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EDGAR TARBOT
Spuk im Leichenturm Deutscher Taschenbuch‐Erstdruck MARTIN KELTER VERLAG – ...
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EDGAR TARBOT
Spuk im Leichenturm Deutscher Taschenbuch‐Erstdruck MARTIN KELTER VERLAG – HAMBURG Printed in Germany 1975
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Tagebucheintragungen 24. April 1898 Der Herr möge uns unsere Sünde vergeben. Niemals hätte ich gedacht, daß wir einer solchen Tat fähig wä‐ ren. Zu unserer Rechtfertigung muß ich an dieser Stelle schriftlich festhalten, daß sie uns an den Rand unserer Geduld gepeitscht hat. Sie hat uns zu dem getrieben, was wir getan haben. Sie — das abscheulichste Weib, das mir je begegnet ist: Sheila Barrshee. Sie hat uns he‐ rausgefordert, Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr. Wir haben alles um unseres Friedens willen ertragen‐ den Spott, den Hohn, die end‐ losen Nächte, in denen sie uns und unsere Familien qu‐ älte. Wir wußten, daß sie mit dem Teufel im Bunde war, aber wir ließen sie am Leben. Wir dachten, keiner von uns hätte das Recht, sie zu töten – trotz allem nicht. Vielleicht verließ sie sich zu sehr auf diese unsere Ein‐ stellung. Wahrscheinlich wurde sie deshalb immer dreister. Das ganze Dorf ächzte unter den Untaten die‐ ses schrecklichen Weibes. Heute, im Morgengrauen, trieb sie ihre Schrecknisse einem absoluten Höhepunkt zu. Sie vergriff sich zum erstenmal am Leben eines Menschen. Ihr eigener Mann, der alte Leuchtturmwär‐ 3
ter, eine Seele von einem Menschen, fiel ihrem Wahn‐ sinnstreiben zum Opfer. Sie zerrte ihn an seinen schneeweißen Haaren aus dem Turm, flog mit ihm in die Lüfte. Die heimkehrenden Fischer haben das grau‐ envolle Schauspiel miterlebt. Sheila hat ihren eigenen Mann hoch oben in der Luft zerrissen. Und sie hat dazu schauderhaft gelacht. Es regnete Blut vom bleigrauen Himmel. Die dunkelroten Tropfen klatschten auf die entsetzensstarren Gesichter der bestürzten Fischer. Als wir von diesem Treiben erfuhren, wußten wir, daß wir Sheila Barrshee töten mußten. Wir taten es aus der Furcht heraus, sie würde es bei diesem einen Mord nicht bewenden lassen. Wir hatten Angst, daß sie dassel‐ be grausame Spiel in den nächsten Tagen mit unseren Frauen und Kindern spielen könnte. Deshalb stand für uns unumstößlich fest, daß wir ihr zuvorkommen und ihrem furchtbaren Treiben ein für allemal ein Ende be‐ reiten mußten. Im ganzen Dorf fanden sich lediglich vier Männer, die den Mut aufbrachten, ein Boot zu besteigen und zu je‐ nem Felsen hinauszufahren, auf dem der Leuchtturm wie ein abschreckendes Mahnmal des Satans steht. Un‐ sere Frauen weinten um uns, als wir ablegten. Diejeni‐ gen Männer, die zu feige waren, uns zu begleiten, mie‐ den unsere Blicke. 4
Nun sitze ich hier in meiner Kammer. Es ist alles vor‐ bei. Aber ich bin nicht mehr derselbe, der ich heute vor‐ mittag war. Ich bin älter geworden. Mein Haar hat sich mit Silberfäden durchzogen. Um die Augen, die all das Grauen mit angesehen haben, sehe ich Falten, wenn ich vor den Spiegel trete. Ich fürchte, ich habe heute einen viel zu hohen Preis für meinen Mut bezahlt. Und ich fühle, daß ich bei dieser verdammten Hexe immer noch Schulden habe. Die See war auf eine geisterhafte Weise unruhig, als wir den mächtigen Felsen erreichten. Wie eine riesige Faust ragt dieses Ungetüm aus Stein aus den Fluten. Wir banden das Boot fest und sprangen zum Felsen hinüber. Mir war in diesem Augenblick, als würde das Gestein unter uns erbeben. Über unseren Köpfen verfinsterte sich der Himmel. Der Tag wurde fast schlagartig zur unheimlichen Nacht. Ein Sturm rüttelte an unseren Kleidern, fauchte uns ins Gesicht und nahm uns den Atem. Mühsam kletterten wir zum Leuchtturm hinauf. Zehn Schritte davon ent‐ fernt stand dieser alte Geräteschuppen, den der Leuch‐ tturmwärter vor vielen Jahren selbst zusammengezim‐ mert hatte. Hank blieb davor stehen. Er schaute uns an. Sein rotes Haar war zerzaust. Sein Blick flatterte. 5
» Was ist?« fragte ich ihn. »Er hat Angst«, sagte Christopher. »Klar habe ich Angst«, knurrte Hank. »Du etwa nicht?« »Wir haben alle Angst«, warf Brian ein. Er ist der Ver‐ nünftigste von uns vieren. »Es ist keine Schande, sich zu fürchten. Schließlich haben wir es hier mit keinem menschlichen Wesen zu tun. « »Sie ist eine alte Frau«, sagte ich. »Sie ist nur äußerlich alt«, erwiderte Brian. »Ihr ver‐ hutzelter, gebrechlicher Körper ist eine geniale Tar‐ nung. Niemand, der sie nicht so gut kennt wie wir, würde annehmen, daß sie hinter all diesen Greueltaten steckt, die wir erleben mußten. « »Wie werden wir sie . . .«., begann Hank, während er nervös an der Unterlippe nagte. Christopher warf einen scheuen Blick zum Leuchtturm. »Sie ist vielleicht gar nicht da.« »Sie ist da!« sagte ich. »Wie kannst du das mit einer solchen Sicherheit be‐ haupten?« fuhr mich Chris daraufhin an. »Ich habe sie vorhin gesehen, dort oben an der Luke. Sie hat uns beobachtet und weiß, daß wir da sind.« » Und ich bin sicher, sie weiß auch, was wir mit ihr vorhaben«, sagte Brian. 6
»Wie werden wir sie umbringen?« fragte Hank. »Wir waren uns einig«, sagte Christopher. »Wir er‐ schlagen sie und brechen ihr hinterher auch noch das Genick.« Brians Blick fiel auf ein mächtiges Faß, in dem zwei von uns Platz gehabt hätten. Ein wildes Funkeln erschien in seinen Augen. »Ich glaube, ich habe eine bessere Idee«, sagte er ge‐ preßt. Wir drängten uns näher an ihn heran. Brian schlug vor, die alte Hexe in dieses Faß zu stecken, sie den Felsen hi‐ nunterrollen zu lassen und sie auf diese Weise im Meer zu ertränken. Ich fand die Idee gut, Christopher auch. Nur Hank schüttelte mit grimmiger Miene den Kopf. »Das ist mir zuwenig. Sie soll leiden, nicht einfach‐ er‐ saufen. Sie hat in unserem Dorf so viel Furcht und Schrecken verbreitet, daß sie keinen solch einfachen Tod verdient. Vergeßt nicht, sie hat heute morgen ihren Mann zerfetzt. Dafür müssen wir sie hart bestrafen. « »Mach einen Vorschlag!« forderte ich Hank auf. » Wir werden lange Nägel in das Faß schlagen, ringshe‐ rum, so viele wir finden können. Wenn wir die Alte dann den Felsen hinunterrollen, wird sie von diesen Nägeln tausendfach erdolcht, ehe sie im Meer versinkt.« Wir machten es so. 7
Wie besessen hämmerten wir die Nägel, die wir im Ge‐ räteschuppen fanden, in das Faß. Die gottverfluchte Hexe stand oben an der finsteren Luke und schaute uns bei der Arbeit zu. Ein furchtbares Heulen fauchte um den hohen Leuch‐ tturm. Schwarze Wolken brauten sich über uns zu‐ sammen. Das Meer wurde hochgepeitscht. Der Sturm drohte uns vom Felsen zu fegen, aber wir stemmten uns wild gegen ihn und schlugen mit einer immer stärker werdenden Wut die langen Nägel in das Faß. »Sie holt Wind und Wetter zu Hilfe!« knirschte Brian, den Blick zum schmutziggrauen Himmel gewandt. » Ihr kann nichts mehr helfen«, sagte ich fest, und ich war von meinen Worten restlos überzeugt. »Sie wird sterben.« Der letzte Nagel war eingeschlagen. Schweiß bedeckte unsere Gesichter. Wir sahen uns schwer atmend an. Nun mußten wir die Hexe holen. »Kommt, Freunde!« sagte Brian und drehte sein Ge‐ sicht dem Leuchtturm zu. Die Mauer schien zu fluores‐ zieren. Eine ekelhafte Kälte ging davon aus. Wir fühlten uns auf eine seltsame Weise krank und spürten, daß Sheila Barrshee unsere Kräfte schwächte. Der Teufel mochte wissen, wie sie das anstellte.
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Sie pflanzte Furcht in unsere zuckenden Herzen. Und wären wir nicht zu viert gewesen, so hätte jeder von uns Hals über Kopf die Flucht ergriffen. So aber richte‐ ten wir uns gegenseitig auf, machten uns mit zuver‐ sichtlichen Blicken Mut. Wir traten vor die verwitterte Holztür, die in den Leuchtturm führte. Brian schmetterte die Faust dage‐ gen. Drinnen dröhnten die einzelnen Schläge erschre‐ ckend laut. Ein Blitz zuckte vom rabenschwarzen Himmel mit ei‐ nem ohrenbetäubenden Knall in die wütende See. Brian schlug wieder mit seiner Faust an die Tür. Ich bewun‐ derte seine Entschlossenheit. »Barrshee!« brüllte er gnadenlos hart. » Sheila Barr‐ shee! Mach die Tür auf!« Ein furchtbares Knurren rollte durch den gespensti‐ schen Turm. Ich glaube, jeder von uns wäre dem ande‐ ren dankbar gewesen, wenn er den Vorschlag gemacht hätte, umzukehren, von diesem wahnsinnigen Vorhaben abzulassen, ehe es dazu zu spät sei. Aber keiner wagte auszusprechen, was er dachte. Niemand brachte den Mut auf, die Aktion platzen zu lassen. Jetzt aber weiß ich, daß es vernünftiger gewesen wäre, umzukehren.
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Ich fingerte nach dem Kruzifix, das ich seit meiner frü‐ hesten Jugend um den Hals trage. Ich hoffte, daß es mir Kraft geben würde. »Barrshee!« brüllte Brian wütend. »Wir wissen, daß du da drinnen bist! Mach auf der Stelle die Tür auf!« Sheila Barrshee ignorierte uns. Brian verlor als erster die Geduld. » Wir brechen die Tür auf!« entschied er. Und ich sollte die Eisenstange holen, die wir im Geräteschuppen ent‐ deckt hatten. Ich brachte ihm die Stange. Er klemmte sie zwischen Mauer und Holz. Dann warfen wir uns alle vier gegen das Rundeisen. Die Tür knirschte, knackte und gab nach. Im Turm herrschte völlige Dunkelheit. Spinnweben hingen von der Decke herab. Eine furchtbare Beklemmung befiel mich. Ich hatte eine panische Angst, ohne zu wissen, wovor. Ein Blick in die fahlen Gesichter meiner Freunde verriet mir, daß sie genauso empfanden wir ich. »Sheila!« schrie Brian, und seine Stimme verlor sich mit zitterndem Hall im mächtigen Gemäuer des Leuch‐ tturms. »Du weißt, weshalb wir hier sind. Komm zu uns! Es hat keinen Zweck, sich zu verstecken, wir fin‐ den dich ja doch!« Ein Kichern, so schauderhaft, daß ich davon die Gänse‐ haut bekam. Sie verspottete uns mit ihrem Gelächter. 10
Brian ging auf die Steintreppe zu, die sich in vielen Windungen nach oben schraubte. An den grauen Wän‐ den waren widerwärtige Zeichnungen zu sehen. Teu‐ felsfratzen, die uns wie Lebewesen feindselig und voll Abscheu und Haß anstarrten. Als Brian die Treppe er‐ reicht hatte, ging ich ihm nach. Es wäre unverantwort‐ lich gewesen, ihn allein dort hinaufgehen zu lassen. Sheila war irgendwo dort oben. Wir konnten sie hören. Sie keuchte, ächzte, schlurfte mit ihren alten Füßen über den Boden, polterte mit den Möbeln und knallte schwe‐ re Türen zu. »Sheila, komm herunter!« schrie unser Freund nach oben. Aber die verdammte Hexe tat so, als gäbe es uns nicht. »Sie weiß, daß sie sterben muß «, sagte ich, um mir wieder Mut zu machen. »Deshalb ignorierte sie uns, so‐ lange sie noch kann. Aber sie weiß, daß sie verloren ist, Brian.« »Wir holen sie herunter!« entschied unser Freund. Wir nickten und stiegen mit ihm die abgetretenen Stu‐ fen hoch. Immer deutlicher vernahmen wir die Geräusche, die die schreckliche Alte verursachte. Ich war froh, die Eisen‐ stange mitgenommen zu haben. Somit war ich der ein‐ zige von uns vieren, der bewaffnet war. 11
Wir erreichten eine Tür. Sheila krächzte unsere Namen. Dann brach sie wieder in dieses unheimliche Gelächter aus. Und dieses Lachen flog plötzlich über unsere Köpfe hinweg, die Treppe hi‐ nunter und füllte das gesamte Erdgeschoß des Leuch‐ tturms. » Was war das?« fragte Hank kreidebleich. Ich zuckte überfragt die Achseln. Christopher wies verwirrt auf die Tür. »Ist sie nun noch hier drinnen oder dort unten?« »Am besten, wir sehen nach«, sagte Brian. Er öffnete die Tür. Wir traten gleichzeitig ein. Sie war noch da, während sie unten ihr ekelhaftes Gelächter ausstieß, un‐ ten polterte und mit irgendwelchen Töpfen schepperte. Sie saß in einem alten Schaukelstuhl. Ich war aufgeregt. Es lagen Jahre dazwischen, seit ich sie zum letztenmal gesehen hatte. Damals war sie eine unscheinbare alte Frau für mich gewesen, die mich nicht interessiert hatte. Mir wollte nicht in den Sinn, daß sie in so kurzer Zeit so schrecklich gealtert sein konnte. Sie starrte mich und meine Freunde feindselig an. Unten krächzte die Stimme der Hexe. Sie schrie wüste Verwünschungen, kündigte an, uns zu bestrafen, weil wir es gewagt hatten, gewaltsam in ihren Turm einzud‐ 12
ringen. Und während sie dort unten kreischte und wü‐ tete, hockte sie wie eine ausgestopfte Horrorfigur vor uns und schaukelte in diesem Stuhl unentwegt hin und her‐ hin und her — hin und her . . . Eine seltsame hypnotische Kraft ging von diesem ewi‐ gen Wackeln, das von einem geisterhaften Ächzen be‐ gleitet war, aus. Ich hatte Angst, in den Bann dieser verteufelten Frau zu geraten, fürchtete, daß sie mich zwingen könnte, etwas zu tun, was ich nicht tun wollte. Ich spürte, wie sie von meinem Geist Besitz ergreifen wollte. Mit einem verzweifelten Schrei riß ich mich von ihrem grauenerregenden Einfluß los. Meine Freunde starrten mich entgeistert an, als ich auf die gottverf‐ luchte Alte zulief. Sie schaukelte ungerührt weiter. Ich riß die Eisenstange hoch und schlug zu. Sie schaukelte immer noch. Ihr häßlicher, runzeliger Kopf kippte nach vorn. Sie hatte das Bewußtsein verloren. Aber sie hörte selbst jetzt nicht zu schaukeln auf. Ich begriff das nicht. Schon wollte ich wieder mit der Eisenstange zuschla‐ gen, da fiel mir Brian in den Arm. »Laß sie«, sagte mein Freund. Ich hörte ihn nicht. »Laß sie!« schrie er mich an, um mich zur Besinnung zu bringen. Ich blickte ihn erschüttert an. Es war das erste Mal in meinem Leben gewesen, daß ich nicht gewußt hatte, was ich tat. 13
Wir hoben die bewußtlose Frau vom Stuhl. Christopher und Hank trugen sie aus dem Raum. Sie war leicht wie eine Feder. Wir hasteten mit der unheimlichen Alten aus dem Leuchtturm. Hank und Chris stopften sie in das Faß. Brian und ich nagelten den Deckel darauf. Ein Blitz zerriß die Dunkelheit für den Bruchteil einer Sekunde. Ich sah die Gesichter meiner Freunde nur ganz kurz, und ich erschrak zu Tode. Sie hatten rote Tränen in den Augen. Doch dieser Umstand hätte mich nicht so sehr zu erschrecken vermocht. Was weit schlimmer war, war das, was ihre Augen umgab: die Gesichter meiner Freunde waren während dieses einen Blitzes lediglich grinsende Totenschädel. Mir stockte der Atem. Sheila fegte schimpfend und fluchend über unseren Köpfen um den Leuchtturm. Ich konnte die schwarze Gestalt deutlich sehen, und mir kamen Zweifel, ob wir diese Satansbrut tatsächlich in das Faß gesteckt hatten. Eiskalte Schauer liefen über meine Wirbelsäule, als sie dort oben, im rasenden Sturm hängend, unsere Namen brüllte und uns einen grauenvollen Tod prophezeite. Hank verlor als erster die Nerven. Er versetzte dem großen Faß einen gewaltigen Tritt. Es kippte um, be‐ gann zu rollen, erst langsam, dann immer schneller. 14
Schließlich raste das Faß dem tosenden Abgrund entge‐ gen. Barrshee heulte und schrie. Sie fand sich dort oben im Sturm, der ihr rabenschwarzes Kleid um ihre magere Figur knattern ließ. Während das Faß zur schäumenden Brandung hinabsauste, wurde, sie, wie Hank es gesagt hatte, von den Nägeln tausendfach erdolcht. Die im Sturm schwebende Erscheinung litt vor unseren Augen all die Qualen, die wir dem Körper der Hexe zugedacht hatten. Und als das Faß endlich ins grollende Meer ge‐ stürzt war und ganz langsam in den wild wogenden Fluten versank, ertrank die Erscheinung dort oben in der Luft vor unseren fassungslosen Blicken. Sie stieß gurgelnde Laute aus und schlug mit ihren Händen verzweifelt um sich. Sie reckte den spindeldür‐ ren Hals und warf den ekelhaften Kopf verzweifelt hin und her. Aber all ihr Kreischen, Strampeln und Toben half nichts. Sie ertrank im Meer und gleichzeitig in der Luft. Dieses furchtbare Schauspiel werde ich bis an mein Lebensende nicht vergessen. Als es mit ihr zu Ende ging, kreischte sie ein letztes Mal mit zittriger Stimme: »Rache! Rache! Raaacheee!« Dann verschwand der grausige Spuk über uns. Der Sturm legte sich von einer Minute zur anderen. Die Be‐ klemmung wich von uns. Wir wagten den ersten er‐ 15
leichterten Seufzer, als sich die Dunkelheit lichtete. Ich wischte mir den kalten Schweiß von der Stirn, stieß ein nervöses Lachen aus, das meine Freunde ansteckte. Wir schrien mehr, als wir lachten, denn wir waren heilfroh, daß wir dieses böse Grauen überstanden hatten. Da streckte Hank plötzlich die Hand zitternd aus und brüllte verstört: »Seht nur! Seht!« Er wies auf die Stelle, wo das Faß mit der Alten unter‐ gegangen war. Das Meer hatte sich in weitem Umkreis blutrot gefärbt. Und auf der unruhigen Wasseroberflä‐ che schwamm das bleiche Gesicht der schrecklichen Al‐ ten ‐riesengroß, bedrohlich. Dieses mumifizierte Antlitz schwamm auf dem Meer wie eine riesige Öllache. Und es grinste uns so dämonisch an, daß uns quälend klar wurde, daß wir nicht gesiegt hatten. 23.Juni 1898 Heute nacht war Vollmond. Als der Morgen graute, kehrten die Fischer heim. Keinen einzigen Fisch hatten sie gefangen. Niemand anders als Sheila Barrshee war daran schuld. Als die Fischer in die Nähe des Leuchtturms kamen, färbte sich das Meer blutrot. Und genauso, wie es uns vor zwei Monaten erschienen war, so erschien das riesi‐
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ge Gesicht der Hexe auch diesen Männern. Und plötz‐ lich war das Meer übersät von toten Fischen. Doch damit war es der verdammten Hexe nicht genug. Sie wollte die Fischer nicht nur mit den toten Fischen verhöhnen. Nein, sie entfesselte einen gewaltigen Tai‐ fun, der die weite Wasserwüste aufwirbelte und zu einer furchtbaren Todesgefahr für die Männer in ihren klei‐ nen Booten werden ließ. Gewaltige Wellenberge schossen hoch. Sie waren don‐ nernd aus riesigen Wassertälern geboren worden. Im‐ mer und immer wieder kreisten diese unbarmherzigen Täler. Immer mehr Wasser stießen sie hoch. Die Kutter rasten in schwarze, brüllende Tiefen, wurden aber gleich wieder von mächtigen Fäusten hochgerissen, tanzten auf dem weißen Kamm einer tosenden Welt, die aus salzigem Gischt und strudelndem Wasser bestand. So brutal, so erschreckend wild hatten die erfahrenen Fischer ihr Meer noch nie erlebt. Die mörderisch beweg‐ te See schleuderte sie alle gegen den Leuchtturmfelsen. Hier endete die Höllenfahrt. Als die Boote zerschellten, kreischte Sheila Barrshee ihr verrücktes Gelächter in den heulenden Taifun. Von zehn Fischern überlebte ein einziger. Er hat mir von diesen furchtbaren Schrecknissen auf See berichtet.
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Ich fühle, daß die alte Hexe heute nacht in unser Dorf kommen wird. Gott erbarme sich unserer armen Seelen. 24. Juni 1898 Es ist Abend. Ich sitze hier an meinem Schreibtisch und mache vermutlich die letzte Eintragung in mein Tage‐ buch. Ich gestehe, daß ich schrecklich Angst habe, und wenn ich fortlaufen könnte, würde ich es tun. Aber vor Sheila Barrshee kann niemand weglaufen. Sie hat in der vergangenen Nacht Christopher, Hank und Brian grau‐ sam getötet. Seit einer Stunde schleicht sie nun schon um mein Haus herum und weidet sich an meiner schlot‐ ternden Todesangst. Ich glaube, sie kommt. Kälte. Ich sehe ihr abscheuliches, mumifiziertes Gesicht an der Wand. Sie erscheint und nimmt Gestalt an, grinst teuflisch. Ich habe nur noch wenige Augenblicke zum Schreiben. Sie kommt auf mich zu. Ihre Hände sind widerwärtige Krallen. Ich – habe Angst vor dem Tod, aber nicht vor ihr, nein, nicht vor ihr . . . 77 Jahre später. Nachdem die unheimlichen Geschehnisse in jenem kleinen englischen Fischerdorf in den letzten Jah‐ ren etwas abgeflaut waren, flackerten die seltsa‐ 18
men, gespenstischen Ereignisse Anfang des Jahres 1975 wieder merklich auf. Vielleicht hing das damit zusammen, daß der achtundzwanzigjährige Professor für Parapsycho‐ logie, Amory Power, nach zehnjähriger Abwesen‐ heit in sein Heimatdorf zurückkehrte und sogleich den unbewohnten, von allen ängstlich gemiedenen Leuchtturm kaufte. Der Parapsychologe, ein uner‐ schrockener Mann, wollte den Leuchtturm be‐ wohnen, wie er die bestürzten Dorfbewohner wis‐ sen ließ. Niemand hatte für diesen Wahnwitz Ver‐ ständnis. Er ließ den Turm trotzdem soweit herrichten, daß man darin wohnen konnte. Selbstverständlich sa‐ botierte Sheila Barrshee dieses Vorhaben, wo im‐ mer sie konnte. Aber die Arbeiten waren nach fünf Monaten abgeschlossen. Nun schickte Amory Power sieben Einladungen an sieben junge Männer ab, die alle wie er aus diesem Dorf hervorgegangen waren, die genauso alt war‐ en wie er und die vor zehn Jahren mit ihm die Rei‐ feprüfung abgelegt hatten. Damals hatten sie be‐ schlossen, sich nach zehn Jahren in ihrem gottver‐ lassenen Dorf wiederzutreffen. Amory Power hatte diesen Beschluß über all die Jahre nicht vergessen. 19
Deshalb lud er seine Freunde ein, drei Tage mit ihm auf seinem Leuchtturm zu verbringen. Sie sag‐ ten alle erfreut zu.
Der erste Tag. Die Straße war schlecht, die Gegend öde. Im mo‐ noton dahinrumpelnden Bus saßen drei Menschen und ein alter Fahrer mit eisgrauem Haar und ste‐ chendem Blick. Der Motor brüllte. Der verbeulte Bus schepperte und klapperte, dröhnte und wummerte, so daß die drei Leute sehr laut spre‐ chen mußten, um einander zu verstehen. »Hättest du dir an seiner Stelle den Leuchtturm gekauft, Tony?« fragte Pat Stanwyck. Er war groß, schlank und trug genau den Anzug, der zu Melone und Schirm paßte. Sein Haar war braun, sein Mund wirkte schlaff und zügellos. Anthony Craig schmunzelte. »Ich bin Privatdetektiv, Pat, nicht Parapsycholo‐ ge.« Craig war sportlich durchtrainiert. Es gab kein Gramm Fett an seinem Körper. Sein dichtes blon‐ des Haar hatte einen seidigen Glanz. Die eisigb‐ 20
lauen Augen in dem tiefgebräunten Gesicht stan‐ den dicht beisammen, ihr Funkeln enthüllte eine Art angeborene Cleverneß. Seine Zähne waren kräftig und blitzweiß. Der Anzug hatte genau den richtigen Schnitt lässiger Eleganz. Aber an ihm hätte sogar ein alter Sack noch verhältnismäßig gut ausgesehen. »Wie kam er nur auf die Idee, Parapsychologe zu werden?« fragte Pat Stanwyck nachdenklich. »So, wie du auf die Idee kamst, Nachrichtenspre‐ cher von BBC zu werden«, gab Anthony Craig zu‐ rück. »Und so wie ich mir in den Kopf setzte, Schnüffler zu werden. Jeder hat eben so seine Vor‐ stellungen vom Leben und von der Art, wie er es verbringen will.« »Er hat immerzu mit übernatürlichen Dingen zu tun.« »Daran gewöhnt man sich.« »Ich glaube, er hat den Turm vor allem wegen Sheila Barrshee gekauft«, sagte Pat. Tony Craig nickte. »Davon bin ich sogar überzeugt.« »Was verspricht er sich davon?« fragte Stanwyck. »Der Turm gehört immer noch ihr. Ein Kauf kann daran gewiß nichts ändern. Ich denke, Amory hat 21
den Turm erworben, um ihn dieser gottverfluchten Hexe endlich abzuluchsen.« Craig legte seinen Arm um die Schultern seines Mädchens. Er merkte, daß Pat fröstelte. Das Thema war ihr nicht geheuer. Er schaute sie an und lächel‐ te. »Du brauchst keine Angst zu haben, Baby. Solange ich bei dir bin, kann dir nichts geschehen, auch nicht im Geisterturm.« »Tony, du solltest nicht so reden«, seufzte Joan McMurray. Sie war zwanzig. Ein attraktives Mäd‐ chen. Das sandfarbene Haar floß über ihre Schul‐ tern bis zu den Brustspitzen. Das helle Blau ihrer wachen Augen paßte hervorragend zu ihrem braunen Teint. Ihr üppiger, voller Mund war sinn‐ lich aufgeworfen. Sie trug ein schlichtes Kleid in der Farbe rosigen Sorbets. Der Bus ratterte durch einen finsteren Waldkorri‐ dor. Craig wies aus dem Fenster. »Nun sind wir bald da.« » Ein unheimlicher Wald ist das«, sagte Joan und drückte sich fester an ihn. Plötzlich war ihr, als sähe sie zwischen den dunk‐ len Stämmen eine alte Frau stehen. Ihr Gesicht war
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kreidebleich. Sie sah aus wie ein lebender Leich‐ nam. Seltsamerweise war Craig und Stanwyck die Alte nicht aufgefallen. Der Bus rumpelte weiter. Und Joan erwähnte die gespenstische Erscheinung nicht. Sie erinnerte sich an die Worte ihres Freun‐ des. Tony hatte ihr von Sheila Barrshee erzählt. Er selbst nahm die spukende Alte nicht ernst. Aber nun, wo Joan diese bleiche Frau gesehen hatte, wußte sie mit einemmal, daß sie dieser Hexe be‐ gegnet war. Es machte ihr Angst, zu wissen, daß nur sie die Al‐ te gesehen hatte. Was bedeutete das? War sie schlimmer dran als Tony und sein Freund? Hatte es Sheila Barrshee auf sie abgesehen? War sie ihr deshalb erschienen? »Woran denkst du, Baby?« fragte Craig. »An zu Hause«, log sie. Sie wollte mit niemandem über die Hexe reden, nicht mal mit Tony. »Wir werden drei herrliche Tage in aller Abge‐ schiedenheit verbringen«, schwärmte Craig. »Du wirst mein gottverlassenes Heimatdorf und meine Freunde kennenlernen. Es sind nette Kerle, genau wie Pat. «
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Joan McMurray legte die schlanken Hände in den Schoß und blickte unverwandt nach vorn. Dort saß der Fahrer und steuerte das große Gefährt mit vertrauenerweckender Routine dem Ziel ent‐ gegen. Plötzlich hatte Joan das Gefühl, als würde sich auf alle Fenster ein blutroter Belag legen. Ihr wurde schlagartig kalt. Sie fror erbärmlich und klapperte mit den Zähnen. Verwunderlich war ihr, daß Tony von ihrem Zustand nichts merkte. Sie hörte ihn neben sich reden. Er kümmerte sich nicht um sie, sprach mit seinem Freund. Joan konnte nicht verstehen, wie die beiden sich neben ihr auf eine so unbekümmerte Weise amü‐ sieren konnten. Sahen sie denn nicht, was sie sah? Keines der Fenster war mehr durchsichtig. Der Fahrer ließ das große Lenkrad los und drehte sich langsam um, grinste. Und plötzlich erhob er sich. Joan wollte ihm zurufen, er solle sich sofort wieder hinsetzen, er könne doch den Bus nicht allein über die Landstraße donnern lassen, das würde eine Katastrophe geben. Aber sie brachte keinen Ton heraus. Sie saß stumm wie ein Fisch da, hatte die Hände immer noch im
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Schoß liegen und starrte den grinsenden Fahrer verstört an. Der Mann kam auf sie zu. Joan wollte ihm nicht mehr länger in die Augen sehen. Etwas Schreckliches ging von diesem Blick aus. Etwas, das ihr wahnsinnige Angst machte. Sie sah schnell zur Seite auf die dunkelrote Scheibe. Und plötzlich erkannte Joan, daß es sich hierbei um keine Farbe handelte, sondern um Blut, das von irgendwo auf den Bus zu prasseln schien und an den Scheiben langsam hinunterrann. Irgend etwas zwang sie, den Fahrer wieder anzu‐ sehen. Furcht hämmerte in ihrem Kopf. Wie aus weiter Ferne hörte sie Tony und Pat lachen, wäh‐ rend sie sich so schrecklich allein vorkam. Was wollte der seltsame Mann von ihr? Der Mann? Joan war gezwungen, zu ihm aufzusehen. Er trug nicht mehr seinen taubengrauen Anzug, sondern ein langes schwarzes Kleid umhüllte seinen Kör‐ per. Ein Mann in Frauenkleidern. Mit einemmal begann er zu schrumpfen. Sein Gesicht trocknete auf eine widerwärtige, unerklärliche Weise ein. Sein Körper sank in sich zusammen. Die Verwand‐ lung währte nur wenige Sekunden, dann war aus 25
dem Fahrer eine steinalte Frau geworden, die ihren faltigen Mund weit aufriß und ein schreckliches Gelächter ausstieß. »Willkommen, Joan!« kreischte die schwarze Frau mit beißendem Spott. »Willkommen!« In der nächsten Sekunde holte sie mit ihrer klau‐ enartigen Hand wild aus und schlug blitzschnell zu. Die Ohrfeige brannte verteufelt auf Joans Wange. Sie seufzte entsetzt. »Joan ! « sagte Anthony Craig plötzlich besorgt. Sie hörte seine Stimme nun wieder ganz deutlich. »Joan! Mädchen, was ist dir? Ist dir nicht gut?« Sie blinzelte, als wäre sie aus einem tiefen Schlaf erwacht. Benommen blickte sie sich um. Alles war unverändert: die Fenster waren durchsichtig, der Busfahrer saß vorne an seinem Platz. Nirgendwo war eine schwarze Frau zu sehen. Joan glaubte, daß ihr ihre Sinne einen schlimmen Streich gespielt hatten. Möglich, daß sie zu intensiv an die schreck‐ liche Alte gedacht hatte. Vermutlich hatte ihr Geist die Hexe für einen kurzen Moment zu Fleisch werden lassen. Anders konnte sie die unheimliche Erscheinung, die sie zu Tode geängstigt hatte, nicht erklären. »Joan!« rief Craig noch einmal. 26
Sie sah ihn verwirrt an. »Was ist mit dir, Baby?« fragte er beunruhigt. »Nichts, Tony.« »Richtig krank siehst du aus. Nicht wahr, Pat?« »Sehr blaß«, bestätigte Stanwyck. »Die lange Busfahrt«, seufzte das Mädchen. »Ich glaube, mein Magen verträgt das viele Schaukeln nicht. « »Nicht mehr lange, nur noch ein paar Minuten«, sagte Craig fürsorglich, »dann hat die Fahrt ein Ende. Dann kannst du drei Tage lang ausspan‐ nen.« Joan lehnte ihren Kopf an Anthonys Schulter. »Ich bin schon sehr gespannt darauf, wie das Dorf aussieht, das dich hervorgebracht hat, Tony.« Der lachte. »Erwarte um Himmels willen nicht zuviel. Es ist das mieseste Nest, das du dir vorstellen kannst. Wenn es nicht so wäre, wären meine Freunde und ich damals ja nicht weggegangen. Die Zeit ist in diesem Dorf stehengeblieben. An ihm ist der Fort‐ schritt vorbeigegangen. Vielleicht ist das ein Segen. Ich weiß es nicht.«
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Der Bus sauste mit Volldampf in ein riesiges Schlagloch. Die Fahrgäste wurden mächtig durch‐ gerüttelt. »Ich glaube, ich hätte doch besser meinen Wagen genommen«, maulte Anthony Craig. »Dieses ver‐ dammte Vehikel!« Stanwyck und Craig lachten herzlich. »Bin neugierig, wie die anderen aussehen und was aus ihnen geworden ist«, sagte Craig. »Fred Bennett ist heute ein profilierter Korrespon‐ dent verschiedener ausländischer Zeitungen«, er‐ zählte Stanwyck. »Ich hatte ein paarmal mit ihm zu tun.« »Das Muttersöhnchen Ronald Sirk soll es mittler‐ weile in seiner Versicherung zum Vizepräsidenten gebracht haben«, sagte Craig. »Glenn Ahearn hat sich zum begehrten Fernsehautor gemausert. Nur Herb Lebanon soll noch immer derselbe komische Kauz von damals sein.« »Weiß man, was er treibt?« »Er hat ein Bestattungsunternehmen.« »Das paßt zu ihm«, sagte Craig grinsend. In der Ferne tauchten die ersten Giebeldächer auf. Anthony Craig legte seine Hand auf Joans Knie. Unwillkürlich warf sie einen Blick darauf und 28
zuckte entsetzt zurück. Tonys Hand war zu einer häßlichen Klauenpfote geworden. Beinahe hätte das Mädchen schrill aufgeschrien. Da sah Joan, daß sich die Finger verformten. Verzweifelt fragte sie sich, was mit ihr bloß los war. Warum bildete sie sich all die gräßlichen Dinge ein? Stimmte mit ihrem Geist irgend etwas nicht? Tony redete neben ihr wie aufgezogen. Er machte sie mit der Umge‐ bung des Dorfes vertraut, erklärte ihr, in welchem Haus er gewohnt hatte, wo er zur Schule gegangen war. Schließlich hielt der alte Bus mit schrill quiet‐ schenden Bremsen auf dem großen Marktplatz an. »Endstation, Herrschaften!« rief der Fahrer und erhob sich. Er half Joan beim Aussteigen. Sie wollte ihn nicht beleidigen, deshalb ergriff sie seine kräftige Hand. Aber geheuer war ihr nicht dabei. Das Trittbrett ächzte, als Craig aus dem Bus klet‐ terte. »Sagen Sie, wann wird auf dieser Linie mal ein neueres Modell eingesetzt?« fragte er den Fahrer. Der gab grinsend zurück: »Sie sollten besser fra‐ gen, wann diese Linie nicht mehr befahren wird, Sir.« 29
»Dann wäre dieses Dorf total von der Umwelt ab‐ geschnitten. « »Glauben Sie, daß das jemandem auffallen wür‐ de?« Der Marktplatz war leer. Eine Katze lief gerade davon. Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Irgend etwas lastete auf diesem Dorf. Tony spürte sofort, daß sich in den vergangenen zehn Jahren absolut nichts verändert hatte. Dieses bedrückende Gefühl hatte er schon damals gekannt. Der Fahrer half ihnen beim Ausladen des Gepäcks, obwohl jeder bloß einen leichten Handkoffer mit‐ genommen hatte. Tony nahm die Gepäckstücke in Empfang. Dann griff er in die Tasche und drückte dem Busfahrer eine Banknote in die Hand. Es fiel ihm dabei auf, daß diese Hand eiskalt war. Sie schien nicht durchblutet zu sein. Sie glich der Hand eines Toten. Verwirrt schaute Craig dem fremden Mann ins Gesicht. Für einen Moment war ihm, als bliebe sein Herz vor Schreck stehen. Der Mann, der ihm lächelnd gegenüberstand, war ihm nicht fremd. Er kannte die breite Knollennase, das listige Augenpaar, die gelben Zähne und das flie‐ hende Kinn. Vor ihm stand Al Tanner, der ehema‐ lige Bürgermeister dieses Dorfes. 30
»Tony!« sagte der Mann mit einer seltsamen Gra‐ besstimme. »Tony Craig! Das ist aber eine freudige Überraschung! Willkommen daheim, Tony!« »Tanner!« stieß der Detektiv fassungslos hervor. »Al Tanner!« »Sehr richtig, mein Junge, der bin ich.« »Al Tanner!« ächzte Craig und schüttelte verwirrt den Kopf. »Ist etwas, Mister?« Das war nun keine Grabes‐ stimme mehr. Und das war auch nicht mehr Al Tanners Gesicht, in das Craig fassungslos glotzte. Es war wieder das fremde Antlitz des Busfahrers. »Warum starren Sie mich so an, Sir?« erkundigte sich der Mann verwundert. Craig wischte sich mit der Hand über die Augen. »Verzeihen Sie, ich wollte Sie nicht anstarren. Mir war für einen Augenblick nur, als würde ich in Ih‐ nen einen alten Bekannten wiedererkennen. « Der Mann ging kopfschüttelnd um den Bus he‐ rum. Stanwyck und Joan kamen zu Tony. Er stand geistesabwesend vor den drei Koffern. »Na, Tony«, fragte Stanwyck lachend, »träumst du?« Craig schaute den Freund fest an. »Weißt du, wer mich soeben begrüßt hat, Pat?« 31
»Wer?« »AI Tanner.« Stanwyck riß die Augen auf. »Hör mal, du spinnst wohl? Al Tanner ist seit zwölf Jahren tot. « Craig nickte. »Auf eine geheimnisvolle Weise ums Leben ge‐ kommen. Ich hab’s nicht vergessen, Pat. Wir waren alle auf seiner Beerdigung.« »Wie kann er dann . . .« »Er war es, Pat!« sagte Craig fest. »Er hat mit mir gesprochen! « Stanwyck blickte sich schaudernd um. »Sie ist also noch hier.« »Wer ist noch hier?« fragte Joan fröstelnd. »Sheila Barrshee! « Nachdem der Bus leer abgefahren war, machten die drei jungen Leute einen kurzen Rundgang im Dorf. Auf ihrem Weg begegneten sie einem taub‐ stummen Jungen und einer blinden Frau, sonst niemandem. Deprimiert trafen sie beim Hafen ein. »Es ist schlimmer geworden mit unserem Dorf«, sagte Pat Stanwyck traurig. »Ich glaube, ein zwei‐ tes Mal werde ich hierher nicht mehr zurückkeh‐ ren.« 32
»Wir empfinden alles wesentlich intensiver, weil wir so lange nicht hier waren«, versetzte Craig. Sie standen auf der Mole. Tony streckte die Hand aus. »Siehst du den Leuchtturm, Joan?« »Er ist so schrecklich weit weg vom Festland«, sag‐ te das Mädchen. Stanwyck lächelte schwach. »Ich wette, den Dorfbewohnern hier ist diese Ent‐ fernung immer noch zu gering.« »Man fürchtet den Turm?« fragte Joan. »Man nennt ihn den Leichenturm«, erklärte Tony. »1898 sollen dort draußen neun Fischer ums Leben gekommen sein. Ihre Gebeine sollen sich irgendwo im Turm befinden.« Joan fuhr sich nervös über die Lippen. »Warum erzählst du mir das, Tony? Willst du, daß ich nicht mit nach drüben komme? Okay, dann sprich nur so weiter. « Tony drückte sie fest an sich. Sie sträubte sich. »Habe ich dir nicht gesagt, du brauchst keine Angst zu haben, Joan? Du bist dort drüben ja nicht allein. Ich werde immer in deiner Nähe sein. Au‐ ßerdem werden noch Amory Power, Pat Stan‐ wyck, Fred Bennett, Ronald Sirk, Glenn Ahearn und Herb Lebanon da sein.« 33
»Und Liz Crowley«, sagte Stanwyck, »die derzeiti‐ ge Freundin von Glenn Ahearn. Ein recht amüsan‐ tes Flittchen. Sie nennt sich Starlet. Und sie hat sich an Ahearn herangeschmissen, damit er ihr mal ei‐ ne Rolle auf den Superleib schreibt. Die Ärmste hat keine Ahnung, daß Glenn seine Position schamlos ausnutzt. Er wird ihr niemals eine Rolle in einem seiner Stücke verschaffen. Das hat er mir selbst ge‐ sagt. Und wißt ihr, warum nicht? Er sagte, er kön‐ ne es sich nicht leisten, sein Stück von einer Dilet‐ tantin kaputtmachen zu lassen.« Nun standen sie da wie bestellt und nicht abge‐ holt. »Wir brauchen ein Boot, das uns rüberbringt«, sag‐ te Craig. »Bleibt hier! Ich werde eins organisieren.« Er steuerte die Hafenkneipe an. Sie befand sich in einem verwitterten Backsteingebäude. Craig stieß die Tür auf. Sie knarrte furchtbar. Fünf Männer hockten an groben Holztischen. Bier oder Whisky stand vor ihnen. Sie redeten nicht miteinander. Einen der Männer erkannte Tony wieder. Er ging auf ihn zu und legte ihm die Hand auf die Schul‐ ter, nannte ihn beim Namen und verriet ihm, wer er war. Ein kurzes Flackern erschien in den Augen des Mannes. Das Zeichen, daß er sich erinnerte. 34
»Sie sind ein kräftiger junger Mann geworden, Mr. Craig.« »Sie hingegen haben sich kaum verändert«, erwi‐ derte Tony. »Haben Sie immer noch Ihr Boot?« »Ja, Mr. Craig. Den schäbigen Kahn habe ich noch.« »Würden Sie mir und meinen Freunden einen kleinen Gefallen tun?« »Welchen?« »Wir möchten zum Leuchtturm hinüber.« Mit einemmal war es in der Kneipe so still, daß man eine Stecknadel zu Boden fallen gehört hätte. Im Gesicht des Bootsmannes zuckte es. »Wieviel kriege ich?« »Hundert Pfund.« »Okay.« Der Mann erhob sich schwerfällig. Ir‐ gendwie erinnerte er Tony an eine alte, knorrige Eiche. »Für hundert Pfund würde ich Sie sogar in die Hölle bringen«, sagte er, als sie aus der Kneipe traten. Sie brachten die Koffer auf sein Boot. Er legte ab. »Wie geht es unserem Dorf?« fragte Craig, als sie den Hafen hinter sich gelassen hatten. Der Mann zog die rostroten Brauen zusammen. »Haben Sie sich nicht ein wenig umgesehen?« 35
»Doch.« »Was soll dann die Frage, Mr. Craig? Sie müssen ja gesehen haben, wie’s dem Dorf geht. Hundsmise‐ rabel geht es ihm. Es stirbt langsam.« »Sheila Barrshee?« »Wer sonst?« »Ist immer noch niemand mit ihr fertig gewor‐ den?« Der Bootsmann lachte gallenbitter. »Mit der wird niemals jemand fertig, in tausend Jahren nicht. Vielleicht wäre alles nicht so schlimm gekommen, wenn man sie damals, vor siebenund‐ siebzig Jahren, in Ruhe gelassen hätte. « »Es gibt doch Polizei im Dorf, oder?« fragte Joan McMurray gedämpft. Der Bootsmann nickte. »Natürlich, Miß. Inspektor Moorehead ist ein guter Mann, äußerst fähig. Wenn Sie aber wissen wollen, warum er nichts gegen Sheila Barrshee unter‐ nimmt, kann ich darauf nur antworten: Ein Polizei‐ inspektor, selbst der tüchtigste, kann sehr viel ge‐ gen Verbrecher tun, aber er ist genauso machtlos wie wir, wenn diese Verbrechen von einem Spuk begangen werden. «
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Für eine Weile stockte die Unterhaltung. Sie näher‐ ten sich dem Felsen, auf dem der Leuchtturm stand. »Verrückt! « sagte der Bootsmann und schüttelte mit hartem Gesicht unwillig den Kopf. »Amory Power muß total verrückt sein. Kauft diesen Turm, wo doch jeder weiß... « »Wenn es einer schafft, Sheila Barrshee das Hand‐ werk zu legen, dann er«, unterbrach Craig. »Der Junge wird sehr bald einsehen, daß es nichts Schlimmeres gibt, als sich mit Sheila anzulegen.« »Er wird ihr ihren Turm abringen«, sagte Craig zuversichtlich. »Das wird ihm nie und nimmer gelingen«, wider‐ sprach der Bootsmann. »In letzter Zeit spukt es bei uns wieder mehr. Die Leute sind verschreckt. Vor drei Wochen sind zwei Hirten spurlos verschwun‐ den. Und ein Mann, der half, den Leuchtturm zu renovieren, wurde mit aufgerissener Kehle im Straßengraben gefunden. « »Was sagt Inspektor Moorehead dazu?« fragte To‐ ny. »Er weiß, daß es Sheila Barrshee war.« »Tatsächlich?«
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»Soll ich Ihnen mal was zeigen, Mr. Craig? Kom‐ men Sie her und schauen Sie dort hin!« Der Mann streckte den rechten Arm aus. Craig trat neben ihn. Er sah das Meer seltsam schil‐ lern. Als sie näher herankamen, erkannte er, daß Hunderte Fische mit dem Bauch nach oben auf dem Wasser schwammen. Und in weitem Umkreis hatte sich die See mit einemmal blutrot gefärbt. »Sie kündigt sich an«, brummte der Mann. »Sie mag nicht, daß Sie zum Turm kommen. Es wäre besser, Sie würden mir befehlen, umzukehren. « »Ist außer Power schon jemand drüben?« fragte Craig mit schmalen Augen. »Bennett und Sirk sind bereits da. Auch sie wur‐ den gewarnt. Aber sie waren genauso unvernünf‐ tig, wie Sie es nun sind.« Der Mann am Steuer des knallroten Mustang war klein, schwächlich und schmalschultrig. Er hatte schütteres Haar und sah unterdurchschnittlich aus. Seine Kleidung bestand aus einem flaschengrünen Samtanzug und einem blütenweißen Hemd, in dessen Ausschnitt sich eine bunte Schalkrawatte bauschte. Er sah danach aus, als könnte er eine Menge Geld ausgeben. 38
Der Mustang raste in den düsteren Waldkorridor hinein. »Wann wirst du endlich das Stück schreiben, von dem du mir erzählt hast, Glenn?« schnurrte Liz Crowley und rutschte näher an ihn heran. Sie war eine großgewachsene, tizianrote Venus. Sie trug ein knielanges Kleid, dessen Anblick ein Erlebnis war. Und sie trug kaum etwas darunter. Die Wir‐ kung der prallen Brüste war atemberaubend ero‐ tisch und die Stimme des Mädchens auf eine an‐ genehme Art rauchig. »Welches Stück?« fragte Glenn Ahearn. » Na, das, in dem du mir eine große Rolle auf den Leib schreiben willst.« »Ach so. Ich hab’s in meinem Kopf, Baby.« »Bring es endlich zu Papier, Schatz, bitte! Du weißt, wie ungeduldig ich schon bin. « Ahearn grinste. »Erst mal spannen wir beide drei Tage lang aus, okay? Und dann werden wir weitersehen.« »Ach, Glenn, das sagst du immer. Langsam glaube ich, du meinst es mit diesem Stück überhaupt nicht ernst.« »Wie kannst du so etwas sagen«, widersprach Ahearn entrüstet. 39
Liz beugte sich vor. Sie wollte das Autoradio ein‐ schalten. In diesem Moment passierte es. Es gab einen ungeheuer lauten Knall. Das Mädchen schrie entsetzt. Der Wagen brach nach rechts aus. Eine unheimliche Kraft riß am Lenkrad, das Ahearn verzweifelt umklammerte. Verstört trat er auf die Bremse. Dadurch begann der Wagen zu schleu‐ dern. Er kreiselte über die Straße, als würde er ei‐ nen verrückten Tanz vollführen. Liz klammerte sich in panischem Schrecken an den Armaturen‐ brettgriff. Die Straße, der Wald, der Himmel – alles drehte sich um sie. Sie wurde gegen die Tür ge‐ preßt. Glenn Ahearn versuchte, das Fahrzeug wie‐ der in seine Gewalt zu bekommen, aber er hatte nicht genug Kraft. Der Mustang machte, was er wollte. Die blockierten Pneus rieben sich auf dem bröckeligen Straßenbelag ab. Bläulicher Rauch stieg von ihnen hoch. Der Wagen schlitterte auf den Straßengraben zu. Wieder stieß Liz einen grel‐ len Schrei aus. Dann kippte das Fahrzeug ab. Es gab einen dumpfen Knall. Liz Crowley und Glenn Ahearn wurden von einer unsichtbaren Faust nach vorn gerissen. Das Mädchen stieß sich den Kopf an der Dachstrebe. Ahearn flog gegen das Lenkrad, das ihm schmerzhaft den Brustkorb quetschte. Ein 40
Rattern noch, dann erstarb der Motor. Die beiden Wageninsassen hockten geschockt in den tiefen Schalensitzen. Ahearn hatte Schmerzen in der Brust, wenn er atmete, aber keine der Rippen schien angeknackst zu sein. Liz hatte nur eine Beu‐ le an der Stirn, sonst war sie okay. Sie weinte schluchzend. Ihre Schultern zuckten. »Hör doch auf!« knurrte Ahearn mißmutig. »Wir haben’s ja zum Glück heil überstanden.« »Warum mußtest du auch so rasen?« »Ich bin doch gar nicht gerast. Ich fahre immer so.« »Du fährst immer zu schnell.« »Ach, halt doch die Klappe! « Glenn Ahearn wollte sich das Gezeter nicht mehr länger anhören. Er griff nach der Klinke, um die Tür aufzudrücken. Aber er schaffte es nicht, weil sie klemmte. »Scheiße!« schimpfte er. »Die Karosserie ist verzo‐ gen. Den Wagen kann ich wegschmeißen. Ver‐ dammter Mist!« »Ich hätte tot sein können«, jammerte Liz. »Zweitausend Kilometer auf dem Tacho – wenn das nicht zum Heulen ist.« Ahearn warf sich mit seiner schmalen Schulter noch einmal gegen die Tür. Die Bewegung 41
schmerzte ihn in der Brust. Er ließ es sein. Mit zit‐ ternder Hand steckte er sich eine Monte‐Christo an. Liz wimmerte neben ihm. Sie betrachtete sich die Beule im Schminkspiegel und fand mit ihrem Klagen kein Ende. »Tu doch endlich was!« keifte sie, als er die Ziga‐ rette halb geraucht hatte. Ahearn kurbelte das Fenster nach unten und klet‐ terte aus dem Mustang. Er warf die Zigarette weg und ging um den Wagen herum. Der rechte Vor‐ derreifen war platt. »Du bist unverantwortlich schnell gefahren!« rief Liz ihm zu. Ahearn schlug mit den Fäusten wütend auf das Wagendach. »Kein Wort mehr, Liz! Hörst du? Kein Wort mehr, sonst kannst du was erleben! « »Kann ich was dafür, daß wir in den Graben ge‐ saust sind?« »Kann ich was für den Plattfuß?« Am Himmel zogen schwarze Regenwolken auf. Ein heulender Wind strich über die hohen Wipfel des finsteren Waldes. Glenn Ahearn hob den Blick.
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»Auch das noch! « ächzte er. Es sah nach einem gewaltigen Gewitter aus. Der Wind würde zum Sturm. Liz rutschte hinter das Lenkrad. Ihre Augen waren verweint. Die Nase leuchtete rot. Verdammt, jetzt ist sie nicht mehr schön, dachte Glenn Ahearn beinahe schadenfroh. Jetzt ist sie fast häßlich. »Reifenplatzer, Glenn?« fragte sie mit dünner Stimme. »Ja, Baby.« »Dann wechsle den Reifen doch. Wir wollen wei‐ terfahren, Glenn. Es ist hier so – so unheimlich.« »Versuch mal, den Motor zu starten«, sagte Glenn. Liz versuchte es, aber es klappte nicht. Glenn fluchte. »Genauso habe ich es mir vorgestellt.« Ein fernes, unheilschwangeres Grollen. »Wir müssen zu Fuß weitergehen«, sagte Glenn. »Zu Fuß?« schrie Liz entrüstet auf. »Du wirst deshalb nicht sterben. Es ist nicht mehr allzu weit bis ins Dorf. Ein Spaziergang. Würde dir bestimmt guttun.« Liz vergaß ihre Beule und verschränkte die Arme zornig vor ihrem gewaltigen Busen. 43
»Das kommt nicht in Frage, Glenn. Das kannst du von mir nicht verlangen. Ich gehe nicht zu Fuß weiter.« »Soll ich dich vielleicht tragen, du blöde Gans?« brüllte er außer sich vor Wut. Liz riß den Kopf zur Seite und blickte demonstra‐ tiv zum Wald. Inzwischen war es so dunkel ge‐ worden, daß man meinen konnte, es wäre später Abend. Ein unheilvoller Donner rollte über den Wald hinweg. Dann fegte ein Blitz vom Himmel herab. In seinem grellen zuckenden Schein erkann‐ te Liz plötzlich eine Gestalt. Es war eine schwarz gekleidete, uralte Frau, deren bleiches Gesicht von unzähligen tiefen Runzeln entstellt war. Ein häßli‐ cheres Antlitz als dieses hatte Liz noch nicht gese‐ hen. Und auf den mumifizierten Zügen lag ein grausamer, feindseliger Ausdruck. Der nächste Blitz flammte auf. Da war die Alte verschwunden. Liz wandte sich zu ihrem Freund um. »Hast du sie auch gesehen, Glenn?« Er starrte das Starlet erstaunt an. »Wen?« »Die Alte im schwarzen Kleid.« »Was für eine Alte?« 44
»Sie stand dort drüben. Sie hat mich angesehen, daß mir angst und bange wurde. « »Du spinnst ja.« Plötzlich ein Knarren, irgendwo drinnen im finste‐ ren Wald. Dann ein gedämpftes, unheimliches Knurren, das von einem Raubtier ausgestoßen worden war. Liz schaute ihren Freund mit flatternden Augen an. »Glenn!« »Hm?« »Wir sollten so schnell wie möglich von hier ver‐ schwinden. In diesem Wald lauert Unheil auf uns.« »Du willst doch nicht zu Fuß gehen«, grinste Ahearn. »Ich werde zu Fuß gehen, Glenn!« Liz schickte sich in fiebernder Eile an, aus dem Wa‐ genfenster zu klettern, aber Ahearn drückte sie in das Fahrzeug zurück. »Bleib, wo du bist, Baby!« »Glenn, wir müssen von hier weg, ehe uns etwas zustößt. In dieser Gegend geht es nicht mit rechten Dingen zu.«
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»Wenn du da drin bleibst, kann dir nichts passie‐ ren. Sollte ein Wagen kommen, dann halte ihn auf!« »Du glaubst doch nicht im Ernst, daß diese gott‐ verlassene Straße ein Wagen langgefahren kommt, Glenn. Die Hoffnung habe ich längst aufgegeben.« Er blickte zu der Stelle hinüber, wo die Alte ge‐ standen haben sollte. Glenn war von irgend etwas fasziniert. Er spürte den Drang, sich dieser Stelle zu nähern. »Glenn, was hast du vor?« fragte Liz zitternd vor Angst. »Bin gleich wieder da, Baby«, brummte er und marschierte los. Als Liz erkannte, in welche Richtung er ging, schrie sie: » Du meine Güte, geh dort nicht hin ! Die Alte ist gefährlich. Sie wird dir was antun! Glenn, komm zurück! Bleib bei mir! « Aber er hörte sie nicht mehr. Irgend etwas hielt ihn gefangen, machte ihn taub für die Rufe des aufge‐ regten, verängstigten Mädchens, schlug ihn in sei‐ nen unheimlichen Bann. Als er die Stelle erreichte, wo Sheila gestanden hat‐ te, umhüllte ihn eine Kälte wie ein unsichtbarer ei‐
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siger Mantel. Er fühlte, daß Sheila ganz nahe war, und sein fiebernder Blick suchte sie. Aber er sah nur dicke schwarze Baumstämme, zwischen denen eine unwirtliche Düsternis hing. Plötzlich vernahm er Schritte, verräterisches Kna‐ cken. Dürres Holz brach. Er blickte in jene Rich‐ tung. Dort schien eine dunkle, unscheinbare Ge‐ stalt durch das Unterholz zu huschen. Statt zu Liz zurückzukehren, folgte er diesem geisterhaften Schemen, dessen ungewöhnlich starker Anzie‐ hungskraft er sich nicht entziehen konnte. Willig folgte er dem trügerischen Spuk. Über seinem Kopf wütete ein Orkan in den Baumkronen, doch Ahearn registrierte das nicht. Er lief mit einem er‐ schreckenden Eifer in den Wald und hinter seinem lockenden Verderben her, bis er die Gestalt ent‐ deckte. »Halt! « rief er, innerlich völlig aufgewühlt. »Halt! Bleib stehen! Warte auf mich!« Und sie blieb stehen und wartete auf ihn. Mit fie‐ berglänzenden Augen und schweißnassen Wan‐ gen ging er auf sie zu. Sie stand vor einem mächti‐ gen schwarzen Stamm ‐unbeweglich, als wäre sie aus Pappmachee. Der Wind zerzauste ihr weißes Haar und schien auch an den häßlichen Falten ih‐ 47
res eingetrockneten Ledergesichts zu zerren. Ihr Blick war voll Abscheu und Haß. Dann öffnet sie den Mund zu einem grausamen Gelächter. Und während sie lachte, flog sie wie ein Ballon hoch, löste sich im Sturm auf und war nur noch ein ge‐ llendes, hohntriefendes Gelächter mitten im Toben des Orkans, der mit seiner Urgewalt einen Baum entwurzelte und diesen mit einer geradezu er‐ schreckenden Zielsicherheit auf Glenn Ahearn schleuderte und unter sich begrub. Liz Crowley preßte die rechte Hand auf ihren Mund, damit das Klappern der Zähne aufhörte. Seit Glenn im Wald verschwunden war, glaubte sie zu wissen, ihn nie mehr wiederzusehen. In großer Eile drehte sie das Fenster hoch. Dann ver‐ riegelte sie die Türen. Trotzdem fühlte sie sich noch nicht sicher. Im Wald tobte ein gewaltiger Sturm. Liz hörte einen Baum krachend umfallen. Gleichzeitig schwirrte ein satanisches Gelächter aus der Dunkelheit auf sie zu. Und dieses Geläch‐ ter nahm mit einemmal Gestalt an. Es flog zwi‐ schen den Bäumen hervor, bildete eine grauener‐ regende schwarze Wolke, an der ein Feuerschweif zu hängen schien. Dieses furchterregende Gebilde
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aus schwarzer Luft raste auf den roten Mustang zu. Liz preßte sich verdattert in die Polsterung. Mit weit aufgerissenen Augen verfolgte sie das für sie so schreckliche Schauspiel. Sie verspürte eine Angst, die sie würgte und umzubringen drohte. Aus der schwarzen Wolke schälte sich eine fürch‐ terliche Fratze – riesengroß, ständig in Bewegung, leichenblaß, sich immerzu verändernd, mit tiefen schwarzen Falten und Runzeln. Ein widerwärtiger Mund, groß wie ein tödlicher Strudel im Meer. Und Augen, die so gräßlich glühten, daß Liz die Hitze durch die Scheibe spüren konnte. Dieses gefährliche Gespenst jagte wie ein mörderi‐ scher Wirbelwind um den abgeschlossenen Wa‐ gen. Sie biß sich in die Hand, um nicht vor Todesangst laut loszuschreien. Etwas Gräßlicheres als diesen Spuk hatte das Mädchen noch nicht gesehen. Sheila Barrshee zog all ihre schrecklichen Register. Sie tobte, heulte, schrie und wütete. Sie drosch mit ihren widerwärtigen Krallenhänden auf den Wa‐ gen. Sie rüttelte daran, versuchte die Fenster ein‐ zuschlagen, zerrte am Türgriff.
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Liz schickte ein Gebet zum Himmel, der Wagen, das dünne Blech und die Fenster mögen sie vor dieser schrecklichen Erscheinung schützen. Die geifernde Alte schwirrte mit ungeheurem Tempo um den Mustang herum. Ihre Krallen ratschten über Glas und Blech. Das dadurch hervorgerufene schrille Geräusch rief bei Liz Crowley eine entsetz‐ liche Gänsehaut hervor. Sie preßte sich die Hände auf die Ohren. Aber das Geräusch war so schrill, daß es ihre Trommelfelle trotzdem erreichte. Aus lauter Verzweiflung begann Liz zu schreien. Das vergnügte die wütende Teufelin. Sie lachte gehässig und trieb ihr erschreckendes Spiel uner‐ müdlich weiter. »Tod!« schrie sie immer wieder. Und sie schlug haßerfüllt auf den Wagen ein. »Tod! Tod!Tod!« Das Mädchen sah seine letzte Stunde kommen. Plötzlich ein Silberstreifen am Himmel. Die unnatürliche Dunkelheit löste sich allmählich auf. Die scheußliche Schwärze des Spuks nahm ab. Sheila Barrshee wurde grau, durchsichtig, ver‐ flüchtigte sich wie Nebel, wenn Wind aufkommt. In gleichem Maße, wie es hell wurde, nahm auch das Heulen des Sturms ab. Und als der Himmel
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wieder blau war, standen die Bäume reglos still. Kein Lüftchen spielte mehr in ihren Kronen. Friede. Liz Crowley vermochte es nicht zu fassen. Sie hockte in sich zusammengesunken hinter dem Lenkrad. Klein und unscheinbar war sie gewor‐ den. Die Wimperntusche hatte sich in ihren Tränen aufgelöst und rann nun langsam, eine graue Bahn ziehend, über ihre fahlen, zuckenden Wangen. Das Mädchen schluchzte vor Freude und ein biß‐ chen noch vor Angst. Liz traute dieser plötzlichen Stille noch nicht. Aber nichts geschah mehr. Liz versuchte den Motor des Mustang in Gang zu bringen. Das Starterritzel schoß zwar in die Zah‐ nung des Schwungrades vor, aber die Maschine gab nichts weiter von sich als zwei orgelnde Töne. Erschrocken blickte sich das Starlet um. Da erst dachte Liz wieder an Glenn. Und sie be‐ griff plötzlich, daß sie die Absicht gehabt hatte, ohne Glenn fortzufahren. Verzweifelt blickte sie auf die Armaturenbrettuhr. Seit dem Unfall schien noch keine Minute vergan‐ gen zu sein. War es diesem Spuk möglich gewesen, die Zeit anzuhalten?
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Liz überlegte angestrengt, was sie nun machen sollte. Sie hatte Angst, hierzubleiben. Irgendwann würde es Nacht werden. Dann kam diese schwar‐ ze Erscheinung vielleicht wieder. Nein, die Nacht wollte sie nicht mehr hier draußen verbringen. Aber was war zu tun? Sollte sie zu Fuß ins Dorf laufen? Vielleicht wartete der Spuk bloß darauf, daß sie aus dem Wagen kam, um dann sogleich über sie herzufallen. Erst ihr nächster Gedanke galt wieder Glenn. Sollte sie ihn suchen, in diesen Wald gehen? Wäre er nicht längst zurückgekommen, wenn er noch leb‐ te? Liz spürte, daß ihr jetzt jedermanns Gesell‐ schaft recht gewesen wäre. Sie haßte es, allein zu sein. Sie haßte diese vielen schrecklichen Gedan‐ ken, die sie quälten, weil sie allein war. Sie war nahe daran, Glenn zu suchen. Aber noch fand sie nicht den Mut, aus dem Wagen zu klet‐ tern. Als Glenn Ahearn das Bewußtsein wiedererlangte, schmeckte er zuerst die Erde, die auf seiner Zunge lag und zwischen seinen Zähnen knirschte. All‐ mählich stellten sich die Schmerzen ein. Und mit den Schmerzen kam auch tropfenweise die Erinne‐ rung zurück. Er sah über sich den grünen Balda‐ 52
chin des Waldes. Kein Lüftchen regte sich, aber Glenn konnte sich nun wieder ganz genau daran erinnern, daß kurz vor seiner Ohnmacht ein ge‐ waltiger Orkan gewütet hatte. In seinem Geist be‐ gann ein lautloser Projektor zu laufen. Und Glenn sah noch einmal den gewaltigen Baum umfallen, unter dem er nun lag. Der Film, der vor seinem geistigen Auge ablief, war an den Enden zusam‐ mengeklebt. Und so fiel der Baum immer und im‐ mer wieder auf Ahearn drauf. Der mächtige Stamm lag quer über seinem flachen Bauch. Glenn stemmte die Hände dagegen. Er spannte die Muskel an und versuchte den Stamm hochzudrücken, um darunter hervorrutschen zu können. Aber der Baum bewegte sich keinen Mil‐ limeter. Glenn kam sich vor wie die Ameise, die einen Granitblock vom Fleck rücken will. In seiner Brust tobte ein glühender Schmerz. Auch die Hüfte schien lädiert zu sein. Er wollte nicht wahrhaben, daß ihn dieser Baum mit unüber‐ windbarer Gewalt auf den weichen Waldboden niederpreßte. Er versuchte alles, um darunter her‐ vorzukriechen, aber alle Anstrengungen blieben fruchtlos.
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»Sheila Barrshee!« brüllte Ahearn daraufhin wü‐ tend. »Du verdammtes Biest, hol mich heraus! « Die Hexe war nicht mehr da. Er hörte sie nicht ki‐ chern. Er hörte Vogelgesang in den Bäumen, und das war ein untrügliches Zeichen dafür, daß Sheila Barrshee den Wald verlassen hatte. Kein einziger Vogel hätte es sonst gewagt, auch nur einen Laut von sich zu geben. Wieder versuchte Ahearn keuchend den Stamm hochzudrücken. Erneut mußte er aufgeben. Sein Gesicht war rot und schweißnaß. Er dachte an Liz und fragte sich erschrocken, was wohl aus ihr ge‐ worden war. Er redete sich ein, daß Liz ihn nicht im Stich lassen würde, obwohl er eigentlich ganz anders über das Mädchen dachte. Er klammerte sich wie ein Ertrinkender an den brüchigen Strohhalm, der Liz Crowley hieß. Und er begann krächzend ihren Namen zu rufen, ob‐ wohl ihn jeder Schrei höllisch schmerzte. * Nachdem Liz Crowley vier Zigaretten geraucht hatte, war sie ein wenig ruhiger geworden. Ihre Hände zitterten zwar immer noch, aber es war nicht mehr so schlimm wie noch vor zehn Minu‐ 54
ten. Ringsherum war immer noch alles friedlich. Liz entspannte sich. Sie versuchte, die Situation klar zu überschauen. War Glenn tot? Sie fühlte bei diesem Gedanken keinen Schmerz. Aber es war ihr unangenehm, damit zu rechnen, daß Glenn nicht mehr am Leben war. Vorsichtig tastete sie sich an die Fensterkurbel he‐ ran. Im Wagen war es stickig. Sie wollte frische Luft hereinlassen. Während sie die Kurbel drehte, schaute sie sich mißtrauisch um. Nichts passierte. Ihre Furcht war unbegründet. Der Spuk war vor‐ bei. Er wiederholte sich nicht mehr. Liz hörte das Vogelgezwitscher, das ihre abgeflau‐ te Angst allmählich halbierte. Und plötzlich ver‐ nahm sie noch etwas, ganz dünn nur, krächzend. Nur dann zu hören, wenn man darauf achtete. »Liz!« kam es aus dem düsteren Wald. »Liiiz!« Das war Glenn. »Liiiz!« Das Mädchen beschloß, aus dem Wagen zu klet‐ tern. Glenn war vermutlich verletzt und brauchte ihre Hilfe. Sie wollte ihm helfen. Nicht um seinet‐ wegen, sondern weil sie sich damit indirekt selbst half, denn wenn Glenn wieder bei ihr war, war die
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Furcht nicht mehr so schlimm. »Ja, Glenn!« rief das Mädchen deshalb aufgeregt. »Ja, ich komme!« Liz schlängelte sich aus dem Mustang, lief auf den Wald zu und verschwand gleich darauf zwischen den schwarzen Stämmen. Es war nicht schwer, Glenn zu finden. Sie brauchte nur seinen krächzenden Rufen entgegenzulaufen. »Liiiz! Liiiz!« »Ich komme, Glenn!« »Liz! Oh, Liz! Ich wußte, daß du mich nicht im Stich läßt.« Sie war erschüttert, als sie ihn entdeckte. »Glenn, was machen wir bloß?« stieß Liz Crowley ratlos hervor. »Vielleicht schaffen wir es gemeinsam, Liz.« »Der Baum ist zu schwer, Glenn.« »Wir müssen es versuchen.« »Das schaffen wir nicht, nicht mal zu zweit.« »Versuch es doch erst mal.« Sie griff unter einen dicken Ast. Und Ahearn stemmte sich keuchend gegen den mächtigen Stamm. Die Adern traten ihm am Hals und auf der Stirn weit hervor. Er quälte sich. Liz half nur zum Schein mit. Und sie hörte damit gleich wieder auf.
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Kopfschüttelnd sagte sie ihm, daß sie beide zu schwach dazu wären. »Soll ich hier drunter liegen bleiben?« jammerte Glenn verzweifelt. »Ich halte es unter diesem ver‐ dammten Baum nicht mehr aus, Liz. Ich werde hier drunter wahnsinnig. Ich kann mich nicht be‐ wegen. Weißt du, was das für ein scheußliches Ge‐ fühl ist? Es macht einen verrückt. « »Was sollen wir bloß tun, Glenn?« stöhnte Liz be‐ nommen. »Den Wagenheber!« keuchte Ahearn. »Hol den Wagenheber, Liz! Damit wird es uns gelingen.« Liz Crowley lief hastig zum Mustang. Ein Dorn zerfetzte ihre Nylons. Sie beklagte das mehr als Glenn Ahearns Unglück. Aufgeregt kam sie nach wenigen Minuten zurück. »Wo soll ich den Heber ansetzen?« fragte sie. »Ir‐ gendwo.« Die Kleine stellte sich schrecklich ungeschickt an. Sie versuchte den Stamm hier und da zu heben, aber es gelang ihr nicht. Entweder sank der Wa‐ genheber in den weichen Boden ein, oder er glitt am Stamm ratschend ab.
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»Verdammt noch mal, hol mich endlich da her‐ vor!« brüllte Glenn Ahearn, der ihrem Treiben ge‐ reizt zusah. »Kann es einfach nicht, Glenn, tut mir leid.« »Was heißt, es tut mir leid? Willst du aufgeben? Du hast es doch erst zweimal versucht.« »Ich könnte es zwanzigmal versuchen, es käme nichts dabei heraus. Ich bin eben eine technische Niete, Glenn. « »Verflucht, du bist nicht nur eine technische Niete, Liz ... « »Noch so ein Wort, und ich laufe einfach weg, Glenn!« schrie das Mädchen gereizt. »Verzeih, Liz. Du mußt verstehen, ich leide hier drunter Höllenqualen. Bitte, versuch’s noch mal! Bitte!« Das Mädchen setzte den Wagenheber noch einmal achselzuckend an. Der Versuch war von vornhe‐ rein zum Scheitern verurteilt. Liz gab sich nicht die Mühe, zu überlegen, wie sie es hätte machen kön‐ nen. Sie machte die Handgriffe alle nur zum Schein, damit Glenn Ahearn keinen Grund zum Schreien hatte. Er gab ihr mit heiserer Stimme Rat‐ schläge, die sie nur mangelhaft befolgte, dann frag‐
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te sie ihn, was das für ein schlimmer Spuk gewe‐ sen war. »Das war Sheila Barrshee!« knirschte Glenn. »Sie hat uns eine kleine Kostprobe von ihrem ver‐ dammten Können gegeben. Vom Reifenplatzer an‐ gefangen bis zu diesem umgestürzten Baum war alles ihr Werk. Ich hätte nicht gedacht, daß sie noch so gefährlich sein würde.« »Wenn ich dich erst mal hier rausgeholt habe, fah‐ ren wir dann nach London zurück, Glenn?« »Und die Einladung von Amory Power?« »Die kann uns doch jetzt nicht mehr interessieren, Glenn.« »Wenn wir beim Leuchtturm sind, werden wir neun Personen sein, Liz. Da wird uns Sheila Barr‐ shee nichts anhaben können. Ich habe das Gefühl, sie will uns bloß davon abschrecken, ins Dorf wei‐ terzufahren. Aber genau das werden wir tun – ihr zum Trotz. Wir dürfen uns von ihr nicht unterk‐ riegen lassen, verstehst du? Nur wer Angst vor ihr hat, der ist verloren. Jeden anderen muß sie wohl oder übel in Ruhe lassen. Nun komm, Baby, ver‐ such’s noch mal! Vielleicht schaffst du es doch noch. « Ein Brummen. 59
»Glenn!« rief Liz Crowley verwirrt aus. »Was ist das, Glenn? Kommt Sheila zurück?« Er lauschte kurz. »Ein Wagen!« brüllte er. Seine Stimme überschlug sich vor Freude. »Da kommt ein Wagen, Liz! Lauf zur Straße zurück! Lauf, Mädchen! Lauf, so schnell du kannst! Du darfst den Wagen nicht verpassen! Halt ihn auf! Bitte den Fahrer um Hilfe, Nun lauf endlich! Lauf! Lauf! Lauf!« Liz ließ den Wagenheber fallen. Mit federnden Sprüngen rannte sie zur Straße zurück. Das Brummen wurde lauter. Liz lief, was ihre Beine hergaben. Wieder nicht wegen Glenn, sondern ih‐ retwegen, denn wenn sie den Wagen anhielt, brauchte sie nicht zu Fuß ins Dorf zu gehen. Und nun, wo sie wußte, daß Glenn noch am Leben war, fiel ihr wieder ein, daß sie ihn beruflich brauchte. Er war ein begehrter Autor. Es brachte Vorteile, mit ihm befreundet zu sein. , Und er hatte ihr eine Rolle versprochen. Zweige klatschten ihr ins Gesicht. Ihre Haut wurde gegeißelt. Sie beachtete den stechenden Schmerz nicht, lief mit aller Kraft, die in ihr steckte. Ihre Lunge flatterte. Die Aufregung ließ ihr Herz wild pochend schlagen. 60
Sie erreichte die Straße. Und dort kam der Wagen. Sie glaubte ihren Augen nicht trauen zu können. Was für ein Fahrzeug! Liz wurde kalkweiß. Ein schwarzer Leichenwagen kam auf sie zugerast. Ging der Spuk nun doch weiter? Seit einer Ewig‐ keit war hier kein Fahrzeug langgekommen. Und das erste, das dann kam, war ausgerechnet ein Lei‐ chenwagen. Beinahe wäre Liz Crowley von der Straße herun‐ tergesprungen, um sofort wieder in den Wald zu fliehen. Doch dann zwang sie ihr Instinkt, die Ar‐ me hochzuwerfen und zu winken. Ihr Atem ging unglaublich schnell. Ihre Brüste hoben und senk‐ ten sich wie große Blasebälge. Winkend machte sie den Fahrer des Totenwagens auf sich aufmerksam. Sie stand so auf der Straße, daß das Gefährt nicht an ihr vorbei konnte. Aber sie war bereit, mit ei‐ nem schnellen Sprung die Fahrbahn freizugeben, falls der Fahrer nicht rechtzeitig bremste. Quietschend griffen die Scheibenbremsen in die‐ sem Augenblick. Das schwarze Fahrzeug wurde merklich langsa‐ mer. Liz hörte zu winken auf. Sie blickte an sich hinunter. Das Dekollete war ein Stück tiefer aufge‐ 61
rissen. Ihre prallen Brüste drängten ins Freie. Sie änderte nichts am Sitz ihres Kleides, denn je ge‐ wagter ihr Ausschnitt war, desto eher würde ihr der Mann im Leichenwagen behilflich sein. Wenn Liz auch nicht sehr viel in ihrem hübschen Kopf hatte, wie sie auf Männer wirkte, das wußte sie. Der schwarze Wagen hielt kurz vor ihren wohlge‐ rundeten Knien an. Dem Mädchen strich etwas eiskalt über den Na‐ cken, als es das Gesicht des Fahrers sah. Er war ungemein häßlich. Sein rasierter Schädel, seine knöchernen Schläfen und seine lange Nase glänz‐ ten wie gelblicher Marmor. Seine kleinen Augen glitzerten kalt wie Eiswürfel. Er grinste. Die Zähne waren lang und braun. Irgendwie hatte Liz Crow‐ ley den Eindruck, als gehörte dieser Mann nicht ans Steuer des Leichenwagens, sondern hinten hi‐ nein in einen Sarg. Schaudernd wartete das Starlet ab. Quietschend öffnete sich die Wagentür. Durch das Glas der Windschutzscheibe hatte der Mann nur halb so häßlich ausgesehen, wie er wirklich war. Er war ungewöhnlich groß, hatte breite, knöcherne Schultern, die nach vorn hingen, und seine Hände waren lang, weiß und dürr. 62
Liz roch die Whiskyfahne, die ihr aus seinem Mund entgegenwehte, als er sagte: »So allein, schönes Kind?« Seine Stimme schien aus einem hohlen Brustkorb zu kommen. Sie hallte, war tief und unheimlich. Liz bereute bereits, den Leichen‐ wagen angehalten zu haben. Aber es gab kein Zu‐ rück mehr. Sie wies nervös auf den im Graben lie‐ genden Mustang. Der widerliche Kerl kam mit schwerem Schritt auf sie zu. Sie wich die gleiche Anzahl von Schritten vor ihm zurück. »Sie brauchen keine Angst vor mir zu haben«, sag‐ te der unheimliche Fremde mit einem abstoßenden Grinsen. »Ich – ich habe keine Angst«, log Liz. Sie hatte so‐ gar schreckliche Angst. Alles in ihr schien zu vib‐ rieren. »Unfall gehabt?« »Ja.« »Was passiert?« »Wir brauchen Ihre Hilfe, Sir. « »Wir?« »Bitte, kommen Sie schnell ! « sagte Liz Crowley gepreßt. An und für sich hatte sie es gern, wenn Männer sie anstarrten. Aber der Blick dieses Man‐ nes störte sie, erzeugte in ihrem Inneren eine 63
unangenehme Kälte, ein Gefühl der Verlorenheit, der Hilflosigkeit. Versuchsweise machte sie drei Schritte auf den Wald zu. Der Mann folgte ihr. Sie ging voran, am Mustang vorbei, in den Wald hi‐ nein. Sie war bemüht, immer ein paar Schritte Ab‐ stand zu halten, ließ den Mann niemals aufholen, denn sie fürchtete, daß er in der Düsternis des Waldes, wo niemand sie sehen konnte, das ver‐ wirklichte, was sie in seinen Augen hatte blitzen gesehen. Sie lief bis zu jenem umgestürzten Baum. Da blieb sie atemlos stehen. Der Mann sah sie verwirrt an. Dann warf er einen Blick über den mächtigen Stamm. Sein häßliches, knöchernes Gesicht verzog sich zu einem satanischen Grinsen. Und als er zu lachen anfing, konnte man meinen, in seiner Brust wäre irgend etwas kaputt gegangen, so blechern klang das. »Glenn!« schrie er fast vergnügt. »Glenn Ahearn!« Er flankte über den Baum hinweg. Diese Gelen‐ kigkeit hätte ihm Liz nicht zugetraut. Er wirkte so steif wie ein Ladestock. »Hier trifft man sich wie‐ der! « tönte der Mann. »Hier und so! « Er wies auf den riesigen Baum, der über Ahearns Mitte lag und diesen mitleidlos auf den Boden niederpreßte. 64
»Herb!« stieß Ahearn verblüfft hervor, als er den Jugendfreund erkannte. »Herb Lebanon!« »Ja, Glenn, ich bin’s, dein Kumpel Herb Lebanon.« »Ich flehe dich an, hilf mir! « »Wie ist es dazu gekommen?« wollte der Bestat‐ tungsunternehmer wissen. »Sheila Barrshee«, erwiderte Ahearn nur. Lebanon nickte. »Sie ist immer noch die alte, wie?« »Sie ist schlimmer geworden«, keuchte Ahearn. »Zumindest hatte ich den Eindruck.« Er erzählte dem häßlichen Freund, wie es dazu gekommen war, daß er nun unter diesem Baum lag. Dann stellte er Liz Crowley vor. Die spürte wieder die‐ sen verlangenden Blick auf sich ruhen, der ihr un‐ ters Kleid ging und wie ein Messer auch gleich un‐ ter die Haut. Es war ein Blick, der mühelos verlet‐ zen konnte. Instinktiv registrierte Liz, daß Herb Lebanon kein guter Mensch war. »Liz hat versucht, den Baum mit dem Wagenheber hochzukriegen«, sagte Ahearn. »Aber sie hat sich so verdammt ungeschickt angestellt. . . Na ja, du weißt ja, wie Frauen sind, Herb.« Der Häßliche nickte. »Und ob, Glenn. Das weiß ich sogar sehr gut.« 65
Liz glaubte sicher zu sein, daß Lebanon noch nie mit einem Mädchen intim gewesen war. So wie der aussah, mußte sich doch jede vor ihm ekeln. Vielleicht hatte sich mal eine Nutte seiner erbarmt. Aber ein gewöhnliches Mädchen – niemals. »Dann wollen wir mal! « sagte Lebanon und spuckte sich in die Schaufelhände. Er verrieb den Speichel zwischen den Handflächen. Als er Liz dann die Rechte entgegenstreckte, um ihr den Wa‐ genheber aus der Hand zu nehmen, zuckte sie er‐ schrocken zurück. Er lachte guttural. »Ich sagte Ihnen doch bereits, Liz, Sie brauchen keine Angst zu haben. Herb Lebanon tut keiner Fliege was zuleide. Er sieht zwar nicht aus wie Rock Hudson, aber ist ’ne Seele von Mensch. « Sie gab ihm den Wagenheber. Lebanon suchte eine Stelle, wo er das Ding ansetzen konnte. Bevor er aber kurbelte, legte er noch einen flachen Stein un‐ ter, damit sich der Wagenheber nicht ins Erdreich bohren konnte. Dann begann er langsam zu dre‐ hen. »Sie spukt also immer noch in dieser Gegend he‐ rum«, sagte Lebanon. »Ich kann mich erinnern, damals vor zehn Jahren war sie uns allen in höch‐ 66
stem Maße unangenehm. Wer eine Chance hatte, das Dorf zu verlassen, nahm sie wahr.« Ahearn stemmte sich gegen den Stamm. Er ver‐ suchte mitzudrücken, aber das war natürlich völlig sinnlos. »Und nun kehren wir alle in dieses gottverfluchte Dorf zurück!« preßte er unwillig hervor. »Aber nicht nur das. Wir suchen sogar Sheilas Leuch‐ tturm auf, um da drei Tage Ferien zu machen. Das muß sie ja zur Raserei bringen. Ich kann sie verste‐ hen, wenn sie uns schon hier empfängt, um uns Angst einzujagen und zur Umkehr zu bewegen.« Langsam hob sich der Baum. Er drückte nun nicht mehr so fest gegen den Leib Ahearns. Es knarrte und krachte im Wurzelwerk. Aber so sehr sich Ahearn auch abmühte, er vermochte noch nicht unter dem Baum hervorzukriechen. »Glenn, du läßt dich doch von ihr nicht abhalten, zum Turm zu fahren«, sagte Lebanon aufgeregt. »Sie muß sehen, daß du sie nicht fürchtest. Wenn wir ihr alle trotzen, gibt sie bestimmt auf.« »Wenn ich erst mal aus dieser Klemme raus bin, kann mich nichts mehr daran hindern, die Fahrt fortzusetzen, Herb«, versprach Ahearn. Der Leichenbestatter lachte. 67
»Das ist ein Wort, Glenn. Genauso habe ich dich in Erinnerung‐ mutig, unerschrocken, ein Mann, der weiß, was er will.« »Nun mach doch endlich, daß ich hier rauskomme, Herb!« »Moment, Glenn. Gleich haben wir’s geschafft.« Zwei Minuten später war es soweit. Lebanon zog den Freund vorsichtig unter dem hochgehobenen Baum hervor. Ahearn schaffte es sogar, auf eige‐ nen Beinen zu stehen. Liz Crowley kam zu ihm. Sie wollte ihn stützen, aber er wies ihre Hilfe ab. »Ich bin kein Tattergreis!« bellte er sie an. Lebanon drehte den Baum wieder nach unten. So‐ bald der Wagenheber das Holz nicht mehr stützte, nahm er ihn an sich. »Der Baum hätte dich erschlagen können, Glenn«, sagte der Häßliche und wackelte mit dem Kopf. Ahearn lächelte schief. »Jeder Mensch geht früher oder später vor die Hunde, wenn er nicht hin und wieder zum richti‐ gen Zeitpunkt ein bißchen Glück hat, Herb.« Die Freunde lachten. Ahearn drückte dem Lei‐ chenbestatter dankbar die Hand. In seiner Brust war noch ein stechender Schmerz. Der rührte vom
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Aufprall auf die Lenkradsäule her. Ansonsten fühlte er sich den Umständen entsprechend gut. Ahearn sah den Leichenwagen und blieb irritiert stehen. »Ganz neu«, sagte Lebanon stolz. »Ich habe drei davon.« »Mußt du unbedingt in so was angereist kom‐ men?« fragte der Fernsehautor Ahearn unange‐ nehm berührt. Der Leichenbestatter kicherte. »Ihr seid alle gleich. Ihr kriegt die Gänsehaut, wenn ihr einen Leichenwagen seht. Soll ich dir was verraten? Ich besitze überhaupt keinen Privatwa‐ gen. Ich mache alle Privatfahrten mit diesem Fahr‐ zeug. « »Du warst immer schon ein komischer Kauz.« Herb Lebanon lachte so laut, daß Liz Crowley schauderte. Er warf ihr einen kurzen Blick zu. Sie fühlte, daß er sie begehrte. Es war ihr unange‐ nehm. Mit ihm hätte sie ein Leben lang auf einer Insel verbringen können, sie hätte ihm niemals ge‐ stattet, sie anzufassen. Er widerte sie an, machte ihr Angst. Glenn Ahearn lief zum Mustang.
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Er versuchte den Motor zu starten, hatte damit aber kein Glück, fluchte, versetzte dem Wagen ei‐ nen Tritt, nannte das Gefährt einen »Schwißkar‐ ren« und kam zu Lebanon zurück. »Sag mal, kannst du uns in deiner Luxuskarosse mitnehmen, Herb?« Der Leichenbestatter grinste. »Mit dem größten Vergnügen.« »Ist ja nicht mehr weit«, sagte Glenn zu Liz, als er in ihr blasses Gesicht schaute. Ihr Blick verriet ihm, daß sie lieber zu Fuß gegangen wäre. »Was wird aus dem Mustang?« fragte das Mäd‐ chen. »Den lasse ich vom Dorfmechaniker abholen. Er soll ihn während der nächsten drei Tage wieder in Schuß bringen. « »Gibt es im Dorf überhaupt Ersatzteile für diesen Wagen?« erkundigte sich Liz. Glenn zuckte die Achseln. »Wenn nicht, dann wird man den Mustang gewiß soweit zusammenflicken, daß wir nach London zurückfahren können. « Herb Lebanon stellte sich mit stolzgeschwellter Brust neben seinen Leichenwagen und klopfte mit der Hand auf das Blech. 70
»Stromlinienform. Was sagst du dazu, Glenn? Heutzutage reisen sogar die Toten schon erster Klasse. « Liz Crowley seufzte. »Hör auf, ihr Angst zu machen, Herb«, knurrte Ahearn. Lebanon kicherte. »Was seid ihr nur alle für zartbesaitete Menschen.« Er wandte sich liebevoll seinem Leichenwagen zu und streichelte den schwarzen Lack. Plötzlich ers‐ tarrte er. » Nanu! « stieß er hervor. Glenn trat neben ihn. »Was ist, Herb?« Der wies auf den gläsernen Transportraum. »Sieh mal, Glenn.« Ahearn schaute in das Innere des Leichenwagens. Da stand ein schwerer schwarzer Eichensarg mit silbernen Beschlägen und reichlicher Verzierung. Ein Prachtstück von einem Sarg, aber eben ein Sarg. »Herb!« stieß Glenn unangenehm berührt hervor. »Bitte, sei mir nicht böse, aber als dein Freund kann ich dir wohl sagen, daß ich dich für einen to‐ tal verrückten Hund halte.« »Wegen dieses Sarges?« 71
Der Fernsehautor nickte. »Hör mal, du bist zu einer Art Klassentreffen un‐ terwegs. Findest du es da nicht reichlich depla‐ ziert, einen Sarg mitzubringen? « »Doch, Glenn.« »Was hat der Sarg dann hier drin zu suchen?« »Das weiß ich nicht.« »Mann, willst du mir einreden, du hast den Sarg da hineingeschoben, ohne es zu wissen?« »Ich habe ihn nicht hineingeschoben, Glenn. Wirk‐ lich nicht. Solche Särge führe ich überhaupt nicht.« Liz Crowley stockte sekundenlang der Atem. Sie krallte ihre Finger in Glenns Arm. Dieser riß die Augen verblüfft auf und starrte den häßlichen Freund erschüttert an. »Das ist keiner von deinen Särgen, Herb?« »Nein, Glenn.« »Dann weiß ich, wer den Sarg in deinen Wagen ge‐ tan hat, Herb.« »Sheila Barrshee?« »Wer sonst.« »O mein Gott! « entfuhr es Lebanon. Sie waren ratlos, starrten auf den schwarzen Sarg. Liz Crowley zitterte und versuchte sich hinter Glenn zu verkriechen. Sie wollte vorschlagen, um‐ ‐
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zukehren, nach London zurückzufahren. Es wäre ihr größter Wunsch gewesen, wieder nach Hause zu fahren. All die unheimlichen Dinge, die hier passierten, zerrten gewaltig an ihren Nerven. Sie befürchtete, daß sie irgendwann mal einen hysteri‐ schen Anfall erleiden würde, wenn das so weiter‐ ging. »Was machen wir mit dem Sarg?« fragte Glenn Ahearn. »Er gehört nicht mir. Wir laden ihn ab«, entschied Herb Lebanon. »Du willst ihn einfach hier abstel‐ len?« »Warum denn nicht. Er gehört mir nicht, sondern Sheila Barrshee. Wenn wir ihn hier in den Graben stellen, wird sie ihn sich vermutlich wieder holen.« Glenn schüttelte den Kopf. »Mir ist bei dieser Sache nicht ganz geheuer.« »Mir auch nicht«, sagte Liz schnell. »Ist doch alles bloß kindischer Spuk«, meinte Le‐ banon. »Mit solchen Mätzchen kann Sheila uns doch nicht in die Flucht jagen, oder?« Er ging nach hinten und machte die Ladeklappe auf. Als er den Sargdeckel hochzuheben versuchte, bemerkte er, daß dieser festgeschraubt war. Im all‐ gemeinen machte man das nur, wenn ein Toter 73
darin lag. Lebanons Züge verhärteten sich darauf‐ hin. Ahearn fiel das auf. »Was ist?« fragte er. »Verschraubt«, erwiderte Lebanon. »Hol das Ding heraus, Herb!« Der Leichenbestatter nickte. Er griff mit seinen kräftigen Händen unter den Sarg. »Mann, ist der schwer!« ächzte er. »Komm, Glenn, hilf mir!« Ahearn löste sich von Liz. Sie gab ihn nur ungern frei. Während er zu Lebanon trat, nagte sie nervös an ihrer Unterlippe. Ihre Augen flatterten. Sie hoben den Sarg zu zweit hoch. »Der ist nicht leer!« knurrte Lebanon mit zusam‐ mengekniffenen Augen. »Nicht leer?« fragte Ahearn erschrocken. »Wollen – wollen Sie damit sagen, daß eine Leiche in diesem Sarg liegt?« fragte Liz mit vibrierender Stimme. Ihre Stirn glühte. Schweißtröpfchen bilde‐ ten sich darauf. Die beiden Männer hievten den Sarg aus dem Lei‐ chenwagen und stellten ihn auf der Straße ächzend ab. »Was weiter?« fragte Ahearn.
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»Jetzt will ich’s wissen!« brummte Herb Lebanon mit schmalen Lippen. »Mensch, Herb, was hast du vor?« »Ich will sehen, warum der Sarg so verflucht schwer ist. « »Laß das lieber sein, Herb!« warnte Glenn. Aber der Leichenbestatter hörte nicht auf ihn. Er hastete davon, und als er wiederkam, hielt er einen blitzenden Schraubenzieher in der Hand. »Jetzt wollen wir der Sache mal auf den Grund ge‐ hen«, sagte er und setzte den Schraubenzieher an. Die Schraube ließ sich quietschend aus dem harten Holz drehen. Es waren insgesamt zehn Schrauben. Als Lebanon bei der zehnten angelangt war, hiel‐ ten Liz und Glenn unwillkürlich für Sekunden den Atem an. Gebannt blickten sie auf den Sargdeckel, den Herb Lebanon nun abnehmen würde. Liz Crowley fühlte sich in diesen nervenaufrei‐ benden Augenblicken elend. Glenn erging es ge‐ nauso, aber er ließ es sich nicht anmerken. Über seine Kopfhaut schienen Millionen Ameisen zu krabbeln. Er hatte das Gefühl, als stünde in diesem Moment seine Seele in Flammen. Fast war er ver‐ sucht, Lebanon zu bitten, den Deckel nicht abzu‐ heben, doch er brachte keinen Ton hervor. Und er 75
wollte . auch nicht als übertriebener Feigling das‐ tehen. Er, der harte Krimis schrieb. Ein Mann, der mit seinen Stücken Millionen Menschen fesselte. Er wollte nicht kneifen, obwohl ihm stark danach war. Die letzte Schraube quietschte aus dem Holz. Der Leichenbestatter legte den Schraubenzieher beisei‐ te und sah Liz und Glenn gespannt an. Die beiden erkannten, daß er genauso aufgeregt war wie sie. Seine langen, sehnigen Finger tasteten den Deckel‐ rand ab. Dann hielt auch er die Luft an. Mit einem schnellen Ruck öffnete er den schwar‐ zen Sarg. Als Liz den Leichnam sah, stieß sie einen grellen Entsetzensschrei aus und kreiselte bestürzt herum. Der Anblick war einfach zuviel für sie. Der Sarg war eine Luxusausführung, mit violettem Samt ausgeschlagen. Es gab blütenweiße Spitzen. Der Kopf des bleichen Leichnams ruhte auf einem weichen Kissen. Der Tote war höchstens achtund‐ zwanzig Jahre alt. Sein Gesicht war lang und schmal, die Wangen leicht eingefallen, die Backen‐ knochen hervortretend, der Mund lediglich eine gerade Linie. Sein dunkles, sehr kurz geschnittenes
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Haar war grob wie eine alte Sofafüllung. Seine Haut wirkte spröde. Herb Lebanon schlug ein Kreuz. »Verstehst du das, Herb?« fragte Glenn fassungs‐ los. Es war ihm, als hätte ihn jemand mit einer Keule auf den Kopf gehauen. Er war völlig be‐ nommen. Der Tote war ihm nicht fremd. Auch Lebanon kannte ihn. Er war einer von den sieben Freunden, die sich in Amory Powers Leuchtturm treffen wollten. Der Tote war Ronald Sirk, der Vizepräsident einer großen Londoner Versicherungsgesellschaft. Ro‐ nald Sirk, das Muttersöhnchen. Ronald Sirk, der Mann mit den besten Beziehungen. »Wie kommt er hierher?« fragte Glenn verstört. Lebanon zuckte überfragt die Achseln. »Ich weiß es nicht, Glenn. Der arme Junge, er kam nicht mal bis zum Leuchtturm.« »Daß es ausgerechnet ihn erwischen mußte . . .« »Er war immer der Schwächste«, sagte der Lei‐ chenbestatter gedämpft. »Er war ein Unglücksra‐ be.« »Und er ist dieser Unglücksrabe geblieben.« Lebanon streckte eine Hand nach dem Toten aus. 77
»Faß ihn nicht an, Herb!« riet ihm Glenn besorgt. »Warum nicht?« »Er ist tot.« »Ich habe keine Angst vor Toten, Glenn. Ich will wissen, woran er gestorben ist.« Lebanons Finger berührten den Leichnam. »Er ist kalt wie ein Eisblock«, sagte er zu dem ver‐ datterten Glenn, dessen Herz wie verrückt gegen die Rippen hämmerte. Sein Mund war völlig aus‐ getrocknet. »Kalt und hart wie ein Eisblock«, stellte Lebanon fest. »Das ist kein gewöhnlicher Leich‐ nam. « »Jetzt mach aber ’nen Punkt, Herb!« »Hör mal, ich habe täglich mit Leichen zu tun . . .« Ein seltsames Knirschen erschreckte die Männer. Liz blieb schlotternd abgewandt. Lebanon zuckte verwirrt vom Sarg zurück. Vor seinen und vor Ahearns Augen begann sich der Leichnam zu re‐ gen. Er richtete sich im Sarg ganz langsam auf, öffnete die Augen und starrte die beiden Männer mit einem unheimlichen Blick an. »Das gibt’s doch nicht!« preßte Ahearn fassungslos hervor. »Das darf nicht wahr sein!« Sirks fahles Gesicht wurde aschgrau. Und ebenso grau wurde der schwarze Eichensarg. Der Leich‐ 78
nam öffnete den Mund, stieß ein schauderhaftes Gelächter aus. Die beiden Freunde starrten sich be‐ troffen an. Aus diesem Männermund drang das Gelächter einer Frau, das von Sheila Barrshee. Glenn Ahearn erkannte es sofort wieder. Dieses schaurige Lachen jagte ihm eiskalte Schauer über den Rücken. Der aschgraue Leichnam saß aufrecht im Sarg und lachte, daß man davon verrückt wer‐ den konnte. Da verlor der Fernsehautor die Ner‐ ven. »Schweig!« brüllte er vor Wut. »Schweig!« Aber Sheila lachte weiter durch den Mund dieses Toten. Da ballte Ahearn die Rechte zur Faust, drosch sie dem Leichnam ans Kinn. Ronald Sirk wurde von der Wucht des Schlages zurückgerissen. Er knallte in den Sarg. Die Bretter barsten. Und im selben Augenblick zerfielen Sarg und Leichnam zu häßlichem Staub. Ein Windstoß wirbelte den Staub fort und blies ihn in den Wald hinein. Herb Lebanon richtete sich auf, starrte Ahearn fas‐ sungslos an und sagte mit brüchiger Stimme: »Verdammt, Glenn, sie spielt mit uns ein grauen‐ volles Spiel!« 79
Amory Power hatte sich in den zehn Jahren kein bißchen verändert. Anthony Craig fand, daß Amo‐ ry immer noch haargenau so aussah wie damals. Power war ein großer, breitschultriger Mann mit dichtem, lockig braunem Haar. Sein Gesicht hatte trotz der kräftigen scharfen Züge einen glatten Teint und keine Falten. Seine Augen waren groß und blau und mit schweren Tränensäcken verse‐ hen. Obwohl er etwas schwer wirkte, erweckte er doch den Eindruck kraftvoller Vitalität. Er hatte Joan McMurray, Anthony Craig und Pat Stanwyck vor dem Leuchtturm empfangen. Der Mann aus dem Dorf hatte getrachtet, mit seinem Boot so schnell wie möglich wieder vom Felsen abzulegen. Stanwyck, Craig und sein Mädchen hatten den Leuchtturm mit gemischten Gefühlen betreten. Power hatte eine Menge Geld in den Umbau investiert. Von außen machte der Leuch‐ tturm zwar immer noch einen recht desolaten Ein‐ druck, aber in seinem Inneren hatte sich nahezu alles verändert. Da standen Möbel im altdeutschen Stil. Es gab eine Menge Zimmer, die auf die Gäste warteten. Die Wände in den Zimmern waren tape‐ ziert. Nur die gespenstischen Zeichnungen an den Treppenwänden hatte Power nicht wegmachen 80
lassen. Er fand, sie paßten so gut zu diesem un‐ heimlichen Turm, daß es nicht richtig gewesen wä‐ re, sie zu übertünchen. In allen Räumen gab es eine Hausbar. Überall gab es elektrisches Licht und da‐ neben noch Petroleumlampen, falls der Strom mal ausfallen sollte. Power war richtig stolz auf seinen Besitz. Und das aus gutem Grund. Die Renovierung hatte dem Turm sehr gutgetan. Man fühlte sich wohl darin. Vorausgesetzt, man war in der Lage, Sheila Barrshee zu vergessen. War das eine Freude, als Stanwyck und Craig Fred Bennett und Ronald Sirk wiedersahen. Es wurde herzlich gelacht, gescherzt, gefoppt. Joan kam sich in diesen Augenblicken ein wenig fehl am Platz vor. Die jungen Männer hatten so viel mit sich selbst zu tun, daß das Mädchen beinahe überflüs‐ sig war. Craig holte es aber bald in ihre Mitte. Er reichte Joan von Freund zu Freund, stellte sie je‐ dem vor. Sie wurde herzlich aufgenommen und war schon nach wenigen Minuten mittendrin in diesem lachenden, unbekümmerten, übermütigen Haufen. Amory Power zeigte zuerst Pat Stanwyck sein Zimmer. 81
»Und ihr beide werdet wohl in einem Zimmer Platz haben, wie?« sagte der Parapsychologe la‐ chend zu Joan und Tony. » Für getrennte Schlaf‐ zimmer kennen wir uns noch nicht lange genug«, gab Anthony Craig grinsend zurück. »Na, dann wollen wir mal sehen, ob wir ein schö‐ nes Zimmer für unsere beiden Turteltauben fin‐ den«, tönte Power. Zehn Minuten später waren alle Ankömmlinge zu‐ friedenstellend untergebracht. »Bitten und Beschwerden nehme ich ausschließlich schriftlich entgegen«, rief Power in die Runde. »Und zwar erst dann, wenn ihr alle wieder ausge‐ zogen seid.« Er führte die Freunde im Turm herum, machte sie mit allen Räumlichkeiten vertraut, plauderte frisch von der Leber weg und ließ immer wieder verlau‐ ten, wie sehr er sich darüber freute, daß dieses Treffen nach einer so langen Trennung so rei‐ bungslos klappte. Im Salon wurden dann die Drinks ausgegeben. Je‐ der setzte sich dorthin, wo er wollte. Alles ging zwanglos vor sich. Die Freunde hatten sich so viel zu erzählen, daß sie nicht wußten, wo sie anfangen sollten. Sie sprachen über ihre Jobs, was sie sonst 82
noch alles trieben, wie es ihnen privat ging, welche Pläne sie hatten. Stanwyck war verheiratet, und er wäre gern mit seiner Frau gekommen, wenn diese nicht geschäft‐ lich nach New York hätte fliegen müssen. Sie war Modeschöpferin und verdiente mehr Geld als er. Fred Bennett, der Auslandskorrespondent, war ge‐ schieden. Er sprach nicht gern von seiner Frau, die ihn wegen eines anderen Mannes verlassen hatte. Seine Freunde akzeptierten das. Die Scheidung lag erst zwei Monate zurück. Bennett war ein Mann mittlerer Größe, kräftig ge‐ baut. Auf dem breiten gewölbten Brustkasten saß ein schlanker Hals und auf diesem ein feingeform‐ ter Kopf. Das glattrasierte Gesicht hatte ein energi‐ sches Kinn. Die Stirn stieg erst steil an, fiel dann weit nach hinten über zwei weit auseinanderste‐ hende Ausbuchtungen. Sie war so mächtig, daß das rötliche Haar nicht über sie, sondern über die Schläfen und den Hinterkopf zurückfiel. Natürlich konnten nicht alle angeschnittenen Themen vollends durchgesprochen werden. Des‐ halb hatte Amory Power seine Freunde auch für drei Tage zu sich eingeladen. Craig schaute sich um. 83
Der Salon war geräumig. Er umfaßte einen Groß‐ teil des Erdgeschosses. Von dort gelangte man durch eine Tür direkt nach draußen. Power hatte Ritterrüstungen an die Wände gehängt, Schilder aus derselben Epoche, Lanzen, Speere, Schwerter und Dolche. Es gab mehrere Armbrüste, die die Wand über dem offenen Kamin dekorierten. In den Räumen erinnerte nichts an Sheila Barrshee und ihr schändliches Treiben. Und doch war sie irgendwie zugegen. Die Fremden merkten es, als ihr Name zum ers‐ tenmal erwähnt wurde. Man mußte einfach über sie sprechen. Keinem war es möglich, sich ihrem unheimlichen Bann zu entziehen. Es stellte sich heraus, daß die schwarze Frau fast allen in irgendeiner Gestalt erschienen war. »Ich«, sagte Ronald Sirk ein wenig verschüchtert, »habe ihre Stimme gehört. Sie hat mich be‐ schimpft, mir gedroht. Ich gebe zu, ich hatte Angst. « »Mich hat sie in der Gestalt einer Möwe angegrif‐ fen«, erzählte Fred Bennett. »Ich stand am Kai und hielt nach einem Boot Ausschau, das mich zum Leuchtturm bringen sollte. Da kam sie plötzlich angesaust. Sie wollte mir mit ihrem scharfen 84
Schnabel das Gesicht zerhacken, aber ich habe ihr mit meiner Faust ein Ding verpaßt, daß sie ins Trudeln kam.« Die anderen lachten. »Wieso wußtest du, daß es Sheila Barrshee war?« fragte Ron Sirk. Bennett kniff die Augen zusammen. »Erst mal habe ich es ganz deutlich gespürt. Man fühlt es, wenn sie in der Nähe ist. So ist es jeden‐ falls bei mir. Außerdem hat die Möwe ihren Schnabel aufgerissen und meinen Namen gerufen und gekreischt, daß sie mich umbringen würde.« Die Unterhaltung stockte daraufhin. Power überbrückte die Pause, indem er Musik machte. Er legte eine Langspielplatte von Ray Conniff auf. Die Musik kam in Quadrophonie aus vier verborgenen Lautsprecherboxen. »Im vornehmsten britischen Club kann es nicht behaglicher sein als hier«, bemerkte Craig lä‐ chelnd. »Ich werde mir Mühe geben, euch euren Auf‐ enthalt so unvergeßlich wie möglich zu gestalten«, erwiderte Amory Power und setzte sich wieder in seinen tiefen senffarbenen Samtsessel. »Und diesen Turm hier werde ich Sheila Barrshee mit aller mir 85
zu Gebote stehenden List abluchsen. Ihr werdet es erleben.« Er nippte an seinem Scotch. Während er sich das kühle Glas an die Wange hielt, sagte er versonnen: » Ich war schon als Junge gern hier draußen auf diesem Felsen. Kann sein, daß es mich deshalb zur Parapsychologie trieb. Ich hatte zahl‐ reiche Begegnungen mit Sheila. Einige davon war‐ en sehr gefährlich. Damals schon dachte ich, daß es mich reizen könnte, den Kampf gegen die widerli‐ che Frau eines Tages aufzunehmen. Nun, wo ich das nötige wissenschaftliche Rüstzeug besitze, wo ich mich ihr gewachsen fühle, möchte ich die Aus‐ einandersetzung nicht mehr länger scheuen. Ich werde sie dorthin jagen, wohin sie gehört: in die Hölle.« Ronald Sirk stellte sein Glas auf den Tisch. Er ent‐ schuldigte sich und ging in Richtung Toilette da‐ von. Auf dem Weg dahin kam er durch einen kurzen Korridor. An der nackten Wand schimmerte ein grauenvoll grinsender Totenschädel. Die Fratze wirkte so echt, so lebendig, daß Sirk davor unwill‐ kürlich stehenblieb. Die Zeichnung schien erst kürzlich gemacht worden zu sein. Die Kreidestri‐ che waren noch ziemlich frisch. 86
Sirk schüttelte lächelnd den Kopf. Dieser Amory! dachte er amüsiert. Damit wir uns gruseln, hat er einige Zeichnungen dazugemacht. Er ist ein ausgekochter Schelm. Während Sirk so vor dem häßlichen Totenschädel stand, spürte er ganz deutlich ein Unbehagen in sich aufsteigen. Es war ihm, als loderte in der düs‐ teren Tiefe dieser toten Augen ein gefährliches Feuer. Benommen wischte er sich über das Ge‐ sicht. Er wollte sich von der häßlichen Kreidefratze abwenden und seinen Weg zur Toilette fortsetzen. Aber irgendeine unbeschreibliche Kraft hielt ihn fest, ließ ihn nicht weitergehen, zwang ihn, den schrecklichen Schädel ununterbrochen anzustar‐ ren. Sirk fand das in höchstem Maße bedenklich. Vor allem aber war er über sich wütend, weil er sich vor dieser von Power angefertigten Kreide‐ zeichnung ängstigte. Was sollte das? Warum ver‐ ließ ihn plötzlich das bißchen Mut, das er besaß? Gereizt faßte er den Entschluß, die Zeichnung von der Wand zu wischen. Bevor er dies aber tat, ge‐ wahrte er, daß der Schädel mit einemmal feindse‐ lig die Zähne fletschte. Und plötzlich kam aus der Wand ein gefährliches Knurren, so als wollte der Schädel ihn warnen, von seinem Vorhaben lieber 87
abzulassen. Dieses unheimliche Knurren, dessen Ursprung sich Ronald Sirk nicht erklären konnte, stachelte den Mann zu noch größerem Zorn auf. Er wollte sich selbst beweisen, daß er keine Angst vor dieser lächerlichen Zeichnung hatte. Er mußte es sich beweisen. Blitzschnell schoß seine Hand vor. Sirk wollte über die schreckliche Fratze wischen. Da riß der Schädel sein Maul auf. Die Zähne blitz‐ ten gefährlich. Sie waren lang wie Dolche. Ein grauenerregendes Fauchen drang aus dem Mund des furchtbaren Spuks. Der Schädel flog von der Wand weg und schnappte nach Sirks Arm. Der Mann schnellte entsetzt zurück. Seine Augen wei‐ teten sich in namenloser Furcht. Die gräßlichen Zähne schnappten klackend zu. Sie verfehlten Sirks Arm nur um wenige Millimeter. Der verstör‐ te Mann geriet in Panik. Er erwartete einen zwei‐ ten Angriff. Da klappten die Zähne erneut ausei‐ nander, und Sheila Barrshee verspottete ihn mit einem hohntriefenden Gelächter. »Hasenfuß!« kreischte sie. »Verdammter Hasen‐ fuß! Ich werde dich töten! Du hättest nicht hier‐ herkommen dürfen. Du bist zu schwach, du wirst als erster sterben! « 88
Ronald Sirk preßte sich fassungslos gegen die Wand. Die Luft flimmerte vor seinen Augen, und der widerliche Schädel verschwand. Er war auch nicht mehr an der Wand. Erregt stieß Sirk die Luft aus. Er lief zur Toilette, blieb da nur so lange, wie er unbedingt bleiben mußte. Dann trachtete er, so schnell wie möglich wieder zu den anderen zu kommen. Und er bemühte sich, sich nicht anmer‐ ken zu lassen, wie schlimm ihn dieses Erlebnis er‐ schüttert hatte. Seine Nerven vibrierten, und er fragte sich, ob es wirklich eine gute Idee gewesen war, die Einladung von Amory Power anzuneh‐ men. Am späten Nachmittag trafen die letzten Gäste ein. Amory Power ging wieder nach draußen, um die Freunde zu begrüßen. »Wir wären schon viel früher hier angekommen, wenn uns Sheila Barrshee, dieses verfluchte Luder, nicht so lange aufgehalten hätte«, sagte Glenn Ahearn. Er machte Liz Crowley mit dem Parapsy‐ chologen bekannt und erzählte dann von dem Rei‐ fendefekt, den sie gehabt hatten. »Ein Glück, daß Herb denselben Weg hatte wie wir«, sagte er ab‐ schließend. »Sonst hätten mein Mädchen und ich trampen müssen. Sind die anderen schon alle da?« 89
»Alle. « Power nickte lächelnd. »Kommt rein und nehmt einen Drink mit uns! « Sie traten hinter Power in den Leuchtturm. Die anderen, vom Whisky bereits stimuliert, stimmten ein lautes Freudengeheul an. Händeschütteln, Schulterklopfen, gefüllte Whiskygläser, Ausgelas‐ senheit – alles wie gehabt. Als Liz Crowley Ronald Sirk die Hand reichte, er‐ schrak sie. »Mein Gott, was ist mit Ihnen?« fragte Sirk be‐ sorgt. »Sie sehen so schrecklich blaß aus.« »Ich habe Sie heute schon mal gesehen, Mr. Sirk!« stieß das Mädchen verstört hervor. Ronald Sirk lächelte unsicher. »Mich?« »Ja.« »Das ist nicht gut möglich. Ich bin seit heute mor‐ gen hier. « »Ich habe Sie gesehen!« beharrte Liz. »Hör auf zu quasseln! « sagte Glenn Ahearn ungehalten. »Wir wollen die Sache vergessen, Liz.« »Was für eine Sache? « fragte Sirk. Sein Blick flog nervös zwischen Liz und Ahearn hin und her. »Wo haben Sie mich gesehen, Miß Crowley?«
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»Ich sah Sie in einem Sarg«, entgegnete Liz schnel‐ ler, als Ahearn es verhindern konnte. »Sie lagen in einem schwarzen Eichensarg und waren tot, Mr. Sirk.« Den ängstlichen Mann traf beinahe der Schlag. Er faßte sich benommen an die pochenden Schläfen, wankte, ließ sich auf die erstbeste Sitzgelegenheit fallen. Glenn Ahearn kümmerte sich um ihn. Im Vorbeigehen zischte er Liz zu: »Sieh, was du an‐ gestellt hast, du dämliche Gans!« Dann reichte er Sirk einen Whisky. »Hier, Ron, trink das. Das wird dich wieder aufmöbeln. Du brauchst keine Angst zu haben. Die Kleine ist ein bißchen bescheuert. Sie sagt manchmal Dinge . ..« »Ich habe ihn gesehen!« schrie Liz wütend. »Halt die Klappe, Liz!« brüllte Glenn gereizt zu‐ rück. Ehe der Streit sich ausweitete, drängten sich die anderen dazwischen. Vor allem Joan McMur‐ ray, Craigs Freundin, bemühte sich um die stark erregte Liz Crowley, während Glenn dem zittern‐ den Sirk einen Whisky nach dem anderen einflöß‐ te. »Möglich, daß sie irgendeine Halluzination gehabt hat, Ron«, sagte er abschwächend. »Du weißt ja, Sheila Barrshee versucht uns alle an der Nase he‐ 91
rumzuführen. Sie will uns verrückt machen, aber das wird dieser verdammten miesen Alten nicht gelingen, verlaß dich drauf. Du kannst ganz unbe‐ sorgt sein, Ron. Solange wir bei dir sind, wird dir niemand ein Leid zufügen, nicht mal Sheila.« Der Abend des ersten Tages brach an. Nichts Un‐ gewöhnliches passierte. Die Stimmung war gut. Die Freunde saßen in Grüppchen beisammen und redeten miteinander. Es wurde sehr viel Whisky getrunken. Möglich, daß die Leute ihre Furcht mit Alkohol ein wenig eindämmen wollten. Sie er‐ kannten diese Absicht selbst nicht, wurden von ih‐ rem wachen Unterbewußtsein gesteuert. Draußen fegte ein kalter Wind um den hohen Leuchtturm. Und Sheila Barrshee heulte mit dem Wind, doch das fiel keinem auf. Nicht einmal Fred Bennett bekam mit, daß die schwarze Frau drau‐ ßen war, obwohl er behauptet hatte, zu spüren, wenn sie in der Nähe war. Diesmal versagte sein sechster Sinn, der ihn sonst immer warnte. Sein Gehirn war vom Whisky umnebelt. Am schwersten hatte es Herb Lebanon erwischt. Er vertrug zwar Unmengen von Alkohol, aber auch er hatte seine von der Natur gesteckten Grenzen. Als er diese überschritten hatte, fiel er aus der Rol‐ 92
le. Er begann zuerst nach allen Richtungen hin zu stänkern. Und als er damit nicht ankam, fing er an, von seinen makaberen Erlebnissen bei Beerdigun‐ gen zu erzählen. Damit schaffte er die ganze Run‐ de. Sie hatten bald genug von seinen ekelhaften Schilderungen. Nach und nach zogen sich die meisten auf ihre Zimmer zurück. Lebanon saß kichernd in seinem Sessel und trank ungerührt weiter. Liz Crowley, Glenn Ahearn und Amory Power leisteten ihm noch Gesellschaft. Lebanon bleckte amüsiert die braunen Zähne. »Meine Stories gingen denen ganz schön unter die Haut, was?« »Du hast die Partie geschmissen, Herb«, tadelte Power verärgert. » Aber wieso denn? Ich habe doch nur ein paar Schwänke aus meinem Leben zum Besten gege‐ ben.« »Fiel dir nicht auf, daß die keinen interessiert ha‐ ben?« Lebanon schlug mit der Faust auf den Tisch. Die Gläser klirrten. » Verdammt noch mal, die anderen haben doch auch über ihre Jobs gequasselt, Amory. Stanwyck hat von der BBC geredet, Bennett von seinen Arti‐ keln, Sirk von seiner Versicherung, Craig von sei‐ 93
nen Kriminalfällen. Ahearn von seinen Drehbü‐ chern, du von deinen Erlebnissen auf dem Gebiet der Parapsychologie, nur mich wollte keiner zu Wort kommen lassen. Das finde ich nicht fair, Amory. Ich habe schließlich auch einen Beruf, über den ich mal mit jemanden reden will.« »Es gibt Berufe, die keine brauchbaren Stories her‐ geben, Herb. Dazu gehört deiner genauso wie der eines Henkers. « »Hör mal, es ist ein anständiger Job. Du tust ja ge‐ rade so, als wäre ich ein Verbrecher. « »Ich schlage vor, du gehst jetzt schlafen, Herb.« »Abschieben? Erst lädst du mich ein, und dann willst du mich abschieben?« »Niemand will das. Ich finde nur, daß du für heute genug getrunken hast, und daß dir der Schlaf ge‐ wiß sehr guttun wird, Herb.« »Du kannst mich nicht leiden, wie? Nun sag’s schon. Du hast mich noch nie gemocht. « »Das ist doch Unsinn, Herb. Hätte ich dich einge‐ laden, wenn ich dich nicht leiden könnte?« »Du hast mich doch nur eingeladen, weil du muß‐ test.« »Was soll der Quatsch, Herb? Niemand hätte mich dazu zwingen können. Ich habe dich eingeladen, 94
weil ich dich gern wiedersehen wollte, wie die an‐ dern auch. « »Aha! Und jetzt würdest du mich am liebsten wie‐ der nach Hause schicken, was?« »Nicht nach Hause, Herb«, antwortete Amory Po‐ wer grinsend, »nur ins Bett.« »Okay, Amory. Der Turm gehört dir. Also werde ich tun, was du von mir verlangst. « »Das ist sehr nett von dir, Herb.« Lebanon drückte jedem die Hand, knurrte unver‐ ständliches Zeug und zog sich schwankend zu‐ rück. Eine Viertelstunde später trennten sich auch Power, Liz Crowley und Glenn Ahearn. Liz suchte noch die Toilette auf. Als sie wieder herauskam, fuhr ihr ein eisiger Schreck in die Glieder. Lebanon stand an der Tür. Sein geiler Blick verriet ihr alles. »Gehen Sie zur Seite, Herb! Lassen Sie mich bitte durch!« verlangte das Starlet mit zischender Stim‐ me. »Sagte ich nicht schon ein paarmal, daß du vor mir keine Angst zu haben brauchst, Baby?« »Bitte, Herb, wir wollen keinen Ärger haben. Sie haben zuviel getrunken. Ich kann verstehen, daß Sie – daß Sie. . .«
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»Daß ich was? Daß ich vom vielen Whisky so geil geworden bin?« »Sie sollten nicht so reden, Herb. Nehmen Sie bitte Vernunft an! Glenn wartet auf mich. Wenn ich nicht bald zurückkomme, wird er sich um mich sorgen und mich suchen. Es wäre peinlich, wenn er Sie und mich hier auf der Toilette . . .« Lebanon griente ekelhaft. »Peinlich?« echote er mit schwerer Zunge und gla‐ sigen Augen. »Nicht für mich, Baby. Ich bin ver‐ rückt nach dir. Verdammt, ich kann nichts für meine Gefühle. Du bist zum Teil selbst schuld dar‐ an, daß es mich übermannt hat. Allein die Art, wie du die Beine vorhin übereinandergeschlagen hast, war eine verfluchte Herausforderung für mich. Und dann dieses aufreizende Dekollete. Das muß einen Mann doch meschugge machen. Komm, Ba‐ by, gib mir schnell einen Kuß, nur einen! Ich will dir ja nichts tun, möchte bloß, daß du ein bißchen nett zu mir bist. Ist das denn zuviel verlangt – nach allem, was ich für dich und für Glenn getan habe?« »Was Sie getan haben, geschah Glenn zuliebe. Wenn Sie dafür bezahlt werden wollen, dann hal‐ ten Sie sich an ihn! « erwiderte das Mädchen ängstlich. 96
»Was ist denn schon dabei, wenn du ein bißchen nett zu mir bist? Ich breche dir dabei doch keine Verzierung ab.« Liz ekelte sich vor dem Leichenbestatter. Es war von Anfang an schon schlimm gewesen, doch als er von seinen beruflichen Erlebnissen erzählte, hät‐ te sich ihr beinahe der Magen umgedreht. Sie emp‐ fand so viel Abscheu vor diesem häßlichen Mann, daß sie – obwohl sie ansonsten nicht gerade prüde war – eine Berührung von ihm nicht ertragen konnte. »Bitte, Herb!« sagte Liz eindringlich. »Ein Kuß, und du kannst gehen.« »Ich küsse nur Glenn.« »Nicht doch. Ich habe gesehen, wie du die anderen Männer angesehen hast, Baby. Dich kann jeder ha‐ ben. Warum also nicht auch ich?« »Wenn Sie mich anfassen, schreie ich um Hilfe, Herb! Wollen Sie, daß alle Ihre Freunde aus ihren Zimmern stürmen?« Der Häßliche schüttelte grinsend den Kopf. »Du wirst nicht schreien, Baby, weil nämlich gar kein Grund zum Schreien vorhanden ist. « Lebanon faßte blitzschnell zu. Seine langen Finger krallten sich in Liz’ Dekollete. Sie sprang bestürzt 97
von ihm weg. Der Stoff ratschte. Ihre Brüste wog‐ ten ihm wie eine sahneweiße Brandung entgegen – groß, schwer, aufregend nackt. Da konnte er sich nicht mehr länger beherrschen. Mit einem gierigen Knurren ging er auf das Mädchen los. Plötzlich schlug ihn jemand mit der Faust ins Ge‐ nick. Wutschnaubend wirbelte er herum. Seine Augen waren blutunterlaufen. Geifernd glotzte er Glenn Ahearn an. Liz lief hastig an ihm vorbei und ver‐ steckte sich schnell hinter Glenn, der wesentlich kleiner war als Herb Lebanon. »Verdammt, Herb, was soll das?« zischte Glenn außer sich vor Wut. »Spiel dich nicht auf! « maulte Lebanon mit einem spöttischen Grinsen. »Sie ist ein Flittchen. Ich woll‐ te sie mal ausprobieren.« Ahearn hatte keine Angst vor dem großen Lei‐ chenbestatter. Er ballte die Hände und schwang sie dicht vor Lebanons Gesicht hin und her. »Du bist ein großes Glückskind, Herb!« fauchte der Schriftsteller mit gefletschten Zähnen. »Ich weiß, daß man einem Kumpel, der einem geholfen hat, dankbar zu sein hat. Verdammt, Herb, wenn ich das nicht wüßte, würde ich dich jetzt so sehr 98
verprügeln, daß du dich morgen im Spiegel selbst nicht mehr wiedererkennen würdest. « Lebanon zog die Mundwinkel verächtlich nach un‐ ten. »Du bist immer noch derselbe Angeber wie früher, Glenn. « »Und du bist immer noch derselbe Idiot wie früher. Wie hast du bloß die Reifeprü‐ fung geschafft?« Lebanon grinste keck. »Ich habe bei dir abgeschrieben.« »Ich rate dir, dich nicht noch mal an Liz zu vergrei‐ fen, Junge. Ein zweites Mal wäre ich nicht so nach‐ sichtig.« »Ich hasse Angeber, Glenn.« »Und ich hasse geile Kerle«, entgegnete Ahearn eiskalt. Dann legte er seinen Arm um Liz’ Schul‐ tern und führte sie ins gemeinsame Schlafzimmer. Lebanon blieb wütend zurück. Das Totenglöckchen läutete ununterbrochen. Es machte Ronald Sirk schreckliche Angst. Die ein‐ zelnen dünnen Schläge klangen unheimlich, dran‐ gen dem zitternden Mann nicht nur in die Ohren, sondern in seinen ganzen Körper, bis ins Kno‐ chenmark. Er wußte, daß Sheila Barrshee wieder mal grausame Regie führte. Alles, was er erlebt hatte, alles, was er gesehen hatte, gaukelte ihm die 99
verfluchte Hexe vor. Sie hatte unzählige Möglich‐ keiten, seinen Geist zu beeinflussen. Sie konnte ihn laufend Dinge sehen lassen, die es gar nicht gab, die er aber trotzdem mit einer Intensität wahr‐ nahm, daß er zwischen Phantasie und Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden konnte. Und nun trieb sie ihren schrecklichen Spuk weiter. Sirk warf sich, im Bett verzweifelt hin und her. Es war nicht einmal dunkel genug im Raum, um ein‐ schlafen zu können. Sheila hielt ihn mit einem selt‐ samen Lichtschein wach. Sie konnte das. Sie konn‐ te einfach alles. Sie vermochte sich in Sirks Gedan‐ ken zu schleichen, sich in seinen Träumen auszub‐ reiten und ihn den Traum wie eine schreckliche Realität erleben lassen. Sirk stöhnte. Er erinnerte sich an den Tag, als er von Power die Einladung bekommen hatte. Er hat‐ te sie in den Papierkorb werfen wollen. Aber selbst dort wäre sie nicht weit genug von ihm weg gewe‐ sen, deshalb hatte er das Tischfeuerzeug genom‐ men, um sie zu verbrennen. Er wollte die Einla‐ dung vernichten und vergessen. Aber zu seinem großen Schreck fing das Papier nicht Feuer. Da wußte er, daß er Powers Einladung annehmen mußte. Er war nicht aus freien Stücken hierherge‐ 100
kommen, denn im Gegensatz zu all den anderen hatte er schreckliche Angst vor Sheila Barrshee. In dieser unheimlichen Nacht, in der sein Toten‐ glöckchen läutete, erkannte Sirk zum erstenmal mit schonungsloser Deutlichkeit die deprimieren‐ de Wahrheit, die er so gern unter den Tisch ge‐ leugnet hätte. Sirk wußte nicht, ob er wachte oder träumte. Er wußte nur eines: ihm drohte Gefahr von Sheila Barrshee, Todesgefahr. Ein Ächzen. Sirk schnellte mit einem heiseren Schrei hoch. Et‐ was war in seinem Zimmer. Er sah nichts und niemanden, nur die Möbel. Und doch hörte er das rasselnde Atmen, die schlurfenden Schritte, das gefährliche Zischen. Etwas wischte ihm eiskalt über den schweißnassen Rücken. Er bebte vor Angst. Sein Gesicht war kreideweiß. »Wer – wer ist da?« preßte Sirk hervor. Keine Antwort. Dann ein Knurren. Genauso feindselig wie das, das der häßliche Schädel an der Wand ausgestoßen hatte. Am Ende kam der Schädel wieder. Sirk biß sich in seiner panischen Furcht in den Daumen. Er grub die Zähne tief in sein Fleisch. Der 101
Schmerz half ihm, nicht die Besinnung zu verlie‐ ren. »Ist da jemand?« fragte er in die eigenartige Fins‐ ternis hinein. Keine Antwort. Statt dessen ein grauenerregendes Zischen, so als würde sich eine riesige Schlange an sein Bett he‐ ranschieben. Sirk warf einen gehetzten Blick auf den Boden, aber da war nichts. »Mein Gott! O mein Gott! Ich werde wahnsinnig!« klagte der schlotternde Mann. Obwohl er schwitzte, kroch er unter die Decke. Aber auch hier war das Läuten der Totenglocke ungedämpft zu hören. Ihm war, als entstünde die‐ ses Läuten in ihm. Er wagte kaum zu atmen, und als ihm plötzlich jemand die Decke fortriß, stieß er einen krächzenden Angstschrei aus. Sein flatternder Blick flog ruhelos im Raum umher. »Geh weg!« stöhnte Sirk verzweifelt, obwohl er niemanden sehen konnte. »Laß mich in Ruhe!« Da spürte er plötzlich eine eiskalte Hand an seiner Kehle. In derselben Sekunde drückte die Hand kräftig zu. Der Druck nahm ihm die Luft. Er dach‐ te, nun ginge es ans Sterben, und er schnellte ver‐ stört aus dem Bett. Schnaufend schlug er um sich. 102
Da niemand außer ihm zu sehen war, erweckte er den Eindruck, als wäre er wahnsinnig geworden. Er kreiselte um die Achse, drosch hierhin, schlug dahin, wehrte sich gegen Angriffe, die er zwar spürte, aber nicht sehen konnte. »Laß ab von mir, du verfluchte Hexe! « keuchte der verängstigte Mann. Und das Totenglöckchen läutete weiter. Er rang nach Luft. Aber in seinem Zimmer war sie zu stickig. Das Atmen fiel ihm schwer. Mit blauen Lippen riß er die Tür auf. Gehetzt rannte er nach draußen. Die andern schienen bereits alle zu schla‐ fen. Sirk fühlte sich hundeelend, so allein mit sei‐ ner panischen Angst. Er wollte losbrüllen, damit die anderen aus ihren Zimmern kamen. Sirk riß zwar den Mund auf, aber aus der Kehle kam nicht mehr als ein hauchdünnes Seufzen, das keiner hörte. Plötzlich knirschte die Klinke an der Tür, die aus dem Leuchtturm führte. Ronald Sirk zuckte herum und starrte sie mit brennenden Augen an. Die Klinke wanderte langsam nach unten. Das Knir‐ schen wurde lauter und rief bei Sirk eine Gänse‐ haut hervor. Sekunden später öffnete sich die Tür.
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Ronald Sirk stand steif und starr mitten im Salon. Als die Tür langsam aufschwang, schüttelte er, in Erwartung einer schrecklichen Überraschung, ver‐ zweifelt den Kopf. »Nein!« stöhnte er. »Nein! Laß mich in Ruhe!« Der kalte Wind fauchte in den Raum, ließ die an der Wand hängenden Rüstungen geisterhaft ras‐ seln. Sirks Nerven spielten ihm einen Streich nach dem anderen. Er zuckte mal hierhin, mal dahin. Er sah, wie sich die Rüstungen bewegten, wie die Schwerter von der Wand genommen wurden, wie sie auf ihn zuschwebten, in unsichtbaren Händen blitzten. Und er war gezwungen, vor ihnen zu‐ rückzuweichen, denn sie schlugen nach ihm und hätten ihn verletzt, wenn er ihren Hieben nicht ausgewichen wäre. Mit einemmal war ihm klar, was diese schweben‐ den Schwerter vorhatten. Sie trieben ihn auf den Ausgang zu. Sie drängten ihn aus dem Leuchtturm, in die eiskalte, unwirtli‐ che, unheimliche Nacht hinaus. Hinaus in die ge‐ spenstische Dunkelheit, in der das Totenglöckchen leise wimmerte. Sobald er draußen war, flog die Tür mit einem lau‐ ten Knall zu. Er wunderte sich darüber, daß keiner 104
der Freunde von diesem Lärm aufwachte. Es wunderte ihn auch, daß nur er das Läuten des Glöckchens vernahm. Aber mußte er sich darüber wirklich wundern? Hatte Sheila Barrshee nicht alle Macht in ihren klauenartigen Händen? Ein schrilles Kichern ließ ihn urplötzlich herum‐ wirbeln. Die schreckliche Aufregung krampfte ihm das Herz zusammen. Das rauschende Meer reflektierte das helle Mondlicht. Auf den silbrigen Fluten schaukelten sieben schwarze Boote. Und auf jedem stand eine häßliche alte, schwarzgekleidete Frau. Sie hatte Sirk ihr leichenblasses Gesicht zuge‐ wandt. Das runzelige Antlitz war zu einem ekeler‐ regenden Grinsen verzerrt. Auf jedem dieser sie‐ ben Boote stand Sheila Barrshee. Es gab eben nichts, was sie nicht konnte. Ronald Sirk war nahe daran, den Verstand zu ver‐ lieren. Er ängstigte sich zu Tode, denn er sah nicht nur die sieben schwarzen Frauen, die ihn satanisch angrinsten, sondern außerdem sieben Särge auf den Booten. Sie waren alle offen, und leer – bis auf einen. In diesem lag – Ronald Sirk. Als Sirk sich selbst im Sarg liegen sah, als diese geisterhafte Prozession an ihm vorbeifuhr, verlor er die Ner‐ 105
ven. Er warf sich kreischend auf den Boden, wälzte sich heulend darauf herum, schlug mit den Fäus‐ ten verzweifelt um sich, strampelte mit den Bei‐ nen. Eiskalter Angstschweiß brach ihm aus den Poren. Sheila Barrshee stieg von den schwarzen Booten auf. Sie flog zu ihm, hing über ihm, ver‐ lachte und verspottete ihn, plärrte ihm ihren Haß entgegen, drohte ihm erneut, ihn umzubringen, verfluchte ihn bis in alle Ewigkeit. Die sieben Boote mit den Särgen versanken in den schwarzen Fluten. Sheila Barrshee stürzte sich auf den kreischenden Mann, schlug mit ihren knö‐ chernen Händen nach ihm, quälte ihn mit Fußtrit‐ ten. Sie spie ihm grünen Speichel in die Augen, der schrecklich brannte und ihn befürchten ließ, daß er erblinden mußte. Jammernd schnellte er auf die Beine. Ächzend schlug er um sich, aber seine Fäus‐ te vermochten Sheila nichts anzuhaben. Jeder Schlag ging durch sie hindurch, als wäre sie aus Luft. Und doch war sie ein fester Körper, sobald sie zurückschlug. Ein schwerer Schlag riß ihn von den Beinen. Er knallte auf den Rücken, warf sich atemlos herum und kroch auf allen vieren auf die Leuchtturmtür zu. Sheila Barrshee warf sich kreischend auf seinen 106
Rücken, drosch mit ihren widerwärtigen Klauen auf ihn ein. Sirk erreichte benommen die Tür, ver‐ suchte die Schreckensgestalt mit allen möglichen Tricks abzuschütteln, aber sie klammerte sich mit ihren dürren Beinen an ihm fest. Keuchend federte er auf die Klinke zu, wollte die Tür aufreißen, aber sie war abgeschlossen. Da warf ihn die Verzweiflung erneut zu Boden. Und er begann zu schluchzen wie ein kleiner Jun‐ ge, der sich keinen Rat mehr weiß. Joan McMurray trug ein rosefarbenes Nightie, als sie zu Tony ins Bett huschte. Sie war eine voll‐ kommene Schönheit. Der runde Ausschnitt wurde von ihren sanft abfallenden Schultern gehalten. Er bedeckte eben noch die rosigen Brustspitzen. Neig‐ te sie sich ein wenig vor, dann war ihre ganze Brust zu sehen. Unter dem Hemdchen trug Joan nichts mehr, nur aufregende Haut. Sie genoß das Gefühl dieser Art von Nacktheit wie eine zärtliche Liebkosung. Als sie neben Tony niederglitt, waren ihre gold‐ braunen Schenkel entblößt. »Küß mich!« flüsterte sie. »Bitte, küß mich! Ich möchte das Gefühl haben, in London zu sein.«
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»Warum gerade in London?« fragte Anthony Craig lächelnd. »Es muß nicht unbedingt London sein. Es sollte nur nicht hier sein, nicht auf diesem Leuchtturm. Mach, daß ich ihn für eine Weile vergessen kann, küß mich! « Und er neigte sich über sie, legte seine warmen Lippen auf ihren erwartungsvoll heißen Mund und küßte sie mit einer Innigkeit, die sie ange‐ nehm schwindelig machte. Tony betastete ihre Achselhöhlen und wenig spä‐ ter ihre jugendlich festen Brüste. Während des nächsten langen Kusses bemühte er sich, Joans nackten Körper aus dem seidenen Gebilde zu be‐ freien. Sie half ihm ein wenig, indem sie sich hochschlän‐ gelte. Mit einer fließenden Bewegung entblößte er ihren fiebernden Körper, der ohne jeden Makel war. Ihr schneller Atem erregte ihn. Seine Hände spiel‐ ten auf ihrem brennenden Leib, suchten und fan‐ den die Stellen, die die Erregung seines Mädchens einem wohligen Höhepunkt entgegentrieben. »Ich liebe dich! « flüsterte er nahe ihrem geröteten Ohrläppchen. 108
»Ja, Tony, ja!« seufzte sie in himmlischer Verzü‐ ckung. »Ich liebe dich auch.« Sie winkelte die Beine an, Tony glitt zärtlich auf sie und drang sanft in sie ein. In Joan stieg eine herrli‐ che Lust auf. Sie spürte in ihrer trockenen Kehle ein Brennen wie nach einem langen Lauf. Tony streichelte ihre Brüste. Seine gekonnten Zärtlich‐ keiten versetzten sie in ein verzücktes Delirium . . . Es währte lange, bis Tony endlich von seinem glücklichen Mädchen abließ. Dann lagen sie erhitzt nebeneinander, blickten zur Decke, dachten an sich und hatten vergessen, wo sie sich befanden. Doch plötzlich vernahmen sie ein heftiges Schluchzen. Joan, immer noch nackt, setzte sich ruckartig auf, lauschte mit angehaltenem Atem. »Hörst du das auch, Tony?« fragte sie erregt. »Ja«, murmelte er. »Da schluchzt jemand.« »Ja.« »Ein Mann.« »Scheint so.« »Wer kann das sein, Tony?« » Keine Ahnung. « »Wenn es von nebenan kommt, ist es Sirk.« Craig glitt aus dem Bett. 109
»Was hast du vor?« fragte ihn Joan nervös. »Ich sehe mal nach ihm. Vielleicht braucht er et‐ was.« »O Tony. Es war eine unglückliche Idee, hierher‐ zukommen. Findest du nicht?« Craig schmunzelte und wies auf das Bett. »Es kann hier doch aber auch sehr, sehr schön sein, Baby.« »In London wäre das schöner gewesen.« »Wir werden bald wieder in London sein, Baby.« »Darauf freue ich mich.« »Bin gleich zurück«, flüsterte Craig. Er schlüpfte in seinen Kaschmirschlafrock und verließ den Raum. Nebenan lauschte er an der Tür. Es war tatsächlich Sirk, der wie ein unglücklicher, ratloser Junge schluchzte. Tony klopfte. Sirk hörte ihn nicht. »Ron!« rief Craig. Er bekam keine Antwort. Da öffnete er die Tür und trat in den dunklen Raum. Sirk lag in seinem Bett und weinte. Irgendein Alptraum schien ihn zu qu‐ älen. Er warf sich immer wieder verzweifelt hin und her, schlug um sich und heulte dann wieder herzzerbrechend auf.
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Tony trat zu ihm, legte ihm die Hand auf die zu‐ ckende Schulter. Sirks Pyjama war so naß, daß man ihn auswringen konnte. »Ron! « sagte Craig eindringlich. »Ron! « Das Gesicht des Schlafenden verzerrte sich, dann riß er die Augen auf, sah Tony über sich, erkannte ihn jedoch nicht sofort, stieß einen heiseren Schrei aus und schnellte verstört zur Seite. »Du brauchst keine Angst zu haben, Ron«, sagte Craig sanft. »Ich bin es, Tony Craig.« Starr hockte Sirk im Bett, den Rücken an die kalte Wand gepreßt, die Hände zitternd von sich ge‐ spreizt. »Ron! Ich bin’s doch, Tony!« Allmählich löste sich der Krampf aus Sirks Körper. Er fiel in sich zusammen. Wie ein Häufchen Elend hockte er vor Tony, wischte sich mit einer fahrigen Bewegung den Schweiß von der Stirn und schüt‐ telte dann benommen den erhitzten Kopf. Craig setzte sich zu ihm. »Was war los, Ron?« »Ich hatte einen gräßlichen Traum, Tony.« »Erzähl ihn mir!« »Ich hörte eine Totenglocke läuten . . .« Sirk erzähl‐ te dem Freund alles, was er geträumt, was er aber 111
wie eine schauderhafte Wirklichkeit empfunden hatte. Craig zog seine Zigaretten aus der Schlafrockta‐ sche, nahm zwei Stäbchen aus der Packung und brannte sie an. Eines davon gab er Sirk, der mit hektischen Zügen zu rauchen begann. »Armer Junge«, sagte Tony. »Da hast du ganz schön was mitgemacht.« » Kann man wohl sagen. « »Das schlimme an solchen Alpträumen ist, daß man nicht die Möglichkeit hat, sie von sich aus zu beenden.« Sirk nickte aufgeregt. »Ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht so schrecklich geträumt.« »Daran ist Sheila Barrshee schuld.« »Natürlich. Was meinst du, Tony, sind wir hier ge‐ fährdet? Oder kann sie nichts weiter tun, als uns schrecken?« Craig war nicht sicher, ob ihnen Sheila Schlimmeres antun konnte. Um Sirk aber nicht noch mehr zu ängstigen, erwiderte er lächelnd: »Dieses verdammte Weib blufft doch nur, Ron. Sie macht ein bißchen Wind, gaukelt uns Phantasie‐ bilder vor, will uns so viel Angst machen, daß wir ihren Turm Hals über Kopf verlassen. Aber daraus 112
wird nichts. Wir kamen hierher, um drei Tage in diesem Turm zu verbringen. Und nichts und nie‐ mand wird uns davon abhalten können. Wenn Sheila das erst mal eingesehen hat, wird sie aufge‐ ben. « »Meinst du?« fragte Sirk skeptisch. »Ich bin ganz sicher.« Sie rauchten die Zigaretten fertig. Als die Kippen im Aschenbecher lagen, fragte Craig: »Ist wieder alles okay, Ron?« Der nickte zaghaft. »Ich denke schon.« »Willst du, daß ich noch eine Weile bei dir bleibe?« »Geh zu deinem Mädchen.« Craig zuckte die Achseln und erhob sich. » Wie du meinst, Ron. « Er ging zur Tür. Als er sie öffnete, sagte Ronald Sirk gepreßt: »Tony .. .« »Hm?« »Heute nachmittag hat sie mich einen Hasenfuß genannt.« »Wer?« »Sheila Barrshee. Verdammt, sie hat recht.« Craig lächelte.
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»Mach dir nichts draus, Ron. Im Grunde haben wir alle ein bißchen Angst vor ihr. Wir dürfen es ihr nur nicht zeigen. Versuch jetzt zu schlafen«, fügte Anthony Craig hinzu und schloß die Tür. Zwei Stunden gab Sheila Barrshee Ruhe. Dann fing sie wieder zu spuken an. Sie traf schaurige Vorbe‐ reitungen. Als sie damit fertig war, sauste sie durch den Salon und auf Sirks geschlossene Tür zu. Sie riß sie auf und stürmte in den Raum. Sirk schlief tief und traumlos. Sheilas leichenblasses Gesicht wurde von abgrundtiefem Haß verzerrt. Abscheu glühte in ihren schrecklichen Augen. Sie schlich auf das Bett des Schlafenden zu. Schauder‐ hafte Laute entrangen sich ihrer dürren Kehle. Zornig warf sie sich auf den Mann. Sirk schreckte aus dem tiefen Schlaf hoch. Sein Herz setzte mehrere Schläge aus. Seine schreckge‐ weiteten Augen starrten das grauenerregende Ge‐ spenst fassungslos an. Unterschwellig fühlte er, daß ihm die schreckliche schwarze Frau nun das Leben nehmen würde. Als diese Todesahnung in sein Bewußtsein vordrang, wollte er gellend um Hilfe schreien. Doch da packte ihn die furchtbare Frau mit ihren klauenartigen Händen im Nacken und hielt ihm Mund und Nase zu. Sofort hatte er 114
das Gefühl, zu ersticken. Er schlug verzweifelt um sich, aber so wie im Traum, schlug er auch diesmal durch die körperlose Erscheinung. Keuchend zerrte sie ihn aus dem Bett, schleppte ihn aus dem Zimmer. Er wehrte sich wie einer, der weiß, daß er hingerichtet werden soll. Er stemmte sich verzweifelt gegen den Türrahmen. Sheila zer‐ rte ihn mit gnadenloser Härte weiter. Er war zu schwach, um sich ihr zu widersetzen. Und obwohl er keinen Atemzug mehr tun konnte, wehrte er sich bis zuletzt. Ein Poltern – dumpf, hart, unheimlich. Liz Crowley schrak in ihrem Bett hoch. Glenn Ahearn schlief neben ihr wie ein Murmeltier. Nach dem Poltern war ein leises Quietschen zu hören, dicht vor der Tür. Liz warf einen Blick auf Glenn. Sollte sie ihn wecken? Er hätte sie bestimmt ange‐ schnauzt. Sie legte sich also wieder hin, versuchte das Poltern zu vergessen, versuchte weiterzuschla‐ fen. Aber das regelmäßige Quietschen hinderte sie daran. Mehrmals warf sie sich im Bett hin und her. Schließlich setzte sie sich seufzend auf und fragte sich, wodurch das Poltern hervorgerufen worden war.
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Und zu diesem Quietschen fiel ihr der Vergleich eines nicht geölten Pendels ein – hin, her. Hin, her. War das nicht doch ein Grund, Glenn zu wecken? Liz schlug die Decke zurück. Ihre nackten Füße suchten tastend die Pantoffel. Dann erhob sie sich. Obwohl sie an Sheila Barrshee dachte, brachte sie die Hexe mit diesen Lauten nicht in Zusammen‐ hang. Irgend etwas in ihr flüsterte ihr zu, daß sie keine Angst zu haben brauche, es würde ihr nichts geschehen. Und sie hatte keine Angst. Bei jedem Schritt, den sie tat, wogte ihr üppiger Busen unter dem durchsichtigen Nachthemd. Sie erreichte die Tür, ohne ein Geräusch verursacht zu haben, legte ein Ohr an das Holz. Aber es genügte ihr nicht, bloß zu horchen. Es drängte Liz aus dem Zimmer. Behutsam tastete sie nach der Klinke, drückte sie zögernd nach unten. Gespannt schob sie die rosige Zungenspitze zwischen die Zähne. Dann zog sie die Tür sachte auf und glitt nach draußen. Im ganzen Turm herrschte eine dumpfe Stille. Nur das geisterhafte Quietschen war zu hören. Liz machte ein paar Schritte darauf zu. Sie stieß gegen einen umgekippten Stuhl, bückte sich, hob ihn auf und stellte ihn beiseite. 116
Dann prallte sie gegen einen Körper. Entsetzt wich sie davor zurück. Ihr Blick wanderte hoch. Am Lüsterhaken hing ein Mann, einen di‐ cken Strick um den Hals. Er baumelte hin und her. Und dieses Baumeln rief das geisterhafte Quiet‐ schen hervor. Der Mann war Ronald Sirk. Ronald Sirk, den Liz Crowley schon einmal tot ge‐ sehen hatte. Nun war er es wieder, diesmal aber wirklich. Als Liz das begriff, riß sie den Mund auf und schrie, so laut sie konnte.
Der zweite Tag. Inspektor John Moorehead war mittelgroß, doch seine kerzengerade, kommißhafte Haltung ließ ihn größer erscheinen. Das graue Haar war kurz ge‐ schnitten, sein Gesicht streng und schmal. Die Au‐ gen spiegelten Intelligenz und Hartnäckigkeit wi‐ der. Sie kannten ihn alle von früher und wußten, wie unangenehm er sein konnte. Auch er konnte sich noch sehr gut an sie und an ihre Streiche erin‐ nern. Zehn Jahre waren für Moorehead keine allzu 117
lange Zeit. Er merkte sich viele Dinge über weit größere Zeitspannen hinweg. Ronald Sirks Leichnam war inzwischen zum Fest‐ land gebracht worden. Amory Power hatte noch in der Nacht alles versucht, Sirks Leben zu retten – ohne Erfolg. Im Morgengrauen war Power zum Dorf hinübergefahren, um den Selbstmord zu melden. Er war mit einigen Polizeibeamten zum Leuchtturm zurückgekommen. Die Stimmung war denkbar schlecht. Man rauchte zuviel. Keiner hatte Appetit. Außer Herb Lebanon, dem Leichen nichts ausmachten, hatte niemand ein Frühstück zu sich genommen. Moorehead hatte alle in ihren Zimmer geschickt. Und dann begann er, einen nach dem anderen in den Salon zu bitten. Gerade war Pat Stanwyck dran. »Pat Stanwyck«, sagte der Inspektor und wackelte mit dem Kopf. »Wissen Sie, daß viele Menschen in unserem Dorf verdammt stolz auf Sie sind?« »Warum denn das?« »Weil Sie Sprecher in der BBC sind. Das macht auf die Leute natürlich mächtig Eindruck. Sie kennen sie ja, es sind einfältige Gemüter. Wenn jemand
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aus ihrem Dorf auf dem Bildschirm erscheint, im‐ poniert ihnen das. Geht es Ihnen gut in London?« »Ich kann nicht klagen, Inspektor.« »Warum haben Sie unser Dorf verlassen?« »Ich sah kein berufliches Vorwärtskommen.« Moorehead nickte seufzend. »Ach ja. Die jungen Leute sind alle ehrgeizig.« »Ist nur natürlich.« »Ich habe darüber andere Ansichten.« »Welche?« »Auch ein Dorf wie das unsere braucht Nach‐ wuchs, sonst sterben eines Tages die alten Men‐ schen weg und das Dorf hört auf zu bestehen. Stel‐ len Sie sich mal vor, alle jungen Leute würden weggehen .. .« »Einige bleiben.« »Ja. Aber die meisten suchen die leichtere Arbeit in der Großstadt. Sie suchen das Vergnügen, die Flittchen. Was weiß ich, was noch alles.« Pat Stanwyck zuckte die Achseln. »Das werden Sie nicht ändern, Inspektor.« »Wessen Idee war es, das Treffen hier abzuhal‐ ten?« »Amory Powers Idee.« »Fanden Sie sie gut?« 119
»Warum nicht?« »Dachten Sie nicht an Sheila Barrshee?« »Doch.« »Und trotzdem kamen Sie hierher.« »Ich sah keinen Grund, der Einladung meines Freundes nicht Folge zu leisten. Wir haben uns seit zehn Jahren nicht mehr gesehen. Mir wäre jeder Ort recht gewesen, ein Wiedersehen mit ihm und den anderen zu feiern. « »Welchen Eindruck machte Ronald Sirk auf Sie?« erkundigte sich Inspektor Moorehead und streifte die Asche von der Glut. »Denselben wir vor zehn Jahren – ein bißchen ängstlich und reserviert in allen Lebenslagen, aber immer noch sehr sympathisch.« »Hatten Sie das Gefühl, er wäre hierhergekom‐ men, um sich da das Leben zu nehmen? « »Auf keinen Fall.« »War er verheiratet?« »Nein.« »Verlobt?« »Auch nicht, soviel ich weiß.« »Er war Vizedirektor einer großen Londoner Ver‐ sicherungsgesellschaft. « »Ja, das stimmt. « 120
»Guter Posten?« »Ich denke schon«, erwiderte Pat Stanwyck. »Hat er Ihnen gegenüber von irgendwelchen Schwierigkeiten gesprochen, mit denen er nicht fertig werden könne?« Stanwyck schüttelte den Kopf. »Ich glaube, solche Schwierigkeiten hat es nicht gegeben.« »Dann gibt es Ihrer Meinung nach also keinen Grund für diesen Selbstmord, Mr. Stanwyck?« »Vielleicht gibt es einen, ich kenne ihn jedenfalls nicht.« Moorehead lehnte sich im Sessel zurück und rauchte eine Weile schweigend. Und während die‐ ser Zeit musterte er Stanwyck ununterbrochen eingehend. »Nehmen wir mal an, es würde sich hierbei um keinen Selbstmord handeln, Mr. Stanwyck ... « Pat zuckte merklich zusammen. »Bleiben Sie ruhig!« sagte John Moorehead mit ei‐ nem freundlichen, aber auch listigen Lächeln. »Nehmen wir nur mal an, Ihr Freund wäre nicht durch Selbstmord ums Leben gekommen. Woran würden Sie dann an meiner Stelle zuerst denken?« Stanwycks Gesicht wurde hart. 121
»Was soll die Frage, Inspektor? Wenn es nicht Selbstmord gewesen wäre, müßte es Mord sein.« Moorehead nickte schnell. »Könnten Sie sich vorstellen, daß einer Ihrer Freunde .. .« »Na, hören Sie mal. . .« »Es besteht nicht der geringste Grund, aufzubrau‐ sen, Mr. Stanwyck!« fiel John Moorehead dem Fernsehsprecher scharf ins Wort. »Ich versuche mit Ihrer Hilfe lediglich eine Hypothese aufzustellen. « »Was Sie da sagen, ist lächerlich, Inspektor Moo‐ rehead«, stieß Pat Stanwyck unwillig hervor. Daraufhin schlug der Inspektor einen härteren Ton an. Die beiden prallten einige Male hart aufeinan‐ der. Ihre erregten Stimmen waren im ganzen Turm zu hören. Als das Verhör schon fast den Charakter eines handfesten Streits hatte, entließ John Moore‐ head Pat Stanwyck. Er trug ihm auf, als nächsten Fred Bennett zu ihm in den Salon zu schicken. Pat klopfte an Freds Tür. Bennett öffnete sofort. »Mensch, du hast mit ihm gestritten«, sagte der Journalist. »Bei dem sind ein paar Schrauben locker«, knurrte Stanwyck wütend. »Weißt du, was er vermutet?« 122
»Na?« »Daß Ron ermordet wurde.« »Kann es nicht wirklich so sein?« »Spinnst du auch?« fragte Stanwyck gereizt. »Ich will damit ja nicht behaupten, daß es einer von uns getan hat. Ich tippe auf Sheila Barrshee.« Stanwyck verzog das Gesicht zu einem gallbitteren Grinsen. »Sag das mal dem Inspektor, dann springt er dir mit dem Hintern ins Gesicht. Sheila Barrshee ist für ihn ein rotes Tuch.« »Verständlich, oder?« »Geh jetzt zu ihm. Wenn du ihn zu lange warten läßt, ist er gleich von Anfang an unleidlich. « Fred Bennett kam mit dem Inspektor besser aus. Er verstand es, Mooreheads Fragen stets die Spitze zu nehmen, und er vermied es, den Polizisten mit unüberlegten Antworten unnötig zu reizen. »Ich wollte, alle Ihre Freunde wären so vernünftig wie Sie, Mr. Bennett«, seufzte Moorehead zum Ab‐ schluß des Verhörs. Dann ging er die Reihe weiter. Er kam zu Amory Power und zu Herb Lebanon. Dann saßen Glenn Ahearn und Liz Crowley vor ihm. Er ließ sich von dem immer noch verstörten Mädchen schildern, was es wahrgenommen hatte 123
und wie es Ronald Sirk schließlich entdeckt hatte. Liz Crowley regte sich während des Erzählens sichtlich auf. Glenn Ahearn hatte seinen Arm um ihre Schultern gelegt, doch das vermochte sie nur zu einem geringen Teil zu beruhigen. Als das Mädchen mit seiner Geschichte fertig war, sagte es: »Ich habe genug von diesem unheimlichen Turm. Glenn und ich reisen heute noch ab.« Daraufhin schüttelte Inspektor Moorehead lang‐ sam den Kopf. »Ich fürchte, aus dieser Abreise wird nichts, Miß Crowley.« Liz sah den Kriminalbeamten verblüfft an. »Können Sie mir verraten, wieso nicht?« »Ich kann Sie erst nach Hause fahren lassen, wenn ich meine Ermittlungen abgeschlossen habe.« »Und wie lange dauert das noch?« »Ich werde bemüht sein, so schnell wie möglich zu einem Ergebnis zu gelangen«, erwiderte der In‐ spektor, ohne sich auf eine genaue Zeit festzule‐ gen. Liz war nahe daran, Moorehead die Augen aus‐ zukratzen. Ahearn schob sie hastig fort. Dann kamen Anthony Craig und Joan McMurray an die Reihe. Tony wußte, daß Inspektor Moore‐ head ihn nicht mehr mochte. Das war schon vor 124
zehn Jahren so gewesen. Moorehead hatte eine An‐ tipathie gegen Tony Craig, ohne daß es dafür einen triftigen Grund gegeben hätte. Als Tony in den Salon trat, knisterte die Luft. Er setzte sich, nachdem Joan Platz genommen hatte. Der Inspektor starrte ihn eine Weile unverwandt an. Tony spürte sofort wieder die tiefe Ablehnung. Moorehead notierte sich Joans und Tonys Persona‐ lien. »So so«, begann er dann überheblich, »Privatdetek‐ tiv sind Sie also geworden. Nun ja, manche Men‐ schen können den rechten Weg einfach nicht fin‐ den.« »Sind Sie der Meinung, der rechte Weg für alle Menschen wäre es, Polizeiinspektor zu werden?« gab Tony mit einem anzüglichen Grinsen zurück. »Ich bitte Sie, künftighin solche Bemerkungen zu unterlassen. « »Aber gern. Wenn Sie sich in Ihren Äußerungen ebenfalls mäßigen, Inspektor Moorehead.« »Was ist das für ein Ton, Mr. Craig?« brauste John Moorehead entrüstet auf. »Sie kennen doch das Sprichwort: Wie man in den Wald hineinruft, so hallt es heraus.« »Ich warne Sie, Craig! « 125
»Sie wollten Miß McMurray und mich zum Selbstmord meines Freundes Ronald Sirk ein paar Fragen stellen, Sir! « fiel Tony dem Inspektor kalt‐ schnäuzig ins Wort. Moorehead wurde bleich. Er kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und schnaubte. »Sie kommen sich wohl verdammt klug vor, was, Craig? Ich habe dreimal soviel Berufserfahrung wie Sie ... « Sehr unterkühlt erwiderte Tony: »Lassen Sie uns von Ronald Sirk sprechen, Sir. « »Okay«, knurrte der Inspektor. »Sprechen wir von Ronald Sirk. « Moorehead stellte Joan und Tony in etwa diesel‐ ben Fragen, mit denen er bereits Stanwyck, Ben‐ nett, Power und Ahearn konfrontiert hatte. Aus freien Stücken erzählten Joan und Tony dann von Sirks Alptraum, der in einer makabren Leichen‐ prozession gegipfelt hatte. Er war immer ein Mut‐ tersöhnchen, nicht wahr?« fragte Moorehead, als Tony geendet hatte. »Er war nicht sehr selbstsicher.« »Wo wohnte er?« »Im Haus seiner Eltern.« »Ungewöhnlich.« 126
»Er war nicht verheiratet.« »Auch ungewöhnlich. Immerhin war er bereits achtundzwanzig.« »Sind Sie verheiratet, Inspektor?« »Was soll die Frage, Craig? Das gehört doch über‐ haupt nicht hierher!« »Soviel mir bekannt ist, sind Sie auch nicht verhei‐ ratet«, sagte Tony ungerührt. »Und Sie sind schon fünfzig!« »Sagen Sie mal, was geht Sie das denn an?« »Sie finden es ungewöhnlich, wenn ein Mann mit Achtundzwanzig noch ledig ist, Sir. Ich finde es weit ungewöhnlicher, wenn ein Mann mit Fünfzig noch nicht unter der Haube ist.« Moorehead war nahe daran, vor Wut zu zersprin‐ gen. »Verdammt, Craig! « fauchte er. »Sie sind in diesen zehn Jahren noch bissiger geworden. « Tony schenkte sich die vielen Bosheiten, die er noch auf der Zunge liegen hatte. Er war bestrebt, die Unterhaltung so kurz wie möglich zu halten. Es war ihm nicht möglich, den Inspektor allzu lan‐ ge zu ertragen. »Ich verstehe Ihre Arbeitsweise nicht, Inspektor Moorehead«, sagte er sachlich. 127
»So«, brummte der Kriminalist, »verstehen Sie nicht.« »Nein, Sir.« »Und was kommt Ihnen daran so spanisch vor?« »Ihre vielen Fragen an mich und meine Freunde.« Moorehead fletschte die Zähne. »Junger Mann, heute nacht hat in diesem Leuch‐ tturm ein Mensch sein Leben auf unnatürliche Weise verloren. Ich denke, da sollten Sie gegen ein polizeiliches Verhör nichts einzuwenden haben. Wer eine reine Weste hat... « »Meine Freunde sind keine Mörder, Sir!« unterb‐ rach Tony schneidend. »Ich lege für jeden einzel‐ nen meine Hand ins Feuer. « »Auch für Herb Lebanon?« »Natürlich.« »Power hat angedeutet, daß Ronald Sirk nicht freiwillig aus dem Leben geschieden ist.« »Das ist auch meine Meinung«, bestätigte Tony. »Tippen Sie auch auf Sheila Barrshee?« fragte der Inspektor nun spöttisch. »Was dagegen?« entgegnete Tony und reckte keck sein Kinn vor. John Moorehead grinste bösartig.
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»Mein lieber Mr. Craig, ich finde es sehr einfältig, die ganze Angelegenheit diesem Spuk in die Schu‐ he schieben zu wollen. « Tony kniff die Augen zusammen. »Und ich finde es noch viel einfältiger, Sheila Barr‐ shee einfach wegleugnen zu wollen, Sir!« * Als Inspektor John Moorehead zum Dorf zurück‐ fuhr, war eines klar: niemand durfte den Leuch‐ tturm ohne Mooreheads ausdrückliche Genehmi‐ gung verlassen. Liz Crowley und Glenn Ahearn blieben in ihrem Zimmer. Fred Bennett saß mit Powers, Joan McMurray und Anthony Craig im Salon. Pat Stanwyck war irgendwo draußen. Herb Lebanon lief wie ein gereizter Tiger auf und ab. Er trank sehr viel, aber er wurde davon nicht betrun‐ ken. Amory Power blickte in die Runde und zuckte dann bedauernd die Achseln. »Eigentlich habe ich mir unser Wiedersehen an‐ ders vorgestellt – ohne einen Toten, ohne die Poli‐ zei.« Bennett klemmte die Hände zwischen seine Beine. Die feuchten Handflächen lagen aufeinander.
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»Amory, du bist doch Parapsychologe. Warum un‐ ternimmst du nichts gegen Sheila Barrshee?« Der Professor lächelte schwach. »Mir sind die Hände gebunden, Fred.« »Du sagtest, du würdest ihr diesen Turm abrin‐ gen.« »Das werde ich!« antwortete Powers entschlossen. »Wie denn, wenn dir die Hände gebunden sind?« »Es gibt natürlich einige Tricks, mit denen man ei‐ nem solchen Spuk unter Umständen beikommen kann. Ich habe zum Beispiel einige Fallen aufges‐ tellt. Wenn Sheila Barrshee da hineingerät, ist sie verloren. Aber sie ist verdammt schlau, sie umgeht diese Fallen.« »Was sind das für Fallen?« fragte Fred Bennett lauernd. Power zuckte die Achseln. »Du wirst darüber vielleicht lächeln . . .« »Mir ist das Lächeln eigentlich gründlich vergan‐ gen, Amory, allen anderen auch. « »Es gibt verschiedene Zaubermittel, gegen die ein Geist nichts auszurichten vermag«, warf der Pro‐ fessor ein. »Drudenfuß, Amuletts, Zauberkreise und solche Dinge?« wollte Bennett wissen. 130
»In etwa.« Der Parapsychologe nickte. »Ich habe alle meine Fallen ausgelegt. Mehr kann ich im Moment nicht gegen Sheila Barrshee unterneh‐ men.« »Wenn du sagst im Moment dann schließt das nicht aus, daß du zu einem späteren Zeitpunkt mehr gegen den Spuk ausrichten kannst?« fragte Bennett, der gewöhnt war, auch zwischen den Sil‐ ben zu hören. »Das ist richtig, Fred. Ich werde schon sehr bald wesentlich mehr gegen sie unternehmen können. Vielleicht kann ich sie dann sogar vernichten. Ich hoffe es jedenfalls. « Herb Lebanon kam mit glasigen Augen auf die Gruppe zu. »Wann werdet ihr endlich aufhören, dämliche Re‐ den zu schwingen, he? Wann werdet ihr endlich einsehen, daß wir nur noch kurze Zeit zu leben haben? Es wird uns allen an den Kragen gehen. Al‐ len, die hier in diesem Leuchtturm den Frevel be‐ gangen haben, Sheila Barrshees Ruhe zu stören. Sie wird sich einen nach dem anderen holen. Mit Ro‐ nald Sirk hat sie angefangen. Aber sie wird sich mit diesem einen Toten nicht zufriedengeben und keinen von uns verschonen. So sieht die Wahrheit 131
aus, meine Herrschaften. Je eher ihr euch damit ab‐ findet, um so besser.« Joan McMurray schüttelte sich. »Halts Maul, Herb!« fauchte Tony Craig. Lebanon grinste. »Angst, daß dein Mädchen einen hysterischen An‐ fall kriegt, Tony?« »Halts Maul, oder ich schlage dir die Zähne ein! « Lebanon pflanzte sich breitbeinig vor dem Detek‐ tiv auf, zog die Mundwinkel verächtlich nach un‐ ten und plärrte: »Hör mal, ich lasse mir doch von einem Scheißer wie dir nicht das Wort verbieten. « Craig schnellte hoch. »Laß ihn, Tony!« schrie Joan erschrocken auf. »Er ist betrunken. « Aber da war Craigs Faust schon unterwegs. Es knirschte furchtbar, als sie traf. Lebanon sauste zu‐ rück und schlug wie ein gefällter Baum auf den Rücken. Nun sprangen auch Power und Bennett auf und hielten Craig zurück. Lebanon regte sich erst nach zwei Sekunden wieder. Er kam wut‐ schnaubend auf die Beine. Power und Bennett drängten ihn ab. » Geh ein bißchen an die frische Luft, Herb ! « riet ihm der Parapsychologe. »Sie wird dir guttun.« 132
»Er hat mich geschlagen!« schrie Lebanon zornig. »Du hast ihn provoziert, Herb«, erinnerte Power. » Na klar, du stehst auf seiner Seite. Ich bin ja immer allein gewesen. Ihr wart stets alle auf Craigs Seite.« Er wischte sich das Blut von den Lippen und warf Craig einen haßerfüllten Blick zu. »Das kriegst du zurück, Tony. Verdammt, das zahle ich dir heim. Niemand darf mich ungestraft verdreschen. « »Schnapp frische Luft, Herb!« sagte Power. Er öff‐ nete die Tür. Pat Stanwyck kam herein. Bennett und der Professor drängten den häßlichen Lei‐ chenbestatter mit sanfter Gewalt aus dem Turm und schlossen hinter ihm die Tür. »Ihr kotzt mich an wie Affenscheiße!« brüllte Le‐ banon vor der Tür. Aber er blieb draußen. Sie hör‐ ten ihn weggehen. An diesem Tag gab es keine Sonne am Himmel. Die Luft war kalt und trübe. Es sah nach Regen aus. Herb Lebanon entfernte sich mit unsicheren Schrit‐ ten von der Eingangstür des Leuchtturms. Da, wo einst der Geräteschuppen gestanden hatte, ging er in die Hocke. Er murrte, schimpfte und maulte. Er ließ kein gutes Haar an seinen Freunden und be‐ tonte immer wieder, daß er längst bereut hatte, 133
hierher gekommen zu sein. Nach einer Weile be‐ ruhigte er sich. Die kühle Luft aktivierte den Alko‐ hol in seinem Blut noch mehr. Lebanon fühlte sich mit einemmal wesentlich betrunkener. Das ärgerte ihn zwar, aber er konnte nichts dagegen tun. Ein hellgrauer Schleier legte sich über Lebanons Augen. Sein Blick wurde trüber. Er sah seine Um‐ gebung nur noch verschwommen und spürte, wie ihn eine unsichtbare Faust zwang, in der Hocke zu bleiben, obwohl er sich gern erhoben hätte. Herb Lebanon starrte auf das tiefe Wasser, in dem Sheila Barrshee vor siebenundsiebzig Jahren er‐ trunken war. Es fiel ihm auf, daß sich das Meer allmählich rot färbte. Die Farbe nahm an Leuchtkraft zu, wurde blutrot. Herb Lebanons Geist registrierte das zwar, aber der Leichenbestatter reagierte in keiner Weise auf dieses Phänomen. Er stierte nur vor sich hin. Erst als das Wasser zu brodeln anfing, erschrak er ein wenig. Erneut versuchte er hochzukommen, doch die unsichtbare Faust war immer noch da. Sie ließ es nicht zu, daß er sich erhob. So blieb er wei‐ ter in der Hocke und verfolgte mit groß aufgeris‐ senen Augen und weit aufklaffendem Mund das
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seltsame Schauspiel, das Sheila Barrshee ihm in diesem Moment bot. Dämpfe stiegen aus den kochenden Fluten auf. Sie schwebten über dem Wasser, formten sich zu einer großen Kugel, in deren Mitte sich eine steinalte, schwarz gekleidete Frau befand. Sie schaute ihn mit einem bösen Funkeln in den Augen an. Ihr Blick schleuderte ihm einen abgrundtiefen Haß entgegen. Lebanon bekam Angst und überwand den Druck der unsichtbaren Faust. Keuchend schnellte er hoch. Die geisterhafte Dampfkugel schwebte ganz lang‐ sam auf ihn zu. Für den Bestattungsunternehmer versank in diesem Moment ringsherum die Welt. Er sah nur noch die unheimliche Kugel, in deren Mitte sich Sheila Barrshee befand. Die Kugel kam immer näher. Sie war doppelt so hoch, wie Lebanon groß war. Jetzt holt sie mich, dachte der Leichenbestatter voll Furcht. Eine ungeheure hypnotische Kraft ging von den flackernden Augen der Alten aus. Lebanon war nicht in der Lage, sich ihrem Einfluß zu entziehen. Er schloß die Augen, aber er sah die schwarze Frau trotzdem. Er drehte sich keuchend von ihr ab, 135
doch sie war einfach überall, wohin er sich auch wandte. Sie hing in dieser bedrohlichen Kugel und kicher‐ te, daß dem kahlhäuptigen Mann angst und bange wurde. Schweiß tränkte seine Kleider. Seine Beine zitterten. Er atmete ungemein schnell, und sein Mund war total ausgetrocknet. Nun war die Kugel nur noch wenige Zentimeter von ihm entfernt. Lebanon wich schlotternd davor zurück. Das Mienenspiel der grauenerregenden Alten machte ihn halb verrückt. Er wankte nach hinten. Die Kugel folgte ihm. Die Schwaden waren ständig in Bewegung. Und doch war Sheila Barr‐ shee deutlich zu sehen. »Geh zurück!« röchelte Lebanon verzweifelt. »Zu‐ rück ins Meer mit dir, du verdammte Kanaille! Was hast du hier zu suchen?« »Ich will dich haben, Herb Lebanon! « kicherte die Frau. Und der Leichenbestatter bekam eine Gänse‐ haut. »Hau ab! Verschwinde, Sheila! Hol dir jemand an‐ ders! Laß mich in Ruhe! « »Ich will dich, Herb, dich und keinen anderen!« ki‐ cherte die schreckliche Frau.
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Lebanon stieß mit dem Rücken gegen die Mauer des Leuchtturms. Er begriff sogleich, daß er nun nicht mehr weiter vor dieser riesigen Kugel zu‐ rückweichen konnte, und erstarrte vor Schreck. »Komm, Herb!« krächzte die widerwärtige Alte. »Komm! Du bist der Häßlichste von allen. Du und ich—wir beide sind keine Schönheiten, Herb!« rief sie schrill. »Deshalb möchte ich, daß du mich in deine Arme nimmst. Komm, Herb! Machen wir zusammen das häßlichste Kind, das die Welt je ge‐ sehen hat! « »Hau ab! Du bist zum Kotzen! Hau ab, du ver‐ dammte Vettel!« Die schwarze Frau lachte kreischend auf. »Denkst du, ich bin zu alt für dich? Denkst du, ich kann dir kein Kind mehr schenken? Ich kann alles. Es gibt nichts, was Sheila Barrshee nicht kann, mein Liebling. Komm, Herb Lebanon! « »Du widerst mich an! « brüllte Lebanon. Da glitt die Kugel noch näher an ihn heran. Sobald sie ihn berührte, zerplatzte sie wie eine riesige Sei‐ fenblase. Mit einemmal war er klatschnaß. Leba‐ non fühlte sich in einen mörderischen Strudel ge‐ zogen, und als er zu schreien anfing, stürzte ihm ein gewaltiger Wasserschwall in den weit aufgeris‐ 137
senen Mund. Er hustete und spuckte. Seine Schreie erstarben in einem grauenvollen Gurgeln. Der Lei‐ chenbestatter schlug verzweifelt um sich, fühlte aber, daß Sheila Barrshee ihr Ziel erreichen würde, einfach deshalb, weil sie wesentlich mehr Kräfte hatte als er. »Er ist der Meinung, keiner mag ihn«, sagte Amo‐ ry Power über den Leichenbestatter. »Vielleicht hat er nicht so ganz unrecht. Ich erinnere mich, er war für uns stets mehr oder weniger bloß ein lästiges Anhängsel. Wir nahmen ihn zwar überall hin mit, aber bloß deshalb, um ihn necken zu können, um ihn vor den Mädchen bloßzustellen. Ich glaube, wir haben sehr viel in ihm kaputtgemacht – da‐ mals.« »Jungs sind nun mal grausam«, bemerkte Fred Bennett mit einem knappen Achselzucken. »Das wirst du nicht ändern, Amory. Wenn einer schielt, oder wenn einer ’ne verkrüppelte Hand hat, dann werden sich die andern darüber lustig machen. Das ist auf der ganzen Welt so.« »Ja«, seufzte Amory Power. »Leider. Heute aber sind wir nicht mehr die dummen Jungs von da‐ mals. Ich finde, wir sollten mit Herb ein bißchen mehr Geduld haben. Ich gebe gern zu, er ist ziem‐ 138
lich schwierig, doch er kann einfach nicht aus sei‐ ner Haut raus. Wenn wir ihm ein wenig entgegen‐ kommen, wird es mit ihm bestimmt besser wer‐ den.« Plötzlich ließ die Anwesenden ein gurgelnder Schrei hochfahren. Glenn Ahearn und Liz Crowley kamen aus ihrem Zimmer gestürmt. »Habt ihr das gehört?« rief Ahearn verstört. »Mein Gott, wer schreit so entsetzlich?« fragte Liz Crowley mit zittriger Stimme. »Herb! « stieß Tony Craig aufgeregt hervor. »Da draußen hat anscheinend schon wieder Sheila Barrshee eine verfluchte Schweinerei vor.« Sie hasteten alle aus dem Leuchtturm. Was sie sahen, nahm ihnen den Atem. Lebanon lag auf dem Wasser, im Zentrum eines blutroten Kreises. Das rote Wasser schien zu ko‐ chen. Der Leichenbestatter plärrte sich die Seele aus dem Leib, während irgend etwas immerzu versuchte, ihn in die Tiefe zu ziehen. Lebanon schlug zwar wie verrückt um sich, aber er sank von Sekunde zu Sekunde tiefer in die kochenden Fluten, immer wieder hochkommend, immer wie‐ der brüllend, nach Luft japsend. 139
Dem verzweifelten Mann schwanden sehr schnell die Kräfte. »Ins Boot!« schrie Professor Power. Er rannte los. Anthony Craig folgte ihm. Die ande‐ ren blieben wie gelähmt stehen und verfolgten dieses gräßliche Schauspiel, das einem der ihren das Leben kosten sollte. Power schnellte in das Motorboot. Er machte die Leine in dem Augenblick los, als Tony Craig mit einem weiten Satz vom Felsen absprang und bei ihm im Boot landete. Der Motor heulte auf. Der Kahn hob die Schnauze aus dem Wasser und raste los. Craig griff sich einen langen Enterhaken und war‐ tete mit vibrierenden Nerven auf seine Chance. Pfeilschnell kamen sie um die Felsnase herumge‐ schossen. Lebanon brüllte zum Gotterbarmen. Sei‐ ne Arm‐ und Beinbewegungen waren kraftloser geworden. Immer öfter mußte er unter die blutrote Oberfläche tauchen und jede Menge Wasser schlu‐ cken, das ihn zu ersticken drohte. Craig klammerte sich mit der Linken fest, mit der Rechten hielt er den Enterhaken. Sobald Power das Motorboot bei‐ drehte, beugte sich Tony weit über die Reling. Der Enterhaken schoß vor. Der gekrümmte Eisenhaken 140
verfing sich in den triefnassen Kleidern des gerade wieder auftauchenden, gurgelnde Schreie aussto‐ ßenden Leichenbestatters. Power hatte Gas zu‐ rückgenommen. Als er aber sah, daß Craig den Er‐ trinkenden am Haken hatte, als Craig schrie: »Gas! Gib Gas, Amory!«, da drehte der Professor voll auf. Sie sausten, mit Herb Lebanon am Enterhaken, aus dem roten Teufelskreis heraus. Sobald Leba‐ nons Körper den Kreis verlassen hatte, verblaßte die Farbe, und das Meer beruhigte sich wieder. Sie zerrten den völlig erschöpften Mann an Bord. Der Bestattungsunternehmer war fast am Ende seiner Kräfte. Sie mußten ihn später, als das Motorboot wieder an seinem Anlegeplatz vertäut war, zum Leuch‐ tturm hinauftragen. In seinem Zimmer entkleideten sie ihn. Lebanon bekam es nicht mal mit. Hin und wieder schrie er im Fieberwahn entsetzt auf, weil er dachte, es gin‐ ge ihm immer noch ans Leben. Sie frottierten ihn ab, zogen ihm seinen Pyjama an, steckten ihn ins Bett. Power brachte ihm heißen Tee und zwei Schlaftabletten. Damit setzte er Le‐ banons angegriffene Nerven schachmatt. Der Lei‐
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chenbestatter schlief schon nach fünfzehn Minuten beruhigend tief. Der Parapsychologe blickte auf das häßliche Ge‐ sicht des Freundes herab. »Armer Kerl«, sagte er kopfschüttelnd. »Ich habe Mitleid mit ihm. « Tony nickte. »Ich auch«, sagte er. Dann ließen sie Lebanon al‐ lein. Liz Crowley stampfte wütend mit dem Fuß auf. Sie hatte getrunken. Ihre Augen funkelten gereizt. Ihre Wangen wiesen kleine graue Flecken auf. Sie befand sich mit Glenn Ahearn in ihrem Zimmer. »Es ist mir piepegal, was Inspektor Moorehead ge‐ sagt hat, Glenn!« zischte sie mit gedämpfter Stim‐ me, weil sie nicht wollte, daß die anderen hörten, was sie sagte. »Er kann von uns nicht verlangen, daß wir hierbleiben, nicht in diesem Leuchtturm. Meinetwegen bleibe ich im Dorf, wenn es unbe‐ dingt sein muß. Ich bin doch nicht lebensmüde. Diese verfluchte Hexe holt sich einen nach dem andern, Glenn. Wir sind hier nirgendwo sicher vor ihr.« Glenn Ahearn lachte gallenbitter. »Du bist dumm, Baby, strohdumm.« 142
»Tu nicht so, als wärest du gar so gescheit. Wenn du nämlich klüger gewesen wärst, dann säßen wir hier nicht fest.« »Denkst du, drüben im Dorf wärest du vor Sheila Barrshee sicher? Glaubst du das im Ernst? Für sie ist es kein Unterschied, ob sie dich dort angreift oder hier. « »Wir hätten gar nicht hierherkommen sollen.« »Das ist ein anderer Kaffee. Nun sind wir aber mal da. Daran ist nichts mehr zu ändern. Wir sind da und haben damit Sheilas Unmut erregt.« »Glenn!« sagte das Mädchen eindringlich. Es trat vor Ahearn hin und legte die Arme um seinen Na‐ cken. Ihr Gesicht war nun ganz dicht vor seinem. Er konnte ihren Whiskyatem riechen. »Glenn«, sagte sie noch einmal, »dort unten ist ein Boot. Wir könnten es nehmen und zum Festland hinüberfah‐ ren. « »Es ist Amorys Boot.« »Na, wenn schon. Er hat doch sowieso nicht die Absicht, diesen Felsen hier zu verlassen. « »Wir dürfen ihm sein Boot nicht nehmen.« »Verdammt, wer fragt danach, was wir dürfen und was nicht, Glenn?« wetterte Liz. »Ich habe schreck‐ liche Angst hier. Ich halte es vor Furcht kaum noch 143
aus. Ich muß weg. Denkst du, da nehme ich noch auf jemanden Rücksicht?« Ahearn verzog das Gesicht, als hätte er Essig ge‐ trunken. »Du hast einen scheußlichen Charakter.« »Quatsch! Pfeif auf den Charakter, Glenn! Ich sage dir, wir sind verloren, wenn wir hierbleiben. Ich weiß nicht, wie’s geht, aber ich fühle mich noch zu jung zum Sterben. Wenn du nicht mit mir nach drüben fährst, dann fahre ich eben alleine. « Der Fernsehautor kniff die Augen zusammen. »Das wirst du nicht tun, Liz!« fauchte er. Liz Crowley reckte ihr Kinn trotzig vor. »Wer will mich daran hindern?« »Ich!« knurrte Ahearn. Er packte sie so hart am Arm, daß ihr die Tränen in die Augen stiegen. Sie hatte ihn noch nie so grimmig gesehen. Mit ei‐ nemmal hatte sie auch vor ihm Angst. * Die Gruppe war zerfallen. Amory Power und Anthony Craig standen drau‐ ßen vor dem Turm und rauchten schweigend. Der Wind riß ihnen den Rauch, der aus ihren Lungen kam, sofort von den Lippen und zerfaserte ihn schon nach kurzem Flug. Der Professor war nie‐ 144
dergeschlagen. Er hatte damit gerechnet, daß Shei‐ la Barrshee das Freundestreffen nicht so einfach hinnehmen würde. Aber daß sie sich derart furchtbar gebärden würde, das hatte er nicht er‐ wartet. Für ihn stand fest, daß sie Ronald Sirk um‐ gebracht hatte. Power vermutete, daß sie seinen Geist verwirrt hatte, daß sie ihm den Wunsch ins Gehirn verpflanzt hatte, er wolle aus dem Leben scheiden. Und dann hatte sie ihm den Stuhl hin‐ gestellt, ihm den Strick gegeben, alles für ihn ge‐ tan, um ihm den Selbstmord so leicht wie möglich zu machen. Es war trotz allem aber Mord gewesen. In diesem Punkt hatte Inspektor Moorehead völlig recht. Doch nicht genug mit diesem einen Toten, hatte sie sich nun auch Herb Lebanon holen wol‐ len. »Sie hat alles kaputtgemacht«, stieß Power verbit‐ tert hervor. »Möchtest du wissen, was ich denke, Amory?« fragte Craig, der Detektiv. »Nun?« »Wir sollten das Feld räumen.« Power sah den Freund verblüfft an. »Das hört sich befremdend an aus deinem Mund, Tony.« 145
Craig schmunzelte schwach. »Der Vorschlag kommt mir auch nicht aus dem Herzen, Amory. Aber meine Vernunft gebietet mir, mit dir so darüber zu reden. « Der Parapsychologe schüttelte energisch den Kopf. Er sah aus wie ein trotziger Junge. »Nein, Tony. Ich weiche keinen Millimeter vor die‐ ser Bestie zurück. Ich habe diesen Turm gekauft, weil ich hier leben und diesen Leuchtturm zu mei‐ nem Heim machen will. Und ich werde diesem verdammten Spuk ein Ende bereiten, wodurch ich gleichzeitig unser armseliges Dorf endgültig von Sheila Barrshees Tyrannei befreien würde. Die Menschen haben genug gelitten. Hast du ihre Ge‐ sichter gesehen? Sie haben Angst. Sie leben seit vielen Jahren mit dieser gräßlichen Angst. Und je‐ der, der kann, verläßt das Dorf. Eines Tages würde es verfallen. Aber diesen Triumph will ich Sheila nicht gönnen. Ich werde sie in die Hölle schicken und – verflucht, Tony – ich glaube, ich werde es schaffen. Glaube mir, Tony, es wäre völlig falsch, jetzt aufzugeben. Sheila Barrshee würde daraufhin unerträglich werden. Sie würde ihre schrecklichen Teufeleien noch viel weiter treiben, wenn sie über uns erst mal gesiegt hätte. Dieser Sieg würde ihr 146
zu Kopf steigen. Wir beide, Tony – du und ich ‐, wir haben genug Mut, um ihr zu trotzen. All die Jahre hatte sie es mit keinem so gefährlichen Ge‐ gner zu tun, wie wir es sind. Wenn wir sie nicht unterkriegen, dann schafft das keiner mehr, dann bersten die letzten Schranken dieser gottverfluch‐ ten Hexe. Und was danach kommt, daran wage ich nicht zu denken.« Craig schnippte seine Zigarette fort. Augenblicke später tat Power dasselbe mit seiner Kippe. »Außerdem würde sie uns vermutlich jetzt gar nicht mehr von diesem Felsen runterlassen«, fügte der Parapsychologe hinzu. Craig musterte ihn eindringlich. »Nun mal ganz ehrlich, Amory. Wir sind hier draußen allein, keiner hört uns. Und ich bin hart genug, um jede Wahrheit ertragen zu können . . .« »Was willst du wissen, Tony?« »Wie stehen unsere Chancen?« »Hältst du mich für einen Selbstmörder?« fragte der Professor mit einem schwachen Lächeln. Craig schüttelte den Kopf. »Nein. Aber ich verstehe deine Frage nicht.«
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»Denkst du, ich würde hierbleiben, wenn ich mir keine Chancen ausrechnen könnte? Glaubst du, ich würde mein Leben nur so aus reiner Abenteuerlust aufs Spiel setzen?« »Nein, Amory. Ich halte dich für einen seriösen Mann, der genau weiß, was er tut.« Power nickte dankend. »Ich bin davon überzeugt, daß ich sie in die Knie zwingen werde. « »Womit willst du dein Ziel erreichen? Hast du ir‐ gendeinen Trumpf im Ärmel?« »Genau, Tony. Ich verfüge über einen Trumpf«, antwortete Amory Power mit einem leidenschaftli‐ chen Glitzern in den Augen. »Warum hast du diesen Trumpf noch nicht aus‐ gespielt, Amory?« fragte Craig verwundert. »War‐ um hast du zugelassen, daß Sheila Barrshee sich an Ron Sirk vergriff?« »Ich hatte noch nicht die Möglichkeit, zuzuschla‐ gen.« »Das verstehe ich nicht. Ein Trumpf ist ein Trumpf.« »Ja, Tony. In dem Punkt hast du recht. Aber du vergißt, daß eine Hexe eine Hexe ist.« »Da komme ich nicht mit.«
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»Ich muß auf die nächste Vollmondnacht warten, erst dann kann ich zum vernichtenden Schlag aus‐ holen. « »Und wann ist diese Nacht?« »Morgen.« »Was ist das für ein Trumpf, Amory?« Der Parapsychologe sah den Freund überlegend an. Schließlich nickte er, griff nach Craigs Arm und sagte: »Komm mal mit, Tony! Ich werde dir meine Wunderwaffe zeigen. « Sie kehrten in den Leuchtturm zurück. Pat Stan‐ wyck kam gerade aus Lebanons Zimmer. »Alles okay mit Herb?« fragte Craig. »Er schläft tief. Das wird ihn wieder auf die Beine bringen. « Bennett goß sich einen Wodka ein. Power wechsel‐ te einige Worte mit ihm, dann ging er mit Craig aus dem Salon und führte den Detektiv in einen schmalen Raum. »Schließe die Tür hinter dir, Tony!« verlangte er mit gedämpfter Stimme. Der Detektiv folgte der Aufforderung, Powers machte Licht. »Warum so geheimnisvoll?« fragte Craig. Und plötzlich blieb ihm die Luft weg. Seine Augen wei‐ 149
teten sich. Er stieß einen überraschten Laut aus. Sein verblüffter Blick ruhte auf – Sheila Barrshee! Es war ein Gemälde in Öl, lebensgroß und so echt, daß man meinen konnte, die Schauergestalt könnte sich jeden Moment von der Leinwand lösen und auf die Freunde zukommen. Dem Künstler war es gelungen, die ganze Scheußlichkeit von Sheila Barrshee in diesem bedrückenden Porträt einzu‐ fangen. »Das ist sie, wie sie leibt und lebt, Amory«, sagte Craig zutiefst beeindruckt. »Jede Runzel stimmt. Sogar das grauenvolle Leuchten in ihren Augen ist da. Woher hast du dieses Bild?« »Ich habe es von einem Maler nach meinen Anga‐ ben anfertigen lassen«, antwortete der Parapsycho‐ loge. »Er hat viele Monate daran gearbeitet, bis es so war, wie ich es haben wollte. Ich mußte eine Doppelgängerin von Sheila Barrshee haben. Ein Spiegelbild von ihr, verstehst du?« »Nein«, gab Craig ehrlich zu. »Es heißt, wenn jemand ein naturgetreues Bildnis von einem Geist besitzt, dann kann er diesen Geist vernichten. « »Wie?« fragte Craig aufgeregt.
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»Indem man das Ebenbild zerstört«, antwortete der Professor. Craig leckte sich nervös über die Lippen. »Mensch, warum hast du das denn noch nicht ge‐ tan? Mach dem verdammten Spuk doch ein Ende, versetze dieser verfluchten Hexe den Todesstoß!« Power schüttelte den Kopf. »Ganz so einfach, wie du dir das vorstellst, ist es leider nicht, Tony.« »Wieso nicht?« »Ich könnte dieses Gemälde jetzt verbrennen oder zerfetzen, damit würde ich gar nichts erreichen. Wo Geister und Dämonen im Spiel sind, wirken auch übernatürliche Kräfte mit. Aufgrund meines Studiums habe ich ein gewisses Rüstzeug erhalten, um im Kampf gegen solche geheimnisvolle Kräfte erfolgreich bestehen zu können. Ich weiß magische Fallen zu errichten und kenne Waffen, denen selbst Sheila Barrshee nichts entgegenzusetzen vermag. Aber mir sind in all den vielen Nächten, in denen es keinen Vollmond gibt, die Hände ge‐ bunden. Manche meiner Waffen werden nur dann wirksam, wenn der Mond voll ist und dadurch zu meinem Verbündeten wird. Erst dann bin ich in der Lage, so hart zuzuschlagen wie in keiner ande‐ 151
ren Nacht. Dieses Gemälde wurde erst vor zwei Wochen fertig. Du kannst dir nicht vorstellen, wie ich der morgigen Vollmondnacht entgegenfiebere, Tony. Denn morgen muß sich Sheila Barrshees Schicksal erfüllen. Entweder das ihre – oder das meine.« Craig horchte auf. »Du meinst, sie ist trotz allem nicht ganz chancen‐ los?« »Du darfst nicht vergessen, daß sie mit dem Teufel im Bunde ist. Wenn er ihr beisteht, kann ich unter Umständen Schiffbruch erleiden. « »Und wir alle mit dir?« »Vermutlich ja.« Amory Power nickte ernst. »Junge, das sind keine rosigen Aussichten.« »Ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel, daß ich dir gegenüber so offen rede, Tony. « »Ich bin dir dafür sogar sehr dankbar. Ich weiß gern, woran ich bin. So kann ich mich besser dar‐ auf einstellen. Hat Sheila nicht versucht, das Bild an sich zu bringen?« »Versucht hat sie’s natürlich, zum Glück ohne Er‐ folg. Es ist ihr nicht möglich, diesen Raum zu be‐ treten.« »Warum nicht?« fragte Craig. 152
Power zeigte ihm ein paar Kreidehieroglyphen über der Tür. »Die halten sie ab«, erklärte er. »Warum machst du diese Zeichen nicht über jeder Tür?« fragte der Detektiv. »Weil sie nur in diesem Raum wirken. Das hängt von der Lage des Raumes ab, von seiner Größe, der Einstrahlung des Mondes und dergleichen mehr. « Tony Craig nickte mit zusammengepreß‐ ten Lippen. »Also dann – morgen nacht! « »Gott gebe, daß wir es schaffen«, sagte Amory Power. Dann verließen sie den schmalen Raum. Fred Bennett war plötzlich von einer starken Mü‐ digkeit überwältigt worden. Die anderen dachten sich nichts dabei. Der Journalist hatte mehrere Wodka getrunken, und man war der Meinung, daß ihm der Alkohol zu tief in die Knochen geflos‐ sen war. Er legte sich in seinem Zimmer mit den Kleidern aufs Bett. Es war später Nachmittag. Die Zeit wurde für ihn zu einer glatten Unwichtigkeit. Er hatte keine Ahnung, wie lange er reglos auf dem Bett gelegen hatte, mit geschlossenen Augen, still vor sich hin dösend. Aber plötzlich wurde er von etwas aufgestört. Brandgeruch! 153
Bennett setzte sich benommen auf, fuhr sich über die schlaffen Züge, schüttelte den benebelten Kopf und sog die Luft prüfend ein. Er fühlte sich übel und schwindelig. Der Brandgeruch nahm zu. Ben‐ nett wurde daraufhin unruhig, sah sich im Zimmer um, entdeckte aber kein Feuer, keine Gefahr. Mög‐ licherweise brannte es draußen, vor seiner Tür. Er wunderte sich, daß die anderen nichts merkten. Benommen erhob er sich. Ein stechender, übelrie‐ chender Dunst legte sich auf seine Lunge und ver‐ stärkte seine Benommenheit. Bennett wurde von einem Schwindelanfall gepackt und mußte sich für einige Minuten an die Wand lehnen. Und während er gegen dieses unerklärliche Unwohlsein an‐ kämpfte, vernahm er einen gedehnten, traurigen, hypnotischen Singsang. Als er sich ein wenig besser fühlte, begab er sich auf unsicheren Beinen zur Tür. Der Journalist machte sie einen Spalt breit auf und steckte die Nase hinaus. Der Brandgeruch reizte seine Schleimhäute. Der eigenartige Rauch brannte in seinen Augen und ließ sie tränen. Grüngraue Schwaden schwebten aus den Fugen der gegenü‐ berliegenden Tür. Fred Bennett wurde davon ma‐ gisch angezogen. Er befand sich zu dieser Zeit al‐ 154
lein im Obergeschoß des Leuchtturms, die anderen saßen unten im Salon. Bennett näherte sich mit angespannten Nerven der Tür. Seine Hand legte sich wie selbstverständlich auf die Klinke. Er drückte sie nach unten. Sie gab lautlos nach. Es war nicht abgeschlossen. Die Tür schwebte geisterhaft zur Seite. Im dahinterliegen‐ den Raum entdeckte der Mann eine Art Kohlenbe‐ cken auf dem Fußboden. Winzige grüne Flammen flackerten in diesem Becken. Jemand verbrannte hier etwas, das diesen ekelhaften Qualm erzeugte. Plötzlich schoß eine grüne Flamme aus dem schwarzen Kohlenbecken hoch. Er sah Sheila Barr‐ shee. Die schrecklich verhutzelte Alte war splitter‐ nackt. Und sie drehte sich immerzu im Kreis, wäh‐ rend ihre nackten Füße auf dem Holzboden tapp‐ ten und sie diesen klagenden, hypnotischen Sing‐ sang von sich gab. Sie reckte ihre spindeldürren Arme hoch und bot eine widerwärtigen Anblick. Ihr ganzer Körper war eingetrocknet, faltig, knö‐ chern. Außerdem war ihr unansehnlicher Leib über und über mit tiefen purpurroten Narben be‐ deckt. Narben von Wunden, die man ihr im Jahre 1898 zugefügt hatte, als man sie in jenem Faß, aus dessen Innenwänden lange Nägel ragten, den 155
Hang hinuntergerollt hatte, um sie im Meer zu er‐ tränken. Die Alte blieb stehen. Voll Haß und liderlichem Triumph starrte sie Fred Bennett an. Ihn hatte sie zu ihrem nächsten Opfer gewählt. Plötzlich hatte sie ein flammendes Messer in ihrer rechten Hand. Sie wollte Bennet das Messer entgegenschleudern. Er begriff, was sie vorhatte, wollte herumschnellen und den Raum verlassen, aber seine Beine schie‐ nen Wurzeln geschlagen zu haben. Er klebte auf dem Bretterboden fest, vermochte sich keinen Mil‐ limeter zu rühren. Sheila kreischte verzückt auf. Mit tappenden Schritten kam sie näher, ging durch das Feuer, oh‐ ne zu verbrennen. Abgrundtief böse war der Aus‐ druck ihres abstoßenden Gesichts. Und schon warf sie das brennende Messer nach Bennett. Er wollte sich ducken, doch er blieb aufrecht stehen. Er zuckte nicht einmal mit den Wimpern, als ihm die flammende Klinge in die Brust fuhr. Fred spürte, wie die brennende Klinge sein Herz berührte. Ehe es zum Stillstand kam, starrte er auf seine Brust. Niemand wußte, daß Fred Bennett denselben Weg gegangen war wie Ronald Sirk.
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Amory Power sprach davon, daß es im Turm ir‐ gendwo einen Kellerabgang geben müsse, den er jedoch trotz der Umbauten nicht hatte finden kön‐ nen. »Es soll in diesem Keller Gebeine von Menschen geben, die Sheila Barrshee ... « Er unterbrach sich selbst, als er sah, wie Joan McMurray sich mit zit‐ ternden Händen eine Zigarette anzündete. »Ent‐ schuldigen Sie, Joan«, sagte er mit einem verlege‐ nen Lächeln. »Wir sollten wirklich von erfreuliche‐ ren Dingen sprechen. Ich bin ein denkbar schlech‐ ter Gastgeber. « Als Amory Power das Abendessen servierte, half ihm Joan McMurray. Herb Lebanon kam schlaf‐ trunken aus seinem Zimmer. Er wirkte noch häßli‐ cher als sonst. Das furchtbare Erlebnis mit Sheila Barrshee hatte ihn um Jahre altern lassen. »Und wo ist Fred?« fragte Professor Power, als alle um den Tisch saßen. »Ich sehe mal nach ihm«, sagte Tony Craig. Er er‐ hob sich und lief nach oben. Da klopfte er an Freds Tür und rief dessen Namen. »Fred! He, Fred, du kleiner Trunkenbold, es gibt Abendessen! Kommst du nicht runter?« Im Zimmer blieb es still. 157
» Fred ! « Craig klopfte erneut. Als Bennett sich daraufhin immer noch nicht meldete, öffnete Tony beunruhigt die Tür. »Fred?« Er machte Licht. Der Journalist war nicht da. Kopfschüttelnd kehrte er zu den anderen zurück. »Er ist nicht oben.« »Nicht oben? Aber er ging doch hinauf.« »Wo kann er denn hingegangen sein?« fragte Pat Stanwyck und sah dabei Amory Power an, der sich im Turm am besten von ihnen allen auskannte. »Er müßte an uns vorbeigekommen sein, wenn er den Turm verlassen hätte«, erwiderte Amory Power. Sie aßen ohne Appetit. Hinterher suchten sie Fred Bennett gemeinsam. Aber auch das brachte sie nicht weiter. Bennett war und blieb verschwun‐ den. Liz Crowley saß völlig angekleidet auf dem Bett. Ihr Koffer war gepackt. Sie rauchte die Zigarette fertig und stieß sie dann nervös in den Aschenbe‐ cher. »Was ist nun, Glenn, kommst du mit, oder soll ich allein fahren?« »Verdammt, Liz, denkst du wirklich, Sheila würde uns so einfach abhauen lassen? Die fände tausend
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Möglichkeiten, um uns auf der Fahrt zum Festland zu vernichten.« »Dann hätte ich wenigstens den Versuch unter‐ nommen gehabt, ihr zu entkommen!« zischte Liz aufgewühlt. »Ich habe lausige Angst, Glenn. Ich bin nun schon soweit, daß mir alles egal ist. Ich will nur nicht noch eine weitere Nacht in diesem scheußlichen Turm verbringen. Das ginge über meine Kräfte.« »Es wäre nicht fair den anderen gegenüber, ein‐ fach bei Nacht und Nebel abzuhauen, Liz.« »Laß mich mit den anderen zufrieden. Ich will nicht dabeisein, wenn es ans Sterben geht. Warum kannst du das denn nicht verstehen? Wir haben einen Selbstmord hinter uns – wobei ich diesen Selbstmord mit Anführungszeichen versehen muß ‐, und Fred Bennett hat sich buchstäblich in Luft aufgelöst. Was muß denn noch alles passieren, damit du begreifst, daß es Irrsinn ist, auch nur eine Minute länger in diesem Turm zu bleiben. Dieser unheimliche Leuchtturm gehört nur auf dem Pa‐ pier Amory Power. In Wirklichkeit aber ist es im‐ mer noch Sheila Barrshees Turm. Und das wird er ewig bleiben. Deshalb ziehe ich ab, solange dieses Hexenweib mir dazu noch die Gelegenheit gibt. « 159
»Du wirst dieses Boot nicht besteigen – nicht mit mir und nicht allein, Liz!« »Du hast mir nichts zu verbieten, Glenn.« »O doch!« »Spiel dich bloß nicht so auf!« »Wenn du auch nur einen einzigen Versuch machst, mich zu verlassen, drehe ich dir eigenhän‐ dig den Hals um, Baby!« drohte Ahearn. Die Kleine nickte hastig. »Okay, Glenn. Ich habe ja nichts gegen dich. Des‐ halb habe ich dir doch vorgeschlagen, daß wir ge‐ meinsam verschwinden.« Der Fernsehautor schüttelte entschlossen den Kopf. »Wir bleiben, Liz.« »Ist das dein letztes Wort?« fragte das Mädchen erschüttert. »Ja. « »Glenn, ich glaube, du weißt nicht, was du sagst. Du mußt verrückt sein, Glenn.« »Du kannst unbesorgt sein. Ich bin völlig bei Sin‐ nen.« Sein Nicken hatte etwas Wohlwollendes an sich. »Nun zieh dich aus und geh zu Bett!« Liz Crowley wollte ihm nicht gehorchen. Als sie dann aber merkte, daß ihre Finger wie mechanisch 160
ihre Bluse aufknöpften, wußte sie, daß auch sie nur eine Rolle in diesem teuflischen Spiel zu spielen hatte. Und Sheila Barrshee führte mit souveräner Klauenhand grausige Regie. * Es war schrecklich heiß in dieser Nacht. Deshalb lag Liz auf der Decke und trug nichts auf der glat‐ ten Haut, nicht mal ihr zartes Hemdchen. Sie hatte große Mühe gehabt, an Glenn Ahearns Seite einzu‐ schlafen. Lange Zeit hatte sie seine regelmäßigen Atemzüge vernommen, und sie hatte sich gefragt, wie es ihm nach all den Schrecknissen möglich war, so tief zu schlafen. Nach zähem Ringen mit dem peinigenden Bewußtsein war Liz Crowley dann aber doch allmählich müde geworden. Nun schlief sie genauso tief wie Glenn. Sie hatte – ge‐ nau wie Glenn – keine Ahnung, daß Sheila Barr‐ shee ihr diesen erquickenden Schlaf beschert hatte. Einfach deshalb, weil das der Hexe so in den Kram paßte. Das alte Weib war ein Ausbund an abstoßender Häßlichkeit. Sheila war gerade als ein schwarzes Etwas unter der Tür hindurchgequollen. Nun 161
stand sie in ihrer ganzen fatalen Größe an der Tür und blickte mit einem widerlichen Grinsen auf die beiden Schlafenden. Sekunden später stand sie neben Liz, ohne einen einzigen Schritt getan zu haben. Die scheußliche Alte beugte sich vorsichtig über das nackte Mädchen. Lange blieb sie in dieser Stellung. Ihre bösen Au‐ gen musterten das junge Gesicht, die breiten, vol‐ len Brüste, den flachen Bauch, das dunkle Dreieck zwischen Liz’ Lenden, die schwellenden Schenkel. Und mit einemmal begann sich die schreckliche Alte zu verändern. Ihr leichenblasses Gesicht nahm eine gesunde Farbe an. Die tiefen, düsteren Falten glätteten sich. Die Haut wurde jugendlich, die Züge wurden denen von Liz Crowley immer ähnlicher. Und schon nach wenigen Augenblicken war Sheila Barrshee ein Spiegelbild von Liz. Sie richtete sich mit einem verschlagenen Lächeln um die vollen Lippen auf. Ein dämonischer Plan war in ihr gereift. Nackt wie Liz verließ sie den Raum. Und als sie die Tür hinter sich schloß, löste sich das neben Glenn Ahearn liegende Mädchen in nichts auf. Es klopfte. 162
Herb Lebanon schreckte hoch. »Ja?« rief er mit krächzender Stimme. Die Tür öffnete sich. Liz Crowley trat ein. Der Lei‐ chenbestatter traute seinen Augen nicht als er sah, daß sie splitternackt war. Vergessen war das schreckliche Erlebnis, das er am Tag gehabt hatte. Seine Begierde, die er schon bei der ersten Begeg‐ nung mit diesem schönen Mädchen empfunden hatte, drängte sich sofort wieder an die Oberfläche. »Das – ist aber eine Überraschung«, stieß er ge‐ dämpft hervor, und sein häßliches Gesicht verzerr‐ te sich zu einem freudigen, nervösen Grinsen. »Ich wäre nicht gekommen, wenn du mir heute nicht so leid getan hättest«, sagte Liz mit einer samtweichen Stimme, die Lebanon wohlige Schauer über den Rücken jagte. Sein gieriger Blick glitt über ihren makellosen Körper. Er konnte sich daran nicht sattsehen. Und er konnte es immer noch nicht fassen, daß sie von Glenn weggegangen war, um in sein Zimmer zu kommen. Splitternackt noch dazu. Ihre Absichten waren somit eindeutig. Sie wollte mit ihm das Bett teilen. Sie wollte, daß er mit ihr schlief, weil er ihr leid getan hatte. Es war ihm gleichgültig, aus wel‐ chem Grund sie zu ihm ins Bett stieg. Für ihn war 163
nur wichtig, daß sie es tat. Ein so wunderschönes Mädchen hatte er in seinem ganzen Leben noch nicht besessen. Es war für ihn ein Geschenk des Himmels, und er brannte vor Verlangen nach einer leidenschaftlichen Umarmung. Liz glitt zu ihm ins Bett. Lebanon ächzte. Sie schob ihre Arme unter ihn und schmiegte sich mit der ganzen Länge ihres nackten heißen Kör‐ pers an ihn. Er riß sich die Pyjamajacke auf. Dann spürte er ihre Brustspitzen, die nach den seinen suchten. Er überließ sich einer unwiderstehlichen Lust. Seufzend schloß er die Augen, ließ alles mit sich geschehen. Liz’ warmer Atem strich ihm über den Hals. Nun drängte sie ihm ihren Schoß entge‐ gen. Ihr suchender Mund fand den seinen. Sie küß‐ te ihn, wie er noch nie geküßt worden war. Ab‐ wechselnd wurden seine Lippen, seine Zunge, alle Höhlungen seines Mundes, sein Gaumen, seine braunen Zähne, jede kleinste Stelle erkundet. Der Kuß dauerte unendlich lange. Herb Lebanon ver‐ gaß jeglichen Zeitbegriff. Der Durst hörte auf, ihn zu quälen. Er trank von dem Mädchen. Und er konnte von Liz Crowley nicht genug bekommen.
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Seine Hände kneteten die sündhaft aufreizenden Brüste. Er fühlte sich zum Bersten. * Ein Stöhnen und Seufzen weckte Glenn Ahearn. Als er sah, daß der Platz an seiner Seite leer war, übermannte ihn eine wilde Erregung. Gereizt schnellte er aus dem Bett. »Dieses verfluchte Miststück!« schimpfte er schnaubend. »Sie hat gewartet, bis ich schlief und ist dann doch abgehauen.« Als er ihren Koffer entdeckte, kamen ihm die ers‐ ten Zweifel, daß Liz Crowley tatsächlich den Leuchtturm verlassen hatte. Nach und nach fand er dann all ihre Kleider. »Nanu«, sagte er verwirrt, »sie kann doch nicht nackt. . .« Da vernahm er wieder das Stöhnen und Seufzen, das ihn kurz zuvor geweckt hatte. Glenn kannte diese Laute und brachte sie sogleich mit Liz in Verbindung. Alles das, was er vernahm, gab sie von sich, wenn sie in seinen Armen lag. Als ihm dieser Gedanke kam, gefror ihm das Blut in den Adern. Er hatte noch nicht vergessen, wie sich 165
Herb Lebanon am Vortage aufgeführt hatte. War es ihm nun doch gelungen, Liz rumzukriegen? Liz war ein Flittchen, das es nicht so genau nahm. Wutschnaubend rannte Ahearn aus dem Zimmer. Liz’ kleine Lustschreie machten ihn halb wahnsin‐ nig vor Eifersucht. Er haßte Lebanon auf den Tod. Er hatte ihn gewarnt und ihm geraten, die Finger von Liz zu lassen, aber dieser verfluchte Leichen‐ bestatter hatte seine Worte nicht ernst genommen. »Geiles Dreckschwein!« zischte Ahearn. Er huschte auf Zehenspitzen auf die Tür zu, hinter der Liz Crowleys Seufzen und Stöhnen zu hören war. Be‐ hutsam öffnete er sie. Angeekelt wirbelte er herum. Liz ächzte. Ahearn hielt sich die Ohren zu. Er konnte das nicht mehr aushalten. Sein fiebernder Blick suchte nach einem Gegenstand, mit dem er Herb den ver‐ dammten Schädel einschlagen konnte. Plötzlich fraßen sich seine Blicke an einem der an der Wand hängenden Schwerter fest. Ahearn war nicht mehr Herr seiner Sinne. Daß ihn Sheila Barr‐ shee zu diesem furchtbaren Zorn aufstachelte, konnte er nicht ahnen. Vielleicht hätte er anders reagiert, wenn er dahinter gekommen wäre, daß 166
die verfluchte Hexe ihr scheußliches Spiel mit ihm spielte. Sie hatte ihn so sehr mit blinder Wut und blankem Haß angefüllt, daß er nicht fähig war, ei‐ nen vernünftigen Gedanken zu fassen. Er war nur noch ein personifizierter Mordgedanke, auf dem Weg zur grauenvollen Ausführung. Mit dem Schwert in der Faust schnellte er in Leba‐ nons Zimmer. Blitzschnell riß er das Mädchen unter dem keu‐ chenden Mann weg. Liz sprang zur Seite. Lebanon warf sich herum. Schon war das Schwert über ihm. Er riß die Augen bestürzt auf, wollte einen Schrei ausstoßen, da ras‐ te die blitzende Klinge schon auf ihn herab. Leba‐ non kam nicht mehr dazu, abwehrend die Hände hochzureißen. Der Tod ereilte ihn mit gnadenloser Schnelligkeit. Wie ein Traumwandler kam Glenn Ahearn nach dem schrecklichen Mord aus dem Zimmer des to‐ ten Leichenbestatters gewankt. Aschfahl war sein Gesicht. Er hatte die Lippen fest aufeinandergep‐ reßt. Die starren Augen waren blicklos auf das nackte Mädchen gerichtet. Das. Schwert hatte er in Lebanons Zimmer zurückgelassen. Er schlurfte wie ein uralter Mann über den Boden. 167
»Ist er tot?« fragte Liz mit einem seltsamen Feuer in den Augen. Unendlich langsam, als würde es ihn ungemein anstrengen, nickte der Fernsehautor. »Das Schwein wird dich nie wieder anfassen!« fauchte er. »Nie wieder!« Da warf Liz Crowley den Kopf zurück und begann leise zu kichern. Sie hob die Arme und tanzte ver‐ gnügt im Kreis. Und plötzlich begann ihr Gesicht zu zerfallen. Es bröckelte von ihrem Kopf ab, fiel zu Boden und zerplatzte. Als Ahearn sah, was un‐ ter dem Gesicht seines Mädchens zum Vorschein kam, floh er in panischem Schrecken in sein Zim‐ mer. Die schwarze Frau lachte ihn hohntriefend aus, trommelte mit ihren klauenartigen Fäusten gegen die Tür und kreischte immer wieder: »Mör‐ der! Mörder! Mörder!« Und zwischendurch lachte sie so schauderhaft, daß Ahearn in diesem Mo‐ ment so verrückt war, sich den Tod zu wünschen. Liz lag wieder nackt auf dem Bett. Als die Hexe draußen kreischte und tobte, schreckte sie hoch. Sie sah Glenn an der Tür und rief ihn. »Was machst du dort?« fragte sie ihn ängstlich. »Laß diese Bestie nicht herein, Glenn! Schließ ab! Sie darf nicht in unser Zimmer kommen.« 168
Liz kroch zitternd unter ihre Decke. Sheila Barr‐ shee flog mit einem letzten kreischenden Gelächter in die Nacht hinaus. Glenn Ahearn lehnte wie er‐ schlagen an der Tür. »Glenn!« preßte Liz beunruhigt hervor. »Ja, Liz«, kam es heiser zurück. »Glenn, wieso hat sie dich einen Mörder genannt?« »Ich weiß es nicht.« »Wirklich nicht?« »Verdammt, nein! « » Komm her zu mir, Glenn ! Was ist los mit dir? Du bist so – so verändert. « Ahearn hob den verstörten Blick. Liz fröstelte, als er sie so anschaute. »Herb ist tot, Liz«, sagte er flüsternd. »Sirk tot, Bennett verschwunden, Lebanon tot. . . O mein Gott!« »Sheila Barrshee hat ihn umgebracht!« schrie Ahearn plötzlich mit sich überschlagender Stim‐ me. »Sie hat es getan, Sie ! Und nun will sie den Mord mir in die Schuhe schieben, verstehst du?« Liz schüttelte fassungslos den Kopf. »Wie kann sie das denn?« »Sie hat ihn umgebracht, nicht ich. Es war Sheila Barrshee!« keuchte Ahearn atemlos. Er taumelte auf Liz zu. Sie hockte erschüt‐ 169
tert im Bett, die Decke fest ans Kinn gepreßt. Trotzdem fror sie.‐ In einer solchen Verfassung hatte sie Glenn noch nie erlebt. Welch grauenvolles Erlebnis mußte er gehabt haben. Als er auf sie zukam, hatte sie zum erstenmal Mit‐ leid mit ihm. Er streckte ihr seine zitternden Hände entgegen, als wollte er sie um Hilfe und um Schutz anflehen. »Ich liebe dich, Liz!« stammelte er. Da fiel ihr Blick auf seine Hände. Ihre Augen wei‐ teten sich in namenlosem Grauen. Beide Hände waren von dunkelrotem Blut besudelt. Als er sie damit anfassen wollte, begann sie so hys‐ terisch zu schreien, daß alle im Turm davon er‐ wachten. Als erster kam Anthony Craig in ihr Zimmer ge‐ rannt. Er vermochte die Situation nicht sofort zu überschauen. Da saß Liz Crowley im Bett. Ihre Brüste waren nackt. Die Decke lag über ihrem Schoß und bedeckte die Beine. Sie hatte die Arme von sich gestreckt und schrie so grell, daß es einen in den Ohren schmerzte. Glenn Ahearn stand vor ihr. Seine Absicht war nicht klar erkennbar. Als hinter ihm die Tür aufflog, schnellte er mit teigi‐ gem Gesicht herum. Und dann sah auch Craig die 170
blutbesudelten Hände. Da Liz nicht verletzt war, stellte sich dem Detektiv die Frage, wessen Blut Ahearn an den Fingern hatte. Pat Stanwyck kam hereingestürmt. »Erhat einen Mord begangen!« kreischte Liz außer sich vor Grauen. » Ich doch nicht ! « brüllte Ahearn und schüttelte wild den Kopf. »Er hat gemordet!« »Ich hab’s nicht getan!« schrie der Fernsehautor, und seine Augen quollen aus den Höhlen, als woll‐ ten sie ihm aus dem Kopf springen. Sein Gesicht war verzerrt, die Wangen zuckten ununterbro‐ chen. Er schien im Augenblick nicht völlig Herr seiner Sinne zu sein. »Was ist passiert?« fragte Craig. Amory Power tauchte mit besorgter Miene im Tür‐ rahmen auf. Er stieß Stanwyck beiseite und trat neben den Detektiv, der nun langsam auf Ahearn zuging. »Ich habe nichts getan!« stammelte Glenn Ahearn ununterbrochen. »Sie war es, Sheila Barrshee!« »Er lügt!« schrie Liz Crowley hysterisch hinter ihm. » Seht seine blutigen Hände ! « »Ich habe nicht gemordet!« 171
»Er hat Herb Lebanon umgebracht!« keifte Liz. »Das ist nicht wahr! « brüllte sie Ahearn verzwei‐ felt an. »Nun beruhige dich doch, Glenn!« sagte Craig zu dem verstörten Mann und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Ahearn schüttelte ihn mit einem schnellen Zucken ab. »Faß mich nicht an, Tony! Verdammt, keiner von euch darf mich anfassen! « keuchte der Schriftstel‐ ler gefährlich. Craig bemühte sich, so leise und beschwichtigend wie möglich zu sprechen. »Niemand will dir etwas tun, Glenn. Wir sind dei‐ ne Freunde.« »Zum Henker, behandle mich nicht wie einen Idio‐ ten, Tony! « explodierte Ahearn sofort wieder. »Du machst es uns verdammt nicht leicht, Glenn«, warf nun Professor Power vorwurfsvoll ein. »Schert euch hinaus, laßt mich in Ruhe! « bellte Ahearn. »Er ist ein Mörder! Er hat Herb Lebanon umgeb‐ racht! « schrie Liz mit ihrer unangenehm schrillen Stimme immer wieder dazwischen. »Wenn du nicht sofort den Mund hältst, passiert dir was!« drohte Ahearn. 172
Liz Crowley stockte für Sekunden der Atem. Erst in diesem Moment fiel ihr auf, daß ihr Busen un‐ bedeckt war. Sie zog das Oberbett zitternd hoch, schämte sich aber nicht. »Pat!« sagte Craig. »Ja, Tony?« »Sieh nach, was mit Herb los ist!« » Okay«, sagte Stanwyck. Er wandte sich um und verließ hastig das Zimmer. »Und du setzt dich jetzt mal hin!« verlangte Craig von Ahearn. »Nicht auf dieses Bett!« schrie Liz bestürzt auf. »Nicht dieser Mörder!« »Halten Sie doch endlich die Luft an, Liz! « sagte Power daraufhin in scharfem Ton. »Sie haben kein Recht, so mit mir zu reden.« »Bei Ihrem Gezeter müssen einem doch die Ner‐ ven durchgehen«, knurrte Power. Vielleicht war das als Entschuldigung gedacht, es klang aber wie ein handfester Vorwurf. »Komm, Glenn«, sagte Craig schonend, »setz dich!« Ahearn ließ sich mit nach vorn gesunkenen Schul‐ tern auf das Fußende des Bettes fallen. Liz rückte
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vor ihm aus, als hätte er eine ansteckende Krank‐ heit. »Kannst du uns erzählen, was vorgefallen ist, Glenn?« fragte Craig sanft. Ahearn zuckte die Achseln und schwieg. »Woher hast du die blutigen Hände, Glenn?« forschte der Detektiv. »Ich weiß es nicht. Sheila Barrshee . . . Fragt sie! Sie soll euch antworten!« »Sie hat ihn einen Mörder genannt«, sagte Liz Crowley scharf. »Ich habe es deutlich gehört.« »Hast du Herb umgebracht, Glenn?« fragte Craig. »Nein, Tony.« »Warst du drüben bei ihm?« »Ja.« »Aber du hast ihm nichts getan?« »Nein.« »Lebt er noch?« »Nein, er ist tot.« »Aber er ist nicht von deiner Hand gestorben?« »Nein. Sheila Barrshee hat es getan.« »Weshalb warst du bei ihm?« »Er hat mich gerufen.«
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»Und was weiter?« fragte Craig geduldig. »Was hast du vorgefunden, als du in Herbs Zimmer kamst, Glenn?« Schweigen. »Hat er dich zu Hilfe gerufen?« fragte Craig. »Ja. « »Weshalb? Fühlte er sich von Sheila bedroht?« »Ja, Tony. Ja, er fühlte sich bedroht.« »Und du bist ihm sogleich zu Hilfe geeilt?« »Gleich, nachdem ich seinen Schrei gehört habe.« »Und dann?« »Er – er lag tot auf dem Bett. Ich sah Sheila über mir davonflitzen, eilte zu ihm. Sie hatte ihm mit einem einzigen Schlag den Kopf abgeschlagen. « »Womit?« fragte Craig. »Mit einem der Schwerter, die da draußen an der Wand hängen.« Ahearn stockte, blickte in die Ge‐ sichter, die ihm ungläubig zugewandt waren. »Das Blut an meinen Händen kommt daher, weil ich Herb angefaßt habe.« Liz war nicht still. »Sheila hat ihn einen Mörder genannt! « schrie sie. »Das tut sie nicht ohne Grund! « »Die alte Hexe lügt doch!« fauchte Ahearn wü‐ tend. 175
Pat Stanwyck kam zurück. »Nun?« fragte ihn Craig. Stanwyck schüttelte den Kopf. »Herb ist nicht in seinem Zimmer.« Ahearns Mund klaffte auf. »Aber — aber das ist doch unmöglich! Herb ist tot! Ich habe es ganz deutlich gesehen. Sheila Barrshee hat ihm den Kopf abgeschlagen. « Stanwyck schüttelte noch einmal den Kopf. »Ich kann nur sagen, Herb ist nicht da.« Sie begaben sich alle in Lebanons Zimmer, nur Liz Crowley nicht. Sie zog sich inzwischen etwas an. Ahearn blickte fassungslos auf das leere Bett. »Keine Blutspuren«, stellte Craig fest. »Und nirgendwo ein Schwert«, bemerkte Stan‐ wyck. Amory Power wandte sich um und schaute nach draußen in den Salon. »Alle Schwerter hängen an der Wand«, sagte er zu Craig. »Das gibt es nicht! « ächzte Ahearn verwirrt. »Das kann nicht sein. Herb ist tot. Er wurde geköpft.« »Und seine Leiche – wo ist die?« fragte Stanwyck, nun schon sehr ungehalten. »Sheila hat ihn ebenso verschwinden lassen wie Fred Bennett. « 176
»Kann sein.« »Das kann nicht bloß sein, Tony, das ist so!« Amory Power schlug vor, Lebanon zu suchen. Sie gingen nach draußen, riefen ihn. Sie suchten den ganzen Felsen ab. Hinterher stellten sie den Leuch‐ tturm auf den Kopf. Und schließlich war klar, daß Herb Lebanon auf dieselbe Weise verschwunden sein mußte wie Fred Bennett. Der Professor wollte weitere Reibereien vermeiden, deshalb bat er Glenn Ahearn, in dieser Nacht nicht bei Liz Crow‐ ley zu schlafen. Das Mädchen hatte einen schwe‐ ren Schock erlitten. Es fürchtete Ahearn und hatte sich aus lauter Furcht eingeschlossen und die Tür verbarrikadiert. Deshalb stellte Power dem Freund sein Zimmer zur Verfügung, während der Turm‐ besitzer die Nacht in Bennetts Zimmer verbringen wollte. Detektiv Craig kehrte zu Joan McMurray zurück. »Wie macht sie das bloß?« fragte das Mädchen, als Tony ihm kurz berichtet hatte, was vorgefallen war. »Wie kann sie Menschen verschwinden las‐ sen?« Craig legte sich seufzend aufs Bett. »Sie hat einen Verbündeten, der sie mit einer na‐ hezu grenzenlosen Macht ausstattet.« 177
»Wen, Tony?« »Den Teufel!« Joan zuckte erschrocken zusammen, blickte furchtsam zur dunklen Decke und schwieg. Liz Crowley war am Ende. Was sie erlebt hatte, ging über ihr nervliches Fassungsvermögen. Sie hatte das Gefühl, in dieser kurzen Zeit, die sie von London fort war, zu einem Wrack geworden zu sein. Sie fürchtete sich vor ihrem eigenen Schatten, jedes Geräusch machte ihr schreckliche Angst, selbst wenn es nur das Heulen des Windes war. Sie war fix und fertig, hatte einfach nicht mehr die Kraft, zu bleiben. Deshalb dachte sie in diesem Augenblick nur an eines: an Flucht. Liz Crowley fühlte ganz deutlich, daß sie entweder körperlich oder geistig vor die Hunde gehen würde, wenn sie nicht schnellstens etwas zu ihrer Rettung unter‐ nahm. Das Maß war voll. Egal, was die anderen alle machten. Sie wollte das Feld räumen. Sie wartete nur darauf, bis es vollkommen ruhig im Turm war. Von ferne war das dumpfe Tosen der Brandung zu hören. Der Wind jammerte in den Luken. Liz schob die Anrichte von der Tür weg und dreh‐ te den Schlüssel herum. Sie dachte nur an das 178
Boot, mit dem sie diesen gräßlichen Felsen für immer verlassen wollte. Sie nahm nicht einmal ih‐ ren Koffer mit. Was sie zurückließ, war nicht kost‐ bar. Es genügte ihr, das nackte Leben zu retten. Auf leisen Sohlen huschte sie durch den Salon. Ihr furchtsamer Blick wischte über die Schwerter. Ei‐ nes davon war blutig. Ihr Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen, als sie das dunkle Blut sah. Glenn hatte also die Wahrheit gesagt. Sie schaute schnell weg, lief zur Tür, öffnete sie. Der Wind peitschte ihr Gesicht. Da erst merkte sie, daß sie schwitzte. Es war ein eiskalter Angstschweiß, der ihr hübsches Gesicht bedeckte. Irgendeine Fu‐ rie trieb sie aus dem Leuchtturm. Ein Schauer nach dem anderen lief ihr über den schweißnassen Rücken. Liz blickte sich kurz um. Von Sheila Barr‐ shee war nichts zu entdecken. Auch sonst war kei‐ ner da, der ihre Flucht vereiteln konnte. Aufgeregt lief sie vom Turm weg. Liz sah schon von weitem das Motorboot auf den unruhigen Fluten schau‐ keln. Das war die Rettung. Wenn sie erst mal das Boot erreicht hatte und an Bord war, konnte ihr nichts mehr passieren. Dann war sie auf dem Rückweg ins Leben. Liz dachte an zu Hause. 179
Und sie dachte ohne Wehmut daran, daß sie Glenn Ahearn wahrscheinlich nie mehr wiedersehen würde. Für sie stand fest, daß alle, die sie zurück‐ ließ nur noch kurze Zeit zu leben hatten. Da war schon das Boot. Es tanzte auf den Wellen und zerrte wild an der ächzenden Vertäuung. Ge‐ schafft! dachte Liz Crowley mit aufgeregt häm‐ merndem Herzen. Jetzt hast du’s geschafft! * Er brannte sich das nächste Stäbchen an. Im Aschenbecher lagen bereits fünfzehn Kippen. Der Raum war bis an die Decke mit blauem Zigaretten‐ rauch gefüllt. Die Luft war zum Schneiden. Doch Pat Stanwyck qualmte immer noch weiter. Er spür‐ te ganz deutlich, daß ihm jede weitere Zigarette stark schadete. Trotzdem brachte er nicht den Wil‐ len auf, mit dem Rauchen aufzuhören, sich hinzu‐ legen und zumindest den Versuch zu machen, zu schlafen. Stanwyck ging ruhelos in seinem Zimmer auf und ab. In seinem Kopf überstürzten sich die Gedanken. Es war nicht Furcht, die ihn quälte. Nein, er hatte keine Angst. Er zermarterte sich das Gehirn nach einem Ausweg aus dieser fatalen Si‐ tuation.
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Sie alle, die sie sich hier in diesem gespenstischen Leuchtturm eingefunden hatten, waren in eine ge‐ fährliche Passivität gedrängt worden. Gewiß ge‐ hörte das zu Sheila Barrshees Strategie. Niemand wußte, wie man dieser schwarzen Frau entgegent‐ reten sollte. Nicht einmal Amory Power, der Pa‐ rapsychologe, von dem man eigentlich noch am ehesten eine Idee hätte erwarten können. Sheila Barrshee hatte die Initiative vollkommen an sich gerissen. In diesem Leuchtturm und um ihn herum passierten nur noch die Dinge, die Sheila insze‐ nierte. Stanwycks Sinnen ging nun dahin, die Freunde aus dieser gefährlichen Defensive heraus‐ zuführen. Man durfte das Hexenweib nicht einfach immer nur gewähren lassen. Man mußte es angrei‐ fen, mußte es in seinen Plänen irritieren und ver‐ suchen, der Unheimlichen irgendwie beizukom‐ men. Bis zu diesem Punkt sah Pat Stanwyck schon lange klar. Aber weiter kam er nicht. Und mit jeder Ziga‐ rette, die er anzündete, rückte die rettende Lösung nicht näher. Als die Luft in seinem Zimmer kaum noch atem‐ bar war, ging er zum Fenster, um es aufzustoßen und den kühlen Nachtwind hereinzulassen. 181
Die frische Luft tat ihm gut. Er stand mit geschlos‐ senen Augen am Fenster und ließ den Wind seine heißen Wangen massieren. Plötzlich ein Knirschen. Pat hörte es ganz deutlich. Da! Schon wieder. Und noch einmal. Jemand lief vom Leuchtturm weg. Stanwyck beugte sich aus dem Fenster. Da sah er die helle, schemenhafte Gestalt. Ein Mädchen. Das konnte nur Liz Crowley sein. Sie lief den Felsen‐ hang hinunter, Richtung Boot. Was sie vorhatte, war Stanwyck augenblicklich klar. Und ebenso klar war ihm, daß er nicht zulassen durfte, was sie beabsichtigte. Liz riß und zerrte an der dicken Leine. Der Knoten saß so fest, daß sie ihn mit ihren zarten Händen nicht lösen konnte. Endlich war sie dann aber doch erfolgreich. Nun mußte sie noch das Tau am Bug losmachen. Dann konnte sie diesem unheimlichen Felsen mit seinem gespenstischen Turm für immer den Rücken zukehren. Sie würde sich kein einziges Mal nach ihm umsehen, weil sie die gräßliche Ver‐ gangenheit vergessen wollte. Keuchend turnte das Mädchen nach vorn. Das Boot schaukelte und schwankte. Liz’ Blick fiel auf 182
die Signalpistole, die neben dem Steuerrad in einer Lederhalterung hing. Sie nahm die Pistole hastig an sich. Jetzt sollte Sheila Barrshee sie anzugreifen versuchen, dann würde sie ihr ein Ding verpassen, daß die Hexe zur Hölle fuhr. Es war kaum anzu‐ nehmen, daß die schwarze Frau das Glühen einer Phosphorkugel verdaute. Poltern. Der Kahn schaukelte. Liz erschrak bis ins Mark. Mit angehal‐ tenem Atem wirbelte sie herum. Sie dachte sofort an dieses Satansweib und riß die Signalpistole hoch. Eine Gestalt war an Bord gesprungen, ein Mann. Pat Stanwyck, wenn sie richtig sah. Liz ent‐ spannte sich und atmete wieder. Daß Stanwyck sie erwischt hatte, machte ihr nichts aus. Sie schämte sich deswegen nicht. Wenn auch er zum Dorf hi‐ nüberfahren wollte, würde sie ihn mitnehmen. Es war Platz genug im Boot. Obwohl sie ihn nicht fürchtete, hielt sie die Signal‐ pistole trotzdem auch weiterhin auf ihn gerichtet. »Was suchen Sie denn hier?« fragte sie schnip‐ pisch. Stanwyck kam zwei Schritte näher. Dann sagte Liz: »Bleiben Sie stehen, Pat!« »Sie würden doch nicht wirklich auf mich schie‐ ßen, Liz?« 183
»Zwar ungern, aber ich müßte es tun, wenn Sie mich dazu zwingen würden, Pat.« »Was haben Sie vor, Liz?« »Ich will verschwinden. Kommen Sie mit?« »Nein.« »Dann machen Sie, daß Sie von Bord kommen! Ich habe es verdammt eilig. « »Dieses Boot ist für alle da, Liz. Sie dürfen es nicht nehmen. « »Befürchten Sie nicht, daß ich Sie auslache, Pat? Sie haben ja ulkige Ansichten. Denken Sie denn, ich schere mich – nach alldem, was vorgefallen ist – noch darum, wem dieses Boot gehört? Sie sagen, es ist für alle da. Okay. Dann ist es auch für mich da. Und ich benutze es. Ich gebe zu, die anderen hät‐ ten dasselbe Recht dazu. Aber tun sie es? Nein. Sie sind irgendwie vernagelt, glauben, Sheila die Stirn bieten zu können, begreifen nicht, daß sie längst nichts mehr zu vermelden haben. Sheila Barrshee macht mit ihnen, was sie will. Und diese Idioten bleiben trotzdem im Turm. Das kann ich nicht ver‐ stehen, Pat. Das ist in meinen Augen meschugge. Wo bleibt denn der gesunde Selbsterhaltungstrieb dieser Leute? Haben sie ihn ebenso verloren wie ihren Verstand?« »Dieses Boot ist unsere einzige 184
Chance, von hier zu verschwinden, Liz«, entgegne‐ te Stanwyck. »Es ist auch meine einzige Chance, Pat. Die ande‐ ren wollen ja gar nicht fort. « »Wissen Sie das so genau? Vielleicht müssen wir morgen alle von hier weg. Kann sein, daß Sheila Barrshee uns in die Flucht schlägt. Dann wird die‐ ser Kahn zu unserem Rettungsboot. Wenn Sie ihn uns aber nehmen, berauben Sie uns jeder Chance.« »Hören Sie, ich bin die einzige, die von hier weg will. Ich lasse mich von niemandem davon abhal‐ ten, auch von Ihnen nicht, Pat. Fahren Sie meinet‐ wegen mit mir, aber hindern Sie mich nicht daran, endlich abzulegen. Das würden Sie nicht überle‐ ben.« »Sie werden nicht fahren!« zischelte Stanwyck. »Vorsicht, junger Mann! Ich habe eine Pistole.« »Nehmen Sie Vernunft an!« Das Starlet lachte verächtlich. » Ich war in meinem ganzen Leben noch nie so vernünftig wie jetzt. Ich bin keine Selbstmörderin, Pat. Ich habe vom Leben noch einiges zu erwarten. Ich bin nicht so pervers, daß es mir Spaß macht, mich von dieser verdammten Hexe auf irgendeine grausige Weise abmurksen zu lassen. Ich will le‐ 185
ben. Und ich werde leben, weil ich von hier ver‐ dufte. Sheila ist nur sauer auf die, die bleiben. Mit Recht, wenn Sie mich fragen. Also, was ist? Kom‐ men Sie mit?« »Nein, Liz.« »Dann runter vom Kahn, Pat!« »Geben Sie mir die Pistole!« verlangte Stanwyck. Er streckte den rechten Arm aus. Seine Handfläche wies nach oben, wie ein Teller, auf den das Mäd‐ chen die klobige Waffe legen sollte. Aber Liz Crowley dachte nicht daran. Ihr Blick verriet eine gefährliche Entschlossenheit. Ihr Mund wurde zu einem schmalen Strich. Stanwyck machte einen vorsichtigen Schritt auf sie zu. Er schaute ihr fest in die Augen, schien zuversichtlich zu sein, daß sie nicht abdrücken würde. »Her mit dem Ding, Liz! « »Wenn Sie noch einen Schritt weitergehen, sind Sie dran, Pat!« zischte das Mädchen. Stanwyck hätte diese Drohung ernst nehmen sollen. Liz war mit den Nerven so runter, daß sie vor nichts mehr zu‐ rückschreckte, um ihr Ziel zu erreichen. Stanwyck machte den verhängnisvollen Schritt. Da drückte das Mädchen eiskalt ab. Die grelle Leuchtkugel sauste ihm mitten ins Ge‐ sicht und zerstörte es. Er warf brüllend die Arme 186
hoch, kippte nach hinten, fiel über die Reling und klatschte ins Wasser, wo er in derselben Sekunde versank. Da wurde Liz Crowley kopflos. Sie schleuderte die Pistole angewidert hinter Pat Stanwyck her, dann hetzte sie zum Bug und löste das Tau. Mit vibrie‐ renden Nerven startete sie den Motor. Als er auf‐ heulte, gab sie mächtig Gas und ließ den Kahn in die schwarze Nacht hineinschießen. Wasser spritz‐ te ihr ins erhitzte Gesicht. Der Fahrtwind zerzauste ihr tizianrotes Haar. Sie blickte sich nicht nach dem Leuchtturm um, denn sie war der Meinung, daß das Unglück bringen würde. Ihr Blick war starr geradeaus gerichtet. Ihre Seele war in Auf‐ ruhr. Liz hatte einen Mord begangen. Nun war auch sie zur Mörderin geworden. Sie hatte Glenn nichts mehr vorzuwerfen. Sie verfluchte Stanwyck im Geist, denn er hatte sie gezwungen, abzudrü‐ cken. Sie hatte ihn oft genug gewarnt. Aber er hat‐ te sie nicht ernst genommen. Er war ein verdamm‐ ter Idiot und schuld daran, daß sie zur Mörderin geworden war. Er hatte sie zum Mord gezwungen. Es war ganz allein seine Schuld, daß es so gekom‐ men war.
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Mit Höchstgeschwindigkeit fegte das Boot über die schwarzen Fluten. Der Motor brüllte ohrenbetäu‐ bend laut. Mit verkrampften Fingern hielt Liz das Steuer fest. Ihr Ziel war das Festland. Daß sie es niemals erreichen würde, ahnte sie in diesem Au‐ genblick noch nicht. Sie dachte daran, daß sie Glenn verloren und dafür ihr Leben zurückgewonnen hatte. Und das zählte für sie weit mehr als Glenn und alles andere. Liz Crowley raste dem Dorf entgegen. Plötzlich ei‐ ne gewaltige Woge. Eine schreckliche Sturzflut, buchstäblich aus dem Nichts geboren. Hoch aufge‐ türmte Wassermassen, blutrot gefärbt, so hoch wie ein zehnstöckiges Gebäude. Eine schreckliche Wasserwand, auf die das unscheinbare Motorboot mit Höchstgeschwindigkeit zuraste. Hoch oben hatte sich schneeweiße Gischt gebildet. Und auf dieser Schaumkrone hockte Sheila Barrshee, ki‐ cherte, kreischte, schrie und lachte. Da wußte Liz Crowley, daß ihre Flucht ein schreckliches Ende nehmen würde. Und ihr wurde klar, daß Pat Stanwyck für nichts gestorben war, daß sie einen ganz und gar unnützen Mord began‐ gen hatte. Der Gedankenfaden riß . . . 188
Eine mächtige Woge schlug auf den Mädchenkör‐ per und begrub ihn unter sich. Liz Crowley wurde in die Tiefe gerissen. Sheila Barrshee ruhte sich auf ihren bisherigen Er‐ folgen nicht aus. Noch hatte sie ihr Ziel nicht er‐ reicht. Noch wohnten Menschen in ihrem Turm, den sie für sich allein haben wollte . . . Joan McMurray wurde von schlimmen Träumen geplagt. Schweißausbrüche machten ihr das Lie‐ gen im Bett unerträglich. Sie erwachte wie gerä‐ dert, massierte ihren schmerzenden Nacken und blickte zu Tony hinüber. Joan hörte seine regelmä‐ ßigen Atemzüge und beneidete ihn um diesen tie‐ fen Schlaf. Vorsichtig glitt sie aus dem Bett, schlich auf die kleine Hausbar zu, die es in jedem Zimmer gab, und mixte sich einen Gin‐Fizz. Obwohl nach einer kleinen Unachtsamkeit einmal das Glas laut klirrte, erwachte Tony nicht. Mit dem Glas in der Hand setzte sich Joan ans Fenster. Der bleiche Mond, schon fast voll, über‐ goß ihr Gesicht mit Silber. Joan trank nachdenk‐ lich. Ihre Gedanken schweiften ab. Sie dachte an die Szene im Bus, an die Verwandlung des Fah‐ rers, an all die unheimlichen Dinge, die passiert waren. Wie war es dieser schwarzen Frau möglich, 189
sie alle so mühelos zu gängeln? Sheila präsentierte ihnen Wahnvorstellungen, die von der Wirklich‐ keit nicht zu unterscheiden waren. Sie vermochte sie alle zu stimulieren, machte ihnen Angst, ließ sie verzweifeln, je nach Laune. Joan fragte sich, wel‐ ches Ende der Aufenthalt in dem Turm noch neh‐ men würde. Sie hätte Tony gern den Vorschlag gemacht, abzureisen. Aber Tony hatte es sich in den Kopf gesetzt, der unheimlichen Hexe gemein‐ sam mit Amory Power das Handwerk zu legen. Ob den beiden das gelingen konnte? Für Joan war ein Sieg über dieses grauenvolle Weib beinahe unvorstellbar. Sheila hatte Sirk um‐ gebracht und Bennett und Lebanon verschwinden lassen. Sie besaß einfach alle Macht. Und was hat‐ ten Tony und Amory Power dem entgegenzuset‐ zen? Nur ihren Mut. War das nicht ein bißchen zuwenig? Joan Mc Murray hörte das Ächzen nicht gleich. Es drang erst nach und nach in ihr Bewußtsein vor. Und plötzlich war es dann so präsent, daß Joan es einfach nicht mehr überhören konnte. Es klang irgendwie monoton.
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Joan McMurray erhob sich. Sie trank ihren Gin‐ Fizz aus und stellte das Glas auf das silberne Tab‐ lett neben den Schnapskaraffen. Gebannt lauschte Joan dem Ächzen, das irgendwie mechanisch klang. Beunruhigt näherte sie sich dem Bett, legte ihre Hand auf Tonys Schulter und rüttelte ihn. »Tony!« flüsterte sie. Er drehte sich um. »Tony!« Craig war nicht wachzukriegen. Das Ächzen hatte weder zu‐ noch abgenommen. Die Lautstärke blieb konstant. Das machte Joan allmählich krank. Ob‐ wohl sie wußte, daß es nicht ratsam war, das Zimmer zu verlassen, verspürte sie doch einen un‐ bändigen Drang, nachzusehen, wodurch dieses geisterhafte Geräusch hervorgerufen wurde. Mechanisch zog sie ihren Schlafrock an. Ihre rosige Zunge huschte aufgeregt über die Lippen. Dann legte Joan die feuchten Handflächen auf ihr heißes Gesicht, um sich zu konzentrieren. Das Ächzen hörte nicht auf. Joan fröstelte. Sie zog den Schlaf‐ rock vor dem Busen fest zu, ihre schlanken Finger verkrallten sich im weichen Stoff. Das Ächzen barg ein gewisses Locken in sich, dem sie sich nicht zu 191
entziehen vermochte. Es weckte auf eine unange‐ nehme Weise ihre Neugierde. Und diese trieb sie nun langsam auf die Tür zu. Joan sträubte sich verzweifelt, nach draußen zu gehen. Trotzdem tat sie es. Eigentlich machten das ihre Beine für sie, als hätte sie keine Kontrolle darüber. Sie konnte aber auch nichts dagegen tun. Ihre Beine führten ein hartnä‐ ckiges Eigenleben und trugen sie von Tony weg, in dessen Nähe sie sich sicher gefühlt hätte. Sobald Joan die Tür aufgemacht hatte, war das Ächzen lauter geworden. Ein Mondstrahl fiel durch ein hohes Fenster in den düsteren Salon. Das silbrige Licht ruhte auf einem uralten Schaukelstuhl, der sich ununterbrochen ächzend hin und her bewegte. Irgend jemand mußte in diesem Stuhl sitzen. Amory Power? Glenn Ahearn? Pat Stanwyck? Liz Crowley? Joan konnte sich nicht erinnern, den Schaukelstuhl schon mal gesehen zu haben. Er hatte nie zuvor an diesem Platz gestanden, sonst hätte sie ihn be‐ 192
merkt. Und weiter ging das unheimliche Ächzen, von dem sich das fröstelnde Mädchen magisch an‐ gezogen fühlte. Joan war der Meinung, sich vor diesem schaukelnden Stuhl nicht ängstigen zu müssen. Für das Schaukeln gab es eine ganz simp‐ le Erklärung. Einer der Turmbewohner litt an Schlaflosigkeit, wie Joan. Er hatte sich in den Salon begeben, sich in den Schaukelstuhl gesetzt und wippte nun hin und her, um seine Nerven zu be‐ ruhigen. Das Mädchen ging mit entschlossenem Schritt auf den Stuhl zu. Joan McMurray wollte wissen, wer keinen Schlaf finden konnte. Als sie schon ganz dicht davor war, zwang sie sich zu einem verlege‐ nen Lächeln. Dann machte sie drei Schritte und stand vor – Herb Lebanon. * Sein Gesicht war leichenblaß. Sein Blick war ge‐ brochen. Die Hände waren um die Armlehnen verkrampft. Lebanon war so tot, wie nur ein Mensch tot sein kann. Und trotzdem schaukelte er mit diesem ächzenden Stuhl hin und her, hin und her, hin und her. Obwohl Joan von einer schrecklichen Panik befal‐ len wurde, kam ihr nicht in den Sinn, fortzulaufen. 193
Sie konnte auf einmal dieses gespenstische Ächzen nicht mehr hören. Es quälte sie. Deshalb wollte sie den Schaukelstuhl stoppen. Die zuckenden Finger des Mädchens berührten das Holz des alten Stuhls. Die Aufregung machte Joan ganz schwindelig. Das Ächzen hörte auf. Der Schaukelstuhl stand mit einemmal still. Da seufzte der Tote. Und plötzlich kippte sein Kopf nach vorn. Er fiel ihm einfach von den Schultern, schlug dumpf auf dem Boden auf und rollte dem entsetz‐ ten, verstörten Mädchen direkt vor die Füße. In diesem Moment streikten Joans Nerven. Sie verdrehte die Augen, verlor das Gleichgewicht und brach ohnmächtig zusammen. Als Joan zu sich kam, war der Schaukelstuhl leer. Herb Lebanons Körper und auch sein Kopf waren verschwunden. Ein Alptraum? Hatte sie nur ge‐ träumt, Herb in diesem Stuhl sitzen gesehen zu haben? Benommen kam das Mädchen auf die schwankenden Beine. Mit unsicheren Schritten trachtete Joan, so schnell wie möglich zu Tony zu kommen. Aufgeregt erreichte sie die offenstehende Tür. Mit pochenden Schläfen und hämmerndem Herzen drückte sie die Tür zu, nachdem sie eingetreten 194
war. Sie warf sich auf das Bett und streckte den rechten Arm nach Tony aus. Da begann der gesamte Turm plötzlich heftig zu beben. Und dieses Beben war von einem tierhaften Geschrei, von einem schrecklichen Geheul beglei‐ tet. Joan hatte den Eindruck, Sheila Barrshee hätte den Leuchtturm gepackt und wollte ihn nun durch kräftiges Rütteln zum Einsturz bringen. Tony schreckte hoch. »Tony, ich . . .«, begann Joan, aber da war Craig schon aus dem Bett. Er stürmte aus dem Zimmer. Der Turm schien zu wanken. Das Beben hörte nicht auf. Das alte Ge‐ stein knirschte gefährlich. Putz rieselte von der Decke. Ein ohrenbetäubendes Dröhnen machte al‐ len Angst. Power kam mit glitzernden Augen herein. »Wir haben sie, Tony! « brüllte er vor Begeiste‐ rung. »Wir haben sie! Sie ist in eine meiner Fallen geraten!« »Ist sie das?« fragte Craig verblüfft. »Hat sie dieses Beben entfesselt?« »Ja, aber das hält sie nicht lange durch. Sie wird schwächer werden. Sie kann den Turm nicht zum Einsturz bringen. Das schafft sie nicht.« 195
»Dein Wort in Gottes Ohr! « stieß Craig benom‐ men hervor. »Was ist los?« schrie hinter ihm Glenn Ahearn. »Sheila Barrshee ist erledigt! « sagte Tony Craig. »Tatsächlich?« »Amory hat für sie ein paar Fallen errichtet. In eine ist sie geraten.« Der Fernsehautor klatschte begeistert in die Hän‐ de. »Wird sie nun endlich krepieren?« »Sie ist vorerst mal gefangen«, erklärte der Profes‐ sor ernst. »Und morgen werde ich ihr den Todes‐ stoß versetzen. « »Warum erst morgen?« fragte Ahearn fanatisch. »Bring die Bestie doch sofort um, mach sie fertig! Schaff sie ab, Amory! « »Das kann ich erst morgen, wenn wir Vollmond haben.« »Wo ist sie? Ich will sie sehen!« schrie Glenn Ahearn außer sich vor Freude. Power erschrak zutiefst. »Mein Gott, was macht Glenn?« »Er will sich Sheila ansehen«, sagte Craig. »Ich kann ihn verstehen.« »Er wird sie befreien!« schrie der Parapsychologe entsetzt. 196
»Kann er denn das?« »Er braucht nur in den Raum zu treten, in dem sie festsitzt. Wenn sein Körper den magischen Kreis durchbricht, kann sie den Raum ungehindert ver‐ lassen. « »Glenn!« schrie daraufhin Craig, so laut er konnte. Ahearn stand indessen verdattert vor der aufges‐ toßenen Tür. In der Mitte des Raumes stand Liz Crowley – blutüberströmt, splitternackt. Ihr Kör‐ per war übel zugerichtet. Dem Schriftsteller fuhr dieser schreckliche Anblick wie ein Messer ins Herz. »Mein Gott, Liz! Wer hat dir das angetan?« preßte er erschüttert hervor. Das verletzte Mädchen streckte ihm die zitternden Hände entgegen und flehte: »Bitte, hol mich hier raus, Glenn! Bitte!« Ahearn wollte in den Raum treten. Da brüllte Amory Power hinter ihm: »Tu’s nicht, Glenn! Bleib, wo du bist! Du darfst diesen Raum nicht be‐ treten! « »Ich habe solche Schmerzen, Glenn«, wimmerte das tückische Mädchen. »Hilf mir doch! « »Hör nicht auf sie, Glenn!« schrie der Professor, während er langsam auf den Freund zuging. 197
Ahearn war unschlüssig. Was sollte er tun. »Du liebst mich doch, Glenn«, ächzte das blutende Mädchen. »Ja, Liz. Ja, ich liebe dich.« »Dann hol mich hier raus! « »Laß sie reden, Glenn!« zischte Powers mit fun‐ kelnden Augen. »Sie braucht meine Hilfe, Amory.« »O nein, die braucht sie nicht.« »Hilf mir, Glenn!« jammerte das Mädchen herzzer‐ reißend. »Hörst du sie nicht? Sieh sie dir an, Amory. Sie ist schwer verletzt, ich muß ihr helfen. « Power streckte beide Arme aus. »Komm zu mir, Glenn! Geh von dieser Tür weg! Du verpatzt alles, wenn du von da nicht weg‐ gehst.« »O Glenn, dein Freund ist grausam. Siehst du denn nicht, wie ich leide?« wimmerte das Mädchen. Ahearn wandte sich ihr wieder zu. »Das ist nicht Liz, Glenn!« stieß Amory Power hervor. »Ich kenne doch Liz«, gab Ahearn zurück. »Das ist sie.«
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»Verdammt, das ist Sheila Barrshee, Glenn! Sie versucht dich zu täuschen.« »Glenn, komm zu mir! Ich habe Schmerzen«, stöhnte das Mädchen. »Laß mich nicht so gräßlich leiden! Hab Mitleid mit mir! Dein Freund haßt mich.« »Laß sie reden, Glenn!« »Komm herein, Glenn!« »Komm zu mir!« sagte Power hart. »Glenn! « sagte Power eindringlich. »Versuch jetzt, ganz ruhig zu sein! Hör nicht auf das, was dieses Mädchen dir sagt! Hör nur mir zu! Paß auf: Tony wird jetzt gehen und Liz holen. Ich meine dein Mädchen, nicht die Figur, die du da drinnen siehst, die dich lockt, die nur will, daß du den Bann für sie brichst, den sie selbst nicht zu brechen imstan‐ de ist.« Craig war bereits unterwegs. »Es hat lange genug gedauert, bis sie uns in die Falle gegangen ist, Glenn«, fuhr Power inzwischen aufgeregt fort. Auf seiner Stirn standen kleine Schweißtröpfchen. Er wußte, daß alles davon ab‐ hing, Glenn Ahearn noch eine Weile hinzuhalten. Wenn Tony erst mit Liz Crowley zurückkam, war die Partie gewonnen. Dann würde Glenn erken‐ 199
nen, daß Sheila Barrshee ihn zum Narren gehalten hatte. »Glenn! « wimmerte die Hexe. »Das ist doch Liz«, sagte Ahearn. Der Parapsycho‐ loge hakte sofort ein. »Sie hat nur die Gestalt deines Mädchens ange‐ nommen. Das ist ein ganz billiger Trick, Glenn. Wenn Tony mit Liz kommt, wirst du dich davon überzeugen können. « »Glenn!« jammerte die „Hexe. »Ich kann nicht mehr warten. Ich – ich werde sterben, wenn du mir nicht hilfst. « Craig kam zurück. Ohne Liz. In diesem Moment waren für Glenn Ahearn die Würfel gefallen. Mit einem weiten Sprung stürmte er in den Raum, auf das blutüberströmte Mädchen zu. Aber sobald sein Körper den magischen Kreis durchbrochen hatte, wurde aus Liz Crowley eine häßliche alte Frau. Das runzelige Gesicht verzerrte sich spöttisch, und mit hohntriefender Stimme kreischte die Alte: »Vielen Dank für deine Hilfe, Glenn Ahearn. Dafür werde ich mich erkenntlich zeigen. Du sollst als letzter sterben. «
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Der Schrei zitterte noch zwischen den Wänden, als sie wie ein Blitz aus dem Raum fegte und ver‐ schwand. Professor Power ging kreidebleich auf den erschüt‐ terten Ahearn zu. »O Mann, ich könnte dir jetzt die Fresse einschla‐ gen.«
Der dritte Tag. Nebel. So dicht, daß man die eigene Hand nicht vor den Augen sehen konnte. Die wabernden Schwaden krochen wie feindselige Ungeheuer um den Leuch‐ tturm herum. Amory Power hatte den Turm trotzdem verlassen. Gleich nach dem Frühstück war er nach draußen gegangen. Und nun, eine halbe Stunde später, kam er zurück. Sein Gesicht war zu einer permanent zornigen Grimasse geworden. Joan McMurray und Tony Craig saßen im Salon. Das Mädchen hatte den beiden inzwischen von seinem gruseligen Erlebnis erzählt, aber Joan war 201
nicht in der Lage gewesen* ihre Geschichte mit ir‐ gendwelchen Fakten zu untermauern. Selbst der Schaukelstuhl war spurlos verschwunden. Tony und Amory glaubten ihr trotzdem. Mit Power schwebten ein paar bizarre Nebelschwaden zur Tür herein. Sie hatten Ähnlichkeit mit überdimen‐ sionalen Krallenhänden, die nach Power faßten, ihn aber verfehlten. Amory nahm sich einen Drink und setzte sich seufzend zu ihnen. »Habt ihr nach Glenn gesehen?« fragte er. »Ja«, erwiderte Tony. »Wie geht es ihm?« »Unverändert.« »Hat er dich wenigstens erkannt?« »Nein.« »Armer Kerl. Er hat so gute Stücke geschrieben. Ob er das jemals wieder können wird?« »Wir wollen es hoffen«, sagte der Detektiv. »Was war draußen?« Power nippte am Bourbon. Dann zuckte er die Achseln. » Das Boot ist weg. Keine Spur von Liz Crowley oder Pat Stanwyck.«
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»Heißt das, daß sich die beiden in der vergangenen Nacht davongestohlen haben?« fragte Joan. »Pat hätte so etwas nie getan«, behauptete Craig. »Dann ist Liz allein gefahren«, sagte Joan. »Möglich«, seufzte Craig. »Aber was ist aus Pat geworden?« »Er könnte verschwunden sein, wie Bennett und Lebanon«, erwiderte Joan McMurray. Sie schob sich eine Zigarette zwischen die Lippen. Tony gab ihr Feuer. Sie rauchte gedankenverloren. Power nippte wieder am Drink. »Sheila Barrshee hat Liz ganz gewiß nicht ent‐ kommen lassen.« »Du meinst, Liz Crowley hat das Dorf nicht er‐ reicht?« fragte Craig. »Ich bin fast sicher, daß Liz auf dem Weg dorthin umgekommen ist. « »Und was wird aus uns?« fragte Joan McMurray mit einem besorgten Ausdruck in den Augen. Der Parapsychologe leerte sein Glas. »Wir haben starken Nebel und kein Boot. Es gibt kein Telefon. Es wäre Selbstbetrug, von einer sorglosen Zukunft zu sprechen. Ich bin sicher, daß sich heute unser aller Schicksal entscheiden wird. Wir sollten dar‐ auf achten, niemals allein zu sein. Sheila Barrshee 203
wird bestimmt immer wieder versuchen, uns zu trennen, um dann über einen von uns herzufallen. Es darf ihr nicht gelingen, uns auseinanderzubrin‐ gen, dann wird sie uns kaum was anhaben kön‐ nen.« »Und was soll aus Glenn werden?« fragte Joan den Professor. Power schüttelte den Kopf. »Der ist vor ihr sicher.« »Das verstehe ich nicht.« »Sheila Barrshee wird ihn in Ruhe lassen, solange sein Geist verwirrt ist. « »Weshalb?« Power zuckte die Achseln. »Geister und Dämonen ekeln sich vor Geistes‐ kranken. Ja, sie haben sogar eine panische Angst vor ihnen. Deshalb hat Glenn Ahearn nichts mehr zu befürchten. Er wäre erst wieder gefährdet, wenn sich sein Geisteszustand bessern würde, er also wieder normal wäre.« Nachdem Joan ihre Zigarette geraucht hatte, sahen sie zu dritt nach Ahearn. Er lag in seinem Bett wie eine aufgebahrte Leiche. Die Hände hatte er über der Brust gefaltet. Sein glanzloser Blick war starr zur Decke gerichtet. Er hörte sie zwar eintreten, 204
aber reagierte nicht darauf. Joan fragte ihn, ob er Hunger habe, ob er etwas essen wolle. Er sagte weder ja noch nein. Sie waren alle drei Luft für ihn. Wenn sich sein Brustkorb nicht regelmäßig gehoben und gesenkt hätte, hätte man meinen können, er wäre nicht mehr am Leben. Als sie wieder aus dem Zimmer waren, schüttelte Amory Power wehmütig den Kopf. »Ich hätte euch nicht hierher eingeladen, wenn ich geahnt hätte, was passiert. « »Was geschehen ist, ist zwar sehr schlimm, Amo‐ ry«, sagte Craig. »Aber dich trifft keine Schuld.« »Ich denke doch, Tony. Wir haben Sheila Barrshee zu sehr herausgefordert. Ich hätte wissen müssen, daß sie sich das nicht so einfach gefallen läßt. « »Ich möchte dir etwas zeigen, Amory«, sagte Craig. »Während du draußen nach Liz und Pat ge‐ sucht hast, haben Joan und ich uns hier drinnen umgesehen. Dabei ist uns etwas aufgefallen, was vielleicht von Bedeutung sein könnte. « Craig ging voran. Er stieg einige Stufen hinunter und wies dann auf eine Wand, in der es zahlreiche Risse und Sprünge gab. Und durch diese kleinen Spalten sickerten hauchzarte Nebelschwaden. 205
»Das Beben, das Sheila in der vergangenen Nacht verursacht hat, als sie in deine Falle geriet, hat die‐ se Mauer zerstört. Weißt du, was sich dahinter be‐ findet?« fragte der Detektiv. Power schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung.« »Könnte das der Abgang in den Keller sein, den du nie gefunden hast?« fragte Craig. »Schon möglich.« »Wir sollten nachsehen.« »Das werden wir«, sagte Amory Power. Er lief davon, und als er wiederkam, hatte er eine Spitzhacke in den Fäusten. Er begann sofort mit der Arbeit. »Du hast recht, Tony. Das muß der Kellerabgang sein.« »Dann nichts wie runter in die Katakomben!« for‐ derte der Detektiv. »Ohne Licht?« fragte Joan schaudernd. Power holte eine Petroleumlampe. »Da ist Licht«, sagte er. »Gehen wir!« brummte Tony. »Was suchen wir dort unten?« wollte Joan wissen. »Haben Sie Angst?« fragte Power. »Natürlich.« 206
»Hier«, sagte der Parapsychologe. »Ich habe etwas für Sie, Joan.« Er entnahm seiner Hosentasche ei‐ nen daumenlangen Lederbeutel, der an einem lan‐ gen Lederriemen hing. »Was ist das?« fragte Joan. »Ein Amulett. Ich habe es heute nacht angefertigt. Die Anleitung dazu fand ich in einem uralten Schmöker. Es wird Sheila Barrshee von Ihnen ab‐ halten.« »Sind Sie dessen sicher?« »Sie müssen vor allem fest daran glauben«, erwi‐ derte Power. Dann machten sie sich an den Abstieg. * »Verfluchter Nebel!« brummte Inspektor Moore‐ head und wandte sich vom Fenster ab. »In dieser undurchdringlichen Brühe erwische ich auf dem Heimweg immer das Nachbarhaus, egal, wie ich’s auch anstelle. Manchmal ist mir das direkt pein‐ lich. Die Nachbarin ist nämlich eine ungemein at‐ traktive Frau in meinem Alter – und alleinstehend. Die muß sich doch weiß Gott was denken, wenn ich ausgerechnet immer im Nebel bei ihr aufkreu‐ ze. «
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Der kleine bleichgesichtige Sergeant lachte pflicht‐ schuldig. Er saß an seinem schäbigen Schreibtisch und arbeitete für zwei. Das war schon so, seit Moorehead Inspektor geworden war. Und es wür‐ de sich wohl bis in alle Ewigkeit nichts daran än‐ dern. Das Telefon schlug an. »Moorehead!« meldete sich der Inspektor. Dann lauschte er kurz und rief: »Einen recht schönen gu‐ ten Morgen, Sir!« Dann lauschte er wieder. Am anderen Ende der Leitung war der Gerichts‐ arzt, ein netter alter Herr, den Moorehead nicht nur wegen seines Alters, sondern vor allem wegen seines Könnens schätzte. »Aha, Sir«, murmelte er ab und zu zwischen die Ausführungen des Anrufers. »Ich verstehe. Also kein Selbstmord. Das ist auf jeden Fall auszu‐ schließen. Ich hab’s gewußt. Ich hab’s sofort ge‐ wußt. Vielen Dank für den Anruf, Sir. Ich kriege dann von Ihnen noch den schriftlichen Bericht, ja? ... Stets zu Diensten, Sir. Sie waren mir wieder mal eine ganz große Hilfe.« Moorehead fand schöne Worte für den Abschluß seines Gesprächs. Dann ließ er den Hörer aus einer
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Höhe von zehn Zentimetern auf die Gabel klap‐ pern. »Sergeant Dickinson!« schnarrte er mit einer wich‐ tigtuerischen Stimme. Der kleine Dickinson schnellte hoch und schlug die Hacken zusammen. »Inspektor?« »Jetzt haben wir die Banditen.« »Ich verstehe nicht ganz, Sir.« »Ronald Sirk hat nicht Selbstmord begangen.« »Wie Sie angenommen haben, Sir.« »Der Gerichtsarzt, der seine Leiche seziert hat, hat eindeutig festgestellt, daß Sirk bereits tot war, als sich die Schlinge um seinen Hals zuzog. Jemand hat ihm Mund und Nase zugehalten, bis er erstickt war. Kommen Sie, Dickinson, wir fahren rüber zum Leuchtturm!« »Bei dem Nebel, Sir?« fragte der Sergeant erstaunt. Moorehead grinste. »War Ihr Vater nicht einer der besten Fischer in unserem Dorf?« »Das stimmt, Sir.« »Wir fahren trotz des Nebels!« entschied John Moorehead mit grimmiger Miene. »Wie Sie befehlen, Sir.« 209
»Bin gespannt, was Anthony Craig und Amory Power, diese beiden verfluchten Besserwisser, da‐ zu sagen werden. Vermutlich dürften sie sich wie‐ der auf Sheila Barrshee ausreden . . . « Sergeant Dickinson wurde um einige Zentimeter kleiner, als dieser Name fiel, und er warf dem In‐ spektor einen furchtsamen Blick zu. »… ... aber das nehme ich Ihnen nicht ab«, knurrte Moorehead feindselig. »Ich sage Ihnen, Dickinson, einer von denen dort drüben ist eine faule Frucht. Einer von denen ist ein Mörder. Und wir werden ihn uns greifen. « Die nackten Felswände waren naßkalt. Der helle Schein der Petroleumlampe leckte zuckend daran entlang, sich immer tiefer den Abgang hinuntertas‐ tend und im gleichen Verhältnis aufgebend, was hinter Joan, Tony und Amory zurückblieb. Sie waren dicht beisammen. Die beiden Männer hat‐ ten das zitternde Mädchen in ihre Mitte genom‐ men. Keiner sprach ein Wort. Jeder war total auf Empfang eingestellt, sei es nun mit den Augen oder mit den Ohren. Sie vernahmen das durch die eng beieinanderstehenden Wände verstärkte Knir‐ schen ihrer Schuhe. Sie hörten das Tosen der 210
Brandung, irgendwo dort oben und draußen. Die Stufen, die in ein nie geschautes Reich hinunter‐ führten, waren glatt, feucht und glänzten ekelig. Craig ging voran. Er trug die Lampe. Nun blieb er kurz stehen. Der Lichtschein fiel auf Joans verkantetes Gesicht. Es ist ein tapferes Mädchen, dachte Craig. Er konn‐ te sich gut vorstellen, wie es im Augenblick in Joan aussah. Vielleicht wäre sie nicht mitgekommen, wenn die Angst, dort oben allein zu sein, nicht noch größer gewesen wäre als die Furcht vor dem, was sie hier unten antreffen könnten. Joan stellte dieselbe Frage, die sie schon mal ge‐ stellt hatte: »Was suchen wir dort unten?« Tony zuckte die Achseln. »Fred Bennett, Herb Lebanon, Pat Stanwyck. Sie sind spurlos verschwunden. Irgendwohin müssen sie aber gekommen sein. Vielleicht finden wir . . .« Amory Power fiel ihm ins Wort: »Auch ein Geist wie Sheila Barrshee braucht so etwas wie eine Bleibe, wohin sie sich zurückziehen kann, wenn sie sich ausruhen möchte. Möglich, daß wir den Zu‐ gang zu diesem Platz gefunden haben.« Joan zuckte herum. 211
»Sie meinen, wir könnten dieses Biest dort unten antreffen? « »Wir werden Sie beschützen, Joan«, erwiderte der Professor ausweichend. »Keine Angst. Ihnen wird nichts geschehen. « »Pst!« machte Craig plötzlich und lauschte mit angespanntem Gesicht. Da vernahmen es auch die anderen. Ein monoto‐ ner Singsang drang aus der Tiefe des schwarzen Felsens. Power nickte fanatisch. »Das ist sie.« »Wird sie nicht um vieles gefährlicher sein, wenn wir sie in ihrem Versteck aufstöbern?« fragte Joan McMurray besorgt. Power lachte leise. »Soll ich Ihnen verraten, was ich mir so über diese verfluchte schwarze Frau denke? Sheila hat sich in den letzten Tagen ein bißchen übernommen. Sie hat so sehr gewütet und getobt, daß sie davon schwach geworden ist.« »Davon war bis jetzt aber noch nichts festzustel‐ len«, widersprach Joan schaudernd. »O doch, Joan!« sagte Power ernst. »Sie ist nicht mehr die, die sie noch vor drei, vier Tagen war. Ih‐
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re Kräfte haben nachgelassen. Wollen Sie einen Beweis dafür?« »Bitte.« »Ich habe einige Fallen für sie aufgebaut. Diese Fallen bestanden seit Monaten, aber Sheila war ih‐ nen stets geschickt ausgewichen. Doch in der ver‐ gangenen Nacht tappte sie zum erstenmal in eine solche magische Falle. Das ist für mich ein untrüg‐ liches Zeichen, daß ihre Konzentration stark nach‐ gelassen hat.« »Vielleicht ist sie lediglich sorgloser geworden«, wandte Joan ein, »weil sie sah, wie leicht sie mit uns spielen konnte.« »Nein, Joan. So sorglos ist kein Geist, daß er es sich leistet, in eine solche Falle zu gehen. Das war ihr erster großer Fehler. Doch nicht genug damit. Als sie in dieser Falle war, mußte sie alle ihre Kräfte aufbieten, um da wieder herauszukommen. Ich wette mit Ihnen, daß ihr die Flucht aus der Falle sehr viel von ihrer verfluchten Substanz gekostet hat. Ich will damit natürlich nicht behaupten, daß sie nicht mehr gefährlich ist. Wir müssen uns nach wie vor sehr vor ihr in acht nehmen. Aber ich bin sicher, daß sie ungemein viel von ihrer einstigen Gefährlichkeit eingebüßt hat.« »Was ist?« fragte 213
Craig ungeduldig. »Wollen wir nicht endlich wei‐ tergehen?« »Doch, Tony.« Amory Power nickte mit verschlos‐ sener Miene. »Wir müssen weitergehen. Wir dür‐ fen nicht umkehren. Wir müssen sie schocken. Dort unten erwartet sie uns bestimmt nicht. Wenn wir da auftauchen, wird sie aus allen Wolken fal‐ len. « Craig drehte sich um und setzte den Weg fort. Joan blieb dicht hinter ihm, Power bildete die aufmerk‐ same Nachhut. Der Singsang wurde lauter. Brandgeruch stieg den Freunden in die Nase. Bald hatten sie das Ende der Stufen erreicht. Ein düsterer Gang lag vor ihnen, der sich allmählich weitete. Von irgendwoher kam ein vager, unruhiger Lichtschein. Craig nahm von der Petroleumlampe ein bißchen Licht weg, damit sie ihr Schein nicht vorzeitig verriet. Er drehte den Docht nach unten. Die Flamme schrumpfte zu‐ sammen. »Weiter!« zischte der Parapsychologe aufgeregt. »Aber vorsichtig! « »Das hättest du mir nicht zu sagen brauchen«, gab Craig mit vibrierender Stimme zurück. Er ließ die Zungenspitze schnell über seine trockenen Lippen 214
huschen. In seinen Augen tanzte der Schein der Petroleumlampe. Mit behutsam gesetzten Schritten ging er auf den hypnotischen Singsang zu. Er ver‐ nahm das Tappen nackter Füße. Die Hexe stieß schauderhaft klagende Laute aus. Sie schien sich nicht sonderlich wohl zu fühlen. Anscheinend hat‐ te Amory recht. Sie hatte sich während der letzten Tage etwas übernommen. Vermutlich versuchte sie nun den Teufel zu beschwören, damit er ihr neue Kräfte verlieh. Craig blieb wie angewurzelt stehen. Joan, die damit nicht gerechnet hatte, stieß gegen seinen Rücken. Tony drehte augenblicklich die Lampe ab. Es war hell genug in dem großen unte‐ rirdischen Raum, den er nun vor sich hatte. Ein Feuer mit grünen Flammen brannte ungefähr in der Mitte des höhlenähnlichen Raumes. Doch das wäre für Craig kein Grund gewesen, so abrupt stehenzubleiben. Etwas anderes hatte ihn wie ein Keulenschlag getroffen. Er sah eine Menge Skelet‐ te, die an der gegenüberliegenden Wand aufge‐ schichtet waren. Und davor lagen Fred Bennett und Herb Lebanon. Beide mit Sicherheit tot. Und dann tauchte Sheila Barrshee auf. Schwarz gekleidet, wie sie die Freunde kannten, wie sie ih‐ 215
nen des öfteren schon erschienen war. Sie hatte verzückt die Augen geschlossen, warf gerade die Arme hoch, sprang in das Feuer und drehte sich langsam, während sie ihren schaurigen Singsang fortsetzte. Plötzlich fingen ihre Kleider zu brennen an. Sie fielen von ihr ab. Tony, Joan und Amory starrten angewidert auf ihren nackten, verhutzel‐ ten Körper, der über und über mit diesen schreck‐ lichen dunkelroten Narben bedeckt war. »Was nun?« fragte Craig ratlos nach hinten. »Umkehren! « flüsterte Joan mit bebenden Lippen. »Das wäre ein Fehler«, sagte Power gedämpft. »Sie weiß nicht, daß wir ihr Versteck gefunden haben. Es wird sie aus dem Gleichgewicht werfen, wenn wir ihr hier unten entgegentreten. Sie wird erken‐ nen, daß sie keinen Zufluchtsort mehr hat, wo sie ungestört ist.« »Sie sieht schrecklich aus!« ächzte Joan mit vor Ekel verzerrtem Gesicht. »Sie haben recht, Joan. Einen Schönheitswettbe‐ werb kann Sheila Barrshee nicht gewinnen«, knurrte Amory Power, während sein fanatischer Blick auf die spindeldürre Alte gerichtet war, die sich immerzu im Kreise drehte.
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»Ich sehe Fred und Herb. Aber wo ist Pat Stan‐ wyck?« raunte Craig. Amory zuckte die Achseln. Er ballte die Hände, konnte es nicht mehr erwarten, die Hexe anzugrei‐ fen, deshalb zischte er nervös: »Los jetzt, Tony! Mach dich bemerkbar!« Craig faßte sich ein Herz, spannte die Muskeln und federte in den großen Raum. »Sheila Barrshee!« brüllte er aus Leibeskräften. »Sheila, du verfluchtes Dreckstück! Sieh mal, wer dich besuchen kommt!« Die geisterhafte Erscheinung erstarrte, schnellte dann mit einem gellenden Schreckensschrei aus den grünen Flammen. Sobald sie aus dem Feuer war, umhüllte sich ihr dürrer Körper wieder mit schwarzen Kleidern. Sie riß den faltigen Mund weit auf und stieß ein grollendes Löwengebrüll aus. Mit einer ungeheuer tiefen Stimme schleuder‐ te sie den dreien wüste Verwünschungen entge‐ gen. Ihr abgrundtief böser Blick war auf Amory Power gerichtet. Ihm galt ihr größter Haß, denn von ihm drohte nicht nur die größte Gefahr, er war auch der Besitzer ihres Turms.
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»Ihr wagt es .. .«, brüllte sie fassungslos. »Ihr wahnwitzigen Menschen wagt es, hierherzukom‐ men?« »Wir fürchten dich nicht! « sagte Power herausfor‐ dernd. »Woher nehmt ihr den Mut, ihr Idioten?« »Deine Stunden sind gezählt, Sheila Barrshee!« schrie der Professor triumphierend. »Waaas?« kreischte die schwarze Frau. »Was sagst du da, du größenwahnsinniger Blödian?« »Du wirst sterben, Sheila!« Die Hexe lachte meckernd. »Das schaffst du nie, Amory Power. Nie! Nie! Nie! Ich werde dich vernichten. Ich werde euch alle vernichten. Der Turm wird bald wieder mir allein gehören! « » Heute nacht werden wir Vollmond haben, Sheila ! « rief Power. »Ihr werdet ihn nicht mehr sehen!« kicherte die Al‐ te schaurig. Craig machte mehrere Schritte auf das Gespenst zu. Sheila Barrshee starrte ihn wütend an. Aus ih‐ ren glitzernden Augen schossen ihm tödliche Blit‐ ze entgegen. »Zurück, Anthony Craig! Geh sofort zurück!« 218
Der Detektiv wich keinen Millimeter von der Stel‐ le. »Zurück, oder du bist des Todes!« kreischte die schwarze Frau zornig. »Du bist erledigt!« Craig grinste, während ihm der Schweiß über den Rücken lief. »Ich werde dir zeigen, wozu ich fähig bin! « schrie Sheila Barrshee außer sich vor Zorn. Sie sprang hoch und flog auf ihn zu. Da machte Power mehrere Schritte nach vorn. Die Hexe drehte in der Luft um und sprang vor die aufgeschichteten Skelette, breitete die spindeldür‐ ren Arme aus und schrie: »Verschwindet! Geht weg! Laßt diese Skelette in Ruhe! Sie gehören mir — mir – mir! « Power jagte auf sie zu. Er wollte sie am dürren Hals packen, aber seine Hände griffen durch sie hindurch. Die Alte stieß ein grelles Kichern aus. »Du kannst mich nicht anfassen, du armer Irrer! Das kannst du nicht!« Und während sie lachte und schrie, hackte sie mit ihren Klauenhänden nach seinem Gesicht. Er muß‐ te blitzschnell abducken. Die Krallen fegten haar‐ scharf an seiner Wange vorbei. Das hätte gefähr‐ lich tiefe Wunden gegeben, wenn der Hieb geses‐ 219
sen hätte. Power wich vor dem Spuk zurück. Das ließ die Hexe erneut schrill und triumphierend auflachen. Sie folgte ihm. »Töten! « brüllte sie mit einer Stimme, die die Höh‐ le erzittern ließ. »Ich werde dich töten, Amory Po‐ wer, und zwar jetzt!« Sie griff den Parapsychologen in rasender Wut an. Ihre knöcherne Hand traf Power am Kopf. Er flog zur Seite und stürzte. Sobald er den Boden berühr‐ te, warf er sich herum und sprang sofort wieder auf die Beine. Aber er war benommen. Sheila hatte Hände, die hart wie Stein waren. Mit einem oh‐ renbetäubenden Geheul flog sie um ihn herum, sprang ihm ins Kreuz, packte ihn von hinten an der Kehle und drückte mit brutaler Kraft zu. Po‐ wer rang nach Luft. Seine Hände zuckten umher. Er versuchte sich von dem mörderischen Würgeg‐ riff zu befreien, aber Sheila war nicht zu packen. Er faßte immer ins Leere. Sein Gesicht verzerrte sich, seine Augen traten weit aus den Höhlen. Die Zun‐ ge drängte sich aus dem Mund. Joan McMurray stand fassungslos da. Das Schauspiel war grauenvoll. Die schreckliche Hexe hing Power im Genick und brüllte ununterb‐ rochen: »Stirb! Stirb! Stirb!« 220
Craig war ratlos. Er wußte nur eines: wenn er seinem Freund nicht auf der Stelle zu Hilfe kam, war Power verloren. Aber wie sollte er helfen? Craig stürmte los. Er warf sich auf die Hexe. Schnaufend wollte er sie an den dürren Schultern packen, doch es war nichts da, wonach er fassen konnte. Die schwarze Frau bestand lediglich aus Luft. Das war eine verflucht gefährliche und eine verdammt einseitige Sache, denn wenn Sheila an‐ gegriffen wurde, bestand sie aus nichts. Wenn sie aber angriff, bestand sie aus Granit. »Stirb! Stirb! Stirb!« kreischte die widerliche Alte. Und sie würgte Power mit einer solchen Gewalt, daß der Parapsychologe schon nach wenigen Se‐ kunden zu Boden ging. Da hatte Craig eine Idee. Er kreiselte herum. »Joan!« rief er gehetzt. »Das Amulett! Schnell das Amulett!« Das Mädchen streifte den Lederriemen hastig über den Kopf und warf Craig das lederne Amulett zu. Der Detektiv fing es geschickt auf, sprang vor, den ledernen Talisman in der geballten Rechten. So drosch er auf Sheila Barrshee ein. Und siehe da, 221
plötzlich hatte die verfluchte Alte einen Körper. Und nicht nur das. Dieser Körper war zu verlet‐ zen. Tony Craig drosch wie besessen auf die Alte ein. Sheila brüllte entsetzt auf. Sie verstand nicht, wie Craig es möglich machte, ihr Schmerzen zuzu‐ fügen. Das Gespenst war gezwungen, von Power abzu‐ lassen. Tonys Herz schlug vor Freude wie ein Dampfhammer. Er setzte der schwarzen Bestie mit fanatisch glühendem Eifer nach, traf das grauen‐ volle Gesicht der Alten. Sheila prallte gegen die Felswand, schrie und stöhnte. Sie röchelte und kreischte, wimmerte und fauchte. Aber die mußte zurückweichen, konnte sich dem Kampf nicht stel‐ len. Zwar versuchte sie mehrmals, einen gefährli‐ chen Hieb mit ihren messerscharfen Krallen an‐ zubringen, doch Tony Craig verstand es, zu kämp‐ fen. Während ihre Entlastungsschläge und Aus‐ bruchsversuche immer wieder ins Leere verpuff‐ ten, traf en Craigs Schläge schwer ins schmerzende Zentrum. Er trieb die Alte in eine Ecke. Da stellte er sie, und er legte alles in seine Fäuste, um sie zu zertrümmern. Als Sheila Barrshee begriff, daß sie keine Chance gegen Craig hatte, wirbelte sie mit
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einem ohrenbetäubenden Geheul hoch und raste wie vom Teufel gejagt davon. Atemlos, schweißüberströmt, mit brennenden, zu‐ ckenden Muskeln – aber so glücklich wie schon lange nicht ‐drehte sich Anthony Craig um. Sein glühender Blick fiel auf das lederne Amulett, das wahre Wunder vollbracht hatte. Was gerade pas‐ siert war, hatte ihm eine kleine gesunde Pflanze, die Optimismus hieß, in die Brust gesetzt. Und diese Pflanze wurde von Sekunde zu Sekunde größer, zur strahlenden Zuversicht. Mit einemmal wußte er, daß sie nicht verloren waren. Sheila Barrshee war tatsächlich schwach geworden. Und sie war zu bezwingen. Bei Gott, sie war zu vernich‐ ten. Joan bemühte sich um Power. Sie half ihm auf die Beine. Der Parapsychologe massierte hustend seinen schmerzenden Hals. Sein Gesicht war verzerrt. Er dankte Craig für die Ret‐ tung, doch der Detektiv wehrte entschieden ab. »Ohne dieses Amulett hätte ich dir nicht helfen können«, sagte er ernst. Power betrachtete das Amulett gedankenverloren. Dann sagte er krächzend: »Heute nacht – bei
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Vollmond ‐, da schicken wir sie endlich in die Höl‐ le, Tony. « Der Detektiv nickte. Nun glaubte er daran, daß es ihnen gelingen würde. Es hätte sich nichts besser fügen können. Als In‐ spektor John Moorehead den Leuchtturm betrat, war er Craig und Power in höchstem Maße will‐ kommen. Die beiden ließen ihn nicht zu Wort kommen. Er mußte sich wohl oder übel anhören, was sie ihm zu berichten hatten. Als er vernahm, daß von den neun Personen, die vor drei Tagen hierhergekommen waren, nur noch vier übrig waren, begann er mit einemmal umzudenken. Es fiel ihm nicht leicht, Sheila Barrshee für all diese Dinge verantwortlich zu machen. Vor allem des‐ halb nicht, weil er nicht wußte, wie er das in sei‐ nem nüchternen Bericht unterbringen sollte. Doch je länger er den beiden Männern zuhörte, desto mehr begriff er, daß er sich zutiefst blamiert hätte, wenn er Power oder Craig des mehrfachen Mordes an ihren Freunden beschuldigt hätte. Als die Män‐ ner ihre Ausführungen schließlich auch noch da‐ durch bewiesen, daß sie dem Inspektor Sheilas Versteck zeigten, war Moorehead klar, daß er nicht länger gegen Power und Craig sein durfte. Er 224
mußte für sie und gegen Sheila Barrshee sein. Und er begann insgeheim zu hoffen, daß es diesen bei‐ den unerschrockenen Männern gelingen möge, diese verfluchte schwarze Frau, die ihm all die Jah‐ re eine Menge Sorgen gemacht hatte, niederzurin‐ gen und zu vernichten. Sergeant Dickinson wurde von ihm mit einigen Männern in den Turm befohlen. Man trug die Lei‐ chen von Bennett und Lebanon zum Polizeiboot hinunter. Dann holten sie Glenn Ahearn aus sei‐ nem Zimmer. Der einstmals vernünftige Mann hatte für alle bloß ein stupides Grinsen. Er begriff nicht, was mit ihm passierte. Und es war ihm‐ alles gleichgültig. Joan wollte bleiben. Aber Craig schüttelte energisch den Kopf. »Kommt nicht in Frage, Baby. Du fährst mit dem Inspektor.« »Mein Platz ist an deiner Seite, Tony«, sagte Joan fest. »Dagegen habe ich an und für sich nichts einzu‐ wenden«, erwiderte Craig schmunzelnd. » Laß mich bei dir bleiben! Ich würde drüben im Dorf vor Angst um dich umkommen. «
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»Was in dieser Nacht auf uns zukommt, Baby, müssen Amory und ich allein durchstehen. Ich sag’s nicht gern, aber du wärest eine Belastung für uns beide, ein Hemmschuh, verstehst du?« Joan versuchte es mit allen Tricks, aber Craig blieb hart. Er durfte nicht nachgeben. Wenn man ihn und Amory als eine Einheit betrachtete, dann wäre Joan McMurray ihre weiche Stelle gewesen, an der sie von Sheila Barrshee hätten verletzt werden können. Es durfte keine weiche Stelle geben. Sheila durfte nicht die geringste Chance haben. Deshalb schickte Tony sein Mädchen an Bord. Als Joan drüben stand, schimmerte ihm ihr hübsches Ge‐ sicht mit den besorgten Augen aus dem etwas dünner gewordenen Nebel entgegen. Moorehead hatte sich um hundertachtzig Grad gewandelt. Er drückte Power und Craig fest die Hand und wünschte ihnen viel Glück und gutes Gelingen. »Können wir gebrauchen«, erwiderte der Parapsy‐ chologe mit einem kleinen Lächeln. Moorehead wandte sich an Tony. »Ich glaube, ich muß meine Meinung über Privat‐ detektive revidieren, Mr. Craig. Es gibt unter ihnen nicht nur hirnverbrannte Idioten. « 226
»Danke, Inspektor!« Der Detektiv grinste. »Wenn das so ist, dann werde ich auch meine Meinung über Polizeiinspektoren revidieren müssen. Es gibt unter ihnen nicht nur starrköpfige Blödmänner. « »Also dann!« knurrte John Moorehead und sprang als letzter an Bord des Polizeibootes. »Inspektor!« rief Tony in den Nebel. »Ja, Mr. Craig?« »Passen Sie gut auf mein Mädchen auf!« »Sie können sich auf mich verlassen.« »Denken Sie an uns, wenn der Vollmond aufgeht!« »Dann werden wir Ihnen beiden die Daumen hal‐ ten!« rief der Inspektor zurück. Der Motor des Po‐ lizeibootes brummte auf. Das Schiff legte ab. Kurze Zeit war es noch wie ein Schemen im Nebel zu er‐ kennen, dann war es nur noch zu hören. Und schließlich verschluckte die trübe Nebelwand auch das Motorengeräusch. Power wandte sich seufzend um. »Jetzt sind wir allein.« »Stimmt nicht«, gab Craig grinsend zurück. »Shei‐ la Barrshee ist auch noch da.« * Es sollte eine regelrechte Hinrichtung werden. Die Idee dazu stammte von Amory Power. Sie trafen 227
ihre Vorbereitungen. Der Parapsychologe holte ei‐ ne der an der Wand hängenden Armbrüste, legte sie auf den Tisch und legte einen Bolzen daneben hin. Tony grinste. »Ein ungewöhnliches Mordinstrument in der heu‐ tigen Zeit.« »Wieso?« »Heutzutage feuert man mit Raketen, automati‐ schen Gewehren, mit Kanonen und Revolvern. « »Gegen Geister sind die alten Waffen immer noch die besten«, entgegnete der Parapsychologe. »Du mußt es ja wissen«, sagte Craig achselzu‐ ckend. Power wies auf die Armbrust. »Kannst du damit umgehen?« »Ich habe so’n Ding vor ungefähr zehn Jahren zum letztenmal in der Hand gehabt. Damals war ich nicht schlecht damit. Pat Stanwyck und ich haben in der Scheune des Wirts jeden zweiten Tag ein Wettschießen veranstaltet. Pat hat immer gewon‐ nen, aber stets nur hauchdünn.« Der Professor zündete sich eine Zigarette an und rauchte nervös.
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»Du wirst nur einen einzigen Schuß haben, Tony. Glaubst du, daß du das schaffst?« Craig nahm sich einen Whisky. »Kommt ganz darauf an, wie groß das Ziel ist. Wenn ich einer Stechmücke den Rüssel abschießen soll, wird ein Schuß nicht reichen. « »Du wirst auf Sheila Barrshee schießen!« sagte Power ernst. Craig trank. Dann fragte er sachlich: »Wird sie sich bewegen? « »Nein. Denn du wirst auf das Gemälde schießen, das ich dir gezeigt habe. « »Entfernung?« »Drei Meter.« »Da kann ich sie gar nicht verfehlen.« Power nickte. »Das ist auch meine Meinung.« »Wohin soll ich schießen, aufs Herz?« »Ja.« »Und was machst du inzwischen?« »Ich halte sie fest.« »Wie war das?« fragte Craig verwirrt. »Du brauchst doch das Bild nicht festzuhalten.« »Ich werde nicht das Bild, sondern Sheila Barrshee festhalten. «
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Craig trank den Whisky aus und grinste dann schief. »Es macht dir doch hoffentlich nichts aus, wenn ich dir nicht folgen kann, Amory?« Power stieß schon nach wenigen Zügen die Ziga‐ rette in den Aschenbecher. Er war mächtig aufge‐ regt. Kein Wunder, er hatte die Nacht der Nächte vor sich. Wenn es ihnen diesmal nicht gelang, Sheila zu vernichten, hatte die schwarze Frau vier Wochen nichts zu befürchten. In dieser Zeit würde sie vermutlich zum vernichtenden Gegenschlag ausholen. Dann war gewiß alles verloren. Deshalb hing Powers Zukunft und sein Leben vom Gelin‐ gen seines Mordplans ab. »Hör zu«, sagte Power mit vor Nervosität beben‐ der Stimme, »es genügt nicht, bis Vollmond zu warten, vor das Bild hinzutreten und dem Gemäl‐ de diesen Bolzen ins Herz zu jagen, Tony.« »Was fehlt noch?« fragte der Detektiv. »Sheila muß zu diesem Zeitpunkt Kontakt mit ei‐ nem Menschen haben. « »Und dieser Mensch wirst du sein«, sagte Craig. »Richtig. Ich werde sie zwingen, mich anzugreifen. Und wenn sie das tut, wenn sie mich attackiert,
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werde ich sie umklammern und nicht loslassen, ehe du den tödlichen Schuß abgegeben hast.« Craig schüttelte den Kopf. »Wie willst du sie festhalten? Sie besteht doch bloß aus Luft.« »Nicht, wenn ich das Amulett trage. Dann kann ich sie greifen. Aber ich werde sie nicht lange fes‐ thalten können. Sie wird sich zur Wehr setzen. Du mußt deinen Schuß so schnell wie möglich anbrin‐ gen. « »Du verlangst nicht wenig von mir«, erwiderte Craig und wiegte den Kopf, »’nen sauberen Blatt‐ schuß innerhalb weniger Sekunden.« »Ich bin mir der Schwierigkeit bewußt, Tony. Aber es gibt keine andere Möglichkeit, Sheila zum Teu‐ fel zu jagen.« Craig legte dem Freund eine Hand auf die Schul‐ ter. »Dein Part ist wesentlich schlimmer als der meine. Wollen wir nicht tauschen?« Amory Power schüttelte mit zusammengepreßten Lippen den Kopf. »Ich bin bestimmt nur halb so gut mit der Arm‐ brust wie du, Tony.« Der Detektiv seufzte. 231
»Na ja. Wir werden das verfluchte Kind schon schaukeln.« * Der Nebel löste sich im Laufe des Nachmittags auf. Es versprach, ein klarer Abend zu werden. Sheila Barrshee witterte, daß sie zum erstenmal ernsthaft in Gefahr war. Sie tobte durch den Leuchtturm, griff die Männer mehrfach an, schleuderte Stühle und Tische nach ihnen, versuchte sie in raffinierte Fallen zu locken, indem sie sich in Joan McMurray verwandelte. Und als das nicht verfing, kam sie als Inspektor Moorehead zur Tür herein. Aber auch damit erlitt sie Schiffbruch, denn die Freunde hat‐ ten einen Blick zum Fenster hinausgeworfen und festgestellt, daß weit und breit kein Polizeiboot angelegt hatte. Sie kam als Hund und als Katze. Sie versuchte wirklich alles, um die beiden Männer noch vor Anbruch der Nacht aus dem Turm zu bringen oder zu vernichten. Aber all ihre Tücken halfen ihr nicht. Der Abend kam trotzdem, und Craig und Power waren immer noch da. Der Parapsychologe hatte den Armbrustbolzen mit einem gelblichen Pulver präpariert. Ein ähnliches Pulver befand sich in dem kleinen Lederbeutel, den er wie ein Heiligtum um den Hals trug. 232
Wie eine riesige Silberscheibe kroch der Vollmond aus den schwarzen Fluten der See. Für Craig und Power war es das herrlichste Schauspiel, das die Natur ihnen bieten konnte. In dieser Nacht hatte Sheila Barrshee zum ersten‐ mal Angst. Sie hatte sich irgendwo hoch oben im Turm verkrochen und wimmerte dort, daß davon Steine weich werden konnten. Doch Craig und Power blieben hart. Um zehn war der Vollmond am schwarzsamtenen Firmament so hoch gekrochen, daß sein bleiches Licht zum schmalen Fenster hereinflutete und das Gebäude mit seinem silbernen Schein übergoß. Craig hatte den Eindruck, die gemalte Frau wäre durch das Mondlicht zum Leben erwacht. Die Schauergestalt sah so erschreckend lebensecht aus, daß man meinen konnte, Sheila Barrshee hätte sich selbst in diesen Rahmen gestellt. Um elf gab Power seinem Freund einen Klaps auf die Schulter. »Jetzt?« fragte Craig gespannt. Der Professor nickte bedächtig. Seine Wangen waren bleich. »Jetzt!« sagte er heiser. »Mach’s gut, Amory.« 233
»Mach’s besser, Tony. Und vergiß nicht: sie hat das Herz am rechten Fleck! « Während Anthony Craig die Armbrust spannte, den Bolzen in die Abschuß rinne legte und die alte Waffe zur Hand nahm, trat der Parapsychologe aus dem Raum. Draußen rief er Sheila Barrshee. Sie heulte irgendwo hoch oben wütend auf, aber sie kam nicht. Da begann Power sie zu beschimp‐ fen. Er wußte, womit er sie am schlimmsten belei‐ digen konnte. Und genau das brüllte er immer wieder. Seine Stimme hallte durch den leeren Leuchtturm. Power mengte in seine Flüche, Belei‐ digungen und Beschwörungen einige Wörter, die Tony Craig nicht verstand. Es mußten Wörter aus einer alten, ausgestorbenen Sprache sein. Und ge‐ rade sie waren es, die die verdammte Hexe am meisten reizten, sie geradezu zur Weißglut trieben. Ihr Geheul nahm zu. Und sie kam näher. Tony konnte ihre gräßliche Stimme nun deutlicher hö‐ ren. Amorys Worte zeigten Wirkung. Er lockte sie aus der Reserve, machte sie mit seinen andauernden Schimpfkanonaden und Beleidigungen so rasend, daß sie all ihre Vorsicht vergaß und nur noch den
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Wunsch hatte, den verhaßten Parapsychologen an‐ zugreifen und zu vernichten. Es dauerte eine volle Stunde, bis Amory Power sie soweit aus der Fassung gebracht hatte, daß ihr gleichgültig war, wie groß die Gefahr war, in die sie sich begab. Sie wollte endlich Amory Powers Tod. Und sie erschien um Mitternacht mit Donnergrol‐ len im Salon. Ein schrecklicher Sturm umfauchte sie. Ihr Anblick war so grauenerregend, daß Amory Power sich zusammennehmen mußte, um ihn zu ertragen. Sie stieß schaurige Laute aus. In ihren Augen glomm das Feuer der Hölle. Der Satan schien sie mit neu‐ en Kräften ausgestattet zu haben. So drohend und so gefährlich hatte Power sie noch nie gesehen. Er hatte sie gereizt, wie sie noch nie gereizt worden war. Und nun war sie da, um ihn dafür zu bestra‐ fen. Er spürte die Gänsehaut, die seinen Körper bedeckte. Dicke Hagelkörner schienen durch seine Adern zu rollen. Er bebte vor Furcht und Erre‐ gung. Aber er wich keinen Schritt vor dieser scheußlichen Bestie zurück – im Gegenteil, er trat ihr sogar zwei Schritte entgegen.
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Da blähte sie sich zu einem unförmigen Ding auf, das auf ihn zuraste. Ihre Arme schossen vor. Er warf sich zur Seite. Ihre Krallen erwischten sein Ja‐ ckett. Es zerriß mit einem häßlichen Geräusch. Sheila Barrshee schleuderte den Jackettfetzen mit einem Triumphgeheul von sich. Und schon stürm‐ te sie wieder auf den Parapsychologen ein. Dies‐ mal fügte sie ihm mehrere tiefe Kratzwunden am Arm zu. Als sie sein Blut aus den Wunden schie‐ ßen sah, schrie sie voll Freude auf und wollte die‐ sen Erfolg sogleich verdoppeln. Aber da warf sich Amory Power mit einer wahren Todesverachtung nach vorn. Sein Körper prallte gegen den ihren. Er umschlang mit seinen bebenden Armen ihren stin‐ kenden, widerlichen Leib. Sie brüllte wütend auf, schnellte herum, wollte sich von ihm losreißen, aber er umklammerte sie so fest, wie er nur konn‐ te. Und er schrie mit schriller Stimme: »Jetzt, Tony! Schieß! Schieß, Tony! Töte sie!« Die schwarze Frau raste. Sie schlug Power ihre scharfen Krallen in den Rücken. Sie plärrte ihm so laut in die Ohren, daß er glaubte, davon taub zu werden. Sie rüttelte an seiner Umklammerung. Sie versuchte ihn wütend abzuschütteln. Sie schlug 236
ihn, trat ihn mit den Füßen und biß ihn. Aber er ließ nicht los. Atemlos preßte er sich an sie. Egal, was passierte, er wollte sie nicht mehr freigeben. »Schieß, Tony! « brüllte er voll Haß. »Bring sie um! Töte sie!« Er spürte, wie seine Kräfte nachließen. »Schnell, Tony!« rief er entsetzt. »Mach schnell! Ich schaff’s nicht mehr lange! « »Du Idiot!« kreischte Sheila Barrshee ihm ins Ge‐ sicht. »Dachtest du im Ernst, du könntest mir ge‐ fährlich werden?« »Tony, mach sie fertig!« »Er kann nicht!« Die Hexe lachte schrill. »Er kann nicht! Er hat Angst, danebenzuschießen. Er zittert. Er schafft es nicht! Ich werde euch töten, ich ! Alle beide! « Tony Craig preßte verzweifelt die Armbrust an die Schulter. Sein Körper schlotterte, als hätte er Schüt‐ telfrost. Und draußen tobte ein Kampf auf Leben und Tod. Und Amory brüllte andauernd, er solle endlich schießen. Tonys Nerven waren nahe dar‐ an, zu reißen. Da drückte er ab. Surrend vibrierte die Sehne. Der Bolzen sauste dem Gemälde so schnell entgegen, daß man ihm mit den Augen
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nicht folgen konnte. Das Geschoß bohrte sich in die linke Brust der schrecklichen schwarzen Frau. Und plötzlich lebte sie wirklich. Anthony Craig traute seinen Augen nicht. Das grauenvolle Gesicht der Alten verzerrte sich. Ein höllischer Schmerz krümmte sie zusammen. Sie stieß einen schauerlichen Schrei aus. Blut quoll aus ihrem Körper. Krampfartige Zuckungen befielen sie. Aus ihrem widerlichen Mund strömten die entsetzlichsten Verwünschungen. Ihr Blick war in namenlosem Haß auf Tony gerichtet. Grüne Feuerzungen leckten über ihre bebenden, bersten‐ den Lippen. Ihr Gesicht ging in Flammen auf. Bald brannte ihr ganzer Körper. Sie stieß die schreck‐ lichsten Schreie aus, die Craig jemals gehört hatte, während sie vor seinen Augen im Bilderrahmen zuckend umhertanzte und innerhalb weniger Mi‐ nuten restlos verbrannte. Da, wo der Armbrustbolzen in der Leinwand steckte, gloste noch wenige Augenblicke ihr zu‐ ckendes Herz, das Tony haargenau getroffen hatte. Als das Glosen dann vorbei war, ragte der Bolzen aus einer gespenstisch leeren Leinwand. Craig schleuderte die Armbrust fort und hetzte aus dem Raum, um nach Amory Power zu sehen. Der 238
Freund lag ohnmächtig auf dem Boden – allein. Craig atmete auf, sah sich die bösen Verletzungen an. Es waren lediglich Fleischwunden. Sie würden heilen. Natürlich würden häßliche Narben zu‐ rückbleiben. Aber es war besser, mit Narben zu le‐ ben, als ohne Narben tot zu sein. Der Detektiv schleppte den Freund in dessen Zimmer. Dort ver‐ arztete er Amorys Wunden, wie er es beim Erste‐ Hilfe‐Kurs gelernt hatte. Dann nahm er sich einen sechsstöckigen Whisky. Tony war zwar kein Säu‐ fer, aber nun brauchte er etwas Hartes im Magen, sonst wäre ihm das Abendessen hochgekommen. Als Power zu sich kam, schnellte er schreiend hoch und schlug um sich. Craig grinste ihn breit an. »Sag mal, was soll das? Willst du mich schrecken?« »Was – was ist passiert, Tony?« fragte Power ver‐ dattert. »Wo ist Sheila Barrshee?« Craig grinste noch breiter. »Sheila Barrshee ist da, wohin sie gehört, Amory: bei ihrem Verbündeten, dem Teufel.« Und nun er‐ zählte der Detektiv alles das, was Power durch seine Ohnmacht versäumt hatte. Den nächsten Drink kippten sie bereits gemeinsam. Und als der Morgen kam, waren sie so blau, daß sie nicht mehr 239
mit Sicherheit sagen konnten, wie sie hießen. Am frühen Vormittag holte sie Inspektor Moorehead ab. Er konnte für sie nicht mehr tun, als sie in die Ausnüchterungszelle zu stecken. Er war trotzdem stolz auf die beiden, denn sie hatten ein schwieri‐ ges Kunststück fertiggebracht: Anthony Craig und Amory Power hatten ihr Dorf von einem bösen Alptraum befreit. Endlich durfte dieses gottverlas‐ sene Dorf aufatmen. Zum Henker! dachte Inspektor John Moorehead. Sie haben ein Recht darauf, sternhagelvoll zu sein. ENDE
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