KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
N O E L BARBER
D R . V.IVIAN F U ...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
N O E L BARBER
D R . V.IVIAN F U C H S D U R C H Q U E R T DIE ANTARKTIS
VERLAG SEBASTIAN LUX MURNAU . MÖNCHEN . INNSBRUCK . BASEL
Ein Federfuchser fliegt zum Südpol Seit meiner Ankunft in der Antarktis hatte ich* schon einiges erlebt, aber es mußte noch allerhand mehr geschehen, wenn es noch aufregender werden sollte als mein erster Südpolflug von McMurdo aus, der kleinen Amerikanersiedlung am Roß-Mcer, wo wir den antarktischen Kontinent betreten hatten. Zwei Tage hatte ich in McMurdo schon auf den Start gewartet. Dann endlich ließ der grausame weiße Schneedunst, der gefürchtete „Whiteout", ein wenig nach. Gus Schinn, der erste Pilot, der jemals am Südpol gelandet war, starrte zu der schwachen Linie hinüber, wo der weiße Himmel aufhört und der weiße Schnee des Horizonts beginnt, und sagte: „Los, komm mit, Noel! Mal sehen, ob wir dich Federfuchser zum Pol befördern können." Und dann begann mein erster Flug zum Südpol. Das ist jetzt so endlos lange her — so jedenfalls scheint es mir in dieser Einöde, wo die Zeit nichts gilt und die Geduld alles ist. Das Wetter war ganz gut. Die knallroten Tragflächenenden unserer DC-3 und ihre knallrote Schwanzflosse hoben sich grell von dem Schnee ab. „Ist besser so", meinte Pilot Gus Schinn. „Bei einer Notlandung ist es gut, wenn man sein eigenes Flugzeug sehen kann." Man sieht, er war entschlossen, mir Mut zu machen für dieses Abenteuer. Dann ließ er die Motoren aufheulen. Eine Stunde hatte ich noch Zeit. Solange dauerte es, bis das alte Schlachtroß aufgewärmt war. Dann kletterten wir in die Maschine und starteten. Gus konnte genug Benzin für einen direkten Flug zum Pol mit« * Noel Barber, der Verfasser des Lesebogens, ist Reporter einer große« englischen Zeitung.
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Der ..antarktische Dom" — das Kirchlein am MeMurdo-Sund
nehmen, aber er schätzte eine allzu schwere Treibstoffladung nicht; sie könnte bei einer Notlandung verhängnisvoll werden. Notlandung! Schon wieder dieses W o r t ! Mit etwas unbehaglichen Gefühlen blickte ich hinaus auf die endlose weiße Fläche unter uns, vor uns, über uns. Das Flugzeug war völlig ausgeschlachtet, um Platz für die Fracht zu schaffen. Nur an einer Seite waren ein paar Eimersitze für Passagiere untergebracht. . •"< Mittschiffs, ein wenig mehr zum Bug hin, befand sich ein rie3
siger, kreisrunder grüner Tank, der fast 1700 Liter zusätzlichen Treibstoff faßte. Das Ding sah aus wie d e r Kessel einer kleinen Lokomotive. W i r hatten über eine Tonne Fracht an Bord. Was das bedeutet, spürten wir, als wir einen Gletscher überspringen mußten. Um die Nase des Flugzeugs leichter zu machen für das Steigen, mußten wir alle mithelfen, möglichst viel Einzelfracht packen und nach hinten stapeln. W i r stiegen auf 3600 Meter, und dann fror die Heizung ein. Es wurde verflixt kalt. Die Temperatur fiel auf minus 25 Grad. Der Funker machte eine Büchse Gemüsesuppe warm. Ich schlürfte sie gierig, aber es half nicht viel — bis in meine Füße kam die Suppe jedenfalls nicht. Die blieben kalt wie Eisblöcke. Gus und seiner Mannschaft ging es noch viel schlechter. Eine kleine Öffnung vorn in der Flugzeugkanzel, durch die gewöhnlich Heißluft einströmt, ließ sieh nicht schließen. Die Klappe versagte. So kam es, daß jetzt in 3600 Meter Höhe ein eisiger Luftstrahl die Beine unserer Piloten traf. Als nächstes fiel die Radaranlage aus. Ganz einfach eingefroren. Das Wetter verschlechterte sich, wir brauchten dringend Radar. Der Funker ergriff drastische Maßnahmen. Mit einer langen Stange versetzte er dem Radargerät einen herzhaften Stoß. Eine völlig neue Methode in der überempfindlichen Radartechnik. Aber es wirkte. Der Radarschirm zeigte wieder an. Ich ließ es mir nicht anmerken, aber ich atmete auf. Dabei glaube ich nicht, daß wir ernsthaft in Gefahr waren. Gus war der beste Pilot in der ganzen Antarktis, und wenn er sich wirklich Sorgen gemacht hätte, dann hätte er zurückkehren können zum McMurdo-Sund. So aber jagten wir weiter dahin durch die dicken Wolken,, und es war wirklich so, als ob wir durch eine Flasche Milch rasten. Liv Station, besetzt von drei einsamen Amerikanern am Fuße des Beardmore-Gletschers, hat eine Funk-Landehilfe, aber wir konnten die Signale nicht auffangen. Der Funker brachte es jedoch fertig, in einem günstigen Augenblick den Sonnenstand zu messen und unsere Position genau festzustellen.
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W i r be gannen also allmählich an Höhe zu verlieren, um in Liv Station zwischenzulanden. Die Station befindet sich am Rande des mächtigen Hoß-Eisplateaus, das dreißig Meter dick und tausend Jahre alt ist. ,,Da unten ist e s " , sagte Gus. „ W e h e r weißt du das so genau?" sagte ich. „ W i r sind doch noch über den Wolken, und die Peilanlage funktioniert nicht." „Mensch, das ist keine W o l k e ! " schrie Gus. „Das ist das Eis! Aber keine Angst — wir haben noch 20 Meter Höhe . . .", Gus irrte sich. Er hatte noch nicht ausgesprochen, da landeten wir mit 160 km/st-Geschwindigkeit auf dem Eis, kilometerweit von der eigentlichen Rollbahn entfernt. Unsere Kufen knallten auf, daß es uns alle durcheinanderwarf. Aber Liv Station hat ein Gutes. Dieser Flugplatz ist nämlich fünfzig Kilometer lang. Man kann überall auf dem Eisblock landen. Da verschwand plötzlich der weiße Milchbrei, und die Sonne schien strahlend auf uns herab. Wolken verschwinden hier ebenso rasch, wie sie kommen. W i r tankten auf, warfen den drei Männern von Liv Station ihre Pakete zu, und schon startete Gus wieder. Nur die Motoren nicht erst kalt werden lassen! Rasch gewannen wir Höhe. Es begann der Flug über den Beardmore-Gletscher. Ein herrlicher Blick über die unglaublich schönen Täler aus Eis — aber zu beiden Seiten ragen zerklüftete Gipfel in den Himmel, einer nach dem anderen. Gut, daß schönes Wetter war, denn hier kommt es darauf an, die Mitte zu halten — und gut, daß unser Radar wieder funktionierte! So blieb es ein schöner, glatter Flug bis zum Südpol. Er dauerte sechs Stunden. Es war ein alltäglicher Flug. Nichts Besonderes für Gus Schinn. Ober hundert antarktische Flugstunden hatte er schon hinter sich, er und sein altes Schlachtroß, die gute DC-3. Als wir landeten, drückte ich die Flugzeugtür auf, sprang hinaus und — war am Südpol. Es war Freitagabend— kurz nach sechs Uhr. 5
Im „Südpol-Dorf" Eine Höhe von 3000 Metern, das völlige Fehlen von Luftfeuchtigkeit und der Zwang, sorgfältiger angezogen zu sein, als ein Mädchen es zum ersten Ball tut, wenn man nur einmal ganz kurz ins Freie gehen will — all das schaffte eine gewisse Atemlosigkeit, einen leichten Kopfschmerz, und man fühlte sich ein bißchen durcheinander. Der durch einen Kreis alter ölfässer gekennzeichnete Pol war von neun Marineleuten unter dem Kommando des 27jährigen Leutnants Houk (der nebenbei noch Arzt ist) und von zehn Wissenschaftlern unter Führung des Amerikaners Palle Morgensen besetzt. Die Station — das ,,Südpol-Dorf" — liegt vierhundert Meter vom Pol entfernt. Die Unterkünfte wurden mit dem Fallschirm über dem Stützpunkt abgeworfen. Das amerikanische „Dorf" mit seinen schon zur Hälfte im Schnee versunkenen Hütten und den Verbindungstunnels ist ein kleines von Menschenhand geschaffenes Wunderland in einer Umgebung, die feindlich ist. Der McMurdo-Stützpunkt wirkt gegenüber diesem Südpol-Dorf wie ein Alpenkurort. Aber es ist eine aufregendere — und eine saubere Welt: Das ganze rauhe Dasein ist in ein weißes Tuch gehüllt, und auf einer Fläche von vielen Quadratkilometern ist die Station von einem weißen, leblosen Kreis umgeben. Ich ging in die größte Hütte, um gleich die Eintragungen in mein Tagebuch zu machen. Die Hütte hat Neonlicht. Die Wände sind aus Aluminium, dann folgt eine Isolierungsschicht aus Glaswolle und dann der andere dünne Holzrahmen. Drinnen ist es warm und gemütlich. An der einen Seite des Raumes sind fünf kleine Tische zum Essen oder Schreiben aneinandergestellt. Genau gegenüber nimmt eine Schiffsküche ungefähr ein Viertel des Raumes ein. Auf dem Herd steht immer eine Tasse heißen Kaffees bereit. Das Auffallendste in dieser Hütte aber ist ein Block gefrorenen Schnees. Von ihm schneidet der Koch, wenn er Kaffeewasscr braucht, eine Scheibe ab. Und als besondere Merkwürdigkeit stehen noch zwei Brotröster herum. 6
Eine andere Ecke bildet den Aufenthaltsraum mit einem Plattenspieler. Als ich hereinkam, spielte er gerade Mendelssohn. Dort gibt es auch Bücher, Zeitschriften und eine schmale Bank, die das Postamt des Südpols darstellt. Strahlenförmig zu dieser Haupthütte liegen die andern Hütten: eine Radio-Baracke, die geheizten Schlafräume, Forschungsräume und sogar eine Dunkelkammer. Dann gibt es noch eine Baracke, die Bad, Toiletten und eine Wäscherei enthält, und eine Garage für zwei kleine Motorschlitten und Traktoren. Alle Baracken sind durch Galerien miteinander verbunden, die als Isolierschicht ein zwei Meter dickes Schneedach haben. Alle Tunnels zusammen sind an die vierhundert Meter lang. Einige von ihnen liegen tief im Schnee, ändere sind verbreitert worden, um als natürliche Eisschränke Lebensmittclkisten oder Ersatzteile, Haushalts- und wissenschaftliches Material aufzunehmen. Wasser kommt aus dem Sehneestollen, eine tolle Sache in diesem Klima. Er führt dreißig Meter unter die Erdoberfläche. Die eingehauenen Stufen und die darunterliegende Plattform schimmern in unwirklichem bläulichem" Glanz, wenn man hinuntersteigt. Hier unten wird mit ganz gewöhnlichen Sägen der Schnee in Blöcke zerlegt, auf Schlitten verladen und mit einer Winde an die Oberfläche gezogen. Das ist die anstrengendste Arbeit im Lager, denn die Temperaturen im Schneestollen liegen nie über minus fünfzig Grad Celsius. An und für sich wäre es gar nicht nötig gewesen, diesen Schneestollen so tief zu graben. Aber er erfüllt einen weiteren Zweck: die Gletscherforscher treiben hier ihre Schneedruckstudien. Als ich zur Essenszeit den Speiseraum betrat, war die Abendmahlzeit gerade fertig geworden — auf der Speisekarte standen Hammelkeule und drei verschiedene Sorten Gemüse. Als Nachtisch gab es Reispudding. Bier ist erlaubt, wird aber wenig getrunken. Die große Ausnahme ist die „frohe Stunde' - am Samstagabend, dann ist Alkohol freigegeben. Ich schlief mit der Besatzung meiner Maschine in einer Plaslikhütte, der einzigen, zu der kein Tunnel führt, weil sie nur ab und zu benutzt wird. Es war nur ein Zwei-Minuten-Weg bis
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Einsame Forschungsstation am Beadmore-Gletscher
dorthin — und doch mußte ich mich bis zu den Augenbrauen einpacken, bevor ich mich auf den Weg machen konnte. Am nächsten Morgen, nach dem Frühstück, unternahm ich den vierhundert Meter langen Ausflug zum Polgelände. Ich zog an: drei Paar Socken unter lammfellgefütterten Stiefeln, lange Unterhosen, eine wattierte Hose, eine dicke Unterweste, Flanellhemd, einen schweren Wollpullover, Wollschals und dann einen sogenannten Windbrecher, einen wattierten Mantel. Auf den Kopf kam zuerst eine Mütze mit Ohrenklappen, dann eine pelzgefütterte Kapuze, die zum Mantel gehörte, und darüber noch eine Windschutzkapuze. Die Pelzkapuze hatte dicke Kinnbänder, um den Mund vor Kälte zu schützen. Dann kamen drei Paar Handschuhe aus Wolle und Nylon. Darüber ein Paar gewaltige 8
Fausthandschuhe, die mir am Band um den Hals hingen und die man leicht an- und ausziehen kann. Die 400 Meter zum Pol auf der Traktoren-Fahrbahn waren mit bunten Farbflecken gespickt. Neben Farbenklecksen in allen Tönen des Regenbogens lagen kleine blaue und scharlachrote Inseln im Schnee — Stücke Fallschirmseide, die sich leuchtend gegen das endlose Weiß der Umgebung abhoben. Der Pol selber ist, wie gesagt, von Ölfässcrn eingerahmt, in deren Mitte die amerikanische und die Flagge der Vereinten Nationen flattern. Als ich draußen war, stieg ein Eisnebel hoch, den ich mir viel lieber durchs Fenster angesehen hätte, wenn es in diesem Lager überhaupt Fenster gäbe. Dieser Nebel ist wie ein leichter Schneesturm. Aber da es für Schnee viel zu kalt ist, setzt er sich aus winzig kleinen Eiskristallen zusammen, die einem mit teuflischer Schärfe ins Gesicht schneiden. Die Temperatur fiel nicht weiter als auf minus 25 Grad, aber durch das Eis, den Nebel und die Höhenlage war das eine schärfere Kälte, als man annehmen sollte. Und doch waren wir noch glücklieh dran. In den letzten zwölf Monaten hatte der Pol einige Male die niedrigste Temperatur von minus 72 Grad, Aber auch bei der verhältnismäßig mäßigen Temperatur von 25 Grad war man am Südpol nahezu eingekesselt. Und doch muß ich sagen — ich genoß jede Minute, die ich hier sein durfte.
Man lebt hier wie ein polarer Robinson Zwei Wochen saß ich nun schon in Eis, Schnee und Sonne eingehüllt; es kam mir vor, als sei ich ein seltsames kleines Insekt, das mitten auf einen furchtbaren Kontinent verschlagen war. Mit gewohnter Ironie hatte das Schicksal gerade mich, einen Familienvater, der sein Heim über alles liebt, dazu auserlesen, hier unter den dramatischsten Umständen zu leben und zu arbeiten. Hier, in der weißen Wildnis, wo keine Pflanze wachsen kann, 9
auf 2400 Meter dickem Eis und 1300 Kilometer von der nächsten menschlichen Siedlung entfernt, lag der David des Zwanzigsten Jahrhunderts in tödlichem Zweikampf mit dem Goliath der Eiszeit. Es war ein stilles, verbissenes Ringen gegen einen unerbittlichen Feind. Die Sonne schien. Man atmete erleichtert auf und machte einen raschen Spaziergang zum Landeplatz der Flugzeuge. Als ich mich unternehmuaigsfroh hinauswagte, fiel die Temperatur plötzlich, der schreckliche Whiteout kam, der Horizont wurde sichtbar und versank dann in tödlichem Weiß. Ein paar Minuten später schien der Pol aber Millionen Kilometer von der Polstation entfernt zu sein. Das war die Strafe für meinen hochmütigen Leichtsinn. Man macht nun mal keine Spaziergänge am Pol . . . Mir blieb nichts anderes übrig, als halb erfroren darauf zu warten, daß der blendende Whiteout sich hob und mich ein „Wiesel", wie wir die Motorschlitten nennen, aus meiner Einsamkeit erlösen würde. Aber so war es natürlich nicht immer. Wir lachten, spielten Skat und verrichteten unsere Arbeit. Dahinter aber stand immer das Gefühl, daß jeden Augenblick etwas Furchtbares geschehen könne. Während die Arbeit voranschritt, wurden die Vorsichtsmaßnahmen verschärft. Seit ich hier bin, habe ich mir oft den Kopf darüber zerbrochen, wie man das Leben hier am Südpol am besten beschreiben soll. Jetzt weiß ich es. Man lebt hier etwa so wie Bobinson in Polarfassung. Hier sitzen wir, abgeschnitten von jeder Zivilisation, aber noch versehen mit den Mitteln, die es uns ermöglichen, in einigem Komfort zu leben. Wie Robinson noch einige Kostbarkeiten aus dem gestrandeten Fahrzeug bergen konnte, so haben wir in den Gängen unserer Hütten alles aufgestapelt, was ein Mensch zum Leben braucht. * Zwar kamen unsere Vorräte nicht mit einem Schiff, sondern sie fielen wie Manna vom Himmel. Wenn aber erst der Winter einbrach, würde kein Flugzeug mehr landen können. Aber wir hatten genug Lebensmittel für drei Jahre und Brennstoff für 10
anderthalb Jahre. W i r besaßen ein ganzes Warenmagazin, stapelweise Bücher, ein winziges Klavier und nicht weniger als fünfhundert Filme, um uns die Zeit zu vertreiben.
Ein Brausebad am Südpol Aber trotz dieser verhältnismäßig luxuriösen Umstände mußte man hier viele Stunden am Tag ganz einfach darauf verwenden, am Leben zu bleiben. Schnee und Eis lieferten uns das W a s ser. Aber die Eisblöcke mußten erst aus dem Eisloch herausgehauen werden. Und das bei minus 51 Grad Celsius! Das Eis zu erwärmen, kostete Brennstoff; ohne ihn würden wir es nie zum Schmelzen bringen. Wasser ist der kostbarste Schatz hier am Südpol. Gestern nahm ich mein erstes Brausebad ä la Südpol. Dabei gelten sehr strenge Vorschriften: die Dusche für fünfzehn Sekunden aufdrehen —; zudrehen, während man sich einseift —; wieder für fünfzehn Sekunden zum Abspülen des Seifenschaums aufdrehen. Drei oder vier Wochen soll dieses Bad vorhalten. Die schweren Ölbehälter mußten verstaut werden. In der dünnen Luft in 3000 Meter Höhe bedeutete das keine geringe Anstrengung. Als ich eine Stunde lang geholfen hatte, die Tonnen in die Gänge unseres Unterstandes zu rollen, war ich völlig erschöpft. Das öl, das für den baldigen Gebrauch bestimmt war, konnte in der Hütte aufbewahrt werden, aber der ölvorrat finden Winter mußte in den langen Schneetunnels, die von der Hütte aus zu erreichen sind, aufbewahrt werden. Wenn die W i n terkälte erst da war, konnte man nämlich oft tagelang die Nase nicht raussteeken. Nicht nur, daß das Gesieht eines Menschen dann innerhalb von fünfzehn Sekunden erfrieren kann, auch das öl würde dick werden wie saure Milch. Ich war draußen im Schnee schon oft auf seltsame braune Flecken im Sehnee gestoßen. Wie ein paar Stoffreste sahen sie aus; an diesen Stellen war eine öltonne geplatzt, das vergossene öl war fest gefroren. So kalt ist es hier. Vor den .Hütten liefen und schnauften Tag und Nacht die schwe-
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ren Traktoren, auch wenn sie gar nicht gebraucht wurden. W i r stellten die Maschinen nicht ab, weil wir sie sonst vielleicht nie wieder in Gang bekommen hätten.
Die Durchschnittstemperatur beträgt 52' Noch ein großes Problem mußten wir bewältigen: die Beseitigung der Abfälle. In dieser Kälte würde sofort jede Entwässerungsanlage einfrieren und verstopfen. Auch Pumpen könnten nicht funktionieren. Wir hoben mit unseren Räumpflügen tiefe Schächte aus. Wenn sie gefüllt waren, wurden sie mit Schnee abgedeckt, damit unser Camp schön ordentlich weiß blieb. Leider würde uns diese Vorrichtung im Winter nichts 'mehr helfen. Oft würde es dann zu kalt sein, um mit den Mülleiniern zu den Schächten zu gehen. Deshalb schachteten wir jetzt in der Nähe unserer Hütten eine Abfallgrube aus. Sie war durch unterirdische Tunnels mit allen Hütten verbunden, maß hundert Meter in der Breite und war fast • sechs Meter tief. Das war die einzig mögliche Lösung. In dieser Grube herrschte gleichbleibende Temperatur von minus 40 Grad Celsius. Draußen aber betrug die Durchschnittskälte minus, 52 Grad Celsius! Die Männer, die mir beim Ausschachten meiner Grube halfen, waren großartige Burschen. Sie hatten sich so sehr auf die Zusammenarbeit eingestellt, daß es unsinnig wäre, auch nur einen von ihnen aus dem Team herauszureißen. Die Altersunterschiede schienen nichts auszumachen. Da war der Junior Zeke, der gerade erst zwanzig geworden war, ein toller Junge in mehr als einer Beziehung, da waren Lou, der Koch, Houk und Mogy, die beiden Leiter der Station. Nicht zu vergessen Jerry, der jeden Abend in unserem kleinen Kino sehnsüchtig klagende Töne ausstieß, wenn ein hübsches Mädchen auf der Leinwand erschien. Auch Stan muß genannt werden, der meine Funksprüche durchgab und mir eine besonders schöne Speisekarte von einem Polessen gezeichnet hat. Ich werde sie als hübsches Andenken an meine Zeit am Südpol aufheben. Das waren die Menschen, mit denen es sich auch am Pol wohl 12
leben ließ. Hier war nicht der Ort für Neunmalkluge und Eigenbrötler. Dann und wann brachte ein Flugzeug einen Besucher zu uns. W e r nur einmal bei uns „reinschauen" wollte und meinte, er sei wichtiger als all die anderen, konnte uns nicht beeindrukken; er fühlte bald, daß wir ihn gar nicht beachteten. Man schätzte hier keine Wichtigtuer.
Lebt man am Südpol wirklich komfortabel? Es stimmt schon, daß wir soviel essen konnten, wie wir wollten. Kaffee und Kakao standen immer bereit. Aber da ich hier mehr als ein bloßer Wochenendgast war, sah ich eine solche Annehmlichkeit aus einer völlig anderen Perspektive. Schließlich überwogen die Unbequemlichkeiten ja bei weitem, und darüber konnten auch unsere Zuversicht und die wissenschaftliche Arbeit nicht hinwegtäuschen. Wovon da nicht alles zu reden wäre: vom viel zu knappen Wasser zum Waschen, von den schlaflosen Nächten, von jenem Augenblick am Morgen, wenn die Augen vom grellen Weiß der Pollandschaft blind wurden; von der ewigen Angst, einen Handschuh oder einen Wollschal zu verlieren! Der Blick auf das Thermometer, das auch heute wieder über 50 Grad Celsius anzeigte, dazu ein wenig Nachdenken — all das könnte jeden diese Angst begreifen lehren. Schnupfen gab's hier nicht, aber die Nase lief ewig, und nicht selten hingen uns Eiszapfen von dsr Nase. Als ich einmal von draußen in die Hütte kam, mußte ich tatsächlich einen Eiszapfen von meiner Nase abbrechen. Wie schwierig war es, sich unter den Lebensbedingungen am Pol sauber und ordentlich zu halten. Da das Waschwasser nicht gleich nach dem Gebrauch weggeschüttet werden konnte, stand es in einem Eimer unter der winzigen Waschschüssel, und zwar solange, bis der Eimer bis zum Bande gefüllt war und sich der eisige Gang zur Abfallgrube lohnte. Das Zähneputzen über diesem Behälter war alles andere als ein Genuß. Jeden Morgen vor dem Aufstehen, also kurz vor acht, faßte ich den mannhaften Entschluß, meine Unterwäsche zu wechseln. 13
Aber die Anstrengung, die saubere Wäsche aus meinem Rucksack herauszugraben, während ich noch bis zur Nase im Schafsack steckte, war bisher zu groß für mich. Jeden Morgen machte ich mein Bett, das in einer Ecke der Hütte stand. Ich hatte mir ein paar alte Kisten beschafft und mir einen windschiefen Schrank und einen Nachttisch daraus gebastelt. Darin hob ich meine Zigaretten, Manuskripte, die vielen Paar Handschuhe und die Fettkrem für meine aufgesprungenen Lippen auf. Obendrauf stand ein Photo meiner Familie, ü b e r dem Bett hatte ich eine alte Fallschirmleine befestigt, an der meine ewig nassen Socken hingen. Da mein Bett nicht genug wärmte, hatte ich einen alten Fallschirm darüber gebreitet, den ich eines Tages im Schnee, fand. Er leuchtete in knalligem Rot und Blau. Obwohl ich seit einigen Tagen darunter schlief, hingen noch immer große Eisstücke in seinen üppigen Falten. Vielleicht würde er nie ganz auftauen. An unseren freien Tagen half jeder mit, das Frühstück zu bereiten. Vielleicht spricht man richtiger von einem ..Zwischending von Frühstück und Mittagessen" — wir nannten es wie im Luxushotel „brunch". Die Zubereitung machte uns großen Spaß. Jeder bekam eine andere Aufgabe: Der eine kochte das Eipulver, ein anderer briet den Schinken, und der dritte brühte den Kaffee auf. Dann spülten wir ab und räumton das Gesehirr wieder weg.
Die Mahlzeit war 48 Jahre alt Heute reiste ich vom Südpol zum Roß-Meer, zu einer winzigen Station, die am Rande des antarktischen Kontinents liegt. Ich reiste — so merkwürdig das bei solch unermeßlich dünkenden Entfernungen auch klingen mag — „auf Besuch". Ich flog wieder mit Gus Schinn und seiner unverwüstlichen DC-3 quer durch die weiße Hölle. Die Sicht war schlecht, die Kälte entsetzlich. Unser Ziel war die kleine Station, die Sir Hubert Wilkins, ein britischer Polarforseher, leitete. Sir Wilkins führte auf einsamem Posten Spezialforschungen durch: Er erprobte die W i r 14
Spaziergang entlang der
Roß-Meer-Kü»te
kung des antarktischen Klimas auf Menschen, die von Trockennahrung leben. In dem kleinen Zelt des Forschers, dessen Station noch drei Assistenten beherbergte, aß ich zu Mittag. Man soll bekanntlich nicht vom Essen reden ("feine Leute tun so etwas nicht!") und doch — diesmal geschieht's: W a r es doch die seltsamste Mahlzeit, die ich je eingenommen hatte. Wir aßen nicht, wie man erwarten könnte, getrocknete Lebensmittel, mit denen Sir Hubert Experimente machte. Auch die Speisenfolge war nicht im geringsten bemerkenswert; auf dem kleinen Klapptisch standen Dosen mit köstlichem Hammelfleisch, frischen Zwiebäcken, Käse von feinstem Geschmack, dazu Gemüse und Marmelade. Es war ejn Essen wie zu Hause. Also gar nichts Besonderes? 15
Doch! Dieses Essen war rund 48 Jahre alt! Es stammte aus einem Vorratslager, das der unglückliche Polbezwinger Sir W a l ter Scott im Jahre 1910 nur wenige Meter von der heutigen Station meines Gastgebers, Sir Hubert Wilkins', entfernt errichtet hatte. Unversehrt hatte man die Lebensmittel aufgefunden. Die Konserven, die Scott hier aufgestapelt, hatten ihm aber nichts mehr genützt. Nun führten wir sie uns selber zu. Ihr Inhalt war unverdorben, das Essen schmeckte den Männern, die ein halbes Jahrhundert später auf Scotts Spuren in den weißen Kontinent eingedrungen waren. Die Lebensmittel hatten im Tiefkühlschrank des ewigen Eises ihre Frische wie am ersten Tag bewahrt. Die Kekse krachten zwischen den Zähnen, als hätten sie gerade den Backofen verlassen, und die Marmeladensorte ist heute noch in Englands Geschäften zu haben. Wirklich, der polare Flug auf Besuch ist schon der Erinnerung wert, und es mag keinen Besucher in der Welt geben, dem je ein Gastgeber ein solch eigenartiges Mahl vorgesetzt hat.
Die Tat ist alles! Nach meiner Rückkehr zum Pol nahm ich mir ein paar Stunden Zeit, um darüber nachzudenken, was ich gelernt hatte in den paar Wochen, die seit meiner Ankunft in der Antarktis vergangen waren. Ich will heute nicht von der wissenschaftlichen Forschung der Männer am Südpol reden oder ihren Abenteuern, sondern von einfachen menschlichen Werten, von den Lektionen, die die Antarktis bereithält für die Herzen der Menschen in aller Welt. Hier sind alle Menschen gleich in dem unablässigen Kampf um ihr bloßes Leben. Man lebt am Südpol mit einem grimmigen Lächeln auf den Lippen. Und keinen Augenblick sollte man vergessen, daß die einsamen Forscher, Techniker und Gehilfen hier einen ständigen Gefährten haben, der sie Tag und Nacht nicht verläßt. Das ist die Gefahr! 16
Ein Flugzeug macht eine Bruchlandung auf dem zcrmahleneir Eis der Rollbahn und überschlägt sich. Ein Hubschrauber gerät in den fürchterlichen weißen Nebel der Eiskristalle und fliegt blind gegen Eisblöcfke, die bis dahin kein Mensch gesehen h a t . . . Gefahr, Gefahr! Sie verlangt höchste Bewährung. Vor ein paar Tagen sah ich hier einen Geistlichen, der nach dem Landeunglück des Flugzeugs lebend, aber mit schweren Verbrennungen davongekommen war: Er lag auf einer Bahre und hielt einen Gottesdienst. Ein Motorschlitten fährt über das Eis. Plötzlich bricht die Scholle auseinander. Die fünf Männer in dem Fahrzeug stürzen durch das Eis ins Wasser. Nur einer kommt mit dem Leben davon. Weiter draußen auf See rammt ein amerikanischer Eisbrecher krachend und mit schäumendem Heckwasser gegen das Eis, damit Schiffe durchkommen können mit dem dringend benötigten Nachschub. Immer wieder wirft sich der Eisbrecher gegen das Hindernis, nie weicht das Dröhnen und Krachen aus den Ohren der Besatzung. Gefahren überall und unerwartete Gefahren I Feindseligkeit umlauert jeden. Kameradschaft verbindet die Menschen, niemals findet der Haß unter diesen Männern Platz, die durch das Schicksal auf eine so gefahrumdrohtc Erde verschlagen werden. Hier in der Antarktis habe ich eine Kameradschaft unter Männern gefunden, wie sie ein zweites Mal die Welt nicht kennt. Hier sind die Gefühle der Menschen sauberer. Als ich warme Handschuhe vor einem Flug brauchte, stand ein Mann um vier Uhr in der Frühe auf, um das Lager aufzuschließen und mir die Handschuhe zu holen. Er tat das bei bester Laune. In einem Klima, wo der Verlust eines Stiefels aller Wahrscheinlichkeit nach gleichbedeutend ist mit dem Verlust des Lebens, entdeckte ich bei meinem ersten Besuch am Pol, daß meine Thermo-Stiefel für kurze Reisen zu warm waren. Sofort war ein Mann da, der mir sein Paar Stiefel gab und sagte: „Reden Sie nicht, wir teilen uns hier alles, was wir haben!" Nicht das Wort, die Tat ist alles hier am Pol! 17
In drei Minuten um die Welt Ich nahm meine Armbanduhr ab und ließ die Zeiger über das Zifferblatt kreisen, als ob ich die Uhr stellen wollte. . . Und jede Zeit, die ich einstellte, war die richtige Zeit. Denn hier am Südpol stand ich in jeder beliebigen Zeit-Zone, die mir gerade zusagte. Jede Zeit, die ich hier wählte, war für irgendeinen Teil der Welt, durch einen Längengrad mit meiner Fußsohle verbunden, die richtige Ortszeit. Und wem von denen, die weit nördlich von uns auf der Erde leben, all das noch nicht verrückt genug erscheint, der stelle1 sich auch dieses vor, daß man in sage und schreibe drei Minuten (ja, wenn man will in noch weniger Zeit) um die Welt spazieren kann. Ja, ja, ich konnte in drei Minuten um die Welt wandern. Ich brauchte dazu nur einmal rund um den Südpol zu gehen. Im Laufe dieses kurzen Spazierganges durchmaß ich jede Zeit-Zone der Lide . . . Heute hatten wir 25 Grad Celsius, minus natürlich! Das war nicht schlimm. Aber binnen einer halben Stunde konnte das Thermometer hier fallen und fallen — bis zu der berühmten Kälte von minus 72 Grad, die Dr. Siple, der wissenschaftliche Leiter der Polstation, gemessen hatte. Und der schneidende Wind konnte aus einer „harmlosen" Kälte ein schier unerträgliches Eis- und Todesklima machen.
„Wir sehen nicht gerade festlich aus . . ." Gespannt sahen wir Polbcwohner dem Zusammentreffen der beiden mutigen Männer entgegen, die von den entgegengesetzten Küsten in das Landesinnere vorstießen. Sir Edmund Hillary, der neuseeländische Bezwinger des Mount Everest, war vom KoßMeer, der englische Gelehrte Dr. Vivian Fuchs vom gegenüberliegenden Wedell-Meer aufgebrochen. Beide wollten sich am „Depot 700", auf der Weghälftc Hillarys, treffen. Hillary sollte sich dann Dr. Fuchs anschließen und mit ihm auf den eigenen Spuren zum Ross-Mecr zurückkehren. Fuchs würde, falls sein Vor18
haben gelänge, als erster die Antarktis auf dem Landweg von Küste zu Küste durchquert haben. Die gewaltigen Schwierigkeiten, denen die 19-Mann-Gruppe des Dr. Fuchs auf ihrem Weg begegnete, hinderten sie daran, den Zeitplan einzuhalten. Hillary dagegen war schon an seinem Ziel, dem „Depot 700", angelangt. Da ein längeres Verweilen hier gefährlich werden konnte, entschloß sich Hillary, den Marsch zum Südpol zu wagen, um dort in unserem sicheren Lager auf Dr. Fuchs zu warten. Tag für Tag sprachen wir darüber, wann Hillary auftauchen werde. Und als es dann schließlich so weit war, schien es Stunden zu dauern, bis wir die winzigen Punkte am Horizont deutlich erkennen konnten. Wir schlössen Wetten ab, ob Hillary wohl rechtzeitig zum Mittagessen eintreffen werde, wir überlegten, was wir ihm vorsetzen sollten. Wir entschlossen uns zu Bratwurst und weißen Bohnen aus Konserven, weil sich dieses Essen gut warmhalten ließ, falls er doch etwas später kommen sollte als erwartet. Eine Stunde lang harrte fast die vollständige Besatzung unseres „Dorfes" in dem Kreis von Fässern aus, der die Stelle desSüdpols markierte. Als dann die Neuseeländer endlich herankamen, wurde es gar nicht so dramatisch. Die drei absonderlich aussehenden Traktoren wurden größer und größer und wuchsen langsam zu Lebensgröße heran. Sic waren mit Stricken verbunden. Von der Polarstation wurde ihnen ein Traktor entgegengeschickt, der ihnen auf der letzten kurzen Strecke vorausfahren sollte. Nie vergesse ich Hillarys jubelnde Stimme über den Sprechfunk, als er von ferne durch sein Glas zuerst die beiden Flaggen am Südpol und dann unsere Gruppe erblickte. In den Zeltplanen, die sich die Fahrer Hillarys zum Schutz übergezogen hatten, konnten wir zunächst keinen Menschen e r kennen. Dann kroch Edmund Hillary aus den Falten der Zeltbahn und winkte uns freudig zu. Als er von seinem Fahrzeug sprang, erfuhren wir, daß er nur noch für dreißig Kilometer Benzin jm Tank seiner Fahrzeuge hatte. Es war ein h e r r l k h e r Augerrbliek. Schmutzig und durchnäßt, 19
bärtig, mit langen, zerzausten Haaren und steifen Beinen stapfte die Mannschaft durch den verharschten Schnee. Für Hillary bedeutete diese Stunde das Ende einer langen, mühsamen Reise und die Erfüllung seines größten Wunsches. Erschöpfung war den fünf Mann der neuseeländischen Expedition ins Gesicht geschrieben. Dennoch brachten sie es fertig, strahlend zu lächeln, als sie in unserem Kreis an der Stelle standen, die den Südpol bezeichnet. Das war um 1 Uhr 10 nachts. „ W i r sehen nicht gerade festlich und würdig aus", sagte Hillary, „eher wie Landstreicher." Mehr als eine Stunde weilten sie an dem faszinierendsten Punkt des Erdballs, während sich der Horizont gegen Ende der fast nicht existierenden polaren Sommernacht allmählich weitete. Dann gingen sie zum „Dorf" hinüber, und bald saßen die Neuseeländer am Tisch. Zu der Bratwurst und den gebackenen Bohnen _gab es dampfenden Kaffee. „Unser erstes anständiges Mahl seit Monaten", sagte einer der Männer mit vollen Backen. Hillary und seine Begleiter besichtigten die Polstation und staunten Bauklötze über die phantastisch anmutende Anlage. Sie wollten gar nicht glauben, daß alles Material, was sie sahen; mit Flugzeugen hergebracht worden war.
* Ich habe mich selten so gefreut in meinem Leben wie in dem Augenblick, als ich Hillary sagen konnte, daß er für die Dauer seines Aufenthalts am Pol meine Hütte mit mir teilen werde. „Junge, J u n g e ! " rief er aus, „Sie wollen doch nicht etwa behaupten, daß da noch Betten für uns frei sind?" Drei Monate hatte er für die zweitausend Kilometer bis zum Pol gebraucht. Das Verblüffende daran war, daß diese Reise mit ganz gewöhnlichen Farmertraktoren zurückgelegt wurde, wie jeder Landwirt in der ganzen Welt sie kaufen kann. In den drei harten Monaten gab es keine einzige Panne. „ W i r brauchen sie jetzt nur mal zu überholen", sagte Hillary, „dann können wir mit denselben Fahrzeugen wieder zurückkutschieren." Als wir in unserer Hütte lagen, erzählte Hillary: 20
Auf dem Marsch zum Südpol - mit ganz gewöhnlichen Farmertraktoren
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,,Dic letzten hundertfünfzig Kilometer waren nicht gefährlich, aber unerträglich langweilig. Es war die eintönigste Reise unseres Lebens. Einige von uns saßen unterwegs auf dem Traktor und lasen. Jede Nacht schliefen wir durchschnittlich sechs Stunden. Unsere Hauptmahlzeit gab es um acht Uhr jeden Morgen. W i r nahmen sie im Zelt in unseren Schlafsäcken zu uns. Deshalb hat uns ja die W u r s t hier an einem richtigen Tisch so gut geschmeckt. Übrigens", so fuhr er fort, „hätten wir eigentlich schon einen Tag früher ankommen können, aber ich hatte mich entschlossen, dreißig Kilometer vom Pol entfernt nochmals das Nachtlager aufzuschlagen. Ich wußte, daß uns hier eine aufregende Begrüßung erwartete. Nach einer vierundzwangizslündigen Non-stopFahrt wären wir dafür nicht mehr salonfähig gewesen. W i r mußten Kräfte sammeln und uns seelisch vorbereiten." So anstrengend war die Begrüßung eigentlich nicht gewesen, obwohl die Neuseeländer natürlich mit tausend Fragen überfallen worden waren, die sie alle geduldig beantwortet hatten. Hillary gestand mir, daß das Bergsteigen viel mühseliger sei als dieses Eiswandern. „Unsere Hauptschwierigkeit", sagte er, „war der ewige Gleichklang des Geschehens. Nur zwei Sehenswürdigkeiten haben wir unterwegs entdecken können — eine einsame Skua-Möwe, neunhundert Kilometer vom Pol entfernt, und einen Berg zweihundertvierzig Kilometer vom Pol. Mit Gletscherspalten haben wir nicht allzuviel Kummer gehabt. Als wir mit ihrem Vorhandensein rechnen mußten, haben wir zwei Mann angeseilt vorgeschickt, die nach Übergangsstellen über die Spalten suchten. Die tiefste Spalte sah allerdings buchstäblich bodenlos aus; die schlimmste erstreckte sich über ein Gebiet von sechs Kilometer Länge." Ich fragte ihn nach dem schönsten Augenblick der Reise. „Das war unzweifelhaft Weihnachten", sagte Hillary. „Eifersüchtig hatten wir unsere paar Whiskyflaschen bis zum Weihnachtstag gehütet. W i r tranken sie genußvoll aus und hörten dazu das Programm, das der neuseeländische Rundfunk eigens für uns zu Weihnachten ausstrahlte." „Und die größte Schwierigkeit?".
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„Sie glauben gar nicht", erwiderte Hillary, „wie schwierig es ist, so ein winziges Zelt bei Sturm in der Antarktis aufzuschlagen. Besonders bei minus 41 Grad. Das war übrigens die tiefste Temperatur, die wir unterwegs erlebt haben.", Anderntags, bei unserer ersten gemeinsamen Mahlzeit, meinte Hillary: „Ich muß sehr auf meine Tischmanieren achten, essen Sie 'mal drei Monate liegend im Schlafsack. Da vergißt man ganz den Umgang mit Messer und Gabel. Und übrigens — Kakao, Trockenzwiebeln und Speck mag ich fürs erste nicht mehr sehen. Das war nämlich der Hauptbestandteil unserer Nahrung. Dazu dann und wann Rührei aus Eipulver." Derek Wright, ein Mitglied der neuseeländischen Expedülion, ging gleich nach der Ankunft schnurstracks in die Küche und teilte dem Koch mit: „Hör 'mal zu: Wenn mir hier einer Rührei anbietet, bringe ich ihn um. Kaltblütig!".
Was ist mit Dr. Fuchs? Alle Freude über Hillarys Tat wurde überschattet von der Frage: Welche Chancen hat Dr. Fuchs, den Pol zu erreichen und seinen Plan einer vollständigen Durchquerung des antarktischen Erdteils zu verwirklichen? Die Chancen wurden mit jedem Tag geringer. Nach den letzten Meldungen, die eintrafen, befand sich Dr. Fuchs noch etwa vierhundert Kilometer vom Pol entfernt. Frühestens Ende J a nuar konnte er erst am Südpol eintreffen. Um die Durchquerung der Antarktis zu vollenden, mußte er dann noch die zweitausend Kilometer lange Strecke vom Pol bis zum Roß-Meer zurücklegen, auf der Hillary zum Pol gezogen war. Sollte er das Unternehmen wirklich durchführen wollen, so würde so gut wie keine Möglichkeit bestehen, ihm unterwegs mit Flugzeugen zu Hilfe zu kommen, wenn seine Gruppe in Schwierigkeiten geriet; denn der Winter stand vor der Tür. Und doch gab es einige unter uns, die sagten, Fuchs werde Erfolg haben und damit die Größe seines Rufes und seines Unternehmungsgeistes beweisen. Ich war voller Bedenken.
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Fuchs war Wochen hinter allen Reise termincn zurück. Auf dein Spiel stand sein eigenes Leben und das Leben seiner Männer. I c h glaubte, daß es eine zu große Belastung für unsere amerikanischen Freunde wäre, sich viele Wochen lang in Bereitschaft halten zu müssen und vielleicht Hilfsmannschaften zu seiner Rettung aussenden zu müssen. Zudem hatte Konteradmiral Dufek, der Leiter der amerikanischen Polarexpedition, strikten Befehl erteilt, daß seine Flugzeuge unter keinen Umständen bei Temperaturen unter minus 45 Grad Celsius fliegen dürften. Ich bezweifelte, daß Dr. Fuchs genug Benzin hatte, um ohne amerikanische Hilfe zurechtzukommen. Dann kam" überraschend die Nachricht, daß Dr. Fuchs sich dem Südpol nähere, ja, er sollte schon in den allernächsten Stunden liier eintreffen. Eiligst wurden die letzten Vorbereitungen für den Empfang seiner Expedition getroffen. Sir Edmund Hillary machte sich bereit, als erster Dr. Fuchs die Hand zu schütteln. Noch bevor er in Sichtnähe kam, funkte Dr. Fuchs an Sir Edmund Hillary und teilte mit, daß er entschlossen sei, bald nach Erreichen des Pols seinen Marsch zur überquerung des ganzen Erdteils fortzusetzen. „Es wäre nicht übel", hieß es in dem Funkspruch, „wenn wir am Pol duschen könnten . . . Ich wäre dankbar, wenn wir drei Tage am Pol bleiben könnten, um unsere Fahrzeuge gründlich zu überholen. Und dann wird es weitergehen, um unsere Aufgabe zu vollenden." Man kann sich gar nicht vorstellen, welche übermütige Aufregung bei uns herrschte, als die sehnsüchtig erwartete FuchsExpedition endlich eingetroffen war. Die Männer saßen in den Gangen des amerikanischen Stützpunktes auf dem Fußboden und lasen ihre erste Post seit November. Ein Mann zog aus einem Umschlag die Photographie zweier bildhübschen Mädchen hervor, die er überhaupt nicht kannte. Quer über das Bild geschrieben waren die Worte: „Unsere Gedanken sind immer bei Ihnen." Aber der Brief, der den Vogel abschoß, war an George Lowe, den neuseeländischen Lehrer, gerichtet. Lowe war bekanntlich dabei, als Hillary den Mount Everest bezwang. Jetzt war er offizieller Photograph der Fuchs-Expedition. 24
Hillary, Bezwinger des Mount Everest, und Dr. Fuchs, Bezwinger der Antarktis, begrüßen sich am Südpol
Als George auf der Pol-Station ankam, trug er einen zerrissenen Panama-Strohhut über einem lächelnden, sonnenverbrannten Gesicht. Kurze Zeit später aber verschwand dieses zufriedene Strahlen. Es war wie weggewischt. Der Brief, der auf dem für ihn bestimmten Stapel zuoberst lag, trug eingeprägt die geheimnisvollen und hochoffiziellen Buchstaben O.H.M.S. — „On Her Majesty's Service". Dienstpost also, und was war es? Sein Einkommensteuerbescheid! Nicht einmal am Südpol war man also davor sicher. Jetzt hatte Lowe, ganz abgesehen von der drohenden Gefahr des polaren Winters, noch einen zusätzlichen Grund, möglichst schnell zum Ross-Meer zu gelangen, auf jeden Fall noch vor dem 7. März. 25
Das war ern. Und seelands, Fall also
nämlich der letzte Tag der Zahlungsfrist für die Steuder Zielpunkt am Ross-Meer galt offiziell als Teil Neuder Heimat George Lowes; steuerlich gesehen, lag der ganz klar.
* Das Mittagessen mußte warten, bis die vielen Briefe gelesen waren. „Wenn wir die alle beantworten wollten", sagte einer, müßte jeder eine Sekretärin haben. Bei diesen Expeditionen wird eben immer irgend etwas ganz Wichtiges vergessen." Fuchs wusch sich unterdes genußvoll die Hände. „ I c h fürchte", sagte er lächelnd, „dies ist das erstemal seit sehr langer Zeit, daß ich meine Hände sehe." Er zeigte sich zufrieden darüber, daß ernsthafte Frostbeulen nicht festzustellen waren, nur ein paar kleine, harmlose Froststellen. Dann labte die ganze Expedition sich an einer Riesenportion Frikadellen. Zum Nachtisch gab es einen eigens für die Feier gebackenen Kuchen mit einem passenden Spruch in Zuckerguß. Ich war tief beeindruckt von der Persönlichkeit des Dr. Fuchs, der im nächsten Monat seinen fünfzigsten Geburtstag feiern sollte. F.r hatte cisblaue Augen, ein vom Wetter gegerbtes Gesicht und einen rötlichen, hier und da von schwarzen und grauen Fäden durchzogenen Bart. Er war das Urbild einem Mannes und W i s senschaftlers, sein Auftreten war das des absoluten Chefs, nicht angreifend, aber von entschiedener Autorität. Dr. Vivian Fuchs versicherte mir, er sei in Hochform für die zweite Etappe der Durchquerung des Kontinents. „Der Weg vom Pol zum Ross-Meer", meinte er, „dürfte viel leichter sein, da wir jetzt Depots am Wege haben und außerdem Hillarys Unterstützung. Es wird jetzt rascher vorangehen, weil wir unsere Messungen in größeren Abständen als bisher vornehmen werden. Es ist durchaus möglich, daß wir einen Tagesdurchschnitt von fünfzig Kilometern erreichen und noch vor Anbruch des Winters die Antarktis wieder verlassen können." Er dachte dabei an das Expeditionsschiff „Endeavour", das bis zum letzten Augenblick im Ross-Meer warten wollte, um die Expedition nach Neuseeland zurückzuführen. 26
Dr. Fuchs erklärte: „Ich sehe nicht ein, warum wir nicht mit einigermaßen gutem Glück his zur ersten Märzwoehe am Rossmeer eintreffen sollen. Unsere Hunde lassen wir hier am Pol zurück. Sie werden mit dem Flugzeug abgeholt." Und dann betonte er: „ W i r werden unsere Arbeit ganz gewiß so fortführen, wie es in unserem wissenschaftlichen Programm vorgesehen ist. W i r sind hierhergekommen, um wissenschaftlich zu arbeiten, das Abenteuer ist von zweitrangiger Bedeutung. Es wäre völlig fruchtlos, nur stur von A nach ß zu wandern und nichts zu tun, als den Weg zurückzulegen." Dr. Fuchs schilderte dann Einzelheiten seines FünfzehnhundertKilometer-Marsches vom Wedell-Meer zum Südpol. „Zu unserer Verspätung hat beigetragen, daß wir ursprünglich am 1. September zu einem Erkundungsgang starten wollten, wegen schlechter Witterung aber nicht rechtzeitig genug aufbrechen konnten. Wegen der Verzögerung können wir uns keine Vorwürfe machen, denn wir mußten vor allem auf Sicherheit achten. W i r werden jetzt rascher vorankommen." Geoffrey Pratt, der Seismologe, sagte, eine Lotung, die in vierzig Kilometer Entfernung vom Pol vorgenommen worden sei, habe ergeben, daß das unter dem Eispanzer liegende Land an dieser Lotungsstelle fünfzehnhundert Meter hoch sei, während es unter der Poleiskappe nur eine Höhe von 240 Metern habe. „Es geht wirklich sehr auf und ab auf dem antarktischen Festland, und unter dem Eis verborgen ist eine ganze Reihe von Bergzügen, überall aber liegt das antarktische Land über dem Meeresspiegel.". Kurz nach seiner Ankunft sandte Dr. Fuchs folgende Botschaft an Königin Elisabeth IL, die Schutzherrin der Antarktis-Expedition: „Heute, am 19. Januar, erreichte die Transarktis-Expedition des Commonwealth den Südpol, nachdem sie fünfzehnhundert Kilometer vom Wedell-Meer aus zurückgelegt hatte. W i r sind guten Mutes und bei bester Gesundheit, wir freuen uns darauf, in zwei Tagen zu der letzten Etappe unseres Weges zum Ross-Meer aufzubrechen." Die Königin erwiderte:
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„Mein Mann und Ich senden unseren herzlichsten Glückwunsch allen Mitgliedern der Transarktis-Expedition des Commonwealth und unsere besten Wünsche für die nächste Etappe Ihrer Reise zum Ross-Meer." Und noch ein anderes Telegramm erreichte die Funkstation im „Südpol-Dorf". Frau Joyce Fuchs, die sich auf dem Wege nach Neuseeland befand, telegraphierte: „Ich bin natürlich rückhaltlos begeistert darüber, daß die Gruppe meines Mannes den Südpol erreicht hat und daß er den Weg über den Kontinent fortsetzt. Ich wäre Ihnen überaus dankbar, wenn Sie allen Expeditionsmitgliedern meine herzlichsten Glückwünsche avissprechen und meinem Mann mitteilen würden, daß ich auf hoher See bin, um ihn in Neuseeland zu begrüßen. Ich freue mich daravif, Einzelheiten über diese großartige Reise zu hören. Ich bin sehr gespannt darauf. Die Männer haben Hindernisse vieler Art überwinden müssen, und sie haben diese Hindernisse mit ruhiger Ausdauer überwunden. Ich wünsche ihnen jeden Erfolg für den Rest ihrer großen Reise — Joyce Fuchs.",
Wird Dr. Fuchs es schaffen? Dr. Fuchs hatte seit dem Aufbruch aus seinem Hauptquartier am Wedell-Meer verzweifelt schwierige Kilometer zurückgelegt. Sein Weg hatte ihn durch den schlimmsten und am wenigsten bekannten Teil des Kontinents geführt. Die Strecke war gefährlicher als die zweitausend Kilometer, die Sir Edmund Hillary gemeistert hatte. Doch war er jetzt, nach Erreichen des Südpols, „über den Berg". Das Schlimmste lag hinter ihm. Aber der Zeitplan! Eigentlich hätte Dr. Fuchs wegen der fortgeschrittenen Jahreszeit jetzt schon 1100 Kilometer jenseits des Pols sein sollen. Heiß erörterten wir erneut die Frage, ob der Forscher noch vor Einbruch des Winters den Weitermarsch wagen dürfe. Es war möglich, daß er mitten auf dem gefürchteten Skelton-Gelände stecken blieb. Es konnte also geschehen, daß er dann dort bleiben mußte und daß die Härten des antarktischen Winters 28
an dieser Stelle über ihn hereinbrachen. Das wäre in der Tat eine furchtbare Belastungsprobe gewesen. Welche Gefahren einer Expedition drohten, falls der Winter sie einholte, wurde deutlich aus dem, was meinem Freund, dem Flieger Gus Schinn, widerfuhr, der mich zum Südpol gebracht hatte. Er hatte soeben mit seinem Flugzeug auf dem Wege zum Pol notlanden müssen. Da saß er nun, gestrandet auf der Hochebene, fünfhundertdreißig Kilometer von der nächsten Menschenseele entfernt und in zwölfhundert Meter Höhe über dem Meeresspiegel.' Er war mit seiher 'DC-3 von der Byrd-Station aufgestiegen. Unterwegs entstand in seinem Backbord-Motor ein ölleck. Um das Leck zu reparieren, bevor alles Öl ausgeflossen'war, wollte er vorsichtshalber auf dem Eis landen. Dabei ging die Backbordkufe zu Bruch, und Schinn und seine vier Besatzungsmitglieder wußten, daß sie nicht wieder starten konnten. Von „Klein-Amerika" aus wurde ein Rettungsflugzeug entsandt mit einer Ersatzkufe an Bord, aber auch dieses Flugzeug hatte unterwegs Motorenschaden und mußte umkehren. Schinn und seine Mannschaft mußten die Nacht in einem Lager verbringen, das sie mit ihrer Notausrüstung in der Nähe des Flugzeugs aufschlugen. Schließlich kam ein Rettungsflugzeug. Ein zwei Meter langer Gummi-Luftsack wurde aufgehlasen, um das Flugzeug anzuheben. Dann wurde die neue Kufe montiert, und Schinn konnte aufatmen: Dr. Fuchs war seiner Sache sicher. Dr. Griffith Pugh, der Arzt der Südpolstation, hatte den Mitgliedern der Expedition vierundzwanzig Stunden vollständiger Ruhe befohlen. Diese Pause lag nun hinter ihnen. Sie waren wieder unterwegs und mußten Strapazen auf sich nehmen, denen normalerweise ein Mensch kaum gewachsen war. Nur ihr eisernes Training, ihre überdurchschnittliche körperliche Kraft ließ sie durchhalten und gab ihnen den Mut, sich weitere Wochen hindurch Zentimeter um Zentimeter über das feindlichste Gelände der Welt vorzuarbeiten. Viel Zeit beanspruchte unter29
f wegs wieder die seismologische Arbeit mit den sorgfältig vorbereiteten Sprengungen. Um dennoch schneller voranzukommen, bewegte sich die Expedition durchweg von früh bis acht Uhr abends vorwärts. Jede der fünf Fahrzeugbesalzungen hatte ihren eigenen Plan für die Mahlzeiten. Die eine Gruppe hielt an, die anderen Fahrzeuge fuhren weiter. Später, wenn sie ihre Pause machten, holte die zurückgebliebene Mannschaft die Hauptgruppe dann wieder ein. Um acht Uhr abends wurden die Zelte aufgeschlagen. Dann kam für einen Teil der Männer eine Stunde zusätzlicher Arbeit, da die seismischen Kabel für die Messungen am nächsten Morgen verlegt werden mußten. Danach gab es Abendbrot, und wer am Radio saß, konnte über den Erdball hinweg die heimatlichen Rundfunksendungen hören; aber wenn der Tag zu Ende ging, waren die Leute meistens so müde, daß sie das Gerät gar nicht mehr einstellten. Am 28. Januar war Dr. Fuchs zweihundert Kilometer vom Südpol entfernt und noch immer fest entschlossen, weiter vorzudringen. Am 7. Februar traf er mit seinen Männern im „Depot 700" ein. Damit hatte er achthundert Kilometer seit Verlassen des Südpols zurückgelegt. Die schwierige, gletschcrreiche Zone lag hinter ihm. Dr. Fuchs teilte sofort Sir Edmund Hillary mit, daß das Wetter am „Depot 700" ausgezeichnet sei. Doch verzögerte sich Hillarys Flug zum Depot. Erst am andern Tag traf er ein, und Fuchs und Hillary konnten von jetzt an ihre Erfahrungen austauschen. Zum Glück waren alle Dr. Fuchs verbliebenen Fahrzeuge im besten Zustand für den letzten Vorstoß über das RossEis. Er kam zügig voran. Fast hundertfünfzig Kilometer täglich. Die einzige große Gefahr war jetzt ein plötzlicher Temperatursturz, der den ganzen Kontinent über Nacht erstarren lassen konnte. Aber das Wetter begünstigte sie. Die Fahrt vom „Depot 700" hinunter zum Meer wurde in mehrere Abschnitte eingeteilt. Auf dem ersten Abschnitt bis zum „Depot 480" wechselten die Bedingungen täglich. Schneebrücken, die gestern noch sicher waren, konnten heute schon aufgeweicht sein. Vom „Depot 480" waren es dann dreihundertzwanzig ziemlich sichere Kilometer bis zum „Depot 280". Dann kam der 30
Skelton-Glelscher, 170 Kilometer lang und nur zu überwinden wenn man den ziemlich komplizierten Abstieg kannte. Hillary kannte diese Strecke genau. Am Fuße des Gletschers begann das Roß-Schilfeis, die machtige Eisplatte, die bis zum Zielort reichte. Als wir erfuhren, Fuchs sei bereits bis hierher gelangt, wußten wir, daß er noch vor dem 10. März am Boß-Meer eintreffen werde — vor dem Tag, an dem das Jctzte Schiff in See gehen sollte.
* Am 2. März, einem Sonntag, um 2 Uhr 47 mitteleuropäischer Zeit, nahte über die Schneefelder am McMurdo-Sund ein riesiger Raupenschlepper und steuerte auf die amerikanische Siedlung Scott-Basis am Roß-Meer zu. Dr. Vivian Fuchs hatte kurz vorher durch Funkspruch die Ankunft seiner Mannschaft ankündigen können. Farbige Leuchtraketen boten ihm schon aus kilometerweiter Entfernung den Willkommensgruß. Mitglieder des Lagers hatten einige Trompeten hervorgeholt und bliesen von froststarrenden Lippen stolzgeschwellt den Siegesmarsch. In 99 Tagen, in der Zeit vom 24. November 1957 bis zum 2. März 1958, hatte die Fuchs-Expedition zwischen dem Wedellund dem Boß-Meer über den Südpol hinweg 3360 Kilometer zurückgelegt. Man empfing Dr. Vivian Fuchs in der Nähe des Kreuzes, das man einst Kapitän Robert Scott zu Ehren am Rande des ewigen Eises errichtet hatte.
Umschlagges>taltung: Karlheinz Dobsky Fotos: Preß-Photo Hadio, Hamburg
L u x - L e s e b o g e n 2 8 0 (Erdkunde) — H e f t p r e i s 2 5 P f g . Natur- und kulturkundlicbe Hefte - Bestellungen (vierteljährl. 6 Hefte DM 1.5D) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt — Alle früher erschienenen Lux-Lesebogen sind in jeder guten Buchhandlung vorrätig oder können dort nachbestellt werden — Druck: Buchdruckerei Auer, Donauwörth Verlag: Sebastian Lux, Murnau vor München
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