Melanie B. Roski Spin-off-Unternehmen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft
Dortmunder Beiträge zur Sozialforschung Di...
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Melanie B. Roski Spin-off-Unternehmen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft
Dortmunder Beiträge zur Sozialforschung Die Herausgeber/innen: Ellen Hilf Prof. Dr. Jürgen Howaldt Prof. Dr. Gerhard Naegele Prof. Dr. Monika Reichert
Vor dem Hintergrund sich verschärfender sozialer Risiken und demografischer Herausforderungen sowie einer beschleunigten Veränderungsdynamik in Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur wächst ganz offensichtlich das Bewusstsein eines nur eingeschränkten Problemlösungspotenzials etablierter Steuerungs- und Problemlösungsroutinen. Je weiter Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur, die natürliche Umwelt, die Arbeits- und Lebenswelt von technischen Innovationen durchdrungen und in hohem Tempo umgestaltet werden, umso mehr gewinnen soziale Innovationen an Bedeutung und öffentlicher Aufmerksamkeit. Mit dem verstärkten Fokus auf soziale Innovationen tritt aber die mit den Sozialwissenschaften verbundene Reflexions- und Gestaltungskompetenz stärker in den Vordergrund. Zu einer der aktuell wie künftig zentralen gesellschaftlichen Gestaltungsaufgaben gehört der demografische Wandel. Seine Auswirkungen sind vielschichtig. Neben der Bevölkerungsstruktur betreffen die Veränderungen den Arbeitsmarkt, die kommunale Infrastruktur, die Gesundheitsversorgung und das soziale Zusammenleben in der Gesellschaft. Die Dortmunder Beiträge zur Sozialforschung versammeln wissenschaftliche Publikationen, die sich mit den damit verbundenen Fragen auseinandersetzen. Die Herausgeber/innen repräsentieren mit der Sozialforschungsstelle Dortmund und der Dortmunder sozialen Gerontologie an der Technischen Universität Dortmund zwei traditionsreiche Einrichtungen und Standorte sozialwissenschaftlicher Forschung in Deutschland. Sie bilden zugleich einen wichtigen Bestandteil der an der TU Dortmund vertretenen Sozialwissenschaften.
Melanie B. Roski
Spin-off-Unternehmen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft Unternehmensgründungen in wissens- und technologieintensiven Branchen
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Zugl. Dissertation Technische Universität Dortmund, 2010
1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Dorothee Koch VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-18195-0
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis ................................................................................... 9 Tabellenverzeichnis ..................................................................................... 10 Abkürzungsverzeichnis................................................................................. 11 Vorwort....................................................................................................... 13
1.
Einführung ........................................................................................... 15
2.
Die Generierung neuen Wissens als Tätigkeit – Wissenschaft im Wandel................................................................................................ 29 2.1 Wissenschaft als Berufung oder Handwerk ....................................... 30 2.1.1 Das Wissenschaftssystem in Distanz zur Gesellschaft?............. 30 2.1.1.1 2.1.1.2
2.1.2
Wissenschaft als Berufung oder Konstruktionsarbeit? .................. 33 Wissenschaft als professionelle ‚Dienstleistung'?.......................... 40
Forschung – ein Handwerk mit Ethos........................................ 45
2.1.2.1 2.1.2.2 2.1.2.3
Forschungshandeln ........................................................................ 46 Wissenschaftliche Methoden und die Organisation von Forschung....................................................................................... 49 Die Organisation von Forschung in der Industrie........................... 52
2.2
Die Ablösung der „traditionellen akademischen Wissenschaft“ – die Wissenschaft verliert ihre Grenzen.............................................. 58 2.2.1 Forschung als System und in ihren unterschiedlichen Ausprägungen............................................................................ 58 2.2.1.1 2.2.1.2
2.2.2 2.3
Die Abgrenzung verschiedener Arten von Forschung .................... 63 Eine neue Arbeitsteilung oder die Vereinnahmung der Wissenschaft? ................................................................................ 65
Die Debatte um neue Formen der Wissensproduktion: Mode 2 und mehr...................................................................... 71 Schlussfolgerungen zur theoretischen Rahmung der Untersuchung 84
6
Inhaltsverzeichnis
3.
Wissensgesellschaft und Wissensarbeit ................................................ 87 3.1 3.2
Der Weg zur Wissensgesellschaft ...................................................... 88 Die Ursprünge des Begriffs der Wissensarbeit und der Versuch einer Definition .................................................................................. 93 3.2.1 Wissensarbeit als die gesellschaftlich dominierende Form von Arbeit .................................................................................. 97 3.2.2 Definition und Rahmenbedingungen für Wissensarbeit in organisationalen Kontexten .................................................... 102 3.3 Schlussfolgerungen zur theoretischen Rahmung der Untersuchung .................................................................................. 109 4.
Spin-offs im Fokus .............................................................................. 113 4.1 Die Definition und Bedeutung von Spin-offs ................................... 113 4.2 Zahlen und Fakten zu Spin-offs........................................................ 120 4.2.1 Deutschland – Zahlen und Erfolgsfaktoren ............................. 120 4.2.2 Europa/USA – Nationale Pfade und Besonderheiten.............. 126 4.2.3 Spin-off-Gründungen durch Frauen – Zahlen und Potentiale ................................................................................ 129 4.3 Ausgründungen im Blick der Forschung .......................................... 139 4.3.1 Die „Wissenschaftsgebundenheit“ von Spin-offs.................... 140 4.3.2 F&E-Strategien und Ausprägungen von Spin-offs ................... 145 4.3.3 Spin-offs und ihre „Scientists“ - Identitätsfragen.................... 151 4.3.4 Spin-offs als projektbasierte Unternehmen – Arbeitsorganisation in Spin-offs .............................................. 155 4.4 Schlussfolgerungen zur theoretischen Rahmung der Untersuchung .................................................................................. 162
5.
Forschung und Forscherinnen in Spin-Offs – Die Ergebnisse der Fallstudien ......................................................................................... 165 5.1 Vorgehensweise und Methodik ....................................................... 165 5.1.1 Die Grounded Theory und ihre Modifizierung im Rahmen dieser Untersuchung ............................................................... 167 5.1.1.1 5.1.1.2
5.1.2 5.1.2.1
Die Grounded Theory................................................................... 167 Die Modifizierung der Grounded Theory im Hinblick auf die Besonderheiten der vorliegenden Untersuchung ........................ 170
Besonderheiten und Verlauf der empirischen Erhebungsphase ...................................................................... 173 Vorüberlegungen ......................................................................... 173
Inhaltsverzeichnis 5.1.2.2 5.1.2.3
7 Allgemeines zur Durchführung der Interviews und Darstellung der Ergebnisse.............................................................................. 175 Ergänzendes Material und der Diskussionsrahmen der Untersuchung............................................................................... 181
5.2 Kurzbeschreibung der untersuchten Unternehmen........................ 184 5.2.1 Unternehmen A - Chemische Industrie ................................... 184 5.2.2 Unternehmen B - Biotechnologie............................................ 187 5.2.3 Unternehmen C – Informations- und Biotechnologie ............. 188 5.2.4 Unternehmen D – Dienstleister Biotechnologie...................... 190 5.3 Forschung in Spin-offs: zwischen Rationalisierung und Wissensarbeit oder „Forschung im Kundentakt“ .................................................... 192 5.3.1 Vergleichsanalyse der untersuchten Unternehmen................ 192 5.3.2 Der Blick ins Detail – ExpertInnen, GründerInnen und MitarbeiterInnen kommen zu Wort ........................................ 198 5.3.2.1 5.3.2.2 5.3.2.3 5.3.2.4
6.
Forschung durch einen zweiten Filter .......................................... 198 Schnittmenge zur akademischen Wissenschaft ........................... 220 Organisationsstrukturen in Spin-offs ........................................... 229 ForscherInnen in Spin-offs ticken anders? – Arbeiten in einem Spin-off......................................................................................... 248
Zusammenfassende Betrachtung........................................................ 273 6.1 Die Entstehung einer Spin-off-Forschungskultur............................. 273 6.1.1 Selektive Teilhabe an der Scientific Community: Forschung durch einen zweiten Filter....................................................... 276 6.1.2 Modifikationen und Gestaltung des Forschungsprozesses in den Unternehmen: Organisationsstrukturen und Personal.... 278 6.1.2.1 6.1.2.2
Unternehmensstrategien intern – Organisationsstrukturen und Personalpolitik ...................................................................... 279 ForscherInnen in Spin-off-Unternehmen ..................................... 282
6.1.3 Die Hoffnung auf Entdeckung – Strategien des Erfolgs........... 285 6.2 Fazit und Reflexion........................................................................... 289 Literaturverzeichnis ................................................................................... 301
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5: Abb. 6: Abb. 7: Abb. 8: Abb. 9: Abb. 10: Abb. 11: Abb. 12: Abb. 13: Abb. 14: Abb. 15: Abb. 16:
Theoretischer Rahmen der Untersuchung.......................................... 21 Fachliche Herkunft von Spin-off Gründern 1996-2000 in Deutschland (Anteile in %)................................................................ 24 Anwendungsorientierte Forschung und Grundlagenforschung.......... 62 Theoretischer Rahmen der Untersuchung – Wissenschaftstheorie und wissenschaftliche Arbeit .......................... 85 Theoretischer Rahmen der Untersuchung – Wissensarbeit.............. 110 Höchster formaler Abschluss der Gründer von Biotechnologieund Hochtechnologieunternehmen in Deutschland.......................... 121 Anteil an Forscherinnen in wissenschaftlichen Einrichtungen (in %) ............................................................................................... 130 Idealtypen nach Hobday .................................................................. 162 Theoretischer Rahmen der Untersuchung – Spin-offs ..................... 164 Unternehmensdarstellung ................................................................ 179 Organigramm Unternehmen A ........................................................ 186 Bewertung der Forschungsergebnisse und -methoden durch die verschiedenen Interessenhalter ........................................................ 277 Skizzierung des Anforderungsumfelds von Spin-offForscherInnen .................................................................................. 283 Vergleichsdimensionen zur Kontrastierung der Spin-offUnternehmen.................................................................................... 289 Theoretischer Rahmen zur Erfassung der Forschungskultur in Spin-offs .......................................................................................... 290 Theoretisches Modell zu den relevanten Dimensionen bei der Gründung eines Unternehmens........................................................ 297
10
Tabellenverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Tab. 1: Tab. 2:
Merkmale der unterschiedlichen wissenschaftlichen Felder.............. 54 Finanzierungsanteil der Wirtschaft (in %) an FuE in öffentlichen Einrichtungen der OECD-Länder 1991 bis 2004........... 68 Tab. 3: Kriterien für ein „Gute Wissensarbeit Benchmarking“.................... 108 Tab. 4: Definition von Spin-offs durch die 4 Säulen.................................... 117 Tab. 5: Unternehmensgründungen1 in Deutschland in forschungs- und wissensintensiven Wirtschaftszweigen²........................................... 125 Tab. 6: F&E-Personal nach Geschlecht, Sektoren und Personalgruppen..... 131 Tab. 7: Typologie der Erklärungsmuster für die Asymmetrien zwischen Frauen und Männern in Wissenschaftsorganisationen ..... 139 Tab. 8: Ausgründungen und ihre Beziehungen zur „Mutterinstitution“....... 147 Tab. 9: Übersicht Interviews ........................................................................ 177 Tab. 10: Der Wissenschaftsunternehmer und der traditionelle akademische Wissenschaftler .......................................................... 183 Tab. 11: Die Kennzahlen der vier untersuchten Unternehmen ...................... 191 Tab. 12: Einordnung der Unternehmen hinsichtlich der relevanten Vergleichsdimensionen.................................................................... 197
Abkürzungsverzeichnis
AUTM
Association of University Technology Managers; USA
BLK
Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung
BMBF
Bundesministerium für Bildung und Forschung
BU
Business Unit
CEO
Chief Executive Officer
COO
Chief Operating Officer
DFG
Deutsche Forschungsgemeinschaft
EXIST
Existenzgründungen aus der Wissenschaft; Förderprogramm des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie und Bestandteil der "HightechStrategie für Deutschland" der Bundesregierung; Kofinanzierung mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF)
F&E
Forschung und Entwicklung
FhG
Fraunhofer-Gesellschaft
HGF
Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren
KMU
Kleine und mittlere Unternehmen (< 250 MitarbeiterInnen und Umsatz 50 Mio Euro)
MIT
Massachusetts Institute of Technology (Technische Hochschule Massachusetts); Cambridge, USA
MPG
Max-Planck-Gesellschaft
MPI
Max-Planck-Institut
OECD
Organisation for Economic Cooperation and Development (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung)
SEED-Phase
Als SEED-Phase wird die Frühphase einer Unternehmensgründung bezeichnet, häufig stark geprägt durch Investitionen in F&E
SFS
Sozialforschungsstelle Dortmund, Zentrale wissenschaftliche Einrichtung der Technischen Universität Dortmund
TZ
Technologiezentrum
VC
Venture Capital (Risikokapital)
VTT
Technical Research Centre of Finland (Technisches Forschungszentrum von Finnland)
WGL
Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz (Leibniz-Gemeinschaft)
WZB
Wissenschaftszentrum Berlin
ZEW
Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung Mannheim
Vorwort
Die vorliegende Dissertation entstand mit Unterstützung der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Technischen Universität Dortmund, der Sozialforschungsstelle Dortmund und des Instituts für Gründungs- und Innovationsforschung an der Bergischen Universität Wuppertal. Die Idee zur Arbeit ist im Forschungskontext der Sozialforschungsstelle Dortmund entstanden. Ich danke an dieser Stelle der Geschäftsführung und den Mitgliedern des Forschungsbereichs „Dienstleistungen im gesellschaftlichen Wandel“ für ihre Hilfe und Unterstützung. Die Verwirklichung der Forschungsidee wurde mir ermöglicht durch ein Promotionsstipendium der TU Dortmund, für welches ich mich nochmals ausdrücklich bedanken möchte. Ohne diese Förderung wäre mir die Durchführung meines Promotionsvorhabens nicht möglich gewesen. Meine Forschung zu wissens- und technologieintensiven Unternehmensgründungen im Rahmen meiner Tätigkeit am Institut für Gründungs- und Innovationsforschung an der Bergischen Universität Wuppertal hat für die weitere Gestaltung dieser Arbeit zusätzliche inhaltliche Impulse geliefert. Ich danke Prof. Dr. Hartmut Neuendorff für die persönliche und engagierte Betreuung und Unterstützung im gesamten Dissertationsverlauf und für die ständige Bereitschaft zur inhaltlichen Diskussion. Mein besonderer Dank gilt auch PD Dr. Heike Jacobsen. Sie hat mich nicht nur inhaltlich, sondern immer wieder auch persönlich unterstützt und ermutigt, gerade in der Anfangsphase der Arbeit. Des Weiteren danke ich den MitarbeiterInnen des Wissenschaftszentrum Berlin und der Sozialforschungsstelle Dortmund aus dem BMBF-Projekt „Ausgründungen als Grenzüberschreitung und neuer Typ der Wissensgenerierung: Chancen für Innovationen, Risiken für die wissenschaftliche Qualität?“ für die Möglichkeit zur inhaltlichen Diskussion und vor allem Dr. Gerd Möll für seine konstruktive Kritik. An dieser Stelle möchte ich mich ganz besonders bei meiner Familie und meinen FreundInnen für ihre Geduld und Unterstützung bedanken. Ich danke vor allem Sandra Krause-Steger für ihre unerschöpfliche Bereitschaft zum Gegen-, Quer- und Korrekturlesen und für die inhaltliche und moralische Unterstützung und Freundschaft. Darüber hinaus danke ich Daniela Kamp, Anne-Marie Scholz, Rebecca Sehy und Anja Wolking für ihre Korrekturarbeiten und Anregungen.
14
Vorwort
Und nicht zuletzt gilt mein Dank vor allem den UnternehmensgründerInnen, wissenschaftlichen MitarbeiterInnen und den TransferexpertInnen, die sich die Zeit für Gespräche genommen haben, ihr Wissen mit mir geteilt haben und mir wertvolle und spannende Einblicke in die ‚Welt der Spin-offs‘ ermöglicht haben.
1. Einführung
„Die Wissenschaft fängt eigentlich erst da an interessant zu werden, wo sie aufhört.“ Justus von Liebig (1803-73); deutscher Chemiker Die zentrale Aufgabe des Wissenschaftssystems und der dort tätigen ForscherInnen ist die Generierung von Wissen. Die Umsetzung dieses Wissens in Innovationen, d.h. in am Markt verwertbare neue Technologien, Produkte oder Dienstleistungen, erfolgt zum Teil in Form von Unternehmensgründungen durch WissenschaftlerInnen, sogenannten akademischen Ausgründungen bzw. Spin-offUnternehmen1. In diesen nehmen ForscherInnen nicht nur eine auf Innovation beruhende unternehmerische Gelegenheit wahr, sondern sie organisieren innerhalb der von ihnen neu geschaffenen Unternehmensstrukturen die Weiterentwicklung bestehenden Wissens bzw. initiieren die Generierung neuen, wirtschaftlich verwertbaren Wissens. Spin-offs sind auf Basis wissenschaftlicher Forschungsergebnisse gegründete Unternehmen und gelten als Vermittler zwischen den ‘Systemen’ – in diesem Fall zwischen dem Wissenschafts- und dem Wirtschaftssystem – und den dort herrschenden Kulturen. Sie bieten ForscherInnen den Organisationsrahmen zur Generierung, Umwandlung und ‘Nutzbarmachung’ wissenschaftlicher Erkenntnisse, sind aber – so eine These der hier vorliegenden Untersuchung – an der Schnittstelle zweier unterschiedlicher Systemlogiken einem widersprüchlichen Anforderungs- bzw. Spannungsfeld ausgesetzt. Diese Widersprüchlichkeiten müssen in den Unternehmen nicht nur auf organisationaler Ebene durch die Etablierung entsprechender Strukturen und Routinen aufgefangen werden, sondern auch auf individueller Ebene von den jeweiligen UnternehmensgründerInnen und MitarbeiterInnen selbst gehandhabt oder aufgelöst werden. Bei der Betrachtung von Unternehmensgründungen durch WissenschaftlerInnen, welche vornehmlich in wissensintensiven Branchen und der Spitzen- und Hochtechno1
Im Sinne von Unternehmensgründungen unter Beteiligung von vorher in akademischen Einrichtungen beschäftigten ForscherInnen, auf Basis im Rahmen wissenschaftlicher Forschung gewonnener Erkenntnisse. Für eine genaue Definition siehe Kapitel 4.1.
M. B. Roski, Spin-off-Unternehmen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, DOI 10.1007/978-3-531-93369-6_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Einführung
logie erfolgen, stellt sich die grundsätzliche Frage nach den Möglichkeiten und Formen der Generierung von Wissen unter Marktbedingungen. Damit verbunden ist die Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten zur Generierung ‘wahren’ Wissens2 unabhängig von den in den etablierten Institutionen des Wissenschaftssystems herrschenden Rahmenbedingungen. Die anderen institutionellen Rahmenbedingungen und die grundlegend andere Zielsetzung der Forschung in diesen neu gegründeten Unternehmen machen nicht nur eine Anpassung und Modifikation der Forschungsprozesse erforderlich, sondern führen auch zur Herausbildung anderer Berufsidentitäten der dort beschäftigten ForscherInnen. In Spinoff-Unternehmen müssen damit Anzeichen für die Entstehung einer spezifischen Forschungskultur zu finden sein. Teil der unternehmerischen Aufgaben der GründerInnen ist damit auch die Adaption und Modifikation der Forschungskultur, die sie im Rahmen ihrer Tätigkeit als ForscherInnen an einer Universität oder Forschungseinrichtung kennen gelernt und inkorporiert haben, im Hinblick auf ihr Unternehmen und die Erfordernisse des Marktes. Gerade die Etablierung einer derart spezifischen Forschungskultur und die dauerhafte Gestaltung der Kooperationsbeziehungen zu Institutionen des Wissenschaftssystems sind entscheidende Herausforderungen für Spin-off-GründerInnen. Mit der hier vorliegenden Untersuchung ist dementsprechend die Überlegung verbunden, dass weniger die Aneignung beispielsweise betriebswirtschaftlicher Kenntnisse durch die GründerInnen erfolgsentscheidend für das Unternehmen ist, sondern vielmehr die Wahl der richtigen Forschungsstrategie und die Etablierung der im Hinblick auf die jeweilige Branche, Markt und Gründungsidee passenden Forschungskultur in den Unternehmen. Theoretische Einbettung der Untersuchung In den westlichen Gesellschaften ist prinzipell das akademische Wissenschaftssystem das gesellschaftliche Teilsystem, welches sich auf die Generierung von Wissen spezialisiert hat. Wissenschaftliches Arbeiten ist als Begriff und Tätigkeit eng an dessen Institutionen – Universitäten, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, Fachhochschulen usw.3 – gebunden. Die Wissenschaft gilt allgemein als eine historisch geprägte, spezifische Form gesellschaftlich organisierter
2
3
Vergleiche die Ausführungen zum Wissenschaftssystem und zu neuen Formen der Wissensproduktion in Kapitel 2. So benennt Luhmann (1992) als binären Code des Wissenschaftssystems „wahr/unwahr“, entgegen beispielsweise des binären Codes des Wirtschaftssystems „zahlen/nicht zahlen“. Siehe Forschungslandkarten des BMBF; http://www.bmbf.de/de/5355.php (Stand 1.4.2007).
Einführung
17
Erkenntnistätigkeit.4 Die Herausbildung spezieller wissenschaftlicher Organisationen und Institutionen dient der Sicherstellung dieser Erkenntnistätigkeit. „Der Begriff der Wissenschaft umfaßt heute eine Reihe zusammenhängender Merkmale: (1) ein Komplex von Methoden, mit denen wissenschaftliche Wissensansprüche generiert und gesichert werden; (2) ein spezifischer, sich ständig verändernder Wissensvorrat und (3) eine bestimmte, von spezifischen Konventionen gesteuerte soziale Organisation wissenschaftlicher Aktivitäten, insbesondere Forschung, Lehre und Wissenstransfer. […] Die wichtigste Organisationsform der Wissenschaft waren ursprünglich die Universität und die Akademie, während gegenwärtig zunehmend private und staatliche Forschungsinstitute und -abteilungen als Orte wissenschaftlicher Forschung an Bedeutung gewinnen.“ (Reinhold 2000, S. 722-723) Verbunden mit der Entstehung eines auf die Generierung von Wissen spezialisierten Systems und dessen anhängenden Institutionen ist die Herausbildung eines spezifischen Normen und Methoden genügenden wissenschaftlichen Handelns. Dieses wissenschaftliche Handeln muss aber nicht zwangsläufig an die Institutionen des Wissenschaftssystems gebunden sein. Mit dem Begriff der Forschung erweitert sich der Blick über die Grenzen des traditionellen akademischen Wissenschaftssystems hinaus. Die industrielle Forschung ist hierfür das beste Beispiel. Allerdings werden auch hier die jeweils gültigen Methoden und Regeln durch das Wissenschaftssystem und die einzelnen Disziplinen festgelegt. Das Wissenschaftssystem behält die Definitionsmacht dessen, was als wissenschaftliches, d.h. auf seinen Wahrheitsgehalt geprüftes Wissen gilt und welches die der Disziplin entsprechenden Methoden zu dessen Generierung sind. Für Spin-off-Unternehmen würde das entweder die Übernahme und Umsetzung dieser Methoden und Normen im Rahmen ihrer Organisationsstrukturen bedeuten5 oder ihre Modifikation im Hinblick auf die spezifischen Anforderungen der neuen systemischen und organisatorischen Rahmenbedingungen. Letzteres kann u.U. die Entwicklung eines gänzlich neuen Komplexes von Methoden und eines eigenen Wissensvorrats bedeuten. In diesem Zusammenhang stellen sich Fragen nach der Art des generierten Wissens, nach einer möglichen Arbeitsteilung zwischen den verschiedenen Orten der Wissensgenerierung und nach der Kopplung zwischen diesen. Das Verständnis dessen, was Wissenschaft ist, spiegelt sich nicht allein in der Definition selbiger wieder, sondern erklärt sich nur in deren Verhältnis zu den anderen gesellschaftlichen Funktionssystemen. In welchem Verhältnis Wissenschaft und andere gesellschaftliche Teilsysteme, vornehmlich
4
5
Vergleiche hierzu: Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache des 20. Jahrhunderts; www.dwds.de (Stand 1.4.2007) oder ergänzend Koester (1969). Beispielsweise durch die Schaffung einzelner, abgegrenzter organisationaler Einheiten, die nach diesen Prinzipien und Regeln operieren.
18
Einführung
Wissenschaft und Wirtschaft, zueinander stehen, ist kein gänzlich neues Thema6 und wird in den letzten Jahren vor allem im Zusammenhang mit der Debatte um „Neue Formen der Wissensproduktion“7 oder die Wissensgesellschaft eifrig diskutiert. Ursprünglich galt das Wissenschaftssystem als das auf Wissensgenerierung und Wissensweitergabe spezialisierte gesellschaftliche Teilsystem. Zunehmend werden die Institutionen des Wissenschaftssystems nicht mehr als die allein bedeutsamen Orte der Wissensgenerierung betrachtet. Vor dem Hintergrund eines gesamtgesellschaftlich beobachtbaren Wandels wird verstärkt die Entstehung neuer Gesellschaftsformen wie der Wissensgesellschaft (vgl. u.a. Stichweh 2005) oder der Risikogesellschaft (vgl. Beck 1986) diskutiert. Der steigende Bedarf an Wissen und die gestiegene Diffusion wissenschaftlichen Wissens in die übrigen Gesellschaftssysteme sind nur eine Seite derartiger gesellschaftlicher Wandlungsprozesse. Die Rückwirkung der gesellschaftlichen Transformationsprozesse in das Wissenschaftssystem und der Vereinnahmung des Wissenschaftssystems – und anderer gesellschaftlicher Teilsysteme – durch Ansprüche und Belange des Wirtschaftssystems sind in diesem Zusammenhang ebenfalls beobachtbare Phänomene.8 Damit muss die Debatte um neue Formen der Wissensproduktion vor dem Hintergrund einer gefürchteten Ökonomisierung des Wissenschaftssystems durchaus kritisch betrachtet werden.9 Spin-offs übernehmen als Folge ihrer Ansiedlung an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Wirtschaft indirekt eine „Übersetzungs- bzw. Vermittlungsfunktion“, auch wenn diese nicht explizit Bestandteil der Organisationsziele und -strukturen ist.10 Sie versuchen im Rahmen wissenschaftlicher Forschung gewonnenes Wissen am Markt nutzbar zu machen und übernehmen eine spezifische Transferfunktion zwischen dem Wissenschafts- und dem Wirtschaftssystem. Die Unternehmen orientieren sich zwar am Markt und sind auf den Verkauf ihrer Produkte bzw. Dienstleistungen angewiesen, sind aber trotzdem durch vielfältige Berührungspunkte zum Wissenschaftssystem gekennzeichnet. Dies ergibt sich zum einen durch den nach wie vor bestehenden Forschungsanteil 6
7
8 9
10
Vergleiche z.B. Hack (1985): „Die Wirklichkeit, die Wissen schafft“ oder Bammé (2004): „Science Wars“ und seine Ausführungen zur Finalisierungsdebatte der 70er Jahre. Beispielhaft kann hier die von Gibbons et al. angeregte Diskussion um „Mode 2“ angeführt werden; vgl. Gibbons et al. (1994): „The new production of knowledge“. Vergleiche hierzu ausführlich Kapitel 2. Grundsätzlich gibt es eine Reihe von Ansätzen, die versuchen, das für die heutigen westlichen Gesellschaften kennzeichnende Merkmal herauszuarbeiten. Teilweise geschieht dies in Abgrenzung zur Industriegesellschaft, z.B. die Postindustrielle Gesellschaft (vgl. u.a. Bell 1985). Inzwischen wird zunehmend auch die Bedeutung von Nichtwissen in der Wissengesellschaft (vgl. Wehling 2003) oder das Risiko des (Nicht-)Wissens (vgl. Krohn 2003) thematisiert. Wenn im weiteren Verlauf von einer Vermittlerrolle von Spin-offs gesprochen wird, dann muss klar sein, dass die Unternehmen selbst diese nicht als ihre eigentliche originäre Aufgabe betrachten, auch wenn diese Rolle von politischer Seite durchaus in den Vordergrund gestellt wird.
Einführung
19
bzw. die Produktion neuen wissenschaftlichen Wissens durch MitarbeiterInnen des Unternehmens und zum anderen durch den beruflichen Hintergrund der MitarbeiterInnen bzw. der GründerInnen, welche zuvor zum großen Teil wissenschaftlich gearbeitet haben. Laut einer ZEW-Studie zu Spin-off-Gründungen aus der Forschung waren sowohl bei Verwertungs- als auch bei Kompetenz-Spinoffs über 80% der GründerInnen zuvor ProfessorInnen, wissenschaftliche MitarbeiterInnen oder AbsolventInnen bzw. StudentInnen.11 Insgesamt betreiben in Deutschland etwa 60% aller Verwertungs- und 40% aller Kompetenz-Spin-offs eigene Forschung und Entwicklung und nutzen zum Teil immer noch öffentlich geförderte Forschungsprogramme zur Finanzierung ihrer Forschung (vgl. u.a. Egeln 2003). Neue Grenzziehungen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft betreffen aber nicht nur die bestehenden und neu entstehenden Organisationen, sondern werden auch auf der Handlungsebene bedeutsam, mit entsprechenden Auswirkungen auf die ForscherInnen in diesen Einrichtungen und die Handlungsbedingungen, die diese in den Unternehmen vorfinden. Deren Untersuchung muss allerdings die Auseinandersetzung mit den Bedingungen wissenschaftlicher Forschung und dem Berufsbild WissenschaftlerIn bzw. ForscherIn vorausgehen. Letzteres ist im Rahmen der traditionellen wissenschaftlichen Institutionen verknüpft mit spezifischen Kennzeichen, wie z.B. hohen Autonomiespielräumen und langfristigen Zeithorizonten für die ForscherInnen. Inwiefern diese in Spin-offs noch Geltung besitzen, bleibt abzuwarten. Die Auseinandersetzung mit den Fragen, was einen Forscher bzw. eine Forscherin kennzeichnet und welche Rahmenbedingungen diese zur Generierung von Wissen innerhalb und außerhalb von Universitäten und Forschungseinrichtungen benötigen, führt zur grundsätzlichen Frage der Organisation wissensgenerierender Arbeit. Der Entscheidung, Wissensarbeit als einen begrifflichen Bezugspunkt der vorliegenden Arbeit zu wählen, sind zahlreiche intensive Diskussionen voraus gegangen. Denn der Begriff ist zum einen gerade in der wissenschaftlichen Debatte stark mit dem Begriff der Wissensgesellschaft12 verknüpft. Diese wird zwar schon seit geraumer Zeit angekündigt, ihre durchgängige Realisierung und die vollständige Durchsetzung aller gesellschaftlichen Lebensräume lässt allerdings nach Ansicht vieler ExpertInnen im11 12
Für die genaue Definition der verschieden Formen von Spin-offs siehe Kapitel 4. Siehe hierzu Willke (2001): „Von einer Wissensgesellschaft oder einer wissensbasierten Gesellschaft lässt sich sprechen, wenn zum einen die Strukturen und Prozesse der materiellen und symbolischen Reproduktion einer Gesellschaft so von wissensabhängigen Operationen durchdrungen sind, dass Informationsverarbeitung, symbolische Analyse und Expertensysteme gegenüber anderen Faktoren der Reproduktion vorrangig werden. Eine entscheidende zusätzliche Voraussetzung der Wissensgesellschaft ist, dass Wissen und Expertise einem Prozess der kontinuierlichen Revision unterworfen sind und damit Innovationen zum alltäglichen Bestandteil der Wissensarbeit werden.“ (ebd. S. 291)
20
Einführung
mer noch auf sich warten.13 Zum anderen ist Wissensarbeit als begriffliche Konstruktion durchaus umstritten, da grundsätzlich jede Art von Handeln – und damit jede Tätigkeit – Wissen voraussetzt. Die Verwendung des Begriffs zur Unterscheidung verschiedener Tätigkeitsformen ist einem derart engen Verständnis nach nicht naheliegend. Trotzdem ist eine grundlegende Auseinandersetzung mit dem Begriff der Wissensarbeit unumgänglich und sinnvoll. Denn Wissensarbeit ist in den aktuellen soziologischen und wirtschaftswissenschaftlichen Debatten ein feststehender Begriff für eine bestimmte Kategorie und Art der beruflichen Tätigkeit geworden. Der Begriff bietet die Möglichkeit, den Blick auf das Wissen als zentralen Bezugspunkt des Handelns – in diesem Fall des beruflichen Handelns – zu lenken. Wissensarbeit lässt sich als Definition für bestimmte Formen beruflicher Tätigkeiten nutzen, welche sich mit Begriffen wie z.B. hochqualifizierte Tätigkeiten nicht hinreichend erfassen lassen. Er bietet die Möglichkeit einer stärkeren Gewichtung auch wissensgenerierender Tätigkeitsinhalte. Wissensarbeit steht hier in engem Diskussionszusammenhang mit vielen in den letzten Jahrzehnten diskutierten Begriffen und Konzepten wie z.B. dem Arbeitskraftunternehmer (vgl. Pongratz/Voß 2004) oder der Subjektivierung von Arbeit (vgl. u.a. Moldaschl 2002), welche versuchen, den Wandel von Arbeit, wie er zumindest für einen bestimmten Teil der Beschäftigten zutrifft, zu beschreiben. Wissensarbeit bietet im Anschluss an die Ausführungen zu Forschung als Tätigkeit und zum historischen Wandel des Wissenschaftssystems die Möglichkeit, konkret Fragen auf der Ebene der Arbeitsorganisation anzustoßen und zwei bislang getrennte Debatten miteinander zu verknüpfen. Auf diese Weise ist es möglich und notwendig, die rein systemtheoretische Betrachtung von Spin-offUnternehmen aufzugeben. Die Verknüpfung der verschiedenen Ebenen mündet in die Frage nach der Entstehung einer individuellen Forschungskultur in den Unternehmen, welche sowohl auf organisationaler Ebene die jeweiligen Rahmenbedingungen für die Wissensgenerierung betrachtet, aber auch die entsprechenden Auswirkungen auf die MitarbeiterInnen und GründerInnen der Unternehmen berücksichtigt. Die Entscheidung für eine bestimmte Forschungsstrategie bzw. -ausrichtung bestimmt – in Verbindung mit der individuellen Gründungshistorie – die Kooperationsbeziehung des Unternehmens und der MitarbeiterInnen nach außen, zu Kunden oder Institutionen des Wissenschaftssystems. 13
Vergleiche u.a. Castells (2001), welcher die klassische Theorie des Post-Industrialismus wenn auch nicht widerlegt, so doch relativiert: „Die Konzentration eines Landes auf das Modell der Dienstleistungsökonomie bedeutet, dass andere Länder ihre Rolle als industriell produzierende Volkswirtschaften ausüben. Die implizite Annahme der post-industriellen Theorie, dass die fortgeschrittenen Länder zu Dienstleistungsökonomien würden, während die weniger fortgeschrittenen sich auf Landwirtschaft und Industrie spezialisieren, ist durch die historische Erfahrung widerlegt.“ (ebd. S. 260)
Einführung
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Direkt anschlussfähig an die Ergebnisse bezüglich der Organisation von WissensarbeiterInnen sind die – in der Auseinandersetzung mit bereits vorliegender Forschung zu Spin-offs – gewonnenen Erkenntnisse zur Organisation der Wissensgenerierungsprozesse in wissens- und projektbasierten Unternehmen. Sie bieten wichtige Anhaltspunkte zur Analyse der in den Unternehmen beobachtbaren Strukturen und Prozesse. Nachfolgend ist der theoretische Rahmen der hier vorliegenden Untersuchung grafisch dargestellt. Die einzelnen Punkte werden in den jeweiligen Theoriekapiteln entsprechend hergeleitet und ausgearbeitet. Abb. 1: Theoretischer Rahmen der Untersuchung Wissensgenerierung als Tätigkeit
Wissensgenerierung im organisationalen Kontext
Wissenschaftstheorie und Mode2
Wissenschaftliche Arbeit
Facetten der Forschungskultur in Spin-offs
High-Tech-Unternehmen/ Spin-offs
Quelle: eigene Darstellung
Wissensarbeit/ nichtprogrammierte Arbeit
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Einführung
Fokus der Untersuchung Die Konzentration auf wissenschaftliche Ausgründungen bietet einen erfolgversprechenden Zugang bei der Annäherung an die vielfältigen Debatten um neue Formen der Wissensproduktion und Wissensarbeit, da sie an der Grenze zwischen Wissenschaftssystem und Wirtschaftssystem angesiedelt sind und sich hier verschiedene Fragestellungen überlagern. Traditionelle Grenzziehungen verwischen, wie beispielsweise die Zuordnung stärker grundlagenorientierter Forschung zu den Institutionen des Wissenschaftssystems und Entwicklung und Technik zu verstärkt anwendungsorientiert forschenden Instituten und Wirtschaftsunternehmen, so sie denn je wirklich gültig waren. Ebenso von Bedeutung ist die Tatsache, dass es sich bei Spin-off-Unternehmen in der Regel um Kleinund Mittelbetriebe handelt. Forschung unter Marktbedingungen wird häufig vornehmlich im Zusammenhang mit großindustrieller Forschung betrachtet. Der in KMUs herrschende stärkere wirtschaftliche Druck, die charakteristische Nähe zu den Kunden der Unternehmen, der hohe Anteil an Auftragsforschung und die Ausrichtung nahezu aller Geschäftsbereiche des Unternehmens auf Forschung und Entwicklung sind dabei nur einige der Faktoren, die diese Unternehmen von industrieller Forschung in Unternehmen der Großindustrie unterscheiden können. Ausgehend von diesen Überlegungen standen im Fokus der vorliegenden Untersuchung die folgenden Hypothesen, erstens zu den Bedingungen der Wissensgenerierung in Spin-offs, deren Forschungstrategie und Geschäftsmodell, und zweitens zu der Arbeitsorganisation und dem Projekt-/ Forschungsmanagement auf der Handlungsebene. 1. Forschungsstrategie Eine grundlegende Herausforderung für die GründerInnen und die Geschäftsführung von Spin-offs ist die Etablierung und Aufrechterhaltung einer Forschungskultur, welche die Generierung von Wissen unter Marktbedingungen erlaubt. Entscheidend ist dabei die forschungsstrategische Ausrichtung der Unternehmen, die über die Zielsetzung der Forschung und die eingesetzten Ressourcen entscheidet. Vor dem Hintergrund unterschiedlicher systemspezifischer Handlungslogiken ist es unwahrscheinlich, dass in den Unternehmen Forschungshandeln unter den gleichen Bedingungen wie in Institutionen des Wissenschaftssystems möglich ist. Unter Umständen sind in den Unternehmen Hinweise für die Etablierung einer hybriden Forschungskultur auffindbar, die auf die Präsenz zweier unterschiedlicher Systemlogiken zurückzuführen sind. Inwiefern dies mit Modifikationen des Forschungsprozesses und der Forschungsmethodik einhergeht, ist näher zu untersuchen.
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2. Forschungsorganisation/Projektmanagement Korrespondierend mit den vorangegangenen Überlegungen müssen in den Unternehmen auch Anzeichen für die Herausbildung neuer hybrider Berufsidentitäten auffindbar sein, welche die Kombination widersprüchlicher systemischer Anforderungen zu einem Bestandteil des eigenen Berufsverständnisses erheben. Die Übertragung bereits vorliegender Erkenntnisse aus vorangegangenen Untersuchungen zu wissenschaftlicher Arbeit und Wissensarbeit lässt in Spinoffs erhöhte Einflussmöglichkeiten der MitarbeiterInnen auf die Arbeitsbedingungen und -inhalte und geringere Kontrollmöglichkeiten der Geschäftsführung erwarten. Denn die zur Generierung von Wissen erforderlichen Autonomiespielräume der MitarbeiterInnen schränken die Möglichkeiten der Geschäftsführung zur Etablierung eines ausgeprägten Projektmanagements und -controllings stark ein. Fallauswahl und Methodik Die Fallauswahl konzentrierte sich ursprünglich auf Ausgründungen aus den vier Säulen14, da die Förderung von Unternehmensgründungen aus Hochschulen erst in den letzten Jahren verstärkt forciert wurde und hier noch ein deutlicher Nachholbedarf besteht.15 Eine derart enge Fokussierung wurde allerdings im Verlauf der Untersuchung aufgegeben, da sich dies allein aufgrund der hohen Zahl an Teamgründungen unter Beteiligung von GründerInnen aus verschiedenen beruflichen Kontexten, u.a. aus außeruniversitärenForschungseinrichtungen, Universitäten und/ oder Industrieunternehmen, als nicht sinnvoll erwiesen hat. Insgesamt wurden, basierend auf den im Verlauf der Untersuchung geführten ExpertInnengesprächen mit Transferverantwortlichen aus Universitäten und Forschungseinrichtungen, vier Unternehmen als Fallbeispiele ausgewählt. Die Konzentration auf natur- und ingenieurwissenschaftliche Ausgründungen liegt in der höheren Ausgründungsintensität dieser Fachrichtungen und in der trennschärferen Abgrenzung zu Kompetenzspin-offs16 begründet. Trotz der Heterogenität der Unternehmen ist damit eine Vergleichbarkeit der Forschungsausrichtung und bedingungen in den Unternehmen garantiert. Zwar dürften auch die GründerInnen und MitarbeiterInnen geisteswissenschaftlicher Spin-offs vor ähnlichen Herausforderungen stehen, allerdings haben „aufgrund der traditionell engeren 14
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Die Bezeichnung „4 Säulen“ bezieht sich auf die vier großen Forschungsgemeinschaften in Deutschland. Dies sind im Einzelnen die Helmholtz-Gemeinschaft (HFG), die FraunhoferGesellschaft (FhG), die Leibniz-Gemeinschaft (WGL) und die Max-Planck-Gesellschaft (MPG). Zur Änderung des Arbeitnehmererfindungsgesetzes im Jahr 2002, dem Aufbau von Patentverwertungsagenturen (PVA) und der Entwicklung der Patentanmeldungen aus Hochschulen vergleiche Bundesministerium für Bildung und Forschung (2007, S. 99ff.) und Wissenschaftsrat (2007). Zur Abgrenzung verschiedener Formen von Spin-offs siehe Kapitel 4.
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Einführung
Praxiskontakte der Ingenieur- und naturwissenschaftlichen Disziplinen“ (Simon et al. 2003, S. 342) Ausgründungen gerade in den letzten Jahren überwiegend in der Bio- und in der Informationstechnologie stattgefunden. In den Geisteswissenschaften hingegen dominieren Ausgründungen in den Wirtschaftswissenschaften, wobei es sich hier in erster Linie um Ausgründungen in den wissensintensiven Dienstleistungen handelt (vgl. Egeln et al. 2003, S. 35). Häufig handelt es sich bei diesen Ausgründungen in erster Linie um Kompetenzausgründungen17, welche nicht direkt auf einzelnen Forschungsergebnissen beruhen, sondern auf dem im Rahmen der langjährigen Forschungstätigkeit erworbenen Kompetenzprofil des einzelnen Forschers bzw. der einzelnen Forscherin. Eine Abgrenzung zu Unternehmensgründungen auf Basis einer akademischen Ausbildung, d.h. Gründungen auf Basis einer Profession wie Ärzte oder Anwälte, ist hier schwierig. Abb. 2: Fachliche Herkunft von Spin-off Gründern 1996-2000 in Deutschland (Anteile in %) Ingenieur- und Agrarwissenschaften
27%
Naturwissenschaften
24%
Wirtschaftswissenschaften
21%
andere und nicht zuordbar
16%
Rechts- und Geisteswissenschaften
Sozialwissenschaften
Human-, Veterinärmedizin
7%
3%
2%
Quelle: ZEW-Spinoff Befragung 2001 (Egeln et al. 2003) 17
Zu den Schwierigkeiten der Definition und Differenzierung verschiedener Formen von Spin-offs und ihrer Abgrenzung zu akademischen Unternehmensgründungen siehe Kapitel 4.1.
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Auch neuere Ergebnisse bestätigen die höheren Spin-off-Aktivitäten von Ingenieur- und NaturwissenschaftlerInnen. Laut dem ZEW-Hightech-Gründungspanel 2007 haben bei Spin-off-Gründungen etwa 65% der GründerInnen hauptsächlich technische und ingenieurwissenschaftliche Fachkenntnisse und 26% überwiegend naturwissenschaftliche Fachkenntnisse. Über in erster Linie kaufmännische Fachkenntnisse verfügen 26% der GründerInnen (vgl. Gottschalk et al. 2007, S. 26). Als ein möglicher Grund für die niedrigeren Ausgründungszahlen in den geisteswissenschaftlichen Disziplinen kann eine generell geringere ‘Vermarktungsfähigkeit’ geisteswissenschaftlicher Produkte und Dienstleistungen vermutet werden. Grundlage einer möglichen Selbstständigkeit sind hier in der Regel die erworbenen Kenntnisse und Kompetenzen und nicht eine (patentierbare) neue Technologie. Des Weiteren ist zu erwarten, dass insbesondere bei Disziplinen mit einer größeren Theorie/Praxis-Distanz die weniger stark ausgeprägte Anwendungsorientierung zu einer geringeren Ausgründungsneigung der dort tätigen WissenschaftlerInnen führt. So vermuten beispielsweise Simon et al. (2003) bezogen auf SozialwissenschaftlerInnen das Fehlen eines „unternehmerischen Grundmotivs“, eines unternehmerischen Rollenvorbildes.18 Aufbau der Arbeit und Überblick über die einzelnen Kapitel Nach der Einführung stehen im zweiten Kapitel die Generierung neuen Wissens als Tätigkeit und der Wandel des Wissenschaftssystems im Mittelpunkt. Forschungshandeln als Handeln mit dem Ziel der Wissenserzeugung ist eng mit den Institutionen des Wissenschaftssystems verbunden. Spin-offs an der Schnittstelle zwischen dem Wissenschafts- und Wirtschaftssystem sind sowohl für die Generierung neuen Wissens als auch für den Transfer dieses Wissens in am Markt handelbare Produkte bzw. Dienstleistungen verantwortlich. Für die wissenschaftlichen MitarbeiterInnen in den Unternehmen ist Forschungshandeln eine unverzichtbare Komponente ihrer täglichen Arbeit, muss allerdings angepasst werden an die Ziele und Bedingungen eines anderen Systems. Vor dem Hintergrund der hohen Präsenz und Relevanz des Anwendungskontextes und der häufig geringen Größe der Unternehmen, kann Forschungshandeln nicht als in sich geschlossene ‘Insel’ durchgeführt werden, d.h. Anpassungsleistungen in irgendeiner Form sind unverzichtbar. Die in den letzten Jahren verstärkt geführte Debatte um „Neue Formen der Wissensproduktion“ zeigt auf, dass sich an der Schnittstelle zwi18
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass jedes Fach unterschiedliche Bilder und Vorstellungen von Selbstständigkeit bzw. Unternehmertum entwickelt. Während z.B. ArchitekturstudentInnen die Selbstständigkeit schon während des Studiums als adäquate berufliche Option vermittelt wird, erfolgt in der Chemie eine frühe Ausrichtung auf die Beschäftigung in der chemischen Großindustrie (vgl. hierzu Heintz 2004, Roski 2009).
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schen den Systemen neue Formen der Kooperation und unter Umständen auch der Generierung von Wissen entwickeln. Diese Erkenntnisse finden im Rahmen dieser Untersuchung Berücksichtigung und werden in den Kontext gesamtgesellschaftlicher Veränderungen eingebettet. Allein der Gebrauch des Begriffes der Wissensproduktion hat auf den ersten Blick wenig mit einem kreativen, schöpferischen Verständnis von Wissenschaft bzw. Forschung gemein, das beispielsweise bei Weber (1995) vorlag. Allein die Wortwahl suggeriert die maschinelle bzw. handwerkliche Herstellung mit garantiertem und vorhersehbarem Ergebnis. Fraglich ist aber, ob Wissen in dem Sinne ‘produzierbar’ ist, dass bei gleichbleibendem Input ein entsprechender, planbarer Output garantiert ist.19 Die Verwissenschaftlichung sämtlichen (Arbeits-)Handelns in unserer heutigen Gesellschaft – von vielen AutorInnen als Wissensgesellschaft bezeichnet – spiegelt eine gestiegene Bedeutung von Forschungshandeln für das Wirtschaftssystem und dessen Organisationen wider. Daher erfolgt im anschließenden dritten Kapitel die Darstellung der Debatte um die Wissensgesellschaft und eine Definition des Begriffes Wissensarbeit. Das Konzept der Wissensarbeit ermöglicht sowohl den Zugang zur Funktion des Wissens als Ressource und als Produkt, als auch eine Betrachtung auf der Subjektebene, indem das individuelle Wissen der MitarbeiterInnen besser differenziert und betrachtet werden kann und bereits vorliegende Erkenntnisse zur Organisation von WissensarbeiterInnen für die Untersuchung der Forschungs- und Projektorganisation in den Spin-offs genutzt werden können. In diesem Zusammenhang stellen sich Fragen der Steuerung und Kontrolle von WissensarbeiterInnen und deren Möglichkeiten und Pflichten zur Selbststeuerung und eigenverantwortlichen Organisation und Planung der eigenen Tätigkeit. Insofern Wissensarbeit auch die Wissensgenerierung als Teil des Tätigkeitsspektrums umfasst, zeigen sich deutliche Überschneidungen zum vorab betrachteten Forschungshandeln. Die wissenschaftlichen ProjektmitarbeiterInnen sind in den Unternehmen auf entsprechende Rahmenbedingungen zur Gewährleistung von Forschungshandeln angewiesen. In Kapitel vier stehen dann Ausgründungen selbst in ihrer Definition und Verbreitung im Fokus. Die vorangegangenen Kapitel dienen dabei als Hintergrundfolie zur Einordnung dieser speziellen Organisationen in den gesamtgesellschaftlichen Kontext. Bereits vorhandene Untersuchungen zu Spin-offs, projektbasierten Unternehmen und deren Charakteristika werden ausgewertet, unter Berücksichtigung von Veröffentlichungen aus den USA. Bislang gibt es nur wenige Publikationen, die die MitarbeiterInnen in Spin-offs in den Blick nehmen. Ein großer Teil – insbesondere zahlreiche Studien aus dem Bereich „Academic Entrepreneurship“ – beschäftigt sich mit den Entstehungsbedingungen 19
Definition Produktion: „Unter Produktion wird die effiziente Herstellung von Gütern und Dienstleistungen durch die Kombination von Produktionsfaktoren verstanden.“ (Lück 2004, S. 539.)
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von Spin-offs und deren Beziehungen zu den Mutterinstitutionen. In diesem Zusammenhang stehen häufig Gründungshemmnisse und der spezifische Unterstützungsbedarf gründender WissenschaftlerInnen im Vordergrund. Im fünften Kapitel erfolgt die Darstellung und Auswertung der empirischen Ergebnisse dieser Untersuchung. Hier wird der Fokus in erster Linie auf Fragen der Forschungsausrichtung und der Arbeitsorganisation gelegt und die ForscherInnen in Spin-offs stärker in den Blick genommen. Den Ausführungen zur Methode und einer kurzen Darstellung der Unternehmen folgt ein Blick in die Empirie. Die Darstellung orientiert sich an den inhaltlichen Schwerpunktthemen, die sich im Zuge der Auswertung des Materials herauskristallisiert haben, zentrale Interviewpassagen dienen als Beleg und Illustration. Neben der Frage nach der Art und den besonderen Spezifika der Forschung und des generierten Wissens in Spin-offs werden die Schnittstellen und Formen der Kooperation mit den Institutionen des Wissenschaftssystems, die Frage nach den Arbeitsorganisationsstrukturen und der Personalentwicklung in den untersuchten Unternehmen näher betrachtet. Die Untersuchung schließt im sechsten Kapitel mit einer zusammenfassenden Betrachtung der Ergebnisse der Untersuchung im Hinblick auf die theoretischen Vorüberlegungen und mit Schlussfolgerungen für zukünftige Forschung.
2. Die Generierung neuen Wissens als Tätigkeit – Wissenschaft im Wandel
Das Wissenschaftssystem und dessen Entwicklung, Organisationsformen und Beziehungen zu anderen gesellschaftlichen Systemen ist Gegenstand der Wissenschaftsoziologie bzw. der Wissenschaftsgeschichte.20 Die Entstehung eines eigenständigen Handlungstypus und die starke Kopplung wissenschaftlicher Forschung an das traditionelle akademische Wissenschaftssystem, wie es sich in den westlichen Ländern etabliert hat, wurde begleitet von der Herausbildung eines spezifischen wissenschaftlichen Ethos, welches wissenschaftliches Forschungshandeln prägt. Die Tätigkeit des Forschens ist dem in den westlichen Gesellschaften vorherrschenden Verständnis gemäß mit der Generierung wahren Wissens21 verknüpft. WissenschaftlerIn sein war lange Zeit mehr Berufung als Beruf. Bereits diverse Arbeiten zur Forschung in der Großindustrie und Debatten um das Verhältnis von Grundlagenforschung und angewandter Wissenschaft haben hier jedoch zu einer Veränderung und Erweiterung traditioneller Sichtweisen und Abgrenzungen geführt. Im Zuge neuerer Debatten um neue Formen der Wissensproduktion wird nicht nur in den Blick genommen, in welchen Kontexten WissenschaftlerInnen arbeiten. Es stellt sich zunehmend auch die Frage, ob und inwiefern sich diese Kontexte ausweiten und beispielsweise auch eine die Systemgrenzen übergreifende Wissensgenerierung stattfindet (vgl. u.a. Reinhold 2000 oder Weingart 2003). Ergänzend untersucht die Wissenschaftstheorie die Bedingungen und Regeln für die Generierung empirisch gesicherten Wissens. Allerdings hat die wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung mit den Methoden wissenschaftlicher Forschung und den institutionellen Gegebenheiten und Machtstrukturen oft nicht genügend den Forscher bzw. die Forscherin und deren spezifische Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen untersucht. Ebenso wurden Unterschiede zwischen den verschiedenen Disziplinen nicht ausreichend berücksichtigt. Zunehmend werden jedoch im Rahmen ethnographischer Untersuchungen auch disziplinäre Unterschiede in den Blick genommen (vgl. u.a. Heintz et al. 2004 und Knorr Cetina 2002). 20 21
Siehe ergänzend zur Einführung in die Wissenschaftsforschung Felt et al. (1995, S. 15ff.). Zum binären Code wahr/unwahr des Wissenschaftssystems siehe Luhmann (1992).
M. B. Roski, Spin-off-Unternehmen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, DOI 10.1007/978-3-531-93369-6_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Die Generierung neuen Wissens als Tätigkeit – Wissenschaft im Wandel
Der in den letzten Jahrzehnten beobachtbare und häufig thematisierte Wandel des Wissenschaftssystems muss bei der Betrachtung von Forschungsarbeit in neuen Kontexten, wie z.B. in Spin-offs, mit berücksichtigt werden. Er ist gewissermaßen Ausdruck gesellschaftlicher Transformationsprozesse, in deren Zusammenhang Spin-offs als Orte der Wissensproduktion an Bedeutung gewinnen. Im Mittelpunkt des nachfolgenden Kapitels steht damit das komplexe Verhältnis von Wissenschaftssystem und Wirtschaftssystem.22 In diesem Zusammenhang stellt sich dann zwangsläufig auch die Frage, welche Art von Wissen23 generiert wird, wie dieses Wissen generiert wird und wer dieses Wissen generiert. Spinoffs als Orte der Wissensgenierung und des Wissenstransfers sind dabei zentrale Bezugspunkte der Ausführungen. 2.1 Wissenschaft als Berufung oder Handwerk 2.1.1 Das Wissenschaftssystem in Distanz zur Gesellschaft? Wissenschaft abschließend zu definieren ist problematisch, denn zum einen ist sie einem andauernden Wandel unterlegen und zum anderen beinhaltet sie verschiedenste Aspekte, von Werten über Methoden bis hin zu Institutionen und Organisationsformen, die eine einheitliche Definition erschweren: „Wissenschaft kann aufgefaßt werden als Institution, als Methode, als angehäuftes, überliefertes Wissen, als Hauptfaktor, um die Produktion in Gang zu halten und weiterzuentwickeln und als einer der stärksten Einflüsse, welche Vorstellungen von Mensch und Welt und die entsprechende Weltanschauung formen.“ (Bernal 1970a, S. 36-47)
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Da es sich hier nicht um eine wissenschaftshistorische Arbeit handelt, wird an dieser Stelle auf eine detailgetreue Darstellung der Entstehung unseres heutigen Wissenschaftssystems und seiner Institutionen verzichtet. Für einen detaillierten Überblick über die Ursprünge und Entstehung des Wissenschaftssystems siehe u.a. Weingart (2001), Wingens (1998), Damerow/Lefèfre (1994), Krohn (2006), Stichweh (2002) und (2006), Bernal (1970a und b). Wissen ist, im Gegensatz zu Daten und Informationen, immer an Personen und damit an ihr bereits vorhandenes Wissen, ihre Erfahrungskontexte und Kriterien, gebunden. Zur Abgrenzung des Begriffs des Wissens von Daten und Informationen siehe u.a. Willke (2001), zur Unterscheidung impliziten und expliziten Wissens siehe u.a. Polanyi (1985). Die Unterscheidung verschiedener Wissensarten ist sehr komplex und kontextabhängig. In der Regel verwenden die meisten Autorinnen eine bipolare Definition, z.B. die Unterscheidung von Alltagswissen und Spezialwissen, relevantem und irrelevantem Wissen, bewährtem und neuem Wissen, wahrem und unwahrem Wissen (vgl. u.a. Roski 2003 und Schreyögg 2001). In Bezug auf die wissenschaftliche Erkenntnis ist in erster Linie die Unterscheidung von wahrem und unwahrem Wissen relevant (vgl. u.a. Luhmann (1992) und ausführlicher Kap. 2.2).
Wissenschaft als Berufung oder Handwerk
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Grundsätzlich steht die Wissenschaft von jeher in Wechselwirkung mit der Gesellschaft, wobei das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft sich im Laufe der Jahrhunderte stetig gewandelt hat und ebenso die Frage der gegenseitigen Beeinflussung immer wieder neu gestellt werden muss.24 Der Anspruch einer unabhängigen und von außen unbeeinflussten, rein aus der Sache begründeten Wissensgenerierung richtet sich sowohl an die Wissenschaft als solche, in Form der Autonomie von und gegenüber anderen Systemen und deren Anforderungen, als auch an die WissenschaftlerInnen selbst und hat sich hier u.a. in dem von Robert K. Merton Anfang der 1940er Jahre25 illustrierten wissenschaftlichen Ethos26 manifestiert, mit den vier Merkmalen Kommunitarismus, Universalismus, Uneigennützigkeit und organisierter Skeptizismus27. Bourdieu (1998) verwendet in diesem Zusammenhang statt Uneigennützigkeit zwar den durchaus Ähnliches suggerierenden Begriff der Interesselosigkeit bzw. des besonderen wissenschaftlichen Interesses. Er betont allerdings, dass es sich hier nur scheinbar um ein uneigennütziges, „interesseloses Interesse“ handelt und die Sublimation externer, beispielsweise politischer Interessen und auch die internen, im sozialen Feld verankerten, Interessen der einzelnen Akteure verkannt werden. 24
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Für eine ausführlichere historische Darstellung vgl. u.a. Bernal (1970a), Weingart (2001), Krohn (2006). Im Jahr 1942 hat Merton in seinem Aufsatz „A Note on Science and Democracy“ und später u.a. in “Science and Democratic Social Structure” (ebd. 1968) die vier Merkmale “echter” Wissenschaft erstmalig schriftlich herausgearbeitet; vgl. hierzu die erste deutsche Übersetzung „Wissenschaft und demokratische Sozialstruktur“; Merton (1973) und ergänzend Merton (1985), S. 86ff. Dieses grundlegende Bild einer „reinen“ Wissenschaft hat sich laut Weingart vornehmlich im 19. und frühen 20. Jahrhundert entwickelt: „In dem Maße, in dem das Modell der akademischen Freiheit und der ‚reinen’ Wissenschaft den Diskurs über die akademische Wissenschaft bestimmte, begründete es auch die relative gesellschaftliche Distanz der Wissenschaft, die für das 19. und 20. Jahrhundert charakteristisch wurde.“ (Weingart 2001, S. 63; Hervorhebungen im Original); vgl. hierzu auch seine Ausführungen zur Herausbildung der Institutionen der akademischen Wissenschaft und den Reformideen Humboldts (ebd. S. 54ff.). Das Prinzip des Universalismus bezieht sich auf den Grundatz, dass Wahrheitsansprüche immer vorab aufgestellten und unpersönlichen Kriterien unterworfen werden müssen: „Die Annahme oder Zurückweisung von Behauptungen […] hängt nicht von den individuellen oder sozialen Merkmalen ihrer Verfechter ab […]“ (Merton 1985, Seite 90). Kommunismus bezieht sich auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Eigentum der Allgemeinheit sind und nicht Besitz des Entdeckers. Hingegen meint Uneigennützigkeit nicht Altruismus der WissenschaftlerInnen, sondern bezieht sich auf die Unabhängigkeit der Forschung und der Ergebnisse von den persönlichen Interessen und Motiven der WissenschaftlerInnen. Eine solchermaßen „hohe ethische Stellung“ der Wissenschaft und WissenschaftlerInnen wird laut Merton durch die Kontrolle über die Scientific Community gewährleistet. Das vierte Prinzip des organisierten Skeptizismus „stellt sowohl ein methodologisches als auch ein institutionelles Gebot dar. Die zeitweilige Außerkraftsetzung bestimmter Urteile und Ansichten und die unvoreingenommene Prüfung von Glaubensüberzeugungen anhand empirischer und logischer Maßstäbe haben die Wissenschaft immer wieder in Konflikt mit anderen Institutionen gebracht.“ (ebd. Seite 98)
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Die Generierung neuen Wissens als Tätigkeit – Wissenschaft im Wandel „Es ist mit anderen Worten das Feld, oder genauer gesagt, die antiökonomische Ökonomie und der geregelte Wettbewerb in ihm, die diese besondere Form der illusio hervorbringen, eben das wissenschaftliche Interesse, ein Interesse, das im Verhältnis zu den herkömmlichen Interessen des Alltags (und insbesondere denen des ökonomischen Feldes) als uneigennützig, unentgeltlich erscheint. Doch unterschwellig ist das ‚reine’, das uneigennützige Interesse ein Interesse an der Uneigennützigkeit, ein Art des Interesses, die zu allen Ökonomien symbolischer Güter, allen antiökonomischen Ökonomien gehört, wo es in gewissem Sinne die Uneigennützigkeit ist, die sich ‚auszahlt’ (das ist einer der radikalsten Unterschiede zwischen dem ‚Wissenschaftskapitalisten’ und dem einfachen Kapitalisten).“ (Bourdieu 1998, S. 27)
Aber nicht nur die Uneigennützigkeit bzw. Interesselosigkeit der ForscherInnen, die den jeweiligen Personen Vorteile innerhalb ihres besonderen Feldes verschafft, ist damit in sich zwiespältig. Denn selbst wenn diese vorausgesetzt wird, bedeutet das nicht unbedingt eine Interesselosigkeit der Wissenschaft an sich, gepaart mit einer hohen Autonomie des Wissenschaftssystems gegenüber Ansprüchen aus anderen Systemen. Bereits Bacon thematisierte im 17. Jahrhundert die Frage der Nützlichkeit wissenschaftlichen Wissens28, eine Frage, die im Laufe der Jahrhunderte immer wieder aufgegriffen wurde. 29 Im 20. Jahrhundert wurde diese Problematik zunächst in den 70er Jahren unter dem Stichwort „finalisierte Wissenschaft“ diskutiert (vgl. Bammé 2004) und später unter anderem im Zusammenhang mit der Mode 2 Debatte wieder aufgegriffen, auf die am Ende dieses Kapitels noch vertiefend eingegangen wird (vgl. u.a. Krohn 2006 oder Stichweh 2005). Das gesellschaftliche Verständnis dessen, was Wissenschaft ausmacht, ist stark im Wandel begriffen und mit diesem verbunden ist dementsprechend auch stets die Debatte um das Verhältnis von Wissenschaft zu den anderen gesellschaftlichen Teilsystemen. Dessen Gestaltung beeinflusst nicht unerheblich die 28
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Nützlichkeit und Wahrheit verhalten sich für Bacon kumulativ zueinander. Wobei es laut Krohn noch fast 200 Jahre dauern sollte, bevor von einer Kopplung von Wissenschaft und Technik im baconschen Sinne gesprochen werden konnte: „Alle Basiserfindungen, die am Ende des 18. Jahrhunderts der »industriellen Revolution« zugrunde lagen, waren ohne den Einfluss wissenschaftlicher Theorien gemacht worden. Eine Entwicklungssymbiose der baconschen Art, in der «Kontemplation» und «Operation» gemeinsam prinzipielles und nützliches Wissen erarbeiteten, entstand erst im 19. Jahrhundert auf Gebieten wie der Elektrizität, der Chemie, der Seuchenmedizin, der Mechanik, um seitdem für immer mehr Forschungsfelder Wirklichkeit zu werden.“ (Krohn 2006, S. 192) Entgegen dessen zeigt Stichweh in einem Aufsatz zur „Universität in der Wissensgesellschaft“ auf, dass bereits 1750 bis 1850 – im damaligen Geiste der Aufklärung – Nützlichkeitserwartungen an das in Universitäten produzierte Wissen herangetragen wurden (vgl. Stichweh 2005, S. 5). Feyerabend (1996) verweist u.a. auf den Wandel der gesellschaftlichen Rolle der Wissenschaft des 20. Jahrhunderts. So habe die Wissenschaft im 17. und 18. Jahrhundert eine geradezu revolutionäre Rolle gespielt, welche das vorherrschende Weltbild widerlegte und gesellschaftliche Verhältnisse veränderte. „Die Wissenschaft im 20. Jahrhundert hat jeden philosophischen Anspruch aufgegeben und ist zum großen Geschäft geworden. Sie bedroht heute nicht mehr die Gesellschaft, sondern ist einer ihrer stärksten Erhalter.“ (ebd. S. 21)
Wissenschaft als Berufung oder Handwerk
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Forschungsinhalte und das Rollenverständnis der WissenschaftlerInnen. Ähnlich der Funktion des Systems Wissenschaft hat sich auch die Tätigkeit des Forschens im Laufe der Jahrhunderte gewandelt. Wobei speziell Forschungshandel selbst, trotz der Spezialisierung des Wissenschaftssystems auf die Generierung von Wissen, nicht auf dieses System begrenzt ist. Forschung als Tätigkeit erfolgt auch in der Industrie bzw. ist im Zuge der Herausbildung der Wissensgesellschaft generelles Element von Wissensarbeit bzw. wissensbasierten Tätigkeiten. 2.1.1.1 Wissenschaft als Berufung oder Konstruktionsarbeit? So wie sich im Laufe der Jahrhunderte verschiedene wissenschaftliche Institutionen herausgebildet haben, hat sich auch die wissenschaftliche Tätigkeit erst im Laufe der Jahrhunderte zu einem Beruf entwickelt. War ursprünglich der Zugang zur Wissenschaft in erster Linie durch den sozialen Stand geregelt, wurde im Zuge des institutionellen Ausbaus der Wissenschaft im 18. und vor allem im 19. Jahrhundert der Zugang zunehmend über den Erwerb von Qualifikationen geregelt und die Wissenschaft damit zu einem Beruf, der nach bestimmten Verfahren gelehrt wird und dessen Ausübung die Befolgung anerkannter Forschungstechniken voraussetzt (vgl. Heintz et al. 2004; Damerow/Lefèvre 1994). Als Stichworte sind hier zu nennen die Normierung der Kommunikation, die Standardisierung von Messverfahren und die zunehmende Laboratisierung30, vornehmlich in den Natur- und Ingenieurwissenschaften. Die Verberuflichung der Wissenschaft war eng verbunden mit der disziplinären Differenzierung, da hier eine Normierung der Qualifikationswege und die Schaffung von speziellen Berufsrollen und Karrierestrukturen möglich wurden, z.B. Promotion oder Habilitation (vgl. Heintz et al. 2004). Max Weber hielt 1919 einen sehr bekannten Vortrag mit dem Thema „Wissenschaft als Beruf“, in welchem er sich unter anderem mit der sich wandelnden Bedeutung der Wissenschaft und der Berufung des Einzelnen zu dieser auseinandersetzte. WissenschaftlerIn sein ist für Weber mit einem bestimmten wissenschaftlichen Ethos verbunden und erfordert hohen persönlichen Einsatz und Engagement: „‘Persönlichkeit‘ auf wissenschaftlichem Gebiet hat nur der, der rein der Sache dient“ (Weber 1995, S. 15, Hervorhebungen im Original). Für Weber ist Wissenschaft vor allem Berufung und ohne Leidenschaft nicht möglich, wobei er mit letzterem vor allem die Spezialisierung – die Hingabe an ein ganz spezielles Themengebiet – meint: 30
Zum Begriff der Laboratisierung und des Labors als Rekonfiguration natürlicher und sozialer Ordnungen siehe detaillierter Knorr Cetina (2002), S. 45ff.
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Die Generierung neuen Wissens als Tätigkeit – Wissenschaft im Wandel „Eine wirklich endgültige und tüchtige Leistung ist heute stets: eine spezialisierte Leistung. Und wer also nicht die Fähigkeit besitzt, sich einmal sozusagen Scheuklappen anzuziehen und sich hineinzusteigern in die Vorstellung, dass das Schicksal seiner Seele davon abhängt: ob er diese, gerade diese Konjektur an dieser Stelle dieser Handschrift richtig macht, der bleibe der 31 Wissenschaft nur ja fern.“ (Weber 1995, S. 12)
In Spin-offs sind aber einer derartig hochgradigen Fokussierung Grenzen gesetzt. Gerade in diesen erfordert das Ziel, wissenschaftliche Erkenntnisse in ein marktfähiges Produkt bzw. eine Dienstleistung zu verwandeln, erstens die Berücksichtigung der Bedürfnisse des Marktes und zweitens in der Regel die Zusammenarbeit verschiedener Fachdisziplinen, z.B. Informatik, Biologie, Chemie, Verfahrenstechnik, Design etc. Dies stellt die kleinen Unternehmen vor große Herausforderungen und verlangt von den MitarbeiterInnen nicht nur die Fähigkeit zur Kommunikation mit KollegInnen anderer Disziplinen, sondern erfordert auch die Aneignung von Fachwissen aus anderen Disziplinen. Die Biotechnologie ist hierfür ein gutes Beispiel. „Durch den Querschnittscharakter der Biotechnologie sind aber eine Vielzahl von weiteren Wissenschaften und Ingenieurtechniken in den Anwendungsbereichen berührt. Diese Multidisziplinarität der modernen Biotechnologie wirkt sich besonders erschwerend auf die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten kleiner und mittlerer Unternehmen aus, die nur sehr begrenzt wissenschaftliches Personal mit allen erforderlichen Qualifikationen vorhalten können.“ (Menrad u.a. 1999, S. 22)
Andererseits bleibt natürlich die hochgradige Spezialisierung der MitarbeiterInnen die Voraussetzung für erfolgreiche F&E in den hochspezialisierten Unternehmen. Unter den im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Unternehmen sind zwei Spin-offs, die für bestimmte Themengebiete teilweise sogar die Vorreiterrolle übernehmen und hier Forschungsgruppen an Universitäten oder Forschungseinrichtungen zumindest ebenbürtig bzw. zeitweilig sogar überlegen waren und sind. Gerade die fachliche Qualifizierung des wissenschaftlichen 31
Im Laufe der Zeit wurden aber auch gerade diese „Scheuklappen“, diese hochgradige Spezialisierung bzw. Fixiertheit auf einen Sachverhalt, der Wissenschaft zum Vorwurf gemacht. So mag sie zwar auf der einen Seite eine Voraussetzung für die Genierung neuen Wissens sein, auf der anderen Seite wird allerdings der Wissenschaft bzw. WissenschaftlerInnen eine gewisse Gesellschaftsbzw. Realitätsferne unterstellt, eine angebliche „Blindheit“ der Wissenschaft gegenüber gesellschaftlich relevanten Fragestellungen. Die Rede vom Elfenbeinturm der Wissenschaft und die Forderung nach einer stärkeren Kontextualisierung der Wissenschaft gehen hierauf zurück. Zu bedenken ist allerdings, dass gerade von der Autonomie der Wissenschaft bei der Wahl der Forschungsgegenstände, unabhängig gegenüber Nützlichkeitserwägungen, die Möglichkeit abhängt, auch Forschungsthemen zu verfolgen, deren spätere Anwendungsmöglichkeiten im Vorfeld noch gar nicht antizipiert werden können. Für andere AutorInnen ist das Verlassen des Elfenbeinturms und die Wissensgenerierung in neu entstehenden Hybridgemeinschaften hingegen Kennzeichen der postmodernen Wissenschaft (vgl. u.a. Bammé 2004, Gibbons et al. 1994).
Wissenschaft als Berufung oder Handwerk
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Personals, die Personalrekrutierung und -entwicklung ist damit für diese Spinoffs, wie sich noch detaillierter zeigen wird, von entscheidender Bedeutung. Im Gegensatz zum Weber’schen Bild der absoluten Einzigartigkeit der wissenschaftlichen Persönlichkeit, die herausragende wissenschaftliche Leistungen erbringt, u.a. auf Basis der eigenen kreativen Eingebungen, ist es bezogen auf Spin-offs hilfreich eine weiter gefasste Vorstellung von einem Wissenschaftler bzw. einer Wissenschaftlerin zu entwickeln. In den Spin-offs konstituiert sich eine Vorstellung, ein Bild von Wissenschaft und Forschung, welches angepasst wird an die jeweilige Unternehmensumgebung und dessen Anforderungen. Dabei dürften zwangsläufig ‘Wissenschaftlerpersönlichkeiten’ entstehen, die sich unterscheiden z.B. von solchen, die an einem Lehrstuhl einer Universität ausgebildet werden können. Dabei ist zu beachten, ob und unter welchen Bedingungen solche Anpassungen und ‘Eigenkonstruktionen’ möglich sind. Die Konstruktion eines wissenschaftlichen Habitus Steffani Engler versucht mit ihrer umfassenden biographischen Untersuchung das traditionelle Bild von ProfessorInnen zu entzaubern, indem sie einen Einblick in die Karriereverläufe und -bedingungen in der akademischen Wissenschaft gibt. Sie zieht ein Fazit, welches vielfältigere Anhaltspunkte bietet, als die von Weber geforderte „Berufung zur Wissenschaft“ und macht deutlich, dass wissenschaftliche Persönlichkeiten in erster Linie soziale Geschöpfe sind, die durch das soziale Gefüge der wissenschaftlichen Welt, durch den Prozess der Anerkennung und Zuschreibung von Leistung, erst konstruiert werden. Die wissenschaftliche Persönlichkeit der AkteurInnen ist die Folge dieser Konstruktionsarbeit im wissenschaftlichen Feld und nicht Voraussetzung zum Eintritt in das Feld. „Dabei stellen sich alle vor als ProfessorInnen, die zu wissenschaftlichen Persönlichkeiten geworden sind, und nicht als solche, die in die Welt der Wissenschaft hineingeboren wurden. So wird die wissenschaftliche Persönlichkeit nicht als Voraussetzung dargestellt, um Professor oder Professorin zu werden, sondern als Folge von sozialen Praktiken im wissenschaftlichen Feld entworfen.“ (Engler 2001, S. 443)
Wenn davon ausgegangen wird, dass wissenschaftliche Persönlichkeiten in der jeweiligen sozialen Praxis konstruiert werden, dann ist es durchaus möglich, auch in Spin-offs eine diesem speziellen Feld entsprechende „wissenschaftliche Persönlichkeit“ zu konstruieren. Spin-offs als soziales Umfeld würden dementsprechend, trotz ihrer Ansiedlung im Wirtschaftssystem, die Konstruktion wissenschaftlicher Persönlichkeiten ermöglichen, angepasst an die Anforderungen des Feldes. Und so kann die Feststellung von Engler nicht nur auf ein sich wan-
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Die Generierung neuen Wissens als Tätigkeit – Wissenschaft im Wandel
delndes Wissenschaftssystem, sondern auch auf Spin-offs und die dort stattfindende Forschungsarbeit bezogen werden: „So ist die wissenschaftliche Persönlichkeit in ihren vielen unterschiedlichen Varianten ein Produkt von Konstruktionsarbeit, das entsprechend den Erfordernissen des Feldes immer wieder neu und vielfältig entworfen und hergestellt wird, aber auch verändert werden kann.“ (ebd. S. 463)
Die Herausbildung einer solchen wissenschaftlichen Persönlichkeit bzw. eines wissenschaftlichen Habitus32 ist eine notwendige Konstruktionsarbeit33, die allerdings spätere Anpassungsleistungen bzw. Verhaltensspielräume des Individuums in anderen organisatorischen oder systemischen Kontexten nicht ausschließt. In welchem Umfang eine Änderung des Habitus selbst möglich ist, bleibt fraglich. Bourdieu (1998) geht davon aus, dass der Habitus als grundsätzliche und inkorporierte Werteorientierung nicht änderbar ist.34 Bezogen auf Spinoffs ist im Rahmen dieser Untersuchung zu beachten, ob und in welchem Ausmaß die wissenschaftlichen MitarbeiterInnen, die zuvor in Institutionen des Wissenschaftssystems gearbeitet haben, ihren Habitus ihrer neuen Forschungsumgebung anpassen müssen und können. Bourdieu spricht in diesem Zusammenhang nicht nur vom Habitus, sondern auch von zwei Formen wissenschaftlichen Kapitals. Ähnlich der Beherrschung eines Spiels entwickle der „Wissenschaftsspieler“ einen Sinn dafür, welches Verhalten sich in dem wissenschaftlichen Feld 32
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Bourdieu (1998) schreibt zum Begriff des Habitus folgendes: „Sie verfügen über erworbene Dispositionen, die ich (ohne dies hier nochmals zu entwickeln) den Habitus nenne, fest und dauerhafte Einstelllungen und Haltungen, die ein starker Grund für die dauernd auftretenden Widerstände gegen die Kräfte des Feldes sind.“ (ebd. S. 25) Inkorporiert werden dabei nicht nur Normen und Werte, sondern auch spezifische Arbeitsweisen und –methoden, wie Beaufaÿs/Krais (2007) in ihrer Untersuchung belegen: „Die Interviews dokumentieren den mühsamen Prozess des Selbstverständlich-Werdens, ja der Einkörperung von Arbeitsformen und Zeitstrukturen; sie belegen nachdrücklich, wie die jungen Leute sich einen Habitus an-arbeiten, der sie zum wissenschaftlichen Nachwuchs macht, d.h. aber zu Individuen mit einer wissenschaftlichen Zukunft.“ (ebd. S. 78) Für Bourdieu ist der Habitus eine allgemeine Grundhaltung, eine Disposition gegenüber der Welt: „[Der Begriff Habitus] bezeichnet im Grunde eine simple Sache: Wer den Habitus einer Person kennt, der spürt und weiß intuitiv, welches Verhalten dieser Person verwehrt ist. Mit anderen Worten der Habitus ist ein System von Grenzen [...] Aber innerhalb dieser Grenzen ist er durchaus erfinderisch, sind seine Reaktionen keineswegs immer schon im voraus bekannt [...] wir haben alle unsere Grenzen. Allerdings gibt es die Möglichkeit, sich dessen bewusst zu werden." (Entnommen aus: Die Abhängigkeit aller Lebensäußerungen vom sozialen Status. Ein Gespräch mit dem französischen Soziologen Pierre Bourdieu. In: L´80 (November 1983), Heft 28, S. 131144) Bourdieu wehrt sich ausdrücklich gegen den Vorwurf, sein Gesellschaftsbild sei zu statisch. Er beschreibt seinen "sozialen Raum" als eine geographische Struktur, wo sich "Nachbarn" begegnen und austauschen und vielleicht auch reiben, während aber andere entferntere Gruppen einander nie begegnen, weil es keinen Anknüpfungspunkt gibt. Siehe hierzu ergänzend Bourdieu (1982).
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auszahle. Es ist zu vermuten, dass in Spin-offs andere Mechanismen der Akkumulation von Kapital vorherrschen als in den jeweiligen wissenschaftlichen Feldern. Aber bereits innerhalb der wissenschaftlichen Felder existieren laut Bourdieu verschiedene Arten von Macht, „auf der einen Seite eine Macht, die man weltlich (oder politisch) nennen könnte, eine institutionelle und institutionalisierte Macht“ (ebd. S. 31), und „auf der anderen Seite eine spezifische Macht, ein persönliches ‚Prestige’, das mehr oder weniger abhängig von jener weltlichen Macht und in allen Feldern und Institutionen ähnlich beschaffen ist, da es nahezu ausschließlich auf einer kaum oder schwach institutionalisierten Anerkennung durch die Gesamtheit der Gleichgesinnten oder der Angesehensten einer ihrer Fraktionen beruht“ (ebd. S. 31). Während das letztere ‘reine’ wissenschaftliche Kapital35, die Anerkennung durch die Scientific Community, sich durch anerkannte Beiträge zur Erweiterung des Wissensstandes der Disziplin akkumuliere, werde das institutionelle wissenschaftliche Kapital in erster Linie durch politische Allianzen und Strategien angesammelt. Untersuchungen zu Spin-offs und High-Tech-Unternehmen haben gezeigt, dass die Kopplung und Kooperation mit dem Wissenschaftssystem für einen großen Teil der Unternehmen unverzichtbar ist bzw. ihnen Wettbewerbsvorteile verschafft (vgl. u.a. Wippler 1998). Dementsprechend dürfte die Anerkennung des Wissenschaftssystems, der jeweiligen Scientific Community einer Disziplin, für das Unternehmen an sich, aber auch für die einzelnen MitarbeiterInnen nach wie vor eine hohe Bedeutung besitzen, und deren Anerkennungsstrukturen und -regeln können dementsprechend nicht ignoriert werden, auch wenn die Regeln des Marktes dominierend wirken. Allerdings liegen die Gründe für Bemühungen um Anerkennung in der Scientific Community einer anderen Motivlage zugrunde, in der Regel der Steigerung der Überlebens- und Gewinnchancen des Unternehmens durch die Sicherung von Kooperationsmöglichkeiten und des Zugangs zu externem Wissen. Wie die Empirie noch verdeutlichen wird, erfolgt lediglich eine Art selektive Teilhabe des Unternehmens bzw. der MitarbeiterInnen an der Scientific Community und deren Anerkennungsstrukturen. 'Konstruktionsarbeit“ in unterschiedlichen Disziplinen Zu bedenken ist darüber hinaus, dass auch innerhalb des Wissenschaftssystems große Unterschiede zwischen den Disziplinen und den sich dort konstituierenden Wissenschaftlerpersönlichkeiten bestehen. Gerade auch Untersuchungen über die Benachteiligungen von Frauen im so genannten ‚Wissenschaftsbetrieb‘ geben vielfältige Hinweise auf die Konstruktionsbedingungen und die Strukturen der 35
„Rein“ in dem Sinne, dass diese Form des Kapitals das Idealbild darstellt, das das wissenschaftliche Feld von sich selbst hat und vermitteln möchte (ebd. S. 31).
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Leistungserbringung und -beurteilung in verschiedenen wissenschaftlichen Feldern.36 So geben Heintz et al. (2004) in ihrem Buch „Wissenschaft, die Grenzen schafft“ zunächst einen Überblick über die Entstehung der modernen Wissenschaft und deren Verberuflichung. Daran schließt sich eine Darstellung der jeweiligen Strukturen und Regeln in den einzelnen Disziplinen an, welche dann die Segregationsprozesse unterschiedlich beeinflussen.37 Durch die Verdeutlichung der Verquickung der jeweiligen epistemischen Räume und Praktiken mit den Spielräumen für die Darstellung von Geschlecht, veranschaulicht die Studie gleichermaßen die Heterogenität von Wissenschaft. Die Studie basiert auf Fallstudien in vier verschiedenen Disziplinen, der Botanik, der Pharmazie, der Meteorologie und der Architektur. Heintz et al. (2004) haben verschiedene Ebenen38 identifiziert, auf denen sich Geschlechterunterschiede manifestieren können. Bei der Untersuchung von Spin-offs ist vornehmlich die Ebene von Interesse, die sich auf die Differenzen bezüglich der von den Männern und Frauen verwendeten unterschiedlichen Deutungsmodelle – im Hinblick auf das generelle Berufsbzw. Wissenschaftsverständnis – bezieht. Insgesamt unterscheiden sie drei Formen des akademischen Berufsverständnisses von WissenschaftlerInnen, die da wären a) Wissenschaft als Freiraum, b) Wissenschaft als Berufung und c) Wissenschaft als Job wie jeder andere. Wie die AutorInnen belegen, nutzen hauptsächlich Männer das Modell „Wissenschaft als Berufung“, das Modell „Wissenschaft als ein Beruf wie jeder andere“ hingegen eher Frauen. Die Studie verdeutlicht, wie unterschiedlich die Ausprägungen des Berufsbildes WissenschaftlerIn auf der individuellen Ebene sein können und zwischen Disziplinen aber auch zwischen den Geschlechtern und im Verlauf des beruflichen Werdegangs differieren. Ließe sich in einigen Disziplinen teilweise eine noch relativ stark verbreitete „Mystifizierung“ des WissenschaftlerInnenberufes feststellen, die häufig
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Gerade die Heterogenität von Wissenschaft ist ein zentrales Thema der Forschung von Knorr Cetina (2002). Sie spricht an dieser Stelle von verschiedenen epistemischen Feldern. Es gibt noch viele weitere Veröffentlichungen, die sich mit diesen Fragen beschäftigen. Exemplarisch genannt werden sollen hier z.B. Sandra Beaufaÿs (2003): Wie werden Wissenschaftler gemacht? Beobachtungen zur wechselseitigen Konstitution von Geschlecht und Wissenschaft, Bielefeld: transcript bzw. Beaufaÿs/Krais (2005 und 2007). Dabei handelt es sich um drei Ebenen: erstens um Verteilungsunterschiede (horizontale und vertikale Segregation), zweitens um Deutungen (Männer und Frauen greifen auf unterschiedliche Deutungsmodelle und Geschlechterstereotype zurück), drittens um Handlungen und Praktiken („practicing of gender“ und „practicing of science“ und damit verbunden Spielarten der verschränkten Darstellung von Geschlecht und Professionalität).
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verbunden sei mit der Opferung des Privatlebens für die Sache39, setzte sich daneben aber auch eine Definition von Wissenschaft als Beruf wie jeder andere durch. Allerdings dürfe nicht vernachlässigt werden, dass die Definition von Wissenschaft als Berufung meistens nicht für das gesamte (Berufs-)leben Geltung besitze, sondern eng verknüpft mit bestimmten beruflichen Phasen zu sein scheine, vor allem der Promotionszeit (vgl. ebd. 2004). Bezogen auf die wissenschaftlichen MitarbeiterInnen in den untersuchten Spin-off-Unternehmen stellt sich daran anknüpfend die Frage, welche Berufsauffassung diese entwickeln und welche sie unter Umständen durch eine vorherige Tätigkeit in der akademischen Wissenschaft mitbringen. Inwieweit sich in Spin-offs die Berufsauffassung „Wissenschaft als Freiraum“ finden lässt, ist im Hinblick auf z.B. inhaltliche und methodische Vorgaben der Forschungsprojekte eher fraglich. Allerdings bietet die Ausweitung des Berufsverständnisses von WissenschaftlerInnen hier überhaupt erst die Möglichkeit der Ausübung dieses Berufs in dem organisationalen Kontext eines Spin-offs. Dieses wäre mit der Auffassung von Wissenschaft als Berufung im Sinne Webers nicht ohne weiteres möglich. Insgesamt ist deutlich geworden, dass Wissenschaft immer auch ein sozialer Raum ist. In den einzelnen Spin-off-Unternehmen etablieren sich verschiedenste Formen der wissenschaftlichen Arbeits- und Projektorganisation, zusätzlich beeinflusst durch die unterschiedlichen Anforderungen des jeweiligen disziplinären Feldes. Im Rahmen der Fallstudien wird zu untersuchen sein, inwiefern in Spin-offs neben den rein inhaltlichen, disziplinären Leistungsbewertungskriterien zusätzliche Kriterien, z.B. durch eine ausgeprägte Dienstleistungsbzw. Kundenorientierung, an Bedeutung gewinnen bzw. diese sogar ersetzen. Neben die wissenschaftlichen Begründungsverfahren treten hier unter Umständen zusätzliche oder neue Kriterien der Leistungsbeurteilung. Des Weiteren hat sich der Beruf der WissenschaftlerIn im Laufe der letzten Jahrzehnte gewissermaßen entmystifiziert und von dem von Weber entworfenen Bild eines Wissenschaftlers bzw. einer Wissenschaftlerin entfernt, inwieweit auch immer dieses Bild je der Realität entsprochen haben mag. Nicht nur innerhalb der Institutionen 39
In ihrer Untersuchung belegen Beaufaÿs/Krais (2007) anschaulich, wie stark nach wie vor die Vorstellung von Wissenschaft als Lebensinhalt ist, mit dementsprechenden Folgen für Wissenschaftlerinnen: „Es ist gerade ihr Glaube an das Feld, der Nachwuchswissenschaftlerinnen dazu bringt, das Projekt einer wissenschaftlichen Karriere aufzugeben. Die Vorstellung von Wissenschaft als einer Lebensform, die jedes andere ernsthafte Engagement ausschließt, ist ihnen so selbstverständlich geworden, dass ihnen ein pragmatischer Umgang damit, auch die Wahrnehmung der dieses Prinzip durchbrechenden Elemente in der Realität, unmöglich geworden ist. So führt gerade die erfolgreiche Sozialisation in das wissenschaftliche Feld dazu, dass sich vielen jungen Wissenschaftlerinnen eine Karriere in der Wissenschaft und eine Familie zu haben als vollkommen konträre und unvereinbare Optionen im Lebensentwurf darstellen.“ (ebd. S. 79)
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des Wissenschaftssystems, sondern auch in Industrieunternehmen und in Spinoff-Unternehmen steht Wissenschaft als Berufsbild zur Verfügung. Das Berufs-/ Rollenverständnis von WissenschaftlerInnen ist nicht mehr so eng, dass es nicht auch in diesen Kontexten anwendbar wäre. Bezogen auf Spin-offs ist anzunehmen, dass diese ForscherInnen keine Rahmenbedingungen für die Forschungsarbeit zur Verfügung stellen können, welche der Weber’sche zur Forschung „Berufene“ benötigen würde, z.B. die Freiheit bei der Wahl der Themen, unbegrenzte Zeithorizonte usw. In Spin-offs steht die Problemlösung für Kunden im Mittelpunkt. Die gefühlsmäßige Bindung an einen bestimmten Forschungsethos ist allenfalls in Ansätzen vorhanden, allerdings auch nicht vollständig verschwunden, wie sich in den Interviews verdeutlicht. Erst das Verständnis von Wissenschaft als Beruf, ermöglicht es, auch die in Spin-offs durchgeführten Forschungsarbeiten als wissenschaftliche Forschung zu definieren. Hierbei stellt sich die Frage, ob und inwiefern die Möglichkeit besteht, wissenschaftliches Arbeiten und forschende Tätigkeiten generell als Profession zu begreifen. Daraus können sich Ansätze zur Überwindung einer rein systemtheoretischen Sicht auf Ausgründungen und WissenschaftlerInnen in Ausgründungen ergeben. Es besteht die Möglichkeit einen stärkeren akteurszentrierten Ansatz zu wählen und in den Biographien der einzelnen Individuen das systemtheoretische Korsett zu sprengen, indem z.B. auf die fortschreitende und systemübergreifende Pluralisierung von Rollenbildern40 verwiesen wird. Die Anwendung eines professionssoziologischen Ansatzes zielt in diese Richtung. 2.1.1.2 Wissenschaft als professionelle ‚Dienstleistung'? In Vorgriff auf die späteren Ausführungen zur Wissensgesellschaft ist es möglich bereits in diesem Zusammenhang von einer tendenziellen Annäherung der Beschäftigungsrollen in den westlichen Gesellschaften an die Rolle des Professionellen zu sprechen, welche sich auf eine generelle Verwissenschaftlichung der
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Hier bietet es sich an, bereits auf das im Zusammenhang mit der Auflösung des traditionellen Wissenschaftsverständnisses später noch angeführte Zitat von Stichweh (siehe Kapitel 2.2.2.) zu verweisen: “Was aber aus dieser Pluralisierung der Rollen und Pluralisierung des Engagements folgt, ist, dass offensichtlich in immer mehr Teilsystemen der Gesellschaft auf die Vorstellung rollen- und berufsgeprägter Persönlichkeiten, die mit ihrem Identitätsentwurf eine nahezu gegebene Ausschließlichkeit ihrer Bindung an ein System verbürgen, verzichtet werden kann.“ (Stichweh 2002, S. 9)
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Arbeit stützt (vgl. Stock 2005).41 Für Stock repräsentieren ArbeiterInnen, UnternehmerInnen und Professionelle die „grundlegenden Typen von Beschäftigungsrollen in der Moderne“ (ebd. S. 14), wobei die beiden letzteren Typen gegenwärtig als die vorherrschenden Leitbilder fungieren. „Gegenwärtige Wandlungsprozesse der Beschäftigungsverhältnisse werden in den Diagnosen am Rollenkonstrukt des Professionellen beziehungsweise des Unternehmers ausgerichtet.“ (ebd. S. 14)
Stock rekurriert u.a. auf Parsons und dessen Verständnis von Wissenschaft und Professionen. Im Gegensatz zu WissenschaftlerInnen, die keinerlei Vermittlungsrolle und Verantwortung für die Anwendung ihrer Ergebnisse übernehmen, zeichnet Professionelle gerade diese Vermittlerrolle aus. „Während für Parsons die Rolle des Wissenschaftlers an der Universität auf eine Weise institutionalisiert ist, die sich durch Unabhängigkeit gegenüber praktischen Nutzbarkeitserwägungen auszeichnet, ist mit den Professionen ein Rollenmuster in der Gesellschaft institutionalisiert, das die Anwendung der Wissenschaft in der Praxis beinhalte. Der Professionelle vermittle zwischen Theorie und Praxis.“ (ebd. S. 288)
Die Vermittlungsfunktion zwischen Theorie und Praxis, die Professionelle diesem Verständnis nach erfüllen, beinhaltet zwar den Transfer von Wissen aus dem Wissenschaftssystem in die Wirtschaft, geht allerdings über einen reinen Wissenschaftstransfer hinaus. In der Vermittlerrolle ist die aktive Mitarbeit bei der Nutzbarmachung des Wissens inkludiert. Diese in Unternehmen und inzwischen auch an Universitäten beobachtbaren Professionalisierungsprozesse werden als Teil bzw. Folge eines Rationalisierungsprozesses verstanden, in dessen Verlauf eine Verwissenschaftlichung der Industrie bzw. eine Industrialsierung der Wissenschaft stattfindet.42 Ein Kennzeichen der Arbeit von Professionellen ist die Anforderung sich zum einen von den „universalistischen Standards der Wissenschaft“ leiten lassen zu müssen und sich zum anderen auf die Probleme und partikularen Interessen der Klienten einlassen zu können (ebd. S. 324). Ein Befund, der sich auf die wissenschaftlichen MitarbeiterInnen und Forschungsprojekte in Spin-offs direkt beziehen lässt. Diesem Verständnis von Professionen 41
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„Ebenso kann davon ausgegangen werden, dass Professionelle, im Parsons’schen Sinne, also einschließlich der an Business Schools ausgebildeten Manager, als Mitglieder von Arbeitsorganisationen im Bereich von Industrie und Dienstleistung im Vergleich zu anderen Personalgruppen auf dem Vormarsch sind.“ (Stock 2005, S. 345) Hack/Hack (1985) sprechen von den gleichzeitig und sich gegenseitig bedingenden Prozessen der „Verwissenschaftlichung der Industrie“ und der „Industrialisierung der Wissenschaft“; dazu auch Wingens (1998): „Die als Rückwirkung der Verwissenschaftlichung der Industrie oder besser: die mit und in diesem Verwissenschaftlichungsprozeß sich herausbildende Realitätsform von Wissenschaft bezeichne ich als industrialisierte Wissenschaft.“ (ebd. S. 189)
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nach sind die Vermittlerrolle zwischen Wissenschaft und Praxis und der starke Wissenschafts- bzw. Theoriebezug kennzeichnende Tätigkeitsmerkmale dieser Berufsgruppen. Auch auf ForscherInnen in Spin-offs wäre dementsprechend der Professionsbegriff anwendbar, und im Hinblick auf die später noch angeführte Debatte um die Wissensgesellschaft und Wissensarbeit ließe sich eine solche Professionalisierung an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis durchaus als Verwissenschaftlichung begreifen. Der Anwendung des Professionsbegriffs auf Spin-off-ForscherInnen steht jedoch ein zentraler Aspekt der gesellschaftlichen Funktion von Professionen entgegen. Im Allgemeinen zeichnen sich Professionen neben ihrem starken Klientenbezug durch eine ausgeprägte Allgemeinwohlorientierung aus, welche eine durchgängige Charakterisierung von Forschung als Profession verhindern würde. Oevermann versucht dies aufzulösen, indem er Webers Unterscheidung von Beruf als ‚vocatio’ und Beruf als ‚professio’ aufgreift. Der Beruf als ‚vocatio’ meint die Berufung auf einen bestimmten gesellschaftlichen Funktionsplatz, welche verbunden ist mit einer allgemeinen Leistungsethik. Beruf als ‚professio’ hingegen bezieht sich auf das öffentliche Bekenntnis zu einer Tätigkeit, bei welcher über die allgemeine Leistungsethik hinaus die gemeinwohlbezogene Bedeutsamkeit der erbrachten Dienstleistungen als Merkmal hinzukommt. Oevermann kennzeichnet Wissenschaft als ‚professio’, da sie mit dem Prinzip der Wertfreiheit verbunden ist und durch die fallibilistische Forschungslogik ohne innere Sinngebung auskommt.43 Wissenschaft ist seinem Verständnis nach simulierte, antizipierte und rekonstruierte Krisenbewältigung und weist hier Parallelen zur Profession auf. Bei Professionen handelt es sich um Berufe, „deren klientenbezogene Dienstleistung auf der Basis einer wissenschaftlichen Expertise erbracht wurde, gemeinwohlorientiert war und sich auf zentrale gesellschaftliche Werte bezog, weder durch den Markt noch durch eine formale Bürokratie wirksam kontrolliert werden konnte und deshalb sowohl hinsichtlich ihrer Ausbildung als auch ihrer Berufsausübung auf der Basis einer verbindlichen Professionsethik sich autonom verwaltete.“ (Oevermann 2003, S. 6) Wissenschaft ist dabei keine Profession, welche die akute Krisenbewältigung einzelner Mitglieder der Gesellschaft übernimmt. Vielmehr ist die Gesellschaft in ihrer Totalität der eigentliche Klient der Wissenschaft. Durch die Anwendung verschiedener wissenschaftlicher Methoden werden Krisen und Lösungen künstlich simuliert, 43
Für Weber war, wie weiter oben schon ausgeführt, wissenschaftliches Handeln durch Spannungen zwischen der inneren Strukturlogik und der äußeren Stellung innerhalb der Gesellschaft geprägt. Wissenschaft als Beruf war für Weber fachübergreifend durch eine Einheit eines Forschungsethos – der Hingabe an die Sache – konstituiert. Im Verlauf des Studiums und darüber hinaus wird eine bestimmte Habitusformation (fachspezifische Methoden, Theorien, Wissensinhalte) erworben (vgl. Oevermann 2003, Weber 1995).
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vorweggenommen und überprüft. Forschung übernimmt auf diese Weise die wissenschaftliche Geltungsprüfung des (ExpertInnen-)Wissens. „Wissenschaft simuliert also systematisch Krisen, sie verwandelt ohne Not durch Bezweiflung Routinen in Krisen und erzeugt paradoxal genau dadurch sich bewährendes Wissen. Der forschungslogische Fallibilismus44 ist in dieser Sicht nichts anderes als die systematische Erzeugung von Krisen in Relation zu einem vermeintlich bewährten Wissen.“ (ebd. S. 15-16)
Forschung ist für Oevermann eine Profession, solange ein gesellschaftlicher Bedarf an erfahrungswissenschaftlicher Forschung besteht, also der methodisch expliziten Konfrontation mit Erfahrungsdaten und der Überprüfung der logischen Konsistenz von theoretischen Argumenten (ebd. S. 27). Aber auch wenn man dies für Universitäten und gerade auch für Forschung in Spin-offs gelten lassen wollte, bleibt festzuhalten, dass zumindest für letztere das gesellschaftliche Allgemeinwohl keine Rolle spielt. Das Ziel des Forschungshandelns in Ausgründungen ist nicht gemeinwohl-, sondern ökonomisch orientiert. Zudem gibt es Ausgründungen, deren Forschungsziele und -organisation eben nicht auf die Simulation von Krisen zur Wissensprüfung oder -gewinnung ausgerichtet sind, sondern die sich z.B. auf reine Weiterentwicklung oder Einlizenzierung von Wissen beschränken. Zwar bleibt die wissenschaftliche Expertise als Basis und Voraussetzung der alltäglichen Berufsausübung auch für ForscherInnen in Spinoffs unverzichtbar, aber nicht nur die Allgemeinwohlorientierung fehlt in der Regel45, sondern es bleibt fraglich, ob sich ForscherInnen in Spin-offs einer gültigen Professionsethik verpflichtet fühlen, ähnlich wie WissenschaftlerInnen dem wissenschaftlichen Ethos. Es kann daher festgehalten werden, dass die Professionalisierung der Forschung in Spin-offs in erster Linie an díe Vermittlerrolle gebunden ist, welche diese Einrichtungen und die dort tätigen ProjektmitarbeiterInnen übernehmen, und an die hohen Bedeutung wissenschaftlichen, disziplinären Wissens, über welches die MitarbeiterInnen zur Ausübung ihrer Tätigkeit verfügen müssen. Für Forschung in Spin-offs ist zudem ein weiteres, wichtiges Kriterium des Professionsverständnisses von Oevermann nicht erfüllt. Um mögliche Krisen 44
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Der Begriff Fallibilismus wurde von Karl R. Popper (1994) geprägt und bezieht sich auf seine erkenntnistheoretische Position, dass keine endgültige Gewissheit möglich ist und daher eine ständige Überprüfung und Revidierung unserer Überzeugungen und Theorien notwendig ist: „Später habe ich diese Idee der Unsicherheit oder der Fehlbarkeit aller menschlicher Theorien, auch der am besten bewährten, „Fallibilismus“ genannt. […] Aber natürlich ist der Fallibilismus kaum etwas anderes als das sokratische Nichtwissen.“ (ebd. Seite XXI) Und selbst wenn ein Spin-offs sich beispielsweise der Erforschung eines allen Menschen zugute kommenden Medikamentes widmen sollte, bleibt das primäre Ziel des Unternehmens immer das wirtschaftliche Überleben des Unternehmens am Markt und nicht die Verbesserung der Gesundheit der Menschen.
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simulieren und bewältigen zu können, muss eine Entbindung vom unmittelbaren Handlungsdruck der Praxis möglich sein46, oder verkürzt formuliert: Forschung braucht Muße und ForscherInnen genügend zeitliche Ressourcen und Freiräume. Die entscheidende Frage in dem Zusammenhang ist, was dieses für Forschung in Spin-offs bedeutet, in welchen der Druck der Praxis auf die ForscherInnen enorm hoch sein dürfte und Zeitdruck ein besonders häufig benanntes Problem ist. Zu befürchten ist, dass Forschung in Spin-offs ihre Fähigkeit zur simulierten Krisenbewältigung und damit auch ein weiteres Professionsmerkmal verliert. Der in den Interviews von den wissenschaftlichen MitarbeiterInnen häufig geäußerte Wunsch nach höheren zeitlichen Ressourcen deutet zumindest auf einen bestimmten Bedarf bzw. Mangel an den geeigneten Rahmenbedingungen für eine derartige Forschung hin. Dieser Bedarf entsteht, da auch in Spin-offUnternehmen auf bestimmte professionelle Bestandteile der Forschung nicht gänzlich verzichtet werden kann. Hierzu gehört beispielsweise die Identifizierung und Prognose zukünftig bedeutsamer Forschungsfragen und Entwicklungen, die Simulation von Krisen und die Geltungsprüfung von Wissen. Die Orientierung auf die Zukunft, also die Fähigkeit mögliche Probleme und Lösungen vorwegnehmen zu können und zu erahnen, wo am Markt Bedarf entstehen könnte, bleibt bestehen. Allerdings bezieht sich die Identifikation und die Lösung von Problemen in erster Linie auf den unternehmenseigenen Markt und zielt nicht auf die Lösung gesamtgesellschaftlicher Probleme und Bedarfe. Als Fazit bleibt, dass auch Forschung in Spin-offs trotz der höheren Zielgerichtetheit der Forschung nicht nur ausschließlich standardisierte Anteile enthält, sondern eben auch nicht-standardisierbare Anteile im professionellen Forschungshandeln. Damit würde nicht mehr die Frage entscheidend sein, ob es sich in Spin-offs um Forschung handelt, sondern vielmehr wie das Verhältnis der standardisierbaren und nicht-standardisierbaren Anteile zueinander ist. Forschung in Spin-offs richtet sich auf konkrete Kunden, in der Regel andere Unternehmen. Ein Teil der in Auftrag gegebenen Forschungsaufträge mag ein hohes Maß an Kreativität und Problemlösungskompetenz erfordern. Häufig handelt es sich dabei jedoch um stark standardisierte und routinierte Auftragsforschung für andere Unternehmen. Trotzdem wird die Geltung von Wissen überprüft und neues Wissen generiert. Und auch die MitarbeiterInnen begreifen sich nach wie vor als ForscherInnen oder WissenschaftlerInnen. Das mag kein Beleg sein dafür, dass in Spin-offs professionalisierte wissenschaftliche Forschung durchgeführt wird, aber sollte durchaus als Anzeichen ernst genommen werden. Denn häufig machen gerade die Kunden und deren spezifisches Problem genau den Faktor aus, der standardisierte Verfahren in nicht-standardisierte Projektverfah46
Die Krise durch Muße ist dabei eine von drei Krisentypen. Zu weiteren Details siehe Oevermann (2003, S. 21ff.).
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ren umwandelt. Die Entwicklung passgenauer Lösungen für die Kunden erfordert die Anpassung der Methoden und kreative Problemlösung. Genau hier lassen sich Parallelen zur Aufgabe von Professionen wie Psychologie oder Jura entdecken, wobei diese auf die Problemlösung für Individuen spezialisiert sind. Mit der Betrachtung des Berufsverständnisses von WissenschaftlerInnen und der Auseinandersetzung mit Forschung als eine Form professionalisierten wissenschaftlichen Handelns, stellt sich zwangsläufig die Frage, wie sich dieses Handeln der einzelnen ForscherInnen in den jeweiligen Organisationen manifestiert und welchen Regeln es folgt. Nicht nur das Berufsverständnis des Forschers bzw. der Forscherin ist schwer zu bestimmen und befindet sich im Wandel. Gleiches gilt auch für die Tätigkeit des Forschens an sich, ihre unterschiedlichen Formen und Rahmenbedingungen, welche nachfolgend im Fokus stehen. 2.1.2 Forschung – ein Handwerk mit Ethos Das institutionelle Ziel der Wissenschaft ist laut Merton die Ausweitung gesicherten Wissens: „Die technischen Methoden, die zur Erreichung dieses Ziels angewandt werden, liefern die relevante Definition von Wissen: empirisch bestätigte und logisch konsistente Voraussagen.“ (Merton 1973, S. 47) Die angewandten Methoden sind für Merton allerdings nicht nur rein technische Vorschriften. Die Bräuche der Wissenschaft hätten zwar durchaus eine methodologische Begründung, seien aber sowohl moralische als auch technische Vorschriften. Das Ethos der Wissenschaft sei das wissenschaftliche Bewusstsein, quasi das ÜberIch des Wissenschaftlers bzw. der Wissenschaftlerin. Als die vier institutionellen Imperative dieses Ethos benennt Merton – wie schon erwähnt – Universalismus, Kommunismus, Uneigennützigkeit, organisierter Skeptizismus. Die Herausbildung dieses Ethos ist möglich geworden vor dem Hintergrund der traditionellen akademischen Wissenschaft, wie sie sich in Deutschland zwischen 1850 bis 1950 herausgebildet hat (vgl. Bammé 2004). Wissenschaft existiert als relativ autonomes Subsystem der Gesellschaft und hat ein hohes Maß an Autonomie und Selbststeuerung – eben auch bei der Wahl der Forschungsthemen – inne. Diese viel gerühmte Autonomie der Wissenschaft ist jedoch bereits für Merton (1973) eher ein Aspekt ihrer kulturellen Werte und Bräuche, ihrer kulturellen Struktur, anstatt Ausdruck unantastbarer gesellschaftlicher Realität, denn „die beginnenden Angriffe auf die Integrität der Wissenschaft haben die Wissenschaftler veranlasst, ihre Abhängigkeit von bestimmten Typen sozialer Struktur zu erkennen. […] Nun da ihr »way of life« infrage gestellt wird, sind die Wissenschaftler zu einem neuen Selbstbewusstsein gekommen: einem Bewusstsein von sich selbst als einem wesentlichen Teil der Gesellschaft mit entsprechenden Verpflichtun-
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gen und Interessen. Ein Elfenbeinturm wird unhaltbar, wenn seine Mauern bedrängt werden.“ (Merton 1973, S. 45). Inwieweit dieses Ethos für die heutige Wissenschaft noch uneingeschränkt gilt bzw. überhaupt je Geltung besessen hat, ist fraglich. Die Auseinandersetzung mit den Fragen des Wandels der Wissenschaft – der Ablösung der akademischen durch die postakademische Wissenschaft (vgl. Bammé 2004, Ziman 1996) oder der stärkeren Kontextualisierung der Wissenschaft (vgl. Gibbons et al. 1994) – beeinflusst direkt die Gestaltung der wissenschaftlichen Forschungstätigkeit und der angewandten Methoden. Wenn wissenschaftliche Erkenntnisse nicht mehr allein wegen ihres „gesellschaftlichen Bedeutungswertes“ nützlich sind, sondern lediglich ihr „gesellschaftlicher Nutzwert“ entscheidend ist, d.h. die Wissensproduktion weniger den Idealen der Aufklärung folgt, sondern im Kontext von Anwendung und Nützlichkeit entsteht (vgl. Bammé 2004), dann gelten u.U. auch andere technische und moralische Vorschriften. Bezogen auf Spin-offs würde dies aufgrund der grundsätzlich anderen Zielrichtung der Forschung und der gänzlich unterschiedlichen Rahmenbedingungen in den Unternehmen verstärkt wirksam werden. Die institutionelle Gestaltung und gesellschaftliche Verankerung des Wissenschaftssystems und die Herausbildung eines Berufsbildes „WissenschaftlerIn“, gekoppelt an einen spezifischen beruflichen Ethos, beeinflusst entsprechend auch die angewandten Methoden und die konkrete Gestaltung der täglichen Arbeit durch die WissenschaftlerInnen. Im Fokus steht nachfolgend die Organisation wissenschaftlicher Forschung im Alltag und die Frage, was wissenschaftliche Forschung kennzeichnet. Der Begriff des Forschungshandelns ist dabei der umfassendste Begriff, welcher den Vorteil bietet, völlig unabhängig von den Institutionen des Wissenschaftssystems und den Bedingungen und Strukturen des jeweiligen disziplinären Feldes einen Zugang zu Forschung als Tätigkeit zu ermöglichen. 2.1.2.1 Forschungshandeln Aufgrund der an Hochschulen traditionell üblichen Verknüpfung von Forschung und Lehre47, ist eine getrennte Betrachtung von Hochschul- und Forschungssystem notwendig. Während an den Hochschulen die Generierung von Wissen direkt mit der Vermittlung von Wissen verknüpft ist, spielt Lehre an Forschungs47
Bammé definiert Forschung als Produktion objektiv neuer Erkenntnisse und in Abgrenzung dazu Lehre als Vermittlung und Aneignung subjektiv neuen Wissens. Die Trennung von Forschung und Lehre ist allerdings nicht selbstverständlich: Erst mit der Gründung der Berliner Universität 1810 (seit 1949 Humboldt-Universität) begann auch die Verbreitung des Humboldtschen Modells der Einheit von Forschung und Lehre. (vgl. Bammé 2004, S. 10)
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einrichtungen keine Rolle. Der Verzicht auf Lehre ist jedoch nicht der einzig ausschlaggebende Unterschied. Heintz et al. (2004) unterscheiden zwischen dem Hochschul- und dem Forschungssystem vor allem im Hinblick auf epistemische Kulturen. Während die Hochschule in organisatorisch und strukturell ähnliche Einheiten, d.h. Disziplinen, gegliedert ist, ist das Forschungssystem in kognitiv unterschiedliche epistemische Felder differenziert. In Forschungseinrichtungen treffen Angehörige unterschiedlicher disziplinärer und technischer Herkunft aufgrund kognitiver Kriterien in epistemischen Feldern aufeinander, Projekte werden in hohem Maße in Teams bearbeitet.48 Um eine Betrachtung gänzlich losgelöst von Disziplinen, epistemischen Kulturen oder dem jeweiligen Erkenntnisziel der Forschung zu ermöglichen, bietet sich der Ansatz von Krohn/Küppers an. Sie definieren Forschungshandeln als „Handel mit der Absicht der Wissenserzeugung“ (ebd. 1989, S. 28), ohne z.B. Qualitätskriterien für die Art des generierten Wissens zu benennen. Für sie ist Forschungshandeln soziales Handeln, welches wiederum immer in Wechselwirkung steht mit anderem sozialem Handeln, das selbst nicht unbedingt Forschungshandeln sein muss. Diese Perspektive eröffnet einen Blick über die Grenzen des Wissenschaftssystems hinaus, die Notwendigkeit der Herausbildung eines gesellschaftlich ausdifferenzierten Tätigkeitstypus Forschung wird dadurch aber nicht in Frage gestellt. Zwar kann für Krohn/Küppers Forschungshandeln unabhängig von einem speziellen wissenschaftlichen Handlungskontext stattfinden. Trotzdem muss sich Forschungshandeln als ein spezifischer Tätigkeitstypus gesellschaftlich etabliert haben. „Für Gesellschaften ohne ausdifferenzierte Forschungsinstitutionen ist es der Normalfall, dass Forschung im Kontext anderer Handlungszusammenhänge auftritt (Wirtschaft, Religion). Allerdings entsteht die Frage, ob Forschung auch dort betrieben wird, wo die entsprechenden Handlungen ohne eine semantische Ausdifferenzierung, d.i. ohne die Benutzung eines Begriffs der Forschung, vollzogen werden, etwa als Forschung im Alltag (»wo liegt meine Brille?«) oder in Primitivgesellschaften. Würde man dies bejahen, hätte man eine objektivistische Kennzeichnung der Forschungstätigkeit zu geben, die von dem jeweiligen kulturellen oder historischen Selbstverständnis unabhängig sein müsste. Wir gehen dagegen davon aus, dass Forschung zwar in beliebigen Handlungskontexten auftreten kann, sich aber zumindest selbst als Forschung verstehen muss. Die kulturelle Herausbildung dieses Tätigkeitstypus und seine historische Entwicklung unterstellen wir dabei als gegeben.“ (Krohn/Küppers 1989, S. 28-29)
Wenn Forschung tatsächlich in jedem beliebigen Handlungskontext auftreten kann, dann bedeutet dies in Bezug auf Spin-off-Unternehmen, dass Forschung lediglich in einem anderen organisationalen Kontext geregelt wird. Der Tätig48
Der steigende Anteil der Drittmittelforschung an Universitäten (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung 2006a) führt allerdings auch dort zu einer verstärkten interdisziplinären Zusammenarbeit.
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keitstypus Forschung an sich bliebe erhalten, denn der Forschungsprozess kann auch außerhalb des Wissenschaftssystems ermöglicht werden. Der Forschungsprozess selber ist für Krohn/Küppers gekennzeichnet durch rekursive Interaktion innerhalb einer Forschungsgruppe, in welcher die WissenschaftlerInnen sachliche (Erkenntnisse) und strategische Informationen (Absichten) austauschen. Zusätzlich nehmen die einzelnen am Forschungsprozess beteiligten WissenschaftlerInnen an Handlungen in der wissenschaftsexternen und wissenschaftsinternen Umwelt teil. Die Autoren unterscheiden Forschungshandeln als Selbstorganisation der Forschung von Wissenschaftshandeln als Selbstorganisation der Wissenschaft (Krohn/Küppers 1989, S. 122). Forschungshandeln findet diesem Verständnis nach zwar in einem sozialen System bzw. Raum statt, gestaltet diesen aber nicht. Dafür ist das Wissenschaftshandeln verantwortlich. Dementsprechend ist denkbar, dass Forschungshandeln in jeglichem sozialen Raum stattfinden kann, sofern dieser Bedingungen schafft, unter denen der Forschungsprozess autonom ablaufen kann. „Während das Forschungshandeln durch rekursive Interaktionen den Forschungsprozeß organisiert, wird durch das Wissenschaftshandeln die Umwelt der Forschung so strukturiert, dass das Wissenschaftssystem sich in verschiedenen Dimensionen geordnet entwickeln kann. Beide Handlungsformen zusammen vernetzen die Mikrowelt der Wissenschaftler zur Makrowelt der Wissenschaft. […] Die durch das Wissenschaftssystem selbst vorgenommene Trennung in System und Umwelt beendet die fruchtlose Diskussion über die Dichotomisierung in gesteuerte versus autonome Wissenschaft. Wissenschaftshandeln modelliert die Umwelt so, dass die Forschung im Kern autonom ist; dies gilt für Industrie- und Staatsforschung nicht weniger als für die akademische Forschung.“ (Krohn/Küppers 1989, S. 132)
Gerade letzteres bietet einen interessanten Anhaltspunkt für die Widersprüche in den Interviews der hier vorliegenden Studie, in denen fast durchgängig die Forschungstätigkeit als Wissenschaft charakterisiert wird: „Wir machen hier Wissenschaft“. Das würde bedeuten, dass auch in den marktorientiert handelnden Unternehmen, zumindest in Teilbereichen, genügend Raum für Forschungshandeln bereit gestellt wird, welcher den ForscherInnen die Generierung von Wissen ermöglicht. Umgekehrt lassen sich aber in den Interviews durchaus vielfältige Hinweise auf Störungen des Forschungshandelns finden. Das heißt, die ForscherInnen finden in den Unternehmen keine Umwelt vor, welche ihnen durchgängig autonomes Forschungshandeln ermöglicht, beispielsweise durch entsprechende Vorgaben auf der Ebene der Arbeits- oder Projektorganisation. Forschungshandel selbst ist dem Verständnis Krohn/Küppers nach vom Kern her so aufgestellt, dass es nie vollständig (fremd)gesteuert sein kann – dafür sorgt das Wissenschaftshandeln. In Spin-offs fehlt allerdings dieses Wissenschaftshandeln, das die Autonomie des Forschungshandelns garantiert. Die Frage bleibt also, ob Spin-offs die Strukturen und Bedingungen innerhalb ihres Unternehmens und in
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ihren Netzwerken nach außen so modellieren können, dass im Kern autonomes Forschungshandeln möglich ist. 2.1.2.2 Wissenschaftliche Methoden und die Organisation von Forschung Ist Wissenschaft ein Beruf, dann beruht dieser nicht ausschließlich auf Inspiration und Eingebung49. WissenschaftlerInnen verfügen über einen charakteristischen „Werkzeugkasten“, ein spezifisches Methoden- und Fähigkeitenrepertoire, das sich in Teilen je nach Disziplin unterscheiden kann. Für Ravetz (1971) ist Wissenschaft in erster Linie ein Handwerk, für welches die WissenschaftlerInnen dementsprechendes Handwerkswissen benötigen; oder wie Ravetz es formuliert: „Science as craftman’s work“. Neben explizitem theoretischem Wissen, z.B. über die Versuchsgeräte, könnten WissenschaftlerInnen nur auf Basis ihres Erfahrungswissens Vermutungen über zu erwartende Ergebnisse äußern, Entscheidungen über die Dauer der Testphase treffen und gewonnene Daten interpretieren.50 Auch um in der nächsten Phase die Reliabilität und die Relevanz der Ergebnisse beurteilen zu können, würden WissenschaftlerInnen auf (implizites) Erfahrungswissen zurück greifen.51 Des Weiteren unterscheiden sich die jeweiligen Methoden und Werkzeuge einer Disziplin hinsichtlich ihrer Komplexität und Feinheit, so dass einige keinerlei Training und bestimmte Erfahrungen zu ihrer Beherrschung verlangten und andere so komplex seien, dass die jeweiligen WissenschaftlerInnen sich auf ein Werkzeug spezialisieren. Zusammenfassend ließe sich festhalten, dass WissenschaftlerInnen ähnlich Handwerkern ein unverzichtbares spezifisches Erfahrungswissen aufbauen: „The assessment of data and of 49
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Für Weber ist Wissenschaft nicht nur Spezialisierung. Für ihn kennzeichnet die Kopplung von Eingebung und Methode – oder besser Kreativität und methodischer Arbeit – den wissenschaftlichen Beruf. (vgl. Weber 1995, S. 13ff.) Damit ist in Forschung ein zusätzliches, nicht planbares Element enthalten, welches über den Forschungsinhalt bzw. -gegenstand hinaus geht und in der Person des Forschers bzw. der Forscherin begründet liegt. Knorr Cetina (2002) thematisiert die Bedeutung von Erfahrungswissen u.a. in Zusammenhang mit der Bedeutung sensorischer Erfahrungen im Forschungsprozess, speziell in der Molekularbiologie. Sie setzt sich auseinander mit dem Körper der Forschenden, deren inkorporiertem, nichtexplizierbarem Wissen. Gerade in dieser epistemischen Kultur ist die Auffassung weit verbreitet, dass es beispielsweise nicht ausreicht schriftlich vorliegende Ergebnisse auszuwerten, sondern die eigenhändige Durchführung der Experimente ist ein „epistemologischer Garant für die Wahrheit“ (ebd. S. 142ff.). Knorr Cetina spricht von dem „erfahrenen Körper“ des Forschers oder der Forscherin, dem körperlichen Gedächtnis als Archiv manuellen und instrumentellen Wissens: „Der Körper als stummes Gedächtnis von Erfahrungen, als Träger von Kompetenz und Ort sensorischer Informationsverarbeitung – dies alles sind Aspekte der Steigerung verkörperter Erfahrung in der experimentellen Tätigkeit.“ (ebd. S. 145) Zur Unterscheidung von implizitem und explizitem Wissen siehe u.a. (Polanyi) 1985, S. 14ff.
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information, and the manipulation of tools, are all subject to pitfalls; and it is only the craft knowledge of the investigator which enables him to avoid some and sense the presence of those which remain.” (Ravetz 1971, S. 101) Allerdings macht Ravetz auch deutlich, dass Wissenschaft auf keinen Fall ein Handwerk wie jedes andere ist und essentielle Unterschiede zwischen dem „Handwerk“ wissenschaftliche Forschung und anderen Formen menschlicher Tätigkeiten bestehen: „For the objects of scientific inquiry are of a very special sort: classes of intellectually constructed things and events. Their difference from the objects of handicraft production, or even of ordinary discourse and action, gives scientific knowledge its special power, and makes scientific inquiry a particularly complex and delicate social activity.” (Ravetz 1971, S. 109)
Allein über die Inhalte erklären sich seiner Ansicht nach der spezielle Charakter der Wissenschaft und ihre Sonderrolle. Lediglich die Methodik einer Disziplin kann wie ein Handwerk erlernt werden. Bezogen auf die GründerInnen von Spinoffs und ihre MitarbeiterInnen, welche zuvor meist an wissenschaftlichen Institutionen geforscht haben bzw. dort ausgebildet wurden, bedeutet dies, dass auch sie die entsprechenden Methoden ihrer Disziplin beherrschen. Demzufolge muss sich das „Handwerkszeug“ der ForscherInnen in Spin-offs nicht zwangläufig von dem der ForscherInnen in der akademischen Wissenschaft unterscheiden. Inwieweit sich allerdings die Forschungsfragen und -inhalte in Spin-offs von denen in den Institutionen der akademischen Wissenschaft unterscheiden, ist näher zu untersuchen, gleiches gilt z.B. für die Interpretation der Daten und Ergebnisse. Wiederkehrende Forschungsdienstleistungen und ein hoher Standardisierungsgrad der Projektbearbeitung in Spin-off-Unternehmen würden dafür sprechen, Forschung in Spin-offs in erster Linie als ein Handwerk zu verstehen. Sie hätte dann ihren speziellen „wissenschaftlichen“ Charakter i.S. Ravetz’ verloren, welcher sich über ihre Inhalte erklärt. Krohn/Küppers charakterisieren Forschungshandeln auf ähnliche Art und Weise. Für sie wird die Entscheidung über die verschiedenen Arten von Forschung anhand des Erkenntniszieles getroffen. Das Forschungshandeln selber bleibt davon unberührt: „Gemeinsamer Nenner all dieser Unterscheidungen, die aufgrund unterschiedlicher Erkenntnisziele getroffen werden, ist Forschung als wissenschaftliche Standardtätigkeit: überall wird zumindest geforscht.“ (ebd. 1989, S. 30) Dies kommt der Auffassung von Forschung als Handwerk nahe. Komplexer werden die hier angestellten Überlegungen zum Forschungshandeln bei einer Berücksichtigung unterschiedlicher disziplinärer Forschungskulturen. Wie der Begriff der Kultur andeutet, geht es dabei nicht nur um das in der jeweiligen Disziplin vorherrschende Methodenrepertoire, sondern auch um soziale Praktiken und gemeinsam geteilte Normen und Werte. Knorr Cetina
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unterscheidet im Kern zwischen Feld-, Labor- und Experimentalwissenschaften. Das Labor als Grundeinheit empirischer Forschung – gerade in den Naturwissenschaften – dient der Rekonfiguration natürlicher, aber auch sozialer Ordnungen: „In Laborprozessen werden natürliche Ordnungen mit sozialen Ordnungen in Einklang gebracht, indem rekonfigurierte, manipulierbare Objekte in Relation zu den Akteuren an einem bestimmten Ort und zu einem bestimmten Zeitpunkt gesetzt werden. In Laboratorien werden aber auch Personen im Hinblick auf die entsprechende Objektwelt rekonfiguriert, in und mit der sie operieren.“ (Knorr Cetina 2002, S. 4).
Auf diese Weise werde die jeweilige soziale Ordnung Teil der Forschungsstrategie und der oder die WissenschaftlerIn selbst ein maßgeblicher Bestandteil der Untersuchungsmethode. Schwerpunktmäßig herrschten in nahezu allen Wissenschaften eine – oder mehrere – der drei folgenden Techniken vor: Simulations-, Interventions- oder Repräsentationstechniken. Knorr Cetina hat sich in ihrer Studie auf die Hochenergiephysik und die Molekularbiologie konzentriert. Erstere bediene sich primär Repräsentationstechniken, die Molekularbiologie versuche hingegen vornehmlich durch Interventionstechniken neue Erkenntnisse zu gewinnen. Kennzeichnend für die Herangehensweise Knorr Cetinas ist die in ihrem Buch „Wissenskulturen“ anhand des Beispiels dieser zwei naturwissenschaftlichen Disziplinen und deren unterschiedlichen epistemischen Kulturen herausgearbeitete zentrale These. „Die“ Wissenschaft gibt es nicht, sondern in jedem Wissensgebiet gibt es bestimmte Praktiken, Mechanismen und Prinzipien, die bestimmen „wie wir wissen, was wir wissen“ (Knorr Cetina 2002, S. 11). Je nach Art des Untersuchungsgegenstandes – und disziplinären Traditionen und Verberuflichungsprozessen – unterscheiden sich auch die in der Disziplin vorherrschenden Methoden und damit das methodische Rüstzeug der WissenschaftlerInnen. Heintz (2004) unterscheidet drei Dimensionen epistemischer Kulturen, wobei vor allem die erste Dimension die Heterogenität des disziplinären „Werkzeugkastens“ hervorhebt. 1) Eine wissensbezogene Dimension, bei der die Praktiken der Objektkonstitution und -handhabung bedeutsam sind. Es handelt sich um die jeweilige epistemische Praxis der verschiedenen Disziplinen, wobei hier eine Unterscheidung anhand der Feld-Labor-Achse möglich ist. In einer Feldwissenschaft sind – trotz auch dort stattfindender Laboratisierung – gänzlich andere Forschungspraktiken vorherrschend, z.B. nicht-angreifende „beobachtende“ Forschungspraktiken statt experimentellem Vorgehen im Labor und Manipulation und Transformation der Objekte. 2) Eine soziale Dimension, welche die vorherrschenden Kooperationsformen und Modi struktureller Integration beinhaltet, gewissermaßen die Formen der Technisierung und Kooperation innerhalb einer epistemischen Kultur. Hier
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stellen sich z.B. Fragen hinsichtlich des vorherrschenden Zwangs zu Kooperation und Teambildung oder zum formellen/informellen Charakter der alltäglichen Interaktion. 3) Eine symbolische Dimension, welche sich auf die kulturelle Identität einer Disziplin bezieht: Berufsbilder, Alltagstheorien über die Wissenschaft und ihre Phänomene, Grenzdiskurse. Hier stellt sich die Frage, wie sich die kulturelle Identität konstruiert; dies kann durch Grenzdiskurse erfolgen, d.h. in Abgrenzung zu anderen Disziplinen und wissenschaftsexternen Karrierewegen. Kulturelle Identitäten beruhen durchgängig auf Merkmalen ihrer epistemischen Praxis oder sozialen Organisation. In Spin-offs lassen sich durch die Anpassung an eine gänzlich andere Systemlogik und die Anpassung der Forschungspraxis nicht nur Auswirkungen auf die wissensbezogene Dimension erwarten. Die zweite und dritte Dimension bestimmen wesentlich die täglichen Arbeitsroutinen und -organisationsstrukturen in den Unternehmen. Im Hinblick auf die stark ausgeprägte Interdisziplinarität der Projektarbeit in Spin-offs und die zunehmende Bedeutung der Zusammenarbeit mit Akteuren aus anderen Unternehmen verändern sich Kooperationsformen und neue kulturelle Identitäten bilden sich heraus. Verändert sich also in Spin-offs die epistemische Praxis und die soziale Organisation, ist die Herausbildung einer neuen, für das jeweilige Spin-off charakteristischen epistemischen Kultur zu erwarten. Diese Überlegungen korrespondieren mit der im Zuge der Debatte um neue Formen der Wissensproduktion behaupteten Entstehung „lokalisierter Formen wissenschaftlicher Autonomie“ (vgl. Kapitel 2.2.2.). Bei der Betrachtung von Spin-offs und deren epistemischer Kultur ist es sinnvoll, sich im Vorfeld auch auf bereits vorliegende Untersuchungen zur industriellen Forschung und der dort vorherrschenden Forschungspraxis zu beziehen. Denn auch hier versuchen Unternehmen innerhalb ihrer Organisationstrukturen Forschungshandeln zu ermöglichen, mit entsprechenden Auswirkungen auf die wissensbezogene, soziale und symbolische Dimension der epistemischen Kultur. Besonders deutlich manifestiert sich dieses beispielsweise anhand der unterschiedlich wirksamen Anerkennungsstrukturen für akademische und industrielle Forschung. 2.1.2.3 Die Organisation von Forschung in der Industrie Lothar und Irmgard Hack veröffentlichten im Jahr 1985 in „Die Wirklichkeit, die Wissen schafft“ ihre Überlegungen und Untersuchungsergebnisse zur Forschungsorganisation großindustriellen Unternehmen. Wie bereits der Untertitel ihrer Studie „Zum wechselseitigen Begründungsverhältnis von „Verwissen-
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schaftlichung der Industrie“ und „Industrialisierung der Wissenschaft“ andeutet, bezogen sie sich dabei auf bzw. vielmehr gegen die Debatten um die nachindustrielle Gesellschaft oder die Wissensgesellschaft. Ebenfalls beeinflusst wurde ihre empirische Studie von der schon erwähnten Diskussion um die Finalisierung der Wissenschaft in den 1970er Jahren. Ausgehend von einer „fortschreitenden ‚Durchindustrialisierung’ der gesamten Gesellschaft“ (Hack/Hack 1985, S. 23) wird Forschung und Entwicklungsarbeit zur Industriearbeit und damit auch „industriekapitalistische[n] Formbestimmungen auf immaterielle Prozesse bezogen“ (ebd. S. 25, Hervorhebungen im Original). In den Industrieunternehmen würden die Forschungsergebnisse aus den Institutionen des Wissenschaftssystems nicht mehr nur transferiert und integriert, sondern Wissen werde zunehmend in den unternehmenseigenen Forschungsabteilungen selbst produziert und damit das wissenschaftliche Personal zum Gegenstand der Personalpolitik und Personalentwicklungsmaßnahmen des Unternehmens. Dementsprechend verfügten die Industrieunternehmen nicht nur über die wissenschaftlichen Ergebnisse, auch der wissenschaftliche Produktionsprozess und die sozialen Bedingungen dieses Prozesses, „nämlich die Institutionen, in denen das wissenschaftliche Wissen und die wissenschaftlich ausgebildeten Personen produziert werden“ (ebd. S. 46), lägen in ihren Händen. Eine Folge dessen sei eine Anpassung der Bedingungen der Wissensgenerierung durch die industriellen Unternehmen mit erheblichen Auswirkungen auf die Organisation des Forschungsprozesses, auf die ForscherInnen und die Anforderungen, die an diese gestellt würden. Diese Erkenntnis kann – wie sich zeigen wird – nicht nur für großindustrielle Unternehmen, sondern auch auf die überwiegend klein- und mittelbetrieblich organisierten Spin-offs angewandt werden. Denn in den Spin-offs wird der Forschungsprozess entsprechend den Anforderungen des jeweiligen Marktes und den Rahmenbedingungen des Unternehmens angepasst und modelliert. Wie eine neuere Untersuchung von Hildegard Matthies (2003) belegt, unterscheiden sich die Leistungsanforderungen und die Anerkennungsregeln in beiden Feldern, dem Feld der akademischen und dem der industriellen Forschung, erheblich. Ein Vergleich der personalpolitischen Praktiken in drei Forschungseinrichtungen der Leibniz-Gemeinschaft und einem Unternehmen aus der Industrieforschung steht im Mittelpunkt der Untersuchung von Matthies und ermöglicht Rückschlüsse auch bezüglich Spin-off-Unternehmen. Stünden in der industriellen Forschung zwar auch die Hervorbringung innovativer Ideen an erster Stelle, seien diese hier allerdings mit einem klaren Ziel verbunden, der Schaffung eines Produktes. Entscheidendes Qualitätskriterium sei „nicht die Einzigartigkeit einer Idee, sondern ihre Vermarktungsfähigkeit“ (Matthies 2003, S. 77). Als Folge der verschiedenen Anforderungsstrukturen und Anerkennungsmechanismen unterscheiden sich die Karrierepfade und beruflichen Ent-
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wicklungsbedingungen in Forschungseinrichtungen und in Unternehmen deutlich: In der Wissenschaft gingen eine gewisse Unvorhersehbarkeit der akademischen Laufbahn, die extremen Selektionsmechanismen und die harte Konkurrenz um die wenigen unbefristeten Stellen einher mit einem hohen Grad an Autonomie für diejenigen, die den Sprung auf eine solche geschafft haben. In den industriellen Unternehmen hingegen spiele die Sicherung und Bindung des Knowhows der MitarbeiterInnen an das Unternehmen eine entscheidende Rolle.52 „Die Organisationen der industriellen Forschung legen es dagegen darauf an, Wissenschaftler/innen mit ausgeprägtem Know-how an den Betrieb zu binden. Dies geschieht durch materielle Anreize sowie relativ verlässliche innerbetriebliche Karriereoptionen. […] Den Preis, den die Wissenschaftler/innen der industriellen Forschung für die relativ verlässlichen Berufsperspektiven im Feld zahlen, ist die Einschränkung ihrer wissenschaftlichen Autonomie. So besteht in der industriellen Forschung eine starke interne Weisungsgebundenheit und hierarchische Kontrolle.“ (ebd. S. 78)
Tab. 1: Merkmale der unterschiedlichen wissenschaftlichen Felder Akademische Forschung
Industrielle Forschung
Leistungsansprüche
Innovative Ideen
Verwertbare (innovative) Ideen
Produkte
Publikationen (ĺ kulturelles Kapital)
Patente, marktfähige Produkte (ĺ ökonomisches Kapital)
Anerkennungsinstitutionen
Scientific community
Unternehmen (Vorgesetzte)
Anerkennungssymbole
Reputation und Status (Professur)
Materielle Gratifikationen, Aufstiegsangebote
Autonomie
Hoch
Niedrig
Laufbahnrisiken
Ungewisse berufliche Perspektiven
Relativ verlässliche berufliche Perspektiven
Institutionalisiertes Personalmanagement
Geringe Bedeutung
Hohe Bedeutung
Quelle: In Anlehnung an Matthies (2003, S. 77)
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Eine Problematik, die im Rahmen dieser Untersuchung in Zusammenhang mit der Organisation des Wissensflusses in den Unternehmen und der Einschränkung der in den Unternehmen üblichen offenen Kommunikationsstrukturen auftaucht.
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Die Unterschiede zwischen akademischer und industrieller Forschung machen sich dementsprechend auf verschiedenen Ebenen bemerkbar, sowohl was die Zielsetzung der Forschung, die Qualitätskriterien und Anerkennungsstrukturen betrifft, als auch hinsichtlich der Gestaltung der täglichen Forschungsarbeit in den Unternehmen und der Karriereverläufe der MitarbeiterInnen. Angesichts dessen können für Spin-offs, aufgrund ihrer Ansiedlung an der Schnittstelle zwischen Akademie und Industrie, Merkmale akademischer und industrieller Forschung gleichzeitig oder abwechselnd wirksam werden. Besonders aufmerksam sind zum einen die relevanten Anerkennungsinstitutionen zu betrachten, zum anderen ist insbesondere die Frage der Autonomie des wissenschaftlichen Personals in den Unternehmen von besonderer Relevanz. In Vorgriff auf die empirische Untersuchung kann bereits jetzt eingewandt werden, dass es in den Spin-offs durchaus Geschäftsbereiche gibt, in welchen die Autonomie von den ProjektmitarbeiterInnen als sehr hoch eingeschätzt wird. Neben der Etablierung eines institutionalisierten Personalmanagements scheint sich auch eine spezifische Form der Projektsteuerung und des Projektmanagements herauszubilden, welche sich von den in der akademischen Wissenschaft üblichen Praktiken unterscheidet. Allerdings gibt es hier z.T. erhebliche Unterschiede zwischen den Unternehmen. Des Weiteren ist aufgrund der häufig geringen Größe der Unternehmen ein institutionalisiertes Personalmanagement keine Selbstverständlichkeit. Die Karrieremöglichkeiten der MitarbeiterInnen sind in den kleinen und mittelgroßen Unternehmen im Vergleich mit großindustriellen Unternehmen wesentlich eingeschränkter. Die von Matthies (2003) getroffenen Aussagen beziehen sich auf großindustrielle Forschung und können daher nicht ohne Einschränkungen auf Spin-offs übertragen werden. Es ist zu vermuten, dass Spinoffs – zumindest was die Personalentwicklung und -steuerung betrifft – durchaus Parallelen zur akademischen Wissenschaft aufweisen, die sich durch ein hohes Maß an Eigenverantwortlichkeit und Selbstmanagement der ForscherInnen auszeichnet und mit umfassenden Autonomiespielräume bei der Organisation des Forschungsprozesses verbunden ist. Für Industrieunternehmen scheint jedoch gerade die Gewährung von Autonomiespielräumen für ForscherInnen problematisch zu sein. William Kornhauser hat bereits 1962 die Arbeitsbedingungen von WissenschaftlerInnen in der Industrie beleuchtet. Für ihn ist „science“ vor allem in der Industrie eine Profession und als solche, durch die Einbindung innerhalb einer Organisation, spezifischen Bedingungen ausgesetzt: „Professional work requires considerable independence, but complex organizations require the coordination of professional work with other functions of the total enterprise. In the processes of mutual adaptation that result, both professions and organizations are modified." (Kornhauser 1962, S. IX)
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Expertise, Autonomie, Engagement und Verantwortung – die Kennzeichen professioneller Tätigkeiten – können durch bestimmte organisationale Anforderungen, wie z.B. Kundenwünsche, unter Druck geraten. Ein unausweichlicher Konflikt zwischen ForscherInnen und ihren arbeitgebenden Unternehmen hängt für Kornhauser zusammen mit dem grundlegenden Dilemma von „autonomy“ versus „integration“ des wissenschaftlichen Personals: „In the nature of the case, science has the greater need for autonomy, and industry has the greater need for integration. Therefore, industrial scientists develop mechanisms of autonomy, and industrial managers develop mechanisms for the integration and control of scientist. […] The professional identity and the professional group make the individual scientist unavailable for total participation in the organization.“ (Kornhauser 1962, S. 196-197)
Die Art und Weise der Einbindung des wissenschaftlichen Personals in Industrieunternehmen ist somit von jeher ein grundsätzliches Problem. Dass Kontrolle und hierarchische Steuerung in Industrieunternehmen den Anforderungen von Forschungsarbeit nicht gerecht werden, korrespondiert mit den neueren Befunden zur Wissensarbeit (vgl. Wilkesmann 2005). Daher ist es unverzichtbar, auch neuere Erkenntnisse zur Steuerung von WissensarbeiterInnen mit zu berücksichtigen (siehe hierzu Kap. 3). Briken/Kurz (2003) sprechen in diesem Zusammenhang von einem neuen Steuerungsmodus wissenschaftlicher Arbeit im großindustriellen Kontext. Sie belegen zumindest für die Pharmaindustrie und Biotechnologie veränderte Strukturmerkmale wissenschaftlicher Arbeit, die u.a. auf gestiegene Komplexitätsund Kooperationsanforderungen zurückgehen. Als Auswirkungen auf die wissenschaftliche Arbeit in den Unternehmen benennen sie zum einen die verstärkte Zusammenarbeit von MitarbeiterInnen aus verschiedenen Disziplinen in Projektteams, verbunden mit der Anforderung an die jeweiligen Individuen, entsprechende Kompetenzen zu fachübergreifender Kooperation zu entwickeln. Zum anderen seien Veränderungen auf der kommunikativ-kooperativen Ebene zu verzeichnen. Kooperation erfolge mit mehr und vor allem vielfältigeren Akteuren, so dass deutlich differenziertere Verhandlungs- und Kommunikationsfähigkeiten ausgebildet werden müssten. Zum dritten erhielten die Wissensproduzenten erhebliche Autonomiespielräume und Freiräume für eigenverantwortliches Handeln. Die Einbindung in eine streng formalisierte Forschungsorganisation lockere sich und „an die Stelle bürokratisch-hierarchisch vermittelter Fremdsteuerung der Arbeit tritt nun auf Ebene der Projekte das diskursive Korrektiv der Projektgruppe“ (ebd. S. 72). Der damit verbundenen Öffnung der fachlichen Grenzen, den erweiterten Möglichkeiten der Selbststeuerung und erhöhten Entscheidungsbefugnissen stünden allerdings auf der horizontalen Ebene nach wie vor vertikale, hierarchische Entscheidungs- und Organisationsstrukturen entge-
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gen, welche die Belastungen für die Beschäftigten in den Projektgruppen erhöhen und zu ambivalenten Anforderungen führen könnten. Auch auf der Projektebene seien die einzelnen Gruppen entsprechenden Vorgaben von außen ausgesetzt. „Um auf Projektebene die effizientesten und erfolgsversprechenden Ansätze so früh wie möglich herauszufiltern, sind die Gruppen in ein kurzgetaktetes und systematisches Monitoring und Tracking von Zeitvorgaben, Qualitätskriterien und Kosten eingebettet. Die Anbindung an die unternehmensinterne Kostenökonomie ist damit wesentlich direkter als in der alten Organisationsform. […] [Die Beschäftigten] agieren an der Schnittstelle von vertikalen und horizontalen Entscheidungsstrukturen, und sehen sich durchaus ambivalenten Anforderungen gegenüber, bei denen sie vor dem Hintergrund insgesamt begrenzter Ressourcen und enger Zeitvorgaben zielund trotzdem teamorientiert mit einer größeren Menge von Menschen und Problemen umgehen müssen.“ (ebd. S. 72)
Für die kleineren Biotechnologieunternehmen ließe sich des Weiteren konstatieren, dass sich im Zuge eines Wachstums- und Ausdifferenzierungsprozesses das ursprüngliche kleine, homogene und forschungsorientierte Gründungsteam zunehmend vergrößere und in eine heterogene Belegschaft ausdifferenziere. Auch hier erweitere sich aufgrund der heterogenen Fachgebiete, Sichtweisen und Anforderungen das Kompetenzprofil wissenschaftlicher Arbeit. Allerdings stiegen durch den erhöhten wirtschaftlichen Druck in diesen kleinen Unternehmen für die Beschäftigten „die Spannungen zwischen wissenschaftlichen Verhaltensnormen und wirtschaftlicher Orientierung erheblich“ (ebd. S. 73), da sie Einschränkungen ihrer Entscheidungs- und Selbststeuerungsfreiräume hinnehmen müssten. Speziell diese Erkenntnisse aus kleineren Biotechnologieunternehmen hinsichtlich der Erweiterung des Kompetenzprofils der wissenschaftlichen MitarbeiterInnen und des Spannungsfeldes zwischen wissenschaftlichen Verhaltensnormen und wirtschaftlicher Orientierung sind auf einen Teil der untersuchten Spin-offUnternehmen direkt anwendbar. Im Rahmen der hier vorliegenden Untersuchung zeigt sich darüber hinaus, wie im Zuge des Wachstums der Unternehmen neben die horizontalen Entscheidungsstrukturen in den Projektteams zunehmend auch vertikale Entscheidungsstrukturen treten. Dies geschieht in erster Linie dann, wenn sich verstärkt arbeitsteilige Abteilungsstrukturen und die Bündelung von Entscheidungsbefugnissen auf oberen und mittleren Hierarchieebenen herauskristallisieren. In den untersuchten Unternehmen sind derartige Prozesse bereits ab einer MitarbeiterInnengröße von ca. 30 Personen beobachtbar. Die Steuerung und Kontrolle der wissenschaftlichen Arbeitsprozesse erweist sich somit auch in den kleinen und mittelgroßen Spin-offs als eine große Herausforderung, ähnlich dem bereits von Kornhauser (1962) konstatierten Dilemma von ‚autonomy’ versus ‚integration’ des wissenschaftlichen Personals.
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Wie insgesamt deutlich wurde, ist eine genaue Definition dessen, was wissenschaftliche Forschung ausmacht und Forschungshandeln kennzeichnet, problematisch und auch eine Frage des Rahmens, in welchem dieses Handeln organisiert und auf das jeweilige Forschungsziel ausgerichtet wird. Das Verständnis dessen, was Forschung ausmacht, kann zum einen differieren und ist zum anderen höchst wandelbar und Resultat von Aushandlungs- und Definitionsprozessen. Gleiches gilt für das Berufs- bzw. Rollenbild des Forschers bzw. der Forscherin. Neben den in den einzelnen Disziplinen und epistemischen Feldern ablaufenden Prozessen der Festlegung von Methoden und Qualitätskriterien gibt es auch darüber hinaus gehende umfassende Werte und Normen „qualitativ“ guter Forschung. Diese haben sich zwar in erster Linie in den Institutionen des Wissenschaftssystems herausgebildet, können aber, wie die Ausführungen zur Forschung in der Industrie gezeigt haben, auch darüber hinaus Geltung besitzen oder aber angepasst werden an eine grundsätzlich andere Forschungszielrichtung in der Industrie. Die Debatte um neue Formen der Wissensproduktion kann an dieser Stelle zusätzliche wertvolle Ansatzpunkte für möglicherweise neu entstehende Arten von Forschungshandeln und neue Formen der Kooperation zwischen Akteuren im Feld der Wissensproduktion liefern. Bevor im nachfolgenden dritten Kapitel diese Prozesse mit den allgemeingesellschaftlichen Veränderungsprozessen und Debatten um Wissensgesellschaft und Wissensarbeit verknüpft werden, steht damit zuvor das Wissenschaftssystem selbst, die Abgrenzung verschiedener Arten von Forschung und vor allem die Diskussion um neue Formen der Wissensproduktion, u.a. um das Mode 2-Konzept, im Mittelpunkt der Betrachtung. 2.2 Die Ablösung der „traditionellen akademischen Wissenschaft“ – die Wissenschaft verliert ihre Grenzen 2.2.1 Forschung als System und in ihren unterschiedlichen Ausprägungen Die Unterscheidung von Forschungshandeln und Wissenschaftshandeln, die Krohn/Küppers (1989) vornehmen, wirft umgehend auch Fragen nach den Bedingungen und dem Gelingen von Wissenschaftshandeln außerhalb der Institutionen des Wissenschaftssystems auf. Im Gegensatz zu Krohn/Küppers verknüpft Luhmann (1992) Wissensgenerierung direkt mit der Frage nach dem Wahrheitsbzw. Unwahrheitsgehalt von Wissen. Die Frage ist dann nicht nur, ob andere Systeme geeignete Rahmenbedingungen schaffen können, um Forschungshandeln zu ermöglichen, sondern ob sie Rahmenbedingungen schaffen können,
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welche die Generierung wahren Wissens ermöglichen.53 Die Wissenschaft ist für Luhmann ein autopoietisches System, ein Funktionssystem der Gesellschaft, welches nach dem binären Code wahr/unwahr operiert. Entscheidend in der Auseinandersetzung mit der Systemtheorie Luhmanns54 sind die Fragen, wie funktioniert der Austausch zwischen den Systemen und wie stark sind die Systemgrenzen. Wenn Wahrheit der Code ist, nach welchem das Wissenschaftssystem operiert, dann ist es unumgänglich sich damit auseinander zu setzen, was passiert, wenn Forschung bzw. die Gewinnung von wahrem Wissen in ein System verlagert wird, das nach einem anderen Code operiert: „Wahrheit“ spielt für das Wissenschaftssystem eine herausragende Rolle, denn „nur in der Wissenschaft geht es um codierte Wahrheit, nur hier geht es um Beobachtung zweiter Ordnung, nur hier um die Aussage, dass wahre Aussagen eine vorausgehende Prüfung und Verwerfung ihrer etwaigen Unwahrheit implizieren. Und nur hier hat, da diese Prüfung nie abgeschlossen werden kann, das Wahrheitssymbol einen stets hypothetischen Sinn.“ (Luhmann 1992, S. 274)
Will man der Frage nachgehen, ob Wissenschaft und Wirtschaft tatsächlich ein neues Verhältnis zueinander entwickeln, dann ist es hilfreich zu schauen, wie Wissenschaft und Wirtschaft sich zueinander verhalten und wie die verschiedenen Akteure – Unternehmen, Universitäten, Forschungseinrichtungen, aber auch Individuen (ForscherInnen, UnternehmerInnen) – sich in und zwischen den Systemen bewegen. Am Beispiel der anwendungsbezogenen Forschung, mit der auch Luhmann selbst sich auseinandersetzt, wird die Komplexität des Zusammenspiels der Systeme besonders deutlich. Luhmann stellt klar, dass zwar opera53
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Popper (1994) schreibt in diesem Zusammenhang: „Die Idee der Wahrheit ist von grundlegender Bedeutung für die Theorie der Erkenntnis, und insbesondere der wissenschaftlichen Erkenntnis. Wissenschaft ist Wahrheitssuche: Nicht der Besitz von Wissen, sondern das Suchen nach Wahrheit.“ (ebd. Seite XXII, Hervorhebungen im Original) Im Gegensatz zu Talcott Parsons handlungstheoretischem Verständnis beruht die Systemtheorie Luhmanns auf Kommunikation als zentralem Schlüsselbegriff. Weitere zentrale Begriffe bei Luhmann sind die Autopoiesis der Systeme, d.h. die Selbstbezogenheit von Systemen und ihre operative Geschlossenheit auf der einen Seite und die strukturelle Kopplung der funktionalen gesellschaftlichen Teilsysteme auf der anderen Seite: „Ein soziales System kommt zustande, wenn immer ein autopoietischer Kommunikationszusammenhang entsteht und sich durch Einschränkung der geeigneten Kommunikation gegen eine Umwelt abgrenzt. Soziale Systeme bestehen demnach nicht aus Menschen, auch nicht aus Handlungen, sondern aus Kommunikationen.“ (Luhmann 1986, S. 269) Mit Hilfe eines binären Codes – beispielsweise in der Wissenschaft der Code wahr/unwahr, in der Wirtschaft zahlen/nicht-zahlen, in der Politik Macht/Machtlosigkeit – grenzt sich ein System von seiner Umwelt ab und hält seine eigene Identität aufrecht. Über strukturelle Kopplungen steht ein System mit seiner Umwelt in Beziehung und in Austausch, wobei die Umwelt bzw. andere Systeme keine Möglichkeit einer direkten Steuerung haben, sondern lediglich Irritationen im jeweils anderen System hervorrufen können (vgl. Luhmann 1984 und 1990, S. 34ff.).
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tive Kopplungen zwischen den Systemen existieren, aber trotzdem kein System nach dem Code des anderen operieren kann. „So bleibt eine Geldzahlung auch dann eine wirtschaftsinterne Operation (also: limitiert auf die Weiterverwendung von Geld als Geld), wenn sie zur Bezahlung von Forschungsleistungen benutzt wird. Das Wissenschaftssystem kann kein Geld annehmen, weil es nicht durch die Entscheidung zwischen Zahlung und Nichtzahlung zur Feststellung von Wahrheiten bzw. Unwahrheiten kommen kann. Das schließt die triviale Einsicht nicht aus, dass viele Forschungen nicht stattfinden würden, wenn dafür nicht gezahlt würde. Aber es liegt nur eine operative Kopplung vor, die im Übrigen keine genaue Abstimmung verträgt (eine Mark für eine Wahrheit!)“ (ebd. S. 638).
Ob also wissenschaftliche Ergebnisse in anderen Systemen verwendbar sind, entscheidet sich für Luhmann erst anhand deren Selektionskriterien und Normen, selbst wenn der Wissenschaftler im Vorfeld seiner Überlegungen eine derartige systemexterne Verwendung seiner Forschungsergebnisse für möglich erachtet bzw. antizipiert.55 Für Luhmann ändert die Übernahme einer grenzüberschreitenden Perspektive und die Zunahme von Intersystemkommunikation nichts an den unterschiedlichen Systemcodes und der Autopoiesis der Systeme selber, welche überhaupt nur unter der Bedingung der Fortsetzung ihrer eigenen Autopoiesis operieren könnten. Für Spin-off-Unternehmen würde dies bedeuten, dass auch die in ihnen durchgeführte anwendungs- oder kundenorientierte Forschung nur nach dem Code wahr/unwahr operieren könnte. Sie bleibt damit Teil des Wissenschaftssystems, unabhängig von der Tatsache, dass das Unternehmen selbst nach dem Code zahlen/nicht-zahlen operiert. Ein Vorteil von Luhmanns Systemtheorie besteht darin, dass für Luhmann soziale Systeme ausschließlich aus Kommunikation als kleinster Einheit bestehen. Streng genommen ist das Wissenschaftssystem also nicht gebunden an Institutionen des Wissenschaftssystems, z.B. die Universität oder ein Forschungsinstitut, sondern konstituiert sich allein über den binären Code wahr/unwahr. Wissenschaft wäre dementsprechend auch in einem Industrieunternehmen möglich. Trotzdem bleibt für Luhmann anwendungsbezogene Forschung problematisch. Damit nicht am Markt vorbei produziert wird, müssen die Werte, Normen und Interessen des Anwendungsbereichs berücksichtigt werden. Für Luhmann ist dabei nicht zu verhindern, dass als Konsequenz die Sicherheit des generierten
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Die Entscheidung über die Verwendbarkeit der Resultate wissenschaftlicher Forschungsergebnisse in anderen Systemen werde auch in diesen getroffen und nicht im Wissenschaftssystem: „Von dort her gesehen, ist wissenschaftliches Wissen eine Konstruktion des Verwenders.“ (Luhmann 1992, S. 638)
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Wissens sinkt.56 Seiner Ansicht ist die Folge nicht nur eine Anpassung der Kommunikation der Ergebnisse und der Inhalte der Forschung an systemexterne Belange, sondern verbunden mit Auswirkungen auf die Sicherheit wissenschaftlichen Wissens aufgrund einer generellen Schwächung der Systemgrenzen: „Hinzu kommt, dass das Angebot nach außen sich kommunikativ von den für interne Zwecke entwickelten Formen ablösen muß. Es muß vereinfachen, muß oft auch die Sicherheit des Erkenntnisstandes betonen und mögliche Kritik unterdrücken, einmal ganz abgesehen von der Frage, ob Wissenschaftler persönlich an der Anwendung ihres Wissens interessiert sind und persuasive Techniken benutzen, die wissenschaftlich nicht zu vertreten sind. Wichtiger als solche Probleme kommunikativer Stilisierung ist jedoch die Einsicht, dass der Kontakt mit anderen Funktionssystemen typisch die Außenfassade der Sicherheit wissenschaftlichen Wissens lädiert und mit an die Wissenschaft gerichteten Fragen tief in die internen Unsicherheiten und in all das, was im Normalgang der Forschung weder gefragt noch beantwortet wird, hineinstößt.“ (ebd. S. 640-641)
Durch Geld könnten zwar die Industrie oder der öffentliche Sektor Druck auf die Wissenschaft ausüben und beispielsweise Einfluss nehmen auf die Auswahl der Themen. Es handelt sich für Luhmann allerdings eher um eine Irritation des Wissenschaftssystems und keine direkte Steuerung desselben, denn selbst anwendungsorientierte Forschung sei immer auch ein Teil des Wissenschaftssystems und bleibe angewiesen auf den Code wahr/unwahr. Zwar müsse auch das Wissenschaftssystem „Leistungen“ für die anderen Systeme erbringen, sei aber selbst in dieser Leistungserbringung trotzdem auf die Generierung gesicherten und brauchbaren Wissens angewiesen, denn „Unwahrheiten lassen sich [aber] nicht verwerten“ (Braun 2003, S. 4). Für Braun zählt entsprechend jede Art der Forschung, die sich dem Schema wahr/unwahr unterwirft zum Wissenschaftssystem, was durchaus nicht unumstritten ist57. Er entwickelt daher nachfolgendes Schema:
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Eine Einschätzung, die Nowotny et al. (2001) nicht teilen. Sie gehen im Gegenteil davon aus, dass auf der Agora robusteres Wissen generiert wird, als es innerhalb disziplinärer bzw. systemischer Grenzen möglich wäre (siehe Kapitel 2.2.2.). So weist Mayntz auf die Bedeutung der „sozialen Trägerschaft“ des Forschungshandelns hin, und auf den Unterschied, ob diese z.B. bei der Wissenschaft, Industrie oder Politik liegt. Der jeweilige systemische Sinnbezug kann u.U. in Divergenz zum Eigen-Sinn eines Handelns – in diesem Fall der Forschung – stehen (vgl. Mayntz 1988 und Braun 2003).
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Die Generierung neuen Wissens als Tätigkeit – Wissenschaft im Wandel
Abb. 3: Anwendungsorientierte Forschung und Grundlagenforschung
Politisches System AF = Angewandte Forschung GLF = Grundlagenforschung
AF
Wissenschaft AF
Sonstige Teilsysteme
GLF
AF
Industrie
Quelle: Braun (2003, S. 5)
Die entscheidende Frage bezogen auf Spin-offs ist demnach nicht, ob Wissenschaft in Spin-offs möglich ist, sondern inwieweit die Wissensgenierung in den Unternehmen dem Code wahr/unwahr folgt. Denkbar wäre durchaus, dass dieser Code Fragen der wirtschaftlichen Verwertbarkeit des generierten Wissens nachgeordnet ist. Deutlich wird, dass eine trennscharfe Unterscheidung zwischen anwendungsorientierter Forschung und wissenschaftlicher Forschung nicht möglich ist, trotzdem sind Unterschiede definierbar. Das folgende Unterkapitel versucht pragmatisch vorhandene Definitionen und Unterscheidungen der verschiedenen Forschungsarten zu betrachten. Dies erfolgt zwar mit Berücksichtigung der die jeweilige Art von Forschung begünstigenden systemischen Rahmenbedingungen, dennoch ist zu beachten, dass die verschiedenen Forschungsarten nicht ausschließlich an ein bestimmtes System gebunden sind. Bezogen auf Spin-offs ist
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u.U. weniger die Art der dort durgeführten Forschung, sondern vielmehr deren Potential zur Hervorbringung von Innovationen von Interesse. 2.2.1.1 Die Abgrenzung verschiedener Arten von Forschung Die Kennzeichnung anwendungsorientierter Forschung als Wissensgenerierung für andere Teilsysteme bietet einen ersten Anhaltspunkt bei der Abgrenzung zu stärker grundlagenorientierter Forschung. Das Frascati-Manual der OECD58, die methodische Grundlage der OECD-Statistiken zu Forschung und Innovation, unterscheidet idealtypisch zwischen Grundlagenforschung, angewandter Forschung und experimenteller Forschung.59 Im Fokus der Definitionen stehen dabei nicht die forschenden Institutionen oder Organisationen, sondern vielmehr die Zielsetzung und der Gegenstand der Forschung, anhand derer eine Differenzierung stattfindet. „Die Grundlagenforschung besteht aus experimentellen oder theoretischen Arbeiten, welche in erster Linie zur Gewinnung neuer Erkenntnisse über die Grundlagen von Phänomenen und beobachtbaren Tatbeständen führen, ohne dass damit eine bestimmte Anwendung oder Umsetzung angestrebt wird. Die Grundlagenforschung analysiert Eigenschaften, Strukturen und Beziehungen mit dem Ziel, Hypothesen zu testen oder Theorien zu formulieren und Gesetze zu entdecken. Die Ergebnisse der Grundlagenforschung werden in der Regel nicht kommerzialisiert, sondern in Form wissenschaftlicher Publikationen veröffentlicht. Die angewandte Forschung besteht ebenfalls aus originären Arbeiten, die dem Erwerb neuer Erkenntnisse dienen. Allerdings sind die Aktivitäten auf ein bestimmtes Ziel oder einen Zweck im Bereich der praktischen Anwendung oder Umsetzung ausgerichtet. Die Ergebnisse der angewandten Forschung zielen in erster Linie auf die Herstellung eines einzigartigen Produkts oder einer limitierten Serie von Produkten sowie auf die Erarbeitung von Prozessen, Methoden oder Systemen. Diese Forschungsaktivitäten gestatten die operationelle Ausgestaltung von Ideen. Erkenntnisse, die mittels angewandter Forschung gewonnen werden, werden vielfach patentiert; sie können aber auch geheim gehalten werden. Die experimentelle Forschung besteht aus systematischen Arbeiten, welche die Erkenntnisse aus Forschung und Praxis im Hinblick auf die Herstellung neuer Materialien, Produkte oder Verfahren nutzen. Das Ziel ist in der Regel die Entwicklung neuer Herstellungsprozesse, Produktionsverfahren oder Dienstleistungssysteme bzw. die erhebliche Verbesserung bestehender Verfahren.“ (vgl. OECD 2002) 58
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Organisation for Economic Cooperation and Development (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung); derzeit sind ca. 30 Staaten Mitglieder der internationalen Organisation mit Sitz in Paris (siehe http://www.oecd.org/countrieslist/0,3351,en_33873108_ 33844430_1_1_1_1_1,00.html; Stand 7.6.07) Im Original der OECD (2002): Frascati Manual nachzulesen auf Seite 29ff. im Kapitel 2: „Basic Definitions and Conventions“. Die folgenden Ausführungen und Zitate beziehen sich auf die Zusammenstellung der entsprechenden Passagen durch das Staatssekretariat für Bildung und Forschung der Schweiz (siehe http://www.sbf.admin.ch/htm/dokumentation/publikationen/for schung/frascati-d.pdf; Stand 06.07.09).
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Die Generierung neuen Wissens als Tätigkeit – Wissenschaft im Wandel
In Spin-offs dient die Generierung neuer Erkenntnisse primär der Herstellung bzw. Entwicklung innovativer Produkte und Dienstleistungen. Aber auch die Hervorbringung von Prozess- und Verfahrensinnovationen kann Bestandteil der Forschungsstrategie eines Spin-off-Unternehmens sein. Der Definition der OECD entsprechend dominieren in Spin-offs die angewandte und die experimentelle Forschung. Bei dieser Unterscheidung der unterschiedlichen Arten von Forschung handelt es sich allerdings um eine rein wissenschaftssoziologische Betrachtung. Die Unternehmen selber ordnen sich, unabhängig von der Art der von ihnen betrieben F&E, in erster Linie einer bestimmten Branche zu, z.B. der Biotechnologie oder der Pharmabranche. Diese Branchenzuordnung bedingt dann auch den jeweiligen Wirtschafts- bzw. Industriezweig, zu welchem das Unternehmen zu rechnen ist. In dem Versuch der Neuabgrenzung der „Wissenswirtschaft“ in Deutschland unterscheiden Legler/Frietsch (2006) zwischen FuEintensiven Industriezweigen – und dort zwischen Spitzentechnologie und gehobener Gebrauchstechnologie – und wissensintensiven Wirtschaftszweigen – und unter diesen wiederum zwischen wissensintensivem verarbeitendem Gewerbe, wissensintensivem übrigem produzierendem Gewerbe und wissensintensiven gewerblichen Dienstleistungen. Ein großer Teil von Spin-offs operiert damit im so genannten forschungsintensiven Sektor. Legler/Frietsch summieren unter den forschungsintensiven Sektor der Industrie die Spitzentechnologie und die Gehobene Gebrauchstechnologie: „Die Spitzentechnologie enthält Gütergruppen, bei denen der Anteil der internen FuEAufwendungen am Umsatz im OECD-Durchschnitt über 7% beträgt. Die Gehobene Gebrauchstechnologie umfasst Güter mit einem Anteil der internen FuE-Aufwendungen am Umsatz zwischen 2½ und 7 %.“ (ebd. S. 8)
Zur Generierung von Innovationen und deren Weiterentwicklung sind insbesondere Spin-offs im Bereich der Spizentechnologie in überdurchschnittlich hohem Maß zu Investitionen in F&E gezwungen. Der Innovationsbegriff wird in der Regel überwiegend im Zusammenhang mit technologischen Innovationen verwendet (vgl. u.a. Braun-Thürmann 2005). Auch für Spin-offs gilt, dass sie überwiegend als technik- bzw. produktorientierte Unternehmen verstanden werden. Allein aufgrund des Angebots an Forschungsdienstleistungen für andere Unternehmen, gerade im Biotechnologiebereich, wird diese sehr technikfixierte Sichtweise zunehmend erweitert und die Verfolgung einer Dienstleistungsstrategie im Gegensatz zur Verfolgung einer produktorientierten Strategie als ebenfalls erfolgsversprechende Möglichkeit der dauerhaften Etablierung eines Unterneh-
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mens auf dem Markt angesehen.60 Im Zuge der dritten Ausgabe des OsloManuals wurde die sehr enge Sichtweise auf Innovationen erweitert, indem wissensintensive Dienstleistungen in den Innovationsbegriff integriert wurden: „An innovation is the implementation of a new or significantly improved product (good or service), or process, a new marketing method, or a new organisational method in business practices, workplace organisation or external relations“ (OECD/Eurostat 2005, S. 46). Legler/Frietsch hingegen behalten den forschungsintensiven Wirtschaftszweig den technologieorientierten Unternehmen vor, wie in der Definition weiter oben bereits deutlich wurde. Dienstleistungen selber zählen sie zu den wissensintensiven Wirtschaftszweigen. Im Ganzen wird deutlich, wie schwierig eine trennscharfe Differenzierung verschiedener Formen der Forschung ist. Hinzu kommt die Unmöglichkeit einer eindeutigen Zuordnung der verschiedenen Arten von Forschung (Grundlagenforschung, F&E und angewandte Forschung) zu einzelnen Organisationseinheiten bzw. Unternehmen. Und auch die Forschungsintensität als Maßzahl für die „Wissensintensität“ und Innovationskraft eines Unternehmens bleibt damit immer mit Ungenauigkeiten behaftet. Insgesamt ist selbst die vielfach antizipierte „Arbeitsteilung“ zwischen Wissenschaft und Wirtschaft und deren entsprechende Zuständigkeit für Grundlagen- bzw. angewandte Forschung in Frage zu stellen, wie ein Blick u.a. auf die Forschungsfinanzierung zeigt. 2.2.1.2 Eine neue Arbeitsteilung oder die Vereinnahmung der Wissenschaft? Ein Problem besteht jedoch nicht nur in der schwierigen Abgrenzung von Grundlagenforschung und anwendungsorientierter Forschung. Auch die traditionelle Zuordnung von Grundlagenforschung zu Universitäten und von Entwicklung und anwendungsorientierter Forschung zu Unternehmen kann nicht vorbehaltlos 60
Die Dienstleistungsstrategie wird als eine mögliche Strategieoption für Biotechnologieunternehmen gesehen, sich dauerhaft auf dem Markt zu etablieren. Unternehmen bieten bestimmte Leistungen wie beispielsweise Auftragsproduktion, Auftragsanalysen, Auftragsforschung, klinische Prüfungen innerhalb einer Industrie an. Die Plattformtechnologie-Strategie ist dabei eine Ausweitung dieser Dienstleistungsstrategie, in deren Rahmen „entscheidende Technologien im Innovationsprozeß, die nicht nur ein Anwendungsfeld bedienen, sondern breit einsetzbar sind (Menrad et al. 1999, S. 18)“, angeboten werden, z.B. die kombinatorische Chemie, High-Troughput Screening, Genomics oder Bioinformatik: „Zum einen kann eine Dienstleistungsstrategie eingeschlagen werden, die sich auf eng umrissene Nischenmärkte oder aber auf Massenmärkte erstrecken kann. Als Variante dieser Dienstleistungsstrategie wäre die Ausrichtung auf bestimmte Plattformtechnologien zu sehen. Davon ist eine produktrorientierte Strategie zu unterscheiden. Hierbei ist zwischen einer vollintegrierten Strategie, die den gesamten Innovationsprozeß abdeckt, und einer segmentierten Strategie, bei der definierte Teilsegmente in der Wertschöpfungskette bedient werden, zu differenzieren.“ (Menrad et al. 1999, S. 18)
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Die Generierung neuen Wissens als Tätigkeit – Wissenschaft im Wandel
vorgenommen werden. Ein Großteil der Forschung findet nicht an der Universität oder an außeruniversitären Forschungseinrichtungen statt, sondern erfolgt entweder direkt im Wirtschaftssektor selbst beziehungsweise wird indirekt durch diesen beeinflusst. Dies betrifft zum einen die Seite der Finanzierung, denn „in den meisten europäischen Industrienationen wird über die Hälfte der Aufwendungen für Forschung und Entwicklung von der Wirtschaft finanziert, in Deutschland etwa zu 70 Prozent, in Österreich zu 40 Prozent“, zum anderen auch den Ort der Wissensgenerierung, denn „in der Mehrzahl der Industriestaaten Europas wird die Forschung und Entwicklung darüber hinaus zu mehr als 60 Prozent im Unternehmenssektor selbst durchgeführt, in Deutschland etwa zu 70 Prozent, in Österreich zu 65 Prozent“ (Bammé 2004, S. 14).61 Darüber hinaus handelt es sich bei der in den Unternehmen durchgeführten Forschung nicht zwangsläufig um anwendungsorientierte Forschung. So schildert Matthies (2005) das Beispiel eines großen Chemieunternehmens, in dessen Forschungsabteilung zwischen explorativen Projekten, strategischen Projekten und Auftragsforschung unterschieden wird. Zwar seien explorative Projekte als sehr kleine Projekte angelegt, aber „neben dem möglichen Erkenntnisgewinn für das Unternehmen dienen diese Projekte den WissenschaftlerInnen zur Realisierung ihrer persönlichen Forschungsinteressen“. Damit bieten diese Projekte den ForscherInnen zumindest eine begrenzte Forschungsautonomie, ähnlich jener in der akademischen Forschung. Umgekehrt gilt für das Wissenschaftssystem, dass zunehmend die Bedürfnisse von Unternehmen durch die ForscherInnen aufgegriffen und im Forschungsprozess berücksichtigt werden müssen. Universitäten fungieren für Unternehmen als „gateway, broker and deliverer of services“ (IRE Secretariat 2006, S. 37). Die Zahlen verdeutlichen die sich bereits im Zusammenhang mit der Abgrenzung der verschiedenen Typen von Forschung angedeutete Unmöglichkeit der Eingrenzung wissenschaftlicher (Grundlagen)forschung auf Institutionen des Wissenschaftssystems. Zwar haben sich vorrangig Universitäten und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen auf die Generierung gesicherten Wissens spezialisiert, aber für die gesamte Wissensproduktion einer Gesellschaft sind auch wissenschaftsexterne Organisationen und Institutionen mit verantwortlich und zum gesamten Wissenschafts- und Forschungssystem eines Landes dazu zu rechnen. 61
Bammé bezieht sich hier u.a. auf Daten aus dem Österreichischen Forschungs- und Technologiebericht 2002. Laut Bundesbericht Forschung 2006 (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2006a) lagen die Bruttoinlandsausgaben für F&E in Deutschland im Jahr 2004 insgesamt bei 55229 Mio. Euro, wobei davon 36853 Mio. Euro (ca. 67%) durch die Wirtschaft, 16820 Mio. Euro (ca. 30%) durch den Staat, 203 Mio. Euro (ca. 1%) durch pivate Institutionen ohne Erwerbszweck und 1351 Mio. Euro (ca. 8%) durch das Ausland finanziert wurden.
Die Ablösung der „traditionellen akademischen Wissenschaft“
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„Das Wissenschafts- und Forschungssystem ist die Wissensbasis für die technologische Leistungsfähigkeit eines Landes. Technologisches Wissen wird von verschiedenen Akteursgruppen geschaffen, zum einen von den wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen (Hochschulsektor und Staat) und zum anderen von forschenden Unternehmen.“ (Legler/Krawczyk 2006, S. 11)
Die beiden Autoren zählen zum Hochschulsektor Universitäten, Technische und Fachhochschulen einschließlich ihrer Institute, Testeinrichtungen und Kliniken, zum Staat Einrichtungen der Gebietskörperschaften und die privaten Organisationen ohne Erwerbszweck, die einen hohen staatlichen Finanzierungsanteil aufweisen (z.B. Helmholtzzentren, Max-Planck- und Fraunhofer-Institute) und zu forschenden Unternehmen private und staatliche Unternehmen, Gemeinschaftsforschungseinrichtungen u.ä., die überwiegend von der Wirtschaft finanziert werden (vgl. ebd. S. 11). Wichtig ist mit Blick auf forschende Unternehmen eine hohe Dominanz insbesondere der großindustriellen Forschung. Die Zahlen des Bundesministeriums für Forschung und Entwicklung (2006a) belegen, dass mit der Größe des Unternehmens auch dessen Engagement in F&E steigt und in der Industrie 80% der Großunternehmen forschen, bei den KMUs lediglich 54%. Im Dienstleistungsbereich betreiben immerhin 38% der großen Unternehmen F&E, „das ist gut viermal so häufig wie bei kleinen und mittleren Unternehmen.“ (Bundesministerium für Forschung und Entwicklung 2006a, S. 148) Bei einer Betrachtung des gesamten Wissenschafts- und Forschungsvolumens in Deutschland kann eine Dominanz industrieller Forschung festgestellt werden, mit Konsequenzen für die Art der durchgeführten Forschung und des produzierten Wissens. Insgesamt werden zwei Drittel der jährlich getätigten Forschung in Deutschland durch die Wirtschaft durchgeführt62, wobei sich der Sektor im Schwerpunkt auf die marktnahe Entwicklung konzentriert. „Im Jahre 2004 war der Unternehmenssektor für Forschung und Entwicklung in Höhe von 36,95 Mrd. € verantwortlich [...] Die Wirtschaft konzentriert sich in ihren Forschungsanstrengungen vor allem auf die marktnahe Entwicklung. Nur rd. 5% der Aufwendungen der Wirtschaft für Forschungszwecke werden nach informellen Schätzungen in die Grundlagenforschung investiert.“ (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2006a, S. 147)
Zu diesem direkt in der Wirtschaft durchgeführten Forschungsvolumen kommt der Anteil der an Universitäten und Forschungseinrichtungen durchgeführten Forschung, der von der Wirtschaft finanziert bzw. in Auftrag gegeben wird. Diese vielschichtige Vernetzung und Kooperation über die Systemgrenzen hinweg erschwert eine klare Bestimmung der Grenzen und Zuordnung der For62
Im Jahr 2007 entfielen 67,9% der Bruttoinlandsausgaben für F&E in Deutschland auf den Wirtschaftssektor und 27,7% auf den Staatssektor. Durchgeführt wurden 70% der F&E im Wirtschaftssektor, 13,9% im Staatssektor und 16,1% im Hochschulsektor (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2010, S. 452).
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schungsaktivitäten.63 Ein Grund für diese zunehmend systemübergreifende Zusammenarbeit ist für Legler/Krawczyk (2006) die immer kurzfristigere F&EAusrichtung und F&E-Planung der Unternehmen.64 Die Wissenschaft übernimmt gewissermaßen einen Teil der Forschungs- und Entwicklungsaufgaben der Wirtschaft. Die formelle und informelle Kooperation zwischen Akteuren auf beiden Seiten ist für die Autoren die Voraussetzung für einen gelungen Transfer wissenschaftlicher Forschung und entscheidend dafür, „dass die Früchte der gesellschaftlichen Investitionen in Wissen, Wissenschaft und technologische Forschung auch geerntet werden können.“ (ebd. S. 57) Dies gelte nicht nur für die Zusammenarbeit in Kooperations-/Verbundprojekten, sondern mache sich auf allen Ebenen bemerkbar, u.a. auch anhand des steigenden Finanzierungsanteils der Wirtschaft an Forschung und Entwicklung in öffentlichen Einrichtungen, wie die nachfolgende Tabelle illustriert. Tab. 2: Finanzierungsanteil der Wirtschaft (in %) an FuE in öffentlichen Einrichtungen der OECD-Länder 1991 bis 2004 1991
1995
1997
1999
2000
2001
2002
2003
2004
- Anteile in % Insgesamt1 DE
4,1²
6,0
6,2
7,1
7,3
7,7
7,7
8,1
8,3³
USA4
4,3
4,4
4,8
4,9
4,9
4,5
4,3
4,1
3,9
EU-15
5,3
5,6
6,1
7,3
6,4
6,6
6,4
6,3
1 Hochschulen, außeruniversitäre Einrichtungen, öffentliche Einrichtungen ² Bruch in der Zeitreihe aufgrund von statistischen/methodischen Umbrüchen ³ Schätzungen 4 Unveröffentlichte Schätzungen des ZEW für die wirtschaftsfinanzierte außeruniversitäre Forschung in den USA. Diese Quote wurde unverändert beibehalten.
Quelle: In Anlehnung an Legler/Krawczyk (2006, S. 56)
63
64
Die Vertreter der Mode2-Debatte konstatieren nicht nur zunehmende Berührungspunkte und Kooperationen, sondern gehen noch weit darüber hinaus, indem sie von einem transdisziplinären Raum, der Agora sprechen, innerhalb dessen Forschung heute stattfindet (siehe Kapitel 3.2.2.). „Die Wirtschaft führt zunehmend FuE mit Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft aus. 2007 wurde etwa ein Fünftel der FuE-Aufwendungen für externe Forschungsvorhaben (an andere Unternehmen, Hochschulen, staatliche Forschungseinrichtungen usw.) ausgegeben. Zum Vergleich: 1995 betrug dieser Anteil ein Zehntel, 2002 ein Sechstel der FuE-Aufwendungen.“ (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2010, S. 41-42)
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Als einen weiteren Beleg für die steigenden Investitionen der Wirtschaft in öffentliche Forschung, benennen die Autoren den prozentualen Anteil der F&EMittel der Wirtschaft für öffentliche Einrichtungen an den gesamten internen F&E-Aufwendungen der Wirtschaft: „In Deutschland ist dies jedoch etwas anders zu beurteilen: Aus einer durchschnittlichen Position Anfang der 90er Jahre (1,8%) hat der Finanzierungsbeitrag, den Unternehmen zu öffentlichen FuE-Projekten leisten, verglichen mit den im eigenen Hause durchgeführten Aktivitäten auf 3½ % zugenommen.“ (ebd. S. 55)
Aber nicht nur auf der Ebene der Finanzierung, auch was den Arbeitsmarkt betrifft lassen sich Annäherungsprozesse erkennen. Alice Lam (2004) unterscheidet zwischen „Industrial Scientists“ und „Academic Scientists“. Ausgangspunkt ihrer Überlegungen ist die seit den späten 1980er Jahren verstärkte Zusammenarbeit zwischen WissenschaftlerInnen aus der akademischen Wissenschaft und WissenschaftlerInnen aus der Industrie und die daraus resultierenden veränderten Beschäftigungsrollen und Karrierewege von ForscherInnen. Während in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts das “Technology-push Model” dominiert habe, sei bis in die 70er und 80er Jahre hinein die Relevanz des „Market-pull Models“ gestiegen. Heute dominierten Netzwerkmodelle, in welchen Unternehmen “use collaborative links and networks of scientists across organizational boundaries to support their innovation activities” (Lam 2004, S. 1). Lam geht in diesem Zusammenhang von der Entstehung eines erweiterten internen Arbeitsmarktes zwischen Unternehmen und den mit diesen kooperierenden Universitäten aus, “leading to the emergence of a hybrid scientific community straddling industry and academia.” (Lam 2004, S. 2) Im Hinblick auf die hier untersuchten Spin-off-Unternehmen und die dort tätigen ForscherInnen spielt insbesondere die Entstehung derartiger hybrider Forschungsgemeinschaften und die mit diesen einhergehende Herausbildung hybrider Karrierewege und Karrierestrukturen eine wichtige Rolle. Die Unternehmen selbst sind ein Ausdruck dieser neuen Netzwerkmodelle. Kritiker befürchten, dass sich die Universitäten im Zuge dieser Veränderungsprozesse immer mehr zu reinen Zulieferern der Wissensökonomie machen (vgl. u.a. Weingart 2001) und sehen die Gefahr einer „Kolonialisierung“ des Wissenschaftssystems durch das Wirtschaftssystem. So gibt beispielsweise Braun (2003) zu bedenken, dass durch die Systemintegration zwischen Wissenschaft und Wirtschaft „die Leistungskomponente der Wissenschaft auf Kosten der Funktions- und Reflexionskomponente“ (ebd. S. 24) gestärkt werde und
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letztere langfristig verdrängt werden könnte.65 Bereits Ravetz (1971) verdeutlichte die Auswirkungen, die eine Ausweitung anwendungsorientierter Forschung als der vorherrschende Modus der Wissensproduktion auf der einen Seite und eine Verwissenschaftlichung der Industrie auf der anderen Seite, auf die Organisation von Forschung haben würde: „This means, in the first place, the dominance of capital-intensive research, and its social consequences in the concentration of power in a small section of the community. It also involves the interpenetration of science and industry, with the loss of boundaries which enabled different styles of work, with their appropriate codes of behaviour and ideals, to coexist. Further, it implies a large size, both in particular units and in the aggregate, with the consequent loss of networks to informal, personal contacts binding a community. Finally, it brings into science the instability and sense of rapid but uncontrolled change, characteristic of the world of industry and trade in our civilization.” (Ravetz 1971, S. 31)
Für Ravetz bedeutete eine Annäherung in letzter Konsequenz den Verlust zweier verschiedener Formen der Organisation von Forschungshandeln und Forschungsidealen und eine Anpassung der Forschungsmethoden an das Tempo und den raschen Wandel des Marktes. Willke spricht an dieser Stelle von dem Verlust der Exklusivität des vom Wissenschaftssystem generierten Wissens und einer Angleichung der Scientific Communities und der Communities of Practice: „Je stärker die scientific communities mit den communities of practice in Konkurrenz geraten und je deutlicher sich herausstellt, dass auch Wissenschaftsgemeinschaften nichts anderes sind als spezialisierte Praxisgemeinschaften, desto dringlicher muss sich das Wissenschaftssystem gegenüber seiner Gesellschaft darüber legitimieren, was die Besonderheit und die Singularität des von ihm produzierten Wissens ausmache.“ (Willke 2002, S. 14; Hervorhebungen im Original)
Er versteht unter Wissen eine auf Erfahrung gegründete kommunikativ konstituierte und konfirmierte Praxis. In der Konsequenz bedeute dies, dass selbst Gemeinschaften, die sich auf die Produktion theoretischen Wissens spezialisiert hätten, trotzdem auch Communities of Practice (oder spezialisierte Praxisgemeinschaften) seien. Von den anderen Formen der Systematisierung von Wissen unterscheide sich seiner Ansicht nach die Wissenschaft nur durch die Regeln der Systematisierung, die aber nicht naturgegeben seien. Eine Systematisierung von Wissen wäre durchaus auch nach anderen als den angewandten Regeln möglich. Diese Regeln und die Herausbildung von Scientific Communities seien bisher die Basis der funktionalen Geschlossenheit des Wissenschaftssystems gewesen. Willke konstatiert, dass die Scientific Communities zunehmend in Konkurrenz 65
Weingart (2001) merkt an, dass Interessenkonflikte zwischen Industrie und Wissenschaft zu ganz unterschiedlichen Formen der „Verletzung der Norm der ’Wahrhaftigkeit’“ (ebd. S. 230) führen können.
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zu den Communities of Practice stehen und die Vormachtstellung des Wissenschaftssystems und des wissenschaftlichen Wissens ins Schwanken gerät (vgl. Willke 2002). Statt von einer Konkurrenz zwischen diesen verschiedenen „Communities“ zu sprechen, stellen andere AutorInnen die Entstehung neuer Formen der Kooperation zwischen diesen in den Vordergrund ihrer Theorien. Das Konzept von Mode 2 als neue Form der Wissensproduktion in unserer heutigen Gesellschaft ist dabei eines der bekanntesten, neben dem Modell der Triple Helix von Etzkowitz und Leydesdorff, und wird im nachfolgenden Kapitel ausführlicher beschrieben. Spin-offs können dabei als Organisationen verstanden werden, die nach Mode 2 operieren und in denen Wissensproduktion im Anwendungskontext erfolgt. 2.2.2 Die Debatte um neue Formen der Wissensproduktion: Mode 2 und mehr Seit dem Erscheinen des Buches „The new production of knowledge“, veröffentlicht 1994 von Michael Gibbons et al., hat das dort vorgestellte Konzept von Mode 2 als neuer Form der Wissensproduktion – in Abgrenzung zu Mode 1 als „traditioneller“ Form der Wissensproduktion – eine weite Verbreitung gefunden und ist eifrig diskutiert worden. Kennzeichen von Mode 2 ist die Wissensgenerierung im Anwendungskontext. Damit tritt auch die praktische Verwertbarkeit des generierten Wissens in den Vordergrund. Im Jahr 2001 haben Nowotny, Scott und Gibbons in dem Buch „Re-Thinking Science. Knowledge and the Public in an Age of Uncertainy“ das Konzept erweitert und spezifiziert. Die Mode 2Gesellschaft und die Kontextualisierung von Wissen in einem neuen öffentlichen Raum, den die AutorInnen die „Agora“ nennen, rücken in dem zweiten Werk stärker in den Mittelpunkt: „Im neuen Buch tritt die Koevolution der Gesellschaft und der Wissenschaft unter den Bedingungen von Modus 2 an die Stelle des Anwendungskontextes“ (Maranta/Pohl 2001, S. 104). Die immer stärkere Interaktion zwischen Wissenschaft und Gesellschaft ist für Nowotny et al. Indikator „für das Auftauchen einer neuen Art von Wissenschaft“, einer „kontextualisierten beziehungsweise kontextsensitiven Wissenschaft“ (Nowotny 2004, engl. Orig. 2001, S. 7). Die Frage der Abgrenzung anwendungsorientierter Forschung von wissenschaftlicher Forschung bleibt bei Nowotny et al. letztlich unbeantwortet bzw. wird im Begriff der Kontextualisierung aufgelöst. Bereits in der ersten Veröffentlichung von 1994 ist der Anwendungskontext der Wissensproduktion herausragendes Kennzeichen der Wissensproduktion in Mode 2, welche geprägt sei durch folgende Merkmale (vgl. Gibbons et al. 1994, S. 3ff.):
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1) Wissensproduktion im Anwendungskontext: Ziel ist die Entwicklung praktisch verwertbaren Wissens. Zwar gibt es durchaus Parallelen zur angewandten Forschung unter Mode 1, innerhalb derer Forschung auch in einem Anwendungskontext erfolgt: „But, in Mode 2 the context is more complex. It is shaped by a more diverse set of intellectual and social demands than was the case in many applied sciences while it may give rise to genuine basic research.” (ebd. S. 3-4) 2) Transdisziplinarität: Das Wissen wird transdisziplinär von unterschiedlichen Akteuren im Anwendungskontext erzeugt. Der im Anwendungskontext ausgehandelte Konsens geht dabei über die jeweilige spezifische Disziplin der einzelnen Akteure hinaus: „In Mode 2 the shape of the final solution will normally be beyond that of any single contributing discipline. It will be transdisziplinary.” (ebd. S. 4-5) 3) Heterogenität und organisationale Vielfalt: Forschung in Mode 2 bedeutet eine größere organisationale Vielfalt und die Einbindung unterschiedlicher Institutionen in ein vielschichtiges Kommunikationsnetzwerk. In Bezug auf die Fähigkeiten und Erfahrungen der beteiligten Personen ist eine hohe Heterogenität feststellbar. 4) Soziale Verantwortung und Reflexivität: Forschung im Anwendungskontext erhöht die Sensibilität der WissenschaftlerInnen und ExpertInnen für die Konsequenzen ihres Handelns, welche reflexiv die normativen und ethischen Folgen evaluieren. 5) Qualitätskontrolle: Zusätzlich zur Kontrolle durch die scientific community stehen in Mode 2 durch den Anwendungskontext weitere Qualitätskriterien zur Verfügung, die nicht mehr ausschließlich von wissenschaftlichen Institutionen festgelegt werden. Die umfassenden Ausführungen zur Kontextualisierung des Wissens und den gesellschaftlichen Veränderungsprozessen in der Gesellschaft – der Wandel der Wissenschaftsinstitutionen, die Entstehung einer neuen Form der Expertise, die Herausbildung der Agora als neuer sozialer Raum der Wissensproduktion – münden in eine neue Sicht der Wissenschaft. Dies sei nicht nur zurückzuführen auf den Verlust an Exklusivität durch die Vervielfältigung der Orte der Wissensproduktion, sondern sei auch eine Folge der Annäherung und Anpassung der Kommunikationsstrukturen und der Arbeitsorganisation in der Wissenschaft und einer erhöhten Wettbewerbsorientierung. „Statt sich markant von anderen Formen gesellschaftlicher Praxis zu unterscheiden und weit davon entfernt, uniform oder eine Einheit zu sein, besteht die Wissenschaft selbst heute aus einer ganzen Reihe komplexer Praktiken, die über vielfache Bindungen und Verstrickungen in
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die Gesellschaft integriert sind. Zuweilen teilen diese wissenschaftlichen Praktiken gemeinsame Merkmale mit anderen gesellschaftlichen Praktiken, darunter übereinstimmende Kommunikationsmuster, ähnliche Prinzipien der Arbeitsorganisation oder ein vergleichbares Wettbewerbsverhalten. Aus dieser Perspektive betrachtet zeichnet sich Wissenschaft durch keinerlei Besonderheiten aus.“ (Nowotny et al. 2004, engl. Orig. 2001, S. 285)
Doch trotz dieser Entwicklungen bleibe ein Bedarf an Autonomie bestehen, im Sinne von Raum für Kreativität, Originalität und dem Beschreiten neuer Wege. Eine solche Autonomie könne nur die Wissenschaft bieten, welche zudem den Rahmen zur Herausbildung wissenschaftlicher Identitäten biete. „Natürlich muss die Autonomie der Wissenschaft erhalten bleiben. Sie ist nämlich eine Voraussetzung für die Ausbildung und Dauerhaftigkeit wissenschaftlicher Identitäten und deshalb eine wesentliche Vorbedingung wissenschaftlicher Kreativität. Daneben spielt Autonomie bei der Anregung zahlreicher weiterer Formen menschliche Kreativität eine ähnlich positive Rolle.“ (ebd. S. 287)
In Rückgriff auf die vorangegangen Ausführungen ist es ebenso möglich an dieser Stelle auf die Herausbildung eines wissenschaftlichen Habitus bzw. der Konstruktion der WissenschaftlerInpersönlichkeit zu verweisen. Im Zusammenhang mit der vorliegenden Untersuchung ist von Bedeutung, wie es Unternehmen gelingt, die Generierung von Wissen in Einklang zu bringen mit z.B. Rationalisierungsanforderungen und Kundenwünschen in einem nach wirtschaftlichen Kriterien operierenden Unternehmen. Leider beantworten Nowotny et al. (2004) in diesem Zusammenhang nicht, wie die Akteure auf der Agora zusammen arbeiten und wie sie die unterschiedlichen Ansprüche innerhalb ihrer jeweiligen Organisationsstrukturen in Einklang bringen. Dazu gehört auch die Frage, wie Forschungshandeln organisiert werden kann und ob es beispielsweise allgemeingültige Forschungsstandards geben kann, wenn Ausgründungen gemeinsam mit anderen, wechselnden Akteuren auf der Agora Wissen austauschen und generieren. „Wissenschaftliche Autonomie wird demnach hochgradig lokalisierte Formen annehmen. Sie muß in jedem Einzelfall und für jedes individuelle Forschungsprojekt gerechtfertigt werden. In derselben Weise muß die Objektivität geschützt werden, weil auch sie eine essentielle Voraussetzung für die Produktion zuverlässigen wissenschaftlichen Wissens darstellt. Aber wiederum wird dieses Wissen bis zur Unkenntlichkeit verändert. Es gibt keine universell gültige wissenschaftliche Objektivität mehr, beziehungsweise es gibt sie nur auf einer hochabstrakten und in praktischer Hinsicht bedeutungsloser Ebene.“ (Nowotny 2004, engl. Orig. 2001, S. 286-287)
Nach Ansicht der AutorInnen kann es keine allgemein verbindlichen Kanons oder Regeln geben, die zur Gewährleistung einer wissenschaftlichen Zuverlässigkeit befolgt werden müssen. Es sei vielmehr notwendig eine neue Definition wissenschaftlicher Objektivität zu entwickeln, die lokalisiert und kontextualisiert
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werden kann und an den jeweiligen Zusammenhang angepasst wird. Nach Ansicht der AutorInnen stellt sich trotz dieser Flexibilität und Anpassungsfähigkeit immer wieder eine übergreifende Objektivität ein, „sofern das produzierte Wissen gesellschaftlich robust ist“ (ebd. S. 288) und die Bedingungen der vielen heterogenen Kontexte antizipiere. Werden diese Überlegungen auf Spin-offUnternehmen übertragen, kann dementsprechend davon ausgegangen werden, dass es auch keine allgemein gültige wissenschaftliche Objektivität in Ausgründungen gibt, die unternehmensübergreifend Geltung besitzt. In einer Ausgründung könnte – in Auseinandersetzung mit anderen Akteuren der Agora – demzufolge eine eigene kleine Forschungskultur entstehen. Das dabei generierte Wissen muss in erster Linie nur für den Kunden des Unternehmens und für den Markt funktionieren (i.S. von robust sein). Autonomie und Objektivität müssen zwar gewährleistet sein, aber es würde sich um lokalisierte Formen wissenschaftlicher Autonomie handeln, deren Regeln jeweils das individuelle Forschungsprojekt bzw. die Unternehmensleitung und die Auftraggeber/Kunden vorgeben und die sich dementsprechend von Projekt zu Projekt verändern können. Kritisch zu beleuchten wäre daher, was dieses für die ForscherInnen in den Unternehmen bedeutet. Auch im Hinblick darauf, wie „wahres“ Wissen generiert werden kann, wenn es beispielsweise keine universell gültige Objektivität mehr gibt. Diese Veränderungsprozesse machen sich nach Ansicht der AutorInnen auch auf der Ebene der Arbeitsorganisation bemerkbar, es habe sich eine Umkehrung der traditionellen Muster wissenschaftlichen Arbeitens vollzogen. Die schwach kontextualisierten Wissenschaftsbereiche, in welchen auch weiterhin externe Einflüsse möglichst klein gehalten werden, um sich gewissermaßen einen „keimfreien Raum“ zu bewahren, seien immer weniger kreativ und produktiv. Statt möglichst die externen Faktoren und Kontexte, die das Ergebnis der Forschung kontaminieren könnten, zu eliminieren, gelte heute das Gegenteil. „Diejenigen Wissenschaftsbereiche dagegen, die – freiwillig oder aus anderen Gründen – eine Vielzahl externer Faktoren berücksichtigen und die wir als »stark kontextualisiert« beschrieben haben, sind nicht nur »relevanter« geworden (das ist ein unvermeidliches Ergebnis, unabhängig davon, ob es willkommen ist oder verärgert abgelehnt wird), sondern können auch hinsichtlich der Quantität und Qualität des von ihnen produzierten Wissens erfolgreicher sein.“ (Nowotny 2004, engl. Orig. 2001, S. 211)
Inwiefern schwach kontextualisierte Wissenschaftsbereiche tatsächlich weniger kreativ sind, wird leider nicht durch konkrete Zahlen belegt, z.B. durch eine Messung des wissenschaftlichen „Outputs“ in Form von Veröffentlichungen oder Patenten. Gleiches gilt auch für die Qualitätsbehauptung. Allerdings weisen die AutorInnen auf die soziale Robustheit des im Rahmen stark kontextualisierter Forschung erzeugten Wissens hin, welches auch außerhalb der experimentellen
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und theoretischen Wissenschaft Gültigkeit besitze. Nach Ansicht von Nowotny et al. ist sozial robustes Wissen letztlich sogar qualitativ besser als das im Rahmen von Mode 1 gewonnene „zuverlässige Wissen“, und zwar in dreierlei Hinsicht: Erstens weise es eine starke empirische Dimension auf und werde in einem offenen und unabschließbaren Prozess ständig getestet, überprüft und verbessert, zweitens werde es durch gesellschaftliches Wissen infiltriert und verbessert (vgl. ebd. S. 210ff.), und drittens verbesserten sich auch die Methoden, da „in Bezug auf wissenschaftliche Fragen ein umfassenderes Spektrum von Perspektiven und Techniken zum Einsatz kommen kann“ (ebd. S. 211). Kontextualisierung der Wissensproduktion meint hier also auch eine Kontextualisierung und Ausweitung der Methoden der Wissensproduktion. Für Ausgründungen würde dementsprechend eine starke Kontextualisierung der Forschung und der Forschungsmethoden zu erwarten sein und ein geringeres Maß an wissenschaftlicher Autonomie.66 Ein Element dieser Kontextualisierung ist die gegenseitige Durchdringung ökonomischer Rationalität und Wissenschaftspraxis in den Spin-offUnternehmen. Gut beobachtbar in den untersuchten Spin-offs war diese gegenseitige Durchdringung bei der Planung der Forschungsprozesse und -projekte, welche durchweg von der Akquise und den dort ausgehandelten Bedingungen dominiert wurden. Wie schwierig eine derartige Verknüpfung des Forschungsprozesses mit ökonomischen Gesichtspunkten ist, zeigt sich bei der Bewertung der finanziellen Risiken im Zusammenhang mit Investitionen in die Forschung in den Unternehmen. „Unter diesem Gesichtspunkt wird eine Forschungsinvestition zum Gegenstück eines Finanzderivats. Denn eine Forschungsinvestition wird wie die Kosten behandelt, die entstehen, um eine Option offen zu halten, bis bei größerer Gewissheit über die zu erzielenden Forschungsergebnisse die Entscheidung getroffen werden kann, das Forschungsprojekt weiterzuführen oder es zu beenden. Demnach wird bei diesem Verfahren die traditionelle Logik kurzfristiger Investitionen und der Gewinnrechnung abgelöst durch eine Spekulation auf höherer Ebene – mit produktiven wie mit verstörenden Ergebnissen.“ (Nowotny 2004, engl. Orig. 2001, S. 294)
66
Wobei auch Bourdieu (1998) am Grad der Abhängigkeit des jeweiligen wissenschaftlichen Feldes dessen jeweils prinzipiell mögliches Maß an Autonomie bestimmt, also in welchem Ausmaß Ansprüche, die von außen an das Feld herangetragen werden, aufgenommen oder abgeleht werden. „Je autonomer wissenschaftliche Felder sind, desto eher entwinden sie sich externen sozialen Gesetzen.“ (ebd. S. 26) und ebenfalls: „Die wissenschaftliche Tätigkeit verursacht ökonomische Kosten, und der Grad der Autonomie einer Wissenschaft hängt deshalb auch vom Ausmaß der dort erforderlichen ökonomischen Mittel ab (die Mathematiker sind in dieser Hinsicht sehr viel besser gestellt als etwa die Physiker oder auch die Biologen). Aber er hängt auch und vor allem vom Ausmaß ab, in dem das wissenschaftliche Feld gegen Eindringlinge geschützt ist (insbesondere durch das mehr oder weniger hohe und mit dem Umfang des kollektiv akkumulierten wissenschaftlichen Kapitals anwachsende Eintrittsgeld für Neulinge), und davon, wie weit es in der Lage ist, seine positiven oder negativen Sanktionen durchzusetzen.“ (ebd. S. 30-31)
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Die Generierung neuen Wissens als Tätigkeit – Wissenschaft im Wandel
Die verschiedenen Ausgründungen verfolgen unterschiedliche Strategien, um sich diese Forschungsinvestitionen leisten zu können. Die Akquise von Venture Capital, aber auch die Risikoverteilung auf verschiedene Geschäftsbereiche des Unternehmens sind dabei in den Unternehmen beobachtbare Strategien. Die Unternehmen wägen also trotz aller Unvorhersehbarkeit von Forschung die finanziellen Risiken und Chancen ab, betreiben also genau diese Art der „Spekulation auf höherer Ebene“. Für Gibbons et al. (1994) und Nowotny et al. (2004) hat sich Mode 2 als neue Form der Wissensproduktion außerhalb des Wissenschaftssystems entwickelt, u.a. tatsächlich in akademischen Ausgründungen. Dies würde bedeuten, dass Mode 1 als traditionelle Form der Wissensproduktion nicht zwangsläufig abgelöst würde, sondern in einigen Bereichen durchaus erhalten bliebe. Für Ziman (1996) scheint das kein realistisches Szenario zu sein. Für ihn ist im Zuge der Entstehung einer postakademischen Wissenschaft die Ablösung von Mode 1 als traditionelle Form der Wissensproduktion durch Mode 2 wahrscheinlicher. Ziman interpretiert Mode 2 bzw. die „Postacademic Science“ als die Entstehung einer gänzlich neuen Forschungskultur.67 Ziman nutzt dabei die von Merton entwickelten Normen als analytischen Rahmen, um die Auswirkungen von Mode 2 auf selbige zu überprüfen und die Art des Wissens, das in Mode 2 produziert wird, zu erfassen. „Mode 2, by contrast, does not just „produce“ knowledge: it is a culture where knowledge is constructed in accord with the commercial, political or other social interest of the bodies that underwrite its production. Although these interests may also incorporate scientific values, this is a culture where socio-economic power is the final authority.” (ebd. S. 73)
Auch bei Mode 2 bleibe die entscheidende Frage der Finanzierung der Forschung bestehen. Mode 2 -Forschung sieht laut Ziman zwar unbürokratisch aus, dahinter stehe aber ein komplexes Geflecht von öffentlichen und staatlichen Institutionen, Privatunternehmen und -organisationen. Dementsprechend werde es sehr schwer, genau zu lokalisieren, wer die Forschungsthemen und -richtung bestimme (ebd. S 75). Für Ziman sind Mode 1 und Mode 2 aber nicht Ausdruck des Übergangs von einer alten zu einer neuen Form der Wissensproduktion, sondern ihre Wurzeln liegen in der historischen Unterscheidung von Grundlagenforschung und angewandter Forschung und deren institutioneller Trennung in Universitätsforschung und Industrieforschung. Mode 2 ist für Ziman die “postindustrielle” Version angewandter Forschung (ebd. S. 76):
67
„In other words, „Mode 2“ is not just a „new mode of knowledge production“: it is a formula for a possible new research culture.“ (Ziman 1996, S. 70).
Die Ablösung der „traditionellen akademischen Wissenschaft“
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„Mode 2 evolved outside academia, as a technique for applying science to practical matters. It is organised intellectually around the solution of problems, rather than directed towards the production of knowledge as such. It follows that the knowledge that is actually produced is intrinsically local, rather than universal. Even though it may have wide theoretical implications, it is not shaped a preference for unification and generality. What counts as “good science” in Mode 2 may be technical skill at problem solving, rather than advancement of our understanding of the natural world.” (ebd. S. 71)
Letzte Konsequenz der Ausbreitung von Mode 2 im Zuge der Postakademischen Wissenschaft sei die Verschmelzung von Grundlagenforschung und technologischer Entwicklung. Mode 2 – oder besser „Finalized Research“, stark vereinfacht verstanden als Forschung zur Lösung eines spezifischen Problems, mit einem formulierten Ziel und Ende – übernähme sämtliche Facetten der Wissensproduktion, sei aber nicht automatisch nützliche Forschung und selbst mit einem speziellen Problem oder Ziel vor Augen sei auch finalisierte Forschung nicht frei von Unsicherheit. Statt abstrahierbarem, verallgemeinerbarem Wissen werde lokales Wissen generiert. Kleinere Wissenspakete und -projekte würden „geschnürt“ bzw. finanziell kalkuliert. Es erfolge eine starke Spezialisierung von Forschung auf einen ganz kleinen Ausschnitt eines bestimmten Wissensgebietes. Im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand dieser Studie bleibt festzuhalten, dass dieses auf einige Ausgründungen durchaus zutrifft. Der hohe Spezialisierungsgrad einiger Unternehmen könnte im Rahmen universitärer Forschung oder in einer außeruniversitären Forschungseinrichtung nicht mehr geleistet werden.68 Anhand der Frage nach der Qualitätskontrolle verdeutlicht Ziman ein Dilemma der postakademischen Wissenschaft. Zwar sei Qualität nicht mehr allein abhängig von der Beurteilung durch peers, allerdings könne die postakademische Wissenschaft so besessen sein von „accountability, performance monitoring, contractual scrutiny, and other forms of „quality control“ (ebd. S. 74), dass die Bewertungsverfahren an sich und deren Quantität die Oberhand gewinnen und „mode 2 downplays the role of systematic intellectual criticism, which is the key to the validity of academic science.“ (ebd. S. 74) Die Folge wäre unter Umständen ein höherer Grad an kognitiver Unsicherheit, ein Preis der gezahlt werden müsse im Zuge der stärkeren Tangierung der postakademischen Wissenschaft mit „‘trans-epistemic‘ issues, involving societal, environmental and humanistic values“ (ebd. S. 74). Genau in diesem Punkt geht Ziman auf die von Nowotny et al. formulierte These der größeren sozialen Robustheit des unter Mode 2 produzierten Wissens ein. Für ihn bleibt die Qualitätskontrolle des Wissens problematisch, da Mertons „organisierter Skeptizismus“ unter diesen Bedingungen eben nicht mehr funktioniere. Auch der von der AutorInnengruppe propagierte transdisziplinäre Raum bietet für Ziman hier keine Lösung, da ein sozialer Kontext 68
Siehe hierzu u.a. die Interviews in Unternehmen A; ausführlich dargestellt in Kapitel 5.
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Die Generierung neuen Wissens als Tätigkeit – Wissenschaft im Wandel
fehle, innerhalb dessen die ForscherInnen agieren. Diese hochgradige Unsicherheit hinsichtlich Qualitätskriterien und Bewertungsverfahren macht sich gerade auch bei der Betrachtung akademischer Ausgründungen bemerkbar. Spin-offs betreiben häufig einen Mix aus Forschung, Forschungsdienstleistungen und Produktentwicklung für Kunden aus unterschiedlichen Kontexten. Dies kann zu einer extremen Pluralität von Inhalten, Theorien, Methoden und Ideen führen und damit auch zu einer Vielfalt an Bewertungskriterien hinsichtlich der Forschungsergebnisse. „The knowledge that it produces is not organised around theoretical issues, and is not automatically subject to clear rules of coherence and credibility. It may combine cognitive and noncognitive elements in novel and creative ways – witness cognitive science itself – but it can also be a diffuse – even opaque – mixture of theory and practice, ideas and data, designed to meet the needs of a specific application. In other words, in Mode 2 pragmatism rules. Postmodernism similarly celebrates extreme pluralism. It favours wide definitions of knowledge and decentred diversity.” (ebd. S. 78)
Diese Pluralität stellt die GründerInnen der Unternehmen hinsichtlich der Frage der Organisationsstrukturen und der strategischen Ausrichtung vor große Herausforderungen. Die MitarbeiterInnen müssen diese Pluralität in ihrem täglichen Arbeits- und Forschungshandeln umsetzen. Die Kritik an Mode 2 und die Triple Helix als alternatives Modell Hack (2001) betont grundsätzlich die Verdienste des Ansatzes von Gibbons et al. (1994) und setzt diesen in Beziehung zu den gesellschaftlichen Prozessen, die der Entwicklung eines solchen Konzeptes vorausgegangen sind. Dazu gehört u.a. die Entstehung eines erweiterten Verständnisses von Wissen, das auch nichtwissenschaftliche Wissensformen aufwertet oder der steigende Anteil wissenschaftlich ausgebildeter Personen. Hack konstatiert: „die Entstehung zahlreicher neuer Bereiche wissenschaftlicher Tätigkeit außerhalb der traditionellen akademischen Einrichtungen, hat zum Aufbau eines Feldes heterogener Organisationseinheiten beigetragen, in denen Wissen produziert wird“ (Hack 2001, S. 27). Dennoch greift auch er die bereits von anderen AutorInnen geäußerte Kritik am stärkeren Anwendungsbezug des Wissens als entscheidendes, neues Merkmal der Wissensproduktion unter Mode 2 auf. Gerade in der früheren Veröffentlichung (Gibbons et al. 1994) dominiert das Argument des Anwendungskontextes: „Wissenschaftliche Praktiken, Techniken, Normen, Werte und Qualitätskriterien sind allesamt in Bezug auf die gerade anliegende Anwendung zu gestalten“ (Maranta/Pohl 2001, S. 103). Neben der Warnung vor einer „Schönrederei“ einer neoliberalen Deregulierung der Wissenschaft – durch positiv konnotierte Begriffe wie Transdisziplinarität oder Netzwerke – wird häufig eingewandt, dass Wis-
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sensproduktion im Anwendungskontext historisch keine neue Erscheinung ist. Für Hack lässt sich am Beispiel der industriellen Forschungs- und Entwicklungsorganisationen und der dort in den letzten Jahrzehnten stattfindenden Strukturveränderungen besonders gut zeigen, „dass Anwendungskontexte spätestens seit Beginn der siebziger Jahre für Produktentwicklungen, vor allem für verfahrenstechnische Innovationen empirisch konstitutive Funktion besaßen“ (Hack 2001, S. 31). Wissenschaftsgeschichtlich argumentierend sei es sogar möglich noch weiter zurückgehen und bereits im 19. Jahrhundert – z.B. bei Thomas Alwa Edison und seiner „Forschungsfabrik“ – anzusetzen. Die konstitutive Funktion der Anwendungskontexte und Verwertungsbedingungen und die transdisziplinären Arbeitsformen zur Lösung komplexer Probleme war laut Hack bereits in den frühen achtziger Jahren in weiten Teilen der industriellen F&E-Arbeit realisiert69 (vgl. ebd. S. 38). Hacks modifizierte These zu Gibbons et al. (1994) resultiert letztlich in der Feststellung, dass die akademische Wissenschaft dabei ist sich in eine Form der Wissensproduktion unter Vielen zu verwandeln, welche dann nicht mehr konkurrenzfähig sei gegenüber den anderen Formen der Wissensproduktion. „Von der akademischen Forschung/Wissenschaft haben sich zahlreiche neue Formen abgespalten, deren Kennzeichen die Ausrichtung auf das generelle Produktionsparadigma (gewesen) ist. Unter den Bedingungen einer Gesellschaftsformation, die zunehmend von der kapitalistisch strukturierten Wirtschaft beherrscht wird, ergibt sich eine unübersehbare Überlegenheit der Formen des Umgangs mit Wissen, die sich als Wissensproduktion zu legitimieren verstehen. Unter dem Druck der Erfolgskriterien, die damit weitgehend durchgesetzt worden sind und sich weiterhin durchsetzen werden, wird dann auch die traditionelle akademische Wissenschaft in eine Form der Wissensproduktion transformiert. In dieser Form aber ist sie, so wäre die These zu verlängern, als eigenständige Form der Wissensproduktion kaum mehr konkurrenzfähig.“ (Hack 2001, S. 55-56)
Je mehr sich dementsprechend die traditionelle akademische Wissenschaft den Erfolgskriterien einer vornehmlich kapitalistisch strukturierten Gesellschaft füge, umso stärker verliere sie ihr Alleinstellungsmerkmal und werde zu einer Form der Wissensproduktion unter vielen, u.U. sogar zu einer nach den angelegten Kriterien unterlegenen Form der Wissensproduktion. Gläser (2001) warnt an dieser Stelle Kritiker des Mode 2-Konzeptes vor der impliziten Übernahme dessen problematischer theoriestrategischer Voraussetzung: „Die Gegenüberstellung von Modus 2 und Modus 1. Dabei sollt uns gera69
Auch Hirsch-Kreinsen (2003) verweist zwar auf die gestiegene Bedeutung „kontextualisierter Forschungsvarianten“ mit transdisziplinären Zügen, die auf spezifische und zeitliche begrenzte Problemlösungen gerichtet sind, sieht hierin jedoch nicht einen grundlegend neuen Modus der Wissensproduktion gegeben, sondern spricht vielmehr von einer Erweiterung der Grenzen der Forschung (vgl. ebd. S. 267).
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de das Zerrbild der bisherigen Wissensproduktion stutzig machen, vor dessen Hintergrund Modus 2 als die neue und gute Wissensproduktion präsentiert wird.“ (ebd. S. 83) Der Autor bezieht sich bei seinen Ausführungen auf eigene empirische Untersuchungen. Auf deren Basis hat er eine Kategorisierung von Grundlagenforschung basierend auf ihrem Verhältnis zu Anwendungskontexten entwickelt und unterscheidet zwischen unmittelbar, vermittelt, entfernt anwendungsbezogener Grundlagenforschung und reiner Grundlagenforschung (vgl. Gläser 2001, S. 86ff.). Somit sei auch Grundlagenforschung überwiegend Wissensproduktion in Anwendungskontexten. Statt zu versuchen Modus 2 von einem „alten“ Modell der Wissensproduktion (Mode 1) abzugrenzen, sei es unter Umständen sinnvoller sich die Veränderungen auf dem Gebiet der Technikgenese anzuschauen und hier insbesondere den Übergang der Technologieentwicklung in Richtung Grundlagenforschung (Mode 1). Letzteres verweise auf die Ausweitung einer bislang auf die Grundlagenforschung beschränkten Produktionsweise und sozialen Ordnung auf Technologieentwicklung und Innovationsprozesse (vgl. ebd. S. 99). „Nicht irgendein neuer Modus 2, sondern der Übergang der Technologieentwicklung in den Modus 1 ist das interessante Phänomen […] der Modus der Wissensproduktion ist ja derselbe, lediglich die Gegenstände und Umgebungen unterscheiden sich und modifizieren damit auch die Wissensproduktion (ohne hinreichend qualitative Unterschiede zu bringen).“ (ebd. S. 97; Hervorhebungen im Original)
Diese Ausweitung von Forschungshandeln in neuen Kontexten, u.a. eben auch der Technologieentwicklung, ähnelt den Diskussionen um die Verwissenschaftlichung der Industrie und die Ausweitung von Wissensarbeit als dominierende Tätigkeitsform, die im nachfolgenden Kapitel im Mittelpunkt steht und legt die These nahe, dass die im Wissenschaftssystem beobachtbaren Anpassungsprozesse der Wissensgenerierung mit den gesamtgesellschaftlich beobachtbaren Prozessen des Wandels zur Wissensgesellschaft korrespondieren, verbunden mit einer Ausweitung und Modifizierung von Mode 1. Spin-off-Unternehmen würden diesem Verständnis nach die Produktionsweise der Grundlagenforschung übernehmen und entsprechend ihrer Strukturen und Anforderungen modifizieren. Terry Shinn (2000) hat sich ergänzend zum Mode 2-Ansatz mit dem von Henry Etzkowitz und Loet Leydesdorff entwickelten Modell der Triple Helix auseinandergesetzt und beide Ansätze einander kritisch gegenübergestellt. Etzkowitz und Leydesdorff haben – basierend auf empirischen Studien – die sich wandelnden Beziehungen zwischen Universität, Industrie und Staat in den Blick genommen und konstatieren „a new synthesis between state, academia and enterprise“ (ebd. S. 606). In der heutigen Wissensgesellschaft seien die drei Sphären – oder Helices – nicht mehr voneinander getrennt und statt punktuellem Aus-
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tausch zwischen den getrennten Sphären gäbe es starke Überlappungen, so genannte trilaterale Netzwerke und Hybridorganisationen70. Die Wissenschaft sehe sich dementsprechend zusätzlichen Rollen und Aufgaben gegenüber: „A transformation in the functions of university, industry, and government, the „triple helix,“ is taking place as each institution can increasingly assume the role of the other. […] Arrangements and networks among the three institutional spheres provide input and sustainance to science-based innovation processes. In this new configuration, academia can play a role as a source of firm-formation, technological, and regional development, in addition to its traditional role as a provider of trained persons and basic knowledge. […] An expanding network system of interactive spirals is generated as university, industry, and government engage to promote economic development and academic research.” (Leydesdorff/Etzkowitz 2001)
Transfereinrichtungen, Technologieparks und auch Spin-offs seien in diesem Zusammenhang Beispiele für die in der Triple Helix entstanden neuen Hybridorganisationen und entsprängen der neuen „Mission“ der Universitäten und akademischen Einrichtungen, denn neben Forschung und der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses entwickelten sich die Universitäten zu „Agenturen ökonomischen und sozialen Fortschritts“. Innovation sei angesichts der Wissensintensität der wirtschaftlichen Entwicklung nur möglich, wenn Universitäten, Unternehmen und staatliche Organisationen einen gemeinsamen „Transaktionsraum“ schaffen und ihre institutionellen Beziehungen zueinander rekonfigurieren. „Knowledge production can be considered as a necessary, but not a sufficient step to innovation. It creates a potential which can be actualized by bringing together users, producers, entrepreneurs, and policy-makers in a “transaction space” where problems and possibilities can be argued and traded-off.” (ebd.)
Insbesondere an diesem Punkt weist die Argumentation starke Parallelen zum Mode 2-Konzept auf. Nowotny et al. und Gibbons et al. sprechen ebenfalls von Diskussionsräumen jenseits der Systemgrenzen und weisen auf die Entstehung transdisziplinärer Räume zur Wissens- bzw. Innovationsgenerierung hin. Auch Shinn greift zwar den Gedanken einer disziplinen- und systemübergreifenden Wissensgenerierung auf, berücksichtigt bei der Unterscheidung dreier Wissenschaftskulturen allerdings die organisationale und disziplinäre Einbettung der individellen Akteure. Gerade diese Organisationen und Institutionen liefern den notwendigen Input für neue Projekte und stellen Ideen, Informationen und Tech70
Lam definiert Hybridorganisationen ganz allgemein als Organisationen “located at the interface between firms and universities.“ (Lam 2004, S. 23), siehe auch Kapitel 4.3.; Knie et al. (2006) sprechen hingegen eher von Forschung im Cross-Over-Modus als neue Form der Wissensproduktion; Etzkowitz/Leydesdorff (2001) hingegen von „Tri-lateral networks and hybrid organzations“ im Rahmen der „Triple Helix of University-Industry-Government Relations“.
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Die Generierung neuen Wissens als Tätigkeit – Wissenschaft im Wandel
nik zur Verfügung (Joerges/Shinn 2001, S. 244). Vor allem die Tatsache, dass alle drei von ihr benannten Kulturen durchaus nebeneinander und miteinander existieren, wird der Vielfältigkeit der Wissensproduktion und Wissensproduzenten in der modernen Wissensgesellschaft gerecht. Es läuft nicht alles auf eine Form der Wissensproduktion hin, die alte – heute weniger erfolgreiche – Formen ablöst, sondern „all three science cultures have operated and co-existed for at least two centuries“ (ebd. S. 242). Bei der Betrachtung der verschiedenen institutionellen Formen der Wissenschaft können die disziplinäre, die transitäre und die transversale Wissenschaftskultur unterschieden werden (vgl. ebd. und ergänzend Heintz 2004): 1) Die Kennzeichen der disziplinären Wissenschaftskultur sind relativ stabile Disziplinengrenzen und leicht erkennbare, stabile Institutionen, um und innerhalb derer die Disziplin angesiedelt ist. 2) Die transitäre Wissenschaftskultur findet sich an der Peripherie klassischer Disziplinen und etablierter Institutionen. Zwar bleibt die individuelle Identität der Personen nach wie vor an ihre jeweilige Disziplin gebunden, allerdings können disziplinäre Grenzen auf der Suche nach Technik, Daten, Konzepten und Kooperationsmöglichkeiten mit KollegInnen in Nachbarschaftsdisziplinen provisorisch überschritten werden. So kann der oder die Einzelne entweder zwischen den Disziplinen oder Feldern wechseln oder es entstehen Subdisziplinen, z.B. Geophysik oder Biochemie. Wissensaustausch und Karrieremobilität setzten aber nicht die disziplinären Grenzen und Strukturen außer Kraft. 3) In der transversalen Wissenschaftskultur erfolgt die Identifikation nicht über Disziplinen oder Institutionen, sondern über Projekte. Je nach Erfordernis der jeweiligen Projekte orientieren sich die Akteure an einer Vielzahl von Communities und Märkten. Aber dennoch sind stabile Institutionen nach wie vor Ankerpunkte bzw. das Fundament der transversalen Akteure. Die so genannten Research-Technologists sind zentrale Aktuere der transversalen Wissenschaftskultur (ebd. S. 244). Diese Personen verbleiben entweder in ihrer Zwischenposition oder wechseln zwischen benachbarten Disziplinen und Industriekulturen.71 Die als Folge der transversalen Wissenschaftskultur entstehende „generic instrumentation“ verstärke den sozialen und intellektuellen Zusammenhalt, es entstehe eine Art „praxisbasierte Universalität“: „The universality born of dis-embedding and endless re-embeddings is a universality of varied experience in countless niches, a universality grounded in informed and legitimate practice. It is a practice-based universality.” (Joerges/Shinn 2001, S. 246) Das 71
“Practioners choose either to maintain their ‘in-between’ positions, which provide the necessary space for generic practices, or to move in and out of neighboring science and industrial cultures.” (Joerges/Shinn 2001, S. 245)
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Ergebnis ist – auch wenn man versucht ist, es mit der Agora oder dem Transdisziplinären Raum von Nowotny et al. gleichzusetzen – doch ein anderes. Denn trotz der Entstehung einer gemeinsamen „Sprache“ und gemeinsamer Techniken der transversalen Akteure, bleibt deren Zuordnung zu systemspezifischen Institutionen oder Disziplinen bestehen. Im Hinblick auf Spin-off-Unternehmen, ihre GründerInnen und den dort tätigen ForscherInnen bedeutet die Unterscheidung der verschiedenen Wissenschaftskulturen, dass sich ein Individuum durchaus überwiegend in der ersten Wissenschaftskultur bewegen kann und dennoch von der Dritten nicht dauerhaft ausgeschlossen wäre. Shinn verdeutlicht die Vielförmigkeit und variable Solidarität disziplinärer Grenzen und die Bedeutung von Forschung, die konstitutiv an Grenzen angesiedelt ist und multidisziplinär wie multiinstitutionell operiert. Damit bietet sich hier ein Zugang, der es erlaubt, den in Ausgründungen forschenden Männern und Frauen besser gerecht zu werden und die starre systemtheoretische Trennung von Wissenschafts- und Wirtschaftssystem aufzulösen. Denn unter Umständen ist es den dort arbeitenden ForscherInnen tatsächlich möglich eine hybride Berufsidentität, gewissermaßen als „Research-Technologist“ oder „Innovation Organizer“72, zu entwickeln. Auch Stichweh (2002) schreibt hierzu in seinen Ausführungen zur Wissensgesellschaft: „Was aber aus dieser Pluralisierung der Rollen und Pluralisierung des Engagements folgt, ist, dass offensichtlich in immer mehr Teilsystemen der Gesellschaft auf die Vorstellung rollenund berufsgeprägter Persönlichkeiten, die mit ihrem Identitätsentwurf eine nahezu gegebene Ausschließlichkeit ihrer Bindung an ein System verbürgen, verzichtet werden kann.“ (ebd. S. 9)
Offensichtlich stellt diese Diversifizierung die einzelnen Akteure vor die Herausforderung, einen neuen Identitätsentwurf und eine neue Vorstellung von ihrer eigenen Beruflichkeit zu entwickeln. Allerdings sind bezogen auf die individuelle Laufbahn häufige Wechsel zwischen den Systemen und Disziplinen – zumindest bezogen auf Deutschland – eher begrenzt, eine mangelnde Durchlässigkeit wird nach wie vor beklagt.73 72
73
Einen anderen Zugang bieten die „Innovation Organizers“ von Leydesdorff/Etzkowitz (2001). Diese fungieren als Übersetzer zwischen den verschiedenen Gesellschaftssystemen und beziehen sich nicht nur auf Individuen. Hier können sowohl Hybridorganisationen wie Spin-offs als auch einzelne Personen gemeint sein. Siehe u.a. Beckert et al. (2008); ergänzend aus einem Konferenzbericht des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und der Deutschen Forschungsgesellschaft: „Deshalb können Wissenschaftler, die zwischen Forschungslabor und Unternehmung wechseln, ihre Erfahrungen aus der Wirtschaft nicht in der Wissenschaft „kapitalisieren“. Sie gelten im Gegenteil bisweilen als Bedrohung der akademischen Autonomie. Das verunsichert und schreckt vor Cross-overKarriereverläufen ab.“ (Klaaßen 2006, S. 24)
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2.3 Schlussfolgerungen zur theoretischen Rahmung der Untersuchung Insgesamt kann festgehalten werden, dass eine systemtheoretische Betrachtung der Thematik zwar unumgänglich ist, dieser allerdings auch Grenzen gesetzt sind. Zwar bleibt aus Sicht Luhmanns die operative Geschlossenheit des Systems Wissenschaft unter allen Umständen und trotz der erhöhten (Kommunikations-) Anforderungen durch externe Systeme erhalten. Ungeachtet aller Vorbehalte, beispielsweise gegenüber der Konstatierung eines neuen transdisziplinären Raumes jenseits von Systemgrenzen, lassen sich jedoch genügend Anhaltspunkte für eine Verwischung traditioneller Grenzziehungen finden. Trotz der Grenzen und Schwierigkeiten einer systemtheoretischen Betrachtung liefert sie damit wichtige Anhaltspunkte hinsichtlich der Frage einer Verwischung der Grenzen zwischen Wissenschafts- und Wirtschaftssystem. Inwieweit Spin-off-Unternehmen selbst als Hybridorganisationen zu betrachten sind und ihre GründerInnen und die dort forschenden MitarbeiterInnen hybride Berufsidentitäten entwickeln, bleibt eine wichtige Frage. Deutlich wurde, dass der historisch gewachsene wissenschaftliche Habitus mit den ihm eigenen Werten und Normen nicht ohne die Sicherstellung spezifischer Handlungs- und Rahmenbedingungen möglich ist, wie sie in erster Linie in Universitäten oder Forschungseinrichtungen auffindbar sind. Davon unterscheidbar ist das Forschungshandeln an sich, also die Generierung von Wissen und die dazu angewandten Methoden und Werkzeuge. Forschungshandeln ist unabhängig von wissenschaftlichem Ethos und Habitus auch außerhalb des Wissenschaftssystems möglich, wie ein Blick auf industrielle Forschung beweist. Das Methoden- und Fähigkeitenrepertoire der ForscherInnen in Spin-offs orientiert sich dabei an dem disziplinären „Werkzeugkasten“ des jeweiligen Wissensgebiets. Die Wissensgenerierung in Unternehmen folgt dabei klar anderen Zielen und Werten als wissenschaftliche Forschung, verbunden mit den entsprechenden Auswirkungen auf Qualitätskriterien, Anerkennungsstrukturen oder die Rahmenbedingungen für die tägliche Projektarbeit. Die Herausbildung lokalisierter epistemischer Kulturen durch eine Anpassung der angewandten Methoden, Kooperationsformen und Arbeitsroutinen in den jeweiligen Spin-offs kann eine Folge dessen sein.
Schlussfolgerungen zur theoretischen Rahmung der Untersuchung
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Abb. 4: Theoretischer Rahmen der Untersuchung – Wissenschaftstheorie und wissenschaftliche Arbeit Wissensgenerierung als Tätigkeit
Wissensgenerierung im organisationalen Kontext Wissenschaftstheorie und Mode2
Wissenschaftliche Arbeit •Wissenschaft als Handwerk •Forschungshandeln •Wissenskulturen und epistemische Praktiken •Forschung als Profession •Autonomie vs. Integration
•Kontextualisierung von Wissenschaft •Forschung im Anwendungskontext •Lokalisierte Formen von Wissenschaft
Facetten der Forschungskultur in Spin-offs
High-Tech-Unternehmen/ Spin-offs
Wissensarbeit/ nichtprogrammierte Arbeit
Quelle: eigene Darstellung
Die Feststellung einer Ausweitung von Forschungshandeln auf alle gesellschaftlichen Bereiche und im Umkehrschluss die Auswirkungen auf den Wandel des Wissenschaftssystems – verursacht u.a. durch eine generell gestiegene Bedeutung von Wissen – führt direkt in die Debatte um die Wissensgesellschaft und Wissensarbeit. Die neue Allgegenwärtigkeit wissensbasierter Tätigkeiten und Wissensarbeit steht im Fokus des nachfolgenden Kapitels. Ziel dessen ist die Extrahierung zusätzlicher Anhaltspunkte aus den Debatten um Wissensarbeit und die Wissensgesellschaft im Hinblick auf Fragen nach der Ausweitung von Forschungshandeln, den Wandel von Forschung und der Arbeitsorganisation in Spin-offs.
3. Wissensgesellschaft und Wissensarbeit
Die Entstehung neuer kooperativer Formen der Wissensgenerierung, unter Beteiligung von Akteuren und Organisationen aus dem Wissenschaftssystem und aus anderen gesellschaftlichen Teilsystemen, ist Ausdruck einer stärker werdenden Öffnung des Wissenschaftssystems nach außen. Die im zweiten Kapitel dargestellten Chancen und Risiken einer „Ökonomisierung“ der Wissenschaft und deren Auswirkungen auf die Art des generierten Wissens, das Forschungshandeln, wissenschaftliche Arbeitsprozesse und Arbeitsbedingungen sind die Folge eines gesamtgesellschaftlichen Wandels. Die „Verwissenschaftlichung“ anderer gesellschaftlicher Teilsysteme ist gleichermaßen Teil dieser Veränderungsprozesse. Nachdem im vorausgegangenen Kapitel das Forschungshandeln und die Bedingungen der Wissensgenerierung im Vordergrund standen, wird nachfolgend insbesondere die Wissensarbeit als charakteristische Form des Arbeitshandelns in der Wissensgesellschaft in den Blick genommen. Die Wissensgenerierung ist hier kein getrennt stattfindender Prozess, sondern in den Unternehmen integriert in das alltägliche Arbeitshandeln. Insbesondere in innovativen Branchen, wie z.B. der Biotechnologie, spielt Wissensarbeit eine herausragende Rolle74. Die steigende volkswirtschaftliche Bedeutung von Wissen und Innovation macht sich allerdings branchenübergreifend bemerkbar. Trotz der thematischen Überschneidungen der beiden Debatten werden diese in der Regel getrennt voneinander geführt. Dabei sind die beiden Diskussionsstränge durchaus anschlussfähig. Eine synthetisierende Betrachtung bietet gerade für die Untersuchung der Forschungs- und Arbeitsbedingungen in Spin-offs wichtige Anhaltspunkte und Erkenntnisse. In Ergänzung zur Auseinandersetzung mit der Debatte um die Wissensgesellschaft erfolgt daher auch eine vertiefende Betrachtung der Kennzeichen von Wissensarbeit.
74
In neueren Veröffentlichungen taucht sogar der Begriff der Innovationsarbeit häufiger auf (vgl. Moldaschl 2007a am Ende dieses Kapitels).
M. B. Roski, Spin-off-Unternehmen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, DOI 10.1007/978-3-531-93369-6_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Wissensgesellschaft und Wissensarbeit
3.1 Der Weg zur Wissensgesellschaft Stichweh (2002) beschäftigt sich mit der Frage, welche Strukturveränderungen des Wissenschaftssystems mit dem Umbruch zur Wissensgesellschaft zusammenhängen. Die moderne Gesellschaft bleibt für ihn ein hochgradig differenziertes System. Zwar geht die Vervielfältigung der Orte der Wissenschaftsproduktion, die stärkere Vernetzung des Wissenschaftssystem mit anderen institutionellen Sektoren75 und die Tatsache, dass Personen nicht mehr eindeutig nur einem System zugeordnet werden können, sondern in mehreren Sektoren aktiv werden76, für das Wissenschaftssystem mit einem Verlust der Exklusivität einher. Dies ist allerdings für Stichweh nicht mit einem Bedeutungsverlust gleichzusetzen, sondern im Gegenteil eher Ausdruck einer gesamtgesellschaftlich gestiegenen Bedeutung der Wissensproduktion. Seiner Ansicht nach kann gerade nicht von einer Entdifferenzierung der verschiedenen Sektoren der Produktion wissenschaftlichen und technischen Wissens gesprochen werden: „Statt einer Entdifferenzierung von Subsystemen haben wir es eher mit einer fortschreitenden Differenzierung von Sozialsystem und Person zu tun.“ (ebd. S. 9) Durchlässigere Grenzen und eine Pluralisierung von Rollen und Berufsidentitäten, die nicht ausschließlich an ein System gebunden sind, machen die Entstehung eines transdisziplinären Raumes, wie ihn Gibbons et al. (1994) beschreiben und welcher gleichsam über oder jenseits der gesellschaftlichen Funktionssysteme besteht, damit überflüssig. Im Gegensatz dazu bemüht sich Stichweh zu zeigen, dass das Wissenschaftssystem zwar kein Monopol mehr auf gesellschaftlich relevantes Wissen und dessen Produktion besitzt, dieses aber bei weitem noch nicht vom Ende der funktionalen Gesellschaftssysteme kündet. Allerdings können laut Stichweh andere Funktionssysteme vergleichbare Wissensleistungen erbringen wie das Wissenschaftssystem. Hierzu dienen ihm verschiedene beobachtbare Prozesse und Phänomene als Beleg (vgl. ebd. S. 3ff.): 1) Die steigende Inklusivität des Wissens, sowohl in sozialer, zeitlicher und sachthematischer Hinsicht, d.h. die Relevanz von Wissen ist nicht mehr auf spezifische Prozessphasen begrenzt: „Ein interessanter Studiengegenstand ist die klassische Unterscheidung von Forschung und Entwicklung in Wirtschaftsorganisationen, die immer auch eine zeitliche Sequenzierung der beiden Tätigkeitstypen implizierte. Hier wäre ähnlich wie im Fall des Lebenslaufs zu fragen, ob die Kopplung von Prozeßphasen mit einer nur anfangs vorkommenden Angewiesenheit auf die Produktion neuen Wissens sich lockert.“ (ebd. S. 3) 75
76
Stichweh (2002) benennt hier als Beispiele u.a. Industrie, Hospitäler oder Forschungsstätten der Regierung. Hier handelt es sich z.B. um WissenschaftlerInnen, die gleichzeitig in wissenschaftlichen Journalen publizieren und Patente anmelden bzw. ein Unternehmen gründen.
Der Weg zur Wissensgesellschaft
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2) Die Profilierung neuer Wissenssysteme und Wissensformen, z.B. das Feld der Wetterprognosen, der Analyse von Wertpapieren oder Management- und Selbstfindungslehre, die zwar gestützt werden durch wissenschaftliche Forschung, aber dadurch, dass sie hochgradig prognostisch und normativ sind, nicht in das Wissenschaftssystem und seine Disziplinen integriert werden können. 3) Die Existenz inkorporierten und damit invisibilisierten Wissens in einer Vielzahl von Systemen und Handlungszusammenhängen, z.B. in multinationalen Unternehmen, der Softwarebasierung sozialen Handelns oder der immateriellen Produktion. Statt des Zusammenfallens vorher getrennt ablaufender Prozessphasen, verlagert sich der Fokus hier auf einen Typus wirtschaftlicher Produktion, in dem die eigentliche Wertschöpfung nicht durch das Produkt erfolgt, sondern in den Wissensprozessen liegt, die dem Produkt vorausgehen und es begleiten. 4) Die Tendenz der Wiederanwendung des Wissens auf sich selbst (Evaluation), was Stichweh als „Second-Order Knowledge“ bezeichnet. 5) Der Wissensgewinn durch die Ausübung von Kritik: Durch die Massenmedien und die neuen Medien weitet sich ExpertInnenwissen aus, was einher geht mit einem Statusverlust der ExpertInnen bei gleichzeitiger Ausweitung des ExpertInnentums. 6) Die Multiplizierung/Pluralisierung der Orte der Wissensproduktion. Ein Teil der benannten Aspekte sind verstärkt auch für Spin-off-Gründungen relevant. Eine stärkere Kopplung der unterschiedlichen Phasen des Forschungsprozesses wird für insbesondere für die Spin-offs bedeutsam, die sich zusätzlich zu einer stark auf die Kundenwünsche ausgerichteten, forschungsintensiven Produktentwicklung durch eine sehr analytische Wissensbasis auszeichnen77. Bei der Betrachtung der Forschungsorganisation in Spin-offs ist damit von besonderem Interesse, wie erstens die verschiedenen Prozessphasen in den Unternehmen gekoppelt sind und zweitens ob bzw. inwiefern Forschung durchgängig im gesamten Prozessverlauf relevant ist. Auch eine Verlagerung der eigentlichen Wertschöpfung vom Produkt auf die vorausgehenden und begleitenden Wissensprozesse kann für die ausgegründeten Unternehmen konstatiert werden. Ein großer Teil dieser Unternehmen hat sich auf einen derartigen Typus wirtschaftlicher Produktion spezialisiert, was nicht nur die Arbeitsabläufe und -strukturen in den Spin-offs kennzeichnet, sondern auch die von den Unternehmen angebotenen wissens- und forschungsintensiven Produkte und Dienstleistungen. Ein gutes Beispiel für Spin-offs, die ihr generiertes Wissen direkt am Markt verkaufen, 77
Die Unterscheidung von analytischem und synthetischem Wissen bezieht sich auf wissenschaftsbzw. ingeniereusbasiertes Wissen als Wissensbasis eines forschungsintensiven Spin-offs. Vergleiche u.a Gabrielsson et al. (2006) in Kapitel 4.
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sind Biotechnologieunternehmen, die sich im Pharmabereich auf die Vorstudien zur Medikamentenentwicklung spezialisiert haben. Bei diesem Beispiel wird sogar das Wissen selbst zur Ware. Die oben beschriebenen Prozesse und Phänomene sind Ausdruck eines Wandels, der entgegen den im vorangegangenen Kapitel dargelegten, konzentrierten Ausführungen zum Wandel des Wissenschaftssystems auf die gesamte Gesellschaft und ihre Strukturen einwirkt. Die heutige Gesellschaft ist für Stichweh ein in sich hochgradig ausdifferenziertes System. Eine Folge dessen sei auch die Fülle an Etiketten, die man der heutigen Gesellschaft angeheftet hat, z.B. Risikogesellschaft, Erlebnisgesellschaft, Informationsgesellschaft, und welche aus der jeweiligen Perspektive durchaus auch zutreffen. Für Stichweh charakterisiert der Begriff der Wissensgesellschaft unsere heutige Gesellschaft am treffendsten: „Als Schlussfolgerung ergibt sich, dass die evolutionäre Dynamik der Gesellschaft immer deutlicher sichtbar macht, dass Wissen orthogonal zum Prinzip funktionaler Differenzierung steht und dass es diese Stellung ist, die den Namen Wissensgesellschaft rechtfertigt.“ (Stichweh 2002, S. 11)
Weingart (2001) hingegen bezieht sich nicht allgemein auf die grundsätzliche Ausweitung und gestiegene Bedeutung von Wissen in allen gesellschaftlichen Funktionsbereichen, sondern speziell die Ausweitung von Forschungshandeln in alle anderen gesellschaftlichen Bereiche ist für ihn das entscheidende Merkmal der Wissensgesellschaft. Er spricht von einer umfassenden Generalisierung und Ausweitung von Forschung als Handlungsmodus über die Grenzen der Wissenschaft hinaus. „Die soziale Distribution der Wissensproduktion konstituiert erst dann einen neuen Typus von Gesellschaft, wenn die funktionsspezifischen Operationsweisen der Wissenschaft, eben die Forschung, generalisiert werden, das heißt, wenn hypothetisches Denken und experimentelles Handeln aus dem isolierten Schutzraum des Labors heraus in die Gesellschaft diffundiert und an vielfältigen Orten78 praktiziert wird, an denen Handeln auf Wissen gegründet wird.“ (ebd. S. 335)
Bei der Übertragung diese Betrachtungsweise auf die Wertschöpfungsprozesse und Arbeitskontexte in Spin-offs sollte dementsprechend nicht unbeachtet bleiben, inwiefern Forschung und Forschungshandeln als Folge einer solchen Aus78
Auch Willke berücksichtigt räumliche Faktoren bei seiner Herleitung der Wissensgesellschaft: „In räumlicher Hinsicht beschränkt sich wissenschaftlich relevantes Wissen nicht mehr auf die singuläre Quelle des Wissenschaftssystems, sondern weitet sich auf multiple Quellen der Produktion praxisrelevanten Wissens aus, so dass es auch keine letzte Instanz der autoritativen Beglaubigung von richtigem Wissen mehr geben kann.“ (Willke 2002, S. 28)
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weitung den Handlungsbedingungen in anderen Funktionssystemen angepasst wird oder ob Forschungshandeln in den anderen Systemen nach den gleichen Logiken funktioniert wie in dem ‚geschützten‘ Raum, den die Institutionen des Wissenschaftssystems bieten. Denkbar ist, dass Forschungshandeln in Spin-offUnternehmen nach den gleichen Logiken wie im Wissenschaftssystem funktioniert, also in sich geschlossen bleibt. Möglich ist aber auch, dass es in die Funktionslogiken und -abläufe der Wirtschaft integriert und entsprechend modifiziert wird. Diese Fragen korrespondieren mit den vorangestellten Überlegungen zum Wandel des Wissenschaftssystems und zur Kontextualisierung der Wissensproduktion. Knorr Cetina (2002) setzt ebenfalls bei der Expansion vormals auf das Wissenschaftssystem bzw. bestimmte epistemische Kulturen beschränkter Handlungs- und Strukturformen in andere gesellschaftliche Bereiche an. Ausgangspunkt ihrer Überlegungen ist die Ausweitung von Wissenskulturen und deren Strukturformen, die jetzt auch außerhalb epistemischer Kulturen bedeutsam werden. Dabei stellt sie dem begrifflichen Konstrukt der Einheit der Wissenschaft – wie es in vielen wissenschaftssoziologischen Veröffentlichungen Verwendung findet – den Begriff der Wissenskulturen gegenüber, den sie eng verknüpft sieht mit der gesellschaftlichen Transformation in den westlichen Gesellschaften: „Wissenskulturen sind Kulturen von Wissenskontexten, und diese stellen ein strukturelles Merkmal von Wissensgesellschaften dar. Es wäre aber falsch, Wissensgesellschaften als homogen und eindimensional zu verstehen. Die Verbindung von Wissen und Gesellschaft in einem Konzept verdeckt die Komplexität heutiger Transformationen und die möglichen Widersprüche, die mit Wissen und Expertise verbunden sind.“ (Knorr Cetina 2002, engl. Original 1999, S. 19)
Der Vorteil ihres Ansatzes liegt gerade in dem Begriff der Wissenskulturen, der es möglich macht, diese Prozesse gezielt auf einzelne epistemische Felder und Disziplinen bezogen zu betrachten. Diese machen auch die unterschiedlichen Entwicklungspfade und die Ungleichzeitigkeit der ablaufenden Prozesse in den Disziplinen besser erklärbar und liefern z.B. zusätzliche Erklärungsmöglichkeiten für die disziplinär unterschiedlich hohen Ausgründungsraten. Im Gegensatz zu anderen Theorien zur Wissensgesellschaft steht für Knorr Cetina nicht so sehr die zahlenmäßige Zunahme einer bestimmten Berufsgruppe im Vordergrund, sondern sie wertet die Ausweitung des ‘objektorientierten Managements’, d.h. des Managements durch die Sache, auf alle gesellschaftlichen Bereiche als ein Indiz für die Wissensgesellschaft. Zur Illustration dient ihr die Hochenergiephysik als ein Forschungsfeld, wo „Experimente soziale Autoritätsmechanismen durch objektorientierte zeitliche Koordinationsmechanismen“ (ebd. S. 332) er-
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setzen. Es erfolgt gewissermaßen eine Steuerung der Forschungs- und Arbeitsabläufe durch den Gegenstand der Forschung selbst. In Spin-offs lässt sich hingegen diese Art der für wissenschaftliche Forschung typischen Steuerungs- und Koordinationsmechanismen nur begrenzt finden. Dies ist in den häufig engen Projektvorgaben begründet. Begrenzte zeitliche und monetäre Ressourcen setzen einer durch das Forschungsobjekt geprägten Steuerung Grenzen. In den Interviews hat sich gezeigt, dass sich in diesem Zusammenhang die Wahrscheinlichkeit für Konflikte erhöht, wenn die Ergebnisse der Forschung und das ‘Verhalten’ des Forschungsgegenstandes nur schwer prognostizierbar sind. Dies ist z.B. häufig in der biotechnologischen Forschung bei Experimenten mit Zellkulturen der Fall. Spin-offs können als Beispiele für die Ausweitung von Wissenskulturen und deren Strukturen und Mechanismen verstanden werden. Sie lediglich als neue Orte der Wissensproduktion zu charakterisieren wäre aber verkürzt. Mit der Ausweitung von Wissenskulturen und dem Begriff des objektorientierten Managements will Knorr Cetina den Blick auf die Strukturen und Mechanismen der Wissensgenierung lenken. Knorr Cetina interessierten vor allem die realen Wissensprozesse und die Entstehung und Funktionsweise von Wissenskulturen selbst. Wissensgewinnung sei ein Prozess, der innerhalb bestimmter Produktionskontexte abläuft. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit steht die Frage, wie diese Prozesse aussehen und wie Expertensysteme79 funktionieren. „Die Definition, die ich empfehle, verlegt das Gewicht auf Wissen, wie es ausgeübt wird – im Rahmen von Strukturen, Prozessen und Umwelten, die spezifische epistemische Kulturen ausmachen. Wenn das Argument über das Anwachsen von Expertensystemen richtig ist, wird ein Großteil dessen, was wir Gesellschaft nennen, durch solche wissensbezogene Lebenswelten konstituiert werden. In einer Wissensgesellschaft sind exklusive Definitionen von Expertensystemen und sozialen Kontexten sowie den entsprechenden Kulturen theoretisch nicht mehr länger adäquat.“ (ebd. S. 18)
Das würde bedeuten, dass Wissenschaft nicht mehr exklusiv Expertensysteme und Wissenskontexte bündelt und dass auch Spin-Offs Teil einer Wissenskultur sein und eine bestimmte epistemische Praxis ausbilden können. Wissen ist in Spin-offs allerdings nicht nur Prozess – so wie Knorr Cetina Wissen als Prozess in bestimmten Produktionskontexten begreift (ebd. S. 17) – sondern eben auch ein ‘Produkt’, das direkt gehandelt wird oder in Anwendungen und Produkte umgewandelt wird. In Spin-offs stehen die GründerInnen und die wissenschaftlichen MitarbeiterInnen vor der Herausforderung eine epistemische Praxis und einen Handlungskontext zu generieren, die beides ermöglicht und eventuelle Konflikte und Widersprüche auflösen kann. Ungeklärt ist in diesem Zusammen79
Den Begriff übernimmt Knorr Cetina von Giddens (1990 und 1991).
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hang, wie sich die Aushandlung von Wissen am Markt auf Wissen generierende Tätigkeitsformen auswirkt. So sieht z.B. Christine Resch (2005) den Begriff der Wissensgesellschaft stark gekoppelt an neoliberale Argumentationen. Sie spricht von einem neoliberalen Berater-Kapitalismus, in welchem Wissen zur Ware werde und einhergehe mit einem De-Qualifizierungs- und Bürokratisierungsschub: „Mit ‘Wissen als Ware’ lässt sich diese Verbindung auf eine Formel bringen. Behauptet wird Wissen als Produktivkraft, abgeschwächt ist es dann nur mehr Produktionsmittel, real geht es um Wissen als Ware – was sich nicht ausschließt, aber die Produktionsverhältnisse einbezieht, die im Begriff ‘Wissensgesellschaft’ unreflektiert bleiben. Wenn ‘Wissen zur Ware’ wird, so wird zu zeigen sein, wirkt Marktförmigkeit und damit Konkurrenz auf die Produktion zurück.“ (ebd. S. 49)
Die Handhabung von Wissen als Ware führt in den Spin-offs zu hohen Effizienzund Effektivitätsanforderungen an den ‚Produktionsprozess‘ und den zu erwartenden ‚Forschungsoutput‘. Dies hat direkt Auswirkungen auf die wissensgenerierenden Tätigkeiten selbst. Baethge (2004) spricht in diesem Zusammenhang von einer Unterordnung des Forschungsprozesses unter kapitalistische Prinzipien. Das Ziel ist der Verkauf von Produkten oder Dienstleistungen bzw. die Generierung von Wissen, das in solche am Markt nachgefragten Produkte oder Dienstleistungen umgewandelt werden kann80. In Spin-offs ist damit nicht nur eine Anpassung der Arbeitsorganisation, sondern auch der angewandten Forschungsmethoden und Qualitätskriterien notwendig. 3.2 Die Ursprünge des Begriffs der Wissensarbeit und der Versuch einer Definition Vor der Auseinandersetzung mit der Definition von Wissensarbeit, ist es notwendig sich mit den Ursprüngen des Begriffs der Wissensarbeit zu befassen (vgl. Egloff 2000). Denn eine definitorische Abgrenzung der ‚Wissensarbeit‘ von anderen Formen der Arbeit leuchtet angesichts der Tatsache, dass jegliches Handeln und damit auch jede Art von Tätigkeit Wissen erfordert, nicht sofort ein. Des Weiteren ist die Ausweitung von Wissensarbeit zwar eingebettet in einen gesamtgesellschaftlichen Wandel zur Wissensgesellschaft, ein Wandel der wiederum – wie schon deutlich wurde – auch das Wissenschaftssystem und die 80
Wobei die Ergebnisse der Fallstudien zeigen, dass der Prozentsatz der nicht in direktem Kundenauftrag durchgeführten, eigenfinanzierten Forschungsprojekte gering ist. Sowohl in Unternehmen A als auch Unternehmen C übersteigt er einen Anteil von 20% nicht. In Unternehmen B liegt der Anteil zwar höher, ist hier allerdings extern (VC und öffentliche Fördergelder) finanziert.
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Formen der Wissensproduktion verändert. Dass es aber notwendig ist, beide Ebenen zu verknüpfen und zusätzlich die Mikroorganisation der Arbeit in den Blick zu nehmen, verdeutlicht auch Baethge (2004). Er beklagt die zumeist ausschließlich makrotheoretische Fundierung der theoretischen Konzepte zur Wissensgesellschaft, welche den Wandel zur Wissensgesellschaft überwiegend „auf der Ebene der Sozialstruktur insgesamt und des Verhältnisses der großen Institutionen zueinander (Wissenschaft, Politik, Arbeit, Markt usw.)“ (ebd. S. 8) betrachten. Zwar haben die heutigen Ansätze zur Wissensarbeit mit dem Ende des 19. Jahrhunderts von F.W. Taylor entwickelten Konzept des „Scientific Management“ nicht viel gemeinsam. Dennoch kann dessen Ansatz als Anfang der Herausbildung einer eigenen Kategorie der Wissensarbeit angesehen werden (vgl. u.a. Taylor 1974, Egloff 2000). Das Anliegen Taylors war die Anwendung wissenschaftlicher Methoden auf die Organisation des Arbeitsprozesses. Seiner Ansicht nach existiert ein „one best way“ der Gestaltung des Arbeitsprozesses, welcher durch die wissenschaftliche Analyse der Arbeit identifiziert und kodifiziert werden kann. Im Ergebnis führte diese Methode zu einer Trennung der Planung des Arbeitsprozesses von der Ausführung der Produktionstätigkeiten, d.h. zu einer Ablösung der Wissensbestandteile ausführender Arbeit.81 Zumindest idealtypisch gelang eine Aufspaltung vormals ganzheitlicher Arbeitsformen in real-abstrakte Arbeitstätigkeiten auf der einen Seite und reine Formen von Wissensarbeit, im Sinne der Bearbeitung und Kodifizierung von Wissen, auf der anderen Seite.82 Durch die systematische Trennung von Planung und Ausführung entstand die Kategorie der Wissensarbeit als neuer gesellschaftlicher Typus von Arbeit (vgl. Egloff 2000, S. 125). In den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts hingegen wurden Produktions- und Managementkonzepte populär, die sich 81
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Bravermans These der Degradierung der Arbeit im 20. Jh. entsprechend ist Taylors „Scientific Management“ für die große Mehrzahl der Arbeiter mit einem erheblichen Verlust an Qualität der Arbeit verbunden. Sie verlieren ihr empirisches Produktionswissen und die Organisation des Arbeitsprozesses auf Basis dieses Wissens an das Management (vgl. Braverman 1977). Ob derartiges dem Taylorismus tatsächlich gelungen ist, sieht Stock eher kritisch. „Der Taylorismus wird gleichsam als technisch optimale und faktische Operationsweise des technisch „one best way“ gesehen. […] Der Eindruck, dass es, im Gegensatz zur postindustriellen Gegenwart, unter den Bedingungen der industriellen Massenproduktion möglich gewesen sei, unter Anwendung der von Taylor entwickelten „principles of scientific management“ Rationalität strukturell zu sichern, täuscht gewaltig.“ (Stock 2005, S. 21) Er bezieht sich hier auf Studien zur tatsächlichen Verbreitung und faktischen Umsetzung des Scientific Management in der Industrie. So hielten sich neben der quantitiven Menge der Implementierungsversuche auch die qualitative Umsetzung in Grenzen: „Sie wurden zudem systematisch durch informelle Aushandlungen und Absprachen zwischen den Arbeitern und ihren Vorgesetzten unterlaufen. Von einer tayloristischen Rationalisierung der Arbeitsprozesse konnte keine Rede sein. Zu einer Dequalifizierung der Arbeiter kam es ebenfalls nicht.“ (ebd. S. 22)
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auf die Zusammenlegung verschiedener arbeitsteiliger Schritte konzentrierten und deren Ziel die Integration vormals getrennter Aufgaben war. Ein Beispiel für diesen Trend sind die zahlreichen Gruppenarbeitskonzepte, mit denen primär eine Enthierarchisierung und Dezentralisierung betrieblicher Strukturen und Entscheidungsprozesse angestrebt wurde (vgl. u.a. Kutzner 2003). Kern/Schumann belegten dies in ihrer 1984 erschienenen Studie zur Entwicklung der industriellen Produktion mit dem Titel „Das Ende der Arbeitsteilung?“83, Oberbeck und Baethge konstatierten ebenfalls Mitte der 80er Jahre eine zunehmende Tendenz zur Aufgabenintegration auch in Dienstleistungssektoren und prognostizierten eine zunehmende funktionale Komplexität und Wissensintensität in der zukünftigen Arbeitsrealität der MitarbeiterInnen. Rückblickend beurteilt Baethge (2004) die damaligen Prognosen eines eindeutigen Trends zu wissensintensiver Arbeit eher skeptisch, angesichts der „heute wieder vorfindlichen restriktiven Arbeitsformen“ (ebd. S. 11), und spricht von einer Gleichzeitigkeit wissensintensiver und wissensarmer Arbeitsformen.84 Für Baethge zeichnen sich wissensintensive Tätigkeiten durch eine geringere Kontrollierbarkeit der Arbeitsleistung durch das Management aus. Um diese Unsicherheiten zu begrenzen, komme es in den Unternehmen „neben neuen Formen des Umgangs mit Unsicherheit zum Rückgriff auf bewährte Muster der Kontrolle und Reduzierung von Wissen in der Arbeit“ (ebd. S. 13). Neben wissenszerstörenden spricht Baethge aber auch von wissensaktivierenden Organisationsformen in den Unternehmen. Durch beschleunigte Innovationszyklen erhöhe sich der Druck in den Unternehmen, welche „zunehmend schneller und mehr explizites Wissen85 zur Sicherung ihrer Wettbewerbsfähigkeit“ (ebd. S. 16) aktiveren müssen. An diesem Punkt ist Baethge zuzustimmen, denn für Spin-offs gilt 83 84
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Vergleiche Kern/Schumann (1984). Hirsch-Kreinsen (2000) gibt in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass die Konzentration der Debatte auf die Hochtechnologie und wissensintensive Wirtschaftsbereiche dazu führt, dass die wirtschaftlichen Entwicklungschancen des Low-Tech-Sektors unterschätzt würden. Er spricht in diesem Zusammenhang von einer praktischen industriellen Kompetenz, die in diesem Sektor bei entsprechenden Anstrengungen mobilisiert werden könne und die zu unterscheiden sei von dem wissenschaftlich-theoretischen Kompetenztyp. Hirsch-Kreinsen kritisiert gleichsam die Dominanz eines sehr stark auf explizites Wissen konzentrierten Wissensbegriffes in der Debatte um Wissensarbeit und die Wissensgesellschaft, was den Blick auf die Rolle von Erfahrungswissen und implizitem Wissen verkenne: „So basiert das Modell der Wissensarbeit gerade darauf, dass Wissen über tendenziell alle Funktionsgrenzen hinweg jederzeit kollektiv zugänglich ist, was in Hinblick auf das implizite Wissen aufgrund seines personengebundenen und situativen Charakters eben nicht ohne weiteres möglich ist.“ (ebd. S. 18-19) Baethge bezieht sich auf die auf M. Polanyi (1985) zurückgehende Unterscheidung von explizitem und implizitem Wissen und schreibt in diesem Zusammenhang: „Verwissenschaftlichung der Lebensgrundlagen einer Gesellschaft bedeutet die historisch langfristige Tendenz, implizites zu explizitem Wissen zu machen, d.h. arbeits- und lebensweltlich gebundes zu systematisch begründetem und reproduzierbarem (in der Regel wissenschaftlichem) Wissen.“ (Baethge 2004, S.15)
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letzteres aufgrund ihres Branchenumfeldes in besonders ausgeprägtem Maße. Sie sind darauf angewiesen wissensaktivierende Organisationsformen der Arbeit zu etablieren. Dabei greifen die Unternehmen zum einen auf externe Wissensproduzenten (Hochschulen, Forschungsinstitute) zurück und passen zum anderen die eigenen Organisationsstrukturen auf eine Weise an, dass eigene Wissensproduktion gewährleistet werden kann. Allerdings stellt sich die Frage des Umgangs mit Unsicherheiten nicht nur in Zusammenhang mit der Frage der Kontrolle der MitarbeiterInnen, sondern auch im Hinblick auf den Umgang mit Unsicherheiten im Prozess der Wissensgenerierung, denn der Projektverlauf und auch die Projektergebnisse sind nur bis zu einem gewissen Maße prognostizierbar. Die Unternehmen versuchen hier Unsicherheiten möglichst zu minimieren, damit die gewünschten Ergebnisse generiert bzw. ‘produziert’ werden. Ein Versuch der Anpassung und Optimierung der Wissensproduktion ist die Anwendung industriell-kapitalistischer Kriterien auf wissensintensive Tätigkeiten. Die schon erwähnte Untersuchung von Lothar und Irmgard Hack (1985) versucht eine zunehmende formale und inhaltliche Angleichung der Forschungsund Entwicklungsarbeit an den Typus der industriellen Arbeit zu belegen. Die beiden konstatieren eine Verwissenschaftlichung der Industrie Ende des 19. Jh. und die Entstehung sowohl völlig neuer Industriezweige, der so genannten „Science-based Industries“, als auch die Durchdringung der Arbeitsprozesse mit wissenschaftlichen Methoden in den bereits existierenden Industrien. Dies verändere zugleich die Produktionsbedingungen wissenschaftlichen Wissens (Hack/Hack 1985, S. 136). Die Produktion von Wissen werde im Verlauf der industriellen Entwicklung zu einem Arbeitsprozess, der denselben abstrakten Prinzipien untergeordnet sei wie jeder andere Arbeitsprozess in kapitalistischen Gesellschaften auch. Die Verwissenschaftlichung der Industrie gehe einher mit der zunehmenden Industrialisierung der Wissenschaft. Alle Erwerbstätigen würden den entqualifizierenden Kriterien industriell-kapitalistischer Arbeitsteilung unterworfen, Wissensarbeit selbst werde somit ebenfalls entqualifiziert. Wenn dies auch für Spin-offs Gültigkeit besitzt, dann ist dort gleichermaßen die Etablierung ‚entqualifizierter Formen der Forschungsarbeit‘ erwartbar. In gewissem Maße kann ein professionelles, auf Effizienz ausgerichtetes Projektmanagement – wie es sich in Spin-offs durchaus finden lässt – eine Unterordnung des Forschungsprozesses unter kapitalistische Prinzipien bedeuten. Inwiefern dieses allerdings auch für die MitarbeiterInnen in den Spin-offs mit einer Dequalifizierung einhergeht, ist schwieriger zu beantworten. Die Empirie ergibt hier durchaus ein widersprüchliches Bild. Während in einigen Bereichen stärkere Vorgaben durchaus die kreativen Freiräume der MitarbeiterInnen einschränken und standardisierte Verfahren kreative Problemlösung ersetzen, gibt es parallel durchaus
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steigende Anforderungen an eine eigenverantwortliche, hochspezialisierte und interdisziplinäre Wissensgenerierung.86 Die Debatte über die Durchsetzung der betrieblichen Arbeitsprozesse mit wissenschaftlichen Methoden auf der einen Seite und die Anwendung industriellkapitalistischer Prinzipien auf die Organisation von Wissensarbeit auf der anderen Seite verdeutlicht die Komplexität der gesellschaftlichen Veränderungsprozesse. Die ‘Vorreiter’ der Wissensgesellschaft versuchten diesen Wandel anhand quantifizierbarer Kennzahlen – den steigenden Anteil von Wissensarbeit – zu belegen. Ihr Anliegen ist die Beweisführung, dass Wissensarbeit die nunmehr dominierende Tätigkeitsform in der heutigen Wissensgesellschaft darstellt (Kap. 3.2.1). Nicht im Vordergrund stand hingegen der Versuch, diese spezielle Tätigkeitsform Wissensarbeit in ihren Charakteristika zu beschreiben und zu definieren. Dieser Aufgabe stellen sich die dann nachfolgend angeführten Theoretiker (Kap. 3.2.1).87 3.2.1 Wissensarbeit als die gesellschaftlich dominierende Form von Arbeit Eine Reihe von Autoren identifiziert Wissensarbeit als den in der heutigen Gesellschaft dominierenden bzw. führenden Typus von Arbeit, exemplarisch sind hier zu nennen u.a. Fritz Machlup, Daniel Bell, Peter F. Drucker, Nico Stehr, Robert B. Reich, Manuel Castells.88 Ausgehend von einem generellen strukturellen Wandel der Gesellschaft, z.B. von der industriellen zur nachindustriellen Gesellschaft oder dem Wandel zur Informations- oder zur Wissensgesellschaft, versuchen die Autoren vor allem die gestiegene quantitative Bedeutung des „Wissenssektors“ zu belegen. So beschreibt Bell (1985)89 fünf Kennzeichen der nachindustriellen Gesellschaft (ebd. S. 32ff.). Das erste konstituierende Merkmal sei die Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft und die gestiegene Bedeutung von Dienstleistungen, insbesondere in den Sektoren Gesundheit, Erziehung und Bildung, Forschung und Verwaltung. Dieser Wandel schlage sich zweitens vor allem in der Berufsstruktur nieder, den Vorrang erhalte eine Klasse professionalisierter und technisch qualifizierter Berufe. So beziffert Bell einen im Vergleich zum Durchschnitt doppelt so schnell gestiegenen Anteil der akademisch und technisch qua86 87
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Siehe ausführlicher in der Darstellung der Ergebnisse aus den Fallstudien in Kapitel 5. Die Zuordnung der Autoren bezieht sich auf die schwerpunktmäßige Ausrichtung ihrer Konzepte und muss nicht bedeuten, dass diese die jeweils andere Argumentationslinie gänzlich ausblenden. Vergleiche Machlup (1962), Bell (1985), Drucker 1993, 1994a und 1994b), Stehr (1994, 2001), Reich (19969, Castells (2001). dtsch. Erstveröffentlichung 1975, engl. Original 1973.
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lifizierten Berufe90 und einen steigenden Anteil an ‚Kopfarbeitern‘91. Drittens stellt Bell mit dem „Axialen Prinzip“ die Zentralität theoretischen Wissens92 als Quelle von Innovationen und Ausgangspunkt der gesellschaftlich-politischen Programmatik hervor. Er bezeichnet dies als „Primat“ theoretischen Wissens.93 Zwar sei Wissen von jeher Bestandteil einer funktionierenden Gesellschaft, in der nachindustriellen Gesellschaft trete allerdings das theoretische Wissen in den Vordergrund: „Geändert hat sich im Fall der nachindustriellen Gesellschaft lediglich die Art des Wissens, da um die Entscheidungen organisieren und den Wandel lenken zu können, das theoretische Wissen in den Mittelpunkt rücken, d.h. die Theorie über die Empirie gestellt und das Wissen in abstrakten Symbolsystemen kodifiziert werden musste, die wie alle axiomatischen Systeme zur Aufhellung der verschiedensten Erfahrungsbereiche herangezogen werden können.“ (ebd. S. 36, Hervorhebungen im Original)
Gerade die postindustrielle Gesellschaft habe sich viertens, z.B. durch technologische Prognosen und die Einrichtung politischer Mechanismen zur abwägenden Beurteilung der Technologie, die Möglichkeit geschaffen, den technologischen Wachstum zu planen und zu lenken. Mit dem Aufkommen bzw. der Schaffung einer neuen „intellektuellen Technologie“ – zu welcher u.a. der Computer zu zählen sei – werde fünftens versucht die Komplexität der nachindustriellen Gesellschaft zu organisieren und rationalisieren (ebd. S. 46). Die steigende Bedeutung theoretischen Wissens in anderen gesellschaftlichen Teilsystemen ist ein zentrales Element der Argumentation Bells. Für ihn sind in erster Linie Universitäten, Forschungsorganisationen und wissenschaftliche Institutionen die Orte, wo dieses theoretische Wissen generiert und gesammelt wird. Damit weist das „Axiale Prinzip“ Parallelen zu der im vorangegange90
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1940 hätten in den USA noch 3,9 Millionen Personen einen derartigen Beruf ausgeübt, 1964 bereits 8,6 Millionen, 1975 schätzungsweise 13,2 Millionen (ebd. S. 142). Bell betrachtete die prozentuale Verteilung der wichtigsten Berufsgruppen, wie Kopfarbeiter, Handarbeiter, Dienstleistungsberufe und Landwirtschaft. Der Anteil der so genannten Kopfarbeiter ist nach seinen Berechnungen seit 1900 von 17,6% auf 42% im Jahr 1960 gestiegen (ebd. S 142). Bell versteht unter theoretischem Wissen „ein systematisch außerhalb der unmittelbaren Arbeitsund Lebenswelt erzeugtes und reproduziertes Wissen, das einer eigenen Entwicklungslogik folgt. Seine Herstellungsstätten sind Schulen, Universitäten und Forschungseinrichtungen, also Institutionen, die – unter keinem unmittelbaren Handlungszwang stehend – Wissen und Erkenntnis hervorbringen und weitergeben sollen.“ (Baethge 2004, S. 7; siehe ergänzend Bell 1985) Wobei Baethge in Auseinandersetzung mit Bell zu Bedenken gibt, dass die Behauptung, eine Ausweitung theoretischen Wissens als das gesellschaftlich beherrschende Organsiationsmedium ginge einher mit einem Verschwinden unqualifizierter Erwerbsarbeit, nicht der Realität entspricht. Der Bildungsexpansion in den meisten frühindustrialisierten Gesellschaften stehe das Fortbestehen einer Ungelerntenpopulation und unqualifizierter Arbeit gegenüber (Baethge 2004, S. 79).
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nen Kapitel vorgestellten Diskusssion um die ‚Verwissenschaftlichung‘ der Ökonomie und anderer gesellschaftlicher Teilsysteme auf. Genau auf diesen Punkt bezieht sich auch Nico Stehr (1994). Er greift in seinem Buch „Arbeit, Eigentum und Wissen“ einige der von Bell benannten Punkte wieder auf und spricht von einer Verwissenschaftlichung der Gesellschaft.94 Der herausragende Stellenwert des wissenschaftlichen und technischen Wissens in der modernen Gesellschaft ergäbe sich daraus, dass wissenschaftliches Wissen, mehr als jede andere Wissensform, permanent zusätzliche Handlungsmöglichkeiten fabriziere. Die auf Wissen basierende Gruppe von Berufen wachse in allen Wirtschaftsbereichen, es erfolge eine Dichotomisierung in wissenproduzierende und nichtwissenproduzierende Berufsklassen, typisches Endprodukt des Wissensberufes sei Wissen. Diese Berufsgruppe sei vorwiegend damit beschäftigt, Wissen zu erlangen, zu manipulieren, zu organisieren, zu vermitteln. Wie auch Bell bezieht sich Stehr u.a. auf die Studien von Fritz Machlup (1962) zur Messung des quantitativen Anteils der WissensarbeiterInnen bei den Beschäftigten bzw. des Wissensbereichs am Bruttosozialprodukt, und auf die neueren Untersuchungen von Wolff und Baumol (1989), welche den Schätzungen Machlups aber durchaus nahe kommen. Sie beziffern den Anstieg des Anteils der „Information Workers“ an der Gesamtzahl der Beschäftigten von 42,2% im Jahr 1960 auf 52, 5% im Jahr 1980.95 Der sowohl bei Bell als auch bei Stehr auftauchende Aspekt der Verwissenschaftlichung der Gesellschaft und der Vorrangstellung theoretischen Wissens ist eine besondere Schwerpunktsetzung, die von anderen AutorInnen nicht unbedingt geteilt wird. Von einer Wissenschaftsgesellschaft – ein Begriff, den allerdings auch Stehr so nicht verwendet – wird, gerade im Zuge der Debatte um Neue Formen der Wissensproduktion, heute nicht mehr gesprochen. Zumindest begrifflich setzt Castells mit dem Begriff der informationellen Gesellschaft eher 94
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In seinem Buch „Wissen und Wirtschaften“ (2001) konstatiert Stehr eine grundlegende Transformation der ökonomischen Struktur in der modernen Gesellschaft und die schrittweise Ablösung der Industriegesellschaft durch die Wissensgesellschaft. Ohne die Gewährleistung einer durchgängigen Vergleichbarkeit bieten die nachfolgenden aktuellen Daten weitere Anhaltspunkte für die steigende Bedeutung hochqualifizierter Beschäftigter: Laut Eurostat gehörten 2004 ca. 22,5% der Erwerbstätigen zum Kernbestand der Humanressourcen in Wissenschaft und Technik (HRSTC), d.h. Personen, die einen wissenschaftlichtechnischen Studiengang des Tertiärbereichs erfolgreich abgeschlossen haben und in einem wissenschaftlich-technischen Beruf tätig sind, und WissenschaftlerInnen und IngenieurInnen (W&I), d.h. Personen, die als PhysikerInnen, MathematikerInnen oder IngenieurwissenschaftlerInnen oder als BiowissenschaftlerInnen oder MedizinerInnen tätig sind (vgl. Wilén 2006, S. 3). Insgesamt zählten 2005 42,3% der Erwerbstätigen zu den hochqualifizierten Angestellten (24,8% FacharbeiterInnen, 24,9% geringqualifizierte Angestellte, 8% Hilfsarbeitskräfte) (vgl. Jouhette/Romans 2006, S. 7). Zum Anstieg der Beschäftigung in den Hightech- und wissensintensiven Sektoren der EU siehe u.a. Laafia (2002); weitere indirekte Indikatoren vgl. Kapitel 4.2.
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an den Begriff der „Information Workers“ an, wie ihn z.B. Wolff und Baumol verwenden. So spricht Castells (2001) zunächst von einer informationstechnischen Revolution und einer fundamentalen Neustrukturierung des kapitalistischen Systems seit den 1980er Jahren, der Entstehung einer neuen Wirtschaftsform, in welcher die Produktivität von Einheiten und Akteuren von deren Fähigkeit abhänge, auf effiziente Weise wissensbasierte Informationen hervorzubringen, zu verarbeiten und anzuwenden. Die neue Wirtschaftsform sei somit informationell, zusätzlich global und vernetzt. Geändert habe sich nicht die Art der Tätigkeiten, mit denen sich die Menschheit befasst, sondern ihre technologische Fähigkeit, das als Produktivkraft zu nutzen, was unsere Spezies als biologische Eigenheit auszeichnet: ihre überlegene Fähigkeit zur Symbolverarbeitung. Auf der Grundlage von Informationen und Wissen werde produziert und distribuiert, wobei Information und Wissen durch die Macht der Informationstechnologien in den Arbeitsprozess integriert werden. Trotz unterschiedlicher nationaler Entwicklungspfade lasse sich eine gemeinsame Tendenz der Zunahme des relativen Gewichts der am eindeutigsten informationellen Berufe, sowie allgemein der „White Collar“-Berufe, feststellen (vgl. ebd.). Auch bei Robert B. Reich (1996)96 taucht der Symbolbegriff an zentraler Stelle seines Konzeptes auf. Er spricht von einer neuen Weltwirtschaft und prophezeit das Ende der nationalen Ökonomie. Reich definiert drei Hauptkategorien von (amerikanischen) ArbeitnehmerInnen: „routinemäßige Produktionsdienste“, „kundenbezogene Dienste“ und „symbolanalytische Dienste“, welche mehr als drei Viertel aller Arbeitsplätze abdecken würden. Die Kategorie der symbolanalytischen Dienste umfasse all jene Aktivitäten der Problemlösung, Problemidentifizierung und strategischen Vermittlung. Symbol-Analytiker lösen, identifizieren und vermitteln Probleme, indem sie Symbole manipulieren, z.B. Daten, Wörter, akustische und visuelle Darstellungen. Die vier grundlegenden Fähigkeiten der Symbol-Analytiker seien: Abstraktion, Systemdenken, Experimentieren, Zusammenarbeit. Weniger die Endproduktion, sondern vielmehr die Konzeptualisierung des Problems, die Lösungsfindung und die Planung der Ausführung seien Hauptbestandteil der Arbeit von Symbol-Analytikern. Zusätzlich definiert Reich einige Charakteristika der Beschäftigungsbedingungen von SymbolAnalytikern. „Symbol-Analytiker haben zumeist eher Partner oder Mitarbeiter als Bosse oder Aufseher. Ihre Gehälter mögen von Zeit zu Zeit variieren, stehen jedoch in keinem direkten Bezug zu der investierten Arbeitszeit oder dem quantitativen Ergebnis ihrer Tätigkeit. Vielmehr hängt ihr Einkommen von der Qualität, Originalität, Geschicklichkeit und gelegentlich auch Schnelligkeit ab, mit der sie neue Probleme lösen, identifizieren oder vermitteln. Ihre Karrieren verlaufen weder linear noch hierarchisch; selten erklimmen sie auf vorgezeichneten Wegen immer höhe96
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re Verantwortungs- und Einkommensstufen. […] Symbol-Analytiker arbeiten oft allein oder in kleinen Teams, die mit größeren Organisationen, auch weltweiten Netzwerken, im Verbund stehen können.“ (ebd. S. 200)
Gemäß seiner Berechnungen beträgt der Anteil der Symbolanalytiker zu dem Zeitpunkt der Veröffentlichung seiner Untersuchung allerdings nicht mehr als zwanzig Prozent an der Gesamtzahl der Beschäftigten in den Vereinigten Staaten. Bereits hier wird deutlich, wie die quantitative Einschätzung der Menge an WissensarbeiterInnen variiert.97 Aber auch wenn einige AutorInnen die quantitative Bedeutung überschätzen, so ist in Anlehnung an Peter F. Drucker98 (1994b) der Einwand möglich, die Gruppe der „knowledge worker“ sei zwar noch nicht “the ruling class of the knowledge society, but they already are its leading class.“ (ebd. S. 2). Drucker definiert Knowledge Worker als hochspezialisierte Personen, “[…] who have learned to acquire additional specialities, and especially to acquire rapidly the specialized knowledge needed for them to move from one kind of work and job to another.” (ebd. S. 4) Aufgrund ihres hohen Spezialisierungsgrades seien WissensarbeiterInnen in der Regel auf die Zusammenarbeit in einem Team und die Einbindung in eine Organisation angewiesen. Neben den bereits genannten gibt es zahlreiche AutorInnen, die ebenfalls ein Konzept der Dreiteilung von Arbeit, z.B. in „Blue Collar Work“, „White Collar Work“ und „Knowledge Work“, entwickeln und Wissensarbeit von den bis dahin vorherrschenden Arbeitsformen der Industrie- bzw. Dienstleistungsarbeit abgrenzen (vgl. Hube 2005). Allen Ansätzen gemeinsam ist jedoch die Abgrenzung von Wissensarbeit zu der Arbeit anderer Berufsgruppen und weniger die Charakterisierung des Typus der Arbeit selber, obwohl sich natürlich insbesondere in der Definition von Drucker als auch in den Ausführungen von Reich durchaus erste wertvolle Hinweise finden lassen. Zusammenfassend kann bereits an dieser Stelle festgehalten werden: 1) Wissensarbeiter nutzen Wissen als Ressource ihres tägliches Arbeitshandelns, sie schaffen neues Wissen, eignen sich (neues) Wissen an, transformieren Wissen. 2) Sie verfügen über ein hohes Maß an Autonomie/Eigenverantwortung im alltäglichen Arbeitshandeln und bezüglich der eigenen Fähigkeiten und Berufsentwicklung. 3) Sie arbeiten in offenen, dynamischen, komplexen, häufig teamförmigen Arbeits- und Organisationsstrukturen. 97
98
Machlup (1962) und Bell (1985) berechneten einen weitaus höheren Anteil an Wissensarbeitern (siehe weiter oben), wobei der Symbolanalytiker nicht vollständig gleichgesetzt werden kann mit dem Begriff des Wissensarbeiters. Druckers Definition ist in Zusammenhang mit seinen zahlreichen Veröffentlichungen zur Managementtheorie und seinem Werk “Post-Capitalist Society (1994b)“ zu sehen.
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Wissensgesellschaft und Wissensarbeit
Im Mittelpunkt der nachfolgenden Ausführungen steht entsprechend der Versuch einer genaueren Definition von Wissensarbeit und damit verbunden eine spezifische Betrachtung der Beschäftigungsbedingungen und -besonderheiten von WissensarbeiterInnen. 3.2.2 Definition und Rahmenbedingungen für Wissensarbeit in organisationalen Kontexten In Veröffentlichungen zur Wissensarbeit dient den einzelnen AutorInnen das Konzept der Wissensgesellschaft in erster Linie als Hintergrundbild und zur Einbettung ihrer jeweiligen Definition von Wissensarbeit und steht nicht im Mittelpunkt ihrer Überlegungen.99 In der Regel wird den Ausführungen zu einer Definition von Wissensarbeit zunächst eine Reflexion des Wissensbegriffes vorgeschaltet.100 Auf eine gesonderte Ausführung dieser Debatte wird hier verzichtet, sondern lediglich auf die häufig vorgenommene Unterscheidung von implizitem und explizitem Wissen einerseits und von Daten, Informationen und Wissen andererseits hingewiesen. Während unter implizitem Wissen das Wissen verstanden wird, welches das Individuum durch Erfahrung, Sozialisation, Praxis und Lernen erworben hat und weitgehend unbewusst nutzt, ist explizites Wissen ein dem Individuum bewusstes und bereits ausgesprochenes, formuliertes und dokumentiertes Wissen. Im Gegensatz zum impliziten Wissen eines Menschen weiß der Betreffende, dass er dieses Wissen besitzt und kann es mit seiner Umwelt kommunizieren (vgl. Willke 2001). Polanyi geht in seinen Überlegungen von der durch praktische Beobachtung gewonnenen Erkenntnis aus, "dass wir mehr wissen, als wir zu sagen wissen" (Polanyi 1985, S. 14). Er gibt etliche Beispiele von Situationen, in welchen wir Wissen zwar nutzen, aber nicht in der Lage sind es zu kommunizieren.101 In Abgrenzung zu Informationen und Daten kann Wissen definiert werden als die subjektive Interpretation von Informationen und deren Vernüpfung mit bereits vorhandenem Wissen (Hube 2005, S. 25). Daten entstehen durch Beobachtung und können auf unterschiedliche Weise codiert werden, zum Beispiel durch Sprache, durch Zahlen oder Bilder. Aus Daten werden Informationen, wenn sie in einen „ersten Kontext von Relevanzen, die für ein bestimmtes System gelten“ (Willke 2001, S. 8) eingebunden werden. Wissen entsteht laut Willke erst dann, wenn Informationen in einen zweiten Kontext von Relevanzen 99
100 101
Exemplarisch seien hier genannt Willke (2001), Wilkesmann (2005) und Hermann (2004, 2002a, 2002b). Vergleiche u.a. Probst et al. (1997), Hube (2005) oder Willke (2001). Zur ausführlichen Unterscheidung von implizitem und explizitem Wissen vgl. Polanyi (1985).
Die Ursprünge des Begriffs der Wissensarbeit
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eingebunden werden, welcher nicht aus Kriterien, sondern aus individuellen oder organisationalen Erfahrungsmustern besteht: „Wissen entsteht durch den Einbau von Informationen in Erfahrungskontexte, die sich in Genese und Geschichte des Systems als bedeutsam für sein Überleben und seine Reproduktion herausgestellt haben.“ (Willke 2001, S. 11) Bereits anhand dieser kurzen Ausführungen verdeutlichen sich zum einen die Anforderungen an die WissensarbeiterInnen bei der Anwendung, Umwandlung und Beurteilung expliziten Wissens und Informationen und zum anderen die Personengebundenheit von Wissen. Ähnlich dieser Kopplung des Wissens an den Wissensträger kann auch eine Abgrenzung von Wissensarbeit zu NichtWissensarbeit nicht unabhängig von den die Tätigkeiten ausübenden Personen erfolgen. Pfiffner/Stadelmann (1995) unterscheiden zunächst anhand des Komplexitätsgrades des Arbeitsprozesses zwischen Nichtwissensarbeit und Wissensarbeit. Merkmal ihrer Definition ist die individuelle Unterschiedlichkeit der Grenze zwischen Wissensarbeit und Nichtwissensarbeit. Was für den einen schon hochkomplex sei, muss es für den anderen noch nicht oder nicht mehr sein: „Ein und derselbe Vorgang kann für die eine Person Wissensarbeit darstellen und für eine andere Person Nichtwissensarbeit sein. Dies entsteht durch die subjektive Wahrnehmung von Neuartigkeit und Komplexität.“ (Hube 2005, S. 38) Die Grenzziehung zwischen Nichtwissensarbeit und Wissensarbeit erfolgt dementsprechend nur über das einzelne Subjekt und dessen individuellen Wissens- und Erfahrungsschatz. Einen vergleichbaren Ansatz der Annäherung an eine Definition von Wissensarbeit verfolgt Sybille Hermann (2002a). Die Notwendigkeit des Umgangs und der selbständigen Aneignung von Wissen ist in der Regel Bestandteil der meisten Definitionen, bei nachfolgender Definition allerdings nahezu ausschließliches Kriterium für das Zugegensein von Wissensarbeit. Hermann bezeichnet mit dem Begriff Wissensarbeit „die Bewältigung von Arbeitsaufgaben, die zumindest für die betreffende Person so komplex oder neuartig sind, dass ihr vorhandenes Wissen nicht ausreicht um zu einer Lösung zu kommen, so das es für sie notwendig wird – oft „on the fly“ – Wissen zu erwerben, zu verknüpften oder neu zu entwickeln“ (Hermann 2002b, S. 37). Somit leiste Wissensarbeit, wer Wissen erwirbt, oder bestehende Wissensinhalte so umwandelt und kombiniert, dass neue Einsichten und Erkenntnisse entstehen. Auch wenn beide Definitionen es ermöglichen neben der Individualität auch den Prozesscharakter von Wissensarbeit zu berücksichtigen – eine Schwäche vieler Definition, die genau dieses unbeachtet lassen (vgl. Hube 2005, S. 38) – ist gerade bei der Definition von Hermann zumindest in Teilbereichen eine Abgrenzung zum Lernen problematisch. Willke (2001) hingegen liefert in seinem Buch „Systemisches Wissensmanagement“ neben seinen schwerpunktmäßigen Aus-
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Wissensgesellschaft und Wissensarbeit
führungen zum Wissensmanagement auch eine Definition von Wissensarbeit102, welche den Schwerpunkt verstärkt auf den Aspekt „Wissen als Ressource“ legt: „Der Begriff Wissensarbeit meint etwas anderes. Er kennzeichnet Tätigkeiten (Kommunikationen, Transaktionen, Interaktionen), die dadurch gekennzeichnet sind, dass das erforderliche Wissen nicht einmal im Leben durch Erfahrung, Initiation, Lehre, Fachausbildung oder Professionalisierung erworben und dann angewendet wird. Vielmehr erfordert Wissensarbeit im hier gemeinten Sinn, dass das relevante Wissen (1) kontinuierlich revidiert, (2) permanent als verbesserungsfähig angesehen, (3) prinzipiell nicht als Wahrheit, sondern als Ressource betrachtet wird und (4) untrennbar mit Nichtwissen gekoppelt ist, so dass mit Wissensarbeit spezifische Risiken verbunden sind.“ (ebd. S. 4)
Willke verknüpft seine Überlegungen zur Wissensarbeit mit Fragen einer möglichst effizienten Nutzung und Entwicklung der kollektiven Intelligenz der MitarbeiterInnen eines Unternehmens, der Etablierung eines Wissensmanagements als Gesamtheit aller organisationaler Strategien zur Schaffung einer „intelligenten“ Organisation (vgl. Willke 2001, S. 39ff.). Der Schwerpunkt verlagert sich an dieser Stelle von der Frage „was ist Wissensarbeit“ hin zu Fragen der Organisation von WissensarbeiterInnen und der Nutzbarmachung des Know-hows der MitarbeiterInnen eines Unternehmens. Auch Wilkesmann (2005) setzt sich, neben der Definition von Wissensarbeit, intensiv mit Fragen der effektiven Organisation und Kontrolle von WissensarbeiterInnen auseinander. Er unterscheidet zwischen programmierter und nicht-programmierter Arbeit. Bei programmierter Arbeit handele es sich um Routinetätigkeiten, bei nicht-programmierter Arbeit um komplexe und sehr unterschiedliche Arten von Tätigkeiten. „Nach der hier verwendeten Definition sei Wissensarbeit eine Tätigkeit, 1. deren Mittel und Zwecke nicht programmiert sind und die deshalb konstitutiv darauf angewiesen ist, dass 2. zum einen der Tausch von Daten oder Informationen und zum anderen die interaktive Generierung neuen Wissens erfolgen. Diese Definition setzt ein Ressourcenverständnis von Daten und Informationen voraus.“ (ebd. S. 60)
Projektgruppen in Unternehmen sind für Wilkesmann ein klassisches Beispiel für die interaktive Generierung neuen Wissens. WissensarbeiterInnen können seiner Ansicht nach nur durch indirekte Kontextsteuerung gelenkt werden. Job Characteristics seien: Abwechslungsreichtum der Tätigkeit (skill variety), Ganzheitlichkeit der Aufgabe (task identity), Bedeutung der Aufgabe (task significance), Selbständigkeit (autonomy) und Rückmeldung (job feedback, evt. i.S. eines neuen Prototypen). Diese fünf Kerndimensionen beschreiben den Handlungs102
Auch Willke (2001) ordnet die Gruppe der Wissensarbeit in gesellschaftlich beobachtbare Formen von Arbeit ein. Er unterscheidet als verschiedene Sektoren des Arbeitsmarktes in der Wissensgesellschaft: Wissensarbeit, Semi-Professionen, qualifizierte Facharbeit und einfache Arbeit.
Die Ursprünge des Begriffs der Wissensarbeit
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spielraum der WissensarbeiterInnen. Allerdings werde hauptsächlich auf der Strukturebene entschieden, wie groß der Handlungs- und Entscheidungsspielraum für Wissensarbeit ist. Wissensarbeit sei nur über Selbststeuerung möglich und so treffen beispielsweise in Partnerschaften103 die Handelnden der Handlungsebene selbst die Entscheidungen auf der Strukturebene, die wiederum den Handlungsraum bestimmen. Dies führe zu einer hohen Hingabe und Identifikation mit der Struktur und bringe Möglichkeit zur Selbstkoordination auf der Handlungsebene mit sich. Wissensarbeit sei an sich nicht in klassischen Kontroll- und Anreizstrukturen organisierbar. Ein hohes Maß an Freiraum und Partizipation sei unabdingbar104, nur dadurch werde Selbstkoordination ermöglicht. (vgl. ebd.)105 Die unmittelbare Beteiligung der Akteure an der Gestaltung der Bedingungen ihres Handelns ist auch für Holtgrewe (2006) entscheidend für die Ermöglichung von kreativem Handeln in Organisationen. Ihre Ergebnisse bestätigen eine Konzentration der organisationellen Kontrolle auf die Ergebnisse und nicht in erster Linie auf den Entstehungsprozess. „Diese Chancen der Weiterentwicklung kreativen Handelns hängen demnach rekursiv daran, dass die Akteure an der reflexiven Strukturation ihrer Handlungsfelder und -bedingungen beteiligt sind […]“ (ebd. S. 261, Hervorhebungen im Original). Innovation benötige ihrer Ansicht nach Reflexivität des Handelns, welche die Gelegenheit zur Deutung und Evaluation und Momente des Innehaltens, Bewertens und Aufgreifens beinhalte (vgl. ebd. S. 20). Bezogen auf Spin-offs müssen dementsprechend die MitarbeiterInnen in Entscheidungen auf der Strukturebene einbezogen sein. Nur so können genügend Handlungsspielraum für Wissensarbeit und die Reflexion des eigenen Handelns entstehen. Dieses würde bedeuten, dass bei Forschungsprojekten und -aufträgen die ProjektmitarbeiterInnen Einfluss auf die Gestaltung der Rahmenbedingun-
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Als zwei beispielhafte Organisationsformen für Wissensarbeit benennt Wilkesmann (2005) Partnerschaften und zirkuläres Organisieren. Die hohe Bedeutung flacher Organisationsstrukturen für die Arbeit von ExpertInnen ist bereits bei Kornhauser (1963) nachlesbar. Pfiffner und Stadelmann haben ein Modell der vier Dimensionen der Steuerung von Wissensarbeit entwickelt, bei der die Steuerung der eigenen Person im Mittelpunkt steht. Die Fähigkeit zur Selbststeuerung ist unabdingbare Voraussetzung für Wissensarbeiter, da dieser als „Experte und entscheidungsautarke Arbeitsperson“ selbst entscheidet über die Möglichkeiten und Wege der Arbeitsausführung und der zu erreichenden Ziele und Resultate (vgl. u.a. Pfiffner/Stadelmann 1995 und Hube 2005).
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Wissensgesellschaft und Wissensarbeit
gen, z.B. Dauer oder Ressourcenausstattung, haben.106 Dabei ist aber nicht nur eine entscheidende Frage, wie groß die Einflussmöglichkeiten der MitarbeiterInnen sein müssen, sondern auch, wie groß diese angesichts beispielsweise wirtschaftlicher Rationalisierungserfordernisse und Kundenvorgaben überhaupt sein können. Zwar verdeutlichen sich die komplexen Anforderungen an die Organisation von WissensarbeiterInnen, allerdings bleibt die Frage bestehen, wie in Spinoffs die Wissensarbeit so organisiert werden kann, dass zum einen Freiraum und Partizipation ermöglicht wird, auf der anderen Seite aber trotzdem eine effiziente Steuerung und Kontrolle möglich ist. Oder wie beispielsweise das unternehmenseigene Know-how geschützt werden kann und trotzdem der Wissensaustausch mit externen Kooperationspartnern ermöglicht werden kann. Die Erwartung liegt nahe, dass Spin-offs allein aufgrund ihrer Größe zumindest in dem Punkt der flacheren Hierarchien und kürzeren Kommunikationswege großindustrieller Forschung überlegen sein könnten und WissensarbeiterInnen adäquatere Strukturen und bessere Gestaltungsmöglichkeiten bieten. Weitere Vorteile für Spin-offs können sich in diesem Zusammenhang durch die besseren Voraussetzungen für eine stärkere Identifikation der MitarbeiterInnen mit dem Unternehmen ergeben. Die Schaffung einer Vertrauenskultur durch flache, netzwerkförmige Organisationsstrukturen ist eine weitere Bedingung für wissensintensive Arbeit in den Unternehmen. Projektförmige Arbeitsstrukturen und eine arbeitsteilige Generierung von Wissen erfordern vertrauensbasierte Interaktionsformen: „Wissensintensive Arbeit setzt insoweit eine Vertrauenskultur voraus, wie sie auf interpersonelle Leistungen des Wissenstransfers, der Interpretation von Informationen und deren Integration in vorhandene Wissens- und Erfahrungsbestände angewiesen ist. Kreative Wissensarbeit ist tendenziell oder besser phasenweise ein fragiler und unsicherer Prozess, denn Ideen und Vorschläge müssen anderen unterbreitet werden, deren Test oder Gegenargument ausgeliefert werden, und die Ideen können von anderen unterstützt bzw. gerechtfertigt ebenso wie zurückgewiesen werden. […] Flache, netzwerkförmige Organisationen, in denen Entscheidungskompetenz und Verantwortung in relevantem Umfang auf die Arbeitsebene delegiert wird, fördern und benötigen zugleich high-trust-Kulturen […]“ (Oppen 2003, S. 58-59).
Das bedeutet auch für Spin-offs, dass negative Effekte einer mangelhaften Vertrauenskultur zu erheblichen Dysfunktionalitäten in der Forschung führen kön106
Eine derart starke Beteiligung der Akteure wäre laut Wilkesmann für die Organisationen allerdings mit einem Verschwimmen der Kriterien des institutionellen Organisationsbegriffes verbunden, wobei er dabei eine Beteiligung auf allen drei Ebenen – Ziele, Arbeitsteilung und Mitgliedschaft – unterstellt: Hier ist zu nennen die Beteiligung der Akteure an der Zieldefinition (1), der gemeinsamen Problemlösung zur Generierung neuen Wissens (2), und der Etablierung von Netzwerken zum Wissensaustausch und zur Produktentwicklung in der Organisation und darüber hinaus (3). Ähnlich wie Willke verknüpft Wilkesmann Wissensarbeit damit eng mit organisatorischen Fragestellungen bzw. Fragen des Managements von WissensarbeiterInnen.
Die Ursprünge des Begriffs der Wissensarbeit
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nen und der Aufbau einer solchen daher ebenso wichtig für diese Unternehmen sein kann wie für Wissenschaftsorganisationen. Das hohe Maß an Selbstbeteiligung der MitarbeiterInnen macht es notwendig auch deren individuelle Eigenschaften wieder mit in den Blick zu nehmen. WissensarbeiterInnen bringen in der Regel hohe fachliche Kompetenzen mit. Dies dürfte erwartungsgemäß auch in Spin-offs der Fall sein, in denen der überwiegende Teil der MitarbeiterInnen einen Universitätsabschluss bzw. eine Promotion vorweisen kann und zumindest die GründerInnen vorher an einer Universität oder Forschungseinrichtung wissenschaftlich geforscht haben. Arbeitswissenschaftliche Modelle zur Messung geistiger Arbeit berücksichtigen bei der Produktivitätsbestimmung nicht nur die individuelle ‚Ausstattung‘ der jeweiligen MitarbeiterInnen. Entscheidend ist die Leistungsbestimmung mit Hilfe der Richtwerte Qualität und Zeit, d.h. ob die individuellen MitarbeiterInnen in der Lage sind die Qualitätsstandards in der vorgegebenen Zeit zu erreichen. Daneben gibt es noch wesentlich komplexere betriebswirtschaftliche Modelle, welche versuchen mit Hilfe von Kennzahlensystemen Wissensarbeit messbar zu machen (vgl. Hube 2005, S. 40ff.). Allerdings ist Wissensarbeit durch standardisierte Bewertungssysteme, die keinen Raum z.B. für die Einmaligkeit vieler Tätigkeiten im Bereich der Wissensarbeit zulassen, nur schwer erfassbar, denn „die zu entwickelnde Methodik zur Analyse und Beurteilung von Wissensarbeit sollte auf der Basis einer ganzheitlichen Betrachtung von Mensch, Technik und Organisation aufbauen.“ (ebd. S. 52) Neben der ganzheitlichen Betrachtung muss der Prozesscharakter von Wissensarbeit und die gestalterische Perspektive der Arbeitsumgebung berücksichtigt werden. Des Weiteren ist „Wissensarbeit […] in hohem Maße durch Neuartigkeit und Einmaligkeit von Arbeitsprozessen gekennzeichnet. […] Standardisierbarkeit von Tätigkeiten trifft nur in eingeschränktem Maße zu.“ (ebd. S. 53) Die Unternehmensführung steht somit vor komplexen Herausforderungen bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen und bei der Führung der ihrer „WissensarbeiterInnen“. Zur Entwicklung eines Benchmarking für Wissensarbeit unterscheiden Volkholz/Köchling (2002) grundsätzlich drei typische Anforderungen: (1) Kreativitätsanforderungen oder Anforderungen an Wissenserzeugung, (2) Lernanforderungen oder Anforderungen an Wissensaneignung, (3) Anforderungen an Wissensnutzung. Für WissensarbeiterInnen in Spin-offs ist zu erwarten, dass die beiden ersteren Anforderungen in Bezug auf Lernen und Kreativität gehäuft auftreten: „Alle Erwerbstätigen, die praktisch immer oder häufig mit Kreativitätsanforderungen/Anforderungen zur Wissenserzeugung konfrontiert werden, gelten in dieser Perspektive als ‚Innovateure’ […]“ (Volkholz/Köchling 2002, S. 445 f.). In Spin-offs ist der Wertschöpfungsbeitrag der WissensarbeiterInnen unverzichtbar. Die Unternehmen sind unter Wettbewerbsdruck zu ständiger Innovation gezwungen. Die Entwick-
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Wissensgesellschaft und Wissensarbeit
lung eines Benchmarking-Index „Gute Wissensarbeit“ dient für Schwemmle/Zanker (2005) der Schaffung optimaler Arbeitsbedingungen für WissensarbeiterInnen und zur Schaffung der geeigneten Rahmenbedingungen für kreatives und innovatives Arbeiten (vgl. Schwemmle/Zanker 2005). Diese für Wissensarbeit unverzichtbaren Rahmenbedingungen beruhen auf den Kriterien Autonomie, Nachhaltigkeit, Teilhabe, Vertrauen und Kooperation. Tab. 3: Kriterien für ein „Gute Wissensarbeit Benchmarking“
Autonomie
Nachhaltigkeit
Teilhabe
Vertrauen
Kooperation
Das reale Ausmaß der Autonomie von Wissensarbeitern in wichtigen Dimensionen ihrer Arbeitsprozesse. Die Bemühungen wissenszentrierter Unternehmen zur Bereitstellung autonomieförderlicher Rahmenbedingungen. Die Möglichkeiten von Wissensarbeitern, im Sinne von Verhandlungsautonomie Einfluss auf relevante Kontextbedingungen ihrer Arbeit nehmen zu können. Die physische und psychische Gesundheit der Wissensarbeiter, namentlich in punkto Arbeitsplatzgestaltung, Arbeitszeit und Work-Life-Balance. Die Qualifizierungsmöglichkeiten zur Erhaltung der Employability von Wissensarbeitern und zur „Pflege“ der Ressource Wissen. Die Entwicklungs- und Aufstiegschancen von Wissensarbeitern im Verlauf ihrer beruflichen Biographie. Intensität und Qualität der Information zur Unternehmenspolitik. Individuelle und kollektive Partizipationsmöglichkeiten der Wissensarbeiter an sie betreffenden Entscheidungen. Angebote zur Gewinn- und/oder Kapitalbeteiligung. Die Erwartung von Einkommens- und Beschäftigungssicherheit. Ein partizipativer, transparenter und fehlertoleranter Führungsstil. Karriereperspektiven. Die Anerkennung und Honorierung von Ideen und geistigem Eigentum. Eine vertrauensbasierte Unternehmenskultur. Die Eröffnung realer und virtueller Räume der Kommunikation und Zusammenarbeit. Die Honorierung der Bereitschaft zu Kooperation und Wissensaustausch. Die Unterstützung von Teambildung.
Quelle: In Anlehnung an Schwemmle/Zanker (2005, S. 69ff.)
Schlussfolgerungen zur theoretischen Rahmung der Untersuchung
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Dieser Versuch der Entwicklung eines Benchmarkings für WissensarbeiterInnen bietet interessante Anhaltspunkte für die Frage nach der Organisation der F&ETätigkeiten in Spin-off-Unternehmen. Diese Kriterien werden im Rahmen der empirischen Auswertung insofern mit berücksichtigt, als bezeichnenderweise eine großer Teil der Kriterien in den Interviews durch die MitarbeiterInnen selbst angesprochen wurde bzw. implizit oder explizit in den Organisations- und Arbeitsstrukturen der Unternehmen verankert ist. 3.3 Schlussfolgerungen zur theoretischen Rahmung der Untersuchung Neben der Feststellung einer gestiegenen Bedeutung von Wissen für jegliche Form des Arbeitshandelns ist in der Auseinandersetzung mit Wissensarbeit der zentrale Punkt, dass für bestimmte Beschäftigungsgruppen außerhalb des Wissenschaftssystems die interaktive Generierung neuen Wissens prägender Bestandteil ihres Tätigkeitsspektrums wird. Wissen ist damit nicht nur zentrale Ressource des Arbeitshandelns, wie in vielen Definitionen herausgestellt wird, sondern die interaktive Generierung des Wissens wird zu einem festen Bestandteil der Tätigkeit. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass neben der organisationalen bzw. systemischen Einbettung der Wissensgenerierung diese trotz allem in erster Linie (Arbeits-)Handeln bleibt. Der Behauptung eines Bedeutungsverlustes des Faktors Arbeit gegenüber dem Faktor Wissen hält Moldaschl (2007a) entgegen: „Intellektuelles Kapital, Ideen und Innovationen wachsen nicht auf Bäumen. Sie werden in Arbeitsprozessen generiert, die mehr oder weniger hierfür geeignet, besser oder schlechter darauf ausgerichtet sind, neuen Nutzen hervorzubringen. Anders als ein Birnenbaum die Birne, erzeugt ein vorhandenes Wissen rein gar nichts, wenn es nicht in Arbeitprozessen angewandt wird.“ (ebd. S. 137) Für Moldaschl ist weniger das Wissen selbst die wichtigste Ressource der Wissensgesellschaft, sondern vielmehr der dieses Wissen erzeugende Prozess. Zur Gewährleistung dieses Prozesses ist seiner Ansicht nach menschliche Kreativität und Initiative und ein unterstützendes Institutionengefüge unverzichtbar. Dies korrespondiert mit den Rückschlüssen, welche aus den vorgestellten Untersuchungen zur Wissensarbeit ableitbar sind. Zwar ist trotz gewisser Gemeinsamkeiten zwischen den Konzepten zur Wissensarbeit eine einheitliche Definition derzeit noch nicht erkennbar, ein grundlegendes Dilemma ist allerdings durchgehend die Frage nach den Gestaltungsspielräumen und Beteiligungsmöglichkeiten für WissensarbeiterInnen, welche übereinstimmend als unverzichtbar zur Gewährleistung des Wissensgenerierungsprozesses betrachtet werden. Demgegenüber erfordert der steigende Bedarf an Wissen und die Wissensgenerierung im Auftrag Dritter eine stärkere Optimierung und Rationalisie-
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Wissensgesellschaft und Wissensarbeit
rung des Prozesses der Wissensgenerierung, mit entsprechenden begrenzenden Implikationen im Hinblick auf die Autonomiespielräume der WissensarbeiterInnen in den Unternehmen.
Abb. 5: Theoretischer Rahmen der Untersuchung – Wissensarbeit Wissensgenerierung im organisationalen Kontext
Wissensgenerierung als Tätigkeit
Wissenschaftstheorie und Mode2
Wissenschaftliche Arbeit •Wissenschaft als Handwerk •Forschungshandeln •Wissenskulturen und epistemische Praktiken •Forschung als Profession •Autonomie vs. Integration
•Kontextualisierung von Wissenschaft •Forschung im Anwendungskontext •Lokalisierte Formen von Wissenschaft
Facetten der Forschungskultur in Spin-offs
Wissensarbeit/ nichtprogrammierte Arbeit High-Tech-Unternehmen/ Spin-offs
•Kontrolle vs Autonomie •Selbstbeteiligung der MitarbeiterInnen •Steigende Inklusivität des Wissens •Expansion von Wissenskulturen in alle gesellschaftlichen Bereiche •Optimierung/Rationalisierung der Wissensproduktion
Quelle: eigene Darstellung
Aufgrund der Tatsache, dass die Wissensgenerierung selbst in hohem Maß Kennzeichen des Tätigkeitsprofils von WissensarbeiterInnen ist und darüber hinaus die Art des zu erzeugenden Wissens in hochtechnologischen und wissensintensiven Branchen zur Generierung die Anwendung wissenschaftlicher Methoden erfordert, sind Überschneidungen der Kennzeichen wissenschaftlicher Arbeit und Wissensarbeit erkennbar. Inwiefern diese Merkmale und Kennzeichen in den
Schlussfolgerungen zur theoretischen Rahmung der Untersuchung
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vorhandenen Untersuchungen zu Spin-off-Unternehmen bereits aufgegriffen werden, steht im Fokus des nachfolgenden Kapitels. Neben der Aufarbeitung des aktuellen Kenntnis- und Forschungsstandes zu Spin-offs werden damit zusätzlich – insoweit diese berücksichtigt wurden – auch Spezifika der Forschungsarbeit und der Organisationsstrukturen in diesen Unternehmen betrachtet.
4. Spin-offs im Fokus
Wurden auch in den USA lange Zeit Unternehmensgründungen von WissenschaftlerInnen eher kritisch betrachtet, ließen sich dort bereits in den 80er Jahren eine steigende Zahl an Spin-off-Gründungen feststellen (vgl. Shane 2004). Mit dem Mitte der 90er Jahre einsetzenden Gründungsboom, u.a. in der sogenannten „New Economy“, gelten aber auch in Deutschland Spin-offs als ein erfolgreicher Weg des Wissenstransfers und werden politisch gefordert und gefördert. Inzwischen gibt es eine Reihe von Studien, die sich mit Spin-offs und ihren GründerInnen auseinandersetzen. Dabei kann die Definition von Spin-off durchaus variieren, was die Vergleichbarkeit quantitativer Daten zum Spin-off-Geschehen schwierig macht. Allgemeine Statistiken zu Unternehmensgründungen weisen zudem in der Regel Spin-offs aus wissenschaftlichen Einrichtungen nicht gesondert aus. Häufig bleibt da nur der Rückgriff auf Klassifikationen nach Branchen, wie z.B. Biotechnologie, oder Unterscheidungen nach Sektoren, wie z.B. Hochoder Spitzentechnologie. Nicht alle Unternehmensgründungen in diesen Bereichen sind aber Spin-offs, und nicht alle Spin-offs sind ausschließlich in diesen Sektoren zu finden. 4.1 Die Definition und Bedeutung von Spin-offs Die hohe Bedeutung, die Spin-offs beigemessen wird, erklärt sich in erster Linie aus der Tatsache, dass es sich bei ihnen in überproportionaler Menge um Unternehmensgründungen im Hochtechnologiebereich handelt, die sehr innovativ und F&E-stark sind und besonders häufig in neuen Wachstumsbranchen, z.B. Genoder Biotechnologie, angesiedelt sind. Steinle/Schumann (2003) sprechen hier – bezogen auf technologieorientierte Existenzgründungen generell – von einer hohen „input-seitigen“ und „output-seitigen“ Innovativität (ebd. S. 17). Gegenstand der Unternehmensgründung sind überwiegend neue Produkte, Produktionsverfahren oder innovative Dienstleistungen. Technisches Know-how und ein hohes Maß an F&E bilden die Grundlage zur Lösung neuer technologischer Fragestellung und zur Entwicklung von Produkten mit einem hohen Innovationsgehalt. Es wird erwartet, dass von diesen innovativen Unternehmensgründun-
M. B. Roski, Spin-off-Unternehmen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, DOI 10.1007/978-3-531-93369-6_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Spin-offs im Fokus
gen Wachstumsimpulse auf umliegende und vor- und nachgelagerte Branchen ausgehen und sie durch ihre Schnittstellenfunktion den Transfer von Wissen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft befördern.107 „Insbesondere in High-Tech-Industrien, wo ein hohes Qualifikationsniveau des Humankapitals einen entscheidenden Vorteil darstellt und der Bruch mit bestehenden Routinen die Grundlage für die Entwicklung neuen Wissens ist, können technologieorientierte Gründungsunternehmen einen Innovationsvorsprung realisieren. Dabei testen junge Technologieunternehmen insbesondere in unerprobten Technologiefeldern potentielle Innovationen auf ihre Marktfähigkeit und nehmen so in Bezug auf etablierte Großunternehmungen eine komplementäre Funktion ein.“ (Steinle/Schumann 2003, S. 16)
Selbst in den USA, welche aufgrund der frühen rechtlichen Öffnung des Marktes für Spin-off-Gründungen108 eine Vorreiterrolle übernommen haben und einige herausragende, beispielhafte Regionen für erfolgreiche Spin-off-Aktivitäten vorweisen können – eines der weltweit bekanntesten Beispiele ist mit Sicherheit Silicon Valley – ist die rein quantitative Bedeutung im Vergleich ihres Anteils an Unternehmensgründungen generell gering, sie erklärt sich auch hier primär qualitativ. Unter Bezugnahme auf verschiedene Quellen belegt Shane (2004) für den Zeitraum 1980 bis 2000 die Gründung von 3376 akademischen Spin-offs in den USA. Shane gibt zu bedenken, dass diese Zahl gemessen an der hohen Zahl an Fakultäten und wissenschaftlichem Personal insgesamt eher gering ist und die durchschnittliche amerikanische Forschungsuniversität109 im Schnitt nur zwei Ausgründungen im Jahr generiert. Gleichwohl führt er mehrere Beispiele von weltweit bekannten Spin-offs und deren hochinnovativen Technologien an, z.B. Genentech, Cirrus Logic, Lycos. In einigen neuen Branchen sind Spin-offUnternehmen die zunächst dominierende Gründungsform, beispielsweise im Biotechnologiebereich. Deren Bedeutung erklärt sich für Shane somit nicht in erster Linie aus ihrer quantitativen Zahl, sondern aufgrund ihrer “Nebenwirkungen”: 107
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Unter anderem Schumpeter hat sich mit dem evolutionären Charakter des kapitalistischen Prozesses beschäftigt, welcher Antrieb erhält durch neue Konsumgüter, neue Produktions- oder Transportmethoden, neue Märkte oder neue Formen der industriellen Organisation. Auch Spin-offs und die mit ihnen einhergehenden Produkt- und Innovationsprozesse fördern gewissermaßen diesen Prozess der „schöpferischen Zerstörung“, wie Schumpeter ihn genannt hat (vgl. Schumpeter 1950, S. 137f). Siehe die Ausführungen von Shane (2004) zum Bayh-Doyle-Act in den USA im Jahr 1980, ergänzend u.a. Boehm (2008). Gemäß der Carnegie Classification of Institutions of Higher Education der Carnegie Foundation for the Advancement of Teaching ist in den USA zu unterscheiden zwischen Associates Colleges, Doctorate-granting Universities (den eigentlichen „Research Universities“), Master’s Colleges and Universities, Baccalaureate Colleges, Special focus Institutions und Tribal Colleges. Detaillierter siehe www.carnegiefoundation.org/classifications (Stand 25.4.07).
Die Definition und Bedeutung von Spin-offs
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„University spinoffs are valuable in at least five ways: they enhance local economic development; they are useful for commercializing university technologies; they help universities with their major missions of research and teaching; they are disproportionately high performing companies; and they generate more income for universities than licensing to established companies.” (Shane 2004, S. 19ff)
Ähnliche Einschätzungen bezogen auf Deutschland können in den Veröffentlichungen der verschiedenen Bundesministerien nachgelesen werden110, es handelt sich aber prinzipiell um eine durchaus auch international geteilte Position, zumindest der führenden Industrieländer. Dies ist unter anderem in Veröffentlichungen der OECD erkennbar, welche ebenfalls nicht die direkten ökonomischen Auswirkungen von Spin-offs hervorheben, sondern deren Rolle als „translators or mediators between academic research and industry“ (Callan 2001, S. 14). Ihre positiven Auswirkungen auf die regionale Wirtschaft und Wissenschaft sind eher indirekter Art „by enhancing reputation and image; attracting dynamic, entrepreneurial students and researchers; enriching research quality; and forcing closer ties to industry“ (ebd. S. 14). Ihre hohe Bedeutung liegt in ihrer Fähigkeit, flexible Bedarfe der Industrie aufzugreifen, neue technologische Entwicklungen anzustoßen und wissensintensive Disziplinen zu befördern. Eine allgemeingültige und einheitliche Definition von Spin-offs existiert bisher nicht. Das Fehlen einer solchen wurde unter anderem bei einer Umfrage der OECD deutlich, in deren Rahmen die Mitgliedsländer nach ihrer Definition eines Spin-offs befragt wurden. In nahezu der Hälfte der Antworten konnte zum Zeitpunkt der Befragung keine einheitliche und verbindliche Definition für die Regierungen und Ministerien in den jeweiligen Länder benannt werden. Die vorgelegten Definitionen hingegen waren sehr heterogen und zeichneten sich durch unterschiedliche Schwerpunktsetzungen aus. Insgesamt konnten die folgenden Überstimmungen herausgefiltert werden: „The most common element across the country responses are (A) employee foundings of new firms111; (B) new firms who licence public sector technologies; and (E) firms who receive equity investments from public research institutions.” (Callan 2001, S. 17) Es zeigt sich, dass eine Definition von Spin-offs bei den GründerInnen, dem Ursprung der Gründungsidee oder der Finanzierung ansetzen kann. Sie kann sich aber auch stärker auf die Art des gegründeten Unternehmens, z.B. Branche, Ge110
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Siehe u.a. die Innovationsstrategien des BMBF, veröffentlicht im Rahmen der Hightech-Strategie für Deutschland 2006 (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2006b). Als Merkmale von Spin-offs aus dem öffentlichen Sektor wurden die folgenden zur Auswahl gestellt: “(A) Founder(s) include public sector employees; (B) Key technology is licenced from public sector institution; (C) Founder(s) include public sector students or alumni; (D) Physically located in public-sector incubator or science park; (E) Equity investment were made by public sector”. (Callan 2001, S. 17)
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Spin-offs im Fokus
schäftsmodell usw. konzentrieren, wie beispielsweise die von der OECD verwendete Definition: “Research-based spin-offs are generally understood to be small, new technology-based firms whose intellectual capital originated in universities or other public research organisations. These firms are thought to contribute to innovation, growth, employment and revenues. They are perceived to be flexible and dynamic, giving rise to novel fields and markets, and playing a critical role in the development of high-technology clusters.” (OECD 2001, S. 7)
Statistics Canada stellt ebenfalls den Innovationsgedanken in den Mittelpunkt und definiert für ihre Erhebungen ein Spin-off als ein neues Unternehmen “created to transfer and commercialize inventions and technology developed in universities, firms and laboratories” (vgl. McNiven 2001). Andere Definitionen berücksichtigen zusätzlich die GründerInnen der Unternehmen und beziehen diese in die Definition von Spin-offs ein. Akademische Spin-offs sind diesem Verständnis nach „unmittelbar aus dem Hochschul- oder Forschungsbereich erfolgte wissensbasierte Gründungen neuer Unternehmen durch akademische Mitarbeiter dieser Einrichtungen“ (Hemer et al. 2006, S. 1).112 Im nächsten Schritt kann dann detaillierter zwischen so genannten Verwertungs-Spin-offs und Kompetenz-Spin-offs unterschieden werden. „Verwertungs-Spinoffs: Neue Forschungsergebnisse oder wissenschaftliche Methoden, an deren Erarbeitung ein Gründer selbst beteiligt war, waren für die Gründung unverzichtbar. Kompetenz-Spinoffs: Besondere Fähigkeiten, die ein Gründer an einer wissenschaftlichen Einrichtung erworben hat, waren für die Gründung unverzichtbar.“ (Egeln et al. 2003, S. 9)
Zum Teil werden bei Hightech-Gründungen auch die Bildungsabschlüsse und der berufliche Hintergrund der GründerInnen in die Betrachtung einbezogen, d.h. befinden sich Personen im Gründerteam, die vorher an einer Forschungseinrichtung oder Hochschule beschäftigt waren. Auf diese Weise wird der Frage nachgegangen, bei wie vielen Gründungen die Wissenschaft als Ideengeber fungiert hat bzw. ob die GründerInnen die Unternehmensidee im Rahmen ihrer Tätigkeit als WissenschaftlerInnen entwickelt haben (vgl. Niefert u.a. 2006). Für Egeln et al. (2003) hingegen zählen zu akademischen Gründungen sowohl Spin-offs als auch akademische Start-ups. Letztere umfassen dieser Klassifikation nach alle Unternehmensgründungen durch Personen mit einem Hochschulstudium, exklusive der Spin-offs. Werden derartig definierte akademische Start-ups mit in die Betrachtung einbezogen und ist lediglich der Bildungshintergrund der GründerInnen ausschlaggebend, erhöht sich die Zahl an akademischen Gründungen 112
Ähnlich argumentiert Beer (2001) und benennt als grundlegendes Kennzeichen für Spin-offs „die Übertragung von Personen und Know-how in eine neuegegründete, innovative und technologieorientierte kleine Unternehmung […]“ (ebd. S. 3).
Die Definition und Bedeutung von Spin-offs
117
erheblich. An dieser Stelle verdeutlicht sich die Schwierigkeit der Abgrenzung der verschiedenen Formen und Typen akademischer Gründungen. Noch schwieriger wird es, wenn zusätzliche Aspekte wie der Zeitpunkt der Gründung berücksichtigt werden. So definiert Lilischkis (2001) Gründungen aus der Hochschule als Gründungen mit sachlicher, personeller und zeitlicher Nähe zur Hochschule. Auch hier wird es schwierig, die Erfüllung der genannten Kriterien eindeutig zu messen, z.B. welche Zeitspanne zwischen Hochschulabschluss und Gründung vergehen darf, damit noch von einem Spin-off gesprochen werden kann. Ein wiederholt auftauchender Bestandteil der Definition von Spin-offs ist zudem der Ursprung der Gründungsidee. Auch in den Definitionen der außeruniversitären wissenschaftlichen Einrichtungen in Deutschland dominieren (1) die direkte Beteiligung vorher dort beschäftigter WissenschaftlerInnen und (2) die Verwendung dort generierter Forschungsergebnisse als die entscheidenden Kriterien für die Klassifizierung eines Unternehmens als Spin-off. Lediglich die Max-PlanckGesellschaft verfügt mit ihrer Differenzierung von Verwertungs-Spin-offs und Wissenschaftler-Spin-offs über die Möglichkeit, Gründungen durch NichtInstitutsangehörige zu klassifizieren. Tab. 4: Definition von Spin-offs durch die 4 Säulen 4 Säulen
Definition
Helmholtz-Gemeinschaft
„Unter Ausgründung wird ein neu gegründetes, markt- und gewinnorientiertes Unternehmen verstanden, das durch einen oder mehrere Mitarbeiter des Helmholtz-Zentrums initiiert wurden, in dem zum Zeitpunkt der Gründung mindestens einer dieser Mitarbeiter angestellt ist, das zum Zeitpunkt der Gründung mehrheitlich im Besitz der ausgründenden Mitarbeiter stand und dessen Existenz ohne das im HZ entwickelte wissenschaftliche Know-how nicht möglich wäre.“
Fraunhofer-Gesellschaft
„Unternehmensgründungen, die „institutsnah“ sind, d.h. an denen mindestens ein Mitarbeiter (auch studentischer Mitarbeiter) eines Instituts eine maßgebliche Rolle spielt (als Gründer und Mitgesellschafter oder als leitender Mitarbeiter ohne Kapitalbeteiligung) und deren Businessmodell auf Ergebnissen der wissenschaftlichen Arbeit des Instituts basiert und einen nennenswerten Geschäftsbetrieb zum Ziel hat.“
118
Spin-offs im Fokus
Max-Planck-Gesellschaft
Garching Innovation113 – die Verwertungsgesellschaft der Max-Planck-Gesellschaft – unterscheidet: „Ein Verwertungs-Spin-Off definiert sich durch Abschluss eines Lizenz-, Know-how- oder Optionsvertrags zum Gründungszeitpunkt mit GI für eine Technologie der MPG. Bei einem Wissenschaftler-Spin-Off bringt sich zum Gründungszeitpunkt mindestens ein MPI-Mitarbeiter als Gründer, Mitarbeiter oder Berater in die neue Firma ein, ohne dass Technologie-Verträge mit GI bestehen. In ein Erfahrungs-Spin-Off fließen als wesentliche Basis einer Firmengründung die Erfahrungen und Know-how von ehemaligen MPI-Mitarbeitern ein.“
Leibniz-Gemeinschaft
„Die Leibniz-Gemeinschaft versteht unter Ausgründungen sowohl Verwertungs-Spin-Offs als auch Kompetenz-SpinOffs – also die Unternehmensgründungen, deren Geschäftsidee in einem mittel- oder unmittelbaren Zusammenhang mit Forschungstätigkeit bzw. -resultaten der Einrichtungen steht und an deren Entstehung MitarbeiterInnen der Einrichtungen beteiligt sind.“
Quelle: In Anlehnung an Hemer (2005, S. 43ff.)
Die Berücksichtigung des Zeitpunkts der Gründung als Kriterium für die Definition eines Spin-offs erfolgt überwiegend indirekt. Im Rahmen von Programmen zur Förderung von Unternehmensgründungen geschieht dies in erster Linie durch die anvisierten Zielgruppen selbst. Das Ziel von EXIST ist beispielsweise die Förderung von Unternehmensgründungen durch StudentInnen, AbsolventInnen und WissenschaftlerInnen, wobei die Gründung während oder „unmittelbar nach“ der wissenschaftlichen Tätigkeit bzw. dem Studium erfolgt. Kulicke (2006) unterscheidet in diesem Zusammenhang direkte, indirekte und bedingte Spin-offs: „(1) direkte Spin-offs (Selbständigkeit von wissenschaftlichen Mitarbeitern unmittelbar nach (hauptberuflicher) Beschäftigung an der Hochschule oder einer außeruniversitären Forschungseinrichtung; Gründungsbasis in der Regel Ergebnisse der bisherigen Tätigkeit; mit Berufserfahrung, z.T. auch Managementerfahrung aus Projektleitung), (2) indirekte Spin-offs aus dem Hochschul-/Forschungsbereich (Gründung nach mehreren Jahren Berufserfahrung in der Wirtschaft, aber Erwerb wesentlicher Kompetenzen zur Gründung über ihre Fachausbildung an ei113
Inzwischen umbenannt in Max-Planck-Innovation, siehe Pressemitteilung vom 23.10.2006 auf www.max-planck-innovation.de (Stand 14.02.07).
Die Definition und Bedeutung von Spin-offs
119
ner Hochschule), (3) bedingte Spin-offs (Gründung während oder unmittelbar nach Abschluss des Studiums, oft Aufgabenstellung der Diplomarbeit oder Idee aus nicht-hochschulischem Umfeld Basis des Geschäftskonzepts, Umfang des Technologietransfers au der Hochschule gering).“ (ebd. S. 48)
Ähnlich der vorab vorgestellten Definition von Kompetenz-Spin-offs würde auch diese Begriffsbestimmung die Eröffnung einer Arztpraxis oder eines Ingenieurbüros als Gründung eines Spin-offs begreifen. Shane (2004) benennt diese Problematik explizit und schließt indirekte und bedingte Spin-offs aus seiner Definition aus. Er definiert Spin-offs als eine spezielle Untergruppe akademischer Unternehmensgründungen: “This book defines a university spinoff as a new company founded to exploit a piece of intellectual property created in an academic institution. Companies established by current or former members of a university, which do not commercialize intellectual property created in academic institutions, are not included in the definition of a spinoff employed here.” (ebd. S. 4)
Kompetenzgründungen würden dieser Definition nach nicht in die Gruppe der Spin-offs fallen. Im Rahmen dieser Untersuchung wird diesem engeren Verständnis von Spin-offs gefolgt. Allein eine sinnvolle Eingrenzung von Kompetenz-Spin-offs wäre aufgrund der Notwendigkeit einer Definition der entsprechenden Kompetenzen hochproblematisch, und eine Abgrenzung z.B. zu akademischen Gründungen auf Basis einer Profession (Anwälte, Ärzte usw.) nur schwer möglich. Des Weiteren waren und sind Kompetenz-Spin-offs von jeher ein Ziel der akademischen Ausbildung an einer Universität. Dagegen eröffnet erst der Transfergedanke – d.h. die wirtschaftliche Verwertung wissenschaftlicher Forschungsergebnisse – eine neue Dimension bei der Betrachtung von Unternehmensgründungen im wissens- und technologieintensiven Bereich und spielt bei nahezu allen Definitionen und empirischen Untersuchungen zu Spinoffs eine zentrale Rolle. Erst mit der zunehmenden Verwertung wissenschaftlicher Ergebnisse durch Patente und Lizenzen sind in den letzten Jahrzehnten auch Spin-offs verstärkt thematisiert worden (vgl. u.a. Shane 2004). Resümierend kann daher festgehalten werden, dass es notwendig ist, die Verwertung wissenschaftlicher Forschungserkenntnisse zu einem Kriterium für Spin-off-Unternehmen zu machen, dabei allerdings auf eine Definition zurückzugreifen, die offen genug ist, um der Heterogenität von Spin-offs und deren unterschiedlichen Gründungshistorien Rechnung zu tragen. Dazu wird in dieser Untersuchung auf folgende Definition Bezug genommen und Ausgründungen „als jene neuen Unternehmensgründungen verstanden, deren Geschäftsidee in einem mittel- oder unmittelbaren Zusammenhang mit Forschungen einer universitären oder außeruniversitären Forschungseinrichtung stehen und an deren Entstehung Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Einrichtungen voll – oder teil-
120
Spin-offs im Fokus
zeitlich beteiligt sind.“ (Knie u.a. 2003, S. 7) Neben dem Transfer von Personen – in Gestalt der UnternehmensgründerInnen – ist damit der Transfer innovativer Ideen, Produkte oder Technologien ein weiteres Kennzeichen einer Spin-offGründung. 4.2 Zahlen und Fakten zu Spin-offs 4.2.1 Deutschland – Zahlen und Erfolgsfaktoren Egeln et al. haben im Jahr 2003 erstmals eine empirische Studie zu Spin-offGründungen aus der Wissenschaft in Deutschland veröffentlicht und das tatsächliche Gründungsgeschehen in diesem speziellen Gründungssegment quantitativ erfasst, u.a. unter Berücksichtigung des akademischen Hintergrunds der GründerInnen. Nicht überraschend ist die Dominanz akademischer Gründungen in den forschungs- und wissensintensiven Branchen, d.h. in der Hightechindustrie und bei den technologieorientierten und wissensintensiven Dienstleistungen. Gut 15% der Unternehmensgründungen in forschungsintensiven Branchen sind Spinoff-Gründungen (Gottschalk et al. 2007, S. 25). Von jährlich durchschnittlich 255.800 Unternehmensgründungen in Deutschland in der zweiten Hälfte der 90er Jahre waren etwa 2.600 Unternehmen direkte Verwertungs-Spin-offs (plus 4.200 Kompetenz-Spin-offs), die unmittelbar Forschungsergebnisse aus öffentlicher Forschung verwertet haben. Für weitere 7.600 Start-ups war Wissens- und Technologietransfer zwar nur eine Nebenerscheinung, allerdings für den Erfolg der Unternehmensgründung von großer Bedeutung (Egeln et al. 2003, S. 10). Beträgt der Anteil von Verwertungs-Spin-offs an allen Neugründungen in Deutschland nur 1%, stellen sie aber immerhin 18% aller akademischen Gründungen. Ein zusätzlich interessanter Aspekt ist die Tatsache, dass sich bei über 60% der Verwertungs-Spin-offs unter den GründerInnen auch AkademikerInnen befinden, die vorher nicht als WissenschaftlerIn gearbeitet haben. Diese Tatsache zeigt deutlich auf, wie problematisch eine Definition ist, welche die ausschließliche Beteiligung von GründerInnen aus der akademischen Wissenschaft als Bedingung festlegt. Denn an jedem fünften Verwertungs-Spin-off sind nach diesen Daten ‚wissenschaftsexterne‘ Personen beteiligt. Dies deckt sich mit den Ergebnissen und Erfahrungen, die im Laufe dieser Untersuchung gewonnen wurden. Gerade GründerInnen, die in einem gemixten Team gegründet haben, heben die hohe Bedeutung des unterschiedlichen Erfahrungshintergrundes der einzelnen Gründungspersonen hervor. In einigen Fällen erwies sich die Kombination aus
Zahlen und Fakten zu Spin-offs
121
wissenschaftlicher und industrieller Berufserfahrung im Gründungsteam als Erfolgsfaktor für das neu gegründete Unternehmen. GründerInnen von Spin-off-Unternehmen verfügen im Durchschnitt über einen höheren Bildungsabschluss als GründerInnen im forschungsintensiven Gründungssegment.114 Basierend auf der ZEW-Hightech-Gründerbefragung 2006 war bei etwa 20% der Unternehmensgründungen in den technologie- und wissensbezogenen Wirtschaftszweigen mindestens eine Person im Gründerteam, die zuvor als WissenschaftlerIn an einer Hochschule oder öffentlichen Forschungseinrichtung beschäftigt war (vgl. Niefert et al. 2006).115 Der hohe Stellenwert akademisch ausgebildeter und/oder ehemals forschend tätiger GründerInnen ist in einigen Branchen besonders stark ausgeprägt. Die außerordentlich hohe Wissenschaftsbasierung beispielsweise von Biotechnologiegründungen zeigt sich anhand des ausgesprochen hohen Anteils an promovierten GründerInnen: Abb. 6: Höchster formaler Abschluss der Gründer von Biotechnologie- und Hochtechnologieunternehmen in Deutschland Biotechnologie Sonstiges 1%
sonst. akad. Abschl. 6%
Meister 0% Dipl. Kfm. 5%
Lehre 9%
Dipl. -Ing. 11%
Promotion 68%
114 115
Siehe detaillierter Gottschalk (2007, S. 25), Rammer (2005), Niefert et al. (2006). In den Jahren 2001 bis 2006 wurden in Deutschland jährlich im Durchschnitt etwa 6.500 Unternehmen unter Beteiligung mindestens eines Wissenschaftlers bzw. einer Wissenschaftlerin gegründet (Egeln 2009, S. 3).
122
Spin-offs im Fokus
Hochtechnologie
Sonstiges 2%
Meister 9% Promotion 18%
Dipl. -Kfm. 7%
sonst. akad. Abschl. 6%
Dipl. -Ing. 23%
Lehre 35%
Quelle: In Anlehnung an Rammer et al. (2006, S. 49, basierend auf Berechnungen des ZEW-Gründungspanel) Auch die Intensität der anschließenden Forschungs- und Entwicklungstätigkeit in einem Unternehmen steigt, wenn im Gründungsteam promovierte GründerInnen beteiligt sind: etwa 53% der Unternehmen mit promovierten GründerInnen führen kontinuierlich F&E durch. GründerInnen mit Hochschulabschluss bzw. abgebrochenem Studium betreiben lediglich zu 36% kontinuierliche F&E. Grundsätzlich lässt sich festhalten: „Die Ergebnisse bzgl. der Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationstätigkeit deuten darauf hin, dass das in der Gründerperson gebundene Humankapital eine treibende Kraft für das Innovationspotenzial von Hightech-Gründungen ist. Die Daten zeigen einen positiven Zusammenhang zwischen dem Niveau des Bildungsabschlusses einerseits und F&E bzw. Innovativität andererseits. Forschungserfahrung mindestens eines Gründungsmitgliedes prägt ebenfalls das Forschungs- und Entwicklungspotential dieser Unternehmen.“ (Niefert et al. 2006, S. 35)
Ähnlich positive Auswirkungen des Bildungsniveaus der GründerInnen konnten nachgewiesen werden in Bezug auf die Personalrekrutierung, den Zugang zu Finanzierung oder die Wachstumsstärke des Unternehmens. Dementsprechend versucht die Politik die Zahl an Unternehmensgründungen durch AkademikerIn-
Zahlen und Fakten zu Spin-offs
123
nen und WissenschaftlerInnen gezielt zu fördern. Zur Erhöhung der Zahl an Existenzgründungen aus der Wissenschaft heraus und zur Förderung der Gründungskultur an Hochschulen gibt es seit 1998 das Förderprogramm EXIST – Existenzgründungen aus Hochschulen – und den Ableger EXIST-Seed bzw. das EXIST-Gründerstipendium116, welche bereits in der Vorphase der Gründung ansetzen und durch finanzielle und andere Unterstützungsleistungen den GründerInnen die Ausarbeitung einer Geschäftsidee ermöglichen. Die Daten und Gründungszahlen zu diesen Programmen beziehen sich vornehmlich auf die geförderten Hochschulen und Gründungsprojekte und ermöglichen keinen deutschlandweiten Überblick. Eine zusätzliche Schwierigkeit stellt die Tatsache dar, dass die Unternehmen, die gewissermaßen an den jeweiligen Transfereinrichtungen der Hochschulen „vorbeigegründet“ worden sind, nicht erfasst sind. Insgesamt sind bis Ende 2004 in den fünf EXIST-Modellinitiativen 1031 Unternehmen gegründet worden. Die Entwicklung der Zahl der Gründungen ist seit 2000 kontinuierlich positiv, obwohl insgesamt die Zahl der Gründungen hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist. Die das Programm begleitenden WissenschaftlerInnen führen dies allerdings neben den nur langsam greifenden Begleitmaßnahmen zur Förderung unternehmerischen Denkens an Hochschulen und des Aufbaus diverser Unterstützungsdienstleistungen für GründerInnen auch auf den konjunkturellen Abschwung nach 2001 und das Ende des New Economy Booms zurück (vgl. Kulicke 2006, S. 161 und 258 ff.).117 In den zehn EXIST-Transferinitiativen, die in der zweiten Phase entstanden sind und dem Ergebnis- und Erfahrungstransfer aus den fünf Modellregionen dienten, konnte ebenfalls eine kontinuierlich positive Entwicklung der Zahl der Gründungsinteressierten und GründerInnen festgestellt werden. Im dreijährigen Förderzeitraum gab es 3.600 konkrete Gründungsideen oder -projekte, die an die Transferinitiativen herangetragen wurden. Immerhin 26% aller betreuten Gründungsprojekte führten zu einer Gründung (vgl. Kulicke 2006, S. 267ff.).118 Knapp über 30% der GründerInnen haben direkt nach dem Studium gegründet. Am größten aber ist mit immerhin 42,5% die Zahl der GründerInnen, die direkt vor der Gründung als MitarbeiterIn an einer Hochschule oder Forschungseinrichtung beschäftigt waren. Letztere Zahl bestätigt sich, wenn die Ursprünge der Gründungsideen näher betrachtet werden. Die meisten Ideen für eine Gründung – genau 34,2% – sind während der wissen116
117
118
EXIST-SEED war der Vorläufer des EXIST-Gründerstipendiums und ist im Mai 2007 ausgelaufen. Zu den Ergebnissen der Evaluation des Programms siehe Kulicke/Kraus (2005). Zur Entwicklung der Gründungsdynamik in Deutschland zwischen 1995 bis 2007 siehe ergänzend u.a. Metzger et al. (2008, S. 3ff.). Bei den EXIST-Gründerstipendien ist die Anteil an tatsächlich erfolgten Unternehmensgründungen deutlich höher. Hier sind ca. 67,8% der Gründungsvorhaben tatsächlich realisiert worden, während 14,9% der geförderten GründerInnen ihr Vorhaben endgültig aufgegeben haben (Kulicke 2010, S.6).
124
Spin-offs im Fokus
schaftlichen Tätigkeit an einer Hochschule oder Forschungsgruppe entstanden (ebd. S. 165). Auch die vier großen Forschungsgesellschaften Deutschlands119 bemühen sich mittlerweile um die Verwertung ihrer Forschungsergebnisse und die Förderung von akademischen Spin-off-Gründungen. Die vollständige Erfassung der tatsächlichen Ausgründungszahlen und deren Vergleich ist zwar schwierig, da z.B. nicht alle Gründungen durch die Transferstellen der Einrichtungen begleitet werden und – wie bereits deutlich wurde – unterschiedliche Definitionen eines Spin-offs vorherrschen. Einen guten Anhaltspunkt zum Vergleich der Gründungsaktivitäten der unterschiedlichen Einrichtungen bietet allerdings die berechnete durchschnittliche Ausgründungszahl pro Jahr und pro 1000 akademische MitarbeiterInnen, d.h. die Ausgründungsquote der Einrichtungen (Hemer 2005, S. 2). Hiernach ist die FhG mit durchschnittlich 42 Gründungen120 und einer Quote von 9,4 am ausgründungsstärksten, gefolgt von der HGF mit 23 Gründungen121 und einer Quote von 2,3. Die MPG bildet mit 5 Ausgründungen122 und einer Quote von 1,2 das Schlusslicht, während die WLG123 mit 8 Ausgründungen im Jahr immerhin auf eine Quote von 1,5 kommt. Die Aussagen beruhen auf je nach Gesellschaft individuell erfassten absoluten Gründungszahlen. Eine Vielzahl an Faktoren dürfte eine Rolle bei der Erklärung der Unterschiede zwischen den verschiedenen Gesellschaften spielen, u.a. die Anwendungsorientierung der in den einzelnen Gesellschaften betriebenen Forschung, die Unterstützungsleistungen durch die Einrichtungen und das generelle Gründungsklima. Die Vergleichbarkeit der Zahlen ist aufgrund der unterschiedlichen Ausrichtung der Gesellschaften und ihres jeweiligen gesellschaftlichen „Forschungsauftrags“ zusätzlich stark eingeschränkt.124 Zum besseren Vergleich der Spin-offs mit der Zahl an Unternehmensgründungen im High-Tech-Bereich insgesamt gibt abschließend die nachfolgende Tabelle einen Überblick über die Entwicklung der Unternehmensgründungen in Deutschland in den forschungs- und wissensintensiven Wirtschaftszweigen.
119 120 121 122 123 124
HFG, WGL, FhG und MPG. Seit 1999 sind ca. 209 Spin-offs aus aus der FhG heraus gegründet worden. Zwischen 1995 bis 2002 sind ca. 209 Spin-offs aus den Einrichtungen der HGF hervorgegangen. Aus der MPG sind zwischen 1990 und 2003 ca. 65 Spin-offs entstanden. Die Leibniz-Gemeinschaft hat zwischen 1992-2003 insgesamt ca. 92 Spin-offs hervorgebracht. „Allerdings muss berücksichtigt werden, dass die betrachteten Forschungsorganisationen von einander stark abweichende Aufgaben im Forschungssystem erfüllen und sich deshalb wertende Vergleiche auf der Basis von Ausgründungsstatistiken verbieten.“ (Hemer 2005, S. 61; Hervorhebungen im Original)
Zahlen und Fakten zu Spin-offs
125
Insgesamt betrug der Anteil der High-Tech-Gründungen am gesamten Gründungsgeschehen in Deutschland im Jahr 2009 knapp 7%.125 Tab. 5: Unternehmensgründungen1 in Deutschland in forschungs- und wissensintensiven Wirtschaftszweigen²
1
Wirtschaftsgruppe Forschungsintensive Industrien Spitzentechnologie Hochwertige Technologie Technologie- u. wissensintensive DL Wissensintensive DL
1997
1999
2001
2002
2003
2004
3 100
3 000
2 650
2 200
2 350
2 400
1 400
1 350
1 150
900
900
900
1 700
1 650
1 500
1 300
1 450
1 500
32 800
35 900
31 900
29 800
32 500
34 300
15 800
16 700
15 300
15 200
17 000
18 200
Technologieintensive DL
17 000
19 200
16 600
14 600
15 500
16 100
Alle Unternehmensgründungen
257 000
256 500
228 000
224 000
248 000
270 500
Neugründungen von wirtschaftsaktiven, rechtlich selbständigen Unternehmen
² Absolute Zahlen Quelle: In Anlehnung an Bundesministerium für Bildung und Forschung (2006a, S. 781)
Die Gründungszahlen im High-Tech-Bereich haben sich nach dem Abschwung Anfang dieses Jahrtausends stabilisiert und sind bis zum Jahr 2004 kontinuierlich leicht angestiegen. „Trotz der zum Teil sehr heterogenen Entwicklung in den einzelnen Branchen lässt sich der Verlauf der Gründungstätigkeit im Hightech-Sektor im untersuchten Zeitraum [1995-2000] grob in drei Phasen einteilen: eine Aufschwungphase vor und während des IT-Booms, die bis zum Jahr 2000 andauert; eine sich daran anschließende zweijährige Abschwungphase; und 125
Nachdem in den vier Jahren davor eine deutliche Abwärtsentwicklung beobachtbar war, stieg in diesem Jahr der Anteil an High-Tech-Gründungen um knapp 20% an, was allerdings zu einem großen Teil auf veränderte institutionelle Rahmenbedingungen zurückzuführen ist (Metzger et al. 2010, S. 5-6).
126
Spin-offs im Fokus schließlich eine Phase der Konsolidierung oder leichten Erholung, die jedoch mit einem erneuten Rückgang der Gründungstätigkeit im Jahr 2005 endet.“ (Niefert et al. 2006, S. 4)
Der dann folgende erneute Rückgang an Unternehmensgründungen in diesem Sektor konnte im Jahr 2008 gestoppt werden. Seither steigt die Zahl an Unternehmensgründungen im High-Tech-Sektor wieder an (Höwer 2010, S. 1). 4.2.2 Europa/USA – Nationale Pfade und Besonderheiten Kulicke (2006) gibt einen kurzen Einblick in das Ausgründungsgeschehen in anderen Staaten, wobei deutlich wird, dass für die USA hohe regionale Unterschiede feststellbar sind.126 Dies ist unmittelbar verknüpft mit der von Universität zu Universität unterschiedlich hohen Ausgründungsaktivität. Ein Drittel aller Ausgründungen ab 1995 entfällt auf drei Universitäten: das MIT, die University of California System und die Stanford University (ebd. S. 168ff.). O’Shea et al. (2007) benennen vier Erfolgsfaktoren zur Erklärung der hohen Ausgründungszahlen des MIT: „the science and engineering resources base of the university; the quality of research by university staff; the commitment to spinoff activity within management in the university (Leadership and Supporting Policies); the culture within the university (Entrepreneurial Orientation of the university)” (ebd. S. 13). Generell werden in der unterschiedlichen Gestaltung des Wissenschaftssystems und in den daraus resultierenden institutionellen Vorteilen die Ursachen für die besseren Ergebnisse der USA bei der Verwertung wissenschaftlichen Wissens gesehen.127 Die Gründe hierfür liegen nicht so sehr in der mangelnden Verfügbarkeit von Risikokapital, sondern vielmehr in der beruflichen Identität begründet, welche die WissenschaftlerInnen in den jeweiligen Ländern ausgebildet haben. In den Ländern, in denen beispielsweise ähnlich wie in Deutschland die Grenze zwischen öffentlicher und privater Wissensproduktion traditionell eher stark ausgeprägt ist, hat dies zu der Auffassung geführt, dass Wissenschaft und Unternehmertum einander ausschließen. „Science entrepre126
127
Eine derartig ungleiche regionale Verteilung kann auch für Deutschland festgestellt werden. Bezüglich der Gründungsintensität im High-Tech-Bereich sticht insbesondere die Region München hervor. Vergleiche hierzu das ZEW-Gründungspanel (Niefert et al. 2006, S. 18): „Werden ausschließlich die technologie- und wissensintensiven Wirtschaftszweige betrachtet, ist ein Süd/Nord-Gefälle sowie ein West/Ost-Gefälle erkennbar. In Bayern und Baden-Württemberg sind die Werte aller Hightech-Bereiche überdurchschnittlich hoch. Mit Ausnahme der hochwertigen Technik gilt dies auch für Hessen und im Hinblick auf die technologieintensiven Sektoren des verarbeitenden Gewerbes ebenfalls für Thüringen.“ Vgl. Lehrer/Asakawa (2004). Für einen exemplarischen Vergleich der Förderung akademischer Ausgründungen an einer amerikanischen und einer deutschen Hochschule siehe u.a. Lilischkis (2001).
Zahlen und Fakten zu Spin-offs
127
neurship consists precisely in the systematic straddling of the domains of public and private knowledge-production systems by scientists.“ (O’Shea et al. 2005, S. 58) Die Autoren führen anhand des Beispiels der Biotechnologie das sogenannte „European Paradox“ vor, welches darauf beruht, dass trotz ähnlich hoher Forschungsausgaben, qualitativ ebenso guter Forschung und auch gleichermaßen hohen Veröffentlichungsraten in dem Fach die Transfererfolge hinter denen der USA oder Kanada zurückbleiben. Sie erklären diesen Vorsprung durch die stärkere Verflechtung zwischen Regierung, Universitäten und Industrie und bezeichnen „science entrepreneurship“ in den USA als ungeplantes „bottum-up“Phänomen, das sich aus einem System heraus entwickelt hat, in dem Universitäten um externe Forschungsgelder und WissenschaftlerInnen konkurrieren. Demgegenüber versuchen Länder wie Deutschland und Japan inzwischen über einen „top-down“-Ansatz die akademischen WissenschaftlerInnen zu mehr „science entrepreneurship“ zu bewegen, wobei die dort ergriffenen Maßnahmen bisher ohne eine echte Reform des existierenden Systems der „public-sector science“ einhergehen und damit nur unzureichend greifen können. Im Gegensatz zu den USA fehlt es Deutschland, nach Ansicht der Autoren, an einem ausgeprägten „institutional science entrepreneurship“: „The competetive advantage of academic scientists in the U.S. lies neither in knowledge nor professionalism, but simply in the speed and extra efford required of them by their highly competitive environment.” (ebd. S. 72)128 Nachdem insbesondere die USA lange als Vorreiter in Fragen Spin-offs angesehen wurden, gewinnt das Thema Ausgründungen von WissenschaftlerInnen aus der öffentlichen Forschung auch in den europäischen Ländern an Bedeutung. Im Zuge dessen sind zunehmend auch Zahlen zur Anzahl an Spin-offGründungen in den unterschiedlichen Ländern verfügbar. Einen Überblick liefern Untersuchungen der OECD, problematisch sind dabei in der Regel die unterschiedlichen Referenzquellen, auf welche in Ermangelung einheitlicher, europaweiter Studien und Erhebungen zurückgegriffen werden muss (vgl. Callan 2001). Dies führt jedoch dazu, dass die verfügbaren länderbezogenen Daten zu Spin-off-Gründungen aufgrund unterschiedlicher Erhebungsmethoden, -zeiträume und Definitionen nicht durchgängig vergleichbar sind. Auf die ausführliche Abbildung der verfügbaren Zahlen zu Spin-off-Gründungen kann daher an dieser Stelle verzichtet werden.129 Länderübergreifend ist die Zahl neu ge128
129
Zu den Wechselwirkungen zwischen dem nationalen Innovationssystem und den daraus resultierenden Rahmenbedingungen für Spin-off-Unternehmen siehe u.a. Wright et al. (2007) und Casper/Whitley (2002): „While institutions associated with the US (and UK) innovation systems support business models demanding extreme flexibility (and competence destruction), Germany, Sweden, and other „organised“ economies might promote superior innovation dynamics in areas dominated more by business integration and appropriability risks.“ (ebd. S. 33f) Für einen Vergleich der Spin-off-Gründungen im OECD-Raum siehe u.a. Callan (2001, S. 34).
128
Spin-offs im Fokus
gründeter Spin-off-Unternehmen jedoch geringer, als angesichts der bestehenden Forschungsaktivitäten und den daraus resultierenden, auch wirtschaftlich verwertbaren Forschungsergebnissen möglich wäre. Im Jahr 2000 brachte eine akademische Forschungseinrichtung im Durchschnitt weniger als ein Spin-off bzw. Start-up-Unternehmen hervor. Eine Ausnahme sind lediglich die Vereinigten Staaten mit zwei Gründungen pro Forschungseinrichtung (vgl. OECD 2003). Insgesamt ist eine Zunahme der politischen Debatten zum Technologietransfer und der wirtschaftlichen Nutzung öffentlich geförderter wissenschaftlicher Forschung beobachtbar, sowohl in den USA als auch in Europa (siehe u.a. Lockett et al. 2005 oder Audretsch 2006). Indikatoren für ein real steigendes Gründungspotential und verstärkte Transferbemühungen sind sowohl die Zunahme der Lizenzvergaben und Patentanmeldungen, die verstärkte Einrichtung von Unterstützungsangeboten für WissenschaftlerInnen – Transferbüros, Beratungsangebote für GründerInnen, Gründungslehrstühle usw. – und die steigende Zahl an Inkubatoreinrichtungen und Wissenschafts- und Technologieparks. Hintergrund dieser Maßnahmen ist die hohe Bedeutung, welche ForscherInnen an Universitäten und Forschungseinrichtungen als wichtige Potentialgruppe für Gründungen im High-Tech-Bereich haben. Vor allem deren, auf das jeweilige Forschungsfeld bezogene, äußerst aktuelle und hochspezialisierte Wissen ist wichtige Grundlage für die Generierung der Gründungsidee und deren (technologische) Umsetzung.130 Um tiefergehende Erkenntnisse über ForscherInnen als spezielle „Gründungspotentialgruppe“ zu gewinnen, ist daher auch eine intensive Auseinandersetzung mit deren Ausgangslage im Wissenschaftssystem notwendig. Die Beschäftigungs- und Forschungsbedingungen beeinflussen die potentiellen Gründerinnen bzw. Nicht-Gründerinnen von Spin-offs entscheidend. Es stellt sich nicht nur die Frage nach der Möglichkeit zur Generierung wirtschaftlich verwertbarer Forschungsergebnisse in den jeweiligen Wissenschaftsinstitutionen überhaupt, sondern mit Blick auf die individuellen Akteure wird z.B. die Betrachtung deren Ressourcen zum Aufbau gründungsrelevanter Kompetenzen und Netzwerke relevant. In diesem Zusammenhang ist es notwendig, auch Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu berücksichtigen. Denn bei der Betrachtung der Anzahl an Spin-off-Gründungen fällt die hohe Zahl an männlichen Spin-offGründern ins Auge. Der Gender Gap ist in diesem speziellen Gründungssegment deutlich stärker ausgeprägt, als insgesamt in Bezug auf alle Unternehmensgründungen betrachtet. Eine Ursache hierfür ist die unterschiedliche Ausgangslage von Frauen und Männern im Wissenschaftssystem.
130
Eine Studie zu High-Tech-Gründungen in Deutschland belegt: „Knapp die Hälfte der ehemals an einer Hochschule oder Forschungseinrichtung beschäftigten Gründer hat die Idee zur Gründung aus dieser Tätigkeit gezogen.“ (Niefert 2006, S. 24)
Zahlen und Fakten zu Spin-offs
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4.2.3 Spin-off-Gründungen durch Frauen – Zahlen und Potentiale In einer Studie zu Spin-off-Gründerinnen in Großbritannien wird den Hintergründen der Unterrepräsentanz von Frauen als Gründerinnen von Spin-offs auf den Grund gegangen. Ursache dessen ist in erster Linie die geringere Zahl an Forscherinnen in Universitäten und Forschungseinrichtungen, speziell in naturund ingenieurwissenschaftlichen Forschungsgebieten. Dadurch sind rein quantitativ deren Möglichkeiten zur Entdeckung und Entwicklung vermarktungsfähiger Produkte und Technologien im Vergleich mit männlichen Forschern deutlich eingeschränkt. Dieser Effekt verstärkt sich mit Blick auf den geringeren Frauenanteil bei den Führungspositionen und den SeniorforscherInnen in den Forschungseinrichtungen, da dieses in Folge auch geringere Reputation und schwächer ausgeprägte Möglichkeiten zur Netzwerkbildung und zur Gewinnung potentiell wichtiger Geschäftspartner mit sich bringt (vgl. Rosa/Dawson 2006). Denn Gründerteams rekrutieren sich – wie auch die Ergebnisse dieser Untersuchung gezeigt haben – häufig aus Kooperationsprojekten zwischen Einrichtungen des Wissenschaftssystems und Unternehmen, und auch die entsprechenden Forschungsergebnisse werden häufig in derartigen Projekten generiert. Bezogen auf Deutschland ist es aufgrund dieser Verflechtungen sinnvoll, neben der Ausgangslage von Frauen im akademischen Wissenschaftssystem auch ihre Situation in der industriellen Forschung in den Blick zu nehmen.131 Frauen in der akademischen Forschung Der Gründung eines Spin-offs geht häufig die Forschung an einer öffentlichen Forschungseinrichtung oder Universität voraus. Doch bereits hier zeigen sich die unterschiedlichen Startbedingungen von Frauen, die sich bei der Betrachtung der Gründungsaktivitäten von Frauen notwendigerweise fortsetzen.132 Bereits ein Blick auf die aktuelle Verteilung von Frauen an Hochschulen, Forschungseinrichtungen und in der industriellen Forschung zeigt die nach wie vor deutliche Unterrepräsentanz der Frauen. Je höher die Position in der jeweiligen Einrichtung, umso geringer ist der Frauenanteil. Trotz positiver Tendenzen und insge131
132
Holland-Cunz (2005) greift in ihrer Veröffentlichung „Die Regierung des Wissens“ die Analyse von Geschlecht und Wissenschaft unter dem Aspekt der Wissensgesellschaft auf. Sie verweist vehement auf den patriarchalischen Bias des Wissensgesellschaftsdiskurses (ebd. S. 46) und warnt: „Weder Wissen noch Wissenschaft sind zwischen den Geschlechtern gerecht verteilt, deshalb kann und wird die entstehende Wissensgesellschaft weder geschlechtsneutral noch geschlechtergerecht sein.“ (ebd. S. 44) Vergleiche hierzu die bereits in Kapitel 2.1.1.1. vorgestellten Überlegungen zur Konstruktion der WissenschaftlerInpersönlichkeit und die Ausführungen von Heintz et al. (2004) zu den Spielarten des „Doing Gender“ bzw. „Undoing Gender“ in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen.
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Spin-offs im Fokus
samt steigender Anteile von Frauen entspricht diese Aussage nach wie vor der Realität. Der prozentuale Frauenanteil an den WissenschaftlerInnen und ForscherInnen in Forschungseinrichtungen und Hochschulen korrespondiert nicht annähernd mit dem Anteil der Frauen an den Hochschulabschlüssen; noch mal weniger werden es bei einem Blick auf die Besetzung der Spitzenpositionen in den Einrichtungen. Dies gilt durchweg für alle Disziplinen und nicht nur für die natur- und ingenieurwissenschaftlichen Forschungsgebiete. Lag der Anteil an Frauen bei den DoktorandInnen noch bei 43%, so wurde in den Einrichtungen der vier Forschungsgemeinschaften in Deutschland im Jahr 2005 nur in 4,9% der Fälle die Leitungsposition durch eine Frau wahrgenommen. Insgesamt lag der Anteil von Frauen in Führungspositionen bei 6,5%133 (vgl. Bund-LänderKommission 2006). Insgesamt betrachtet waren im Jahr 2007 29,6% aller ForscherInnen in außerhochschulischen Forschungseinrichtungen Frauen. Damit ist ihr Anteil seit dem Jahr 2000 (24,4%) deutlich gestiegen. Abb. 7: Anteil an Forscherinnen in wissenschaftlichen Einrichtungen (in %) 30 29,6
29,5
Anteil Forscherinnen (in %)
29 28,6
28,5 28,1
28
28,1
27,5
27
27,1
26,5
26
25,5 2003
2004
2005
2006
2007
Quelle: In Anlehnung an Bundesministerium für Bildung und Forschung (2010, S. 499) 133
Laut Definition der BLK fällt darunter das wissenschaftliche Personal in den Vergütungs- und Besoldungsgruppen BAT I, C3 und C4 einschließlich S-Verträge sowie in der B-Besoldung in den Führungspositionen der außerhochschulischen Forschungseinrichtungen im wissenschaftlichen und administrativen Bereich zusammen (BLK 2006, S. 10).
Zahlen und Fakten zu Spin-offs
131
Allerdings zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Sektoren. Der Anteil Forscherinnen im Wirtschaftssektor liegt mit 12% im Jahr 2007 klar unter ihrem Anteil im Hochschulsektor (30,5%) und im Staatssektor (27,8%). Tab. 6: F&E-Personal nach Geschlecht, Sektoren und Personalgruppen Jahr
Vollzeitäquivalent
i = insgesamt w = weiblich FuEPersonal
2003
2005 2007 darunter ForscherInnen
2003
2005
2007
i
Personal insgesamt
davon im Wirtschafts- Hochschulsektor sektor
Staatssektor
472.532
298.072
100.593
73.867
w
119.740
55.145
37.294
27.301
94.522 .
76.254 .
i
475.278
w
122.161
304.502 .
i
506.450
321.853
103.953
80.644
w
132.553
59.326
42.791
30.436
i
268.942
161.980
68.243
38.719
43.855
18.035
16.162
9.658
i
272.148
166.874
65.363
39.911
w
46.937
18.284
18.273
10.380
i
290.855
174.309
72.985
43.561
w
55.243
20.846
22.296
12.101
19,0
12,0
30,5
27,8
w
in %
Quelle: In Anlehnung an Bundesministerium für Bildung und Forschung (2010, S. 486)
Dies spiegelt sich nachfolgend in der geringen Beteiligung von Frauen als Gründerinnen von Spin-Off-Unternehmen wider. Denn auffällig ist der geringe Frauenanteil bei den Gründungen besonders in innovativen Wirtschaftsbereichen. Eine empirische Untersuchung von über 6000 technologieorientierten Unternehmen in Deutschland in den Jahren 2001 bis 2005 hat ergeben, dass 32% der Unternehmen durch eine alleinige Geschäftsführung geleitet wurden. Der Anteil
132
Spin-offs im Fokus
an Frauen betrug hier lediglich 6%. Hingegen ist der Anteil der Frauen bei den Teamgründungen deutlich höher. Immerhin werden 68% der Unternehmen durch Gründungsteams geführt. Davon sind immerhin 28% gemischte Teams und lediglich 71% rein männliche Teams (vgl. Dautzenberg et al. 2007). Allerdings variiert der Frauenanteil je nach Branche und Geschäftsfeld des gegründeten Unternehmens. So betrug z.B. zwischen 1998 und 2000 der Frauenanteil bei Unternehmensgründungen in Westdeutschland in der IKT-Branche nur 19,4% und bei den FuE-intensiven Dienstleistungen sogar nur 18,6%. Hingegen lag der Frauenanteil bei der nicht-technischen Beratung bei 30,6%. Insgesamt gibt jedoch der steigende Anteil von hochqualifizierten Gründerinnen – jede vierte Gründerin ist hochqualifiziert – in den letzten Jahren Anlass zu der Vermutung, dass auch Frauen in Zukunft gerade in besagten hochinnovativen und wissensintensiven Branchen zunehmend Unternehmen gründen werden (vgl. LauxenUlbrich/Fehrenbach 2004). Auch ein Blick auf die wissenschaftlichen MitarbeiterInnen an Universitäten und Forschungseinrichtungen als wichtige Personengruppe für Spin-off-Gründungen zeigt vorhandene Gründungspotentiale an. Eine neuere Untersuchung zur Gründungsneigung von wissenschaftlichen MitarbeiterInnen an Universitäten belegt, dass 63% der wissenschaftlichen MitarbeiterInnen einer zukünftigen Selbstständigkeit zumindest gründungsoffen gegenüberstehen. Der Anteil bei den Frauen liegt mit 58% zwar unter dem Anteil bei den Männern, von denen immerhin 68,7% eine Gründung nicht ausschließen. Im Hinblick auf den tatsächlich beobachtbaren Gender Gap bei den Gründungen wäre allerdings eine höhere Differenz zu erwarten gewesen. Bezogen auf einzelne Fächergruppen zeigte sich zudem, dass in den Fachgruppen Sprach- und Kulturwissenschaften, Kunst und Gestaltung und in den Gesellschafts- und Sozialwissenschaften der Anteil der Frauen bei der Gruppe der Gründungsentschlossenen sogar über dem Anteil der Männer lag. Im Gegenzug liegt ihr Anteil bei den Ingenieurwissenschaften oder bei den Mathematik und Naturwissenschaften in allen drei Gruppen – gründungsoffen, gründungsentschlossen und gründungsaktiv – teils deutlich unter dem Anteil der Männer, z.B. 22,3% der Ingenieurwissenschaftler, aber lediglich 6% der Ingenieurwissenschaftlerinnen sind gründungsaktiv (vgl. Josten et al. 2008). Hier spielt also weniger eine generelle „Gründungsaversion“ der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen eine Rolle, sondern zusätzliche fach- bzw. branchenspezifische Faktoren müssen die Gründungsneigung der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen aus diesen Fachgebieten zusätzlich hemmen. Zwar haben alle vier großen Trägereinrichtungen der außeruniversitären Forschung in Deutschland (HFG, WGL, FhG, MPG) Möglichkeiten zur Unterstützung des Wissens- und Technologietransfers geschaffen. Doch trotz der teilweise erfolgreichen Förderung von Spin-offs zeigt sich, dass dies erstens an dem nach wie vor geringen Gründerinnenanteil bei den Ausgründun-
Zahlen und Fakten zu Spin-offs
133
gen nichts geändert hat. Denn obwohl noch keine umfassenden empirischen Erhebungen über den Anteil an Frauen bei den GründerInnen speziell solcher Unternehmen vorliegen, ist aufgrund der vorliegenden Daten aus der EXISTBegleitforschung134 und den vom ZEW veröffentlichten Daten zum Frauenanteil bei den High-Tech-Gründungen135 davon auszugehen, dass Frauen sowohl in den Ausgründungen selbst als auch als Gründerinnen stark unterrepräsentiert sind. Gerade vor dem Hintergrund des steigenden prozentualen Doktorandinnenanteils in naturwissenschaftlichen Disziplinen und dem Anteil von Wissenschaftlerinnen in den Forschungseinrichtungen selbst136 dürfte es aber an potentiellen Gründerinnen, die sowohl über den entsprechenden Qualifizierungshintergrund als auch über die entsprechenden, aus der eigenen Forschung entwickelten Ideen und Wissen verfügen, nicht mangeln.137 Dieses spiegelt sich jedoch proportional im Anteil der tatsächlichen Gründerinnen nicht wider. Zweitens werden – wie die im Rahmen dieser Untersuchung geführten Interviews mit ExpertInnen in Transferund Inkubatoreinrichtungen nahe legen – die Beratungsangebote der Dachgesellschaften und Institute von Frauen scheinbar nur sehr begrenzt genutzt. Warum das so ist, konnte von den ExpertInnen nicht beantwortet werden. An Ansätzen zur Erklärung des Gender Gaps mangelt es nicht. Oft konzentrieren sich die Konzepte auf die individuellen oder auf die strukturellen Faktoren, welche die Gründungsaktivitäten von Frauen negativ beeinflussen können. Im Detail differenzieren Welter et al. (2003)138 zwischen am Individuum orientierten Ansätzen und ressourcenbasierten Konzepten, die auf eine geschlechtsspezifisch differierende Ressourcenausstattung abheben, d.h. Zugang zu Kapital, Humankapitalressourcen und soziale Ressourcen, im Sinne von Zugang zu Netzwerken. Des Weiteren unterscheiden die AutorInnen institutionsökonomische Ansätze, welche auf den Einfluss des politischen, wirtschaftlichen und ge134 135
136
137
138
Vergleiche u.a. Kulicke (2006). So betrug bei der ZEW-High-Tech-Befragung im Jahr 2007 der Anteil an Frauengründungen an den High-Tech-Gründungen lediglich 8% und liegt damit deutlich unter dem Anteil an Frauengründungen in allen Branchen insgesamt (22%). Zudem unterscheiden sich die Frauengründungen auf verschiedenen Gebieten von den Männergründungen, z.B. hinsichtlich Finanzierung, Wachstum oder Forschungsaktivitäten. Siehe detaillierter Metzger et al. (2008). Der Anteil an Frauen bei den Promotionen insgesamt ist von 28,5% im Jahr 1990 auf 39,0% im Jahr 2004 gestiegen. Im gleichen Zeitraum stieg der Anteil von Frauen bei den Promotionen in der Fächergruppe Mathematik und Naturwissenschaften von 23,3% auf 30,7%, in den Ingenieurwissenschaften von 5,7% auf 11,3% (vgl. Bund-Länder-Kommission 2006). Unter Umständen beginnt die Verdrängung bzw. Nichtbeteiligung von Frauen bereits zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt; siehe hierzu Kapitel 5.3.3. und den Hinweis von Audretsch et al. (2006) auf die geringe Beteiligung von Frauen bei Publikationen und Patentveröffentlichungen. Eine umfassende Auseinandersetzung mit den Teilhabechancen von Frauen in außeruniversitären Forschungseinrichtungen bietet darüber hinaus Matthies et al. (2001). Vergleiche ergänzend Leicht/Welter (2004).
134
Spin-offs im Fokus
sellschaftlichen Umfeldes, u.a. auch intrainstitutionelle Konflikte, fokussieren. Gerade das konkrete Handlungsumfeld kann potentielle Gründerinnen bei der Entwicklung und Verwirklichung ihrer Gründungsidee behindern. Hierzu gehören beispielsweise Förderinfrastrukturen, Diskriminierung durch Politik, Banken, Kunden etc. Wurden lange Zeit gerade die individuellen Faktoren, insbesondere Defizitannahmen, in den Vordergrund gestellt, konzentriert sich damit die Debatte mittlerweile auf strukturelle Bedingungen, die für potentielle Gründerinnen – bei denen sowohl Gründungsinteresse als auch das notwendige Potential vorhanden ist – bedeutsam werden (vgl. u.a. Könekamp 2007, Lind 2004, Welter 2003). Die Ergebnisse der EXIST-Studierendenbefragung (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2002) zeigen auf, dass der Anteil an Frauen in der Gruppe der allgemein Gründungsinteressierten zwar leicht unterhalb des Anteils der Männer liegt, diese Differenz aber erst in der Gruppe der potentiellen Gründer erheblich ansteigt (bei einer Normierung auf 1: Männer etwa 1,38, Frauen 0,57). Neuere Untersuchungen bestätigen diese Befunde. Eine Umfrage an 37 deutschen Hochschulen hat ergeben, dass die befragten Studentinnen zwar über alle Fächergruppen hinweg weniger stark in der Gruppe der Gründungsentschlossenen und Gründungsaktiven vertreten sind. Allerdings sind diese Unterschiede in den verschiedenen Fächergruppen unterschiedlich stark ausgeprägt. Während beispielsweise in den Gesellschafts- und Sozialwissenschaften die weiblichen Studierenden mit 26,6% einer Gründung weniger ablehnend gegenüber stehen als die männlichen Studierenden (28,6%) stehen im Gegenzug die weiblichen Studierenden der Mathematik und Naturwissenschaften mit 39,4% einer Unternehmensgründung bzw. Selbstständigkeit deutlich ablehnender gegenüber als die männlichen Studierenden dieses Fachbereichs, von denen 23 % eine Selbstständigkeit für sich ausschließen. Die Betrachtung der Unterschiede zwischen den Fächern zeigt damit - korrespondierend zu den bereits angeführten Befunden bezüglich der Gründungsneigung der wissenschaftlichen MitarbeiterInnen an den Hochschulen – deutlich, dass neben Sozialisationseffekten zusätzliche fachübergreifende, aber auch fachspezifische Faktoren die Gründungsneigung beeinflussen (vgl. Josten et al. 2008). Ein klarer Konsens über die tatsächlich dominierenden Ursachen des geringen Anteils von Frauen an Unternehmensgründungen konnte bisher nicht erreicht werden. Wie Werner et al. (2005) betonen, ist es allerdings nicht das Geschlecht als solches, welches das unterschiedliche Gründungsverhalten der Geschlechter bestimmt. Und bis auf die Frage der Vereinbarkeit von Familie und
Zahlen und Fakten zu Spin-offs
135
Beruf wirken sich alle anderen Motivlagen bei beiden Geschlechtern weitgehend gleich aus.139 „Frauen und Männer, jeweils als Gruppe betrachtet, unterscheiden sich allerdings in einer Reihe von als für die Gründungsentscheidung relevant geltenden Merkmalen, z.B. der Humankapitalausstattung. Diese Unterschiede sind es, die schließlich dazu führen, dass weniger Frauen als Männer den Gedanken fassen, ein Unternehmen gründen zu wollen.“ (ebd. S. 84)
Nach einer umfassenden Auswertung und dem Vergleich statistischer Daten kommen Werner/Kay (2006) zu dem Schluss, dass männlich geprägte Verhaltensweisen und Charaktereigenschaften, die in der Regel mit dem Bild eines Unternehmers verbunden werden, die Unternehmertätigkeit von Frauen nicht negativ beeinflussen. Auch Defizite in der Selbstwahrnehmung als Unternehmerin haben ihren Ergebnissen zufolge keinen höheren negativen Einfluss auf die Unternehmertätigkeiten von Frauen als auf die von Männern. Lediglich das Bestreben von Frauen durch Selbstständigkeit eine bessere Kombination von Arbeit und familiären Verpflichtungen zu erreichen, kann als Einflussvariable auf die Unternehmertätigkeit von Frauen bestätigt werden. Dahingegen lassen sich bezüglich der Gründungsneigung oder der Gründungswahrscheinlichkeit keine Geschlechterunterschiede finden. Mit einer Argumentation in diese Richtung können die geringen Anteile von Frauen bei den Spin-off-GründerInnen also nicht erklärt werden. “These discrepancies with regard to prior research are supposedly due to the applied data sources and therefore the sample design. If women and men have developed a (vague) interest to start a new business (that’s the point when we interviewed the respondents for the first time), in the following start-up process any gender differences in the probability to become an entrepreneur do not occur anymore. Thus, the so-called gender gap in entrepreneurial activity emerges in a phase prior to the point at which individuals have already developed an interest in starting a new business.” (ebd. S. 513)
Angesichts dessen lässt sich für diese Untersuchung festhalten, dass die Gespräche in den Transfereinrichtungen und in den Spin-offs selbst nur begrenzte Erkenntnisse bezüglich der Gründe für den geringen Anteil an Gründerinnen liefern 139
Ein häufig von Frauen benanntes Motiv für eine Unternehmensgründung ist die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch eine flexiblere Zeiteinteilung (vergleiche hierzu u.a. Kepler/Shane 2007). Wird in vielen Studien Männern und Frauen eine grundsätzlich unterschiedliche Gründungsmotivation unterstellt, belegen aber gerade neuere Befragungen auch deutliche Überschneidungen zwischen den Geschlechtern. So variieren in einer aktuellen Studierendenbefragung die fünf am häufigsten benannten Gründungsmotive zwischen den Geschlechter lediglich in der genannten Reihenfolge (vgl. Josten et al. 2008). Bereits Brush et al. (1992) belegten mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Gründern hinsichtlich ihrer individuellen Charakteristika.
136
Spin-offs im Fokus
können. Denn in diesem Zusammenhang ist es unumgänglich, bereits in einer wesentlichen früheren beruflichen Entwicklungsphase der Frauen anzusetzen, in der sich beispielsweise der Gründungswunsch herauskristallisiert. Auch Leicht/Lauxen-Ulbrich (2006) weisen auf Untersuchungen hin, deren Ergebnisse die Forderung bestätigen, dass Versuche zur Erhöhung des Frauenanteils bei den GründerInnen bereits in einer möglichen frühen beruflichen Orientierungsphase ansetzen sollten, da u.a. bereits die Berufswahl einen signifikanten Einfluss auf eine spätere mögliche Selbständigkeit hat: „Insgesamt legen die Ergebnisse nahe, dass Ungleichheiten in der Entfaltung unternehmerischer Aktivitäten bereits zu einem frühen Zeitpunkt, insbesondere in der Phase der Sozialisation und beruflichen Orientierung angegangen werden müssen.“ (ebd. S. 116-117) Frauen in der industriellen Forschung Verschiedene Studien speziell zu den Karrierechancen und -wegen von Frauen in der industriellen Forschung belegen trotz positiver Tendenzen nach wie vor eine Benachteiligung und Unterrepräsentanz von Forscherinnen. Im Rahmen einer europaweiten Konferenz wurde konstatiert, dass ähnlich wie in der Wissenschaft auch in der industriellen Forschung Maßnahmen zur Erhöhung der Geschlechtergerechtigkeit notwendig sind. Insgesamt lag in der Europäischen Union der Anteil von Forscherinnen im Wirtschaftssektor bei lediglich 15%. Dabei sind durchaus Unterschiede zwischen den Ländern erkennbar. Während ihr Anteil in Österreich nur 9% betrug, lag er in Irland immerhin bei 28% und in Lettland sogar bei 55% (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2004, S. 10).140 In Deutschland liegt der Frauenanteil in der Industrieforschung nach wie vor knapp unter 10% und damit weit unter dem Anteil, den Frauen inzwischen an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen erreichen (rund 22%, vgl. auch Kap. 4.2.3.). Dabei biete die privatwirtschaftliche industrielle Forschung laut Matthies (2003) durchaus auch spezielle Anreize für ForscherInnen, da es sich um eine Mischform aus Grundlagenforschung und angewandter Forschung handele. „Möglicherweise sind es gerade die erwähnten widersprüchlichen Anforderungen, die für AkademikerInnen einen Anreiz darstellen, sich für eine Tätigkeit in der privatwirtschaftlichen Forschung zu entscheiden. Hinzu kommt jedoch, dass die Industrieforschung eine größere Vielfalt an beruflichen Aufstiegschancen sowie eine frühere Übernahme von Führungsverantwortung bietet als die akademische Forschung.“ (ebd. S. 17).
140
Zur Situation von Forscherinnen in der Industrie auf europäischer Ebene siehe ergänzend European Commission (2003).
Zahlen und Fakten zu Spin-offs
137
Inwiefern diese Motive tatsächlich auch für Spin-off-MitarbeiterInnen Geltung besitzen, muss im Hinblick auf die dort vorherrschenden spezifischen Arbeitsorganisationsstrukturen und Aufstiegsbedingungen gesondert betrachtet werden. Soweit möglich werden im Rahmen dieser Untersuchung unterschiedliche Anreiz- und Motivationsstrukturen der MitarbeiterInnen erfragt und berücksichtigt. Im Gegensatz zu Universitäten und Forschungseinrichtungen ist in privatwirtschaftlich betriebenen Einrichtungen eine längere Tradition der Personalentwicklung zu beobachten.141 Damit verbunden sind auch unterschiedliche Praktiken des Personalmanagements, wobei in der akademischen Welt von einem hochgradigen Selbstmanagement der einzelnen WissenschaftlerInnen gesprochen werden kann. Trotz der von den jeweiligen Personen eher positiv empfundenen Gestaltungsspielräume zeigt ein genauerer Blick in die Einrichtungen allerdings, dass die Gefahr einer Benachteilung von Frauen durch ein solches, auf dem Selbstmanagement der MitarbeiterInnen beruhendes Personalmanagement nicht unterschätzt werden darf: „Es scheint sich also zu bestätigen, dass auf Selbstmanagement basierende Organisationsstrukturen die Reproduktion „homosozialer Kulturen“ und „männerbündischer Strukturen“ erleichtern.“ (ebd. S. 81) Institutionalisierte Standards beruflicher Entwicklung für wissenschaftliche MitarbeiterInnen ließen sich laut Matthies vor allem in der Industrieforschung finden, u.a. in Form von regelmäßigen Personalentwicklungsgesprächen. „Dabei unterstreichen vor allem Frauen den damit verbundenen Aspekt der Diskursivierung der Leistungs- und Potentialbeurteilung.“ (ebd. S. 81) Beurteilungsverfahren anhand einheitlicher Kriterien schafften eine gewisse Transparenz, allerdings könnten selbst dadurch informale Substrukturen in Form von sozialen Beurteilungen nicht ausgeschlossen werden. Wie die Untersuchung von Matthies (2005) belegt, existieren nach wie vor zahlreiche Barrieren für Frauen in der Industrieforschung, die sich grob in drei Problemgruppen bündeln ließen: „1. Barrieren für Frauen aufgrund einer geringeren Wertschätzung ihrer Person und Leistungen, 2. Barrieren aufgrund einer männlich geprägten und zudem uniformen Unternehmenskultur, 3. paternalistische Anerkennungs- und Beförderungsstrukturen“ (Matthies 2005, S. 8). Sollen diese Ergebnisse auf Spin-offs angewandt werden, ist zu berücksichtigen, dass industrielle Forschung hier im Rahmen kleiner- bzw. mittelständischer Unternehmensstrukturen stattfindet. Deren Karriere- und Beförderungsstrukturen unterscheiden sich in hohem Maße von den formalisierten Strukturen in großindustriellen Unternehmen. Informellere Karrierewege, jüngere Belegschaften und flexiblere Strukturen schaffen u.U. zusätzliche Chancen für 141
Ein professionalisiertes Personalmanagement ist mittlerweile aber auch für Organisationen der Wissensproduktion von Bedeutung und wird neuerdings, bezogen auf das akademische Wissenschaftssystem, zumeist im Kontext von Verwaltungsreformen und neuen Steuerungsmodellen diskutiert (vgl. Matthies 2003).
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Frauen, allerdings eventuell auch zusätzliche Problemlagen, z.B. unzureichende Unterstützungsangebote zur Work-Life-Balance. Es ist anzunehmen, dass die aus der wissenschaftlichen Forschung kommenden UnternehmensgründerInnen auch Strukturen und Merkmale der Arbeitsorganisation aus der akademischen Wissenschaft mit in die Unternehmen bringen. Damit besteht auch die Gefahr, dass eventuell dort ablaufende Segregationsprozesse gewissermaßen „importiert“ werden. Die Hoffnung, dass durch standardisierte und formalisierte Anerkennungs- und Beförderungsverfahren in der Personalpolitik, Benachteiligungen und Diskriminierungen von Frauen verhindert werden können, habe sich laut Matthies zumindest in der großindustriellen Forschung nicht erfüllt. Allerdings führten Maßnahmen der Personalentwicklung wenigstens potentiell zu mehr Transparenz und Fairness bei der Leistungs- und Potentialbeurteilung und gäben Frauen die Möglichkeit, sich vor willkürlichen Beurteilungen besser zu schützen (vgl. ebd. S. 10). Es bleibt dementsprechend abzuwarten, auf welche negative oder auch positive Weise sich dieses, zumindest in den ersten Jahren nach der Gründung, häufige Fehlen einer formalisierten Personalpolitik in den Spin-offs auf die Karrierechancen und Beschäftigungsbedingungen der MitarbeiterInnen auswirkt. Gerade in der Wissenschaft kann von einem Wahrnehmungsdefizit für Auswahlkriterien jenseits der fachlichen Eignung gesprochen werden.142 Auch in Spin-offs handelt es sich bei den ProjektmitarbeiterInnen überwiegend um Akademikerinnen und Forscherinnen, für welche die fachliche, disziplinäre Qualifikation einen ausschlaggebenden Stellenwert besitzt. Ellen Kuhlmann (2003) konnte drei unterschiedliche, zunächst in außeruniversitären Forschungseinrichtungen gefundene, Erklärungsmuster für die Chancen von Frauen und Männern im Wissenschaftssystem identifizieren. Ansätze dieser waren zum Teil tatsächlich auch in den untersuchten Spin-offs beobachtbar.
142
Steffani Engler beschreibt ausführlich die Rolle, die Zuschreibungsprozesse bei der Konstruktion wissenschaftlicher Persönlichkeiten und bei der Beurteilung von Leistung spielen. Für Frauen im Wissenschaftsbetrieb wirkt sich das besonders gravierend aus, da mit dem Geschlecht Zuschreibungen verbunden sind: „Denn in dem sozialen Gefüge Wissenschaft werden Unterschiede zwischen den Geschlechtern in der sozialen Praxis durch Zuschreibungsprozesse hergestellt, die nichts über die wissenschaftliche Leistung von Frauen und Männern sagen, sondern etwas darüber, wie das wissenschaftliche Feld funktioniert.“ (Engler 2001, S. 462) Daher muss sichtbar gemacht werden, „welche Konstruktionsarbeit darauf verwendet wird, dass es viele Professoren und wenige Professorinnen gibt“ (ebd. S. 462).
Ausgründungen im Blick der Forschung
139
Tab. 7: Typologie der Erklärungsmuster für die Asymmetrien zwischen Frauen und Männern in Wissenschaftsorganisationen Typ 1: Gleichheitsmythos
Typ 2: die „Naturgewalten“
Typ 3: vielgestaltige Geschlechterdifferenzen
Geschlecht spielt keine Rolle, Qualifikation ist das einzig relevante Differenzierungskriterium
Geschlechterdifferenzen werden primär auf reproduktive Aufgaben von Frauen zurückgeführt
Geschlechterverhältnisse werden als flexibel und veränderbar wahrgenommen
Quelle: In Anlehnung an Kuhlmann (2003, S. 93ff.)
Bezogen auf Spin-offs können die Typen zwar nicht ohne Einschränkungen angewandt werden, da sich die Karriere- und Beschäftigungsbedingungen teilweise erheblich unterscheiden. In Vorgriff auf die Empirie kann man allerdings Typ 1143 und 2 als die in den untersuchten Spin-offs vorherrschend angeführten Erklärungsmuster festhalten. Wobei Typ 2 in der Regel nur dann als potentielles Erklärungsmuster verwendet wurde, wenn explizit nach der Zahl der Frauen in den leitenden Positionen des Unternehmen (Geschäftsführung und Projektleitung) gefragt wurde. Waren dann tatsächlich nahezu alle Frauen in dem jeweiligen Unternehmen hauptsächlich als Laborantinnen und in der Verwaltung tätig, stand den Interviewten damit Typ 1 als Erklärungsmuster gewissermaßen nicht mehr zur Verfügung. 4.3 Ausgründungen im Blick der Forschung Schwer zu beantworten ist die Frage, inwiefern Forschung in Spin-offs tatsächlich wissenschaftlichen Kriterien genügt. Wie schon deutlich wurde, werden sie im Allgemeinen als Organisationen zwischen dem Wissenschafts- und Wirtschaftssystem angesiedelt. Wobei es übereilt wäre, sie gleich als Grenzorganisationen bzw. boundary oganisations zu bezeichnen, die eine Brücke zwischen Systemen – in diesem Fall Wissenschaft und Wirtschaft – schlagen und helfen die Beziehungen zwischen den Systemen zu stabilisieren und zu koordinieren: „Die Grenzorganisationen sind zwei „Herren“ („principals“) ausgesetzt, denen sie dienen und deren Ansprüche sie befriedigen helfen, ohne dabei ihre Rolle des Ausgleichs und der Vermittlung verlieren zu dürfen“ (Braun 2003, S. 21). Denn ob die sogenannten zwei „Herren“ in Spin-offs wirklich gleichberechtigt neben143
Zum Egalitätsmythos vergleiche ergänzend u.a. Funder (2005).
140
Spin-offs im Fokus
einander stehen, darf bezweifelt werden. Zudem erfüllen, wenn überhaupt, die Spin-offs eine derartige „Vermittlerrolle“ nur indirekt und unbeabsichtigt, sie ist nicht das eigentliche Gründungsziel oder fester Bestandteil der Organisationsziele. Ein erstes Indiz für eine gleichberechtigte Berücksichtigung der Interessen beider Systeme in einem Spin-off kann eine gleichgewichtige Finanzierung des Unternehmens durch öffentliche Gelder und Aufträge anderer Unternehmen sein oder zumindest ein annähernd ausgeglichenes Arbeitsvolumen für Auftraggeber aus den zwei Systemen. In den Fallstudien wurden diese Indikatoren berücksichtigt, insgesamt hat sich aber ein durchaus heterogenes Bild ergeben. Durchweg alle Spin-offs haben allerdings in bestimmten Unternehmensphasen auf öffentliche Forschungsgelder zurückgegriffen, bezogen auf einige Geschäftsbereiche sogar in überproportional hohem Maße. Allerdings scheint dies nicht nur eine Frage der jeweiligen Entwicklungsphase des Unternehmens zu sein, sondern auch eine Frage des Geschäftsmodells des Unternehmens. 4.3.1 Die „Wissenschaftsgebundenheit“ von Spin-offs Weiterführend bei der Betrachtung von Spin-offs als Organisationen an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Wirtschaft sind Heinze (2005) und seine Überlegungen zum Entstehen von Organisationen, die sekundäre oder auch zwei gleichrangige Funktionssystemorientierungen ausbilden können. Seiner Ansicht nach ist die Kopplung von Wissenschaft und Wirtschaft zunächst eine Leistungsbeziehung, in deren Mittelpunkt die Entwicklung neuer, wissensbasierter Technologien steht. Das Wissenschaftssystem bringt neues Wissen hervor, welches dann in die Lösung technischer Probleme in der wirtschaftlichen Produktion einfließt. Heinze unterscheidet im Rahmen dieser Leistungsbeziehung verschiedene Organisationstypen. Entscheidend ist dabei, dass Organisationen nicht nur Träger einer funktionssystemischen Leistung sein können (Organisationstyp 1). Organisationen können auch sekundäre Funktionssystemorientierungen (Organisationstyp 2) oder zwei gleichrangige Funktionssystemorientierungen (Organisationstyp 3) ausbilden, welche Heinze als funktionssystemische Hybridorganisationen144 bezeichnet (vgl. ebd. S. 62ff.). Werden diese Überlegungen auf Spin-off-Unternehmen übertragen, kann davon ausgegangen werden, dass vor allem Organisationstyp 2 vermehrt auftreten wird bzw. sogar auftreten muss. Ein abrupter und vollständiger Wechsel der Systemorientierung ist un144
Für Heinze verkörpern in Deutschland gerade die Fraunhoferinstitute aufgrund ihres hohen Anteils technologiebezogener Auftragsforschung für die Industrie den hybriden Organisationstyp. Sie sind „nicht nur von ihrer Finanzierungsstruktur her, sondern gerade auch in ihrem Selbstverständnis eine funktionssystemische Hybridorganisation.“ (Heinze 2006, S. 71)
Ausgründungen im Blick der Forschung
141
wahrscheinlich, nicht nur aufgrund des Hintergrundes der GründerInnen, sondern auch aufgrund der hohen F&E-Intensität der Produkte bzw. Technologien, die am Markt angeboten werden sollen. Der in der Regel hohe Forschungsbedarf und die engen personalen und organisationalen Verflechtungen mit der Mutterinstitution und anderen wissenschaftlichen Institutionen dürfte vor allem für die Herausbildung zusätzlicher sekundärer Funktionsorientierungen sorgen. Inwiefern in den Unternehmen zwei gleichrangige Funktionssystemorientierungen ausgebildet werden können, bleibt abzuwarten. Möglicherweise bleibt dies auf bestimmte Phasen der Unternehmensentwicklung beschränkt und dürfte vor allem in der SEED-Phase des Unternehmens Bestand haben, in welcher zunächst das Produkt oder die Technologie bis zur Marktreife weiterentwickelt wird. Mit zunehmender Marktreife der Produkte ist dann eine primäre Orientierung am Wirtschaftssystem erwartbar.145 Zwischen den verschiedenen Funktionssystemen bestehen Kopplungen und relativ begrenzte Möglichkeiten der gegenseitigen Beeinflussung durch wechselseitige Leistungstransfers. Heutige hochkomplexe Technologien lassen sich nur durch Wissenstransfer aus der Wissenschaft weiter entwickeln: „Technologieentwicklung ist dann ein eng begrenzter Einflussweg, über den Leistungen des Wissenschaftssystems für wirtschaftliche Transaktionen relevant werden.“ (ebd. S. 63-64) Die Kopplung der Systeme erfolgt über wissensbasierte Technologien. Die Innovationsforschung hat sich dieses Themas angenommen und misst den Transfer durch Indikatoren wie Publikations- und Patentdaten. Lassen sich hier in Patentanmeldungen häufig Wissenschaftszitate finden, i.S. von Rückbezügen auf Publikationen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften, dann wird von einer hohen „Wissenschaftsbindung“ der Technik bzw. wissensbasierter Technik gesprochen. Nach der Klassifikation von Grupp/Schmoch (1992)146 zählt die Biotechnologie zu den Technologiefeldern mit überdurchschnittlich hoher Wissenschaftsbindung. Weitere Indikatoren für eine starke Kopplung von Wissenschaft und Wirtschaft durch Technologien ist gerade ein hoher Anteil an akademischen Unternehmensgründungen. In den Unternehmen werden die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse und technischen Lösungen in „zahlungsrelevante Transaktionen im Wirtschaftssystem“ (ebd. S. 65) übersetzt. Es kristallisiert sich entsprechend ein vielschichtiges Beziehungsgeflecht zwischen den Systemen heraus. 145
146
„Während junge Unternehmungen im allgemeinen direkt nach der formalen Gründung die (umsatzgenerierende) Geschäftstätigkeit aufnehmen, muss in technologieorientierten Gründungen zunächst die Marktreife des geplanten Leitungsangebots realisiert werden.“ (Steinle/Schumann 2003, S. 19) Grupp/Schmoch unterscheiden überdurchschnittlich bzw. unterdurchschnittlich wissensbasiert und wissenschaftsunabhängig. Vergleiche hierzu Grupp, Hariolf; Schmoch Ulrich (1992): Wissenschaftsbindung der Technik. Panorama der internationalen Entwicklung und sektorales Tableau für Deutschland. Heidelberg: Physica-Verlag.
142
Spin-offs im Fokus
Lineare Modelle des Wissens- und Technologietransfers, wie z.B. das SciencePush-Modell, funktionieren angesichts neuer Erkenntnisse und Befunde der Innovationsforschung und Wissenssoziologie nicht mehr. Neuere Untersuchungen beschäftigen sich auch verstärkt mit den Auswirkungen bzw. Rückwirkungen wissenschaftlicher Ausgründungen auf die öffentlich finanzierte Forschung in Universitäten und Forschungseinrichtungen. Ein vielfältiges Netzwerkgeflecht wird deutlich, welches eindimensionalen Modellen die Grundlage entzieht.147 Die Herausbildung zweier Binnendifferenzierungen in den Funktionssystemen Wissenschaft und Wirtschaft und das vermehrte Auftreten des zweiten und dritten Organisationstyps liegt in der Entwicklung hin zu komplexen und wissensintensiven Technologien begründet. Heinze bezieht sich in seinen Ausführungen dabei mit Bezug auf das Wissenschaftssystem auf die Grundlagen- und Anwendungsforschung und mit Blick auf die Wirtschaft auf forschungsintensive und forschungsarme Technologiemärkte. Dabei ist Anwendungsforschung nicht einfach eine der Grundlagenforschung nachfolgende Forschungsphase, „sondern bezeichnet eine Forschungsstruktur, die in die Wissensproduktion nichtdisziplinäre Bezüge und Problemstellungen aufnimmt und auf diese Weise den Wissensbedarf anderer Funktionssysteme, beispielsweise des Wirtschaftssystems berücksichtigt.“ (ebd. S. 69) Dementsprechend ist anwendungsorientierte Forschung eine Folge der Binnendifferenzierung des Wissenschaftssystems, welche nur auf diese Weise auf die Leistungserwartungen seitens der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen Umwelt reagieren kann. Umgekehrt können Hochtechnologiemärkte gewissermaßen als das Pendant zur angewandten Forschung im Wissenschaftssystem betrachtet werden. Ihre Funktion ist die Nutzbarmachung von Leistungen des Wissenschaftssystems für die wirtschaftliche Produktion von Gütern und Dienstleistungen. Zu diesem Zweck ist es unabdingbar Forschungsstrukturen in den Unternehmen zu instiutionalisieren, denn nur auf diese Weise können neue technologische Möglichkeiten erkannt und umgesetzt werden. Insbesondere akademische Spin-offs erfüllen diese Funktion, entsprechend ausgeprägt ist ihre Wissenschaftsbindung. Sie operieren häufig in Hochtechnologiemärkten, „zu deren Strukturmerkmal es gehört, in systematischer Weise die Wissensproduktion der Wissenschaft für die Realisierung neuer Technologien und damit neuer Güter und Zahlungsströme heranzuziehen.“ (ebd. S. 70) Entscheidend ist, mit Hilfe welcher Organisationsstrukturen Spin-offs diese Wissenschaftsbindung herstellen und aufrechterhalten und dabei gleichzeitig ihre F&ETätigkeiten an die Bewertungsverfahren des Marktes anpassen. Hack/Hack (1985) haben hier für die Organisation der Forschung in der Großindustrie den 147
Vergleiche hierzu u.a. Heinze (2005 und 2006), Gibbons et al. (1994), Etzkowitz/Leydesdorff (1997), aber auch Konrad/Truffer (2006) oder Project Group Sience Policy Studies (2006).
Ausgründungen im Blick der Forschung
143
Begriff der „strukturellen Ökonomisierung“ geprägt. Dieser bezieht sich auf die Anwendung der gleichen Effektivitäts- und Rentabilitätskriterien auf die Forschungsorganisation, wie sie eigentlich mit Blick auf Produktionsprozesse entwickelt wurden, z.B. die Kapazitätsauslastung der Forschungseinrichtungen. Insgesamt erfolgt eine „systematische Einbindung der FE-Tätigkeiten in die Bewertungsverfahren, die vom Markt und von der Produktion vorgegeben werden.“ (ebd. S. 289) Auch in kleinen und mittleren High-Tech-Unternehmen lassen sich unterschiedliche Strategien zu deren Positionierung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft beobachten, welche die Entfaltungsmöglichkeiten von Wissenschaft in den Unternehmen bestimmen (vgl. Gläser et al. 1995): „Die vorgenommene, aus der empirischen Untersuchung abgehobene Typisierung kennzeichnet eher grundsätzliche Entfaltungsmöglichkeiten von Wissenschaft in KMU. Die in die Untersuchung einbezogenen KMU tendieren in der Regel mehr oder weniger zu einem dieser vier Typen. […] (a) „Abschied von der Forschung“, (b) „Fallweise Einbeziehung von Forschung“, (c) „Denkfabrik“ (d) „Kommerzialisierung von Grundlagenforschung“. (ebd. S. 45)
Während sich in einigen KMUs die GründerInnen selber nicht mehr als ForscherInnen, sondern eher als EntwicklerInnen und ProduzentInnen betrachten und die dort tätigen wissenschaftlichen MitarbeiterInnen lediglich ein Verständnisniveau halten müssen, dass es ihnen erlaubt „den (theoretischen) Darlegungen anderer an einem Verbundprojekt beteiligter WissenschaftlerInnen“ (ebd. S. 46) folgen zu können, unterscheidet sich in letzterem Unternehmenstyp die Forschung nicht von solcher wie sie in den Zentralforschungsabteilungen großer Unternehmen oder in staatlich finanzierten Einrichtungen der Grundlagenforschung stattfindet. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, dass die Unternehmen des letzteren Typus nicht nur die Generierung von Grundlagenwissen übernehmen, sondern gleichzeitig auch dessen Kommerzialisierung. Mit Blick auf den Prozess des Transfers wissenschaftlichen und technologischen Wissens in wirtschaftliche Werte bezeichnet Fontes (2005) Spin-offs als die am besten geeigneten Organisationen, um eine derartige Transferrolle zu übernehmen. Sie sind in der Lage, die notwendigen „Übersetzungsleistungen“ zwischen den verschiedenen akademischen und wirtschaftlichen Gruppen und Strukturen zu erbringen. Spin-offs sind technologieorientierte Unternehmen, gegründet von Personen die sowohl die Kompetenzen als auch die Beziehungen haben „to match the knowledge available in research organisations and the needs they identify in the markets, as well as to conduct the necessary transformation and/or translation processes “ (ebd. S. 339). Gerade die Biotechnologie ist dabei ein gutes Beispiel für eine Branche, in welcher direkte Transfermechanismen überwiegen. Dies ist typisch
144
Spin-offs im Fokus
für wissenschaftsbasierte Industrien. Aber selbst hier ist ein Transformationsprozess notwendig, um in der akademischen Wissenschaft gewonnenes Wissen in Spin-offs zu nutzen und in Anwendungen, Produkte und/oder Dienstleistungen umzuwandeln. Mit diesem Prozess gehen die Reduktion von Unsicherheit und die Integration von Wissen verschiedener Fachdisziplinen und Funktionsbereiche einher. Gerade diese beiden Punkte sind für Spin-offs, wie auch diese Untersuchung gezeigt hat, von entscheidender Bedeutung. Sie übernehmen die Rolle des Transformators und „übersetzen“ durch öffentliche Forschung gewonnenes Wissen in marktfähige Produkte und Dienstleistungen. Es können drei idealtypische Transformationsaufgaben eines Spin-offs unterschieden werden: 148
„1. Bring to the market (directly or indirectly) results from research conducted at ROs , in the form of technologies, products or services. 2. Improve accessibility to industry-oriented knowledge, being exploited by ROs below its potential, by increasing the quality of supply and/or expanding the range of applications or users. 3. Actively intermediate in knowledge and/or technology transfer from ROs and its absorption by particular users, by identifying knowledge that can answer to specific needs and assisting in its adjustment to particular contexts.” (Fontes 2005, S. 344)
Dabei können sich die Unternehmen auf eine Funktion spezialisieren, mehrere miteinander kombinieren oder von einer zur anderen wechseln. Mirowski/van Horn (2005) sprechen an dieser Stelle sogar von Corporate Research Organizations (CROs), die gerade in der Biotechnologie und in der Pharmabranche eine Form privatisierter Wissenschaft repräsentieren (ebd. 2005, S. 506ff.). Die Möglichkeiten der Wissenserzeugung sind gerade im Bereich der Biotechnologie in den letzten Jahrzehnten durch das molekularbiologische Analyse- und Methodensetting erheblich gestiegen, andererseits bergen diese auch Unsicherheiten und Unwägbarkeiten. Die Komplexität der Wissensproduktion ist durch die Anforderung, „mehr heterogenes und in seinen Tiefenstrukturen unbekannteres Wissen zu generieren, zu transferieren und weiterzuentwickeln“ (ebd. S. 69), enorm gestiegen. Um diese Komplexitätsprobleme zu reduzieren und Zugriff auf externes Wissen zu erhalten, kooperieren größere Pharmaunternehmen u.a. mit kleineren Biotechnologieunternehmen: „Auch im Rahmen der unternehmerischen Binnenorganisation hat sich die Notwendigkeit erhöht, eine Organisationsform zu installieren, die beständige wissenschaftliche Direktkontakte erlaubt. Dies ist der eine Grund, warum nun auch für den Forschungsalltag innerhalb der Pharmaunternehmen die Projektorganisation bestimmend wird. Der andere Grund liegt darin, dass die Projektorganisation die Möglichkeit bietet, die Lösung des Komplexitätsproblems dem Optimierungshandeln der Akteure auf der operativen Ebene zu überantworten.“ (ebd. S. 70)
148
RO = Research Organisation.
Ausgründungen im Blick der Forschung
145
Die Selbststeuerung der ProjektmitarbeiterInnen in Spin-offs ist also nicht nur, im Sinne Kornhausers (1962), eine Folge der unmöglichen vollständigen Integration des wissenschaftlichen Personals, sondern auch eine Strategie des Managements zur Problemlösung bzw. -verlagerung auf die operative Ebene und damit auf die wissenschaftlichen MitarbeiterInnen. Derartig hohe Anforderungen an die ProjektmitarbeiterInnen hinsichtlich Selbstmanagement und Selbststeuerung stehen allerdings der Etablierung fester funktionaler und projektförmiger Organisationsstrukturen nicht entgegen. Die Spezialisierungsvorteile kleinerer Unternehmen gegenüber großen Unternehmen müssen durch die Entwicklung komplementärer Kompetenzen im Finanzmanagement, Business Development etc. und eine Formalisierung der Forschungspraxis abgesichert werden. Spin-offs sind sehr schnell auf die Etablierung funktionierender Arbeitsorganisations- und Projektmanagementstrukturen angewiesen: „Von daher sind weder kreatives Forschungschaos noch Pseudo-Organigramme für die Wissensproduktion in den Biotechnologieunternehmen bestimmend, sondern eine formal ausdifferenzierte Arbeits- und Funktionsteilung.“ (Briken/Kurz 2003, S. 70). Insgesamt stellen die vielfältigen Aufgaben „an der Schnittstelle“ die Unternehmen vor hohe Anforderungen. Dementsprechend ist, neben der Etablierung der passenden Organisationsstrukturen, die Fokussierung ihres Forschungshandelns für die Unternehmen genauso erfolgsentscheidend. 4.3.2 F&E-Strategien und Ausprägungen von Spin-offs Eine absolute Marktgetriebenheit industrieller Forschung in Spin-offs kann – zumindest für die ersten Jahre nach der Gründung – nicht durchgängig konstatiert werden. In Spin-offs orientiert sich Forschung nicht ausschließlich an Kundenwünschen, sondern konzentriert sich auch auf die Entdeckung und Entwicklung eines innovativen Produktes oder einer innovativen Dienstleistung. Zwar wird für diese durchaus ein potentieller Markt vermutet, trotzdem handelt es sich in erster Linie um eine komplette Neuentwicklung. Hindle/Yencken (2004) unterscheiden vier verschiedenen F&E-Strategien. Dies sind (1) die unbegrenzte Suche nach wissenschaftlichen Durchbrüchen, (2) die Anwendung und Entwicklung für einen bestimmten Markt, (3) die Anwendung und Entwicklung zur Befriedigung existierender Kundenbedürfnisse und (4) kooperative F&E-strategien, beruhend auf Vernetzung und Allianzen zwischen den „Wissens-/TechnologieProduzenten“ und „-nutzern“ (vgl. ebd.). Um dauerhaft wachsen zu können, dürfen Spin-offs nicht in dem zweiten und dritten Stadium verbleiben, sie müssen die Fähigkeit zu „diskontinuierlicher Innovation“ entwickeln. Dazu müssen sie in der Lage sein, zukünftige Bedarfe potentieller Kunden zu berücksichtigen
146
Spin-offs im Fokus
und vorauszuahnen. Diskontinuierliche Innovation ist dabei ohne Grundlagenforschung i.S. freier, ungebundener Suche nach wissenschaftlichen Durchbrüchen nicht denkbar und resultiert häufig in der Vermischung bestehender Disziplinen und in der Entstehung neuer Disziplinen wie z.B. Bio- und Nanotechnologie oder Mechatronik (vgl. ebd. S. 796). Basierend auf dem vorhandenen Interviewmaterial kann bereits an dieser Stelle festgehalten werden, dass gerade eine Balance zwischen der dritten und vierten Strategie für die Unternehmen eine große Herausforderung darstellt. Investitionen in Forschung in großem Umfang scheuen die Unternehmen aus Angst, „am Markt vorbei zu forschen“. Allerdings ist gerade in Hochtechnologiebranchen kontinierliche Forschung notwendig, denn nur so kann angesichts des hohen Konkurrenzdrucks der Anschluss an neue technologische Entwicklungen garantiert werden. Hilfreich ist da die Differenzierung von Stankiewicz (1994, S. 102ff.)149, wobei insbesondere technologieorientierte Spin-offs darauf angewiesen sind, eine kooperative F&E-Strategie zu verfolgen. „Consultancy and R&D contracting (CC) that exploit competence shortages and R&D environments […] These are essentially based on 1st and 2nd generation R&D activities. Product oriented mode (PO), organised around a well developed product (or process) concept and focussed on the advanced development, production and marketing of that product (or process). These are typical 3rd or 4th generation R&D based companies and are traditionally Schumpeterian in concept. Technology asset oriented mode (TA), concerned with the development of technologies which are subsequently commercialised through spinning-out new firms, licensing, joint ventures or other types of alliance; these firms are based on business models derived from new mixes of fusion and discontinuous and potentially disruptive innovation. The genesis of such new ventures typically can come from 1st or other generation R&D modes.” (Hindle/Yenken 2004, S. 789)
Zwar sind Spin-offs gerade in der letzten Klassifizierungsgruppe stark vertreten, aber natürlich sind nicht alle technologieorientierten Unternehmen automatisch als Spin-offs gestartet. Eine Reihe von Klassifizierungen unterscheiden Spin-offs daher verstärkt anhand ihrer Gründungsgeschichte. Knie et al. (2003) unterscheiden sieben verschiedene Typen von Ausgründungen vornehmlich anhand der Gründungshistorie der Ausgründung und deren Beziehungen zur ursprünglichen „Mutterinstitution“.
149
Siehe ergänzend auch Hindle/Yenken (2004).
Ausgründungen im Blick der Forschung
147
Tab. 8: Ausgründungen und ihre Beziehungen zur „Mutterinstitution“ Typ
Bezeichnung
Charakteristika
A
Ausgründungen als „Abfallprodukte“ der normalen Forschungstätigkeit
Die Ausgründung als abgespaltene „Einzelzelle“, die bestimmte Erkenntnisse mitnimmt, aber keine Auswirkungen auf die Forschungsaktivität des Mutterinstitutes hat.
B
Potentielle Geschäftsideen als bewusst bewirtschaftete Ressource
Das Forschungsinstitut definiert ein Eigentumsrecht an Forschungsresultaten, welche einer Ausgründung gegen Bezahlung zur Verfügung gestellt werden. Das Institut ist aber weiterhin in dem entsprechenden Forschungsgebiet tätig.
C
Forschende als praxisoffene Geburtshelfer
Das Forschungsinstitut oder einige seiner MitarbeiterInnen sind an der Gründung einer Firma beteiligt und helfen in der Anfangsphase mit, die Geschäftstätigkeit zu stabilisieren. Nach einer Weile ziehen sich die MitarbeiterInnen aber wieder ans Institut zurück und wenden sich ihrer Forschung zu.
D
Das „Dream-Team“ der Praxis-ForschungsVerkopplung
Zwischen Institut und Ausgründung kommt es zu einer dauerhaften Kooperation mit klar getrennten Aufgabenbereichen und deklarierten Rollen. Das Verhältnis ist durch hohe Synergien geprägt.
E
Die Nachzucht der eigenen Konkurrenz
Die Ausgründung konkurriert mit dem Institut auf dessen angestammtem Forschungsgebiet um Forschungsaufträge, Kunden und MitarbeiterInnen.
F
Der janusköpfige Hybrid
Es entwickeln sich Kooperationen zwischen MitarbeiterInnen, die in beiden Einrichtungen arbeiten und nach Bedarf hin und her wechseln. Rollen können getauscht werden. Es kommt zu gemeinsamen Strategieentwicklungen und einer zunehmenden Vermischung und Überkreuzung der Wissensproduktionsmodi. Beide Strukturen sind nach den jeweiligen Leistungskriterien von Wissenschaft und Markt erfolgreich.
G
Die Brutstätte Nesthocker
für
Es besteht eine enge Anbindung der Ausgründung an das Institut. Die Ausgründung ist aber nicht für sich überlebensfähig, und es kommt zu einer Subventionierung privater Interessen durch öffentliche Gelder.
Quelle: In Anlehnung an Knie et al. (2003, S. 9ff.) Von Nachteil ist vor allem die (noch) fehlende zeitliche Dimension, welche die Prozesshaftigkeit der Entstehung und des Wachstums eines Spin-offs berücksichtigt. Mit der Weiterentwicklung des Unternehmens können sich Unternehmensstrukturen und -zielsetzungen und dementsprechend auch das Verhältnis zur
148
Spin-offs im Fokus
Ursprungseinrichtung ändern. Allerdings verdeutlicht die Typologie die hohe Bedeutung, die Beziehungen und Kontakte zur Wissenschaft für derartige Unternehmen besitzen. Die Bedeutsamkeit dieser Beziehungen für den wirtschaftlichen Erfolg einer Ausgründung hat auch Britta Leineweber (2004) in ihrer empirischen Untersuchung zu den Kooperationsbeziehungen zwischen innovativen Unternehmensgründungen und öffentlichen Forschungseinrichtungen herausgearbeitet. Ihrer Ansicht nach sind öffentliche Forschungseinrichtungen insbesondere für hochinnovative Unternehmen, die sich in wissenschaftsnahen Technologiefeldern bewegen, wichtige Kooperationspartner. „Aus Sicht innovativer und insbesondere technologiebasierter Unternehmen zwingt die Verkürzung der Produktlebenszyklen, die Verteuerung von Forschung und Entwicklung und die zunehmende Wissenschaftsbindung der Technikentwicklung zur stärkeren Einbindung externer Partner in ihre Innovationsaktivitäten.“ (ebd. S. 198)
Leinewebers Ergebnisse bestätigen eine höhere Einbindung öffentlicher Forschungseinrichtungen in die Innovationsaktivitäten von Unternehmen, insbesondere bei Unternehmen, die eine explizit als Wettbewerbstaktik ausgeprägte Innovationsstrategie verfolgen. Allerdings muss auch festgehalten werden, dass die Kooperation mit öffentlichen Forschungseinrichtungen nicht die dominanteste Form der Vernetzung in Spin-offs ist. Es hat sich gezeigt, dass Unternehmensgründungen am häufigsten mit ihren Marktpartnern wie Kunden (70%) und Zulieferern (49%) zusammen arbeiten. Gleichsam sind horizontale Kooperationen mit Dienstleistungsunternehmen, Wettbewerbern oder öffentlichen Forschungseinrichtungen deutlich seltener. Nur jedes vierte Unternehmen kann hier eine Zusammenarbeit verzeichnen (vgl. ebd. S. 199ff.). Diese geringen Zahlen dürften allerdings auch darin begründet liegen, dass direkte Spin-offs nur einen Teil der hier in den Blick genommenen innovativen Unternehmensgründungen stellen. Allein aufgrund der individuellen Berufsbiographie der GründerInnen, deren persönlichen Kontakten in die Forschungseinrichtungen und der häufig hochinnovativen Geschäftsgrundlage, ist die Zusammenarbeit dieser Unternehmen mit wissenschaftlichen Einrichtungen gerade in den ersten Jahren nach der Gründung wesentlich höher. Die Ergebnisse Leinewebers unterstützen diese Annahme. Des Weiteren zeigt die Untersuchung, dass bei gleich bleibendem Innovationsinput der Innovationsoutput von jungen Unternehmen durch die Kooperation mit Forschungseinrichtungen steigt. Gerade vor dem Hintergrund des hohen F&EBedarfes, der angespannten Finanzlage und der knappen Ressourcen besonders junger Spin-Off-Unternehmen sind die Vorteile durch Kooperation mit For-
Ausgründungen im Blick der Forschung
149
schungseinrichtungen für diese Gruppe besonders hoch.150 Allerdings haben die Interviews mit GründerInnen gezeigt, dass gerade auch die Produktentwicklung in Kooperation mit den Kunden für diese Unternehmen eine sehr große Rolle spielt, da der Input potentieller Kunden die Gefahr minimiert, dass „am Markt vorbei geforscht wird“.151 Im Gegensatz zu einer Kategorisierung von Spin-offs anhand deren Beziehung zur Herkunftsinstitution und weiter bestehender Verflechtungen in Form von z.B. Forschungskooperationen, wählen Gabrielsson et al. (2006) eine stärker wissensbasierte Kategorisierung von forschungsbasierten Spin-Off-Gründungen. Die Autoren wählen nicht das Unternehmen als Basis der Analyse, sondern fokussieren auf Wissen als zentrale wirtschaftliche Grundlage des Unternehmens. Sie unterscheiden forschungsbasierte Spin-Offs anhand der Wissensbasis, auf der das Unternehmen gegründet ist. Dabei differenzieren sie zwischen synthetischem/ ingenieursbasiertem Wissen und analytischem/ wissenschaftsbasiertem Wissen. „An analytical knowledge base refers to industries where scientific knowledge is highly important, and where knowledge creation is often based on cognitive and rational processes or abstract and formal models. […] A synthetic knowledge base refers to industries where innovation takes place mainly through the application of knowledge or through recombination of existing knowledge in new ways.” (ebd. S. 10) 152
Die Wissensbasis des Unternehmens beeinflusst die Netzwerkstrukturen des Unternehmens bzw. wird gleichsam von diesen beeinflusst. Persönliche und lockere Netzwerke sind bei der Entwicklung einer Geschäftsidee und beim Ausloten kommerzieller Möglichkeiten für analytische ForscherInnen nützlicher, da in diesen der Austausch neuer Informationen, Wissen und Ressourcen besser möglich ist.153 Da synthetisches Wissen eher im Zuge eines interaktiven Austausches mit Kunden generiert wird, sind für synthetisch orientierte ForscherInnen geschlossene und starke Netzwerke von hoher Bedeutung. Die Entwicklung einer Geschäftsidee erfolgt hier auch häufig auf Grundlage bestehender Probleme der 150
151 152
153
Siehe zur Bedeutung von Kooperation für innovative Unternehmensgründungen exemplarisch Steinle/Schumann (2003) und ergänzend zur Bedeutung nationaler Innovationssysteme Gieseke (2001); zum Netzwerkansatz in der Entrepreneurshipforschung allgemein siehe einführend Stefan (2008), S. 44ff. Siehe detailliert Kapitel 5.3.1.1. und 5.3.1.2. Die Autoren beziehen sich bei der Herleitung der zwei Wissensbasen auf Vorarbeiten von B.T. Asheim, M.S. Gertler (2005): The geography of innovation: Regional innovation systems; In: J. Fagerberg, D. Mowery, R. Nelson: The Oxford Handbook of Innovation, Oxford bzw. B.T. Asheim und L. Coenen (2005): Knowledge Bases and regional innovation systems: Comparing Nordic clusters, Research Policy 34, 1173-1190. Zur Unterscheidung von Daten, Informationen und Wissen siehe Kapitel 3.2.1.2.
150
Spin-offs im Fokus
industriellen Partner. Analytisch basierte Unternehmen reagieren hingegen nicht auf ein konkretes, in der Industrie bereits bestehendes und zu lösendes Problem, sondern die ForscherInnen suchen sich entsprechende Marktnischen und entwickeln dann Ideen für neue Produkte oder Dienstleistungen, wenn zumindest ein grundsätzliches Potential zur Kommerzialisierung einer Idee oder eines Forschungsergebnisses besteht. In den Fallstudien lassen sich beide Vorgehensweisen erkennen, wobei ein Unternehmen tatsächlich sowohl auf Basis einer analytischen als auch einer synthetischen Wissensbasis operieren kann. In den später noch detaillierter dargestellten Fallstudien lassen sich durchaus zum einen Unternehmen identifizieren, die stark analytisch aufgestellt sind, d.h. wo ein überwiegender Teil der Geschäftsbereiche auf Basis eigener Ideenentwicklung und Forschung fußt (obwohl natürlich ein möglicher Markt immer mit bedacht wird). Gerade für diese Geschäftsbereiche wird auch bewusst Venture Capital eingeworben. Aber es gibt auch ein Fallbeispiel, bei welchen das Unternehmen von Anfang an bewusst ohne Venture Capital, sondern mit zwei langfristigen F&EAufträgen von zwei großen Industrieunternehmen gestartet ist. Die Geschäftsidee, die Gründungshistorie, aber auch die Entwicklung weiterer Felder und Projektakquise sind in dem Spin-off folglich stark durch die enge Zusammenarbeit mit den industriellen Partnern und Kunden geprägt. Allerdings gibt es auch in diesem Unternehmen einen kleinen Geschäftsbereich, in dem stärker analytische – hier im Sinne von nicht-kundengetriebener – Forschung durchgeführt wird. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass Spin-offs durchaus „gemischte“ Strategien fahren. Unter den vorgestellten Möglichkeiten der Unterscheidung von Spin-offs bietet gerade eine Unterscheidung anhand der Wissensbasis der Unternehmen die Möglichkeit, die „wissenschaftliche Herkunft“ der GründerInnen und den Ursprung der dem Unternehmen zugrunde liegenden Forschungserkenntnis besser zu berücksichtigen, also z.B. ob die GründerInnen ursprünglich stärker in anwendungs- oder in grundlagenorientierten Forschungsprojekten beschäftigt waren. Gerade dies hat naturgemäß auch große Auswirkungen auf das Geschäftsmodell und damit auf die Arbeitsorganisationsstrukturen in den Unternehmen, d.h wie stark die Projekte auf Kundenwünsche ausgerichtet sind, woher neue Ideen für Forschung und Entwicklung kommen, welche Qualifikationen die MitarbeiterInnen brauchen und wie sehr sich diese selbst noch als WissenschaftlerInnen begreifen.
Ausgründungen im Blick der Forschung
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4.3.3 Spin-offs und ihre „Scientists“ - Identitätsfragen Audretsch et al. (2006) geben zu bedenken, dass die häufig sehr stark auf Daten und Informationen von Technologietransferbüros basierende Einschätzungen eines nur mangelhaft ausgeprägten Unternehmergeistes von WissenschaftlerInnen zu einer Unterschätzung des Grades der Kommerzialisierung wissenschaftlicher Ergebnisse führen. Ihren Ergebnissen nach kann nicht die Rede sein von geringen unternehmerischen Interessen deutscher WissenschaftlerInnen. Im Vergleich mit anderen Gruppen der Bevölkerung sind „scientist entrepreneurs“ sehr aktiv und konsequent bei der Umsetzung ihrer Gründungsideen. Ihren Zahlen nach haben über ein Viertel der WissenschaftlerInnen, die einen Patentbericht veröffentlicht haben, auch ein eigenes Unternehmen gegründet, „which is an astonishingly high rate of entrepreneurship based on comparable measures for other sub-groups of the population. Scientist entrepreneurship appears to be the sleeping giant of the commercialization of university research.” (ebd. S. 9ff.) Die Autoren entwickeln die Idee eines Life-Cycle Models für WissenschaftlerInnen, welches es ermöglicht – Bezug nehmend auf die Lebens- und Karrierephase der einzelnen Forscherin bzw. des einzelnen Forschers – die jeweiligen Anreizstrukturen der unterschiedlichen Karrierewege verschiedenen Phasen zuzuordnen. Als Folge der unterschiedlichen Anreiz- und Belohnungsstrukturen für industrielle und akademische WissenschaftlerInnen entstehen klar unterscheidbare Karrierepfade. Insbesondere in den ersten Berufsjahren müssen WissenschaftlerInnen stark in die Entwicklung ihres Humankapitals investieren, um sich eine wissenschaftliche Reputation aufbauen zu können. Später können sie dann verstärkt versuchen, ökonomischen Gewinn aus ihrem neuen Wissen zu erzielen. Auch stark akademisch ausgerichtete WissenschaftlerInnen können einem derartigen „life-cycle-model“ folgend in den späteren Phasen ihres Berufslebens durchaus noch den Wunsch entwickeln, ihre wissenschaftliche Forschung zu kommerzialisieren.Neben diesem „Scientific Human Capital“ benennen die Autoren noch andere Faktoren, welche die Entscheidung von WissenschaftlerInnen für eine Kommerzialisierung ihrer Forschung beeinflussen können, als da wären: „social capital, the TTO (Technology Transfer Office), resources, age, scientific human capital (quality), nature of the university, and location“ (ebd. S. 31). Statistisch lässt sich belegen, dass z.B. in der scientific community hoch angesehene WissenschaftlerInnen ein geringeres Gründungsinteresse besitzen, während eine ausgeprägte Vernetzung mit WissenschaftlerInnen sowohl in der akademischen Wissenschaft als auch in der Industrie sich förderlich auf die Gründungsneigung auswirkt. Ko-Patentierungen und Ko-Publikationen mit WissenschaftlerInnen aus der Industrie und Mitgliedschaften in Industrie- und Vorstandsgremien korrelieren ebenfalls signifikant positiv mit der Wahrscheinlichkeit, dass Wissen-
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Spin-offs im Fokus
schaftlerInnen ihre Forschungsergebnisse kommerzialisieren. Diese Ergebnisse bestätigen, dass die vorhandenen Karrieremöglichkeiten und -wege in der Wissenschaft und die Art der durchgeführten Forschung durchaus Einfluss auf den Unternehmergeist und -willen der ForscherInnen haben. Bezüglich der Kommerzialisierung wissenschaftlicher Forschung durch Forscherinnen ist zu bedenken, dass diese ihren „intellektuellen Besitz“ weniger stark patentieren als ihre männlichen Kollegen. Dies liegt aber zu einem hohen Maß daran, dass Frauen beim Ko-Patentieren nicht ausreichend vertreten sind und das häufig geringere soziale Kapital von Forscherinnen, z.B. ihre geringere Teilnahme in Beiräten und anderen Gremien, ihre Patentierungs- und Gründungsaktivitäten negativ beeinflusst. „However, one interpretation of the negative coefficient is that if female scientists had the same degree of co-patenting with other scientists, participation on boards, help from the TTO, additional funding from non-NCI government agencies, and level of efficiency at their universities’ TTO, they would actually exhibit a higher propensity to license than do their male colleagues. According to this interpretation, what explains the gender gap, in terms of licensing behaviour, is not gender per se, but rather access to and participation in social capital, such as sitting on scientific advisory boards and boards of directors, as well as co-patenting with other academic scientists.” (ebd. S. 51)
Während Audretsch et al. sich in ihren Ausführungen auf den Aspekt der Anreizstrukturen für ForscherInnen zur Kommerzialisierung ihrer Forschungsergebnisse und auf ihre generelle Gründungsneigung konzentrieren, entwickelt Lam (2004) eine neue Form der netzwerkgebundenen Wissensgenerierung und damit einhergehend einen neuen Typus von ForscherIn. Für sie zeichnet den neuen Typus nicht die Marktgebundenheit der Forschung aus. Letzteres ist vielmehr zentrales Merkmal der „Corporate Scientists“, die neben dem „Professional Scientist“ zwei der drei Typen von WissenschaftlerInnen charakterisieren. 154 Kennzeichen der WissenschaftlerInnen, die sich in „boundary-crossing knowlege networks“ bewegen, ist hingegen die Wissensgenerierung im Rahmen externer Forschungs- und Entwicklungskooperationen. Gerade die Vernetzung von Universitäten und Unternehmen habe zur Entstehung hybrider Karrierewege und -chancen für ForscherInnen geführt. Beobachtbar sei diese Entwicklung auch in der industriellen Forschung. Durch die Dezentralisierung der F&E-Tätigkeiten und eine strengere Anbindung an die übrigen Abteilungen sei hier versucht worden, die Isolation der Forschungsabteilung aufzuheben. Dies habe Konsequenzen für das Forschungspersonal nach sich gezogen, für die sich in Folge „crossfunctional, project-to-project and mixed technical and managerial roles“ ergaben 154
Lam (2004) unterscheidet insgesamt zwischen drei Typen von WissenschaftlerInnen, „Professional Scientist“ (technology-push model und corporate centralization von F&E), „Corporate Scientist“ (market-pull model und decentralization von F&E) und „Scientists in boundary-crossing knowledge networks“ (network model und external R&D collaboration).
Ausgründungen im Blick der Forschung
153
(Lam 2004, S. 4). Die in den letzten Jahrzehnten beobachtbare Etablierung eines Netzwerkmodells des Austausches zwischen Industrie und Wissenschaft und der Entstehung überlappender Sphären stelle die ForscherInnen in den Organisationen vor große Herausforderungen: „The successful implementation of the network model of R&D will depend greatly on the development of a new breed of scientists and creation of new career structures to facilitate collaborative links and knowledge sharing between the traditionally separate institutional spheres of industry and university.“ (ebd. S. 6)
Die Übertragung auf Spin-off-Unternehmen und die dort tätigen ForscherInnen ist problematisch. Für Lam handelt es sich bei in Spin-offs tätigen WissenschaftlerInnen in erster Linie um solche in grenzüberschreitenden Wissensnetzwerken aktive WissenschaftlerInnen. Dies muss im Hinblick auf die im Rahmen dieser Untersuchung durchgeführten Fallstudien und den dort feststellbaren hohen Stellenwert kundengetriebener F&E und der heterogenen Beziehungen der Unternehmen zu ihren Herkunftsinstitutionen hinterfragt werden. Parallelen zu den von Lam durchgeführten Fallstudien sind allerdings erkennbar. Bei diesen dort im Mittelpunkt stehenden fünf Fallstudien handelt es sich um drei Unternehmen aus dem Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie und zwei aus dem Bereich Pharma und Chemie. Alle fünf Unternehmen hatten ursprünglich gut ausgestattete, zentrale F&E-Abteilungen. Heute verfolgen nur noch zwei der Unternehmen eine marktgetriebene Forschungs- und Entwicklungsstrategie, die anderen drei haben sich in Richtung des Netzwerkmodells entwickelt und verfolgen neue Strategien der Wissensgenerierung. Verfolge ein Unternehmen eine stark marktgetriebene F&E-Strategie, müssten die WissenschaftlerInnen in den Unternehmen versuchen, eine Balance zwischen den wirtschaftlichen Ziele und der individuellen wissenschaftlichen Autonomie zu erreichen. In diesen Unternehmen sei das klassische Bild des professionellen Wissenschaftlers quasi nicht mehr existent und statt dessen sei „a new breed of corporate scientists and the creation of a variety of techno-commercial roles“ geschaffen worden. Demgegenüber seien die WissenschaftlerInnen in den Netzwerkfirmen vielfältigen widersprüchlichen Anforderungen ausgesetzt. Von ihnen werde erwartet “to be both corporate and professional scientists, having to deal with some of the same business demands as those in the market-pull firms, but also to maintain their place in scientific networks outside the firm.“ (ebd. S. 11) Ausschnitte aus den Interviews Lams (2004) verdeutlichen die Rollenkonflikte des wissenschaftlichen Personals. Die Problematik bestehe darin, zwar auf der einen Seite die eigene professionelle wissenschaftliche Kompetenz zu erhalten, aber auch den Zielen und Strukturen des Unternehmens entsprechend Wissen – oder besser Gewinn – zu generieren.
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Spin-offs im Fokus „In contrast with the market-pull firms which no longer regard the recruitment of PhD specialists155 as core to their human resource strategy, the network firms continue to stress the critical role of PhD scientists in sustaining their core scientific base and external research networks.“ (ebd. S. 14)
Aber durch die Rekrutierung hochspezialisierten Personals verstärke sich in den auf Vernetzung ausgerichteten Unternehmen der Trend zu multidisziplinären Projektteams. Zwar seien auch in Unternehmen, in denen Forschung und Entwicklung durch den Markt getrieben erfolgt, multifunktionale Teams von hoher Bedeutung. In den Netzwerkfirmen jedoch würden Projektteams in hohem Maße der Anforderung ausgesetzt auch disziplinenübergreifende wissenschaftliche Fähigkeiten zu entwickeln, um komplexe Forschungsprobleme lösen zu können (ebd. S. 15). In den Unternehmen sei das „Spezialisierung-Flexibilisierung“Dilemma allgegenwärtig. Eine Widersprüchlichkeit, die im Rahmen dieser Untersuchung in Form der Frage nach Generalisten- vs. Spezialistentum auftaucht. Die Aufrechterhaltung der eigenen wissenschaftlichen Expertise trotz ständig wechselnder Projektarbeit könne für WissenschaftlerInnen in Netzwerkfirmen – in welchen technische Expertise und wissenschaftliche Reputation für die Karriere nach wie vor bedeutsam sind – Probleme verursachen. Interviewausschnitte verdeutlichen, wie wichtig die eigene disziplinäre Gruppe als stabiler Diskussionsraum und für den Prozess der Wissensgenerierung ist und wie problematisch es ist, wenn dieser wegfällt. Trotz der aufgezeigten Probleme würden viele Firmen weiterhin auf multi-disziplinäre Teams bauen. Die WissenschaftlerInnen in den Netzwerkunternehmen sind für Lam (2004) die Hauptakteure bei der Verbindung der internen Wissensbasis des Unternehmens mit externen Wissensnetzwerken. Ihre Rolle wandelt sich damit zunehmend zu der eines Vermittlers, „whose key task is to network and manage knowledge boundaries across different contexts, both internally within the firm, and externally with scientific colleagues outside.” (ebd. S. 18-19) Gerade das Verständnis Lams (2004) von „linked scientists“ bietet damit bei der Betrachtung von Spin-offs und deren wissenschaftlichen MitarbeiterInnen interessante Ansatzpunkte. Sie versteht unter diesen eine Form hybrider WissenschaftlerInnen und hebt diese als quantitativ wachsenden WissenschaftlerInnentyp hervor, deren Arbeit und Karriere systemübergreifend erfolgt. Inwiefern Spin-offs aber tatsächlich die von Lam beschriebene Form der vernetzten Forschung und Entwicklung betreiben, ist näher zu betrachten. Unter Umständen sind die WissenschaftlerInnen in Spin-offs viel weniger „linked“, als sich hier andeutet. Multi-funktionale und multi-disziplinäre Projektarbeit innerhalb der Unternehmensgrenzen und über diese hinausreichend kann allerdings durchaus als charakteristisch für Spin-offs angesehen werden. 155
In diesen Unternehmen werden eher Generalisten gesucht (ebd. S. 9).
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Tatsächlich überwiegt in den untersuchten Unternehmen die projektförmige Organisation der Forschungsarbeit. 4.3.4 Spin-offs als projektbasierte Unternehmen – Arbeitsorganisation in Spinoffs Generell ist Projektarbeit in vielen wissensbasierten Tätigkeitsfeldern die vorherrschende Form der Arbeitsorganisation. Das gilt mittlerweile auch für die Forschung an Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Auch in Spin-offs ist Projektarbeit die dominierende Form der Arbeitsorganisation. Kalkowski (2004b) spricht von einer zunehmend projektförmigen Organisation von Arbeit insbesondere in Unternehmen, in welchen überwiegend die Bearbeitung wissensintensiver Aufgaben und komplexe Problemlösungen notwendig sind und die temporäre, problemspezifische Vernetzung von Kenntnissen und Fähigkeiten zum entscheidenden Erfolgsfaktor für Unternehmen wird. Für Spinoff-Unternehmen ist gerade letzterer Punkt von entscheidender Bedeutung, da ihre wissens- und technologieintensiven Produkte und Dienstleistungen häufig nur begrenzt standardisierbar sind und jeweils kundenspezifisch modifiziert bzw. entwickelt werden. Um ihre Innovations- und F&E-Aktivitäten zu bündeln ist auf der anderen Seite ab einer bestimmten Unternehmensgröße der Aufbau verschiedener Spezial- und Fachabteilungen notwendig. Im Rahmen von Projekten kann dann abweichend von der Linien- und Funktionalorganisation des Unternehmens „ausdifferenziertes und verteiltes Wissen – betrieblich und überbetrieblich – flexibel und problemspezifisch vernetzt und integriert werden.“ (ebd. S. 104) Ein großer Teil der Studien zu Innovation betrachten Firmen dabei als kohärente Einheiten mit klar definierten Grenzen. Dem widerspricht der Ansatz von Gann/Salter (2000) gerade in Bezug auf Organisationen, die in die Produktion komplexer Produkte und Systeme eingebunden sind. Hier sei Projektarbeit die dominierende Form der Arbeit und die Projektgruppen in vielfältige und auch externe Kommunikationszusammenhänge eingebunden. Geschäftsprozesse zeichnen sich für die Autoren durch ein höheres Maß an Routine und Wiederholungen aus, während Projekte temporär begrenzt sind und sich durch eine gewisse Einzigartigkeit und geringere Routinisierbarkeit der Prozesse auszeichnen: „This can limit opportunities for process improvement, standardisation and economies of scale.“ (ebd. S. 957) Insgesamt konstatieren Gann/Salter eine Verwissenschaftlichung von Branchen und Arbeitsplätzen. Wissensarbeit, genauer die Generierung neuen Wissens, sei heute ein fester Bestandteil vieler Tätigkeitsfelder. Gerade hochspezialisierte Nischenmärkte wären für Spin-offs interessant. Ein Spin-off sei dann nicht nur bekannt für seine erstklassigen Produkte und
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Spin-offs im Fokus
Dienstleistungen, sondern auch für die Expertise der MitarbeiterInnen, für die Wissensressourcen, -netzwerke usw. des Unternehmens. Ziel einer Studie von Blindenbach-Driessen/van den Ende (2006) war die Untersuchung speziell der Innovationsprozesse in projektbasierten Unternehmen – in Kontrast zu den in der Literatur zu Innovationsmanagement überwiegend betrachteten funktional organisierten Unternehmen. Sie unterscheiden grundsätzlich zwischen projektbasierten und projektorientierten Unternehmen: „A project-based organization is an organization in which the functional organization has become completely obsolete, without formal functional coordination of activities. Such an organization is entirely dedicated to one or more projects. In a project-led organization the needs of projects outweigh the functional influence on decision-making. A project-led firm still has some characteristics of a functional firm, since there is some coordination of functionally equivalent activities. (ebd. S. 546)
In Spin-offs gibt es neben Kundenprojekten in der Regel auch Forschungsprojekte, deren Ziel die Generierung einer Innovation bzw. neuen Wissens ist. Auffällig ist, dass Spin-offs in hohem Maße versuchen, beide Projektarten miteinander zu kombinieren. In welchem Ausmaß es ihnen gelingt, tatsächlich Innovationen durch Auftragsforschung bzw. Kundenprojekte zu generieren, ist dabei die strittige Frage. Einige Unternehmen leisten sich in geringem Umfang auch reine Forschungsprojekte. Interessant ist vor diesem Hintergrund der Begriff „Entwicklungsprojekt“, den Blindenbach-Driessen/van den Ende (2006) in ihrer Untersuchung prägen. Dies seien keine reinen Forschungsprojekte, denn das Ziel sei immer die – wenn auch längerfristig angelegte – wirtschaftliche Verwertbarkeit der Ergebnisse (ebd. S. 546). Gann und Salter (2000) merken dazu an, dass Innovationsaktivitäten in projektbasierten Unternehmen typischerweise nicht in separaten Forschungs- und Entwicklungsabteilungen gebündelt würden, sondern entweder im Rahmen von Kundenprojekten oder zumindest in enger Anbindung an diese erfolgen. Für Spin-offs wären dementsprechend kundenbezogene Forschungs- und Entwicklungsprojekte als dominierende Projektarten erwartbar. Analog zu den bereits vorgestellten Erkenntnissen bezüglich der Arbeitsbedingungen für WissensarbeiterInnen stellen sich in der von Untersuchung von Blindenbach-Driessen/van den Ende (2006) flache Hierarchien und flexible Kon-
Ausgründungen im Blick der Forschung
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trollstrukturen als ein Vorteil projektbasierter Unternehmen heraus.156 Damit gehen die für wissensgenierende Tätigkeiten notwendigen Freiräume und Entscheidungsspielräume einher. Blindenbach-Driessen/van den Ende legen ihrer Untersuchung die folgenden Annahmen zugrunde: 1. Projektbasierte Firmen liefern einzigartige und komplexe Dienstleistungen und benötigen daher flache Hierarchien und flexiblere Kontrollstrukturen. 2. Die verschiedenen Projekte sind wichtiger als die funktionalen Organisationsstrukturen. Häufig bilden solche Unternehmen statt funktionaler Abteilungen themenspezifische Geschäftsfelder aus, innerhalb derer Verkauf, Forschung und Produktion für das jeweilige Feld gemeinsam geregelt werden. 3. Projektbasierte Firmen haben ein einzigartiges Potential hinsichtlich Projektmanagement, interner Kooperation und externer Kooperation mit Kunden und Lieferanten (vgl. ebd. S. 547). Auch Keegan/Turner (2000) zeigen auf, wie kontraproduktiv unter Umständen Versuche der Systematisierung und der zu strengen Kontrolle von Wissensgenerierungsprozessen sein können. In den Unternehmen bestehe die Gefahr, dass die Generierung von Wissen und Innovation durch vorab festgelegte Erfolgs- und Effizienzkriterien massiv behindert werde. Im traditionellen Projektmanagement mit vorab definierten Kriterien für Zeit, Kosten und Qualität könne es passieren, dass Effizienz über Effektivität steht. In allen Unternehmen fanden die Autoren 156
Zunehmend gerät in diesem Zusammenhang auch die Geschlechterverteilung insbesondere in wissensbasierten Unternehmen in den Blick (vergleiche u.a. Priddat 2005 und Funder 2005). Diese gelten als Vorreiter auf dem Gebiet der Neugestaltung von Arbeits- und Unternehmensstrukturen und zeichnen sich durch flache Hierarchien, einen hohen Anteil an Projekt- und Teamarbeit, flexible Arbeitszeiten etc. aus. Ähnlich wie für die Institutionen des Wissenschaftssystems antizipiert, wird vermutet, dass in diesen Organisationen nicht das Geschlecht, sondern die Kompetenz und die Qualifikation der MitarbeiterInnen die zentralen Inklusionsmechanismen darstellen (siehe u.a. Funder 2005, S. 98) und Frauen zudem durch flexiblere, projektförmige Organisationsstrukturen vermehrt Karrierechancen eröffnet werden. Die Frage ist, ob die enge Kopplung von Geschlechterdifferenzen und -hierarchien in wissensbasierten Unternehmen tatsächlich an Bedeutung verliert. Es ist zu vermuten, dass gerade in Spin-off-Unternehmen aufgrund des hohen Anteils gemischtgeschlechtlicher Teams mit gleich qualifizierten Beschäftigten Geschlechterdifferenzierungen eher hinterfragt werden können. Ähnlich der Untersuchung in IKT-Unternehmen, die Maria Funder (2005) präsentiert, zeigte sich jedoch auch in den hier untersuchten Spin-offs, dass die Differenzierung nach Geschlecht nicht zwangsläufig durch die Differenzierung nach Kompetenzen aufgelöst wird, obwohl gerade in Spin-offs aufgrund der hohen Bedeutung der naturwissenschaftlichen Ausbildung und fachlichen Kompetenzen eine solche Entwicklung nahe läge. Ähnlich wie in der von Funder präsentierten Untersuchung herrscht zwar in allen Unternehmen ein starker Egalitätsmythos vor, der in Interviews deutlich zu Tage trat, allerdings ist dieser ausschließlich auf der symbolischen Ebene angesiedelt und findet nicht durchgängig eine Entsprechung auf der strukturellen Ebene, z.B. hinsichtlich der Geschlechterverteilung auf der Führungsebene (vergleiche auch Kuhlmann (2003) in Kapitel 3.1.2.5, sie spricht in diesem Zusammenhang vom „Gleichheitsmythos“).
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Spin-offs im Fokus
Hinweise für die Behinderung von Innovationen durch zu knappe Ressourcen. In der Praxis stießen sie nur auf ein Unternehmen, das hinreichende Ressourcen zur Verfügung stellt. Der Regelfall seien hingegen auch bei Innovationsprojekten strenge Kontrollen bezüglich der drei benanten Faktoren Zeit, Kosten und Qualität. Dies stehe den Anforderungen eines informellen, organischen Managements von Innovationsprojekten entgegen. Es gebe bestimmte Eigenschaften von Innovationsprojekten, die traditionelle Werkzeuge der Projektevaluation unbrauchbar machen.157 Dazu gehören für Keegan/Turner (2000) zum einen vor allem „the self managing nature of those involved in the innovation process, and the need these people have for high levels of self directed responsibility and freedom” (ebd. S. 15), zum anderen aber auch eine dem Innovationsprozess innewohnende Unsicherheit: “The process of managing innovation projects in this company was described by respondents using the metaphor of the blending of whiskey. The innovators – experts in financial products – maintain a number of ‚boiling pots’, from which they sample to create blends. They cannot know they have the right blend until they hit on it, although they converge on it by a process of trial and error.” (ebd. S. 13)
Die Ergebnisse bestätigen damit die Erkenntnisse, die in Untersuchungen zur Wissensarbeit gewonnen wurden.158 So können beispielsweise die Förderung informeller Kommunikationsstrukturen, des freien Wissensaustausches im Rahmen von Projekten, der Etablierung flacher Hierarchien und der intensiven Nutzung von Matrixstrukturen, als Voraussetzungen für die Generierung von Wissen und Innovationen in Spin-off-Unternehmen angesehen werden. Diesen offenen und Innovationsprozessen entgegenkommenden Organisationsstrukturen steht in den Unternehmen jedoch häufig die Verwendung traditioneller, linearer Evaluierungsmethoden entgegen, d.h. die Bewertung von Projekten und Projektergebnissen zu vorab festgelegten Zeitpunkten und anhand vordefinierter Kriterien. Ein zu starres Projektmanagement ist allerdings nicht nur für die MitarbeiterInnen in den Projekten problematisch, sondern wird auch den Projektinhalten und -erfordernissen nicht gerecht. In den von Blindenbach-Driessen/van den Ende (2006) untersuchten Fällen159 waren auch die Entwicklungsprojekte in den Unternehmen durch einen sehr gradlinigen Ansatz der Projektplanung geprägt, der 157
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Die Autoren beziehen sich hier auf B. Mills, A. Langdon, C. Kirk, J. Swan (2000): Managing technological innovation projects. Project Management Research at the Turn of the Century; Proceedings of PMI Research Conference 2000, 21-24 June 2000, Paris, S. 375-384. Vergleiche hierzu exemplarisch die Ausführungen von Wilkesmann (2005) zu den Bedingungen und Merkmalen von Wissensarbeit in Kapitel 3.2.1.2. Die Autoren werteten sechs Projekte aus vier verschiedenen Unternehmen aus. Neben 21 Interviews mit Projekt- und UnternehmensmitarbeiterInnen wurde die jeweilige gesamte vorhandene Projektdokumentation berücksichtigt (vgl. Blindenbach-Driessen/van den Ende 2006, S. 547ff.).
Ausgründungen im Blick der Forschung
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von anders gelagerten Geschäftprojekten übernommen wurde, ohne jedoch die höheren Unsicherheitsfaktoren und die stärkere Unplanbarkeit von Forschungsbzw. Entwicklungsprojekten zu berücksichtigen. „[P]rojects were planned sequentially and executed strictly according to these plans. As a consequence, the project leaders considered changes or delays in development projects undesirable; they even perceived changes and delays as failure. They did not apply iterative planning methods, not even in the radical projects.“ (ebd. S. 551)
Gerade dies ist ein wichtiger Aspekt bezüglich der Organisation von Forschungsprojekten in Spin-offs. Kommt es hier zu der Anwendung der in Kundenprojekten angewandten Kriterien auf Forschungsprojekte, kann dies einen erheblichen Druck auf die ProjektmitarbeiterInnen ausüben. Noch viel stärker gilt dies, wenn Forschung ausschließlich im Rahmen von Kundenprojekten durchgeführt wird. Blindenbach-Driessen/van den Ende verdeutlichen in ihrer Untersuchung, dass ein zu striktes Projektmanagement, welches keine Möglichkeiten zur Berücksichtigung der Unsicherheiten und Unwägbarkeiten eines Forschungs- und Entwicklungsprojekts schafft, zwangsläufig scheitern muss. Gerade auch für Spin-off-Unternehmen kann daher eine flexible Projektplanung und -management als erfolgsentscheidend angenommen werden: „We therefore hypothesize that a contingent planning approach is a more important success factor for development projects for project-based firms compared to functionally organized firms.“ (ebd. S. 551) Unter Umständen erfordern Forschungs- und Entwicklungsprojekte ein gänzlich anderes Projektmanagement als Kundenprojekte. Anzumerken bleibt an dieser Stelle, dass selbst Kundenprojekte über ein gewisses Maß an Unvorhersehbarkeit verfügen. Gerade dies wurde in den Interviews im Rahmen dieser Untersuchung auch immer wieder betont. Allerdings ist die Quelle der Unsicherheit hier häufig der Kunde selbst. Eine effektive Planung speziell von Kundenprojekten ist demzufolge in allen untersuchten Unternehmen entscheidend für den Erfolg des Unternehmens. Entsprechend intensiv wird versucht, in den Unternehmen diesbezügliche Expertise aufzubauen bzw. einzuwerben. Als ebenfalls kritischer Faktor hat sich in den Fallstudien von BlindenbachDriessen/van den Ende die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen für Forschungs- und Entwicklungsprojekte erwiesen, die häufig in der Reihenfolge der Priorität hinter den Kundenprojekten zurückstehen und demzufolge unter mangelnder Ressourcenausstattung leiden. Häufig würden die ProjektmitarbeiterInnen diese durch eigenes „freiwilliges“ Engagement ausgleichen, allerdings bliebe zu befürchten, dass fehlende Ressourcen und die strenge Gebundenheit an Fristen zu einer sinkenden Qualität der Ergebnisse führen werden (vgl. ebd. S. 552). Die Priorität der Kundenprojekte ist gerade in Spin-offs in hohem Maße gege-
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Spin-offs im Fokus
ben. Unter Umständen ist damit gleichfalls eine Unterausstattung der Forschungs- und Entwicklungsprojekte verbunden. Daher werden die Einschätzungen, der im Rahmen dieser Untersuchung interviewten wissenschaftlichen ProjektmitarbeiterInnen zur Qualität des generierten Wissens, besonders wertvoll sein. Hobday (2000) konzentriert sich in seiner Auseinandersetzung mit projektbasierten Unternehmen auf die Abgrenzung verschiedener Idealtypen und entwickelt das Modell einer ‘project-led organisation’ im Gegensatz zu einer reinen projektbasierten Organisation. Im Mittelpunkt seiner Untersuchung stehen komplexe industrielle Produkte und Systeme, welche am Besten in Projekten produziert und generiert werden, da diese ein hohes Maß an direkter Kundenbeteiligung im Innovationsprozess ermöglichen. Innerhalb solcher Projekte gehe es nicht nur um die Koordination der beteiligten Organisationen, Institutionen und Personen, denn häufig – besonders bei sehr großen Projekten – würden die Geschäftsprozesse nicht mehr getrennt, sondern im Rahmen des Projektes von dem jeweiligen Projektmanager bzw. der jeweiligen Projektmanagerin abgewickelt. Es gebe dann keine funktionalen Organisationseinheiten mehr, die projektübergreifend arbeiten. Gerade die Möglichkeit von ProjektleiterInnen, auch über Geschäftsprozesse entscheiden zu können, bestimme über den Grad der Projektbasierung eines Unternehmens. Im Rahmen seiner Untersuchung verglich Hobday je ein Projekt in verschiedenen Geschäftsbereichen eines großen Unternehmens. Einer der Bereiche arbeitete rein projektbasiert, während der andere nach einer funktionalen Matrixorganisation organisiert war. Die funktionale Organisationsstruktur wies verschiedene Schwächen auf, bedingt dadurch, dass der Projektmanager keine direkten Befugnisse über die Ressourcen – z.B. Finanzen, Personal, Kundenkontakt und -management – hatte und daher eine optimale Abwicklung des Projektes verhindert wurde. Störungen des ‚Projekt-Teamspirit’ und Kommunikationsstörungen innerhalb des Teams und mit Kunden und Lieferanten haben die Probleme zusätzlich verschärft.160 Bezogen auf Spin-offs stellt sich die Frage, inwiefern eine ausschließlich auf Projekten basierende Organisationsstruktur eine ausreichende Spezialisierung in den einzelnen Funktionen und Geschäftsbereichen ermöglicht. Die Unternehmen im Rahmen dieser Fallstudien haben dies zum überwiegenden Teil unter dem Stichwort der „Professionalisierung“ der Geschäfts- und Projektabläufe thematisiert. Projektbasierte Unternehmen bieten zwar im Hinblick auf eine innovationsfreundliche Organisationsumgebungen etliche Vorteile, z.B. durch eine informellere und innovationsförderliche Kommunikationsatmosphäre. Trotzdem stießen Keegan/Turner (2000) nur in 160
Für einen Einblick in den umfassenden Vergleich der beiden Projekte, der z.B. auch Risikomanagement und Klientenmanagement umfasst, siehe Hobday (2000, S. 879ff.).
Ausgründungen im Blick der Forschung
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einem der von ihnen untersuchten Unternehmen161 auf die Auflösung der funktionalen Strukturen und deren Austausch durch vollkommen projektbasierte Strukturen. Neben den Stressgefühlen der MitarbeiterInnen – resultierend aus dem Gefühl mangelnder Stabilität – erweist sich in den Unternehmen, die mit einer komplett projektbasierten Organisationsstruktur experimentiert haben, die Erosion von Wissen als schwerwiegendstes Problem: „Functions have long served the vital task of acting as responsitories for organisational knowledge. When eliminated, the temporary projects replacing them cannot fulfil this function effectively.“ (ebd. S. 10) Auch Hobday (2000) sieht die Nachteile einer reinen Projektbasierung vor allem in den Bereichen Lernen, Weiterbildung und Karriere gegeben. Zum einen aufgrund der geringen zeitlichen Ressourcen durch die sehr vereinnahmende Projektarbeit, zum anderen weil es in der Regel wenig Anreize für projektübergreifende Lernprozesse oder Kommunikation gibt. Problematisch bei projektbasierten Organisationsstrukturen sei die fehlende fachspezifische Führung und Anleitung durch ältere FachkollegInnen. Hobday (2000) schlussfolgert, dass projektbasierte Organisationsformen am besten geeignet sind für große, risikoreiche Projekte, in denen verschiedene Ressourcen miteinander kombiniert und geteilt werden müssen, teilweise über Unternehmensgrenzen hinweg. „The case example showed why the PBO162 form was more effective than the functional form in integrating different types of knowledge and skill, learning within the project boundary and coping with project risks and uncertainties.” (ebd. S. 892) Im Gegensatz dazu haben Fachressorts den Vorteil, Raum und Zeit für Wissens- und Erfahrungsaustausch zu bieten. Der Autor entwickelt verschiedene Idealtypen, an deren einem Pol die rein projektbasierte Organisation steht und am anderen die rein funktionale Organisation, wie die nachfolgende Abbildung grafisch verdeutlicht.
161
162
Die Erkenntnisse von Keegan/Turner (2000) beruhen auf 45 Interviews mit MitarbeiterInnen aus 20 projektbasierten Unternehmen. PBO = „Project-Based Organisation“.
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Spin-offs im Fokus
Abb. 8: Idealtypen nach Hobday SM
SM
F F F F F
F F F F F
SM
P
F F F F F P P
P
P
Functional Matrix
Functional
SM
P
P
P
P
P
Balanced Matrix
SM
SM F
P P
F
P
P P
P P
P
P P
F F
F F
F F F
Project Matrix
Project‐led Organisation
Project‐based Organisation
F = various functional departments of the organisation (eg. Marketing, Finance, Human Resources, Engineering, Manufacturing, R&D) P = major projects within the organisation SM = senior management
Quelle: Hobday (2000, S. 877)
4.4 Schlussfolgerungen zur theoretischen Rahmung der Untersuchung Die Charakterisierung von Spin-off-Unternehmen als Hybridorganisationen an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Wirtschaft ist zwar äußerst problematisch, zeigt allerdings deutlich das Dilemma verfügbarer Definitionen auf. Je nach Zielrichtung werden entweder die GründerInnen des Unternehmens selbst,
Schlussfolgerungen zur theoretischen Rahmung der Untersuchung
163
die Wissensbasis bzw. Gründungsidee des Unternehmens, die Gründungshistorie oder die Beziehung des bestehenden Unternehmens zur Herkunftsinstitution in den Mittelpunkt gerückt. Auf der individuellen Ebene werden ForscherInnen in Spin-offUnternehmen und deren GründerInnen in erster Linie als Grenzgänger betrachtet, die zur Erfüllung der widersprüchlichen und interdisziplinären Arbeitsaufgaben neben der ausgeprägten fachlichen Spezialisierung auch ein hohes Maß an interdisziplinärem Wissen und Kommunikations- und Kooperationskompetenz benötigen. Hintergrund des wissensintensiven und häufig interdisziplinären Aufgabenspektrums in Spin-offs ist die starke Wissenschaftsbindung gerade neu entstehender Wissensgebiete und Technologien, wie beispielhaft anhand der Biooder der Nanotechnologie nachgezeichnet werden kann. Neben einer derart analytischen Wissensbasis ist in Spin-offs eine eher synthetische Wissensbasis gleichermaßen wichtig, in Form von eher anwendungs- bzw. ingenieursbasiertem Wissen. Die Frage der Forschungs- und Entwicklungsstrategie der Unternehmen ist dabei von entscheidender Bedeutung. Neben die Suche nach wissenschaftlichen Durchbrüchen und der Anwendung und Entwicklung für einen bestimmten Markt, tritt unweigerlich die Zusammenarbeit mit den Kunden des Unternehmens und kooperative Forschungs- und Entwicklungsstrategien mit externen Partnern. Ein Teil der Spin-offs können als „Corporate Research Organizations“ – als Form privatisierter Wissenschaft – betrachtet werden, welche zur Bewältigung der Komplexität der Wissensproduktion die Fähigkeit zur „diskontinuierlichen Innovation“ entwickeln müssen. Die Forschungs- und Entwicklungsstrategie der Unternehmen beeinflusst nicht nur die Beziehungen des Unternehmens nach außen hinsichtlich der Frage der Gestaltung der Kooperationsbeziehungen zu externen Partnern und Kunden. Zur Lösung überwiegend wissensintensiver Aufgaben und komplexer Problemlösungen bedarf es darüber hinaus auf organisationaler Ebene einer projektorientierten bzw. zum Teil sogar strikt projektbasierten Organisation von Arbeit. Dies kann zu einer Auflösung funktionaler Strukturen in den Unternehmen führen. Wobei dies wiederum die analytische Wissensbasis eines Unternehmens und dessen MitarbeiterInnen schwächen kann.
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Spin-offs im Fokus
Abb. 9: Theoretischer Rahmen der Untersuchung – Spin-offs
Wissensgenerierung als Tätigkeit
Wissensgenerierung im organisationalen Kontext Wissenschaftstheorie und Mode2
Wissenschaftliche Arbeit •Wissenschaft als Handwerk •Forschungshandeln •Wissenskulturen und epistemische Praktiken •Forschung als Profession •Autonomie vs. Integration
•Kontextualisierung von Wissenschaft •Forschung im Anwendungskontext •Lokalisierte Formen von Wissenschaft
Facetten der Forschungskultur in Spin-offs
High-Tech-Unternehmen/ Spin-offs •funktionale vs projektbasierte Unternehmen •funktionssystemische Hybridorganisationen •Typen von Ausgründungen
Quelle: eigene Darstellung
Wissensarbeit/ nichtprogrammierte Arbeit
•Kontrolle vs Autonomie •Kontrolle vs Autonomie •Selbstbeteiligung der MitarbeiterInnen •Selbstbeteiligung derdes MitarbeiterInnen •Steigende Inklusivität Wissens •Steigendevon Inklusivität des Wissens •Expansion Wissenskulturen in alle •Expansion von Wissenskulturen in alle gesellschaftlichen Bereiche gesellschaftlichen Bereiche der •Optimierung/Rationalisierung •Optimierung/Rationalisierung der Wissensproduktion Wissensproduktion
5. Forschung und ForscherInnen in Spin-offs – Die Ergebnisse der Fallstudien
Im folgenden Kapitel stehen die im Rahmen dieser Untersuchung durchgeführten vier Unternehmensfallstudien und die Interviews mit den ExpertInnen im Mittelpunkt. Im Einzelnen erfolgt zunächst in Kapitel 5.1. die Darstellung der methodischen Vorgehensweise dieser Untersuchung. Die Grounded Theory bildet die theoretische Basis der empirischen Erhebung und Auswertung der Interviews. Im nachfolgenden Unterkapitel 5.2. werden die untersuchten Unternehmen und ihre Spezifika vorgestellt. Als relevante Vergleichsdimensionen erwiesen sich im Verlauf der Auswertung das jeweilige Geschäftsmodell des Unternehmens, die strategische Forschungsausrichtung, die Arbeitsorganisation und die Projektmanagementstrukturen. Entsprechend den in den vorangegangenen Kapiteln erarbeiteten theoretischen Grundlagen werden damit sowohl organisationale als auch akteursbezogene Aspekte berücksichtigt. In Kapitel 5.3. steht das empirische Material im Vordergrund – hier kommen gewissermaßen die Akteure im Feld selbst zu Wort. Mit Blick auf die Fragestellung der Untersuchung, erfolgt die ausführliche Darstellung entlang der im Zuge der Auswertung gebildeten inhaltlichen Kategorien und nicht anhand der einzelnen Unternehmen. Auf diese Weise ist es möglich, Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Unternehmen direkt aufzuzeigen und die Aussagen der ExpertInnen entsprechend auf die Passagen zu beziehen. 5.1 Vorgehensweise und Methodik Die vorhandene empirische Forschung zu den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen in der industriellen Forschung beschränkt sich häufig auf großindustrielle Unternehmen und deren Forschungsabteilungen. Bei Spin-offs handelt es sich aber in der Regel um eher junge und kleine bis mittelständische Unternehmen. Zusätzlich sind sie aufgrund ihrer Sonderrolle und Positionierung an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Wirtschaft nicht direkt mit den Großunternehmen vergleichbar, denn die Zielrichtung und Ausrichtung ihrer Forschungsaktivitäten und ihre Arbeits-/Organisationsstrukturen unterscheiden sich M. B. Roski, Spin-off-Unternehmen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, DOI 10.1007/978-3-531-93369-6_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Forschung und ForscherInnen in Spin-offs
zum Teil erheblich, wie auch in den Interviews deutlich geworden ist. Zwar gibt es vor allem aus dem betriebswirtschaftlichen Bereich Untersuchungen zu den Entstehungsbedingungen akademischer Ausgründungen. Diese konzentrieren sich allerdings überwiegend auf die gründungshemmenden und gründungsförderlichen Faktoren solcher Unternehmensgründungen, der Entwicklung und Performance der Unternehmen oder auf die Bedeutung von regionalen Netzwerken und Fragen des Technologietransfers.163 Um die hier vorliegende Fragestellung in den Blick zu nehmen, bot sich methodisch eine möglichst offene Vorgehensweise, angelehnt an die Grounded Theory, an. Die Grounded Theory kam vor allem im Hinblick auf die Auswahl der Fälle – Theoretical Sampling – und in der Auswertung der Interviews – Codierung des Materials – zum Tragen. Die Interviewgestaltung orientierte sich an den allgemeinen Regeln qualitativer Interviewführung.164 Die Interviews wurden als problemzentrierte Interviews bzw. ExpertInneninterviews angelegt. Qualitative Interviews waren in diesem Fall die geeigneteste Wahl, da eine standardisierte Befragung derart komplexe Themenfelder, wie die der Qualität von Forschung unter Marktbedingungen oder des Forschungscharakters der Arbeit in Spin-offs, nur schwer hätte erfassen können. Ebenso lagen noch zu wenige Erkenntnisse über Spin-offs und den Bedingungen der Generierung von Wissen in diesen vor, als dass die Anwendung eines standardisierten Fragebogens sinnvoll gewesen wäre. Ergänzende teilnehmende Beobachtungen zur Erfassung der Arbeitsabläufe in den Unternehmen und zur Überprüfung der Erkenntnisse aus den Interviews wären zwar wünschenswert gewesen, aber die Unternehmen wollten hier aus Geheimhaltungsgründen und aufgrund der sehr knapp kalkulierten Personal- und Zeitressourcen keinen freien Zugang gewähren. In der Tat war bereits der punktuelle Zugang zu den Unternehmen und den MitarbeiterInnen über die Interviewtermine nur äußerst schwer realisierbar. Die nachstehenden kurzen Ausführungen zur Grounded Theory und problemzentrierten Interviews dienen als Hintergrund für die Einbettung dieser Untersuchung.
163
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Vergleiche u.a. Audretsch et al. (2006), Callan (2001), Hemer et al. (2006 und 2007), Leineweber (2004). Für einen Überblick über die verschiedenen methodischen Ansätze des Zugangs zu verbalen Daten, z.B. Leitfadeninterviews (u.a. fokussierte, halbstandardisierte, problemzentrierte Interviews), narrative Interviews oder Gruppeninterviews, siehe Flick (1996, S. 94ff.). „Zwischen diesen beiden Zielen Offenheit und Strukturierung bewegen sich die verschiedenen Methoden, wobei sie sich in der konkreten Durchführung mehr am einen oder stärker am anderen Ziel ausrichten.“ (ebd. S. 143) Grundsätzlich zeichnet sich die qualitative Sozialforschung durch eine Form der Datenerhebung aus, welche dem „Prinzip der Offenheit und der Kommunikation“ folgt, um der „Subjektivität“ der Erforschten mehr Raum geben zu können (vgl. Kromrey 1991, S. 439f. oder Diekmann 2001, S. 444).
Vorgehensweise und Methodik
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5.1.1 Die Grounded Theory und ihre Modifizierung im Rahmen dieser Untersuchung 5.1.1.1 Die Grounded Theory Sekundärliteratur über die von Barney Glaser und Anselm Strauss in den 1960er Jahren entwickelte Grounded Theory gibt es ausreichend. Auf eine lange Einführung in die Grounded Theory wird hier verzichtet. Aufgrund der Komplexität dieses Forschungsansatzes ist es unverzichtbar ergänzend auf die entsprechende Primärliteratur bzw. Begleitliteratur165 zu verweisen. Die Ausführungen konzentrieren sich an dieser Stelle auf zwei grundlegenden Kernelemente der Grounded Theory, das Prinzip der Induktion und die Codierung des Textmaterials (vgl. Glaser/Strauss 1967). a) Das Prinzip der Induktion „Die Grounded Theory ist eine qualitative Forschungsmethode bzw. eine Methodologie, die eine systematische Reihe von Verfahren benutzt, um eine induktiv abgeleitete, gegenstandsverankerte Theorie über ein Phänomen zu entwickeln.“ (Strauss/Corbin 1996, Seite 8).
Anspruch der Grounded Theory ist es, auch für qualitativ gewonnenes empirisches Material die gleichen Kriterien für „gute“ Wissenschaft geltend zu machen, wie sie auch für quantitative Untersuchungen benannt werden: Signifikanz, Vereinbarkeit von Theorie und Beobachtung, Generalisierbarkeit, Reproduzierbarkeit, Präzision, Regelgeleitetheit und Verifizierbarkeit. Um dieses Ziel zu erreichen, verfügt die Grounded Theory über ein Set an Techniken, mit deren Hilfe aus dem Rohmaterial, z.B. Interviews oder Feldbeobachtungen, theoretische Konzepte entwickelt werden können. Statt eine Theorie deduktiv zu überprüfen, wird bei der Grounded Theory zwischen Induktion und Deduktion beständig gewechselt. Die aus dem Material gewonnenen theoretischen Konzepte werden anhand neuer Daten wieder überprüft. Neben dem Schreiben von Memos und den verschiedenen Formen des Sampling sind vor allem die verschiedenen Codierformen Herzstück der Grounded Theory (vgl. Strauss/Corbin 1996, Seite 11ff.).
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vgl. u.a. Strauss/Corbin (1996).
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Forschung und ForscherInnen in Spin-offs
b) Die verschiedenen Formen der Codierung: offenes, axiales und selektives Codieren Die drei Typen des Codierens bauen aufeinander auf, d.h. sie entsprechen unterschiedlichen Phasen im Forschungsprozess. Dabei dient das offene Codieren der ersten analytischen Annäherung an das Datenmaterial. Ziel des offenen Codierens ist die Identifizierung von Ähnlichkeiten und Unterschieden zwischen jedem im vorliegenden Material identifizierbaren Ereignis, Vorfall und anderen Phänomenen und die Gruppierung ähnlicher Ereignisse und Vorfälle zu Kategorien. Das offene Codieren wird zur Benennung und Kategorisierung von Phänomenen genutzt. Erster Schritt zur Kategorisierung ist die Identifikation von Konzepten166. Wissenschaftliches und fachliches Literaturstudium dient hier durchaus als Fundgrube für Konzepte und deren Benennung. Konzepte, die aus der Literatur abgeleitet werden, sind bereits mit analytischer Bedeutung belegt. Ist es gelungen, bestimmte Phänomene in den Daten zu identifizieren, können die Konzepte, die zu demselben oder einem ähnlichen Phänomen zu gehören zu scheinen, gruppiert, d.h. zu Kategorien zusammengefasst werden. Die Kategorie kann als ein Konzept höherer Ordnung, d.h. mit einem höheren Abstraktionsgrad, verstanden werden. Jede Kategorie besitzt ein dimensionales Profil, das heißt spezifische Eigenschaften eines Phänomens unter einem gegebenen Satz von Bedingungen. So kann beispielsweise eine beobachtete Handlung durch Benennen von Eigenschaften wie Häufigkeit oder Dauer der Handlung näher charakterisiert werden. Die dimensionale Ausprägung würde sich in diesem Beispiel auf einer Ordinalskala von „oft bis nie“ oder „lang bis kurz“ bestimmen lassen. Beim axialen Codieren werden die ursächlichen Bedingungen, der Kontext des interessierenden Phänomens identifiziert. Das axiale Codieren ist bereits ein komplexer Prozess induktiven und deduktiven Denkens, der Prozess des InBeziehung-Setzens der Subkategorie zu einer Kategorie. Das axiale Codieren umfasst „eine Reihe von Verfahren, mit denen durch das Erstellen von Verbindungen zwischen Kategorien die Daten nach dem offenen Codieren auf neue Art zusammengesetzt werden. Dies wird durch Einsatz eines Codier-Paradigmas erreicht, das aus Bedingungen, Kontext, Handlungs- und interaktionalen Strategien und Konsequenzen besteht.“ (Strauss/Corbin 1996, S. 75) Mit Hilfe des Paradigmas werden Kategorien und Subkategorien verknüpft und entwickelt, indem beispielsweise die ursächlichen Bedingungen eines Phänomens oder dessen Kontext bestimmt werden. Zwar grenzen Strauss/Corbin (1996) das offene und das axiale Codieren in der Theorie klar voneinander ab, allerdings wechselt 166
Definition Konzept: „Konzeptuelle Bezeichnungen oder Etiketten, die einzelnen Ereignissen, Vorkommnissen oder anderen Beispielen für Phänomene zugeordnet werden.“ (Strauss/Corbin 1996, S. 43)
Vorgehensweise und Methodik
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der Forscher bzw. die Forscherin im Prozess der Analyse zwischen diesen Modi hin und her (ebd. S. 77). Ziel des selektiven Codierens ist die Integration der Kategorien zu einer Grounded Theory. Es erfolgt die Auswahl der Kernkategorie, d.h. des zentralen Phänomens, um das herum alle anderen Kategorien integriert sind. Teil dieses Prozesses ist das systematische „In-Beziehung-Setzen“ der Kernkategorie mit anderen Kategorien. Diese Integration ist ähnlich dem axialen Codieren und findet nur auf einer höheren, abstrakteren Analyseebene statt. Der erste notwendige Analyseschritt „besteht im Offenlegen des roten Fadens der Geschichte. Der zweite aus dem Verbinden der ergänzenden Kategorien rund um die Kernkategorie mit Hilfe des Paradigmas. Der dritte umfasst das Verbinden der Kategorien auf der dimensionalen Ebene. Der vierte beinhaltet das Validieren dieser Beziehungen durch Daten. Der fünfte und letzte Schritt besteht im Auffüllen der Kategorien, die einer weiteren Verfeinerung und/oder Entwicklung bedürfen.“ (ebd. S. 95) Die Kompatibilität der genutzten Softwarprogramme mit den Prinzipien der Grounded Theory Inzwischen existieren verschiedene Softwareprogramme zur computergestützten Analyse qualitativer Daten. Sehr häufig handelt es sich dabei um transkribierte qualitative Interviews. Allen Programmen gemeinsam ist die Kernfunktion des Codierens. Bei den als Textdateien vorliegenden Interviews können, mit Hilfe des Programms, bestimmten Sätzen oder Abschnitten Codes aus einem im Vorfeld oder während der Codierung entwickelten Codebaum zugewiesen werden. Sind die Interviews codiert, gibt es verschiedene Möglichkeiten der Auswertung, z.B. die systematische Suche nach Zusammenhängen von Codes oder die Anzeige von mit dem gleichen Code gekennzeichneten Textpassagen. Die verschiedenen Programme bieten neben dieser Kernfunktion noch weitere, an der Grounded Theory orientierte Möglichkeiten zur Auswertung, z.B. das Verfassen von Memos, Tools zur systematischen Suche nach Zusammenhängen von Codes, lexikalische Suche usw. Die grundsätzlichen Vor- und Nachteile und die Effekte der Nutzung von QDA-Software auf die Qualität qualitativer Forschung werden in der Fachliteratur unterschiedlich bewertet, es gibt durchaus auch negative Stimmen.167 Im Rahmen dieser Arbeit wurde die verwendete QDA-Software (in diesem Fall das Programm MAXqda) daher lediglich zur technischen Erleichterung des Codierprozesses eingesetzt und die bereits eher analytischen Funktionen des Programmes nur begrenzt genutzt (vgl. Kuckartz 2004). 167
Vor- und Nachteile der computergestützten Analyse qualitativer Daten siehe Kuckartz (2004).
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Forschung und ForscherInnen in Spin-offs
5.1.1.2 Die Modifizierung der Grounded Theory im Hinblick auf die Besonderheiten der vorliegenden Untersuchung Grundsätzlich ist die Grounded Theory, wie sie von Glaser/Strauss (1967) entwickelt wurde, ein rein induktives Verfahren. Die Codes werden aus der Analyse der Texte entwickelt und nicht vorab auf Basis theoretischer Annahmen. Bei deduktiven Verfahren wird ein vorgegebenes Kategoriensystem auf die Daten angewendet. Die Entscheidung für die Anwendung der Grounded Theory im Rahmen dieses Forschungsvorhabens basierte auf der Tatsache, dass es zwar eine wissenschaftliche Auseinandersetzung über die Notwendigkeit und die Folgen der Verflechtung von Wissenschaft und Wirtschaft gibt168, aber dennoch nicht genügend gesicherte empirische Forschungsergebnisse, speziell bezüglich der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen in Ausgründungen aus der Wissenschaft169, vorliegen. Speziell die Auseinandersetzung mit der Frage des Transfers wissenschaftlicher Erkenntnisse aus dem Wissenschaftssystem in Unternehmen wird in erster Linie als politische Debatte geführt, mit Blick auf die Frage der Generierung von Innovationen und Zukunftstechnologien. Zur Entwicklung standardisierter Fragebögen und eines deduktiv, auf dem aktuellen Stand der Forschung beruhenden Kategoriensystems wäre es unumgänglich gewesen, beispielsweise auf traditionelle Begriffsverständnisse von Wissenschaft oder wissenschaftlichem Wissen zurück zu greifen. In den Interviews hat sich jedoch deutlich gezeigt, dass nahezu jeder Interviewte ein eigenes Verständnis von Wissenschaft und Forschung ausgebildet hat. Insgesamt hat sich im Rahmen dieser Untersuchung die unvoreingenommene und induktive Annäherung an das Feld und das empirische Material als unumgänglich und sehr gewinnbringend erwiesen. Da aber natürlich kein Forscher gänzlich unwissend und naiv an eine Thematik herangeht, gewisse Vorannahmen oder Hypothesen meist – ob nun explizit oder implizit – eine Rolle spielen und sich spätestens bei der Erarbeitung des Leitfadens manifestieren, kann in der Praxis von einer induktiven Vorgehensweise in Reinform kaum die Rede sein. Strauss/Corbin haben eine Konzeption der Grounded Theory herausgearbeitet, „in der deduktive Elemente durch die zu Grunde liegenden Theorien, Forschungsfragestellungen und Vorerfahrungen der Forscher bei der Konstruktion des Codesystems anerkannt werden“ (vgl. Kuckartz 2004, S. 457). Dies ist auch in der vorliegenden Arbeit der Fall. Annahmen und Hypothesen (deduktive Elemente) gehen einher mit einer möglichst unvoreingenommenen Analyse der ersten Fälle (induktiv) und einer Anpassung 168 169
vgl. u.a. Bammé (2004). Überwiegend beziehen sich die vorliegenden Studien auf die Gründungsbedingungen, die GründerInnenpersönlichkeiten, die Ressourcenausstattung der Unternehmen usw. (vgl. u.a. Rothaermel et al. 2006).
Vorgehensweise und Methodik
171
des Leitfadens für weitere Interviews, weshalb kein starrer und durchgängiger Leitfaden für sämtliche Interviews existieren kann, was zwar die Auswertung erschwert, aber doch genug Raum lässt für die große Heterogenität und sehr individuelle Ausprägung der Unternehmensfälle. Der Zugang zum Feld erwies sich als sehr problematisch, da die Bereitschaft der Geschäftsführung, einer externen Person Einblicke in das Unternehmen zu gewähren, sehr begrenzt war. Die hohe zeitliche Auslastung des wissenschaftlichen Personals und der GründerInnen erforderte eine stärkere Zuspitzung der Gespräche als im Sinne der Grounded Theory gedacht. Die Interviews bekamen so stärker den Charakter von ExpertInneninterviews, in welchen – im Unterschied zu anderen Formen des offenen Interviews – nicht die Gesamtperson mit ihren individuellen Einstellungen und Orientierungen den Gegenstand der Analyse bildet, sondern der Kontext, um den es geht „ist ein organisatorischer oder institutioneller Zusammenhang, der mit dem Lebenszusammenhang der darin agierenden Personen gerade nicht identisch ist und in dem sie nur einen ‚Faktor’ darstellen“ (Meuser/Nagel 2005, S. 72; Hervorhebungen im Original). Das Interesse des Forschers an dem Experten bzw. der Expertin ist thematisch begrenzt, ebenso der ExpertInnenstatus der GesprächspartnerInnen. Eine leitfadenorientierte Gesprächsführung ist für ExpertInneninterviews die beste Methode, denn sie verhindert, „dass das Gespräch sich in Themen verliert, die nichts zur Sache tun, und erlaubt zugleich dem Experten, seine Sache und Sicht der Dinge zu extemporieren“ (ebd. S. 77). Die im Rahmen dieser Untersuchung interviewten Personen wurden in der Regel entweder direkt als ExpertInnen für das Thema Spin-off-Unternehmen angesprochen. Dies bezieht sich in erster Linie auf die Verantwortlichen in den Transfer- und Inkubatoreinrichtungen. Oder aber sie waren als MitarbeiterInnen in den Spin-offs von den spezifischen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen in den Unternehmen unmittelbar betroffen. Da genaue Erkenntnisse zu selbigen zu Beginn der Untersuchung noch nicht in ausreichendem Maße vorlagen, waren sie zugleich auch erste Informationsquelle überhaupt. Ein Teil der MitarbeiterInnen war bereits zur bzw. kurz nach der Gründung in den Unternehmen beschäftigt und konnte die Gründungshistorie und die ersten Wachstumsphasen des Unternehmens basierend auf eigenen Erfahrungen schildern. Gleiches galt auch für die GründerInnen der Spinoffs, die in der Regel in der oberen Führungsebene der Unternehmen zu finden waren170 und damit zusätzlich auch einen Blick „von oben“ liefern konnten. Bezogen auf die Arbeits- und Organisationsstrukturen, die Gründungshistorie und die strategische Ausrichtung der Unternehmen konnten die MitarbeiterInnen 170
In einigen Fällen haben sich die GründerInnen aus der Unternehmensleitung zurückgezogen und sind lediglich über verschiedene Gremien, z.B. den wissenschaftlichen Beirat, weiter mit dem Unternehmen verbunden.
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Forschung und ForscherInnen in Spin-offs
und GründerInnen dementsprechend als ExpertInnen betrachtet werden. Es war damit von vornherein notwendig und sinnvoll, die Interviews auf bestimmte Themenkomplexe zu beschränken. Die Notwendigkeit hierzu wurde durch den problematischen Zugang ins Feld und zeitliche Restriktionen zusätzlich verstärkt. Die Verwendung eines Interviewleitfadens bot hier die Möglichkeit der Strukturierung der Interviews, ließ aber noch genügend Raum zur Anpassung auf den Einzelfall und für Änderungen im Verlauf des Forschungsprozesses. Ein problemzentriertes Interview ist als diskursiv-dialogisches Verfahren angelegt und war daher für die vorliegende Untersuchung der richtige Zugang. „Der Interviewer nutzt die vorgängige Kenntnisnahme von objektiven Rahmenbedingungen der untersuchten Orientierungen und Handlungen, um die Explikationen der Interviewten verstehend nachzuvollziehen und am Problem orientierte Fragen bzw. Nachfragen zu stellen. Parallel zur Produktion von breitem und differenziertem Datenmaterial arbeitet der Interviewer schon an der Interpretation der subjektiven Sichtweise der befragten Individuen und spitzt die Kommunikation immer präziser auf das Forschungsproblem zu.“ (Witzel 2000, S. 2)
Durch eine problemzentrierte Einleitung wurde das Gespräch auf die relevante Problemstellung gelenkt, allerdings den Interviewten gleich zu Anfang durch offene Fragen die Möglichkeit gegeben, eigene Schwerpunkte zu setzen. Die Fragen des Leitfadens wurden dann im Idealfall nur zur spezifischen Vertiefung bestimmter Themenkomplexe verwendet und ergänzt durch Ad-hoc-Fragen, wenn bestimmte Themenbereiche von den Interviewten selber nicht angesprochen wurden. Der Leitfaden diente im Interviewprozess als Hintergrundfolie und als Kontrollmöglichkeit für die Interviewerin, inwieweit die einzelnen Elemente im Laufe des Gespräches bereits behandelt worden sind bzw. ob neue Elemente genannten wurden (vgl. Witzel 2000). Die Auswahl der einzelnen Unternehmensfälle orientierte sich an dem Verfahren des Theoretical Samplings, welches ein fester Bestandteil der Grounded Theory ist.171 Neben der Branchenzugehörigkeit der Unternehmen erwies sich auch deren Größe und Geschäftsausrichtung für die Gestaltung und Organisation der Forschung in den Unternehmen als bedeutsam. Um eine möglichst optimale und breit gefächerte Erkenntnisgewinnung zu gewährleisten, wurde daher, in Anschluss an die Interviews mit dem Gründer des Chemieunternehmens A und 171
Beim Theoretical Sampling, der „theoriegeleiteten Erhebung“, wird darauf verzichtet, bereits im Vorfeld der Ergebung die Kriterien und Größe der zu untersuchenden Grundgesamtheit festzulegen, da davon ausgegangen wird, dass sich aus der sich entwickelnden Theorie oft neue Gesichtspunkte für die Erhebung weiterer Fälle und Daten ergeben. „Die bei quantitativ orientierten Methoden üblichen repräsentativen Zufallstichproben werden hierbei ersetzt durch die gezielte Erfassung möglichst gegensätzlicher Phänomene im Rahmen der Fragestellung. Dadurch wird sichergestellt, daß die untersuchten Phänomene in ihrer ganzen Vielschichtigkeit und Breite erforscht werden können.“ (Böhm et al. 1992, S. 28)
Vorgehensweise und Methodik
173
dessen MitarbeiterInnen, mit Unternehmen B als Biotechnologieunternehmen, bewusst eine zusätzliche Branche in das Sampling aufgenommen. Unternehmen C wurde anschließend wegen seiner starken Technik-/Produktorientierung und vor allem aufgrund seiner, im Vergleich zu Unternehmen A und B, besonders ausgeprägten Vertriebsstrukturen ausgewählt. Unternehmen D diente als reines Dienstleistungs- und Kleinstunternehmen zur Kontrastierung der vorherigen Fälle. Bezogen auf die Interviews mit den Beschäftigten ist es in allen Unternehmen gelungen, mit MitarbeiterInnen verschiedener Hierarchiestufen bzw. Geschäftsbereiche zu sprechen, um auf diese Weise einen möglichst umfassenden Eindruck vom Unternehmen und den verschiedenen Beschäftigtengruppen zu bekommen. 5.1.2 Besonderheiten und Verlauf der empirischen Erhebungsphase 5.1.2.1 Vorüberlegungen Bei der Vorbereitung der Empirie und auch in den ersten Interviews zeigte sich sehr schnell, wie begrenzend eine systemtheoretische Herangehensweise an die Thematik ist, da hier auf der einen Seite womöglich von einer Gegensätzlichkeit ausgegangen wird, die in der Realität nicht oder nicht mehr vorhanden ist bzw. von den beteiligten Akteuren nicht als eine solche wahrgenommen wird. Zu berücksichtigen ist, dass traditionelle Grenzziehungen zwischen Universitäten, Fachhochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen, gerade auch im Zuge der Ausweitung der drittmittelfinanzierten Forschung, nicht eindeutig sind. Zwar ist in Deutschland Wissenschaft noch immer stark gekoppelt mit dem Bild der traditionellen akademischen Wissenschaft Humboldtscher Prägung, aber auch an Universitäten erfolgt zum Teil hochgradig anwendungsorientierte Forschung.172 Eine trennscharfe Abgrenzung von Forschung an Universitäten bzw. Forschungseinrichtungen im Vergleich mit Forschung in Ausgründungen ist damit schwierig. Hinzu kommen die unterschiedlichen Erfahrungshintergründe der interviewten Personen. Hat ein Teil der GründerInnen und MitarbeiterInnen vorher in stark grundlagenorientierten Forschungsprojekten gearbeitet, waren andere bereits vor ihrer Tätigkeit in der Ausgründung in anwendungsorientierten Verbundprojekten mit der Industrie tätig. Diese Erfahrungen beeinflussen natürlich die Einschätzungen der Personen hinsichtlich der Art und Qualität der For172
Siehe u.a. Bammé (2004) und die Ausführungen in Kapitel 2.
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Forschung und ForscherInnen in Spin-offs
schung in ihren Unternehmen. Auf der anderen Seite ist es aber auch nicht möglich, systemtheoretische Überlegungen völlig beiseite zu lassen, da vor allem die Interviewten in den Gesprächen immer wieder explizit und implizit auf die verschiedenen Systeme Bezug genommen haben und sie Teil ihrer beruflichen Sozialisation sind. Allein die unterschiedlichen, diffusen und widersprüchlichen Vorstellungen der Interviewten von Wissenschaft, wissenschaftlicher Arbeit, wissenschaftlichem Wissen und Wirtschaft, kundenbezogener Forschung oder privatwirtschaftlich generiertem Wissen deuten darauf hin, dass es gar nicht so leicht ist, hier eindeutig zu differenzieren und die richtigen Fragen zu stellen. So unterscheiden z.B. selbst in Unternehmen die GeschäftsführerInnen zwischen ihrem wissenschaftlichen und technischen Personal. Auch bei der Formulierung der Fragen während der Interviews war es daher notwendig, auf diese Besonderheiten verstärkt Rücksicht zu nehmen. Des Weiteren widerspricht und überlagert die Individualität und Persönlichkeit der MitarbeiterInnen für einen Großteil der interviewten Personen solche rein pauschal gegenüberstellten Persönlichkeitstypen wie z.B. WissenschaftlerIn vs. UnternehmerIn oder ForscherIn an einer wissenschaftlichen Institution vs. ProjektmitarbeiterIn in einem Unternehmen. Auch scheint es kein eindeutiges Qualifikationsprofil zu geben, welches sich entweder WissenschaftlerInnen oder UnternehmerInnen oder deren MitarbeiterInnen klar zuordnen lässt. Es bestand somit die Notwendigkeit, neben der Systemebene auch die Handlungsebene in den Blick zu nehmen. Unter anderem ausgehend von der Überlegung, dass eine Verlagerung von Tätigkeiten und Aufgaben auf der Systemebene auch Änderungen auf der Handlungsebene nach sich zieht, haben folgende Themenschwerpunkte die Interviews dominiert: In den Gesprächen mit ExpertInnen aus verschiedenen Transfereinrichtungen von Universitäten und Forschungseinrichtungen und Inkubatoreinrichtungen standen Fragen zu Erfahrungen bei der Gründungsberatung von WissenschaftlerInnen, zu typischen Problemlagen und Hemmnissen in der Gründungsphase und den darauf folgenden ersten Jahren nach der Gründung im Vordergrund. In den Gesprächen mit den GründerInnen wurden neben der allgemeinen Gründungsgeschichte auch individuelle Motive und Karrierepläne der GründerInnen thematisiert, insbesondere im Hinblick auf eine vorangegangene Tätigkeit als WissenschaftlerIn. Des Weiteren wurden Fragen der Arbeitsorganisation im Unternehmen, Fragen der Personalentwicklung und -rekrutierung und des zukünftigen Wachstums des Unternehmens angesprochen, ebenso eventuell noch bestehende Verflechtungen mit dem akademischen Wissenschaftssystem und Einschätzungen zur Art und Qualität der Forschung und des generierten Wissens.
Vorgehensweise und Methodik
175
Alle interviewten MitarbeiterInnen übernehmen in mehr oder weniger großem Ausmaß Aufgaben des Projektmanagements oder der Personalführung.173 Im Mittelpunkt der Gespräche standen Fragen zur persönlichen Berufsbiographie, Karriereplanung und zum aktuellen Tätigkeitsbereich, Fragen zur (individuellen) Organisation der Arbeit im Unternehmenskontext vor dem Hintergrund einer eventuellen vorangegangenen Tätigkeit in der akademischen Wissenschaft und ebenfalls Einschätzungen zur Qualität der Forschung und des generierten Wissens. 5.1.2.2 Allgemeines zur Durchführung der Interviews und Darstellung der Ergebnisse Im Erhebungszeitraum von Juni 2005 bis Februar 2006 sind insgesamt 15 Interviews durchgeführt worden. Sämtliche Interviews wurden in den Unternehmen bzw. Einrichtungen vor Ort verwirklicht, in der Regel in einem gesonderten Besprechungsraum, seltener in den Büros der jeweiligen InterviewpartnerInnen. Während der Interviews lief mit Einverständnis der Interviewten ein Aufnahmegerät. Die Interviews wurden für die Auswertung transkribiert und anschließend analysiert und ausgewertet, die erste Codierungssequenz mit Unterstützung des Programms MaxQda. Zwei der ExpertInnengespräche wurden nicht aufgenommen, sondern parallel protokolliert und wegen der inhaltlichen Dichte und Dauer der Gespräche trotzdem mit in das Sample aufgenommen. Darüber hinausgehend wurden zusätzlich noch zahlreiche Gespräche mit MultiplikatorInnen, ExpertInnen und wissenschaftlichen MitarbeiterInnen geführt, u.a. zur Kontaktvermittlung zu Ausgründungen, die allerdings nicht als Einzelinterviews gesondert in das Sample mit aufgenommen wurden. Bei den untersuchten Unternehmen handelt es sich ausschließlich um KMUs. Gemäß EU-Definition bezogen auf das Personal174 zählten zum Untersuchungszeitpunkt Unternehmen A zu den mittleren Unternehmen (<250 MitarbeiterInnen), die Unternehmen B und C zu den kleinen Unternehmen (<50 MitarbeiterInnen) und Unternehmen D zu den Kleinstunternehmen (<10 MitarbeiterInnen).
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174
Von den wissenschaftlichen MitarbeiterInnen ist allerdings je nach Unternehmen das Labor- und Werkstattpersonal zu unterscheiden, die den Projetteams zugewiesen werden und in der Regel keine Managementfunktion übernehmen. Gemäß der seit Januar 2005 gültigen Empfehlung der EU-Kommission zur KMU-Definition, siehe auch http://ec.europa.eu/enterprise/enterprise_policy/sme_definition/index_de.htm (Stand 17.03.2007).
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Forschung und ForscherInnen in Spin-offs
Die ExpertInnen lassen sich grob in zwei Gruppen einteilen: Zum einen handelt es sich um Transferbeauftragte wissenschaftlicher Einrichtungen, d.h. um leitende MitarbeiterInnen in den Transfereinrichtungen einer Universität und eines Forschungsinstituts und zum anderen um leitende MitarbeiterInnen in Inkubatoreinrichtungen, in beiden Fällen von Technologieparks mit einem bestimmten Branchenschwerpunkt, die neu gegründeten Unternehmen Büro- und Laborräume vermieten und umfassende Beratungs- und Dienstleistungen für GründerInnen anbieten, z.B. Hilfestellung bei der Businessplanerstellung, Kontaktvermittlung zu Banken und anderen Dienstleistungen. Die Gespräche mit den ExpertInnen bieten eine Möglichkeit von der jeweils sehr individuellen Sicht und Erfahrung des einzelnen Gründers bzw. der einzelnen Gründerin zu abstrahieren. Die Interviewten verfügen über jahrelange, teilweise sogar über jahrzehntelange Erfahrung im „Transfergeschäft“ und über Wissen aus der beratenden Begleitung vieler verschiedener Spin-off-Gründungen aus den wissenschaftlichen Einrichtungen heraus, in die Inkubatoreinrichtungen hinein und – bei erfolgreichem Verlauf der Unternehmensentwicklung – wieder hinaus. Die Ergebnisse aus den ExpertInnengesprächen werden nicht gesondert dargestellt, sondern im Verlauf der Darstellung der Ergebnisse aus den Fallstudien an den entsprechenden Stellen ergänzend angeführt bzw. gegenübergestellt. Die nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick über die geführten ExpertInnengespräche und die Interviews mit den MitarbeiterInnen und GründerInnen in den einzelnen Unternehmen, zugeordnet der jeweiligen High-Tech-Branche.
Vorgehensweise und Methodik
177
Tab. 9: Übersicht Interviews175 ExpertInnen Nr. Organisation 1
Transferbüro Universität
2
Technologiezentrum
3
Transferbüro Forschungszentrum
4
Technologiezentrum
Person
Funktion
Herr Ahorn
Leiter Transferstelle
Herr Dr. Brenner Herr Dr. Jonas/ Herr Dr. Hickstein Frau Dr. Sonntag
Leiter Transferbüro/Leiter Geschäftsbereich Umwelt
Person
Funktion
Herr Prof. Dr. Sandholz Herr Dr. Diekmann Herr Kiel Frau Dr. Gruber Herr Birke
Geschäftsführender Direktor und Mitglied im urspr. Gründungsteam
Leiter F&E Projektleiterin Koordinator Werkstatt & Labor
Nr. Organisation
Person
Funktion
1
Unternehmen B
COO und Mitgründer
2
Unternehmen B
3
Unternehmen B
4 5 6
Unternehmen C Unternehmen C Unternehmen D
Herr Bäcker Herr Dr. Wollenstein Frau Dr. Wassermann Herr Dr. Sieger Herr Dr. Stiller Herr Dr. Calvin
Leiter der Firmenbetreuung
Leiterin TZ
Chemie Nr. Organisation 1
MPG
2
Unternehmen A
3 4 5
Unternehmen A Unternehmen A Unternehmen A
CEO/COO und Mitgründer
Biotechnologie
Leiter der Geschäftseinheit Proteomik Geschäftsführerin (HR) Leiter Vertrieb CEO und Mitgründer CEO und Mitgründer
Quelle: eigene Darstellung 175
Im Text wurden zur Sicherstellung der Anonymität der Unternehmen und der interviewten Personen alle Namen durch frei erfundene Namen ersetzt, gleiches gilt für die Unternehmenssitze. Wurden in den Interviews Konkurrenzunternehmen direkt benannt, erfolgte auch hier eine Anonymisierung.
178
Forschung und ForscherInnen in Spin-offs
Der inhaltlichen Auswertung der Interviews ist die Darstellung der einzelnen Spin-off-Unternehmen vorangestellt. Soweit möglich, berücksichtigt die Darstellung die folgenden Informationen zu den institutionellen Kooperationsbeziehungen und zur Gründungsgeschichte des Unternehmens: a) Aus welcher Herkunftsinstitution bzw. welchen -institutionen ist das Unternehmen hervorgegangen? b) In welcher Entwicklungsphase befindet sich das Unternehmen? Wie gestaltete sich die Übergangsphase (SEED-Phase176)? c) Wo hat sich das Unternehmen angesiedelt: in der Nähe zu einer Universität/Forschungseinrichtung und/oder in einer Inkubatoreinrichtung bzw. in einem Technologiepark? Ebenfalls Beachtung findet Fragen nach dem Geschäftsmodell des Unternehmens: a) Ist das Unternehmen produkt-, F&E-, dienstleistungsorientiert? b) Ist das Unternehmen wachstumsorientiert: ja/nein? c) Richtet es sich mit seinen Produkten oder Dienstleistungen an EndverbraucherInnen oder sind andere Unternehmen/Organisationen die Kunden des Unternehmens? Des Weiteren stehen Fragen nach den vorhandenen Ressourcen des Unternehmens im Fokus: a) technologische Ressourcen b) soziale Ressourcen c) humane Ressourcen d) finanzielle Ressourcen. Bei der Betrachtung von Spin-offs sind somit neben den unterschiedlichen Ressourcen, über die das Unternehmen verfügt, und der Unternehmensstrategie bzw. dem Geschäftsmodell auch die institutionellen Bedingungen der Unternehmensentstehung von Bedeutung, wie die nachfolgende Abbildung illustriert.
176
Siehe engl. seed = Saat; als SEED-Phase wird die Frühphase einer Unternehmensgründung bezeichnet, stark geprägt durch Investitionen in Forschung und (Produkt-)Entwicklung (vgl. Nathusius 2001).
Vorgehensweise und Methodik
179
Abb. 10: Unternehmensdarstellung
Ressourcen •technologische •soziale •humane •finanzielle
Unternehmen A–D
Institutionelle Bedingungen •Herkunft •Übergangsphase •Inkubator
Businessmodell •produkt-, F&Eoder dienstleistungsorientiert •wachstumsorientiert •Kunden
Quelle: In Anlehung an Mustar et al. (2006)
Diese Darstellungsweise orientiert sich an der von Mustar et al. (2006) vorgenommenen Analyse vorhandener empirischer Untersuchungen zu Unternehmensgründungen im Allgemeinen und Spin-offs im Speziellen. Die AutorInnen unterteilen die vorhandene Literatur dabei in drei Gruppen: resource-based studies, studies focused on the business model perspective and studies focused on the institutional perspective (ebd. S. 290ff.). Basierend auf Erkenntnissen aus verschiedenen Studien – sowohl ressourcen- als auch institutionenbasiert – versuchen Prodan u.a. (2006) einen konzeptionellen Rahmen für die Untersuchung von Spin-off-Gründungen zu entwickeln und geben dabei zu bedenken, dass die Entscheidung, ein Unternehmen zu gründen, um eine wissenschaftliche Entdeckung weiterzuentwickeln und zu vermarkten, sowohl von Einflussfaktoren auf der Mikro- , als auch von solchen auf der Makroebene abhängt.177 Für die Mikroebene benennen sie die Motivation der WissenschaftlerInnen, die Spezifika der technischen Innovationen, den beruflichen und psychologischen Hintergrund der 177
Überscheidungen zu Erkenntnissen aus der Entrepreneurshipforschung sind immanent. Vergleiche ergänzend hierzu exemplarisch Jacobsen (2006).
180
Forschung und ForscherInnen in Spin-offs
Erfinderin bzw. des Erfinders, deren forscherische Fähigkeiten usw. und entwickeln das folgende Interpretationsgerüst. Die Relevanz und Richtigkeit der einzelnen Variablen belegen die Autoren mit verschiedenen Studien und Untersuchungen aus der Gründungs- und Spin-off-/Transferforschung: „The elements of the conceptual framework at the individual’s level are (1) as dependend variables: Academic’s entrepreneurial involvement or Academic’s intention to become an entrepreneur and (2) as independent variables: Personal networks, Number of years spent at the academic institution, Nature of research, Motivational factors, Previous work with the industry, Scientific publications, Role models, Support from academic institution, Patents and Entrepreneurial self efficacy.” (ebd. S. 1)
Auf der Makroebene hingegen sind zu berücksichtigen: Das vorherrschende technologische Regime, die Charakteristika der ‚Mutterinstitution’ und mögliche Konflikte mit selbiger, die Größe und das Alter des Technologietransferbüros, die Höhe der staatlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung in der Wissenschaft bzw. der Industrie, die Verfügbarkeit von Venture Capital, die Effektivität des Patentschutzes, das wissenschaftliche Belohnungssystem, die Qualität der jeweiligen wissenschaftlichen Institution, deren offizielle Politik gegenüber Spin-offs, die Bestimmungen zum „geistigen Eigentum“ und die generelle Staatspolitik (ebd. S. 5-6).178 Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung tauchen diese auf der Makroebene angesiedelten Aspekte vermehrt in Zusammenhang mit der Schilderung der Probleme und Herausforderungen während der Gründungsphase auf, beispielsweise mit Blick auf gute oder mangelhafte Unterstützungsangebote durch die Transferstellen, Kapitalgeber oder im Rahmen von Gründungswettbewerben. Ebenfalls von Relevanz sind die Kooperationsmöglichkeiten und -beziehungen mit Einrichtungen und Personen der akademischen Wissenschaft, welche direkt mit Fragen der Wissenschaftspolitik eines Landes verknüpft sind, z.B. hinsichtlich der Vergabebedingungen öffentlicher Gelder und der möglichen Teilhabe von Spin-offs. Die Verknüpfung von wissenschafts- und arbeitssoziologischen Aspekten ist Kennzeichen dieser Untersuchung und erschwerte die Auswertung. Zusätzlich war so – allein aufgrund der immer wieder auftauchenden Präsenz und Relevanz der Systeme Wissenschaft und Wirtschaft – neben der Mikro- auch eine Berücksichtigung der Makroebene erforderlich. Um diesen Schwierigkeiten gerecht zu werden, orientiert sich die Darstellung der Ergebnisse nicht an den einzelnen Fällen oder Variablen selbst. Sie erfolgt anhand der sich herauskristallisierenden, die verschiedenen thematischen Bereiche synthetisierenden Thesen. 178
Zu den verschiedenen genannten Faktoren liegen teilweise bereits Untersuchungen vor, die hier Zusammenhänge belegen; vgl. hierzu Kapitel 5, u.a. die Ausführungen zu Knie et al. (2003) oder Leineweber (2004).
Vorgehensweise und Methodik
181
Im Vordergrund steht zunächst eine Charakterisierung und Einordnung des jeweiligen Unternehmens, bevor dann im weiteren Verlauf auf die Ergebnisse der Interviews direkt eingegangen wird. Als Quellen dienen dabei zum einen Angaben in den Interviews der MitarbeiterInnen und GründerInnen und zusätzlich vorliegendes schriftliches Material zur Selbstdarstellung der Unternehmen179. Dabei wird versucht die Charakteristika des Unternehmens kurz – unter Orientierung an den oben genannten Merkmalen – zusammenzufassen, bevor die inhaltliche Auswertung und Interpretation der Interviews und die Verknüpfung mit den Fragestellungen erfolgt. Im Zuge der ersten Auswertung und Codierung der Interviews wurde ein Codebaum mit den vier Schwerpunkten Gründung/Gründungsgeschichte, Informationen zur Person und deren Arbeitsplatz und -inhalten, der Organisation von Arbeit im Unternehmen und Forschung unter Marktbedingungen erstellt. Im Verlauf der weiteren Auswertung konnten dann in weiteren Codierschritten die sich in allen Fällen und Interviews herauskristallisierenden Schwerpunktthemen und -fragen erarbeitet werden. Anhand dieser orientiert sich die Darstellung der Empirie. Wie bereits erwähnt werden die Interviews der ExpertInnen aus den Transfer- und Inkubatoreinrichtungen dort zur Ergänzung herangezogen, wo sie durch den Blick „von außen“ auf Spin-offs zusätzliche Reflexionsmöglichkeiten und Erkenntnisgewinn bieten. 5.1.2.3 Ergänzendes Material und der Diskussionsrahmen der Untersuchung Ergänzend konnten Erkenntnisse aus Interviews, die im Rahmen des Projektes „Ausgründungen als Grenzüberschreitung und neuer Typ der Wissensgenerierung: Chancen für Innovationen, Risiken für die wissenschaftliche Qualität?“, durchgeführt vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) und der Sozialforschungsstelle Dortmund (SFS), in der Auswertung mit berücksichtigt werden.180 Die Erkenntnisse des Projektes und die inhaltlichen Diskussionen mit den ProjektmitarbeiterInnen dienten der Reflexion der Ergebnisse dieser Untersuchung. Die Ergebnisse der vorliegenden Fallstudien konnten auf diese Weise einer größeren Unternehmensfallzahl der im Rahmen des Projektes durchgeführten empirischen Untersuchung gegenübergestellt werden. Trotz der unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen der Untersuchungen waren hinreichend Schnittpunkte 179
180
Dies waren im Einzelnen: Selbstdarstellungen des Unternehmens (z.B. Flyer, Broschüren, Organigramme), Zeitschriftenartikel über das Unternehmen (z.B. Gründungsreport, Berichte über Gründungswettbewerbe, lokale Presse) und der Internetauftritt des Unternehmens. Gefördert vom BMBF im Rahmen der Förderinitiative „Wissen für Entscheidungsprozesse – Forschung zum Verhältnis von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft“; Projektlaufzeit: März 2004 bis März 2007; siehe hierzu Knie et al. (2003).
182
Forschung und ForscherInnen in Spin-offs
vorhanden, die eine Überprüfung der Ergebnisse und eine stärkere Validierung und Repräsentativität der Aussagen möglich gemacht haben. Im Rahmen des Projektes des WZB und der SFS wurden verstärkt die Arrangements zwischen den „Mutterinstitutionen“ und den Ausgründungen in den Blick genommen, unter Berücksichtigung des Branchenhintergrundes und Disziplinen mit hoher Ausgründungsdynamik. Im Vordergrund standen die Fragen nach der Entstehung neuer Arrangements zwischen Wissenschaft und Praxis und die Identifikation grenzüberschreitender Formate der Wissensproduktion (vgl. u.a. Knie/Simon 2006). Insgesamt konnten im Rahmen des Projektes ca. 100 Interviews geführt werden, sowohl mit Verantwortlichen und MitarbeiterInnen aus außeruniversitären Forschungseinrichtungen als auch mit UnternehmensgründerInnen. Im Ergebnis werden Spin-offs als Teil einer neuen Forschungspraxis konstatiert, einer neuen gesellschaftlichen Form der Wissensproduktion mit einer ganz spezifischen Funktion „im gesamten Prozess einer verketteten ‚Wertschöpfung’“ (ebd. S. 22). Die Untersuchung zeigte Ansatzpunkte für eine Stabilisierung zwischenorganisatorischer Arrangements der Wissensproduktion auf und mündete u.a. in eine Typisierung zwischenorganisationaler Grenzstellen und Netzwerkbeziehungen zwischen Ausgründungen und Herkunftsinstitutionen (vgl. Potthast/Lengwiler 2005). Weitere Schwerpunkte bildeten die Überlegungen zur Herausbildung neuer Formen wissenschaftlicher Beruflichkeit an der Grenzstelle zwischen Akademie und Ökonomie und des weiteren die Ausführungen zum Leitbild des Wissenschaftsunternehmers bzw. der Wissenschaftsunternehmerin und deren Vorkommen in der Realität (vgl. Möll/Jacobsen 2010). „Die beiden hier beschriebenen Varianten alternativer wissenschaftlicher Beruflichkeit weisen zwar einige Gemeinsamkeiten, aber auch deutliche Unterschiede zum Typus des traditionellen akademischen Wissenschaftlers auf. Von zentraler Bedeutung sind neben dem bereits erwähnten Umgang mit multiplen Referenzen die auf die Unternehmensgründer zukommende „Organisationsarbeit“, um die disparaten Teilaufgaben – Wissensgenerierung, Ressourcensicherung – und Orientierungsmuster zusammenzuführen, die für gegenseitige Befruchtungen und die wirtschaftliche Verwertung wissenschaftlicher Erkenntnisse notwendig sind. Unverzichtbar dafür ist die Entwicklung einer „Übersetzungskompetenz“, um den Brückenschlag zwischen wissenschaftlicher Arbeit und praktischen Vewertungskontexten zu bewerkstelligen.“ (ebd. Seite 88)
Die gleichberechtigte Einbettung der Akteure sowohl in das Wissenschafts- als auch in das Wirtschaftssystem können die AutorInnen nicht erkennen, allerdings lässt sich dem „traditionellen“ akademischen Wissenschaftler bzw. der akademischen Wissenschaftlerin der „Emigrant“ und der „Grenzüberschreiter“ entgegen stellen, die sich anhand verschiedener Dimensionen – wie Positionierung oder relevante Validierungsinstanz – als zwei alternative Formen wissenschaftlicher Beruflichkeit charakterisieren lassen.
Vorgehensweise und Methodik
183
Tab. 10: Der Wissenschaftsunternehmer und der traditionelle akademische Wissenschaftler Wissenschaftsunternehmer Grenzbewahrer Emigrant
Grenzüberschreiter
Positionierung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft
Ablösung vom Wissenschaftssektor bei Aufrechterhaltung von Kontakten zur Wissenschaft
Schwerpunkt Wissenschaft Konzentration mit Öffnung zum Wirtschaftssektor bzw. Interes- auf den Wissenschaftsbereich se an der praktischen Anwendung eigener Forschungsergebnisse
Validierungsinstanz, Anerkennung
Markt: Finanziers, Kunden (incl. Wissenschaft), Patentämter, „Gesellschaft“
Markt: Finanziers, Patentämter, Evaluation durch Peers
Evaluation durch Peers, Publikationsorgane
Entwicklung, MarktTätigkeitschwer antizipation, „fund- Forschung, Marktantiziparaising“, Vermarktion, „fund-raising“, Reppunkte tung, „articulation räsentation, Beratung work“
Forschung, Lehre
Kognitive Orientierung
Problemlösung
Erkenntnisgewinn, Problemlösung
Erkenntnisgewinn
Quelle: Möll/Jacobsen (2010, S. 80)
Besonders interessant sind die Forschungsergebnisse bezüglich der Orientierung der ForscherInnen und GründerInnen an zwei unterschiedlichen Referenzbereichen. Für einen Teil der WissenschaftlerInnen in den Unternehmen resultiert dies in ein Nebeneinander der verschiedenen Anforderungskomplexe. Wobei eine Bewältigung dieser Anforderungen in den Unternehmen durchaus auch arbeitsteilig erfolgen kann. Dementsprechend ist es nicht zwangsläufig notwendig, dass der oder die individuelle MitarbeiterIn diesen Konflikt tatsächlich unmittelbar selbst erlebt und auflösen muss.
184
Forschung und ForscherInnen in Spin-offs
5.2 Kurzbeschreibung der untersuchten Unternehmen 5.2.1 Unternehmen A - Chemische Industrie Das Unternehmen wurde Ende der 1990er Jahre gegründet.181 Der ursprüngliche Gründerkreis bestand aus sechs Männern, je zur Hälfte aus der Wissenschaft und der Industrie mit teilweise langjähriger Forschungs- und Praxiserfahrung in der Industrie. Das Unternehmen bietet umfassende Forschungsdienstleistungen im Bereich der chemischen Katalyse an und verfügt zusätzlich über hochspezialisierte Hard- und Softwareprodukte. Zu den Kunden gehören u.a. verschiedene namhafte große Energie- und Chemieindustriefirmen. Das Unternehmen operiert weltweit und hat eine kleine Niederlassung in den USA. Das Selbstverständnis als führendes hochspezialisiertes Forschungsunternehmen und Technologieanbieter im Bereich der chemischen Katalyse gründet sich vor allem auf die selbst entwickelten Technologien und das hohe Know-how der MitarbeiterInnen. Die ursprüngliche Gründungsidee ist entstanden durch die „Zusammenlegung von Ideen, Konzepten aus der Industrie […] als auch von der Universität; aufgrund einer sehr engen Beziehung die zwischen dem Lehrstuhl bestanden hat als auch mit der Industrie, entstand eine ausgeprägte Vertrauensbasis, ist ein Unternehmenskonzept entstanden, was wir, was ich innerhalb BigChem182 präsentiert hab, nach dem Motto, hier, ihr wollt das angehen. Es gibt zwei Möglichkeiten, ihr macht das intern […] oder aber wir gründen eine neue Firma und ich bin bereit BigChem dafür zu verlassen. […] Und aus dieser Phase heraus ist dann der Unternehmensplan entstanden, ist eine Zusage von BigChem erteilt worden, wenn ihr das macht, unterstützen wir das Ganze in Form eines relativ großen Forschungsvertrages […]“ (Herr Diekmann, 3183).
Das Unternehmen ist somit nicht über Venture Capital finanziert worden. Durch die hervorragenden Industriekontakte des Gründerteams konnten gleich zu Beginn zwei langfristige Forschungsprojekte von zwei großen Chemiekonzernen eingeworben werden.
181
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Die genaue Jahreszahl der Gründung wird bei allen Unternehmen zur besseren Gewährleistung der Anonymisierung nicht genannt. In diesem Fall besteht der Gründerkreis des Spin-offs aus Personen, die zuvor zum Teil in der Wissenschaft gearbeitet haben, und Personen, die zuvor in einem anderen Chemieunternehmen angestellt waren. Der Originalname des Unternehmens ist hier und nachfolgend durch diesen frei erfundenen Namen ersetzt worden. Die Angabe hier – und in den nachfolgenden Direktzitaten aus den Interviews – bezieht sich auf die Seitennummerierung der Interviewtranskripte. Die Interviews selbst sind wörtlich transkribiert worden. Zur Erhöhung der Lesbarkeit wurde als Transkriptionstechnik die Übertragung in normales Schriftdeutsch verwendet (vgl. Mayring 1990, S. 65).
Kurzbeschreibung der untersuchten Unternehmen
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Das Unternehmen arbeitet und forscht auf dem Gebiet der chemischen Katalyse. Mit Hilfe einer selbst entwickelten, hocheffizienten Technologie können neue Materialien schnell identifiziert und analysiert werden. Moderne computergestützte Methoden, Mikrotechnologien, parallelisierende und kombinatorische Screening- und Syntheseverfahren ermöglichen eine Effizienzsteigerung von F&E–Prozessen. Neben der Lizenzierung selbst entdeckter Materialien und dem Verkauf der eigenen Technologien arbeitet das Unternehmen mit ihren Kunden im Rahmen von Forschungsprojekten zusammen. Eine genaue Einordnung des Unternehmens als produkt- oder dienstleistungsorientiert ist sehr schwierig. Die Zuschneidung der selbst entwickelten Technologie auf die jeweiligen Kunden und der Verkauf an selbige sind durchaus gleichbedeutend mit der Planung und Durchführung von Forschungsdienstleistungen für andere Unternehmen. Da aber auch diese kundenbezogenen Forschungsprojekte und Dienstleistungen in hohem Maße auf der selbst entwickelten Technologie basieren und der Unternehmensschwerpunkt auf der Weiterentwicklung dieser selbst entwickelten Technologie liegt, ist es gerechtfertigt, das Unternehmen vom Schwerpunkt her als technikund produktorientiert zu charakterisieren. F&E über die kundenbezogene Auftragsforschung hinaus erfolgt in einem Volumen von etwa 20% des Umsatzes. Insgesamt wird ein reines F&E-Projekt im Haus eigenfinanziert, zur Sicherung des Alleinstellungsmerkmals des Unternehmens und zur Erschließung weiterer Geschäftsfelder. Zum Untersuchungszeitpunkt beschäftigte das Unternehmen 75 MitarbeiterInnen184. Das Unternehmen ist als Aktiengesellschaft – laut Aussage eines der Geschäftsführer – „zum Wachstum verdammt“. Nachdem das Unternehmen auf über 70 MitarbeiterInnen angewachsen ist, wurde vor etwa anderthalb Jahren die erste größere Umstrukturierung notwendig, im Zuge derer eine neue Hierarchiestufe eingeführt wurde. Das Unternehmen war vorher ausschließlich über die Projekte organisiert. Als zusätzliche Führungsebene wurden mit der Umstrukturierung unter der Vorstandsebene Leitungspositionen für die vier verschiedene Geschäftsbereiche geschaffen. Während die ersteren drei primär interne Dienstleister für den F&E-Bereich sind und die MitarbeiterInnen je nach Bedarf den einzelnen Projekten zugeordnet werden, werden im F&E-Bereich die Projekte direkt bearbeitet und durchgeführt.
184
Alle MitarbeiterInnenzahlen beziehen sich ausschließlich auf die Stammsitze der Unternehmen in Deutschland.
186
Forschung und ForscherInnen in Spin-offs
Abb. 11: Organigramm Unternehmen A
Vorstand
Software/IT
Engineering
Business Development
F&E
Katalyse I
Analytik
Katalyse II
Synthese
Katalyse III
Quelle: eigene Darstellung Grundsätzlich zeichnet sich das Unternehmen trotz der Umstrukturierungen nach wie vor durch sehr flache Hierarchien und ein freundliches Betriebsklima aus. Neben der Gepflogenheit, dass sich alle duzen, wird viel Wert auf informelle Kontakte gelegt. Zusätzlich sollen weitere kleinere Maßnahmen, wie z.B. die Bereitstellung von Getränken, Süßigkeiten, ÖPNV-Tickets usw. die MitarbeiterInnen motivieren und an das Unternehmen binden. Die Löhne der MitarbeiterInnen orientieren sich an denen der chemischen Großindustrie und liegen dementsprechend höher als die in der akademischen Wissenschaft. Auf dem Arbeitsmarkt konkurriert das Unternehmen laut eigener Aussage beim „Kampf um die besten Köpfe“ mit der chemischen Großindustrie. Die Vorteile der Zusammenarbeit von Personen mit unterschiedlichen Erfahrungshintergründen (Wissenschafts- und/oder Industrieerfahrung), die aus Firmensicht schon im Gründungsteam erfolgreich genutzt werden konnten, sollen auch bezüglich der Rekrutierung neuer MitarbeiterInnen realisiert werden, wie nicht nur in den Interviews, sondern auch in der Selbstdarstellung des Unternehmens deutlich wird. Hinzu kommt die interdisziplinäre Zusammensetzung der MitarbeiterInnen. In dem Unternehmen arbeiten ChemikerInnen, VerfahrensingenieurInnen, ElektrotechnikerInnen, SoftwareentwicklerInnen, MaschinenbauerInnen, PhysikerInnen, Material- und KatalysewissenschaftlerInnen, Computersimulations- und DatenbankexpertInnen sowie ExpertInnen für Prozessanalytik. Die Arbeit ist überwiegend in Form von Projekten organisiert. In der Regel obliegt einem promovierten Chemiker oder einer promovierten Chemikerin die
Kurzbeschreibung der untersuchten Unternehmen
187
Projektleitung. Hinzu kommen, je nach Art des Kundenprojektes, die entsprechenden Fachleute aus den verschiedenen Abteilungen, z.B. ein Softwarespezialist oder eine Ingenieurin für den Aufbau und Pflege der technischen Versuchsanlage, und LaborantInnen. Es kann durchaus sein, dass ein Chemiker oder eine Chemikerin mehrere Projekte parallel betreut, in der Regel aber nicht mehr als drei auf einmal. Die Projektlänge variiert von drei Monaten bis drei Jahre. Nach der Gründungsphase, die durch zwei längerfristige Forschungsprojekte von zwei Industrieunternehmen in Gang gebracht wurde, zeichnet sich allerdings ein Trend zu kürzeren Projekten ab. Auftraggeber sind in der Regel Chemieunternehmen. Hinzu kommen Vertriebspartnerschaften in anderen Ländern zur Vermarktung der eigenen Technologien und Forschungskooperationen mit Universitäten und Forschungseinrichtungen. Neben den Kundenprojekten gibt es zudem ein internes Projekt, welches das Unternehmen selbst finanziert. 5.2.2 Unternehmen B - Biotechnologie Bei Unternehmen B handelt es sich um ein Mitte der 1990er Jahre gegründetes Biotechunternehmen. Das Unternehmen ist sehr wachstumsorientiert, auch hinsichtlich der MitarbeiterInnenzahl. Der 5-Jahres-Plan des Unternehmens sieht laut Geschäftsführer eine Steigerung auf über 100 MitarbeiterInnen vor. Das Unternehmen strebt laut eigener Aussage die Weltmarktführung in den von ihnen betriebenen Geschäftsfeldern Analytik und Biochips an. Daneben gibt es noch die Geschäftsbereiche Bioinformatik und Wirkstoffforschung, wobei letzterer zum Zeitpunkt der Untersuchung gerade erst per Venture Capital aufgebaut wurde. Das Unternehmen bietet neben seinen patentgeschützten Technologien in erster Linie analytische Dienstleistungen und spezialisierte IT-Lösungen für den Bereich Biotechnologie an. Momentan sind das auch noch die Geschäftsfelder, mit denen der größte Umsatz erzielt wird. Ursprünglich als Forschungsdienstleister gestartet, versucht das Unternehmen die Entwicklung eigener Technologien und Produkte stark auszubauen. Die Charakterisierung ist dementsprechend schwierig. Aufgrund der herausragenden Bedeutung des Ausbaus des Biochipsegmentes und der Wirkstoffforschung im pharmazeutischen Segment ist es angebracht von einer starken F&E- und Produktorientierung zu sprechen. Aber gerade das Dienstleistungsangebot im Bereich der Analyse und IT ist nach wie vor breit gefächert und ein wichtiges finanzielles Standbein des Unternehmens. Die Charakterisierung als produktorientiert erklärt sich damit eher aus der Aufstellung und Ausrichtung des Unternehmens für die Zukunft. Die zukünftige
188
Forschung und ForscherInnen in Spin-offs
Entwicklung des Unternehmens wird stark an die zwei anderen Geschäftsbereiche geknüpft: „Das machen wir auch, wir machen eigene F&E und das schon viel, was wir da machen, gerade diese vierte Einheit, die ist ganz Pharma[…], die ist nur F&E-lastig. Da machen wir nur, ja Medikamentenvorstufen mit unseren Technologien. Bei den […]Biochips sind wir noch sehr stark im Produktaufbau, d.h. das ist auf jeden Fall Entwicklung mit Forschungscharakter.“ (Herr Bäcker, 39)
Die Gründung ist aus einer universitären Arbeitsgruppe hervorgegangen. Zum ursprünglichen Gründungsteam gehörten drei Personen, der Professor und Leiter der Arbeitsgruppe und zwei seiner wissenschaftlichen Mitarbeiter. Einer davon ist heute Geschäftsführer des Unternehmens. Das Unternehmen wurde etwa zwei Jahre nach seiner Gründung in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, was vielfältige Auswirkungen vor allem auf das Leitungsteam hatte. Nur einer der ursprünglichen Gründer ist als wissenschaftlicher Leiter im Führungsteam verblieben und dort u.a. zuständig für die Besetzung der verschiedenen Forschungsprojekte mit den richtigen MitarbeiterInnen. Zum Erhebungszeitpunkt beschäftigte das Unternehmen 28 MitarbeiterInnen. Das Unternehmen plante zu diesem Zeitpunkt die Einrichtung einer mittleren Führungsebene, unterhalb der Vorstands- und Geschäftsführungsebene. Wachstum ist für die nächsten ein bis zwei Jahre vor allem im Geschäftsbereich Biochips geplant. Zusätzlich hat das Unternehmen eine kleine Niederlassung in Nordamerika, die aber weitgehend selbstständig operiert und von dem dort ansässigen Geschäftsführer geleitet wird. 5.2.3 Unternehmen C – Informations- und Biotechnologie Unternehmen C wurde Anfang der 90er Jahre aus einer Universität heraus gegründet und war ursprünglich ein reines IT-Unternehmen. Zwei Jahre nach der Gründung wurden dann, im Rahmen einer Kooperation mit einem Forschungszentrum der Helmholtz-Gemeinschaft, im Bereich der Biotechnologie spezielle Kultivierungsanlagen entwickelt, die das Unternehmen heute als zweites Standbein vertreibt und weiterentwickelt. Das Unternehmen hat seinen Standort auf dem Gelände eines Technologiezentrums in unmittelbarer Nähe zu besagtem Helmholtz-Forschungszentrum. Pharmaunternehmen, aber auch Universitäten und Forschungseinrichtungen zählen zu den Kunden des Unternehmens. Das Unternehmen wird von der Geschäftsführung und den MitarbeiterInnen als Gerätehersteller charakterisiert. Im Bereich IT gehören, neben der Soft- und Hardwareentwicklung selbst, auch der
Kurzbeschreibung der untersuchten Unternehmen
189
entsprechende Service und die Wartung der Geräte beim Kunden zum Angebot des Unternehmens. Auch die Kultivierungsanlagen arbeiten in hohem Maße ITgestützt. Die Weiterentwicklung der Reaktoren und der Soft- und Hardware erfolgt in der Regel kundengetrieben. Zum Zeitpunkt der Untersuchung arbeiten im Unternehmen 38 Personen, davon sind acht MitarbeiterInnen fest dem Bereich F&E zuzuordnen. Damit macht das jährliche Budget des Unternehmens für Forschung und Entwicklung etwa zwischen 15-20% des Umsatzes aus. Alle drei Gründungspersonen sind promovierte Naturwissenschaftler, von denen allerdings keiner im Bereich Biologie/Biotechnologie tätig war, sondern es handelt sich um Maschinenbauer bzw. Elektrotechniker. Der Sprung in die Biotechnologie erfolgte erst durch die Zusammenarbeit mit dem Helmholtz-Forschungszentrum. Das Unternehmen legt großen Wert auf F&E und zwei der Geschäftsführer sind dementsprechend nach wie vor überwiegend in der Forschung des Unternehmens tätig. Ziel dessen ist, laut eigener Aussage, auf diese Weise das vorhandene Know-how im Unternehmen zu halten und die Kernkompetenzen als High-Tech-Unternehmens auszubauen. „Also wir haben von den Gründungsgesellschaftern, sagen wir mal einer der Gründungsgesellschafter ist vorwiegend im Bereich der Finanzen, Vertriebssteuerung tätig und zwei der Gründungsgesellschafter sind nach wie vor im F&E-Bereich tätig. […] Also geplant ist das sicherlich nicht, aber es ergibt sich teilweise vor dem Hintergrund, dass in einem HightechUnternehmen, dass das Know-how ein wesentlicher Faktor ist und dass auch letzten Endes die Produkte oder das Unternehmen durch seine eigenen Produkte halt besteht am Markt. Und wenn man die Produkte selber entwickelt, dann macht es auch Sinn, dass man sie in gewisser Weise selber auch prägt. Und das ist bei uns noch der Fall.“ (Herr Stiller, 25-27)
Das Unternehmen ist stark produktorientiert, was sich allein schon anhand des hohen Stellenwertes des Vertriebsbereiches zeigt. Dementsprechend viel Wert wird auf die forschungsintensive Weiterentwicklung der vorhandenen Produkte und Technologien gelegt. Zu diesem Zweck verfügt das Unternehmen neben den Werkstätten, in welchen die Kultivierungsanlagen und die entsprechende ITSoft- und Hardware nach Kundenwünschen zusammengebaut werden, auch über ein Labor zur technologischen Weiterentwicklung der Anlagenkomponenten. Das Unternehmen ist wachstumsorientiert und strebt insbesondere im Marktsegment der Kultivierungsanlagen die Weltmarktführerschaft an. Dies ist laut Vertriebsleiter für ein solches Unternehmen eine unerlässliche Strategie. Im Vertrieb ist das Unternehmen global ausgerichtet und vertreibt seine Technologien sowohl in Europa, Asien als auch in den USA. Das Unternehmen hat dementsprechend seit ca. 5 Jahren in den USA eine Tochtergesellschaft, welche für das Marketing, den Vertrieb und den Service für die Kunden in den USA und Kanada verantwortlich ist.
190
Forschung und ForscherInnen in Spin-offs
5.2.4 Unternehmen D – Dienstleister Biotechnologie Unternehmen D ist ein kleines Dienstleistungsunternehmen im Biotechnologiebereich und besteht zum Zeitpunkt der Untersuchung aus drei Personen, den zwei Gründern und einem Angestellten in Teilzeit. Das Unternehmen ist Anfang des neuen Jahrtausends als Ausgründung aus einer Universität heraus entstanden und hat sich in Reichweite dieser Universität und eines Forschungszentrums der Helmholtz-Gemeinschaft in einem Technologiezentrum angesiedelt. Das Unternehmen hat sich auf Dienstleistungen im Bereich der Bioprozesstechnologie spezialisiert. Die Kernkompetenz des Unternehmens liegt in der Fermentation im kleinvolumigen Segment. Einer der Gründer war an der Universität an der Erfindung einer speziellen Technologie zur Fermentation beteiligt. Dieses und andere Analytikverfahren bietet das Unternehmen als Dienstleister an. Neben dem umfassenden Dienstleistungsangebot ist das Unternehmen Vertriebspartner für verschiedene kleinere Geräte, z.B. Schüttelapparate, verschiedene Verbrauchsmaterialien für Screeningverfahren usw. und führt für Kunden auch Schulungen zu verschiedenen Bioprozesstechnologien durch. Damit ist das Unternehmen von der grundsätzlichen Ausrichtung her dienstleistungsorientiert. Der Vertrieb verschiedener Technologien ist lediglich als ergänzender Service und zusätzliche Einnahmequelle gedacht. Über eigene Technologien oder Produkte verfügt das Unternehmen nicht, war allerdings im Rahmen von Forschungskooperationen an der Entwicklung zweier Technologien, die sie über Lizenzen auch vertreiben dürfen, mit beteiligt. Patentrechte konnten das Unternehmen bzw. die Gründer aus diesen Kooperationen und auch aus ihren früheren Tätigkeiten als wissenschaftliche Mitarbeiter in einem Forschungsinstitut allerdings nicht erwerben. Schwierig wird eigene Forschung durch das Selbstverständnis des Unternehmens als Dienstleister, vor allem auch im Hinblick auf die Forschungsdienstleistungen, die sie für andere Biotechunternehmen durchführen. Das Unternehmen muss strikt darauf achten, nicht in Konkurrenz zu den eigenen Kunden zu treten: „Jetzt reine Forschung, Entwicklung jetzt hin zu einem Produkt, betreiben wir […] ganz bewusst nicht, weil wir uns halt dezidiert als Dienstleister verstehen und natürlich nicht mit unseren eigenen Kunden da in Konkurrenz treten wollen. Das wird zum einen nicht gern gesehen seitens unserer Kunden, wenn dann womöglich Interessenskonflikte auftreten können. Zum anderen ist das auch durchaus berechtigt, dass man da sehr genau drauf schaut, was entwickelt man selber, was entwickelt man für Kunden. […] Na gut, das Wachstum ist natürlich gegenüber jemandem, der jetzt wirklich skalierbare Produkt macht, durch die Köpfe beschränkt. Man kann nur mit Köpfen und Maschinen wachsen, wenn man dann zunächst mal die vorhandenen ausgelastet hat. Und von daher ist hier nur ein lineares Wachstum möglich, was auch aus dem Cashflow heraus finanziert werden muss. Es gibt für Dienstleistungen kein Kapital.“ (Dr. Calvin, 15-17)
Kurzbeschreibung der untersuchten Unternehmen
191
Eher schwach ausgeprägt ist dementsprechend die Wachstumsorientierung des Unternehmens. Zwar wurde zum Interviewzeitpunkt die Einstellung eines zweiten Mitarbeiters anvisiert, allerdings rechnen die Gründer mittelfristig nur mit einem sehr langsamen Wachstum. Abschließend liefert die nachfolgende Tabelle einen zusammenfassenden Überblick über die wichtigsten Kennzahlen zu den untersuchten Unternehmen. Tab. 11: Die Kennzahlen der vier untersuchten Unternehmen A
C
D
Anfang 1990er
Anfang 2000er
gegründet
Ende 1990er
MitarbeiterInnenzahl
75
28
38
3
Branche
Chemische Katalyse
Biotechnologie
IT-Soft-/Hardware, Biotechnologie
Biotechnologie
Mix F&EDienstleistungen und Technologieanbieter Industrie und außeruniversitäre Forschungseinrichtung
Mix F&EDienstleistungen und Technologieanbieter
Technologieanbieter
F&E- Dienstleistungen
Leistungen/Angebot
Ursprüngliches Gründungsteam
1
B Mitte 1990er
Universitäre Forschung
Ansiedlung
Gewerbegebiet
Technologiepark in unmittelbarer Nähe zur Universität
Mehrdimensionale Vernetzung mit der Wissenschaft2
ja
ja
Universitäre Forschung und außeruniversitäre Forschungseinrichtung Technologiepark in unmittelbarer Nähe zum Forschungszentrum eingeschränkt
außeruniversitäre Forschungseinrichtung Technologiepark in unmittelbarer Nähe zum Forschungszentrum eingeschränkt
Persönliche Kontakte, unternehmenseigener wissenschaftlicher Beirat, Kooperationsprojekte, Publikationen in wissenschaftlichen Zeitschriften, Besuch wissenschaftlicher Tagungen, wissenschaftliche Einrichtungen als Kunde, gegenseitige Vergabe von Aufträgen (z.B. Forschungsdienstleistungen).
Quelle: eigene Darstellung
192
Forschung und ForscherInnen in Spin-offs
5.3 Forschung in Spin-offs: zwischen Rationalisierung und Wissensarbeit oder „Forschung im Kundentakt185“ 5.3.1 Vergleichsanalyse der untersuchten Unternehmen Der ausführlichen Einzelfallanalyse, in welcher die einzelnen Fallverläufe rekonstruiert wurden, folgte auf Basis der Codierung des Materials eine thematische Vergleichsanalyse. Hierbei wurden Ähnlichkeiten zwischen den Fällen sowie Besonderheiten und Zusammenhänge zwischen den Kategorien untersucht. Die nachfolgende Darstellung des empirischen Materials orientiert sich an dieser thematischen Vergleichsanalyse (vgl. Kelle/Kluge 1999). Im Verlauf der Analyse kristallisierten sich die Kontrastierungen der Unternehmen hinsichtlich ihrer Geschäftsmodelle, der Forschungsausrichtung, der Arbeitsorganisation und der Projektmanagementstrukturen als relevante Vergleichsdimensionen heraus und ermöglichten auf diese Weise eine individuelle Charakterisierung der Unternehmen. Für Spin-offs lässt sich auf diese Weise insgesamt eine große Heterogenität hinsichtlich sich kontrastierender Strategien auf den verschiedenen Ebenen, aber auch innerhalb eines Unternehmens je nach Geschäftsbereich/Abteilung feststellen. Bezüglich des Geschäftsmodells (1) der Unternehmen lassen sich stark technik- bzw. produktorientierte Unternehmen von dienstleistungsorientierten Unternehmen abgrenzen, wobei durchaus auch in Unternehmen, die stärker produktorientiert ausgerichtet sind, Serviceangebote und (Forschungs-)Dienstleistungen für die Kunden angeboten werden. Allerdings legen diese Unternehmen sowohl in ihrer strategischen Ausrichtung als auch bei der Gestaltung der Organisationsstrukturen einen starken Fokus auf die (Weiter-)Entwicklung eines Produktes bzw. einer bestimmten Technologie, teilweise sogar inklusive des Aufbaus eigener Vertriebsstrukturen. Direkt abhängig von der Ausrichtung des Geschäftsmodells ist das vom Unternehmen anvisierte Wachstum der MitarbeiterInnenzahl und des Umsatzes. Die Forschung in den Unternehmen kann ausschließlich direkt gebunden an die Kunden des Unternehmens und deren Wünsche erfolgen – durchaus auch im Sinne von Auftragsforschung – aber desgleichen ohne direkte Kundenbindung, jedoch immer in Hinblick auf einen möglichen zukünftigen Markt. Insgesamt 185
Begrifflich angelehnt an „Toyotismus“: Produktion im Kundentakt. Ausführlicher siehe u.a. Kissler, Leo (Hg.) (1996): Toyotismus in Europa: schlanke Produktion und Gruppenarbeit in der deutschen und französischen Automobilindustrie, Deutsch-französische Studien zur Industriegesellschaft Bd. 19, Frankfurt a.M./New York: Campus Verlag.
Forschung in Spin-offs: zwischen Rationalisierung und Wissensarbeit
193
können drei Formen der Forschungsausrichtung (2) in den Unternehmen unterschieden werden, wobei überwiegend erstere in der Regel besonders stark kundengetrieben ist: a) Produktweiterentwicklung und Erbringung von standardisierten Forschungsdienstleistungen, wobei auf das in der Disziplin vorhandene Methodenspektrum zurückgegriffen wird. b) Forschungsintensive Produktentwicklung und Erbringung von Forschungsdienstleistungen, wobei eine Anpassung/Modifikation des in der Disziplin vorhandenen Methodenspektrums bzw. unternehmenseigener Methoden auf die Kundenbedürfnisse erfolgt. c) Freie Forschung und Entwicklung (eigenfinanziert, VC-finanziert, durch öffentliche Forschungsgelder finanziert). In Hinblick auf die Unternehmensstrukturen erfolgt die Organisation (3) der Arbeit in den Unternehmen entweder über die Bildung einzelner Abteilungen, ist also durch starke funktionale Arbeitsteilung geprägt, oder sie ist überwiegend oder ausschließlich projektförmig organisiert. Bezugnehmend auf die Ausführungen in Kapitel 4.3. zu den von Hobday (2000) entwickelten sechs Idealtypen der Organisationsstruktur stehen sich hier die funktionale Organisation und die projektbasierte Organisation als die zwei voneinander entferntesten Pole gegenüber, wobei keines der hier untersuchten Unternehmen einem dieser extremen Idealtypen in Reinform entspricht. Es geht vielmehr um die Gewichtung und Balance der Abteilungs- und der Projektstrukturen. Die stärkere Gewichtung der Abteilungs- oder der Projektstrukturen wirkt sich jeweils unterschiedlich auf die Anforderungen an die wissenschaftlichen MitarbeiterInnen aus. In Ersteren steht vor allem die fachliche Spezialisierung im Mittelpunkt, in Zweiteren vornehmlich die interdisziplinäre und interfunktionelle Zusammenarbeit in wechselnden Projekten. Ebenfalls kennzeichnend für die Unternehmen ist die Art des Projektmanagements (4) in dem jeweiligen Spin-off. Wie bereits deutlich wurde, benötigen ForscherInnen/WissensarbeiterInnen spezifische Freiräume bezüglich der eigenverantwortlichen Gestaltung der täglichen Arbeit, aber auch Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Rahmenbedingungen der Projekte. In den untersuchten Unternehmen gibt es teilweise eine Bündelung von Entscheidungsbefugnissen auf übergeordneter Führungsebene, die allerdings nicht durchgängig mit spezifischen Kompensationsmaßnahmen, z.B. einer Abfederung des Kundendrucks durch das Management und die mittlere Führungsebene, einhergeht. Das Projektmanagement kann geprägt sein durch einen hohen Grad der Standardisierung der Projektabläufe und eine ausgeprägte Ergebnisorientierung, d.h. punktuelles Controlling über Meilensteine. Infolgedessen ist es auf der einen Seite angebracht von einem geschlossenen Projektmanagement zu sprechen und einen
194
Forschung und ForscherInnen in Spin-offs
möglichst hohen Standardisierungsgrad durch feste Projektrahmenbedingungen, funktionale Arbeitsteilung und geringe Einflussmöglichkeiten der MitarbeiterInnen zu Grunde zu legen. Demgegenüber kann auf der anderen Seite von einem offenen Projektmanagement gesprochen werden, im Sinne einer ganzheitlichen Problembearbeitung, einer Öffnung für Ideen und Belange der ProjektmitarbeiterInnen und der Schaffung von Freiräumen für diese. Ein geschlossenes Projektmanagement schließt jedoch nicht aus, dass die jeweiligen ProjektmitarbeiterInnen sich selbst, ihre tägliche Arbeit bzw. die einzelnen Arbeitsschritte eigenverantwortlich organisieren können, sie tun dies lediglich innerhalb der ihnen gesetzten, engen Rahmenbedingungen. Kontrastierung der Unternehmen Die Darstellung des empirischen Materials erfolgt anhand der entwickelten inhaltlichen Kategorien. Daher wird als Orientierungshilfe und für das bessere Verständnis der nachfolgenden Ausführungen bereits an dieser Stelle die auf dem empirischen Material basierende Kontrastierung der Unternehmen anhand der relevanten Analyseebenen vorgestellt: Unternehmen A und B lassen sich gegenüber Unternehmen C bezüglich der Ebene der Forschungsausrichtung gut kontrastieren, bei Parallelen auf der Ebene des Geschäftsmodells und der Organisation. Investitionen in ergebnisoffene Forschung, die zwar durchaus marktorientiert erfolgt, aber nicht an einen konkreten Kundenauftrag gekoppelt ist, nehmen nur Unternehmen A und B vor. Bei der Finanzierung dieser Forschung gehen die Unternehmen zwar verschiedene Wege bzw. kombinieren unterschiedliche Finanzierungsmöglichkeiten (Venture Capital, öffentliche Forschungsgelder, Eigenfinanzierung), aber an sich handelt es sich durchweg um Forschungsprojekte bzw. Geschäftsbereiche, in welchen ergebnisoffenes Forschungshandeln vorherrschend ist. Unternehmen C hingegen beschränkt sich in seiner Forschungsausrichtung auf die forschungsintensive Produktweiterentwicklung. Überwiegend erfolgt die Weiterentwicklung der Produkte des Unternehmens auf Anregung bzw. in Kooperation mit Kunden. Dabei kann es sich entweder nur um kleinere Modifikationen bzw. Anpassungen des Produktes handeln, oder aber durchaus auch um ergebnisoffene Aufträge, die es notwendig machen das hauseigene Labor „in Betrieb“ zu nehmen. In Bezug auf die Forschungsausrichtung der Unternehmen muss allerdings festgehalten werden, dass kein Unternehmen gänzlich auf Produktweiterentwicklung bzw. die Erbringung von standardisierten Forschungsdienstleistungen verzichtet. Auch die zwei Unternehmen A und B erwirtschaften auf diese Weise einen Teil ihres Umsatzes.
Forschung in Spin-offs: zwischen Rationalisierung und Wissensarbeit
195
Des Weiteren lassen sich Unternehmen A, B und C bezüglich der Ebene des Geschäftsmodells gegenüber Unternehmen D kontrastieren. Während die ersten drei Unternehmen zwar durchaus serviceorientiert sind, in dem Sinne, dass die eigene Technik bzw. Produkte auf die Bedürfnisse des jeweiligen Kunden ausgerichtet werden und auch über den Verkauf hinaus mittel- und langfristige Serviceleistungen enthalten sind, liegen der Fokus und die strategische Ausrichtung der drei Unternehmen deutlich auf einem technik-/produktorientierten Geschäftsmodell. Unternehmen D versteht sich dagegen eindeutig als Dienstleistungsunternehmen, dessen Bemühungen hin zu einer stärker technik- bzw. produktorientierten Ausrichtung stark eingeschränkt sind und damit ebenso die Wachstumsmöglichkeiten des Unternehmens. Allerdings ist hier ganz deutlich die aktuelle Entwicklungsphase des Unternehmens zu berücksichtigen. Während Unternehmen B ursprünglich auch als Dienstleistungsunternehmen gestartet ist, es aber geschafft hat, die Ausrichtung des Geschäftsmodells zu ändern, schätzt Unternehmen D die Möglichkeiten hierzu eher schlecht ein. Dies liegt zum einen daran, dass viele andere Kunden des Unternehmens in der Biotechnologiebranche arbeiten und das Unternehmen vermeiden muss, durch die eigenen Produktentwicklungen in Konkurrenz zu den eigenen Kunden zu geraten. Zum anderen sind die zeitlichen Ressourcen für die notwendige freie Forschung bzw. forschungsintensive Produktentwicklung und Erbringung von Forschungsdienstleistungen begrenzt, da das Geschäftsmodell des Unternehmen dezidiert auf das Angebot standardisierter, günstiger Forschungsdienstleistungen ausgerichtet ist und die Forschungsdienstleistungen, die angeboten werden, nicht, wie beispielsweise im Falle von Unternehmen A, auf einer selbst entwickelten Methode beruhen, die das Unternehmen von anderen Angeboten unterscheidet. Im Fall von Unternehmen D zeichnet das günstige Preis-/Leistungsverhältnis dessen Angebot aus. Bezüglich der Organisation der Arbeit lässt sich bei Unternehmen B eine stärkere Heterogenität innerhalb des Unternehmens, je nach Geschäftsbereich, feststellen. Unternehmen A hingegen ist insgesamt einheitlicher aufgestellt und könnte aufgrund der starken Projektausrichtung durchaus als ausschließlich projektgeleitetes Unternehmen charakterisiert werden. Allerdings haben die einzelnen Funktionsbereiche, vor allem das Business Development, umfassende Kompetenzen und weitreichende Befugnisse, so dass besser von sich einander gleichberechtigt gegenüberstehenden, bzw. sich gegenseitig überlagernden, Abteilungs- und Projektstrukturen gesprochen werden kann und gemäß der von Hobday (2000) unterschiedenen Typen eher von einer „Project Matrix“ ausgegangen werden muss. Dem gegenüber muss festgehalten werden, dass Unternehmen C sich von A und B durch eine stärkere funktionale Organisationsstruktur und eine weniger stark ausgeprägte Projektbasierung auszeichnet. Unternehmen D ist
196
Forschung und ForscherInnen in Spin-offs
aufgrund seiner geringen Größe mit den anderen Unternehmen nur schwer vergleichbar, ist allerdings überwiegend projektbasiert organisiert. Ansätze einer Differenzierung sind lediglich in der Arbeitsteilung der zwei Gründer des Unternehmens erkennbar. In allen Unternehmen ist durchaus eine gewisse Interdisziplinarität beobachtbar. Diese macht sich bemerkbar in dem Vorhandensein der interdisziplinär aufgestellten Projektteams, die auf diese Weise alle fachlichen Kompetenzen zur Projektbearbeitung abdecken können, beinhaltet allerdings eher nicht die Integration von bspw. Entscheidungsbefugnissen hinsichtlich der Rahmenbedingungen der Projekte. Hinsichtlich der Frage des Projektmanagements ist in allen Unternehmen eine starke Geschlossenheit des Projektmanagements erkennbar. Die Möglichkeiten der Einflussnahme der MitarbeiterInnen sind durch die vom Kunden, der Akquiseabteilung und dem Management gesetzten Rahmenbedingungen sehr eingeschränkt und beinhalten eine Standardisierung der Projektabläufe und ein ausgeprägtes ergebnisorientiertes Controlling der Projekte. Eine Einflussnahme der MitarbeiterInnen auf die Rahmenbedingungen der Projekte ist in Unternehmen A in begrenztem Umfang gegeben für die MitarbeiterInnen, die sich aktiv um Teilhabe bemühen und in den Projekten, in denen die fachliche Kompetenz der MitarbeiterInnen bereits im Akquiseprozess verstärkt benötigt wird. Aber auch hier lässt sich eine stark ausgeprägte funktionale Arbeitsteilung feststellen, die eine Steuerung des Projektverlaufes durch die ProjektmitarbeiterInnen behindert. In Unternehmen C sind aufgrund der ausgeprägten Produktorientierung und starken Vertriebsstrukturen, über welche der Kundenkontakt und Kundenwünsche gefiltert werden, die Einflussmöglichkeiten der MitarbeiterInnen auf die Rahmenbedingungen der Projekte stark eingeschränkt bzw. nicht existent. Lediglich die konkrete Gestaltung und Selbstorganisation der alltäglichen, eigenen Arbeitsabläufe wird von allen MitarbeiterInnen in den Unternehmen selbst geleistet, wobei diese Eigenverantwortung geprägt ist durch eine starke Fremdbestimmtheit durch „Sachzwänge“, also beispielsweise inhaltliche Vorgaben, Zeitund Budgetpläne oder einen hohen Abstimmungsbedarf in den einzelnen Teams. Die nachfolgende Tabelle fasst die Einordnung der Unternehmen hinsichtlich der betrachteten Vergleichsdimensionen abschließend zusammen.
Forschung in Spin-offs: zwischen Rationalisierung und Wissensarbeit
197
Tab. 12: Einordnung der Unternehmen hinsichtlich der relevanten Vergleichsdimensionen
Organisation
Forschungsausrichtung
Geschäftsmodell
Unternehmen
Technik-/ Produktorientiert (incl. Service)
A
B
C
•
•
•
Dienstleistungsorientiert
D
•
wachstumsorientiert
•
•
•
Produktweiterentwicklung/Erbringung standardisierter Forschungsdienstleistungen
•
•
•
Forschungsintensive Produkt(weiter)entwicklung und Erbringung von Forschungsdienstleistungen
•
•
•
Reine F&E (eigenfinanziert, VCfinanziert, öffentliche Forschungsgelder)
•
•
Unternehmensstrukturen
Parallel stark ausgeprägte Projekt- und Abteilungsstrukturen
Parallel stark ausgeprägte Projekt- und Abteilungsstrukturen
Stark ausgeprägte Abteilungsstrukturen
Ausschließlich projektgetrieben
Projektmanagement
Überwiegend geschlossen
Je nach Geschäftsbereich offen oder geschlossen
geschlossen
/
Quelle: eigene Darstellung
•
198
Forschung und ForscherInnen in Spin-offs
5.3.2 Der Blick ins Detail – ExpertInnen, GründerInnen und MitarbeiterInnen kommen zu Wort Die nachfolgenden Unterkapitel geben einen detaillierten Einblick in die Interviews. Die Darstellung orientiert sich dabei nicht an den untersuchten Unternehmen, sondern an den vier inhaltlichen Querschnittsthemen, die es ermöglichen, einen umfassenden Überblick über die für Spin-offs relevanten Fragenkomplexe zu erhalten und diese aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten. Das erste Unterkapitel beschäftigt sich grundlegend mit der Frage nach der Art von Forschung in Spin-offs generell, insbesondere mit Blick auf Auftragsforschung und die Qualität des generierten wissenschaftlichen Wissens. Das zweite Unterkapitel setzt sich mit der Verortung von Spin-offs zwischen Wissenschaft und Wirtschaft auseinander. Im Gegensatz zu anderen Unternehmen können in Spin-offs die Kopplungen mit dem Wissenschaftssystem sehr vielfältig sein und dem Zu- bzw. Abfluss von Wissen dienen. Es schließen sich hier Fragen nach der Organisation der Forschung in diesen Unternehmen an. Dementsprechend erfolgt in dem dritten Unterkapitel die Auseinandersetzung mit den Organisationsstrukturen, u.a. der Kombination von Abteilungs- und Projektstrukturen, dem Projektmanagement in den Unternehmen und den Gestaltungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten der MitarbeiterInnen. Im vierten Unterkapitel stehen die wissenschaftlichen MitarbeiterInnen in den Spin-offs im Fokus. Dazu gehören Fragen der Personalentwicklung, Karrierestrukturen und die Gegenüberstellung verschiedener „ForscherInnentypen“. 5.3.2.1 Forschung durch einen zweiten Filter Wird lediglich die schlichte Definition von Forschungshandeln als „Handeln mit der Absicht der Wissenserzeugung“ (Krohn/Küppers 1989, S. 28) zugrunde gelegt, dann ist nicht zu bezweifeln, dass in einem Großteil der wissenschaftlichen Ausgründungen geforscht wird. Erst in der Auseinandersetzung mit der Art und Qualität des generierten Wissens werden die Ziele und die Methoden der Wissensgenierung in den Unternehmen relevant. Insbesondere dann, wenn diese Prozesse der Wissensgenerierung im Kontrast zu den Bedingungen wissenschaftlichen Forschungshandelns an Institutionen des Wissenschaftssystems betrachtet werden. Wie schon deutlich wurde, liegt der Generierung von Wissen unter dem Primat der Gewinnmaximierung ein grundlegendes Spannungsverhältnis zu Grunde, das vor allem in den Interviews mit den GründerInnen und wissenschaftlichen MitarbeiterInnen in Spin-offs zu Tage trat, aber auch von den ExpertInnen an den Schnittstellen immer wieder thematisiert wurde. Die Konflikte
Forschung in Spin-offs: zwischen Rationalisierung und Wissensarbeit
199
manifestieren sich in den Unternehmen je nach Geschäftsmodell und Branche sehr unterschiedlich, aber es gibt auch wiederkehrende Problematiken. Der Umgang mit Letzteren ist dabei durchaus unterschiedlich. Teilweise wird die Lösung dieser Konflikte den einzelnen MitarbeiterInnen überlassen und damit stark individualisiert, teilweise aber auch von der Geschäftsführung thematisiert und strategisch bearbeitet. Die Unternehmen entwickeln und verfolgen dabei Strategien zur Minimierung des Risikos von Forschung bei gleichzeitiger Maximierung der Innovationskraft des Unternehmens. Bezüglich der Zielrichtung und Finanzierung von Forschung in Spin-offs zeigt sich, dass es durchaus möglich ist, von einer Art „zweitem Filter“ zu sprechen, welchen die Forschungsinhalte und -ergebnisse – im Vergleich zu der an Universitäten und außeruniversitären Einrichtungen stattfindenden Forschung – durchlaufen müssen. Hier machen sich auch die Auswirkungen des Geschäftsmodells und der Organisation der Kundenschnittstelle bemerkbar. Nicht nur der Stellenwert von F&E im Unternehmen wird dadurch bestimmt, auch der hohe Anteil an Auftragsforschung für Kunden beeinflusst die Art der in Spin-offs durchgeführten Forschung und die Art des generierten Wissens. Allerdings bedeutet eine Ausgründung auch immer eine starke Spezialisierung auf ein bestimmtes Wissensgebiet und eine Professionalisierung der Forschungs- und Projektstrukturen. Diese Spezialisierung und Professionalisierung garantiert eine hohe Qualität des generierten Wissens. Deutlich wird aber, dass die Bewertungskriterien für die Qualität des generierten Wissens sich klar von denen unterscheiden, welche die Scientific Community an wissenschaftliches Wissen stellt. Dies schließt nicht aus, dass das generierte Wissen auch den Ansprüchen der Scientific Community gerecht werden kann. Die prinzipielle Ergebnisoffenheit von Forschung ist ein grundlegendes Problem für Spin-offs und trotz aller Gegenmaßnahmen nicht vollständig eliminierbar. Die Investition in Forschung geschieht nur, wenn ausreichend hohe Gewinne aus der Verwertung des Wissens erwartet werden können. Die Minimierung des Risikos erfolgt durch eine Anpassung der Methoden und der Fragestellungen, denen nachgegangen wird. Auf diese Weise soll der wirtschaftliche Erfolg trotz Ergebnisoffenheit der Forschung garantiert werden. Ein grundsätzliches Dilemma ist in diesem Zusammenhang, dass nur die Ergebnisoffenheit von Forschung die Generierung neuen Wissens und Innovationen ermöglicht, das Überleben des Unternehmens in der Regel aber nur durch eine möglichst hohe Ergebnisgarantie gewährleistet werden kann. Die akademische Wissenschaft ist aus diesen Gründen eine unersetzliche Wissensquelle und zumindest für einen Teil der Unternehmen als Kooperationspartner unentbehrlich.
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Forschung und ForscherInnen in Spin-offs
Im Zuge der Codierung und Auswertung des empirischen Materials kristallisierten sich im Hinblick auf Fragen der Forschungsorganisation und der Art des in Spin-offs generierten Wissens die nachfolgenden relevanten Kategorien heraus. Zum Abgleich mit dem Originalmaterial werden ausgewählte Interviewpassagen entsprechend als Beleg angeführt. ¾ ¾ ¾ ¾
Marktgetriebene Forschung und Entwicklung Auftragsforschung mit garantiertem Ergebnis? Die Anpassung der Methoden und Qualitätskriterien Spin-offs als hochspezialisierte Vermittler zwischen Wissenschaft und Wirtschaft?
Marktgetriebene Forschung und Entwicklung Vor dem Hintergrund der traditionellen Grenzziehungen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft müsste die Antwort auf die Frage, ob in Spin-offs Grundlagenforschung durchgeführt wird, verneint werden. Angesichts der großen Heterogenität der Spin-offs sowie deren unterschiedlicher Ausrichtung, Entwicklungsstadien und verschiedenen Finanzierungsformen ist das Bild jedoch deutlich komplexer, als es sich auf den ersten Blick darstellt. Bei der Beurteilung der Art von Forschung und der Qualität des Wissens ist es unumgänglich, sich die Frage nach dem angewandten Maßstab zu stellen. Die Redewendung „Forschung durch einen zweiten Filter“ geht auf einen der Interviewpartner selbst zurück. Bezeichnenderweise handelt es sich um eine Person, die zwar zum ursprünglichen Gründungskreis von Unternehmen A gehörte und am Unternehmensgründungsprozess direkt beteiligt war, sich aber dann doch entschlossen hat, als Direktor eines Max-Planck-Institutes in einer Institution des akademischen Wissenschaftssystems zu verbleiben. Der Professor ist heute als Berater und Mitglied im Aufsichtsrat weiterhin mit dem Unternehmen verbunden. Während des Interviews wurde mehrfach deutlich, wie stark seine Einstellung und Meinungen zum Thema durch seine aktuelle Position im akademischen Wissenschaftssystem und sein Bild von wissenschaftlicher Forschung geprägt sind. „In der Wissenschaft ist Forschung neugiergetrieben. Wenn ich mit einem Satz charakterisieren soll, was treibt meine Forschung, dann ist das der Satz ‚mal gucken ob das geht’, völlig unabhängig davon, ob man das für irgendetwas braucht. Diese Frage mögen die Kollegen in der Wirtschaft auch haben, gerade in den Start-ups. Da ist dann aber immer jemand, der fragt ‚kann man damit auch Geld verdienen am Ende’. Also da ist ein zweiter Filter drin.“ (Prof. Sandholz, S. 2)
Forschung in Spin-offs: zwischen Rationalisierung und Wissensarbeit
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Entscheidend ist für Professor Sandholz die Freiheit der Forschung und die ihr zugrunde liegende Motivation. Für ihn ist wissenschaftliche Forschung stark an die Institutionen des Wissenschaftssystems gebunden, da nur in diesen die Freiheit der Forschung garantiert werden kann. Wer das Institut verlässt, der gibt seiner Ansicht nach die Wissenschaft und deren Rahmenbedingungen zur Wissensgenerierung endgültig auf. Die generelle Unterordnung aller Forschungsbelange unter die Unternehmensziele ist ein entscheidender Faktor bei der Betrachtung von Forschung in Spin-offs. Die vorrangige Frage in einem Spin-off ist, was das Unternehmen voranbringen und sein Überleben garantieren kann. Allein die Betrachtung der unterschiedlichen Zeithorizonte, die in Forschungseinrichtungen im Gegensatz zu Unternehmen gelten, verdeutlichen die Unterschiede. In der Regel wird in Spin-offs viel kurzfristiger gedacht, in Zyklenzahlen von einem halbem bis einem Jahr. In Forschungseinrichtungen gelten hingegen sehr viel längere Zeithorizonte, wie die ExpertInnen in den Transferstellen und Inkubatoreinrichtungen bestätigen. „Wir gucken nicht auf den aktuellen Markt, wir gucken auf einen Markt in fünf bis zehn Jahren.“ (Dr. Jonas, S. 1)
Für ein Spin-off sind solche Zeithorizonte zu langfristig. Eine Ausnahme ist nur dann möglich, wenn einzelne Geschäftsbereiche mit mittel- und langfristigen Forschungshorizonten durch externe Geldgeber finanziert werden. Dies ist zum Beispiel bei Unternehmen B der Fall, in welchem der Geschäftsbereich Wirkstoffforschung/Pharma durch Venture Capital finanziert wird. Zusätzlich werden Forschungskooperationen, z.B. im Rahmen von Verbundprojekten, mit Universitäten oder Forschungseinrichtungen eingegangen.186 In Unternehmen A und D werden darüber hinaus in einem gewissen Rahmen zur strategischen Weiterentwicklung des Unternehmens interne Forschungsprojekte eigenfinanziert. Das geht natürlich nur in einem sehr begrenzten finanziellen und/oder zeitlichen Rahmen. In Unternehmen A wird ein kleines Forschungsprojekt finanziert, während in Unternehmen D der Gründer seine Freizeit – sofern vorhanden – in eigene Forschung investiert. Der Stellenwert dieser internen, eigenen Projekte im Vergleich zu Kundenprojekten verdeutlicht sich in erster Linie daran, dass Forschungsinteressen in Spin-offs immer den Unternehmenszielen und den Anforderungen des Marktes untergeordnet werden. Dies ist klar erkennbar, wenn es in 186
Der Geschäftsführer von Unternehmen A sieht allerdings die aufwendige Beantragung öffentlicher Forschungsprojekte als problematisch. Des Weiteren konstatiert er eine gesunkene Bereitschaft von Universitäten und Forschungseinrichtungen zur Kooperation im Zuge der Exzellenzinitiativen. Siehe hierzu detaillierter in Kapitel 5.4.1.2.
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den Unternehmen bei knappen Personalressourcen darum geht, welche Projekte prioritär abgearbeitet werden: „Und wenn es eben längerfristige Sachen sind, natürlich, dann werden wir auch Mitarbeiter akquirieren, aber es muss eben längerfristig sein. Also es ist jetzt nicht für ein Projekt, was nur ein oder zwei Monate dauert. Dann neigt man schon dazu, zu schauen, wem können wir das hier noch geben, draufpacken?187 Ich sag mal, es kommt ja gar nicht oben drauf, dann müssen eben bestimmte Sachen, die werden dann eben, die ruhen dann. Also wir haben nicht nur Kundenprojekte, sondern wir haben natürlich auch interne Produktentwicklungsprojekte und dann wird eben überlegt, wo gibt es Ressourcen, wo kann man Ressourcen einsparen, wo kann der Mitarbeiter anderweitig entlastet werden, so dass wirklich nicht zu viele Überstunden gemacht werden.“ (Dr. Wassermann, S. 5)
Nicht nur dieses Beispiel aus Unternehmen B verdeutlicht klar, mit welch knappen Personalressourcen teilweise in Spin-offs gearbeitet wird. Auch die Interviews mit den MitarbeiterInnen und GründerInnen aus den anderen Unternehmen können als Beleg hierfür herangezogen werden. Diese internen Forschungsprojekte haben zwar einen hohen strategischen Wert für das jeweilige Unternehmen. Werden die anvisierten Forschungsziele tatsächlich erreicht, können mittelund langfristig betrachtet neue Geschäftsfelder erschlossen werden. Doch trotz des hohen Stellenwerts der Generierung neuen Wissens und der Hervorbringung von Innovationen für diese Unternehmen ist die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen problematisch. Wie die Verfahrensweise bei knappen Personalressourcen aufzeigt, ist Forschung in den Unternehmen in erster Linie ein zu kalkulierender Kostenfaktor. Als größter Einwand gegen ein hohes Maß an Forschung in Spin-offs ist auch aus Sicht der TransferexpertInnen die absolute Vorrangstellung finanzieller und wirtschaftlicher Erwägungen bzw. Notwendigkeiten, auf die der besagte „zweite Filter“ zurückgeht. Einige Transferverantwortliche halten Forschung in Spin-offs schlicht für nicht finanzierbar. „Und das fand ich ein bisschen lustig, da fing ich an zu lachen, als Sie sagten, die machen F&E-Arbeiten. Das wäre natürlich für ein Unternehmen tödlich. Denn die müssen zunächst mal irgendwie sehen, wie sie an Geld kommen.“ (Dr. Jonas, S. 1)
Wenn überhaupt, kann nach Ansicht dieses Experten in Spin-off-Unternehmen höchstens Produktweiterentwicklung durchgeführt werden. Eine Einschätzung, der vor dem Hintergrund dieser Untersuchung zumindest unter Vorbehalt zugestimmt werden kann, denn die Finanzierung der Forschung ist tatsächlich ein großes Problem für die Unternehmen und begrenzt den Umfang an nicht kundenfinanzierter Forschung und Entwicklung erheblich. Ein Teil der Forschung in 187
Fragen der Interviewerin werden hier und in nachfolgenden Zitaten kursiv dargestellt.
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den hier untersuchten Unternehmen wird aufgrund dessen tatsächlich – wie schon erwähnt – in erster Linie über externe Geldgeber, also staatliche Forschungsförderung oder VC-Geber, finanziert. Gleichwohl gibt es in begrenztem Umfang auch eigenfinanzierte Forschungsprojekte in den Unternehmen. Die Finanzierung über Venture Capital ist ein Weg, den gerade im Biotechnologiebereich viele GründerInnen gewählt haben und der nach den Erfahrungen der interviewten ExpertInnen in den Technologieparks auch durchaus eine erfolgreiche Finanzierungsstrategie sein kann. Die Probleme einer VC-Finanzierung ergeben sich für die GründerInnen in der Regel vor allem in den nachfolgenden Finanzierungsrunden, wenn ihr Anteil am Unternehmen im Verhältnis zu den externen Geldgebern kontinuierlich sinkt und in denen sie teilweise aus dem Unternehmen bzw. der Unternehmensleitung gedrängt werden. Die Finanzierbarkeit von Forschung ist ein immer wiederkehrendes, zentrales Thema in den Interviews. Forschung in Spin-offs muss sich in erster Linie rentieren, oder wie es plakativ formuliert wurde: „Wenn ich irgendwo was reintue, dann muss ich auch was rausbekommen.“ (Dr. Sieger, S. 7)
Und in der Tat widerspricht dieses grundlegend dem Anspruch und Ziel von Forschungshandeln im Rahmen des Wissenschaftssystems, wie es an Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen stattfindet. Das Kaufmännische hat bei einer Firmenführung „den absoluten Primat“ (Dr. Calvin, S. 4). Absolut entscheidend für den Bestand des Unternehmens ist der Verkauf, letztlich die Umwandlung des Wissens in Gewinn. Aus diesem Grund kann aus Sicht der Geschäftsführung, und teilweise auch der MitarbeiterInnen, die in dem jeweiligen Unternehmen durchgeführte Forschung keine Grundlagenforschung sein. Zu lange Zeithorizonte und vor allem der noch nicht klar bestimmbare wirtschaftliche Nutzen sind nach Ansicht der Geschäftsführung der untersuchten Unternehmen die primären Gründe, die hier Investitionen verhindern. Die Anerkennung des Vorrangs der Wirtschaftlichkeit erfordert unter Umständen auch die Unterdrückung bzw. Aufgabe persönlicher wissenschaftlicher Erkenntnisinteressen. „Nein, ich denke schon, dass ich nach wie vor primär als Wissenschaftler denke, aber das muss man halt auch ab und zu mal beiseite legen und, oder nicht beiseite legen, aber akzeptieren, dass es was Wichtigeres gibt. Und das ist, diese Wissenschaft irgendwovon zu bezahlen.“ (Dr. Calvin, S. 6)
Zwar verweisen alle Unternehmen auf ihre offenen Kommunikationsstrukturen, die es jedem Mitarbeiter ermöglichen, Vorschläge und Ideen einzubringen. Trotzdem ist eine „Forschungsfreiheit“ im universitären Sinne in den Spin-offs
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nicht auffindbar. Die MitarbeiterInnen selbst haben keinen direkten Einfluss auf die Projektinhalte bzw. -themen und ihr kreativer Freiraum beschränkt sich in der Regel auf die Freizeit. Unternehmensressourcen, beispielsweise zur Entwicklung von Projektideen, werden hierfür in keinem der Unternehmen bereitgestellt. Unternehmen D als Zwei-Mann-Unternehmen und Dienstleister nimmt hier eine Sonderrolle ein. Zwar ist die Geschäftsführung auch gleichzeitig das wissenschaftliche Personal und kann dementsprechend die Ressourcen für die Weiterentwicklung der Produkt- und Dienstleistungspalette des Unternehmens selbstständig steuern. Aufgrund des hohen Arbeitsanfalls und potentieller Interessenkonflikte mit den Kunden des Unternehmens sind aber auch hier die Möglichkeiten sehr begrenzt. In den Unternehmen entstehen Ideen für neue Forschungsinhalte eher zufällig. Das kreative Potential der MitarbeiterInnen wird zwar nicht behindert, allerdings auch nicht bewusst gefördert. „Und die arbeiten relativ fokussiert in einem oder zwei Projekten, haben nebenher noch ein bisschen, wenn sie Lust und Zeit haben, können sie ein bisschen kreativen Freiraum noch ausnutzen.“ (Dr. Diekmann, S. 8)
Insgesamt sind in den Unternehmen allenfalls erste Ansätze einer aktiven und strategischen Förderung und Nutzung des kreativen Potentials der MitarbeiterInnen erkennbar. „Also wir haben ein System, dass im Prinzip jeder Mitarbeiter Projektvorschläge einbringen kann, wenn er gute Ideen hat, da gibt es einen ganz klaren Leitfaden, welche Dinge erfüllt sein müssen. Es wird dann innerhalb des Projektes, also bei dem Vorschlag eben auch geprüft, wie ist die, ja, Umsetzbarkeit des Projekte, also wie ist der wirtschaftliche Erfolg des Projektes, weil es kann keine Projekte geben, die reinem Wissensgewinn dienen, sondern es müssen Projekte sein, die [Unternehmen B] auch wirklich nutzen, ja, und da hat jeder Mitarbeiter die Möglichkeit zu. Natürlich, ich sag mal, ist jetzt nicht, hat nicht jeder irgendwie stundenlang Zeit pro Woche über irgendwelche Projekte nachzudenken, sondern wir nutzen die Personalressourcen schon auch aus, die wir haben.“ (Dr. Wassermann, S. 10-11)
Wenn also MitarbeiterInnen die Zeit gefunden haben, eigene Ideen zu generieren, dann müssen diese dementsprechend zunächst wirtschaftliche Kriterien erfüllen, also Gewinne versprechen. Zur Beurteilung der Erfolgsaussichten und Gewinnversprechungen einer Idee durchläuft diese innerhalb des Unternehmens einen formalen Prozess. Erst wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind, werden den MitarbeiterInnen u.U. die Zeit und das Geld zur Verfolgung der jeweiligen Idee zur Verfügung gestellt. „Kreativer Freiraum und die Möglichkeit eigene Ideen zu verfolgen, dafür bleibt keine Zeit? Das ist nicht drin. Also eigene Ideen gibt’s, also was heißt nicht drin, das ist nicht richtig. Es gibt das, es ist ein formaler Prozess, wenn ich eine Projektidee habe oder eine Entwicklungs-
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idee habe, dann kann ich die vorstellen, einbringen, mir dafür Zeit geben lassen und dann kann ich die auch verfolgen. […] Aber es muss immer am Ende Geld kommen. Es muss ein Produkt werden, irgendetwas, was wir verkaufen können.“ (Dr. Wollenstein, S. 5-6)
Inwiefern es unter diesen Umständen möglich ist, auch komplexe Fragestellung zu entwickeln, deren Konzipierung sehr zeitaufwendig sein kann, bleibt fraglich. Es handelt sich daher verstärkt um Ideen für inkrementelle Innovationen.188 Es zeigt sich, dass Forschung in Spin-offs nicht einfach nur einen zweiten Filter durchläuft, sondern vielmehr einem zusätzlichen und auf gänzlich anderen Kriterien beruhenden Bewertungsverfahren ausgesetzt ist. An erster Stelle steht die Ausrichtung und Prüfung der Forschung anhand wirtschaftlicher Kriterien. Entscheidend ist, ob die Ergebnisse der Forschung vermarktbar sind oder in ein am Markt nachgefragtes Produkt oder eine Dienstleistung umgewandelt werden können. Zweitens stellt sich dann die Frage, wie hoch die Erfolgsaussichten des Forschungsprojektes sind, d.h. ob eine möglichst hohe Ergebnisgarantie gegeben werden kann. Und erst drittens taucht die Frage auf, wie die Qualität des Wissens garantiert werden kann und welche in der Disziplin anerkannten wissenschaftlichen Methoden dazu angewendet werden müssen. Denn es ist nicht nur die Finanzierbarkeit von Forschung, die Spin-offs Schwierigkeiten bereitet. Die Probleme, denen sich alle neu gegründeten Spin-offs – ob sie nun VC-finanziert sind oder nicht – angesichts ihrer Forschungsaktivitäten gegenübersehen, sind sehr viel grundsätzlicherer Natur. Vor allem, wenn die Unternehmen sich mit einem noch nicht marktfähigen Produkt gründen. Zu diesen grundlegenden Problemen gehört hier die bis zu einem gewissen Grad immer gegebene Ergebnisoffenheit von Forschung, der aufgrund dessen stets ein bestimmtes Misserfolgsrisiko inhärent ist. „Die gehen alle kaputt, wenn dieser Forschungsauftrag nicht funktioniert. Also Forschungsaufträge sind ja immer verbunden mit einem gewissen Risiko, dass es klappt oder nicht klappt.“ (Dr. Jonas, S. 3)
Ein weiteres Problem bei der Konzentration eines Großteils der Ressourcen des Unternehmens auf Forschung und Entwicklung ist die damit einhergehende unzulängliche Ausrichtung auf die Akquise. Die Bindung des größten Teils der 188
Inkrementelle Innovation ist als Verbesserung und Weiterentwicklung bereits bestehender Technologien oder Produkte zu verstehen. Zum Begriff der inkrementellen Innovation im Gegensatz zu radikaler Innovation siehe u.a. Braun-Thürmann (2005, S. 43): „In dieser Perspektive vollzieht sich der technologische Fortschritt während einer ersten Phase in inkrementellen Schritten. […] Derlei Innovationen folgen einem Nachfragesog (demand pull), da die Unternehmen diejenigen Eigenschaften weiterzuentwickeln trachten, die den durch Marktstudien eruierten Kundenwünschen entsprechen. Bestehende Technologien, die sich bereits auf dem Markt bewährt haben, werden zum Ausgangspunkt der innovatorischen Bemühungen.“
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Personalkapazitäten an die Forschung verhindert die Beschaffung sonst fehlender Nachfolgeaufträge: „Aber dann kam nichts mehr nach. Sie haben ja keine Zeit, wenn sie in der Entwicklung sind, sich über andere Sachen Gedanken zu machen. Und selbst wenn sie gute Gedanken haben, die können sie erst danach erledigen, weil sie einfach die Personalkapazitäten nicht haben. Das heißt, da fehlt der Anschluss und dann bricht das System zusammen.“ (Dr. Jonas, S. 5)
Besonders die Anfangsphase bzw. der Übergang von der SEED-Phase ist hier besonders kritisch und erfordert eine Anpassung der Forschungsausrichtung und -organisation in den Spin-offs.189 Entscheidend ist die Frage, wie die Unternehmen Wertschöpfung durch, aber auch trotz Forschung gewährleisten können. Denn deutlich wurde in den Interviews ebenfalls, dass auf Forschung in derartig wissensintensiven Wirtschaftszweigen nicht verzichtet werden kann, da allein aufgrund der hohen Spezialisierung nicht alles Wissen von außen eingekauft werden kann. Das Forschungsrisiko kann dementsprechend nicht vollständig externalisiert werden.190 Vor diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, dass trotz der Einschränkungen, denen Forschung in Spin-offs unterliegt, lediglich die interviewten unternehmensexternen ExpertInnen die Möglichkeit wissenschaftlicher Forschung in kleinen bzw. mittelständischen Unternehmen grundsätzlich negieren. Im Gegensatz zu ihnen haben die wissenschaftlichen MitarbeiterInnen und auch die GründerInnen der Unternehmen ein deutlich indifferenteres Verhältnis zu der Frage, ob wissenschaftliche Forschung in Spin-offs möglich ist und inwieweit die dort durchgeführte Forschung den Anforderungen der Scientific Community entspricht. Dabei unterscheiden sich nicht nur die Aussagen der interviewten Personen untereinander. Teilweise werden selbst im Verlauf eines einzelnen Interviews diesbezüglich unterschiedliche Einschätzungen durch die interviewte Person vorgenommen. In diesem Zusammenhang spielen nicht nur die jeweiligen Situationen und Handlungskontexte der Personen eine Rolle, auch für die einzelne Person selbst ist keine eindeutige Entscheidung möglich. Es läuft immer auf ein „sowohl als auch“ hinaus, ein Nebeneinander von Projekten mit geringem bzw. keinem Forschungsanteil und Projekten mit hohem Forschungsanteil. Die Einschätzungen der Mitarbeiterinnen zum wissenschaftlichen Wert ihrer Forschungsarbeit sind entsprechend widersprüchlich. Neben den MitarbeiterInnen, 189
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Zu Finanzierungs- und Krisenmanagementstrategien speziell von Biotechnologieunternehmen in Deutschland siehe u.a. Patzelt (2005). Das macht sich auch in der Notwendigkeit zur Kooperation mit Institutionen des Wissenschaftssystems bemerkbar (siehe Kapitel 5.4.1.2.). In vielen Branchen lassen sich inzwischen Versuche einer derartigen Externalisierung erkennen, z.B. in der chemischen Industrie (vgl. hierzu Roski 2009).
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die den wissenschaftlichen Wert ihrer Forschungsarbeit durchaus kritisch bewerten, gibt es einige, die diesen im Gegenteil als sehr hoch einschätzen. Am Beispiel von Unternehmen A und B kann gut verdeutlicht werden, wie sehr dies vom grundsätzlichen Geschäftsmodell des Unternehmens, aber auch vom jeweiligen Geschäftsbereich abhängt. In den Geschäftsbereichen, in denen hauptsächlich Kundenaufträge bearbeitet werden, ist der Gewinn neuen Wissens eher gering und das angewandte Methodenspektrum häufig sehr schmal. Gerade jedoch in den Geschäftsbereichen, die z.B. wie bei Unternehmen B durch Venture Capital finanziert werden, ist der Forschungscharakter der Arbeit sehr viel stärker ausgeprägt. Dementsprechend unterschiedlich bewerten die MitarbeiterInnen die Art der Forschung und die Qualität des generierten Wissens. Gerade das Geschäftsmodell des Unternehmens hat damit einen erheblichen Einfluss auf den Stellenwert von F&E. Je produktorientierter ein Unternehmen aufgestellt ist, desto weniger Bedeutung sprechen Geschäftsführung und MitarbeiterInnen u.U. der Wissensgenerierung zu. Verfügt das Unternehmen über eine innovative, gut am Markt platzierte Technologie oder ein entsprechendes Produkt, umso wahrscheinlicher ist es, dass die Forschung in diesem Fall primär auf die Produktweiterentwicklung ausgerichtet ist. In besonders hohem Maß gilt das für Unternehmen C, bezogen auf Unternehmen A und B sind zumindest einzelne Geschäftsbereiche betroffen. Daneben gibt es in den beiden letzteren Unternehmen aber auch Projekte und Geschäftsbereiche, in denen forschungsintensive Produktentwicklung und „freie“ Forschung stattfindet. Das Geschäftsmodell von Unternehmen C hingegen sieht lediglich Entwicklung im Sinne von Produktweiterentwicklung vor, die in enger Kooperation mit den Kunden erfolgt: „Wir befinden uns aber auf einem Markt, wo wir jetzt nicht ein Consumerprodukt mit Millionenstückzahlen vertreiben, sondern wo wir Hightechprodukte für hochspezialisierte Anwender entwickeln und dieses Produkt natürlich auch mit dem Markt, mit den Anforderungen des Kunden wächst. Das ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Und ein Produkt wird in dem Sinne nie fertig.“ (Dr. Stiller, S. 1)
Bezeichnenderweise stuft der Gründer den Stellenwert von Forschung in seinem Unternehmen trotzdem als außergewöhnlich hoch ein. Für ihn besteht die Kernkompetenz des Unternehmens in dessen F&E-Fähigkeiten. Er beziffert den F&EAnteil im Unternehmen mit 100%, eine Einschätzung, die allerdings vor dem Hintergrund der Unternehmensbegehung und des Interviews mit dem Vertriebsleiter des Unternehmens relativiert werden muss. „Ja, 100%. Der F&E-Anteil ist hier sehr, sehr hoch. Wir sehen das auch als, ja es ist einmal die Kernkompetenz, die wir haben. Und es ist letzten Endes auch, ja, es ist im Grunde genommen das Produkt, es ist das Kapital, was man auch hat als Hightech-Unternehmen.“ (Dr. Stiller, S. 2)
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Der hohe Stellenwert für das Unternehmen, den der Geschäftsführer und der Vertriebsleiter F&E zuschreiben, erklärt sich vielmehr durch das Produkt selber, das als Hightechprodukt dementsprechend hohe Anforderungen an die Weiterentwicklung stellt. Der Vertriebsleiter des Unternehmens und auch der Gründer betonen jedoch deutlich, dass ein Großteil der Forschung bzw. Produktweiterentwicklung kundengetrieben ist. „Wenn wir jetzt auf fachlicher Ebene uns das angucken, dann bringen in der Regel wir vom Vertrieb her die Wünsche hier rein, die werden beredet […].“ (Dr. Sieger, S. 4) „Das heißt eine Entwicklung, die wir machen, kommt im Wesentlichen vom Markt her, also wir sind im Dialog mit unseren Kunden, wir hören zu und daraus schöpfen wir die Ideen. Und die werden dann abgeklopft auf Machbarkeit, auf Marktrelevanz und werden dann entsprechend umgesetzt oder auch nicht.“ (Dr. Stiller, S. 2)
Die von den Kunden geäußerten Wünsche sind jedoch teilweise so komplex, dass zunächst im unternehmenseigenen Labor geprüft werden muss, ob und in welche Richtung eine Weiterentwicklung stattfinden kann. Der eigene Anspruch der Weltmarktführerschaft macht es zudem notwendig, dass eigene Ideen zur Weiterentwicklung des Produktes entwickelt werden und Bedarfe des Marktes möglichst frühzeitig aufgegriffen bzw. antizipiert werden. Daher ist es gerechtfertigt, im Fall von Unternehmen C von forschungsintensiver Produktweiterentwicklung zu sprechen. „Sicher geschieht das auch eigeninitiativ, dass Ideen hier Inhouse geboren werden und dann gesagt wird, ja, das sollten wir vielleicht mal machen und mal auf einer Messe vorstellen und gucken wie die Kundenresonanz ist, aber prinzipiell wachsen wir mit den Wünschen unserer Kunden.“ (Dr. Sieger, S. 2)
Gerade diese starke Ausrichtung auf den Kunden und die Vertriebslastigkeit des Unternehmens verdeutlichen die Unterschiede zwischen den verschiedenen Spinoff-Unternehmen besonders gut. Der Anspruch „wir machen hier noch Wissenschaft“ ist in Unternehmen C deutlich weniger stark ausgeprägt als in den Unternehmen A und B. Die Kooperationsbeziehungen zum Wissenschaftssystem dienen in erster Linie zur Personalrekrutierung, als Impulsgeber und als Absatz- und Marketingmarkt. Es handelt sich zwar um ein Hightechprodukt für „hochspezialisierte Anwender“ (Dr. Stiller, S. 1), zu denen auch Universitäten und Forschungseinrichtungen gehören und was vielfältige Verbindungen zum akademischen Wissenschaftssystem erfordert. Aber ergebnisoffene Forschung im eigentlichen Sinne wird nicht betrieben. Für Unternehmen B hingegen muss festgehalten werden, dass es große Unterschiede zwischen den einzelnen Geschäftsbereichen gibt. So arbeitet Dr. Wollenstein in einem stark kundengetriebenen Bereich.
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Seine Beurteilung der Forschungsergebnisse und -prozesse in seinem Ressort weist eine hohe Übereinstimmung mit den Äußerungen der Verantwortlichen aus Unternehmen C bezüglich ihrer Forschungsausrichtung auf. „Bei uns, und das find ich ist ein guter Ansatz, ist es sehr kundenorientiert. Wir reden sehr intensiv mit unseren Kunden, auch potentiellen Kunden, und gucken, was sind denn da die Bedürfnisse. Und die versuchen wir zu befriedigen. Also wir gehen nicht den Weg, so wie ich das sehe, dass wir eigene Ideen generieren, die umsetzen und dann gucken, wo ist der Markt dafür. Sondern das sind eigentlich alles Sachen, die wir hier jetzt auch intern als Entwicklungsprojekte laufen haben, sind alles Sachen, die schon bei Kundenprojekten dann angefragt wurden, wo ein Bedarf da ist.“ (Dr. Wollenstein, S. 9-10)
Kundenprojekte können aber nicht nur die Auswahl der Forschungsthemen beeinflussen, es erfolgt darüber hinaus auch eine Anpassung der Methoden und eine Minimierung der Ergebnisoffenheit durch klare Zielvorgaben und entsprechende Themenwahl. Auftragsforschung mit garantiertem Ergebnis? Wie ausgeprägt die Gestaltungsfreiräume der MitarbeiterInnen sind und wie hoch der Forschungsanteil in den Unternehmen ist, hängt zum einen von dem Geschäftsmodell des Unternehmens ab, variiert aber zum anderen auch innerhalb eines Unternehmens von Projekt zu Projekt bzw. von Abteilung zu Abteilung. Nicht nur die grundsätzliche Zielrichtung der Forschung – mit Auswirkungen auf Inhalt und Qualität – unterscheidet sich in Spin-offs. Das Geschäftsmodell selbst und die Organisation der Kundenschnittstelle beeinflussen den Stellenwert von F&E im Unternehmen und die Art der Forschung. Kennzeichnend für Forschung in Spin-offs ist ein hoher Anteil kundenbezogener Auftragsforschung, die in der Regel projektförmig organisiert wird und mit dem Verlust der Forschungsfreiheit, einer Anpassung der Forschungsmethoden und häufig – aber nicht zwangsläufig – mit dem Verlust der Ergebnisoffenheit von Forschung einhergeht. „Ansonsten, hier bei uns ist halt sehr gefragt, klar Teamfähigkeit, Integration in Teams, Kundenorientierung ist etwas, was halt hier sehr wichtig ist. Das heißt also dann auch das eigene Ego hinten anstellen unter Umständen und erstmal gucken, was will der Kunde und das halt erstmal machen.“ (Dr. Wollenstein, S. 3)
Die Rahmenbedingungen werden durch die inhaltlichen Vorgaben des Kunden gesteckt, verbunden mit Zeit- und Budgetvorgaben. Das Projektmanagement erfolgt rein ergebnisorientiert über Meilensteine und lässt wenig Spielraum für inhaltliche Kurskorrekturen oder eine Anpassung der Vorgaben im Projektverlauf. Zum einen sind die Zeitvorgaben sehr viel enger, wie Dr. Diekmann, Mit-
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gründer von Unternehmen A, betont. Zum anderen werden Projekte, die das im Vorfeld festgelegte Ergebnis zu dem anvisierten Zeitpunkt nicht liefern können, in der Regel sehr schnell abgebrochen. „Dann wird es eingestellt. Also es gibt keine heiligen Kühe, oder so was. Das kann es nicht geben. Weil das Konzept finanziert werden muss. Im Prinzip ist das alles rein von der Finanzwelt getrieben. Es gibt ein gewisses Budget, das steht zur Verfügung, und das versucht man möglichst effizient einzusetzen. Es gibt Sachen, die man dann unter dem Mantel einer strategischen Expansion fortführt, technologische Weiterentwicklungen, dafür wird man immer Geld bereitstellen. Aber jetzt ein Projekt, das aus einem Kundenauftrag kommt: erzeuge mir B aus A mit einer gewissen Ausbeute, 6 Monate, 12 Monate Vorlauf, gibt’s nen Budget für, gibt’s nen Meilenstein für zwischendurch mal. Wenn der Meilenstein nicht geschafft wird, dann ist es vorbei.“ (Dr. Diekmann S. 3)
Wie viel Raum Auftragsforschung für Ergebnisoffenheit lässt, ist schwierig zu beziffern und unterscheidet sich von Projekt zu Projekt. Prinzipiell wird in den Unternehmen zumindest versucht, das Risiko einzukalkulieren, dass nicht unbedingt das gewünschte Ergebnis generiert wird. Allerdings liegt es natürlich im Interesse des Unternehmens, den Kunden eine möglichst hohe Ergebnisgarantie geben zu können. Eine Strategie, die auch durchgängig verfolgt wird und vor allem in Unternehmen C und D überwiegt. In den Unternehmen A und B zeichnet sich ein Teil der für Kunden durchgeführten Forschungsprojekte trotzdem durch eine hohe Forschungsintensität aus, so dass versucht wird, auch bei der Gestaltung der Verträge Spielraum für nicht absehbare Entwicklungen zu lassen. „Wir machen Auftragsforschung. Also in einigen Bereichen machen wir Auftragsforschung. Das heißt, das kennzeichnet sich dadurch, dass wir mit den Kunden sehr klar diese Experimente, die wir im Labor machen, für die, mit kontrollieren, überlegen, abstimmen und da der Ausgang nicht sicher ist, was denn wirklich da raus kommt. Also das ist ein typisches Merkmal der Forschung, dass das was Innovatives, neue Erkenntnisse da rauskommen, die auch nicht so absehbar sind.“ (Herr Bäcker, S. 4)
Trotz der Versuche in den Unternehmen, die Ergebnisoffenheit von Forschung so weit wie möglich zu minimieren, betonen alle Interviewten, dass dieses Ziel nur begrenzt erreichbar ist. Selbst wenn im Vorfeld mit dem Kunden erwünschte Resultate abgestimmt werden, bleibt je nach Gegenstand der Forschung eine gewisse Nicht-Prognostizierbarkeit der angestrebten Ergebnisse erhalten.191
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Eine Tatsache, die auch die Arbeit der für die Vertragsgestaltung mit Kunden verantwortlichen Fachabteilungen in den Unternehmen so schwierig macht. In der Regel haben die wissenschaftlichen MitarbeiterInnen in den Projekten selbst keinen direkten Einfluss auf die Planung und die vertraglichen Vereinbarung. Sie fungieren allenfalls als BeraterInnen der für die Verhandlungen mit den Kunden zuständigen Abteilung (siehe detaillierter Kapitel 5.4.1.2.).
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„Wie vorhersehbar ist der Projektverlauf, das Projektergebnis? Na gut, diese Ergebnisse sind für einen Kunden natürlich immer Umsatz und die Selektivität von einem Katalysator, so dass der Kunde den dann vermarkten kann, von daher ist es schon sehr ergebnisorientiert. Man darf aber nicht vergessen, dass das Wissenschaft ist, ja, das heißt, bei der Wissenschaft ein Ergebnis zu versprechen, wäre so, wie wenn ich ihnen verspreche, ich mache aus Blei Gold, ja. Also, vielleicht gelingt es irgendjemandem mal, aber sie können es nicht garantieren. Also es ist sehr zielorientiert, aber die Garantie, dass wirklich diese harten Fakten dann auch rauskommen, die hat niemand. Unterwegs fällt natürlich auch sehr viel Verständnis für Sachen an, die der Kunde jetzt nicht mit Geld aufwerten kann, aber die zumindest auch für ihn wissenschaftlich gesehen dann sehr wichtig sind, zum Verständnis der Reaktion, zum Katalysator, ja, aber die Sachen sind schon sehr ergebnisorientiert, extrem, bis auf die Nachkommastelle.“ (Dr. Kiel, S. 12)
Diese – wenn auch minimale – Ergebnisoffenheit ermöglicht in den Spin-offs trotz aller Einschränkungen nicht nur Forschungshandeln im Sinne von Krohn/Küppers (1989), sondern bis zu einem gewissen Grad durchaus auch die Generierung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Eine generelle „Wissenschaftsorientierung“ der Projekte ergibt sich für Dr. Kiel in erster Linie durch die Tatsache, dass man Kunden keine Ergebnisse versprechen kann. Inwiefern dies jedoch ausreicht, in den Unternehmen eine auf das jeweilige Themengebiet bezogene, wissenschaftliche Wissensbasis aufzubauen, wie dies zum Beispiel an Lehrstühlen an Universitäten möglich ist, bleibt fraglich. Dr. Kiel bedauert im weiteren Verlauf des Interviews die mangelnden Freiräume der MitarbeiterInnen für die Verfolgung eigener Ideen. Viele Anfragen von Kunden könnten besser vorbereitet und auch mal „aus dem Stegreif“ bearbeitet werden, wenn Informationen und Wissen gewissermaßen im Vorgriff generiert würden. Hier wird deutlich, dass Forschung in Spin-offs, trotz des Versuchs, anderen Marktentwicklungen zuvor zu kommen und an der Spitze der Forschung zu stehen, häufig rein reaktiv ist und versucht wird, möglichst flexibel auf Kundenanfragen zu reagieren. Ein hoher Anteil an Auftragsforschung kennzeichnet gerade Spin-offs aus, die die SEED-Phase bereits hinter sich gelassen haben, innerhalb welcher die Realisierung der eigenen ursprünglichen Geschäftsidee im Vordergrund stand. Die anschließende Konzentration eines Spin-offs auf Auftragsforschung und die Anpassung an Kundenwünsche kann auf Dauer aber auch dazu führen, dass das Unternehmen neue Entwicklungen versäumt und der eigene Wissensvorsprung – mit dem es ursprünglich gestartet ist – verloren geht. Um dieses zu vermeiden, verfolgen die Unternehmen unterschiedliche Strategien, zu denen auch die später noch näher beschriebenen Kooperationsbeziehungen zu Einrichtungen des Wissenschaftssystems zu zählen sind. Generell unterscheiden sich aber auch die einzelnen Projekte oder Abteilungen in den Ausgründungen sehr stark bezüglich ihrer „Wissenschaftsorientierung“, d.h. bezüglich der Höhe des jeweiligen Forschungsanteils und der gegebenen Forschungsfreiheit. Von den vier Geschäftsbereichen des Unternehmens B ist vor allem der Pharmabereich stark durch F&E
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geprägt, inklusive einer hohen Ergebnisoffenheit der Forschung. Von den anderen Unternehmensbereichen ist einer stark von kundenbezogener Auftragsforschung dominiert, der andere als Produktentwicklung bzw. -weiterentwicklung zu kennzeichnen. Der Vierte fällt eher in den Bereich spezialisierte Softwareentwicklung für Kunden, fungiert teilweise aber auch als interne Dienstleistungsabteilung für die anderen Geschäftsbereiche. „Das machen wir auch, wir machen eigene F&E und das schon viel, was wir da machen, gerade diese vierte Einheit […] die ist nur F&E-lastig. Da machen wir nur, ja Medikamentenvorstufen mit unseren Technologien. Bei den […]Biochips sind wir noch sehr stark im Produktaufbau, d.h. das ist auch auf jeden Fall Entwicklung mit Forschungscharakter. Im Bereich Analytik machen wir eben diese Auftragsforschung, wobei wir da auch mit den Kunden, wenn er es denn wünscht, auch eine Publikation machen. In der Bioinformatik auch, ist Entwicklung, wobei wir da auch die Anwendung der Bioinformatik auch publizieren.“ (Herr Bäcker, S. 4)
In Unternehmen B ist der Stellenwert von F&E also primär vom Geschäftsbereich abhängig. Aus der Sicht von Dr. Wollenstein gibt es Geschäftsbereiche, in denen gerade das, was für seinen Vorgesetzten Herrn Bäcker Wissenschaft ausmacht – die Generierung neuer, innovativer Erkenntnisse und die Veröffentlichung derselben – nicht stattfindet. Laut seiner Aussage kommt es vor allen Dingen darauf an, den Kunden Ergebnisse zu garantieren. Die Durchführung von Forschungsaufträgen für Kunden führt seiner Ansicht nach nicht nur zu kürzeren Zeithorizonten und eng begrenzten Forschungsrahmenbedingungen, ganz grundlegend sind auch die Auswirkungen auf die Art des Wissens, das im Rahmen solcher Projekte gewonnen werden kann. „Das sind natürlich auch Risiken, also Projekte mit sehr viel höheren Risiken. Das ist natürlich auch ein Riesenunterschied zu dem, was wir machen. Das heißt also bei uns machen wir Projekte, wo wir wissen, es gibt eine gewisse Erfolgsgarantie und die sollte auch relativ hoch sein.“ (Dr. Wollenstein, S. 4)
Dr. Wollenstein schätzt damit den Forschungsanteil seiner täglichen Arbeit deutlich geringer ein, als Herr Bäcker für das Unternehmen insgesamt. „Ja wir machen, wir produzieren keine neuen Erkenntnisse. Cum grano salis natürlich immer ein bisschen, also gewisse Sachen der Analyse machen wir auch hier sehr gut und sehr neu […] Aber ganz klar, es ist hier für uns, wir wollen Geld verdienen und das heißt, wir müssen das, was wir machen, so einsetzen, dass wir auch damit Geld verdienen können und da ist dann häufig die reine Forschung oder Erkenntnisgewinn, sagen wir mal neue Methoden entwickeln, den wissenschaftlichen Apparat an sich mit Wissen bereichern, ist dann auch nicht die Priorität.“ (Dr. Wollenstein, S. 4)
Ähnlich wie Herr Kiel sieht also auch Dr. Wollenstein wissenschaftliche Erkenntnis in Auftragsprojekten eher als ein zufällig anfallendes Nebenprodukt an
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und nicht als das eigentliche Projektziel. Zwar gibt es eindeutig Unternehmensbereiche, in denen das Forschungshandeln in Spin-offs dem in der akademischen Wissenschaft sehr nahe kommt, d.h. wo die kreative Eigenleistung sehr hoch ist und Ergebnisoffenheit ebenfalls gegeben ist. Das gilt aber längst nicht für alle Bereiche und ist auch abhängig von der jeweiligen Branche und den Märkten, in denen das Unternehmen operiert. Die „Abarbeitung“ von Kundenaufträgen, die Dr. Gruber – Projektleiterin in Unternehmen A – beschreibt, ähnelt stark dem Vorgehen von Unternehmen D, das sich als Dienstleistungsunternehmen für andere Unternehmen auf die Konzeption und Durchführung von Versuchen spezialisiert hat, für die Ihre Kunden keine Zeit oder Ressourcen haben. „Es ist schon, wir müssen wirklich täglich kreativ sein, weil das ist nicht so, dass man irgendwie festgelegt hat, so und soviel Substanzen, wir mischen in bestimmten Varianten in unserem Versuchsgang und arbeiten das ab. Das machen wir auch für bestimmte Projekte, das einfach von Kunden, die wollen diese Reihen abchecken und da wir das viel schneller machen können, machen wir das, aber wenn es um die Entwicklung von neuen Katalysatoren geht, das, da muss man kreativ sein, muss wirklich, ohne Kreativität geht es nicht.“ (Dr. Gruber, S. 4)
Wichtiger ist in Spin-offs dementsprechend bei einem nicht zu unterschätzenden Teil der Projekte die Beherrschung des wissenschaftlichen „Handwerks“, die Fähigkeit, bestimmte Fragen möglichst effizient und den Regeln der Disziplin gehorchend abarbeiten zu können. Dr. Calvin, der Gründer von Unternehmen C, sieht seine Arbeit in erster Linie sogar als reines Handwerk an. „Man muss da schon irgendwo zeigen, dass man in der Lage ist, mit Projekten, mit Problemen kreativ umzugehen. Ich würde es aber jetzt nicht im herkömmlichen Sinne als Kreativjob sehen, wo das A und O ist neue Ideen zu haben. Ich halte es für wichtiger, sein Handwerk zu beherrschen. Ich betrachte das, was wir hier tun durchaus als Handwerk [...].“ (Dr. Calvin, S. 5-6)
Um bei dem Bild des Handwerks zu bleiben, greifen die MitarbeiterInnen in Spin-offs allerdings nicht nur wie in einem Handwerk auf ein bestimmtes Methodenrepertoire zurück, sondern passen ihr „Handwerkszeug“, das Methodenrepertoire, das sie an Universitäten und Forschungseinrichtungen gelernt und angewandt haben, den Bedürfnissen des Forschungsalltags in Spin-offs an. Die Anpassung der Methoden und Qualitätskriterien Entgegen der von einigen der Interviewten getroffenen Aussage, an der grundlegenden Herangehensweise an ein Problem, an den Methoden etc. ändere sich nichts, lassen sich bei näherem Hinschauen doch Auswirkungen auf selbige feststellen. Dies weist auf einen fundamentalen Unterschied zwischen Forschung in Spin-offs und an Universitäten bzw. Forschungseinrichtungen hin. Das betrifft
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nicht nur die Einflussmöglichkeiten der jeweiligen ProjektmitarbeiterInnen auf die äußeren Rahmenbedingungen der Projekte, z.B. Zeitvorgaben, sondern auch die angewandte Methodik und inhaltliche Gestaltung der Projekte. In der Regel grenzen die Vorgaben durch die Verträge mit den Kunden die Spielräume der MitarbeiterInnen stark ein. „Hier sind einfach die Vorgaben sehr viel klarer und das heißt, die Gestaltungsspielräume sind halt kleiner, die ich hier habe.“ (Dr. Wollenstein, S. 2)
Hinzu kommt die Notwendigkeit der Anpassung der verwendeten Methoden. Alle ProjektmitarbeiterInnen verfügen über eine akademische Ausbildung, teilweise zusätzlich über Forschungserfahrung an einem Lehrstuhl oder einer Forschungseinrichtung und sind daher mit den jeweiligen Methoden und Regeln der Disziplin vertraut. Wobei deren Einhaltung in den Spin-offs nicht die oberste Priorität besitzt. Auch Unternehmen C verfügt zwar über ein Forschungslabor, aber die in der Disziplin geltenden Regeln und Methoden werden den Erfordernissen angepasst, etwas „hemdsärmeliger“ gehandhabt; eine Vorgehensweise, die die vormals an wissenschaftlichen Institutionen beschäftigten MitarbeiterInnen durchaus eine gewisse Überwindung kostet bzw. dem wissenschaftlichen Ethos, den sie verinnerlicht haben, entgegen steht. „Und vieles, was dann hier in diesen Betrieben sich abspielt, ist auch etwas außerhalb des streng akademischen Vorgehens. Es gibt hier ein Miteinander mit weiteren Industriebetrieben, es gibt auch sicher Regeln, die etwas hemdsärmeliger gehandelt werden […] und damit findet man sich ab, man muss also ein bisschen flexibler sein, ein bisschen schneller sein und handelt manche Dinge vielleicht nicht so akademisch von oben nach unten ab, sondern muss zu irgendwelchen Seitenwegen schon fähig sein.“ (Dr. Sieger, S. 5)
Wie im Fall von Unternehmen A, bei welchem eine neue Forschungstechnologie Grundlage für die Unternehmensgründung war, sind zwar einige Spin-offs den Universitäten und Forschungseinrichtungen hinsichtlich der Innovativität und Effektivität der angewandten Methoden sogar voraus. Häufig ist es jedoch häufig so, dass das in Spin-offs angewandte Methodenspektrum stark eingeschränkt ist und nicht alle Möglichkeiten der jeweiligen Disziplin ausgeschöpft werden. Das kann allerdings im Tagesgeschäft eines Spin-offs und für die Durchführung von Auftragsforschung für andere Unternehmen durchaus ausreichend sein. „Richtig, ja, also unser Methodenspektrum ist, ja, kommt ein bisschen drauf an. Wir hatten jetzt gerade ein Projekt, da haben wir das gesamte Methodenspektrum der Firma mal ausnutzen können, das war also sehr schön, da war es sehr weit. Aber natürlich, normalerweise sind die Methoden vorgegeben und das Spektrum ist nicht zu groß. Wir haben jetzt hier nicht von jedem Gerät eins, das es auf dem Markt für die Analytik gibt, eins stehen. Wie an der Uni zum Beispiel, ja. Man muss ja auch immer gucken, wie sich das rechnet, ja.“ (Dr. Wollenstein, S. 3)
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Zwar betont der Gründer von Unternehmen D, welches sich auf die Erbringung standardisierter Forschungsdienstleistungen spezialisiert hat, dass nach wie vor wissenschaftlich gearbeitet wird, „das ist natürlich schon der Kern unserer Tätigkeit“ (Dr. Calvin, S. 2). Trotzdem macht auch er deutlich, dass die aus der wissenschaftlichen Forschung importierten Methoden – je nach Unternehmen und Projekt mehr oder weniger – angepasst werden. Allerdings entsprechen sie den jeweiligen disziplinären Methodenstandards immer noch in ausreichendem Maße, um fundierte Ergebnisse und Wissen liefern zu können, die den Ansprüchen der Kunden genügen. Das Entscheidende ist somit nicht nur die Anpassung der Forschungsmethoden und -planung, sondern dass sich damit einhergehend die Bewertungskriterien für die Qualität der Ergebnisse ändert. Das Maß aller Dinge ist in den Unternehmen nicht in erster Linie die Scientific Community, sondern der Kunde bzw. Auftraggeber und dessen vorgegebener Qualitätsrahmen. Zu bedenken ist, dass die Anpassung der Methoden somit Resultat dieser kundenspezifischen Vorgaben und Kostenerwägungen ist. Es wird nicht die Sinnhaftigkeit und Funktionalität der disziplinären Methoden und Grundsätze prinzipiell in Zweifel gezogen. Auch in Spin-offs behält die grundsätzliche disziplinäre Forschungslogik und -methodik durchaus ihre Geltung. „Also von der Methoden her grundsätzlich mal nicht. Es ist natürlich so, dass wir mit, so stark wie möglich mit kommerziell erhältlichen Methoden arbeiten. […] Das heißt, es unterscheidet sich in erster Linie durch die Kostenstruktur. An der Uni kostet Personal nichts, Sachen die gekauft werden müssen sind, was jetzt die Wertigkeit angeht, unverhältnismäßig teuer, weil eigentlich sehr wenig Geld zur Verfügung steht. Das ist hier genau umgekehrt. Hier ist Personal das mit Abstand teuerste Betriebsmittel, während, ja, wenn man einen Kitt kauft, spielen die Kosten dafür jetzt innerhalb eines Projektes nicht so eine furchtbar große Rolle. Von daher unterscheiden sich die Methoden schon. Man versucht das natürlich in einem ganz anderen Qualitätsrahmen zu sehen. An der Uni wurstelt letztendlich jeder vor sich hin. Hier bewegen wir uns innerhalb eines wie auch immer gestalteten, vorgegebenen Qualitätsrahmens. Also die Methoden ändern sich nicht, das Denken auch nicht, das Herangehen an den Aufbau von Experimentalreihen ändert sich gewaltig. Die Dokumentation und die Vorbereitung ändern sich gewaltig. Und es ist einfach viel mehr zu tun als an der Uni.“ (Dr. Calvin, S. 3)
In den Interviews wird deutlich, wie sehr sich die Bewertungskriterien für gute Arbeit bzw. die Qualität der Ergebnisse unterscheiden, was wieder die Aussage „Forschung durch einen zweiten Filter“ bestätigt, aber auch an die Debatte um Mode 2 und die Aushandlung von Wissen auf der Agora erinnert192. Im akademischen Wissenschaftssystem sind es in der Regel ausschließlich die FachkollegInnen, d.h. die Scientific Community, welche die Qualität der geleisteten Arbeit beurteilen.
192
Vergleiche die Ausführungen zur Wissensgenerierung im Anwendungskontext in Kapitel 2.2.2.
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Forschung und ForscherInnen in Spin-offs „Und jeder Kunde hat andere Wünsche, und deswegen ist das schon ein bisschen schwieriger. Also das ist mir schon sehr aufgefallen gegenüber der Promotion bei mir, wo ich einfach einen Doktorvater hatte und der musste glücklich sein. Das war’s, darauf kam es im Prinzip letztlich an, ob ich eine gute Promotionsnote bekomme (etwas unabhängig von den Inhalten vielleicht auch oft). Aber das ist halt, es hängt letztlich stark von einer Person ab an der Uni, war mein Eindruck, bei mir. Und das ist halt hier überhaupt nicht so, also auch die Entscheidung darüber, ob ich gute oder schlechte Arbeit mache, ist sehr viel, wird sehr viel breiter getroffen. Ich habe einen direkten Vorgesetzten, der Vorstand ist da, die Kunden sind da, die eine Rückmeldung geben.“ (Dr. Wollenstein, S. 3)
Ähnlich der Diskussion um Mode 2 wird auch in den Spin-off-Unternehmen die Auffassung vertreten, durch die Ansprüche des Kunden werde quasi automatisch eine höhere Qualität des generierten Wissens garantiert. Das generierte Wissen wird auf breiterer Basis beurteilt und evaluiert. Der Scientific Community wird damit indirekt die Kompetenz abgesprochen, eine den Anforderungen des Marktes genügende Qualität der Ergebnisse garantieren zu können. „Also eine qualitätsorientiertere Arbeitsweise? Viel qualitätsorien… also mehr produktorientierter, ne, also, mehr kundenorientiert auf jeden Fall. Weil, wer ist der Kunde, wenn ich was publiziere, ja. Das ist vielleicht das Journal oder der Referee, ja, aber bei der Industrie haben wir eine Fragestellung, die Kunden in ihrem Entwicklungsprozess, was weiß ich, Medikamente, gelöst haben wollen und da muss ich viel mehr Qualität liefern, ich muss viel mehr auf den Kunden mich bewegen, also nicht das machen, was ich machen möchte, sondern das muss zum Kunden passen. Und, ja, also Qualität auch in dem Sinne, dass die Richtigkeit, die Validität der Ergebnisse eine andere Qualität hat.“ (Herr Bäcker, S. 7)
Ob eine Anpassung der Methoden und Qualitätskriterien an die Vorgaben und Bedürfnisse der Kunden unter Umständen auch qualitativ schlechtere bzw. über den jeweiligen Kunden hinaus nicht abstrahierbare Erkenntnisse liefern könnte, wurde nicht durchgehend reflektiert. Nur in Ausnahmefällen wurde von den ExpertInnen außerhalb der Unternehmen und von vereinzelten wissenschaftlichen MitarbeiterInnen diesbezüglich Bedenken geäußert. Insgesamt überwiegen die Einschätzungen, die von einer überdurchschnittlichen Qualität des in den Spin-offs generierten Wissens ausgehen, unabhängig von der gänzlich anderen Zielrichtung der Forschung in Spin-offs, deren primäres Ziel eben nicht die Generierung von Wissen ist. Spin-offs als hochspezialisierte Vermittler zwischen Wissenschaft und Wirtschaft? Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass die interviewten Personen entweder einen großen Unterschied zwischen Forschung an einer wissenschaftlichen Einrichtung und der Forschung in einem Unternehmen machen, oder aber
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Forschung an sich unabhängig vom Wissenschaftssystem betrachten – im Sinne der Systemtheorie193 also unterscheiden zwischen dem Wissenschaftssystem und „Wissenschaft machen“. Wissenschaftliches Handeln bzw. Forschungshandeln ist ihrem Verständnis nach nicht an die Organisationen des Wissenschaftssystems gebunden. Das Wissenschaftssystem kann sich auch in Organisationen eines anderen Funktionssystems manifestieren, klassisches Beispiel hierfür wäre die Forschungsabteilung eines großindustriellen Unternehmens. Selbst Personen, die stark zwischen wissenschaftlicher Arbeit an einer akademischen Einrichtung oder in einem Unternehmen unterscheiden und die Art von Forschung, die in einem Spin-off erfolgt, durchaus kritisch bewerten, empfinden ihre Arbeit jedoch noch immer so nah an wissenschaftlicher Forschung, dass sie ihre Tätigkeit dann doch nicht anders als eben als Wissenschaft charakterisiert sehen möchten. Die Widersprüchlichkeit der Aussagen mag sich daraus ergeben, dass das Ziel der täglichen Arbeit dieser Personen zwar kein wissenschaftliches ist und die arbeitsorganisationalen Rahmenbedingungen sich sowohl in positiver als auch negativer Weise von denen in der akademischen Wissenschaft unterscheiden, die angewandten Methoden aber nach wie vor denen der jeweiligen Disziplin entsprechen, wenn auch mit gewissen Einschränkungen. Dies korrespondiert auch mit den Aussagen bezüglich der Qualität des generierten Wissens, auf die sich die von nahezu allen getätigte Aussage, „wir machen hier schon noch Wissenschaft“ bezieht. Selbst aus der Perspektive eines im Wissenschaftsbetrieb verbliebenen Interviewpartners, der eine strikte Trennung zwischen rein erkenntnisgetriebener Forschung im Rahmen des Wissenschaftssystems und auf das Verdienen von Geld ausgerichteter Forschung im Rahmen des Wirtschaftssystems vornimmt, wird eine generell hohe Qualität des generierten Wissens nicht bestritten. „Doch, das ist Wissen, das wissenschaftlich verwertbar ist, und die meisten Start-ups haben auch ein großes Interesse daran, zu publizieren, wissenschaftlich sichtbar zu sein, denn die wollen sich natürlich als forschendes, wissenschaftliches Unternehmen an der Front der Forschung verkaufen. Das ist also wissenschaftlich sicherlich verwertbare Erkenntnis. […] Also die Wissenschaft, die da gemacht wird, die ist schon toll, aber die wird nicht einfach nur so gemacht, die wird gemacht, um damit Patente zu erzeugen, um damit ein Produkt zu erzeugen und den Kunden zufrieden zu stellen.“ (Prof. Sandholz, S. 2)
Die hohe Qualität des in Spin-offs gewonnenen Wissens – trotz der eingeschränkten Rahmenbedingungen – erklärt sich aus einer weiteren Besonderheit und macht es notwendig, einen weiteren Aspekt der Forschung in Spin-offs mit in die Betrachtung aufzunehmen: Den der starken inhaltlichen Spezialisierung und Konzentration auf ein eng begrenztes Spezialfeld innerhalb der Disziplin. Während an Universitäten und Forschungseinrichtungen die wissenschaftlichen 193
Vergleiche u.a. Luhmann (1992) und Kapitel 2.2.1.
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MitarbeiterInnen ein relativ breites Spektrum der Disziplin abdecken, sind Spinoffs in der Regel viel stärker auf eine einzelne Forschungsfrage spezialisiert und können auf diese Weise ein wesentlich detaillierteres Wissen aufbauen. „Das, was in der Ausgründung passiert, die ich kenne, die sind mittlerweile so gut, dass wir das hier im Institut auf dem Gebiet, da hab ich mich verabschiedet, da will ich nicht mehr mithalten, da kann ich nicht mehr mithalten. Da müsste ich meine ganze Gruppe nur noch auf das Thema fokussieren und mehr des Instituts auf das Thema fokussieren, um da mithalten zu können.“ (Prof. Sandholz, S. 2)
Diese starke Fokussierung sichert zwar auf der einen Seite das Alleinstellungsmerkmal des Unternehmens, birgt auf der anderen Seite wiederum die Gefahr, dass neue Themen und Erkenntnisse vernachlässigt werden. Um dieses zu verhindern und um das Unternehmen insgesamt auf eine breitere Geschäftsbasis zu stellen, verfolgen alle Unternehmen die Strategie, neben der ursprünglichen Ausgründungsidee noch zusätzliche Geschäftsfelder aufzubauen und investieren in Forschung, nehmen an Kooperationsprojekten mit wissenschaftlichen Einrichtungen teil und kaufen Wissen ein bzw. erwerben Lizenzen. „Wenn eine Ausgründung auf einem Feld sich spezialisiert, dann wird sie irgendwann die Wissenschaft, aus der sie hervorgegangen ist, mal hinter sich lassen, weil eben wirklich viel Geld und viele Personen auf einem Thema rumarbeiten. Trotzdem ist es für uns wichtig zu wissen, wie’s weitergeht, wo was weitergeht, weil auch wir natürlich uns verbreitern oder auch in andere Sachen reingehen.“ (Dr. Kiel, S. 7)
Gerade am Beispiel von Unternehmen A wird deutlich, dass eine Ausgründung unter Umständen eine so starke thematische und fachliche Spezialisierung nötig bzw. möglich macht, dass das wissenschaftliche Institut, aus welchem die ursprüngliche Ausgründungsidee entsprungen ist, fachlich nicht mehr mit der Ausgründung mithalten kann. Die bemerkenswerte Qualität der Forschungsergebnisse in Spin-offs beruht in diesem Sinne nicht unerheblich auf einem Spezialisierungsgrad, der an einer wissenschaftlichen Institution nicht erreichbar wäre. Selbst die generell eher kritisch urteilende Projektleiterin in Unternehmen A schätzt die Qualität des im Unternehmen generierten Wissens als überdurchschnittlich hoch ein. Eine Einschätzung, die sie auch vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen als Wissenschaftlerin an einer Universität und einer Forschungseinrichtung trifft, an welchen nicht zwangsläufig eine hohe Qualität der Forschungsergebnisse garantiert ist. „Das ist überdurchschnittlich, auf jeden Fall. … Nicht aus firmenpatriotischen Gründen, ich hab schon einiges gesehen.“ (Dr. Gruber, S. 8)
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Diese Abgrenzungsproblematik der unterschiedlichen Auffassungen von Wissenschaft und Forschung verschärft sich vor dem Hintergrund, dass angesichts unterschiedlicher disziplinärer und institutioneller Forschungskulturen von einem homogenen Wissenschaftssystem nicht die Rede sein kann. Die Frage, inwiefern Forschung an Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen nun besser oder schlechter ist als in Spin-offs, freier oder doch nicht freier, ist eine immer wiederkehrende und auch sehr widersprüchlich beantwortete Frage. Was aber in nicht unerheblichem Maße eben darin begründet ist, dass Wissenschaft kein eindeutiges Bild liefert, gegenüber dem eine klare Abgrenzung möglich ist. Denn selbst angewandte Forschung an einem Lehrstuhl lässt nur begrenzten Raum für freie Themenwahl. Grundsätzlich wird der Verlust der Forschungsfreiheit in Spin-offs zwar von keinem der Interviewten bestritten, hierin sind sich alle einig. Die Meinungen differieren allerdings hinsichtlich der Frage, wie viel von dem Ideal wissenschaftlicher Forschung an den Institutionen des traditionellen akademischen Wissenschaftssystems noch übrig ist. „Derjenige, der in der Wissenschaft arbeiten will, der möchte ja wissenschaftlich/handelbare Probleme bearbeiten. Das ist, was er hier jeden Tag macht. […] Sagen wir mal so, die Freiheit an einem Max-Planck-Institut ist sicherlich höher, als sie hier ist. Die können im Prinzip am Lehrstuhl tun und lassen, was sie wollen und sind auch gut ausgestattet. Aber wenn sie das mit einer normalen Universität vergleichen, da ist zwar formell die Freiheit der Lehre und Forschung vorgegeben und jeder kann sich da ein Steckenpferd aussuchen, das gibt es hier natürlich nicht. Hier kann nicht jeder tun und lassen, was er will. Hier gibt’s ganz klare Projektarbeit. In einem Projekt wird in dem Themenbereich gearbeitet. Aber wie er das inhaltlich gestaltet, dass ist die Aufgabe des Wissenschaftlers. Das ist aber normal angewandte Forschung. Das ist an einem Lehrstuhl auch nicht anders. Da gibt es ein Thema und an dem arbeitet man dann halt.“ (Dr. Diekmann, S. 3)
Spin-offs sind ein wichtiges Bindeglied zwischen Wissenschaft und Wirtschaft und nach Ansicht des Gründers von Unternehmen C gerade im Hightechbereich unverzichtbar, da die wissenschaftlichen Institutionen diese Aufgabe auch aufgrund der erforderlichen Fokussierung nicht erfüllen können und die bereits am Markt vorhandenen Unternehmen Impulse aus der Wissenschaft nicht immer in ihre bestehende F&E-Arbeit integrieren können. Er charakterisiert sein Unternehmen als Hightech-Unternehmen, dessen Aufgabe es ist, Impulse aus den wissenschaftlichen Einrichtungen aufzunehmen und in Produkte umzuwandeln. „Was von daher die Impulse, die von der Hochschule kommen und dann eben auch in einer frühen Phase einem eigentlich die Mittel mit auf den Weg geben, die es einem dann ermöglichen Hightech-Produkte zu professionalisieren, an den Markt zu bringen, aus Ideen zunächst einmal Produkte zu machen, die diese Möglichkeiten zunächst mal schafft. Und dann mit auf dem Weg, die Probleme, die natürlich für ein Unternehmen zu lösen sind, ist gerade diese Professionalisierung.“ (Dr. Stiller, S. 1)
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Neben der großindustriellen Forschung hat sich hier ein neuer Markt für kleine und mittelgroße Forschungsunternehmen etabliert, einhergehend auch mit einem größeren Bedarf an F&E-Kooperationen. Forschung erfolgt damit nicht mehr nur unternehmensintern, sondern wird zunehmend gemeinsam mit externen Partnern durchgeführt. „Das ist ein ganz neuer Markt. Das kommt auch daher, dass das klassische F&E in der Vergangenheit nicht mit Partnern gemacht wurde, also mit anderen Unternehmen. Also alle Unternehmen haben mit Universitäten zusammen gearbeitet. Da war aber eher die Triebkraft dahinter, Kontakte, Personalrecruiting, Imagepflege. Die eigentliche F&E-Arbeit ist intern gemacht worden. Vielleicht mal, wenn die Beziehung zu einem Professor besonders gut war, hat man den zu Rate gezogen in dem ein oder anderen Projekt. Das man wirklich in F&E mit einem externen Partner zusammen arbeitet, dass ist eine Neuerung, die sich in den letzten 5 bis 10 Jahren begonnen hat, zu vollziehen. Indem man mit einem externen Partner über F&E-Ziele spricht, das ist ja an sich da, wo man in den nächsten 10, 15, 20 Jahren Geld verdienen möchte.“ (Dr. Diekmann, S. 7)
Vor allem die Ausrichtung der Unternehmen am Markt und ihre stark wissensund technologieintensive Geschäftsbasis erfordern vielfältige Kooperationen mit Einrichtungen des Wissenschaftssystems. Dies wird gefördert durch die spezielle Gründungshistorie der Unternehmen und die persönlichen Kontakte der MitarbeiterInnen zu ehemaligen ForschungskollegInnen in Universitäten und Forschungseinrichtungen. Unternehmensintern setzen diese Verflechtungen unter anderem die Bereitstellung von Ressourcen zur Pflege und zum Aufbau derartiger Kooperationsbeziehungen voraus. Die Möglichkeiten zur Gestaltung der Kooperationsbeziehungen stehen nachfolgend im Mittelpunkt der Betrachtung. 5.3.2.2 Schnittmenge zur akademischen Wissenschaft Die akademische Wissenschaft ist für die Unternehmen und deren GründerInnen und MitarbeiterInnen nicht nur die ursprüngliche Herkunftsinstitution, an welcher die Geschäftsidee entwickelt wurde, sondern sie kann auch Kunde/Auftraggeber für das Unternehmen sein, als Kooperationspartner oder Auftragnehmer fungieren oder als Wissenslieferant dienen. Letzteres kann beispielsweise über die Vergabe von Lizenzen oder durch Personaltransfer, persönliche Kontakte der GründerInnen und wissenschaftlichen MitarbeiterInnen oder durch Veröffentlichungen erfolgen. Sie kann dabei unverzichtbar für den Erfolg des Unternehmens sein, aber unter Umständen auch eine eher hinderliche Wirkung haben, wenn es nicht gelingt, sich in dem für das jeweilige Unternehmen passenden Umfang abzugrenzen.
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Analog zum vorangegangenen Unterkapitel dienen nachfolgend die im Zuge der Auswertung des Materials gebildeten Unterkategorien der strukturierten Darstellung des Materials und der als Beleg angeführten Interviewzitate. Die Ausführungen der ExpertInnen aus den Transfereinrichtungen und ihre Einschätzungen zu Fragen der Kooperation zwischen den Unternehmen und den wissenschaftlichen Institutionen ergänzen die Ausführungen der GründerInnen und MitarbeiterInnen bezogen auf ihr jeweiliges Unternehmen. ¾ ¾ ¾ ¾
Abgrenzung zur Herkunftsinstitution und neue „Arbeitsteilung“ zwischen Wissenschaft und Wirtschaft Kooperation mit und Ressourcen für „wissenschaftliche“ Forschung Einbindung in die Scientific Community Undurchlässigkeit durch „Redeverbot“
Abgrenzung zur Herkunftsinstitution und neue „Arbeitsteilung“ zwischen Wissenschaft und Wirtschaft Gemeinsam ist drei der vier Unternehmen die Ansiedlung in unmittelbarer Wissenschaftsnähe, d.h. sie alle sind in Technologiezentren angesiedelt, die zwar an sich unabhängig operieren, aber bewusst in der Nähe von Universitäten und/oder Forschungseinrichtungen angesiedelt sind.194 Vorteile für die Unternehmen ergeben sich zum einen natürlich durch die Unterstützungsangebote, die diese Einrichtungen GründerInnen bieten können und aufgrund der vielen Übergangsregelungen, die durch Gründungswettbewerbe und andere öffentliche Fördermöglichkeiten geschaffen werden. Zum anderen ermöglicht die räumliche Nähe zu einer Universität/einem Forschungszentrum vielfältige Vernetzungs- und Kooperationsmöglichkeiten mit Lehrstühlen bzw. Forschungsbereichen und mit den anderen Unternehmen in den Technologieparks. Dazu gehört auch ein gewisser Prestigegewinn, den Wissenschaftsnähe potentiellen Kunden gegenüber suggeriert. Wobei es hier auf den Grad der Verflechtung anzukommen scheint, d.h. eine gewisse Nähe ist zwar gut, zuviel Nähe kann aber auch ins Gegenteil ausschlagen: „Erstens ist das Marktsignal ein nicht gutes. Weil, wenn man eine Uniadresse hat, klebt einem immer noch auch der Unitouch an. Und der Unitouch ist, da wird tolle Forschung gemacht, aber wenn es um Marktnähe geht, wenn’s um saubere Projektstrukturierung geht, wenn es darum geht eine ordentliche Bestellung einzuholen und eine Auftragsbestätigung rauszuschicken. Also, diese rein technischen Operationen, die in einem Unternehmen einfach laufen müssen, da klebt den Unis, teilweise sicherlich zu unrecht, teilweise aber auch wahrscheinlich zu recht, der 194
Das vierte Unternehmen hatte ursprünglich auch geplant, sich in einem Technologiepark anzusiedeln. Zu dem damaligen Zeitpunkt waren allerdings keine geeigneten Gebäude vorhanden.
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Forschung und ForscherInnen in Spin-offs Ruch an, dass es eben nicht so gut funktioniert. Wenn man sich als marktfähiges Unternehmen platzieren will, das Produkte verkauft, Dienstleistungen verkauft, dann glaub ich, dann sollte man möglichst schnell rausgehen. […] Also eine Uninähe ist attraktiv für so ein Unternehmen. Die Durchmischung halte ich für heikel.“ (Prof. Sandholz, S. 7)
Die Verflechtungen der Spin-off-Unternehmen mit Einrichtungen des traditionellen akademischen Wissenschaftssystems sind sehr vielfältig und liegen in der speziellen Entstehungsgeschichte von Spin-offs begründet. Häufig treten darüber hinaus HochschulprofessorInnen aktiv oder passiv als Initiatoren und Promotoren195 der Unternehmensgründungen in Erscheinung (vgl. u.a. Stefan 2008). Sie können auch nach der Gründung als externe Berater oder im wissenschaftlichen Beirat für das Unternehmen tätig sein. Bezüglich der Kopplung zur Wissenschaft betonen alle ExpertInnen die Vorteile einer Vernetzung der Spin-offs mit Universitäten und öffentlichen Forschungseinrichtungen. Deutlich wird vor allem in den Gesprächen mit den ExpertInnen aus den Technologiezentren, dass entgegen der von Unternehmen A verfolgten Strategie – die möglichst vollständige Abkopplung von der Wissenschaft – ein Großteil der Unternehmen die Kontakte zur Wissenschaft weiter nutzen: „Die haben alle ihre Finger in der Wissenschaft drin.“ (Dr. Sonntag, S. 2). Dr. Jonas schätzt das Verhältnis von den Spin-offs, die sich schnell abkoppeln zu denen, die die Kontakte und Verflechtungen beibehalten, als ausgeglichen ein. In den universitätsnah angesiedelten Technologiezentren überwiegen allerdings deutlich die Unternehmen, die weiterhin vielfältige Bezüge zur akademischen Wissenschaft haben.196 Können die Unternehmen ihren Forschungsbedarf nicht alleine abdecken, führen sie häufig Verbundprojekte mit wissenschaftlichen Einrichtungen durch oder vergeben kleinere Forschungsaufträge. Die Kooperation mit Forschungsgruppen oder Lehrstühlen kann dementsprechend für die Unternehmen sehr vorteilhaft sein. Dabei müssen die Unternehmen aber die wirtschaftliche Verwertbarkeit der Forschungsergebnisse und die Zeit195
196
Promotoren fördern den Innovationsprozess aktiv unter Rückgriff auf ihre spezifischen Machtquellen. Gründsätzlich sind damit verschiedene Arten von Promotoren denkbar. Neben Machtpromotoren, welche durch ihre Unterstützung helfen, Willens- und Hierarchiebarrieren in der Organisation zu überwinden, gibt es auch Fachpromotoren, die durch ihre Expertenkompetenz helfen fachspezzifische Fähigkeitsbarrieren abzubauen. Hinzu kommen Prozess- und Beziehungspromotoren. Der positive Einfluss einer intensiven Förderung durch Promotoren auf die erhöhte Wahrscheinlichkeit einer Existenzgründung kann empirisch nachgewiesen werden (siehe hierzu u.a. Baumgartner 2007). Die Vorteile der Clusterbildung in diesem Zusammenhang hat u.a. Britta Leineweber (2004) in ihrer Untersuchung zu Spin-offs verdeutlicht. Zur Bedeutung von Clustern im Hinblick auf den Wandel von Technologie und Arbeit siehe u.a. Cernavin (2005). Seiner Ansicht nach benötigen Innovationen zwar nicht zwangsläufig regionale Cluster, aber im Hinblick auf die zunehmende Bedeutung von Wissensarbeit bieten die sozialen Ressourcen eines regionalen Clusters „ein Lernmilieu und ein Feld ständig aktivierender Anreize für Wissensarbeiter.“ (ebd. S. 60)
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horizonte im Blick haben. Dr. Jonas gibt in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass er mehrere Unternehmen hat „untergehen“ sehen, die ohne erkennbares Produkt oder ähnlich Verwertbares gestartet sind und sich auf die Untersuchung noch sehr marktferner Themen konzentriert haben. Häufig fehlten bei Unternehmen, die mit Forschungsdienstleistungen gestartet sind, die Folgeaufträge. Grundsätzlich reichen allerdings die Entwicklung eines Produktes bzw. eines Dienstleistungsangebotes als einzige Kriterien zur Erfolgsmessung einer Unternehmensgründung nicht aus. Denn differenzierter zu betrachten sind Spin-offs, die zwar nie am Markt aktiv waren – in dem Sinne, dass sie ein Produkt oder eine Dienstleistung am Markt angeboten haben – die aber als von vornherein dementsprechend konzipierte Unternehmen betrachtet werden müssen. Sie wurden gegründet zur Erforschung und (Weiter)entwicklung einer Technologie oder eines Wirkstoffes. Es handelt sich damit um eine spezielle Form der Forschungsdienstleistungen, die diese Unternehmen anbieten. Nicht die Durchführung der Forschung, sondern erst das generierte Wissen wird am Markt angeboten. Kleinere Pharma-Spin-offs, die sich auf die Entwicklung eines bestimmten Wirkstoffes konzentrieren, planen in der Regel nicht, diesen Wirkstoff bis zur Markteinführung durch alle klinischen Stufen zu bringen und in die Produktion einzusteigen. Der Verkauf des generierten Wissens an ein größeres Pharmaunternehmen ist das eigentliche Unternehmensziel. Unternehmen B kann in begrenztem Rahmen hier als Beispiel dienen. Eine Geschäftseinheit des Unternehmens beschäftigt sich zwar mit der Wirkstoffforschung und -entwicklung, aber der Aufbau einer eigenen Produktion ist, zumindest zum Zeitpunkt der Befragung, nicht geplant. Gewinne werden mittelfristig durch den Verkauf des Wissens bzw. durch Lizenzeinnahmen erwartet. Hier deutet sich auch eine neue Arbeitsteilung zwischen kleinen und großen Unternehmen und Einrichtungen des Wissenschaftssystems an. Im Gegensatz zu einem kleinen Spin-off-Unternehmen verfügt ein Großunternehmen in der Regel zwar über die entsprechenden Ressourcen, um Produkte und Innovationen eigenständig weiter zu entwickeln. In den letzten Jahren ist allerdings zunehmend eine Reorganisation der Forschungsprozesse in den größeren Unternehmen beobachtbar, in deren Zuge Forschung externalisiert oder in neue Strukturen, z.B. in gemeinsame Forschungszentren mit wissenschaftlichen Einrichtungen, überführt wird. Ein Teil der Spin-offs übernimmt damit Innovationsaufgaben, die früher große (Industrie-)Unternehmen erfüllt haben. Einige der ExpertInnen vergleichen Spin-offs gar mit der Forschungsabteilung eines großindustriellen Unternehmens, allerdings ohne die in der Großindustrie gegenwärtigen zusätzlichen Geschäftsbereiche und Abteilungen, wie beispielsweise die Produktion. „Weil Forschung ist das hier. Also es wär, in einem Großunternehmen, so wie BigChem oder so, wär das [die] Forschungsabteilung.“ (Herr Birke, S. 10)
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Die High-Tech-Branche insgesamt, aber gerade Spin-off-Gründungen sind dabei auf Impulse aus der Wissenschaft angewiesen. Dementsprechend ist es notwendig, Kooperationsbeziehungen zu etablieren. Umgekehrt entstehen High-TechGründungen häufig aus der Wissenschaft heraus. Laut Dr. Stiller kann nur die Wissenschaft Hightechgründungen hervorbringen und zwar in erster Linie, indem sie einem Spin-off die Möglichkeit gibt, aus den Ideen und dem Wissen ein marktfähiges Produkt zu kreieren. Eine wissenschaftliche Einrichtung kann das nicht selber leisten. Umgekehrt sind gerade in der Gründungsphase und in den ersten Jahren nach der Gründung auch die Unternehmen häufig auf Unterstützungsleistungen aus den so genannten Mutterinstitutionen oder zusätzliche öffentliche Forschungsmittel angewiesen. Eine enge Kooperation von Spin-off und wissenschaftlicher Einrichtung ist dementsprechend unverzichtbar. „Aus meiner Sicht ist es so, dass die Ausgründungen vor einem, ja vor dem Hintergrund eines F&E-Hightech-Unternehmens, mit entsprechenden Hightech-Produkten, für uns als Standort in Deutschland eine ungemein wichtige Sache sind. Und letzten Endes haben wir für meine Begriffe nur diese Chance, uns eben in diesem Land dauerhaft zu behaupten über genau diesen Weg. Das heißt, ich mess dem eine sehr große Bedeutung bei. Ich denke auch, dass das in diesem Fall sicherlich ein klassisches Beispiel für ein Unternehmen ist, das mit HightechProdukten an den Markt geht, damit auch weltweit an den Markt gehen muss, um eben diese Produkte zu vermarkten. Was von daher die Impulse, die von der Hochschule kommen und dann eben auch in einer frühen Phase einem eigentlich die Mittel mit auf den Weg geben, die es einem dann ermöglichen Hightech-Produkte zu professionalisieren, an den Markt zu bringen, aus Ideen zunächst einmal Produkte zu machen, die diese Möglichkeiten zunächst mal schafft. Und dann mit auf dem Weg, die Probleme, die natürlich für ein Unternehmen zu lösen sind, ist gerade diese Professionalisierung. Eine Idee im universitären Umfeld ist noch lange kein Produkt auf dem Weltmarkt. Und das sind eben, das ist ein Entwicklungsprozess, den man angehen muss und den man in Kooperation mit universitären Einrichtungen, mit nem Forschungszentrum angehen kann und muss und dann entwickeln sich daraus eben Schritt für Schritt Produkte, die immer professioneller werden und dann können die hier am Markt verkauft werden.“ (Dr. Stiller, S. 1)
Diese „Professionalisierung“ der wissenschaftlichen Forschungsergebnisse erfolgt durch den Schritt raus aus den wissenschaftlichen Kontexten, kann allerdings umgekehrt nur in Kooperation mit den Einrichtungen vorangetrieben werden. Die Geschäftsgrundlage der Unternehmen beruht häufig auf einem individuellen Mix aus externem, internem und im Rahmen von Kooperationsprojekten generiertem Wissen. „Teilweise haben wir einlizenziert und auch von Universitäten eingekauft, Kooperationspartner. Aber diese, unsere Positionierung ergibt sich im Wesentlichen aus der eigenen Technik und Entwicklung. Das heißt, wenn man das alles als Commodity irgendwo kaufen könnte, würde es [Unternehmen A] nicht geben. Deshalb müssen wir auch immer wieder Technologie weiterentwickeln und auch schützen und verteidigen.“ (Dr. Diekmann, S. 7)
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Kooperation mit und Ressourcen für „wissenschaftliche“ Forschung Neben der Rekrutierung von MitarbeiterInnen aus anderen Unternehmen, die ihre – möglichst langjährige – Industrieerfahrung einbringen sollen, sind auch die WissenschaftlerInnen und deren Fachkenntnisse von hoher Bedeutung für die Unternehmen. Dabei können zwar durchaus auch langjährige WissenschaftlerInnen mit entsprechender Fachkenntnis von großem Interesse für das Unternehmen sein, aber es wird deutlich, dass ein hoher Prozentsatz an MitarbeiterInnen direkt nach dem Studium oder der Post-Doc-Zeit rekrutiert wird. Sie bringen neues Wissen in das Unternehmen ein und entwickeln eine hohe innere Identifikation mit dem Unternehmen, die sich z.B. in einer stark erhöhten Arbeitsmotivation bemerkbar macht.197 Die Bereitstellung unternehmenseigener Ressourcen für eigenmotivierte Forschung der MitarbeiterInnen ist in allen Unternehmen nicht vorgesehen. Entweder wird ausschließlich auf Kundenwünsche reagiert oder zumindest in begrenztem Rahmen versucht, möglichen Kundenwünschen und -bedarfen vorauszugreifen und selbstständig Angebote und Produkte zu entwickeln. Wichtige Kooperationspartner sind in diesem Zusammenhang häufig Universitäten und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen. Die akademische Wissenschaft dient als Ausgleich zur ansonsten stark auf die Kunden ausgerichteten Forschungsstrategie des Unternehmens, allerdings werden die Ergebnisse und Trends dort sehr stark nach den Unternehmensbedürfnissen gefiltert und nur die Sachen aufgenommen, die hilfreich und finanziell verwertbar sind, d.h. in ein Produkt oder eine Dienstleistung übersetzt werden können. „Ja gut, wir gehen auch auf wissenschaftliche Tagungen, wir informieren uns auch, was ist da neu. Das machen wir schon alles. Aber solange der Kunde in der Industrie das nicht so will oder nicht den Bedarf hat. Es gibt halt sehr viele neue Entwicklungen, die sind zwar nett und schön, die Frage ist nur, braucht das irgendjemand. […] Und für uns ist halt dann immer die Aufgabe auch dann eben Spreu von Weizen zu trennen und dann zu gucken, hey, was sind denn wirklich Entwicklungen, die sich auch lohnen. Ich muss jetzt nicht auf jeden Zug auffahren und jedes Schlagwort besetzen.“ (Dr. Wollenstein, S. 10)
Dabei dient der Austausch mit der akademischen Wissenschaft in erster Linie dem Wissenstransfer und der Absicherung der Vorreiterrolle des Unternehmens auf seinem jeweiligen Geschäftsgebiet. Die Sicherstellung eines gewissen Wissensflusses und die Einbindung neuen Wissens in das Unternehmen erfolgt in allen Spin-offs der Studie sowohl über die Rekrutierung neuer MitarbeiterInnen als auch in Form des Wissens- und Informationsaustausches über feste Kooperationen mit verschiedenen Universitäten und Forschungseinrichtungen. 197
Wie sich beispielweise bei Unternehmen A in Zusammenhang mit dem hohen Anteil an „freiwilligen“ Überstunden gezeigt hat.
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Zusätzlich ist öffentliche Förderung unverzichtbar für die Weiterentwicklung und Generierung neuer Ideen, gerade in Unternehmen, die zwar keine Grundlagenforschung betreiben, aber sich auch nicht auf die reine Produktweiterentwicklung beschränken (können). Die Unternehmen stehen dazu in engem Kontakt zur akademischen Wissenschaft, welcher sich u.a. in Form von Kooperationsprojekten oder der gegenseitigen Vergabe von Aufträgen manifestiert. „Ja, da haben wir einige. Mehrere Projekte, wo wir teilweise sogar Aufgaben auslizenzieren, also Aufgaben herausgeben, dann machen wir auch Kunden dort, für die wir Analysen machen. Man sieht sich auf Tagungen […] jetzt im vierten Bereich, wo wir eigene Forschung machen, da haben wir ein Projekt, was auch von [Bundesland] bezuschusst wird, wo wir konkret drei Unis beauftragen, was zu machen, wo wir, bis wir das können, das können wir uns gar nicht leisten. […] Und auch in einigen Unternehmensbereichen, würd ich sagen, wären wir heute nicht da, wenn wir nicht einige Projekte auch über Forschungsgelder, also öffentliche Aufträge letztendlich, Forschungsanträge gestellt haben. Und dafür müssen wir ja immer einen großen Teil selber bezahlen, also weil [die anteilig finanziert sind].“ (Herr Bäcker, S. 11)
Wobei es in diesem Zusammenhang auch spezifische Schwierigkeiten gibt. Mit Blick auf die großen Verbundprojekte unter Beteiligung verschiedener Unternehmen und wissenschaftlicher Institutionen bezeichnete Dr. Jonas als Tranferexperte „Leitprojekte“ als „Leidprojekte“. Gerade dann, wenn im Rahmen des Projektes verwertbare Ergebnisse generiert werden, die verkauft oder in ein Produkt bzw. eine Dienstleistung umgewandelt werden können, würden sich die großen Unternehmen zurückziehen und die Erkenntnisse bei sich intern weiterentwickeln. Der Streit um die Forschungsergebnisse und deren Verwertungsrechte ist seiner Ansicht nach vorprogrammiert. Das ist jedoch nicht die einzige Schwierigkeit bei gemeinsamen Forschungsprojekten zwischen Unternehmen und wissenschaftlichen Einrichtungen. Auch in Unternehmen A ist die Kooperation mit Universitäten zurückgegangen, nicht unbedingt auf Betreiben des Unternehmens selbst. „Gibt’s, gab’s in der Vergangenheit mehr. Das ist durch die Reform Hochschulrahmengesetz wesentlich schlechter geworden. Weil die Universitäten alle davon träumen, dass sie jetzt die MIT’s und Stanfords der Welt werden und teilweise, es ist sehr schwierig mit denen Kooperationsverträge auszuhandeln. Weil es geht ja immer darum, wem gehört was dann. Und in dem alten Modell, in dem der Lehrstuhlinhaber relativ frei verfügen konnte, war das viel, viel einfacher. Jetzt geht es über eine Verwertungsstelle an der Universität, die größeren Universitäten, ich sag jetzt mal, haben mittlerweile kleinere Fachteams, die teilweise eine gewisse Kompetenz haben und teilweise gut sind.“ (Dr. Diekmann, S. 5)
Vor allem die ExpertInnen aus den Transferstellen der Universitäten bestätigen teilweise sehr selbstkritisch die (noch) mangelhaften Kompetenzen der Universi-
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täten bei der Wissens- und Technologieverwertung.198 Direkte Beteiligungen der Universitäten z.B. an Unternehmensgründungen sind (finanz)rechtlich nach wie vor schwierig und werden auch universitätsintern im Hinblick u.a. auf die Unabhängigkeit der Forschung kritisch betrachtet. Undurchlässigkeit durch „Redeverbot“ Der Weg zurück in die akademische Wissenschaft ist für die ForscherInnen in den Spin-offs eine eher begrenzte Möglichkeit. Es handelt sich nach wie vor um eine generelle Weichenstellung im individuellen Karriereverlauf, die auch nur sehr eingeschränkt rückgängig zu machen ist und aufgrund der äußeren Beschäftigungsbedingungen – niedriger Lohn und befristete Verträge – von den wissenschaftlichen MitarbeiterInnen und GründerInnen in den Spin-offs häufig als unattraktiv angesehen wird. Die mangelnde Durchlässigkeit von Wirtschaft und Wissenschaft in Deutschland – im Gegensatz z.B. zu den USA (vgl. Lehrer/Asakawa 2004) – ist allerdings für die ForscherInnen ein grundlegendes Problem. Die Ursache der Undurchlässigkeit der Arbeitsmärkte liegt dabei weniger in den unterschiedlichen Qualifikationen und Persönlichkeitsstrukturen der wissenschaftlichen MitarbeiterInnen begründet, die durchaus kompatibel wären und von keiner der interviewten Personen als äußerst hohe oder unüberbrückbare Defizite benannt wurden, die einen Wechsel unmöglich machen würden.199 Unter Umständen verhindern allein die formalen Rahmenbedingungen der Forschungstätigkeit in einem Spin-off und die Regeln der Scientific Community eine Durchlässigkeit der Arbeitsmärkte. Die grundsätzlich unterschiedliche Zielrichtung der Forschung in Spin-offs und in Einrichtungen des Wissenschaftssystems bedingt diese Folgeerscheinungen, die dann zwangsläufig eine unumkehrbare Weichenstellung im individuellen Karriereverlauf bedeuten. Denn der Reputationserwerb erfolgt in der Wissenschaft in hohem Maße über Publikationen, welche in Spinoffs aus inhaltlichen Gründen und der Verpflichtung zur Geheimhaltung, wenn überhaupt, nur sehr begrenzt möglich sind.
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Erst seit der Änderung des Arbeitnehmererfindungsgesetzes im Jahr 2002 liegen auch Erfindungen von Hochschulprofessoren und deren Verwertung in der Verantwortung des Dienstherrn (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung 2007, S. 99ff. und Wissenschaftsrat 2007). Dr. Jonas schildert zwar sehr anschaulich bestimmte Spezifika von „freien WissenschaftlerInnen“, und auch andere Interviewte betonen, dass eine langjährige Tätigkeit in der akademischen Wissenschaft erhebliche Anpassungsleistungen von dem oder der jeweiligen ForscherIn erfordert und für bestimmte Positionen nun mal Industrieerfahrungen notwendig sind. Aber es handelt sich hier nicht um eine gänzlich unüberwindbare Mauer. Die GründerInnen selber dürften das beste Beispiel sein, denn nur ein Teil der GründerInnen kehrt in die Wissenschaft zurück, die anderen schaffen es, sich anzupassen.
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Forschung und ForscherInnen in Spin-offs „Ja gut, ich sag mal, das Ziel der [Unternehmen B-]mitarbeiter ist jetzt nicht eine möglichst lange Publikationsliste zu haben. Das ist das Ziel in der Akademie, aber das ist eine akademische Laufbahn, das ist etwas ganz anderes. [...] Also von daher, natürlich, also ich würd nicht sagen, dass da irgendwie Wege versperrt sind, aber, gut, jeder, der irgendwann seine Promotion fertig gestellt hat, fällt für sich irgendwann mal die Entscheidung, möchte ich eine akademische Laufbahn vielleicht mit Habilitation und Lehre anstreben oder möchte ich eher in die freie Wirtschaft gehen.“ (Dr. Wassermann, S. 6-7)
Der Begriff der Freiheit ist damit nicht nur im Hinblick auf die Freiheit bei der Wahl der Forschungsinhalte, sondern auch noch in einem anderen Zusammenhang bedeutsam: In Bezug auf die Redefreiheit für wissenschaftliche MitarbeiterInnen in Spin-offs. Diese ist, entweder auf Basis vertraglicher Vereinbarungen mit den Kunden oder aus strategischen Gründen, bis zur Patentierung der Ergebnisse stark eingeschränkt. Strategische Entscheidungen über die Ausrichtung des Unternehmens – auch was F&E betrifft – werden vorwiegend ohne die direkte Beteiligung der MitarbeiterInnen getroffen. Darüber hinaus haben die wissenschaftlichen MitarbeiterInnen in der Regel keine Einflussmöglichkeiten auf die Kundenakquise und damit auch nur sehr begrenzte Möglichkeiten, die Inhalte und Art der Projekte zu beeinflussen. Der Schutz des Wissens und des Knowhow des Unternehmens hat Priorität. Die Ausbildung der hierarchischen Strukturen in den Unternehmen bei steigender MitarbeiterInnenzahl ist damit nicht nur eine Folge einer effektiveren Arbeitsorganisation, sondern auch ein „gewisser Selbstzweck, um das Know-how zu schützen“ (Dr. Hickstein, S. 7). Erfolgt eine Rückspiegelung der Ergebnisse in die so genannte Scientific Community, dann hauptsächlich aus Marketinggründen oder bedingt durch die Zusammenarbeit in Kooperationsprojekten, wobei die Unternehmen das Publizieren in wissenschaftlichen Journalen in der Regel den akademischen Partnern überlassen. Die Publikation dient dementsprechend sowohl der Kundenakquise als auch der Ideengewinnung, ähnliches gilt für den Besuch von Fachtagungen, wie die nachfolgenden Interviewpassagen verdeutlichen. „Wir selber sind auch darauf angewiesen, dass wir Publikationen gebrauchen, weil, wenn wir unser Angebot an Forschungseinrichtungen beispielsweise richten oder an F&E-Abteilungen in Betrieben, dann ist eine Publikation, wo ihre Gerätschaft halt platziert werden soll, dann lässt sich über eine Publikation am einfachsten und effektivsten darstellen, wie die Wirklichkeit so ist und dass auch Erfolge da sind. Das ist ganz wichtig für uns. Und wir lernen einen Großteil unserer Kunden über Konferenzen auch kennen.“ (Dr. Sieger, S. 11-12) „Ich brauch nicht mehr zu publizieren, für mich persönlich, sondern wenn ich publiziere, dann ist das in erster Linie Marketingmaßnahme, um den Namen [Unternehmen D] bekannt zu machen. Dazu ist es auch eine Frage der Zeit. Ich hab schlichtweg nicht die Zeit, eine wissenschaftliche Publikation zu schreiben, von daher bin ich auch ganz froh, wenn es andere machen. […] Fachtagungen, also zum einen muss man dahin. Einfach, um mal Gesicht zu zeigen und man versucht natürlich auch da immer – sei es als Aussteller, wenn das mit so was kombi-
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niert ist, sei es wirklich über Vorträge – da die eigenen Technologien und so was an den Mann zu bringen.“ (Dr. Calvin, S. 6)
Gerade diese vielfältigen Verflechtungen zwischen Unternehmen und Einrichtungen des Wissenschaftssystems und die daraus entstehenden Widersprüchlichkeiten erfordern auf organisatorischer und individueller Ebene die Etablierung entsprechender Arbeits- und Organisationsstrukturen, die das Überleben der Unternehmen und deren Innovationsaktivitäten dauerhaft sichern. Nachfolgend steht daher die Frage der Organisation der Forschungsprozesse in den Unternehmen selbst im Vordergrund. 5.3.2.3 Organisationsstrukturen in Spin-offs Arbeitsteilung zwischen den Funktionsbereichen und interdisziplinäre, prozessuale Zusammenarbeit in Projekten kennzeichnen die Arbeitsstrukturen in drei der untersuchten Spin-offs. Unternehmen D hingegen unterscheidet sich allein aufgrund seiner Größe und seines Geschäftsmodells grundlegend von den anderen Unternehmen und ist daher nur begrenzt mit diesen vergleichbar. In dem Unternehmen wird die Arbeit nahezu ausschließlich in Form von Kundenprojekten durchgeführt. Aufgrund der geringen Größe des Unternehmens konnte sich parallel zu der projektförmigen Organisation der Arbeit noch keine Abteilungsstruktur entwickeln, wie es hingegen bei den anderen untersuchten Unternehmen beobachtbar ist. Deutlich erkennbar in den drei größeren Unternehmen sind die Bemühungen um den Aufbau eines professionalisierten Managements in Form der Trennung von Managementaufgaben und Projektbearbeitung. In den Unternehmen A und C hat dies zur Herausbildung einer gesonderten Abteilung für die Bereiche Akquise, Kundenbetreuung, Vertragsverhandlungen und -gestaltung geführt. Im Fall von Unternehmen B hat sich ein Teil der insgesamt sechsköpfigen Geschäftsführung auf diesen Aufgabenbereich spezialisiert. Des Weiteren bemühen sich die Unternehmen um die Etablierung eines professionellen Projektmanagements, das sich vor dem Hintergrund der spezifischen Anforderungen und Zeithorizonte für Projektarbeit in Spin-offs in den Unternehmen herausgebildet hat. Den Versuchen der Professionalisierung und Standardisierung der Projektarbeit und -abläufe stehen wiederkehrende Störelemente gegenüber, die sich zum einen grundlegend aus der bis zu einem gewissen Grad Nicht-Standardisierbarkeit von Forschung ergeben, die Routine verhindert und kreative Eigenleistungen der ProjektmitarbeiterInnen erfordert und zum anderen durch den Kunden initiiert werden. Je nach Modell federn die ProjektmitarbeiterInnen diese Störungen
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eigenverantwortlich ab, teilweise filtern aber auch mittlere und obere Führungsriegen die Anforderungen des Kunden. Zwar wird in allen Unternehmen ein unterschiedlicher Führungsstil praktiziert, verbunden mit mehr oder weniger Einflussmöglichkeiten der MitarbeiterInnen. Aber in allen Unternehmen geht eine hohe eigenverantwortliche Gestaltung der täglichen Arbeitsabläufe durch die MitarbeiterInnen selbst einher mit einem ausgeprägten, meist punktuell stattfindenden, Controlling der Arbeitsergebnisse durch Projektmeilensteine. Die nachfolgenden Unterkategorien und die entsprechenden Interviewzitate als Beleg beziehen sich in erster Linie auf die in den Unternehmen etablierten Organisationsstrukturen und die jeweiligen Arbeits- und Projektstrukturen: ¾ ¾ ¾ ¾
Funktionale Spezialisierung und Professionalisierung der Führung Interdisziplinarität Projektmanagement – In „Freiheit“ effizient sein? Standardisierung der Projektabläufe – der Kunde stört die Routine
Funktionale Spezialisierung und Professionalisierung der Führung Kennzeichnend für Spin-offs ist der stark projektförmige Charakter der Arbeit, der vor allem in den Anfängen der Unternehmen besonders ausgeprägt ist. In den Interviews wurde deutlich, dass alle Unternehmen in der ersten Phase nach der Gründung mindestens als projektgeleitete Organisationen gestartet sind.200 Bei einem Teil der Unternehmen handelte es sich sogar um rein projektbasierte Organisationen, was sich erst mit dem Wachstum des Unternehmens geändert hat. Unternehmen D befindet sich noch in dieser Anfangsphase. In dem Spin-off strukturieren ausschließlich die Kundenprojekte die tägliche Arbeit. Lediglich in Bezug auf die Managementaufgaben kristallisiert sich eine begrenzte Arbeitsteilung zwischen den beiden Gründern heraus. Diese werden vornehmlich durch einen der Gründer wahrgenommen, während sich der andere auf die Planung und die Durchführung der Projekte konzentriert. Auch Unternehmen A zeichnete sich zu Beginn durch eine geringe horizontale und vertikale Segregation aus. „Ja, also ganz am Anfang von [Unternehmen A] war das ne relative Anarchie hier. Da wurde alles nach Projekt organisiert. […] Und im Oktober 2003 gab es eine Umstrukturierung, wo der Vorstand verkleinert wurde und so eine Zwischenebene eingeführt wurde, diese Abteilungsleiter, wo dann auch die Abteilung klar strukturiert dann darunter waren. Ich glaub, die Hauptforderung war damals, dass klare Ansprechpartner definiert werden sollen.“ (Dr. Kiel, S. 2)
200
Zur Kategorisierung von Hobday (2000) vergleiche Kapitel 4.3.
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Im Laufe des Wachstums der Unternehmen hat sich vor allem in den Unternehmen A und B neben der Projektstruktur eine gleich gewichtete Abteilungsstruktur herausgebildet. In Unternehmen C stehen hingegen aufgrund der starken Vertriebslastigkeit des Spin-offs die Abteilungsstrukturen sehr viel stärker im Vordergrund. Die Geschäftsführung versucht allerdings durch offene Kommunikationsstrukturen und einen regen Informationsfluss eine abteilungsübergreifende Behandlung von Kundenanfragen und -problemen zu ermöglichen. Eine Strategie, die angesichts der geringen Größe des Unternehmens von 38 MitarbeiterInnen und den dementsprechend kurzen Kommunikationswegen gut funktioniert. In Unternehmen B hingegen war es notwendig neben den einzelnen Fachabteilungen flexible und vor allem gleich gewichtige Projektstrukturen zu etablieren. Die Gründe hierfür sind zwar auch in dem zunehmenden Wachstum des Unternehmens zu suchen, vor allem jedoch durch den hohen Anteil an nicht kundenbezogener F&E bei gleichzeitig hohem Anteil an Kundenprojekten erklärbar. „Wir haben vier BU’s, also Business Units, und die verteilen sich da sehr gleichmäßig hier auf. […] Wobei wir eine Matrixorganisation haben, das heißt, wir können Projekte komplett unabhängig von diesen Strukturen auch bearbeiten. […] Wir haben einmal die senkrechte Ordnung, die natürlich die Zuordnungen klar regelt und auch Finanzzuordnungen auch regelt. Wir haben aber auch eine Matrixorganisation, d.h. dass auch einzelne Personen, auch unabhängig von der Struktur, zu Projekten zusammen geführt werden, das wird auch gemacht. […] Und wir haben haben natürlich Marketing und Vertrieb, Finanzen, Administration, wir haben eine Personal, das war’s dann. Das heißt, es gibt noch 8 Personen, die diese Bereiche abdecken.“ (Hr. Bäcker, S. 2)
Die Abteilungsstruktur ermöglicht eine Arbeitsteilung zwischen den verschiedenen Funktionsbereichen, z.B. Business Development, Akquise oder IT. Die Projektstruktur ermöglicht interdisziplinäre, prozessuale und vor allem kunden- bzw. auftragsbezogene Zusammenarbeit. „Das Engineering und auch das IT, das ist bei uns als Servicefunktionen organisiert. Die machen das, was, die machen alle Projekte parallel. Und die Projektleiter haben, führen halt ein Kundenprojekt, oder manche auch zwei, je nachdem, wie groß die Projekte sind.“ (Dr. Diekmann, S. 8)
Die schrittweise Ausbildung von Abteilungsstrukturen ist Ausdruck des Wachstums der Unternehmen. Nach der Gründungsphase professionalisiert und differenziert sich die Arbeit in den Unternehmen. Wurden in der anfänglichen Gründungsphase viele auch funktional verschiedene Arbeitsschritte von einer Person bearbeitet, bildet sich in den Unternehmen mit dem Wachstum der MitarbeiterInnenzahlen auch eine Trennung vor allem der Geschäfts- und Managementpro-
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zesse und der Projektbearbeitung heraus. In Unternehmen A wird der Akquiseprozess klar vom Projektprozess unterschieden: „Der Akquiseprozess wird geführt, ich sag jetzt mal von der Geschäftsführung. Business Development nennen wir das. Das sind drei, vier Leute. Dann gibt es den Projektprozess, der dann sehr stark in der Hand der Projektleiter liegt. Das heißt in der Anfangsphase sind es vielleicht 80, 90% in der Hand dieses Business Developments, 10 oder 20% Unterstützung der Projektleiter, der Fachgruppen halt, der Fachleiter. Und während des Projektes wechselt das. Da ist es eine sehr fachliche Kooperation. […] Und dann geht irgendwann ein Projekt zu Ende und dann ändert sich das dann wieder.“ (Dr. Diekmann, S. 3-4)
Die ProjektmitarbeiterInnen sind in Unternehmen A in der Akquisephase nur als fachliche BeraterInnen des Akquiseteams tätig, wie schon in dem Zitat von Dr. Diekmann deutlich wurde. Diese Form der Arbeitsteilung gilt aber auch für Unternehmen B und C. In keinem der drei Unternehmen werden sämtliche Arbeitsschritte im Projektteam selbst bearbeitet, wie es der von Hobday (2000) entwickelten vollkommen projektgeleiteten Organisationsstruktur entsprechen würde. „Natürlich, also die Kundenprojekte werden bei uns so bearbeitet, dass da natürlich eine Akquise ist, also in erster Linie die Erstakquise, dann Nachfassen, Angebotsgestaltung. Und die Angebotsgestaltung, die oder die Phase der Angebotsdiskussion auch mit dem Kunden, die wird teilweise schon, da holt der Marketing und Vertrieb-Mensch sich die Leiter dieser BU und auch von, aus den BU’s die entsprechenden Experten heran. Ist aber für den Prozess bis zur Akquise verantwortlich und dann wird er übergeben an den Projektleiter. […] Der macht die komplette Kundenbetreuung […], aber der hat die alleinige Verantwortung für die Kundenbetreuung. Und das sind drei Personen, die auch dieses mittlere Management dann, die dann die Projektleitung haben in diesen Kundenprojekten.“ (Herr Bäcker, S. 6)
In Unternehmen B bündelt das obere und mittlere Management die Kundenkontakte. So hat jeder Kunde im Idealfall immer den gleichen verantwortlichen Ansprechpartner, der das Anliegen bzw. die Informationen filtert und dann an die entsprechenden ProjektmitarbeiterInnen weiterleitet. Dr. Wollenstein als Leiter einer Geschäftseinheit in Unternehmen B übernimmt diese Aufgabe für seine MitarbeiterInnen nicht nur rein aus firmenstrategischen Gründen, sondern auch aufgrund des fehlenden Überblickwissens und der mangelnden Erfahrung des wissenschaftlichen Personals im Umgang mit Kunden. Lediglich die technischen MitarbeiterInnen haben in absoluten Ausnahmefällen direkt Kontakt zu den technischen MitarbeiterInnen des Kunden. In der Regel geht es dann um die Abstimmung konkreter technischer Sachverhalte. Ansonsten wird jedoch in Kauf genommen, dass die jeweiligen FachbereichsleiterInnen in speziellen fachlichen Fragen unter Umständen nicht den gleichen Einblick haben wie die direkten ProjektmitarbeiterInnen und so Anfragen nicht immer sofort beantwortet werden
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können. Im Gegenzug sind die FachbereichsleiterInnen in der Regel über sämtliche Auftrag- und Projektdetails umfassend informiert. „Nein, ich denke schon, sie können das nicht so. Also es gehört sehr viel Erfahrung dazu. Es ist halt schwierig, also im Prinzip muss jeder, der mit dem Kunden redet über alles Bescheid wissen, was mit diesem Kunden läuft. Es ist ganz schwer, nur Teilaspekte zu kennen und dann mit dem Kunden zu reden. Weil der Kunde sieht uns immer als Einheit, als [Unternehmen B] und erwartet, zu Recht, dass er mit kompetenten Leuten redet, die sein Projekt kennen. […] selbst wenn der Mitarbeiter dann vielleicht auch Teillösungen besser beantworten kann, diese Gespräche drehen sich in aller Regel um ganz viele Sachen und dann ist es einfacher, eine Person zu haben, die den Überblick hat und die kommuniziert und dann ist das eine Botschaft an den Kunden. Und die ist dann klar und einheitlich vor allem. Und das, sind unsere Kunden sehr viel zufriedener mit. Also das hat jetzt nichts damit zu tun, dass wir was verbergen wollen oder sonst irgendetwas, aber es werden schon häufig einfach dann, so dieses zwischen den Zeilen und was ist sonst noch am laufen. Du bist häufig dann mit den Kunden schon das nächste Projekt am verhandeln und da geht halt immer sehr viel hin und her, voll schwer zu strukturieren […].“ (Dr. Wollenstein, S. 11)
Noch ausgeprägter ist die Arbeitsteilung in Unternehmen C, in welchem der Vertrieb als Schnittstelle nach außen fungiert. Hier erfolgt die „Stabübergabe“ an die Serviceabteilung erst nach Abschluss des Kaufvertrages und Schulung des Kunden. In diesem Spin-off ist die Vertriebsstruktur absolut dominierend, verstärkt zum einen durch die Tatsache, dass die VertriebsmitarbeiterInnen alle einen naturwissenschaftlichen Hintergrund haben und damit auch fachliche Fragen zu einem großen Teil selber beantworten können und zum anderen dadurch, dass neben Serviceleistungen für die Käufer der Produkte des Unternehmens keine weiteren Forschungsdienstleistungen angeboten werden. „Wenn wir jetzt auf fachlicher Ebene uns das angucken, dann bringen wir in der Regel vom Vertrieb her die Wünsche hier rein, die werden beredet, dafür gibt es auch feste Termine, die eingerichtet sind, also Treffen, die eingerichtet sind, und da wird eben erörtert, was können wir davon realisieren, wie realisieren wir das, mit welchem Personalaufwand und wie kriegen wir die Lösung zustande. Wenn wir jetzt an die Stabübergabe denken, also ein Gerät ist verkauft, das Training ist gemacht, das wird also in der Regel auch von den Vertriebsleuten gemacht, d.h. wir wissen unsere eigenen Geräte zu handeln, also damit zu arbeiten, und es soll zum Servicefall kommen, dann geht dieser Servicefall in der Regel an die Produktionsabteilung weiter […].“ (Dr. Sieger, S. 4)
Die Trennung der Akquise vom eigentlichen Projektablauf ergibt sich also zum einen aufgrund der organisatorischen Gestaltung der Kundenschnittstelle und zum anderen aber auch aufgrund der fehlenden Qualifikationen und Erfahrung der wissenschaftlichen MitarbeiterInnen auf dem Gebiet der Kundenbetreuung. Das Ergebnis ist eine Arbeitsteilung zwischen Management und wissenschaftlichen ProjektmitarbeiterInnen. Überwiegend verantwortlich für die Kommunikation mit den Kunden sind die für Marketing und Vertrieb zuständigen Mitarbeite-
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rInnen. In den Projekten selber hat in der Regel nur der oder die ProjektleiterIn – wenn überhaupt – Kundenkontakt, vor allem dann, wenn es um komplexere inhaltliche Fragen und um die Vorstellung der Projektergebnisse geht. In Unternehmen B werden die Führungskräfte für diese Aufgaben extra geschult, wie Dr. Wassermann als die für Personalentwicklung verantwortliche Führungskraft verdeutlicht. Wobei sie diesen Weiterqualifizierungsbedarf nicht als Folge beispielsweise fachlicher oder persönlicher Defizite vormals an wissenschaftlichen Institutionen beschäftigter MitarbeiterInnen sieht. Sie führt dies in erster Linie auf die mangelnde Erfahrung zurück. Kundenorientierung ist in der Regel nicht Teil einer akademischen Ausbildung, vor allem in den Natur- und Ingenieurwissenschaften. „Die Führungskräfte, die auch viel Kundenkontakt haben, die haben wir auch in einem Marketing- und Vertriebsprojekt geschult, also was eben die Ausrichtung auch den Kunden angeht und den Umgang mit Kunden, etc. um eben auch da eine, ja, fundiertere Ausbildung zu schaffen. Weil das sind ja so Dinge, die bringt man nicht von der Uni mit in einer akademischen Ausbildung.“ (Dr. Wassermann, S. 4)
Allerdings zeigen die Fallstudien durchaus auf, dass die Trennung der Aufgabenbereiche nicht zwangsläufig auf die mangelnde Akquiseerfahrung des wissenschaftlichen Personals zurückgeführt werden muss, sondern in der schlichten Notwendigkeit zur Spezialisierung entweder auf Akquisetätigkeiten oder inhaltliche Projektarbeit begründet liegt. Beides parallel zu bearbeiten funktioniert nach Ansicht der interviewten MitarbeiterInnen nicht. Grundsätzlich ist aber eine vollständige Vermeidung von Kundenkontakt nicht möglich. Das ist in allen Unternehmen beobachtbar. Komplexe Anfragen und Probleme können in der Regel nur durch die MitarbeiterInnen in den Projekten selbst bearbeitet werden. Teilweise ist in den Projekten ein hoher Abstimmungsbedarf mit den MitarbeiterInnen auf der Kundenseite gegeben. Der direkte Austausch von Informationen und Daten zwischen den ProjektmitarbeiterInnen und den MitarbeiterInnen des Kunden gewährleistet die schnellere und reibungslose Projektbearbeitung. Von daher ist die Kundenschnittstelle auf der Projektebene häufig doch größer als von der Geschäftsführung angenommen und erwünscht. In Unternehmen A hat lediglich Frau Dr. Gruber als Leiterin eines internen Forschungsprojekts keinen Kundenkontakt. Ihre Aufgaben als Projektleiterin in Unternehmen A unterscheiden sich laut ihrer eigenen Aussage nicht großartig von ihrer vorausgehenden Tätigkeit als Projektleiterin an einem Forschungsinstitut. Bereits hier waren Projektmanagement, Auswertung, Analyse, Berichterstattung und Projektkoordination Teil ihrer Tätigkeit. Lediglich der Einsatz der unternehmenseigenen, effizienteren Technologien führt ihrer Aussage nach zu einem schnelleren Datenfluss und zu größeren täglichen Datenmengen, die aus-
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gewertet werden müssen. Nach Ansicht von Dr. Gruber ist es nicht so sehr ein Qualifikations- bzw. Erfahrungsdefizit der wissenschaftlichen MitarbeiterInnen, sondern in erster Linie die Intensität der Anlagen, welche eine stärkere Beteiligung der ProjektmitarbeiterInnen an der Akquise verhindert. „Ich finde das ist richtig so, weil das ist auch ein Fulltimejob, mehr als ein Fulltimejob, neue Projekte zu beschaffen. Und das kann man nicht neben der Forschung. Man konnte [das] früher, aber nicht hier, mit der Intensität der Anlagen und die Daten, die man hier [hat], da braucht man schon viel Zeit, um hier die Daten zu bewerten.“ (Dr. Gruber, S. 3)
Dr. Gruber ist jedoch von allen interviewten wissenschaftlichen ProjektmitarbeiterInnen tatsächlich die Einzige, deren Arbeit kaum bis gar keinen Kundenkontakt mit sich bringt. KMUs bieten laut Dr. Kiel aus dem gleichen Unternehmen nur einige wenige solcher Nischen an. Damit ist die Zahl an Positionen für wissenschaftliche MitarbeiterInnen, die nur reine Forschung machen wollen, in Spin-offs begrenzt. Laut Dr. Kiel ist das aber ein sehr kleiner Prozentsatz, denn die meisten wünschen und haben laut seiner Aussage einen größeren Einblick in Akquiseprozesse. Tatsächlich begrüßen die anderen wissenschaftlichen MitarbeiterInnen teilweise sogar die Möglichkeit der direkten Zusammenarbeit mit Kunden und bedauern mangelnde Partizipationsmöglichkeiten in der Akquisephase. Sie nehmen den Kunden allerdings durchaus zwiespältig wahr, da dieser die alltäglichen Projektabläufe erheblich stören kann. Eine Filterung der Kommunikation mit dem Kunden und dessen Anliegen auf höherer Ebene ist allein aufgrund dessen sinnvoll. Eine derartige Arbeitsteilung kann in den Spin-offs der Rationalisierung der Abläufe und Spezialisierung der MitarbeiterInnen dienen. Sie ist ab einer bestimmten Unternehmensgröße unverzichtbar und dient der Qualitätssicherung des Produktes und der Professionalisierung der Abläufe in dem Unternehmen. „Ja sicher, die Aufgabenbereiche sind schon getrennt, kein Unternehmen in der entsprechenden Größenordnung kommt ohne Spezialisierung auf F&E, auf Vertrieb, ohne ne Verwaltung und ohne eine Produktion/Service aus, das sind nicht die gleichen Köpfe, die das machen. […] [Auf die Frage] wo gibt es Dinge, die einem wissenschaftlich orientierten Mitarbeiter in einem Unternehmen nachher oft fehlen, dann würd ich sagen, sind es vielfach betriebswirtschaftliche Dinge, die man sich erarbeiten muss. Und auch, sagen wir mal, vertriebs- und marketingtechnische Aspekte, wie design ich auch, wie betreibe ich F&E, wie muss mein Produkt aussehen, welchen Faktoren oder welchen Ansprüchen muss es genügen, wie ermittel ich diese Ansprüche und wie setzte ich das, wie setze ich ein Produkt am Besten um, so dass es seinen Markt findet, so dass es verkaufbar ist. Das ist sicherlich mehr als die technische Funktion. Und da besteht halt auch die Kunst drin.“ (Dr. Stiller, S. 2-3)
Unternehmen C kann es sich aufgrund des auch fachlich stark aufgestellten Vertriebs leisten, die MitarbeiterInnen aus den anderen Geschäftsbereichen aus-
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schließlich aufgrund ihrer fachlichen Eignung einzustellen, da diese keine kundenbezogene Aufgaben erfüllen müssen. Generell schafft die Trennung der Prozesse und die daraus resultierende Arbeitsteilung dann die Möglichkeit zur gezielten Rekrutierung von Personen, die sich stark auf den eigentlichen Forschungsprozess fokussieren und inhaltlich spezialisieren. „Also jemand, der jetzt die geborene Laborratte ist und da an der Laborwand wunderbar klar kommt, der muss jetzt nicht in der Lage sein, dieses Produkt jetzt einem Kunden gegenüber vorzuführen. Also ne gewisse Kommunikationsfähigkeit unter Mitarbeitern ist immer etwas Wünschenswertes, aber das ist jetzt nicht, was durch die Bank gefordert werden muss. Das ist nicht der Fall.“ (Dr. Sieger, S. 11)
Auch Unternehmen B legt bei der Rekrutierung von MitarbeiterInnen hohen Wert auf deren jeweiligen Erfahrungshintergrund. Die Personalabteilung beschäftigt bewusst hochspezialisierte Personen, entweder MitarbeiterInnen mit ausgeprägter Managementerfahrung in der Industrie oder hoher fachlicher Spezialisierung. Die Rekrutierung letzterer Personengruppe dient dabei bewusst der Integration neuen Wissens in das Unternehmen. Diese MitarbeiterInnen haben zwar keine Erfahrungen im Umgang mit Kunden oder Forschungsprojekten in der Industrie, sind aber dafür auf ihrem jeweiligen Fachgebiet hochqualifiziert und haben zum Teil mehrere Jahre an einer wissenschaftlichen Einrichtung geforscht. Das Unternehmen verfügt über eine ausgefeilte Personalentwicklungspolitik und qualifiziert die MitarbeiterInnen im Unternehmen intern und je nach Bedarf weiter. Dabei baut das Unternehmen auf die Lernfähigkeit und die Kompetenzen der MitarbeiterInnen zur persönlichen und fachlichen Weiterentwicklung. Gerade die MitarbeiterInnen der mittleren Führungsebene wurden nicht extern rekrutiert, sondern waren ursprünglich wissenschaftliche MitarbeiterInnen, die nach und nach Managementaufgaben übernommen haben. Damit rücken zunehmend neben der fachlichen Kompetenz auch die Sozialkompetenzen der MitarbeiterInnen stärker in den Vordergrund. Das Unternehmen A verfolgte in der ersten Wachstumsphase eine durchaus ähnliche Strategie. Ein Teil der wissenschaftlichen MitarbeiterInnen rückte Schritt für Schritt auf mittlere, neue eingerichtete Managementpositionen vor. In den Interviews wurde gerade diese Phase als besonders schwierig charakterisiert. Denn die ProjektleiterInnen müssen in der Übergangszeit gewissermaßen einen Spagat zwischen den verschiedenen Anforderungen vollbringen, bevor sie dann schließlich ganz ins Management wechseln.201 201
Einen ähnlichen „Spagat“ haben alle GründerInnen und Personen des oberen und mittleren Managements in den Spin-offs, die ursprünglich in einer wissenschaftlichen Einrichtung oder als wissenschaftliche MitarbeiterIn gearbeitet haben, zumindest einen begrenzten Zeitraum hinweg vollbracht.
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Bezogen auf Unternehmen D als Kleinstunternehmen muss dieser Sacherverhalt allerdings noch einmal gesondert betrachtet werden. Eine Trennung von Akquise- und Projektprozess ist für Dr. Calvin grundsätzlich nicht möglich. „Bei uns ist ein Angebot klar: Auf der einen Seite eine Aufstellung von Summen, dahinter liegt aber immer eine Projektskizze und das ist dann schon wieder eine wissenschaftliche Arbeit. Ein nicht unerheblicher Teil der Projektarbeit findet sich auch einfach schon in der Projektskizze wieder. Da muss im Detail schon drin sein, was ist denn jetzt zu tun um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Und dann steckt natürlich auch schon eine Menge wissenschaftliches Knowhow drin. Und so lässt sich das einfach nicht trennen. Das heißt derjenige, der das Projekt formuliert muss der sein, der es auch nachher macht, respektive muss die adäquate Qualifikation haben, der muss wissen, wie es geht. Das kann kein Kaufmann machen.“ (Dr. Calvin, S. 3-4)
Diese unterschiedliche Sichtweise ist allerdings zu einem gewissen Teil darin begründet, dass es sich hier um ein Kleinstunternehmen handelt, in dem sich eine Trennung von Akquise und eigentlicher Projektarbeit noch nicht entwickeln konnte. Darüber hinaus verzichten auch in den anderen Unternehmen die Akquiseabteilungen nicht auf die Fachkompetenz der ProjektmitarbeiterInnen bei der inhaltlichen Planung der Projekte. Es handelt sich hier jedoch um eine ausschließlich beratende Funktion der wissenschaftlichen MitarbeiterInnen und späteren Projektverantwortlichen. Zur Herausbildung einer arbeitsteiligen Struktur im Laufe des Wachstums des Unternehmens gehört auch die Ausdifferenzierung der Führungsaufgaben im Unternehmen. Sowohl auf der mittleren wie auf der obersten Führungsebene werden mit fortschreitendem Wachstum des Unternehmens bewusst Leute mit Industrieerfahrung rekrutiert. „Das hatte ganz konkrete Gründe, also wir haben dann irgendwann gesagt, gut, also wir müssen, ja, mehr weg von dem akademischen Umfeld, uns professioneller aufstellen, uns anders positionieren und dann haben wir eben ganz bewusst auch ins Management unseren jetzigen geschäftsführenden CEO gesetzt, der Erfahrung in der größeren Industrie hatte, um eben da mehr Professionalität rein zu bringen und eben auch die Erfahrungen aus dem Pharmamarkt.“ (Dr. Wassermann, S. 2)
In Unternehmen B hat der einzige im Unternehmen verbliebene Gründer aus dem ursprünglichen Gründungsteam die wissenschaftliche Geschäftsführung übernommen. Es wurden aufgrund der hohen Bedeutung der Kundenakquise bewusst Marketing- bzw. VertriebsexpertInnen in das Führungsteam rekrutiert. Diese verfügen neben ihrer langjährigen Berufserfahrung in anderen, größeren Industrieunternehmen zusätzlich über vielfältige Kontakte in die Branche und sind auf die Akquise von Kunden spezialisiert.
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Forschung und ForscherInnen in Spin-offs „Genau, also wir haben eine Person, Marketing und Vertrieb, der hat erst vor drei Jahren bei uns extern angefangen, neben anderen Aufgaben, und ist dann komplett in die Firma rein gekommen, als fest angestellte Person und kommt auch aus dem, also ist nicht aus der Firma, sondern hat schon extern Marketing und Vertrieb jahrelang gemacht.“ (Herr Bäcker, S. 6)
Diese Professionalisierung und Spezialisierung betrifft somit auch die oberste Führungsebene. Unternehmen A ist das einzige Unternehmen im Sample, welches bereits bei der Zusammenstellung des Gründungsteams sowohl Personen mit langjähriger Industrieerfahrung als auch Personen mit Forschungserfahrung zusammengebracht hat. Unternehmen B hat erst mit Wachstum des Unternehmens und bei der Neugründung des Unternehmens als Aktiengesellschaft bewusst Personen mit langjähriger Managementerfahrung aus anderen Unternehmen in die oberste Führungsspitze geholt. Unternehmen B hat diesen Schritt tatsächlich aus der eigenen Einsicht zur Notwendigkeit heraus getroffen. Allerdings spielt jedoch häufig auch die Akquise von VC-Kapital eine große Rolle bei derartigen Entscheidungen. Die Geldgeber drängen in der Regel – zu Sicherung ihrer Investition – auf die Beteiligung erfahrenden Führungspersonals. „Wir haben damals einen Schritt gemacht bei der Gründung, dass wir die Firmenleitung, also den Vorstandsvorsitzenden bei uns, explizit einen gesucht haben, der mit der Branche, mit der wir hauptsächlich unsere Geschäfte machen, schon große Erfahrung da drin hat. Also das obere Management, was wir haben, ist letztendlich, hatte schon vorher Berufserfahrung und die haben wir uns extra sogar noch reingeholt dann.“ (Herr Bäcker, S. 3)
Durch die Rekrutierung von Personen, die nicht aus einem akademischen Umfeld kommen, versprechen sich die Unternehmen einen professionelleren Umgang bei Fragen der Personalauswahl, der vorausschauenden Finanzplanung und der Ausrichtung auf den Kunden. Dass sich die ursprünglichen GründerInnen in diese Richtung entwickeln können, ist zwar nicht ausgeschlossen, beinhaltet aber tatsächlich deren bewusste Entscheidung, die Wissenschaft als eigenes Betätigungsfeld endgültig aufzugeben. Denn ein Spagat zwischen den Aufgaben der Unternehmensführung und akademischer bzw. wissenschaftlicher Tätigkeit ist nicht dauerhaft möglich. „Genau. Also entweder kann sich die Führung natürlich auch dahin entwickeln, aber irgendwann ist da eben auch der Spagat zwischen einer akademischen Tätigkeit einerseits [...] und das Unternehmen zu führen und irgendwann ist dieser Spagat einfach nicht mehr möglich. Und das war bei [Unternehmen B] auch so, das es irgendwann war, nee, es geht einfach nicht mehr. Und das war dann auch der Zeitpunkt um zu sagen, okay, wir holen uns jetzt einen Vorstand, der eben schon Erfahrung in der Pharmaindustrie hat.“ (Dr. Wassermann, S. 11-12)
Deutlich wird in den unterschiedlichen Unternehmensbeispielen, dass die wissenschaftlichen GründerInnen mit Wachstum des Unternehmens zwangsläufig
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die Entscheidung zur Aufgabe ihrer eigenen wissenschaftlichen Tätigkeit treffen müssen. Alternativ besteht die Möglichkeit des Rückzugs in die wissenschaftliche Geschäftsführung bzw. in Beratungsgremien des Unternehmens. Dr. Sieger bestätigt diese Einschätzung. Zwischen seiner Post-Doc-Zeit und seiner Tätigkeit als Vertriebsleiter in Unternehmen C hat er längere Zeit in der Transfereinheit einer größeren Forschungseinrichtung gearbeitet und bringt diesbezüglich eine Menge Erfahrung mit. Sind zwar auf der einen Seite die fachliche Kompetenz der GründerInnen und ihre Forschungserfahrung und -ergebnisse unverzichtbare Grundlage für die Gründungsidee, so kann mittel- und langfristig deren übermäßige Fokussierung auf die Technologie oder das Produkt die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens sogar behindern. „Also wenn so ein Wissenschaftler sich ausgründen will, der Wissenschaftler, der hat ein Baby geboren. Das ist also sein, die Essenz seines wissenschaftlichen Arbeitens. Und dem ist jetzt gesagt worden oder der hat selber festgestellt, das müsste jetzt nach außen getragen werden und soll also jetzt nicht nur im wissenschaftlichen Umfeld verbleiben, dann ist dieser Wissenschaftler zunächst unheimlich verliebt in das. Und sieht vielleicht nicht, dass vielleicht ein anderer da auch schon dran gearbeitet hat, vielleicht in einer etwas modifizierten Form, aber immerhin. Der sieht das wirtschaftliche Umfeld kaum, der sieht kaum, dass es Wettbewerber gibt, der sieht kaum, dass also neben einer Entwicklung auch eine Vermarktung stattfinden muss, da die entsprechende Strategie. Und der sieht auch kaum, außer seinem eigenen Gehalt, dass er für alles Geld braucht. […] Das ist eine der, der … das sind also mit die größten Schwierigkeiten, sich in diesem waren-, betriebswirtschaftlich-, wettbewerbsorientierten Leben zurechtzufinden. Und da hapert’s bei vielen. Ich würd fast sagen bei 80 – 90 Prozent.“ (Dr. Sieger, S. 6-7)
Die Notwendigkeit der Anpassung der ursprünglichen Idee an den Markt erfordert in den meisten Fällen aber nicht nur die Herausbildung verschiedener Funktionsbereiche, sondern auch die Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen und die Zusammenführung von Know-how aus verschiedensten Gebieten, was über die Kombination von Idee und betriebswirtschaftlichem Know-how hinausgeht. Auffällig ist die interdisziplinäre Zusammensetzung des wissenschaftlichen Personals in den Spin-offs. Interdisziplinarität Damit eine Geschäftsidee – die in der Regel vor dem Hintergrund einer Disziplin gewonnen wird – am Markt umgesetzt werden kann, müssen in Spin-offs häufig verschiedene Disziplinen an einen Tisch gebracht und miteinander kombiniert werden. „Von daher war ein relativ großes technologisches Risiko da, weil wir auch hier jetzt nicht in der Chemie arbeiten, sondern, ich sag jetzt mal, viel Physik, IT, Mathematik, Materialwissenschaften, Mess- und Regeltechnik, all diese Sachen musste man zusammenbringen.“ (Dr. Diekmann, S. 1)
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Auch in Unternehmen B arbeiten AkademikerInnen mit unterschiedlichem naturbzw. ingenieurwissenschaftlichem Hintergrund. „Das ist sehr gemischt, also wir haben, von den Akademikern haben wir Physiker, einen Physiker, Biologen, Biochemiker und Chemiker bei uns. Von den, ja, dann haben wir bei der Bioinformatik, wenn es Sie interessiert, einen Biochemiker, einen Physiker, einen Mathematiker und eine ungeschulte Person und einen Informatiker, doch wir haben einen Informatiker, also ist komplett durcheinander.“ (Herr Bäcker, Seite 2)
Die Etablierung einer Abteilungsstruktur ist auch aus Gründen der Interdisziplinarität in Spin-offs notwendig. Während die stark projektförmige Arbeit von den MitarbeiterInnen eine nicht zu unterschätzende inhaltliche Flexibilität und Anpassungsfähigkeit erfordert, ermöglichen Fachabteilungen eine inhaltliche Spezialisierung und fachlichen Austausch. Wobei die Abteilungsstruktur sich in der Regel, wie bereits bei der Darstellung der Unternehmen deutlich wurde, an den verschiedenen Geschäftsbereichen des Unternehmens orientiert und die Abgrenzung nicht, wie an Universitäten üblich, anhand der unterschiedlichen naturwissenschaftlichen Disziplinen erfolgt. Trotzdem bieten die Abteilungen und Geschäftseinheiten den MitarbeiterInnen die Möglichkeit der inhaltlichen Spezialisierung. Entgegen der häufig wechselnden und parallelen Arbeit in mehreren Projekten ist ein Wechsel zwischen den verschiedenen Fachabteilungen eher selten und von keinem der interviewten MitarbeiterInnen berichtet worden. Dafür ist die Spezialisierung der jeweiligen MitarbeiterInnen trotz großer Flexibilität zu hoch. Innerhalb der Abteilungen sind die MitarbeiterInnen allerdings, trotz ihrer ausgesprochen hohen fachlichen Spezialisierung, sehr flexibel einsetzbar. „…die Projektleiter sind sehr flexibel und übernehmen dann auch mal Themen, die sie so in ihrer Ausbildung vielleicht nicht gelernt haben. Ich mein, die Leute sind alle sehr, sehr gut … aber ich glaub auch, dass sie deswegen sehr gewillt sind auch sich in neue Sachen einzuarbeiten. Von daher ist es innerhalb der Abteilungen schon üblich, dass jemand auch mal ein anderes Projekt, dass ihm ferner gelegen ist, übernimmt.“ (Dr. Kiel, S. 2)
Projektmanagement – In „Freiheit“ effizient sein? Nicht nur die Organisationsstrukturen und das Management des Unternehmens differenzieren sich aus. Ein ebenfalls sehr wichtiger Unterschied zwischen Spinoffs und Universitäten bzw. Forschungseinrichtungen ist die Entwicklung eines professionellen Projektmanagements in Ersteren, ähnlich der Professionalisierung des Akquiseprozesses. Zwar sollten pauschale Gegenüberstellungen generell vermieden werden, da im Zuge der Ausweitung der Drittmittelforschung und
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der Exzellenzinitiative des Bundes202 auch an Universitäten und Forschungseinrichtungen die Notwendigkeit einer möglichst effizienten Planung und Durchführung von Forschungsprojekten gegeben ist. Trotzdem werden in den Interviews gerade von denjenigen, die zuvor bereits an einer Universität oder einer Forschungseinrichtung gearbeitet haben, nach wie vor erhebliche Unterschiede benannt. Das trifft selbst auf diejenigen zu, die bereits in der Drittmittelforschung an Universitäten oder Forschungseinrichtungen gearbeitet haben. „Die Forschung, die ich da kennen gelernt habe, war relativ, zu dem was wir hier machen, unstrukturiert. Das waren relativ grobe Zeit- und Zielvorgaben, ja, das war sehr viel, ja, wir finanzieren euch einen Doktoranden und der forscht mal ein bisschen auf unserem Themengebiet rum und dann gucken wir mal, was rauskommt. Und das war so eine typische Drittmittelforschung, die ich kennen gelernt habe in dem Bereich an der Uni. Sicherlich noch mal konkreter formuliert, aber letztlich lief es dann darauf hinaus.“ (Dr. Wollenstein, S. 4)
Die Anforderungen an die Arbeitsorganisation sind in Spin-offs ganz grundsätzlich andere, allein im Hinblick auf die gesamten, im vorherigen Unterkapitel erarbeiteten Besonderheiten der Forschung in Spin-offs. Für den Mitgründer von Unternehmen B erklärt sich gerade aus der starken Kundenorientierung der Forschungsarbeit die hohe Qualität der Technik und Produkte seines Unternehmens. Die universitäre Arbeitsgruppe, aus der heraus das Unternehmen gegründet wurde und die dementsprechend mit der gleichen technologischen Basis gestartet ist, existiert nach wie vor und kann so für einen direkten Vergleich herangezogen werden. „Wir sind hier so knapp 30, an der Uni sind es zum Beispiel circa 50 mittlerweile. Das heißt da haben wir einen guten Vergleich, was die denn machen, mit jetzt ’ner aus ihrer Sicht identischen Technik, und stellen fest, dass sie auch den einen oder anderen Industriepartner oder -kontakt oder auch akademische Partner, sehr viel akademische Partner natürlich vor allem haben, und die Produkte aber auf einer ganz anderen Art und Weise bearbeiten, die jetzt für die Industriepartner, die wir haben, inakzeptabel ist. Weil einfach das Hauptziel dort, also ständig wechselndes Personal, das Hauptziel eigene Publikationen zu machen und möglichst viele Techniken, anstatt Ergebnisse für den Kunden zu generieren. Also das ist schon, die Qualität der Produkte, wie wir sie anbieten, obwohl es eine sehr ähnliche technologische Basis ist, an der Uni wo wir ausgegründet haben, ist nicht vergleichbar. Das also, die könnten das nicht machen.“ (Herr Bäcker, S. 6)
Die Gründe für diese Qualitätsunterschiede sind seiner Ansicht nach in erster Linie in der Organisation der Arbeitsabläufe zu suchen und liegen nicht in einem geringeren inhaltlichen Know-how begründet. 202
Siehe zur Bund-Länder-Vereinbarung über die Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder zur Förderung von Wissenschaft und Forschung an deutschen Hochschulen – Exzellenzvereinbarung (ExV) vom 18. Juli 2005, BAnz S. 13347.
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Forschung und ForscherInnen in Spin-offs „Ja, natürlich, im Projektmanagement und in Kundenakquise, Vertragsgestaltung, Marketing und Vertrieb, machen die ja, für diese sind wir ganz anders, ja. Ja, die Prozesse, die Stabilität der Laborprozesse, wir haben einen Bereich, wo wir sogar, regulierten Bereich, also GMP – Good Manufacturing Practice – wo wir zertifiziert werden, von extern. […] Qualität und Professionalität und Stabilität der Prozesse und natürlich das Projektmanagement. […] Ich mach es mal ganz hart, es ist eine andere Arbeitsweise, um Publikationen erfolgreich zu bekommen, als Ergebnisse zu generieren, die ein Problem lösen, das ein Kunde hat und die Ergebnisse auch in der Reproduzierbarkeit und in der Sicherheit so liefern, wie das optimal ist. Das ist eine andere Arbeitsweise.“ (Herr Bäcker, S. 7)
In Spin-offs wird versucht, durch ein effizientes Controlling der internen Abläufe, aber auch durch externe Zertifizierung der Laborprozesse, eine hohe Professionalität und Stabilität der Arbeits- und Projektabläufe zu erreichen. Dies beginnt bereits bei der sehr effizienten Planung des Personaleinsatzes und der sehr viel differenzierteren Aufgabenabgrenzungen und Stellenbeschreibungen und setzt sich fort bei den Projektvorgaben, den klar festgelegten Arbeitspaketen und Meilensteinen. Die Forschungsinhalte werden von den MitarbeiterInnen in der Regel nicht eigenständig entwickelt, sondern durch den Kunden vorgegeben. Die MitarbeiterInnen werden dann je nach inhaltlicher Übereinstimmung den Projekten zugeordnet. Das Controlling erfolgt durch einen detaillierten Projektplan. Die Projektinhalte und Arbeitspakete, die Kostenkalkulation etc. sind bereits während des Akquiseprozesses durch die zuständige Abteilung mit den Kunden verhandelt worden. Dazu gehören üblicherweise auch feste Ziel- und Zeitvorgaben. „Ich bin hier nicht so frei in meinen Gestaltungsmöglichkeiten in der Forschung, das ist also schon so. Das ist richtig. Also ich hab natürlich ein Ziel, ich hab einen Zeitplan vor Augen und das muss ich einhalten.“ (Dr. Wollenstein, S. 2)
Die Überwachung des Projektfortschritts erfolgt durch so genannte Meilensteine und zu diesem Anlass einberufene Meetings, an denen neben dem Managementteam des Unternehmens auch die verantwortlichen MitarbeiterInnen des Kunden zugegen sein können. „Also sehr viele Projekte sind meilensteinorientiert. Das ist einfach auch aus der Situation heraus. Wir sind ein Dienstleistungsunternehmen, bearbeiten Projekte für Kunden und mit den Kunden werden ganz bestimmte Projektmeilensteine vereinbart, an denen es dann auch wieder zum intensiven Austausch mit dem Kunden kommt, wo dann eben Zwischenergebnisse vorgestellt werden und natürlich müssen die Termine für diese Meilensteine eingehalten werden, weil, wir müssen das sehr genau planen, was auch die Kosten des Projektes auf unserer Seite betrifft. Und entsprechend dieser Planung wird dem Kunden dann auch ein Angebot erstellt.“ (Dr. Wassermann, S. 5)
Die Qualitätskontrolle erfolgt somit punktuell, ist aber auf der anderen Seite wiederum mit Freiheiten bei der alltäglichen Projektgestaltung verbunden. Auf
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welche Weise die vorgegebenen Arbeitspakete bearbeitet werden, entscheiden die MitarbeiterInnen in der Regel selber. „Nein, sagen wir mal so, die persönliche Alltagsorganisation ist sehr eigenverantwortlich würd ich sagen, liegt sehr bei den Mitarbeitern. Also wir haben jetzt keine Schichtarbeit oder festgelegte Produktionsprozesse, wo jeder Handgriff klar ist, oder Zeiten, wo sie nur im Labor sind. Also da ist die Selbstorganisation gefragt, also, wir organisieren uns selber im Wesentlichen und da wird nicht stundenweise oder sonst wie kontrolliert, ja.“ (Herr Bäcker, S. 12)
Gerade hochqualifizierte Mitarbeiterinnen schätzen die hohe Zahl an selbstständigen Entscheidungsmöglichkeiten im alltäglichen Projektgeschäft. Allerdings sollten die Entscheidungsfreiräume der Mitarbeiterinnen in Spin-offs grundsätzlich nicht überschätzt werden. Dass Eigenverantwortlichkeit nicht automatisch Selbstbestimmung bedeutet, wird in den Interviews ebenfalls deutlich. Hoher zeitlicher Druck, enge Vorgaben durch die Auftraggeber und hoher Abstimmungs- und Koordinationsbedarf in der täglichen Projektarbeit sind nicht zu unterschätzende Sachzwänge. „Ich bin auch nicht frei in meiner Zeiteinteilung. Also es gibt einfach so viele Rahmenbedingungen, es gibt Meetings, in denen wir halt sind. Das ist auch ein Unterschied hier zur Uni: Wir sitzen sehr viel zusammen und reden, weil einfach sehr viele Projekte laufen. In jedem Projekt müssen sie sich irgendwann mal einmal die Woche, den Stand austauschen, dann geht’s laborweise, trifft man sich, tauscht sich aus, in der ganzen Firma trifft man sich, tauscht sich aus. Da geht relativ viel Zeit drauf, das ist relativ stark vorgegeben. Und ich mein, ich häng ja genauso in diesen Zeitplänen für Projekte drin. Ich mein, ich kann meine Zeit schon frei einteilen, soweit ich sie habe, aber ich hab sie halt nicht so viel.“ (Dr. Wollenstein, S. 5)
Zu der Frage der Fremdbestimmtheit des Arbeitsalltags kann ergänzend die folgende Aussage des wissenschaftlichen Geschäftsführers von Unternehmen B angeführt werden. Dieser signalisiert ebenfalls eine hohe Fremdsteuerung durch die formalen Rahmenbedingungen und deutlich höheren Kommunikationsanforderungen in dem Unternehmen. „Sagen wir mal so, die Leute, wir haben ja einige aus der Wissenschaft direkt bei uns rein bekommen und die haben sich schon noch ganz schön umgeschaut. Als sie dann hier die Strukturen gesehen haben, wie was läuft, also, der Anteil der Meetings, Arbeitszeit im Labor versus Meeting, das ist für die meisten Leute erschreckend. Wir haben viel mehr Meetings. Klar, wir müssen uns dann auch durch die stärkere Disziplinarisierung der Aufgabenbereiche dann noch mehr abstimmen, als die das vielleicht kennen. Das heißt, da schauen die Leute sich schon ganz schön um, wenn sie dann in [unser Unternehmen] kommen und nur die Akademie gesehen haben, und der Anteil, auch Büro- und Laborarbeit. Wir haben viel mehr Büroarbeit als Laborarbeit im Vergleich zur Akademie. […] Also, es ist ne Art, der Arbeitsalltag sieht schon unterschiedlich aus, das würd ich schon sagen.“ (Herr Bäcker, S. 8-9)
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Die ProjektleiterInnen und -mitarbeiterInnen beklagen teilweise die geringen Einflussmöglichkeiten auf die Projektrahmenbedingungen und Vorgaben, die vom Kunden kommen. Inwiefern eine Einflussnahme durch die ProjektmitarbeiterInnen überhaupt möglich ist, hängt von der organisatorischen Gestaltung des Akquiseprozesses ab und in welchem Umfang die späteren ProjektmitarbeiterInnen im Vorfeld in die Planung involviert sind. Wie die Projektvorgaben erreicht werden und bei der alltäglichen Arbeitsorganisation umgesetzt werden, können die ProjektleiterInnen und -mitarbeiterInnen weitgehend selbstständig entscheiden. Durch die klaren und häufig sehr engen Zeitvorgaben in Form von Meilensteinen pendeln die MitarbeiterInnen und ProjektleiterInnen allerdings zwischen eigenverantwortlichen Gestaltungsspielräumen der eigenen täglichen Arbeit und hohem extrinsischen Druck durch die Geschäftsführung oder den Kunden. „Und das andere ist, also worauf, was ich jetzt hier gerade mitbekomme, ich hab eine neue Mitarbeiterin, die von der Uni kommt, ist eben ganz klar dieses, ja, gegen Termine arbeiten, mehrere Ansprechpartner zu haben. Also normalerweise an der Unistruktur, die ich kenne, dass dann eben eine TA zum Beispiel bei einem Doktoranden quasi Vollzeit arbeitet. Und hier ist das eben nicht so. Alle sind in verschiedenen Projekten mit verschiedenen Vorgesetzten und diese Struktur, damit zurecht zu kommen, das ist schon schwierig.“ (Dr. Wollenstein, S. 5)
Besonders auffällig ist der hohe interne Druck, der sich in Unternehmen A etabliert hat. Die vielfach erwähnte Möglichkeit zur freien Zeiteinteilung verschleiert hier das hohe Arbeitspensum. Maßnahmen zur Gegensteuerung werden jedoch vorerst nicht erwogen. „Ja, aber der interne Druck der Leute untereinander, der ist erstaunlich. Wenn da einer mal früher geht, das kriegt man dann schon mal erzählt: der geht aber früh nach Hause. Das ist ein selbstregulierender Mechanismus, was sich da entwickelt, hätt ich nie gedacht. […] Wir haben Leute, die muss ich in Urlaub schicken. Jeder hat seine 30 Tage Urlaub. Ich sag jetzt mal, die Hälfte nimmt den freiwillig. Die anderen sagen, sie schaffen’s gar nicht. Ich guck so, dass die meisten 20 Tage nehmen, der Rest wird ausbezahlt.“ (Dr. Diekmann, S. 9)
Auch die wissenschaftlichen MitarbeiterInnen beklagen in den Interviews den hohen Zeitdruck, allerdings wird das Arbeitspensum selbst nicht in Frage gestellt. Insgesamt überwiegen aus Sicht der Mitarbeiterinnen die subjektiv empfundenen Möglichkeiten zur freien Gestaltung der eigenen Arbeit, die hohe Eigenverantwortung und die starke Identifikation mit dem Unternehmen die Nachteile, die sich aus dem hohen Arbeitspensum und Zeitdruck ergeben. Überhaupt fällt in mehreren Interviews mit den MitarbeiterInnen der hohe Identifikationsgrad mit dem Unternehmen auf. In allen Unternehmen wird versucht, durch eine ausgeprägte Identifikation mit dem Unternehmen und ein besonders gutes Betriebsklima und viele informelle Kontakte der ArbeitskollegInnen eine hohe intrinsische Motivation aufzubauen, um auch auf diese Weise die mangelnden
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Karrierechancen in den kleinen Unternehmen auszugleichen. Unternehmen A und B verfolgen diese Strategie systematisch, jedes auf seine Weise. Der Gründer von Unternehmen D äußert ebenfalls „klimatische“ Vorteile der Arbeit in einem kleinen Unternehmen und in Unternehmen C spielen die informellen Kommunikationsstrukturen desgleichen eine herausragende Rolle, die ebenso wie die noch wenig standardisierten Karrierepfade ein Anreiz zum Verbleib im Unternehmen sein können.203 Ein prinzipiell kollegialer Führungs- und Kommunikationsstil herrscht in allen Unternehmen vor, der auch im Rahmen der Interviewerhebung vor Ort in den Unternehmen beobachtet werden konnte.204 Das weitaus angenehmere Arbeitsklima und die informellere und weniger durch hierarchische Strukturen geprägte Art des Umgangs miteinander fungieren hier als Ausgleich zu den Nachteilen, welche die Projektarbeit in Spin-offs mit sich bringt. „Ich hab ‘ne ganze Reihe Bewerbungsgespräche geführt in mittleren und sehr viel auch in größeren Firmen, hatte auch eine Reihe von Angeboten, hab mich dann aber letztendlich von dem was sich gerade jetzt in Big Pharma mitbekommen hatte dann doch deutlich abschrecken lassen, da auf einem Einsteigerniveau hinzugehen. […] Weil es absolut hierarchisch ist. Also das mag sich sicherlich von Firma zu Firma sehr stark unterscheiden. Aber wirklich eigenständiges Denken ist zunächst eigentlich mal nicht gefragt, außerhalb, innerhalb des eigenen zugewiesenen streng begrenzten Bereiches, da natürlich schon, aber über den Tellerrand hinausblicken und sich da irgendwie mal ein paar Gedanken machen, das ist definitiv nicht gefragt. Das hat mich doch dann richtig abgeschreckt.“ (Dr. Calvin, S. 2)
Standardisierung der Projektabläufe – der Kunde stört die Routine Deutlich wird vor allem im Verlauf der Interviews mit den wissenschaftlichen MitarbeiterInnen in den Unternehmen, dass der Zeitdruck in einem kleinen Unternehmen direkter wirksam wird als in einem Großunternehmen. Als Quelle dieses Drucks wird von den jeweiligen ProjektmitarbeiterInnen aber nicht die Geschäftsführung, sondern eindeutig der Kunde identifiziert. Umgekehrt bestätigen die ProjektmitarbeiterInnen in den Interviews, dass auch Erfolge durch die
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Die Umstrukturierung und die neu entstandenen Führungspositionen sind der Grund, dass Herr Kiel noch im Unternehmen A tätig ist, sonst hätte er laut eigener Aussage schon den Arbeitsplatz gewechselt. Es seien ansonsten zu wenig Entwicklungsperspektiven vorhanden gewesen und die Projektarbeit selber böte nicht genügend Anreize, da es allein aufgrund der Ausbildung, aber auch aufgrund der starken thematischen Trennung der verschiedenen Abteilungen, nicht möglich sei, in einen anderen Funktionsbereich wechseln. Als direkt beobachtbare Indizien können hier aufgezählt werden z.B. offene Bürotüren und Kommunikation „über den Flur hinweg“, sichtbar genutzte Gemeinschaftsräume oder auch ein „Schwarzes Brett“ mit ins Private hineinreichenden Hinweisen.
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Nähe zum Kunden direkter sichtbar werden, was wiederum die Motivation der MitarbeiterInnen erhöht. Der Kunde und dessen Vorgaben führen zu einer stärkeren Strukturierung der Forschungsabläufe, was von den wissenschaftlichen MitarbeiterInnen durchaus positiv wahrgenommen wird. Herr Birke hat während des Studiums zwei Praxissemester an einer öffentlichen Forschungseinrichtung verbracht und aufgrund seiner – allerdings begrenzten – Erfahrungen den Eindruck, dass dort alles viel schwerfälliger ablaufe, da der Kundendruck fehle. „Also, es ist einfach, bei uns ist ein gewisser Kundendruck da. Der Kunde bezahlt für gewisse Sachen und das muss laufen, egal wie. Was aber auch Spaß macht. Wobei, also was schlimm wäre, wenn dieser Druck immer da wäre, ja, also tagtäglich. Aber da das nur so punktuell ist, ist das schon okay. Kann man damit umgehen.“ (Hr. Birke, S. 7)
Der Kundendruck und dessen positive und negative Begleiterscheinungen werden sowohl von den MitarbeiterInnen in Unternehmen A als auch von MitarbeiterInnen aus Unternehmen B bestätigt. Für Dr. Wollenstein liegen in den klaren Vorgaben durch die Kunden und Vertragsvereinbarungen sogar Vorteile, die den Zeitdruck und die starren Vorgaben ausgleichen. „Es gibt immer Zeiten, wo es stressig ist, wo das dann natürlich auch mal auf die Stimmung schlagen kann, ja. Grundsätzlich denke ich aber, ist das nicht ein Problem, was unsere Mitarbeiter haben, so wie ich das so sehen kann. Es gibt zwei Seiten: Also es gibt einerseits den Druck, natürlich auch fertig zu werden. Andererseits gibt es ganz klare Zielvorgaben, es gibt ganz klare Verabredungen wann, wie, wo, was gemacht wird. Also es gibt eine sehr viel, und eine sehr, sehr große Klarheit auch dadurch, dass sie einen festen Projektplan haben. Und das heißt, es gibt Nachteile und Vorteile, aber ich würde sagen, im Grunde genommen heben sie sich auf.“ (Dr. Wollenstein, S. 4)
Für Dr. Wollenstein sind also die klareren Vorgaben ein Vorzug der Arbeit in einem Spin-off und ein Vorteil gegenüber der unstrukturierteren und weniger zielgerichteten Forschungsarbeit an einem Lehrstuhl, welche er während der Zeit seiner Promotion kennen gelernt hat. „Ja, ich bin jemand, ich fühl mich recht wohl, wenn ich klare Ziele und Vorgaben habe, also dieses ganz Freie, irgendwie nur in den Tag hinein forschen, mal gucken, was rauskommt und dann, war jetzt nicht so meins, also, ich hab vielleicht auch einfach darunter gelitten in der Promotion, dass also die Geldmittel sehr knapp waren und also dann im Prinzip sehr viele Arbeiten gemacht habe, die nicht zielführend waren. […] Wo ich also hier das Gefühl habe, ich komm mit dem, was ich machen will, schneller zum Ziel.“ (Dr. Wollenstein, S. 6)
Der Kunde kann allerdings durchaus auch als „Störfaktor“ bei der täglichen Projektarbeit empfunden werden, z.B. wenn dieser im Projektverlauf neue Anforderungen einbringt. In der Regel müssen die ProjektmitarbeiterInnen auch auf
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unvorhersehbare Kundennachfragen immer möglicht schnell reagieren und Problemlösungen finden. Die Projektabläufe müssen dementsprechend schnell neu geplant werden. „Also Routine. Also es sollte eigentlich alles Routine sein, aber das wird’s nie sein. Also es passieren immer Dinge, auf die man ganz schnell reagieren muss. Ja, also es sollte eigentlich, das Meiste sollte eigentlich Routinetätigkeiten sein, aber im Ernstfall oder im täglichen Betrieb ist fast kein Tag Routine, also nur sehr selten. Woran liegt das, an den Maschinen, den Menschen …? Also es liegt einfach an den technischen Herausforderungen und teilweise auch am Kunden. Also man muss da sehr flexibel sein, was der Kunde will. Also wenn der Kunde seine Meinung ändert? Ja, wenn er sagt, er will jetzt was ändern an der Reaktion oder an den technischen Rahmenbedingungen, Temperatur, was auch immer. Und dann muss eben relativ schnell die Anlage umgerüstet werden, damit sie die Bedingungen erfüllt.“ (Herr Birke, S. 4 – 5)
Von einer Störung der Routine hinsichtlich des Ablaufs der täglichen Projektarbeit durch den Kunden sind hingegen die grundsätzlichen Schwierigkeiten der Standardisierung des Forschungsprozesses abzugrenzen. Die MitarbeiterInnen benennen neben dem Kunden als zweiten „Störfaktor“ den Untersuchungsgegenstand an sich. Dabei kann es sich bei Versuchen mit lebenden Zellen beispielsweise um deren unberechenbares „Verhalten“ handeln, aber auch die technologischen Abläufe sind nur begrenzt hundertprozentig planbar, da selbst kleine Änderungen die technischen und mechanischen Abläufe durcheinander bringen können. „Also das sind große Unterschiede. Also es geht einmal um die technischen Voraussetzungen, die die Anlagen mit sich bringen müssen. Und jede chemische Reaktion ist anders, deshalb müssen die Materialien andere sein, Temperaturbeständigkeit. Klar, die Sachen, nach denen die Anlage ausgelegt wird, ist fast immer das gleiche, aber die Rahmenbedingungen sind halt schon gewaltige Unterschiede. Und es entwickelt sich halt auch immer weiter. Also man macht ja immer Erfahrungen. Jede Anlage baut ja auf einer älteren auf, das heißt, da werden immer Verbesserungen mit einbezogen. Also es ist immer eine Entwicklung drin, also es ist nie eine Anlage, die gleich aussieht. Es ist immer was Neues.“ (Herr Birke, S. 2)
Im Gegensatz zu Projekten, bei welchen bedingt durch die Neuartigkeit des Untersuchungsgegenstandes bzw. der Aufgabenstellung kreative und flexible Lösungswege entwickelt werden müssen, wird also bei standardisierten Forschungsdienstleistungen Routine in erster Linie durch den Kunden verhindert. Wobei der Standardisierung durch die projektförmige Arbeit grundsätzlich Grenzen gesetzt sind. „Routine, nee, am Anfang eigentlich nicht. Jedes Projekt ist zuerst mal neu, jede Chemie ist zuerst mal neu. Und dadurch, dass an diese Verträge auch Exklusivitäten gekoppelt sind, arbeiten wir auf einem Thema zunächst mal nicht mit zwei Partnern oder auch nicht im Anschluss
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Forschung und ForscherInnen in Spin-offs direkt daran wieder mit einem anderen Partner. Das heißt, ein Thema ist zunächst mal blockiert, das heißt, alle Projekte die kommen sind zunächst mal neu. Also die Routine kommt dann, wenn ein Projekt, sag ich mal, nach 6 Monaten läuft oder das 3 Jahre läuft, dann kommt sicherlich Routine auf. Aber jedes Projekt ist von Anfang an zunächst mal neu.“ (Dr. Kiel, S. 7)
Die Aussagen der MitarbeiterInnen verdeutlichen zudem, dass nicht nur die Art des Projektes darüber entscheidet, wie planbar und vorhersehbar die Arbeitsabläufe sind. Hinzu kommen organisatorische Besonderheiten des Unternehmens und Kundenanforderungen. In Unternehmen A kümmert sich Herr Birke um die Planung und den Aufbau der Anlagen, die Ressourcenverwaltung, die Qualitätssicherung, das Datenmanagement und teilweise auch um die Kundenbetreuung. Dass er nicht nur für die technische Wartung der Anlagen zuständig ist, sondern z.B. auch in Projekten direkt Experimente mit durchführt, liegt auch an der Größe des Unternehmens und den begrenzten Personalkapazitäten. „Ja, das, also dafür sind wir noch zu klein, damit das komplett auseinander gehalten wird. Also dafür macht jeder noch zu viel quer, sag ich mal so. Das geht halt nicht anders.“ (Hr. Birke, S. 1)
In allen Interviews hatten dementsprechend nahezu alle MitarbeiterInnen Schwierigkeiten, einen typischen Tagesverlauf zu schildern. Das Fehlen eines festen Tagesablaufes ist nicht nur bei den Führungskräften, sondern auch bei den ProjektmitarbeiterInnen feststellbar. Nachfolgend stellt sich die Frage, wie die MitarbeiterInnen in den Unternehmen diese Herausforderungen meistern und welche Lösungsstrategien sie selbst entwickeln. Nach der unmittelbaren Gründungsphase und mit Wachstum des Unternehmens müssen die GründerInnen und GeschäftsführerInnen der Unternehmen zunehmend eine auf ihr Unternehmen zugeschnittene Personalpolitik etablieren. Die Positionierung der Unternehmen in wissens- und technologieintensiven Branchen und nicht vorhandene Unternehmensroutinen in diesen Bereichen stellen dabei besondere Herausforderungen dar. 5.3.2.4 ForscherInnen in Spin-offs ticken anders? – Arbeiten in einem Spin-off „Man muss es mögen!“ (Dr. Sonntag, S. 2), so beurteilt die Leiterin eines Technologiezentrums die Arbeitsplatzattraktivität in Spin-offs. Die Projektarbeit in Spin-offs unterscheidet sich von der in akademischen Einrichtungen auf eine Weise, die über die im Regelfall bessere Ausstattung der Räumlichkeiten und Labore und die höheren Gehälter in den Spin-offs hinausgeht. Zwar liegen die Gehälter der MitarbeiterInnen in den Unternehmen zum Teil sogar deutlich hö-
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her als im öffentlichen Dienst. Auf der anderen Seite liegen sie aber doch überwiegend unter den Gehältern, die man in großindustriellen Unternehmen als NaturwissenschaftlerIn erzielen könnte.205 Trotzdem haben sich die wissenschaftlichen MitarbeiterInnen teilweise bewusst für die Tätigkeit in einem kleinen Unternehmen entschieden206, auch trotz z.B. geringerer formaler Karrieremöglichkeiten im Vergleich zu Großunternehmen. Die MitarbeiterInnen benennen flachere Hierarchien, jüngere Belegschaftsstrukturen und bessere Mitgestaltungsmöglichkeiten als Anreize, sich für die Tätigkeit in einem Spin-off zu entscheiden. Die nachfolgenden Unterkategorien, die sich im Laufe der Auswertung herauskristallisiert haben, beruhen überwiegend auf den Aussagen der MitarbeiterInnen und GründerInnen zu Fragen nach der Arbeitsorganisation und der Personalentwicklung in den Unternehmen. Im Einzelnen sind dies die folgenden Kategorien: ¾ ¾ ¾ ¾ ¾
Know-how und Spezialisierung als strategischer Erfolgsfaktor Mehr Verantwortung und Entscheidungsspielräume statt formalem Aufstieg Weiterbildung in Eigenverantwortung Ausgeprägte Identifikation mit dem Unternehmen Erfahrung in der Wissenschaft vs Industrieerfahrung
Know-how und Spezialisierung als strategischer Erfolgsfaktor Die Personalentwicklungsstrategien in den einzelnen Spin-offs unterscheiden sich stark, zeichnen sich jedoch alle durch ein ähnlich komplexes Anforderungsprofil aus. Zwar sind gerade Spin-offs in forschungs- und wissensintensiven Wirtschaftszweigen in hohem Maße auf die Qualifikation und das Wissen der MitarbeiterInnen angewiesen, um auf ihrem jeweiligen Spezialgebiet ihre Wis-
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Laut Geschäftsführer von Unternehmen A steht das Spin-off bezüglich der Höhe des Gehaltes eindeutig in Konkurrenz zur Großindustrie, insbesondere auf bestimmten Fachgebieten: „Aber bei Projektmanagern, bei denen, die im Kundenkontakt sind, bei Engineering, Software, da ist die Industrie unsere Konkurrenz, nicht die Universitäten.“ (Dr. Diekmann, S. 8) Zumindest diejenigen, die aufgrund ihrer Qualifikation und ihres „Arbeitsmarktwertes“ die Wahl gehabt hätten.
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sensvorteile und -vorsprünge erhalten zu können.207 Aufgrund der geringen Personaldecke und des starken Konkurrenzdrucks müssen die Unternehmen aber einen Mittelweg zwischen Investitionen in die MitarbeiterInnen bzw. deren Weiterqualifizierung und dem Vorrang der täglichen Projektarbeit finden. Insbesondere die hohe Abhängigkeit von den wissenschaftlichen MitarbeiterInnen und deren Know-how kann problematisch sein. „Also wir hätten, also ich könnte Ihnen fünf Personen nennen, wenn die morgen weg wären, hätten wir ein Riesenproblem. Also das lässt sich aber auch durch keine Wissenssoftware oder durch irgendwas … das ist eigentlich der Kern der Sache, dass wir natürlich davon leben, dass die Leute hier diese Technologie aufbauen, betreiben können. Und es gibt eben Leute, die da extrem viel mitgearbeitet haben, ich will nicht sagen, dass die Firma dann zusammenbrechen wird, aber es würde uns schon schwer treffen.“ (Dr. Kiel, S. 10)
Dr. Jonas sieht allein in der Tatsache der hohen Abhängigkeit des Unternehmens von Wissen und dessen Generierung die Notwendigkeit zu einer Ausdifferenzierung der Personal- und Organisationsstrukturen in den Spin-offs begründet, verbunden mit der Einrichtung unterschiedlicher Hierarchiestufen. „Die Leute können ja weggehen. Und die nehmen das Know-how mit. Und die können denen den Kopp nicht abschlagen. […] Wichtig ist auch, dass eben dieser Informationsfluss innerhalb des Unternehmens unterbrochen wird. Also die ersten zwei Jahre vielleicht geht es noch, dass alle Mitarbeiter wissen, worum es geht. Aber aus Angst davor, dass man einen Mitarbeiter verliert, der geht zu der Konkurrenz und nimmt das mit, wird immer weiter eine Differenzierung stattfinden, was jeder einzelne noch wissen darf und nicht mehr wissen darf.“ (Dr. Jonas, S. 7)
Gerade in der Anfangszeit eines Unternehmens können viele Qualifikationen nicht doppelt abgedeckt werden. Fällt dann das Wissen und die Qualifikation einer Person weg, kann es problematisch werden. In allen Unternehmen wird im Rückblick gerade die Anfangsphase als ausgesprochen riskant eingestuft, auch im Hinblick auf die Frage der Wissensverteilung. Unternehmen A hat in dieser Phase versucht mit einer geringen Zahl an MitarbeiterInnen ein möglichst breites Spektrum an Dienstleistungen anbieten zu können. Dies war verbunden mit der Notwendigkeit einer starken Spezialisierung der insgesamt nur sieben Mitarbei207
Gerade in der betriebswirtschaftichen (Management)Literatur wird das Wissen der MitarbeiterInnen als Erfolgsfaktor für (High-Tech-)Unternehmen ausführlich thematisiert, wie das folgende Zitat exemplarisch belegt: „In dieser Hinsicht hat der so genannte Resource-based View in der betriebswirtschaftlichen Fachliteratur seit etwa zwei Jahrzehnten große Beachtung gefunden. Ohne in der hier gebotenen Kürze näher darauf eingehen zu können, lässt sich jedoch als eine seiner zentralen Erkenntnisse zusammenfassen, dass Wissen als „intangible“ Unternehmensressource wesentlich dazu beizutragen vermag, nachhaltige Wettbewerbsvorteile im Rahmen einer Nutzenführerschaft zu schaffen. Es stellt die Grundlage für eine Vielfalt wissensinduzierter Innovationen dar […].“ (Krol/Zelewski 2007, S. 42)
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terInnen und den dementsprechend negativen Konsequenzen, wenn jemand krankheitsbedingt ausgefallen wäre. Es kam in dieser Phase auch zu Widerständen unter den wenigen MitarbeiterInnen, die aufgrund dessen ein extrem eingegrenztes Aufgabenspektrum hatten und die mangelnde Abwechslung in ihrem täglichen Arbeitsablauf und den -inhalten beklagten. Ist das Unternehmen über diese kritische Anfangsphase hinaus, dann gewinnt das Thema der Personalrekrutierung für Spin-offs an Bedeutung. Rekrutiert sich gerade in der Anfangszeit das Personal häufig aus dem direkten Umfeld der GründerInnen, werden später bewusst für bestimmte Stellen hochspezialisierte Leute gesucht, entweder Personen mit langjähriger Industrieerfahrung208 oder mit hoher fachlicher/naturwissenschaftlicher Qualifikation. Diese zielgerichtete Rekrutierung ist häufig verbunden mit dem „Einkauf“ von bisher fehlendem Fachwissen in das Unternehmen und mit dem Ziel, den Anschluss an den Stand der Forschung in dem jeweiligen Fachgebiet halten zu können. Mit dem Wachstum des Unternehmens werden fachlich hochspezialisierte MitarbeiterInnen eingestellt, deren Know-how dann in interdisziplinären Teams zusammengeführt werden kann. Sowohl wegen der Anforderungen der Zusammenarbeit in solch gemischten Teams209, als auch aufgrund der Anforderungen des Marktes und der Kunden müssen die wissenschaftlichen MitarbeiterInnen durchaus zu inhaltlicher Flexibilität innerhalb ihrer Disziplin, aber auch über diese hinausgehend, befähigt sein. Das Durchschnittsalter des Personals ist in allen vier Unternehmen eher niedrig und liegt jeweils um die 35 Jahre. Das betrifft auch die Führungsebene, häufig sind da bereits die zwischen 40 und 45 Jahre alten GründerInnen „die alten Hasen“ (Dr. Sonntag, S. 3) in den Unternehmen.210 Auffällig ist nicht nur die lange Verweildauer des wissenschaftlichen Personals, sondern auch der stark ausgeprägte interne Arbeitsmarkt. Ein großer Teil der MitarbeiterInnen auf den mittleren Führungsebenen ist intern rekrutiert und teilweise seit Absolvierung des Studiums bzw. der Dissertation im Unternehmen. Hingegen ist bereits deut208
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„Für viele Positionen haben wir lieber Leute, die schon in der Industrie waren, die einfach das Netzwerk auch haben. Das hängt immer davon ab, was zu besetzen ist. Wenn man Wissensdevelopment besetzt, dann will man jemand haben, der sein eigenes Netzwerk auch mit reinbringt.“ (Prof. Sandholz, S. 6) Zum Problem der Wissensintegration bei interdisziplinärer Kooperation siehe u.a. Röbbecke et al. (2004). Die im Rahmen dieser Untersuchung betrachteten GründerInnen haben nach Abschluss des Studiums/der Promotion und einer kürzeren Berufstätigkeit an einer Universität bzw. einer Forschungseinrichtung und/oder einem Unternehmen das jeweilige Spin-off gegründet. In Unternehmen D sind die Gründer sogar erst Mitte 30, das Spin-off ist allerdings auch erst Anfang der 2000er Jahre gegründet worden und damit das jüngste Unternehmen in der Untersuchung. Das geringe Durchschnittsalter des Personals ergibt sich – wie sich noch zeigen wird – u.a. aufgrund der Rekrutierung eines hohen Anteils von HochschulabsoventInnen bzw. Promovierten.
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lich geworden, dass gerade in der obersten Führungsebene häufig extern rekrutiert wird, um Führungskräfte mit Industrieerfahrung und vor allem -kontakten in das Unternehmen zu holen. Speziell bei Unternehmen A und B ist diese Verfahrensweise besonders offenkundig. „Insgesamt ist die Altersstruktur bei [Unternehmen B] sehr jung, d.h. wir haben sehr viele Absolventen direkt nach der Uni eingestellt oder auch technisches Personal, die relativ wenig Berufserfahrung haben. Einige Personen, die wirklich ihre ersten Berufserfahrungen bei uns gesammelt haben, Stellenbeschreibungen hab ich einige im Kopf.“ (Herr Bäcker, S. 3)
Bezogen auf die Rekrutierung der wissenschaftlichen MitarbeiterInnen lassen sich zwei gegenläufige Strategien feststellen. Zum einen erfolgt eine starke Arbeitsteilung zwischen den MitarbeiterInnen selbst, die mit einer hohen fachlichen Spezialisierung des wissenschaftlichen Personals einhergeht und sich bei der Rekrutierung von Personal in sehr detaillierten Qualifikationsanforderungen und längerer Berufserfahrung bemerkbar macht. Zum anderen erfolgt aber auch in hohem Maße die Rekrutierung von HochschulabsolventInnen ohne Berufserfahrung, verbunden mit der Anforderung von hoher Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Letzteres liegt darin begründet, dass Spin-offs häufig Vorreiter auf einem speziellen Fachgebiet sind und daher die universitäre Lehre teilweise hinterher „hinkt“, mit Konsequenzen für die Rekrutierung und erhöhten Anforderungen an die MitarbeiterInnen, sich in das Spezialgebiet des jeweiligen Spinoffs einzuarbeiten. „Sagen wir mal so, das war, wir haben, wir besetzen eine besondere Fachdisziplin in den Naturwissenschaften, das ist die Proteomik. Bedarf Qualifikationen verschiedener Art, nämlich auch Softwareentwickler zum Beispiel, sehr viel Biochemiker, Biologen, in der Ecke. Als wir gestartet sind, war diese Disziplin noch sehr jung, das heißt dort war die Situation, dass wir gesagt haben, wir suchen uns vor allem besonders gute Leute, denen wir das zutrauen, sich auch sehr gut da einzuarbeiten. Das Fachwissen war damals eigentlich, ja klar, die kamen natürlich auch mit einem Fachwissen rein, aber das war jetzt nicht das ganz Entscheidende. Heute ist es so, dass wir vermehrt auch dieses Fachwissen mit einbeziehen können, weil das halt auch das Angebot, diese neue Disziplin wächst ja auch außerhalb unserer Firma sehr stark, und das heißt, da können wir auch jetzt das Fachwissen mit reinziehen. Das heißt, bei der Informatik ist es nach wir vor so, dass wir keinen Bioinformatiker drin haben, da ist es so, dass sie immer nur eine Seite der beiden Medaillen kannten, die andere Seite komplett anlernten. Bei den Naturwissenschaftlern in den anderen drei Bereichen, da ist es mittlerweile schon so, dass wir auch, jetzt nicht von neu anfangen, sondern teilweise schon Know-how durch die Personen auch reinholen.“ (Herr Bäcker, S. 2-3)
Wird das jeweilige Spezialthema zunehmend auch an Universitäten und Forschungseinrichtungen aufgegriffen und z.B. entsprechende Studiengänge eingerichtet, können die Unternehmen gezielt Personen mit dem entsprechenden Spe-
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zialwissen rekrutieren. Das kann u.a. ein Grund für die stärkere Vernetzung mit Universitäten sein. Aber selbst wenn aufgrund der Etablierung des Fachgebietes an Universitäten eine passgenauere Rekrutierung von MitarbeiterInnen zunehmend möglich wird, sind Spin-offs allein aufgrund der Interdisziplinarität und der wechselnden Markt- und Kundenanforderungen darauf angewiesen, anpassungsfähiges und wandlungsfähiges Personal zu rekrutieren. Ein weiterer interessanter und in den Interviews immer wieder unterschiedlich bewerteter Aspekt ist daher die Frage der Spezialisierung „versus“ Generalistentum in Spin-offs. Die unverzichtbare Fähigkeit der MitarbeiterInnen zur inhaltlichen Flexibilität und zur eigenverantwortlichen Aneignung von fachlichem Wissen bedeutet keinesfalls, dass in den Spin-offs vor allem Generalisten gebraucht werden. Denn selbst die GründerInnen der Unternehmen sollten unbedingt Spezialisten auf ihrem jeweiligen Gebiet sein. Nur so kann das Alleinstellungsmerkmal des Unternehmens gesichert werden. „Also das, worüber er sich gründet, sollte hochspezialisiert sein. Und er sollte möglichst viel auch darüber wissen und das auch vermitteln können. Wenn wir jetzt an Produkte denken und jemand gründet sich aus, dann ist es besser, er kümmert sich um ein Produkt richtig als wenn er sich jetzt irgendwie verzettelt und an dieses und jenes denkt und hier was anfängt und nichts richtig zu Ende macht. Besser ist es, wenn er noch Alternativprodukte hat, oder eine Produktlinie, die sich anders verkaufen lässt. Er sollte sich aber als der Spezialist auf seinem Gebiet erweisen und auch so darstellen können. Er sollte darüber hinaus über bestimmte Schlüsselqualifikationen verfügen, aber das hat jetzt mit Generalismus nichts zu tun.“ (Dr. Sieger, S. 9)
Auch auf der Ebene der MitarbeiterInnen ist der Begriff Generalistentum mit Vorsicht zu gebrauchen. Die Flexibilität der MitarbeiterInnen bezieht sich in der Regel auf die einzelnen Geschäftsbereiche, denen sie zugeteilt sind und beruht eher grundsätzlich auf einer generell sehr hohen Lernfähigkeit und -bereitschaft der hochqualifizierten MitarbeiterInnen. Die unverzichtbare Befähigung zur Flexibilität ist zum einen auf die interdisziplinäre Zusammensetzung der Teams zurückzuführen, aber liegt zum anderen auch in der geringen Personaldecke begründet. „Ja nee, da würd ich schon sagen, die Projektleiter sind sehr flexibel und übernehmen dann auch mal Themen, die sie so in ihrer Ausbildung vielleicht nicht gelernt haben. Ich mein, die Leute sind alle sehr, sehr gut, ohne dass ich das mit anderen Firmen vergleichen will. Aber ich glaub auch, dass sie deswegen sehr gewillt sind, auch sich in neue Sachen einzuarbeiten. Von daher ist es innerhalb der Abteilungen schon üblich, dass jemand auch mal ein anderes Projekt übernimmt, das ihm etwas ferner gelegen ist. Also ich mein, das hört sich jetzt nach viel an, sechzig oder siebzig Leute, die wir hier sind, wenn man das auf die Projekte runterbricht, fahren wir eigentlich so an der unteren Grenze, das heißt, die Leute, die da sind, sind sehr hoch ausgelastet. Und erst, wenn diese Schwelle überschritten ist, wird jemand Neues eingestellt. Von daher hat jeder nicht nur ein Projekt, sondern mehrere […].“ (Dr. Kiel, S. 2)
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Zwar erfordert auch die Zuschneidung aller Inhalte und Abläufe auf die Wünsche des Kunden eine größere inhaltliche Flexibilität. In erster Linie müssen die MitarbeiterInnen jedoch bedingt durch die Projektarbeit an sich, die gleichzeitige Bearbeitung mehrerer Projekte und den schnellen Wechsel von Projekten eine hohe Flexibilität und Anpassungsfähigkeit beweisen. „Und hier geht’s halt, wir haben einen sehr schnellen Wechsel, auch unter Umständen von Projekten, selbst wenn ein Projekt ein halbes Jahr oder dreiviertel Jahr dauert und ich habe zwei, drei Projekte parallel, wechselt das alles relativ häufig. Und dieses Eindenken in neue Gebiete und mit neuen Personen umzugehen, das ist eigentlich so die große Herausforderungen, deswegen. Es gibt nicht so eine große Kontinuität erstmal in der Arbeit, sondern es ist eigentlich ein ständiger Wechsel. Wir haben auch hier keine Produkte, die wir sozusagen von der Stange verkaufen, sondern jedes Projekt wird auch auf den Kunden zugeschnitten und jedes Projekt ist dann eben auch wieder anders. Und jeder Kunde hat andere Wünsche und deswegen ist das schon ein bisschen schwieriger.“ (Dr. Wollenstein, S. 3)
Auch in Unternehmen A bestätigt Dr. Kiel diese Aussage. Im Vergleich mit Universitäten unterscheidet sich seiner Ansicht nach die Arbeitsweise in Ausgründungen erstens im Hinblick auf den stärkeren Kundenkontakt, zweitens durch die Gleichzeitigkeit mehrerer Projekte, drittens durch die härteren Deadlines und viertens die stärkere Anwendungsorientierung. Korrespondierend zum hohen Anteil an Team- und Projektarbeit in den Unternehmen ist die Arbeitsteilung in Spin-offs gleichermaßen sehr ausgeprägt, wie sich bereits im vorangegangenen Kapitel hinsichtlich der Arbeitsorganisation in Spin-offs gezeigt hat. Ein Befund, der sich mit der schon aufgezeigten Erfahrung deckt, dass die MitarbeiterInnen den Projekten je nach Qualifikation zugeteilt werden und selber keine Auswahlmöglichkeiten besitzen. „Sie müssen sich hier schon sehr viel stärker spezialisieren als an der Uni, glaub ich schon. Also ich mein, müssen sie sich auch an der Uni, wenn sie natürlich weiter gehen, nach Promotion, sehr viel mehr spezialisieren. Aber hier, hier sind die Arbeitsgebiete sehr viel stärker getrennt, als es an der Uni ist. An der Uni werden Geräte ja häufig von zwei, drei Leuten benutzt, oder noch mehr Leuten, das gibt es hier eigentlich nicht. Also hier gibt es klare Verantwortlichkeiten, was machst du und auch klare Grenzen, was wir nicht mehr machen.“ (Dr. Wollenstein, S. 3)
Eine so ausgeprägte Arbeitsteilung geht allerdings nicht automatisch einher mit einer stärkeren inhaltlichen Spezialisierung der MitarbeiterInnen. Vielmehr scheint bei der Personalrekrutierung auf eine interdisziplinäre Zusammenstellung hochspezialisierter, teamfähiger und eigenverantwortlich arbeitender MitarbeiterInnen Wert gelegt zu werden. Dieser Aspekt verhindert eine übermäßige Rekrutierung aus der Herkunftsinstitution.
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„In funktionierenden Unternehmen müssen sie eigentlich Diversität haben. Was wollen sie, das mit so einer Inzuchttruppe laufen zu lassen. Da müssen neue Ideen, neue Gedanken rein.“ (Prof. Sandholz, S. 6)
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Generalistentum aufgrund der interdisziplinären Zusammensetzung des MitarbeiterInnenstamms und damit der Projektteams nicht notwendig ist. Es ist sogar prinzipiell aufgrund des hohen Spezialisierungsgrades und der Tatsache, dass Spin-offs den Anschluss an den Stand der Forschung in der jeweiligen Disziplin nicht verlieren dürfen bzw. teilweise hier sogar eine Vorreiterrolle übernehmen, gar nicht möglich. Zum einen bringt die Interdisziplinarität bzw. „Disziplinarisierung der Aufgabenbereiche“ (Herr Bäcker, S. 7) einen erhöhten Abstimmungs- und Kooperationsbedarf für die MitarbeiterInnen mit sich. Sie garantiert aber zum anderen qualitativ hochwertige Ergebnisse durch die Zusammenarbeit hochqualifizierter und -spezialisierter Personen aus verschiedenen Disziplinen. „Ich glaube, Generalist, das was wir an Bedarf haben an Generalisten, kriegen wir vor allem durch die Interdisziplinarität und die unterschiedlichen, ja, Fähigkeiten, Eigenschaften der Mitarbeiter hin. Das heißt wir haben schon mehr Leute, die in Einzeldisziplinen sehr gut sind, würd ich sagen, und durch die Kombination was bekommen. Klar, im Management gibt es natürlich schon die, die dann Generalisten sind.“ (Herr Bäcker, S. 7-8)
Wobei das so genannte Generalistentum des Managementpersonals in den Spinoffs in erster Linie darin begründet liegt, dass es sich bei diesen von der Ausbildung her um NaturwissenschaftlerInnen handelt, die dann im Laufe ihres Berufslebens zunehmend Managementaufgaben übernommen haben. In allen untersuchten Unternehmen waren GeschäftsführerInnen ohne natur- bzw. ingenieurwissenschaftlichen Background die absolute Ausnahme. Lediglich im achtköpfigen Führungsteam von Unternehmen B gibt es einen Betriebswirt, alle anderen haben ein naturwissenschaftliches Studium absolviert. Teamentwicklung und -arbeit als ergänzende Komponenten der Personalentwicklung nehmen in allen Unternehmen durch den hohen Anteil an interdisziplinärer Projektzusammenarbeit einen wichtigen Stellenwert ein. Durch die Rekrutierung disziplinär sehr gut ausgebildeter Personen, die selbstständiges und selbstbestimmtes Arbeiten gewohnt sind – z.B. durch die vorherige Forschungsarbeit an einem Lehrstuhl oder einer Forschungseinrichtung – in Kombination mit flachen Hierarchien und einem ergebnisorientierten Projektcontrolling, stellen sich auch dementsprechend höhere Anforderungen im Hinblick auf Konsensfindung und kommunikativer Auseinandersetzung in Entscheidungsfindungsprozessen.
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Forschung und ForscherInnen in Spin-offs „Ich denke mal, wir haben eine Mischung von sehr selbstbewussten, sehr eigenständigen und auch sehr eigenen Charakteren, ohne dass das eigen jetzt negativ klingen soll, ja. Also es ist schon eine sehr interessante Mischung an Menschen, die hier rumlaufen … Aber ich glaube auch, dass das eine Stärke des Unternehmens ist, an manchen Stellen macht es das Arbeiten auch schwieriger, weil …, also durch dieses Selbstbewusstsein muss man mal länger mit jemandem diskutieren oder reden, ohne dass man das dann so von oben doktrinieren will. Aber ich glaub auch, dass das eine Stärke des Unternehmens ist, dass man eben sehr verschiedene Charaktere, sehr verschiedene Menschen hier an einen Tisch bringt, die trotzdem alle auf ihre Weise sehr, sehr gut sind.“ (Dr. Kiel, S. 10)
Generell scheinen einige Spin-offs, aufgrund ihrer Zwischenposition und den spezifischen Anforderungen an ihre Humanressourcen, bestimmten Personen Nischen bieten zu können, die sonst weder in der Großindustrie noch an Universitäten oder Forschungseinrichtungen unterkommen könnten. „Vom Typus der Menschen her, die hier arbeiten, sind vielleicht alle durchaus gewisse Individualisten, die wir hier haben, die … Für so manche Positionen haben wir Leute, die sehr, sehr, sehr kreativ sind. Die auch vielleicht von ihrer Papierform her Schwierigkeiten hätten, in diesem klassischen F&E. […] Die auch von der, was weiß ich, keinen besonders hoch qualifizierten Schulabschluss haben, auch schlechte Noten hatten. Das heißt, die würden die klassischen Auswahlverfahren, die würden es nicht zu einem Bewerbungsgespräch schaffen. Da haben wir einige davon. Die aber hier […] hervorragende Arbeit machen, weil wir die hier ganz gezielt einsetzen können. Da haben wir halt einige von: Dieser klassische Tüftler, Bastler.“ (Dr. Diekmann, S. 7-8)
Für Dr. Gruber steigen die Freiräume und der kreative Anteil an der täglichen Arbeit bei Projekten mit höherem Forschungsanteil. Im Gegensatz zu Projekten, die abgearbeitet werden, gibt es Projekte, die hohe Kreativitätsleistungen von den MitarbeiterInnen erfordern. Je höher der Forschungsanteil im Projekt ist, umso stärker sind die Anforderungen an die ProjektmitarbeiterInnen und -leiterInnen, die Lösung selber zu erarbeiten und kreative Lösungswege zu finden, was sich dann wiederum in den MitarbeiterInnen des Unternehmens widerspiegelt. Die Fähigkeit zu kreativer Problemlösung muss dabei nicht nur bei den hochqualifizierten ProjektleiterInnen, die sämtlich promovierte ChemikerInnen sind, vorhanden sein. Auch im Engineeringbereich des Unternehmens A, der gemeinsam mit dem IT-Bereich als Servicefunktion aufgestellt ist, besteht Bedarf an kreativen Individualisten. Mehr Verantwortung und Entscheidungsspielräume statt formalem Aufstieg Ein spezifisches Problem in Spin-offs ist der Mangel an formalen Karrieremöglichkeiten. Die Delegation von Verantwortung ist dabei eine Möglichkeit der Unternehmensleitung, sich das Potential des hochqualifizierten Personals möglichst umfassend zunutze zu machen, ist aber gleichzeitig für die MitarbeiterIn-
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nen ein hoher Anreiz und wird als Möglichkeit der persönlichen und beruflichen Weiterentwicklung empfunden. „Na ja, Aufstiegsmöglichkeiten ist relativ, weil es gibt ja nur relativ wenige Ebenen, also es gibt eigentlich nur drei Ebenen. Die erste Ebene ist der Vorstand, die zweite Ebene sind die Abteilungsleiter und die dritte Ebene ist der Rest, also von daher ist das begrenzt. Es ist natürlich so, Aufstiegsmöglichkeit ist ganz klar immer der Verantwortungsbereich. Klar, mehr Verantwortung geht immer. Das ist schon möglich.“ (Herr Birke, S. 9)
Unternehmen B hat aus diesen Gründen über die Weiterqualifizierung in Schulungen hinaus auch Instrumente der Personalpotenzialanalyse eingeführt, die sich nicht nur auf die Führungskräfte und das Management beschränken, sondern für alle MitarbeiterInnen durchgeführt werden. „Und hier wollen wir eben ganz gezielt, also haben wir ganz gezielte Konzepte erstellt, wo eben dann auch ja auch der Erfolg der Personalentwicklung regelmäßig kontrolliert, also es wird, mit jedem Mitarbeiter werden zum Beispiel wöchentliche Gespräche geführt durch die Führungskraft, es gibt einmal jährlich ein Personalentwicklungsgespräch, wo eben die persönlichen Personalenwicklungsziele festgelegt werden, die sind dann aber auf jeden einzelnen Mitarbeiter zugeschnitten.“ (Dr. Wassermann, S. 2-3)
Bei Wachstum des Unternehmens und der Einführung einer mittleren Führungsebene rekrutieren die Unternehmen diese Personen in der Regel intern. Daher geht es auch um die Vorbereitung auf Führungsaufgaben und – vor dem Hintergrund des hohen Anteils an Team-/Projektarbeit – um die Förderung der sozialen Kompetenzen des Personals. Die MitarbeiterInnen aus Unternehmen B besuchen dementsprechend neben rein fachlichen auch persönlichkeitsfördernde Weiterbildungen. Jeder Mitarbeiter bzw. jede Mitarbeiterin ist angehalten, an mindestens einer Weiterbildung pro Jahr teilzunehmen. „Das kann der Besuch einer fachlichen Tagung sein, das kann aber auch der Besuch eines Seminars sein, was, ich sag jetzt mal, Präsentationstechniken oder ja, Durchsetzungsvermögen oder sonst was angeht. Also da achten wir schon drauf, mindestens eins, d.h. also es ist eigentlich auch erwünscht, da mehr Eigeninitiative zu zeigen und durchaus mehr Weiterbildung zu machen.211 Und wir haben zusätzlich eben auch, ja, Gesamtseminare fürs Unternehmen, wo wir wirklich auch Rückschau halten, was ist der aktuelle Stand im Unternehmen, wo gibt es vielleicht Probleme, wo gibt es Dinge, die wir verbessern können usw. Und dann gibt es eben spezielle Seminare für das Vertriebsteam oder für die Führungskräfte, wo eben da auch noch mal drauf geachtet wird, dass, ich sag jetzt mal, alle an einem Strang ziehen und alle im Sinne des Unternehmens handeln.“ (Dr. Wassermann, S. 6)
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Siehe auch weiter unten zum Thema „Weiterbildung in Eigenverantwortung“.
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Die regelmäßigen Personalentwicklungsgespräche in dem Unternehmen sind ein besonders wichtiges Instrument der Personalpolitik. Es handelt sich aber bewusst nicht um Zielvereinbarungen, die gekoppelt sind an finanzielle Anreize. „Nee, ein Personalentwicklungsgespräch, da geht es wirklich darum, Ziele festzulegen, wie kann der Mitarbeiter sich jetzt in seinen Stärken weiterentwickeln oder an welchen Schwächen möchte er arbeiten, um diese Schwächen auszumerzen oder auszubügeln.“ (Dr. Wassermann, S. 8)
Neben der internen Personalentwicklung und -rekrutierung zur Vorbereitung und Unterstützung des Wachstums des Unternehmens sind diese Personalentwicklungsgespräche zusätzlich ein Instrument zur Förderung und Motivation des hochqualifizierten Personals. Die Ergebnisse korrespondieren mit den Ausführungen von Wilkesmann (2005), dass Wissensarbeit nur über Selbststeuerung möglich ist. Neben dem Abwechslungsreichtum der Tätigkeit, der Ganzheitlichkeit und Bedeutung der Aufgabe, ist gerade Zahl der Entscheidungsmöglichkeiten bei der Bearbeitung der eigenen Aufgaben ein wichtiger Aspekt von Wissensarbeit. Die MitarbeiterInnen sind dann auch ohne direkte finanzielle Anreize motiviert, die vereinbarten Ziele zu erreichen und die eigentliche persönliche Entwicklung voranzutreiben. Sie entwickeln eine hohe intrinsische Motivation.212 „Und diese Möglichkeit, sich weiter zu entwickeln, führt zu eine sehr großen Zufriedenheit des Mitarbeiters. Es werden Ziele vereinbart, der Mitarbeiter weiß wo es langgeht. Also in den wöchentlichen Gesprächen wird auch immer mal eine Zwischenschau gehalten: Wo steh ich denn jetzt mit der Zielerreichung oder müssen wir vielleicht das Ziel ein bisschen umdefinieren? Also da ist ja nicht, wird jetzt nicht ein Startschuss gegeben und nach einem Jahr wird gekuckt, sondern das ist eine intensive Begleitung durch das ganze Jahr, durch den ganzen Prozess, der eben durch die Führungskraft auch erfolgt.“ (Dr. Wassermann, S. 8)
Ein solches Personalentwicklungskonzept ist zum einen Ausdruck der Tatsache, dass in wachstums- und F&E-orientierten Spin-offs das wichtigste Kapital das unternehmenseigene Wissen – und die darauf beruhenden Produkte und Dienstleistungen – ist und die jeweiligen MitarbeiterInnen, die dieses generieren. Zum anderen ist es in gewisser Weise auch Ausdruck der spezifischen Karrierebedingungen in Spin-offs und als Ausgleich für das Fehlen formaler Aufstiegsmöglichkeiten zu verstehen. Zwar ähnelt es durchaus den Maßnahmen zur Verbesserung des sozialen Klimas und der Stärkung der inneren Verbundenheit mit dem 212
Verschiedene Studien untersuchen einen vermuteten positiven Zusammenhang zwischen der „unternehmerischen Leidenschaft“ des Gründers oder der Gründerin, der Zielübereinstimmung zwischen MitarbeiterInnen und GründerInnen und dem Commitment der MitarbeiterInnen. Vergleiche hierzu u.a. Klaukien et al. (2009).
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Unternehmen, es entspricht aber eben auch den Bedürfnissen des hochqualifizierten Personals. „Also aus diesem Grunde dokumentieren wir immer den aktuellen Mitarbeiterentwicklungsstand und sehen eben, wenn der Mitarbeiter einen sehr hohen Entwicklungsstand hat, dann kann er mehr Aufgaben und mehr Verantwortung übernehmen. Das heißt vielleicht, dass er auch eine andere Position im Organigramm ausfüllt, das heißt aber vielleicht auch, dass er einfach nur neue Aufgaben bekommt. […] Wenn sie jetzt Aufstiegschancen als, sag ich mal, Hochklettern im Organigramm bezeichnen, gut, ich sag mal, die Fluktuation bei [Unternehmen B] extrem gering und da ist es eben auch nicht abzusehen, dass da jetzt großartig Fluktuation einsetzen wird in der nächsten Zeit. Uns ist eben die Mitarbeiter…, die langfristige Mitarbeiterbindung sehr, sehr wichtig und jeder kann sich im Rahmen seiner Position schon weiterentwickeln. Das heißt aber nicht unbedingt, dass er im Organigramm die Treppe rauf fällt, das ist einfach irgendwo nicht machbar.“ (Dr. Wassermann, S. 9)
Die Übernahme von mehr und vielfältigeren Aufgaben, mehr Verantwortung und die Möglichkeit der persönlichen Weiterentwicklung und Qualifizierung sind Anreize für die MitarbeiterInnen, im Unternehmen zu bleiben und ihr Wissen und Engagement einzubringen. „Ich kann mich weiterentwickeln. Also auch wenn ich jetzt die Treppe hochsteige, aber mir werden die Möglichkeiten nicht gegeben mich weiterzuentwickeln, dann ist das keine langfristige Mitarbeiterbindung. Wenn ich aber wirklich weiß, ich hab zu jedem Zeitpunkt die Möglichkeit, mich persönlich weiterzuentwickeln, ich kann meine Stärken weiter ausbauen, es wird auch gerne gesehen, dass ich meine Stärken einbringe und ich kann sozusagen was Neues, also immer wieder was interessantes Neues machen, was jetzt meine Fortbildung angeht, dann ist das denke ich ein sehr großer Motivator und ein sehr großes Bindungskriterium auch für die Mitarbeiter.“ (Dr. Wassermann, S. 10)
Die Entwicklung des Unternehmens hängt also zum einen davon ab, dass das wissenschaftliche Personal fachlich gut qualifiziert bzw. spezialisiert ist. Zum anderen müssen die Unternehmen ihren MitarbeiterInnen die Rahmenbedingungen für ein kreatives und möglichst eigenverantwortliches Arbeiten zur Verfügung stellen. Die Spielräume hierfür sind in den kleinen Unternehmen ausgeprägter als in den häufig sehr hierarchischen Großunternehmen. „Wir sind davon abhängig, dass wir sehr, sehr gute Leute auch haben, weil wir auch, ja ich weiß nicht, auch, zum Beispiel unser C-labor, das sind auch zehn Leute fast, und derjenige, der das organisatorisch leitet, der K., der ist 27 oder so, also sehr, sehr jung. Der kam von BigChem zum Beispiel hier her, ich glaub nicht, dass er die Verantwortung in BigChem innerhalb der nächsten zehn Jahre bekommen hätte, also über zehn Leute die Verantwortung, als Techniker, so nicht als Diplom- oder promovierter Chemiker. Von daher, gerade von solchen Leuten leben wir eben. Und ich glaub, dass wir verhältnismäßig viele sehr, sehr gute Leute hier, zum Glück, also akquirieren konnten oder auch bekommen haben. Und ich glaub schon, dass das so das stärkste Potential von so einer kleinen Firma jetzt ist.“ (Dr. Kiel, S. 5)
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Ein generelles Problem für die ForscherInnen in der Industrie ist die Tatsache, dass Karriere hier im Grunde gleichbedeutend mit dem Abschied von der Forschung ist. Die Übernahme von immer mehr Managementaufgaben geht in den Unternehmen einher mit einem Rückzug aus der Projektforschung. Alle interviewten Führungskräfte haben bestätigt, dass ein Spagat zwischen beiden Bereichen auf Dauer nicht möglich ist. Es ist hier eine grundsätzliche Entscheidung213, die laut Dr. Wollenstein zwangsläufig in eine reine Managementtätigkeit mündet und die Aufgabe bzw. den Verzicht auf inhaltliche wissenschaftliche Arbeit impliziert und zunächst von den MitarbeiterInnen als Verlust empfunden wird. „Ach, ich hab damit eigentlich jetzt meinen Frieden gemacht. Klar, am Anfang ist natürlich schon, also jetzt auch, hab ich drei Mitarbeiterinnen, das hat schon sehr viel Zeit und da ist einfach sehr viel delegieren angesagt und Sachen, die auch jucken, die ich auch gerne selber machen würde, kann ich halt nicht mehr machen. Weil klar, ich mein, ich kann mir jetzt nicht nur die Rosinen rauspicken und den anderen die Drecksarbeit lassen, also so geht das ja hier auch nicht. Insofern ziehe ich mich da einfach auch immer mehr zurück. Ich find’s halt schön, dass ich sozusagen meine Arbeit jetzt durch andere Leute erledigen lassen kann, weil ich halt einfach sehr viel mehr geschafft bekomme deswegen. Das find ich sehr positiv. Und ich bin halt nicht mehr alleine und muss das Reagenzglas schwenken, sondern es sind halt noch drei Leute da, die das dann machen. Die das zum Teil besser können als ich, ganz klar. Also ich seh da die Vorteile drin, das hat aber ein bisschen gedauert.“ (Dr. Wollenstein, S. 8-9)
Trotz der von nahezu allen wissenschaftlichen MitarbeiterInnen geäußerten inneren Verbundenheit mit dem Unternehmen sind mittelfristig für nahezu alle Personen Alternativen zum Verbleib in dem Unternehmen denkbar. Aufgrund der schlechten finanziellen Lage an Universitäten und den dementsprechenden Rahmenbedingungen – befristete Arbeitsverträge, hoher Aufwand zur Einwerbung von Drittmitteln, schlechte Laborausstattung etc. – kann sich von allen interviewten MitarbeiterInnen und GründerInnen nur eine einzige Person vorstellen, eventuell wieder in die Wissenschaft zurückzugehen. Alle anderen würden das überhaupt nur in Erwägung ziehen, wenn ihnen wenigstens eine Professur angeboten würde. Auf der anderen Seite ist der Wechsel in ein großindustrielles Unternehmen aber auch keine sehr beliebte Option. Wenn ein solcher Wechsel überhaupt in Erwägung gezogen wird, dann am liebsten mit der Bedingung verknüpft, nicht in der Produktion arbeiten zu müssen. Im Gegensatz dazu sind Spin-offs aufgrund ihrer Strukturen dazu in der Lage, in allen Bereichen im Unternehmen eine gewisse Forschungsnähe und Anbindung an inhaltliche Frage- und Themenstellungen garantieren zu können. Das ist scheinbar in großen Unternehmen nicht zwangsläufig möglich. Dr. Kiel bestätigt dies durch seine Aussage, wie sehr er es 213
Bis zu einem gewissen Grad gilt das natürlich auch für Karrieren in der akademischen Wissenschaft. Allerdings wäre zu untersuchen, inwieweit dies durch die Kopplung der Karriere mit wissenschaftlicher Reputation abgeschwächt wird.
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genieße, zumindest einen Einblick in die verschiedenen Forschungsprojekte seiner Abteilung zu erhalten, obwohl er als Abteilungsleiter nicht mehr selber inhaltlich arbeiten kann. „Ja genau, aber das ist auch, im Endeffekt, wenn wir in einer Firma wie BigChem, wären wir in der Forschungsabteilung integriert. Da gibt’s ja dann Produktion und was auch immer, und wir waren, wir würden zur Forschung gehören. Und das wollt ich auch machen, also Produktion, oder so, nur zur Not. (Herr Birke, S. 10)
Prinzipiell haben einige der wissenschaftlichen MitarbeiterInnen den Wechsel in ein anderes Unternehmen nicht ausgeschlossen, diesen allerdings, wenn überhaupt, in weite Ferne – „sicher nicht die nächsten zehn Jahre“ (Dr. Kiel) – geschoben und häufig von der Entwicklung des Unternehmens abhängig gemacht. Wenn das Spin-offs sich also weiterhin positiv entwickelt und auch den jeweiligen MitarbeiterInnen genügend Entwicklungsperspektiven bietet, sieht keiner der MitarbeiterInnen zum jetzigen Zeitpunkt einen Grund zu wechseln. Weiterbildung in Eigenverantwortung Trotz der hohen Bedeutung, die die Qualifikation und das Wissen der MitarbeiterInnen für alle untersuchten Spin-offs haben, ist Unternehmen B das Einzige, welches über ein sehr durchdachtes und fest installiertes Personalmanagement verfügt. Im Geschäftsführungsteam ist explizit eine ausschließlich für Personal und Personalentwicklung verantwortliche Position verankert. „Das ist ein Prozess, den wir innerhalb der letzten zweieinhalb Jahre sehr intensiv angegangen haben, dass wir gesagt haben, wir, ja, werden [das Gesamtunternehmen] auf, ich sag jetzt mal klare Füße stellen, was Organisationsstruktur, was Aufgabenverteilung angeht und da ist eben auch ein Kern meiner Arbeit als Personalleitung gegeben, dass wir wirklich gesagt haben, wir haben ein klares Organigramm, wir haben klare Stellenbeschreibungen, wir haben klare Kompetenzprofile der Mitarbeiter, wir betreiben sehr intensive Personalentwicklung, das sind alle Dinge, die gibt’s im universitären Umfeld überhaupt nicht.“ (Dr. Wassermann, S. 2)
Natürlich sind sich auch Unternehmen A und C der Wichtigkeit dieser Thematik bewusst, allerdings wird Personalentwicklung hier dem Personal überwiegend selbst überlassen bzw. die Eigeninitiative der MitarbeiterInnen vorausgesetzt. Den MitarbeiterInnen werden Ressourcen für Weiterbildung zur Verfügung gestellt. Dies geschieht allerdings unter der Prämisse, dass die Projektarbeit die Teilnahme an Weiterbildungen zulässt, also entsprechende zeitliche Ressourcen und finanzielle Mittel vorhanden sind. Einige Tagungen werden auch bewusst aus Marketinggründen besucht und entsprechend durch die Geschäftsführung oder die Abteilungsleitung forciert. Grundsätzlich ist aber Weiterbildung weitge-
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hend der Eigenverantwortlichkeit der MitarbeiterInnen überlassen. Das Fehlen eines Qualifizierungsprogramms für die MitarbeiterInnen kann durchaus kritisch gesehen werden. In den Interviews wird jedoch sehr deutlich, dass die MitarbeiterInnen aufgrund ihres Backgrounds und ihrer Ausbildung durchaus in der Lage sind – teilweise selbstständig, teilweise in Rücksprache mit ihren Vorgesetzten – eigenverantwortlich zu entscheiden, welche Weiterbildungen für sie angebracht und notwendig sind. Wobei allerdings häufig das zur Verfügung stehende Zeitbudget von den MitarbeiterInnen als unzureichend betrachtet wird. „Also, [Weiterbildung] ist eine Sache, wo eigentlich man mehr machen müsste, sollte, aber da reicht oft die Zeit nicht. Also, ganz klar, in so einer Firma ist das Budget auch nicht besonders hoch für solche Sachen jetzt, aber, ich denke, da ist auch jeder eigenverantwortlich dann für sich verantwortlich. […] Ja, es gibt schon Schulungen auf die man geschickt wird, Tagungen und so, aber man muss sich halt selbst drum kümmern. Also es wird selten was abgelehnt, aber das man jetzt sagt, von der Firma aus gesagt bekommt, was man zu tun hat, das ist nicht der Fall, sondern alles auf Eigeninitiative. Und was ich auch als gut empfinde. Das ist schon okay.“ (Herr Birke, S. 6)
Trotz dieser Kritik an den Rahmenbedingungen legen die MitarbeiterInnen Wert darauf, Entscheidungen über die Teilnahme an Weiterbildungen oder den Besuch von Tagungen etc. eigenverantwortlich treffen zu können. Gleiches gilt hinsichtlich der Auswahl der Fachliteratur und -zeitschriften. Die MitarbeiterInnen entscheiden selbstständig, welches Wissen sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen und sich zusätzlich aneignen müssen. Wobei die selbstständige, autodidaktische Aneignung neuen Wissens noch mal gesondert betrachtet werden muss. Diese Vorgehensweise stellt in den Spin-offs eine gängige Praxis dar und geht weit über die routinemäßige Aneignung neuen Fachwissens hinaus. „Ja, ich denke aus dem Studium nimmt man einfach die Grundlagen mit und spezialisiert sich dann eben hier in seinem Gebiet, wo man jetzt halt arbeitet. Klar, man musste auch gewisse Dinge völlig neu sich erarbeiten, also was gerade Umgang mit Software oder so angeht, mit Datenmanagement oder so. Dieses waren komplett neue Felder, die man sich dann erarbeiten muss.“ (Herr Birke, S. 3)
Ein hoher Teil der Qualifizierung der MitarbeiterInnen erfolgt über diese Art des „Learning-by-doing“ oder Kommunikation und Austausch mit den erfahreneren KollegInnen. Das gilt für die Einarbeitung neuer Leute in das Unternehmen, aber auch für einen großen Teil der Leute, die mit Wachstum des Unternehmens Führungsaufgaben übernehmen, die nicht Teil ihrer ursprünglich naturwissenschaftlichen Ausbildung waren und die sich die Fähigkeiten dazu selbst und im Austausch mit KollegInnen angeeignet haben.
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„Das war kaltes Wasser. Die Schuhe waren am Anfang sehr groß, sag ich mal. Ja, man wächst da rein. Aber ich denke, auch das ist hier bei [Unternehmen A] anders als bei einer anderen Firma. Also man ist nicht alleine, das heißt, die anderen Kollegen oder alle Leute helfen einem.“ (Dr. Kiel, S. 6)
Ausgeprägte Identifikation mit dem Unternehmen In allen Unternehmen wird als ein besonders wichtiger Teil der Personalpolitik das Betriebsklima thematisiert. Alle Unternehmen verweisen explizit auf ihr – im Vergleich zur Großindustrie und akademischen Wissenschaft – besseres Betriebsklima und die informelleren Kommunikationswege. Neben der im Vergleich zur akademischen Wissenschaft höheren Bezahlung und den schon erwähnten vielfältigen Möglichkeiten der persönlichen Weiterentwicklung durch mehr Verantwortung, werden diese als wichtigste Vorteile der Arbeit in einem Spin-off gepriesen. Die Unternehmen verfolgen dabei verschiedene Strategien. Auffällig in den Interviews mit den MitarbeiterInnen bei Unternehmen A ist die hohe intrinsische Motivation, gepaart mit einem hohen informellen Druck durch die KollegInnen und eine insgesamt hohe Identifikation mit dem Unternehmen. Gerade letzteres fällt in allen Unternehmen auf, ist aber bei Unternehmen A am deutlichsten ausgeprägt. Gleichzeitig ist Unternehmen A dasjenige, in dem der höchste Arbeitsdruck herrscht. Dieser wird aber nicht auf die Geschäftsführung, sondern ursächlich auf den Kunden zurückgeführt. Gleichzeitig wird dieser hohe Druck von den MitarbeiterInnen teilweise sogar als positiv wahrgenommen und die Vorteile der Nähe zum Kunden herausgestellt. „Es gibt andere Kollegen, die bei anderen Unternehmen waren, ich denke schon, dass der Zeitdruck hier, aber … das ist ein bisschen direkter alles, das ist nicht sehr abstrakt. Man weiß, woher der Zeitdruck kommt, der ganz klar vom Kunden initiiert ist. Das wird auch so weitergegeben. Die Kehrseite ist, man macht es natürlich auch deutlich motivierter, wenn man näher am Kunden ist, mehr mit eingebunden ist, also, ich denke, man empfindet es nicht direkt als Stress, unter Zeitdruck. Trotzdem ist er natürlich da.“ (Dr. Kiel, S. 3)
Die MitarbeiterInnen können in Spin-offs in der Regel den ganzen Projektprozess überblicken. Auf diese Weise können sie die Bedeutung der einzelnen Arbeitschritte für den Projektverlauf einschätzen und die Relevanz der Projektergebnisse für das Unternehmen und dessen wirtschaftlichen Erfolg zumindest in großen Teilen ermessen. Die MitarbeiterInnen fühlen sich dabei direkt für die Erreichung eines positiven Projektergebnisses verantwortlich und nicht nur für die Erfüllung der vertraglich vereinbarten Arbeitszeiten und -aufgaben. „Das ist dann auch kein Akt, dass die mal samstags reinkommen, wenn die einfach wissen, warum und wieso.“ (Dr. Kiel, S. 16)
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Die schon erwähnte höhere Identifikation mit dem Unternehmen ergibt sich vor allem dadurch, dass die Auswirkungen der eigenen Arbeit auf den Unternehmenserfolg bzw. -misserfolg für die MitarbeiterInnen im Vergleich zu einem großindustriellen Unternehmen sehr viel direkter erkennbar sind. „Und ich seh halt auch am Ende, was dabei rauskommt. Wenn ich den Auftrag abarbeite oder nicht abarbeite macht einen Unterschied. Das seh ich ganz klar am Ende des Monats oder am Ende des Jahres. Und das ist halt sehr viel besser als wenn ich jetzt, ich mein ich kann’s auch verstehen, also in so einem Riesenunternehmen mit 100.000 Beschäftigten bin ich dann einer. Und da ist es wirklich im Prinzip egal, ob ich arbeite oder nicht arbeite, fürs gesamte Unternehmen. […] Aber fürs Gesamtunternehmen ist das halt schon im Prinzip egal. Da muss ich mir dann andere Motivationsfaktoren dann suchen, klar, aber ich bin da schon mehr eine Nummer unter vielen.“ (Dr. Wollenstein, S. 13-14)
Tritt der Druck nur temporär, also zu bestimmten Projektphasen auf und stimmt der Projektoutput, dann scheinen die ProjektmitarbeiterInnen diesen Stressfaktor nicht als generelles Problem zu empfinden. Es wird als unvermeidbare Folge der Tatsache gesehen, dass in kleinen Unternehmen weniger „Pufferzonen“ existieren und die MitarbeiterInnen „näher am Kunden dran“ sind. Sowohl Erfolge als auch Misserfolge sind dementsprechend für sie direkter spürbar und möglicherweise auftretende Probleme können seltener auf andere Hierarchieebenen verlagert werden, sondern müssen in der Regel von den MitarbeiterInnen selbst gelöst werden. Der temporäre Zeitdruck wird von den MitarbeiterInnen weniger als Problem empfunden, lediglich die Projektleiterin in Unternehmen A bemüht sich als Mutter um ein möglichst gleich bleibendes, wöchentliches Arbeitsvolumen. Aber auch sie hat sich bezüglich der Kinderbetreuung Möglichkeiten zur Abfederung zeitlicher Engpässe eingerichtet. Im Gegensatz zu der hohen temporären Arbeitsbelastung, die als Projektarbeit prinzipiell innewohnend betrachtet wird, ist die generell niedrige Personaldecke in den Unternehmen eher ein Problem. In allen Unternehmen wird bezüglich des Personalvolumens die „unterste Grenze“ gefahren, verbunden mit einer dementsprechend sehr hohen Auslastung der MitarbeiterInnen. „Weil wenn sie ein Projekt über sechs oder zwölf Monate laufen lassen, dann überlegen sie sich, ob sie jemanden zusätzlich dazu einstellen oder ob sie es mit Hängen und Würgen mit den bestehenden Leuten machen. […] Von der Planung ist es sehr, sehr schwierig und es gibt auch immer wieder Ärger, weil die Leute natürlich sagen, warum holen wir niemanden, aber wenn sie natürlich das Risiko haben, dass nach sechs Monaten nicht klar ist, also ob man denjenigen halten kann.“ (Dr. Kiel, S. 8)
Insgesamt zeigt sich, dass die schnelle Übernahme von Personalverantwortung, die Fähigkeit zu eigenverantwortlichem Arbeiten und eine hohe Identifikation mit dem Unternehmen begleitet werden von vielen Überstunden und einem ho-
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hen intrinsischen und extrinsischen Arbeitsdruck. „Freiwillige Überstunden“ sind freiwillig in dem Sinne, als dass sie aufgrund der hohen Identifikation der MitarbeiterInnen mit dem Projekt und dem Unternehmen von diesen ohne Druck der Geschäftsführung erbracht werden. Die MitarbeiterInnen sind in der Regel zu einer eigenständigen Einschätzung des notwendigen Arbeitspensums für die Erreichung der festgesetzten Projektmeilensteine in der Lage und passen ihr Arbeitspensum den Notwendigkeiten an. Damit verbunden ist deutlich die Gefahr der Selbstausbeutung und persönlicher und gesundheitlicher Einbußen für die MitarbeiterInnen. Dieses ist vor allem mittel- und langfristig vor dem Hintergrund der hohen Arbeits- und Weiterqualifizierungsanforderungen an das wissenschaftliche Personal als kritisch anzusehen. „Aus meiner Warte ist es sogar eher arbeitgeberfreundlich, weil die Leute zwar diese Freiheiten haben, aber durch die Arbeit natürlich klare Vorgaben haben. … Es orientiert sich an den Ergebnissen, an der Arbeit, aber auch da sind die Leute so selbstdiszipliniert, dass die wissen, was zu tun ist.“ (Dr. Kiel, S. 5)
Auch Unternehmen B muss sich diesem Problem stellen. Wie schon deutlich wurde, gibt es in diesem Unternehmen eine Arbeitszeiterfassung, die dazu dient, Engpässe in bestimmten Bereichen zu erkennen und zu entscheiden, welche Projekte prioritär bearbeitet werden. Gerade die Frage der Arbeitszeiten und Überstunden ist in Spin-offs ein heikles Thema. Im Gegensatz zu Unternehmen A, wo Überstunden und Wochenendarbeit regelmäßig vorkommen, versucht Unternehmen B einem Klima der gegenseitigen Kontrolle der MitarbeiterInnen und der „freiwilligen Selbstausbeutung“ aktiv entgegenzuwirken. Die Geschäftsführung hat, auf Wunsch der MitarbeiterInnen und in Zusammenarbeit mit dem im Unternehmen eingerichteten Sozialausschuss, ein System zur Arbeitszeiterfassung entwickelt und eingeführt. Mit Hilfe der Arbeitszeiterfassung kann gleichzeitig auch der Personalbedarf in den verschiedenen Geschäftsbereichen ermittelt werden. Unter Umständen wird dann neues Personal eingestellt bzw. werden „unwichtige“ Projekte zugunsten „wichtiger“ Projekte – i.d.R. werden die Kundenprojekte prioritär bearbeitet – auf Eis gelegt. „Uns ist das extrem wichtig, dass der Mitarbeiter nicht ausgebeutet wird und dann, ich sag mal, mit 40 ein Burnout-Syndrom hat, sondern das wirklich auch auf die Gesundheit des Mitarbeiters geachtet wird. […] Nee, das glaub ich nicht, dass das Selbstausbeutung ist. Das ist also wenn diese Erwartungshaltung da ist. Ich mein, ich sag mal, manchmal ist halt schick, wenn man dann immer als erster kommt und als letzter geht, obwohl die Effektivität vielleicht völlig konträr ist zu jemandem, der seine Arbeitszeiten einhält und viel effektiver arbeitet. Und das ist eben auch ein Prozess, wo sich jeder Mitarbeiter das bewusst machen muss. Es zählt nicht die Zeit, die ich hier anwesend bin, sondern es zählt meine Effektivität. Und die kann ich steigern und die muss auch in gewissen Dingen, gut, muss sie eben gesteigert werden. Aber wenn ich da Mittel und Wege an die Hand bekomme oder mit meiner Führungskraft zusammen in mei-
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Forschung und ForscherInnen in Spin-offs nem Personalentwicklungskonzept daran arbeite, kann ich da selber nur raus gewinnen.“ (Dr. Wassermann, S. 5-6)
Ergänzt werden die Maßnahmen zur Verbesserung der Motivation der MitarbeiterInnen durch Maßnahmen zur generellen Verbesserung des Betriebsklimas. Dazu gehört explizit die Schaffung von Mitbestimmungsmöglichkeiten für die MitarbeiterInnen. „Und man darf natürlich auch nicht vergessen, die Gesamt … das Gesamtarbeitsklima ist extrem wichtig und ich denke dadurch, dass wir uns eben auch sehr intensiv mit dem Unternehmen, mit jedem einzelnen Mitarbeiter befasst haben, diverse Seminare gemacht haben, Standortbestimmungen gemacht haben, Regeln aufgestellt haben, einen Sozialausschuss eingeführt haben, ja soziale Events immer wieder machen für alle Mitarbeiter, dadurch sind natürlich sehr viele Motivationskriterien vorhanden und das Gesamtarbeitsklima ist sehr hoch. […] Nein, [der Sozialausschuss] ist kein Betriebsrat, ganz bewusst kein Betriebsrat, sondern es ist eben ein Ausschuss, der sich aus verschiedenen Mitarbeitergruppen zusammensetzt, auch sag ich jetzt mal, übergreifend über die Business Units und er befasst sich eben mit sozialen Belangen, z.B. Organisation von Events für die Mitarbeiter, Sommerfest, Weihnachtsfeier, Betriebsausflug, dann werden immer mal wieder aus dem Management Aufgaben an den Sozialausschuss gegeben [z.B. einen Vorschlag zur Zeiterfassung zu erarbeiten].“ (Dr. Wassermann, S. 9-10)
Verstärkt wird die innere Bindung der MitarbeiterInnen in allen Unternehmen nicht nur durch die hohe Zahl der informellen Kontakte, wie z.B. „Get-together“ nach Feierabend, sondern vor allem durch das Gefühl einer gemeinsam geteilten Geschichte, das Gefühl, von Anfang an dabei gewesen zu sein. „Wobei wir als junges Unternehmen mit ‘ner jungen Produktidee sicherlich weniger Leute von außen rekrutiert haben. Das liegt aber einfach daran, dass man, denk ich, als Ausgründer, als jüngeres Unternehmen zunächst mal sich zusammenfindet und dann mit dem Produkt halt wächst. Ich denke, das ist etwas, was sich mit der Zeit ändert. Also die, nach einigen Jahren ist das etwas durchgängiger und mittlerweile ist dann auch die Möglichkeit, einfach auch Personen von außerhalb ins Unternehmen zu integrieren, aus einer Position eher gegeben. Das ist bei einem jungen, bei einem Start-up zum Teil auch nur schwer möglich, weil sie unter Umständen auch einfach das Problem haben, dass, ja sie müssen ja auch erstmal Leute finden, die müssen zu ihnen passen und die müssen auch kommen wollen.“ (Dr. Stiller, S. 4)
Bei der Betrachtrung der Personal- und Rekrutierungspolitik der untersuchten Spin-offs fällt selbst bei den größeren Unternehmen auf, dass ein großer Teil der MitarbeiterInnen seit der Gründung im Unternehmen arbeitet. Insgesamt ist die Fluktuation der MitarbeiterInnen sehr gering und externe Rekrutierung wohl dosiert.
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Erfahrung in der Wissenschaft vs Industrieerfahrung Was die Führungsebene betrifft, herrscht in Unternehmen A und B Einigkeit über die Notwendigkeit der Rekrutierung industrieerfahrener Führungspersönlichkeiten. Die Einbeziehung externer Personen mit Management-, Branchenund Führungserfahrung in die Unternehmensleitung dient der Professionalisierung der Geschäftsabläufe im gesamten Unternehmen. Laut Einschätzung eines Geschäftsführers von Unternehmen A sind Personen mit Industrieerfahrung unverzichtbar, denn „[…] sie müssen das Zeugs ja irgendwann verkaufen. In der Wissenschaft lernen sie nicht, wie man einen Kooperationsvertrag oder auch einen Lizenzvertrag abschließt. […] Da werden sie über den Tisch gezogen, wenn sie das nicht schon mal gemacht haben. Also sie brauchen jemanden, der, ich würde sagen, fünf bis zehn Jahre Industrieerfahrung in einer Position hat, wo er tatsächlich auch Geschäftsverantwortung getragen hat.“ (Prof. Sandholz, S 7)
In Unternehmen B macht für die wissenschaftliche Geschäftsführung verantwortliche und einzige im Unternehmen verbliebene Gründerperson laut eigener Aussage zu 100% nur noch Management. Auch er betont die große Bedeutung von Industrieerfahrung, ähnlich wie der Geschäftsführer von Unternehmen A. Aufgrund seiner fehlenden Industrieerfahrung war es notwendig externe Führungsmitglieder zu rekrutieren, die nun an der Spitze des Führungsteams stehen. „Rein akademische Ausgründungen sind meiner Ansicht nach zum Scheitern verurteilt. […] Sie verkaufen nur dann Dienstleistungen, wenn sie eine gewisse Kompetenz versprechen. Wenn sie an die Industrie verkaufen wollen, müssen sie auch eine gewisse Industrieerfahrung haben.“ (Dr. Diekmann, S. 1 -2)
Die Frage der Wichtigkeit von Industrieerfahrung für bestimmte Positionen im Unternehmen wurde gerade von den größeren Spin-offs betont. Dies korrespondiert mit dem Befund, dass sich in Spin-offs ab einem bestimmten Zeitpunkt die Akquise und Kundenbetreuung professionalisiert bzw. sich in Teilbereichen eine Trennung von Akquiseprozess und Projektbearbeitungsprozess vollzieht. Deutlich wurde ebenfalls, dass in diesen Unternehmen die Frage, ob auch WissenschaftlerInnen die Kompetenzen hätten, z.B. derartige Akquiseprozesse verantwortlich durchzuführen, zwar nicht prinzipiell verneint, aber offensichtlich sehr kritisch eingeschätzt wurde. Andere Gründer und Geschäftsführer vertreten im Gegenzug eher die Ansicht, dass WissenschaftlerInnen sich die entsprechenden Kompetenzen ohne große Probleme aneignen können, allein aufgrund ihrer ausgeprägten Lernfähigkeit. Diese Widersprüchlichkeit zeigt allerdings auf, dass es in diesem Zusammenhang nicht so sehr um die den WissenschaftlerInnen fehlenden Qualifikationen und leicht erlernbares, explizites Wissen (z.B. betriebswirtschaftliches Know-how) geht, welches sich auch WissenschaftlerInnen rela-
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tiv schnell aneignen können, sondern um Industriekontakte, Netzwerke und implizites Erfahrungswissen. Für das wissenschaftliche Personal gilt, dass es nicht unbedingt ein Ausschlusskriterium sein muss, im Vorfeld als WissenschaftlerIn an einer Universität oder außeruniversitären Forschungseinrichtung gearbeitet zu haben. Zumindest in Unternehmen B ist in erster Linie entscheidend, dass der- oder diejenige die fachlichen und die persönlichen Qualifikationsanforderungen erfüllt. In Unternehmen A sind die Vorbehalte gegenüber WissenschaftlerInnen von Universitäten und Forschungseinrichtungen größer. Generell ist es aber für die inhaltlich arbeitenden wissenschaftlichen MitarbeiterInnen unerheblich, ob sie zuvor Industrieerfahrung gesammelt haben. Sie brauchen nicht unbedingt ein Netzwerk in der Industrie. Allerdings wird häufig die generell schon stärker ausgeprägte Kundenorientierung der zuvor bereits in anderen Unternehmen beschäftigt gewesenen MitarbeiterInnen als vorteilhaft angesehen. Diese fehlt ForscherInnen aus der akademischen Wissenschaft oft. Die WissenschaftlerInnen an Universitäten oder Forschungseinrichtungen oftmals unterstellten Schwächen, z.B. nicht termingerecht und unter Zeitdruck arbeiten zu können, werden dabei in der Regel nicht als unüberbrückbares Problem oder Charakterfrage gesehen, sondern sind eher Ausdruck der Gewöhnung an eine andere Forschungs- und Arbeitskultur. Damit sind bei dem Wechsel eines Forschers bzw. einer Forscherin von der akademischen Wissenschaft in ein Unternehmen bestimmte Anpassungsleistungen erforderlich. „Da möchte ich sagen, das ist eine Sache der Organisation. Also, ich sag mal, sicherlich ist es so, dass wir dann im Persönlichkeitsprofil auch entsprechende Faktoren berücksichtigen. Und dass jemand Termintreue einhält und dass jemand absolut integer agiert und nicht Versprechungen macht, die nicht gehalten werden, also die Leute, also da gucken wir schon sehr intensiv im Vorstellungsgespräch nach. Also das sind halt Kernpunkte, die ein Mitarbeiter mitbringen muss, er muss sich hundertprozentig mit dem Unternehmen identifizieren können.“ (Dr. Wassermann, S. 4-5)
Nach Einschätzung von Dr. Jonas, der als Transferverantwortlicher auf diesem Gebiet langjährige Erfahrungen hat, ist ein Personaltransfer zwischen Wissenschaft und Industrie hingegen nur begrenzt möglich. Für ihn sind die jeweiligen Personen durch die „kulturellen“ Unterschiede zu stark und vor allem dauerhaft geprägt. „Die Umkehrung ist ein bisschen schwieriger, weil die einfach die sagen, wenn die einmal in der Forschung gewesen sind, dann sind die versaut. Dann arbeiten die nicht mehr richtig. Weil wir eben doch halt bisschen einen anderen Stil haben zu arbeiten als die Industrie. […] Sie sind hier ja wesentlich freier. Sie sind hier auch nicht, sie müssen ja nicht bis zum Abend soundsoviel gemacht haben, sondern sie müssen selber entscheiden, wie komme ich durch. Sie müssen auch kreativ sein und sitzen dann halt auch mal am Schreibtisch und denken. Während in der
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Industrie, da wirst du jede Stunde gefragt, wie ist die Produktivität. […] Nur die Industrie hat Angst, wenn die ihre Mitarbeiter hierher schicken, dass sie erstens zu schlau werden, das ist so, weil sie kriegen ja hier alles mit, weil wir sind hier offen. Und da lernen sie ganz andere Arbeitsweisen kennen und dann wollen sie das dann in der Industrie wieder machen, da kriegt der Chef einen Schreikrampf. […] Also sie sind einfach, die Arbeitszeiten sind einfacher und man ist mehr in Gespräche vertieft und irgendwie lockerer. Und dieses Lockere kann die Industrie nicht vertragen. Und die Leute nehmen das ja dann wieder zurück mit. Und da haben sie, da werden sie, gerade in der Industrie haben sie eine Hierarchie, gerade auch was Informationen angeht. Nur der ganz oben, der Kopf, der weiß immer über alles Bescheid. Und dann in den Etagen tiefer, werden da die Informationen in Pakete eingeteilt, man darf da nicht mehr alles wissen.“ (Dr. Jonas, S. 6)
Gerade letzteres bestätigt noch mal den generellen Unterschied zwischen Forschung unter wissenschaftlichen Rahmenbedingungen oder in der Industrie, wo die Freiheit der Forschung und die freie Kommunikation von Wissen stark eingeschränkt werden. Genau diese Einschränkungen in der Kommunikation mit FachkollegInnen können nicht nur die Bedingungen und Qualität der Wissensproduktion beeinträchtigen, sondern u.U. auch dem Habitus der ForscherInnen entgegenstehen. Dr. Sieger spricht an dieser Stelle sogar von einem gewissen „Leidensdruck“ der wissenschaftlichen MitarbeiterInnen. „Wenn also jemand diesen wissenschaftlichen Aspekt immer noch zu 30, 40, 50% vor Augen hat, der leidet am meisten darunter, dass er nicht mehr so eine Redefreiheit hat. Das heißt, wenn in so einem Labor etwas entwickelt ist, dann rennen sie ja nicht auf die Straße und sagen: ‚Hurra, wir haben jetzt was entwickelt und das sieht so und so aus.’ Sondern sie müssen ja erstmal abwarten, wie die Erfindungslage, wie die mögliche Patentlage ist. Sie haben Auftraggeber, wo sie halt über Geheimhaltungsvereinbarungen gebunden sind. Und das hat eben Einfluss darauf, dass sie nicht mehr so frei von der Leber weg veröffentlichen dürfen. Das sie nicht mehr so frei auf Vortragsveranstaltungen darüber reden dürfen. Und darunter leiden die Leute dann schon eher, ja.“ (Dr. Sieger, S. 6)
Von den ExpertInnen aus den Transferstellen und Technologiezentren werden zwar auch häufig die mangelnden betriebswirtschaftlichen Kenntnisse von WissenschaftlerInnen und deren geringe Kundenorientierung benannt. Diese Wissens- und Erfahrungsdefizite sind allerdings nicht der Kern des Problems, sondern eher ein im Laufe der Zeit an einer Universität oder Forschungseinrichtung erworbener Habitus214, der dann im Arbeitsalltag als spezifischer Charakter- oder Persönlichkeitstyp sichtbar wird. Die Frage nach verschiedenen Charaktertypen 214
Der Habitus kennzeichnet für Bourdieu eine allgemeine Grundhaltung bzw. Disposition gegenüber der Welt. Es geht nicht um die Ansammlung von Fähigkeiten und Fertigkeiten, sondern der Habitus kennzeichnet eine Lebensform oder Physiognomie, die das Individuum nicht einfach ablegen kann. „Kennt man den Habitus einer Person, so weiß man, was dieser Person als möglich und unmöglich erscheint. Ganz bestimmte Weisen, sich zu bewegen, zu denken, ganz bestimmte Formen des Geschmacks sind einfach unmöglich, werden als abwegig, als »unnormal« betrachtet.“ (Baumgart 2008, S. 202; siehe auch Bourdieu 1998 und 1982)
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wird sehr heterogen beantwortet. Eine ausgeprägte wissenschaftliche Forschungsaffinität scheint dabei der Herausbildung betriebswirtschaftlicher Interessen entgegen zu stehen. „Aber es zeichnet sich schnell ab, dass die Leute, die eher ein wissenschaftliches Interesse haben, weniger Interesse an der, ich sag jetzt mal an dem Verkauf haben. Also das sind schon unterschiedliche Charaktere und das ist halt so.“ (Dr. Diekmann, S. 4)
Wobei diese unterschiedlichen Interessenlagen damit tatsächlich überwiegend als Ausdruck der gewissermaßen anderen beruflichen „Sozialisation“ bzw. der Herausbildung eines wissenschaftlichen Habitus gewertet werden müssen. Dies zeigt sich natürlich in den von den ForscherInnen eingeschlagenen Karrierewegen, ist allerdings auch im Hinblick auf die generelle Gründungsneigung von WissenschaftlerInnen bedeutsam. Korrespondierend hierzu muss an dieser Stelle nochmals auf die unterschiedlichen Anreizstrukturen und Karrierebedingungen für ForscherInnen in Wissenschaft und Wirtschaft verwiesen werden215 und auf die grundlegend andere Zielsetzung von Forschung in Unternehmen.216 Für ein Spinoff gilt, dass wissenschaftliche Forschungsinteressen einzelner MitarbeiterInnen niemals die monetären Interessen des Unternehmens überlagern dürfen und die MitarbeiterInnen dementsprechend agieren müssen. „Derjenige, der verkauft, muss in der Lage sein, den Wert für den Kunden abzuschätzen. Das findet sich dann in der Preisfindung wieder. Und der, der das Projekt bearbeitet, muss dieses wissenschaftlich-technische Ziel empfinden. Der ist im Allgemeinen weniger an den monetären Zielen interessiert. Der kriegt ein Budget und damit kommen die meistens auch hin, aber die können’s einfach noch nicht verkaufen. Zum Verkaufen gehört halt auch dazu, zu sagen, das kostet halt jetzt einfach mal mehr, weil … nicht, das mach ich dir jetzt mal umsonst.“ (Dr. Diekmann, S. 4)
Bereits nach wenigen Interviews wurde deutlich, dass die Frage nach Charakterunterschieden bzw. unterschiedlichen Arbeitsweisen von MitarbeiterInnen, die vorher in der akademischen Wissenschaft und denen, die in der Industrie gearbeitet haben, äußerst unterschiedlich beantwortet wurde. Bedeutsam war hier der jeweilige Background der Person und deren individuelles Verständnis dessen, was Wissenschaft ausmacht. Dies korrespondiert mit den Antworten auf die Fragen nach der Art von Forschung, die in einem Spin-off möglich ist und der Qualität des generierten Wissens. Lehnten einige der Interviewten grundsätzliche „Pauschalisierungen“ vehement ab, hat ein Teil der Befragten ohne Probleme
215
216
Siehe zur Akkumulierung wissenschaftlichen Kapitals Bourdieu (1998) und die Ausführungen in Kapitel 2. Siehe hierzu die Auswertung in Kapitel 5.3.2.1. und Kapitel 2.
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und kritische Einwände unterschiedliche Charaktere und Arbeitsgewohnheiten auf Basis persönlicher Erfahrungswerte benannt. „Das gibt’s schon Unterschiede. Ich denk, Leute, die aus der Industrie kommen, haben den Unterschied, dass sie eben dieses kundenorientierte schon mehr verinnerlicht haben. Das ist so das Einzigste. Alles andere ist so persönlichkeitsabhängig. Also auch die Arbeitsweise, wo man vielleicht sagen würde, dass ist typisch jetzt, der kommt direkt von der Promotion, der ist direkt, der kennt nur sein Labor von der Promotion und der Rest hat schon eben in der Industrie gearbeitet, das stimmt so nicht. Das ist wirklich, klar, das sieht so aus, aber im Endeffekt liegt es doch an der Person. Weil es gibt genau immer auch das Gegenbeispiel. Von daher würd ich persönlich das nicht so pauschalisieren.“ (Herr Birke, S. 9)
Einen großen Unterschied zwischen MitarbeiterInnen, die vorher in der Wissenschaft gearbeitet haben und denen, die aus anderen Unternehmen kommen, kann Herr Birke also nicht feststellen. Neben Kundenorientierung und fachlicher Expertise und Qualifikation scheint es aber durchaus auch Charaktereigenschaften zu geben, die hilfreich und nötig in einem kleinen Forschungsunternehmen sind. Dazu gehört neben „absoluter Flexibilität“ und „Offenheit“ eine ausgeprägte Teamfähigkeit, denn es bringt halt nichts „im stillen Kämmerlein zu forschen, sondern es bringt nur was im Team“ (Hr. Birke, S. 8). Grundsätzlich wird allerdings bereits bei der Rekrutierung der MitarbeiterInnen darauf Wert gelegt, besonders anpassungsfähige Persönlichkeiten auszuwählen. Aufgrund dessen und beruhend auf der Tatsache, dass ein Teil der MitarbeiterInnen bereits direkt nach Abschluss des Studiums bzw. der Promotion in den Unternehmen angestellt wurde und erst dort Berufserfahrung sammeln konnten, kommt es praktisch nicht vor, dass MitarbeiterInnen aus diesen Gründen das Unternehmen verlassen mussten. Entscheidend ist die Fähigkeit zu eigenverantwortlichem Arbeiten, denn wenn diese nicht vorhanden ist, dann bereitet der wenig direktive Führungsstil in den Unternehmen und das eher punktuelle, ergebnisorientierte Controlling den oder der jeweiligen MitarbeiterIn große Schwierigkeiten. „Also man ist hier viel flexibler in seiner Arbeitsplatzgestaltung, aber das wird auch gewünscht. Also, ich empfinde es als sehr positiv. Es gibt natürlich auch Leute, ich sag mal, die vermissen die strenge Hand, sag ich mal, jemanden, der sagt, wo’s langgeht.“ (Hr. Birke, S. 10)
Die Gebundenheit an vorgegebene Themen und Meilensteine strukturiert zwar die groben Projektabläufe und gibt die Zielrichtung vor, ersetzt aber nicht die Fähigkeit des oder der Einzelnen zur Selbstorganisation der täglichen Arbeitsabläufe. Die konkrete Problemlösung im Projekt obliegt den jeweiligen ProjektmitarbeiterInnen.
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Forschung und ForscherInnen in Spin-offs „Also ich denke mal, hm, vielleicht ist es hier, das sind so, jeder ist so seine einzelne Kampfeinheit. Das heißt, jeder für sich ist eigentlich sehr, sehr wichtig für die Firma. Es gibt zwar gewisse Eckdaten oder einen gewissen Rahmen, worin sich die Leute bewegen müssen, aber eigentlich ist jeder relativ frei in seinen Entscheidungen, das heißt, wie jemand ein Problem angeht, ein Projekt angeht, da gibt es hier keine Vorgaben. […] Andererseits, wenn jemand eben diesen Rahmen braucht, so bis hierhin mach ich das und dann muss ich da und so, das fehlt hier halt. Von daher glaub ich schon, dass das so der Typ ist …“ (Dr. Kiel, S. 4)
Den hohen Anforderungen an die MitarbeiterInnen, sich selber organisieren zu können und Probleme, ob sie nun inhaltlicher Natur sind oder durch den Kunden initiiert werden, selbstständig bearbeiten zu können, diesem „Einzelkämpfertum“, stehen die vielen informellen Kontakte der Mitarbeiterinnen untereinander und der höhere Anteil an Teamarbeit und Abstimmungsbedarf gegenüber, der interdisziplinärer Projektarbeit zu eigen ist. Die MitarbeiterInnen sind damit sowohl auf ihre Fähigkeit zu eigenständigem Arbeiten als auch auf ein hohes Maß an Teamfähigkeit angewiesen.
6. Zusammenfassende Betrachtung
Die vorangegangene Darstellung der zentralen Ergebnisse der Auswertung orientierte sich dicht am empirischen Material selbst. Die nachfolgende Betrachtung der empirischen Befunde resümiert die gewonnen Erkenntnisse im Hinblick auf die Möglichkeit der Entstehung einer eigenständigen, hybriden Forschungskultur in den Unternehmen, welche sowohl wissenschaftlichen als auch wirtschaftlichen Zielsetzungen folgt. Die Reflexion einer solchen Forschungskultur erfolgt vor dem Hintergrund der Auswirkungen einer derartig systembezogenen Hybridität erstens mit Blick auf Forschungsinhalte und Bewertungskriterien, zweitens hinsichtlich der Organisationsstrukturen und Formen der Arbeitsorganisation und der Modifikationen des Forschungsprozesses in den Unternehmen und fokussiert drittens die unterschiedlichen Forschungsstrategien und die „Hoffnung auf Entdeckung“ als zentrales Leitmotiv in den Unternehmen. Eine Reflexion der Ergebnisse vor dem Hintergrund des theoretischen Rahmens der Untersuchung und im Hinblick auf vorliegende und zukünftige Forschung im Bereich Spin-off-Unternehmen und Entrepreneurship bildet den Schlusspunkt der Untersuchung. Beobachtbare Störungen des Forschungshandelns in den Unternehmen zeigen die Grenzen einer hybriden Forschungskultur auf. 6.1 Die Entstehung einer Spin-off-Forschungskultur Die große Heterogenität der Unternehmen beruht auf den vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich der internen und externen Prozesse und Strukturen. Spin-offs unterscheiden sich nicht nur erheblich hinsichtlich der Gestaltung der Kooperationsbeziehungen und Verknüpfungen mit dem Wissenschaftssystem, sondern auch bezüglich der Gestaltung der unternehmensinternen Arbeitsprozesse und -abläufe. Das Geschäftsmodell des Unternehmens hat dabei direkte Auswirkungen auf die Gestaltung der Beziehung zum Wissenschaftssystem und auf die internen Unternehmensstrukturen. Davon betroffen sind auch die in den Unternehmen beobachtbaren Forschungsbedingungen und -prozesse. Die in den Unternehmen tätigen ForscherInnen finden damit andere Beschäftigungs- und
M. B. Roski, Spin-off-Unternehmen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, DOI 10.1007/978-3-531-93369-6_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Zusammenfassende Betrachtung
Forschungsbedingungen als in der akademischen Wissenschaft vor. Dies kann sich durchaus in Bezug auf die Entwicklung eines jeweils eigenen Forschungshabitus bemerkbar machen. Das gilt allerdings primär für die MitarbeiterInnen, die frühzeitig nach Abschluss des Studiums in dem Unternehmen angestellt wurden. Denn es muss einschränkend bemerkt werden, dass ein einmal erworbener Habitus an sich nicht mehr veränderbar ist (vgl. Bourdieu 1982 und 1998). Allerdings können sich natürlich die Haltungen und Einstellungen eines Individuums ändern und es bestehen durchaus vielfältige Handlungsspielräume auch innerhalb eines bestehenden Habitus. In Zusammenhang mit der Identifizierung unterschiedlicher Persönlichkeitsmerkmale akademischer oder industrieller ForscherInnen sollte daher die Gefahr allzu pauschalisierender Betrachtungen nicht unterschätzt werden. Forschung und Wissenschaft sind auch in Spin-offs zentrale Begriffe. Zusammenfassend lässt sich eine hybride Forschungskultur217 in den Unternehmen konstatieren, die in einem sehr spezifischen Forschungshandeln der ForscherInnen resultiert. In den Unternehmen lassen sich sowohl auf der individuellen als auch auf der organisationalen Ebene Anzeichen für eine Vermischung von Werten, Prinzipien und Strukturen aus dem Wissenschaftssystem und dem Wirtschaftssystem hinsichtlich des Forschungshandelns und der Forschungsausrichtung finden. Allerdings ist diese Hybridität keinesfalls gleichzusetzen mit einer Gleichwertigkeit beider Prinzipien. Dies kann besonders gut bei der Betrachtung der Zielsetzung der Forschung nachgezeichnet werden218, bei welcher die Unterordnung unter ökonomische Prinzipien prioritär ist. Wie sich gezeigt hat, löst ein Teil der wissenschaftlichen ProjektmitarbeiterInnen die Herausforderungen und das Spannungsfeld ihrer täglichen Arbeit aufgrund widersprüchlicher, systemspezifischer Anforderungen durch die Entwicklung eines eigenen positiven Verständnisses ihrer spezifischen Form und Methodik wissenschaftlicher Forschung. Diese Forschungskultur prägt erstens (1) das Verhältnis des Unternehmens und der dort tätigen wissenschaftlichen MitarbeiterInnen zur Scientific Community, welches sich als eine Form der „selektiven Teilhabe“ charakterisieren lässt und von intensiver Kooperation über lose formelle/informelle Kopplung bis hin zu bewusster Distanzierung bzw. Abgrenzung von Seiten des neu gegründeten Unternehmens reichen kann. Dabei geht es aber nicht nur um räumliche und organisatorische Aspekte, sondern auch um inhaltliche Bezugspunkte und die 217
218
Die Bezeichung „hybrid“ ist hier nicht gleichzusetzten mit einer Gleichwertigkeit der verschiedenen systemischen Einflüsse, sondern weist lediglich auf eine Durchmischung hin. Siehe Definition „hybrid [lat.], allg.: aus Verschiedenem zusammengesetzt, gemischt; von zweierlei Herkunft; zwitterhaft.“ (Brockhaus 2006, S. 25) Siehe Kapitel 5.3.2.1. und die Ausführungen zu Forschung durch einen zweiten Filter.
Die Entstehung einer Spin-off-Forschungskultur
275
Möglichkeit der Realisierung wissenschaftlicher Forschung in Spin-offs – in Kooperation oder Abgrenzung mit der Wissenschaft. Die den MitarbeiterInnen hierfür zur Verfügung gestellten Ressourcen unterscheiden sich von Unternehmen zu Unternehmen, aber auch innerhalb der Unternehmen je nach Geschäftsbereich oder Projekt beträchtlich. Ebenfalls Kennzeichen dieser besonderen Forschungskultur sind zweitens (2) die in den Unternehmen durchgeführten Modifikationen des Forschungsprozesses an sich und dessen Rahmenbedingungen und organisatorische Gestaltung. Davon direkt betroffen ist das wissenschaftliche Personal mit Blick auf die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen in den Unternehmen und die Gestaltungs- und Einflussmöglichkeiten im Hinblick auf den Forschungsprozess. Ziel ist in der Regel, Verfahren zum Umgang mit widersprüchlichen Anforderungen der unterschiedlichen Interessenhalter zu etablieren und eine Standardisierung der Projektabläufe und Kontrolle der ProjektmitarbeiterInnen zu ermöglichen – bei gleichzeitig größtmöglicher Handlungsfreiheit und Raum für Kreativität. Besonderes Merkmal dieser Forschungskultur ist drittens (3) ihre Ambivalenz. Liegt am einen Ende des Spektrums die Etablierung eines pragmatischen Verständnisses von Forschung i.S. der standardisierten Abarbeitung von Forschungsaufträgen ohne das Ziel der Generierung neuen Wissens, liegt am anderen Ende des Spektrums die „Hoffnung auf Entdeckung“. Diese besitzt in allen Spin-offs einen besonders herausragenden Stellenwert. Die Art und Menge der in dieses Ziel investierten Unternehmensressourcen – sowohl personeller als auch finanzieller Art – unterscheiden sich in den Unternehmen und resultieren in unterschiedlichen Strategien der Unternehmen im Umgang mit Wissensgenerierung und -gewinnung. In allen Unternehmen ist jedoch der starke Wunsch nach der einen Entdeckung bzw. der Einlizenzierung und Weiterentwicklung einer dauerhaft das Überleben und das Alleinstellungsmerkmal des Unternehmens sichernden Technologie oder eines vermarktungsfähigen Produktes deutlich spürbar. Diese Hoffnung ist charakteristisch für diese spezifische Form der Unternehmensgründung und ist eine entscheidende Antriebsfeder und Erfolgsstrategie der MitarbeiterInnen, GründerInnen und der Geschäftsführung. Dieses Charakteristikum von Spin-offs und die in diesem Zusammenhang von den Unternehmen verfolgten Strategien stehen abschließend im Mittelpunkt. Zunächst folgt ein zusammenfassender Blick auf die verschiedenen Aspekte dieser in den Spin-offs entstehenden Forschungskultur mit ihren Auswirkungen auf Forschungspraxis und -handeln.
276
Zusammenfassende Betrachtung
6.1.1 Selektive Teilhabe an der Scientific Community: Forschung durch einen zweiten Filter Die Anbindung des Spin-offs und der MitarbeiterInnen an die Scientific Community ist zwar in Teilbereichen vorhanden, allerdings nicht vollständig und dauerhaft gewährleistet. Für die MitarbeiterInnen in den Forschungsprojekten sind die Ressourcen für eine aktive Teilhabe an der Scientific Community eng bemessen, in einigen Unternehmen sind dafür keinerlei finanzielle oder zeitliche Ressourcen vorgesehen. Eine passive Teilhabe in Form der Lektüre wissenschaftlicher Fachjournale oder des Besuchs von Tagungen ist möglich, sofern die tägliche Projektarbeit dieses zulässt. Eigene Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Fachjournalen sind in der Regel nicht möglich, mit dementsprechenden Konsequenzen für die Durchlässigkeit zwischen den Systemen. Für die ForscherInnen in Spin-offs werden verschiedene Interaktions- und Anforderungsebenen relevant. Sie kooperieren und kommunizieren unternehmensintern mit unterschiedlichen Personengruppen, aber auch unternehmensextern ergeben sich verschiedenste Kommunikations- und Kooperationsanforderungen. Dabei handelt es sich extern unter anderem um WissenschaftlerInnen aus der jeweiligen Scientific Community und die AnsprechpartnerInnen beim Auftraggeber/Kunden und intern um die Geschäftsführung und KollegInnen, sowohl aus den einzelnen Projekten als auch aus der jeweiligen Abteilung. Dabei formulieren diese Gruppen und Personen auch eigene Forschungs- und Qualitätsansprüche an das zu generierende Wissen bzw. Produkt/Dienstleistung. Die Ansprüche der verschiedenen Gruppen konzentrieren sich teilweise ausschließlich auf die Qualität der Ergebnisse, wobei für die Geschäftsführung und/oder Kunden deren wirtschaftliche Verwertbarkeit im Vordergrund steht, für die Scientific Community der Wert bzw. Beitrag des generierten Wissens für den Wissensbestand der jeweiligen Disziplin. Die angewandten Forschungsmethoden sind hingegen in erster Linie nur für die Scientific Community und deren Anerkennung der Forschungsergebnisse von Bedeutung. Die Kunden und/oder Geschäftsführung beurteilen die angewandten Methoden vornehmlich nach deren Effizienz und dem Verhältnis von Kosten zu Nutzen. Wobei in einem Teil der Unternehmen die Geschäftsführung sämtliche Kundenkontakte übernimmt, die Anfragen filtert und an die jeweiligen ProjektmitarbeiterInnen weitergibt. Ziel ist hier – neben einer besseren Serviceleistung für den Kunden in Form von immer gleichen AnsprechpartnerInnen im Unternehmen – der Ausschluss von bzw. die Verringerung des Einblicks der ProjektmitarbeiterInnen in Akquise- und strategische Geschäftsprozesse.219 219
siehe detaillierter in Kapitel 5.3.1.2.
Die Entstehung einer Spin-off-Forschungskultur
277
Abb. 12: Bewertung der Forschungsergebnisse und –methoden durch die verschiedenen Interessenhalter
KollegInnen (Abteilungen)
Wiederverwertbar
Scientific Community
KollegInnen (Projekt)
Forschungs ergebnisse/methoden
Geschäftsführung
*
Kunden
* Die Geschäftsführung beurteilt die Forschungsergebnisse im Sinne des Kunden, aber wendet auch unternehmenseigene Qualitätsstandards an.
Quelle: eigene Darstellung
Wie die Grafik veranschaulicht, ist für die Geschäftsführung in erster Linie entscheidend, wie effektiv die Ergebnisse in der Anwendung sind, wie effizient das Projektteam bei der Generierung gearbeitet hat und wie nachhaltig die Ergebnisse für das Unternehmen insgesamt verwendbar sind, d.h. inwieweit die Ergebnisse in anderen Projektkontexten über den konkreten Kundenauftrag hinaus nutzbar gemacht werden können. Letzteres ist auch für die KollegInnen aus anderen
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Zusammenfassende Betrachtung
Abteilungen relevant, denen sich die Frage stellt, ob die generierten Ergebnisse in ihren eigenen Projekten wieder verwertbar sind. Für die unmittelbaren KollegInnen im Projekt ist hingegen vielmehr die Frage entscheidend, inwiefern die generierten Ergebnisse zielführend für die Erfüllung der Gesamtprojektziele und -aufgaben sind. Die Scientific Community hingegen bewertet anhand des Codes wahr/unwahr unter Anwendung der disziplinären Bewertungskriterien. Die Bewertung der Projektergebnisse erfolgt damit vor unterschiedlichen systemischen Hintergründen und Zielsetzungen und kann zu einer Vielzahl an Kriterien und Bewertungsmaßstäben führen. Inwiefern Maßstäbe der Scientific Community Relevanz besitzen, muss das jeweilige Unternehmen – und der einzelne Mitarbeiter bzw. die einzelne Mitarbeiterin – für sich definieren und ist Resultat, aber auch Ursache der Art und Vielfältigkeit der Kooperationsbeziehungen zur Wissenschaft. Damit muss nicht nur von einer größeren Zahl an Interessenhaltern bezüglich des Projektverlaufes und der Projektergebnisse ausgegangen werden, sondern auch – vor dem Hintergrund differierender Systemlogiken – von sehr heterogenen und möglicherweise widersprüchlichen Beurteilungskriterien und Anforderungen. Letztlich entscheidender Qualitätsmaßstab in Spin-offs sind zwar die Vorgaben des Kunden bzw. des potentiellen Marktes und die wirtschaftliche Verwertbarkeit der Forschungsergebnisse. Zur Sicherung der Kundenzufriedenheit und einer positiven Unternehmensreputation ist allerdings auch für die Unternehmen die Generierung qualitativ hochwertigen, reproduzierbaren Wissens unverzichtbar. Die Notwendigkeit der Gewährleistung qualitativ guter Forschung führt dementsprechend zu einer sachlichen Notwendigkeit der Anwendung disziplinärer Methoden, Werkzeuge und Qualitätsstandards. 6.1.2 Modifikationen und Gestaltung des Forschungsprozesses in den Unternehmen: Organisationsstrukturen und Personal Als Folge der Kopplung von Wissensgenerierung mit den Vorgaben eines Wirtschaftsunternehmens entwickeln die Unternehmen und die MitarbeiterInnen diverse Strategien, in deren Verlauf sie auch spezifische Modifikationen des Forschungsprozesses bezüglich Inhalten und/oder Auswahl der angewandten Methoden vornehmen. Derartige Spezifika lassen sich in Spin-offs nicht nur bezüglich der „Wissenschaftsnähe“, also der Teilhabe an der Scientific Community, feststellen, sondern sind auch bezüglich der Arbeitsorganisation oder der individuellen beruflichen Entwicklung und Karriereplanung der MitarbeiterInnen auffindbar.
Die Entstehung einer Spin-off-Forschungskultur
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Im Rahmen dieser Untersuchung wird von Modifikationen bzw. Anpassungen des Forschungsprozesses – in Referenz zu wissenschaftlicher Forschung – gesprochen, welche auf die Entwicklung eines für Spin-offs charakteristischen Forschungshandelns hindeuten. Bereits von einer gänzlich eigenständigen Forschungskultur in Spin-offs zu sprechen ist angesichts der zentralen Bedeutung, die die Scientific Community als Referenzrahmen, Kooperationspartner und Wissenslieferant für die Unternehmen besitzt, allerdings nicht angebracht. Wie bereits die Betrachtungen zur selektiven Teilhabe der Unternehmen an der Scientific Community gezeigt haben, ist es adäquater von einer hybriden Forschungskultur in Spin-offs zu sprechen. Die Ergebnisse hinsichtlich der Arbeitsorganisationsstrukturen und der Anforderungsstrukturen an die ForscherInnen in den Unternehmen bestätigen diesen Befund. 6.1.2.1 Unternehmensstrategien intern – Organisationsstrukturen und Personalpolitik Dem berechtigten Vorwurf der Vereinfachung des in Spin-offs verwendeten Methodenspektrums steht der Einwand entgegen, dass die angewandten Methoden und Werkzeuge durchaus auch innovativer sein können als z.B. in der akademischen Forschung. Dies ist darin begründet, dass selbige teilweise auf unternehmenseigener Forschungs- und Entwicklungsarbeit beruhen können. Auch der effektivere Personaleinsatz und die bessere Ausstattung der Labore kann ein Argument für eine höhere Forschungsqualität in Spin-offs sein. Eine eindeutige Antwort ist schwierig, aber gerade in solchen Spin-offs, in denen die Forschung in hohem Maße an Kundenaufträge gekoppelt ist, kann nicht von wissenschaftlicher Forschung gesprochen werden. Zum einen ist die Freiheit wissenschaftlicher Forschung nicht gewährleistet und zum anderen wird bei der Auswahl der Forschungsinhalte, der Festsetzung der zeitlichen, personalen und finanziellen Rahmenbedingungen der Forschungsprojekte und bei der Beurteilung der Forschungsergebnisse ein zweiter Filter wirksam. Die Unternehmen spezialisieren sich auf bestimmte wissens- und beratungsintensive Dienstleistungen und Produkte. Zwar erfordert ein Teil der Aufträge und Aufgabenstellungen ein hohes Maß an fachlichem Wissen und eigener Forschung, teilweise gibt es aber auch Kundenanfragen, die schlicht „abgearbeitet“ oder „durchgetestet“ werden. Der Kunde und dessen Wünsche geben hier den Inhalt und Takt der Forschung vor. Dementsprechend wird in den Spin-offs versucht, Forschungsprojekte und Forschungsabläufe weitestgehend zu standardisieren. Ziel ist nicht nur eine möglichst routinierte und kostengünstige Bearbeitung der Forschungsaufträge, sondern zusätzlich auch eine möglichst hohe „Erfolgs-
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Zusammenfassende Betrachtung
garantie“, i.d.S. dass die vorher definierten und anvisierten Ergebnisse auch tatsächlich geliefert werden können. Zur Erinnerung sei an dieser Stelle noch mal an die unterschiedlichen Forschungsausrichtungen der Spin-offs erinnert, bei welchen unterschieden wurde zwischen a) Produktweiterentwicklung bzw. Erbringung standardisierter Forschungsdienstleistungen, b) forschungsintensiver Produkt(weiter)entwicklung und c) der Erbringung von Forschungsdienstleistungen und Forschung und Entdeckung („reine“ F&E). Kreativität und innovative Problemlösung stehen Routine und der Standardisierung der Arbeitsorganisation, Methoden und Projektabläufe gegenüber. Aber entgegen dem pauschalen Argument „kein Projekt ist wie das andere“ und daher kaum standardisierbar, bilden sich doch ab einer bestimmten Unternehmensgröße spezifische Organisationsroutinen und -muster der Projektbearbeitung, Formen der Arbeitsteilung, z.B. zwischen ProjektmitarbeiterInnen und Akquiseverantwortlichen, und bestimmte Weiterbildungsformen heraus. Die Abteilungsstrukturen werden dabei durch eine Matrix-/Projektstruktur überlagert. Diese Befunde korrespondieren mit bereits bekannten Managementmethoden der Rationalisierung von Wissensarbeit und des Controllings von WissensarbeiterInnen.220 Die Anforderung der eigenverantwortlichen Gestaltung der eigenen Tätigkeit geht einher mit engen Projektvorgaben und Rahmenbedingungen. Die Kontrollmechanismen sind hier vielfältig, neben der sozialen Kontrolle durch die KollegInnen schafft vor allem die Festlegung von Projektmeilensteinen, auf welche die jeweiligen ProjektmitarbeiterInnen nur begrenzt Einfluss haben, starre Rahmenbedingungen. Hinzu kommen die Wechselwirkungen zwischen Projekt- und Abteilungsstrukturen. Die Herausbildung letzterer steht zum einen in engem Zusammenhang mit einer stärkeren Professionalisierung des Managements in den Spin-off-Unternehmen und einer ausgeprägteren Arbeitsteilung und Abgrenzung von Management- und Projektabläufen, zum anderen mit der vom Unternehmen verfolgten Forschungsstrategie bzw. dessen Forschungsausrichtung. Entscheidend ist nicht die Menge an durchgeführten Projekten, sondern deren Spektrum. Während Unternehmen A und B eine größere Zahl an heterogenen Projekten durchführt und zum Teil auch eigenfinanzierte bzw. durch Riskokapital finanzierte Forschungsprojekte betreibt, konzentriert sich Unternehmen D in erster Linie auf die Erbringung standardisierter F&E-Dienst-leistungen, während Unternehmen C ausschließlich kundenbezogene Einzelanfertigung und Weiterentwicklung betreibt. Während Unternehmen A und B in ihren Unternehmen neben einer ausgeprägten Kultur der Projektarbeit auch fachspezifische und projektübergreifende Abteilungs- bzw. Forschungsgruppenstrukturen etabliert 220
Siehe exemplarisch Willke 1998, Wilkesmann 2005, Baethge 2004 bzw. ausführlich Kapitel 3.
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haben, ist in Unternehmen C aufgrund des enger gefassten Angebotsspektrums eine derartig starke, die Abteilungsstrukturen überlagernde Projektmatrix nicht notwendig. Insgesamt zeichnen sich komplexe Wechselverhältnisse zwischen den einzelnen Ebenen und Einflussfaktoren ab. Potentiellen Einfluss auf die inhaltliche Gestaltung eines Forschungsprojektes und dessen Rahmenbedingungen haben – neben dem Kunden bzw. dem Auftraggeber – die Geschäftsführung, die für Finanzen und Auftragsbeschaffung und -gestaltung zuständige Abteilung, der oder die FachabteilungsleiterIn, die Scientific Community und die ProjektmitarbeiterInnen. Letztere sind dadurch häufig starren Projektvorgaben und Meilensteinen ausgesetzt. Die ausgeprägte Heterogenität und hohe Anzahl der Interessenhalter gehen einher mit multisystemischen und vielfältigen Qualitätsanforderungen und Projektzielsetzungen. Die Gestaltungsmöglichkeiten auf der Projektebene hängen damit direkt ab von den Zielvorgaben durch den Kunden bzw. der Geschäftsführung und von der Frage der Einbindung in die Scientific Community. Es lässt sich festhalten, dass je zahlreicher und heterogener die Interessenhalter eines Projekts sind, umso stärker und unter Umständen widersprüchlicher sind die für die ForscherInnen in den Projekten vorgegebenen Rahmenbedingungen und Restriktionen bei der Gestaltung des Projektes. Grundsätzlich schließt dieses eine eigenständige Arbeitsweise der MitarbeiterInnen nicht aus – welche trotz allem eine Grundvoraussetzung der täglichen Arbeit in den Unternehmen ist – bedeutet aber doch ein relativ geschlossenes Projektmanagement mit wenig Einflussmöglichkeiten für die ProjektmitarbeiterInnen im Vorfeld der Projektakquise und -gestaltung. Auch über den Erfolg bzw. Misserfolg entscheiden in der Regel nicht die MitarbeiterInnen. Diese Entscheidung kann zudem unabhängig von inhaltlichen Gesichtspunkten erfolgen, d.h. ein inhaltlich interessantes und qualitativ hochwertiges Projekt kann trotzdem ein Misserfolg sein, wenn es beispielsweise nicht innerhalb der vorgegebenen Zeitvorgaben abgeschlossen werden konnte oder schlicht zu teuer war. Trotz teilweise starrer Rahmenbedingungen für die Projektarbeit haben die MitarbeiterInnen in den Unternehmen die Möglichkeit – und besteht die Notwendigkeit – zur eigenständigen Gestaltung der täglichen Arbeitsabläufe. Insgesamt befinden sich die MitarbeiterInnen damit in einem beständigen Spannungsfeld zwischen engen Zeit- und Ressourcenvorgaben und starren inhaltlichen Vorgaben auf der einen Seite und hohen Kreativitäts- und Problemlösungserwartungen, verbunden mit einem hohen Maß an eigenverantwortlichem Arbeiten, inhaltlicher Flexibilität und Interdisziplinarität auf der anderen Seite. Für die MitarbeiterInnen in den Projekten gilt zusätzlich, dass sie u.U. in mehr als einem Projekt gleichzeitig beschäftigt werden. Welches Anforderungsprofil ergibt sich daraus für die MitarbeiterInnen in den Unternehmen?
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Zusammenfassende Betrachtung
6.1.2.2 ForscherInnen in Spin-off-Unternehmen Die MitarbeiterInnen in den Unternehmen zeichnen sich durchgehend durch eine hohe fachliche Qualifizierung und Spezialisierung aus. Bis auf das Verwaltungs-, Labor- und Werkstattpersonal verfügen nahezu alle MitarbeiterInnen über einen Universitätsabschluss. In begrenztem Umfang werden auch FH-AbsolventInnen beschäftigt. Selbst im Vertrieb werden MitarbeiterInnen mit natur- bzw. ingenieurwissenschaftlichem Hintergrund beschäftigt. Dies ist notwendig, da es sich in der Regel um sehr beratungsintensive Spezialprodukte und Dienstleistungen handelt. Die Notwendigkeit einer hohen inhaltlichen Spezialisierung der MitarbeiterInnen ergibt sich dementsprechend aufgrund der hohen inhaltlichen Spezialisierung des Unternehmens. Spin-off-Unternehmen konzentrieren sich in der Regel auf einen extrem kleinen Ausschnitt eines spezifischen Fachgebietes. Diese Konzentration kann dann unter Umständen sogar dazu führen, dass das Spin-offUnternehmen gegenüber seiner ursprünglichen Herkunftsinstitution einen höheren Wissensstand bezüglich des spezifischen Spezialthemas aufbaut. Zusätzlich verwenden die Unternehmen durchgehend die neuesten und innovativsten Techniken und Methoden ihres Fachs und sind gezwungen, den Anschluss an den Stand der Forschung zu halten. Sie sind hochtechnisiert und, wie schon deutlich wurde, stark arbeitsteilig und durch die Projektarbeit interdisziplinär aufgestellt. Eine Professionalisierung der Arbeitsorganisation findet in Spin-offs in höherem Maße als z.B. an Universitätslehrstühlen statt und auch das Wissens-/Datenmanagement befindet sich auf einem hohem technischen Niveau, gerade dann, wenn das Unternehmen zusätzlich hochspezialisierte IT-Dienstleistungen für Kunden anbietet. Gegenstück zu dieser starken Spezialisierung sind die hohen Flexibilitätsanforderungen an die MitarbeiterInnen durch die Mitarbeit in ständig wechselnden Projekten – übereinstimmend mit den Anforderungen, wie sie für WissensarbeiterInnen definiert werden. Die hohe fachliche Spezialisierung geht einher mit der Fähigkeit zu selbstständigem Lernen und eigenverantwortlicher Weiterbildung, hoher Sozialkompetenz, hoher Flexibilität und einer ausgeprägten Eigenverantwortlichkeit und gutem Zeitmanagement.
Die Entstehung einer Spin-off-Forschungskultur
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Abb. 13: Skizzierung des Anforderungsumfelds von Spin-off-ForscherInnen
Flexibilität
Interdisziplinäres Wissen Breites Kompetenzptofil und Aufgabenspektrum
inhaltlich
Spezialisierung
Methodik Fachwissen Erfahrung Kreativität & Problemlösung
sozial
Vernetzung
Soziale und Personale Kompetenz
Kunden KollegInnen Scientific Community
Personalverantwortung & Projektmanagementaufgaben Eigenverantwortliche Weiterbildung
Quelle: eigene Darstellung
Im Vergleich mit großindustrieller Forschung zeichnen sich Spin-offs durch offenere Kommunikationsstrukturen, flachere Hierarchien und weniger stark ausgeprägte Abteilungsstrukturen aus. Die noch weniger stark ausgeprägten Unternehmensstrukturen bieten die Möglichkeit bereits sehr schnell und jung Projekt- und Personalverantwortung übernehmen zu können bzw. zu müssen. Zwar sind die formalen Aufstiegschancen grundsätzlich aufgrund flacher Hierarchien und geringerer Unternehmensgröße eingeschränkt, aber wenn das Unternehmen erfolgreich ist, wächst es gerade in den ersten Jahren sehr stark. Dann werden häufig MitarbeiterInnen „der ersten Stunde“ in Abteilungsleiterfunktionen etc. befördert. Diese ProjektmitarbeiterInnen – in der Regel mit natur-/ingenieurwissenschaftlichem Hintergrund – haben hier die Möglichkeit neu geschaffene Positionen zu besetzen und Führungs- und Managementaufgaben zu übernehmen.
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Zusammenfassende Betrachtung
Ein Nachteil der Forschungsarbeit in Spin-offs ist hingegen der höhere wirtschaftliche Druck, da Misserfolge in kleinen Unternehmen nur schwer abgefangen werden können. Die in der Regel dünne Personaldecke, hohe heterogene Qualitätsanforderungen, enge finanzielle und zeitliche Budgets und ständig wechselnde Projekte für verschiedene Kunden in unterschiedlicher Besetzung können zu einem hohen Arbeitsdruck und ausgeprägten Flexibilitätsanforderungen an die ProjektmitarbeiterInnen führen. Dieser Druck verstärkt sich unter Umständen noch, wenn das Unternehmen den MitarbeiterInnen nicht genügend zeitliche und finanzielle Ressourcen für eigenverantwortliche Weiterbildung und -qualifizierung zur Verfügung stellt. Überstunden und auch Wochenendarbeit lehnen die hochqualifizierten Mitarbeiterinnen nicht grundsätzlich ab. Aufgrund der hohen Identifikation mit den Projektinhalten und mit dem Unternehmen werden diese von den MitarbeiterInnen teilweise bereitwillig geleistet. Chronische Überforderung und ein gegenseitiger informeller Arbeitsdruck unter den KollegInnen ist jedoch auch beobachtbar. Die MitarbeiterInnen verweisen in diesem Zusammenhang allerdings weniger auf unternehmensinterne Verantwortlichkeiten, sondern in der Regel werden Sachzwänge oder der Kunde bzw. Auftraggeber als Ursache für den hohen Arbeitsdruck und Störungen der Routine identifiziert. In einem Fallbeispiel kann geradezu von einer impliziten Unternehmensstrategie gesprochen werden, den Druck „von oben“ durch intrinsischen bzw. „sich aus der Sache heraus ergebenden“ Druck zu ersetzen. Allerdings gibt es auch hier ein Gegenbeispiel. Eines der untersuchten Unternehmen hat eine, für die Größe des Unternehmens sehr ausgefeilte, Personalbetreuung und -entwicklung etabliert, kombiniert mit einem umfassenden Arbeitszeiterfassungssystem zum Schutz der MitarbeiterInnen vor Überlastung. Bei personalen Engpässen entscheidet hier die wissenschaftliche Geschäftsführung darüber, welche Projekte von den jeweiligen MitarbeiterInnen prioritär abgearbeitet werden, in der Regel sind dies die Kundenprojekte. Als Grenzgänger können die MitarbeiterInnen in den Spin-offs damit in gewissem Sinne durchaus bezeichnet werden, da ihre tägliche Arbeit eine Ausbalancierung von zwei verschiedenen Systemlogiken gehorchenden Interessen und Anforderungen mit sich bringt. Häufige Grenzüberschreitung i.S. von beruflichen Arbeitsplatzwechseln zwischen Wissenschaft und Wirtschaft kommen jedoch in der Regel nicht vor. Die Durchlässigkeit zwischen den Systemen ist nach wie vor nicht sehr ausgeprägt. Diese nicht vorhandene Durchlässigkeit zwischen den Systemen beruht jedoch nur zu einem geringen Teil auf unterschiedlichen Anforderungsprofilen bzw. Persönlichkeitsstrukturen. Dazu sind die Überschneidungen zwischen den Anforderungsprofilen zu groß und die Unterschiede in den Persönlichkeitstypen zu wenig ausgeprägt. Diese Undurchlässigkeit beruht vielmehr auf einem jeweils unterschiedlichen Forschungshabitus,
Die Entstehung einer Spin-off-Forschungskultur
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welchen sich die ForscherInnen im Laufe der Zeit in den Unternehmen bzw. Wissenschaftsinstitutionen aneignen. Dieser geht einher mit einem systemspezifischem Verständnis von Forschung, das zwangsläufig mit der täglichen Gestaltung der Forschungsarbeit und der angewandten Forschungsmethodik korreliert und dementsprechend durchaus zu einer angepassten alltäglichen Forschungspraxis führt. Allein aus dieser lässt sich diese Undurchlässigkeit aber nicht erklären, vor allem vor dem Hintergrund der hohen Qualifikation und Flexibilität des Forschungspersonals, welches den einzelnen Individuen eine hohe Anpassungsfähigkeit gestattet. Damit wäre es ihnen theoretisch auch möglich, zwischen den Systemen zu wechseln, was durchaus – wie vor allem ein Blick auf die GründerInnen von Spin-offs zeigt – erfolgreich praktiziert wird. Gerade die Interviews mit den TransferexpertInnen haben gezeigt, dass ein Wechsel von den ehemaligen WissenschaftlerInnen zwar durchaus auch die notwendige Aneignung z.B. von betriebswirtschaftlichem Wissen mit sich bringt, dass die Voraussetzung für eine erfolgreiche Gründung an sich, d.h. die eigentlich erfolgsentscheidende Anpassungsleistung, jedoch primär in der Modifizierung ihres ursprünglichen Forschungshabitus besteht. 6.1.3 Die Hoffnung auf Entdeckung – Strategien des Erfolgs Beim Vergleich von Forschung in Spin-offs und in wissenschaftlichen Institutionen kristallisiert sich als kleinster gemeinsamer Nenner die Generierung von Wissen heraus. Die Unterschiede liegen in der grundsätzlich anderen Zielsetzung und der Modifizierung des Forschungsprozesses und sind auf der MitarbeiterInnenebene gekoppelt an einen unterschiedlichen, systemspezifischen Forschungsethos bzw. Forschungshabitus. Grundsätzliches Ziel von Forschung in Spin-off-Unternehmen ist nicht die Generierung oder Überprüfung von Wissen. Zwar findet selbiges durchaus statt, allerdings ist es nicht Selbstzweck, sondern vielmehr der Schlüssel bzw. Teil des Weges zur Generierung vermarktungsfähiger Innovationen. Insbesondere bei explizit für diesen Zweck durch Risikokapital gegründeten Unternehmen in der SEED-Phase ist dieser Wunsch natürlich nicht überraschend. Interessanterweise ist aber sogar in den Unternehmen, die nicht explizit F&E betreiben können oder wollen, der Wunsch beziehungsweise das Ziel erkennbar, eine vermarktungsfähige Entdeckung – im besten Fall handelt es sich dabei um ein Produkt und keine Dienstleistung – zu machen, welche das Alleinstellungsmerkmal des Unternehmens und dessen wirtschaftlichen Erfolg dauerhaft sichert. Dies gilt auch für Unternehmen, die sich ursprünglich als (Forschungs-)Dienstleister gegründet haben.
286
Zusammenfassende Betrachtung
In den Spin-off-Unternehmen verbindet sich Forschung in der Regel mit einer ausgeprägten „Erfindungshoffnung“. Die Wissensgenerierung ist diesem Ziel verpflichtet. Zumindest bei Ausgründungen im natur- und ingenieurwissenschaftlichen Bereich ist diese Erfindungs-/Endeckungshoffnung unterschwellig dauerhaft spürbar.221 Dieser Wunsch nach „der einen“ Entdeckung wurde selbst in Unternehmen D in den Äußerungen eines Unternehmensgründers bezüglich der Gründe für seine Forschungsbemühungen in der eigenen, begrenzten Freizeit deutlich. Da sich das Unternehmen auf die Erbringung standardisierter Forschungsdienstleistungen spezialisiert hat, muss es als solches allerdings besondere Vorsicht walten lassen, um von diesen nicht als potentieller Konkurrent betrachtet zu werden. Unternehmen A und B verfolgen durch die Ausrichtung einzelner Geschäftsbereiche bzw. die Finanzierung unternehmenseigener interner Forschungsprojekte eine ähnliche Strategie. Die Bemühungen von Unternehmen B sind hier besonders intensiv, da gleich zwei Geschäftsbereiche auf dieses Ziel ausgerichtet wurden. Im Bereich der Pharmaforschung versuchen sie dieses durch die Finanzierung mit Risikokapital zu verwirklichen, im Geschäftsbereich Biochips zeigen sich bereits erste Anfänge der Entwicklung eines in größerer Stückzahl vermarktungsfähigen Produktes, obwohl aktuell noch in den anderen Geschäftsbereichen der größere Umsatz erzielt wird. Unternehmen C hat hingegen bereits ein derartiges Produkt als Ausgangsbasis und konzentriert sich laut eigener Aussage auf die forschungsintensive Produktweiterentwicklung, in der Regel in Zusammenarbeit mit den Kunden des Unternehmens. Damit verfolgt Unternehmen C am konsequentesten eine pragmatische und weniger risikoreiche Strategie, indem es vermarktungs- und weiterentwicklungsfähige Produkte einlizenziert, mit bereits vorhandenem unternehmenseigenen Know-How kombiniert und weiterentwickelt. Die unterschiedlichen Forschungsstrategien 1. Weiterentwicklung: Es erfolgt eine nahezu ausschließliche Konzentration auf die Weiterentwicklung eigener, bereits vorhandener innovativer Produkte bzw. Technologien. 221
In der Literatur werden zunehmend nicht nur die Schwierigkeiten und Nachteile kleiner, neu gegründeter Unternehmen gegenüber größeren, etablierten Konkurrenzunternehmen thematisiert, sondern auch deren Vorteile bei der Hervorbringung und Kommerzialisierung disruptiver Technologien und Innovationen. „The low visibility and lack of legitimacy coupled with the enormous knowledge and structural changes demanded of large, established organizations by radical innovations give the young firm the time and opportunity to develop and establish its innovation before the incumbent can respond.” (siehe Carayannopoulos 2009) Zu den Vorteilen junger Unternehmen beispielsweise hinsichtlich der erhöhten Fähigkeit zu organisationalem Lernen – „learning advantages of newness“ – siehe ergänzend u.a. Autio et al. (2000).
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Diese Unternehmen konzentrieren sich auf die forschungsintensive Weiterentwicklung von Produkten und Technologien, zumeist in intensiver Kooperation mit Kunden. Eine grundsätzliche Offenheit, Interesse und Beobachtung dessen, was an neuen Entdeckungen gemacht wird, ist aber vorhanden. Wenn möglich und sinnvoll werden vermarktungsfähiges Wissen bzw. Technologien durch Personalrekrutierung oder Einlizenzierung ins Unternehmen geholt (s.u. zur Assimilation). Das Unternehmen betreibt aber keine eigene aktive Forschung zur Entdeckung neuer Produkte und Technologien. 2.
Entdeckung: Das Ziel der durchgeführten Forschungsarbeit ist die Entdeckung und Weiterentwicklung vermarktungsfähiger Produkte bzw. Wissens. Im Gegensatz zu Unternehmensgründungen nach dem Studium, z.B. auf Basis einer Profession, durchläuft ein Großteil der Spin-off-Unternehmen – speziell die, die sich explizit auf die Verwertung wissenschaftlicher Forschungsergebnisse beziehen – eine Vor- und Gründungsphase, in welcher diese Unternehmen einen großen Teil der finanziellen und personellen Ressourcen des Unternehmens auf die Entdeckung und Gewinnung neuen Wissens und neuer Produkte konzentrieren. Diese Phase ist von einem besonders hohen Risiko geprägt. Ob und wie sich die Forschungsergebnisse verkaufen lassen, ist zu diesem Zeitpunkt vielfach noch nicht gesichert. Diese Strategie ist dementsprechend vor allem in der Anfangsphase eines Unternehmens von besonderer Bedeutung, aber natürlich nicht auf diese Phase beschränkt, gerade in bestimmten Gründungssegmenten. Denn insbesondere in wissens- und technologieintensiven Branchen richten Unternehmen einen Teil ihrer Unternehmensressourcen auf eigenmotivierte, teilweise ergebnisoffene und risikoreiche Forschung aus bzw. werben hierfür zusätzlich Riskokapital oder öffentliche Forschungsgelder ein.
3.
Assimilation: Vorhandene Ideen, Produkte und Technologien werden aufgegriffen und einlizenziert. Teilweise erfolgt eine Anpassung bzw. Kombination mit unternehmenseigenen Ideen, Produkten, Kompetenzen. Diese Unternehmen konzentrieren sich auf den Vertrieb von Produkten anderer Hersteller bzw. auf die Erbringung standardisierter Forschungsdienstleistungen und behaupten sich in erster Linie über den Preis am Markt. Sie greifen hierzu auf bereits vorhandene Technologien, Produkte und Dienstleistungsangebote zurück.
In der Regel kombinieren die Unternehmen die verschiedenen Strategien, teilweise relativ gleichgewichtig, teilweise lässt sich eine eindeutige strategische
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Zusammenfassende Betrachtung
Schwerpunktsetzung feststellen. Die unterschiedliche Kombination und Auswahl der Strategien führt in den vier untersuchten Unternehmen – in Verbindung mit dem Geschäftsumfeld und der Geschäftsausrichtung des Unternehmens – zu verschiedenen Unternehmenstypen. Sie sind Ausdruck der schon erwähnten Ambivalenz der Forschungskultur in den Unternehmen, welche zwischen einem pragmatischen Verständnis von Forschung auf der einen Seite und der „Hoffnung auf Entdeckung“ auf der anderen Seite schwankt.222 Auf organisatorischer Ebene kann diese Ambivalenz durch die Bereitstellung begrenzter Ressourcen für ein „Sonderforschungsprojekt“ gelöst werden. Unternehmen A ist diesen Lösungsweg gegangen. Alternativ wäre der Aufbau verschiedener Geschäftseinheiten denkbar, welche dann strategisch unterschiedlich ausgerichtet werden. Dieses Vorgehen ist z. B. in Unternehmen B besonders ausgeprägt. Für die MitarbeiterInnen kann dieses bedeuten, dass sie entweder einem Unternehmensbereich schwerpunktmäßig zugeordnet sind. Oder aber die MitarbeiterInnen in den Unternehmen wechseln zwischen den Forschungstypen und Projekten hin und her. Für einige MitarbeiterInnen kann sich dadurch zusätzlich ein komplexes Anforderungsprofil entwickeln, d.h. hohe innovative Forschungsanteile kombiniert mit einem hohen Anteil an standardisierten Forschungsabläufen. ForscherIn in einem Spin-off zu sein, kann daher, je nach Forschungsausrichtung, -strategie und Einsatz im Unternehmen etwas jeweils komplett anderes bedeuten. In Anlehnung an die bereits vor dem Blick in die Empirie vorgestellte tabellarische Übersicht zur Einordnung der Unternehmen hinsichtlich der betrachteten Untersuchungsdimensionen, können resümierend starke Wechselverhältnisse zwischen den betrachteten Vergleichsebenen konstatiert werden. Nach Auswertung des empirischen Materials ist deutlich, dass eine Kontrastierung der einzelnen Unternehmen voneinander weniger sinnvoll ist als eine Kontrastierung anhand der Vergleichsdimensionen Geschäftsmodell und Forschungsausrichtung des Unternehmens und mit Blick auf die Unternehmensstrukturen anhand der Art der Arbeitsorganisation und des Projektmanagements.
222
In diesem Zusammenhang ist perspektivisch die Verknüpfung dieser unternehmerischen Forschungsstrategien mit der grundsätzlichen „Entrepreneurial Orientation“ (EO) eines Unternehmens sinnvoll. Das Konzept der „Entrepreneurial Orientation“ benennt folgende Dimensionen: „autonomy, innovativeness, risk taking, proactiveness, and competitive aggressiveness” (Lumpkin/Dess 1996, S. 140, siehe ergänzend Dess/Lumpkin 2005). Zunehmend wird versucht, diese zunächst auf der Unternehmensebene angesiedelten Dimensionen auch auf die Ebene der MitarbeiterInnen zu beziehen, im Sinne einer „Individual Entrepreneurial Orientation“, u.a. im Hinblick auf die Erhöhung des Commitments der MitarbeiterInnen durch deren stärkere unternehmerische bzw. erfinderische Leidenschaft (vgl. Kollmann et al. 2009). Insbesondere für Spin-offs könnte das Konzept der „Entrepreneurial Orientation“ damit wertvolle Hinweise liefern.
Fazit und Reflexion
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Abb. 14: Vergleichsdimensionen zur Kontrastierung der Spin-offUnternehmen Strategische Ausrichtung Strukturelle Ebene
Geschäftsmodell Technik-/ Produktorientiert Dienstleistungsorientiert Wachstumsorientiert
Arbeitsorganisation Funktional vs. Projektbasiert
Forschungsausrichtung Produktweiterentwicklung/Erbringung standardisierter Forschungdienstleistungen Forschungsintensive Produkt(weiter)entwicklung und Erbringung von Forschungdienstleistungen Reine F&E
Projektmanagement Offen vs. Geschlossen
Unternehmensumfeld
Unternehmen
Quelle: eigene Darstellung
6.2 Fazit und Reflexion Die Debatte um neue Formen der gesellschaftlichen Wissensproduktion diente als theoretischer Bezugsrahmen bei der Betrachtung der Auswirkungen der Kopplung von Wissenschaft und Wirtschaft, exemplarisch untersucht am Beispiel von Spin-off-Unternehmen. Die Theorien zur Wissensarbeit bzw. Wissensgesellschaft bildeten den idealen Hintergrund für die Betrachtung wissensintensiver und wissensgenerierender Arbeitshandlungen und sind unerlässlich für eine genaue Betrachtung der sich herausbildenden Unternehmensstrukturen und Formen der Arbeitsorganisation in diesen speziellen Unternehmen. Auf diese Weise
290
Zusammenfassende Betrachtung
konnten zum einen die Auswirkungen der Anforderungen des Marktes auf die Forschung und Forschungsmethoden überprüft werden und zum anderen die daraus resultierenden Anpassungsleistungen und Auswirkungen auf die Arbeitsorganisation und die ForscherInnen in den Spin-off-Unternehmen abgeleitet werden. Abb. 15: Theoretischer Rahmen zur Erfassung der Forschungskultur in Spin-offs Wissensgenerierung als Tätigkeit
Wissensgenerierung im organisationalen Kontext Wissenschaftstheorie und Mode2
Wissenschaftliche Arbeit •Wissenschaft als Handwerk •Forschungshandeln •Wissenskulturen und epistemische Praktiken •Forschung als Profession •Autonomie vs. Integration
•Kontextualisierung von Wissenschaft •Forschung im Anwendungskontext •Lokalisierte Formen von Wissenschaft
Facetten der Forschungskultur in Spin-offs •selektive Teilhabe an der Wissenschaft •Modifikation und Rationalisierung des Forschungsprozesses •Hoffnung auf Entdeckung - Strategien des Erfolges
High-Tech-Unternehmen/ Spin-offs •funktionale vs projektbasierte Unternehmen •funktionssystemische Hybridorganisationen •Typen von Ausgründungen
Wissensarbeit/ nichtprogrammierte Arbeit •Kontrolle vs Autonomie •Selbstbeteiligung der MitarbeiterInnen •Steigende Inklusivität des Wissens •Expansion von Wissenskulturen in alle gesellschaftlichen Bereiche •Optimierung/Rationalisierung der Wissensproduktion
Quelle: eigene Darstellung
Eine Schwäche der Debatte um neue Formen der Wissensproduktion ist die ungenügende Berücksichtigung der Auswirkungen einer stärkeren Kontextualisierung von Wissenschaft auf die Strukturen und Bedingungen in den einzelnen Organisationen bzw. Unternehmen und auf die dort tätigen ForscherInnen. Die Berücksichtigung von Untersuchungen zur Wissensarbeit hat im Rahmen der
Fazit und Reflexion
291
hier vorliegenden Untersuchung zahlreiche Ansatzpunkte zur Betrachtung der Bedingungen wissensintensiver und wissensgenierender Arbeitsprozesse in Spinoffs geboten. Das im Vorfeld vermutete Spannungsfeld zwischen Autonomiespielräumen für die wissenschaftlichen MitarbeiterInnen einerseits und den Versuchen zur Standardisierung und zum Controlling von Projektabläufen andererseits, ist in den Unternehmen tatsächlich beobachtbar. Sowohl auf organisationaler Ebene als auch auf individueller Ebene lassen sich Versuche zur Auflösung dieses Spannungsfeldes beobachten. Auch die – basierend auf den theoretischen Vorüberlegungen – zu Beginn aufgestellten Hypothesen hinsichtlich der Forschungsausrichtung und der Forschungsorganisation in Spin-off-Unternehmen lassen sich in weiten Teilen bestätigen. So gibt es durchaus Anzeichen für eine modifizierte, hybride Forschungskultur in den Unternehmen, diese funktioniert allerdings nicht losgelöst und autark von der Scientific Community. Darüber hinaus setzt die in den Unternehmen etablierte Form der Forschungsorganisation der Wissensgenerierung durchaus Grenzen. Die Kontextualisierung von Forschung ist dementsprechend kein Allheilmittel für Dysfunktionalitäten des akademischen Wissenschaftssystems. Selektive Teilhabe an der Scientific Community – trotz Einbindung in andere systemische Kontexte Der Entstehung einer eigenständigen Forschungskultur – begleitet von der Konstruktion eines eigenständigen Habitus, ähnlich wie ihn Weber oder Bourdieu für die Wissenschaft konstatieren – steht auch in Spin-offs prinzipiell nichts entgegen. Forschungshandeln im Sinne Krohn/Küppers (1989) ist prinzipiell in jedem systemischen Kontext möglich. Es findet zwar in einem sozialen Raum statt, gestaltet diesen aber nicht. Tatsächlich bestätigt die Untersuchung, dass auch einzelne Spin-off-Unternehmen – je nach Ausrichtung und Fokussierung – einen sozialen Raum schaffen können, welcher Forschungshandeln prinzipiell ermöglicht. Dieser soziale Raum unterscheidet sich allerdings zum Teil erheblich von jenem, den Wissenschaftsinstitutionen bieten und führt dementsprechend in den Unternehmen zu gänzlich anderen Rahmen- und Gestaltungsbedingungen für Forschungshandeln. Hierzu gehören auch grundsätzlich andere Zielsetzungen und Wertehaltungen. Eine kritische Frage war von Beginn an, inwiefern in den Unternehmen tatsächlich äquivalente Rahmenbedingungen geschaffen werden, die gleichfalls autonomes Forschungshandeln garantieren können. Genau das ist allerdings aufgrund der vorliegenden empirischen Befunde durchaus kritisch zu sehen. Es gibt in diesem Zusammenhang erhebliche Hinweise auf „Störungen“ des Forschungshandelns in Spin-off-Unternehmen. Die Rahmenbedingungen und -vorgaben des Forschungshandelns in den Unternehmen sind teilweise so
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Zusammenfassende Betrachtung
repressiv, dass in sich autonomes Forschungshandeln nicht möglich ist. Als Hinweise hierfür können die Anpassung der Forschungsmethoden, die Gestaltung der Forschungsziele und -inhalte im Vorfeld, primär bedingt durch die Vertragsgestaltung zwischen Finanzabteilung und Auftraggeber, und eine teilweise rein reaktive Forschung auf Basis von Kundenanfragen benannt werden. Für die MitarbeiterInnen entsteht ein neuer, nach wirtschaftlichen Prinzipien konstituierter sozialer Raum, welcher das Forschungshandeln selber einschränkt und für die ForscherInnen ein ausgesprochen spezifisches Anforderungsprofil mit sich bringt, welches eine starke inhaltliche Spezialisierung koppelt mit hoher sozialer Kompetenz, persönlicher Flexibilität und Interdisziplinarität. In Rückgriff auf die Debatte um Mode 2 lassen sich gerade die Spin-offUnternehmen, welche ihre Forschung stark an Kundenaufträge und -anfragen ausrichten, tatsächlich als Beispiele für stark kontextualisierte Forschung unter Verwendung stark kontextualisierter Forschungsmethoden benennen. Hybride Organisationen zwischen den Systemen sind sie dadurch allerdings nicht – auch dem eigenen Verständnis nach würden sie sich niemals so bezeichnen, sondern sich hier eindeutig als dem Wirtschaftssystem zugehörig charakterisieren. Anderseits ist Spin-offs tatsächlich „die“ Wissenschaft auch nicht fern genug, als dass in ihnen so etwas wie eine eigene lokalisierte Objektivität und Wahrheit entstehen könnte. Die vielfältigen Verflechtungen mit dem Wissenschaftssystem und die Notwendigkeit der Generierung wahrer, wiederholbarer und gesicherter Erkenntnisse für die Kunden des Unternehmens unter Rückgriff auf den in der Disziplin anerkannten Stand der Forschung und die anerkannte Methodik führen dazu, dass der Referenzrahmen „Scientific Community“ auch für die Spin-offUnternehmen seine Relevanz behält. Eine komplette Abkopplung des Forschungshandelns von diesem sozialen Raum ist in keinem der Unternehmen erfolgt, auch wenn sich einige Unternehmen sehr bewusst von ihrer Herkunftsinstitution distanziert haben. Wie sich gezeigt hat, kann eine mehrdimensionale Vernetzung der Unternehmen mit der Wissenschaft festgestellt werden. Dies geschieht erstens auf einer rein inhaltlichen Ebene, beispielsweise durch die Anwendung der gleichen disziplinären Methoden und Werkzeuge, zweitens auf einer organisationalen Ebene in Form von Kooperations- und Auftragsbeziehungen und drittens auf einer personalen Ebene durch direkten Personal- und Knowhow-Transfer. Trotz der Einschränkungen bezogen auf Forschungsinhalte und den Forschungsprozess – den „Störungen“ des Forschungshandelns – kann damit von einer selektiven Teilhabe an der Scientific Community gesprochen werden und eine hybride Forschungskultur konstatiert werden.
Fazit und Reflexion
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Die Rationalisierung von Forschung – die Entstehung eines eigenständigen Forschungshabitus in Spin-offs? Resümierend lässt sich eine ausgeprägte Tendenz zur Anpassung und Modifikation des Forschungsprozesses und der Forschungsmethoden in Spin-offs feststellen und erhebliche Anstrengungen zur zielgerichteteren und arbeitsteiligeren organisatorischen Rahmung derselben beobachten, z.B. durch Projektmanagementmethoden und die Einrichtung von unternehmensinternen Dienstleistungsabteilungen. Ziel dieser Bemühungen ist eine Standardisierung, Rationalisierung und bessere Planbarkeit des Forschungsprozesses und -verlaufs und eine bessere Kontrolle der ProjektmitarbeiterInnen. Die Projektvorgaben – Zeithorizonte, Budgets, Inhalte etc. – und der Einfluss der MitarbeiterInnen auf selbige, sind in den Unternehmen sehr unterschiedlich ausgeprägt. In weniger arbeitsteilig organisierten, sehr kleinen Unternehmen ist in der Regel die Projektleitung mit in die Verhandlungen mit den Auftraggebern eingebunden. In größeren Unternehmen nehmen die späteren ProjektleiterInnen in der Regel während des Akquiseprozesses nur eine beratende Rolle ein. Für die konkrete Gestaltung der Projektarbeit und auch für ihre Weiterqualifizierung sind die ProjektmitarbeiterInnen überwiegend selbst verantwortlich. Sie übernehmen Projektmanagementaufgaben und Personalverantwortung. In allen Spin-offs werden den ForscherInnen inhaltliche Zielvorgaben und starke finanzielle und zeitliche Rahmenvorgaben für die Projektarbeit vorgegeben. Andererseits bestätigen sich die bereits vorhandenen theoretischen Erkenntnisse zur Wissensarbeit, denn auf klassische Kontroll- und Anreizstrukturen wird in den Unternehmen weitestgehend verzichtet und den Mitarbeiterinnen durchaus Möglichkeiten zur Selbstkoordination auf der Handlungsebene gegeben. Ein kritischer Punkt in Spin-offs bleiben allerdings die Vorgaben auf der Strukturebene, welche laut Wilkesmann (2005) über den Spielraum auf der Handlungsebene entscheiden. Die MitarbeiterInnen beklagen in den Interviews die starke Fremdbestimmtheit und Steuerung der eigenen Arbeit durch äußere Vorgaben. Die Möglichkeiten der MitarbeiterInnen auch auf der Strukturebene mitzubestimmen sind in Spin-offs sehr begrenzt, z.B. ist die Beteiligung an Zieldefinitionen in der Planungsphase nicht gegeben, sondern wird häufig primär von der Akquiseabteilung/Geschäftsführung mit dem Auftraggeber verhandelt. Die Ermöglichung von Steuerungs- und Beteiligungmöglichkeiten für MitarbeiterInnen auf der einen Seite und die möglichst effektive Steuerung und Kontrolle der MitarbeiterInnen und des Forschungsprozesses auf der anderen Seite müssen in den Unternehmen, je nach Projekt, immer wieder austariert werden. Für Baethge (2004) geht die Verwissenschaftlichung der Industrie auf der einen Seite einher mit der zunehmenden Industrialisierung der Wissenschaft auf der anderen Seite. Alle Erwerbstätigen werden den entqualifizierenden Kriterien
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Zusammenfassende Betrachtung
industriell-kapitalistischer Arbeitsteilung unterworfen, Wissensarbeit selbst wird somit ebenfalls entqualifiziert. Baethge spricht in diesem Zusammenhang sowohl von wissenszerstörenden als auch wissensaktivierenden Organisationsformen in den Unternehmen. Unter Rückbeziehung auf seine Argumentation kann, u.a. mit Blick auf das professionelle und in erster Linie auf Effizienz ausgerichtete Projektmanagement in den Unternehmen, die in den Spin-offs vorfindbare Art der Forschung durchaus eine derartige Unterordnung des Forschungsprozesses unter kapitalistische Prinzipien beinhalten. Inwiefern dies allerdings tatsächlich auch für die MitarbeiterInnen in den Spin-offs zwangsläufig mit einer Entqualifizierung ihrer Tätigkeiten einhergeht, ist schwer zu beantworten. Die hier vorliegende Empirie ergibt ein widersprüchliches Bild. Während in einigen Unternehmensbereichen stärkere Vorgaben durchaus die kreativen Freiräume der MitarbeiterInnen einschränken und standardisierte Verfahren kreative Problemlösung ersetzen, vor allem im Segment der standardisierten, dienstleistungsorientierten Auftragsforschung, gibt es parallel durchaus hohe Anforderungen an die eigenverantwortliche, hochspezialisierte und interdisziplinäre Wissensgenerierung, auch bedingt durch die Vorreiterrolle, die einige Spin-offs übernehmen. Wie schon erwähnt gibt es vor allem im Bereich der Spitzentechnologie Spinoffs, die auf ihrem jeweiligen Spezialgebiet allein aufgrund des hohen Spezialisierungsgrades sogar dem Forschungsstand der akademischen Wissenschaft voraus sind. Zusammenfassend betrachtet erfolgt jedoch in allen untersuchten Spin-offs, parallel zu dem Versuch wissensaktivierende Organisations- und Arbeitsstrukturen zu entwickeln und zu etablieren, durchaus die Anwendung industriell-kapitalistischer Kriterien auf wissensintensive Tätigkeiten. Dieser Widerspruch ist präsent in dem täglichen Projektalltag der ForscherInnen und ist von diesen auf individueller Ebene selbstständig zu lösen, stellt aber grundsätzlich auch die Geschäftsführung vor die Aufgabe der ständigen Ausbalancierung dieser widersprüchlichen Anforderungen. Dieses geschieht durch eine Ausdifferenzierung der Angebotspalette bzw. der Forschungsausrichtung des Unternehmens und die Einrichtung einer flexibleren Projektmatrixorganisation in Kombination mit Abteilungsstrukturen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass bei einer starken Fokussierung auf eine schmale Produkt- und Dienstleistungspalette und die Beschränkung auf Weiterentwicklung bzw. des Verzichts auf „reine Forschung“ in den Unternehmen auf die Etablierung einer flexiblen Arbeitsorganisationsstruktur, die Abteilungs- und Projektstrukturen kombiniert, verzichtet werden kann. Je breiter aber das Unternehmen hinsichtlich seiner Forschungsstrategie und Angebotspalette aufgestellt ist, umso ausgeprägter ist dementsprechend das Anforderungsprofil an die MitarbeiterInnen, welche sich insgesamt um eine Balance zwischen fachlicher Spezialisierung und inhaltlicher (und persönlicher) Flexibilität bemühen
Fazit und Reflexion
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müssen. Hinzu kommen multisystemische Anforderungen und damit die Notwendigkeit, die Vorgaben der verschiedenen Interessenhalter bei einem Projekt auszubalancieren. Zwar bietet die Parallelität von Abteilungsstrukturen und abteilungsübergreifenden Forschungsprojekten die nötige Flexibilität auf diese multisystemischen Anforderungen zu reagieren. Allerdings erfordert sie von den MitarbeiterInnen aber auch die Fähigkeit zur eigenständigen Austarierung möglicherweise kollidierender Anforderungen. Die Möglichkeiten des Aufbaus fachlicher Expertise innerhalb einer Abteilung bzw. eines fachlichen Teams sind begrenzt durch die hohen, teilweise täglich wechselnden Anforderungen durch die Auftraggeber der Forschungsprojekte. Inhaltlich betrachtet befinden sich die MitarbeiterInnen damit in einem Spannungsfeld zwischen Spezialisierung und inhaltlicher Flexibilität, welches sie durch die Entwicklung eines eigenständigen Verständnisses von qualitativ guter Forschung aufzulösen versuchen. Die MitarbeiterInnen und die Geschäftsführung der Spin-offs entwerfen – in Abgrenzung gegenüber der vermuteten bzw. selbst erfahrenen Ineffizienz und Irrelevanz der Forschung in Einrichtungen der akademischen Wissenschaft – ein eigenes Verständnis innovativer und qualitativ hochwertiger Forschung und Forschungsbedingungen. Hoffnung auf Entdeckung – Strategien des Erfolgs Ein weiterer wichtiger Aspekt der spezifischen Forschungskultur in Spin-offs ist eine stark ausgeprägte Erfindungshoffnung. Diese macht ein hohes Maß der Forschungsdynamik in den Unternehmen und der MitarbeiterInnenmotivierung und -bindung aus. Von der strategischen Hoffnung auf die eine Entdeckung lassen sich – parallel zu den Typen der Forschungsausrichtung der Unternehmen – die Unternehmensstrategien Weiterentwicklung und Assimilation unterscheiden. Die individuelle Kombination dieser Strategien macht zu einem großen Teil die Heterogenität der Spin-off-Unternehmen aus, mit entscheidendem Einfluss auf die Platzierung des Unternehmens am Markt, auf die Unternehmensstrukturen, die Arbeitsorganisation und die MitarbeiterInnen in den Unternehmen. Der Standardisierung des Forschungsprozesses und der begrenzten Forschungsfreiheit – vor allem in Bezug auf die Wahl der Forschungsinhalte – stehen die für nicht-auftragsgebundene Forschung zur Verfügung gestellten Ressourcen gegenüber. Die Unternehmen investieren hier in unterschiedlich hohem Maße und erhoffen sich für die Zukunft ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber Mitkonkurrenten am Markt, d.h. ein vermarktungsfähiges Produkt oder eine Technologie, welche das Überleben des Unternehmens dauerhaft sichert. In diesem Zusammenhang ist es gewinnbringend, die Art der hervorgebrachten bzw. angestrebten Innovationen in den Unternehmen zu bedenken. Bei der Be-
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Zusammenfassende Betrachtung
rücksichtigung der Unterscheidung radikaler, architektonischer, modularer und inkrementeller Innovationen223 verdeutlicht sich, dass in erster Linie die beiden zuerst genannten Innovationsarten kleinen Unternehmen gegenüber den bereits am Markt etablierten Unternehmen Wettbewerbsvorteile ermöglichen. Denn die kleinen Unternehmen können hier nicht nur ihre Wissens-, Lern- und Flexibilitätsvorteile gewinnbringend nutzen, sondern darüber hinaus ihre geringere Legitimation und Sichtbarkeit am Markt positiv zur ungestörten Entwicklung der Innovationen nutzen. Dementsprechend streben die untersuchten Unternehmen entweder die Entwicklung radikaler oder architektonischer Innovationen an oder haben dies bereits realisieren können und konzentrieren sich nun auf die inkrementelle Weiterentwicklung selbiger. Insgesamt bleibt die Forschungskultur in Spin-off-Unternehmen allerdings ambivalent. Sie pendelt zwischen dem Versuch der Standardisierung von Forschung auf der einen Seite und einer ausgeprägten „Erfindungshoffnung und -suche“ auf der anderen Seite hin und her. Auf individueller Ebene lösen die MitarbeiterInnen in den Unternehmen diese Widersprüche auf durch die Ausbildung eines spezifischen Forschungshabitus, beziehungsweise durch die Anpassung ihres bereits erworbenen Forschungshabitus. Dies geschieht, indem Wissenschaftlichkeit strikt auf disziplinäre Expertise und Methodik reduziert und losgelöst wird von den in der akademischen Wissenschaft herrschenden Normen und Werten, wie z.B. Autonomie oder Universalismus. Ausblick Gerade bezogen auf Spin-offs zeigt sich deutlich, wie stark die in der Wissenschaft etablierten Strukturen, Normen und Werte die Gründung solcher Unternehmen fördern bzw. behindern. Die geringe Gründungsneigung von WissenschaftlerInnen ist auch Folge eines spezifischen Forschungsverständnisses und -habitus, den sie in der akademischen Wissenschaft erwerben. Der alleinige Abbau struktureller Hemmnisse in Bezug auf Unternehmensgründungen durch WissenschaftlerInnen ist zwar wichtig, würde aber dementsprechend nicht notwendigerweise zu einer signifikanten Erhöhung der Gründungszahlen führen, da sich dadurch beispielsweise die Motivation zur Gründung eines Unternehmens 223
Während modulare Innovationen auf einzelne Komponenten eines Produktes zielen, betreffen architektonische Innovationen die Schnittstellen zwischen den Komponenten eines Produkts. Radikale Innovationen verbinden neue, innovative Komponenten in einer neuen Produktarchitektur, während inkrementelle Innovationen bestehende Produkte in erster Linie verbessern und erweitern ohne einzelne Komponenten oder die Produktarchitektur zu verändern. Insbesondere die letztere Unterscheidung radikaler und inkrementeller Innovationen ist in der Literatur weit verbreitet. Siehe hierzu ergänzend u.a. Carayannopoulos (2009) oder Hendersen/Clark (1990), für weitere Möglichkeiten zur Unterscheidung verschiedener Innovationsarten u.a. Weise (2007).
Fazit und Reflexion
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bei den WissenschaftlerInnen nicht zwangsläufig steigert. Wie die Entrepreneurshipforschung aufzeigt, existiert ein breites Spektrum und komplexes Wechselspiel möglicher Gründungshemmnisse, deren Ursachen sowohl in volkswirtschaftlichen, politischen und kulturellen Rahmenbedingungen zu suchen sind als auch in dem direkten Gründungsumfeld des potentiellen Unternehmens und der Gründungskompetenz und -bereitschaft der Gründungsperson fundiert sind (vgl. u.a. Lilischkis 2001). Das nachfolgende Modell verdeutlicht nochmals dieses Wechselspiel zwischen personeller, organisationaler und externer Dimension bei der Gründung eines Unternehmens. Wie sich gezeigt hat, weist eine differenzierte Betrachtung akademischer Spin-offs und deren GründerInnen hinsichtlich aller drei Dimensionen auf Besonderheiten hin. Abb. 16: Theoretisches Modell zu den relevanten Dimensionen bei der Gründung eines Unternehmens
Personelle Dimension
Voraussetzungen
Demografische Merkmale
Aktionsprozess
Geschäftsidee
Charakter/ Eigenschaften
Gründungsintention
Mikrosoziales Umfeld
Unternehmerisches Verhalten Netzwerk
Geschäftsmodell
Organisationale Dimension
Team
Motivation Humankapital
Entrepreneur
Externe Dimension
Das neue Unternehmen
Das neue Unternehmen
Standort
Marktchance
Konjunktur
Makroökonomisches und gesellschaftliches Umfeld Kultur Politik Rechtlicher Rahmen
Quelle: In Anlehnung an Jacobsen (2006), vereinfachte Darstellung
Branchenstruktur
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Zusammenfassende Betrachtung
Als ein besonderes Spezifikum gerade von Spin-off-Unternehmen haben sich die GründerInnen selbst – im Hinblick auf ihre vorhergehende wissenschaftliche Forschungstätigkeit – herauskristallisiert. Dabei scheinen es weniger mangelnde betriebswirtschaftliche Kenntnisse zu sein, welche diesen die Gründung eines Unternehmens erschwert und auch hinsichtlich der Motivation scheinen sich die GründerInnen von Spin-offs nicht grundsätzlich von anderen GründerInnen zu unterscheiden. Sie benennen in diesem Zusammenhang gleichsam Gründungsmotive wie Autonomie, finanzieller Gewinn oder die Realisierung einer Geschäftsidee. Die im Rahmen dieser Untersuchung geäußerten Erfahrungen der GründerInnen und GründungsberaterInnen legen nahe, dass es vielmehr die Fähigkeit und Bereitschaft der GründerInnen ist, ihren akademischen Forschungshabitus „aufzugeben“ und in ihren Unternehmen eine modifizierte Forschungskultur zu etablieren, welche über den Erfolg bzw. Misserfolg eines Gründungvorhabens entscheidet. F&E erweist sich für Spin-offs als ein besonders hohes Risiko, welches aufgrund ihrer geringeren Kapitalressourcen und Forschungspipelines ungleich stärker wirksam ist als in groß(industriell)en Unternehmen. Dieses Risiko versuchen Spin-offs durch kundengetriebene und marktnahe Forschung und Entwicklung zu minimieren. Mittel- und langfristig gesehen gefährden wissens- und technologieintensive Unternehmen aber gerade durch diese Einschränkungen ihr Alleinstellungsmerkmal am Markt. Insbesondere die im Rahmen dieser Studie gefundenen Anzeichen für die Entstehung einer eigenen hybriden Forschungskultur in den Spin-off-Unternehmen – in Abgrenzung zur Forschungskultur in der akademischen Wissenschaft224 – müssten dringend ausführlicher untersucht werden, sowohl auf organisationaler Ebene hinsichtlich der strategischen Forschungsausrichtung des Unternehmens und der Organisation des Forschungsprozesses als auch auf individueller Ebene mit Blick auf die ForscherInnen in den Unternehmen und deren individuellem Forschungsverständnis. Die beobachtbaren „Störungen“ des Forschungshandelns in Spin-offs wirken begrenzend auf die Möglichkeiten zur Wissensgenerierung und weisen darauf hin, dass die Möglichkeiten zur Entstehung hybrider Forschungskulturen unter Umständen stark begrenzt sind. Auf der anderen Seite haben die Interviews mit den GründerInnen gezeigt, dass sich für die einzelnen Individuen „WissenschaftlerIn sein“ und die Gründung eines Unternehmens nicht ausschließen. Die GründerInnen – und die wissenschaftlichen MitarbeiterInnen in den Unternehmen – haben Forschungshandeln so modifiziert und angepasst, dass sich widersprüchliche Anforderungen und Rollenverständnisse verbinden lassen. Ambivalenzen werden damit auf individueller Ebene wenigstens zum Teil aufgelöst. Ansätze hierfür lassen sich 224
Wobei hier eher die Mehrzahl verwendet und von einer Vielzahl an disziplinären Forschungskulturen – siehe Knorr Cetina (2002) – gesprochen werden muss.
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auch auf organisationaler Ebene finden, z.B. bei der Kombination von Fachabteilungen mit einer flexiblen Projektorganisation. Zusätzlichen Erkenntnisgewinn verspricht eine differenzierte Betrachtung von Spin-offs im Hinblick auf die Herkunftsdisziplin bzw. die jeweilige Gründungsbranche. Es ist anzunehmen, dass die in der jeweiligen Disziplin vorherrschende epistemische Praxis sowohl gründungshemmend als auch gründungsförderlich wirken kann. Des Weiteren dürften sich, je nach Art der vorherrschenden epistemischen Praxis, unterschiedliche Möglichkeiten zur „selektiven Teilhabe“ für Spin-off-Unternehmen bieten. Eine wichtige Frage ist daher, inwiefern eine gemeinsame Betrachtung der epistemischen Praxis in der jeweiligen Disziplin und der Forschungskultur in den aus ihr entstehenden Spin-off-Unternehmen Sinn macht. Damit kann u.U. ein zusätzlicher Erklärungsansatz für die disziplinär unterschiedlich hohen Ausgründungsraten gefunden werden, deren Ursachen bisher oftmals einseitig ausschließlich in den unterschiedlich hohen Marktpotentialen bestimmter Branchen vermutet werden.
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