftauchen. Er sah sich verzweifelt nach den anderen zwei Angreifern um, die schienen aber nicht in der Nähe zu sein. Impulsiv drehte er sich um und schleuderte die gesammelten Steine gegen die häßliche Kreatur.
Nur einer der Steine traf sein Ziel, und der Fremdling rieb sich die Haut an jener Stelle, wo das Geschoß getroffen hatte. Dann hob er mit wildem Ausdruck seine gefährlich aussehende Lanze und bewegte sich behende auf sein Opfer zu. Verdeschi taumelte rücklings, um dem tödlichen Streich auszuweichen, dabei stolperte er über den Stamm eines verrottenden Baumes und fiel hilflos zu Boden. Die scharfe, rauhe Lanzenspitze schwebte über seiner Brust, zum Todesstoß erhoben. Er war auf den Tod gefaßt. Während sich die Mordspitze in den Riesenhänden des Unbekannten senkte, hörte man aus der Luft ein schrilles Kreischen. Ein weißer Falke wurde sichtbar. Er kam im Sturzflug herunter, griff das Gesicht des unbekannten Beweglichen an und riß das Fleisch mit den Krallen auf. Der Unbekannte heulte vor Wut und Schmerz, und die Bahn der Lanze wurde abgelenkt. Sie bohrte sich in den Baumstamm, knapp neben Verdeschis Körper. Der Sicherheitschef stand rasch auf. Er warf sich mit dem ganzen Körper dem Unbekannten entgegen und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Doch hatte sich dieser bald wieder gefangen und erhob seine Lanze erneut in Verdeschis Richtung. Wieder stieß er den Arm mit unmenschlicher Kraft vor. Aber diesmal wurde er von einem furchteinflößenden Grollen an seiner Seite gestört, und wieder wurde die Lanze vom eigentlichen Ziel abgelenkt. Eine riesige, gorillaähnliche Gestalt mit horngeschmücktem Schädel war aufgetaucht. Sie hielt aggressiv auf den unbekannten Beweglichen zu, groß, mächtig und drohend. Der Unbekannte wich zurück. In seinem Blick zeigte sich Angst.
Die zwei Wesen sahen einander einen Augenblick lang an, doch dann entschied der vierschrötige Unbekannte, daß sich ein weiteres Verweilen nicht lohnte. Vor den Augen des schwankenden Verdeschi begann er, sich in die dunstgeschwängerte Welt zurückzuverwandeln, aus der er gekommen war. »Halt ihn auf!« Verdeschi hatte seine Stimme wiedergefunden. »Wir müssen mit ihm reden!« Doch das nützte nichts mehr. Der Unbekannte war verschwunden. Verdeschi drehte sich um und fand sich von Maya beobachtet. Zunächst war sie belustigt, doch dann zeigte sich höchste Besorgnis in ihrem Blick. »Was ist denn das? Du bist verletzt!« rief sie. Sie kam auf ihn zugelaufen und berührte seine Schulter. Verdeschi zuckte vor Schmerz zusammen, als er an seine Verletzung erinnert wurde. Die Lanze war zwar von seiner Brust abgelenkt worden, hatte sich aber in seine Schulter gebohrt. Blut färbte sein Gewand. Die Wunde pulsierte und stach und schwächte ihn spürbar. »Leg dich hin«, befahl Maya ernst. Er tat, wie ihm geheißen, und sie riß ihm Stoff aus der Kombination und verschwand damit zwischen den Bäumen. Gleich darauf war sie wieder zur Stelle. Sie hatte aus dem Material einen Ballen geformt und ihn mit Wasser getränkt. Er lag dankbar da und ließ sich mit dem kühlen Material den brennenden Arm abtupfen. Bewundernd betrachtete er ihr Profil, während sie, seiner Aufmerksamkeit gar nicht bewußt, eifrig am Werk war. »Nun kennen wir die Fähigkeiten, die die Richter zweien der Unbekannten verliehen«, sagte er ironisch. Maya nickte und richtete sich auf. »Der eine ist so stark, daß er Berge in Stücke reißt und meinen armen Tony dazu«, fügte sie zärtlich hinzu und gab
ihm einen Kuß. »Den anderen machten sie beweglich… was seinem Namen entspricht.« »Maya, du bist wunderbar«, sagte er. »Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll.« Er hielt sie fest und erwiderte den Kuß. »Nichts zu danken«, flüsterte sie ihm ins Ohr. »Na gut… dann danke ich dem Vogel für seine scharfe Sicht und dem Gorilla für sein Gebrüll. Autsch!« »Ich muß die Blutung stoppen«, sagte sie wieder in ihrer Pflegerinnenrolle. »Hör mal!« Beide lauschten. Vom Fluß her hörten sie Schläge und Krachen, gefolgt von einem weit hallenden Plantschen. Verdeschi kämpfte sich auf die Beine hoch. »Muß doch nachsehen, was sie vorhaben«, sagte er mit schmerzverzerrtem Gesicht. Er spürte das Blut im Kopf hämmern. Er kämpfte sich durch das Buschwerk, gefolgt von der ängstlichen Maya. Sie erreichten den reißenden Fluß und sahen in beide Richtungen. Flußaufwärts trieben die Unbekannten auf einer Vorrichtung im Wasser und tauchten riesige Äste in die schäumenden Fluten. Ein Blick genügte, und die beiden zogen sich wieder auf die Lichtung zurück. Verdeschi bückte sich nach der Kristallanze des unbekannten Beweglichen. »Die ist viel zu schwer für dich«, sagte Maya und hob sie selbst. Doch sie spürte sofort, daß das Ding auch für sie zu schwer war. »Verschwende nicht die Zeit mit Debatten«, sagte er und nahm ihr die Waffe ab. Gemeinsam bahnten sie sich den Weg zwischen den Bäumen hindurch.
Koenig starrte mit zusammengepreßten Lippen auf den Bildschirm von Eagle Vier. Auf dem schwarzen Sternenhimmel hoben sich die Umrisse des Mondes ab und wurden im Moment immer kleiner. »Eagle Vier an Kommandozentrale!« rief er in die Sprechanlage. Yaskos Gesicht nahm die Stelle des Mondes ein. »Also los, John.« »Ich kriege von meinen Sensoren keinen Wert herein.« »Das hatten wir doch erwartet«, hörte er die Stimme Helenas. Sie schien verärgert. »Und wie steht es mit euch?« fragte Koenig. »Noch immer negativ«, gab sie zurück. »Und ich bin immer noch der Meinung, daß du den Verstand verloren hast.« Aber Koenig gab nicht nach. »Wenn ich mich dem Gebiet nähere, wo ich den Planeten vermute, melde ich mich wieder«, sagte er. Helenas Mienenspiel konnte ihre Besorgnis nicht verbergen. »John, du hättest einen Co-Piloten nehmen sollen…« Koenig stieß einen schweren Seufzer aus. »Ich sagte doch, daß ich dieses Risiko niemandem zutrauen darf.« »Dann denke wenigstens daran«, sagte sie bittend, »daß du dir einen Sicherheitsspielraum lassen wolltest!« »Ich kann mich nur erinnern, daß ich Tony und Maya sagte, ich würde sie holen«, erwiderte er – obwohl er sich längst nicht so toll fühlte, wie er vorgab.
Eine felsige Geröllhalde fiel zu dem dichten undurchdringlichen Vegetationsstreifen und dem Waldgebiet darunter ab.
Verdeschi starrte glasigen Blickes auf die Strecke hinunter, die sie erklommen hatten. Er spürte längst keinen Schmerz in der Schulter mehr, fieberte aber. Sein Sichtvermögen war getrübt, und sein Kopf sackte bleiern zur Seite, ganz benommen von einem Schwindelgefühl. Er hielt sich an den Felsblöcken fest, hinter denen sie sich verbargen, und versuchte verzweifelt, die Gestalten ihrer Verfolger auszumachen. Maya zog den Widerstrebenden von einem Stein herunter und bettete ihn dahinter auf den Boden, wo er vor der Sonne geschützt war. »Ruh dich aus. Ich halte inzwischen Ausschau«, sagte sie. Der lange Aufstieg hatte sie erschöpft, und sie sparte Energien, wenn sie nicht zuviel redete. »Wir setzen uns lieber wieder in Bewegung«, murmelte Verdeschi im Fieber und wollte wieder aufstehen. »Du wirst zusehends schwächer«, mahnte sie. »Wir können jetzt nicht weiter.« »Wir dürfen uns vom Landeplatz nicht zu weit entfernen. John sagte, er würde zurückkommen«, beharrte Verdeschi. »Wir sollten weitere Waffen basteln«, fuhr er fort. »Die Lanze reicht nicht aus.« »Pst!« rief Maya von ihrem Ausguck aus. Weit unter sich sah sie die drei Unbekannten. Sie hatten den Wald hinter sich gelassen und sahen nun den Hang bergauf. Der dünne, streichholzähnliche fremde Unsichtbare tat linkisch einen Schritt vorwärts und hob etwas vom Boden auf. Es war ein Stück von Verdeschis blutgetränktem Gewand. Maya war zu Tode erschrocken und verwünschte insgeheim ihre Achtlosigkeit.
Das Trio schnüffelte herum, bis es die Spur aufgenommen hatte. Dann zeigte einer nach, oben in Mayas Richtung. Sie machten sich entschlossen auf und verschwanden rasch hinter einem Felsvorsprung. Maya zog sich von ihrem Ausguck zurück und kroch an die Seite Verdeschis. Er hatte sich aufgesetzt und die schwere Kristallanze an sich gezogen. Benommen sah er ihr entgegen. Maya merkte, daß sein scharfer Verstand ungeachtet seiner körperlichen Verfassung intakt war. »Sieh lieber nach, wo sie sind«, sagte er schwerfällig. »Ich ruhe mich aus.« Er drehte sich um und lehnte sich mit dem Rücken an den Felsblock. Die Lanze legte er auf den Schoß. Sie nickte verständnisvoll. Müde schloß er die Augen, und sie verwandelte sich wieder einmal in einen Falken. Sie ließ sich von dem hohen Steinsims fallen. Der Hang unter ihr huschte grau und verschwommen unter ihr weg. Sie folgte einer Spur, die seitlich der Geröllhalde verlief. Dort hoffte sie, die Unbekannten aufzuspüren. Schließlich erspähten ihre hellen Vogelaugen eine der Gestalten. Es war der unbekannte Unsichtbare. Er war allein. Seine hagere, ausgezehrte Gestalt bewegte sich mit weitausholenden, spinnenartigen Schritten bergauf. In seiner Hand wog er eine der Lanzen. Verwundert flog sie an ihm vorüber und bemerkte, daß die beiden anderen den Hügel hinunter zurückgingen. Sie machte kehrt und holte den Unsichtbaren ein. Eine große hellrote Blume, deren Blütenblätter wie ein Mund offenklafften, ragte aus einer Erdspalte empor. Sie hielt darauf zu und ließ sich in ihrer Vogelgestalt auf der Blume nieder, um das Verhalten des Unbekannten zu beobachten. Doch als sie
sich niedergelassen hatte, strömte die Blume einen betäubenden Duft aus, und der Vogel fühlte sich ganz benommen. Voll böser Vorahnungen flatterte er kreischend auf, als die trügerischen Blütenblätter auch schon zuschnappten. Der unbekannte Unsichtbare sah zu dem Vogel hoch, von dessen Verzweiflungsschrei aufmerksam gemacht. Von Maya unbemerkt, spaltete ein breites Grinsen das Totenschädelgesicht. Seine Gestalt begann – wie vorher die seines Gefährten – zu flackern und sich in dünne Luft aufzulösen. Weiter oben, außer Sichtweite des einsamen weißen Vogels, der noch immer nach ihm suchte, nahm der Unsichtbare wieder Gestalt an. Unerbittlich und unentdeckt setzte er seinen Aufstieg fort.
XI
Durch einen Schleier von Mattigkeit und Schweiß mühte sich Verdeschi mit einem scharfen Stein ab. Er schnitt damit den breiten Ledergürtel seines Gewandes in Streifen. Vor ihm lag ein Steinhaufen, den er sich aus seiner Reichweite zusammengeholt hatte. »Du solltest dich ausruhen«, sagte Maya strafend, als sie vor ihm Gestalt annahm. »Sobald ich damit fertig bin«, sagte er entschlossen. »Ich fühle mich ein wenig besser.« Er sah jedoch nicht besser aus. Er wirkte fiebrig und schien dem totalen Zusammenbruch nahe. »Ich konnte nicht ausmachen, wohin die drei sich wandten«, berichtete sie ängstlich. Sie erklärte, was sie beobachtet hatte. »Also befindet sich der Unsichtbare auf dem Weg zu uns herauf«, knurrte Verdeschi und tat mit dem groben Messerersatz den letzten Schnitt in den Gürtel. »Weiß nicht… Ich habe ihn verloren«, klagte sie. »Er verschwand einfach!« »Vielleicht…« Momentan fing die Welt vor Verdeschi zu pulsieren an, und er schüttelte den Kopf. »Vielleicht gehört Unsichtbarkeit zu seinen Fähigkeiten?« »Wenn wir ihn nicht sehen können, müssen wir eben die Ohren spitzen«, sagte Maya nervös und spähte über den Felsrand. Sie verzog das Gesicht. »So weit kann er doch noch nicht sein.« Sie wandte sich wieder an Verdeschi. »Was machst du da?«
»Eine Bola, ein Wurfgeschoß. Es wurde auf der Erde von südamerikanischen Dschungeleingeborenen erfunden, sehr wirksam, gegen sichtbare Gegner jedenfalls.« Ungeschickt begann er, die gesammelten Steine an den Lederstreifen zu befestigen. Maya nahm einen Streifen zu ihrem Ausguck mit und half beim Befestigen der Steine. Schließlich war die Bola fertig. Aber Verdeschi war an der Wand zusammengebrochen. Er hielt die Augen vor Schmerzen geschlossen. Blut aus der Wunde hatte sich über eine Seite seines zerfetzten Gewandes ergossen. Er blutete jetzt nicht mehr so stark, hatte aber bereits sehr viel Blut verloren. Maya kniete aufgeregt an seiner Seite nieder. Sie beugte sich über ihn und bettete seinen Kopf in ihren Arm. »Alles gut?« fragte sie leise. »Es schmerzt nur, wenn ich lache«, murmelte er. Doch er erntete von ihr nur eisiges Schweigen. »Ein alter Erdenwitz«, erklärte er lahm. Maya war verwirrt. »Ist aber gar nicht witzig«, sagte sie. »Auf der Erde schon«, sagte er halben Herzens. »Vor fünfzig Jahren«, rief Maya ihm ins Gedächtnis. Verdeschi verfiel in Schweigen. Sie lauschten angespannt auf das kleinste Geräusch, das ihnen die Annäherung ihres Gegners ankündigen konnte. »Maya, erzähl mir alte Witze von Psychon«, sagte Verdeschi, der mit seinem Kopf in ihrem Schoß lag. So fühlte er sich besser. Er schlug die Augen auf. Sie wich seinem Blick aus, und er spürte ihren Unwillen. »Tut mir leid«, entschuldigte er sich. »Ich wollte keine traurigen Erinnerungen wachrufen. Wollte dich nur bei Laune halten…«
»Meine Erinnerungen sind nicht traurig…« berichtigte Maya. »Bis auf das Ende. Psychon war ein glücklicher Ort. Deswegen wollten wir alle dort bleiben, auch als wir der Katastrophe entgegensahen.« Sie bettete seinen Kopf auf den Boden und stand auf. Maya spähte hinunter auf das feindselige, zerklüftete Gelände und hielt Ausschau nach ungewöhnlichen Anzeichen. Der Hang senkte sich zu einem Steilabfall, weit unter ihnen. »Dein Bruder wanderte aus«, warf Verdeschi ein. Sie nickte. »Mein Bruder lebte wie Mentor, mein Vater, auf Psychon. Er wußte, daß es keine Hoffnung mehr gab, als unser Planet zu kochen begann. Mein Bruder und tausend andere verließen uns und flüchteten in den noch nicht erfaßten Weltraum – sie stürzten sich lieber in ein Risiko, als sich dem sicheren Tod zu stellen.« »Fanden sie einen anderen Planeten?« Sie zuckte die Achseln. »Wir hörten nie wieder von ihnen – oder von den anderen, die nachher ebenfalls Raumschiffe bauten und auswanderten, als die Temperatur auf Psychon dauernd anstieg.« Verdeschi runzelte die Stirn: »Und warum wollte Mentor bleiben?« »Mein Vater träumte davon, Psychon wieder bewohnbar zu machen. Doch er träumte seinen Traum allein. Schließlich waren alle weggegangen. Sie wollten sich lieber dem Unbekannten stellen als der sicheren Katastrophe.« Verdeschi gab sich nicht zufrieden. »Wenn jeder Wissenschaftler auf Psychon wußte, was auf den Planeten zukam, warum verhielt sich ausgerechnet Mentor so stur?« Maya war zunächst unentschlossen, ob sie es ihm sagen sollte. Sie war nachdenklich und betrübt. Schließlich sagte sie leise: »Er war mehr als nur starrköpfig, Tony. Er wollte seiner
Liebe treu bleiben… Das Grab meiner Mutter war auf Psychon. Er wollte sie nicht verlassen.« »Und was war mit dir?« fragte Verdeschi erstaunt. »Dachte er nicht an dich?« »Er wollte mich ja zum Weggehen bewegen«, erwiderte sie zögernd. »Aber ich brachte es nicht fertig. Ich konnte ihn nicht allein lassen…« Verdeschi wurde immer erregter: »Er hätte dich wegschicken müssen!« sagte er. Plötzlich zuckte er zusammen. Das Sprechen hatte ihn sehr angestrengt. »Nein, das verstehst du nicht!« flüsterte sie. Sie mußte zur Verteidigung ihres Vaters etwas sagen: »Er glaubte wirklich daran, er könnte das Wunder vollbringen und Psychon wieder bewohnbar machen, und ich ließ mich von seinem Traum einfangen. Mentor war ein großer Wissenschaftler, und er war mein Vater. Ich wußte, er konnte alles…« Plötzlich vernahmen sie das Poltern eines Felsbrockens, und Maya erstarrte. Verdeschi setzte sich auf und schleppte sich mühsam an den Rand des Gerölls. »Ich sehe niemanden«, berichtete Maya von ihrem Posten. Das graue Geröll und die Felsen erstreckten sich leblos bergab bis zu der üppigen Vegetation hin. Die beiden sahen einander gedankenvoll an. Verdeschi ließ sich wieder niedersinken. Er faßte nach der Bola und zog sie an sich. Das Ding war weniger gewichtig als die Lanze, die er jetzt unmöglich hätte heben können. Sie schwiegen. Feuchte Hitze und duftschwere Luft umhüllten sie erstickend und machten Verdeschi das Atmen schwer. »Was ist mit dir, Tony?« fragte Maya, nachdem sie sich wieder auf eine unbehagliche Wartezeit eingerichtet hatten. »Hast du Brüder?«
Er nickte. »Eine Menge, aber… aber ob ich sie noch habe, ist fraglich.« »Hattest du eine…« setzte sie langsam an, aber Verdeschi unterbrach sie. »Eine Frau? Nein.« Er lächelte dünn. »Freundinnen, das ja. Gab es denn keine Kriege auf Psychon?« wechselte er das Thema. »Nein. Anders als auf eurem Planeten gehörten wir alle einer Rasse und einer Religion an und hatten eine Regierung. Und Psychon war so reich an allem, daß es keine Klassenschranken gab…« Verdeschi hörte ihr zu und fühlte sich gedrängt, ihr seinen eigenen Planeten zu erklären. »Wir auf der Erde waren eine bunte Mischung, und diese Mischung war unsere Tugend und unser Untergang. 1987 hatte der Haß zwischen Rassen, Klassen und Religionen auf der Erde seinen Höhepunkt erreicht. Der Krieg war global und furchtbar. Schließlich wurde es ein Krieg, der allen Kriegen ein Ende machte, denn die Überlebenden wußten nun, daß ein weiterer das Ende der Menschheit bringen würde…« »Das heißt, daß Menschen einander nur deswegen töteten, weil sie sich voneinander unterschieden?« Er nickte. »Wie abscheulich!« rief sie aus. »Die eine Tugend des Krieges – falls Krieg Tugend haben kann – war, daß die Vorurteile hinweggefegt wurden. Den Menschen wurde klar, daß sie, wollten sie überleben, zusammenarbeiten und einander akzeptieren mußten, wie sie waren. Und wir machten uns daran, eine neue und wunderbare Zivilisation aufzubauen…« Wieder hörte man das Poltern von Geröllbrocken, diesmal näher, und er zwang seinen schmerzgeplagten Körper wieder auf den Felsausguck.
Das Geräusch kam von einer Stelle genau unter ihnen, wo die Felsen in Geröll übergingen. Beide Alphaner beobachteten schweigend und reglos den Hang, konnten aber nichts sehen und hören. In Verdeschi nahm eine Idee Gestalt an. Er riß wieder einen Streifen aus seinem Gewand heraus, streckte sich und hielt den Streifen hoch über den Rand der Geröllblöcke. Der Wind erfaßte ihn und blies den Stoff bergauf gegen den Gipfel zu. »Er weht in diese Richtung «, keuchte er angestrengt und ließ sich wieder zu Boden gleiten. Er sah mitleiderregend zu Maya auf. »Nimm seine Fährte auf…« Maya war verwirrt und betrübt. Sie wußte, was er meinte, und nickte bedrückt. Linien der Konzentration wurden auf ihrem Gesicht sichtbar, ihre schöne Gestalt verwandelte sich in eine durchsichtige Energiespindel. An deren Stelle trat sodann ein großer, schwarzer Schäferhund mit hängender rosa Zunge, Speicheltropfen liefen zwischen den scharfen Zähnen heraus. Er bedachte Verdeschi mit einem Schweifwedeln und sprang davon. Das Tier setzte geschmeidig auf einen tief erliegenden Felsen auf und blieb reglos witternd stehen. Dann senkte es den Kopf. Es bleckte angriffslustig die Zähne und knurrte scheinbar ins Leere. Knurrend und bellend bewegte es sich auf seinen unsichtbaren Gegner zu. Die dünne Skelettgestalt des Unsichtbaren mit der Lanze nahm vor dem Hund Gestalt an. Der Unbekannte stand wurfbereit. Doch der Hund war schneller. Er machte einen Satz vor und sprang dem Fremdling an die faltige Kehle. Das Tier schnappte und biß mit einer
primitiven animalischen Angriffslust, die von ihm völlig Besitz ergriffen hatte. Der knochige, spindeldürre Unbekannte ließ die Lanze fallen und zerrte verzweifelt an dem glatten, schwarzen Tierleib. Sein Griff war von stählerner Festigkeit, und er konnte den zuschnappenden Hund abwehren. Zum Glück geriet er ins Taumeln, und Hund und Fremdling rutschten rücklings über das lockere Geröll hinunter. Der Schäferhund suchte verzweifelt Halt und kämpfte sich mühsam über die lockeren Felsbrocken wieder bergauf. Der Fremdling schlug mit den dürren Gliedern im Fallen wild um sich und verfiel doch hilflos dem Zugriff der Schwerkraft. Schließlich hatte sich der Hund bis nach oben durchgekämpft und sprang auf die Stelle zu, wo Verdeschi Ausschau hielt. Das Tier verwandelte sich in eine kreidebleiche Maya zurück. »Braves Mädchen«, sagte Verdeschi gleichmütig. »Du hast unsere Gegner auf zwei reduziert.« Der Unbekannte war nun unwiderruflich ins Abrutschen geraten. Seine verzweifelt kämpfende Gestalt glitt mit einer ganzen Geröllmasse auf den Rand des Abgrundes zu. Sie sahen, wie er fiel und über die Kante verschwand. Gleich darauf hörten sie, wie sich in der feuchtschwülen Luft ein einziger, erstickter Schrei erhob. Dann trat Stille ein. So unerbittlich, wie der Unsichtbare hochgeklettert war, war er auch wieder hinabgeglitten, seinem Schicksal entgegen. Die Welt wurde finster. Es war eine tiefe, furchteinflößende Finsternis, in der Verdeschi sich an nichts mehr erinnern konnte. Schwarze, flüchtige Schatten umschwebten ihn, näherten sich ihm mit bösen Absichten. Irgendwo vor ihm war Maya, doch er konnte sie nicht sehen. Wenigstens glaubte er, sie wäre hier…
Einer der scheußlichen Bewohner dieser Welt tauchte aus den Schatten auf und sprang ihn an. Lange Krokodilskiefer gähnten bösartig und enthüllten ein teuflisches Glühen. Verdeschi drehte und wand sich und versuchte aufzustehen. »Nein…« keuchte er. »Nein, hinter dir, warte… nein… du kannst doch nicht…« Er wurde geschüttelt – von wem wußte er nicht. Dann hörte er eine Stimme, liebevoll und beruhigend. »Schon gut… alles wieder gut«, tröstete ihn die Stimme. Die Finsternis hob sich, und die Welt wurde wieder licht. Vor ihm sah er Mayas undeutliches Gesicht. Allmählich wurde seine Sicht schärfer. Es wurde ihm klar, wo er sich befand. »Na? Geht’s besser?« »Was war denn?« murmelte er. »War ich bewußtlos?« Maya untersuchte voller Sorge seine Schulter. »Du bist eingeschlafen«, umschrieb sie es taktvoll, während sie sich mit dem provisorischen Verband zu schaffen machte, den sie ihm früher angelegt hatte. »Ich muß Wasser holen«, sagte sie. »Bleib da.« Aber er hatte bereits wieder die Augen geschlossen und hörte kaum mehr, was sie sagte. Sie wurde wieder zu einem wundersamen weißen Falken, der mit kräftigen Schwüngen auf den Fluß zuhielt und dabei ein Stück von Verdeschis Gewand in den Krallen hielt. Sie hielt beständig Kurs über den Berghang und den Vegetationsstreifen, der den schäumenden Fluß säumte. Während des Fluges hielt sie Ausschau nach den zwei fremdartigen Lebensformen, die ihre eigene und die Existenz ihres Geliebten bedrohten. An einem Wasserfall ließ sie sich aufs Felsufer nieder. Sie streckte ihre Klaue mit dem Stück Stoff in den Schwall kristallklaren, heilenden Wassers.
Sie zog die Krallen zurück und tauchte den Kopf ins kühle Naß und nahm mit pickenden Bewegungen kleine Schnabelvoll gegen den rasenden Durst zu sich. Dann breitete sie wieder die Schwingen aus und erhob sich in die Lüfte. Ein plötzliches Geräusch raschelnden Gezweigs, und nun kam etwas auf sie zugeschossen. Sie kreischte erschrocken auf und fuhr mit dem Schnabel auf das Objekt los. Aber ihre Bemühungen zeitigten keine Wirkung. Eine große, muskulöse Hand schloß sich über ihrem weißen gefiederten Leib und zog sie brutal ins Dickicht.
Wieder überrollten ihn die wirbelnden, betäubenden Wogen des Nichts. Sosehr er sich auch bemühte, er konnte seine Augen nicht offenhalten. Er versuchte es. Verdeschi wollte Wache halten, bis Maya wiederkam. Doch er spürte, wie die Kälte und Finsternis ihn packten, und spürte, wie er zu sinken schien und sein Bewußtsein ins Nichts zerstäubte. Als er wieder zu sich kam, hörte er ganz aus der Nähe aufdringlichen Lärm. Schrill und scharf wie ein Warnsignal oder ein verzweifelter Hilferuf. Er zwang die Augen auf. Eine große, unregelmäßig geformte Gestalt dräute über ihm. Sie hielt etwas in der Hand, etwas, das von einer Seite zur anderen baumelte. Die Gestalt stieß einen langen, lauten, triumphierenden Schrei aus. Das Wesen wurde deutlicher und verschwamm gleich darauf wieder, da Verdeschis ermattete Sinne in seinem sterbenden Körper nicht mehr richtig funktionieren wollten. Doch er hatte genug gesehen.
Der fremde Starke, und das Ding in seiner Hand war… Er kämpfte mit seinem Sehvermögen. Wieder geriet der Fremdling ins Blickfeld. Verdeschi sah, daß der silberne Maschenanzug, den der andere getragen hatte, in seiner Hand schwang. Jämmerlich gefangen in einem Netz befand sich der schöne weiße Falke. Der Vogel schrie und schlug verzweifelt mit den Flügeln. In Verdeschi begann plötzlich ein wildes Hämmern. In ihm kochte die Wut des Liebenden. Sie befeuerte seine Synapsen und beschickte müde Muskeln mit Energie, indem sie diese mit einer Adrenalinwelle überschwemmte. Der fremde Starke war allein. Er hielt den gefangenen Vogel hoch, brüllte und forderte Verdeschi heraus, er solle das Tier retten. Verdeschi packte den Ledergriff der Wurfschlinge, beschwert mit den scharfkantigen, gewichtigen Steinen. Derart primitive Fang- und Wurfinstrumente wurden benutzt, heranstürmende Bullen in die Knie zu zwingen… Verdeschi zog das Gerät näher zu sich. Dann zwang er sich unsicher auf die Beine. Jetzt spürte er erst, wie geschwächt er eigentlich war. Ob er das Wurfgerät richtig anwenden und den Bullen in die Knie zwingen konnte, wußte er nicht. Doch zuerst zog er sein Sprechgerät hervor. Benommen drückte er einen Knopf, während der riesige muskulöse Fremdling an seiner Seite grölte. »Richter von Luton… «, rief Verdeschi in die Funkanlage. Die drei Baumwesen flammten auf dem Bildschirm auf und raschelten mit den Zweigen. »Befreit sie…« sagte er. »Ich werde mit ihm kämpfen…« »Wir werden uns nicht einmischen«, dröhnte die Donnerstimme. »Wir können es nicht. So lauten die Regeln von Luton!«
Verdeschi fluchte. »Er soll mich töten…« sagte er tapfer. »Nein!« antwortete die Donnerstimme. Verdeschi war verzweifelt. »Sie kann ihre jetzige Gestalt nur eine Stunde lang beibehalten. Sie wird zerdrückt. Befreit sie, und er soll mich töten…« »Das können wir nicht!« »Warum nicht?« rief Verdeschi heiser. »Ihr seid die Richter, ihr könnt alles!« »Es ist gegen die Regeln von Luton«, sangen die drei im Chor. Es war ein betäubendes Crescendo an Tönen. Ihre Bilder verschwanden vom Schirm. »Kommt zurück… hört… bitte…«, rief Verdeschi, dem Wahnsinn nahe. Aber sie kamen nicht wieder. Verzweifelt schleuderte er das Gerät von sich. Dann kämpfte er krampfhaft um Fassung. Er blickte auf und sah den Fremdling direkt an. Das Gesicht des fremden Starken war ein Gewirr von Linien und Klüften, wie eine Felswand. Die massiven, schwellenden Muskeln traten unter der grauen Haut wie Gebirgszüge hervor. Jeder einzelne Muskel war groß wie ein Steinblock. Doch trotz seines Umfanges bewegte sich das Wesen sehr behende. Es sprang auf einen großen Felsen zu und blieb stehen. Es sah Verdeschi mit seinem grauen Gesicht an und hob das Netz in die Höhe. Sachte legte es den Vogel auf den Felsen. Dann nahm es seine vorherige Position wieder ein und sah Verdeschi steinern an. Der Mund öffnete sich klaffend zu einem schwarzen Schlitz. Es setzte zum Reden an.
»Wir müssen töten.« Das Sprechen fiel ihm schwer. Die Stimme klang nach trockenen, rissigen Felsen und tobenden Sandstürmen. Der Mund schloß sich wieder, und er hob die schwere Lanze in Schulterhöhe. Verdeschi wollte noch weiterverhandeln, obwohl er innerlich bereit war, um Maya zu kämpfen. »Nein!« rief er. »Wir sind Dummköpfe, wenn wir kämpfen…« »Ich will dich nicht töten… aber ich muß«, erklang wieder die furchteinflößende, fremde Stimme. Verdeschi verlegte sich aufs Drohen. »Laß sie frei… Sie wird im Netz zerdrückt.« Doch die Felsenkreatur schüttelte den Kopf. »Es ist bedauerlich, aber nötig, daß ihr sterben müßt… damit ich lebe!« rief er. Dann schloß sich der Mund und bildete einen Strich, der Endgültigkeit anzeigte. Er begann nun, mit der Lanze zum Wurf auszuholen. Verdeschi warf dem Wesen einen abschätzenden Blick zu. Dann drehte er sich um und taumelte im Zickzackkurs fort. Er hörte das Aufstöhnen des Fremdlings, als dieser mit voller Energie die Lanze gegen seinen Rücken schleuderte. Er wich, so schnell er konnte, aus, und die Lanze schwirrte über seine Schulter und krachte gegen die Felsen. Als er den äußersten Rand des schmalen, flachen Simses erreichte, hinter dem Maya und er sich versteckt gehalten hatten, drehte er sich um. Ja, jetzt standen sie auf Kampfdistanz. Der Fremdling heulte vor Wut. In ihm wütete eine Urkraft und trieb ihn seinem Gegner entgegen. Verdeschi bot alle Kraft und Geschicklichkeit auf und ließ die Bola um seinen Kopf kreisen.
Schweiß und Schmutz liefen ihm übers Gesicht. Der schmutzige Blutfleck auf seiner Tunika wurde immer größer. Das Blut wurde durch die übergroße Anstrengung aus seinem Leib gepumpt. Mit einem gellenden Aufschrei ließ er das Geschoß los. Er betete darum, daß es sein Ziel treffen möge, denn das war seine einzige Chance. Die Steine zischten durch die Luft, am Ende ihrer Lederhalterung durcheinanderwirbelnd. In seiner Wut lief der Fremdling direkt in die Steine hinein. Die Lederstreifen wanden sich um seine Beine, fesselten sie, und er geriet aus dem Gleichgewicht. Die Riesengestalt sank krachend zu Boden, der Kopf schlug mit einem abscheulichen Geräusch auf einen herausragenden Stein auf. Das Wesen stieß einen lauten Todesseufzer aus. Es stemmte sich mit seinen gewaltigen Muskeln auf und schaffte es beinahe, doch dann verzerrte eine Grimasse des Schmerzes das zerfurchte und zerklüftete Gesicht. Das Wesen brach zusammen und blieb reglos liegen. Vorsichtig näherte sich Verdeschi dem Reglosen. Der Schädel war gespalten. Eine schwarze Flüssigkeit rann aus und benetzte die Steine. »Töte, töte!« dröhnte die Donnerstimme vom Himmel. »Er ist noch nicht tot. Töte, und du wirst befreit!« »Nein! Ich will nicht töten!« schrie Verdeschi, dem übel wurde von dem Anblick. Doch die Stimme gab nicht nach. Sie lechzte nach Blut. »Töte… den Verbrecher…der auf Luton einen Mord beging!« grollte die Stimme. Verdeschi sah sich um und bedachte die Bergpflanzen mit wütenden Blicken. Er zeigte anklagend auf sie. »Ihr seid die Verbrecher!« rief er. »Ihr hättet uns Einhalt gebieten können, als wir die Pflanzen abrissen!«
Die Stimmen waren nicht mehr so selbstsicher. »Du hast den Feind besiegt. Du bist frei«, sagten sie. Verdeschi war einigermaßen überrascht, trotz seines Zustandes. »Der fremde Bewegliche…« setzte er an. »Du hast ihn besiegt, das genügt!« riefen die Stimmen. »Damit ist den Regeln Genüge getan.« »Ihr wollt zusehen, wie die Dinge sterben…« rief Verdeschi. »Ihr wollt sehen, wie hier alles stirbt, nur um eure Todeslust zu befriedigen.« Sträucher und Bergorchideen und andere Pflanzen um ihn herum begannen mächtig zu rauschen. ,»Geh, du bist frei… so lauten die Regeln von Luton«, hallten die Donnerstimmen am Horizont wider. Dann wurden sie schwächer und verklangen in Stille. Verdeschi drehte sich um und ging zu dem gefangenen Vogel hin. Er entwirrte das Silbernetz und ließ das Tier frei. In einer Wolke von Federn flatterte es zerzaust in die Luft. Es verwandelte sich wieder in die Gestalt zurück, die er kannte und liebte, und Verdeschi ließ das Adrenalin versickern, die Synapsen erschlaffen und brach zu Füßen seiner Göttin in der ihn umfangenden Dunkelheit zusammen.
Koenig brachte den großen Eagle auf Kurs und warf erneut einen Blick auf die Instrumente. Verzweifelt sah er zum Bildschirm hin, der detaillierte Ausschnitte wiedergab. »Alpha, ich habe x-mal Überprüfungen vorgenommen. Dem Eagle-Computer nach bin ich knapp dran am Planeten – aber nichts ist da!«
Noch während er redete, zeigte der Konsolenbildschirm, der auf den Raumbereich, wo der Planet existiert hatte, fixiert war, statt Sternen das Bild einer brodelnden Wolkenschicht. Entgeistert starrte er das Bild an. Er hantierte erregt an der Steuerung. Die Maschinen des Eagle donnerten und brüllten auf in dem verzweifelten Versuch, das Schiff vom Kollisionskurs abzubringen. Praktisch auf Höhe Null konnte es noch abgefangen werden. Über einer Masse sich wiegender Baumwipfel. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. »O.k. Alpha«, gab er durch. »Den Planeten hätte ich gefunden, oder vielmehr er mich.« Helena und Yasko sahen einander erleichtert an. Sie stellten keine Fragen über das Wie. »Sieh zu, ob du Tony und Maya erreichst«, bat Helena die Funkerin. Wieder lächelte Yasko makellos und zeigte dabei göttliche weiße Zähne. »Mondbasis Alpha an Tony und Maya«, rief sie in ihrem Singsang. »Eagle Vier ist landebereit, wenn ihr eure Position angebt.« Maya sah zum Himmel. Sie winkte überglücklich. »Nicht nötig, wir haben Sichtkontakt, Alpha!« rief sie. »Auf bald!« Der Bildschirm wurde leer. Die Funktechnikerin strahlte und übertrug Glück und Wärme auf die gesamte Kommandozentrale.
XII
»Ein Gefühl des unsagbaren Wohlseins und der Liebe für die Mitmenschen hat auf geheimnisvolle Weise die Mondbasis erfaßt«, diktierte Helena in ihr Tonbandtagebuch. »Dieses Gefühl scheint seinen Ursprung im Nichts zu haben. In Reichweite unserer Sensoren befinden sich keine Planeten, die uns auf diese Weise beeinflussen könnten. Die einzig mögliche Folgerung lautet, daß wir insgesamt von einem massenpsychologischen Phänomen beeinflußt wurden, einer Theorie, die die Frauen zu entzücken und zu erstaunen scheint und – kein Wunder – die Männer nicht weiter beunruhigt. Merkwürdig auch, daß Verdeschis Schulter in knappen zwei Tagen verheilte. Die Krankenstation ist leer. Das ist so seit unserer glücklichen Flucht vor den Herrschern. Männer und Frauen – keine Kinder, weil der Mond keinen Raum für Vermehrung bietet – strotzen vor Gesundheit. Das freut mich natürlich. Außerdem bin ich froh, daß ich verliebt bin und dieses Gefühl so stark spüre. Aber…« Sie hielt inne und räkelte sich faul auf ihrem Bett. Es gab etwas, das sie beunruhigte, sie konnte aber nicht definieren, was es war. »Vielleicht dauert dieser Liebesstrahl nicht an«, sagte sie nachdenklich. »Vielleicht stört mich das. Es ist zu schön…« Aus dem Sprechgerät neben ihrem Bett piepste es, und auf dem Bildschirm erschien Koenigs Bild. Er war erschöpft, aber glücklich. Der Liebesstrahl bewirkte, daß alle wie verrückt arbeiteten und nicht ermüdeten. »Komm her, Schöne«, sagte er. »Wir haben da etwas, das deiner psychologischen Theorie den Todesstoß versetzt.«
»Ich komme«, sagte sie. Sie stellte das Tagebuchtonband ab und setzte sich auf. Helena gähnte und streckte sich. Dann ging sie an den Frisiertisch und machte sich zurecht.
Die Kommandozentrale war bevölkert. Meist waren es Paare, die auf Konsolensitzen und Bänken in der Nähe des Kaffeeautomaten herumlungerten und sich unterhielten. Außerdem war es hier schmutzig und unaufgeräumt. Die Routinearbeit war etwas ins Hintertreffen geraten. Aber alle waren wenigstens glücklich, dachte Koenig, als Helena hereinkam. Er nahm ihren Arm und gab ihr einen Kuß auf die Stirn. Verdeschi und Maya standen ähnlich umschlungen neben ihnen. Die jungen Paare ließen ihren Gefühlen freien Lauf und scherten sich keinen Deut um Konventionen und ähnliches. Eine Art Drogen-Euphorie, sagte sich Koenig. Er ließ sich nichts anmerken, war aber beunruhigt. »Tony hat etwas entdeckt«, sagte er zu ihr. Sie drängten sich um Verdeschis Konsole und sahen zum Monitor hin. Darauf waren zwei Sinuskurven zu sehen. Sie kreuzten einander auf anmutige Weise. In regelmäßigen Abständen erstarrten ihre rhythmischen Wellenbewegungen, und die Fadenlinien wurden gezackt und unregelmäßig. Helena runzelte die Stirn. »Unsere Scanner sind auf einen völlig leeren Teil des Alls gerichtet, direkt geradeaus«, informierte sie Verdeschi. »Diese Erscheinung taucht immer auf, wenn sie eine ganz spezielle Koordinate abtasten.«
Während er redete, schien sich der Druck in der Luft zu verringern – eine Veränderung der subtilen atmosphärischen Spannung, die den Einfluß des Liebesstrahls zu charakterisieren schien. Sie spürten, wie leise Kälte sie überlief – kein Abfall der Temperatur, sondern die Kälte der Realität, die sich durch das sie umgebende, verzückte Miasma den Weg bahnte. Koenig sah mit hochgezogenen Brauen Verdeschi fragend an. Er befreite sich sachte von Helena und lief zu seiner eigenen Konsole. »Ich möchte genaue Scanner-Werte dieser Koordinate«, ordnete er an, als er sich setzte. Er drückte einen Knopf, und vor ihm leuchtete der große Bildschirm auf. Ein düsteres Durcheinander pulsierenden, purpurnen und violetten Lichtes. Der Raum wurde in ein sehr gespenstisches, flackerndes Glühen getaucht, das abrupt die letzten verbliebenen Spuren des Wohlbefindens in ihnen neutralisierte. Sie hatten den vollen Kreis zurückgelegt und waren in nur wenigen Augenblicken vom Himmel in die Hölle gekommen. Die Funkexperten von Alpha kehrten schleunigst auf ihre Posten zurück und begannen mit den Abtastvorgängen. »John!« rief Verdeschi erschrocken aus. »Ich weiß – bei mir ist es ähnlich«, erwiderte Koenig, der mit grimmiger Miene seinen Konsolenschirm anstarrte. Die Meßwerte waren völlig durcheinander. »Jemand… oder etwas hat uns mit einem Gefühl falschen Wohlbehagens eingelullt…« »Die Computer sind völlig durchgedreht«, meldete Maya von ihrem neuen Posten zwischen Annette Fraser und Sandra Benes.
»Da draußen tut sich etwas Gewaltiges!« schrillte Yaskos Stimme. Die einzelne, unterbrochene Linie zog über ihren Bildschirm und zeigte an, daß ihre Sensoren blockiert waren. »Auf den Bildschirm damit«, befahl Koenig, obwohl er eigentlich nicht recht glaubte, daß etwas den flammend roten Pulsar verdrängen könnte, der die Fläche beherrschte. »Ich glaube, ich schaffe es nicht«, klagte Yasko und mühte sich mit ihren Schaltungen ab. Und während sie wie hypnotisiert die brodelnden, purpurnen Farbtöne und Schattierungen beobachteten, geriet ganz kurz eine planetenähnliche Masse im Zentrum der Turbulenzen in ihr Blickfeld. »Maya?« fragte Koenig. Er stählte sich gegen den Schock, den er verspürte. »Ich konnte noch immer nichts finden«, erwiderte die Psychonerin bekümmert, »bis auf die Tatsache, daß die Turbulenz wahrscheinlich magnetisch ist.« »Gib die Werte zu mir durch.« »Geht nicht«, sagte Yasko ganz außer sich. Aus dem Hintergrund des Raumes drang ein kleiner Aufschrei. Eine der Technikerinnen fiel in Ohnmacht, und Helena kam ihr eilends zur Hilfe. Carter fing sie auf und legte sie vorsichtig auf den Boden. Helena zog einen kleinen medizinischen Scanner heraus und tastete sie damit ab. Sie befühlte besorgt die Stirn. »Es ist nur eine Ohnmacht… aber… sie scheint nicht erschrocken zu sein… sie wirkt glücklich.« Sie las die Werte des Scanners ab. »Die Lebensfunktionen sind auf die untersten Werte gesunken…« Sie stand erstaunt auf und sah die anderen Techniker an.
Dann schwenkte sie den Scanner über Carter und las die Werte ab. »Bei Ihnen auch«, sagte sie. »Tony?« Sie ging zu Tony und unterzog ihn der Untersuchung. »Auch Sie.« Sie trat vor Koenig. »Mir geht’s tadellos«, sagte er wütend. Er strich sich mit der Hand über die Stirn und wandte den Blick nicht vom großen Bildschirm. »Wie Gebrüll klingt das«, rief Yasko aus. Sie preßte die Hände an den Kopf. »Genau an dieser Stelle.« Ihre reichpigmentierte Haut war beunruhigend bleich. Helena lief sofort zu ihr und nahm sich ihrer an. »Turbulenz läßt stetig nach…«, stelle Maya fest. Auch sie fühlte sich plötzlich ganz matt, als wären große Mengen ihrer Lebenskraft aus dem Körper geraubt worden. Die Technikerin, die in Ohnmacht gefallen war, schlug die Augen auf, und nun eilte Helena an deren Seite. Allmählich sank die Turbulenz völlig ab, und auch der Energieverlust ließ nach. Statt dessen sah man auf dem großen Bildschirm eine zauberhafte Anordnung psychedelischer Muster und Farben, die wie wild herumwirbelten und die Atmosphäre im Kommando-Zentrum wieder der Stimmung vor einer halben Stunde annäherten. Aus den Lautsprechern erklang seltsame, wundervolle Musik und bewirkte, daß sich wieder das Gefühl von Benommenheit und Glück einstellte. Koenig schüttelte den Kopf, aber das Gefühl blieb. Doch fühlte er sich diesem Gefühl noch nicht völlig ausgeliefert. Allmählich verblaßten Musik und Farben, und alle hatten ein plötzliches Verlustgefühl.
Nun fühlten sie sich wie vorhin, überwältigt von Gefühlen der Liebe und Schönheit. Von der geheimnisvollen Turbulenz war jede Spur verschwunden. Auch war keine Spur mehr von dem geheimnisvollen, gesichteten Planeten zu sehen. Koenig suchte auf dem Bildschirm danach. Etwa tausend Meilen vor ihnen erschien ein Punkt. Er nahm an Größe zu, blieb aber nebelhaft und vage. Noch ehe Koenig darauf reagieren konnte, hatte der Punkt sich in die Gestalt eines hochgewachsenen, herrischen Humanoiden verwandelt, der mit jedem Schritt, den er tat, Hunderte von Meilen überwand. Er durchwanderte das All, wie Jesus Christus über Wasser gewandelt war, und die Alphaner starrten das Wunder ungläubig an. Aus den Lautsprechern drang wieder Musik. Diesmal schwer und mächtig, biblische Szenen ins Gedächtnis rufend. Die Klänge donnerten durch den Raum und drängten ihnen religiöse Gefühle wie Ehrfurcht und Anbetung auf. Jetzt war die Erscheinung deutlich sichtbar – ein überaus eindrucksvoller Mensch, wie der Moses des Michelangelo, gekleidet in ein langes, wallendes Gewand, das hinter ihm herwehte. »Großartig!« entfuhr es Koenig, der mühsam um Fassung rang. Yasko drückte einen Knopf, und das Antlitz der Gestalt füllte den Bildschirm aus. Es war heilig, bärtig, edel, von Linien durchzogen, die von Alter und Weisheit kündeten. Die gebräunte Haut strahlte einen Schimmer von Gesundheit aus. Die Alphaner spürten Liebe und Bewunderung. Niemand sprach es aus.
Nicht viele dachten den Gedanken bewußt. Aber alle fühlten, daß sie Gott begegnet waren.
Koenig spürte in sich einander widersprechende Gedanken und Gefühle, und er kämpfte darum, jene Gedanken zu finden, die er als die wahrsten empfand. Die Gestalt vor ihm wirkte echt, doch haftete ihrem Auftreten etwas an, das Koenig nicht überzeugte. Das alles wirkte wie ein Bühnenauftritt, und er war auf der Hut. »Yasko«, sagte er nebenbei. Yasko drückte einen Knopf und schaltete die Erscheinung in eine Sprechverbindung ein. Koenig sah den Bildschirm eindringlich an und sprach sodann zu dem darauf sichtbaren Antlitz. »Wer sind Sie?« fragte er rundheraus. Das freundliche, weise Gesicht verzog sich zu einem wohlwollenden Lächeln. »Ich bin dein Schöpfer«, sagte er mit absoluter Überzeugung und mit einer Spur milden Erstaunens darüber, daß die zusehenden Alphaner überhaupt etwas anderes in Betracht gezogen haben könnten. »Ich bin gekommen, euch zu besuchen«, sagte er voll Wärme.
XIII
Die Atmosphäre in der Kommandozentrale wurde erneut von einer mächtigen Welle eines seltsamen Liebesstromes erfüllt. Gegenstände im Raum begannen zu rumoren, die Wände begannen zu wanken. Dann verschwand die mosesähnliche Gestalt vom Bildschirm und verkörperte sich in der Kommandozentrale selbst, flimmernd, zu leibhaftiger Erscheinung. In der Nähe wirkte die Gestalt noch eindrucksvoller – groß und ehrfurchtgebietend –, die Alphaner starrten die Gestalt mit aufgerissenen Augen an. »Schon gut«, sagte die Gestalt und sah sich strahlend im Raum um. »Ihr braucht euch nicht zu verbeugen vor mir oder mich anzubeten.« Seine Redeweise hatte nichts Herablassendes an sich, es klang eher ironisch. Koenig traute ihm nicht über den Weg und wollte sich keinesfalls beeindrucken lassen. »Das entspräche nicht unserem Stil«, sagte Koenig herausfordernd. Der Besucher zog gutgelaunt die Brauen hoch. »Ihr bezweifelt also meine Aussage?« »Sie haben keine Beweise präsentiert«, verwies ihn Koenig. Der Besucher nickte wohlwollend. »Ich kann es euch nicht verübeln. All diese überaus phantasievollen Werke der Dichtkunst, die ihr Religion nennt, haben euren Verstand vernebelt, ihn mit falschen Göttern erfüllt…« Er ließ eine erwartungsvolle Pause eintreten.
In seiner Hand war plötzlich ein Trinkglas zu sehen. Er führte das Gefäß an die Lippen und trank die bernsteinfarbene Flüssigkeit. »Ich kann euch jedenfalls versichern, daß ich das sogenannte Original bin.« Koenig schnaubte innerlich vor Wut, zeigte sich aber von seiner freundlichsten Seite. »Sie sehen aus, wie sich ein Renaissancemaler das Original vorgestellt haben mag – das gebe ich gern zu.« »Künstler haben manchmal einen erstaunlichen Blick«, sagte die Gestalt gelassen. »Aber wir wollen diese Dinge doch wie zivilisierte Menschen besprechen – bei Tisch.« Er schwenkte seinen umhüllten Arm, und plötzlich stand wie von Zauberhand geschaffen ein langer Holztisch vor ihnen. Der Tisch war mit einem reichverzierten, goldenen Tischtuch gedeckt. Darauf eine Auswahl an Früchten und Speisen, die einem den Mund wäßrig machen konnten. Die Alphaner staunten offenen Mundes. Aber Koenig setzte seine Attacke fort. »Mit Nero ist dieser schöne Brauch eigentlich ausgestorben«, bemerkte er gleichmütig. »Mit Messalina, genauer gesagt«, erwiderte der Zauberer. »Es wurde immer schwieriger – mit der Zeit konnte sich kein Mensch mehr merken, in welchem Pokal eigentlich das Gift war. Ja, du hast recht – eine reichlich überholt Sitte.« Er vollführte eine nonchalante Bewegung mit dem Arm. Der Tisch verschwand, an seine Stelle trat ein atemberaubendes, spärlich bekleidetes Mädchen mit einem Tablett voller Gläser, die eine goldfarbene Flüssigkeit enthielten. Sie erinnerte Koenig an eine Werbedame bei einer einschlägigen Veranstaltung.
Unter Pfiffen und anzüglichen Rufen der Männer verteilte sie mit verführerischem Lächeln die Getränke. Auch Koenig lächelte. »Nicht trinken!« befahl er seinen Leuten, welche die Gläser an die Lippen führten. Nun sah die gottähnliche Gestalt ein wenig vorwurfsvoll drein. Sie seufzte. »Ihr Erdenmenschen wart unter meinen Schöpfungen immer am meisten skeptisch gewesen.« »So sind wir eben – und das solltest du am besten wissen.« Koenig grinste ihn dabei an. »Skeptisch, zynisch, unangenehm«, fuhr die Gestalt fort. »Aber das ist vielleicht gerade der Grund, warum ich für euch eine Schwäche habe. Ihr seid irgendwie von meiner Art – aber wie zahme Kaninchen.« »Das geht zu weit«, bemerkte Koenig. »Jetzt solltet ihr eigentlich auf den Knien liegen und mir einen Ziegenbock zum Opfer darbringen«, fuhr der andere mit einem Anflug von Ironie fort. »Wir sind mit Opfertieren knapp«, entgegnete Koenig. Hinter väterlicher Belustigung blitzte nun Autorität wie ein kalter Strahl in den Augen der Gestalt auf. »Nun denn – wenn ihr euch in der Vergangenheit von etwas beeindruckt gezeigt habt, dann war es Gewalt«, fuhr er fort. Er schwenkte abermals den Arm. Auf dem Bildschirm wurden die Abschußrampen der Mondbasis sichtbar. Einige Eagle-Schiffe waren startklar. Die Gestalt wies mit dem Finger auf eines der Schiffe, ohne daß man Anzeichen konzentrierter Anstrengung an ihr bemerken konnte. Das Schiff begann zu schrumpfen und zu zerknittern – wie ein Stück Alufolie. So lange, bis es nur mehr eine zerknüllte,
verbogene Metallmasse war. Die warmen, beseligenden Gefühle in der Kommandozentrale kühlten jäh ab. »Also gut! Wer immer Ihr auch seid…« begann Koenig hastig, als er sah, daß die Gestalt auf ein zweites Schiff deutete. Die Gestalt hielt inne und wandte sich gebieterisch an Koenig. »Ich sagte schon, wer ich bin.« »Wer immer ihr seid – Ihr verfügt über große Macht«, sagte Koenig. »Was habt Ihr mit uns vor?« Die Brauen der Gestalt hoben sich wie von selbst. »Ich möchte das, was ich immer wollte – seit eurer Erschaffung. Ich möchte euch helfen.« »Wie denn?« fragte Koenig. »Wie gesagt: Ihr stellt eine Enttäuschung für mich dar – die vielen Kriege, die mutwillige Vergeudung der Energiequellen des Planeten, den ich euch gab, und die Umweltverschmutzung.« Koenig sah ihn unverwandt an. »Ihr wollt uns helfen?« »Ja, das will ich. Ich werde euch etwas zuteil werden lassen, was ich noch keiner anderen Gattung schenkte.« »Was denn?« fragte Koenig mißtrauisch. »Eine zweite Chance.« »Ihr wollt uns zurück zur Erde schaffen?« fragte er wachsam. Ein aufgeregtes Gemurmel verbreitete sich im Raum des Kommandozentrums. Moses warf sich großsprecherisch in die Brust. »Zu einer neuen Erde – einem neuen Eden, wo ihr von neuem beginnen könnt!« Er deutete lässig auf den großen Bildschirm.
Es wurde ein erdähnlicher Planet sichtbar, mit üppiger Grünund Blaufärbung, überlagert von weißen Wolkenstreifen und -wirbeln. Der Schöpfer schnalzte mit dem Finger, und sie sahen eine Nahaufnahme der Planetenoberfläche. Eine Waldlichtung, bestanden mit Bäumen, die den irdischen glichen, an einem klaren Gebirgsbach. Die silbrigglänzenden Blätter wurden vom Winde bewegt. Das Land war noch unverdorben, prunkte in sattem Grün der hohen Gräser und üppigen Blumen, die sich in der Sonne wiegten. Alle Anwesenden überfiel Heimweh. »Die neue Erde!« rief ihr Besucher stolz aus. Er beobachtete die Gesichter aller, die begierig den Bildschirm anstarrten. Nur Koenig und Maya schienen unbeeindruckt, und die geübten Augen des Gastes nahmen dieses Unbeteiligtsein mit Interesse zur Kenntnis. Sie betätigten sich an den Konsolen und benutzten die Instrumente, um den Planeten daraufhin abzutasten, ob er wirklich das war, was er schien. »Ist das nicht schön, Commander?« wandte der Gast seine Aufmerksamkeit wieder Koenig zu. »Wir haben gelernt, dem äußeren Schein nicht zu trauen«, lautete dessen trockene Antwort. Der Schöpfer schien dies nicht zu hören. »Der Planet hat nur ein Viertel der Erdengröße, doch sind Luft, Wasser und Pflanzen identisch«, fuhr er fort. »Und die Sonne?« fragte Maya von ihren Instrumenten her. »Er hat eine Sonne wie die alte Erde – im gleichen Größenverhältnis.« Wieder umfaßte sie sein Blick mit spürbarem Interesse. Koenig lenkte ihn ab. »Warum konnten wir diesen Planeten nicht schon früher ausmachen?«
»Weil ich es nicht wollte«, antwortete der Besucher. Helena konnte bei diesen Worten ein leises Lächeln nicht unterdrücken. »Sie finden das lustig, Doktor?« fragte er sie. »Ihre Antwort war genau so, wie sie sein sollte… wenn Sie das sind, was Sie behaupten.« Er ging auf ihre Bemerkung nicht weiter ein und wandte sich an die Allgemeinheit. »Der Planet ist für die menschliche Rasse ideal. Eure Irrfahrt nähert sich dem Ende.« »Menschenkinder müssen immer erst festen Boden unter den Füßen spüren, bevor sie sich zu Hause fühlen«, sagte Verdeschi, der sich rascher als die anderen von der nostalgischen Wirkung des schattigen Waldes erholt hatte. Der Gottähnliche lächelte. »Aber ja, da gebe ich euch recht«, sagt er, als wäre er erstaunt, daß Verdeschi etwas anderes geglaubt haben könnte. »Ich verlange ja nicht, daß ihr die Katze im Sack kauft. Ich schlage vor, daß ein Erkundungsteam die Planetenoberfläche besucht und sich selbst überzeugt.« Koenig sah Maya scharf an. »Meine Instrumente zeigen an, daß er bezüglich der Umweltbedingungen die Wahrheit sagt«, berichtete Maya. »Wir könnten auf dem Planeten leben.« »Wir könnten uns dort ansiedeln«, sagte Koenig, der sein Staunen nicht verbergen konnte. Es sah aus, als hätte sie der Unbekannte geschlagen. »Die Daten sind mit denen der Erde identisch«, informierte ihn Maya weiter. Koenig wurde nachdenklich. Er wollte noch Helenas Meinung dazu hören. »Wir sind es uns und allen anderen schuldig, ein Team zum Planeten zu schicken«, sagte sie.
Er wandte sich an Verdeschi. »Tony, Sie sind Nummer Zwei. Nehmen wir mal an, Sie wären die Eins?« fragte er. »Da würde ich mir die Sache ansehen«, erwiderte der Sicherheitschef. Koenig lächelte erfreut. Er wußte tatsächlich keinen Grund, warum sie sich nicht nach dorthin aufmachen sollten. »Wir schicken ein Team aus«, sagte er zu ,Moses’. »Ausgezeichnet!« rief der Besucher aus. »Ich schlage vor, es sollte sich wie folgt zusammensetzen…« »Wir bedürfen Ihrer Ratschläge nicht«, versuchte Koenig ihm das Wort abzuschneiden. Aber der andere war entweder ungehobelt oder taub – oder beides. »Sie selbst, natürlich – als Anführer, weil nur Sie Entscheidungen treffen können…« »Richtig, ich übernehme…« begann Koenig gereizt. Der Besucher wandte sich diplomatisch an Maya. »Das reizende Geschöpf Maya muß mit – als wissenschaftliche Assistentin natürlich…« »Natürlich«, schnappte Koenig wütend. Er war dem aalglatten Gerede und der Autorität des Mannes über die Alphaner nicht gewachsen. »Die gleichermaßen bezaubernde Dr. Russell – als Ärztin.« Moses bedachte Helena mit einem charmanten Lächeln. »Na, Sie verstehen etwas von Auswahl«, sagte Koenig. »Und Mr. Verdeschi, weil er – ob er es nun weiß oder nicht – in seinem Herzen eigentlich ein Bauer ist, wie seine ganze Familie Jahrhunderte vor ihm.« Verdeschi war wider Willen geschmeichelt. Koenig sah seinen Möchtegern-Usurpator eisig an. »Na, sind Sie fertig?« »Ja«, sagte der andere.
»Dann möchte ich gleich eines klarstellen: Ich bin der Kommandant der Basis. Wenn es um die Auswahl eines Teams geht, dann treffe ich sie.« Jetzt machte sich wieder stählerne Autorität im Ton des Besuchers bemerkbar. Er nahm zwar keine ausgesprochen drohende Haltung ein, doch gewann Koenig diesen Eindruck, als der Fremde sagte: »Ich bin Kommandant von viel mehr als diesem Staubfleck. Und das Team wird so aussehen – so oder gar nicht.« Koenig tat einen tiefen Atemzug und hielt die Luft an. Er sah die Mitglieder des Teams der Reihe nach an. Kein einziger kam ihm zur Hilfe. Er wandte sich wieder an Moses. »Na schön«, sagte er dann. »Alan, während unserer Abwesenheit hast du hier das Sagen.« »Ja, John«, sagte Carter, dem dies alles um Koenigs willen sehr peinlich war. »Ausgezeichnet!« rief Moses wieder aus. »Ich werde euch sofort auf den Planeten bringen.« »Nein, das werden Sie nicht«, konterte Koenig, der spürte, daß er wenigstens einen Teil seiner Autorität zurückgewinnen konnte. »Wir legen die Strecke mit einem Eagle zurück, darauf bestehe ich!« Moses warf in gespielter Verzweiflung die Hände hoch. »Typisch – starrköpfig wie immer… bemerkenswert vorsichtig. Nun denn – es sei ein Eagle.« Und Koenig hatte dabei den deutlichen Eindruck, daß diese Runde nun an ihn gegangen war, weil die Art des Transportes zur neuen Erde für den Schöpfer aus eigenen Gnaden völlig gleichgültig war. Und »von eigenen Gnaden« – das war es, wofür Koenig ihn nach wie vor hielt, obwohl ihm der Beweis sehr schwerfiel, da er keine Ahnung hatte, wie der Kerl zu diesen außergewöhnlichen Kräften kam.
Die Waldlichtung erschien ihren physischen Sinnen tausendmal klarer und wunderbarer als in jenem Moment, als sie sie über den Bildschirm gesehen hatten. Verdeschi und Maya sahen einander verwundert an, während sie knietief durch das hohe Gras gingen und von ihrem göttlichen Anführer geleitet ihre Lasten schleppten. Die neue Erde war sogar dem Planeten Luton weit überlegen, von dem sie erst kürzlich zurückgekehrt waren. »Ihr habt es so haben wollen«, sagte Koenig zu Moses, als sie sich der Lichtung näherten. Nachdem sie sich an Bord des Eagle-Schiffes versammelt hatten, war sodann Besatzung und Raumschiff samt der gesamten Ausrüstung von den Kräften des Unbekannten hierher transportiert worden. Ungeachtet seiner Gefühle, erlag Koenig beinahe der Versuchung, sich nur der frischen Bergluft, die ihm entgegenwehte, und dem weichen Moos, das bei jedem Schritt nachgab, hinzugeben. »Das ist eines meiner Privilegien«, erwiderte Moses. Koenig schaltete sein Sprechgerät ein. »Yasko, hier Koenig…« Doch der Monitor blieb tot. Koenig sah die biblische Erscheinung mißtrauisch an. »Vielleicht hat der Transport das Gerät beeinflußt. Sicher wird die Verbindung bald wieder klappen«, sagte der andere mit einer so betonten Unschuld, daß Koenigs Verdacht nur wuchs. »Mhmmmm!« Helena genoß entzückt die Luft und die Düfte, als wäre es das letztemal in ihrem Leben. »Die Luft ist ganz sauber!« rief Maya anerkennend, aber ohne Begeisterung. Widerstrebend zog Helena ihre Instrumente zu Rate. »Hier gibt es anscheinend keine gefährlichen Bakterien«, sagte sie.
Verdeschi bückte sich und hob eine Handvoll Erde auf. »Hier könnte man Getreide und alles mögliche pflanzen«, rief er aufgeregt. »Kalifornien – vor hundertfünfzig Jahren!« Helena wandte sich an ihren mächtigen Gastgeber. »Sie hatten recht«, sagte sie beglückt. »Wie zu Hause…« Sie hielt inne und mußte erstaunt eine plötzliche Veränderung in seinem Gehabe feststellen. Mit seiner Schauspielerei war es nun vorbei. Er benahm sich ihnen gegenüber fast unterwürfig. Vorher hatte er ihre Reaktionen wie ein stolzer Vater beobachtet, und jetzt schien er aufrichtig beglückt, daß sie eine so günstige Meinung geäußert hatte. »Es gefällt Ihnen?« fragte er Helena. Koenig mischte sich ein. Ihm war noch immer ein gewisser Vorbehalt anzumerken. »Der Planet scheint bewohnbar«, bemerkte er. »Wie steht es mit wilden Tieren?« Moses antwortete ein wenig ausweichend, aber doch recht überzeugend. »Ach ja, es gibt hier wilde Rinder, Wildschweine und Pferde – ausreichend, um eine Zucht anzufangen.« »Und Wasser?« »Sie haben doch den Bach gesehen! Sauberes Wasser in Hülle und Fülle. Wohlschmeckende Früchte, wohin man sieht. Ein zweiter Garten Eden. Ihr werdet hier sehr glücklich sein.« »Möglich«, sagte Koenig widerstrebend. Das auffallende Getue des Mannes wollte ihm nicht recht gefallen. Alles war zu übertrieben. »Ich möchte als erstes ein Pionierteam hier ansiedeln.« Der Schöpfer war wieder auf der Hut. »Warum?« fragte er. »Bevor ich eine Entscheidung bezüglich des neuen Garten Eden treffe, möchte ich eine Studie über die Möglichkeiten dieses Planeten anfertigen lassen.« »Hierher wird niemand mehr kommen«, sagte Moses mit Schärfe.
»Was? Höre ich richtig?« Koenigs Angriffslust war erwacht. »Die Entscheidung ist bereits gefallen. Ihr seid meine neuen Adams, meine neuen Evas.« Koenig starrte ihn an, als hätte er es mit einem Wahnsinnigen zu tun. Ja, der Kerl war übergeschnappt, das hatte er von Anfang an vermutet. Gescheit, aber irre. Wie Mentor. Wie alle anderen. Es schien ihnen bestimmt, auf ihren unfreiwilligen Fahrten durchs All ausgerechnet auf solche Typen zu stoßen. Und diesmal war er frustriert, weil es so aussah, als müßte er den Kampf allein auf sich gestellt austragen. Ärgerlich betätigte er wieder den Knopf an seinem Sprechgerät. »Koenig an Alpha, Koenig an Alpha…« sagte er laut. »Kommen!« Noch immer keine Reaktion. »Es hat keinen Zweck«, wurde ihm jetzt von Moses eröffnet. »Wir primitiven Urmenschen versuchen es immer wieder«, entgegnete Koenig in schneidendem Ton. »Koenig an Alpha…« Ihr neuer Kerkermeister schüttelte betrübt den Kopf. Er wies mit dem stoffumhüllten Arm zum Himmel. »Da oben ist eure Vergangenheit«, er senkte den Arm, »und hier unten eure Zukunft.« »Wir möchten selbst über unsere Zukunft entscheiden«, stieß Koenig hervor, der sogleich merkte, wie verzweifelt ohnmächtig das klingen mußte. Wütend auf Moses und sich selbst widmete er sich wieder seinem Sprechapparat. »Ich bin euer Herr und Schöpfer«, versicherte ihnen die wallend umhüllte Gestalt. »Ihr müßt auf mich bauen!« Die anderen Alphaner ließen nun davon ab, sich in ihre neue Umgebung zu vertiefen, und schienen sich aus dem Zauber zu lösen, in den sie offenbar verfangen worden waren.
»Dort oben sind Menschen, die uns brauchen«, sagte Helena schockiert. Doch ihr Herr und Schöpfer ließ sich nicht beirren. »Ich werde mich ihrer annehmen. Es soll ihnen an nichts mangeln«, versicherte er mit großer Aufrichtigkeit und Tiefe. »Und der Mond… was wird aus ihm?« fragte Verdeschi beunruhigt. »Er wird die neue Erde umkreise – eine Zeitlang wenigstens. Dann werde ich ihn wegschicken.« »Aber er ist unser Zuhause!« rief Maya entsetzt aus. »Hier ist jetzt euer Zuhause«, erwiderte der Schöpfer beharrlich. »Hier werdet ihr leben und lieben, hier wird die neue menschliche Rasse entstehen – die zweite Chance der Menschheit!« Das klang nach einem Irregeleiteten, einem rasenden Idealisten oder Perfektionisten, dachte Koenig grimmig. Das Universum wimmelt ja von solchen Typen. »Koenig an Alpha… Kommen!« Doch über die überlagerte Wellenlänge der Anlage drang nur das Rauschen von Weltallstaub und atmosphärische Störungen. Koenigs Miene drückte höchste Erregung aus, als ihm klar wurde, daß er es versuchen mußte. Und er zog seinen Laser.
»Hören Sie – wer oder was immer Sie sein mögen…« sagte Koenig und hielt die Waffe auf ihren Bewacher gerichtet, obwohl er wußte, er würde nie dazu kommen, sie abzufeuern. Moses reagierte auch rasch und mühelos. »Du weißt, wer ich bin… Und ich möchte bitten, daß du meine Hochachtung für dich nicht aufs Spiel setzt«, sagte er mit Autorität.
Koenig preßte wütend die Zähne zusammen, als der Laser aus seiner Hand verschwand und in der Hand des Gegners auftauchte. Hilflos mußte er zusehen, wie der sogenannte Schöpfer den Laserlauf gegen ihn richtete, um einmal mehr seine überlegenen Kräfte zu demonstrieren. Um zu zeigen, daß er wirklich Gott wäre. Die Gestalt strahlte nun eine blendende, weiße Energie aus, so daß sie nichts sehen konnten. Dann ließ er die Strahlung allmählich wieder verschwinden. Danach gab er die Waffe artig auf die gleiche Weise Koenig wieder, auf welche er sie sich angeeignet hatte. »Ihr seid gesegnet unter den Menschen«, verkündete er, während sie einander erschrocken und erstaunt ansahen. »Denn dies ist der erste Schöpfungstag!«
XIV
Sie waren weitergegangen und hatten sich auf einer kleinen, idyllischen Lichtung inmitten von jungen Bäumen niedergelassen, an den grünen Ufern des rauschenden Baches, den sie vom Kommandozentrum aus bereits gesehen hatten. Felsblöcke und dichtes Buschwerk schirmten sie von einer Brise ab. Hellgelber Herbstlöwenzahn und cremigweiße Schafgarbe blühten üppig im Gras. Die Wanderer verspürten den unwiderstehlichen Drang, sich hinzulegen und die warme, strahlende Sonne und den hellblauen Himmel zu genießen. Es war wie an einem Sommertag, versteckt in einem Dörfchen im englischen Hügelland. »Ich habe alles sorgfältig geplant«, fuhr Moses fort. Er war sich der emotionalen Erpressung, die er auf sie ausübte, voll bewußt. »Ich habe euch schon eine ganze Weile beobachtet.« »Sicher waren wir höchst interessante Objekte«, bemerkte Koenig beißend. »Und ob! Ich habe mir die Paarung genau ausgedacht.« Verdeschi sah sich mit ironischem Blick um. »Paarung, höre ich?« »Ja, es ist von großer Bedeutung, daß man die Gene richtig mischt«, teilte Moses ihnen mit. »Sie haben also genetische Manipulationen im Sinn«, spottete Helena. Das alte, aber alterslose Gesicht sah sie strahlend an. »Genau das! Und zu diesem Zweck entschied ich, daß du, Helena, Tonys Gefährtin sein sollst und Maya die des Commanders.«
Die Alphaner tauschten schweigende Blicke. Das Arrangement hätte etwas ungeheim Komisches an sich gehabt, wäre die Situation nicht so ernst gewesen. Es trat eine lange Pause ein. »Sie haben entschieden?« fragte Helena. Ihr Tonfall sollte humorvoll klingen, vermochte aber nicht über ihre Empörung hinwegzutäuschen. »Ja, habe ich«, sagte er. »Nun – ich hätte es nicht für unwichtig angesehen, wenn man uns gefragt hätte«, sagte Helena mit Entschiedenheit. »Sie haben nicht nur schlechte Manieren – Sie sind außerdem noch ein schlechter Psychologe.« »Außerdem ein mieser Biologe«, ergänzte Maya. »Vielleicht sind wir untereinander gar nicht zeugungsfähig.« »Das habe ich sorgfältig durchdacht«, wiederholte der Alte glücklich. »Ihr seid untereinander zeugungsfähig.« Er wandte sich an Maya. »Du und der Commander – ihr werdet eine faszinierende interplanetarische Mischung abgeben – Psychon und Erde! Dein eiserner Intellekt, meine Liebe – typisch für deine Gattung – im Verein mit dem eisernen Willen des Commanders, der so typisch für seine Gattung ist.« Koenig teilte diese Meinung gar nicht. Er und Maya sahen einander ungläubig an. Er fragte sich nur, wie der Unbekannte das alles bewerkstelligen wollte. »Genau diese Eigenschaften sind es, die sich Ihnen in den Weg stellen könnten«, widersprach Maya dem Schöpfer. »Ihre Beobachtung ist nicht so gut wie Sie glauben«, sagte Koenig. »Maya ist zwar sehr schön, aber…« »Aber wenn es nach Ihnen ginge, würden Sie Helena wählen. Das ist mir natürlich klar, aber das wäre nicht die Mischung, die ich anstrebe. Tut mir leid, damit bin ich nicht einverstanden.«
»Ich habe Sie nicht um Ihren Segen gebeten«, bemerkte Koenig sarkastisch. Er hatte das Gefühl, sich in einer absurden, irrealen Situation zu befinden, war aber – wie in einem Traum – unfähig, etwas dagegen zu unternehmen. »Wir treffen unsere eigene Wahl«, sagte er dennoch. »Das ist viel seltener der Fall, als man glaubt«, entgegnete Moses mit Nachdruck. Zu Helena gewandt sagte er: »Und du, meine Liebe – deine natürliche Noblesse, vereint mit Mr. Verdeschi – einem erd- und felsverwurzelten Mann…« Er blickte sie näher und durchdringender an. »Eure Nachkommenschaft wird höchst bemerkenswert ausfallen.« Helena schüttelte den Kopf, setzte zum Sprechen an, brachte aber kein Wort heraus. »Da gibt es aber noch etwas, was Sie übersehen haben dürften«, sagte Koenig an Helenas Stelle. Die Andeutung eines Stirnrunzelns huschte über die gebräunten Züge ihres Schöpfers. »Habe ich wirklich etwas übersehen?« fragte er. »Wir sind keine Kaninchen. Es gibt doch schließlich so etwas wie Liebe«, protestierte jetzt Helena. »Man braucht mir die Liebe doch nicht zu erklären«, lachte er gönnerhaft. »Ich war es doch, der sie erfand! Ihr werdet sehen!« Er wurde wieder sachlich. »Nun denn – hier gilt nur eine Regel: Ihr dürft euch unter keinen Umständen von dieser Lichtung auch nur einen Augenblick wegrühren.« »Was?« fuhr Koenig auf. »Warum?« »Weil ich es sage!« erwiderte Moses herrisch. Er wies auf eine Linie, gebildet aus halbkreisförmig angeordneten, weißen Felsen, welche die Lichtung umgaben und am Fluß endeten. »Die Markierung ist leicht zu erkennen.« Er zuckte die Achseln. »Außerdem ist es gar nicht notwendig, daß ihr euch entfernt – alles Nötige ist vorhanden.«
Wie von Zauberhand herbeigeschafft, tauchte plötzlich ein großer Weidenkorb mit Speisen und Getränken vor ihnen auf. Trotz seiner Wut fiel Koenig wieder die Hast auf, von der ihr angeblicher Schöpfer befallen schien. Ein Korb. Dieses neue Eden war dem Original in vielem sehr unähnlich. Es war so künstlich – wie aus Plastik… Wie überhaupt der ganze Stil dieses Mannes. Und doch war an seinen sehr echten Fähigkeiten nicht zu rütteln. »Ich verlange, daß unsere Verbindung mit Alpha wiederhergestellt wird!« wütete Koenig. »Ich wünsche es nicht!« stellte Moses tonlos fest. »Aber wir wollen es!« rief Koenig. »Bedaure«, sagte der andere. »Und jetzt… muß ich gehen. Es wird dunkel, und ihr müßt schlafen.« Er kicherte geheimnisvoll. Sie hatten den Großteil des Nachmittags verdiskutiert. Jetzt war es dunkel auf der Lichtung, die Farben verblaßten, obwohl die Luft noch klar und frisch war. Auch der Himmel war klar und Sterne begannen zu funkeln – wie auf Erden.
Die Sonne war hinter dem Horizont versunken, die Luft hatte sich abgekühlt, genau wie in jener Gegend Englands, mit der dieser Ort hier vergleichbar war. Moses blieb nachdenklich vor ihnen stehen. »Es wäre doch nett, wenn wir einen Mond hätten«, sagte er gedankenverloren – wie zu sich selbst. »Wir hatten noch keinen. Ihr würdet euch wie zu Hause fühlen.« Seine Gestalt verschwand, tauchte aber an einer anderen Stelle der Lichtung auf. Wieder schien er innerlich belustigt.
»Ach, übrigens werdet ihr feststellen, daß der Mondschein sämtliche romantischen Eigenschaften aufweist, die man ihm auf der guten, alten Erde zuschreibt.« Wieder war er verschwunden. Diesmal waren sie endgültig allein, und sie blickten sich unbehaglich um. Im schwindenden Dämmerlicht konnten sie zwischen den Bäumen noch immer die soliden, beruhigenden Umrisse des Eagle-Schiffes ausmachen, in dessen weißer Spitze sich das Rot der untergehenden Sonne spiegelte. Koenig machte eine Handbewegung, und sie begannen, sich scheu dem Schiff zu nähern. Doch nach einigen Schritten mußten sie erkennen, daß es sich ebenfalls in Nichts auflöste. Koenig starrte verbittert durch die Dämmerung zu der Stelle hin, an der der Eagle eben noch gestanden hatte. »Es war nicht anzunehmen, daß er sich diesen Trick entgehen lassen würde«, sagte er. Maya überlegte. »Atomstreuung –sehr interessant«, sagte sie nachdenklich. »Wie schön, daß du dieser Meinung bist«, sagte Verdeschi geistesabwesend. Ihm machte das tatsächliche Verschwinden des Schiffes mehr Sorge als die Art und Weise, wie es bewerkstelligt worden war. »Das Schiff ist noch vorhanden«, erklärte Maya. »Aber durch eine Kraft, die er ausübt, werden die Partikel zerstreut – wie ein in einer Flüssigkeit aufgelöstes Pulver.« Verdeschi zeigte sich jetzt beeindruckt. »Du glaubst also nicht, daß er wirklich das sein könnte, was er behauptet? Nämlich Gott?« Maya lachte. »Das sind doch nur Namen, die deine Gattung einem allmächtigen Wesen verliehen hat, dessen Existenz sie vermutet, das sie aber nicht begreifen kann.« »Er könnte also Gott sein?« fragte Verdeschi abermals.
»Wäre er vor einigen Jahren auf die Erde gekommen, hätten viele Menschen es behauptet«, sagte Koenig dazu. Er war jetzt nachdenklicher, aber noch immer unbeeindruckt. Ihre Blicke wanderten nun zu dem Eßkorb, der halb verborgen im Gras am Rande der dunklen Lichtung stand. Er bildete gleichsam das Zeichen von Beständigkeit in dieser neuen Welt, in die man sie geschafft hatte, und sie hielten auf ihn zu. »Nicht giftig«, informierte Maya, nachdem sie den Inhalt mit einem Scanner geprüft hatte. Sie öffnete die Halteriemen und schlug den knarrenden Deckel zurück. Der Korb war bis an den Rand mit Vorräten vollgepackt – Picknickpakete, Obst, dazu Teller, Flaschen und Gläser. Ein Anblick, um den Mund wässerig zu machen. Verdeschi bückte sich und goß für sich und Maya zwei Gläser voll. Er bot ihr eines an, und sie streckte mit gespielter Förmlichkeit die Hand danach aus. Ihre Hände verfehlten einander. Verwundert versuchten sie es von neuem – er, ihr das Glas zu überreichen, sie, es in Empfang zu nehmen. Ihre Hände führten die dazu erforderlichen Bewegungen aus, doch wieder wurden ihre Hände voneinander abgelenkt. Wie zwei magnetische Pole gleicher Ladung, glitten ihre Hände beiseite, einer Berührung unfähig. »Noch einmal«, sagte Verdeschi ungläubig. Sie wiederholten das Begegnungsspiel – mit gleichem Ergebnis. »Was zum…«, setzte er an. Er warf das Glas weg und streckte den Arm nach Maya aus. Er versuchte, sie zu fassen, doch ehe er mit ihr in Berührung
kam, wurde sie von der Kraft seiner Vorwärtsbewegung nach ihr beiseitegedrückt. Beunruhigt faßte nun Koenig nach Helena, doch auch er schien nicht imstande, sie berühren zu können – oder sie ihn. Er streckte die Hand aus und berührte Verdeschi. Kein Problem. Er berührte Maya. Auch kein Problem. Verdeschi berührte Helena. Problemlos. Die Worte, die Moses vor seinem Weggehen gesprochen, kamen ihnen in den Sinn. Sie hatten sie nicht allzu ernst genommen. Jetzt aber nahmen sie eine neue unheilvolle Bedeutung an. Sie sahen einander zornig und fassungslos an. »Sehr erfinderisch!« Maya fand als erste die Sprache wieder. »Magnetische Felder als Schutzhülle – positiv und negativ.« »Damit paart er uns praktisch«, stieß Koenig hervor. Erbost warf er den Kopf zurück und schrie gen Himmel: »Es wird nicht dazu kommen! Hörst du!« Seine Stimme verhallte in der Nacht. Eine einsame, verzweifelt klingende Stimme. Sie klang wie die Stimme eines Urmenschen, der in der Morgendämmerung der Geschichte in urzeitlicher Umgebung vor dem Eingang seiner Höhle steht. Die Nacht kühlte sich rasch ab, und plötzlich fühlten sie alle die Schwäche und Verwundbarkeit ihrer Gattung in einer solchen Situation. »Wir machen jetzt wohl am besten ein Feuer«, sagte Verdeschi. Am Rand der Lichtung sammelten sie Äste und Reisig als Brennmaterial. Die weißen Grenzsteine schlossen ein kleines Stück Waldland ihrem Bezirk ein, und Koenig und Verdeschi holten ein paar größere Holzstücke.
Bald prasselte und knisterte ein loderndes Feuer vor ihnen, um das sie sich frierend drängten. Helena und Koenig kauerten nebeneinander sowie Verdeschi und Maya. Sie holten Essen aus dem Korb und verzehrten es als ihr Abendbrot, besprachen dabei ihre Lage. Während sie so Kriegsrat hielten, kam hinter den Bäumen am Horizont die helle, weiße Mondscheibe auf und tauchte die Lichtung in ein kaltes, silbernes Licht. Wie Moses vorausgesagt, sollte sich die Szene ungemein romantisch gestalten, denn kaum war der Mond aufgegangen, als ein leises, paradiesisch klingendes Streichorchester durch die Nacht erklang. Sie sahen sich erstaunt um, konnten aber nichts sehen. Die Musik schien keiner einheitlichen Quelle zu entströmen. Sie kam aus der Luft, überspülte ihre Sinne und wiegte sie in eine angenehme Betäubung. »Da haben wir’s wieder. Der Liebesstrahl«, bemerkte Verdeschi voll Ironie. »Der kleine Ehestifter da oben am Himmel.« »Der hat sich zuviel in alte Hologramme vergafft«, bemerkte Koenig dazu. »Ja…«, sagte Maya kaum hörbar. Koenig sah sie befremdet an. Maya bedachte ihn durch die Flammen hindurch mit ihren Blicken, die jede seiner Bewegungen verfolgten. Ihre Sinne schienen jedem seiner Worte wohlgefällig Beifall zu zollen. Ihre feinen Züge wirkten weicher, strahlender, schöner denn je in der Vergangenheit von ihm empfunden. Ihre Augen waren tief, zogen ihn an und versprachen tausend wundersame Geheimnisse. Koenig starrte sie begehrlich, wie in Trance, an. »Was?« sagte er träumerisch weich.
»Ich sagte…ja…«, sprach Maya mit leiser, gurrender Stimme. Koenig riß sich zusammen und befreite sich selbst aus seinem Trancezustand. »Wir müssen Holz nachlegen«, sagte er abrupt. Er stand auf und machte sich ans Suchen, Maya folgte ihm. Verdeschi und Helena blieben sitzen, von gleichem Begehren umfangen. Helena blickte verträumt vor sich hin, während Verdeschi sich nach Kräften bemühte, unbeteiligt zu bleiben. »Möchte wissen, wer hinter dieser Kuppelei steckt«, scherzte er. »Ja, das möchte ich auch wissen«, wiederholte Helena leise und sah ihn mit Wohlgefallen an. Sie sah jetzt unendlich begehrenswert aus, und Verdeschi spürte, wie er unmißverständlich reagierte. Er ging um das Feuer herum und… zog sie zögernd an sich. Bebend näherten sich ihre Gesichter einander, und sie sahen sich an, als wären sie einander zum erstenmal begegnet. Ihre Blicke registrierten jede Falte, jede Pore, jedes Haar… Dann trafen ihre Lippen aufeinander, und sie umarmten sich. In einer verzweifelten Abwehr ihrer Hemmungen ließen sie sich ins Gras fallen. Ohne dieses Liebesspiel zu beachten, streiften Maya und Koenig zwischen den dünnen Stämmen der Silberbirken umher und suchten Brennholz. Schmerzhaft war sich jeder des Körpers des anderen bewußt und sehnte sich nach Berührung. Koenig redete ununterbrochen und hoffte, damit die aufreizende Wirkung der Musik dämpfen zu können. »Das war ja höchst interessant… deine Theorie, daß Gott nur ein Name ist, den wir… hm… Gott geben.« »Ihr Erdenmenschen nennt es vergleichende Religionswissenschaft«, fuhr Maya mit ihrer weichen Stimme
fort, die tausend Verlockungen und Geheimnisse zu verbergen schien. Koenig brach der Schweiß aus. »Das Interessante daran ist, daß wir schließlich Gott fanden«, fuhr Maya sehnsüchtig fort. »Den Schöpfer des Universums. Und wir entdeckten, daß dieser wieder einen Gott hatte, der ein noch größeres schuf.« Er konnte nicht unterscheiden, ob sie scherzte oder es ernst meinte. In der Dunkelheit faßten ihre Hände nach demselben Stück Holz und berührten dabei einander. Begierig nach gegenseitiger Berührung faßten sie nach der Hand des anderen. Koenig atmete schwer. »Eigentlich kümmert mich die vergleichende Religionswissenschaft keinen Deut«, gestand er hitzig. Sie richteten sich auf. Maya reagierte auf seine Leidenschaft verratenden Worte mit geöffneten Lippen. Sie sah ungemein begehrenswert aus. Koenig streckte die Arme nach ihr aus und umarmte sie leidenschaftlich. Sie küßten einander glühend und fühlten wundervolle Erleichterung, fühlten, wie jegliche Anspannung wich. Sie verharrten in der himmlischen Umarmung so lange sie nur konnten und trennten sich erst, als sie atemlos nach Luft schnappen mußten. »Wir wissen doch, daß wir manipuliert werden«, keuchte Koenig. »Ja, das wissen wir«, sagte Maya ebenso atemlos. »Eine einfache Gehirnwäsche…« »Es bedeutet doch… gar nichts…« »Nein… nicht«, stöhnte sie mit geschlossenen Augen, in Erwartung des nächsten Kusses. Sie zog seinen Kopf an sich.
Doch da erklang plötzlich ein Geheul durch die Nacht, das ihnen das Blut in den Adern erstarren ließ. Wieder ertönte der Tierschrei, von irgendwo aus den Tiefen des Waldlandes kommend. Sie trennten sich. Angst trieb sie aus den Bäumen hervor, zum Feuer hin. Auf der Lichtung trafen sie Helena und Verdeschi an, die ebenso erschrocken waren. »Was zum Henker war denn das?« fragte der Sicherheitschef mit vor Angst aufgerissenen Augen. »Es kam von da drüben.« Koenig deutete auf die Bäume. Wieder das Geheul – lauter noch und markerschütternder. Diesmal von einem wilden Grunzlaut begleitet. »Das klingt gefährlich nahe – wir müssen herausfinden, was es ist«, sagte Koenig. Sie zogen die Laser und bewegten sich zwischen den dunklen Bäumen vorsichtig vorwärts und überschritten dabei die von den weißen Grenzsteinen markierte Linie. Allmählich lichtete sich der Wald. Sie sahen vor sich eine zweite, mondhelle Lichtung. Dahinter stieg das Tal steil an, und in dem felsdurchsetzten, grasbewachsenen Hang sahen sie einen dunklen Höhleneingang. Vor der Öffnung rangen zwei bizarre Gestalten heftig miteinander. Eine war groß und affenähnlich, mit hervorquellenden, glühenden Augen und einem wilden, schwarzen Kamm auf dem Kopf. Der Gegner war ein kleines, semi-humanoides, krokodilartiges Wesen mit gewaltigen, geifernden Kiefern und kurzen Hinterbeinen. Das kleine Geschöpf war an zahlreichen Stellen verletzt. Die Schuppen glänzten von dem Blut, doch es kämpfte tapfer und schnappte nach den Beinen des Affenwesens, daß dieses vor Wut und Schmerz aufheulte.
Doch der Größere war im Vorteil. Die Alphaner sahen gebannt zu, wie die scharfen Klauen, die würgenden Umarmungen und mächtigen Hiebe der Pranken den Kleinen allmählich niederrangen und ihm einen jämmerlichen Tod bereiteten. Als spürte es die auf ihn gerichteten Blicke, drehte sich das Affengeschöpf taumelnd um und erspähte Koenig. Mit gräßlichem Geheul tat es einen Satz auf ihn zu. Koenig war darauf gefaßt gewesen und feuerte den Laser ab. Der dünne Strahl traf das Geschöpf in die Brust. Mit einem Angstschrei eruptierte der Körper in eine rauchende, knisternde Masse weißer Flammen. Koenig senkte die Waffe, angeekelt von dem Anblick und dem Geruch der verkohlten Masse, die auf dem Boden lag. Vorsichtig näherte er sich dem Höhleneingang, flankiert von den anderen. »Diese Spuren…« Erhielt inne, gefesselt von den Spuren des Semi-Humanoiden in der Erde. Es waren viele Spuren, vermengt mit anderen Tierfährten – und alle führten zur Höhle. Das, was er jetzt sagen wollte, blieb ungesprochen, denn vom Himmel dröhnte ein betäubendes Donnergrollen, dem ein gezackter Blitz folgte, der in einen Felsen in ihrer Nähe einschlug. Im vergrollenden Donner vernahmen sie die tiefe, anschwellende und vibrierende Stimme ihres Schöpfers. Sie strömte pulsierend vom Himmel und jagte ihnen mit ihrer Stärke Angst und Schrecken ein. »Ich hatte es euch verboten!« brüllte er. »Warum seid ihr ungehorsam?« Sie sahen zum Himmel auf und wichen ehrfürchtig vor dem Anblick zurück. Das Bild ihres Schöpfers hatte sich materialisiert. Er war durchsichtig wie Dunst und bewegte sich in amorphen
Schwaden, doch die zornverzerrten Züge waren deutlich erkennbar. »Geht zurück«, donnerte er. Seine riesigen, ärmelumwallten Arme winkten sie zurück. »Zurück! Zurück!« Verbittert und gedemütigt folgten sie seinem Befehl. Sie bewegten sich langsam zwischen den Bäumen hindurch, zurück in die unfreiwillige Versklavung.
Ihre kauernden Gestalten wurden von einer fahlen, feuchten Dämmerung überrascht. Die Luft war kalt, das Feuer längst erloschen. Die hohe Gestalt ihres Schöpfers ragte neben ihnen auf – die Arme verschränkt, so stand er da, die langen Silbersträhnen reichten bis an die Schultern. Sein Saum berührte den Boden. »Was ist es, das die menschliche Gattung so eigensinnig macht?« fragte er. Koenig und Verdeschi rafften sich auf. »Gestern haben Sie eine tolle Schau abgezogen«, sagte Koenig. »Was wollten Sie eigentlich vor uns verborgen halten?« »Ich verbot euch, diese Lichtung zu verlassen, weil ich die Gefahren kenne, die jenseits der Begrenzung lauern«, erwiderte der andere. »Ich wollte nicht, daß ihr vernichtet werdet, ehe es überhaupt beginnt.« »Welche Gefahren?« fragte Verdeschi. »Etwa der Affe oder das andere Geschöpf?« Moses schüttelte betrübt den Kopf. »Während ihrer ganzen Geschichte hat sich deine Gattung durch zweierlei ausgezeichnet – durch dauerndes Fragen und durch Selbstschädigung.« »Sie haben die Frage nicht beantwortet«, mahnte Koenig.
Moses seufzte. »Ihr seid heimatlos – ich gab euch ein Zuhause. Ihr wart hoffnungslos – ich gab euch neue Hoffnung.« »Wir waren nie hoffnungslos«, berichtigte ihn Koenig. »Was wollt ihr mehr?« »Unseren freien Willen«, antwortete Koenig sofort. Die Gestalt schnaubte. »Freier Wille! Wenn ich das schon höre! Das gibt es nirgends im ganzen Universum.« »Das glaube ich nicht«, sagte Koenig ruhig. »Wir hatten unseren freien Willen, ehe Sie ihn uns raubten.« Moses plusterte sich richtig auf und machte aus seinem Unwillen keinen Hehl. »Eure Vorstellung von freiem Willen besteht darin, nein zu sagen«, höhnte er. Koenig bewahrte Ruhe. »Kennen Sie eine bessere Definition?« Moses war leicht irritiert. »Das ist nicht mein Problem«, grollte er. »Freier Wille bedeutet auch, diese Lichtung verlassen zu dürfen, ohne daß Sie sich aufführen, wie direkt aus dem Buch Hiob entsprungen«, fuhr Koenig ruhig fort. Moses sah ihn mit einem unsicheren Blick an. Es sah fast so aus, als hätte er sich überrumpeln lassen. »Das Recht auf einen Versuch steht jedem zu«, sagte er. Koenig durchfuhr es. Er sah zu den Grenzsteinen hin, zu Moses, dann wieder zu den Steinen. Und dann setzte er sich sehr vorsichtig zu den Steinen in Bewegung. Er wollte sie eben überschreiten, brachte jedoch seinen Fuß gar nicht erst in die Nähe des ersten Steines. Ein gewaltiger Energiestrahl, begleitet von einem sengenden Lichtblitz, schleuderte ihn mit aller Kraft in den Mittelpunkt der Lichtung zurück. Es war ein Kraftfeld mit einer besonders hohen Energieladung gewesen, in das er geraten war.
In Todesangst schrie Koenig laut auf. Die Alphaner liefen zu ihm und halfen ihm auf die Beine. Er war kreidebleich und erschüttert und hinkte. Er schüttelte die anderen ab. »Alles in Ordnung – solche Energiefelder sind uns ja nichts Unbekanntes«, stieß er hervor. Und zu Moses gewandt sagte er: »Gratuliere – Sie Meisterphysiker!« Maya sah den sich überlegen gebärdenden Supergott wütend an. »Was halten Sie vor uns verborgen?« fragte sie. »Wir wissen ja bereits, daß es auf diesem Planeten auch noch andere Lebewesen gibt«, warf Helena ein. »Früher oder später werden wir uns ihnen ja doch nähern«, sagte Verdeschi hinter zusammengebissenen Zähnen. Aber Moses ließ sich durch solche Vorwürfe und Drohungen nicht beirren. »Der Bann dient zu eurem Schutz«, wiederholte er schlicht. Koenig wies mit einer überlegenen Geste zur Höhle hin. »Na, wie war es gestern – sah es so aus, als hätten wir einen Schutz nötig?« fragte er ironisch. Moses schien wieder erzürnt, beherrschte sich aber. Er sprach mit Nachdruck, aber anscheinend doch mit etwas Respekt. »Commander Koenig – mir ist es klar, daß die Errichtung jeglicher Art von Schranke von den Menschen als Herausforderung angesehen wird, diese zu überwinden. Dies aber ist eine Schranke, die ihr nicht überwinden werdet.« »Sie können ein Energiefeld nicht unbegrenzt aufrechterhalten«, konterte Koenig. »Doch – das kann ich«, erwiderte Moses aufgebracht. »Es ist zwar eine Vergeudung von Energie, die ich mir eigentlich nicht leisten kann. Aber wenn ihr euch wie Kinder aufführt, müßt ihr wie Kinder behandelt werden.«
Er drehte sich abrupt um und ertappte Maya fast dabei, wie sie ihn mit einer Prüfsonde abtastete, doch glückte es ihr, das Gerät rechtzeitig zu verstecken. »Aber lassen wir den Hader«, sagte er, jetzt wieder ganz Herrscher. Er machte eine Handbewegung, und ein Tablett mit Gläsern und einem Krug goldenen Nektars erschien zu ihren Füßen. »Bitte, bedient euch!« sagte er mit Lächeln. »Wie hieß es doch vor Jahren auf der Erde? Macht Liebe, keine Kriege!« Er verschwand wieder effektvoll und überließ sie sich selbst. Kochend vor Zorn wandte sich Koenig an die anderen. »Wir müssen raus aus diesem Zoo«, knirschte er. Helena hatte Befürchtungen. »Auch wenn wir das Energiefeld überwinden, so weiß er doch über alle unsere Schritte Bescheid – wie gestern.« »Woher wußte er es?« fragte Verdeschi erbittert. »Vielleicht durch ESP?« riet Helena, doch Maya unterbrach sie. »Nein, das glaube ich nicht. Ich habe ihn eben mit dem Scanner getestet.« Man sah ihr an, wie erstaunt sie war. »In seinem Körper ist irgendeine Energiequelle vorhanden.« »Eine organische Quelle?« fragte Helena. »Nein, eine künstliche – eingepflanzt. Sie ist ungeheuer stark. Ich weiß nicht, wie sie funktioniert, auf jeden Fall ist sie mechanischer Natur.« Koenig sah sie begeistert an. »Mechanisch?« »Ja, irgendeine Vorrichtung«, antwortete Maya. »Das bedeutet, daß seine Kräfte physikalischen und nicht psychischen Ursprungs sind.« »Das paßt haarscharf«, meinte Verdeschi. »Was sagte er? Es sei eine Energieverschwendung, die er sich kaum leisten könne!«
Koenig war in Gedanken versunken. »Seine Kräfte übersteigen jegliche Vorstellungskraft«, sagte er dann. »Aber unbegrenzt können sie nicht sein, und er muß mit ihrer Hilfe sehr viel bewältigen.« »Was zum Beispiel?« fragte Verdeschi. »Beispielsweise muß er diesen Planeten schon deswegen im Gleichgewicht halten…« Er hatte dabei seinen forschenden Blick zum Himmel erhoben. Er war strahlend blau, die Sonne hatte sich bereits über den Horizont erhoben und strahlte Wärme und Lebenskraft aus. Die bleiche Scheibe des Mondes war noch sichtbar, wie manchmal auch auf Erden. »Der Mond ist im Verhältnis zu diesem Planeten viel größer, als er es im Verhältnis zur Erde war«, bemerkte Helena als Ergebnis ihrer Beobachtung. »Und sehr viel näher.« Koenig schnippte mit den Fingern. »Natürlich! Das ist es! Die Anziehungskraft!« »Moses muß ihr entgegenwirken, damit sein Planet nicht infolge Überbeanspruchung auseinanderbricht«, sagte Maya. »Und er muß außerdem etwas unternehmen, damit niemand von Alpha auf dem Planeten landen kann«, fügte Verdeschi hinzu. »Ja, er hat alle Hände voll zu tun«, sagte Koenig. »Wenn wir hier nur rauskönnten und die Spuren verfolgen könnten – die Spuren vor der Höhle. Wir brauchen Verbündete – vielleicht hat das Wesen, das mit dem Affen kämpfte, Freunde.« Er sah zu der Energiesperre hinüber, und dabei kam ihm plötzlich eine Idee. Er bückte sich und schleuderte einen Stein gegen das Energiefeld. Ein blendender Blitz – ein ohrenbetäubender Krach – und der Stein wurde wieder zu ihnen zurückgeschleudert.
Er warf einen zweiten – diesmal höher. Der Stein segelte ungehindert über die verbotene Grenze. Koenig lächelte triumphierend und wandte sich an Maya. »Ein Vogel könnte es schaffen«, sagte er. Sie stieß einen Seufzer aus und erwiderte sein Lächeln. »Ist gut«, sagte sie. »Immer dasselbe. Wieder der Falke – wegen der Falkenaugen!« Sie wurde von einer Lichtsäule umhüllt und verwandelte sich selbst in einen Falken. Der Vogel erhob sich anmutig in die Lüfte, überflog sicher das Energiefeld und verschwand über dem erwachenden Waldgebiet.
Einsam erhob sich in einem entfernten Teil des Berglandes die wallende, geheimnisvolle Gestalt des Schöpfers. Er schüttelte sich vor Erschöpfung, Schweiß strömte ihm übers Gesicht. Von Liebe und Ausstrahlung keine Spur. Matt wandte er seinen faltigen Leib der aufgehenden Sonne zu. Er hob die Arme wie in der Geste der Anbetung und sog die heilenden Strahlen in sich ein. Allmählich besserte sich sein Zustand. Ihm war klar, daß er diesmal mit seinen Kräften eben noch hatte haushalten können. Wenn diese Menschen ihm nur nicht soviel abverlangten, wenn sie sich bloß vernünftig benehmen wollten, wenn sie nur begreifen wollten… Er wußte, daß dies müßige Überlegungen waren. Sie waren eben so, und er hatte von allem Anfang an mit Schwierigkeiten gerechnet.
Aber heutzutage – bei seinen schwindenden Kräften und bei dem sehr zerrütteten Zustand des Universums durfte man nicht wählerisch sein. Er hatte nehmen müssen, was sich anbot. Die Sonne strahlte warm auf ihn nieder, und er seufzte vor Erleichterung. Er fühlte sich jetzt viel besser – er fühlte sich wieder allmächtig und sah auch danach aus. Er mußte mit der neuen Energiereserve soviel wie möglich schaffen. Angeregt umwanderte er das Land, das er geschaffen – berührte die leuchtenden Blüten der Blumen, um die Insekten summten, und die prachtvollen, herabhängenden Zweige mit ihren Blättern, die ihm im Frühlingswind zunickten und leise raschelten. Über ihm ertönte Flügelschlag, und er sah auf und schützte seine Augen gegen die Sonne. Er streckte dem reinen, weißen Vogel den Arm entgegen und nahm stirnrunzelnd zur Kenntnis, daß sich das Tier zahm auf seiner Hand niederließ. »Ein Wanderfalke…«, sagte er nachdenklich. »Und ich dachte, sie wären hier ausgestorben…« Liebevoll streichelte er das Tier, das ihn aus runden Augen anstarrte und mit den zarten, rosa Lidern zwinkerte. Der Schöpfer schüttelte verwundert den Kopf, als er den Vogel wieder in die Luft entließ. »Je mehr ich lerne, desto weniger weiß ich…«, sagte er gütig. Er setzte seinen Rundgang fort. Seine Aufmerksamkeit galt wieder den vielen anderen, schönen Dingen seiner Schöpfung.
»Soll das heißen, daß er dich einfing und wieder freiließ?« fragte Verdeschi Maya nach ihrer Rückkehr. Maya nickte.
»Womit bewiesen ist, daß er ein Übermensch, aber nicht übernatürlich ist.« »Und die Spuren?« drängte Koenig fragend. »Konntest du etwas finden?« »Ich fand dieselben – aber auch auf dieser Lichtung«, berichtete sie stolz. »Wo?« Maya wies auf eine dichte Strauchgruppe innerhalb der Markierung des Energiefeldes. »Da drüben. Sie kommen auf der anderen Seite heraus. Aus der Luft ist es ganz deutlich zu erkennen.« Eilig lief Koenig an die bezeichnete Stelle und begann, die Büsche abzusuchen. Die anderen taten es ihm gleich. Sie brauchten nicht lange, um ein Stück herausragenden Felsen zu entdecken, der unter Laub begraben war. Sie zerrten Äste und abgestorbene Organismen beiseite und stießen endlich auf etwas, das wie eine schmale Öffnung in der Felsfläche aussah. Enttäuscht mußten sie jedoch feststellen, daß sie nicht hindurch konnten. Der Eingang war mit großen Steinen und Holzstücken dicht verbarrikadiert. Hilflos standen sie da, aber Koenig zog jetzt seinen Laser und gab den anderen mit einem Kopfnicken zu verstehen, sie sollten es ihm gleichtun. Sie legten ihre Waffen gegen den Felsen an und feuerten auf ein Zeichen Koenigs gleichzeitig los. Die Strahlen konzentrierter Lichtenergie trafen die Sperre. Die Holzstämme begannen zu schwelen und verwandelten sich dann im Geprassel aufzuckender Flammen und grauer Rauchschwaden zu weißer Asche. Ein Gerumpel entstand, als die Steinblöcke sich in einen Staubhaufen verwandelnd auf dem Boden zusammenfielen.
Als sich der Rauch verzogen hatte, liefen sie näher und krochen über Steine und durch einen schmalen Spalt in die dahinterliegende Dunkelheit. In der Dunkelheit bewegten sie sich einen Gang entlang, der unterhalb des Energiewalles abwärts führte. Mit der Zeit gewöhnten sie sich an die Dunkelheit und bemerkten, daß die Felswände ein natürliches, blau phosphoreszierendes Licht ausstrahlten, das ihnen den Weg erhellte. Der Tunnel verbreiterte sich und wurde höher. Dann kamen sie an eine Kreuzung, von der aus sich der Tunnel in vier Richtungen verzweigte. »Welche Richtung?« fragte Verdeschi irritiert. »Ruhe!« mahnte Koenig. Sie horchten. In der sonst lautlosen Stille hörten sie ein unheimliches Schlurfen und Schleifen. Dann ließ ein hohes, quietschendes Geräusch sie erkennen, daß etwas mit großer Geschwindigkeit auf sie zukam. Sie zogen ihre Laserwaffen, drückten sich instinktiv gegen die Felswand und versuchten, alle vier Gangöffnungen gleichzeitig im Schach zu halten. Das Geräusch hatte sich bis zu einem Crescendo gesteigert und erstarb dann. Sie wurden das unangenehme Gefühl nicht los, beobachtet zu werden. Erneut setzte jetzt das Schlurfgeräusch ein, und Koenig sah, sich ruckartig hinwendend, zu Tunnel Nummer eins hinüber. Er sah im Dämmerlicht ein riesiges Insektengeschöpf mit aufgerauhtem Rücken. Es nahm den Großteil des Tunnels ein und mußte sich mit aller Gewalt zu ihnen durchzwängen, während sein wippender Fühler blind vor sich hintastete. Unbeirrbar kam es auf sie zu, und als es den Tunnel hinter sich gelassen hatte, sahen sie mit Abscheu, daß es eine widerliche Assel war.
Der stumpfe Rücken war segmentiert. Unter dem Panzer bewegten sich Hunderte blasser, mit Gelenken versehener Beine. Das Geschöpf strömte einen starken Verwesungsgeruch aus. Angeekelt drückte Koenig den Laser ab und sah mit noch größerem Widerwillen zu, wie die übergroße Kreatur zu brodeln begann und in einer Masse von Flammen und übelriechenden Dünsten zusammensank. Die verkohlten Überreste versperrten ihnen den Weg. Angewidert mußten sie sich durcharbeiten, wobei die nach oben gerichteten Beine der Kreatur bei Berührung zu Ruß zerfielen. Koenig ging voran, entlang des zweiten, in kaltes, blaues Licht getauchten Tunnels. Vor ihnen lag eine scharfe Biegung, und wieder wurden sie von einem immer lauter werdenden Geräusch aufgehalten. Es war ein stoßweises, leises Grunzen. Koenig bog vorsichtig um die Ecke. Vor ihnen lag nun eine dunkle Höhle, die noch schwächer beleuchtet war als der Gang. Der Anblick überraschte Koenig. Eine Gestalt, die in einer Mauernische gestanden hatte, sprang ihn plötzlich an und grunzte wie ein wütender Eber. Koenig spürte, daß starke, klauenartige Tatzen seine Arme packten. Ein übelriechender, keuchender Atem wehte ihn an. Er kämpfte verbissen, doch das Wesen war zu stark und zu bösartig. Es hatte lange, geifernde Kieferladen, und Koenig erkannte undeutlich die Krokodilsgattung, die er mit dem großen, hahnenkammgeschmückten Menschenaffen hatte kämpfen sehen. Sie rollten, beobachtet von den schreckerstarrten Alphanern, über den Boden. Keiner wagte, einen Schuß abzugeben, aus
Angst, den Commander zu verletzen. Schließlich kamen Koenig und das Geschöpf vom Boden hoch. Koenig preßte ihm den Laser in den Rücken. Alle sahen, wie die hellen, intelligenten Augen dieses Geschöpfes sie ängstlich und verwirrt ansahen – daneben aber ein wildes Frohlocken auszudrücken schienen. »Bitte schießen!« rief das Wesen mit heiserer, aber artikulierter Stimme. Es duckte sich gleichzeitig, bereit, den Strahl zu empfangen. »Was?« fragte Koenig entgeistert. »Sie tun mir damit einen großen Gefallen«, erwiderte das Geschöpf, das beim Sprechen die großen Kiefer auf- und zuklappte. Es stand noch immer geduckt da. Koenig hatte sich von seiner Überraschung erholt und senkte die Waffe. »Ich werde dich nicht erschießen«, sagte er. Das Wesen richtete sich auf und sah ihn verächtlich an. Koenig kratzte sich am Kopf. »Warum der Angriff auf uns?« fragte er. »Damit wir getötet werden! Aus diesem Grund nehmen wir manchmal den Kampf mit den Affen auf.« Das Wesen deutete mit seinem Schuppenarm nach oben, zur Höhlendecke. »Er will uns nicht sterben lassen.« »Wer ist ›er‹?« fragte Koenig. »Er heißt Magus«, entgegnete der Semi-Humanoide. »Er ist ein Überwesen, der Letzte eines Geschlechtes kosmischer Magier.« »Magier!« rief Helena aus. Das hatte sie nicht erwartet. Der Humanoide blieb ungerührt. »Sie erlernten die letzten Geheimnisse der Physik. Sie konnten Wunder wirken…«, berichtete er. Verdeschi beugte sich vor. »Und er ist der letzte?«
»Die Magier gingen zu weit«, erwiderte der Humanoide. »Sie forderten ein geheimnisvolles Wesen heraus, das noch mächtiger war als sie. Und dieses Wesen vernichtete sie. Magus entging der Vernichtung, weil er sich an einem anderen Ort im Universum aufhielt. Er war schon immer ein großer Wanderer.« »Was will er eigentlich?« fragte Koenig. Das Wesen ließ jetzt eine Pause eintreten. Als es endlich antwortete, klang bitterer Sarkasmus aus seinen Worten. »Es will hinter das Geheimnis der Schöpfung kommen – er will selbst Leben schaffen. Er glaubt, er könnte es dann mit dem geheimnisvollen Gegner aufnehmen, der seine Gattung ausrottete und dieses Geheimnis beherrscht.« Koenig besah sich dieses Wesen genauer – diese unglückliche Mischung aus Charakteristika von Eidechse und Mensch. »Und wie paßt du und die anderen in das Ganze hinein?« fragte er. »Wir sind die Hybriden, die Magus’ Versuchen entstammen, als er hinter das Geheimnis kommen wollte.« »Was bedeutet das?« fragte Helena, deren Mitleid erwachte, als sie seine Schreckensgeschichte hörte. »Wir sind Nachkommen anderer Arten, die er fing und auf diesen Planeten schaffte – das Ergebnis seiner genetischen Versuche mit unseren ganz frisch befruchteten Zellen.« Gequältheit sprach aus den Worten des armen Wesens und erweckte Helenas Mitgefühl in immer größerem Maße. »Er will uns nicht einmal sterben lassen«, fuhr das Geschöpf fort. »Er glaubt, er könne aus unseren verstümmelten Genen noch immer etwas lernen. Hier unten ist der einzige Ort, an den wir ihm entkommen können. Er wird niemals hier herunterkommen.«
»Was ist seine Energiequelle?« fragte Verdeschi das Wesen leise. »Ich weiß es nicht«, gestand es ein. Sie schwiegen eine Weile. Diese grotesken und unbeholfenen Schöpfungsversuche des Magiers hatten ihr Entsetzen vollends wachgerufen. »Kannst du uns hier herausführen – zu der Höhle der Affen?« fragte Koenig. Unwillig nickte der Humanoide. Er drehte sich um und trottete durch die Höhle. Jetzt erst bemerkten sie die scheußlichen Formen vieler anderer Hybriden, die sich in der Finsternis regten. Sie hörten das Stöhnen und Ächzen – Ausdruck ihrer Qualen, denen sie ständig ausgesetzt waren. Sie wurden von den Geschöpfen nicht angegriffen, und bald sahen sie das Tageslicht wie eine gelbliche Lichtscheibe vor sich. Es war der Höhleneingang. Als sie näher kamen, wurde die Scheibe heller und größer. Der gelbliche Schimmer verschwand, und bald standen sie wieder im hellen Tageslicht. Und in der Mitte der Lichtung erwartete sie die große, furchteinflößende Gestalt des Magiers. Seine Stimme grollte donnergleich. »Hinterlistige Pygmäen!« brüllte er. Sie wollten fliehen, doch er hob den Arm und deutete auf Verdeschi. Aus seinem Zeigefinger schoß ein Energieblitz und traf den Sicherheitschef in den Rücken. Er fiel von Schmerz gepeinigt zu Boden. Maya stieß einen Schrei aus und lief zu ihm. Es nützte nichts. Verdeschi verfiel in Zuckungen und blieb dann reglos liegen. Die Katzenfrau von Psychon schrie abermals und wandte sich mit haßerfüllten Racheblicken gegen ihren Verfolger.
XV
In der Erkenntnis, daß sie weiterhin seiner Willkür ausgeliefert sein würden, lief Koenig auf Maya zu und hielt sie zurück. »Nein! Er wird dich töten, Maya!« Er rang mit ihr und hoffte dabei inständig, sie würde ihre Gestalt nicht wechseln. »Tony ist nicht tot!« rief Helena aus dem Hintergrund. »Er ist nur sehr geschwächt.« »Maya, hörst du, was sie sagt?« rief Koenig verzweifelt. »Tony lebt! Er braucht dich!« Verstört drehte sich die Psychonerin um. Sie starrte auf Verdeschis zusammengesunkene Gestalt, neben der Helena kniete, und lief zu ihm. Koenig wandte sich an Magus. »Eine unüberlegte und unverantwortliche Handlungsweise von Ihnen!« wütete er. »Er ist ja nur betäubt«, erwiderte Magus überheblich. »Ihr habt mich nicht ernst genommen, euch gebührt eine Lektion.« Koenig wandte sich angewidert ab. Er vergewisserte sich, daß Verdeschi tatsächlich zu sich kam. Dann drehte er sich wieder zu dem Magier um und deutete auf die Höhle. »Das also ist der Garten Eden«, sagte er voll Bitterkeit. »Das sind Adam und Eva! Du wolltest uns als Versuchskaninchen verwenden!« Koenig steigerte sich immer mehr in Wut. »So hätten unsere Nachkommen ausgesehen!« Zum erstenmal huschte eine Andeutung von Zerknirschtheit über das Gesicht des Magiers. »Nein!« rief er aus. »Das war nicht mein Vorhaben mit euch. Ich wollte mit euch einen neuen Menschen züchten – stark,
intelligent, überlegen, fleißig – lauter Eigenschaften, die ihr einzeln besitzt. Gemeinsam hätten wir am großen Geheimnis der Schöpfung gearbeitet. Mit ist klar geworden, daß ich das allein nicht lösen kann.« Das klang fast demütig, bittend. Helena, die Verdeschi behandelte, sah auf. »Du behauptest, daß du ein Schöpfer bist. Du bist ein Lügner und Betrüger!« rief sie voll Verachtung. »Eine harmlose Täuschung, um euer Vertrauen zu gewinnen…«, erwiderte Magus. »Ihr werdet mir noch dankbar sein. Wenn die Zeit reif ist, werde ich euch und eure Nachkommen mit den Eigenschaften ausstatten, die ich besitze. Gemeinsam werden wir das große Geheimnis der Schöpfung erarbeiten.« Noch während er sprach, senkte sich die Sonne hinter den Horizont, und der Tag neigte sich dem Ende zu. Lange Schatten der Dämmerung fielen über die Bäume. Magus wurde merklich nervös und kam mit ausgebreiteten Armen auf sie zu. »Aber jetzt müßt ihr lernen, mir zu gehorchen. Geht!« rief er streng. »Geht zurück auf die Lichtung und bleibt dort.« So schnell sie konnten, bahnten sie sich den Weg zwischen den Bäumen hindurch und beförderten Verdeschi, indem sie ihn halb trugen, halb zerrten. Der zornige Magier folgte ihnen mit erhobenen Armen und scheuchte sie auf die Lichtung zurück. Sein Antlitz glänzte vor Schweiß und ließ die Spuren der Anstrengung erkennen, da nun das Tageslicht allmählich schwand und die unfruchtbare Dunkelheit der Nacht wiederkehrte.
Wieder wurden sie allein gelassen, und sie zermarterten sich das Hirn nach einer Lösung. Diesmal ertönte keine Zaubermusik, und das Feuer wurde gar nicht erst entfacht. Verdeschi erholte sich unter der fachmännischen Behandlung durch Helena und Maya allmählich. »Ich glaube, ich habe es«, erklärte Koenig schließlich. Die anderen sahen ihn erwartungsvoll an. »Einen Ausweg?« fragte Helena. »Sicher bin ich nicht. Hört gut zu. Magus kann aus irgendeinem Grund Dunkelheit nicht ertragen.« »Der Supermann fürchtet sich im Dunkeln!« spottete Maya. »Überlegt mal«, fuhr Koenig fort. »Er verschwand genau in dem Moment, als es dunkel wurde. Er will nicht hinunter in die Höhlen. Auch heute hat er sich wieder eilig aus dem Staube gemacht… bei Einbruch der Dämmerung. Könnt ihr euch erinnern, welche Wirkung der Laser auf ihn hatte?« »Er bezog daraus Kraft«, entsann sich Helena, als die augenscheinliche Verbindung zwischen den Ereignissen ihr dämmerte. Maya hatte sich von ihrem Schrecken bereits erholt. »Natürlich«, rief sie aus. »Er braucht Licht! Seine Energie bezieht er aus dem Licht! Wieso ist mir das nicht früher eingefallen?« »Du mußtest an Tony denken«, sagte Koenig. »Aber überleg’ mal – in diesem Augenblick befindet sich Magus wahrscheinlich auf der anderen Seite des Planeten, wo die Sonne noch scheint!« »Das eingesetzte Gerät, das ich in ihm entdeckte«, fuhr Maya immer eifriger fort, »könnte ein Lichtdetektor sein.« »Ein – was?« stöhnte Verdeschi.
Er hatte zugehört und setzte sich nun mühsam auf, kaum imstande, den Druck des Bodens auf seinem überreizten Fleisch zu ertragen. »Stell dir vor, wie das Licht sich mit 186000 Meilen pro Sekunde fortpflanzt…« »Dir zuliebe will ich es versuchen«, stöhnte er wieder, und Helena half ihm fürsorglich auf die Beine. »Und nun findet man eine Methode, die Lichtgeschwindigkeit auf Null zu reduzieren, wenn das Licht auf einen auftrifft –und macht sich die daraus resultierende Energie zunutze«, rief Maya aus, von ihren mathematischen Einfällen inspiriert. Koenig war perplex. »Ich hätte nicht gedacht, daß so etwas möglich ist.« »Ist es auch nicht – für uns«, fuhr Maya ernst fort. »Aber die Magier haben das Problem gelöst und wurden damit zu Überwesen. Wahrscheinlich ist es ein kleiner Kristall, der in den Hirnstamm eingepflanzt wird.« »Und die Energie wäre dann also sofort nutzbar…«, folgerte Helena. »Und könnte einfach durch Gedanken gesteuert werden«, ergänzte Maya. »Also eine fast unbegrenzte persönliche Macht! Und dieser Traum wurde für wenige wahr! Es muß ein Gefühl sein… so als wäre man beinahe Gott persönlich!« erklärte Koenig mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Besorgnis. »Und wie kommen wir dagegen an?« fragte Verdeschi. Er stand noch sehr wacklig auf den Beinen und mußte sich auf Helena stützen. »Ganz klar«, antwortete Koenig. »Wir müssen einen Weg finden, seine Energiequelle zu blockieren – das bedeutet, daß wir das Licht abschirmen müssen… Warte mal!« erklärte er gedehnt. Ein listiges Lächeln huschte über seine Züge. »Ich
habe eine Idee. Wie wäre es, wenn wir die Sonne verfinstern… mit dem Mond?« »Eine Sonnenfinsternis würde Magus seiner Kraft berauben«, gab Helena ihm recht, hatte aber ihre Zweifel. »Maya?« wandte sich Koenig an diese. Sie zog ein astronomisches Gerät aus der Tasche und hob es gegen den Himmel. Sie las ein paar Meßwerte ab, während die anderen ihr interessiert und hoffnungsvoll zusahen. Dann vollzog sie eine Reihe komplizierter Kopfrechnungen und sah dann ihre Gefährten niedergeschlagen an. »Geht nicht«, sagte sie. »Wenn unser Mond in seiner Umlaufbahn um diesen Planeten bliebe, gäbe es eine Mondfinsternis in… dreizehn Monaten.« Sie ließen alle Hoffnung fahren. »Nein – dann hat das also keinen Zweck«, sagte Koenig grimmig. Doch er hatte bereits einen anderen Plan gefaßt. »Dann müssen wir unser Glück selbst in die Hand nehmen. Es muß doch einen Weg geben, Magus seine ureigene Sonnenfinsternis zu verschaffen.« »Und wie?« fragte Helena. »Er nannte uns primitive Urmenschen…« sagte Koenig nachdenklich. »Also – laßt uns primitiv sein! Das ist eine Eigenschaft, die er am wenigsten erwartet. Da drüben…« Er ging auf einen kleinen grasbewachsenen Hügel zu. Oben zeigte sich ein ziemlich großer, natürlicher Riß in der Erde. »Eine Fallgrube!« spann Maya den Gedanken Koenigs weiter. »Fängt man damit ein Genie?« Koenig lächelte. »Das Naheliegende ist etwas, was Genies nie in Betracht ziehen«, sagte er und bückte sich, um die Vertiefung im Boden in Augenschein zu nehmen.
Der Spalt war nur ein paar Zoll breit, aber ziemlich tief. In der Dunkelheit war er kaum sichtbar. Sie warteten ab, bis der Mond aufgegangen war, ehe sie mit scharfkantigen Steinen und Holzhauen, die sie aus jungen Bäumen anfertigten, zu graben begannen. Koenig und Verdeschi gruben, während Maya und Helena ein dichtes Mattengeflecht aus Ästen, Rasenstücken und Laub flochten. »Wir werden niemals rechtzeitig fertig«, klagte Verdeschi, nachdem sie begonnen hatten, die von der Sonne trockenen Seitenwände der Spalte mühsam nachzugraben. Das lose Erdreich rieselte hinunter. »Komisch – die Vertiefung scheint sich nicht aufzufüllen«, bemerkte Koenig. Verdeschi starrte den Spalt hinab. Er stieß sein improvisiertes Schaufelgerät hinein – und stieß damit in leere Luft. »Ganz schön tief… Möchte wissen, ob…?« Er sah zu Koenig und beide nickten verstehend. »Die Gänge sind es«, sagte Koenig erregt. »Wahrscheinlich ist der Berg unterminiert. Wenn ja, dann brauchen wir nur die Seitenwände zu bearbeiten und den Spalt zu verbreitern.« Mit frischen Kräften machten sie sich an die Arbeit. Diesmal machten sie raschere Fortschritte, und langsam, aber sicher, wurde die Öffnung breiter. Als es dämmerte, legten sie letzte Hand an. Die Öffnung war nun fünf oder sechs Fuß breit und im heller werdenden Licht konnten sie bis auf den Grund sehen…zehn oder fünfzehn Fuß unter ihnen lag nun ein Haufen von Erdklumpen und Sand. Die Wände fielen steil ab – hier konnte niemand mehr hochklettern. »Laßt mich hinunter«, sagte Koenig zu den anderen.
Aus Gürteln und anderen Teilen von Kleidungsstücken hatte er sich ein provisorisches Seil angefertigt und um die Mitte geschlungen und wurde nun vorsichtig hinabgelassen. Er landete behutsam und sah sich aufmerksam nach allen Seiten um. An einer Seite bemerkte er einen Tunnel, der in die Schwärze führte. Der Fels war an dieser Stelle dem Erdreich gewichen, und aller Wahrscheinlichkeit nach war der Tunnel baufällig und schon längere Zeit unbenutzt. Nichts rührte sich. Er zog die Laserwaffe. »Legt die Matte drüber!« rief er hinauf. Die schwere, grobe Decke wurde über die Öffnung gelegt. Erde bröckelte ab und fiel herunter. Von oben war nur Geraschel zu hören – dann völlige Stille. Und Finsternis. Unmöglich, daß Magus die von ihm benötigte Energie hier auftanken konnte, dachte er zufrieden. Hoffentlich war Magus nicht imstande, Energie zu speichern und seine Tricks auch in totaler Dunkelheit zu vollführen. Die Matte wurde nun zurückgeschoben, und man zog ihn wieder nach oben. »Magus kann jeden Moment dasein«, mahnte Verdeschi. Er spähte nervös zum Horizont. »Wie war es da unten?« »Perfekt«, nickte Koenig. »Wir müssen nur sehen, daß wir ihn da hineinkriegen.« Sie bedeckten das Loch wieder mit der Matte. Dann traten sie zurück und begutachteten kritisch ihr Werk. Einem aufmerksamen Beobachter wäre nicht entgangen, daß die in die Matte verwobenen Grasbüschel nicht gerade sehr überzeugend wirkten. Wenn man aber nicht genau hinsah, würde die Vorrichtung hoffentlich ihren Dienst tun. »Wenn er Verdacht schöpft oder wenn es sonstwie nicht klappt, bedeutet es unser Ende – und das Ende von Mondbasis Alpha«, sagte Maya feierlich. »Es muß klappen!«
Eine Bewegung zwischen den Bäumen kündete von Magus’ Kommen. Sie liefen hastig zu den verkohlten Resten des Feuers und ließen sich daneben nieder. Der Eßkorb war offen, und sie taten so, als sprächen sie herzhaft ihrem Frühstück zu. Die hohe Gestalt des Magiers tauchte auf der Lichtung auf. Sie drehten sich um und taten, als träfe sie seine Ankunft höchst überraschend. Er sah sie strahlend an, seine Stimmung schien ausgezeichnet. Sein ganzes Wesen sog das Sonnenlicht ein. Koenig erhob sich und ging ihm entgegen, wobei er der Grube vorsichtig auswich. »Wir haben uns deine Vorschläge durch den Kopf gehen lassen«, sagte er zu dem lächelnden Übermenschen. »Ihr wollt mir also bei meinem großen Werk helfen«, fragte Magus, erstaunt über die veränderte Reaktion. Koenig tat, als zögerte er. Er ließ Magus auf die Antwort warten. »Wie sollen wir wissen, ob wir dir trauen können?« fragte er endlich. »Schließlich sind wir dir auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.« Er drehte sich, von vorgetäuschten Zweifeln zerrissen, zur Grube um. Magus tat einen Schritt auf ihn zu, um ihn zu einer Entscheidung zu drängen. »Ich brauche euch! Allein schaffe ich es nicht! Das ist eure Garantie!« sagte er. Koenig war noch immer nicht befriedigt. Er wich weiter zurück und tat so, als wäre er tief in Gedanken versunken. »Wenn du unsere Mitarbeit willst, dann darf es keine Experimente mit den Mutanten mehr geben«, bat er sich aus. »Sie dürfen nicht einmal mehr beobachtet werden.« Magus gefiel das gar nicht. Er kam näher.
»Man kann immer noch viel Wertvolles an ihnen lernen«, erklärte er ungehalten. »Aus Fehlern lernt man oft mehr, als aus Erfolgen.« »Nein«, sagte Koenig. »Man soll sie in Ruhe lassen und sie nicht gegen ihren Willen am Leben erhalten.« Koenig drehte sich um und ging auf die andere Seite der Grube. Er nahm neben den anderen Aufstellung, als wolle er zur Unterstützung seiner Forderungen Solidarität demonstrieren. Magus schüttelte ungläubig den Kopf. »Die Überheblichkeit eurer Gattung setzt mich immer wieder in Erstaunen«, sagte er. »Ihr seid in meiner Gewalt – und doch seid ihr es, die die Bedingungen diktiert.« »Das sind nun einmal unsere Bedingungen«, erklärte Koenig tonlos. »Wir lassen nicht mit uns handeln. Du mußt sie annehmen oder uns töten.« Magus wurde wütend, machte einige Schritte auf sie zu, wobei er mahnend den Finger erhoben hielt. »Und eure Freunde auf dem Mond – trefft ihr die Entscheidung für sie alle… oooh!« Er stieß ein wütendes Heulen aus, als sein göttlicher Leib durch die Matte krachte und in die Grube sauste. »Jetzt!« rief Koenig. Sie liefen hastig zur Öffnung und häuften Rasenstücke und Reisig auf die Öffnung, die er in die Matte gerissen hatte. In Sekundenschnelle war sie abgedeckt. Von unten hörten sie Magus’ Stimme, die sie in den höchsten Tönen beschimpfte. »Idioten! Urzeittrottel! Ohne mich wird der Planet in Stücke zerfallen!« Seine Stimme wurde immer verzweifelter. »Licht! Ich brauche Licht!« Koenig drückte den Knopf seines Sprechgerätes.
»Koenig an Alpha – Koenig an Alpha… Kommen!« rief er dringend. In der Luft erhob sich ein fernes Brausen, der Boden begann zu beben, als Magus’ Prophezeiungen eintrafen. »Wie wir es uns dachten«, sagte Maya, die nun wieder ihre Ruhe zurückgewonnen hatte, da Verdeschi, der allein Gefühle in ihr zu wecken vermochte, wieder auf den Beinen war. »Es war wirklich nur die Kraft des Magiers, welche die neue Erde gegenüber der Gravitation des Mondes zusammenhielt.« Koenig hörte ihr gar nicht zu. »Koenig an Alpha… Kommen!« rief er und verlor langsam jede Hoffnung. »Gebt mir Licht, oder wir alle sterben«, hörte man Magus heulen. Schließlich leuchtete der Bildschirm auf Koenigs Gerät auf. »Kommen – Alpha«, sagte er erleichtert. »John!« hörten sie Yaskos erregte Stimme. »Wo wart ihr denn?« »Auf dem Planeten«, antwortete Koenig. »Und der fällt jetzt in Stücke. Koordinaten 473/790 von der Sonne seines Planetensystems aus. Schickt einen Eagle her, ja?« »Alan ist in der Nähe«, rief Yasko beruhigend. »Wir konnten leider den Kontakt mit euch nicht eher herstellen.«
Der Planet geriet in bedrohliches Vibrieren. Im Boden zeigten sich klaffende Risse, die Bäume gerieten ins Schwanken, lose Blätter fielen vorzeitig ab. Einige Bäume stürzten um, man hörte sie krachend zu Boden fallen. Magus’ Stimme hatte wieder Donnerqualität, als er seine Energiereserven zusammenkratzte und das Getöse übertönte. »Das Ende aller Dinge!« verkündete seine schreckliche Stimme, die vom Himmel widerhallte. »Ewige Nacht!«
»150000 Meilen weit entfernt!« rief Koenig aus. »Sie kommen zu spät!« »John! Sieh mal!« Helena faßte nach seinem Arm und deutete auf die Stelle, wo Eagle Vier gestanden hatte. Der Atom-Zerstreuungsprozeß, der das Schiff unsichtbar gemacht hatte, wurde nun mit dem Schwinden von Magus’ Kraft umgekehrt, und die vertrauten Umrisse ihres Schiffes flimmerten ihnen entgegen. Frohlockend liefen sie auf das Schiff zu. Es war wie ein Traum. Auf halbem Wege blieb Koenig plötzlich stehen. »Die Hybriden! Wir können sie nicht dem sicheren Tod überlassen!« Er wollte zum nahegelegenen Höhleneingang. »John!« rief Verdeschi. »Das Schiff! Rasch zum Schiff!« Er deutete verzweifelt auf den Eagle. Unter dem Schiff hatte sich ein Riß aufgetan, ein Bein war bereits eingesunken. Aber Koenig hörte nicht. Er lief zum Höhleneingang, und Verdeschi lief ihm nach. Die zwei erschrockenen Frauen beobachteten die aus Mitleid geborene Wahnsinnstat. Große Felsstücke rollten den Hang über der Höhle hinunter, türmten sich vor dem Eingang auf und verschlossen ihn. Der Semi-Humanoide, der mit Koenig gekämpft hatte, stand furchtlos vor dem Eingang. »Rasch!« rief Koenig. »Wir werden so viele wie möglich mitnehmen!« Aber der schuppige Hybride schüttelte den Kopf. Er richtete sich zu voller Größe auf und antwortete mit ungerührter Würde. »Danke«, sagte er mit seiner merkwürdig grunzenden und jetzt traurigen Stimme. »Es ist so besser für uns.«
Ein Felsblock fiel zwischen sie und das Geschöpf. Koenig und Verdeschi machten kehrt und hielten auf das Schiff zu. »Bitte, nehmt mich mit!« heulte Magus. Es war ein flehentliches Bitten. »Ich kann euch Wunder zeigen!« Sie holten Maya und Helena ein, die bereits aufgeregt warteten. Gemeinsam kletterten sie die Landerampe hoch und betraten die Pilotenkanzel. »Primitive, boshafte Dummköpfe!« brüllte Magus, der wieder zu Drohungen und Beleidigungen Zuflucht nahm. »Zerstörer!« Das war das letzte, was sie von ihm hören sollten. Helena schloß die Türen. Maya lief ins Passagierabteil und setzte die Computer in Gang. Koenig und Verdeschi ließen sich in ihre Sitze fallen und aktivierten Antriebe und Steuerung. Langsam, donnernd und jedes Geräusch übertönend, das Magus erzeugen konnte, falls es ihm möglich gewesen wäre, erwachten die unerschütterlichen Motoren des großen Schiffes zum Leben. Ruhig und stolz erhob es sich und entfernte sich von der zerrissenen und berstenden Oberfläche des Planeten »Neue Erde«. Während sie ihrer eigenen, leblosen aber bewohnbaren Welt entgegenflogen, beobachteten sie, wie der Globus, den sich der desillusionierte und fanatische »Schöpfer« geschaffen hatte, in eine kochende Masse von Rauch und Fels zerbarst, die für ewige Zeiten im All kreisen würde.