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Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes ORION – mit Oberst Cliff McLane und seiner Crew.
2500 Menschen a...
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Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes ORION – mit Oberst Cliff McLane und seiner Crew.
2500 Menschen auf dem Planeten Countess Marays, dem Fundort der wertvollen AronovizKristalle, sind vom Kältetod bedroht. Schnelle Rettung tut not, denn die Siedler, Techniker und Bergarbeiter von Countess haben nur noch Energievorräte für wenige Tage. Aber wer soll die Menschen retten? Die Kreuzerflotten sind nicht verfügbar, denn sie operieren in einem entfernten Sektor des Alls. Die Weltraumpioniere sind auf einem abgelegenen Planeten eingesetzt, und die Robotfrachter sind unterwegs zu anderen Welten. Bleibt nur Cliff McLane mit seiner ORION VIII. Der Oberst beginnt den gefährlichen Flug und entdeckt die Spirale zur anderen Welt.
Alle Romane nach der großen Fernsehserie RAUMSCHIFF ORION erscheinen als Taschenbuch im MOEWIG-VERLAG.
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Vom gleichen Autor erschienen bisher folgende Raumschiff-Orion-Romane: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32
Angriff aus dem All (T 134) Planet außer Kurs (T 136) Die Hüter des Gesetzes (T 138) Deserteure (T 140) Kampf um die Sonne (T 142) Die Raumfalle (T 144) Invasion (T 146) Die Erde in Gefahr (T 152) Planet der Illusionen (T 154) Wettflug mit dem Tod (T 156) Schneller als das Licht (T 158) Die Mordwespen (T 160) Kosmische Marionetten (O 13) Die tödliche Ebene (O 14) Schiff aus der Zukunft (O 15) Verschollen im All (O 17) Safari im Kosmos (O 18) Die unsichtbaren Herrscher (O 19) Der stählerne Mond (O 20) Staatsfeind Nummer Eins (O 21) Der Mann aus der Vergangenheit (O 22) Entführt in die Unendlichkeit (O 23) Die phantastischen Planeten (O 24) Gefahr für Basis 104 (O 25) Die schwarzen Schmetterlinge (O 26) Das Eisgefängnis (O 27) Bohrstation Alpha (O 28) Das Team der Selbstmörder (O 29) Der Raumpirat (O 30) Der Königspfad (O 31) Die träumende Erde (O 32)
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HANS KNEIFEL
RAUMSCHIFF ORION
SPIRALE ZUR
ANDEREN WELT
Zukunftsroman
Deutsche Erstveröffentlichung
MOEWIG-VERLAG MÜNCHEN
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Für den Moewig-Verlag nach Ideen zur großen Fernsehserie
»Raumpatrouille«, produziert von der Bavaria-Atelier GmbH,
geschrieben von Hans Kneifel
Copyright © 1970 by Arthur Moewig-Verlag Printed in Germany 1970 Foto: Bavaria-Atelier GmbH. Umschlag: Ott & Heidmann design Gesamtherstellung: H. Mühlberger, Augsburg
Der Verkaufspreis dieses Buches enthält die gesetzliche Mehrwertsteuer
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Der hochgewachsene Mann mit dem dünnen Schnurrbart über der Oberlippe trat schnell ein, begrüßte die Frau mit einem Kopfnicken und öffnete seine geballten Fäuste. Er sah schnell auf die vorbeihuschenden Zahlen der Digitaluhr an seinem rechten Mittelfinger. Bela Rover, der Chef des Büros für extraterrestrische Angelegenheiten, hatte lange und kräftige Finger. An der Bewegung seiner Hände konnte die Frau sehen, wie nervös dieser Mann war. Rover, ein gutaussehender Mann von rund fünfzig Jahren, schien etwas zu jung für den Posten, den er innehatte; aber seine Erfolge auf dem Planeten der Tausend Buchten hatten ihn sicherer gemacht – und auch anfälliger für Fehler. Er setzte sich in den hochlehnigen Sessel, der hinter dem Schreibtisch stand und sah einen Augenblick lang nachdenklich auf den langen Strand der Insel hinaus, dann sagte er leise: »Dreißig Minuten fast, General. Es tut mir leid, daß ich Sie so lange habe warten lassen.« Lydia van Dyke betrachtete die Platte des Tisches; sie war übersät mit Papieren, mit kleinen, dreidimensionalen Modellen und Diagrammen. Über allem lag, auseinandergefaltet, eine Situationsanalyse. Lydia wußte nicht, wer diese Analyse, auf der sich bestürzend viele rote Linien zeigten, angefertigt hatte. Sie wußte auch nicht, wofür und über welches Projekt diese Studie ausgearbeitet worden war. »Ich weiß«, sagte sie leise, »Ihre Zeit ist fast so kostbar wie ein Kilogramm von Aronoviz-Kristallen.« Sie ahnte noch immer nicht, warum Bela Rover so nervös war. »General«, sagte Rover, und zum erstenmal hörte Lydia echte Verzweiflung aus der Stimme des Mannes vor ihr, »die Lage ist so verdammt ernst, daß ich nicht weiß, was ich tun soll. Natürlich bieten sich viele Möglichkeiten an, aber sie alle haben ein einziges Handikap.« Lydia musterte die Projektion der Raumkugel und sah in der zweiten Entfernungsschale ein Licht flackern. Dies war die Position einer Sonne, mit der oder mit deren Planeten sich die allgemeine Aufregung beschäftigte. Sektor Zwei... das war nahe und doch weit entfernt. »Für ein Schiff eine Strecke von mindestens vierzig Stunden«, sagte Rover, als habe er ihre Gedanken erraten. »Sie haben heute Ihren großen Tag«, sagte Bela mit starrem Gesicht und ohne jeden Humor. »Ihre Idee, falls sie gut ist, wird innerhalb von Minuten ausgeführt.« Lydia lehnte sich zurück, dachte kurz nach und fragte dann: »Ich kann keine Idee haben, wenn ich nicht weiß, worum es sich handelt. Wollen Sie es mir nicht sagen, Bela?« Er sah wieder auf die Uhr. »Noch nicht«, sagte er. »Studieren Sie zuerst einmal diese Situationsanalyse, General. Dann werden Sie verstehen, warum mein Büro im Augenblick einem aufgescheuchten Ameisenhaufen ähnlicher ist als einer Dienststelle der Basis 104.« Er beugte sich über den Schreibtisch und reichte ihr den Bogen. »Danke.« Ehe Lydia van Dyke den Bogen genauer betrachtete, hob sie noch einmal den Kopf und sah Bela voll ins Gesicht.
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»Es sieht so aus, als würden wir zusammen auf etwas oder auf jemanden warten?« »Es sieht nicht nur so aus«, sagte Rover. »Wir warten tatsächlich. Auf Cliff McLane und seinen äußerst fähigen Bordingenieur Hasso Sigbjörnson. Unsere letzte Hoffnung, sozusagen.« Lydia bemerkte kurz: »Letzte Hoffnungen sind oft erste Überraschungen!« »Hoffentlich!« murmelte Bela Rover düster. »Hoffentlich!« Seine Stimmung und die nur mühsam verborgene Hektik in den Räumen rund um sein Büro entsprachen der Bedeutung dieser Situationsanalyse. Es waren zweitausendfünfhundert Menschen in Lebensgefahr und mußten innerhalb einer möglichst kurzen Zeit gerettet werden. Vor genau zwei Stunden war der erste, dringende Notruf angekommen – eine erstaunlich kurze Zeit, dachte Lydia. Wieder einmal hatte der Mensch, den dringenden Wünschen der technischen Industrie gehorchend, versucht, auf einem Planeten Fuß zu fassen. Drei Monate lang hatte der Planet die zweieinhalbtausend Menschen in der trügerischen Illusion gewiegt, sie würden ihn kennen und sogar beherrschen. Jetzt hatte er sie überrascht. Mit einer tödlichen Art von Überraschung, aber mit keiner jener meteorologischen Ursprungs, die man nicht hätte vorher ahnen können. Zu wenig lange beobachtet, zu schnell besiedelt, zu wenige Sicherheitsmengen. Zweieinhalbtausend Menschen warteten jetzt darauf, daß die Erde sie retten würde. Lydia sagte nach vier Minuten: »Das sieht sehr böse aus. Eine Totalevakuierung kommt nicht in Frage, weil fast alle Robotschiffe unterwegs sind und nicht auf ein anderes Ziel umprogrammiert werden können.« Bela Rover zerknüllte einen Papierbogen in seiner unruhigen Hand, zuckte zusammen und faltete den Bogen wieder auseinander. Dann glättete er ihn, indem er mit einem nervenzermürbenden Geräusch ständig darüber hinwegfuhr. »Und die Schiffe der Flotte operieren teils in einem Manöver, teils bei einer anderen Aktion auf der entgegengesetzten Seite der Erde, also in West/Zwei und Drei.« Lydia fragte: »Wer ist für die Planung verantwortlich?« Bela sah den Chef der Schnellen Raumverbände unruhig an, dann zuckte er die Schultern. »Niemand und jeder. Mein Büro war federführend, aber zehn verschiedene Interessengruppen aus der Industrie brachten in die gesamte Planung starke Verwirrung hinein. Ausnahmsweise trage ich nicht allein die Verantwortung. Wenn es nach uns hier gegangen wäre, würde jetzt noch niemand außer einigen Robots oder einigen Pioniergruppen mit eigenen Schiffen dort in Ost/Zwei leben oder arbeiten.« »Noch einige ›Wenn‹, und die Rettung kann beginnen«, sagte Lydia ohne Spott. »Diese Betrachtungsweise nützt niemandem etwas – am allerwenigsten den Arbeitern dort. Was haben Sie an Schiffen aufgetrieben, Bela?« Rover sagte kalt: »Acht Stück. Sie rasen bereits auf den Planeten zu. Sie können etwa einhundert oder, wenn rücksichtslos eingeladen wird, einhundertfünfzig Menschen mitnehmen. – 7 –
Mehr Schiffe haben wir gegenwärtig nicht zur Verfügung. Und wenn wir auf die Flotte zurückgreifen wollen, stellt sich heraus, daß innerhalb der benötigten Frist kein einziges Boot dort landen kann.« Lydia tippte auf den Bogen und sagte: »Nach dieser Analyse ist es ein Fall von Energiemangel. Energie gleich Wärme oder Hitze?« »Richtig.« »Also«, sagte Lydia van Dyke, »ist es nicht falsch, anzunehmen, daß beispielsweise ein Atommeiler, der elektrischen Strom erzeugt, das Problem lösen würde.« Lydia sah, wie das Gesicht Bela Rovers plötzlich reglos wurde; es bekam einen Ausdruck, als ob Rover in sich hineinhorchen würde. Dann nickte er und sagte: »Das war es, Lydia. Ich hatte vor ungefähr einer Stunde einen flüchtigen Gedanken und wurde unterbrochen. Die Pioniere... sie haben sicher ein fahrbares oder ein fliegendes Aggregat.« Er drückte eine Taste und verlangte den Chef der Pionierabteilungen. Die Leitungen, auf denen ununterbrochen gesprochen wurde, schienen überlastet zu sein, denn Rover mußte warten. Endlich klappte die Verbindung, und außerhalb des Sichtbereichs von Lydia war der Oberkörper des Mannes zu sehen. Rover hob die Hand, begrüßte seinen Kollegen und fragte dann schnell: »Entwyler... was ich brauche, ist folgendes: Ein schnelles Schiff, das als Energiezentrale ausgebildet ist. Meinetwegen besteht es nur aus Steuerstand und Nuklearmeiler, aber es muß eine sehr hohe Kapazität haben. Besitzen Sie ein solches Ding?« Die dunkle, langsame Stimme Entwylers antwortete zögernd: »Ich weiß nicht, wozu Sie es brauchen... ja, ich habe zwei Versionen anzubieten. Eine ist fahrbar, kann in drei Schiffen transportiert und binnen zweier Tage zusammengebaut werden...« »Uninteressant. Vergessen Sie dieses Ding«, sagte Bela scharf. »Wir haben nicht viel mehr als dreimal vierundzwanzig Stunden Zeit.« »Und eine meiner Anlagen mit geringerer Kapazität ist raumflugtüchtig. Aber sie ist nicht als Schiff ausgebildet, sondern als schleppfähige Anlage. Das bedeutet...« »Einen Augenblick!« rief Bela, sprang auf und ging zur Tür. Er hatte auf dem kleinen Monitor die Gesichter von Cliff McLane und Hasso gesehen. Die Tür glitt auf, und beide Männer kamen herein. Anstelle einer Begrüßung nahm Bela den Kommandanten am Arm, lief mit ihm durch den Raum und drückte ihn in seinen Sessel. Dann sagte er hastig: »Hören Sie gut zu, Cliff. Wir haben das Problem, eine Station in Ost/Zwei mit einer riesigen Menge von Heizungsenergie zu versorgen. Das könnte geschehen, wenn Sie sich bereiterklären, mit der ORION...« Entwylers Stimme aus dem Videophon unterbrach Bela Rover. »Ich komme mit Cliff McLane schon klar. Also, Kommandant, wie stehen Sie dazu?« »Positiv!« Während er sich mit dem Leiter der Pionierabteilung Terras unterhielt, bot Bela dem Bordingenieur einen Sessel an, ließ Getränke kommen und erläuterte leise sein Problem. Gleichzeitig sicherte er sich die Mitarbeit der Schnellen Raumverbände – 8 –
die sofort starten würden. Langsam nahm die Aktion der Rettung deutlichere Formen an. Seit dem ersten Notruf waren jetzt einhundertdreißig Minuten vergangen. Die Zeit drängte, und wenn Hasso, der sich die Analyse erklären ließ, seine eigenen Erfahrungen mit zur Beurteilung der Lage heranzog, dann schmolz die Frist zur Rettung schneller, als ihnen allen lieb war. »Bela!« rief Cliff vom Videophon her.
»Ja?«
Mit einigen schnellen Schritten war der Chef des BEA neben dem
Kommandanten und schaute in den Bildschirm hinein. Ruhig fragte Entwyler: »Wann und wo brauchen Sie das Aggregat?« »Sofort. Wenn möglich in der Basis 104«, sagte Bela. »Sie scherzen«, meinte der Pionierchef. »Glauben Sie etwa, wir landen diese Objekte auf der Erde?« Cliff zwinkerte mit den Augen und fragte leise: »Wo befindet sich das Aggregat?« Entwyler gab zur Antwort: »Es befindet sich in einem festen Orbit um Terra. Dort parkt es im Moment; wir hätten es morgen wieder abgeschleppt. Sie holen also dieses Aggregat ab und schleppen es dorthin, wo es von Bela gebraucht wird?« »Ja«, sagte Cliff. »Falls ich erfahre, worum es geht.« »Aber gern«, meinte Bela, dem die Erleichterung deutlich anzusehen war. »Es geht um das Leben einer voll ausgebauten Station zum Fördern von AronovizKristallen. Und überdies um das Leben von zweieinhalbtausend Menschen.« Entwyler sagte leise: »Ich bedaure daß ich Ihnen nicht mehr helfen kann. Aber falls Sie die Daten brauchen... es ist ohne weiteres möglich, mit diesem fliegenden Aggregat eine komplette Stadt mit Werkstätten und kleinen Fabriken mit Energie zu versorgen.« »Das ist eine ausgezeichnete Bemerkung, Entwyler«, sagte Rover, bedankte sich und schaltete die Verbindung aus. Cliff stand auf und sagte: »Würden Sie mich bitte erst einmal darüber aufklären, welches Problem sich uns gestellt hat, Bela? Sie rufen bei mir und Hasso an, schreien aufgeregt herum und jagen uns in der glühenden Mittagshitze quer über die Insel. Und dann werde ich gezwungen, mich mit einem Pionier über die technischen Details einer unbekannten Maschine zu unterhalten. Was ist denn eigentlich los?« Er begrüßte Lydia van Dyke und sagte dann leicht verwirrt:
»Mann, Bela – Sie sehen direkt erschüttert aus! Was haben Sie?«
Lydia antwortete.
»Es geht vermutlich um die Zeit von rund sechzig Stunden. Wenn es nicht
gelingt, innerhalb dieser Zeit eine riesige Energiemenge nach Countess Marays zu schaffen, sterben dort zweieinhalbtausend Menschen.« »Das war eine deutliche Aussage«, meinte Cliff, setzte sich und begegnete einem ernsten Blick von Sigbjörnson. »Und wie komme ich ins Bild? Wieder einmal: McLane, übernehmen Sie bitte?« »So ist es«, sagte Bela Rover. Lydia van Dyke, Bela Rover, Hasso und Sigbjörnson saßen um den Tisch herum und schauten auf das Blatt mit der ausgearbeiteten Analyse aller Vorgänge und – 9 –
Probleme auf dem Planeten Countess Marays. Die Stimmung war angespannt. Sie alle wußten, wie dünn die Grenze zwischen Erfolg und Mißerfolg einer Rettungsaktion war. Sie diskutierten innerhalb einer halben Stunde das gesamte Projekt durch, machten Notizen und arbeiteten einen Dreistufenplan aus. Zuerst würden dringende Funksprüche an alle Schiffe herausgehen, die zwischen der Erde und dem gefährdeten Planeten flogen. Zweitens: ein Pionierkorps würde starten und versuchen, die Siedlung Aronoviz-Town zu erreichen und die Besatzung zu entsetzen. Aber die schnellste Aktion sollte Cliff mit seinem Team durchführen, und ihm selbst, zweifellos einem der besten Raumpiloten, die Terra besaß, fiel eine Sonderaufgabe zu. Sie war ebenso gefährlich wie die augenblickliche Lage der Terraner auf Countess Marays. Oder – noch gefährlicher. * Cliff Allistair McLane kämpfte sich langsam aus der Tiefe seines Schlafes. Es waren nur zwei Stunden gewesen, die er sich gegönnt hatte, aber sie schienen ihm für den Augenblick ausreichend. Er lehnte sich in den schmalen, schaumstoffumkleideten Sitz vor den Apparaturen zurück und drückte auf einen breiten Schalter. In zehn Sekunden würde die Automatik einen Becher heißen Kaffees auswerfen. Als er ganz wach geworden war, richtete er seine Augen auf den kleinen Monitor, der nur zehn Zentimeter Bilddiagonale besaß. Alles hier in diesem raumflugfähigen Aggregat war klein, auf höchste Raumausnutzung gebaut und bot gerade einem einzigen Menschen die Möglichkeit, zu leben. Er schaute auf das Leuchtzifferblatt der Uhr mitten zwischen den Instrumenten. »Bis jetzt ist es gut gegangen«, murmelte er und drehte dann an dem Regler der Intercomanlage. »Hier ORION. Sigbjörnson – Bordwache«, sagte Hasso leise. »Ausgezeichnet«, sagte Cliff ins Mikrophon. »Gut, daß ich gerade dich treffe; es ist etwas reichlich eng hier. Wie sieht es aus in der guten, alten ORION?« »Ausgezeichnet, Cliff«, sagte Hasso. »Die anderen schlafen. In vierundzwanzig Stunden sind wir an Ort und Stelle.« Cliff deutete auf den Monitor und sagte halblaut: »Hast du ein Bild von der Maschine?« »Ja, sofort«, meinte Hasso. Er saß in Cliffs Kommandantensessel in der ORION. Die Maschine, wie sie von allen genannt wurde, hing an vier starken Magnettrossen an der ORION fest und wurde von ihr durch den Hyperraum gezerrt. Jetzt schaltete Hasso sämtliche Landescheinwerfer und die überdimensionierten Suchlichter an und strahlte damit die Maschine an. Gleichzeitig drehte er die Linsensysteme auf das Bild, sah die Eindrücke auf der zentralen Sichtscheibe und schaltete dann auf den Kabelkontakt um, der die Maschine mit dem Raumschiff verband. Cliff schaute das Bild an; es war noch immer so faszinierend, wie er es gesehen hatte, als sie diese verwirrende Konstruktion aus dem Erdorbit geschleppt hatten. »Wenn das Aggregat so gut landet, wie es interessant aussieht«, bemerkte der Kommandant knurrend, »dann haben wir eine ungefährliche Mission vor uns.« – 10 –
Hasso winkte ab. »Dies wäre das erste Mal, daß eine unserer Missionen gefahrlos wäre. Keine Sorge, Kommandant, es kommt sicher anders, als wir denken. Zumindest ist ein Totalabsturz wahrscheinlich«, tröstete er. »Danke«, murmelte Cliff. »Kein Bedarf.« Das Aggregat, dessen Kernzelle ein leistungsfähiger Nuklearreaktor war, zeigte sich auf den ersten Blick als eine Konstruktion aus kurzen, dicken Stahlröhren. Die Maschine war etwa so groß wie die ORION, und die Kugelzelle, in der sich Cliff befand, hing am Außenrand dieses diskusähnlichen Gerätes. Zwischen den Verstrebungen sah man die senkrecht angebrachten Lande- und Starttriebwerke und die winzigen Düsen für kleinere Kurskorrekturen. Jederzeit war unter normalen Verhältnissen ein Start oder eine Landung möglich, wenn die Maschine im Orbit ausgeklinkt wurde. Hier aber würden die Verhältnisse anders liegen. Der Nuklearreaktor bildete den Kern der technischen Ausrüstung. Es war ein Gerät, dessen Hitze zum Antrieb einer Turbine verwendet wurde, genauer: einem achtfachen Satz schwerster Turbinen, die ihrerseits Generatoren betrieben. Die riesige Wärmemenge mußte natürlich abgeleitet werden, und dazu dienten starke Gebläse. Wasserkühlung wäre zweifellos besser gewesen, aber dort, wo das Gerät eingesetzt werden sollte gab es kein Wasser mehr. Das heißt – es gab Wasser, aber nur als Schnee, Hagel und Eis. Sorgfältig kontrollierte Cliff auch auf rein optischem Weg den Sitz der Verbindungen und stellte fest, daß keinerlei Grund zur Beunruhigung vorhanden war. Er schaltete Bild und Tonverbindung um und sagte: »Ausgezeichnet, Hasso. Alles in Ordnung. Hattest du Funkverbindung mit Countess Marays?« »Ja. Es geht ihnen von Stunde zu Stunde schlechter.« »Verdammt«, sagte Cliff. »Die Förderung von Aranoviz-Kristallen hatte eine so lange und spannende Geschichte, und jetzt sieht es so aus, als ob alles in Kürze zusammenbrechen würde.« »Ich kenne diese Geschichte nicht«, sagte der Bordingenieur vorwurfsvoll. »Wenn du willst, daß ich zusammen mit dir und den Technikern von Countess Marays die Maschine starte und anschließe, solltest du diese Nachtstunde benutzen, mir die Geschichte zu erzählen.« »Einverstanden!« sagte Cliff. »Der Kaffee ist auch schon fertig.« Er kippte den Sessel leicht zurück, kontrollierte noch einmal sämtliche Uhren und Anzeigen und sah, daß die Maschine auch weiterhin ungefährdet geschleppt werden konnte. Er nahm den Kunststoffbecher in die Hand und begann zu berichten: * Die Geschichte der sogenannten Aronoviz-Kristalle begann vor einigen Jahren, nach den stellaren Kriegen. Um es ganz genau zu sagen – in den letzten Tagen der letzten Auseinandersetzungen. Der Schnelle Kreuzer, der sich auf der härtesten Verfolgungsfahrt befand, die e r je unternommen hatte, raste auf die Sonne Oralia O-II zu, einem Stern mit vier
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Planeten. Es bestand der begründete Verdacht, daß sich auf einem der Planeten ein Kommando des Gegners befand. Der Kommandant murmelte angespannt: »Tomotada Alpha und Beta – zwei Planeten. Sie sind unbewohnbar. Wir können uns eine Untersuchung sparen. Haben Sie das Diagramm, Sparks?« Der Funker murmelte: »Hier ist es. Wenn das Schiff angeschlagen ist, muß es geradezu auf den vierten Planeten losgesegelt sein. Er liegt genau in Fahrtrichtung.« »In Ordnung«, sagte der Kommandant. »Sehen wir nach!« Das Diskusschiff, mit angeschalteten Lasergeschützen und allen Besatzungsmitgliedern auf ihren Posten, raste geradeaus. Sie befanden sich in unterlichtschneller Fahrt, und voraus flammte das stechende Licht der Sonne Oralia O-II. Auf den Schirmen des Astrogatorpultes zeichnete sich ein deutlicher Impuls ab. Es war der namenlose Planet. Der Kommandant sagte leise: »Serge?« Vom Pult des Ersten Offiziers kam ein mürrisches »Ja?« »Wenn sie Bruchlandung gemacht haben«, sagte der Kommandant, »dann befinden sie sich dort vorn. Das scheint klar zu sein. Aber es ist ebenso klar, daß sie wissen, daß wir sie verfolgen.« Serge Trejan war ein kleiner, drahtiger Mann mit kurzem Haar und hellgrauen Augen. Er hatte bis eben ununterbrochen gerechnet und sich mit den Auswertungen des Komputers beschäftigt. Jetzt verließ er seinen Sitz und blieb neben dem Kommandanten an der großen Sichtscheibe stehen. »Sie werden uns selbst mit einem wracken Schiff ausgezeichnet orten und demnach auch beschießen können.« »Richtig«, sagte der Kommandant. »Das ergibt die klassische Situation...« Serge Trejan nickte und grinste kühl. »... in der ein tapferer Erster Offizier mit der LANCET einen Erkundungsflug ausführt und sich auf alle Fälle außerhalb der Sichtweite des Laserschützen hält. Wie steht es mit der Ortung, Sparks?« »Noch nichts. Wir sind noch zu weit vom Planeten entfernt.« Das Diskusschiff, die COUNTESS MARAYS, flog mit acht Zehnteln der Lichtgeschwindigkeit weiter. Das Echo des namenlosen Planeten auf dem runden Schirm wurde größer und schärfer. Je mehr sie herangingen, desto geringer wurde die Geschwindigkeit. Der Raum zwischen den Bahnen des äußersten vierten Planeten, nämlich der Welt ohne Namen, und des ersten, also Tomotada Alpha, war leer – hier gab es kein anderes Schiff. Und weiter ging der Flug; alle Männer starrten auf die Geräte, und der Funker blieb an seinem Gerät und versuchte Signale des verfolgten Schiffes aufzufangen. Nichts. Funkstille. »Einverstanden«, sagte Serge Trejan. »Ich nehme die LANCET und starte, sobald wir wissen, wo das Wrack liegt. Gibt es irgendwelche Daten über diesen Planeten?« »Nicht mehr, als wir bereits erwähnten«, sagte der Bordingenieur, gleichzeitig der Mann an den Lasergeschützen. »Erdähnlich, nicht ganz ein g Oberflächenschwerebeschleunigung.« »Danke. Also bleibt der Raumanzug.« – 12 –
»Ja. Wir werden den Orbit in zehn Minuten erreicht haben. Gehst du inzwischen in die Startkammer?« fragte der Kommandant seinen Freund. »Einverstanden«, antwortete Serge Trejan. Er befand sich genau fünf Minuten später im schweren Raumanzug, bewaffnet und mit den üblichen Notrationen und Ausrüstungsgegenständen versehen. Er saß in der geschlossenen LANCET, hatte alle Kommunikationsgeräte auf die Bordsysteme des Schiffes umgelegt und wartete auf Neuigkeiten. Minuten vergingen... Als die COUNTESS einen engen Orbit um den Planeten einschlug und die Ferninstrumente die Oberfläche nach einer vergleichsweise riesigen Metallfläche absuchten, wartete Trejan noch immer. Er sah die Bilder der Atmosphäre, der Wolken und darunter der Kontinente und entdeckte die ausgedehnten Tundren der südlichen Polargegend. Und dann sah er auf dem Monitor des Astrogators die angedeuteten Magnetlinien, die wie die Struktur eines Tornados oder Blizzards aussahen und darunter das Echo des gestrandeten Schiffes. »Fertigmachen, Serge!« sagte der Kommandant. »Wir gehen tiefer und warten hier über einer stabilen Position. Wir bremsen ab.« »Verstanden. Ich bin fertig!« Die LANCET wurde gestartet, drehte sich in der dünnen Luft und wurde dann ausgesteuert. Sie sank ziemlich schnell und schlug, sobald sie dichtere Luftschichten berührte, einen großen Kreis ein. Serge Trejan hatte sich sehr genau gemerkt, wo sich der wrackgeschossene Gegner befand. Die Jagd war deshalb so schnell und rücksichtslos geführt worden, weil sich der Kommandant ausrechnen konnte, daß in wenigen Stunden oder Tagen der Krieg aus war – man hatte die Sinnlosigkeit eingesehen, und die Verhandlungen liefen bereits. Überließ man das gelandete Schiff seinem Schicksal, würden die fünf oder sechs Männer verhungern. Man mußte sie gefangennehmen, um sie zu retten... so grotesk das klang! Und der beste Weg, sie einzeln zu fassen, war derjenige, den sie jetzt eingeschlagen hatten. Eine halbe Stunde oder ein paar Minuten später hatte Trejan das Wrack auf seinen Schirmen. Er sah es mit den Linsen der Fernbeobachtung, und nur der Umstand, daß die Sonne sich auf dem teilweise geschwärzten, silberglänzenden Metall reflektierte, hatte ihm geholfen. Unter der LANCET wurden die Wälder immer spärlicher. Das Land öffnete sich zu einer unermeßlich weiten und trostlos aussehenden Einöde, die nur von Felsen unterbrochen wurde. Diese Felsen standen in einer merkwürdigen Anordnung, und als Trejan eine andere Vergrößerung einschaltete, bemerkte er das zugrundeliegende System. »Faszinierend!« murmelte er, ließ aber den metallenen Blitz in dreißig Kilometern Entfernung nicht aus den Augen. Es sah aus, als wären die Felsen die Überreste von riesigen, gläsernen Kuppeln. Sie standen in konzentrischen Ringen und neigten sich alle einem gemeinsamen Mittelpunkt zu. Natürlich waren die Linien unterbrochen – Erosion hatte hier ihr jahrtausendealtes Werk vollbracht. Aber dort, wo er Felsen dieser Art aus der Nähe erkennen konnte, mußte er staunend feststellen, daß sie messerscharfe Kanten aufwiesen.
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Er zählte bis neunzehn, dann gab er auf. Neunzehn kreisförmige Felsbarrieren, und die Kreise schienen einen Mittelpunkt zu haben, der in der Nähe des Poles lag. »Bewegungen?« Dicht über dem Boden fliegend, steuerte Trejan das Raumschiff an. Es lag schräg über den Felsen, der ausgefahrene Zentrallift war abgeknickt und zerfetzt, und an den Felsen sah der Erste Offizier breite Schrammen und Berge von abgesplittertem Gestein. Dreißig Kilometer... fünfundzwanzig... zwanzig. Schließlich sah er – in dreitausend Metern Entfernung – das Wrack aus der Nähe. Es lag derart gekantet vor ihm, daß er nur noch neunzig Grad eines Kreises auszufliegen brauchte, um aus dem Schußfeld des Lasergeschützes zu kommen, das sich dort befand, wo der Diskus den Boden berührt und darin eine gewaltige Vertiefung hinterlassen hatte. Fauchend fuhren die Landestützen aus. Im Zickzack näherte sich Trejan, aufs höchste konzentriert, dem Wrack. Jetzt erkannte er, daß sich sechs Männer damit beschäftigten, eine LANCET aus dem zerbeulten und angeschossenen Raumfahrzeug zu entfernen. Sie erstellten gerade ein provisorisches Hebegerüst. Trejan nahm das Funkgerät auf und sagte: »Trejan an COUNTESS. Bitte kommen.« Augenblicklich meldete sich der Kommandant und sagte aufgeregt: »Wir haben dich genau auf den Schirmen. Du bist verdammt nahe, mein Junge.« Trejan erwiderte: »Ihr könnt ebenso nahe heran. Ihr braucht nur weiter nördlich zu landen, beziehungsweise einzufliegen und dicht über dem Boden heranzuschweben. Dann seid ihr aus dem Bereich der Waffen. Ich lande in wenigen Sekunden und werde mich in die Nähe des Schiffes durchschlagen. Vorsicht – viele Felsen hier!« »Verstanden. Wir kommen. Funkkontakt, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert!« Er schaltete ab. Hinter einer jener schrägen, außen glatten Wände setzte er weich die LANCET ab. Er schaltete, bis auf das Funkgerät, sämtliche Maschinen ab und öffnete die Schleuse. Die Außentemperatur war sehr niedrig, aber die Luft durchaus atembar. Langsam kletterte er die Leiter hinunter, sah sich um und ging auf die Felsenbarriere zu. Diese antarktische Gegend war anders als die der Erde. Es lag an der Neigung der Planetenachse; sie war steiler als die der Erde. Hier gab es eine Landschaft, die zwar völlig eben schien, durchbrochen von den Felsen, aber mit kleinen Bächen und Gräben, die unvorstellbar langsam flossen. Kniehohe Vegetation von überraschend klaren, intensiven Farben und großem Artenreichtum streifte die Beine und Stiefel des Raumfahrers. Trejan zog die HM 4, entsicherte sie und blieb stehen, als er, immer in Deckung, sich dem Raumschiff bis auf gute Sichtentfernung genähert hatte. Er sah zu, wie die Männer gewaltsam die Verschlüsse in der Oberschale des Schiffes aufbrachen und das Gestell aufbauten. Irgendwo hinter und über sich ahnte Trejan sein eigenes Schiff, das in Kürze hier auftauchen und ihn unterstützen würde. Das Land um ihn herum wimmelte von Tieren, die noch niemals ein aufrecht gehendes Wesen gesehen hatten. Nicht eines der Tiere flüchtete; sie sahen ihn nur neugierig an und sprangen ein paar Schritte zur Seite, fraßen oder jagten ruhig – 14 –
weiter. Dann kam Trejan an eine Sandfläche, die festgebacken und gleichzeitig poliert schien. »Was ist das?« murmelte er und spürte die Erleichterung, als er seine eigene Stimme hörte. Er blieb stehen, die Hand im schweren Raumhandschuh auf einen Felsen gelegt. Einen Moment lang sah es so aus, als bewege sich dichtes Gas rasend schnell in der Form einer nahezu geraden Windhose über dieser Sandfläche. Er sah genauer hin, aber da war dieser Eindruck schon wieder verschwunden. Aber... die Gräser und Sträucher am Rand des Sandes zitterten noch in kreisförmiger Bewegung, und der Sand bewegte sich ebenfalls im Kreis. »Unglaublich!« Diesmal sprach er schon lauter. Was er hier sah – und fühlte! –, kannte er nicht. Da! Wieder der gleiche Effekt. Eine wahnsinnig schnell rotierende Säule aus Luft oder Gas. Sie hob sich schwach, wie unmerklich getöntes Glas, von der Umgebung ab. Als der Schatten einer kleinen Wolke über die Landschaft huschte, sah Trejan diese Säule genauer. Plötzlich fror er, und er wußte nicht, warum. Dann hörte die Bewegung wieder auf; nur Pflanzen und Sand rotierten eine Weile weiter. Trejan zuckte die Schultern und spürte, wie seine Muskeln gegen den Stoff des Raumanzugs stießen. Die Männer dort vorn arbeiteten mit großer Hast. Trejan drehte sich herum und merkte endlich, daß er mit der Hand einen Zacken des Felsens umklammert hielt. Er sah genauer hin. Entlang der Felskanten, als habe der Stein sie ausgeschwitzt, stellte er winzige Kristalle fest, die wie Diamanten aussahen. Trejan hielt sie für Diamanten. Er überlegte einige Sekunden lang, hob dann die Strahlwaffe und schmolz ein unterarmlanges Stück der Felsspitze ab. »Planetare Beute«, bemerkte er leise. Er steckte den Steinsplitter, an dessen Schnittstelle er eine dicke, zackige Ader aus Diamanten sah, in die Tasche am Unterschenkel und marschierte weiter. Er hielt an, als er zweihundert Meter vom Schiff entfernt war. Gerade jetzt schwebte die LANCET, von der Kraft ihrer eigenen Maschinen gehalten, zu Boden, dicht neben dem Raumschiff. Trejan schaltete sein Helmfunkgerät ein und sagte drängend: »He, Kommandant!« Die Antwort war leise: »Was gibt es?« »Ihr solltet euch beeilen. Sie haben soeben eine LANCET ausgeschleust.« »Danke. Wir sind nur noch zehn Kilometer entfernt. Die vorgeschlagene Route!« »Verstanden. Ich warte.« Als sich der Raumfahrer umdrehte, um vielleicht noch einmal jene merkwürdige Säule zu sehen, sah er nicht, daß einer der Männer vom Schiff auf ihn aufmerksam geworden war. Er sah auch nicht die Bewegungen, rund einhundertfünfzig Meter vor ihm. Er sah den lautlosen, gasförmigen Wirbel, und wieder erfaßte ihn ein Schaudern. Es war, als ob dort drüben eine Art Schnittpunkt zwischen dem Weltraum und dem Erdboden wäre, als ob sich dort ein Wind aus einem anderen Universum erhebe... Trejan starb schnell.
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Ein Strahlenbündel aus drei Waffen vom Typ HM 4 traf seinen Helm und zerschnitt ihn in zwei Teile. Sekunden später fegte das Raumschiff über die Gruppe der Verfolgten, die durch ihren Beschuß abgelenkt worden waren. Die Lasergeschütze vernichteten die LANCET, und ein paar Minuten später hatten sich die Besatzungsmitglieder des anderen Schiffes ergeben. Zur gleichen Zeit wurden die Friedensverträge unterzeichnet. Der Kommandant und zwei seiner Besatzungsmitglieder holten die Leiche von Serge Trejan. Sie trugen ihn auf ihren Schultern zurück zum Schiff und legten den Toten im Raumanzug in eine Kälteschlafkammer. So brachten sie ihn zurück zur Erde. Der Felsbrocken wurde der Witwe des Toten übergeben. Fast ein Jahr lang lag als eine der wenigen Erinnerungen der Felsen auf einem Wandbrett und wurde von den Robotern wöchentlich zweimal gereinigt. Dann besuchte ein Freund des Toten die Witwe. Er hieß Aronoviz. »Woher haben Sie diese Diamanten?« fragte er, während er den Felsen betrachtete. Aronoviz hatte nicht die Absicht, die Diamanten herauszubrechen und zu verkaufen; er war Techniker und interessierte sich für alles. Lory Trejan sagte: »Man brachte ihn mit der Brieftasche und der Identifikationsplakette von Serge. Sollte der Stein etwas wert sein?« Aronoviz hielt die Diamantkruste gegen das Tageslicht und beachtete die Brechung der Lichtstrahlen und studierte das Spektrum des sichtbaren Lichtes. Als er eine Hand vom Stein nahm, fühlte er eine winzige, elektrische Entladung. Also keine Diamanten. »Unter Umständen. Darf ich ihn mitnehmen und untersuchen?« »Ja«, sagte Lory. »Vermutlich hat Serge ihn aus diesem oder einem ähnlichen Grund losgeschnitten. Der Stein interessierte ihn wohl.« »So wie mich. Sie erhalten, sobald ich etwas weiß, sofort Nachricht. Und falls wir etwas Interessantes entdeckt haben bekommen Sie mit Sicherheit eine dicke Prämie.« Lory sagte leise: »Das wird Serge nicht wieder lebendig machen.« Aronoviz ging mit diesem Stein in ein Labor für angewandte Elektronik und untersuchte zusammen mit einer Gruppe von Fachleuten den Stein und seine merkwürdigen Eigenschaften. Man fand innerhalb kurzer Zeit heraus, daß der Stein wertlos, die Kristalle aber von geradezu verblüffendem Wert waren. Sie verwandelten in einem noch nie erreichten Maß elektrische Impulse von verschwindend geringer, kaum mehr meßbarer Intensität in optische Eindrücke – und umgekehrt. Man löste sie aus dem Felsen und legte eine Testreihe auf. Eines der Endergebnisse war ein Gerät, dessen Sichtscheibe mit einer dünnen Lösung dieser Kristalle bedampft war. Als Radarschirm brauchten nur die ankommenden Impulse in einen Kristall gewisser Größe eingespeist zu werden, und das Radarbild war hell, stechend klar. Die Verwendung dieser Kristalle die in den nächsten Monaten noch andere erstaunliche Eigenschaften dieser geschilderten Art aufwiesen, würde die Herstellung aller Geräte auf dieser Basis stark verbilligen, die Arbeitsgänge bei der Herstellung verkürzen – und zudem waren die Ergebnisse um eine Zehnerpotenz besser. Eine Art Rennen begann. – 16 –
Zuerst kassierte Lory Trejan eine Prämie von geradezu phantastischer Höhe. Dann suchte man das Flottenarchiv ab, und als Kublai-Krim kategorisch die Einsicht in die Geheimpapiere verweigerte, suchte und fand man den Kapitän. E r sagte, nichts von allem ahnend, wo sie den toten Serge Trejan und demnach auch den Stein gefunden hatten. Ein Firmenkonsortium rüstete ein Raumschiff aus und flog damit nach Ost/Zwei 809. Dort fand man den vierten Planeten, der gerade in der ökologischen Sphäre lag, taufte ihn selbstverständlich nach dem Schiff, auf dem Trejan geflogen war. COUNTESS MARAYS. Und dann unterbreitete das gleiche Firmenkonsortium Bela Rover den Vorschlag, auf ihre Kosten ein Lager zu errichten, in dem diese Steine abgebaut werden sollten. Bela prüfte die Ergebnisse sehr genau, sprach sich, als er überzeugt war, dafür aus und versuchte die Pioniere dafür zu begeistern. Das Lager wurde errichtet – zu schnell, zu hastig, aber mit einem riesigen Aufwand. Man stellte Roboteinrichtungen auf und richtete einen Pendeldienst von automatischen Schiffen auf. Sie sollten zwischen Terra und Countess hin und herfliegen. Das alles wurde mit einem Riesenaufwand an Material und Kompetenzstreitigkeiten, an Bestechung und den üblichen Manager-Intrigen abgewickelt. Eines der Endergebnisse war jetzt so ausgefallen, daß die ORION einen dramatischen und für Cliff höchst unkomfortablen Rettungsflug unternehmen mußte. * Nachdem Cliff seinem Bordmechaniker die Geschichte erzählt hatte, schwieg Hasso eine Zeitlang. Dann sagte er leise und kopfschüttelnd: »Der Mensch ist ein mittelmäßiger Egoist. Auch der Klügste nimmt seine Gewohnheiten wichtiger als seinen Vorteil.« »Du hast recht«, sagte Cliff. »Und die Gewohnheit unserer Industriekapitalisten kann ein sehr deutlicher Nachteil für zweieinhalbtausend Menschen sein. Weißt du jetzt, wie unsere Aktion zustande kam, und vor allem, wo ihre Hintergründe liegen?« Hasso nickte. Er sagte: »Und wenn ich Parlamentarier werden sollte... ich werde darauf drängen, daß sich eine solche Pannenmöglichkeit kein zweitesmal wiederholt.« Er hatte recht: Leichtsinn und Verantwortungslosigkeit, einige addierte Fehler und mangelnde Sicherheitsvorschriften waren es, die jetzt, indirekt, eine tödliche Gefahr bildeten. Nicht nur für die Arbeiter dort unten, auch für die ORION. Und besonders für Cliff McLane. Er sagte: »Und in der nächsten Stunde werden wir darüber diskutieren, was wir tun können. Der Zeitpunkt ist nicht mehr sehr fern.« »Einverstanden.« Das Gespann aus ORION und nachgeschleppten Kraftwerksbestandteilen bewegte sich weiter auf den Planeten Countess zu. Cliff und Hasso schwiegen und überlegten, wie sie vorzugehen hatten. – 17 –
2
Die Terraner hatten in dem fraglichen Gebiet eine Siedlung errichtet, die bereits aus großer Höhe erkennen ließ, daß hier Spezialarchitekten gearbeitet hatten. Die Stadt Pol-City bestand aus zwanzig runden Türmen aus hochglänzendem, nichtrostendem Stahl. Vor jedem Fenster befand sich eine Plexolkuppel aus demselben Material, wie es auch für die Fenster von LANCETS verwendet worden war. Diese Bullaugen waren zu öffnen und zu schließen. Zwanzig überdachte Röhrengänge aus durchsichtigem Material führten auf einen zylindrischen, dreistöckigen Bau zu, der im Zentrum des Kreises aus Türmen stand. Zwischen den einzelnen Bauwerken breitete sich sonst die Landschaft aus, die ihren eigentümlichen kargen Reiz hatte. Zahllose Pflanzen, monolithische Riesenfelsen, kleine Bäche, die sich in Schlangenlinien durch das Gebiet bewegten. Dazu kamen die Schädel und Geweihe der riesigen Poltiere, die hier zu Dutzenden herumlagen. Sandflächen lösten kleine Inseln aus Bäumen ab, die inzwischen gewachsen waren. Und die Seen... ihr Wasser war kühl und klar, und die ersten Arbeiter hatten breite Stege gebaut, um sich sonnen und um baden zu können. Manche von ihnen fischten auch. Diese Idylle von strengem, kargem Reiz existierte jetzt nicht mehr. Alles war von einer dicken Schneeschicht bedeckt. Die riesigen, schweren Maschinen, mit denen man die Felsen abschnitt und zerkleinerte, standen still da, waren voller Schnee, und hinter ihnen türmten sich im schneidenden Wind die eiskalten, schneeweißen Dünen auf. Auch hinter den zwanzig Türmen waren lange, dreieckige Dünen entstanden. Die Temperatur stand auf minus achtzig Grad. Die Geschwindigkeit des Windes betrug mehr als zweihundert Stundenkilometer. Der Zentralbau erzitterte leicht unter dem Ansturm des Windes. In diesem Bauwerk befanden sich sämtliche Bewohner dieses Planeten. Jede Arbeit war eingestellt worden, und nur eine einzige Sorge beherrschte sie alle: »Werden wir überleben?« Statt des leise murmelnden Wassers in Bächen und Flüssen lagen jetzt spiegelnde Eisbänder zwischen den Kieseln. Zuerst hatte der Frost, der mit einer breiten Sturmfront vom Pol heranraste, sämtliche Pflanzen getötet. Anschließend war sämtliches Wasser gefroren. Dann hatten die schweren Maschinen versagt, weil sämtliche Nebenaggregate eingefroren waren. Das Schmieröl wurde zuerst dick, dann brockig, schließlich hart. Mitten im Sommer, im Licht des langen Tages von einigen Monaten Dauer, brachen Sturm, Schneefall und Kälte über den Landstrich herein. Wie ein Leichentuch breitete sich die weiße, wirbelnde Eintönigkeit über das Gelände aus. Steine barsten unter der Einwirkung der Kälte. Der Boden gefror und riß auf, und die Ebene war auf mehr als hundert Kilometer im Durchmesser eine Fläche, auf der der Tod herrschte. Hunderttausende von Tieren, die nicht geflohen waren, lagen erfroren unter dem Schnee, der von Minute zu Minute wuchs. Die Ablagerungen wurden höher. Das schneidende Heulen des Sturmes, der jetzt auf eine Warmfront stieß und abgelenkt wurde, war das einzige Geräusch, das hier herrschte. – 18 –
Vor fünfzig Stunden hatte der Kälteeinbruch begonnen. Die ORION mit der Maschine im Schlepp näherte sich jetzt, aus dem Raum kommend und behutsam abbremsend, dem Pol. Die Mannschaft befand sich auf ihren Plätzen. Sie hatten von Terra bis hierher, hundert Kilometer über dem Boden des Planeten, genau fünfundvierzig Stunden gebraucht. Das war ein neuer Rekord, zusätzlich hatten sie die »Maschine« hinter sich hergeschleppt, in dessen winziger Kabine der Kommandant saß und sich wünschte, endlich einmal wieder seine Muskeln strecken zu können. Die kritischen Stunden folgten jetzt. Cliff McLane war inzwischen leidlich gut ausgeschlafen. Er schaltete nacheinander sämtliche Geräte ein und sprach dann mit dem Ersten Offizier Mario de Monti. »Wie fühlst du dich?« fragte Mario zurück. »Hunderttausend Meter über Grund?« Cliff zuckte die Schultern und erwiderte: »Im Augenblick noch gut. Habt ihr Funkkontakt mit der Station?« »Ja«, sagte Mario. »Willst du mithören?« Cliff nickte nur. Dann schaltete er sich in die Unterhaltung ein, die, verstärkt von der Bordsprechanlage, zwischen einem unbekannten Mann am Boden und Helga Legrelle stattfand. »... ist Ihr Problem?« Cliff versuchte sich vorzustellen, wie es dort unten aussah. Auf seinem Schirm hatte er nur eine ausgedehnte weiße Fläche zwischen einem gründlichen Streifen und einem bläulichen Polgebiet. Und darüber die spiraligen Strukturen der Wolken. Vermutlich ein Orkan. »Die Energieversorgung. Sie müssen wissen, wir haben einen wassergekühlten Meiler mit vorgeschalteter Heizung. Aber die Heizung versagt – es wurden zuwenig Kältegrade vorausgesetzt.« »Ich verstehe. Wir bringen einen transportablen Meiler mit Luftkühlung«, sagte die Funkerin. Cliff begann zu ahnen, daß die Schwierigkeiten mit der Landung der Maschine erst anfingen. Um die überflüssigen Energien, also reine Hitze, die beim Betrieb der Generatoren entstand, ableiten zu können, brauchte dieser Meiler kühlendes Wasser. Wasser aber gab es nur noch in Form von Eis. Eis selbst konnte zwar durch die Heizung geschmolzen werden, aber sämtliche Öffnungen, Ausgänge und Leitungen waren eingefroren. Das bedeutete... »Mit wieviel Kapazität fahren Sie die Anlage?« fragte Hasso anstelle Helgas. Die Antwort war niederschmetternd. »Mit zehn Prozent.« »Was haben Sie getan, um das Leben der Menschen zu sichern?« Während der Sprecher die Maßnahmen durchgab, tauchte in den Gedanken der Crew das Bild auf. Sämtliche Wohnstätten und Arbeitsstellen waren verlassen. Alle Menschen – abzüglich einhundertsechzig, die von den ersten Hilfsschiffen abgeholt worden waren – befanden sich, in dicke Kleidung gehüllt, im Zentralbau. Dort liefen die Heizungen und die Ventilatoren auf Hochtouren. Alle anderen Maschinen – 19 –
oder Geräte, die Energie brauchten, waren abgeschaltet worden. Trotzdem sank in dem zentralen Raum die Temperatur. Jede Stunde war sie um ungefähr ein Grad abgesunken. Nur die Zuführung neuer Heizungsenergie konnte die Menschen vor dem Kältetod retten. »Acht bis zehn Grad.« Cliff ließ die Luft pfeifend aus seinen Lippen strömen. Das bedeutete höchste Geschwindigkeit für alle folgenden Aktionen. Unwillkürlich spannten sich seine Muskeln, und er schaltete sich in die Unterhaltung ein. »Hier ist McLane«, sagte er. »Ich befinde mich im Steuerraum einer flugfähigen Meileranlage. In einigen Minuten hoffe ich, bei Ihnen landen zu können. Ich brauche dazu aber die notwendigen Daten. Zum Beispiel: Wo befindet sich eine Anschlußmöglichkeit für die Stromkabel meiner Maschine?« Es entstand eine kleine Pause; offenbar berieten die Männer in der kalten Funkkabine, was geschehen sollte. Dann kam die Antwort. »Sie müssen unbedingt dicht neben unserem ausgefallenen Meiler landen. Es ist das Gebäude, das nördlich unserer Anlage steht. Kuppelförmig. Aber... das ist noch nicht alles.« Cliff grinste kalt. »Das habe ich befürchtet«, sagte er. »Sie haben sicher keine Mannschaft in oder an Ihrem Meiler. Richtig?« Aus der Stimme des Mannes dort unten klang ein Teil der Panik, die mehr als zweitausend Menschen beherrschte. Cliff arbeitete jetzt gegen den Erfrierungstod. Die Uhren liefen bereits. Sekunde um Sekunde verstrich, aber übereilte Hast konnte ebenfalls tödlich sein. »Richtig. Unsere Männer wären bereits erfroren. Wir haben auch kein einziges Fahrzeug mehr, denn diese verdammte Kälte ließ alles einfrieren. Und in dem Schneesturm kann sich ohnehin niemand orientieren.« Cliff sagte halblaut: »Also stellt sich mir die Aufgabe folgendermaßen: Ich muß die Maschine dicht neben dem Meiler landen. Anschließend darf ich mich durch den Schneesturm kämpfen, ein schweres Kabel nachschleppen und gegen das Kabel austauschen, das von den langsam laufenden Generatoren Ihres Meilers wegführt. Und dann – volle Energie auf die Nuklearzellen. Meine Frage: Wie können Sie mir helfen?« Wieder eine Pause. Die Crew der ORION hörte über die Funkverbindung, wie der Schneesturm die Kristalle heulend gegen die Fenster und die dünnen Metallhäute der Außenwände schmetterte. Die Außentemperatur fiel weiter, und die Schneewehen wuchsen in der Höhe und der Länge. Selbst ein Schiff wie die ORION würde in einem solchen Schneesturm Schwierigkeiten haben, sicher zu landen. Und mit der Maschine war es geradezu halber Selbstmord. »Cliff?« fragte Hasso leise. »Ich höre!« »Du hast den schweren, gepanzerten Raumanzug. Bitte, schalte seine sämtlichen Systeme an, während du diesen Kasten dort hinunterbugsierst. Versuche, mit dem Sturm anzufliegen. Falls du verunglückst, können wir dich binnen einer halben Stunde retten. So lange reichen die Energiezellen deines Anzuges leicht, ohne daß du zu einem Eiswürfel gefrierst.« – 20 –
»Ich werde genau das tun«, versprach der Kommandant rechtzeitig, denn eben bekamen sie wieder Kontakt mit den Männern der Station. »Hören Sie«, sagte einer der Männer rauh. Er räusperte sich. »Wir hören«, erwiderte der Kommandant. »Was können Sie vorschlagen?« »Ein paar von uns werden sich durch die Dachluke hinauswagen. Sie tragen leichte Raumanzüge und schlagen das Eis von der Radarantenne. Wir können nichts anderes tun als Sie genau einzuweisen. Haben Sie Karten unserer Station?« »Ja«, sagte Cliff. »Genau nördlich, zweieinhalbtausend Meter, befindet sich die Meilerkuppel. Haben Sie sie gefunden?« »Ich habe sie«, sagte Cliff. »In welcher Richtung verläuft der Sturm?« Die Antwort klang entmutigender, aber Cliff war schon durch die Bilder der planetaren Atmosphäre gewarnt worden. »Kein Sturm, Kommandant. Es ist, so seltsam es klingt, ein Hurrikan. Das Auge, also der fast windstille Raum inmitten des Sturmes, befindet sich drei Kilometer südlich der Station. Auf Ihrer Karte: Dort, wo nacheinander vier Felsbarrieren eingezeichnet sind.« »Vermerkt«, sagte Cliff. »Im Uhrzeigersinn oder umgekehrt?« »Umgekehrt. Sie müßte also nach Westen vorstoßen und sich bis zu dem Punkt nördlich des Lagers mitschleppen lassen. Sie können unterhalb von dreißig Metern Flughöhe bleiben, keine Hindernisse, keine Felsen.« Cliff bemerkte halblaut: »Also ein High speed – low level-Flug. Das wird ein Ferienspaß!« Er gebrauchte diesen Fachausdruck, um anzudeuten, daß die Maschine mit ihm im Steuersitz einen Flug mit hoher Geschwindigkeit in unmittelbarer Bodennähe durchführen würde. Das gehörte zu den größten Schwierigkeiten eines Raumfluges, beziehungsweise zu den Landemanövern am Ende eines solchen. »Ich werde in zehn Minuten nach unten starten«, versprach er. »Bleiben Sie bitte auf der gleichen Welle. Ich melde mich wieder, wenn Sie mich einweisen sollen. Klar?« »Klar!« Cliff sah auf die Uhr. »Hasso. Es ist vier Uhr fünfundvierzig. Ich fange in fünfzehn Minuten den Abstieg an. Erster Punkt: Die Verbindungsleinen los!« »Verstanden.« In der Kabine war es völlig dunkel, als Cliff sich aus dem Sessel stemmte und in die winzige Kabine schlängelte. Dort zog er unter vielen Verrenkungen und ebenso vielen Verwünschungen den schweren, gepanzerten Raumanzug an und schloß eine zweite Energiezelle an die Notleitung an. Die Zelle wurde in eine der Taschen gesteckt, der Schalter auf Null gestellt. Cliff kontrollierte gerade sämtliche Aggregate seines Anzugs durch und rief sich ins Gedächtnis, daß dieser Vorgang für ihn lebenswichtig sein konnte, als sich Hasso wieder meldete. »Die Maschine schwebt frei, Cliff. Fallgeschwindigkeit nach wie vor drei Meter in der Sekunde.« »Verstanden. Danke.« Cliff befestigte sämtliche losen Gegenstände in den federnden Wandhalterungen und schloß die Schiebetür, dann ging er zurück zu seinem Sitz und nahm Platz. Die – 21 –
breiten Sicherheitsgurte wurden angelegt, dann hängte sich der Kommandant den Helm und die Handschuhe zurecht, so daß er sie augenblicklich erreichen konnte. »Kontrollen.« Cliff sah auf dem Monitor Hassos Gesicht und hob die Hand. Er schaltete den Meiler ein und ließ ihn im langsamsten Betriebszustand laufen; die Kühlung hier war kein Problem. Dann tastete er systematisch sämtliche Triebwerke und alle Energievorräte. Zehn Minuten später war er fertig – alles funktionierte. Der Abstieg aus der festen Position konnte beginnen. Cliff sagte: »Ich trenne mich jetzt von eurem Bordstrom. Wir bleiben in Funkverbindung, aber bitte nur dann benutzen, wenn Lebensgefahr oder derlei besteht. Sollte dieses Ding hier zu Bruch gehen, melde ich mich vorher. Ihr holt mich dann 'raus. Verstanden?« Helga sagte: »Verstanden, Cliff. Ich bin zwar immer noch der Meinung, daß es kompletter Wahnsinn ist...« Cliff löste die Verbindung. Er war jetzt allein. * Ein neunzig Sekunden langer Feuerstoß aus den Triebwerken löste die beiden Raumfluggeräte voneinander. Mit einem Satz, ständig mehr beschleunigend, schoß die Maschine nach ›unten‹. Der Monitor zeigte jetzt genau das Gebiet, dem Cliff entgegenraste. Die Fallgeschwindigkeit nahm rapide zu, und bald heulten die ersten Spuren der Lufthülle um die Verstrebungen des Nuklearmeilers. Cliffs Finger lagen auf den Schaltern und Hebeln der Steuerung, die, zwar wesentlich umfangreicher, aber ziemlich genau der eines schweren Helikopters ähnelte. Cliff steuerte genau in den Mittelpunkt des Hurrikans hinein. Unter ihm tauchten die spiraligen Wolken auf, die sich rasend schnell bewegten. Cliff feuerte einmal mit diesem, dann mit dem anderen Triebwerkssatz, um die Maschine im Gleichgewicht zu halten. Noch gelang es mühelos. Zwar konnte sich die Anlage überschlagen – die Kabine war kardanisch aufgehängt –, aber dann würde das Manövrieren mehr als schwierig werden. Schließlich befand er sich hier nicht im freien Raum sondern mußte das Gerät inmitten eines Sturms auf dem Boden absetzen. Außerdem konnte der Meiler bei einem Aufsturz detonieren. Das nur nebenbei, dachte Cliff fatalistisch. Es war Zeit, sich einweisen zu lassen. »Hier McLane«, meldete er sich. »Pol-City, hören Sie?« Die Antwort kam blitzschnell: »Wir haben Sie im Radar. Ausgezeichnete Position bis jetzt, genau im Zentrum des windstillen Auges.« Zweitausend und mehr Menschen verfolgten jetzt über Lautsprecher seine Aktion. Sie wußten, was von diesem Flug abhing. Cliff sagte sich selbst, daß er mit dieser Landung ein Wagnis auf sich nahm, das ihn das Leben kosten und unter Umständen, wenn der Meiler auf die Station stürzen würde zweitausend Menschen
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töten konnte. Er verhielt sich dieser Erkenntnis entsprechend und hatte vor, nichts, aber auch gar nichts zu riskieren. »Danke. Meine Höhe?« Er sah auf die Instrumente: noch etwa siebentausend Meter bis zum Erdboden. Jetzt war er bereits in einer bewegten, dichteren Luftschicht; er spürte es an den Reaktionen des Gerätes. »Siebentausenddreißig Meter, Kommandant.« Seine Instrumente stimmten also. Cliff sagte: »Danke.« Er feuerte noch einmal. Das Gerät verlor binnen weniger Sekunden einige tausend Meter Höhe und prallte förmlich auf die dichte Luftschicht. Noch immer schwebte die silberne Konstruktion aus Würfeln, Kuben und Kugeln, aus Stäben und T-Trägern absolut waagrecht. Der künstliche Horizont zeigte dies exakt an. Cliff fragte erneut: »Höhe?« Drei Sekunden später kamen die Werte. »Zweitausend Meter.« »Genau?« »Jetzt sind es nur noch eintausendachthundert Meter. Wir drücken Ihnen sämtliche Daumen.« Cliff sagte: »Ich erbitte genaue Anzahl der Daumen. Es ist wichtig.« Ein kurzes, ungläubiges Lachen erscholl am anderen Ende der Verbindung. Cliff steuerte jetzt durch einen langen Schub mit einem der Richtungstriebwerke nach Westen und spürte an den Reaktionen, wie das Schiff langsam in eine kreisförmige Bahn hineingerissen wurde. Und Sekunden später waren alle Sichtschirme dunkel. Die Linsen kapitulierten vor dem dichten Schneetreiben. »Achtung. Laufende Ortungsdurchsagen erbeten!« sagte Cliff. »Verstanden.« Er schaltete auf die Infrarot-Geräte um, aber auch sie arbeiteten nicht zuverlässig. Es gab kaum Gegensätze zwischen Kalt und Warm, die dadurch sichtbar gemacht werden konnten. Blieb nur noch Radar übrig. Cliff schaltete die entsprechenden Geräte ein und hörte auf die Stimme aus den Lautsprechern. Jetzt traf der erste wirklich harte Stoß die Maschine und drehte sie herum. Cliff arbeitete gleichzeitig mit acht verschiedenen Antriebs- und Bremssystemen und mit vollem Schub. »Eintausendfünfhundert Meter. Entfernung vom Lager dreizehn Kilometer. Geschwindigkeit zu hoch.« Cliff bremste und fühlte, wie sich die Maschine aufbäumte, gleichzeitig aber über Heck nach unten fiel. Wieder raste ein Partikelstrom aus den Düsen und richtete mühsam das Gestell auf. Alles begann jetzt zu vibrieren und zu schaukeln. Es war, als versuche der Sturm, die einzelnen Teile der Konstruktion auseinanderzureißen. »Eintausendeinhundert Meter. Geschwindigkeit in Ordnung. Entfernung elf Kilometer. Tiefer, Kommandant!« Er mußte in einem möglichst flachen Winkel den Zielpunkt anfliegen. Auf seinen Schirmen herrschte Dunkelheit oder ein weißes, flimmerndes Durcheinander. Nur die Abstandsanzeigen und die Geschwindigkeitsmarken funktionierten. Cliff bremste – 23 –
abermals, kämpfte ungefähr eine Minute lang gegen den Sturm, der versuchte, das Aggregat umzuwerfen und sah dann auf den Höhenmesser. Er zeigte achthundert Meter. Gleichzeitig kam die Durchsage: »Siebenhundertneunzig Meter. Die Kurve stimmt. Jetzt jeden Kilometer etwa einhundert Meter tiefer gehen. Noch acht Kilometer.« Cliff befand sich jetzt mitten im Sturm. Der Druck kam von hinten, aber nicht gleichmäßig, sondern in wilden, unkontrollierbaren Stößen. Das Gerät schwankte wie ein Teller, in drei verschiedenen Ebenen. Der Kommandant mußte sich darauf beschränken, die schlimmsten Stöße abzufangen und die Sinkgeschwindigkeit konstant zu halten. Der Sturm würde dicht über dem Boden, durch die Oberflächenstruktur der Landschaft, noch mehr rütteln und das Schiff taumeln lassen. »Sechshundert Meter. Mehr als sechs Kilometer.« Cliff spürte nicht, daß ihm der Schweiß in breiten Bahnen über die Stirn lief. E r schwitzte, arbeitete wie wild und vergaß darüber sogar, in welcher Gefahr er sich befand. Der flugfähige Meiler sank weiter in jene grauweiße, heulende Zone des Verderbens hinunter. Er schwankte jetzt weniger entlang der Achse der Flugrichtung, sondern wesentlich stärker auf der anderen, waagrechten Achse. Cliff gab konzentriert Gegenschub und nützte die sehr geringen, aber im Augenblick durch den Sturm verstärkten Segelfähigkeiten der Maschine aus. Entlang einer bogenförmigen, in sich eine Schlangenlinie bildenden Kurve steuerte er auf den Landepunkt zu, den er undeutlich auf den Infrarotschirmen erkannte. »Vierhundert Meter Höhe, Kommandant. Viel Glück!« Der Reaktor stellte sich plötzlich vorn auf, und Cliff drückte die Kante mit einem langen Feuerstoß aus der Bugdüse wieder herunter. Noch einige Kilometer und wenige hundert Meter Höhe trennten ihn vom Ziel. Zweihundert Meter. Er steuerte als ob es um sein Leben ginge. Natürlich, denn es ging wirklich darum. Die letzten hundert Meter – die schwierigste Strecke. »Neunzig Meter!« kam die Durchsage. »Entfernung?« keuchte der Kommandant. »Einen Kilometer... neunhundert Meter... achthundert...« Das Aggregat holte schwer über und stellte sich hochkant. Der bodennahe Sturm hatte es erfaßt und versuchte, es zu zerschmettern. Cliff fühlte, wie sich die kardanische Kabine bewegte, drückte den Hebel im Steuerhandgriff und sah die rote Lampe aufleuchten. Mit der vollen Kraft des Doppeltriebwerks drückte Cliff die Maschine wieder in die normale Fluglage zurück. »Dreißig Meter, Kommandant. Neunzig Meter vor ihnen ist der Punkt, an dem Sie aufsetzen müssen.« »Aber gern!« murmelte Cliff. Es war wie die Fahrt mit einem schnellen Wagen über Felsen. Zitternd und in sämtlichen Verstrebungen ächzend donnerte die Maschine dicht über den Boden. Unsichtbar für die Augen der Menschen, die aus dem Zentralbau hinausstarrten und etwas zu sehen versuchten. Der Abstand verringerte sich weiter. Mehrmals versuchte der wütende Sturm die Konstruktion hochzureißen oder umzuwerfen. Mit der geballten Kraft aller Triebwerke stemmte sich der Kommandant gegen den – 24 –
Wind. Schattenhaft und mit eisverkrustetem Gestänge sackte die Maschine ab, fing sich wieder zwei Meter über dem Boden und trieb genau auf die Kuppel des Meilers zu. Dann – ein Stoß, ein gräßliches Knirschen. »Sie sind gelandet, Kommandant!« sagte der Kommentator. »Die Radaranzeigen decken sich völlig!« »Den Eindruck habe ich auch«, sagte Cliff und schaltete nacheinander vier magnetische Fesselfelder an, die den Koloß an den Boden drückten. Er lehnte sich zurück. Jetzt erst merkte er, daß alle seine Muskeln zuckten. Seine Nerven waren angespannt, und der Schweiß auf seiner Stirn fühlte sich eiskalt an, als er ihn abwischte. Jetzt kam der zweite Teil des Problems – der Anschluß der Energie an das Netz der Station. Bis die Hilfsschiffe kamen, mußte diese Energie das Leben aller Menschen auf Countess Marays sichern. »McLane an ORION!« sagte er halblaut und erschöpft. »Sigbjörnson hier«, meldete sich das Raumschiff. »Wir haben selbstverständlich mitgehört. Ausgezeichnet. Müssen wir eingreifen?« »Nein«, sagte Cliff. »Ihr könnt mir einen starken Schluck Schnaps herunterschicken.« »Später. Wie lange dauert es, denkst du, bis die Energie wieder fließt?« »Etwa eine halbe Stunde«, sagte der Kommandant. »In Ordnung. Wir warten hier – einsatzbereit.« Cliff wischte ein zweitesmal sein Gesicht ab, dann kontrollierte er systematisch sämtliche Schalter und Uhren. Was die technische Ausrüstung seiner unmittelbaren Umgebung betraf, war er beruhigt. Aber das war auch das einzige, was ihn beruhigen konnte. Er löste die Kupplung, die jetzt noch die Seiltrommel des schweren, weißen Stromkabels festhielt und zog dann die Handschuhe an. »Der Trick kommt erst noch!« sagte Cliff sarkastisch. Er klinkte die Handschuhe an die Ärmel des Anzugs und befestigte die Säume. Dann schaltete er die Heizung des Anzugs höher. Er nahm den Helm, setzte ihn auf und schaltete die Funkanlage ein. Schließlich öffnete er die innere Schleusentür, stellte sich in die Schleuse und befestigte den Haken der langen, kunststoffüberspannten Stahlsaite an seinem Anzug. Dann öffnete er die Tür der Außenschleuse. »Dachte ich es mir doch!« brummte er. Dann warf er sich vorwärts und stemmte mit aller Kraft die stählerne Scheibe nach außen. Er schob den Berg Schnee zur Seite und sah sich um, noch immer im Schutz der Schleusenkammer. »Sieht aus wie die Reklame für ein Erfrischungsgetränk – im Sommer«, knurrte er und ging drei Schritte nach vorn. Der Sturm faßte ihn, riß und wirbelte ihn drei Meter weit durch eine fast undurchsichtige Masse von wirbelnden weißen Flocken, die prasselnd gegen den Anzug und gegen das Visier des Helmes geschleudert wurden. Er richtete sich auf Knie und Hände auf; er mußte nach links. Dort befand sich die Seiltrommel. Langsam, wie ein krankes Tier, schleppte er sich entlang der Metallverstrebungen. Immer dann, wenn er sich aufrichtete und nach dem Gestänge griff, schleuderte ihn der Sturm zurück in den Schnee. »Kommen Sie klar, Kommandant?« fragte die Stimme in seinen Kopfhörern. – 25 –
Cliff wollte schon eine reichlich sarkastische Bemerkung machen, besann sich aber und dachte daran, daß dort, woher die Stimme kam, mindestens eine milde Form von Todesangst herrschte. »Leidlich«, sagte er. »Ich habe meine Schneeschuhe vergessen.« Er kämpfte sich in Abschnitten von zehn Zentimetern weiter. Nach fünfzehn Minuten hatte er das Kabel erreicht, noch immer gesichert durch die dünne, widerstandsfähige Stahlsaite. »Orientierung ist alles«, knurrte er. »Haben Sie mich im Radargerät?« fragte e r dann lauter. »Tut uns leid, nein. Ihr Impuls verschmilzt mit dem der Meilerkuppel.« Das bedeutete, daß Cliff nur dann zu verfolgen war, wenn er sich außerhalb der Radarsilhouette der Kuppel bewegte. Immerhin, auch dies war ein kleiner Vorteil. »Sagen Sie es mir, wenn ich die Radarumrisse verlasse!« ordnete er an, das schwere blockartige Anschlußstück des Kabels in den Händen. »Jawohl. Sie befinden sich direkt vor dem Anschlußkasten. Genau geradeaus – nach unseren Plänen.« »Welch ein Vergnügen«, sagte Cliff. Er ging wieder in die Knie, zerrte das Kabel über die Schulter und verfluchte die Kälte, die auch das Öl oder Fett in den Lagern der Seiltrommel brockig werden ließ. Der Kommandant robbte langsam vorwärts und atmete schwer. Alle Schritte sah er sich um und versuchte festzustellen, ob er sich entlang einer Geraden bewegte. Der Sturm zerrte und riß an ihm. Der Schnee wurde nicht nur herangetrieben, sondern geradezu über ihn geworfen. Bevor er sich ein drittesmal umgesehen hatte, war seine Markierung im tiefen Schnee wieder verschüttet. Er konnte nicht sagen, ob er im Zickzack der Kuppel entgegenkroch oder in der Geraden, ob er hundert Meter Entfernung zurückzulegen hatte oder nur zehn Meter. Er kroch weiter. Langsam und keuchend, auf Ellbogen und Knien, mitten im dicksten Schneetreiben, umgeben vom heulenden Sturm, der ihn ständig umwarf, robbte der Kommandant weiter. Er arbeitete zwanzig Minuten lang, dann donnerte er mit dem Helm gegen die Kuppel. Er hatte das Bauwerk nicht gesehen. »Angekommen!« sagte Cliff. Er klemmte das Anschlußstück des Kabels gegen die Blende zwischen Arm und Brustteil des Anzugs, holte die HM 4 aus der Tasche und schaltete sie vorsichtig ein. Dann glitt sein Handschuh vorsichtig über das glatte Metall. Er fand die Trennlinien und den Verschluß unter einer dichten Eisschicht, zielte, ohne etwas zu sehen, und feuerte ununterbrochen. Dampf stieg auf, als das Eis schmolz. Cliff griff nach vorn, hielt den Handgriff fest und riß daran, so fest er konnte. »Nichts!« sagte er grimmig. Ein zweiter Feuerstoß aus der Waffe schmolz weiteres Eis weg. Cliff hatte auf das Metall der Kuppel gezielt, das sofort zu glühen begann. Wieder riß er. Er hörte natürlich keine Geräusche, denn erstens hatte er das Außenmikrophon nicht eingeschaltet, zweitens wäre ohnehin nur das Heulen und Kreischen des Sturmes zu hören gewesen. – 26 –
Langsam drehte sich die Metalltür auf. »Fast am Ziel!« murmelte der Kommandant. Er verlor die Waffe, aber das war uninteressant. Dann zerrte er das Kabel zwischen Arm und Brustteil hervor, suchte mit den Vertiefungen im blockförmigen Endstück die sechs Stifte im Kasten; sie waren die Reserveanschlüsse, denn beim Hantieren spürte Cliff das andere Kabel und den zweiten Anschluß. Er brauchte nur noch einen Verbindungsschalter herumzulegen – drei Sekunden später klappte dies. Cliff sagte leise und mit schmerzenden Muskeln: »Die Verbindung zwischen Meiler und Pol-City ist hergestellt. Jetzt kommt der verdammt schwierige Rückweg.« »Verstanden, Kommandant!« Cliff spürte plötzlich, wie der Sturm nachließ. Er richtete sich auf, umklammerte das stählerne Seil und machte vier, fünf schnelle Schritte. Dann flog er waagrecht durch die Luft. Der Sturm hatte wieder eingesetzt. Erbarmungslos griff sie nach dem Mann im schweren Anzug, riß ihn von den Beinen und wirbelte ihn durch das rasende Schneetreiben. Cliff spürte den Druck des Stahlseiles an seiner Mitte, dann spürte er erneut einen harten, krachenden Schlag, der sich bis in seine Wirbelsäule hinein fortzusetzen schien. Er verlor das Bewußtsein – der Schmerz betäubte ihn. »Kommandant! Sie haben die Radarsilhouette verlassen!« schrie eine aufgeregte Stimme. Cliff antwortete nicht. Er flog noch immer, schlug zweimal auf den Boden auf, und das Stahlseil drehte sich hinter ihm auf. Es war nicht gerissen, aber die Halterung in dem Stahlring der Schleuse war abgebrochen. »Kommandant!« Cliffs Körper krachte hart in den Schnee, und ein verborgener Felsen riß die Apparatur seiner Funkverbindung auseinander. Dann riß der Sturm die Gestalt, deren Beine und Arme hilflos pendelten und sich bewegten, weiter und trug sie weg von dem Meiler, dem Flugaggregat und den dicken Kabeln. Cliff war bewußtlos. Ein zweiter Felsen, auf dem er entlangraste wie ein Schlittschuhläufer über das Eis, zerfetzte die Energieanlage für den Raumanzug. Der schmetternde Blitz ging im Tosen des Sturms unter. Zweihundert Meter weit wirbelte Cliff über die Schneewehen, schlug dann auf das Eis eines kleinen Sees und raste darüber hinweg. Er krachte gegen das Ufer, der Sturm und der Schnee drängten sich unter ihn und transportierten ihn weiter. Schließlich blieb er am Rand einer Sandfläche liegen, die merkwürdigerweise vom Schnee ausgespart worden war. Die Kälte nahm nicht ab. Sie fraß sich langsam durch den Anzug, berührte die Haut und machte sie eisig. Cliff erwachte nicht. Er hatte Druckstellen und Blutergüsse am ganzen Körper. Dann fiel die Heizung aus, weil auch der letzte Rest von Energie aus der Zelle entwichen war. Cliff lag da, mit ausgebreiteten Armen und Beinen, regungslos hinter der beschlagenen und mit Eiskristallen bedeckten Scheibe seines Helmes. Um ihn herum waren die heiseren Geräusche des Sturmes, das Wirbeln der Eiskristalle
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und das Treiben niedriger Wolken. Es war nicht dunkel, denn der lange Tag des Südpols hatte vor einiger Zeit begonnen. Langsam erfror Cliff. Von dem Zeitpunkt, an dem er losgerissen worden war, an gerechnet, waren insgesamt drei Minuten vergangen. In den nächsten zwei Minuten vereisten die Finger des Kommandanten, und dann begann er zu sterben. Langsam, ohne daß er es spürte. Er bewegte sich aus der tiefen, schmerzlosen Bewußtlosigkeit in seinen Tod hinüber. Zweieinhalbtausend Menschen warteten darauf, daß etwas geschah. Und niemand wußte, was wirklich passiert war. Die letzten Kommentare des Kommandanten hatten vielversprechend geklungen. Es wagte sich aber auch niemand hinaus in den brüllenden Sturm, der in der Nähe jener Sandfläche besonders stark war. Nutzlos vergingen die Minuten.
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3
Die erste Reaktion war Vorsicht. Als unvermittelt und ohne jede Warnung der Körper auf dem Platz auftauchte, versammelten sich binnen weniger Sekunden eine Menge Menschen um ihn. Der frische Wind, unter dessen Wirkung noch die Kronen der alten Bäume zitterten, hatte jetzt nachgelassen – trotzdem ging von diesem schwarzen, mit weißem Eis bedeckten Körper ein kalter Hauch aus. »Bisher hatten wir nur Tiere oder Pflanzensamen«, sagte eine Stimme. Eine andere antwortete: »Er sieht aus wie wir. Wenigstens kann man sich das vorstellen, wenn man diese Schutzhülle sieht.« Und eine dritte Stimme schlug vor: »Sofort die medizinische Station alarmieren.« Das war nicht mehr nötig. Eine Minute später, als sich das meiste Eis auf dem Schutzanzug in verdunstendes Wasser verwandelt hatte, bahnte sich der weiße Gleiter vorsichtig einen Weg durch die inzwischen angewachsene Menge. Zwei Techniker und fünf Mediziner sprangen heraus, ein Robot hob den schweren Körper auf die überdachte Ladefläche, und mit wenigen, geübten Griffen öffneten die Männer, von der Maschine unterstützt, den Anzug und warfen dessen Teile achtlos in einen Winkel des Gleiters. Die flache Schale, die wie ein zusammengedrückter Öltropfen aussah, raste davon und hielt direkt vor der Bakterienschleuse des Medizinischen Zentrums. »Er kam von dieser anderen Welt«, sagte einer der Mediziner. »Er sieht aus, als ob er tot sei«, meinte ein anderer. Sie schoben den Körper, der jetzt noch die dunkle Kleidung aus einem unbekannten Stoff trug, unter eine riesige Maschine, deren Inneres man nur ahnen, nicht aber sehen konnte. Langsam lief das gigantische Untersuchungsgerät an; ein helles Summen ertönte. »Er ist nicht tot«, kommentierte einer der Mediziner. »Aber er scheint auch nicht mehr sehr zu leben«, murmelte ein anderer. »Dort wird die Diagnose ausgedruckt.« Die Maschine hatte ihnen zwei Minuten, nachdem der Körper aufgetaucht war, genau gesagt, was diesem Körper fehlte. Gleichzeitig schoben sich die Elemente, die zur Heilung gebraucht wurden, auf eine Schiene zusammen. Ein anderer Robot kam, schob eine Platte unter den Körper und brachte ihn langsam zum Eingang des Behandlungstunnels, der aus so vielen Einzelteilen bestand, wie die Diagnose angefordert hatte. Ein anderer Robot brachte den Raumanzug in ein elektronisch-technisches Labor zur Untersuchung. Und die Mediziner eilten an ihre Plätze. Der steifgefrorene Körper wurde entkleidet. Die Kleider und alles, was sich am Körper beziehungsweise in den Taschen dieser Bekleidung befand, wurde ebenfalls einem Analysator zugeleitet, der sich je zur Hälfte aus diagnostischen Maschinen und koordinierenden Menschen zusammensetzte. Das Band transportierte den Körper weiter.
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Er wurde desinfiziert, dann, als nächstes, behandelten die Maschinen die Spuren der Erfrierungen. Zellen, die kurz vor ihrem individuellen Absterben waren, wurden mit Hilfe von Schocks wieder lebendig gemacht. Nährlösungen fluteten den Körper. Die Temperatur wurde ruckweise, in kleinen Dosen, heraufgesetzt. Wieder ein anderes Gerät schaltete die zu erwartenden Reaktionen des Hautgewebes aus, indem es eine violette Salbe über den Körper sprühte. Dann nahm sich ein wesentlich komplizierterer Mechanismus des Herzens und des Gehirns an. Cliff McLane... auch der Name wurde festgestellt!... kam in Stufen ins Leben zurück. Bevor er erwachte, betäubte ihn die Maschine erneut und sicherte ihm einen achtundvierzig Stunden langen Schlaf zu. Schlafend und in violette Salbe gehüllt, die sofort erhärtete und einen halbtransparenten Film bildete, verließ Cliff die hintereinander geschalteten Elemente der Klinik. Die Mediziner verließen ihre Plätze, an denen sie die Operationen der Maschinen beobachtet und korrigiert hatten und versammelten sich um die schwebende Bahre, auf der jener merkwürdige Mann lag. »Er ist in einem desolaten Zustand, wenn er aufwacht«, stellte einer der Mediziner fest. »Wir sollten den Chef verständigen.« Die gläserne Röhre eines waagrechten Expreßliftes entließ eben O' 61 Alayn. E r näherte sich der Gruppe und sagte halblaut: »Nicht mehr nötig. Ich bin augenblicklich losgerast, als ich die Nachricht hörte. Worum geht es?« Er blickte auf den Schirm, auf dem langsam die Buchstaben der Diagnose zu verblassen begannen. »Ich verstehe«, sagte er. »Was wir brauchen, ist eine Analyse des Hirninhaltes. Sofort aufgeschlüsselt. Dieser Mann...« »Cliff McLane«, sagte jemand, »so nennt man ihn.« »Dieser McLane muß, wenn er aufwacht, eine Umgebung haben, die seinen Gedanken und Erinnerungen entspricht. Ich veranlasse dies. Knecht!« Ein Robot, der wie eine gläserne Puppe aussah, näherte sich. »Diesen Körper zur Gedächtnisanalyse. Anschließend den Text der Umweltbedingungen ersten und zweiten Grades in mein Büro. Konferenz dortselbst.« Der gläserne Robot neigte den Kopf und legte eine Hand auf den Bedienungsknopf der schwebenden Bahre. Bahre und Robot entfernten sich durch eine breite, niedrige Tür aus dem Operationssaal, der eben wieder steril gemacht wurde. Die Mediziner blieben noch eine Zeitlang in der Gruppe stehen und unterhielten sich in gedämpftem Tonfall. »Er kam von dem Planeten, der einer von unseren Nebenwelten ist« sagte einer von ihnen. Er begrüßte diesen Tag, der ihnen allen ein echtes medizinisch pädagogisches Problem beschert hatte. Solche Fälle waren eminent selten. »Von einer der Parallelwelten, die wir kennen«, wurde er korrigiert. »Vermutlich von jener, die wir nicht betreten können«, meinte der Chef. »Es sieht aus, als habe er sich im Schneesturm verirrt.« Dann verbesserte er sich: – 30 –
»Nein. Nach all den Beulen und Quetschungen, nach den Abschürfungen und Prellungen – er wurde mit einiger Sicherheit vom Schneesturm oder während eines solchen einen Abhang hinuntergeworfen.« »Abhänge gibt es dort nicht«, murmelte U' 09 Kash. »Das hätten uns die Erinnerungen der Tiere verraten.« »Richtig! Also muß ihn der Sturm über die Ebene gerollt und geworfen haben. Wenn er nicht zufällig in die Nähe des ›Schnittpunktes‹ gekommen wäre, hätten ihn seine Freunde nur als Leiche geborgen.« Jemand sagte: »Gehen wir inzwischen ins Büro des Chefs. Erstens sehne ich mich nach der schwierigen Arbeit, und zweitens wird die Analyse bald durchgesprochen werden. Ich bin sehr gespannt, wie dieses Wesen lebte und wohnte.« Die Mediziner setzten sich in Bewegung, stiegen in den Lift und wurden von den transportablen Magnetfeldern hinweggerissen und Sekunden später im Zimmer des Chefarztes gelandet. Dort setzten sie sich um den riesigen runden Tisch, aber so, daß sie die Projektionswand genau sehen konnten. O' 61 Alayn schaltete sie ein, sobald er den Raum betrat. Diese Welt war eine aus der Reihe, die sich im Typ etwas mit dem Planeten vergleichen ließen, aus dem Cliff herausgeschleudert worden war. Die Gassäule, die sich über der schneelosen Sandfläche drehte, war nur der optisch sichtbare Eindruck der wahren Schnittlinie, an der sich die beiden Welten berührten. Die Stellung der anderen Welten innerhalb der terranischen Raumkugel oder etwa innerhalb der Galaxis festzulegen, war so schwierig, daß selbst die riesigen Rechenmaschinen dieser Welt hier versagten. Und sie hatten auch lange gebraucht, um den verwickelten Rhythmus herauszufinden, in dem sich die Zugänge zu den anderen Welten öffneten und schlossen, denn die Schnittlinien funktionierten nicht sehr lange und in sehr unregelmäßigen Abständen. Und es war den Lebewesen dieses Planeten nicht möglich, mehr als zwei der anderen Parallelwelten zu besuchen. Eine war völlig uninteressant, die andere diente nur zu Urlaubszwecken. Deswegen überschlugen sich die Kommentatoren förmlich, als sie erwähnten, daß der merkwürdige Mann in der eisverkrusteten Rüstung lebte und seiner Genesung entgegenschlief. Sie warteten nicht lange, dann kamen die Informationen an. »Halt«, sagte O' 61 Alayn. Er hob die Hand, schaltete dann auf einer komplizierten Tafel einige Knöpfe. Die ankommenden Informationen gingen an eine andere Stelle des gewaltigen technischen Apparates, der hier ein fester Teil des Planeten war. »Informationen!« Auf dem Schirm zeichnete sich ab, an was Cliff gedacht hatte. Die Maschinen hatten aus dem Informationsflug Teilgebiete herausgefunden und die Schilderungen, Bilder und Gedanken geordnet. O' 61 Alayn sagte kurz: »Nach den Informationen einige Zimmer einrichten. Wir verlegen den Schlafenden am besten an das Ufer des Binnenmeeres. Dort befinden sich genügend leerstehende Einheiten. Er muß in seiner vertrauten Umgebung aufwachen, sonst
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wird er wahnsinnig. Ich sehe gerade, daß er sehr empfindlich ist. Nicht so robust, wie seine körperliche Konstitution vermuten läßt.« Der Mann, der den Namen U' 09 Kash trug, flüsterte ergriffen, als er die Bilder sah: »Eine schöne Seele. Ein exklusiver Geist.« »So scheint es. Warten wir und sehen wir weiter.« Der Ablauf der Tage und der Gedanken aller dieser Bewohner des Planeten wurde von einer geistigen Strömung gesteuert, die man am besten mit dem Ausdruck pragmatische Logik bezeichnen konnte. Dabei halfen ihnen die mächtigen Rechenmaschinen, die so gut wie alles kontrollierten und steuerten, nicht aber die Menschen selbst. Zwar wurden die Maschinen um Rat gefragt, aber jedem stand frei, sich ihrer zu bedienen oder nicht. Gewisse Äußerlichkeiten des Lebens, wie Müllabfuhr oder Straßenreinigung oder einige Hundert ähnlicher Probleme existierten freilich für die Bewohner dieser Welt nicht mehr; sie wurden voll und ganz den Maschinen überlassen, die sich darum kümmerten. Nur wichtige Gedanken, Entschlüsse, Handlungen und Reaktionen zählten. Das konnten die Maschinen nicht ausrechnen – aber dabei konnten sie helfen, und wenn sie nur das Material für ein Kunstwerk beschafften, was innerhalb erstaunlich kurzer Zeiten vor sich ging. Jetzt bekamen die Maschinen ein ziemlich komplexes und umfangreiches Programm geliefert. Es war die Realisation der Bilder, die aus Cliffs Verstand stammten. »Sehr bemerkenswert«, sagte der Chef, O' 61 Alayn. »Er lebt in einer Welt, die so aussieht...« »... als sei sie ein Teil unserer eigenen Vergangenheit. Der weiten Vergangenheit«, schloß U' 09 Kash träumerisch. »Irgendwie ein kämpferischer Mann. Sozusagen ein Held. Das wird unsere Damen begeistern.« »Wir sind noch nicht am Schluß«, sagte der Chef. »Wie könnten wir auch. Bemerkenswert, wie viele seiner Erinnerungen sich mit freier Zeit beschäftigen.« Ein anderer Mediziner sagte bewundernd: »Und darin mit schnellen, gemütlichen Booten und gutaussehenden Mädchen. Da ist sogar eine mit dunkler Haut. Die Erinnerungen sind frisch, intensiv und von einer merkwürdigen Melancholie erfüllt.« »Es wird«, konstatierte der Chefarzt, »ein Mann von großer Erfahrung sein. E r weiß, wie flüchtig und vergänglich alles ist einschließlich der Schönheit der jungen Mädchen.« Sie sahen: Cliffs Erinnerungen, sozusagen rückwärts ablaufend. Und das alles erschien in farbenprächtigen Bildern, dreidimensional und mit der untergelegten, halbhypnotischen Bedeutung ausgestattet, über den riesigen Bildschirm vor den Augen der versammelten Mediziner. Der erste Eindruck, nämlich der, daß der Findling ein primitiver Barbar sei, mußte innerhalb der ersten fünf Minuten korrigiert werden. »Hoffentlich ist auch das Eins zu Achttausendsechshundertvierzig-Verhältnis richtig, das unsere Maschinen für diese Parallelwelt ausgerechnet haben«, sagte der Chefarzt leise. »Sonst gibt es Probleme, die selbst wir nicht lösen können.«
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Sie sahen und erlebten förmlich mit, wie sich Cliff anschickte, das Leben von mehr als zweitausend Menschen zu retten. Sie erlebten alles mit bis zu dem Zeitpunkt, wo der Kommandant ohnmächtig geworden war. Auch diese Informationen wurden, nach Sachgebieten gebündelt und blitzartig ergänzt, weitergegeben. »Merkwürdiger Mann!« murmelte der Chefarzt. Er konnte dies beurteilen; er war alt und erfahren genug. Er sah und erlebte den fehlerhaften und widersprüchlichen Charakter dieses schlafenden Mannes mit. E r sah die Punkte, an denen Cliff stärker war als andere Männer und jene, in denen er schwächer schien. Er sah seinen Sinn für alles, wofür ein Raumfahrer sich einsetzen konnte: für Begriffe wie Gerechtigkeit und Toleranz und Menschlichkeit. Und er erkannte auch den Hang dieses Mannes, unabhängig und frei zu sein von all den schematischen Vorstellungen und den hohlen Phrasen. Und als er die klar daliegende Fähigkeit zum Sarkasmus und zur Ironie entdeckte, freute er sich, ohne es zu zeigen. Es würden gute Gespräche werden... Nach einigen Stunden sagte O' 61 Alayn: »Wir werden ihn in einer Umgebung erwachen lassen, wie er sie sich vorstellt. Das Wissen, daß er nahe am Tod war, ist in ihm verankert. Er darf also, wenn er wieder in das helle Sonnenlicht des Tages kommt, auf keinen Fall einen Schock erleiden. Das ist wichtig. Die Komponenten, die gebraucht werden, sind bereits in den Speichern der betreffenden Rechenmaschinen integriert. Helles Sonnenlicht, in den Räumen entsprechend gedämpft. Dazu Sandstrand und Wasser in unmittelbarer Nähe. Selbstverständlich eine Weckprozedur unter ärztlicher Leitung. Willst du das übernehmen, Kash?« U' 09 Kash schrak hoch und erwiderte freudig: »Selbstverständlich. Mit Vergnügen. Mit außerordentlich großem Vergnügen. Wer wird mir assistieren?« Der Chefarzt sagte: »Natürlich zwei Robots. Und ich denke, Z' 12 Aradeyne wird die richtige Assistenz sein. Sicher wird sich unser eingefrorener Findling darüber freuen.« Der Chefarzt stieß mit dieser Vermutung, die für ihn persönlich eine Gewißheit darstellte, auf allgemeines Verständnis. »Und...«, sagte er laut in die Stille des Raumes, in dem die farbigen Bilder in den Hirnen aller flüsterten, »es ist wichtig, das 1:8640-Verhältnis besonders plausibel zu erklären.« »Das wird Aradeyne übernehmen!« versicherte U' 09 Kash. In den folgenden drei Stunden widmeten sich die Mediziner, zu denen später noch einige andere wichtige Personen dieses Planeten kamen, der Wiedergabe von Kommandant Cliff Allistair McLanes Sinneseindrücken. Sie lernten daraus fast alles über den Planeten Erde und ziemlich wenig über jene Welt, von der Cliff hierher geschleudert worden war. Auch hier vergingen Minuten und Stunden. Aber... sie taten dies in einem anderen Rhythmus. * – 33 –
Eine volle Minute, nachdem der aufgeregte Schrei des Mannes aus den Lautsprechern der Bordsprechanlage verklungen war, sagte Hasso Sigbjörnson leise: »Ich könnte mich unausgesetzt ohrfeigen, Freunde.« Mario de Monti sah Hasso scharf an; der Tonfall war selten. Hasso hatte also ein schweres Problem. Sie alle hatten es, aber Hasso traf es schwerer. Er war Cliffs ältester und somit längster Freund. »Was hast du, Hasso?« murmelte Mario. »Wir hätten Cliffs ständigen Begleiter unbedingt mitnehmen sollen. Aber niemals wieder werde ich zulassen, daß Cliff mir sagt, Gefahr wäre sein Geschäft.« »Raguer?« »Ja«, erwiderte Hasso Sigbjörnson. »Genau den meine ich. Commander Prac'h Glanskis hätte die Situation schneller und besser bereinigt als unser Kommandant. Schließlich ist Schnee oder Eis das Lebenselement dieses Wesens.« Marios Stimme wurde lauter und gleichzeitig fester. »Cliff hat sich seit rund zweihundert Sekunden nicht mehr gemeldet«, sagte er. »Er verließ die unmittelbare Umgebung der Meilerkuppel. Erinnere dich daran, daß er durch eine garantiert unreißbare Stahlsaite gesichert ist. Vermutlich ist e r vom rechten Weg abgekommen und tastet sich jetzt zurück in das blödsinnige Nuklearaggregat. Nur keine Sorgen, ehe sie existent werden.« Atan Shubashi schaltete sich in das Gespräch ein. »Wir haben ein Raumschiff, mit dem wir diesen Sturm dort unten ohne viel Mühe und mit wenig Risiken abreiten können. Mario – du bist Stellvertretender Kommandant! Los, in den Sessel. Hinunter!« Mario hob beide Hände, aber er näherte sich bereits dem Sessel und starrte auf die Sichtscheibe. Die ORION VIII stand noch immer in zehntausend Metern Höhe über der Polgegend, und auf dem Schirm zeichnete sich die scharfe Vergrößerung der Bilder ab, die von den Linsen eingefangen werden konnten. Der Hurrikan, der ungeheure Schneemassen und widerlich tiefe Temperaturen mit sich brachte – und zwar gleichzeitig, was ohnehin meteorologisch phänomenal war! –, war sehr deutlich zu sehen. Und dort unten steckte Cliff und irrte taumelnd durch den Sturm und die Mauern aus Eiskristallen, die der Sturm ihm entgegenschleuderte wie einen Hagel kleiner Kieselsteine. »Langsam!« meinte Helga. »Am besten ist, wir warten. Wie ist im Augenblick die Situation?« Mario ging bis vor die Scheibe und starrte darauf. Er sagte halblaut: »Cliff hat das Kabel aus dem flugfähigen Nuklearaggregat in die Schalttafel der Meilerkuppel hineingesteckt, darüber herrscht kein Zweifel. Hast du die Verbindung mit der Station, Helgamädchen?« Helga schüttelte den Kopf. »Sie können nicht mithören«, versicherte sie leise. »Weiter...!« »Ist auch besser so«, brummte der Chefkybernetiker. »Das bedeutet folgendes: Der Kommandant braucht nur noch unser mitgebrachtes Energiemaschinchen einzuschalten und auf volle Leistung zu fahren. Der Schnee wird eine wunderbare direkte Kühlung sein, und wenn er klumpen sollte, dann zerhacken ihn die Propeller und Turbinen der Luftkühlung. Und inzwischen rasen von allen Seiten die Rettungsschiffe heran. Und – zu guter Letzt: Einmal wird dieser Polarsturm ja schließlich aufhören. Alles hört einmal auf.« – 34 –
»Selbst de Montis Optimismus wird dann sein Ende finden. So sehr ich Cliff schätze«, sagte Hasso nachdenklich, »so genau weiß ich auch, daß sein Leben weniger wiegt als das von zweitausend anderen Menschen, die ohne ihr Verschulden in Lebensgefahr geraten sind. Frage: Was tun wir?« Atan rief laut: »Wir haben zwei Aufgaben. Wir müssen den Meiler anlaufen lassen, und wir müssen unseren Freund finden.« Mario setzte sich auf die Kante des Kommandantensessels und murmelte: »Sachliche Erkundigung, Freund Atan?« »Ich höre!« fuhr der Astrogator auf. »Bist du in der Lage, Cliff im gepanzerten Raumanzug zu orten und zu finden, wenn wir mit der ORION unmittelbar über Grund fliegen und suchen?« Atan sagte im Brustton der Überzeugung: »Mit geradezu tödlicher Sicherheit, Mario. Das kann ich leicht versprechen.« Mario wandte sich an den Raumschiffingenieur. »Schneetreiben, große Kälte, keine Sicht und ungewöhnlich hohe Windgeschwindigkeiten. Halten unsere Maschinen diese Tortur aus?« Hasso nickte, aber die Bewegung war etwas zögernd. Dann sagte er halblaut und abwägend: »Wenn Cliff mit den relativ schwachen und reaktionslangsamen Triebwerken der Nuklearmaschine dort gelandet ist, schaffen wir es auch. Aber wir brauchen jede Menge Energie.« Helga sagte: »Die haben wir. Was kommt zuerst?« Mario zuckte die Achseln und betrachtete mißtrauisch die Hebel und Schalter der Handsteuerung. Mit dem Autopiloten war hier nichts auszurichten. Es konnte in diesem Sturm kein Kurs programmiert werden, den Komputer und Autopilot zusammen schalten konnten. Das überstieg Marios Möglichkeiten und diejenigen der Maschinen um einige Grade. Dies war schließlich kein Flug im luftleeren Raum von Koordinaten zu Koordinaten. »Ich würde vorschlagen, wir setzen jemanden aus, der die Maschine anschaltet. Er braucht sie nicht einmal mehr anzuschalten: es reicht, wenn er einen Regler bis zum Anschlag zieht. Dann läuft dieses Ding an, und die Siedler können wieder Tee kochen oder Glühwein.« »Das würde ich übernehmen können«, sagte Hasso. »Aber auch nur mit einer Leine gesichert und im gepanzerten Raumanzug.« »Einverstanden«, sagte Mario. »Atan und ich suchen dann den Kommandanten, wenn du wieder im Schiff bist.« »Das tun wir – hoffentlich bald, sonst bekommt unser Cliff kalte Füße«, sagte der Astrogator. »Sollten wir ihn finden, starten wir entweder zurück in den Orbit oder warten an einer anderen Stelle des Planeten auf die Meldung, daß der Sturm aufgehört hat. Die ersten Hilfsschiffe können ohnehin erst in achtundvierzig Stunden oder nur ein wenig früher hier sein. Ich glaube, ich riskiere es«, sagte Mario mit Entschlossenheit in der Stimme. Sie wußten, daß dies eine sehr schwere Aufgabe war; Mario hatte das Schiff schon lange nicht mehr gesteuert. Aber er wußte auch, daß die Gewohnheit siegen – 35 –
würde. Wenn er die Hebel in den Händen hielt, würde der alte Schwung zurückkehren. Aber Helga schwächte die allgemeine Entschlossenheit ab und sagte: »Bevor wir uns dort unten in den Schnee stürzen, werde ich noch einmal versuchen, Cliff zu erreichen.« »Gut. Einverstanden. Wir dürfen nicht länger als eine halbe Stunde warten«, sagte der Stellvertretende Kommandant. »Es wird auch nicht länger dauern«, versprach die braunhaarige Funkerin. Sie schaltete ihre Anlage auf stärkste Sendekapazität und rief sieben Minuten lang den Kommandanten auf der Flottenwelle, auf der Frequenz der eingebauten Funkgeräte des Nuklearreaktors und auf der Welle des Raumanzugs. Nichts. Dann zuckte sie hoffnungslos die Schultern und zog den Regler zu sich heran. Mit dieser Schaltung blendete sie sich wieder in die stehende Funkverbindung zwischen dem Raumschiff und Pol-City ein. Sie sagte gepreßt: »Hier ORION. Ich brauche den Chefsprecher dort unten. Bitte kommen.« Der Mann hatte schon auf diesen Funkkontakt gewartet. Er sagte hastig: »Hier bin ich. Was ist geschehen, ORION?« Helga erwiderte: »Das wollte ich gerade von Ihnen erfahren. Wie lauten Ihre letzten Beobachtungen der Radarschirme?« Jemand seufzte, dann sagte der Sprecher: »Wir erfuhren, daß er die Kontakte geschaltet hatte und sich auf den Rückweg machte. Dann sahen wir, wie sich ein dunkler Punkt, also ein deutlich erfaßbarer Radarimpuls, aus der halbrunden Silhouette der Meilerkuppel entfernte. Er bewegte sich sehr schnell, und es schien, als würden seine Füße nicht einmal mehr den Boden berühren.« Helga und Hasso sahen sich schweigend an. »Und...? Weiter!« sagte die Funkerin. »Nichts weiter. Wir haben den Punkt nach ungefähr zweihundertfünfzig Metern Strecke aus dem Radargerät verloren.« Helga flüsterte entsetzt: »Wollen Sie damit andeuten, daß Kommandant McLane mehr als zweihundertfünfzig Meter weit durch die Luft geflogen sein könnte?« Zögernd sagte der Sprecher: »Das müssen wir unter Umständen annehmen. Wir riefen ihn wiederholt an, aber er hat sich bis jetzt nicht wieder gemeldet.« Helga schwieg einige Minuten; sie mußte die Meldung erst verdauen. Das bedeutete, daß Cliff zumindest bewußtlos, wenn nicht tot war. Sein Anzug war sehr widerstandsfähig, aber er konnte auch ernste Schäden davongetragen haben. Der Anzug wie auch der Kommandant. Dann fragte Hasso laut: »Seit dem Moment, an dem die Verbindung abgerissen ist, sind bei uns fünfzehn Minuten vergangen. Richtig?« »Richtig. Genau fünfzehn Minuten.« Mario drehte das Mikrophon zu sich heran und erkundigte sich in ehrlicher Besorgnis: »Wie lange halten Sie es noch aus?« – 36 –
»Zwei, drei Stunden. Dann haben wir die ersten echten Notfälle. Unsere Heizung wird von Minute zu Minute kälter.« Der Erste Offizier sagte hart: »In einer halben Stunde haben Sie entweder volle Energie, oder aber wir sind auch tot wie unser Kommandant. Das verspreche ich Ihnen. Wir starten in einer Minute nach unten und schalten die Anlage ein. Sie können von sich aus keinen Vorstoß wagen?« Bedauernd antwortete der Chefsprecher: »Alles, was wir haben, sind drei leichte Raumanzüge. Die Männer, die das Eis von der Radaranlage geklopft haben, sind beinahe gestorben. Tut mir leid – aber wir können nur echte Selbstmörder hinausschicken.« »Wir kommen«, sagte Mario. »Halten Sie durch.« »Ja. Danke. Verdammt... kommt schnell und helft uns. Wir kommen alle um...« Helga legte entschlossen den Schalter herum und sagte: »Los, Mario. Beweise, daß deine Beförderung zum Oberleutnant kein Scherz von Wamsler und van Dyke war.« Mario de Monti sah sie giftig an und gab zurück: »Deine Art, jemanden zu großen Taten anzuspornen, ist etwa so mild wie ein geschliffener Dolch.« Er griff nach den breiten Gurten, schnallte sich fest und verständigte sich mit Hasso und Atan durch lange Blicke. Ihm wäre auch lieber, Glanskis würde diesen Job übernehmen können. Aber der Raguer amüsierte sich in den lebenden Museen Terras und kam dort auf seine Kosten, indem er die Abenteuer früher Jahre mitverfolgte. Im Augenblick war er sicher bei Scott und Amundsen angelangt. Die ORION startete nach unten. Seit dem Moment, an dem die Funkverbindung abgerissen war, mußten mehr als zwanzig volle Minuten vergangen sein. Und für die Crew der ORION galt es fast als sicher, daß Cliff entweder tot oder bewußtlos irgendwo dort unten lag. * Er öffnete das linke Auge zuerst. Auf dem rechten lag er; der rechte Arm befand sich, abgewinkelt, unter seinem Backenknochen. Der Sichtbereich war klein, und perspektivisch verkürzt sah Cliff die Haut des Handgelenks und einige feine Härchen. Dann bemerkte er den Daumen und, auf dem flachen Kissen ausgestreckt, die Finger. Sie waren violett wie auch die Haut des Unterarms und des Handgelenks. Mühsam, Millimeter um Millimeter, hob er den Kopf und zuckte zusammen, als er den Schmerz spürte, der die Muskeln und die Nervenbahnen entlang den gesamten Rücken hinunterfuhr. Mit tauben Lippen und schmerzenden Zähnen murmelte er: »Das nenne ich einen Kater.« Er spürte mit der Zunge auf seinen Lippen den Geschmack von Traubenzucker oder einer ähnlichen Substanz. Jetzt öffnete er das rechte Auge und drehte sich langsam auf den Rücken. »Das kann nicht möglich sein«, sagte er undeutlich. Das Zimmer entsprach etwa einem Raum, der aus seinem Wohnzimmer in ORION-Island und seinem Arbeitszimmer gemischt war. Mildes, durch Jalousien – 37 –
gedämpftes Sonnenlicht zauberte Streifen über das Ende des niedrigen Bettes und den gelben Bodenteppich. Cliff schlug die Decke zurück, und wieder fuhren zuckende Schmerzwellen durch seinen Körper. Offensichtlich befand sich jeder einzelne Nerv im Aufruhr. »Unglaublich!« Cliff war unter der Decke nackt. Sein ganzer Körper, auch die Finger und selbst die Nägel schimmerten in einem unglaublichen Violett. Die Färbung wirkte auf ihn dergestalt, daß er dachte, er sei in einen dicken, glänzenden Film von dieser atemberaubenden Modefarbe gehüllt. Ein Farbbad? Eine Verfärbung der Haut. Schlagartig, wie ein Hieb mit einer Keule, kam ein Teil der Erinnerung wieder. »Eis... Schneesturm... der Nuklearmeiler...«, stammelte Cliff. Er drehte den Kopf. An einem vergoldeten Haken rechts von seinem Bett, neben dem Teil seiner Waffensammlung, hing der Raumanzug, den er zuletzt getragen hatte. Er war frisch poliert und gesäubert worden. Die Sonne schien ziemlich flach, also war Cliff in einem wohltemperierten Raum im Zentralbau oder sogar in einem der Wohntürme von Pol-City. Es war mehr als warm, also funktionierten die Heizungen und die Versorgungsaggregate. Das bedeutete nichts anderes, als daß jemand ihm nachgegangen war und den mitgebrachten Meiler eingeschaltet hatte. Cliff ließ sich zurücksinken und schloß einige Augenblicke die Augen. »Das ist eben noch einmal gutgegangen.« Er forschte weiter in seiner Erinnerung und fand zwei sehr widerstrebende Aspekte der letzten Minuten, bevor er bewußtlos geworden war. Sein Versuch, sich aufzurichten und schnell entlang der Stahlsaite zum Meiler zurückzulaufen und ihn einzuschalten. Und der grauenhafte Ruck, mit dem sich das Seil spannte. Dieser Ruck hatte ihn betäubt und gegen die Felsen geschmettert, so daß seine letzten Gedanken deutlich wurden: Ich sterbe, wenn die Anzugheizung versagt. »Ich freue mich, daß es dir gut zu gehen scheint«, sagte eine Stimme von links. Cliff hörte ihren Klang, so wie er den letzten Takten einer Händel-Arie oder einer Bartok-Bearbeitung von Tomas Peter lauschte. Diese Stimme besaß alle diese Komponenten und noch einige mehr. Ishmee? Nein – Arlene. Auch nicht. Er wagte nicht, den Kopf zu drehen. »Schmerzen?« fragte die Stimme weiter. Schatten bewegten sich, und als Cliff die Augen öffnete, sah er das Mädchen. Er mußte grinsen, denn sie trug, abgewandelt in einem anderen Stoff oder Gewebe, aber unverkennbar im Schnitt, die Parodie eines Raumanzuges. »Nicht mehr, wenn ich Ihre Stimme höre... übrigens: Sie haben mich geduzt?« sagte er. »Das ist hier so üblich«, sagte das Mädchen, das jetzt am Fußteil des Bettes vorbeiging, in sein Gesichtsfeld trat und sich dann neben ihn auf das Bett setzte. Cliff reagierte schnell und zog das Bettlaken – oder was immer dieser kühlende Stoff bedeutete – bis an das Kinn. Dieses Mädchen hatte eine bezaubernde Haut, aber sie war keineswegs so violett wie seine. »Wo bin ich? In Pol-City?« fragte Cliff.
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Das Mädchen schüttelte den Kopf. Einen der schönsten Köpfe, dachte Cliff, den ich je vor mir gesehen habe. Wußte nicht, daß sich solche Technikerinnen hier auf diesem abgelegenen Stück Weltall tummeln. »Nein, in einer anderen Stadt«, sagte das Mädchen. Cliff setzte sich auf und ließ sich ächzend wieder zurückfallen. Er fühlte sich, als sei die ORION über ihn hinweggerollt. »Wie? Auf diesem Planeten... Countess Marays... gibt es keine andere Stadt.« Das Mädchen lächelte schmelzend und sagte: »Du bist nicht auf Countess Marays, Cliff McLane.« »Aha«, murmelte Cliff. »Das wird immer interessanter. Nicht auf Countess. Funktioniert wenigstens eure Heizung?« »Keine Sorge. Sie funktioniert wie immer.« »Wenn sie wie immer funktioniert«, sagte Cliff, dessen Widerspruchsgeist angesichts dieser etwas märchenhaft parodistischen Szene erwachte, »dann müßten wir Eiszapfen sein. Und du siehst nicht wie ein Eiszapfen aus.« Sie sagte mit einem bezaubernden Lächeln, aber mit unerhörter Selbstsicherheit in der Stimme: »Aber du warst, als wir dich fanden, mehr ein Stück Eis als ein Raumfahrer.« »Also doch«, murmelte Cliff. »Ich hatte also doch recht. Was ist mit diesem Reaktor los?« Sie legte ihm eine schlanke, wohlriechende Hand gegen die Brust und drückte ihn in das Kissen zurück, das plötzlich dicker und weicher geworden war. »Du brauchst dir weder um Pol-City noch um den Reaktor Sorgen zu machen. Im Moment habe ich die größeren Sorgen. Hör zu – jetzt werden zwei Maschinen kommen und dich baden und anziehen. Sie bringen dich anschließend zu mir. Auf einem netten kleinen Tisch auf der Terrasse ist ein Essen angerichtet. Du wirst sicher etwas Hunger haben? Ich glaube es jedenfalls zu wissen.« Als habe er sein Stichwort erhalten, begann sich Cliffs Magen zu melden. E r schrie förmlich nach heißen Würstchen oder nach einem gefüllten Truthahn. »Blendende Idee«, sagte der Kommandant. »Baden ist immer gut. Geht dann auch die Farbe von meiner Haut ab?« Sie stand auf und versicherte: »Du wirst dich und die Welt nicht wiedererkennen, wenn du neben mir sitzt und in die abendliche Sonne blickst.« Das Mädchen verließ das Zimmer so leise, wie es gekommen war. Cliff blieb zurück. Er war voller Staunen und Zweifel. Diese Zweifel verstärkten sich, als zwei schmale, schlanke Robots eintraten. Sie waren aus Glas – oder sahen so aus.
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Die Prophezeiung des ausnehmend schönen Mädchens war zutreffend: Cliff McLane kannte sich und die Welt nicht mehr. Eine Überraschung jagte förmlich die andere, und binnen weniger Minuten war er sprachlos. Zuerst die beiden Maschinen. Sie kamen auf ihn zu und blieben rechts und links von dem Bett stehen. Sie bestanden natürlich nicht aus Glas sondern aus einem biegsamen, vollkommen transparenten Baustoff. Sämtliche Verbindungen, Gelenke und Mechanismen waren voll zu sehen. Ein metallenes Adernetz und ein Knochengerüst aus Leichtstahl oder Kunststoff durchzogen die Gestalten. Dankbar registrierte Cliff, daß sie nicht sprachen, aber offensichtlich sehr genau programmiert waren. Einer der Robots, absolut menschenähnlich, nur dünner und zierlicher, deutete auf die weiße Tür des großen Zimmers. »Ihr werdet mich tragen müssen«, sagte Cliff. »Mit den Sprints ist es für die nächsten Tage vorbei.« Beide Maschinen nickten. Dann griffen sie vorsichtig nach seinen Armen, hoben mit spielerischer Leichtigkeit den Körper hoch und zogen ihn über das Fußteil des Bettes. Anschließend transportierten sie ihn aus dem Zimmer heraus, durch die Tür, die sich lautlos in die Wand zurückzog und in ein Badezimmer, dessen Wand ein einziger, prismatisch geschliffener Spiegel einnahm. Dort beschäftigten sie sich eine geschlagene halbe Stunde mit dem Kommandanten. Zuerst wurde er von oben bis unten mit einem streng duftenden Schaum überzogen. Anschließend prasselten heiße und kalte Wasserstrahlen gegen seinen Körper. Sie wuschen die violette Schicht vollständig ab. Dann wurde Cliff methodisch massiert, wieder geduscht, rasiert, das Haar geschnitten. Man putzte ihm die Zähne, manikürte und pedikürte ihn. »Das ist schlimmer als eine Aufnahmeprüfung bei den Raumkadetten!« protestierte er, Schaum in den Augen. Die Roboter reagierten nicht auf seinen Einwand. Sie brachten eine lange, leichte Hose, die sich angenehm an die Konturen des Körpers schmiegte, ein paar weiche Schuhe, die entfernte Ähnlichkeit mit Mokassins hatten und ein Mittelding zwischen Jacke und Hemd. Dies war der Augenblick, an dem der Kommandant zum erstenmal stutzig wurde. »Ich lasse mich köpfen!« murmelte er, als er das stark parfümierte Hemd überstreifte, »aber auf keinen Fall bin ich hier auf Terra. Auch nicht auf Countess Marays. Also auf einem völlig anderen Planeten.« Er starrte den Robot an, der ihn gerade kämmte. »Und diese Maschinen entspringen auch nicht der terranischen Technologie«, sagte er und schlug der Maschine mit der flachen Hand zwischen die angedeuteten Schulterblätter. »Gestehe!« rief er. »Du bist kein Terraner!« Der Robot legte vorsichtig eine Strähne von Cliffs Haar in die Stirn und reagierte ebensowenig wie vorhin. Cliff zuckte die Schultern. – 40 –
Er blieb vor dem Spiegel stehen und betrachtete sich nachdenklich Er sah keinerlei Spuren, die sich mit seinen letzten Erinnerungen deckten. Eine merkwürdige Stimmung beschlich ihn. Es schien, als sei er in einer völlig anderen Welt, obwohl dies so gut wie unmöglich war. Alles, was er sah oder anfaßte, entstammte seiner Meinung nach aus einer Kultur, die von derjenigen Terras und der Planeten grundverschieden war – wenigstens seiner Beurteilung nach. »Gehen wir zum Essen!« entschied er leise. Er drehte sich herum und ahnte in diesem Augenblick nicht einmal, daß hinter der riesigen Spiegelscheibe, die nur einseitig verspiegelt war, U' 09 Kash stand und die Meßwerte überprüfte, die von den beiden Maschinen durchgegeben wurden. Cliff blieb vor einem Robot stehen. »Wohin?« fragte er. Er fühlte sich, abgesehen von seinem nagenden Hunger, ziemlich wohl. Trotzdem blieben die fremdartigen Eindrücke und die Frage, wo er sich nun wirklich befand. Auf alle Fälle jedoch in einer sehr gastfreundlichen Umgebung. Der Robot deutete auf eine andere Tür, die kurz darauf in der Decke verschwand. Cliff sah grüne Pflanzen und eine blaue Fläche, dann entdeckte er am Ende eines kurzen Korridors den Tisch, an dem das Mädchen auf ihn wartete. »Apart«, murmelte Cliff. »Hoffentlich gibt es etwas, bei dem meine Magennerven nicht streiken.« Er trat hinaus an die frische Luft und sah sich um. »Faszinierend!« bemerkte er. Er befand sich auf dem Dach eines ziemlich hohen Gebäudes, das annähernd rund sein mußte. Über sich hatte er den Himmel eines frühen Abends mit vielen Sternen und einer durch den Horizont halbierten, riesigen roten Sonne. Um sich herum sah er Berge mit vielen Wäldern, und genau vor ihm breitete sich eine zauberhafte Bucht aus. Das Blaue war also ein Stück See oder Meer gewesen. Die Terrasse wurde durch eine hüfthohe Mauer abgegrenzt. Vor dieser Mauer stand ein prächtig gedeckter Tisch. Vier Kerzen brannten, und in einem weißen Sessel kauerte das Mädchen und sah ihn an. Langsam ging Cliff auf das Arrangement zu, stützte sich auf die Tischkante und fühlte, wie sein Magen angesichts der teilweise unbekannten Speisen revoltierte. Der Kommandant sagte leise: »Es ist nett, daß du auf mich gewartet hast.« Das Mädchen lächelte und erwiderte: »Ausschließlich dazu bin ich hier. Nimm Platz. Wie fühlst du dich?« Cliff lächelte zurück. Er hatte das Gefühl, als würde der Sessel gleich unter ihm zusammenbrechen. »Ich fühle mich sauber und hungrig.« Er blickte schräg an den Flammen der Kerzen vorbei und hatte zum drittenmal den deutlichen Eindruck, als sei diese Szene gestellt worden. Sie wirkte zu perfekt, um ganz echt zu sein. Alles machte den Eindruck, als sei es eine großangelegte Kulisse – nur für ihn entworfen. Er sah in die silbernen Augen des Mädchens und sagte: »Meinen Namen weißt du. Wie kann ich dich ansprechen?« »Ich bin Aradeyne«, erwiderte sie sofort. »Z' 12 Aradeyne.«
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»Aha«, sagte der Kommandant. »Aradeyne... sehr klangvoll. Aber was bedeutet diese Kombination vor deinem Namen?« Das Mädchen goß mit ihren schlanken, ringgeschmückten Fingern ein Glas voll und gab es Cliff. Der Kommandant rührte sich nicht. »Es macht den Appetit gesünder«, sagte Aradeyne. »Verbindlichen Dank«, sagte Cliff. »Mein Appetit ist in Ordnung. Was hingegen absolut nicht in Ordnung ist, läßt sich in eine Frage kleiden.« »Nimm Platz«, das Mädchen deutete auf den Sessel neben ihr. Cliff setzte sich und starrte hinaus auf die zauberhafte Bucht, in deren Wasser sich die letzten Sonnenstrahlen brachen. »Ich habe noch keine Antwort«, sagte Cliff und nippte an dem Getränk. Es schmeckte großartig – appetitanregend und sättigend zugleich. »Du bist auf Pleyade«, sagte Aradeyne. Cliff starrte ihr in die Augen. »Ein Planet, den ich nicht kenne?« fragte er leise. Er hatte es ja geahnt! »Richtig. Eine Parallelwelt von dem Planeten, den du Countess Marays nennst. Wir haben diesen Eindruck, diese Bezeichnung, aus deinen Erinnerungen.« Sie waren allein auf einer großen, leeren Terrasse. Methodisch betrachtete Cliff seine unmittelbare Umgebung. Merkwürdig; der Schock auf diese Eröffnung war ausgeblieben. Die Terrasse war mit einem weißen Material ausgelegt, das an einen Teppich erinnerte, aber keiner war. Es wirkte wie pseudolebendiges Gras. Der Tisch war zierlich und aus Holz gearbeitet, die Sessel ebenfalls, nur mit einem weißen, weichen Überzug, der sich den Körperkonturen anpaßte. Das Mädchen Aradeyne trug jetzt einen weißen Hosenanzug – Cliff zweifelte nicht mehr länger daran, daß die Bewohner dieses Planeten seine Gedanken kannten. In seiner Erinnerung wimmelte es förmlich von weißen Hosenanzügen. Sie erinnerte ihn: »Du wirst hungrig sein, Cliff!« »In der Tat«, sagte er. »Es ist nichts vergiftet?« Sie lachte auf. »Nein. Das hätten wir einfacher haben können. Wir hätten dich nur in deinem halbzerstörten Raumanzug liegenlassen können, als du plötzlich am anderen Ende der Schnittlinie aufgetaucht warst.« Cliff grinste sie kühl an und machte einen Vorschlag: »Während ich versuche, ein paar Happen hinunterzuwürgen, versuchst du, mir zu berichten, wie ich hierher gekommen bin. Ist das durchführbar?« »Selbstverständlich«, sagte sie und legte etwas aus einer Schüssel auf seinen Teller, »ich wüßte nur wenige Dinge, die ich lieber täte.« Sie sprach fehlerloses, akzentfreies Terranisch. »Darauf kommen wir später zu sprechen«, sagte Cliff. Während er langsam aß und herauszubekommen versuchte, was er wirklich zu sich nahm, berichtete sie ihm, wie vor langen Jahren die Existenz eines Schnittpunktes zwischen den Welten bekannt geworden war. Dann kam die Schilderung seines plötzlichen Auftauchens und seines Zustandes, der es notwendig gemacht hatte, daß man ihn den medizinischen Maschinen zugeführt hatte. Dieser Bericht dauerte rund eine Stunde nach Cliffs Zeitrechnung, und als das Mädchen – 42 –
schwieg, war Cliff satt. Er hatte ungefähr zwanzig verschiedene Gerichte probiert, alle waren sie gleich gut gewesen. Aber er hätte, wenn jemand von ihm verlangen würde, sie zu charakterisieren, immer nur sagen können: »So ähnlich wie...« Er legte das Besteck zur Seite, das so ähnlich wie ein terranisches geformt war und hob das Glas. »Die Hauptfrage ist«, sagte er langsam und nachdenklich, »was jetzt aus den Siedlern wird, die auf meine Schaltmanöver warten.« Sie schüttelte lächelnd den Kopf und erwiderte: »Du brauchst keine Sorge zu haben. Bei uns herrscht das 1:8640-Verhältnis.« Cliff runzelte die Stirn. »Welches Verhältnis?« fragte er entgeistert. »Bei uns vergeht eine Stunde deiner Zeit wesentlich langsamer, im angegebenen Verhältnis. Wir haben lange Zeit, um uns zu überlegen, wie wir den Siedlern helfen können.« Cliff war aufgesprungen; er konnte nicht glauben, was er eben gehört hatte. E r drehte halb den Kopf, als er Schritte hörte. Ein großer, schlanker Mann mit hellgrauem Haar kam auf den Tisch zu und blieb daneben stehen. »Wir sehen uns, Alayn«, sagte Aradeyne. »Sehen uns«, sagte O' 61 Alayn, der Chefarzt. »Du hast dich fabelhaft erholt, mein Freund. Kash berichtete mir bereits von den ausgezeichneten Daten; er kontrollierte dich, während dich die Maschinen fit machten. Spürst du die Schmerzen in den Fingerspitzen und Zehen nicht mehr?« »Nein«, sagte Cliff und zog die ausgestreckte Hand wieder zurück, »aber das muß am Essen liegen.« O' 61 Alayn schnippte mit den Fingern, worauf im Hintergrund der Terrasse einer der durchsichtigen Robots auftauchte und einen dritten Sessel brachte. Der Chefarzt setzte sich und sagte zu Cliff: »Es hat sich einiges getan in der Zwischenzeit. T' 31 Clade will unseren Findling unbedingt sehen. Hat dir dieses nette Mädchen berichtet, daß du ungeheuer viel Zeit zur Verfügung hast?« Cliff nickte schweigend, dann murmelte er widerstrebend: »Ja. Sie hat. Während hier mehr als achttausend Minuten vergehen, vergeht auf dem Planeten, von dem ich hergeschleudert worden bin, nur eine Minute. Ist es das, was ich wissen wollte?« Der Chefarzt nickte. »Du fühlst dich trotzdem unbehaglich; ich erkenne dies an deinen ausgesandten Strömen.« Cliff runzelte die Stirn und erwiderte angriffslustig: »Ich fühle mich etwas manipuliert.« O' 61 Alayn lachte laut und erklärte ihm in einigen Sätzen, daß Cliffs erste Vermutungen richtig gewesen waren. Sämtliche Szenen seit dem Aufwachen und auch die Wahl des Ortes waren sorgfältig nach Bildern seiner Vorstellungswelt und seiner bewußten und unbewußten Erinnerungen gestaltet worden, einzig mit dem Ziel, einem Schock vorzubeugen. Man hatte erkannt, daß ein Fremder aus einer ähnlichen Kultur für Pleyade ungeheuer wichtig sein konnte, aber darauf würde er, der Chefarzt, noch zu sprechen kommen. Vorläufig waren nur drei Dinge wichtig. Erstens: – 43 –
Cliff sollte, rein medizinisch gesehen, sich von den Strapazen und den Schmerzen gut erholen, die er erlitten hatte, bevor er hierher geworfen wurde. Zweitens: Alles sollte ihm langsam und in kleinen Dosen erklärt, geschildert und gezeigt werden. Der Planet und dessen Menschen, die Städte und alles, was dazwischen lag. Und drittens würde man über die folgenden Dinge mit ihm sprechen, wenn die ersten Aufregungen abgeklungen waren. Cliff sah zu, wie sein Glas erneut gefüllt wurde. Dann sagte er leise: »Ich verstehe. Es ist kein Traum, sondern Wirklichkeit.« Dann entsann er sich seiner Fähigkeit des Bishayr. Er versuchte, den Charakter des Mädchens zu erforschen und festzustellen, ob sie von einem Betrug an ihm wußte oder nicht. Ohne daß Aradeyne es merkte, drang Cliff in ihr Bewußtsein ein und entdeckte einige Teile ihres Denkens und ihrer Überzeugungen. Sie war, sofern er es sagen konnte, hundertprozentig ehrlich. Nicht gerade sehr kompliziert, also ganz anders als Arlene, aber ehrlich. Sie betrog ihn nicht und hatte auch keinerlei Nebengedanken. Sie würde ihn auch nicht betrügen. Was sie dachte und fühlte, war richtig und die Wahrheit. Erleichtert wandte sich Cliff dem Chefarzt zu und testete ihn. »Du bist so still?« fragte das Mädchen. Cliff winkte ab und sah auf das Meer hinaus, auf dem sich jetzt die dreieckige Spur eines schnellfahrenden Bootes abzeichnete, dessen Maschinengeräusche unhörbar zu sein schienen. »Später«, sagte er. Bei O' 61 stieß er auf einige verzwickte Probleme. Auch er war wohlwollend und ehrlich, aber hinter dieser Offenheit verbarg sich etwas Pragmatisches. Diese Menschen waren für Cliff sehr wichtig, weil sie ihn vor dem Tode gerettet hatten und ihn geradezu fanatisch pflegten. Aber auch er war für sie wichtig. Warum, das vermochte er nicht mehr zu erkennen. Bishayr sagte etwas über die Art des Charakters aus, nicht aber etwas über die Natur oder den Inhalt von Gedanken. Der Chefarzt sagte: »Cliff, du wirst jetzt eine Stunde lang unten in der Bucht schwimmen müssen. Wir haben deinen Organismus, der übrigens so gut wie identisch mit unserem ist, mit allerlei Medikamenten überflutet. Du mußt seinen Stoffwechsel ankurbeln!« Cliff schnitt eine Grimasse. »Ich fürchte mich, nachts zu schwimmen. Ein Haifisch könnte kommen oder so.« Der Chefarzt deutete lächelnd auf das Mädchen. »Aradeyne wird dich retten, falls es erforderlich wird.« »Ja, sicher«, antwortete Cliff. »Ihr seid alle so nett zu mir, und dort, auf dem anderen Planeten, zittern mehr als zweitausend Menschen und meine Crew um mich, beziehungsweise um ihr eigenes Leben. Ich bin unruhig und werde, bis sich einiges herausgestellt hat, auch unruhig bleiben.« Während es um sie herum immer dunkler geworden war, hatten sich die Flammen der Kerzen vergrößert. Nein, genauer: sie waren wesentlich heller geworden. Cliff sah in die schmalen, leicht degeneriert wirkenden Gesichter der beiden Wesen. Er scheute sich noch immer, den Ausdruck ›Menschen‹ für sie zu verwenden, aber eigentlich waren sie es. Sie unterschieden sich von ihm bestenfalls durch die souveräne Beherrschung einer wesentlich fortgeschritteneren Technik und – 44 –
durch einige andere Dinge, die er nicht kannte. Noch nicht kannte. Die Nacht war windstill und warm, und dreißig Meter unterhalb der Terrasse brachen sich die kleinen Wellen auf dem weißen Sand. Sie hatten sich schon die richtige Umgebung herausgesucht – er begann langsam, im gleichen Maß, wie das Getränk in ihm zu wirken begann, sich wohlzufühlen. »Einverstanden«, sagte Cliff. »Wie lange habe ich eigentlich geschlafen?« »Achtundvierzig Stunden fast, nach deiner Rechnung«, sagte der Chefmediziner leise. »Wir haben alles versucht, um dir die ersten Stunden angenehm zu machen. Ist es uns gelungen?« Cliff wurde schlagartig ernst und antwortete halblaut: »Es ist euch gelungen. Vollkommen. Und ich bedanke mich sehr dafür.« »Keine Ursache dafür«, sagte O' 61 Alayn. »Ich werde dich morgen zusammen mit T' 31 Clade und M' 88 Oinikam besuchen. Dann werden wir sämtliche technischen Fragen deiner Anwesenheit klären.« Cliff fragte zögernd: »Auch die Einzelheiten einer möglichen Rettungsaktion?« Der Chefarzt nickte. »Auch die. Geh jetzt in dein Zimmer, hole die Badekleidung und komm wieder hierher. Ich werde diesem Mädchen hier erklären, wie man sich am besten um gestrandete Raumfahrer kümmert.« Cliff stand auf und flüsterte: »Ihr scheint wirklich alles über mich zu wissen, wie?« Ohne falsches Selbstbewußtsein erwiderte der Chefarzt: »Fast alles, Kommandant McLane. Fast alles. Aber nicht restlos alles.« Cliff ging langsam und sehr nachdenklich auf die breite Tür des Korridors zu und vor ihm öffneten sich nacheinander drei Platten, die aus einem Material bestanden, das er nicht kannte. Er stand wieder in seinem Zimmer, und als er eingetreten war, hatte sich die Decke erhellt, und die Türen eines Wandschrankes hatten sich aufgelöst. Cliff fand Badeschuhe, ein riesiges weißes Tuch und eine knappe Hose. Er zog sie an, warf das Tuch um seine Schultern und ging den Weg zurück. Er blieb neben dem Tisch stehen und sagte sarkastisch: »Ich brauche viel Schlaf, und die Ruhe vor Mitternacht ist die beste. Kommst du mit, Führerin der Fremden?« Aradeyne stand auf. »Ich komme sofort«, sagte sie. * Cliff McLane war achtunddreißig Jahre alt, und ein denkender, bewußter Mann in diesem Alter hat nicht mehr viel von dem, was einst seine Jugend ausgemacht hatte. Cliffs Illusionen waren auf das zum Überleben notwendige Mindestmaß heruntergearbeitet worden, er hatte viel gesehen und noch mehr erlebt und pausenlos versucht, aus allem etwas zu lernen. Überraschungen, die andere Männer aus den Stiefeln rissen, bedeuteten ihm nicht viel mehr als ein kurzes Erschrecken, eine blitzschnelle Reaktion und dann ein sarkastisches Lächeln. Er war hier auf einer gänzlich fremden Welt gelandet, ohne daß er etwas dazu getan hatte. Um nicht von der Einsicht überwältigt zu werden, erinnerte er sich – 45 –
bewußt an die Planeten der Dara und an die Ereignisse, die dort stattgefunden hatten. Sie waren so unglaubwürdig gewesen, daß sich die Tasten eines Schreibgerätes verbogen, hätte man sie notieren wollen. Selbst der so bekannte Pieter-Paul Ibsen erfand in seinen Geschichten nur schwache Abbilder der Wirklichkeit, die für Cliff und seine leidgeprüfte Crew entscheidend gewesen war. So auch hier. Hier auf Pleyade, dem Planeten, der als Parallelwelt durch seltsame Verbindungen mit Countess Marays verbunden war. Cliff wußte mit geradezu mathematischer Sicherheit, daß ihn in den nächsten Tagen und vielleicht Wochen – an den veränderten Zeitfaktor mußte er sich noch erst gewöhnen – noch einige Einsichten erwarteten, die ihn zumindest stark erschüttern würden. Mit dieser zuversichtlichen Einstellung ausgerüstet, unterhielt er sich über einiges Belangloses mit dem Chefwissenschaftler der medizinischen Station und wartete auf Z' 12 Aradeyne. Er fragte, als er an den Namen und somit an das Mädchen dachte: »Diese Vorsilben oder Zahlen, Alayn... was bedeuten sie?« Alayn erwiderte: »Sie kennzeichnen mit dem ersten Buchstaben eine besondere Klasse innerhalb unserer Gemeinschaft. Du würdest vielleicht ›Beruf‹ oder ›Job‹ oder ›Fachgebiet‹ sagen. Der erste Buchstabe bedeutet die persönliche Klassifizierung, wobei der einfache Zahlenwert nichts bedeutet.« Cliff sah zu, wie Aradeyne in einem phosphoreszierenden Badeanzug von mehr als nur kühnem Zuschnitt auf ihn zukam und erwiderte: »Also bezeichnet Eins nicht die höchste und Neun nicht die niedrigste Stufe innerhalb einer bestimmten Klassifizierung?« »So ist es«, erwiderte O' 61 Alayn. »Genug jetzt der Fachgespräche. Stürze dich in unseren fabelhaften Binnenozean, Freund Cliff.« »Gemach«, murmelte Cliff und ließ sich von dem Mädchen an der Hand auf eine gläserne Röhre zu abschleppen. Die Röhre, am entgegengesetzten Ende der Terrasse einfach aus dem Boden aufgetaucht, nahm sie auf, und einen Sekundenbruchteil später standen sie nebeneinander auf dem warmen, weißen Sand, auf dem sich das Licht der Sterne spiegelte. Cliff murmelte: »Diese Großraumplanung in Stereo und Farbe gefällt mir. Was habt ihr noch alles aufgeboten, um mir die ersten Stunden angenehm zu machen?« Aradeyne lehnte sich gegen seine Schulter und flüsterte: »Warte nur, Kommandant.« Cliff breitete das Tuch aus, ging dann geradeaus, bis ihm das Wasser an die Schultern reichte und begann zu schwimmen. Er merkte, wie sich bei jedem Stoß die Muskeln weiter lockerten. Langsam und überlegt schwamm er auf jenen weißen Lichtfleck vor ihm zu, der immer wieder aus den Wellen auftauchte. Als er sich umdrehte, dachte er, das Mädchen würde am Ufer stehen und auf ihn warten, aber er sah sie einige Meter hinter sich. »Schwimme ich zu schnell?« fragte er. Außer ihnen waren weder Menschen noch Boote in der Bucht. Cliff ließ sich in dem salzigen Wasser einige Sekunden lang treiben und sah über sich einen Sternenhimmel, den er nicht kannte. Die Konstellationen waren fremd, und das Band der Milchstraße fehlte völlig und war durch einige Sternhaufen ersetzt, die – 46 –
sich in relativ geringer Entfernung befanden. Das war ein untrüglicher Beweis dafür, daß hier nicht eine gigantische Komödie gespielt wurde. »Keineswegs«, stieß das Mädchen hervor. »Ich überhole dich spielend, wenn ich es will.« In Cliff erwachte trotz der Müdigkeit und der Lähmung seiner Muskeln eine Art Trotz; er warf sich wieder auf den Bauch herum und rief: »Auf dieses Licht dort vorn zu. Wer es erreicht...« Gleichzeitig begann er einen Spurt. Die Muskeln schmerzten, aber er hielt sich recht gut. Nur fünf Meter hinter dem Mädchen kam er an, ließ sich von einer kleinen Welle auf die Plattform heben und setzte sich an den Rand. Er wischte das Wasser aus dem Haar und vom Gesicht und sagte: »Wenn du alles so gut kannst wie schwimmen, dann sehen wir lustigen Tagen entgegen.« Die Sterne waren heller als die Flammen der Kerzen. Cliff atmete schwer und betrachtete das Mädchen neben ihm zum erstenmal genau. Was er sah, ließ ihn glauben, daß nicht nur die Möglichkeiten theoretischer und angewandter Technik dieses Planeten und dieser Rasse weiter und höher entwickelt waren. Auch die einzelnen Individuen selbst schienen älter und in jeder ihrer Gesten ausgeprägter zu sein. Es würde interessant werden, ihre eigene Sprache zu sprechen und zu hören – mit Sicherheit verständigten sie sich mit weniger Worten, die dafür wesentlich höheren Informationswert besaßen. So wie der Chefarzt sah auch das Mädchen aus – als habe seit Jahrtausenden oder seit noch längerer Zeit ein Ausleseprozeß stattgefunden, der nur schönste und beste Exemplare ermöglichte. Und er, Cliff, hatte diese kleinen Zeichen für beginnende Degeneration gehalten. Leise fragte der Kommandant das Mädchen: »Was habt ihr mit mir wirklich vor, Aradeyne?« Mit beiden Händen strich das Mädchen das lange, schwarze Haar aus dem Gesicht zurück und erwiderte bedauernd: »Ich weiß es nicht, Cliff. Ehrlich! Vielleicht weiß ich es heute oder morgen. Heute nacht, meine ich. Im Augenblick habe ich keine Ahnung.« Cliff nickte. »Woher«, fragte er inquisitorisch, »kennst du meine Sprache so gut? Beziehungsweise – wo habt ihr, O' 61 Alayn und du, sie gelernt, so daß ich keinerlei Akzent feststellen kann?« Das Mädchen lächelte ihn an und erklärte: »Wir haben sie gelernt. Du mußt wissen, daß wir, während dich die medizinischen Maschinen heilten, fast sämtliche Inhalte deines Verstandes, also deine Erinnerungen, dein Wissen und die Gedanken in die riesigen Rechenmaschinen überspielt haben. Diese Maschinen leisten sämtliche administrativen Arbeiten auf unserem Planeten. Die Rechenmaschinen waren sowohl für die Art der optisch wahrnehmbaren Umgebung verantwortlich, wie du sie nach dem Aufwachen vorgefunden hattest. Sie besorgten auch die Auswahl der Menschen, mit denen du in den ersten Stunden Kontakt haben solltest. Daher wurde deine Sprache festgestellt und uns gelehrt.
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Morgen werden es schon mehr Personen sein, außer Alayn, Kash und mir, die deine Sprache sprechen und verstehen. Wir wurden binnen weniger Stunden geschult.« Cliff bewegte unruhig seine Beine im warmen Wasser; er spürte die Ermüdung seiner Muskeln. Er berührte die Schulter Aradeynes und fragte: »Ich verstehe. Ihr behandelt mich also wie ein rohes Ei. Ich werde euch bitten müssen, mir zu helfen. Und ich weiß mit geradezu gespenstischer Sicherheit, daß ihr mich auch um etwas bitten werdet. Solange ich nicht weiß, was es ist, bleibe ich unruhig... und auch die Probleme der Rettung sind nicht geklärt. Wenn ich mir vorstelle, daß die ORION im Orbit kreist und die mehr als zweitausend Arbeiter mit den Zähnen klappern, wird mir übel.« Aradeyne legte ihm einen Arm tröstend um die Schulter. »Seit dem Moment, an dem du auf die Schnittlinie geworfen wurdest, sind rund drei Minuten auf Countess Marays vergangen. Drei Minuten, Cliff! Nicht mehr. Du mußt es mir glauben!« Als skeptischer Mensch versuchte der Kommandant noch einmal, sich mittels Bishayr zu vergewissern. Er spürte nichts anderes als Ehrlichkeit und Sorge um ihn und noch etwas mehr. »Ich glaube dir«, sagte er. »Schwimmen wir zurück, und ich werde mich wieder in der Gesellschaft der zwei gläsernen Robots zum Schlafen legen. Und morgen... die Probleme!« Er stand auf, hielt auf der schwankenden Plattform das Gleichgewicht und hob das Mädchen auf seine Arme. Heute war diese Belastung für ihn fast zu viel; er fühlte sich etwas schwindelig. Dann sprang er zusammen mit Aradeyne ins Wasser, tauchte einige Meter und schwamm dann ruhig neben ihr auf den weißen Sand des Ufers zu. Die durchsichtige Röhre brachte sie binnen verblüffend kurzer Zeit wieder hinauf auf die Terrasse, und zum erstenmal fiel dem Raumfahrer auf, daß dieser Planet keinen Mond zu besitzen schien. Cliff fragte: »Ihr habt keinen Mond?« »Nein«, sagte Aradeyne. »Uns fehlt auch der Mond, wie so vieles andere. Er ist vor langer Zeit verschwunden.« Cliff zuckte die Schultern. Er hatte heute nicht mehr vor, sich um astronomische Probleme zu kümmern. * »Merkwürdig...«, murmelte Cliff. Er setzte sich auf, dann kletterte er aus dem Bett und ging zum breiten Fenster. Er berührte einige Knöpfe, von deren Funktion er nichts wußte, und in entsprechender Reihenfolge kippten die Lamellen der Jalousie herum, so daß die Sterne sichtbar wurden, dann verdunkelte sich die Glasscheibe, und schließlich verschwand sie wie durch Zauberei. »Geh nicht...«, flüsterte das Mädchen. »Keine Sorge«, sagte Cliff leise und legte sich wieder auf den Rücken. »Ich bleibe bei dir.« Die letzten Stunden hatten ihn wieder wachgemacht.
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Merkwürdig, dachte er jetzt, aber hier auf Pleyade schien die Vollkommenheit die Norm zu sein. Gleichzeitig aber wußte er, daß es das Vollkommene nicht gab. Also eine Fiktion, die von ihm projiziert wurde. Er bildete sich ein, daß die letzten Eindrücke etwas von der Unbedingtheit eines klassischen Kunstwerkes gehabt hatten. Die Umgebung, die Unterhaltung, Aradeyne. Bei jedem Menschen, den e r bisher getroffen hatte, mußte Cliff gewisse Abstriche machen, sich natürlich nicht ausgenommen. Aber vielleicht war dies auch der Reiz der ersten Stunden und ersten Küsse, daß er Aradeyne einfach überbewertete. Nicht vielleicht – sogar sehr wahrscheinlich. »Du bist wirklich die beste Kontaktperson, die sich die Rechenmaschinen heraussuchen konnten.« Sie bewegte sich unruhig, und ihr Haar war wie der Strahlenkranz einer Sonne auf dem weißen Stoff der Unterlage. Genauer: wie ein Negativbild dieses Vergleiches. Der Kommandant lehnte sich wieder zurück. Seine Erinnerungen funktionierten wieder vollkommen und mit der Schärfe, für die Cliff dankbar war. Die verzweifelten Versuche inmitten des weißen, wirbelnden Infernos, die Kabel auszutauschen. Das Nachlassen des Windes und der Moment, an dem er sich aufgerichtet hatte, um schnell zum Nuklearreaktor zurückzulaufen. Dann der Sturmstoß, der ihn gepackt und fortgewirbelt hatte. Und kurz darauf der furchtbare Ruck. Er spürte nichts mehr; sein Rückgrat hatte also doch keinen Schaden genommen. ... und dann die letzten Gedanken, die sich mit seinem unbedingt zu erwartenden Tod beschäftigten. Cliff murmelte schläfrig: »Drei Dinge muß ich schaffen, Aradeyne.« Das Mädchen neben ihm schlief. Cliff mußte, zusammen mit den Technikern dieses Planeten, einen Weg finden, um wieder entlang der Schnittlinie den anderen Planeten betreten zu können. Dort, in Wirklichkeit nur einige Minuten nach seiner Bewußtlosigkeit, mußte er zurück zum Reaktor und einen Regler ziehen. Dann mußte die Crew der ORION benachrichtigt werden. Was dann kam, war ihm im Augenblick ziemlich gleich. Mit diesen drei Teilzielen vor Augen schlief der Kommandant ein und erwachte erst wieder, als ihn die beiden Roboter aus dem Bett holten und vor der riesigen Spiegelscheibe reinigten, richtig aufweckten – wobei das kalte Wasser einen nicht unerheblichen Anteil hatte! – und neu einkleideten. Das Frühstück fand wieder auf der Terrasse statt. Unter einem riesigen Sonnensegel warteten Z' 12 Aradeyne auf ihn und der Chefmediziner O' 61 Alayn. Daneben saßen ein großer, dunkelhäutiger Mann mit einem haarlosen Schädel und einem breiten, metallenen Armreif. Das konnte T' 31 Clade sein. Der Kommandant näherte sich dem Tisch und brummte halb ausgeschlafen: »Guten Morgen.« Die Menschen begrüßten ihn, und Cliff merkte deutlich, daß sie ihn sehr genau musterten. Einige Zeit später, mitten während des Essens, fragte Clade halblaut, aber mit deutlichem Interesse: – 49 –
»Du bist Raumfahrer, nicht wahr?« Cliff schälte die weiche Haut eines kugelförmigen Eies, das so ähnlich schmeckte wie ein frisches Farmei, streute Salz darauf, das sicher genau der chemischen Zusammensetzung terranischen Salzes entsprach und antwortete: »Ja. Man sieht es an meinem Appetit, nicht wahr?« Der Chefarzt begann schallend zu lachen. »Nicht unbedingt«, sagte Clade. »Ich wollte damit nur einen Gegensatz zwischen deiner Rasse und meiner herausarbeiten Wir kannten die Raumfahrt, aber wir gaben sie wieder auf, als wir merkten, daß das Universum unendlich ist.« Cliff nickte. »Das ist ein deutlicher Gegensatz«, sagte er. »Ich stelle wieder die Frage, die ich gestern bereits Aradeyne stellte: Was habt ihr mit mir vor?« »Im Augenblick nichts«, sagte Clade. »Du wirst es begreifen, sobald du unseren Planeten kennst.« Und der Mediziner meinte: »Zuerst werden wir uns in eine Fabrikationsabteilung bringen lassen. Dort entstehen im Augenblick die Pläne für den Kokon.« »Ausgezeichnet!« sagte Cliff fröhlich, dann wurde sein Gesicht ernst. »Was, bitte, ist der Kokon?« »Das ist die einzige technische Möglichkeit, dich wieder zurück nach Countess Marays zu bringen. Wir können diesen Planeten hier nicht durch die Schnittlinienöffnung verlassen, weil wir Teile unserer Welt sind. Du bist kein Teil Pleyades, also kannst du hinaus. Aber dabei entstehen einige technisch-somatische Probleme.« »Das kann ich mir vorstellen«, sagte der Kommandant. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück, schlug beide Beine übereinander und hörte zu, was ihm Clade erklärte. Die Parallelwelt Pleyade, eine Schwesterwelt von Countess Marays, konnte nur von Dingen, Gegenständen oder Menschen verlassen werden, die nicht aus diesem Planeten stammten. Also konnte Cliff zurück... Er würde in eine Maschine eingeschlossen werden, die mit Maßen selbstbeweglich war und eine Art Zeitschloß besitzen würde. Die Rückkehr nach Countess dauerte einige Stunden lang, dann befand sich Cliff dort, wo er vom Sturm hingeworfen worden war. Er konnte, während das Zeitschloß die Schleuse öffnete, den Nuklearmeiler starten und sich vergewissern, ob die Energieversorgung mit den frierenden und verzweifelten Insassen des Zentralbauwerks klappte. Dann mußte er zurück auf die Sandfläche und warten, bis sich wieder jener Gasnebel zu drehen begann, der Kennzeichen der Schnittlinie war. Das alles würde auf Countess Marays einige Minuten dauern, aber sie hatten hier jede Menge Zeit. Außerdem und das waren die letzten Worte des Mediziners auf der Terrasse über dem Meer, war für den Kommandanten dieser Ausflug in die andere Zeiteinheit eine Sache auf Leben und Tod. »Daran«, bemerkte Cliff grimmig, »sollte ich mich eigentlich schon gewöhnt haben. Ich habe die Prozedur bereits hinter mir.« T' 31 Clade sagte halblaut:
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»Unterschätze bitte die Aktion und ihre Gefährlichkeit nicht. Du wirst wissen, warum ich es sage, wenn wir im Werk sind. Können wir gehen?« »Ja, gern«, sagte Cliff und trank sein Glas aus. Während er aufstand, landete eine durchsichtige Schale mit vier Sesseln auf der Terrasse. Cliff und Aradeyne, Alayn und Clade stiegen ein, das Verdeck schloß sich, und der Flug begann mit einer hohen, aber unmerklich durchgeführten Beschleunigung dieses seltsamen Flugapparates. Cliff schwieg, schaute nach unten und erkannte endgültig, daß er sich auf einer Welt befand, deren Zivilisation entweder von Anfang an einen anderen Weg gegangen war oder tatsächlich um ein Vielfaches älter und gereifter war als die seines Heimatplaneten. Der gleiche Eindruck, den er auch auf den Dara-Planeten gehabt hatte. Aber hier hatten sich andere, spezifische Formen und Anlagen entwickelt. Er wußte auch, aus welchem Grund: Alles, was er sah, war von gigantischen Rechenmaschinen entworfen und geplant worden, war unter ihrer Kontrolle oder vielleicht auch durch die Maschinen selbst gebaut worden. Und sie hatten es fertiggebracht, aus einem unendlich großen Fundus von vorgenormten Teilen abwechslungsreiche und niemals eintönig technische Bauwerke und Verbindungswege zu schaffen. Cliff fragte: »Wieviele Bewohner hat dieser Planet? Wie zahlreich ist eure Rasse, T' 31 Clade?« Clade sagte nach kurzem Zögern: »Es gibt zehn Millionen lebende Pleyad.« Diese Information paßte ziemlich genau in das Mosaik der Überlegungen des Kommandanten. Die Rasse war alt, und die Menge ihrer Individuen hatte sich bis zum heutigen Zeitpunkt immer mehr verkleinert. Dieser Umstand schien darauf hinzudeuten, daß sie etwas ganz Bestimmtes von Cliff wollten. Und genau davor begann ihm zu grauen...
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Die Fabrik, in der sie mit dem Gleiter landeten, schien die vollkommene Synthese zwischen Roboterarbeit und menschlicher Koordinationstätigkeit zu sein. Jede Art von schwerer körperlicher Arbeit wurde von den beweglichen Maschinen durchgeführt, und sämtliche Entwürfe stammten von Menschen. Hier arbeiteten ungefähr dreißig Menschen in einem niedrigen hellen Raum, und rund um diese gläserne Zelle führten die Robots aus, was auf den Reißbrettern und den Analogschirmen der kybernetischen Maschinen entstand. Cliff wandte sich an T' 31 Clade und fragte erstaunt: »Wo befinden wir uns hier?« Clade ging vor ihnen her. Sie kamen von dem kleinen Landeplatz des durchsichtigen Gleiters unter den Kronen großer, alter Bäume bis zu einem lichtgeschützten Gang, der in die Konstruktionsabteilung führte. »Es ist ein Werk, das wir seit einigen Wochen heute zum erstenmal deinetwegen aktiviert haben.« Sie näherten sich schnell der Glaskabine. »Aus welchem Grund?« fragte Cliff halblaut. »Doch sicher nicht deswegen, um mir vorzuführen, wie weit das Leben auf diesem Planeten von der Logik der Rechenmaschinen beherrscht wird?« Clade sah ihn erstaunt an, während der Mediziner breit grinste. O' 61 Alayn stieß Clade an und sagte: »Ich habe meine Vermutungen schon laut und mehrmals geäußert – unser Raumfahrer schaltet sehr schnell. Er hat gute Augen.« »Und in Kürze eine schlechte Laune«, erwiderte Cliff. »Wo sind wir hier?« Aradeyne berührte seinen Arm. »Wir sind in einer Herstellungsabteilung. Die Männer dort versuchen, ein Fahrzeug zu konstruieren, das dich sicher und gefahrlos zurück nach Countess Marays bringen kann.« Cliff nickte. »Und zurück zu euch, wenn ich meine Aufgabe dort erfüllt habe.« »Ja«, sagte Clade. »Ich werde dir erklären, aus welchem Grund diese Einschränkung erfolgen muß. Sehen wir uns erst einmal an, wie weit die Arbeiten bisher gediehen sind.« »Einverstanden«, sagte der Kommandant. Binnen kurzer Zeit durchschritten sie die lärmerfüllte Zone eines riesigen, halb unterirdisch angelegten Fabrikationszentrums, das von Rechenmaschinen, externen Elementen und Robots beherrscht wurde. Viele der selbstbeweglichen, halbintelligenten Maschinen waren in entsprechende Metallbearbeitungsmaschinen fest eingebaut, andere wieder bewegten sich wie diejenigen Typen, die Cliff von Terra und den Planeten und sogar hier von den ersten Stunden nach dem Erwachen kannte. Eine Menge verschiedener Teile entstand hier, und ständig wurden Korrekturen durchgeführt. Vor den Männern und dem Mädchen öffnete sich eine Tür, und sie traten in die ruhige und kühle Umgebung des Konstruktionsbüros ein. Cliff wurde begrüßt und bestaunt, als sei er ein Fabelwesen. Er beantwortete einige Fragen, schüttelte Hände und setzte sich schließlich in einen Sessel, der nur für ihn bereitgestellt zu sein schien. Dann sagte er deutlich: – 52 –
»Was wird hier hergestellt?« Seine Frage rief allgemein Erstaunen hervor; er schien eine Spur zu entschlossen und zu tatkräftig gewesen zu sein. Clade drückte auf einen Knopf, und ein Bildschirm wurde hell. »Hier wird es dir gezeigt werden«, sagte er. Dreidimensionale und farbige Bilder und Grafiken erschienen. Sie waren in keinem Archiv vorhanden gewesen. Die Rechenmaschinen stellten sie genau in dem Moment her, in dem sie gebraucht wurden. Millionen einzelner Informationen wurden unablässig miteinander verglichen, neu gruppiert und ausgetauscht. »Um einen Gegenstand von hier aus wegzuschaffen«, wurde erklärt, »haben wir seit Jahrhunderten immer wieder Versuche durchgeführt. Das Resultat aller Versuche gilt auch noch heute.« »Wie reizend«, sagte Cliff sarkastisch. »Ich dachte, die Rechenmaschinen hätten speziell für McLane eine neue Philosophie entwickelt?« »Nein. Aber da du ein Gegenstand aus der Parallelwelt bist, wird es möglich sein, dich zurückzuschicken. Während dieser Aktion mußt du aber energetisch mit uns verbunden bleiben, und das ist die Schwierigkeit. Da nur eine riesige Menge Energie deinen kurzen Aufenthalt ermöglichen kann, mußt du wieder zurückkommen, bis wir eine größere und bessere Maschine konstruieren können, die ihre Energie mit sich trägt.« Cliff hatte keine Ahnung, wie alles funktionieren sollte, aber die Erklärung war ziemlich stichhaltig. Er sah, wie aus Einzelteilen ein merkwürdiger Mechanismus entstand. »Diese Rüstung ist dein Schutz gegen die feindliche Umwelt, gleichzeitig bist du durch die Verkleidung mit dem fahrbaren Bewegungsmechanismus verbunden. Alles aber ist in die Hülle eingeschlossen, die stabil gegenüber den SchnittpunktKräften ist.« »Erstaunlich!« sagte Cliff. »Ich erkenne mich nicht mehr wieder.« »Du bist zwar ziemlich dauerhaft«, sagte der Mediziner zufrieden, »aber aus Stahl bist du schließlich nicht.« »Nein«, erwiderte der Kommandant. »Denn wäre ich aus Stahl, könntet ihr mich leicht entbehren.« Clade und Alayn warfen sich einen kurzen, beunruhigten Blick zu. Cliff betrachtete die Bilder, die ihm von den Rechenmaschinen gezeigt wurden. Zuerst die Rüstung: Sie war vergleichsweise riesig und ähnelte entfernt einem gepanzerten Raumanzug. Vor einigen Jahrtausenden hatten sich Taucher in einer solchen Ausrüstung in die Tiefsee gewagt. Vom Kopfteil sah der Raumfahrer nur die Sichtscheibe mit den schweren Gebläsemechanismen und den Linsensystemen. Die Arme waren, ebenso wie die Beine, im Verhältnis zum Rumpfteil unglaublich dick und kurz. In der dreifachen Verkleidung des innersten Raumes, in dem sich der Kommandant aufhalten würde, steckten jeweils dreifach ausgelegte Bewegungsmechanismen, die mit einem Vierfachkabel an den kugelförmigen Mittelteil der Lafette angeschlossen waren. Ein kleineres Bild zeigte die Hände dieses Anzugs.
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Sie besaßen nur drei Finger und einen Daumen, aber diese dünnen, stählernen Gebilde erschienen Cliff brauchbarer als seine eigenen Hände in einem gepanzerten Handschuh. Er fragte: »Wann ist diese Kombination fertig?« Einer der Konstrukteure sah ihn mit offenkundigem Entsetzen an. »In etwa drei Tagen«, sagte er. »Sie drängen förmlich danach, dieses höllische System auszuprobieren, Cliff?« Cliff erwiderte mit einem schwachen Versuch zu grinsen: »Erstens brauchst du dir nicht das terranische ›Sie‹ anzugewöhnen, zweitens weiß ich, daß mehr als zweitausend Menschen meiner Rasse auf diese Konstruktion warten, und drittens war ich schon immer dafür, eine Sache schnell zu erledigen – oder gar nicht.« »Gut! Aber... es ist sehr gefährlich!« Cliff zuckte die Schultern und meinte: »Das Leben ist vom Zeitpunkt der Geburt an gefährlich. Ich bin diesen Zustand hinlänglich gewöhnt.« »Bist du etwa ein Held?« erkundigte sich Aradeyne ängstlich. Sie hatte es wirklich nicht sarkastisch gemeint. »Nein«, sagte Cliff und legte seine Hand auf ihre Finger, »nur ein alter, desillusionierter Raumfahrer.« Sie schwieg, zutiefst verwirrt und unsicher geworden. Cliff verfolgte weiter jene Bilder. Das Energiekabel war dehnbar. Es verband die Rüstung mit der Lafette, diese wiederum bestand aus vier Raupenketten, wie sie Cliff noch nie gesehen hatte. Sie erschienen ihm sehr grazil, wenn auch besser beweglich. Als er jedoch die einzelnen Elemente der Maschinerie genauer betrachtete, bemerkte er, daß die Motoren und die Ketten ihn sicher durch den Schneesturm tragen würden, und obendrein auch noch über Eis oder Felsentrümmer. Es war eine schwere, aber außerordentlich leicht steuerbare Konstruktion. Die vier Gleisketten und die Antriebssätze waren durch ein hydraulisch bewegbares Gestänge mit einem halbkugeligen Mittelteil verbunden, der eine Art Sattel enthielt. Hydraulik? Cliff dachte an das hartgefrorene Öl in den Lagern des Nuklearmeilers und sagte: »Hat jemand daran gedacht, daß die Hydraulikflüssigkeit einfrieren kann und somit die Bewegungsmöglichkeiten der Lafette eingeschränkt werden?« Die Maschinen, nicht die Konstrukteure antworteten. Auf einem Analogschirm verblaßte die Schrift unter dem Bild, und eine Roboterstimme sagte: »Wir haben sämtliche Spezifikationen aus den Resten deines Schutzanzugs ablesen können und aus deinen Erinnerungen. Ein Heizsystem wird verhindern, daß irgend etwas einfriert. Danke.« Cliff grinste. Die Rechenmaschinen waren kaum zu betrügen, und die Möglichkeit des Irrtums senkte sich mit der Menge der Informationen. Wenn e r daran dachte, wieviel Informationen über die letzten Minuten seines Lebens auf Countess Marays in seinen Erinnerungen vorhanden waren, mußte er einen Irrtum der Maschinen so gut wie vollständig ausschließen. »Wie bist du mit unserer Arbeit zufrieden?« fragte Clade. Cliff drehte den Kopf und sah dem Mann voll in die Augen. – 54 –
»Das werde ich dir sagen können, wenn der Meiler auf der Parallelwelt volle Energie liefert.« Er saß hier und diskutierte. Und er mußte sich immer wieder vor Augen halten, daß hier die Zeit in einem ungewöhnlichen Verhältnis zu jener des anderen Planeten ablief, also daß er selbst nichts versäumte und keinerlei Eile zu haben brauchte. Trotzdem schaffte sein Verstand diesen Punkt nicht ganz. Zweifel blieben übrig und plagten den Raumfahrer. »Dann wirst du mit uns zufrieden sein!« sagte einer der Techniker. »Die Maschinen leisten hervorragende Arbeit.« »Ihr zweifelt nicht daran?« fragte Cliff, um sie zu verunsichern. »Niemals!« war die vielstimmige Antwort. Nun, dachte McLane, ich bin kein Reformator, sondern hochgeschätzter Gast und sollte mich entsprechend gut benehmen. Er schwieg also und betrachtete weiter die Einzelteile der Konstruktion, die mithelfen sollte, die Frierenden des Parallelplaneten zu retten. Die Lafette: Der Sattel entsprach im Negativ den Umrissen des Anzugs. Cliff würde in dieser gepanzerten Rüstung zwischen Vorderteil und Rückenteil einer Einschnürung stehen und mit seinen metallenen Hilfshänden die Lafette lenken. Dort, wo sich die Linsen und die Sichtplatte befanden, gab es Kontakte in der Lafette. Eine Öffnung, die wie eine riesige Düse wirkte, deutete zwei Meter über dem Boden nach vorn. Hebel und Bewegungselemente, eine breite Leiter und ein hydraulischer Kranarm, der in einen Haken im Kopfteil der Rüstung eingriff, vervollständigten die Anlage. »Und das alles steckt in der Schnittpunkt-Blase!« sagten die Rechenmaschinen. Sie projizierten ein merkwürdiges Bild – später sollte sich der Kommandant sehr genau an dieses Bild erinnern. Auf höchst unangenehme Weise! Die Lafette mit der eingeklemmten Rüstung befand sich in einer Kugel. Diese Kugel wirkte so, als bestünde sie aus dickem, aber biegsamem Plastikmaterial, das zudem nur halb durchsichtig war. Die Kugel wurde am Anfang einer endlos scheinenden Röhre aus Schwärze und Finsternis gestartet, taumelte ein wenig und raste dann in Schlangenlinien durch den projizierten Tunnel und verschwand. Das Bild drehte sich, so daß der Tunnelausgang nach vorn deutete. »Das geht ja rasend schnell!« sagte Cliff. »Die Maschinen sind auf jede Art der prognostischen Arbeit eingestellt«, erklärte einer der Techniker. »So ist es uns möglich, einen Fehler im Ansatz dadurch zu erkennen, daß wir die Entwicklung komplex projizieren.« Cliff fragte grinsend: »Bei euch sind es also die Maschinen, die utopische Erzählungen schreiben...?« Ein verständnisvolles Lächeln war die Antwort. Offensichtlich waren hier derlei Geschichten unbekannt – begreiflich, wenn die Rechenmaschine jede beliebige Entwicklung in die Zukunft projizierten. »Da!« stieß Aradeyne hervor. Die Kugel erschien wieder und senkte sich auf eine Phantasielandschaft nieder. Nein! Es war keine Landschaft, die von den Speichern der Rechenapparate entworfen worden war, sondern die Landschaft, die Cliff in der Erinnerung gehabt hatte. Nicht die, über die ein Schneesturm hinwegraste, sondern die vergleichsweise
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karg idyllische vor dem Sturm, im langen Tag des südpolaren Gebietes um PolCity. Die Kugel rollte aus und blieb liegen. Dann wälzte sich die Lafette langsam heraus, durchschnitt mühelos die Wand der Blase, die dadurch aber nicht zerfetzt wurde und rollte hinaus auf die Felsen und den Kies. Einige Meter weit, dann bewegte sich der hydraulische Arm und stemmte die goldglänzende Rüstung aus dem ›Sattel‹ der Lafette. »Meiner Treu!« stöhnte Cliff. »Ein Aufwand für einen einzelnen Mann... das ist beachtlich! So viel ist euch meine sichere Rückkehr wert!« »Ja«, sagte Aradeyne. Cliff fand den Tonfall ihrer Stimme beruhigend und beunruhigend zugleich, aber er rührte sich nicht und starrte weiter auf das Bild, das ihm der gewaltige Projektionsschirm bot. Die Konstrukteure hatten ihre Zeichenmaschinen hochgeklappt und betrachteten die Bildfolge ebenfalls mit Spannung. Niemand sprach. Die Rüstung bewegte sich jetzt langsam auf ein gitterähnliches Gestell zu, in dem Cliff unschwer den Nuklearmeiler erkannte. Dort hantierte sie eine Weile, kehrte dann zielstrebig auf die Lafette zu und wurde in den Sattel gehievt. Der gesamte Vorgang, der anfangs gezeigt worden war, wickelte sich jetzt rückläufig ab. »Schluß! Und wann soll die Generalprobe stattfinden?« Clade erwiderte: »In sechs Tagen.« Cliff stand auf und blieb vor T' 31 Clade stehen. Er deutete mit spitzem Zeigefinger auf Clades Brust und sagte laut: »Welche Aufgabe hast du hier auf diesem Planeten, Clade?« Clade murmelte unschlüssig: »Mußt du das wissen Cliff?« »Unbedingt«, sagte Cliff. »Seid fair. Ihr habt sämtliche Informationen aus meinem Verstand entnommen und kennt mich und meine Welt besser als ich selbst. Ich habe das gleiche Recht auf Auskünfte über eure Welt. Welchen Rang bekleidest du?« Clade sagte: »Ich bin erster Vermittler.« »Eine neuartige Berufsbezeichnung für mich«, meinte Cliff. »Zwischen wem findet deine Vermittlung statt, Clade?« »Zwischen Mensch und Maschine«, erwiderte Clade. »Ist das notwendig? Bisher konnten die Maschinen sich hervorragend verständlich machen. Mußt du ihre Sprache übersetzen?« Clade wirkte unsicher, vermutlich war der Raumfahrer zu weit in ein Geheimnis eingedrungen, das er nicht einmal kennen sollte. Die Menschen von Pleyade, deren Leben nach den strengen, logischen Gesetzen der Rechenmaschinen und sicher auch unter deren Diktat ablief, schienen nicht ganz das wahre Glück darin zu sehen, sonst wäre eine viel selbstverständlichere Reaktion erfolgt. Cliff freute sich innerlich, daß er diesen selbstsicheren, gutaussehenden Mann aus der Fassung gebracht hatte. »Nein«, sagte Clade. »Ich muß die Entschlüsse der Maschinen auf ihre Anwendbarkeit prüfen und die Probleme der Menschen auf ihre Möglichkeit,
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durchgerechnet oder überhaupt in Rechnung gestellt werden zu können, untersuchen.« Cliff grinste. »Wenn dein Job ebenso verzwickt ist wie deine Diktion, Clade, dann verdienst du dein Geld auf schwere Weise. Was ist, wenn ich mich weigere, den Wunsch zu erfüllen? Werde ich dann aus euren gastlichen Innenhöfen vertrieben?« »Welchen Wunsch meinst du, Cliff?« fragte Aradeyne erschrocken. In gewisser Weise, fand Cliff McLane, ähnelten sie erstaunlich den Dara. Die Dara des Riesen-Systems waren unfähig gewesen, einen direkten Kampf zu bestehen, aber die Pleyad schienen einen Menschen, der schnell und entschlossen zu handeln gewohnt war, nicht verstehen zu können. Sie kapitulierten vor Cliffs Entschlossenheit und Schnelligkeit der Auffassung. War dies ein Ergebnis einer zu alten, zu statischen Kultur? Aradeyne jedenfalls machte den Eindruck, als verlöre sie ihre Selbstsicherheit restlos, wenn man sie aus den Mauern ihrer gewohnten topographischen und verstandesmäßigen Umwelt entfernte und mit neuartigen Problemen und Gedanken konfrontierte. Cliff legte ihr demonstrativ den Arm um die Schultern und murmelte: »Clade weiß genau, was ich meine. Und der schweigsame Mediziner weiß es ebenso gut. Sie wollen unbedingt, daß ich zurückkomme. Richtig, Clade?« Clade nickte. »Hand wäscht Hand«, sagte der Raumfahrer. »Ich werde euch jenen Wunsch gern erfüllen. Aber ich hasse es, blind in mein Schicksal zu laufen oder zu fliegen. Ich brauche etwas von dir, Vermittler.« Clade zog die Brauen hoch und spielte nervös mit dem Hebel einer Zeichenmaschine in seiner Nähe. »Vermittlung?« fragte er hoffnungsvoll. »Nein. Ich brauche einen langen, ausschließlichen Sprech- und Bildkontakt mit der obersten oder koordinierenden Maschine dieses Planeten. Und zwar schon heute abend, mein Freund.« »Ausschließlich?« Clade schien geradezu beleidigt zu sein. »Nur du und die Kommunikationseinheit?« »Nur ich und eine solche«, meinte Cliff. Clade sagte entschuldigend: »Ich muß mich erst erkundigen, ob das möglich und wenn ja, ob es gestattet ist. Du vermutest etwas?« »Ich vermute immer etwas?« sagte Cliff und sah zu, wie sich die Techniker und Konstrukteure in einem dichten Kreis um die kleine Gruppe versammelten. Sie wirkten wie der Chor in einer antiken Tragödie; stumm, erstaunt und in Gedanken kommentierend. Cliff deutete wieder auf O' 61 Alayn und sagte: »Du weißt, was ich vermute, Alayn?« Alayn nickte. »Ich glaube, du hast es erfaßt. Wir haben dir schon zu viel von unserer Welt gezeigt.« O' 61 Alayn wandte sich jetzt an Clade, und als er sprach, hörten sämtliche Anwesenden den Ernst in seiner Stimme. Was er dachte, sprach er aus, und was e r sagte, war richtig:
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»Wir sollten mit offenen Karten spielen, Clade. Schaffe für Cliff diese Verbindung. Er wird alles erfahren, und ein Mann, der freiwillig und sehenden Auges mitarbeitet, ist ein besserer Verbündeter. Du weißt, ich bin nicht der schlechteste Mediziner. Kein Patient wird geheilt, wenn er nicht selbst die Heilung will. Da nützen uns auch die besten, modernsten und sichersten Maschinen und wahre Wundermedizinen nichts. Ein Schamane, an dessen Beschwörungen geglaubt wird, erreicht mehr als eine Mensch/Maschine-Kombination, die es nicht schafft, den Patienten zur Mitarbeit zu bringen. Du wirst deine Exklusivverbindung bekommen, Cliff, auch wenn ich gestehen muß, daß selbst mich dein Tempo etwas überrascht.« Cliff streichelte das Haar des Mädchens und murmelte: »Ich habe nur einen einzigen Grund, nicht so schnell zu arbeiten, wie ich es gewohnt bin. Und dieser Grund steht hier.« »Ihr Raumfahrer seid merkwürdige Männer!« flüsterte das Mädchen. »Ich bin nicht wie alle Männer«, sagte Cliff. »Ich verhalte mich eher wie ein merkwürdiger Raumfahrer.« Clade sagte: »Ich werde die Verbindung heute abend in das kleine Arbeitszimmer schalten lassen, das wir dir eingerichtet haben.« »Ausgezeichnet«, sagte Cliff. »Und ehe ich mich mit der mörderischen Maschine in den Schneesturm herunterwage, muß ich sie natürlich hart testen.« Ein Techniker versprach: »In vier Tagen melden wir uns wieder mit dem fertigen Prototyp.« Cliff schnippte mit den Fingern und erwiderte: »Ihr seid alle Teufelskerle. Ihr und eure Robots!« Clade, der offensichtlich unter dem Eindruck der persönlichen Niederlage stand, die er seiner Meinung nach hatte einstecken müssen, verabschiedete sich von den Männern des Entwicklungsteams und bat schließlich Cliff, das Mädchen und den Mediziner, sich ihm anzuschließen. Er wollte sie zurückbringen und dann mit den Maschinen reden, damit sie für Cliff die Direktschaltung installierten. Der Planet schien langsam in gewisse Aufregung zu geraten, und daran war nur ein einziger Mann schuld, der zudem noch von einem anderen Planeten kam. Was Cliff nicht ahnen konnte, und was allen Pleyad schon zu geläufig war, als daß sie es noch bemerkten: Die Maschinen zeichneten jede Bewegung und jede Äußerung des Gastes auf und spielten Bild und Ton in die Nachrichtensendungen. So erfuhren alle zehn Millionen Bewohner, was Cliff tat und sprach, welche Ideen und Meinungen er hatte und wie er sich verhielt. Eine Diskretionsschaltung verhinderte jedoch, daß er in allzu intimen Situationen auf zehn Millionen Kommunikationsschirmen erschien... Sie verließen die Fabrik und flohen aus der Welt der Aufregung, für deren Inhalt der Findling gesorgt hatte. * Cliff McLane war alles andere als überzeugt, daß er eine Art stellarer Supermann
sei, aber manchmal reichte es bei ihm doch zu kurzen, kleinen Anfällen von Stolz
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auf seine Leistung. So auch jetzt, als der Nachmittag zu Ende ging. Cliff hatte Clade sozusagen gezwungen, mit dem gläsernen Gleiter zwei Stunden lang über die nähere Landschaft zu kreisen. Die Eindrücke dieses Fluges, während dem Cliff pausenlos Fragen stellte und Antworten bekam, spukten noch in seinen Gedanken, als er mit Aradeyne im Schatten der Terrasse saß und ein wenig aß. Er war zufrieden mit dem, was er gesehen hatte, aber noch nicht mit der Menge und der Tiefe seiner Einsichten über dieses Thema. Leise fragte er: »Jemand hat auf eurem Planeten vor vielen Jahren erkannt, daß die gesamte Anlage eines menschlichen Wesens zu viele Risiken birgt. Sie kann verhindern, daß die Rasse sehr alt wird, durch Kriege oder andere Massenvernichtungen. Das müßtest du eigentlich in den untersten Klassen der Volksschule gelernt haben?« Das Mädchen mit dem schmalen Gesicht und dem langen Haar sagte ruhig: »Dort habe ich es zwar nicht gelernt, aber du hast recht. Diese Feststellung ist Bestandteil unserer planetaren Geschichte.« »Ausgezeichnet, Liebling«, sagte Cliff. »Da habe ich ja einen schönen ersten Zug für die Unterhaltung mit den Komputern. Es waren also zu viele destruktive Tendenzen in der Anlage. Man beschloß, die Konsequenzen zu ziehen und alles, was auch nur nach Planung roch, den Rechenmaschinen zu überlassen. Daraufhin wurden sämtliche Rechengeräte vergrößert und eine Menge Leitungen gezogen. Daraufhin wiederum begann ein langer Weg für die Rasse der Pleyad... und am Ende dieses Weges stehen so reizende Persönlichkeiten wie du und O' 61 Alayn.« »Ganz recht.« Cliff überlegte: In den endlosen Speichern der Rechenmaschinen lagen die Daten eines jeden Menschen von Pleyade. Zehn Millionen Daten entsprachen den zehn Millionen Bewohnern, die das Ergebnis eines lang zurückliegenden Ausleseprozesses waren. Soweit, so gut. Also hatte er zumindest nicht ganz unrecht, wenn er Degeneration vermutete; eine Rasse, der sämtliche Möglichkeiten zum Abreagieren ihrer Aggression genommen wurde, verfiel tatsächlich – nur kannte Cliff die Richtung nicht. Was er gesehen hatte, war keinesfalls alarmierend. Ein schlankes Mädchen, das ihn spielend im Schwimmen schlug und ein Vermittler, der ein solches Gerät wie die Lafette konstruieren ließ... das waren wirklich keine dekadenten Menschen. Also war es nur die Angst davor, dekadent zu werden. Die Angst, als Rasse auf den obersten Stufen einer nach unten führenden Treppe zu stehen und das Ende dieser Treppe nicht zu sehen, trotz aller prognostischen Fähigkeiten der Rechenmaschinen. Cliff stand auf und sagte: »Wir sollten ein wenig Sport treiben, ehe wir uns der Diskussion stellen. Und mein Nachmittagsschlaf steht auch noch aus.« Sie suchten für die nächsten Stunden eine Sportart aus, die Cliff ziemlich gut beherrschte. Wasserski. Sie ließen sich von robotisch gesteuerten Boten ziehen, und als Cliff noch auf einem schmalen Ski balancierte, zog Aradeyne mit wesentlich höherer Geschwindigkeit an ihm vorbei. Sie stand auf einer Fußsohle auf dem Wasser, überschüttete Cliff mit einem gewaltigen Schauer Wasser und gewann das Rennen mit einem Kilometer Vorsprung. Dekadent? – 59 –
*
Zwei Stunden später: Aradeyne lehnte sich leicht gegen Cliff, betrachtete die Anordnung der Schirme, Mikrophone und Lautsprecher und flüsterte leise: »Du mußt unbedingt wissen, was die nächsten Monate bringen, nicht wahr?« Cliff küßte sie und murmelte: »Was dich und mich betrifft, so weiß ich es schon. Die Monate auf Pleyade genießen und trotzdem kein schlechtes Gewissen haben. Aber welches Schicksal mir deine Freunde, der Vermittler nämlich und der große Mediziner, zugedacht haben – das wüßte ich gern.« In dem kleineren Raum, der ziemlich genau Cliffs Arbeitszimmer in ORIONIsland nachgebildet war, herrschte eine diffuse Beleuchtung; nur einige Lämpchen in einem Ton-Wiedergabegerät brannten. Und die Sterne, die sich auf dem Wasser der Bucht spiegelten, erhellten den Raum schwach. Das riesige Fenster stand offen, und Cliff wunderte sich jetzt zum erstenmal, daß die Insekten fehlten, die sich in solchen Stunden gern einstellten, um einen ruhebedürftigen Menschen zu ärgern. Jedenfalls war er dies von Terra her so gewohnt. »Du setzt dich gegen jeden Widerstand durch?« fragte sie. Keine Spur von Unsicherheit war ihr mehr anzumerken. Sie bewegte sich wieder in ihrem gewohnten Reich, in dem sie eine durchaus großartige Erscheinung war. Cliff ertappte sich immer häufiger, wie er sie mit den prominenten Damen seiner Bekanntschaft verglich, mit Tamara, Ishmee und Arlene. Aradeyne schnitt besser ab, vermutlich auch deshalb, weil sie hier war. »Nicht gegen jeden. Aber gegen Widerstand, der mir sinnlos erscheint, pflege ich anzugehen. Willst du zuhören?« Sie nickte; er spürte dies in der Dunkelheit. »Ich bin fertig, Gehirn voller integrierter Schaltungen«, sagte er laut und betont. »Laß uns anfangen!« Ein dreimaliges Klicken bewies, daß sich Lautsprecher, Mikros und Bildschirme einschalteten. Die großen, quadratischen Flächen wurden stumpfsilbern, dann sagte eine weiche, gut modulierte Stimme: »Verbindung steht... alle Rechenmaschinen sind aufgeschaltet.« Cliff murmelte voller Galgenhumor: »Ein Mann und zwei Gehirne – wie soll das ausgehen?« Das stechende Licht, das jetzt die Bildschirme erfüllte, ließ jeden Gegenstand im Raum deutlich und plastisch aus der Dunkelheit heraustreten. Cliff nahm Aradeyne auf den Schoß und ließ sich in dem schweren Drehsessel nach hinten fallen. »Erste Frage«, sagte er hart. »Warum beherrschen Rechenmaschinen diesen Planeten. Dies ist Diktatur und Sklaverei!« Auf dem Schirm erschien eine Stadtansicht. Das Bild bewegte sich, und da die drei Schirme einen Winkel von mehr als hundertachtzig Grad umspannten, fühlten sich Cliff und das Mädchen direkt in das Geschehen hinein versetzt. Die verschiedenen Kameras blendeten mit Telelinsen in die Menschenversammlungen hinein, zeigten die Gesichter und die beispielhafte Ordnung einer großen, ruhigen Stadt voller ruhigen Lebens.
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»Ist dies Sklaverei? Sind dies Gesichter von Versklavten?« fragten die Rechenmaschinen. »Eine gute Tarnung ist mehr wert als die Wahrheit«, sagte Cliff. »Ihr regelt also das Leben. Warum?« »Wir schützen die Menschen vor aufreibenden Arbeiten...« Cliff konterte: »Wobei hin und wieder Schwerarbeit ganz gut ist. Schwitzen, weil's Spaß macht. Weiter!« »Wir schützen sie vor Krieg und Krankheiten und vor Paarungen, die langsam den Wert der Rasse herabsetzen würden.« Cliff fragte schnell: »Wer bestimmt die Wertmaßstäbe, wer hat die Skala entworfen?« »Vor vielen Jahrtausenden war es O' 79 Chaisse, zusammen mit den ersten Maschinen der ersten Generation. Wir sind inzwischen die elfte Generation und zugleich die beste. Wir führen das Erbe fort.« Cliff grinste unverschämt und forderte: »Definiert dieses Erbe!« Er hörte sich die Definition an. Das Mädchen neben ihm schien dies alles zu kennen und verfolgte den schnellen, harten Dialog eines Menschen mit den Maschinen gebannt und atemlos. Das kannte sie nicht. Sie kannte auch keinen Zweifel an den Maßnahmen der Maschinen. Und gerade das Infragestellen aller Werte, das Cliff hier betrieb, machte sie nachdenklich. Cliff hörte eine durchaus passable Sammlung von Gemeinplätzen, die er seit seiner Jugend zu belächeln gelernt hatte: Ehrlichkeit, Fairneß, Anständigkeit, untadelige Moral und ähnliche Dinge kamen darin vor, aber auch der bedingungslose Haß der Maschinen auf Krieg und Elend, Hunger und Not und Zerstörung des eigenen Lebensraumes durch die Unvernunft der Menschen. Das Programm, das von Chaisse stammte und durch die Jahrtausende hindurch immer wieder ersetzt, ergänzt und somit modifiziert worden war, konnte nicht angegriffen werden. Wohl aber die Quintessenz dessen, was an Wertmaßstäben in den Speichern vorhanden war. Cliff erkundigte sich spöttisch und hoffte, daß die Maschinen ein Mikrophon für Sarkasmus hätten: »Ohne euch Speichervirtuosen schmeicheln zu wollen – dies ist ein akzeptables Programm. Ich werde es gedruckt auf Terra mitnehmen und vorlesen, das ersetzt viele Wahlreden. Aber jetzt die Kernfrage:« »Wir hören!« sagten die Maschinen. Das Bild glitt in größerer Höhe über die unvergleichlich schönen Landschaften des Planeten, während der Kommandant fragte: »Moral wirkt auch dort, wo das Auge nicht hinblickt. Warum also werdet ihr in einigen Tagen oder meinetwegen in einigen Wochen an mich die Forderung stellen, euch einige Millionen Körperzellen zur Verfügung zu stellen?« Aradeyne setzte sich steif auf, erschrak und flüsterte erschrocken: »Cliff!« Die Komputer schwiegen volle sieben Sekunden; Cliff blickte starr auf seine Digitaluhr. Er grinste zufrieden, denn sein Überraschungsangriff war geglückt. Das Bild auf den Schirmen zeigte die modulierten, sorgfältig konservierten und bearbeiteten Uferstreifen und Küstengegenden des Planeten. Weiße Boote ankerten in den Buchten. Die sieben Sekunden waren um. Die Komputerstimme fragte: – 61 –
»Woher weißt du das?« Cliff sagte schnell: »Es gibt Komputer, die sich rasend schnell bemühen, einen einzigen Gedanken zu finden. Ich habe gleich mehrere. Das alles habe ich mir ausgerechnet. Die Informationen kamen nicht von U' 09 Kash, T' 31 Clade oder Z' 12 Aradeyne.« »Das glaube ich nicht«, sagte der Komputer. Cliff zuckte vor den Linsen die Schultern und versicherte: »Das ist mir auch ziemlich gleichgültig, ob du es glaubst oder nicht. Es ist jedenfalls die Wahrheit. Frage: Ihr braucht meine Körperzellen, um eine Reserve an Barbarei zu haben?« »Richtig. Barbarei ist die falsche Definition!« »Das ehrt mich«, sagte Cliff. »Wie lautet die richtige Definition, Kamerad Großrechner?« »Mehrere Komponenten. Entschlußkraft und Energie, Schnelligkeit des Körpers und der Gedanken.« »Und fabelhafte Liebenswürdigkeit, das hattet ihr vergessen«, sagte Cliff. »Was würdet ihr sagen, wenn ich euch vorschlüge, auch noch meine Mannschaft mitzubringen? Das wären insgesamt fünf verschiedene Blöcke von besten Erbanlagen. Diese drei Männer und das Mädchen sind die beste Raumschiffbesatzung, von der man auf der Erde spricht. Einverstanden?« Drei Sekunden dauerte die Pause diesmal, aber irgendwo schien eine Sicherung geschmolzen zu sein, denn das mittlere Bild begann zu zittern, verlor seinen dreidimensionalen Charakter und verschwand schließlich ganz. Dann sagten die Komputer mit gewisser Feierlichkeit: »Das wäre ein Geschenk von dir, das so groß ist, daß wir zögern, es anzunehmen. Wir haben nichts Vergleichbares anzubieten.« Cliff sagte ernst: »Das wäre noch zu überlegen. Ich meine es durchaus ehrlich. Ich weiß nur nicht, wie wir es anstellen sollen, die Crew hierher zu holen. Das aber kommt erst nach der Rettung der zweitausend frierenden Siedler.« Die Komputer sagten: »Das sind die Argumente eines Mannes, der keine Zeit hat, große Worte zu machen. Wir haben dies alles gespeichert. Zuviel Freundschaft kann ebenso gefährlich sein wie zuviel Haß. Was hat dich bewogen, uns dieses Angebot zu machen?« Cliff lachte schallend und sagte: »Ihr habt mich grundlegend verkannt. Ich dachte nur daran, daß dieses halbe Jahr, das außerhalb von Pleyade abläuft, nur eine halbe Stunde ist dank des 1:8640Verhältnisses. Und mir bereitet es eine diebische Freude, wenn wir einen Jahresurlaub haben, ohne daß es Villa, Wamsler, Bela Rover oder unserer Gehaltsstelle auffällt. Das ist alles.« Abschließend stellten die Komputer fest: »Wir haben selten Gäste, deswegen haben wir echte Schwierigkeiten, uns auf die besonderen Gedanken der Gäste einzustellen.« Cliff winkte ab und sagte: »Dafür haltet ihr eure Straßen immer schön sauber. Und das ist ja schließlich auch ganz schön. Ende des Dialogs?« – 62 –
»Ende. Wir danken dir.« Die Schirme erloschen, die Mikrophone wurden abgeschaltet, und abschiednehmend knisterten die schweren Stereolautsprecher der Anlage. Cliff war mit Aradeyne in der Dunkelheit allein und dachte an seinen Einsatz, der ihn zurück in die eisgekühlte Landschaft des anderen Planeten führen würde. Des Planeten mit der ganz langsamen Zeit...
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»Das habe ich nicht verdient!« stöhnte Cliff auf. Nun ist es aus, dachte er verbissen. Alles ist aus. Das Ende ist näher, als ich wahrhaben will. Hoffentlich geht es möglichst schnell – alle Anstrengungen waren umsonst. Er konnte sich nur um Millimeter bewegen, denn die wenig federnde Einlage der Rüstung gab nicht nach. Er war in einem stählernen, mit dünnem Gold überzogenen Gefängnis eingeschlossen – und dieses Gefängnis, als Rettung gedacht, war es, das ihn umbringen würde. Seine gesamten Hoffnungen und die Mühsal, seine letzten Minuten, den sicheren Tod vor Augen, die mehr als zweitausend Arbeiter in der Polstadt, die ORIONCrew... alles war zu Ende. Er war eingekeilt in den geschwungenen Metallverbindungen, hinter denen starke Elektromagnete saßen und die Rüstung an die Lafette fesselten. Hilflos bewegte e r den linken Arm, denn die stählernen Greifer des rechten Armes waren an der Steuerung der Lafette befestigt. Die Kugel, die angeblich gegen die Kräfte der Schnittlinie helfen konnte, raste schlingernd durch den endlosen, dunklen Korridor der Nacht und des Schmerzes. »Aus!« wimmerte der Kommandant. Die Rüstung wirkte auf ihn wie ein Foltermechanismus. Atemlos wartete der Raumfahrer auf seinen Tod. Auf den zweiten Tod in der Nähe des Planeten... oder zwischen beiden Welten. Einen Augenblick lang klärten sich seine verwirrten Gedanken, und er konnte klar denken. »Wie lange dauert das denn noch!« stöhnte er. Die Kugel war im Zeitkorridor verschwunden. Sie raste durch eine Welt, die ihn umzubringen drohte. Wütende Schmerzen durchrasten seinen Körper, und die Unfähigkeit, die eigene Haut mit den eigenen Fingern berühren zu können, machte ihn wahnsinnig. Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren, schrie vor sich hin und ritt auf der Lafette, die ihrerseits in die halbdurchsichtige Kugel eingeschlossen war. Die Kugel stob mitten in die Ansammlungen von Tod und Schmerz, Wahnsinn und Folter hinein, durchstieß sie, und hinter ihr blieben die Trümmer zurück. Jeder Zusammenprall mit einem der rätselhaften Partikel schlug Cliff wie ein Blitz. »Aufhören!« brüllte er. Eine unerträgliche Bitterkeit erfüllte ihn, als für einen Sekundenbruchteil die rasenden Schmerzen nachließen. Alles war umsonst gewesen. Er würde Countess niemals lebend erreichen und seinen Auftrag nicht durchführen können. Die Dunkelheit lichtete sich, die Strahlen wurden immer heller, blendeten ihn und verbrannten dann die Sehnerven. Innerhalb seines Schädels glühten zwei dicke Drähte und verbrannten die Gedanken. Wieder schrie er auf wie ein geschundenes Tier. Die rasende Fahrt ging weiter. Eine Ewigkeit war schon vergangen. Die zweite begann jetzt, in dieser unerträglichen, stechenden Helligkeit. Flog er, abgeirrt durch rätselhafte Strömungen oder Magnetlinien, geradewegs in die Korona einer Sonne hinein?
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Die Beschleunigung wuchs rapide an – Cliff wurde mit dem Rücken tief in die glühenden Nadeln hineingedrückt und ächzte auf, ohne daß er die Kontrolle über seinen Kehlkopf oder die Stimmbänder hatte. Dann... Ein schmetternder Schlag, ähnlich dem, wenn man in vollem Lauf gegen eine steinerne Mauer prallt. Das stechende Licht hörte zu brennen auf. Cliff wurde ohnmächtig... * Das Heulen einer Sirene, die anscheinend in seinem Innenohr rotierte, weckte ihn. Da er noch immer kein Zeitgefühl besaß wußte er nicht, ob er eine Stunde oder eine Minute ohne Besinnung im Sattel dieser Lafette gehalten worden war. Sensoren, die im Schaumstoff der Polsterung versteckt waren, maßen mit maschinenhafter Präzision den Zustand seines Körpers. Eine Preßluftanlage schoß ein belebendes Medikament in den Kreislauf, anschließend wurde die Umwälzanlage mit reinem Sauerstoff geflutet. Cliff erwachte langsam und tauchte aus den Tiefen seines desolaten Zustandes an die Oberfläche einer wirklichen Welt zurück. »Wo bin ich?« fragte er. Das schien Signalcharakter gehabt zu haben; das Kreischen der Sirene hörte auf. Cliff zwinkerte. Klickend schalteten sich vor ihm ein Dutzend elektronischer Systeme ein. Er wurde sehend... schemenhaft zuerst und dann immer deutlicher erkannte er die Gegend vor ihm. »Das ist... ist Pol-City!« flüsterte er. Seine Lippen waren rissig und von getrocknetem Blut bedeckt. Er bewegte für einen Augenblick seine Muskeln und fühlte, wie sich die Wellen des Schmerzes zurückzogen wie das Meerwasser bei Ebbe. Seine Rückenmuskeln waren hart vor Anspannung und lockerten sich nur langsam. Cliff starrte die Landschaft an, die er sah. Die Geräte der Pleyad schienen ein mittleres Wunder vollbracht zu haben. Er sah durch seine Linsensysteme die Landschaft zweimal übereinander. Das obere Bild zeigte das unverändert wütende Schneegestöber – begreiflich, denn in Wirklichkeit waren hier nicht Tage, sondern nur Minuten vergangen. Das untere Bild, deutlicher und auch größer, zeigte die Landschaft, als ob alles nur in einem leichten, aber fast waagrecht geschleuderten Regenschauer läge. Das war das Zeichen. Cliff entdeckte ziemlich deutlich in der Helligkeit des langen Polartages die Kuppel des ausgefallenen Meilers, sah seinen gelandeten Meiler und auch die schemenhafte Rotation der Gassäule, die identisch mit der Schnittlinie zwischen den Parallelwelten war. »Los, McLane! Wofür wirst du bezahlt!« murmelte er. Das Medikament hatte etwas mit seinem Körper getan; er fühlte sich plötzlich frei und beschwingt. Er schaltete die Lafette an. Dröhnend und schüttelnd erwachten acht Maschinen zu Leben. Cliff legte den Gang ein und fuhr damit gegen die Innenseite der Blase, von der er so gut wie gar nichts sah oder spürte. Dann bemerkte er, wie die Lafette vor sich her einen – 65 –
mächtigen Luftstrom ausstieß, der zudem die Temperaturen solaren Gases haben mußte. Auf dem oberen Bild sah er, wie direkt vor dem Weg der Lafette das Schneetreiben aufhörte und eine schmale Schneise entstand. »Gute Maschine!« brummte er vergnügt. Eine seltsame, unmotivierte Euphorie hatte von ihm Besitz ergriffen. Schaukelnd, stampfend und ratternd bewegte sich das stählerne Monstrum durch den heulenden Sturm von schneidender Kälte. »Geradeaus!« Cliff steuerte geradeaus, ohne Rücksicht auf die Geländestruktur zu nehmen. Die Gleisketten zermalmten die Felsen, stampften den Schnee zu Eisflächen zusammen und trugen den seltsamen Ritter in seiner goldenen Rüstung auf der Lafette vorwärts. Einige Minuten lang. Cliff dachte an die verlassenen zylindrischen Bauten und an die konzentrischen Gänge, die inzwischen bereits von einer dicken Schicht Schnee bedeckt waren. Immerhin: der Schnee isolierte und wärmte, nach diesem Prinzip funktionierten einst die Iglus der Eskimos. »Da ist das Kabel...«, murmelte Cliff. Er hatte für diese wenigen Minuten hier auf Countess Marays insgesamt zwanzig Stunden mit dem seltsamen Gefährt trainiert und noch einige Verbesserungen vorgeschlagen. Er hatte durchgesetzt, daß er unter Umständen viel mehr Kraft anwenden müsse, als vorgesehen war. Jetzt holperte die Lafette mit tief einfedernden Antriebselementen über die Felsen, bog langsam nach rechts ab und folgte dem Lauf des Kabels. Der kochende Luftstrom, der direkt vor den beiden Führungsketten den Boden bestrich, ließ den aufgehäuften Schnee entlang des Kabels und über dem Strang schmelzen und gefrieren, sobald er aus dem unmittelbaren Bereich der Heißluft war. Von dem unvermindert tobenden Sturm merkte Cliff überhaupt nichts mehr – das Gefährt brachte ihn Meter um Meter an die fliegende Versorgungseinheit heran. »Das Maschinchen hätte ich ein paar Tage... ein paar Minuten... früher haben sollen«, sagte er zu sich und bremste vorsichtig, nachdem er eine halbe Kurve ausgefahren hatte. Der Luftstrom richtete sich jetzt auf die riesige Düne, unter der das Kabel verschwand. Mitten in der Düne war die offene Tür der kleinen Schleuse. Cliff war seinem Ziel sehr nahe. Er schaltete die magnetischen Halterungen ab, dann betätigte er den Ein-Knopf der Hydraulik. Der Kranarm, dessen Haken in einem Ring am Kopfteil der Rüstung festsaß, bewegte sich. Cliff fühlte undeutlich, wie er um zweihundert Zentimeter senkrecht in die Höhe gehoben und dann herumgeschwenkt wurde. Auch das war bis zum Überdruß trainiert worden. Langsam wurde die heiße Ölmenge innerhalb des Gestänges verringert, und der Ausleger senkte sich und setzte Cliff drei Meter neben der Lafette in den Schnee. Der Haken öffnete sich. Ein Summer. Er konnte sich frei bewegen. Langsam ging er, mit dem Luftstrom im Rücken, auf die unsichtbare Schleusenöffnung zu, während vor ihm und rund um ihn der Schnee schmolz und das Schmelzwasser über das Metall lief. »Vorzüglich!« – 66 –
Cliff stapfte geradeaus, suchte mit seinen Greifern nach der Tür und fand sie. Dann spannte er seine Armmuskeln. Kontakte klickten und signalisierten. Die Kräfte der Bewegungsapparatur wurden verstärkt. Cliff spürte einen Kontakt. Seine künstlichen Finger, die sich analog zu seinen eigenen bewegten, krallten sich um die Kante der Stahlplatte. Ein kurzer Schub, ein Ruck, und eine durchlöcherte und abgeaperte Schneemauer fiel in sich zusammen und gab den Blick in die Schleuse frei. Auch hier schmolz Schnee, Wasser lief um die plumpen Füße der Rüstung. Cliff schaltete mit der Zunge vier Scheinwerfer ein, die an der Vorderseite des Anzugs angebracht waren. Heller Lichtschein badete den Schleusenraum. Mit einem einzigen Ruck öffnete der Kommandant die innere Tür. Drei Schritte vorwärts. Das Metall zitterte unter seinen schweren Tritten. Dann hatte der Raumfahrer die kleine Steuerkanzel des flugfähigen Nuklearaggregates erreicht und zog seine Hebel. Ein Schieberegler, dann die Betätigungsknöpfe für die Turbinen und die Abweisgitter davor. Einige Lampen leuchteten flackernd auf. »Energiefluß?« fragte sich Cliff besorgt. Er betrachtete ganz genau die Kontrollen und sah, daß nach seinem Ermessen alles in Ordnung war. Die Nadel, die den Stand der Energielieferung und also die augenblickliche Betriebsstufe zeigte, glitt langsam, aber stetig dem Hochpunkt entgegen. Eine Minute lang wartete Cliff McLane und rief sich immer wieder die Bedeutung der einzelnen Kontrollen und Anzeigen ins Gedächtnis zurück. Alles war in Ordnung. Der Meiler lief mit neunzig Prozent seiner doppelt gesicherten Nennleistung und lieferte genügend Energie, um den Zentralbau in Glut und Asche zu verwandeln. Die Kühlelemente waren ausgefahren und lagen voll im Luftstrom der Gebläse. Wenn es zu warm würde, mußten die Thermostate abschalten – dann liefen die Gebläse langsamer. Wurde es noch wärmer, also dann, wenn auch der Hurrikan vorbei war, würde auch die stadteigene Anlage wieder funktionieren, und die Arbeiter konnten hinaus und die Werte einpegeln. Der Schnee schmolz. Wenn der Sturm von neuem heranwirbeln würde, was sehr wahrscheinlich war, konnte sich infolge der Hitze keine feste Schneewand bilden, also existierte auch nicht mehr die Gefahr eines Wärmestaus und die nachfolgende Überhitzung der Anlage, die den Meiler in die Luft jagen konnte. Cliff fragte sich: »Zufrieden, McLane?« Er drehte sich um und schloß die Innentür wieder. Gleichzeitig gab er sich die Antwort: »Voll zufrieden. Jetzt zurück zur Sandfläche. Ich bin neugierig, ob mich die Siedler geortet haben.« Alles hatten die Maschinen geschafft, aber das Funkgerät, das in die Rüstung eingebaut war... Cliff grinste plötzlich. »Habe ich doch die verdammten kybernetischen Maschinen überschätzt!« brummte er vergnügt. Er hatte, wie alle Männer seiner Generation, eine merkwürdig pragmatische Einstellung zu ›denkenden Maschinen‹. Sie gipfelte – 67 –
darin, daß er sie als notwendige Hilfsmittel der Menschen bezeichnete und ihnen nicht viel Initiative zutraute – um es genauer zu sagen, er hielt sie für blöde und einfältig. Hier aber hatte er einen echten Gegner gefunden. Während er in seiner Spur zurückstapfte und sich herumdrehte, sagte er leise: »Diese Mistmaschinen haben glatt ein Funkgerät eingebaut, das bei den Tests im Werksgelände hervorragend funktionierte! Gleichzeitig sorgte aber ein besonderer kleiner Schalter dafür, daß während des Fluges die Funkgeräte zerstört werden und ausfallen!« Ein Kribbeln auf der Kopfhaut bewies, daß der Hakengriff und die Hydraulik den Raumfahrer gleich wieder in den Sattel hieven würde. »Und nur deshalb, damit der gute, wertvolle McLane sich nicht mit seinen wartenden Freunden verständigen kann. Sie brauchen mich wirklich.« Er stellte sich Aradeyne vor, wie sie ironisch sagen würde: »Jeder wird irgendwo gebraucht. Und – es ist schön, Cliff-Liebling, gebraucht zu werden.« »Naja«, brummte er und schaltete, als er wieder im Sattel saß, die Magnete an, die ihn festhielten. »Auch ein Trost.« Die Lafette fuhr an. Cliff steuerte sie, auf den Lauf des Energiekabels achtgebend, wieder zurück in die alte Spur, die nur daran erkenntlich war, daß sich über die Eisplatten frischer Schnee gehäuft hatte, der noch nicht die Höhe der Schneedecke ringsum erreicht hatte. Zielstrebig rollte der Schlepper auf die Kugel zu, die sich am Horizont abzeichnete. »Konsequent ist nur der«, sagte Cliff, »der sich selber mit den Umständen wandelt.« Er nahm an, daß er kein Wesen aus einer anderen Welt und daher unsichtbar war. Das bedeutete, daß er mit dem Radar der Station geortet worden war. Das konnte ferner zur Folge haben, daß die ORION genau dort nachsah, wo sich ein kugelförmiges Ding lange aufgehalten hatte. Das brachte das Diskusschiff in den Bereich der Sandfläche. Und – wenn die Schnittlinie aufriß, gleichermaßen auch nach Pleyade. Cliff freute sich bereits auf die verblüfften Gesichter. Der Schlepper fuhr geradeaus in die Kugel hinein, stieß durch die Wand und hielt an, als Cliffs stählerne Klauen den Gang herausrissen. Systematisch schaltete der Kommandant die Bewegungsmaschinen aus und drückte dann den Knopf, der Rückkehr bedeutete. »Jedenfalls hat es mich wohltuend berührt«, murmelte er, während er diese seltsame Veränderung spürte, die dem Flug durch die Dimensionen voranging, »daß ich auf Pleyade keinen Wamsler oder Kublai-Krim getroffen habe. Nur lauter charmante Menschen.« Er erinnerte sich gerade, daß Kublai-Krim bereits Geschichte war und lehnte sich in die dünne Polsterung zurück, als wieder die Spritze aufzischte und das Medikament ihn diesmal bewußtlos machte. Die rasende Fahrt zurück nach Pleyade brauchte er nicht mehr zu ertragen. *
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Als die ORION nach unten startete, wußte noch niemand genau, daß sich die Verhältnisse dramatisch ändern würden. Nur noch einige hundert Meter über Grund schwebend, empfingen die Geräte der ORION einen Funkspruch aus der Station. »Wir rufen die ORION!« hörte das Team aus den Lautsprechern der Bordsprechanlage. Helga meldete sich augenblicklich. »Ja?« »Wir zögern, es Ihnen zu sagen, aber eben ereigneten sich einige merkwürdige Dinge...« »Mann!« sagte die Funkerin ungeduldig und noch immer voller Angst um ihren Kommandanten, »reden Sie schneller... auf alle Fälle berichten Sie, was los ist.« Die Stimme sagte laut: »Sämtliche Heizungen funktionieren. Die volle Kapazität liegt an. Wir können heizen, kochen und die Luft umwälzen.« Hasso und Mario de Monti sahen sich betroffen an, dann zog Mario die ORION wieder hoch und blieb genau vierhundert Meter über der Siedlung schweben. Zufällig befand sich das Schiff in der Zone leichtester Turbulenzen, nicht im Kerngebiet des Hurrikans. »Volle Energie, wie?« murmelte Atan. »Da hat jemand gedreht. Und zwar waren es diese blödsinnigen Impulse, die ich für Eigenenergie gehalten habe.« Mario starrte noch immer auf die Sichtplatte. Sie zeigte das Infrarotbild, das von Atans Astrogatorpult hierher geschaltet worden war. Auf diesem Bild begann sich jetzt gerade deutlich das Gerüst der Meilerkonstruktion abzuzeichnen. Das bedeutete, daß dort unten Wärme erzeugt wurde. Das aber bedeutete... Mario setzte sich gerade auf und sagte: »Unser Notstromaggregat, von Cliff gelandet, funktioniert. Hier sind die Beweise, falls die Freudenlieder aus der Station noch nicht genügen sollten.« Hasso fragte kopfschüttelnd: »Was hast du gesagt, Atan? Da muß doch jemand aus der Station in den Sturm hinausgegangen sein und die Maschine angeschaltet haben.« »Nein«, widersprach Atan aufgeregt. »Ich wollte euch nicht kopfscheu machen, aber ich hatte vor einigen Minuten merkwürdige Signale auf meinem Radar. Eine Kugel, die einige Zeit lang stehenblieb, daraus löste sich etwas, wanderte quer durch das Bild und näherte sich dem Meiler. Dann erfolgte diese Bewegung rückläufig.« Hasso Sigbjörnson stürzte quer durch die Steuerkabine und hielt sich an Atans Schultern fest. Er schien die Bildschirme mit seinem Blick durchbohren zu wollen. »Jetzt kannst du nichts mehr erkennen«, sagte der Astrogator leise. Hasso fragte wütend: »Warum hast du uns nichts davon gesagt?« Atan zuckte die Schultern und erwiderte: »Ich hielt es für Bildstörungen. Es... und vermutlich waren es auch Störungen, denn woher sollte auf Countess Marays eine Kugel auftauchen, die einen größeren Gegenstand entläßt, der wiederum in zwei Teile zerfällt.« Über Funk sagte der Stationsleiter:
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»Ich erfahre gerade, daß vor wenigen Minuten unser Radarmann einige merkwürdige Beobachtungen gemacht hat. Kugeln und so weiter. Und wir haben es ganz schön warm hier. Wollen Sie landen?« Helga sagte: »Noch nicht. Wir werden in den nächsten Minuten den Störungen auf den Schirmen nachgehen. Nicht nur Ihre Geräte waren gestört, unsere waren es auch. Und da vermutlich keine Gespenster den Meiler eingeschaltet haben, wird es wohl eine logische Begründung geben.« »Sicher. Wir kochen gerade riesige Mengen Glühwein und Kaffee. Sie sind herzlich eingeladen.« »Danke!« Mario de Monti knurrte wütend: »Hätten wir doch diesen naseweisen Raguer mitgenommen! Er hätte uns mehr helfen können als alle Geräte! Wer hat den Meiler eingeschaltet?« Sie waren eine Sorge los, aber dafür hatte sich ihnen ein Problem gestellt. Die Siedler und Arbeiter waren für den Augenblick gerettet. Ihre Behausung konnte voll beheizt werden, und auch die Luftumwälzanlagen funktionierten wieder mit voller Kapazität. Die unmittelbare Lebensgefahr war vorbei. Mario de Monti versuchte, den rätselhaften Geschehnissen auf die Spur zu kommen. Er startete mitten in den Schneesturm hinein. * Einige Tausend Menschen sahen zu, wie die Kugel über dem gleichen Teil des Platzes erschien, an dem auch vor wenigen Tagen der eisüberkrustete Raumanzug gelegen hatte. Plötzlich, wie aus dem Nichts, erschien die Schutzhülle um das merkwürdige Gefährt zwischen den Welten. Langsam und federnd, inzwischen wieder in der Kontrolle der Rechenmaschinen, sank die große Kugel herunter und berührte den Boden. Sie verlor die Form und wurde etwas birnenförmig. Das Mädchen Aradeyne, die neben Kash in der Beobachtungskanzel am Rand des Platzes stand, sagte leise: »Ist es möglich, daß Cliff... dabei gestorben ist?« Kash murmelte: »Möglich, wenn auch nicht wahrscheinlich. O' 61 Alayn sagte, daß die Medikamente von seinem Körper gut vertragen werden können.« Sie schwiegen. Vom Platzrand näherten sich die Roboter, die schwere Aufnahmegeräte trugen. Mit diesen Linsen würden sämtliche Eindrücke auf die Rechenmaschinen übertragen werden, die auch dieses Schicksal in ihre Speicher versenkten und irgendwann heranzogen, um weiter – und nach ihrem Programm richtig – diesen Planeten verwalten zu können. Die Zuschauer schwiegen gebannt. Die Kugel platzte knallend und verschwand. Goldglänzend und feucht von Kondenswasser standen die Lafette und die Rüstung da. Brummend schalteten sich Maschinen ein, und langsam fuhr das Gerät auf die wartenden Robots zu. Schweigend warteten die Menschen, und Aradeyne begann zu zittern... lebte Cliff noch oder befand sich nur seine Leiche in der Rüstung. Das – 70 –
Mädchen wußte, daß es noch nie einem Wesen dieses Planeten gelungen war, nach Countess zu gelangen, und die winzige Chance, die Cliff hatte, bestand darin, daß e r nicht hier geboren war. »Er ist tot!« flüsterte sie fassungslos.
»Warte!« sagte Kash. »Ich sehe Clade dort unten und Alayn.«
Die Lafette hielt an, und langsam schwenkte der hydraulische Arm die Rüstung
zu Boden. Roboter rasten hinzu und stützten das schwere Ding. Es bewegte sich nicht, das hatte zu bedeuten, daß der Insasse den Apparaturen keine Impulse vermittelte. Warum bewegte sich Cliff nicht? Die Rüstung wurde auf eine Plattform abgelegt. Einige Robots eskortierten die schwebende Plattform auf dem Weg in das medizinische Zentrum. Die Kameras und Mikrophone folgten einige Zeit lang, dann schalteten sie sich ab. Die Maschinen im Innern der Klinik übernahmen jetzt die Beobachtung. Aradeyne sagte entschlossen: »Ich gehe zu Alayn.« »Er wird keine Zeit haben«, schränkte Kash ein. »Ich bin sicher, daß Cliff nur betäubt ist. Schließlich kann es sich der Planet nicht leisten, diesen kostbaren Fund zu verlieren.« Aber die Antwort, die Kash gab, hörte Aradeyne schon nicht mehr. Kurze Zeit später stand das Mädchen neben Alayn, der zusammen mit seinen Medizinern die Anzeigen der Maschinen beobachtete. »Was ist los, Alayn?« fragte Aradeyne zum zehntenmal. Er winkte ab und starrte konzentriert auf die Tafeln, auf denen unaufhörlich neue Daten und medizinische Schriftzeichen erschienen. »Lebt er?« rief sie. »Ja, natürlich!« sagte Alayn. »Störe uns nicht!« Sie schaute schweigend zu, wie die Informationen erschienen und verschwanden. Der bewußtlose Raumfahrer wurde wieder entlang einer Geraden durch eine Menge von einzelnen Elementen transportiert, die ihn untersuchten und die Wirkung des Medikaments aufhoben. Sie registrierten die Nervenreizung und wuschen die betäubenden Medikamente aus seinem Kreislauf. Dann, als Oinikam langsam auf Alayn zuging, hob der Chefmediziner den Arm. »Schaltet Element Drei dazu.«
Der Sprecher der Rechenmaschinen, M' 88 Oinikam, murmelte fragend:
»Ist es jetzt richtig, Alayn?«
»Ja«, sagte der Mediziner entschlossen. »Er wird von dieser winzigen Operation
nichts merken. Sie geht spurlos an ihm vorüber, und er hat nicht einmal eine Wunde, wenn er aufwacht. Es ist das Beste so. Und wir haben damit die Sicherheit für unsere Rasse erworben. Er wird verstehen, wenn...«, er drehte sich herum und deutete auf Z' 12 Aradeyne, »... dieses Mädchen es ihm in der richtigen Weise beibringt. Und – erinnere dich, er hat sein Einverständnis bereits gegeben und auch auf seine Mannschaft ausgedehnt.« Oinikam nickte beruhigt und sagte:
»In Ordnung. Schaltet das Element ein.«
Cliff, der im Tunnel zwischen den vielen einzelnen Behandlungselementen und
Diagnostikblöcken von links nach rechts transportiert wurde, merkte nichts davon, – 71 –
daß sich kurz vor Ende dieser Strecke ein weiteres Element auf die Signalschiene schob. Dort verweilte er eine halbe Stunde lang. Dann schoß eine Rohrpostleitung einen versiegelten Glasbehälter quer durch die gesamte Klinik. Er wurde schockgefroren und verschwand in den Kältetresors dieses medizinischen Zentrums Erleichtert aufatmend wandte sich der Mediziner an den Sprecher und sagte erschöpft: »Erledigt.« Der Sprecher erkundigte sich: »Habt ihr Analysen seiner Gedanken gemacht?« »Ja. Genau zwei Minuten lang. Wir fanden die Spuren des entsetzlichen Schmerzes und eine tiefe Befriedigung. Wir konnten genau rekonstruieren, was Cliff in den wenigen Minuten in Schneesturm getan hat. Diese zweitausend Siedler sind gerettet. Der nukleare Meiler funktioniert zur Zufriedenheit und liefert fast seine volle Energie.« Oinikam nickte, schüttelte die Hand des Mediziners und sagte: »Ich gehe jetzt. Ich werde mich darum bemühen, daß wir eine große Maschine bauen, mit deren Hilfe wir die Crew wieder zurückbringen können. Wie aber können wir sie hierher holen?« »Ich sage es dir«, meinte der Mediziner. »Aradeyne?« »Ja?« Sie verfolgte auf den Bildschirmen, wie die Robots Cliff ankleideten und ihn in einen weißen Gleiter verpackten. Dieses Fluggerät würde ihn wieder dort absetzen, wo er schon einmal aufgewacht war – im Zimmer über dem Binnenmeer. »Du kannst jetzt darauf warten, daß Cliff aufwacht. Alles ist in Ordnung. Wir werden verständigt, wenn er wieder Herr seiner Sinne ist.« Sie nickte und verließ die Klinik. * Sie hatten noch nicht lange gesucht, als Atan Shubashi eine Art ersticktes Gurgeln von sich gab und verzweifelt anfing, die Haare seines Toupets zu raufen. Mario fragte: »Was ist los, verdammt noch einmal?« Atan keuchte auf. »Entweder habe ich Sehstörungen, oder aber wir haben hier einen Spukplaneten. Du hast das gleiche Bild auf dem Schirm. Sieh es dir an!« Die ORION war sehr tief hinuntergegangen und schwebte jetzt in kleinen Kreisen über dem Gebiet das sich zwischen den Mauern des Sturmes befand. Radar und Infrarotgeräte waren die einzigen Möglichkeiten, etwas von der Landschaft zu sehen. Auf den fast ereignislosen Bildern fiel natürlich jede kleine Einzelheit besonders drastisch auf. Mario und Hasso, der mit einem Satz herangekommen war, betrachteten den Schirm. Sie sahen eine etwa halbkugelige Form, ziemlich groß, die auf vier kastenförmigen Elementen zu stehen schien, die in quadratischem Grundriß zwischen Boden und Kuppeln angeordnet waren. – 72 –
»Was ist das?« fragte Helga. Gleichzeitig schrie die aufgeregte Stimme des Radarmannes der Station aus den Lautsprechern der Bordsprechanlage: »Wir haben etwas gesichtet! Auf dem Platz, wo der Kommandant verschwunden ist!« Helga bemerkte unruhig: »Wir haben es ebenfalls in den Geräten. Wir fliegen hin und sehen nach. Niemand weiß, was es bedeutet.« Mario stieß einen langen Seufzer der Spannung aus. Er hatte nicht bemerkt, daß er in den letzten Sekunden den Atem angehalten hatte. Er wartete förmlich auf eine Reaktion dieses rätselhaften Etwas, dem sie sich jetzt in langsamstem Flug näherten. Seit dem Augenblick, in dem Cliff verschwunden war, zeigte das Bordchronometer eine zeitliche Differenz von rund zweiundzwanzig Minuten an. Mit der geballten Kraft seiner atmosphärischen Maschinen wehrte sich das Diskusschiff gegen den anbrandenden Sturm und die harten, rüttelnden Stöße, mit denen Eiswolken gegen die Außenhülle geschleudert wurden. Der Gegenstand wurde immer deutlicher und größer. Auf dem Schirm des Infrarotgerätes sah Atan, daß vom Kopfteil jener Kuppel ein Strom heißer Gase ausgeschleudert wurde. Hasso sagte beruhigend: »Kein Gespenst, Freunde. Ein durch und durch stählerner Gegenstand.« »Aber woher stammt er?« fragte Mario und stellte gleichzeitig fest, daß die Höhe des Schiffes über dem Boden nur noch fünfzehn Meter und der Abstand zu dem Metallgegenstand nur noch dreißig Meter betrugen. »Keine Ahnung«, sagte Helga. »Es wird aus einer anderen Welt kommen!« »Unsinn!« sagte der Astrogator, der gewohnt war, alles sehr materialistisch zu betrachten. »Ich glaube auch nicht daran«, sagte die Funkerin. »ich wollte nur einen dummen Scherz machen, damit ich diese widerwärtige Spannung loswerde.« Die ORION hielt jetzt zehn Meter über Grund. »Warum soll es dir besser gehen als uns?« fragte Hasso in die Stille hinein. »Wir werden es untersuchen. Versuche, aus dem heißen Strom herauszukommen – es könnten gefährliche Strahlungen sein.« »Sind es aber nicht«, warf der Astrogator ein. »Ich habe alles, was Antennen hat, eingeschaltet und auf dieses Biest dort gerichtet. Es sieht so harmlos aus wie ein Schneckenhaus.« »Hasso!« sagte Mario scharf. »Hier?« »Hinauf in die Zielkammer des Overkill-Gerätes. Ich möchte kein Risiko eingehen.« »Verstanden!« Der Bordingenieur verließ die Steuerkanzel. Einige Sekunden später schaltete sich ein Monitor ein, und ein paar Lämpchen glühten auf. »Fertig, Mario. Näher heran!« Mario de Monti, Stellvertretender Kommandant der ORION VIII, griff in die Handsteuerung und bugsierte das Schiff in einer Viertelkurve an den Metallgegenstand heran. Nichts geschah. Die Kabine war erfüllt von dem Geräusch – 73 –
der Atemzüge, alle warteten sie darauf, daß dieses Ding dort irgend etwas unternahm, sich wehrte, sie angriff oder eine Botschaft funkte... nichts. Sekunden verstrichen ereignislos. Dann, plötzlich und völlig unerwartet, gab es einen klirrenden Schlag, einen harten Ruck. Aus den Lautsprechern kam ein unheilvolles Heulen und Knistern, das in den Trommelfellen schmerzte. Sämtliche Sichtschirme erloschen, Sicherungen fielen knackend aus, Warnlampen flackerten auf. Dann herrschte, ebenso plötzlich, absolute Stille. Mario faßte sich als erster und stellte die Frage, die jeder auf den Lippen hatte und die niemand schlüssig beantworten konnte. »Was war das?« Atan hantierte wie wild an seinem Schaltpult. Schließlich flammte die zentrale Sichtscheibe wieder auf. Das Bild, das sie gestochen klar, farbig und in drei Dimensionen zeigte, war etwas wie eine Fata Morgana. »Eine Stadt... Menschen... Roboter...«, murmelte Oberleutnant de Monti. Helga stand auf und kam unsicher, mit zitternden Knien, auf den Ersten Offizier zu. »Eine Stadt. Du hast recht. Wir sind plötzlich an einen anderen Ort geschleudert worden.« Hasso sagte: »Geschleudert... das ist es. Cliff verschwand auch Er ist vermutlich ebenfalls hier.« Dann zeigten ihnen die Linsen den letzten, erschütternden Eindruck, der sie völlig verwirrte und unsicher werden ließ. Jetzt war keine Zeit mehr für dumme Bemerkungen; man hatte sie gekidnappt. Der Gegenstand, der langsam unter dem Schiff hervorrollte und aus dem runden Schatten goldfunkelnd ins Sonnenlicht kroch, war der Lockvogel gewesen. Mario sagte in kaltem Zorn: »Wir sind in einer fremden Umgebung. Die Technik und die wenigen kulturellen Merkmale, die wir von hier aus erkennen können, sagen mir, daß dies keine Welt aus dem terranischen Kulturkreis ist.« Der Bordingenieur, der noch immer vor dem Zielschirm des Overkill-Gerätes saß und mit diesem Schirm kreisend und in Schleifen die Umgebung absuchte und alles nur durch das Gitter des Zielkreuzes sah, meldete sich. »Das ist ganz klar, Mario«, sagte er. »Für uns besteht jetzt nur die Frage, ob die Menschen ringsum potentielle Freunde oder Feinde sind.« »Freunde«, sagte Helga. »Sonst hätten sie ans nicht geholt. Cliff haben sie auch, das ist mir klar.« Atan deutete auf das Funkpult. »Wenn Cliff hier ist, wird er uns hören. Sende auf der Flottenwelle, Helga.« Sie versuchte es. Aber eine halbe Stunde verging, und der Kommandant meldete sich nicht. Während die ORION bewegungslos zehn Meter über dem zentralen Platz der Stadt schwebte und wartete, versammelten sich immer mehr Menschen, bis die Menge einen geschlossenen Ring von zwanzig Gliedern Tiefe bildete. Es mußten Tausende und aber Tausende sein, die darauf warteten, daß sich in diesem Schiff etwas rührte, daß die schimmernde Form des Raumschiffes sich irgendwie veränderte. – 74 –
Sie warteten, bis sich ein winziger, durchsichtiger Gleiter näherte. Zwei Personen saßen darin. Der Gleiter landete direkt vor der Klappe, hinter der sich die Projektoren des Overkill drehten. Links stieg ein ausnehmend schönes Mädchen aus, auf der rechten Seite der Mann, den jedes Wesen auf diesem Planeten kannte. In die Menschenmassen kam Bewegung. Ein erwartungsvolles Murmeln erfüllte die Luft.
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7
Die Szene schien direkt aus einem surrealistischen Film entsprungen zu sein, aber sie hatte den Vorteil, daß sie absolut echt war. Zehn Menschen – fünf Terraner und fünf Planetarier – saßen um einen vergleichsweise riesigen Tisch herum. Es war der Morgen des nächsten Tages, rund fünfzehn Stunden nach der überraschenden Ankunft des Schiffes. Ein milder Wind wehte von Süden her über den Strand der kleinen, intimen Bucht. Auf dem Sand lag ein runder, dicker Teppich, auf dem sich die zehn Sessel befanden, die um die Schwebeplatte gruppiert waren. Von vier Schwebekugeln gehalten, versperrte ein rechteckiges Sonnensegel den blendenden Lichtstrahlen den Weg. Atan Shubashi betrachtete sinnend einen der durchsichtigen Robots, die flink um den Tisch herumeilten und Speisen auflegten und Getränke einschenkten. Dann richtete der Astrogator seinen Blick auf M' 88 Oinikam und fragte: »Also entsprechen dreißig Minuten dort auf Countess Marays etwa einem halben irdischen Jahr hier? Ist das richtig?« Oinikam nickte, hob seinen Becher und sagte: »Richtig. Die Crew der ORION hat soviel Zeit, wie sie will. Für rund sechs Tage hier werdet ihr eine Minute dort verschwunden sein.« Um die Gruppe erstreckte sich der leere Strand. Hier war kein Mensch zu sehen; nur einige bunte Boote lagen im Sand und rochen nach Salzwasser und trockenem Holz, obwohl sie aus Kunststoff bestanden. Unter anderem würde die Crew hier auch eine ganz andere Technologie entdecken. Cliff grinste und sagte: »Der beste Beweis bin ich. In der kurzen Zeit, in der ich hier bin, habe ich eine ganze Menge erlebt und unternommen. Trotzdem ist es gelungen, in noch kürzerer Zeit die Siedler zu retten. Vermutlich schwitzen sie jetzt aus lauter Vergnügen freiwillig.« Helga erwiderte: »Der Hurrikan hat nicht eine Sekunde lang an Stärke abgenommen.« Die nervöse Spannung, die von den pausenlos auf die Crew hereinprasselnden neuen Eindrücken erzeugt worden war, hatte abgenommen. Sie waren ausgeschlafen und betrachteten, nachdem Cliff und Clade ihnen die volle Wahrheit gesagt hatten, den Tag und den Planeten mit anderen Augen. »Es dauert Stunden oder Tage, bis der Sturm abnimmt und die ersten Schiffe eintreffen«, meinte der Kommandant. »Wir haben also entsprechend lange Urlaub auf Pleyade.« »Einige Dinge, an die ich ständig denken muß«, sagte der Bordingenieur, der wie sie alle, in leichter und bequemer Kleidung des Planeten in seinem Sessel saß und die zauberhafte Umgebung genoß, »bedürfen noch der Antwort. Ich habe keine Lust, mich in eine Bibliothek zu setzen und dort nachzulesen.« Oinikam lächelte Hasso zu und fragte: »Wie lautet die Frage?« »Wozu braucht ihr uns so dringend?« Oinikam sagte: – 76 –
»Wir brauchen euch allein deswegen in solch dringendem Maß, weil wir durch die erste biologische Untersuchung erfahren haben, daß unsere beiden Parallelrassen die gleichen Gene haben. Wir sind so gut wie identisch. Die Untersuchung, von der ich spreche, ist die, die wir an unserem damals halbtoten Freund Cliff McLane durchgeführt haben. Sie sagte uns alles. Das bedeutet in letzter Konsequenz, daß unsere Rassen sich mischen können.« »Wie fein«, murmelte der Kommandant. »Das läßt an ein Reisebüro denken. Wir organisieren die Flüge und setzen die Gäste auf dem Sandfleck nahe des südlichen Pols ab.« Aradeyne schüttelte den Kopf und meinte: »Und unser Planet wird von einer unübersehbaren Menschenmenge überflutet. Danke... wir suchen uns unsere Gäste schon allein aus.« Cliff warf ihr einen kurzen Blick zu und flüsterte: »Oder lassen uns für die Gäste aussuchen, nicht wahr?« Sie lächelte ihn an. Durch den Besuch von fünf Menschen der Erde hatten sich für den Planeten Pleyade neue und bisher ungeahnte Möglichkeiten eröffnet. Die Rasse, die auf der Schwelle zur kollektiven Überalterung stand, brauchte eine Blutauffrischung durch neue Gene. Das war dringend, wenn es auch nicht gerade in den nächsten Tagen erfolgen mußte. Aber die Menge der Hochachtung, die der Raumschiffsbesatzung entgegengebracht wurde, war dadurch gerechtfertigt, daß zehn Millionen Pleyad wußten, was dieser Besuch wirklich bedeutete. Der Rückweg der Entwicklung, der Abstieg dieses Volkes, wurde zwar durch die Komputer erleichtert, aber gleichzeitig hatten die Maschinen den Planetariern einen Weg gezeigt, die Entwicklung mit einem Ruck herumzuwerfen. Die Möglichkeit lag nun in greifbarer Nähe – beziehungsweise saß sie am Strand der Bucht und frühstückte. Der Kommandant hatte seinen Gedanken durchdacht und sagte jetzt: »Ich muß von dieser Möglichkeit, die ich zuerst angedeutet habe, selbst abraten. Es wäre grundfalsch. Eure Rasse ist den Terranern in keiner Weise gewachsen.« Oinikam machte ein befremdetes Gesicht. »Wie meinst du das?« Cliff zählte an den Fingern auf. »Ich erinnere mich noch eurer Verwunderung über meine Eile und Zielstrebigkeit. In diesem Fall war sie gerechtfertigt, und sie erschreckte euch trotzdem. Aber wenn eine größere, nicht kontrollierte Menge von Menschen hierher kommt, wird sie euch jede Initiative aus den Händen nehmen. Nein, ich bin für die lautlose und weniger aufwendige Methode.« »Ich auch«, sagte Aradeyne. Es durfte keine Kontakte zwischen der Erde und diesem Planeten geben, jedenfalls keine Kontakte in größerem Rahmen. Das würde zwar Aufregungen und Revolutionen nach Pleyade bringen. Dadurch konnte die so sehr humane und krieglose Rasse zwar erwachen und wieder etwas von jenen archaischen und atavistischen Anlagen zurückerhalten, aber die erste Reaktion wäre ein unendlich großes Chaos. Das war zu verhindern, indem die ORION-Crew der einzige Kontakt blieb. Außerdem waren sie alle egoistisch genug, um den vielen anderen dieses Vergnügen nicht zu gönnen, denn durch die Zeitverschiebung konnte ein – 77 –
jahrelanger Urlaub in der Mittagspause abgewickelt werden. Verbrecher könnten sich verstecken – das bedeutete weiterhin absolute Geheimhaltung dieses Tunnels zwischen den Planeten. Hasso fragte:
»Wir sind hier. Wie geht es weiter?«
Der »Sprecher«, der nach reiflicher Befragung der Maschinen und
Durchforschung der Speicher eine Menge Vorschläge machen konnte, erklärte: »Es wird am besten sein, ihr alle versucht, euch ein Bild von unserem Planeten zu machen.« »Fünf Bilder!« sagte Mario. »Auch dies. Sicher hat jeder von euch besondere Wünsche. Wir werden alles arrangieren. Ihr sollt später sagen können, es sei die schönste Zeit eures Lebens gewesen.« Helga murmelte: »Das wird ziemlich schwierig sein. Wir sind Feinschmecker, müßt ihr wissen.« Alayn warf ein: »Wir zeigen uns von unserer besten Seite. Es wird für euch sein wie ein Traum. Die ganze Oberfläche des Planeten gehört euch. Wählt! Sucht aus! Sprecht eure Wünsche aus!« Helga überlegte eine Weile und sagte dann leise, als schäme sie sich etwas: »Ich habe mir schon seit meiner Jugend gewünscht, in einem luxuriösen Boot einen Fluß herunterzutreiben. Nicht zu langsam, nicht zu schnell, entlang der schönsten Ufer. Ich weiß, es ist der typische Wunsch einer alternden Funkerin...« Cliff sah einen Augenblick in das Gesicht Clades, des Vermittlers und entdeckte dort die Anzeichen einer Überlegung, die Clade gerade durchführte. Das Aufblitzen der Augen sagte dem Kommandanten einiges. Er nickte zufrieden. Helga würde bekommen, was sie sich wünschte – und noch etwas mehr. »Einverstanden«, sagte T' 31 Clade. »Ich werde alles ausrechnen lassen. Es war schon stets etwas besser, besondere Wünsche zu haben.« »So ist es«, sagte Helga. Cliff dachte nach. Er suchte, während er langsam die Gesichter der Menschen betrachtete, die sich hier am Tisch zusammengefunden hatten, nach den Gefahren und den schwierigen Punkten dieses Unternehmens. Auf fünf verschiedenen Wegen würde die Crew den Planeten und dessen Bewohner kennenlernen, und selbstverständlich war dies ein Gewinn an Einsichten, der das Verständnis für die Pleyad vergrößern würde. Clade deutete auf den Ersten Offizier und erkundigte sich:
»Welche Eindrücke wünscht du zu sammeln, Mario?«
Mario brauchte nicht zu überlegen. Er sagte:
»Gefahr ist mein Hobby. Ich möchte irgendwo an einem interessanten Ufer an
Tieftauchexperimenten teilnehmen.« Clade grinste ausgesprochen sarkastisch. »Totale Gefahr kennzeichnet den Mann«, sagte er. »Wir haben ein Labor eingerichtet, das im Augenblick nicht benutzt wird. Du wirst alles erleben, was du dir gewünscht hast.« Mario nickte. »Plus Sonderwünsche?« erkundigte er sich mißtrauisch. – 78 –
»Jawohl.« Hasso Sigbjörnsons Wünsche waren anderer Natur. Er verlangte, sich mit Technikern und Konstrukteuren in einem Forschungs- oder Entwicklungszentrum treffen und unterhalten zu dürfen. Außerdem interessierte er sich für die energetische Natur des Tunnels zwischen den Planeten und des »Schnittpunktes« Auch sein Wunsch wurde vermerkt. »Atan?« fragte Alayn.
»Was ist die gefährlichste Gegend eures Planeten?« fragte der Astrogator.
Schlagartig wandten sich ihm sämtliche Blicke zu.
»Ich meine es ernst«, sagte Shubashi. »Irgendwie muß es doch für einen richtigen
Mann auf dieser Welt einen Platz geben, Mut zu zeigen oder etwas Ähnliches.« Nachdenklich sagte Kash: »Man könnte vielleicht die tropischen Dschungel vorschlagen. Das Reservat.« Mit wenigen Sätzen erklärte Clade, daß einige Gebiete des Planeten dem Landschaftsschutz unterlagen. Dort gab es, mühsam gezüchtet und in ihrem eigenen Lebensraum ausgesetzt, sämtliche seltenen Tiere, die man im Lauf der Jahrtausende gefunden hatte. Zum Teil waren sie kostspielige Rückzüchtungen, zum anderen Teil vermehrten sie sich bereits wieder. Auch dies war ein Programm des Komputerdiktats über den Planeten. »Cliff?« fragte Aradeyne.
Der Kommandant schüttelte den Kopf und sagte:
»Ich komme schon allein zurecht. Erstens habe ich dich, und zweitens werde ich
von Tag zu Tag entscheiden, was ich sehen will.« »Einverstanden. Morgen früh ist alles bereit«, sagte der Vermittler. Cliff hob die Hand und sagte hart: »Halt.« Verwundert blickten sie ihn an. »Jede Münze, und sei sie noch so schön, pflegt zwei Seiten zu haben«, sagte der Kommandant. »Die eine Seite haben wir inzwischen ziemlich gut kennengelernt. Aber keiner von euch kann mir ausreden, daß alle zehn Millionen Pleyad kritiklos und mit voller Begeisterung die Pläne der Rechenmaschinen unterstützen und für den letzten Schluß der Weisheit halten. Wieviel Gegner hat der Plan, durch fünf Terraner die Rasse zu retten?« Atan flüsterte Hasso zu:
»Er spricht bereits wieder in Stabreimen! Terraner retten die Rassen!«
»Ruhe!« sagte Cliff.
»Wir haben natürlich Kritiker«, sagte Clade nach einer Weile. »Darunter sind
auch prominente Männer, die mit den Maschinen zusammenarbeiten. O' 96 Chaisse zum Beispiel. Sie wollen nicht, daß wir fremde Gene mit unseren eigenen vermischen.« »Dachte ich es mir doch«, sagte der Kommandant. »Wie weit wird Chaisse gehen, wenn er merkt, daß seine Einwände abgetan werden?« Voller Überzeugung schüttelten Clade, Alayn und Oinikam die Köpfe. »Alles, was unternommen wird, kontrollieren die Maschinen. Sie werden für eure Sicherheit garantieren.« »Alkohol«, meinte Cliff abschließend. »soll den Kreislauf und die Gedanken anregen. Vielleicht regt hier und dort ein Zwischenfall, den die Maschinen nicht – 79 –
verhindern können, den menschlichen Kontakt an. Ich bin, wie meist, skeptisch. Aber das soll euch allen den Spaß nicht verderben.« Die Roboter brachten gewaltige, teure Glasgefäße, die mit einer prickelnden Flüssigkeit gefüllt waren. Das Getränk hatte starke Ähnlichkeit mit bestem terranischem Sekt. »Trinken wir auf die nächsten Urlaubswochen«, sagte Aradeyne im Versuch, die Situation zu entspannen. »Regen wir unseren Kreislauf an!« bestätigte Cliff. Sie tranken sich gegenseitig zu, dann gingen, bis auf Aradeyne, die Pleyad über den Strand zurück zum Gleiter. Die Crew war mit Aradeyne allein. Hasso sagte ruhig: »Es wirkt alles wie ein Traum, aber je höher die Sonne steigt, desto mehr weiß ich, daß es kein Traum ist.« Es war kein Traum... Es war Teil des Schicksals der ORION-Crew, die dadurch, weil sie sich stets an den Brennpunkten der Gefahr befand, weitere Gefahren und weitere reizvolle Möglichkeiten erfuhr und entdeckte, ihren Horizont zu erweitern. Aus dem dramatischen Rettungsversuch auf Countess Marays war ein Abenteuer geworden, das seinesgleichen suchte und noch nicht beendet war. Denn mit dem feinen Sinn für dramatische Entwicklungen hatte zumindest Cliff erkannt, daß jene fünffache Reise durch die Schönheiten des Planeten den Keim der Gefahr in sich trug. Er würde sich den Namen Chaisse merken müssen. * Das Wasser war klar; man konnte die Fische, die Pflanzen und die Kiesel sehen. Der Schatten des großen, flachen Bootes huschte lautlos über den Grund. Eine Art silberfarbener Nebel hing zwischen den hohen Ufern des Flusses, der hier dreißig Kilometer unterhalb der Quelle lief. »Bezaubernd!« flüsterte Helga Legrelle. Sie lag in einem Badeanzug, der aus der komputergesteuerten Fabrikation dieses Planeten stammte, auf dem Vorderdeck des Bootes. Seit drei Tagen trieben sie den Fluß abwärts. Helga drehte den Kopf und sah nach hinten. Dort stand der Kapitän des Bootes am Ruder und betrachtete schweigend die Ufer. Helga dachte daran, daß diese Art der Fortbewegung auch das Hobby von Cliff war. Sie fand den Zustand einfach hinreißend. »Etwas zu trinken?« fragte der junge Mann vom Ruder aus. Sie hob den Arm und wedelte mit den Fingern. »Ja, bitte!« Etwas weiter stromabwärts konnte sie einige flache, weiße Dächer sehen. Hinter den Bäumen und Büschen des Ufers versteckten sich ein paar Häuser oder Hütten. Nein, entschied Helga, es waren sicher keine Hütten, sondern nette kleine Häuser, in denen keine einzige Annehmlichkeit der Zivilisation fehlte, einschließlich der gläsernen Roboter. »Nichts bringt die Menschen einander so nahe wie leichte Getränke und Sonne«, bemerkte H' 44 Arius, als er neben Helga stand und ihr das Glas reichte.
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»Richtig«, sagte sie. »Es ist nicht besonders schwer, zu vergessen, daß wir von zwei verschiedenen Planeten stammen.« Arius schüttelte den Kopf. »Besonders leicht macht es dein Liebreiz«, sagte er. Arius war ein junger, ausgesprochen reizender und kluger Mann, der ihr mitten in der Stadt, bei einem der ersten kleineren Ausflüge, über den Weg gelaufen war. Die Funkerin ahnte zwar dunkel, daß Arius vielleicht von den Maschinen als Begleiter für die romantische Reise ausgesucht worden war, aber das änderte nichts an der Tatsache, daß sie sich in ihn und er sich in sie verliebt hatte. Sie lächelte bei dem Gedanken, daß es vermutlich den anderen Mitgliedern der ORION-Mannschaft ebenso ging wie ihr, wenn auch in anderer Umgebung. »Möchtest du schwimmen?« fragte er leise. »Nein«, sagte sie. »Nur einfach so treiben, die Wolken ansehen und auf die nächste Biegung des Flusses sehen.« Helga lehnte sich in den Arm Arius' zurück und ließ die letzten Tage im Geiste an sich vorüberziehen. Sie hatte keinen Grund, sich nicht ausgezeichnet zu fühlen; ganz im Gegenteil. Aber die zahllosen kleinen Eindrücke, die sie gehabt hatte, summierten sich, und in den langen Stunden des Nichtstuns addierten sie sich auf. Die Zeichen dafür, daß die Rasse ihren Höhepunkt bereits überschritten hatte, waren deutlich, trotz durchaus gegenteiliger Leistungen von einzelnen. Zum Beispiel von Arius. Und da war noch etwas, das hinter allem zu warten schien. Eine Spur der Gefahren, die Cliff angedeutet hatte. Helga wußte, daß sechs oder sieben Tage, in denen wirklich nichts Gefährliches geschehen war, noch kein Zeichen dafür waren, daß auch nichts mehr geschehen würde. In den Monaten, die sie sich hier aufhalten würden, gab es genügend Gelegenheiten für Männer wie Chaisse, ihre innenpolitischen Überzeugungen mit Nachdruck durchzusetzen. Helga fragte: »Was hältst du von Chaisse, Arius?« Er zuckte die Schultern und sagte: »Ich weiß es nicht genau. Der Konflikt innerhalb unserer Auffassungen ist erst mit eurem Auftauchen deutlich geworden.« »Haben wir hier Sensoren der Maschinen an Bord?« Arius deutete nach vorn, auf die hellen Dächer. »Nein«, sagte er leise. War dieses Zögern vor der Antwort wichtig gewesen? »In den Häusern dort stecken Anschlüsse, die auch einen Teil unseres Weges beobachten. Wir sind nicht unausgesetzt unter Beobachtung.« Helga stellte das leere Glas ab und stand langsam auf. Sie setzte sich auf die breite Vorderreling und schüttelte ihre Haare im leichten Wind. »Angenommen, Chaisse oder jemand, der die gleiche Ansicht vertritt, wollte meine Freunde oder mich beseitigen. Er würde dadurch auch die Drohung der fremden Erbanlagen ausschalten. Was würde er tun?« Arius war etwas unsicher geworden. Er setzte sich neben sie und sah eine Weile das Ufer an und dort eine kleine Herde von Tieren mit weißem Geweih und blauen Fellen. Dann sagte er unschlüssig:
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»Ich habe keine Ahnung. Er wird sicher nicht mit einem Energiegewehr am Ufer lauern und auf unser Boot oder auf uns schießen. Glatter Mord ist durch einige Jahrhunderte der selektiven Steuerung ausgeschlossen.« Helga tröstete ihn. »Wenn er nicht selbst zu morden imstande ist, dann wird er vielleicht einen Robot losschicken...« »Nein«, erwiderte Arius mit Nachdruck. »Jeder Robotmechanismus des gesamten Planeten steht unter der Kontrolle der Rechenmaschinen. Und die Maschinen haben das Problem durchgerechnet. Sie errechneten, daß die fremden Erbanlagen unsere Rasse retten werden.« »Ich bin beruhigt«, sagte Helga. Während das Schiff durch die automatische Steuerung geradeaus mit dem Strom trieb und sich die Geographie der beiden Ufer von Minute zu Minute veränderte, erzählte Helga ihrem Begleiter einen Teil der Abenteuer auf den Planeten der Dara, der Vorfahren der Menschen. Auch dort, das war der Kernpunkt ihres Berichtes, gab es Menschen, deren Fähigkeit zum Kampf und darüber hinaus zum Töten vollständig verlorengegangen war. Helga sah, wie die Biegung des Flusses die kleinen Häuser verschwinden ließ und bemerkte den großen, gerundeten Schatten, der auf dem Wasser lag. Ein riesiger Felsen, der in allen Farben glitzerte, ragte zwischen der Sonne und dem Boot aus dem sandigen Ufer. An seinen Flanken waren die Hochwassermarken zu sehen; breite, verschieden graue Streifen. »Das waren die Dara«, sagte Arius. »Jetzt kommt das Mittagessen. Fisch?« Helga zuckte die Schultern. »Ich weiß nicht. Mache andere Vorschläge!« Er deutete auf den Wald, der sich auf einer Landzunge weit in den Fluß hinein erstreckte und schlug vor: »Wir könnten Früchte sammeln und einen Obstsalat machen.« Helga nickte. »Genau das tun wir!« sagte sie. Sie gingen, sich an den Händen haltend, auf das Achterschiff zu, um den Kurs zu ändern und sich an die Spitze der Halbinsel treiben zu lassen. Als sie vierzig Meter vom Ufer entfernt waren, klickte es scharf im Zentrum der Kajüte. Dann schoß eine zwanzig Meter hohe Stichflamme in die Luft, gleichzeitig schleuderte der Explosionsdruck Helga und Arius ins Wasser. Die Strömung riß ihre bewegungslosen Körper mit sich. Arius wurde nach einigen Sekunden wach. Er spuckte Wasser, schlug wild um sich und befreite sich von einem langen Tangfaden. Dann tauchte er auf und sah sich um. »Helga!« Sie trieb drei Meter von ihm entfernt, und ihr Körper drehte sich langsam in der starken Strömung. Sie trieb genau auf den Wirbel zu, der sich vor der Halbinsel bildete und in dessen Zentrum sich Blätter und Äste zu einer runden, kompakten Masse zusammengefunden hatten. Arius holte tief Atem, schüttelte die Benommenheit ab und sah, daß sich das Wasser um ihn herum rötete. Er blutete aus der Nase und aus einer klaffenden Schulterwunde.
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Obwohl ihn der Schreck über die Verwundung beinahe ohnmächtig werden ließ, schwamm er geradeaus und war binnen weniger Sekunden bei Helga. Er tauchte unter sie, faßte sie unter dem Kinn und arbeitete dann mit den Beinen, bis er dicht hinter sich den Sand des Ufers sah. Er kam auf die Beine, bückte sich und trug Helga fünf Meter weit in den Schatten eines Baumes, der seine breiten Äste über das Wasser erhob. »Helga!« Ihr Gesicht war kreidebleich. Arius begann sofort mit künstlicher Beatmung. Helga öffnete die Augen und sah ihn erstaunt an. »Mario?« murmelte sie. Er schüttelte den Kopf und sagte leise, ihren Kopf in der Armbeuge hochhaltend: »Ich bin Arius. Etwas in unserem Boot ist zerstört worden. Ich muß Hilfe herbeirufen...« Sie richtete sich halb auf, ihr Oberkörper schwang hilflos hin und her. Ihre Augen konnten keinen Punkt fixieren, und sie murmelte sinnloses Zeug. Das war mindestens eine Gehirnerschütterung, wenn nicht ein ernsterer Schock. Arius betrachtete sie einige Sekunden lang, dann nickte er. Er hob die Hand des Mädchens hoch und klappte das funkelnde Armband auf. Helga hatte es irgendwo in der Stadt gesehen und sich schenken lassen, und das Armband war unauffällig gegen ein Signalgerät ausgetauscht worden. Arius, der persönlich für das Mädchen verantwortlich war, drückte auf einige Punkte der Verzierung und sagte leise, aber scharf: »Hier H' 44 Arius. Wir befinden uns zwei Kilometer hinter Punkt Vier. Auf unser Boot wurde ein Anschlag verübt, große Wahrscheinlichkeit für Sabotage. Das Mädchen ist halb ohnmächtig; Schock und Gehirnerschütterung. Sofort abholen.« Er brauchte auf keine Bestätigung zu warten. Während er sprach, hatte er Helga scharf beobachtet. Sie lag jetzt wieder ruhig auf dem Rücken, und langsam kehrte die Farbe in ihr Gesicht zurück. Hier war es kühl, die Sonne würde erst in einer Stunde auf den Sand scheinen. Die Information erreichte einen Nebenspeicher, löste dort zwanzig oder mehr verschiedene Reaktionen und einige Befehle aus. Einer der Gleiter, die sich ständig jenseits der Uferwälder aufgehalten hatten, raste in hoher Geschwindigkeit auf den angegebenen Punkt zu. Der Robotmechanismus, der die Flugschale steuerte, brauchte nicht lange zu suchen. »Schnell! Zum nächsten medizinischen Zentrum. Totale Information an alle Nebenstellen!« rief Arius. Behutsam bettete er Helga, die ihn zwar ansah, aber nicht wahrzunehmen schien, in den Sitz, schwang sich daneben und schloß mit einem Knopfdruck das Verdeck. Eine rasend schnelle Fahrt in niedriger Flughöhe begann. Eine halbe Stunde und vierhundert Kilometer später befand sich Helga wieder im vollen Schutz der Maschinen und der Mediziner. Und Arius stand, noch immer in der langen, weißen Hose, die inzwischen wieder getrocknet war, neben T' 31 Clade. »Sieh dir die Aufzeichnungen an!« sagte Arius. »Bis das Boot in die Luft ging, muß die Linse funktioniert haben.« Clade nickte. »Was willst du damit sagen?« – 83 –
»Wir haben nicht einmal die Kabine betreten. Dieser Unglücksfall ist kein Unglück, sondern Sabotage. Jemand rechnete damit, daß das Mädchen und ich getötet werden.« »Beweise?« Clade wußte, daß dies eine ungeheuerliche Anschuldigung war. Aber er kannte auch sämtliche Konsequenzen, denn die Maschinen hatten das gesamte Problem durchgespielt und nachgerechnet. »Ich habe keine«, sagte Arius. »Außer dem Umstand, daß wir heute schon bei Sonnenaufgang wach waren und kurz darauf die Kabine verließen. Hätten wir wie in den ersten Tagen noch in der Kajüte geschlafen, könntet ihr jetzt unsere Moleküle einsammeln.« »In Ordnung. Das stellt einiges klar.« Clade nickte dankend, drehte sich um und verschwand. In den nächsten Minuten führte er einen schnellen Dialog mit den Maschinen und alarmierte sämtliche Personen, die gleich ihm an dem Problem arbeiteten. Nur vier Personengruppen konnten nicht sofort erreicht werden – sie befanden sich in Gebieten, die nur mit wenigen Sensoren ausgestattet waren. Schnell folgten die Aktionen einander. Die Rechenmaschinen arbeiteten wie rasend. Vielleicht konnten sie den Tod aufhalten... * Mario de Monti war in einer Welt, die er nur aus Abbildungen und Filmen kannte. Jetzt befand er sich direkt an Ort und Stelle, und die Eindrücke ähnelten sich so wenig wie Theorie und Praxis. Dreitausend Meter Tiefe... Direkt am Abhang eines fast senkrechten Absturzes, der weiter oben durch eine Mauer aus weißen und farbigen Korallen gekrönt wurde. Der Erste Offizier trug eine dünne Kleidung, eine Taucherausrüstung lag zwischen seinen Füßen am Boden der gläsernen Kugel. Dort, wo sich die Schwerkraftwinde befand. Die Kugel hatte einen Durchmesser von zweieinhalb Metern. »Wenn ich den Film vorführe«, sagte Mario zu sich, »werden Cliff und die anderen nicht einmal mehr dumme Bemerkungen machen können.« Er schaltete wieder den Scheinwerfer ein, der sein blendendes Eicht in einem Winkel von vierzig Grad in die Dunkelheit des Wassers schleuderte. Der Scheinwerfer – es war einer von insgesamt sieben –, befand sich in einer der Halbkugeln, die ähnlich wie die Bullaugen der LANCET an der Außenwand der Kugel angebracht waren. Von innen konnte er ein- und ausgeschaltet und genau gesteuert werden. Außerdem befand sich die auf den Stoffwechsel von Mario de Monti genau eingestellte Atemluftapparatur in der Kugel und hing wie ein doppelter Boden über seinem Kopf. Die Schwerkraftwinde sorgte dafür, daß sich die Kugel nicht rührte; ob das Gerät mit der Anziehungskraft oder der Antischwerkraft arbeitete, wußte Mario nicht. Er wußte nur, wie er es zu schalten hatte und daß sich am Ende der Winde keine Stahltrosse befand. »Dreitausend Meter!« murmelte Mario. »Ein echtes Erlebnis!«
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Als inmitten der Wolke aus treibenden Sedimenten einer der fabelwesenartigen Fische auftauchte, drückte Mario wieder auf den Auslöser der Kamera. Er ließ mit dem Teleobjektiv arbeiten und schaltete die Kamera wieder aus, als sich der Fisch enttäuscht oder wütend abwandte und mit einem Schlag der Schwanzflosse aus dem Lichtkegel verschwand. Mario sah auf die Uhr. »Zeit, um wieder etwas höher zu gehen!« murmelte er. Seit einigen Stunden befand er sich, nachdem er die submarine Kolonie verlassen und sich eine Zeitlang zwischen den atemberaubend schönen Korallenhängen herumgetrieben hatte, in immer größerer Tiefe. Weiter hinunter wollte er heute nicht mehr, obwohl die Ausrüstung reichte und die Kugel auch einen Druck von mehr als fünfzehn Kilometern Wassertiefe spielend aushielt. Seine Nerven waren genug gekitzelt worden. Mario langte nach unten und stellte auf der Tastatur eine Tiefe von 2-0-0-0 ein. Dann horchte er auf das Klicken der Apparatur. Er spürte zuerst keine Bewegung, als aber dann das Gerät die Wirkung der Schwerkraft veränderte und Mario einen anderen Scheinwerfer einschaltete, sah er, daß die Sedimentstoffe, die sich auf dem Meeresboden ablagern würden, viel schneller durch den Lichtkegel abwärts zogen – also schwebte die Tauchkugel auf. »Auch kein schönes Los, wenn das Ding hier detoniert«, sagte er finster. Die Tiefe war unheimlich, die Dunkelheit würde einen anderen Menschen wahnsinnig werden lassen, und die Aussicht, daß die Technik versagen konnte, beschwor angsterregende Perspektiven hervor. Aber Mario, der sich in blendender Laune befand, genoß die völlige Unabhängigkeit von allem, sogar von den immerwährenden Linsen und Relais der Rechenmaschinen. Ein Summer. Mario sah auf die Tiefenanzeige und nickte; er befand sich in der gewünschten Tiefe. »Machen wir ein paar Aufnahmen!« murmelte er und sah auf den Kompaß, drückte dann auf eine der Düsensteuerungen. Wasser wurde von einem winzigen Motor angesaugt und verdampft und durch eine noch kleinere Düse ausgestoßen, die entgegengesetzt zur Bewegungsrichtung der Kugel ausgerichtet war. Langsam trieb die Kugel, mit vier eingeschalteten Scheinwerfern, auf die Felswand zu, die voller Höhlen war, wie man Mario in der Station berichtet hatte. Mario hatte Fabelwesen gesehen und gefilmt, deren Anblick kaum durch die wildeste Phantasie wiedergegeben werden konnte. Die Formen der Tiere und Pflanzen auf der Planetenoberfläche waren von den irdischen und denen der Kolonialplaneten schon sehr verschieden – hier unten, in der Tiefsee, waren sie geradezu erschreckend. Die Bewegung wurde aufgehalten. Aus der Masse des schwarzen, schroffen Felsens schälten sich deutlich die Umrisse eines Höhleneinganges hervor. Mario vermied es, in diese Höhle hineinzutreiben; er richtete zwei Scheinwerfer in den Schlund, legte die Hand auf den Schalter der ausgerichteten Kamera und wartete. Zehn Minuten lang... Nichts geschah.
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Mario schaltete die Scheinwerfer wieder aus und zuckte die Schultern. Als er auf der Tiefentastatur 1-0-0 einstellte, merkte er es zuerst. »Feuer?« murmelte er. Es roch nach Rauch oder schmorenden Verbindungen. Es war nur ein Hauch, als ob ein unendlich feines Drähtchen durchgebrannt wäre und seine Isolierung durchschmort hätte. Er konnte nichts tun. Besorgt beobachtete er die Tiefenanzeige, deren Ziffern sich laufend veränderten. 1500 Meter... oder die etwa einhundert Zentimetern entsprechende metrische Einteilung Pleyades. Es roch stärker... 1000 Meter. »Was soll das, zum Satan!« murmelte Mario. Er hatte kein Funkgerät mitgenommen, da es nicht zur regulären Ausrüstung der Kugel gehörte und er sich gegenüber den Aquanauten des Planeten nicht die kleinste Blöße hatte geben wollen. 870 Meter. »Langsam stinkt es hier wie in einem überhitzten Küchenherd!« stellte er mit einem Anflug von Galgenhumor fest, aber das Publikum, das seine Bemerkung gewürdigt hätte, fehlte völlig. Jetzt sah er es. Zwischen seinen Füßen, zwischen den Behältern der Aqualunge und der Maske mit den dünnen Schläuchen ringelte sich eine schmale, weiße Wolke nach oben und deutete direkt auf seine Nase. Mit einem wilden Ruck drehte Mario den Schalter der Innenbeleuchtung, hob die Ausrüstung hoch und sah voller Entsetzen das Loch im Boden des glasähnlichen Belages. »Das Ding schmort durch!« stellte er fest. Er kämpfte mühsam die beginnende Panik zurück, warf einen besorgten Blick auf den Tiefenmesser und las die Tiefe ab. 300 Meter. Mario de Monti legte die Ausrüstung an, testete sie schnell durch und fand, daß wenigstens die Ausrüstung, die er zum freien Schwimmen brauchte, hervorragend funktionierte. Damit hatte er einen Luftvorrat für drei Stunden. 200 Meter. Mario streifte die Flossen über die Füße und sah jetzt die winzige, weiße Flamme, die das Loch in dem Boden, hinter dem sich die Schwerkraftwinde befand, ständig vergrößerte. »Die Schale öffnet sich erst in dreißig Metern Tiefe!« sagte Mario laut. Wie sollte er aus diesem gläsernen Gefängnis entkommen? Er erinnerte sich an Cliffs Worte und fragte sich, ob jemand verhindern wollte, daß er, Mario de Monti, jemals wieder lebend die Oberfläche des Meeres erreichte. Die Angst griff nach ihm. Und er sah keine Möglichkeit, diese durchsichtige Kugel aufzusprengen. Als er das Knistern der Funkentladungen hörte, wußte er, daß sein Schicksal besiegelt schien. Die Tiefenanzeige stand auf sechzig Meter fest. Die Kugel bewegte sich nicht mehr, aber wenigstens war es um den Ersten Offizier ein wenig heller geworden. Die Sonne schien auf das Wasser, weit über ihm. Unerreichbar weit über ihm. – 86 –
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Hasso Sigbjörnson wurde von den Rechenmaschinen selbst gerettet. Etwa um die gleiche Zeit, als Helga mit dem Gleiter ins medizinische Zentrum gebracht wurde und Mario de Monti in einhundert Metern Tiefe festgehalten war, senkte sich ein hydraulischer Arm schnell ab. Jemand hatte die Druckleitung zerschmolzen. Ein Robot, der am entgegengesetzten Ende der Maschinenhalle stand, in der sich der Raumschiffingenieur befand, begann zu laufen. Hasso sah ihm gebannt zu; er hatte noch niemals in seinem Leben eine Maschine in diesem Tempo gesehen. Der Robot raste im Zickzack zwischen zwei Technikern und der Bewegungsapparatur eines automatischen Schweißgerätes hindurch, sprang nacheinander über drei Hürden in Form von breiten Werkbänken, entkam im letzten Augenblick dem Werkzeug einer Presse, die sich gerade senkte, als der Robot mit einem Satz zwischen dem Exzenter und dem Blech hindurchsprang und sich überschlug. Hasso schüttelte den Kopf und wollte sich eben wieder dem Modell zuwenden, das vor ihm auf einer hellen Platte stand, als der Robot wie ein Gleiter auf ihn zuraste und ihn ergriff. Die Maschine sprang vorwärts, stolperte, und der Ingenieur wurde vom Anprall umgerissen. Als er mit den Schultern den Boden berührte und sein Blick dadurch nach oben abgelenkt wurde, sah Hasso, wie sich genau an der Stelle, an der er vor einer halben Sekunde noch stand, der hammerförmige Teil der Hydraulik eine Handbreit in den Boden bohrte. Der Boden bestand aus Metall, das auf Stein verlegt worden war, und die Halle zitterte leicht. Von allen Seiten kamen Männer und Maschinen auf Sigbjörnson zu. Gleichzeitig krachten die Kommunikationsgeräte in der Halle, und eine Robotstimme rief: »Achtung, Gefahr... dies war ein absichtlich hervorgerufenes Attentat... Achtung, Gefahr... dies war keine beabsichtigte Schaltung... Achtung...« Hasso wurde behutsam aufgerichtet. Ein Techniker fragte: »Verletzt, geschockt, Hasso?« Sigbjörnson sah in die entsetzten Gesichter der Pleyad und in die ausdruckslosen Linsen der Roboter, die ihren Kollegen umstanden, aus dessen gläsernen Gelenken ätzender Rauch aufstieg. »Nein«, sagte Hasso. »Jemand scheint die Terraner nicht mehr sehr nett zu finden. Ich glaube, der Termin des Rückstarts nähert sich.« Nicht ganz eine halbe Stunde später holten ihn Cliff, Aradeyne und Clade ab. Cliff sagte: »Terraner, go home! Dies scheint die Losung einer vorläufig noch schweigenden, aber recht aktiven Minderheit zu sein. Helga wurde eben bewußtlos in ein medizinisches Zentrum eingeliefert. In unserem Frühstück war genügend Gift, um einen Hektar Obstplantage damit für ein Jahrhundert insektenfrei zu halten, und Atan fiel beinahe einem Waldbrand mit eingeschlossener Stampede wilder Tiere zum Opfer.« Hasso atmete schweigend ein und aus, dann fragte er: »Und was ist mit Mario los? Lebt er noch?« – 87 –
Der zweite Gleiter senkte sich auf den Hof des Forschungszentrums. Einige unbekannte Männer und U' 09 Kash stürzten auf Hasso zu. »Bitte, kommen Sie... bitte, komm«, bat Kash. »Ich weiß, daß du unverletzt bist, aber die Maschinen brauchen eine Bestätigung durch die Untersuchungselemente. Es dauert nicht lange.« Cliff nickte Hasso zu und sagte leise: »Ich war auch im Hospital zum guten Morphium. Es geht wirklich schnell... gehe hin und beruhige die Kybernetik!« Hasso ließ sich von Kash zum Gleiter ziehen. Der kleine Mediziner befand sich in heiler Aufregung; im Augenblick mußte er Alayn vertreten, und das überstieg fast sein Fassungsvermögen. Der Gleiter hob sich und raste davon. Aradeyne fragte fast unhörbar:
»Wie soll das enden, Cliff?«
Der Kommandant zuckte die Schultern und erwiderte:
»Ich hasse diese Antwort, aber ich muß es deutlich sagen: Ich weiß es nicht. Noch
ist nichts geschehen, noch gibt es keinen Toten. Und ich werde nicht den Fehler machen, die Reaktion eines einzelnen oder einer Gruppe zu überbewerten. Was die Männer um Chaisse tun, ist noch lange nicht die Meinung der zehn Millionen Bewohner dieser prächtigen Welt. Was sollte ich tun, deiner Meinung nach?« Sie sagte:
»Bleibe hier. Bei mir.«
»Im Augenblick habe ich keine anderen Pläne«, sagte der Kommandant. »Wie
erfahre ich, was mit Mario de Monti geschieht?« »Komm!« Das Mädchen zog Cliff in den kleinen Gleiter, mit dem sie gekommen waren und startete. Sie landeten wenige Minuten später auf dem flachen, teilweise gewachsenen Dach eines alten Hauses mitten in der Stadt. Schweigend und konzentriert ging Cliff mit Aradeyne einige Wendeltreppen abwärts, bis sie in einer kleinen, aber mit erlesenem Geschmack eingerichteten Wohnung standen. »Meine Wohnung«, sagte Aradeyne. Sie berührte einen Schalter, und ein großes Bild, das eine Phantasielandschaft zeigte, verblaßte. Statt des Bildes sahen sie einen leeren Schirm. »Hier Z' 12 Aradeyne«, sagte das Mädchen laut und befehlend. »Ich verlange Auskunft über das Schicksal des Gastes Mario, zuletzt in der TiefseeForschungsstation an der Küste.« Der Schirm erhellte sich und zeigte das Innere der Station. Ein Mädchen, das eine Art Zwillingsschwester von Aradeyne sein konnte, stand vor dem Schirm. Ohne Umschweife fragte Aradeyne: »Wo ist Mario? Du bist für ihn verantwortlich, Letna!« Die mit Letna Angesprochene erschrak. »Er befindet sich in einer Tauchkugel. Ist... hat... haben die Maschinen...?« Aradeyne sprach die folgenden Worte wie einen Befehl aus. »Er ist in Lebensgefahr, wenn nicht schon tot. Dieser Narr Chaisse scheint zugeschlagen zu haben. Sucht ihn!« Letna schaute eine Sekunde lang in äußerster Verwirrung auf Cliff, dann ging ihr Blick zurück zu Aradeyne. Sie nickte, drehte sich um und stürzte aus dem Raum. Aradeyne sagte entschuldigend: – 88 –
»Jetzt müssen wir warten, Cliff.« Der Kommandant nickte. Soeben hatte er gemerkt, daß Aradeyne mehr war, als er bisher vermutet hatte. Sie schien einen hohen Rang zu haben... Oberste Sprecherin oder etwas Ähnliches. Cliff setzte sich so, daß er das Mädchen und den Bildschirm im Blickfeld hatte, lehnte sich zurück und wartete. Pleyade schien ein Paradies mit tödlichen Fallen zu sein. * Die Kugel, wußte Mario, teilte sich in zwei Halbkugeln, sobald der Druck des Wassers abgenommen hatte. Die Teilung verlief ähnlich wie der Äquator in der Mitte zwischen Frischluftanlage und Schwerkraftwinde. Um die beiden Hälften auseinanderstemmen zu können, mußte die Kugel weiter nach oben treiben. Das war unmöglich, solange die Maschinerie unter seinen Füßen versagte Sabotage oder nicht, das war im Augenblick gleichgültig – er mußte hier hinaus. Zuerst schaltete er die Luftanlage auf höchsten Durchsatz; der Rauch zwischen seinen Füßen wurde dichter und stechender. Dann schob er die Maske über Mund und Augen und öffnete das Ventil. Er atmete jetzt seinen eigenen Luftvorrat. Er hob die Füße und betrachtete das geschmolzene Loch. Seine Hand fuhr zum breiten Gürtel und zog das schwere Messer mit den Luftkammern im Griff aus der Scheide hervor. Das müßte gehen, dachte er schweigend. Er fuhr mit der Spitze des Messers zwischen die Abdeckplatte, drückte die Hand hinunter und hob die Platte an. Seine Finger krallten sich um die Kante, kippten die Deckplatte und stemmten sie hoch. Eine dicke Rauchwolke schlug Mario entgegen, zugleich mit Flammen und einigen langen Funken. Wirbelnd verschwand der Rauch in den Filtern. Als der Chefkybernetiker des Schiffes wieder klar sehen konnte, verfolgte er die Leitungen und sah, daß in der Schaltung, die nur wenige bewegliche Teile hatte, ein Chaos herrschte. »Nachdenken, Mario!« murmelte er. Er verfolgte eine Leitung, die von der Wählapparatur aus nach unten führte. Dann lokalisierte er die fünf Schaltelemente, die von eins bis null angelegt waren. Klar, er konnte auf der Tastatur sogar 14.321 Meter Tiefe einstellen. »Null«, murmelte er, »das ist die letzte Schaltung. Wenn ich hier überbrücke...« Es würde sich in Kürze herausstellen. Der Brand fraß noch immer an den Leitungen der Schalter. Vermutlich hatte der letzte Befehl, nämlich eine Aufwärtsbewegung durchzuführen, die Sabotageschaltung ausgelöst, und die schmorenden Drähte wurden kurzgeschlossen und hielten die Kugel einfach irgendwo zwischen der größten Tiefe und der Oberfläche fest. Mit einigen Schnitten fetzte Mario die Leitungen ganz heraus, riß sie mit bloßen Fingern auseinander und drückte dann den Kontakt der letzten Ziffer. Er gab nicht mehr nach. 60 Meter zeigte der Tiefenmesser.
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Mario drückte die gleiche Schaltung bei der nächsthöheren Zahl, eine Potenz höher als der Wert der 0 von der Tiefenangabe. Ein Ruck ging durch die Kugel. Sie war plötzlich ohne jede Fessel und raste hoch wie ein luftgefüllter Ball, was sie eigentlich auch war. In der letzten Sekunde erst entdeckte Mario die kleine Druckflasche, die an zwei Drähte angeschlossen war. »Explodiert sie oder nicht?« fragte er sich, drehte die Ventile auf und wartete, das Messer in der Hand. Es wurde heller und heller. Als er nach oben sah, konnte er bereits die sichelförmigen Lichtreflexe auf den kleinen Wellen entdecken. Die Tieftauchkugel raste entlang einer Korallenbank, schlug krachend gegen einen bizarr aussehenden Zweig, und als Mario sich in den Sitz stellte und beide Arme nach oben ausstreckte und drückte, sah er, wie durch den Spalt Wasser von allen Seiten eindrang. Sobald er konnte, verschob er beide Kugelhälften gegeneinander und sah, wie zu seinen Füßen der Brand und die elektrischen Entladungen erstickt wurden. Dann wurde die andere Hälfte weggerissen, er war frei und schlug rasend schnell mit den Flossen. In zehn Metern Tiefe trieb er schräg nach oben und von den Resten der Tauchkugel weg. Etwas trieb ihn an. Er spannte seine Muskeln und pflügte durch das Wasser wie ein schneller Fisch. Er war jetzt schon zehn... fünfzehn... zwanzig Meter von der Kugel entfernt, als e r hinter sich die kochende Dampfsäule aufsteigen sah. Fast gleichzeitig traf ihn ein harter Schlag ins Zwerchfell und raubte ihm fast das Bewußtsein. Aber er schwamm weiter. Als er den Gleiter sah, der so schnell und so niedrig flog, daß seine Unterseite fast das Wasser berührte und hinter dem Fahrzeug eine Säule aus Wasserdampf in der Luft stand, hob Mario die Hand aus dem Wasser, winkte... Im Gleiter stand Letna. Beim ersten Anflug raste der Gleiter, mit aller Kraft abgebremst, auf die teilweise zerstörten Halbschalen der Kugel zu. Die Maschine flog einen engen Kreis, und Letna wurde fast von der Steuerung geschleudert. Mario trat Wasser und befand sich jetzt halb außerhalb des Wassers. Er riß die Maske vom Gesicht und brüllte aus Leibeskräften: »Liebling! Warum hast du es so eilig?« Beim ersten Wort zuckte Letna zusammen, drehte sich herum und sah ihn. Etwas weniger schnell bewegte sich der Gleiter auf den Schwimmer zu, und Mario stemmte sich über den Rand. Er merkte, daß er noch immer das Messer in der Hand hielt und steckte es zurück, nachdem Letna die Ventile der Aqualunge geschlossen hatte. Mario grinste breit und fragte: »Was soll diese Eile, Mädchen? Ist das Essen fertig oder so?« Sie sah ihn erschüttert an und stammelte: »Auf alle von euch sind Anschläge verübt worden. Du warst der letzte, der umgebracht werden sollte. Niemandem ist etwas geschehen.«
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Sie wendete den Gleiter, beschleunigte voll, und der rasende Flug dicht über den Wellen, den ersten Häusern des Festlandes zu, diente der Information. Schließlich, als auch Mario berichtete, was geschehen war, schloß Letna die Augen und murmelte erschöpft: »Du warst dem Tod näher, als du denkst.« Mario streichelte sie und antwortete: »Ich weiß es sehr genau. Aber es war nicht das erstemal, deswegen bin ich so ruhig.« Er folgte ihrem Blick und sah, daß seine Schwimmflossen, die auf seinen Oberschenkeln lagen, sich bewegten, als schwämmen sie von selbst. Die Bewegung kam vom Zittern seiner Knie. * Es war eigentlich ein Zufall, daß sich alle Beteiligten in der kleinen Wohnung von Aradeyne trafen. Von hier hatte man allerdings auch einen hervorragenden Blick auf die ORION VIII, die in der Mitte des Platzes schwebte und die Sonnenstrahlen reflektierte. Zusätzlich zu den Vertretern der Bevölkerung war der große Kontaktschirm eingeschaltet. Rund ein Tag nach den Anschlägen, einen halben Tag, nachdem die Crew aus den Krankenstationen entlassen worden war. Die Robotstimme, die sozusagen die akustische Manifestation aller Rechenanlagen des Planeten darstellte, sagte gerade: »... sind nur fünfzehn Individuen, die zu dieser ultimaten Möglichkeit griffen. Unsere Gäste wissen, daß kybernetische Apparaturen, und das sind wir schließlich, nur die Wahrheit sprechen, weil sie die Auswertungen von Informationen trafen und akustisch wahrnehmbar machen.« Atan schrie aufgeregt: »Hör' schon mit deinen Entschuldigungen auf, Rechenzentrum! Wir wollen Ergebnisse, keine Phrasen!« Ungerührt fuhr die Stimme fort: »Nur fünfzehn Individuen waren an den Anschlägen beteiligt. Es war nicht schwierig, die Männer um Chaisse festzustellen. Durch diese Aktionen hat sich die Bevölkerung von Pleyade um fünfzehn Individuen verringert.« Plötzlich war es totenstill. Atan Shubashi schien bei dieser sachlich getroffenen Feststellung Schmerzen zu haben, denn er griff nach dem Verband, der seinen Schädel bedeckte. Bei dem Waldbrand hatte ein herunterkrachender Ast Atans gesamtes Haar verbrannt, dazu auch das Toupet. Die Mediziner hatten Atans Kopfschwarte an einen Regenerator angeschlossen, der die Haut ersetzen sollte, gleichzeitig aber auch eine Million oder mehr Haarwurzeln entwickeln würde. Das Ergebnis des Waldbrandes waren erstens ein Verband. Darunter juckte es entsetzlich. Und zweitens in einigen Wochen ein Haarschopf, um den selbst ein terranischer Löwe den Astrogator beneiden würde, wenn er eines solchen Gefühls fähig gewesen wäre. »Es ist sinnlos«, sagte die Kybernetik weiter, »hier Entschuldigungen oder Erklärungen abzugeben. Wir, das sind die Repräsentanten des Volkes, der Rasse dieses Planeten, bitten nur um Verständnis.« – 91 –
»Schon gut!« sagte Mario. »Schließlich hat niemand dauernden Schaden davongetragen. Wenn sich Wamsler jedesmal in einem solchen Umfang entschuldigen würde, wären wir auch erschrocken.« Die Robotstimme fuhr fort: »Wir haben versucht, einen fairen Tausch anzustreben. Dafür, daß wir Cliff die Möglichkeit gaben, die Siedler zu retten, haben wir die Zusicherung erhalten, daß von jedem Gast eine Anzahl Gene entnommen werden können. Das ist geschehen. Eine ausgezeichnete Gelegenheit bot sich, als die Mannschaft nach den Attentaten in die medizinischen Stationen eingeliefert wurde. Dort, in einer leichten Narkose, haben wir die Rettung unserer Rasse vor der Dekadenz durchgeführt. Der Tausch ist perfekt.« Cliff nickte anerkennend; das war schnell, behutsam und ohne Aufregung vor sich gegangen. Niemand hatte es gemerkt. »Eine letzte Mitteilung«, sagte die Kybernetik. »Eine große Anzahl unserer fähigsten Köpfe arbeitet daran, das Raumschiff mit der Besatzung an einem möglichst fernen Zeitpunkt ohne die Nebenwirkungen, die Cliff leider kennengelernt hat, nach Countess Marays zurückzuschicken. Wir schlagen jedoch vor, daß das Geheimnis der Schnittlinie nur auf die Mannschaft des Raumschiffes beschränkt bleibt. Die Situation ist entspannt und wieder stabil.
Die Gäste des Planeten sind außerhalb aller Gefahren.
Sie sollten sich wohlfühlen und die Tage genießen. Die gesamte Rasse des
Planeten ist von den Ereignissen unterrichtet worden und ist tief betroffen. Sie wird alles tun, unterstützt von uns, was den Aufenthalt der Gäste verschönern kann. Ende.« Atan nickte.
»Ende gut, alles gut«, sagte er. »Nur ich muß mit diesem Turban herumlaufen.«
Er sah zu, wie der Schirm erlosch und wie die Landschaft wieder erschien. Die
Lautsprecher knackten nicht, als sich die Kybernetik aus der Unterhaltung ausschaltete. Die Planetarier und die Menschen waren wieder allein und unter sich. Hasso sprach als erster wieder. »T' 31 Clade«, sagte er. »Ich habe mich sicher nicht verhört. Die Maschinen sagten wörtlich, daß die Bevölkerungsdichte an einigen Plätzen gesunken sei. Darf ich das so verstehen, daß die fünfzehn Männer nicht mehr leben?« Clade betrachtete einige Zeit den Alkoholspiegel in seinem Glas, dann hob er den Kopf und sah dem Raumschiffingenieur in die Augen. »Sie leben«, sagte er. Cliff fragte: »Wie leben sie?« Clades Antwort war von geradezu elementarer Endgültigkeit. »Das ist jedem Pleyad gleichgültig.« »Wo leben sie?« fragte Helga, die gleichzeitig an Kerker, Foltern und Tiefschlafkammern dachte. T' 31 Clade gab zur Antwort: »Auf einer Parallelwelt.«
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Mario sprang auf, aber Letna zog ihn wieder zu sich herunter. Verwundert fragte de Monti: »Sie leben doch nicht etwa am Pol von Countess Marays, Clade? Das könnt ihr den fleißigen Übertage-Bergleuten dieser Welt nicht antun!« Wieder zögerte der »Vermittler«, ehe er erwiderte: »So schwer oder leicht, wie es möglich ist, von Countess hierher zu kommen, ist es auch bei uns. Die Stelle, an der die fünfzehn Männer ausgesetzt wurden, ist nur den Maschinen bekannt, und diese Information ist für jeden Pleyad gesperrt. Wir wissen nur, daß sie plötzlich auf einem anderen Planeten auftauchen, dessen Lebensbedingungen etwa denen Pleyades entsprechen.« Hasso murmelte: »Somit wäre auch dieses Problem geklärt, ohne Blutvergießen, ohne Rachemaßnahmen und auf relativ humane Weise, wie mir im Augenblick dünkt. Was ich noch fragen wollte: Warum hat nicht einer der Fünfzehn seinen Mordversuch persönlich ausgeführt oder es wenigstens versucht?« Die Funkerin und Arius sahen sich an und lächelten sich zu, dann erwiderte Helga Legrelle: »Weil auch hier, wie auf den Dara-Planeten, niemand in der Lage ist, zu töten. Sie können es aber in Gedanken. Sie konstruierten kleine Maschinen, die für sie arbeiten sollten.« Eine Explosionsladung im Hausboot. Eine Schmelzladung an der Hydraulik-Leitung. Eine Schaltung in der Schwerkraftwinde, die durch den Tiefenmesser ausgelöst wurde. Gift in Cliffs und – in Aradeynes – Essen. Und einige Zünder, die, im Kreis verteilt, eine Lichtung in Flammen setzten und für den Verlust von Atans Haupthaar verantwortlich waren. »So war es«, stellte Aradeyne fest. »Ich glaube, es ist am besten, wenn wir alle die Geschichte einfach zurückdrehen und genau an dem Punkt wieder neu anfangen, an dem wir unterbrochen worden sind. Oder höre ich Gegenstimmen?« Mario sagte: »Keine Gegenstimmen. Ich nehme an. Keine Angst vor dem Abenteuer der Tiefsee. Und wenn ich einmal Wamsler oder Villa erschrecken möchte, werde ich ihm die Filme vorführen, die ich in den nächsten Wochen machen werde.« »Je schneller, desto besser«, sagte Letna und stieß mit Clade an. »Wir haben unseren Gleiter auf dem Dach.« Mario verabschiedete sich flüchtig von den anderen und verließ den Raum. Auf dem Dach warf er noch einen langen schweigenden Blick auf die bewegungslose ORION, die mit ausgefahrenem Zentrallift über dem Platz schwebte; etwas wie Heimweh nagte an ihm. »Später«, sagte er. M' 88 Oinikam deutete auf Helga und Arius. Er sagte, und Cliff spürte sehr genau, daß auch aus ihm eine Mischung aus Entsetzen und Bedauern, aus Entschuldigungsbereitschaft und Bestürzung sprach: »Das Hausboot ist im seichten Wasser nahe der Halbinsel festgemacht und wartet auf euch. Ich werde euch irgendwann besuchen und hoffe, Helga brät einen großen Fisch für mich.« – 93 –
Helga versprach:
»Delikat gewürzt, nach Art der ORION-Crew.«
Nachdem die Funkerin und ihr Begleiter den Raum verlassen hatte,
verabschiedeten sich Kash und Alayn. Es wurde stiller und leerer. Hasso unterhielt sich eine Weile lang mit Clade und ging auch. Clade, Cliff und Aradeyne blieben zurück. »So!« sagte Cliff laut und dehnte seinen Brustkorb. »Wir sind allein. Unser Handel ist perfekt, die Gefahren sind ausgeschaltet, alles ist glücklich. Ein HappyEnd also. Wir sind rund zwölf Tage auf diesem Planeten. Wann willst du, Clade, daß wir ihn wieder verlassen?« Clades Gesicht wurde starr.
»Wie kannst du denken, daß ich das wünsche?« fragte er leise.
Schonungslos erwiderte Cliff:
»Weil wir in diesen wenigen Tagen eine Menge Verwirrung über den Planeten
gebracht haben. Attentate, Urteile, Rettungsaktionen und Deportationen – soviel wie in Jahrhunderten vorher nicht, wenn ich euren Erzählungen glauben darf. Eine Welle von Gefühlen und Stimmungen geht um den Planeten. Wir sind Gäste, Fremde... wir stören in diesem Prozeß der Selbstbesinnung.« Clade entschloß sich, die Wahrheit zu sagen. »Ihr seid willkommen«, sagte er, »und wenn es ein Jahrhundert lang dauert. Wir verehren euch wie Halbgötter, aber ihr merkt es nicht. Alles das, was ihr tut, also wenn ihr handelt oder plant, alles das wird gespeichert und dient uns und den Söhnen und Töchtern, die in wenigen Jahren auch eure Erbanlagen unter diese Rasse mischen werden, als Anschauungsmaterial erster Güte. Aus diesem Grund irrst du, Cliff, wenn du uns verdächtigst, wir würden an den Abschied denken.« Cliff sah in die Augen des hochgewachsenen Mannes und wußte, daß er es ehrlich meinte. In der vergangenen Stunde hatte der Kommandant – und von Hasso wußte er es ebenso! – seine gesamten Bishayr-Fähigkeiten eingesetzt und die Charaktere der Pleyad ausgelotet. Sie meinten es alle ehrlich. »Ich glaube es dir«, sagte er. »Ich wollte es nur einmal wieder hören. Und jetzt die allerletzte unbequeme Frage. Welchen Rang bekleidet Aradeyne wirklich?« Schweigen. »Ein beredtes Schweigen«, stellte Cliff fest. »Gesprächig wie Felsen.« Er blickte aufmunternd vom Mädchen zum Vermittler. Endlich, nach einigen Minuten, sagte das Mädchen tonlos: »Nicht jetzt und nicht hier. Ich werde es dir sagen, wenn die Zeit richtig ist. Alles muß stimmen, dann erfährst du die Wahrheit.« Clade beeilte sich zu erwidern: »Diese Wahrheit ist nicht im mindesten so, daß sie für dich etwas Negatives bedeuten würde, mein Freund.« Cliff zuckte die Schultern. »Gut. Ich warte«, sagte er. Clade verabschiedete sich und ging. *
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Es war Nacht. Die Stadt schlief. Im klaren, wolkenlosen Nachthimmel standen die unbekannten Sterne und spiegelten sich auf den glatten Flächen des großen Raumschiffes. Unter den Bäumen warfen die Leuchtkörper der indirekten Lichtanlagen ihre Strahlen ins Gras und färbten es, warfen es auf die weißen Straßen, über die leise brummend die Reinigungsrobots fuhren. Es roch nach feuchten Pflanzen, nach der Wärme, die von den Steinen der Hausfassaden abgestrahlt wurde, und nach dem Reinigungsmittel, das auf dem Straßenbelag verdunstete. Ein Schatten glitt über die weißen Flächen. Jemand ging langsam, als zögere er, näherzukommen, auf das Raumschiff zu. Als der Mann im halbdunklen Raum unter der geschwungenen Unterschale stand, hob er den Kopf und sah hinauf. Dann ging er weiter und stieß in die offene Zentralschleuse, in der ein kleiner, schwebender Robot die Wände polierte und die Schaltungen putzte. »Rührend!« sagte Cliff McLane und drückte einen der leuchtenden Knöpfe. Das Schleuseninnere wurde hell, und ein breiter Streifen der gelben Helligkeit fiel hinaus auf die Straße, als sich der Lift summend einzog wie ein stählerner Rüssel. Der Lift hielt, Cliff schaltete wieder, und als er in den Ringkorridor des Schiffes hinaustrat, sank der Lift mitsamt dem Robot wieder abwärts. »Wieder zu Hause«, knurrte der Kommandant. Seine Finger glitten wie achtlos über die Vorsprünge, die Fächerfronten und die Schalter des Korridors, als er langsam auf die Plattform des kleinen Liftes zuging, der ihn geräuschlos in die Steuerkanzel hinaufbrachte. Prüfend zog Cliff die Luft ein. Er schnüffelte. »Ein neuer Geruch?« fragte er sich leise. Er ging auf seinen Platz zu und entdeckte, daß dies nicht ein neuer Geruch war, sondern einfach der Geruch, den eine tadellos gereinigte und überall polierte Kanzel verströmte. Man hatte die Schiffsanlage mit einer geöffneten Luke verbunden und die Luft nach draußen abgeleitet. Geradezu sterile Sauberkeit herrschte hier; schließlich hatten die Maschinen sieben Monate lang die uneingeschränkte Möglichkeit gehabt, hier zu putzen. Cliff setzte sich, schob den Kommandantensessel in die richtige Sitzposition und bemerkte, daß man die ORION mit einem neuartigen, farbenfrohen und sicher kostbaren Teppich ausgelegt hatte. Anerkennend verzog er die Lippen und schaltete die zentrale Sichtscheibe ein. Auf dem Bildschirm erschien der Platz, erschienen, als sich die Linsen suchend bewegten, die Häuser, deren Fenster meist dunkel und leer waren. Cliffs Brauen schoben sich zusammen, als er die Gestalt sah, die aus dem Schatten der gegenüberliegenden Straßenseite hervorkam. Diese Gestalt bewegte sich ebenfalls auf das Schiff zu. »Das grenzt schon fast an Hypnose!« staunte Cliff. Als er Umrisse und Gesichtsausdruck des Mannes, der auf die ORION zukam, deutlich erkennen konnte, summte das Funkgerät auf. Cliff sprang auf die Füße, ging schnell hinüber zu Helga Legrelles Funkpult und schaltete einen Kontakt. Leise sagte er: »McLane. Im Schiff – wer ruft?« Marios Stimme kam etwas verwaschen durch. – 95 –
»Ich befinde mich gerade auf dem Anflug, und da entdecke ich doch, rein zufällig natürlich, inmitten meiner Ausrüstung das gute alte Armbandfunkgerät. Und nur so aus Spielerei schaltete ich es ein.« Cliff erwiderte mit einem breiten Grinsen: »Rein zufällig und auch nur aus Spielerei bin ich hier. Hasso steigt eben unten in den Zentrallift ein. Ich wußte nicht, daß ihr euch so nach dem Schiff sehnt.« Mario sagte lachend: »Kaum etwas ist schwerer zu ertragen...« Cliff drehte den Lautstärkeregler zwei Striche nach links, so daß Hasso, der eben die Kanzel betrat, mithören und antworten konnte: »... als eine Riesenmenge von wolkenlosen Tagen. Von den Abenden nicht zu reden, und von den Nächten vollends zu schweigen. Eigentlich müßten wir jetzt auf Helga und Atan warten.« Drei Männer hatten, unabhängig voneinander, ein gemeinsames Ziel gehabt: Die ORION VIII. Cliff sagte: »Ich wette einen Monatslohn daß in den nächsten Stunden auch noch Helga und Atan kommen.« Hasso nickte und gähnte. Er erwiderte: »Ich werde jetzt meine Kabine betreten und feststellen, daß dort wie hier eine perfide Sauberkeit herrscht. Trotzdem schlafe ich gut.« Cliff schaltete das große Funkgerät auf den kleinen Gerätesatz in seiner Kabine um, legte dem Bordingenieur den Arm um die Schultern und murmelte: »Genau das werde ich auch tun, Hasso. Ich bin davon überzeugt, daß morgen zum Bordfrühstück alles hier ist und mich bestürmt, zu starten.« Hasso sagte verächtlich: »Ich wette nicht mit Menschen, von denen ich weiß, daß sie recht behalten werden.« Cliff stellte in seiner Kabine zuerst die gewohnte Unordnung wieder her, dann zog er sich aus, holte sich aus der frisch aufgefüllten Kombüse ein großes Glas voller Eis, das in starkprozentigem Alkohol schwamm und fühlte, wie seine Unruhe zu schwinden begann. Mit jedem Schluck schwand sie mehr. Als das Eis geschmolzen war, ertönte der Türsummer. Mario, Helga oder Atan? »Herein, wenn die Schuhe gesäubert sind!« rief Cliff. Aradeyne kam herein, schloß die Tür und ging langsam in den Raum hinein. Sie setzte sich neben Cliff auf den Rand der eingebauten Liege und schüttelte langsam und vorwurfsvoll den Kopf. »Unerwartet?« fragte Cliff und stellte das Glas ab. Es war leer. »Nicht so zeitig«, sagte sie. »Ich bin dir nicht nachgegangen, aber als ich dich suchte und nicht fand, wußte ich geradezu, wo du sein mußtest.« Cliff sagte: »Und da war ich dann auch, Aradeyne!« Sie nickte. »Du bist ein reizendes Mädchen«, sagte Cliff, »obwohl du so klug und erfahren bist, daß du einfach kein Mädchen mehr sein kannst. Ich bin, was ich noch niemals erlebt habe, ungeheuer stark beeindruckt. Noch nie war ich mit einem weiblichen
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Wesen so lange und so intensiv zusammen wie mit dir. Trotzdem weiß ich noch immer nicht, wer du wirklich bist.« Aradeyne sagte fast unhörbar: »Ich bin die Spitze der Pyramide. Aber die Qualifikationen, die zu dieser Stellung führten, bestimmten die Maschinen.« Cliff verstand. Sie war in einem schnellen, aber umfassenden Rechenprozeß ausgesucht worden, als er aufgetaucht war und die Kybernetik die einmalige Chance für die Rasse sahen. Sie war das Optimum, das die Maschinen unter zehn Millionen Pleyad finden konnten. Und dieses Optimum war nur dazu ausgesucht und auserwählt worden – oder mußte es ausgewählt heißen? –, um ihn während des Aufenthaltes hier zu begleiten und ihm alles zu zeigen, was es gab? Cliff sagte:
»Wenn es ein Sohn wird, wirst du ihn sicher A' 01 Cliff nennen?«
Lächelnd widersprach sie.
»Nein. Z' 01 Allistair. Vermutlich wird es eine Tochter.«
Cliff stand auf und ging wortlos aus dem Raum. Als er zurückkam, hielt er eine
der letzten eisgekühlten Sektflaschen aus dem Geheimvorrat in der Hand und zwei terranische Gläser. »Das ist das Ende einer schönen Romanze«, sagte er. »Und der Anfang von etwas Neuem«, erwiderte Aradeyne, dann duckte sie sich, weil der Korken wie ein Querschläger durch die Kabine fauchte und krachend in den Bildschirm einschlug.
ENDE
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